KUNST ^.
UNSERER
ZEIT
EINE CHRONIK DES W
- ./A°DERNEN KUNSTLEBENS
PURCHASED FOR THE
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
FROM THE
CANADA COUNCIL SPECIAL GRANT
FOR
Hl STORY OF ART
DIE
KUNST UNSERER ZEIT.
DIE
KUNST UNSERER ZEIT.
EINE CHRONIK
DES
MODERNEN KUNSTLEBENS.
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MÜNCHEN.
FRANZ HANFSTAENGL.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
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E. MÜHLTHALER'S KCL. HOF-BUCH- UND KUNSTDRUCKEREI.
INHALTS-ANGABE.
1894. I. HALBBAND.
Literarischer Theil.
Bernstein, Max, Allerhand Sprüchlein .
Bisch off, D,, Ein Jubiläum
Kirchbach, Wolfg., Das Malermärchen
Meissner, Franz Herrn., Arnold Böcklin
R a u p p , Karl, Die Akademie
Riehl, Berthold, Sterzing an der Brennerstrasse
als Studienort für Künstler und Kunstfreunde
Seite
74
37
62
21
39
45
Seite
Rosmer, Ernst, Die Sünde 34
Unsere Bilder 43 71
Walter, Fred., Die englische Malerei im Mün-
chener Glaspalast 1893 i
— — Eine Jubiläumsstudic 7G
Vollbilder.
Seite
Alma-Tadema, Laura, In's Garn gegangen 64
Bodenhausen, Cuno von, Frühlingstraum , . 40
Boecklin, Arnold, Todteninsel 24
— — Villa am Meere 28
— — Im Spiel der Wellen 28
— — Flora 32
— — Frühlingstag 36
Canal, Gilbert von, Landschaft 44
Co Hin, R., Der Schlaf 52
Corel li, Augusto, Italienische Hochzeitsfeier . 40
DairOcca Bianca, Ang., Auf der Brücke . 48
Dicksee, Frank, R. A., Leila 68
Dicksee, M. J., Besuch bei Angelica Kauffmann 56
Gillard Glindoni, H., A Rebukc 61
Kaulbach, Hermann, Gedenkblatt 37
Lenbach, F. von, Wilhelm Busch 102
— — A. Oberländer 106
Seite
Oberländer, A., Titelblatt der «Flieg. Blätter»
No. 2000 110
R ei nicke, Rene, Picknick im Walde 116
Scanneil, Edith, Die kleine Eva 44
Schneider, H., Kaspar Braun 86
— — Friedrich Schneider 86
Skipworth, F. M., Er kommt nicht .... 70
Solomon, S. J., Orpheus 73
Stuck, Franz, Die Sünde 36
Vogel, Hermann, Stossseufzer eines deutschen
Malers 114
Watts, G. F., Marchioness of Granby .... 4
— - Hoffnung 8
— — Verlockung (Mischief) 12
— — Leben und Liebe 16
— — Der Tod krönt die Unschuld 18
— — Sic transit . ... 20
Textbilder.
Seite
Böcklin, Arnold, Selbstbildniss 22
Der Ritt des Todes 23
Ueberfall von Seeräubern 25
— — Tritonenfamilie 27
— — Sieh', es lacht die Au 29
— — Gang zum Bacchustempel 31
Furse, Charles W., Mr. Justice Henn Collins 10
Hamilton, John M'Lure, Lesestunde 18
Hardy, Dudley, M21- Sarah Bernhardt .... 19
Hood, G. P. Jacomb, Hexentanz 13
Hunt, Thomas, Nur wenige Worte 11
Pirie, George, Spielende Terrier 11
Spence, Harry, An der normannischen Küste . 15
Steer, P. Wilson, Jonquille 14
Stott of Oldham, William, Portrait des Herrn
Tom Millie Dowe 7
Seite
Stott of Oldham, William, Am Kamin ... 9
Stuck, Franz, Vignette 36
Textillustrationen zu Berthold K i e h 1 , Sterzing an
der Brennerstrasse 46 47 48 49 51 52 53
54 55 57 59 60 61
Textillustrationen aus «Fliegende Blätter» "jQ jy
78 79 80 81 82 83 S4 85 87 88 89 90 91
92 93 94 95 96 97 98 99 100 loi 102 103
104 105 106 107 108 109 110 II t 112 113
1 14 115 1 16 117 118
Watts, G. F., Ophelia 2
— — Der glückliche Krieger 3
— — Lady Lifford ... 5
Klytia 6
— — Cardinal Manning 17
DIE ENGLISCHE MALEREI
IM MÜNCHENER GLASPALASTE 1893.
VON
FRED. WALTER.
G. F. Watts. Ophelia.
Wir Deutschen, oder, um gerecht zu sein, wir
Continentler , sind lächerlich lange in Un-
kenntnis über englische Kunst verblieben,
deren Werke auf festländischen Ausstellungen nur ver-
einzelt auftraten. Das reiche Alt-England ist in der
Lage, die Schöpfungen seiner Meister selbst
aufzubrauchen und von den Perlen dieser
Schöpfungen haben heute noch Jene , die
England nicht selbst besuchen konnten , nur
aus Reproduktionen Kenntnis.
Reynold und Gainsborough, Hogarth, —
der Maler Hogarth, — Turner, Constable,
Lawrence, Landseer, sind in den Museen
des Festlandes fast nicht vertreten. Der stark
entwickelte englische Nationalstolz liess die
Werke dieser grossen Meister nicht über den
Kanal und Vereinzeltes, was doch den Weg
herüber gefunden, wird und wurde nach Mög-
lichkeit zurückgekauft. So behielten sie bis
in die neueste Zeit alles Grosse, was drüben
gemalt wurde, für sich selbst und nur hin
und wieder gelangten etliche englische Bilder
zu Pariser und anderen Ausstellungen und
gaben der Menge Kunde von einer Kunst-
blüthe, die sie nicht geahnt. Aber im All-
gemeinen hatte man eine sehr dunkle Vor-
stellung von englischer Malerei.
Wer dann zum ersten Male über den
Kanal kam und die Wunder der Londoner
Nationalgalerie, des Kensingtonmuseums oder
gar die köstlichen Juwele in den Privatsamm-
lungen reicher Mäcene zu sehen bekam, war
zumeist nicht wenig verwundert , mit einem Male eine
so vornehme, so vielseitig und eigenartig producirende
Kunst zu entdecken. Ueberhaupt wird jeder England-
fahrer, der das Aermelmeer zum ersten Male passirt,
in vielen Dingen wunderbar enttäuscht sein , — ent-
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
täuscht bis zum Entzücken. Das ist nicht das unwirth-
hchc Nebetheim, das er sich geträumt. Die grosse
Stadt, die er sich grau, unfreundlich, kalt und nüchtern
vorgestellt hat, ist gros.sartig schön, abwechslungsreich^
malerisch, wie kaum eine andere Stadt der Welt. Die
Menschen, die er sich steif, eckig und zugeknöpft
dachte, sind elegant, liebenswürdig und gefällig. Und
die Frauen, die er ledern, prüde, extravagant und un-
gelenk vermeinte, sind die schönsten Frauen, die es
gibt, rassig, anmuthig, vornehm. Er sieht die schönsten
Haare, die lebendigsten Augen, die stolzesten Gestalten,
Gestalten von jener mit Kraft gepaarten Geschmeidigkeit,
die so massvolle und edle Bewegungen veranlasst.
Und wie die Frau in jedem Lande ist die
Kunst. —
Das regere Ausstellungsleben im letzten Jahrzehnt
hat uns nun auch nach und nach die Bekanntschaft
der englischen Maler vermittelt. Zumal seit dem Jahre
1888, der Zeit, da München seine alljährlichen inter-
nationalen Bilderschauen hat, - — fürder deren sogar
zwei, — haben wir sie in allen ihren Richtungen
kennen gelernt und erfahren, dass sie reich ist wie das
Land, in dem sie blüht. Wir haben die vornehmsten
Bildnismaler, die kühnsten Koloristen, die zartsinnigsten
Romantiker und die feinsten Stilisten gesehen, die
Schule von Glasgow mit ihren gewaltigen Häuptern
Guthrie, Lavery und Walton, die Praeraphaeliten
Walker und seine Epigonen, die kühl vornehmen
Akademiker u. s. vv. Wir haben mancherlei gelernt
von diesen englischen Malern und Viele , die nicht
höher schworen, als auf Paris, finden nun, dass das
Wesen der Engländer dem unsrigen beträchtlich näher
stehe. Bei den Franzosen war es im Grunde das
enorme Können fast allein, was uns imponirt hat, ein
Können, das der deutschen Malerei gewaltig zu rathen
gab nach der nachlässigen Genialität, die sie in ihren
Flegeljahren seit ihrer Wiedergeburt im zweiten Halb-
hundert dieses Säculums entwickelte. Da sah man an
den Franzosen, was Alles zu lernen war und wie man
lernen kann. Aber was aus den Werken der englischen
Künstler mit jedem Jahre eindringlicher zu uns spricht,
ist mehr als die Vollkommenheit im handwerksmässigen
Theil der Kunst. Da ist Gemüth und Poesie, da ist
Sinn für Märchenzauber und Frauenanmuth , die im
Schatten der «moulins rouges» und der «closeries de
lilas> nicht gedeiht, da ist Melancholie und Romantik,
Mitleid und naive F"reude, Verständnis für die Kinder-
seele, — da ist ein Geist, dem deutschen Geist ver-
wandt. Eine Kun.st, die nicht nöthig hatte, das Auf-
fallen um des Aufifallens willen zu suchen, die nicht den
Stempel des verzweifelten Ringens nach Erfolg trägt,
welcher den «clous» der Pariser Salons doch immer
aufgeprägt ist. Die Seele der englischen Kunst ist
immer Harmonie, die Seele der französischen Kunst
ist fast immer Effekt, wenn auch nicht ein Effekt,
der auf besonders niedrige Geschmacksinstinkte rechnet.
Aber doch zu zwei Dritteln eine Kunst «pour cpater
les bourgeois». In jüngster Zeit erst zeigt auch die
französische Malerei grösseres Streben nach intimen
Reizen; ihre Stärke aber liegt im dekorativen Element
und wird immer darin liegen.
Drüben über'm Kanal ist die Kunst aristokratisch
durch und durch , sie ist weder auf den hoffähigen
noch auf den kleinbürgerlichen süssen Pöbel berechnet.
Ein Watts, ein Waterhouse, ein Holman Hunt, ein Stott
of Oldham, ein Roche, Henry oder Hornel, ein Brangwyn,
Paterson oder Hamilton hatten der Menge nie etwas
zu sagen und haben ihr nie etwas gesagt. Sie ist an
ihren Bildern in den Ausstellungen vorbeigefluthet und
kennt ihre Namen kaum. Dafür haben Jene eine be-
grenzte aber zuverlässige Gemeinde wahrhaft Gebildeter.
Ein solcher ist stolz, dem Fremden, der ihn besucht,,
ein Bild von Burne Jones oder ein Portrait von Sir John
Millais zeigen zu können. Wenn eine besonders schöne
Gravüre entstanden ist, ziehen sie ein paar Dutzend
Blätter ab und schneiden dann die Platte in Stücke
und man bezahlt vielleicht dann für einen Abzug das
zwanzigfache von dem , was man bei uns bezahlen
würde. In einem einigermassen anständigen englischen
Privathaus sieht man keinen Schund an der Wand;
sehr oft aber ist jede Tafel , welche die Wände
schmückt, ein Kunstwerk von Rang. Künstlern ersten
Grades wurden die höchsten Würden im Lande er-
schlossen, wie Millais und Leighton. Das Alles schafft
einen Boden, wo Kunst gesund gedeihen kann. Und
dazu kommt noch Eins: wenn mich flüchtige Beob-
achtung nicht trog, so fühlen sich dort die Künstler
von Bedeutung, auch wenn sie in ihren Richtungen
weit auseinandergehen , mehr wie bei uns als Glieder
eines Standes, als echte Aristokraten, deren Rang etwas
Höheres bestimmt als Zufälligkeit der Geburt. Ich
hörte aus dem Munde eines ausgesprochenen und in
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
seiner Kunst leidlich steifen Akade-
mikers das begeisterte Lob mo-
derner, impressionistisch veranlagter
Kollegen, und Bilder von ihrer Hand
schmückten die Wände seiner fürst-
lichen Gemächer. Und wenn auch
Cliquewesen und Bonzenthum für
den Kundigen dort wie hier zu
entdecken sein werden, die bösen
Dinge liegen jedenfalls weniger stö-
rend am Tage als anderswo. Alles
in Allem : Die Vorbedingungen für
ein gedeihliches und freies Kunst-
schaffen sind dem englischen Maler
in ausreichendem Masse gegeben und
seine Schöpfungen zeugen davon.
Spezielle Berührungspunkte hatten,
seit sie hier verkehren, die englischen
Maler mit dem Geschmacke ihrer
Münchener Kollegen und deren ver-
ständnisvollen Freunde.
Die Schotten errangen hier ihren
ersten glänzenden Sieg und veran-
lassten, dass mancher seine Farben-
skala auf vollere, kräftigere Akorde
stimmte, ohne dass sie, wie man an-
fangs befürchtet hat, thörichte Nach-
ahmungen hervorriefen. Die englische
Landschaft, das englische Bildnis hat
Schule gemacht. Vor Ouless und
Orchardson haben Leute ihre Achtung bezeugt, die
sonst gewohnheitsmässig alles Neue und Nichtdahiesige
verachten, — eine ganz traurige Spezialität einzelner
deutscher Grössen in der Malerwelt. Englische Bilder
sind in unverhältnismässiger Anzahl hier verkauft
worden, viele wurden mit Medaillen ausgezeichnet,
während im Ausland, namentlich in Frankreich, das
Verständnis für englische Malerei sich immer noch
langsam Bahn bricht.
Speziell für die vollen , weichen Farbenklänge der
schottischen Koloristen hat man an der Seine noch
wenig Sinn und ich sah im « alten Salon d ein prächtiges
Amazonenbildnis Lavery's in einem Nebensaal hoch
unter der Decke hängen, — im «alten Salon», — - die
Herren auf dem Marsfelde sehen sich ihre fremden
Gäste schon genauer an. —
G. F. Watts. Der glückliche Krieger.
Die Münchener Ausstellungen beherbergen auch
im heurigen Jahre eine stattliche Anzahl englischer
Bilder und speziell im Glaspalast treffen wir eine eng-
lische Abtheilung an, welche die Bildergruppen der
übrigen Nationalitäten, was geschlossene, einheitliche
Wirkung und durchschnittlichen Werth betrifft , weit,
weit hinter sich lässt.
Italien , Spanien , Holland und Belgien haben
neben vielem Guten auch Vieles von dem geschickt,
was der Maler mit dem angenehmen Titel «Kitsch»
bezeichnet. Bei den Engländern ist kaum ein Bild
zu entdecken, das schlechterdings blos um's Geld ge-
malt wäre. Nicht lauter Galeriestücke first rate. Aber
durchaus Aeusserungen künstlerischer Individualitäten.
Zwei Säle von
« Gemälden >.
Kunstwerken in einem Ozean von
1*
DIK KUNST UNSERER ZEIT.
Der interessanteste unter den ausländischen Gästen
des Glaspalastes ist George Frederick Watts, den man
bisher bei uns fast nur vom Hörensagen kannte , ein
Maler, der sehr wenig «im Handel» ist. Seine 23 Bilder
vergelten den Besuch dieser Ausstellung schon für sich
allein. Wenn sie auch nicht lauter allererste Arbeiten
des englischen Böcklin bedeuten, sie geben doch ein
erschöpfendes Bild dieser hocheigenartigen Künstler-
natur. Iki wenigen Anderen spricht der seelische, —
nicht der anekdotische, — Inhalt eines Bildes so ein-
dringlich zu uns wie bei Watts. Das ist kein poetisch
veranlagter Maler, das ist ein Dichter von Gottes
Gnaden, der nur zufällig statt mit Papier und Tinte,
mit Farben und Leinwand hantirt. Und dazu ist er
auf der anderen Seite ein Maler, der die Ausdrucks-
mittel seines Handwerks bis zum Erreichen ihrer feinsten
Reize beherrscht. Seine viel stärkere Nervosität, sein
trockenes Kolorit und seine manchmal etwas zu auf-
fällige Verwandtschaft zum Herrn « Deutobold Alle-
goriewitsch Mystificinsky j scheiden ihn wohl von dem
in Allem gesunden Vollblutmenschen Arnold Böcklin.
In seiner künstlerischen Reinheit , in der unbegrenzten
Mannigfaltigkeit seiner Begabung aber reicht er bis zur
Höhe dieses Giganten hinan. Auch Watts hat nie vor
seinem Schaffen die Genehmigung eines hohen Adels
und verehrten Publici eingeholt und auch nicht das
Urtheil massgebender und hochmögender Kollegen.
Da war der Gedanke, — da war die Leinwand, — da
war das Bild. Nun hat er's vielleicht mit den Kollegen
dadurch verdorben, dass er die Hauptfigur in ein saftiges
Chokoladebraun tauchte, mit dem Publikum dadurch,
dass er zu viel hineingeheimnisste , — was gilt's ihm.
Sein Bild hat er sich von der Seele herunter gemalt!
Und alle Kunstwerke der Welt, welche diesen Namen
in vollem Maasse verdienen, sind von der Seele ihres
Schöpfers heruntergemalt, gemeisselt, geschrieben und
gesungen. Das Werden hoher Kunstwerke ist Schicksal,
sie müssen ent.stehen , sie sind keine zufälligen Er-
.scheinungen, sie sind sozusagen die Consequenzen langer
Reihen von Entwicklungsmomenten der Cultur. «Die
Venus von Melos», «Die Sixtinische Madonna», «Der
Dom von Sankt Peter», «Die neunte Symphonie»,
« Die Todteninsel » , « Der Nibelungenring » , « Faust »
und « Das Lied von der Glocke » , das sind lauter
Etappen in der Bildung des Menschengeschlechtes, sie
mussten kommen und so werden wie sie sind. Doch
das führt zu weit. Es sollte nur gesagt werden, dass
Watts' Werke so entstehen, wie die Werke eines echten
Künstlers entstehen müssen, aus dem Bedürfnis eines
Temperaments heraus.
Manches von diesen Werken ist ein abgerundetes,
vollendetes Gedicht.
«Die Hoffnung»: Eine edle Gestalt, die auf der
Erdkugel ruht, mit verbundenen Augen, das Ohr herab-
geneigt zu ihrer Harfe, auf deren letzter Saite ihre
Finger .spielen. Ueber ihr leuchtet ein Stern! Die
Hoffnung ! Sie thront über der Welt, die kein Jammer-
thal mehr ist, sondern ein Paradies , sobald der Klang
ihrer Harfe über sie hinrauscht. Nur eine goldene
Saite hat diese Harfe mehr, — die letzte. Aber blind
für Alles, was um sie ist, beugt sich die Hoffnung über
ihr Saitenspiel und lauscht dem einen Ton und alles
Weh und Elend und alle Sorge und Noth sind ver-
gessen. Um diesen Klang allein ist das Leben des
Lebens werth, «Denn wer ertrüg' der Zeiten Spott
und Geissei, des Mächtigen Druck, der Stolzen Miss-
handlungen , den Uebermuth der Aemter und die
Schmach , die Unwerth schweigendem Verdien.st er-
weist», wenn nicht die Hoffnung bliebe auf Besserung.
Sie hält uns mächtiger als die Furcht am Leben fest.
Der helle Klang ihrer letzten Saite trifft unser Herz
und es geht ein Stern auf in tiefer Nacht. Sie ist
schon etwas vom Glück, — sie ist für unendlich Viele
das Glück selber. — — —
«Sic transit! » — Stumm und starr, — starr und
stumm! — Die mächtigen Glieder, die so stolze Kraft
einst geschwellt, liegen kalt und hart wie Marmor
da, und steif und regungslos und hässlich. Gut, dass
das Leichentuch die ersten Spuren schaurigen Verfalls
bedeckt. Starr und stumm, — stumm und starr!
Was will der gleissende Kram nun zu seinen Füssen?
Die blinkenden Waffen, vor deren Schein die Feinde
gezittert? — Totes Erz! Leer die goldene Schale,
aus der er Jubel getrunken und glänzende Siege ge-
feiert in doppeltem Rausch. Welk die Blumen der
Liebe, welk der Lorbeer des Ruhms! Verstummt die
Saiten der Cither, über die seine Finger hingespielt in
zärtlicher Schäferstunde! Werthlos Papier für ihn die
Seiten des Buches, in dem er Wahrheit suchte in
Stunden stiller Selbsteinkehr 1 Vorbei , vorbei ! Der
Schlummernde braucht Euch fürder nicht 1 Werdet
Moder wie er! — So geht der Glanz der Welt dahin!
F- Watts pinx
Chfit. F. H.infalnengl, Miinclifti.
Marehioness of Granby.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
«Der glückliche Krieger! > Ein sterbender
junger Held, von dessen Haupt der Helm sinkt und von
dessen Lippen der Kuss eines schemenhaften Weibes
das letzte Leben trinkt: Gesiegt, gesiegt! Donnernder
Jubel rollt über das Brachfeld hin . über erkaltete
Leichen und über Sterbende , deren Seele auf diesem
Strom von Triumphtönen hinüberschwimmt, und über
Lebendige , Sieger und Besiegte. Ge-
siegt, Gesiegt! Noch eben hat der junge
Held sein Schwert geschwungen, von
dessen spiegelndem Stahl pur-
purne Tropfen hinabrannen.
Nun fährt seine Hand nach
der Halsberge ! Was
ist das .'' Heiss und
roth strömt es her-
aus! Und wie es
brennt auf einmal !
Erst hat er Nichts
gefühlt , jetzt glüht
es wie Feuer! Heiss
rinnt es unterm Har-
nisch herab aus der
Wunde, die er im
Kampfes - Taumel und
Sieges - Rausch nicht
wahrnahm. Wie der
Helm drückt, — Gottlob,
da fällt er hinten über. Sein
Antlitz wird bleich, vor seinen
Augen kreisen immer mehr im
Nebel verschwimmend die Gestalten,
vor seinen Ohren braust es und rauscht
und saust und klingt. Ein Wirbel fasst
ihn , Alles verwischt sich , nur Eins
bleibt fest in seinem Empfinden, das dahinjagt in
wahnsinniger Hast. Er sieht es deutlich, ein süsses,
holdes Gesicht. Das ist der Engel des Sieges , der
sich nun über ihn beugt. Ob er sie kennt, — diese
Lippen! Sie haben ihm den ersten Kuss gegeben, —
sie gaben ihm den letzten. Jetzt brennen keine
Wunden mehr. Aus dem Rauschen und Brausen lösen
sich helle, liebliche Klänge, — schimmernde Weiten
thun sich auf, — heitere Gestalten winken, alles Em-
pfinden löst sich in einen Strom von Licht — Glück-
licher Krieger! — —
G. F. Watts. Lady Lilford.
«Verlockung». Mit Rosenketten zieht er den
Jüngling in's Verderben, der geflügelte Gott. Eine
Welt von Wonne hat er ihm versprochen und schon
beim ersten Schritt ins erträumte Paradies umschlingt
ihm stachliges Brombeergerank die prangende Pracht
seiner Glieder! Nur immer weiter herein! Das ist die
Liebe. Und wenn Du zuletzt verblutest unter den
Dornen, Rosen umblühen Dich dochl
Was thut's, — Du hast geliebt. Ver-
blutend wirst Du noch mitleidig
lächeln über die Armen, welche
die Rosen nicht gepflückt und
nicht geblutet haben. —
«Der Tod krönt
\ die Unschuld».
Schlafe mein Kind-
lein, schlafe und er-
wache nie mehr!
Lasse Dich's ja nicht
gereuen , dass Du
von dem Treiben die-
ser Welt nicht mehr
hattest als einen flüch-
tigen Blick durch die
Thürritzen in den
glänzenden Saal. Es
ist kein Schreckbild,
das Dich in die Arme nimmt
— ich bin der Friede, ich
kröne Dich mit der Krone der
Unschuld. Ich bin die Mutter, an
deren Busen Alle entschlummern, die
Wilden und die Stillen, die Guten und
die Bösen. Du schlummerst hinüber,
bevor Du Dir noch Narben geholt im
Kampfe, der Keinem ausbleibt. Du bist lächelnd ein-
genickt, ohne Furcht und rein wie der neugeborne
Schnee! Und wie der Kampf bleibt auch die Sünde
Keinem aus, — Du gingst, bevor sie kam. Es ist gut
ruh'n im Schatten meiner dunklen Riesenflügel, gut
ruh'n für Dich, der das Sehnen und Bangen, das
Streben und Verzagen des Lebens nie erfuhr! — —
«Leben und Liebe >. Dünkt sie Dir eng die
Klippe, über die ich Dich führe, schwindelig, jäh ab-
fallend zur Tiefe, steinig und steil.-' Getrost, das Ziel
lohnt der Wanderung, wenn ich Dein Geleiter bin!
DIE KUNST UNSERER ZEIT,
Traue mir und halte Dich an mich! Wen ich führe,
der ist gut geführt und wenn der Weg durch Nacht
und Grausen geht. Ich bin die Liebe, Du bist das
Leben, ich bin die Liebe, ich bin das Leben, — wir
Beide sind eins! Lasse Dein Bangen! Zehn Schritte
noch und es sprossen Blumen aus dem Gestein und
Du bist im Garten Eden!
«Ophelia». Ihr Kinderköpfchen hielt diesen An-
sturm von Weh nicht aus! Zuerst fing sie an wirre
Lieder zu singen, — böse Lieder, von denen ihr jung-
fräuliches Herz nichts wusste. Dann ging sie fort. —
«Es neigt ein Weidenbauni sich über'n Bach,
Und zeigt im klaren Strom sein grünes Laub,
Mit welchem sie phantastisch Kränze wand
Von Hahnfuss, Nesseln, Masslieb, Purpurblumen:
Dort, als sie aufklomm um ihr Laubgewinde
An den gesenkten Aesten aufzuhängen,
Zerbrach ein falscher Zweig, und niederfielen
Die rankenden Trophäen und sie selbst
In's weinende Gewässer. Ihre Kleider
Verbreiteten sich weit und trugen sie
Sirenengleich ein Weilchen noch empor,
Indess sie Stellen alter Weisen sang.
Als ob sie nicht die eigne Noth begriffe,
Wie ein Geschöpf, geboren und begabt
Für dieses Element. Doch lange währt' es nicht,
Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken,
Das arme Kind von ihren Melodien
Hinunterzogen in den schlamm'gen Tod».
So starb Ophelia! Wie das unglückliche Mädchen
aufklimmend zum alten Weidenbaum in's Wasser hinab
sah, hat sie der Maler uns gezeigt.
Es hätte grossen Reiz, so Bild um Bild von Watt's
gemalten Versen in Worte umzusetzen. Oft freilich
wird seine Allegorie zu gewaltsam, sein Mysticismus zu
mystisch. Bilder, wie «Zeit, Tod und Gericht», das
er durch die Unterschrift, «Wer den Sturm sieht, soll
nicht sähen, wess Blick den Wolken folgt, soll nicht
ernten», noch räthselhafter gemacht hat, — wie
«Fata Morgana», «Der Bewohner des Allerinnersten»,
brauchen schon ein Kommentar, sie sprechen nicht
mehr für sich selbst. Doch das sind Launen, wie
man sie Künstlern von seinem Range verzeiht. Sehr
ähnlich darin ist ihm von deutschen Malern einer,
— Max Klinger. Aber seine radirten Bildercyclen
C. F. Watts. Klytia.
poetischen und philosophischen Inhalts liegen be-
quemer in der Hand für den , der sich in ihre Räthsel
vertiefen mag.
Von klassischer Grösse ist Watts als Bildnissmaler
und aus diesem Gebiete seiner Kunst sind in der
Münchener Ausstellung ganz besonders köstliche Perlen
zu sehen. Sein wuchtiges Portrait des Lord Lawrence,
sein Bildnis des Cardinais Manning, das an die grössten
Cinquecentisten mahnt, sein Conterfei Rossetti's, des be-
rühmten Praeraphaeliten, das sind Meisterwerke ersten
Ranges. Das Portrait der Countess Somers beweist,
was Watts bei den alten Venetianern gelernt hat und
reicht, was Grösse der Auffassung und Einfachheit des
Vortrages betrifft, an Leonardo's «Mona Lisa» heran.
Ganz anderer Art wiederum ist das Bildnis der
Marchioness of Granby , das wir umstehend als Voll-
bild wiedergeben. Ein bestrickender Liebreiz , nicht
ganz frei von einer gewissen Schwermuth , liegt über
diesem Frauenhaupt ausgebreitet, das ebenso gut
als das Abbild einer lyrischen Muse gelten könnte.
Wunderschön und doch keine Schönmalerci, gibt uns
das Bildnis den edelsten Reiz englischer Frauenanmuth
wieder. Nicht minder schön aber als das von gött-
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
lieber Hoheit gekrönte Haupt ist der originelle Hinter- In England und in Frankreich ist es , nebenbei
grund gemalt, eine wundervoll duftige Berglandschaft, gesagt, viel häufiger als bei uns, dass Bildhauer als
Dieser Hintergrund macht mit der Figur zusammen Maler und Maler als Bildhauer arbeiten. Von Eng-
ein Ganzes aus, das viel zu rathen gibt. Er erzählt ländern nennen wir für ersteren Fall John Swan, für
jedenfalls eine Geschichte zusammen mit der ver- letzteren eben G. F. Watts, von Franzosen für erstere
schieierten Wehmuth im Blick der schönen Frau und Kombination Falguieres, für letztere Gerome, — alle
ich meine beinahe, die Lösung des Räthsels heisse: Vier auf der Münchener Jahresausstellung von 1893
Heimweh. brillant vertreten. Leighton verdankt die tadellose
Als Landschafter von vielen Graden offenbart sich Reinheit seiner Zeichnung nicht zum wenigsten dem
Watts auch mit seiner unbeschreiblich duftigen Ansicht Umstand, dass er seine Modelle auch plastisch aus-
von Corsica von der See aus und nicht minder mit arbeitet.
seinem Blick auf den «Ararat», der die enorme Höhe George Frederick Watts ist nicht der einzige
des riesigen Berges in merkwürdig überzeugender wahrhaft grosse englische Maler, der uns in dieser
Wirkung zum Ausdruck bringt. «Die Liebe und der Ausstellung entgegentritt. Vortrefflich, wenn auch nur
Tod» ist wieder eine Farbendiclitung: Der geflügelte durch Handzeichnungen vertreten, ist der Praeraphaelit
Liebesgott scheucht die in weisse Falten gehüllte Burne Jones. Er gehört zur strengen Observanz
Gestalt des Todes von einer Schwelle, die er be- seiner Schule uiid gerade die hier ausgestellten
schützt. Schwächer, besonders schwächer in
der Mache ist «Kain und Abel», beinahe
an Leighton's akademische, leidenschaftslose
Art erinnert das lebensgrosse Bild eines eben
zur jungfräulichen Reife gelangten Weibes,
das sich zum Bade rüstet. Lady Lilford's
Bildnis ist wohl der Anregung der grossen
englischen Portraitisten vom Anfange des
Jahrhunderts zuzuschreiben. Man sieht, der
Künstler ist den manigfachsten Anregungen
zugänglich gewesen; aber nie ist er ein Nach-
ahmer, immer spricht aus dem Werke seine
eigene Empfindung lauter als das Vorbild.
Auch als Plastiker stellt er sich uns vor
mit einer Büste der «Klytia», womit er die
auf der ganzen Welt in Nachbildungen ver-
breitete Klytiabüste des britischen Museums
in London, — die übrigens in Wahrheit eine
Portraitbüste römischer Provenienz ist, —
glücklich variirt. Watts stellt den Moment,
da Appolo's Geliebte in eine Blume ver-
wandelt wird, in viel leidenschaftlicherer Be-
wegung des üppigen Körpers dar, als das
bekannte Original.
Jedenfalls hat das Werk nicht im Min-
desten den Charakter eines dilettantischen
Versuchs in fremdem Fache, sondern es sieht
vollkommen aus wie das künstlerische Er-
zeugnis eines Bildhauers von Beruf. miliam Statt of Oldham. Portrait des Herrn Tom Millie Dow.
IHK KUNST UNSKRER ZEIT.
Studien zeigen ihn in der stilistischen Fonnenstrenge,
die direkt auf die grossen Vorbilder wie Sandrov
Botticelli und Masaccio zurückgreift. Walter Crane,
Ro.ssetti, Holman Hunt, blieben wie er bei dieser
Richtung, Miliais, W. B. Richmond und andere An-
gehörige der Gruppe gaben es allgemach auf, den
Stil einer Zeit wieder zu beleben, in deren naivem
Sinn ein moderner Mensch in Wahrheit nicht mehr
denken und empfinden kann. Die Praeraphaeliten von
reinem Wasser sind eben doch Maniristen, geniale
Maniristen freilich, welche die Unpersönlichkeit ihrer
Ausdrucksform durch starken persönlichen Geist zu
beleben wussten, ganz im Gegensatze z. B. zu der
Mehrzahl der deutschen «Nazarener» der dreissiger
und vierziger Jahre. Die Epoche der Praeraphaeliten
wird in der Geschichte der englischen Kunst ihren
Platz behaupten , obwohl sonst die Kunstgeschichte
wenig Pietät kennt gegen die Anempfinder. Es
handelt sich aber hier doch um sehr individuell ent-
wickelte Geister und ein Adel beherrscht diese Schule,
der wohlthätig auch auf viele zeitgenössische Maler
des Landes wirkte , die zu dem Dogma der Prae-
raphaeliten keine Beziehungen hatten. Einige der
hier ausgestellten Studien von Burne Jones zeigen eine
so holde Reinheit der Form , so überirdisch edlen
Ausdruck, dass sie hierin von den schönsten Beispielen
des Quatrocento sicherlich nicht übertroffen werden.
Von W. B. Richmond, der ganz zu der An-
schauung unserer Zeit zurückgekehrt ist, enthält der
Glaspalast ein Mädchenportrait, das Conterfei einer
Miss Mackail, so liebenswürdig fraulich, so keusch und
zart, dass man den Mangel an Temperament, der für
den Maler immer schon bezeichnend war, gerne ver-
gessen mag.
Ein ganzes Temperament ist dafür Mouat Loudan,
den wir zum ersten Male und zwar gleich als ganz
ausserordentlichen Bildnismaler kennen lernen. Sein
Bildnis, eine Dame in grellgrünem Kleid mit korallen-
rothem Fächer, ist von verblüffender Keckheit der
Farbe, aber gewiss nicht unharmonischer Wirkung.
Es beweist, dass man die stärksten Kontraste, die in
der Wirklichkeit vorkommen, getrost malen darf, nur
mu-ss man die Schneid und die Kraft haben, sicher
und frisch genug zuzugreifen. Auch ein originelles
Landschaftsbild .stellt Loudan aus: «Eine Wolke», eine
Landschaft, an der der Himmel mit einer eigenartig
gebildeten Wolke die Hauptsache ist. Ein feines,
poesiereiches Stück Arbeit! Aber Mouat Loudan's
drei Kinderbildnisse sind doch das Schönste und An-
sprechendste, was wir hier von ihm sehen. Wie lieb
und hold , wie entzückend drollig sind diese gross-
äugigen Babies , denen man die schüchterne Ver-
wunderung über den Vorgang des Gemaltwerdens
ankennt; wie bekannt und vertraut sieht uns diese
« Kytti » und diese « Isa » und diese « Mary » an , als
hätten wir sie schon einmal auf dem Knie geschaukelt
und sie wollten sagen: «Denk' nur nach, wir kennen
uns schon. Du weisst nur nimmer woher.?» Ich
meine, es ist eine der höchsten Aufgaben des Portraits,
dem Wesen, das es darstellt, Freunde zu erwerben und
die, welche jenem Wesen schon freundschaftlich ge-
sinnt waren , mit jedem Anblick freundlich zu grüssen.
Es gibt denn auch Menschen , die vor einem schön
gemalten Kinderbildnis solcher Art immer was wie
Rührung ankommt, immer was von der Stimmung:
«Mir ist, als ob ich die Hände auf's Haupt Dir legen
sollt». — — Mouat Loudan's Kinderbilder muthen
ähnlich an. Und werthvoU sind sie nicht nur ihrem
Inhalt nach , — auch als Malereien in ihrer vollen
reichen Farbenharmonie verdienen sie Bewunderung.
In England ist heute noch das Dorado der Por
traitmalerei , das es schon seit des jüngeren Holbein
Zeiten war, und vor Allem ist das Bildnis im künst-
lerischsten Sinne dort zu Hause. Man « lässt sich dort
noch malen» und freut sich dann, wenn das Bild nicht
nur ein recht « ähnliches Portrait » , sondern auch ein
recht gutes Bild ist. Dort wirkt Sargent, der viel-
leicht von den Lebenden allein in einem Athem mit
Velasquez genannt zu werden verdient. Whistler mit
der genialen Grösse und Einfachheit seiner Bildnisse,
der eminent malerische Shannon , der aristokratische
Orchardson, die schon oben genannten Schotten
Guthrie und Lavery und noch viele Andere. Hier
sind Stott of Oldham , Greiffenhagen , Charles W.
Furse , P. Wilson Steer ausser den bereits Erwähnten
glänzend vertreten. Stott, der geistreiche Farben-
zauberer, dem kein Gebiet der Malerei fremd ist, hat
ein Portrait des Mr. Tom Millie Dow beigesteuert,
so ein richtiges Atelierbildnis unter Kameraden, woran
jede Pose und Schönmacherei schon von vorneherein
ausgeschlossen ist. Der gutmüthige, athletische, etwas
breitspurige, blonde, enghsche «Boy», wie er im
(!. F. Watt.- iiinx
IMiot. F. Hanfstaengl, Mnn«hen.
Hoffnung.
ÜIK KUNST UNSERER ZEIT.
iVilliain Slolt of Oldham. Am Kamin.
Buche steht, in einer bequemen, gestrickten Hausjacke
im Lehnstuhl sitzend, den unentbehrlichen Pfeifen-
stummel in der Hand. Einer von den brittischen
Riesen , nach deren Händedruck man die eigene Hand
in Schindeln tragen muss und die beim Football oder
ähnlichen Vergnügungen für die Knochen ihrer Neben-
menschen als sehr gefährlich gelten, die aber die
besten Freunde der Erde und Kameraden von kind-
licher Treuherzigkeit sind. Wahrhaftig, gemalt ist das
Bildnis des Herrn Tom Millie Dow wunderschön, aber
als Menschenschilderung, als Charakterzeichnung, steht
es noch höher und wenn ein späteres Jahrhundert
wissen will, wie der prächtigste Typus angelsächsischer
Männlichkeit um das Jahr 1893 herum ausgesehen hat,
betrachtet er sich dieses Conterfei, — so sah er aus.
Seltsam melancholisch muthet Stott's grosses Dünen-
bild «Zwei Schwestern» an. Hart am Meere in einer
Einsattelung der Dünen sitzen etliche Kinder im Sand.
Zweie, zwei Schwestern, gehen eben aus der kleinen
Gesellschaft fort und die Eine blickt noch einmal zu
den verlassenen Kameraden zurück , — sie wäre wohl
gerne noch etwas geblieben. Der Vorwurf an sich
ist nicht sehr interessant. Aber wundersam fesselnd
ist die über dem Ganzen lagernde kühle, graue, weh-
müthige Stimmung. Kein hohes Licht, kein tiefer
Schatten , melancholische Stille auch in der Be-
leuchtung. Das Meer, das im Sonnenglanz so herrlich
schön ist, so sieghaft schön, dass man aufjauchzen
möchte in seinem Anblick, ist unter trübem Himmel
oft schrecklich öde und dann stimmt es traurig, wie
nichts Anderes. Und aus dieser Schwermuth heraus
macht sich der Beschauer über die durch den Sand
hinwandelnden beiden Schwestern seine eigenen weh-
muthsvoUen Gedanken. In die Stimmung der Land-
schaft ist ihr Schicksal hineingemalt. Auch ein wunder-
bares Mondnachtsbild ist von Stott of Oldham's Hand,
eine Mondnacht im Sommer über einer Meeresbucht.
Es ist eine schwüle Nacht und der Spiegel des Nacht-
gestirns blitzt nicht grell auf aus schwarzbraunen
Huthen. Mild und gedämpft erscheint das Mondlicht
bei der dunstigen Atmosphäre , unsäglich weich und
träumerisch ist sein Schein. Es ist nordisches Meer, in
das dieser Mond niederblickt und nordischer Himmel,
auf dem er glänzt.
Neben diesen feinen Leistungen ist auch von Stott
of Oldham's technischer Geschicklichkeit eine frappirende
Probe zu sehen, ein Pastell, «Auf der Feuerseite». Eine
Interieurstudie, darstellend, wie eine dunkel gekleidete
Dame am Kaminfeuer träumerisch im Sessel lehnt.
Virtuos sind die Holzmöbel gemalt, die dunkel gegen
helle Wände stehen, virtuos die Gestalt der träumenden
Frau in der eigenthümlichcn Zwitterbeleuchtung, die
sich der Maler ausgewählt. Stott ist ein grosser Könner
und ein grosser Künstler dazu. Hier in München hat
man seinen Werth bald erkannt , — den Werth von
Ausländern erkennt man ja immer schneller, — und
10
UIE KUNST UNSERER ZEIT.
eines seiner schönsten Bilder, «Badende Knaben»,
schmückt die Sammlun;,' unserer «Neuen Pinakothek.
Eine ebenso hervorragende als charakteristische
Leistung englischer Hildnismalerei ist das Portrait des
Richters «Mr. Henn Collins» von Charles W. Furse.
Das ist nicht das Abbild eines englischen Richters, —
des englischen Richters muss es heissen. Alles Würde
und Steifheit! Nicht ohne eine leise Beimischung
von Humor hat der Maler die Grandezza des
würdigen Dieners der Themis festgehalten, dem
man einen enorm entwickelten Berufsstolz wohl
ankennt. Kein Fürst trägt seinen Purpur mit
mehr Selbstbewusstsein , als er das blutrothe Ge-
wand des Standes, der über Leben und Freiheit
der gewöhnlichen Menschenkinder entscheidet, kein
Fürst trägt seine Krone mit mehr Berechtigung
als er seine Perücke, die ein höchst bezeichnendes
Atribut seines Wesens ist. Ja wahrhaftig, es liegt
Humor darin, wie das moderne, vergnügt-röthliche
Portweingesicht unter grauen Lockencascaden der
Allongeperücke hervorsieht. Merkwürdig gut ist
hier der ganze malerische Vortrag dem Vorwurf
angepasst. Alles kühl, nüchtern, korrekt, nicht
die kleinste malerische Extravaganz hat sich an
den Mann des Rechtes herangewagt. Wer den
Maler nur aus diesem Bilde kennte, müsste ihn
für einen leidlich prosaischen Akademiker halten.
Dann gehe man ein paar Säle weiter und sehe
Furse's «Lesende Dame» an, die im Watts-Saal
placirt ist. Wie weich und duftig, wie dämmerig
träumerisch ist der Ton dieses Bildes, einer jungen
Frau, die im sicheren Heim behaglich einem Buche
nachhängt, und den Gedanken, die es in ihr weckt.
Wie vom Bildnis des Herrn Richters alle Weich-
heit und Poesie, so ist von dieser Tafel jede Härte
und Nüchternheit verbannt. Es sind freilich nur
ganz hervorragende Könner, die ihre Ausdrucksmittel
so mit dem Stoff zu wechseln vermögen, aber die
Sache selbst ist so richtig. Es gibt sehr berühmte
Portraiti-sten, die ein holdseliges Frauengesicht genau
nach demselben Rezept heruntermalen, wie das falten-
reiche Antlitz eines 70jährigen Staatsmannes, und die
vor lauter Geist und Charakter dann das übersehen,
was ein weibliches Gesicht vor allem Anderen malerisch
macht, den Duft der Jugend und die zarte Blüthe des
Kolorits, mit einem Worte, den Reiz der Frau. Da
trifft mancher Stümper oft besser als mancher Meister,
weil der Stümper in kindlicher Einfalt ein korallen-
rothes Lippenpaar so auf die Leinwand setzt, wie er
es sieht und wie ihm es begeh renswerth erscheint, —
und nicht, wie es heute aussehen würde, wenn's vor
300 Jahren der oder jener berühmte Mann gemalt
hätte. Gerade im weiblichen Bildnis hat die englische
Charles W. Fürst. Mr. Justice Henn Collins.
Kunst seit hundert und mehr Jahren ihre unerreichte
Grösse, gerade in dem Vermögen, in ein solches
Conterfei das ganze Milieu mit hineinzumalen, in dem
das Original lebt. Unterschiedliche, kleine Landschaften
von Charles W. Furse bekunden , dass er auch auf
diesem Gebiete mehr als zu Hause ist. Jedes der
kleinen Bilder muthet an wie ein kräftiger Griff in die
Saiten einer klangschönen Harfe, so voll, so tief sind
die angeschlagenen Töne. Mit wenigen Worten so
viel sagen, — das will Kunst.
DIE KUNST UNSF:RER ZEIT.
11
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Thomas Hunt. Nur wenige Worte.
Die oben erwähnte Leistung Maurice Greiffen-
hagens im Bildnisfache ist ein Portrait der Frau des
Künstlers , ein Muster von Eleganz und Breite der
malerischen Vortragsweise. Die Dame ist in ganzer
Figur dargestellt, in grauem Mantel. Keine Effektchen,
keine Details. Greiffenhagen gehört zur Schule der
Shannon und Sargent und Arthur Hacker, die, was
malerische Technik betrifft, wohl von den Fran-
zosen gelernt haben, deren edle Auffassung aber
sicher im brittischen Wesen ruht.
P. Wilson Steer «Narcissen»: Es ist Nacht.
Im Innern eines Zimmers steht ein Weib mit
unverfälscht englischem Lockenwald hart am
Fenster und betrachtet ein Sträusschen gelber
Narcissen , das sie aus einer Vase genommen.
Im Haar und am Busen hat sie die gleichen
Blumen. Starkes , künstliches Licht beleuchtet
sie und wirft die Silhouette ihres interessanten,
etwas sinnlichen Gesichtchens in scharfer Zeich-
nung auf das Fenster. Welche Weichheit und
Wärme der Farbe, welche Schönheit der Model-
lirung in diesem eigenthümlichen Licht. Steer
ist eine der merkwürdigsten Erscheinungen aus
der neueren englischen Malerschule. Bald kommt
er mit Verkürzungen , die selbst Boldini's kühnste Ein-
fälle überbieten , er malt eine umherwirbelnde Solo-
tänzerin aus der Vogelperspektive oder ein paar
sitzende Menschen von unten; und je schwieriger ein
Beleuchtungsproblem zu bewältigen ist, desto mehr reizt
es ihn. Dann sucht er wieder so schlichte und ein-
fache Wirkung auf, wie in seinem hier ausgestellten,
beinahe etwas altmodisch gehaltenen Damenportrait.
Seltsam , dass sich die Proteusnatur gerade unter
Künstlern dieses Landes in so mannigfachen Variationen
vertreten findet. Da ist auch Frank Brangwyn (London),
als Kolorist bald geistreich und phantastisch, bald bizarr
bis zur Grenze gelinder Verrücktheit und bald nüchtern
ernst. Alle drei Phasen koloristischen Strebens berührt
dieser Maler mit den drei Bildern, die er in den Glas-
palast geschickt hat: Die erste mit seiner «Eva», die
zweite mit « Blake vor Santa Cruz » , die dritte mit
dem «Seemannsbegräbnis». Die vielgeschmähte und
vielgemalte Apfelliebhaberin Eva schildert er im Para-
diesesdickicht unter lockenden Früchten und zauberisch
leuchtendem Pflanzenwerk. Mit magisch heissem Farben-
schein ist ihr anmuthiger Körper übergössen , dringt
doch das Licht , bevor es ihn berührt , durch so viel
Blätter und Blumen. Die böse Schlange mit dem Apfel
ist auch ein wunderschönes Stück Paradies mit ihren
herrlichen, stahlblauschillernden Farben. Die ganze
sündhaft schöne, verlockende Umgebung von Edens
Garten bittet um Verzeihung für die arme, erste Frau,
die hier der ersten Versuchung unterlag. Das ist emi-
George Pirie. .Spielende Terrier.
12
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
nent dichterisch empfunden. Das zahme, brave Weib,
das mit der Etiquette «Eva» gewöhnlich unter einen
normalen, mitteleuropäischen Apfelbaum gestellt wird,
das unterläge in Wahrheit der Versuchung gar nicht.
Aber diese sinnenwarme Frau hier, die inmitten einer
unerschöpflich treibenden und üppigen Natur sich auf-
hält, selbst die köstlichste Frucht im weiten Garten,
umrankt, umsprosst, umblüht und umduftet von solcher
Pracht, die ist allerdings in Gefahr, einige Para-
graphen des ersten Strafgesetzbuches im Rausche
der allgemeinen Werdelust zu vergessen. Wie eine
Mosaik aus farbenschillernden Steinen , aus Lapis und
Jaspis, sieht sich das «Seegefecht des Generals Blake
vor Santa Cruz» an, ein Bild, das sicherlich nur um
eines kräftig klingenden Farbenakkords willen gemalt
ist. Das « Seemannsbegräbnis » ist wie von einer an-
deren Hand geschaffen. Traurig und düster. Eine
Trauer ohne Pathos , eine Düsternis ohne Wildheit.
So trauern Menschen, welche die Todesgefahr kennen
aus stündlichem Verkehr mit ihr, Menschen, die Tag
um Tag die Sichel klingen hören, mit welcher der
unerbittliche Schnitter grüne und welke Halme mäht.
An den zwei Pfeilern, welche den englischen Saal
der Ausstellung von dem vornehm schönen Raum für
Plastik trennen, hängen zwei Bilder von Lourens Alma-
Tadema, dem feinsinnigen und immer liebenswürdigen
Friesländer, der nun seit 23 Jahren in London weilt
und den darum die englische Kunst mit Recht — und
mit Stolz — den ihrigen nennt. Das eine seiner Bilder
ist ein Portrait des Herrn E. A. Waterlow, den wir
auch als tüchtigen Landschafter und Genremaler im
Glaspalast kennen lernen; wunderbar korrekt gezeichnet
und gemalt , wunderbar nobel aufgefasst , aber ein
Bischen temperamentarm gegeben, wie die meisten, im
Uebrigen immer vorzüglichen Bildnisse, die wir von
Alma-Tadema's Hand kennen. Das zweite Bild stammt
aus seiner eigentlichsten Domäne, der Genremalerei mit
antiken Stoffen und reichen stilllebenden Details, an
denen er seine weitberühmte technische Virtuosität
zeigen kann. In einem antiken Gemache ein Mädchen
in schillerndem Gewand, das den Duft eines Rosen-
strauches einsaugt. Nicht eben neu, das Thema, aber
das Ganze ist doch ein gar feines Stück, eines von
den Bildern, die man «haben möchte». Kein Quadrat-
zoll auf dieser Tafel, der nicht mit Liebe, Sorgfalt und
seltener Kunst gemalt wäre, Alles ist schön und an-
sprechend , die Stimmung in dem geschmackvoll aus-
gestatteten Raum, die schmiegsame, zarte Gestalt der
Frau, das Gewand, die Rosen, der Tischteppich, —
alles Einzelne ein Kunststück und das Ganze doch ein
Kunstwerk. Es muss auch Klein- und Feinkunst geben
in der Malerei und so gerne wir in Ausstellungen das
flott und gross Behandelte betrachten, auf solchen mit
Behagen geschaffenen Bildern ruht unser Blick nicht
minder gerne aus, wenn die Mache so viel künstlerischen
Geist athmet, wie die Tadema's. Jene Kleinmalerei
freilich, die heute sehr verbreitet, viel bewundert ist
und deren wichtigster Apparat in Wahrheit aus einer
Loupe, einer Photographiecamera und recht spitzigen
Pinseln besteht, würde am Besten aus unseren Aus-
stellungen verbannt. Der Laie glaubt gar nicht, wie
wenig man zu solchen «Meisterstücken» Talent braucht,
wenn man nur Geduld hat, recht lange auf einem P^leck
zu sitzen. — Alma Tadema's Gattin, Laura, ist be-
kanntlich ebenfalls eine mehr als geschickte Malerin
und gleichfalls im Glaspalast vertreten. «Tout en
causant» heisst das charmante kleine Genrebild, das
sie ausstellt, — zwei Mädchen beim Garnwickeln, —
und das sie durch die feine , tonige Behandlung des
Ganzen, wie besonders auch durch die delikate Aus-
arbeitung der Fleischparthien als Schülerin ihres Gatten
erkennen lässt.
Dudley Hardy hat sich seinen weitgekannten
Namen durch die grosse , wilddramatische Schilderung
der « Obdachlosen auf Trafalgar Square » gemacht. Mit
einem Realismus, der das Herz manches zahlungsfähigen
Moralisten aus der City erzittern machte , malte er die
Aermsten von den Armen, die Ausgestossenen , die
Nichts hatten in kalter Nacht, wo sie ihr Haupt hin-
legten, Nichts, als die harten, regennassen Steinstufen
des stolzen Nelson-Denkmals. Das Bild hat vielleicht
packender gewirkt , als lärmende Meetings und anar-
chistische Brandreden, und hat wohl manches Herz zu
thatkräftigem Mitleid erschüttert. Heuer tritt uns der
Künstler in wesentlich harmloserer und bescheidener
Gestalt entgegen und bringt nur etliche charmant ge-
malte Kleinigkeiten, deren reizendste vielleicht und
interessanteste sicher das Bildnischen der Sarah Bern-
hardt sein mag, der schlanken Tragödin mit der Gold-
stimme, der Frau, die, trotzdem sie an Reklamewuth
einem Barnum gleichkommt, trotz ihres demonstrativen
Chauvinismus und tausend Abgeschmacktheiten ihres
DIK KUNST UNSERER ZEIT.
13
Lebens, doch eine grosse Künstlerin ist. Hardy bat
sie so extravagant und pikant wie möglich aufgefasst
und dabei eminent bezeichnend: eine helmartige Coiffüre,
welche die Stirn bis über die Augen herein beschattet;
ein Schleppgewand, ohne Schnitt, sozusagen, das aus-
sieht, als sei es um den Körper gegossen und ihrer
biegsamen Gestalt fast
einen schlangenhaften
Ausdruck leiht; eine
riesenhafte Tüllschleife
unter dem Kinne, die
bekannten langen Hand-
schuhe, — alles was
an äusserer Ausstattung
zur Sarah gehört.
Und das Wenige, was
diese Ausstattung von
dem geistreichen ner-
vösen , reizbaren und
reizvollen Gesicht übrig
lässt, ist vorzüglich ge-
troffen.
Neben fünf oder sechs
kleinen Oelbildern hat
Dudley Hardy eine Un-
zahl von Handzeich-
nungen für Illustrations-
zwecke nach München
geschickt, darunter eben-
falls ein Bildnis der fran-
zösischen Tragödin.
Dieses Dutzend von
Illustrationen und Karri-
katuren , die ein bedeu-
tender englischer Malei
für Zeitschriften fertigte,
ist sehr charakteristisch
für englische Kunst. Viele von den allerersten Kräften
G, P. yacomb Ilood. Hexentanz.
der Hand liegenden, vortheilhaften Einfluss auf die
Kunst selbst. Auf welchem Niveau steht z. B. dem
«Graphic» oder der «Illustrated London News» oder
dem «Punch» gegenüber in künstlerischer Beziehung
die Mehrzahl der illustrirten deutschen Familienjournale.?
Das ganze Ausland, das die deutsche Kunst sonst
durchweg achtet, spottet
über diese künstlerische
Tageskost des deutschen
Publikums.
Und die Leute, Bes-
seres zu machen, hätten
wir wahrhaftig, wie die
Künstlerarmee der «Flie-
genden » und der arti-
stische Generalstab eini-
ger weniger anderen Zeit-
schriften beweist.
Seltener , aber dann
meist mit glücklichem
Griff behandeln die Eng-
länder das eigentliche
« Genre » , — ein herr-
liches , deutsches Wort
für einen Begriff, der
nirgend mehr zu Hause
ist, als gerade bei uns.
Eine von diesen Aus-
nahmen und einer von
diesen glücklichen Griffen
ist Thomas Hunt's köst-
liches Bildchen «Nur we-
nige Worte». Ein weiss-
haariger Tischredner ist
bei einer Tafel aufge-
standen, um «wenige
Worte » an die verehrten
Festgäste zu richten. Es ist sicher was Liebes, was
arbeiten dort für illustrirte Journale, die sie brillant der Alte sagt, denn ein Ausdruck rührenden väter-
bezahlen, und ihnen damit die Möglichkeit schaffen, hohen Wohlwollens leuchtet aus seinem Gesicht. «Nur
im Uebrigen freier und unbehinderter ihren reinen wenige Worte, — aber von Herzen», so geht wohl
künstlerischen Idealen nachzugehen. Das hat einen
hervorragend günstigen Einfluss auf die Entwicklung
des öffentlichen Kunstgeschmacks, der sich nicht zum
kleineren Theile an den um wenige Pence käuflichen
bildergeschmückten Zeitschriften bildet und einen auf
seine Rede an. Ob er Wort hält.? Mich dünkt, er sei
in der Stimmung, doch etwas breiter zu werden.
Und welch ein freundliches herzgewinnendes Bild-
chen ist auch John Mac Lurc Hamiltons « Lesestunde y
Ein blondlockiger Bube erhält von seiner Mutter oder
14
DIE KUNST UNSERER ZEIT,
älteren Schwester Lesestunde — aber nicht in dumpfer
Schulstube, sondern im Freien unter einem grünen Baum
auf der Gartenbank. Die Genrebilder, die, wie dies.
keine lange Erklärung geben oder brauchen, sprechen
am Meisten an. Ein Werk des gleichen Malers «Beim
Getreide» führt uns einen Alten vor, der Maiskolben
von ihren langen Schäften löst. Eine interessante Greisen-
gestalt — einer von den alten Männern, von denen man
sich gerne Geschichten erzählen lässt. Hamilton's drittes
Bild stellt einen be.sondern alten Herrn dar — es ähnelt
dem Konterfei W. E. Gladstones, das Hamilton 1891 in
der Royal Academy au.sgestellt hat
G. P. Jacomb Hood's «Hexentanz» athmet eine
Wildheit der Phantasie, die eigentlich gar nicht mehr
recht englisch ist. Auf irgend einem steinigen Plateau,
aus dessen Bodenspalten glühende Dünste aufsteigen,
steht eine nakte Hekate, den Mantel von sich schwingend,
einen Stab in der Hand, um den eine Schlange sich
ringelt. Und um sie in gespenstischem Ringelreihen
tanzen die Hexen, luftig gewandet. Phantastische Schlag-
schatten fallen in den Kreis herein und künden von
jenen am Ringelreihen betheiligten Damen, die im
Rahmen nicht mehr Platz gefunden haben. Grelles
Mondlicht, oder irgend ein Schein aus magischer
Lichtquelle beleuchtet den Hexensabbath, der übrigens
mehr an eine classische Walpurgisnacht, als an eine
germanische Blocksbergredoute erinnert.
«Blau und Gold» heis,st ein kleines, allerliebstes
Bildchen des gleichen Malers, womit, der Manier
der Whistlerschule folgend, statt des eigentlichen
Vorwurfs die beiden Grundtöne bezeichnet sind, auf
welche der Kolorist das Bild gestimmt hat. Manier,
wie angedeutet ist's freilich, und bedeutet noch dazu
Etwas, was eher abstösst als anzieht. Die Maler werden
sich kein Publikum ziehen können, welches sich für den
Farbenklang als solchen früher interessirte, als für das
Dargestellte. Auch der Komponist schreibt nicht X-moll
oder Y-dur über seine Kompositionen, sondern er setzt
■einen Titel davor, der wenigstens sagt, in welche Kategorie
der Tondichtung sie gehören. Die « Stimmungen in
Rosa und Silber» und die «Symphonie in Apfelgrün»
sind Modethorheiten — wie viele Thorlieiten , auf-
gebracht von einem überlegenen Geist, der sich solche
Absurditäten gestatten durfte und ihnen Reiz lieh durch
seine Persönlichkeit. Aber die Nachahmung lässt das
abgeschmackt erscheinen, was vordem nur bizarr war.
P. Wilson Slcer. Jonquille.
Neben ausserordentlich vielen Namen dieser Gruppe
finden wir im Ausstellungskatalog als Heimathort Glas-
gow angegeben, und es sind wahrhaftig nicht die
schlechtesten Maler, die dorther stammen. Nur einige
wenige davon allerdings gehören direkt der bekannten
Gruppe von zehn oder zwölf kraftvollen Koloristen
an, die sich, stolz und bescheiden zugleich die « Boys »
nennen. Viele aber stehen indirekt unter dem Einflilss
dieser Schule , deren bezeichnende Eigenschaften sich
gerade bei einigen Nachahmern bis zur Uebertreibung
auswuchsen, wie z. B. bei J. R. Murray, der an
koloristischen Knalleffekten in der Thät das Menschen-
mögliche leistet — aus aller Extravaganz spricht aller-
dings doch immer ein seltenes Farbentalent. Massvoller
und edler finden wir die Einflüsse der neuen Glasgower
Schule bei den Schotten Harry Spence und William
Macbride verarbeitet. Von herzerhebender Frische ist
des Ersteren normannisches Küstenbild mit den plaudern-
den Kindern, von idyllischer Lieblichkeit sein « Pastorale » ;
auch Macbride hat ein solches Hirtenidyll gemalt, welches
demjenigen Harry Spence's an Auffassung und Farbe,
sogar an Format sehr ähnlich sieht. Eine mächtige
Handschrift schreibt Grosvenor Thomas, von dem wir
ebenfalls ein «Pastorale», eine wirkungsvolle Landschaft
und ein entzückendes Blumenstillleben sehen ; mit einem
vierten « Pastorale » und einem lyrisch zart empfundenen
«Mondaufgang» ist Macaulay Stevenson angerückt, viel-
leicht die reinste Dichternatur unter den Schotten ; an
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
15
ihm lässt sich übrigens der starke Einfluss noch am
Klarsten erlcenncn, welchen die Meister von Rarbizon
auf die merkwürdige schottische Künstlergruppe geübt
haben. Ein Tlicil von ihnen scheint sich aus der Ge-
gend von Fontaineble.'ui auch jetzt noch seine Motive
zu holen, so stellt E. Shervvood Calvert eine aller-
liebste duftige kleine Stimmungslandschaft «Ebene von
Barbizon» aus und einen poetischen «Mondaufgang» mit
jenen charakteristischen Heuschobern, die Mille und seine
Genossen so gerne auf ihre Bilder brachten.
Ranges offenbart sich der Edinburgher Mason Huntcr
in einem fabelhaft Hott bewegten Regattabild von Loch
Tyne und eine Sommer-Zwielichtstimmung bei Tarbert
Castle von geradezu magischem Reiz. Bilder wie das
Letztere sind fast für eine Ausstellung zu gut, d. h. ihre
intime Schönheit kommt dort nie voll zur Geltung.
Archibald Kay , J. Kerr Lawson , Stuart Park
— ebenfalls drei schöne Farbentalente , auf deren
Vorzüge im Einzelnen einzugehen der Raum hier
leider nicht gestattet.
Harry Spence. An der nonnaniiischeu Küste.
Fast unheimlich grandios wirkt J. Denovan Adam's
«Heimkehr vor dem Sturm», eine Viehherde, die vor
dem Ausbruche eines Gewitters nach Hause getrieben
wird. Die flüchtige, fast hastige Art der Malerei passt
vortrefflich zu dieser unruhigen Stimmung in der Natur,
der verderbenschwangere Wetterhimmel könnte nicht
besser dargestellt sein. Gleich unbändige Kraft spricht
aus den Arbeiten von Alexander Frew, von dem eine
tiefblaue grosse Marine und eine schottische Weide-
landschaft mit blühenden Ginsterbüschen zu sehen sind.
Frew liebt starke Farben, aber nicht so starke Kontraste
wie viele seiner Landsleute. Als Wassermalcr ersten
Macgregor Wilson (Glasgow) gehört zu jenen britti-
schen Malern , die uns Abendländern gelegentlich von
den Herrhchkeiten des fernsten Ostens erzählen. Das
rosenberühmte, sagenumwobene Schiras in Persien und
eine « armenische Prozession in Julfa » , im gleichen
Lande hat er mit südlicher Gluth der Farbe gemalt.
Vom Gleichen ist auch ein geschmackvolles Damen-
portrait in ganzer Figur. Aus dem Portraitfache sind
ferner noch rühmlichst zu erwähnen: Theodor Roussel's
(London) Bildnis des geistreichen Marinemalers B. Sickert
und ein anziehender weiblicher Studienkopf im Profil;
Prinz Pierre Troubetzkoy's lebendiges, wenn auch bei-
16
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
nahe bis zur Scherzhaftigkeit charakterisirtes Konterfei
des Sir John Day, und Joseph Henderson's fleissig ge-
maltes, aber etwas nüchternes Portrait eines brittischen
Grossmeisters der Freimaurer. Noch zwei andere
« Henderson » kennt der Katalog der Ausstellung. Von
dem einen, Joseph, ist ein farbenreiches Chrysanthemum-
stillleben zu sehen, von dem andern, Morris, ein grosses
Heuerntebild von guter dekorativer Wirkung, wenn auch
nicht von grosser Intimität.
Schottland zählt übrigens eine grosse Zahl eminenter
Landschafter, welche nicht zur Palette der Boys ge-
schworen haben. Der Ersten einer ist B. Docharty,
ein Naturtalent vornehmsten Ranges, der scharf sieht
und das Gesehene wiedergibt ohne Phrase, ohne tech-
nische Bravourstücke, aber unendlich wahr und darum
immer poetisch. Denn die Natur ist immer schön, so
unsäglich schön, dass einer, wenn er ein Stück ununter-
brochene Sandwüste und wolkenlosen blauen Himmel
darüber malen könnte, wie es sich wirklich seinen Blicken
zeigt, allen übrigen Landschaftern der Erde an Poesie
noch weit voraus wäre. Wer, was die Landschaft betrifft,
davon spricht, dass das unbedingte Abschreiben der
Natur der Kunst nicht würdig sei, der kennt die Natur
nicht und hat sie nicht lieb. Aber mit heissem Bemühen
muss sie der Abschreiber in ihre intimsten Reize ver-
folgen und was die Schönredner idealisiren heissen , ist
eben nichts Anderes als verstehen. Die Natur idealisiren!
Das Meer färben, die Veilchen parfümiren, und die
Bäume « malerisch » zustutzen I Die neuzeitliche Land-
schaftsmalerei aller Länder hat mit dieser Katheder-
phrase gründlich gebrochen und jeder Stümper weiss,
dass das, was der Beste nie erreichen kann, auch nie
Einer verbessern werde.
Docharty steht unserer deutschen Landschaftsmalerei
merkwürdig nahe. Da hat er einen «Abend am Fluss»
gemalt, ein Bild von satten, tiefen, reichen Farben, von
wundersamer Ruhe und Ernsthaftigkeit, ein Bild, unter
dem eben so gut der Name irgend eines recht tüchtigen
Münchners stehen könnte. Oder der « Herbstabend »
mit der goldbelaubten grossen Eiche im Vordergrunde,
ist das nicht wie eine deutsche Landschaft? Oder der
€ Hagedorn», dessen blüthenübcrschncite Aeste aus der
Dämmerung leuchten ? Als wäre er von gleicher Hand
gemalt , .sieht uns des Edinburghers William Milne
«Obstgarten in derHlüthe» an. Ein wahres Feuerwerk
von weissen und rosenfarbigen Blüthen, eine Frühlings-
symphonie — ohne Worte, hätt' ich bald gesagt, —
weil in dem Bild nichts anderes wirkt, als der Frühling
selbst, kein episodisches Beiwerk irgend welcher Art.
Eine Führerrolle unter den schottischen Malern
älterer Richtung hat A. K. Brown in Glasgow inne, ein
eleganter und hochstrebender Landschafter, der vielleicht
etwas zu viel braune Töne und etwas zu wenig reine
Farben auf der Palette hat, aber erstens ein Landschafts-
zeichner von ungewöhnlichem Können ist und ferner in
der Wahl seiner Vorwürfe und Stimmungen einen selten
feinen, geläuterten Geschmack entwickelt. Seine Ansicht
des Gare lock in Schottland in dunstiger grauer Stimmung
und herbstlicher Oede hat die Münchener Pinakothek
erworben. In jedem seiner Bilder sagt er Anderes und
jedes Mal sagt er es schön. Wie gut, dass es in unserer
kampflustigen Kunstepoche, wo sich die Gegensätze so
scharf ausprägen, solche Erscheinungen gibt, die beweisen,
wie wenig im Grunde Richtungen und Strömungen,
Schlagworte und Parteien, wie wenig die Frage, ob
alt oder jung. Jene angeht, deren Kunst echt ist. Unrecht
haben nur zwei Gruppen: auf der einen Seite Die, welche
als laudatores temporis acti, unlustig und unfähig weiter
zu streben, mit gieriger Leidenschaft sich gegen alles
Neue wehren, aus Todesangst, sie könnte ihre warmen,
bequem und billig erworbenen Stühle an Bessere abgeben
müssen ; auf der anderen Seite Jene, welche im Kiel-
wasser mächtig vordringender Fortschrittsbewegungen
unfrei und nachahmend, genialthuerisch und reklame-
süchtig mitschwimmen, um vielleicht nach kurzem,
erborgten Glanz rettungslos unterzutauchen in der Fluth
der Zeit. Es ist oft schwer, die Ersteren von den
berufenen Hütern des Erworbenen und die Letzteren
von überschäumenden, bahnbrechenden Talenten zu
scheiden — schwer, wenn man nicht Zeit hat, ein paar
Jahre zuzusehen. Dann freilich verschwinden die Einen
wie die Andfcrn und nur der Bleibende hat Recht. Wie
oft mag der Kampf, der heute die Gemüther erhitzt,
im Laufe der Kunstgeschichte ausgefochten worden sein r
Die Namen waren anders blos, doch waren es dieselben
Helden lobebraven ! Von Buonaroti bis Adolf Menzel
ist wohl jeder grosse Maler, als er auftrat, als Ketzer
verschrieen worden — und von Adolf Menzel bis auf
Buonaroti zurück hat sicher auch jeder grosse Maler,
wenn er den Zenith seiner Schaffenskraft erreicht hatte,
die vor ihm auftauchenden neuen Erscheinungen mit
Misstrauen und oft mit Groll betrachtet und gelegentlich
K- Watts piux.
Phot. F, Hanfslaengl, Müiirtu'
Leben und Liebe,
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
17
G. /■'. IVatts. Cardinal Manning.
auch bekämpft. Gewiss aus edlen Motiven, was die
wahrhaft Guten angeht — aber keiner von den Alten
hat bei Beurtheilung der Jungen sich voll daran erinnert,
dass er auch einmal ein verketzerter Junge war. Und
keiner von den Jungen erinnert sich hinreichend daran,
dass auch er einmal ein Alter sein und sich gegen die
Zumuthung wehren wird, er möge so freundlich sein,
sich ins alte Eisen zu begeben.
In die gleiche Gruppe wie A. K. Brown gehört
Robert M. Coventry mit seiner schönen Ansicht des
Loch Ard und David Fulton, der zwei farbenreiche
Herbststimmungen gemalt hat mit kühler, feuchter Nebel-
luft, die alle Formen weich erscheinen und keine Farbe
zu vollem Glänze kommen lässt. Ein hervorragender
Landschaftsmaler ohne Frage, ein feines, sympathisches
Talent, das von jeder gröberen Wirkung absieht. Die
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Neigung zu einer wehmüthigen Stimmung, zu einer
gewissen Empfindsamkeit ist vielen englischen Land-
schaftern gemeinsam und charakteristisch ist dafür, dass
Zahlreiche von ihnen jede belebende Staffage ver-
schmähen und die Natur allein sprechen lassen. Solche
ernste, man möchte sagen, thränenfeuchte Stimmung
athmet W. J. Laidlay's grosse Marschenlandschaft im
dämmerigen Lichte eines Mondaufgangs und Arnesby
Browns herbstliches Sumpfbild mit einem Föhrenwäldchen
stimmt ähnlich zu stiller, ernster Selbsteinkehr. Des-
gleichen beseelt diese Poesie der Verlassenheit William
Dickson's Strandbild, so hell und freundlich dessen
Farben sind Einsames Wasser macht uns immer ge-
dankenvoll, heranrollende und zerstobende und wieder
zurückrollende Wellen sind zu sehr ein Bild unseres
Seins, als dass sie nicht von Jedem schmerzlich als
solches empfunden werden sollten, der ein Ohr hat für
die Sprache und Weisheit der Schöpfung. Alfred East
mit seinem «Land zwischen den Seen» gehört auch
in diese Katesforie der Melancholiker. Er malt den
Jolin Mc/.ure Hamilton. Lesestunde.
Herbst, der an's Sterben mahnt, er malt die Ein-
samkeit, die Sehnsucht nach Menschen wachruft, nicht
die Einsamkeit , die erfri.scht. Eine unverhältnismässig
grosse Zahl von englischen Malern scheint die Lyrik
der fallenden Blätter zu fes.seln. Das ist hoffentlich
kein Zeichen vom Altern ihrer Kunst, sondern nur
eine Folge davon, dass der trüben Tage im Inselreich
mehr sind, als der hellen und farbenfreudigen.
Immer freundlich ist Alfred Parsons. Er liebt
grüne Wiesen und blühende Bäume, er liebt das ge-
sunde Element der farbenfrischen , englischen Land-
schaft, die eine Dürre kaum kennt, er ist der Maler
der Gärten, ergötzt sich an den pittoresken Formen
der Obstbäume und ist einer der geschicktesten Tech-
niker, die man sich denken kann. Zwei in ihrem
Charakter einander sehr verwandte Landschäftchen
Parsons' hängen in der Glaspalast-Ausstellung neben-
einander, ein Aquarell und ein Oelbild. Wer's nicht
zufällig weiss, kommt auch wohl nicht darauf, dass er
hier zweierlei Techniken vor sich hat. In einem etwas
grösseren Bilde zeigt er uns den Garten eines reichen
englischen Hauses mit Apfelbäumen im vollen Blust
und einem blühenden Tulpenbeet. Die Kunst von
Alfred Parsons hat etwas merkwürdig zurückhaltend-
vornehmes, so was vom F"lirt, bei dem man schöne
Dinge sagt, — aber nicht laut.
Ein paar höchst lebendige Genrebilder, «Der
neueste Skandal» und «Ein Span vom alten Klotz»,
stellt Miss Flora Reid aus, eine Schwester von John
Robertson Reid , einem Schotten , der ein leidenschaft-
licher Kolorist wie die meisten seiner Landsleute, im
Gegensatz zu diesen seine Palette auf Dur, nicht auf
Moll gestimmt hat. Starke , oft brennende Farben, —
aber wie gesagt, meist hart, nicht weich. Flora Reid
hat sich die Farbenskala und den Vortrag ihres
Bruders so sehr angeeignet und kann so viel, dass
ihre Bilder von den seinigen nur schwer, oder nicht
zu unterscheiden sind. Wellwood Rattray entstammt
augenfällig der gleichen Schule. Es sieht sich das
schon stark aus seiner ganz auf blaue Töne gestimmten
Küstenlandschaft «Abend auf der Insel Arran», unver-
kennbar wird es in seinem anderen Uferbild, «Proviant
für die Cabine».
Nur ein Thiermaler von Bedeutung hat ausgestellt,
George Pirie aus Glasgow, und zwar zwei Hundebilder,
Q. r, Watts ptnx.
Phot. F. aanr»taen|[I, Mttnchen.
Der Tod krönt die Unschuld.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
19
die nicht nur ausserordentliche
malerische Kunst, sondern auch
das liebevollste Studium der
.Thierseele voraussetzen lassen.
Wie köstlich sind seine «spiel-
enden Terriers» beobachtet, wie
wundervoll echt seine «jungen
Hunde » mit ihrem dummscheuen
Wesen und ihrer ungelenken
Figur !
Henry Herbert La Thangue
hat ein Mädchen gemalt, das
an heissem Sommertag einse-
schlafen auf dem Felde liegt
und von Schnittern so gefunden
wird. Die schwüle Stimmung,
die Gestalt des jungen Weibes,
jedes übrige Detail des Bildes
ist seiner malerischen Qualität
nach über jedes Lob erhaben,
ja in dieser Hinsicht kann man
das Bild den Perlen der eng-
lischen Abtheilung beizählen.
5,«* 't
Dudley Ifanly. Mme- Sarah Bernhardt.
einem Tümpel, die Schnauze in
die trübe Fluth getaucht. Eine
kleine Tragödie für arme Leute.
Das Ganze spielt bei einbrech-
ender Dämmerung , — hinter
den Föhren steigt eben der
Mond herauf Der Tritt des
Mädchens im knisternden Röh-
richt hat Raben aufgescheucht,
welche den Kadaver des ver-
endeten Thieres als gute Beute
aufgesucht hatten. Ein einge-
gangenes Schaf, — nichts
weiter! Und doch eine ganze
Geschichte von Noth und Ver-
schmachten, von Vereinsamung
und Trauer. Recht harmlos,
aber ganz hübsch ist Otto
Scholderer's «Junger Wilddieb»,
ein Verbrecher, dem man nur
um seiner treuherzigen Augen
willen zu wenig böse sein kann.
Morley Fletcher's « Die Liebe höret nimmer auf» , ein
Nachtstück von anscheinend hochpoetischem Inhalt ist
leider nicht recht wohl verständlich: eine gekrönte
Frau beugt sich über eine Wiege, eine zweite Gestalt
aus dem Bilde allein ist nicht gut
Und doch stört etwas
daran: das Pathos des Vortrages steht in einem ge-
wissen Missverhältnis zum Inhalt. Tant de bruit pour une
Omelette! Ein eingeschlafenes Bauernmädchen, — und
darum lebensgrosse Figuren? Wir beobachten an der kauert davor,
Wirkung dieses Hildes, was uns im Leben oft vor- klug werden.
kommt, was wir auch im Theater häufig genug be- Die englischen Graphiker sind auch in diesem
obachten können: dass irgend eine gleichgültige, unbe- Jahre im Glaspalaste, wie schon früher, die weitaus
strittene oder bekannte Sache mit gehobener Stimme besten ihrer Sparte, wenn wir uns auch leider ver-
pathetisch vorgetragen, alles Interesse verliert, ja bei- sagen müssen, im Einzelnen auf ihre Leistungen ein-
nahe komisch wirken kann, während wir sie im ruhigen
Geschäftston ganz gerne anhören würden. Der Aus-
erwählte freilich kann dafür auch einmal eine schlichte
alltägliche Geschichte so erzählen, dass sie rührend
zum Herzen spricht. So i.st es mit E. W. Grier's
schönem Hirtenbilde « Verloren » , das 1 890 in Paris
eine Medaille errang. Es ist Abend. In einer mit
zugehen. Plastiker sind weniger zahlreich vertreten :
Ausser Watts' schöner «Klytia» ist namentlich E. 0ns-
low Ford 's berühmtes Shelley-Monument zu nennen.
Ein herrliches Meisterwerk ist die Gestalt des toten
Jünglings, realistisch wahr und dabei vom edelsten
Fluss der Linien. Ziemlich conventioneil ist dafür die
trauernde Muse ausgefallen , welche den unglücklichen
Dichter beweint. Etliche süperbe Kleinigkeiten steuerte
Mädchen, ein halbverwildertes, halbreifes Ding, seine der Maler- Bildhauer John Swan (London) bei, die
Lämmer zur Weide getrieben. Sie trägt ein wenige Statuetten eines Tigers und eines Panthers, in Charak-
Tage altes Lämmchen im Arm und ist auf der Suche tcristik und Bewegung eben so ausgezeichnet gesehen
nach der Mutter des zierlichen kleinen Thieres. Sie als gegeben. Ein Thierbildhauer, den man getrost mit
sucht und findet: verendet liegt das Mutterthier an Fremiet und Cain in eine Reihe stellen darf Ver-
hohem Riedgras bewachsenen Moorgegend hat ein
3*
20
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
schiedene Handzeichnungen Swan's verrathen, dass der
Künstler seine Modelle nicht blos im Runden, sondern
auch fleissig und verständnisvoll der Linie nach studirt.
Schliesslich sei noch der Auszeichnungen gedacht,
welche an englische Künstler gelegentlich der heurigen
Jahresausstellung im Glaspalast ertheilt wurden: Die
grosse goldene Medaille erhielten: G. F. Watts in
London und J. Denovan-Adam in Stirling; die kleine
goldene Medaille: A. K. Brown (Glasgow), Macaulay
Stevenson (Glasgow), Alfred Parsons (London); für
Plastik : Onslow Ford die erste Medaille ; für Graphic :
H. W. Batley (London) und C. O. Murray (London)
die zweite Medaille.
Wenn Kollektivauszeichnungen für ganze Gruppen
vertheilt würden, so hätte die Abtheilung der Eng-
länder heuer im Münchener Glaspalast, deren Zu-
standekommen der umsichtigen und von rein künstler-
ischem Standpunkte ausgehenden Thätigkeit des Malers
Max Nonnenbruch zu danken ist, sicher die erste An-
wartschaft darauf gehabt.
C
00
+->
c/5
i
Arnold Böcklin.
EINE STUDIE
VON
FRANZ HERMANN MEISSNER.
ür die psychologi-
sche wie historische
Betrachtung der
Kunstgeschichte gibt es
kein interessanteres Phä-
nomen als diejenige Künst-
lerpersönlichkeit, welche
inmitten einer ruhigen, in
kleinen Differenzen gehen-
denEntwicklung sich plötz-
lich als ein neues und
vollkommen ausgestaltetes
Prinzip erhebt: denn in
jener Hinsicht bildet sie
wohl die glänzendste Illu-
stration für die mensch-
liche Schöpferkraft, welche
in vereinzelten Individuen
deren geheimnisvolles In-
nenleben zu einem ganzen
Weltgefüge gleichsam aus-
zugestalten vermag, voll
Gesetzmässigkeit nach der
Analogie der sichtbaren
Erscheinungen, — hier aber im Zusammenhang mit
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft gibt sie gewichtige
Aufschlüsse über das Nervensystem des Werdegesetzes,
weil in ihr als einem festen Kern inmitten der Ideen-
welt einer Zeit alle Fäden zu einem neuen Gebilde zu-
sammen laufen. —
Arnold Böcklin. Selbstbildniss.
Alle Bahnbrecher und
Häupter innerlich ausge-
reifter Zeitabschnitte sind
Persönlichkeiten dieser
Art: mit einer abgeschlos-
senen Reihe von Vor-
stellungen und Formen
erheben sie sich plötzlich,
in wachsender Reife durch-
dringen sie ihre sich lang-
sam zu ihnen bekehrende
Zeit und bestimmen damit
in einer Art von Tyrannis
den Weg der Weiter-
bildung. Phidias, Michel
Angelo, Giorgione, Rem-
brandt , Rubens , Millet,
Menzel stehen als Riesen-
denkinale menschlicher
Freiheit in Vergangenheit
und Gegenwart, als Quel-
len gewaltiger Entwick-
lungen über Jahrhunderte
hinweg, — indess bei den
von der eigenen Zeit fast regelmässig höher geschätzten
grossen Talenten die übernommenen Richtungen zu Ende
geführt werden und absterben.
Vielfach verzweigt sind die Ströme und stark , in
welchen der künstlerische Wellenschlag unseres Jahr-
NB. Die Text-Illustrationen sind mit Genehmigung der Photographischen Union in München aus dem < Böcklin -Werk > entnommen.
22
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
hunderts im ahnungsvollen Vorwärtsringen, im Besinnen
und Haften, in sehnsüchtigem Rückerinnern fluthet, —
der reinste und lieblichste Laut dieses Wellenschlags ist
um die Mitte des Jahrhunderts jene nationale Reaktion
gegen den Classicismus eines Cornelius hier und David
in Frankreich, welche man unter dem Namen Romantik
zusammenfasst. Das Rassenideal sucht diese Romantik
in seiner Reinheit wiederzugewinnen , — sie ist darum
auch etwas Anderes in Frankreich, wo ihr Haupt, der
glänzende Rhethoriker Delacroix, diese Schule zu einem
meteorhaften Aufleuchten bringt, — sie ist etwas An-
deres in Deutschland, wo Schwind Führer wird, — wo
sie durch einen unglücklichen Mittelalterkultus verführt,
schnell erstarrt, denn in ihrer poetisch-idealen Auf-
fassung, deren Schwerpunkt ausschliesslich im phan-
tastischen Einfall liegt, hört sie auf Malerei zu sein
und verliert sich in die Illustration, in der sie heute
noch eine gewisse Rolle spielt.
Über eine theoretische, ästhetisirende Schule kommt
die Romantik beider Völker jedoch zu Beginn nicht
hinaus , trotzdem gerade in Deutschland eine unge-
wöhnlich reiche Anzahl origineller Geister ihr Gefolge
bilden. Erst als «Romantik» aufhörte, ein Schlagwort
des Tages zu sein, entfaltet sie in zwei gewaltigen
Persönlichkeiten plötzlich eine wunderbar prächtige und
starke Nachblüthe, deren Samen das Ende des Jahr-
hunderts befruchtet hat. Aus der jungfräulichen Waldes-
stille von Fontainebleau nämlich klingt plötzlich ein
berückendes Lied: Millet, der Prophet des mystisch-
romantischen Naturkultus predigt mit weltvergessener
Begeisterung ein Evangelium, in dem Romantik und
Naturalismus eine glühende Liebesgemeinschaft ein-
gehen und eine Grundformel für die grosse Sehnsucht
des modernen Menschen nach Regeneration erzeugen.
— Nur wenig später aber quellen aus einer strotzend
reichen , urdeutschen Phantasie , die auf rauhen Bergen
der Alpenwelt gewachsen ist, ganz seltsame Gebilde:
weltfremdes, tiefinneres Gemüthsleben und weltüber-
.legener, jauchzender Humor der germanischen Rasse
spiegeln sich in hellenischer Antike, die noch einmal
vor ihrem Erblassen in glühendem Abendroth auf-
flammt. Diese gewaltige Persönlichkeit, in der die
Kunstideale zweier Rassen in unerhörter, einziger Har-
monie zur Vereinigung gekommen sind, — die als ein
grosses Fragezeichen mitten in einer andersartigen Zeit
steht, ist der Schweizer Arnold Böcklin, gleich seinen
Geistesverwandten Giorgione und Rembrandt menschlich
wie künstlerisch eine der abenteuerlichsten Künstler-
physiognomien der Geschichte. —
Ein Sohn des freien Schweizervolks , ist Arnold
Böcklin ein Landsmann von Jean Jaques Rousseau und
dem Dichter Gottfried Keller, und gleich ihnen ver-
leugnet er die Heimath in keinem Zuge, weder in der
starken, trotzigen, grossartigen Menschennatur noch in
dem phantastischen Temperament. — Riesenhafte Berg-
massen mit abenteuerlichen, gigantischen F'ormen
thürmen sich um die Städte der Alpen; schroffes Ge-
klipp stürzt sich in grünliche, tiefe, unheimlich blinkende
Seen und wölbt sich über schaurigen Wasserschlüfteii ;
liebliche Auen und Halden lagern zwischen den schweig-
samen Wasserkesseln, dem Geklipp und der grenzen-
losen Einsamkeit leuchtender Schneefelder, welche im
Duft der Ferne und im phantastischen Spiel des Licht-
wechsels von der Thaldämmerung her wie unnahbare
Zauberreiche erscheinen, wie Grenzen gegen eine jen-
seitige wunderbare Herrlichkeit. — Ein starker, schroffer,
geistig primitiver Menschenschlag lebt dort zu Lande,
— seine Tugend ist sein reines, tiefes, klingendes Ge-
müthsleben, und dies bestimmt den Charakter seiner
Kunstbildung, die stark, fest und doch goldiger Em-
pfindung voll ist; gleich der landschaftlichen Szenerie,
welche unter starren Gegensätzen auf engem , am
Horizont begrenzten Raum einen rasch wechselnden
Reichthum von idyllischen , Phantasie und Empfindung
berauschenden Reizen bietet.
Um Böcklin's Jugend lebt das geschäftige Treiben
eines Kaufmannshauses in der uralten Handelsstadt Basel.
Die Leute, welche das Elternhaus zu geschäftlichen Ver-
abredungen und in Sachen der Geselligkeit betreten,
die durch Würde oder Sympathie der Erscheinung- als
Beispiel und Muster in der jugendlichen Phantasie haften
bleiben, sind vorwiegend nüchterner Natur. Und Nüch-
ternheit ist überall, das Museum und ein paar Orte aus-
genommen, in denen der Genius Holbein leuchtende
Spuren eines einstmaligen Gewesenseins hinterlassen
hat. Zwischen der stillen und vornehmen Majestät
dieser Holbein'schen Gestalten, sowie den barocken
Kompositionen desselben Künstlers zum « Todtentanz »
und dem Knaben Böcklin spinnt sich ein heimliches
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
23
Arnold Böcklin. Der Ritt des Todes.
Verhältnis an, ein gegenseitiges Annähern und An-
schmiegen, und auch die Welt der griechisch-römischen
Dichtung, die den Knaben wie heute noch den Greis
besonders fesselt, mischt ihre Zaubereien in dies abge-
schlossene, tiefträumerische Seelenleben. Ungewöhnlich
stark an Kraft ist der Knabe, — trotziges Schweizer-
blut, — ein scharfer Verstand macht sein Geistesleben
früh reich, das aus der grossartigen Natur der Heimath
ursprüngliche Offenbarungen empfängt und in Verschwie-
genheit ausreifen lässt, bis aus Charakter- und Geistes-
anlagen und Widerstand gegen eine andersartige Um-
gebung eine abnorme, aber in sich feste Individualität
sich ausgebildet hat. Damit überwindet Böcklin auch
die Abneigung des Elternhauses gegen einen Künstler-
beruf, selbst als die plötzliche Verarmung der reichen
Häuslichkeit diesem unüberwindlich scheinende Schwier-
igkeiten aufbürdet, Naturen solcher Art versinn-
bildlichen die Selbstbestimmung , die Reibungen des
Schicksals und der Zufälligkeiten gleiten in harmon-
ischen Lauten und Tönen an ihrer inneren Sicherheit
wirkungslos ab wie fluthende Wellen am Fels. — Auf
diesem Boden ist Arnold Böcklin, der ganz in sich ver-
sunkene Träumer, der glühende Dichter, dessen Farben-
harfe den süssesten Wohlklang schmeichelnder Melodie
so sicher beherrscht wie die düster gedämpfte Tragik
und die schrille Dissonanz, in der die Kreatur von
Seelenqual gefoltert aufschreit, gewachsen, — gleich
Beethoven und Richard Wagner ein Produkt seltenster
Kräfte und stärksten Widerstandes. ...
Man muss Schirmer's diskrete Farbenweise und
sein Stilgefühl würdigen, um die Zuneigung zu ver-
stehen, mit der der 19jährige Schweizer 1846 sich der
Landschaftsschule des Meisters zuwandte , sobald er
nach Düsseldorf gekommen war. Man muss aber auch
den sentimentalen Zug der Düsseldorfer Romantik jener
Tage, ihre auf handwerklichen Fleiss, bürgerliche Ehr-
barkeit und konventionelle Beschränkung der Vor-
stellungswelt gerichtete Neigung, — neben der DeH-
katesse-Malerei jene Räuber-, Ritter-, und Gräber-
Romantik — im Auge haben, um die Kluft zu begreifen,
die zwischen diesen Leuten der offiziellen Malerei und
dem robusten , jungen Schweizer gähnte , dessen
Romantik instinktives Bedürfnis grosser subjektiver
4*
24
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Kraft war. Der dämonischen Vergrösserung aller
Farbenerscheinung in der Netzhaut seines Auges, der
Eigenthümlichkeit seines Nervenapparats, der nur auf
gewaltige oder seltsame Gebilde reagirte, wie sie ihm
auf seinen einsamen, träumerischen Streifereien die
Natur in ihren grossen, feierlichen, ungewöhnlichen,
fast selbstvergessenen Zuständen des Augenblicks ver-
rieth, ward er sich unter diesen fleissigen und streb-
samen Leuten bewusst. Es ist von Anfang an in
ihm jener scheinbar so unthätige Freiheitsdrang, der
mit der echten, auf weiten Wegen des Durchdenkens
und Durchempfindens zu ganz originellen Resultaten
kommenden Erfindungskraft eng verbunden ist; diesem
spekulativen Geist, der zu begreifen suchte und dem
das Ausdrucksmittel sich schliesslich zur Idee ganz von
selbst fügte, schien alles mühsam Probirte, Erlernte
oder der Natur in ihrer Alltagskoketterie Abgelauschte
als geringwerthige Handwerksarbeit. Darum hielt es
ihn in Düsseldorf auch nicht lange; er hatte ohnehin
in Schirmer's Kunst die brennende Bedeutung des
französischen Kolorismus gewittert; er geht nach
Brüssel, wo er hauptsächlich in der Gallerie kopirt,
um den Alten das Geheimnis ihrer malerischen Kunst
abzulauschen und vielleicht eine seiner schönsten
Tugenden von ihnen zu lernen: die strenge Selbst-
zucht, die ihn im höchsten Farbenrausch beim Schaffen
nie die ursprüngliche Absicht vergessen lässt. Sein
Wunsch aber drängte ihn bald nach Paris.
In der Entwicklung Böcklin's sicher eine der folgen-
schwersten Zufälligkeiten ist der Zeitpunkt, zu welchem
unser Künstler in Paris eintrifft, — 1848. Denn das
Aufstandsjahr bietet dem leiblichen Auge des für das
Seltsame und Ungewöhnliche ohnehin mehr als empfäng-
lichen Jünglings eine wilde, jede Vorstellung und Schil-
derung an Wucht weitaus überbietende Dramatik. In
jenen Stunden eines bangen, aber für diese grosse
Natur von schaurig süssen Afiekten gewiss auch er-
füllten Harrens am Fenster, unter dem sich wüste Kampf-
szenen abspielen, und eines verstohlenen Huschens auf
die Strasse hinaus liegt der Keim mancher bizarren,
künstlerischen Eingebung späterhin nicht minder als
eine Art von Befreiung , der wir das Originale und
Monumentale aus dieser Hand zu verdanken haben:
ein natürlicher Hang zur Konvention des Philisters,
der bei Jedem innerhalb des sozialen Staats und der
Familie stehenden Menschen anerzogen ist, stirbt unter
diesen furchtbaren Eindrücken von Tod und Blut.
Der auf Verdienst angewiesene Künstler kann sich
bei der Schwere der Zeiten nicht lange in Paris halten,
er geht in die Heimath, um seiner Militärpflicht zu ge-
nügen, und dann wandert er 1850 nach Rom, — das
letzte Glied im Ring der Vorbedingungen für dieses
Künstlerschaffien schliesst sich damit.
Unter dem scharfen Aetzwasser der Pariser Er-
eignisse war das Wesen Böcklin's geläutert, — unter dem
italienischen Himmel geht er mit Bewusstsein an die
Bildung jener Kunstanschauung, um die der greise Goethe
am Abend seiner Tage im II.Theil des « Faust > vergeblich
rang: der Verschmelzung von Romantik und Antike.
Gleich Michel Angelo von einer Körperstärke, die
fast bis in's Greisenalter hinein sich athletenhafte Fest-
igkeit der Muskeln bewahrt, von einer fast jungfräulichen
Frische des Gemüths, von einer Schärfe aller Sinne,
die ein künstlerisches Arbeiten von der Natur über-
flüssig machte , da sein Gedächtnis von einer wunder-
baren Kraft ist, fällt Böcklin auch schon darin aus dem
normalen Künstlertypus heraus, dass er den sogenannten
mathematischen Verstand besitzt. Hat er doch das
Problem der Flugmaschine in mehr als einem die
Teckniker verblüffenden Versuch, der Lösung zu sein
schien, behandelt; und wie er Erfinder einer eigenen
Freskotechnik ist, hat er auch seine Oeltechnik mit
ihrer ausgezeichneten Leuchtkraft nach Art der Alten aus
Temperauntermalung und Firnisdeckung selbst komponirt.
Widerspruchsvoll wie die Fähigkeiten Böcklin's ist
sein Temperament. Mitunter von hinreissender Fröh-
lichkeit, von jonischer Heiterkeit des geflügelten Geistes
und schweizerisch treuer Offenheit zugleich, — mit-
unter von einem skeptischen Misstrauen gegen seine
besten Freunde, — immer unberechenbar und plötzlich,
und immer nach dieser oder jener Seite auf die Spitze
getrieben. — Ein Grundzug aber steht bestimmend
über all' diesen Einzelheiten eines merkwürdig kom-
plizirten Wesens: das Träumen eines grossen Kindes,
das rastlose Grübeln in Phantasieen und der fatalistische
Glaube an diese Gebilde, der durch keine Schwierigkeit.
— und bedrohte sie die Existenz, — an der Aus-
führung gehindert wird. Willensstärke und Selbstver-
trauen ist auch ein charakteristischer Zug des Menschen :
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
25
als Böcklin Anfang der fünfziger Jahre nach Rom ge-
kommen, arm und auf den Ertrag aus seinen ob ihres
seltsamen Charakters schwer verkäuflichen Bilder an-
gewiesen, heirathet er eine bildschöne, aber ebenso
arme, junge Römerin, — ein Schritt, der gleichsam sein
Kunstprinzip symbolisirt und von reinen Instinkten
zeugt. Ueberaus glücklich wurde die Ehe, — sie
nachweisbar; doch so gering, wie bei fast Keinem der
Kunstgeschichte. Poussin thront über seiner Jugend
und mit dem frühen Corot hat diese mitunter frappante
Verwandtschaft, wie der Künstler auch , — aber mehr
als Mensch, — mit Genelli Aehnlichkeiten besitzt. Im
Kolorit und der Räthselhaftigkeit seines Wesens steht
er Giorgione am nächsten. — denn wie dieser und
Arnold Böcklin. Ueberfall von Seeräubern.
festigte in gemeinsam getragener Noth des Lebens bei
Böcklin die tiefe, quellende Innerlichkeit des Wesens.
Umfassende Künstlerschaft ist ausser dem Genie
beinahe ausschliesslich Ergebnis reicher Erfahrung
auf fremden Bahnen der Kunst und Widerspruch
gegen das Vorhandene. Merkwürdig schnell entwickelt
Böcklin seine Eigenart, in lauter selbständigen Experi-
menten, und nur vorübergehend sind Einflüsse bei ihm
Rembrandt lebt er einsam in seiner selbstherrlichen
Anschauungswelt, durch sphärisches Farbenklingen der
Alltagswelt völlig entrückt. — —
Unnahbar und undurchdringlich, — wie seine dar-
gestellten Geschöpfe von unirdischer Lebenskraft und
Heiligkeit der Natur ist fast jedes Werk von dieser
Hand, — • grossartig fremd erscheint es, in geheimnis-
volle Farbigkeit gehüllt, in der es Töne von unendlich
zartem Ineinanderklingen und wiederum grellste uner-
26
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
hörteste Kontraste von schmetternder, schönheitge-
bändigter Wucht der Wirkung gibt. Grösse des Auf-
baues ist immer und meist ein rhythmisch beseelter
Schwung der Linie und eine Charakteristik in ihr von
unfehlbarer Sicherheit. — Mitten im Zauber des be-
rauschendsten Farbengesangs aber steht bei ihm in
voller Plastik des Leibes das menschliche Geschöpf als
robuster, vollsaftiger, gottheiterfüllter Organismus, frei
von Gebrechen des Erdenpilgers, in übermenschlicher
Vollkommenheit der Naturexistenz, unbändig, sinnen-
gewaltig; mit allen Fibern ist er an den Augenblick
hingegeben und vollführt ohne kokette Nebengedanken
und Pose das als Naturtrieb, was der seinem Geschöpf
so verwandte Künstler in mächtigem Schwung der Be-
geisterung gewollt, — königliche Naivetät in jedem
Pulsschlag von der wildesten Dramatik bis zum
bizarrsten Humor offenbarend. — —
Böcklin ist Romantiker aus innerster Natur, die
Aufschlüsse der Wissenschaft und Geschichte kümmern
ihn nicht, — mit urfrischer Phantasie erfabelt er sich
aus den Resten der Antike eine mythische Vorwelt, in
der Nymphen, Faune, Meerungeheuer ein titanisches
Dasein führen; er schildert die Antike seiner Auf-
fassung hier in einer Unbändigkeit des Humors und
dort mit einem sentimentalischen oder düsteren Zug
der Trauer, welcher alten und modernen Germanen
näher liegt, als dem Griechenvolk, selbst in der diony-
sischen Zeit lange vor der Blüthe hellenischer Kultur
und nach derselben. Er ist ganz unhistorisch; — er
personifizirt Phantasie. Sein Stil hat darum auch Ge-
setze nur für den besonderen Fall: ein anderer ist
Böcklin als der grösste lebende Stimmungslandschafter
in der monumentalen «Todteninsel» und verwandten
Werken, — ein anderer als Figurenmaler, — dort
pathetisch, hier ins Dionysische jauchzender und
lachender Lust oder entfesselter Triebe sich verlierend,
und ein beissender Satiriker namentlich in einigen
Werken der Bildhauerei, — eine vollkommene Proteus-
natur. — —
Bei jenen Geistern, welche in ruhloser Arbeit die
Erscheinungen der Welt um den Pol ihrer eigenen
Geisteswelt zu gruppiren suchen, ist das Heimaths-
gefühl freier entwickelt als bei den anderen, die am
Gegenständlichen hängen bleiben. Seitdem Böcklin Basel
verlassen, um der Kunst nachzugehen, ist er ein
rastloser Wanderer. 1850 finden wir ihn in Rom in
einem Kreise später gefeierter Künstler wie Feuerbach,
R. Begas, Oswald Achenbach ; auch der Alemannen-Dichter
Scheffel und Paul Heyse, der elegante Novellist, gehörten
dazu. Der Letztere ist bestimmt, in Böcklins Leben eine
wichtige Rolle dadurch zu spielen, dass er die Auf-
merksamkeit des berühmten Kunstmäcens Grafen Schack
in München auf diesen seltsamen Kopf lenkt. Ohne
Schack, der Jahre lang in Böcklins frühester Periode
fast jedes Stück ankauft, — welche Schätze allein den
europäischen Ruf seiner Gallerie rechtfertigen würden,
— ist der heutige Böcklin nicht denkbar, weil er ziem-
lich sicher bei seiner schroff behaupteten Eigenart und
der Stumpfheit des Publikums dagegen zu Grunde
gegangen wäre. — In Rom kann sich Böcklin nicht
halten, er geht nach Basel in der Hoffnung auf Auf-
träge und führt dann für einen Konsul in Hannover
in Leimfarben auf Leinwand fünf Wandgemälde aus,
welche die Beziehungen des Menschen zum Feuer ver-
sinnbildlichen. Nach einem Prozess wegen der Ab-
nahme, — • da die Gemälde dem Besteller zu bizarr er-
schienen, — kommt Böcklin 1856 mit seiner Familie
mittellos in München an. Er stellt im Kunstverein ein
Bild aus: den grossen Pan, der um die Mittagsstunde
im Schilfe die Flöte spielt, — ein Bild, so modern^
in der Malerei, dass es in der Gegenwart hätte gemalt
sein können, — ein revolutionäres Manifest für jene
Zeit , welches aber das einzige von dieser Hand ge-
blieben ist. Die Pinakothek kauft es an und errettet
damit den inzwischen mit zweien seiner Kinder vom
Typhus befallenen Künstler aus äusserster Noth,
was aber schwerwiegender ist: es gibt seit jener Zeit
eine Böcklingemeinde, denn vor der Gewalt der in
diesem Werke geoffenbarten Phantasie und der ebenso
scharfen Beobachtungskraft des Auges erstarb der
kritische Eigenwille der Künstler von Begabung, und
aller Augen bleiben von jetzt ab erwartungsvoll ge-
richtet auf diesen Einen, der wie ein grosses Räthsel
unter sie getreten war. — Heyse und Schack aber
sorgten auch weiter für ihren Schützling. Der Gross-
herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach hatte eine Kunst-
schule gegründet, um die Traditionen künstlerischer
Pflege in seinem Lande, das Goethe, Schiller, Herder,
Wieland geschützt, aufrecht zu erhalten; mit einer
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
rühmenswerthen Sicherheit des Auges rief er damals
noch junge Künstler von kommendem Weltruf in den
Lehrkörper. Neben Lenbach und Reinhold Begas
wirkte in Weimar der geniale Preller, — später noch
Genelli. Auf Anregung seiner Freunde erhielt Böcklin
1858 einen gleichen Ruf Hielt es nun diesen unruhigen
Feuerkopf, so wenig wie Lenbach und Begas, — auf
die Dauer auch nicht fest in dem kleinen reizenden
Hauptstädtchen von Thüringen mit der tötenden Ehr-
barkeit der Hofgesellschaft, so bot es ihm doch eine
Weile Unterschlupf gegen die Noth des Broderwerbs.
Doch mit der seltsamen Neigung vieler genialen Köpfe
für ihre minder bedeutenden Liebhabereien beschäftigle
er sich hier in völliger Hingabe mit dem Problem seines
Luftschiffs, aber er malte auch, eine der reizvollsten
Schöpfungen seiner Jugendzeit, voll barocken, wild-
genialen, böcklinischen Humors. Den Pan, der um die
brütende Mittagseinsamkeit unsichtbar auf dem Fels-
geklüft sitzt und durch sein «panisches Gelächter»
einen Hirten mit seinen Ziegen in wilde Flucht treibt.
Die Unheimlichkeit, welche ein fallender Stein im Ge-
birge oder ein ungewöhnlicher Laut, dessen Ursache
nicht zu entdecken ist, auf einen ahnungslosen Träumer
auszuüben vermag, wenn die Welt um ihn in Mittags-
schlaf liegt, kann nicht drastischer und drolliger ver-
sinnbildlicht werden als dies hier geschah.
Noch eine Jagd der Diana malte der Künstler in
Weimar.
Dann aber trieb diesen Fremdling auf Erden sein
unstäter Sinn und der in dem hellen, nordischen Weimar
so wenig gestillte Durst nach Farbenpracht fort, — er
geht 1861 nach Rom, von wo er nach Neapel, Pompeji,
Capri kommt; und jetzt, bei diesem Aufenthalt in der
Gräberstadt, in Unteritalien, dem Gross-Griechenland
der Alten, welche in dieser wunderbar lieblichen Uep-
pigkeit, der Farbenfreude der Landschaft und ihrer
Bergsilhouette nicht minder als in ihrer lebensfreudigen,
griechischen und griechisch beeinflussten Kultur die
Züge ihres genialen Nachbarvolks erblickten, vollzog
sich mit reifem Bewusstsein der letzte grosse Entwick-
lungspunkt in dieser Persönlichkeit: das heilige Frühlings-
fest der Hochzeit zwischen deutscher Romantik und
antiker Romantik ; denn nicht oft hat Böcklin von jetzt
ab andere Motive gewählt als diese grandiose Natur
ihm bot, inniger wird die vorher nur kosende Neigung
zwischen seinem Naturell und dem stilvoll Bunten,
Glänzenden antiker Malerei, die wir ahnend in Pompejis
Resten geniessen und sie in diesem Künstler wieder-
erstehen sehen , und bei ihm steht jetzt auch über
allen Eigenschaften in den folgenden Werken eine
innere reife Geschlossenheit, — eine grossartige Per-
sönlichkeit. —
Die «Villa am Meer» (Schackgallerie) ist das
erste grosse Werk dieser Zeit, in ihrem stimmungs-
vollen Pathos eine der herrlichsten Blüthen Böcklin-
ischer Kunst, von der er für Schack später eine zweite
Auffassung schuf.
Man sieht das Meer; gross stilisirte, flächige,
schaumumsäumte Wellen rollen feierlich heran, —
Wasser von jener wunderbaren Durchsichtigkeit und
beweglichem Spiegelglanz, wie Böcklin allein es zu
malen vermag. Ein durchklüfteter, aus Plattengeschiebe
aufgebauter Fels springt spitz in die Fluth hinaus, von
Busch und Baum halb verborgen erhebt sich eine
antike Villa mit Säulengang, Balustraden, Fontainen,
Statuen auf ihr, eine prachtvolle Cypressengruppe aber
am äussersten Vorsprung wiegt sich unter dem
wehenden Meerwind und dem rosig düsteren Gewölk.
Abendliches Sonnenlicht ruht auf den einsamen Ge-
bäuden, und in Harmonie mit der melancholischen
Stimmung lehnt gedankenvoll eine schwarz und weiss-
gekleidete Frauengestalt am Fels, die Wellen zu Füssen,
und blickt auf das Meer hinaus, in dessen Wogenschlag
es weint und zittert, — es ist wie ein Symbol der
sterbenden Antike, wie eine grosse Trauer, die sich
noch einmal der ganzen Herrlichkeit vergangener
Blüthe bewusst wird. —
Der Künstler, welcher in diesem Werk den
Charakter reiner, in feierlichen Akkorden getragener
Monumentalität getroffen hat, so genrehaft das Motiv
an sich auch sein mag, tritt uns in einem anderen
Bild als ein heiterer, von reizvoller Stillseligkeit er-
füllter Idyllendichter entgegen, als ein Geistesver-
wandter von Theokrit und Vergil, wenn er in zwei
jungen Menschengestalten: dem am rosenüberhangenen
Fels gelehnten und auf der Syrinx um die Geliebte
klagenden Hirten und der Nymphe, die hinter ihm
im Laub versteckt halb beseeligt, halb schalkhaft
selbiger Klage lauscht, — die von Liebesempfindung
durchrosigte Jugendblüthe schildert und dabei das
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Arnold Böcklin. « Sieh', es lacht die Au !
antike Liebesleben in seiner Naivität entzückend erfasst
hat. «Klage des Hirten» lautet der schlichte Titel
des Bildes, das koloristisch zu Böcklin's Bestem gehört.
Den gleichen idyllischen, von sonnigstem Humor
durchleuchteten Charakter bezeugt die «Altrömische
Weinschenke», aus der ein betrunkener und liebe-
voll vom Freund gestützter Soldat herauswankt und das
unter einer Dionysosstatue am Gartenthor Blumen feilhal-
tende Mädchen zärtlich ansingt; — mit trinkerbesetzten
Veranden und auf dem Rasen lagernder Gesellschaft
eine köstliche Darstellung hellenischer Daseinsfreudigkeit.
Nach einem Quinquiennium, das für Böcklin's Auf-
enthaltswechsel späterhin zur Regel wird , kehrt er
nach Basel zurück, indem er endlich Anerkennung vom
nüchternen Sinn seiner Landsleute erhofft, — i866.
Drei monumentale Fresken führt er dort im Rathhause
aus, deren Genialität und Schönheit man rühmt, —
vermittels der von ihm selbst erfundenen Technik ge-
malt. Er treibt auch Bildhauerei, in grotesken Masken
an einem öffentlichen Gebäude, welche mit um so
grösserer satyrischer Bosheit einige schlecht beleumdete
Mitbürger karrikiren, als die Portraitähnlichkeit der-
selben sehr gut sein soll ; — was dies Alles aber über-
wiegt, sind wiederum vier kleine Farbenjuwele (Schack-
Gallerie): der «Gang nach Emmaus», der «Tod,
durch eine Landschaft reitend», die «Furien,
einen Mörder verfolgend», und die «Drachen-
schlucht», — Schönheit und Grausen von einem
lyrischen Schwung und einer Farbengluth, die nur noch
ein späteres kleines Werk dieser Art wieder erreicht,
die « Herbstgedanken » .
Nach dieser Pause in Basel fährt er seit seinem
Münchner Aufenthalt 1871 fort, jene grosse Reihe
monumentaler Werke zu schaffen, deren erstes die
«Villa am Meer» war, deren folgende bis in die
Gegenwart hinein einen immer grösseren Nimbus um
seinen Namen legten : Giorgione's zauberhafte Tief-
äugigkeit, Rubens Majestät, beider berauschendes
Kolorit und Böcklin's grossartige Selbstverständlichkeit
wachsen darin aufs Innigste zusammen. In organischer
Natürlichkeit und von vollstem Lebensdrang erfüllt
entsteht in seiner Phantasie nunmehr auch jener be-
kannte Typus der antiken Romantik: das Fabelwesen
aus Mensch , Thier- und Fischleib, das die Kunst lange
30
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
vor Böcklin kennt, dessen lebendige Bildung aber erst
dem modernen, im Besitz einer genialen Technik be-
findlichen Künstler gelang, weil seine Phantasie wunder-
bar tiefsichtig und seine Nerven von der feinsten Em-
pfindung gegen das athmende Leben und dessen Be-
dingungen sind.
Ein voller Wurf darin ist der «Centaurenkampf,
— die Furie reiner, unberührter Naturkraft. Fünf wild
entfesselte Kerle bearbeiten einander in grotesker Be-
wegung mit Fäusten, Zähnen, Hufen paarweis, indess
der Strohmann sich eben anschickt, seinen lieben Mit-
centauren mit einem starken Felsstück den Schädel zu
zerschmettern , Mord glüht in jeder Miene. Unbe-
schreiblich ist die Wirkung dieses in einander Ver-
knäult- und Umschlungenseins und ihre Suggestion auf
den Zuschauer, — nur bei Rubens, aber nur bei diesem,
findet man etwa ein Gegenstück. Die Grösse jedoch,
mit der Böcklin, der phantastische Künstler, die be-
seelte Natur aufzufassen vermag, offenbart sich fast
überwältigend in einem weiteren Werk dieser Art, das
von machtvoller Geschlossenheit im meisterhaften Auf-
bau und dem Farbenrausch aus lauter zusammen-
gehenden Kontrasten, — in der Poesie der Stimmung
dagegen und dem entzückend frischen, in goldenen
Rythmen wie ein Bergwasser im Sonnenlicht spielenden
Naturgefühl von bethörendem Zauber ist, — es ist
das mehrfach wiederholte Werk der Schackgallerie:
«Meeresidylle»: Auf flachem , wogenumbrandetem
Fels unter weitem, abenddämmernden Himmel liegt ein
nacktes, kraftvolles, üppiges Weib in seliger, glieder-
entfesselter, nervenloser und doch der feinsten Regung
der Sinnlichkeit unterthaner Ruhe, — schwellende, be-
rückend weiche Formen und jene Dämonie des ver-
zehrenden, schmachtvoll-düsteren Auges, hinter dem
schrankenlose Leidenschaften einer fremden Welt zu
flammen scheinen. Auf dem Rücken liegend stützt sie
mit der Rechten das Haupt, von dem lange, schwarz-
braune Haare auf den weissen Körper herunterrieseln,
und streichelt mit der Linken den dicht über dem Wasser
unheimlich auftauchenden, behaarten Kopf der — See-
schlange, welche in grossen Volten des dicken Leibes
heranschwimmt. Rückwärtsig dazu aber sitzt ein köst-
licher, rothbraun behaarter Kerl von Triton und bläst, —
und bläst auf einer Muschel sein an Gehirn so fabelhaft
kleines, an Empfindung vorwelthaft mächtiges Liebes-
glück hinaus auf das widerdröhnende , in einsamer
Herrlichkeit Welle an Welle herankosende Meer. —
Vorwiegend landschaftlichen Charakters ist ein
drittes Bild der Münchner Zeit: die heroische Land-
schaft, die ich im Original nicht kenne, aber in den
bedeutenderen Wiederholungen als Burgbrand, der
von Seeräubern angelegt ist. In weiter, prächtig ge-
malter Meeröde erhebt sich auf starrem, zerklüfteten
Fels eine prächtige Schlossanlage , die durch eine
Brücke mit dem Festland verbunden ist. Das Schloss
brennt, Rauchwolken bedecken den Zenith des am
Horizont freundlich lichten Himmels ; Piraten schleppen
Weiber und Kinder hinab in die Boote. Von den
beiden Auffassungen dieses Vorwurfs ist die mit dem
Segelschiff im Hintergrund und der Gliederung der
Brücke durch Marmorstandbilder und eine zwischen
ihnen zum Wasser hinabführende Felstreppe die reiz-
vollere, während die neuere mit der mathematisch
nüchternen « Stadtbahnbogenbrücke » in Aufbau und
Tongebung die monumentalere scheint.
Auch in München hält es auf die Dauer den un-
stäten Künstler nicht fest, — zum dritten Male siedelt
er 1876 nach der Heimath seiner Seele über, wo er
diesmal Florenz als Wohnsitz wählt und durch neue
gewaltige Werke, die unter dem Eindruck der grossen
italienischen Meister der Renaissance sich zur höchsten_
Schönheit und Vollendung der Form erheben, mehr
und mehr die Anerkennung seiner Zeitgenossen er-
zwingt, nachdem er ein Menschenalter lang mit Bor-
nirtheit und Niedertracht einen durch eigenen Starrsinn
sehr erschwerten Krieg geführt.
Das Hauptwerk, das er hier schafft, ist nicht nur
sein grösstes, — was Originalität der Erfindung , wun-
dersam gedämpfte Farbenpracht und Monumentalität
anbetrifft, steht dasselbe als ein gewaltiger Markstein
in der Geschichte der modernen Kunst, deren Land-
schaftsmalerei mit Ausnahme des einzigen Millet Gleiches
nicht geschaffen hat. Das Meer, das wunderbar zauber-
ische Meer in einer phantastischen Symbolik von er-
greifender Grossartigkeit schildert der Künstler, dessen
Genius dieses Element als Abbild seiner eigenen Un-
ergründlichkeit liebt und in unerreichter Weise darzu-
stellen nicht müde wird, in einer Komposition, die er
in den achtziger Jahren mehrfach wiederholt hat. Das
Original befindet sich im Museum zu Leipzig, — eine
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
zeichnerisch sclüirfer zugespitzte, für meinen Geschmack
glücklichere zweite Aufifassung birgt die Privatgallerie
eines Kunstsammlers in Worms.
«Die Todteninseb: Ein kleiner vulkanischer
Krater im Meer ist zur Hälfte abgestürzt, vielleicht
während des letzten Ausbruchs in vorhistorischer Zeit.
Ein Felshalbkreis von mächtiger, kühn profilirter
Bildung ist stehen geblieben und umschliesst einen
von hohen düsteren Cypressen eng bestandenen Hof,
der nach dem Meer hin von stärkeren Steinblöcken
flankirt und durch eine niedrige Mauer mit Pforte ab-
gegrenzt wird. Auf dieses düstere Eiland des Todes-
friedens zu, dessen Fenster- und Gallerieöffnungen in den
Felswänden die Urnen- und Sargstätte kennzeichnen,
lenkt ein Nachen mit einem Sarge und einer aufrecht
stehenden Grabfigur. Ein tiefblaugefärbter Himmel, nur
zart über dem Eiland angeflammt, umwölbt in feier-
lichem Akkord diesen gewaltigen Mollton und spiegelt
sich still neben den scharfen, im Reflex leuchtend ge-
milderten Felskonturen in den seltsam glatten, nur im
Kielwasser des Nachens lautlos, ganz lautlos gekräuselten
Fluthen. Kein Ruf eines Vogels und kein menschlicher
Laut mischt sich in die feierliche Grabesstille ringsum.
— — Es ist ein Wunder in diesem Werk, in dem die
Dämonie des Genius , die ruhlos zwischen Tragik und
Heiterkeit gezerrte, unendlich milde und doch mannhaft
sich auflöst zu ihrer individuellen Selbstbefreiung im
höchsten , klassischen Ausdruck , in welchem die Er-
habenheit der Antike und die Todessehnsucht des ideal
gesonnenen Menschen der Gegenwart sich über Zeit
und Raum die Hände reichen. — —
In derselben Zeit jedoch , in welcher der Künstler
den höchsten Ausdruck von tragischem Pathos in
seinem Schaffen gefunden, gelingt es ihm, — sehr
charakteristisch für seine Schwungfähigkeit, — ein
gleich vollendetes Werk von unbändiger Heiterkeit
zu schaffen. Das Dionysische, Natur- und Genuss-
kräftige des griechischen Volkswesens, — das in der
Blüthezcit allein gegen den Classicismus zurücktritt, —
die romantische Periode von Hellas liegt so plastisch
in dieser Schöpfung, dass uns die Empfindung über-
schleicht, als sei hier ein lebender Zeuge jener myth-
ischen Dämmerung.
«Im Spiel der Wellen» ist das Bild genannt
und jetzt ein kostbarer Schatz der Münchner Pinakothek.
— Mitten auf den wunderbar leuchtenden blaugrünen
Meereswogen , die in Kadenzen sich hoch aufthürmen
und senken und auf deren kristallener Durchsichtigkeit
Schaumfäden entlang schiessen , ist eine ausgelassene
Gesellschaft beisammen: ganz vorn ein jugendschönes
Meerweib mit Flossenfüssen , die angstvoll davon-
schwimmt; ein faunisch lachender, meerrosenbekränztcr,
brauner Triton mit kupfernem Bacchusgesicht begleitet
die Holde und streichelt lüstern und beruhigend ihren
weissen Nacken. Indess taucht hinter diesem Paar eine
Art Froschmensch mit Schuppenkamm auf dem Kopf
in die Tiefe, — hoch aber auf der Spitze einer Welle
tolpatscht der Urheber dieses humorvollen Schreckens,
ein prächtiges, echt böcklinisches Gebilde heran, — ein
Seecentaur. Hastig arbeiten die ausgreifenden Schwimm-
füsse um den schwerfälligen Körper vorwärts zu bringen,
und der hochaufgerichtete dicke Trinkerleib, die krampf-
haft gespreizten Arme, der struppig gehaarte Kopf mit
lüstern entflammten Augen spiegeln übereinstimmend
in angespannter Erregtheit das glühende Liebesver-
langen nach einer Nymphe , die sich dicht vor ihm
durch Niedertauchen in die schimmernde Tiefe der
verhassten Umarmung entzieht. Eine Genossin der
Schönen lässt sich mit höhnischem Lachen nahebei
auf dem Rücken treiben , — bereit auch ihrerseits
durch Niedergehen zur traulichen Wasserheimath den'
verliebten Trottel zu foppen. — Ein entzückender
Zauber elementarer Jugendlichkeit durchströmt das
Thun dieser naiv gewaltthätigen Fabelwesen, deren
Empfindungskraft und Befriedigungsdrang in diesem
Hymnus des phantastischen Künstlers glorios aufgefasst
und dargestellt ist. —
Verwandt in der Art, aber von vielleicht noch
ausgeprägterer Sinnlichkeit ist die «Meerfamilie»,
die auf einem Riff mitten im Meergewoge beisammen
ist. Das nackte Menschenweib mit dem strampelnden
Säugling lang ausgestreckt, hinter ihr kletternd mit
kühn vorgebogenem Hals ein zweites Kind , und alle
mit dem ungebrochenen, gieren Blick fesselloser Natur
den Vater und Mann anblickend, der mit haarigem
Leib und hängendem blonden Haupthaar, mit halb
lüsternem und halb wildem Auge auf die Gruppe her-
absieht, neben der er eben auftaucht, um ihr eine ge-
fangene, am Halsfell gepackte Robbe zu bringen. —
Von noch grösserem, germanisch -gemüthvollem
Arnold BOcklin pinx.
riiot. ¥. lUnfeUenKl, Müiu-hfii
Flora.
Phologravure im Verlag von Kran? Ilanfslaengl in München.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
33
Zauber in der Darstellung naturmythischen Familien-
glücks ist eine ähnliche ältere Schöpfung : «Tritonen-
familic», deren flossenfüssige junge Mutter sich be-
haglich, wie träumend, auf einem Felsen reckt, während
der dunkelbärtige Triton, an sie gelehnt, den jubelnden
Sprössling auf seinem Knie nach Art der Menschen-
väter reiten lässt. — — Nicht geringer in der Malerei
ist dann eine packende Personifikation der «Meeres-
stille» durch eine dämonisch schöne, auf einem Riff
über dunstigen Wassern gelagerte Nixe. — —
Ein neueres, die Antike behandelndes Werk ist
dann auch der sehr poetisch coucipirte und prächtig
aufgebaute «Gang zum Bacchustempel», der farbig
etwas grell ist. Nach den antiken Vorwürfen noch
einige romantische, die zum Theil wahre Farbenjuwele
sind, wie «Die anbetenden Krieger im heil-
igen Hain», der «Drachentödter», während
die religiösen Bilder aus dieser Hand , deren Blutlauf
heidnisch empfindet , nicht die volle sieghafte Gewalt
tragen. So eine zwar grossartig aufgefasste «Pietä»:
über, den naturalistisch gemalten Heiland, der auf einer
Steinplatte liegt, ist die ganz verhüllte Madonna weh-
klagend zusammengebrochen, und aus rosiger Wolke
schauen Engel mit mitleidiger Geberde herab. Selt-
samer Weise sind es bei diesem Werke stilistische
Mängel, welche den herrlichen Farbengesang dieser
gewiss grossartig aufgefassten Darstellung wie in der
Ferne verhallen lassen. — —
Und abermals volle Kunstwerke bietet Böcklin in
der kleinen Reihe von modernen Themen. Da sind die
an Einklang schwermüthiger Poesie einzig schönen
«Herbstgedanken», welchen ein reifes junges Weib
am bäum- und buschumkränzten Bachufer unter fallenden
Blättern im Wandeln nachhängt, — da ist das von
melancholischer Stimmung erfüllte Werk «Burg am
Meer»; — unter zwei köstlichen, holbeinisch abge-
klärten «Selbstbildnissen» ist jenes de 1885 her-
vorzuheben, das die markige Gestalt des Künstlers, ein
Glas Wein in der rechten Hand haltend, zeigt, mit
kühnem, selbstbewussten Blicke. Eine im Gewand der
Empirezeit durch eine entzückend schöne, blüthen-
übersäete, bachdurchrauschle Wiesenlandschaft her-
schreitende «Flora» und jenes köstliche Gedicht,
«Sieh', es lacht die Au», in dem singende, träu-
mende, blumenpflückende Mädchengestalten durch eine
herrliche Frühlingslandschaft wandeln, gehören hierher;
über alledem jedoch steht neben Böcklin's grössten
Thaten der «Eremit» (Berliner Nationalgallerie), —
an schwungvoller Grösse der Stimmung von anderen
Werken des Künstlers vielleicht übertroffen, unerreicht
an Innigkeit und Tiefe echt deutscher Empfindung. Ein
uralter, hochbekutteter Mönch steht in der hölzernen
Vorhalle einer Klause, vor dem abendsonnenschein-
umflimmerten Madonnenbild an der getünchten Thür-
wand, und geigt; — von der Inbrunst der Versenkung
in die Gottheit durch den jubelnden Ton haben sich
die Abendwolken aufgethan, ein flammender Licht-
strahl schiesst durch die seitliche Lichtöffnung der Vor-
halle auf den weltvergessenen Alten, Engel sind her-
untergeflattert; kindlich lächelnd sitzt der eine auf
dem Fensterbrett und lauscht, der andere aber lugt
auf den Spitzen stehend durch das Fenster der Hinter-
seite auf den Greis, der in seiner klingenden Gott-
seligkeit nichts ahnt von dem Wunder um ihn. Rührend
humoristisch, so ganz altdeutsch, dürerhaft naiv wirkt
die Silhouette des Alten , die kindliche Hingegebenheit
der Bewegung beim Geigenstrich; — blüthenhaft zart
und reizvoll ist die Farbe; — — ich habe Jahre lang
als junger Kunstnovize vor diesem Bilde meinen sonn-
tägigen Künstlergottesdienst abgehalten und seitdem
die Gallerie nie betreten, ohne durch ein Weilchen
weltentrückter Schau meine Seele rein gebadet zu
haben vom Staub wirrer Eindrücke. —
Dann ist noch der «Frühlingstag»: ein italienischer
Vorwurf, nordisch-phantastisch versetzt mit gespenstisch
weissen Birkenstämmen auf der blumigen, von Quellen
durchrieselten Wiese. Eine italienische Villa, mit kleinem,
dunklem Hain und breiter Wasserfläche dahinter, —
alles unter wolkigem, regenschwangerem Himmel. Ein
alter Mann steht sinnend am Fluss, — ein Liebespaar
tändelt im Vordergrund beim Spiel der Laute, — an
der Villa umscherzen Kinder ein Mädchen: ein ganzer,
lenzhaft ahnungsvoll und werdefrisch durchhauchter
Lebenslauf ist in der knospenhaft herben Darstellung
angedeutet, — in der man, — wie bei allen Werken
dieses Künstlers, — in's grosse Herz der Natur blickt
und seinen feierlichen Schlägen — als einer urheiligen
Offenbarung gebannt lauscht. — —
Seit Anfang der achtziger Jahre hat Böcklin sich
zur Rast von seinen Fahrten in Hottingen bei Zürich
34
DIE KUNST UNSERER ZEIT,
ein stilles Heim errichtet, — ein Schritt, der seine
Spur im « Eremiten ■» und vielen neueren Werken
des Künstlers unverkennbar durch die germanische
Heimathlichkeit in Auffassung und Empfindung er-
kennen lässt.
Überaus reich ist die Zahl der Werke aus dieser
Hand, — jedes hat eine scharf ausgeprägte Eigenart
und ist gleichsam ohne typische Voraussetzungen aus
ungetrübten Quellen der Eingebung geflossen. Der
66jährige Künstler kann auf ein Leben, selten reich an
Kampf, doch auch selten reich an Erfolg, zurück-
blicken. Die Ideale einer todten, in ihrem Einfluss
abendroth verglühenden Kultur und die Ideale einer
der grössten lebenden Rassen, der er angehört, zwang
sein Gedanke zu innigster Vereinigung zusammen,
ganz unbekümmert um alle andere Forderung als die
des Eigenwesens. Mitten in dem grossen Zuge nach
Regeneration, der durch die europäische Kunst geht,
scheint der Weg hinter Böcklin abgebrochen, — und
doch hebt hinter ihm eine grosse und .starke Schule
der deutschen Neuromantik an, die seines Geistes voll
in die Gegenwart eingezogen ist. Davon einer der
Künstler, der Radirer Max Klinger, mit seinen frei
erfundenen Cyklen bereits in seinem 35. Jahr an Um-
fang und Bedeutsamkeit auf den höchsten Höhen der
deutschen Kunstgeschichte steht, — mit verschwend-
erischem Reichthum an Offenbarungen Hans Thoma,
ein gereifter Mann , das spezifisch historische Ger-
manenthum vertritt, — in dem Jüngsten, Franz Stuck,
aber der griechische Geist des Meisters als Erbschaft
zum Vorschein kommt. Jeder eine originelle, um-
fassende Persönlichkeit, — Jeder auf anderem Wege
nach Verbindung von Romantik und Gegenwart ringend,
— Alle veredelt und befruchtet von dem Einen. —
Das ist Arnold Böcklin.
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Die Sünde.
EIN MÄRCHEN.
(ZU DEM BILDE VON FRANZ STUCK.)
VON
ERNST ROSMER.
Die Sünde war die schwarze Königin der Welt
geworden. Herrscher pilgerten zu ihrem ein-
samen Bergtempel und opferten ihre Kronen
auf die Stufen. Die Sünde küsste die Könige und zertrat
die Kronen. Barhaupt zogen sie heim und krank. Den
Schwachen stürzte der Schwindel von der Felsensteile.
Den Stärkeren, der sich müde in sein Reich fand, er-
schlug das Volk, denn er hatte die Krone verloren.
Der Stärkste erkämpfte sich eine neue Krone , aber
lebenslang war ihm ein Geheimnis in den Augen und
die Menschen stiessen sich an und flüsterten: «Er hat
die Sünde gesehen. »
«Ich will die Sünde auch sehen», sagte ein blonder
Betteljunge und machte sich auf den Weg. Er pfiff
ein Lied in den blauen Sommer hinaus und brach sich
einen grünen Haselstecken. Den schnitt er zurecht, nur
ganz oben Hess er ein paar grüne Blattfälmchen stehen.
«Das ist lustiger», sagte er, schwenkte ihn rundum,
« und zum Nüsseherunterschlagen ist er auch gut » . Er
that sich keine grosse Eile den Berg hinauf « Herunter
geht es schneller und lang bleib' ich nicht. Aber fest
will ich sie anschauen, dass mir's in den Augen steht:
ich habe sie gesehen». Und er nickte und schwatzte
mit allen Bergblumen und Berggräsern , so dass es
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
35
feuriger Mittag war , als ihm der Tempel entgegen-
goldete. Er nahm sich einen Lauf und rannte in Einem
bis an das Thor und wie das offen war, sprang er
mitten hinein in die Halle. Da lachte er sich wieder
zu Athem und fasste seine rothen lustigen Wangen :
«O wie heiss! Gut, dass es kühl ist hier. Aber was
ist es so dunkel ? i>
Als sein Auge sich in die Dämmerung gewöhnt
hatte, sah er die Sünde inmitten ihres Thrones aus
thaufeuchten Rosen. Schön, ernst und heilig, das weisse
Ruheangesicht aus dem Schweigen des Haares gehoben,
das Haar über die Wangen herab die perlenbleiche
Brust beschleichend. Seitwärts dunkelten ihn die tiefen
Augen an, die Könige zittern, beten und sterben ge-
macht hatten.
Der Betteljunge fürchtete sich nicht, denn er hatte
ein unschuldig keckes Herz und war gut.
Neugierig ging er dicht an den Thron und freute sich.
« Du bist sehr schön. So lange Haare. Und die
feinen Wangen. Und dein Mund . . . . »
Er wurde nachdenklich.
« Dein Mund gefällt mir nicht. Was hast du ihn
so fest? Kannst du nicht lachen.^»
Die Sünde löste die ruhenden Lippen von einander,
und eine goldene Stimme webte sich zu Worten :
« Ich kann nicht lachen. »
Der Junge schlenkerte bedauernd den Haselstecken
und wiegte sich vor auf die Zehen:
«Und weinen? So recht tüchtig weinen?»
« Ich kann auch nicht weinen. »
Der Junge kraute sich hinter'm Ohr.
«Wie langweilig! Du arme Sünde.»
Er ging nochmals an sie heran und betrachtete sie
aufmerksam.
«Du bist sehr schön. Aber meine Mutter ist
schöner. »
Die Sünde erblasste und fühlte einen warmen
Schmerz in der kalten ewigen Brust. Frei, ungefangen
stand der frohe Betteljunge vor ihr, und sie sah, dass
er holder war als die Mächtigsten , die ihr gekniet
hatten.
Er fasste eine Rose und wollte sie abreissen.
« Ich geh' jetzt wieder. Aber schau mich fest an.
Schau mich doch gerade an! Kannst du einen nicht
gerade anschauen ? Ich will dich in den Augen haben. »
Die Sünde kehrte bange den Blick von ihm und
ihre Wimpern schwiegen herunter.
«Du wirst mich nie in den Augen haben, denn
gesehen hat mich nur, wer mich gefühlt hat. »
Der Junge zerrte noch immer an den Rosen.
«Wer dich gefühlt hat? Wie macht man das?
Wer hat dich gefühlt?»
Die Sünde richtete sich mit tiefem Athem empor
und ihr Leib leuchtete.
«Wer mich küsste. »
«Dann geh' ich wieder heim», sagte der Junge.
« Küssen mag ich nicht. »
Und ärgerlich über den Widerstand riss er eine
ganze Ranke aus dem Rosengeflecht. Da sah er eine
Schlange darunter liegen. Eine kalte, bunte, riesige
Schlange mit kleinem scharfen Giftrachen. Er schaute
sie an und war böse.
«Pfui!» sagte er und schüttelte sein helles Gelock
zurück. « So ein hässliches Thier liegt unter deinem
Thron? Und das sagst du nicht? Und Rosen sind
darüber gedeckt? Du lügst ja! Schäme dich!»
Die Sünde zürnte. « Und du fürchtest dich !
Nur Könige haben den Muth zu mir. Bettler sind
feig. »
Sie neigte sich der Schlange. Die wand sich
zwischen den Rosen hindurch, bäumte sich hoch empor
und Hess den Kopf auf die Schulter der Sünde fallen.
Sie gürtete sich um den weichen Frauenleib, umkettete
ihn noch einmal , eingewachsen in den Schlangenring
stand die Sünde vor dem Knaben. Da däuchte sie ihm
herrlicher als zuvor und sein Herz strahlte aus seinen
morgenlachenden Worten.
« Ich bin nicht feig. Ich habe Muth, einen grossen
Riesen umzubringen. Ich werde mit meinem Haselstecken
die grüne Schlange erschlagen. Aber erst werde ich
dich küssen 1 »
Er ersprang die Rosenstufen und heftete über die
Schlange hinweg die jungen Arme um ihren Nacken.
Er streifte über ihre Lippen hin und her und suchte
ihren Athem in sich zu haschen. Aber sie wehrte sich
und wehrte ihm, sie wollte ihn nicht küssen, sie schauerte
in Menschenmitleid und Menschenangst, und das Mitleid
wurde wieder zur Sehnsucht und die Angst zum Begehren
und Verlangen und sie stürzte ihren heissesten Todeskuss
auf seinen bittenden Mund.
36
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Zwischen ihren eng aneinander gedrängten Leibern
presste sich wie ein rinnender Wassertropfen der
Schlangenrachen hinab und biss den Knaben in's Herz.
Er schrie nicht, aber er wurde bleich in den rothen
Wangen. «O», sagte er, «du hast mir weh gethan. »
Und mit seinen beiden sterbenden Händen erwürgte er
die Schlange, dass ihre feuchten Ringe von den Schultern
der Sünde herabfielen. Dann stürzte er zurück, hinunter,
auf den Perlmutterboden der Halle. Er schaute noch
einmal empor in ihre Nachtaugen :
« Ich liebe dich. »
Er lächelte und war todt.
Da hüllte die Sünde ihr langes Haar über die Brust
und weinte.
Die letzte Sonne ging aus dem Tempel. Der Himmel
erblindete in graufarbigen Schleiern. Späte Abendpilger
kamen in die mondlichte Halle. Sie fanden den todten
Betteljungen mit dem Haselstecken in der Faust, mit
zwei kleinen Blutstropfen auf der Brust, und sahen in
seine gebrochenen Augen und suchten das Geheimnis
darin. Aber sie fanden es nicht.
Er hat die Sünde nicht gesehen, sagten sie.
Auf dem verwelkten Thron lag die erschlagene
Schlange. Die schwarze Königin war verschwunden.
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Fraiu Stark pinx
IMiut. r llanreUeiigl, Hiinriien
Die Sünde.
Ein Jubiläum.
Am 12. November 1893 feierte Hofrath Edgar
Hanfstaengl 6.3ß, 25 jährige Inhaberjubiläum der
^ Kgl. Bayer. Hofkunstanstalt Franz Hanfstaengl
zu München.
An diesem, für den Jubilar wie für das Institut,
hochbedeutenden Gedenktage ziemt es unserer Kunst-
Chronik, dass sie einen kurzen Rückblick auf die grosse
Entwickelung eines Unternehmens werfe, welches nament-
lich während der Inhaberschaft Edgar Hanfstaengr s in
hervorragender Weise sich entfaltet hat.
Die Firma Franz Hanfstaengl wurde im Jahre 1833
von Franz Hanfstaengl, einem hochbegabten Künstler,
dem Vater des Jubilars, begründet. Franz Hanfstaengl's
erste Arbeiten erstreckten sich auf lithographirte Portraits
und grössere in gleicher Manier hergestellte Kunstblätter
für Kunstvereine etc. Diese Arbeiten haben den Namen
Hanfstaengl schon damals in weiteren Kreisen bekannt
gemacht und sind heute noch als Musterleistungen auf
dem Gebiete der lithographischen Kunst hochgeschätzt.
Aber die eminente Schaffenskraft des Begründers des
Hauses wagte sich bald an eine für jene Zeit, in der es
noch an allen die Zeichnung erleichternden Hilfsmitteln
gebrach, über welche der reproducirende Künstler heute zu
verfügen vermag, riesenhaft erscheinende Aufgabe, näm-
lich die Vervielfältigung der Dresdener Galerie auf litho-
graphischem Wege. In verhältnissmässig kurzer Zeit, im
Zenith seiner Schaffenskraft stehend, bezwang Hanfstaengl
dieses aus 190 auf Stein gezeichneten Bildern bestehende
Riesenwerk und dokumentirte damit ein künstlerisches
Können, welches die Bewunderung und Anerkennung
seiner Zeitgenossen erringen musste. Nicht zum ge-
ringsten Theile hat diese vortreffliche Publikation, welcher
die beste Lebenszeit eines ganzen Mannes geweiht war,
dazu beigetragen, das Renommee dieser Gemäldesamm-
lung weiter auszubreiten und überhaupt den Sinn und
das Verständniss für die Werke der Alten mehr und
mehr zu entwickeln. Daneben fand Franz Hanfstaengl
noch Zeit, sich sowohl fortgesetzt der Zeichnung von
Portraits auf Stein wie galvanographischen Arbeiten,
wozu das bekannte meisterhafte Blatt Flüggen : t die
Prozessentscheidung» zu zählen ist, zu widmen.
Nachdem in den fünfziger Jahren die Photographie
immer mehr Einfluss auf die Portraitherstellung gewann,
wandte Franz Hanfstaengl dieser neuen Sonne der ver-
vielfältigenden Kunst seine volle Aufmerksamkeit zu,
in richtiger Erkenntniss der grossen Tragweite, welche
diese geniale Erfindung auf die vervielfältigende Kunst
für alle Zukunft gewinnen möchte. In seinem Sohne
Edgar, der sich inzwischen in der Welt umgesehen
hatte und von weiten Reisen, die sich bis China erstreckten
und als deren Frucht u. A. ein für die Ethnographie und
Länderkunde damals werthvolles photographisches Werk
< China und der Osten » entstand, zurückkam, fand er
einen eifrigen, von neuem universellen Standpunkte aus
die Entwickelung des Institutes anstrebenden Mitarbeiter.
Es gelang Beider Bemühen, auch auf photographi-
schem Wege dem Atelier Hanfstaengl den Ruf eines
ersten Portraitateliers zu erringen, so dass es für den
München besuchenden Fremden programmgemäss wurde,
sich aus demselben sein Portrait mitzunehmen.
Am 12. November 1868 übergab Franz Hanfstaengl
seinem Sohne Edgar das Institut, um den Abend seines
an Arbeit und an Ehren reichen Lebens mehr künst-
lerischen Liebhabereien widmen zu können ; er konnte
nur wenige Jahre — er starb 18. April 1877 — dieser
Ruhe sich erfreuen.
38
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Mit diesem Wechsel trat eine neue Aera für das
Haus ein, welche Hand in Hand ging mit der grossen
Entwickelung der bildenden Künste in Deutschland und
besonders in München. Hatte die Photographie bis da-
hin ganz Hervorragendes geleistet in ihrer Anwendung
auf Portrait und Landschaft, deren Resultate grös-
seren oder geringeren künstlerischen Werthes noch
mehr von der individuellen Begabung des Photographen
abhingen wie heutzutage, wo es die Trockenplatte und
das Rufungsrezept fast Jedem möglich macht, ganz leid-
liche Erfolge zu erreichen, so lag doch die photo-
graphische Technik in ihrer Anwendung auf weitere
Gebiete, so namentlich in Anwendung auf die Repro-
duktion von Oelgemälden etc. in Deutschland in den
Anfangsstadien. Edgar Hanfstaengl betrachtete es als
hauptsächliche Aufgabe seiner Anstalt, die Photographie
der Reproduktion von Gemälden immer dienstbarer zu
machen; er konnte sich der Durchführung dieser Pläne
umsomehr widmen, als er für das Porträtfach in seinem
Bruder Ernst eine künstlerisch veranlagte Kraft zur Seite
hatte. Manch' technische Schwierigkeit in Bezug auf
Beleuchtung und Farbenbeherrschung stellte sich ent-
gegen und war zu überwinden ; aber schon nach kurzer
Zeit hatten die Hanfstaengl'schen Reproduktionen die
allgemeine Schätzung des Künstlers und Kunstfreundes,
trotz der namentlich aus Frankreich stark herüberwehen-
den Luft, sich zu erwerben vermocht und in dieser Ver-
vollkommnung ist es immer weiter vorwärts gegangen.
Mit der Entwickelung der deutschen Kunst, be-
sonders der Münchener Piloty-Schule , hatte sich, wie
schon erwähnt, dem Hanfstaengl'schen Verlage eine
Fülle von Thätigkeit und Vielseitigkeit erschlossen. Die
vortrefflichsten Schöpfungen dieser Periode wie der
späteren Kunstbewegungen haben ihre Vervielfältigung
daselbst gefunden , so dass die « Galerie moderner
Meister » , unter welcher Flagge die Werke der zeit-
genössischen Malerei veröffentlicht wurden, zu der im-
posanten Ziffer 8000 angewachsen ist. Berücksichtigt
man, dass ungefähr jedes dieser 8000 Sujets in durch-
schnittlich drei verschiedenen Formaten und diese wieder
in verschiedenen Reserven vorgesehen wurden, so er-
giebt sich leichtlich die respektable Summe von 30000
Negativplatten. Diese umfangreiche Kollektion bildet
denn auch für alle Zukunft das getreueste Spiegelbild
des künstlerischen Schaffens der letzten 25 Jahre in
Deutschland; die publizirten Werke, auch nur nach
deren Autorennamen, zu nennen, würde zu weit führen
und kann nur konstatirt werden, dass viele der hervor-
ragendsten Künstler der Gegenwart mit der Summe ihres
Schaffens im Hanfstaengl'schen Verlage vertreten sind.
Wie auf dem Gebiete der modernen Kunstrepro-
duktion die Firma Hanfstaengl eine dominirende Stellung
sich errang, so hat sie sich auch bezüglich der Ver-
vielfältigung von Werken alter Meister direkt nach den
Originalen in die erste Reihe zu stellen gewusst. Die
umfassenden Publikationen der Gemäldegalerien zu
München, Berlin, Dresden, Cassel, Amsterdam, Haag,
Brüssel, Haarlem, die Schätze in Buckingham Palace
und Windsor Castle in London, wie der Liechtenstein-
Galerie zu Wien, legen das beste Zeugniss hierfür ab.
Die Hanfstaengl'schen Reproduktionen der modernen
wie alten Schulen sind fast sämmtlich in unveränder-
lichem Kohledruck, welcher unter Anwendung eines dem
Institute eigenthümlichen isochromatischen Aufnahme-
verfahrens hergestellt wird, ausgegeben und als Bestes
ihrer Art allgemein geschätzt.
Um das Kohledruckverfahren, welches zu den
empfindsamsten aber auch edelsten Vervielfältigungs-
mitteln gezählt werden darf, der höchsten Entwickelung
zuzuführen, war die Einführung eines grossen maschinellen
Fabrikationsbetriebes nothwendig geworden. Die in
grossem Stile geschaffene Anlage, deren spezielle Ueber-
wachung Hofrath Edgar Hanfstaengl sich besonders an-
gelegen sein lässt, kann als eine Mustereinrichtung be-
zeichnet werden, welche ihresgleichen an Ausdehnung
und Präzision nicht hat.
Neben dem Kohledruckprozesse werden alle übrigen
bekannten technischen Vervielfältigungsmethoden, soweit
sie sich für Anwendung in grossem Stile eignen, in zu-
meist dem Institute eigenthümlichen Manipulationen, aus-
geübt. So die einen Ersatz für Stich oder Radirung
bildende Photogravure (Kupferätzung) in anerkannt künst-
lerischer Vollkommenheit — man betrachte neben den
zahlreichen Blättern der modernen Kunst die neuesten
Kupferätzungen nach Dürer-, Rembrandt-, Hals -Origi-
nalen und das, in seiner frappirenden Originalwirkung
alles nach diesem Kunstwerke Vorhandene in den
Schatten stellende, grosse Blatt der Sixtinischen Ma-
donna. — Dann die Aquarellgravure, welche in ge-
treuester Uebersetzung den Farbenzauber des Originals
wiederzugeben sich zur Aufgabe macht und sowohl in
ihrer Anwendung bei Herstellung von grossen Einzel-
DIE KUNST UNSERER ZEIT
39
blättern wie in Bezug auf Prachtwerkpublikationen die
vervielfältigende Kunst auf weitere neue Bahnen geleitet
hat. Auch die rascheren und allgemeinerer Anwendung
gewidmeten Reproduktionsmittel als da sind Lichtdmck,
Autotypie und Zinkographie (Buchdruckverfahren), werden
in ausgedehnter Weise zur Ausführung gebracht.
In dieser stetigen Entwickelung ist die Firma Franz
Hanfstaengl, welcher im Jahre 1891 die Ehre zutheil
wurde, zur Kgl. Bayer. Photogr. Hofkunstanstalt ernannt
zu werden, in dem Zeiträume eines Vierteljahrhunderts
zu einem Welthause vornehmster Bedeutung und zum
vielseitigsten Kunstinstitute der Welt überhaupt heran-
gereift. Die in London und New -York bestehenden
Filialen sorgen neben dem Münchener Stammhause mit
kräftigem Flügelschlage dafür, dass die Schöpfungen
deutscher Kunst und deutschen Geistes in alle Welt
getragen werden.
Hofrath Edgar Hanfstaengl aber, dem gelegentlich
dieses Jubiläums die wärmsten Glückwünsche von Nah
und Fern entgegengebracht wurden, durfte an diesem
Ehrentage mit Stolz und freudiger Genugthuung auf
ein Vierteljahrhundert erspriesslichsten Wirkens zurück-
blicken, beseelt von dem Bewusstsein, einer der vor-
nehmsten kulturellen Aufgaben der Gegenwart seine
ganze Kraft und seine Talente gewidmet zu haben.
JD. 3ischofF.
•- ft^^^}^-4-'
Die Akademie
VON
KARL RAUPP.
Bei den revolutionären Tendenzen der modernsten
Kunstrichtung, bei der Verneinung alles dessen,
was seither in den Zielen der bildenden Kunst
als erstrebenswerth gegolten, wird gar häufig auch der
vornehmsten Bildungsanstalt für den angehenden Künstler,
der Akademie, das Urtheil gesprochen. Eine der ver-
nichtendsten Bezeichnungen unserer Kritik ist der Aus-
druck « akademisch » , das heisst mit anderen Worten
«herkömmlich, veraltet, zopfig, langweilig, schablonen-
haft !s Alle diese liebenswürdigen Begriffe lassen sich
in dem Worte « akademisch 1^ vereinigen.
Solche, meist recht gedankenlos ausgesprochene,
proklamirte Schädlichkeit der akademischen Ausbildung
erzeugt dann von selbst den Wunsch, die Ursache all'
dieses Uebels aus der Welt zu schaffen, die künstlerische
Individualität durch Aufhebung jeder staatlichen För-
derung oder Bevormundung frei von allen Fesseln sich
entwickeln zu lassen.
Wohin dies führt oder führen kann, sieht jeder, dem
die Verhältnisse den Einblick gestatten, nur allzu deutlich.
Von diesen lockenden Lehren angezogen, verlässt
der Kunstjünger jetzt vielfach vor vollendetem Studien-
gang die Akademie und beginnt in einem freien Atelier
nach eigener Fagon die künstlerische Zukunft sich zu
erobern.
Ohne selbständiges Urtheil, mit unzureichendem, un-
fertigem Können ausgerüstet, auf die unsichern, sich wider-
sprechenden Urtheile der gleichaltrigen Freunde nur an-
gewiesen und besonders unter den verwirrenden Ein-
drücken der sich drängenden Ausstellungen, in welchen
dem Anfänger nur die Extravaganz imponirt , geht so
manches anfänglich schöne Talent hoffnungslos zu Grunde.
6*
40
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Jeder bedeutende Künstler, es gehört dies fast immer
zu dessen Biographie, ist von irgend einer Akademie als
talentlos bezeichnet worden. Manchesmal trifft dies auch
zu und man sollte glauben, dass eben doch die schon
erwähnte Pedanterie und eingerostete Schablone solcher
Behörden die Schuld an solchem Ausspruch trage. Allein
der Studirende, der sich in eine bestimmte Schule zur Vor-
bereitung aufnehmen lässt, darin recht herzlich schlechte,
nehmen wir an, figürliche Studien verbricht, kann den-
noch eine bedeutende Begabung für die Landschaft oder
das Thierfach besitzen; es ist begreiflich, dass seine der
Akademie nur bekannten Leistungen dies nicht ver-
rathen haben.
Als Nachfolger Professor Strähuber's war mir eine
Zeitlang der Antikensaal der Münchener Akademie über-
tragen worden. Einer meiner Schüler, ein junger Pole,
stümperte jammervoll an den armen Antiken herum, mir
und ihm zur Qual. Es war gut, dass er häufig fehlte
und endlich ganz ausblieb. Bald darauf sah ich hinter
den Scheiben einer bekannten Kunsthandlung ein Bild
in blitzendem Goldrahmen, das den Namen des unglück-
seligen Antikenschülers trug. Ich traute meinen Augen
kaum, — die bekannte polnische Winterlandschaft mit
schmutziger Landstrasse, ein aus dem Bilde heraus-
jagender bespannter Schlitten in möglichst grasser photo-
graphischer Verkürzung, das polnische Bilderrezept nach
bekannten guten Mustern! Allerdings, das fachmännische
Auge durchschaute sofort das Geheimnis der Herstellung,
aber in seiner Erscheinung war das Bild entschieden dem
Kunsthändler eine brauchbare Waare. Fand das Bild
alsdann vielleicht Aufnahme in einem photographischen
Kunstverlage, so hatte sich der Antikenschüler mit einem
Male unter die «modernen Meister» geschwungen und
das Recht, auf die Akademie, deren Schädlichkeit und
Unterdrückung der Künstlerindividualität zu schimpfen.
Es ist nicht zu leugnen, der Akademie des vorigen
Jahrhunderts und der Zeit der klassischen Periode unter
Cornelius sind die Vorwürfe der Einseitigkeit und des
künstlerischen Zwanges nicht zu ersparen. Die ganze
Kunstanschauung des 1 8. Jahrhunderts erklärt die manier-
istische, schablonenhafte Art, welche den Kunstunterricht
dieser Zeit kennzeichnet. Unter Cornelius herrschte der
Stil, die Kontur, unter Aufgabe aller rein malerischen
Bestrebungen.
Die Antike, der Akt und die Draperie füllten das
Programm der damaligen Lehre aus. Eine Ausbildung
in der Farbe erschien unnöthig. Hatte man ausstudirt,
war der Künstler fertig, so gewöhnte man sich damals
noch ein wenig das Malen an!
So kam es denn, dass, als der Drang nach maler-
ischer Ausbildung die strebende Jugend mehr und mehr
ergriff, diese nach Antwerpen zu wandern gezwungen
war, an dessen Akademie unter Wappers besonders
Dykman's Schule die Maltechnik zu einer in Deutschland
noch völlig unbekannten Vollkommenheit ausgebildet hatte.
Die einstmalige Akademie war eben auch nur der
Ausdruck ihrer Zeit und genügte den Ansprüchen, welche
die herrschende Kunstanschauung an dieselbe stellte.
Deren Bestrebungen sind selbstverständlich nicht minder
von bestimmenden Einfluss auf den Unterricht gewesen,
als es die heutige malerische Anschauung auf die gänzlich
veränderte Lehrweise der modernen Kunstschule jetzt
ist. Wenigstens da, wo sich, wie in München, ein viel-
gestaltiges Kunstleben dominirend geltend macht.
Aber ist es billig und vernünftig, die staatlichen
Kunstbildungsanstalten als überflüssig zu verdammen,
weil einzelne Künstler ohne deren stützende Hilfe Be-
deutendes geleistet haben.? Oder weil bei führenden,
hervorragenden Geistern in der späteren Eigenart ihres
Schaffens nichts an deren einstigen Studiengang erinnert?
Ein solcher Eiferer z. B. verdammt in der « Zukunft »
frisch und fröhlich allen akademischen Unterricht. « Fort,
mit Perspektive, Anatomie, Kunstgeschichte und An-
tike ! » ruft der Kenner unserer Akademien dann weiter,
«überflüssiger Kram, der den naiv studirenden Kunst-
eleven fortan nicht mehr belästigen soll». Der Autor
ist wohl kein Künstler und nimmt vielleicht das rabul-
istische Raisonement seiner modernen Freunde für baare
Münze! Es scheint ihm nicht völlig klar zu sein, dass
Perspektive und Anatomie das künstlerische Studium
vor der Natur erleichtern und eine Unkenntnis dieser
Hilfsfächer die Ausführung gar mannigfacher malerischer
Aufgaben scheitern lassen würde.
Kein wirklicher Künstler wird die Zwecklosigkeit
dieser Lehrfächer bejahen. Allerdings, eine allzu breit
angelegte Perspektive und Projektionslehre wie eine
wissenschaftliche , medizinische Anatomie ist darunter
nicht zu verstehen. Für letztere vor allem genügt ein
durch zeichnerisches Studium erlangtes anatomisches
Verständnis des Knochen- und Muskelbaus. Und warum
soll dem jungen Maler der Blick in die Entwicklung
vergangener Perioden seiner Kunst verwehrt sein?
Cuno von Godenhauaen pinx.
t^opyriglit 189.J by F. HaiifstaeiHfl, München.
Frühlingstraum.
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03
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
41
Doch wohl nur desshalb , damit sein Glaube an die
allein seligmachende Grösse der modernen Götter nicht
alterirt werde?
Ich vermöchte sonst wahrhaftig keinen Grund ein-
zusehen 1
Allgemeine Bildung müsste nach dieser Theorie der
Kunstausübung schädlich und das Wort, das die Kunst als
die feinste Blüthe der Kultur bezeichnet, alsdann kaum
zu begründen sein. Die Akademie bietet in ihren Ein-
richtungen und Sammlungen, in ihrer Bibliothek und
ihren sonstigen Lehrmitteln den Studirenden, welche
sich ja aus allen Lebenskreisen zusammen finden,
Gelegenheit zur Weiterbildung, d. h. für den, der sich
weiter bilden will; als Hochschule kennt sie keinerlei
Zwang und allen zur Fahne der eben gehörten An-
schauung Schwörenden ist es unbenommen, die schäd-
lichen Einrichtungen zu fliehen. Sicher aber ist es die
Aufgabe einer richtigen Kunstlehranstalt, dem werdenden
Künstler alle jene Bildungsmittel zu bieten, die ein
höher strebendes Talent zur Erreichung der gesteckten
Ziele unbedingt bedarf und welche ihm der frühere
Lebensgang mehr oder weniger versagte.
Das figürliche , künstlerische Studium benöthigt in
erster Linie der staatlichen Hilfsmittel zur Ausbildung.
Ein gründliches Studiren nach dem lebenden Modell
und was damit zusammenhängt, ist für den unbemittelten
Kunstjünger unter den heutigen Verhältnissen fast aus-
geschlossen. Die umfassenden, hierzu nöthigen Einricht-
ungen vermag der Einzelne sich nicht zu beschaffen.
Privatschulen dagegen , grösstentheils der Vorbereitung
für die Akademie dienend, werden immer, ganz abge-
sehen von dem damit verbundenen, weit höheren Geld-
aufwand für den Schüler, in den nothwendigsten Ein-
richtungen weit hinter der Akademie zurückstehen müssen.
Einen Haupttheil des Lehrprogramms der Aka-
demie ergeben die technischen Schulen, das Zeichnen
nach der Natur, der Akt und das Malen nach der
Natur. Auf der Münchener Akademie wird in der so-
genannten «Naturklasse», eine merkwürdige Bezeichnung
allerdings, der Studienkopf und der lebensgrosse Akt
zeichnerisch studirt. Die genaue Kenntnis der Form,
das Verständnis in der zeichnerischen Wiedergabe wird
hier in erster Linie betont, die malerische Erscheinung
im Ganzen, in Licht, Schatten und Tonwirkung aber
nicht minder vollständig dabei zum Ausdruck gelangen
müssen. Das darin geübte Auge geht beim Malen
leichter und sicherer der farbigen Wirkung nach. Der
Abendakt hat die Aufgabe, den menschlichen Körper
in seinen Verhältnissen und Bewegungen rasch und
sicher kennen und auffassen zu lernen. Es wird dies
erreicht durch möglichst einfache zeichnerische Behand-
lung, bei welcher eine lebendige Kontur mit einfacher
Angabe des Formverständnisses wie der Hauptmassen
in Licht und Schatten einer hier unnöthig weitge-
triebenen plastischen Wirkung in Schwarz und Weiss
vorzuziehen ist. Der Individualität des Schülers sollte
die Behandlungsart der Ausführung schonend über-
lassen, dessen Handschrift immer sichtbar sein.
Gleichmässigkeit der Arbeiten einer Schule darf in
der Erscheinung sich nur bis zu einem gewissen Grade
geltend machen. Jedenfalls nicht mehr als das gleiche
Modell und dieselben Beleuchtungsbedingungen dies er-
klärlich erscheinen lassen. Eine darüber hinausgehende
Gleichartigkeit dokumentirt stets eine über das erlaubte
Mass geübte Beeinflussung des Lehrers. Die Münchener
Akademie löste vor mehreren Jahren schon den Antiken-
saal als Lehrmittel für den Anfänger auf Die Er-
fahrung zeigte das geringe Verständnis des Studirenden
gegenüber der Formvollendung dieser classischen Vor-
bilder; ein Verständnis, das ja nach vorangegangenem
Naturstudium in Wirklichkeit erst zu erwarten ist. Der
Schüler begreift vor diesem Studium nur das äusser-
liche der stilisirten, übersetzten Form der Antike, welches
ihm dann eher hinderlich als förderlich vor der lebend-
igen Natur wird.
Zudem ist der naturalistische Zug unserer Zeit,
beim jüngsten Anfänger fühlbar, einem Festhalten bei
der Antike nicht günstig. Wird auch vielleicht des
Schülers Blick geschärft für die Verhältnisse des mensch-
lichen Körpers durch vorheriges Zeichnen nach antiken
Figuren, so darf man doch fragen, ob dieser Vortheil,
der ja auch vor der Natur erreicht wird, den Zeitverlust
aufwiegt, den der Antikensaal dem Studirenden seither
gekostet.
Eine weit wichtigere Stelle fiir die Ausbildung des
Künstlers gebührt der sogenannten «Komponirschule»,
richtiger « Meisterschule » genannt.
Die Pariser Akademie kennt diese Einrichtung nicht.
Dieselbe wird daher auch in München vielfach ange-
griffen. Aber gerade dieser Erweiterung unserer Aka-
demie verdankt die Münchener Kunststadt einen sehr
wesentlichen Theil ihrer Entwicklung. Man erinnere sich
42
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
nur an Piloty's Schule, aus welcher Münchens klang-
vollste Namen hervorgingen. Und heute wie damals
ist's der Boden, aus dem die junge Kraft der Münchener
Schule herauswächst. Die endgiltige praktische Bethät-
igung des erlangten Könnens zeitigt die Komponirschule.
In den Vordergrund wird hier die Individualität
des jungen Künstlers gestellt, er hat dann auszugeben,
was in ihm liegt und was er aus dem seither Gelernten
zu machen versteht. Eine eigenartige, kraftvolle, künst-
lerische Anlage tritt hier bereits in ihren ersten Schöpf-
ungen unverkennbar zu Tage, sie nützt des Lehrers
stützende Leitung begreiflicher Weise weit selbständiger
aus , als es einem , noch mit sich unklaren , noch
schwankenden Wollen, das sicherer Anlehnung dringend
bedarf, gelingt. Bei Letzterem ist denn auch der so
viel geschmähte überwiegende Einfluss des Lehrers
sichtbarer und das Schulbild fertig. Ist dies denn aber
ein Unglück? Doch nur dann, wenn der unverkenn-
bare Stempel des Meisters allen Schöpfungen seiner
Schüler dauernd und gleichmässig aufgedrückt erscheint.
Da aber, wo die eigene Schaffenskraft nur noch
nicht geweckt ist, wird sie mit dem ersten, unter thät-
igster Mitarbeit des Lehrers vollendetem Bilde erwachen,
von Werk zu Werk die Individualität schärfer hervor-
treten, der Schüler sich klar werden, was zum Bilde
gehört und was sein künstlerisches Ziel und Ideal ein-
mal sein wird.
Mag dann später des Schülers Schaffen diametral
dem seines einstigen Meisters entgegenstehen, die Hilfe,
die der Emporklimmende bei den ersten Schwierig-
keiten seiner selbständigen Schöpfungen in den Unter-
weisungen seines Lehrers fand, hat ihm über sonst un-
übersteigliche Schwierigkeiten hinübergeholfen, ihm den
Weg abgekürzt und geebnet, mehr als derselbe viel-
leicht selbst ahnt und mit Dank anzuerkennen sich ver-
pflichtet fühlt.*
Die modernen Anschauungen in der Kunst, jeder
Autorität den Krieg erklärend , lassen denn auch des
betreffenden Verfassers gewagte Behauptung verstehen,
« der junge Künstler lernt nur durch die Ausstellungen ! »
Die äusseren Einwirkungen eines grösseren Kunst-
lebens .sind gewiss von anregender Förderung auf die
Entwicklung eines angehenden Künstlers und vieles was
von aussen kommt, gibt bei seinem Studium ihm den
Anstoss zu fortschreitender Erkenntnis. Die alljähr-
lichen Ausstellungen jedoch, wie wir sie jetzt in München
haben, verwirren nur das unreife Verständnis, bringen
mehr Aufregung als Anregung unter die studirende
Jugend. « Den Kraftvollen unter den Künstlern fällt
heute die Erziehung zu». Gut, — wer garantirt uns
dann aber, da.ss es nur die wirklich innerlich tüchtigen
Leistungen auf den Ausstellungen sind, welchen die
Jugend nachzustreben sucht und nicht meist die Augen-
blick.sblender ohne nachhaltige Kraft mit ihren Extra-
vaganzen und Modethorheiten, die heute glänzen in
erborgtem Schimmer und morgen, übertrumpft von
Anderem, vergessen sind. Wir sehen die Mode in
der Kunst in unseren Ausstellungen wechseln wie in
einem Damenkleidermagazin. Kein Wunder, wenn die
Verwirrung steigt und das Kaleidoskop so verschieden-
artiger Eindrücke gar manches hoffnungsvolle Talent auf
sonderbare Wege führt, aus denen nimmer ein Ausweg
zu finden.
Klar ist, dass die Akademie als künstlerische Hoch-
schule des Staates ein gewisses konservatives Element
in dem Wirrsal streitender Richtungen und Meinungen
in der Kunst bildet, ohne dass die nothwendige Folge
pedantische , veraltete und einengende Lehrprinzipien
sein müssen. Die Münchener Akademie weiss sich
auch von Letzterem vollständig frei, der scharfe Wind,
der von aussen stets hereinweht, schützt davor und ein
objektiver Beurtheiler der alljährlichen Ausstellungen
der Arbeiten der verschiedenen Schulen wird schwer-
lich einen solchen Vorwurf daraus zu begründen ver-
mögen. Die Einwirkung des Staates auf die künstler-
ische Bildung durch seine Anstalten gibt der Entwick-
lung des ganzen Kunstlebens die sichere Basis, die ihr
die Zukunft verbürgt.
Die verbreiterte zeichnerische Fähigkeit hebt die
Leistungsfähigkeit des ganzen Volkes auf jedem Gebiet
der Kunst und des künstlerischen Gewerbes. Frank-
reich zehrt heute noch an den wohlthätigen Folgen
der weitsichtigen Kulturpolitik seines Colbert, welcher
in den staatlichen Kunstanstalten und Schulen den Grund
zu der Jahrhunderte dauernden Herrschaft Frankreichs
im Reiche des Geschmacks gelegt, damit die Welt
der französischen Industrie dienstbar und sein Land
reich gemacht hat.
Unsere Bilder.
Bilder schauen — es heisst durch die Welt fliegen;
es heisst Märchen lauschen, wie sie Schehere-
sahde nicht buntfarbiger zu erzählen vermöchte.
Es heisst, sich tragen lassen, rascher als der schnellste
Blitzzug fährt, von dem Zaubermantel der Kunst, von
Norden nach Süden , aus abendlichem Frieden in
Strassen-Gewirr, aus elegantem Salon in niedere Senn-
hütte, von ernsten Schauern zu muthwilligem Lachen,
vom Krankenbett in den Wald; zurück in's Mittelalter,
in die Römerzeit , vom Sagenreich in die modernste
Wirklichkeit. Eine Fluth von Eindrücken, die da an uns
heranströmen in heftigem Wechsel; einjagen vonEmpfind-
ungen, von Erinnerungen, von Fragen und Gedanken!
„Cuno von Bodenhausen: Friihlingstraum.'^
Ein holdes Mädchengesicht von jenem Künstler,
der so zart empfindet in unserer herbgearteten Zeit
und der zum Liebling des Publikums geworden, nicht
blos in Europa, auch über dem Ocean, — in zwei Welten,
— weil er eine weichere, schönere Welt dichtet, weil er
dem hungernden Gemüthe Märchen-Gestalten vorzaubert.
Ein zartblauer Himmel, eine schüchterne Sonne.
Leises Zwitschern , leises Rieseln. Weisse Wölkchen
schweben wie kleine beflügelte Engelsköpfchen , zart
und rosig und silbergefiedert. Zuweilen unterbricht ein
Mövenschrei die traumhafte Stille. Wie ein Pfeil zuckt
die Frühlingsbotin durch die Luft; dann wieder Ruhe;
nur das feine kosende Locken der Vögel.
Und in diesen erwachenden Keimen, in dieser von
Lebensdrang durchzitterten Landschaft, in dieser März-
schwüle — eine junge Seele. Gleich einer Liebkosung
streicht die weiche, milde Luft um die Wangen. Eine
süsse Mattigkeit breitet sich über die Glieder. Unwill-
kürlich schliessen sich die jungen Augen: Wie dieser
warme Frühlingshauch bestrickt und berauscht; wie er
glühen und schaudern macht; wie er, mit Schöpfer-
gewalt auch in der Mädchenbrust ein Neues weckt, ein
geheimnissvolles, nicht in Worte zu fassendes Taumel-
Gefühl — selige Wehmuth, hoffnungsvolle Sehnsucht.
Märzveilchen duften. Auf den Wiesen thaut die
Sonne das letzte Winter -Eis im Schattenwinkel. Es
pocht, es regt sich, es keimt und sprudelt ringsum in
Lebensfülle.
Von der jungen Stirne aber fächelt der warme
Hauch den Kindertraum.
So weit, so weit wird das Herz; aus all den leise
flüsternden Stimmchen, selbst aus dem schrillen Möven-
schrei klingt's wie eine beklemmende, bestürmende Frage
« Erwach auch Du ! Komm ! O komm 1 »
Sie weiss nicht, wohin es sie ziehen will mit diesem
mächtigen Drängen. Es lockt in die Ferne, fort, fort,
mit den Wolken, mit den Vögeln, in ein weites Wunder-
land. Zugleich aber taucht doch auch aus naher Er-
innerung ein junges Gesicht empor, ein Männerkopf mit
warmen Augen, wohlbekannt und doch fremd, in wunder-
samer Verklärung; ein jähes Erschrecken, ein banges
Glück pocht durch das Herz. Es ist, als spräche dieser
Mund, bestrickender, glühender als das heimliche Flüstern :
« Erwach auch du ! Komm ! O komm ! »
Aus dem knospenden deutschen Frühling fort auf
dem Zaubermantel in heisses südliches Leben.
„Augusto Corelli: Italienische Hochseitsfeier."
Es liegt Wärme, Leidenschaft, Farbe und Gluth
schon in den zwei Worten.
Man fühlt ordentlich die Schwüle in dem menschen-
erfüllten Raum, in den ein Stückchen tiefblauen Himmels
hereinleuchtet. Man meint den Lärm zu hören aus all
diesen Kehlen, die so gewohnt sind zu singen und zu
schreien, in den lebhaften offenen Lauten ihrer Sprache.
Die Rosen auf dem Tische welken. Aber die Lippen
glühen und die dunklen Augen brennen unter dem
schwarzen Locken-Gewirr. Der Bräutigam flüstert seinem
jungen Weib verliebte Worte in's Ohr. Aber er ist
nicht der Einzige, der liebt und schmeichelt und bittet
und einem heissen Blicke begegnen möchte. Die Schönste
jedoch, mit den tollsten Augen trinkt einem fernen Glücke
zu und winkt es heran mit lachenden Lippen. Der
Brautvater gibt sich mit dem Behagen des Alters dem
Genuss einer köstlichen Birne hin und kümmert sich
nicht um das lose junge Volk, dessen Flüstern und
Kichern und Lachen die Stimme des Festredners ver-
schlingt, der das feierliche Hochzeits-Carmen vorträgt.
Am Ende der Tafel sinnt ein Anderer, nachdenklich
und mühevoll, auf seinen Trinkspruch. Gravitätisch,
ernst und strafend schaut eine verblühte Schöne neben
ihm unter ihrem weissen Kopftuch hervor auf die über-
müthigen jungen Gesichter in ihrer Reihe. Glühende
Lebensfreude, sorgloses Augenblicks -Glück strömt in
feurigen Wellen über die Festtafel hin; aus den Chianti-
44
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Flaschen, aus den Gläsern steigt ein leiser Taumel empor
und fliegt durch den lauten, heissen Raum, als wäre
Dyonisos, der alte Gott wieder mächtig geworden in
seinem schönen Bereich.
Hinaus in's Freie 1 Wir wandern rasch. Stille Bäume ;
eine einsame, ernste Landschaft.
„Gilbert von Canal: Landschaft.'^
Durch weisse Wolken flimmert die Sonne. In einem
Tümpel spiegelt sich Gestein, ein morscher Baumstamm,
das Ufergestrüpp, von Lichtfunken durchsprüht. Sonst
nur Grün, Grün in allen seinen Tönen und Abstufungen,
herrliches Blättergewoge und der Duft der Einsamkeit.
Das grosse beredte Schweigen der Natur liegt über den
Wipfeln.
«Und aus Fels, aus Baum, aus Fernen
Lesen wir die alte Keilschrift,
Die der Haufe nie versteh'n mag,
Das Gesetz des ewig Schönen. >
Eine Bewegung der Hand und wir sind aus der
grossen Weltabgeschiedenheit in einen gepflegten Park
versetzt vor eine winzige blonde Engländerin.
„Edith Scanneil: Die kleine Ezm.^^
Der Apfel! Der Apfel!
Wie rosig er da oben hängt, wie lockend, wie nah !
Aber die Aermchen reichen doch nicht hinauf. Sonst
könnte sie wohl dem reizvollen Anblick nicht wider-
stehen. Sie müsste ihn holen, trotz des strengen Ver-
botes. Der Apfel, den sie nicht haben soll, nicht haben
kann, er schmeckte gewiss so süss, viel süsser als jeder
andere. Sie vermag die Aeuglein nicht abzuwenden
von der verbotenen, verführerischen Frucht. Die schöne
Puppe hängt ganz vergessen in der Hand, sträubt ihre
Flachshaare und wird im nächsten Moment zu Boden
gleiten. Die Puppe ist langweilig. Ungeduldiges Ver-
langen, nutzlose Sehnsucht erfüllt das Herzchen. So
geht's an. Und wenn dann die Kleine grösser wird,
wenn die Arme ein bischen weiter reichen und immer
noch das Versagte, das Verbotene lockt — dann gibt
es böse, böse Geschichten. Ja, Ja, der Apfel ! der Apfel !
Ein neuer Flug. Wir sind wieder im Süden.
„ Angelo DairOcca Bianca : Auf der Brücke."^
Das Strassenleben, das ewige Wechseln und Wan-
dern auf einer Brücke, es ist das perpetuum mobile einer
Stadt; es ist die Fluth und Ebbe in einem Menschen-
meer. Tausende laufen da hin und her, geputzt und
zerlumpt, hungrig und übersatt, mit keckem Augenschlag
oder mit [fromm gesenktem Blick; der eine geht zu
einem Taufschmaus, der andere auf den Friedhof; der
eine zu einem Liebchen, das ihm lachend in die Arme
fliegt, der andere zu einem stirnrunzelnden Vorgesetzten.
Und nun gar im Süden, wo man nicht hastig durch
den grauen Nebel hineilt, wie bei uns, wo man lebt
auf der Strasse ! Welche Fülle von Bildern, welches
Kaleidoskop von wechselnder Farbe! Wenn auch die
Damen die Hände in den Muff" stecken, die Mädchen sich
in ihre Tücher wickeln, wenn auch im Wind die Röcke
fliegen, es wird hier dennoch stillgestanden und geplauscht.
Die Frauen, die vom Einkaufen kommen, müssen sich
die Stadtneuigkeiten erzählen, und es wird ihnen warm
vor Neugier und vor Entsetzen über ihre bösen Neben-
menschen. Auch den Jungen wird es warm, wenn sie
gleich mehr mit den Augen reden als mit den Lippen.
Ein Geistlicher geht seines Weges und schaut nicht
rechts und nicht links, damit er nicht sehen muss, was
für Liebesthorheiten da wieder angezettelt werden ; die
elegante Dame mit der Zofe schreitet vorüber, ein dralles
Kind auf dem Arm der hübschen Mutter lutscht vergnügt
an seinem Brod ; dahinter kommen ernster und würdiger
ein paar Alte aus der Kirche. Die Sonne lugt ein wenig
hervor, blitzt auf dem Wasser und umfluthet das bewegte
Bild, die bunten Gestalten mit reizvollem Lichtzauber.
Ein neues Blatt!
„R. C ollin: Der Schlaf"
Die Kunst, die grosse Hexenmeisterin, hat einen
Schleier emporgehoben und zeigt uns das Holdeste, das
Berückendste, was die Erde kennt: einen zarten, rosigen
Mädchenkörper, unverhüllte, jungfräuliche Schönheit.
Wie ein Feenkind liegt das schlanke, junge Geschöpf
im Grün : die langen Haare strömen wie leuchtende
Wellen um die süssen Glieder; das Händchen greift in
die Luft, als wollte es haschen nach einem Traumglück,
das vorüber fliegt.
Man meint zu sehen, wie die junge Brust athmet,
wie Schmetterlinge über sie hingaukeln, in welchem
Frieden sie da ruht, mitten in der Natur, — selber nur
Natur, ihr schönstes Werk, eine grosse, herrliche Blume.
Es ist Frau Venus, die uralte, ewig junge, das Ideal
der Schönheit, nach dem alle Künstler trachten, von dem
alle Dichter singen: ein weisser Frauenleib in seiner
schlanken Fülle, mit seinen weichen Wellenlinien.
Und Poesie webt um das hüllenlose Weib ihren
Duft. Mit ihren geschlossenen Augen schlummert sie
wie in Paradieses-Unschuld.
CO
o
m
l-l
Edith Scannen pinx.
Copyright 1803 by V. Hanfstacngl, München.
Die kleine Eva.
Sterzing an der Brennerstrasse als Studienort
FÜR Künstler und Kunstforscher
VON
BERTHOLD RIEHL.
I s hat einen eigenen Reiz, an einem rauhen April-
tage, die uns am Nordhange der Alpen ja zahl-
reich genug bescheeit werden, München zu
verlassen , um den nächsten Morgen in Italien , wenn
uns das Glück wohl will, bei lichtem, warmen Sonnen-
schein zu erwachen, in blumenreichen Gatten unter den
herrlich blühenden Bäumen spazieren zu gehen. Die
grossen Gegensätze von diesseit und jenseit der Alpen
treten uns da in voller Schärfe entgegen, sofort wird
sich das Verständniss dafür öffnen, dass in dem anders
gearteten Land ein anderes Volk und durch dieses
eine andere Kunst erwachsen musste, die durch den
mächtigen Grenzwall der Alpen geschieden werden.
Aber auch die alte Art zu reisen, sich in Tag-
märschen Italien zu nähern, hatte und hat ihre grossen
Vorzüge, denn bei dem langsamen Zurücklegen des
Weges sieht der aufmerksame Beobachter nicht nur die
grossen Gegensätze, sondern er findet auch feine Ueber-
gänge, er erfährt, dass, soweit die deutsche Zunge reicht,
auch die deutsche Kunst geht, ja mitunter noch ein
gutes Stück weiter, dass aber ihr eigenartiger Charakter
in diesen Thälern, welche den Norden und Süden seit
so alter Zeit verbinden , vielfach durch die Einflüsse
italienischer Kunst bedingt wird, wie wir andererseits
auf acht italienischem Boden zuerst, wie etwa in Trient,
noch manche Nachklänge deutscher Kunst finden, die
wir weiter südlich vergeblich suchen würden.
Die erste Stadt, die wir auf unserer Wanderung nach
dem Ueberschreiten des Brennerpasses betreten, ist Ster-
zing. Aber noch kurz ehe wir den interessanten Ort er-
blicken, fesselt unsere Aufmerksamkeit ein Bauernhaus
rechts der Strasse, das zum Dorfe Ried gehört. Es ist ein
einfaches, altes Haus, das aussen sehr schlicht und innen
nur durch die niedrigen Thüren und Wölbungen von
seinem Alter, durch den erheblichen Schmutz in den
fast höhlenartigen Räumen von der Annäherung an
Italien erzählt, und doch birgt das unscheinbare Haus
ein beachtenswerthes Kunstwerk, das namentlich hier
von Interesse, weil es uns sagt, dass wir auf der Wan-
derung nach Italien in eine neue Kunstsphäre eintreten.
Am Südende der der Strasse zugekehrten Seite des
Hauses nämlich sehen wir ein gutes Wandgemälde aus
dem Ende des 15. Jahrhunderts, es stellt St. Christoph
dar, wie er das Christuskind durch das Wasser trägt,
und den heiligen Jakobus , der unter einem gothischen
Baldachin steht. Die Bilder, die als malerische Zier
eines Bauernhauses schon wegen ihres hohen Alters
auffallen, sind keine gewöhnliche Bauernarbeit, wie sie
ja die Häuser in Tirol und Bayern so massenhaft zeigen,
sondern von einem geübten Maler, wohl aus der Schule
von Brixen, ausgeführt. Sie weisen auf die zahlreichen
Wandmalereien besonders des 15. Jahrhunderts hin,
welche die Kirchen und Schlösser Südtirols innen und
aussen bis zu den abgelegensten Kapellen schmücken
und die sowohl durch die Volksthümlichkeit als auch
durch die im Grossen und Ganzen weit höhere künst-
lerische Bedeutung der Wandmalerei dieser Gegenden
gegenüber der des übrigen Deutschlands bereits
italienische Einflüsse erkennen lassen.
Der Charakter dieser Wandgemälde auf deutschem
Boden ist acht deutsch und bleibt dies im Wesentlichen
bis zur Sprachgrenze, gleichwohl lässt aber doch manches
' an ihnen die Anregungen italienischer Kunst erkennen,
so schon an diesen Bildern in Ried der einfach grosse
46
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Wandgemälde aus dem Kreuzgang in Brixen.
Stil und das Ornament des Rahmens, je weiter südlich
wir kommen, desto klarer zeigt sich gerade in der
Wandmalerei der Zusammenhang mit der italienischen
Kunst. In Brixen und Umgebung ist derselbe schon
nicht mehr zu übersehen und die grossen Folgen von
Wandgemälden aus dem Anfang des 1 5. Jahrhunderts
in Bozen, Campill und Terlan deuten schon direkt auf
Giotto's berühmte Fresken der capella dell'arena in Padua.
Ein Wandgemälde sagt uns zuerst und noch hoch
am Brenner, dass wir auf dem Wege nach Italien einen
bedeutenden Schritt vorwärts gekommen und in der
Wandmalerei sehen wir auch beim weiteren Vordringen
nach Süden am deutlichsten die wachsende Zunahme
des Einflusses der italienischen Kunst. Dass gerade auf
diesem Gebiete die Kunst Oberitaliens besonders nach-
haltig auf die des Nachbarlandes wirkte, ist natürlich,
denn auf ihm entfaltet sich ja in Italien, für diese Gegenden
vor Allem in Padua, eine so hohe und eigenartige
Kunstblüthe, die auf die Nachbarn, sobald sie diese
imposanten Werke sahen, denen ihre heimathliche Kunst
nichts Aehnliches an die Seite stellen konnte, einen
mächtigen Eindruck machen mussten.
Wie acht deutsch aber sonst die gesammte Kunst
an der Südseite des Brenners war, dafür bietet gerade
Sterzing ein höchst interessantes Beispiel. Sterzing war,
woran heute noch seine zahlreichen, stattlichen Wirths-
häuser erinnern, die mehrfach noch hübsche alte Schilder
zieren, ein beachtenswerther Sammelpunkt für das reiche
Verkehrsleben an der Brennerstrasse. Das Eisackthal
erweitert sich hier und nimmt eine Reihe kleiner Seiten-
thäler auf und mit der grossen Strasse, die über Bozen
und Brixen heraufkommt , trifft hier der Saumweg zu-
sammen, der von Meran über den Jaufenpass geht.
Diese Lage begründet auch mit die grossen landschaft-
lichen Vorzüge Sterzings ; das Thal in dem von waldigen
Bergen umgeben das Städtchen so freundlich liegt, birgt
durch die Einblicke in die nahen Seitenthäler, vor Allem
durch den schönen Blick nach Westen auf die prächtige
Gletschergruppe des Riednaün, eine ausserordentliche
Mannigfaltigkeit in seinen landschaftlichen Bildern, und
Jeder wird es leicht begreiflich finden, dass jetzt häufig
Künstler das Städtchen zum Studienaufenthalt wählen.
Aber nicht nur die Landschaft fesselt hier den Künstler,
sondern vor Allem auch die alte Stadt mit ihren maler-
ischen Motiven, sowie die beiden Burgen Sprechenstein
und Reifenstein, und auch manches der hoch an den
Bergen hinaufliegenden Dörfer wird ihn zu einem Besuche
und zu Studien locken. Wer aber diese Denkmale alter
Kunst poetisch und künstlerisch erfasst, in dem wird
auch der Wunsch geweckt werden, etwas von ihrer
Geschichte zu hören. Der Kunsthistoriker wird so
naturgemäss zum Führer des Künstlers werden und
dieser ihn dafür wieder zu seiner schönsten Aufgabe
anregen, die Vergangenheit im lebensvollen, künstlerisch
gerundeten Bilde zu sehen.
Kunstwerke ersten Ranges bietet Sterzing wenig,
wie es ja auch nie eine Stadt von hervorragender Be-
deutung war; was der Stadt aber für den Künstler, wie
für den Historiker ein besonderes Interesse, einen eigen-
artigen Reiz verleiht, ist, dass die ganze Stadt mit ihrer
Umgebung selten vollständig sich aus ihrer Blüthezeit
im Ende des 15. und im 16. Jahrhundert erhalten hat.
Nicht nur die Kirchen, sondern auch das Rathhaus und
das Schloss, das Bürger- und Bauernhaus, nicht nur das
Aeussere, sondern auch das Innere und gar manches
Stück der alten Ausstattung dieser Gebäude ist aus
jenen Tagen auf uns gekommen. Das Bild der alten,
längst verflossenen Zeit wird dadurch ein selten leben-
diges, in das wir uns in dem jetzt so friedlichen, stillen
Thal gemüthlich hineinträumen können.
Sterzing ist keine alte Stadt, erst im Beginn des
14. Jahrhunderts wird es als «Städtlein» erwähnt und nahm
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
47
erst einen bedeutenderen Aufschwung, als Rudolph IV. Steinfigur der Maria in St. Peter zu nennen. Die eben
1363 die Verfügung traf, dass die Landstrasse durch erst aufkeimende Stadt hatte zunächst für das Nöthige
die Stadt geführt werden dürfte, i) Die von Nord nach zu sorgen, erst nachdem sie eine gewisse Bedeutung cr-
Süd ziehende Strasse bedingt denn auch die ganze langt, konnte sich im 15. und 16. Jahrhundert ein re-
Anlage der Stadt und weist dadurch auf den Grund geres Kunstleben entwickeln und dieser Zeit gehören
ihrer Bedeutung, auf die Hauptquelle ihres Wohlstandes daher auch die meisten und die interessantesten Kunst-
hin. Eine ordentliche Befestigung hat Sterzing offen- werke der Stadt an. Die Hauptimpulse für sein künst-
bar auch im Mittelalter nicht besessen, es war keine lerisches Leben wird Sterzing wohl von Brixen em-
Stadt, die, wie sie in Deutschland so zahlreich, oft er- pfangen haben, aber auch Einflüsse nordtirolischer
heblich kleiner als Sterzing, stolz auf ihr selbständiges Kunst machen sich geltend, worauf schon der Maler
Gemeinwesen, sich zur Vertheidigung eingerichtet hatten, des ehemaligen Hochaltars der Pfarrkirche, Hans
sondern es war ein friedlicher Ruheplatz an der grossen Mueltscher aus Innsbruck hinweist.
Handelsstrasse. Im i 5.
und Beginn des 16.
Jahrhunderts aber er-
hielt es vor Allem auch
durch den Bergbau im
Pflersch- und Ried-
naunthal , sowie am
Schneeberg erhöhte
Bedeutung ; der Berg-
mannshammer an den
Thorbogen mancher
Häuser oder die — wie
auch im nahen Gossen-
sass — über derThüre
eingemauerten Erz-
stufen erinnern heute
noch an diese einst
so ergiebige Erwerbs-
quelle, die seit dem
Ende des 16. Jahrhunderts stark zurückging und im
Ende des 18. völlig aufhörte, wodurch der Wohlstand
der Stadt M'esentlich litt.
Diese allgemeinen Grundzüge der Geschichte Ster-
Bänke der Pfarrkirche in Sterzing.
Da dieHauptblüthe
Sterzings, deren Bau-
ten im Wesentlichen
auch noch den Cha-
rakter des heutigen
Städtebildesbedingen,
in das 15. und 16. Jahr-
hundert fällt, so ist der
eigentlich dominirende
Stil die Spätgothik.
Man sollte erwarten,
dass mit der Annäher-
ung an Italien die Re-
naissance früher Ein-
gang gefunden und
konsequenter aufge-
griffen worden sei, es
ist dies aber durchaus
nicht der Fall, sondern
acht deutsch hält man hier und ebenso auch weiter südlich
auf deutschem Gebiete noch tief in das 16. Jahrhundert
hinein an der mittelalterlichen Weise fest und die italien-
ische Frührenaissance findet hier keinen Boden. Erst in
zings sind auch für die Kenntniss seiner Kunstdenkmale Trient treffen wir mit S. Maria maggiore (1520) eine be-
wichtig. Aus dem frühen Mittelalter haben sich weder
hier noch in der Umgegend Kunstwerke erhalten, auch
aus dem 14. Jahrhundert weiss ich nur die interessante
') Siehe den guten Führer: «Sterzing am Eisack », von Conrad
Fischnaler. 3. Aufl. Sterzing 1892. W. Lubke gebührt das Verdienst,
auf Sterzings Kunstschätze zuerst hingewiesen zu haben, durch seine
Artikel in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1S83 No. 208 u. 20g,
sowie durch wiederholte Erwähnungen in seinen Handbüchern; in ver-
schiedenen Punkten, besonders in der Datirung und ästhetischen Wür-
digung der Sterzinger Holzplastik, sowie in der Annahme, dass einige
der Grabsteine italienische Arbeiten seien, bedauere ich den Ansichten
des von mir hochverehrten Gelehrten nicht beipflichten zu können.
deutende Frührenaissancekirche und in den Palästen der
via larga und der via del teatro acht italienische Profan-
bauten des 16. Jahrhunderts. Auf dem deutschen Sprach-
gebiet Tirols dagegen greift die Gothik in der Kirche
wie im Rathhaus und im bürgerlichen Wohnhaus noch
weit in das 16. Jahrhundert über, die Renaissance dringt
langsam ein, zunächst in den dekorativen Formen und
verbindet sich mit der Gothik zu jenem eigenartigen
Mischstil, den wir die deutsche Renaissance nennen und
der hier im Grossen und Ganzen genau denselben Cha-
7*
48
DIE KUNSl' UNSERER ZEIT.
1007. Plafond der Kirohe In Wüten MutlrGündlrr 17 5 4)1
Deckengemälde der Kirche in Wüten.
rakter trägt, wie etwa in Franken und Schwaben und
auch zeitlich jenen gegenüber durchaus nicht vorauseilt.
So baute man an der Kirche St. Paul in Eppan nach
der Inschrift an einer der Fialen 1519 noch rein gothisch;
die Bauzeit der unteren, spätgothischen Kirche in Kaltem
ist gleichzeitig anzusetzen, da der Schlussstein des Chores
die Jahreszahl 1517 zeigt; die Kirche St. Nikolaus in
Kaltem aber mit ihren interessanten, spätgothischen Ge-
wölbmalereien wurde laut Inschrift erst 1536 vollendet
und die Gegend von Neumarkt an der Etsch weist noch
eine stattliche Reihe gothischer Kirchen aus dem 16. Jahr-
hundert auf. Unter diesen Verhältnissen ist es leicht
begreiflich, dass man in Sterzing 1524, wie die Jahres-
zahl an dem hübschen Erker des Rathhauses berichtet,
noch gothisch baute.
So acht deutsch in all* diesem die Kunst Sterzings
ist, so merken wir andererseits doch an ihr, dass wir
auf dem Wege nach Italien sind, denn auch die Archi-
tektur der Kirche und des Wohnhauses zeigen mehrfach
italienische Einflüsse; aber diese Anregungen werden
hier ebenso gründlich verarbeitet wie nördlich des Bren-
ners, und die Stadt unterscheidet sich daher auf den
ersten Blick nicht erheblich von den Innstädten Tirols
und Bayerns, die uns heute noch bis hinunter nach
Passau durch manche Reminiscenzen an italienische Art
und Kunst so lebendig an dem Verkehr an der alten
Strasse zwischen Deutschland und Italien erzählen. Schon
als ein besonders anziehendes Beispiel dieser Gattung,
noch mehr aber durch manche künstlerische und kunst-
geschichtliche Besonderheiten gewinnt Sterzing ein wei-
teres Interesse.
Der bedeutendste Bau Sterzings, zugleich der,
welcher den Beginn eines regeren Kunstlebens anzeigt
und für dieses auch weiterhin einen gewissen Mittel-
:^
CD
<
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
49
punkt bot, ist natürlich die Pfarrkirche, die auffallender
Weise nicht in der Stadt, sondern gut fünf Minuten
südlich derselben liegt, seitab der grossen Strasse an
dem Weg nach dem Jaufen.
Die Pfarrkirche von Sterzing, deren niedriger Chor
in den Jahren 141 7 — -1450 gebaut, während das Schiff
1497 bis 1533 ausgeführt wurde, ist eine spätgothische,
dreischiffige Hallenkirche. Der stattliche Bau gewinnt
namentlich dadurch, dass die sehr schlanken Rund-
pfeiler weit auseinander gestellt sind, den Eindruck im-
posanter Leichtigkeit und Weiträumigkeit, den in ver-
wandter Weise die Kirchen von Meran, die Hofkirche
in Innsbruck, die Kirche zu Hall und als die bedeutendste
dieser Gruppe die Pfarrkirche in Schwaz zeigen. Das
Streben, möglichst weite, freie Räume zu gestalten,
namentlich aber auch die weite Stellung der Pfeiler,
weist auf italienische Einflüsse, die auch für die Bevor-
zugung der Rundpfeiler und der Hallenanlage mass-
gebend waren. Dagegen ist das Streben, namentlich
auch durch die bedeutende Höhe der Kirche zu im-
poniren, acht deutsch, und diese Kirchen erhalten dadurch
manchmal einen etwas widerspruchsvollen Charakter, der
sich besonders in der übertriebenen Höhe der allzu-
schlanken Pfeiler ausspricht, wie z. B. in der Franzis-
kanerkirche in Schwaz, und der offenbar auch auf einen
Bau wie die Martinskirche in Landshut mit ihren über-
trieben schlanken Pfeilern massgebend einwirkte, während
die Frauenkirchen von München und Ingolstadt diese
Gedanken selbständiger verarbeiten und in ruhigeren,
kräftigeren Formen aussprechen.
Yon gothischen Details hat sich an der Sterzinger
Pfarrkirche wenig erhalten. Das Maasswerk zeigt sehr
einfache, spätgothische Formen, die Rippen des Gewölbes
wurden 1753 herabgeschlagen, als Adam Moelckh, der
« academicus vienensis » , die Decke mit schlechten Fresken
versah. Die Rokokoumgestaltung der Kirche, von der
auch die Kirchenbänke mit ihren originellen Löwen her-
rühren, ist, abgesehen von der eleganten Stukkverkleidung
der Pfeilerkapitäle, nicht sehr gelungen, aber jedenfalls
wirkte sie, wie gewöhnlich, doch weit besser als die
äusserst schwache Neu-Gothisirung, die seit 1869 aus-
geführt wurde.
Die Veränderungen , welche die Pfarrkirche im
18. Jahrhundert erfahren, weisen uns hinüber zur besten
Leistung des Rokoko in Sterzing, nämlich zur nahe
gelegenen Elisabethkirche im deutschen Haus, die ein
ganz gutes Deckengemälde der Glorifikation der hl.
Elisabeth besitzt, das Matthäus Günther malte. Matthäus
Günther, der in Peissenberg in Oberbayern geboren
wurde, hatte in München bei den Asam gelernt und
lebte später in Augsburg, wo er auch als Akademie-
direktor starb Günther's Name begegnet uns wiederholt
auf dieser Strasse nach Italien; in Rott am Inn (1763)
und in VVilten bei Innsbruck (1764) treffen wir zwei
seiner brillantesten Leistungen in der Freskomalerei ;
ein bedeutendes frühes Werk des Künstlers ist die Aus-
malung der Klosterkirche von Neustift bei Brixen (1736),
während sein Deckengemälde in der Pfarrkirche zu
Gossensass (1751) und sein Kuppelbild in der Elisabeth-
kirche in Sterzing zwar keineswegs zu seinen besten
Arbeiten gehören, aber doch immerhin den gefälligen,
flotten Rokokokünstler erkennen lassen, der entschieden
weit über den einheimischen Malern dieser Zeit steht.
Die Kunst des Rokoko hat in Tirol, abgesehen
von diesen Werken Günther's und der Jakobskirche in
Innsbruck, welche die Gebrüder Asam aus München
dekorirten , wenig Bedeutendes geschaffen ; den Grund
hiefür zeigt ein Vergleich des Domes zu Brixen, der ja
Hochaltar im Dom zu Brixen.
50
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
ein sehr stattliches Werk der Mitte des i8. Jahrhunderts
ist und auf seine Umgebung entschieden Einfluss übte,
mit der Kirche des Klosters Neustift.
Der Einfluss der schweren Formen des späten,
entarteten Barocks Italiens war in diesen Gegenden —
und zwar bis hinüber nach Innsbruck — zu mächtig,
um die elegante Kunst des Rokoko aufkommen zu
lassen. Sehr charakteristisch ist hiefür z. B. der Hoch-
altar des Domes zu Brixen, den Theodor Benedetti aus
Mori ausführte und der eben so gut in S. Maria maggiore
in Trient stehen könnte, wo wir eine Reihe verwandter
Altäre treffen. Wie frisch und lebensvoll ist doch gegen-
über dieser nüchternen, alternden Kunst im Dom zu
Brixen, deren Fresken von Troger höchst unbedeutend
und deren Ornamentmalereien durch Hieronymus Con-
stantini aus Roveredo geradezu roh genannt werden
müssen, die Dekoration der Kirche in Neustift, deren
Fresken und Stukkaturen achtes, feines Rokoko zeigen,
wenngleich die letzteren da und dort den Einfluss der
damals schwerfälligen italienischen Art erkennen lassen.
Haben wir in dem italienischen Spätbarock, der den
Charakter des Brixer Domes so wesentlich bedingt, eine
absterbende Kunst, so sind dagegen jene Kirchen wie
Neustift, bedeutender noch Wüten und in bescheidenerem
Masse allerdings auch die Kirche des deutschen Hauses
in Sterzing, so viel man auch an ihnen aussetzen mag,
doch die Zeugen einer originalen Kunstj die eine eigen-
artige Schattirung des Stils ausspricht, die Zeugniss
gibt von einem frischen , reichen Kunstleben , wie es
sich damals an der Mündung der Brennerstrasse , in
München abspielte, die daran erinnert, wie sich die
nordische Kunst im 17. und 18. Jahrhundert kräftiger
und frischer als die italienische entwickelte.
Aber kehren wir zurück zur Sterzinger Pfarrkirche,
die uns noch so manches von der Kunstgeschichte der
Stadt und der Brennerstrasse zu erzählen hat. Beachtens-
werth erscheint an dem Bau vor Allem die sehr zierliche
plastische Dekoration des Südportals. Auf dem Thür-
balken, neben dem das Sterzinger Stadtwappen und das
Gerichtswappen von Freundsberg angebracht sind, meldet
eine Inschrift, dass König Maximilian 1497 den Grund-
stein zu diesem Gebäude legte; im Bogenfeld über der
Thür ist das Reichs-, das Tiroler- und Habsburger- Wappen
angebracht und darüber sitzt Maria, die dem Kinde auf
ihrem Schooss einen Apfel reicht.
Das zierliche Portal an der sonst doch nüchternen
und massigen Kirche hat etwas überraschendes , aber
solche Widersprüche finden sich mehrfach an den
gothischen Kirchen Tirols. Gleich die Kirche des nahen
Trenz, die, wie die meisten in weitem Umkreis, dem
Ende des 15. Jahrhunderts, der eigentlichen Blüthezeit
der Tiroler Kunst , angehört , besitzt am Portal eine
ähnliche Marienfigur, und auch in Nordtirol finden sich
verwandte Portale, z. B. in Landeck, und auch das der
Kirche zu Seefeld mit seinen Reliefs aus der Geschichte
des hl. Oswald mag in diesem Zusammenhang genannt
werden. Im Allgemeinen ist der Charakter der Tiroler
Gothik äusserst schlicht, nicht selten etwas nüchtern, was
schon damit zusammenhängt, dass wir es hier ziemlich aus-
schliesslich mit spätgothischen Bauten und zwar meist mit
solchen zu thun haben, die nur über bescheidene Mittel
verfügen konnten. Aber selbst bei sehr unscheinbaren
Dorf kirchen , oft noch in den abgelegensten , stillsten
Thälern, welche damals gar keinen Verkehr hatten und
die auch heute nur der rasch durchziehende Touristcn-
schwarm besucht, zeigen die Kirchen zuweilen sehr fein
profilirte Rippen, schöne Schlusssteine oder ein elegantes
Portal, trotz aller Einfachheit des Ganzen, die hier
Jeder sehr begreiflich finden wird, namentlich wenn er
Wochen lang solchen Kirchen nachgeht und dabei gar
manches Paar Schuhe seinen kunstgeschichtlichen Studien
opfern muss. Tirol ist eben , was ja schon der ganze
Charakter des Landes erklärt, nicht ein Land, das ge-
eignet gewesen wäre, eine reiche, glänzende Kunst zu
entwickeln, aber es ist ein Land, dessen schöne Natur
in dem frischen Volk, das es bewohnt, ein offenes Auge
für die Natur, ein warmes Herz für die Kunst erziehen
musste. Grosse , glänzende Kirchen gothischen Stils,
wie etwa am Rhein oder in Franken, wird man hier
vergebens suchen , ebenso auch die zierliche Eleganz
der schwäbischen Gothik; wer aber die ächte Volks-
thümlichkeit der deutschen Gothik studiren will, der
wende sich nach Tirol, und gerade jene abgelegensten
Kirchen, die, wenn sie nicht die Mittel zum künstlerischen
Schmuck der ganzen Kirche hatten, wenigstens einen
Theil liebevoll dekorirten , sie werden ihm am poesie-
vollsten davon erzählen.
Das zierliche Südportal der Sterzinger Pfarrkirche
hat durch einen Blick auf die in den benachbarten
Thälern und auf den nahen Höhen liegenden Kirchen
unsere Gedanken etwas seitab geführt, aber kehren wir
zurück zu ihm und damit zur Steinplastik Sterzings.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
51
Die Vermuthung liegt nah, dass Tirol im Mittelalter
eine bedeutende Steinplastik besessen habe und wer die
prächtigen Grabsteine der bayerischen Inngegend studirt,
wird unwillkürlich auf den Gedanken kommen, dass
diese Kunst wesentliche Anregungen aus Tirol em-
pfangen habe. Es ist dies aber durchaus nicht der F"all,
denn die ganze Brennerstrasse zeigt mit einziger Aus-
nahme der Brixner Grabsteine nur wenig und meist nur
geringwerthige Steinplastik. Dieselbe fordert eben zu
namhafter Entwickelung bedeutende Mittelpunkte, wie
Regensburg, vielleicht auch Salzburg, die damals wich-
tigen Innstädte oder seit dem Ende des 15. Jahr-
hunderts auch München, ebenso wie südlich Trient und
dann noch mehr Verona uns hierin als wichtige Punkte
begegnen. An der Brennerstrasse selbst aber sind es
nur das wohlhabende Bozen durch seine Skulpturen an
und in der Pfarrkirche und die Bischofstadt Brixen mit
ihrer tüchtigen Grabplastik im Anfang des 15. Jahr-
hunderts, die auf diesem Gebiete Beachtung verdienen.
Mit ihnen kann sich Sterzing allerdings nicht messen,
aber es zeigt sich doch auch hier als Mittelpunkt eines
selbständigen Schaffens, denn in Folge des Marmors,
den die Sterzinger besitzen, und der ja auch in der
Gegenwart wieder das bedeutendste industrielle Unter=
nehmen der Stadt ins Leben rief, finden wir hier im
16. Jahrhundert ganz hübsche Grabsteine, die sich die
Mitglieder der wohlhabenderen Familien an der Pfarr-
kirche setzen Hessen. Weitaus das Beste an diesen
Grabsteinen sind einfache Wappen oder die Rahmen
mit schlichten Renaissanceornament, während die Ver-
suche figürlicher Darstellung hier meist wenig glücklich
ausgefallen sind, woran ja emige Schuld auch die Art
des Marmors haben mag, der für feinere Arbeiten we-
niger geeignet ist.
Gothisches Ornament hat noch der Grabstein des
1 505 gestorbenen Bürgers Hans Koechl und seines im
gleichen Jahre gestorbenen Sohnes, während schon der
des in dem folgenden Jahre gestorbenen Steffan Selauer
einfachen Renaissancerahmen zeigt, bei dem Wappen
dagegen noch an den gothischen Formen festhält; auf
dem besten Wappensteine der ersten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts ging die einer Bronzetafel eingelassene Inschrift
verloren. Von weiteren Grabsteinen des 16. Jahrhunderts
sind noch zu erwähnen der des 1536 gestorbenen An-
dreas Flamm, dessen Haus in der Hauptstrasse erhalten
ist, wo er an dem Erker sein Wappen hübsch mit gothi-
Klosterkirche in Neustift.
sehen Ornamenten verziert und die Jahreszahl 1533
anbrachte, ferner der Grabstein des 1550 gestorbenen
Stadt- und Landrichters zu Sterzing Joseph Grebmer.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zeigt der
Grabstein des Postmeisters Hans Prugger einen hübschen,
einfachen Renaissancerahmen, dagegen ein recht schwaches
Relief das den Postmeister und seine Gattin an dem
Kreuz betend darstellt (i 565), auch das Relief der Er-
weckung des Lazarus auf dem Grabstein des An-
dreas Rauch und seiner Gattin Rosina, das 1578 ge-
fertigt wurde, ist eine schwache Leistung; einfachen
Renaissancerahmen und zwei Wappen zeigt der Grab-
stein des 1582 gestorbenen Stadtrichters Christoph
Grebmer und seiner Frau Christina. Auch aus dem
17. und 18. Jahrhundert finden sich hier und auch in der
Nachbarschaft noch mehrfach solche Grabsteine, so von
161 5 der des Abraham Geizkofler und mit einem guten
Wappen ist noch der Grabstein geschmückt des Joseph
Leitner, der 1732 im Alter von 84 Jahren starb, während
seine Frau Elisabeth ^6 Jahre alt 1739 gestorben ist.
Wenn wir hier auch keine irgend bedeutenderen
Kunstwerke finden, so lassen diese Grabsteine doch
52
DIK KUNST UNSERER ZEIT.
Stldportal der Pfarrkirche in Sterzing.
immerhin durch ge-
raume Zeit eine ziem-
lich rege Thätigkeit des
Städtchens auch auf die-
sem Gebiete erkennen.
Von anderartigen Wer-
ken der Steinplastik da-
gegen, von denen sich
in Tirol überhaupt nur
wenig findet, ist ausser
den schon erwähnten
hübschen Portalen an
der Pfarrkirche und an
der zu Trenz, nur noch
etwa die kleine Oelberggruppe aus dem Ende des
15. Jahrhunderts zu erwähnen, die sich über der Sakristei-
thüre der Pfarrkirche befindet und die sehr interessante
Madonna in der Peterskirche.
Die Peters- und Paulskirche , die zu dem Schlöss-
chen Joechelsthurm gehört, ist eine wohlerhaltene, ein-
schiffige, gewölbte Kirche spätgothischen Stils, nach
der Inschrift an der Decke wurde sie 1474 vollendet
und 1744 wurde ihre Ausstattung verändert. Das in-
teressanteste Kunstwerk der Kirche ist die erwähnte
Madonna, die in einem Glaskasten links neben dem
Hochaltar steht und dem Beginn des 14. Jahrhunderts
angehört. Die fast dreiviertellebensgrosse , stehende
Maria hält in der Rechten das Scepter, in der Linken
das Christuskind, welches nach seinem linken Füsschen
greift. Schon dieses Motiv verräth lebensvolle, originelle
Auffassung, die natürlich bei einem solchen Werk ganz
besonders erfreut, bei dem wir den Künstler noch müh-
sam nach den Grundlagen seiner Kunst ringen sehen,
denn sowohl die wenig verstandenen Körperformen zeigen
eine noch sehr primitive Entwickelung, als auch die
starren , geschlitzten Augen und jenes eigenthümliche
Lächeln, das als ein erster Versuch, das Gesicht durch
das Mienenspiel freundlich zu beleben, sich in der frühen
Plastik aller Völker findet.
Weit reicher als die Steinplastik ist die Holzplastik
in Sterzing und auf den benachbarten Dörfern vertreten ;
manche Werke derselben besitzen wirklich erheblichen
Kunstwerth , nicht minder aber erfreuen andere, die,
wenn auch bescheidener, doch fesseln, zumal in abge-
legenen Landkirchen und Kapellen, als Zeugnisse dafür,
wie das ganze Volk theilgenommen an dieser Kunst.
Die Schnitzkunst ge-
stattete eben in den
Alpen, wo so Mancher,
wenn er auch kein
Künstler vom Fach war,
das Schnitzmesser zu
handhaben verstand
und in vielen Gegenden
heute noch versteht,
auch dem einfachen
Manne, angeregt durch
die schönen Kunst-
werke, die er in der
Pfarrkirche sah, sich in
dieser Kunst zu ver-
Hoclialtar der l'farrkirche in Sterzing.
suchen und das Beste, was er leisten konnte, stellte er
dann in seiner Kapelle auf, als eine Gabe zwar klein
aber wirklich von Herzen, und diese Stimmung, aus der
sie geschaffen wurden, verleiht diesen Kunstwerken einen
persönlichen Reiz , von dem die aus unseren modernen
Fabriken für Kirchenausstattung herrührenden Arbeiten
keine Ahnung haben.
Das grossartigste Schnitzwerk des I 5. Jahrhunderts
in Sterzing war wohl der stattliche Hochaltar der Pfarr-
kirche, der 1456 bis 1458 ausgeführt wurde. Die Mittel-
figur desselben ging in den sehr geschmacklosen, modern
gothischen Hochaltar über, es ist eine Maria, die auf
dem Halbmond steht, eine treffliche, auch historisch sehr
interessante Figur. Der Stil ist einfach gross, der
Faltenwurf zügig, jedoch nimmt er im Einzelnen wenig
Rücksicht auf den Körper, der sich unter dem Gewand
befindet. Um sich klar zu machen, was die Kunst in
den letzten anderthalb hundert Jahren gelernt hat, ver-
gleiche man diese Figur mit der soeben besprochenen
Maria in St. Peter. Die Madonna in der Pfarrkirche von
ungefähr 1456 ist ein Kunstwerk, das unmittelbar fesselt,
das durch seine schlichte Schönheit erfreut und erhebt
und bei dem wir erst bei genauerem Studium erkennen,
dass dem Meister noch Manches zu einer vollkommen
naturwahren Kunst fehlt. Die Maria aus dem Anfang des
14. Jahrhunderts in St. Peter dagegen wird auf den unbe-
fangenen Beschauer mit ihrem alterthümlichen Lächeln
zuerst fast komisch wirken, und nur eingehendes Studium
kann uns die historisch interessante Figur würdigen lehren,
zeigt uns, welch' tüchtiges Streben in der Arbeit liegt, und
dass sie eine für ihre Zeit treffliche Leistung ist.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Altar der Barbarakapelle in Gossensass.
Die Flügelbilder des
Hochaltars, die Hans
Mueltscher aus Inns-
bruck malte, befinden
sich jetzt im Rathhaus.
Wegen ihrer frühen
Entstehungszeit, bald
nach Mitte des i 5 Jahr-
hunderts , sind diese
Gemälde beachtens-
werth, obgleich sie viel-
fach recht handwerk-
liche Arbeiten sind,
namentlich die mit
Passionsdarstellungen
bemalten Aussensei-
ten ; etwas besser sind
auf den Innenseiten die Bilder aus dem Marienleben.
An diesen spricht namentlich eine gewisse einfache
Grösse des Stils an, die in erster Linie dadurch bedingt
ist, dass dieser Kunst noch jener Blick für das Detail fehlt,
der dann im späteren 15. Jahrhundert sich besonders
charakteristisch in den überreichen kleinknitterigen Falten
zeigt, andererseits wird sie in diesen Gemälden, wie
ja auch in gleichzeitigen und älteren in Bayern namentlich
auch durch den Einfluss der hier vielgeübten Wand-
malerei auf das Tafelgemälde gefördert.
Die Madonna auf dem Hochaltar der Pfarrkirche
charakterisirt trefflich den Stil der ersten Hälfte und
Mitte des 15. Jahrhunderts, die Heiligen Barbara und
Katharina, Ursula und Apollonia an dem Hochaltar der
Magdalenenkirche sind dagegen interessante Belege für
die Wandlungen der künstlerischen Anschauung gegen
den Schluss des Jahrhunderts. Die vorzüglichen Figuren
zeichnen sich durch einen wirklich bedeutenden Schön-
heitssinn aus, dagegen ist ihre Haltung etwas manierirt,
der Körperbau wenig verstanden und die Falten sind
mitunter aus allzugrosser Vorliebe für das Detail gar
zu gehäuft. Als die Figuren, von denen, wie von jenen
in der Spitalkirche irrthümlich behauptet wird, dass sie
vom Hochaltar der Pfarrkirche stammen, im 18. Jahr-
hundert auf diesen Platz gestellt wurden, wurden sie
leider weiss überstrichen.
Zwei vortreffliche Figuren vom Ende des 15. Jahr-
hunderts sind die ritterlichen Heiligen Georg und noch
gelungener St. Florian in der Spitalkirche, sie sind elegant
fast etwas affektirt bewegt, was man in dieser Zeit offen-
bar wegen des Gegensatzes zu den steifen, älteren Figuren
für besonders schön hielt. Auch das kleine Kreuz-
kirchlein besitzt eine nicht uninteressante Holzgruppe
aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, eine halblebens-
grosse, leider roh überschmierte Pietä, bei der die scharf-
brüchigen Falten, die damals Mode waren, allerdings
stark übertrieben und furchtbar gehäuft sind.
In den umliegenden Dörfern hat sich gleichfalls noch
manche hübsche Holzfigur vom Ende des 1 5. Jahr-
hunderts erhalten, so in Mareit eine ganz reizende kleine
Holzstatuette des hl. Florian mit sehr hübsch gearbeiteter
Rüstung, etwa 75 cm hoch, und ihr Pendant, eine gute
Figur des hl. Bernhard, die auf einem Altar aus der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stehen in der südlich
an den Chor der Kirche angebauten Kapelle. Geringe
Arbeiten der Zeit finden sich in der Todtenkapelle
in Trenz, nämlich eine kleine Pietä, sowie Johannes
und Maria.
Eine dieser Dorfkirchen aber, nämlich die Magda-
lenenkirche am Eingang des Riednaunthales bietet für
die Holzplastik um 1500 ein reicheres Bild als die
Schloss Taufers.
54
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
IJas grüne Zimmer in Schloss Reifenstein.
Kirchen der
Stadt, ein Fall,
der ja durchaus
nicht selten ist,
weildieseLand-
kirchen, wenn
auch durch
reiche Gönner
ursprünglich
glänzend aus-
gestattet, wei-
terhin gewöhn-
lich doch nur
über beschei-
dene Mittel zu
verfügen hatten
und dadurch
häufig vor späteren Veränderungen verschont blieben.
Auch die moderne Restauration, gewöhnlich die grösste
Gefahr solcher Kunstschätze, ist in' der Magdalenen-
kirche mit den alten Kunstwerken noch verhältniss-
mässig gut umgegangen.
Die Magdalenenkirche in Riednaun, etwa drei Stun-
den westlich von Sterzing in herrlicher Gegend gelegen,
ist eine jener in Südtirol so zahlreichen, spätgothischen
Kirchen, die einschiffig angelegt, innen Wandpfeiler
haben, die das gut profilirte Steingewölbe tragen, die
Wandpfeiler und Rippen sind hier aus Sterzinger Mar-
mor gefertigt, die Erbauungszeit der Kirche wird durch
die Jahreszahl 1481 I) am Triumphbogen näher bestimmt.
An der Nordseite im Chor dieser Kirche steht ein
kleiner Flügelaltar, eine tüchtige Arbeit vom Ende des
15. Jahrhunderts. In dem Schrein unter spätgothischer
Architektur sehen wir die Statuette der Maria Magdalena,
eine anmuthige, modisch gekleidete und frisirte Dame,
die mit feiner Naturbeobachtung geschaffen ist, was
namentlich der hübsche Kopf zeigt, die aber in Folge
des für diese Zeit so charakteristischen Strebens nach
eleganter Bewegung, ein wenig geziert in der Haltung,
vor Allem der Finger wurde. Auf die Flügel des Altars
sind aussen die Verkündigung, innen Scenen aus dem
Leben der Maria Magdalena gemalt; ein Urtheil über
die Persönlichkeit des Meisters scheint mir bei solchen
') In der CentralkommUsion 1857 p. 327 wird die Jahreszahl irr-
thUmlich als 1281 gelesen.
handwerklichen Arbeiten nicht möglich, besonders, wenn
sie so überschmiert sind, wie diese Bilderi).
Im Jahre 1 509 wurde dieser Altar, der früher offen-
bar Hochaltar war, beseitigt und an seine Stelle trat
das glänzende Werk, das heute noch daselbst steht
und dessen Meister die Inschrift nennt : « Das werch
hat gemacht maister matheis stöberl. 1509.»
Dass Aufbau und Ornament eines solchen Altares
noch rein gothisch sind, ist bis in die Gegend von
Bozen noch ebenso selbstverständlich, wie etwa in Bayern
oder Franken. Die Flügel des Altars sind auf beiden
Seiten mit tüchtigen Gemälden geschmückt, aussen die
Passionsbilder, innen Scenen aus dem Leben der Maria
Magdalena. Wie gewöhnlich bei den grossen Altar-
werken in Tirol und Bayern, so ist auch hier die Plastik
der Malerei an künstlerischem Werth überlegen, ent-
schieden das Bedeutsamste an dem Altar sind doch
die dreiviertel lebensgrossen Figuren im Schrein. In der
Mitte steht hier Maria Magdalena, die Engel zum Himmel
emportragen, in dem Fels, auf dem sie steht, arbeiten
zwei Bergleute, was den Beitrag der Bergleute zu der
Errichtung des Altars andeutet, neben Maria stehen
Georg und Laurentius. Die Figuren zeigen, besonders
in den Köpfen, einen entwickelten Schönheitssinn, in
den männlichen Gestalten aber zugleich eine feste,
energische Haltung und durchweg einen freien, grossen
Zug besonders in den Falten.
Man kann gewiss nicht behaupten, dass diese Plastik
aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts gegenüber der
vom Ende des 1 5. einen neuen Stil im höheren Sinne
des Wortes zeige; sie arbeitet vielmehr wesentlich auf
derselben Grundlage, mit denselben Gedanken, aber
durch das entwickeltere Naturgefühl, mit dem namentlich
auch die volleren, runderen Formen, die weicheren Falten
zusammenhängen, spricht sie leichter an, vermag sie
uns besser zu überzeugen. Eine Reihe von Schwächen
und Formmängeln , von denen wir selbst bei Meister-
werken, wie bei Michael Pachers Altarschrein von 1471
in der Pfarrkirche zu Gries bei Bozen, abstrahiren müssen,
kommt durch diese höhere Entwickelung in Wegfall und
steigert die unmittelbare Wirkung des ganzen Werkes.
Ein direkter Gegensatz zwischen Renaissance und Mittel-
alter besteht in der Plastik und Architektur grössten-
theils auch in der Malerei in Tirol und Bayern durchaus
') Anders urtheilt H. Semper: Die Brixner Malerschiile.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
55
nicht. Der Anfang des i6. Jahrhunderts ist hier über-
haupt weniger der Beginn einer neuen Zeit als der
harmonisch geklärte Abschluss der vorausgehenden
Periode. Schon dies deutet darauf hin , dass in der
Folge die Kunst dieser Gegenden wesentlich an Be-
deutung verliert, obgleich namentlich in der Profankunst
noch recht viel Tüchtiges geleistet wurde ; in ihrer
höchsten Blüthe charakterisirt sich eben die Kunst dieser
Gegenden doch als die des späten Mittelalters.
Ist der Hochaltar der Magdalenenkirche ein glän-
zendes Beispiel der Prachtaltäre, die am Ende des 15.
und namentlich im Anfang des 16. Jahrhunderts so zahl-
reich in Südtirol entstanden, so zeigt dagegen ein etwa
gleichzeitiges kleines Altärchen in der Schlosskapelle 1)
der Burg Sprechenstein die liebenswürdige Seite dieser
spätgothischen Kunst, die sich gerade in solch' be-
scheidenen Werken am anziehendsten ausspricht. Die
Gemälde der Aussenseiten der Flügel: St. Ruppert und
Hieronymus, sind unbedeutend, noch dazu später roh
übergangen. Weit feiner sind die Figuren im Schrein :
Christoph, Erasmus und Georg, sowie die Schnitzereien
auf den Innenseiten der Flügel : Maria und Anna selb-
dritt; besonders gefällig ist aber die anmuthig spielende
Ornamentik der reichen spätgothischen Architektur des
Schreines und an den beiden Wappenhelmen, die unten
an den Flügeln angebracht sind.
Auch einige einzelne Figuren der Zeit haben sich
in der Kapelle und dem Schloss Sprechenstein erhalten,
so fünf weibliche Heilige, von denen namentlich die
kleine Figur mit dem Buch in der Linken, die jetzt
unter der Kanzel steht , beachtenswerth ist , und zwei
sehr nette, ungefähr 50 cm hohe Engel, die Leuchter
halten, welche auf dem Hochaltar aus dem 18. Jahr-
hundert stehen, an dem einige gut geschnitzte Rokoko-
ornamente erfreuen.
Die Reihe dieser Altäre beschliesst der nach 15 10
gefertigte der Barbarakapelle in dem benachbarten Gossen-
sass; auch bei ihm finden sich nur schüchterne Versuche
von Renaissanceformen, nämlich zweimal in der Archi-
tektur der Hintergründe; dagegen ist die Anlage und
der Aufbau des Altares ebenso wie das Ornament und
die Auffassung der Figuren noch gothisch. Aber wie in
der Bekrönung des Altars mit den gothischen Ornament-
formen das willkürlichste Spiel getrieben wird, so zeigt
auch der Stil der halblebensgrossen Figuren des Schreines:
Laurentius, Barbara und Sebastian und der der Reliefs auf
den Innenseiten der Flügel : Tempelgang und Vermählung
Maria und die hl. Sippe, trotz des wachsenden Naturalis-
mus, doch vor Allem deutlich das Ausleben der mittelalter-
lichen Kunst. Der Naturalismus, der in den Zeitkostümen,
die hier sogar bei Joseph und Maria angewendet werden,
ebenso wie in den Trauben und Rebenblättern des Orna-
mentes sich zeigt, spricht sich am bedeutendsten in den
höchst individuellen, geradezu portraitartigen Köpfen aus;
aber er ist doch nur eine Steigerung jenes rein äusser-
lichen Naturalismus, der sich durch das ganze Mittelalter
verfolgen lässt, nicht das Ergebniss eines tieferen Natur-
studiums, des wirklichen Erforschens und Erkennens der
Natur, wie es im Norden Dürer am bedeutendsten ver-
tritt. Die Figuren des Mittelschreines sind daher nicht
besser verstanden als die auf den Altären vom Ende
des 15. Jahrhunderts, und die Falten zeigen zwar jenen
weicheren, runderen Wurf des 16. Jahrhunderts, aber
nicht indem aus ihm besseres Verständniss der Bewegung
spräche, sondern nur indem sie ihn mit geknäultem Detail
allzusehr bereichern und äusserlich virtuosenhaft mit den
Formen spielen, wie das gothische Ornament in der Be-
krönung des Schreins. Die Gemälde der Aussenseiten
der Flügel, deren Farbe nicht übel gewesen zu sein
scheint, haben sehr gelitten; ein bestimmtes, persönliches
fea^jyr"-' --> ;
*) Nach Fischnaler: Sterzing etc. ist der Altar 1505 durch Hans
Meuchwez gefertigt.
Aus der Hauptstrasse Sterzings.
56
DIE KUNS'l' UNSERER ZEIT.
Gepräge zeigen diese im Ganzen übrigens doch ziemlich
handwerksmässigen Gemälde , welche die Kindheits-
geschichte Christi darstellen, nicht. Viel besser sind an
der Predella die auf Goldgrund gemalten Brustbilder von
Barbara und Katharina, die offenbar von anderer Hand
herrühren und wohl schon vor 1500 gemalt wurden.
In der nach dem Wappen durch die Knappschaft
und zwar 1510 erbauten Barbarakapelle, die durch die
Anlage von zwei Kapellen übereinander, sowie durch
die Freitreppe an der Westseite, welche den Zugang
zur oberen Kapelle bildet, unwillkürlich an die eleganter
ausgeführte Michaelskapelle in Schwaz erinnert, die
1506 ebenfalls von der Knappschaft erbaut wurde, ist
auch ein, allerdings wenig bedeutendes Wandgemälde
des Todes der Maria vorhanden. Die Unterschrift dieses
Bildes berichtet, dass es Lienhart pharkircher diser
kappein pawmeister 1515 malen Hess, der auch mit
fünf Buben und seine Frau mit vier Mädchen unter dem
Bilde portraitirt ist. Im gleichen Jahr stiftete Leonhard
Pfarrkircher zwei Glasgemälde in die Kirche zu Wiesen
bei Sterzing, die sich erhalten haben und von denen das
eine den betenden Stifter, das andere die hl. Helena darstellt.
Als spätgothische Schnitzereien aus dem Anfang
des 16. Jahrhunderts sind noch zu nennen die Gruppe
der Kreuztragung in der Sterzinger Pfarrkirche und der
sehr schwache Kreuzaltar daselbst, dann in der Wall-
fahrtskirche zu Trenz ein Altarschrein mit den Figuren
von Anna selbdritt, Agnes und einer weiteren weiblichen
Heiligen; auch in der kleinen Feldkapelle am Eingange
von Tuins ist eine recht gute Figur dieser Zeit erhalten,
die nur leider roh übermalt wurde, eine Maria (i Meter
hoch), die mit beiden Händen das Kind hält. Für
grosse künstlerische Leistungen darf man diese Holz-
figuren nicht ausgeben, sie sind auch nicht die Werke
eigentlicher Künstler, sondern nur die Arbeiten geschickter
Schnitzer. Für die Kunstgeschichte grossen Stils sind
sie wenig belangreich, wer aber die Kunst des Landes
im Zusammenhang mit dem Volksleben .studiren, wer
ein farbenreiches Bild von dem Kunstleben dieser
Gegenden gewinnen will, für den haben sie ihren eigenen
hohen Reiz, da ja gerade sie von dem acht volks-
thümlichen künstlerischen Schaffen jener Periode erzählen,
und es doch mit zu dem erfreulichsten beim Studium
einer Gegend gehört, in jedem Dorfe irgend ein, wenn
auch noch so bescheidenes, Denkmal künstlerischer
Thätigkeit zu finden. .
Die ächte Volksthümlichkeit der Schnitzkunst be-
zeugen namentlich auch die kunstgewerblichen Arbeiten,
sowohl in der Kirche als auch, und sogar noch mehr
die in der Dekoration des Hauses. Beachtenswerth
sind hiefür z. B. die schönen Prozessionsstangen in der
Pfarrkirche aus dem 16. und 17. Jahrhundert, deren
manchmal sehr geschickt geschnitztes Ornament zeigt,
wie lange bei solchen Arbeiten die gothische Formen-
welt in Geltung bleibt, oder die spätgothischen Thüren,
von denen die in St. Peter aus der Zeit von 1474 zwar
derb ausgeführt ist, aber doch durch das originell
erfundene Ornament erfreut, wie auch das mit spät-
gothischem Flachornament gezierte Chorgestühl der
Magdalenenkirche in Riednaun.
Für das Studium des spätgothischen Hauses bietet
Tirol bekanntlich ein ganz einzig reiches Material und
gerade das Thal der Brennerstrasse mit den anstossenden
Seitenthälern ist reich an historisch interessanten, wie
malerisch anziehenden Burgen und Herrenhäusern.
Tirol besitzt in diesen Gegenden zwar auch einige
ältere Schlösser, die sich verhältnissmässig gut erhalten
haben ; an ihnen, besonders an den Bauten des früheren
Mittelalters sind jedoch kunstgeschichtlich nur einige
architektonische Details von Interesse. Als besonders
reiches Beispiel erscheint hier das Schloss Tirol aus dem
Beginn des 13. Jahrhunderts, dessen Hauptsaal reich
mit romanischen Skulpturen geschmückte Thüren und
originelle Ornamente an den Theilungssäulchen der
Fenster besitzt. Gewöhnlich aber finden sich, wie z. B.
in Hohen-Eppan oder Taufers allein in der Schloss-
kapelle Reste alter Kunst. Die profane Kunst spielte
eben damals noch keine selbständige Rolle, erst mit
dem Schluss des Mittelalters gewinnt sie höhere Be-
deutung, selbst der Schlossbau wurde daher zunächst
fast ausschliesslich durch die praktischen Bedürfnisse
bedingt. Von der Ausstattung dieser alten Schlösser
hat sich natürlich fast gar nichts erhalten; dass sie zu
Grunde gegangen ist, ist leicht begreiflich, bei dem
langen Zeitraum von mehr als sechshundert Jahren, der
zwischen dem Bau jener spätromanischen Burgen und
der Gegenwart liegt, dass aber auch ursprünglich nicht
viel vorhanden war, ist ebenfalls sicher; wie in der
Architektur, so beschränkte man sich eben auch in der
Ausstattung auf das Nothwendige.
Die moderne Kunst entwickelt sich anfangs unter
dem Schutz, in der Pflege der Kirche ; erst verhältniss-
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
57
massig spät, nämlich im 15. Jahrhundert, regte sich bei
uns das Bedürfniss, nach reicherem, künstlerischem
Schmuck des Hauses, zunächst natürlich des vornehmen.
Das 15. Jahrhundert, in dem sich die neue Zeit so
vielfach vorbereitet, ist es vor allem, wo unter An-
lehnung an die ältere Kunst der Kirche, ,die Kunst des
Hauses sich zu entwickeln beginnt, wo sie aus der
Schlosskapelle auch in die Wohnräume des Schlosses
tritt, die ja meist direkt mit ihr in Verbindung stehen,
in Tirol häufig durch eine elegante Gitterthür von ihr
getrennt werden, die entweder aus Eisen geschmiedet ')
oder aus Holz geschnitzt sind, wie letzteres bei der mit
spätest gothischen Maasswerkformen dekorirten Kapellen-
thüre in Schloss Reifenstein bei Sterzing der Fall ist.
Schloss Reifenstein ist entschieden, wie für den
Maler eines der anziehendsten, so für den Kunsthistoriker
eines der interessantesten Schlösser der Spätzeit des
15. Jahrhunderts; schon weil es keine wesentlichen
Veränderungen, vor allem keine moderne Restauration
durchgemacht hat und dadurch heute noch vor uns
steht, als ein von der Zeit verhältnissmässig wenig
berührtes Denkmal des 15. Jahrhunderts.
Die Burg liegt auf einem nach allen Seiten steil
abfallenden Felsen, der nördlich durch einen schmalen
Rücken mit der Anhöhe zusammenhängt, auf der das
Zenokirchlein liegt, ein bescheidener Bau aus der Mitte
des 17. Jahrhunderts, neben dem man eine prächtige
Aussicht auf die Gletscher des Riednaunthals hat. Nur
ein schmaler, steiler Weg führt zu dem Schloss, an
dessen einst starke Befestigung schon das Aussenthor
mahnt, in dem sich noch das alte Fallgitter mit seinen
mächtigen Eisenspitzen erhalten hat. Durch dieses
Thor treten wir in den Vorhof, dessen Gebäude ganz
in Trümmer liegen, in dem wir aber zwischen dem
alten Gemäuer reizende Ausblicke in das Thal und auf
das nahe Dorf Elzenbaum haben, lieber die morsche
Zugbrücke kommen wir zum Hauptthor, in dem sich
nur das alte, kleine Schlupfthürchen öffnet, durch das
wir in die eigentliche Burg treten. Das innere der
Burg ist, abgesehen von ein paar kleinen Zimmern, die
sich der Besitzer als Absteigquartier eingerichtet, fast
ganz verlassen, ein äusserst malerisches Gerumpel, in
dem in einer grossen, rauchgeschwärzten Stube eine
arme Familie wohnt; gut erhalten aber haben sich zwei
') Ein prächtiges Stück dieser Art aus dem 15. Jahrhundert hat
kürzlich das bayerische National-Museum erworben.
Hauptstrasse Sterlings mit dem Zwölferthurm.
Zimmer, deren interessante Dekoration aus dem Ende
des 15. Jahrhunderts stammt, zu welcher Zeit das Schloss
im Besitz des deutschen Ordens war, der es 1470 durch
Herzog Sigismund erhalten hatte.
Das eine dieser Zimmer im Erdgeschoss hat prächtige
Schnitzereien an den Balken der Decke und einen hübschen
Schrank aus dem i 5. Jahrhundert, deren elegantes spät-
gothisches Ornament darauf hinweist, wie sich die Kunst
des Hauses jetzt reicher entfaltet ; wie sie aber aus der
Kunst der Kirche hervorwächst, das zeigt der darüber
gelegene Saal , zu dem wir auf einer engen , dunklen
Wendeltreppe emporsteigen. Die Wände sowie die Decke
desselben sind mit grünen gothischen Ranken bemalt,
durch die zierliche Aeste gezogen sind, auf denen und
zwischen denen sich allerlei Figuren bewegen. Diese
phantasievollen, recht charakteristisch deutschen Malereien
wurden 1498 ausgeführt, sind also wohl nur wenig jünger
als jene oben erwähnten Wandgemälde an dem Bauern-
hause in Ried, die unter italienischem Einfluss stehen,
wodurch wir sehen, wie hier im Grenzlande die ver-
schiedenen Richtungen unbekümmert neben einander
arbeiten. Die gleiche Ornamentmalerei wie in diesem
Zimmer findet sich an der Rückseite und den Seiten-
thcilen zahlreicher Tiroler Altäre der Zeit , auch die
58
DIE KUNST UNSERER ZEIT,
kleine Hauskapelle , die als Erker an dieses Zimmer
stösst, ist in gleicherweise dekorirt; aber an der Altar-
wand sehen wir hier Reste eines hübschen Wandgemäldes
der Madonna mit dem Kinde, die sofort die andersartige
Bestimmung dieses Raumes erkennen lassen. Dass diese
Kunst in der Schule der Kirche lernte, daran erinnern
unter den Figuren in den Ranken des Zimmers schon
die Gestalten des hl. Nikolaus und Christophorus; aber
andererseits klettern hier auch muntre Bursche auf den
Aesten, Kinder, die mit Vögeln spielen, und eine fröh-
liche Jagdgesellschaft tummelt sich da herum, und an der
Thüre, die in das nächste Zimmer führt, ist der Niemand
als Urheber alles Unglücks abgemalt, wie er zwischen zer-
brochenen Töpfen und ähnlichen vom häuslichen Jammer
erzählenden Dingen dahinschreitet , welches Bild der
Vers erklärt : « niemanz heiss ich , was man thut das
ziet (zeihet) man mich. » Dadurch zeigen diese Bilder
so recht frisch und munter, wie die Kunst damit, dass
sie aus der Kirche in's Haus kommt, eine andere wird,
wie sich ihr hier eine neue Stoffwelt bietet , wie sie
weltlich wird und in's volle Leben in der Natur und
im Hause greift und so die moderne Kunst und ihr,
für Deutschland besonders bedeutsam , die Kunst des
Hauses begründet.
Aeltere, noch befangenere, aber gerade unter diesem
Gesichtspunkt hochbedeutsame Wandgemälde der Art
besitzt aus dem Ende des 14. Jahrhunderts bekanntlich
Schloss Runkelstein bei Bozen, einen sehr reichhaltigen
Cyklus verwandter Art, wie der in Reifenstein, gleich-
falls aus dem Ende des 15. Jahrhunderts die landes-
fürstliche Burg in Meran.
Auch einige Möbel, wie der schöne Schrank in
dem Zimmer des Erdgeschosses, und eine alte Bettstatt
haben sich in Reifenstein noch aus dem Ende des
15. Jahrhunderts erhalten, und zusammen mit der reichen
Sammlung spätgothischer Möbel, die auf dem nahen
Schloss Sprechenstein aufgestellt wurde, geben sie ein
klares Bild von der ursprünglichen Einrichtung dieser
Räume. Die Kästen und Truhen, wie die Tische, oder
vollends gar die Betten sind wahrlich noch schwerfällig
genug, aber man sucht sie durch das zierlich geschnitzte
Ornament zu erleichtern, zu beleben und wie die Stühle
im Gegensatz zu den früheren Bänken an der Wand,
so weisen auch die Kästen und Truhen durch den Ver-
gleich mit den Wandschränken auf den beweglichen
Hausrath der neueren Zeit hin.
Sterzing besitzt aber auch selbst noch interessante
Werke profaner Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts.
Aus ersterer Zeit befindet sich in dem sogenannten
Joechelsthurm, dem jetzigen Amtsgebäude , einem Haus
des 15. Jahrhunderts, das die Familie Joechel erbaute, so-
gar ein Prachtstück ersten Ranges, nämlich die laut
Inschrift 1469 geschnitzte Decke in der grossen Stube
des zweiten Stockes. Sowohl die Balken der Decke,
als auch die Rauten, in welche die Felder zwischen
denselben getheilt sind, weiden durch das feinste, ge-
schnitzte Ornament geziert, dessen Formen in jedem
Felde und auf jedem Balken wechseln und das dadurch,
wie neben den zierlich verschlungenen, spätgothischen
Ranken, Distel und Weinlaub oder Eichenblätter die
Ornamentmotive bieten, auf das anmuthigste zeigt, wie
man jetzt allenthalben Anregungen und Vorbilder für
die Kunst in der Natur sucht. In diese Stube mögen
sich zu einer kleinen Meditation die setzen, welche
glauben, dass der Realismus in der deutschen Kunst
vor allem in der Malerei des 1 5. Jahrhunderts aus-
schliesslich durch die Niederländer hervorgerufen worden
sei ; da und dort, besonders am Rhein mag ja die über-
legene Malerei der Niederlande die Deutschen etwas
gefördert haben, aber der massgebende Faktor des Um-
schwungs in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
war sie gewiss nicht. Wer die Kunst des deutschen
Mittelalters nicht nur in den Gallerien, sondern vor
allem im deutschen Land und zwar in all ihren Lebens-
äusserungen studirt, der weiss, wie die gesammte deut-
sche Kunst allenthalben nach einer naturwahren Kunst
strebt, ja dass dieses Streben sogar der bedingende
Faktor ihrer Entwickelung durch das ganze Mittelalter
ist, was sich am deutlichsten in der Geschichte der
Plastik verfolgen lässt. Wer die Entwickelung des deut-
schen Realismus im Mittelalter studiren, wer im Zu-
sammenhang damit die Frage über die Beziehung der
deutschen und niederländischen Malerei beantworten
will, für den ist meines Erachtens der Schmuck des
deutschen Hauses, von dem sich in Tirol noch so vieles
erhalten hat, und die Plastik, besonders die volksthüm-
liche Holzplastik, ein wichtigeres Studienobjekt als manche
lange Reihe mittelmässiger namenloser oder willkürlich
benannter Tafelgemälde; erst der Blick auf das Ganze
führt uns in das künstlerische Leben und Streben einer
Periode ein , wodurch allein wir dann auch die Ent-
wickelung der einzelnen Gattung richtig verstehen können.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
59
Hauptstrasse Sterlings mit dem Rathhaus.
Für den Anfang des i6. Jahrhunderts, aus dessen
weiterem Verlauf manche der Sterzinger Bürgerhäuser
stammen und in dem sich im Wesentlichen der so
charakteristische Typus des bürgerlichen Wohnhauses
Tirols ausbildet, bietet das Rathhaus, Sterzings statt-
lichster Profanbau , ein ansprechendes und lehrreiches
Beispiel. Das Sterzinger Rathhaus wurde noch im
15. Jahrhundert begonnen, 1468 wurde der Grund zu
demselben erworben, also in demselben Jahr, in dem
laut Inschrift Erzherzog Siegmund den Grundstein zu
dem stattlichen Wahrzeichen der Stadt, nämlich zu dem
hohen Zwölferthurm legte. Die charakteristischsten Bau-
theile des Rathhauses aber gehören erst dem 16. Jahr-
hundert an, der schöne Erker mit seinen Wappen wurde
laut Inschrift 1 524, der Lichthof mit seinen Gallerien
in den dreissiger Jahren des 16. Jahrhunderts errichtet,
zu gleicher Zeit erfolgte wohl auch die Vertäfelung der
grossen Rathsstube und wurde auch das prächtige
Lüsterweibchen — eine Lukretia — geschnitzt, das in
mächtige Steinbockhörner ausläuft. Charakteristisch für
die deutsche Baukunst dieser Zeit trägt das Rathhaus
trotz alledem den einheitlichen Charakter mittelalterlicher
Kunst. Die Zinnenbekrönung des Hauses, die Formen
der Fenster, der Erker mit seiner Maasswerkdekoration
u. s. w., das alles gehört noch der Spätgothik an, die
Vertäfelung der Stube zeigt zwar Renaissancecharakter,
aber das schöne Thürbeschläg hält wieder an gothischen
Formen fest. Wie in der kirchHchen Baukunst und in
der Plastik, so tritt vor allem auch in der Kunst des
Hauses die deutsche Renaissance nicht in einen be-
wussten Gegensatz zum Mittelalter, sondern es werden
zunächst mit den mittelalterlichen Grundformen ganz
60
DIE KUNST UNSERER ZEIT
einfach die Details der Renaissance verknüpft, die sicli
meist auf das Ornamentale beschränken.
Das Sterzinger Rathhaus ist zugleich ein treffliches
Beispiel der Anlage und äusseren Erscheinung des
bürgerlichen Hauses an der Brennerstrasse und im Inn-
und Salzachgebiet, die vor allem das Bild dieser Städte
bestimmt und uns schon bei ihrem ersten Anblick an
die Bedeutung des Zusammenhanges mit Italien für die
künstlerische Entwickelung dieser Gegenden erinnert.
Es ist ein merkwürdiges Gemisch deutscher und italieni-
scher Hausanlage, der Grundcharakter ist ja unleugbar
deutsch, aber die spezielle Eigenart erklärt sich fast durch-
gehends aus dem Einfluss des italienischen Palastbaues.
Natürlich musste dieser schon in Folge der grossen Unter-
schiede des Klimas, das ja hier mehr als im Kirchenbau
Berücksichtigung fordert, selbständig verarbeitet werden,
aber es erhalten sich doch auch Zuge, wie die scheinbar
flachen Dächer und die offenen Hallen, die für unser
Klima unbestreitbar höchst unpraktisch sind, sich aber
gleichwohl hier so fest einwurzelten, dass sie trotz aller
Nachtheile, die sie zumal in strengen, schneereichen Win-
tern haben, doch bis zur Gegenwart festgehalten wurden.
Charakteristisch für diese Häuser ist vor allem die
Halle im Erdgeschosse, die in Sterzing nur auf der
östlichen Seite der Strasse, wo auch das Rathhaus steht,
sich findet, gewöhnlich dagegen auf beiden Seiten die
Strasse begleitet. Diese Halle, in der Verkaufsläden
und kleine Werkstätten untergebracht werden, führt bis
Bozen und Meran den Namen « Laube » und erinnert
dadurch an eine den deutschen Städten des Mittelalters
eigenthümliche Anlage, für die Behandlung dieser Hallen
in den in Rede stehenden Städten, von denen sie z. B.
besonders vollständig Mühldorf am Inn erhalten hat,
waren aber offenbar die Säulenhallen Oberitaliens, die
«portici>, das massgebende Vorbild, wie sie sich z. B.
deutscher Art am verwandtesten in Padua, künstlerisch
am bedeutendsten verwerthet in Bologna finden.
Das Sterzinger Rathhaus schmücken zwei stattliche
Erker, der eine am Eck des Hauses, der andere in der
Mitte der Strassenseite. Der Erker entwickelt sich aus
dem Chor der Hauskapelle, und Tirol besitzt noch eine
Reihe solcher Erker, so z. B. aus romanischer Zeit in
Taufers, aus gothischer dagegen gleich in dem benach-
barten Reifenstein. Der ursprüngliche Zweck des Erkers
wurde später völlig vergessen, aber der Name « Chörle »
hat sich für grössere Erker auch in hiesiger Gegend
Hof des Schlosses Kampann bei Kaltem.
bis zum heutigen Tage erhalten. Der Erker hat in
Tirol eine ganz besondere Verbreitung gefunden^ das
Bürger-, ja in der Regel auch das Bauernhaus erfreut
sich oft bis zu den allerbescheidensten herab dieses
Schmuckes und grosse Häuser zeigen häufig drei, ja
noch mehr Erker, die dann freilich manchmal sehr
bescheiden sind, ja im 17. und 18. Jahrhundert oft nur
als Fenstererweiterungen erscheinen, die aber doch wie
z. B. in der Hauptstrasse Sterzings viel dazu beitragen,
der Stadt ein buntbelebtes Ansehen zu geben.
Besonders eigenthümlich ist der obere Abschluss
dieser Häuser durch eine hohe Brüstungsmauer, die
häufig mit einem Zinnenkranz bekrönt wird ; durch diese
Mauer werden die Speicherräume und das niedrige Dach
verdeckt, so dass das Haus ein flaches Dach zu haben
scheint und hiedurch, wie durch den Umstand, dass es
häufig nach italienischer Art der Strasse die Langseite
zukehrt, wird das Bild der Strasse ein wesentlich anderes,
wie bei den übrigen deutschen Städten mit ihren steilen
Giebeldächern, ein Gegenstand, der jedem sofort auf-
fallen wird, wenn er beispielsweise Landshut und Mühl-
dorf rasch nacheinander besucht.
03
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
61
Aber auch das Innere des Hauses lässt, wie in
Sterzing nicht nur das Rathhaus, sondern auch mehrere
Privathäuser zeigen, wiederholt die Einwirkung italienischer
Anlage erkennen. Das Haus gruppirt sich nämlich um
den viereckigen Lichthof, der südlich des Brenners meist
durch ein hohes Seitenlicht erhellt wird, das durch ein
grosses, das Dach überragendes Fenster, einfällt; nicht
selten aber besitzt dieser Mittelraum eine flache Decke
und dann gewöhnliche Fenster an den Seiten , wo das
Haus freisteht und keine Zimmer angeordnet sind; hiefür
bietet der Winkelhof bei Brixen ein schönes Beispiel ;
häufig findet sich diese Anlage nördlich des Brenners,
wie recht charakteristisch in dem schönen, alten Haus
der Kaiserkrone in Matrei. In jedem Stockwerk läuft
um diesen Raum eine Gallerie und von dieser aus gehen
die Thüren in die einzelnen Zimmer. Es ist dies, abge-
sehen von der durch das rauhere Klima gebotenen Be-
deckung des Raumes , eigentlich dieselbe Anlage wie
beim italienischen Palasthof mit seinen Gallerien, die ja
auch in den Schlössern Südtirols besonders seit der
Renaissance häufig nachgebildet wird, wie z. B. in Schloss
Kampann bei Kaltem.
Diese Lichthöfe und Treppenhäuser, die schon durch
ihre Grossräumigkeit auf Italien weisen und an warmen
Tagen einen äusserst kühlen und angenehmen Aufent-
haltsort gewähren, sind häufig mit allerlei künstlerischer
Zier ausgestattet und oft von ganz ausserordentlich an-
ziehender malerischer Wirkung.
Den Einfluss des italienischen Palastes zeigen
bei diesen Häusern ferner die offenen Hallen an der
Rückseite. Das Sterzinger Rathhaus besitzt nur eine
solche Halle im ersten Stock ; sehr häufig aber wieder-
holen sich dieselben in den verschiedenen Stock-
werken, wie beispielsweise beim Fuggerhaus in Schwaz,
wo sowohl das Erdgeschoss als auch die drei darüber
befindlichen Stockwerke sich in solchen Loggien öfihen.
Air diese Eigenthümlichkeiten der
Anlage des Bürgerhauses und des Rath-
hauses finden sich, natürlich mit den
mannigfaltigsten Veränderungen, von Süd-
tirol über den Brenner bis hinunter
nach Passau, und begründen in erster
Linie den einheitlichen, so bestimmt aus-
geprägten Charakter dieser Städtegruppe.
Aus dieser Gruppe der Städte an der alten Strasse
nach Italien griff ich mit Sterzing keineswegs die be-
deutendste heraus , denn von den deutschen Städten
südlich des Brenners beansprucht Brixen als Bischof-
stadt, Bozen als die wichtigste Handelsstadt, ja auch
Meran eine entschieden höhere Bedeutung als Sterzing,
und nördlich des Brenners sind Innsbruck und Schwaz,
aber auch einige der bayerischen Städte kunstgeschicht-
lich wichtiger. Aber Sterzing, das schon als erste
grössere Station auf der Südseite des Brenners ein eigen-
artiges Interesse beansprucht, hat dadurch einen hohen
Reiz, dass die Stadt heute noch ein selten vielseitiges,
vollständiges und dadurch lebensvolles Bild aus ihrer
Blüthezeit im Ende des 15. und im 16. Jahrhundert
bietet. Sterzing ist eine kleine Stadt, um so lockender
erschien es mir , darauf hinzuweisen , wie viel des In-
teressanten doch auch solch' kleine Städte besitzen, an
denen Deutschland so reich ist, die dem Künstler so
viel Anziehendes bieten und in denen er daher gern
mit dem Historiker zusammenarbeiten wird, der hier
gerade die intimsten Züge deutschen Kunstlebens, ihre
ächte Volksthümlichkeit studirt. Der Künstler und der
Kunsthistoriker werden daher hier , glaube ich , gerne
zu gemeinsamer Studienwanderung ausziehen, und sie
werden sich dabei bald besser verstehen als in lang-
athmigen, theoretischen Auseinandersetzungen; ihre Wege
werden sich manchmal theilen, denn gar Vieles, was
historisch interessant, ja sogar bedeutend ist, ist dess-
halb noch nicht für unsere Zeit künstlerisch ansprechend,
und an gar mancher Ruine , manchem Kunstwerk , das
den Maler begeistert, wird der Historiker kühl vorüber-
gehen. Gerade diese Gegensätze der Auffassung, die
verschiedene Art, zu beobachten und zu arbeiten, hat
sehr viel Anregendes , und die Beiden wünschen sich
wohl noch einen Dritten, nämlich einen Dichter, der
mit warmen Worten das ausspräche, was bei dem
fröhlichen Wandern ihr Herz erfüllt; die
Freude an dem schönen Lande, an
seinen Leuten und seiner Kunst, die, je
näher wir sie kennen lernen, je feiner
wir sie beobachten, wir desto wärmer
fühlen, und die schliesslich doch der
gemeinsame Trieb unserer Studien und
unseres künstlerischen Schaffens ist.
Lüsterweibchen in der Rathsstube zu Sterzing.
Das Malermärchen
VON
WOLFGANG KIRCHBACH.
Ich sass eines Tages in dem grossen Rubenssaale
der altberühmten Dresdner Gemäldegallerie auf dem
- rothen Plüschsopha behaglich zurückgelehnt und
betrachtete nachsinnend das gewaltige Gemälde des
Rubens, wo Neptun aus dem Meere auftaucht, den
Dreizack schwingend , und den Stürmen mit seinem
< Quos ego — ! » Ruhe gebietet. Blonde, üppige Nymphen
umschwimmen seinen Muschelwagen , den weisse See-
rosse mit nassen Mähnen und gewaltigen Schwimmfüssen
ziehen. Die überwältigende Naturkraft, die strotzende
Lebensfülle dieses Riesenbildes erfüllte mich mit einem
gesteigerten Kraftgenuss der Seele; ich hätte mich am
liebsten selbst als ein solches blondes Seeweib oder
als ein Triton um den Muschelwagen des Meergottes
durch die Wellen gewälzt.
Die Gallerie war gänzlich menschenleer. Rechts
und links konnte ich in die lange Flucht der Bilder-
säle hinabschauen ; kein einziger Besucher war dort zu
spüren. Nur die Bildnisse an den Wänden, die alten
bärtigen Niederländer von Rembrandt's Hand, die viel-
fach aufgeregten Gestalten der Rubens'schen Kunst
brachten eine stumme menschliche Gesellschaft um mich
hervor. Ganz hinten im letzten Saale am Fenster sah
ich einen Galleriediener in sich zusammengesunken auf
einem Stuhle sitzen und schlafen. Er mochte von der
Hitze eingenickt sein, denn es war ein heisser Sommer-
tag um Mittag, wo Niemand die Gallerie gern besucht.
Aber ich liebte diese Einsamkeit, um in der lautlosen
Wärme meinen wundersamen Träumen nachzuhängen.
Eine innere Verwandlung ging mit mir vor. Die
Hitze und die allgemeine Stille begann mich einzu-
schläfern. Wiederholt wachte ich auf und besann mich,
wo ich war. Dann aber kam ein neues Träumen über
mich, abgerissene Bilder aus der Vergangenheit tauchten
vor mir auf, umgaukelten mich und verschwanden.
Einmal glaubte ich eine Vision zu haben, als rege der
Neptunus da oben wirklich seinen Dreizack. Doch das
verging wieder. —
Ich mochte zehn Minuten lang so vor mich hin-
gedämmert haben, als ich im Nebensaale ein Geräusch
von langsamen Schritten vernahm. Irgend Jemand
schien draussen zu gehen, stehen zu bleiben, und wieder
weiter zu wandeln.
Ich blickte auf. Zu meiner Verwunderung, nicht
ohne einen leisen Schauder zu empfinden, sah ich draussen,
den Rücken mir zugekehrt, einen Mann in fremdartiger
Tracht stehen. Er hatte einen grossen, breitgeränderten
Hut auf, über dessen Krampe eine röthliche Feder
herabhing. Er trug mit Schleifen besetzte Kniehosen,
ein wammsartiges Oberkleid, einen kurzen Mantel über
den Schultern, einen Degen an der Seite und grosse
lederne Stulpenhandschuhe an den Händen.
Ich sah, wie der Mann sinnend vor dem Bilde
stand, seine Hand rückwärts an die Hüfte legend, so,
dass der Mantel durch den Ellenbogen etwas herauf-
gebauscht wurde. Er war von mittlerer Grösse, seine
Haltung vornehm und gemessen.
Nach einer Weile drehte er sich herum und kam,
die Hand auf den Degenknauf legend, ruhig vor sich
schauend auf den Eingang meines Saales zu. Ich konnte
sein Gesicht erkennen, ohne dass er mich noch zu
bemerken schien. Die Züge kamen mir bekannt vor.
Ich sann, wo ich sie unterbringen sollte. Ich rieth,
welchem oft gesehenen Antlitz sie so merkwürdig ähn-
lich erschienen. Auf einmal fiel mir ein Bild ein, das
hinten in dem letzten Saale hängt, aus dem er her-
gekommen sein musste. Dort befindet sich das berühmte
Bild, welches unter dem Namen des «Liebesgartens»
bekannt ist und von Peter Paul Rubens stammt. In
einem alten Parke um eine Grotte lagern reichgekleidete
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
63
Damen mit Kavalieren jener Zeit, geflügelte Liebesgötter
umflattern sie. und liegen den leidenschaftlich bewegten
Damen im Schooss. Links vorn in der Ecke steht ein
Herr in heisser Umarmung mit einer blonden Nieder-
länderin und schaut liebestrunken aus dem Bilde heraus.
Das Antlitz dieses Herrn ist das Selbstbildnis des
Künstlers, des Malers Peter Paul Rubens. —
Als jetzt der Fremde in den Eingang meines Saales
trat und mit dem Ausdrucke eines grossen Erstaunens
stehen bUeb, fiel mir die ausserordentliche Aehnlichkeit
seiner ganzen Gestalt und seiner Züge mit jenem Selbst-
bildnis beklemmend auf's Herz. Es war dasselbe breite
Gesicht mit dem kurzen Schnurrbart.
Der Fremde warf einen scharfen, klaren Blick auf
die Bilder des Rubenssaales und begann dann, augen-
scheinlich sehr erstaunt, sich einzelne Bilder näher zu
beschauen. Er stand eine Weile vor dem büssenden
heiligen Hieronymus mit dem Löwen und schüttelte
den Kopf; dann trat er vor den grossen Dianazug, wo
Faune und betrunkene Nymphen in sattem, strotzendem
Leben einherziehen, er schaute hinauf nach dem Riesen-
bilde des betrunkenen Herkules, den ein Faun und ein
bocksfüssiges Weib stützt, sein Auge schweifte auf das
Bildnis der Söhne des Rubens und endlich blickte er
lange hinauf nach dem grossen Gemälde des Neptuns,
der den Meeresstürmen Schweigen gebietet. — Ich
glaubte zu bemerken, dass eine tiefe Andacht auf seinem
Antlitz lag, als er diese Bilder eines schwellend reichen
I .ebens und einer Ubermüthigen Einbildungskraft musterte.
Mehrmals sah ich ihn beifällig nicken, all diese Sachen
schienen ihm ausserordentlich zu gefallen.
Er schien mich bis dahin gar nicht beachtet zu
haben; auf einmal aber machte er eine Wendung zu
mir herum, nahm seinen Krämpenhut mit einer sehr vor-
nehmen Gebärde ab, verneigte sich, indem er den
Degenknauf etwas niederdrückte und sagte in klarem
Deutsch mit etwas kölnischem Tonfall:
« Sie verzeihen, mein Herr — können Sie mir viel-
leicht Auskunft geben darüber, wer diese fabelhaften Bilder
hier gemalt hat». Ich erhob mich, einigermassen verwun-
dert, dass dieser Herr mich so ohne Weiteres ansprach,
ohne mir die mindeste Aufklärung zu geben, wie er in
einemsolchen Kostüm sich hierher gefunden haben mochte.
« Mein Herr, sagte ich , diese Bilder sind von der
Hand des Peter Paul Rubens, des grössten flämischen
Malers seiner Zeit. Er starb im Jahre 1640».
«Merkwürdig», entgegnete der Fremde, indem er
sinnend vor sich hinblickte. «Merkwürdig. Rubens!
Dieser Name ist mir doch schon einmal vorgekommen
irgendwo. Er kommt mir bekannt vor». — Ich sah
mir den Sprecher näher an. Kein Zweifel, er war dem
Antlitz des Rubens auf jenem Bilde zum Verwechseln
ähnlich. Aber der Ton seiner Stimme glich der eines
Nachtwandlers, und es berührte mich unheimlich, dass
er jenen Namen schon irgendwo gehört haben wollte.
Er wendete sich wieder zu den Bildern und betrachtete
sie lange, schweigend und nachdenklich.
«Ein grosser Künstler! Ein grosser Künstler ! » wieder-
holte er im Anblick der Rubens'schen Sachen. « Es ist,
als habe er Blut in seine Farben gemischt, so saftig
und lebenswahr ist das Fleisch all dieser Gestalten!
Von welcher wunderbaren Feinheit ist der Ton auf der
Haut dieses heiligen Hieronymus! Das ist vornehm,
das ist zugleich natürlich. Es ist grosser Stil, nicht nur
in diesen Kompositionen, auch der Vortrag der Malerei,
die Art, das Farbige in der Natur zu sehen, ist von
einem gewissen kraftvollen und mächtigen Stil. Ah ■ —
sehen Sie doch, mein Herr, welche Naturwahrheit das
Fleisch' dieser Nixen um den Neptun hat, wie richtig
es durch den Charakter des umspülenden Wassers
bestimmt ist, wie gut dieser Maler die wechselseitige
farbige Bestimmung der Gegenstände beobachtet und
wie er trotzdem seine Malereien zu grossen Schöpfungen
zu erheben vermag, die nicht wegen ihrer malerischen
Beobachtungen da zu sein scheinen, sondern hinreissen
durch die innere Belebtheit der Vorgänge selbst ! Ah
— mein Herr, ich bitte Sie! War je ein Mensch so
grossartig betrunken wie dieser Herkules da oben.?!
Haben jemals Faune, Nymphen und Satyre gelebt, die
so gegenwärtig waren wie hier dieses Gesindel , im
Gefolge der Jagdgöttin, der edlen Diana? Diese Nymphen
könnte man ja in ihre feisten Wangen kneifen, als lebten
sie wirklich, diese bocksfüssigen Gestalten scheinen ana-
tomisch geradezu nothwendig und haben gar nichts
Fabelhaftes, sondern treten so fest auf, wie bürgerlich
wirkliche Menschen, die einen Taufschein besitzen und
polizeilich angemeldet sind. Ah — und, mein Herr,
diese Löwen, dieser Eber auf den beiden Jagdbildern !
Die Bestien scheinen ja gerade in den Saal herabspringen
zu wollen, als wäre der Rahmen nur das Gitter ihres
Käfigs! Mein Herr, glauben Sie mir, dieser Künstler
hatte Fleisch und Blut, er malte nicht, er lebte alle
9*
64
DIE KUNST UNSERER ZEIT,
seine Gestalten, er lebte sie mit so viel Naturgefühl,
Lebensgefühl und mit solchem Reichthum seiner Seele,
dass sie Alle hier noch leben, während er selbst wie
Sie sagen, schon seit zwei und einem halben Jahrhundert
todt ist!»
«Ja, sagte ich, es ist wunderbar. Peter Paul Rubens,
der grosse Staatsmann und Maler, ist längst verwest und
in Nichts verschrumpft; seine Farben und seine Leinwand
sind viel dauerhafter, als der Mann selber war und die
Figuren seiner Phantasie athmen Alle noch das Leben,
welches sie ihm aus seiner Seele gesogen haben, während
er nur noch ein Namen ist » .
Ich sagte dieses Letztere ziemlich betont mit der
heimlichen Absicht, den Fremden herauszulocken und
ihm einen gewissen Nadelstich zu versetzen. Dieser
aber schaute nur etwas trübe vor sich hin und sagte
leise nickend :
«Ja, ja, so wird es wohl sein. Einen eingeschlagenen
Herkules kann man wohl wieder herausfirnissen und er
lebt wieder auf zu Folge der Solidität des Malverfahrens,
welches dieser Rubens befolgt hat, mein Herr. Schlagen
aber bei einem wirklichen Menschen die Farben ein
und verlieren sie ihren Glanz und ihre Transparenz,
dann hilft kein Firnis, um ihn wieder herauszureiben.
Es ist darum weit besser ein gemalter Mensch, als ein
wirklicher Mensch zu sein».
Der Fremde begann von Neuem sich in harmloser
Bewunderung der Rubens'schen Bilder zu ergehen und
ihre strotzende Kraft und Fülle, ihr dramatisches Leben,
die glaubhafte Realisirung all jener Wesen der Fabel-
welt zu rühmen und zu versichern, dass er hier endlich
die wahre Kunst gefunden habe, die seinem Geschmack
zusage, dass hier das eigentliche Wesen der Kunst sei,
das er lange vergeblich gesucht und daran er sich nun
gar nicht satt sehen könne.
Ich entgegnete ziemlich scharf: « Ich verkenne nicht,
mein Herr, dass dieser Meister Grossartiges und in
seiner Art Unübertreffliches geleistet hat, ich selbst
habe eine ganz persönliche Vorliebe für ihn, aber es
wäre doch schlimm , wenn die Kunst hierbei stehen
geblieben wäre. Die Welt hat weiter gelebt. Kein
Mensch trägt mehr diese altmodische Tracht z. B., in
welcher Sie, mein Herr, hier noch verkehren und sich
der Gefahr aussetzen, wegen «groben Unfugs» polizei-
lich belangt zu werden. All Ihre Nymphen und Faune,
Ihre Meerweiber, Tritone und Seerosse, all Ihre Löwen
wie auch die nackte Schönheit dieser Frauengestalten
hat eine spätere Zeit mit gleichem Leben durchdrungen
und Sie brauchen sich nur eine Treppe höher zu be-
mühen, so werden sie Manches sehen, was Meister
Rubens denn doch wohl nicht gekonnt hätte ! »
Er trat einen Schritt zurück und sah mich sehr
erstaunt, ja, sogar etwas furchtsam an. «Es i.st noch
weitergegangen?» frug er mit einer heimlichen, aber
nicht ganz verborgenen Bestürzung. «Man hat noch
weiter gemalt? Und ich glaubte, mit diesem Saale sei
auch die Kunstgeschichte zu Ende ! »
« Durchaus nicht. Eine Treppe höher geht die
Kunstgeschichte weiter und fängt vielfach sogar ganz
von Neuem wieder an. Aber damit wollen wir uns
nicht weiter aufhalten; ich will Ihnen nur das zeigen,
was Sie besonders interessiren wird, mein Herr, wenn
Sie sich meiner Führung anvertrauen wollen. »
Er lüftete mit einer sehr zuvorkommenden Ge-
bärde den Hut und lud mich mit einer Handbewegung
ein, voranzugehen. Ich verneigte mich sehr höflich
und wunderte mich nur, dass er mir auch jetzt noch
nicht seine Visitenkarte übergab, auch seinen Namen
nicht nannte. Er ging voran, durchschritt den Saal, wo
die Bilder des Murillo, des Ribera und anderer Spanier
sich befinden, warf einen Blick darauf, als sähe er nur
alte Bekannte und stieg dann die schöne, breite Frei-
treppe zur Mittelkuppel hinan, wo die Raffael'schen
Teppiche hängen. Wir schritten in das obere Stock-
werk mit der modernen Abtheilung hinauf und ich
führte ihn, ohne Aufenthalt, zunächst in den hintersten
Saal, wo Makarts grosses Gemälde des Sommers hängt.
Dieses Bild schildert ein Frauenbad. Auf einem üppigen
Pfühle in einer Grotte ruht in der Mitte eine nackte
Dame, die eben noch das Wohlgefühl des genossenen
Bades auf ihren Lippen spielen lässt, links am Becken
sind andere stolze Schönheiten zum Bade bereit, rechts
stehen hohe Frauen im Bademantel und prächtigen
Roben und spielen eine Parthie Schach. Auch halb-
wüchsige Mädchen und Kinder sind dabei und werden
gebadet. Der ganze Glanz der Makart'schen Farben-
fülle ist über dieses grosse Bild ausgegossen.
Der unbekannte Kunstkenner — denn für einen
solchen musste ich ihn ja wohl halten — betrachtete
lange das glänzende Bild des Wienerischen Meisters.
Ich glaubte zu bemerken, dass die Sache ihm denn
doch imponirte und , indem ich den ganzen Stolz
Laura Alma-Tadema pinx
Copyright \SH bjr V. Hanfstaengl, MQnchen.
Ins Garn gegangen.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
65
empfand, am Ausgange des neunzehnten Jahrhunderts zu
leben, Hess ich nach einer Weile nur die Frage fallen:
« Nun, mein Herr — ? ! »
Ein liebenswürdiges, aber ironisches Lächeln ging
über sein Antlitz ; er zwinkerte mir mit den Augen zu
und sagte schelmisch: «Ich bedauere die Männer Ihrer
Zeit, mein Herr, wenn dieses die Frauen sind, welche
in schönen Stunden in Ihren Armen liegen. Sie ver-
stehen ja wohl — [i> — Ich verstand zunächst ganz
und gar nicht und blickte ihn überrascht an. — «Nun,
ich will deutlicher seins, sagte er noch schelmischer.
« Dieses Bild frappirt allerdings auf den ersten Anblick. Es
ist in dieser Farbe etwas von der morbidezza der
italienischen Meister, welche wir Niederländer ja auch
in Italien studierten. Aber was ist Farbe, was ist
Eleganz der Linien ! Elegant ist diese Farbe, elegant
dieser Vortrag, elegant die Farbenharmonie! Ich sehe
das recht wohl. Aber diese Eleganz ist keine Schön-
heit und , mein Herr , die Hauptsache ist , dass diese
Frauen so leicht wie die Luft sind. Dieses Fleisch hat
keine Schwerkraft. »
«Wie so.?»
«Ei, mein Herr», sagte der Unbekannte. «Wissen
Sie nicht, dass das Fleisch des Menschen ebenso gut
auf eine Waage gelegt werden kann wie ein Pfund
Ochsenfleisch oder Schweinefleisch.?! Wissen Sie nicht,
dass es dann sein ordentliches Gewicht hat und dass
ein Mensch in diesem Falle zumeist einhundert bis zwei-
hundert Pfund wiegt? Haben Sie nicht sogleich an den
Gestalten des Rubens gesehen, dass diese Wesen auch
ein wirkliches Gewicht haben und dass die Farbe selbst
dieses materielle Gewicht ausdrückt ? Sie müssen wissen,
mein Herr, dass ein nackter Mensch, mag er stehn
oder gehn oder fliegen, durch die Anziehungskraft der
Erde auch angezogen wird, dass seine Muskeln, Schenkel
und Waden, Bauch und Brüste, soweit sie nicht im Zu-
stande der Anspannung sind, nach dem Mittelpunkt der
Erde gravitiren, wie das sich ja ganz von selbst aus
den Gesetzen ergeben würde, welche ein gewisser Galiläi
vor nicht zu langer Zeit neu erörtert hat, wenn es nicht
der Augenschein selbst lehrte. Sehen Sie doch einen
nackten Menschen einhergehen, wie sein Fleisch da nach
der Erde hängt, denn das Fleisch will wieder zur Erde
zurück, aus der es ward und in der es auch wieder zur
Erde wird. Nun, mein Herr, dieses Gravitationsgesetz
des Fleisches haben Männer, wie Michel Angelo, Raffael
und vor Allem der grosse Rubens stets beobachtet,
darum ergiebt sich auch ein ganz anderer anatomischer
Zustand der Rubens'schen Wesen, als dieser luftigen
Frauengestalten hier. Sie können nicht gehn und stehn
und kein Mann kann sie umarmen. Mein Herr, es ist
nur eine kleine Nuance, es ist ein Grad in der Zeichnung
und in der Lage des Lokaltones zum Schattenton, es
ist nur ein Grad in der Bestimmung der Reflexe und
des Selbstreflexes, den das Fleisch in sich selbst hat —
nur ein Grad, welcher zugleich das Schwergewicht des
Fleisches malt und sein Hängen zur Erde in der Natur
ausdrückt. Dieser Maler hier aber hat nur die Häute
der Menschen studiert und gemalt, wo sie als Häute
wirken ; er hat durch seine Farbenkombinationen, durch
die Reflexe, welche er durch prächtige Stoffe auf das
Nackte fallen lässt, das innere Fleisch abgetödtet und
die Häute isolirt. Er hat eine Hautschönheit gemalt
und parfümirte Häute ausgehangen. Mein Herr, ich
fühle geradezu einen Schauder; hier ist kein Knochen,
keine Sehne, kein Muskel, kein Fett verräth, dass es
unter diesen Häuten ist und die Anatomie — o, mein
Herr, diese schönen Häute hier sind ja über die zu
Grunde liegende Anatomie hinweggezogen, wie ein
Frauenstrumpf über eine Männerwade; das Strumpf-
band ist verloren und der Strumpf ist gerutscht.»
«Aber, mein Herr», sagte ich, unwillig, dass dieses
Bild, welches ich bewundert, eine so abfällige Beurtheilung
bei diesem Flamländer fand. «Haben Sie denn keine
Empfindung für die Sinnlichkeit und Ueppigkeit dieser
Farben, für das Bouquet, für den Geschmack, mit wel-
chem die Stoffe gewählt sind und den Ton dieser zarten
Frauenhaut bestimmen, keinen Sinn für die Lebensfülle,
welche aus der Auffassung des Gegenstandes selbst
spricht ? ! »
«Ich habe Hunderte von nackten Weibern gesehen»,
sagte der Fremde, «aber niemals solche Gestalten. Es
schaudert mich vor ihnen. Diese Köpfe, bei allem
Schmelz des Incarnates, kann man sich vorstellen, dass
ein Schädel darunter ist?! Diese aufgerissenen Augen-
lider — was drücken Sie denn aus? Sprechen sie von
Frische der Sinne, von zweckmässiger Sinnlichkeit r Nein,
zwecklose Ueppigkeit athmen diese Lippen und dieses
Kind hier unten, dieser aufgeschwammte Knabe, welch'
eine Missgeburt geheimer Sünden ist denn das?! All
diese Weiber haben sich geschminkt und damit ihre
Haut verderbt — es muss eine schreckliche Zeit, eine
66
DIE KUNS'l" UNSERER ZEIT.
Zeit voll innerem Wahnsinn der Sinne gewesen sein,
da man solche Bilder, solche Frauengestalten bewun-
derte. Dieser Maler hat von der weiblichen Natur nur
das gesehen, was als Phosphorenz des Fleisches im Zu-
stande üppiger Erregung und üppiger Erschöpfung durch
die Haut läuft und es ist schrecklich, diese Beobach-
tungen zu isoliren, ohne sie auf anatomisch wirkliche
Gebilde und Wesen von irdischer Schwerkraft zu be-
ziehen, dadurch zu mildern und den heiligen Zwecken
der Natur entsprechend darzustellen Und noch Eines,
mein Herr! Dieser Maler malte, um zu malen, kolorirte,
um zu koloriren ! Nicht Tizian und Giorgione, nicht
Veronese hat das gethan! Dieser Maler will schön sein
durch Farbenwerthe, Tizian aber wollte die Schönheit
der Gestalt, wie sie sich durch die Materie als farbige
Erscheinung verwirklicht! Dieser Maler hier will eine
schön arrangirte Palette, in welcher auch der Mensch
nur ein Schmuck, eine farbige Zierde ist, Tizian und
Rubens aber malten, weil die Schönheit und Kraft der
gesunden Natur und ihrer Materie durch die Farbe
zu einer Gestalt wird. Dieser Maler malt nur im Gegen-
satz zu denen, die, statt des Pinsels den Zeichenstift
brauchen und er betont diesen Gegensatz; Rubens hat
gemalt, weil die Natur selbst nur durch Farbe zur Form
wird und ihr lebendiges Leben, ihr Lebendigsein im
Lichte und in der Wärme der Sonne, durch farbiges
Dasein beweist.»
Der Fremde endete und wendete sich ab, als ob
er im Anblick der schönen Makart'schen Frauen einen
körperlichen Schmerz empfände. Auch ich wagte nur
noch verstohlen auf das Bild zu schauen, denn, merk-
würdig! während seiner Rede vermisste auch ich all das,
was er vermisste. —
Er wendete sich herum und sein Auge fiel auf
das grosse Bild der beiden Löwen von Richard Friese,
welche in der ganzen Naturtreue ihres Katzencharakters
anatomisch und in jeder anderen Hinsicht vollendet
beobachtet und gemalt, auf einem Felsgerölle lauernd
heranschleichen und unten in der Tiefebene eine Kara-
wane beobachten.
€ Hier sehen sie eine Leistung des 19. Jahrhunderts,
die Ihnen besser gefallen wird, mein Herr ■» , sagte ich.
« Vergleichen Sie die Thiermalereien des Rubens damit, so
werden Sie den Fortschritt der Zeit nicht verkennen ; denn
das geben Sie wohl zu, dass Rubens noch manchen Löwen
malte, der mehr heraldisch als naturalistisch aussieht. >
Der Unbekannte betrachtete sich eine Weile das
Bild. «Das ist schon besser», sagte er. «Ein guter
Thierbeobachter ! Er hat die Natur des Löwen fast so
gut beobachtet wie Homer vor 2700 Jahren. »
Ich stutzte. Ich sagte mir, ich müsse mit einem
hochgebildeten Manne sprechen, und mein Verdacht,
ich hätte es doch mit Rubens selbst zu thun, regte sich
von Neuem. Der Fremde lächelte wieder mit verbind-
licher Ironie und sagte: «Sie wissen ja, wie Homers
Vergleiche, die er vom Löwen und anderen Thieren
nimmt, überall beweisen, dass er diesen mit einem ausser-
ordentlichen Naturalismus beobachtet und charakterisirt.
Warum sollte ein Maler wie Rubens, der doch erst seit
250 Jahren tot ist, weniger gut beobachten?! Dieses
Bild hier ist sehr gut, aber vergleichen Sie doch einmal
die säugende Tigerin des Rubens mit diesen Ihren
« modernen » Löwen I »
Ich musste sogleich zugeben, dass Rubens allerdings
die Lage , welche jene Bestie beim Säugen annimmt,
ausserordentlich richtig charakterisirt habe, dass die
Pranken, der Kopf des Thieres vollständig naturalistisch
und in voller Schwere ihrer ruhenden Gewalt daliegen,
und dass der Charakter des Felles ganz naturalistisch sei.
«Also», sagte der Fremde. «Das geben Sie zu!
Dieser geistreiche Maler hier würde beinahe eines Rubens
würdig sein, wenn er nicht drei Fehler gemacht hätte,
welches die Fehler seiner Zeit sind. Der erste Fehler
ist, dass er dieses Kalkgerölle hier viel zu sehr ausgeführt
hat. Diese Kalkfelsen sind ja von einer landschaftlichen
Wahrheit, dass man sie gleich wegnehmen und damit
nach den Löwen werfen könnte. Mein Herr, das ist
ein grosser Fehler! Würden Si5, falls Sie in die Lage
kämen, zwei wirklichen Löwen auf diese Distanz im
Freien zu begegnen und sie zu beobachten Zeit und
Laune haben, auch die geologische Natur des Bodens,
auf dem sie sich bewegen, so genau studiren?!
Nein, Sie würden so sehr hingerissen sein durch den
Anblick der Thiere selbst, dass Sie den Vordergrund der
Felsen nur unbewusst in einem allgemeineren Charakter
sehen würden. Und hätte der Maler diesen allgemeineren
Charakter nur gegeben, so würden die Thiere selbst
noch weit grandioser wirken. Dieser Maler hat den
weiteren Fehler begangen, dass er das Fell der Thiere
so naturwahr geschildert hat, als hätte er ein Löwenfell
vor sich gehabt, welches ihm zu einem Stillleben als
Modell diente. Aber bringen Sie sich, auch wenn Sie
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
67
nur m Käfig den lebenden Löwen in Bewegung sehen,
die Beschaffenheit seines Pelzes dermassen zum Bewusst-
seinPl Nein, in diesem Falle ist auch das Haar des
Pelzes kein Detail für den Kürschner, sondern es sieht
gerade so aus wie die Tigerin des Rubens, es ist
das charakteristische Kleid des Wüstenkönigs
und erscheint Ihnen in einer grössern Ansicht. Aus
beiden Fehlern ergibt sich aber der Dritte, nämlich,
dass diese Löwen gleichfalls zu leicht sind und zu
dünne Knochen haben. Die geologische Materie und ihre
Schwere ist im Missverhältnis zur Schwere des Fleisches
und der Knochen. Sie glauben natürlicher zu sein als
Rubens; in Wirklichkeit aber balanziren Sie die Be-
deutung Ihrer Naturbeobachtungen nur falsch; Sie legen
ein Schwergewicht auf das , was ein nebensächliches
Gesetz der Natur ist, und die grossen Hauptgesetze,
welche sozusagen das Gerippe für den Zusammenhalt
der Erscheinungen ausmachen, vergessen Sie darüber.
Diese Löwen mögen für den Geschmack eines Kürschners
passen, aber auf gewisse Entfernungen sieht selbst ein
Kürschner nicht mehr das Fell, sondern den Löwen nur
noch als eine moralische Erscheinung ! »
Nach diesen Worten ging der Fremde aus dem
Saale und sagte : « Uebrigens ein schönes Bild ! Schade,
dass es in Ihrer Zeit gemalt ist!» Er trat in den Neben-
saal und blieb sofort überrascht vor einem der vorzüg-
lichsten Plein-air- und Freilichtbilder unserer Zeit stehen,
Harrisons «Studie». Man sieht einen Waldweiher und
sein Ufer bei Abendsonnenschein, dessen Lichter sich
im Wasser spiegeln. Im Vordergrunde kommt eine
nackte Nymphe an, eine andere nackte Frau sieht man
auf dem Wasser selbst sich auf einem Kahne herüber-
stossen. Ich sagte mir, ich müsste den Fremden etwas
in das Verständnis des Bildes einführen, da er voraussicht-
lich hiefür gar nicht die Augen haben würde, und sprach :
« Bitte , sehen Sie richtig hin ! Haben Sie jemals
ein Bild gesehen , wo das Wasser feuchter schien , wo
die Art der Lichtreflexe und der Lichtspiegelungen so
zart beobachtet ist, wo Luft und Dämmerung selber
sich so spiegeln ? Haben Sie gesehen , wie wahr der
graugrüne Ton des Fleisches dieser Nymphe ist, bestimmt
durch die feuchte Abenddämmerluft, und empfinden Sie
den Stimmungszauber, der in dieser wahren Beobachtung
der meteorologischen Natur liegt? Hier ist das Licht,
die Luft selbst gemalt, und das konnte keine frühere
Zeit, das ist ein wirklicher Fortschritt 1 y>
Der Unbekannte sah lange auf das Bild ; er schien
trübsinnig zu werden. Der Impressionismus schien ihm
neu ; ich war gespannt, ob sein Auge sich überhaupt auf
die Sammlung der diffusen Farben zu einem bestimmten
Bilde einstellen würde. Nach einer Weile sagte er:
« Es ist mir wahrhaftig gerade so, als ob ich an einer
Strassenlache stände, in welcher sich ein Kirchthurm
spiegelt und ich mich selbst auf dem Kopfe stehen
sähe ; es schwindelt meinem Auge vor diesem Chaos
von Farben, die doch ein bestimmtes Nebelbild der
Landschaft ergeben! Aber, mein Herr, welch ein Auf-
wand von Mitteln, um einen Eindruck z»i erzeugen, den
Rembrandt oder Rubens mit drei Pinselstrichen erzielt
hätte! Glauben Sie denn, ich sähe nicht auch, dass die
Körper und die Dinge von Luft und Aether, von Licht
und Feuchtigkeit umgeben sind.?! Glauben Sie, ich
wüsste nicht auch, dass wir die Dinge durch einen
Farbeneindruck zunächst vermittelt erhalten? Aber löst
unser Gehirn diese Impressionen in ein gestaltloses
Chaos von Farben auf? Thut es nicht das Gegentheil?
Verarbeitet es nicht diese Farbenflecke sofort in eine
plastische, festumschriebene Gestalt, selbst da, wo es
Dämmerungen und Nebelbilder sieht? Ist die Welt nur
eine Erscheinung in Ihrem körperlichen Auge?! Ist sie
nicht vielmehr eine Erscheinung in Ihrem Gehirn? Und
trägt dieses Gehirn nicht in jedem Augenblicke Ihres
Sehens auch seine Erinnerungen an die Form und
die Gestalt der Wesen in die farbigen Erscheinungen
Ihres Auges hinein ? Ordnet nicht diese Erinnerung
gerade die farbigen Impressionen fortwährend zu be-
stimmten plastischen und organisirten Erscheinungen?!
O — mein Herr, ich werde im Anblick dieses Bildes
und der Richtung desselben tieftraurig ! Dies Bild scheint
nicht von einem Menschen, auch nicht von einem Gotte
gemalt zu sein; dies Bild hat eine Meeresqualle oder
eine grosse Fliege gemalt ! Denn im Netzauge einer
Fliege da mögen wohl die Farben der Dinge und die
meteorologischen Erscheinungen von Luft und Licht diese
diffuse Gestalt annehmen; bei Fliegen und Schmetter-
lingen, bei den unvollkommen organisirten Augen der
gehirnlosen und gehirnschwachen Wesen — da mag die
Natur ein solcher Schemen bleiben, wo die Materie des
Wassers und die Materie der Luft und alle anderen
Materien nur als ein solcher Eindruck, eine solche Im-
pression wirken ; eine Fliege mag einen Menschen als
einen grossen Haufen von farbigen Flächen und diffusen
68
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Lichtern und Schatten, Reflexen und Spiegelungen sehen
— der Mensch aber benutzt jeden Reflex, um ihn als
einen Ausdeuter und Verräther der Form zu empfinden I
O, über die herrlichen Reflexe des grossen Rubens!
Mein Herr, kennen Sie diese purpurrothen , blutigen
Reflexe im Fleische dieses Rubens, wo Fleisch sich im
Fleische spiegelt in einer Armkehle, in einer Falte
der Brüste — und wissen sie, was diese Reflexe ver-
rathen? Form verrathen sie, organisirtes Leben! O, mein
Herr, sind denn die grossen Meister Ihrer Zeit zu Fliegen
und Insekten, zu Haifischen und Walfischen geworden,
dass sie mit den Augen dieser Wesen sehen?! Dieses
Bild hat eine Menschenhand und Meisterhand gemalt,
aber ein Haifisch hat es gesehen ! »
Er schwieg. Ich war tief erschüttert. Ich fühlte-
das unheimliche Gespenst aus der Vergangenheit, das
zu mir sprach, hatte in einem gewissen Sinne Recht.
Es sprach die bilderstarke, kräftige Sprache seiner Zeit ;
was er aber damit ausdrücken wollte, schien mir doch
sehr bedenkenswerth. Nichtsdestoweniger sagte ich :
« Die Menschen unserer Zeit sehen hierin gerade
einen Fortschritt. Sie meinen , dass in dieser feinen
Beobachtung der Stimmungen von Luft und Licht, in
welchen die festen organischen Formen der Dinge zer-
fliessen, der höchste malerische Reiz liege, indem diese
Stimmungen auch ein Ausdruck ihrer Gemüthsstimmungen
sind! Desshalb geben sie nur jene farbigen Eindrücke der
Erscheinungen wieder und lassen den inneren Organismus
nur errathen. »
t Was sind das für Stimmungen ^ ! » frug er.
«Naturstimmungen, Empfindungen idyllischer und
sonstiger Art, wie sie uns überkommen, wenn wir in
jenen Landschaften sind und uns von Luft und Licht
selber seelisch bestimmt sehen, religiöse Stimmungen
und dergleichen. Viele malen auch so blos aus dem
wissenschaftlichen Grunde, dass sie behaupten, die Ge-
stalten der Fischer und Fischerinnen, der Bettler und
Arbeiter, sei's im hellen Sonnenlicht, sei's im Zwielicht,
• erschienen so auf ihrer Netzhaut. »
« Schrecklich ! » entgegnete der Fremde. « Welch
eine falsche Wissenschaft muss das sein, die das Netz-
hautbild ablösen will vom Gehirnbild und seiner Er-
innerung. Malte nicht Rubens auch im hellsten Licht?
Leuchtet nicht sein Fleisch so, dass alles Fleisch, was
ich hier sehe auf allen Bildern, nur der Schatten des
Fleisches erscheint? Und dieses malten eure Maler im
hellen Sonnenlicht, dieses graue, braune, blaue, dieses
kalkige Fleisch , welches ich auf allen Wänden sehe ? !
Das ist Eure Sonne, Euer Licht ? ! O, mein Herr, Sie
stellen die Körper in die Sonne und malen dann die
Impressionen des Lichts ? Aber Rubens hatte die Sonne
in seinem eigenen Auge, und darum strahlt all' sein
Fleisch vom inneren Licht, während Ihr nur das äussere
Licht malt, das Eure Farben nie erreichen werden. In
Eurem Auge müsst Ihr die Sonne haben; wenn Ihr
aber diese innere Sonne tödten lässt durch das materielle
Licht des fürchterlichen Sonnenballs am Himmel, wie
wollt ihr dann noch malen? Gott hat euch Menschen
so gross gemacht, dass ihr die Sonne und das innere
Licht sammt dem Organismus und der Anatomie aller
Körper und Erscheinungen in eurem Gehirn aufspeichern
könnt — warum — was braucht ihr da noch das
materielle Licht? Nicht das materielle Licht, das geistige
Licht soll der Mensch malen , denn er ist ein Geist !
Und weil er das innere, geistige Licht besass, darum
glüht auch das Fleisch des Rubens vom inneren Feuer
und seines Pinsels Werk leuchtet, dass alles Fleisch,
was ihr in der Sonne maltet, zu Kalk und Erde wird!
Ach, ihr Armen ! »
Er war selbst feurig geworden, sein Auge funkelte,
und ich sah, wie die Erregung seines Blutes einen helleren
Glanz in diesem Auge erzeugte. Ich fühlte eine neue
Wahrheit, die mir selbst Haugks wunderschönes « Morgen-
roth » mit seinem leuchtenden Morgenlicht erdig und
kalkig erscheinen Hess, indem ich an das geistige Plein-
air dachte, in welchem alles Fleisch des Rubens strahlt. .
Ich fühlte, dass er der grösste Plein-air-Maler aller Zeiten
noch immer ist, ohne dass er zum Impressionismus zu
greifen nöthig hatte. Sein Ange war hell und gesund,
weil sein Geist gesund war.
Ich wies nunmehr im Weiterschreiten stumm auf
Lenbachs Meisterbildnis des italienischen Ministers Ming-
hetti; ich hoffte, nach Allem, was der Fremde ge-
äussert, er müsste gerade an Lenbachs grosser Künstler-
schaft Gefallen finden, die seinen Anschauungen ent-
schieden näher stand. In der That verklärte sich sein
Antlitz, als er dieses höchst charakteristische Bildnis
eine Weile studirt hatte. Er fasste seinen Krämpenhut
und lüftete ihn respektvoll; dann meinte er: «Ein Künstler,
ein Könner! Schade, dass er nicht die Farbentöpfe
des Tizian oder des Rubens zu haben scheint. Schade,
dass er nicht den Farbenreiber des Rubens besitzt, der
DIE KUNS'l' UNSERER ZEIT.
69
ihm seine Töpfe mischt und ihm das Material verschafft,
mit dem man damals malte. Dieser Meister kann in
vieler Hinsicht neben den Bildern des Rembrandt und
Rubens, des Tizian und neben Bildnissen des Raffael
Sanzio gelten. Aber Eines ist mir auffällig, mein Herr.
Sind denn in Ihrer Zeit die Menschen, wie dieser Minister
hier, zu Charakteristikern ihres eigenen Selbstes geworden
und verrathen sie gleich allen Andern, bei der ersten
Bekanntschaft, wess Geistes Kind sie sind? Haben sie
alle Heuchelei verlernt und hüten sie nicht mehr das
Geheimnis ihrer Seele.'' Schauen sie doch die Bildnisse
des van Dyk und Rubens an, auch des Rembrandt und
Tizian — sind diese Köpfe und Gestalten nicht Alle
die Bewahrer eines grossen Geheimnisses ? Wie die
Welt das Geheimnis Gottes ist, so ist die eigene Seele
das Geheimnis des Menschen. Nur wie eine ferne Ahnung
schaut aus dem Antlitz eines jeden Menschen seine Seele
und der Charakter dieser Seele heraus. Diese Seele
hütet die Natur selbst und verbirgt sie hinter Fleisch
und Blut, denn es ist ein grosses Geheimnis um den
inneren Menschen. Und die Maler meiner Zeit, da man
noch in Kniehosen und Federhüten ging und nicht in
diesen langen Schläuchen, welche Sie an den Beinen
schlottern haben, die Maler meiner Zeit hüteten auch
in ihren Bildnissen das Geheimnis der Seele ihrer Mit-
menschen. Sagt man sich denn in Ihrer Welt sogleich,
was man von einander hält? Denunzirt man sich denn
wechselseitig die Charaktere? Dieses Bildnis, ich gestehe
es, wirkt fast auf mich wie eine leise Denunziation !
Und wie — wenn nun Ihr grosser Meister sich geirrt
haben sollte in dem Urtheil, welches er mit seinen
Farben über diesen Minister zu fällen scheint? O —
mein Herr, ich möchte nicht in Ihrer Zeit leben, wo man
das Geheimnis meiner Seele, die doch Gottes Geheimnis
ist, ausplaudern will ohne mich darnach zu fragen.
Welche schönen Gottes-Geheimnisse sind die Frauen
Tizians, welche dunklen Geheimnisse des Schöpfers die
Männer, welche Rubens und van Dyk malten ! »
Ich nickte, aber ich konnte mich doch nicht ent-
halten zu sagen: «Nun, mein Herr, ich hoffe, dass auch
die Bildnisse dieses neueren Meisters einer kommenden
Zeit doch auch wieder als solche Geheimnisse erscheinen
werden ! »
«Hoffen wir es und hoffen wir, dass die Menschen
Ihrer Zeit selbst noch zu der Erkenntnis kommen, dass
sie vieles wissen, aber Weniges verstanden haben, j
Nun schritten wir rasch nach der anderen Abtheilung,
wo Uhde, Böcklin und Munkacsy hängen. Bei v. Uhde
blieb er stehen und sagte:
«Aha! Da ist wieder das Haifischauge Euerer Zeit!
Aber nicht mit Haifischaugen, mit den Augen der
Menschen sollt ihr malen, und wenn Ihr könnt, mit
Götteraugen! O — wer mit Götteraugen sehen könnte!
Wie organisch würde ihm sogar die Luft und das Licht
erscheinen, welche die Menschen nur als unorganische
Materie schauen ! Aber warum verflüchtigt dieser Meister
hier sogar die organisirte Menschengestalt und das Fleisch
in seine unorganischen Elemente? Und warum stellt er
die heilige Nacht, wo die göttliche Mutter das eben
geborene Kindlein im Schoosse trägt, so dar, als sei sein
Bild für die Betrachtung von Kindern bestimmt?! Denn
ein Kindlein mag sich wohl daran ergötzen, wie hier
die Engelein in den Dachboden gestiegen sind und da-
sitzen, um zu singen. Und warum liegt diese Gottes-
mutter auf ihrem Lager, wie eine wirkliche Gebärerin,
ein Menschenweib, das geboren hat, wenn dieser Maler
doch noch an die Engel glaubt? Wo Engel sind und
Engelsglaube herrscht, da gebärt die Mutter Gottes
nicht wie ein irdisch Weib, sondern in anderem Sinne.
Ihr aber mischt Alles durcheinander; Ihr vergöttlicht
nicht das Menschliche und vermenschlicht nicht das
Göttliche, wie es die Griechen thaten und in anderer
Art die Gläubigen Christi — Ihr werft vielmehr Mensch-
liches und Göttliches durcheinander und wo einst in
Rembrandt eine fromme Naivität war, da macht Ihr
fromme Witze und glaubt, Ihr seiet noch fromm. Ihr
seid ohne eine Spur des wahren Heiles ! Möge es über
Euch kommen und möge Gottes Genie in Euch zu
Fleisch und Blut werden!»
Aeusserst gespannt war ich, was er zu Böcklins
Schöpfungen sagen würde. Wir treten vor den «Frühlings-
reigen» dieses Meisters. Eine Quellennymphe in blauem
Schleier sitzt an einem Felsenquell und hält ein singendes
Vögelchen auf ihrem Finger. Zwei Faune, ein alter
Dicker und ein Junger steigen am Felsen zum Quell
herab, der Jüngere schöpft bereits Wasser mit der Hand,
um zu trinken. Oben auf dem Felsen blühen Frühlings-
blumen und weisse Wölkchen ziehen am Himmel. Gleich
weissen Wölkchen aber schweben im Ringelreihen
amorettenartige Kindergestalten über die Krone des Felsens.
Es ist ein sinnreiches Bild, wo die Stimmung der Natur
mythische Gestalt angenommen hat und dadurch in
10
70
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
einen höheren Kunstcharakter verklärt ist, als die Land-
schaftsstlmmung vieler anderer moderner Landschafter.
Ich erzählte meinem Begleiter Vieles von Genelli, von
Böcklin und von Max Klinger, von Stuck u. A., und
dass wir in ihnen, wie zur Zeit des Rubens, Künstler
besässen, welche die gestaltlosen Landschaftsstimmungen
zu mythologischen Gestalten verdichteten und damit das
rein Romantische zu einer organischen Gestalt erhöben.
Hier sei ja seine Forderung erfüllt, dass man die un-
organischen Stimmungen der landschaftlichen Materie,
die Seelenstimmungen, die Sensationen und Impressionen,
die landschaftlichen Stimmungsempfindungen in die Sphäre
des Organischen versetze und sie damit zu einer wirklichen
Kunstgestalt emporhebe, statt das Auge zu einer Fliegen-
optik herabzusetzen. Die mythische Gestaltung sei in
diesen Künstlern, mitten in einer ganz wissenschaftlichen
Zeit, mit voller Kraft neu erwacht aus dem Grunde, die
poetischen Naturstimmungen durch objektive Gestaltung
zu einer wirklich malerischen und plastischen Erscheinung
zu verdichten. Darin liege die eigentliche Poesie der
Malerei als einer bildenden Kunst.
Der Fremde nickte beifällig. «Was sie sagen, ist
die wirkliche Wahrheit der Kunst und ich freue mich,
wenn solche Künstler auch in ihrer Zeit wieder auf-
leben. Nur Eines ist mir an Ihrem Meister hier ver-
wunderlich. Warum malt er diesen alten dicken Faun
in einem Fleischtone, der aussieht, als hätte er sich
nicht nur die Hände und Finger, sondern die ganze Haut
erfroren? Warum gibt er diesen Faunen solche Ziegen-
füsse, auf denen diese Halbmenschen unmöglich aufrecht
gehen können.? Sehen Sie doch die Faune des Rubens
an und beobachten Sie, wie diese durch den Einsatz
des Schenkels in das Bocksbein und zwar das Hinter-
bein des Bockes, sich in einem Gleichgewicht zu halten
vermögen, als sässen sie auf der Feder eines guten
zweiräderigen Wagens ! Diese Faune Ihres neuen Meisters
aber müssen auf ihren Ziegenbeinen wie auf Stelzen
gehen. Auch sonst vermisse ich auf diesem Bilde
vieles Organische. Seine Gestalten gleichen mehr
einem Märchen, Märchengestalten einer träumenden
Phantasia sehe ich hier und diese Nymphe im blauen
Schleier ist vollends gestaltlos und embryonenhaft. Die
Faune des Rubens, sein trunkener Herkules, seine Diana,
seine Nymphen — das sind keine Märchengestalten, es
sind wirkliche, leibhaftige Wesen, die aussehen, als habe
zu ihnen ein solcher alter Faun in seiner ganzen ana-
tomischen Natürlichkeit selbst Modell gesessen. Unter-
nimmt die Kunst einmal so Etwas, so muss sie es auch
zur vollen Wirklichkeit bringen; sie darf nicht Märchen,
sie darf auch nicht Stimmungen versuchen wie die Musik,
denn sie verliert darüber den Zusammenhang mit der
Wahrheit des menschlichen Sehens; sie macht aus dem
Auge ein Ohr und hebt die grossen construktiven Grund-
gesetze der Natur auf, um eine partielle Kultur gewisser
Sinnesempfindungen und ihres fälschlich isolirten Gesetzes
zugeben. Soseid Ihr dazu gekommen, lauter Sinnes-
täuschungen zu malen und die Sinnestäuschung für
das Wirkliche zu erklären; an Euren mythischen Ge-
stalten sehe ich es am deutlichsten wie auch an Euren
Plein-air-Bildern : überall balanzirt Ihr die Werthe, aus
denen sich das körperliche Bild der Erscheinungen zu-
sammensetzt, auf eine falsche Weise. Bald malt Ihr nur
die Erinnerungsbilder, ohne sie am Sinnenschein zu
prüfen, bald malt Ihr nur den Sinnenschein ohne ihn
am organischen Bewusstsein der Erinnerung zu mustern.
Ihr könnt auf der Strasse nicht drei Schritte gehen ohne
Eure aufrechte Haltung richtig auszubalanciren ; Ihr könnt
nicht einen Blick die Strasse hinunter thun, ohne die
Gehirnwerthe und die Sehwerthe gegenseitig in Einklang
zu bringen, denn sonst würdet Ihr wie in einem Gras
wandeln und fortwährend auf der Nase liegen — in
Euren Bildern aber benehmt ihr Euch, als wäre die
Wirklichkeit und das Dasein stets nur ein bestimmter
Sinnenschein, ein einseitiger Augenschein ohne Tast-
erinnerung — Ihr malt, als wärt Ihr schlechter von
der Natur organisirt, als die Polypen und die Quallen!
Aber sehet meinen Rubens an! Da ist das Gleichge-
wicht zwischen Sinnenschein und Geistesschein, da ist
Alles, was Ihr auf falschen Wegen wollt und sucht —
da ist ein Maler, dem Gott nicht, wie Euch Allen, nur
ein Polyphemsauge, sondern zwei Augen gab, die richtig
im Kopfe sitzen — Ihr armen, einäugigen Polypheme!»
Er schwieg. Er warf noch einen Blick des Er-
schauderns auf die umhängenden modernen Bilder.
« Flüchten wir uns wieder zu unserm Rubens hinunter ! »
sagte er, indem er eilig wieder nach abwärts strebte.
Wir waren beide voll von der Herrlichkeit der Rubens'-
schen Bilder, die uns im Geiste Alles hier oben Ge-
schaute zu überragen schienen. — Als wir den Rubens-
saal betraten, prallten wir beide gleichmässig zurück.
Der Fremde wurde bleich. Mit heimlich entsetztem
Blick betrachtete er alle die Bilder des Rubens.
P. M. Skipworth pinx.
Copyright 1S93 by F. Hanfataeiigl, München.
h
Er kommt nicht.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
71
Was war denn geschehen?! Merkwürdig! Diese
grossen Bilder schienen uns auf einmal so leer, so un-
vermittelt gemalt, so übertrieben, so allgemein zugleich!
Wo waren denn all' jene gerühmten Vorzüge?! War
unser Auge da oben stumpf geworden? War es ver-
wöhnt, war es falsch eingestellt?! Nur eine riesige
Leere schien uns aus all diesen riesigen Leibern an-
zuschauen. —
«Merkwürdig!» sagte der Fremde, indem er immer
mehr erbleichte. Dann sah ich, wie er mit dem Aus-
drucke tiefer Enttäuschung nach dem letzten Saale
schritt, wo der « Liebesgarten » hängt. Ich ging ihm
beklommen nach.
Es war mir, als fehle auf diesem Bilde die Gestalt
des Rubens. Das war nur ein Augenblick. Da wo
der Fremde ging, legte sich ein Nebel über den Liebes-
garten. Der Fremde verschwand und schien im Nebel
zu zergehen. Als der Nebel verschwunden war, leuchtete
mir mit mehr als Makart'scher Glut der & Liebes-
garten » wieder entgegen, liebestrunken schaute Rubens
hinter seiner Helena Forman mich an. Lange schwelgte
ich im Anblick der Farbenharmonie, der inneren Glut
dieses Bildes, welches die schönsten Farbensymphonien
Makarts besiegt.
Und als ich zurück in den Rubenssaal trat, erwachte
ich. Ich sass noch immer auf meinem Pfühle. Da
leuchteten mir auf einmal auch alle anderen Bilder
des Meisters wieder in voller gedrängter Farbenpracht
entgegen. Je mehr ich aber dieses erhabene Gleich-
gewicht der Eindrücke empfand, desto mehr hoffte ich
auch, dass den Meistern meiner Zeit ein anderes Gleich-
gewicht gelingen werde — denn wer hatte eigentlich
mit mir geredet? Der Schemen des Rubens oder gar
— ich selbst und meine Zeit?! —
hil^^m-o
Unsere Bilder
Welchem Volke gehört Angelika Kauffmann
an? Es ist schon der Mühe werth sich
um sie zu streiten. Denn ihr Selbstbildniss
in der Dresdener Gallerie ist doch ein Werk von wunder-
barer Feinheit. Es «hält sich» nun schon seit hundert
Jahren und gehört zu den meist reproducirten in der
berühmten Sammlung. Malerisch meisterhaft, in der
Zeichnung sicher, in der Haltung einfach und fein
beobachtet ist es von so grosser innerer Ruhe und
Gehaltenheit, dass man es unter die ersten Meisterwerke
aller Zeiten rechnen kann. Ja, es genoss in Deutschland
in einer Zeit Ehren , in welcher ein übermüthiges
Geschlecht der «Jungen» Alles das, was ihre Vorgänger
schufen, als Zopf verhöhnte. Denn wenn jetzt die Alten
klagen,' dass man sie nicht mehr respektire, so vergessen
sie ganz, wie sie mit den Malern umgingen, die vor
ihnen schufen. Heute sagt man, Kaulbach sei über-
wunden. Kaulbach aber sagte von seinen Vorgängern,
es sei ein Gebot des guten Geschmackes, das zu ver-
nichten, was jene schufen. Erst mit Kampf und Ringen
hat man den Rococo vor der grausamen Verfolgungs-
sucht der klassischen Idealisten retten müssen, die mit
dem flammenden Schwert der Besserwisserei gegen ihrer
Väter Werk wütheten und nur das duldeten , was ihre
Lehrmeister aus dem Mittelalter und der Renaissance
geschaffen hatten, oder das, was sie selbst schufen.
Angelika Kauffmanns Blüthezeit fiel in die Zeit des
Zopfes, den abzuschneiden Kaulbach und seine Genossen
sich berufen glaubten. Heute sieht man freilich ganz
deutlich, dass ihnen selbst noch ein Schwänzchen anhing,
als sie in den grausamen Feldzug gingen. Man könnte
jene Zeit des Hasses gegen den Zopf der Väter, gegen
den leiblichen wie den geistigen, die Zeit der Vatermörder
nennen. Der am Hemdbunde ansitzenden sowohl wie
der geistigen. Denn jene Leute, die sich frei von allem
Kleinlichen und kongenial mit Phydias und Rafael fühlten,
trugen den Hals in so starker Verpanzerung von Leinen-
kragen und Seidentüchern, als fürchteten sie noch das
Fallbeil der Revolution : Ein Gewand wie die Paukbinde
studentischer Duellanten , zum Ersticken , welches das
Blut in den Kopf trieb und die Menschen beklommen
und dabei hochfahrend machte.
Damals kümmerte man sich um Angelika Kauffmann
nicht, die doch manches Bild malte, welches viele Kaul-
72
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
bach'sche Werke ganz bedenklich in den Schatten stellt.
Nur die Engländer, die jenen harten Bruch in ihrer
Geschichte nicht kennen, der uns im Anfang des Jahr-
hunderts von unserer alten Geschichte trennte, hielten
sie hoch. Und so wurde sie zur Engländerin, kam sie
in die Geschichte der englischen Malerei: Hatte man
sie doch in London zum Mitglied der königlichen
Akademie ernannt und ihr damit die höchste Ehre
angethan, welche man jenseits der Nordsee einem Künstler
zu verleihen hat.
Angelika war eine Deutsche, mehr als es Herkomer
ist, mit dem ihre Herkunft zu vergleichen ist. Ihr Vater
war ein Vorarlberger, stammte aus Schwarzenberg, einem
Dorf im Bregenzer Wald. Aus dieser Gegend, welche
während der zweiten Hälfte des 17. und des 18. Jahr-
hunderts das südwestliche Deutschland mit Maurern und
Zimmerleuten, aber auch mit Architekten und Malern
versah, stammen auch die Herkomer, deren einer am
Bau der berühmten Klosterkirche von Ottobeuren künst-
lerisch betheiligt war. Angelikas Vater war Maler,
arbeitete für die reichen Kirchenfürsten bald hier, bald
da, und so wollte es denn der Zufall, dass sie 1741 in
der Schweiz geboren wurde, in Chur. Ihre Mutter war
Protestantin, ihr Vater Katholik. Doch siegte in der
Familie die Religion des Vaters : Die schöne Frau Cleopha
trat zum Bekenntniss ihres Gatten über.
Im Jahre 1752 siedelte Kauffmann mit seiner Tochter
nach Como über, wo Angelika schon mit 11 Jahren zu
malen anfing und bald als Wunderkind Aufträge von
vornehmen Leuten erhielt. Mit 16 Jahren malte sie
mit ihrem Vater in Fresko die Pfarrkirche ihres Heimaths-
ortes aus. Zugleich entdeckte sie ihre Stimme. In
Mailand suchte man sie für die Oper zu gewinnen. Aber
ihr Schicksal als Malerin war entschieden, als sie 1763
nach Rom kam und dort, 21 Jahre alt, in den Winckel-
mann'schen Kreis eintrat: Ein achtes Kind jener inter-
nationalsten aller Zeiten, in welcher vor dem allgewaltigen
Genius der Antike die Sonderart der Völker sich ver-
flüchten zu wollen schien. Die junge, in der Schweiz
geborene, in Italien erzogene Oesterreicherin blieb in
ihrem Herzen eine Deutsche: Deutsch blieb die Sprache,
welche sie mit ihrem Vater redete, in der sie ihre Briefe
schrieb, auch noch als eine Lady Wentworth 1766 das
vielbewunderte Mädchen mit sich nach London nahm.
London war zweifellos damals der Ort, wo die
besten Bilder gemalt wurden , wenigstens die besten
Portraits. Reynolds und Gainsborough blühten ; nament-
lich der erstere, Präsident der jungen Akademie, stand
ihr nahe ; er besuchte sie oft , sie malten sich gegen-
seitig und in Reynolds Briefen ist vielfach von « Miss
Angel » die Rede. Die geschwätzige vornehme Gesell-
schaft hatte sie beide gern mit einander verheirathet.
Auch das Mädchen erwähnt den grossen Bildnissmaler
in einem ihrer erhaltenen Briefe an ihren Vater:
«alle bekante», theilt sie diesem am 10. Oktober 1766
in ihrer frauenhaften Rechtschreibung mit, « grüssen euch.
Habe einige portraits ferfertiget, welche von jedermann
abrobirt werden, M. Reynolds gefallens über die massen.
Habe sein Portrait gemalt, welches sehr glückhlich auss-
gefallen und mir vihl Ehre macht, wird negsten ins
Kupfer gestochen werden. Lady Spencer hat das stückh
bezahlt — 100 Zichin.»
Das etwa ist die Szene, welche uns eine englische
Kunstschwester der Angelika, Margaret J. Dicksee,
im Bilde vorführt: Der damals 43jährige Präsident der
Akademie betrachtet das auf der Staffelei stehende Bild
mit entschiedenem Gefallen: Lady Spencer erntet mit
frohem Fächerwedeln den Ruhm der Protektorin des
schönen Mädchens.
Angelika ist unter der Hand der Engländerin selbst
Engländerin geworden. In Wirklichkeit war ihr Gesicht
rundlicher, ihr Kinn minder spitz. Reynolds Bild, in
dem sie als voll erblühtes Weib erscheint, stellt sie
feuriger, entschiedener, in klassischeren Formen dar.
Stand sie doch schon längst auf eigenen Füssen inmitten
einer sie umwerbenden geistvollen Männerwelt. Sie
klagt zwar ihrem Vater, dass « die Kosten hir seynd
ausserordentlich». Aber sie berichtet weiter: «ich habe
4 Zimmer, einss wo ich mahle, dass andere wo ich
meine ferfertigten Bilder stehen habe (wie es hir der
brauch ist, die leute Kommen die arbeit zu sehen, ohne
den Künstler zu verstören) die andre 2 Zimmer seynd
sehr Klein, Kaum hat ein bet platz zu stehen ... für
die Zimmer bezahle ich 2 gine die Woche, i gine für
die Kost sambt dem bedinten, den ich kleiden muss».
Sie musste also bei 62 Mark wöchentlicher Pension,
wie wir jetzt sagen würden, und bei einem Preis von
670 Mark für ihr Reynolds-Bildniss tüchtig die Hände
regen, um ihre Stellung zu behaupten.
* *
*
H. Gillard Glindoni gehört zu den Feinmalern
im Sinne des Franzosen Meissonier und des Schotten
S- J. Solomon p'inx
Copyright 1893 bjr F. Hunf-iaengl, M&ncheii.
Orpheus.
i
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
73
Suchardson. Er ist seit einigen Jahren von der Royal
Society of Painters in Water-Colours und seit 1 890 auch
von der Royal Society of British Artists zum Mitglied
ernannt worden. Diese englischen Gesellschaften, welche
sich zwar « königliche » nennen, aber mit dem Staat und
seiner Regierung so gut wie nichts zu thun haben,
dienen dem Zweck der Hebung der Standesehre und
dem Verkauf der Werke ihrer Mitglieder. Sie üben
auf Anfänger eine grosse Anziehungskraft aus, halten
auf strenge Jury, da sie meist beschränkte Ausstellungs-
räume haben und können daher unter den Besten ihre
Mitglieder wählen. Die Mitgliedschaft wird zur Ehre,
die sich auch in dem höheren Kaufpreis für die Bilder
äussert, welche von einem Manne stammen, der seinem
Namen^ die Buchstaben R. W. S. und R. B. A. bei-
fugen darf.
Auch Glindoni malt in Wasserfarben « incidents »
Ereignisse, meist aus dem vorigen Jahrhundert oder der
Biedermeierzeit. Kurz vor, der Zeit, wo Angelika Kaufif-
mann nach London kam, war dort als Prinz von Wales
der nachmalige König Georg IV. geboren, bekannt als
einer der schönsten — und leichtsinnigsten Männer,
welche den Thron Englands einnahmen. Beau Brummeil
war sein Freund. Mochte draussen die Politik noch so
wilde Wogen schlagen , die beiden jungen Männer er-
götzten sich daran , der Welt und ihren Sorgen ein
Schnippchen zu schlagen. Spiel, Weiber und beider
Genossen, Schulden, waren seine einzige Sorge. Er Hess
zwar von der schönen Jugendfreundin Fitzherbert, um
seine hochgeborene Kousine zu heirathen , aber nur
gegen Zahlung von 13 Millionen Mark, sein ungezügeltes
Leben gab er aber darum nicht auf, auch nicht als er 1841 ,
weil Geistesnacht die starren Sinne seines Vaters umgab,
Prinz-Regent und nach dessen Tod 1820 König wurde.
Beau Brummell war sein Liebling, der Vertraute
seiner Sünden, sein Partner beim Spiel. Und dieser
fühlte sich als König der Mode seiner Zeit so dem
Prinz-Regenten gleich stehend, dass er einst diesem in
Carlton House in übermüthiger Ueberhebung zurief:
« Wales, läute einmal 1 » Der König läutete, befahl aber
dem eintretenden Diener: «Mr. Brummells Wagen soll
vorfahren » . Das ist der Vorgang im Bilde. Der Günstling
rächte sich bald. Als der Prinz-Regent mit einem der
Zeugen jenes Vorganges, Lord Moira, ihm begegnete,
frug er diesen , als kenne er den sehr eitlen hohen
Herrn nicht: «Wer ist Ihr fetter Freund?»
Hofgeschichten — aber solche, welche einst die
Welt in höchste Aufregung versetzten I
* *
*
Drei Bilder englischer Frauenschönheiten: Denn ob
die Leiia von Dicksee als Orientalin oder das ihren
Geliebten für unsere Begriffe etwas zu offenherzig er-
wartende Mädchen von Skipworth in modischem Kleid
dargestellt sind , ist uns in zweiter Linie von Interesse
neben der Stärke des britischen Idealismus , der eben
ein schönes Weib unter allen Umständen zum britischen
Weib macht. Der geschwungene Mund , das starke
Kinn, die gerade Nase, die Stellung der Augen — da
sind immer Anklänge an jenen Typus, den der Präraffaelit
Dante Gabriele Rossetti schuf
Er klingt auch bei den Arbeiten von Laura Alma
Tadema durch, obgleich es hier sich sichtlich um
Bildnisse, nicht um Idealgestalten handelt. Am schla-
gendsten aber bei dem Orpheus des S. J. Solomon,
eines Schülers von Leighton, der schon seit einer
Reihe von Jahren durch grosse Darstellungen aus
der klassischen Mythologie und Geschichte die Auf-
merksamkeit auf sich lenkte. Er gehört zu den jüngeren
Malern , welche die Gedankentiefe und Herbheit Watts
mit der Pariser Maltechnik versöhnen , inhaltreich, idea-
listisch und wahrheitlich zugleich sein wollen. Wie
weit dies ihm gelang, darüber mag das Bild selbst ent-
scheiden, in dem durchgeistigte Schemen neben fleissig
beobachtete Natur rücken. Ebby.
10*
Allerhand Sprüchlein.
VON
MAX BERNSTEIN.
„Charleys Tante" und „Die Weber".
Das eine zu sehen ist bon ton,
Das and're spielt man nicht. Wen wundert's?
Das eine ist ein Erfolg der Saison,
Das and're ist ein Erfolg des Jahrhunderts.
„Schule" und „Richtung".
Das Haus der Kunst hat der Thüren viele,
Der Himmel der Kunst ist reich besternt.
Gut ist jede Richtung, führt sie zum Ziele,
Gut ist jede Schule, wo einer was lernt.
Nur Technik.
Gar Mancher, den ich bewundern muss,
Macht mir dennoch Schmerz.
Denn was er schafft, hat Hand und Fuss,
Aber nicht Kopf und Herz.
Chauvinismus.
«Die Welt des Künstlers sei das Vaterland!
Weh ihm, wenn er das Fremde sich gesellt ! »
Mit allem, was da ist, fühlt er verwandt.
Das Vaterland des Künstlers ist die Welt!
Drei Grabschriflen.
Hier ruht der berühmte Maler X.
Er war ein Liebling des Geschicks,
Genoss die Gunst des Augenblicks,
Verstand die Mode allzeit fix,
Verstand alle Kniffe, coups und tricks —
Nur vom Zeichnen und Malen verstand er nix.
Hier ruht der süsse Maler Ypsilon.
Er hinterliess — dank sei's den Damen ! —
Der Kunstgeschichte keinen Namen,
Doch seinen Erben eine Million.
z.
Hier ruht der gefeierte Maler Z.
Seine Bilder waren dumm und nett
Und weil sie gar so nett und dumm.
Gefielen sie dem Publikum.
Den Nietzscheanem.
Was redet ihr von « Uebermenschen » doch ?
Damit hat's lange hin auf uns'rer Erden.
Ach, Untermenschen sind die meisten noch
Und Mühe kostet's, bis sie Menschen werden.
„Genossenschaft" und „Secession".
Wozu das heftige Reden und Schreiben?
Urtheilet milder!
Von beiden Parteien wird eins nur bleiben :
Die guten Bilder.
Das beste Licht.
Natur zeigt sich im Freilicht,
Im düstern und im Zwielicht,
Im Januars und im Mailicht,
Am besten — im Genielicht.
Reiz der Partei.
«Was kann es nur für eine Lust sein,
Partei zu bilden wild und blind ? » —
Es schmeichelt Jedem das Bewusstsein,
Dass die Andern seiner Meinung sind.
Die Allerjüngsten.
Sie rücken aus mit Speer und Schild,
Die Ungeheuer zu bekriegen.
Und rasseln mit den Waffen wild —
Und töten an der Wand die Fliegen.
Religiöse Malerei.
«Wer darf, was seit Jahrtausenden besteht,
In Tagsgewand zu kleiden wagen ? » —
Er, der durch alle Zeit und alle Herzen geht —
Er kann auch alle Kleider tragen.
Akademie.
Warum scheltet ihr sie? Sie schafft kein Genie,
Sie ist kein sicherer Weg zu den Sternen.
Für das, was sie ist, nehmt die Akademie:
Eine Gelegenheit, 'was zu lernen.
Nicht lange.
Falsches, durch Volksgunst anerkannt —
Das ist vorüber, eh' man's meint.
Der Thau glänzt freilich wie Demant —
Doch nur so lang die Sonne scheint.
Verschiedenes Recht.
Dem Genius verzeihen nie
Die Leute von geringern Gaben.
Das Recht zum Unrecht haben sie —
Er hat das Unrecht, Recht zu haben.
K. Braun.
EINE JUBILÄUMS-STUDIE
VON
FRED. WALTER.
In den letzten Tagen des verflossenen Jahres wurde
in einer Münchener Redaktionsstube ein Fest
- begangen , dessen wolil die ganze gebildete Welt
gedachte : Mit einer prächtig ausgestatteten Jubiläums-
Nummer wurde der looste Band der «Fliegenden
Blätter » begonnen und damit fiel die Feier des fünfzig-
jährigen Bestehens ihres Verlags zusammen. Das war
kein kaltes, lärmendes, gemachtes Jubiläum, das war
der Ehrentag von Jemand, den alle Welt lieb hat und
in die Festfreude klang etwas von goldener Hochzeits-
stimmung hinein. Die niederen, altvaterisch traulichen
Arbeitszimmer der Herren Braun & Schneider hinter
dem Schillermonument am Dultplatz zu München waren
in einen Wintergarten verwandelt durch die Gaben
der Gratulanten; mannshohe Aufbauten aus Blumen,
Sträusse, Palmen schmückten die Räume, Adressen und
schimmernde Pokale schmückten die Tische, Kunstwerke
aller Art waren als Geburtstagsgaben in das Haus
gesarldt worden, dem die deutsche Kunst für so viel
Jahre und so vielen Dank schuldet, wie keinem Zweiten.
Von ungezählten berühmten und grossen und vornehmen
Menschen liefen Glückwünsche ein, der Regent von
Bayern übersandte mit seiner Gratulation durch einen
hohen Beamten Auszeichnungen an die Herren Julius
Schneider und Kaspar I^raun. Die ganze deutsche
Presse gedachte in fröhlicher Einmüthigkeit des Tages,
es regnete gute und schwache Huldigungsgedichte aus
berufenen und unberufenen Leyern — es war wirklich
ein Familienfest des deutschen Volkes.
Und warum } — Aus vielen Gründen. Zunächst
gibt es wohl kaum etwas Deutscheres im periodischen
Schriftthum als die «Fliegenden», etwas, was so trau-
lich und heimathlich und heimelig anmuthet, wie der
Geist, der sie beherrscht: goldechter Humor, das
ureigenste Erbtheil der germanischen Rasse. Seit fünfzig
Jahren sind sie die vornehmste Aeusserung des Begriffes
Humor gewesen , die liebenswürdigste Incarnation des
«heiligen Lachens», das die Herzen warm macht und
frei. Witzblätter schiessen und schössen wie Pilze aus
der Erde und vergingen und vergehen wieder rings
umher. Die « Fliegenden Blätter » haben allgemach in
des Wortes weitestem Sinn den Erdkreis erobert und
trotzdem sind sie dem Geiste nach immer die Alten
geblieben. Sie haben stets künstlerisch und sitten-
geschichtlich ihre Zeit wiedergespiegelt, aber der Spiegel
selbst blieb immer der Gleiche, das klare, helle Glas
wie der Rahmen. Und dieser edle Konservatismus ist
wohl das Hauptgeheimniss ihres Erfolges. Die «Fliegenden
Blätter» thun nicht mit in dem Tollen und Hasten
unserer Zeit, sie erzählen nur davon, mit einem Lächeln,
das immer freundlich ist, mit einem Spott, der nie ver-
letzt. Und dieser Ton thut uns abgejagten und vielver-
11
76
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
letzten Neuzeitmenschen
so wohl und ist uns so
gesund. Wie manchen Un-
fug, den die fulminantes-
ten Polemiken der Tages-
blätter nicht aus der Welt
schaffen konnten, hat ein
lustiger Pritschenschlag
des Humors in den « Flie-
genden» beseitigt! Und
in den Offiziers- Kasinos,
K. Braun, deren Frequentanten in
jeder Nummer ob ihrer Eroberungslust und Schneidigkeit
gehänselt sind, werden die Blätter an jedem Freitag
gerade so viel umstritten wie in den Börsen-Cafe's, deren
Stammgäste sie persifliren, in den Bierkneipen, deren
Helden sie um ihre Schwerfälligkeit und ihren Durst so
oft belachen. Auf dem Familientische lässt man sie
ruhig liegen — auch wenn vierzehnjährige Backfischchen
im Zimmer sind — in den « Fliegenden > steht nichts
Unrechtes! Wie viel hunderttausend Kranken, die lang-
dauerndes Siechthum um die Geduld gebracht, haben
sie die schleichenden Stunden verkürzt, wie Manchem
vom Lebensgetriebe weitab vom Vaterlande Verschlagenen
haben sie die Heimath mit ihren heiteren und ernsten
Dingen wieder vor's umflorte Auge gezaubert und waren
ihm ein Gruss aus der Heimath gerade so, als hätte er
ein deutsches Lied gehört, oder einen Trunk von
deutschem Wein gethan.
Seltsamer Weise sind sie, die « Fliegenden Blätter »
aber auch den Ausländern besonders lieb! Oft genug
wurde eine französische Ausgabe derselben gewünscht
— ein Ding der Unmög-
lichkeit freilich, denn man
kann schon den Witz schwer
übersetzen und nun gar
den Humor! Und noch
dazu vom Deutschen in's
Wälsche. Aber item, in
den Pariser Boulevardcafe's
sind die « Fliegenden » ein
vielbegehrtes Ding, trotz
der grossen französischen
Meister der Karikatur, die
sie dort haben, von den
lustigen Pschüttisten des
ftitr« toa0 indglii^ ift.
«Journal amüsant». Stop und Mars, und wie sie heissen,
bis zu den grimmig-satirischen Chronisten des Weltstadt-
lasters, Forain und Genossen und zu dem graziösen
Cheret und zu Willette und den Andern aus dem Bann-
kreis des «Chat noir», um deren Art schon bedenklich
der Verwesungshauch vom Ende des Jahrhunderts weht.
Gesundheit ist das Hauptkennzeichen des Humors un-
seres Jubilars und nie hat ihn ein Fremdes angekränkelt.
Die anmuthige Leerheit, die eigentlich das Wort « Chic »
im Allgemeinen in sich schliesst, hat auch die elegan-
testen und modernsten Zeichner der « Fliegenden Blätter »
nie gekennzeichnet.
Da galt der malerische Moment
Ulndbtiit i^rau, id) bin aUrt)ing< gtnt ftalonf gfgcn
Xümrt. oUnn Sic jcl)<n fttbjt « inct}t jit Iduit i{t un«
immer zu viel. Und zum
Beispiel Schlittgen, der ein
überraschend scharfes Auge
für das Charakteristische je-
der Tagesmode hat, sieht
dies Charakteristische immer
als Maler und nie als Mode-
mensch. Dieses Freihalten
unserer Blätter von der Spe-
kulation auf den Geschmack
der Massen, der im Grunde
doch immer ein Ungeschmack
ist, imponirt wohl den Aus-
ländern, welche Publikationen
dieses Grades selbst nicht
besitzen, ganz besonders.
Dazu kommt die Qualität der
typographischen Herstellung,
welche ebenfalls im Auslande
nicht ihres Gleichen findet.
Speziell der gebildete Franzose versteht genug von
graphischen Künsten, um Holzschnitte zu bewundern,
wie sie die « Fliegenden Blätter » bringen an Stelle der
billigen Zinkographien, welche der Mehrzahl ihrer Kon-
kurrenten genügen.
Der künstlerische Liberalismus der «Fliegenden»,
der sich's zur Aufgabe gemacht hat, jede Kunstrichtung
in diesen Spalten zu Worte kommen zu lassen, die sich
als acht bewährt, begründete die grosse Bedeutung dieses
Unternehmens für die deutsche Kunst überhaupt. Von
jeher haben sich « Alte » und « Neue » hier einträchtig
begegnet und auch heute schaffen Männer vom linken
Flügel der Modernen ungestört neben den leidenschaft-
lichsten Vertretern der alten Schule. Sonst vergessen
CVfiteirfic! Itaniis $ai]3 ^mnt,
3>nM in inh ifl gat JU llaifiiff)
IJnb itt i>an« ift gav Ju Cumni
K. Braun.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
77
35 ic 9RaM§fanc.
die Alten so oft, dass sie einmal jung waren und die
Jungen so leicht, dass sie voraussichtlich einmal alt sein
werden. Hier sieht man so recht wie ein gemeinsames
Ziel die auseinanderstrebenden Geister eint und mit wie
verschiedenen Mitteln sich das gemeinsame Ziel erreichen
lässt. In der Redaktionsstube der «Fliegenden» ist ein
Zeichner nie nach seiner künstlerischen Konfession
gefragt worden, sondern nur immer darnach, ob er was
konnte. Und trifft dies zu, dann ist der nervöseste
Findesieclemann , der ganz auf Ton , auf Valeurs ein-
geschworen ist, gerade so willkommen, wie ein Anderer,
der in derber Strichmanier derblustige Gestalten festhält.
Wie viele tüchtige Kräfte, denen der Markt fehlte, sind
so Jahre lang über Wasser gehalten worden, bis ein
günstigerer Stern sie wieder zu freierer Ausübung der
Malerei gelangen Hess, wie viele Kräfte, die sich hier
erst an kleineren Aufgaben schüchtern versuchten, sind
durch die c Fliegenden Blätter» über-
haupt erst der Kunst zugeführt worden !
Eine Fülle der glänzendsten Namen
der Münchener Malerwelt strahlt in der
Mitarbeiterreihe dieses Blattes seit es
bestand. War doch einer der F.rsten,
die fröhlich daran mitschufen, Moritz
V. Schwind, den unsere Zeit erst wieder
zu begreifen und zu bewundern anfängt,
ein Mann, dessen Grösse und kindliche
Reinheit heute , wo die naturgemässe
Reaktion erfolgt auf die wilde Ueber-
gangsepoche des dogmatischen Naturalis-
mus, wie eine erlösende Offenbarung
wirkt. Dieser Name bot feine Auspizien
für das künstlerische Gedeihen der
«Fliegenden». Und getreulich gaben
sie seitdem einen Gradmesser für die
jeweilige Höhe der heimischen Kunst
ab. Sie hatten Zeiten einer gewissen
Monotonie, Zeiten, wo es an Persönlich-
keiten fehlte, und sie blühten wieder
auf und heute ist der Kreis derer, die
am Werke sind, weiter, bunter und
glänzender als je.
Fünfzig Jahrgänge « Fliegender
Blätter» — fünfzig Jahre deutscher Kunst
— fünfzig Jahre deutschen Humors —
und darum fünfzig Jahre deutscherKultur-
geschichte. Deutscher Kulturgeschichte — denn die
fremde berührt die «Fliegenden Blätter» nur soweit, als
sie sich in der Deut-
schen spiegelte. Es
wäre nun hier ganz
am Platze, auszuführen,
dass es keine leben-
digere, keine ehrlichere
Illustration zur jewei-
ligen Zeitgeschichte
gibt, als Aeusserungen
ihres Humors wie sie
die « Fliegenden » all-
wöchentlich bringen.
Nichts ist hier durch
eine Parteibrille ver-
grössert oder verklei-
H. D\ck.
tei |d)ieBt "Bu nur immei ju,
I)oä ift mit ganj unb gar partont,
3c() lieb ®i(^ nid)t, ic^ mng S)i(f| ni(^t,
3(f) t)maiV mijt, bleib Itbislic^t,
53cnn micf) gelüftttä gat nid^t (e^r,
3u ^eifien ÜJiabnin Si^roolangfi^ett.
A'. Braun.
11*
78
DIR KUNST UNSERER ZEIT.
K. Braun.
nert, oder sonstwie verzerrt. Behaglich sehen wir zum
Fenster hinaus und draussen treibt das Narrenschiff
vorbei mit den Narren aller Stände, Geschlechter
und Kategorien; sie treiben vorbei und wissen nicht,
dass sie die Schellenkappe tragen und zeigen ihre
Schwächen in naiver Harmlosigkeit und wir lachen über
sie und erkennen sie als Kinder ihrer Zeit. Denn der
wahre Humor spottet nicht kalt und fühllos, weil er
versteht, sondern entschuldigt, weil das Mitleid und die
Menschenliebe zusammen das beste Theil von seinem
Wesen sindl Er lacht, aber er höhnt nicht, er deckt
Schäden auf, aber nur solche, die heilbar sind, oder
die im Grunde kein furchtbares Unheil bedeuten , er
stellt uns wohl auch einmal einen recht schmierigen
Kerl vor, aber er verachtet ihn nicht, weil er weiss,
wie auf der Welt die schmierigen Kerle werden. Und
selbst das Tragische, das wirklich Furchtbare weiss er
zu mildern und mit freundlichem Lichte zu verklären.
Er geht in den Schrecken des Krieges nicht zu Grunde,
er verliert sein munteres Lachen nicht im Sturmbrausen
der Revolution. Auch im Jahre 1848 und in den Jahren,
die ihm vorhergingen und folgten, sind die « Fliegenden
Blätter » immer gemüthlich geblieben, obwohl sie mitten
in der Politik steckten und mit einer Offenheit über die
Zustände im « lieben heiligen römischen Reich t> ihre
Meinung sagten, mit einer Offenheit, welche auch die
meistkonfiszirten politischen Witzblätter von heute kaum
mehr vom Hörensagen kennen. Aber der Ton, den sie
anschlugen, machte auch die wilden Weisen jener Sturm-
jahre zu wohlklingender Musik. Und warme Vaterlands-
liebe war ja von jeher der Grundton , auf den sie
■ gestimmt waren.
Heute stehen die «Fliegenden» grundsätzlich dem
politischen Leben ferne. Die Zeiten sind anders seit
Langem, die Gegensätze sind schärfer, der Hass von
Partei zu Partei i.st tiefer, die ganze Welt ist nervöser
geworden. Ein politisch-satirisches Blatt ist fast nur
mehr denkbar im Sinne irgend einer bestimmten oppo-
sitionellen Partei. Und alle Welt weiss den c Fliegenden »
Dank , wenn sie die Leser in andere Gebiete führen,
als die Tagesblätter, die nothgedrungen uns Parteigezänk
zu Frühstück und Nachtmahl serviren müssen, die uns
mit der leidigen Jagd nach Aktualität nicht mehr zu
behaglichem Lebensgenuss und zu ruhigem Nachdenken
kommen lassen Kein Vorwurf für die Presse — denn
die Ansprüche der Leserwelt haben sie ja zu dem
gemacht, was sie ist.
Bei dem konservativen Wesen der «Fliegenden
Blätter» ist naturgemäss ihr Inhalt auch ihre Geschichte.
Von aussen ist ihnen nichts widerfahren, was sich nicht
in ihren Spalten gespiegelt hätte. Sie sind nicht um
einen Millimeter im Geviert gewachsen und haben mit
wenigen Ausnahmen die alte Seitenzahl gewahrt. Ihre
technische Herstellung hat sich in Wesentlichem nicht
verändert, für die Herstellung ihres Bilderschmuckes
kommt heute wie einst vornehmlich der edle Holzschnitt
zur Anwendung.
Die Holzschneidekunst hat ja auch die «Fliegenden
Blätter » gegründet. Im Anfang war die xylographische
Anstalt von Dessauer & Braun in München. Dann
assoziirte sich 1843 Kaspar Braun mit F'riedrich
Schneider, zunächst wohl auch, um eine Anstalt für
Holzschneidekunst zu betreiben. Das erste Verlagswerk,
das bei ihnen erschien, war schon ein «fliegendes Blatt»,
«der erste Bock von Görres», «das Buch für fromme
Kinder » folgt dann und damit war für eine weitere
Sier «iniäiiriac ^tcituiUifle auf item 3)2atfci).
^oipornl 9bn @d)od Sdinercnotl}, ^rn. @if ^ahcn )o ben '])länlel um!
3 rt iinl 1 1 ifl( r, ^aoobl - rt ttflnct jo mir mil ISiefelanntil I
Cnippiol *Hl)fi IJpnnfrrofttft. iDoe iiuhl mid) btnn bct OJIrtnlet, wenn et nidjt getollt iti!?
LicIittnhtU.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
79
Spezialität des Verlags, die Jugend-
schriften, der Grundstein gelegt.
Im Oktober 1844 erschien dann
die erste Nummer der « Fliegenden
Blätter » , nachdem von den beiden
Gründern natürlich der Plan zu
dieser Zeitschrift gründlich erwogen
worden war.
Ueber die Entstehung des
Titels der & Fliegenden Blätter »
hat man allerlei gefabelt. Da soll
ein Windstoss einmal die Blätter
der ersten Manuskripte vom Re-
daktionstisch gefegt haben und
dieser Zufall habe zur Wahl des
Titels geführt. Eine ähnliche Ge-
schichte erzählt man sich ja be-
kanntlich auch von der Entstehung
des Namens « Kladderadatsch » . In
Wahrheit wurden die «Fliegenden
Blätter» nach Publikationen, Flug-
schriften ähnlicher Art getauft, die
im sechszehnten und siebzehnten
Jahrhundert, einer Epoche, da
man die periodischen Zeitschriften
noch nicht kannte, gang und gäbe
waren. Auch unsere Blätter er-
schienen zunächst nicht mit der
Regelmässigkeit, die sie jetzt aus-
zeichnet, sondern in ganz unge-
bundener Folge. Sie haben sich
bis zum 25. Bande weder an Semester noch Quartal
gebunden und erschienen in ihrer ersten Zeit nicht ein-
mal regelmässig in jeder Woche.
Ein glücklicher Stern hat die beiden Gründer
Kaspar Braun und Friedrich Schneider zusam-
mengeführt zu diesem Werke und was die zwei ersten
Besitzer charakterisirte, temperamentvoller, künstlerischer
Humor und feiner, literarischer Takt, diese Vereinigung
von zwei ganz verschiedenen Eigenschaften bestimmt
heute noch die Signatur des Blattes. Ein Blick auf die
Bildnisse jener Beiden klärt uns sofort über ihr Wesen
auf: Kaspar Braun, der Mann, der kräftig zugreift, dem
der Schalk aus jeder Miene spricht und der unver-
kennbare Neigung zu fröhlichem Lebensgenüsse besitzt;
Friedrich Schneider, dessen seelischer Schwerpunkt im
3)eä .^erni ^axm^ 33cifele unb feinet ^ofmeifter§ Dr. (Sifefe
neue Äreiij- nnb döuerjüge burdj J)entfd)lnii^.
'Sorlltfung.)
Sroicigei Gdjrecfen Bannt bic Sfeifenben in Sem «Inbfide cineä Sfittcrft^totfeä ; ein Ireueä SBift anl jener gtüälicfjcsi
Seit beä mittilaimi, m norfi gebet feine liimai nnb Scnfter macf)en laflen tonnte, inie et moatc, „$ict mijc»)(e 'ic6
bcn mt weinet rnge bej(t)(icfien» f(f|iuntmt «cifcte. ;,^in mid)k ic§ ein mannljaftet 3ioubtitter iein,"bie e^re meinet
'Samt, oett^eibigen, Sie[en evinütgen unb mit Siucrgen ' ft oletnifiten. — ©ict, — ein jlueitet Suno tjon Stibnrg mit
bcr ®i(bet(ocfe beä gntfianptefen — (eben, (ämpfen, ^eitotfim imb — ftctben in meinem »ette im Steife unjäbligct gnW
unb Urcntet — toelclie eeligteit:"
(SotlfciunB folgt.)
A*. Braun.
Gemüthsleben liegt, eine freundliche Poetennatur, innig
und kindlich, ein Charakter von wahrhaft kerndeutscher
Prägung. Kaspar Braun ist die Seele des künstlerischen
Theils und zunächst selbst sein bester Mitarbeiter auf
diesem Felde. Friedrich Schneider bestimmt den litera-
rischen Ton der Sache, jenen familiären, warmherzigen
Ton, der anmuthet wie ein Gespräch aus Freundesmund.
Zudem war Schneider zunächst die Seele des durchaus
nicht auf Millionengrundlagen basirten Geschäftes und
besorgte die redaktionelle Arbeit und Correspondenz.
Schon in der ersten Nummer, mit der Geschichte
vom «ewigen Juden» begann die Betheiligung der
« F"l legenden » am politischen Leben, die lange Jahre
ihr hervorstechendstes Merkmal bildete. Kaspar Braun's
künstlerischer Humor erschuf zunächst eine Reihe
80
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
unsterblicher, köstlicher Typen, Gestalten, die das ganze
politische und soziale Leben jener Zeit in ihrer Art
kritisch begleiteten, Graf Franz v. Pocci, einer der
liebenswürdigsten Menschen seiner Zeit, dessen Schöpf-
ungen für die Kinderwelt in ihrer Art klassisch und
unerreicht sind, ging mit ihm Hand in Hand. Seit der
Geburt von Pocci 's Staatshämorrhidarius ist ein halbes
Jahrhundert verflossen, aber Namen und Begriff sind
heute noch sprichwörtlich. Der Aktenmensch, die brave
Tintenseele, der Bureaukrat in der höchsten Potenz,
dessen ganzes Leben und Streben in der Bureauarbeit
aufgeht und der im Grunde doch für sein Vaterland und
seine Zeit fühlt, heimlich, schüchtern, schamhaft, den
sogar der Hauch des tollen Jahres 1848 anweht, eine
prächtige Figur — und so deutsch! Kaspar Braun's
erste und berühmteste Erfindung sind « des Herrn Barons
Beisele und seines Hofmeisters Dr. Ei sei e Kreuz- und
Querzüge durch Deutschland». Die beiden Reisenden
kommen durch München, Leipzig, Frankfurt a. M., Heidel-
berg, Aschaffenburg, Wien, Graz nach Weimar, Berlin,
Braunschweig, Darmstadt u. s. w. Sie erlebten auf Eisen-
bahnen und Dampfschiffen allerhand kurioses Zeug, was
das Verkehrswesen von anno dazumal illustrirt, sie ver-
spotten die lokalen Schwächen und Eigenthümlichkeiten
der verschiedenen Orte und bekommen auch mit poli-
tischen Dingen zu thun. Im Jahr 1848 treffen wir sie
sogar bewaffnet an und sie sehnen sich manchmal trotz
allem Patriotismus aus dem deutschen Vaterlande hinaus.
Im Grunde sind's ein paar vortreffliche Verkörperungen
germanischen Wesens und das Missgeschick, das sie
erdulden, ist eben das Missgeschick des deutschen
Michel, das er erdulden musste in jenen Tagen.
In ähnhcher
Weise hat Kaspar
Braun noch man-
che gelungene
Figur erfunden,
deren Erlebnisse
die Zeitgeschichte
reflektirten, z. B.
die ebenfalls
sprüchwörtlich
gewordenen Ge-
nossen Barnabas
Wühlhuberund
Casimir Heul-
Xiit KCflffle •ricatelff Ar 9*M'.
.SIhta ^m'. Sit ^afcoi jnrinfn Sudan ouf bfn 3u6 grtrclni, reir finb flfji^ifbtne Stulf — getxn Sir »ii bi(
%fänbfr unftKr Zitut i,atnd'."
M. V. Schwind.
m a i e r. Der eine verkörpert das phrasenreiche
Demagogenthum mit einer Nuance von ungekämmter
Urgermanenhaftigkeit, der andere die rückgrat- und
thatenlose Unzufriedenheit, die wohl Alles besser haben
wollte und nichts besser machen kann und sich vor
der Tyrannei gerade so fürchtet, wie vor der Freiheit.
Sie. wandern nach Amerika aus, in's Land der «Gleich-
heitsflegel » , lassen dort ihre Wuth aus an riesigen
Urwaldsbäumen, die sie mit der Axt angreifen, sehnen
sich in der Unkultur nach dem erst so verachteten Vater-
lande zurück und schliesslich treffen wir Freund Barnabas
Wühlhuber gemüthlich wieder im alten Europa, wo er
sich sogar um einen Orden bewirbt. Wie vieler Frei-
heitsmänner Schicksal ist das gewesen ! Du lieber Gott,
wir sind Menschen 1 Der Verführer Wühlhuber's schliess-
lich, der ihn da-
zu bringt , vor
Serenissimus zu
katzenbuckeln, ist
Master Vor-
wärts, der Ver-
treter modernen
Schwindelgeistes
und Manchester-
Sa« UMin itntt <;*«Mal6<*.
M. V. Schwind.
H. Dyck.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
81
Sa* fcff(ft< tSotttutrt.
1 Jlbti 4ni QoUcga. In imttnn iBuitau bai man . <Sdci l'ci Dan! . 004 nod) nit^il btRittIt Mn eitftn ncumotir^en
.tifbnbaupl. ^ut QcUtsa. Hl tt Sott fti &nE. auf otn 'SuTcatir gtiaOf ood) t'o, ivU fl oen |tf}tt Isai.'
,3a, «Ott f« ^nt, mtint ,&tmli. OK «uitaiur fino in t(t ^bat Co« btfle UÜB f(jl(P« gäollmitl fltgdl.bit 9l(UJtit
Vjn jb» Sottn, tiito iQoS man fo gtmtiniqlidi Sccftitii uns fjoiird^iitt ninnti*
K. Braun.
thums, der die dummen Kerle auf der Welt belehrt,
wie sie andere noch dümmere Kerle über's Ohr hauen
könnten , der aus Allem etwas zu machen weiss und
eigentlich der Vorläufer eines Typus ist, der erst
später zur vollen Blüthe kam, des «Gründers:». Ein
ander Mal behandelt Braun in den Wanderungen des
aus dem Wappen gestiegenen « Münchener Kindeis »
brennende Lokalfragen, oder «Meister Hans» — der
heute noch an jedes Bandes Schluss die Abonnements-
einladungen überreicht, oder der « Laubober » oder eine
andere Figur dient ihm als Medium für seine lokal- oder
sozial- oder national-politischen Entdeckungsreisen. Zu
den meisten und jedenfalls zu den besten dieser Cyklen
hat Friedrich Schneider den humorvollen und liebens-
würdigen Text geschrieben. Kaspar Braun's Karikaturen
in ihrer prägnanten Einfachheit und Festigkeit der Linien
stehen künstlerisch auf sehr hoher Stufe und eigneten
sich für die Holzschnitttechnik in ihrer damaligen Ent-
wicklung ganz vorzüglich. Einfacher und sicherer hat
auch von den berühmtesten Neuen keiner charakterisirt
als er und in allen seinen Zeichnungen war ein Zug von
Naivität, der ihnen einen unvergänglichen Reiz gibt.
Kaspar Braun schied am 29. Oktober 1879 aus diesem
Leben, Friedrich Schneider ist ihm am 9. April 1864
schon vorangegangen. Die ältesten Söhne der Beiden
sind heute, wie bekannt, Besitzer und Leiter des Verlages.
Eines der ersten Mitarbeiter der « Fliegenden Blätter»
— nach Zeit und künstlerischem Range gerechnet —
haben wir bereits gedacht, des unvergleichlichen Moritz
V. Schwind, in dem sich so rein und echt, wie viel-
leicht in keinem zweiten Künstler nach ihm alle jene
Eigenschaften verkörpert haben , die wir mit Stolz als
die edelsten Seiten der deutschen Volksseele 'rühmen.
Vor seinen Werken erschliesst sich dem Verständigen
so recht der Sinn der Worte : « Heiter ist die Kunst » .
Seine Kunst ist von wahrhaft göttlicher Heiterkeit, nicht
etwa darum nur, weil heitere Stoffe ihn, den Lebens-
freudigen, am Meisten anzogen, sondern weil der lautere
Jubel über das Schöne seine Seele erfüllt in allen ihren
Tiefen. Und wie innerlich ist seine Kunst, welche reiche
Gemüthswelt offenbart sich in ihr , welche Keuschheit
der Auffassung adelt sie bei aller sinnlicher Wärme.
Das Streben nach hoher Reinheit der Form hat Schwind
mit den « Nazarenern » seiner Zeit gemeinsam gehabt ;
aber wie himmelweit ist die starre, kalte, künstlerische
Askese der Andern von seiner sprühenden Lebenslust
entfernt gewesen. Er war ein fröhlicher Genussmensch,
der auch die andern Menschen erfreuen wollte und der
sie zu erfreuen verstand, weil das, was er bot, echt
und ehrlich aus seinem reichen Herzen quoll. « Ich
kann nichts anderes machen, als was mich freut ! » sagte
er von sich und das kündet uns mehr als bändelange
kritische Analysen, dass er ein Künstler war von Gottes
Gnaden. Er war naiv im reinsten Sinne und vor der
kindlichen Treuherzigkeit seiner Art hält fast nichts Stand,
was uns die wieder in Mode gekommene Naivität der
heutigen Kunst vorfabelt. Er glaubte an seine Märchen,
an seine Recken und Ritterfräulein und Unholde, wie
der wahre Poet immer glaubt an die Geschöpfe seiner
Phantasie ; der nervenkranke , grübelnde Symbolismus
von heute, der ja auch in Fabelländern lebt und Märchen
erzählt, wie wenig glaubt der meist an sich und wie
wenig glauben wir an ihn !
Schwind wurde am 21. Januar 1804 in Wien ge-
boren. Früh verlor er seinen Vater und früh musste
er sein Bildnertalent zum Brodverdienen nützen: er
zeichnete humoristische Karten, Notentitel, Almanach-
A*. Stauber.
82
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
•I f.l«< aümM »Mb Bl^.
bilder u. s. vv. Zum
Jüngling gereift, trat
er mit den glänzend-
stenPersönliclikeiten
der aufblühenden
Romantik in Bezieh-
ungen, mit Anasta-
sius Grün, mitLenau,
Feuchtersieben,
Castelli , mit Franz
Lachner und Franz
Schubert verband
ihn Freundschaft.
Ein Romantiker ist
K. Braun. Schwind denn auch
sein Leben lang geblieben ; die Romantik sagte ja
seiner reichen Phantasie, seinem feurigen Idealismus,
seinem naiven Kindersinn so unendlich zu, dass —
er sie sich wohl erfunden haben würde, hätte sie nicht
zuerst be-stimmend auf ihn eingewirkt. 1S27 kam er
nach München, schwärmte für Cornelius und lernte an
ihm. Ein kleiner Kreis von Künstlern und Kennern
würdigte bald sein Talent, das der grossen Menge noch
lange unverständlich blieb. Er erhielt Aufträge, malte
das Bibliothekzimmer der Königin mit Bildern zu Tieck's
« Phantasus » aus, schuf die prächtigen Entwürfe zu den
Fresken in Hohenschwangau , die so viel schöner und
werthvoller sind, als der ganze prunkvolle Schmuck der
gftrici>n>«.a8«*lfliibcnili(!|rll.
S.n 51 etam.
Ilütirriitil im Soionrllfillilra.
Sttititimtiftci. .Nro. 13 iil loirt« 3ani tmfai^ , ^(tt
«n«(f«! *"f; «'«•I f'^" S'*' *""""' "'**" *" Obtrfürp« ^•
üb<t. »ic n cor tttjtt tu4! IMti ju glodKt Seil poS'n S*«
mil Iwibtn 5ü6fn Dom «Dtwn üb, unb tnbcm SU bm Untevlfltjir
Idjntfl no^brinflifl, ma^cn Sit not^ Unlfn an»fflll! Un!»
lAdmitti unb out jloeü fle^tn Sit ttifbit in b« bfitttn «od
tion uab Pflrirtn Iint# ti#f b« laOTwa oblpirt« fdmUil"
glänzenden «Königsphantasie» Neuschwanstein. Eines
seiner Meisterwerke ist ferner der Kinderfries im Habs-
burger Saal in der Münchener Residenz. Nach einem
kürzeren Aufenthalt in Karlsruhe verzog er nach Frank-
furt am Main, aber die Atmosphäre dieser Goldstadt
par excellence hat ihm wenig zugesagt und er sah es
wohl wie eine Erlösung an , als er 1 847 einen Ruf an
Stelle Julius Schnorr's an der Münchener Akademie
erhielt. Nun endlich wurde Schwind auch populär und
zwar im höchsten Maasse. Es werden Nachbildungen
weniger Werke so viel in deutschen Wohnstuben ge-
sehen werden, wie die seines Märchens von den « sieben
Raben». Auch seine Bilder, die er für die Wart-
burg gemalt, sind weit bekannt, sein « Aschenbrödel >; ,
seine «Schöne Melusine». Zum Populärsten aber und
zum Schönsten, was
Moritz V. Schwind
geschaffen , gehört
das , was er für
den Verlag von
Braun & Schneider
gezeichnet, für die
« Fliegenden Blät-
ter» und für die
« Bilderbogen», die
zu den Ersteren in
engen, man möchte
beinahe sagen, ver-
wandtschaftlichen i .<li,tknlh<ilir.
Beziehungen stehen. Dazu gehört der köstliche Bilder-
bogen «Der gestiefelte Kater», ein Blatt, das die Quint-
essenz von Schwind's ganzem Wesen enthält , das
« Märchen vom Machandelbaum» und die Geschichte vom
«Herrn Winter». Man hört ein Spinnrad schnurren und
Scheiter im Ofen knistern, sieht man solche Bilder an,
und die wunderbare Märchenwelt steigt auf in ihrer alten
Pracht. Aber nicht als Romantiker allein , auch als
Satiriker lernen wir Schwind in den «Fliegenden » kennen,
soweit natürlich seines Herzens unbegrenzte Liebens-
würdigkeit die Satire zulicss. Oft gefiel er sich auch
in harmlosen Formspielereien, wie in seiner wunder-
lichen « contrapunktischen Soiree», worin er sich die
Aufgabe setzte, auf i 5 gegebenen Punkten die Gestalten
dreier Akrobaten in immer wieder neuen Varianten so
zugruppiren, dass jeder dieser 15 Punkte durch eine
Hand , einen Fuss oder einen Kopf gedeckt wurde.
C. Spitnvfg.
DIE KUNST UiNSERER ZEIT.
83
Auch die Politik und soziale
Fragen hat der Künstler mit
seinem Griffel commentirt —
fällt doch seine Thätigkeit
für den genannten Verlag in
jene Epoche der «Fliegen-
den», in der sie sich vor-
wiegend mit Politik zu thun
machten.
Seine Zeichnungen für
Braun & Schneider sind in
einem Schwind - Album in
wunderschönenHolzschnitten
vereinigt und es gewährt
hohen Genuss, in dieser
Mappe zu kramen. Tritt uns
doch aus diesen Blättern sein
Wesen am Reinsten entgegen.
Als Maler war er oft bunt
und hart — obwohl übrigens
einige seiner fast unbeholfen
gemalten kleinen Bildchen der Münchener Schackgalerie
in ihrer Art geradezu entzückend sind — als Zeichner
kennt er keine Grenzen seiner Kunst, da entfaltet er
den ganzen Reichthum seines Geistes und seines Herzens.
Schwind starb am i. Februar 1871 ; er ist ohne Todes-
kampf und Todesangst schnell und schmerzlos entschlafen.
Und sein Erbe.? Mich dünkt, die deutsche Kunst
fängt eben an, des Vermächtnisses eines ihrer herrlichsten
Männer wieder eingedenk zu werden. In dem wilden
und leidenschaftlichen Suchen nach höherem malerischen
Ausdruck, welches das letzte Jahrzehnt dieser deutschen
Kunst charakteri-
sirt, sind ihr an-
dere Dinge abban-
den gekommen,
die nicht minder
werthvoll sind,
und aus hundert
neuen Erschein-
ungen spricht wie-
der die Sehnsucht
nach tieferem
geistigem Gehalt,
nach strengeren
Linien, nach Inti-
Wiätittt-.IStll^ttt.
(6<tbit.)
K, Suwhcr
'SIÄ
„SSeinen (S'nitfet ') muj i ^abn, ge^tä «lie'ä moä
clenbi^er — ■ jitjl im (B'niifer ^etlll"
mität und nicht zum Wenig-
sten nach wahrhaft heimath-
lichem , deutschem Wesen.
Für die Form konnte uns
die Fremde Lehrmeisterin
sein, für den Gehalt braucht's
Vorbilder aus dem eigenen
Stamme. Moritz v. Schwind
zeigt uns klarer und bestimm-
ter als alles Andere, wie die
grossen deutschen Meister
der Renaissance als Erzieher
unserer Künstler zu nutzen
seien. Er steht auf ihren
Schultern und ist doch er
selbst geblieben. In diesem
Sinne möge auch er zum
Vorbild dienen. Nachahmen
kann man ihn nicht , denn
Naivität und Unmittelbarkeit
kann man nicht stehlen.
Aber als Lehrer soll er durch seine Werke wirken
mit der ganzen überzeugenden Macht, die jeder
grossen und reinen künstlerischen Persönlichkeit eigen
ist. Freudigkeit soll er lehren, Schönheitsfreudigkeit
und Lebenslust und Alles , was rückenmarkschwach
und frühalt sein will, soll er hinweisen auf den heil-
kräftigen Jungbrunnen heimathlicher Poesie.
Zwei Künstler, die zu Schwind in direkten Be-
ziehungen standen,
gehören zu der
« Fliegenden » besten
Kräften, sein Freund
Karl S p i t z w e g
und sein Schüler
Eduard Ille. Der
Letztere ist künst-
lerisch und redak-
tionell noch mit un-
geschwächter Kraft
am fröhlichen Werke
thätig, den Ersteren
haben wir im Jahre
1885 begraben und
mit ihm verlor Mün-
chen vielleicht seinen
$cr eifrige Sitgbfi^ü^.
Sitrnfatra! {((t \i tcr ©d^nupftobot a %in'J'
M. Haidtr.
12
,W. Haider.
84
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
liebenswürdigsten Künstler. Spitzweg —
1 808 zu München geboren — ist so ziemlich
seit Bestehen der «Fliegenden Blätter » für
sie thätig gewesen. In seltsamer Weise
wusste er die gutmüthige Drolerie mit
scharfer Charakteristik zu verbinden und
entwickelte in seiner Persiflage einen Humor
von zwingender Wirkung. Unter den unge-
zählten Bildern unserer Blätter, welche die
disciplinlose «Gemüthlichkeit j, die spiess-
bürgerliche Eitelkeit der alten Bürgerwehr
geisselte, sind Spitzweg's Caricaturen
zweifellos die köstlichsten. Wer über
seine « Freicorps-Wachtstubenfliegen t> nicht
lachen kann , der ist zum Lachen über-
haupt verdorben. Mit welch' überwältigen-
der Komik hält er in der Zeichnung zu - _-
« Gessner's Idyllen » den Phantastereien
der Schreibstubenpoesie die brutale Wirk-
lichkeit entgegen. Vormärzliche Versunkenheit, ein-
gerostetes Kleinstädterthum, wer hat es besser gekenn-
zeichnet wie er? Seine schlafenden Schildwachen und
behäbigen Nachtwächter, seine alten Junggesellen, seine
geprellten Polizisten und seine frohlaunigen Gauner, seine
grübelnden Gelehrten, die in Spinnweben verstauben,
seine Bettelmusikanten, seine Satiren auf obrigkeitlichen
Dünkel und Beamtenschwerfälligkeit , wie prächtig ist
3(^ fei getoä^rt mit bie 9iite in @ucrem ^uniie ber dritte.
3)e§ Gerrit 23arojt§ Scifelc unb feinet :§ofmeifterä Dr. ©ifelc
ntuc fireuj- an!» (öneriügt burd) Dculfd)lanb.
9« ( r 1 i lt.
(SJonftSuns folgt)
K. Braun.
T"^^\L uV ." «"»»«nbnti ouä unterem Soletlanbe, lieber 5)octi)t. (0 fort fle^l, roetbcn mit 6atb bie jWei
ItSttn 3)«utf(^tn fein." — Stoo i«^äraorrI)oiboriu« (^injutretenb). .«eben Sie nie^t (0 ooteilig, junget HRomi,
6ie Weinen nit^t ju bebenten, bog wir aucj nod| ba finb."
das Alles geschildert ! Dann kommt er aber auch wieder
mit echter Romantik, die freilich immer mit einer guten
Dosis Gemüthlichkeit versetzt ist. In reizend gemalte
Phantasielandschaften setzt er Drachen und andere Fabel-
wesen, belauscht Klausner in ihrer Einsamkeit, lässt auch
einmal ein idyllisches Stückchen Landschaft für .sich
allein wirken, ohne beziehungsreiche Staffage. Eine
schmunzelnde, bescheidene Fröhlichkeit zeichnete ihn
aus, eine Harmlosigkeit sonder Gleichen.
Er sah die Welt zwischen einem Vogel-
bauer und einem Epheustock durch
aus einem Mansardenfenster mit der
Ueberlegenheit des Wunschlosen ver-
gnüglich an und malte seine Bildchen
sich selbst zur Freude. Aber er war
gross in seinem kleinen Reich und man
wird jene Bildchen noch einmal freudig
mit Gold aufwiegen. Wie kümmerlich
und gequält sind die meisten « humorist-
ischen Genrebilder» in Kunstvereinen
und Auslagen der. Bilderhändler und
illustrirten Wochenschriften neben seiner
warmherzigen Lustigkeit ! Und wie viel
Herzlichkeit liegt darin ! Spitzweg hat
viel an den alten niederländischen Klein-
malern gelernt , und unter Anderem
auch das, die Marodeurs des Lebens,
K. ß.-aun.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
85
iCir 3(udtoi>nb(rcr,
,^4 ♦«" 3efee, -fefn Oü([bagtt. n-oHtt iift fagtn ^(n r %iii(ri[a, mii Wim tn ^tutfi^laio Jii lolt — id niü Jbor
Sb^Ibtibti. (( ft^tincn mit o4 3^nn <Sa^ jtboU ju (ah
PO raoGn ft Btnn binlutf^ittn mil ibtrai ®{nenftt6(ET" —
„9Bo tunn (cna Denn anntifi (ingtbn ali na4 tttnttilaY
mit bcnt Safmnemt-9dr4Ic iihi ((n oiztiunt SältUngt latin
)a ein enttliAn Wajat mc idi nid) mc^ umgebe — tai
^tatfAlonb larn oon nii aut Die Älin! fliege!" —
.OTtin *en aDübibeiflei — ■
.TOeite fe fldj amol, ©iMbubet Ijeeg i* — ■
,^f» wnn *ert Söüblbubet, fäljn fe, ii^ teefe 00(b nal% i
niib Bit Biifdlien SCTtbtibigcn — abei bie lOtben Ferren
tRefubiifanci bab'n uns ioi böfe in Bie IXltfibe gefütrt —
'JJu, Denn ®ie'8 Tnkl it. Bo madien mei Bie SHeefe miteinanBer." —
,^l fön.ie fe tbun Bon mie aut — ain 14 Sitte mitj
aul , Bo^ €ie ur bn EReefe fei fo leacllotliftt Boug &9^tT
rUtDAJe, — ülterfe fe fld) bte«l" —
(3oiIf«teBfl ftf£gi>
K. Brau II.
die Vagabunden und Kneipgenies und Strolche aller
Art ohne Groll und spiessbürgerlichen Dünkel anzu-
sehen, mit lachendem Mitleid und wohlwollendem Spott,
Das ist aber die höchste Gabe, die dem Künstler dieser
Art werden kann, dass er triftt, ohne weh zu thun;
das ist das Spezifikum des Humors im Gegensatze zu
so viel anderen Dingen, die auf der Welt unverschämter
Weise oft für Humor ausgegeben werden.
Karl Spitzweg hat die Biedermaierzeit realistisch
geschildert, Eduard Ille, wie gesagt, einer der ältesten
lebenden Mitarbeiter der «Fliegenden», hat sie mit aus-
gezeichnetem Geschmack stilisirt, ja er hat die bezeich-
nendsten Typen für ihr Wesen erfunden, die es über-
haupt gibt in seinen klassischen Zeichungen zu Ludwig
Eich'rodt's « Gedichten an Weiland Gottlieb Biedermaier,
Schulmeister in Schwaben». Wie putzig sind diese
steifleinernen gravitätischen Gesellen , welche den Hals
in ihren abenteuerlichen, riesenhaften Cravatten nicht
drehen können, was für Urbilder des Begriffes Philister
marschiren da vor uns auf! Im gleichen Stile hat Ille
unendlich komisch Eichrodt's Lieder von der « sentimen-
talen Jurisprudenz» mit Bildern erläutert und dabei die
leidige Trockenheit der Rechtswissenschaft und manche
andere Schwäche dieses vielgewählten Berufes zum Besten
gehalten. Ille war auch der Erste, der das heute in
den « Fliegenden » von Oberländer , Grätz, Hengeler,
E. Reinecke u. A. mit so vielem Glück, wenn auch
in anderer Weise , gepflegte Genre der Thiercaricatur
cultivirte und hat damit ganz Wunderbares erreicht in
der Kunst, den Thierköpfen den Ausdruck menschlicher
Empfindungen aufzuprägen. Auch in Kinderbüchern und
Bilderbogen schuf er mancherlei Meisterstücke dieser
Kunst — es sei nur an den Bilderbogen vom Hausherrn
und den Katzen erinnert: «Blinder Eifer schadet nur».
Ein weiteres Spezialgeschick übte Ille mit der Nach-
ahmung berühmter Muster, sei es, dass er ein gegebenes
Thema in verschiedenen Stilarten variirte, sei es, dass er
das gleiche Spiel mit den Manieren verschiedener zeitge-
nössischer Maler, Cornelius, Genelli, Schwind, W. Kaul-
bach, Ramberg u. s. w. trieb. In ähnlicher Weise hat
Oberländer später bekanntlich seine berühmte Serie
«; Der Kuss » geschaffen. Eduard Ille hat ausser seinen
reichlichen Beiträgen als Maler und als Dichter für
«Fliegende» und Bilderbogen auch sonst noch in beiden
Kunstgattungen eine rege Thätigkeit entfaltet Er schuf
Zeichnungen zur Nibelungensage, zur Sage von Parsival,
Lohengrin , Tannhäuser, Hans Sachs, geschichtliche
Bilder, gab 1874 drei schöne Blätter zu Grimm's Märchen
heraus u. s. w. Er schrieb mehrere Dramen « Kaiser
Joseph II», «Kunst und Leben», einen Operntext, gab
einen Band Poesien heraus und hat eine ganze Reihe
schwungvoller Prologe und Festspiele gedichtet. Im
Jahre 1868 wurde Eduard Ille der Titel eines Professors
der Münchener Akademie verliehen. Für die letzte
Jubiläumsnummer der «Fliegenden» hat er eine Vig-
nette gezeichnet, die den seligen Biedermaier aus dem
ttommiffioiL .Oett äRagl.
Ihatltdt^, Sie »uiben beauftragt,
einen neuen ©rannen ju bauen,
iuubei mebr bie .SroetJmdBigfeil
an bii- 54änbeit berüifft^ti^t fei;
nun bei^mert fid) bie Oeneinbe;'
buQ ber Sranuen.nii^t jmeifDtägig
iü, inbem lein Ddfi batauS fau*
itn fönue.t
fflogtflraHcoti. .ffloS!
Oüti bet Cranw ift^t guel gr.
baut, gonj guet, unb bug burant
ein C^i' faufa tann' beb uiH l
bec ßontmiffion gleich belatift,*
K. Staubtr.
12*
86
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Olymp herabgrüssend darstellt — das Bildchen zeigt
noch des nunmehr 71jährigen alte Kraft.
Auch Lichtenheld, der feinsinnige Land.schafts-
poet, dessen « mondbeglänzte Zaubernächte» noch heute
eine Zierde jeder Bildersammlung aus dieser Zeit sind,
hat zu den friiheren Mitarbeitern der « Fliegenden »
gehört. Aber es waren nicht nur merkwürdig fest und
kräftig gezeichnete Landschaftsbilder von mit wenig
Mitteln erreichter, grosser malerischer Wirkung, auch
auf dem Gebiete flotter lustiger Caricaturen war Lichten-
held thätig und namentlich allerlei curiose Menschen-
früchtlein aus der neuen Welt, die er sehr genau gekannt
zu haben scheint, hat er gar drollig vorgeführt. Immer
ist Klarheit, Einfachheit und Energie die Signatur seiner
künstlerischen Art. Zwei weitere vorzügliche Kräfte, die
damals am Blatte mitwirkten, waren die liebenswürdigen
Romantiker A. Muttenthaler und B. H. Schmölze.
Die Beiden haben auch als Maler sehr geachtete Namen
besessen und von Muttenthaler finden wir unter An-
deren gediegene Freskomalereien im alten bayerischen
Nationalmuseum.
Sehr bald nach Gründung der «Fliegenden» ist ferner
Carl Stauber in ihren Dienst getreten, wie Ille heute
noch für sie thätig. Er hat eine unabsehbare Reihe von
Illustrationen (so was wie 9000) gezeichnet und wenn man
die 99 Bände durchblättert, kommt man wohl zu der Ver-
muthung, dass er der Fruchtbarste von Allen gewesen sein
muss. Und thätig auf allen Gebieten, in Scherz und Ernst.
Zu seinem Besten gehören die unzähligen Bildchen zur
« Pläsirreise des Herrn Blaumaier und seiner Frau Nanni»,
eine Reise, die ein paar Urmünchener durch allerlei
Gross- und Kleinstädte und Klein- und Grossstaaten führt
und die zu den amüsantesten Episoden der « Fliegenden
Blätter» gehört. Wir treffen das umfangreiche Ehepaar
in Nürnberg, Bamberg, Coburg, Dessau, Weimar, Gotha,
Erfurt, Eisenach, Frankfurt, Heidelberg, Stuttgart u. s. w.
Wie «Eisele und Beisele» geben uns die verschiedenen
Phasen dieser Pläsirreise eine Charakteristik der berührten
Städte, deren Eigenheiten sich in den Erlebnissen der
beiden Münchner Pfahlbürger spiegeln. Einen ganz ähn-
lichen Gedanken verfolgen die Reisebriefe des Herrn
Rentier Graf aus Pirna , zu denen gleichfalls Stauber
den amü.santen Bilderschmuck lieferte. Hier erzählt ein
sächsischer Erzphilister von seinen Reisen , die er mit
seinem Freund, dem Maler Kohle, unternimmt. Die bös-
artigen Abenteuer des wackeren Paares sind schlechter-
dings zum Kranklachen — oder besser zum Gesund-
lachen, denn in Wahrheit ist vom Lachen noch keiner
krank, wohl aber schon Mancher gesund geworden. Ver-
fasst sind die Graf'schen Reisebriefe von A. Brendel.
In der Sturmzeit von 1848 schwingt sich Carl Stauber
oft zu ganz ergreifender, dramatischer Ausdrucksweise
empor, sonst charakterisirt ihn vor Allem eine grosse
Mannigfaltigkeit der Typen und Leichtigkeit im Erfassen
der Erscheinungen. Ganz vortreffliche Charakterfiguren
enthalten z. B. auch seine Skizzen aus verschiedenen
deutschen Spielbädern , die einst der Tummelplatz von
allerhand verdächtigem internationalem Gesindel waren.
Unerreicht in ihrer Art sind die Jagdzeichnungen
von Max Haider gewesen, der etwa mit dem fünften
Lebensjahre unseres Blattes in diesem in Erscheinung
tritt. Forstmann von Beruf, als Künstler mehr oder
minder Autodidact von sehr bedeutendem Talent, hat
er Wald , Wild und Waidwerk gekannt , wie vielleicht
kein Künstler seines Faches mehr vor oder nach ihm.
Er fand das Darstellenswerthe überall, im Kleinsten,
und wie er es gab, war auch das Kleinste interessant.
Er kannte die Gewohnheiten des Wildes so genau wie
die Gewohnheiten und Eigenheiten der Jäger , er war
immer Maler und Waidmann zugleich, bald das Thier-
leben mit der Liebe und Aufmerksamkeit eines warm-
herzigen Naturfreundes beobachtend , bald auf jagd-
gerechte Charakteristik ausgehend , bald in drolligem
Grimm die Raubjäger und Wildpretschiesser und die
pomadisirten Sonntagsschützen , die Waidmänner in
Gottes Zorn an den Pranger stellend. Da weht herb-
kräftiger Harzduft aus jedem Blatt. Was für Missgeschick
passirt den Jägern und Treibern und Hunden, welcher
fabelhafte Einblick in die Thierpsychologie offenbart sich
uns da, mit wie viel Gemüthlichkeit schildert uns Haider
das Leben des zünftigen Waidmanns. In den Bildern
der «Bauernjagd» wird uns von dem mordbrennerischen
Gesindel erzählt, das um 1848 herum den deutschen
Wildstand verwüstete , in Allem so unwaidgerecht wie
denkbar vorgehend, mit den unmöglichsten Schiesseisen
und anderen Mordgewaffen ausgerüstet, mit Fleischer-
hunden losziehend statt der Jagdrüden. Natürlich geht's
gar oft den lederbehosten Nimroden schlecht und
mancherlei komische Erlebnisse weiss uns der Künstler
zu erzählen. Auch in den vielen Blättern der «Jagd
in Bildern » spielen solche eine grosse Rolle, sehr viel-
fach aber bietet uns der Zeichner nur entzückende
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
87
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kleine Moment-
aufnahmen aus
dem Leben des
Wildes. Und
dann ist er so
fesselnd , so
liebensvvürdisf,
tat niLC £Mt. Ml ncui £i(b
S:t* «yt tui, ««I ■
H. Dyck.
dass er stets neu, stets amüsant erscheint. So-
gar die Bäume des Waldes belebt Haiders reiche
Phantasie, aus dem
knorrigen Stamm-
und Astwerk lässt
er abentheuerliche
Spukgestalten ent-
stehen und ein ander
Mal wieder lustige
Caricaturen. Max
Haider's Ruf ist auch
durch verschiedene
Sonderpublikationen
des « Braun & Schnei-
der'schen Verlags »
in weite Kreise ge-
drungen und der Jägerhumor, dessen
erster bester und echtester Vertreter
er war, gehört noch heute zu dem
Lustigsten , was die « Fliegenden »
das Jahr über bieten, ja er bedeutet
beinahe den dankbarsten, variations-
fähigsten Stoff, den sie überhaupt
haben. Denn Dank den unberufenen
Flintenträgern , die ebenso wenig
aussterben als die berufenen Jäger-
lateiner, passirt alle Tage so viel
Jagdkomik, dass man beinahe damit
allein ein Witzblatt .füllen könnte.
Max Haider's Kunst ist heute so ziemlich ausgestorben.
Von den Heutigen kennt keiner mehr den Stoff wie er
— und nach Momentphotographien kann man Wild und
Wald eben doch nicht ganz unfragwürdig schildern. Der
Wald hat seine Seele und das Waidwerk hat seine ver-
schwiegenen Reize und das Alles lernt Einer so recht
nur kennen in dem intimen Verkehr, den der Berufs-
so wahr, zeigt Jäger mit den beiden schönen Dingen hat.
Schon weiter oben wurde gesagt, dass die « Fliegenden
Blätter» im ersten Dezennium ihres Bestehens sich schneidig
und energisch mit politischen Dingen beschäftigten —
und die Zeit war ja darnach angethan. Die politischen
Fragen lagen ganz anders in der Luft als heute , trotz
der tausendfach vermehrten Publizität unserer Zeit. Jedem
ehrlichen Menschen , dem warmes rothes Blut in den
seine Zeichnun- Adern floss, lag das Schicksal des deutschen Vaterlandes
gen zu bringen, schwer auf dem Herzen, des armen, zerfahrenen, zer-
fetzten, gedrückten und gedemüthigten Vater-
landes, und dazu kam die Wetterschwüle, die
auch ausserhalb der
so viel Grazie
in seinen klei-
nen Vignetten
und Randzeich-
nungen , weiss
so tiefe Mannig-
faltigkeit in
H. Dyck.
I Ocf^cBl iii» »!: SJU^ »CT ntfrt.
W. Dvi-t.
Grenzpfähle der 36
deutschen Vaterländ-
chen auf den Men-
schen und Staaten
lastete. « Der ur-
deutsche Michel»,
der Träumer und
Philister mit dem
Teutonenschopf auf
dem Haupt , zahl-
losen Wappenflicken
auf dem Wamms,
Tabakspfeife und
Buch in den Händen war denn auch
die Lieblingsfigur H. Dyck 's, des
Bedeutendsten unter den Politikern
der « Fliegenden » . Er hat den
Michel und sein Land in hundert
Situationen geschildert und jedes
dieser Bilder ist wie ein Freiheits-
lied, etwa wie einer von den leiden-
schaftlichen Sturmgesängen Georg
Herwegh's. Mit Herwegh's Liedern
haben Dyck's Zeichnungen auch
noch das Eine gemein, dass sie
heute nur ein euter Kenner der
88
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Xtf kfiMllMH 9tM*-
damaligen Verhältnisse ohne Commentar verstehen l<ann,
so überreich an Beziehungen sind sie. Ganz besonders
gern hat Dyck auch die Knebelung der Presse etc. —
und damit seines Handwerks — zum Gegenstand seiner
Satiren gemacht. Da lauern überall die gefrässigen
Scheeren der Censur, da wimmelt es von moosbewach-
senen Schlagbäumen, da taucht der Krebs des Rück-
schritts aus allen Winkeln auf. Es war ein grosses
Rufen nach Luft und
Licht in deutschen
Landen. Auch das
Verlangen nach dem
Wiederbesitz verlo-
rener Länder deut-
schen Stammes fin-
det in diesen Bildern
oft seinen Ausdruck,
um Elsass - Lothrin-
gen wird geklagt, um
Curland und Liev-
land, sogar Flandern
und Holland werden
reklamirt und als er-
reichbar «für guten
Willen » in Aussicht gestellt. Im Sturm und Drang der
Zeit gingen die Wünsche eben auch oft über das ver-
nünftige Mass hinaus. Dann spiegeln sich
wieder Bureaukratie , Hochmuth und Servi-
lismus, Kanzleiblödsinn, Polizistenunfähigkeit,
der Rückgang geistigen Lebens und zahllose
andere bittere Dinge in den geistreichen
Satiren Dyck's und Anderer. Gar seltsam
muthet es uns an, wenn wir im sechsten
Bande zwei kleine Bildchen finden, die in
nuce die Quintessenz von Gerhard Haupt-
manns vielberedetem Schauspiel «Die Weber 5>
enthalten. « Hunger und Verzweiflung» steht
unter dem Plinen, ein Leichenfeld stellt es
dar mit Toten und verhungernden Menschen.
Das zweite Bildchen erzählt von der «Offi-
ziellen Abhülfe » : Pickelhauben und spitzige
Bayonette. Auf der nächsten Seite finden
wir in fürchterlichen Jammergestalten die acht
Polizeisoldaten abconterfeit, durch welche der
Militärstand des Fürstenthums Reuss- Greiz
vermehrt wurde, um mit Energie die Ruhe
Tii VtM|<4Bl( *n VptMatratle
aufrecht zu erhalten
und die tapferen fünf-
zig Husaren, denen in
Weimar die gleiche
Aufgabe zufiel —
auf Steckenpferden
reiten sie einher.
Dann tost der
Sturmwind der März-
tage über das er-
wachende Land und
wilde Begeisterung,
frohesHoffen charak-
terisirt jetzt den poli-
tischen Zeichner.
Jetzt endlich dringt Freund Michel mit wichtigen Schwert-
schlägen auf Rückschritt und Schranzenwesen ein , der
alte « deutsche Bund » fällt rücklings um und die Schlaf-
mütze gleitet ihm vom kahlen Schädel. Der deutsche
Adler wird zu Frankfurt a. M. nach langer Gefangenschaft
aus einer Art von Hühnerstall befreit, aber vorsichtig,
denn «Meine Herren — aufgepasst! — ich glaube, er
beisst » ! Für die deutsche Kaiserkrone wird ein würdig'
Haupt gesucht. Michel trägt jetzt das altgermanische
gönf Siebeölicbec in fünf SaArftunbei-ieii.
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DIE KUNST UNSERER ZEIT.
89
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Xcr ^nfe jngl 1«! turö)« 91eDi«,
64 llopft b« 3tp(! i;iit Mttr tioiib,
Xie ionjl il)n Hopilt on bri Sonb.
/T. Stauber.
Bärenfell wieder statt der bun-
ten Lappen um die Schultern,
aus dem Träumer ist ein Riese
geworden, der seiner Kraft
bewusst ist. « Das Lichten des
Hochwaldes » heisst eines von
üyck's charakteristischsten Bil-
dern aus den Märztagen 1848.
Mit wuchtigen Axthieben haut
hier der Repräsentant der deut-
schen Kraft eine Bresche in
einen Wald von morschen
Schlagbäumen und Grenzpfählen, einen Wald, in dessen
Schatten allerhand kleinstaatische Pilze in üppigster Fülle
gedeihen. Dahinter hat er die Reichsfahne aufgepflanzt
und eine Jakobinermütze als Sinnbild der Freiheit auf
deren Spitze gesteckt.
Viele Träume aus jener Zeit hat die nächste
Geschichtsepoche nicht erfüllt, auch dem Rausche
folgte ein Katzenjammer. Sie hatten ihre Erwartungen
ja auch allzu hoch gespannt — so sah z. B. Dyck
schon das befreite Russland mit zerbrochenen Ketten
dem stolz und mächtig einher segelnden freien deutschen
Reiche entgegenjubeln. Bekanntlich ist es etwas anders
gekommen. Von Vielem hat unsere Generation erst
Erfüllung erlebt. Schon im 13. Bande finden wir
Dyck's Siegesjubel stark herabgestimmt. Er zeigt uns
da (im Januar 1851) Freund Michel wieder in recht
schlechten Verhältnissen.
« Das neue I-ied, das neue Lied
Von dem versoffenen Pfannenschmied,
Und wer das neue Lied nicht kann,
Der fange wieder von Vorne an » u. s. w.
ist die melancholische Unterschrift. Michel sitzt unthätig
da und neben ihm liegt der zerbrochene Reichsapfel, den
er wieder hätte zusammenschmieden sollen. Sehr ruinös
und spinnenüberzogen hängt in der Ecke der Reichs-
schild, die zerbrochenen Fenster der Hütte sind mit
ednt ^olbt Waib Urjulo flilrjc naHai fflugtS gum Ufer bi
Xcit^S unb fli^t bit giaglii^c ©itUütipn i^n« ntiungtloa WXi
brtiun @vtnb<(b(r9CT3.
013 ct[ iltit^ \itoa audgttri>dntt war, ftanbtn voSf
nU ]4<ucn UebnRfle bc< unglüdCii^ Spinbflbtrgn'S vtät
llrfara'ä.
„Gardez! ©c^q<^ ber JRönigini"
^3(^o(^ bem fiöttig unb matt!"
C. H. Scfimo[:e.
UchUnheld.
allerlei denkwürdigen Protokollen verklebt. Es ist wieder
einmal nichts gewesen, der «versoffene Pfannenschmied»
hat nichts fertig gemacht und « Das neue Lied » ist in
Wahrheit das Alte, nach der alten
Melodie: «Und wer das alte Lied nicht
kann, der fange wieder von vorne an ! »
So wie aus diesem Bilde klingt ehrliche
Wehmuth und verhaltener Groll aus un-
zähligen Schildereien der « Fliegenden y,
in den nächsten Jahren. Viel Noth und
Elend und Krieg und Bitterniss war
ringsum und das Amt des Humoristen
mag anno dazumal auch nicht das
Leichteste gewesen sein.
Auch die Censur scheint unserem
Blatte noch schärfer auf die Finger ge-
sehen zu haben als in vormärzlichen
Tagen. Das hat übrigens Veranlassung
zu einer der köstlichsten Episoden ge-
geben, die es zu verzeichnen hat. Um
die Mitte der Fünfziger Jahre sind die
« Fliegenden Blätter » ein Mal « in die
90
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
%le M>l|iili>4f<il k<t 0<9»k
Frochltch.
Frochtich.
Türkei ausgewandert». Als ihnen die Confiscationcn
gar zu liäufig wurden, erschien nämlich das Blatt eines
schönen Tages in türkischem Gewand und an der Spitze
stand folgende Erklärung:
«Da die «Fliegenden Blätter» in den letzten Monaten
zu wiederholten Malen hier, an dem Orte ihres Erscheinens,
confiscirt wurden und dadurch eine Störung in der regel-
mässigen Versendung die nothwendige Folge war, wird
die Verlegung des Schauplatzes der « Fliegenden Blätter »
in das Ausland unseren Lesern hinlänglich motivirt
erscheinen. »
Das erste Bild zeigte gleich Meister C. Braun mit
schwarzlichem Gesicht beturbant im Bette liegend, und
ein ebenfalls beturbanter Doktor reicht ihm eine Riesen-
pille mit der Aufschrift « Pressgesetz §§§» . Keine einzige
Figur in den näch-
*"'"i* sten Nummern er-
schien in anderem
als türkischem Ge-
wände, auch des
Staats -Hämorrhi-
darhius geheilig-
ter Person wurde
der Turban nicht
erspart, ja so-
gar die bekannten
^.$ QtnuV Qof, btr Hit, f«lt Acil ti uüini bn^ kUl ltia<n X<M (tmB, Bann 14 tesaurMic .Ciht lbi^\'
Stelil'.
Persönchen auf dem Titelkopf erfreuten sich der gleichen
Kopfbedeckung.
Damit schloss übrigens so ziemlich die politische
Epoche der «Fliegenden Blätter» ab und für ihre Ver-
breitung war dies jedenfalls gut, denn so Prächtiges
sie in Wort und Bild damals ihren Lesern boten, der
Abonnentenrückgang zeigte, dass, vielleicht gerade wegen
der trüben Zeiten, die Leute den Stoff zum Lachen aus
anderen Gebieten geholt haben wollten. Desshalb freilich
ging man an den grossen weltgeschichtlichen Ereignissen
nicht blind vorüber. Der Bruderkrieg von i866 warf
seine Schatten auch in diese Blätter, in den glorreichen
Jahren 1870 und 1871 trat der Ernst der Zeit wieder
stark in den Vordergrund. Ein treffliches Bild aus den
Tagen der Kriegserklärung trägt die Aufschrift « L'empire
c'est la paix » und zeigt uns Napoleon den III. als Tod,
der den Frieden des Grabes gibt. Oskar von Redwitz
hat flammende Strophen zu diesem Bild geschrieben.
Neben den Schrecken des Krieges geschieht freilich
auch dem Humor des Krieges sein Recht und wer
in einem Feldzuge mitgewesen , weiss wohl davon zu
erzählen , wie überaus reich dort neben den Schrecken
sich humoristische Vorfälle häufen. Und als gar die
ersten Siegesbotschaften kamen, als die Rothhosen das
Laufen lernten, als die ersten gefangenen Turkos ein-
trafen , als die unbesiegbare Eitelkeit der Besiegten
noch in gefälschten Siegesbotschaften und thörichtem
Phrasenschwall ihre Orgien feierte, was gab es da erst Stoff
zum Lachen! Siegesjubel und Viktoriaschiessen, Truppen-
einzug, ein einiges Deut.schland, ein Kaiser, erfüllt die,
Träume von einst! Wie wunderbar hat A. Oberländer
damals alle diese schönen Dinge in ein Bild zusammen-
gefasst, das den alten Barbarossa im Kyffhäuser dar-
stellt, wie er den Marmortisch, um
den sein Bart gewachsen, unter
den Arm nimmt, sich dehnt und
reckt und sagt : « U — u — ah !
Meine Raben hör' ich schon lang
nicht mehr — die waffenschmie-
denden Zwerge scheinen zu striken
— der Birnbaum wird wohl auch
seine Schuldigkeit thun — Invasion
— Siegeseinzug — Festjungfrauen
— und ein neuer Herr Collega —
ich glaub', ich kann zum
Rasiren geh 'n. »
'lUrtttfllifilK Vitbt.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
91
Qün SicgciuS in i« Srimnt.
In den beiden Kriegsjahren hat sich als Zeichner
der «Fliegenden» namentlich ein Künstler hervorgetban,
der heute zwar noch immer einer der berühmtesten
deutschen Maler ist, aber für dieses Blatt lange nicht
mehr arbeitet — Wilhelm Diez. Er hat Humor,
sprühendes Leben und schärfste Charakteristik immer
mit einer eminent künstlerischen, malerischen Darstellung
zu verbinden gewusst und gehört besonders in letzterer
Beziehung zu den glänzendsten Erscheinungen des
Künstlerkreises , von dem wir sprechen. Jede seiner
Illustrationen aus Kampfscenen alter und neuer Zeit
ist als Illustration meisterlich und zugleich auch ein
Kunstwerk für sich allein gesehen. Das ist das höchste,
was der Illustrator geben kann
und also auch das , was er
geben soll. Was er an Tem-
perament besitzt, ofifenbart Diez
in seinen mit unbeschreiblich
leichtem, kräftigem Strich hin-
gesetzten Zeichnungen beinahe
noch mehr, denn als Maler, so
kräftig auch hier seine Schilder-
ung ist, so reizvoll das Bouquet
seiner Farben. — — —
Zwei der berühmtesten Mit-
arbeiter der « Fliegenden » haben
einen Weltruf und werden einen
Platz in der deutschen Kunst-
geschichte für alle Zeiten haben :
Wilhelm Busch und Adolf
K.Braun. Oberländer. Zwei urdeutsche
Menschen , so spezifisch unser Eigen , dass wir auf sie
viel stolzer sein dürfen als auf manchen berühmten
Maler, der im Grunde doch ebenso gut in einem andern
Lande hätte geboren sein können. Busch ist in seinem
Wesen der Norddeutsche, Oberländer der Süddeutsche;
Busch's Humor geht oft an die Grenzen beissender
Satire , er ist ein Choleriker unter den Caricaturen-
zeichnern und nur seine sprudelnde Lustigkeit , sein
unvergleichlicher künstlerischer Uebermuth behüten ihn
davor, dass er verletze — Oberländer ist immer der
lachende Philosoph ; Busch ist ein Geissler menschlicher
Schwächen im Allgemeinen , Zeitfragen gehen ihn nur
in grösseren Umrissen an — Oberländer schreibt Cultur-
geschichte in Einzeldarstellungen, man könnte mit seinen
Zeichnungen eine ernsthafte Geschichte seiner Zeit scherz-
S8Ü kfd ^au^fraurriifrvixl^ Üahabärfttl au<lfi(^t.
E. Fmehäch.
haft illustriren und ich glaube, es würde kaum etwas
Wesentliches davon unillustrirt bleiben ; Busch ist der
Humor in Dur, Oberländer der Humor in Moll ; Busch
erzählt uns mit einem Lachen , dem man nicht gram
sein kann, einfach davon, wie curios die Kostgänger
unseres Herrgotts auf der lieben Erde sind, und kümmert
sich nicht weiter um Grund und Ursache — Oberländer's
Humor geht psychologisch tiefer und lehrt uns die
Lächerlichkeiten der Leute verstehen; Wilhelm Busch's
hauptsächlichste Stärke liegt in den Situationen —
Oberländers Ueberlegenheit in der Charakteristik ; Busch
erfindet — Oberländer erklärt ; Prachtmenschen, Künstler
von Gottes Gnaden und — Sonderlinge sind sie alle zwei !
Wilhelm Busch ist am 15. April 1832 zu Wieden-
sahl in Hannover geboren. Ein Onkel, der in Hannover
13
K. Stauber.
92
DIK KUNST UNSERER ZEIT.
Landgeistliclierwar, er-
zog ihn zunächst ; Busch
sollte Ingenieur werden
und besuchte volle vier
Jahre die polytechni-
sche Schule in Hanno-
ver. Dann bekam ihn
die Kunst in ihren Bann
und er ging auf Aka-
demien, nach Düssel-
dorf, Antwerpen und München. Ende der fünfziger Jahre der frommen Helene darüber vergesssen muss. Ebenso
trat er zu « Braun & Schneider » in Beziehungen und er geht es uns, wenn uns zuerst erzählt wird, wie Meister
ist in der fröhlichen Zeitschrift, von der \\ir hier reden, Zwiehl schwer geladen nach Haus wandelt, vor der
nicht nur als charmanter Illustrator fremder «Witze» Hausthür in's Regenfass fällt, dort einfriert und morgens
sondern er hat auch
A'. liiiiun.
man ihre Trümmer
rauchen — der Rest
ist nicht mehr zu ge-
brauchen ■» , so ist die
Konstatirung der Un-
verwendbarkeit des
Restes eben so über-
wältigend komisch, dass
man jedes peinliche
Moment im Untergang
hin und wieder thätig gewesen
eine ganze Reihe jener köst-
lichen Bilderserien mit und ohne
Verse geschaffen, die dann auch
als selbständige Bilderbogen er-
schienen und seinen Namen zu-
nächst populär machten. Seine
bezeichnendste Liebhaberei ist
es von jeher gewesen , das
bitterste und verwickeltstc Miss-
geschick von Mensch und Thier
mit wahrhaft raffinirter Grau-
samkeit, aber so naiv und ergötzlich zu erzählen, dass
auch nicht das leiseste peinliche Gefühl die Nerven des
Lesers und Beschauers
durchbebt. Kein Bilder-
bogen, auf dem nicht Je-
mand gezwickt, geschnit-
ten, geprügelt, gestochen,
platt gewalzt oder ver-
S;if ftiUc Tleitr bed '})tänd)enrt ^ommtt<tbcnh4
Sickert.
tot von der zärtlichen Gattin gefunden wird : « Schau,
schau!» sprach sie in Schmerz
versunken — der gute Zwiehl
hat ausgetrunken. » Ohne dies
« Schau, schau ! » wäre die Ge-
schichte eine Brutalität — so
ist's ein köstlicher Witz. Aber
das ist eben Sache eines Meisters,
die Kleinigkeiten zuerrathen,
auf die's ankommt. Auf die
grossen, breiten Hauptsachen
stösst der Mittelmässige auch.
Wilhelm Busch's Bildercyclen , die er für die
« Fliegenden » geschaffen , « Der hohle Zahn » , « Die
Fliege», «Die bösen Buben von Corinth», «Der Frosch
und die Enten » , « Der Hahnenkampf» , « Das Rabennest » , .
«Der Schnuller», «Die Rache des Elefanten», «Die ge-
störte Nachtruhe», «Abenteuer in der Neujahrsnacht »,
«Die kluge Ratte», «Der zerstreute Rektor», «Müller
und Schornsteinfeger» u. A. sind klassisch in ihrer Art,
sengt wird, erfriert, ver- so oft später Andere sich im gleichen Genre versuchten,
brennt, ertrinkt. Aber nie Er ist wahrhaft unerschöpflich in überraschenden Wend-
thut er dem Beschauer ungen , im Ersinnen der complicirtestcn Verwicklungen
der wunderlichsten Verlegenheiten. Bei ihm kommt ein
Unglück nie allein. Er hetzt seine Helden durch Dutzende
der haarsträubendsten Fatalitäten
und nicht selten finden wir sie am
Schlüsse im Krankenbett mit ver-
durch eine umgeworfene bundenen Köpfen und vcrpflaster-
Lampe verkohlt und der ten Gesichtern. Und mit welch'
Dichter beklagt das mit drolligem Pathos bringt er als
den Worten: «Hier sieht Schlussmoral dann recht banale
weh. Die unübertroffenen
Zwei- und Vierzeiler, die
er dazu schrieb, thun na-
türlich viel dazu. Wenn
die « fromme Helene »
K. Slauber,
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
93
Sed (Si^webentSnig« iStit.
SBei ßüjni im gelte um (äräben unb SBoU
SBaS jagt ifit, benjäl)vtc ©cftaaten?
IEJ08 1ct)it>eigt. (Sefc^üf- ans SJüc^jenfnall?
Stuimlüirbel unb Saiiioren?
9Iiif Südens StroSc bur(5'l SomufgetoJ,
Surd) y3üd)icn= uiib üanjengcnjimmel
Gie^t mou gaUppircn lebig unb loS —
"Sei Simti blutigen (Sc^immeU
Slufbvauft eä nie HieertäiticKenton :
„Set Sönig ift tobt! bcr König !"
Bon SJQiaillon ju SBatoiUon:
„auf! ouil unb rädiet ben Sbnig:"
Sodl ^ält fte beä SaUeä cntfejiitfi (Sewii^t
SKo(f) feft gebonnt in ben ?ieif|en —
So griebloiib unb SßiccDlomini fic^l
Sonn blinbe äSut^ nic^t gebti^e»
Weisheit vor, wie kostbar markirt der Schalk in ihm
den getreuen Eckart, der Jung und Alt warnt vor
dem Abgehen vom Pfade der Tugend. Und was er
für ein feiner Psychologe ist in seinen derbsten Bilder-
possen ! Wer sein viel zu wenig verbreitetes Gedicht-
bändchen « Kritik des Herzens » kennt, wird sich darüber
freilich nicht wundern. In geistreicherer Form ist eine
Kritik des Herzens auch noch kaum jemals geschrieben
worden und er leiht ebenso den starken Leidenschaften
mächtigen Ausdruck, als er die kleinen Schwächen und
Unzulänglichkeiten, deren Summe das ausmacht, was
wir so im Allgemeinen bei den Leuten ihren Charakter
nennen, zu zeichnen weiss.
Was Busch ausserhalb des Rahmens der «Fliegenden»
geschaffen , ist bekannt und wirkt heute noch mit un-
verminderter Frische. Man kann die lustigen Büchlein
lesen, bis man sie auswendig weiss und
auch dann noch weiter: «Die fromme
Helene», «Die Knopptrilogie«, den
«Pater Filuzius», den «Hl. Antonius
von Padua», den «Geburtstag», den
«Haarbeutel», «Max und Moritz»,
«Dideldum», « Balduin Bählamm, der
verhinderte Dichter >: , « Maler Klecksel »,
« Schnurrdiburr » , «Fips, der Affe»,
« Plisch und Plum » , « Bilder zur Job-
siade » u. s. w. Wie vieler Menschen
gesellschaftlicher Humor zehrt von diesen
Heften , wie Vieles daraus ist sprich-
wörtlich geworden, zu wie viel drol-
liger Anwendung hat das Alles Stoff
gegeben. Auf Künstlerfesten und Mas-
kenbällen haben wir seine Gestalten
wiedergesehen , « Max und Moritz » ist
ganz wundernett in Musik gesetzt worden
und unzählbar sind die Buschimitationen ;
im gelblichen Umschlag mit dem schwarz ■
rothen Druck gleichen sie den Ur-
bildern immer auf's Haar. Wer aber
auf den Umschlag hereingefallen ist und
weiter blättert, wird meistens bös ent-
täuscht. Auch in fremde Sprachen ist
unser Dichterhumorist übertragen wor-
den — aber wer kann die ursprüng-
liche Frische von Wilhelm Busch's
Versen übersetzen !
Es wurde gesagt , Busch und Oberländer seien
Sonderlinge, Sie sind es sicher insoferne, als der Humor,
der aus ihren Werken spricht, ihrem persönlichen Wesen
absolut fremd ist, als beide die frohe Kunst, mit der
sie so viel Hunderttausende ergötzen , innerlich doch
nicht als eine ganz würdige Beschäftigung ansehen, und
im Grunde an dem unbefriedigten Sehnen nach Idealen
kranken, die ihr Beruf nicht kennt. Dass Humoristen
aller Branchen sehr, sehr oft recht ernsthafte, grämliche
Menschen sein können, ist bekannt. So mancher Komiker
der Bühne enttäuscht im Leben Jeden, der ihn kennen
lernt, als missmuthiger und einsilbiger Mensch, der
sich seinen Witz geizig für den Abend spart und das
Lachen ist wie weggeblasen, sobald er aus dem Lampen-
licht hinter die Coulisse tritt. Wilhelm Busch lebt heute
und zwar schon seit Langem einsam in seinem Geburtsort
W. Dil
13*
94
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
UKaflrr SJprwürtd iiitb fein ^ciiiib 3i$ii(|li;ulier.
Sjaftlöu^rt; .0(1, lodrfjtr 3((iift;l)iim, ton* fnQ bo! oitielStlb!" — 5Wr. >JJonoQrl4 : „(Sf^orl 31af* 5lf)iitn,
mein Srfiinl) ; 31)r ÖJdoinn bfi brt WimefKiii'Spipfnljrimfr ibobii." — aaüfjllfubtr : „gjitin ©eminii tti b€c «iKriflcm.
i3*i^(ii^fiiit(r Soljn? Die trjl im "Droird iinb toofai i4 erft jmti Hnitel atfcftririitd !'— 3Jtr. gjocmärt«: .*B(i^, Sic
lob n'nlhd) lübtfnb iinl^iilbig.' 5)i( Qklcniiftflfl bm €« füt ib« 3»"*« "ifloflitl — iitibl wa^r* — Si» HjiflEn bn«.
JOt* lantt ab» Stmonb far ein ^atibnnl'^ntmflr I^ätig fiiii, tbrnn ti ni4l« babon bot, — ba« Irrig bif &r\rill6ta\t a\i^.
EfKO mnitt fte fäi 6i( tlluel lt)un. Q^a nun ab«[ bic Otjrlll^afl, tcfp bie Spi^n ber{(Ibfn, nirclibbi aui tigencn
SRillfln Ibul, lo mug bn üonini unlaiti — unb bo« ifl bie ^o\talaiiit brt fltiommun $ubli!um( — bfll ibrigc
tbun. Qkbfn @it nc^l ! Vii 3"<4n"ng bfr Utiitn mürben &it biiT4 bra Xirctlor SRqrrbcnbain mit {fbntnulenb 2bitlrnt
b<lb<iliil.- — fflJilbnbtc: .Od) ~ mit |ilitil«n|enb lljoUtn? — itt, bet i4 niibl Ob« fünf ISoltt ju bilboniint
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«EliW, loreie bie unfttei otibtreu Stfnnbt, trieben bie Hflien bnlb auf 110 unb ber bumme flroöe Raufen taufte ficft
kuun. «un foniml ba« einfodjt flute ©rii^üit, luo« Sie gtmai^t Ijnben, mein Srfunb 3bre Hftien icurben ju 110
betfoiitl unb voll* bie «^rlidt uetbiente l)iHtreni con toufmb Iba'ren. St^en 6ie, lieber SJübl^uber, ta« ip eine luobnne
«itrrttnnung für cttuitfene "Birnflf, bie brn uitbt etTÖt&en madjt. bet Sie annimml, unb beut ni(^tl foflet, itv |i( flibt.'
K. Brau IL
Wiedensahl bei seinen Angehörigen, züchtet Bienen —
eine alte Liebhaberei — und soll Heiligenbilder malen.
Ich habe keines davon gesehen. Was er im Dienste
des « heiligen Lachens » geschaffen , genügt mir und
wird auch genügen, seinen Namen spätem Geschlechtern
lieb und werth zu machen.
Adolf Oberländer verkörpert in seiner Eigenart
so recht auch die Eigenart des Blattes, für das er aus-
schliesslich lebt, der «Fliegenden Blätter». Seit Langem
hat er nur für sie gearbeitet und eine Nummer der-
selben, die keinen Ober-
■.-— '
Walor (fleifll vom Vicibe unb tritt itintft ben tn (!*elt*tlUi<
Pfbtnben Süeutenonl) .30. ?wrr äteutenont, mo* UV tdt benn ba It««-
ber iür oiit Sdjlamperei? — Da» nifnn ber &ert Dberfl fie4l, *«S
bei «noff Ott irfl angfn^^t «ft. bo paRru Sit aui. itia» 3^e je^dfte^l'
W. Die:.
länder bringt, gilt bei-
nahe als keine ganze
Nummer. Es müssen jetzt
so an dreissig Jahre sein,
dass er die erste Zeich-
nung zu Caspar Braun ge-
tragen, mit den ersten Ver-
suchen schon seine Eigen-
thümlichkeit bestimmt be-
■ kündend. Er hat seine
Art nie verändert , nur
welter entwickelt und wer
die Bände des « Oberlän-
der - Albums » , das seine
brillantesten Schöpfungen
enthält, durchblättert, kann
sich seinen ganzen künst-
lerischen Lebens-
gang vor Augen
stellen.
Oberländer ist ein
Bayer, 1845 zu Re-
gensburg geboren.
Schon in seinem
zweiten Jahre kam er
mit den Eltern nach
München , wurde
zunächst dem kauf-
männischen Stande
bestimmt , wandte
aber seine Neigung der Kunst zu. Auf der Münchener
Akademie hat er unter Piloty studirt und man sagt,
die Historienmalerei sei noch heute seine stille Liebe.
Im Uebrigen hat er sich von der ernsten Kunst bald
zu der heitern bekehrt, in deren Reich er ein Fürst
geworden ist, ein Meister. Oberländer ist ein Carica-
turenzeichner, der durch Wahrheit wirkt ; es ist natürlich
eine relative Wahrheit, die sich nicht an das Gesehene
halten kann, aber über das Maass des Denkbaren auch
nicht leicht hinausgeht. Das ist seine grösste Kunst,
die Charakteristik an die äusserste Grenze der Natur zu
treiben, diese aber nur um so viel höchstens zu über-
schreiten, als zu den Forderungen des Humors gehört.
Er dreht die Menschen nicht zu Korkziehern zusammen,
wie der übermüthige Busch, er lässt Löwen und Tiger
verdriessliche und ver-
gnügte Gesichter schnei-
den, ohne aus den
Ungeheuern zoologische
Ungeheuerlichkeiten zu
machen. Seine Charakter-
köpfe könnten fast durch-
weg Porträts sein, er
zeichnet Individuen und
keine Typen. Darum ist
er immer neu und darum
unterscheidet er sich auch
so himmelweit von an-
deren humoristischen Illu-
stratoren. Dass Ober-
länder kein fruchtbarer
Erfinder ist, thut seinem
Werth keinen Abbruch,
^n nnrnfiTfe Vantv,
Vnttntanti ,Sbti, SRaifTbauer. ii^ bdtt' 34m mtbr V^lung eor b<m SttntU titgttratit, tli kt| Cr unnlirt
Mt tnir frftiKint *
VbHtt .Qun dlnabrn (err Hnttmann. f4au nl, tbit iA bon j ^sal tan bin. b«b' i4 "if tAbn bom 0ab<f
teit Qart abnt^mfR lafltn oQiin. erlauben i bcttitfa'ti*. idi tann tnirfliib nij bafti — aber idt 1)ab' liall \o lang b'rani
tcaitrit müfjen. bi< tc^ bortomnitn bin. bag it mir uRIrrbelien tBiebrr g'tM(f)t(n ift!'
K. Braun,
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
95
E. nie (in der Manier des P. v. Cornelius'.
denn dafür ist er ein beispiellos geistreicher Conimen-
tator seiner Zeit. Er ist das auch nicht zufällig, son-
dern aus bewusstem Beruf, er hat diese Auffassung
von seinem Metier und diese Auffassung offenbart sich
in dem künstlerischen Ernste, mit dem er seine Arbeit
thut. Ich weiss nicht, ob er schnell oder langsam
arbeitet, jedenfalls aber geht er gewissenhaft zu Werke
und strebt immer die denkbar höchste zeichnerische
Correktheit an. Ein Abklatsch der Wirklichkeit kann
eine Caricatur ja nie sein — aber organisch ist eine
Caricatur Oberländer's immer und das bestimmt eben
die Grenze der in der Caricatur erreichbaren Wahrheit.
Oberländer hat wohl seine künstlerischen Speziali-
täten, das heisst Besonderheiten, in denen es ihm Keiner
gleich thut, wie in der Thiercaricatur — aber er ist
nicht, wie die grosse Mehrzahl seiner Berufsgenossen
Specialist für irgend ein ausschliessliches Stoffgebiet. Im
Gegentheil , er ist universell wie kaum ein Anderer.
Keine Menschenclasse, deren Vertreter er nicht schon
durchgehechelt hätte, solche von den Höhen und solche
aus den Tiefen. Er schildert den Vagabunden, der die
Strassen unsicher macht und auf Gottes weiter Welt
nichts ist, als ein — Zeitgenosse , den Gauner , der
darüber philosophirt, wie zwecklos es von den Richtern
war, ihm die « bürgerlichen Ehrenrechte » zuzusprechen,
mit denen er doch nichts zu thun weiss. Er schildert
mit ganz besonderer Passion die feisten Protzen mit
ringgeschmückten Fingern und dicken Uhrketten, wie
sie auf dem Maskenball sich langweilen und Champagner
dazu trinken , damit sich « die armen Schlucker recht
ärgern » , oder wie sie sonst das Sprüchwort von
« Dummheit und Stolz » bethätigen. Studenten bei
lustigen Streichen oder in bierduseliger VersumJDfung,
Bureaukraten , Gigerln, Ellenreiter, die von Pomade
glänzen , dumme , pfiffige und dummpfiffige Bauern,
junge Hausfrauen, die hilflos vor den Bürden ihres
neuen Amtes stehen. — «Tragen Sie den Häring sofort
wieder zurück zum Kaufmann ! Sehen Sie denn nicht,
dass er schielt?» — Höhere Töchter und Emancipirte,
Hausknechte, Börsianer, Schulmeister, Juden und die
Clerisei — nichts Menschliches ist ihm fremd! Die
Lieutenantsgestalten, die er geschaffen hat, sind gewiss
die gelungensten , die jemals in den « Fliegenden » zu
finden waren,
trotzdem An-
dere vielleicht
den Stoff mit
mehr « Schnei-
digkeit » und
Chic an-
fassten. Adolf
Oberländer's
Lieutenant, der
sich zum er-
sten Mal der
staunenden
Erde im Inte-
rimsrock zeigt
im wunder-
schönen Monat
Mai — ich
glaube, im Mai
Sola SommetlicS 1866.
ficijn, Siblbuni juf)c!
Jjcl) bengtc meine Senfe;
©d)«ict nic^t: „»(^ uiib SScf|!"
S((ä inie bic ®än(c!
W. Dill.
96
UIE KUNST UNSERER ZEIT.
^cr fiirjfiditigc 3uf|*ehioii^offiji(r.
„SSoi^traeiflcr, loovum fttljt bet «Kann fo traurig ba ?"
/•'. Ixissow.
1886 wurden für die bayerischen Offiziere die Interims-
röcke eingeführt — , ist mehr als nur ein flotter Sol-
datentypus, er ist eine ganze Analyse der Lieutenants-
seelc, so voll beneidenswerther Selbstgefälligkeit und
gutmüthiger Herablassung, dass er wohl auch solche
zur Heiterkeit gezwungen hat , denen er vielleicht zu-
fällig ähnlich sah. Und wie harmlos liebenswürdig ist
dabei seine Persiflage, so gar nicht verletzend, während
JStXantllti ttt Kmittt ttt tii\)ttiHt» ieiU Ui itt NaAtt<6t ibr« W^leffmt» SSnt^tittta.
CSfKAld c»n 3fb 3aboii.(b. eAürn kt» M. 9ii fV» rntnwt.
%4 >>»1" \;ouaiin loU ati)(btiäii<
?oit f)t(Ui> Otfd) ID btiB jdicbi'
C lotidic ndntciilolt r<iB(ii!
£}ic b^l Gian um 10 iit) btnilblt
Vault 7iauti|loi jf^i in bn 3*"'
QO t(<|lt bann b tau »ibi mn unb Df€ii
3|t Kitnianb ba, bn fid] iibufint.
int UM« bu juK VolK bUibt?
^ft ibr« Vitb' uns ne4 itiMiuK.
lOtim ffiinKijlutni 1(in XUf|in Ittibl?
£a<b <i(in. cao lltibol iH gciaQl,
£u Iditibtl DO» bit. tal|d]c ffitU:
&. (ennit ^}{i(ninnb flib nod) finbYn
S3on butibrnntuniinbbtti^ig Wann.
KU lii'ut, bri diu ftincn OTllnbeit
Obt Vtbfn niibl tibolltn Tonn?
t(m IRann . bti ibi V«(ttb'n snD»at.
€ti unln maintfln £anf stJoQll
icit mal ijflubi Dcn Dltitbtn, Stntn.
Sinn ^ann unb ^tib, not Oung üb llc
Andere, welche die klirrenden Gardehalbgötter karikiren,
doch oft auch eine kleinere oder grössere Dosis Klassen-
hass in ihre Arbeit mischen!
Die « heimlichen Randzeichnungen aus dem Schreib-
hefte des kleinen Moritz » gehören nicht minder zu
Oberländer'« berühmtesten Schöpfungen. Wie köstlich
illustrirt der freche lustige Schlingel das Schul-, Schul-
jungen- und Schulmeisterleben, wie weiss er mit seinen
unbehilflichen , kindischen Strichen doch so unfehlbar
scharf das Bezeichnende zu treffen ! Viel Talent hat er,
der kleine Moritz — wenn er so fortzeichnet, wird er
einmal ein grosser — Oberländer! Auch der grösseren
« Compositionen » des Künstlers sei hier nicht vergessen,
ganzseitiger Zeichnungen mit vielen Figuren , in denen
Set 5aul^«it iBoOt' cm VitO id) fingen,
Do<^ Id6t (ie jtlbfl mir feine 5R.if)''
3t^ fann iai Sieb ntct)t njeitet bnngen -
2)enn i(^ — bin — nie! — jii — fa
iil — iojtt.
11'. DU:.
er komische Situationen aller Art beschreibt mit ebenso
grosser Mannigfaltigkeit der Charakteristik als über-
raschend feinem Sinn für Bewegung. Es seien nur einige
genannt : sein « Concerlbildhauer ■» , die entzückende
Bilderserie vom «Viehmarkt in Timbuktu», «Das Volk
steht auf, der Sturm bricht los», «Resultatlose Volks-
versammlung», «Die erste Bildersendung in Kamerun»,
« Kritikers Traum » , « Der Riesenpatentventilator » , « Der
Impfzwang in Kamerun » u. s. f. ! Und Oberländer's
Thierzeichnungen ! Seine Löwen sind fabelhaft ! So
der « Stossseufzer aus Afrika» — eine hungrig lauernde
Löwenfamilie mit der Unterschrift : «Herrgott noch ein-
Sickerl.
DIE KUNST UNSERER ZEIT,
97
®an} )(^iuiiiWi(^ toirb ber Wraoe.
55(iftt auj! Scjt tommt bie Strafe.
3)a ^ilft fem fflnnen unb fein ©(^rei'n
©ie mufien unter '§ gn6 hinein.
li'. ßujt/i.
»ioseiicö unb bie böfen Söuben »on SoriutI).
t\e böfen ?3nben bon fforinl^.
©inb plM geroaljt, inic Rucken fiitb.
mal, schon bald halb zwölf Uhr und noch kein Neger!»
Elefanten und Flusspferde, Giraffen, Vielhufer aller Art,
Hunde, Schweine, Vögel, ja selbst prähistorisches Saurier-
gesindel , das hat er Alles oft gezeichnet und mit so
drolliger Mimik ausgestattet, dass sich jede «mensch-
liche » Empfindung in ihren Mienen malt und doch ein
verhältnissmässig sogar noch hoher Grad realistischer
Schilderung des Thieres gewahrt bleibt. Sie lachen
und weinen, sie sind übellaunig, sehnsüchtig, dumm,
schlau , schläfrig oder boshaft — und doch ist jeder
Strich naturgeschichtlich möglich.
Damit ist Adolf Oberländer's künstlerisches Ver-
mögen noch nicht erschöpft. Er zieht sogar die Land-
schaft in den Bereich der Caricatur, er hat, wie erwähnt,
«ine meisterliche Serie « Der Kuss » nach Manieren
berühmter moderner Maler gefertigt, ein förmliches
culturgeschichtliches Essay « Alt-Athen und Isar-Athen »
gar geistreich gezeichnet und noch so Vieles Andere,
was hier nicht aufgezählt
werden kann.
Oberländer's Ruf geht,
nicht nur durch die Ver-
breitung der « Fliegenden
Blätter » allein, weit über die
Grenzen des deutschen Vater-
landes hinaus und namentlich
die Franzosen schätzen ihn
hoch — ja unter der kleinen
Gruppe der deutschen
Künstler, die 1889 gelegent-
lich der Pariser Weltaus-
stellung auf dem Marsfelde
vertreten war, hat er mit
seinen Zeichnungen — erin-
nere ich mich recht, so war
der « Viehmarkt von Tim-
buktu » darunter — fast das
meiste Aufsehen gemacht.
Eine Medaille freilich trug's
ihm nicht ein — der stille,
verschlossene Künstler war
nicht der Mann, bei einer
solchen Gelegenheit für sich
etwas herauszuschlagen und
in der Kunst gehört leider
w. Busch. in solchen Dingen das Klap-
pern eben auch zum Hand-
werk. Münchens Künstlerschaft schätzt ihn als einen
ihrer Besten; der «Oberländer- Abend » der «Allotria»,
die seine 25jährige Thätigkeit bei den «Fliegenden»
feierte, steht nicht
nur auf dem
Ehrcnblatt in der
Chronik dieses
fröhlichsten aller
K ünstler- Vereine,
er wird auch wohl
von dem stillen
Adolf Oberländer
selbst zu den
schönsten Augen-
blicken seines an
glänzenden Erfol-
gen reichen Le-
bens gezählt.
Set ttngc Scöfo(fcrmeifter.
SSie \\i) bei- ffuge S*to((en«cii'ter finubtiiff geholfen
^nt, mtnn et mit (einev ©oitin in Slicit geral^en war,
unb bicfe ibm bie Stugen auStrofe«« wMie.
F. SUub.
98
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
DoUera §örnertlaiig
)f unb !pulDttba
„Öercill mit SiCflCÖfailß!" bewegt sich auf dem Boden des
fcpgrli^ Dem Ijcimhtljrciiilcn boijtrifdjcii Kfutt- Alltagslebens, aus dem er eine
grosse Zahl sehr charakteristi-
scher, lebensvoller Gestalten fest-
gehalten hat. Am Geschätztes-
ten sind seine grotesken Mode-
bilder, meist seiner eigenen Idee
entsprungen; er pflegt darin mit
viel Humor und Phantasie das
Mögliche und Unmögliche aus
den entlegensten Gebieten zu
Motiven für stilvolle Toiletten,
Frisuren und Damenhüte zu ver-
wenden und mancher seiner Ein-
fälle mag schon zu fröhlichen
Gelegenheiten in die Wirklich-
keit umgesetzt worden sein.
Ausser Wilhelm Diez haben
noch zwei andere hervorragende
Pferde- und Soldatenmaler am
Werke der « Fliegenden Blätter»
Theil: in früheren Jahren Theo -
Th. Horschtit. dor H o r s ch clt (geboren 1829,
In früheren Jahren hat mit Bechstein und Stauber gestorben 1871) und nach ihm Ludwig v. Nagel,
zu den fruchtbarsten Mitarbeitern unseres Blattes auch dem auch heute noch, was Charakteristik und Individua-
Emanuel Spitzer gehört, der mit sehr bezeichnenden lisirung der Pferde betrifft, kein anderer deutsciier
und malerisch gehaltenen Bildern zahllose Witze, Nove- Zeichner das Wasser reicht. Der früh verstorbene
letten u. s. w. illustrirt hat. Spitzer ist weiteren Kreisen Horschelt war ein genial angelegter Künstler, schöpferisch
auch als anziehender, an guten Einfällen reicher Genre- bis zum Unglaublichen,
maier bekannt, der sich das Leben unserer Backfischchen ein Mann , der alle zeich-
zur besonderen Domäne seiner Kunst gestaltete. Durch nerischen Schwierigkeiten
Reproduktionen sehr verbreitet ist sein humorvolles spielend und mit unendlicher
Familienbild « Mama hat's Tanzen erlaubt » ; das Gleiche Leichtigkeit des Striches
gilt von seinen lustigen Scenen aus der Töchterschule und temperamentvollem Vor-
und aus Mädchenpensionaten , wobei sich's stets um trag bewältigte. Er ist viel
lustigen Schabernack handelt , den die Dämchen ihren im Osten gereist und hat
gestrengen Lehrerinnen und Directricen anthun. In das Leben der Völker, die
jüngster Zeit hat E. Spitzer für den Verlag der « Kunst ' auf dem Rücken der Pferde »
unserer Zeits die amüsanten Zeichnungen zu dem Pracht
ein volles Dritttheil vom
Glück der Erde suchen und
finden, in ungezählten Zeich-
werke «Eva's Töchter» gefertigt. Auch Ludwig
Bechstein zählt zu den Veteranen der «Fliegenden
Blätter» und hat ungefähr die respektable Anzahl von nungengeschildert, war selbst
5000 Zeichnungen für sie fertig gestellt. Bechstein ein leidenschaftlicher Reiter
ist der Sohn des in der deutschen F"amilie so wohl und hat grosse Reisen im
gekannten Märchendichters, aber er selbst hat durch- Sattel ausgeführt, auch orien-
aus keine Neigung zur Romantik und seine Kunst talische Kriege mitgemacht.
A. Obtrländn.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
99
/•;. iiu.
Von seinen Schilderungen dieses wilden Lebens schaute ; denn ein paar Monate, bevor die bayerischen
ist in den «Fliegenden» mancherlei zu finden, was Truppen, den deutschen Kronprinzen, « unsern Fritz ;.
sein Wesen trefflich illustrirt. Eines seiner präch- an der Spitze, durch's Münchener Siegesthor einmar-
tigsten Bilder aber ist der Truppeneinzug in München, schirten, ist Horschelt (am 3. April 1871) in München
den er freilich nur mit den Augen der Phantasie er- gestorben. Das Bild erschien, den Ereignissen vor-
14
100
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
auseilend, noch im gleichen Monate in den «Fliegen-
den», es ist Theodor Horschelt's letzte Arbeit gewesen.
Die kurze Dauer seiner Künstlerlauiliahn ist um so
mehr zu beklagen, als die Pferdemalerei, das Ver-
ständniss der Künstler für Pferde immer mehr nieder-
geht — selbst in England, dem Mutterland des Pferde-
sports, haben sie auf diesem Gebiete nur wenige her-
vorragende Kräfte, und z. B. die Ehre, die ersten Pferde-
grössen , Derbysieger u. s. w. im Bilde der Nachwelt
zu erhalten, wird meist einem Deutschen, dem in
München lebenden Emil Adam. Ein Pferdekenner,
Pferdepsycholog und Pferdehumorist ohne Gleichen ist,
wie gesagt, Ludwig v. Nagel. Er ist wie Horschelt,
eine Ausnahme von der Regel, dass Leute, die reiten
können , nicht zu zeichnen verstehen und Leute , die
Letzteres thun können, das Erstere nicht los haben.
Nagel war von jeher ein Reitersmann in jeder Faser
seines Wesens, einer von Denen, die an keinem Pferde,
und wäre es der abgetriebenste Sandführergaul, vorüber-
gehen können , ohne auf irgend Etwas aufmerksam zu
werden, ohne irgend Etwas zu lernen, und er hat darum
auch ein Gedächtniss für hippologische Erscheinungen,
das an's Fabelhafte grenzt. Dabei versteht er vom
Reiter so viel als vom Pferde selbst und seine vielen
Sport- und Reitercaricaturen wird wohl nur der voll zu
würdigen wissen, der auf diesem Gebiete selbst etwas
beschlagen ist. Es genügt ihm nicht, einen Mann leid-
lich richtig auf das betreffende Pferd zu setzen, sondern
der Mann kommt bestimmt so auf's Pferd, wie er seiner
und des Pferdes besonderer Eigenart nach unter den
besonderen Umständen, die vorausgesetzt sind, im Sattel
sitzen muss. In gleicher Weise versteht der Künstler
auch dem Verhältniss des Kutschers zum Wagenpferde
Ausdruck zu geben , er kennt alle Fehler und alle
Unarten, alle Launen und Charaktereigenschaften, Rassen-
und Dressurunterschiede der Pferde, und weiss, ohne je zur
übertreibenden Caricatur überzugehen , ihre Empfind-
ungen meisterlich mit sicheren Strichen festzuhalten.
Welche Liebe zur Sache, welches Studium, welches unaus-
gesetzte Beobachten dazu gehört, um das zu erreichen,
wird sich der gewöhnliche « Beobachter » , dem das Pferd
eben nur ein vierbeiniges Thier mit Schweif und Mähne
ist, schwerlich vorstellen können. Ludwig v. Nagel's
zweite künstlerische Specialität ist das Soldatenleben.
Er war ja selbst lange Jahre Soldat im bayerischen
Heere, Kürassier und Chevauxleger und hat die beiden
letzten Feldzüge 1866 und 1870—71 mitgemacht. Gerade
als Soldat erprobte er zuerst — im Jahre 1861 —
sein grosses Talent für das Hippologische und gab
«Skizzen für Reiter» heraus, welche die lehrreichste An-
schaulichkeit mit der grössten kün.stlerischen Korrekt-
heit verbanden und geradezu Epoche machten. Sie
lenkten auch Ernest Meissonier's Aufmerksamkeit auf
den künstlerisch angelegten Reitersmann, der damals
in Landshut Kürassier war und der grosse Franzose
hätte den bayerischen Lieutenant gern zum Schüler
F. Slmb.
genommen — später ist der grosse Franzose be-
kanntlich ein kleiner Chauvin geworden und hat wohl
keinen deutschen Cavalleristen mehr in sein Atelier
eingeladen.
Das Soldatenleben und insonderheit das bei denen
von der Cavallerie hat Ludwig v. Nagel, der heute nicht
mehr in aktivem Dienst ist, aber auch von militärischer
Seite als Pferdeverständiger vielfach zu Rathe gezogen
wird, zeichnerisch in allen seinen Details geschildert,
mit köstlichem Realismus geschildert, der sogar manchen
standesstolzen Mann hie und da verschnupft haben mag.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
101
Aber Nagel sieht eben auch im Soldaten als echter
Künstler nicht die Exerziermaschine, sondern das Indi-
viduum, den Menschen und man sieht bekanntlich die
Menschen , besonders wenn sie zu Pferde sitzen , oft
recht — menschlich, selbst wenn sie's bis zum Stabs-
offiziersrang gebracht haben. Ob er nun Typen aus der
Reitschule, aus den Manövern oder vom Exerzierplatz
nur Arbeiten Anderer dagegen zu halten und man wird
sehen, wie sehr die meisten Anderen verallgemeinern
und sich mit Schablonen helfen. Sein Humor ist von
liebenswürdigster und fröhlichster Art, und wer Gelegen-
heit hatte, an anderer Stelle Porträtcaricaturen und
ähnliche Produkte seines Stifts aus frohen Stunden zu
sehen, der weiss, wie vielseitig diese humoristische Be-
lEöiHliOuf
bringt, immer ist er gleich echt, gleich humoristisch
und gleich exakt — exakt bis auf die letzte Schnalle
am Kopfzeug des Gauls. Sonntagsreiter , Pferdejuden,
Pferdeschinder hat er natürlich mit gleicher Kunst in
zahllosen Varianten abconterfeit wie die dreijährig unfrei-
willigen und die einjährig freiwilligen Centauren Seiner
Majestät. Um zu erkennen, wie originell und wie wahr
Nagel in seinen Pferdezeichnungen ist, braucht man
gabung thätig ist. Ein bei Braun & Schneider erschienenes
« Nagel- Album j bringt in i6i Bildern einen Theil der
besten Beiträge des Künstlers für die Münchener Bilder-
bogen und die « F"liegenden Blätter».
Wie auch auf manchem anderen Gebiete Missstände
und Auswüchse am schnellsten dadurch zur Beseitigung
kommen, dass der frische Luftzug der Oeffenthchkeit
d'rüber hinstreicht, so hat auch in militärischen Dingen
14*
102
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Kenini:
Ittanim, wcini mij-'s flm da^ tjclang,
'•^■^ Jl^il T>ir. nipi" tipb, in fcfcn,
träum' id) oft gansc nä*to lang
Don nldlls, als mißfii HojiMi ?
!ln^ — ffll' i^^) irilbi- Jlolcn an,
ITo idl am Cai}^ afbc,
iPic romtnl CS, IHäM'cn, bai idl fann
tie Xlaim im Craum T>id> Wie P
Nagel's satirischer Stift
wohl schon manchen
Unfug aus der Welt
geschafft. Wenigstens
sagte ihm einst ein
hoher Militär, Nagel's
Soldatenbilder in den
«c Fliegenden t> hätten
ihm in Sachen von
Modeextravaganzen
schon oft ein Reskript
gespart. Wenn irgend
eine von jenen Thor-
heiten , welche die
Uniformschneider zum
Besten ihrer Kasse er-
finden, allzu bunt in's
Kraut schiesse, dann
bringe sie der Künstler
schon in die « Fliegen-
den » und eine solche
H. Schneider.
Fest-Nagelung verfehle ihre Wirkung nie.
Seit bald 30 Jahren hat auch Hermann Schneider,
der jüngere Bruder des jetzigen Verlegers mitgezeichnet
an den Illustrationen des Centralorgans für deutschen
Humor, bald fröhlich Witze illustrirend, bald romantische
Compositionen, zierliche Vignetten und Anderes beitragend.
Schöne Frauengestalten, Mädchen mit dunklen schwärme-
rischen Augen, stellt er besonders gerne dar, wie er auch
als Maler der Frauenschönheit fast in jedem Bilde seine
Huldigung zu bringen pflegt. Einige seiner schönsten
Arbeiten hat Hermann Schneider als Begleitbilder zu
romantischen Dichtungen geliefert, reizend und ausser-
ordentlich charakteristisch ist eine Serie kleiner zeich-
nerischer Momentaufnahmen: «Der Ball». Er hat als
Historienmaler einen weithin geschätzten Namen und
seine Bilder sind in den letzten Jahren meist auf der
Staffelei schon Eigenthum verschiedener Kunstfreunde,
■die sich an seiner heiteren Schönheitsfreude, an der
warmblütigen Lebendigkeit seiner Darstellungen aus dem
klassischen Alterthum begeistern. Hermann Schneider
ist 1846 zu München geboren, war von 1866 — 1867 bei
Piloty und hielt sich dann lange in Italien auf. Zunächst
schuf er nach seiner Rückkehr mehrere Historienbilder
grossen Stils, Costümbilder schöner Frauen u. s. w. Im
letzten Dezennium hat er sich mit besonderer Vorliebe
£0« Stiel.
althellenischem und römischem Leben zugewandt und
aus diesem Felde sprossten wohl auch die feinsten und
originellsten Blüthen seiner Kunst, «Tanzstunden im
Bacchustempel», «Frühlingsfest», « Die Nachtigall » und
vieles Andere. Die ausserordentlich künstlerische Weit-
sichtigkeit, welche die Leitung der «Fliegenden Blätter»
heute auszeichnet, welche das absolut Moderne neben
dem behäbigen Alten frei sich entfalten lässt, sofern es
nur gut ist, mag nicht zum geringen Theile sein Ver-
dienst sein. Er steht — und das ist heute in München
eine Seltenheit — allem künstlerischen Parteiwesen ferne
und sucht und findet das Gute, wo es eben zu suchen
und zu finden ist. In den allerletzten Jahren liegt eine
so schwere redaktionelle Bürde auf Hermann Schneider's
Schultern , dass er als Maler fast nur mehr in Musse-
stunden zum Schaffen kommt in dem prächtigen Atelier,
das ihm im Neu-
bau hinter dem
Schiller-Denkmal
an der Brienner-
strasse errichtet
ist. Hermann
Schneider geht
als Maler, weder
von Traditionen,
noch von moder-
nen Schlagwör-
tern beirrt, ruhig
seine Wege , er
hält auf Compo-
sition und strenge
Zeichnung, ohne
ein Akademiker
zu sein, er malt
— ja sogar mit
besonderer Vor-
liebe — hell, oft
weiss auf weiss
und ist nichts we-
niger als ein dog-
matischer Pleinai-
rist. Jedes junge
Talent, das sich
mit Erstlingsar-
beiten den « Flie-
genden » naht, hat
>)!id)l unter ©leiiigtroörboi, bi« ©olltS 2i(f»( wrbtrgtn,
"Rii^t in bt« ®omt4 flttujjang, umringt ooil Seii^cnjärgtn,
Unb mo mit ^runtgtroänbtrn jui Si^au bit 5)ltng< jit^l,
OuiUt auä btä ^trjtnä Sitftn Stau«, üti, 9tM.
Dort, reo bur(^ Suditntrontn unb bur(^ bit 5<Uifl'n ßii^n
(S)t6fimni6i!Dn bit Süftt mit lel|en aflügtln firtic^tn,
fflo ouä ben SJIiitStnöfitn btr Sang btr S85gt( MaBt,
Eorl i(l tä, 100 idj btit — mtin Zmpti i(i in 2Salb.
Do ^audjt'ä btr Siebtn 1Uf)t, ba tonn ii) 0ott fugrtifoi,
ffltnn meint Itunt'ntn Slittt imi) (tine Serfe [Irtifen.
2)0 bot' \ii (eine ÜBorle, ba It(' ic^ (eint S*riftcn
■Jluj buntgefe^müdlet gibt unb in ben blouen üüften;
Sa (le^t fein gto^et %tmpt\ auf unfii^tbartn SSultn,
3)0 borf ^n 61|rifl, btr ^eib, btr lürf unb 3ub< UKihn»
35a bütjtn aUe bettti, menn'» nur im Jietjtn flommt,
33tmi an« ÜKtnjöJen fflotec übt |elb|i boS ^>ii«(tetaiiit
.'. Waller.
l'iioi. V. Uuiif.taeugl, .Müntlien.
Wilhelm Busch.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
103
ll»fr«|f.
®cv crgebcn[t Uiilftieic^nele tvlüubl jid) au bie ifitbaction
fcft Sücgenbcn SlalUr mit bet 2*i(te *ju loenben , i^m genau
bie ©CQfnb bcjfirfjntu ju loollcn, wo fu^ bic tolD[(alen 5Säunic
fctfinbcn, bic iu bet legten ^iummer ber Sliegcnbcn Slrttter (ju
fcm ®tbi((|te : „S)aä ©ebel") nlijebilbel roartn.
^?etcr Sertrümmetlf,
^olj^Gnbler au^ ^11 b^oljingtn.
F. Simb.
in ihm einen wohlwol-
lenden Förderer, und
wenn es sich als echt
erwies und die Erfolge
kamen, einen offenen,
neid- und rückhalts-
losen Bewunderer ge-
funden. Auf's Jahr so
alt wie er ist Edmund
Harburger und hat
wohl ungefähr ebenso
lange dem gleichen
Werke seine Kraft ge-
weiht. Er hatte sich
zuerst dem Baufach ge-
widmet und erst im 20.
Jahre, zunächst unter
der Leitung W. Lindenschmit's der Malerei. Die alten
Niederländer Kleinmaler haben es ihm besonders ange-
than; auch er malt in gleicher Art wie sie fast aus-
schliesslich Kneipenscenen oder Darstellungen aus dem
Leben kleiner Leute. Eine eminente Zartheit und Ge-
schicklichkeit der Mache, welche den « Reiz der Tafel »
jedem Geviertzoll seiner Bildchen wahrt, zeichnet ihn
aus, zeichnerische Sicherheit und charakterisirende Kraft,
die ihres Gleichen suchen. Diese nie fehlende Sicherheit
und Kraft der Charakteristik sind in hervorragendem
Masse den zahllosen Illustrationen eigen, die er für die
«Fliegenden Blätter» beigesteuert hat. Auch von ihm
kann man behaupten, was von den Arbeiten W. Diez'
gesagt wurde, jede ist ein Kunstwerk, ein Bild für sich,
auch ohne die beigedruckte lustige Erläuterung. Denn
er hat uns über
pathisch ist dabei seine Bleistiftmanier, die von den
Holzschneidern der «Fliegenden .Blätter» ganz über-
raschend treu nachgebildet wird ! Heute, seit Diez nicht
mehr mitthut, sind seine Beiträge fast die malerischsten
in diesen Spalten,
jedenfalls aber die,
deren malerischer
Werth von den
meisten Beschau-
ern voll verstan-
den wird. Feucht-
fröhlicheBacchus-
knechte von jeden
möglichen Schat-
tirungen zeichnet
er am Liebsten
und an Stoff dazu
hat es ihm auch
nie gefehlt, denn
im Banne des Al-
kohols liefert der
Mensch bekannt-
lich die allermei-
sten unfreiwilli-
gen Beiträge für
die « Fliegenden »
und die Witz-
blätter anderen
Schlages. Für
Einen, der seine
Modelle so scharf auf's Korn zu nehmen versteht, wie
Edmund Harburger, ist dies Specialfach an Anregung ein-
fach unerschöpf-
die Menschen, die
er darstellt, soviel
zu sagen, er trifft
fast immer damit
irgend ein be-
denkliches Stück
Menschlichkeit.so
zum Sprechen ge-
nau, dass uns das
für sich allein hin-
reichend unter-
hält. Und wie ma-
lerisch und sym-
Stltint Sliffertnj.
W^'
#■1^
■^Sittbtlionblet: „JßiHfl Tu ein ~iM«!> loufen, Bouet?" - Sauer: „3o, '' mä<tl>' iitii) o' ^ot (latl'ii." —
<D|<ibe4änblti: .Sit oiel luiUfl 3)u 'Eit'3 tofteu laffen?" — Säauer: „ijünj I^aler füv'ä ©türt!" -- '(Jfetbe^oilblet:
.30ei61 2)' looä, SBauii, leg' wcd) einen XfyAtr b'rnuj — mäj^ia ttiegj S' iod) gleid) roaä otbfntli(^eä!"
lieh. Da stellt er
uns den Lumpen
vor, der behaup-
tet, seinen Feind,
den Alkohol, nur
deshalb zu lieben,
weil das Christen-
thum die Liebe
der Feinde nun
einmal gebeut, da
lässt er uns die
Choleriker, die
Phlegmatiker, die
104
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
3n tcc «BititoKe.
Sanguiniker und die
Melancholiker des
Fusels, des Weins,
oder des Bieres
sehen ; der trunk-
feste Musensohn,
dessen ganzes Tag-
werkein prolongirter
Frühschoppen ist,
wird mit gewisser
Vorliebe aufgezeigt.
Auch ein famoser
Bauernschilderer ist
Harburger in seiner
kostbaren, unerbitt-
lichenCharakteristik.
Er kennt den Bauern
nicht als den Helden
romantischer Volks-
stücke, sondern als
den verschmitzten, pfiffigen und oft beschränkten Bieder-
mann , der sich mit merkwürdigem Ungeschick in alle
Lagen des Lebens hineinbegibt und mit ebenso merk-
würdiger Unverfrorenheit und Zähigkeit wieder heraus
arbeitet, der heute mit der Spannung eines Entdeckungs-
reisenden eine Stunde weit auf der Eisenbahn in die
Stadt fährt und morgen mit nicht grösserem Herzklopfen,
wenn es die Umstände verlangen, sich in seine Coupe-
ecke drückt, um « auf Buffalo hinteri » zu reisen. Eine
Menschengattung, die Harburger's Bleistift ganz speziell
gehört, sind die — Protzen. Die hat — vor Allem
die Münchener Exemplare der zarten Gattung — noch
keiner so naturtreu conterfeit wie er. Jedes dieser auf-
.Sttfe'Be 'niolbeäSillditbo'niner, »o „piano" brnfffle^tl'
F. Steub.
gedunsenen Biergesichter ist eine vollendete Satire auf
Parvenuethum, Gelddünkel, Engherzigkeit, Dummheit,
Gemüthsarmuth und brutale Genusssucht, aus welchen
sechs hübschen Charaktereigenschaften sich der Begriff
eines Protzen zusammensetzt. Bekanntlich bezeichnet
der Bayer mit dem Worte « Protz j auch die Kröte, und
der Name des plumpen , vielgehassten und ekelhaften
Thieres als Spotttitel für jene auserlesenen Menschen-
bilder ist wunderbar passend. Harburger hat freilich
noch hunderterlei andere Meisterstücke der Schöpfung
in den « Fliegenden Blättern » verewigt , groteske Vir-
tuosen, überfeine Aristokratinnen, magere Diurnisten und
fette Diener Gottes, eckige Gelehrte und runde Börsianer
(Slu? Dem Et^rnb^tfte i)tS tleintn aSorif.)
„6in leinet S^or, Surf) TOitltib reiiltnti."
— die letzteren ganz exquisit fein — Kahlköpfe und
Langmähner, Kraft- und Erbadelige, Backfische, Dienst-
mädeln, Handlungsreisende, Geizhälse und Bettler und
wer weiss was sonst noch Alles I
Vor ein paar Jahren ist in seinem
Gebu rtsort Partenkirchen Ferdinand
Barth gestorben, dem die «Flie-
genden » einige ihrer schönsten roman-
tischen Bilder verdanken, Zeich-
nungen zu Liedern Karl Stieler's, wie
« Luftschlösser», « Minnefahrt » .
Barth (geb. ii. Nov. 1842) hat zu-
nächst in Nürnberg bei Kreling ge-
lernt, später kam er zu Piloty nach
München und darf auch Kaspar
^p_^.,j>-, Braun's Schüler genannt werden.
-'"^^ Als Lehrer an der Akademie und
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
105
Professor an der Kunstgewerbeschule hat Barth viel
wohlthätigen Einfluss geübt. Er ^hatte eine eminente
Begabung für leicht stilisirende, edle dekorative Kunst.
Manche Aehnlichkeit mit seiner Art hat Carl Gehrts,
der gleichfalls zu romantischen, farbenreichen Dichtungen
viel stilgemässen, sinnigen Bilderschmuck geliefert hat
und noch liefert.
Ein Künstler , dessen Thätigkeit wir bedeutend
weiter oben schon würdigen konnten, der aber auch
unter den heutigen Mitarbeitern der « Fliegenden Blätter »
mit ebensolchem Recht zu nennen ist, ist Fritz Steub,
welcher der Zahl seiner Beiträge nach wohl nur von
Stauber übertrofifen wird und zugleich zu den beliebtesten
Kräften dieser auserlesenen Schaar zählen dürfte. Eine
hervorragende vis comica eint er mit überaus scharfer
»in uiibeitiufttfr «((Httiftr.
ftitrtnbt Seiti^tn.
•Jl u 1 1 1 1) i r
I S', i' m
dufg'ljängt i» oii öer ©aiiö. '
. , , )'•«)« "rttuljun, - Bos ifl fliciigilttii wrboltnl- - SSouef ffiit.
F. Steub.
Naturbeobachtung und gehört gleichfalls zu jenen Cari-
caturenzeichnern, die nie weit über das Mögliche über-
treiben. Er zeichnet die Komiker aller Menschen-
classen, aber mit ganz besonderem Glück und Geschick
die Bauernwelt ; die tollste sinnverwirrende Lebendigkeit
weiss er in Massenscenen zu legen und Kirchweih-
prügeleien , Hinauswurfscenen hat kaum Einer mit
so drastischem , lachenförderndem Humor geschildert,
wie er. Wie köstlich ist jene Gruppe sich balgender
Landbewohner, die über den Frieden stiftenden Wirth
hergefallen sind, und ihn bedrängen, bis dieser geistes-
gegenwärtig sich mit dem Rufe Luft schafft : « Feierabend,
meine Herren!» Oder jene andere Bauerngesellschaft,
die bei plötzlich entstandenem Glatteis dem Wirthe mit
Somit 3^c noc^ |o [pöt baä 'Itua' cnl.
jitlt,
Sctt. 2enj im SBinlcr l)or bic Seele rüt!f,
§at moti aus milbem Xieib^ouä @udj
genommen
UnS lä^l Eu$ 5i" '" ©if)"« ""*i ®iS
Ucrlomtnen.
0 aefit mit mir, ein !)iläj(ein gei iii)
?In Sefiäteil (luf Stben teinem gltii^,
3i^ bell' gu(S roarm imb rotiii6,.35t
Xiefbetriibten,
3m |)immel, Ott b(t Stuft bei: fy\\'
geliebten.
«. ».
den Köpfen die Freitreppe vor der Hausthür demolirt!
Die schlichte , breite , malerische Stiftführung , wie sie
Steub gewohnt ist , eignet sich vorzüglich für seine
Specialitäten — eine besonders scharf pointirte und
von Weitem schon erkennbare Manier hat er sich nie
ausgedacht, sondern er ist auch in der Technik immer
einfach und natürlich gewesen.
Die nur einiger-
massen eingehende
Charakterisirung al-
ler Künstler, welche
vordem für die
«Fliegenden Blätter »
thätig waren , ver-
stattet der Raum
leider nicht , kaum
alle Namen werden
wir aufzählen kön-
nen. Aus der älte-
ren Zeit sind noch
nachzutragen ; R e i n-
matfefrl^aftc 3n|il)tift.
K. Staubtr.
106
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
hardt, K. Fröhlicli, F. M.Heil, Franz Seitz, Aug.
Löffler, Feodor Dictz, F. Schröder, Fr. Los-
sow, J. Watter, H. Schaumann, A. Adamo,
Weigand, L. Sckell, Engel, Kleinmichei u. A.
Vereinzelte Beiträge sind zu finden von G. Papperitz,
dem flotten Por-
Gambrinns (Jan*) I). trätisten und Hi-
storienmaler, von
dem jetzt so un-
glaublich populär
gewordenen
C. W. A 1 1 e r s ,
von der feinsinni-
gen Blumenmale-
rin Olga Weiss,
die auch naiv-
drollige Carica-
turen gezeichnet
hat , allerhand
hübsch erdachte,
geschmackvolle
Landschaften von
Berlepsch, die
schönen , heroi-
schen Landschaf-
ten von Ferd.
K n a b , der na-
mentlich zu Ge-
dichten Hermann Lingg's melancholisch gestimmte,
poesievolle Stimmungslandschäftlein entwarf. Wie geist-
voll componirt,
(•fruiilt tti Sttlii.
von welch' zier-
licher Filigran-
arbeit waren
K n o 11 ' s origi-
nelle, wie endlos-
hohe Tafelauf-
sätze aufgebaute
Compositionen,
wie lustig und
lebendig Ernst
Retemeyer's
phantastische,
figurenreiche Bil-
der. Auch Con-
rad Beckmann ,
Fritz G e h r t s ,
Alfr. Schmidt
haben Verein-
zeltes und zwar
recht Gutes bei-
gesteuert.
Eine Zeit lang
gehörte auch
Franz Stuck
dem Kreise an,
ein junger Künst-
ler, der heute zu
des malenden
Jungdeutschlands
ersten Sternen
zählt, eine Reihe
goldener Medail-
len errang und,
so wenig Rück-
sicht er in seiner
Kunst auf die
grosse Menge
nimmt, fast Alles
verkauft, was er
malt — das verdient nämlich bei einem jungen deut-
schen Maler heutzutage ganz besonders erwähnt «u
werden. Stuck's Talent hat sich aus dem Kunstgewerb-
lichen entwickelt. Das erste Aufsehen erregte er durch
zahlreiche ebenso geistvoll als wirksam concipirte Blätter
für Gerlach s Werk < Allegorien und Embleme». Heute
übt er jede Kunst.
Verschiedene
grössere Bilder,
wie « Der Hüter
des Paradieses »,
« Lucifer » ,
« Pieta » , « Kreu-
zigung » — und
zahllose kleineGe-
mälde aus einem
ähnlichen Vorstel-
lungskreis, wie ihn
Meister Arnold
Böcklin für seine
Schöpfungen
liebt , haben in
,2Bit roartn ©U benn mif btr grllngtri Irftbjagb (ufrub<n, ^fat
t>c^^ ültpft*' - ,9Iun..ft( loat jcatu ni* üUi, ob« ©tt (oQlen tin-
mal bti un9 am jt^en ; Da lointnfn bu S;}a\tn o\\ jo mafj(nlK>f ah*
Ittuinl. 6a6 fflon |ir trft Dom ^Itist^tlduf V^x'^rtoil'^'t ^^^^ «m
itu[ )if(fn ju lonntn!"
aö @inem ftcnt^titagc pnffiren fanti.
tomn mon om S9Q^ti^otp(a^ letnem ^unb pfeift
/.. »'. Nagel.
V voti Lciili.iclt i'iiix.
rhot. ¥ H;iiiSt;»eiij,'l, Mum-hcii-
Ad. Oberländer.
DIK KUNST UNSERER ZEIT,
107
aller Welt glänzende Erfolge errungen. Stuck ist ein
Bildhauer von grossen, kraftvollen Formen, er liat mit
der Radirnadel , wie mit dem Grabstichel vollendet
schöne Blätter nach eigenen Bildern geschaffen, kunst-
gewerbliche Entwürfe gefertigt — für Keramik u. s. w.
— und nicht seine schwächste Seite ist die Caricatur;
da arbeitete er
denn
auch
natürlich
in den
nur mehr selten mit. Früher waren seine Orientalia
mit ihrer grotesken Phantastik und ihrem Märchenhumor,
Eigenschaften, die ihn eigentlich so recht zum Illustrator
von « looi Nacht» prädestinirten, oft in diesen Spalten
zu sehen. Heute hat sich Simm auf einem ganz an-
deren Gebiete einen Namen — und Preise! — im
Kunsthandel ge-
macht, als Klein-
und Feinmaler
von Empiresce-
nen , wobei er
eine technische
Geschicklichkeit
entwickelt , die
geradezu uner-
gründlich istund
zu deren voU-
kommenenWür-
digung man
eigentlich mit
derLoupeinder
Hand anrücken
muss.
Eine statt-
liche Reihe von
Künstlern ist an
uns bereits vor-
beigezogen und
immer wieder
tauchen andere
Erscheinungen
vor dem Auge
des Chronisten
auf, Künstlerge-
stalten, über die
allerdings hier
nicht mehr all-
zuviel zu sagen
ist , weil ihre
Schöpfungen all-
er mit Vorliebe auch als Zeichner an und diese markige wöchentlich auf's Neue auch den Lesern dieser Hefte
Art, die freilich der Ausfluss eines zeichnerischen vor Augen kommen. Da ist Erdmann Wagner , der
Könnens ist, das nicht alle Tage vorkommt, lässt seine mit seiner ein wenig an's Rokoko gemahnenden Zier-
Zeichnungen besonders interessant erscheinen. Seit lichkeit und Grazie das Familienleben schildert, da ist
mehreren Jahren war Stuck in den « Fliegenden Blättern » der ebenfalls immer graziöse und in seiner Formen-
nichtmehr vertreten. Desgleichen arbeitet Franz Simm gebung stets photographisch correcte Zopf, da ist
« Fliegenden »
mit. Sein « Bauer
in der Kunstaus-
stellung», seine
kostbaren Dar-
stellungen des
Studiosus Bum-
mel, der infolge
der Münchener
Bierverhältnisse
so sehr und so
schnell in's
Runde geht ,
dass er sich für
eine Ausstell-
ungssaisonkarte
viermal photo-
graphiren lassen
muss , sein
Cyclus « Amors
Mission in den
zwölf Monaten
des Jahres »,sind
prächtige Leist-
ungen. Die
merkwürdige
Plastik und Be-
stimmtheit der
Form, die Stuck
als Maler charak-
terisirt, wendet
liil) ift groii tiiiö 9}?ot)Qmob i[t fein
^roptjfl ! — unb iDo öicfcr feine fie^ren fjintrug unter bie
SBoltci, bo liefeen fie ab oon it)ren niten ©öttevn unb rocnbctcn
fii) bem einen Solle ju. Wi ber <l!ropl)et ober aefornmeti rour
nod) 91egl)pten. bo luoflle boä Solf ni(l)l untreu roerben feinem
ollen ÖJIoubeu, unb in tjeili^eni i^orne uerflndlte ^lofiiiineb bir
fteineruen Qiöjtenbitber, bod) nid]t. baß fie verfielen in Sanb unb
Stoub — nein, boij fie lebenbiii lüurben ,^ui: Strafe ber OTenfdfen.
Unb bie ßiö^enbilbct mufjlen ronnbeln unter ben ÜKcnfdfcn
iilö fd)i.ine grouen unb 3)iämicr, ober mit öerjcn Don Stein.
3brc Sd}ön()eil erregte löobufinntge Siebe, aber fie fetbfi blieben
ijcfiilfllo^, unb bie fffilte itjre^ öer^cnS uerjcbrte bie ^erjen^giut^
it)rcl Opfer, bie elenb fterbcn uiußten an ben Gilülen uuertüieberter
Siebe
Stber 9l(la() ift grofei 9ln bem Soge, bo fo ein armeä ä)!ciifd)en=
finb elenb ftubt, fpringt ein Stürf ütin bem fteiiievnen perjcn beS
lebendigen (äöfenbilbeS, unb bicic« felbfl inirb roieber ju etem, unb
•JSinb niib 5Bctler nagen an bem inunben {yletfe be^ ^er^enö, Pon
bciu bnö 3lüd gefprungen, uuft ba^ Steinbilb iiifjli ben tSdjiner.v
3n fliUer Wodit, o Sonberer, Ijärft bu fein leifeS .Blogcn. —
So ttet)t eä einfom in bei ffiüfte, bis nod) fiunbert 3ol)rcn
CC' toiebei .^u neuem Sebcu eriuodfl unb ein neued Cpfer unter
ben OTenfcficn gefunben.
(Srft nienii bo-S lejte gtild oom Sjcrjen bcä lebenblgcn Ü)56enbilbeä fid) loSgelöft. jeriäUt ber Stein in Stoub, unb aud) iijm
mirb einige :))ul)e.
'JtUol) i|i groij unb ffiotjomeb Ifl fein liropf)« - gefegnel fei fein Warnet J. »
F. Simm.
15
108
ÜIK KUNST UNSP:RK1< ZEIT.
iiijiäc Sefotfltiit.
Sauet;
„Sffieä, Seite*, memt'ö
imt dcut' teilt' giifamiueii-
iloü gibt'"
l£ 0 11 b u ( I e u r :
„SBonim ^nben Sie beitti
\o aiiflft?"
iäouev:
„5a, roid'eii S'. i' f|ab' a'
S'ivil oolt ISiev 6el miv!"
'€■:
A 1 b r e c h t ,
der mit elegan-
tem Vortrag
und kräftiger
Stricliführung
uns das mo-
derne Leben in
hunderterlei
lebendigen Si-
tuationen vor-
führt, nicht als
besonders lau-
niger Humo-
rist , aber als
genau zusehen-
der Sittenschil-
derer, der mit
Vorliebe auch
die Träger
des « zweierlei
/•. ivahii. Tuch » in's
Auge fasst. Oft finden wir auch Flashar vertreten,
einen von denen die meistens « auf Ton j arbeiten. Er
hat viel Humor, nimmt seine Vorbilder gar kräftig her,
bleibt aber fast immer noch so viel Realist, dass seine
Schöpfungen als fröhliche Genremalereien gelten könnten.
Die groteske Caricatur hat er fast nie gepflegt. Das
gilt auch von A. Mandlick, der in sehr liebenswür-
diger und natürlicher Art und Weise das moderne Leben
behandelt , amüsante und glaubwürdige Momentbilder
aus Salon und Wohnstube vorführt und mit grosser
Sorgfalt die Tonwerthe abwägt. « Valeurs » leitet auch
die Parole \on Fr. Wähle; er geht so weit, dass
ihm die Valeurs die Hauptsache sind, eine weiche har-
monische Abstufung und Gruppirung der Töne ihm oft
näher geht, als die Charakteristik selbst. Er ist Maler
durch und durch , sein Schwarz - Weiss ist von einer
Farbigkeit, die ein Anderer oft mit der Polychromie
kaum erreicht. Aber die Menschen , die Wähle auf-
spazieren lässt, sind darum nicht weniger echt; er sieht
gut und witzig und hat die Weisheit ergründet, dass
die regste Phantasie des Caricaturistcn die Komik nicht
erreichen kann, welche die Göttin Natur in launigen
Stunden selbst zu entwickeln versteht.
Eine der elegantesten Erscheinungen in diesem
Künstlerkreise istHermann Schiit t gen. Seine Domäne
ist der Salon, oder richtiger, sind die Salonmenschen,
ob er sie nun im lioudoir einer schönen Frau, auf der
Strasse, im Theater, auf dem Ball, auf dem Eise oder
im Restaurant belauscht. Seine kecke , pikante und
treffsichere Zeichenmanier ist weit bekannt und eine
ganze Menge von Winkelillustratoren deutscher Bilder-
blätter suchen sie nachzumachen, wobei sie freilich seine
Figuren bis zur absoluten Copie oft «nachempfinden».
Schlittgen kleidet seine Gestalten stets mit tadelloser
Eleganz , er ist der unfehlbare Darsteller der Welt , in
der man sich amüsirt, der ganzen und halben c Gesell-
schaft s, der lions und lionnes, der Maler des Flirt und
des Pschütt in allen Formen. Er generalisirt immer die
Klasse, es ist die Weltdame, der Gardelieutenant, die
reiche Erbin, derRoue, was er uns vorführt; nichteine
unerschöpfliche Fülle einzelner Gestalten und Charaktere
hält er nacheinander fest, er \erdichtet die Eigenheiten
eines ganzen Standes zu wenigen, dann aber auch ausser-
ordentlich kennzeichnenden Erscheinungen. Schaftt ein
Oberländer eine lückenlose Culturgeschichte seiner Zeit
in Bildern, so liefert Hermann Schlittgen eine Mono-
graphie der t oberen Zehntausend». Darum freilich ist
er durchaus noch nicht mo-
noton, im Gegentheil, in der
Gruppirung, in Bewegung und
Costüm sind Schlittgen's Ge-
stalten unendlich mannigfal-
tig. Er ist auch ein Chronist
der Mode und zwar bildet er
ihre Bizarrien einfach ab, wie
sie sind, ja er findet sogar
ihren malerischen Reiz heraus,
statt sie durch Uebertreibun-
gen zu verhöhnen. In dieser
Art hat Schlittgen manche
Aehnlichkeit mit van Beers.
In den letzten Jahren wandte
er sich mit steigendem Erfolg
auch der Farbe zu und seine
Bilder zeigen gerade in colo-
ristischem Sinn ganz hervor-
ragende Werthe und grosse
Schönheit des Tons. Die
natürliche Eleganz seiner
Zeichnungen ist auch seinen
Oelbildern eigen ; in impres-
sionistischen Pastellstudien
hat er mit Glück und fröh-
Jjfc^'WcjT n. r^cröre)n.^^and3-»fn-
ÜIK KUNST UNSERER ZEIT.
109
licheni Wageiiiuth sich an die tollsten Experimente
gemacht, namentlich in einigen flüchtigen Skizzen aus
Pariser Schaubühnen und Tanzlokalen virtuose Augen-
blicksbilder des Grossstadtlebens geschaffen. Von den
oben genannten « Typen » Schlittgen's ist der Lieutenant
wohl die gelungenste und bekannteste, der selbst- und
siegesbewusstc, schneidige, etwas näselnde, gut gewach-
sene, tadellos uniformirte , courschneidende Garde-
Schwerenöther, der sein Leben zwischen Dienst und Sect
verbringt und gelegentlich aus Mitgefühl für seine Gläu-
biger noch eine reiche Erbin angelt. Glänzender hat
Sclilittgen nie geoffenbart, was er kann, als in seinem
Beitrag zur letzten Jubiläumsnummer der c Fliegenden j ;
Drei Worte, Gei.st, Schönheit, Geld. Ein Ball: das
junge Mädchen, das Nichts hat als Geist, hat einen
einzigen Mann gefunden, der sich mit ihr unterhält, die
< mit Schönheit > wird von einer Gruppe alter Herren
umschwärmt — und um eine nicht gerade hübsche junge
Dame, die in Brillantenschrift die Weisung trägt: «Hier
ist eine reiche Er-
«m cAttn DpfttnUar.
3ln biojcm Slltar l)ier flimticiiloiiii,
SBo eiiift ?Beil)enbc Jttöuäe blockten,
©iimeub ucrioeilcii in fti[(cm 33clra(l)tcn,
£aii(cl)cii out einen fernen ©ejnng,
SBav'ä niäjt ein Ijimmlijdjer 5)ifiifiganti?
Sans im 5111 her ©ebanten »cvidjiDinbcn,
3Bäf)vcnb jum einjam niidjflic^cii £ciu|
liebet ben Söottcn, ben ftoI)[bUiu bunteln,
%aui)t bcr eifige Wonb l)erani,
llnb bie Stttnc beginnen ju jnnteln.
Srnnnnn Tiiijü.
bin zu vergeben »,
schaaren sich die
jungen Herren
dicht , wie die
Mücken an einem
Sommerabend um
eine Gartenlampe.
Bitter, bitter, aber
wahr!
Auch der lie-
benswürdige und
künstlerisch so
überaus vornehme
R e n e R e i n i c k e
entnimmt seine
Stoffe oft der vor-
nehmen Gesell-
schaft, wenn auch
nicht so aus-
schliesslich wie
Schlittgen. Was
Feinheit desTons,
Zartheit der
Lichtvertheilung
und malerische
Duftigkeit der
Technik betrifft.
Rb ^Lt^MMLI^J' VfKTR.vn*
U btn- l-tT^Tt t'NDMjO\.
.U5T.C,L UND TKAUR.CL ti.NPtüWlE
hat Reinicke nur in
Einem einen Rivalen,
in dem erst in den
letzten Jahren auf-
tauchenden H o r a -
dam, der seine
Zeichnungen , d. h
Wasserfarben-
Grisaillen mit wahr-
haft unendlicher
Liebe durchbildet.
Die beiden liefern
wirklich fast nur in
jeder Hinsicht vol-
lendete Kunstwerke
ab , sind bei aller
Realistik immer an-
muthig und gefällig,
und entzückende Frauenköpfchen lachen besonders oft
aus Rene Reinicke's Bildern. Feintönig und manchmal
ein wenig melancholisch sind G. Buchner's Bilder, der
gerne Dorfgeschichten und poetische Dämmerstimmungen
malt. P. Bauer hat in seiner correcten, scharfen Dar-
stellungsart Manches mit Zopf gemein, neigt aber einer
realistischeren, wenig sentimentalen Richtung zu.
Lange Zeit hat auch Lothar Meggendorfer
(ein Münchener , geboren 1 847) zu den populärsten
Mitarbeitern der « Fliegenden s gehört ; seine Verdienste
lagen weniger auf dem Gebiete sonderlich malerischer,
künstlerisch vertiefter Darstellung, als in seiner oft kind-
lichen Naivität und seiner unerschöpflichen Erfindungs-
gabe für drollige Vorfälle, verwickelte Zufallscomödien
und drastische Mimik. In ungezählten Bilderbüchern,
deren beste bei « Braun & Schneider » erschienen , hat
Meggendorfer das Talent eigentlich noch zweckmässiger
geübt und sein merkwürdiges Talent zum «Bosteln»,
wie wir familiär sagen, brachte ihn zur Erfindung ganz
allerliebster beweglicher Caricaturen: c Ziehbilderbücher ».
Seit Jahr und Tag ist Meggendorfer , der selbst jetzt
t humoristische Blätter » herausgibt, aus den Reihen der
Mitarbeiter der « Fliegenden » verschwunden.
Und die « Lustigen » von heute ! Da sind vor Allem
die überaus fröhlichen, oft ausgelassenen Humoristen
Emil Reinicke und A. Hengeler, zwei Künstler,
die allen Dingen auf der Welt irgend eine ausgesucht
komische Seite abzugewinnen wissen, die ihre Charakteri-
sirung in übermüthigen Uebertreibungen äussern und mit
15*
■
110
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
Muf kct 9}et«atc.
(Ein Seitbilti.)
Irompttenftof). BetannImaAuna : ,gin (Sljering rourtf qtfunben:"
unwiderstehlicher Heiterkeit den Beschauer anstecken.
Beider Gebi^ ist umfangreich , sie « machen Alles > ,
Jeder freilich Etwas besonders gut. Emil Reinicke die
Thiercaricaturen , in welchen er oft nahe an
Oberländer's Meisterschaft herannaht, Hengeler
romantische und intime Idyllen aus dem Thier-
leben , worin Hummeln und Feldmäuse in
Menschenrollen auftreten und das Kleinleben ^
des Waldes überhaupt mit ebensoviel Humor >
als naiver Poesie in's Menschliche übersetzt wird.
Hengeler hat auch viele kleine Juwele von Oel-
bildern nach solchen Motiven geschaffen. Lustig
und vielseitig wie die Beiden ist Th. Graetz,
und auch er zieht die Thierwelt gern in den
Bereich der Caricatur und lässt Löwen und
Elefanten allerlei ergötzliche Gesichter schneiden.
Eine flotte, kräftige Zeichennlanier ist ihm eigen.
Der Wiener H. Schliessmann, der ver-
blüffend sichere Contouren zeichnet, behandelt
wie Meggendorfer mit besonderer Bevorzugung
complicirte «Unglücksfälle» oder tolle Streiche
in Bilderserien, meist in einfacher naturwahrer
Darstellung , aber immer vergnügt und unter-
haltend. Von den Jüngsten ist Th. Th. Heine
zu nennen, ein sehr talentreicher junger Künstler,
der sich vor der Hand viel von japanischem Stil
beeinflusst zeigt, stark, aber auch geschmack-
voll stilisirt, und recht groteske Einfälle hat.
Auch Eugen Kirchner ist einer der
Jüngsten und in der Redaktion der
t Fliegenden Blätter » verspricht man
sich mit Recht viel von ihm. Eine
charmante Fröhlichkeit beseelt seine
breit gehaltenen, formsicheren Zeich-
nungen und er hat noch nicht sehr
viele in die Oeffentlichkeit gebracht,
aber was er brachte, hat den unge-
theilten Beifall aller Derer gefunden,
die was von Kunst verstehen und
gerne lachen.
Auch Professor Otto Seitz hat
mancherlei famoses Bildwerk beige-
steuert und seine drastisch-komischen
Caricaturen von modernen Bildern
zählen wohl dem Gelungensten bei, was
hier in diesem von Anfang an mit Vor-
hebe gepflegten Genre geboten wurde.
Und nun noch — last, not least — Hermann
Vop-el! Die t Fliegenden» nennen ihn mit Stolz und
Freude den Ihrigen und in der That haben sie vielleicht
„Wut i 9'v 'flfl nfltit."
' '< <• > •.■.\ • *-,\,
Tj-y-^ O^-
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fL'^r^
I« 3 aunq n — mi t-3 <i'j(fKb'"'*
Ad. Oherlfindcr pinx-
riiot- >'. lltuf^taeui;!, Müucli«u.
Titelblatt der „Fliegende Blätter-' No. 2000.
DIE KUNST UNSKRER ZEIT.
111
seit langer Zeit keinen Mitarbeiter gehabt, dessen inneres
Wesen dem Geiste, der diese Blätter leitet, so homogen
ist, wie das seine. Er steht in seiner Kunst etwa zwischen
Moritz V. Schwind und Adrian Ludwig Richter, die
reiche, glänzende Phantasie, den edlen Formensinn des
Ersten, mit der tiefen Gemüthsinnigkeit, den familiären
anheimelnden Ton des Zweiten verbindend. Ein Ge-
dankenmaler, ein Bilderpoet, ein fesselnder Fabulirer wie
kein Zweiter. Er
steht im intim-
sten Verkehr mit
den Naturgei-
stern , er ver-
steht , was die
Thiere reden
und was der
Wald rauscht
und mit diesen
Sonntagskinder-
gaben ist er ein
Märchenerzähler
geworden , der
Alt und Jung
bezaubern muss.
Seine Gnomen
und Elfengestalten , seine plaudernden und agirenden
Thiere, seine niedlichen Kinder und gemüthlichen Alten,
wie innig und sinnig spricht das uns an! Hermann
Vogel hat neben feinem Gefühl für Stil ein grosses Com-
positionstalent und arbeitet seine Compositionen so liebe-
voll durch , dass auch die kleinsten landschaftlichen
Details, die Pilze im Moos, die Blüthen an den Bäumen,
die Farnkräuter im Waldschatten eine ganz bestimmte,
wohl berechnete Rolle in seinen Bildern spielen. Auch
Allegorisches weiss er mit viel Geist und Witz zu geben,
wie das brillante, als Illustration dieser Chronik beige-
gebene Blatt über die deutsche Kunst beweist. Meist
aber ist Vogel's Humor harmlos und naiv und aus der
Hälfte seiner Bilder klingt das lustige Lachen des Kobolds,
der eben einen Schelmen.streich verübt.
Hermann Vogel steht heute im 39. Lebens-
jahre. Er wurde als der Sohn eines Baumeisters in
Plauen geboren, eines kunstbegabten Mannes, den ein
freundlicheres Lebensschicksal vielleicht selbst zum be-
deutenden Künstler gemacht hätte. So hiess es, den
goldenen Boden des Handwerks bebauen. Hermann
Vogel hat zuerst studirt und ward dem Beruf der Rechts-
gelehrsamkeit bestimmt. 1873 kam er nach Leipzig
auf die Universität, hörte hier die kunstgeschichtlichen
Collegien bei Overbeck, Springer und Jordan aber lieber
als Pandekten , und setzte es denn schliesslich auch
durch, dass er in Dresden sich an der Akademie, end-
gültig einem lang gehegten Sehnen nachgebend, dem
Kunststudium widmen durfte. Die Akademie gewährte
ihm aber bald wenig Befriedigung — ein Satz, den man
wohl in alle Bio-
graphien wahrer
Künstler einfü-
gen kann, deren
Talent jemals
auf einer Aka-
demie in spani-
schen Stiefeln
einexercirt
wurde. Vogel's
reiche Phantasie
drängte zu eige-
nem Schaffen
und der Einzige
unter den aka-
demischen Leh-
rern Dresdens,
zu dem den jungen Maler geistesverwandtes Streben zog,
hatte ein Jahr vorher sein Lehramt niedergelegt —
Ludwig Richter.
In die reizlose Kälte des Antikensaals verbannt,
wäre des jungen Malers Talent unter Vorurtheilen und
Gypsfiguren verdorben — da verschaffte ihm ein Freund
von dem Leipziger Verleger Otto Spamer den Auftrag,
W. Wägner's « Nordisch - germanische Heldensagen » ,
ein bekanntes Werk für die heranwachsende Jugend,
mit zahlreichen
Illustrationen
zu verschen.
Vogel verliess
die Akademie,
der junge
Zeichner ward
bekannt und
begehrt , die
Aufträge häuf-
ten sich. Den
feinen , inner-
lichen Künstler
'1{ 11 ditdi i9Dcn.
I moBfl tag™, nia* ^' loiQfl - ft« »iSiiian! ij! unö bleibt 6n fl'fi^tlWflf Blonn in W]m
112
DIK KUNST UNSERER ZEIT.
3)it Cöfllein lofjen id)on im ISIjot
^^t 5rüt)Itn0§lifb ft^d)nllen,
Tic (Sonne idjcint nod) rote jucor,
S)od) mii roill nid)ls gejallcii.
fdj t)iiljt' feine :pciinfttl) meijr,
Seil id| mein ^ieb uetloccn,
^temb itc' id) m bei Stobt urafjcr
Unb eiiifnm <rol beii Hioien.
3)ie SBIumen, bie crft aufgeblüht;
©inb über gjadjt erfroren —
S9a« tümmert miii, rooä noif) geft^ie^t?
3d) l)ob' mein ijicb oeriorcn!
Uictat DdBütr.
von heute erkennt man freilich in den Illustrationen zur
Nibelungensage und zu «Gudrun» noch nicht, aber
Hermann Vogcl's ausserordentliches Compositionstalent
ist in jenen Arbeiten schon deutlich er-
kennbar. Frohnarbeit war's freilich, doch
es folgte wenigstens ein Auftrag dem
andern. 1876 machte Vogel, wie er
selbst launig erzählt , in l^erlin bei
A. V. Werner den schwachen Versuch,
wieder einen Lehrer zu gewinnen, kehrte
aber erleichterten Herzens um, als er
den Künstler nicht zu Hause traf. 1877
sah er Italien. In der handwerksmäs-
sigen Produktion, die Vogel um's Brod
betrieb , fühlte er seine künstlerische
Energie nach und nach bedenklich sinken und sein
Talent wäre wohl stark verflaut, wenn nicht wie durch
einen Zufall namhafte Künstler, wie Thumann, Woldemar
Friedrich, Einsicht in seine Mappen bekommen, und
ihn zu neuem, fruchtbarerem Schaffen ermuthigt hätten.
Er fing an wieder fleissig nach der Natur zu arbeiten, und
so kam er schliesslich über alles Dilettantische hinaus
und ward das, was er nun ist, ein echter Künstler.
Hermann Vogel ist Junggeselle geblieben. In einem
idyllisch gelegenen Häuschen, das er sich in Loschwitz
bei Dresden gebaut, lebt er, den die «Fliegenden» erst
seit einigen Jahren für sich gewonnen haben, eine Art
von weltscheuem Einsiedlerleben und ist wohl der einzige
Mitarbeiter des Blattes , welchen die Herren Braun
& Schneider noch niemals von Angesicht zu Angesicht
sahen. In Bälde wird ein Werk in der Oeffentlichkeit
erscheinen, das Hermann Vogel's Namen in glänzender
Weise der Nachwelt erhalten dürfte. Er hat eine Pracht-
ausgabe der Gebrüder Grimm'schen Märchen für Braun
& Schneider illustrirt . das vielleicht das überhaupt
schönste und kostbarste Märchenbuch darstellen dürfte,
das je gedruckt worden ist. Das von Gustav Dore ist
dabei nicht vergessen. Vogels zahlreiche Zeichnungen
zu diesen schönen Volksmären kann man nicht mehr
Illustrationen nennen, es sind congeniale Nachdichtungen
von einer Poesie und Anmuth, die noch kein Anderer
in diesem Genre übertraf. Jede Vignette, jedes Bild
spiegelt des Künstlers reiches Gemüth in wunderbarer
Weise wieder und Hermann Vogel, den die Aufgabe,
welche ihm geworden, ausserordentlich erfreut hat, wird
wohl selbst das Buch als die Krönung seines Lebens-
werkes betrachten. Damit sei freilich nicht gesagt, dass
dieser begnadete Künstler, dessen Arbeiten von Blatt zu
Blatt innerlicher und werthvoller werden, uns nicht noch
manche freudige Ueberraschung sollte vorbehalten haben.
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Trcibiofib
DIK KUNST UNSKRKR ZEIT.
113
Wie die «Fliegenden in ihrem Bilderschmuci< die
Entwicklung der deutschen Zeichenkunst seit einem
halben Jahrhundert darstellen, so illustriren sie auch die
Geschichte der Holzschneidekunst in dieser Epoche.
Nur ein kleiner Theil des Publikums mag eine Ahnung
haben, welchen enormen Aufwand von Kunst, von Zeit
und Mitteln gerade dieser Theil des redaktionellen Be-
triebes beansprucht, wie lange es dauert, bis der Drucker
das fertig stellen kann, was der Zeichner entworfen hat.
Und wie viel missglückt ! In den Schränken der Redaktion
lagen zwischen drei- und viertausend Holzstöcke , die
nie verwendet wurden — das mag einen Begrift geben
von der Zahl derer, die wirklich zur Verwendung kamen.
Anfangs — und noch lange , lange Jahre wurde in
kräftiger Strichmanier gezeichnet und demgemäss in
Holz geschnitten und gleich in den ersten Jahren des
Bestehens des Braun & Schneider'schen Verlags kam
(Sine Santintetcet^Stcf ammlnitg
unter polijeitil^irt Uebetn>ad)un(i.
die xylographische Kunst zu Chi >i n«iipr.^ comme u faui.
hoher Blüthe. Die Facsimile-
schnitte nach Kaspar Braun, nach
Schwind, nach Lichtenheld's oft
sehr malerisch und stimmungs-
voll gehaltenen Zeichnungen,
nach Busch und Anderen, legen
davon Zeugniss ab. Hervor-
ragende Holzschneider waren :
Hans Rehle, Bernhard Götz,
Franz Kreuzer, Nikol. Knilling,
Christian Rucpprecht, Jos. Blanz,
Joh. Schwarz , August Meyer,
Max Diemer, Karl Hauer, Jakob
Gehrig, Theodor Knesing, Jos.
Knilling , Ludwig Ruepprecht,
Richard Klepsch, H. Scheidner,
Moritz Wittig, W. Hecht, Faul Theuerkorn,
Wilhelm Maisch, Lindemann, Häusler, E.
Schempp. Diese Künstler waren zum Theil
im xylographischen Atelier von Braun & Des-
sauer, dann in der Werkstatt von Braun
& Schneider und zum kleinen Theil ausserhalb
des Ateliers thätig. Heute betreibt meines
Wissens die Firma keine eigentliche xylo-
graphische Anstalt mehr.
Der ersten Blüthe der Holzschneidekunst,
die selbstverständlich über den Rahmen der
«Fliegenden», der «Bilderbogen? und ähn-
licher Vcrlagswerke hinaus der deutschen
Kunst ihre Früchte trug, folgte in den sech-
ziger Jahren ein merklicher Verfall und wir
sehen da manches Kunstwerk des Zeichners
vom Xylographen bedenklich zugerichtet.
Aber eine neue Blüthe erstand der edlen
Kunst, die sich an immer schwereren Auf-
gaben übte , die heute für diese ihre Auf-
gaben kaum mehr eine Grenze ihres Ver-
mögens kennt. Die Zeichner überbieten sich
in immer subtileren , immer zarten , farbig
getönten Vorbildern und die Xylographen
halten Schritt. Die feine Holzschnittmianier.
welcher der Künstler nicht mehr die Strich-
stärken und Strichlagen, sondern in weich und
breit gehaltenen Grisaillen nur mehr die Ton-
werthe vorschreibt, hat sich zu einer Feinheit,
einem Raffinement entwickelt, die für sich
114
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
allein schon des Kenners ganzes Entzücken bilden. Das
ist nicht mehr in das kernige Buchsbaumhoiz geschnitten,
das ist nur mehr geritzt und es gehört schon ein scharfes
Auge, meist aber die Loupe dazu, um auf dem Holz-
stock die feinsten Unterschiede von Erhöhungen und Ver-
tiefungen noch zu
unterscheiden.
DieZufälligkeiten,
welche bei der
Pinselführung des
aquarellirten Vor-
bilds entstanden,
die Eigenart des
Bleistiftstriches,
das zarteste hin-
gehauchte Tön-
lein in Luft und
Wolken werden
von den Meistern
des Tonschnitts
heute wiedergege-
ben, jeder Eigen-
art des Künstlers
wird Rechnung getragen und doch bleibt der Vortrag
des Xylographen fein und leicht. Das Beste, was in
den «Fliegenden» an Holzschneidekunst zu sehen ist,
darf man dem Besten, was französische und amerikanische
Holzschneider leisten , heute mindestens ebenbürtig
schätzen. Unter den ersten Künstlern des Tonschnitts
sind gegenwärtig zu nennen die beiden Schlumprecht,
Konr. Strobel, O. Kresse. Auch von den früher
genannten Xylographen arbeiten viele auch zur Zeit noch
für die «Fliegenden». Manches Bild braucht Wochen,
bis es vollendet ist und die kostbarsten Holzschnitte
werden mit 3 — 400 Mark bezahlt. In der Herstellung
der Holzschnitte hat sich im Laufe der Zeit manche
Veränderung ergeben. Früher mussten die Künstler
direkt auf den Holzstock
zeichnen — und zwar
natürlich Alles « ver-
kehrt » , so, dass « rechte
Hand, linke Hand, Bei-
des vertauscht » war —
seit geraumer Zeit hilft
die Photographie über
diese leidige Verpflich-
H. SMi^mann. tung Weg. Früher wur-
den die Bilder der « Fliegenden » direkt vom Holzstock
gedruckt, seit Mai 1885 werden allgemein Galvanos zum
Drucke angewendet, eine Nothwendigkeit, die sich aus
der ungeheuer wachsenden Auflage der « Fliegenden »
ergab. Die Galvanos stellt die E. Mühlthaler'sche
k. Hof- Buch- und
^ J Kunstdruckerei in
München her, die
auch den Druck
der « Fliegenden
Blätter» — wie
der « Kunst unse-
rer Zeit » — seit
Jahren besorgt.
Nebenbei gesagt,
beansprucht der
Druck jederT^um -
mer acht volle
Tage, denn mit
der Blitzzugge-
schwindigkeit, mit
welcher unsere
Tageszeitungen
durch die Presse fliegen, kann ein solches Blatt nicht
gedruckt werden. In letzterer Zeit werden Autotypie
und einfache Zinkographie für geeignete Vorbilder bei
den « Fliegenden Blättern » häufig angewandt und die
ausserordentlich vorgeschrittene Entwicklung der photo-
chemischen Techniken lässt diese Verfahren auch die
Wirkung künstlerischer Reproduktionsarten beinahe er-
reichen. Aber das Hauptvervielfältigungsmittel unseres
Blattes bleibt doch das edelste und schönste, das es
für solche Zwecke überhaupt gibt, der Holzschnitt, des
.Ifltt iä) uia ütuii tilunf:"
Herrn. V'oycl iiin>.
Phot. V. HiinfsUengl, Mtlnchtii.
Stossseufzer eines deutsehen Malers.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
115
!&(t bejtditt ffvtti^ti.
alten Dürer's mar-
kige urdeutsche
Kunst, die charak-
tervollste, ehrlich-
ste von allen gra-
phischen Techni-
ken, die leider frei-
lich heutzutage von
den meisten illu-
strirten Wochen-
zeitungen der un-
seligen. Alles über-
stürzenden Aktua-
lität zu Liebe oft
schmählich miss-
braucht wird. Holz-
schneiden ist eine
ernste , innerliche,
beschauliche Kunst, ein Ding, das Liebe [braucht und
Zeit. Was « bis vorgestern » fertig werden ] muss , für
das sind im Grunde die Buchsbaumplatten zu gut.
Wie jede Richtung deutscher Kunst unter den
Zeichnern der « Fliegenden » vertreten war und ist , so
waren die Blätter von jeher auch ein Tummelplatz für
die deutschen Poeten und ihre [Bedeutung in diesem
Sinne darf wahr-
„Scufel, ©ie fahren jQfortitä^reiib im 3iä'3'"'' - .-2Öa9
min ma' raadieii, 8uer ®naben, roeim'ä Siiieii tolt) rtd)l5. bnl>
linß reifet uiib ran' nir «um fliiballeii hai als bit :RiiafI.'"
Späte StftnntRifj.
■^Jroftttor her Söo((ini( (nortibenlenb): „SBinjen? ffu^.
tlumen? Seigi^raeinnidit' Sollte ii) elmn in einen - Sumpf
getctljen icin'!"
haftig nicht unter-
schätzt werden.
Von den Einsen-
dern jener hundert-
tausende von lau-
nigen Einfällen, aus
welchen sich die
Nummern in der
Hauptsache seit 50
Jahren zusammen-
setzen, weiss die
Chronik nichts zu
berichten, als das,
dass thatsächlich
ganz Deutschland
hier mitgearbeitet
hat und dass das
Lustigste von Er-
dachtem und Er-
lebtem stets seinen
Weg zunächst nach
der Redaktion der « Fliegenden Blätter » findet. Sie
haben ihre Mitarbeiter in jedem Stand, in jedem Alter
und Gesclilecht; der beste Mitarbeiter freilich bleibt
die Wirklichkeit und das Tollste und Lustigste, was
die fröhliche Chronik verzeichnet, ist sicher in Wahr-
heit vorgekommen. Zwischen diesen bunten Blüthen
des Tageshumors finden wir aber auch zahllose Juwele
von unvergänglichem literarischem Werth eingestreut
und neben den namenlosen Mitarbeitern, die der Zufall
brachte , haben die « Fliegenden Blätter » auch nicht
wenige zu verzeichnen, deren Namen Sterne erster Grösse
am deutschen Poetenhimmel darstellen. Wie viele viele
frohe Lieder, die heute in aller frohen Burschen Munde
S)cr $err ffitaftmcier
^ol'8 h\d)t. SBcnn ec 6ci
Seflcnrorttcc jcincii gdjicm
otrscfieii fiat, Ifi^t ec fiif)
i» jeincni Stamni^Safc^ouä
einen 3»acraortii(f| unb de.
nüfet beniciben alä SRcgen-
jrf)icni.
sind, haben zuerst hier gestanden ! Das halbe Lahrer
Commersbuch — nebenbei gesagt , ein Prachtbuch,
das jeder Deutsche in seine Bücherei stellen und zur
Hand nehmen sollte, so oft ihm Alltagssorgen die Stirne
kraus ziehen — ist in den « Fliegenden Blättern » be-
heimathet. Viktor v. Scheffel und der schon ge-
nannte Ludwig Eichrodt haben ihr Bestes und
Feuchtfröhlichstes hier zuerst niedergelegt. Von Scheffel
sind da die Prähistorischen Balladen, die Rodensteiner
Lieder und was sonst noch zu den Glanznummern des
:< Gaudeamus » zählt ; Eichrodt hat ausser seinen köst-
lichen Biedermaieriaden die originellen Strophen der
«Wanderlust», den Bruder Straubinger, das Menschen-
lied und noch so vieles Andere beigesteuert. In der
10
116
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
ersten, stürmischen Zeit finden wir von leidenschaftlicher
Freiheitsliebe durchbrauste Zeitgedichte von Joh. Bapt.
V o g 1 , von Otto V. Reichert, von F r e i m u n d
Raimar, (Rückerts bekanntes Pseudonym) und Anderen.
Zu den alleredelsten Perlen novellistischer Art gehören
Franz Traut mann's alterthümelnde Geschichten, die
so traulich und heimelig sich lasen und so weit weg
waren von der Butzenscheibenromantik späterer «stilvoller
Erzähler». Wie hat
Trautmann jeden
Winkel des maleri-
schen alten München
mit behaglichen und
drolligen, immer aber
echten und warm-
blütigen Figuren zu
beleben gewusst, wie
hat er uns die Ge-
stalten lang ver-
gangener Fürstenge-
schlechter und gros-
ser schlichter Men-
schen aus alter Vor-
zeit so seltsam nahe
gebracht und mit
uns vertraut werden
lassen 1 Von einer
prächtigen Publika-
tion des Verlages,
« Hauschronik »,
deren bester Mit-
arbeiter Trautmann
war und die ganz von
seinem Geiste getra-
gen ist, existirt leider
nur ein Band und
der ist noch dazu im
Buchhandel längst
vergriffen. Die Graf'schen Reisebriefe, die lange Jahre zu
den begehrtesten Gaben der « Fliegenden Blätter » ge-
hörten, wie auch eine Reihe gar köstlicher Judengeschich-
ten, vom <: verhexten Hut », « Hosen und Tornister x u. A.
haben Brendel zum Verfasser. Hier sei eingeschaltet,
dass die zahlreichen und oft sehr guten jüdischen Witze
und Anekdoten in den « Fliegenden Blättern » fast durch-
gängig von Juden stammen, also nicht etwa vom Rassen-
hass diktirt sind. Die Einsender denken sich wohl :
«Wer sich nicht selbst zum Besten halten kann, der
ist gewiss nicht von den Besten».
Auch der geniale Erzähler Fr. Gerstäcker zählt den
berühmtesten Prosa-Mitarbeitern der « Fliegenden Blätter
bei, dann Emile Maria Vacano, der Kunstreiter
und Dichter, Ludwig Steub hat die Fabel seines
reizenden Lustspiels « Das Seefräulein » zuerst als Novelle
hier erzählt, Hackländer eine seiner ergreifendsten
kürzeren Erzählun-
gen « Zwei Nächte
ebenfalls hier ver-
öffentlicht. Ueber-
haupt haben Nove-
letten und Novellen
in den « Fliegenden
Blättern» früher eine
grosse Rolle gespielt
und sind sehr, sehr
gern gelesen worden.
Phantastische Mär-
chen, lehrreiche Pa-
rabeln in Erzählungs-
form und meist in
orientalischem Ge-
wände kamen da-
zwischen.
Und welche Menge
an Namen hervor-
ragender Lyriker fin-
den wir vertreten !
Da ist Vieles auf
Hochdeutsch , auf
Oberbayerisch und
Pfälzisch — auch
Prosa — von F r a n z
von Kobell, dem
liebenswürdigen und
kerngesunden Dich-
ter - Gelehrten , der das edle Waidwerk , die Menschen,
die Berge und den «Schampus» so lieb hatte, da sind
Carl Stieler's schwungvolle Chiemseelieder und lau-
nige Genrebildchen aus den Bergen. Fr. Th. Vi scher,
der immer ein wahrer Freund der « Fliegenden » ge-
wesen ist, und sie immer gern wieder auf's politische
Gebiet hinüber gedrängt hätte, C. Schult es, der
Dichter der « Landsknechtheder», Emanuel Geibel,
Oskar v. Redwitz, L. Schücking. C. Herloss-
VWil.VoHll.^(.'\3-
Iter.f liciiiiük«; lüiix.
Phot. f. Hanr^^taenKl, München.
Picknick im Walde.
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
117
"Brei SBottc.
söhn, R. Rein ick, A. Kopiscli, H. Dewils,
J. Kern er, Ludwig Pfau, Martin Schleicli,
Fr. Hornfeclv, L. Kaiisch waren vertreten. Wir
finden von Hermann Lingg edelschöne Poesien, von
Martin Greif, von Wilh. Hertz, von Friedrich
Bodenstedt und Felix Dahn; dann H. Seidel,
Edwin Bormann, EmilPeschkau, der « harmlose
Plauderer» von Völderndorff , Sacher Masoch,
Dr. Märzroth, August Silberstein, Ludwig
Hevesi, Ludwig Fulda, Theob. Gross, F. Bren-
tano, M. Barak, Moritz Jokai, P. K. Rosegger,
ErnstEckstein(« Der Besuch im Karzer»), Schmidt-
Cabanis! Eine Specialität der «Fliegenden Blätter»
ist die oft in prickelnd geistreicher Form gebotene
Sprücheweisheit der « Gedankensplitter ; . C r a s s u s
(d. h. Krassb erger) und Rode rieh gehören zu den
bedeutendsten Mitarbeitern dieser Sparte! Einer der
Ailergetreuesten des Hauses, durch ungezählte Beiträge
in den « Fliegenden » , durch liebenswürdige Kinder-
schriften und eine Reihe von andern Büchern, durch seine
Ausstellungsschnaderhüpfeln und seine Schnaderhüpfeln
über die « Nibelungentrilogie » bekannt, ist Franz Bonn,
der auch häufig unter dem Scherznamen v. Miris (von
mir is') auftritt. Er zählt wie Ed. Ille zur Redaktion selbst.
Vieles, was zuerst die « Fliegenden Blätter » brachten,
hat der Verlag von « Braun & Schneider » wieder zu
iSdjöii^eü,
Qitüi.
werthvollen Sonderausgaben vereinigt, so die militärischen
Scherze in « General Rockschössel's Erinnerungen » und
« Im Frieden x , die lustigen Balladen und Romanzen,
bekanntlich auch eine Specialität der « Fliegenden > in
«Hagebutten», Hai der 's Zeichnungen in « Die Jagd
in Bildern», L. v. Nagel's Bilder im «Nagel-Album»,
das Juristische im « Vademecum für lustige und traurige
Juristen », dann kamen « Lustige Jagd », « Lustiger Sport »,
« In der Sommerfrische » , « Novellen-Pastete » , « Unsere
Frauen», « Jocusus hebricosus , ein medizinisches Vade-
mecum und noch vieles Andere. Noch würden die
118
DIE KUNST UNSERER ZEIT.
loo Bände, von
denen wir reden,
für Dutzende von
solchen Extraaus-
gaben in Wort und
Bild werthvollen
Stoff bieten.
Der redaktio-
nelle Betrieb der
« Fliegenden Blät-
ter » ist von über-
raschender, wahr-
haft patriarchali-
scher Einfachheit.
Die Post bringt
einen riesenhaften
Einlauf täglich,
von Witzen und
Erzählungen, von
Gedichten und
Anderem , was
von den Verfertigern als der « Fliegenden » würdig er-
achtet wurde. Manche schicken ganze Stösse von
Witzen zugleich, Viele benützen auch in bewunderns-
werther Unverfrorenheit die Blätter selbst wieder als
Fundgrube für ihre «Einfälle». Ja es ist auch schon
vorgekommen, dass besonders Schlaue als Zeichnungen
Pausen von Bildern der — « Fliegenden » anboten.
Dass bei den Einsendungen das Schlechte zum Guten
ungefähr in dem Verhältniss steht, wie im Krieg die
Kugeln, welche treffen, zu denen, die in's Blaue fliegen,
kann man sich denken. Der Schöpfungstrieb ist bei
den Unberufenen von jeher am Stärksten gewesen,
davon kann Jeder, der je auch nur in der kleinsten
Redaktion gesessen, sein Liedchen singen. Der ganze
Einlauf nun circulirt zunächst bei einer kleinen Zahl von
Intimen des Hauses, die über tauglich und untauglich ihr
Votum abgeben. Das so Gesichtete wird in der Redaktions-
stube selbst, in der nur die Herren Kaspar Braun jun.,
Julius Schneider und dessen Bruder Hermann Schneider
„SP bit gnäbigt %iau iiiifit ju $aii|t?"
„...3* länget xi) Sie aiiid)aiie, beftü meniger ift
fit ä« ^"i«!"
thätig sind, weiter verarbeitet, oder zu literarischer Ver-
arbeitung an Mitarbeiter hinausgegeben. Die Illustratoren
werden je nach der Art der Aufgabe aus dem künst-
lerischen Generalstab der Blätter ausgewählt, und wenn
diese ihre Arbeiten abgeliefert haben, wieder die Holz-
schneider bestimmt. Das Zusam.menstellen jeder Nummer
erfordert mehrtägige Arbeit und sorgsamste Ueberlegung,
und ein paar Wochen , bevor sie erscheint , muss die
Nummer auch schon gedruckt sein. Bekanntlich er-
scheinen die « Fliegenden » an allen Plätzen Europa's an-
nähernd gleichzeitig, in Amerika acht Tage später.
Im Gründungsjahr 1844 betrug die Abonnentenzahl
der « Fliegenden » schon an 2000; 1846: 17,000; 1856
war die Zahl der Abonnenten wieder auf 7 — 8000 zurück-
gegangen — die « politische Epoche » der <■. Fliegenden
Blätter» — 1873 auf 20,000 gekommen, 1882 auf 42,000,
1889 auf 80,000, 1893 zur Jubiläumszeit auf 95,000.
Die Packete der Jubiläumsnummer, d'e nach Leipzig
gingen für den Buchhandel, brachten zwei Pferde nicht
aus dem Verlagsgebäude heraus , man musste zwei
weitere dazuspannen. — —
So blüht denn heute das Werk, zu dem deutscher
Geist, deutsches Geniüth und deutsche Kunst vor fünfzig
Jahren den Grund gelegt haben , so frisch und reich
wie kein ähnliches Unternehmen in weitem Umkreis,
die Freundschaft der ganzen gebildeten Welt begleitet
es, in Palast und Mansarden i.st es gekannt und will-
kommen 1 Mögen die « Fliegenden Blätter « sich so weiter
entwickeln bis zu ihrer Säkularfeier und darüber hinaus!
So lange der gute Geist von 1844 in dem Hause wohnt
hinter dem Schillerdenkmal am alten
Dultplatz zu München, kann's nicht
fehlen. Und der gute Geist von
1844 wird dort gar treu und wohl
gepflegt — und wird seine Ge-
treuen auch weiter führen zu immer
schöneren Siegen, und ihre Botschaft
in immer fernere Winkel der Erde
tragen, « denn der Humor ist wunder-
thätig ! »
K. B/üun.
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Die Kunst unserer Zeit
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