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Full text of "Die Kunst unserer Zeit; eine Chronik des modernen Kunstlebens"

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KUNST  ^. 
UNSERER 
ZEIT 

EINE  CHRONIK  DES     W 
-  ./A°DERNEN   KUNSTLEBENS 


PURCHASED  FOR  THE 

UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY 

FROM  THE 

CANADA  COUNCIL  SPECIAL  GRANT 
FOR 

Hl  STORY  OF  ART 


DIE 


KUNST  UNSERER  ZEIT. 


DIE 


KUNST  UNSERER  ZEIT. 


EINE  CHRONIK 


DES 


MODERNEN    KUNSTLEBENS. 


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"cJ        Di 


9. 


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G        5~ 


MÜNCHEN. 
FRANZ  HANFSTAENGL. 


ALLE  RECHTE  VORBEHALTEN. 


i 


E.  MÜHLTHALER'S  KCL.  HOF-BUCH-  UND  KUNSTDRUCKEREI. 


INHALTS-ANGABE. 


1894.    I.  HALBBAND. 


Literarischer  Theil. 


Bernstein,  Max,  Allerhand  Sprüchlein    . 

Bisch  off,  D,,  Ein  Jubiläum 

Kirchbach,  Wolfg.,  Das  Malermärchen 
Meissner,  Franz  Herrn.,  Arnold  Böcklin 

R  a  u  p  p  ,  Karl,  Die  Akademie 

Riehl,  Berthold,    Sterzing  an  der  Brennerstrasse 
als  Studienort  für  Künstler  und  Kunstfreunde 


Seite 

74 
37 

62 
21 

39 
45 


Seite 

Rosmer,  Ernst,  Die  Sünde 34 

Unsere  Bilder 43  71 

Walter,  Fred.,   Die   englische  Malerei   im  Mün- 
chener Glaspalast  1893 i 

—  —  Eine  Jubiläumsstudic 7G 


Vollbilder. 


Seite 

Alma-Tadema,  Laura,  In's  Garn  gegangen  64 

Bodenhausen,  Cuno  von,  Frühlingstraum     ,    .  40 

Boecklin,  Arnold,  Todteninsel 24 

—  —  Villa  am  Meere 28 

—  —  Im  Spiel  der  Wellen 28 

—  —  Flora 32 

—  —  Frühlingstag 36 

Canal,  Gilbert  von,  Landschaft 44 

Co  Hin,  R.,  Der  Schlaf 52 

Corel li,  Augusto,  Italienische  Hochzeitsfeier      .  40 

DairOcca  Bianca,  Ang.,  Auf  der  Brücke      .  48 

Dicksee,  Frank,  R.  A.,  Leila 68 

Dicksee,  M.  J.,  Besuch  bei  Angelica  Kauffmann  56 

Gillard  Glindoni,  H.,  A  Rebukc 61 

Kaulbach,  Hermann,  Gedenkblatt 37 

Lenbach,  F.  von,  Wilhelm  Busch 102 

—  —  A.  Oberländer 106 


Seite 

Oberländer,  A.,  Titelblatt  der  «Flieg.  Blätter» 

No.  2000 110 

R  ei  nicke,  Rene,  Picknick  im  Walde 116 

Scanneil,  Edith,  Die  kleine  Eva 44 

Schneider,  H.,  Kaspar  Braun 86 

—  —  Friedrich  Schneider 86 

Skipworth,  F.  M.,  Er  kommt  nicht        ....  70 

Solomon,  S.  J.,  Orpheus 73 

Stuck,  Franz,  Die  Sünde 36 

Vogel,  Hermann,    Stossseufzer   eines   deutschen 

Malers 114 

Watts,  G.  F.,  Marchioness  of  Granby     ....  4 

—  -     Hoffnung 8 

—  —   Verlockung  (Mischief) 12 

—  —    Leben  und  Liebe 16 

—  —  Der  Tod  krönt  die  Unschuld 18 

—  —  Sic  transit .        ...  20 


Textbilder. 


Seite 

Böcklin,  Arnold,  Selbstbildniss 22 

Der  Ritt  des  Todes 23 

Ueberfall  von  Seeräubern 25 

—  —  Tritonenfamilie 27 

—  —  Sieh',  es  lacht  die  Au 29 

—  —  Gang  zum  Bacchustempel        31 

Furse,  Charles  W.,  Mr.  Justice  Henn  Collins  10 

Hamilton,  John  M'Lure,  Lesestunde 18 

Hardy,  Dudley,  M21-  Sarah  Bernhardt     ....  19 

Hood,  G.  P.  Jacomb,  Hexentanz 13 

Hunt,  Thomas,  Nur  wenige  Worte 11 

Pirie,  George,  Spielende  Terrier 11 

Spence,  Harry,  An  der  normannischen  Küste  .  15 

Steer,  P.  Wilson,  Jonquille 14 

Stott  of  Oldham,  William,  Portrait  des  Herrn 

Tom  Millie  Dowe 7 


Seite 

Stott  of  Oldham,  William,  Am  Kamin     ...         9 

Stuck,  Franz,  Vignette 36 

Textillustrationen  zu  Berthold  K  i  e  h  1 ,  Sterzing  an 
der  Brennerstrasse  46  47   48   49    51    52   53 

54  55    57   59  60      61 

Textillustrationen  aus   «Fliegende    Blätter»   "jQ  jy 

78   79  80  81   82  83  S4  85   87  88  89  90  91 

92  93  94  95  96  97  98  99   100  loi   102  103 

104   105    106   107   108   109   110  II  t  112  113 

1 14  115  1 16  117     118 
Watts,  G.  F.,  Ophelia 2 

—  —  Der  glückliche  Krieger 3 

—  —  Lady  Lifford      ...        5 

Klytia 6 

—  —  Cardinal  Manning      17 


DIE  ENGLISCHE  MALEREI 
IM  MÜNCHENER  GLASPALASTE  1893. 


VON 


FRED.    WALTER. 


G.  F.    Watts.     Ophelia. 

Wir  Deutschen,  oder,  um  gerecht  zu  sein,  wir 
Continentler ,  sind  lächerlich  lange  in  Un- 
kenntnis über  englische  Kunst  verblieben, 
deren  Werke  auf  festländischen  Ausstellungen  nur  ver- 
einzelt   auftraten.      Das    reiche    Alt-England    ist    in    der 


Lage,  die  Schöpfungen  seiner  Meister  selbst 
aufzubrauchen  und  von  den  Perlen  dieser 
Schöpfungen  haben  heute  noch  Jene ,  die 
England  nicht  selbst  besuchen  konnten ,  nur 
aus  Reproduktionen  Kenntnis. 

Reynold  und  Gainsborough,  Hogarth,  — 
der  Maler  Hogarth,  —  Turner,  Constable, 
Lawrence,  Landseer,  sind  in  den  Museen 
des  Festlandes  fast  nicht  vertreten.  Der  stark 
entwickelte  englische  Nationalstolz  liess  die 
Werke  dieser  grossen  Meister  nicht  über  den 
Kanal  und  Vereinzeltes,  was  doch  den  Weg 
herüber  gefunden,  wird  und  wurde  nach  Mög- 
lichkeit zurückgekauft.  So  behielten  sie  bis 
in  die  neueste  Zeit  alles  Grosse,  was  drüben 
gemalt  wurde,  für  sich  selbst  und  nur  hin 
und  wieder  gelangten  etliche  englische  Bilder 
zu  Pariser  und  anderen  Ausstellungen  und 
gaben  der  Menge  Kunde  von  einer  Kunst- 
blüthe,  die  sie  nicht  geahnt.  Aber  im  All- 
gemeinen hatte  man  eine  sehr  dunkle  Vor- 
stellung von   englischer  Malerei. 

Wer  dann  zum  ersten  Male  über  den 
Kanal  kam  und  die  Wunder  der  Londoner 
Nationalgalerie,  des  Kensingtonmuseums  oder 
gar  die  köstlichen  Juwele  in  den  Privatsamm- 
lungen reicher  Mäcene  zu  sehen  bekam,  war 
zumeist  nicht  wenig  verwundert ,  mit  einem  Male  eine 
so  vornehme,  so  vielseitig  und  eigenartig  producirende 
Kunst  zu  entdecken.  Ueberhaupt  wird  jeder  England- 
fahrer, der  das  Aermelmeer  zum  ersten  Male  passirt, 
in    vielen    Dingen    wunderbar    enttäuscht    sein ,    —    ent- 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


täuscht  bis  zum  Entzücken.  Das  ist  nicht  das  unwirth- 
hchc  Nebetheim,  das  er  sich  geträumt.  Die  grosse 
Stadt,  die  er  sich  grau,  unfreundlich,  kalt  und  nüchtern 
vorgestellt  hat,  ist  gros.sartig  schön,  abwechslungsreich^ 
malerisch,  wie  kaum  eine  andere  Stadt  der  Welt.  Die 
Menschen,  die  er  sich  steif,  eckig  und  zugeknöpft 
dachte,  sind  elegant,  liebenswürdig  und  gefällig.  Und 
die  Frauen,  die  er  ledern,  prüde,  extravagant  und  un- 
gelenk vermeinte,  sind  die  schönsten  Frauen,  die  es 
gibt,  rassig,  anmuthig,  vornehm.  Er  sieht  die  schönsten 
Haare,  die  lebendigsten  Augen,  die  stolzesten  Gestalten, 
Gestalten  von  jener  mit  Kraft  gepaarten  Geschmeidigkeit, 
die  so  massvolle  und  edle  Bewegungen  veranlasst. 

Und  wie  die  Frau  in  jedem  Lande  ist  die 
Kunst.     — 

Das  regere  Ausstellungsleben  im  letzten  Jahrzehnt 
hat  uns  nun  auch  nach  und  nach  die  Bekanntschaft 
der  englischen  Maler  vermittelt.  Zumal  seit  dem  Jahre 
1888,  der  Zeit,  da  München  seine  alljährlichen  inter- 
nationalen Bilderschauen  hat,  - —  fürder  deren  sogar 
zwei,  —  haben  wir  sie  in  allen  ihren  Richtungen 
kennen  gelernt  und  erfahren,  dass  sie  reich  ist  wie  das 
Land,  in  dem  sie  blüht.  Wir  haben  die  vornehmsten 
Bildnismaler,  die  kühnsten  Koloristen,  die  zartsinnigsten 
Romantiker  und  die  feinsten  Stilisten  gesehen,  die 
Schule  von  Glasgow  mit  ihren  gewaltigen  Häuptern 
Guthrie,  Lavery  und  Walton,  die  Praeraphaeliten 
Walker  und  seine  Epigonen,  die  kühl  vornehmen 
Akademiker  u.  s.  vv.  Wir  haben  mancherlei  gelernt 
von  diesen  englischen  Malern  und  Viele ,  die  nicht 
höher  schworen,  als  auf  Paris,  finden  nun,  dass  das 
Wesen  der  Engländer  dem  unsrigen  beträchtlich  näher 
stehe.  Bei  den  Franzosen  war  es  im  Grunde  das 
enorme  Können  fast  allein,  was  uns  imponirt  hat,  ein 
Können,  das  der  deutschen  Malerei  gewaltig  zu  rathen 
gab  nach  der  nachlässigen  Genialität,  die  sie  in  ihren 
Flegeljahren  seit  ihrer  Wiedergeburt  im  zweiten  Halb- 
hundert dieses  Säculums  entwickelte.  Da  sah  man  an 
den  Franzosen,  was  Alles  zu  lernen  war  und  wie  man 
lernen  kann.  Aber  was  aus  den  Werken  der  englischen 
Künstler  mit  jedem  Jahre  eindringlicher  zu  uns  spricht, 
ist  mehr  als  die  Vollkommenheit  im  handwerksmässigen 
Theil  der  Kunst.  Da  ist  Gemüth  und  Poesie,  da  ist 
Sinn  für  Märchenzauber  und  Frauenanmuth ,  die  im 
Schatten  der  «moulins  rouges»  und  der  «closeries  de 
lilas>   nicht  gedeiht,   da  ist  Melancholie  und  Romantik, 


Mitleid  und  naive  F"reude,  Verständnis  für  die  Kinder- 
seele, —  da  ist  ein  Geist,  dem  deutschen  Geist  ver- 
wandt. Eine  Kun.st,  die  nicht  nöthig  hatte,  das  Auf- 
fallen um  des  Aufifallens  willen  zu  suchen,  die  nicht  den 
Stempel  des  verzweifelten  Ringens  nach  Erfolg  trägt, 
welcher  den  «clous»  der  Pariser  Salons  doch  immer 
aufgeprägt  ist.  Die  Seele  der  englischen  Kunst  ist 
immer  Harmonie,  die  Seele  der  französischen  Kunst 
ist  fast  immer  Effekt,  wenn  auch  nicht  ein  Effekt, 
der  auf  besonders  niedrige  Geschmacksinstinkte  rechnet. 
Aber  doch  zu  zwei  Dritteln  eine  Kunst  «pour  cpater 
les  bourgeois».  In  jüngster  Zeit  erst  zeigt  auch  die 
französische  Malerei  grösseres  Streben  nach  intimen 
Reizen;  ihre  Stärke  aber  liegt  im  dekorativen  Element 
und  wird  immer  darin  liegen. 

Drüben  über'm  Kanal  ist  die  Kunst  aristokratisch 
durch  und  durch ,  sie  ist  weder  auf  den  hoffähigen 
noch  auf  den  kleinbürgerlichen  süssen  Pöbel  berechnet. 
Ein  Watts,  ein  Waterhouse,  ein  Holman  Hunt,  ein  Stott 
of  Oldham,  ein  Roche,  Henry  oder  Hornel,  ein  Brangwyn, 
Paterson  oder  Hamilton  hatten  der  Menge  nie  etwas 
zu  sagen  und  haben  ihr  nie  etwas  gesagt.  Sie  ist  an 
ihren  Bildern  in  den  Ausstellungen  vorbeigefluthet  und 
kennt  ihre  Namen  kaum.  Dafür  haben  Jene  eine  be- 
grenzte aber  zuverlässige  Gemeinde  wahrhaft  Gebildeter. 
Ein  solcher  ist  stolz,  dem  Fremden,  der  ihn  besucht,, 
ein  Bild  von  Burne  Jones  oder  ein  Portrait  von  Sir  John 
Millais  zeigen  zu  können.  Wenn  eine  besonders  schöne 
Gravüre  entstanden  ist,  ziehen  sie  ein  paar  Dutzend 
Blätter  ab  und  schneiden  dann  die  Platte  in  Stücke 
und  man  bezahlt  vielleicht  dann  für  einen  Abzug  das 
zwanzigfache  von  dem ,  was  man  bei  uns  bezahlen 
würde.  In  einem  einigermassen  anständigen  englischen 
Privathaus  sieht  man  keinen  Schund  an  der  Wand; 
sehr  oft  aber  ist  jede  Tafel ,  welche  die  Wände 
schmückt,  ein  Kunstwerk  von  Rang.  Künstlern  ersten 
Grades  wurden  die  höchsten  Würden  im  Lande  er- 
schlossen, wie  Millais  und  Leighton.  Das  Alles  schafft 
einen  Boden,  wo  Kunst  gesund  gedeihen  kann.  Und 
dazu  kommt  noch  Eins:  wenn  mich  flüchtige  Beob- 
achtung nicht  trog,  so  fühlen  sich  dort  die  Künstler 
von  Bedeutung,  auch  wenn  sie  in  ihren  Richtungen 
weit  auseinandergehen ,  mehr  wie  bei  uns  als  Glieder 
eines  Standes,  als  echte  Aristokraten,  deren  Rang  etwas 
Höheres  bestimmt  als  Zufälligkeit  der  Geburt.  Ich 
hörte    aus    dem  Munde    eines    ausgesprochenen    und   in 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


seiner  Kunst  leidlich  steifen  Akade- 
mikers das  begeisterte  Lob  mo- 
derner, impressionistisch  veranlagter 
Kollegen,  und  Bilder  von  ihrer  Hand 
schmückten  die  Wände  seiner  fürst- 
lichen Gemächer.  Und  wenn  auch 
Cliquewesen  und  Bonzenthum  für 
den  Kundigen  dort  wie  hier  zu 
entdecken  sein  werden,  die  bösen 
Dinge  liegen  jedenfalls  weniger  stö- 
rend am  Tage  als  anderswo.  Alles 
in  Allem :  Die  Vorbedingungen  für 
ein  gedeihliches  und  freies  Kunst- 
schaffen sind  dem  englischen  Maler 
in  ausreichendem  Masse  gegeben  und 
seine  Schöpfungen  zeugen  davon. 

Spezielle  Berührungspunkte  hatten, 
seit  sie  hier  verkehren,  die  englischen 
Maler  mit  dem  Geschmacke  ihrer 
Münchener  Kollegen  und  deren  ver- 
ständnisvollen Freunde. 

Die  Schotten  errangen  hier  ihren 
ersten  glänzenden  Sieg  und  veran- 
lassten, dass  mancher  seine  Farben- 
skala auf  vollere,  kräftigere  Akorde 
stimmte,  ohne  dass  sie,  wie  man  an- 
fangs befürchtet  hat,  thörichte  Nach- 
ahmungen hervorriefen.  Die  englische 
Landschaft,  das  englische  Bildnis  hat 
Schule  gemacht.  Vor  Ouless  und 
Orchardson  haben  Leute  ihre  Achtung  bezeugt,  die 
sonst  gewohnheitsmässig  alles  Neue  und  Nichtdahiesige 
verachten,  —  eine  ganz  traurige  Spezialität  einzelner 
deutscher  Grössen  in  der  Malerwelt.  Englische  Bilder 
sind  in  unverhältnismässiger  Anzahl  hier  verkauft 
worden,  viele  wurden  mit  Medaillen  ausgezeichnet, 
während  im  Ausland,  namentlich  in  Frankreich,  das 
Verständnis  für  englische  Malerei  sich  immer  noch 
langsam  Bahn  bricht. 

Speziell  für  die  vollen ,  weichen  Farbenklänge  der 
schottischen  Koloristen  hat  man  an  der  Seine  noch 
wenig  Sinn  und  ich  sah  im  « alten  Salon  d  ein  prächtiges 
Amazonenbildnis  Lavery's  in  einem  Nebensaal  hoch 
unter  der  Decke  hängen,  —  im  «alten  Salon»,  — -  die 
Herren  auf  dem  Marsfelde  sehen  sich  ihre  fremden 
Gäste  schon  genauer  an.  — 


G.  F.    Watts.     Der  glückliche  Krieger. 

Die  Münchener  Ausstellungen  beherbergen  auch 
im  heurigen  Jahre  eine  stattliche  Anzahl  englischer 
Bilder  und  speziell  im  Glaspalast  treffen  wir  eine  eng- 
lische Abtheilung  an,  welche  die  Bildergruppen  der 
übrigen  Nationalitäten,  was  geschlossene,  einheitliche 
Wirkung  und  durchschnittlichen  Werth  betrifft ,  weit, 
weit  hinter  sich  lässt. 

Italien ,  Spanien ,  Holland  und  Belgien  haben 
neben  vielem  Guten  auch  Vieles  von  dem  geschickt, 
was  der  Maler  mit  dem  angenehmen  Titel  «Kitsch» 
bezeichnet.  Bei  den  Engländern  ist  kaum  ein  Bild 
zu  entdecken,  das  schlechterdings  blos  um's  Geld  ge- 
malt wäre.  Nicht  lauter  Galeriestücke  first  rate.  Aber 
durchaus    Aeusserungen    künstlerischer    Individualitäten. 


Zwei    Säle     von 
«  Gemälden  >. 


Kunstwerken     in    einem    Ozean     von 


1* 


DIK  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Der  interessanteste  unter  den  ausländischen  Gästen 
des  Glaspalastes  ist  George  Frederick  Watts,  den  man 
bisher  bei  uns  fast  nur  vom  Hörensagen  kannte ,  ein 
Maler,  der  sehr  wenig  «im  Handel»  ist.  Seine  23  Bilder 
vergelten  den  Besuch  dieser  Ausstellung  schon  für  sich 
allein.  Wenn  sie  auch  nicht  lauter  allererste  Arbeiten 
des  englischen  Böcklin  bedeuten,  sie  geben  doch  ein 
erschöpfendes  Bild  dieser  hocheigenartigen  Künstler- 
natur. Iki  wenigen  Anderen  spricht  der  seelische,  — 
nicht  der  anekdotische,  —  Inhalt  eines  Bildes  so  ein- 
dringlich zu  uns  wie  bei  Watts.  Das  ist  kein  poetisch 
veranlagter  Maler,  das  ist  ein  Dichter  von  Gottes 
Gnaden,  der  nur  zufällig  statt  mit  Papier  und  Tinte, 
mit  Farben  und  Leinwand  hantirt.  Und  dazu  ist  er 
auf  der  anderen  Seite  ein  Maler,  der  die  Ausdrucks- 
mittel seines  Handwerks  bis  zum  Erreichen  ihrer  feinsten 
Reize  beherrscht.  Seine  viel  stärkere  Nervosität,  sein 
trockenes  Kolorit  und  seine  manchmal  etwas  zu  auf- 
fällige Verwandtschaft  zum  Herrn  « Deutobold  Alle- 
goriewitsch Mystificinsky  j  scheiden  ihn  wohl  von  dem 
in  Allem  gesunden  Vollblutmenschen  Arnold  Böcklin. 
In  seiner  künstlerischen  Reinheit ,  in  der  unbegrenzten 
Mannigfaltigkeit  seiner  Begabung  aber  reicht  er  bis  zur 
Höhe  dieses  Giganten  hinan.  Auch  Watts  hat  nie  vor 
seinem  Schaffen  die  Genehmigung  eines  hohen  Adels 
und  verehrten  Publici  eingeholt  und  auch  nicht  das 
Urtheil  massgebender  und  hochmögender  Kollegen. 
Da  war  der  Gedanke,  —  da  war  die  Leinwand,  —  da 
war  das  Bild.  Nun  hat  er's  vielleicht  mit  den  Kollegen 
dadurch  verdorben,  dass  er  die  Hauptfigur  in  ein  saftiges 
Chokoladebraun  tauchte,  mit  dem  Publikum  dadurch, 
dass  er  zu  viel  hineingeheimnisste ,  —  was  gilt's  ihm. 
Sein  Bild  hat  er  sich  von  der  Seele  herunter  gemalt! 
Und  alle  Kunstwerke  der  Welt,  welche  diesen  Namen 
in  vollem  Maasse  verdienen,  sind  von  der  Seele  ihres 
Schöpfers  heruntergemalt,  gemeisselt,  geschrieben  und 
gesungen.  Das  Werden  hoher  Kunstwerke  ist  Schicksal, 
sie  müssen  ent.stehen ,  sie  sind  keine  zufälligen  Er- 
.scheinungen,  sie  sind  sozusagen  die  Consequenzen  langer 
Reihen  von  Entwicklungsmomenten  der  Cultur.  «Die 
Venus  von  Melos»,  «Die  Sixtinische  Madonna»,  «Der 
Dom  von  Sankt  Peter»,  «Die  neunte  Symphonie», 
«  Die  Todteninsel » ,  «  Der  Nibelungenring  »  ,  «  Faust » 
und  « Das  Lied  von  der  Glocke » ,  das  sind  lauter 
Etappen  in  der  Bildung  des  Menschengeschlechtes,  sie 
mussten  kommen    und   so  werden   wie   sie  sind.     Doch 


das  führt  zu  weit.  Es  sollte  nur  gesagt  werden,  dass 
Watts'  Werke  so  entstehen,  wie  die  Werke  eines  echten 
Künstlers  entstehen  müssen,  aus  dem  Bedürfnis  eines 
Temperaments  heraus. 

Manches  von  diesen  Werken  ist  ein  abgerundetes, 
vollendetes  Gedicht. 

«Die  Hoffnung»:  Eine  edle  Gestalt,  die  auf  der 
Erdkugel  ruht,  mit  verbundenen  Augen,  das  Ohr  herab- 
geneigt zu  ihrer  Harfe,  auf  deren  letzter  Saite  ihre 
Finger  .spielen.  Ueber  ihr  leuchtet  ein  Stern!  Die 
Hoffnung !  Sie  thront  über  der  Welt,  die  kein  Jammer- 
thal mehr  ist,  sondern  ein  Paradies ,  sobald  der  Klang 
ihrer  Harfe  über  sie  hinrauscht.  Nur  eine  goldene 
Saite  hat  diese  Harfe  mehr,  —  die  letzte.  Aber  blind 
für  Alles,  was  um  sie  ist,  beugt  sich  die  Hoffnung  über 
ihr  Saitenspiel  und  lauscht  dem  einen  Ton  und  alles 
Weh  und  Elend  und  alle  Sorge  und  Noth  sind  ver- 
gessen. Um  diesen  Klang  allein  ist  das  Leben  des 
Lebens  werth,  «Denn  wer  ertrüg'  der  Zeiten  Spott 
und  Geissei,  des  Mächtigen  Druck,  der  Stolzen  Miss- 
handlungen ,  den  Uebermuth  der  Aemter  und  die 
Schmach ,  die  Unwerth  schweigendem  Verdien.st  er- 
weist», wenn  nicht  die  Hoffnung  bliebe  auf  Besserung. 
Sie  hält  uns  mächtiger  als  die  Furcht  am  Leben  fest. 
Der  helle  Klang  ihrer  letzten  Saite  trifft  unser  Herz 
und  es  geht  ein  Stern  auf  in  tiefer  Nacht.  Sie  ist 
schon  etwas  vom  Glück,  —  sie  ist  für  unendlich  Viele 
das  Glück  selber.  —  —  — 

«Sic  transit!  »  —  Stumm  und  starr,  —  starr  und 
stumm!  —  Die  mächtigen  Glieder,  die  so  stolze  Kraft 
einst  geschwellt,  liegen  kalt  und  hart  wie  Marmor 
da,  und  steif  und  regungslos  und  hässlich.  Gut,  dass 
das  Leichentuch  die  ersten  Spuren  schaurigen  Verfalls 
bedeckt.  Starr  und  stumm,  —  stumm  und  starr! 
Was  will  der  gleissende  Kram  nun  zu  seinen  Füssen? 
Die  blinkenden  Waffen,  vor  deren  Schein  die  Feinde 
gezittert?  —  Totes  Erz!  Leer  die  goldene  Schale, 
aus  der  er  Jubel  getrunken  und  glänzende  Siege  ge- 
feiert in  doppeltem  Rausch.  Welk  die  Blumen  der 
Liebe,  welk  der  Lorbeer  des  Ruhms!  Verstummt  die 
Saiten  der  Cither,  über  die  seine  Finger  hingespielt  in 
zärtlicher  Schäferstunde!  Werthlos  Papier  für  ihn  die 
Seiten  des  Buches,  in  dem  er  Wahrheit  suchte  in 
Stunden  stiller  Selbsteinkehr  1  Vorbei ,  vorbei !  Der 
Schlummernde  braucht  Euch  fürder  nicht  1  Werdet 
Moder  wie  er!    —   So  geht  der  Glanz  der  Welt  dahin! 


F-  Watts  pinx 


Chfit.   F.   H.infalnengl,  Miinclifti. 


Marehioness   of  Granby. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


«Der  glückliche  Krieger!  >  Ein  sterbender 
junger  Held,  von  dessen  Haupt  der  Helm  sinkt  und  von 
dessen  Lippen  der  Kuss  eines  schemenhaften  Weibes 
das  letzte  Leben  trinkt:  Gesiegt,  gesiegt!  Donnernder 
Jubel  rollt  über  das  Brachfeld  hin .  über  erkaltete 
Leichen  und  über  Sterbende ,  deren  Seele  auf  diesem 
Strom  von  Triumphtönen  hinüberschwimmt,  und  über 
Lebendige ,  Sieger  und  Besiegte.  Ge- 
siegt, Gesiegt!  Noch  eben  hat  der  junge 
Held  sein  Schwert  geschwungen,  von 
dessen  spiegelndem  Stahl  pur- 
purne Tropfen  hinabrannen. 
Nun  fährt  seine  Hand  nach 
der  Halsberge !  Was 
ist  das .''  Heiss  und 
roth  strömt  es  her- 
aus! Und  wie  es 
brennt  auf  einmal ! 
Erst  hat  er  Nichts 
gefühlt ,  jetzt  glüht 
es  wie  Feuer!  Heiss 
rinnt  es  unterm  Har- 
nisch herab  aus  der 
Wunde,  die  er  im 
Kampfes  -  Taumel  und 
Sieges  -  Rausch  nicht 
wahrnahm.  Wie  der 
Helm  drückt,  —  Gottlob, 
da  fällt  er  hinten  über.  Sein 
Antlitz  wird  bleich,  vor  seinen 
Augen  kreisen  immer  mehr  im 
Nebel  verschwimmend  die  Gestalten, 
vor  seinen  Ohren  braust  es  und  rauscht 
und  saust  und  klingt.  Ein  Wirbel  fasst 
ihn ,  Alles  verwischt  sich ,  nur  Eins 
bleibt  fest  in  seinem  Empfinden,  das  dahinjagt  in 
wahnsinniger  Hast.  Er  sieht  es  deutlich,  ein  süsses, 
holdes  Gesicht.  Das  ist  der  Engel  des  Sieges ,  der 
sich  nun  über  ihn  beugt.  Ob  er  sie  kennt,  —  diese 
Lippen!  Sie  haben  ihm  den  ersten  Kuss  gegeben,  — 
sie  gaben  ihm  den  letzten.  Jetzt  brennen  keine 
Wunden  mehr.  Aus  dem  Rauschen  und  Brausen  lösen 
sich  helle,  liebliche  Klänge,  —  schimmernde  Weiten 
thun  sich  auf,  —  heitere  Gestalten  winken,  alles  Em- 
pfinden löst  sich  in  einen  Strom  von  Licht  —  Glück- 
licher Krieger!     —     — 


G.  F.    Watts.     Lady  Lilford. 


«Verlockung».  Mit  Rosenketten  zieht  er  den 
Jüngling  in's  Verderben,  der  geflügelte  Gott.  Eine 
Welt  von  Wonne  hat  er  ihm  versprochen  und  schon 
beim  ersten  Schritt  ins  erträumte  Paradies  umschlingt 
ihm  stachliges  Brombeergerank  die  prangende  Pracht 
seiner  Glieder!  Nur  immer  weiter  herein!  Das  ist  die 
Liebe.  Und  wenn  Du  zuletzt  verblutest  unter  den 
Dornen,  Rosen  umblühen  Dich  dochl 
Was  thut's,  —  Du  hast  geliebt.  Ver- 
blutend wirst  Du  noch  mitleidig 
lächeln  über  die  Armen,  welche 
die  Rosen  nicht  gepflückt  und 
nicht  geblutet  haben.  — 

«Der    Tod    krönt 
\  die  Unschuld». 

Schlafe  mein  Kind- 
lein, schlafe  und  er- 
wache nie  mehr! 
Lasse  Dich's  ja  nicht 
gereuen ,  dass  Du 
von  dem  Treiben  die- 
ser Welt  nicht  mehr 
hattest  als  einen  flüch- 
tigen Blick  durch  die 
Thürritzen  in  den 
glänzenden  Saal.  Es 
ist  kein  Schreckbild, 
das  Dich  in  die  Arme  nimmt 
—  ich  bin  der  Friede,  ich 
kröne  Dich  mit  der  Krone  der 
Unschuld.  Ich  bin  die  Mutter,  an 
deren  Busen  Alle  entschlummern,  die 
Wilden  und  die  Stillen,  die  Guten  und 
die  Bösen.  Du  schlummerst  hinüber, 
bevor  Du  Dir  noch  Narben  geholt  im 
Kampfe,  der  Keinem  ausbleibt.  Du  bist  lächelnd  ein- 
genickt, ohne  Furcht  und  rein  wie  der  neugeborne 
Schnee!  Und  wie  der  Kampf  bleibt  auch  die  Sünde 
Keinem  aus,  —  Du  gingst,  bevor  sie  kam.  Es  ist  gut 
ruh'n  im  Schatten  meiner  dunklen  Riesenflügel,  gut 
ruh'n  für  Dich,  der  das  Sehnen  und  Bangen,  das 
Streben  und  Verzagen    des  Lebens  nie  erfuhr!  —    — 

«Leben  und  Liebe  >.  Dünkt  sie  Dir  eng  die 
Klippe,  über  die  ich  Dich  führe,  schwindelig,  jäh  ab- 
fallend zur  Tiefe,  steinig  und  steil.-'  Getrost,  das  Ziel 
lohnt    der    Wanderung,    wenn    ich    Dein    Geleiter    bin! 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT, 


Traue  mir  und  halte  Dich  an  mich!  Wen  ich  führe, 
der  ist  gut  geführt  und  wenn  der  Weg  durch  Nacht 
und  Grausen  geht.  Ich  bin  die  Liebe,  Du  bist  das 
Leben,  ich  bin  die  Liebe,  ich  bin  das  Leben,  —  wir 
Beide  sind  eins!  Lasse  Dein  Bangen!  Zehn  Schritte 
noch  und  es  sprossen  Blumen  aus  dem  Gestein  und 
Du  bist  im  Garten  Eden! 

«Ophelia».     Ihr  Kinderköpfchen  hielt  diesen  An- 
sturm  von  Weh    nicht   aus!     Zuerst    fing    sie   an   wirre 
Lieder  zu  singen,  —  böse  Lieder,  von  denen  ihr  jung- 
fräuliches Herz   nichts  wusste.     Dann  ging  sie   fort.  — 
«Es  neigt  ein  Weidenbauni  sich  über'n  Bach, 
Und  zeigt  im  klaren  Strom  sein  grünes  Laub, 
Mit  welchem  sie  phantastisch  Kränze  wand 
Von  Hahnfuss,  Nesseln,  Masslieb,  Purpurblumen: 
Dort,  als  sie  aufklomm  um  ihr  Laubgewinde 
An  den  gesenkten  Aesten  aufzuhängen, 
Zerbrach  ein  falscher  Zweig,  und  niederfielen 
Die  rankenden  Trophäen  und  sie  selbst 
In's  weinende  Gewässer.     Ihre  Kleider 
Verbreiteten  sich  weit  und  trugen  sie 
Sirenengleich  ein  Weilchen  noch  empor, 
Indess  sie  Stellen  alter  Weisen  sang. 
Als  ob  sie  nicht  die  eigne  Noth  begriffe, 
Wie  ein  Geschöpf,  geboren  und  begabt 
Für  dieses  Element.     Doch  lange  währt'  es  nicht, 
Bis  ihre  Kleider,  die  sich  schwer  getrunken, 
Das  arme  Kind  von  ihren  Melodien 
Hinunterzogen  in  den  schlamm'gen  Tod». 

So  starb  Ophelia!  Wie  das  unglückliche  Mädchen 
aufklimmend  zum  alten  Weidenbaum  in's  Wasser  hinab 
sah,  hat  sie  der  Maler  uns  gezeigt. 

Es  hätte  grossen  Reiz,  so  Bild  um  Bild  von  Watt's 
gemalten  Versen  in  Worte  umzusetzen.  Oft  freilich 
wird  seine  Allegorie  zu  gewaltsam,  sein  Mysticismus  zu 
mystisch.  Bilder,  wie  «Zeit,  Tod  und  Gericht»,  das 
er  durch  die  Unterschrift,  «Wer  den  Sturm  sieht,  soll 
nicht  sähen,  wess  Blick  den  Wolken  folgt,  soll  nicht 
ernten»,  noch  räthselhafter  gemacht  hat,  —  wie 
«Fata  Morgana»,  «Der  Bewohner  des  Allerinnersten», 
brauchen  schon  ein  Kommentar,  sie  sprechen  nicht 
mehr  für  sich  selbst.  Doch  das  sind  Launen,  wie 
man  sie  Künstlern  von  seinem  Range  verzeiht.  Sehr 
ähnlich  darin  ist  ihm  von  deutschen  Malern  einer, 
—    Max    Klinger.      Aber    seine    radirten    Bildercyclen 


C.  F.    Watts.     Klytia. 

poetischen  und  philosophischen  Inhalts  liegen  be- 
quemer in  der  Hand  für  den ,  der  sich  in  ihre  Räthsel 
vertiefen  mag. 

Von  klassischer  Grösse  ist  Watts  als  Bildnissmaler 
und  aus  diesem  Gebiete  seiner  Kunst  sind  in  der 
Münchener  Ausstellung  ganz  besonders  köstliche  Perlen 
zu  sehen.  Sein  wuchtiges  Portrait  des  Lord  Lawrence, 
sein  Bildnis  des  Cardinais  Manning,  das  an  die  grössten 
Cinquecentisten  mahnt,  sein  Conterfei  Rossetti's,  des  be- 
rühmten Praeraphaeliten,  das  sind  Meisterwerke  ersten 
Ranges.  Das  Portrait  der  Countess  Somers  beweist, 
was  Watts  bei  den  alten  Venetianern  gelernt  hat  und 
reicht,  was  Grösse  der  Auffassung  und  Einfachheit  des 
Vortrages  betrifft,  an  Leonardo's  «Mona  Lisa»  heran. 
Ganz  anderer  Art  wiederum  ist  das  Bildnis  der 
Marchioness  of  Granby ,  das  wir  umstehend  als  Voll- 
bild wiedergeben.  Ein  bestrickender  Liebreiz ,  nicht 
ganz  frei  von  einer  gewissen  Schwermuth ,  liegt  über 
diesem  Frauenhaupt  ausgebreitet,  das  ebenso  gut 
als  das  Abbild  einer  lyrischen  Muse  gelten  könnte. 
Wunderschön  und  doch  keine  Schönmalerci,  gibt  uns 
das  Bildnis  den  edelsten  Reiz  englischer  Frauenanmuth 
wieder.      Nicht  minder   schön   aber   als    das   von    gött- 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


lieber  Hoheit  gekrönte  Haupt    ist  der  originelle  Hinter-  In    England    und    in    Frankreich    ist    es ,    nebenbei 

grund  gemalt,  eine  wundervoll  duftige  Berglandschaft,  gesagt,  viel  häufiger  als  bei  uns,  dass  Bildhauer  als 
Dieser  Hintergrund  macht  mit  der  Figur  zusammen  Maler  und  Maler  als  Bildhauer  arbeiten.  Von  Eng- 
ein Ganzes  aus,  das  viel  zu  rathen  gibt.  Er  erzählt  ländern  nennen  wir  für  ersteren  Fall  John  Swan,  für 
jedenfalls  eine  Geschichte  zusammen  mit  der  ver-  letzteren  eben  G.  F.  Watts,  von  Franzosen  für  erstere 
schieierten  Wehmuth  im  Blick  der  schönen  Frau  und  Kombination  Falguieres,  für  letztere  Gerome,  —  alle 
ich  meine  beinahe,  die  Lösung  des  Räthsels  heisse:  Vier  auf  der  Münchener  Jahresausstellung  von  1893 
Heimweh.  brillant     vertreten.      Leighton    verdankt     die    tadellose 

Als  Landschafter  von  vielen  Graden  offenbart  sich  Reinheit  seiner  Zeichnung  nicht  zum  wenigsten  dem 
Watts  auch  mit  seiner  unbeschreiblich  duftigen  Ansicht  Umstand,  dass  er  seine  Modelle  auch  plastisch  aus- 
von    Corsica    von    der   See    aus    und    nicht    minder    mit      arbeitet. 

seinem  Blick   auf  den   «Ararat»,  der    die  enorme  Höhe  George    Frederick    Watts     ist    nicht     der     einzige 

des  riesigen  Berges  in  merkwürdig  überzeugender  wahrhaft  grosse  englische  Maler,  der  uns  in  dieser 
Wirkung  zum  Ausdruck  bringt.  «Die  Liebe  und  der  Ausstellung  entgegentritt.  Vortrefflich,  wenn  auch  nur 
Tod»  ist  wieder  eine  Farbendiclitung:  Der  geflügelte  durch  Handzeichnungen  vertreten,  ist  der  Praeraphaelit 
Liebesgott  scheucht  die  in  weisse  Falten  gehüllte  Burne  Jones.  Er  gehört  zur  strengen  Observanz 
Gestalt  des  Todes  von  einer  Schwelle,  die  er  be-  seiner  Schule  uiid  gerade  die  hier  ausgestellten 
schützt.  Schwächer,  besonders  schwächer  in 
der  Mache  ist  «Kain  und  Abel»,  beinahe 
an  Leighton's  akademische,  leidenschaftslose 
Art  erinnert  das  lebensgrosse  Bild  eines  eben 
zur  jungfräulichen  Reife  gelangten  Weibes, 
das  sich  zum  Bade  rüstet.  Lady  Lilford's 
Bildnis  ist  wohl  der  Anregung  der  grossen 
englischen  Portraitisten  vom  Anfange  des 
Jahrhunderts  zuzuschreiben.  Man  sieht,  der 
Künstler  ist  den  manigfachsten  Anregungen 
zugänglich  gewesen;  aber  nie  ist  er  ein  Nach- 
ahmer, immer  spricht  aus  dem  Werke  seine 
eigene  Empfindung  lauter  als  das  Vorbild. 

Auch  als  Plastiker  stellt  er  sich  uns  vor 
mit  einer  Büste  der  «Klytia»,  womit  er  die 
auf  der  ganzen  Welt  in  Nachbildungen  ver- 
breitete Klytiabüste  des  britischen  Museums 
in  London,  —  die  übrigens  in  Wahrheit  eine 
Portraitbüste  römischer  Provenienz  ist,  — 
glücklich  variirt.  Watts  stellt  den  Moment, 
da  Appolo's  Geliebte  in  eine  Blume  ver- 
wandelt wird,  in  viel  leidenschaftlicherer  Be- 
wegung des  üppigen  Körpers  dar,  als  das 
bekannte    Original. 

Jedenfalls  hat  das  Werk  nicht  im  Min- 
desten den  Charakter  eines  dilettantischen 
Versuchs  in  fremdem  Fache,  sondern  es  sieht 
vollkommen  aus  wie  das  künstlerische  Er- 
zeugnis  eines   Bildhauers   von   Beruf.  miliam  Statt  of  Oldham.     Portrait  des  Herrn  Tom  Millie  Dow. 


IHK  KUNST  UNSKRER  ZEIT. 


Studien  zeigen  ihn  in  der  stilistischen  Fonnenstrenge, 
die  direkt  auf  die  grossen  Vorbilder  wie  Sandrov 
Botticelli  und  Masaccio  zurückgreift.  Walter  Crane, 
Ro.ssetti,  Holman  Hunt,  blieben  wie  er  bei  dieser 
Richtung,  Miliais,  W.  B.  Richmond  und  andere  An- 
gehörige der  Gruppe  gaben  es  allgemach  auf,  den 
Stil  einer  Zeit  wieder  zu  beleben,  in  deren  naivem 
Sinn  ein  moderner  Mensch  in  Wahrheit  nicht  mehr 
denken  und  empfinden  kann.  Die  Praeraphaeliten  von 
reinem  Wasser  sind  eben  doch  Maniristen,  geniale 
Maniristen  freilich,  welche  die  Unpersönlichkeit  ihrer 
Ausdrucksform  durch  starken  persönlichen  Geist  zu 
beleben  wussten,  ganz  im  Gegensatze  z.  B.  zu  der 
Mehrzahl  der  deutschen  «Nazarener»  der  dreissiger 
und  vierziger  Jahre.  Die  Epoche  der  Praeraphaeliten 
wird  in  der  Geschichte  der  englischen  Kunst  ihren 
Platz  behaupten ,  obwohl  sonst  die  Kunstgeschichte 
wenig  Pietät  kennt  gegen  die  Anempfinder.  Es 
handelt  sich  aber  hier  doch  um  sehr  individuell  ent- 
wickelte Geister  und  ein  Adel  beherrscht  diese  Schule, 
der  wohlthätig  auch  auf  viele  zeitgenössische  Maler 
des  Landes  wirkte ,  die  zu  dem  Dogma  der  Prae- 
raphaeliten keine  Beziehungen  hatten.  Einige  der 
hier  ausgestellten  Studien  von  Burne  Jones  zeigen  eine 
so  holde  Reinheit  der  Form ,  so  überirdisch  edlen 
Ausdruck,  dass  sie  hierin  von  den  schönsten  Beispielen 
des  Quatrocento  sicherlich  nicht  übertroffen  werden. 

Von  W.  B.  Richmond,  der  ganz  zu  der  An- 
schauung unserer  Zeit  zurückgekehrt  ist,  enthält  der 
Glaspalast  ein  Mädchenportrait,  das  Conterfei  einer 
Miss  Mackail,  so  liebenswürdig  fraulich,  so  keusch  und 
zart,  dass  man  den  Mangel  an  Temperament,  der  für 
den  Maler  immer  schon  bezeichnend  war,  gerne  ver- 
gessen mag. 

Ein  ganzes  Temperament  ist  dafür  Mouat  Loudan, 
den  wir  zum  ersten  Male  und  zwar  gleich  als  ganz 
ausserordentlichen  Bildnismaler  kennen  lernen.  Sein 
Bildnis,  eine  Dame  in  grellgrünem  Kleid  mit  korallen- 
rothem  Fächer,  ist  von  verblüffender  Keckheit  der 
Farbe,  aber  gewiss  nicht  unharmonischer  Wirkung. 
Es  beweist,  dass  man  die  stärksten  Kontraste,  die  in 
der  Wirklichkeit  vorkommen,  getrost  malen  darf,  nur 
mu-ss  man  die  Schneid  und  die  Kraft  haben,  sicher 
und  frisch  genug  zuzugreifen.  Auch  ein  originelles 
Landschaftsbild  .stellt  Loudan  aus:  «Eine  Wolke»,  eine 
Landschaft,    an    der   der   Himmel   mit   einer   eigenartig 


gebildeten  Wolke  die  Hauptsache  ist.  Ein  feines, 
poesiereiches  Stück  Arbeit!  Aber  Mouat  Loudan's 
drei  Kinderbildnisse  sind  doch  das  Schönste  und  An- 
sprechendste, was  wir  hier  von  ihm  sehen.  Wie  lieb 
und  hold ,  wie  entzückend  drollig  sind  diese  gross- 
äugigen  Babies ,  denen  man  die  schüchterne  Ver- 
wunderung über  den  Vorgang  des  Gemaltwerdens 
ankennt;  wie  bekannt  und  vertraut  sieht  uns  diese 
« Kytti »  und  diese  «  Isa »  und  diese  «  Mary  »  an ,  als 
hätten  wir  sie  schon  einmal  auf  dem  Knie  geschaukelt 
und  sie  wollten  sagen:  «Denk'  nur  nach,  wir  kennen 
uns  schon.  Du  weisst  nur  nimmer  woher.?»  Ich 
meine,  es  ist  eine  der  höchsten  Aufgaben  des  Portraits, 
dem  Wesen,  das  es  darstellt,  Freunde  zu  erwerben  und 
die,  welche  jenem  Wesen  schon  freundschaftlich  ge- 
sinnt waren ,  mit  jedem  Anblick  freundlich  zu  grüssen. 
Es  gibt  denn  auch  Menschen ,  die  vor  einem  schön 
gemalten  Kinderbildnis  solcher  Art  immer  was  wie 
Rührung  ankommt,  immer  was  von  der  Stimmung: 
«Mir  ist,  als  ob  ich  die  Hände  auf's  Haupt  Dir  legen 
sollt».  —  —  Mouat  Loudan's  Kinderbilder  muthen 
ähnlich  an.  Und  werthvoU  sind  sie  nicht  nur  ihrem 
Inhalt  nach ,  —  auch  als  Malereien  in  ihrer  vollen 
reichen  Farbenharmonie  verdienen  sie  Bewunderung. 

In  England  ist  heute  noch  das  Dorado  der  Por 
traitmalerei ,  das  es  schon  seit  des  jüngeren  Holbein 
Zeiten  war,  und  vor  Allem  ist  das  Bildnis  im  künst- 
lerischsten Sinne  dort  zu  Hause.  Man  « lässt  sich  dort 
noch  malen»  und  freut  sich  dann,  wenn  das  Bild  nicht 
nur  ein  recht  « ähnliches  Portrait » ,  sondern  auch  ein 
recht  gutes  Bild  ist.  Dort  wirkt  Sargent,  der  viel- 
leicht von  den  Lebenden  allein  in  einem  Athem  mit 
Velasquez  genannt  zu  werden  verdient.  Whistler  mit 
der  genialen  Grösse  und  Einfachheit  seiner  Bildnisse, 
der  eminent  malerische  Shannon ,  der  aristokratische 
Orchardson,  die  schon  oben  genannten  Schotten 
Guthrie  und  Lavery  und  noch  viele  Andere.  Hier 
sind  Stott  of  Oldham ,  Greiffenhagen ,  Charles  W. 
Furse ,  P.  Wilson  Steer  ausser  den  bereits  Erwähnten 
glänzend  vertreten.  Stott,  der  geistreiche  Farben- 
zauberer, dem  kein  Gebiet  der  Malerei  fremd  ist,  hat 
ein  Portrait  des  Mr.  Tom  Millie  Dow  beigesteuert, 
so  ein  richtiges  Atelierbildnis  unter  Kameraden,  woran 
jede  Pose  und  Schönmacherei  schon  von  vorneherein 
ausgeschlossen  ist.  Der  gutmüthige,  athletische,  etwas 
breitspurige,     blonde,    enghsche     «Boy»,     wie    er    im 


(!.   F.   Watt.-  iiinx 


IMiot.  F.  Hanfstaengl,  Mnn«hen. 


Hoffnung. 


ÜIK  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


iVilliain  Slolt  of  Oldham.     Am  Kamin. 


Buche  steht,  in  einer  bequemen,  gestrickten  Hausjacke 
im  Lehnstuhl  sitzend,  den  unentbehrlichen  Pfeifen- 
stummel in  der  Hand.  Einer  von  den  brittischen 
Riesen ,  nach  deren  Händedruck  man  die  eigene  Hand 
in  Schindeln  tragen  muss  und  die  beim  Football  oder 
ähnlichen  Vergnügungen  für  die  Knochen  ihrer  Neben- 
menschen als  sehr  gefährlich  gelten,  die  aber  die 
besten  Freunde  der  Erde  und  Kameraden  von  kind- 
licher Treuherzigkeit  sind.  Wahrhaftig,  gemalt  ist  das 
Bildnis  des  Herrn  Tom  Millie  Dow  wunderschön,  aber 
als  Menschenschilderung,  als  Charakterzeichnung,  steht 
es  noch  höher  und  wenn  ein  späteres  Jahrhundert 
wissen  will,  wie  der  prächtigste  Typus  angelsächsischer 
Männlichkeit  um  das  Jahr  1893  herum  ausgesehen  hat, 
betrachtet  er  sich  dieses  Conterfei,  —   so  sah  er  aus. 

Seltsam  melancholisch  muthet  Stott's  grosses  Dünen- 
bild «Zwei  Schwestern»  an.  Hart  am  Meere  in  einer 
Einsattelung  der  Dünen  sitzen  etliche  Kinder  im  Sand. 
Zweie,  zwei  Schwestern,  gehen  eben  aus  der  kleinen 
Gesellschaft  fort  und  die  Eine  blickt  noch  einmal  zu 
den  verlassenen  Kameraden  zurück  ,  —  sie  wäre  wohl 
gerne  noch  etwas  geblieben.  Der  Vorwurf  an  sich 
ist  nicht  sehr  interessant.  Aber  wundersam  fesselnd 
ist  die  über  dem  Ganzen  lagernde  kühle,  graue,  weh- 
müthige  Stimmung.  Kein  hohes  Licht,  kein  tiefer 
Schatten ,  melancholische  Stille  auch  in  der  Be- 
leuchtung. Das  Meer,  das  im  Sonnenglanz  so  herrlich 
schön    ist,    so    sieghaft    schön,    dass    man    aufjauchzen 


möchte  in  seinem  Anblick,  ist  unter  trübem  Himmel 
oft  schrecklich  öde  und  dann  stimmt  es  traurig,  wie 
nichts  Anderes.  Und  aus  dieser  Schwermuth  heraus 
macht  sich  der  Beschauer  über  die  durch  den  Sand 
hinwandelnden  beiden  Schwestern  seine  eigenen  weh- 
muthsvoUen  Gedanken.  In  die  Stimmung  der  Land- 
schaft ist  ihr  Schicksal  hineingemalt.  Auch  ein  wunder- 
bares Mondnachtsbild  ist  von  Stott  of  Oldham's  Hand, 
eine  Mondnacht  im  Sommer  über  einer  Meeresbucht. 
Es  ist  eine  schwüle  Nacht  und  der  Spiegel  des  Nacht- 
gestirns blitzt  nicht  grell  auf  aus  schwarzbraunen 
Huthen.  Mild  und  gedämpft  erscheint  das  Mondlicht 
bei  der  dunstigen  Atmosphäre ,  unsäglich  weich  und 
träumerisch  ist  sein  Schein.  Es  ist  nordisches  Meer,  in 
das  dieser  Mond  niederblickt  und  nordischer  Himmel, 
auf  dem  er  glänzt. 

Neben  diesen  feinen  Leistungen  ist  auch  von  Stott 
of  Oldham's  technischer  Geschicklichkeit  eine  frappirende 
Probe  zu  sehen,  ein  Pastell,  «Auf  der  Feuerseite».  Eine 
Interieurstudie,  darstellend,  wie  eine  dunkel  gekleidete 
Dame  am  Kaminfeuer  träumerisch  im  Sessel  lehnt. 
Virtuos  sind  die  Holzmöbel  gemalt,  die  dunkel  gegen 
helle  Wände  stehen,  virtuos  die  Gestalt  der  träumenden 
Frau  in  der  eigenthümlichcn  Zwitterbeleuchtung,  die 
sich  der  Maler  ausgewählt.  Stott  ist  ein  grosser  Könner 
und  ein  grosser  Künstler  dazu.  Hier  in  München  hat 
man  seinen  Werth  bald  erkannt ,  —  den  Werth  von 
Ausländern    erkennt    man   ja    immer  schneller,    —    und 


10 


UIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


eines     seiner    schönsten    Bilder,     «Badende    Knaben», 
schmückt   die    Sammlun;,'  unserer    «Neuen   Pinakothek. 
Eine    ebenso    hervorragende    als    charakteristische 
Leistung  englischer  Hildnismalerei    ist   das  Portrait   des 
Richters    «Mr.   Henn   Collins»    von   Charles   W.    Furse. 
Das  ist  nicht  das  Abbild  eines  englischen  Richters,  — 
des  englischen  Richters  muss  es  heissen.     Alles  Würde 
und  Steifheit!     Nicht  ohne  eine  leise  Beimischung 
von    Humor    hat    der    Maler    die    Grandezza    des 
würdigen  Dieners   der  Themis   festgehalten,    dem 
man    einen    enorm    entwickelten    Berufsstolz    wohl 
ankennt.      Kein    Fürst    trägt    seinen    Purpur    mit 
mehr  Selbstbewusstsein ,    als  er  das  blutrothe  Ge- 
wand  des  Standes,    der  über  Leben   und  Freiheit 
der  gewöhnlichen  Menschenkinder  entscheidet,  kein 
Fürst    trägt   seine    Krone    mit    mehr  Berechtigung 
als  er  seine  Perücke,  die  ein  höchst  bezeichnendes 
Atribut  seines  Wesens  ist.     Ja  wahrhaftig,  es  liegt 
Humor  darin,  wie  das  moderne,  vergnügt-röthliche 
Portweingesicht  unter  grauen  Lockencascaden  der 
Allongeperücke  hervorsieht.      Merkwürdig  gut   ist 
hier    der   ganze  malerische  Vortrag    dem  Vorwurf 
angepasst.    Alles  kühl,    nüchtern,    korrekt,    nicht 
die   kleinste   malerische  Extravaganz    hat   sich   an 
den    Mann    des   Rechtes    herangewagt.     Wer   den 
Maler   nur   aus    diesem  Bilde  kennte,    müsste   ihn 
für   einen   leidlich  prosaischen  Akademiker  halten. 
Dann   gehe   man    ein   paar   Säle   weiter   und  sehe 
Furse's  «Lesende  Dame»    an,    die    im  Watts-Saal 
placirt  ist.     Wie  weich  und  duftig,   wie  dämmerig 
träumerisch  ist  der  Ton  dieses  Bildes,  einer  jungen 
Frau,  die  im  sicheren  Heim  behaglich  einem  Buche 
nachhängt,  und  den  Gedanken,  die  es  in  ihr  weckt. 
Wie  vom  Bildnis  des  Herrn  Richters  alle  Weich- 
heit und  Poesie,  so  ist  von  dieser  Tafel  jede  Härte 
und  Nüchternheit   verbannt.     Es   sind   freilich   nur 
ganz  hervorragende   Könner,    die   ihre  Ausdrucksmittel 
so    mit    dem    Stoff   zu    wechseln    vermögen,    aber    die 
Sache    selbst    ist    so    richtig.     Es    gibt    sehr    berühmte 
Portraiti-sten,    die    ein    holdseliges    Frauengesicht    genau 
nach  demselben  Rezept  heruntermalen,   wie   das  falten- 
reiche Antlitz   eines  70jährigen  Staatsmannes,    und   die 
vor    lauter    Geist   und   Charakter    dann    das    übersehen, 
was  ein  weibliches  Gesicht  vor  allem  Anderen  malerisch 
macht,  den  Duft  der  Jugend   und  die  zarte  Blüthe  des 
Kolorits,    mit   einem   Worte,    den  Reiz   der  Frau.     Da 


trifft  mancher  Stümper  oft  besser  als  mancher  Meister, 
weil  der  Stümper  in  kindlicher  Einfalt  ein  korallen- 
rothes  Lippenpaar  so  auf  die  Leinwand  setzt,  wie  er 
es  sieht  und  wie  ihm  es  begeh renswerth  erscheint,  — 
und  nicht,  wie  es  heute  aussehen  würde,  wenn's  vor 
300  Jahren  der  oder  jener  berühmte  Mann  gemalt 
hätte.     Gerade  im  weiblichen  Bildnis   hat  die  englische 


Charles    W.  Fürst.     Mr.  Justice  Henn   Collins. 

Kunst  seit  hundert  und  mehr  Jahren  ihre  unerreichte 
Grösse,  gerade  in  dem  Vermögen,  in  ein  solches 
Conterfei  das  ganze  Milieu  mit  hineinzumalen,  in  dem 
das  Original  lebt.  Unterschiedliche,  kleine  Landschaften 
von  Charles  W.  Furse  bekunden ,  dass  er  auch  auf 
diesem  Gebiete  mehr  als  zu  Hause  ist.  Jedes  der 
kleinen  Bilder  muthet  an  wie  ein  kräftiger  Griff  in  die 
Saiten  einer  klangschönen  Harfe,  so  voll,  so  tief  sind 
die  angeschlagenen  Töne.  Mit  wenigen  Worten  so 
viel  sagen,  —  das  will  Kunst. 


DIE  KUNST  UNSF:RER  ZEIT. 


11 


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Thomas  Hunt.     Nur  wenige  Worte. 

Die  oben  erwähnte  Leistung  Maurice  Greiffen- 
hagens  im  Bildnisfache  ist  ein  Portrait  der  Frau  des 
Künstlers ,  ein  Muster  von  Eleganz  und  Breite  der 
malerischen  Vortragsweise.  Die  Dame  ist  in  ganzer 
Figur  dargestellt,  in  grauem  Mantel.  Keine  Effektchen, 
keine  Details.  Greiffenhagen  gehört  zur  Schule  der 
Shannon  und  Sargent  und  Arthur  Hacker,  die,  was 
malerische  Technik  betrifft,  wohl  von  den  Fran- 
zosen gelernt  haben,  deren  edle  Auffassung  aber 
sicher  im  brittischen  Wesen  ruht. 

P.  Wilson  Steer  «Narcissen»:  Es  ist  Nacht. 
Im  Innern  eines  Zimmers  steht  ein  Weib  mit 
unverfälscht  englischem  Lockenwald  hart  am 
Fenster  und  betrachtet  ein  Sträusschen  gelber 
Narcissen ,  das  sie  aus  einer  Vase  genommen. 
Im  Haar  und  am  Busen  hat  sie  die  gleichen 
Blumen.  Starkes ,  künstliches  Licht  beleuchtet 
sie  und  wirft  die  Silhouette  ihres  interessanten, 
etwas  sinnlichen  Gesichtchens  in  scharfer  Zeich- 
nung auf  das  Fenster.  Welche  Weichheit  und 
Wärme  der  Farbe,  welche  Schönheit  der  Model- 
lirung  in  diesem  eigenthümlichen  Licht.  Steer 
ist  eine  der  merkwürdigsten  Erscheinungen  aus 
der  neueren  englischen  Malerschule.    Bald  kommt 


er  mit  Verkürzungen ,  die  selbst  Boldini's  kühnste  Ein- 
fälle überbieten ,  er  malt  eine  umherwirbelnde  Solo- 
tänzerin aus  der  Vogelperspektive  oder  ein  paar 
sitzende  Menschen  von  unten;  und  je  schwieriger  ein 
Beleuchtungsproblem  zu  bewältigen  ist,  desto  mehr  reizt 
es  ihn.  Dann  sucht  er  wieder  so  schlichte  und  ein- 
fache Wirkung  auf,  wie  in  seinem  hier  ausgestellten, 
beinahe  etwas  altmodisch  gehaltenen  Damenportrait. 

Seltsam ,  dass  sich  die  Proteusnatur  gerade  unter 
Künstlern  dieses  Landes  in  so  mannigfachen  Variationen 
vertreten  findet.  Da  ist  auch  Frank  Brangwyn  (London), 
als  Kolorist  bald  geistreich  und  phantastisch,  bald  bizarr 
bis  zur  Grenze  gelinder  Verrücktheit  und  bald  nüchtern 
ernst.  Alle  drei  Phasen  koloristischen  Strebens  berührt 
dieser  Maler  mit  den  drei  Bildern,  die  er  in  den  Glas- 
palast geschickt  hat:  Die  erste  mit  seiner  «Eva»,  die 
zweite  mit  « Blake  vor  Santa  Cruz » ,  die  dritte  mit 
dem  «Seemannsbegräbnis».  Die  vielgeschmähte  und 
vielgemalte  Apfelliebhaberin  Eva  schildert  er  im  Para- 
diesesdickicht unter  lockenden  Früchten  und  zauberisch 
leuchtendem  Pflanzenwerk.  Mit  magisch  heissem  Farben- 
schein ist  ihr  anmuthiger  Körper  übergössen ,  dringt 
doch  das  Licht ,  bevor  es  ihn  berührt ,  durch  so  viel 
Blätter  und  Blumen.  Die  böse  Schlange  mit  dem  Apfel 
ist  auch  ein  wunderschönes  Stück  Paradies  mit  ihren 
herrlichen,  stahlblauschillernden  Farben.  Die  ganze 
sündhaft  schöne,  verlockende  Umgebung  von  Edens 
Garten  bittet  um  Verzeihung  für  die  arme,  erste  Frau, 
die  hier  der  ersten  Versuchung  unterlag.     Das  ist  emi- 


George  Pirie.     .Spielende  Terrier. 


12 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


nent  dichterisch  empfunden.  Das  zahme,  brave  Weib, 
das  mit  der  Etiquette  «Eva»  gewöhnlich  unter  einen 
normalen,  mitteleuropäischen  Apfelbaum  gestellt  wird, 
das  unterläge  in  Wahrheit  der  Versuchung  gar  nicht. 
Aber  diese  sinnenwarme  Frau  hier,  die  inmitten  einer 
unerschöpflich  treibenden  und  üppigen  Natur  sich  auf- 
hält, selbst  die  köstlichste  Frucht  im  weiten  Garten, 
umrankt,  umsprosst,  umblüht  und  umduftet  von  solcher 
Pracht,  die  ist  allerdings  in  Gefahr,  einige  Para- 
graphen des  ersten  Strafgesetzbuches  im  Rausche 
der  allgemeinen  Werdelust  zu  vergessen.  Wie  eine 
Mosaik  aus  farbenschillernden  Steinen ,  aus  Lapis  und 
Jaspis,  sieht  sich  das  «Seegefecht  des  Generals  Blake 
vor  Santa  Cruz»  an,  ein  Bild,  das  sicherlich  nur  um 
eines  kräftig  klingenden  Farbenakkords  willen  gemalt 
ist.  Das  « Seemannsbegräbnis »  ist  wie  von  einer  an- 
deren Hand  geschaffen.  Traurig  und  düster.  Eine 
Trauer  ohne  Pathos ,  eine  Düsternis  ohne  Wildheit. 
So  trauern  Menschen,  welche  die  Todesgefahr  kennen 
aus  stündlichem  Verkehr  mit  ihr,  Menschen,  die  Tag 
um  Tag  die  Sichel  klingen  hören,  mit  welcher  der 
unerbittliche  Schnitter  grüne  und  welke  Halme  mäht. 

An  den  zwei  Pfeilern,  welche  den  englischen  Saal 
der  Ausstellung  von  dem  vornehm  schönen  Raum  für 
Plastik  trennen,  hängen  zwei  Bilder  von  Lourens  Alma- 
Tadema,  dem  feinsinnigen  und  immer  liebenswürdigen 
Friesländer,  der  nun  seit  23  Jahren  in  London  weilt 
und  den  darum  die  englische  Kunst  mit  Recht  —  und 
mit  Stolz  —  den  ihrigen  nennt.  Das  eine  seiner  Bilder 
ist  ein  Portrait  des  Herrn  E.  A.  Waterlow,  den  wir 
auch  als  tüchtigen  Landschafter  und  Genremaler  im 
Glaspalast  kennen  lernen;  wunderbar  korrekt  gezeichnet 
und  gemalt ,  wunderbar  nobel  aufgefasst ,  aber  ein 
Bischen  temperamentarm  gegeben,  wie  die  meisten,  im 
Uebrigen  immer  vorzüglichen  Bildnisse,  die  wir  von 
Alma-Tadema's  Hand  kennen.  Das  zweite  Bild  stammt 
aus  seiner  eigentlichsten  Domäne,  der  Genremalerei  mit 
antiken  Stoffen  und  reichen  stilllebenden  Details,  an 
denen  er  seine  weitberühmte  technische  Virtuosität 
zeigen  kann.  In  einem  antiken  Gemache  ein  Mädchen 
in  schillerndem  Gewand,  das  den  Duft  eines  Rosen- 
strauches einsaugt.  Nicht  eben  neu,  das  Thema,  aber 
das  Ganze  ist  doch  ein  gar  feines  Stück,  eines  von 
den  Bildern,  die  man  «haben  möchte».  Kein  Quadrat- 
zoll auf  dieser  Tafel,  der  nicht  mit  Liebe,  Sorgfalt  und 
seltener  Kunst  gemalt  wäre,    Alles   ist   schön    und    an- 


sprechend ,  die  Stimmung  in  dem  geschmackvoll  aus- 
gestatteten Raum,  die  schmiegsame,  zarte  Gestalt  der 
Frau,  das  Gewand,  die  Rosen,  der  Tischteppich,  — 
alles  Einzelne  ein  Kunststück  und  das  Ganze  doch  ein 
Kunstwerk.  Es  muss  auch  Klein-  und  Feinkunst  geben 
in  der  Malerei  und  so  gerne  wir  in  Ausstellungen  das 
flott  und  gross  Behandelte  betrachten,  auf  solchen  mit 
Behagen  geschaffenen  Bildern  ruht  unser  Blick  nicht 
minder  gerne  aus,  wenn  die  Mache  so  viel  künstlerischen 
Geist  athmet,  wie  die  Tadema's.  Jene  Kleinmalerei 
freilich,  die  heute  sehr  verbreitet,  viel  bewundert  ist 
und  deren  wichtigster  Apparat  in  Wahrheit  aus  einer 
Loupe,  einer  Photographiecamera  und  recht  spitzigen 
Pinseln  besteht,  würde  am  Besten  aus  unseren  Aus- 
stellungen verbannt.  Der  Laie  glaubt  gar  nicht,  wie 
wenig  man  zu  solchen  «Meisterstücken»  Talent  braucht, 
wenn  man  nur  Geduld  hat,  recht  lange  auf  einem  P^leck 
zu  sitzen.  —  Alma  Tadema's  Gattin,  Laura,  ist  be- 
kanntlich ebenfalls  eine  mehr  als  geschickte  Malerin 
und  gleichfalls  im  Glaspalast  vertreten.  «Tout  en 
causant»  heisst  das  charmante  kleine  Genrebild,  das 
sie  ausstellt,  —  zwei  Mädchen  beim  Garnwickeln,  — 
und  das  sie  durch  die  feine ,  tonige  Behandlung  des 
Ganzen,  wie  besonders  auch  durch  die  delikate  Aus- 
arbeitung der  Fleischparthien  als  Schülerin  ihres  Gatten 
erkennen  lässt. 

Dudley  Hardy  hat  sich  seinen  weitgekannten 
Namen  durch  die  grosse ,  wilddramatische  Schilderung 
der  «  Obdachlosen  auf  Trafalgar  Square  »  gemacht.  Mit 
einem  Realismus,  der  das  Herz  manches  zahlungsfähigen 
Moralisten  aus  der  City  erzittern  machte ,  malte  er  die 
Aermsten  von  den  Armen,  die  Ausgestossenen ,  die 
Nichts  hatten  in  kalter  Nacht,  wo  sie  ihr  Haupt  hin- 
legten, Nichts,  als  die  harten,  regennassen  Steinstufen 
des  stolzen  Nelson-Denkmals.  Das  Bild  hat  vielleicht 
packender  gewirkt ,  als  lärmende  Meetings  und  anar- 
chistische Brandreden,  und  hat  wohl  manches  Herz  zu 
thatkräftigem  Mitleid  erschüttert.  Heuer  tritt  uns  der 
Künstler  in  wesentlich  harmloserer  und  bescheidener 
Gestalt  entgegen  und  bringt  nur  etliche  charmant  ge- 
malte Kleinigkeiten,  deren  reizendste  vielleicht  und 
interessanteste  sicher  das  Bildnischen  der  Sarah  Bern- 
hardt sein  mag,  der  schlanken  Tragödin  mit  der  Gold- 
stimme, der  Frau,  die,  trotzdem  sie  an  Reklamewuth 
einem  Barnum  gleichkommt,  trotz  ihres  demonstrativen 
Chauvinismus    und    tausend    Abgeschmacktheiten    ihres 


DIK  KUNST  UNSERER    ZEIT. 


13 


Lebens,  doch  eine  grosse  Künstlerin  ist.  Hardy  bat 
sie  so  extravagant  und  pikant  wie  möglich  aufgefasst 
und  dabei  eminent  bezeichnend:  eine  helmartige  Coiffüre, 
welche  die  Stirn  bis  über  die  Augen  herein  beschattet; 
ein  Schleppgewand,  ohne  Schnitt,  sozusagen,  das  aus- 
sieht, als  sei  es  um  den  Körper  gegossen  und  ihrer 
biegsamen  Gestalt  fast 
einen  schlangenhaften 
Ausdruck  leiht;  eine 
riesenhafte  Tüllschleife 
unter  dem  Kinne,  die 
bekannten  langen  Hand- 
schuhe, —  alles  was 
an  äusserer  Ausstattung 
zur  Sarah  gehört. 

Und  das  Wenige,  was 
diese  Ausstattung  von 
dem  geistreichen  ner- 
vösen ,  reizbaren  und 
reizvollen  Gesicht  übrig 
lässt,  ist  vorzüglich  ge- 
troffen. 

Neben  fünf  oder  sechs 
kleinen  Oelbildern  hat 
Dudley  Hardy  eine  Un- 
zahl von  Handzeich- 
nungen für  Illustrations- 
zwecke nach  München 
geschickt,  darunter  eben- 
falls ein  Bildnis  der  fran- 
zösischen Tragödin. 

Dieses  Dutzend  von 
Illustrationen  und  Karri- 
katuren ,  die  ein  bedeu- 
tender englischer  Malei 
für  Zeitschriften  fertigte, 
ist  sehr  charakteristisch 
für  englische  Kunst.     Viele  von  den  allerersten  Kräften 


G,  P.  yacomb  Ilood.     Hexentanz. 


der  Hand  liegenden,  vortheilhaften  Einfluss  auf  die 
Kunst  selbst.  Auf  welchem  Niveau  steht  z.  B.  dem 
«Graphic»  oder  der  «Illustrated  London  News»  oder 
dem  «Punch»  gegenüber  in  künstlerischer  Beziehung 
die  Mehrzahl  der  illustrirten  deutschen  Familienjournale.? 
Das    ganze    Ausland,    das    die    deutsche    Kunst    sonst 

durchweg  achtet,  spottet 
über  diese  künstlerische 
Tageskost  des  deutschen 
Publikums. 

Und  die  Leute,  Bes- 
seres zu  machen,  hätten 
wir  wahrhaftig,  wie  die 
Künstlerarmee  der  «Flie- 
genden »  und  der  arti- 
stische Generalstab  eini- 
ger weniger  anderen  Zeit- 
schriften beweist. 

Seltener ,  aber  dann 
meist  mit  glücklichem 
Griff  behandeln  die  Eng- 
länder das  eigentliche 
« Genre » ,  —  ein  herr- 
liches ,  deutsches  Wort 
für  einen  Begriff,  der 
nirgend  mehr  zu  Hause 
ist,  als  gerade  bei  uns. 
Eine  von  diesen  Aus- 
nahmen und  einer  von 
diesen  glücklichen  Griffen 
ist  Thomas  Hunt's  köst- 
liches Bildchen  «Nur  we- 
nige Worte».  Ein  weiss- 
haariger  Tischredner  ist 
bei  einer  Tafel  aufge- 
standen, um  «wenige 
Worte  »  an  die  verehrten 


Festgäste  zu  richten.  Es  ist  sicher  was  Liebes,  was 
arbeiten  dort  für  illustrirte  Journale,  die  sie  brillant  der  Alte  sagt,  denn  ein  Ausdruck  rührenden  väter- 
bezahlen,  und  ihnen  damit  die  Möglichkeit  schaffen,  hohen  Wohlwollens  leuchtet  aus  seinem  Gesicht.  «Nur 
im    Uebrigen    freier    und    unbehinderter     ihren     reinen      wenige   Worte,    —    aber   von   Herzen»,    so   geht   wohl 


künstlerischen  Idealen  nachzugehen.  Das  hat  einen 
hervorragend  günstigen  Einfluss  auf  die  Entwicklung 
des  öffentlichen  Kunstgeschmacks,  der  sich  nicht  zum 
kleineren  Theile  an  den  um  wenige  Pence  käuflichen 
bildergeschmückten  Zeitschriften   bildet    und    einen    auf 


seine  Rede  an.     Ob  er  Wort  hält.?     Mich  dünkt,  er  sei 
in  der  Stimmung,  doch  etwas  breiter  zu  werden. 

Und  welch    ein  freundliches   herzgewinnendes  Bild- 
chen  ist  auch  John  Mac  Lurc  Hamiltons  « Lesestunde  y 
Ein   blondlockiger  Bube   erhält  von   seiner  Mutter   oder 


14 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT, 


älteren  Schwester  Lesestunde  —  aber  nicht  in  dumpfer 
Schulstube,  sondern  im  Freien  unter  einem  grünen  Baum 
auf  der  Gartenbank.  Die  Genrebilder,  die,  wie  dies. 
keine  lange  Erklärung  geben  oder  brauchen,  sprechen 
am  Meisten  an.  Ein  Werk  des  gleichen  Malers  «Beim 
Getreide»  führt  uns  einen  Alten  vor,  der  Maiskolben 
von  ihren  langen  Schäften  löst.  Eine  interessante  Greisen- 
gestalt —  einer  von  den  alten  Männern,  von  denen  man 
sich  gerne  Geschichten  erzählen  lässt.  Hamilton's  drittes 
Bild  stellt  einen  be.sondern  alten  Herrn  dar  —  es  ähnelt 
dem  Konterfei  W.  E.  Gladstones,  das  Hamilton  1891  in 
der  Royal  Academy  au.sgestellt  hat 

G.  P.  Jacomb  Hood's  «Hexentanz»  athmet  eine 
Wildheit  der  Phantasie,  die  eigentlich  gar  nicht  mehr 
recht  englisch  ist.  Auf  irgend  einem  steinigen  Plateau, 
aus  dessen  Bodenspalten  glühende  Dünste  aufsteigen, 
steht  eine  nakte  Hekate,  den  Mantel  von  sich  schwingend, 
einen  Stab  in  der  Hand,  um  den  eine  Schlange  sich 
ringelt.  Und  um  sie  in  gespenstischem  Ringelreihen 
tanzen  die  Hexen,  luftig  gewandet.  Phantastische  Schlag- 
schatten fallen  in  den  Kreis  herein  und  künden  von 
jenen  am  Ringelreihen  betheiligten  Damen,  die  im 
Rahmen  nicht  mehr  Platz  gefunden  haben.  Grelles 
Mondlicht,  oder  irgend  ein  Schein  aus  magischer 
Lichtquelle  beleuchtet  den  Hexensabbath,  der  übrigens 
mehr  an  eine  classische  Walpurgisnacht,  als  an  eine 
germanische   Blocksbergredoute  erinnert. 

«Blau  und  Gold»  heis,st  ein  kleines,  allerliebstes 
Bildchen  des  gleichen  Malers,  womit,  der  Manier 
der  Whistlerschule  folgend,  statt  des  eigentlichen 
Vorwurfs  die  beiden  Grundtöne  bezeichnet  sind,  auf 
welche  der  Kolorist  das  Bild  gestimmt  hat.  Manier, 
wie  angedeutet  ist's  freilich,  und  bedeutet  noch  dazu 
Etwas,  was  eher  abstösst  als  anzieht.  Die  Maler  werden 
sich  kein  Publikum  ziehen  können,  welches  sich  für  den 
Farbenklang  als  solchen  früher  interessirte,  als  für  das 
Dargestellte.  Auch  der  Komponist  schreibt  nicht  X-moll 
oder  Y-dur  über  seine  Kompositionen,  sondern  er  setzt 
■einen  Titel  davor,  der  wenigstens  sagt,  in  welche  Kategorie 
der  Tondichtung  sie  gehören.  Die  « Stimmungen  in 
Rosa  und  Silber»  und  die  «Symphonie  in  Apfelgrün» 
sind  Modethorheiten  —  wie  viele  Thorlieiten ,  auf- 
gebracht von  einem  überlegenen  Geist,  der  sich  solche 
Absurditäten  gestatten  durfte  und  ihnen  Reiz  lieh  durch 
seine  Persönlichkeit.  Aber  die  Nachahmung  lässt  das 
abgeschmackt    erscheinen,  was  vordem    nur  bizarr  war. 


P.    Wilson  Slcer.     Jonquille. 

Neben  ausserordentlich  vielen  Namen  dieser  Gruppe 
finden  wir  im  Ausstellungskatalog  als  Heimathort  Glas- 
gow angegeben,  und  es  sind  wahrhaftig  nicht  die 
schlechtesten  Maler,  die  dorther  stammen.  Nur  einige 
wenige  davon  allerdings  gehören  direkt  der  bekannten 
Gruppe  von  zehn  oder  zwölf  kraftvollen  Koloristen 
an,  die  sich,  stolz  und  bescheiden  zugleich  die  « Boys » 
nennen.  Viele  aber  stehen  indirekt  unter  dem  Einflilss 
dieser  Schule ,  deren  bezeichnende  Eigenschaften  sich 
gerade  bei  einigen  Nachahmern  bis  zur  Uebertreibung 
auswuchsen,  wie  z.  B.  bei  J.  R.  Murray,  der  an 
koloristischen  Knalleffekten  in  der  Thät  das  Menschen- 
mögliche leistet  —  aus  aller  Extravaganz  spricht  aller- 
dings doch  immer  ein  seltenes  Farbentalent.  Massvoller 
und  edler  finden  wir  die  Einflüsse  der  neuen  Glasgower 
Schule  bei  den  Schotten  Harry  Spence  und  William 
Macbride  verarbeitet.  Von  herzerhebender  Frische  ist 
des  Ersteren  normannisches  Küstenbild  mit  den  plaudern- 
den Kindern,  von  idyllischer  Lieblichkeit  sein  «  Pastorale  »  ; 
auch  Macbride  hat  ein  solches  Hirtenidyll  gemalt,  welches 
demjenigen  Harry  Spence's  an  Auffassung  und  Farbe, 
sogar  an  Format  sehr  ähnlich  sieht.  Eine  mächtige 
Handschrift  schreibt  Grosvenor  Thomas,  von  dem  wir 
ebenfalls  ein  «Pastorale»,  eine  wirkungsvolle  Landschaft 
und  ein  entzückendes  Blumenstillleben  sehen ;  mit  einem 
vierten  «  Pastorale  »  und  einem  lyrisch  zart  empfundenen 
«Mondaufgang»  ist  Macaulay  Stevenson  angerückt,  viel- 
leicht   die    reinste  Dichternatur  unter  den  Schotten ;    an 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


15 


ihm  lässt  sich  übrigens  der  starke  Einfluss  noch  am 
Klarsten  erlcenncn,  welchen  die  Meister  von  Rarbizon 
auf  die  merkwürdige  schottische  Künstlergruppe  geübt 
haben.  Ein  Tlicil  von  ihnen  scheint  sich  aus  der  Ge- 
gend von  Fontaineble.'ui  auch  jetzt  noch  seine  Motive 
zu  holen,  so  stellt  E.  Shervvood  Calvert  eine  aller- 
liebste duftige  kleine  Stimmungslandschaft  «Ebene  von 
Barbizon»  aus  und  einen  poetischen  «Mondaufgang»  mit 
jenen  charakteristischen  Heuschobern,  die  Mille  und  seine 
Genossen  so  gerne  auf  ihre   Bilder  brachten. 


Ranges  offenbart  sich  der  Edinburgher  Mason  Huntcr 
in  einem  fabelhaft  Hott  bewegten  Regattabild  von  Loch 
Tyne  und  eine  Sommer-Zwielichtstimmung  bei  Tarbert 
Castle  von  geradezu  magischem  Reiz.  Bilder  wie  das 
Letztere  sind  fast  für  eine  Ausstellung  zu  gut,  d.  h.  ihre 
intime  Schönheit  kommt  dort  nie  voll  zur  Geltung. 

Archibald  Kay ,  J.  Kerr  Lawson ,  Stuart  Park 
—  ebenfalls  drei  schöne  Farbentalente ,  auf  deren 
Vorzüge  im  Einzelnen  einzugehen  der  Raum  hier 
leider  nicht  gestattet. 


Harry  Spence.     An  der  nonnaniiischeu  Küste. 


Fast  unheimlich  grandios  wirkt  J.  Denovan  Adam's 
«Heimkehr  vor  dem  Sturm»,  eine  Viehherde,  die  vor 
dem  Ausbruche  eines  Gewitters  nach  Hause  getrieben 
wird.  Die  flüchtige,  fast  hastige  Art  der  Malerei  passt 
vortrefflich  zu  dieser  unruhigen  Stimmung  in  der  Natur, 
der  verderbenschwangere  Wetterhimmel  könnte  nicht 
besser  dargestellt  sein.  Gleich  unbändige  Kraft  spricht 
aus  den  Arbeiten  von  Alexander  Frew,  von  dem  eine 
tiefblaue  grosse  Marine  und  eine  schottische  Weide- 
landschaft mit  blühenden  Ginsterbüschen  zu  sehen  sind. 
Frew  liebt  starke  Farben,  aber  nicht  so  starke  Kontraste 
wie  viele    seiner   Landsleute.      Als    Wassermalcr   ersten 


Macgregor  Wilson  (Glasgow)  gehört  zu  jenen  britti- 
schen  Malern ,  die  uns  Abendländern  gelegentlich  von 
den  Herrhchkeiten  des  fernsten  Ostens  erzählen.  Das 
rosenberühmte,  sagenumwobene  Schiras  in  Persien  und 
eine  « armenische  Prozession  in  Julfa » ,  im  gleichen 
Lande  hat  er  mit  südlicher  Gluth  der  Farbe  gemalt. 
Vom  Gleichen  ist  auch  ein  geschmackvolles  Damen- 
portrait  in  ganzer  Figur.  Aus  dem  Portraitfache  sind 
ferner  noch  rühmlichst  zu  erwähnen:  Theodor  Roussel's 
(London)  Bildnis  des  geistreichen  Marinemalers  B.  Sickert 
und  ein  anziehender  weiblicher  Studienkopf  im  Profil; 
Prinz  Pierre  Troubetzkoy's  lebendiges,   wenn  auch  bei- 


16 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


nahe  bis  zur  Scherzhaftigkeit  charakterisirtes  Konterfei 
des  Sir  John  Day,  und  Joseph  Henderson's  fleissig  ge- 
maltes, aber  etwas  nüchternes  Portrait  eines  brittischen 
Grossmeisters  der  Freimaurer.  Noch  zwei  andere 
«  Henderson  »  kennt  der  Katalog  der  Ausstellung.  Von 
dem  einen,  Joseph,  ist  ein  farbenreiches  Chrysanthemum- 
stillleben zu  sehen,  von  dem  andern,  Morris,  ein  grosses 
Heuerntebild  von  guter  dekorativer  Wirkung,  wenn  auch 
nicht  von  grosser  Intimität. 

Schottland  zählt  übrigens  eine  grosse  Zahl  eminenter 
Landschafter,  welche  nicht  zur  Palette  der  Boys  ge- 
schworen haben.  Der  Ersten  einer  ist  B.  Docharty, 
ein  Naturtalent  vornehmsten  Ranges,  der  scharf  sieht 
und  das  Gesehene  wiedergibt  ohne  Phrase,  ohne  tech- 
nische Bravourstücke,  aber  unendlich  wahr  und  darum 
immer  poetisch.  Denn  die  Natur  ist  immer  schön,  so 
unsäglich  schön,  dass  einer,  wenn  er  ein  Stück  ununter- 
brochene Sandwüste  und  wolkenlosen  blauen  Himmel 
darüber  malen  könnte,  wie  es  sich  wirklich  seinen  Blicken 
zeigt,  allen  übrigen  Landschaftern  der  Erde  an  Poesie 
noch  weit  voraus  wäre.  Wer,  was  die  Landschaft  betrifft, 
davon  spricht,  dass  das  unbedingte  Abschreiben  der 
Natur  der  Kunst  nicht  würdig  sei,  der  kennt  die  Natur 
nicht  und  hat  sie  nicht  lieb.  Aber  mit  heissem  Bemühen 
muss  sie  der  Abschreiber  in  ihre  intimsten  Reize  ver- 
folgen und  was  die  Schönredner  idealisiren  heissen ,  ist 
eben  nichts  Anderes  als  verstehen.  Die  Natur  idealisiren! 
Das  Meer  färben,  die  Veilchen  parfümiren,  und  die 
Bäume  «  malerisch  »  zustutzen  I  Die  neuzeitliche  Land- 
schaftsmalerei aller  Länder  hat  mit  dieser  Katheder- 
phrase gründlich  gebrochen  und  jeder  Stümper  weiss, 
dass  das,  was  der  Beste  nie  erreichen  kann,  auch  nie 
Einer  verbessern  werde. 

Docharty  steht  unserer  deutschen  Landschaftsmalerei 
merkwürdig  nahe.  Da  hat  er  einen  «Abend  am  Fluss» 
gemalt,  ein  Bild  von  satten,  tiefen,  reichen  Farben,  von 
wundersamer  Ruhe  und  Ernsthaftigkeit,  ein  Bild,  unter 
dem  eben  so  gut  der  Name  irgend  eines  recht  tüchtigen 
Münchners  stehen  könnte.  Oder  der  « Herbstabend » 
mit  der  goldbelaubten  grossen  Eiche  im  Vordergrunde, 
ist  das  nicht  wie  eine  deutsche  Landschaft?  Oder  der 
€  Hagedorn»,  dessen  blüthenübcrschncite  Aeste  aus  der 
Dämmerung  leuchten  ?  Als  wäre  er  von  gleicher  Hand 
gemalt ,  .sieht  uns  des  Edinburghers  William  Milne 
«Obstgarten  in  derHlüthe»  an.  Ein  wahres  Feuerwerk 
von  weissen  und  rosenfarbigen  Blüthen,  eine  Frühlings- 


symphonie —  ohne  Worte,  hätt'  ich  bald  gesagt,  — 
weil  in  dem  Bild  nichts  anderes  wirkt,  als  der  Frühling 
selbst,  kein  episodisches  Beiwerk  irgend  welcher  Art. 
Eine  Führerrolle  unter  den  schottischen  Malern 
älterer  Richtung  hat  A.  K.  Brown  in  Glasgow  inne,  ein 
eleganter  und  hochstrebender  Landschafter,  der  vielleicht 
etwas  zu  viel  braune  Töne  und  etwas  zu  wenig  reine 
Farben  auf  der  Palette  hat,  aber  erstens  ein  Landschafts- 
zeichner von  ungewöhnlichem  Können  ist  und  ferner  in 
der  Wahl  seiner  Vorwürfe  und  Stimmungen  einen  selten 
feinen,  geläuterten  Geschmack  entwickelt.  Seine  Ansicht 
des  Gare  lock  in  Schottland  in  dunstiger  grauer  Stimmung 
und  herbstlicher  Oede  hat  die  Münchener  Pinakothek 
erworben.  In  jedem  seiner  Bilder  sagt  er  Anderes  und 
jedes  Mal  sagt  er  es  schön.  Wie  gut,  dass  es  in  unserer 
kampflustigen  Kunstepoche,  wo  sich  die  Gegensätze  so 
scharf  ausprägen,  solche  Erscheinungen  gibt,  die  beweisen, 
wie  wenig  im  Grunde  Richtungen  und  Strömungen, 
Schlagworte  und  Parteien,  wie  wenig  die  Frage,  ob 
alt  oder  jung.  Jene  angeht,  deren  Kunst  echt  ist.  Unrecht 
haben  nur  zwei  Gruppen:  auf  der  einen  Seite  Die,  welche 
als  laudatores  temporis  acti,  unlustig  und  unfähig  weiter 
zu  streben,  mit  gieriger  Leidenschaft  sich  gegen  alles 
Neue  wehren,  aus  Todesangst,  sie  könnte  ihre  warmen, 
bequem  und  billig  erworbenen  Stühle  an  Bessere  abgeben 
müssen ;  auf  der  anderen  Seite  Jene,  welche  im  Kiel- 
wasser mächtig  vordringender  Fortschrittsbewegungen 
unfrei  und  nachahmend,  genialthuerisch  und  reklame- 
süchtig mitschwimmen,  um  vielleicht  nach  kurzem, 
erborgten  Glanz  rettungslos  unterzutauchen  in  der  Fluth 
der  Zeit.  Es  ist  oft  schwer,  die  Ersteren  von  den 
berufenen  Hütern  des  Erworbenen  und  die  Letzteren 
von  überschäumenden,  bahnbrechenden  Talenten  zu 
scheiden  —  schwer,  wenn  man  nicht  Zeit  hat,  ein  paar 
Jahre  zuzusehen.  Dann  freilich  verschwinden  die  Einen 
wie  die  Andfcrn  und  nur  der  Bleibende  hat  Recht.  Wie 
oft  mag  der  Kampf,  der  heute  die  Gemüther  erhitzt, 
im  Laufe  der  Kunstgeschichte  ausgefochten  worden  sein  r 
Die  Namen  waren  anders  blos,  doch  waren  es  dieselben 
Helden  lobebraven !  Von  Buonaroti  bis  Adolf  Menzel 
ist  wohl  jeder  grosse  Maler,  als  er  auftrat,  als  Ketzer 
verschrieen  worden  —  und  von  Adolf  Menzel  bis  auf 
Buonaroti  zurück  hat  sicher  auch  jeder  grosse  Maler, 
wenn  er  den  Zenith  seiner  Schaffenskraft  erreicht  hatte, 
die  vor  ihm  auftauchenden  neuen  Erscheinungen  mit 
Misstrauen  und  oft  mit  Groll  betrachtet  und  gelegentlich 


K-   Watts  piux. 


Phot.   F,   Hanfslaengl,   Müiirtu' 


Leben    und   Liebe, 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


17 


G.  /■'.    IVatts.     Cardinal  Manning. 


auch  bekämpft.  Gewiss  aus  edlen  Motiven,  was  die 
wahrhaft  Guten  angeht  —  aber  keiner  von  den  Alten 
hat  bei  Beurtheilung  der  Jungen  sich  voll  daran  erinnert, 
dass  er  auch  einmal  ein  verketzerter  Junge  war.  Und 
keiner  von  den  Jungen  erinnert  sich  hinreichend  daran, 
dass  auch  er  einmal  ein  Alter  sein  und  sich  gegen  die 
Zumuthung  wehren  wird,  er  möge  so  freundlich  sein, 
sich  ins  alte  Eisen  zu  begeben. 


In  die  gleiche  Gruppe  wie  A.  K.  Brown  gehört 
Robert  M.  Coventry  mit  seiner  schönen  Ansicht  des 
Loch  Ard  und  David  Fulton,  der  zwei  farbenreiche 
Herbststimmungen  gemalt  hat  mit  kühler,  feuchter  Nebel- 
luft, die  alle  Formen  weich  erscheinen  und  keine  Farbe 
zu  vollem  Glänze  kommen  lässt.  Ein  hervorragender 
Landschaftsmaler  ohne  Frage,  ein  feines,  sympathisches 
Talent,  das  von  jeder   gröberen  Wirkung  absieht.     Die 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Neigung  zu  einer  wehmüthigen  Stimmung,  zu  einer 
gewissen  Empfindsamkeit  ist  vielen  englischen  Land- 
schaftern gemeinsam  und  charakteristisch  ist  dafür,  dass 
Zahlreiche  von  ihnen  jede  belebende  Staffage  ver- 
schmähen und  die  Natur  allein  sprechen  lassen.  Solche 
ernste,  man  möchte  sagen,  thränenfeuchte  Stimmung 
athmet  W.  J.  Laidlay's  grosse  Marschenlandschaft  im 
dämmerigen  Lichte  eines  Mondaufgangs  und  Arnesby 
Browns  herbstliches  Sumpfbild  mit  einem  Föhrenwäldchen 
stimmt  ähnlich  zu  stiller,  ernster  Selbsteinkehr.  Des- 
gleichen beseelt  diese  Poesie  der  Verlassenheit  William 
Dickson's  Strandbild,  so  hell  und  freundlich  dessen 
Farben  sind  Einsames  Wasser  macht  uns  immer  ge- 
dankenvoll, heranrollende  und  zerstobende  und  wieder 
zurückrollende  Wellen  sind  zu  sehr  ein  Bild  unseres 
Seins,  als  dass  sie  nicht  von  Jedem  schmerzlich  als 
solches  empfunden  werden  sollten,  der  ein  Ohr  hat  für 
die  Sprache  und  Weisheit  der  Schöpfung.  Alfred  East 
mit  seinem  «Land  zwischen  den  Seen»  gehört  auch 
in    diese    Katesforie    der   Melancholiker.      Er    malt    den 


Jolin  Mc/.ure  Hamilton.     Lesestunde. 


Herbst,  der  an's  Sterben  mahnt,  er  malt  die  Ein- 
samkeit, die  Sehnsucht  nach  Menschen  wachruft,  nicht 
die  Einsamkeit ,  die  erfri.scht.  Eine  unverhältnismässig 
grosse  Zahl  von  englischen  Malern  scheint  die  Lyrik 
der  fallenden  Blätter  zu  fes.seln.  Das  ist  hoffentlich 
kein  Zeichen  vom  Altern  ihrer  Kunst,  sondern  nur 
eine  Folge  davon,  dass  der  trüben  Tage  im  Inselreich 
mehr  sind,  als  der  hellen  und  farbenfreudigen. 

Immer  freundlich  ist  Alfred  Parsons.  Er  liebt 
grüne  Wiesen  und  blühende  Bäume,  er  liebt  das  ge- 
sunde Element  der  farbenfrischen ,  englischen  Land- 
schaft, die  eine  Dürre  kaum  kennt,  er  ist  der  Maler 
der  Gärten,  ergötzt  sich  an  den  pittoresken  Formen 
der  Obstbäume  und  ist  einer  der  geschicktesten  Tech- 
niker, die  man  sich  denken  kann.  Zwei  in  ihrem 
Charakter  einander  sehr  verwandte  Landschäftchen 
Parsons'  hängen  in  der  Glaspalast-Ausstellung  neben- 
einander, ein  Aquarell  und  ein  Oelbild.  Wer's  nicht 
zufällig  weiss,  kommt  auch  wohl  nicht  darauf,  dass  er 
hier  zweierlei  Techniken  vor  sich  hat.  In  einem  etwas 
grösseren  Bilde  zeigt  er  uns  den  Garten  eines  reichen 
englischen  Hauses  mit  Apfelbäumen  im  vollen  Blust 
und  einem  blühenden  Tulpenbeet.  Die  Kunst  von 
Alfred  Parsons  hat  etwas  merkwürdig  zurückhaltend- 
vornehmes, so  was  vom  F"lirt,  bei  dem  man  schöne 
Dinge  sagt,  —  aber  nicht  laut. 

Ein  paar  höchst  lebendige  Genrebilder,  «Der 
neueste  Skandal»  und  «Ein  Span  vom  alten  Klotz», 
stellt  Miss  Flora  Reid  aus,  eine  Schwester  von  John 
Robertson  Reid ,  einem  Schotten ,  der  ein  leidenschaft- 
licher Kolorist  wie  die  meisten  seiner  Landsleute,  im 
Gegensatz  zu  diesen  seine  Palette  auf  Dur,  nicht  auf 
Moll  gestimmt  hat.  Starke ,  oft  brennende  Farben,  — 
aber  wie  gesagt,  meist  hart,  nicht  weich.  Flora  Reid 
hat  sich  die  Farbenskala  und  den  Vortrag  ihres 
Bruders  so  sehr  angeeignet  und  kann  so  viel,  dass 
ihre  Bilder  von  den  seinigen  nur  schwer,  oder  nicht 
zu  unterscheiden  sind.  Wellwood  Rattray  entstammt 
augenfällig  der  gleichen  Schule.  Es  sieht  sich  das 
schon  stark  aus  seiner  ganz  auf  blaue  Töne  gestimmten 
Küstenlandschaft  «Abend  auf  der  Insel  Arran»,  unver- 
kennbar wird  es  in  seinem  anderen  Uferbild,  «Proviant 
für  die  Cabine». 

Nur  ein  Thiermaler  von  Bedeutung  hat  ausgestellt, 
George  Pirie  aus  Glasgow,  und  zwar  zwei  Hundebilder, 


Q.  r,  Watts  ptnx. 


Phot.  F.  aanr»taen|[I,  Mttnchen. 


Der  Tod   krönt   die   Unschuld. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


19 


die  nicht  nur  ausserordentliche 
malerische  Kunst,  sondern  auch 
das  liebevollste  Studium  der 
.Thierseele  voraussetzen  lassen. 
Wie  köstlich  sind  seine  «spiel- 
enden Terriers»  beobachtet,  wie 
wundervoll  echt  seine  «jungen 
Hunde  »  mit  ihrem  dummscheuen 
Wesen  und  ihrer  ungelenken 
Figur ! 

Henry  Herbert  La  Thangue 
hat  ein  Mädchen  gemalt,  das 
an  heissem  Sommertag  einse- 
schlafen  auf  dem  Felde  liegt 
und  von  Schnittern  so  gefunden 
wird.  Die  schwüle  Stimmung, 
die  Gestalt  des  jungen  Weibes, 
jedes  übrige  Detail  des  Bildes 
ist  seiner  malerischen  Qualität 
nach  über  jedes  Lob  erhaben, 
ja  in  dieser  Hinsicht  kann  man 
das  Bild  den  Perlen  der  eng- 
lischen   Abtheilung    beizählen. 


5,«*  't 


Dudley  Ifanly.     Mme-   Sarah  Bernhardt. 


einem  Tümpel,  die  Schnauze  in 
die  trübe  Fluth  getaucht.  Eine 
kleine  Tragödie  für  arme  Leute. 
Das  Ganze  spielt  bei  einbrech- 
ender Dämmerung ,  —  hinter 
den  Föhren  steigt  eben  der 
Mond  herauf  Der  Tritt  des 
Mädchens  im  knisternden  Röh- 
richt hat  Raben  aufgescheucht, 
welche  den  Kadaver  des  ver- 
endeten Thieres  als  gute  Beute 
aufgesucht  hatten.  Ein  einge- 
gangenes Schaf,  —  nichts 
weiter!  Und  doch  eine  ganze 
Geschichte  von  Noth  und  Ver- 
schmachten, von  Vereinsamung 
und  Trauer.  Recht  harmlos, 
aber  ganz  hübsch  ist  Otto 
Scholderer's  «Junger  Wilddieb», 
ein  Verbrecher,  dem  man  nur 
um  seiner  treuherzigen  Augen 
willen  zu  wenig  böse  sein  kann. 


Morley  Fletcher's  « Die  Liebe  höret  nimmer  auf» ,  ein 
Nachtstück  von  anscheinend  hochpoetischem  Inhalt  ist 
leider  nicht  recht  wohl  verständlich:  eine  gekrönte 
Frau  beugt  sich  über  eine  Wiege,  eine  zweite  Gestalt 
aus    dem    Bilde    allein    ist    nicht    gut 


Und  doch  stört  etwas 
daran:  das  Pathos  des  Vortrages  steht  in  einem  ge- 
wissen Missverhältnis  zum  Inhalt.  Tant  de  bruit  pour  une 
Omelette!  Ein  eingeschlafenes  Bauernmädchen,  —  und 
darum  lebensgrosse  Figuren?  Wir  beobachten  an  der  kauert  davor, 
Wirkung    dieses    Hildes,    was    uns    im    Leben    oft    vor-      klug  werden. 

kommt,    was   wir   auch   im   Theater   häufig   genug    be-  Die    englischen    Graphiker    sind    auch    in    diesem 

obachten  können:  dass  irgend  eine  gleichgültige,  unbe-  Jahre  im  Glaspalaste,  wie  schon  früher,  die  weitaus 
strittene  oder  bekannte  Sache  mit  gehobener  Stimme  besten  ihrer  Sparte,  wenn  wir  uns  auch  leider  ver- 
pathetisch vorgetragen,  alles  Interesse  verliert,  ja  bei-  sagen  müssen,  im  Einzelnen  auf  ihre  Leistungen  ein- 
nahe komisch  wirken  kann,  während  wir  sie  im  ruhigen 
Geschäftston  ganz  gerne  anhören  würden.  Der  Aus- 
erwählte freilich  kann  dafür  auch  einmal  eine  schlichte 
alltägliche  Geschichte  so  erzählen,  dass  sie  rührend 
zum  Herzen  spricht.  So  i.st  es  mit  E.  W.  Grier's 
schönem  Hirtenbilde  « Verloren » ,  das  1 890  in  Paris 
eine    Medaille    errang.      Es    ist    Abend.      In    einer    mit 


zugehen.  Plastiker  sind  weniger  zahlreich  vertreten : 
Ausser  Watts'  schöner  «Klytia»  ist  namentlich  E.  0ns- 
low  Ford 's  berühmtes  Shelley-Monument  zu  nennen. 
Ein  herrliches  Meisterwerk  ist  die  Gestalt  des  toten 
Jünglings,  realistisch  wahr  und  dabei  vom  edelsten 
Fluss  der  Linien.  Ziemlich  conventioneil  ist  dafür  die 
trauernde  Muse  ausgefallen ,  welche  den  unglücklichen 
Dichter  beweint.  Etliche  süperbe  Kleinigkeiten  steuerte 
Mädchen,  ein  halbverwildertes,  halbreifes  Ding,  seine  der  Maler- Bildhauer  John  Swan  (London)  bei,  die 
Lämmer  zur  Weide  getrieben.  Sie  trägt  ein  wenige  Statuetten  eines  Tigers  und  eines  Panthers,  in  Charak- 
Tage  altes  Lämmchen  im  Arm  und  ist  auf  der  Suche  tcristik  und  Bewegung  eben  so  ausgezeichnet  gesehen 
nach  der  Mutter  des  zierlichen  kleinen  Thieres.  Sie  als  gegeben.  Ein  Thierbildhauer,  den  man  getrost  mit 
sucht    und    findet:    verendet    liegt    das    Mutterthier    an      Fremiet    und    Cain    in    eine    Reihe    stellen    darf     Ver- 


hohem   Riedgras    bewachsenen    Moorgegend     hat     ein 


3* 


20 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


schiedene  Handzeichnungen  Swan's  verrathen,  dass  der 
Künstler  seine  Modelle  nicht  blos  im  Runden,  sondern 
auch  fleissig  und  verständnisvoll  der  Linie  nach  studirt. 
Schliesslich  sei  noch  der  Auszeichnungen  gedacht, 
welche  an  englische  Künstler  gelegentlich  der  heurigen 
Jahresausstellung  im  Glaspalast  ertheilt  wurden:  Die 
grosse  goldene  Medaille  erhielten:  G.  F.  Watts  in 
London  und  J.  Denovan-Adam  in  Stirling;  die  kleine 
goldene  Medaille:  A.  K.  Brown  (Glasgow),  Macaulay 
Stevenson    (Glasgow),    Alfred    Parsons    (London);    für 


Plastik :  Onslow  Ford  die  erste  Medaille ;  für  Graphic : 
H.  W.  Batley  (London)  und  C.  O.  Murray  (London) 
die  zweite  Medaille. 

Wenn  Kollektivauszeichnungen  für  ganze  Gruppen 
vertheilt  würden,  so  hätte  die  Abtheilung  der  Eng- 
länder heuer  im  Münchener  Glaspalast,  deren  Zu- 
standekommen der  umsichtigen  und  von  rein  künstler- 
ischem Standpunkte  ausgehenden  Thätigkeit  des  Malers 
Max  Nonnenbruch  zu  danken  ist,  sicher  die  erste  An- 
wartschaft darauf  gehabt. 


C 

00 

+-> 
c/5 


i 


Arnold  Böcklin. 


EINE  STUDIE 


VON 


FRANZ    HERMANN    MEISSNER. 


ür  die  psychologi- 
sche wie  historische 
Betrachtung  der 
Kunstgeschichte  gibt  es 
kein  interessanteres  Phä- 
nomen als  diejenige  Künst- 
lerpersönlichkeit, welche 
inmitten  einer  ruhigen,  in 
kleinen  Differenzen  gehen- 
denEntwicklung  sich  plötz- 
lich als  ein  neues  und 
vollkommen  ausgestaltetes 
Prinzip  erhebt:  denn  in 
jener  Hinsicht  bildet  sie 
wohl  die  glänzendste  Illu- 
stration für  die  mensch- 
liche Schöpferkraft,  welche 
in  vereinzelten  Individuen 
deren  geheimnisvolles  In- 
nenleben zu  einem  ganzen 
Weltgefüge  gleichsam  aus- 
zugestalten vermag,  voll 
Gesetzmässigkeit  nach  der 
Analogie    der    sichtbaren 

Erscheinungen,  —  hier  aber  im  Zusammenhang  mit 
Vergangenheit,  Gegenwart,  Zukunft  gibt  sie  gewichtige 
Aufschlüsse  über  das  Nervensystem  des  Werdegesetzes, 
weil  in  ihr  als  einem  festen  Kern  inmitten  der  Ideen- 
welt einer  Zeit  alle  Fäden  zu  einem  neuen  Gebilde  zu- 
sammen laufen.  — 


Arnold  Böcklin.     Selbstbildniss. 


Alle  Bahnbrecher  und 
Häupter  innerlich  ausge- 
reifter Zeitabschnitte  sind 
Persönlichkeiten  dieser 
Art:  mit  einer  abgeschlos- 
senen Reihe  von  Vor- 
stellungen und  Formen 
erheben  sie  sich  plötzlich, 
in  wachsender  Reife  durch- 
dringen sie  ihre  sich  lang- 
sam zu  ihnen  bekehrende 
Zeit  und  bestimmen  damit 
in  einer  Art  von  Tyrannis 
den  Weg  der  Weiter- 
bildung. Phidias,  Michel 
Angelo,  Giorgione,  Rem- 
brandt ,  Rubens ,  Millet, 
Menzel  stehen  als  Riesen- 
denkinale  menschlicher 
Freiheit  in  Vergangenheit 
und  Gegenwart,  als  Quel- 
len gewaltiger  Entwick- 
lungen über  Jahrhunderte 
hinweg,  —  indess  bei  den 
von  der  eigenen  Zeit  fast  regelmässig  höher  geschätzten 
grossen  Talenten  die  übernommenen  Richtungen  zu  Ende 
geführt  werden  und  absterben. 


Vielfach  verzweigt   sind   die  Ströme  und  stark ,    in 
welchen    der    künstlerische  Wellenschlag    unseres  Jahr- 


NB.     Die  Text-Illustrationen  sind  mit  Genehmigung  der  Photographischen  Union  in  München  aus  dem   <  Böcklin -Werk  >   entnommen. 


22 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


hunderts  im  ahnungsvollen  Vorwärtsringen,  im  Besinnen 
und  Haften,  in  sehnsüchtigem  Rückerinnern  fluthet,  — 
der  reinste  und  lieblichste  Laut  dieses  Wellenschlags  ist 
um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  jene  nationale  Reaktion 
gegen  den  Classicismus  eines  Cornelius  hier  und  David 
in  Frankreich,  welche  man  unter  dem  Namen  Romantik 
zusammenfasst.  Das  Rassenideal  sucht  diese  Romantik 
in  seiner  Reinheit  wiederzugewinnen ,  —  sie  ist  darum 
auch  etwas  Anderes  in  Frankreich,  wo  ihr  Haupt,  der 
glänzende  Rhethoriker  Delacroix,  diese  Schule  zu  einem 
meteorhaften  Aufleuchten  bringt,  —  sie  ist  etwas  An- 
deres in  Deutschland,  wo  Schwind  Führer  wird,  —  wo 
sie  durch  einen  unglücklichen  Mittelalterkultus  verführt, 
schnell  erstarrt,  denn  in  ihrer  poetisch-idealen  Auf- 
fassung, deren  Schwerpunkt  ausschliesslich  im  phan- 
tastischen Einfall  liegt,  hört  sie  auf  Malerei  zu  sein 
und  verliert  sich  in  die  Illustration,  in  der  sie  heute 
noch  eine  gewisse  Rolle  spielt. 

Über  eine  theoretische,  ästhetisirende  Schule  kommt 
die  Romantik  beider  Völker  jedoch  zu  Beginn  nicht 
hinaus ,  trotzdem  gerade  in  Deutschland  eine  unge- 
wöhnlich reiche  Anzahl  origineller  Geister  ihr  Gefolge 
bilden.  Erst  als  «Romantik»  aufhörte,  ein  Schlagwort 
des  Tages  zu  sein,  entfaltet  sie  in  zwei  gewaltigen 
Persönlichkeiten  plötzlich  eine  wunderbar  prächtige  und 
starke  Nachblüthe,  deren  Samen  das  Ende  des  Jahr- 
hunderts befruchtet  hat.  Aus  der  jungfräulichen  Waldes- 
stille von  Fontainebleau  nämlich  klingt  plötzlich  ein 
berückendes  Lied:  Millet,  der  Prophet  des  mystisch- 
romantischen Naturkultus  predigt  mit  weltvergessener 
Begeisterung  ein  Evangelium,  in  dem  Romantik  und 
Naturalismus  eine  glühende  Liebesgemeinschaft  ein- 
gehen und  eine  Grundformel  für  die  grosse  Sehnsucht 
des  modernen  Menschen  nach  Regeneration  erzeugen. 
—  Nur  wenig  später  aber  quellen  aus  einer  strotzend 
reichen ,  urdeutschen  Phantasie ,  die  auf  rauhen  Bergen 
der  Alpenwelt  gewachsen  ist,  ganz  seltsame  Gebilde: 
weltfremdes,  tiefinneres  Gemüthsleben  und  weltüber- 
.legener,  jauchzender  Humor  der  germanischen  Rasse 
spiegeln  sich  in  hellenischer  Antike,  die  noch  einmal 
vor  ihrem  Erblassen  in  glühendem  Abendroth  auf- 
flammt. Diese  gewaltige  Persönlichkeit,  in  der  die 
Kunstideale  zweier  Rassen  in  unerhörter,  einziger  Har- 
monie zur  Vereinigung  gekommen  sind,  —  die  als  ein 
grosses  Fragezeichen  mitten  in  einer  andersartigen  Zeit 


steht,  ist  der  Schweizer  Arnold  Böcklin,  gleich  seinen 
Geistesverwandten  Giorgione  und  Rembrandt  menschlich 
wie  künstlerisch  eine  der  abenteuerlichsten  Künstler- 
physiognomien der  Geschichte.  — 


Ein  Sohn  des  freien  Schweizervolks ,  ist  Arnold 
Böcklin  ein  Landsmann  von  Jean  Jaques  Rousseau  und 
dem  Dichter  Gottfried  Keller,  und  gleich  ihnen  ver- 
leugnet er  die  Heimath  in  keinem  Zuge,  weder  in  der 
starken,  trotzigen,  grossartigen  Menschennatur  noch  in 
dem  phantastischen  Temperament.  —  Riesenhafte  Berg- 
massen mit  abenteuerlichen,  gigantischen  F'ormen 
thürmen  sich  um  die  Städte  der  Alpen;  schroffes  Ge- 
klipp  stürzt  sich  in  grünliche,  tiefe,  unheimlich  blinkende 
Seen  und  wölbt  sich  über  schaurigen  Wasserschlüfteii ; 
liebliche  Auen  und  Halden  lagern  zwischen  den  schweig- 
samen Wasserkesseln,  dem  Geklipp  und  der  grenzen- 
losen Einsamkeit  leuchtender  Schneefelder,  welche  im 
Duft  der  Ferne  und  im  phantastischen  Spiel  des  Licht- 
wechsels von  der  Thaldämmerung  her  wie  unnahbare 
Zauberreiche  erscheinen,  wie  Grenzen  gegen  eine  jen- 
seitige wunderbare  Herrlichkeit.  —  Ein  starker,  schroffer, 
geistig  primitiver  Menschenschlag  lebt  dort  zu  Lande, 
—  seine  Tugend  ist  sein  reines,  tiefes,  klingendes  Ge- 
müthsleben, und  dies  bestimmt  den  Charakter  seiner 
Kunstbildung,  die  stark,  fest  und  doch  goldiger  Em- 
pfindung voll  ist;  gleich  der  landschaftlichen  Szenerie, 
welche  unter  starren  Gegensätzen  auf  engem ,  am 
Horizont  begrenzten  Raum  einen  rasch  wechselnden 
Reichthum  von  idyllischen ,  Phantasie  und  Empfindung 
berauschenden  Reizen  bietet. 

Um  Böcklin's  Jugend  lebt  das  geschäftige  Treiben 
eines  Kaufmannshauses  in  der  uralten  Handelsstadt  Basel. 
Die  Leute,  welche  das  Elternhaus  zu  geschäftlichen  Ver- 
abredungen und  in  Sachen  der  Geselligkeit  betreten, 
die  durch  Würde  oder  Sympathie  der  Erscheinung-  als 
Beispiel  und  Muster  in  der  jugendlichen  Phantasie  haften 
bleiben,  sind  vorwiegend  nüchterner  Natur.  Und  Nüch- 
ternheit ist  überall,  das  Museum  und  ein  paar  Orte  aus- 
genommen, in  denen  der  Genius  Holbein  leuchtende 
Spuren  eines  einstmaligen  Gewesenseins  hinterlassen 
hat.  Zwischen  der  stillen  und  vornehmen  Majestät 
dieser  Holbein'schen  Gestalten,  sowie  den  barocken 
Kompositionen  desselben  Künstlers  zum  « Todtentanz » 
und    dem  Knaben    Böcklin    spinnt    sich    ein   heimliches 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


23 


Arnold  Böcklin.     Der  Ritt  des  Todes. 


Verhältnis  an,  ein  gegenseitiges  Annähern  und  An- 
schmiegen, und  auch  die  Welt  der  griechisch-römischen 
Dichtung,  die  den  Knaben  wie  heute  noch  den  Greis 
besonders  fesselt,  mischt  ihre  Zaubereien  in  dies  abge- 
schlossene, tiefträumerische  Seelenleben.  Ungewöhnlich 
stark  an  Kraft  ist  der  Knabe,  —  trotziges  Schweizer- 
blut, —  ein  scharfer  Verstand  macht  sein  Geistesleben 
früh  reich,  das  aus  der  grossartigen  Natur  der  Heimath 
ursprüngliche  Offenbarungen  empfängt  und  in  Verschwie- 
genheit ausreifen  lässt,  bis  aus  Charakter-  und  Geistes- 
anlagen und  Widerstand  gegen  eine  andersartige  Um- 
gebung eine  abnorme,  aber  in  sich  feste  Individualität 
sich  ausgebildet  hat.  Damit  überwindet  Böcklin  auch 
die  Abneigung  des  Elternhauses  gegen  einen  Künstler- 
beruf, selbst  als  die  plötzliche  Verarmung  der  reichen 
Häuslichkeit  diesem  unüberwindlich  scheinende  Schwier- 
igkeiten aufbürdet, Naturen  solcher  Art  versinn- 
bildlichen die  Selbstbestimmung ,  die  Reibungen  des 
Schicksals  und  der  Zufälligkeiten  gleiten  in  harmon- 
ischen Lauten  und  Tönen  an  ihrer  inneren  Sicherheit 
wirkungslos  ab  wie  fluthende  Wellen  am  Fels.  —  Auf 
diesem  Boden  ist  Arnold  Böcklin,  der  ganz  in  sich  ver- 


sunkene Träumer,  der  glühende  Dichter,  dessen  Farben- 
harfe den  süssesten  Wohlklang  schmeichelnder  Melodie 
so  sicher  beherrscht  wie  die  düster  gedämpfte  Tragik 
und  die  schrille  Dissonanz,  in  der  die  Kreatur  von 
Seelenqual  gefoltert  aufschreit,  gewachsen,  —  gleich 
Beethoven  und  Richard  Wagner  ein  Produkt  seltenster 
Kräfte  und  stärksten  Widerstandes.  ... 


Man  muss  Schirmer's  diskrete  Farbenweise  und 
sein  Stilgefühl  würdigen,  um  die  Zuneigung  zu  ver- 
stehen, mit  der  der  19jährige  Schweizer  1846  sich  der 
Landschaftsschule  des  Meisters  zuwandte ,  sobald  er 
nach  Düsseldorf  gekommen  war.  Man  muss  aber  auch 
den  sentimentalen  Zug  der  Düsseldorfer  Romantik  jener 
Tage,  ihre  auf  handwerklichen  Fleiss,  bürgerliche  Ehr- 
barkeit und  konventionelle  Beschränkung  der  Vor- 
stellungswelt gerichtete  Neigung,  —  neben  der  DeH- 
katesse-Malerei  jene  Räuber-,  Ritter-,  und  Gräber- 
Romantik  —  im  Auge  haben,  um  die  Kluft  zu  begreifen, 
die  zwischen  diesen  Leuten  der  offiziellen  Malerei  und 
dem  robusten ,  jungen  Schweizer  gähnte ,  dessen 
Romantik     instinktives     Bedürfnis     grosser     subjektiver 


4* 


24 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Kraft  war.  Der  dämonischen  Vergrösserung  aller 
Farbenerscheinung  in  der  Netzhaut  seines  Auges,  der 
Eigenthümlichkeit  seines  Nervenapparats,  der  nur  auf 
gewaltige  oder  seltsame  Gebilde  reagirte,  wie  sie  ihm 
auf  seinen  einsamen,  träumerischen  Streifereien  die 
Natur  in  ihren  grossen,  feierlichen,  ungewöhnlichen, 
fast  selbstvergessenen  Zuständen  des  Augenblicks  ver- 
rieth,  ward  er  sich  unter  diesen  fleissigen  und  streb- 
samen Leuten  bewusst.  Es  ist  von  Anfang  an  in 
ihm  jener  scheinbar  so  unthätige  Freiheitsdrang,  der 
mit  der  echten,  auf  weiten  Wegen  des  Durchdenkens 
und  Durchempfindens  zu  ganz  originellen  Resultaten 
kommenden  Erfindungskraft  eng  verbunden  ist;  diesem 
spekulativen  Geist,  der  zu  begreifen  suchte  und  dem 
das  Ausdrucksmittel  sich  schliesslich  zur  Idee  ganz  von 
selbst  fügte,  schien  alles  mühsam  Probirte,  Erlernte 
oder  der  Natur  in  ihrer  Alltagskoketterie  Abgelauschte 
als  geringwerthige  Handwerksarbeit.  Darum  hielt  es 
ihn  in  Düsseldorf  auch  nicht  lange;  er  hatte  ohnehin 
in  Schirmer's  Kunst  die  brennende  Bedeutung  des 
französischen  Kolorismus  gewittert;  er  geht  nach 
Brüssel,  wo  er  hauptsächlich  in  der  Gallerie  kopirt, 
um  den  Alten  das  Geheimnis  ihrer  malerischen  Kunst 
abzulauschen  und  vielleicht  eine  seiner  schönsten 
Tugenden  von  ihnen  zu  lernen:  die  strenge  Selbst- 
zucht, die  ihn  im  höchsten  Farbenrausch  beim  Schaffen 
nie  die  ursprüngliche  Absicht  vergessen  lässt.  Sein 
Wunsch  aber  drängte  ihn  bald  nach  Paris. 

In  der  Entwicklung  Böcklin's  sicher  eine  der  folgen- 
schwersten Zufälligkeiten  ist  der  Zeitpunkt,  zu  welchem 
unser  Künstler  in  Paris  eintrifft,  —  1848.  Denn  das 
Aufstandsjahr  bietet  dem  leiblichen  Auge  des  für  das 
Seltsame  und  Ungewöhnliche  ohnehin  mehr  als  empfäng- 
lichen Jünglings  eine  wilde,  jede  Vorstellung  und  Schil- 
derung an  Wucht  weitaus  überbietende  Dramatik.  In 
jenen  Stunden  eines  bangen,  aber  für  diese  grosse 
Natur  von  schaurig  süssen  Afiekten  gewiss  auch  er- 
füllten Harrens  am  Fenster,  unter  dem  sich  wüste  Kampf- 
szenen abspielen,  und  eines  verstohlenen  Huschens  auf 
die  Strasse  hinaus  liegt  der  Keim  mancher  bizarren, 
künstlerischen  Eingebung  späterhin  nicht  minder  als 
eine  Art  von  Befreiung ,  der  wir  das  Originale  und 
Monumentale  aus  dieser  Hand  zu  verdanken  haben: 
ein  natürlicher  Hang  zur  Konvention  des  Philisters, 
der   bei   Jedem   innerhalb   des  sozialen  Staats   und    der 


Familie  stehenden  Menschen  anerzogen  ist,  stirbt  unter 
diesen  furchtbaren  Eindrücken  von  Tod  und  Blut. 

Der  auf  Verdienst  angewiesene  Künstler  kann  sich 
bei  der  Schwere  der  Zeiten  nicht  lange  in  Paris  halten, 
er  geht  in  die  Heimath,  um  seiner  Militärpflicht  zu  ge- 
nügen, und  dann  wandert  er  1850  nach  Rom,  —  das 
letzte  Glied  im  Ring  der  Vorbedingungen  für  dieses 
Künstlerschaffien  schliesst  sich  damit. 

Unter  dem  scharfen  Aetzwasser  der  Pariser  Er- 
eignisse war  das  Wesen  Böcklin's  geläutert,  —  unter  dem 
italienischen  Himmel  geht  er  mit  Bewusstsein  an  die 
Bildung  jener  Kunstanschauung,  um  die  der  greise  Goethe 
am  Abend  seiner  Tage  im  II.Theil  des  «  Faust  >  vergeblich 
rang:  der  Verschmelzung  von  Romantik  und  Antike. 


Gleich  Michel  Angelo  von  einer  Körperstärke,  die 
fast  bis  in's  Greisenalter  hinein  sich  athletenhafte  Fest- 
igkeit der  Muskeln  bewahrt,  von  einer  fast  jungfräulichen 
Frische  des  Gemüths,  von  einer  Schärfe  aller  Sinne, 
die  ein  künstlerisches  Arbeiten  von  der  Natur  über- 
flüssig machte ,  da  sein  Gedächtnis  von  einer  wunder- 
baren Kraft  ist,  fällt  Böcklin  auch  schon  darin  aus  dem 
normalen  Künstlertypus  heraus,  dass  er  den  sogenannten 
mathematischen  Verstand  besitzt.  Hat  er  doch  das 
Problem  der  Flugmaschine  in  mehr  als  einem  die 
Teckniker  verblüffenden  Versuch,  der  Lösung  zu  sein 
schien,  behandelt;  und  wie  er  Erfinder  einer  eigenen 
Freskotechnik  ist,  hat  er  auch  seine  Oeltechnik  mit 
ihrer  ausgezeichneten  Leuchtkraft  nach  Art  der  Alten  aus 
Temperauntermalung  und  Firnisdeckung  selbst  komponirt. 

Widerspruchsvoll  wie  die  Fähigkeiten  Böcklin's  ist 
sein  Temperament.  Mitunter  von  hinreissender  Fröh- 
lichkeit, von  jonischer  Heiterkeit  des  geflügelten  Geistes 
und  schweizerisch  treuer  Offenheit  zugleich,  —  mit- 
unter von  einem  skeptischen  Misstrauen  gegen  seine 
besten  Freunde,  —  immer  unberechenbar  und  plötzlich, 
und  immer  nach  dieser  oder  jener  Seite  auf  die  Spitze 
getrieben.  —  Ein  Grundzug  aber  steht  bestimmend 
über  all'  diesen  Einzelheiten  eines  merkwürdig  kom- 
plizirten  Wesens:  das  Träumen  eines  grossen  Kindes, 
das  rastlose  Grübeln  in  Phantasieen  und  der  fatalistische 
Glaube  an  diese  Gebilde,  der  durch  keine  Schwierigkeit. 
—  und  bedrohte  sie  die  Existenz,  —  an  der  Aus- 
führung gehindert  wird.  Willensstärke  und  Selbstver- 
trauen ist  auch  ein  charakteristischer  Zug  des  Menschen : 


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DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


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als  Böcklin  Anfang  der  fünfziger  Jahre  nach  Rom  ge- 
kommen, arm  und  auf  den  Ertrag  aus  seinen  ob  ihres 
seltsamen  Charakters  schwer  verkäuflichen  Bilder  an- 
gewiesen, heirathet  er  eine  bildschöne,  aber  ebenso 
arme,  junge  Römerin,  —  ein  Schritt,  der  gleichsam  sein 
Kunstprinzip  symbolisirt  und  von  reinen  Instinkten 
zeugt.     Ueberaus    glücklich    wurde    die    Ehe,    —    sie 


nachweisbar;  doch  so  gering,  wie  bei  fast  Keinem  der 
Kunstgeschichte.  Poussin  thront  über  seiner  Jugend 
und  mit  dem  frühen  Corot  hat  diese  mitunter  frappante 
Verwandtschaft,  wie  der  Künstler  auch ,  —  aber  mehr 
als  Mensch,  —  mit  Genelli  Aehnlichkeiten  besitzt.  Im 
Kolorit  und  der  Räthselhaftigkeit  seines  Wesens  steht 
er  Giorgione    am    nächsten.    —    denn   wie    dieser    und 


Arnold  Böcklin.     Ueberfall  von  Seeräubern. 


festigte  in  gemeinsam  getragener  Noth   des  Lebens  bei 
Böcklin   die   tiefe,    quellende  Innerlichkeit  des  Wesens. 


Umfassende  Künstlerschaft  ist  ausser  dem  Genie 
beinahe  ausschliesslich  Ergebnis  reicher  Erfahrung 
auf  fremden  Bahnen  der  Kunst  und  Widerspruch 
gegen  das  Vorhandene.  Merkwürdig  schnell  entwickelt 
Böcklin  seine  Eigenart,  in  lauter  selbständigen  Experi- 
menten,  und  nur  vorübergehend  sind  Einflüsse  bei  ihm 


Rembrandt  lebt  er  einsam  in  seiner  selbstherrlichen 
Anschauungswelt,  durch  sphärisches  Farbenklingen  der 
Alltagswelt  völlig  entrückt.  —  — 

Unnahbar  und  undurchdringlich,  —  wie  seine  dar- 
gestellten Geschöpfe  von  unirdischer  Lebenskraft  und 
Heiligkeit  der  Natur  ist  fast  jedes  Werk  von  dieser 
Hand,  — •  grossartig  fremd  erscheint  es,  in  geheimnis- 
volle Farbigkeit  gehüllt,  in  der  es  Töne  von  unendlich 
zartem  Ineinanderklingen    und    wiederum    grellste    uner- 


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DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


hörteste  Kontraste  von  schmetternder,  schönheitge- 
bändigter Wucht  der  Wirkung  gibt.  Grösse  des  Auf- 
baues ist  immer  und  meist  ein  rhythmisch  beseelter 
Schwung  der  Linie  und  eine  Charakteristik  in  ihr  von 
unfehlbarer  Sicherheit.  —  Mitten  im  Zauber  des  be- 
rauschendsten Farbengesangs  aber  steht  bei  ihm  in 
voller  Plastik  des  Leibes  das  menschliche  Geschöpf  als 
robuster,  vollsaftiger,  gottheiterfüllter  Organismus,  frei 
von  Gebrechen  des  Erdenpilgers,  in  übermenschlicher 
Vollkommenheit  der  Naturexistenz,  unbändig,  sinnen- 
gewaltig; mit  allen  Fibern  ist  er  an  den  Augenblick 
hingegeben  und  vollführt  ohne  kokette  Nebengedanken 
und  Pose  das  als  Naturtrieb,  was  der  seinem  Geschöpf 
so  verwandte  Künstler  in  mächtigem  Schwung  der  Be- 
geisterung gewollt,  —  königliche  Naivetät  in  jedem 
Pulsschlag  von  der  wildesten  Dramatik  bis  zum 
bizarrsten  Humor  offenbarend.  —  — 

Böcklin  ist  Romantiker  aus  innerster  Natur,  die 
Aufschlüsse  der  Wissenschaft  und  Geschichte  kümmern 
ihn  nicht,  —  mit  urfrischer  Phantasie  erfabelt  er  sich 
aus  den  Resten  der  Antike  eine  mythische  Vorwelt,  in 
der  Nymphen,  Faune,  Meerungeheuer  ein  titanisches 
Dasein  führen;  er  schildert  die  Antike  seiner  Auf- 
fassung hier  in  einer  Unbändigkeit  des  Humors  und 
dort  mit  einem  sentimentalischen  oder  düsteren  Zug 
der  Trauer,  welcher  alten  und  modernen  Germanen 
näher  liegt,  als  dem  Griechenvolk,  selbst  in  der  diony- 
sischen Zeit  lange  vor  der  Blüthe  hellenischer  Kultur 
und  nach  derselben.  Er  ist  ganz  unhistorisch;  —  er 
personifizirt  Phantasie.  Sein  Stil  hat  darum  auch  Ge- 
setze nur  für  den  besonderen  Fall:  ein  anderer  ist 
Böcklin  als  der  grösste  lebende  Stimmungslandschafter 
in  der  monumentalen  «Todteninsel»  und  verwandten 
Werken,  —  ein  anderer  als  Figurenmaler,  —  dort 
pathetisch,  hier  ins  Dionysische  jauchzender  und 
lachender  Lust  oder  entfesselter  Triebe  sich  verlierend, 
und  ein  beissender  Satiriker  namentlich  in  einigen 
Werken  der  Bildhauerei,  —  eine  vollkommene  Proteus- 
natur.  —  — 


Bei  jenen  Geistern,  welche  in  ruhloser  Arbeit  die 
Erscheinungen  der  Welt  um  den  Pol  ihrer  eigenen 
Geisteswelt  zu  gruppiren  suchen,  ist  das  Heimaths- 
gefühl  freier  entwickelt  als  bei  den  anderen,  die  am 
Gegenständlichen  hängen  bleiben.   Seitdem  Böcklin  Basel 


verlassen,  um  der  Kunst  nachzugehen,  ist  er  ein 
rastloser  Wanderer.  1850  finden  wir  ihn  in  Rom  in 
einem  Kreise  später  gefeierter  Künstler  wie  Feuerbach, 
R.  Begas,  Oswald  Achenbach ;  auch  der  Alemannen-Dichter 
Scheffel  und  Paul  Heyse,  der  elegante  Novellist,  gehörten 
dazu.  Der  Letztere  ist  bestimmt,  in  Böcklins  Leben  eine 
wichtige  Rolle  dadurch  zu  spielen,  dass  er  die  Auf- 
merksamkeit des  berühmten  Kunstmäcens  Grafen  Schack 
in  München  auf  diesen  seltsamen  Kopf  lenkt.  Ohne 
Schack,  der  Jahre  lang  in  Böcklins  frühester  Periode 
fast  jedes  Stück  ankauft,  —  welche  Schätze  allein  den 
europäischen  Ruf  seiner  Gallerie  rechtfertigen  würden, 
—  ist  der  heutige  Böcklin  nicht  denkbar,  weil  er  ziem- 
lich sicher  bei  seiner  schroff  behaupteten  Eigenart  und 
der  Stumpfheit  des  Publikums  dagegen  zu  Grunde 
gegangen  wäre.  —  In  Rom  kann  sich  Böcklin  nicht 
halten,  er  geht  nach  Basel  in  der  Hoffnung  auf  Auf- 
träge und  führt  dann  für  einen  Konsul  in  Hannover 
in  Leimfarben  auf  Leinwand  fünf  Wandgemälde  aus, 
welche  die  Beziehungen  des  Menschen  zum  Feuer  ver- 
sinnbildlichen. Nach  einem  Prozess  wegen  der  Ab- 
nahme, — •  da  die  Gemälde  dem  Besteller  zu  bizarr  er- 
schienen, —  kommt  Böcklin  1856  mit  seiner  Familie 
mittellos  in  München  an.  Er  stellt  im  Kunstverein  ein 
Bild  aus:  den  grossen  Pan,  der  um  die  Mittagsstunde 
im  Schilfe  die  Flöte  spielt,  —  ein  Bild,  so  modern^ 
in  der  Malerei,  dass  es  in  der  Gegenwart  hätte  gemalt 
sein  können,  —  ein  revolutionäres  Manifest  für  jene 
Zeit ,  welches  aber  das  einzige  von  dieser  Hand  ge- 
blieben ist.  Die  Pinakothek  kauft  es  an  und  errettet 
damit    den    inzwischen    mit   zweien   seiner  Kinder   vom 

Typhus  befallenen  Künstler  aus  äusserster  Noth, 

was  aber  schwerwiegender  ist:  es  gibt  seit  jener  Zeit 
eine  Böcklingemeinde,  denn  vor  der  Gewalt  der  in 
diesem  Werke  geoffenbarten  Phantasie  und  der  ebenso 
scharfen  Beobachtungskraft  des  Auges  erstarb  der 
kritische  Eigenwille  der  Künstler  von  Begabung,  und 
aller  Augen  bleiben  von  jetzt  ab  erwartungsvoll  ge- 
richtet auf  diesen  Einen,  der  wie  ein  grosses  Räthsel 
unter  sie  getreten  war.  —  Heyse  und  Schack  aber 
sorgten  auch  weiter  für  ihren  Schützling.  Der  Gross- 
herzog von  Sachsen-Weimar-Eisenach  hatte  eine  Kunst- 
schule gegründet,  um  die  Traditionen  künstlerischer 
Pflege  in  seinem  Lande,  das  Goethe,  Schiller,  Herder, 
Wieland    geschützt,    aufrecht    zu    erhalten;     mit    einer 


DIE  KUNST   UNSERER  ZEIT. 


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DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


rühmenswerthen  Sicherheit  des  Auges  rief  er  damals 
noch  junge  Künstler  von  kommendem  Weltruf  in  den 
Lehrkörper.  Neben  Lenbach  und  Reinhold  Begas 
wirkte  in  Weimar  der  geniale  Preller,  —  später  noch 
Genelli.  Auf  Anregung  seiner  Freunde  erhielt  Böcklin 
1858  einen  gleichen  Ruf  Hielt  es  nun  diesen  unruhigen 
Feuerkopf,  so  wenig  wie  Lenbach  und  Begas,  —  auf 
die  Dauer  auch  nicht  fest  in  dem  kleinen  reizenden 
Hauptstädtchen  von  Thüringen  mit  der  tötenden  Ehr- 
barkeit der  Hofgesellschaft,  so  bot  es  ihm  doch  eine 
Weile  Unterschlupf  gegen  die  Noth  des  Broderwerbs. 
Doch  mit  der  seltsamen  Neigung  vieler  genialen  Köpfe 
für  ihre  minder  bedeutenden  Liebhabereien  beschäftigle 
er  sich  hier  in  völliger  Hingabe  mit  dem  Problem  seines 
Luftschiffs,  aber  er  malte  auch,  eine  der  reizvollsten 
Schöpfungen  seiner  Jugendzeit,  voll  barocken,  wild- 
genialen, böcklinischen  Humors.  Den  Pan,  der  um  die 
brütende  Mittagseinsamkeit  unsichtbar  auf  dem  Fels- 
geklüft sitzt  und  durch  sein  «panisches  Gelächter» 
einen  Hirten  mit  seinen  Ziegen  in  wilde  Flucht  treibt. 
Die  Unheimlichkeit,  welche  ein  fallender  Stein  im  Ge- 
birge oder  ein  ungewöhnlicher  Laut,  dessen  Ursache 
nicht  zu  entdecken  ist,  auf  einen  ahnungslosen  Träumer 
auszuüben  vermag,  wenn  die  Welt  um  ihn  in  Mittags- 
schlaf liegt,  kann  nicht  drastischer  und  drolliger  ver- 
sinnbildlicht werden  als  dies  hier  geschah. 

Noch  eine  Jagd  der  Diana  malte  der  Künstler  in 
Weimar. 

Dann  aber  trieb  diesen  Fremdling  auf  Erden  sein 
unstäter  Sinn  und  der  in  dem  hellen,  nordischen  Weimar 
so  wenig  gestillte  Durst  nach  Farbenpracht  fort,  —  er 
geht  1861  nach  Rom,  von  wo  er  nach  Neapel,  Pompeji, 
Capri  kommt;  und  jetzt,  bei  diesem  Aufenthalt  in  der 
Gräberstadt,  in  Unteritalien,  dem  Gross-Griechenland 
der  Alten,  welche  in  dieser  wunderbar  lieblichen  Uep- 
pigkeit,  der  Farbenfreude  der  Landschaft  und  ihrer 
Bergsilhouette  nicht  minder  als  in  ihrer  lebensfreudigen, 
griechischen  und  griechisch  beeinflussten  Kultur  die 
Züge  ihres  genialen  Nachbarvolks  erblickten,  vollzog 
sich  mit  reifem  Bewusstsein  der  letzte  grosse  Entwick- 
lungspunkt in  dieser  Persönlichkeit:  das  heilige  Frühlings- 
fest der  Hochzeit  zwischen  deutscher  Romantik  und 
antiker  Romantik ;  denn  nicht  oft  hat  Böcklin  von  jetzt 
ab  andere  Motive  gewählt  als  diese  grandiose  Natur 
ihm  bot,  inniger  wird  die  vorher  nur  kosende  Neigung 


zwischen  seinem  Naturell  und  dem  stilvoll  Bunten, 
Glänzenden  antiker  Malerei,  die  wir  ahnend  in  Pompejis 
Resten  geniessen  und  sie  in  diesem  Künstler  wieder- 
erstehen sehen ,  und  bei  ihm  steht  jetzt  auch  über 
allen  Eigenschaften  in  den  folgenden  Werken  eine 
innere  reife  Geschlossenheit,  —  eine  grossartige  Per- 
sönlichkeit. — 

Die  «Villa  am  Meer»  (Schackgallerie)  ist  das 
erste  grosse  Werk  dieser  Zeit,  in  ihrem  stimmungs- 
vollen Pathos  eine  der  herrlichsten  Blüthen  Böcklin- 
ischer  Kunst,  von  der  er  für  Schack  später  eine  zweite 
Auffassung  schuf. 

Man  sieht  das  Meer;  gross  stilisirte,  flächige, 
schaumumsäumte  Wellen  rollen  feierlich  heran,  — 
Wasser  von  jener  wunderbaren  Durchsichtigkeit  und 
beweglichem  Spiegelglanz,  wie  Böcklin  allein  es  zu 
malen  vermag.  Ein  durchklüfteter,  aus  Plattengeschiebe 
aufgebauter  Fels  springt  spitz  in  die  Fluth  hinaus,  von 
Busch  und  Baum  halb  verborgen  erhebt  sich  eine 
antike  Villa  mit  Säulengang,  Balustraden,  Fontainen, 
Statuen  auf  ihr,  eine  prachtvolle  Cypressengruppe  aber 
am  äussersten  Vorsprung  wiegt  sich  unter  dem 
wehenden  Meerwind  und  dem  rosig  düsteren  Gewölk. 
Abendliches  Sonnenlicht  ruht  auf  den  einsamen  Ge- 
bäuden, und  in  Harmonie  mit  der  melancholischen 
Stimmung  lehnt  gedankenvoll  eine  schwarz  und  weiss- 
gekleidete  Frauengestalt  am  Fels,  die  Wellen  zu  Füssen, 
und  blickt  auf  das  Meer  hinaus,  in  dessen  Wogenschlag 
es  weint  und  zittert,  —  es  ist  wie  ein  Symbol  der 
sterbenden  Antike,  wie  eine  grosse  Trauer,  die  sich 
noch  einmal  der  ganzen  Herrlichkeit  vergangener 
Blüthe  bewusst  wird.  — 

Der  Künstler,  welcher  in  diesem  Werk  den 
Charakter  reiner,  in  feierlichen  Akkorden  getragener 
Monumentalität  getroffen  hat,  so  genrehaft  das  Motiv 
an  sich  auch  sein  mag,  tritt  uns  in  einem  anderen 
Bild  als  ein  heiterer,  von  reizvoller  Stillseligkeit  er- 
füllter Idyllendichter  entgegen,  als  ein  Geistesver- 
wandter von  Theokrit  und  Vergil,  wenn  er  in  zwei 
jungen  Menschengestalten:  dem  am  rosenüberhangenen 
Fels  gelehnten  und  auf  der  Syrinx  um  die  Geliebte 
klagenden  Hirten  und  der  Nymphe,  die  hinter  ihm 
im  Laub  versteckt  halb  beseeligt,  halb  schalkhaft 
selbiger  Klage  lauscht,  —  die  von  Liebesempfindung 
durchrosigte    Jugendblüthe    schildert     und     dabei     das 


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Arnold  Böcklin.      «  Sieh',  es  lacht  die  Au  ! 


antike  Liebesleben  in  seiner  Naivität  entzückend  erfasst 
hat.  «Klage  des  Hirten»  lautet  der  schlichte  Titel 
des  Bildes,  das  koloristisch  zu  Böcklin's  Bestem  gehört. 

Den  gleichen  idyllischen,  von  sonnigstem  Humor 
durchleuchteten  Charakter  bezeugt  die  «Altrömische 
Weinschenke»,  aus  der  ein  betrunkener  und  liebe- 
voll vom  Freund  gestützter  Soldat  herauswankt  und  das 
unter  einer  Dionysosstatue  am  Gartenthor  Blumen  feilhal- 
tende Mädchen  zärtlich  ansingt;  —  mit  trinkerbesetzten 
Veranden  und  auf  dem  Rasen  lagernder  Gesellschaft 
eine  köstliche  Darstellung  hellenischer  Daseinsfreudigkeit. 

Nach  einem  Quinquiennium,  das  für  Böcklin's  Auf- 
enthaltswechsel späterhin  zur  Regel  wird ,  kehrt  er 
nach  Basel  zurück,  indem  er  endlich  Anerkennung  vom 
nüchternen  Sinn  seiner  Landsleute  erhofft,  —  i866. 
Drei  monumentale  Fresken  führt  er  dort  im  Rathhause 
aus,  deren  Genialität  und  Schönheit  man  rühmt,  — 
vermittels  der  von  ihm  selbst  erfundenen  Technik  ge- 
malt. Er  treibt  auch  Bildhauerei,  in  grotesken  Masken 
an  einem  öffentlichen  Gebäude,  welche  mit  um  so 
grösserer  satyrischer  Bosheit  einige  schlecht  beleumdete 
Mitbürger    karrikiren,    als    die    Portraitähnlichkeit    der- 


selben sehr  gut  sein  soll ;  —  was  dies  Alles  aber  über- 
wiegt, sind  wiederum  vier  kleine  Farbenjuwele  (Schack- 
Gallerie):  der  «Gang  nach  Emmaus»,  der  «Tod, 
durch  eine  Landschaft  reitend»,  die  «Furien, 
einen  Mörder  verfolgend»,  und  die  «Drachen- 
schlucht»,  —  Schönheit  und  Grausen  von  einem 
lyrischen  Schwung  und  einer  Farbengluth,  die  nur  noch 
ein  späteres  kleines  Werk  dieser  Art  wieder  erreicht, 
die  «  Herbstgedanken  » . 

Nach  dieser  Pause  in  Basel  fährt  er  seit  seinem 
Münchner  Aufenthalt  1871  fort,  jene  grosse  Reihe 
monumentaler  Werke  zu  schaffen,  deren  erstes  die 
«Villa  am  Meer»  war,  deren  folgende  bis  in  die 
Gegenwart  hinein  einen  immer  grösseren  Nimbus  um 
seinen  Namen  legten :  Giorgione's  zauberhafte  Tief- 
äugigkeit, Rubens  Majestät,  beider  berauschendes 
Kolorit  und  Böcklin's  grossartige  Selbstverständlichkeit 
wachsen  darin  aufs  Innigste  zusammen.  In  organischer 
Natürlichkeit  und  von  vollstem  Lebensdrang  erfüllt 
entsteht  in  seiner  Phantasie  nunmehr  auch  jener  be- 
kannte Typus  der  antiken  Romantik:  das  Fabelwesen 
aus  Mensch  ,  Thier-  und  Fischleib,  das  die  Kunst  lange 


30 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


vor  Böcklin  kennt,  dessen  lebendige  Bildung  aber  erst 
dem  modernen,  im  Besitz  einer  genialen  Technik  be- 
findlichen Künstler  gelang,  weil  seine  Phantasie  wunder- 
bar tiefsichtig  und  seine  Nerven  von  der  feinsten  Em- 
pfindung gegen  das  athmende  Leben  und  dessen  Be- 
dingungen sind. 

Ein  voller  Wurf  darin  ist  der  «Centaurenkampf, 
—  die  Furie  reiner,  unberührter  Naturkraft.  Fünf  wild 
entfesselte  Kerle  bearbeiten  einander  in  grotesker  Be- 
wegung mit  Fäusten,  Zähnen,  Hufen  paarweis,  indess 
der  Strohmann  sich  eben  anschickt,  seinen  lieben  Mit- 
centauren mit  einem  starken  Felsstück  den  Schädel  zu 
zerschmettern ,  Mord  glüht  in  jeder  Miene.  Unbe- 
schreiblich ist  die  Wirkung  dieses  in  einander  Ver- 
knäult-  und  Umschlungenseins  und  ihre  Suggestion  auf 
den  Zuschauer,  —  nur  bei  Rubens,  aber  nur  bei  diesem, 
findet  man  etwa  ein  Gegenstück.  Die  Grösse  jedoch, 
mit  der  Böcklin,  der  phantastische  Künstler,  die  be- 
seelte Natur  aufzufassen  vermag,  offenbart  sich  fast 
überwältigend  in  einem  weiteren  Werk  dieser  Art,  das 
von  machtvoller  Geschlossenheit  im  meisterhaften  Auf- 
bau und  dem  Farbenrausch  aus  lauter  zusammen- 
gehenden Kontrasten,  —  in  der  Poesie  der  Stimmung 
dagegen  und  dem  entzückend  frischen,  in  goldenen 
Rythmen  wie  ein  Bergwasser  im  Sonnenlicht  spielenden 
Naturgefühl  von  bethörendem  Zauber  ist,  —  es  ist 
das  mehrfach  wiederholte  Werk  der  Schackgallerie: 
«Meeresidylle»:  Auf  flachem ,  wogenumbrandetem 
Fels  unter  weitem,  abenddämmernden  Himmel  liegt  ein 
nacktes,  kraftvolles,  üppiges  Weib  in  seliger,  glieder- 
entfesselter, nervenloser  und  doch  der  feinsten  Regung 
der  Sinnlichkeit  unterthaner  Ruhe,  —  schwellende,  be- 
rückend weiche  Formen  und  jene  Dämonie  des  ver- 
zehrenden, schmachtvoll-düsteren  Auges,  hinter  dem 
schrankenlose  Leidenschaften  einer  fremden  Welt  zu 
flammen  scheinen.  Auf  dem  Rücken  liegend  stützt  sie 
mit  der  Rechten  das  Haupt,  von  dem  lange,  schwarz- 
braune Haare  auf  den  weissen  Körper  herunterrieseln, 
und  streichelt  mit  der  Linken  den  dicht  über  dem  Wasser 
unheimlich  auftauchenden,  behaarten  Kopf  der  —  See- 
schlange, welche  in  grossen  Volten  des  dicken  Leibes 
heranschwimmt.  Rückwärtsig  dazu  aber  sitzt  ein  köst- 
licher, rothbraun  behaarter  Kerl  von  Triton  und  bläst,  — 
und  bläst  auf  einer  Muschel  sein  an  Gehirn  so  fabelhaft 
kleines,    an  Empfindung  vorwelthaft   mächtiges  Liebes- 


glück hinaus  auf  das  widerdröhnende ,  in  einsamer 
Herrlichkeit  Welle  an  Welle  herankosende  Meer.  — 

Vorwiegend  landschaftlichen  Charakters  ist  ein 
drittes  Bild  der  Münchner  Zeit:  die  heroische  Land- 
schaft, die  ich  im  Original  nicht  kenne,  aber  in  den 
bedeutenderen  Wiederholungen  als  Burgbrand,  der 
von  Seeräubern  angelegt  ist.  In  weiter,  prächtig  ge- 
malter Meeröde  erhebt  sich  auf  starrem,  zerklüfteten 
Fels  eine  prächtige  Schlossanlage ,  die  durch  eine 
Brücke  mit  dem  Festland  verbunden  ist.  Das  Schloss 
brennt,  Rauchwolken  bedecken  den  Zenith  des  am 
Horizont  freundlich  lichten  Himmels ;  Piraten  schleppen 
Weiber  und  Kinder  hinab  in  die  Boote.  Von  den 
beiden  Auffassungen  dieses  Vorwurfs  ist  die  mit  dem 
Segelschiff  im  Hintergrund  und  der  Gliederung  der 
Brücke  durch  Marmorstandbilder  und  eine  zwischen 
ihnen  zum  Wasser  hinabführende  Felstreppe  die  reiz- 
vollere, während  die  neuere  mit  der  mathematisch 
nüchternen  « Stadtbahnbogenbrücke »  in  Aufbau  und 
Tongebung  die  monumentalere  scheint. 

Auch  in  München  hält  es  auf  die  Dauer  den  un- 
stäten  Künstler  nicht  fest,  —  zum  dritten  Male  siedelt 
er  1876  nach  der  Heimath  seiner  Seele  über,  wo  er 
diesmal  Florenz  als  Wohnsitz  wählt  und  durch  neue 
gewaltige  Werke,  die  unter  dem  Eindruck  der  grossen 
italienischen  Meister  der  Renaissance  sich  zur  höchsten_ 
Schönheit  und  Vollendung  der  Form  erheben,  mehr 
und  mehr  die  Anerkennung  seiner  Zeitgenossen  er- 
zwingt, nachdem  er  ein  Menschenalter  lang  mit  Bor- 
nirtheit  und  Niedertracht  einen  durch  eigenen  Starrsinn 
sehr  erschwerten  Krieg  geführt. 

Das  Hauptwerk,  das  er  hier  schafft,  ist  nicht  nur 
sein  grösstes,  —  was  Originalität  der  Erfindung ,  wun- 
dersam gedämpfte  Farbenpracht  und  Monumentalität 
anbetrifft,  steht  dasselbe  als  ein  gewaltiger  Markstein 
in  der  Geschichte  der  modernen  Kunst,  deren  Land- 
schaftsmalerei mit  Ausnahme  des  einzigen  Millet  Gleiches 
nicht  geschaffen  hat.  Das  Meer,  das  wunderbar  zauber- 
ische Meer  in  einer  phantastischen  Symbolik  von  er- 
greifender Grossartigkeit  schildert  der  Künstler,  dessen 
Genius  dieses  Element  als  Abbild  seiner  eigenen  Un- 
ergründlichkeit liebt  und  in  unerreichter  Weise  darzu- 
stellen nicht  müde  wird,  in  einer  Komposition,  die  er 
in  den  achtziger  Jahren  mehrfach  wiederholt  hat.  Das 
Original  befindet  sich  im  Museum  zu  Leipzig,    —    eine 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


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DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


zeichnerisch  sclüirfer  zugespitzte,  für  meinen  Geschmack 
glücklichere  zweite  Aufifassung  birgt  die  Privatgallerie 
eines  Kunstsammlers  in  Worms. 

«Die  Todteninseb:  Ein  kleiner  vulkanischer 
Krater  im  Meer  ist  zur  Hälfte  abgestürzt,  vielleicht 
während  des  letzten  Ausbruchs  in  vorhistorischer  Zeit. 
Ein  Felshalbkreis  von  mächtiger,  kühn  profilirter 
Bildung  ist  stehen  geblieben  und  umschliesst  einen 
von  hohen  düsteren  Cypressen  eng  bestandenen  Hof, 
der  nach  dem  Meer  hin  von  stärkeren  Steinblöcken 
flankirt  und  durch  eine  niedrige  Mauer  mit  Pforte  ab- 
gegrenzt wird.  Auf  dieses  düstere  Eiland  des  Todes- 
friedens zu,  dessen  Fenster-  und  Gallerieöffnungen  in  den 
Felswänden  die  Urnen-  und  Sargstätte  kennzeichnen, 
lenkt  ein  Nachen  mit  einem  Sarge  und  einer  aufrecht 
stehenden  Grabfigur.  Ein  tiefblaugefärbter  Himmel,  nur 
zart  über  dem  Eiland  angeflammt,  umwölbt  in  feier- 
lichem Akkord  diesen  gewaltigen  Mollton  und  spiegelt 
sich  still  neben  den  scharfen,  im  Reflex  leuchtend  ge- 
milderten Felskonturen  in  den  seltsam  glatten,  nur  im 
Kielwasser  des  Nachens  lautlos,  ganz  lautlos  gekräuselten 
Fluthen.  Kein  Ruf  eines  Vogels  und  kein  menschlicher 
Laut  mischt  sich  in  die  feierliche  Grabesstille  ringsum. 
—  —  Es  ist  ein  Wunder  in  diesem  Werk,  in  dem  die 
Dämonie  des  Genius ,  die  ruhlos  zwischen  Tragik  und 
Heiterkeit  gezerrte,  unendlich  milde  und  doch  mannhaft 
sich  auflöst  zu  ihrer  individuellen  Selbstbefreiung  im 
höchsten ,  klassischen  Ausdruck ,  in  welchem  die  Er- 
habenheit der  Antike  und  die  Todessehnsucht  des  ideal 
gesonnenen  Menschen  der  Gegenwart  sich  über  Zeit 
und  Raum  die  Hände  reichen.  —  — 

In  derselben  Zeit  jedoch ,  in  welcher  der  Künstler 
den  höchsten  Ausdruck  von  tragischem  Pathos  in 
seinem  Schaffen  gefunden,  gelingt  es  ihm,  —  sehr 
charakteristisch  für  seine  Schwungfähigkeit,  —  ein 
gleich  vollendetes  Werk  von  unbändiger  Heiterkeit 
zu  schaffen.  Das  Dionysische,  Natur-  und  Genuss- 
kräftige des  griechischen  Volkswesens,  —  das  in  der 
Blüthezcit  allein  gegen  den  Classicismus  zurücktritt,  — 
die  romantische  Periode  von  Hellas  liegt  so  plastisch 
in  dieser  Schöpfung,  dass  uns  die  Empfindung  über- 
schleicht, als  sei  hier  ein  lebender  Zeuge  jener  myth- 
ischen Dämmerung. 

«Im  Spiel  der  Wellen»  ist  das  Bild  genannt 
und  jetzt  ein  kostbarer  Schatz  der  Münchner  Pinakothek. 


—  Mitten  auf  den  wunderbar  leuchtenden  blaugrünen 
Meereswogen ,  die  in  Kadenzen  sich  hoch  aufthürmen 
und  senken  und  auf  deren  kristallener  Durchsichtigkeit 
Schaumfäden  entlang  schiessen ,  ist  eine  ausgelassene 
Gesellschaft  beisammen:  ganz  vorn  ein  jugendschönes 
Meerweib  mit  Flossenfüssen ,  die  angstvoll  davon- 
schwimmt;  ein  faunisch  lachender,  meerrosenbekränztcr, 
brauner  Triton  mit  kupfernem  Bacchusgesicht  begleitet 
die  Holde  und  streichelt  lüstern  und  beruhigend  ihren 
weissen  Nacken.  Indess  taucht  hinter  diesem  Paar  eine 
Art  Froschmensch  mit  Schuppenkamm  auf  dem  Kopf 
in  die  Tiefe,  —  hoch  aber  auf  der  Spitze  einer  Welle 
tolpatscht  der  Urheber  dieses  humorvollen  Schreckens, 
ein  prächtiges,  echt  böcklinisches  Gebilde  heran,  —  ein 
Seecentaur.  Hastig  arbeiten  die  ausgreifenden  Schwimm- 
füsse  um  den  schwerfälligen  Körper  vorwärts  zu  bringen, 
und  der  hochaufgerichtete  dicke  Trinkerleib,  die  krampf- 
haft gespreizten  Arme,  der  struppig  gehaarte  Kopf  mit 
lüstern  entflammten  Augen  spiegeln  übereinstimmend 
in  angespannter  Erregtheit  das  glühende  Liebesver- 
langen nach  einer  Nymphe ,  die  sich  dicht  vor  ihm 
durch  Niedertauchen  in  die  schimmernde  Tiefe  der 
verhassten  Umarmung  entzieht.  Eine  Genossin  der 
Schönen  lässt  sich  mit  höhnischem  Lachen  nahebei 
auf  dem  Rücken  treiben ,  —  bereit  auch  ihrerseits 
durch  Niedergehen  zur  traulichen  Wasserheimath  den' 
verliebten  Trottel  zu  foppen.  —  Ein  entzückender 
Zauber  elementarer  Jugendlichkeit  durchströmt  das 
Thun  dieser  naiv  gewaltthätigen  Fabelwesen,  deren 
Empfindungskraft  und  Befriedigungsdrang  in  diesem 
Hymnus  des  phantastischen  Künstlers  glorios  aufgefasst 
und  dargestellt  ist.  — 

Verwandt  in  der  Art,  aber  von  vielleicht  noch 
ausgeprägterer  Sinnlichkeit  ist  die  «Meerfamilie», 
die  auf  einem  Riff  mitten  im  Meergewoge  beisammen 
ist.  Das  nackte  Menschenweib  mit  dem  strampelnden 
Säugling  lang  ausgestreckt,  hinter  ihr  kletternd  mit 
kühn  vorgebogenem  Hals  ein  zweites  Kind ,  und  alle 
mit  dem  ungebrochenen,  gieren  Blick  fesselloser  Natur 
den  Vater  und  Mann  anblickend,  der  mit  haarigem 
Leib  und  hängendem  blonden  Haupthaar,  mit  halb 
lüsternem  und  halb  wildem  Auge  auf  die  Gruppe  her- 
absieht, neben  der  er  eben  auftaucht,  um  ihr  eine  ge- 
fangene, am  Halsfell  gepackte  Robbe  zu  bringen.  — 

Von    noch    grösserem,    germanisch -gemüthvollem 


Arnold  BOcklin  pinx. 


riiot.  ¥.  lUnfeUenKl,  Müiu-hfii 


Flora. 

Phologravure  im  Verlag  von   Kran?   Ilanfslaengl  in  München. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


33 


Zauber  in  der  Darstellung  naturmythischen  Familien- 
glücks ist  eine  ähnliche  ältere  Schöpfung :  «Tritonen- 
familic»,  deren  flossenfüssige  junge  Mutter  sich  be- 
haglich, wie  träumend,  auf  einem  Felsen  reckt,  während 
der  dunkelbärtige  Triton,  an  sie  gelehnt,  den  jubelnden 
Sprössling  auf  seinem  Knie  nach  Art  der  Menschen- 
väter reiten  lässt.  —  —  Nicht  geringer  in  der  Malerei 
ist  dann  eine  packende  Personifikation  der  «Meeres- 
stille» durch  eine  dämonisch  schöne,  auf  einem  Riff 
über  dunstigen  Wassern  gelagerte  Nixe.  —  — 

Ein  neueres,  die  Antike  behandelndes  Werk  ist 
dann  auch  der  sehr  poetisch  coucipirte  und  prächtig 
aufgebaute  «Gang  zum  Bacchustempel»,  der  farbig 
etwas  grell  ist.  Nach  den  antiken  Vorwürfen  noch 
einige  romantische,  die  zum  Theil  wahre  Farbenjuwele 
sind,  wie  «Die  anbetenden  Krieger  im  heil- 
igen Hain»,  der  «Drachentödter»,  während 
die  religiösen  Bilder  aus  dieser  Hand ,  deren  Blutlauf 
heidnisch  empfindet ,  nicht  die  volle  sieghafte  Gewalt 
tragen.  So  eine  zwar  grossartig  aufgefasste  «Pietä»: 
über,  den  naturalistisch  gemalten  Heiland,  der  auf  einer 
Steinplatte  liegt,  ist  die  ganz  verhüllte  Madonna  weh- 
klagend zusammengebrochen,  und  aus  rosiger  Wolke 
schauen  Engel  mit  mitleidiger  Geberde  herab.  Selt- 
samer Weise  sind  es  bei  diesem  Werke  stilistische 
Mängel,  welche  den  herrlichen  Farbengesang  dieser 
gewiss  grossartig  aufgefassten  Darstellung  wie  in  der 
Ferne  verhallen  lassen.  —  — 

Und  abermals  volle  Kunstwerke  bietet  Böcklin  in 
der  kleinen  Reihe  von  modernen  Themen.  Da  sind  die 
an  Einklang  schwermüthiger  Poesie  einzig  schönen 
«Herbstgedanken»,  welchen  ein  reifes  junges  Weib 
am  bäum-  und  buschumkränzten  Bachufer  unter  fallenden 
Blättern  im  Wandeln  nachhängt,  —  da  ist  das  von 
melancholischer  Stimmung  erfüllte  Werk  «Burg  am 
Meer»;  —  unter  zwei  köstlichen,  holbeinisch  abge- 
klärten «Selbstbildnissen»  ist  jenes  de  1885  her- 
vorzuheben, das  die  markige  Gestalt  des  Künstlers,  ein 
Glas  Wein  in  der  rechten  Hand  haltend,  zeigt,  mit 
kühnem,  selbstbewussten  Blicke.  Eine  im  Gewand  der 
Empirezeit  durch  eine  entzückend  schöne,  blüthen- 
übersäete,  bachdurchrauschle  Wiesenlandschaft  her- 
schreitende «Flora»  und  jenes  köstliche  Gedicht, 
«Sieh',  es  lacht  die  Au»,  in  dem  singende,  träu- 
mende,  blumenpflückende  Mädchengestalten  durch  eine 


herrliche  Frühlingslandschaft  wandeln,  gehören  hierher; 
über  alledem  jedoch  steht  neben  Böcklin's  grössten 
Thaten  der  «Eremit»  (Berliner  Nationalgallerie),  — 
an  schwungvoller  Grösse  der  Stimmung  von  anderen 
Werken  des  Künstlers  vielleicht  übertroffen,  unerreicht 
an  Innigkeit  und  Tiefe  echt  deutscher  Empfindung.  Ein 
uralter,  hochbekutteter  Mönch  steht  in  der  hölzernen 
Vorhalle  einer  Klause,  vor  dem  abendsonnenschein- 
umflimmerten  Madonnenbild  an  der  getünchten  Thür- 
wand,  und  geigt;  —  von  der  Inbrunst  der  Versenkung 
in  die  Gottheit  durch  den  jubelnden  Ton  haben  sich 
die  Abendwolken  aufgethan,  ein  flammender  Licht- 
strahl schiesst  durch  die  seitliche  Lichtöffnung  der  Vor- 
halle auf  den  weltvergessenen  Alten,  Engel  sind  her- 
untergeflattert; kindlich  lächelnd  sitzt  der  eine  auf 
dem  Fensterbrett  und  lauscht,  der  andere  aber  lugt 
auf  den  Spitzen  stehend  durch  das  Fenster  der  Hinter- 
seite auf  den  Greis,  der  in  seiner  klingenden  Gott- 
seligkeit nichts  ahnt  von  dem  Wunder  um  ihn.  Rührend 
humoristisch,  so  ganz  altdeutsch,  dürerhaft  naiv  wirkt 
die  Silhouette  des  Alten ,  die  kindliche  Hingegebenheit 
der  Bewegung  beim  Geigenstrich;  —  blüthenhaft  zart 
und  reizvoll  ist  die  Farbe;  —  —  ich  habe  Jahre  lang 
als  junger  Kunstnovize  vor  diesem  Bilde  meinen  sonn- 
tägigen Künstlergottesdienst  abgehalten  und  seitdem 
die  Gallerie  nie  betreten,  ohne  durch  ein  Weilchen 
weltentrückter  Schau  meine  Seele  rein  gebadet  zu 
haben   vom  Staub  wirrer  Eindrücke.  — 

Dann  ist  noch  der  «Frühlingstag»:  ein  italienischer 
Vorwurf,  nordisch-phantastisch  versetzt  mit  gespenstisch 
weissen  Birkenstämmen  auf  der  blumigen,  von  Quellen 
durchrieselten  Wiese.  Eine  italienische  Villa,  mit  kleinem, 
dunklem  Hain  und  breiter  Wasserfläche  dahinter,  — 
alles  unter  wolkigem,  regenschwangerem  Himmel.  Ein 
alter  Mann  steht  sinnend  am  Fluss,  —  ein  Liebespaar 
tändelt  im  Vordergrund  beim  Spiel  der  Laute,  —  an 
der  Villa  umscherzen  Kinder  ein  Mädchen:  ein  ganzer, 
lenzhaft  ahnungsvoll  und  werdefrisch  durchhauchter 
Lebenslauf  ist  in  der  knospenhaft  herben  Darstellung 
angedeutet,  —  in  der  man,  —  wie  bei  allen  Werken 
dieses  Künstlers,  —  in's  grosse  Herz  der  Natur  blickt 
und  seinen  feierlichen  Schlägen  —  als  einer  urheiligen 
Offenbarung  gebannt  lauscht.  —  — 

Seit  Anfang   der  achtziger  Jahre    hat  Böcklin   sich 
zur  Rast    von   seinen  Fahrten   in  Hottingen   bei   Zürich 


34 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT, 


ein  stilles  Heim  errichtet,  —  ein  Schritt,  der  seine 
Spur  im  « Eremiten  ■»  und  vielen  neueren  Werken 
des  Künstlers  unverkennbar  durch  die  germanische 
Heimathlichkeit  in  Auffassung  und  Empfindung  er- 
kennen lässt. 


Überaus  reich  ist  die  Zahl  der  Werke  aus  dieser 
Hand,  —  jedes  hat  eine  scharf  ausgeprägte  Eigenart 
und  ist  gleichsam  ohne  typische  Voraussetzungen  aus 
ungetrübten  Quellen  der  Eingebung  geflossen.  Der 
66jährige  Künstler  kann  auf  ein  Leben,  selten  reich  an 
Kampf,  doch  auch  selten  reich  an  Erfolg,  zurück- 
blicken. Die  Ideale  einer  todten,  in  ihrem  Einfluss 
abendroth  verglühenden  Kultur  und  die  Ideale  einer 
der  grössten  lebenden  Rassen,  der  er  angehört,  zwang 
sein  Gedanke  zu  innigster  Vereinigung  zusammen, 
ganz  unbekümmert  um  alle  andere  Forderung  als  die 
des  Eigenwesens.     Mitten    in    dem    grossen    Zuge    nach 


Regeneration,  der  durch  die  europäische  Kunst  geht, 
scheint  der  Weg  hinter  Böcklin  abgebrochen,  —  und 
doch  hebt  hinter  ihm  eine  grosse  und  .starke  Schule 
der  deutschen  Neuromantik  an,  die  seines  Geistes  voll 
in  die  Gegenwart  eingezogen  ist.  Davon  einer  der 
Künstler,  der  Radirer  Max  Klinger,  mit  seinen  frei 
erfundenen  Cyklen  bereits  in  seinem  35.  Jahr  an  Um- 
fang und  Bedeutsamkeit  auf  den  höchsten  Höhen  der 
deutschen  Kunstgeschichte  steht,  —  mit  verschwend- 
erischem Reichthum  an  Offenbarungen  Hans  Thoma, 
ein  gereifter  Mann ,  das  spezifisch  historische  Ger- 
manenthum  vertritt,  —  in  dem  Jüngsten,  Franz  Stuck, 
aber  der  griechische  Geist  des  Meisters  als  Erbschaft 
zum  Vorschein  kommt.  Jeder  eine  originelle,  um- 
fassende Persönlichkeit,  —  Jeder  auf  anderem  Wege 
nach  Verbindung  von  Romantik  und  Gegenwart  ringend, 
—  Alle  veredelt  und  befruchtet  von  dem  Einen.  — 
Das  ist  Arnold  Böcklin. 


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Die  Sünde. 

EIN  MÄRCHEN. 

(ZU     DEM     BILDE     VON     FRANZ     STUCK.) 

VON 

ERNST  ROSMER. 


Die  Sünde  war  die  schwarze  Königin  der  Welt 
geworden.  Herrscher  pilgerten  zu  ihrem  ein- 
samen Bergtempel  und  opferten  ihre  Kronen 
auf  die  Stufen.  Die  Sünde  küsste  die  Könige  und  zertrat 
die  Kronen.  Barhaupt  zogen  sie  heim  und  krank.  Den 
Schwachen  stürzte  der  Schwindel  von  der  Felsensteile. 
Den  Stärkeren,  der  sich  müde  in  sein  Reich  fand,  er- 
schlug das  Volk,  denn  er  hatte  die  Krone  verloren. 
Der  Stärkste  erkämpfte  sich  eine  neue  Krone ,  aber 
lebenslang  war  ihm  ein  Geheimnis  in  den  Augen  und 
die  Menschen  stiessen  sich  an  und  flüsterten:  «Er  hat 
die  Sünde  gesehen. » 


«Ich  will  die  Sünde  auch  sehen»,  sagte  ein  blonder 
Betteljunge  und  machte  sich  auf  den  Weg.  Er  pfiff 
ein  Lied  in  den  blauen  Sommer  hinaus  und  brach  sich 
einen  grünen  Haselstecken.  Den  schnitt  er  zurecht,  nur 
ganz  oben  Hess  er  ein  paar  grüne  Blattfälmchen  stehen. 
«Das  ist  lustiger»,  sagte  er,  schwenkte  ihn  rundum, 
«  und  zum  Nüsseherunterschlagen  ist  er  auch  gut » .  Er 
that  sich  keine  grosse  Eile  den  Berg  hinauf  «  Herunter 
geht  es  schneller  und  lang  bleib'  ich  nicht.  Aber  fest 
will  ich  sie  anschauen,  dass  mir's  in  den  Augen  steht: 
ich  habe  sie  gesehen».  Und  er  nickte  und  schwatzte 
mit    allen    Bergblumen    und    Berggräsern ,    so    dass    es 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


35 


feuriger  Mittag  war ,  als  ihm  der  Tempel  entgegen- 
goldete.  Er  nahm  sich  einen  Lauf  und  rannte  in  Einem 
bis  an  das  Thor  und  wie  das  offen  war,  sprang  er 
mitten  hinein  in  die  Halle.  Da  lachte  er  sich  wieder 
zu  Athem  und  fasste  seine  rothen  lustigen  Wangen : 
«O  wie  heiss!  Gut,  dass  es  kühl  ist  hier.  Aber  was 
ist  es  so  dunkel  ?  i> 

Als  sein  Auge  sich  in  die  Dämmerung  gewöhnt 
hatte,  sah  er  die  Sünde  inmitten  ihres  Thrones  aus 
thaufeuchten  Rosen.  Schön,  ernst  und  heilig,  das  weisse 
Ruheangesicht  aus  dem  Schweigen  des  Haares  gehoben, 
das  Haar  über  die  Wangen  herab  die  perlenbleiche 
Brust  beschleichend.  Seitwärts  dunkelten  ihn  die  tiefen 
Augen  an,  die  Könige  zittern,  beten  und  sterben  ge- 
macht hatten. 

Der  Betteljunge  fürchtete  sich  nicht,  denn  er  hatte 
ein  unschuldig  keckes  Herz  und  war  gut. 

Neugierig  ging  er  dicht  an  den  Thron  und  freute  sich. 

« Du  bist  sehr  schön.  So  lange  Haare.  Und  die 
feinen  Wangen.     Und  dein  Mund  .  .  .   . » 

Er  wurde  nachdenklich. 

« Dein  Mund  gefällt  mir  nicht.  Was  hast  du  ihn 
so  fest?     Kannst  du  nicht  lachen.^» 

Die  Sünde  löste  die  ruhenden  Lippen  von  einander, 
und  eine  goldene  Stimme  webte  sich  zu  Worten : 

«  Ich  kann  nicht  lachen.  » 

Der  Junge  schlenkerte  bedauernd  den  Haselstecken 
und  wiegte  sich  vor  auf  die  Zehen: 

«Und  weinen?     So  recht  tüchtig  weinen?» 

« Ich  kann  auch  nicht  weinen. » 

Der  Junge  kraute  sich  hinter'm  Ohr. 

«Wie  langweilig!     Du  arme  Sünde.» 

Er  ging  nochmals  an  sie  heran  und  betrachtete  sie 
aufmerksam. 

«Du  bist  sehr  schön.  Aber  meine  Mutter  ist 
schöner. » 

Die  Sünde  erblasste  und  fühlte  einen  warmen 
Schmerz  in  der  kalten  ewigen  Brust.  Frei,  ungefangen 
stand  der  frohe  Betteljunge  vor  ihr,  und  sie  sah,  dass 
er  holder  war  als  die  Mächtigsten ,  die  ihr  gekniet 
hatten. 

Er  fasste  eine  Rose  und  wollte  sie  abreissen. 

«  Ich  geh'  jetzt  wieder.  Aber  schau  mich  fest  an. 
Schau  mich  doch  gerade  an!  Kannst  du  einen  nicht 
gerade  anschauen  ?     Ich  will  dich  in  den  Augen  haben.  » 


Die  Sünde  kehrte  bange  den  Blick  von  ihm  und 
ihre  Wimpern  schwiegen  herunter. 

«Du  wirst  mich  nie  in  den  Augen  haben,  denn 
gesehen  hat  mich  nur,  wer  mich  gefühlt  hat. » 

Der  Junge  zerrte  noch  immer  an  den  Rosen. 

«Wer  dich  gefühlt  hat?  Wie  macht  man  das? 
Wer  hat  dich  gefühlt?» 

Die  Sünde  richtete  sich  mit  tiefem  Athem  empor 
und  ihr  Leib  leuchtete. 

«Wer  mich  küsste. » 

«Dann  geh'  ich  wieder  heim»,  sagte  der  Junge. 
«  Küssen  mag  ich  nicht. » 

Und  ärgerlich  über  den  Widerstand  riss  er  eine 
ganze  Ranke  aus  dem  Rosengeflecht.  Da  sah  er  eine 
Schlange  darunter  liegen.  Eine  kalte,  bunte,  riesige 
Schlange  mit  kleinem  scharfen  Giftrachen.  Er  schaute 
sie  an   und  war  böse. 

«Pfui!»  sagte  er  und  schüttelte  sein  helles  Gelock 
zurück.  « So  ein  hässliches  Thier  liegt  unter  deinem 
Thron?  Und  das  sagst  du  nicht?  Und  Rosen  sind 
darüber  gedeckt?     Du  lügst  ja!     Schäme  dich!» 

Die  Sünde  zürnte.  « Und  du  fürchtest  dich ! 
Nur  Könige  haben  den  Muth  zu  mir.  Bettler  sind 
feig. » 

Sie  neigte  sich  der  Schlange.  Die  wand  sich 
zwischen  den  Rosen  hindurch,  bäumte  sich  hoch  empor 
und  Hess  den  Kopf  auf  die  Schulter  der  Sünde  fallen. 
Sie  gürtete  sich  um  den  weichen  Frauenleib,  umkettete 
ihn  noch  einmal ,  eingewachsen  in  den  Schlangenring 
stand  die  Sünde  vor  dem  Knaben.  Da  däuchte  sie  ihm 
herrlicher  als  zuvor  und  sein  Herz  strahlte  aus  seinen 
morgenlachenden  Worten. 

« Ich  bin  nicht  feig.  Ich  habe  Muth,  einen  grossen 
Riesen  umzubringen.  Ich  werde  mit  meinem  Haselstecken 
die  grüne  Schlange  erschlagen.  Aber  erst  werde  ich 
dich  küssen  1 » 

Er  ersprang  die  Rosenstufen  und  heftete  über  die 
Schlange  hinweg  die  jungen  Arme  um  ihren  Nacken. 
Er  streifte  über  ihre  Lippen  hin  und  her  und  suchte 
ihren  Athem  in  sich  zu  haschen.  Aber  sie  wehrte  sich 
und  wehrte  ihm,  sie  wollte  ihn  nicht  küssen,  sie  schauerte 
in  Menschenmitleid  und  Menschenangst,  und  das  Mitleid 
wurde  wieder  zur  Sehnsucht  und  die  Angst  zum  Begehren 
und  Verlangen  und  sie  stürzte  ihren  heissesten  Todeskuss 
auf  seinen  bittenden  Mund. 


36 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Zwischen  ihren  eng  aneinander  gedrängten  Leibern 
presste  sich  wie  ein  rinnender  Wassertropfen  der 
Schlangenrachen  hinab  und  biss  den  Knaben  in's  Herz. 
Er  schrie  nicht,  aber  er  wurde  bleich  in  den  rothen 
Wangen.  «O»,  sagte  er,  «du  hast  mir  weh  gethan. » 
Und  mit  seinen  beiden  sterbenden  Händen  erwürgte  er 
die  Schlange,  dass  ihre  feuchten  Ringe  von  den  Schultern 
der  Sünde  herabfielen.  Dann  stürzte  er  zurück,  hinunter, 
auf  den  Perlmutterboden  der  Halle.  Er  schaute  noch 
einmal  empor  in  ihre  Nachtaugen : 

« Ich  liebe  dich.  » 

Er  lächelte  und  war  todt. 


Da  hüllte  die  Sünde  ihr  langes  Haar  über  die  Brust 
und  weinte. 

Die  letzte  Sonne  ging  aus  dem  Tempel.  Der  Himmel 
erblindete  in  graufarbigen  Schleiern.  Späte  Abendpilger 
kamen  in  die  mondlichte  Halle.  Sie  fanden  den  todten 
Betteljungen  mit  dem  Haselstecken  in  der  Faust,  mit 
zwei  kleinen  Blutstropfen  auf  der  Brust,  und  sahen  in 
seine  gebrochenen  Augen  und  suchten  das  Geheimnis 
darin.     Aber  sie  fanden  es  nicht. 

Er  hat  die  Sünde  nicht  gesehen,  sagten  sie. 

Auf  dem  verwelkten  Thron  lag  die  erschlagene 
Schlange.     Die    schwarze    Königin    war    verschwunden. 


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Die  Sünde. 


Ein  Jubiläum. 


Am   12.  November    1893    feierte    Hofrath   Edgar 
Hanfstaengl  6.3ß,  25  jährige  Inhaberjubiläum  der 
^  Kgl.  Bayer.  Hofkunstanstalt  Franz  Hanfstaengl 
zu  München. 

An  diesem,  für  den  Jubilar  wie  für  das  Institut, 
hochbedeutenden  Gedenktage  ziemt  es  unserer  Kunst- 
Chronik,  dass  sie  einen  kurzen  Rückblick  auf  die  grosse 
Entwickelung  eines  Unternehmens  werfe,  welches  nament- 
lich während  der  Inhaberschaft  Edgar  Hanfstaengr s  in 
hervorragender  Weise  sich  entfaltet  hat. 

Die  Firma  Franz  Hanfstaengl  wurde  im  Jahre  1833 
von  Franz  Hanfstaengl,  einem  hochbegabten  Künstler, 
dem  Vater  des  Jubilars,  begründet.  Franz  Hanfstaengl's 
erste  Arbeiten  erstreckten  sich  auf  lithographirte  Portraits 
und  grössere  in  gleicher  Manier  hergestellte  Kunstblätter 
für  Kunstvereine  etc.  Diese  Arbeiten  haben  den  Namen 
Hanfstaengl  schon  damals  in  weiteren  Kreisen  bekannt 
gemacht  und  sind  heute  noch  als  Musterleistungen  auf 
dem  Gebiete  der  lithographischen  Kunst  hochgeschätzt. 
Aber  die  eminente  Schaffenskraft  des  Begründers  des 
Hauses  wagte  sich  bald  an  eine  für  jene  Zeit,  in  der  es 
noch  an  allen  die  Zeichnung  erleichternden  Hilfsmitteln 
gebrach,  über  welche  der  reproducirende  Künstler  heute  zu 
verfügen  vermag,  riesenhaft  erscheinende  Aufgabe,  näm- 
lich die  Vervielfältigung  der  Dresdener  Galerie  auf  litho- 
graphischem Wege.  In  verhältnissmässig  kurzer  Zeit,  im 
Zenith  seiner  Schaffenskraft  stehend,  bezwang  Hanfstaengl 
dieses  aus  190  auf  Stein  gezeichneten  Bildern  bestehende 
Riesenwerk  und  dokumentirte  damit  ein  künstlerisches 
Können,  welches  die  Bewunderung  und  Anerkennung 
seiner  Zeitgenossen  erringen  musste.  Nicht  zum  ge- 
ringsten Theile  hat  diese  vortreffliche  Publikation,  welcher 
die  beste  Lebenszeit  eines  ganzen  Mannes  geweiht  war, 


dazu  beigetragen,  das  Renommee  dieser  Gemäldesamm- 
lung weiter  auszubreiten  und  überhaupt  den  Sinn  und 
das  Verständniss  für  die  Werke  der  Alten  mehr  und 
mehr  zu  entwickeln.  Daneben  fand  Franz  Hanfstaengl 
noch  Zeit,  sich  sowohl  fortgesetzt  der  Zeichnung  von 
Portraits  auf  Stein  wie  galvanographischen  Arbeiten, 
wozu  das  bekannte  meisterhafte  Blatt  Flüggen :  t  die 
Prozessentscheidung»  zu  zählen  ist,  zu  widmen. 

Nachdem  in  den  fünfziger  Jahren  die  Photographie 
immer  mehr  Einfluss  auf  die  Portraitherstellung  gewann, 
wandte  Franz  Hanfstaengl  dieser  neuen  Sonne  der  ver- 
vielfältigenden Kunst  seine  volle  Aufmerksamkeit  zu, 
in  richtiger  Erkenntniss  der  grossen  Tragweite,  welche 
diese  geniale  Erfindung  auf  die  vervielfältigende  Kunst 
für  alle  Zukunft  gewinnen  möchte.  In  seinem  Sohne 
Edgar,  der  sich  inzwischen  in  der  Welt  umgesehen 
hatte  und  von  weiten  Reisen,  die  sich  bis  China  erstreckten 
und  als  deren  Frucht  u.  A.  ein  für  die  Ethnographie  und 
Länderkunde  damals  werthvolles  photographisches  Werk 
<  China  und  der  Osten »  entstand,  zurückkam,  fand  er 
einen  eifrigen,  von  neuem  universellen  Standpunkte  aus 
die  Entwickelung  des  Institutes  anstrebenden  Mitarbeiter. 
Es  gelang  Beider  Bemühen,  auch  auf  photographi- 
schem Wege  dem  Atelier  Hanfstaengl  den  Ruf  eines 
ersten  Portraitateliers  zu  erringen,  so  dass  es  für  den 
München  besuchenden  Fremden  programmgemäss  wurde, 
sich  aus  demselben  sein  Portrait  mitzunehmen. 

Am  12.  November  1868  übergab  Franz  Hanfstaengl 
seinem  Sohne  Edgar  das  Institut,  um  den  Abend  seines 
an  Arbeit  und  an  Ehren  reichen  Lebens  mehr  künst- 
lerischen Liebhabereien  widmen  zu  können ;  er  konnte 
nur  wenige  Jahre  —  er  starb  18.  April  1877  —  dieser 
Ruhe  sich  erfreuen. 


38 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Mit  diesem  Wechsel  trat  eine  neue  Aera  für  das 
Haus  ein,  welche  Hand  in  Hand  ging  mit  der  grossen 
Entwickelung  der  bildenden  Künste  in  Deutschland  und 
besonders  in  München.  Hatte  die  Photographie  bis  da- 
hin ganz  Hervorragendes  geleistet  in  ihrer  Anwendung 
auf  Portrait  und  Landschaft,  deren  Resultate  grös- 
seren oder  geringeren  künstlerischen  Werthes  noch 
mehr  von  der  individuellen  Begabung  des  Photographen 
abhingen  wie  heutzutage,  wo  es  die  Trockenplatte  und 
das  Rufungsrezept  fast  Jedem  möglich  macht,  ganz  leid- 
liche Erfolge  zu  erreichen,  so  lag  doch  die  photo- 
graphische Technik  in  ihrer  Anwendung  auf  weitere 
Gebiete,  so  namentlich  in  Anwendung  auf  die  Repro- 
duktion von  Oelgemälden  etc.  in  Deutschland  in  den 
Anfangsstadien.  Edgar  Hanfstaengl  betrachtete  es  als 
hauptsächliche  Aufgabe  seiner  Anstalt,  die  Photographie 
der  Reproduktion  von  Gemälden  immer  dienstbarer  zu 
machen;  er  konnte  sich  der  Durchführung  dieser  Pläne 
umsomehr  widmen,  als  er  für  das  Porträtfach  in  seinem 
Bruder  Ernst  eine  künstlerisch  veranlagte  Kraft  zur  Seite 
hatte.  Manch'  technische  Schwierigkeit  in  Bezug  auf 
Beleuchtung  und  Farbenbeherrschung  stellte  sich  ent- 
gegen und  war  zu  überwinden ;  aber  schon  nach  kurzer 
Zeit  hatten  die  Hanfstaengl'schen  Reproduktionen  die 
allgemeine  Schätzung  des  Künstlers  und  Kunstfreundes, 
trotz  der  namentlich  aus  Frankreich  stark  herüberwehen- 
den Luft,  sich  zu  erwerben  vermocht  und  in  dieser  Ver- 
vollkommnung ist  es  immer  weiter  vorwärts  gegangen. 

Mit  der  Entwickelung  der  deutschen  Kunst,  be- 
sonders der  Münchener  Piloty-Schule ,  hatte  sich,  wie 
schon  erwähnt,  dem  Hanfstaengl'schen  Verlage  eine 
Fülle  von  Thätigkeit  und  Vielseitigkeit  erschlossen.  Die 
vortrefflichsten  Schöpfungen  dieser  Periode  wie  der 
späteren  Kunstbewegungen  haben  ihre  Vervielfältigung 
daselbst  gefunden ,  so  dass  die  « Galerie  moderner 
Meister » ,  unter  welcher  Flagge  die  Werke  der  zeit- 
genössischen Malerei  veröffentlicht  wurden,  zu  der  im- 
posanten Ziffer  8000  angewachsen  ist.  Berücksichtigt 
man,  dass  ungefähr  jedes  dieser  8000  Sujets  in  durch- 
schnittlich drei  verschiedenen  Formaten  und  diese  wieder 
in  verschiedenen  Reserven  vorgesehen  wurden,  so  er- 
giebt  sich  leichtlich  die  respektable  Summe  von  30000 
Negativplatten.  Diese  umfangreiche  Kollektion  bildet 
denn  auch  für  alle  Zukunft  das  getreueste  Spiegelbild 
des  künstlerischen  Schaffens  der  letzten  25  Jahre  in 
Deutschland;    die    publizirten  Werke,    auch    nur    nach 


deren  Autorennamen,  zu  nennen,  würde  zu  weit  führen 
und  kann  nur  konstatirt  werden,  dass  viele  der  hervor- 
ragendsten Künstler  der  Gegenwart  mit  der  Summe  ihres 
Schaffens   im  Hanfstaengl'schen  Verlage  vertreten  sind. 

Wie  auf  dem  Gebiete  der  modernen  Kunstrepro- 
duktion die  Firma  Hanfstaengl  eine  dominirende  Stellung 
sich  errang,  so  hat  sie  sich  auch  bezüglich  der  Ver- 
vielfältigung von  Werken  alter  Meister  direkt  nach  den 
Originalen  in  die  erste  Reihe  zu  stellen  gewusst.  Die 
umfassenden  Publikationen  der  Gemäldegalerien  zu 
München,  Berlin,  Dresden,  Cassel,  Amsterdam,  Haag, 
Brüssel,  Haarlem,  die  Schätze  in  Buckingham  Palace 
und  Windsor  Castle  in  London,  wie  der  Liechtenstein- 
Galerie  zu  Wien,  legen  das  beste  Zeugniss  hierfür  ab. 
Die  Hanfstaengl'schen  Reproduktionen  der  modernen 
wie  alten  Schulen  sind  fast  sämmtlich  in  unveränder- 
lichem Kohledruck,  welcher  unter  Anwendung  eines  dem 
Institute  eigenthümlichen  isochromatischen  Aufnahme- 
verfahrens hergestellt  wird,  ausgegeben  und  als  Bestes 
ihrer  Art  allgemein  geschätzt. 

Um  das  Kohledruckverfahren,  welches  zu  den 
empfindsamsten  aber  auch  edelsten  Vervielfältigungs- 
mitteln gezählt  werden  darf,  der  höchsten  Entwickelung 
zuzuführen,  war  die  Einführung  eines  grossen  maschinellen 
Fabrikationsbetriebes  nothwendig  geworden.  Die  in 
grossem  Stile  geschaffene  Anlage,  deren  spezielle  Ueber- 
wachung  Hofrath  Edgar  Hanfstaengl  sich  besonders  an- 
gelegen sein  lässt,  kann  als  eine  Mustereinrichtung  be- 
zeichnet werden,  welche  ihresgleichen  an  Ausdehnung 
und  Präzision  nicht  hat. 

Neben  dem  Kohledruckprozesse  werden  alle  übrigen 
bekannten  technischen  Vervielfältigungsmethoden,  soweit 
sie  sich  für  Anwendung  in  grossem  Stile  eignen,  in  zu- 
meist dem  Institute  eigenthümlichen  Manipulationen,  aus- 
geübt. So  die  einen  Ersatz  für  Stich  oder  Radirung 
bildende  Photogravure  (Kupferätzung)  in  anerkannt  künst- 
lerischer Vollkommenheit  —  man  betrachte  neben  den 
zahlreichen  Blättern  der  modernen  Kunst  die  neuesten 
Kupferätzungen  nach  Dürer-,  Rembrandt-,  Hals -Origi- 
nalen und  das,  in  seiner  frappirenden  Originalwirkung 
alles  nach  diesem  Kunstwerke  Vorhandene  in  den 
Schatten  stellende,  grosse  Blatt  der  Sixtinischen  Ma- 
donna. —  Dann  die  Aquarellgravure,  welche  in  ge- 
treuester  Uebersetzung  den  Farbenzauber  des  Originals 
wiederzugeben  sich  zur  Aufgabe  macht  und  sowohl  in 
ihrer  Anwendung   bei   Herstellung  von   grossen  Einzel- 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT 


39 


blättern  wie  in  Bezug  auf  Prachtwerkpublikationen  die 
vervielfältigende  Kunst  auf  weitere  neue  Bahnen  geleitet 
hat.  Auch  die  rascheren  und  allgemeinerer  Anwendung 
gewidmeten  Reproduktionsmittel  als  da  sind  Lichtdmck, 
Autotypie  und  Zinkographie  (Buchdruckverfahren),  werden 
in  ausgedehnter  Weise  zur  Ausführung  gebracht. 

In  dieser  stetigen  Entwickelung  ist  die  Firma  Franz 
Hanfstaengl,  welcher  im  Jahre  1891  die  Ehre  zutheil 
wurde,  zur  Kgl.  Bayer.  Photogr.  Hofkunstanstalt  ernannt 
zu  werden,  in  dem  Zeiträume  eines  Vierteljahrhunderts 
zu  einem  Welthause  vornehmster  Bedeutung  und  zum 
vielseitigsten  Kunstinstitute  der  Welt  überhaupt  heran- 
gereift.     Die    in   London    und    New -York    bestehenden 


Filialen  sorgen  neben  dem  Münchener  Stammhause  mit 
kräftigem  Flügelschlage  dafür,  dass  die  Schöpfungen 
deutscher  Kunst  und  deutschen  Geistes  in  alle  Welt 
getragen  werden. 

Hofrath  Edgar  Hanfstaengl  aber,  dem  gelegentlich 
dieses  Jubiläums  die  wärmsten  Glückwünsche  von  Nah 
und  Fern  entgegengebracht  wurden,  durfte  an  diesem 
Ehrentage  mit  Stolz  und  freudiger  Genugthuung  auf 
ein  Vierteljahrhundert  erspriesslichsten  Wirkens  zurück- 
blicken, beseelt  von  dem  Bewusstsein,  einer  der  vor- 
nehmsten kulturellen  Aufgaben  der  Gegenwart  seine 
ganze  Kraft  und  seine  Talente  gewidmet  zu  haben. 

JD.  3ischofF. 


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Die  Akademie 

VON 

KARL  RAUPP. 


Bei  den  revolutionären  Tendenzen  der  modernsten 
Kunstrichtung,  bei  der  Verneinung  alles  dessen, 
was  seither  in  den  Zielen  der  bildenden  Kunst 
als  erstrebenswerth  gegolten,  wird  gar  häufig  auch  der 
vornehmsten  Bildungsanstalt  für  den  angehenden  Künstler, 
der  Akademie,  das  Urtheil  gesprochen.  Eine  der  ver- 
nichtendsten Bezeichnungen  unserer  Kritik  ist  der  Aus- 
druck « akademisch » ,  das  heisst  mit  anderen  Worten 
«herkömmlich,  veraltet,  zopfig,  langweilig,  schablonen- 
haft !s  Alle  diese  liebenswürdigen  Begriffe  lassen  sich 
in  dem  Worte  « akademisch  1^   vereinigen. 

Solche,  meist  recht  gedankenlos  ausgesprochene, 
proklamirte  Schädlichkeit  der  akademischen  Ausbildung 
erzeugt  dann  von  selbst  den  Wunsch,  die  Ursache  all' 
dieses  Uebels  aus  der  Welt  zu  schaffen,  die  künstlerische 
Individualität    durch    Aufhebung  jeder    staatlichen  För- 


derung oder  Bevormundung  frei  von  allen  Fesseln  sich 
entwickeln  zu  lassen. 

Wohin  dies  führt  oder  führen  kann,  sieht  jeder,  dem 
die  Verhältnisse  den  Einblick  gestatten,  nur  allzu  deutlich. 

Von  diesen  lockenden  Lehren  angezogen,  verlässt 
der  Kunstjünger  jetzt  vielfach  vor  vollendetem  Studien- 
gang die  Akademie  und  beginnt  in  einem  freien  Atelier 
nach  eigener  Fagon  die  künstlerische  Zukunft  sich  zu 
erobern. 

Ohne  selbständiges  Urtheil,  mit  unzureichendem,  un- 
fertigem Können  ausgerüstet,  auf  die  unsichern,  sich  wider- 
sprechenden Urtheile  der  gleichaltrigen  Freunde  nur  an- 
gewiesen und  besonders  unter  den  verwirrenden  Ein- 
drücken der  sich  drängenden  Ausstellungen,  in  welchen 
dem  Anfänger  nur  die  Extravaganz  imponirt ,  geht  so 
manches  anfänglich  schöne  Talent  hoffnungslos  zu  Grunde. 


6* 


40 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Jeder  bedeutende  Künstler,  es  gehört  dies  fast  immer 
zu  dessen  Biographie,  ist  von  irgend  einer  Akademie  als 
talentlos  bezeichnet  worden.  Manchesmal  trifft  dies  auch 
zu  und  man  sollte  glauben,  dass  eben  doch  die  schon 
erwähnte  Pedanterie  und  eingerostete  Schablone  solcher 
Behörden  die  Schuld  an  solchem  Ausspruch  trage.  Allein 
der  Studirende,  der  sich  in  eine  bestimmte  Schule  zur  Vor- 
bereitung aufnehmen  lässt,  darin  recht  herzlich  schlechte, 
nehmen  wir  an,  figürliche  Studien  verbricht,  kann  den- 
noch eine  bedeutende  Begabung  für  die  Landschaft  oder 
das  Thierfach  besitzen;  es  ist  begreiflich,  dass  seine  der 
Akademie  nur  bekannten  Leistungen  dies  nicht  ver- 
rathen  haben. 

Als  Nachfolger  Professor  Strähuber's  war  mir  eine 
Zeitlang  der  Antikensaal  der  Münchener  Akademie  über- 
tragen worden.  Einer  meiner  Schüler,  ein  junger  Pole, 
stümperte  jammervoll  an  den  armen  Antiken  herum,  mir 
und  ihm  zur  Qual.  Es  war  gut,  dass  er  häufig  fehlte 
und  endlich  ganz  ausblieb.  Bald  darauf  sah  ich  hinter 
den  Scheiben  einer  bekannten  Kunsthandlung  ein  Bild 
in  blitzendem  Goldrahmen,  das  den  Namen  des  unglück- 
seligen Antikenschülers  trug.  Ich  traute  meinen  Augen 
kaum,  —  die  bekannte  polnische  Winterlandschaft  mit 
schmutziger  Landstrasse,  ein  aus  dem  Bilde  heraus- 
jagender bespannter  Schlitten  in  möglichst  grasser  photo- 
graphischer Verkürzung,  das  polnische  Bilderrezept  nach 
bekannten  guten  Mustern!  Allerdings,  das  fachmännische 
Auge  durchschaute  sofort  das  Geheimnis  der  Herstellung, 
aber  in  seiner  Erscheinung  war  das  Bild  entschieden  dem 
Kunsthändler  eine  brauchbare  Waare.  Fand  das  Bild 
alsdann  vielleicht  Aufnahme  in  einem  photographischen 
Kunstverlage,  so  hatte  sich  der  Antikenschüler  mit  einem 
Male  unter  die  «modernen  Meister»  geschwungen  und 
das  Recht,  auf  die  Akademie,  deren  Schädlichkeit  und 
Unterdrückung  der  Künstlerindividualität    zu  schimpfen. 

Es  ist  nicht  zu  leugnen,  der  Akademie  des  vorigen 
Jahrhunderts  und  der  Zeit  der  klassischen  Periode  unter 
Cornelius  sind  die  Vorwürfe  der  Einseitigkeit  und  des 
künstlerischen  Zwanges  nicht  zu  ersparen.  Die  ganze 
Kunstanschauung  des  1 8.  Jahrhunderts  erklärt  die  manier- 
istische,  schablonenhafte  Art,  welche  den  Kunstunterricht 
dieser  Zeit  kennzeichnet.  Unter  Cornelius  herrschte  der 
Stil,  die  Kontur,  unter  Aufgabe  aller  rein  malerischen 
Bestrebungen. 

Die  Antike,  der  Akt  und  die  Draperie  füllten  das 
Programm  der  damaligen  Lehre  aus.     Eine  Ausbildung 


in  der  Farbe  erschien  unnöthig.  Hatte  man  ausstudirt, 
war  der  Künstler  fertig,  so  gewöhnte  man  sich  damals 
noch  ein  wenig  das  Malen  an! 

So  kam  es  denn,  dass,  als  der  Drang  nach  maler- 
ischer Ausbildung  die  strebende  Jugend  mehr  und  mehr 
ergriff,  diese  nach  Antwerpen  zu  wandern  gezwungen 
war,  an  dessen  Akademie  unter  Wappers  besonders 
Dykman's  Schule  die  Maltechnik  zu  einer  in  Deutschland 
noch  völlig  unbekannten  Vollkommenheit  ausgebildet  hatte. 

Die  einstmalige  Akademie  war  eben  auch  nur  der 
Ausdruck  ihrer  Zeit  und  genügte  den  Ansprüchen,  welche 
die  herrschende  Kunstanschauung  an  dieselbe  stellte. 
Deren  Bestrebungen  sind  selbstverständlich  nicht  minder 
von  bestimmenden  Einfluss  auf  den  Unterricht  gewesen, 
als  es  die  heutige  malerische  Anschauung  auf  die  gänzlich 
veränderte  Lehrweise  der  modernen  Kunstschule  jetzt 
ist.  Wenigstens  da,  wo  sich,  wie  in  München,  ein  viel- 
gestaltiges Kunstleben  dominirend  geltend  macht. 

Aber  ist  es  billig  und  vernünftig,  die  staatlichen 
Kunstbildungsanstalten  als  überflüssig  zu  verdammen, 
weil  einzelne  Künstler  ohne  deren  stützende  Hilfe  Be- 
deutendes geleistet  haben.?  Oder  weil  bei  führenden, 
hervorragenden  Geistern  in  der  späteren  Eigenart  ihres 
Schaffens  nichts  an  deren  einstigen  Studiengang  erinnert? 
Ein  solcher  Eiferer  z.  B.  verdammt  in  der  « Zukunft » 
frisch  und  fröhlich  allen  akademischen  Unterricht.  «  Fort, 
mit  Perspektive,  Anatomie,  Kunstgeschichte  und  An- 
tike ! »  ruft  der  Kenner  unserer  Akademien  dann  weiter, 
«überflüssiger  Kram,  der  den  naiv  studirenden  Kunst- 
eleven fortan  nicht  mehr  belästigen  soll».  Der  Autor 
ist  wohl  kein  Künstler  und  nimmt  vielleicht  das  rabul- 
istische Raisonement  seiner  modernen  Freunde  für  baare 
Münze!  Es  scheint  ihm  nicht  völlig  klar  zu  sein,  dass 
Perspektive  und  Anatomie  das  künstlerische  Studium 
vor  der  Natur  erleichtern  und  eine  Unkenntnis  dieser 
Hilfsfächer  die  Ausführung  gar  mannigfacher  malerischer 
Aufgaben  scheitern  lassen  würde. 

Kein  wirklicher  Künstler  wird  die  Zwecklosigkeit 
dieser  Lehrfächer  bejahen.  Allerdings,  eine  allzu  breit 
angelegte  Perspektive  und  Projektionslehre  wie  eine 
wissenschaftliche ,  medizinische  Anatomie  ist  darunter 
nicht  zu  verstehen.  Für  letztere  vor  allem  genügt  ein 
durch  zeichnerisches  Studium  erlangtes  anatomisches 
Verständnis  des  Knochen-  und  Muskelbaus.  Und  warum 
soll  dem  jungen  Maler  der  Blick  in  die  Entwicklung 
vergangener     Perioden     seiner    Kunst     verwehrt    sein? 


Cuno  von  Godenhauaen  pinx. 


t^opyriglit  189.J  by  F.  HaiifstaeiHfl,  München. 


Frühlingstraum. 


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03 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


41 


Doch  wohl  nur  desshalb ,  damit  sein  Glaube  an  die 
allein  seligmachende  Grösse  der  modernen  Götter  nicht 
alterirt  werde? 

Ich  vermöchte  sonst  wahrhaftig  keinen  Grund  ein- 
zusehen 1 

Allgemeine  Bildung  müsste  nach  dieser  Theorie  der 
Kunstausübung  schädlich  und  das  Wort,  das  die  Kunst  als 
die  feinste  Blüthe  der  Kultur  bezeichnet,  alsdann  kaum 
zu  begründen  sein.  Die  Akademie  bietet  in  ihren  Ein- 
richtungen und  Sammlungen,  in  ihrer  Bibliothek  und 
ihren  sonstigen  Lehrmitteln  den  Studirenden,  welche 
sich  ja  aus  allen  Lebenskreisen  zusammen  finden, 
Gelegenheit  zur  Weiterbildung,  d.  h.  für  den,  der  sich 
weiter  bilden  will;  als  Hochschule  kennt  sie  keinerlei 
Zwang  und  allen  zur  Fahne  der  eben  gehörten  An- 
schauung Schwörenden  ist  es  unbenommen,  die  schäd- 
lichen Einrichtungen  zu  fliehen.  Sicher  aber  ist  es  die 
Aufgabe  einer  richtigen  Kunstlehranstalt,  dem  werdenden 
Künstler  alle  jene  Bildungsmittel  zu  bieten,  die  ein 
höher  strebendes  Talent  zur  Erreichung  der  gesteckten 
Ziele  unbedingt  bedarf  und  welche  ihm  der  frühere 
Lebensgang  mehr  oder  weniger  versagte. 

Das  figürliche ,  künstlerische  Studium  benöthigt  in 
erster  Linie  der  staatlichen  Hilfsmittel  zur  Ausbildung. 
Ein  gründliches  Studiren  nach  dem  lebenden  Modell 
und  was  damit  zusammenhängt,  ist  für  den  unbemittelten 
Kunstjünger  unter  den  heutigen  Verhältnissen  fast  aus- 
geschlossen. Die  umfassenden,  hierzu  nöthigen  Einricht- 
ungen vermag  der  Einzelne  sich  nicht  zu  beschaffen. 
Privatschulen  dagegen ,  grösstentheils  der  Vorbereitung 
für  die  Akademie  dienend,  werden  immer,  ganz  abge- 
sehen von  dem  damit  verbundenen,  weit  höheren  Geld- 
aufwand für  den  Schüler,  in  den  nothwendigsten  Ein- 
richtungen weit  hinter  der  Akademie  zurückstehen  müssen. 

Einen  Haupttheil  des  Lehrprogramms  der  Aka- 
demie ergeben  die  technischen  Schulen,  das  Zeichnen 
nach  der  Natur,  der  Akt  und  das  Malen  nach  der 
Natur.  Auf  der  Münchener  Akademie  wird  in  der  so- 
genannten «Naturklasse»,  eine  merkwürdige  Bezeichnung 
allerdings,  der  Studienkopf  und  der  lebensgrosse  Akt 
zeichnerisch  studirt.  Die  genaue  Kenntnis  der  Form, 
das  Verständnis  in  der  zeichnerischen  Wiedergabe  wird 
hier  in  erster  Linie  betont,  die  malerische  Erscheinung 
im  Ganzen,  in  Licht,  Schatten  und  Tonwirkung  aber 
nicht  minder  vollständig  dabei  zum  Ausdruck  gelangen 
müssen.      Das    darin    geübte    Auge    geht    beim    Malen 


leichter  und  sicherer  der  farbigen  Wirkung  nach.  Der 
Abendakt  hat  die  Aufgabe,  den  menschlichen  Körper 
in  seinen  Verhältnissen  und  Bewegungen  rasch  und 
sicher  kennen  und  auffassen  zu  lernen.  Es  wird  dies 
erreicht  durch  möglichst  einfache  zeichnerische  Behand- 
lung, bei  welcher  eine  lebendige  Kontur  mit  einfacher 
Angabe  des  Formverständnisses  wie  der  Hauptmassen 
in  Licht  und  Schatten  einer  hier  unnöthig  weitge- 
triebenen plastischen  Wirkung  in  Schwarz  und  Weiss 
vorzuziehen  ist.  Der  Individualität  des  Schülers  sollte 
die  Behandlungsart  der  Ausführung  schonend  über- 
lassen, dessen  Handschrift  immer  sichtbar  sein. 

Gleichmässigkeit  der  Arbeiten  einer  Schule  darf  in 
der  Erscheinung  sich  nur  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
geltend  machen.  Jedenfalls  nicht  mehr  als  das  gleiche 
Modell  und  dieselben  Beleuchtungsbedingungen  dies  er- 
klärlich erscheinen  lassen.  Eine  darüber  hinausgehende 
Gleichartigkeit  dokumentirt  stets  eine  über  das  erlaubte 
Mass  geübte  Beeinflussung  des  Lehrers.  Die  Münchener 
Akademie  löste  vor  mehreren  Jahren  schon  den  Antiken- 
saal als  Lehrmittel  für  den  Anfänger  auf  Die  Er- 
fahrung zeigte  das  geringe  Verständnis  des  Studirenden 
gegenüber  der  Formvollendung  dieser  classischen  Vor- 
bilder; ein  Verständnis,  das  ja  nach  vorangegangenem 
Naturstudium  in  Wirklichkeit  erst  zu  erwarten  ist.  Der 
Schüler  begreift  vor  diesem  Studium  nur  das  äusser- 
liche  der  stilisirten,  übersetzten  Form  der  Antike,  welches 
ihm  dann  eher  hinderlich  als  förderlich  vor  der  lebend- 
igen Natur  wird. 

Zudem  ist  der  naturalistische  Zug  unserer  Zeit, 
beim  jüngsten  Anfänger  fühlbar,  einem  Festhalten  bei 
der  Antike  nicht  günstig.  Wird  auch  vielleicht  des 
Schülers  Blick  geschärft  für  die  Verhältnisse  des  mensch- 
lichen Körpers  durch  vorheriges  Zeichnen  nach  antiken 
Figuren,  so  darf  man  doch  fragen,  ob  dieser  Vortheil, 
der  ja  auch  vor  der  Natur  erreicht  wird,  den  Zeitverlust 
aufwiegt,  den  der  Antikensaal  dem  Studirenden  seither 
gekostet. 

Eine  weit  wichtigere  Stelle  fiir  die  Ausbildung  des 
Künstlers  gebührt  der  sogenannten  «Komponirschule», 
richtiger  « Meisterschule  »   genannt. 

Die  Pariser  Akademie  kennt  diese  Einrichtung  nicht. 
Dieselbe  wird  daher  auch  in  München  vielfach  ange- 
griffen. Aber  gerade  dieser  Erweiterung  unserer  Aka- 
demie verdankt  die  Münchener  Kunststadt  einen  sehr 
wesentlichen  Theil  ihrer  Entwicklung.     Man  erinnere  sich 


42 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


nur  an  Piloty's  Schule,  aus  welcher  Münchens  klang- 
vollste Namen  hervorgingen.  Und  heute  wie  damals 
ist's  der  Boden,  aus  dem  die  junge  Kraft  der  Münchener 
Schule  herauswächst.  Die  endgiltige  praktische  Bethät- 
igung  des  erlangten  Könnens  zeitigt  die  Komponirschule. 

In  den  Vordergrund  wird  hier  die  Individualität 
des  jungen  Künstlers  gestellt,  er  hat  dann  auszugeben, 
was  in  ihm  liegt  und  was  er  aus  dem  seither  Gelernten 
zu  machen  versteht.  Eine  eigenartige,  kraftvolle,  künst- 
lerische Anlage  tritt  hier  bereits  in  ihren  ersten  Schöpf- 
ungen unverkennbar  zu  Tage,  sie  nützt  des  Lehrers 
stützende  Leitung  begreiflicher  Weise  weit  selbständiger 
aus ,  als  es  einem ,  noch  mit  sich  unklaren ,  noch 
schwankenden  Wollen,  das  sicherer  Anlehnung  dringend 
bedarf,  gelingt.  Bei  Letzterem  ist  denn  auch  der  so 
viel  geschmähte  überwiegende  Einfluss  des  Lehrers 
sichtbarer  und  das  Schulbild  fertig.  Ist  dies  denn  aber 
ein  Unglück?  Doch  nur  dann,  wenn  der  unverkenn- 
bare Stempel  des  Meisters  allen  Schöpfungen  seiner 
Schüler  dauernd  und  gleichmässig  aufgedrückt  erscheint. 

Da  aber,  wo  die  eigene  Schaffenskraft  nur  noch 
nicht  geweckt  ist,  wird  sie  mit  dem  ersten,  unter  thät- 
igster  Mitarbeit  des  Lehrers  vollendetem  Bilde  erwachen, 
von  Werk  zu  Werk  die  Individualität  schärfer  hervor- 
treten, der  Schüler  sich  klar  werden,  was  zum  Bilde 
gehört  und  was  sein  künstlerisches  Ziel  und  Ideal  ein- 
mal sein  wird. 

Mag  dann  später  des  Schülers  Schaffen  diametral 
dem  seines  einstigen  Meisters  entgegenstehen,  die  Hilfe, 
die  der  Emporklimmende  bei  den  ersten  Schwierig- 
keiten seiner  selbständigen  Schöpfungen  in  den  Unter- 
weisungen seines  Lehrers  fand,  hat  ihm  über  sonst  un- 
übersteigliche  Schwierigkeiten  hinübergeholfen,  ihm  den 
Weg  abgekürzt  und  geebnet,  mehr  als  derselbe  viel- 
leicht selbst  ahnt  und  mit  Dank  anzuerkennen  sich  ver- 
pflichtet fühlt.* 

Die  modernen  Anschauungen  in  der  Kunst,  jeder 
Autorität  den  Krieg  erklärend ,  lassen  denn  auch  des 
betreffenden  Verfassers  gewagte  Behauptung  verstehen, 
«  der  junge  Künstler  lernt  nur  durch  die  Ausstellungen ! » 

Die  äusseren  Einwirkungen  eines  grösseren  Kunst- 
lebens .sind  gewiss  von  anregender  Förderung  auf  die 
Entwicklung  eines  angehenden  Künstlers  und  vieles  was 
von  aussen  kommt,    gibt   bei  seinem  Studium  ihm  den 


Anstoss  zu  fortschreitender  Erkenntnis.  Die  alljähr- 
lichen Ausstellungen  jedoch,  wie  wir  sie  jetzt  in  München 
haben,  verwirren  nur  das  unreife  Verständnis,  bringen 
mehr  Aufregung  als  Anregung  unter  die  studirende 
Jugend.  « Den  Kraftvollen  unter  den  Künstlern  fällt 
heute  die  Erziehung  zu».  Gut,  —  wer  garantirt  uns 
dann  aber,  da.ss  es  nur  die  wirklich  innerlich  tüchtigen 
Leistungen  auf  den  Ausstellungen  sind,  welchen  die 
Jugend  nachzustreben  sucht  und  nicht  meist  die  Augen- 
blick.sblender  ohne  nachhaltige  Kraft  mit  ihren  Extra- 
vaganzen und  Modethorheiten,  die  heute  glänzen  in 
erborgtem  Schimmer  und  morgen,  übertrumpft  von 
Anderem,  vergessen  sind.  Wir  sehen  die  Mode  in 
der  Kunst  in  unseren  Ausstellungen  wechseln  wie  in 
einem  Damenkleidermagazin.  Kein  Wunder,  wenn  die 
Verwirrung  steigt  und  das  Kaleidoskop  so  verschieden- 
artiger Eindrücke  gar  manches  hoffnungsvolle  Talent  auf 
sonderbare  Wege  führt,  aus  denen  nimmer  ein  Ausweg 
zu  finden. 

Klar  ist,  dass  die  Akademie  als  künstlerische  Hoch- 
schule des  Staates  ein  gewisses  konservatives  Element 
in  dem  Wirrsal  streitender  Richtungen  und  Meinungen 
in  der  Kunst  bildet,  ohne  dass  die  nothwendige  Folge 
pedantische ,  veraltete  und  einengende  Lehrprinzipien 
sein  müssen.  Die  Münchener  Akademie  weiss  sich 
auch  von  Letzterem  vollständig  frei,  der  scharfe  Wind, 
der  von  aussen  stets  hereinweht,  schützt  davor  und  ein 
objektiver  Beurtheiler  der  alljährlichen  Ausstellungen 
der  Arbeiten  der  verschiedenen  Schulen  wird  schwer- 
lich einen  solchen  Vorwurf  daraus  zu  begründen  ver- 
mögen. Die  Einwirkung  des  Staates  auf  die  künstler- 
ische Bildung  durch  seine  Anstalten  gibt  der  Entwick- 
lung des  ganzen  Kunstlebens  die  sichere  Basis,  die  ihr 
die  Zukunft  verbürgt. 

Die  verbreiterte  zeichnerische  Fähigkeit  hebt  die 
Leistungsfähigkeit  des  ganzen  Volkes  auf  jedem  Gebiet 
der  Kunst  und  des  künstlerischen  Gewerbes.  Frank- 
reich zehrt  heute  noch  an  den  wohlthätigen  Folgen 
der  weitsichtigen  Kulturpolitik  seines  Colbert,  welcher 
in  den  staatlichen  Kunstanstalten  und  Schulen  den  Grund 
zu  der  Jahrhunderte  dauernden  Herrschaft  Frankreichs 
im  Reiche  des  Geschmacks  gelegt,  damit  die  Welt 
der  französischen  Industrie  dienstbar  und  sein  Land 
reich  gemacht  hat. 


Unsere  Bilder. 


Bilder  schauen  —  es  heisst  durch  die  Welt  fliegen; 
es  heisst  Märchen  lauschen,  wie  sie  Schehere- 
sahde  nicht  buntfarbiger  zu  erzählen  vermöchte. 
Es  heisst,  sich  tragen  lassen,  rascher  als  der  schnellste 
Blitzzug  fährt,  von  dem  Zaubermantel  der  Kunst,  von 
Norden  nach  Süden ,  aus  abendlichem  Frieden  in 
Strassen-Gewirr,  aus  elegantem  Salon  in  niedere  Senn- 
hütte, von  ernsten  Schauern  zu  muthwilligem  Lachen, 
vom  Krankenbett  in  den  Wald;  zurück  in's  Mittelalter, 
in  die  Römerzeit ,  vom  Sagenreich  in  die  modernste 
Wirklichkeit.  Eine  Fluth  von  Eindrücken,  die  da  an  uns 
heranströmen  in  heftigem  Wechsel;  einjagen  vonEmpfind- 
ungen,  von  Erinnerungen,  von   Fragen  und  Gedanken! 

„Cuno  von  Bodenhausen:  Friihlingstraum.'^ 

Ein  holdes  Mädchengesicht  von  jenem  Künstler, 
der  so  zart  empfindet  in  unserer  herbgearteten  Zeit 
und  der  zum  Liebling  des  Publikums  geworden,  nicht 
blos  in  Europa,  auch  über  dem  Ocean,  —  in  zwei  Welten, 
—  weil  er  eine  weichere,  schönere  Welt  dichtet,  weil  er 
dem  hungernden  Gemüthe  Märchen-Gestalten  vorzaubert. 

Ein  zartblauer  Himmel,  eine  schüchterne  Sonne. 
Leises  Zwitschern ,  leises  Rieseln.  Weisse  Wölkchen 
schweben  wie  kleine  beflügelte  Engelsköpfchen ,  zart 
und  rosig  und  silbergefiedert.  Zuweilen  unterbricht  ein 
Mövenschrei  die  traumhafte  Stille.  Wie  ein  Pfeil  zuckt 
die  Frühlingsbotin  durch  die  Luft;  dann  wieder  Ruhe; 
nur  das  feine  kosende  Locken  der  Vögel. 

Und  in  diesen  erwachenden  Keimen,  in  dieser  von 
Lebensdrang  durchzitterten  Landschaft,  in  dieser  März- 
schwüle —  eine  junge  Seele.  Gleich  einer  Liebkosung 
streicht  die  weiche,  milde  Luft  um  die  Wangen.  Eine 
süsse  Mattigkeit  breitet  sich  über  die  Glieder.  Unwill- 
kürlich schliessen  sich  die  jungen  Augen:  Wie  dieser 
warme  Frühlingshauch  bestrickt  und  berauscht;  wie  er 
glühen  und  schaudern  macht;  wie  er,  mit  Schöpfer- 
gewalt auch  in  der  Mädchenbrust  ein  Neues  weckt,  ein 
geheimnissvolles,  nicht  in  Worte  zu  fassendes  Taumel- 
Gefühl  —  selige  Wehmuth,  hoffnungsvolle  Sehnsucht. 

Märzveilchen  duften.  Auf  den  Wiesen  thaut  die 
Sonne  das  letzte  Winter -Eis  im  Schattenwinkel.  Es 
pocht,  es  regt  sich,  es  keimt  und  sprudelt  ringsum  in 
Lebensfülle. 

Von  der  jungen  Stirne  aber  fächelt  der  warme 
Hauch  den  Kindertraum. 


So  weit,  so  weit  wird  das  Herz;  aus  all  den  leise 
flüsternden  Stimmchen,  selbst  aus  dem  schrillen  Möven- 
schrei klingt's  wie  eine  beklemmende,  bestürmende  Frage 
« Erwach  auch  Du !     Komm !  O  komm  1 » 

Sie  weiss  nicht,  wohin  es  sie  ziehen  will  mit  diesem 
mächtigen  Drängen.  Es  lockt  in  die  Ferne,  fort,  fort, 
mit  den  Wolken,  mit  den  Vögeln,  in  ein  weites  Wunder- 
land. Zugleich  aber  taucht  doch  auch  aus  naher  Er- 
innerung ein  junges  Gesicht  empor,  ein  Männerkopf  mit 
warmen  Augen,  wohlbekannt  und  doch  fremd,  in  wunder- 
samer Verklärung;  ein  jähes  Erschrecken,  ein  banges 
Glück  pocht  durch  das  Herz.  Es  ist,  als  spräche  dieser 
Mund,  bestrickender,  glühender  als  das  heimliche  Flüstern : 
«  Erwach  auch  du  !     Komm !     O  komm !  » 

Aus  dem  knospenden  deutschen  Frühling  fort  auf 
dem  Zaubermantel  in  heisses  südliches  Leben. 

„Augusto  Corelli:   Italienische  Hochseitsfeier." 
Es  liegt   Wärme,    Leidenschaft,    Farbe    und    Gluth 
schon  in  den  zwei  Worten. 

Man  fühlt  ordentlich  die  Schwüle  in  dem  menschen- 
erfüllten Raum,  in  den  ein  Stückchen  tiefblauen  Himmels 
hereinleuchtet.  Man  meint  den  Lärm  zu  hören  aus  all 
diesen  Kehlen,  die  so  gewohnt  sind  zu  singen  und  zu 
schreien,  in  den  lebhaften  offenen  Lauten  ihrer  Sprache. 
Die  Rosen  auf  dem  Tische  welken.  Aber  die  Lippen 
glühen  und  die  dunklen  Augen  brennen  unter  dem 
schwarzen  Locken-Gewirr.  Der  Bräutigam  flüstert  seinem 
jungen  Weib  verliebte  Worte  in's  Ohr.  Aber  er  ist 
nicht  der  Einzige,  der  liebt  und  schmeichelt  und  bittet 
und  einem  heissen  Blicke  begegnen  möchte.  Die  Schönste 
jedoch,  mit  den  tollsten  Augen  trinkt  einem  fernen  Glücke 
zu  und  winkt  es  heran  mit  lachenden  Lippen.  Der 
Brautvater  gibt  sich  mit  dem  Behagen  des  Alters  dem 
Genuss  einer  köstlichen  Birne  hin  und  kümmert  sich 
nicht  um  das  lose  junge  Volk,  dessen  Flüstern  und 
Kichern  und  Lachen  die  Stimme  des  Festredners  ver- 
schlingt, der  das  feierliche  Hochzeits-Carmen  vorträgt. 
Am  Ende  der  Tafel  sinnt  ein  Anderer,  nachdenklich 
und  mühevoll,  auf  seinen  Trinkspruch.  Gravitätisch, 
ernst  und  strafend  schaut  eine  verblühte  Schöne  neben 
ihm  unter  ihrem  weissen  Kopftuch  hervor  auf  die  über- 
müthigen  jungen  Gesichter  in  ihrer  Reihe.  Glühende 
Lebensfreude,  sorgloses  Augenblicks -Glück  strömt  in 
feurigen  Wellen  über  die  Festtafel  hin;  aus  den  Chianti- 


44 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Flaschen,  aus  den  Gläsern  steigt  ein  leiser  Taumel  empor 

und  fliegt   durch    den   lauten,   heissen  Raum,    als    wäre 

Dyonisos,   der   alte  Gott  wieder   mächtig   geworden    in 

seinem  schönen  Bereich. 

Hinaus  in's  Freie  1   Wir  wandern  rasch.   Stille  Bäume ; 

eine  einsame,  ernste  Landschaft. 

„Gilbert  von  Canal:   Landschaft.'^ 

Durch  weisse  Wolken  flimmert  die  Sonne.    In  einem 

Tümpel  spiegelt  sich  Gestein,  ein  morscher  Baumstamm, 

das  Ufergestrüpp,  von  Lichtfunken  durchsprüht.     Sonst 

nur  Grün,  Grün  in  allen  seinen  Tönen  und  Abstufungen, 

herrliches  Blättergewoge   und   der  Duft  der  Einsamkeit. 

Das  grosse  beredte  Schweigen  der  Natur  liegt  über  den 

Wipfeln. 

«Und  aus  Fels,  aus  Baum,  aus  Fernen 

Lesen  wir  die  alte  Keilschrift, 

Die  der  Haufe  nie  versteh'n  mag, 

Das  Gesetz  des  ewig  Schönen.  > 

Eine  Bewegung  der  Hand  und  wir  sind  aus  der 
grossen  Weltabgeschiedenheit  in  einen  gepflegten  Park 
versetzt  vor  eine  winzige  blonde  Engländerin. 

„Edith  Scanneil:   Die  kleine  Ezm.^^ 

Der  Apfel!    Der  Apfel! 

Wie  rosig  er  da  oben  hängt,  wie  lockend,  wie  nah ! 
Aber  die  Aermchen  reichen  doch  nicht  hinauf.  Sonst 
könnte  sie  wohl  dem  reizvollen  Anblick  nicht  wider- 
stehen. Sie  müsste  ihn  holen,  trotz  des  strengen  Ver- 
botes. Der  Apfel,  den  sie  nicht  haben  soll,  nicht  haben 
kann,  er  schmeckte  gewiss  so  süss,  viel  süsser  als  jeder 
andere.  Sie  vermag  die  Aeuglein  nicht  abzuwenden 
von  der  verbotenen,  verführerischen  Frucht.  Die  schöne 
Puppe  hängt  ganz  vergessen  in  der  Hand,  sträubt  ihre 
Flachshaare  und  wird  im  nächsten  Moment  zu  Boden 
gleiten.  Die  Puppe  ist  langweilig.  Ungeduldiges  Ver- 
langen, nutzlose  Sehnsucht  erfüllt  das  Herzchen.  So 
geht's  an.  Und  wenn  dann  die  Kleine  grösser  wird, 
wenn  die  Arme  ein  bischen  weiter  reichen  und  immer 
noch  das  Versagte,  das  Verbotene  lockt  —  dann  gibt 
es  böse,  böse  Geschichten.    Ja,  Ja,  der  Apfel !  der  Apfel ! 

Ein  neuer  Flug.     Wir  sind  wieder  im  Süden. 

„ Angelo  DairOcca  Bianca :  Auf  der  Brücke."^ 

Das  Strassenleben,  das  ewige  Wechseln  und  Wan- 
dern auf  einer  Brücke,  es  ist  das  perpetuum  mobile  einer 
Stadt;  es  ist  die  Fluth  und  Ebbe  in  einem  Menschen- 
meer. Tausende  laufen  da  hin  und  her,  geputzt  und 
zerlumpt,  hungrig  und  übersatt,  mit  keckem  Augenschlag 
oder   mit  [fromm    gesenktem    Blick;    der    eine   geht    zu 


einem  Taufschmaus,  der  andere  auf  den  Friedhof;  der 
eine  zu  einem  Liebchen,  das  ihm  lachend  in  die  Arme 
fliegt,  der  andere  zu  einem  stirnrunzelnden  Vorgesetzten. 
Und  nun  gar  im  Süden,  wo  man  nicht  hastig  durch 
den  grauen  Nebel  hineilt,  wie  bei  uns,  wo  man  lebt 
auf  der  Strasse !  Welche  Fülle  von  Bildern,  welches 
Kaleidoskop  von  wechselnder  Farbe!  Wenn  auch  die 
Damen  die  Hände  in  den  Muff"  stecken,  die  Mädchen  sich 
in  ihre  Tücher  wickeln,  wenn  auch  im  Wind  die  Röcke 
fliegen,  es  wird  hier  dennoch  stillgestanden  und  geplauscht. 
Die  Frauen,  die  vom  Einkaufen  kommen,  müssen  sich 
die  Stadtneuigkeiten  erzählen,  und  es  wird  ihnen  warm 
vor  Neugier  und  vor  Entsetzen  über  ihre  bösen  Neben- 
menschen. Auch  den  Jungen  wird  es  warm,  wenn  sie 
gleich  mehr  mit  den  Augen  reden  als  mit  den  Lippen. 
Ein  Geistlicher  geht  seines  Weges  und  schaut  nicht 
rechts  und  nicht  links,  damit  er  nicht  sehen  muss,  was 
für  Liebesthorheiten  da  wieder  angezettelt  werden ;  die 
elegante  Dame  mit  der  Zofe  schreitet  vorüber,  ein  dralles 
Kind  auf  dem  Arm  der  hübschen  Mutter  lutscht  vergnügt 
an  seinem  Brod  ;  dahinter  kommen  ernster  und  würdiger 
ein  paar  Alte  aus  der  Kirche.  Die  Sonne  lugt  ein  wenig 
hervor,  blitzt  auf  dem  Wasser  und  umfluthet  das  bewegte 
Bild,    die  bunten  Gestalten   mit  reizvollem  Lichtzauber. 

Ein  neues  Blatt! 

„R.  C ollin:   Der  Schlaf" 

Die  Kunst,  die  grosse  Hexenmeisterin,  hat  einen 
Schleier  emporgehoben  und  zeigt  uns  das  Holdeste,  das 
Berückendste,  was  die  Erde  kennt:  einen  zarten,  rosigen 
Mädchenkörper,  unverhüllte,  jungfräuliche  Schönheit. 

Wie  ein  Feenkind  liegt  das  schlanke,  junge  Geschöpf 
im  Grün :  die  langen  Haare  strömen  wie  leuchtende 
Wellen  um  die  süssen  Glieder;  das  Händchen  greift  in 
die  Luft,  als  wollte  es  haschen  nach  einem  Traumglück, 
das  vorüber  fliegt. 

Man  meint  zu  sehen,  wie  die  junge  Brust  athmet, 
wie  Schmetterlinge  über  sie  hingaukeln,  in  welchem 
Frieden  sie  da  ruht,  mitten  in  der  Natur,  —  selber  nur 
Natur,  ihr  schönstes  Werk,  eine  grosse,  herrliche  Blume. 

Es  ist  Frau  Venus,  die  uralte,  ewig  junge,  das  Ideal 
der  Schönheit,  nach  dem  alle  Künstler  trachten,  von  dem 
alle  Dichter  singen:  ein  weisser  Frauenleib  in  seiner 
schlanken  Fülle,  mit  seinen  weichen  Wellenlinien. 

Und  Poesie  webt  um  das  hüllenlose  Weib  ihren 
Duft.  Mit  ihren  geschlossenen  Augen  schlummert  sie 
wie  in  Paradieses-Unschuld. 


CO 

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m 

l-l 


Edith  Scannen  pinx. 


Copyright  1803  by  V.  Hanfstacngl,  München. 


Die   kleine   Eva. 


Sterzing  an  der  Brennerstrasse  als  Studienort 
FÜR  Künstler  und  Kunstforscher 


VON 


BERTHOLD   RIEHL. 


I  s  hat  einen  eigenen  Reiz,  an  einem  rauhen  April- 
tage, die  uns  am  Nordhange  der  Alpen  ja  zahl- 
reich genug  bescheeit  werden,  München  zu 
verlassen ,  um  den  nächsten  Morgen  in  Italien ,  wenn 
uns  das  Glück  wohl  will,  bei  lichtem,  warmen  Sonnen- 
schein zu  erwachen,  in  blumenreichen  Gatten  unter  den 
herrlich  blühenden  Bäumen  spazieren  zu  gehen.  Die 
grossen  Gegensätze  von  diesseit  und  jenseit  der  Alpen 
treten  uns  da  in  voller  Schärfe  entgegen,  sofort  wird 
sich  das  Verständniss  dafür  öffnen,  dass  in  dem  anders 
gearteten  Land  ein  anderes  Volk  und  durch  dieses 
eine  andere  Kunst  erwachsen  musste,  die  durch  den 
mächtigen  Grenzwall  der  Alpen  geschieden  werden. 

Aber  auch  die  alte  Art  zu  reisen,  sich  in  Tag- 
märschen Italien  zu  nähern,  hatte  und  hat  ihre  grossen 
Vorzüge,  denn  bei  dem  langsamen  Zurücklegen  des 
Weges  sieht  der  aufmerksame  Beobachter  nicht  nur  die 
grossen  Gegensätze,  sondern  er  findet  auch  feine  Ueber- 
gänge,  er  erfährt,  dass,  soweit  die  deutsche  Zunge  reicht, 
auch  die  deutsche  Kunst  geht,  ja  mitunter  noch  ein 
gutes  Stück  weiter,  dass  aber  ihr  eigenartiger  Charakter 
in  diesen  Thälern,  welche  den  Norden  und  Süden  seit 
so  alter  Zeit  verbinden ,  vielfach  durch  die  Einflüsse 
italienischer  Kunst  bedingt  wird,  wie  wir  andererseits 
auf  acht  italienischem  Boden  zuerst,  wie  etwa  in  Trient, 
noch  manche  Nachklänge  deutscher  Kunst  finden,  die 
wir  weiter  südlich  vergeblich  suchen  würden. 

Die  erste  Stadt,  die  wir  auf  unserer  Wanderung  nach 
dem  Ueberschreiten  des  Brennerpasses  betreten,  ist  Ster- 
zing. Aber  noch  kurz  ehe  wir  den  interessanten  Ort  er- 
blicken, fesselt  unsere  Aufmerksamkeit  ein  Bauernhaus 
rechts  der  Strasse,  das  zum  Dorfe  Ried  gehört.    Es  ist  ein 


einfaches,  altes  Haus,  das  aussen  sehr  schlicht  und  innen 
nur  durch  die  niedrigen  Thüren  und  Wölbungen  von 
seinem  Alter,  durch  den  erheblichen  Schmutz  in  den 
fast  höhlenartigen  Räumen  von  der  Annäherung  an 
Italien  erzählt,  und  doch  birgt  das  unscheinbare  Haus 
ein  beachtenswerthes  Kunstwerk,  das  namentlich  hier 
von  Interesse,  weil  es  uns  sagt,  dass  wir  auf  der  Wan- 
derung nach  Italien  in  eine  neue  Kunstsphäre  eintreten. 
Am  Südende  der  der  Strasse  zugekehrten  Seite  des 
Hauses  nämlich  sehen  wir  ein  gutes  Wandgemälde  aus 
dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts,  es  stellt  St.  Christoph 
dar,  wie  er  das  Christuskind  durch  das  Wasser  trägt, 
und  den  heiligen  Jakobus ,  der  unter  einem  gothischen 
Baldachin  steht.  Die  Bilder,  die  als  malerische  Zier 
eines  Bauernhauses  schon  wegen  ihres  hohen  Alters 
auffallen,  sind  keine  gewöhnliche  Bauernarbeit,  wie  sie 
ja  die  Häuser  in  Tirol  und  Bayern  so  massenhaft  zeigen, 
sondern  von  einem  geübten  Maler,  wohl  aus  der  Schule 
von  Brixen,  ausgeführt.  Sie  weisen  auf  die  zahlreichen 
Wandmalereien  besonders  des  15.  Jahrhunderts  hin, 
welche  die  Kirchen  und  Schlösser  Südtirols  innen  und 
aussen  bis  zu  den  abgelegensten  Kapellen  schmücken 
und  die  sowohl  durch  die  Volksthümlichkeit  als  auch 
durch  die  im  Grossen  und  Ganzen  weit  höhere  künst- 
lerische Bedeutung  der  Wandmalerei  dieser  Gegenden 
gegenüber  der  des  übrigen  Deutschlands  bereits 
italienische  Einflüsse  erkennen  lassen. 

Der  Charakter  dieser  Wandgemälde  auf  deutschem 

Boden  ist  acht  deutsch  und  bleibt  dies  im  Wesentlichen 

bis  zur  Sprachgrenze,  gleichwohl  lässt  aber  doch  manches 

'  an  ihnen  die  Anregungen  italienischer  Kunst  erkennen, 

so  schon  an  diesen  Bildern  in  Ried    der  einfach  grosse 


46 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Wandgemälde  aus  dem  Kreuzgang  in  Brixen. 

Stil  und  das  Ornament  des  Rahmens,  je  weiter  südlich 
wir  kommen,  desto  klarer  zeigt  sich  gerade  in  der 
Wandmalerei  der  Zusammenhang  mit  der  italienischen 
Kunst.  In  Brixen  und  Umgebung  ist  derselbe  schon 
nicht  mehr  zu  übersehen  und  die  grossen  Folgen  von 
Wandgemälden  aus  dem  Anfang  des  1 5.  Jahrhunderts 
in  Bozen,  Campill  und  Terlan  deuten  schon  direkt  auf 
Giotto's  berühmte  Fresken  der  capella  dell'arena  in  Padua. 

Ein  Wandgemälde  sagt  uns  zuerst  und  noch  hoch 
am  Brenner,  dass  wir  auf  dem  Wege  nach  Italien  einen 
bedeutenden  Schritt  vorwärts  gekommen  und  in  der 
Wandmalerei  sehen  wir  auch  beim  weiteren  Vordringen 
nach  Süden  am  deutlichsten  die  wachsende  Zunahme 
des  Einflusses  der  italienischen  Kunst.  Dass  gerade  auf 
diesem  Gebiete  die  Kunst  Oberitaliens  besonders  nach- 
haltig auf  die  des  Nachbarlandes  wirkte,  ist  natürlich, 
denn  auf  ihm  entfaltet  sich  ja  in  Italien,  für  diese  Gegenden 
vor  Allem  in  Padua,  eine  so  hohe  und  eigenartige 
Kunstblüthe,  die  auf  die  Nachbarn,  sobald  sie  diese 
imposanten  Werke  sahen,  denen  ihre  heimathliche  Kunst 
nichts  Aehnliches  an  die  Seite  stellen  konnte,  einen 
mächtigen  Eindruck  machen  mussten. 

Wie  acht  deutsch  aber  sonst  die  gesammte  Kunst 
an  der  Südseite  des  Brenners  war,  dafür  bietet  gerade 
Sterzing  ein  höchst  interessantes  Beispiel.  Sterzing  war, 
woran  heute  noch  seine  zahlreichen,  stattlichen  Wirths- 


häuser  erinnern,  die  mehrfach  noch  hübsche  alte  Schilder 
zieren,  ein  beachtenswerther  Sammelpunkt  für  das  reiche 
Verkehrsleben  an  der  Brennerstrasse.  Das  Eisackthal 
erweitert  sich  hier  und  nimmt  eine  Reihe  kleiner  Seiten- 
thäler  auf  und  mit  der  grossen  Strasse,  die  über  Bozen 
und  Brixen  heraufkommt ,  trifft  hier  der  Saumweg  zu- 
sammen, der  von  Meran  über  den  Jaufenpass  geht. 
Diese  Lage  begründet  auch  mit  die  grossen  landschaft- 
lichen Vorzüge  Sterzings ;  das  Thal  in  dem  von  waldigen 
Bergen  umgeben  das  Städtchen  so  freundlich  liegt,  birgt 
durch  die  Einblicke  in  die  nahen  Seitenthäler,  vor  Allem 
durch  den  schönen  Blick  nach  Westen  auf  die  prächtige 
Gletschergruppe  des  Riednaün,  eine  ausserordentliche 
Mannigfaltigkeit  in  seinen  landschaftlichen  Bildern,  und 
Jeder  wird  es  leicht  begreiflich  finden,  dass  jetzt  häufig 
Künstler  das  Städtchen  zum  Studienaufenthalt  wählen. 
Aber  nicht  nur  die  Landschaft  fesselt  hier  den  Künstler, 
sondern  vor  Allem  auch  die  alte  Stadt  mit  ihren  maler- 
ischen Motiven,  sowie  die  beiden  Burgen  Sprechenstein 
und  Reifenstein,  und  auch  manches  der  hoch  an  den 
Bergen  hinaufliegenden  Dörfer  wird  ihn  zu  einem  Besuche 
und  zu  Studien  locken.  Wer  aber  diese  Denkmale  alter 
Kunst  poetisch  und  künstlerisch  erfasst,  in  dem  wird 
auch  der  Wunsch  geweckt  werden,  etwas  von  ihrer 
Geschichte  zu  hören.  Der  Kunsthistoriker  wird  so 
naturgemäss  zum  Führer  des  Künstlers  werden  und 
dieser  ihn  dafür  wieder  zu  seiner  schönsten  Aufgabe 
anregen,  die  Vergangenheit  im  lebensvollen,  künstlerisch 
gerundeten  Bilde  zu  sehen. 

Kunstwerke  ersten  Ranges  bietet  Sterzing  wenig, 
wie  es  ja  auch  nie  eine  Stadt  von  hervorragender  Be- 
deutung war;  was  der  Stadt  aber  für  den  Künstler,  wie 
für  den  Historiker  ein  besonderes  Interesse,  einen  eigen- 
artigen Reiz  verleiht,  ist,  dass  die  ganze  Stadt  mit  ihrer 
Umgebung  selten  vollständig  sich  aus  ihrer  Blüthezeit 
im  Ende  des  15.  und  im  16.  Jahrhundert  erhalten  hat. 
Nicht  nur  die  Kirchen,  sondern  auch  das  Rathhaus  und 
das  Schloss,  das  Bürger-  und  Bauernhaus,  nicht  nur  das 
Aeussere,  sondern  auch  das  Innere  und  gar  manches 
Stück  der  alten  Ausstattung  dieser  Gebäude  ist  aus 
jenen  Tagen  auf  uns  gekommen.  Das  Bild  der  alten, 
längst  verflossenen  Zeit  wird  dadurch  ein  selten  leben- 
diges, in  das  wir  uns  in  dem  jetzt  so  friedlichen,  stillen 
Thal  gemüthlich  hineinträumen  können. 

Sterzing  ist  keine  alte  Stadt,  erst  im  Beginn  des 
14.  Jahrhunderts  wird  es  als  «Städtlein»  erwähnt  und  nahm 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


47 


erst  einen  bedeutenderen  Aufschwung,  als  Rudolph  IV.  Steinfigur  der  Maria  in  St.  Peter  zu  nennen.  Die  eben 
1363  die  Verfügung  traf,  dass  die  Landstrasse  durch  erst  aufkeimende  Stadt  hatte  zunächst  für  das  Nöthige 
die  Stadt  geführt  werden  dürfte,  i)  Die  von  Nord  nach  zu  sorgen,  erst  nachdem  sie  eine  gewisse  Bedeutung  cr- 
Süd  ziehende  Strasse  bedingt  denn  auch  die  ganze  langt,  konnte  sich  im  15.  und  16.  Jahrhundert  ein  re- 
Anlage der  Stadt  und  weist  dadurch  auf  den  Grund  geres  Kunstleben  entwickeln  und  dieser  Zeit  gehören 
ihrer  Bedeutung,  auf  die  Hauptquelle  ihres  Wohlstandes  daher  auch  die  meisten  und  die  interessantesten  Kunst- 
hin. Eine  ordentliche  Befestigung  hat  Sterzing  offen-  werke  der  Stadt  an.  Die  Hauptimpulse  für  sein  künst- 
bar auch  im  Mittelalter  nicht  besessen,  es  war  keine  lerisches  Leben  wird  Sterzing  wohl  von  Brixen  em- 
Stadt,  die,  wie  sie  in  Deutschland  so  zahlreich,  oft  er-  pfangen  haben,  aber  auch  Einflüsse  nordtirolischer 
heblich  kleiner  als  Sterzing,  stolz  auf  ihr  selbständiges  Kunst  machen  sich  geltend,  worauf  schon  der  Maler 
Gemeinwesen,  sich  zur  Vertheidigung  eingerichtet  hatten,  des  ehemaligen  Hochaltars  der  Pfarrkirche,  Hans 
sondern  es  war  ein  friedlicher  Ruheplatz  an  der  grossen  Mueltscher  aus  Innsbruck  hinweist. 


Handelsstrasse.  Im  i  5. 
und  Beginn  des  16. 
Jahrhunderts  aber  er- 
hielt es  vor  Allem  auch 
durch  den  Bergbau  im 
Pflersch-  und  Ried- 
naunthal ,  sowie  am 
Schneeberg  erhöhte 
Bedeutung ;  der  Berg- 
mannshammer an  den 
Thorbogen  mancher 
Häuser  oder  die  —  wie 
auch  im  nahen  Gossen- 
sass  —  über  derThüre 
eingemauerten  Erz- 
stufen erinnern  heute 
noch  an  diese  einst 
so  ergiebige  Erwerbs- 
quelle,   die    seit   dem 

Ende  des  16.  Jahrhunderts  stark  zurückging  und  im 
Ende  des  18.  völlig  aufhörte,  wodurch  der  Wohlstand 
der  Stadt  M'esentlich  litt. 

Diese  allgemeinen  Grundzüge  der  Geschichte  Ster- 


Bänke  der  Pfarrkirche  in  Sterzing. 


Da  dieHauptblüthe 
Sterzings,  deren  Bau- 
ten im  Wesentlichen 
auch  noch  den  Cha- 
rakter des  heutigen 
Städtebildesbedingen, 
in  das  15.  und  16.  Jahr- 
hundert fällt,  so  ist  der 
eigentlich  dominirende 
Stil  die  Spätgothik. 
Man  sollte  erwarten, 
dass  mit  der  Annäher- 
ung an  Italien  die  Re- 
naissance früher  Ein- 
gang gefunden  und 
konsequenter  aufge- 
griffen worden  sei,  es 
ist  dies  aber  durchaus 
nicht  der  Fall,  sondern 
acht  deutsch  hält  man  hier  und  ebenso  auch  weiter  südlich 
auf  deutschem  Gebiete  noch  tief  in  das  16.  Jahrhundert 
hinein  an  der  mittelalterlichen  Weise  fest  und  die  italien- 
ische Frührenaissance  findet  hier  keinen  Boden.     Erst  in 


zings  sind  auch  für  die  Kenntniss  seiner  Kunstdenkmale      Trient  treffen  wir  mit  S.  Maria  maggiore  (1520)  eine  be- 


wichtig. Aus  dem  frühen  Mittelalter  haben  sich  weder 
hier  noch  in  der  Umgegend  Kunstwerke  erhalten,  auch 
aus  dem    14.  Jahrhundert  weiss  ich  nur  die  interessante 


')  Siehe  den  guten  Führer:  «Sterzing  am  Eisack  »,  von  Conrad 
Fischnaler.  3.  Aufl.  Sterzing  1892.  W.  Lubke  gebührt  das  Verdienst, 
auf  Sterzings  Kunstschätze  zuerst  hingewiesen  zu  haben,  durch  seine 
Artikel  in  der  Beilage  zur  Allgemeinen  Zeitung  1S83  No.  208  u.  20g, 
sowie  durch  wiederholte  Erwähnungen  in  seinen  Handbüchern;  in  ver- 
schiedenen Punkten,  besonders  in  der  Datirung  und  ästhetischen  Wür- 
digung der  Sterzinger  Holzplastik,  sowie  in  der  Annahme,  dass  einige 
der  Grabsteine  italienische  Arbeiten  seien,  bedauere  ich  den  Ansichten 
des  von  mir  hochverehrten   Gelehrten  nicht  beipflichten  zu  können. 


deutende  Frührenaissancekirche  und  in  den  Palästen  der 
via  larga  und  der  via  del  teatro  acht  italienische  Profan- 
bauten des  16.  Jahrhunderts.  Auf  dem  deutschen  Sprach- 
gebiet Tirols  dagegen  greift  die  Gothik  in  der  Kirche 
wie  im  Rathhaus  und  im  bürgerlichen  Wohnhaus  noch 
weit  in  das  16.  Jahrhundert  über,  die  Renaissance  dringt 
langsam  ein,  zunächst  in  den  dekorativen  Formen  und 
verbindet  sich  mit  der  Gothik  zu  jenem  eigenartigen 
Mischstil,  den  wir  die  deutsche  Renaissance  nennen  und 
der  hier  im  Grossen  und  Ganzen  genau  denselben  Cha- 


7* 


48 


DIE  KUNSl'  UNSERER  ZEIT. 


1007.    Plafond    der   Kirohe    In    Wüten     MutlrGündlrr    17  5  4)1 


Deckengemälde  der  Kirche  in  Wüten. 


rakter  trägt,  wie  etwa  in  Franken  und  Schwaben  und 
auch  zeitlich  jenen  gegenüber  durchaus  nicht  vorauseilt. 
So  baute  man  an  der  Kirche  St.  Paul  in  Eppan  nach 
der  Inschrift  an  einer  der  Fialen  1519  noch  rein  gothisch; 
die  Bauzeit  der  unteren,  spätgothischen  Kirche  in  Kaltem 
ist  gleichzeitig  anzusetzen,  da  der  Schlussstein  des  Chores 
die  Jahreszahl  1517  zeigt;  die  Kirche  St.  Nikolaus  in 
Kaltem  aber  mit  ihren  interessanten,  spätgothischen  Ge- 
wölbmalereien wurde  laut  Inschrift  erst  1536  vollendet 
und  die  Gegend  von  Neumarkt  an  der  Etsch  weist  noch 
eine  stattliche  Reihe  gothischer  Kirchen  aus  dem  16.  Jahr- 
hundert auf.  Unter  diesen  Verhältnissen  ist  es  leicht 
begreiflich,  dass  man  in  Sterzing  1524,  wie  die  Jahres- 
zahl an  dem  hübschen  Erker  des  Rathhauses  berichtet, 
noch  gothisch  baute. 

So  acht  deutsch  in  all*  diesem  die  Kunst  Sterzings 
ist,   so  merken  wir  andererseits  doch  an   ihr,    dass  wir 


auf  dem  Wege  nach  Italien  sind,  denn  auch  die  Archi- 
tektur der  Kirche  und  des  Wohnhauses  zeigen  mehrfach 
italienische  Einflüsse;  aber  diese  Anregungen  werden 
hier  ebenso  gründlich  verarbeitet  wie  nördlich  des  Bren- 
ners, und  die  Stadt  unterscheidet  sich  daher  auf  den 
ersten  Blick  nicht  erheblich  von  den  Innstädten  Tirols 
und  Bayerns,  die  uns  heute  noch  bis  hinunter  nach 
Passau  durch  manche  Reminiscenzen  an  italienische  Art 
und  Kunst  so  lebendig  an  dem  Verkehr  an  der  alten 
Strasse  zwischen  Deutschland  und  Italien  erzählen.  Schon 
als  ein  besonders  anziehendes  Beispiel  dieser  Gattung, 
noch  mehr  aber  durch  manche  künstlerische  und  kunst- 
geschichtliche Besonderheiten  gewinnt  Sterzing  ein  wei- 
teres Interesse. 

Der  bedeutendste  Bau  Sterzings,  zugleich  der, 
welcher  den  Beginn  eines  regeren  Kunstlebens  anzeigt 
und    für   dieses    auch   weiterhin   einen   gewissen    Mittel- 


:^ 
CD 

< 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


49 


punkt  bot,  ist  natürlich  die  Pfarrkirche,  die  auffallender 
Weise  nicht  in  der  Stadt,  sondern  gut  fünf  Minuten 
südlich  derselben  liegt,  seitab  der  grossen  Strasse  an 
dem  Weg  nach  dem  Jaufen. 

Die  Pfarrkirche  von  Sterzing,  deren  niedriger  Chor 
in  den  Jahren  141 7 — -1450  gebaut,  während  das  Schiff 
1497  bis  1533  ausgeführt  wurde,  ist  eine  spätgothische, 
dreischiffige  Hallenkirche.  Der  stattliche  Bau  gewinnt 
namentlich  dadurch,  dass  die  sehr  schlanken  Rund- 
pfeiler weit  auseinander  gestellt  sind,  den  Eindruck  im- 
posanter Leichtigkeit  und  Weiträumigkeit,  den  in  ver- 
wandter Weise  die  Kirchen  von  Meran,  die  Hofkirche 
in  Innsbruck,  die  Kirche  zu  Hall  und  als  die  bedeutendste 
dieser  Gruppe  die  Pfarrkirche  in  Schwaz  zeigen.  Das 
Streben,  möglichst  weite,  freie  Räume  zu  gestalten, 
namentlich  aber  auch  die  weite  Stellung  der  Pfeiler, 
weist  auf  italienische  Einflüsse,  die  auch  für  die  Bevor- 
zugung der  Rundpfeiler  und  der  Hallenanlage  mass- 
gebend waren.  Dagegen  ist  das  Streben,  namentlich 
auch  durch  die  bedeutende  Höhe  der  Kirche  zu  im- 
poniren,  acht  deutsch,  und  diese  Kirchen  erhalten  dadurch 
manchmal  einen  etwas  widerspruchsvollen  Charakter,  der 
sich  besonders  in  der  übertriebenen  Höhe  der  allzu- 
schlanken Pfeiler  ausspricht,  wie  z.  B.  in  der  Franzis- 
kanerkirche in  Schwaz,  und  der  offenbar  auch  auf  einen 
Bau  wie  die  Martinskirche  in  Landshut  mit  ihren  über- 
trieben schlanken  Pfeilern  massgebend  einwirkte,  während 
die  Frauenkirchen  von  München  und  Ingolstadt  diese 
Gedanken  selbständiger  verarbeiten  und  in  ruhigeren, 
kräftigeren  Formen  aussprechen. 

Yon  gothischen  Details  hat  sich  an  der  Sterzinger 
Pfarrkirche  wenig  erhalten.  Das  Maasswerk  zeigt  sehr 
einfache,  spätgothische  Formen,  die  Rippen  des  Gewölbes 
wurden  1753  herabgeschlagen,  als  Adam  Moelckh,  der 
«  academicus  vienensis  » ,  die  Decke  mit  schlechten  Fresken 
versah.  Die  Rokokoumgestaltung  der  Kirche,  von  der 
auch  die  Kirchenbänke  mit  ihren  originellen  Löwen  her- 
rühren, ist,  abgesehen  von  der  eleganten  Stukkverkleidung 
der  Pfeilerkapitäle,  nicht  sehr  gelungen,  aber  jedenfalls 
wirkte  sie,  wie  gewöhnlich,  doch  weit  besser  als  die 
äusserst  schwache  Neu-Gothisirung,  die  seit  1869  aus- 
geführt wurde. 

Die  Veränderungen ,  welche  die  Pfarrkirche  im 
18.  Jahrhundert  erfahren,  weisen  uns  hinüber  zur  besten 
Leistung  des  Rokoko  in  Sterzing,  nämlich  zur  nahe 
gelegenen  Elisabethkirche  im  deutschen  Haus,    die   ein 


ganz  gutes  Deckengemälde  der  Glorifikation  der  hl. 
Elisabeth  besitzt,  das  Matthäus  Günther  malte.  Matthäus 
Günther,  der  in  Peissenberg  in  Oberbayern  geboren 
wurde,  hatte  in  München  bei  den  Asam  gelernt  und 
lebte  später  in  Augsburg,  wo  er  auch  als  Akademie- 
direktor starb  Günther's  Name  begegnet  uns  wiederholt 
auf  dieser  Strasse  nach  Italien;  in  Rott  am  Inn  (1763) 
und  in  VVilten  bei  Innsbruck  (1764)  treffen  wir  zwei 
seiner  brillantesten  Leistungen  in  der  Freskomalerei ; 
ein  bedeutendes  frühes  Werk  des  Künstlers  ist  die  Aus- 
malung der  Klosterkirche  von  Neustift  bei  Brixen  (1736), 
während  sein  Deckengemälde  in  der  Pfarrkirche  zu 
Gossensass  (1751)  und  sein  Kuppelbild  in  der  Elisabeth- 
kirche in  Sterzing  zwar  keineswegs  zu  seinen  besten 
Arbeiten  gehören,  aber  doch  immerhin  den  gefälligen, 
flotten  Rokokokünstler  erkennen  lassen,  der  entschieden 
weit  über  den  einheimischen  Malern  dieser  Zeit  steht. 
Die  Kunst  des  Rokoko  hat  in  Tirol,  abgesehen 
von  diesen  Werken  Günther's  und  der  Jakobskirche  in 
Innsbruck,  welche  die  Gebrüder  Asam  aus  München 
dekorirten ,  wenig  Bedeutendes  geschaffen ;  den  Grund 
hiefür  zeigt  ein  Vergleich  des  Domes  zu  Brixen,  der  ja 


Hochaltar  im  Dom  zu  Brixen. 


50 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


ein  sehr  stattliches  Werk  der  Mitte  des  i8.  Jahrhunderts 
ist  und  auf  seine  Umgebung  entschieden  Einfluss  übte, 
mit  der  Kirche  des  Klosters  Neustift. 

Der  Einfluss  der  schweren  Formen  des  späten, 
entarteten  Barocks  Italiens  war  in  diesen  Gegenden  — 
und  zwar  bis  hinüber  nach  Innsbruck  —  zu  mächtig, 
um  die  elegante  Kunst  des  Rokoko  aufkommen  zu 
lassen.  Sehr  charakteristisch  ist  hiefür  z.  B.  der  Hoch- 
altar des  Domes  zu  Brixen,  den  Theodor  Benedetti  aus 
Mori  ausführte  und  der  eben  so  gut  in  S.  Maria  maggiore 
in  Trient  stehen  könnte,  wo  wir  eine  Reihe  verwandter 
Altäre  treffen.  Wie  frisch  und  lebensvoll  ist  doch  gegen- 
über dieser  nüchternen,  alternden  Kunst  im  Dom  zu 
Brixen,  deren  Fresken  von  Troger  höchst  unbedeutend 
und  deren  Ornamentmalereien  durch  Hieronymus  Con- 
stantini  aus  Roveredo  geradezu  roh  genannt  werden 
müssen,  die  Dekoration  der  Kirche  in  Neustift,  deren 
Fresken  und  Stukkaturen  achtes,  feines  Rokoko  zeigen, 
wenngleich  die  letzteren  da  und  dort  den  Einfluss  der 
damals  schwerfälligen  italienischen  Art  erkennen  lassen. 
Haben  wir  in  dem  italienischen  Spätbarock,  der  den 
Charakter  des  Brixer  Domes  so  wesentlich  bedingt,  eine 
absterbende  Kunst,  so  sind  dagegen  jene  Kirchen  wie 
Neustift,  bedeutender  noch  Wüten  und  in  bescheidenerem 
Masse  allerdings  auch  die  Kirche  des  deutschen  Hauses 
in  Sterzing,  so  viel  man  auch  an  ihnen  aussetzen  mag, 
doch  die  Zeugen  einer  originalen  Kunstj  die  eine  eigen- 
artige Schattirung  des  Stils  ausspricht,  die  Zeugniss 
gibt  von  einem  frischen ,  reichen  Kunstleben ,  wie  es 
sich  damals  an  der  Mündung  der  Brennerstrasse ,  in 
München  abspielte,  die  daran  erinnert,  wie  sich  die 
nordische  Kunst  im  17.  und  18.  Jahrhundert  kräftiger 
und  frischer  als  die  italienische  entwickelte. 

Aber  kehren  wir  zurück  zur  Sterzinger  Pfarrkirche, 
die  uns  noch  so  manches  von  der  Kunstgeschichte  der 
Stadt  und  der  Brennerstrasse  zu  erzählen  hat.  Beachtens- 
werth  erscheint  an  dem  Bau  vor  Allem  die  sehr  zierliche 
plastische  Dekoration  des  Südportals.  Auf  dem  Thür- 
balken,  neben  dem  das  Sterzinger  Stadtwappen  und  das 
Gerichtswappen  von  Freundsberg  angebracht  sind,  meldet 
eine  Inschrift,  dass  König  Maximilian  1497  den  Grund- 
stein zu  diesem  Gebäude  legte;  im  Bogenfeld  über  der 
Thür  ist  das  Reichs-,  das  Tiroler-  und  Habsburger- Wappen 
angebracht  und  darüber  sitzt  Maria,  die  dem  Kinde  auf 
ihrem  Schooss  einen  Apfel  reicht. 

Das  zierliche  Portal  an  der  sonst  doch  nüchternen 


und  massigen  Kirche  hat  etwas  überraschendes ,  aber 
solche  Widersprüche  finden  sich  mehrfach  an  den 
gothischen  Kirchen  Tirols.  Gleich  die  Kirche  des  nahen 
Trenz,  die,  wie  die  meisten  in  weitem  Umkreis,  dem 
Ende  des  15.  Jahrhunderts,  der  eigentlichen  Blüthezeit 
der  Tiroler  Kunst ,  angehört ,  besitzt  am  Portal  eine 
ähnliche  Marienfigur,  und  auch  in  Nordtirol  finden  sich 
verwandte  Portale,  z.  B.  in  Landeck,  und  auch  das  der 
Kirche  zu  Seefeld  mit  seinen  Reliefs  aus  der  Geschichte 
des  hl.  Oswald  mag  in  diesem  Zusammenhang  genannt 
werden.  Im  Allgemeinen  ist  der  Charakter  der  Tiroler 
Gothik  äusserst  schlicht,  nicht  selten  etwas  nüchtern,  was 
schon  damit  zusammenhängt,  dass  wir  es  hier  ziemlich  aus- 
schliesslich mit  spätgothischen  Bauten  und  zwar  meist  mit 
solchen  zu  thun  haben,  die  nur  über  bescheidene  Mittel 
verfügen  konnten.  Aber  selbst  bei  sehr  unscheinbaren 
Dorf kirchen ,  oft  noch  in  den  abgelegensten ,  stillsten 
Thälern,  welche  damals  gar  keinen  Verkehr  hatten  und 
die  auch  heute  nur  der  rasch  durchziehende  Touristcn- 
schwarm  besucht,  zeigen  die  Kirchen  zuweilen  sehr  fein 
profilirte  Rippen,  schöne  Schlusssteine  oder  ein  elegantes 
Portal,  trotz  aller  Einfachheit  des  Ganzen,  die  hier 
Jeder  sehr  begreiflich  finden  wird,  namentlich  wenn  er 
Wochen  lang  solchen  Kirchen  nachgeht  und  dabei  gar 
manches  Paar  Schuhe  seinen  kunstgeschichtlichen  Studien 
opfern  muss.  Tirol  ist  eben ,  was  ja  schon  der  ganze 
Charakter  des  Landes  erklärt,  nicht  ein  Land,  das  ge- 
eignet gewesen  wäre,  eine  reiche,  glänzende  Kunst  zu 
entwickeln,  aber  es  ist  ein  Land,  dessen  schöne  Natur 
in  dem  frischen  Volk,  das  es  bewohnt,  ein  offenes  Auge 
für  die  Natur,  ein  warmes  Herz  für  die  Kunst  erziehen 
musste.  Grosse ,  glänzende  Kirchen  gothischen  Stils, 
wie  etwa  am  Rhein  oder  in  Franken,  wird  man  hier 
vergebens  suchen ,  ebenso  auch  die  zierliche  Eleganz 
der  schwäbischen  Gothik;  wer  aber  die  ächte  Volks- 
thümlichkeit  der  deutschen  Gothik  studiren  will,  der 
wende  sich  nach  Tirol,  und  gerade  jene  abgelegensten 
Kirchen,  die,  wenn  sie  nicht  die  Mittel  zum  künstlerischen 
Schmuck  der  ganzen  Kirche  hatten,  wenigstens  einen 
Theil  liebevoll  dekorirten ,  sie  werden  ihm  am  poesie- 
vollsten davon  erzählen. 

Das  zierliche  Südportal  der  Sterzinger  Pfarrkirche 
hat  durch  einen  Blick  auf  die  in  den  benachbarten 
Thälern  und  auf  den  nahen  Höhen  liegenden  Kirchen 
unsere  Gedanken  etwas  seitab  geführt,  aber  kehren  wir 
zurück    zu    ihm    und    damit    zur   Steinplastik   Sterzings. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


51 


Die  Vermuthung  liegt  nah,  dass  Tirol  im  Mittelalter 
eine  bedeutende  Steinplastik  besessen  habe  und  wer  die 
prächtigen  Grabsteine  der  bayerischen  Inngegend  studirt, 
wird  unwillkürlich  auf  den  Gedanken  kommen,  dass 
diese  Kunst  wesentliche  Anregungen  aus  Tirol  em- 
pfangen habe.  Es  ist  dies  aber  durchaus  nicht  der  F"all, 
denn  die  ganze  Brennerstrasse  zeigt  mit  einziger  Aus- 
nahme der  Brixner  Grabsteine  nur  wenig  und  meist  nur 
geringwerthige  Steinplastik.  Dieselbe  fordert  eben  zu 
namhafter  Entwickelung  bedeutende  Mittelpunkte,  wie 
Regensburg,  vielleicht  auch  Salzburg,  die  damals  wich- 
tigen Innstädte  oder  seit  dem  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts auch  München,  ebenso  wie  südlich  Trient  und 
dann  noch  mehr  Verona  uns  hierin  als  wichtige  Punkte 
begegnen.  An  der  Brennerstrasse  selbst  aber  sind  es 
nur  das  wohlhabende  Bozen  durch  seine  Skulpturen  an 
und  in  der  Pfarrkirche  und  die  Bischofstadt  Brixen  mit 
ihrer  tüchtigen  Grabplastik  im  Anfang  des  15.  Jahr- 
hunderts, die  auf  diesem  Gebiete  Beachtung  verdienen. 
Mit  ihnen  kann  sich  Sterzing  allerdings  nicht  messen, 
aber  es  zeigt  sich  doch  auch  hier  als  Mittelpunkt  eines 
selbständigen  Schaffens,  denn  in  Folge  des  Marmors, 
den  die  Sterzinger  besitzen,  und  der  ja  auch  in  der 
Gegenwart  wieder  das  bedeutendste  industrielle  Unter= 
nehmen  der  Stadt  ins  Leben  rief,  finden  wir  hier  im 
16.  Jahrhundert  ganz  hübsche  Grabsteine,  die  sich  die 
Mitglieder  der  wohlhabenderen  Familien  an  der  Pfarr- 
kirche setzen  Hessen.  Weitaus  das  Beste  an  diesen 
Grabsteinen  sind  einfache  Wappen  oder  die  Rahmen 
mit  schlichten  Renaissanceornament,  während  die  Ver- 
suche figürlicher  Darstellung  hier  meist  wenig  glücklich 
ausgefallen  sind,  woran  ja  emige  Schuld  auch  die  Art 
des  Marmors  haben  mag,  der  für  feinere  Arbeiten  we- 
niger geeignet  ist. 

Gothisches  Ornament  hat  noch  der  Grabstein  des 
1 505  gestorbenen  Bürgers  Hans  Koechl  und  seines  im 
gleichen  Jahre  gestorbenen  Sohnes,  während  schon  der 
des  in  dem  folgenden  Jahre  gestorbenen  Steffan  Selauer 
einfachen  Renaissancerahmen  zeigt,  bei  dem  Wappen 
dagegen  noch  an  den  gothischen  Formen  festhält;  auf 
dem  besten  Wappensteine  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts ging  die  einer  Bronzetafel  eingelassene  Inschrift 
verloren.  Von  weiteren  Grabsteinen  des  16.  Jahrhunderts 
sind  noch  zu  erwähnen  der  des  1536  gestorbenen  An- 
dreas Flamm,  dessen  Haus  in  der  Hauptstrasse  erhalten 
ist,  wo  er  an  dem  Erker  sein  Wappen  hübsch  mit  gothi- 


Klosterkirche  in  Neustift. 

sehen  Ornamenten  verziert  und  die  Jahreszahl  1533 
anbrachte,  ferner  der  Grabstein  des  1550  gestorbenen 
Stadt-  und  Landrichters  zu  Sterzing  Joseph  Grebmer. 
In  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  zeigt  der 
Grabstein  des  Postmeisters  Hans  Prugger  einen  hübschen, 
einfachen  Renaissancerahmen,  dagegen  ein  recht  schwaches 
Relief  das  den  Postmeister  und  seine  Gattin  an  dem 
Kreuz  betend  darstellt  (i  565),  auch  das  Relief  der  Er- 
weckung des  Lazarus  auf  dem  Grabstein  des  An- 
dreas Rauch  und  seiner  Gattin  Rosina,  das  1578  ge- 
fertigt wurde,  ist  eine  schwache  Leistung;  einfachen 
Renaissancerahmen  und  zwei  Wappen  zeigt  der  Grab- 
stein des  1582  gestorbenen  Stadtrichters  Christoph 
Grebmer  und  seiner  Frau  Christina.  Auch  aus  dem 
17.  und  18.  Jahrhundert  finden  sich  hier  und  auch  in  der 
Nachbarschaft  noch  mehrfach  solche  Grabsteine,  so  von 
161 5  der  des  Abraham  Geizkofler  und  mit  einem  guten 
Wappen  ist  noch  der  Grabstein  geschmückt  des  Joseph 
Leitner,  der  1732  im  Alter  von  84  Jahren  starb,  während 
seine  Frau  Elisabeth  ^6  Jahre  alt  1739  gestorben  ist. 
Wenn  wir  hier  auch  keine  irgend  bedeutenderen 
Kunstwerke    finden,    so    lassen    diese   Grabsteine    doch 


52 


DIK  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Stldportal  der  Pfarrkirche  in  Sterzing. 


immerhin  durch  ge- 
raume Zeit  eine  ziem- 
lich rege  Thätigkeit  des 
Städtchens  auch  auf  die- 
sem Gebiete  erkennen. 
Von  anderartigen  Wer- 
ken der  Steinplastik  da- 
gegen, von  denen  sich 
in  Tirol  überhaupt  nur 
wenig  findet,  ist  ausser 
den  schon  erwähnten 
hübschen  Portalen  an 
der  Pfarrkirche  und  an 
der  zu  Trenz,  nur  noch 
etwa  die  kleine  Oelberggruppe  aus  dem  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  zu  erwähnen,  die  sich  über  der  Sakristei- 
thüre  der  Pfarrkirche  befindet  und  die  sehr  interessante 
Madonna  in  der  Peterskirche. 

Die  Peters-  und  Paulskirche ,  die  zu  dem  Schlöss- 
chen Joechelsthurm  gehört,  ist  eine  wohlerhaltene,  ein- 
schiffige, gewölbte  Kirche  spätgothischen  Stils,  nach 
der  Inschrift  an  der  Decke  wurde  sie  1474  vollendet 
und  1744  wurde  ihre  Ausstattung  verändert.  Das  in- 
teressanteste Kunstwerk  der  Kirche  ist  die  erwähnte 
Madonna,  die  in  einem  Glaskasten  links  neben  dem 
Hochaltar  steht  und  dem  Beginn  des  14.  Jahrhunderts 
angehört.  Die  fast  dreiviertellebensgrosse ,  stehende 
Maria  hält  in  der  Rechten  das  Scepter,  in  der  Linken 
das  Christuskind,  welches  nach  seinem  linken  Füsschen 
greift.  Schon  dieses  Motiv  verräth  lebensvolle,  originelle 
Auffassung,  die  natürlich  bei  einem  solchen  Werk  ganz 
besonders  erfreut,  bei  dem  wir  den  Künstler  noch  müh- 
sam nach  den  Grundlagen  seiner  Kunst  ringen  sehen, 
denn  sowohl  die  wenig  verstandenen  Körperformen  zeigen 
eine  noch  sehr  primitive  Entwickelung,  als  auch  die 
starren ,  geschlitzten  Augen  und  jenes  eigenthümliche 
Lächeln,  das  als  ein  erster  Versuch,  das  Gesicht  durch 
das  Mienenspiel  freundlich  zu  beleben,  sich  in  der  frühen 
Plastik  aller  Völker  findet. 

Weit  reicher  als  die  Steinplastik  ist  die  Holzplastik 
in  Sterzing  und  auf  den  benachbarten  Dörfern  vertreten ; 
manche  Werke  derselben  besitzen  wirklich  erheblichen 
Kunstwerth ,  nicht  minder  aber  erfreuen  andere,  die, 
wenn  auch  bescheidener,  doch  fesseln,  zumal  in  abge- 
legenen Landkirchen  und  Kapellen,  als  Zeugnisse  dafür, 
wie   das  ganze   Volk    theilgenommen    an    dieser  Kunst. 


Die  Schnitzkunst  ge- 
stattete eben  in  den 
Alpen,  wo  so  Mancher, 
wenn  er  auch  kein 
Künstler  vom  Fach  war, 
das  Schnitzmesser  zu 
handhaben  verstand 
und  in  vielen  Gegenden 
heute  noch  versteht, 
auch  dem  einfachen 
Manne,  angeregt  durch 
die  schönen  Kunst- 
werke, die  er  in  der 
Pfarrkirche  sah,  sich  in 
dieser    Kunst    zu    ver- 


Hoclialtar  der  l'farrkirche  in  Sterzing. 


suchen  und  das  Beste,  was  er  leisten  konnte,  stellte  er 
dann  in  seiner  Kapelle  auf,  als  eine  Gabe  zwar  klein 
aber  wirklich  von  Herzen,  und  diese  Stimmung,  aus  der 
sie  geschaffen  wurden,  verleiht  diesen  Kunstwerken  einen 
persönlichen  Reiz ,  von  dem  die  aus  unseren  modernen 
Fabriken  für  Kirchenausstattung  herrührenden  Arbeiten 
keine  Ahnung  haben. 

Das  grossartigste  Schnitzwerk  des  I  5.  Jahrhunderts 
in  Sterzing  war  wohl  der  stattliche  Hochaltar  der  Pfarr- 
kirche, der  1456  bis  1458  ausgeführt  wurde.  Die  Mittel- 
figur desselben  ging  in  den  sehr  geschmacklosen,  modern 
gothischen  Hochaltar  über,  es  ist  eine  Maria,  die  auf 
dem  Halbmond  steht,  eine  treffliche,  auch  historisch  sehr 
interessante  Figur.  Der  Stil  ist  einfach  gross,  der 
Faltenwurf  zügig,  jedoch  nimmt  er  im  Einzelnen  wenig 
Rücksicht  auf  den  Körper,  der  sich  unter  dem  Gewand 
befindet.  Um  sich  klar  zu  machen,  was  die  Kunst  in 
den  letzten  anderthalb  hundert  Jahren  gelernt  hat,  ver- 
gleiche man  diese  Figur  mit  der  soeben  besprochenen 
Maria  in  St.  Peter.  Die  Madonna  in  der  Pfarrkirche  von 
ungefähr  1456  ist  ein  Kunstwerk,  das  unmittelbar  fesselt, 
das  durch  seine  schlichte  Schönheit  erfreut  und  erhebt 
und  bei  dem  wir  erst  bei  genauerem  Studium  erkennen, 
dass  dem  Meister  noch  Manches  zu  einer  vollkommen 
naturwahren  Kunst  fehlt.  Die  Maria  aus  dem  Anfang  des 
14.  Jahrhunderts  in  St.  Peter  dagegen  wird  auf  den  unbe- 
fangenen Beschauer  mit  ihrem  alterthümlichen  Lächeln 
zuerst  fast  komisch  wirken,  und  nur  eingehendes  Studium 
kann  uns  die  historisch  interessante  Figur  würdigen  lehren, 
zeigt  uns,  welch'  tüchtiges  Streben  in  der  Arbeit  liegt,  und 
dass  sie  eine  für  ihre  Zeit  treffliche  Leistung  ist. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Altar  der  Barbarakapelle  in  Gossensass. 


Die  Flügelbilder  des 
Hochaltars,  die  Hans 
Mueltscher  aus  Inns- 
bruck malte,  befinden 
sich  jetzt  im  Rathhaus. 
Wegen  ihrer  frühen 
Entstehungszeit,  bald 
nach  Mitte  des  i  5  Jahr- 
hunderts ,  sind  diese 
Gemälde  beachtens- 
werth,  obgleich  sie  viel- 
fach recht  handwerk- 
liche Arbeiten  sind, 
namentlich  die  mit 
Passionsdarstellungen 
bemalten  Aussensei- 
ten ;  etwas  besser  sind 
auf  den  Innenseiten  die  Bilder  aus  dem  Marienleben. 
An  diesen  spricht  namentlich  eine  gewisse  einfache 
Grösse  des  Stils  an,  die  in  erster  Linie  dadurch  bedingt 
ist,  dass  dieser  Kunst  noch  jener  Blick  für  das  Detail  fehlt, 
der  dann  im  späteren  15.  Jahrhundert  sich  besonders 
charakteristisch  in  den  überreichen  kleinknitterigen  Falten 
zeigt,  andererseits  wird  sie  in  diesen  Gemälden,  wie 
ja  auch  in  gleichzeitigen  und  älteren  in  Bayern  namentlich 
auch  durch  den  Einfluss  der  hier  vielgeübten  Wand- 
malerei auf  das  Tafelgemälde  gefördert. 

Die  Madonna  auf  dem  Hochaltar  der  Pfarrkirche 
charakterisirt  trefflich  den  Stil  der  ersten  Hälfte  und 
Mitte  des  15.  Jahrhunderts,  die  Heiligen  Barbara  und 
Katharina,  Ursula  und  Apollonia  an  dem  Hochaltar  der 
Magdalenenkirche  sind  dagegen  interessante  Belege  für 
die  Wandlungen  der  künstlerischen  Anschauung  gegen 
den  Schluss  des  Jahrhunderts.  Die  vorzüglichen  Figuren 
zeichnen  sich  durch  einen  wirklich  bedeutenden  Schön- 
heitssinn aus,  dagegen  ist  ihre  Haltung  etwas  manierirt, 
der  Körperbau  wenig  verstanden  und  die  Falten  sind 
mitunter  aus  allzugrosser  Vorliebe  für  das  Detail  gar 
zu  gehäuft.  Als  die  Figuren,  von  denen,  wie  von  jenen 
in  der  Spitalkirche  irrthümlich  behauptet  wird,  dass  sie 
vom  Hochaltar  der  Pfarrkirche  stammen,  im  18.  Jahr- 
hundert auf  diesen  Platz  gestellt  wurden,  wurden  sie 
leider  weiss  überstrichen. 

Zwei  vortreffliche  Figuren  vom  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts sind  die  ritterlichen  Heiligen  Georg  und  noch 
gelungener  St.  Florian  in  der  Spitalkirche,  sie  sind  elegant 


fast  etwas  affektirt  bewegt,  was  man  in  dieser  Zeit  offen- 
bar wegen  des  Gegensatzes  zu  den  steifen,  älteren  Figuren 
für  besonders  schön  hielt.  Auch  das  kleine  Kreuz- 
kirchlein besitzt  eine  nicht  uninteressante  Holzgruppe 
aus  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts,  eine  halblebens- 
grosse,  leider  roh  überschmierte  Pietä,  bei  der  die  scharf- 
brüchigen Falten,  die  damals  Mode  waren,  allerdings 
stark  übertrieben  und  furchtbar  gehäuft  sind. 

In  den  umliegenden  Dörfern  hat  sich  gleichfalls  noch 
manche  hübsche  Holzfigur  vom  Ende  des  1 5.  Jahr- 
hunderts erhalten,  so  in  Mareit  eine  ganz  reizende  kleine 
Holzstatuette  des  hl.  Florian  mit  sehr  hübsch  gearbeiteter 
Rüstung,  etwa  75  cm  hoch,  und  ihr  Pendant,  eine  gute 
Figur  des  hl.  Bernhard,  die  auf  einem  Altar  aus  der 
zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  stehen  in  der  südlich 
an  den  Chor  der  Kirche  angebauten  Kapelle.  Geringe 
Arbeiten  der  Zeit  finden  sich  in  der  Todtenkapelle 
in  Trenz,  nämlich  eine  kleine  Pietä,  sowie  Johannes 
und  Maria. 

Eine  dieser  Dorfkirchen  aber,  nämlich  die  Magda- 
lenenkirche am  Eingang  des  Riednaunthales  bietet  für 
die    Holzplastik    um    1500    ein    reicheres    Bild    als    die 


Schloss  Taufers. 


54 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


IJas  grüne   Zimmer  in   Schloss   Reifenstein. 


Kirchen  der 
Stadt,  ein  Fall, 
der  ja  durchaus 
nicht  selten  ist, 
weildieseLand- 
kirchen,    wenn 

auch  durch 
reiche  Gönner 

ursprünglich 
glänzend  aus- 
gestattet, wei- 
terhin gewöhn- 
lich doch  nur 
über  beschei- 
dene Mittel  zu 
verfügen  hatten 
und  dadurch 
häufig  vor  späteren  Veränderungen  verschont  blieben. 
Auch  die  moderne  Restauration,  gewöhnlich  die  grösste 
Gefahr  solcher  Kunstschätze,  ist  in'  der  Magdalenen- 
kirche  mit  den  alten  Kunstwerken  noch  verhältniss- 
mässig  gut  umgegangen. 

Die  Magdalenenkirche  in  Riednaun,  etwa  drei  Stun- 
den westlich  von  Sterzing  in  herrlicher  Gegend  gelegen, 
ist  eine  jener  in  Südtirol  so  zahlreichen,  spätgothischen 
Kirchen,  die  einschiffig  angelegt,  innen  Wandpfeiler 
haben,  die  das  gut  profilirte  Steingewölbe  tragen,  die 
Wandpfeiler  und  Rippen  sind  hier  aus  Sterzinger  Mar- 
mor gefertigt,  die  Erbauungszeit  der  Kirche  wird  durch 
die  Jahreszahl  1481  I)  am  Triumphbogen  näher  bestimmt. 
An  der  Nordseite  im  Chor  dieser  Kirche  steht  ein 
kleiner  Flügelaltar,  eine  tüchtige  Arbeit  vom  Ende  des 
15.  Jahrhunderts.  In  dem  Schrein  unter  spätgothischer 
Architektur  sehen  wir  die  Statuette  der  Maria  Magdalena, 
eine  anmuthige,  modisch  gekleidete  und  frisirte  Dame, 
die  mit  feiner  Naturbeobachtung  geschaffen  ist,  was 
namentlich  der  hübsche  Kopf  zeigt,  die  aber  in  Folge 
des  für  diese  Zeit  so  charakteristischen  Strebens  nach 
eleganter  Bewegung,  ein  wenig  geziert  in  der  Haltung, 
vor  Allem  der  Finger  wurde.  Auf  die  Flügel  des  Altars 
sind  aussen  die  Verkündigung,  innen  Scenen  aus  dem 
Leben  der  Maria  Magdalena  gemalt;  ein  Urtheil  über 
die  Persönlichkeit  des  Meisters  scheint  mir  bei  solchen 


')  In   der  CentralkommUsion    1857  p.  327  wird  die  Jahreszahl  irr- 
thUmlich  als   1281   gelesen. 


handwerklichen  Arbeiten  nicht  möglich,  besonders,  wenn 
sie  so  überschmiert  sind,  wie  diese  Bilderi). 

Im  Jahre  1 509  wurde  dieser  Altar,  der  früher  offen- 
bar Hochaltar  war,  beseitigt  und  an  seine  Stelle  trat 
das  glänzende  Werk,  das  heute  noch  daselbst  steht 
und  dessen  Meister  die  Inschrift  nennt :  « Das  werch 
hat  gemacht  maister  matheis  stöberl.    1509.» 

Dass  Aufbau  und  Ornament  eines  solchen  Altares 
noch  rein  gothisch  sind,  ist  bis  in  die  Gegend  von 
Bozen  noch  ebenso  selbstverständlich,  wie  etwa  in  Bayern 
oder  Franken.  Die  Flügel  des  Altars  sind  auf  beiden 
Seiten  mit  tüchtigen  Gemälden  geschmückt,  aussen  die 
Passionsbilder,  innen  Scenen  aus  dem  Leben  der  Maria 
Magdalena.  Wie  gewöhnlich  bei  den  grossen  Altar- 
werken in  Tirol  und  Bayern,  so  ist  auch  hier  die  Plastik 
der  Malerei  an  künstlerischem  Werth  überlegen,  ent- 
schieden das  Bedeutsamste  an  dem  Altar  sind  doch 
die  dreiviertel  lebensgrossen  Figuren  im  Schrein.  In  der 
Mitte  steht  hier  Maria  Magdalena,  die  Engel  zum  Himmel 
emportragen,  in  dem  Fels,  auf  dem  sie  steht,  arbeiten 
zwei  Bergleute,  was  den  Beitrag  der  Bergleute  zu  der 
Errichtung  des  Altars  andeutet,  neben  Maria  stehen 
Georg  und  Laurentius.  Die  Figuren  zeigen,  besonders 
in  den  Köpfen,  einen  entwickelten  Schönheitssinn,  in 
den  männlichen  Gestalten  aber  zugleich  eine  feste, 
energische  Haltung  und  durchweg  einen  freien,  grossen 
Zug  besonders  in  den  Falten. 

Man  kann  gewiss  nicht  behaupten,  dass  diese  Plastik 
aus  dem  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  gegenüber  der 
vom  Ende  des  1 5.  einen  neuen  Stil  im  höheren  Sinne 
des  Wortes  zeige;  sie  arbeitet  vielmehr  wesentlich  auf 
derselben  Grundlage,  mit  denselben  Gedanken,  aber 
durch  das  entwickeltere  Naturgefühl,  mit  dem  namentlich 
auch  die  volleren,  runderen  Formen,  die  weicheren  Falten 
zusammenhängen,  spricht  sie  leichter  an,  vermag  sie 
uns  besser  zu  überzeugen.  Eine  Reihe  von  Schwächen 
und  Formmängeln ,  von  denen  wir  selbst  bei  Meister- 
werken, wie  bei  Michael  Pachers  Altarschrein  von  1471 
in  der  Pfarrkirche  zu  Gries  bei  Bozen,  abstrahiren  müssen, 
kommt  durch  diese  höhere  Entwickelung  in  Wegfall  und 
steigert  die  unmittelbare  Wirkung  des  ganzen  Werkes. 
Ein  direkter  Gegensatz  zwischen  Renaissance  und  Mittel- 
alter besteht  in  der  Plastik  und  Architektur  grössten- 
theils  auch  in  der  Malerei  in  Tirol  und  Bayern  durchaus 

')  Anders  urtheilt  H.  Semper:  Die  Brixner  Malerschiile. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


55 


nicht.  Der  Anfang  des  i6.  Jahrhunderts  ist  hier  über- 
haupt weniger  der  Beginn  einer  neuen  Zeit  als  der 
harmonisch  geklärte  Abschluss  der  vorausgehenden 
Periode.  Schon  dies  deutet  darauf  hin ,  dass  in  der 
Folge  die  Kunst  dieser  Gegenden  wesentlich  an  Be- 
deutung verliert,  obgleich  namentlich  in  der  Profankunst 
noch  recht  viel  Tüchtiges  geleistet  wurde ;  in  ihrer 
höchsten  Blüthe  charakterisirt  sich  eben  die  Kunst  dieser 
Gegenden  doch  als  die  des  späten  Mittelalters. 

Ist  der  Hochaltar  der  Magdalenenkirche  ein  glän- 
zendes Beispiel  der  Prachtaltäre,  die  am  Ende  des  15. 
und  namentlich  im  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  so  zahl- 
reich in  Südtirol  entstanden,  so  zeigt  dagegen  ein  etwa 
gleichzeitiges  kleines  Altärchen  in  der  Schlosskapelle  1) 
der  Burg  Sprechenstein  die  liebenswürdige  Seite  dieser 
spätgothischen  Kunst,  die  sich  gerade  in  solch'  be- 
scheidenen Werken  am  anziehendsten  ausspricht.  Die 
Gemälde  der  Aussenseiten  der  Flügel:  St.  Ruppert  und 
Hieronymus,  sind  unbedeutend,  noch  dazu  später  roh 
übergangen.  Weit  feiner  sind  die  Figuren  im  Schrein : 
Christoph,  Erasmus  und  Georg,  sowie  die  Schnitzereien 
auf  den  Innenseiten  der  Flügel :  Maria  und  Anna  selb- 
dritt;  besonders  gefällig  ist  aber  die  anmuthig  spielende 
Ornamentik  der  reichen  spätgothischen  Architektur  des 
Schreines  und  an  den  beiden  Wappenhelmen,  die  unten 
an  den  Flügeln  angebracht  sind. 

Auch  einige  einzelne  Figuren  der  Zeit  haben  sich 
in  der  Kapelle  und  dem  Schloss  Sprechenstein  erhalten, 
so  fünf  weibliche  Heilige,  von  denen  namentlich  die 
kleine  Figur  mit  dem  Buch  in  der  Linken,  die  jetzt 
unter  der  Kanzel  steht ,  beachtenswerth  ist ,  und  zwei 
sehr  nette,  ungefähr  50  cm  hohe  Engel,  die  Leuchter 
halten,  welche  auf  dem  Hochaltar  aus  dem  18.  Jahr- 
hundert stehen,  an  dem  einige  gut  geschnitzte  Rokoko- 
ornamente erfreuen. 

Die  Reihe  dieser  Altäre  beschliesst  der  nach  15 10 
gefertigte  der  Barbarakapelle  in  dem  benachbarten  Gossen- 
sass;  auch  bei  ihm  finden  sich  nur  schüchterne  Versuche 
von  Renaissanceformen,  nämlich  zweimal  in  der  Archi- 
tektur der  Hintergründe;  dagegen  ist  die  Anlage  und 
der  Aufbau  des  Altares  ebenso  wie  das  Ornament  und 
die  Auffassung  der  Figuren  noch  gothisch.  Aber  wie  in 
der  Bekrönung  des  Altars  mit  den  gothischen  Ornament- 
formen das  willkürlichste  Spiel  getrieben  wird,  so  zeigt 


auch  der  Stil  der  halblebensgrossen  Figuren  des  Schreines: 
Laurentius,  Barbara  und  Sebastian  und  der  der  Reliefs  auf 
den  Innenseiten  der  Flügel :  Tempelgang  und  Vermählung 
Maria  und  die  hl.  Sippe,  trotz  des  wachsenden  Naturalis- 
mus, doch  vor  Allem  deutlich  das  Ausleben  der  mittelalter- 
lichen Kunst.  Der  Naturalismus,  der  in  den  Zeitkostümen, 
die  hier  sogar  bei  Joseph  und  Maria  angewendet  werden, 
ebenso  wie  in  den  Trauben  und  Rebenblättern  des  Orna- 
mentes sich  zeigt,  spricht  sich  am  bedeutendsten  in  den 
höchst  individuellen,  geradezu  portraitartigen  Köpfen  aus; 
aber  er  ist  doch  nur  eine  Steigerung  jenes  rein  äusser- 
lichen  Naturalismus,  der  sich  durch  das  ganze  Mittelalter 
verfolgen  lässt,  nicht  das  Ergebniss  eines  tieferen  Natur- 
studiums, des  wirklichen  Erforschens  und  Erkennens  der 
Natur,  wie  es  im  Norden  Dürer  am  bedeutendsten  ver- 
tritt. Die  Figuren  des  Mittelschreines  sind  daher  nicht 
besser  verstanden  als  die  auf  den  Altären  vom  Ende 
des  15.  Jahrhunderts,  und  die  Falten  zeigen  zwar  jenen 
weicheren,  runderen  Wurf  des  16.  Jahrhunderts,  aber 
nicht  indem  aus  ihm  besseres  Verständniss  der  Bewegung 
spräche,  sondern  nur  indem  sie  ihn  mit  geknäultem  Detail 
allzusehr  bereichern  und  äusserlich  virtuosenhaft  mit  den 
Formen  spielen,  wie  das  gothische  Ornament  in  der  Be- 
krönung des  Schreins.  Die  Gemälde  der  Aussenseiten 
der  Flügel,  deren  Farbe  nicht  übel  gewesen  zu  sein 
scheint,  haben  sehr  gelitten;  ein  bestimmtes,  persönliches 


fea^jyr"-'  -->  ; 


*)  Nach  Fischnaler:  Sterzing  etc.  ist  der  Altar   1505   durch  Hans 
Meuchwez  gefertigt. 


Aus  der  Hauptstrasse  Sterzings. 


56 


DIE  KUNS'l'  UNSERER  ZEIT. 


Gepräge  zeigen  diese  im  Ganzen  übrigens  doch  ziemlich 
handwerksmässigen  Gemälde ,  welche  die  Kindheits- 
geschichte Christi  darstellen,  nicht.  Viel  besser  sind  an 
der  Predella  die  auf  Goldgrund  gemalten  Brustbilder  von 
Barbara  und  Katharina,  die  offenbar  von  anderer  Hand 
herrühren  und  wohl  schon  vor  1500  gemalt  wurden. 

In  der  nach  dem  Wappen  durch  die  Knappschaft 
und  zwar  1510  erbauten  Barbarakapelle,  die  durch  die 
Anlage  von  zwei  Kapellen  übereinander,  sowie  durch 
die  Freitreppe  an  der  Westseite,  welche  den  Zugang 
zur  oberen  Kapelle  bildet,  unwillkürlich  an  die  eleganter 
ausgeführte  Michaelskapelle  in  Schwaz  erinnert,  die 
1506  ebenfalls  von  der  Knappschaft  erbaut  wurde,  ist 
auch  ein,  allerdings  wenig  bedeutendes  Wandgemälde 
des  Todes  der  Maria  vorhanden.  Die  Unterschrift  dieses 
Bildes  berichtet,  dass  es  Lienhart  pharkircher  diser 
kappein  pawmeister  1515  malen  Hess,  der  auch  mit 
fünf  Buben  und  seine  Frau  mit  vier  Mädchen  unter  dem 
Bilde  portraitirt  ist.  Im  gleichen  Jahr  stiftete  Leonhard 
Pfarrkircher  zwei  Glasgemälde  in  die  Kirche  zu  Wiesen 
bei  Sterzing,  die  sich  erhalten  haben  und  von  denen  das 
eine  den  betenden  Stifter,  das  andere  die  hl.  Helena  darstellt. 

Als  spätgothische  Schnitzereien  aus  dem  Anfang 
des  16.  Jahrhunderts  sind  noch  zu  nennen  die  Gruppe 
der  Kreuztragung  in  der  Sterzinger  Pfarrkirche  und  der 
sehr  schwache  Kreuzaltar  daselbst,  dann  in  der  Wall- 
fahrtskirche zu  Trenz  ein  Altarschrein  mit  den  Figuren 
von  Anna  selbdritt,  Agnes  und  einer  weiteren  weiblichen 
Heiligen;  auch  in  der  kleinen  Feldkapelle  am  Eingange 
von  Tuins  ist  eine  recht  gute  Figur  dieser  Zeit  erhalten, 
die  nur  leider  roh  übermalt  wurde,  eine  Maria  (i  Meter 
hoch),  die  mit  beiden  Händen  das  Kind  hält.  Für 
grosse  künstlerische  Leistungen  darf  man  diese  Holz- 
figuren nicht  ausgeben,  sie  sind  auch  nicht  die  Werke 
eigentlicher  Künstler,  sondern  nur  die  Arbeiten  geschickter 
Schnitzer.  Für  die  Kunstgeschichte  grossen  Stils  sind 
sie  wenig  belangreich,  wer  aber  die  Kunst  des  Landes 
im  Zusammenhang  mit  dem  Volksleben  .studiren,  wer 
ein  farbenreiches  Bild  von  dem  Kunstleben  dieser 
Gegenden  gewinnen  will,  für  den  haben  sie  ihren  eigenen 
hohen  Reiz,  da  ja  gerade  sie  von  dem  acht  volks- 
thümlichen  künstlerischen  Schaffen  jener  Periode  erzählen, 
und  es  doch  mit  zu  dem  erfreulichsten  beim  Studium 
einer  Gegend  gehört,  in  jedem  Dorfe  irgend  ein,  wenn 
auch  noch  so  bescheidenes,  Denkmal  künstlerischer 
Thätigkeit  zu  finden.  . 


Die  ächte  Volksthümlichkeit  der  Schnitzkunst  be- 
zeugen namentlich  auch  die  kunstgewerblichen  Arbeiten, 
sowohl  in  der  Kirche  als  auch,  und  sogar  noch  mehr 
die  in  der  Dekoration  des  Hauses.  Beachtenswerth 
sind  hiefür  z.  B.  die  schönen  Prozessionsstangen  in  der 
Pfarrkirche  aus  dem  16.  und  17.  Jahrhundert,  deren 
manchmal  sehr  geschickt  geschnitztes  Ornament  zeigt, 
wie  lange  bei  solchen  Arbeiten  die  gothische  Formen- 
welt in  Geltung  bleibt,  oder  die  spätgothischen  Thüren, 
von  denen  die  in  St.  Peter  aus  der  Zeit  von  1474  zwar 
derb  ausgeführt  ist,  aber  doch  durch  das  originell 
erfundene  Ornament  erfreut,  wie  auch  das  mit  spät- 
gothischem  Flachornament  gezierte  Chorgestühl  der 
Magdalenenkirche  in  Riednaun. 

Für  das  Studium  des  spätgothischen  Hauses  bietet 
Tirol  bekanntlich  ein  ganz  einzig  reiches  Material  und 
gerade  das  Thal  der  Brennerstrasse  mit  den  anstossenden 
Seitenthälern  ist  reich  an  historisch  interessanten,  wie 
malerisch  anziehenden  Burgen  und  Herrenhäusern. 

Tirol  besitzt  in  diesen  Gegenden  zwar  auch  einige 
ältere  Schlösser,  die  sich  verhältnissmässig  gut  erhalten 
haben ;  an  ihnen,  besonders  an  den  Bauten  des  früheren 
Mittelalters  sind  jedoch  kunstgeschichtlich  nur  einige 
architektonische  Details  von  Interesse.  Als  besonders 
reiches  Beispiel  erscheint  hier  das  Schloss  Tirol  aus  dem 
Beginn  des  13.  Jahrhunderts,  dessen  Hauptsaal  reich 
mit  romanischen  Skulpturen  geschmückte  Thüren  und 
originelle  Ornamente  an  den  Theilungssäulchen  der 
Fenster  besitzt.  Gewöhnlich  aber  finden  sich,  wie  z.  B. 
in  Hohen-Eppan  oder  Taufers  allein  in  der  Schloss- 
kapelle Reste  alter  Kunst.  Die  profane  Kunst  spielte 
eben  damals  noch  keine  selbständige  Rolle,  erst  mit 
dem  Schluss  des  Mittelalters  gewinnt  sie  höhere  Be- 
deutung, selbst  der  Schlossbau  wurde  daher  zunächst 
fast  ausschliesslich  durch  die  praktischen  Bedürfnisse 
bedingt.  Von  der  Ausstattung  dieser  alten  Schlösser 
hat  sich  natürlich  fast  gar  nichts  erhalten;  dass  sie  zu 
Grunde  gegangen  ist,  ist  leicht  begreiflich,  bei  dem 
langen  Zeitraum  von  mehr  als  sechshundert  Jahren,  der 
zwischen  dem  Bau  jener  spätromanischen  Burgen  und 
der  Gegenwart  liegt,  dass  aber  auch  ursprünglich  nicht 
viel  vorhanden  war,  ist  ebenfalls  sicher;  wie  in  der 
Architektur,  so  beschränkte  man  sich  eben  auch  in  der 
Ausstattung  auf  das  Nothwendige. 

Die  moderne  Kunst  entwickelt  sich  anfangs  unter 
dem  Schutz,    in  der  Pflege  der  Kirche ;  erst  verhältniss- 


M.  J.  Dicfesee  pins 


Coi>yright  189^  by  V.  Hanfstaengl,  München, 


Besuch  bei  Angeliea  Kauffmann. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


57 


massig  spät,  nämlich  im  15.  Jahrhundert,  regte  sich  bei 
uns  das  Bedürfniss,  nach  reicherem,  künstlerischem 
Schmuck  des  Hauses,  zunächst  natürlich  des  vornehmen. 
Das  15.  Jahrhundert,  in  dem  sich  die  neue  Zeit  so 
vielfach  vorbereitet,  ist  es  vor  allem,  wo  unter  An- 
lehnung an  die  ältere  Kunst  der  Kirche,  ,die  Kunst  des 
Hauses  sich  zu  entwickeln  beginnt,  wo  sie  aus  der 
Schlosskapelle  auch  in  die  Wohnräume  des  Schlosses 
tritt,  die  ja  meist  direkt  mit  ihr  in  Verbindung  stehen, 
in  Tirol  häufig  durch  eine  elegante  Gitterthür  von  ihr 
getrennt  werden,  die  entweder  aus  Eisen  geschmiedet ') 
oder  aus  Holz  geschnitzt  sind,  wie  letzteres  bei  der  mit 
spätest  gothischen  Maasswerkformen  dekorirten  Kapellen- 
thüre  in  Schloss  Reifenstein    bei    Sterzing   der  Fall  ist. 

Schloss  Reifenstein  ist  entschieden,  wie  für  den 
Maler  eines  der  anziehendsten,  so  für  den  Kunsthistoriker 
eines  der  interessantesten  Schlösser  der  Spätzeit  des 
15.  Jahrhunderts;  schon  weil  es  keine  wesentlichen 
Veränderungen,  vor  allem  keine  moderne  Restauration 
durchgemacht  hat  und  dadurch  heute  noch  vor  uns 
steht,  als  ein  von  der  Zeit  verhältnissmässig  wenig 
berührtes  Denkmal  des   15.  Jahrhunderts. 

Die  Burg  liegt  auf  einem  nach  allen  Seiten  steil 
abfallenden  Felsen,  der  nördlich  durch  einen  schmalen 
Rücken  mit  der  Anhöhe  zusammenhängt,  auf  der  das 
Zenokirchlein  liegt,  ein  bescheidener  Bau  aus  der  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts,  neben  dem  man  eine  prächtige 
Aussicht  auf  die  Gletscher  des  Riednaunthals  hat.  Nur 
ein  schmaler,  steiler  Weg  führt  zu  dem  Schloss,  an 
dessen  einst  starke  Befestigung  schon  das  Aussenthor 
mahnt,  in  dem  sich  noch  das  alte  Fallgitter  mit  seinen 
mächtigen  Eisenspitzen  erhalten  hat.  Durch  dieses 
Thor  treten  wir  in  den  Vorhof,  dessen  Gebäude  ganz 
in  Trümmer  liegen,  in  dem  wir  aber  zwischen  dem 
alten  Gemäuer  reizende  Ausblicke  in  das  Thal  und  auf 
das  nahe  Dorf  Elzenbaum  haben,  lieber  die  morsche 
Zugbrücke  kommen  wir  zum  Hauptthor,  in  dem  sich 
nur  das  alte,  kleine  Schlupfthürchen  öffnet,  durch  das 
wir  in  die  eigentliche  Burg  treten.  Das  innere  der 
Burg  ist,  abgesehen  von  ein  paar  kleinen  Zimmern,  die 
sich  der  Besitzer  als  Absteigquartier  eingerichtet,  fast 
ganz  verlassen,  ein  äusserst  malerisches  Gerumpel,  in 
dem  in  einer  grossen,  rauchgeschwärzten  Stube  eine 
arme  Familie  wohnt;  gut  erhalten  aber  haben  sich  zwei 


')  Ein    prächtiges  Stück  dieser  Art  aus  dem    15.  Jahrhundert  hat 
kürzlich  das  bayerische  National-Museum  erworben. 


Hauptstrasse  Sterlings  mit  dem  Zwölferthurm. 

Zimmer,  deren  interessante  Dekoration  aus  dem  Ende 
des  15.  Jahrhunderts  stammt,  zu  welcher  Zeit  das  Schloss 
im  Besitz  des  deutschen  Ordens  war,  der  es  1470  durch 
Herzog  Sigismund  erhalten  hatte. 

Das  eine  dieser  Zimmer  im  Erdgeschoss  hat  prächtige 
Schnitzereien  an  den  Balken  der  Decke  und  einen  hübschen 
Schrank  aus  dem  i  5.  Jahrhundert,  deren  elegantes  spät- 
gothisches  Ornament  darauf  hinweist,  wie  sich  die  Kunst 
des  Hauses  jetzt  reicher  entfaltet ;  wie  sie  aber  aus  der 
Kunst  der  Kirche  hervorwächst,  das  zeigt  der  darüber 
gelegene  Saal ,  zu  dem  wir  auf  einer  engen ,  dunklen 
Wendeltreppe  emporsteigen.  Die  Wände  sowie  die  Decke 
desselben  sind  mit  grünen  gothischen  Ranken  bemalt, 
durch  die  zierliche  Aeste  gezogen  sind,  auf  denen  und 
zwischen  denen  sich  allerlei  Figuren  bewegen.  Diese 
phantasievollen,  recht  charakteristisch  deutschen  Malereien 
wurden  1498  ausgeführt,  sind  also  wohl  nur  wenig  jünger 
als  jene  oben  erwähnten  Wandgemälde  an  dem  Bauern- 
hause in  Ried,  die  unter  italienischem  Einfluss  stehen, 
wodurch  wir  sehen,  wie  hier  im  Grenzlande  die  ver- 
schiedenen Richtungen  unbekümmert  neben  einander 
arbeiten.  Die  gleiche  Ornamentmalerei  wie  in  diesem 
Zimmer  findet  sich  an  der  Rückseite  und  den  Seiten- 
thcilen   zahlreicher   Tiroler    Altäre   der   Zeit ,    auch    die 


58 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT, 


kleine  Hauskapelle ,  die  als  Erker  an  dieses  Zimmer 
stösst,  ist  in  gleicherweise  dekorirt;  aber  an  der  Altar- 
wand sehen  wir  hier  Reste  eines  hübschen  Wandgemäldes 
der  Madonna  mit  dem  Kinde,  die  sofort  die  andersartige 
Bestimmung  dieses  Raumes  erkennen  lassen.  Dass  diese 
Kunst  in  der  Schule  der  Kirche  lernte,  daran  erinnern 
unter  den  Figuren  in  den  Ranken  des  Zimmers  schon 
die  Gestalten  des  hl.  Nikolaus  und  Christophorus;  aber 
andererseits  klettern  hier  auch  muntre  Bursche  auf  den 
Aesten,  Kinder,  die  mit  Vögeln  spielen,  und  eine  fröh- 
liche Jagdgesellschaft  tummelt  sich  da  herum,  und  an  der 
Thüre,  die  in  das  nächste  Zimmer  führt,  ist  der  Niemand 
als  Urheber  alles  Unglücks  abgemalt,  wie  er  zwischen  zer- 
brochenen Töpfen  und  ähnlichen  vom  häuslichen  Jammer 
erzählenden  Dingen  dahinschreitet ,  welches  Bild  der 
Vers  erklärt :  « niemanz  heiss  ich ,  was  man  thut  das 
ziet  (zeihet)  man  mich. »  Dadurch  zeigen  diese  Bilder 
so  recht  frisch  und  munter,  wie  die  Kunst  damit,  dass 
sie  aus  der  Kirche  in's  Haus  kommt,  eine  andere  wird, 
wie  sich  ihr  hier  eine  neue  Stoffwelt  bietet ,  wie  sie 
weltlich  wird  und  in's  volle  Leben  in  der  Natur  und 
im  Hause  greift  und  so  die  moderne  Kunst  und  ihr, 
für  Deutschland  besonders  bedeutsam ,  die  Kunst  des 
Hauses  begründet. 

Aeltere,  noch  befangenere,  aber  gerade  unter  diesem 
Gesichtspunkt  hochbedeutsame  Wandgemälde  der  Art 
besitzt  aus  dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts  bekanntlich 
Schloss  Runkelstein  bei  Bozen,  einen  sehr  reichhaltigen 
Cyklus  verwandter  Art,  wie  der  in  Reifenstein,  gleich- 
falls aus  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts  die  landes- 
fürstliche Burg  in  Meran. 

Auch  einige  Möbel,  wie  der  schöne  Schrank  in 
dem  Zimmer  des  Erdgeschosses,  und  eine  alte  Bettstatt 
haben  sich  in  Reifenstein  noch  aus  dem  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  erhalten,  und  zusammen  mit  der  reichen 
Sammlung  spätgothischer  Möbel,  die  auf  dem  nahen 
Schloss  Sprechenstein  aufgestellt  wurde,  geben  sie  ein 
klares  Bild  von  der  ursprünglichen  Einrichtung  dieser 
Räume.  Die  Kästen  und  Truhen,  wie  die  Tische,  oder 
vollends  gar  die  Betten  sind  wahrlich  noch  schwerfällig 
genug,  aber  man  sucht  sie  durch  das  zierlich  geschnitzte 
Ornament  zu  erleichtern,  zu  beleben  und  wie  die  Stühle 
im  Gegensatz  zu  den  früheren  Bänken  an  der  Wand, 
so  weisen  auch  die  Kästen  und  Truhen  durch  den  Ver- 
gleich mit  den  Wandschränken  auf  den  beweglichen 
Hausrath  der  neueren  Zeit  hin. 


Sterzing  besitzt  aber  auch  selbst  noch  interessante 
Werke  profaner  Kunst  des  15.  und  16.  Jahrhunderts. 
Aus  ersterer  Zeit  befindet  sich  in  dem  sogenannten 
Joechelsthurm,  dem  jetzigen  Amtsgebäude ,  einem  Haus 
des  15.  Jahrhunderts,  das  die  Familie  Joechel  erbaute,  so- 
gar ein  Prachtstück  ersten  Ranges,  nämlich  die  laut 
Inschrift  1469  geschnitzte  Decke  in  der  grossen  Stube 
des  zweiten  Stockes.  Sowohl  die  Balken  der  Decke, 
als  auch  die  Rauten,  in  welche  die  Felder  zwischen 
denselben  getheilt  sind,  weiden  durch  das  feinste,  ge- 
schnitzte Ornament  geziert,  dessen  Formen  in  jedem 
Felde  und  auf  jedem  Balken  wechseln  und  das  dadurch, 
wie  neben  den  zierlich  verschlungenen,  spätgothischen 
Ranken,  Distel  und  Weinlaub  oder  Eichenblätter  die 
Ornamentmotive  bieten,  auf  das  anmuthigste  zeigt,  wie 
man  jetzt  allenthalben  Anregungen  und  Vorbilder  für 
die  Kunst  in  der  Natur  sucht.  In  diese  Stube  mögen 
sich  zu  einer  kleinen  Meditation  die  setzen,  welche 
glauben,  dass  der  Realismus  in  der  deutschen  Kunst 
vor  allem  in  der  Malerei  des  1 5.  Jahrhunderts  aus- 
schliesslich durch  die  Niederländer  hervorgerufen  worden 
sei ;  da  und  dort,  besonders  am  Rhein  mag  ja  die  über- 
legene Malerei  der  Niederlande  die  Deutschen  etwas 
gefördert  haben,  aber  der  massgebende  Faktor  des  Um- 
schwungs in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts 
war  sie  gewiss  nicht.  Wer  die  Kunst  des  deutschen 
Mittelalters  nicht  nur  in  den  Gallerien,  sondern  vor 
allem  im  deutschen  Land  und  zwar  in  all  ihren  Lebens- 
äusserungen studirt,  der  weiss,  wie  die  gesammte  deut- 
sche Kunst  allenthalben  nach  einer  naturwahren  Kunst 
strebt,  ja  dass  dieses  Streben  sogar  der  bedingende 
Faktor  ihrer  Entwickelung  durch  das  ganze  Mittelalter 
ist,  was  sich  am  deutlichsten  in  der  Geschichte  der 
Plastik  verfolgen  lässt.  Wer  die  Entwickelung  des  deut- 
schen Realismus  im  Mittelalter  studiren,  wer  im  Zu- 
sammenhang damit  die  Frage  über  die  Beziehung  der 
deutschen  und  niederländischen  Malerei  beantworten 
will,  für  den  ist  meines  Erachtens  der  Schmuck  des 
deutschen  Hauses,  von  dem  sich  in  Tirol  noch  so  vieles 
erhalten  hat,  und  die  Plastik,  besonders  die  volksthüm- 
liche  Holzplastik,  ein  wichtigeres  Studienobjekt  als  manche 
lange  Reihe  mittelmässiger  namenloser  oder  willkürlich 
benannter  Tafelgemälde;  erst  der  Blick  auf  das  Ganze 
führt  uns  in  das  künstlerische  Leben  und  Streben  einer 
Periode  ein ,  wodurch  allein  wir  dann  auch  die  Ent- 
wickelung der  einzelnen  Gattung  richtig  verstehen  können. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


59 


Hauptstrasse  Sterlings  mit  dem  Rathhaus. 


Für  den  Anfang  des  i6.  Jahrhunderts,  aus  dessen 
weiterem  Verlauf  manche  der  Sterzinger  Bürgerhäuser 
stammen  und  in  dem  sich  im  Wesentlichen  der  so 
charakteristische  Typus  des  bürgerlichen  Wohnhauses 
Tirols  ausbildet,  bietet  das  Rathhaus,  Sterzings  statt- 
lichster Profanbau ,  ein  ansprechendes  und  lehrreiches 
Beispiel.  Das  Sterzinger  Rathhaus  wurde  noch  im 
15.  Jahrhundert  begonnen,  1468  wurde  der  Grund  zu 
demselben  erworben,  also  in  demselben  Jahr,  in  dem 
laut  Inschrift  Erzherzog  Siegmund  den  Grundstein  zu 
dem  stattlichen  Wahrzeichen  der  Stadt,  nämlich  zu  dem 
hohen  Zwölferthurm  legte.  Die  charakteristischsten  Bau- 
theile  des  Rathhauses  aber  gehören  erst  dem  16.  Jahr- 
hundert an,  der  schöne  Erker  mit  seinen  Wappen  wurde 
laut  Inschrift  1 524,  der  Lichthof  mit  seinen  Gallerien 
in    den  dreissiger  Jahren  des   16.  Jahrhunderts  errichtet, 


zu  gleicher  Zeit  erfolgte  wohl  auch  die  Vertäfelung  der 
grossen  Rathsstube  und  wurde  auch  das  prächtige 
Lüsterweibchen  —  eine  Lukretia  —  geschnitzt,  das  in 
mächtige  Steinbockhörner  ausläuft.  Charakteristisch  für 
die  deutsche  Baukunst  dieser  Zeit  trägt  das  Rathhaus 
trotz  alledem  den  einheitlichen  Charakter  mittelalterlicher 
Kunst.  Die  Zinnenbekrönung  des  Hauses,  die  Formen 
der  Fenster,  der  Erker  mit  seiner  Maasswerkdekoration 
u.  s.  w.,  das  alles  gehört  noch  der  Spätgothik  an,  die 
Vertäfelung  der  Stube  zeigt  zwar  Renaissancecharakter, 
aber  das  schöne  Thürbeschläg  hält  wieder  an  gothischen 
Formen  fest.  Wie  in  der  kirchHchen  Baukunst  und  in 
der  Plastik,  so  tritt  vor  allem  auch  in  der  Kunst  des 
Hauses  die  deutsche  Renaissance  nicht  in  einen  be- 
wussten  Gegensatz  zum  Mittelalter,  sondern  es  werden 
zunächst    mit    den    mittelalterlichen    Grundformen    ganz 


60 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT 


einfach  die  Details  der  Renaissance  verknüpft,  die  sicli 
meist  auf  das  Ornamentale  beschränken. 

Das  Sterzinger  Rathhaus  ist  zugleich  ein  treffliches 
Beispiel  der  Anlage  und  äusseren  Erscheinung  des 
bürgerlichen  Hauses  an  der  Brennerstrasse  und  im  Inn- 
und  Salzachgebiet,  die  vor  allem  das  Bild  dieser  Städte 
bestimmt  und  uns  schon  bei  ihrem  ersten  Anblick  an 
die  Bedeutung  des  Zusammenhanges  mit  Italien  für  die 
künstlerische  Entwickelung  dieser  Gegenden  erinnert. 
Es  ist  ein  merkwürdiges  Gemisch  deutscher  und  italieni- 
scher Hausanlage,  der  Grundcharakter  ist  ja  unleugbar 
deutsch,  aber  die  spezielle  Eigenart  erklärt  sich  fast  durch- 
gehends  aus  dem  Einfluss  des  italienischen  Palastbaues. 
Natürlich  musste  dieser  schon  in  Folge  der  grossen  Unter- 
schiede des  Klimas,  das  ja  hier  mehr  als  im  Kirchenbau 
Berücksichtigung  fordert,  selbständig  verarbeitet  werden, 
aber  es  erhalten  sich  doch  auch  Zuge,  wie  die  scheinbar 
flachen  Dächer  und  die  offenen  Hallen,  die  für  unser 
Klima  unbestreitbar  höchst  unpraktisch  sind,  sich  aber 
gleichwohl  hier  so  fest  einwurzelten,  dass  sie  trotz  aller 
Nachtheile,  die  sie  zumal  in  strengen,  schneereichen  Win- 
tern haben,  doch  bis  zur  Gegenwart  festgehalten  wurden. 

Charakteristisch  für  diese  Häuser  ist  vor  allem  die 
Halle  im  Erdgeschosse,  die  in  Sterzing  nur  auf  der 
östlichen  Seite  der  Strasse,  wo  auch  das  Rathhaus  steht, 
sich  findet,  gewöhnlich  dagegen  auf  beiden  Seiten  die 
Strasse  begleitet.  Diese  Halle,  in  der  Verkaufsläden 
und  kleine  Werkstätten  untergebracht  werden,  führt  bis 
Bozen  und  Meran  den  Namen  « Laube »  und  erinnert 
dadurch  an  eine  den  deutschen  Städten  des  Mittelalters 
eigenthümliche  Anlage,  für  die  Behandlung  dieser  Hallen 
in  den  in  Rede  stehenden  Städten,  von  denen  sie  z.  B. 
besonders  vollständig  Mühldorf  am  Inn  erhalten  hat, 
waren  aber  offenbar  die  Säulenhallen  Oberitaliens,  die 
«portici>,  das  massgebende  Vorbild,  wie  sie  sich  z.  B. 
deutscher  Art  am  verwandtesten  in  Padua,  künstlerisch 
am  bedeutendsten  verwerthet  in  Bologna  finden. 

Das  Sterzinger  Rathhaus  schmücken  zwei  stattliche 
Erker,  der  eine  am  Eck  des  Hauses,  der  andere  in  der 
Mitte  der  Strassenseite.  Der  Erker  entwickelt  sich  aus 
dem  Chor  der  Hauskapelle,  und  Tirol  besitzt  noch  eine 
Reihe  solcher  Erker,  so  z.  B.  aus  romanischer  Zeit  in 
Taufers,  aus  gothischer  dagegen  gleich  in  dem  benach- 
barten Reifenstein.  Der  ursprüngliche  Zweck  des  Erkers 
wurde  später  völlig  vergessen,  aber  der  Name  « Chörle  » 
hat   sich    für  grössere  Erker   auch   in    hiesiger   Gegend 


Hof  des  Schlosses  Kampann   bei  Kaltem. 

bis  zum  heutigen  Tage  erhalten.  Der  Erker  hat  in 
Tirol  eine  ganz  besondere  Verbreitung  gefunden^  das 
Bürger-,  ja  in  der  Regel  auch  das  Bauernhaus  erfreut 
sich  oft  bis  zu  den  allerbescheidensten  herab  dieses 
Schmuckes  und  grosse  Häuser  zeigen  häufig  drei,  ja 
noch  mehr  Erker,  die  dann  freilich  manchmal  sehr 
bescheiden  sind,  ja  im  17.  und  18.  Jahrhundert  oft  nur 
als  Fenstererweiterungen  erscheinen,  die  aber  doch  wie 
z.  B.  in  der  Hauptstrasse  Sterzings  viel  dazu  beitragen, 
der  Stadt  ein  buntbelebtes  Ansehen  zu  geben. 

Besonders  eigenthümlich  ist  der  obere  Abschluss 
dieser  Häuser  durch  eine  hohe  Brüstungsmauer,  die 
häufig  mit  einem  Zinnenkranz  bekrönt  wird ;  durch  diese 
Mauer  werden  die  Speicherräume  und  das  niedrige  Dach 
verdeckt,  so  dass  das  Haus  ein  flaches  Dach  zu  haben 
scheint  und  hiedurch,  wie  durch  den  Umstand,  dass  es 
häufig  nach  italienischer  Art  der  Strasse  die  Langseite 
zukehrt,  wird  das  Bild  der  Strasse  ein  wesentlich  anderes, 
wie  bei  den  übrigen  deutschen  Städten  mit  ihren  steilen 
Giebeldächern,  ein  Gegenstand,  der  jedem  sofort  auf- 
fallen wird,  wenn  er  beispielsweise  Landshut  und  Mühl- 
dorf rasch  nacheinander  besucht. 


03 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


61 


Aber  auch  das  Innere  des  Hauses  lässt,  wie  in 
Sterzing  nicht  nur  das  Rathhaus,  sondern  auch  mehrere 
Privathäuser  zeigen,  wiederholt  die  Einwirkung  italienischer 
Anlage  erkennen.  Das  Haus  gruppirt  sich  nämlich  um 
den  viereckigen  Lichthof,  der  südlich  des  Brenners  meist 
durch  ein  hohes  Seitenlicht  erhellt  wird,  das  durch  ein 
grosses,  das  Dach  überragendes  Fenster,  einfällt;  nicht 
selten  aber  besitzt  dieser  Mittelraum  eine  flache  Decke 
und  dann  gewöhnliche  Fenster  an  den  Seiten ,  wo  das 
Haus  freisteht  und  keine  Zimmer  angeordnet  sind;  hiefür 
bietet  der  Winkelhof  bei  Brixen  ein  schönes  Beispiel ; 
häufig  findet  sich  diese  Anlage  nördlich  des  Brenners, 
wie  recht  charakteristisch  in  dem  schönen,  alten  Haus 
der  Kaiserkrone  in  Matrei.  In  jedem  Stockwerk  läuft 
um  diesen  Raum  eine  Gallerie  und  von  dieser  aus  gehen 
die  Thüren  in  die  einzelnen  Zimmer.  Es  ist  dies,  abge- 
sehen von  der  durch  das  rauhere  Klima  gebotenen  Be- 
deckung des  Raumes ,  eigentlich  dieselbe  Anlage  wie 
beim  italienischen  Palasthof  mit  seinen  Gallerien,  die  ja 
auch  in  den  Schlössern  Südtirols  besonders  seit  der 
Renaissance  häufig  nachgebildet  wird,  wie  z.  B.  in  Schloss 
Kampann  bei  Kaltem. 

Diese  Lichthöfe  und  Treppenhäuser,  die  schon  durch 
ihre  Grossräumigkeit  auf  Italien  weisen  und  an  warmen 
Tagen  einen  äusserst  kühlen  und  angenehmen  Aufent- 
haltsort gewähren,  sind  häufig  mit  allerlei  künstlerischer 
Zier  ausgestattet  und  oft  von  ganz  ausserordentlich  an- 
ziehender malerischer  Wirkung. 

Den  Einfluss  des  italienischen  Palastes  zeigen 
bei  diesen  Häusern  ferner  die  offenen  Hallen  an  der 
Rückseite.  Das  Sterzinger  Rathhaus  besitzt  nur  eine 
solche  Halle  im  ersten  Stock ;  sehr  häufig  aber  wieder- 
holen sich  dieselben  in  den  verschiedenen  Stock- 
werken, wie  beispielsweise  beim  Fuggerhaus  in  Schwaz, 
wo  sowohl  das  Erdgeschoss  als  auch  die  drei  darüber 
befindlichen  Stockwerke  sich  in  solchen  Loggien  öfihen. 

Air  diese  Eigenthümlichkeiten  der 
Anlage  des  Bürgerhauses  und  des  Rath- 
hauses  finden  sich,  natürlich  mit  den 
mannigfaltigsten  Veränderungen,  von  Süd- 
tirol über  den  Brenner  bis  hinunter 
nach  Passau,  und  begründen  in  erster 
Linie  den  einheitlichen,  so  bestimmt  aus- 
geprägten Charakter  dieser  Städtegruppe. 


Aus  dieser  Gruppe  der  Städte  an  der  alten  Strasse 
nach  Italien  griff  ich  mit  Sterzing  keineswegs  die  be- 
deutendste heraus ,  denn  von  den  deutschen  Städten 
südlich  des  Brenners  beansprucht  Brixen  als  Bischof- 
stadt, Bozen  als  die  wichtigste  Handelsstadt,  ja  auch 
Meran  eine  entschieden  höhere  Bedeutung  als  Sterzing, 
und  nördlich  des  Brenners  sind  Innsbruck  und  Schwaz, 
aber  auch  einige  der  bayerischen  Städte  kunstgeschicht- 
lich wichtiger.  Aber  Sterzing,  das  schon  als  erste 
grössere  Station  auf  der  Südseite  des  Brenners  ein  eigen- 
artiges Interesse  beansprucht,  hat  dadurch  einen  hohen 
Reiz,  dass  die  Stadt  heute  noch  ein  selten  vielseitiges, 
vollständiges  und  dadurch  lebensvolles  Bild  aus  ihrer 
Blüthezeit  im  Ende  des  15.  und  im  16.  Jahrhundert 
bietet.  Sterzing  ist  eine  kleine  Stadt,  um  so  lockender 
erschien  es  mir ,  darauf  hinzuweisen ,  wie  viel  des  In- 
teressanten doch  auch  solch'  kleine  Städte  besitzen,  an 
denen  Deutschland  so  reich  ist,  die  dem  Künstler  so 
viel  Anziehendes  bieten  und  in  denen  er  daher  gern 
mit  dem  Historiker  zusammenarbeiten  wird,  der  hier 
gerade  die  intimsten  Züge  deutschen  Kunstlebens,  ihre 
ächte  Volksthümlichkeit  studirt.  Der  Künstler  und  der 
Kunsthistoriker  werden  daher  hier ,  glaube  ich ,  gerne 
zu  gemeinsamer  Studienwanderung  ausziehen,  und  sie 
werden  sich  dabei  bald  besser  verstehen  als  in  lang- 
athmigen,  theoretischen  Auseinandersetzungen;  ihre  Wege 
werden  sich  manchmal  theilen,  denn  gar  Vieles,  was 
historisch  interessant,  ja  sogar  bedeutend  ist,  ist  dess- 
halb  noch  nicht  für  unsere  Zeit  künstlerisch  ansprechend, 
und  an  gar  mancher  Ruine ,  manchem  Kunstwerk ,  das 
den  Maler  begeistert,  wird  der  Historiker  kühl  vorüber- 
gehen. Gerade  diese  Gegensätze  der  Auffassung,  die 
verschiedene  Art,  zu  beobachten  und  zu  arbeiten,  hat 
sehr  viel  Anregendes ,  und  die  Beiden  wünschen  sich 
wohl  noch  einen  Dritten,  nämlich  einen  Dichter,  der 
mit  warmen  Worten  das  ausspräche,  was  bei  dem 
fröhlichen  Wandern  ihr  Herz  erfüllt;  die 
Freude  an  dem  schönen  Lande,  an 
seinen  Leuten  und  seiner  Kunst,  die,  je 
näher  wir  sie  kennen  lernen,  je  feiner 
wir  sie  beobachten,  wir  desto  wärmer 
fühlen,  und  die  schliesslich  doch  der 
gemeinsame  Trieb  unserer  Studien  und 
unseres  künstlerischen  Schaffens  ist. 


Lüsterweibchen  in  der  Rathsstube  zu  Sterzing. 


Das  Malermärchen 


VON 


WOLFGANG  KIRCHBACH. 


Ich  sass  eines  Tages  in  dem  grossen  Rubenssaale 
der  altberühmten  Dresdner  Gemäldegallerie  auf  dem 
-  rothen  Plüschsopha  behaglich  zurückgelehnt  und 
betrachtete  nachsinnend  das  gewaltige  Gemälde  des 
Rubens,  wo  Neptun  aus  dem  Meere  auftaucht,  den 
Dreizack  schwingend ,  und  den  Stürmen  mit  seinem 
<  Quos  ego  — !  »  Ruhe  gebietet.  Blonde,  üppige  Nymphen 
umschwimmen  seinen  Muschelwagen ,  den  weisse  See- 
rosse mit  nassen  Mähnen  und  gewaltigen  Schwimmfüssen 
ziehen.  Die  überwältigende  Naturkraft,  die  strotzende 
Lebensfülle  dieses  Riesenbildes  erfüllte  mich  mit  einem 
gesteigerten  Kraftgenuss  der  Seele;  ich  hätte  mich  am 
liebsten  selbst  als  ein  solches  blondes  Seeweib  oder 
als  ein  Triton  um  den  Muschelwagen  des  Meergottes 
durch  die  Wellen  gewälzt. 

Die  Gallerie  war  gänzlich  menschenleer.  Rechts 
und  links  konnte  ich  in  die  lange  Flucht  der  Bilder- 
säle hinabschauen ;  kein  einziger  Besucher  war  dort  zu 
spüren.  Nur  die  Bildnisse  an  den  Wänden,  die  alten 
bärtigen  Niederländer  von  Rembrandt's  Hand,  die  viel- 
fach aufgeregten  Gestalten  der  Rubens'schen  Kunst 
brachten  eine  stumme  menschliche  Gesellschaft  um  mich 
hervor.  Ganz  hinten  im  letzten  Saale  am  Fenster  sah 
ich  einen  Galleriediener  in  sich  zusammengesunken  auf 
einem  Stuhle  sitzen  und  schlafen.  Er  mochte  von  der 
Hitze  eingenickt  sein,  denn  es  war  ein  heisser  Sommer- 
tag um  Mittag,  wo  Niemand  die  Gallerie  gern  besucht. 
Aber  ich  liebte  diese  Einsamkeit,  um  in  der  lautlosen 
Wärme  meinen  wundersamen  Träumen  nachzuhängen. 
Eine  innere  Verwandlung  ging  mit  mir  vor.  Die 
Hitze  und  die  allgemeine  Stille  begann  mich  einzu- 
schläfern. Wiederholt  wachte  ich  auf  und  besann  mich, 
wo  ich  war.  Dann  aber  kam  ein  neues  Träumen  über 
mich,  abgerissene  Bilder  aus  der  Vergangenheit  tauchten 
vor     mir    auf,    umgaukelten    mich     und    verschwanden. 


Einmal  glaubte  ich  eine  Vision  zu  haben,  als  rege  der 
Neptunus  da  oben  wirklich  seinen  Dreizack.  Doch  das 
verging  wieder.  — 

Ich  mochte  zehn  Minuten  lang  so  vor  mich  hin- 
gedämmert haben,  als  ich  im  Nebensaale  ein  Geräusch 
von  langsamen  Schritten  vernahm.  Irgend  Jemand 
schien  draussen  zu  gehen,  stehen  zu  bleiben,  und  wieder 
weiter  zu  wandeln. 

Ich  blickte  auf.  Zu  meiner  Verwunderung,  nicht 
ohne  einen  leisen  Schauder  zu  empfinden,  sah  ich  draussen, 
den  Rücken  mir  zugekehrt,  einen  Mann  in  fremdartiger 
Tracht  stehen.  Er  hatte  einen  grossen,  breitgeränderten 
Hut  auf,  über  dessen  Krampe  eine  röthliche  Feder 
herabhing.  Er  trug  mit  Schleifen  besetzte  Kniehosen, 
ein  wammsartiges  Oberkleid,  einen  kurzen  Mantel  über 
den  Schultern,  einen  Degen  an  der  Seite  und  grosse 
lederne  Stulpenhandschuhe  an  den  Händen. 

Ich    sah,    wie    der    Mann    sinnend   vor   dem    Bilde 
stand,    seine  Hand   rückwärts   an   die  Hüfte  legend,  so, 
dass    der  Mantel   durch    den   Ellenbogen    etwas   herauf- 
gebauscht wurde.     Er  war  von    mittlerer   Grösse,    seine 
Haltung  vornehm  und  gemessen. 

Nach  einer  Weile  drehte  er  sich  herum  und  kam, 
die  Hand  auf  den  Degenknauf  legend,  ruhig  vor  sich 
schauend  auf  den  Eingang  meines  Saales  zu.  Ich  konnte 
sein  Gesicht  erkennen,  ohne  dass  er  mich  noch  zu 
bemerken  schien.  Die  Züge  kamen  mir  bekannt  vor. 
Ich  sann,  wo  ich  sie  unterbringen  sollte.  Ich  rieth, 
welchem  oft  gesehenen  Antlitz  sie  so  merkwürdig  ähn- 
lich erschienen.  Auf  einmal  fiel  mir  ein  Bild  ein,  das 
hinten  in  dem  letzten  Saale  hängt,  aus  dem  er  her- 
gekommen sein  musste.  Dort  befindet  sich  das  berühmte 
Bild,  welches  unter  dem  Namen  des  «Liebesgartens» 
bekannt  ist  und  von  Peter  Paul  Rubens  stammt.  In 
einem  alten  Parke  um  eine  Grotte  lagern  reichgekleidete 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


63 


Damen  mit  Kavalieren  jener  Zeit,  geflügelte  Liebesgötter 
umflattern  sie.  und  liegen  den  leidenschaftlich  bewegten 
Damen  im  Schooss.  Links  vorn  in  der  Ecke  steht  ein 
Herr  in  heisser  Umarmung  mit  einer  blonden  Nieder- 
länderin und  schaut  liebestrunken  aus  dem  Bilde  heraus. 
Das  Antlitz  dieses  Herrn  ist  das  Selbstbildnis  des 
Künstlers,  des  Malers  Peter  Paul  Rubens.  — 

Als  jetzt  der  Fremde  in  den  Eingang  meines  Saales 
trat  und  mit  dem  Ausdrucke  eines  grossen  Erstaunens 
stehen  bUeb,  fiel  mir  die  ausserordentliche  Aehnlichkeit 
seiner  ganzen  Gestalt  und  seiner  Züge  mit  jenem  Selbst- 
bildnis beklemmend  auf's  Herz.  Es  war  dasselbe  breite 
Gesicht  mit  dem  kurzen  Schnurrbart. 

Der  Fremde  warf  einen  scharfen,  klaren  Blick  auf 
die  Bilder  des  Rubenssaales  und  begann  dann,  augen- 
scheinlich sehr  erstaunt,  sich  einzelne  Bilder  näher  zu 
beschauen.  Er  stand  eine  Weile  vor  dem  büssenden 
heiligen  Hieronymus  mit  dem  Löwen  und  schüttelte 
den  Kopf;  dann  trat  er  vor  den  grossen  Dianazug,  wo 
Faune  und  betrunkene  Nymphen  in  sattem,  strotzendem 
Leben  einherziehen,  er  schaute  hinauf  nach  dem  Riesen- 
bilde des  betrunkenen  Herkules,  den  ein  Faun  und  ein 
bocksfüssiges  Weib  stützt,  sein  Auge  schweifte  auf  das 
Bildnis  der  Söhne  des  Rubens  und  endlich  blickte  er 
lange  hinauf  nach  dem  grossen  Gemälde  des  Neptuns, 
der  den  Meeresstürmen  Schweigen  gebietet.  —  Ich 
glaubte  zu  bemerken,  dass  eine  tiefe  Andacht  auf  seinem 
Antlitz  lag,  als  er  diese  Bilder  eines  schwellend  reichen 
I  .ebens  und  einer  Ubermüthigen  Einbildungskraft  musterte. 
Mehrmals  sah  ich  ihn  beifällig  nicken,  all  diese  Sachen 
schienen  ihm  ausserordentlich  zu  gefallen. 

Er  schien  mich  bis  dahin  gar  nicht  beachtet  zu 
haben;  auf  einmal  aber  machte  er  eine  Wendung  zu 
mir  herum,  nahm  seinen  Krämpenhut  mit  einer  sehr  vor- 
nehmen Gebärde  ab,  verneigte  sich,  indem  er  den 
Degenknauf  etwas  niederdrückte  und  sagte  in  klarem 
Deutsch  mit  etwas  kölnischem  Tonfall: 

« Sie  verzeihen,  mein  Herr  —  können  Sie  mir  viel- 
leicht Auskunft  geben  darüber,  wer  diese  fabelhaften  Bilder 
hier  gemalt  hat».  Ich  erhob  mich,  einigermassen  verwun- 
dert, dass  dieser  Herr  mich  so  ohne  Weiteres  ansprach, 
ohne  mir  die  mindeste  Aufklärung  zu  geben,  wie  er  in 
einemsolchen  Kostüm  sich  hierher  gefunden  haben  mochte. 

«  Mein  Herr,  sagte  ich ,  diese  Bilder  sind  von  der 
Hand  des  Peter  Paul  Rubens,  des  grössten  flämischen 
Malers  seiner  Zeit.     Er  starb  im  Jahre   1640». 


«Merkwürdig»,  entgegnete  der  Fremde,  indem  er 
sinnend  vor  sich  hinblickte.  «Merkwürdig.  Rubens! 
Dieser  Name  ist  mir  doch  schon  einmal  vorgekommen 
irgendwo.  Er  kommt  mir  bekannt  vor».  —  Ich  sah 
mir  den  Sprecher  näher  an.  Kein  Zweifel,  er  war  dem 
Antlitz  des  Rubens  auf  jenem  Bilde  zum  Verwechseln 
ähnlich.  Aber  der  Ton  seiner  Stimme  glich  der  eines 
Nachtwandlers,  und  es  berührte  mich  unheimlich,  dass 
er  jenen  Namen  schon  irgendwo  gehört  haben  wollte. 
Er  wendete  sich  wieder  zu  den  Bildern  und  betrachtete 
sie  lange,  schweigend  und  nachdenklich. 

«Ein  grosser  Künstler!  Ein  grosser  Künstler ! »  wieder- 
holte er  im  Anblick  der  Rubens'schen  Sachen.  «  Es  ist, 
als  habe  er  Blut  in  seine  Farben  gemischt,  so  saftig 
und  lebenswahr  ist  das  Fleisch  all  dieser  Gestalten! 
Von  welcher  wunderbaren  Feinheit  ist  der  Ton  auf  der 
Haut  dieses  heiligen  Hieronymus!  Das  ist  vornehm, 
das  ist  zugleich  natürlich.  Es  ist  grosser  Stil,  nicht  nur 
in  diesen  Kompositionen,  auch  der  Vortrag  der  Malerei, 
die  Art,  das  Farbige  in  der  Natur  zu  sehen,  ist  von 
einem  gewissen  kraftvollen  und  mächtigen  Stil.  Ah  ■ — 
sehen  Sie  doch,  mein  Herr,  welche  Naturwahrheit  das 
Fleisch'  dieser  Nixen  um  den  Neptun  hat,  wie  richtig 
es  durch  den  Charakter  des  umspülenden  Wassers 
bestimmt  ist,  wie  gut  dieser  Maler  die  wechselseitige 
farbige  Bestimmung  der  Gegenstände  beobachtet  und 
wie  er  trotzdem  seine  Malereien  zu  grossen  Schöpfungen 
zu  erheben  vermag,  die  nicht  wegen  ihrer  malerischen 
Beobachtungen  da  zu  sein  scheinen,  sondern  hinreissen 
durch  die  innere  Belebtheit  der  Vorgänge  selbst !  Ah 
—  mein  Herr,  ich  bitte  Sie!  War  je  ein  Mensch  so 
grossartig  betrunken  wie  dieser  Herkules  da  oben.?! 
Haben  jemals  Faune,  Nymphen  und  Satyre  gelebt,  die 
so  gegenwärtig  waren  wie  hier  dieses  Gesindel ,  im 
Gefolge  der  Jagdgöttin,  der  edlen  Diana?  Diese  Nymphen 
könnte  man  ja  in  ihre  feisten  Wangen  kneifen,  als  lebten 
sie  wirklich,  diese  bocksfüssigen  Gestalten  scheinen  ana- 
tomisch geradezu  nothwendig  und  haben  gar  nichts 
Fabelhaftes,  sondern  treten  so  fest  auf,  wie  bürgerlich 
wirkliche  Menschen,  die  einen  Taufschein  besitzen  und 
polizeilich  angemeldet  sind.  Ah  —  und,  mein  Herr, 
diese  Löwen,  dieser  Eber  auf  den  beiden  Jagdbildern  ! 
Die  Bestien  scheinen  ja  gerade  in  den  Saal  herabspringen 
zu  wollen,  als  wäre  der  Rahmen  nur  das  Gitter  ihres 
Käfigs!  Mein  Herr,  glauben  Sie  mir,  dieser  Künstler 
hatte   Fleisch    und   Blut,    er    malte   nicht,   er  lebte   alle 


9* 


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DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT, 


seine  Gestalten,  er  lebte  sie  mit  so  viel  Naturgefühl, 
Lebensgefühl  und  mit  solchem  Reichthum  seiner  Seele, 
dass  sie  Alle  hier  noch  leben,  während  er  selbst  wie 
Sie  sagen,  schon  seit  zwei  und  einem  halben  Jahrhundert 
todt  ist!» 

«Ja,  sagte  ich,  es  ist  wunderbar.  Peter  Paul  Rubens, 
der  grosse  Staatsmann  und  Maler,  ist  längst  verwest  und 
in  Nichts  verschrumpft;  seine  Farben  und  seine  Leinwand 
sind  viel  dauerhafter,  als  der  Mann  selber  war  und  die 
Figuren  seiner  Phantasie  athmen  Alle  noch  das  Leben, 
welches  sie  ihm  aus  seiner  Seele  gesogen  haben,  während 
er  nur  noch  ein  Namen  ist » . 

Ich  sagte  dieses  Letztere  ziemlich  betont  mit  der 
heimlichen  Absicht,  den  Fremden  herauszulocken  und 
ihm  einen  gewissen  Nadelstich  zu  versetzen.  Dieser 
aber  schaute  nur  etwas  trübe  vor  sich  hin  und  sagte 
leise  nickend : 

«Ja,  ja,  so  wird  es  wohl  sein.  Einen  eingeschlagenen 
Herkules  kann  man  wohl  wieder  herausfirnissen  und  er 
lebt  wieder  auf  zu  Folge  der  Solidität  des  Malverfahrens, 
welches  dieser  Rubens  befolgt  hat,  mein  Herr.  Schlagen 
aber  bei  einem  wirklichen  Menschen  die  Farben  ein 
und  verlieren  sie  ihren  Glanz  und  ihre  Transparenz, 
dann  hilft  kein  Firnis,  um  ihn  wieder  herauszureiben. 
Es  ist  darum  weit  besser  ein  gemalter  Mensch,  als  ein 
wirklicher  Mensch  zu  sein». 

Der  Fremde  begann  von  Neuem  sich  in  harmloser 
Bewunderung  der  Rubens'schen  Bilder  zu  ergehen  und 
ihre  strotzende  Kraft  und  Fülle,  ihr  dramatisches  Leben, 
die  glaubhafte  Realisirung  all  jener  Wesen  der  Fabel- 
welt zu  rühmen  und  zu  versichern,  dass  er  hier  endlich 
die  wahre  Kunst  gefunden  habe,  die  seinem  Geschmack 
zusage,  dass  hier  das  eigentliche  Wesen  der  Kunst  sei, 
das  er  lange  vergeblich  gesucht  und  daran  er  sich  nun 
gar  nicht  satt  sehen  könne. 

Ich  entgegnete  ziemlich  scharf:  « Ich  verkenne  nicht, 
mein  Herr,  dass  dieser  Meister  Grossartiges  und  in 
seiner  Art  Unübertreffliches  geleistet  hat,  ich  selbst 
habe  eine  ganz  persönliche  Vorliebe  für  ihn,  aber  es 
wäre  doch  schlimm ,  wenn  die  Kunst  hierbei  stehen 
geblieben  wäre.  Die  Welt  hat  weiter  gelebt.  Kein 
Mensch  trägt  mehr  diese  altmodische  Tracht  z.  B.,  in 
welcher  Sie,  mein  Herr,  hier  noch  verkehren  und  sich 
der  Gefahr  aussetzen,  wegen  «groben  Unfugs»  polizei- 
lich belangt  zu  werden.  All  Ihre  Nymphen  und  Faune, 
Ihre  Meerweiber,  Tritone  und  Seerosse,  all  Ihre  Löwen 


wie  auch  die  nackte  Schönheit  dieser  Frauengestalten 
hat  eine  spätere  Zeit  mit  gleichem  Leben  durchdrungen 
und  Sie  brauchen  sich  nur  eine  Treppe  höher  zu  be- 
mühen, so  werden  sie  Manches  sehen,  was  Meister 
Rubens  denn  doch  wohl  nicht  gekonnt  hätte !  » 

Er  trat  einen  Schritt  zurück  und  sah  mich  sehr 
erstaunt,  ja,  sogar  etwas  furchtsam  an.  «Es  i.st  noch 
weitergegangen?»  frug  er  mit  einer  heimlichen,  aber 
nicht  ganz  verborgenen  Bestürzung.  «Man  hat  noch 
weiter  gemalt?  Und  ich  glaubte,  mit  diesem  Saale  sei 
auch  die  Kunstgeschichte  zu  Ende ! » 

« Durchaus  nicht.  Eine  Treppe  höher  geht  die 
Kunstgeschichte  weiter  und  fängt  vielfach  sogar  ganz 
von  Neuem  wieder  an.  Aber  damit  wollen  wir  uns 
nicht  weiter  aufhalten;  ich  will  Ihnen  nur  das  zeigen, 
was  Sie  besonders  interessiren  wird,  mein  Herr,  wenn 
Sie  sich  meiner  Führung  anvertrauen  wollen.  » 

Er  lüftete  mit  einer  sehr  zuvorkommenden  Ge- 
bärde den  Hut  und  lud  mich  mit  einer  Handbewegung 
ein,  voranzugehen.  Ich  verneigte  mich  sehr  höflich 
und  wunderte  mich  nur,  dass  er  mir  auch  jetzt  noch 
nicht  seine  Visitenkarte  übergab,  auch  seinen  Namen 
nicht  nannte.  Er  ging  voran,  durchschritt  den  Saal,  wo 
die  Bilder  des  Murillo,  des  Ribera  und  anderer  Spanier 
sich  befinden,  warf  einen  Blick  darauf,  als  sähe  er  nur 
alte  Bekannte  und  stieg  dann  die  schöne,  breite  Frei- 
treppe zur  Mittelkuppel  hinan,  wo  die  Raffael'schen 
Teppiche  hängen.  Wir  schritten  in  das  obere  Stock- 
werk mit  der  modernen  Abtheilung  hinauf  und  ich 
führte  ihn,  ohne  Aufenthalt,  zunächst  in  den  hintersten 
Saal,  wo  Makarts  grosses  Gemälde  des  Sommers  hängt. 
Dieses  Bild  schildert  ein  Frauenbad.  Auf  einem  üppigen 
Pfühle  in  einer  Grotte  ruht  in  der  Mitte  eine  nackte 
Dame,  die  eben  noch  das  Wohlgefühl  des  genossenen 
Bades  auf  ihren  Lippen  spielen  lässt,  links  am  Becken 
sind  andere  stolze  Schönheiten  zum  Bade  bereit,  rechts 
stehen  hohe  Frauen  im  Bademantel  und  prächtigen 
Roben  und  spielen  eine  Parthie  Schach.  Auch  halb- 
wüchsige Mädchen  und  Kinder  sind  dabei  und  werden 
gebadet.  Der  ganze  Glanz  der  Makart'schen  Farben- 
fülle ist  über  dieses  grosse  Bild  ausgegossen. 

Der  unbekannte  Kunstkenner  —  denn  für  einen 
solchen  musste  ich  ihn  ja  wohl  halten  —  betrachtete 
lange  das  glänzende  Bild  des  Wienerischen  Meisters. 
Ich  glaubte  zu  bemerken,  dass  die  Sache  ihm  denn 
doch    imponirte    und ,     indem    ich    den    ganzen    Stolz 


Laura  Alma-Tadema  pinx 


Copyright  \SH  bjr  V.  Hanfstaengl,  MQnchen. 


Ins  Garn  gegangen. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


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empfand,  am  Ausgange  des  neunzehnten  Jahrhunderts  zu 
leben,  Hess  ich  nach  einer  Weile  nur  die  Frage  fallen: 
«  Nun,  mein  Herr  —  ? !  » 

Ein  liebenswürdiges,  aber  ironisches  Lächeln  ging 
über  sein  Antlitz ;  er  zwinkerte  mir  mit  den  Augen  zu 
und  sagte  schelmisch:  «Ich  bedauere  die  Männer  Ihrer 
Zeit,  mein  Herr,  wenn  dieses  die  Frauen  sind,  welche 
in  schönen  Stunden  in  Ihren  Armen  liegen.  Sie  ver- 
stehen ja  wohl  —  [i>  —  Ich  verstand  zunächst  ganz 
und  gar  nicht  und  blickte  ihn  überrascht  an.  —  «Nun, 
ich  will  deutlicher  seins,  sagte  er  noch  schelmischer. 
«  Dieses  Bild  frappirt  allerdings  auf  den  ersten  Anblick.  Es 
ist  in  dieser  Farbe  etwas  von  der  morbidezza  der 
italienischen  Meister,  welche  wir  Niederländer  ja  auch 
in  Italien  studierten.  Aber  was  ist  Farbe,  was  ist 
Eleganz  der  Linien !  Elegant  ist  diese  Farbe,  elegant 
dieser  Vortrag,  elegant  die  Farbenharmonie!  Ich  sehe 
das  recht  wohl.  Aber  diese  Eleganz  ist  keine  Schön- 
heit und ,  mein  Herr ,  die  Hauptsache  ist ,  dass  diese 
Frauen  so  leicht  wie  die  Luft  sind.  Dieses  Fleisch  hat 
keine  Schwerkraft.  » 
«Wie  so.?» 

«Ei,  mein  Herr»,  sagte  der  Unbekannte.  «Wissen 
Sie  nicht,  dass  das  Fleisch  des  Menschen  ebenso  gut 
auf  eine  Waage  gelegt  werden  kann  wie  ein  Pfund 
Ochsenfleisch  oder  Schweinefleisch.?!  Wissen  Sie  nicht, 
dass  es  dann  sein  ordentliches  Gewicht  hat  und  dass 
ein  Mensch  in  diesem  Falle  zumeist  einhundert  bis  zwei- 
hundert Pfund  wiegt?  Haben  Sie  nicht  sogleich  an  den 
Gestalten  des  Rubens  gesehen,  dass  diese  Wesen  auch 
ein  wirkliches  Gewicht  haben  und  dass  die  Farbe  selbst 
dieses  materielle  Gewicht  ausdrückt  ?  Sie  müssen  wissen, 
mein  Herr,  dass  ein  nackter  Mensch,  mag  er  stehn 
oder  gehn  oder  fliegen,  durch  die  Anziehungskraft  der 
Erde  auch  angezogen  wird,  dass  seine  Muskeln,  Schenkel 
und  Waden,  Bauch  und  Brüste,  soweit  sie  nicht  im  Zu- 
stande der  Anspannung  sind,  nach  dem  Mittelpunkt  der 
Erde  gravitiren,  wie  das  sich  ja  ganz  von  selbst  aus 
den  Gesetzen  ergeben  würde,  welche  ein  gewisser  Galiläi 
vor  nicht  zu  langer  Zeit  neu  erörtert  hat,  wenn  es  nicht 
der  Augenschein  selbst  lehrte.  Sehen  Sie  doch  einen 
nackten  Menschen  einhergehen,  wie  sein  Fleisch  da  nach 
der  Erde  hängt,  denn  das  Fleisch  will  wieder  zur  Erde 
zurück,  aus  der  es  ward  und  in  der  es  auch  wieder  zur 
Erde  wird.  Nun,  mein  Herr,  dieses  Gravitationsgesetz 
des  Fleisches  haben  Männer,  wie  Michel  Angelo,  Raffael 


und  vor  Allem  der  grosse  Rubens  stets  beobachtet, 
darum  ergiebt  sich  auch  ein  ganz  anderer  anatomischer 
Zustand  der  Rubens'schen  Wesen,  als  dieser  luftigen 
Frauengestalten  hier.  Sie  können  nicht  gehn  und  stehn 
und  kein  Mann  kann  sie  umarmen.  Mein  Herr,  es  ist 
nur  eine  kleine  Nuance,  es  ist  ein  Grad  in  der  Zeichnung 
und  in  der  Lage  des  Lokaltones  zum  Schattenton,  es 
ist  nur  ein  Grad  in  der  Bestimmung  der  Reflexe  und 
des  Selbstreflexes,  den  das  Fleisch  in  sich  selbst  hat  — 
nur  ein  Grad,  welcher  zugleich  das  Schwergewicht  des 
Fleisches  malt  und  sein  Hängen  zur  Erde  in  der  Natur 
ausdrückt.  Dieser  Maler  hier  aber  hat  nur  die  Häute 
der  Menschen  studiert  und  gemalt,  wo  sie  als  Häute 
wirken ;  er  hat  durch  seine  Farbenkombinationen,  durch 
die  Reflexe,  welche  er  durch  prächtige  Stoffe  auf  das 
Nackte  fallen  lässt,  das  innere  Fleisch  abgetödtet  und 
die  Häute  isolirt.  Er  hat  eine  Hautschönheit  gemalt 
und  parfümirte  Häute  ausgehangen.  Mein  Herr,  ich 
fühle  geradezu  einen  Schauder;  hier  ist  kein  Knochen, 
keine  Sehne,  kein  Muskel,  kein  Fett  verräth,  dass  es 
unter  diesen  Häuten  ist  und  die  Anatomie  —  o,  mein 
Herr,  diese  schönen  Häute  hier  sind  ja  über  die  zu 
Grunde  liegende  Anatomie  hinweggezogen,  wie  ein 
Frauenstrumpf  über  eine  Männerwade;  das  Strumpf- 
band ist  verloren  und  der  Strumpf  ist  gerutscht.» 

«Aber,  mein  Herr»,  sagte  ich,  unwillig,  dass  dieses 
Bild,  welches  ich  bewundert,  eine  so  abfällige  Beurtheilung 
bei  diesem  Flamländer  fand.  «Haben  Sie  denn  keine 
Empfindung  für  die  Sinnlichkeit  und  Ueppigkeit  dieser 
Farben,  für  das  Bouquet,  für  den  Geschmack,  mit  wel- 
chem die  Stoffe  gewählt  sind  und  den  Ton  dieser  zarten 
Frauenhaut  bestimmen,  keinen  Sinn  für  die  Lebensfülle, 
welche  aus  der  Auffassung  des  Gegenstandes  selbst 
spricht  ? !  » 

«Ich  habe  Hunderte  von  nackten  Weibern  gesehen», 
sagte  der  Fremde,  «aber  niemals  solche  Gestalten.  Es 
schaudert  mich  vor  ihnen.  Diese  Köpfe,  bei  allem 
Schmelz  des  Incarnates,  kann  man  sich  vorstellen,  dass 
ein  Schädel  darunter  ist?!  Diese  aufgerissenen  Augen- 
lider —  was  drücken  Sie  denn  aus?  Sprechen  sie  von 
Frische  der  Sinne,  von  zweckmässiger  Sinnlichkeit  r  Nein, 
zwecklose  Ueppigkeit  athmen  diese  Lippen  und  dieses 
Kind  hier  unten,  dieser  aufgeschwammte  Knabe,  welch' 
eine  Missgeburt  geheimer  Sünden  ist  denn  das?!  All 
diese  Weiber  haben  sich  geschminkt  und  damit  ihre 
Haut   verderbt  —  es  muss  eine  schreckliche  Zeit,    eine 


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DIE  KUNS'l"  UNSERER  ZEIT. 


Zeit  voll  innerem  Wahnsinn  der  Sinne  gewesen  sein, 
da  man  solche  Bilder,  solche  Frauengestalten  bewun- 
derte. Dieser  Maler  hat  von  der  weiblichen  Natur  nur 
das  gesehen,  was  als  Phosphorenz  des  Fleisches  im  Zu- 
stande üppiger  Erregung  und  üppiger  Erschöpfung  durch 
die  Haut  läuft  und  es  ist  schrecklich,  diese  Beobach- 
tungen zu  isoliren,  ohne  sie  auf  anatomisch  wirkliche 
Gebilde  und  Wesen  von  irdischer  Schwerkraft  zu  be- 
ziehen, dadurch  zu  mildern  und  den  heiligen  Zwecken 
der  Natur  entsprechend  darzustellen  Und  noch  Eines, 
mein  Herr!  Dieser  Maler  malte,  um  zu  malen,  kolorirte, 
um  zu  koloriren !  Nicht  Tizian  und  Giorgione,  nicht 
Veronese  hat  das  gethan!  Dieser  Maler  will  schön  sein 
durch  Farbenwerthe,  Tizian  aber  wollte  die  Schönheit 
der  Gestalt,  wie  sie  sich  durch  die  Materie  als  farbige 
Erscheinung  verwirklicht!  Dieser  Maler  hier  will  eine 
schön  arrangirte  Palette,  in  welcher  auch  der  Mensch 
nur  ein  Schmuck,  eine  farbige  Zierde  ist,  Tizian  und 
Rubens  aber  malten,  weil  die  Schönheit  und  Kraft  der 
gesunden  Natur  und  ihrer  Materie  durch  die  Farbe 
zu  einer  Gestalt  wird.  Dieser  Maler  malt  nur  im  Gegen- 
satz zu  denen,  die,  statt  des  Pinsels  den  Zeichenstift 
brauchen  und  er  betont  diesen  Gegensatz;  Rubens  hat 
gemalt,  weil  die  Natur  selbst  nur  durch  Farbe  zur  Form 
wird  und  ihr  lebendiges  Leben,  ihr  Lebendigsein  im 
Lichte  und  in  der  Wärme  der  Sonne,  durch  farbiges 
Dasein  beweist.» 

Der  Fremde  endete  und  wendete  sich  ab,  als  ob 
er  im  Anblick  der  schönen  Makart'schen  Frauen  einen 
körperlichen  Schmerz  empfände.  Auch  ich  wagte  nur 
noch  verstohlen  auf  das  Bild  zu  schauen,  denn,  merk- 
würdig! während  seiner  Rede  vermisste  auch  ich  all  das, 
was  er  vermisste.  — 

Er  wendete  sich  herum  und  sein  Auge  fiel  auf 
das  grosse  Bild  der  beiden  Löwen  von  Richard  Friese, 
welche  in  der  ganzen  Naturtreue  ihres  Katzencharakters 
anatomisch  und  in  jeder  anderen  Hinsicht  vollendet 
beobachtet  und  gemalt,  auf  einem  Felsgerölle  lauernd 
heranschleichen  und  unten  in  der  Tiefebene  eine  Kara- 
wane beobachten. 

€  Hier  sehen  sie  eine  Leistung  des  19.  Jahrhunderts, 
die  Ihnen  besser  gefallen  wird,  mein  Herr  ■» ,  sagte  ich. 
« Vergleichen  Sie  die  Thiermalereien  des  Rubens  damit,  so 
werden  Sie  den  Fortschritt  der  Zeit  nicht  verkennen ;  denn 
das  geben  Sie  wohl  zu,  dass  Rubens  noch  manchen  Löwen 
malte,  der  mehr  heraldisch  als  naturalistisch   aussieht.  > 


Der  Unbekannte  betrachtete  sich  eine  Weile  das 
Bild.  «Das  ist  schon  besser»,  sagte  er.  «Ein  guter 
Thierbeobachter !  Er  hat  die  Natur  des  Löwen  fast  so 
gut  beobachtet  wie  Homer  vor  2700  Jahren. » 

Ich  stutzte.  Ich  sagte  mir,  ich  müsse  mit  einem 
hochgebildeten  Manne  sprechen,  und  mein  Verdacht, 
ich  hätte  es  doch  mit  Rubens  selbst  zu  thun,  regte  sich 
von  Neuem.  Der  Fremde  lächelte  wieder  mit  verbind- 
licher Ironie  und  sagte:  «Sie  wissen  ja,  wie  Homers 
Vergleiche,  die  er  vom  Löwen  und  anderen  Thieren 
nimmt,  überall  beweisen,  dass  er  diesen  mit  einem  ausser- 
ordentlichen Naturalismus  beobachtet  und  charakterisirt. 
Warum  sollte  ein  Maler  wie  Rubens,  der  doch  erst  seit 
250  Jahren  tot  ist,  weniger  gut  beobachten?!  Dieses 
Bild  hier  ist  sehr  gut,  aber  vergleichen  Sie  doch  einmal 
die  säugende  Tigerin  des  Rubens  mit  diesen  Ihren 
«  modernen  »   Löwen  I  » 

Ich  musste  sogleich  zugeben,  dass  Rubens  allerdings 
die  Lage ,  welche  jene  Bestie  beim  Säugen  annimmt, 
ausserordentlich  richtig  charakterisirt  habe,  dass  die 
Pranken,  der  Kopf  des  Thieres  vollständig  naturalistisch 
und  in  voller  Schwere  ihrer  ruhenden  Gewalt  daliegen, 
und  dass  der  Charakter  des  Felles  ganz  naturalistisch  sei. 

«Also»,  sagte  der  Fremde.  «Das  geben  Sie  zu! 
Dieser  geistreiche  Maler  hier  würde  beinahe  eines  Rubens 
würdig  sein,  wenn  er  nicht  drei  Fehler  gemacht  hätte, 
welches  die  Fehler  seiner  Zeit  sind.  Der  erste  Fehler 
ist,  dass  er  dieses  Kalkgerölle  hier  viel  zu  sehr  ausgeführt 
hat.  Diese  Kalkfelsen  sind  ja  von  einer  landschaftlichen 
Wahrheit,  dass  man  sie  gleich  wegnehmen  und  damit 
nach  den  Löwen  werfen  könnte.  Mein  Herr,  das  ist 
ein  grosser  Fehler!  Würden  Si5,  falls  Sie  in  die  Lage 
kämen,  zwei  wirklichen  Löwen  auf  diese  Distanz  im 
Freien  zu  begegnen  und  sie  zu  beobachten  Zeit  und 
Laune  haben,  auch  die  geologische  Natur  des  Bodens, 
auf  dem  sie  sich  bewegen,  so  genau  studiren?! 
Nein,  Sie  würden  so  sehr  hingerissen  sein  durch  den 
Anblick  der  Thiere  selbst,  dass  Sie  den  Vordergrund  der 
Felsen  nur  unbewusst  in  einem  allgemeineren  Charakter 
sehen  würden.  Und  hätte  der  Maler  diesen  allgemeineren 
Charakter  nur  gegeben,  so  würden  die  Thiere  selbst 
noch  weit  grandioser  wirken.  Dieser  Maler  hat  den 
weiteren  Fehler  begangen,  dass  er  das  Fell  der  Thiere 
so  naturwahr  geschildert  hat,  als  hätte  er  ein  Löwenfell 
vor  sich  gehabt,  welches  ihm  zu  einem  Stillleben  als 
Modell  diente.     Aber  bringen  Sie  sich,    auch  wenn  Sie 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


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nur  m  Käfig  den  lebenden  Löwen  in  Bewegung  sehen, 
die  Beschaffenheit  seines  Pelzes  dermassen  zum  Bewusst- 
seinPl  Nein,  in  diesem  Falle  ist  auch  das  Haar  des 
Pelzes  kein  Detail  für  den  Kürschner,  sondern  es  sieht 
gerade  so  aus  wie  die  Tigerin  des  Rubens,  es  ist 
das  charakteristische  Kleid  des  Wüstenkönigs 
und  erscheint  Ihnen  in  einer  grössern  Ansicht.  Aus 
beiden  Fehlern  ergibt  sich  aber  der  Dritte,  nämlich, 
dass  diese  Löwen  gleichfalls  zu  leicht  sind  und  zu 
dünne  Knochen  haben.  Die  geologische  Materie  und  ihre 
Schwere  ist  im  Missverhältnis  zur  Schwere  des  Fleisches 
und  der  Knochen.  Sie  glauben  natürlicher  zu  sein  als 
Rubens;  in  Wirklichkeit  aber  balanziren  Sie  die  Be- 
deutung Ihrer  Naturbeobachtungen  nur  falsch;  Sie  legen 
ein  Schwergewicht  auf  das ,  was  ein  nebensächliches 
Gesetz  der  Natur  ist,  und  die  grossen  Hauptgesetze, 
welche  sozusagen  das  Gerippe  für  den  Zusammenhalt 
der  Erscheinungen  ausmachen,  vergessen  Sie  darüber. 
Diese  Löwen  mögen  für  den  Geschmack  eines  Kürschners 
passen,  aber  auf  gewisse  Entfernungen  sieht  selbst  ein 
Kürschner  nicht  mehr  das  Fell,  sondern  den  Löwen  nur 
noch  als  eine  moralische  Erscheinung ! » 

Nach  diesen  Worten  ging  der  Fremde  aus  dem 
Saale  und  sagte :  «  Uebrigens  ein  schönes  Bild !  Schade, 
dass  es  in  Ihrer  Zeit  gemalt  ist!»  Er  trat  in  den  Neben- 
saal und  blieb  sofort  überrascht  vor  einem  der  vorzüg- 
lichsten Plein-air-  und  Freilichtbilder  unserer  Zeit  stehen, 
Harrisons  «Studie».  Man  sieht  einen  Waldweiher  und 
sein  Ufer  bei  Abendsonnenschein,  dessen  Lichter  sich 
im  Wasser  spiegeln.  Im  Vordergrunde  kommt  eine 
nackte  Nymphe  an,  eine  andere  nackte  Frau  sieht  man 
auf  dem  Wasser  selbst  sich  auf  einem  Kahne  herüber- 
stossen.  Ich  sagte  mir,  ich  müsste  den  Fremden  etwas 
in  das  Verständnis  des  Bildes  einführen,  da  er  voraussicht- 
lich hiefür  gar  nicht  die  Augen  haben  würde,  und  sprach : 

«  Bitte ,  sehen  Sie  richtig  hin !  Haben  Sie  jemals 
ein  Bild  gesehen ,  wo  das  Wasser  feuchter  schien ,  wo 
die  Art  der  Lichtreflexe  und  der  Lichtspiegelungen  so 
zart  beobachtet  ist,  wo  Luft  und  Dämmerung  selber 
sich  so  spiegeln  ?  Haben  Sie  gesehen ,  wie  wahr  der 
graugrüne  Ton  des  Fleisches  dieser  Nymphe  ist,  bestimmt 
durch  die  feuchte  Abenddämmerluft,  und  empfinden  Sie 
den  Stimmungszauber,  der  in  dieser  wahren  Beobachtung 
der  meteorologischen  Natur  liegt?  Hier  ist  das  Licht, 
die  Luft  selbst  gemalt,  und  das  konnte  keine  frühere 
Zeit,  das  ist  ein  wirklicher  Fortschritt  1  y> 


Der  Unbekannte  sah  lange  auf  das  Bild  ;  er  schien 
trübsinnig  zu  werden.  Der  Impressionismus  schien  ihm 
neu ;  ich  war  gespannt,  ob  sein  Auge  sich  überhaupt  auf 
die  Sammlung  der  diffusen  Farben  zu  einem  bestimmten 
Bilde  einstellen  würde.     Nach  einer  Weile  sagte  er: 

« Es  ist  mir  wahrhaftig  gerade  so,  als  ob  ich  an  einer 
Strassenlache  stände,  in  welcher  sich  ein  Kirchthurm 
spiegelt  und  ich  mich  selbst  auf  dem  Kopfe  stehen 
sähe ;  es  schwindelt  meinem  Auge  vor  diesem  Chaos 
von  Farben,  die  doch  ein  bestimmtes  Nebelbild  der 
Landschaft  ergeben!  Aber,  mein  Herr,  welch  ein  Auf- 
wand von  Mitteln,  um  einen  Eindruck  z»i  erzeugen,  den 
Rembrandt  oder  Rubens  mit  drei  Pinselstrichen  erzielt 
hätte!  Glauben  Sie  denn,  ich  sähe  nicht  auch,  dass  die 
Körper  und  die  Dinge  von  Luft  und  Aether,  von  Licht 
und  Feuchtigkeit  umgeben  sind.?!  Glauben  Sie,  ich 
wüsste  nicht  auch,  dass  wir  die  Dinge  durch  einen 
Farbeneindruck  zunächst  vermittelt  erhalten?  Aber  löst 
unser  Gehirn  diese  Impressionen  in  ein  gestaltloses 
Chaos  von  Farben  auf?  Thut  es  nicht  das  Gegentheil? 
Verarbeitet  es  nicht  diese  Farbenflecke  sofort  in  eine 
plastische,  festumschriebene  Gestalt,  selbst  da,  wo  es 
Dämmerungen  und  Nebelbilder  sieht?  Ist  die  Welt  nur 
eine  Erscheinung  in  Ihrem  körperlichen  Auge?!  Ist  sie 
nicht  vielmehr  eine  Erscheinung  in  Ihrem  Gehirn?  Und 
trägt  dieses  Gehirn  nicht  in  jedem  Augenblicke  Ihres 
Sehens  auch  seine  Erinnerungen  an  die  Form  und 
die  Gestalt  der  Wesen  in  die  farbigen  Erscheinungen 
Ihres  Auges  hinein  ?  Ordnet  nicht  diese  Erinnerung 
gerade  die  farbigen  Impressionen  fortwährend  zu  be- 
stimmten plastischen  und  organisirten  Erscheinungen?! 
O  —  mein  Herr,  ich  werde  im  Anblick  dieses  Bildes 
und  der  Richtung  desselben  tieftraurig !  Dies  Bild  scheint 
nicht  von  einem  Menschen,  auch  nicht  von  einem  Gotte 
gemalt  zu  sein;  dies  Bild  hat  eine  Meeresqualle  oder 
eine  grosse  Fliege  gemalt !  Denn  im  Netzauge  einer 
Fliege  da  mögen  wohl  die  Farben  der  Dinge  und  die 
meteorologischen  Erscheinungen  von  Luft  und  Licht  diese 
diffuse  Gestalt  annehmen;  bei  Fliegen  und  Schmetter- 
lingen, bei  den  unvollkommen  organisirten  Augen  der 
gehirnlosen  und  gehirnschwachen  Wesen  —  da  mag  die 
Natur  ein  solcher  Schemen  bleiben,  wo  die  Materie  des 
Wassers  und  die  Materie  der  Luft  und  alle  anderen 
Materien  nur  als  ein  solcher  Eindruck,  eine  solche  Im- 
pression wirken ;  eine  Fliege  mag  einen  Menschen  als 
einen  grossen  Haufen  von  farbigen  Flächen  und  diffusen 


68 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Lichtern  und  Schatten,  Reflexen  und  Spiegelungen  sehen 
—  der  Mensch  aber  benutzt  jeden  Reflex,  um  ihn  als 
einen  Ausdeuter  und  Verräther  der  Form  zu  empfinden  I 
O,  über  die  herrlichen  Reflexe  des  grossen  Rubens! 
Mein  Herr,  kennen  Sie  diese  purpurrothen ,  blutigen 
Reflexe  im  Fleische  dieses  Rubens,  wo  Fleisch  sich  im 
Fleische  spiegelt  in  einer  Armkehle,  in  einer  Falte 
der  Brüste  —  und  wissen  sie,  was  diese  Reflexe  ver- 
rathen?  Form  verrathen  sie,  organisirtes  Leben!  O,  mein 
Herr,  sind  denn  die  grossen  Meister  Ihrer  Zeit  zu  Fliegen 
und  Insekten,  zu  Haifischen  und  Walfischen  geworden, 
dass  sie  mit  den  Augen  dieser  Wesen  sehen?!  Dieses 
Bild  hat  eine  Menschenhand  und  Meisterhand  gemalt, 
aber  ein  Haifisch  hat  es  gesehen ! » 

Er  schwieg.  Ich  war  tief  erschüttert.  Ich  fühlte- 
das  unheimliche  Gespenst  aus  der  Vergangenheit,  das 
zu  mir  sprach,  hatte  in  einem  gewissen  Sinne  Recht. 
Es  sprach  die  bilderstarke,  kräftige  Sprache  seiner  Zeit ; 
was  er  aber  damit  ausdrücken  wollte,  schien  mir  doch 
sehr  bedenkenswerth.     Nichtsdestoweniger  sagte  ich : 

« Die  Menschen  unserer  Zeit  sehen  hierin  gerade 
einen  Fortschritt.  Sie  meinen ,  dass  in  dieser  feinen 
Beobachtung  der  Stimmungen  von  Luft  und  Licht,  in 
welchen  die  festen  organischen  Formen  der  Dinge  zer- 
fliessen,  der  höchste  malerische  Reiz  liege,  indem  diese 
Stimmungen  auch  ein  Ausdruck  ihrer  Gemüthsstimmungen 
sind!  Desshalb  geben  sie  nur  jene  farbigen  Eindrücke  der 
Erscheinungen  wieder  und  lassen  den  inneren  Organismus 
nur  errathen.  » 

t  Was  sind  das  für  Stimmungen  ^ !  »  frug  er. 

«Naturstimmungen,  Empfindungen  idyllischer  und 
sonstiger  Art,  wie  sie  uns  überkommen,  wenn  wir  in 
jenen  Landschaften  sind  und  uns  von  Luft  und  Licht 
selber  seelisch  bestimmt  sehen,  religiöse  Stimmungen 
und  dergleichen.  Viele  malen  auch  so  blos  aus  dem 
wissenschaftlichen  Grunde,  dass  sie  behaupten,  die  Ge- 
stalten der  Fischer  und  Fischerinnen,  der  Bettler  und 
Arbeiter,  sei's  im  hellen  Sonnenlicht,  sei's  im  Zwielicht, 
•  erschienen  so  auf  ihrer  Netzhaut. » 

«  Schrecklich !  »  entgegnete  der  Fremde.  «  Welch 
eine  falsche  Wissenschaft  muss  das  sein,  die  das  Netz- 
hautbild ablösen  will  vom  Gehirnbild  und  seiner  Er- 
innerung. Malte  nicht  Rubens  auch  im  hellsten  Licht? 
Leuchtet  nicht  sein  Fleisch  so,  dass  alles  Fleisch,  was 
ich  hier  sehe  auf  allen  Bildern,  nur  der  Schatten  des 
Fleisches  erscheint?    Und  dieses  malten  eure  Maler  im 


hellen  Sonnenlicht,  dieses  graue,  braune,  blaue,  dieses 
kalkige  Fleisch ,  welches  ich  auf  allen  Wänden  sehe  ? ! 
Das  ist  Eure  Sonne,  Euer  Licht  ? !  O,  mein  Herr,  Sie 
stellen  die  Körper  in  die  Sonne  und  malen  dann  die 
Impressionen  des  Lichts  ?  Aber  Rubens  hatte  die  Sonne 
in  seinem  eigenen  Auge,  und  darum  strahlt  all'  sein 
Fleisch  vom  inneren  Licht,  während  Ihr  nur  das  äussere 
Licht  malt,  das  Eure  Farben  nie  erreichen  werden.  In 
Eurem  Auge  müsst  Ihr  die  Sonne  haben;  wenn  Ihr 
aber  diese  innere  Sonne  tödten  lässt  durch  das  materielle 
Licht  des  fürchterlichen  Sonnenballs  am  Himmel,  wie 
wollt  ihr  dann  noch  malen?  Gott  hat  euch  Menschen 
so  gross  gemacht,  dass  ihr  die  Sonne  und  das  innere 
Licht  sammt  dem  Organismus  und  der  Anatomie  aller 
Körper  und  Erscheinungen  in  eurem  Gehirn  aufspeichern 
könnt  —  warum  —  was  braucht  ihr  da  noch  das 
materielle  Licht?  Nicht  das  materielle  Licht,  das  geistige 
Licht  soll  der  Mensch  malen ,  denn  er  ist  ein  Geist ! 
Und  weil  er  das  innere,  geistige  Licht  besass,  darum 
glüht  auch  das  Fleisch  des  Rubens  vom  inneren  Feuer 
und  seines  Pinsels  Werk  leuchtet,  dass  alles  Fleisch, 
was  ihr  in  der  Sonne  maltet,  zu  Kalk  und  Erde  wird! 
Ach,  ihr  Armen  ! » 

Er  war  selbst  feurig  geworden,  sein  Auge  funkelte, 
und  ich  sah,  wie  die  Erregung  seines  Blutes  einen  helleren 
Glanz  in  diesem  Auge  erzeugte.  Ich  fühlte  eine  neue 
Wahrheit,  die  mir  selbst  Haugks  wunderschönes  «  Morgen- 
roth »  mit  seinem  leuchtenden  Morgenlicht  erdig  und 
kalkig  erscheinen  Hess,  indem  ich  an  das  geistige  Plein- 
air  dachte,  in  welchem  alles  Fleisch  des  Rubens  strahlt.  . 
Ich  fühlte,  dass  er  der  grösste  Plein-air-Maler  aller  Zeiten 
noch  immer  ist,  ohne  dass  er  zum  Impressionismus  zu 
greifen  nöthig  hatte.  Sein  Ange  war  hell  und  gesund, 
weil  sein  Geist  gesund  war. 

Ich  wies  nunmehr  im  Weiterschreiten  stumm  auf 
Lenbachs  Meisterbildnis  des  italienischen  Ministers  Ming- 
hetti;  ich  hoffte,  nach  Allem,  was  der  Fremde  ge- 
äussert, er  müsste  gerade  an  Lenbachs  grosser  Künstler- 
schaft Gefallen  finden,  die  seinen  Anschauungen  ent- 
schieden näher  stand.  In  der  That  verklärte  sich  sein 
Antlitz,  als  er  dieses  höchst  charakteristische  Bildnis 
eine  Weile  studirt  hatte.  Er  fasste  seinen  Krämpenhut 
und  lüftete  ihn  respektvoll;  dann  meinte  er:  «Ein  Künstler, 
ein  Könner!  Schade,  dass  er  nicht  die  Farbentöpfe 
des  Tizian  oder  des  Rubens  zu  haben  scheint.  Schade, 
dass  er  nicht  den  Farbenreiber  des  Rubens  besitzt,  der 


DIE  KUNS'l'  UNSERER  ZEIT. 


69 


ihm  seine  Töpfe  mischt  und  ihm  das  Material  verschafft, 
mit  dem  man  damals  malte.  Dieser  Meister  kann  in 
vieler  Hinsicht  neben  den  Bildern  des  Rembrandt  und 
Rubens,  des  Tizian  und  neben  Bildnissen  des  Raffael 
Sanzio  gelten.  Aber  Eines  ist  mir  auffällig,  mein  Herr. 
Sind  denn  in  Ihrer  Zeit  die  Menschen,  wie  dieser  Minister 
hier,  zu  Charakteristikern  ihres  eigenen  Selbstes  geworden 
und  verrathen  sie  gleich  allen  Andern,  bei  der  ersten 
Bekanntschaft,  wess  Geistes  Kind  sie  sind?  Haben  sie 
alle  Heuchelei  verlernt  und  hüten  sie  nicht  mehr  das 
Geheimnis  ihrer  Seele.''  Schauen  sie  doch  die  Bildnisse 
des  van  Dyk  und  Rubens  an,  auch  des  Rembrandt  und 
Tizian  —  sind  diese  Köpfe  und  Gestalten  nicht  Alle 
die  Bewahrer  eines  grossen  Geheimnisses  ?  Wie  die 
Welt  das  Geheimnis  Gottes  ist,  so  ist  die  eigene  Seele 
das  Geheimnis  des  Menschen.  Nur  wie  eine  ferne  Ahnung 
schaut  aus  dem  Antlitz  eines  jeden  Menschen  seine  Seele 
und  der  Charakter  dieser  Seele  heraus.  Diese  Seele 
hütet  die  Natur  selbst  und  verbirgt  sie  hinter  Fleisch 
und  Blut,  denn  es  ist  ein  grosses  Geheimnis  um  den 
inneren  Menschen.  Und  die  Maler  meiner  Zeit,  da  man 
noch  in  Kniehosen  und  Federhüten  ging  und  nicht  in 
diesen  langen  Schläuchen,  welche  Sie  an  den  Beinen 
schlottern  haben,  die  Maler  meiner  Zeit  hüteten  auch 
in  ihren  Bildnissen  das  Geheimnis  der  Seele  ihrer  Mit- 
menschen. Sagt  man  sich  denn  in  Ihrer  Welt  sogleich, 
was  man  von  einander  hält?  Denunzirt  man  sich  denn 
wechselseitig  die  Charaktere?  Dieses  Bildnis,  ich  gestehe 
es,  wirkt  fast  auf  mich  wie  eine  leise  Denunziation ! 
Und  wie  —  wenn  nun  Ihr  grosser  Meister  sich  geirrt 
haben  sollte  in  dem  Urtheil,  welches  er  mit  seinen 
Farben  über  diesen  Minister  zu  fällen  scheint?  O  — 
mein  Herr,  ich  möchte  nicht  in  Ihrer  Zeit  leben,  wo  man 
das  Geheimnis  meiner  Seele,  die  doch  Gottes  Geheimnis 
ist,  ausplaudern  will  ohne  mich  darnach  zu  fragen. 
Welche  schönen  Gottes-Geheimnisse  sind  die  Frauen 
Tizians,  welche  dunklen  Geheimnisse  des  Schöpfers  die 
Männer,  welche  Rubens  und  van  Dyk  malten ! » 

Ich  nickte,  aber  ich  konnte  mich  doch  nicht  ent- 
halten zu  sagen:  «Nun,  mein  Herr,  ich  hoffe,  dass  auch 
die  Bildnisse  dieses  neueren  Meisters  einer  kommenden 
Zeit  doch  auch  wieder  als  solche  Geheimnisse  erscheinen 
werden ! » 

«Hoffen  wir  es  und  hoffen  wir,  dass  die  Menschen 
Ihrer  Zeit  selbst  noch  zu  der  Erkenntnis  kommen,  dass 
sie  vieles  wissen,  aber  Weniges  verstanden  haben,  j 


Nun  schritten  wir  rasch  nach  der  anderen  Abtheilung, 
wo  Uhde,  Böcklin  und  Munkacsy  hängen.  Bei  v.  Uhde 
blieb  er  stehen  und  sagte: 

«Aha!  Da  ist  wieder  das  Haifischauge  Euerer  Zeit! 
Aber  nicht  mit  Haifischaugen,  mit  den  Augen  der 
Menschen  sollt  ihr  malen,  und  wenn  Ihr  könnt,  mit 
Götteraugen!  O  —  wer  mit  Götteraugen  sehen  könnte! 
Wie  organisch  würde  ihm  sogar  die  Luft  und  das  Licht 
erscheinen,  welche  die  Menschen  nur  als  unorganische 
Materie  schauen  !  Aber  warum  verflüchtigt  dieser  Meister 
hier  sogar  die  organisirte  Menschengestalt  und  das  Fleisch 
in  seine  unorganischen  Elemente?  Und  warum  stellt  er 
die  heilige  Nacht,  wo  die  göttliche  Mutter  das  eben 
geborene  Kindlein  im  Schoosse  trägt,  so  dar,  als  sei  sein 
Bild  für  die  Betrachtung  von  Kindern  bestimmt?!  Denn 
ein  Kindlein  mag  sich  wohl  daran  ergötzen,  wie  hier 
die  Engelein  in  den  Dachboden  gestiegen  sind  und  da- 
sitzen, um  zu  singen.  Und  warum  liegt  diese  Gottes- 
mutter auf  ihrem  Lager,  wie  eine  wirkliche  Gebärerin, 
ein  Menschenweib,  das  geboren  hat,  wenn  dieser  Maler 
doch  noch  an  die  Engel  glaubt?  Wo  Engel  sind  und 
Engelsglaube  herrscht,  da  gebärt  die  Mutter  Gottes 
nicht  wie  ein  irdisch  Weib,  sondern  in  anderem  Sinne. 
Ihr  aber  mischt  Alles  durcheinander;  Ihr  vergöttlicht 
nicht  das  Menschliche  und  vermenschlicht  nicht  das 
Göttliche,  wie  es  die  Griechen  thaten  und  in  anderer 
Art  die  Gläubigen  Christi  —  Ihr  werft  vielmehr  Mensch- 
liches und  Göttliches  durcheinander  und  wo  einst  in 
Rembrandt  eine  fromme  Naivität  war,  da  macht  Ihr 
fromme  Witze  und  glaubt,  Ihr  seiet  noch  fromm.  Ihr 
seid  ohne  eine  Spur  des  wahren  Heiles !  Möge  es  über 
Euch  kommen  und  möge  Gottes  Genie  in  Euch  zu 
Fleisch  und  Blut  werden!» 

Aeusserst  gespannt  war  ich,  was  er  zu  Böcklins 
Schöpfungen  sagen  würde.  Wir  treten  vor  den  «Frühlings- 
reigen» dieses  Meisters.  Eine  Quellennymphe  in  blauem 
Schleier  sitzt  an  einem  Felsenquell  und  hält  ein  singendes 
Vögelchen  auf  ihrem  Finger.  Zwei  Faune,  ein  alter 
Dicker  und  ein  Junger  steigen  am  Felsen  zum  Quell 
herab,  der  Jüngere  schöpft  bereits  Wasser  mit  der  Hand, 
um  zu  trinken.  Oben  auf  dem  Felsen  blühen  Frühlings- 
blumen und  weisse  Wölkchen  ziehen  am  Himmel.  Gleich 
weissen  Wölkchen  aber  schweben  im  Ringelreihen 
amorettenartige  Kindergestalten  über  die  Krone  des  Felsens. 
Es  ist  ein  sinnreiches  Bild,  wo  die  Stimmung  der  Natur 
mythische    Gestalt    angenommen    hat    und    dadurch   in 


10 


70 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


einen  höheren  Kunstcharakter  verklärt  ist,  als  die  Land- 
schaftsstlmmung  vieler  anderer  moderner  Landschafter. 
Ich  erzählte  meinem  Begleiter  Vieles  von  Genelli,  von 
Böcklin  und  von  Max  Klinger,  von  Stuck  u.  A.,  und 
dass  wir  in  ihnen,  wie  zur  Zeit  des  Rubens,  Künstler 
besässen,  welche  die  gestaltlosen  Landschaftsstimmungen 
zu  mythologischen  Gestalten  verdichteten  und  damit  das 
rein  Romantische  zu  einer  organischen  Gestalt  erhöben. 
Hier  sei  ja  seine  Forderung  erfüllt,  dass  man  die  un- 
organischen Stimmungen  der  landschaftlichen  Materie, 
die  Seelenstimmungen,  die  Sensationen  und  Impressionen, 
die  landschaftlichen  Stimmungsempfindungen  in  die  Sphäre 
des  Organischen  versetze  und  sie  damit  zu  einer  wirklichen 
Kunstgestalt  emporhebe,  statt  das  Auge  zu  einer  Fliegen- 
optik herabzusetzen.  Die  mythische  Gestaltung  sei  in 
diesen  Künstlern,  mitten  in  einer  ganz  wissenschaftlichen 
Zeit,  mit  voller  Kraft  neu  erwacht  aus  dem  Grunde,  die 
poetischen  Naturstimmungen  durch  objektive  Gestaltung 
zu  einer  wirklich  malerischen  und  plastischen  Erscheinung 
zu  verdichten.  Darin  liege  die  eigentliche  Poesie  der 
Malerei  als  einer  bildenden  Kunst. 

Der  Fremde  nickte  beifällig.  «Was  sie  sagen,  ist 
die  wirkliche  Wahrheit  der  Kunst  und  ich  freue  mich, 
wenn  solche  Künstler  auch  in  ihrer  Zeit  wieder  auf- 
leben. Nur  Eines  ist  mir  an  Ihrem  Meister  hier  ver- 
wunderlich. Warum  malt  er  diesen  alten  dicken  Faun 
in  einem  Fleischtone,  der  aussieht,  als  hätte  er  sich 
nicht  nur  die  Hände  und  Finger,  sondern  die  ganze  Haut 
erfroren?  Warum  gibt  er  diesen  Faunen  solche  Ziegen- 
füsse,  auf  denen  diese  Halbmenschen  unmöglich  aufrecht 
gehen  können.?  Sehen  Sie  doch  die  Faune  des  Rubens 
an  und  beobachten  Sie,  wie  diese  durch  den  Einsatz 
des  Schenkels  in  das  Bocksbein  und  zwar  das  Hinter- 
bein des  Bockes,  sich  in  einem  Gleichgewicht  zu  halten 
vermögen,  als  sässen  sie  auf  der  Feder  eines  guten 
zweiräderigen  Wagens !  Diese  Faune  Ihres  neuen  Meisters 
aber  müssen  auf  ihren  Ziegenbeinen  wie  auf  Stelzen 
gehen.  Auch  sonst  vermisse  ich  auf  diesem  Bilde 
vieles  Organische.  Seine  Gestalten  gleichen  mehr 
einem  Märchen,  Märchengestalten  einer  träumenden 
Phantasia  sehe  ich  hier  und  diese  Nymphe  im  blauen 
Schleier  ist  vollends  gestaltlos  und  embryonenhaft.  Die 
Faune  des  Rubens,  sein  trunkener  Herkules,  seine  Diana, 
seine  Nymphen  —  das  sind  keine  Märchengestalten,  es 
sind  wirkliche,  leibhaftige  Wesen,  die  aussehen,  als  habe 
zu  ihnen  ein   solcher  alter  Faun    in  seiner  ganzen  ana- 


tomischen Natürlichkeit  selbst  Modell  gesessen.  Unter- 
nimmt die  Kunst  einmal  so  Etwas,  so  muss  sie  es  auch 
zur  vollen  Wirklichkeit  bringen;  sie  darf  nicht  Märchen, 
sie  darf  auch  nicht  Stimmungen  versuchen  wie  die  Musik, 
denn  sie  verliert  darüber  den  Zusammenhang  mit  der 
Wahrheit  des  menschlichen  Sehens;  sie  macht  aus  dem 
Auge  ein  Ohr  und  hebt  die  grossen  construktiven  Grund- 
gesetze der  Natur  auf,  um  eine  partielle  Kultur  gewisser 
Sinnesempfindungen  und  ihres  fälschlich  isolirten  Gesetzes 
zugeben.  Soseid  Ihr  dazu  gekommen,  lauter  Sinnes- 
täuschungen zu  malen  und  die  Sinnestäuschung  für 
das  Wirkliche  zu  erklären;  an  Euren  mythischen  Ge- 
stalten sehe  ich  es  am  deutlichsten  wie  auch  an  Euren 
Plein-air-Bildern :  überall  balanzirt  Ihr  die  Werthe,  aus 
denen  sich  das  körperliche  Bild  der  Erscheinungen  zu- 
sammensetzt, auf  eine  falsche  Weise.  Bald  malt  Ihr  nur 
die  Erinnerungsbilder,  ohne  sie  am  Sinnenschein  zu 
prüfen,  bald  malt  Ihr  nur  den  Sinnenschein  ohne  ihn 
am  organischen  Bewusstsein  der  Erinnerung  zu  mustern. 
Ihr  könnt  auf  der  Strasse  nicht  drei  Schritte  gehen  ohne 
Eure  aufrechte  Haltung  richtig  auszubalanciren ;  Ihr  könnt 
nicht  einen  Blick  die  Strasse  hinunter  thun,  ohne  die 
Gehirnwerthe  und  die  Sehwerthe  gegenseitig  in  Einklang 
zu  bringen,  denn  sonst  würdet  Ihr  wie  in  einem  Gras 
wandeln  und  fortwährend  auf  der  Nase  liegen  —  in 
Euren  Bildern  aber  benehmt  ihr  Euch,  als  wäre  die 
Wirklichkeit  und  das  Dasein  stets  nur  ein  bestimmter 
Sinnenschein,  ein  einseitiger  Augenschein  ohne  Tast- 
erinnerung —  Ihr  malt,  als  wärt  Ihr  schlechter  von 
der  Natur  organisirt,  als  die  Polypen  und  die  Quallen! 
Aber  sehet  meinen  Rubens  an!  Da  ist  das  Gleichge- 
wicht zwischen  Sinnenschein  und  Geistesschein,  da  ist 
Alles,  was  Ihr  auf  falschen  Wegen  wollt  und  sucht  — 
da  ist  ein  Maler,  dem  Gott  nicht,  wie  Euch  Allen,  nur 
ein  Polyphemsauge,  sondern  zwei  Augen  gab,  die  richtig 
im  Kopfe  sitzen  —  Ihr  armen,  einäugigen  Polypheme!» 
Er  schwieg.  Er  warf  noch  einen  Blick  des  Er- 
schauderns  auf  die  umhängenden  modernen  Bilder. 
«  Flüchten  wir  uns  wieder  zu  unserm  Rubens  hinunter ! » 
sagte  er,  indem  er  eilig  wieder  nach  abwärts  strebte. 
Wir  waren  beide  voll  von  der  Herrlichkeit  der  Rubens'- 
schen  Bilder,  die  uns  im  Geiste  Alles  hier  oben  Ge- 
schaute zu  überragen  schienen.  —  Als  wir  den  Rubens- 
saal betraten,  prallten  wir  beide  gleichmässig  zurück. 
Der  Fremde  wurde  bleich.  Mit  heimlich  entsetztem 
Blick  betrachtete  er  alle  die  Bilder  des  Rubens. 


P.  M.  Skipworth  pinx. 


Copyright  1S93  by  F.  Hanfataeiigl,  München. 


h 


Er  kommt  nicht. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


71 


Was  war  denn  geschehen?!  Merkwürdig!  Diese 
grossen  Bilder  schienen  uns  auf  einmal  so  leer,  so  un- 
vermittelt gemalt,  so  übertrieben,  so  allgemein  zugleich! 
Wo  waren  denn  all'  jene  gerühmten  Vorzüge?!  War 
unser  Auge  da  oben  stumpf  geworden?  War  es  ver- 
wöhnt, war  es  falsch  eingestellt?!  Nur  eine  riesige 
Leere  schien  uns  aus  all  diesen  riesigen  Leibern  an- 
zuschauen. — 

«Merkwürdig!»  sagte  der  Fremde,  indem  er  immer 
mehr  erbleichte.  Dann  sah  ich,  wie  er  mit  dem  Aus- 
drucke tiefer  Enttäuschung  nach  dem  letzten  Saale 
schritt,  wo  der  « Liebesgarten »  hängt.  Ich  ging  ihm 
beklommen  nach. 

Es  war  mir,  als  fehle  auf  diesem  Bilde  die  Gestalt 
des  Rubens.  Das  war  nur  ein  Augenblick.  Da  wo 
der  Fremde  ging,  legte  sich  ein  Nebel  über  den  Liebes- 
garten.    Der  Fremde  verschwand  und  schien  im  Nebel 


zu  zergehen.  Als  der  Nebel  verschwunden  war,  leuchtete 
mir  mit  mehr  als  Makart'scher  Glut  der  &  Liebes- 
garten »  wieder  entgegen,  liebestrunken  schaute  Rubens 
hinter  seiner  Helena  Forman  mich  an.  Lange  schwelgte 
ich  im  Anblick  der  Farbenharmonie,  der  inneren  Glut 
dieses  Bildes,  welches  die  schönsten  Farbensymphonien 
Makarts  besiegt. 

Und  als  ich  zurück  in  den  Rubenssaal  trat,  erwachte 
ich.  Ich  sass  noch  immer  auf  meinem  Pfühle.  Da 
leuchteten  mir  auf  einmal  auch  alle  anderen  Bilder 
des  Meisters  wieder  in  voller  gedrängter  Farbenpracht 
entgegen.  Je  mehr  ich  aber  dieses  erhabene  Gleich- 
gewicht der  Eindrücke  empfand,  desto  mehr  hoffte  ich 
auch,  dass  den  Meistern  meiner  Zeit  ein  anderes  Gleich- 
gewicht gelingen  werde  —  denn  wer  hatte  eigentlich 
mit  mir  geredet?  Der  Schemen  des  Rubens  oder  gar 
—  ich  selbst  und  meine  Zeit?!  — 


hil^^m-o 


Unsere  Bilder 


Welchem  Volke  gehört  Angelika  Kauffmann 
an?  Es  ist  schon  der  Mühe  werth  sich 
um  sie  zu  streiten.  Denn  ihr  Selbstbildniss 
in  der  Dresdener  Gallerie  ist  doch  ein  Werk  von  wunder- 
barer Feinheit.  Es  «hält  sich»  nun  schon  seit  hundert 
Jahren  und  gehört  zu  den  meist  reproducirten  in  der 
berühmten  Sammlung.  Malerisch  meisterhaft,  in  der 
Zeichnung  sicher,  in  der  Haltung  einfach  und  fein 
beobachtet  ist  es  von  so  grosser  innerer  Ruhe  und 
Gehaltenheit,  dass  man  es  unter  die  ersten  Meisterwerke 
aller  Zeiten  rechnen  kann.  Ja,  es  genoss  in  Deutschland 
in  einer  Zeit  Ehren ,  in  welcher  ein  übermüthiges 
Geschlecht  der  «Jungen»  Alles  das,  was  ihre  Vorgänger 
schufen,  als  Zopf  verhöhnte.  Denn  wenn  jetzt  die  Alten 
klagen,'  dass  man  sie  nicht  mehr  respektire,  so  vergessen 
sie  ganz,  wie  sie  mit  den  Malern  umgingen,  die  vor 
ihnen  schufen.  Heute  sagt  man,  Kaulbach  sei  über- 
wunden. Kaulbach  aber  sagte  von  seinen  Vorgängern, 
es  sei  ein  Gebot  des  guten  Geschmackes,  das  zu  ver- 
nichten, was  jene  schufen.  Erst  mit  Kampf  und  Ringen 
hat  man  den  Rococo  vor  der  grausamen  Verfolgungs- 
sucht der  klassischen  Idealisten  retten  müssen,    die  mit 


dem  flammenden  Schwert  der  Besserwisserei  gegen  ihrer 
Väter  Werk  wütheten  und  nur  das  duldeten ,  was  ihre 
Lehrmeister  aus  dem  Mittelalter  und  der  Renaissance 
geschaffen  hatten,  oder  das,  was  sie  selbst  schufen. 

Angelika  Kauffmanns  Blüthezeit  fiel  in  die  Zeit  des 
Zopfes,  den  abzuschneiden  Kaulbach  und  seine  Genossen 
sich  berufen  glaubten.  Heute  sieht  man  freilich  ganz 
deutlich,  dass  ihnen  selbst  noch  ein  Schwänzchen  anhing, 
als  sie  in  den  grausamen  Feldzug  gingen.  Man  könnte 
jene  Zeit  des  Hasses  gegen  den  Zopf  der  Väter,  gegen 
den  leiblichen  wie  den  geistigen,  die  Zeit  der  Vatermörder 
nennen.  Der  am  Hemdbunde  ansitzenden  sowohl  wie 
der  geistigen.  Denn  jene  Leute,  die  sich  frei  von  allem 
Kleinlichen  und  kongenial  mit  Phydias  und  Rafael  fühlten, 
trugen  den  Hals  in  so  starker  Verpanzerung  von  Leinen- 
kragen und  Seidentüchern,  als  fürchteten  sie  noch  das 
Fallbeil  der  Revolution :  Ein  Gewand  wie  die  Paukbinde 
studentischer  Duellanten ,  zum  Ersticken ,  welches  das 
Blut  in  den  Kopf  trieb  und  die  Menschen  beklommen 
und  dabei  hochfahrend  machte. 

Damals  kümmerte  man  sich  um  Angelika  Kauffmann 
nicht,  die  doch  manches  Bild  malte,  welches  viele  Kaul- 


72 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


bach'sche  Werke  ganz  bedenklich  in  den  Schatten  stellt. 
Nur  die  Engländer,  die  jenen  harten  Bruch  in  ihrer 
Geschichte  nicht  kennen,  der  uns  im  Anfang  des  Jahr- 
hunderts von  unserer  alten  Geschichte  trennte,  hielten 
sie  hoch.  Und  so  wurde  sie  zur  Engländerin,  kam  sie 
in  die  Geschichte  der  englischen  Malerei:  Hatte  man 
sie  doch  in  London  zum  Mitglied  der  königlichen 
Akademie  ernannt  und  ihr  damit  die  höchste  Ehre 
angethan,  welche  man  jenseits  der  Nordsee  einem  Künstler 
zu  verleihen  hat. 

Angelika  war  eine  Deutsche,  mehr  als  es  Herkomer 
ist,  mit  dem  ihre  Herkunft  zu  vergleichen  ist.  Ihr  Vater 
war  ein  Vorarlberger,  stammte  aus  Schwarzenberg,  einem 
Dorf  im  Bregenzer  Wald.  Aus  dieser  Gegend,  welche 
während  der  zweiten  Hälfte  des  17.  und  des  18.  Jahr- 
hunderts das  südwestliche  Deutschland  mit  Maurern  und 
Zimmerleuten,  aber  auch  mit  Architekten  und  Malern 
versah,  stammen  auch  die  Herkomer,  deren  einer  am 
Bau  der  berühmten  Klosterkirche  von  Ottobeuren  künst- 
lerisch betheiligt  war.  Angelikas  Vater  war  Maler, 
arbeitete  für  die  reichen  Kirchenfürsten  bald  hier,  bald 
da,  und  so  wollte  es  denn  der  Zufall,  dass  sie  1741  in 
der  Schweiz  geboren  wurde,  in  Chur.  Ihre  Mutter  war 
Protestantin,  ihr  Vater  Katholik.  Doch  siegte  in  der 
Familie  die  Religion  des  Vaters :  Die  schöne  Frau  Cleopha 
trat  zum  Bekenntniss  ihres  Gatten  über. 

Im  Jahre  1752  siedelte  Kauffmann  mit  seiner  Tochter 
nach  Como  über,  wo  Angelika  schon  mit  11  Jahren  zu 
malen  anfing  und  bald  als  Wunderkind  Aufträge  von 
vornehmen  Leuten  erhielt.  Mit  16  Jahren  malte  sie 
mit  ihrem  Vater  in  Fresko  die  Pfarrkirche  ihres  Heimaths- 
ortes  aus.  Zugleich  entdeckte  sie  ihre  Stimme.  In 
Mailand  suchte  man  sie  für  die  Oper  zu  gewinnen.  Aber 
ihr  Schicksal  als  Malerin  war  entschieden,  als  sie  1763 
nach  Rom  kam  und  dort,  21  Jahre  alt,  in  den  Winckel- 
mann'schen  Kreis  eintrat:  Ein  achtes  Kind  jener  inter- 
nationalsten aller  Zeiten,  in  welcher  vor  dem  allgewaltigen 
Genius  der  Antike  die  Sonderart  der  Völker  sich  ver- 
flüchten zu  wollen  schien.  Die  junge,  in  der  Schweiz 
geborene,  in  Italien  erzogene  Oesterreicherin  blieb  in 
ihrem  Herzen  eine  Deutsche:  Deutsch  blieb  die  Sprache, 
welche  sie  mit  ihrem  Vater  redete,  in  der  sie  ihre  Briefe 
schrieb,  auch  noch  als  eine  Lady  Wentworth  1766  das 
vielbewunderte  Mädchen   mit   sich   nach  London  nahm. 

London  war  zweifellos  damals  der  Ort,  wo  die 
besten    Bilder    gemalt    wurden ,    wenigstens    die    besten 


Portraits.  Reynolds  und  Gainsborough  blühten  ;  nament- 
lich der  erstere,  Präsident  der  jungen  Akademie,  stand 
ihr  nahe ;  er  besuchte  sie  oft ,  sie  malten  sich  gegen- 
seitig und  in  Reynolds  Briefen  ist  vielfach  von  « Miss 
Angel »  die  Rede.  Die  geschwätzige  vornehme  Gesell- 
schaft hatte  sie  beide  gern  mit  einander  verheirathet. 
Auch  das  Mädchen  erwähnt  den  grossen  Bildnissmaler 
in   einem    ihrer  erhaltenen  Briefe   an  ihren  Vater: 

«alle  bekante»,  theilt  sie  diesem  am  10.  Oktober  1766 
in  ihrer  frauenhaften  Rechtschreibung  mit,  «  grüssen  euch. 
Habe  einige  portraits  ferfertiget,  welche  von  jedermann 
abrobirt  werden,  M.  Reynolds  gefallens  über  die  massen. 
Habe  sein  Portrait  gemalt,  welches  sehr  glückhlich  auss- 
gefallen und  mir  vihl  Ehre  macht,  wird  negsten  ins 
Kupfer  gestochen  werden.  Lady  Spencer  hat  das  stückh 
bezahlt  —   100  Zichin.» 

Das  etwa  ist  die  Szene,  welche  uns  eine  englische 
Kunstschwester  der  Angelika,  Margaret  J.  Dicksee, 
im  Bilde  vorführt:  Der  damals  43jährige  Präsident  der 
Akademie  betrachtet  das  auf  der  Staffelei  stehende  Bild 
mit  entschiedenem  Gefallen:  Lady  Spencer  erntet  mit 
frohem  Fächerwedeln  den  Ruhm  der  Protektorin  des 
schönen  Mädchens. 

Angelika  ist  unter  der  Hand  der  Engländerin  selbst 
Engländerin  geworden.  In  Wirklichkeit  war  ihr  Gesicht 
rundlicher,  ihr  Kinn  minder  spitz.  Reynolds  Bild,  in 
dem  sie  als  voll  erblühtes  Weib  erscheint,  stellt  sie 
feuriger,  entschiedener,  in  klassischeren  Formen  dar. 
Stand  sie  doch  schon  längst  auf  eigenen  Füssen  inmitten 
einer  sie  umwerbenden  geistvollen  Männerwelt.  Sie 
klagt  zwar  ihrem  Vater,  dass  « die  Kosten  hir  seynd 
ausserordentlich».  Aber  sie  berichtet  weiter:  «ich  habe 
4  Zimmer,  einss  wo  ich  mahle,  dass  andere  wo  ich 
meine  ferfertigten  Bilder  stehen  habe  (wie  es  hir  der 
brauch  ist,  die  leute  Kommen  die  arbeit  zu  sehen,  ohne 
den  Künstler  zu  verstören)  die  andre  2  Zimmer  seynd 
sehr  Klein,  Kaum  hat  ein  bet  platz  zu  stehen  ...  für 
die  Zimmer  bezahle  ich  2  gine  die  Woche,  i  gine  für 
die  Kost  sambt  dem  bedinten,  den  ich  kleiden  muss». 
Sie  musste  also  bei  62  Mark  wöchentlicher  Pension, 
wie  wir  jetzt  sagen  würden,  und  bei  einem  Preis  von 
670  Mark   für   ihr  Reynolds-Bildniss   tüchtig   die  Hände 

regen,  um  ihre  Stellung  zu  behaupten. 

*  * 

* 

H.  Gillard  Glindoni  gehört  zu  den  Feinmalern 
im  Sinne   des  Franzosen  Meissonier    und   des   Schotten 


S-  J.  Solomon  p'inx 


Copyright  1893  bjr  F.  Hunf-iaengl,  M&ncheii. 


Orpheus. 


i 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


73 


Suchardson.  Er  ist  seit  einigen  Jahren  von  der  Royal 
Society  of  Painters  in  Water-Colours  und  seit  1 890  auch 
von  der  Royal  Society  of  British  Artists  zum  Mitglied 
ernannt  worden.  Diese  englischen  Gesellschaften,  welche 
sich  zwar  « königliche  »  nennen,  aber  mit  dem  Staat  und 
seiner  Regierung  so  gut  wie  nichts  zu  thun  haben, 
dienen  dem  Zweck  der  Hebung  der  Standesehre  und 
dem  Verkauf  der  Werke  ihrer  Mitglieder.  Sie  üben 
auf  Anfänger  eine  grosse  Anziehungskraft  aus,  halten 
auf  strenge  Jury,  da  sie  meist  beschränkte  Ausstellungs- 
räume haben  und  können  daher  unter  den  Besten  ihre 
Mitglieder  wählen.  Die  Mitgliedschaft  wird  zur  Ehre, 
die  sich  auch  in  dem  höheren  Kaufpreis  für  die  Bilder 
äussert,  welche  von  einem  Manne  stammen,  der  seinem 
Namen^  die  Buchstaben  R.  W.  S.  und  R.  B.  A.  bei- 
fugen darf. 

Auch  Glindoni  malt  in  Wasserfarben  « incidents » 
Ereignisse,  meist  aus  dem  vorigen  Jahrhundert  oder  der 
Biedermeierzeit.  Kurz  vor, der  Zeit,  wo  Angelika  Kaufif- 
mann  nach  London  kam,  war  dort  als  Prinz  von  Wales 
der  nachmalige  König  Georg  IV.  geboren,  bekannt  als 
einer  der  schönsten  —  und  leichtsinnigsten  Männer, 
welche  den  Thron  Englands  einnahmen.  Beau  Brummeil 
war  sein  Freund.  Mochte  draussen  die  Politik  noch  so 
wilde  Wogen  schlagen ,  die  beiden  jungen  Männer  er- 
götzten sich  daran ,  der  Welt  und  ihren  Sorgen  ein 
Schnippchen  zu  schlagen.  Spiel,  Weiber  und  beider 
Genossen,  Schulden,  waren  seine  einzige  Sorge.  Er  Hess 
zwar  von  der  schönen  Jugendfreundin  Fitzherbert,  um 
seine  hochgeborene  Kousine  zu  heirathen ,  aber  nur 
gegen  Zahlung  von  13  Millionen  Mark,  sein  ungezügeltes 
Leben  gab  er  aber  darum  nicht  auf,  auch  nicht  als  er  1841 , 
weil  Geistesnacht  die  starren  Sinne  seines  Vaters  umgab, 
Prinz-Regent  und  nach  dessen   Tod   1820  König  wurde. 

Beau  Brummell  war  sein  Liebling,  der  Vertraute 
seiner  Sünden,  sein  Partner  beim  Spiel.  Und  dieser 
fühlte    sich    als    König   der   Mode    seiner  Zeit    so    dem 


Prinz-Regenten  gleich  stehend,  dass  er  einst  diesem  in 
Carlton  House  in  übermüthiger  Ueberhebung  zurief: 
«  Wales,  läute  einmal  1 »  Der  König  läutete,  befahl  aber 
dem  eintretenden  Diener:  «Mr.  Brummells  Wagen  soll 
vorfahren  » .  Das  ist  der  Vorgang  im  Bilde.  Der  Günstling 
rächte  sich  bald.  Als  der  Prinz-Regent  mit  einem  der 
Zeugen  jenes  Vorganges,  Lord  Moira,  ihm  begegnete, 
frug  er  diesen ,  als  kenne  er  den  sehr  eitlen  hohen 
Herrn  nicht:     «Wer    ist    Ihr  fetter  Freund?» 

Hofgeschichten  —   aber   solche,    welche    einst    die 
Welt  in  höchste  Aufregung  versetzten  I 


*  * 

* 


Drei  Bilder  englischer  Frauenschönheiten:  Denn  ob 
die  Leiia  von  Dicksee  als  Orientalin  oder  das  ihren 
Geliebten  für  unsere  Begriffe  etwas  zu  offenherzig  er- 
wartende Mädchen  von  Skipworth  in  modischem  Kleid 
dargestellt  sind ,  ist  uns  in  zweiter  Linie  von  Interesse 
neben  der  Stärke  des  britischen  Idealismus ,  der  eben 
ein  schönes  Weib  unter  allen  Umständen  zum  britischen 
Weib  macht.  Der  geschwungene  Mund ,  das  starke 
Kinn,  die  gerade  Nase,  die  Stellung  der  Augen  —  da 
sind  immer  Anklänge  an  jenen  Typus,  den  der  Präraffaelit 
Dante  Gabriele  Rossetti  schuf 

Er  klingt  auch  bei  den  Arbeiten  von  Laura  Alma 
Tadema  durch,  obgleich  es  hier  sich  sichtlich  um 
Bildnisse,  nicht  um  Idealgestalten  handelt.  Am  schla- 
gendsten aber  bei  dem  Orpheus  des  S.  J.  Solomon, 
eines  Schülers  von  Leighton,  der  schon  seit  einer 
Reihe  von  Jahren  durch  grosse  Darstellungen  aus 
der  klassischen  Mythologie  und  Geschichte  die  Auf- 
merksamkeit auf  sich  lenkte.  Er  gehört  zu  den  jüngeren 
Malern ,  welche  die  Gedankentiefe  und  Herbheit  Watts 
mit  der  Pariser  Maltechnik  versöhnen ,  inhaltreich,  idea- 
listisch und  wahrheitlich  zugleich  sein  wollen.  Wie 
weit  dies  ihm  gelang,  darüber  mag  das  Bild  selbst  ent- 
scheiden, in  dem  durchgeistigte  Schemen  neben  fleissig 
beobachtete  Natur  rücken.  Ebby. 


10* 


Allerhand  Sprüchlein. 


VON 


MAX  BERNSTEIN. 


„Charleys  Tante"  und  „Die  Weber". 
Das  eine  zu  sehen  ist  bon  ton, 
Das  and're  spielt  man  nicht.     Wen  wundert's? 
Das  eine  ist  ein  Erfolg  der  Saison, 
Das  and're  ist  ein  Erfolg  des  Jahrhunderts. 

„Schule"  und  „Richtung". 

Das  Haus  der  Kunst  hat  der  Thüren  viele, 
Der  Himmel  der  Kunst  ist  reich  besternt. 
Gut  ist  jede  Richtung,  führt  sie  zum  Ziele, 
Gut  ist  jede  Schule,  wo  einer  was  lernt. 

Nur  Technik. 

Gar  Mancher,  den  ich  bewundern  muss, 

Macht  mir  dennoch  Schmerz. 
Denn  was  er  schafft,  hat  Hand  und  Fuss, 

Aber  nicht  Kopf  und  Herz. 

Chauvinismus. 

«Die  Welt  des  Künstlers  sei  das  Vaterland! 
Weh  ihm,  wenn  er  das  Fremde  sich  gesellt ! » 
Mit  allem,  was  da  ist,  fühlt  er  verwandt. 
Das  Vaterland  des  Künstlers  ist  die  Welt! 

Drei  Grabschriflen. 

Hier  ruht  der  berühmte  Maler  X. 

Er  war  ein  Liebling  des  Geschicks, 

Genoss  die  Gunst  des  Augenblicks, 

Verstand  die  Mode  allzeit  fix, 

Verstand  alle  Kniffe,  coups  und  tricks  — 

Nur  vom  Zeichnen  und  Malen  verstand  er  nix. 

Hier  ruht  der  süsse  Maler  Ypsilon. 
Er  hinterliess  —  dank  sei's  den  Damen !  — 
Der  Kunstgeschichte  keinen  Namen, 
Doch  seinen  Erben  eine  Million. 

z. 
Hier  ruht  der  gefeierte  Maler  Z. 
Seine  Bilder  waren  dumm  und  nett 
Und  weil  sie  gar  so  nett  und  dumm. 
Gefielen  sie  dem  Publikum. 

Den  Nietzscheanem. 

Was  redet  ihr  von  «  Uebermenschen  »  doch  ? 
Damit  hat's  lange  hin  auf  uns'rer  Erden. 
Ach,  Untermenschen  sind  die  meisten  noch 
Und  Mühe  kostet's,  bis  sie  Menschen  werden. 


„Genossenschaft"  und  „Secession". 

Wozu  das  heftige  Reden  und  Schreiben? 

Urtheilet  milder! 
Von  beiden  Parteien  wird  eins  nur  bleiben : 

Die  guten  Bilder. 

Das  beste  Licht. 

Natur  zeigt  sich  im  Freilicht, 
Im  düstern  und  im  Zwielicht, 
Im  Januars  und  im  Mailicht, 
Am  besten  —  im  Genielicht. 

Reiz  der  Partei. 

«Was  kann  es  nur  für  eine  Lust  sein, 
Partei  zu  bilden  wild  und  blind  ? »   — 
Es  schmeichelt  Jedem  das  Bewusstsein, 
Dass  die  Andern  seiner  Meinung  sind. 

Die  Allerjüngsten. 

Sie  rücken  aus  mit  Speer  und  Schild, 
Die  Ungeheuer  zu  bekriegen. 
Und  rasseln  mit  den  Waffen  wild  — 
Und  töten  an  der  Wand  die  Fliegen. 

Religiöse  Malerei. 

«Wer  darf,  was  seit  Jahrtausenden  besteht, 
In  Tagsgewand  zu  kleiden  wagen  ? »   — 

Er,  der  durch  alle  Zeit  und  alle  Herzen  geht  — 
Er  kann  auch  alle  Kleider  tragen. 

Akademie. 

Warum  scheltet  ihr  sie?   Sie  schafft  kein  Genie, 
Sie  ist  kein  sicherer  Weg  zu  den  Sternen. 
Für  das,  was  sie  ist,  nehmt  die  Akademie: 
Eine  Gelegenheit,  'was  zu  lernen. 

Nicht  lange. 

Falsches,  durch  Volksgunst  anerkannt  — 
Das  ist  vorüber,  eh'  man's  meint. 
Der  Thau  glänzt  freilich  wie  Demant  — 
Doch  nur  so  lang  die  Sonne  scheint. 

Verschiedenes  Recht. 

Dem  Genius  verzeihen  nie 

Die  Leute  von  geringern  Gaben. 

Das  Recht  zum  Unrecht  haben  sie  — 

Er  hat  das  Unrecht,  Recht  zu  haben. 


K.  Braun. 


EINE    JUBILÄUMS-STUDIE 


VON 


FRED.   WALTER. 


In  den  letzten  Tagen  des  verflossenen  Jahres  wurde 
in  einer  Münchener  Redaktionsstube  ein  Fest 
-  begangen ,  dessen  wolil  die  ganze  gebildete  Welt 
gedachte :  Mit  einer  prächtig  ausgestatteten  Jubiläums- 
Nummer  wurde  der  looste  Band  der  «Fliegenden 
Blätter »  begonnen  und  damit  fiel  die  Feier  des  fünfzig- 
jährigen Bestehens  ihres  Verlags  zusammen.  Das  war 
kein  kaltes,  lärmendes,  gemachtes  Jubiläum,  das  war 
der  Ehrentag  von  Jemand,  den  alle  Welt  lieb  hat  und 
in  die  Festfreude  klang  etwas  von  goldener  Hochzeits- 
stimmung hinein.  Die  niederen,  altvaterisch  traulichen 
Arbeitszimmer  der  Herren  Braun  &  Schneider  hinter 
dem  Schillermonument  am  Dultplatz  zu  München  waren 
in  einen  Wintergarten  verwandelt  durch  die  Gaben 
der  Gratulanten;  mannshohe  Aufbauten  aus  Blumen, 
Sträusse,  Palmen  schmückten  die  Räume,  Adressen  und 
schimmernde  Pokale  schmückten  die  Tische,  Kunstwerke 
aller  Art  waren  als  Geburtstagsgaben  in  das  Haus 
gesarldt  worden,  dem  die  deutsche  Kunst  für  so  viel 
Jahre  und  so  vielen  Dank  schuldet,  wie  keinem  Zweiten. 
Von  ungezählten  berühmten  und  grossen  und  vornehmen 
Menschen  liefen  Glückwünsche  ein,  der  Regent  von 
Bayern  übersandte  mit  seiner  Gratulation  durch  einen 
hohen  Beamten  Auszeichnungen  an  die  Herren  Julius 
Schneider  und  Kaspar  I^raun.  Die  ganze  deutsche 
Presse  gedachte  in  fröhlicher  Einmüthigkeit   des  Tages, 


es  regnete  gute  und  schwache  Huldigungsgedichte  aus 
berufenen  und  unberufenen  Leyern  —  es  war  wirklich 
ein  Familienfest  des  deutschen  Volkes. 

Und  warum }  —  Aus  vielen  Gründen.  Zunächst 
gibt  es  wohl  kaum  etwas  Deutscheres  im  periodischen 
Schriftthum  als  die  «Fliegenden»,  etwas,  was  so  trau- 
lich und  heimathlich  und  heimelig  anmuthet,  wie  der 
Geist,  der  sie  beherrscht:  goldechter  Humor,  das 
ureigenste  Erbtheil  der  germanischen  Rasse.  Seit  fünfzig 
Jahren  sind  sie  die  vornehmste  Aeusserung  des  Begriffes 
Humor  gewesen ,  die  liebenswürdigste  Incarnation  des 
«heiligen  Lachens»,  das  die  Herzen  warm  macht  und 
frei.  Witzblätter  schiessen  und  schössen  wie  Pilze  aus 
der  Erde  und  vergingen  und  vergehen  wieder  rings 
umher.  Die  « Fliegenden  Blätter »  haben  allgemach  in 
des  Wortes  weitestem  Sinn  den  Erdkreis  erobert  und 
trotzdem  sind  sie  dem  Geiste  nach  immer  die  Alten 
geblieben.  Sie  haben  stets  künstlerisch  und  sitten- 
geschichtlich ihre  Zeit  wiedergespiegelt,  aber  der  Spiegel 
selbst  blieb  immer  der  Gleiche,  das  klare,  helle  Glas 
wie  der  Rahmen.  Und  dieser  edle  Konservatismus  ist 
wohl  das  Hauptgeheimniss  ihres  Erfolges.  Die  «Fliegenden 
Blätter»  thun  nicht  mit  in  dem  Tollen  und  Hasten 
unserer  Zeit,  sie  erzählen  nur  davon,  mit  einem  Lächeln, 
das  immer  freundlich  ist,  mit  einem  Spott,  der  nie  ver- 
letzt.    Und  dieser  Ton  thut  uns  abgejagten  und  vielver- 


11 


76 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


letzten  Neuzeitmenschen 
so  wohl  und  ist  uns  so 
gesund.  Wie  manchen  Un- 
fug, den  die  fulminantes- 
ten Polemiken  der  Tages- 
blätter nicht  aus  der  Welt 
schaffen  konnten,  hat  ein 
lustiger  Pritschenschlag 
des  Humors  in  den  « Flie- 
genden» beseitigt!  Und 
in  den  Offiziers- Kasinos, 
K.  Braun,  deren  Frequentanten  in 
jeder  Nummer  ob  ihrer  Eroberungslust  und  Schneidigkeit 
gehänselt  sind,  werden  die  Blätter  an  jedem  Freitag 
gerade  so  viel  umstritten  wie  in  den  Börsen-Cafe's,  deren 
Stammgäste  sie  persifliren,  in  den  Bierkneipen,  deren 
Helden  sie  um  ihre  Schwerfälligkeit  und  ihren  Durst  so 
oft  belachen.  Auf  dem  Familientische  lässt  man  sie 
ruhig  liegen  —  auch  wenn  vierzehnjährige  Backfischchen 
im  Zimmer  sind  —  in  den  « Fliegenden  >  steht  nichts 
Unrechtes!  Wie  viel  hunderttausend  Kranken,  die  lang- 
dauerndes Siechthum  um  die  Geduld  gebracht,  haben 
sie  die  schleichenden  Stunden  verkürzt,  wie  Manchem 
vom  Lebensgetriebe  weitab  vom  Vaterlande  Verschlagenen 
haben  sie  die  Heimath  mit  ihren  heiteren  und  ernsten 
Dingen  wieder  vor's  umflorte  Auge  gezaubert  und  waren 
ihm  ein  Gruss  aus  der  Heimath  gerade  so,  als  hätte  er 
ein  deutsches  Lied  gehört,  oder  einen  Trunk  von 
deutschem  Wein  gethan. 

Seltsamer  Weise  sind  sie,  die  « Fliegenden  Blätter » 
aber  auch  den  Ausländern  besonders  lieb!  Oft  genug 
wurde    eine   französische  Ausgabe    derselben  gewünscht 

—  ein  Ding  der  Unmög- 
lichkeit freilich,  denn  man 
kann  schon  den  Witz  schwer 
übersetzen  und  nun  gar 
den  Humor!  Und  noch 
dazu  vom  Deutschen  in's 
Wälsche.  Aber  item,  in 
den  Pariser  Boulevardcafe's 
sind  die  «  Fliegenden  »  ein 
vielbegehrtes  Ding,  trotz 
der  grossen  französischen 
Meister  der  Karikatur,  die 
sie  dort  haben,  von  den 
lustigen    Pschüttisten     des 


ftitr«  toa0  indglii^  ift. 


«Journal  amüsant».  Stop  und  Mars,  und  wie  sie  heissen, 
bis  zu  den  grimmig-satirischen  Chronisten  des  Weltstadt- 
lasters, Forain  und  Genossen  und  zu  dem  graziösen 
Cheret  und  zu  Willette  und  den  Andern  aus  dem  Bann- 
kreis des  «Chat  noir»,  um  deren  Art  schon  bedenklich 
der  Verwesungshauch  vom  Ende  des  Jahrhunderts  weht. 
Gesundheit  ist  das  Hauptkennzeichen  des  Humors  un- 
seres Jubilars  und  nie  hat  ihn  ein  Fremdes  angekränkelt. 
Die  anmuthige  Leerheit,  die  eigentlich  das  Wort  «  Chic  » 
im  Allgemeinen  in  sich  schliesst,  hat  auch  die  elegan- 
testen und  modernsten  Zeichner  der  «  Fliegenden  Blätter  » 


nie    gekennzeichnet. 


Da   galt   der    malerische    Moment 


Ulndbtiit  i^rau,    id)  bin  aUrt)ing<  gtnt  ftalonf  gfgcn 
Xümrt.   oUnn  Sic  jcl)<n  fttbjt  «  inct}t  jit   Iduit  i{t  un« 


immer  zu  viel.  Und  zum 
Beispiel  Schlittgen,  der  ein 
überraschend  scharfes  Auge 
für  das  Charakteristische  je- 
der Tagesmode  hat,  sieht 
dies  Charakteristische  immer 
als  Maler  und  nie  als  Mode- 
mensch. Dieses  Freihalten 
unserer  Blätter  von  der  Spe- 
kulation auf  den  Geschmack 
der  Massen,  der  im  Grunde 
doch  immer  ein  Ungeschmack 
ist,  imponirt  wohl  den  Aus- 
ländern, welche  Publikationen 
dieses  Grades  selbst  nicht 
besitzen,  ganz  besonders. 
Dazu  kommt  die  Qualität  der 
typographischen  Herstellung, 
welche  ebenfalls  im  Auslande 
nicht  ihres  Gleichen  findet. 
Speziell  der  gebildete  Franzose  versteht  genug  von 
graphischen  Künsten,  um  Holzschnitte  zu  bewundern, 
wie  sie  die  «  Fliegenden  Blätter »  bringen  an  Stelle  der 
billigen  Zinkographien,  welche  der  Mehrzahl  ihrer  Kon- 
kurrenten genügen. 

Der  künstlerische  Liberalismus  der  «Fliegenden», 
der  sich's  zur  Aufgabe  gemacht  hat,  jede  Kunstrichtung 
in  diesen  Spalten  zu  Worte  kommen  zu  lassen,  die  sich 
als  acht  bewährt,  begründete  die  grosse  Bedeutung  dieses 
Unternehmens  für  die  deutsche  Kunst  überhaupt.  Von 
jeher  haben  sich  «  Alte  »  und  «  Neue  »  hier  einträchtig 
begegnet  und  auch  heute  schaffen  Männer  vom  linken 
Flügel  der  Modernen  ungestört  neben  den  leidenschaft- 
lichsten Vertretern    der   alten  Schule.     Sonst    vergessen 


CVfiteirfic!  Itaniis  $ai]3  ^mnt, 
3>nM  in  inh  ifl  gat  JU  llaifiiff) 
IJnb  itt  i>an«  ift  gav  Ju  Cumni 


K.  Braun. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


77 


35  ic   9RaM§fanc. 


die  Alten  so  oft,  dass  sie  einmal  jung  waren  und  die 
Jungen  so  leicht,  dass  sie  voraussichtlich  einmal  alt  sein 
werden.  Hier  sieht  man  so  recht  wie  ein  gemeinsames 
Ziel  die  auseinanderstrebenden  Geister  eint  und  mit  wie 
verschiedenen  Mitteln  sich  das  gemeinsame  Ziel  erreichen 
lässt.  In  der  Redaktionsstube  der  «Fliegenden»  ist  ein 
Zeichner  nie  nach  seiner  künstlerischen  Konfession 
gefragt  worden,  sondern  nur  immer  darnach,  ob  er  was 
konnte.  Und  trifft  dies  zu,  dann  ist  der  nervöseste 
Findesieclemann ,  der  ganz  auf  Ton ,  auf  Valeurs  ein- 
geschworen ist,  gerade  so  willkommen,  wie  ein  Anderer, 
der  in  derber  Strichmanier  derblustige  Gestalten  festhält. 
Wie  viele  tüchtige  Kräfte,  denen  der  Markt  fehlte,  sind 
so  Jahre  lang  über  Wasser  gehalten  worden,  bis  ein 
günstigerer  Stern  sie  wieder  zu  freierer  Ausübung  der 
Malerei  gelangen  Hess,  wie  viele  Kräfte,  die  sich  hier 
erst  an  kleineren  Aufgaben  schüchtern  versuchten,  sind 


durch  die  c Fliegenden  Blätter»  über- 
haupt erst  der  Kunst  zugeführt  worden  ! 
Eine  Fülle  der  glänzendsten  Namen 
der  Münchener  Malerwelt  strahlt  in  der 
Mitarbeiterreihe  dieses  Blattes  seit  es 
bestand.  War  doch  einer  der  F.rsten, 
die  fröhlich  daran  mitschufen,  Moritz 
V.  Schwind,  den  unsere  Zeit  erst  wieder 
zu  begreifen  und  zu  bewundern  anfängt, 
ein  Mann,  dessen  Grösse  und  kindliche 
Reinheit  heute ,  wo  die  naturgemässe 
Reaktion  erfolgt  auf  die  wilde  Ueber- 
gangsepoche  des  dogmatischen  Naturalis- 
mus, wie  eine  erlösende  Offenbarung 
wirkt.  Dieser  Name  bot  feine  Auspizien 
für  das  künstlerische  Gedeihen  der 
«Fliegenden».  Und  getreulich  gaben 
sie  seitdem  einen  Gradmesser  für  die 
jeweilige  Höhe  der  heimischen  Kunst 
ab.  Sie  hatten  Zeiten  einer  gewissen 
Monotonie,  Zeiten,  wo  es  an  Persönlich- 
keiten fehlte,  und  sie  blühten  wieder 
auf  und  heute  ist  der  Kreis  derer,  die 
am  Werke  sind,  weiter,  bunter  und 
glänzender  als  je. 

Fünfzig  Jahrgänge  « Fliegender 
Blätter»  —  fünfzig  Jahre  deutscher  Kunst 
—  fünfzig  Jahre  deutschen  Humors  — 
und  darum  fünfzig  Jahre  deutscherKultur- 
geschichte.  Deutscher  Kulturgeschichte  —  denn  die 
fremde  berührt  die  «Fliegenden  Blätter»  nur  soweit,  als 
sie  sich  in  der  Deut- 
schen spiegelte.  Es 
wäre  nun  hier  ganz 
am  Platze,  auszuführen, 
dass  es  keine  leben- 
digere, keine  ehrlichere 
Illustration  zur  jewei- 
ligen Zeitgeschichte 
gibt,  als  Aeusserungen 
ihres  Humors  wie  sie 
die  «  Fliegenden  »  all- 
wöchentlich bringen. 
Nichts  ist  hier  durch 
eine  Parteibrille  ver- 
grössert    oder    verklei- 


H.  D\ck. 


tei  |d)ieBt  "Bu  nur  immei  ju, 
I)oä  ift  mit  ganj  unb  gar  partont, 
3c()  lieb  ®i(^  nid)t,  ic^  mng  S)i(f|  ni(^t, 
3(f)  t)maiV  mijt,  bleib  Itbislic^t, 
53cnn  micf)  gelüftttä  gat  nid^t  (e^r, 
3u  ^eifien  ÜJiabnin  Si^roolangfi^ett. 


A'.  Braun. 


11* 


78 


DIR  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


K.  Braun. 

nert,  oder  sonstwie  verzerrt.  Behaglich  sehen  wir  zum 
Fenster  hinaus  und  draussen  treibt  das  Narrenschiff 
vorbei  mit  den  Narren  aller  Stände,  Geschlechter 
und  Kategorien;  sie  treiben  vorbei  und  wissen  nicht, 
dass  sie  die  Schellenkappe  tragen  und  zeigen  ihre 
Schwächen  in  naiver  Harmlosigkeit  und  wir  lachen  über 
sie  und  erkennen  sie  als  Kinder  ihrer  Zeit.  Denn  der 
wahre  Humor  spottet  nicht  kalt  und  fühllos,  weil  er 
versteht,  sondern  entschuldigt,  weil  das  Mitleid  und  die 
Menschenliebe  zusammen  das  beste  Theil  von  seinem 
Wesen  sindl  Er  lacht,  aber  er  höhnt  nicht,  er  deckt 
Schäden  auf,  aber  nur  solche,  die  heilbar  sind,  oder 
die  im  Grunde  kein  furchtbares  Unheil  bedeuten ,  er 
stellt  uns  wohl  auch  einmal  einen  recht  schmierigen 
Kerl  vor,  aber  er  verachtet  ihn  nicht,  weil  er  weiss, 
wie  auf  der  Welt  die  schmierigen  Kerle  werden.  Und 
selbst  das  Tragische,  das  wirklich  Furchtbare  weiss  er 
zu  mildern  und  mit  freundlichem  Lichte  zu  verklären. 
Er  geht  in  den  Schrecken  des  Krieges  nicht  zu  Grunde, 
er  verliert  sein  munteres  Lachen  nicht  im  Sturmbrausen 
der  Revolution.  Auch  im  Jahre  1848  und  in  den  Jahren, 
die  ihm  vorhergingen  und  folgten,  sind  die  «  Fliegenden 
Blätter »  immer  gemüthlich  geblieben,  obwohl  sie  mitten 
in  der  Politik  steckten  und  mit  einer  Offenheit  über  die 
Zustände  im  « lieben  heiligen  römischen  Reich  t>  ihre 
Meinung  sagten,  mit  einer  Offenheit,  welche  auch  die 
meistkonfiszirten  politischen  Witzblätter  von  heute  kaum 
mehr  vom  Hörensagen  kennen.  Aber  der  Ton,  den  sie 
anschlugen,  machte  auch  die  wilden  Weisen  jener  Sturm- 
jahre zu  wohlklingender  Musik.  Und  warme  Vaterlands- 
liebe war  ja  von  jeher  der  Grundton ,  auf  den  sie 
■  gestimmt  waren. 

Heute  stehen  die  «Fliegenden»  grundsätzlich  dem 
politischen  Leben  ferne.  Die  Zeiten  sind  anders  seit 
Langem,  die  Gegensätze  sind  schärfer,  der  Hass  von 
Partei  zu  Partei  i.st  tiefer,  die  ganze  Welt  ist  nervöser 
geworden.  Ein  politisch-satirisches  Blatt  ist  fast  nur 
mehr  denkbar  im  Sinne  irgend  einer  bestimmten  oppo- 
sitionellen Partei.    Und  alle  Welt  weiss  den  c  Fliegenden  » 


Dank ,  wenn  sie  die  Leser  in  andere  Gebiete  führen, 
als  die  Tagesblätter,  die  nothgedrungen  uns  Parteigezänk 
zu  Frühstück  und  Nachtmahl  serviren  müssen,  die  uns 
mit  der  leidigen  Jagd  nach  Aktualität  nicht  mehr  zu 
behaglichem  Lebensgenuss  und  zu  ruhigem  Nachdenken 
kommen  lassen  Kein  Vorwurf  für  die  Presse  —  denn 
die  Ansprüche  der  Leserwelt  haben  sie  ja  zu  dem 
gemacht,  was  sie  ist. 

Bei  dem  konservativen  Wesen  der  «Fliegenden 
Blätter»  ist  naturgemäss  ihr  Inhalt  auch  ihre  Geschichte. 
Von  aussen  ist  ihnen  nichts  widerfahren,  was  sich  nicht 
in  ihren  Spalten  gespiegelt  hätte.  Sie  sind  nicht  um 
einen  Millimeter  im  Geviert  gewachsen  und  haben  mit 
wenigen  Ausnahmen  die  alte  Seitenzahl  gewahrt.  Ihre 
technische  Herstellung  hat  sich  in  Wesentlichem  nicht 
verändert,  für  die  Herstellung  ihres  Bilderschmuckes 
kommt  heute  wie  einst  vornehmlich  der  edle  Holzschnitt 
zur  Anwendung. 

Die  Holzschneidekunst  hat  ja  auch  die  «Fliegenden 
Blätter  »  gegründet.  Im  Anfang  war  die  xylographische 
Anstalt  von  Dessauer  &  Braun  in  München.  Dann 
assoziirte  sich  1843  Kaspar  Braun  mit  F'riedrich 
Schneider,  zunächst  wohl  auch,  um  eine  Anstalt  für 
Holzschneidekunst  zu  betreiben.  Das  erste  Verlagswerk, 
das  bei  ihnen  erschien,  war  schon  ein  «fliegendes  Blatt», 
«der  erste  Bock  von  Görres»,  «das  Buch  für  fromme 
Kinder »    folgt   dann    und   damit   war   für    eine    weitere 

Sier  «iniäiiriac  ^tcituiUifle  auf  item  3)2atfci). 


^oipornl      9bn  @d)od  Sdinercnotl},  ^rn.  @if  ^ahcn  )o  ben  '])länlel  um! 

3  rt iinl  1 1  ifl(  r,     ^aoobl  -  rt  ttflnct  jo  mir  mil  ISiefelanntil I 

Cnippiol      *Hl)fi  IJpnnfrrofttft.  iDoe  iiuhl  mid)  btnn  bct  OJIrtnlet,  wenn  et  nidjt  getollt  iti!? 

LicIittnhtU. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


79 


Spezialität  des  Verlags,  die  Jugend- 
schriften, der  Grundstein  gelegt. 
Im  Oktober  1844  erschien  dann 
die  erste  Nummer  der  «  Fliegenden 
Blätter » ,  nachdem  von  den  beiden 
Gründern  natürlich  der  Plan  zu 
dieser  Zeitschrift  gründlich  erwogen 
worden  war. 

Ueber  die  Entstehung  des 
Titels  der  &  Fliegenden  Blätter » 
hat  man  allerlei  gefabelt.  Da  soll 
ein  Windstoss  einmal  die  Blätter 
der  ersten  Manuskripte  vom  Re- 
daktionstisch gefegt  haben  und 
dieser  Zufall  habe  zur  Wahl  des 
Titels  geführt.  Eine  ähnliche  Ge- 
schichte erzählt  man  sich  ja  be- 
kanntlich auch  von  der  Entstehung 
des  Namens  «  Kladderadatsch  » .  In 
Wahrheit  wurden  die  «Fliegenden 
Blätter»  nach  Publikationen,  Flug- 
schriften ähnlicher  Art  getauft,  die 
im  sechszehnten  und  siebzehnten 
Jahrhundert,  einer  Epoche,  da 
man  die  periodischen  Zeitschriften 
noch  nicht  kannte,  gang  und  gäbe 
waren.  Auch  unsere  Blätter  er- 
schienen zunächst  nicht  mit  der 
Regelmässigkeit,  die  sie  jetzt  aus- 
zeichnet, sondern  in  ganz  unge- 
bundener Folge.     Sie   haben  sich 

bis  zum  25.  Bande  weder  an  Semester  noch  Quartal 
gebunden  und  erschienen  in  ihrer  ersten  Zeit  nicht  ein- 
mal regelmässig  in  jeder  Woche. 

Ein  glücklicher  Stern  hat  die  beiden  Gründer 
Kaspar  Braun  und  Friedrich  Schneider  zusam- 
mengeführt zu  diesem  Werke  und  was  die  zwei  ersten 
Besitzer  charakterisirte,  temperamentvoller,  künstlerischer 
Humor  und  feiner,  literarischer  Takt,  diese  Vereinigung 
von  zwei  ganz  verschiedenen  Eigenschaften  bestimmt 
heute  noch  die  Signatur  des  Blattes.  Ein  Blick  auf  die 
Bildnisse  jener  Beiden  klärt  uns  sofort  über  ihr  Wesen 
auf:  Kaspar  Braun,  der  Mann,  der  kräftig  zugreift,  dem 
der  Schalk  aus  jeder  Miene  spricht  und  der  unver- 
kennbare Neigung  zu  fröhlichem  Lebensgenüsse  besitzt; 
Friedrich  Schneider,    dessen  seelischer  Schwerpunkt  im 


3)eä  .^erni  ^axm^  33cifele  unb  feinet  ^ofmeifter§  Dr.  (Sifefe 

neue  Äreiij-  nnb  döuerjüge  burdj  J)entfd)lnii^. 


'Sorlltfung.) 


Sroicigei  Gdjrecfen  Bannt  bic  Sfeifenben  in  Sem  «Inbfide  cineä  Sfittcrft^totfeä ;  ein  Ireueä  SBift  anl  jener  gtüälicfjcsi 
Seit  beä  mittilaimi,  m  norfi  gebet  feine  liimai  nnb  Scnfter  macf)en  laflen  tonnte,  inie  et  moatc,  „$ict  mijc»)(e  'ic6 
bcn  mt  weinet  rnge  bej(t)(icfien»  f(f|iuntmt  «cifcte.  ;,^in  mid)k  ic§  ein  mannljaftet  3ioubtitter  iein,"bie  e^re  meinet 
'Samt,  oett^eibigen,  Sie[en  evinütgen  unb  mit  Siucrgen ' ft oletnifiten.  —  ©ict,  —  ein  jlueitet  Suno  tjon  Stibnrg  mit 
bcr  ®i(bet(ocfe  beä  gntfianptefen  —  (eben,  (ämpfen,  ^eitotfim  imb  —  ftctben  in  meinem  »ette  im  Steife  unjäbligct  gnW 
unb  Urcntet  —  toelclie  eeligteit:" 


(SotlfciunB  folgt.) 


A*.  Braun. 


Gemüthsleben  liegt,  eine  freundliche  Poetennatur,  innig 
und  kindlich,  ein  Charakter  von  wahrhaft  kerndeutscher 
Prägung.  Kaspar  Braun  ist  die  Seele  des  künstlerischen 
Theils  und  zunächst  selbst  sein  bester  Mitarbeiter  auf 
diesem  Felde.  Friedrich  Schneider  bestimmt  den  litera- 
rischen Ton  der  Sache,  jenen  familiären,  warmherzigen 
Ton,  der  anmuthet  wie  ein  Gespräch  aus  Freundesmund. 
Zudem  war  Schneider  zunächst  die  Seele  des  durchaus 
nicht  auf  Millionengrundlagen  basirten  Geschäftes  und 
besorgte  die  redaktionelle  Arbeit  und  Correspondenz. 
Schon  in  der  ersten  Nummer,  mit  der  Geschichte 
vom  «ewigen  Juden»  begann  die  Betheiligung  der 
« F"l legenden »  am  politischen  Leben,  die  lange  Jahre 
ihr  hervorstechendstes  Merkmal  bildete.  Kaspar  Braun's 
künstlerischer    Humor    erschuf     zunächst     eine     Reihe 


80 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


unsterblicher,  köstlicher  Typen,  Gestalten,  die  das  ganze 
politische  und  soziale  Leben  jener  Zeit  in  ihrer  Art 
kritisch  begleiteten,  Graf  Franz  v.  Pocci,  einer  der 
liebenswürdigsten  Menschen  seiner  Zeit,  dessen  Schöpf- 
ungen für  die  Kinderwelt  in  ihrer  Art  klassisch  und 
unerreicht  sind,  ging  mit  ihm  Hand  in  Hand.  Seit  der 
Geburt  von  Pocci 's  Staatshämorrhidarius  ist  ein  halbes 
Jahrhundert  verflossen,  aber  Namen  und  Begriff  sind 
heute  noch  sprichwörtlich.  Der  Aktenmensch,  die  brave 
Tintenseele,  der  Bureaukrat  in  der  höchsten  Potenz, 
dessen  ganzes  Leben  und  Streben  in  der  Bureauarbeit 
aufgeht  und  der  im  Grunde  doch  für  sein  Vaterland  und 
seine  Zeit  fühlt,  heimlich,  schüchtern,  schamhaft,  den 
sogar  der  Hauch  des  tollen  Jahres  1848  anweht,  eine 
prächtige  Figur  —  und  so  deutsch!  Kaspar  Braun's 
erste  und  berühmteste  Erfindung  sind  «  des  Herrn  Barons 
Beisele  und  seines  Hofmeisters  Dr.  Ei  sei  e  Kreuz-  und 
Querzüge  durch  Deutschland».  Die  beiden  Reisenden 
kommen  durch  München,  Leipzig,  Frankfurt  a.  M.,  Heidel- 
berg, Aschaffenburg,  Wien,  Graz  nach  Weimar,  Berlin, 
Braunschweig,  Darmstadt  u.  s.  w.  Sie  erlebten  auf  Eisen- 
bahnen und  Dampfschiffen  allerhand  kurioses  Zeug,  was 
das  Verkehrswesen  von  anno  dazumal  illustrirt,  sie  ver- 
spotten die  lokalen  Schwächen  und  Eigenthümlichkeiten 
der  verschiedenen  Orte  und  bekommen  auch  mit  poli- 
tischen Dingen  zu  thun.  Im  Jahr  1848  treffen  wir  sie 
sogar  bewaffnet  an  und  sie  sehnen  sich  manchmal  trotz 
allem  Patriotismus  aus  dem  deutschen  Vaterlande  hinaus. 
Im  Grunde  sind's  ein  paar  vortreffliche  Verkörperungen 
germanischen  Wesens  und  das  Missgeschick,  das  sie 
erdulden,  ist  eben  das  Missgeschick  des  deutschen 
Michel,  das  er  erdulden  musste  in  jenen  Tagen. 

In    ähnhcher 
Weise  hat  Kaspar 
Braun  noch  man- 
che gelungene 
Figur     erfunden, 
deren    Erlebnisse 
die  Zeitgeschichte 
reflektirten,   z.  B. 
die  ebenfalls 
sprüchwörtlich 
gewordenen    Ge- 
nossen   Barnabas 
Wühlhuberund 
Casimir     Heul- 


Xiit  KCflffle  •ricatelff Ar  9*M'. 


.SIhta  ^m'.  Sit  ^afcoi  jnrinfn  Sudan  ouf  bfn  3u6  grtrclni,   reir  finb   flfji^ifbtne  Stulf —   getxn  Sir    »ii  bi( 
%fänbfr  unftKr  Zitut  i,atnd'." 

M.  V.  Schwind. 

m  a  i  e  r.  Der  eine  verkörpert  das  phrasenreiche 
Demagogenthum  mit  einer  Nuance  von  ungekämmter 
Urgermanenhaftigkeit,  der  andere  die  rückgrat-  und 
thatenlose  Unzufriedenheit,  die  wohl  Alles  besser  haben 
wollte  und  nichts  besser  machen  kann  und  sich  vor 
der  Tyrannei  gerade  so  fürchtet,  wie  vor  der  Freiheit. 
Sie. wandern  nach  Amerika  aus,  in's  Land  der  «Gleich- 
heitsflegel »  ,  lassen  dort  ihre  Wuth  aus  an  riesigen 
Urwaldsbäumen,  die  sie  mit  der  Axt  angreifen,  sehnen 
sich  in  der  Unkultur  nach  dem  erst  so  verachteten  Vater- 
lande zurück  und  schliesslich  treffen  wir  Freund  Barnabas 
Wühlhuber  gemüthlich  wieder  im  alten  Europa,  wo  er 
sich  sogar  um  einen  Orden  bewirbt.  Wie  vieler  Frei- 
heitsmänner Schicksal  ist  das  gewesen  !  Du  lieber  Gott, 
wir  sind  Menschen  1  Der  Verführer  Wühlhuber's  schliess- 
lich, der  ihn  da- 
zu bringt ,  vor 
Serenissimus  zu 
katzenbuckeln,  ist 
Master  Vor- 
wärts, der  Ver- 
treter modernen 
Schwindelgeistes 
und    Manchester- 


Sa«  UMin  itntt  <;*«Mal6<*. 


M.  V.  Schwind. 


H.  Dyck. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


81 


Sa*  fcff(ft<  tSotttutrt. 


1  Jlbti  4ni  QoUcga.  In  imttnn  iBuitau  bai  man .   <Sdci  l'ci  Dan! .   004  nod)  nit^il  btRittIt  Mn  eitftn  ncumotir^en 

.tifbnbaupl.    ^ut  QcUtsa.   Hl  tt     Sott  fti  &nE.   auf  otn  'SuTcatir  gtiaOf  ood)  t'o,  ivU  fl  oen  |tf}tt  Isai.' 
,3a,   «Ott  f«  ^nt,    mtint  ,&tmli.   OK  «uitaiur  fino  in  t(t  ^bat  Co«  btfle  UÜB  f(jl(P«  gäollmitl  fltgdl.bit  9l(UJtit 
Vjn  jb»  Sottn,  tiito  iQoS  man  fo  gtmtiniqlidi  Sccftitii  uns  fjoiird^iitt  ninnti* 


K.  Braun. 

thums,  der  die  dummen  Kerle  auf  der  Welt  belehrt, 
wie  sie  andere  noch  dümmere  Kerle  über's  Ohr  hauen 
könnten ,  der  aus  Allem  etwas  zu  machen  weiss  und 
eigentlich  der  Vorläufer  eines  Typus  ist,  der  erst 
später  zur  vollen  Blüthe  kam,  des  «Gründers:».  Ein 
ander  Mal  behandelt  Braun  in  den  Wanderungen  des 
aus  dem  Wappen  gestiegenen  « Münchener  Kindeis » 
brennende  Lokalfragen,  oder  «Meister  Hans»  —  der 
heute  noch  an  jedes  Bandes  Schluss  die  Abonnements- 
einladungen überreicht,  oder  der  «  Laubober »  oder  eine 
andere  Figur  dient  ihm  als  Medium  für  seine  lokal-  oder 
sozial-  oder  national-politischen  Entdeckungsreisen.  Zu 
den  meisten  und  jedenfalls  zu  den  besten  dieser  Cyklen 
hat  Friedrich  Schneider  den  humorvollen  und  liebens- 
würdigen Text  geschrieben.  Kaspar  Braun's  Karikaturen 
in  ihrer  prägnanten  Einfachheit  und  Festigkeit  der  Linien 
stehen  künstlerisch  auf  sehr  hoher  Stufe  und  eigneten 
sich  für  die  Holzschnitttechnik  in  ihrer  damaligen  Ent- 
wicklung ganz  vorzüglich.  Einfacher  und  sicherer  hat 
auch  von  den  berühmtesten  Neuen  keiner  charakterisirt 
als  er  und  in  allen  seinen  Zeichnungen  war  ein  Zug  von 
Naivität,  der  ihnen  einen  unvergänglichen  Reiz  gibt. 
Kaspar  Braun  schied  am  29.  Oktober  1879  aus  diesem 
Leben,  Friedrich  Schneider  ist  ihm  am  9.  April  1864 
schon  vorangegangen.  Die  ältesten  Söhne  der  Beiden 
sind  heute,  wie  bekannt,  Besitzer  und  Leiter  des  Verlages. 
Eines  der  ersten  Mitarbeiter  der  «  Fliegenden  Blätter» 
—  nach  Zeit  und  künstlerischem  Range  gerechnet  — 
haben  wir  bereits  gedacht,  des  unvergleichlichen  Moritz 
V.  Schwind,  in  dem  sich  so  rein  und  echt,  wie  viel- 
leicht in   keinem   zweiten  Künstler   nach  ihm    alle   jene 


Eigenschaften  verkörpert  haben ,  die  wir  mit  Stolz  als 
die  edelsten  Seiten  der  deutschen  Volksseele 'rühmen. 
Vor  seinen  Werken  erschliesst  sich  dem  Verständigen 
so  recht  der  Sinn  der  Worte :  «  Heiter  ist  die  Kunst » . 
Seine  Kunst  ist  von  wahrhaft  göttlicher  Heiterkeit,  nicht 
etwa  darum  nur,  weil  heitere  Stoffe  ihn,  den  Lebens- 
freudigen, am  Meisten  anzogen,  sondern  weil  der  lautere 
Jubel  über  das  Schöne  seine  Seele  erfüllt  in  allen  ihren 
Tiefen.  Und  wie  innerlich  ist  seine  Kunst,  welche  reiche 
Gemüthswelt  offenbart  sich  in  ihr ,  welche  Keuschheit 
der  Auffassung  adelt  sie  bei  aller  sinnlicher  Wärme. 
Das  Streben  nach  hoher  Reinheit  der  Form  hat  Schwind 
mit  den  « Nazarenern »  seiner  Zeit  gemeinsam  gehabt ; 
aber  wie  himmelweit  ist  die  starre,  kalte,  künstlerische 
Askese  der  Andern  von  seiner  sprühenden  Lebenslust 
entfernt  gewesen.  Er  war  ein  fröhlicher  Genussmensch, 
der  auch  die  andern  Menschen  erfreuen  wollte  und  der 
sie  zu  erfreuen  verstand,  weil  das,  was  er  bot,  echt 
und  ehrlich  aus  seinem  reichen  Herzen  quoll.  « Ich 
kann  nichts  anderes  machen,  als  was  mich  freut ! »  sagte 
er  von  sich  und  das  kündet  uns  mehr  als  bändelange 
kritische  Analysen,  dass  er  ein  Künstler  war  von  Gottes 
Gnaden.  Er  war  naiv  im  reinsten  Sinne  und  vor  der 
kindlichen  Treuherzigkeit  seiner  Art  hält  fast  nichts  Stand, 
was  uns  die  wieder  in  Mode  gekommene  Naivität  der 
heutigen  Kunst  vorfabelt.  Er  glaubte  an  seine  Märchen, 
an  seine  Recken  und  Ritterfräulein  und  Unholde,  wie 
der  wahre  Poet  immer  glaubt  an  die  Geschöpfe  seiner 
Phantasie ;  der  nervenkranke ,  grübelnde  Symbolismus 
von  heute,  der  ja  auch  in  Fabelländern  lebt  und  Märchen 
erzählt,  wie  wenig  glaubt  der  meist  an  sich  und  wie 
wenig  glauben  wir  an  ihn ! 

Schwind  wurde  am  21.  Januar  1804  in  Wien  ge- 
boren. Früh  verlor  er  seinen  Vater  und  früh  musste 
er  sein  Bildnertalent  zum  Brodverdienen  nützen:  er 
zeichnete  humoristische  Karten,    Notentitel,    Almanach- 


A*.  Stauber. 


82 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


•I  f.l«<  aümM  »Mb  Bl^. 


bilder  u.  s.  vv.  Zum 
Jüngling  gereift,  trat 
er  mit  den  glänzend- 
stenPersönliclikeiten 
der  aufblühenden 
Romantik  in  Bezieh- 
ungen, mit  Anasta- 
sius  Grün,  mitLenau, 

Feuchtersieben, 
Castelli ,    mit  Franz 
Lachner  und  Franz 
Schubert       verband 

ihn  Freundschaft. 
Ein  Romantiker  ist 
K.  Braun.  Schwind  denn  auch 
sein  Leben  lang  geblieben ;  die  Romantik  sagte  ja 
seiner  reichen  Phantasie,  seinem  feurigen  Idealismus, 
seinem  naiven  Kindersinn  so  unendlich  zu,  dass  — 
er  sie  sich  wohl  erfunden  haben  würde,  hätte  sie  nicht 
zuerst  be-stimmend  auf  ihn  eingewirkt.  1S27  kam  er 
nach  München,  schwärmte  für  Cornelius  und  lernte  an 
ihm.  Ein  kleiner  Kreis  von  Künstlern  und  Kennern 
würdigte  bald  sein  Talent,  das  der  grossen  Menge  noch 
lange  unverständlich  blieb.  Er  erhielt  Aufträge,  malte 
das  Bibliothekzimmer  der  Königin  mit  Bildern  zu  Tieck's 
«  Phantasus »  aus,  schuf  die  prächtigen  Entwürfe  zu  den 
Fresken  in  Hohenschwangau ,  die  so  viel  schöner  und 
werthvoller  sind,  als  der  ganze  prunkvolle  Schmuck  der 


gftrici>n>«.a8«*lfliibcnili(!|rll. 

S.n  51    etam. 


Ilütirriitil  im   Soionrllfillilra. 


Sttititimtiftci.  .Nro.  13  iil  loirt«  3ani  tmfai^ ,  ^(tt 
«n«(f«!  *"f;  «'«•I  f'^"  S'*'  *""""'  "'**"  *"  Obtrfürp«  ^• 
üb<t.  »ic  n  cor  tttjtt  tu4!  IMti  ju  glodKt  Seil  poS'n  S*« 
mil  Iwibtn  5ü6fn  Dom  «Dtwn  üb,  unb  tnbcm  SU  bm  Untevlfltjir 
Idjntfl  no^brinflifl,  ma^cn  Sit  not^  Unlfn  an»fflll!  Un!» 
lAdmitti  unb  out  jloeü  fle^tn  Sit  ttifbit  in  b«  bfitttn  «od 
tion  uab  Pflrirtn  Iint#  ti#f  b«  laOTwa  oblpirt«  fdmUil" 


glänzenden  «Königsphantasie»  Neuschwanstein.  Eines 
seiner  Meisterwerke  ist  ferner  der  Kinderfries  im  Habs- 
burger Saal  in  der  Münchener  Residenz.  Nach  einem 
kürzeren  Aufenthalt  in  Karlsruhe  verzog  er  nach  Frank- 
furt am  Main,  aber  die  Atmosphäre  dieser  Goldstadt 
par  excellence  hat  ihm  wenig  zugesagt  und  er  sah  es 
wohl  wie  eine  Erlösung  an ,  als  er  1 847  einen  Ruf  an 
Stelle  Julius  Schnorr's  an  der  Münchener  Akademie 
erhielt.  Nun  endlich  wurde  Schwind  auch  populär  und 
zwar  im  höchsten  Maasse.  Es  werden  Nachbildungen 
weniger  Werke  so  viel  in  deutschen  Wohnstuben  ge- 
sehen werden,  wie  die  seines  Märchens  von  den  «  sieben 
Raben».  Auch  seine  Bilder,  die  er  für  die  Wart- 
burg gemalt,  sind  weit  bekannt,  sein  « Aschenbrödel  >; , 
seine  «Schöne  Melusine».  Zum  Populärsten  aber  und 
zum  Schönsten,  was 
Moritz  V.  Schwind 
geschaffen ,  gehört 
das ,     was    er    für 

den  Verlag  von 
Braun  &  Schneider 
gezeichnet,  für  die 
« Fliegenden  Blät- 
ter» und  für  die 
«  Bilderbogen»,  die 
zu  den  Ersteren  in 
engen,  man  möchte 
beinahe  sagen,  ver- 
wandtschaftlichen i  .<li,tknlh<ilir. 
Beziehungen  stehen.  Dazu  gehört  der  köstliche  Bilder- 
bogen «Der  gestiefelte  Kater»,  ein  Blatt,  das  die  Quint- 
essenz von  Schwind's  ganzem  Wesen  enthält ,  das 
«  Märchen  vom  Machandelbaum»  und  die  Geschichte  vom 
«Herrn  Winter».  Man  hört  ein  Spinnrad  schnurren  und 
Scheiter  im  Ofen  knistern,  sieht  man  solche  Bilder  an, 
und  die  wunderbare  Märchenwelt  steigt  auf  in  ihrer  alten 
Pracht.  Aber  nicht  als  Romantiker  allein ,  auch  als 
Satiriker  lernen  wir  Schwind  in  den  «Fliegenden  »  kennen, 
soweit  natürlich  seines  Herzens  unbegrenzte  Liebens- 
würdigkeit die  Satire  zulicss.  Oft  gefiel  er  sich  auch 
in  harmlosen  Formspielereien,  wie  in  seiner  wunder- 
lichen « contrapunktischen  Soiree»,  worin  er  sich  die 
Aufgabe  setzte,  auf  i  5  gegebenen  Punkten  die  Gestalten 
dreier  Akrobaten  in  immer  wieder  neuen  Varianten  so 
zugruppiren,  dass  jeder  dieser  15  Punkte  durch  eine 
Hand ,    einen    Fuss    oder    einen   Kopf    gedeckt  wurde. 


C.  Spitnvfg. 


DIE  KUNST  UiNSERER  ZEIT. 


83 


Auch  die  Politik  und  soziale 
Fragen  hat  der  Künstler  mit 
seinem  Griffel  commentirt  — 
fällt  doch  seine  Thätigkeit 
für  den  genannten  Verlag  in 
jene  Epoche  der  «Fliegen- 
den», in  der  sie  sich  vor- 
wiegend mit  Politik  zu  thun 
machten. 

Seine  Zeichnungen  für 
Braun  &  Schneider  sind  in 
einem  Schwind  -  Album  in 
wunderschönenHolzschnitten 
vereinigt  und  es  gewährt 
hohen  Genuss,  in  dieser 
Mappe  zu  kramen.  Tritt  uns 
doch  aus  diesen  Blättern  sein 
Wesen  am  Reinsten  entgegen. 
Als  Maler  war  er  oft  bunt 
und  hart  —  obwohl  übrigens 
einige  seiner  fast  unbeholfen 

gemalten  kleinen  Bildchen  der  Münchener  Schackgalerie 
in  ihrer  Art  geradezu  entzückend  sind  —  als  Zeichner 
kennt  er  keine  Grenzen  seiner  Kunst,  da  entfaltet  er 
den  ganzen  Reichthum  seines  Geistes  und  seines  Herzens. 
Schwind  starb  am  i.  Februar  1871  ;  er  ist  ohne  Todes- 
kampf und  Todesangst  schnell  und  schmerzlos  entschlafen. 
Und  sein  Erbe.?  Mich  dünkt,  die  deutsche  Kunst 
fängt  eben  an,  des  Vermächtnisses  eines  ihrer  herrlichsten 
Männer  wieder  eingedenk  zu  werden.  In  dem  wilden 
und  leidenschaftlichen  Suchen  nach  höherem  malerischen 
Ausdruck,  welches  das  letzte  Jahrzehnt  dieser  deutschen 

Kunst  charakteri- 
sirt,  sind  ihr  an- 
dere Dinge  abban- 
den gekommen, 
die  nicht  minder 

werthvoll  sind, 
und   aus  hundert 
neuen     Erschein- 
ungen spricht  wie- 
der die  Sehnsucht 

nach    tieferem 
geistigem  Gehalt, 
nach     strengeren 
Linien,  nach  Inti- 


Wiätittt-.IStll^ttt. 

(6<tbit.) 


K,  Suwhcr 


'SIÄ 


„SSeinen  (S'nitfet  ')   muj  i  ^abn,  ge^tä  «lie'ä  moä 
clenbi^er  — ■  jitjl  im  (B'niifer  ^etlll" 


mität  und  nicht  zum  Wenig- 
sten nach  wahrhaft  heimath- 
lichem ,  deutschem  Wesen. 
Für  die  Form  konnte  uns 
die  Fremde  Lehrmeisterin 
sein,  für  den  Gehalt  braucht's 
Vorbilder  aus  dem  eigenen 
Stamme.  Moritz  v.  Schwind 
zeigt  uns  klarer  und  bestimm- 
ter als  alles  Andere,  wie  die 
grossen  deutschen  Meister 
der  Renaissance  als  Erzieher 
unserer  Künstler  zu  nutzen 
seien.  Er  steht  auf  ihren 
Schultern  und  ist  doch  er 
selbst  geblieben.  In  diesem 
Sinne  möge  auch  er  zum 
Vorbild  dienen.  Nachahmen 
kann  man  ihn  nicht ,  denn 
Naivität  und  Unmittelbarkeit 
kann  man  nicht  stehlen. 
Aber  als  Lehrer  soll  er  durch  seine  Werke  wirken 
mit  der  ganzen  überzeugenden  Macht,  die  jeder 
grossen  und  reinen  künstlerischen  Persönlichkeit  eigen 
ist.  Freudigkeit  soll  er  lehren,  Schönheitsfreudigkeit 
und  Lebenslust  und  Alles ,  was  rückenmarkschwach 
und  frühalt  sein  will,  soll  er  hinweisen  auf  den  heil- 
kräftigen Jungbrunnen  heimathlicher  Poesie. 

Zwei  Künstler,  die  zu  Schwind  in  direkten  Be- 
ziehungen standen, 
gehören  zu  der 
«  Fliegenden » besten 
Kräften,  sein  Freund 
Karl  S  p  i  t  z  w  e  g 
und  sein  Schüler 
Eduard  Ille.  Der 
Letztere  ist  künst- 
lerisch und  redak- 
tionell noch  mit  un- 
geschwächter Kraft 
am  fröhlichen  Werke 
thätig,  den  Ersteren 
haben  wir  im  Jahre 
1885  begraben  und 
mit  ihm  verlor  Mün- 
chen vielleicht  seinen 


$cr  eifrige  Sitgbfi^ü^. 


Sitrnfatra!  {((t  \i  tcr  ©d^nupftobot  a  %in'J' 


M.  Haidtr. 


12 


,W.  Haider. 


84 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


liebenswürdigsten  Künstler.  Spitzweg  — 
1 808  zu  München  geboren  —  ist  so  ziemlich 
seit  Bestehen  der  «Fliegenden  Blätter »  für 
sie  thätig  gewesen.  In  seltsamer  Weise 
wusste  er  die  gutmüthige  Drolerie  mit 
scharfer  Charakteristik  zu  verbinden  und 
entwickelte  in  seiner  Persiflage  einen  Humor 
von  zwingender  Wirkung.  Unter  den  unge- 
zählten Bildern  unserer  Blätter,  welche  die 
disciplinlose  «Gemüthlichkeit  j,  die  spiess- 
bürgerliche  Eitelkeit  der  alten  Bürgerwehr 
geisselte,  sind  Spitzweg's  Caricaturen 
zweifellos  die  köstlichsten.  Wer  über 
seine  «  Freicorps-Wachtstubenfliegen  t>  nicht 
lachen  kann ,  der  ist  zum  Lachen  über- 
haupt verdorben.  Mit  welch'  überwältigen- 
der Komik  hält  er  in  der  Zeichnung  zu  -  _- 
« Gessner's  Idyllen »  den  Phantastereien 
der  Schreibstubenpoesie  die  brutale  Wirk- 
lichkeit entgegen.  Vormärzliche  Versunkenheit,  ein- 
gerostetes Kleinstädterthum,  wer  hat  es  besser  gekenn- 
zeichnet wie  er?  Seine  schlafenden  Schildwachen  und 
behäbigen  Nachtwächter,  seine  alten  Junggesellen,  seine 
geprellten  Polizisten  und  seine  frohlaunigen  Gauner,  seine 
grübelnden  Gelehrten,  die  in  Spinnweben  verstauben, 
seine  Bettelmusikanten,  seine  Satiren  auf  obrigkeitlichen 
Dünkel  und   Beamtenschwerfälligkeit ,    wie    prächtig    ist 


3(^  fei  getoä^rt  mit  bie  9iite  in  @ucrem  ^uniie  ber  dritte. 


3)e§  Gerrit  23arojt§  Scifelc  unb  feinet  :§ofmeifterä  Dr.  ©ifelc 

ntuc  fireuj-  an!»  (öneriügt  burd)  Dculfd)lanb. 


9«  (  r  1  i  lt. 


(SJonftSuns  folgt) 


K.  Braun. 


T"^^\L  uV      ."         «"»»«nbnti  ouä  unterem  Soletlanbe,  lieber  5)octi)t.  (0  fort  fle^l,  roetbcn  mit  6atb  bie  jWei 

ItSttn  3)«utf(^tn  fein."  —  Stoo  i«^äraorrI)oiboriu«  (^injutretenb).  .«eben  Sie  nie^t  (0  ooteilig,  junget  HRomi, 

6ie  Weinen  nit^t  ju  bebenten,  bog  wir  aucj  nod|  ba  finb." 


das  Alles  geschildert !  Dann  kommt  er  aber  auch  wieder 
mit  echter  Romantik,  die  freilich  immer  mit  einer  guten 
Dosis  Gemüthlichkeit  versetzt  ist.  In  reizend  gemalte 
Phantasielandschaften  setzt  er  Drachen  und  andere  Fabel- 
wesen, belauscht  Klausner  in  ihrer  Einsamkeit,  lässt  auch 
einmal  ein  idyllisches  Stückchen  Landschaft  für  .sich 
allein  wirken,  ohne  beziehungsreiche  Staffage.  Eine 
schmunzelnde,  bescheidene  Fröhlichkeit  zeichnete  ihn 
aus,  eine  Harmlosigkeit  sonder  Gleichen. 
Er  sah  die  Welt  zwischen  einem  Vogel- 
bauer und  einem  Epheustock  durch 
aus  einem  Mansardenfenster  mit  der 
Ueberlegenheit  des  Wunschlosen  ver- 
gnüglich an  und  malte  seine  Bildchen 
sich  selbst  zur  Freude.  Aber  er  war 
gross  in  seinem  kleinen  Reich  und  man 
wird  jene  Bildchen  noch  einmal  freudig 
mit  Gold  aufwiegen.  Wie  kümmerlich 
und  gequält  sind  die  meisten  «  humorist- 
ischen Genrebilder»  in  Kunstvereinen 
und  Auslagen  der.  Bilderhändler  und 
illustrirten  Wochenschriften  neben  seiner 
warmherzigen  Lustigkeit !  Und  wie  viel 
Herzlichkeit  liegt  darin !  Spitzweg  hat 
viel  an  den  alten  niederländischen  Klein- 
malern gelernt ,  und  unter  Anderem 
auch  das,   die  Marodeurs    des    Lebens, 


K.  ß.-aun. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


85 


iCir  3(udtoi>nb(rcr, 


,^4  ♦«"  3efee,  -fefn  Oü([bagtt.  n-oHtt  iift  fagtn  ^(n  r  %iii(ri[a,  mii  Wim  tn  ^tutfi^laio  Jii  lolt  —  id  niü  Jbor 


Sb^Ibtibti.   ((  ft^tincn  mit  o4  3^nn  <Sa^  jtboU  ju  (ah 
PO  raoGn  ft  Btnn  binlutf^ittn  mil  ibtrai  ®{nenftt6(ET"  — 

„9Bo  tunn  (cna  Denn  anntifi  (ingtbn  ali  na4  tttnttilaY 
mit  bcnt  Safmnemt-9dr4Ic  iihi  ((n  oiztiunt  SältUngt  latin 
)a  ein  enttliAn  Wajat  mc  idi  nid)  mc^  umgebe  —  tai 
^tatfAlonb  larn  oon  nii  aut  Die  Älin!  fliege!"  — 

.OTtin  *en  aDübibeiflei  — ■ 

.TOeite  fe  fldj  amol,  ©iMbubet  Ijeeg  i*  —  ■ 

,^f»  wnn  *ert  Söüblbubet,   fäljn  fe,   ii^  teefe  00(b  nal%  i 


niib  Bit  Biifdlien  SCTtbtibigcn  —  abei  bie  lOtben  Ferren 
tRefubiifanci  bab'n  uns  ioi  böfe  in  Bie  IXltfibe  gefütrt  — 
'JJu,  Denn  ®ie'8  Tnkl  it.  Bo  madien  mei  Bie  SHeefe  miteinanBer." — 
,^l  fön.ie  fe  tbun  Bon  mie  aut  —  ain  14  Sitte  mitj 
aul ,  Bo^  €ie  ur  bn  EReefe  fei  fo  leacllotliftt  Boug  &9^tT 
rUtDAJe,  —  ülterfe  fe  fld)  bte«l"  — 

(3oiIf«teBfl  ftf£gi> 


K.  Brau  II. 


die  Vagabunden  und  Kneipgenies  und  Strolche  aller 
Art  ohne  Groll  und  spiessbürgerlichen  Dünkel  anzu- 
sehen, mit  lachendem  Mitleid  und  wohlwollendem  Spott, 
Das  ist  aber  die  höchste  Gabe,  die  dem  Künstler  dieser 
Art  werden  kann,  dass  er  triftt,  ohne  weh  zu  thun; 
das  ist  das  Spezifikum  des  Humors  im  Gegensatze  zu 
so  viel  anderen  Dingen,  die  auf  der  Welt  unverschämter 
Weise  oft  für  Humor  ausgegeben  werden. 

Karl  Spitzweg  hat  die  Biedermaierzeit  realistisch 
geschildert,  Eduard  Ille,  wie  gesagt,  einer  der  ältesten 
lebenden  Mitarbeiter  der  «Fliegenden»,  hat  sie  mit  aus- 
gezeichnetem Geschmack  stilisirt,  ja  er  hat  die  bezeich- 
nendsten Typen  für  ihr  Wesen  erfunden,  die  es  über- 
haupt gibt  in  seinen  klassischen  Zeichungen  zu  Ludwig 
Eich'rodt's  «  Gedichten  an  Weiland  Gottlieb  Biedermaier, 
Schulmeister  in  Schwaben».  Wie  putzig  sind  diese 
steifleinernen  gravitätischen  Gesellen ,  welche  den  Hals 
in  ihren  abenteuerlichen,  riesenhaften  Cravatten  nicht 
drehen  können,  was  für  Urbilder  des  Begriffes  Philister 
marschiren  da  vor  uns  auf!  Im  gleichen  Stile  hat  Ille 
unendlich  komisch  Eichrodt's  Lieder  von  der  «  sentimen- 
talen Jurisprudenz»   mit  Bildern  erläutert  und  dabei  die 


leidige  Trockenheit  der  Rechtswissenschaft  und  manche 
andere  Schwäche  dieses  vielgewählten  Berufes  zum  Besten 
gehalten.  Ille  war  auch  der  Erste,  der  das  heute  in 
den  « Fliegenden »  von  Oberländer ,  Grätz,  Hengeler, 
E.  Reinecke  u.  A.  mit  so  vielem  Glück,  wenn  auch 
in  anderer  Weise ,  gepflegte  Genre  der  Thiercaricatur 
cultivirte  und  hat  damit  ganz  Wunderbares  erreicht  in 
der  Kunst,  den  Thierköpfen  den  Ausdruck  menschlicher 
Empfindungen  aufzuprägen.  Auch  in  Kinderbüchern  und 
Bilderbogen  schuf  er  mancherlei  Meisterstücke  dieser 
Kunst  —  es  sei  nur  an  den  Bilderbogen  vom  Hausherrn 
und  den  Katzen  erinnert:  «Blinder  Eifer  schadet  nur». 
Ein  weiteres  Spezialgeschick  übte  Ille  mit  der  Nach- 
ahmung berühmter  Muster,  sei  es,  dass  er  ein  gegebenes 
Thema  in  verschiedenen  Stilarten  variirte,  sei  es,  dass  er 
das  gleiche  Spiel  mit  den  Manieren  verschiedener  zeitge- 
nössischer Maler,  Cornelius,  Genelli,  Schwind,  W.  Kaul- 
bach, Ramberg  u.  s.  w.  trieb.  In  ähnlicher  Weise  hat 
Oberländer  später  bekanntlich  seine  berühmte  Serie 
«;  Der  Kuss  »  geschaffen.  Eduard  Ille  hat  ausser  seinen 
reichlichen  Beiträgen  als  Maler  und  als  Dichter  für 
«Fliegende»  und  Bilderbogen  auch  sonst  noch  in  beiden 
Kunstgattungen  eine  rege  Thätigkeit  entfaltet  Er  schuf 
Zeichnungen  zur  Nibelungensage,  zur  Sage  von  Parsival, 
Lohengrin ,  Tannhäuser,  Hans  Sachs,  geschichtliche 
Bilder,  gab  1874  drei  schöne  Blätter  zu  Grimm's  Märchen 
heraus  u.  s.  w.  Er  schrieb  mehrere  Dramen  « Kaiser 
Joseph  II»,  «Kunst  und  Leben»,  einen  Operntext,  gab 
einen  Band  Poesien  heraus  und  hat  eine  ganze  Reihe 
schwungvoller  Prologe  und  Festspiele  gedichtet.  Im 
Jahre  1868  wurde  Eduard  Ille  der  Titel  eines  Professors 
der  Münchener  Akademie  verliehen.  Für  die  letzte 
Jubiläumsnummer  der  «Fliegenden»  hat  er  eine  Vig- 
nette gezeichnet,    die  den  seligen  Biedermaier  aus  dem 


ttommiffioiL  .Oett  äRagl. 
Ihatltdt^,  Sie  »uiben  beauftragt, 
einen  neuen  ©rannen  ju  bauen, 
iuubei  mebr  bie  .SroetJmdBigfeil 
an  bii-  54änbeit  berüifft^ti^t  fei; 
nun  bei^mert  fid)  bie  Oeneinbe;' 
buQ  ber  Sranuen.nii^t  jmeifDtägig 
iü,  inbem  lein  Ddfi  batauS  fau* 
itn  fönue.t 

fflogtflraHcoti.  .ffloS! 
Oüti  bet  Cranw  ift^t  guel  gr. 
baut,  gonj  guet,  unb  bug  burant 
ein  C^i'  faufa  tann'  beb  uiH  l 
bec  ßontmiffion  gleich  belatift,* 


K.  Staubtr. 


12* 


86 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Olymp  herabgrüssend  darstellt  —  das  Bildchen  zeigt 
noch  des  nunmehr  71jährigen  alte  Kraft. 

Auch  Lichtenheld,  der  feinsinnige  Land.schafts- 
poet,  dessen  « mondbeglänzte  Zaubernächte»  noch  heute 
eine  Zierde  jeder  Bildersammlung  aus  dieser  Zeit  sind, 
hat  zu  den  friiheren  Mitarbeitern  der  « Fliegenden » 
gehört.  Aber  es  waren  nicht  nur  merkwürdig  fest  und 
kräftig  gezeichnete  Landschaftsbilder  von  mit  wenig 
Mitteln  erreichter,  grosser  malerischer  Wirkung,  auch 
auf  dem  Gebiete  flotter  lustiger  Caricaturen  war  Lichten- 
held thätig  und  namentlich  allerlei  curiose  Menschen- 
früchtlein  aus  der  neuen  Welt,  die  er  sehr  genau  gekannt 
zu  haben  scheint,  hat  er  gar  drollig  vorgeführt.  Immer 
ist  Klarheit,  Einfachheit  und  Energie  die  Signatur  seiner 
künstlerischen  Art.  Zwei  weitere  vorzügliche  Kräfte,  die 
damals  am  Blatte  mitwirkten,  waren  die  liebenswürdigen 
Romantiker  A.  Muttenthaler  und  B.  H.  Schmölze. 
Die  Beiden  haben  auch  als  Maler  sehr  geachtete  Namen 
besessen  und  von  Muttenthaler  finden  wir  unter  An- 
deren gediegene  Freskomalereien  im  alten  bayerischen 
Nationalmuseum. 

Sehr  bald  nach  Gründung  der  «Fliegenden»  ist  ferner 
Carl  Stauber  in  ihren  Dienst  getreten,  wie  Ille  heute 
noch  für  sie  thätig.  Er  hat  eine  unabsehbare  Reihe  von 
Illustrationen  (so  was  wie  9000)  gezeichnet  und  wenn  man 
die  99  Bände  durchblättert,  kommt  man  wohl  zu  der  Ver- 
muthung,  dass  er  der  Fruchtbarste  von  Allen  gewesen  sein 
muss.  Und  thätig  auf  allen  Gebieten,  in  Scherz  und  Ernst. 
Zu  seinem  Besten  gehören  die  unzähligen  Bildchen  zur 
«  Pläsirreise  des  Herrn  Blaumaier  und  seiner  Frau  Nanni», 
eine  Reise,  die  ein  paar  Urmünchener  durch  allerlei 
Gross-  und  Kleinstädte  und  Klein-  und  Grossstaaten  führt 
und  die  zu  den  amüsantesten  Episoden  der  «  Fliegenden 
Blätter»  gehört.  Wir  treffen  das  umfangreiche  Ehepaar 
in  Nürnberg,  Bamberg,  Coburg,  Dessau,  Weimar,  Gotha, 
Erfurt,  Eisenach,  Frankfurt,  Heidelberg,  Stuttgart  u.  s.  w. 
Wie  «Eisele  und  Beisele»  geben  uns  die  verschiedenen 
Phasen  dieser  Pläsirreise  eine  Charakteristik  der  berührten 
Städte,  deren  Eigenheiten  sich  in  den  Erlebnissen  der 
beiden  Münchner  Pfahlbürger  spiegeln.  Einen  ganz  ähn- 
lichen Gedanken  verfolgen  die  Reisebriefe  des  Herrn 
Rentier  Graf  aus  Pirna ,  zu  denen  gleichfalls  Stauber 
den  amü.santen  Bilderschmuck  lieferte.  Hier  erzählt  ein 
sächsischer  Erzphilister  von  seinen  Reisen ,  die  er  mit 
seinem  Freund,  dem  Maler  Kohle,  unternimmt.  Die  bös- 
artigen Abenteuer  des  wackeren  Paares  sind  schlechter- 


dings zum  Kranklachen  —  oder  besser  zum  Gesund- 
lachen, denn  in  Wahrheit  ist  vom  Lachen  noch  keiner 
krank,  wohl  aber  schon  Mancher  gesund  geworden.  Ver- 
fasst  sind  die  Graf'schen  Reisebriefe  von  A.  Brendel. 
In  der  Sturmzeit  von  1848  schwingt  sich  Carl  Stauber 
oft  zu  ganz  ergreifender,  dramatischer  Ausdrucksweise 
empor,  sonst  charakterisirt  ihn  vor  Allem  eine  grosse 
Mannigfaltigkeit  der  Typen  und  Leichtigkeit  im  Erfassen 
der  Erscheinungen.  Ganz  vortreffliche  Charakterfiguren 
enthalten  z.  B.  auch  seine  Skizzen  aus  verschiedenen 
deutschen  Spielbädern ,  die  einst  der  Tummelplatz  von 
allerhand  verdächtigem  internationalem  Gesindel  waren. 
Unerreicht  in  ihrer  Art  sind  die  Jagdzeichnungen 
von  Max  Haider  gewesen,  der  etwa  mit  dem  fünften 
Lebensjahre  unseres  Blattes  in  diesem  in  Erscheinung 
tritt.  Forstmann  von  Beruf,  als  Künstler  mehr  oder 
minder  Autodidact  von  sehr  bedeutendem  Talent,  hat 
er  Wald ,  Wild  und  Waidwerk  gekannt ,  wie  vielleicht 
kein  Künstler  seines  Faches  mehr  vor  oder  nach  ihm. 
Er  fand  das  Darstellenswerthe  überall,  im  Kleinsten, 
und  wie  er  es  gab,  war  auch  das  Kleinste  interessant. 
Er  kannte  die  Gewohnheiten  des  Wildes  so  genau  wie 
die  Gewohnheiten  und  Eigenheiten  der  Jäger ,  er  war 
immer  Maler  und  Waidmann  zugleich,  bald  das  Thier- 
leben  mit  der  Liebe  und  Aufmerksamkeit  eines  warm- 
herzigen Naturfreundes  beobachtend ,  bald  auf  jagd- 
gerechte Charakteristik  ausgehend ,  bald  in  drolligem 
Grimm  die  Raubjäger  und  Wildpretschiesser  und  die 
pomadisirten  Sonntagsschützen ,  die  Waidmänner  in 
Gottes  Zorn  an  den  Pranger  stellend.  Da  weht  herb- 
kräftiger Harzduft  aus  jedem  Blatt.  Was  für  Missgeschick 
passirt  den  Jägern  und  Treibern  und  Hunden,  welcher 
fabelhafte  Einblick  in  die  Thierpsychologie  offenbart  sich 
uns  da,  mit  wie  viel  Gemüthlichkeit  schildert  uns  Haider 
das  Leben  des  zünftigen  Waidmanns.  In  den  Bildern 
der  «Bauernjagd»  wird  uns  von  dem  mordbrennerischen 
Gesindel  erzählt,  das  um  1848  herum  den  deutschen 
Wildstand  verwüstete ,  in  Allem  so  unwaidgerecht  wie 
denkbar  vorgehend,  mit  den  unmöglichsten  Schiesseisen 
und  anderen  Mordgewaffen  ausgerüstet,  mit  Fleischer- 
hunden losziehend  statt  der  Jagdrüden.  Natürlich  geht's 
gar  oft  den  lederbehosten  Nimroden  schlecht  und 
mancherlei  komische  Erlebnisse  weiss  uns  der  Künstler 
zu  erzählen.  Auch  in  den  vielen  Blättern  der  «Jagd 
in  Bildern »  spielen  solche  eine  grosse  Rolle,  sehr  viel- 
fach   aber    bietet   uns    der    Zeichner    nur    entzückende 


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DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


87 


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kleine  Moment- 
aufnahmen aus 
dem  Leben  des 
Wildes.  Und 
dann  ist  er  so 
fesselnd ,  so 
liebensvvürdisf, 


tat  niLC  £Mt.  Ml  ncui  £i(b 

S:t*  «yt  tui,  ««I  ■ 


H.  Dyck. 


dass  er  stets  neu,    stets  amüsant  erscheint.    So- 
gar die  Bäume  des  Waldes  belebt  Haiders  reiche 
Phantasie,    aus  dem 
knorrigen       Stamm- 
und    Astwerk    lässt 
er     abentheuerliche 
Spukgestalten     ent- 
stehen und  ein  ander 
Mal    wieder    lustige 
Caricaturen.        Max 
Haider's  Ruf  ist  auch 
durch    verschiedene 
Sonderpublikationen 
des  «  Braun  &  Schnei- 
der'schen    Verlags  » 
in  weite  Kreise  ge- 
drungen und  der  Jägerhumor,  dessen 
erster  bester  und  echtester  Vertreter 
er  war,  gehört  noch  heute  zu  dem 
Lustigsten ,    was   die  «  Fliegenden » 
das  Jahr  über  bieten,  ja  er  bedeutet 
beinahe  den  dankbarsten,  variations- 
fähigsten Stoff,    den   sie  überhaupt 
haben.    Denn  Dank  den  unberufenen 
Flintenträgern ,    die    ebenso    wenig 
aussterben  als  die  berufenen  Jäger- 
lateiner,   passirt   alle  Tage   so    viel 
Jagdkomik,  dass  man  beinahe  damit 
allein   ein    Witzblatt  .füllen   könnte. 


Max  Haider's  Kunst  ist  heute  so  ziemlich  ausgestorben. 
Von  den  Heutigen  kennt  keiner  mehr  den  Stoff  wie  er 
—  und  nach  Momentphotographien  kann  man  Wild  und 
Wald  eben  doch  nicht  ganz  unfragwürdig  schildern.  Der 
Wald  hat  seine  Seele  und  das  Waidwerk  hat  seine  ver- 
schwiegenen Reize  und  das  Alles  lernt  Einer  so  recht 
nur  kennen  in  dem  intimen  Verkehr,  den  der  Berufs- 
so wahr,    zeigt     Jäger  mit  den  beiden  schönen  Dingen  hat. 

Schon  weiter  oben  wurde  gesagt,  dass  die  «  Fliegenden 
Blätter»  im  ersten  Dezennium  ihres  Bestehens  sich  schneidig 
und  energisch  mit  politischen  Dingen  beschäftigten  — 
und  die  Zeit  war  ja  darnach  angethan.  Die  politischen 
Fragen  lagen  ganz  anders  in  der  Luft  als  heute ,  trotz 
der  tausendfach  vermehrten  Publizität  unserer  Zeit.  Jedem 
ehrlichen  Menschen ,  dem  warmes  rothes  Blut  in  den 
seine  Zeichnun-  Adern  floss,  lag  das  Schicksal  des  deutschen  Vaterlandes 
gen  zu  bringen,  schwer  auf  dem  Herzen,  des  armen,  zerfahrenen,  zer- 
fetzten, gedrückten  und  gedemüthigten  Vater- 
landes,  und    dazu   kam  die  Wetterschwüle,    die 

auch  ausserhalb  der 


so  viel  Grazie 
in  seinen  klei- 
nen Vignetten 
und  Randzeich- 
nungen ,  weiss 
so  tiefe  Mannig- 
faltigkeit in 


H.  Dyck. 


I  Ocf^cBl  iii»  »!:  SJU^  »CT  ntfrt. 


W.  Dvi-t. 


Grenzpfähle  der  36 
deutschen  Vaterländ- 
chen auf  den  Men- 
schen und  Staaten 
lastete.  « Der  ur- 
deutsche Michel», 
der  Träumer  und 
Philister  mit  dem 
Teutonenschopf  auf 
dem  Haupt ,  zahl- 
losen Wappenflicken 
auf  dem  Wamms, 
Tabakspfeife  und 
Buch  in  den  Händen  war  denn  auch 
die  Lieblingsfigur  H.  Dyck 's,  des 
Bedeutendsten  unter  den  Politikern 
der  « Fliegenden » .  Er  hat  den 
Michel  und  sein  Land  in  hundert 
Situationen  geschildert  und  jedes 
dieser  Bilder  ist  wie  ein  Freiheits- 
lied, etwa  wie  einer  von  den  leiden- 
schaftlichen Sturmgesängen  Georg 
Herwegh's.  Mit  Herwegh's  Liedern 
haben  Dyck's  Zeichnungen  auch 
noch  das  Eine  gemein,  dass  sie 
heute    nur    ein    euter    Kenner    der 


88 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Xtf  kfiMllMH  9tM*- 


damaligen  Verhältnisse  ohne  Commentar  verstehen  l<ann, 
so  überreich  an  Beziehungen  sind  sie.  Ganz  besonders 
gern  hat  Dyck  auch  die  Knebelung  der  Presse  etc.  — 
und  damit  seines  Handwerks  —  zum  Gegenstand  seiner 
Satiren  gemacht.  Da  lauern  überall  die  gefrässigen 
Scheeren  der  Censur,  da  wimmelt  es  von  moosbewach- 
senen Schlagbäumen,  da  taucht  der  Krebs  des  Rück- 
schritts  aus   allen    Winkeln   auf.      Es   war    ein    grosses 

Rufen  nach  Luft  und 
Licht  in  deutschen 
Landen.  Auch  das 
Verlangen  nach  dem 
Wiederbesitz  verlo- 
rener Länder  deut- 
schen Stammes  fin- 
det in  diesen  Bildern 
oft  seinen  Ausdruck, 
um  Elsass  -  Lothrin- 
gen wird  geklagt,  um 
Curland  und  Liev- 
land,  sogar  Flandern 
und  Holland  werden 
reklamirt  und  als  er- 
reichbar «für  guten 
Willen  »  in  Aussicht  gestellt.  Im  Sturm  und  Drang  der 
Zeit  gingen  die  Wünsche  eben  auch  oft  über  das  ver- 
nünftige Mass  hinaus.  Dann  spiegeln  sich 
wieder  Bureaukratie ,  Hochmuth  und  Servi- 
lismus, Kanzleiblödsinn,  Polizistenunfähigkeit, 
der  Rückgang  geistigen  Lebens  und  zahllose 
andere  bittere  Dinge  in  den  geistreichen 
Satiren  Dyck's  und  Anderer.  Gar  seltsam 
muthet  es  uns  an,  wenn  wir  im  sechsten 
Bande  zwei  kleine  Bildchen  finden,  die  in 
nuce  die  Quintessenz  von  Gerhard  Haupt- 
manns vielberedetem  Schauspiel  «Die Weber  5> 
enthalten.  «  Hunger  und  Verzweiflung»  steht 
unter  dem  Plinen,  ein  Leichenfeld  stellt  es 
dar  mit  Toten  und  verhungernden  Menschen. 
Das  zweite  Bildchen  erzählt  von  der  «Offi- 
ziellen Abhülfe  » :  Pickelhauben  und  spitzige 
Bayonette.  Auf  der  nächsten  Seite  finden 
wir  in  fürchterlichen  Jammergestalten  die  acht 
Polizeisoldaten  abconterfeit,  durch  welche  der 
Militärstand  des  Fürstenthums  Reuss- Greiz 
vermehrt   wurde,    um    mit  Energie  die  Ruhe 


Tii  VtM|<4Bl(  *n  VptMatratle 


aufrecht  zu  erhalten 
und  die  tapferen  fünf- 
zig Husaren,  denen  in 
Weimar  die  gleiche 
Aufgabe  zufiel  — 
auf  Steckenpferden 
reiten  sie  einher. 

Dann  tost  der 
Sturmwind  der  März- 
tage über  das  er- 
wachende Land  und 
wilde  Begeisterung, 
frohesHoffen  charak- 
terisirt  jetzt  den  poli- 
tischen Zeichner. 
Jetzt  endlich  dringt  Freund  Michel  mit  wichtigen  Schwert- 
schlägen auf  Rückschritt  und  Schranzenwesen  ein  ,  der 
alte  « deutsche  Bund »  fällt  rücklings  um  und  die  Schlaf- 
mütze gleitet  ihm  vom  kahlen  Schädel.  Der  deutsche 
Adler  wird  zu  Frankfurt  a.  M.  nach  langer  Gefangenschaft 
aus  einer  Art  von  Hühnerstall  befreit,  aber  vorsichtig, 
denn  «Meine  Herren  —  aufgepasst!  —  ich  glaube,  er 
beisst » !  Für  die  deutsche  Kaiserkrone  wird  ein  würdig' 
Haupt  gesucht.     Michel    trägt  jetzt   das  altgermanische 

gönf  Siebeölicbec  in  fünf  SaArftunbei-ieii. 


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K.  Slauhrr. 


E.  Itlr. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


89 


1E«r  Etitttl  uiidjit  bie  Stöä)\a  fli«, 
Xcr  ^nfe  jngl  1«!  turö)«  91eDi«, 
64  llopft  b«  3tp(!  i;iit  Mttr  tioiib, 
Xie  ionjl  il)n  Hopilt  on  bri  Sonb. 


/T.  Stauber. 


Bärenfell  wieder  statt  der  bun- 
ten Lappen  um  die  Schultern, 
aus  dem  Träumer  ist  ein  Riese 
geworden,  der  seiner  Kraft 
bewusst  ist.  «  Das  Lichten  des 
Hochwaldes  »  heisst  eines  von 
üyck's  charakteristischsten  Bil- 
dern aus  den  Märztagen  1848. 
Mit  wuchtigen  Axthieben  haut 
hier  der  Repräsentant  der  deut- 
schen Kraft  eine  Bresche  in 
einen  Wald  von  morschen 
Schlagbäumen  und  Grenzpfählen,  einen  Wald,  in  dessen 
Schatten  allerhand  kleinstaatische  Pilze  in  üppigster  Fülle 
gedeihen.  Dahinter  hat  er  die  Reichsfahne  aufgepflanzt 
und  eine  Jakobinermütze  als  Sinnbild  der  Freiheit  auf 
deren  Spitze  gesteckt. 

Viele  Träume  aus  jener  Zeit  hat  die  nächste 
Geschichtsepoche  nicht  erfüllt,  auch  dem  Rausche 
folgte  ein  Katzenjammer.  Sie  hatten  ihre  Erwartungen 
ja  auch  allzu  hoch  gespannt  —  so  sah  z.  B.  Dyck 
schon  das  befreite  Russland  mit  zerbrochenen  Ketten 
dem  stolz  und  mächtig  einher  segelnden  freien  deutschen 
Reiche  entgegenjubeln.  Bekanntlich  ist  es  etwas  anders 
gekommen.  Von  Vielem  hat  unsere  Generation  erst 
Erfüllung  erlebt.  Schon  im  13.  Bande  finden  wir 
Dyck's  Siegesjubel  stark  herabgestimmt.     Er   zeigt   uns 


da  (im  Januar  1851)  Freund  Michel  wieder  in  recht 
schlechten  Verhältnissen. 

« Das  neue  I-ied,  das  neue   Lied 
Von  dem  versoffenen  Pfannenschmied, 
Und  wer  das  neue  Lied  nicht  kann, 
Der  fange  wieder  von  Vorne  an  »    u.  s.  w. 

ist  die  melancholische  Unterschrift.  Michel  sitzt  unthätig 
da  und  neben  ihm  liegt  der  zerbrochene  Reichsapfel,  den 
er  wieder  hätte  zusammenschmieden  sollen.  Sehr  ruinös 
und  spinnenüberzogen  hängt  in  der  Ecke  der  Reichs- 
schild,   die    zerbrochenen   Fenster   der   Hütte  sind   mit 


ednt   ^olbt  Waib  Urjulo  flilrjc  naHai  fflugtS  gum  Ufer  bi 

Xcit^S  unb  fli^t  bit  giaglii^c  ©itUütipn  i^n«  ntiungtloa  WXi 

brtiun  @vtnb<(b(r9CT3. 


013   ct[  iltit^  \itoa   audgttri>dntt   war,    ftanbtn  voSf 
nU  ]4<ucn  UebnRfle  bc<  unglüdCii^  Spinbflbtrgn'S  vtät 
llrfara'ä. 


„Gardez!  ©c^q<^  ber  JRönigini" 


^3(^o(^  bem  fiöttig  unb  matt!" 

C.  H.  Scfimo[:e. 


UchUnheld. 

allerlei  denkwürdigen  Protokollen  verklebt.  Es  ist  wieder 
einmal  nichts  gewesen,  der  «versoffene  Pfannenschmied» 
hat  nichts  fertig  gemacht  und  « Das  neue  Lied »  ist  in 
Wahrheit  das  Alte,  nach  der  alten 
Melodie:  «Und  wer  das  alte  Lied  nicht 
kann,  der  fange  wieder  von  vorne  an ! » 
So  wie  aus  diesem  Bilde  klingt  ehrliche 
Wehmuth  und  verhaltener  Groll  aus  un- 
zähligen  Schildereien  der  «  Fliegenden  y, 
in  den  nächsten  Jahren.  Viel  Noth  und 
Elend  und  Krieg  und  Bitterniss  war 
ringsum  und  das  Amt  des  Humoristen 
mag  anno  dazumal  auch  nicht  das 
Leichteste  gewesen  sein. 

Auch  die  Censur  scheint  unserem 
Blatte  noch  schärfer  auf  die  Finger  ge- 
sehen zu  haben  als  in  vormärzlichen 
Tagen.  Das  hat  übrigens  Veranlassung 
zu  einer  der  köstlichsten  Episoden  ge- 
geben, die  es  zu  verzeichnen  hat.  Um 
die  Mitte  der  Fünfziger  Jahre  sind  die 
«  Fliegenden  Blätter  »     ein  Mal  « in  die 


90 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


%le  M>l|iili>4f<il  k<t  0<9»k 


Frochltch. 


Frochtich. 

Türkei  ausgewandert».  Als  ihnen  die  Confiscationcn 
gar  zu  liäufig  wurden,  erschien  nämlich  das  Blatt  eines 
schönen  Tages  in  türkischem  Gewand  und  an  der  Spitze 
stand  folgende  Erklärung: 

«Da  die  «Fliegenden  Blätter»  in  den  letzten  Monaten 
zu  wiederholten  Malen  hier,  an  dem  Orte  ihres  Erscheinens, 
confiscirt  wurden  und  dadurch  eine  Störung  in  der  regel- 
mässigen Versendung  die  nothwendige  Folge  war,  wird 
die  Verlegung  des  Schauplatzes  der  «  Fliegenden  Blätter » 
in  das  Ausland  unseren  Lesern  hinlänglich  motivirt 
erscheinen. » 

Das  erste  Bild  zeigte  gleich  Meister  C.  Braun  mit 
schwarzlichem  Gesicht  beturbant  im  Bette  liegend,  und 
ein  ebenfalls  beturbanter  Doktor  reicht  ihm  eine  Riesen- 
pille mit  der  Aufschrift  «  Pressgesetz  §§§» .   Keine  einzige 

Figur  in  den  näch- 
*"'"i*  sten  Nummern  er- 

schien in  anderem 
als  türkischem  Ge- 
wände, auch  des 
Staats -Hämorrhi- 
darhius  geheilig- 
ter Person  wurde 
der  Turban  nicht 
erspart,  ja  so- 
gar die  bekannten 

^.$  QtnuV  Qof,  btr  Hit,  f«lt  Acil  ti  uüini  bn^  kUl  ltia<n  X<M  (tmB,  Bann  14  tesaurMic  .Ciht  lbi^\' 

Stelil'. 


Persönchen  auf  dem  Titelkopf  erfreuten  sich  der  gleichen 
Kopfbedeckung. 

Damit   schloss   übrigens   so   ziemlich    die  politische 
Epoche  der  «Fliegenden  Blätter»  ab  und  für  ihre  Ver- 
breitung  war   dies   jedenfalls  gut,    denn   so   Prächtiges 
sie  in  Wort   und  Bild  damals  ihren  Lesern  boten,    der 
Abonnentenrückgang  zeigte,  dass,  vielleicht  gerade  wegen 
der  trüben  Zeiten,  die  Leute  den  Stoff  zum  Lachen  aus 
anderen  Gebieten  geholt  haben  wollten.   Desshalb  freilich 
ging  man  an  den  grossen  weltgeschichtlichen  Ereignissen 
nicht   blind    vorüber.     Der    Bruderkrieg   von   i866   warf 
seine  Schatten  auch  in  diese  Blätter,  in  den  glorreichen 
Jahren   1870  und  1871    trat    der  Ernst    der  Zeit  wieder 
stark  in  den  Vordergrund.    Ein  treffliches  Bild  aus  den 
Tagen  der  Kriegserklärung  trägt  die  Aufschrift  «  L'empire 
c'est  la  paix »   und  zeigt  uns  Napoleon  den  III.  als  Tod, 
der  den  Frieden  des  Grabes  gibt.     Oskar  von  Redwitz 
hat    flammende    Strophen  zu   diesem   Bild    geschrieben. 
Neben    den    Schrecken    des    Krieges    geschieht    freilich 
auch    dem    Humor    des    Krieges    sein    Recht    und    wer 
in    einem  Feldzuge    mitgewesen ,    weiss    wohl  davon   zu 
erzählen ,    wie  überaus  reich  dort  neben  den  Schrecken 
sich   humoristische  Vorfälle    häufen.     Und    als   gar   die 
ersten  Siegesbotschaften  kamen,  als  die  Rothhosen  das 
Laufen  lernten,   als  die  ersten    gefangenen  Turkos   ein- 
trafen ,    als     die     unbesiegbare    Eitelkeit    der   Besiegten 
noch    in    gefälschten  Siegesbotschaften    und  thörichtem 
Phrasenschwall  ihre  Orgien  feierte,  was  gab  es  da  erst  Stoff 
zum  Lachen!  Siegesjubel  und  Viktoriaschiessen,  Truppen- 
einzug,   ein  einiges  Deut.schland,    ein  Kaiser,   erfüllt  die, 
Träume  von  einst!     Wie  wunderbar  hat  A.  Oberländer 
damals  alle  diese  schönen  Dinge  in  ein  Bild  zusammen- 
gefasst,  das    den  alten   Barbarossa    im    Kyffhäuser  dar- 
stellt, wie  er  den  Marmortisch,  um 
den    sein    Bart   gewachsen,   unter 
den  Arm  nimmt,    sich  dehnt  und 
reckt    und    sagt :      «  U  —  u  —  ah  ! 
Meine  Raben  hör'  ich  schon  lang 
nicht  mehr  —    die    waffenschmie- 
denden Zwerge  scheinen  zu  striken 

—  der  Birnbaum  wird  wohl  auch 
seine  Schuldigkeit  thun  —  Invasion 

—  Siegeseinzug  —  Festjungfrauen 

—  und  ein  neuer  Herr  Collega  — 
ich  glaub',  ich  kann  zum 
Rasiren  geh  'n. » 


'lUrtttfllifilK  Vitbt. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


91 


Qün  SicgciuS  in  i«  Srimnt. 


In  den  beiden  Kriegsjahren  hat  sich  als  Zeichner 
der  «Fliegenden»  namentlich  ein  Künstler  hervorgetban, 
der  heute  zwar  noch  immer  einer  der  berühmtesten 
deutschen  Maler  ist,  aber  für  dieses  Blatt  lange  nicht 
mehr  arbeitet  —  Wilhelm  Diez.  Er  hat  Humor, 
sprühendes  Leben  und  schärfste  Charakteristik  immer 
mit  einer  eminent  künstlerischen,  malerischen  Darstellung 
zu  verbinden  gewusst  und  gehört  besonders  in  letzterer 
Beziehung  zu  den  glänzendsten  Erscheinungen  des 
Künstlerkreises ,  von  dem  wir  sprechen.  Jede  seiner 
Illustrationen  aus  Kampfscenen  alter  und  neuer  Zeit 
ist  als  Illustration  meisterlich  und  zugleich  auch  ein 
Kunstwerk  für  sich  allein  gesehen.    Das  ist  das  höchste, 

was  der  Illustrator  geben  kann 
und  also  auch  das ,  was  er 
geben  soll.  Was  er  an  Tem- 
perament besitzt,  ofifenbart  Diez 
in  seinen  mit  unbeschreiblich 
leichtem,  kräftigem  Strich  hin- 
gesetzten Zeichnungen  beinahe 
noch  mehr,  denn  als  Maler,  so 
kräftig  auch  hier  seine  Schilder- 
ung ist,  so  reizvoll  das  Bouquet 
seiner  Farben.  —  —  — 

Zwei  der  berühmtesten  Mit- 
arbeiter der « Fliegenden  »  haben 
einen  Weltruf  und  werden  einen 
Platz  in  der  deutschen  Kunst- 
geschichte für  alle  Zeiten  haben : 
Wilhelm  Busch  und  Adolf 
K.Braun.  Oberländer.  Zwei  urdeutsche 
Menschen ,  so  spezifisch  unser  Eigen ,  dass  wir  auf  sie 
viel  stolzer  sein  dürfen  als  auf  manchen  berühmten 
Maler,  der  im  Grunde  doch  ebenso  gut  in  einem  andern 
Lande  hätte  geboren  sein  können.  Busch  ist  in  seinem 
Wesen  der  Norddeutsche,  Oberländer  der  Süddeutsche; 
Busch's  Humor  geht  oft  an  die  Grenzen  beissender 
Satire ,  er  ist  ein  Choleriker  unter  den  Caricaturen- 
zeichnern  und  nur  seine  sprudelnde  Lustigkeit ,  sein 
unvergleichlicher  künstlerischer  Uebermuth  behüten  ihn 
davor,  dass  er  verletze  —  Oberländer  ist  immer  der 
lachende  Philosoph ;  Busch  ist  ein  Geissler  menschlicher 
Schwächen  im  Allgemeinen  ,  Zeitfragen  gehen  ihn  nur 
in  grösseren  Umrissen  an  —  Oberländer  schreibt  Cultur- 
geschichte  in  Einzeldarstellungen,  man  könnte  mit  seinen 
Zeichnungen  eine  ernsthafte  Geschichte  seiner  Zeit  scherz- 


S8Ü  kfd  ^au^fraurriifrvixl^  Üahabärfttl  au<lfi(^t. 


E.  Fmehäch. 

haft  illustriren  und  ich  glaube,  es  würde  kaum  etwas 
Wesentliches  davon  unillustrirt  bleiben ;  Busch  ist  der 
Humor  in  Dur,  Oberländer  der  Humor  in  Moll ;  Busch 
erzählt  uns  mit  einem  Lachen ,  dem  man  nicht  gram 
sein  kann,  einfach  davon,  wie  curios  die  Kostgänger 
unseres  Herrgotts  auf  der  lieben  Erde  sind,  und  kümmert 
sich  nicht  weiter  um  Grund  und  Ursache  —  Oberländer's 
Humor  geht  psychologisch  tiefer  und  lehrt  uns  die 
Lächerlichkeiten  der  Leute  verstehen;  Wilhelm  Busch's 
hauptsächlichste  Stärke  liegt  in  den  Situationen  — 
Oberländers  Ueberlegenheit  in  der  Charakteristik ;  Busch 
erfindet  —  Oberländer  erklärt ;  Prachtmenschen,  Künstler 
von  Gottes  Gnaden  und  —  Sonderlinge  sind  sie  alle  zwei ! 
Wilhelm  Busch  ist  am  15.  April  1832  zu  Wieden- 
sahl  in  Hannover  geboren.    Ein  Onkel,  der  in  Hannover 


13 


K.  Stauber. 


92 


DIK  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Landgeistliclierwar,  er- 
zog ihn  zunächst ;  Busch 
sollte  Ingenieur  werden 
und  besuchte  volle  vier 
Jahre  die  polytechni- 
sche Schule  in  Hanno- 
ver. Dann  bekam  ihn 
die  Kunst  in  ihren  Bann 
und  er  ging  auf  Aka- 
demien, nach  Düssel- 
dorf, Antwerpen  und  München.  Ende  der  fünfziger  Jahre  der  frommen  Helene  darüber  vergesssen  muss.  Ebenso 
trat  er  zu  « Braun  &  Schneider »  in  Beziehungen  und  er  geht  es  uns,  wenn  uns  zuerst  erzählt  wird,  wie  Meister 
ist  in  der  fröhlichen  Zeitschrift,  von  der  \\ir  hier  reden,  Zwiehl  schwer  geladen  nach  Haus  wandelt,  vor  der 
nicht   nur    als    charmanter   Illustrator  fremder    «Witze»      Hausthür  in's  Regenfass  fällt,  dort  einfriert  und  morgens 

sondern    er  hat  auch 


A'.  liiiiun. 


man  ihre  Trümmer 
rauchen  —  der  Rest 
ist  nicht  mehr  zu  ge- 
brauchen ■» ,  so  ist  die 
Konstatirung    der    Un- 

verwendbarkeit  des 
Restes   eben    so    über- 
wältigend komisch,  dass 
man     jedes     peinliche 
Moment  im  Untergang 


hin  und  wieder  thätig  gewesen 
eine  ganze  Reihe  jener  köst- 
lichen Bilderserien  mit  und  ohne 
Verse  geschaffen,  die  dann  auch 
als  selbständige  Bilderbogen  er- 
schienen und  seinen  Namen  zu- 
nächst populär  machten.  Seine 
bezeichnendste  Liebhaberei  ist 
es  von  jeher  gewesen ,  das 
bitterste  und  verwickeltstc  Miss- 
geschick von  Mensch  und  Thier 
mit  wahrhaft  raffinirter  Grau- 
samkeit, aber  so  naiv  und  ergötzlich  zu  erzählen,  dass 
auch  nicht  das  leiseste  peinliche  Gefühl  die  Nerven  des 

Lesers  und  Beschauers 
durchbebt.  Kein  Bilder- 
bogen, auf  dem  nicht  Je- 
mand gezwickt,  geschnit- 
ten, geprügelt,  gestochen, 
platt    gewalzt    oder    ver- 


S;if  ftiUc  Tleitr  bed  '})tänd)enrt  ^ommtt<tbcnh4 


Sickert. 


tot  von  der  zärtlichen   Gattin   gefunden   wird :     «  Schau, 

schau!»  sprach  sie  in  Schmerz 
versunken  —  der  gute  Zwiehl 
hat  ausgetrunken.  »  Ohne  dies 
«  Schau,  schau !  »  wäre  die  Ge- 
schichte eine  Brutalität  —  so 
ist's  ein  köstlicher  Witz.  Aber 
das  ist  eben  Sache  eines  Meisters, 
die  Kleinigkeiten  zuerrathen, 
auf  die's  ankommt.  Auf  die 
grossen,  breiten  Hauptsachen 
stösst  der  Mittelmässige  auch. 
Wilhelm  Busch's  Bildercyclen ,  die  er  für  die 
«  Fliegenden  »  geschaffen ,  «  Der  hohle  Zahn  » ,  «  Die 
Fliege»,  «Die  bösen  Buben  von  Corinth»,  «Der  Frosch 
und  die  Enten  » ,  « Der  Hahnenkampf» ,  «  Das  Rabennest » , . 
«Der  Schnuller»,  «Die  Rache  des  Elefanten»,  «Die  ge- 
störte Nachtruhe»,  «Abenteuer  in  der  Neujahrsnacht  », 
«Die  kluge  Ratte»,  «Der  zerstreute  Rektor»,  «Müller 
und  Schornsteinfeger»  u.  A.  sind  klassisch  in  ihrer  Art, 
sengt  wird,  erfriert,  ver-  so  oft  später  Andere  sich  im  gleichen  Genre  versuchten, 
brennt,  ertrinkt.  Aber  nie  Er  ist  wahrhaft  unerschöpflich  in  überraschenden  Wend- 
thut    er    dem    Beschauer     ungen ,   im  Ersinnen  der  complicirtestcn  Verwicklungen 

der  wunderlichsten  Verlegenheiten.  Bei  ihm  kommt  ein 
Unglück  nie  allein.  Er  hetzt  seine  Helden  durch  Dutzende 
der  haarsträubendsten  Fatalitäten 
und  nicht  selten  finden  wir  sie  am 
Schlüsse  im  Krankenbett  mit  ver- 
durch  eine  umgeworfene  bundenen  Köpfen  und  vcrpflaster- 
Lampe  verkohlt  und  der  ten  Gesichtern.  Und  mit  welch' 
Dichter  beklagt  das  mit  drolligem  Pathos  bringt  er  als 
den  Worten:    «Hier  sieht      Schlussmoral    dann    recht    banale 


weh.  Die  unübertroffenen 
Zwei-  und  Vierzeiler,  die 
er  dazu  schrieb,  thun  na- 
türlich viel  dazu.  Wenn 
die    « fromme    Helene » 


K.  Slauber, 


DIE  KUNST  UNSERER   ZEIT. 


93 


Sed  (Si^webentSnig«  iStit. 


SBei  ßüjni  im  gelte  um  (äräben  unb  SBoU 
SBaS  jagt  ifit,  benjäl)vtc  ©cftaaten? 

IEJ08  1ct)it>eigt.  (Sefc^üf-   ans  SJüc^jenfnall? 
Stuimlüirbel  unb  Saiiioren? 


9Iiif  Südens  StroSc  bur(5'l  SomufgetoJ, 
Surd)  y3üd)icn=  uiib  üanjengcnjimmel 

Gie^t  mou  gaUppircn  lebig  unb  loS  — 
"Sei  Simti  blutigen  (Sc^immeU 


Slufbvauft  eä  nie  HieertäiticKenton : 
„Set  Sönig  ift  tobt!  bcr  König  !" 

Bon  SJQiaillon  ju  SBatoiUon: 
„auf!  ouil  unb  rädiet  ben  Sbnig:" 

Sodl  ^ält  fte  beä  SaUeä  cntfejiitfi  (Sewii^t 
SKo(f)  feft  gebonnt  in  ben  ?ieif|en  — 

So  griebloiib  unb  SßiccDlomini  fic^l 
Sonn  blinbe  äSut^  nic^t  gebti^e» 


Weisheit  vor,  wie  kostbar  markirt  der  Schalk  in  ihm 
den  getreuen  Eckart,  der  Jung  und  Alt  warnt  vor 
dem  Abgehen  vom  Pfade  der  Tugend.  Und  was  er 
für  ein  feiner  Psychologe  ist  in  seinen  derbsten  Bilder- 
possen !  Wer  sein  viel  zu  wenig  verbreitetes  Gedicht- 
bändchen  «  Kritik  des  Herzens  »  kennt,  wird  sich  darüber 
freilich  nicht  wundern.  In  geistreicherer  Form  ist  eine 
Kritik  des  Herzens  auch  noch  kaum  jemals  geschrieben 
worden  und  er  leiht  ebenso  den  starken  Leidenschaften 
mächtigen  Ausdruck,  als  er  die  kleinen  Schwächen  und 
Unzulänglichkeiten,  deren  Summe  das  ausmacht,  was 
wir  so  im  Allgemeinen  bei  den  Leuten  ihren  Charakter 
nennen,  zu  zeichnen  weiss. 

Was  Busch  ausserhalb  des  Rahmens  der  «Fliegenden» 
geschaffen ,  ist  bekannt  und  wirkt  heute  noch  mit  un- 
verminderter Frische.     Man  kann   die    lustigen  Büchlein 


lesen,  bis  man  sie  auswendig  weiss  und 
auch  dann  noch  weiter:  «Die  fromme 
Helene»,  «Die  Knopptrilogie«,  den 
«Pater  Filuzius»,  den  «Hl.  Antonius 
von  Padua»,  den  «Geburtstag»,  den 
«Haarbeutel»,  «Max  und  Moritz», 
«Dideldum»,  « Balduin  Bählamm,  der 
verhinderte  Dichter  >: ,  « Maler  Klecksel », 
«  Schnurrdiburr  »  ,  «Fips,  der  Affe», 
«  Plisch  und  Plum  »  ,  «  Bilder  zur  Job- 
siade »  u.  s.  w.  Wie  vieler  Menschen 
gesellschaftlicher  Humor  zehrt  von  diesen 
Heften ,  wie  Vieles  daraus  ist  sprich- 
wörtlich geworden,  zu  wie  viel  drol- 
liger Anwendung  hat  das  Alles  Stoff 
gegeben.  Auf  Künstlerfesten  und  Mas- 
kenbällen haben  wir  seine  Gestalten 
wiedergesehen  ,  «  Max  und  Moritz  »  ist 
ganz  wundernett  in  Musik  gesetzt  worden 
und  unzählbar  sind  die  Buschimitationen  ; 
im  gelblichen  Umschlag  mit  dem  schwarz  ■ 
rothen  Druck  gleichen  sie  den  Ur- 
bildern immer  auf's  Haar.  Wer  aber 
auf  den  Umschlag  hereingefallen  ist  und 
weiter  blättert,  wird  meistens  bös  ent- 
täuscht. Auch  in  fremde  Sprachen  ist 
unser  Dichterhumorist  übertragen  wor- 
den —  aber  wer  kann  die  ursprüng- 
liche Frische  von  Wilhelm  Busch's 
Versen  übersetzen  ! 
Es  wurde  gesagt ,  Busch  und  Oberländer  seien 
Sonderlinge,  Sie  sind  es  sicher  insoferne,  als  der  Humor, 
der  aus  ihren  Werken  spricht,  ihrem  persönlichen  Wesen 
absolut  fremd  ist,  als  beide  die  frohe  Kunst,  mit  der 
sie  so  viel  Hunderttausende  ergötzen ,  innerlich  doch 
nicht  als  eine  ganz  würdige  Beschäftigung  ansehen,  und 
im  Grunde  an  dem  unbefriedigten  Sehnen  nach  Idealen 
kranken,  die  ihr  Beruf  nicht  kennt.  Dass  Humoristen 
aller  Branchen  sehr,  sehr  oft  recht  ernsthafte,  grämliche 
Menschen  sein  können,  ist  bekannt.  So  mancher  Komiker 
der  Bühne  enttäuscht  im  Leben  Jeden,  der  ihn  kennen 
lernt,  als  missmuthiger  und  einsilbiger  Mensch,  der 
sich  seinen  Witz  geizig  für  den  Abend  spart  und  das 
Lachen  ist  wie  weggeblasen,  sobald  er  aus  dem  Lampen- 
licht hinter  die  Coulisse  tritt.  Wilhelm  Busch  lebt  heute 
und  zwar  schon  seit  Langem  einsam  in  seinem  Geburtsort 


W.  Dil 


13* 


94 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


UKaflrr  SJprwürtd  iiitb  fein  ^ciiiib  3i$ii(|li;ulier. 


Sjaftlöu^rt;  .0(1,  lodrfjtr  3((iift;l)iim,  ton*  fnQ  bo!  oitielStlb!"  —  5Wr.  >JJonoQrl4 :  „(Sf^orl  31af*  5lf)iitn, 
mein  Srfiinl) ;  31)r  ÖJdoinn  bfi  brt  WimefKiii'Spipfnljrimfr  ibobii."  —  aaüfjllfubtr :  „gjitin  ©eminii  tti  b€c  «iKriflcm. 
i3*i^(ii^fiiit(r  Soljn?  Die  trjl  im  "Droird  iinb  toofai  i4  erft  jmti  Hnitel  atfcftririitd  !'— 3Jtr.  gjocmärt«:  .*B(i^,  Sic 
lob  n'nlhd)  lübtfnb  iinl^iilbig.'  5)i(  Qklcniiftflfl  bm  €«  füt  ib«  3»"*«  "ifloflitl  —  iitibl  wa^r*  —  Si»  HjiflEn  bn«. 
JOt*  lantt  ab»  Stmonb  far  ein  ^atibnnl'^ntmflr  I^ätig  fiiii,  tbrnn  ti  ni4l«  babon  bot,  —  ba«  Irrig  bif  &r\rill6ta\t  a\i^. 
EfKO  mnitt  fte  fäi  6i(  tlluel  lt)un.  Q^a  nun  ab«[  bic  Otjrlll^afl,  tcfp  bie  Spi^n  ber{(Ibfn,  nirclibbi  aui  tigencn 
SRillfln  Ibul,  lo  mug  bn  üonini  unlaiti  —  unb  bo«  ifl  bie  ^o\talaiiit  brt  fltiommun  $ubli!um(  —  bfll  ibrigc 
tbun.  Qkbfn  @it  nc^l !  Vii  3"<4n"ng  bfr  Utiitn  mürben  &it  biiT4  bra  Xirctlor  SRqrrbcnbain  mit  {fbntnulenb  2bitlrnt 
b<lb<iliil.-  —  fflJilbnbtc:  .Od)  ~  mit  |ilitil«n|enb  lljoUtn?  —  itt,  bet  i4  niibl  Ob«  fünf  ISoltt  ju  bilboniint 
iwtßl"  —  OTr.  SJotmärt«;  .Cailfn  Sie  tiiitb  OUSrtben !  dl  ntnrbtn  für  6i(  ((bntouftnb  I^ttl«  afjeitliitet  —  3brt 
«EliW,  loreie  bie  unfttei  otibtreu  Stfnnbt,  trieben  bie  Hflien  bnlb  auf  110  unb  ber  bumme  flroöe  Raufen  taufte  ficft 
kuun.  «un  foniml  ba«  einfodjt  flute  ©rii^üit,  luo«  Sie  gtmai^t  Ijnben,  mein  Srfunb  3bre  Hftien  icurben  ju  110 
betfoiitl  unb  voll*  bie  «^rlidt  uetbiente  l)iHtreni  con  toufmb  Iba'ren.  St^en  6ie,  lieber  SJübl^uber,  ta«  ip  eine  luobnne 
«itrrttnnung  für  cttuitfene  "Birnflf,  bie  brn  uitbt  etTÖt&en  madjt.  bet  Sie  annimml,  unb  beut  ni(^tl  foflet,  itv  |i(  flibt.' 

K.  Brau  IL 

Wiedensahl  bei  seinen  Angehörigen,  züchtet  Bienen  — 
eine  alte  Liebhaberei  —  und  soll  Heiligenbilder  malen. 
Ich  habe  keines  davon  gesehen.  Was  er  im  Dienste 
des  « heiligen  Lachens »  geschaffen ,  genügt  mir  und 
wird  auch  genügen,  seinen  Namen  spätem  Geschlechtern 
lieb  und  werth  zu  machen. 

Adolf  Oberländer  verkörpert  in  seiner  Eigenart 
so  recht  auch  die  Eigenart  des  Blattes,  für  das  er  aus- 
schliesslich lebt,  der  «Fliegenden  Blätter».  Seit  Langem 
hat  er  nur  für  sie  gearbeitet  und  eine  Nummer  der- 
selben,   die  keinen  Ober- 


■.-— ' 


Walor  (fleifll  vom  Vicibe  unb  tritt  itintft  ben  tn  (!*elt*tlUi< 
Pfbtnben  Süeutenonl)  .30.  ?wrr  äteutenont,  mo*  UV  tdt  benn  ba  It««- 
ber  iür  oiit  Sdjlamperei?  —  Da»  nifnn  ber  &ert  Dberfl  fie4l,  *«S 
bei  «noff  Ott  irfl  angfn^^t  «ft.  bo  paRru  Sit  aui.  itia»  3^e  je^dfte^l' 


W.  Die:. 


länder  bringt,  gilt  bei- 
nahe als  keine  ganze 
Nummer.  Es  müssen  jetzt 
so  an  dreissig  Jahre  sein, 
dass  er  die  erste  Zeich- 
nung zu  Caspar  Braun  ge- 
tragen, mit  den  ersten  Ver- 
suchen schon  seine  Eigen- 
thümlichkeit  bestimmt  be- 
■  kündend.  Er  hat  seine 
Art  nie  verändert ,  nur 
welter  entwickelt  und  wer 
die  Bände  des  « Oberlän- 
der -  Albums  » ,  das  seine 
brillantesten  Schöpfungen 
enthält,  durchblättert,  kann 
sich  seinen  ganzen  künst- 


lerischen Lebens- 
gang vor  Augen 
stellen. 

Oberländer  ist  ein 
Bayer,  1845  zu  Re- 
gensburg geboren. 
Schon  in  seinem 
zweiten  Jahre  kam  er 
mit  den  Eltern  nach 
München ,  wurde 
zunächst  dem  kauf- 
männischen Stande 
bestimmt ,  wandte 
aber  seine  Neigung  der  Kunst  zu.  Auf  der  Münchener 
Akademie  hat  er  unter  Piloty  studirt  und  man  sagt, 
die  Historienmalerei  sei  noch  heute  seine  stille  Liebe. 
Im  Uebrigen  hat  er  sich  von  der  ernsten  Kunst  bald 
zu  der  heitern  bekehrt,  in  deren  Reich  er  ein  Fürst 
geworden  ist,  ein  Meister.  Oberländer  ist  ein  Carica- 
turenzeichner,  der  durch  Wahrheit  wirkt ;  es  ist  natürlich 
eine  relative  Wahrheit,  die  sich  nicht  an  das  Gesehene 
halten  kann,  aber  über  das  Maass  des  Denkbaren  auch 
nicht  leicht  hinausgeht.  Das  ist  seine  grösste  Kunst, 
die  Charakteristik  an  die  äusserste  Grenze  der  Natur  zu 
treiben,  diese  aber  nur  um  so  viel  höchstens  zu  über- 
schreiten, als  zu  den  Forderungen  des  Humors  gehört. 
Er  dreht  die  Menschen  nicht  zu  Korkziehern  zusammen, 
wie  der  übermüthige  Busch,  er  lässt  Löwen  und   Tiger 

verdriessliche  und  ver- 
gnügte Gesichter  schnei- 
den, ohne  aus  den 
Ungeheuern  zoologische 
Ungeheuerlichkeiten  zu 
machen.  Seine  Charakter- 
köpfe könnten  fast  durch- 
weg Porträts  sein,  er 
zeichnet  Individuen  und 
keine  Typen.  Darum  ist 
er  immer  neu  und  darum 
unterscheidet  er  sich  auch 
so  himmelweit  von  an- 
deren humoristischen  Illu- 
stratoren. Dass  Ober- 
länder kein  fruchtbarer 
Erfinder  ist,  thut  seinem 
Werth    keinen    Abbruch, 


^n  nnrnfiTfe  Vantv, 


Vnttntanti    ,Sbti,  SRaifTbauer.  ii^  bdtt'  34m  mtbr  V^lung  eor  b<m  SttntU  titgttratit,  tli  kt|  Cr  unnlirt 

Mt  tnir  frftiKint  * 

VbHtt  .Qun  dlnabrn  (err  Hnttmann.  f4au  nl,  tbit  iA  bon  j  ^sal  tan  bin.  b«b'  i4  "if  tAbn  bom  0ab<f 
teit  Qart  abnt^mfR  lafltn  oQiin.  erlauben  i  bcttitfa'ti*.  idi  tann  tnirfliib  nij  bafti  —  aber  idt  1)ab'  liall  \o  lang  b'rani 
tcaitrit  müfjen.  bi<  tc^  bortomnitn  bin.  bag  it  mir  uRIrrbelien  tBiebrr  g'tM(f)t(n  ift!' 


K.  Braun, 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


95 


E.  nie  (in  der  Manier  des  P.  v.  Cornelius'. 

denn  dafür  ist  er  ein  beispiellos  geistreicher  Conimen- 
tator  seiner  Zeit.  Er  ist  das  auch  nicht  zufällig,  son- 
dern aus  bewusstem  Beruf,  er  hat  diese  Auffassung 
von  seinem  Metier  und  diese  Auffassung  offenbart  sich 
in  dem  künstlerischen  Ernste,  mit  dem  er  seine  Arbeit 
thut.  Ich  weiss  nicht,  ob  er  schnell  oder  langsam 
arbeitet,  jedenfalls  aber  geht  er  gewissenhaft  zu  Werke 
und  strebt  immer  die  denkbar  höchste  zeichnerische 
Correktheit  an.  Ein  Abklatsch  der  Wirklichkeit  kann 
eine  Caricatur  ja  nie  sein  —  aber  organisch  ist  eine 
Caricatur  Oberländer's  immer  und  das  bestimmt  eben 
die  Grenze  der  in  der  Caricatur  erreichbaren  Wahrheit. 
Oberländer  hat  wohl  seine  künstlerischen  Speziali- 
täten, das  heisst  Besonderheiten,  in  denen  es  ihm  Keiner 
gleich  thut,  wie  in  der  Thiercaricatur  —  aber  er  ist 
nicht,    wie    die    grosse   Mehrzahl   seiner    Berufsgenossen 


Specialist  für  irgend  ein  ausschliessliches  Stoffgebiet.  Im 
Gegentheil ,  er  ist  universell  wie  kaum  ein  Anderer. 
Keine  Menschenclasse,  deren  Vertreter  er  nicht  schon 
durchgehechelt  hätte,  solche  von  den  Höhen  und  solche 
aus  den  Tiefen.  Er  schildert  den  Vagabunden,  der  die 
Strassen  unsicher  macht  und  auf  Gottes  weiter  Welt 
nichts  ist,  als  ein  —  Zeitgenosse ,  den  Gauner ,  der 
darüber  philosophirt,  wie  zwecklos  es  von  den  Richtern 
war,  ihm  die  « bürgerlichen  Ehrenrechte »  zuzusprechen, 
mit  denen  er  doch  nichts  zu  thun  weiss.  Er  schildert 
mit  ganz  besonderer  Passion  die  feisten  Protzen  mit 
ringgeschmückten  Fingern  und  dicken  Uhrketten,  wie 
sie  auf  dem  Maskenball  sich  langweilen  und  Champagner 
dazu  trinken ,  damit  sich  « die  armen  Schlucker  recht 
ärgern »  ,  oder  wie  sie  sonst  das  Sprüchwort  von 
« Dummheit  und  Stolz »  bethätigen.  Studenten  bei 
lustigen  Streichen  oder  in  bierduseliger  VersumJDfung, 
Bureaukraten ,  Gigerln,  Ellenreiter,  die  von  Pomade 
glänzen ,  dumme ,  pfiffige  und  dummpfiffige  Bauern, 
junge  Hausfrauen,  die  hilflos  vor  den  Bürden  ihres 
neuen  Amtes  stehen.  —  «Tragen  Sie  den  Häring  sofort 
wieder  zurück  zum  Kaufmann !  Sehen  Sie  denn  nicht, 
dass  er  schielt?»  —  Höhere  Töchter  und  Emancipirte, 
Hausknechte,  Börsianer,  Schulmeister,  Juden  und  die 
Clerisei  —  nichts  Menschliches  ist  ihm  fremd!  Die 
Lieutenantsgestalten,  die  er  geschaffen  hat,  sind  gewiss 
die  gelungensten ,  die  jemals  in  den  « Fliegenden  »  zu 
finden    waren, 


trotzdem  An- 
dere vielleicht 
den  Stoff  mit 
mehr  «  Schnei- 
digkeit »     und 

Chic    an- 
fassten.    Adolf 

Oberländer's 
Lieutenant,  der 
sich    zum     er- 
sten   Mal    der 

staunenden 
Erde   im  Inte- 
rimsrock zeigt 

im    wunder- 
schönen Monat 

Mai    —    ich 
glaube,  im  Mai 


Sola  SommetlicS  1866. 


ficijn,  Siblbuni  juf)c! 
Jjcl)  bengtc  meine  Senfe; 
©d)«ict  nic^t:  „»(^  uiib  SScf|!" 
S((ä  inie  bic  ®än(c! 


W.  Dill. 


96 


UIE  KUNST   UNSERER  ZEIT. 


^cr  fiirjfiditigc  3uf|*ehioii^offiji(r. 


„SSoi^traeiflcr,  loovum  fttljt  bet  «Kann  fo  traurig  ba  ?" 


/•'.  Ixissow. 


1886  wurden  für  die  bayerischen  Offiziere  die  Interims- 
röcke eingeführt  — ,  ist  mehr  als  nur  ein  flotter  Sol- 
datentypus, er  ist  eine  ganze  Analyse  der  Lieutenants- 
seelc,  so  voll  beneidenswerther  Selbstgefälligkeit  und 
gutmüthiger  Herablassung,  dass  er  wohl  auch  solche 
zur  Heiterkeit  gezwungen  hat ,  denen  er  vielleicht  zu- 
fällig ähnlich  sah.  Und  wie  harmlos  liebenswürdig  ist 
dabei  seine  Persiflage,  so  gar  nicht  verletzend,  während 


JStXantllti  ttt  Kmittt  ttt  tii\)ttiHt»  ieiU  Ui  itt  NaAtt<6t  ibr«  W^leffmt»  SSnt^tittta. 

CSfKAld  c»n  3fb   3aboii.(b.   eAürn  kt»  M.  9ii  fV» rntnwt. 


%4  >>»1"  \;ouaiin  loU   ati)(btiäii< 

?oit  f)t(Ui>  Otfd)  ID  btiB  jdicbi' 

C   lotidic   ndntciilolt   r<iB(ii! 

£}ic  b^l  Gian  um  10  iit)  btnilblt 

Vault  7iauti|loi  jf^i  in  bn  3*"' 

QO  t(<|lt  bann  b  tau  »ibi  mn  unb  Df€ii 

3|t  Kitnianb  ba,  bn  fid]  iibufint. 

int  UM«  bu  juK  VolK  bUibt? 

^ft  ibr«  Vitb'  uns  ne4  itiMiuK. 

lOtim  ffiinKijlutni  1(in  XUf|in  Ittibl? 


£a<b  <i(in.  cao  lltibol  iH  gciaQl, 

£u  Iditibtl  DO»  bit.  tal|d]c  ffitU: 

&.  (ennit  ^}{i(ninnb  flib  nod)  finbYn 

S3on  butibrnntuniinbbtti^ig  Wann. 

KU  lii'ut,  bri  diu  ftincn  OTllnbeit 

Obt  Vtbfn  niibl  tibolltn  Tonn? 

t(m  IRann .  bti  ibi  V«(ttb'n  snD»at. 

€ti  unln  maintfln  £anf  stJoQll 

icit  mal  ijflubi  Dcn  Dltitbtn,  Stntn. 

Sinn  ^ann  unb  ^tib,  not  Oung  üb  llc 


Andere,  welche  die  klirrenden  Gardehalbgötter  karikiren, 
doch  oft  auch  eine  kleinere  oder  grössere  Dosis  Klassen- 
hass  in  ihre  Arbeit  mischen! 

Die  «  heimlichen  Randzeichnungen  aus  dem  Schreib- 
hefte des  kleinen  Moritz »  gehören  nicht  minder  zu 
Oberländer'«  berühmtesten  Schöpfungen.  Wie  köstlich 
illustrirt  der  freche  lustige  Schlingel  das  Schul-,  Schul- 
jungen- und  Schulmeisterleben,  wie  weiss  er  mit  seinen 
unbehilflichen ,  kindischen  Strichen  doch  so  unfehlbar 
scharf  das  Bezeichnende  zu  treffen !  Viel  Talent  hat  er, 
der  kleine  Moritz  —  wenn  er  so  fortzeichnet,  wird  er 
einmal  ein  grosser  —  Oberländer!  Auch  der  grösseren 
«  Compositionen »  des  Künstlers  sei  hier  nicht  vergessen, 
ganzseitiger  Zeichnungen   mit  vielen  Figuren ,   in  denen 


Set  5aul^«it  iBoOt'  cm  VitO  id)  fingen, 
Do<^  Id6t  (ie  jtlbfl  mir  feine  5R.if)'' 
3t^  fann  iai  Sieb  ntct)t  njeitet  bnngen  - 
2)enn  i(^  —  bin  —  nie!  —  jii  —  fa 


iil  —  iojtt. 


11'.  DU:. 


er  komische  Situationen  aller  Art  beschreibt  mit  ebenso 
grosser  Mannigfaltigkeit  der  Charakteristik  als  über- 
raschend feinem  Sinn  für  Bewegung.  Es  seien  nur  einige 
genannt :  sein  «  Concerlbildhauer  ■» ,  die  entzückende 
Bilderserie  vom  «Viehmarkt  in  Timbuktu»,  «Das  Volk 
steht  auf,  der  Sturm  bricht  los»,  «Resultatlose  Volks- 
versammlung», «Die  erste  Bildersendung  in  Kamerun», 
«  Kritikers  Traum  » ,  « Der  Riesenpatentventilator  » ,  «  Der 
Impfzwang  in  Kamerun »  u.  s.  f. !  Und  Oberländer's 
Thierzeichnungen !  Seine  Löwen  sind  fabelhaft !  So 
der  «  Stossseufzer  aus  Afrika»  —  eine  hungrig  lauernde 
Löwenfamilie  mit  der  Unterschrift :   «Herrgott  noch  ein- 


Sickerl. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT, 


97 


®an}  )(^iuiiiWi(^  toirb  ber  Wraoe. 
55(iftt  auj!  Scjt  tommt  bie  Strafe. 


3)a  ^ilft  fem  fflnnen  unb  fein  ©(^rei'n 
©ie  mufien  unter '§  gn6  hinein. 


li'.  ßujt/i. 


»ioseiicö  unb  bie  böfen  Söuben  »on  SoriutI). 


t\e  böfen  ?3nben  bon  fforinl^. 
©inb  plM  geroaljt,  inic  Rucken  fiitb. 


mal,  schon  bald  halb  zwölf  Uhr  und  noch  kein  Neger!» 
Elefanten  und  Flusspferde,  Giraffen,  Vielhufer  aller  Art, 
Hunde,  Schweine,  Vögel,  ja  selbst  prähistorisches  Saurier- 
gesindel ,  das  hat  er  Alles  oft  gezeichnet  und  mit  so 
drolliger  Mimik  ausgestattet,  dass  sich  jede  «mensch- 
liche »  Empfindung  in  ihren  Mienen  malt  und  doch  ein 
verhältnissmässig  sogar  noch  hoher  Grad  realistischer 
Schilderung  des  Thieres  gewahrt  bleibt.  Sie  lachen 
und  weinen,  sie  sind  übellaunig,  sehnsüchtig,  dumm, 
schlau  ,  schläfrig  oder  boshaft  —  und  doch  ist  jeder 
Strich  naturgeschichtlich  möglich. 

Damit  ist  Adolf  Oberländer's  künstlerisches  Ver- 
mögen noch  nicht  erschöpft.  Er  zieht  sogar  die  Land- 
schaft in  den  Bereich  der  Caricatur,  er  hat,  wie  erwähnt, 
«ine  meisterliche  Serie  « Der  Kuss »  nach  Manieren 
berühmter  moderner  Maler  gefertigt,  ein  förmliches 
culturgeschichtliches  Essay  «  Alt-Athen  und  Isar-Athen  » 
gar    geistreich  gezeichnet  und  noch   so    Vieles    Andere, 


was    hier    nicht     aufgezählt 
werden  kann. 

Oberländer's  Ruf  geht, 
nicht  nur  durch  die  Ver- 
breitung der  « Fliegenden 
Blätter  »  allein,  weit  über  die 
Grenzen  des  deutschen  Vater- 
landes hinaus  und  namentlich 
die  Franzosen  schätzen  ihn 
hoch  —  ja  unter  der  kleinen 

Gruppe  der  deutschen 
Künstler,  die  1889  gelegent- 
lich der  Pariser  Weltaus- 
stellung auf  dem  Marsfelde 
vertreten  war,  hat  er  mit 
seinen  Zeichnungen  —  erin- 
nere ich  mich  recht,  so  war 
der  « Viehmarkt  von  Tim- 
buktu  »  darunter  —  fast  das 
meiste  Aufsehen  gemacht. 
Eine  Medaille  freilich  trug's 
ihm  nicht  ein  —  der  stille, 
verschlossene  Künstler  war 
nicht  der  Mann,  bei  einer 
solchen  Gelegenheit  für  sich 
etwas  herauszuschlagen  und 
in  der  Kunst  gehört  leider 
w.  Busch.  in  solchen  Dingen  das  Klap- 

pern eben  auch  zum  Hand- 
werk. Münchens  Künstlerschaft  schätzt  ihn  als  einen 
ihrer  Besten;  der  «Oberländer- Abend  »  der  «Allotria», 
die  seine  25jährige  Thätigkeit  bei  den  «Fliegenden» 
feierte,  steht  nicht 


nur  auf  dem 
Ehrcnblatt  in  der 
Chronik  dieses 
fröhlichsten  aller 
K  ünstler- Vereine, 
er  wird  auch  wohl 
von  dem  stillen 
Adolf  Oberländer 
selbst  zu  den 
schönsten  Augen- 
blicken seines  an 
glänzenden  Erfol- 
gen reichen  Le- 
bens gezählt. 


Set  ttngc  Scöfo(fcrmeifter. 


SSie  \\i)  bei-  ffuge  S*to((en«cii'ter  finubtiiff  geholfen 
^nt,  mtnn  et  mit  (einev  ©oitin  in  Slicit  geral^en  war, 
unb  bicfe  ibm  bie  Stugen  auStrofe««  wMie. 


F.  SUub. 


98 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


DoUera  §örnertlaiig 

)f  unb  !pulDttba 


„Öercill   mit   SiCflCÖfailß!"  bewegt  sich  auf  dem  Boden  des 

fcpgrli^  Dem  Ijcimhtljrciiilcn  boijtrifdjcii  Kfutt-  Alltagslebens,   aus   dem  er  eine 

grosse  Zahl  sehr  charakteristi- 
scher, lebensvoller  Gestalten  fest- 
gehalten hat.  Am  Geschätztes- 
ten sind  seine  grotesken  Mode- 
bilder, meist  seiner  eigenen  Idee 
entsprungen;  er  pflegt  darin  mit 
viel  Humor  und  Phantasie  das 
Mögliche  und  Unmögliche  aus 
den  entlegensten  Gebieten  zu 
Motiven  für  stilvolle  Toiletten, 
Frisuren  und  Damenhüte  zu  ver- 
wenden und  mancher  seiner  Ein- 
fälle mag  schon  zu  fröhlichen 
Gelegenheiten  in  die  Wirklich- 
keit umgesetzt  worden  sein. 

Ausser  Wilhelm  Diez  haben 
noch  zwei  andere  hervorragende 
Pferde-  und  Soldatenmaler  am 
Werke  der  «  Fliegenden  Blätter» 
Theil:  in  früheren  Jahren  Theo - 
Th.  Horschtit.  dor  H o  r s ch clt  (geboren  1829, 
In  früheren  Jahren  hat  mit  Bechstein  und  Stauber  gestorben  1871)  und  nach  ihm  Ludwig  v.  Nagel, 
zu  den  fruchtbarsten  Mitarbeitern  unseres  Blattes  auch  dem  auch  heute  noch,  was  Charakteristik  und  Individua- 
Emanuel  Spitzer  gehört,  der  mit  sehr  bezeichnenden  lisirung  der  Pferde  betrifft,  kein  anderer  deutsciier 
und  malerisch  gehaltenen  Bildern  zahllose  Witze,  Nove-  Zeichner  das  Wasser  reicht.  Der  früh  verstorbene 
letten  u.  s.  w.  illustrirt  hat.  Spitzer  ist  weiteren  Kreisen  Horschelt  war  ein  genial  angelegter  Künstler,  schöpferisch 
auch  als  anziehender,  an  guten  Einfällen  reicher  Genre-  bis  zum  Unglaublichen, 
maier  bekannt,  der  sich  das  Leben  unserer  Backfischchen  ein  Mann ,  der  alle  zeich- 
zur  besonderen  Domäne  seiner  Kunst  gestaltete.  Durch  nerischen  Schwierigkeiten 
Reproduktionen  sehr  verbreitet  ist  sein  humorvolles  spielend  und  mit  unendlicher 
Familienbild  «  Mama  hat's  Tanzen  erlaubt »  ;  das  Gleiche  Leichtigkeit  des  Striches 
gilt  von  seinen  lustigen  Scenen  aus  der  Töchterschule  und  temperamentvollem  Vor- 
und  aus  Mädchenpensionaten ,  wobei  sich's  stets  um  trag  bewältigte.  Er  ist  viel 
lustigen  Schabernack  handelt ,  den  die  Dämchen  ihren  im  Osten  gereist  und  hat 
gestrengen  Lehrerinnen  und  Directricen  anthun.  In  das  Leben  der  Völker,  die 
jüngster  Zeit  hat  E.  Spitzer  für  den  Verlag  der  «  Kunst  '  auf  dem  Rücken  der  Pferde  » 
unserer  Zeits  die  amüsanten  Zeichnungen  zu  dem  Pracht 


ein  volles  Dritttheil  vom 
Glück  der  Erde  suchen  und 
finden,  in  ungezählten  Zeich- 


werke   «Eva's    Töchter»    gefertigt.     Auch    Ludwig 

Bechstein    zählt   zu    den   Veteranen    der    «Fliegenden 

Blätter»  und   hat    ungefähr  die  respektable  Anzahl  von  nungengeschildert,  war  selbst 

5000    Zeichnungen    für    sie    fertig    gestellt.      Bechstein  ein    leidenschaftlicher  Reiter 

ist   der   Sohn    des    in  der    deutschen  F"amilie    so    wohl  und    hat    grosse    Reisen    im 

gekannten    Märchendichters,  aber   er   selbst   hat    durch-  Sattel  ausgeführt,  auch  orien- 

aus    keine    Neigung    zur    Romantik    und    seine    Kunst  talische  Kriege  mitgemacht. 


A.   Obtrländn. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


99 


/•;.  iiu. 
Von  seinen  Schilderungen  dieses  wilden  Lebens  schaute ;  denn  ein  paar  Monate,  bevor  die  bayerischen 
ist  in  den  «Fliegenden»  mancherlei  zu  finden,  was  Truppen,  den  deutschen  Kronprinzen,  « unsern  Fritz ;. 
sein  Wesen  trefflich  illustrirt.  Eines  seiner  präch-  an  der  Spitze,  durch's  Münchener  Siegesthor  einmar- 
tigsten  Bilder  aber  ist  der  Truppeneinzug  in  München,  schirten,  ist  Horschelt  (am  3.  April  1871)  in  München 
den    er    freilich   nur   mit    den  Augen    der  Phantasie  er-      gestorben.      Das    Bild     erschien,    den    Ereignissen    vor- 


14 


100 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


auseilend,  noch  im  gleichen  Monate  in  den  «Fliegen- 
den», es  ist  Theodor  Horschelt's  letzte  Arbeit  gewesen. 
Die  kurze  Dauer  seiner  Künstlerlauiliahn  ist  um  so 
mehr  zu  beklagen,  als  die  Pferdemalerei,  das  Ver- 
ständniss  der  Künstler  für  Pferde  immer  mehr  nieder- 
geht —  selbst  in  England,  dem  Mutterland  des  Pferde- 
sports, haben  sie  auf  diesem  Gebiete  nur  wenige  her- 
vorragende Kräfte,  und  z.  B.  die  Ehre,  die  ersten  Pferde- 
grössen ,  Derbysieger  u.  s.  w.  im  Bilde  der  Nachwelt 
zu  erhalten,  wird  meist  einem  Deutschen,  dem  in 
München  lebenden  Emil  Adam.  Ein  Pferdekenner, 
Pferdepsycholog  und  Pferdehumorist  ohne  Gleichen  ist, 
wie  gesagt,  Ludwig  v.  Nagel.  Er  ist  wie  Horschelt, 
eine  Ausnahme  von  der  Regel,  dass  Leute,  die  reiten 
können ,  nicht  zu  zeichnen  verstehen  und  Leute ,  die 
Letzteres  thun  können,  das  Erstere  nicht  los  haben. 
Nagel  war  von  jeher  ein  Reitersmann  in  jeder  Faser 
seines  Wesens,  einer  von  Denen,  die  an  keinem  Pferde, 
und  wäre  es  der  abgetriebenste  Sandführergaul,  vorüber- 
gehen können ,  ohne  auf  irgend  Etwas  aufmerksam  zu 
werden,  ohne  irgend  Etwas  zu  lernen,  und  er  hat  darum 
auch  ein  Gedächtniss  für  hippologische  Erscheinungen, 
das  an's  Fabelhafte  grenzt.  Dabei  versteht  er  vom 
Reiter  so  viel  als  vom  Pferde  selbst  und  seine  vielen 
Sport-  und  Reitercaricaturen  wird  wohl  nur  der  voll  zu 
würdigen  wissen,  der  auf  diesem  Gebiete  selbst  etwas 
beschlagen  ist.  Es  genügt  ihm  nicht,  einen  Mann  leid- 
lich richtig  auf  das  betreffende  Pferd  zu  setzen,  sondern 
der  Mann  kommt  bestimmt  so  auf's  Pferd,  wie  er  seiner 
und  des  Pferdes  besonderer  Eigenart  nach  unter  den 
besonderen  Umständen,  die  vorausgesetzt  sind,  im  Sattel 
sitzen  muss.  In  gleicher  Weise  versteht  der  Künstler 
auch  dem  Verhältniss  des  Kutschers  zum  Wagenpferde 
Ausdruck  zu  geben ,  er  kennt  alle  Fehler  und  alle 
Unarten,  alle  Launen  und  Charaktereigenschaften,  Rassen- 
und  Dressurunterschiede  der  Pferde,  und  weiss,  ohne  je  zur 
übertreibenden  Caricatur  überzugehen ,  ihre  Empfind- 
ungen meisterlich  mit  sicheren  Strichen  festzuhalten. 
Welche  Liebe  zur  Sache,  welches  Studium,  welches  unaus- 
gesetzte Beobachten  dazu  gehört,  um  das  zu  erreichen, 
wird  sich  der  gewöhnliche  «  Beobachter  » ,  dem  das  Pferd 
eben  nur  ein  vierbeiniges  Thier  mit  Schweif  und  Mähne 
ist,  schwerlich  vorstellen  können.  Ludwig  v.  Nagel's 
zweite  künstlerische  Specialität  ist  das  Soldatenleben. 
Er  war  ja  selbst  lange  Jahre  Soldat  im  bayerischen 
Heere,  Kürassier  und  Chevauxleger  und  hat  die  beiden 


letzten  Feldzüge  1866  und  1870—71  mitgemacht.  Gerade 
als  Soldat  erprobte  er  zuerst  —  im  Jahre  1861  — 
sein  grosses  Talent  für  das  Hippologische  und  gab 
«Skizzen  für  Reiter»  heraus,  welche  die  lehrreichste  An- 
schaulichkeit mit  der  grössten  kün.stlerischen  Korrekt- 
heit verbanden  und  geradezu  Epoche  machten.  Sie 
lenkten  auch  Ernest  Meissonier's  Aufmerksamkeit  auf 
den  künstlerisch  angelegten  Reitersmann,  der  damals 
in  Landshut  Kürassier  war  und  der  grosse  Franzose 
hätte    den  bayerischen    Lieutenant    gern    zum    Schüler 


F.  Slmb. 

genommen  —  später  ist  der  grosse  Franzose  be- 
kanntlich ein  kleiner  Chauvin  geworden  und  hat  wohl 
keinen  deutschen  Cavalleristen  mehr  in  sein  Atelier 
eingeladen. 

Das  Soldatenleben  und  insonderheit  das  bei  denen 
von  der  Cavallerie  hat  Ludwig  v.  Nagel,  der  heute  nicht 
mehr  in  aktivem  Dienst  ist,  aber  auch  von  militärischer 
Seite  als  Pferdeverständiger  vielfach  zu  Rathe  gezogen 
wird,  zeichnerisch  in  allen  seinen  Details  geschildert, 
mit  köstlichem  Realismus  geschildert,  der  sogar  manchen 
standesstolzen  Mann  hie  und  da  verschnupft  haben  mag. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


101 


Aber  Nagel  sieht  eben  auch  im  Soldaten  als  echter 
Künstler  nicht  die  Exerziermaschine,  sondern  das  Indi- 
viduum, den  Menschen  und  man  sieht  bekanntlich  die 
Menschen ,  besonders  wenn  sie  zu  Pferde  sitzen ,  oft 
recht  —  menschlich,  selbst  wenn  sie's  bis  zum  Stabs- 
offiziersrang gebracht  haben.  Ob  er  nun  Typen  aus  der 
Reitschule,    aus  den  Manövern   oder  vom  Exerzierplatz 


nur  Arbeiten  Anderer  dagegen  zu  halten  und  man  wird 
sehen,  wie  sehr  die  meisten  Anderen  verallgemeinern 
und  sich  mit  Schablonen  helfen.  Sein  Humor  ist  von 
liebenswürdigster  und  fröhlichster  Art,  und  wer  Gelegen- 
heit hatte,  an  anderer  Stelle  Porträtcaricaturen  und 
ähnliche  Produkte  seines  Stifts  aus  frohen  Stunden  zu 
sehen,    der  weiss,  wie  vielseitig  diese  humoristische  Be- 


lEöiHliOuf 


bringt,  immer  ist  er  gleich  echt,  gleich  humoristisch 
und  gleich  exakt  —  exakt  bis  auf  die  letzte  Schnalle 
am  Kopfzeug  des  Gauls.  Sonntagsreiter ,  Pferdejuden, 
Pferdeschinder  hat  er  natürlich  mit  gleicher  Kunst  in 
zahllosen  Varianten  abconterfeit  wie  die  dreijährig  unfrei- 
willigen und  die  einjährig  freiwilligen  Centauren  Seiner 
Majestät.  Um  zu  erkennen,  wie  originell  und  wie  wahr 
Nagel    in    seinen   Pferdezeichnungen    ist,     braucht   man 


gabung  thätig  ist.  Ein  bei  Braun  &  Schneider  erschienenes 
«  Nagel- Album  j  bringt  in  i6i  Bildern  einen  Theil  der 
besten  Beiträge  des  Künstlers  für  die  Münchener  Bilder- 
bogen und  die  «  F"liegenden  Blätter». 

Wie  auch  auf  manchem  anderen  Gebiete  Missstände 
und  Auswüchse  am  schnellsten  dadurch  zur  Beseitigung 
kommen,  dass  der  frische  Luftzug  der  Oeffenthchkeit 
d'rüber  hinstreicht,  so  hat  auch  in  militärischen  Dingen 


14* 


102 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


Kenini: 


Ittanim,  wcini  mij-'s  flm  da^  tjclang, 
'•^■^   Jl^il  T>ir.  nipi"  tipb,  in  fcfcn, 
träum'  id)  oft  gansc  nä*to  lang 
Don  nldlls,  als  mißfii  HojiMi  ? 


!ln^    —   ffll'  i^^)  irilbi-   Jlolcn  an, 
ITo  idl  am  Cai}^  afbc, 
iPic  romtnl  CS,   IHäM'cn,   bai  idl  fann 
tie  Xlaim  im  Craum  T>id>  Wie  P 


Nagel's  satirischer  Stift 
wohl  schon  manchen 
Unfug  aus  der  Welt 
geschafft.  Wenigstens 
sagte  ihm  einst  ein 
hoher  Militär,  Nagel's 
Soldatenbilder  in  den 
«c  Fliegenden  t>  hätten 
ihm     in     Sachen     von 

Modeextravaganzen 
schon  oft  ein  Reskript 
gespart.  Wenn  irgend 
eine  von  jenen  Thor- 
heiten ,  welche  die 
Uniformschneider  zum 
Besten  ihrer  Kasse  er- 
finden, allzu  bunt  in's 
Kraut  schiesse,  dann 
bringe  sie  der  Künstler 
schon  in  die  « Fliegen- 
den »  und    eine   solche 


H.  Schneider. 

Fest-Nagelung  verfehle  ihre  Wirkung  nie. 

Seit  bald  30 Jahren  hat  auch  Hermann  Schneider, 
der  jüngere  Bruder  des  jetzigen  Verlegers  mitgezeichnet 
an  den  Illustrationen  des  Centralorgans  für  deutschen 
Humor,  bald  fröhlich  Witze  illustrirend,  bald  romantische 
Compositionen,  zierliche  Vignetten  und  Anderes  beitragend. 
Schöne  Frauengestalten,  Mädchen  mit  dunklen  schwärme- 
rischen Augen,  stellt  er  besonders  gerne  dar,  wie  er  auch 
als  Maler  der  Frauenschönheit  fast  in  jedem  Bilde  seine 
Huldigung  zu  bringen  pflegt.  Einige  seiner  schönsten 
Arbeiten  hat  Hermann  Schneider  als  Begleitbilder  zu 
romantischen  Dichtungen  geliefert,  reizend  und  ausser- 
ordentlich charakteristisch  ist  eine  Serie  kleiner  zeich- 
nerischer Momentaufnahmen:  «Der  Ball».  Er  hat  als 
Historienmaler  einen  weithin  geschätzten  Namen  und 
seine  Bilder  sind  in  den  letzten  Jahren  meist  auf  der 
Staffelei  schon  Eigenthum  verschiedener  Kunstfreunde, 
■die  sich  an  seiner  heiteren  Schönheitsfreude,  an  der 
warmblütigen  Lebendigkeit  seiner  Darstellungen  aus  dem 
klassischen  Alterthum  begeistern.  Hermann  Schneider 
ist  1846  zu  München  geboren,  war  von  1866 — 1867  bei 
Piloty  und  hielt  sich  dann  lange  in  Italien  auf.  Zunächst 
schuf  er  nach  seiner  Rückkehr  mehrere  Historienbilder 
grossen  Stils,  Costümbilder  schöner  Frauen  u.  s.  w.  Im 
letzten  Dezennium  hat  er  sich   mit  besonderer  Vorliebe 


£0«  Stiel. 


althellenischem  und  römischem  Leben  zugewandt  und 
aus  diesem  Felde  sprossten  wohl  auch  die  feinsten  und 
originellsten  Blüthen  seiner  Kunst,  «Tanzstunden  im 
Bacchustempel»,  «Frühlingsfest»,  «  Die  Nachtigall  »  und 
vieles  Andere.  Die  ausserordentlich  künstlerische  Weit- 
sichtigkeit, welche  die  Leitung  der  «Fliegenden  Blätter» 
heute  auszeichnet,  welche  das  absolut  Moderne  neben 
dem  behäbigen  Alten  frei  sich  entfalten  lässt,  sofern  es 
nur  gut  ist,  mag  nicht  zum  geringen  Theile  sein  Ver- 
dienst sein.  Er  steht  —  und  das  ist  heute  in  München 
eine  Seltenheit  —  allem  künstlerischen  Parteiwesen  ferne 
und  sucht  und  findet  das  Gute,  wo  es  eben  zu  suchen 
und  zu  finden  ist.  In  den  allerletzten  Jahren  liegt  eine 
so  schwere  redaktionelle  Bürde  auf  Hermann  Schneider's 
Schultern ,  dass  er  als  Maler  fast  nur  mehr  in  Musse- 
stunden  zum  Schaffen  kommt  in  dem  prächtigen  Atelier, 
das  ihm  im  Neu- 
bau hinter  dem 
Schiller-Denkmal 
an  der  Brienner- 
strasse     errichtet 

ist.  Hermann 
Schneider  geht 
als  Maler,  weder 
von  Traditionen, 
noch  von  moder- 
nen Schlagwör- 
tern beirrt,  ruhig 
seine  Wege ,  er 
hält  auf  Compo- 
sition  und  strenge 
Zeichnung,  ohne 
ein  Akademiker 
zu  sein,  er  malt 
—  ja  sogar  mit 
besonderer  Vor- 
liebe —  hell,  oft 
weiss  auf  weiss 
und  ist  nichts  we- 
niger als  ein  dog- 
matischer Pleinai- 
rist.  Jedes  junge 
Talent,  das  sich 
mit  Erstlingsar- 
beiten den  «  Flie- 
genden »  naht,  hat 


>)!id)l  unter  ©leiiigtroörboi,  bi«  ©olltS  2i(f»(  wrbtrgtn, 
"Rii^t  in  bt«  ®omt4  flttujjang,  umringt  ooil  Seii^cnjärgtn, 
Unb  mo  mit  ^runtgtroänbtrn  jui  Si^au  bit  5)ltng<  jit^l, 
OuiUt  auä  btä  ^trjtnä  Sitftn  Stau«,  üti,  9tM. 
Dort,  reo  bur(^  Suditntrontn  unb  bur(^  bit  5<Uifl'n  ßii^n 
(S)t6fimni6i!Dn  bit  Süftt  mit  lel|en  aflügtln  firtic^tn, 
fflo  ouä  ben  SJIiitStnöfitn  btr  Sang  btr  S85gt(  MaBt, 
Eorl  i(l  tä,  100  idj  btit  —   mtin  Zmpti  i(i  in  2Salb. 
Do  ^audjt'ä  btr  Siebtn  1Uf)t,  ba  tonn  ii)  0ott  fugrtifoi, 
ffltnn  meint  Itunt'ntn  Slittt  imi)  (tine  Serfe  [Irtifen. 
2)0  bot'  \ii  (eine  ÜBorle,  ba  It('  ic^  (eint  S*riftcn 
■Jluj  buntgefe^müdlet  gibt  unb  in  ben  blouen  üüften; 
Sa  (le^t  fein  gto^et  %tmpt\  auf  unfii^tbartn  SSultn, 
3)0  borf  ^n  61|rifl,  btr  ^eib,  btr  lürf  unb  3ub<  UKihn» 
35a  bütjtn  aUe  bettti,  menn'»  nur  im  Jietjtn  flommt, 
33tmi  an«  ÜKtnjöJen  fflotec  übt  |elb|i  boS  ^>ii«(tetaiiit 

.'.  Waller. 


l'iioi.  V.  Uuiif.taeugl,  .Müntlien. 


Wilhelm   Busch. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


103 


ll»fr«|f. 


®cv  crgebcn[t  Uiilftieic^nele  tvlüubl  jid)  au  bie  ifitbaction 
fcft  Sücgenbcn  SlalUr  mit  bet  2*i(te  *ju  loenben ,  i^m  genau 
bie  ©CQfnb  bcjfirfjntu  ju  loollcn,  wo  fu^  bic  tolD[(alen  5Säunic 
fctfinbcn,  bic  iu  bet  legten  ^iummer  ber  Sliegcnbcn  Slrttter  (ju 
fcm  ®tbi((|te :  „S)aä  ©ebel")  nlijebilbel  roartn. 

^?etcr  Sertrümmetlf, 
^olj^Gnbler    au^   ^11  b^oljingtn. 

F.  Simb. 


in  ihm  einen  wohlwol- 
lenden Förderer,  und 
wenn  es  sich  als  echt 
erwies  und  die  Erfolge 
kamen,  einen  offenen, 
neid-  und  rückhalts- 
losen Bewunderer  ge- 
funden. Auf's  Jahr  so 
alt  wie  er  ist  Edmund 
Harburger  und  hat 
wohl  ungefähr  ebenso 
lange  dem  gleichen 
Werke  seine  Kraft  ge- 
weiht. Er  hatte  sich 
zuerst  dem  Baufach  ge- 
widmet und  erst  im  20. 
Jahre,  zunächst  unter 
der  Leitung  W.  Lindenschmit's  der  Malerei.  Die  alten 
Niederländer  Kleinmaler  haben  es  ihm  besonders  ange- 
than;  auch  er  malt  in  gleicher  Art  wie  sie  fast  aus- 
schliesslich Kneipenscenen  oder  Darstellungen  aus  dem 
Leben  kleiner  Leute.  Eine  eminente  Zartheit  und  Ge- 
schicklichkeit der  Mache,  welche  den  « Reiz  der  Tafel » 
jedem  Geviertzoll  seiner  Bildchen  wahrt,  zeichnet  ihn 
aus,  zeichnerische  Sicherheit  und  charakterisirende  Kraft, 
die  ihres  Gleichen  suchen.  Diese  nie  fehlende  Sicherheit 
und  Kraft  der  Charakteristik  sind  in  hervorragendem 
Masse  den  zahllosen  Illustrationen  eigen,  die  er  für  die 
«Fliegenden  Blätter»  beigesteuert  hat.  Auch  von  ihm 
kann  man  behaupten,  was  von  den  Arbeiten  W.  Diez' 
gesagt  wurde,  jede  ist  ein  Kunstwerk,  ein  Bild  für  sich, 
auch  ohne  die  beigedruckte  lustige  Erläuterung.  Denn 
er    hat    uns  über 


pathisch  ist  dabei  seine  Bleistiftmanier,  die  von  den 
Holzschneidern  der  «Fliegenden  .Blätter»  ganz  über- 
raschend treu  nachgebildet  wird !  Heute,  seit  Diez  nicht 
mehr  mitthut,  sind  seine  Beiträge  fast  die  malerischsten 
in  diesen  Spalten, 
jedenfalls  aber  die, 
deren  malerischer 
Werth  von  den 
meisten  Beschau- 
ern voll  verstan- 
den wird.  Feucht- 
fröhlicheBacchus- 
knechte  von jeden 
möglichen  Schat- 
tirungen  zeichnet 
er  am  Liebsten 
und  an  Stoff  dazu 
hat  es  ihm  auch 
nie  gefehlt,  denn 
im  Banne  des  Al- 
kohols liefert  der 
Mensch  bekannt- 
lich die  allermei- 
sten unfreiwilli- 
gen Beiträge  für 
die  «  Fliegenden » 
und  die  Witz- 
blätter anderen 
Schlages.  Für 
Einen,    der  seine 

Modelle   so  scharf  auf's  Korn  zu  nehmen  versteht,    wie 
Edmund  Harburger,  ist  dies  Specialfach  an  Anregung  ein- 
fach   unerschöpf- 


die  Menschen,  die 
er  darstellt,  soviel 
zu  sagen,  er  trifft 
fast  immer  damit 
irgend  ein  be- 
denkliches Stück 
Menschlichkeit.so 
zum  Sprechen  ge- 
nau, dass  uns  das 
für  sich  allein  hin- 
reichend unter- 
hält. Und  wie  ma- 
lerisch  und  sym- 


Stltint  Sliffertnj. 


W^' 

#■1^ 


■^Sittbtlionblet:  „JßiHfl  Tu  ein  ~iM«!>  loufen,  Bouet?"  -  Sauer:  „3o,  ''  mä<tl>'  iitii)  o'  ^ot  (latl'ii."  — 
<D|<ibe4änblti:  .Sit  oiel  luiUfl  3)u  'Eit'3  tofteu  laffen?"  —  Säauer:  „ijünj  I^aler  füv'ä  ©türt!"  --  '(Jfetbe^oilblet: 
.30ei61  2)'  looä,  SBauii,  leg'  wcd)  einen  XfyAtr  b'rnuj  —   mäj^ia  ttiegj  S'  iod)  gleid)  roaä  otbfntli(^eä!" 


lieh.  Da  stellt  er 
uns  den  Lumpen 
vor,  der  behaup- 
tet, seinen  Feind, 
den  Alkohol,  nur 
deshalb  zu  lieben, 
weil  das  Christen- 
thum  die  Liebe 
der  Feinde  nun 
einmal  gebeut,  da 
lässt  er  uns  die 
Choleriker,  die 
Phlegmatiker,  die 


104 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


3n  tcc  «BititoKe. 


Sanguiniker  und  die 
Melancholiker  des 
Fusels,   des  Weins, 

oder   des  Bieres 
sehen ;     der    trunk- 

feste  Musensohn, 
dessen  ganzes  Tag- 
werkein prolongirter 
Frühschoppen  ist, 
wird  mit  gewisser 
Vorliebe  aufgezeigt. 
Auch  ein  famoser 
Bauernschilderer  ist 
Harburger  in  seiner 
kostbaren,  unerbitt- 
lichenCharakteristik. 
Er  kennt  den  Bauern 
nicht  als  den  Helden 
romantischer  Volks- 
stücke, sondern  als 
den  verschmitzten,  pfiffigen  und  oft  beschränkten  Bieder- 
mann ,  der  sich  mit  merkwürdigem  Ungeschick  in  alle 
Lagen  des  Lebens  hineinbegibt  und  mit  ebenso  merk- 
würdiger Unverfrorenheit  und  Zähigkeit  wieder  heraus 
arbeitet,  der  heute  mit  der  Spannung  eines  Entdeckungs- 
reisenden eine  Stunde  weit  auf  der  Eisenbahn  in  die 
Stadt  fährt  und  morgen  mit  nicht  grösserem  Herzklopfen, 
wenn  es  die  Umstände  verlangen,  sich  in  seine  Coupe- 
ecke drückt,  um  « auf  Buffalo  hinteri »  zu  reisen.  Eine 
Menschengattung,  die  Harburger's  Bleistift  ganz  speziell 
gehört,  sind  die  —  Protzen.  Die  hat  —  vor  Allem 
die  Münchener  Exemplare  der  zarten  Gattung  —  noch 
keiner  so  naturtreu  conterfeit  wie  er.    Jedes  dieser  auf- 


.Sttfe'Be  'niolbeäSillditbo'niner,  »o  „piano"  brnfffle^tl' 

F.  Steub. 


gedunsenen  Biergesichter  ist  eine  vollendete  Satire  auf 
Parvenuethum,  Gelddünkel,  Engherzigkeit,  Dummheit, 
Gemüthsarmuth  und  brutale  Genusssucht,  aus  welchen 
sechs  hübschen  Charaktereigenschaften  sich  der  Begriff 
eines  Protzen  zusammensetzt.  Bekanntlich  bezeichnet 
der  Bayer  mit  dem  Worte  «  Protz  j  auch  die  Kröte,  und 
der  Name  des  plumpen ,  vielgehassten  und  ekelhaften 
Thieres  als  Spotttitel  für  jene  auserlesenen  Menschen- 
bilder ist  wunderbar  passend.  Harburger  hat  freilich 
noch  hunderterlei  andere  Meisterstücke  der  Schöpfung 
in  den  « Fliegenden  Blättern »  verewigt ,  groteske  Vir- 
tuosen, überfeine  Aristokratinnen,  magere  Diurnisten  und 
fette  Diener  Gottes,  eckige  Gelehrte  und  runde  Börsianer 


(Slu?  Dem  Et^rnb^tfte  i)tS  tleintn  aSorif.) 


„6in  leinet  S^or,  Surf)  TOitltib  reiiltnti." 


—  die  letzteren  ganz  exquisit  fein  —  Kahlköpfe  und 
Langmähner,  Kraft-  und  Erbadelige,  Backfische,  Dienst- 
mädeln, Handlungsreisende,  Geizhälse  und  Bettler  und 
wer  weiss  was  sonst  noch  Alles  I 

Vor  ein  paar  Jahren  ist  in  seinem 
Gebu rtsort Partenkirchen  Ferdinand 
Barth  gestorben,  dem  die  «Flie- 
genden »  einige  ihrer  schönsten  roman- 
tischen Bilder  verdanken,  Zeich- 
nungen zu  Liedern  Karl  Stieler's,  wie 
« Luftschlösser»,   «  Minnefahrt » . 

Barth  (geb.  ii.  Nov.  1842)  hat  zu- 
nächst  in  Nürnberg  bei  Kreling  ge- 
lernt, später  kam  er  zu  Piloty  nach 
München     und     darf    auch     Kaspar 
^p_^.,j>-,  Braun's    Schüler     genannt    werden. 

-'"^^  Als  Lehrer  an    der    Akademie    und 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


105 


Professor  an  der  Kunstgewerbeschule  hat  Barth  viel 
wohlthätigen  Einfluss  geübt.  Er  ^hatte  eine  eminente 
Begabung  für  leicht  stilisirende,  edle  dekorative  Kunst. 
Manche  Aehnlichkeit  mit  seiner  Art  hat  Carl  Gehrts, 
der  gleichfalls  zu  romantischen,  farbenreichen  Dichtungen 
viel  stilgemässen,  sinnigen  Bilderschmuck  geliefert  hat 
und  noch  liefert. 

Ein  Künstler ,  dessen  Thätigkeit  wir  bedeutend 
weiter  oben  schon  würdigen  konnten,  der  aber  auch 
unter  den  heutigen  Mitarbeitern  der  «  Fliegenden  Blätter » 
mit  ebensolchem  Recht  zu  nennen  ist,  ist  Fritz  Steub, 
welcher  der  Zahl  seiner  Beiträge  nach  wohl  nur  von 
Stauber  übertrofifen  wird  und  zugleich  zu  den  beliebtesten 
Kräften  dieser  auserlesenen  Schaar  zählen  dürfte.  Eine 
hervorragende  vis   comica    eint  er  mit  überaus  scharfer 

»in  uiibeitiufttfr  «((Httiftr. 


ftitrtnbt  Seiti^tn. 


•Jl  u  1 1 1 1)  i  r 

I    S',    i'    m 

dufg'ljängt  i»  oii  öer  ©aiiö. ' 


.      ,      ,  )'•«)«  "rttuljun,    -    Bos  ifl  fliciigilttii  wrboltnl-    -    SSouef     ffiit. 


F.  Steub. 


Naturbeobachtung  und  gehört  gleichfalls  zu  jenen  Cari- 
caturenzeichnern,  die  nie  weit  über  das  Mögliche  über- 
treiben. Er  zeichnet  die  Komiker  aller  Menschen- 
classen,  aber  mit  ganz  besonderem  Glück  und  Geschick 
die  Bauernwelt ;  die  tollste  sinnverwirrende  Lebendigkeit 
weiss  er  in  Massenscenen  zu  legen  und  Kirchweih- 
prügeleien ,  Hinauswurfscenen  hat  kaum  Einer  mit 
so  drastischem ,  lachenförderndem  Humor  geschildert, 
wie  er.  Wie  köstlich  ist  jene  Gruppe  sich  balgender 
Landbewohner,  die  über  den  Frieden  stiftenden  Wirth 
hergefallen  sind,  und  ihn  bedrängen,  bis  dieser  geistes- 
gegenwärtig sich  mit  dem  Rufe  Luft  schafft :  «  Feierabend, 
meine  Herren!»  Oder  jene  andere  Bauerngesellschaft, 
die  bei  plötzlich  entstandenem  Glatteis  dem  Wirthe  mit 


Somit  3^c  noc^  |o  [pöt  baä  'Itua'  cnl. 

jitlt, 
Sctt.  2enj  im  SBinlcr  l)or  bic  Seele  rüt!f, 
§at  moti   aus  milbem  Xieib^ouä  @udj 

genommen 
UnS  lä^l  Eu$  5i"  '"  ©if)"«  ""*i  ®iS 
Ucrlomtnen. 


0  aefit  mit  mir,  ein  !)iläj(ein  gei    iii) 

?In  Sefiäteil  (luf  Stben   teinem   gltii^, 
3i^   bell'  gu(S   roarm   imb  rotiii6,.35t 

Xiefbetriibten, 
3m  |)immel,   Ott  b(t  Stuft   bei:  fy\\' 
geliebten. 
«.  ». 


den  Köpfen  die  Freitreppe  vor  der  Hausthür  demolirt! 
Die  schlichte ,  breite ,  malerische  Stiftführung ,  wie  sie 
Steub  gewohnt  ist ,  eignet  sich  vorzüglich  für  seine 
Specialitäten  —  eine  besonders  scharf  pointirte  und 
von  Weitem  schon  erkennbare  Manier  hat  er  sich  nie 
ausgedacht,  sondern  er  ist  auch  in  der  Technik  immer 
einfach  und  natürlich  gewesen. 
Die  nur  einiger- 


massen  eingehende 
Charakterisirung  al- 
ler Künstler,  welche 

vordem  für  die 
«Fliegenden  Blätter » 
thätig  waren ,  ver- 
stattet der  Raum 
leider  nicht ,  kaum 
alle  Namen  werden 
wir  aufzählen  kön- 
nen. Aus  der  älte- 
ren Zeit  sind  noch 
nachzutragen ;  R  e  i  n- 


matfefrl^aftc  3n|il)tift. 


K.  Staubtr. 


106 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


hardt,  K.  Fröhlicli,  F.  M.Heil,  Franz  Seitz,  Aug. 
Löffler,  Feodor  Dictz,  F.  Schröder,  Fr.  Los- 
sow,  J.  Watter,  H.  Schaumann,  A.  Adamo, 
Weigand,  L.  Sckell,  Engel,  Kleinmichei  u.  A. 
Vereinzelte  Beiträge  sind  zu  finden  von  G.  Papperitz, 

dem    flotten  Por- 
Gambrinns  (Jan*)  I).  trätisten  und  Hi- 

storienmaler, von 
dem  jetzt  so  un- 
glaublich populär 

gewordenen 
C.  W.  A  1 1  e  r  s , 
von  der  feinsinni- 
gen Blumenmale- 
rin Olga  Weiss, 
die  auch  naiv- 
drollige Carica- 
turen    gezeichnet 

hat ,    allerhand 
hübsch   erdachte, 
geschmackvolle 
Landschaften  von 
Berlepsch,  die 
schönen ,      heroi- 
schen Landschaf- 
ten    von    Ferd. 
K  n  a  b  ,    der    na- 
mentlich  zu    Ge- 
dichten    Hermann     Lingg's     melancholisch     gestimmte, 
poesievolle  Stimmungslandschäftlein  entwarf.    Wie  geist- 
voll     componirt, 


(•fruiilt  tti  Sttlii. 


von  welch'  zier- 
licher Filigran- 
arbeit waren 
K  n  o  11 '  s  origi- 
nelle, wie  endlos- 
hohe Tafelauf- 
sätze aufgebaute 
Compositionen, 
wie  lustig  und 
lebendig  Ernst 
Retemeyer's 

phantastische, 
figurenreiche  Bil- 
der.   Auch  Con- 
rad Beckmann  , 


Fritz  G  e  h  r  t  s  , 
Alfr.  Schmidt 
haben  Verein- 
zeltes und  zwar 
recht  Gutes  bei- 
gesteuert. 

Eine  Zeit  lang 
gehörte  auch 

Franz  Stuck 
dem  Kreise  an, 
ein  junger  Künst- 
ler, der  heute  zu 

des  malenden 
Jungdeutschlands 
ersten  Sternen 
zählt,  eine  Reihe 
goldener  Medail- 
len errang  und, 
so  wenig  Rück- 
sicht er  in  seiner 
Kunst  auf  die 
grosse  Menge 
nimmt,  fast  Alles 
verkauft,   was   er 

malt  —  das  verdient  nämlich  bei  einem  jungen  deut- 
schen Maler  heutzutage  ganz  besonders  erwähnt  «u 
werden.  Stuck's  Talent  hat  sich  aus  dem  Kunstgewerb- 
lichen entwickelt.  Das  erste  Aufsehen  erregte  er  durch 
zahlreiche  ebenso  geistvoll  als  wirksam  concipirte  Blätter 
für  Gerlach  s  Werk  <  Allegorien  und  Embleme».    Heute 

übt  er  jede  Kunst. 

Verschiedene 
grössere      Bilder, 
wie    « Der    Hüter 
des    Paradieses », 

«  Lucifer  »  , 
«  Pieta »  ,  «  Kreu- 
zigung »  —  und 
zahllose  kleineGe- 
mälde  aus  einem 
ähnlichen  Vorstel- 
lungskreis, wie  ihn 
Meister  Arnold 
Böcklin  für  seine 

Schöpfungen 
liebt ,    haben    in 


,2Bit  roartn  ©U  benn  mif  btr  grllngtri  Irftbjagb  (ufrub<n,  ^fat 
t>c^^  ültpft*'  -  ,9Iun..ft(  loat  jcatu  ni*  üUi,  ob«  ©tt  (oQlen  tin- 
mal  bti  un9  am  jt^en  ;  Da  lointnfn  bu  S;}a\tn  o\\  jo  mafj(nlK>f  ah* 
Ittuinl.  6a6  fflon  |ir  trft  Dom  ^Itist^tlduf  V^x'^rtoil'^'t  ^^^^  «m 
itu[   )if(fn   ju   lonntn!" 


aö  @inem  ftcnt^titagc  pnffiren  fanti. 


tomn  mon  om  S9Q^ti^otp(a^  letnem  ^unb  pfeift 


/..  »'.  Nagel. 


V    voti   Lciili.iclt  i'iiix. 


rhot.    ¥     H;iiiSt;»eiij,'l,   Mum-hcii- 


Ad.    Oberländer. 


DIK  KUNST  UNSERER  ZEIT, 


107 


aller  Welt  glänzende  Erfolge  errungen.  Stuck  ist  ein 
Bildhauer  von  grossen,  kraftvollen  Formen,  er  liat  mit 
der  Radirnadel ,  wie  mit  dem  Grabstichel  vollendet 
schöne  Blätter  nach  eigenen  Bildern  geschaffen,  kunst- 
gewerbliche Entwürfe  gefertigt  —  für  Keramik  u.  s.  w. 
—  und  nicht  seine  schwächste  Seite  ist  die  Caricatur; 
da  arbeitete    er 


denn 
auch 


natürlich 
in      den 


nur  mehr  selten  mit.  Früher  waren  seine  Orientalia 
mit  ihrer  grotesken  Phantastik  und  ihrem  Märchenhumor, 
Eigenschaften,  die  ihn  eigentlich  so  recht  zum  Illustrator 
von  «  looi  Nacht»  prädestinirten,  oft  in  diesen  Spalten 
zu  sehen.  Heute  hat  sich  Simm  auf  einem  ganz  an- 
deren   Gebiete    einen    Namen    —    und    Preise!    —    im 

Kunsthandel  ge- 
macht, als  Klein- 
und  Feinmaler 
von  Empiresce- 
nen ,  wobei  er 
eine  technische 
Geschicklichkeit 
entwickelt ,  die 
geradezu  uner- 
gründlich istund 
zu  deren  voU- 
kommenenWür- 
digung  man 
eigentlich  mit 
derLoupeinder 
Hand  anrücken 
muss. 

Eine  statt- 
liche Reihe  von 
Künstlern  ist  an 
uns  bereits  vor- 
beigezogen und 
immer  wieder 
tauchen  andere 
Erscheinungen 
vor  dem  Auge 
des  Chronisten 
auf,  Künstlerge- 
stalten, über  die 
allerdings  hier 
nicht  mehr  all- 
zuviel zu  sagen 
ist ,  weil  ihre 
Schöpfungen  all- 
er mit  Vorliebe  auch  als  Zeichner  an  und  diese  markige  wöchentlich  auf's  Neue  auch  den  Lesern  dieser  Hefte 
Art,  die  freilich  der  Ausfluss  eines  zeichnerischen  vor  Augen  kommen.  Da  ist  Erdmann  Wagner ,  der 
Könnens  ist,  das  nicht  alle  Tage  vorkommt,  lässt  seine  mit  seiner  ein  wenig  an's  Rokoko  gemahnenden  Zier- 
Zeichnungen  besonders  interessant  erscheinen.  Seit  lichkeit  und  Grazie  das  Familienleben  schildert,  da  ist 
mehreren  Jahren  war  Stuck  in  den  «  Fliegenden  Blättern  »  der  ebenfalls  immer  graziöse  und  in  seiner  Formen- 
nichtmehr vertreten.   Desgleichen  arbeitet  Franz  Simm      gebung    stets    photographisch    correcte    Zopf,    da   ist 


«  Fliegenden  » 
mit.  Sein « Bauer 
in  der  Kunstaus- 
stellung», seine 
kostbaren  Dar- 
stellungen des 
Studiosus  Bum- 
mel, der  infolge 
der  Münchener 
Bierverhältnisse 
so  sehr   und  so 

schnell  in's 
Runde  geht , 
dass  er  sich  für 
eine  Ausstell- 
ungssaisonkarte 
viermal  photo- 
graphiren  lassen 

muss ,  sein 
Cyclus  «  Amors 
Mission  in  den 
zwölf  Monaten 
des  Jahres  »,sind 
prächtige  Leist- 
ungen. Die 

merkwürdige 
Plastik  und  Be- 
stimmtheit der 
Form,  die  Stuck 
als  Maler  charak- 
terisirt,    wendet 


liil)  ift  groii  tiiiö  9}?ot)Qmob  i[t  fein 
^roptjfl !  —  unb  iDo  öicfcr  feine  fie^ren  fjintrug  unter  bie 
SBoltci,  bo  liefeen  fie  ab  oon  it)ren  niten  ©öttevn  unb  rocnbctcn 
fii)  bem  einen  Solle  ju.  Wi  ber  <l!ropl)et  ober  aefornmeti  rour 
nod)  91egl)pten.  bo  luoflle  boä  Solf  ni(l)l  untreu  roerben  feinem 
ollen  ÖJIoubeu,  unb  in  tjeili^eni  i^orne  uerflndlte  ^lofiiiineb  bir 
fteineruen  Qiöjtenbitber,  bod)  nid]t.  baß  fie  verfielen  in  Sanb  unb 
Stoub  —  nein,  boij  fie  lebenbiii  lüurben  ,^ui:  Strafe  ber  OTenfdfen. 
Unb  bie  ßiö^enbilbct  mufjlen  ronnbeln  unter  ben  ÜKcnfdfcn 
iilö  fd)i.ine  grouen  unb  3)iämicr,  ober  mit  öerjcn  Don  Stein. 
3brc  Sd}ön()eil  erregte  löobufinntge  Siebe,  aber  fie  fetbfi  blieben 
ijcfiilfllo^,  unb  bie  fffilte  itjre^  öer^cnS  uerjcbrte  bie  ^erjen^giut^ 
it)rcl  Opfer,  bie  elenb  fterbcn  uiußten  an  ben  Gilülen  uuertüieberter 
Siebe 

Stber  9l(la()  ift  grofei  9ln  bem  Soge,  bo  fo  ein  armeä  ä)!ciifd)en= 
finb  elenb  ftubt,  fpringt  ein  Stürf  ütin  bem  fteiiievnen  perjcn  beS 
lebendigen  (äöfenbilbeS,  unb  bicic«  felbfl  inirb  roieber  ju  etem,  unb 
•JSinb  niib  5Bctler  nagen  an  bem  inunben  {yletfe  be^  ^er^enö,  Pon 
bciu  bnö  3lüd  gefprungen,  uuft  ba^  Steinbilb  iiifjli  ben  tSdjiner.v 
3n  fliUer  Wodit,  o  Sonberer,  Ijärft  bu  fein  leifeS  .Blogcn.  — 

So  ttet)t  eä  einfom    in  bei  ffiüfte,   bis   nod)  fiunbert  3ol)rcn 
CC'    toiebei    .^u    neuem  Sebcu    eriuodfl   unb  ein  neued  Cpfer  unter 
ben  OTenfcficn  gefunben. 
(Srft  nienii  bo-S  lejte  gtild  oom  Sjcrjen  bcä  lebenblgcn  Ü)56enbilbeä  fid)  loSgelöft.  jeriäUt  ber  Stein  in  Stoub,  unb  aud)  iijm 
mirb  einige  :))ul)e. 

'JtUol)  i|i  groij  unb  ffiotjomeb  Ifl  fein  liropf)«  -  gefegnel  fei  fein  Warnet  J.  » 

F.  Simm. 


15 


108 


ÜIK  KUNST  UNSP:RK1<  ZEIT. 


iiijiäc  Sefotfltiit. 


Sauet; 
„Sffieä,    Seite*,    memt'ö 
imt    dcut'    teilt'  giifamiueii- 
iloü  gibt'" 

l£  0 11  b  u  ( I  e  u  r : 
„SBonim  ^nben  Sie  beitti 
\o  aiiflft?" 

iäouev: 
„5a,  roid'eii  S'.  i'  f|ab'  a' 
S'ivil  oolt  ISiev  6el  miv!" 


'€■: 


A  1  b  r  e  c  h  t , 
der  mit  elegan- 
tem Vortrag 
und  kräftiger 
Stricliführung 
uns  das  mo- 
derne Leben  in 

hunderterlei 
lebendigen  Si- 
tuationen vor- 
führt, nicht  als 
besonders  lau- 
niger Humo- 
rist ,  aber  als 
genau  zusehen- 
der Sittenschil- 
derer,  der  mit 
Vorliebe  auch 
die  Träger 
des  «  zweierlei 
/•.  ivahii.  Tuch »  in's 
Auge  fasst.  Oft  finden  wir  auch  Flashar  vertreten, 
einen  von  denen  die  meistens  « auf  Ton  j  arbeiten.  Er 
hat  viel  Humor,  nimmt  seine  Vorbilder  gar  kräftig  her, 
bleibt  aber  fast  immer  noch  so  viel  Realist,  dass  seine 
Schöpfungen  als  fröhliche  Genremalereien  gelten  könnten. 
Die  groteske  Caricatur  hat  er  fast  nie  gepflegt.  Das 
gilt  auch  von  A.  Mandlick,  der  in  sehr  liebenswür- 
diger und  natürlicher  Art  und  Weise  das  moderne  Leben 
behandelt ,  amüsante  und  glaubwürdige  Momentbilder 
aus  Salon  und  Wohnstube  vorführt  und  mit  grosser 
Sorgfalt  die  Tonwerthe  abwägt.  « Valeurs  »  leitet  auch 
die  Parole  \on  Fr.  Wähle;  er  geht  so  weit,  dass 
ihm  die  Valeurs  die  Hauptsache  sind,  eine  weiche  har- 
monische Abstufung  und  Gruppirung  der  Töne  ihm  oft 
näher  geht,  als  die  Charakteristik  selbst.  Er  ist  Maler 
durch  und  durch ,  sein  Schwarz  -  Weiss  ist  von  einer 
Farbigkeit,  die  ein  Anderer  oft  mit  der  Polychromie 
kaum  erreicht.  Aber  die  Menschen ,  die  Wähle  auf- 
spazieren lässt,  sind  darum  nicht  weniger  echt;  er  sieht 
gut  und  witzig  und  hat  die  Weisheit  ergründet,  dass 
die  regste  Phantasie  des  Caricaturistcn  die  Komik  nicht 
erreichen  kann,  welche  die  Göttin  Natur  in  launigen 
Stunden  selbst  zu  entwickeln  versteht. 

Eine  der  elegantesten  Erscheinungen  in  diesem 
Künstlerkreise  istHermann  Schiit t gen.  Seine  Domäne 
ist  der  Salon,    oder  richtiger,    sind  die  Salonmenschen, 


ob  er  sie  nun  im  lioudoir  einer  schönen  Frau,  auf  der 
Strasse,  im  Theater,  auf  dem  Ball,  auf  dem  Eise  oder 
im  Restaurant  belauscht.  Seine  kecke ,  pikante  und 
treffsichere  Zeichenmanier  ist  weit  bekannt  und  eine 
ganze  Menge  von  Winkelillustratoren  deutscher  Bilder- 
blätter suchen  sie  nachzumachen,  wobei  sie  freilich  seine 
Figuren  bis  zur  absoluten  Copie  oft  «nachempfinden». 
Schlittgen  kleidet  seine  Gestalten  stets  mit  tadelloser 
Eleganz ,  er  ist  der  unfehlbare  Darsteller  der  Welt ,  in 
der  man  sich  amüsirt,  der  ganzen  und  halben  c  Gesell- 
schaft s,  der  lions  und  lionnes,  der  Maler  des  Flirt  und 
des  Pschütt  in  allen  Formen.  Er  generalisirt  immer  die 
Klasse,  es  ist  die  Weltdame,  der  Gardelieutenant,  die 
reiche  Erbin,  derRoue,  was  er  uns  vorführt;  nichteine 
unerschöpfliche  Fülle  einzelner  Gestalten  und  Charaktere 
hält  er  nacheinander  fest,  er  \erdichtet  die  Eigenheiten 
eines  ganzen  Standes  zu  wenigen,  dann  aber  auch  ausser- 
ordentlich kennzeichnenden  Erscheinungen.  Schaftt  ein 
Oberländer  eine  lückenlose  Culturgeschichte  seiner  Zeit 
in  Bildern,  so  liefert  Hermann  Schlittgen  eine  Mono- 
graphie der  t  oberen  Zehntausend».  Darum  freilich  ist 
er  durchaus  noch  nicht  mo- 
noton, im  Gegentheil,  in  der 
Gruppirung,  in  Bewegung  und 
Costüm  sind  Schlittgen's  Ge- 
stalten unendlich  mannigfal- 
tig. Er  ist  auch  ein  Chronist 
der  Mode  und  zwar  bildet  er 
ihre  Bizarrien  einfach  ab,  wie 
sie  sind,  ja  er  findet  sogar 
ihren  malerischen  Reiz  heraus, 
statt  sie  durch  Uebertreibun- 
gen  zu  verhöhnen.  In  dieser 
Art  hat  Schlittgen  manche 
Aehnlichkeit  mit  van  Beers. 
In  den  letzten  Jahren  wandte 
er  sich  mit  steigendem  Erfolg 
auch  der  Farbe  zu  und  seine 
Bilder  zeigen  gerade  in  colo- 
ristischem  Sinn  ganz  hervor- 
ragende Werthe  und  grosse 
Schönheit  des  Tons.  Die 
natürliche  Eleganz  seiner 
Zeichnungen  ist  auch  seinen 
Oelbildern  eigen ;  in  impres- 
sionistischen Pastellstudien 
hat    er  mit  Glück  und  fröh- 


Jjfc^'WcjT  n.  r^cröre)n.^^and3-»fn- 


ÜIK  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


109 


licheni  Wageiiiuth  sich  an  die  tollsten  Experimente 
gemacht,  namentlich  in  einigen  flüchtigen  Skizzen  aus 
Pariser  Schaubühnen  und  Tanzlokalen  virtuose  Augen- 
blicksbilder des  Grossstadtlebens  geschaffen.  Von  den 
oben  genannten  «  Typen »  Schlittgen's  ist  der  Lieutenant 
wohl  die  gelungenste  und  bekannteste,  der  selbst-  und 
siegesbewusstc,  schneidige,  etwas  näselnde,  gut  gewach- 
sene, tadellos  uniformirte ,  courschneidende  Garde- 
Schwerenöther,  der  sein  Leben  zwischen  Dienst  und  Sect 
verbringt  und  gelegentlich  aus  Mitgefühl  für  seine  Gläu- 
biger noch  eine  reiche  Erbin  angelt.  Glänzender  hat 
Sclilittgen  nie  geoffenbart,  was  er  kann,  als  in  seinem 
Beitrag  zur  letzten  Jubiläumsnummer  der  c  Fliegenden  j  ; 
Drei  Worte,  Gei.st,  Schönheit,  Geld.  Ein  Ball:  das 
junge  Mädchen,  das  Nichts  hat  als  Geist,  hat  einen 
einzigen  Mann  gefunden,  der  sich  mit  ihr  unterhält,  die 
<  mit  Schönheit  >  wird  von  einer  Gruppe  alter  Herren 
umschwärmt  —  und  um  eine  nicht  gerade  hübsche  junge 
Dame,  die  in  Brillantenschrift  die  Weisung  trägt:    «Hier 

ist  eine  reiche  Er- 


«m  cAttn  DpfttnUar. 


3ln  biojcm  Slltar  l)ier  flimticiiloiiii, 
SBo  eiiift  ?Beil)enbc  Jttöuäe  blockten, 
©iimeub  ucrioeilcii  in  fti[(cm  33clra(l)tcn, 
£aii(cl)cii  out  einen  fernen  ©ejnng, 
SBav'ä  niäjt  ein  Ijimmlijdjer  5)ifiifiganti? 
Sans  im  5111  her  ©ebanten  »cvidjiDinbcn, 
3Bäf)vcnb  jum  einjam  niidjflic^cii  £ciu| 
liebet  ben  Söottcn,  ben  ftoI)[bUiu  bunteln, 
%aui)t  bcr  eifige  Wonb  l)erani, 
llnb  bie  Stttnc  beginnen  ju  jnnteln. 

Srnnnnn  Tiiijü. 


bin  zu  vergeben », 
schaaren  sich  die 
jungen  Herren 
dicht ,  wie  die 
Mücken  an  einem 
Sommerabend  um 
eine  Gartenlampe. 
Bitter,  bitter,  aber 
wahr! 

Auch  der  lie- 
benswürdige und 
künstlerisch  so 
überaus  vornehme 
R  e  n  e  R  e  i  n  i  c  k  e 
entnimmt  seine 
Stoffe  oft  der  vor- 
nehmen Gesell- 
schaft, wenn  auch 
nicht  so  aus- 
schliesslich wie 
Schlittgen.  Was 
Feinheit  desTons, 

Zartheit  der 
Lichtvertheilung 
und      malerische 
Duftigkeit        der 
Technik    betrifft. 


Rb  ^Lt^MMLI^J'  VfKTR.vn* 


U    btn-    l-tT^Tt     t'NDMjO\. 


.U5T.C,L        UND      TKAUR.CL     ti.NPtüWlE 


hat  Reinicke  nur  in 
Einem  einen  Rivalen, 
in  dem  erst  in  den 
letzten  Jahren  auf- 
tauchenden H  o  r  a  - 
dam,  der  seine 
Zeichnungen ,    d.   h 

Wasserfarben- 
Grisaillen  mit  wahr- 
haft unendlicher 
Liebe  durchbildet. 
Die  beiden  liefern 
wirklich  fast  nur  in 
jeder  Hinsicht  vol- 
lendete Kunstwerke 
ab ,  sind  bei  aller 
Realistik  immer  an- 
muthig  und  gefällig, 

und  entzückende  Frauenköpfchen  lachen  besonders  oft 
aus  Rene  Reinicke's  Bildern.  Feintönig  und  manchmal 
ein  wenig  melancholisch  sind  G.  Buchner's  Bilder,  der 
gerne  Dorfgeschichten  und  poetische  Dämmerstimmungen 
malt.  P.  Bauer  hat  in  seiner  correcten,  scharfen  Dar- 
stellungsart Manches  mit  Zopf  gemein,  neigt  aber  einer 
realistischeren,  wenig  sentimentalen  Richtung  zu. 

Lange  Zeit  hat  auch  Lothar  Meggendorfer 
(ein  Münchener ,  geboren  1 847)  zu  den  populärsten 
Mitarbeitern  der  «  Fliegenden  s  gehört ;  seine  Verdienste 
lagen  weniger  auf  dem  Gebiete  sonderlich  malerischer, 
künstlerisch  vertiefter  Darstellung,  als  in  seiner  oft  kind- 
lichen Naivität  und  seiner  unerschöpflichen  Erfindungs- 
gabe für  drollige  Vorfälle,  verwickelte  Zufallscomödien 
und  drastische  Mimik.  In  ungezählten  Bilderbüchern, 
deren  beste  bei  « Braun  &  Schneider »  erschienen ,  hat 
Meggendorfer  das  Talent  eigentlich  noch  zweckmässiger 
geübt  und  sein  merkwürdiges  Talent  zum  «Bosteln», 
wie  wir  familiär  sagen,  brachte  ihn  zur  Erfindung  ganz 
allerliebster  beweglicher  Caricaturen:  c  Ziehbilderbücher ». 
Seit  Jahr  und  Tag  ist  Meggendorfer ,  der  selbst  jetzt 
t  humoristische  Blätter »  herausgibt,  aus  den  Reihen  der 
Mitarbeiter  der  «  Fliegenden  »  verschwunden. 

Und  die  «  Lustigen  »  von  heute !  Da  sind  vor  Allem 
die  überaus  fröhlichen,  oft  ausgelassenen  Humoristen 
Emil  Reinicke  und  A.  Hengeler,  zwei  Künstler, 
die  allen  Dingen  auf  der  Welt  irgend  eine  ausgesucht 
komische  Seite  abzugewinnen  wissen,  die  ihre  Charakteri- 
sirung  in  übermüthigen  Uebertreibungen  äussern  und  mit 

15* 


■ 


110 


DIE  KUNST   UNSERER  ZEIT. 


Muf  kct  9}et«atc. 

(Ein  Seitbilti.) 


Irompttenftof).     BetannImaAuna :   ,gin  (Sljering  rourtf  qtfunben:" 

unwiderstehlicher  Heiterkeit    den    Beschauer   anstecken. 
Beider   Gebi^    ist    umfangreich ,    sie    «  machen   Alles  > , 
Jeder  freilich  Etwas  besonders  gut.     Emil  Reinicke  die 
Thiercaricaturen ,    in  welchen    er    oft    nahe    an 
Oberländer's  Meisterschaft  herannaht,  Hengeler 
romantische  und  intime  Idyllen  aus  dem  Thier- 
leben ,     worin     Hummeln     und     Feldmäuse    in 
Menschenrollen    auftreten     und    das    Kleinleben  ^ 

des  Waldes    überhaupt  mit    ebensoviel   Humor        > 
als  naiver  Poesie  in's  Menschliche  übersetzt  wird. 
Hengeler  hat  auch  viele  kleine  Juwele  von  Oel- 
bildern  nach  solchen  Motiven  geschaffen.   Lustig 
und  vielseitig  wie  die   Beiden  ist  Th.  Graetz, 
und   auch    er    zieht   die  Thierwelt   gern  in  den 
Bereich   der    Caricatur  und    lässt     Löwen    und 
Elefanten  allerlei  ergötzliche  Gesichter  schneiden. 
Eine  flotte,  kräftige  Zeichennlanier  ist  ihm  eigen. 
Der  Wiener  H.  Schliessmann,   der  ver- 
blüffend sichere  Contouren    zeichnet,    behandelt 
wie  Meggendorfer  mit  besonderer  Bevorzugung 
complicirte   «Unglücksfälle»  oder  tolle  Streiche 
in  Bilderserien,  meist    in   einfacher    naturwahrer 
Darstellung ,    aber   immer  vergnügt   und    unter- 
haltend.   Von  den  Jüngsten  ist  Th.  Th.  Heine 
zu  nennen,  ein  sehr  talentreicher  junger  Künstler, 
der  sich  vor  der  Hand  viel  von  japanischem  Stil 
beeinflusst  zeigt,    stark,   aber  auch   geschmack- 
voll   stilisirt,    und    recht  groteske  Einfälle    hat. 


Auch  Eugen  Kirchner  ist  einer  der 
Jüngsten  und  in  der  Redaktion  der 
t  Fliegenden  Blätter »  verspricht  man 
sich  mit  Recht  viel  von  ihm.  Eine 
charmante  Fröhlichkeit  beseelt  seine 
breit  gehaltenen,  formsicheren  Zeich- 
nungen und  er  hat  noch  nicht  sehr 
viele  in  die  Oeffentlichkeit  gebracht, 
aber  was  er  brachte,  hat  den  unge- 
theilten  Beifall  aller  Derer  gefunden, 
die  was  von  Kunst  verstehen  und 
gerne  lachen. 

Auch   Professor   Otto   Seitz  hat 
mancherlei    famoses    Bildwerk    beige- 
steuert und  seine   drastisch-komischen 
Caricaturen     von     modernen     Bildern 
zählen  wohl  dem  Gelungensten  bei,  was 
hier  in  diesem  von  Anfang  an  mit  Vor- 
hebe gepflegten  Genre  geboten  wurde. 
Und  nun    noch   —   last,    not  least    —    Hermann 
Vop-el!     Die  t Fliegenden»   nennen  ihn    mit  Stolz  und 
Freude  den  Ihrigen  und  in  der  That  haben  sie  vielleicht 

„Wut  i  9'v  'flfl  nfltit." 


'    '<    <•  >    •.■.\  •  *-,\, 


Tj-y-^   O^- 


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I«  3    aunq  n    —   mi  t-3  <i'j(fKb'"'* 


Ad.  Oherlfindcr  pinx- 


riiot-  >'.   lltuf^taeui;!,   Müucli«u. 


Titelblatt  der  „Fliegende  Blätter-'  No.   2000. 


DIE  KUNST  UNSKRER  ZEIT. 


111 


seit  langer  Zeit  keinen  Mitarbeiter  gehabt,  dessen  inneres 
Wesen  dem  Geiste,  der  diese  Blätter  leitet,  so  homogen 
ist,  wie  das  seine.  Er  steht  in  seiner  Kunst  etwa  zwischen 
Moritz  V.  Schwind  und  Adrian  Ludwig  Richter,  die 
reiche,  glänzende  Phantasie,  den  edlen  Formensinn  des 
Ersten,  mit  der  tiefen  Gemüthsinnigkeit,  den  familiären 
anheimelnden  Ton  des  Zweiten  verbindend.  Ein  Ge- 
dankenmaler, ein  Bilderpoet,  ein  fesselnder  Fabulirer  wie 
kein  Zweiter.  Er 
steht  im  intim- 
sten Verkehr  mit 
den  Naturgei- 
stern ,  er  ver- 
steht ,    was    die 

Thiere  reden 
und  was  der 
Wald  rauscht 
und  mit  diesen 
Sonntagskinder- 
gaben ist  er  ein 
Märchenerzähler 
geworden ,  der 
Alt  und  Jung 
bezaubern  muss. 
Seine     Gnomen 

und  Elfengestalten ,  seine  plaudernden  und  agirenden 
Thiere,  seine  niedlichen  Kinder  und  gemüthlichen  Alten, 
wie  innig  und  sinnig  spricht  das  uns  an!  Hermann 
Vogel  hat  neben  feinem  Gefühl  für  Stil  ein  grosses  Com- 
positionstalent  und  arbeitet  seine  Compositionen  so  liebe- 
voll durch ,  dass  auch  die  kleinsten  landschaftlichen 
Details,  die  Pilze  im  Moos,  die  Blüthen  an  den  Bäumen, 
die  Farnkräuter  im  Waldschatten  eine  ganz  bestimmte, 
wohl  berechnete  Rolle  in  seinen  Bildern  spielen.  Auch 
Allegorisches  weiss  er  mit  viel  Geist  und  Witz  zu  geben, 
wie  das  brillante,  als  Illustration  dieser  Chronik  beige- 
gebene Blatt  über  die  deutsche  Kunst  beweist.  Meist 
aber  ist  Vogel's  Humor  harmlos  und  naiv  und  aus  der 
Hälfte  seiner  Bilder  klingt  das  lustige  Lachen  des  Kobolds, 
der  eben  einen  Schelmen.streich  verübt. 

Hermann  Vogel  steht  heute  im  39.  Lebens- 
jahre. Er  wurde  als  der  Sohn  eines  Baumeisters  in 
Plauen  geboren,  eines  kunstbegabten  Mannes,  den  ein 
freundlicheres  Lebensschicksal  vielleicht  selbst  zum  be- 
deutenden Künstler  gemacht  hätte.  So  hiess  es,  den 
goldenen  Boden  des  Handwerks  bebauen.  Hermann 
Vogel  hat  zuerst  studirt  und  ward  dem  Beruf  der  Rechts- 


gelehrsamkeit bestimmt.  1873  kam  er  nach  Leipzig 
auf  die  Universität,  hörte  hier  die  kunstgeschichtlichen 
Collegien  bei  Overbeck,  Springer  und  Jordan  aber  lieber 
als  Pandekten ,  und  setzte  es  denn  schliesslich  auch 
durch,  dass  er  in  Dresden  sich  an  der  Akademie,  end- 
gültig einem  lang  gehegten  Sehnen  nachgebend,  dem 
Kunststudium  widmen  durfte.  Die  Akademie  gewährte 
ihm  aber  bald  wenig  Befriedigung  —  ein  Satz,  den  man 

wohl  in  alle  Bio- 
graphien wahrer 
Künstler  einfü- 
gen kann,  deren 
Talent  jemals 
auf  einer  Aka- 
demie in  spani- 
schen     Stiefeln 

einexercirt 
wurde.  Vogel's 
reiche  Phantasie 
drängte  zu  eige- 
nem Schaffen 
und  der  Einzige 
unter  den  aka- 
demischen Leh- 
rern Dresdens, 
zu  dem  den  jungen  Maler  geistesverwandtes  Streben  zog, 
hatte  ein  Jahr  vorher  sein  Lehramt  niedergelegt  — 
Ludwig  Richter. 

In  die  reizlose  Kälte  des  Antikensaals  verbannt, 
wäre  des  jungen  Malers  Talent  unter  Vorurtheilen  und 
Gypsfiguren  verdorben  —  da  verschaffte  ihm  ein  Freund 
von  dem  Leipziger  Verleger  Otto  Spamer  den  Auftrag, 
W.  Wägner's  «  Nordisch  -  germanische  Heldensagen  » , 
ein  bekanntes  Werk  für  die  heranwachsende  Jugend, 
mit  zahlreichen 


Illustrationen 
zu      verschen. 
Vogel  verliess 
die  Akademie, 

der  junge 
Zeichner  ward 
bekannt  und 
begehrt ,  die 
Aufträge  häuf- 
ten sich.  Den 
feinen ,  inner- 
lichen Künstler 


'1{  11  ditdi  i9Dcn. 


I  moBfl  tag™,  nia*  ^'  loiQfl   -   ft«  »iSiiian!  ij!  unö  bleibt  6n  fl'fi^tlWflf  Blonn  in  W]m 


112 


DIK  KUNST   UNSERER  ZEIT. 


3)it  Cöfllein  lofjen  id)on  im  ISIjot 
^^t  5rüt)Itn0§lifb  ft^d)nllen, 
Tic  (Sonne  idjcint  nod)  rote  jucor, 
S)od)  mii  roill  nid)ls  gejallcii. 


fdj  t)iiljt'  feine  :pciinfttl)  meijr, 
Seil  id|  mein  ^ieb  uetloccn, 
^temb  itc'  id)  m  bei  Stobt  urafjcr 
Unb  eiiifnm  <rol  beii  Hioien. 


3)ie  SBIumen,  bie  crft  aufgeblüht; 
©inb  über  gjadjt  erfroren  — 
S9a«  tümmert  miii,  rooä  noif)  geft^ie^t? 
3d)  l)ob'  mein  ijicb  oeriorcn! 

Uictat  DdBütr. 


von  heute  erkennt  man  freilich  in  den  Illustrationen  zur 
Nibelungensage    und    zu    «Gudrun»    noch    nicht,    aber 
Hermann  Vogcl's    ausserordentliches  Compositionstalent 
ist  in  jenen  Arbeiten  schon  deutlich  er- 
kennbar. Frohnarbeit  war's  freilich,  doch 
es   folgte  wenigstens   ein  Auftrag   dem 
andern.      1876    machte    Vogel,   wie   er 
selbst     launig    erzählt ,     in    l^erlin     bei 
A.  V.  Werner  den  schwachen  Versuch, 
wieder  einen  Lehrer  zu  gewinnen,  kehrte 
aber  erleichterten  Herzens  um,    als    er 
den  Künstler  nicht  zu  Hause  traf.     1877 
sah  er  Italien.     In   der    handwerksmäs- 
sigen  Produktion,  die  Vogel  um's  Brod 
betrieb ,    fühlte    er    seine    künstlerische 


Energie  nach  und  nach  bedenklich  sinken  und  sein 
Talent  wäre  wohl  stark  verflaut,  wenn  nicht  wie  durch 
einen  Zufall  namhafte  Künstler,  wie  Thumann,  Woldemar 
Friedrich,  Einsicht  in  seine  Mappen  bekommen,  und 
ihn  zu  neuem,  fruchtbarerem  Schaffen  ermuthigt  hätten. 
Er  fing  an  wieder  fleissig  nach  der  Natur  zu  arbeiten,  und 
so  kam  er  schliesslich  über  alles  Dilettantische  hinaus 
und  ward  das,  was  er  nun  ist,  ein  echter  Künstler. 
Hermann  Vogel  ist  Junggeselle  geblieben.  In  einem 
idyllisch  gelegenen  Häuschen,  das  er  sich  in  Loschwitz 
bei  Dresden  gebaut,  lebt  er,  den  die  «Fliegenden»  erst 
seit  einigen  Jahren  für  sich  gewonnen  haben,  eine  Art 
von  weltscheuem  Einsiedlerleben  und  ist  wohl  der  einzige 
Mitarbeiter  des  Blattes ,  welchen  die  Herren  Braun 
&  Schneider  noch  niemals  von  Angesicht  zu  Angesicht 
sahen.  In  Bälde  wird  ein  Werk  in  der  Oeffentlichkeit 
erscheinen,  das  Hermann  Vogel's  Namen  in  glänzender 
Weise  der  Nachwelt  erhalten  dürfte.  Er  hat  eine  Pracht- 
ausgabe der  Gebrüder  Grimm'schen  Märchen  für  Braun 
&  Schneider  illustrirt .  das  vielleicht  das  überhaupt 
schönste  und  kostbarste  Märchenbuch  darstellen  dürfte, 
das  je  gedruckt  worden  ist.  Das  von  Gustav  Dore  ist 
dabei  nicht  vergessen.  Vogels  zahlreiche  Zeichnungen 
zu  diesen  schönen  Volksmären  kann  man  nicht  mehr 
Illustrationen  nennen,  es  sind  congeniale  Nachdichtungen 
von  einer  Poesie  und  Anmuth,  die  noch  kein  Anderer 
in  diesem  Genre  übertraf.  Jede  Vignette,  jedes  Bild 
spiegelt  des  Künstlers  reiches  Gemüth  in  wunderbarer 
Weise  wieder  und  Hermann  Vogel,  den  die  Aufgabe, 
welche  ihm  geworden,  ausserordentlich  erfreut  hat,  wird 
wohl  selbst  das  Buch  als  die  Krönung  seines  Lebens- 
werkes betrachten.  Damit  sei  freilich  nicht  gesagt,  dass 
dieser  begnadete  Künstler,  dessen  Arbeiten  von  Blatt  zu 
Blatt  innerlicher  und  werthvoller  werden,  uns  nicht  noch 
manche  freudige  Ueberraschung  sollte  vorbehalten  haben. 

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DIK  KUNST   UNSKRKR  ZEIT. 


113 


Wie  die  «Fliegenden  in  ihrem  Bilderschmuci<  die 
Entwicklung  der  deutschen  Zeichenkunst  seit  einem 
halben  Jahrhundert  darstellen,  so  illustriren  sie  auch  die 
Geschichte  der  Holzschneidekunst  in  dieser  Epoche. 
Nur  ein  kleiner  Theil  des  Publikums  mag  eine  Ahnung 
haben,  welchen  enormen  Aufwand  von  Kunst,  von  Zeit 
und  Mitteln  gerade  dieser  Theil  des  redaktionellen  Be- 
triebes beansprucht,  wie  lange  es  dauert,  bis  der  Drucker 
das  fertig  stellen  kann,  was  der  Zeichner  entworfen  hat. 
Und  wie  viel  missglückt !  In  den  Schränken  der  Redaktion 
lagen  zwischen  drei-  und  viertausend  Holzstöcke ,  die 
nie  verwendet  wurden  —  das  mag  einen  Begrift  geben 
von  der  Zahl  derer,  die  wirklich  zur  Verwendung  kamen. 
Anfangs  —  und  noch  lange ,  lange  Jahre  wurde  in 
kräftiger  Strichmanier  gezeichnet  und  demgemäss  in 
Holz  geschnitten  und  gleich  in  den  ersten  Jahren  des 
Bestehens   des  Braun   &    Schneider'schen    Verlags   kam 


(Sine  Santintetcet^Stcf ammlnitg 

unter  polijeitil^irt  Uebetn>ad)un(i. 


die    xylographische    Kunst    zu        Chi  >i  n«iipr.^  comme  u  faui. 

hoher  Blüthe.     Die   Facsimile- 

schnitte  nach  Kaspar  Braun,  nach 

Schwind,  nach  Lichtenheld's  oft 

sehr  malerisch  und  stimmungs- 
voll    gehaltenen    Zeichnungen, 

nach  Busch  und  Anderen,  legen 

davon    Zeugniss    ab.      Hervor- 
ragende  Holzschneider   waren : 

Hans    Rehle,    Bernhard    Götz, 

Franz  Kreuzer,  Nikol.  Knilling, 

Christian  Rucpprecht,  Jos.  Blanz, 

Joh.  Schwarz ,    August    Meyer, 

Max  Diemer,  Karl  Hauer,  Jakob 

Gehrig,  Theodor  Knesing,  Jos. 

Knilling ,    Ludwig  Ruepprecht, 

Richard  Klepsch,  H.  Scheidner, 

Moritz  Wittig,  W.  Hecht,  Faul  Theuerkorn, 
Wilhelm  Maisch,  Lindemann,  Häusler,  E. 
Schempp.  Diese  Künstler  waren  zum  Theil 
im  xylographischen  Atelier  von  Braun  &  Des- 
sauer, dann  in  der  Werkstatt  von  Braun 
&  Schneider  und  zum  kleinen  Theil  ausserhalb 
des  Ateliers  thätig.  Heute  betreibt  meines 
Wissens  die  Firma  keine  eigentliche  xylo- 
graphische Anstalt  mehr. 

Der  ersten  Blüthe  der  Holzschneidekunst, 
die  selbstverständlich  über  den  Rahmen  der 
«Fliegenden»,  der  «Bilderbogen?  und  ähn- 
licher Vcrlagswerke  hinaus  der  deutschen 
Kunst  ihre  Früchte  trug,  folgte  in  den  sech- 
ziger Jahren  ein  merklicher  Verfall  und  wir 
sehen  da  manches  Kunstwerk  des  Zeichners 
vom  Xylographen  bedenklich  zugerichtet. 
Aber  eine  neue  Blüthe  erstand  der  edlen 
Kunst,  die  sich  an  immer  schwereren  Auf- 
gaben übte ,  die  heute  für  diese  ihre  Auf- 
gaben kaum  mehr  eine  Grenze  ihres  Ver- 
mögens kennt.  Die  Zeichner  überbieten  sich 
in  immer  subtileren ,  immer  zarten ,  farbig 
getönten  Vorbildern  und  die  Xylographen 
halten  Schritt.  Die  feine  Holzschnittmianier. 
welcher  der  Künstler  nicht  mehr  die  Strich- 
stärken und  Strichlagen,  sondern  in  weich  und 
breit  gehaltenen  Grisaillen  nur  mehr  die  Ton- 
werthe  vorschreibt,  hat  sich  zu  einer  Feinheit, 
einem  Raffinement  entwickelt,    die    für    sich 


114 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


allein  schon  des  Kenners  ganzes  Entzücken  bilden.  Das 
ist  nicht  mehr  in  das  kernige  Buchsbaumhoiz  geschnitten, 
das  ist  nur  mehr  geritzt  und  es  gehört  schon  ein  scharfes 
Auge,  meist  aber  die  Loupe  dazu,  um  auf  dem  Holz- 
stock die  feinsten  Unterschiede  von  Erhöhungen  und  Ver- 
tiefungen noch  zu 

unterscheiden. 
DieZufälligkeiten, 
welche  bei  der 
Pinselführung  des 
aquarellirten  Vor- 
bilds entstanden, 
die  Eigenart  des 
Bleistiftstriches, 
das  zarteste  hin- 
gehauchte Tön- 
lein in  Luft  und 
Wolken  werden 
von  den  Meistern 
des  Tonschnitts 
heute  wiedergege- 
ben, jeder  Eigen- 
art des  Künstlers 

wird  Rechnung  getragen  und  doch  bleibt  der  Vortrag 
des  Xylographen  fein  und  leicht.  Das  Beste,  was  in 
den  «Fliegenden»  an  Holzschneidekunst  zu  sehen  ist, 
darf  man  dem  Besten,  was  französische  und  amerikanische 
Holzschneider  leisten ,  heute  mindestens  ebenbürtig 
schätzen.  Unter  den  ersten  Künstlern  des  Tonschnitts 
sind  gegenwärtig  zu  nennen  die  beiden  Schlumprecht, 
Konr.  Strobel,  O.  Kresse.  Auch  von  den  früher 
genannten  Xylographen  arbeiten  viele  auch  zur  Zeit  noch 
für  die  «Fliegenden».  Manches  Bild  braucht  Wochen, 
bis  es  vollendet  ist  und  die  kostbarsten  Holzschnitte 
werden  mit  3 — 400  Mark  bezahlt.  In  der  Herstellung 
der  Holzschnitte  hat  sich  im  Laufe  der  Zeit  manche 
Veränderung    ergeben.      Früher    mussten    die    Künstler 

direkt  auf  den  Holzstock 
zeichnen  —  und  zwar 
natürlich  Alles  « ver- 
kehrt » ,  so,  dass  «  rechte 
Hand,  linke  Hand,  Bei- 
des vertauscht »  war  — 
seit  geraumer  Zeit  hilft 
die  Photographie  über 
diese  leidige  Verpflich- 
H.  SMi^mann.    tung  Weg.    Früher  wur- 


den die  Bilder  der  « Fliegenden  »  direkt  vom  Holzstock 
gedruckt,  seit  Mai  1885  werden  allgemein  Galvanos  zum 
Drucke  angewendet,  eine  Nothwendigkeit,  die  sich  aus 
der  ungeheuer  wachsenden  Auflage  der  « Fliegenden » 
ergab.      Die   Galvanos   stellt    die    E.  Mühlthaler'sche 

k.  Hof- Buch-  und 
^  J  Kunstdruckerei  in 
München  her,  die 
auch  den  Druck 
der  «  Fliegenden 
Blätter»  —  wie 
der  «  Kunst  unse- 
rer Zeit »  —  seit 
Jahren  besorgt. 
Nebenbei  gesagt, 
beansprucht  der 
Druck  jederT^um  - 
mer  acht  volle 
Tage,  denn  mit 
der  Blitzzugge- 
schwindigkeit, mit 
welcher  unsere 
Tageszeitungen 
durch  die  Presse  fliegen,  kann  ein  solches  Blatt  nicht 
gedruckt  werden.  In  letzterer  Zeit  werden  Autotypie 
und  einfache  Zinkographie  für  geeignete  Vorbilder  bei 
den  « Fliegenden  Blättern »  häufig  angewandt  und  die 
ausserordentlich  vorgeschrittene  Entwicklung  der  photo- 
chemischen Techniken  lässt  diese  Verfahren  auch  die 
Wirkung  künstlerischer  Reproduktionsarten  beinahe  er- 
reichen. Aber  das  Hauptvervielfältigungsmittel  unseres 
Blattes  bleibt  doch  das  edelste  und  schönste,  das  es 
für  solche  Zwecke  überhaupt  gibt,   der  Holzschnitt,  des 


.Ifltt  iä)  uia  ütuii  tilunf:" 


Herrn.  V'oycl  iiin>. 


Phot.  V.  HiinfsUengl,  Mtlnchtii. 


Stossseufzer  eines  deutsehen   Malers. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


115 


!&(t  bejtditt  ffvtti^ti. 


alten  Dürer's  mar- 
kige urdeutsche 
Kunst,  die  charak- 
tervollste, ehrlich- 
ste von  allen  gra- 
phischen Techni- 
ken, die  leider  frei- 
lich heutzutage  von 
den  meisten  illu- 
strirten  Wochen- 
zeitungen der  un- 
seligen. Alles  über- 
stürzenden Aktua- 
lität zu  Liebe  oft 
schmählich  miss- 
braucht wird.  Holz- 
schneiden ist  eine 
ernste ,  innerliche, 
beschauliche  Kunst,  ein  Ding,  das  Liebe  [braucht  und 
Zeit.     Was  «  bis  vorgestern »    fertig  werden  ]  muss ,    für 

das  sind  im  Grunde  die  Buchsbaumplatten  zu  gut. 

Wie  jede  Richtung  deutscher  Kunst  unter  den 
Zeichnern  der  «  Fliegenden  »  vertreten  war  und  ist ,  so 
waren  die  Blätter  von  jeher  auch  ein  Tummelplatz  für 
die    deutschen   Poeten    und    ihre  [Bedeutung   in    diesem 

Sinne     darf    wahr- 


„Scufel,  ©ie  fahren  jQfortitä^reiib  im  3iä'3'"''  -  .-2Öa9 
min  ma'  raadieii,  8uer  ®naben,  roeim'ä  Siiieii  tolt)  rtd)l5.  bnl> 
linß  reifet  uiib  ran'  nir  «um  fliiballeii   hai  als  bit   :RiiafI.'" 


Späte  StftnntRifj. 


■^Jroftttor  her  Söo((ini(  (nortibenlenb):  „SBinjen?  ffu^. 
tlumen?  Seigi^raeinnidit'  Sollte  ii)  elmn  in  einen  -  Sumpf 
getctljen  icin'!" 


haftig  nicht  unter- 
schätzt werden. 
Von  den  Einsen- 
dern jener  hundert- 
tausende von  lau- 
nigen Einfällen,  aus 
welchen  sich  die 
Nummern  in  der 
Hauptsache  seit  50 
Jahren  zusammen- 
setzen, weiss  die 
Chronik  nichts  zu 
berichten,  als  das, 
dass  thatsächlich 
ganz  Deutschland 
hier  mitgearbeitet 
hat  und  dass  das 
Lustigste  von  Er- 
dachtem und  Er- 
lebtem stets  seinen 
Weg  zunächst  nach 


der  Redaktion  der  « Fliegenden  Blätter »  findet.  Sie 
haben  ihre  Mitarbeiter  in  jedem  Stand,  in  jedem  Alter 
und  Gesclilecht;  der  beste  Mitarbeiter  freilich  bleibt 
die  Wirklichkeit  und  das  Tollste  und  Lustigste,  was 
die  fröhliche  Chronik  verzeichnet,  ist  sicher  in  Wahr- 
heit vorgekommen.  Zwischen  diesen  bunten  Blüthen 
des  Tageshumors  finden  wir  aber  auch  zahllose  Juwele 
von  unvergänglichem  literarischem  Werth  eingestreut 
und  neben  den  namenlosen  Mitarbeitern,  die  der  Zufall 
brachte ,  haben  die  « Fliegenden  Blätter »  auch  nicht 
wenige  zu  verzeichnen,  deren  Namen  Sterne  erster  Grösse 
am  deutschen  Poetenhimmel  darstellen.  Wie  viele  viele 
frohe  Lieder,  die  heute  in  aller  frohen  Burschen  Munde 


S)cr  $err  ffitaftmcier 
^ol'8  h\d)t.  SBcnn  ec  6ci 
Seflcnrorttcc  jcincii  gdjicm 
otrscfieii  fiat,  Ifi^t  ec  fiif) 
i»  jeincni  Stamni^Safc^ouä 
einen  3»acraortii(f|  unb  de. 
nüfet  beniciben  alä  SRcgen- 
jrf)icni. 


sind,  haben  zuerst  hier  gestanden !  Das  halbe  Lahrer 
Commersbuch  —  nebenbei  gesagt ,  ein  Prachtbuch, 
das  jeder  Deutsche  in  seine  Bücherei  stellen  und  zur 
Hand  nehmen  sollte,  so  oft  ihm  Alltagssorgen  die  Stirne 
kraus  ziehen  —  ist  in  den  « Fliegenden  Blättern »  be- 
heimathet.  Viktor  v.  Scheffel  und  der  schon  ge- 
nannte Ludwig  Eichrodt  haben  ihr  Bestes  und 
Feuchtfröhlichstes  hier  zuerst  niedergelegt.  Von  Scheffel 
sind  da  die  Prähistorischen  Balladen,  die  Rodensteiner 
Lieder  und  was  sonst  noch  zu  den  Glanznummern  des 
:<  Gaudeamus »  zählt ;  Eichrodt  hat  ausser  seinen  köst- 
lichen Biedermaieriaden  die  originellen  Strophen  der 
«Wanderlust»,  den  Bruder  Straubinger,  das  Menschen- 
lied  und   noch   so    vieles  Andere  beigesteuert.     In  der 


10 


116 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


ersten,  stürmischen  Zeit  finden  wir  von  leidenschaftlicher 
Freiheitsliebe  durchbrauste  Zeitgedichte  von  Joh.  Bapt. 
V o g  1 ,  von  Otto  V.  Reichert,  von  F r e i  m u n d 
Raimar,  (Rückerts  bekanntes  Pseudonym)  und  Anderen. 
Zu  den  alleredelsten  Perlen  novellistischer  Art  gehören 
Franz  Traut mann's  alterthümelnde  Geschichten,  die 
so  traulich  und  heimelig  sich  lasen  und  so  weit  weg 
waren  von  der  Butzenscheibenromantik  späterer  «stilvoller 
Erzähler».  Wie  hat 
Trautmann  jeden 
Winkel  des  maleri- 
schen alten  München 
mit  behaglichen  und 
drolligen,  immer  aber 
echten  und  warm- 
blütigen Figuren  zu 
beleben  gewusst,  wie 
hat  er  uns  die  Ge- 
stalten lang  ver- 
gangener Fürstenge- 
schlechter und  gros- 
ser schlichter  Men- 
schen aus  alter  Vor- 
zeit so  seltsam  nahe 
gebracht  und  mit 
uns  vertraut  werden 
lassen  1  Von  einer 
prächtigen  Publika- 
tion   des    Verlages, 

«  Hauschronik  », 
deren  bester  Mit- 
arbeiter Trautmann 
war  und  die  ganz  von 
seinem  Geiste  getra- 
gen ist,  existirt  leider 
nur  ein  Band  und 
der  ist  noch  dazu  im 
Buchhandel     längst 

vergriffen.  Die  Graf'schen  Reisebriefe,  die  lange  Jahre  zu 
den  begehrtesten  Gaben  der  «  Fliegenden  Blätter »  ge- 
hörten, wie  auch  eine  Reihe  gar  köstlicher  Judengeschich- 
ten, vom  <:  verhexten  Hut »,  «  Hosen  und  Tornister  x  u.  A. 
haben  Brendel  zum  Verfasser.  Hier  sei  eingeschaltet, 
dass  die  zahlreichen  und  oft  sehr  guten  jüdischen  Witze 
und  Anekdoten  in  den  «  Fliegenden  Blättern  »  fast  durch- 
gängig von  Juden  stammen,  also  nicht  etwa  vom  Rassen- 
hass    diktirt   sind.     Die    Einsender    denken    sich    wohl : 


«Wer   sich  nicht  selbst   zum  Besten    halten  kann,    der 
ist  gewiss  nicht  von  den  Besten». 

Auch  der  geniale  Erzähler  Fr.  Gerstäcker  zählt  den 
berühmtesten  Prosa-Mitarbeitern  der  «  Fliegenden  Blätter 
bei,  dann  Emile  Maria  Vacano,  der  Kunstreiter 
und  Dichter,  Ludwig  Steub  hat  die  Fabel  seines 
reizenden  Lustspiels  «  Das  Seefräulein  »  zuerst  als  Novelle 
hier  erzählt,    Hackländer   eine   seiner   ergreifendsten 

kürzeren  Erzählun- 
gen «  Zwei  Nächte 
ebenfalls  hier  ver- 
öffentlicht. Ueber- 
haupt  haben  Nove- 
letten  und  Novellen 
in  den  «  Fliegenden 
Blättern»  früher  eine 
grosse  Rolle  gespielt 
und  sind  sehr,  sehr 
gern  gelesen  worden. 
Phantastische  Mär- 
chen, lehrreiche  Pa- 
rabeln in  Erzählungs- 
form und  meist  in 
orientalischem  Ge- 
wände kamen  da- 
zwischen. 

Und  welche  Menge 
an  Namen  hervor- 
ragender Lyriker  fin- 
den wir  vertreten ! 
Da  ist  Vieles  auf 
Hochdeutsch ,  auf 
Oberbayerisch  und 
Pfälzisch  —  auch 
Prosa  —  von  F  r  a  n  z 
von  Kobell,  dem 
liebenswürdigen  und 
kerngesunden  Dich- 
ter -  Gelehrten  ,  der  das  edle  Waidwerk ,  die  Menschen, 
die  Berge  und  den  «Schampus»  so  lieb  hatte,  da  sind 
Carl  Stieler's  schwungvolle  Chiemseelieder  und  lau- 
nige Genrebildchen  aus  den  Bergen.  Fr.  Th.  Vi  scher, 
der  immer  ein  wahrer  Freund  der  « Fliegenden »  ge- 
wesen ist,  und  sie  immer  gern  wieder  auf's  politische 
Gebiet  hinüber  gedrängt  hätte,  C.  Schult  es,  der 
Dichter  der  « Landsknechtheder»,  Emanuel  Geibel, 
Oskar  v.  Redwitz,  L.  Schücking.  C.  Herloss- 


VWil.VoHll.^(.'\3- 


Iter.f   liciiiiük«;    lüiix. 


Phot.  f.  Hanr^^taenKl,  München. 


Picknick   im   Walde. 


DIE  KUNST  UNSERER  ZEIT. 


117 


"Brei  SBottc. 


söhn,  R.  Rein  ick,  A.  Kopiscli,  H.  Dewils, 
J.  Kern  er,  Ludwig  Pfau,  Martin  Schleicli, 
Fr.  Hornfeclv,  L.  Kaiisch  waren  vertreten.  Wir 
finden  von  Hermann  Lingg  edelschöne  Poesien,  von 
Martin  Greif,  von  Wilh.  Hertz,  von  Friedrich 
Bodenstedt  und  Felix  Dahn;  dann  H.  Seidel, 
Edwin  Bormann,  EmilPeschkau,  der  « harmlose 
Plauderer»  von  Völderndorff ,  Sacher  Masoch, 
Dr.  Märzroth,  August  Silberstein,  Ludwig 
Hevesi,  Ludwig  Fulda,  Theob.  Gross,  F.  Bren- 
tano, M.  Barak,  Moritz  Jokai,  P.  K.  Rosegger, 
ErnstEckstein(«  Der  Besuch  im  Karzer»),  Schmidt- 
Cabanis!  Eine  Specialität  der  «Fliegenden  Blätter» 
ist  die  oft  in  prickelnd  geistreicher  Form  gebotene 
Sprücheweisheit    der    «  Gedankensplitter  ; .      C  r  a  s  s  u  s 


(d.  h.  Krassb  erger)  und  Rode  rieh  gehören  zu  den 
bedeutendsten  Mitarbeitern  dieser  Sparte!  Einer  der 
Ailergetreuesten  des  Hauses,  durch  ungezählte  Beiträge 
in  den  « Fliegenden »  ,  durch  liebenswürdige  Kinder- 
schriften und  eine  Reihe  von  andern  Büchern,  durch  seine 
Ausstellungsschnaderhüpfeln  und  seine  Schnaderhüpfeln 
über  die  « Nibelungentrilogie »  bekannt,  ist  Franz  Bonn, 
der  auch  häufig  unter  dem  Scherznamen  v.  Miris  (von 
mir  is')  auftritt.  Er  zählt  wie  Ed.  Ille  zur  Redaktion  selbst. 
Vieles,  was  zuerst  die  «  Fliegenden  Blätter  »  brachten, 
hat    der  Verlag   von    « Braun  &  Schneider »    wieder   zu 


iSdjöii^eü, 


Qitüi. 

werthvollen  Sonderausgaben  vereinigt,  so  die  militärischen 
Scherze  in  «  General  Rockschössel's  Erinnerungen  »  und 
« Im  Frieden  x  ,  die  lustigen  Balladen  und  Romanzen, 
bekanntlich  auch  eine  Specialität  der  « Fliegenden  >  in 
«Hagebutten»,  Hai  der 's  Zeichnungen  in  «  Die  Jagd 
in  Bildern»,  L.  v.  Nagel's  Bilder  im  «Nagel-Album», 
das  Juristische  im  «  Vademecum  für  lustige  und  traurige 
Juristen  »,  dann  kamen  «  Lustige  Jagd  »,  «  Lustiger  Sport », 
«  In  der  Sommerfrische  » ,  «  Novellen-Pastete  » ,  «  Unsere 
Frauen»,  «  Jocusus  hebricosus  ,  ein  medizinisches  Vade- 
mecum   und    noch    vieles    Andere.     Noch    würden    die 


118 


DIE   KUNST  UNSERER  ZEIT. 


loo  Bände,  von 
denen  wir  reden, 
für  Dutzende  von 
solchen  Extraaus- 
gaben in  Wort  und 
Bild  werthvollen 
Stoff  bieten. 

Der  redaktio- 
nelle Betrieb  der 
« Fliegenden  Blät- 
ter »  ist  von  über- 
raschender, wahr- 
haft patriarchali- 
scher Einfachheit. 
Die  Post  bringt 
einen  riesenhaften 
Einlauf  täglich, 
von  Witzen  und 
Erzählungen,  von 
Gedichten  und 
Anderem ,  was 
von  den  Verfertigern  als  der  « Fliegenden »  würdig  er- 
achtet wurde.  Manche  schicken  ganze  Stösse  von 
Witzen  zugleich,  Viele  benützen  auch  in  bewunderns- 
werther  Unverfrorenheit  die  Blätter  selbst  wieder  als 
Fundgrube  für  ihre  «Einfälle».  Ja  es  ist  auch  schon 
vorgekommen,  dass  besonders  Schlaue  als  Zeichnungen 
Pausen  von  Bildern  der  —  « Fliegenden »  anboten. 
Dass  bei  den  Einsendungen  das  Schlechte  zum  Guten 
ungefähr  in  dem  Verhältniss  steht,  wie  im  Krieg  die 
Kugeln,  welche  treffen,  zu  denen,  die  in's  Blaue  fliegen, 
kann  man  sich  denken.  Der  Schöpfungstrieb  ist  bei 
den  Unberufenen  von  jeher  am  Stärksten  gewesen, 
davon  kann  Jeder,  der  je  auch  nur  in  der  kleinsten 
Redaktion  gesessen,  sein  Liedchen  singen.  Der  ganze 
Einlauf  nun  circulirt  zunächst  bei  einer  kleinen  Zahl  von 
Intimen  des  Hauses,  die  über  tauglich  und  untauglich  ihr 
Votum  abgeben.  Das  so  Gesichtete  wird  in  der  Redaktions- 
stube selbst,  in  der  nur  die  Herren  Kaspar  Braun  jun., 
Julius  Schneider  und  dessen  Bruder  Hermann  Schneider 


„SP  bit  gnäbigt  %iau  iiiifit  ju  $aii|t?" 
„...3*   länget   xi)   Sie  aiiid)aiie,   beftü   meniger   ift 
fit  ä«  ^"i«!" 


thätig  sind,  weiter  verarbeitet,  oder  zu  literarischer  Ver- 
arbeitung an  Mitarbeiter  hinausgegeben.  Die  Illustratoren 
werden  je  nach  der  Art  der  Aufgabe  aus  dem  künst- 
lerischen Generalstab  der  Blätter  ausgewählt,  und  wenn 
diese  ihre  Arbeiten  abgeliefert  haben,  wieder  die  Holz- 
schneider bestimmt.  Das  Zusam.menstellen  jeder  Nummer 
erfordert  mehrtägige  Arbeit  und  sorgsamste  Ueberlegung, 
und  ein  paar  Wochen ,  bevor  sie  erscheint ,  muss  die 
Nummer  auch  schon  gedruckt  sein.  Bekanntlich  er- 
scheinen die  «  Fliegenden  »  an  allen  Plätzen  Europa's  an- 
nähernd gleichzeitig,  in  Amerika  acht  Tage  später. 

Im  Gründungsjahr  1844  betrug  die  Abonnentenzahl 
der  «  Fliegenden  »  schon  an  2000;  1846:  17,000;  1856 
war  die  Zahl  der  Abonnenten  wieder  auf  7 — 8000  zurück- 
gegangen —  die  «  politische  Epoche  »  der  <■.  Fliegenden 
Blätter»  —  1873  auf  20,000  gekommen,  1882  auf  42,000, 
1889  auf  80,000,  1893  zur  Jubiläumszeit  auf  95,000. 
Die  Packete  der  Jubiläumsnummer,  d'e  nach  Leipzig 
gingen  für  den  Buchhandel,  brachten  zwei  Pferde  nicht 
aus  dem  Verlagsgebäude  heraus ,  man  musste  zwei 
weitere  dazuspannen.  —  — 

So  blüht  denn  heute  das  Werk,  zu  dem  deutscher 
Geist,  deutsches  Geniüth  und  deutsche  Kunst  vor  fünfzig 
Jahren  den  Grund  gelegt  haben ,  so  frisch  und  reich 
wie  kein  ähnliches  Unternehmen  in  weitem  Umkreis, 
die  Freundschaft  der  ganzen  gebildeten  Welt  begleitet 
es,  in  Palast  und  Mansarden  i.st  es  gekannt  und  will- 
kommen 1  Mögen  die  «  Fliegenden  Blätter  «  sich  so  weiter 
entwickeln  bis  zu  ihrer  Säkularfeier  und  darüber  hinaus! 
So  lange  der  gute  Geist  von  1844  in  dem  Hause  wohnt 
hinter  dem  Schillerdenkmal  am  alten 
Dultplatz  zu  München,  kann's  nicht 
fehlen.  Und  der  gute  Geist  von 
1844  wird  dort  gar  treu  und  wohl 
gepflegt  —  und  wird  seine  Ge- 
treuen auch  weiter  führen  zu  immer 
schöneren  Siegen,  und  ihre  Botschaft 
in  immer  fernere  Winkel  der  Erde 
tragen,  «  denn  der  Humor  ist  wunder- 
thätig ! » 


K.  B/üun. 


-&^$vc)T(s^Tr-^' 


■  it,^;»-: 


Die  Kunst  unserer  Zeit 


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