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Full text of "Die Legende der drei Lebenden und der drei Toten und der Totentanz: Nebst ..."

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DIE LEGENDE DER DREI LEBENDEN 
UND DER DREI TOTEN 

UND 

DER TOTENTANZ 



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DIE LEGENDE DER DREI LEBENDEN 

UND DER DREI TOTEN 

UND 

DER TOTENTANZ 



NEBST EINEM EXKURS ÜBER DIE JAKOBSLEGENDE 



IM ZUSAMMENHANG MIT NEUEREN GEMÄLDEFUNDEN 

AUS DEM BADISCHEN OBERLAND 



UNTERSUCHT VON 



DR KARL KÜNSTLE 

ORD. HONORARPROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT FREIBURG I. BR. 



MIT EINER FARBIGEN UND SECHS SCHWARZEN TAFELN SOWIE 17 TEXTABBILDUNGEN 



AJ\S\t^ 



FREIBURG IM BREISGAU 
HERDERSCHE VERLAGSHANDLUNG 

1908 

BERLIN, KARLSRUHE, MÜNCHEN, STRASSBURG, WIEN UND ST LOUIS, MO. 



Alle Rechte vorbehalten. 



Buchdrnckerei der Herd ersehen Verlagshandlung in Freiburg. 



t 



139176 

FEB 9 WiO 

KS4 



DEM ANDENKEN 



DES 



AM 5. FEBRUAR 1908 VERSTORBENEN MÜNSTERPFARRERS 

VON ÜBERLINGEN 

DR AUGUST FREIHERRN VON RÜPPLIN. 



INHALTSÜBERSICHT. 



I. Einleitung. Die Stellung der oberrheinischen Lande in der 
Geschichte der Malerei des 15. Jahrhunderts 

II. Neuere Gemäldefunde in Kirchen des badischen Oberlandes. 

1. Die St Jodokaskapelle ia Überlingen am See 

A. Zur Geschichte der Kapelle 

B. Beschreibung des Gemftldefundes 

2. Die Wandmalereien in der Gottesackerkapelle zu Meersburg 

3. Die Malereien in der Wallfahrtskirche Maria Ruh am BQhlweg bei Ortenberg 

4. Die Wandgemälde in der Kapelle zu Zeilen, Pfarrei Emmingen ab Egg 

5. Gemäldefunde in WoUmatingen bei Konstanz 

6. Die Malereien in der Margaretenkapelle des Konstanzer Münsters 



Seite 



1 



5 
5 
6 
9 

10 
13 
15 
16 



III. Exkurs über die Jakobslegende. 

1. Die Legende von den Jakobspilgern in der mittelalterlichen Erbauungsliteratur 

2. Die Legende von den Jakobspilgern in der bildenden Kunst des Mittelalters 

IV. Die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten. 



1. Der Spruch der Toten an die Lebenden 

2. Die vollständige Legende in der mittelalterlichen Literatur 

3. Die Darstellung der Legende in der bildenden Kunst des Mittelalters 

A. Die Legende in Handschriften und in Holzschnitten 

B. Die monumentalen Darstellungen der Legende 



V. Der Totentanz und die Legende der drei Lebenden 

und der drei Toten. 

1. Die bisherigen Anschauungen über die Entstehung des Totentanzes 

A. Die erste zusammenfassende Behandlung .... 

B. Die Totentänze in der französischen und englischen Literatur 

C. Die deutsche Totentanzliteratur 

D. Italienische Autoren über den Totentanz ... 

2. Die Lösung des Rätsels 



18 
22 



27 
30 
41 
42 

47 



63 
63 
64 
69 

87 
89 



VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN, 



Bßd Seite 

1. Aas der Jakobaslegende. Freakeo in der Jodoknskapelle za Cbetimgeii 6 

2. Ans der Jakobaalegeade. Fresken in der Jodokaskapelle za ri>erlingen 7 

3. Fresko in der Kapelle za Zeilen, Pfarrei Emmingen ab Egg 14 

4. — 6. Dlnstrationen einer Handschrift in WoIfenbQttel .... .38 
7.-9. lUostrsüonen einer Handschrift in Wolfenb&ttel 39 

10.— 13. HolzschnittbOder ans Clm 14 053 der SUatabibliothek za Mttnchen 46 

14. Ans dem Totentanz von Gajot Marchant Paria 1485 65 

15. Totentanz in La Cbaise-Dien • . . 67 

16. Totentanz in Kermaria .69 

17. Totentanz in der Marienkirche za Berlin 75 



TAFELN. 

L Die drei Lebenden nnd die drei Toten. Fresko in der JodoknskapeUe zo 

Überlingen Titelbild 

IL a — d. Fresken in der Friedhofkapelle zu Meersbarg 12 

e. Fresko in der Margaretenkapelle des MOnsters za Konstanz ■ ■ . 12 

IIL a. Titelblatt eines TotenofGziams 44 

b. Die drei Lebenden and die drei Toten 44 

IV. a. Die drei Lebenden und die drei Toten. Stich des Meisters des Amsterdamer 

Kabinetts 48 

b. Die drei Lebenden und die drei Toten. Fresko in S. Luca za Cremona . 48 

V. Triumph des Todes. Fresko in Clusone (Bergamo) 52 

VI. Triumph des Todes. Fresko im Camposanto zu Pisa 54 

VII. a. Totentanz in der Marienkirche zu Lübeck .80 

b. Totentanz am Kamer zu Metnitz (Kärnten) 80 




I. EINLEITUNG. 
DIE STELLUNG DER OBERRHEINISCHEN LANDE IN DER 
GESCHICHTE DER MALEREI DES XV. JAHRHUNDERTS. 



jOs 15. Jahrhundert ist für alle Kulturländer das goldene Zeitalter in 
der Entwicklung der Malerei und der graphischen Künste überhaupt. 
Überall begegnet man um die Mitte dieses Säkuluros den Versuchen, die alten 
seelenlosen Typen mit wahrem Leben zu erfüllen, ohne daß man vielfach die 
treibenden Kräfte zu erkennen im stände ist, die diesen Frühling auf dem 
Gebiete der christlichen Kunst hervorzuzaubern vermochten in einer Zeit, die 
politisch und religiös dem Zerfall entgegenging. 

Auffallend war bis dahin die Malerei hinter ihren Schwesterkünsten 
zurückgeblieben; denn während das 12. und 13. Jahrhundert die Wunder- 
bauten des Übergangsstils und der Gotik schaffen und auch auf dem Gebiete 
der Plastik Werke von klassischer Schönheit hervorbringen, fristet die Malerei 
geradezu ein kümmerliches Dasein. Man versteht diese auffallende Tatsache 
sofort, wenn man sich erinnert, daß der spätromanische Kirchenbau mit seiner 
reichen Innenarchitektur und noch mehr die gotische Kathedrale mit ihren 
breiten und hohen Fenstern, die fast alle Wandflächen ausfüllen, für große 
Bilderserien keinen Raum übrig ließen. 

Einen besondern Zweig der Malerei hat die Gotik allerdings mächtig 
gefördert, die Glasmalerei, die aber bei ihrem mehr handwerklichen Betrieb 
einen tiefgehenden Einfluß auf die Entwicklung der zeichnerischen Künste 
nicht ausgeübt hat. 

Man würde jedoch sehr irren in der Annahme, daß in der gotischen 
Periode die Wandmalerei keine Gelegenheit hatte, sich zu betätigen, viel- 
mehr ist es eine Tatsache, daß alle kleineren Gotteshäuser wie überhaupt 
alle mit verputzten Innenflächen stets dekorativen, vielfach auch monumen- 
talen Wandschmuck aufwiesen. Aber es sind fast ausnahmslos Dorfkirchen 
oder Gotteshäuser in kleineren Landstädten, die hier in Betracht kommen, 
und die Ausmalung rührt von dörflichen Handwerkern her. Wenn uns trotz- 
dem aus der Zeit von 1250 bis 1450 verhältnismäßig wenig Wandgemälde er- 
halten sind, so liegt das einmal an der Natur des leicht abbröckelnden Unter- 
grundes, der sie trug, dann aber auch an der Notwendigkeit, die im Laufe 
der Jahrhunderte bestaubten und beschmutzten Kirchenwände zu reinigen. 
Man hat sich vielfach daran gewöhnt, das 17. und 18. Jahrhundert des Van- 
dalismus zu beschuldigen, weil sie die bildergeschmückten Wände der gotischen 
Kirchen übertünchten. Es ist dieses Verfahren in vielen Fällen aber nicht 
der Geringschätzung der alten Gemälde zuzuschreiben, die allerdings vielfach 

Künstle, Drei Lebende und drei Tote. 1 



2 I. Einleitung. 

verblaßt und so verunreinigt waren, daß sie keinen Schmuck des Gottes- 
hauses mehr darstellten, sondern vielmehr der Unfähigkeit, sie derart zu reno- 
vieren und zu konservieren, dafi sie ihren ursprünglichen Zweck wieder erfüllten. 
Es ist darum geradezu als ein älück anzusehen, dafi über die mittelalter- 
lichen Wandgemälde der Pinsel des Tünchers und nicht der des Renovators 
kam, weil sich so die Erzeugnisse der mittelalterlichen Kunst unter der 
schützenden Decke der Tünche wenigstens in einem solchen Zustande un- 
verändert erhielten, daß sie in unsern Tagen, wo die Kunst der Vorzeit so 
viele pietätsvolle Verehrer gefunden hat, wenigstens ikonographisch verwertet 
werden können. 

Wer also die Geschichte der monumentalen Malerei des 14. und 15. Jahr- 
hunderts schreiben will, muß sorgsam auf jene Fragmente achten, die bei 
den modernen Renovierungen der Gotteshäuser aus dieser Periode unter der 
Tünche zu Tage treten. 

Gerade die oberrheinischen Lande stellen eine beachtenswerte Zahl wich- 
tiger Funde, die noch dem 14. Jahrhundert angehören. Das bekannteste Er- 
zeugnis der Bodenseegegend aus dieser Zeit ist die Manessehandschrift. Ich 
erinnere alsdann an die profanen Bilder im Hause eines Konstanzer Lein- 
wandhändlers ^ an die Kreuzigungsgruppe im dortigen Münster ^, dann an 
die ausführliche Legende des hl. Nikolaus in der Schatzkammer daselbst, die 
Gramm ^ freilich in das 15. Jahrhundert verlegen will. Im Sommer 1902 
konnte ich im Rahnschen Hause in Konstanz, Wessenbergstraße Nr 2, in 
einer gotischen Wandnische die Begegnung des auferstandenen Heilandes 
mit Magdalena feststellen. Das genannte Haus war vor seinem Umbau die 
Laurentiuskirche , die vermutlich von Bischof Heinrich von Klingenberg im 
Jahre 1306 erbaut wurde; und dieser Zeit dürfte auch das Bild angehören. 
Aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammen alsdann die Malereien 
in der Eginokapelle zu Reichenau-Niederzell und die Bilder an der Rück- 
wand des südlichen Nebenaltars ebendort^. Ferner sei daran erinnert, daß 
die nördliche Schweiz, die ja kulturell von Konstanz stark beeinflußt ist, so- 
wohl aus dem 14. als aus dem 15. Jahrhundert ansehnliche Gemäldezyklen 
aufweist ^ Ich nenne nur ein paar wichtige Orte, die noch zum Gebiet des 
Oberrheins gehören, so Lausen^ (Baselland), wo die ganze Kirche um diu 
Mitte des 15. Jahrhunderts von einem tüchtigen Meister ausgemalt wurde ^. 
Sehr beachtenswert sind alsdann die Malereien in der Schloßkapelle zu Ky- 
burg^ aus dem Ende des 15. Jahrhunderts. Schon ins 16. Jahrhundert 
hinein führt uns die große Concordia veteris et novi Testamenti im Kreuz- 
gang des Klosters Töß^ bei Winterthur, die allerdings im Original nicht 
mehr erhalten ist. Der Oberrhein hat uns schließlich im 15. Jahrhundert 
die vielberühmten Totentanzbilder im Kloster Klingental in Klein- 
Basel und im Dominikanerkloster zu Groß-Basel hervorgebracht. 

Alle diese Arbeiten stammen ausnahmslos von unbekannten Dekorations- 
malern und sind in der herkömmlichen idealistischen Manier gehalten, ohne 



* Kraus, Die Kunstdenkniäler des Groß- und ihre neuentdeckten Wandgemälde, Frei- 
berzogtums Baden I, freiburg 1887, 289. bürg 1901. 

* Ebd. 205, * Vgl. Rahn, Geschichte der bildenden 

* Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Künste in der Schweiz, Zürich 1876, 616 ff. 
Heft 59, Straßburg 1905. « Ebd. 663. ' Ebd. 

* Künstle und Beyerle, Die Pfarrkirche ' Ebd. 664. 
St Peter und Paul in Reichenau-Niederzell ® Ebd. 668. 



Die StelluDg der oberrhein. Lande in der Geschichte der Malerei des 15. Jahrh. 



eine Spur von jenem großen Umschwung zu wirklichen Eunstgebilden zu ver- 
raten, dessen wir im Eingang gedachten. Dieser vollzieht sich eben nicht 
auf dem Gebiet der Wand-, sondern auf dem der Tafelmalerei. 

Daß der Oberrhein im 15. Jahrhundert den übrigen deutschen Land- 
schaften in der Entwicklung der Tafelmalerei voranging, konnte man aus der 
allgemeinen Kunstgeschichte schon früher ersehen; aber je mehr sich das 
Dunkel lichtet, das bisher über dieser Periode lastete, desto deutlicher tritt 
Konstanz und die Bodenseegegend als großes Kunstzentrum in den Vorder- 
grund. Erst seit kurzem wissen wir von einem ansehnlichen Maler aus Über- 
lingen, Henricus Grossit, der nach Verzicht auf die Abtswürde des 
Cistercienserstiftes Stams im Jahre 1388 eine große Krönung Maria vollendete. 
Verrät auch die ganze Fassung des Werkes italienischen Einfluß, so kann 
Grossit doch bezüglich vieler Einzelheiten als Vorläufer der großen Bahn- 
brecher der neuen Kunst am Oberrhein angesprochen werden i. 

Es ist gewiß kein Zufall, daß die Wiege jenes unsterblichen Meisters, 
der im Kölner Dombild die ältere Kölner Kunst mit einem Schlag auf die 
Höhe echt künstlerischen Empfindens emporgehoben hat, an den Ufern des 
Schwäbischen Meeres stand. Stephan Lochner aus Meersburg hat, wenn 
er auch erst in Köln unter dem Einfluß des Meisters des Klarenaltars zur 
vollen Reife gelangt ist, die Elemente seiner Kunst, die an Stelle der typischen, 
verbrauchten Gestalten solche mit individuellem Leben setzte , aus seiner 
Heimat mitgebracht. Man darf diesen Gedanken um so mehr betonen, als 
schon im Jahre 1431 Lukas Moser, der, soviel wir wissen, seine schwäbisch- 
alemannische Heimat nie verlassen hat, auf dem Tiefenbronner Altar uns die 
Legende der hl. Magdalena mit so köstlichem Realismus geschildert hat^. 

In diesem Zusammenhang ist es nun vom höchsten Interesse zu hören, 
daß Konrad Witz, jener andere große Bahnbrecher der neuen Kunst zwischen 
1430 und 1450, ein naher Landsmann von Stephan Lochner ist und um 1398 
in Konstanz geboren wurde ^. Erinnert man sich ferner an den großen Ein- 
fluß, den der liebenswürdige Schongauer von Kolmar aus auf die Entwicklung 
der Malerei in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ausübte, so darf man 
dreist behaupten, daß der Oberrhein die Wiege der deutschen Renaissance ist. 

Auch mir scheint die Mahnung geboten, die R. Stiaßny am Schlüsse 
seines Aufsatzes über Konrad Witz ausspricht, „die Niederschläge fremden 



^ Vgl. J. Probst, Schriften des Vereins 
far Geschichte des ' Bodensees 1901, 283 ff, 
und D. Burckhardt, Jahrbuch der kgl.- 
preuß. Kunstsammlungen KXVIl (1906) 188. 

' Schmarsow, Die oberrheinische Malerei 
und ihre Nachbarn um die Mitte des 15. Jahr- 
hunderts, in Abhandlungen der kgl.-sächs. Ge- 
sellschaft der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 
XXII 2, Leipzig 1903, 64 ff, verlegt den Altar 
wegen seiner fortgeschrittenen Technik gegen 
das klare Zeugnis einer am Altar angebrachten 
Inschrift in das Jahr 1451; ich kann seinen 
Gründen nicht beistimmen. 

' Den ihm gebührenden Platz in der Kunst- 
geschichte erhielt Konrad Witz erst durch 
D. Burckhardt: Basels Bedeutung für 
Wissenschaft und Kunst im 15. Jahrhundert, 
Malerei S. 27^ — 812. Separatabdruck aus der 



.Festschrift zum vier hundertsten Jahrestage 
des ewigen Bundes zwischen Basel und den 
Eidgenossen, 13. Juli 190 1**. Der nämliche 
Verfasser zeigt alsdann im Jahrbuch der kgl.- 
preuB. Kunstsammlungen XXVIl (1906) 179 ff, 
daß der Vater des Konrad Witz in Konstanz 
um 1875 geboren wurde und sich seit 1402 
als Maler in Nantes aufhielt; später finden 
wir ihn in den Diensten des Herzogs von 
Burgund in Paris und Brügge. Aus Konstanzer 
Urkunden läßt sich feststellen, daß Konrad 
etwa um 1898 geboren ist und in Konstanz 
bis zum Jahre 1427 wohnhaft war, wäh- 
rend er seine Kinderjahre mit dem Vater in 
Nantes zubrachte. Einige Ergänzungen bringt 
R. Stiaßny ebd. 285 ff. Vgl. auch Schmar- 
sow in seinem in Anmerkung 2 genannten 
Aufsatz. 

1* 



4 I Einleitung. Die Stellung der oberrhein. Lande in der Gesch. der Malerei des 15. Jahrh. 

Wesens in seiner Kunst nicht zu überschätzen. Schließlich ist auch seine 
geistige Heimat in dem Leben und dem Volkstum, das ihn umgab, zu suchen, 
auf dem Schauplatz seiner Haupttätigkeit: im deutschen Südwesten, auf 
schwäbisch-alemannischem Boden, im rheinisch-schwarz wäldischen Oberlande. 
Leicht möglich, daß die im 14. und beginnenden 15. Jahrhundert reichlich 
blühende Wandmalerei der Bodenseegegend seine Anfänge befruchtet hat. 
Etwas von der Form- und Farbenanschauung lebt ... in seinen »mauerfesten* 
Figuren nach, hat ihnen jedenfalls den monumentalen Zug mitgeteilt/ ^ . . . 

Es liegt doch nahe, anzunehmen, daß Hans Witz und Stephan Lochner 
an den vielen Wandgemälden, die im Anfang des 15. Jahrhunderts in und 
um Konstanz entstanden sind, beteiligt waren. Alsdann möchte ich Daniel 
Burckhardt bitten, doch einmal zu untersuchen, ob nicht Konrad Witz als Ver- 
fertiger der Kreuzigungsgruppe und der Madonna mit Engeln über dem Grabe 
Ottos HL von Hachberg in der Margarethenkapelle in Konstanz in Betracht 
komme; der Gedanke scheint mir bei dem regen einheimischen Kunstbetrieb 
in Konstanz näher zu liegen, als irgend einen Italiener als Schöpfer zu vermuten. 

Diesen Dingen hier nachzugehen, fällt nicht in den Rahmen meiner Arbeit; 
aber ich möchte doch betonen, daß bei dieser Stellung unserer oberrheinischen 
Heimat in der Geschichte der religiösen Malerei des 15. Jahrhunderts jeder 
neue Fund aus dieser Zeit und aus dieser Gegend gewiß willkommen ist. 
Ich lege in den folgenden Blättern eine Reihe von solchen aus Kirchen des 
badischen Oberlandes vor, die, wenn auch nicht in künstlerischer, so doch in 
ikonographischer Hinsicht zu wertvollen Ergebnissen führen. 



* Stiaßny, Jahrbuch der kgl.-preuß. Kunstsammlungen XXVII 289. 




IL NEUERE GEMÄLDEFUNDE IN KIRCHEN 
DES BADISCHEN OBERLANDES. 

I. DIE ST JODOKUSKAPELLE IN ÜBERLINGEN AM SEE. 

A. ZUR GESCHICHTE DER KAPELLE. 

enn man die Altstadt durch das Spitaltor verläßt, gewahrt man rechts 
in der Straße gegen das Auf kircher Tor zwischen Häuser eingezwängt 
einen schlichten Kapellenbau mit einem spätgotischen Fenster über dem Portal, 
die St Jodokuskapelle, eine Art von Privatoratorium des sog. Dorfes oder der 
Neustadt. Kraus beschreibt sie folgendermaßen: 

„Der spätgotische, dem 15. Jahrhundert angehörige Bau ist von starken 
Strebepfeilern umstellt, einschiffig und flach gedeckt, mit dreiteiligen gotischen 
Fenstern an der Westfassade, sonst zweiteiligen, welche teilweise mit Fisch- 
blasenmaßwerk gefüllt sind. Dem aus drei Seiten des Achtecks geschlossenen 
Chor sind zwei Joche vorgelegt. Er hat ein verzopftes Netzgewölbe mit drei 
Schlußsteinen. Die Rippen ruhen auf Konsolen." ^ 

Eine viel größere Bedeutung hat diese schlichte Kapelle erhalten durch 
die Wandgemälde, die Kunstmaler Mezger aus Überlingen im Jahre 1903 
in ihr bloßgelegt hat. 

Zunächst sollen hier folgende Daten aus Jakob ßeuttlingers Histo- 
rischen Kollektaneen von Überlingen Bd IX fol. ISS*" angefügt werden^: 

»Sanct Jos Capell und Pfrundt und Bruderschafft. 

Anno 1424 hat der erbar Burkhardt Hipp Burger allhier ain namb- 
hafte suma (1200 Haller) zu erbauung sanct Josen Capell und fundation ainer 
pfrundt gegeben und geordnet. Ist also darnach erster fundator und Stifter 
selbicher Capell und pfrundt worden. 

Anno 1462 den 20sten tag decembris ward St Jos Capell und oberster 
Allthar consecriert und gewichen von Bruder Johannes von Gottes apposto- 
lischen Stules genaden Bischof zu Agathopolen, der hailigen Schrifft Pro- 
feßor und deß erwürdigen in Gott Vatter und Herrn Herrn Burkhard Bi- 
schoflfen zu Constanz Vicarius in pontificalibus. Der hat Ablaß und Indulgens 
geben 40 Tag todtlichen und ain Jar läßlich Sünden. 

Anno 1470 wardt Sant Josen obere Pfrundt im Chor gestiftet und fun- 
diert durch Herrn Burgermaister und Rath allhier. Hernach aber anno 1477 
durch Hannsen ab Alb und Elisabetham sein ehelichen Hausfrauwen weiter 
dotiert und gemehret. 

* Die KuDstdenkmäler des Groß herzogt ums K u t z 1 e , Cberlinger Chronik aus dem Anfang 

Baden I 621. des 18. Jahrhunderts, in der nämlichen Biblio- 

» Das Werk befindet sich in der Leopold- thek, und Sevin, Überlinger Häuserbuch, 

Sophienbibliothek zu Überlingen. Vgl. auch Überlingen 1890, 58. 



6 IL Neuere Gemftldefunde in Eircben dea badiscben Oberlandes. 

Anno 1474 Xoni3 Septembris sub papa Sixto i. anno eins 4. hat Marcus 
aus Gottes Verhängnuß der bailigen rümischen KUrch de& Titels sancti Marci 
Priester Cardinal, Patriarch zu Äquilegien und daß rOm. Stuola Legat allen 
denen, do sanct Jos Kürch allhier uff etliche Fest andechtiglich haimbsuchen 
und mit irem Alltnußen begaben, ain hundert tag uffgelegter Büß geben." 

Seite 184 fügt alsdann Heuttlinger folgende „Nota' bei, die für unsern 
Zweck sehr wichtig ist: 

,£s ist von Anfang dieser Bruderschafft niemandes darein angenommen 
worden, er habe dann ain Walfart aintweders genn Sanct Jacob zu Oompostell 
in Hispania, genn Rom zu St. Peter, genn St. Jos in Picardia, oder zu unser 
lieben frauwen in Niederlandt genn Aach voinbracht. ' 

B. BESCHREIBUNG DES GEMALDEFUNDES. 

a) Im Chor. An der Nordwand war das Leben Mariens dargestellt: 
man erkennt noch die Geburt Mariens, die Darstellung Mariens im Tempel. 
Auf beiden Bildern spielen sich die Vorgänge in einer spätgotischen Halle 
ab. Darauf folgt Christus am Ölberg: die folgende Szene ist nicht mehr 
erkennbar, wie überhaupt der Erhaltungszustand ein äußerst schlechter ist. 
An der SUdeeite sind keine Bilder zu Tage getreten. 

b) Im Langhaus. Unter der Decke läuft eine Serie von nachträglich 
angebrachten Bildern der 14 Nothelfer hin, die aus dem Ende des 16. oder 
dem Anfang des 17. Jahrhunderts stammen mögen. An der Südseite, die nur 
von einem Fenster durchbrochen ist, sind noch z« erkennen: 1. St Nikolaus, 
2. Cyriakus, 3. Christophorus , 4. Pantaleon, 5. Eustachius, 6. Margaretha, 
7, Barbara, 8. Katharina, sämtliche mit Donatorenschildern. An der Nord- 
wand ist nur noch St Georg erkennbar. Auch in dem verblichenen Zustand, 
in dem wir die Nothelfer heute vor uns haben, erkennt man den geschickten 
Meister, der flott und sicher die verehrten Heiligen vorzuftihren verstand. 

Zur ursprünglichen Ausstattung der Kirche gehört jedoch ein Bilderfries, 
der ca 1,5 m hoch unter der Fensterbank der Nordwand hinläuft und kultur- 



3 der Jakob ualegen de. Fresken in der Jodokuskopelle zu Überlingen. 



I. Die St Jodoknskfipelle 



Bild 2. Aus der Jak oba siegende. Fresken in der JodokuskHpelle zu ÜberÜDgeii. 

geschichtlich vis ikonographiech von hohem Interesse ist. Der unbekannte 
Maler hat es nämlich unteraommen, jene uns schon aus dem 13. Jahrhundert 
überlieferte Legende darzustellen, nach welcher ein niederländisches Eltern- 
paar mit seinem Solm eine Pilgerreise zum Grabe des hl, Jakobus in Compostela 
unternahm. Unterwegs werden die Pilger von einem gottlosen Wirte, der 
in den Reisesack des Vaters einen silbernen Becher gesteckt hatte, des Dieb- 
stahls beschuldigt; daraufhin wird der Vater zum Tod am Galgen verurteilt, 
der Sohn jedoch opfert sich fUr den Vater. Die Eltern eilen zum Grabe des 
Heiligen, der ihnen offenbart, daß der Sohn noch lebe. In der Tat finden 
sie ihn noch lebend am Galgen. Auf die verschiedenen Variationen, in denen 
die Pilgergeschichte erzählt wird, kommen wir noch zurück. 

Dieses nicht leichte Thema wollte unser Überlinger Meister an der Nord- 
wand der Bruderschaftskirche darstellen. Schade, dag wir nicht mehr voll- 
ständig erkennen können, wie er seine Aufgabe löste, denn die Hälfte des Zyklus 
vom Eingang her ist gänzlich erloschen. Erhalten ist nur noch folgendes: 

1. Der Sohn, der sich für den unschuldigen Vater opfert, 
hängt am Galgen. 

2. Die Eltern sind am Grabe des hl. Jakobus angelangt. Der 
Apostel ist aber lebend auf einem Throne sitzend dargestellt; neben ihm 
klagen ihm die Eltern ihr Leid. 

3. Die Eltern kommen zum Galgen zurück, wo sie ihren Sohn, 
von zwei Heiligen gestutzt, noch lebend antreffen (Bild la). 

4. Das Elternpaar sucht (mit dem Richter) den Wirt auf; 
im Vordergrund brät ein Koch Hühner, die aber wieder lebendig werden und 
davonfliegen (Bild Ib). 

5. Der Wirt hängt am Galgen. 



g II. Neuere Gem&ldefiinde in Kirchen des badischen Oberlandes. 

6. Die Eltern gehen mit dem Sohn zu St Jakob zurück, um 
dem Heiligen, der mit Buch und Stab auf einem Throne sitzt, zu danken (Bild 2 a). 

7. Äußere Ansicht eines gotischen Chores, auf dessen Höhe 
der Galgen über einem Steinkreuz angebracht ist (Bild 2b). 

8. Unter dem Fenster zunächst am Seitenaltare ein ge- 
maltes Gitter, aus dem ein Hahn herausschaut (Bild 2c). 

Inhaltlich wie auch formell ist diese Bilderserie beachtenswert, und ihr 
Schöpfer ist keineswegs ein gewöhnlicher handwerklicher Dekorateur, wie dies 
bei den Wandgemälden des 14. und 15. Jahrhunderts so oft der Fall ist. Der 
unbekannte Meister konnte sich bei Darstellung der Pilgerlegende in dieser 
Ausführlichkeit nicht an allbekannte Typen halten, wie sie in fast jeder Kirche 
anzutreffen waren, sondern mußte aus dem Eigenen schöpfen. Er ist vor allem 
ein flotter Zeichner, der uns die einzelnen Handlungen mit großer Sicherheit 
vorführt, dagegen ein geringerer Kolorist, da er fast alle Figuren mit breiten 
schwarzen Konturen umgibt und in mennigroten Gewändern auftreten läßt^. 

Auch an der Südseite des Langhauses ist ein analoger Bilderfries unter 
der Nothelferreihe angebracht, der nicht geringeres Interesse für den Ikono- 
graphen erweckt. Derselbe scheint mit einer Kreuzigungsgruppe zu beginnen, 
von der aber mit Sicherheit nur noch Johannes zu erkennen ist.. Daneben 
(Tafel I) schreiten gegen Westen drei Fürstengestalten ; die beiden vordersten 
tragen lange Brokatmäntel, der hintere ein enganliegendes, bis fast an die 
Knie reichendes Wams; der mittlere hält in der Rechten ein Lilienzepter; 
auf der Faust des zweiten und dritten Fürsten sitzt je ein Falke. Alle drei 
tragen barettartige Hauben. Der halbgeöfifhete Mund und die starr vorwärts 
genchteten Augen sollen Überraschung und Schrecken ausdrücken. Diese 
Seelenstimmung ist begreiflich, denn es . begegnen den drei Fürsten drei Tote, 
über deren abgemagerten Gestalten ein loser Mantel hängt. Bei dem ersten 
Toten ist leider die obere Partie bis zur Brust mit dem Verputz abgefallen, 
während die beiden andern ganz intakt sind. Diese tragen mit wei&en und 
roten Schlangen bedeckte Kronen auf den totenkopfartigen Gesichtern. Die 
sechs Gestalten und auch die Kreuzigungsgruppe heben sich von einem dunkel- 
grünen Teppich ab; der Zwischenraum zwischen diesem und der Borte, die 
den Bilderfries nach oben abgrenzt, ist mit verschlungenen Schriftbändern 
ausgefüllt, deren Text sich aber nicht mehr entziffern läßt. 

Der Maler dieser Gruppe ist sicher nicht identisch mit jenem der Pilger- 
legende, wie sich aus der viel unsichereren Zeichnung und dem total verschie- 
denen Kolorit ergibt. 

Daran schließen sich zwei Gruppen in ganz schlechtem Erhaltungszustand : 
die Gestalt Gott Vaters, von älteren Bilderresten sich abhebend, und mit eigener 
gotischer Umrahmung das SchweiMuch Christi, von zwei Heiligen (Petrus und 
Paulus?) gehalten. Auch über letzterem Bild sind die Reste eines Schrift- 
bandes sichtbar mit der Jahreszahl: Anno domini MCCCC . . . Den Schluß 
der Dekoration der Südwand des Langhauses macht ein etwa 2 m hohes Ge- 
mälde mit der Todesangst Christi am Olberg. In einem düsteren Garten 
kniet der Erlöser, von der tiefsten Not zu Boden gedrückt, während die drei 
Jünger im Hintergrund schlafen. Auf beiden leiten ist diese Gruppe von 
einer Nische eingerahmt; in der vorderen steht eine schlanke Frauengestalt, 



^ Wir mußten uns auf die Wiedergabe der Szenen beschränken, da die Übrigen zu schlecht 
beiden oben unter Nr 3, 4 und 6 angeführten erhalten sind (Bild 1 — 2). 



2. Die WandmalereieD in der Gottesackerkapelle zu Meersburg. 9 

die erschreckt aufhorcht, in der hinteren erscheint der Verkündigungsengel. 
Unter der Gestalt des Petrus ist eine Inschriften tafel angebracht mit den 
Worten: Anno nostrae salutis 1518 MD Augusti Renovatum 1608 30 1. D. July. 

Abgesehen von zahlreichen Pickelhieben, mit denen man dem neuen Verputz 
Haltepunkte verschaffen wollte, ist das Bild vortrefflich konserviert und läßt die 
ursprüngliche Schönheit der Komposition genugsam erkennen. Zumal die beiden 
Nischen mit der Mutter Gottes und dem Engel sind wirkliche Kunstwerke, und 
es ist zu bedauern, daß wir den Namen des Meisters nicht erfahren können. 

Auf die Jakobslegende und jene von den drei Lebenden und den drei 
Toten werde ich weiter unten zurückkommen. 

2. DIE WANDMALEREIEN IN DER GOTTESACKERKAPELLE 

ZU MEERSBURG. 

Anläßlich der Renovierung dieses urkundlich um 1450 zu Ehren der 
Himmelfahrt Maria erbauten Kirchleins ^ gelang es dem Vorstand des Erz- 
bischöflichen Filialbauamtes in Konstanz, Herrn 0. Beizer, den ursprüng- 
lichen Bilderschmnck bloßzulegen. Derselbe ist ohne Zweifel unmittelbar 
nach Fertigstellung des Baues im Zusammenhang mit der gesamten Innen- 
ausstattung erstellt und somit datiert. 

1. An der Nordwand des Schiffes. 

a) Zwischen dem linken Seitenaltar und dem vordersten Fenster: der Hei- 
land mit der Weltkugel; darunter Reste einer Schrift: daz ist unseres 
Herren . . . hat lan malen . . . Daneben: Schmerzhafte Mutter Gottes 
von sieben Schwertern durchbohrt (vielleicht aus späterer Zeit). 
Unter diesen beiden Bildern: Mutter Anna selbdritt und St Ursula 
mit der Unterschrift: Daz hat lan malen Ursula Syterin. 

b) Wichtiger ist der Zyklus von 24 kleinen Bildern aus dem 
Leiden Christi, der den übrigen Raum der Nordwand in folgender Anordnung 
ausfüllt : 



1 


2 


3 


4 


5 


6 


7 


8 


Einzug 


Abend- 


Jesus 


Verrat 


Christus 


Christus 


Christus 


Pilatus 
wäscht 


Christi in 




am 


des 


vor 


vor 


vor 




Jerusalem 


mahl 


>• 

Olberg 


Judas 


Eaiphas 


Pilatus 


Herodes 


sich die 
Hände 


9 


10 


11 


12 
Jesus 


13 

Fall 
unter dem 


14 
Jesus wird 


15 


16 


Geißelung 


Dornen- 


Ecee homo 


begegnet 


an das 


Jesus 


Kreuz- 




Krönung 




den 
Frauen 


Kreuze 


Kreuz 
genagelt 

22 


am Kreuz 


abnahme 


17 


18 


19 


20 


21 


28 


24 




Jesus 




Die drei 


Magdalena 


Jesus er- 




Ausgie- 


Grab- 
legung 


in der 
Vorhölle 


Auf- 
erstehung 


Frauen 
am Grabe 


vor dem 
Auferstan- 


scheint den 
Aposteln 


Himmel- 
fahrt 


ßung des 
Heiligen 










denen 


(?) 




Geistes 



Ein jedes dieser Bilder hat ursprünglich eine Dedikationsinschrift ge- 
tragen; entziffern läßt sich nur noch die unter Nr 3 und 4, wo man liest: 



» Vgl. Kraus, Die Kunstdenkmäler I 528. 



10 



II. Neuere Gemäldefunde in Kirchen des badischen Oberlandes. 



Daß hat lan malen die arme frau Anna Schuchlin und Beta Beckin . . . Dafg 
hat lassen malen Elsen . . . Leider sind die Darstellungen durchgängig der- 
art schlecht erhalten, daß von einer stilkritischen Behandlung keine Rede 
sein kann, und auch der Inhalt muß vielfach nur aus dem Zusammenhang 
erschlossen werden. Ikonographisch ist es aber immerhin von Wichtigkeit, 
das Vorhandensein dieses Zyklus zu konstatieren. 

Vorzüglich erhalten sind jedoch und lassen auf einen ganz geschickten 
Meister schließen die Bilder 

2. an der Eingangswand. Es sind hier drei Gruppen zu unter- 
scheiden (Tafel II a — d). 

a) Südlich vom Eingang: drei heilige Jungfrauen, Barbara, Katha- 
rina und eine Heilige mit Kerze (Ottilia?). 

b) Nördlich von der Türe: Michael mit der Seelenwage in der 
Linken; mit der Rechten gießt er das Blut Christi über die zu richtende 
Seele, die in Gestalt eines Kindes in der einen tief herabhängenden Wag- 
schale sitzt. In der andern Wagschale sitzt der Teufel, dem es nicht gelingt, 
das eben vor sich gehende Gericht zu beeinflussen. Unter dieser Szene ist 
ferner das Martyrium eines Bischofs abgebildet. Der Richter mit einem 
Schergen hält einen Balken, an dem der Heilige gemartert werden soll. 

c) An der Hochwand über der Türe: eine gute Darstellung des 
hl. Georg zu Pferd, der den jungen Drachen vor der Höhle tötet, während 
der alte umgerannt am Boden liegt i. Im Hintergrund die Königstochter im 
Gebet mit einem Lamm zur Seite. 

3. DIE MALEREIEN IN DER WALLFAHRTSKIRCHE MARIA RUH 

AM BÜHLWEG BEI ORTENBERG. 



In diesem überaus idyllisch gelegenen Kirchlein traten gelegentlich einer 
Renovierung, die von dem Dekorationsmaler Henselmann in Oflfenburg im 
Frühjahr 1903 ausgeführt wurde, eine Reihe von Wandmalereien zu Tage, 
die zumal im Zusammenhang mit den eben besprochenen Funden einige Be- 
achtung verdienen 2. 

Die Kapelle, welche heute als Gottesackerkirche für Ortenberg dient, ist 
ein spätgotischer Bau, dessen im halben Achteck geschlossener Chor intakt 
erhalten ist. Im Langhaus scheinen größere Veränderungen, vielleicht in- 
folge von Zerstörung des Dachstuhls in Kriegszeiten, vorgekommen zu sein. 
Die Fenster sind heute viereckig geschlossen, haben aber noch gotisch pro- 
filierte Gesimse. Als urkundliche Notiz führe ich folgendes Schreiben des 
Pfarrers Rapp von Oflfenburg, d. d. 26. September 1616, an: „In der Kapelle 
Unserer Frauen zu der Ruh an dem Bühlweg bei Ortenberg, welche mit Kon- 
sens der Herren Ordinarii kurfürstlichen Pfalz als damaligen Inhabers der 



» Vgl. Stork. St Jörg am Oberrhein: 
Wissenschaftliche Beilage zum .lahresbericbt 
der Oberrealschule Freiburg für das Schul- 
jahr 1904/05. 

' Ich habe über diesen Gemäldefund im 
, Badischen Beobachter* 1903, Nr 92 berichtet 
und darauf hingewiesen, daß der Richter in 
TQrkengestalt im Bilde der Laurentiuslegende 



an den Prinzen Dschem in den Appartamenti 
Borgia erinnert. Herr Prof. Sauer, der aber 
unsere Bilder nie gesehen hat, behauptet nun 
im Freiburger Diözesan- Archiv, Neue Folge VI, 
383, yvo er über neuere Gemäldefunde in 
Baden berichtet, ich hätte die Malereien in 
Maria Ruh den Werken Pinturicchios gleich- 
gestellt. Das ist mir natürlich nicht eingefallen. 



B. Die Malereien in der Wallfahrtskirche Maria Ruh am Btthlweg hei Ortenherg. H 

Pfleg Ortenau und Herren Henrici de Sachs des Kirchherren jedoch in Allem 
mit Vorbehalt der pfarrlichen und der Mutterkirche Gerechtigkeiten erbaut 
wurde anno 1497, geschehen im Jahr 2 Predigten auf Bartholomä des heiligen 
Apostels Tag mit einem gesungenen Amt . . . Die Kapelle Bühlweg anlangend 
hat dieselbe nicht allein niemals einen eigenen Kaplan gehabt seit der Zeit 
ihrer anno 1497 geschehenen Erbauung." ^ . . . 

Nur der Vollständigkeit wegen erwähne ich an der südlichen Choi-wand 
ein geringes Muttergottesbild mit Strahlenmandorla, Spruchbändern und einer 
deutschen Inschriften tafel ; rechts und links davon ein Bischof und ein 
Ordensmann. 

Recht ansehnlich jedoch und wohl beachtenswert ist der Gemäldefund im 
Langhaus der Kapelle. 

Den ganzen Raum der Nordwand zwischen den beiden Fenstern nimmt 
ein etwa 2 m hohes, wohl erhaltenes Gemälde mit dem Martyrium des 
hl. Laurentius ein. Dasselbe zerfällt in drei Szenen: 

1. Laurentius mit Tonsur und Diakonskleidung verteilt die 
Schätze der Kirche an die Armen, die durch vier Personen vertreten sind. 

2. Laurentius empfängt sein Urteil von dem Richter, der ein reich 
damasziertes Gewand und einen türkischen Kopfbund trägt; beide lebensgroß 
gezeichnete Gestalten sind von einem mächtigen Spruchband mit deutschem 
Text überragt. 

3. Laurentius liegt auf dem Rost; im Vordergrund kniet ein 
Scherge, eifrig bemüht, mit einem Blasbalg die Glut anzufachen, während ein 
anderer zu Füßen des Heiligen steht, bereit, mit einem Stab den Märtyrer 
auf das glühende Eisen niederzudrücken. Zwei vornehm gekleidete Beamte 
überwachen die Ausführung des Urteils. 

Als Hintergrund der mittleren Szene dient eine gotische Architektur. 
Diesem Gemälde entpricht an der Südwand eine Bilderserie ähnlich der 
in Meersburg in folgender Anordnung: 



3 



10 



11 



12 



1. Christi Einzug in Jerusalem, halb zerstört. 

2. Das letzte Abendmahl. Der Heiland sitzt auf einer Bank vor 
einem einfachen Tisch, ihm gegenüber drei Jünger sichtbar. Der Boden des 
Zimmers ist mit Tonfliesen bedeckt. 

3. Christus mit weißem Gewand betet im Ölgarten. 

4. Judas verrät den Herrn mit einem Kuß. 

5. Christus vor Pilatus. 

6. Die Geißelung. 



* Ich entnehme diese Stelle der populären. 
Schrift von Pfarrer W. Störk, Die Wall- 
fahrtskirche Maria Ruh in BQhlweg bei Orten- 



herg (Offenburg, o. J. [1902?], Zuschneid), 
wo die Quelle, aus der diese urkundliche 
Notiz stammt, nicht angegeben ist. 



12 n. Neaere Gemäldefande in Kirchen des badischen Oberlandes. 

7. Die Dornenkrönung. Der Heiland trägt ein weifies, blaugefüttertes 
Obergewand und ein rötliches Unterkleid. 

8. Christus trägt das Kreuz; die weinenden Frauen folgen ihm. 

9. Christus am Kreuz; halb zerstört von der später angebrachten 
Kanzel. 

10. Grablegung Christi; halb zerstört aus dem angegebenen Grunde. 

11. Auferstehung. 

12. Das letzte Bild des Zyklus ist dreiteilig. Zunächst sieht man einen 
hemiederschwebenden Engel, der einer in Flammen stehenden bekrönten Ge- 
stalt die Hand reicht. Alsdann folgt eine knieend betende Frauengestalt mit 
einem gro&en weißen Kopftuch bedeckt ; zu ihren Füßen eine kleine Donatoren- 
gestalt. Endlich schaut man in das Innere eines gotischen Cbörleins (Maria 
Ruh?) mit einem Kruzifix auf der Altarmensa. 

Das ist gewiß ein sehr ansehnlicher Wandschmuck für das kleine Kirchlein : 
aber damit nicht zufrieden, hat man, wie es scheint, jede freie Wandfläcbe 
mit Bildern geschmückt. Über dem südlichen Nebenaltar gewahrt man 
noch deutliche Spuren einer Kreuzigungsgruppe mit Johannes und 
Maria; an dem Wandstreifen daneben Sebastian und Barbara. Über 
dem nördlichen Seitenaltar ist eine auch im gegenwärtigen Zustand durchaus 
ansprechende Gruppe zu konstatieren : die Mutter Gottes mit dem Jesuskind, 
das sich nach einer zweiten Frauengestalt (Anna?) hinüberwendet. Auf dem 
Wandstreifen seitlich von diesem Altar eine hl. Katharina. 

Zum Schluß erwähne ich noch das nur in Umrissen erhaltene Bild eines 
Abtes mit Kreuzesstab auf der Nordwand des Langhauses zwischen dein 
vorderen Fenster und dem Altar. 

Für die Datierung dieses Gemäldeschmuckes kommt zunächst das Baujahr 
der Kapelle (1497) in Betracht. Aus der Zeit unmittelbar nach Erstellung des 
Rohbaues stammt jedoch wohl nur die Bilderserie mit dem Leiden Christi an 
der Südwand, die nach Form und Inhalt mit dem Meersburger Zyklus zu- 
sammengehört. Es sind dies Votiv- und Andachtsbilder, wie sie in der 
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts üblich waren. Den Geist der Renaissance 
jedoch offenbart das große Martyrium des hl. Laurentius, das, nach italienischen 
Vorbildern gearbeitet, zu den besten Erzeugnissen süddeutscher Wandmalerei 
aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts zu rechnen ist. Demselben unbekannten 
Meister gehört wahrscheinlich auch die ansprechende Gruppe über dem nörd- 
lichen Seitenaltar an, während die Bilder im Chor und die Kreuzigungsgruppe 
über dem südlichen Nebenaltar, ebenso die Abtsfigur an der Nordwand nach 
Zeichnung und Technik viel geringer sind und vielleicht erst dem 17. Jahr- 
hundert angehören. 

Solche Passionsbilder, wie sie uns in Maria Ruh und in Meersburg be- 
gegnen, beginnend mit dem Einzug Christi in Jerusalem und endigend mit 
der Auferstehung oder der Sendung des Heiligen Geistes, waren, wie es 
scheint, im 15. Jahrhundert beliebt und sind wohl durch eine volkstümliche 
Andacht nach Art unseres Kreuzwegs hervorgerufen. Ich erinnere neben 
der Passionsfolge im Kolmarer Museum, die Schongauer zugeschrieben wird, 
an folgenden Zyklus aus Obermauern im Pustertal, der mit jenem in 
Meersburg die größte Ähnlichkeit hat und ebenfalls dem 15. Jahrhundert 
angehört ^ 



1 Vgl. Kunstfreund X (1894) 33 ff. 



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bendo und drei Ton 



4. Die WAndgemälde in der Kapelle zu Zeilen» Pfarrei Emmingen ab Egg. 



13 



Auferweckung des Lazarus 



Letztes Abendmahl Jesus am Ölberg 



Petri 
Verleugnung 



8 



Verspottung Christus 

bei Kaiphas vor Herodes 



13 



Ecce bomo 



14 



Verurteilung 



15 



Ereuztragung 



19 

Christus 

im Schoß 

der Mutter 



20 



Grablegung 



21 

Christus 
in der Vorhölle 



25 

Christus 

erscheint 

seiner Mutter 



26 

Szene 
in Emmans 



27 
Himmelfahrt 



Einzug Christi in Jerusalem 



Christus wirft die Judaskuß, 

Rotte zu Boden ' Gefangennahme Jesu 



10 

Christus 
vor Pilatus 

16 

Entkleidung 
des Herrn 



11 



Geißelung 



12 

Domen- 
krönung 



17 



18 



Kreuzigung j Tod am Kreuz 



22 



Auferstehung 



23 

Die Frauen 
am Grabe 



24 

Christus 

erscheint der 

Magdalena 



28 

Sendung des 

Heiligen 

Geistes 



29 



Weltgericht 



Man könnte an die „Biblia pauperum'' und an die «Specula humanae sal- 
vationis" als Quellen für diese Bilderserien denken, aber in beiden sind in ganz 
stereotyper Anordnung mit den neutestamentlichen Ereignissen die alttesta- 
mentlichen Vorbilder verbunden, die hier fehlen. Ich sehe vielmehr in diesen 
Passionsfolgen ein Anschauungsmittel für eine Volksandacht nach Art des 
sog. I, Großen Gebetes'', wie es in Einsiedeln und in den Urkantonen bis ins 
18. Jahrhundert hinein üblich war^ 



4. DIE WANDGEMÄLDE IN DER KAPELLE ZU ZEILEN, 

PFARREI EMMINGEN AB EGG. 

Weltabgeschieden liegt, in der Talmulde verborgen, der nur einige Häuser 
zählende Ort Zeilen, der jetzt kirchlich und politisch zu dem ^U Stunden 
entfernten Emmingen ab Egg, Amt Engen, gehört 2. Eine verhältnismäßig 
große Kapelle, die Zeilen sein eigen nennt, läßt vermuten, daß der Ort, der 
am Ende des 15. Jahrhunderts als Vogtei den Grafen von Zollern gehörte, 
ehedem ausgedehnter war. 



^ Vgl. Delitzsch, Das Große Gebet der 
drei schweizerischen Urkantone, Leipzig 1864 ; 
L ü t o 1 f , Der Geschichtsfreund, Mitteilungen 
des bist. Vereins der fünf Orte, XX, Ein- 



siedeln 1 867, 86 ff, und R i n g h 1 z , Wall- 
fahrtsgeschichte von Einsiedeln, Freiburg 
1896, 152. 
' Vgl. Kraus, Die Kunstdenkmäler I 17. 



u 



U. Neuere Oemildefnnde m Kirchen des badischen OberUndee. 



Die Kapelle selbst ist ein schlicbter Bau mit quadratisch vorgelegtem 
Chor, der von einem mit einfach profilierten Rippen versehenen Kreuzgewölbe 
überspannt ist. Der Schlu^tein zeigt das fUrstenbergische Wappen, während 
die kleinen Schildkonsolen, auf denen die Rippen aufsitzen, die Wappen derer 
von Neuneck, Baden, ZoUem und Lupfeu aufweisen. Das Langbaus bat eine 
einfache Holzdecke aus dem 17. Jahrhundert. 

Im Chor, dessen drei Seiten von je einem Fenster durchbrochen sind, 
von denen aber nur jenes hinter dem Altar seine ursprüngliche gotische Form 
bewahrt hat, fand Kunstmaler Mezger • aus Überlingen im Verein mit dem 
Pfarrherrn von Emmingen ab Egg im Jabre 1902 einen dekorativ recht ge- 
schickt angelegten Gemäldezyklus. Der unbekannte Maler hat die drei Wände 
des Altarhauses durch einen rings umlaufenden Blattfnes quer geteilt und 




Bild 3. Fresko in der Kapelli 



Zeileo, Pfarrei Emmingen ab Egg, 



rechts und links neben den Fenstern in der Höhe des Fensterbogens je eine 
Passionsszene angebracht: an der Nordwand ölherg und Geißelung, an der 
Ostwand Eccc bomo und Dornenkrönung, an der Südwand Händewascbung 
und Kreuztragung. An der Nordwand sind außerdem in dem Zwickel über 
dem Fenster noch Christophorus, Katharina und eine andere weibliche Heiliga 
erkennbar. Unter die Passionsszenen malte der Meister unserer Dorfkirche 
in Kreise, die teilweise ineinander übergreifen, die Brustbilder von elf Hei- 
ligen, von denen jedoch nur zwei Figuren noch erkennbar sind: eine männ- 
liche Figur mit dem Messer in der Hand (Bartholomäus?) und eine nackte 
bartlose Gestalt mit einer Mütze auf dem Kopfe, bis zu den Hüften in einem 
üammenumzüngeltcn Kessel stehend (Bild 3), eine Darstellung, wie sie im 



' Dieaem Herrn verdanke icb die eingehende Beschreibung diei 
nung dazu. 



5. Gemftldefunde in Wollmatingen bei Konstanz. 25 

Mittelalter für den hl. Veit typisch ist. Oder sollte mit letzterem Bild das 
Martyrium des hl. Johannes vor dem lateinischen Tor in Rom gemeint sein ? 
Dann läge die Vermutung nahe, daß alle Brustbilder Apostel darstellten, und 
die Inschriftenreste, die unter den Kreisen herlaufen, hätten die Artikel des Credo 
enthalten. Wenn diese Vermutung richtig wäre, dann müßte auf dem letzten 
Felde an der Südwand unbedingt der Apostel Matthias erscheinen. Das trifft 
aber nicht zu ; hier hat vielmehr der Maler das Martyrium des Kirchenpatrons, 
des hl. Sebastian, dargestellt. Davon ist allerdings nur der Schütze er- 
halten, eine derb gezeichnete Figur mit schwarzem Gesicht. Hinter ihm kniet 
ein Ritter, wohl der Besteller der Bilder, in grünem Festrock, der unten 
mit Pelz verbrämt ist; über seinem Kopfe ein Wappeuhelm mit schwarzer 
Kugel in der Helmzier und herabfallenden Helmdecken ; zu seinen Füfien sein 
Wappenschild, in dem man noch einen weißen Schrägbalken in Blau zu er- 
kennen glaubt. In der Umrahmung oben liest man, wohl als Rest einer Jahres- 
zahl, XXVI. Auf der schmalen Wandfläche, die daneben noch übrig blieb, 
sieht man ziemlich gut erhalten eine weibliche Heilige in Witwen- oder 
Nonnentracht, auf einer Schüssel einen krähenden Hahn haltend, eine Dar- 
stellung, die ich nicht zu deuten weiß^ 

Wie der Blattfries, der unter dem Figurenzyklus herläuft, erkennen läßt, 
war der Maler von Zeilen ein flotter Zeichner. Im figürlichen Teil seines 
Wandschmucks hat er sich allerdings begnügt, die Gestalten schwarz zu um- 
reißen und dann einfach die unvermischte Farbe aufzutragen, ohne viel zu 
modellieren oder sich mit Drapieren abzuplagen. In den Passionsszenen zeigt 
er viel Leben und ist namentlich bedacht, durch schwarze Hintergründe, die 
er anbringt, seine Figuren scharf zu silhouettieren. 

So karg die Überreste auch sind, die in der Kapelle des einsamen 
Schwarzwalddörfchens zu Tage traten, so liefern sie doch aufs neue einen Be- 
weis dafür, daß man im 15. Jahrhundert auch die kleinsten Kirchen originell 
zu schmücken verstand. 

5. GEMÄLDEFUNDE IN WOLLMATINGEN BEI KONSTANZ. 

In der Martinskirche zu Wollmatingen^ wurde im Frühjahr 1905 ge- 
legentlich einer Erweiterung des Gotteshauses und der damit notwendig ge- 
wordenen Renovierung des Langhauses an der Nordseite ein großes Jüngstes 
Gericht aufgedeckt, das den ganzen Raum zwischen den zwei Fenstern der 
Nord wand einnahm und eine Fläche von ca 12 qm bedeckte: In der Mitte 
Christus als Richter zwischen den zwölf Aposteln ; leider sind die Gestalt Christi 
und die unter ihm dargestellten Figuren durch ein später eingebrochenes^ 
Fenster verloren gegangen. Links unten der Zug der Seligen, Papst, Bi- 
schöfe, weltliche Herrscher, Laien und Geistliche, überlebensgroß und wohl 
erhalten. Rechts unten treibt ein großer Teufel mit Froschkopf die Ver- 
dammten in die Hölle. Auch in dieser Gesellschaft sehen wir die Vertreter 
aller Stände. Es muß aber einem Pfarrer von Wollmatingen sehr mißfallen 
haben, daß der Reigen der Vet*dammten von einem Bischof in hoher Mitra 
angeführt wurde, und er ließ diese Ecke des Bildes mit der Szene Jesus am 



^ Sollte hier die hl. Martha gemeint sein, lebt der Vogel allerdings, aber das ist viel- 

die als „Hospita Domini" mit einer Schüssel leicht nur eine Ungeschicklichkeit des Malers; 

in der Hand abgebildet wird, auf der ein vgl. R. Köhler, Kleinere Schriften II 117. 

gebratenes Huhn liegt? In unserem Falle ' Vgl. Kraus, Die Kunstdenkmäler I 379. 



16 n. Neuere Gemäldefnode in Kirchen des badischen Oberlandes. 

Ölberg Übermalen. Es muß dies schon bald nach Fertigstellung des für eine 
Dorfkirche sehr bedeutungsvollen Gemäldes geschehen sein, denn die Gestalten 
der Ölbergszene erinnern durchaus an Gebilde des 15. Jahrhunderts. 

Die Südwand des Langhauses zunächst bei der Kanzel schmückte ein 
Christophorus ähnlich dem ihm Konstanzer Münster. Dann folgt Ritter 
Georg, den Drachen tötend, ein Votivbild des Pflegers Georg Stadelhofer 
und seiner Ehefrau Katharina vom Jahre 1609; unter dem Heiligen die Kinder 
der Stifter. Nach Westen zu schloß der Bildschmuck der Südwand mit einer 
Szene aus der Jakobslegende: in der Mitte thront St Jakob und setzt dem 
durch seine Fürbitte geretteten Sohn und dem Vater Kronen auf. Links 
schaut die Mutter dem Vorgang zu ; zu ihren Häupten sieht man den großen 
Bratspieß und rechts oben die wunderbaren Hühner aus der Legende. Davor 
steht eine nicht mehr bestimmbare Gestalt, wohl der Richter, der das un- 
gerechte Urteil gefallt hatte. 

6. DIE MALEREIEN IN DER MARGARETENKAPELLE 

DES KONSTANZER MÜNSTERS. 

Die Kapelle an der Südseite des Chores im Münster zu Konstanz, die 
sich im Grundriß als Fortsetzung des südlichen Seitenschiffes präsentiert, heute 
eine verwahrloste Rumpelkammer, muß ehemals einer der köstlichsten Räume 
des ehrwürdigen Gotteshauses gewesen sein. Nach ihrer Lage unmittelbar 
neben der ehemaligen bischöflichen Pfalz, mit der sie durch eine Türe ver- 
bunden war, schließe ich, daß wir es hier mit der Privatkapelle der Bischöfe 
von Konstanz zu tun haben. 

Die große Gruppe an der Südwand: Maria mit dem Jesuskind, von Engeln 
umgeben, ein Bestandteil des Grabmals Ottos HL von Hachberg, Bischofs 
von Konstanz 1411 — 1435, gestorben 1451, und die Kreuzigungsgruppe im 
Korbbogen unmittelbar über der liegenden Bischofsgestalt, war stets sichtbar 
und wurde von Kraus ^ publiziert. Das schöne Werk, das die Jahreszahl 
1445 trägt, soll nach Wingenroth^ italienischen Einfluß verraten; ich 
konnte einen solchen nicht entdecken. 

Derselben Zeit, aber nicht dem nämlichen Meister gehört ein ikono- 
graphisch interessantes Bild an der Westwand über der Türe, die zum Quer- 
schiff führt, an. Prof. Beyerle und ich haben es im Sommer 1899 bloßgelegt. 
Der Heiland, in einer gotischen Umrahmung, von Engeln rings umgeben, sitzt 
auf dem Throne ; daneben der Teufel in der gleichen Einfassung (Tafel H e). 
Beide Gestalten umschließt ein gemeinsamer viereckiger Rahmen. Von der 
scheußlichen, in einen weiten Mantel eingehüllten Gestalt sind nur die fürchter- 
liche Fratze und die Krallenhändo sichtbar. Von oben stoßen geharnischte 
Engel auf den zusammengekauerten Satan, unter dessen Füßen die Hölle an- 
gedeutet ist. Über beiden thront in einem etwas kleineien gotischen Rahmen 
lieblich und schön die Mutter Gottes mit dem Jesuskind. 

Auch dieses Bild hat der genannte Bischof Otto HL von Hachberg an- 
bringen lassen, denn unter der Mutter Gottes befindet sich sein (das badische) 
Wappen, das seiner Mutter und das Konstanzer Bistumswappen. Ich weiß aus dem 
15. Jahrhundert kein Seitenstück dieser theologisch merkwürdigen Darstellung 



* Die Eunstdenkmäler I 176, Fig. 58 * Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins, 

ü. 59. Neue Folge XX 446. 



6. Die Malereien in der Margareienkapelle des Konstanzer Münsters. 



17 



namhaft zu machen; vielleicht darf man auf eine Florentiner Miniatur aus dem 
14. Jahrhundert hinweisen, wo über dem Bett einer sterbenden Frau Christus 
und Maria stehen, um sich der armen Seele, die eben aus dem Körper ent- 
weicht, anzunehmen, während von der Seite der Teufel erscheint, um sein 
Anrecht geltend zu machen. Über Christus und Maria ist Gott Vater in der 
Mandorla abgebildet K 

Ich schlage darum vor, das ikonographisch eigenartige Wandgemälde in 
der Eonstanzer Bischofskapelle eschatologisch zu deuten : Otto UI. wollte sich 
bei seinem bevorstehenden Tode der Hilfe Christi und Maria gegen die An- 
griffe des bösen Feindes versichern, nachdem er schon über seinem Grabe 
durch Anbringung der Kreuzigungsgruppe und der Mutter Gottes mit dem 
Jesuskinde seinem Glauben an den Beistand des Erlösers und seiner heiligen 
Mutter Ausdruck gegeben hatte ^. 



» Vgl. Zeitschrift für Bücherfreunde 1898/99, 
377. 

' Wingenroth, Zeitschrift f. Geschichte 
des Oherrheins N. F. XX 447 hat richtig 
vermutet, daB sich «Theologen* für das Bild 



interessieren. Warum sollten sie das auch 
nicht tun? Handelt es sich doch um ein 
schönes theologisches Motiv. Nur hat er ver- 
gessen, zu hemerken, daß ,ein Theologe** das 
Bild entdeckt hat. 



KQnstle, Drei Lebende und drei Tote. 




III. EXKURS ÜBER DIE JAKOBSLEGENDE. 

ich habe mich oben darauf beschränkt, die Bilderserie aus der Jakobs- 
legende in St Jodok kurz zu beschreiben. Zu ihrem vollen Verständnis 
ist ein näheres Eingehen auf die literarische und monumentale Verbreitung 
dieser im Mittelalter so beliebten Erzählung notwendig. 

1. DIE LEGENDE VON DEN JAKOBSPILGERN IN DER MITTEL- 

ALTERLICHEN ERBAUUNGSLITERATUR. 

Neben Jerusalem und Rom war bekanntlich Santiago de Compostela die 
berühmteste Wallfahrtsstätte des Mittelalters. Es kann natürlich nicht meine 
Aufgabe hier sein, zu untersuchen, ob der heilige Apostel Jakobus der Altere 
hier wirklich begraben lag ; es genügt, darauf hinzuweisen, daß man um das 
Jahr 800 an der Stelle des alten, von den Sarazenen verwüsteten Bischofs- 
sitzes Iria in Galicien die Gebeine des Apostels gefunden haben wollte, die 
im 12. Jahrhundert in die in der Nähe befindliche Kathedrale überbracht 
wurden und dem Bistum den Namen gaben. 

Schon im 10. Jahrhundert hören wir von auswärtigen Wallfahrtsbesuchen, 
die im 11. und 12. Jahrhundert sich stark vermehren, als die Kreuzfahrer 
sich auf die Reise ins Heilige Land vielfach in Santiago vorbereiteten. Über- 
haupt trat Santiago in enge Beziehung zum Kampf gegen die Ungläubigen, 
von denen Spanien ja so lange geknechtet war. Seit dem 14. Jahrhundert 
wird uns auffallend viel von niederländischen und hanseatischen Pilgern be- 
richtet, welchen die beschwerliche Reise durch die Fahrgelegenheit auf den 
Schiffen ihrer Landsleute erleichtert wurde. Die Oberdeutschen mußten den 
Weg ganz zu Lande machen ; trotzdem haben wir Kunde von zahlreichen ober- 
deutschen Pilgerfahrten nach Santiago, besonders aus dem 15. Jahrhundert. 
Ein oberdeutscher Pilger hat im Jahre 1495 ein kulturgeschichtlich wichtiges 
Reisebuch verfaßt, worin er seinen Weg von Einsiedeln aus in Versen be- 
schreibt; es ist dies Hermannus Künig von Vach, ein sonst nicht be- 
kannter Servitenmönch ^. Doch muß die Zahl der Jakobspilger aus Ober- 
deutschland viel größer gewesen sein, als wir heute aus den gelegentlichen 
Notizen noch erfahren, sonst hätte sich Berthold von Regensburg nicht 
genötigt gesehen, vor den Mißbräuchen aus dem Kreise der Jakobspilger zu 
warnen 2. Geiler von Kaisersberg hat bekanntlich im gleichen Sinne seine 



^ Vgl. auch für das Yorhergehende Konrad (Drucke und Holzschnitte des 15. und 16. Jahr- 

H ab I er/ DasWallfahrtsbuch des Hermannus hunderts in getreuer Nachbildung) I, Straß- 

Künig von Vach und die Pilgerreisen der bürg 1899. 

Deutschen nach Santiago de Compostela ' Pfeiffer, Deutsche Mystiker I 459, 26 ff. 



1. Die Legende von den Jakobspilgern in der mittelalterlichen Erbauungsliteratur. 19 



Stimme erhoben. Auch Überlingen stellte dazu gewiß ein ansehnliches 
Kontingent, wie sich aus dem Oemäldezyklus in unserer Kapelle und aus 
der oben mitgeteilten Aufnahmebestimmung der St Jodoksbruderschaft ergibt. 
Ausdrücklich finde ich freilich nur einen einzigen Jakobspilger aus der freien 
Reichsstadt am Bodensee erwähnt, nämlich einen Apotheker Wolf, der die 
Reise im Dienste einiger schwäbischen Adeligen im Jahre 1517 unternahm ^ 

Für die mittelhochdeutsche Literatur haben die Wunderberichte vom 
Grabe des Apostels in Compostela reichlichen Stoff geliefert. Ich erinnere 
an die Jakobslegende im Heiligenleben des Hermann von Fritzlar aus 
dem 14. Jahrhundert^. Derselben Zeit gehört das vielgelesene und oft über- 
lieferte Gedicht von Kunz Kistener aus Straßburg: die Jakobsbrüder, 
wo uns von der Wundermacht St Jakobs erzählt wird, die ein bayrischer 
Graf und ein biederer Schwabe aus Haigerloch erfahren haben. Nach ihm 
hat Pamphilus Geugenbach den gleichen Gegenstand behandelt^. 

Einzelne Jakobslieder finden sich alsdann in dem «Alten Passional'' ^ und 
in einem andern deutschen Passionale, die Kläden ^ edierte. Auch die Lieder- 
nummern 302 und 303 unter Uhlands^ Volksliedern gehören zu dieser 
Gruppe ; ebenso der wohl nach diesen Vorlagen umgearbeitete Text im Ant- 
werpener Liederbuch vom Jahre 1544 '^. — Alle diese poetischen Darstellungen 
aus der Jakobslegende gehen in letzter Linie auf eine Sammlung von Wundern 
zurück, die Papst Kalixt H. im Anfang des 12. Jahrhunderts veranstaltet 
haben soU^ Zwar haben schon die BoUandisten nachgewiesen, daß der ge- 
nannte Papst als Verfasser nicht in Betracht kommen könne ^ aber am Ende 
des 12. Jahrhundert? muß die Legendensammlung doch schon bestanden haben ; 
denn bereits Vinzenz von Beauvais macht in Speculum historiale IV, 1. 27, 
cap. 30 Auszüge daraus ^^. Es ist kein Zweifel, daß Cäsar von Heisterbach 
seine Erzählung Distinctio VIII, cap. 58 aus der gleichen Quelle entnahm i^, 
und Jakob von Voragine gibt in seiner Legenda aurea ausdrücklich die pseudo- 
kalixtinische Wundersammlung als Fundort an ^^. 

Von den vielen Wundem, die in der angeführten Jakobsliteratur erzählt 
werden, berührt uns hier nur das .Gal gen wunder **. Die Quelle für alle 



' Zimmerische Chronik, hrsg. von Barack: 
Bibliothek des Lit. Vereins XCII 369 ff. 

«Pfeiffer a. a. 0. 1 167, 8 ff. Nach 
Hermann y. Fritzlar stammen die Pilger aus 
Böhmen; die Mutter wird von ihm nicht 
erwähnt. Der Vorgang spielt nach ihm in 
Gelferate in Spanien. Nachdem der Sohn 
verurteilt ist, eilt der Vater nach Santiago, 
wo er dem hl. Jakobus droht, er werde die 
Pilger abhalten, noch ferner den hl. Apostel 
za verehren, der ihn hintergangen habe. 
Fluchend wirft er sein Opfer auf den Altar 
und eilt heimwärts. In Gelferate trifft der 
Vater zu seiner Überraschung den Sohn lebend 
am Galgen. Der hl. Jakobus habe ihn gestützt 
und die Mutter Gottes ihn gespeist. Übrigens 
sei er im Geiste mit in Santiago gewesen. 
Zum Beweis dafür erzählt er alles, was sein 
Vater dort im Zorne geredet habe. Der Vater 
eilt zum Richter, beide zum ungerechten 
Wirt, wo sich das Hühnerwunder ereignet. 
Die wunderbaren Hühner seien alsdann von 



Gelferate nach Sancte Domine gebracht und 
hinter dem Altar unserer Lieben Frau auf- 
bewahrt worden. 

' Vgl. G e d e k e , Pamphilus Gengenbach, 
Hannover 1856, 231 ff 629 ff; ferner Euling, 
Die Jakobsbrüder von Kunz Kistener, Breslau 
1899: Germanistische Abhandlungen 16. Hft. — 
R. Köhler, Kleinere Schriften II 163, macht 
auf französische und italienische Bearbeitungen 
der Legende aufmerksam. 

* Herausgegeben von Hahn, Frankfurt 
1845. 220 225 ff. 

* H a g e n s Germania VII 252 ff. 
« I 2, 798 ff. 

' Herausgegeben von Hoffmann v. Fal- 
lersleben, Hannover 1855, 26 ff. 
8 Abgedruckt Acta SS. luli VI 46 ff. 
» Vgl. Histoire littäraire de la France X 532. 
»0 Abgedruckt Migne, Patr. lat. CLXIII 
1370 ff. 
" Ausgabe von Strange II 130. 
" Ausgabe von Graesse, Leipzig 1850, 426. 

2* 



20 ^^^* Exkurs über die Jakobslegende. 

späteren Darstellungen sind ebenfalls die pseudokalixtinischen Bücher De 
miraculis sancti lacobi, wo die Legende folgenden Wortlaut bat: 

Memoriae tradendum est quosdam Teutonicos sub peregrinationis habitu 
anno incamationis dominicae millesimo nonagesimo ad beati lacobi limina 
euntes Tolosam urbem cum divitiarum suarum copiis devenisse ibique apud 
quemdam divitem hospitium habuisse. Qui nequam sub pelle ovina mansuetu- 
dinem ovis simulans accurate eos suscepit variisque potibus quasi sub hospitali- 
tatis gratia inebriari fraudulenter compulit . . . Tandem peregrinis somno et 
crapula plus solito gravatis hospes dolosus spiritu avaritiae exagitatus, quo 
eos furti reos convinceret convictorumque pecunias sibi acquireret, scyphum 
argenteum clam in quadam nmntica dormientium abscondit. Quos post galli 
cantum cum manu armata abeuntes subsecutus est iniquus hospes inclamitans: 
Reddite, reddite subtractam mihi pecuniam. Guietilli: Super quem, inquiunt, 
inveneris, pro volle tuo illum condemnabis. Facta igitur inquisitione duos, 
in quorum mantica scyphum invenit, patrem videlicet et filium, iniuste eorum 
bona rapiens, ad publicum iudicium traxit. Iudex vero pietatis gratia motus 
alterum dimitti, alterum ad supplicium iubet adduci . . . Pater volens liberare 
filium addidit se ad supplicium, filius e contra. Non est aequum, inquit, patrem 
pro filio tradi in mortis periculum, sed pro patre filius indictae poenae subeat 
excidium . . . Denique proprio voto filius pro liberatione patris dilecti sibi 
suspenditur, pater vero flens et moerens ad sanctum lacobum progreditur. 
Visitato autem apostolico altari venerabili pater revertens inde, transactis iam 
triginta sex diebus, ad corpus filii adhuc pendentis facit diverticulum exclamans 
lacrimosis gemitibus et miserandis eiulatibus: Heu me, fili, ut quid te genui! 
Ut quid te videns suspensum vivere sustinui! 

^Quam magnificata sunt opera tua, Domine! Filius suspensus con- 
solatur patrem et ait: Noli, amantissime pater, de mea poena, cum nulla 
sit, lugere, sed potius gaudeas, quia suavius mihi est nunc, quam fuisset 
antea in tota vita praeterita. Enimvero beatissimus lacobus manibus suis 
me sustentans omnimoda dulcedine me refocilat. Quod pater audiens cucurrit 
in urbem convocans populum ad tantum dei miraculum. Qui venientes 
et hunc tam longo tempore suspensum adhuc vivere videntes intellexerunt 
ex insatiabili hospitis avaritia hunc esse accusatum, sed dei misericordia 
salvatum. A domino plane factum est istud et est mirabile in oculis 
nostris. Igitur cum magna gloria a patibulo illum sustulerunt. Hospitem 
vero, sicuti male promeruerat, ibidem communi examine morti addictum illico 
suspenderunt ^ 

Diesen Wunderbericht macht sich Cäsar von Heisterbach zu eigen, 
um den heiligen Apostel Jakobus zu verherrlichen; aber er kennt ihn nur 
aus der mündlichen Überlieferung eines Mönches aus Utrecht. Aus dieser 
Stadt stammen nach ihm auch Vater und Sohn; im übrigen ist seine Er- 
zählung kurz und farblos. Die Bestrafung des Wirtes erwähnt er nicht, fligt 
aber als neues Moment hinzu, daß Vater und Sohn nach Gompostela eilten, 
um dem hl. Jakobus zu danken '^, 

In dieser einfachen Gestalt finden wir die Legende noch bei Jakob von 
Voragine; auch hier wird der Mutter noch nicht gedacht, und das gleich 
zu erwähnende Hühnerwunder ist ihm noch unbekannt. Mit all diesen Zu- 



* Acta 8S. luli VI 46 fF. * Dialogus miraculorum, distinctio VIII, c. 5S. 



1. Die Legende von den Jakobspilgern in der mittelalterlichen Erbauungsliteratur. 21 

taten ausgeschmückt lesen wir die Legende bei Lucius Marineus Siculus 
in seinem Werke De rebus Hispaniae memorabilibus lib. 5 ^: Ein frommer Mann 
wanderte mit Frau und Sohn nach Compostela und kehrte bei einem Wirte 
in Santo Domingo de la Galcada ein, dessen erwachsene Tochter sich in den 
jungen Pilger verliebte. Ihre Bewerbung wird aber abgewiesen, und darum 
verwandelt sich die Liebe der Wirtstochter in Haß. Heimlich steckt sie einen 
kostbaren Becher in den Mantelsack des jungen Pilgers, um ihn so des Dieb- 
stahls überführen zu können. Der Richter wird gerufen, der den angeblichen 
Dieb zum Tod am Galgen verurteilt. Die schwergeprüften Eltern eilen nach 
Compostela und kommen auf der Rückreise wieder am Galgen vorbei. Gegen 
den Willen des Vaters eilt die Mutter zum Sohne, der noch am Galgen hängt. 
Da fangt der Sohn zu reden an und erzählt, daß die Mutter Gottes und der 
hl. Jakobus ihn stützten und am Leben erhielten. Die Eltern eilen zum 
Richter, der eben im Begriffe ist, einen Hahn und ein Huhn, die gebraten 
vor ihm liegen, zu zerschneiden, und teilen ihm mit, daß ihr Sohn am Galgen 
noch lebe. Lachend erwiderte dieser: »Euer Sohn lebt wohl, wie diese Vögel 
hier vor mir.* Sofort beginnen der Hahn und das Huhn auf dem Tische zu 
hüpfen, und der Hahn kräht. 

Jetzt ruft der Richter die Priester und Bürger der Stadt, eilt mit ihnen 
zum Galgen, wo er den Unschuldigen befreit; den Hahn und das Huhn aber 
fängt man ein, bringt sie unter großer Feierlichkeit in die Kirche, wo sie in 
einem Käfig aufbewahrt wurden. Als sie nach sieben Jahren verendeten, hat 
man auch ihre Jungen ebenso gehegt. Es wurde dann Pilgersitte, diese 
wunderbaren Hühner in Santo Domingo aufzusuchen und sich von ihrem Ge- 
fieder ein Andenken mitzunehmen. Der Chronist fügt noch bei : Et numquam 
illis plumae deficiunt. Hoc ego testor, propterea quod vidi et interfui plu- 
mamque mecum fero. 

Wegen letzterer Bemerkung wird Lucius Marineus Siculus von 
Ludovicus de la Vega in der Vita des hl. Dominions Calceatensis der 
Unwahrheit beschuldigt 2. Dieser bestätigt zwar die Legende, leugnet aber 
die wunderbare Vermehrung der Federn; allerdings sei in der Kirche von 
Santo Domingo ein eigener Kleriker angestellt, der die Federn der wunderbaren 
Hühner verwahre und an die Pilger verteile. Aus der gleichen Quelle er- 
fahren wir auch, was für die Erklärung der Überlinger Bilder von Wichtig- 
keit ist, daß man in Santo Domingo außen auf dem Dach der Kirche den 
Galgen verwahre, an dem der Unschuldige gehangen. 

Die Einwohner von Toulouse verzichteten aber nicht auf den An- 
spruch, daß in ihrer Stadt das erzählte Wunder sich zugetragen habe. 
Ausdrücklich nimmt es Nikolaus Bertrand in seiner Geschichte der 
Stadt Toulouse aus dem Jahre 1515 für diesen Ort in Anspruch ^ und 
gibt es in der geschilderten Form wieder. Interessant ist, was der Autor 
noch hinzufügt, daß man diese Legende in allen Kirchen und Kapellen zu 
Ehren des hl. Jakobus in Gemälden dargestellt finde: unum miraculum, 
quod legimus ac pictum etiam videmus in singulis beati lacobi ecclesiis 
aut capellis. 



* Lucius Marineus Siculus kam 1486 nach * Burgos 1606, Pars 2, c. 8; die Original- 
Spanien, wo er königlicher Hofhistoriograph ausgäbe ist mir nicht zugänglich, und ich • 
wurde und 1583 starb. Sein Geschichtswerk entnehme die Notiz den Acta SS. luli VI 46. 
darf also um 1500 angesetzt werden. * Vgl. Acta SS. a. a. 0. 



22 I^I* Exkurs Über die Jakobslegende. 

Der Dichter des Antwerpener Liederbuches kennt das Wunder in der 
spanischen Fassung und verlegt den Schauplatz nach Santo Domingo, was 
sich allerdings nur aus der einen Yerszeile ergibt: 

Si TlogeD ap sinte Dominicus huys. 

In welchem Sinne unsere Jakobslegende in den Olaubensstreitigkeiten des 
16. Jahrhunderts verwertet wurde, lehrt schon der Titel des Buches: Hierony- 
mus Bauscher, Hundert auserwelte Papistische Lügen, Eis- 
leben 1562, wo unter Nr 39 unsere Legende in der angeführten Form, mit 
Auslassung jedoch des Hühnerwunders, erzählt wird. 

Im 17. und 18. Jahrhundert, wo die Pilgerfahrten nach Compostela fast 
ganz außer Übung kamen, geriet auch unsere Pilgerlegende, wie es scheint, 
in Vergessenheit; nur in einem abgelegenen Dorfe der Schweiz hat sie sich 
bis heute im Gedächtnis des Volkes erhalten. Zu Marly bei Fribourg 
wurde am 30. Mai 1880 von einfachen Landleuten ein religiöses Drama in 
fünf Akten unter dem Titel „Les pelerins de Compostela" aufgeführt, das zum 
Inhalt eben unsere Legende von den niederdeutschen Jakobspilgern hat^. In 
einem andern Dorfe bei Fribourg, in Tavel, besteht die mittelalterliche Jakobs- 
bruderschaft bis heute, und bis zum Jahre 1832 hat man von hier aus noch 
Pilgerfahrten nach Compostela unternommen. 

2. DIE LEGENDE VON DEN JAKOBSPILGERN IN DER 
BILDENDEN KUNST DES MITTELALTERS. 

Wenn es auch eine poetische Übertreibung sein mag, die im Munde des 
Lokalhistorikers von Toulouse verständlich ist, daß in allen Jakobskirchen 
die Legende von den niederdeutschen Jakobspilgern gemalt war, so dürfen 
wir daraus doch so viel entnehmen, da& in der Tat die wunderbare Befreiung 
des unschuldig Gehängten zu den beliebtesten Sujets aus der großen Zahl der 
Jakobslegenden gehörte, die nicht nur in der Erbauungsliteratur des späteren 
Mittelalters eine wichtige Stelle einnimmt, sondern auch in der bildenden 
Kunst sehr häufig dargestellt wurde. Allerdings ist die Zahl der erhaltenen 
Monumente nicht sehr groß; die zu meiner Kenntnis gelangten sollen hier 
kurz zu dem Zwecke besprochen werden, um die Überlinger Wandgemälde 
in ihrer Eigenart würdigen zu können. 

Der umfangreichste Zyklus aus der Jakobslegende ist in einer deutschen 
Holzschnittfolge aus dem Jahr 1460, in der Weigelschen Sammlung Nr49 
reproduziert ^, erhalten. Die sieben ersten Szenen beziehen sich auf das Leben 
des heiligen Apostels überhaupt von seiner Predigt in Samaria bis zu seiner 
Enthauptung. Dann beginnt unsere Legende mit folgenden Bildern: 

1. Die drei Pilger sitzen an einem Tisch. 

2. Die Pilger liegen im Bett; der Wirt steckt heimlich den Becher 
ia ihre Reisetasche. 

3. Die Pilger treten den Weitermarsch an, werden aber vom 
Wirt eingeholt, der den angeblich gestohlenen Becher in ihrem Gepäck findet. 

4. Der Sohn hängt am Galgen. 



* Vgl. Nouvelles IStreones Fribourgeoises ' Handzeichnungen berühmter Meister in 

15. Jahrgang (1881) und 27. Jahrgang treuen in Kupfer gestochenen Nachbildungen, 
(1893). Leipzig 1854-1861. 



2. Die Legende von den Jakobspilgern in der bildenden Kunst des Mittelalters. 23 

5« Die Eltern ziehen weiter nach Compostela. 

6. Der am Galgen hängende Sohn wird vom hl. Jakobus am 
Leben erhalten. 

7. Die Hühner, die eben über dem Feuer gebraten werden, 
fliegen davon. 

8. Der Wirt und seine Tochter hängen am Galgen. 

Der Verfertiger dieser Bilderserie hatte offenbar die pseudokalixtinische 
Erzählung vor sich. 

Außer dieser Holzschnittfolge weiß der neueste Ikonographiker nur noch 
die Darstellung derselben Legende von Lo Spagna in der Kirche S. Oia- 
como bei Spoleto aus dem Jahre 1526 zu erwähnend Und doch hätte 
ihm nicht unbekannt sein sollen, daß seine eigene Heimat eine sehr schöne, 
wenn auch abgekürzte Schilderung unserer Jakobslegende aufweist. Ich meine 
die geschnitzten Altartafeln aus der Schloßkirche zu Winnenden (Neckar- 
kreis) ^. Auch hier ist das Wunder von Toulouse in engste Beziehung zum 
Leben des Apostels Jakobus gebracht. Der Holzschnitzer — man hat sogar 
an Riemenschneider gedacht — beginnt: 

1. mit der Predigt des Apostels; mit dem Pilgerhut auf dem 
breiten deutschen Kopfe verkündigt er von einer Kanzel aus das Evangelium. 

2. Jakobus mit dem Pilgerstab in der linken Hand befiehlt 
die Verbrennung heidnischer Schriften, die zwei Männer herbeibringen. 

3. Jakobus wird enthauptet. 

4. Der Heilige wird begraben. 

5. Unter Nr 1 beginnt die Legende von den niederdeutschen Jakobs- 
pilgern. Die Eltern sitzen mit dem Sohn am Wirtstisch. 

6. Der Wirt praktiziert den weiterziehenden Pilgern den 
Becher in den Rucksack. 

7. Der Sohn, eine jugendliche und sympathische Gestalt, 
hängt, vom hl. Jakobus an den Füßen gestützt, am Galgen, 
2u dem die Eltern betrübt hinaufschauen. 

8. Die Eltern bringen dem Richter, auf den auch der 
schlechte Wirt lebhaft einspricht, die Nachricht, daß ihr 
Sohn noch lebend am Galgen hängt. Im Vordergrund dreht der Koch 
ein gerupftes Huhn am Bratspieß, während der Hahn, der wieder lebendig 
geworden, eben zu krähen beginnt. 

Abgesehen von dem ikonographischen Interesse besitzen diese Schnitz- 
werke wirklichen Kunstwert und sind den besten Erzeugnissen der deutschen 
Plastik um 1500 an die Seite zu stellen. Der Künstler beschränkt sich bei 
jeder Szene auf nur wenige Figuren, weiß diese aber durchaus lebenswahr 
zu gestalten. Auffallenderweise haben weder Paulus in seinem Textbestand 
noch K e p p 1 e r in seiner Kunsttopographie Württembergs die Bilder aus der 
Jakobslegende richtig zu erklären vermocht^. 

Goedeke macht ferner auf einen Gengenbachschen Druck des Ge- 
dichtes »Die Jakobsbrüder* aufmerksam, auf dessen Titel die Galgenszene 
unserer Pilgerlegende angebracht ist^. 



' Vgl. Detzel, Christi. Ikonographie II 142. ' WQrttemhergs kirchliche KunstaltertQmer, 

* Sehr gut ahgehildet bei Paulus, Die Kunst- Rottenburg 1881, 381. 

und Altertumsdenkniale im Königreich Würt- * Goedeke, Pamphilus Gengenbach 

temberg, Neckarkreis, Stuttgart 1889, Taf. 91. 514. 



24 III. Exkurs über die Jakobslegende. 

Vor kurzem gingen sechs Holztafeln, ca 1 m hoch und 0,6 m breit, aus 
dem Besitz eines Privatmannes in die städtische Altertumssamralung 
zu Freiburg über, die unsere Pilgerlegende zum Gegenstande ihrer Dar- 
stellung haben. Wie der Geschenkgeber mitteilte, sollen die Tafeln aus einer 
jetzt abgebrochenen Kapelle in oder bei Überlingen a. S. stammen. 

Die Gemälde zeigen folgende Szenen: 

1. Die drei niederdeutschen Pilger werden von dem Wirte 
begrüßt. 

2. Der Wirt steckt, während die Pilger schlafen, den Becher 
in den Reisesack derselben. 

3. Der Wirt holt die Pilger, die auf der Weiterreise be- 
griffen sind, ein und findet den Becher. 

4. Der Sohn wird an den Galgen gehängt. 

5. Die Eltern stehen vor dem Richter und bringen die Nachricht 
von ihrem am Galgen lebend hängenden Sohn; zum Beweise, daß sie die 
Wahrheit sagen, fliegen die gebratenen Hühner in die Höhe. 

6. Der Wirt wird aufgeknüpft; auf dem Querbalken des Galgens 
sitzt der Teufel und zieht die Seele aus dem Munde des Bösewichts, während 
im Vordergrund der Henker seinen Lohn von zwei Beamten empfängt. 

Unter der 5. Tafel hat der Künstler sich genannt mit der Notiz: 1539. 
Anton Schmid, Mahler. 

Allem Vermuten nach ist zwischen Nr 4 und 5 eine Tafel verloren 
gegangen, denn zum Verständnis des Ganzen gehört notwendig das Ein- 
treffen der Pilger am Grabe des Apostels in Santiago. Sollte der Zyklus 
aber auch fragmentarisch sein, so ist er für die Ikonographie der Jakobs- 
bilder doch von Wichtigkeit, schon wegen ihrer Herkunft und ihrer genauen 
Datierung. 

Kunstwerke sind die Freiburger Tafeln zwar nicht und ihr Verfertiger 
ist ein schlichter, handwerklicher Schilderer, der sich zwar bemüht, richtig 
zu zeichnen, der es aber doch nur zu ganz hausbackenen Gestalten in ele- 
mentarstem Kolorit bringt. Die Gebäude, die die Szenerien abschließen, sind 
durchaus schematisch gehalten. 

Ich erinnere hier ferner an die oben beschriebene abgekürzte Jakobs- 
legende in Wollmatingen i. 

Es wurde oben darauf aufmerksam gemacht, daß sich zu Tavel bei 
Fribourg (Schweiz) bis in unsere Zeit die mittelalterliche Jakobsbruderschaft 
erhalten hat und daß man von dort aus noch im 19. Jahrhundert Pilgerfahrten 
nach Santiago arrangierte. Hier wurde wohl auch zum letztenmal unsere 
Pilgerlegende an der dortigen Jakobskirche von einem Maler Jakob StoU 
im Jahre 1769 in folgender Weise bildlich dargestellt: 

1. Die beiden Pilger liegen in einem Bett; der Wirt mit seiner 
Tochter, vom Teufel begleitet, steckt den Becher in den Sack der Reisenden ; 
darunter folgende Verse: 

Zwen bilger, vatter im söhn sein, 
By einem würth sie kerten yn; 
Der wirth, verfttrt von hölische drack, 
Verbürgt sein bäcber ins bilger sack. 

» S. 16. 



2. Die Legende von den Jakobspilgern in der bildenden Kunst des Mittelalters. 25 

2. Die Pilger werden auf ihrer Weiterreise angehalten und 
trotz ihres Protestes durchsucht: 

Der aldt das geschür unwissend t trug, 
Docb sucht der falsch würth glimpf und fug, 
Eilt ihme nach und halt den bilger an, 
Nimbt den kopff und thut ihm schand an. 

3. Die Pilger werden vor den Richter geführt und angeklagt: 

Den alten stieß an gross unglück, 
Er ward verubrteilt zu dem strick; 
Der söhn der sach den vatter an. 
Für ihn woldt er das laben lahn. 

4. Der Sohn wird an den Galgen gehängt: 

Der söhn darauff wird griffen an, 
Mit Unschuld musst er das laben lan, 
Ward öffentlich an den galgen gehenkt, 
Den vatter solches hoch bekrenkt. 

5. Der Vater betet vor dem Bilde des hl. Jakobus in Com- 
postela: 

Bei sankt Jakob er seine fahrt verriebt 
Und klagt Gott die jamerliche geschieht, 
Fallt auf die kneii und rufft Gott an, 
Er wolle seine Unschuld sehen lahn. 

6. Der hl. Jakobus stützt den jungen Pilger am Galgen, 
während der Vater am Fuße des Galgens betet: 

Sanct Jacob, durch göttlichen gewaldt, 
Den jungling bey dem leben behaldt, 
Welches der vatter innen wardt. 
Als er wahr auff der heimmat fahrt. 

7. Die Szene zeigt die Gasthofsküche, wo der alte Pilger, 
der Wirt und sein Koch Zeugen sind von dem Vorgang der 
wieder lebendig gewordenen Hühner, die vom Bratspieß weg 
in die Höhe fliegen: 

Als bald zeigt er es dem wirth an; 

Der wirth wollt daran kein glauben han, 

So dan dein söhn thuet noch leben, 

Gewiss 80 fliegen hinweg die huener von dem spieß. 

8. Der schlechte Wirt erhält seine Strafe: 

Der würth hat mann gleich gefangen gnohn, 
Ihme ward gegeben sein rechter lohn, 
Durch sein falschheit und böse tQck 
Ist er erworgen an dem strick ^ 

Trotz der späten Entstehungszeit dieses Zyklus liegt ihm die Legende 
doch noch in einer frühen Form vor, was ich besonders daraus schließen 
möchte, daß die Mutter darin noch nicht auftritt. Der Maler von Tavel hatte 
sich offenbar ein älteres Vorbild zum Muster genommen, das er vielleicht 
nur übermalte. 



' Vgl. den Aufsatz von Max de Dies- auf diese Publikation durch Herrn Konservator 
bach in ,Fribourg artistique ä travers les Dr Schweitzer, früher in Freiburg i. Br., jetzt 
ftges, avril 1902*. Aufmerksam wurde ich in Aachen. 



26 HI. Exkurs Über die Jakobslegende. 

Aus dieser Aufzählung der verschiedenen Bilderzyklen, die unsere Jakobs- 
legende zum Vorwurf nehmen, ergibt sich für die Überlinger Serie folgendes 
Resultat : 

1. Sie war in ihrem ursprünglichen Zustand die ausführlichste Darstellung 
der Legende und hat diese in ihrer ausgebildetsten Form, wie sie uns Lucius 
Marineus Siculus erzählt, zur Voraussetzung; denn nur hier finden wir die 
drei Szenen abgebildet: a) die Jakobspilger kehren nach der Errettung des 
Sohnes zum hl. Jakobus zurück; b) der Galgen auf dem Chor der Kirche; 
c) der wunderbare Hahn hinter dem Gitter. 

2. Der Überlinger Zyklus folgt der spanischen und nicht der fran- 
zösischen Tradition, verlegt also das Wunder nach Santo Domingo und nicht 
nach Toulouse; denn nur aus Santo Domingo wird uns berichtet, daß man 
den Galgen auf dem Eirchenchor dort anbrachte und die wunderbaren Hühner 
aufbewahrte. 

8. Aus dem Umstände, daß im Überlinger Zyklus zwei Einzelheiten 
vorkommen, nämlich der Galgen auf dem Eirchenchor und der Hahn hinter 
dem Gitter, die uns Lucius Marineus Siculus erst aus dem Anfang des 16. Jahr- 
hunderts und Ludovicus de la Vega aus dem Jahr 1606 berichten, darf nicht 
geschlossen werden, daß diese Wandgemälde erst aus dem 16. oder 17. Jahr- 
hundert datieren; vielmehr lehren sie uns, daß die Legende in ihrer aus- 
geschmückten Form viel älter ist, als die erhaltenen literarischen Quellen 
vermuten lassen. 

4. Der Überlinger Zyklus stammt sicher aus dem 15. Jahrhundert, 
und zwar eher aus der ersten als aus der zweiten Hälfte. Denn 1424 stiftete 
Burkhard Hipp die Bausumme; geweiht wurde die Eapelle allerdings erst 
1462. Daraus folgt aber nicht, daß der Bau erst um diese Zeit fertig wurde. 
Da die Eapelle ursprünglich als Bruderschaftskirche gedacht war, worin, wie 
aus den mitgeteilten Aufnahmebestimmungen ersichtlich ist, auch eine Jakobs- 
bruderschaft ihren Sitz hatte, so ist es ohne weiteres wahrscheinlich, daß die 
Jakobslegende zur ursprünglichen Ausstattung der Eapelle gehört, also noch 
in den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts gemalt wurde. Stilkritische 
Bedenken gegen diese Datierung ergeben die Bilder nicht, vielmehr spricht 
die miniaturartige Behandlung der Zeichnung und die Architektur des Eirchen- 
chores, auf dem der Galgen steht, für diese Zeit. 

Die Überlinger Jakobsbilder führen, um das zum Schlüsse zu erwähnen, 
zum richtigen Verständnis eines Glasgemäldes in der sog. Villinger- oder Böcklin- 
kapelle im Ghorumgang des Freiburger Münsters aus dem Anfang des 16. Jahr- 
hunderts. Die erste Stiftung zur Erbauung der Eapelle machten im Jahre 
1524 der kaiserliche Schatzmeister Jakob Villinger von Schönenberg und seine 
Gemahlin Ursula; fundiert wurde sie erst von Ritter Wilhelm Böcklin von 
Böcklinsau, Dompropst des Erzstiftes Magdeburg (gest. 1585). Die Glas- 
gemälde sind, wie die Inschrift besagt, von Jakob Villinger und seiner Ge- 
mahlin Ursula gestiftet; darum ist das eine (restauriert) dem Martyrium der 
hl. Ursula gewidmet, das andere, das unversehrt erhalten ist, verherrlicht den 
hl. Jakobus den Älteren. Letzteres wird im neuesten Münsterbuch ^ also 
beschrieben: „Dieses zeigt Jakobus den Älteren im Begriffe, dem in Pilger- 
tracht gekleideten Ehepaar, Jakob Villinger und seiner Frau, Eronen auf- 
zusetzen. Im Hintergrunde sieht man die berühmte Wallfahrtskirche Santiago 



> Kempf und Schuster, Das Freiburger Münster, Freiburg 1906, 196. 



2. Die Legende von den Jakobspilgem in der bildenden Kunst des Mittelalters. 27 

de Compostela in Spanien . . . wohin die Stifter vermatlich gepilgert waren. 
Zum Zeichen ihrer Tugenden schmückt sie der hl. Apostel mit der Krone des 
ewigen Lebens. Belebt wird das Bild durch zwei weitere Szenen: Man sieht 
in der Vorhalle der Kirche einen Tisch mit Geld — anscheinend die von den 
Pilgern gespendeten Almosen — und im Freien einen Verkaufsstand mit Pilger- 
zeichen, Jakobsmuscheln u. dgl., welche die Pilger mitzunehmen pflegten.'' 
Ähnlich beschreibt auch Marmon das Glasgemälde ^. 

Ich habe mich schon oft über die Anmaßung des frommen Jakob Villinger 
und seiner Gemahlin Ursula gewundert, die sich nicht, wie es sonst regel- 
mäßig geschieht, damit begnügten, als demütig bittende Donatoren unter dem 
Bild ihres Patrons zu erscheinen, sondern sich für eine verhältnismäßig geringe 
Leistung die Krone des ewigen Lebens reichen ließen. Ist das so? Man 
könnte zu dieser Auffassung kommen, wenn erst eine dankbare Nachwelt, 
um den Stifter zu ehren, das Glasgemälde hätte anfertigen lassen. Aber es 
stammt von Jakob Villinger selbst, und es ist ein ganz unmittelalterlicher 
Zug, daß er sich im Status des Gekröntwerdens hätte darstellen lassen. Die 
beiden Personen, die, wie in Überlingen, vor dem Thron des hl. Jakobus er- 
scheinen, sind nicht Jakob Villinger und seine Gemahlin, sondern es sind d i e 
beiden Jakobspilger, Vater und Mutter des unschuldig Ge- 
hängten. Jakobus krönt sie, um damit anzudeuten, daß er ihr Gebet für 
den Sohn erhört habe. Sollte jemand an der Richtigkeit dieser Deutung noch 
zweifeln, so möge er sich an die Darstellung der Jakobslegende in WoU- 
matingen erinnern, wo St Jakob Vater und Sohn krönt ^. 



' Unserer Lieben Frauen Münster zu Freiburg i. Br., Freiburg 1878, 139. • Vgl. S. 16. 




IV. DIE LEGENDE VON DEN DREI LEBENDEN UND 

DEN DREI TOTEN. 

jas Bild an der Südwand der St Jodokskapelle in Überlingen, wo drei 
fürstliche Personen drei Toten begegnen, wurde oben ^ nur kurz be- 
schrieben ; im folgenden soll dieser merkwürdigen Darstellung und der ihr zu 
Grunde liegenden Legende eine eingehende literarische und ikonographische 
Untersuchung gewidmet werden. 

1. DER SPRUCH DER TOTEN AN DIE LEBENDEN. 

Vom 11. Jahrhundert an begegnet uns in der sepulkralen Sprache aller 
Kulturvölker der Ruf der Toten an die Lebenden: 

Quod fuimus, estis; quod sumus, vos eritis. 

Mit kleinen Variationen ist er in Italien, Frankreich, England, Dänemark, 
Schweden , Deutschland zu . konstatieren und hat sich bis heute erhalten ^, 
Woher stammt der Spruch ? Seinem Inhalte nach kann er sehr wohl heidnischen 
Ursprungs sein, wie Kraus annimmt, wenn er im Zusammenhang mit der 
Legende von den drei Königen, die drei Totengerippen begegnen, schreibt: 
»Man muß, scheint mir, weiter hinaufsteigen, um den Ursprung der Toten- 
. tanzbilder zu erklären. Der Gedanke, daß der Tod uns alle einmal erfaßt, 
ist in zahlreichen Inschriften des griechischen und römischen Altertums 
ausgesprochen. Die Formen wechseln; z. B. : Non fueras, nunc es, iterum 
nunc desines esse, oder: Quod fuimus, estis, quod sumus, vos eritis.* Dazu 
ist zu bemerken, daß die letztere Formel : Quod fuimus etc. weder in latei- 
nischen noch in griechischen Inschriften der antiken Zeit auftritt, sondern erst 
im christlichen Mittelalter zu belegen ist. Der Hexameter: 

Non fueras, nunc es, iterum nunc desines esse, 

der von einem heidnischen Grabdenkmal Afrikas stammt 3, darf nicht als 
Variante unserer Mahnung der Toten an die Lebenden gelten, weil darin ja 
das Fortleben nach dem Tode, das unser Spruch zur Voraussetzung hat, 
ausdrücklich in Abrede gestellt wird. Allerdings ist auch die Formel: 
Quod fuimus, estis; quod sumus, vos eritis, nicht positiv christlich, aber als 
Erinnerung an die Vergänglichkeit des Irdischen kann er von Christen ver- 



* Vgl. oben S. 8 und Taf. I. satz in den Kleineren Schriften von R. Köhler 

* Zuerst stellte Maß mann im Serapeum II 27 ff. Vgl. dazu Ersilia Gaetani 
VIII (1847) 137 ff die ihm bekannten Formeln L o v a t e 1 1 i , Römische Essays, Leipzig 
zusammen. Viel umfangreicher ist die Samm- 1891, 6 49 und Stephens, Acadeniy 1884 
lung von R. Köhler, Germania V (1860) II 341. 

220—226. Johannes Bolte ergänzte den Auf- » C. I. L. VIII 2885. 



1. Der Spruch der Toten an. die Lebenden. 



29 



wendet werden. In den alt- und frühchristlichen Grabschriften begegnet er 
uns niemals, wohl ein sicheres Zeichen, da& er in der sepulkralen Sprache 
des christlichen Altertums und des frühen Mittelalters unbekannt war. 

Wie schon gesagt, ist er erst aus dem 11. Jahrhundert zu belegen, und 
zwar auf der Grabschrift des hl. Petrus Damiani (gest. 1072), die beginnt: 

Quod nunc es, fuimus; es, quod sumus, ipse futurus. 

Im 12. Jahrhundert findet er in etwas veränderter Form Verwendung 
auf dem Grabmal des Petrus Comestor (gest. 1179?) in der Abtei 
St Viktor: 

Quod sumus, iste fuit; erimus quandoque, quod hie est ^ 

Um einige Jahrzehnte älter ist das Epitaphium des Magister Obizo 
ebenda mit dem Wortlaut: 

Respice, qui transis, et quid sis, disce, vel unde; 
Quod faimus, nuDC es; quod sumus, illnd eris*. 

Dem Schreiber des Codex Sangallensis Nr 556 saec. XI scheint unser 
Spruch vor Augen geschwebt zu haben, wenn er der Vita Haimhrammi, 
episcopi Ratisbonensis, folgendes Distichon vorausschickt: 

Quisque legas hominum, mentem tractando revolve, 
Quid sis, quid fueras quidque mauere queas. 
Hoc opus ad vestrum scripsi devotus honorem 
Nee mihi quid melius quam pietatis amor '. 

In der Legende des heiligen Abtes Silvester, des Gründers der Silvestriner 
(gest. 1267), wird mit besonderer Wichtigkeit hervorgehoben, daß der junge 
Kleriker an dem Grab eines vornehmen Verwandten in die Worte ausbrach: 
„Ego sum, quod hie fuit; quod hie est, ego ero.* * Der Biograph Silvesters 
ist der Meinung, daß diese Worte unter dem Eindruck einer besondern gött- 
lichen Erleuchtung gesprochen wurden, und der Verfasser des dem hl. Silvester 
gewidmeten Officiums hat sie für so wichtig gehalten, daß er sogar in der 
Oration auf sie anspielt. Und doch ist das Dictum St Silvesters nichts anderes 
als ein im 13. Jahrhundert wohlbekanntes Zitat. 

Das Auftauchen dieses sepulkralen Spruches in einer Zeit, die weder in 
ihren sprachlichen Formen noch im materiellen Inhalt ihres Denkens originell 
war, legt aber doch den Gedanken nahe, daß wir es hier mit einer Entlehnung 
zu tun haben. Sollten wir die Quelle nicht bei jenem Volke suchen müssen, 
das gerade vom 11. Jahrhundert ab einen so großen Einfluß auf die Literatur 
des Abendlandes ausübte, nämlich bei den Arabern?^ 

Der arabische Dichter Adi, der mit dem Könige von Hira, Noman • 
(um 580 n. Chr.), an Gräbern vorbdritt, läßt die Toten dem Könige zurufen : 

Wir waren, was ihr seid; 

Doch kommen wird die Zeit, 

Und kommen wird sie euch geschwind, 

Wo ihr sein werdet, was wir sind •. 



> R. Köhler, Kleinere Schriften II 33. 

^ Neues Archiv der Gesellschaft für ältere 
Geschichte XI 606. 

' Vgl. Mon. Germ. Script, rer. Merov. IV 46 1, 

* Vgl. Breviarum Romanum z. 26. November. 

^ Vgl. B u r d a c h , Sitzungsberichte der 
kgl.-preuß. Akademie der Wissenschaften, 
Berlin 1904, Nr 28, wo die Möglichkeit eines 



arabischen und orientalischen Einflusses auf 
die Entstehung des mittelalterlichen höfischen 
Minnegesangs erwogen wird (Exkurs zu dem 
Aufsatz: Die älteste Gestalt des Westöstlicheu 
Diwans, S. 898 ff). 

«Vgl. C. Ritter,. Erdkunde, 12. Tl: 
Arabien, 101, und Monatsberichte der Berliner 
Akademie 1858, 512. 



« 



80 I^* ^i^ Legende von den drei Lebenden nnd den drei Toten. 

Doch schon viel früher kennt die arabische Poesie den Spruch der Toten 
an die Lebenden. Von einem vorislamitischen Könige von Mekka, Modhadh, 
der im Anfange des 3. Jahrhunderts n. Chr. lebte, übersetzte Hammer- 
PurgstalH ein ähnliches Gedicht mit folgendem Schluß: 

Wir waren einstens Männer, wie ihr seid; 
Ihr werdet, was wir [sind], anch einst sein. 

Ich glaube, das Resultat kann jetzt nicht mehr zweifelhaft sein: der im 
ganzen Mittelalter so beliebte Spruch der Toten an die Lebenden: 

Was ihr seid, das waren wir: 
Was wir sind, das werdet ihr, 

für den sich weder in der paganen noch in der frühchristlichen Sepulkralsprache 
Belege finden lassen, stammt aus der arabischen Spruchpoesie. Er kam im 
10. oder 11. Jahrhundert aus dem arabischen Spanien, mit dem das Abend- 
land gerade in dieser Zeit so reiche literarische Verbindungen unterhielt, 
hierhin und erhielt sich bis zur Gegenwart. 

Als einzelner Spruch wird unsere Mahnung der Toten an die Lebenden 
in der deutschen Literatur zum erstenmal im Frei dank 22, 16 verwendet: 

Sus sprechent di da sint begraben 
beidin zen alten und zen knaben: 
,Daz ir dft sit, daz wären wir; 
daz wir nü s!n, daz werdet ir.' 

Volkstümlich wird das Dictum in der Form von Überschriften an Kirchen, 
so zu Neu Weiler im Elsaß (13. Jahrhundert): 

Vos, qui transitis, nostri memores rogo sitis; 

Quod samus, hoc eritis, fuimus quandoque, quod estis*. 

Oft scheint es an Eirchhofseingängen verwendet worden zu sein, so zu 
Eilenburg, Teplitz, Eiewitten: 

Was ihr seid, das waren wir; 
Was wir sind, das werdet ihr. 

Auch in Frankreich findet sich diese Verwendung ; über der Eirchhofstür 
zu Avignon heiM es: 

Nous ötions que yous ^tes. 

Et Yoas serez ce que nous sommes '. 

2. DIE VOLLSTÄNDIGE LEGENDE IN DER MITTELALTER- 

LICHEN LITERATUR. 

Viel beachtenswerter ist dieser Spruch aber in einer andern Verwendung, 
nämlich als Inhalt zu einer dramatischen Legende, die im Mittelalter sich 
ebenfalls großer Beliebtheit erfreute. 

Zuerst begegnet sie uns bei dem scholastischen Theologen und englischen 
Staatsmann unter Heinrich II Plahtagenet, Walter de Mapes* (geb. Il35, 



* Literaturgeschichte der Araber I 1, Wien * Vgl. Wright, The latin poems com- 
1850,94. Vgl. R. Köhler, Kleinere Schriften monly attributed to Walter Mapes, London 
II 36. — Die vorige Stelle bei Hammer- .1841, und Phillips, Walter Map, Beitrag 
Purgstall a. a. 0. 183. zur Geschichte König Heinrichs II. von Eng- 
• ^ Mitgeteilt von Kraus, Die christlichen land und des Lebens an seinem Hofe: Sitzungs- 
Inschriften II, Freiburg 1892, 53. berichte derWiener Akademie, phil.-hist. Klasse 

» VgL R. Köhler a. a. 0. 30. X (1853) 319 ff. 



2. Die Yollstftndige Legende in der mittelalterlichen Literatur. 



31 



gest. um 1200), der in seiner „Lamentatio et deploratio pro morte'^ die 
verschiedenen Menschenklassen in schwere Klagen ausbrechen läßt darüber, 
daß sie alle unrettbar der Herrschaft des Todes verfallen. Am Schluß erzählt 
er alsdann von einer Vision, die ein Heiliger hatte und in der er drei junge 
vornehme Herren zur Jagd ausziehen sieht; auf einmal stehen sie vor drei 
Toten, die ihnen mit dem Thema unseres Spruches die Vergänglichkeit des 
Irdischen ins Gedächtnis rufen ^. 

Vom 13. Jahrhundert an hat diese Legende in Frankreich eine poetische 
Bearbeitung gefunden, und zwar zuerst durch Baudouin de Conde und dann 
durch Nicholes de Marginal; Montaiglon^ hat sie mit noch drei andern 
Poemen desselben Inhaltes, aber unbekannten Ursprungs herausgegeben. 

Nach einer kurzen Einleitung, in welcher der Inhalt angedeutet wird, 
läßt Baudouin de Gonde^ die drei Lebenden der Reihe nach ihr Entsetzen 
beim Anblick der drei Toten aussprechen. Alsdann halten die drei Toten 
längere Ansprachen an die Lebenden. Der erste beginnt sofort mit unserem 
Spruch : 

. . . Voites quel sonlmes; 

Tel aer^s-vous, et tel, comme ore 

Eates, fumes. . . . 

Daran knüpft er die Mahnung, von ihnen, die sie im Leben stolze und 
vornehme Herren gewesen seien, zu lernen; zu diesem Zwecke habe sie Gott 
vor ihnen erscheinen lassen. 

Der zweite Tote besingt die Allgewalt des Todes, die von der Sünde 
Adams herrührt; Könige, Fürsten, Herzöge, Grafen bezwingt er. 

Der dritte Tote fordert die Lebenden dringend auf, sich gegen den 
schlimmen Tod durch gute Werke zu schützen. 

Nicholes de Marginal^ befolgt die gleiche Disposition; auch hier 
geht eine kurze Einführung voraus Auch hier sprechen die Lebenden zuerst, 
nur sind ihre Reden viel frömmer und voll guter Entschließungen. Auch 
die Ansprachen der Toten sind durchaus predigtartig gehalten. So empfiehlt 
der erste den Lebenden, auf Erden den Sohn Mariens zu lieben, wenn sie 
der Hölle entgehen wollten. Aus dem Munde des dritten Toten erfahren wir, 
daß der erste Genosse ein Bischof war; der zweite, der erst vor anderthalb 
Jahren gestorben, sei ein Graf, er selber aber ein mächtiger König gewesen ; 
jetzt aber seien sie alle drei in der Gewalt des Teufels. 

Nicholes de Marginal schließt sein Gedicht mit einem Epilog, in dem 
die drei Lebenden ihre frommen Vorsätze aussprechen. 

Das dritte Gedicht trägt keinen Verfassernamen, ist aber der Sprache 
nach nicht viel jünger als das vorausgehende^. Nach der Einleitung nimmt 



' Das Gedicht, erst in englischen Hand- 
schriften des 14. Jahrhunderts vorliegend, 
ist in obiger Sammlung nicht enthalten und 
noch nicht gedruckt. 

' L' Alphabet de la mort de Hans Holbein. 
Entonrä de bordures du XYI. si^cle et suivi 
d'anciens po^ms fran^ais sur le sujet de trois 
mors et des trois vis. Publi^s d' apres les manu- 
scrits par Änatole de Montaiglon, Paris 1856. 

' Das Gedicht steht bei Montaiglon, der 
die Blätter seiner Schrift nicht paginiert hat, 



auf Blatt 18 ff. Vgl. auch Gröber, Grundriß 
der roman. Philologie II 1, 841. Baudouin 
dichtete unter der Gräfin Margarete der 
Schwarzen von Flandern, einer Urenkelin der 
berüchtigten Eleonore von Poitou. Margarete 
regierte von 1244 bis 1280. 

* Montaiglon Blatt 22^ if. Vgl. Gröber 
a. a. 0. 855. Nicholes verfaßte sein Gedicht 
vor 1310. 

* Bei Montaiglon Blatt 28' if. Vgl. 
Gröber a. a. 0. 865. 



32 ^^* ^i^ Legende von den drei Lebenden und den drei Toten, 

zunächst einer der Lebenden das Wort, um die fürchterlichen Totengerippe 
zu schildern und daran die Mahnung zu knüpfen: 

Tel serons nous, c'est chose fine; 
11 n'est riens yivans ki ne fine. 

Darauf antwortet ihm der erste Tote, der im Leben nichts Geringeres 
als Papst war: 

. . . car au siöcle fui pape. 



Beneiices ä tort donnai 
Et vendi; mal' m'abandonnai 
A ce; l'ame en fait le devoir; 
Por coi ne vesqui-je de voir? 
Mal laissai asne et pris ceval; 
J'en perdi glore et pris ce val 
U li dolant sont arriv^. 



Im Anschluß daran bekennt der zweite Lebende in allgemeinen Redens- 
arten seine eigene Sündhaftigkeit. Der zweite Tote gesteht von sich, daü 
er im Leben Kardinal war: 

Je fui au sidcle cardonaus. 
Onques ne mangeai cardons, naus, 
Mais les melleurs morsiaus du monde. 
J'en ai perdu le Heu du moude. 

Dieses Bekenntnis weckt dem dritten Toten das Gewissen, er gesteht 
seine Schwächen und bekennt, daß er der Kotar des genannten Papstes war 
und sein Amt schlecht verwaltet habe: 

Je fui ä eil pape notaire; 
Maint faus escris i iis di penne 
Pour Targent; moi fourrai de penne, 
De vair, de gris; trop m'ai par^ 
Pour coi escris j*onques par e 
£ en di, et apres, a las! 

Mit dem Geständnis seiner Schuld verbindet er eine eindringliche Mahnung 
an die Lebenden. 

Auch das vierte Gedicht, aus derselben Zeit wie die vorigen, ist anonym 
überlieferte Ohne Einleitung ergreift der erste Lebende das Wort, um sich 
und den Seinen zu predigen, daß die Hölle der Anteil derer sein werde, die 
hienieden nicht für ihre Seele sorgen. Ähnlich predigtartig und farblos sind 
auch die Reden der übrigen Lebenden und der drei Toten gehalten ; aszetische 
und religiöse Motive stehen überall im Vordergrund derart, daß der Verfasser 
nur ein Geistlicher sein kann. 

Die ausführlichste Darstellung findet die Legende im fünften und 
jüngsten von Montaiglon^ mitgeteilten Text. Die Einleitung hat die Form 
einer Vision, die ein Einsiedler hatte. Eingehend beschreibt er die grausige 
Erscheinung der Toten; die Lebenden erscheinen hier zum erstenmal zu Pferd. 

Der erste Tote fordert ganz wie ein Prediger die Lebenden auf, mit 
Geduld seine Mitteilungen über das Sterben zu vernehmen. Dies sei so 
schrecklich, daß die Verstorbenen gar kein Verlangen hätten, wieder lebendig 
zu werden, um noch einmal sterben zu müssen. Er schließt seine Mahnung 
mit den Worten: 

Tels vous serez comme nous sommes. 
» Montaiglon Blatt 33^ ff. « Ebd. Blatt 37^ ff. 



2. Die vollständige Legende in der mittelalterlichen Literatur. 33 

Auch der zweite Tote gebärdet sich als Prediger und führt den Lebenden 
zu Gemüte, wie töricht es sei, wegen kurzer irdischer Freuden den Verlust 
des Paradieses zu riskieren. Er schließt: 

Faictes des biens plus que povez; 
Autre chose n'emporteräs. 

Der dritte Tote hat sein eigenes Elend ganz vergessen und hält der in 
Üppigkeit und Schwelgerei verderbten Welt eine Strafrede. 

Der erste Lebende beginnt unter Anrufung des heiligen Kreuzes und 
variiert die Gedanken des ersten Toten ; auch seine beiden Genossen wieder- 
holen nur mit andern Worten die Gedanken, die sie von den Gerippen ver- 
nommen haben. 

In dieser letzten Form wurde die Legende in die ,Editio princeps" des 
erweiterten Pariser Totentanzes (La grande dance macabre) von Guyot 
Marchant 1486 aufgenommen und erfuhr so die weiteste Verbreitung, zumal 
sie auch in den meisten Nachdrucken und Neuausgaben, die bis ins 18. Jahr- 
hundert in Frankreich als Volksbücher beliebt waren, erscheint^. 

Früher noch als in Frankreich wurde die Legende in Italien poetisch 
bearbeitet, vorausgesetzt daß das von Pietro Vigo^ mitgeteilte lateinische 
Gedicht von 45 Strophen, das Giuseppe Ferraro in einer Handschrift der 
Bibliothek zu Ferrara fand, in der Tat, wie uns versichert wird, aus dem 
12. Jahrhundert stammt. 

Das Poem ist in mehrfacher Hinsicht merkwürdig. Dem Verfasser lag 
als Quelle des Stoffes nicht ein älterer Text, sondern, wie sich aus der viert- 
letzten Strophe ergibt, ein gemä lde vor. Darum kommt der Inhalt der 
Legende in ihm nur ganz verschwommen, aber in ihren Grundzügen doch er- 
kenntlich zur Darstellung : drei Männer treten vor ein offenes Grab oder eine 
Grube, in der sie zwischen andern Totengebeinen einen Leichnam liegen sehen. 
Der eine der Lebenden spricht davor in zwölf Strophen über die Vergäng- 
lichkeit des Irdischen ohne Einmischung religiöser Motive. Die übrigen 
30 Strophen werden dem dritten Lebenden in den Mund gelegt, ohne daß der 
zweite zu Wort gekommen wäre. Das Gedicht hat hier also wohl eine Lücke, 
und vielleicht stammen die Strophen des dritten Lebenden von einem andern 
Verfasser, weil hier religiöse Gedanken im Gegensatz zum ersten Teil stark 
in den Vordergrund treten. 

Wenn ich hier das ganze Gedicht mitteile, so geschieht es auch aus dem 
Gnmde, weil es inhaltlich und formell eine auffallende Ähnlichkeit hat mit 
dem „Dies irae^. Und da diese berühmte kirchliche Sequenz nach all- 
gemeiner Annahme erst aus dem 13. Jahrhundert stammt, so dürfen wir 
vielleicht in dem folgenden Gedicht das Urbild vom Dies irae sehen: 

Cum apertam sepulturam Quendam scilicet iacentem, 
Yiri tres aspicerent, Nee recenter positum, 

Ac orribilem figuram Imo totum putrescentem, 

Intus esse cernerent, Squalidum et fetidum; 



! * Vgl. Massmann, Literatur der Toten- * Le Danze macabre in Italia. 2. edizione 

^ tanze, Leipzig 1840, 92 ff. Mir liegt der Neu- riveduta con una lettera del Prof. A. Pelle- 

drnckvonBaillieu, Paris ohne Jahr (1860), vor. grini. Bergamo 1901, 82 £f. 

Künstle, Drei Lebende und drei Tote. 8 



34 



IV. Die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten. 



Ossa inter et aliorum 
lam nudata totaliter, 
Prius illo sepaltorum 
Dixit unus taliter: 

Quam est brevis nostra yita, 
Cito transitoria! 
Hos iacere fecit ita 
Brevis mundi gloria. 

Quod nos sumus, hl fuerere (sie), 
Nosque tales erimus; 
Monstrat hoc exemplum vere, 
Si bene discernimus. 

Impotentes et potentes 
Mordet mors finaliter; 
Imprudentes et prudentes, 
Quodlibet equaliter. 

Haec non excipit personam 
Divitis aut pauperis, 
Neque mitram nee coronam 
Praesulis aut principis. 

lila bonis atque malis 
Numquam parcit impia; 
Sed est omnibus aequalis, 
Pietatis nescia. 

Haec non parcit senectuti, 
Nee bonestos excipit, 
Nee florenti iuventuti; 
Quidquid vidit« accipit. 

Ubi vestra pulchritudo, 
Risus et iocundltas, 
Et monete multitudo, 
Rerum copiositas? 

Ubi vestra fortitudo 
Vel famosa probiias. 
Et agrorum latitudo, 
Fructuum fecunditas? 

Orreorum plenitudo 
Ciborumque varietas, 
Et doniorum amplitudo, 
Murorum sublimitas? 

Ubi pulcra vestimenta 
Cum auratis cingulis, 
Digitorum ornamenta 
Cum gemmatis anulis? 

Ubi lites, quas forastis, 
Ubi cavillatio, 
Testium, quos sobornastis, 
Falsorum productio? 

Quid egistis, modo sitis, 
Virtute vel vitio, 
Si velitis aut nolitis, 
Estis in iudicio. 



Tertii vox fuit talis 
Ambobus iacentibus: 
Et est fermo generalis 
Omnibus mortallbus. 

Hie superbia nihil prodest, 
Nee valet exceptio. 
Contra stimulum sed obest 
Nostra ealcitratio. 

Non est in hac vita dies 
Plena solacio, 

In qua non sit nostra quies 
Mixta cum faatidio. 

Nunc gaudemus, nunc dolemus, 
Nunc speramus, nunc timemus; 
Cum reddemus, quod debemus, 
Tune in paee erimus. 

Mundi gaudia sunt vana, 
Et in luctu iiniunt, 
Et quae cupit mens humana, 
Subito deficiunt. 

Nos de sanetis habeamus 
Frequentem memoriam. 
Omne die repetamus 
Presentem istoriam. 

Peccatores, qui floretis, 
In hac vita misera, 
Dum hie spacium habetis, 
Vestra flete scelera! 

Mors cum suo cursu rapit 
Senes cum iuvenibus, 
Suo eunctos hämo eapit 
Robustes cum senibus. 

Huc venite potestates, 
ludicantes seculum, 
Principales et magnates, . 
Hoc videte speculum! 

Hi fuere, quod vos estis; 
lam mutantur tempora. 
Extat hec sepoltura testis 
Et iugis memoria, 

Quia haec mundi praesens vita 
Tela sit aranee, 
Nee in tuto loco sita, 
Sed plena miserie. 

Vos, qui crines coloratis, 
Vestris locionibus, 
Faciesque dealbatis 
Multis uncionibus: 

Ad banc tumbam aeeedatis, 
Ut discatis plenius, 
Quod nihil est in novitatis (sic)^ 
Sed nihil fastidius. 



2. Die vollständige Legende in der mittelalterlichen Literatur. 



35 



Non resplendent hie unguenta 
Nee albom yspanicum, 
Speciosa vestimenta 
Nee velamen sericum. 

Hac non olent in coquina 
Grues ant altilla. 
Non sunt hie electa vina 
Greca vel vemacia. 

Hac in turba non sentitur 
Oder aromaticna, 
Balsamnm non reperitur 
Neo Bapor melliflaus. 

Anserum ex plumis lectuB 
Mollis hie non sternitur, 
Purpura vel bisse tectus 
Mortuus non cernitur.. 

Hie est vermis et putredo, 
Hie cadaver horridum. 
Velis, noiis, est, ut credo, 
Talis finis omniuni. 

Orones mori certi sumus; 
Nihil est securius. 
Quando tarnen, hoc nescimus. 
Solus novit dominus. 

Quid presumis superbire, 
Michi die homuncib? 
Dies tuos preterire 
Nonne vides quomodo? 

Heri natus, iam prostratus, 
Gras eris in tumulo; 
Terre datus, cur elatus 
Fuisti in seculo? 



Recordare, quo fomento 
Ventre matris nasceris; 
Per quam portam, quo tormento 
Mundum hunc ingrederis! 

Quam periculoso statu 
In hoc mundo permanes! 
Quanto pene cruciatu 
Vitam tuam finies! 

Hinc ad terram reverteris; 
Quid egisti, senties. 
Yermibus efiitieris 
Escha; cur superbus es? 

Adhuc causam nolo scire, 
Vir, tue superbie. 
Nonne fetorem exire 
De te vides undique? 

Tuos vide iam meatus. 
Quidquid manat fetidum. 
Licet nunc sis delicatus, 
Plenus es Saccus stercoris. 

Haec pictura representat, 
Que sint mundi gaudia. 
Statum tuum tibi monstrat, 
Qui non pensas talia. 

Uic in sua pompa mundum 
Sic curemus spernere, 
Quod possimus ad iucundum 
Celi regnum scandere. 

fideles, attendatis 
Hoc grande misterium! 
Hanc scripturam perlegatia, 
Nee sit vobis tedium. 



Vitam vestram emendetis, 
Dum tempus est gratie. 
t^ro defuDctis exoretis, 
Quod fruantur requie. Amen. 

Aus der gleichen Schule und vielleicht vom nämlichen Verfasser stammen 
folgende Strophen, die einem der Toten unserer Legende in den Mund ge- 
legt sind^: 



vos omnes qui transitis 
Et figuram hanc inspicite, 
Memores mei semper estis 
£t mundum hunc despicite! 

Quondam eram glorlosus, 
Habens aurum et argentum: 
Nunc a vermibus corrosus, 
Quam horrendum testamentum! 



Heu! quam male sum deceptus! 
Habens annos iuveniles, 
Nunc sum penitus adeptus 
Quos speraveram seniles. 

Heu! nunc mors me supplantavit, 
Quando minime credebam, 
Et mihi vitam amputavit, 
Qui securus incedebam. 



* Mitgeteilt von Kastner, Les Dauses des Morts, Paris 1852, aus Bihliotheque nationale 
Cod. Nr 3592, fol. 12\ 



36 



IV. Die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten. 



Quidquid boni intellexi 
Vel ab aliJB audivi, 
Plane tot'um hoc neglexi, 
Quia carni deaervivi. 



Curam carnis semper egi 
Et yanam gloriam amavi. 
Pro bis in poenam banc impegi: 
Sero novi quod erravi etc. 



In der deutschen Literatur des Mittelalters ist unsere Legende bisher nur 
in zwei Bearbeitungen bekannt geworden; in einer niederdeutschen hat sie 
Staphorst in seiner »Hamburgischen Kirchengeschichte* ^ ediert. Der Verfasser 
behauptet, sie einer Handschrift des 14. Jahrhunderts entnommen zu haben; 
nach der epischen Breite und der poetischen Ausschmückung möchte man sie 
für jünger halten. Tatsächlich liegt sie aber in der Fassung, wie sie der 
Hamburger Kirchenhistoriker mitteilt, dem Inhalte nach in einer Wolfen- 
büttler Handschrift aus dem Jahre 1404, dem sog. „Harte-Bock", vor. Der 
Inhalt ist folgender: Drei Könige reiten mit ihi^em Troß zur Jagd in einen 
Eichenwald. Der eine schlägt vor: 

. . . Laßt uns ruben 
. Und uns am Weine gütlicb tuen. 

Während des Gelages kommen einem Genossen düstere Gedanken: 

Ob unsere Väter zu diesen Stunden 
Wobl auch ein glücklieb Los gefunden? 

Die trübe Stimmung bemächtigt sich auch der andern, zumal sie wahr- 
nehmen, daß sie sich im Walde verirrt hatten und die Nacht schon herein- 
brach. Plötzlich stehen drei Gerippe vor ihnen, die von jedem König, wie 
in der französischen Legende, angesprochen werden. Darauf rufen ihnen die 
Toten gemeinsam entgegen: 

Wir sind euere Väter, ihr sollt uns sebn 
Und dann in Scbniacb und Reu vergebn. 
Was ibr jetzt seid, das waren wir; 
Was wir nun sind, das werdet ibr! 

• 

Hierauf ergreifen die Toten einzeln das Wort : der erste mahnt zu gut^n 
Werken; der zweite warnt, das Volk zu plagen und falschen Pfennig zu 
schlagen; der dritte macht ein Bekenntnis seiner Sünden, um derentwillen 
er der Hölle verfallen. 

Den Schluß macht ein nochmaliges Zwiegespräch zwischen je einem 
Lebenden und seinem toten Vater, in welchem die beiden ersten Lebenden 
sich wiederum ziemlich weltlich gebärden; nur der dritte legt eine fromme 
Gesinnung an den Tag. 

Die zweite Form der Legende in hochdeutscher Mundart wurde von 
Gräier nach einer Wolfenbüttler Handschrift vom Jahre 1393 heraus- 
gegeben^. Der Titel lautet: Dites van den doden Koningen Ind van 
den leuenden Koningen. Die Situation, in der die lebenden Könige den 
Gerippen begegnen, ist ähnlich wie oben geschildert. Zunächst gewahren 
sie bei hereinbrechender Nacht einen großen Feuerschein, der sie sehr er- 
schreckt. Der eine ruft den Heiland an, der andere St Quirin, der dritte die 
hl. Maria und der Knecht den hl. Oswald. Da auf einmal stehen sie vor drei 



' 1. Tl, IV. Bd, Hamburg 1731, 263 S. Böckb und Gräter I, Leipzig 1791, 369ff. 

' Bragur, Ein literarisches Magazin der Das Gedicbt wie aucb das Anm. 1 genannte 

deutseben und nordischen Vorzeit, hrsg. von verdient aufs neue herausgegeben zu werden. 



2. Die vollständige Legende in der mittelalterlichen Literatur. 37 

liegenden Totengerippen, die von den drei Lebenden angesprochen werden. 
Darauf ergreift der eine Tote das Wort, um zu erklären, daß man ihn im 
Leben den großen Marquis genannt, der niemand gehorchte. Der rechts neben 
ihm Liegende war ein Herzog und jener links ein gewaltiger Graf. Hierauf 
sprechen die Lebenden den Toten Trost zu und wünschen ihnen Erlösung aus 
ihrer Not. Sie selber aber nehmen sich vor, als bei Tagesanbruch das Gesicht 
verschwunden, durch Stiftung von Klöstern und Kirchen für ihr Seelenheil 
zu sorgen. 

Eine viel ältere Form dieser Legende liegt in einem anonymen und noch 
ungedruckten illustrierten Gedichte einer Wolfenbüttler Handschrift aus dem 
15. Jahrhundert vor, das ich hiermit der Öffentlichkeit übergebe. Aufmerksam 
wurde ich auf Codex Guelpherbyt. Aug. 16. 17. 4^ durch die Abhand- 
lung von Karl Euling über die Jakobsbrüder des Kunz Kistener^ Die 
Handschrift ist ein aus Straßburg i. E. stammender Sammelband, der auf 
Bl. 85'' — 87 unsere Legende mitteilt unter dem Titel: »Dis ist der weite 
Ion", wodurch frühere Benutzer auf den Gedanken gebracht wurden, es handle 
sich um Konrads von Würzburg längst bekanntes Gedicht. Die Unterschrift 
bezeichnet aber das Gedicht ganz richtig: Hie haut die doten und die 
künige ein ende. Ohne alle poetische Einkleidung tritt der erste tote 
König, auf einem podiumartigen Aufbau stehend, das vielleicht sein Grab dar- 
stellen soll, vor den Zuschauer und schildert in rührender und tief empfundener 
Weise seine Not und Armut (Bild 4). Ihm antwortet der greise König (Bild 5), 
dem plötzlich die trügerische Welt in ihrem wahren Charakter vor die Seele 
tritt; auch dieser spricht ohne alle Phrase und allen predigtartigen Wort- 
schwall, der sich im Munde des Laien so unpsychologisch ausnimmt. Dies 
gilt auch von den übrigen Wechselreden (Bild 6 — 9), die überall aus der 
Seele des Sprechenden kommen und auf nachempfundene, verbrauchte Redens- 
arten verzichten. So enthält das neugefundene Gedicht wirkliche Poesie, und 
es darf nicht, wie Euling getan, mit den Worten abgefertigt werden : Es ist 
eine kurze totentanzähnliche Reimerei 2. Der Verfasser ist ein Elsässer, wie 
der Dialekt zeigt und schon die Herkunft der Handschrift vermuten läßt. 

Woher er den Stoff genommen, und von welchen Vorlagen er beeinflußt 
ist, läßt sich nicht mehr feststellen; das ist gewiß, daß er die französischen 
gearbeitu ngen, bei denen die religiösen Motive so stark in den Vordergrund 
treten, nicht gekanjit oder doch nicht benutzt hat. Aber auch von den beiden 
angeführten deutschen Legenden ist die Darstellung in der Wolfenbüttler 
Handschrift grundverschieden, schon deswegen, weil diese wie auch die fran- 
zösischen Bearbeitungen erzählende Gedichte sind, während unser Elsässer 
Dichter dj^m.atiscJie -Rollen für eine öffentliche Darstellung schaffen 
wollte. Darum beginnt er ohne Schilderung der äußeren Situation, die durch 
die Bühne ja dargestellt war, sofort mit: Mortuus dicit; und daneben ist der 
erste Tote in Rednerstellung auf seinem Grabe stehend gezeichnet. Auch der 
alte König mit seinen Genossen, die jeweils neben den Worten ihrer Rolle 
abgebildet sind, haben wie auch die beiden übrigen Toten die rechte Hand 
zum Redegestus ausgestreckt. 

Der Inhalt des Gedichtes und seine Illustration rechtfertigt am deut- 
lichsten die hier vorgetragene Auffassung: 



* Germanistische Abhandlungen, 16. Heft, Breslau 1899. > Ebd. S. 1. 



IV. Die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten. 
Dis ist der weite Ion. 

Moiiiius dicil: 
Wir aint dot, bo lebent ir, 
Der ir eint, der worent wir, 
Ovoh werdent ir also wir hie stont 
Tnd generlich vor Ocb gont. 
leb was ein her sicherlich, 
Ad lande, an lüte, gäte rieb: 
Do von bin ich becleidet bis, 
Dimne dise, dtis lant one haa. 
Mir wart dia lilachen vmbgeben, 
Daa du nu aist an mir cleben: 
Das ist alles, daa ich minea gätea han ' 
Oder weltlicher fr&ide ie gewan. 
Das ist mir nü rehte bittericeit 
Vnd mäs mir iemer wesen leit. 



Viuug dicit: 

Owe, gesellen, sehent har: 

Wie werdent wir oder war? 

Ich weia nDt wol. was vor vna atot. 

Lip, leben mir zergot, 

Ich kam nie in gr&fier not 

Sehent ; dia iat der weite Ion, 

Alsus so werdest wir geton. 

Woreot ea lUte, also wir nu eint. 

So aint wir wol gesehen blint. 

Pfncb, Talsche vnd triegende weit! 

Do giat Ion vmb bhsea gelt, 

Daa du vns noch dirre frbide giat. 

Ach nieman weie, wie b6se da bist 

Vnd wie hurtz hie din leben ist. 



MortUM dicit: 

Du endariftt * nQt großes zwivels han : 

Es enwart nie mfinsohe, frovwe oder m 

So Bchon, so rieh oder so tugenthaft, 

Dem kunat, mage oder libes craft 

So vaste ni&gent by geston: 

Im mäs ovcb sin lip alane zergon, 

Aleo du an mir nu sehen ' soll. 

Was sol dir silber oder golt, 

Roa, federspil oder ech6ne woth — 

Ea zucket dir aU der grimme tot. 

Er mordet vnde widert seit 

Din hochfart vnd din vpekeit. 

Die aolt du gentzlich varen Ion, 

Wanne hie noch wirst du alsus geton 

VngeschalTen nlao ich bin. 

Da von bekere dinen sin. 



2. Die vollstBndige Legende in der mitt«lslterlichen Literatur. 

Viuug dicit: 
Wer eint ir, waDnen oder was? 
Daa sagent ruß, des wir deBte baa 
Aller der weite nibgent oUgen 
Dis iomer vnd diB wunder sagen, 
Daa TDH got hie erzceiget hat 
Waa trAg mich anf diaen pfat? 
Wenne alle mine frhide han ' ich verlorn. 
We got, war zä eint wir gebom, 
Obe vns das n& volgen boI 
Daa grosBes iomers ist so vol 
Ala ich hie vor mir nn inils aehen? 
Dia sfillent alle Sünder iehen ', 
Uin zuDge mag nOt reden me. 
Mir wart von vorhten nie so we. 
Ich aihe nu wol, das ich müa gedagen. 
Dia iomer wil ich iemar clagen 
Das ich nu sihe hie vor mir, 
arme weit, was sint wir? 
Ein cleinbter, hbae vnd gar vnwert! 
Min faertz nOt me frbideu gert. 

ifoHuua dicü: 
Owe, nu sich mich reht vnd eben an. 
Hfiht ich sollich beieichen ban 
Gebebet, da ich lebende was, 
leb fr&de nu [mich] > vil deste bas. 
Do tr&g mich also dise bbse weit. 
Na mäht du sehen ir falschea* gelt; 
Wie ful, zervallen vnd wie swartz ich bin. 
We tovber mansche, wo iet nn din ein, 
Das dir die weit gevellet ao wol, 
Die ist so vil bitterkeit so vol? 
Ich waa noch schbner, wen du bist — 
Nn bin ich ful alsam der mist. 
Do von so schaffe der seien rotb, 
Sit du aist, wie nu der lip zergot. 
Wie sch&n er ist vnd nie wol geton 
So mÜB er doch alsus zergon. 

Viuut dieil: 
We weit, we fröide, we innge iar, 
We stoltzer Üp, we acbÖnea har, 
We frttnt, we mage, we grosaea gut, 
We Scheines leben, we hoher mut. 
We bl&des, kranckes mönscben leben. 
Bat got fleh Busslich ' ende geben 
Ala ich nu vor mir sehen mag. 
We leider atunde, we leider dag, 
Das ich zä m&necbe ie geboren wart 
We böse weit, das wir so zart 
Dich bant, das müs den' iemer schaden, 
Die der sDnden last bat überladen, 
Wan du dich dieplich von vns stilest 



' habe Cod. ' eprechen Cod. 

' im Cod. unleserlich. ' falchses Cod. 

* Bolchea. ' dem Cod. 



40 



IV. Die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten. 



Ynd vns din bitter ende bilest, 
Wie grimme du bist vnd grusenlich. 
Owe vnd iemer ahemicb, 
Das icb es ie solte gesehen! 
Für worheit, ich wil balde iehen, 
Was ich nu fQrbas leben me, 
Das ich nüt han, wen ach vnd we, 
Truren, süfzen nach dirre gesiht. 



Also mir min hertze nu vergibt. 
Ach vnd ach vnd iemer we, 
Froide gewin icb niemer me. 
Ich sihe nu wol, das ich den dot 
Liden müs vnd bitter not. 
Owe iemer vnd ach mich. 
Tot, ich wil iemer forhten dich. 
Wen du bist so rehte grusenlich. 



flie hant die doten vnd die künige ein ende. 

Bevor wir zur Untersuchung über die Darstellung der Legende in der 
bildenden Kunst des Mittelalters übergehen, ist noch kurz die Frage über das 
Verhältnis des Spruches zur Legende zu untersuchen. Man könnte aus der Tat- 
sache, daß der sepulkrale Spruch ca 100 Jahre vor der Legende in der abend- 
ländischen Literatur auftritt, schließen, daß die Legende sich aus dem Spruch 
entwickelt hat. Allein abgesehen davon, daß der Spruch durch seine plurale 
Form, in der er gewöhnlich verwendet wird, deutlich daran erinnert, daß er 
aus dem Munde des ersten Toten der Legende stammt, ist darauf aufmerksam 
zu machen, daß nicht nur der Spruch, sondern die ganze Legende in dem 
Gedichte des Arabers Adi in den Grundzügen bereits vorliegt: der König 
von Hira begegnet den Ruhestätten der Toten, die der Dichter ihm gegenüber 
redend aufführt. Daß in der abendländischen Form drei Tote drei Königen 
gegenübertreten, ist nicht wesentlich. Es mag sich diese Änderung daraus 
erklären, daß mit je drei Sprechenden sich die drei Menschenalter darstellen 
und ein belebter Dialog bilden ließ. An die Stelle des Dichters in der ara- 
bischen Form tritt in der abendländischen schon bei Walter de Mapes und 
öfters oer heilige Eremit, der in einer Vision den geheimnisvollen Vorgang 
schaut. Demnach ist die Legende schon im 11. Jahrhundert im Abendland 
bekannt gewesen. Wie und wann sie dahin gelangte, kann ich allerdings im 
einzelnen nicht belegen, ja ich muß mir sogar den Einwurf gefallen lassen, 
daß überhaupt keine Entlehnung stattgefunden hat. Es ist ja richtig, daß 
viele Ideen bei allen Kulturvölkern unabhängig voneinander auftreten, und 
insbesondere sind Meditationen über die Allgewalt des Todes überall zu be- 
obachten. In unserem Falle handelt es sich aber nicht bloß um eine Idee, 
sondern um die ganz individuelle Einkleidung dieser in eine poetische 
Form, die sich nur dadurch genügend erklären läßt, daß man ein Abhängig- 
keitsverhältnis annimmt ^. 

Alsdann ist folgendes wohl zu beachten: Hätten abendländische 
Theologen, wie man gewöhnlich annimmt, die Legende erfunden, 
so wäre sie viel religiöser gestaltet worden; denn die religiösen 
Motive kommen erst allmählich dazu, und je später die Fassung 
ist, desto frömmer gebärden sich die Sprechenden. 



' Ich muB an dieser Auffassung auch gegen 
R. Köhler, Kleinere Schriften II 37 fest- 
halten, der schreibt: Am Schlüsse dieser 
Zusammenstellung will ich nur noch be- 
merken, daß nach meiner Meinung das 
Abendland hier nicht gerade vom Orient ge- 
borgt zu haben braucht. Der Gedanke, den 



Toten den warnenden Zuruf an die Lebenden 
in den Mund zu legen: „Was ihr seid, das 
waren wir; w^as wir sind, das werdet ihr*, 
ist ein so natürlicher, daß er selbständig 
sowohl im Orient als im Okzident gedacht 
und ausgesprochen werden konnte. 



3. Die Darstellung der Legende in der bildenden Kunst des Mittelalters. 



41 



3. DIE DARSTELLUNG DER LEGENDE IN DER BILDENDEN 

KUNST DES MITTELALTERS. 

Wir stehen vor der eigentümlichen Tatsache, daß die vielleicht älteste 
Darstellung dieses Gegenstandes in der mittelalterlichen Kunst uns den Inhalt 
der Legende in der ausführlichsten und ausgeschmücktesten Form widergibt: 
wir meinen das berühmte Bild vom Triumph des Todes im Campo Santo zu 
Pisa, das man früher Orcagna zuschrieb. Daran knüpfen sich denn auch 
die bisherigen ikonographischen Untersuchungen unseres Sujets vonDidron, 
Dobbert und Hettner^ Der Aufsatz von Anton v. Perger „Über die 
Legende von den drei Toten und den drei Lebenden" ^ bringt zwar einiges 
Neue, beruht aber auf einer mangelhaften Kenntnis des Gegenstandes sowohl 
nach seiner li tetarischen wie nach der kunstgeschichtlichen Seite. Daß er den 
Aufsatz von Massmann ^ vom Jahre 1847 nicht kannte, wo sich die ersten 
ikonographischen Versuche über die Legende finden, soll ihm nicht schwer 
angerechnet werden, aber die kurze Abhandlung seines Landsmannes II g: 
Todesdarstellungen vor den Totentänzen ^, hätte ihm nicht unbekannt bleiben 
dürfen. Allerdings ist auch dieser über unser Thema nur sehr unvollkommen 
unterrichtet, wenn er schreibt: »Der Stoflf der drei Lebenden und drei Toten 
erscheint in Deutschland meines Wissens weder in der Literatur noch in der 
bildenden Kunst." 

Auffallend ist, daß P. Kupka^ der aus unserer Legende so wichtige 
Schlüsse zieht, ihre Darstellung auf den Monumenten so flüchtig verfolgt hat ; 
denn was er bietet, ist nur eine oberflächliche Kompilation. Nur Kupka be- 
nutzte bisher, ohne den Erscheinungsort zu kennen, den recht schätzenswerten 
Aufsatz von M. Gh. Abel^ der über die französischen Bearbeitungen unserer 
Legende sehr gut unterrichtet ist und drei wenig bekannte Monumente aus 
Lothringen mitteilt, das in Sainte Segolene zu Metz das vielleicht älteste Bild 
besaß, von dem wir Nachricht haben. Sollte vielleicht Baudouin de Conde, 
der höchst wahrscheinlich ein Lothringer war '^, gleich dem Verfasser des oben 
mitgeteilten lateinischen Gedichtes aus dem 12. Jahrhundert durch ein Bild 
seiner Heimat zur Abfassung seiner „Dits des trois morts et des trois vifs" 
veranlaßt worden sein? 

Schon Douce^ gab ein ganz gutes Verzeichnis über das Vorkommen 
der Legende in französischen Manuskripten und liturgischen Drucken seit dem 
Ende des 15. Jahrhunderts, und Langlois^ teilte einige bisher unbekannte 
monumentale Darstellungen aus seiner Heimat mit, während Kastner ^^ bereits 
in Deutschland nach ihr Umschau gehalten hat und sie aus Handschriften 
und Drucken zu belegen wußte. 



/ 



* Didron, Anoalesarch^ologiquesXVI165; 
XXIV 156. Dobbert, Repertorium für Kunst- 
wissenschaft IV Iff. Hettner, Zur Charakte- 
ristik der Dominikanerkunst, in Lützows Zeit- 
schrift fQr bildende Kunst Xill 85, und in seinen 
Italienischen Studien, Braunschweig 1879, 131. 

' Berichte und Mitteilungen des Altertums- 
Vereins zu Wien XV 133 ff. 
» Serapeum VIII 129 ff. 

* Mitteilungen der k. k. Central-Commission 
^ zur Erforschung und Erhaltung der Bau- 
denkmale XVII, Wien 1872, S. lxxxvii. 



* Über mittelalterliche Totentänze. Unter- 
suchungen über ihre Entstehung und ihre 
Verwandtschaftsverhilltnisse (wissenschaft- 
liche Beilage zum Programm des Gymnasiums 
zu Stendal), Stendal 1905. 
^ ® Mämoires de la Societä d'archeologie et 
d'histoire de la Moselle VIII, Metz 1866, 21 ff. 

' Ebd. 25. 

8 Tbe Dance ofDeath. London 1833, 31 228ff. 

^ Essai historique, philos. et pittoresque 
sur les danses des morts I, Rouen 1852, 213 ff. 

" Les Danses des morts, Paris 1852, 10 ff. 



42 



IV. Die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten. 



Im folgenden soll eine Zusammenstellung der künstlerischen Behandlung 
unserer Legende versucht werden, wobei ich mich allerdings in der unan- 
genehmen Lage befinde, manchmal von Zeichnungen und Bildern reden zu 
müssen, die bisher noch gar nicht publiziert und nur mangelhaft beschrieben sind. 



A. DIE LEGENDE IN HANDSCHRIFTEN UND IN HOLZSCHNITTEN. 

L Die Illustrationen zum vollständigen Legendentext. 

Hierher gehören in erster Linie jene Pariser Handschriften ^ mit den ver- 
schiedenen Legendenformen des Baudouin de Conde, Nicholes de Marginal und 
der unbekannten Verfasser, wie sie Montaiglon in seinem Büchlein , Alpha- 
bet de la mort de Holbein'' publiziert hat. Am wichtigsten ist die Illustration 
zum jüngsten Gedicht, das beginnt: 

Ouvre tes yeux, cröatare chetive, 

Vien voir les fais de la mort excessive*. 

Auf dem einen Blatt erscheinen die drei Lebenden zu Pferd in reicher 
Jagdausrüstung; der Sprechende ist abgestiegen und hat die Rechte zum 
Redegestus erhoben. Sein Falke hat sich zum Fluge erhoben, und das Pferd 
bäumt sich erschreckt auf. Auf dem zweiten Blatte sieht man die drei Toten 
in einem Garten unter Bäumen neben einem gotischen Kreuz. Der Eremit 
sitzt betend in der rechten Ecke. In dieser Form ist die Legende und die 
Illustration in die erweiterte Form der Dance macabre vom Jahre 1485^ 
aufgenommen worden und erscheint von da an in fast allen Neudrucken ^ 
während die ursprüngliche Fassung des Pariser Totentanzes in der Ausgabe 
des Guyot Marchant wie auch die deutschen Totentanzhandschriften unsere 
Legende nicht kennend 

Nach Longpörier* weist das Manuskript 6988 -• ^ der Pariser National- 
bibliothek, aus dem Montaiglon die Legende nach Baudouin de Cond^ ent- 
nahm, als Vignette drei Frauen im Gespräche mit drei Toten auf. Leider ist 
das Bild nicht ediert. Dagegen teilt der genannte französische Archäologe 
aus einem dem Anfang des 14. Jahrhunderts angehörigen Manuskript Nr 125 
der Arsenalbibliothek zu Paris, worin die »Dits des trois vifs et des trois 
morts** in der Aufeinanderfolge, wie sie Montaiglon abdruckt, enthalten sind, 
. eine sehr geschickt gezeichnete und kolorierte Miniatur mit, in der ebenfalls 
drei jugendliche, anmutige Frauengestalten den drei Toten gegenübertreten ^. 
Die erste Dame trägt einen Falken auf der Linken und faßt mit der Rechten 
nach ihrer Gefährtin; die dritte ringt verzweifelt die Hände, ohne da£ in 
ihrem Antlitz diese Gemütsstimmung zum Ausdruck kommt. Die drei Toten 
' stehen ruhig da, der erste mit einem blauen Mantel über den Schultern, der 



* Beschrieben von Jubinal, Explication 
de la Dan6e des Morts de la Ghaise-Dieu, 
fresque inödite du XY** siecle, Paris 1841, 
8 — 9 , und bei Montaiglon in seiner 
Vorrede. 

« Montaiglon fol. 37\ 

' Gewöhnlich ,La grande dance macabre" 
oder ,La dance macabre nouvelle" genannt, 
worin neun Gestalten mehr erscheinen als 
in der Ausgabe des Guyot Marchant von 
1485: 



^ Vgl. Massmann, Litteratur der Todten- 
tanze, Leipzig 1840, 92 if. Der Holzschnitt 
ist reproduziert von Baillieu, La grande 
danse macabre, Paris o. J. (1860), und bei 
P erger, Berichte und Mitteilungen 134 — 185. 

^ Vgl. Massmann a. a. 0. 83 und Dufour, 
La dance macabre; reproduction de Tädition 
princeps donnee par Guyot Marchant (1485), 
Paris 1891. 

» Revue arch^ologique II, Paris 1845, 243. 

'' Ebd. planche XXXI. 



3. Die Darstellung der Legende in der bildenden Kunst des Mittelalters. 43 

zweite schlingt ein rotes Tuch um die Mittes des Leibes, der dritte ist als 
nacktes Skelett gezeichnet. 

Ein solches Bild mag dem unbekannten französischen Bearbeiter vor- 
gelegen haben, der in Manuskript 198 Fonds Notre-Dame der Nationalbibliothek 
zu Paris die Reden sowohl der Lebenden wie der Toten Frauen in den Mund 
legte und die Legende überschrieb: Dit des trois mortes et des trois vives^. 

Außerdem weiß ich zu dieser Rubrik nur noch die kolorierten Zeich- 
nungen in dem oben beschriebenen Wolfenbüttler Codex anzuführen, der nicht 
nur einen originellen und höchst eigenartigen Text aufweist, sondern auch in 
seinen Illustrationen bisher ohne Vorbild ist. Da der Zeichner auf eine künst- 
lerische Komposition verzichtet und die einzelnen Gestalten naiv neben ihre 
Rollen stellt, ist das ikonographische Interesse dieser Bilder gering, aber viel- 
leicht darf man gerade aus dieser einfachen Behandlung des Gegenstandes 
auf ein beträchliches Alter der Vorlage schließen. 

IL Die Legende als Illustration in kirchlichen Büchern. 

Mit dem Aufkommen der Totentänze und ihrer Verbreitung in den Drucken 
vom Ende des 15. Jahrhunderts an verschwand das Interesse an unserer 
Legende als Ganzes, und sie wird fast nur entweder in abgekürzter Form 
verbreitet in der Weise, daß man auf den Spruchbändern einer jeden der 
Gestalten je zwei Verse anbrachte, die den Inhalt ihrer Ansprache wieder- 
geben, oder es wird auf den Text ganz verzichtet. In dieser Form wird die 
Legende abgebildet: 

1. in liturgischen Handschriften und Inkunabeln. 

a) Dahin gehören zunächst Psalterien, so im Britischen Museum 
Arund el Manuskript Nr 88, fol. 128 aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts 
und der Psalter des Herzogs von Anjou in Paris Bibl. Nationale lat. 
Nr 18014 aus dem Jahre 1390. In beiden stehen die drei Toten den drei 
Lebenden gegenüber. Im Londoner Codex ist die eine der gekrönten lebenden 
Figuren als Frau charakterisiert, und im Pariser Psalter trägt ein König die 
Gesichtszüge des Herzogs von Anjou ^. 

b) Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verlegten sich eine Reihe 
von französischen Buchdruckern auf die Herstellung von glänzend ausgestatteten 
Gebetbüchern (Heures), meist das Officium beatae Mariae Virginis und das 
Totenofficium enthaltend; als Illustration zu letzterem ist häufig die Bilder- 
serie der Danse macabre und unsere Legende beigegeben^. Ikonographisch 
sind diese Darstellungen jedoch nicht wichtig, weil gewöhnlich das oben be- 
sprochene Bild aus der Grande danse macabre wiederholt wird. In fast allen 
europäischen Bibliotheken finden sich solche Gebetbücher mit Bildern unserer 
Legende. Sie einzeln aufzuzählen, ist hier nicht meine Aufgabe; es genügt, 
auf einige Exemplare mit ikonographicchen .Besonderheiten hinzuweisen. So 
besitzt die k. k. Hofbibliothek in Wien ein Totenoffizium (Cod. 19841 saec. XV) 
mit einer Miniatur in der merkwürdigen Auffassung, dais- die drei Toten nicht 
am Boden stehen, sondern mit Wurfspießen bewaflftiet in der Luft schweben *. 



' Ich entnehme die Notiz Kästner, Les rium für Kunstwissenschaften XXVIII (1905) 

Danses des Morts 11. 218. 

' Nachträglich werde ich auf das sehr be- * Vgl. Brunet, Nouvellesrecherchesbiblio- 

lebte Bild im Psalterium der Königin Bonne, graphiques III, Paris 1839, und die Ergän- 

Gemahlin Jean II (t 1349), aufmerksam. zungen von M«ss mann a. a. 0. 110 ff; ferner 

Wo die Handschrift sich heute befindet, ist Soleil, Les Heures gothiques, Rouen 1882. 

mir unbekannt. Vgl. Vitzthum, Reperto- * Vgl. v. Perger a. a. 0. 



44 ^^' ^io Legende von den drei Lebenden and den drei Toten. 

Noch dramatischer ist die Darstellung in einer Handschrift des Erzherzogs 
Albrecht in Wien gestaltet: das eine Skelett droht einem Ritter, der mit 
dem Pferde gestürzt ist, mit der Sense; der zweite Tote schlägt mit dem 
Unterkiefer eines Rosses auf den zweiten Ritter, während das dritte Gerippe 
seinen Gegner, der entfliehen will, am Mantel faßt K 

In den berühmten für den Herzog von Berry illustrierten Heures findet 
sich im Totenoffizium ein von Jean Colombe gezeichnetes Blatt, das die Be- 
erdigung des aus dem Leben des hl. Bruno bekannten Kanonikus Raymund 
Diocres wiedergibt. Dieser berühmte Prediger war im Rufe der Heiligkeit 
gestorben; aber während man für ihn die Totenmesse hielt, erhob er sich 
von der Bahre und rief: lusto Dei iudicio appellatus sum; iusto Dei iudicio 
iudicatus sum ; iusto Dei iudicio condemnatus sum. Dieser Vorgang, der zur 
Bekehrung Brunos führte, ist in der Mitte des Blattes dargestellt. Darunter 
sieht man auf dem Gottesacker vor dem Kreuz die drei in Linnentücher be- 
kleideten Toten erscheinen; die drei Lebenden haben ihre Pferde bereits ge- 
wendet und fliehen in großer Hast 2. 

Als Typus eines Titelblattes zum Totenoffizium, wie er im 15. Jahr- 
hundert beliebt war, soll hier die Miniatur aus dem Berliner Kupferstich- 
kabinett (Katalog der Zeichnungen Nr 640, flämische Schule, saec. XV) vor- 
geführt werden (Tafel Hla). Die Mitte des Blattes nimmt die Auferweckung 
eines Toten durch Christus, der von seinen Jüngern begleitet ist, ein. Zeugen 
der Handlung sind Männer in der Tracht des 15. Jahrhunderts und eine Frau 
in Orantenstellung. Die Handlung geht in einem spätgotischen Kreuzgang 
vor, hinter dem eine gewaltige gotische Kathedrale sichtbar wird. 

Auf dem schmalen Streifen links oben eine Begräbniszeremonie: vor 
hoher Architektur auf ummauertem Friedhof ein offenes Grab, in das zwei 
Leichenträger einen Sarg hinablassen ; drei Geistliche , die von einer Schar 
Mönche in schwarzem Habit und Kapuze umgeben sind, nehmen die Einseg- 
nung vor. Auf dem Streifen rechts vom Mittelbild setzt sich die Leichen- 
feierlichkeit fort : Inneres einer Kirche, in der vor dem Altar eine Tumba steht, 
von betenden Mönchen umgeben. 

Von dem Eingang zum Friedhof, auf dem der Tote begraben wird, führt 
ein Zickzackweg durch grüne Wiesen, auf welche die drei Toten der Legende, 
mit Speeren bewaffnet und mit weißen Tüchern behangen, herabstürzen; sie 
verfolgen drei Reiter, die ängstlich umschauend davonstürmen. Auch die Hunde, 
die sie begleiten, sind von Furcht ergriffen. Die drei Lebenden sind durch 
ihre Tracht als Fürsten gekennzeichnet : der hinterste trägt ein grünes ünter- 
gewand mit blauem, goldgesterntem Mantel, der mit Hermelin verbrämt ist; 
auf dem bartlosen Kopf sitzt ein roter Turban mit goldener Krone. Der mittlere 
ist mit einem kurzen, ärmellosen Wams aus Goldstoff bekleidet; sein Leib- 
rock ist rot, die Beinkleider grün ; das Haupt ziert ein pelzverbrämter Turban 
mit Krone. Der dritte Lebende, ganz rechts, trägt ein rotbraunes Unterkleid, 
dessen Ärmel durch den Schlitz des blauen, goldgesternten, hermelinverbräraten 
Mantels heraussehen; auch er ist mit einer Krone geschmückt^. 



' Vgl. V. Perger, Berichte und Mit- * Vgl. P. Diirrieu, Chantilly. Les tres- 

teilungen 134, und die Kopien von Original- riches Heures de Jean de France, Duo de 

handzeichnungen berühmter alter Meister, Berry, Paris 1904, pl. XLV. 
2. Abtl., Lfg. 0, Blatt 3, wo die Zeichnung * Ich verdanke die Photographie dieser 

reproduziert ist. Miniatur Herrn Dr Gramm. 



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3. Die Darstellung der Legende in der bildenden Kunst des Mittelalters. 45 

Besondere Hervorhebung verdient noch das französische Gebetbuch Codex 
Harl. Nr 2917 im Britischen Museum saec. XV, worin eine Miniatur auf 
Bl. 119a die drei Lebenden als Papst, Kaiser und König charakterisierte 

c) In andern liturgischen Handschriften und Drucken scheint unsere 
Legende nur selten verwendet worden zu sein. Ich kann nur auf ein Gra- 
duale aus dem Jahre 1490 und auf ein Cancionale aus Kuttenberg, beide in 
Wien, hinweisen 2. — Es ist aber wohl kein Zweifel, daß bei systematischer 
Durchsuchung der Bibliotheken sich noch viele Belege von der Verwendung 
unserer Legende nachweisen lassen; wohl auch für folgende Rubrik: 

2. Handschriften zur privaten Erbauung. 

Es scheint, daß man die drei Lebenden und die drei Toten auch als Illu- 
stration zum Speculum humanae salvationis und verwandten Texten be- 
nutzte; ich kann wenigstens zwei Münchener Handschriften namhaft machen, wo 
dies zutrifft. In der Handschrift Cgm 3974, foL 59 stellt der Zeichner dreimal 
in ganz gleicher Weise auf grüner Rasenfläche je einen toten König einem 
lebenden gegenüber und umhüllt sie mit grotesken Spruchbändern (Tafel III b). 
Auf die Texte, die man auf ihnen liest, ist offenbar das Hauptgewicht gelegt : 

Die lebenden Könige sprechen: Die toten Könige antworten: 

1. Ach got durch deyn wunder manigfalt 1. So wir ez hewt, so seyfc ir es morgen; 
Wy seynd dy drey so yemerlich gestalt. Ich mayn euch all drey da voren. 

2. Wurden sy ye leuten geleich? 2. Dez ir seyd, das woren wir, 
Das dunket mich gar wunderlich. Das wir seynd, das werdent ir. 

3. Süllen wir alle werden so, 3. Auch mag euch wol wunder han, 
So wurden wir nymer pillich fro. Wye wir so iemerlich seyn getan '. 

Auf einem Berliner Holzschnitt aus der ehemals Naglerschen Sammlung 
kehren diese Verse nach Massmann * in fast identischer Fassung wieder ; in 
ähnlicher Form werden sie uns noch begegnen. 

Die andere Münchener Handschrift Clm 14053, saec. XV — XVI, aus St Em- 
meram stammend, bringt fol. 143'' — 14 ö'' (neue Paginierung) die Legende in 
totentanzartiger Ausgestaltung auf folgenden vier Holzschnitten: 

a) Ein Eremit liegt tot am Boden; seine Seele hat ein vor ihm stehender 
Engel in Empfang genommen (Bild 10). 

b) Ein König, Reichsapfel und Scepter tragend, steht neben einem toten 
König (vana potentia mundi) (Bild 11). 

c) Ein Toter disputiert mit einem Rechtsgelehrten (vana scientia mundi) 
(Bild 12). 

d) Eine Königin, sich im Spiegel beschauend, wird von einem gekrönten 
Toten angefaßt, der in seiner linken Hand ebenfalls einen Spiegel hält und den 
linken Fuß tanzend erhebt (vana pulchritudo mundi) (Bild 13). 

III. Darstellungen der Legende ohne Beziehung zu einem 
bestimmten Text. 

Auf einen holländischen Kupferstich saec. XV., früher im Besitze von 
Dr F. Lippmann, jetzt in demjenigen eines Herrn Mitchel in London, machte 



' Vgl. Dobbert. Repertorium IV 11. ^ So hat Mass mann, Serapeum VIII 186, 

* Vgl. II g, Mitteilungen der k. k. Central- den Text entziffert; auf meinen Pausen 

Commission zur Erhaltung der Baudenkmale kommt dieser nicht ganz deutlich zum Aus- 

XVII, LXXXIV, und v. P erger, Berichte druck. 

und Mitteilungen 134. * Serapeum VIII 137. 



a den drei Lebenden und den drei Toten. 



Bild 10—13. Hol;»cbiiittbiIder aus Clm 14 053 der Staatebibliotbek zu München. 

zuerst Hg', dann v, Perger aufmerksam. Obwohl letzterer durch ihn zu 
seiner Untersuchung über unsere Legende veranlaßt wurde, unterläßt er es 
doch, ihn zu beschreiben. 

Massmann^ sah in der Sammlung von Peter Vischer in Basel eine 
schöne Federzeichnung mit der Unterschrift ; Memor esto, quoniam mors non 
tardat. Commune est mori. 

In dem berühmten Skizzenbuch des Jacobe Bellini (p. .^0) im Britischen 
Museum konstatiert Dobbei't^ ein Bild unserer Legende: drei zur Jagd 

' A.B. 0. LXXXVIl; vgl. auch Dobbert, ' Sorapeum Vlll 136. 

Repertorium [V II. ' A. a. 0. 10. 



3. Die Darstellung der Legende in der bildenden Kunst des Mittelalters. 47 

ziehende Reiter machen in einer Gebirgslandschaft vor zwei Gräbern Halt, 
aus deren einem ein Toter sich erhebt. Der Eremit fehlt auch hier nicht; 
im Hintergrund sieht man eine Kirche. 

Ob die Miniatur einer aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stam- 
menden Handschrift der Bibliothek Magliabecchiana zu Florenz in einem text- 
lichen Zusammenhang seht, vermag ich nicht anzugeben: In einer Gebirgs- 
landschaft stoßen drei jugendliche Reiter auf drei offene Gräber, die ihnen 
den Weg versperren. Der eine der gekrönten Reiter hat einen Falken auf 
der linken Hand sitzen, der zweite faltet die Hände zum Gebet, der dritte 
hält ein Zepter in der Linken. Alle drei blicken unverwandt auf die Gräber, 
auf welche sie der heiUge Eremit, dessen Klause man im Hintergrund sieht, 
hinweist^. Wie Graf Vitzthum^ berichtet, besitzt die Hamburger Kunst- 
halle eine ähnliche Zeichnung aus dem 16. Jahrhundert. 

Zum Schluß erwähne ich den zeichnerisch vollendeten Stich des Meisters 
des Amsterdamer Kabinetts, den die Cfaalkographische Gesellschaft 
bereits publiziert hat (Tafel IV a). Auf einem öden, mit Menschengebeinen 
bestreuten Felde begegnen ein Kaiser, ein König und ein Graf, alle drei auf 
stolzen Rossen sitzend, drei Toten, die ebenfalls durch ihre Kronen als Kaiser, 
König und Graf gekennzeichnet sind. Der König hat sein Pferd schon zur 
Flucht gewendet, aber der tote König hält ihn am Mantel fest; der Kaiser 
reißt sein Pferd empor und deutet nach rückwärts; der Graf, seine Linke 
hinter sich auf den Rücken des Pferdes legend, beschaut sich scheinbar ganz 
ruhig die ihm gegenüberstehende grausige Gesellschaft. — Das Bild macht 
bei seinem gänzlichen Mangel an religiösen Hinweisen den Eindruck, als ob 
der Zeichner das Motiv lediglich gewählt habe, weil es ihm Gelegenheit bot, 
Furcht und Schrecken bei Mensch und Tier zum Ausdruck zu bringen. 

Auch in Meßbüchern scheint die Legende als Illustration zur Requierosmesse 
beliebt gewesen zu sein. Ich verweise auf das Missale aus Wolfenbüttel A. Aug. 
fol. Pergament Nr 61, worin ein unbekannter Meister aus der Schule Dürers die 
drei Könige zu Pferd darstellt, die drei Särgen begegnen ; aus dem mittleren er- 
hebt sich der Tote. Rechts davon drei Einsiedler, die einen Genossen begraben ^. 

B. DIE MONUMENTALEN DARSTELLUNGEN DER LEGENDE. 

a) Als Wandgemälde. 

Beginnen wir mit dem Lande, von dem aus die Legende ihren Weg ge- 
nommen hat, mit Frankreich. 

In einer Kapelle der Kirche zu Antigny (Vienne), deren Erbauung ins 
Jahr 1421 &llt, sieht man in einem gotischen Gewölbezwickel einen Ritter mit 
seiner Dame und einem Knappen zur Jagd reiten, als plötzlich vor ihnen drei 
Tote aus ihren Gräbern sich erheben und rufen: „Vous qui passez . . . priez pour 
nous". Die Herren von Boismorand, die in dem Raum ihre Begräbnisstätte 
hatten, haben sich dieses Bild wohl als heilsame Mahnung anfertigen lassen *. 

Nicht weit davon ist die Legende in einer Gottesackerkapelle zu Jouhe 
also abgebildet ; drei vornehme junge Herren reiten in voller Jagdausrüstung 



' Publiziert ist die Miniatur von Bartoli ' Repertorium für Eunstwiss. XXVIII 218. 

im illustrierten Katalog italienischer Hand- ' Vgl. v. der Crabelentz, Studien zur 

Schriften in Florenz Nr 1. Nach Dobbert deutschen Kunstgeschichte, Heft 15, S. 47. 

a. a. 0. 10 ist das Bild mit der Darstellung * Vgl. Auber, Histoire et theorie du 

im Campo Santo in Pisa aufs nächste verwandt. symbolisme religieux HI 90. 



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b. Die drei Lebenden und die drei Toten. Fresko in 8. Luca zii Crcmona. 



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48 1^- ^i® Legende von den drei Lebenden und den drei Toten, 

Über einen Kirchhof, als ihnen plötzlich bei einem Kreuze drei Tote, die eben 
aus ihren Steinsärgen sich erhoben haben, gegenübertreten. Zwei Reiter ergreifen 
die Flucht, während der dritte den Gerippen entgegenreitet. Der Text auf 
den Schrifttafeln ist nicht mehr lesbar \ Das Bild stammt aus dem Ende des 
15. Jahrhunderts und ist wohl eine Stiftung der Familie Moussy de la 
Contour, die in der Kapelle ihre Begräbnisstätte hatte. 

Die alte Abteikirche zu Fontenay-sur-Orne besaß ein Wandgemälde 
saec. XVI, das aber nur in einer schlechten Zeichnung bei Langlois planche XL VI 
erhalten ist; die Kirche wurde um 1820 zerstört. Die drei Toten, neben einem 
Kreuze stehend, sind hier als vollständige Skelette gezeichnet und strecken 
ihre Knochenhände gegen drei Bitter aus, mit denen sie im Gespräche begriffen 
sind. Der mittlere Ritter trägt eine turbanartige Kopfbedeckung, die andern 
Barette. Jeder landschaftliche Hintergrund fehlt 2. 

In dasselbe Jahrhundert fällt eine Darstellung in der Abteikirche Sain t- 
Riquier bei Amiens, wo unsere Legende zwei Gewölbezwickel ausfüllt 3. 
Die drei Reiter bewegen sich im wildesten Ritt in einer belebten Landschaft 
und scheinen die Herrschaft über ihre Pferde ganz verloren zu haben. Der 
Grund ist die Erscheinung von drei Toten neben einem Kreuz, von denen der 
eine drohend einen großen Speer schwingt, während die beiden andern mit 
den Geräten des Totengräbers, Pickel und Schaufel, ausgestattet sind. Den 
Hintergrund bilden auch hier Bäume und Hügel, hinter denen eine Stadt 
sich erhebt. 

Langlois konnte einen Teil unserer Legende um die Mitte des vorigen 
Jahrhunderts an der äußeren Chorwand der Kirche zuLongpaon bei Ronen 
konstatieren, der jetzt aber wohl ganz verschwunden ist. Er las nach fol- 
gende Beischrift: 

Mors mortis mordet mortalia morsu *, 

Mit dem Totentanz ist unsere Legende alsdann vereinigt in Kermaria^ 
Sie nimmt hier in einer Länge von 7 m die Sockelwand im südlichen Quer- 
schiflfsarm ein. Die Ritter von der Jagd kommend begegnen den drei Toten 
auf dem Kirchhof und müssen aus ihrem Munde folgende Worte vernehmen : 

^^ Nous avons bien estö en chance 
Autrefois, comme estes ä präsent; 
Mais vous viendrez a nostre dance, 
Comme dous sommes maintenant. 

Die Lebenden antworten, indem sie sich zur Flucht wenden: 

Nous sommes en gloire et faonneur, 
Remplis de tous biens et chevance; 
Au monde mettons nostre cueur, 
En y prenant nostre plaisance. 

Der Gebäudeteil, in dem die Legende abgebildet ist, stammt aus dem 
14. Jahrhundert, dem wohl auch das Bild angehört. 



* Publiziertvon Longemarin den Schriften " Ebd. II 187 und planche XLVII. 

der ^Societe des antiquaires de TOuest" 1852; * Ebd. I 285. 

vgl. Auber, Hist. et thäorie du symb. relig. * Vgl. Soleil, Les Heures gotbiques et 

III 91. la littörature pieuse au XV« et XVI« si^cle, 

> Vgl. Langlois, Essai sur les danses 1882, wo S. 281 der Totentanz abgebildet, die 

des morts I 234; II 185. Legende aber S. 286 nur beschrieben wird. 



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/ i'u"liiuinir l>»i Lannlois }'laiuiie XLVI 
/.*'i-tr)rt. Lhe drei loten, neigen einein 
• 'iL^p Ski'I'.lie ue/eii-imet und "t-ireek-n 
,:i-, n;ii denen sie im (ifsjuileiie bem'itifn 
ni'lrinai li:;»? KopflM-deckuuir. die andt rn 
I ' '1 jriii'd 1. iilt -. 

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•»' Lejtiitlf /WL'i (iewölbe/Avieke! a u^? füllt ''. 

• jU wild» st, 1; !mM m einer l^elebton Laiidt^ehart 

ii' er ilt'.'r IM'i'U- ;:an/ Verl »len zu luiiH^n. Dei 

'I di<M T.'t !^ innen eiiHMii Kniiz, von d-'uen drr 
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. Die drei Lebenden und die drei Toten. Stich des Meisters des Amsterdftmer Kabinette, 

Bsriin, KapfeTstLchkablnett. 



. Die drei Lebenden und die drei Toten. Fresko in S. Luc 



3. Die Darstellung der Legende in der bildenden Kunst des Mittelalters. 



49 



Ilg^ erwähnt noch ein französisches Wandgemälde saec. XV aus dem 
Marktflecken Ennezat (Puy de Dome), ohne es jedoch näher zu beschreiben. 
Zuerst hat darauf aufmerksam gemacht Castel, Bulletin de Soci^t^ d'agri- 
culture, Sciences, arts et belles-lettres de Bayeux 1851. Es befindet sich an der 
linken Chorseite der Kirche und bildet das Pendant zum Gerichte einer einzelnen 
Seele, um die sich vor Gott Vater ein Engel und ein Teufel streiten, an der 
rechten Chorseite 2. 

In England, wo uns durch Walter Map die Legende schon im 12. Jahr- 
hundert literarisch überliefert ist, sind nur zwei Wandgemälde bisher nach- 
gewiesen, nämlich in Ditchingham und BatteP. An ersterem Orte 
bildet unsere Legende die Einleitung zum Jüngsten Gerichte und zeigt die 
Lebenden als Könige; mit Axt und Spießen bewaffnet durchziehen sie einen 
Wald, wo ihnen die drei ebenfalls bekrönten Toten begegnen. Die Spruch- 
bänder sind nicht mehr zu entziffern, wie das ganze Bild, das aus dem 14. Jahr- 
hundert stammt, stark beschädigt ist. Der gleichen Zeit gehört das an zweiter 
Stelle verzeichnete Gemälde in der Abteikirche zu Battel an, wo es die 
Chorschranken zierte. Die Ausführung bietet kein weiteres Interesse. 

In Holland ist unser Sujet bisher nur einmal beobachtet, und zwar in 
der Taufkapelle der Hauptkirche zu Zalt-Boemel aus dem Ende des 
15. Jahrhunderts. Hier nimmt es den Zwischenraum von zwei gotischen Wand- 
bögen ein, und man sieht zunächst die drei Toten, die eben ihren Gräbern 
entstiegen. Den landschaftlichen Hintergrund bilden Bäume, ein Hügel und 
ein festes Schloß, dem sich ein seltsamer Wanderer (ewiger Jude?) nähert. 
Die Spruchbänder, die sich um die Gestalten schlingen, sind mit althollän- 
dischen Versen bekannten Inhalts versehen. Im Wandbogen daneben er- 
scheinen die drei Lebenden zu Pferde und in reicher Ausstattung ; einer trägt 
den Turban. Den Hintergrund bildet hier zunächst eine Waldszene, wo sieben 
Männer mit Armbrusten schießen, dann ein minutiös ausgeführtes Stadtbild, 
wohl Zalt-Boemel selber*. * 

Aus Deutschland weiß ich nur vier monumentale Darstellungen der 
Legende namhaft zu machen; davon entfallen zwei auf Lothringen und 
zwei auf Baden. 

In der frühgotischen Kirche S. Segolena zu Metz wurde 1850 im nörd- 
lichen Seitenschiff ein Freskenzyklus aufgedeckt und von Boulangö^ publi- 
ziert, der, vom Nebenchor her gerechnet, folgende Szene aufweist: 

1. Im offenen Durchschnitt eines Hauses unter Korbbögen neun Bilder, 
die schon Boulange nicht mehr zu deuten vermochte. Daneben schreitet aus 
einem Turm eine Frau ; aus ihrer Handbewegung möchte man schließen, da£ 
sie zum Eintritt auffordert. 

2. Eine Kreuzigung, noch in romanischen Kunstformen gehalten, mit 
Maria und Johannes (oder Donatoren?). 



* TodesdarstelluDgen vor den Totentänzen 
a. a. 0. S. LXXXV. 

' Vgl. Lang! oi 8, Essai sur les danses des 
morts II 205. In der Revue de Tart chr^tien 
1891, S. 263 wird ohne nähere Angahen die 
Skizze eines Gemäldes unserer Legende von 
der Kirchhofmauer zu Partheney mitgeteilt. 

^ Archaeolog. Journal 1848, 69 ; vgl. auch 
Langlois a. a. 0. 1 234. 

Kfinstle, Drei Lebende und drei Tote. 



* Vgl. Alfred Michiels, Histoire de 
la peinture flamande I' 419 if; Kist, De 
kerkelijke Architectuur en de Doodendanse, 
Leiden 1844, 56; Langlois a. a. 0. I 236. 

* Revue d'Austrasie 1853, 197. Darauf 
beruht die Beschreibung von Abel (Mömoires 
de la Societö d*arch4ologie et dhistoire de 
la Moselle VIII 28). Die Skizze, die er bei- 
gefügt, ist wertlos. 

4 



50 IV. Die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten. 

3. Ein junger vornehmer Mann neben zwei weiblichen Gestalten. 

4. Unmittelbar daneben drei Gerippe in ruhiger Haltung. 

5. Drei junge Männergestalten in antikisierender Kleidung mit hauben- 
artiger Kopfbedeckung, die man meines Erachtens zu Unrecht für Heiligen- 
scheine gehalten hat. 

Im Jahre 1887 wurde der Zyklus, nachdem er bald nach seiner Auf- 
deckung mit Leinwand überklebt und übertüncht worden war, aufs neue bloß- 
gelegt, und in diesem Zustand ließ ihn Kraus photographieren ^ 

Daß in Nr 4 und 5 unsere Legende dargestellt werden soll, steht außer 
Frage; ob aber die übrigen Szenen, die alle vom nämlichen Palmettenfries 
eingefaßt sind, auch dazu gehören, muß erst festgestellt werden. Schon 
Kraus ^ hat sich die Frage vorgelegt, ob die Legende hier etwa eine ähn- 
liche Entwicklung erfahren hat wie in Pisa. Die erste Szene ist bei ihrem 
schlechten Erhaltungszustand nicht mit Sicherheit zu deuten. Aber ich möchte 
doch annehmen, daß der Maler in dem Zyklus, den er mit einem gemeinsamen 
Fries umrahmt, eine einheitliche Idee darstellen wollte. Die Kreuzigungsgruppe 
dagegen darf, wie eine Reihe anderer Fälle lehrt, ganz gewiß als Bestandteil 
der Legende angesehen werden, so daß wir diese bereits in einer dem Toten- 
tanz ähnlichen Entfaltung vor uns hätten : unter den drei Lebenden zwischen 
der Kreuzigungsgruppe und den drei Toten sind Menschen zu verstehen, die 
bereits zum Sterben abgeholt sind; sie werden durch die Frau, die mit ein- 
ladender Gebärde aus dem Turm kommt, in die Seligkeit abgeholt, nachdem 
ihre Schuld durch Christus am Kreuze getilgt ist. So ist nach meinem Dafür- 
halten der Zyklus in S. Segolena zu erklären. 

Diese Entwicklung der Legende ist um so wichtiger, als die Bilder mit 
ziemlicher Sicherheit dem 13. Jahrhundert zugewiesen werden dürfen. Ja 
Boulange, der die Gemälde nach ihrer ersten Aufdeckung untersuchte, wollte 
sie mit den ältesten Wandgemälden, die Frankreich besitzt, mit jenen in Saint- 
Savin aus dem 11. Jahrhundert, in Beziehung bringen. 

Ganz anders gehalten war das Wandgemälde in der ehemaligen Abtei- 
kirche Notre-Dame-des-Clairvaux in Metz aus dem 14. Jahrhundert®: drei 
Reiter mit Jagdhunden nahen sich drei offenen Särgen. In dem ersten liegt 
ein bekleideter König, im zweiten und dritten nackte Frauenleichen. Aus 
den Gräbern ragen große Spruchbänder, auf denen noch die Worte zu ent- 
ziffern sind: 

Seignours . . . saveis . . . ce que nous sommes. 

Regardez cö Bomes obscur 

Vers no9 ont raaigiet char & curs. 

Im Jahre 1866 entdeckte W. Lübke in der Turmhalle der Kirche zu 
Badenweiler eine künstlerisch zwar sehr mangelhafte, aber ikonographisch 
doch beachtenswerte Darstellung der Legende*. Die drei Könige sind als 
Jüngling, Mann und Greis charakterisiert, tragen alle sehr eng anliegende 



* Vgl. die Abbildungen 97 — 99 in ^Kunst erhalten; tatsächlich besitzen wir aber die 
und Altertum in Elsaß-Lothringen" Bd III. freilich sehr beschädigten Originalbilder, denn 

' Ebd. 440. 1892 ließ die badische Regierung beim Abbruch 

' Vgl. Abel, Memoires 28, und Kraus der alten Kirche die bemalten Flächen ablösen 

a. a. 0. 671. und auf Gipstafeln befestigen. In diesem Zu- 

* Nach Otte, Kunstarchäologie P 504, stand sind sie heute noch in der Turmhalle 
wären die Bilder nur in Skizzen zu Basel der neuen Kirche zu Badenweiler zu sehen. 



3. Die Darstellung der Legende in der bildenden Kunst des Mittelalters. 



51 



Oewänder und langes Haar; der Jüngling legt die Rechte auf die Brust, die 
andern haben sie zum Bedegestus erhoben. Daß wir es mit einer Jagd- 
gesellschaft zu tun haben, erkennt man nur aus zwei Falken. Steif und 
höchst ungeschickt, wie die Stellung der Figuren, sind auch die Spruchbänder, 
von denen die Lebenden und die Toten ganz eingerahmt sind. Letztere, nur 
an ihren grinsenden Totenschädeln als Verstorbene erkennbar, sind stärker 
beschädigt als die Königsbilder. 



Die Lebenden antworten 

1. Hilf Gott von himelrich, 
Wi sint ir uns so ungelich. 

2. . . . für kein Herschaft Gewalt 
Oder Gutes . . . 



Die Toten rufen: 

1. (Was) erschrik du ab mir? 
Der wir sint, das werdent ir. 

2. Er vervah . . . (m)ich als klein, 
Die WOrme nag(ent) (ni)in Bein. 

3. . . . das rat ich dir wol, 

Die Welt ist aller bosheit (voll). 

Der Spruch des dritten Lebenden ist fast ganz unleserlich. 

An der Datierung Lübkes, der die Bilder dem 14. Jahrhundert zuschreibt, 
wird man festhalten müssend Wenn das Kostüm der Könige nicht an diese 
Zeit erinnerte, möchte man wegen der auffallenden Unbeholfenheit in der 
Zeichnung, wodurch diese Darstellung künstlerisch an die letzte Stelle gerückt 
wird, eher an eine frühere Periode denken. 

Auffallenderweise war die Legende in Tirol, wie es scheint, ganz un- 
bekannt. Auch aus der Schweiz, die doch an Denkmälern der monumentalen 
Malerei, wie Tirol, aus dem 14. und 15.. Jahrhundert ungewöhnlich reich ist, 
kenne ich nur eine einzige Darstellung, nämlich jene in der Kirche zu Kirch- 
bühl (Kanton Luzem) aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts: die drei als 
Könige charakterisierten Lebenden treten zu Fuß drei in verschiedener Hal- 
tung und Gebärde dargestellten und mit Leichentüchern bekleideten Toten 
gegenüber. „Das Gräßliche wußte der Maler durch die kleinen, kahlen, grin- 
senden Köpfe auszudrücken." 2 

Eine originelle Entwicklung nimmt die Legende in Italien, wo sie uns 
am frühesten im Benediktinerkloster Sacro Speco bei Subiaco aus dem 
14. Jahrhundert begegnet. Der Maler zerlegt hier zum erstenmal den Stoflf 
in mehrere Bilder und erzählt uns, wie drei junge Ritter auf dem Wege zur 
Jagd einen Friedhof passieren, scheinbar ohne an den heiligen Ort zu denken. 
Da auf einmal tritt ihnen ein Einsiedler entgegen und ruft ihnen zu: 

Vidi (sie) quid eris, quomodo gaadia quaeris; 
Per nullam sortem poteris evadere mortem, 
Nee modo laeteris, quia forsan cras morieris. 

Dabei weist er auf drei Tote in Gräbern hin, aus deren Mund Spruch- 
bänder hängen ; ein Grab birgt eine junge Prinzessin, das andere einen König, 
das dritte ein nicht weiter gekennzeichnetes Skelett. Einer der Ritter bekehrt 
sich von seinem weltlichen Treiben und begibt sich in die Gesellschaft des 



* Vgl. Lflbke in der Zeitschrift Schaa- 
ins-Land XIII 27 ff und Kraus, Die Kunst- 
denkmäler des Großh. Baden V 76 fif, mit zwei 
guten Lichtdracktafeln, wo im wesentlichen 
die Resultate von LQbke übernommen werden. 



* Vgl. K. Es eher, Untersuchungen zur 
Geschichte der Wand- und Deckenmalerei in 
der Schweiz vom 9. bis zum Anfang des 
16. Jahrhunderte, Straßburg 1906, 28: Studien 
zur deutschen Kunstgeschichte, 71- Heft. 

4* 



52 n^- Die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten. 

Einsiedlers, während die beiden andern sich zur Flucht wenden, auf der sie 
aber von einem zu Pferde heranstürmenden Totengerippe eingeholt und mit 
dem Schwerte niedergestreckt werden. Auf seinem Spruchband liest man: 

Jo 8on colei che ocide omne persona, 
Giovene e vecchie . . . subito \ 

Dobbert erinnert daran, daß der reitende Tod wohl auf der Stelle Apo- 
kalypse 6, 8: „Et ecce, equus palidus, et qui sedebat super eum, nomen 
illi Mors" beruhe. 

Von der hergebrachten Schablone weicht ebenfalls ab die Darstellung an 
der Außenseite der Kirche de' Disciplini zu Clusone (Provinz Bergamo) von 
einem Florentiner Maler aus dem Ende des 15. Jahrhunderts (Tafel V). Den 
Mittelpunkt bildet ein mächtiges Grab, in dem ein Kaiser und ein Papst ruhen, 
und in dem sich Kröten und Schlangen bewegen. Auf dem vorderen Rande 
steht ein gigantesker Tod mit reichgeschmticktem Mantel und einer Königs- 
krone auf dem Schädel. Mit seinen weit ausgestreckten Armen hält er dem 
Beschauer Spruchbänder entgegen. Neben dem Mors iraperator stehen zwei 
kleinere Skelette, von denen das eine mit einem Bogen seine Pfeile entsendet, 
das andere mit einer Flinte sorgsam zielt. Dem Pfeile sendenden Tode gegen- 
über steht eine Gruppe von sechs Personen, deren Anführer ein Bischof ist, 
der sich vom Sterben freikaufen will durch eine Schale, mit Geld gefüllt, die 
er bittend emporhebt. 

An der Vorderseite des Sarkophages liegen bereits viele Opfer des un- 
erbittlichen Todes am Boden niedergestreckt, zwischen denen sechs Personen 
knien, die jeden Augenblick ihr Schicksal erwarten. Den Mittelpunkt dieser 
Gruppe bildet ein König, der sich scheinbar nicht mit dem Gedanken an den 
Tod beschäftigt, sondern seine ganze Aufmerksamkeit einer Gemme zuwendet, 
die ihm ein Jude präsentiert. Der Fürst will sie sich offenbar erwerben, um 
sich damit vom Tode loszukaufen, wie das seine Genossen versuchen; denn 
der eine bietet dem Mors imperator einen Ring an, der andere eine Schüssel 
voll Geld, der dritte will sogar seine Krone opfern. Vor dem Skelette mit 
der Flinte kniet eine große Gruppe von Mönchen, Bischöfen, Kardinälen mit 
einem Papst an der Spitze, der dem Tode einen mit Geldstücken gefüllten 
Kelch anbietet. 

Doch was hat dieses Bild mit der Legende von den drei Lebenden und 
den drei Toten zu tun? Letztere bilden den Mittelpunkt der geschilderten 
Szene; aber auch erstere fehlen nicht. In der linken Ecke (vom Beschauer 
aus gerechnet) sieht man sie zu Pferde mit Jagdhunden und Falken. Zwei 
wenden sich zur Flucht, während der dritte, von einem Pfeile getroffen, rück- 
lings vom Pferde fällt. 

Nach unten wird dieses merkwürdige Bild durch einen Totentanz ab- 
geschlossen: aus einer Türe kommen in dicht geschlossener Reihe Männer 
und Frauen, die in ruhig feierlichem Zug, je von einem Skelett geleitet, ihrem 
Schicksal entgegenschreiten. Alle sind bürgerlichen Standes, während in der 
Szene darüber die Opfer des Todes Fürsten und Geistliche sind. Will der 
Maler damit andeuten, daß der Tod seine grausige Ernte zuerst beim gewöhn- 
lichen Volke gehalten hat und sich in einem zweiten Akt an die Höher- 

* Vgl. Dautier, Les Monasteres bönö- macabre in Italia- 53 — 54; Dobbert, Re- 
dictins d'Italie II 222 ff ; Vigo, Le Danze pertorium IV 9; Annales archöol. XIX 235. 



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3. Die DarstelluDg der Legende in der bildenden Kunst des Mittelalters. 



53 



gestellten wendet? Die Disposition des Bildes legt den Gedanken nahe, daß 
sich der Maler den Totenreigen als Fortsetzung der Legendendarstellung denkt. 
Für die Entwicklung des Gedankeninhaltes unserer Legende ist das Bild 
in Glusone von Wichtigkeit; die Grundidee ist auch hier noch beibehalten, 
aber die »drei Lebenden" treten in den Hintergrund, und die verschiedenen 
Menschenklassen, die sie einst allein vertraten, erscheinen jetzt in gro&er 
Detaillierung ^ 

Erst vor kurzem entdeckte man in der Sakristei von S. Luca in Cre- 
mona, die früher als Kapelle diente, unsere Legende in einer gotischen 
Wandnische abgebildet (Tafel IV b): drei Reiter mit Gefolge sind vor einem 
breiten Grab angelangt, in dem drei Totengerippe liegen. Der unerwartete 
Anblick hat, wie es scheint, keinen großen Eindruck auf sie gemacht; 
wenigstens weiß der Maler dies nicht zum Ausdruck zu bringen. Aus einer 
anstoßenden Elosterpfoi*te treten zwei greise Mönche. Die Spruchbänder, 
die von ihnen ausgehen, geben zu verstehen, daß sie im Namen der Toten 
den Lebenden heilsame Ermahnungen geben. Cav. Luchini hat das Bild 
sofort publiziert und besprochen 2, aber ganz falsch interpretiert. Er sieht 
nämlich in ihm eine Darstellung der Bekehrung des seligen Amadeus, des 
Stifters der Franziskanerkongregation der Amadeisten (geb. 1420, gest. 1482), 
dem einst der hl. Franziskus und Antonius vor einem offenen Grabe er- 
schienen seien, um ihnen von seinem üppigen Weltleben zurückzurufen. Auf 
diese merkwürdige Idee kommt Luchini, weil die Kirche S. Luca 1529 den 
Amadeisten überwiesen wurde. Allein das Bild in Cremona ist sicher älter 
als die Bekehrung des Amadeus; und ich glaube nicht fehl zu gehen in der 
Annahme, daß die oben angeführte Vision des Ordenstifters aus der falschen 
Interpretation des Gemäldes im Kreise der Amadeisten herausgewachsen ist ^. 

An letzter Stelle unter den Wandgemälden behandeln wir das viel- 
besprochene und vielbewunderte Bild imCampo Santo zu Pisa (Tafel VI), 
den Triumph des Todes von einem unbekannten Meister etwa aus dem Jahre 
1350, der bald unter den Sienesen, bald unter den Florentinern gesucht wird ^. 
Obwohl einer der ältesten Versuche, den Inhalt unserer Legende — denn um 
diese handelt es sich eigentlich allein — bildlich wiederzugeben, kommt ihr 
Gedankeninhalt darin zum vollkommensten Ausdruck. 

Man zerlegt das Bild gewöhnlich in eine rechte und eine linke Hälfte mit 
der Gartenidylle und der Jagdgesellschaft vor den ofifenen Gräbern als Zentren. 
Mit ebensoviel Berechtigung kann man es in eine obere und eine untere Serie 
scheiden ; zur ersteren wären die Einsiedleridylle, die Feuerschlünde, in welche 



* Vgl. Valiard i, Trionfo e Danza della 
Morte o Danza macabre a Clusone, Dogma 
della morte a Pisogne, Milano 1859; Astorre 
Pellegrini, Nnove illustrazioni del Trionfo 
Danza della Morte in Clusone, Bergamo 
1878. 

* Estratto dalla Rivista archeologica Lom- 
barda di Milano, anno I, fasc. III— IV (1905). 
Herr J. Wilhelm (Freiburg) hat mich mit 
dem Cremoneser Fund bekannt gemacht. 

* Von dem Zyklus in Vezzolano (Piemont) 
kenne ich nur den kurzen Hinweis bei 
V. d. Gabelentz, Eirchl. Kunst im Italien. 
Mittelalter, Straßburg 1907, 219 (Zur Kunst- 
gesch. des Auslandes, Heft 55). 



* Zu dem Streit über den Urheber des 
Bildes äußern wir uns hier nicht; vgl. Growe 
& Cavalcaselle, A new history of pain- 
ting in Italy, deutsche Ausgabe von Jordan 
II 26; Dobbert, Beiträge zur Geschichte 
der ital. Kunst gegen Ausgang des Mittel- 
alters 163 ff. Für unsern Zweck kommen in 
Betracht : H e 1 1 n e r , Zur Charakteristik der 
Dominikanerkunst des 14. Jahrhunderts, in 
Lützows Zeitschrift für bildende Kunst XIII 
85 ff ; d er s., Ital. Studien 131 ff; Dobbert, 
Der Triumph des Todes im Campo Santo zu 
Pisa, im Kepertorium für Kunstwissenschaft 
IV 1 ff; Vitzthum ebd. XXVIII 218 ff; 
Kraus, Gesch. der christl. Kunst II, 2, 160 ff. 



54 IV. Die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten. 

die Teufel ihre Opfer werfen, und der Kampf zwischen guten und bösen 
Geistern um die Seelen der Verstorbenen zu rechnen, zu letzterer gehören 
die Jagdgesellschaft vor den drei Toten, die Gruppe der Armen und Krüppel, 
die vergebens den Tod ersehnen, der Leichenhaufen, die Gartenidylle. Ob- 
wohl alle diese Szenen jede für sich genommen und verstanden werden können, 
so wollte der Künstler das vielgestaltige Bild doch als ein Ganzes aufgefaßt 
wissen, wie er durch die Schrifttafel andeutet, die etwa in der Mitte des 
Ganzen von zwei Putten gehalten wird. Der Text auf derselben ist der 
Schlüssel für das Verständnis der ganzen Komposition: 

Nicht Weisheit und nicht irdisch Gut, 
Nicht Adel noch ein tapferer Mut 
Kann schützen vor des Todes Wunden; 
Noch nirgend ward ein Kraut gefunden, 
Leser, das davon dich heilt! 
Drum halte wach dich nn verweilt, 
Daß vorbereitet er dich finde 
Und dich nicht unterjocht die Sünde! 

Diese Verse sind aber nichts anderes als eine Stelle aus der Rede eines 
der Toten unserer Legende nach einer verloren gegangenen italienischen Dar- 
stellung. Sachliche Parallelstellen lassen sich aus der französischen und 
deutschen Fassung in Hülle beibringen. Die Einleitungsworte haben wir noch 
vor uns in den Versen, die der neben den offenen Särgen stehende Ein- 
siedler spricht: 

Wenn unser Geist genügend scharf und fein, 
Um diesen Anblick lächelnd zu ertragen, 
Wird unsrer Prahlerei aufs Haupt geschlagen 
Und unser Hochmut uns ein Greuel sein. 

Der Künstler wollte also nichts weiter darstellen als die allbekannte 
Legende ; dabei hat er allerdings auf einige sonst regelmäßig verwendeten De- 
tails verzichtet und sich dadurch als fein empfindenden und schon unter dem 
Einfluß der Antike stehenden Meister erwiesen, dafür aber andere Momente 
beigefügt, deren Quelle nicht mehr zu bestimmen ist. Stammen diese aus der 
Phantasie des Malers oder aus der in Italien verbreiteten Legendenform? 

Die Erzählung muß hier neue Motive in sich aufgenommen haben, wie der 
Zyklus in Subiaco lehrt und auch das Fresko von Clusone deutlich sagt, wo 
der Totentanz das Bild nach unten abschließt, während in der Hauptszene 
Fürsten und Kleriker durch Geld und Kostbarkeiten vom Tode sich los- 
zukaufen suchen. 

Schon rein äußerlich betrachtet bilden die drei Könige mit ihrer stolzen 
Kavalkade vor den drei Toten den Ausgangspunkt der Darstellung in Pisa. 
Bezeichnend ist die Tatsache, daß der Maler stehende und handelnde Skelette 
als mit seinem ästhetischen Empfinden unvereinbar vermeidet. Die Toten liegen 
in Särgen und wirken so weniger abstoßend ; in ihrem Namen spricht der Ein- 
siedler. Daß im Zusammenhang mit diesem eine vollständige Einsiedleridylle an- 
gefügt wird, ist ein durchaus nebensächlicher Zug und nur als Staffage gedacht. 

Die ursprüngliche Legenden form will nicht an den Tod überhaupt 
mahnen, sondern an den schnellen und unvorhergesehenen Tod 
erinnern. Die katholische Kirche lehrt ihre Angehörigen in der Allerheiligen- 
litanei von alters her beten: „Vor einem schnellen und unvorgesehenen Tode 
bewähre uns, o Herr", deswegen, weil bei unvorgesehenem Tode die Gefahr 



3. Die DarstelluDg der Legende in der bildenden Kunst des Mittelalters. 55 

groß ist, da£ die Seele in die Gewalt des Teufels und seiner Helfer fallt und 
nicht in die Hände der guten Engel, wie aus unserem Bilde zu ersehen ist. 
Bei den Armen und Krüppeln, die sieh nach dem Tode als ihrem Erlöser 
sehnen und sich auf ihn vorbereiten, kommt die Mors improvida nicht in 
Betracht, wohl aber bei denen, die in Jugendkraft, 61ück und Schönheit die 
Erde für ein Paradies halten und darum nicht ans Sterben denken. Das ist 
der klare und einfache Sinn des oft mißverstandenen Bildes, der sich von 
selbst ergibt, wenn man sich gegenwärtig hält, daß der Maler die in seiner 
Zeit so beliebte Legende der drei Lebenden und der drei Toten darstellen 
wollte. Er hat sie als origineller und genialer Künstler in ihre malerischen 
Elemente zerlegt und sich von seinen Vorgängern möglichst unabhängig gehalten. 

Damit wird der Auffassung Hettn er s ^ der Boden entzogen, der in der 
Gartenszene den Hortus conclusus des Hohenliedes sieht und das ganze Bild 
als „großartige Zusammenfassung und Darstellung der gesamten scholastischen 
Moralphilosophie, der Lehre vom gegenwärtigen Leben in seinem Gegensatz 
als weltlich tätiges und geistlich beschauliches Leben und der Lehre vom 
zukünftigen Leben in seinem mahnenden Gegensatz als Verdammnis und Selig- 
keit", ansieht. Dobbert^ hat bereits mit Gründen, die dem Gemälde selbst 
entnommen sind, diese Auffassung abgelehnt, und Kraus ^ hat den Beweis 
erbracht, daß sie auf theologischen Mißverständnissen beruht. Doch einen 
Irrtum hat letzterer mit übernommen, nämlich den, daß der Triumph des 
Todes von der Legende des Barlaam und Josaphat beeinflußt sei, wovon gar 
keine Rede sein kann*. Aber auch Dobbert irrt, wenn er sagt, daß der 
»Triumph des Todes** in Pisa zwei Weltanschauungen spiegle: „Die linke 
Hälfte ruft uns in poetischer Weise die asketische Auffassung des Mittelalters 
ins Gedächtnis mit ihrer Verwerfung weltlichen Treibens und dem Preise eines 
in Beschaulichkeit und Ertötung der Weltlust verbrachten Einsiedlerlebens ; es 
ist jene Ideenwelt, die sich in der Legende von den drei Toten und den drei 
Lebenden . . . spiegelt. Die rechte Hälfte . . . vertritt bereits die Gedanken- 
welt der Renaissance, welche ja im 15. Jahrhundert schon mitten in ihrem 
Werdeprozeß sich befand; dieser Teil des Bildes lehrt uns, daß nach der 
Mitte jenes Jahrhunderts die antike Gedankenwelt auch schon in die bildende 
Kunst gedrungen." ^ 

Es ist gewiß richtig, daß der Schöpfer des Pisaner Bildes von der An- 
tike bereits beeinflußt ist, aber nur in der Form und nicht auch im Ge- 
dankeninhalt, der uns auf der von Putten gehaltenen Schrifttafel entgegen- 
gehalten wird: 

Drum halte wach dich unverweilt, 

Daß vorbereitet er dich finde 

Und dich nicht unterjoch' die Sünde. 

Dieser Gedanke beherrscht das Ganze, und er enthält die stets gleich 
bleibende Lehre der Kirche vom Tode und der Notwendigkeit, 
sich auf ihn vorzubereiten. Diese Weltanschauung, die weder mittel- 
alterlich noch neuzeitlich ist, kommt in der Komposition allein zum Ausdruck, 
allerdings mit Formen, die von der italienischen Kultur des 15. Jahrhunderts 
beeinflußt sind. 



* Italienische Studien 129 ff und in Lützows * Auch darin irrt Kraus, daß er den sprechen- 

Zeitschrift für bildende Kunst XIII 181. den Eremiten Makarius nennt. 
^ Repertorium IV 33 ff. * Dobbert a. a. 0. 37. 

^ Geschichte der christl. Kunst II, 2, 163. 



56 



IV. Die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten. 



b) Die Darstellung auf Tafelgemälden. 

Die Darstellung unserer Legende war, wie sich aus der bisherigen Erör- 
terung ergibt, hauptsächlich als Schmuck von Eirchhofswänden oder Grab- 
kirchen beliebt; so ist es zu verstehen, wenn sie uns als Tafelbild selten be- 
gegnet. Dobbert^ macht auf ein italienisches Qemälde aus dem 15. Jahr- 
hundert aufmerksam, das sich jetzt in der Berliner Galerie (Nr 1093) befindet, 
wo drei berittene Könige auf der Falkenjagd auf drei offene Särge stoßen. 

Eine merkvnirdige Variation zeigt eine Tafel imMuseo Givico in Pisa 
(Sala III, Nr 29) ^ saec. XIV: von der einen Seite erscheinen drei Kavaliere, 
der eine auf einem braunen, der zweite auf einem weißen, der dritte auf 
einem schwarzen Pferde ; auf der entgegengesetzten Seite sitzen drei Frauen, 
von denen die mittlere einen Heiligenschein trägt. Zwei von ihnen spinnen, 
während die dritte den Faden lenkt (oder abreißt?). Die drei Reiter sind 
ohne Zweifel die unserer Legende; was sollen aber die spinnenden Frauen? 
Ich sehe darin die drei Parzen, die sich sehr wohl als Ersatz der den Italienern 
des 15. Jahrhunderts so unsympathischen Totengerippe eigneten. Der Ein- 
fluß der Antike geht also hier noch weiter als im „Triumph des Todes''. 
Wenn der offizielle Museumskatalog besagt: „S. Anna in atto di filare con 
due compagne'', so ist das selbstverständlich eine Torheit. 

Kupka^ veröffentlicht ein Tafelgemälde aus der Sammlung des Schlosses 
Flechtingen, Kreis Gardelegen (22V2 X IS^'g cm), das aber aus Süddeutsch- 
land stammt. Im Hintergrund: bergige Landschaft, links oben ein Gebäude, 
rechts auf halber Höhe zwei Bäume. Im Vordergrund: von links drei Reiter 
(Kaiser, König und Graf) mit Falken auf dem rechten Arm , neben ihnen ein 
rot gekleideter Knecht mit spürendem Hund. Auch die drei Leichen vorn 
rechts sind durch ihre Kronen als Fürsten kenntlich^. 

Andere Tafelbilder weiß ich nicht namhaft zu machen; ich darf aber darauf 
hinweisen, daß ein Graf von Savoyen schon im Jahre 1307 sich zwei Tafel- 
bilder mit der Darstellung der drei Toten und der drei Lebenden kaufen ließ ^. 

c) Noch seltener war die Legende auf Kirchenfenstern ver- 
wendet. Auf einer aus Zurzach stammenden, jetzt aber im Privatbesitz 
befindlichen Fensterscheibe begegnen die drei zur Jagd ziehenden Könige drei 
gekrönten Toten. Trotzdem der Glasmaler sich auf das Notwendigste be- 
schränkte, wollte er auf die Sprüche nicht verzichten: 



Die Könige sprechen: 

1. Ob allen keungen ich mit leben, 
Niemant mag mir widerstreben. 

2. Gunst und fründ deren hab ich vil, 
Und alles, was ich haben will. 

3. Minem hertzen ward en zogen nie, 
Was es gelust und woUust (vie?). 



Die Toten antworten: 

1. So tir . . . eden. 



2. Geschow min kleid und angesicht, 
Das wirtt dir . . . und anders nicht. 

3. Die ir said die waren wir, 

Die wir yetz sind die werdend ir. 



Das Ganze trägt die Unterschrift : Johannes Christopervs Lövchli der Zit 
Dechan vnd Chorherr St. Verena Gestift zu Zvrzach Anno domini 1568 ^ 



*■ Repertorium IV 10. 
- Vgl. Vigo, Le Danze macabre etc. 10. 
^ Über mittelalterliche Totentänze 84. 
* Vgl. auch P a r i s i u s und Brinkmann, 
Beschreibende Darstellung der alten Bau- 



und Kuiistdenkmäler des Kreises Gardelegen, 
Halle a. S. 1897, 214. 

^ Vgl. Schnaase, Geschichte der bildenden 
Künste VI 591. 

«Vgl.Massmann,SerapeumVIlI136— 137. 



3. Die Darstellung der Legende in der bildenden Kunst des Mittelalters. 



57 



d) Auch als Skulptur finde ich die Legende nur selten dargestellt. Das 
älteste Monument ist jenes über dem Portal der Eorche von Saints-Innocents 
zu Paris, also jenes Heiligtum, wo im Jahre 1424 die berühmte Dance ma- 
cabre angebracht wurde. Das Werk ist mit folgender Inschrift versehen: 

£n Tan mil quatre cents et huict, 
Jean duc de Berry tres puissant, 
Fit tailler ici sa sepulture 
Des trois vifs assi des trois morts^ 

Die Legende dient hier also gerade als Epitaph für Jean-sans-Peur, Herzog 
von Berry. 

Als Portalrelief erscheint sie weiter an der Gottesackerkapelle zu Briey 
bei Metz (16. Jahrhundert). Von rechts kommen die Lebenden: ein vor- 
nehmer Ritter mit Dolch im Gürtel und einer gewehrartigen Waffe in der 
Linken, ein Landsknecht mit mächtigem Schwert und ein Mönch mit Krück- 
stock. Getrennt sind sie von ihren grausigen Gegnern durch einen altar- 
artigen Aufbau, über dem ein geflügelter Engelskopf schwebt. Die Stelle des 
ersten Toten nimmt merkwürdigerweise ein geschwänzter Teufel ein mit Krone 
auf dem Haupt und einer Sense in den Händen. Die beiden Toten, die dann 
folgen, stehen zwischen dem Kirchhofskreuz; der eine ist mit einem großen 
Pfeil bewaffnet. AbeP, der die Skulptur in einer sehr nachlässigen Skizze 
mitteilt, konnte auf den Spruchbändern, die die Figuren umziehen, noch fol- 
gende Worte lesen: 

eher 

Ne Yous esmeis, vous vindrez en nostre demeure 

. . . gtoire et honneur 

en priz de tous biens et chevencie 

. . . ä mon requerenr . . . 

e) Auf Paramenten gestickt. 

Braun S. J. , der verdiente Erforscher mittelalterlicher Paramente, ist 
erstaunt, den Totentanz oder vielmehr die Legende von den drei Lebenden 
und den drei Toten auf kirchlichen Gewändern dargestellt zu finden, und 
glaubt, daß man erst im Verlauf des 16. Jahrhunderts unter dem Einfluß der 
antiken Ideen dazu gekommen sei, die Paramente mit Emblemen des Todes 
und ähnlichen an den Tod erinnernden Dingen auszustatten. Aber es ist eine 
falsche Anschauung, wenn er sagt: „Die gute mittelalterliche Kunst würde bei 
all ihrer Naivetät und ihrem kindlich frommen Sinn schwerlich einen solchen 
Gegenstand zur Ausschmückung der Paramente verwendet haben" ^; denn wir 
haben im Verlauf unserer Untersuchung gefunden, daß es gerade „die gute 
mittelalterliche Kunst ^ war, die unsere Legende auf allen Gebieten ihrer Be- 
tätigung liebte, und daß sie mit dem ausgehenden Mittelalter verschwindet. 

Freilich sind nur noch an zwei Orten Paramente mit Darstellungen 
unserer Legende nachzuweisen, im Dom zu Osnabrück^ und in der Kirche 



^ Vgl. Jaques de Breul, Le th(^ätre 
d'antiquitez de Paris (1642) 834. 

' M^moires 30. 

> StimmeD aus Maria-Laach LX (1901) 120. 

* Bekannt wurden die Osnabrücker Bilder 
gelegentlich einer kuustbiatoriscben Aus- 
stellung in Hannover 1878. Vgl. Mitteilungen 
des Historischen Vereins zu Osnabrück XI 
(1878) 356 und Mithoff, Kunstdenkmäler etc. 



im Hannoverschen VII 115. Kurz beschreibt 
sie Th. Prüfer, Der Totentanz in der 
Marienkirche zu Berlin und Geschichte und 
Idee der Totentanzbilder überhaupt, Berlin 
1883, 30 ; ferner Seelmann, Die Totentänze 
des Mittelalters: Jahrbuch des Vereins für 
niederländische Sprachforschung XVII (1891), 
Norden und Leipzig 1892, 45. 



58 ^^* ^i^ Legende von den drei Lebenden und den drei Toten. 

St-NicoIas-en-Havre zu Mona. Ich gebe die Beschreibung von Braun, da mir 
eine Abbildung nicht zur Verfügung steht ': 

„Zu Osnabrück sind die Besätze eines Pluviale, zu Mons diejenigen einer 
Kasel und eines Pluviale mit Totentanzszenen bestickt. Ehedem waren das 
auch die Stäbe der zu den beiden letztgenannten Gewändern gehörenden und 
noch vorhandenen Dalmatiken, doch wurden von denselben leider in späterer 
Zeit die Darstellungen entfernt. 

Auf dem einen der beiden Längsstreifen des Osnabrücker Pluviale, von 
denen jeder aus drei von einer Borte umsäumten und in ihrem oberen Teile 
mit einer Arabeske gefüllten Feldern besteht, holt der Tod die geistlichen 
Würdenträger zu seinem grausigen Tanz. Im obersten Felde führt er den 
mit der Tiara gekrönten Papst, im mittleren einen Kardinal, im unteren einen 
Bischof von dannen. Auf dem andern Stab ladet der Knochenmann die welt- 
lichen Großen zu seinem Reigen ein , den Kaiser mit der Erdkugel , einen 
König mit dem Zepter und einen Edelmann mit einem Falken. 

Genau die Legende gibt der Schild des Pluviale wieder. In der Mitte 
erhebt sich ein Kreuz; rechts davon gewahren wir drei Edelleute hoch zu 
Roß. Sie sind, wie der Falke auf der Hand eines der Reiter bekundet, aus- 
gezogen, um die Lust der Jagd zu genießen. Mit Schrecken schauen sie auf 
drei gespenstige Gestalten, die auf der andern Seite des Kreuzes ihnen in 
den Weg getreten sind. Es sind drei Gerippe, von denen eines eine Sense 
trägt, das zweite die Hände nach den Reitern ausstreckt, das dritte eine 
Lanze auf die Gesellen schleudert. 

Vollständiger als auf dem Osnabrücker Pluvialbesatz ist die Reihe der 
Darstellungen auf der Kasel und dem Pluviale von St-Nicolas zu Mons. Die 
Kasel hat auf dem Rücken ein Kreuz, auf der Vorderseite einen bloßen Stab. 
Bedauerlicherweise ist ersteres in seinem unteren Teile erheblich verstümmelt. 
Auch die Stäbe und der Schild des Pluviale sind nicht unversehrt geblieben. 
Jene wurden — wie es scheint, bei einer Restauration des Gewandes — ver- 
kürzt, dieser hat sich einen Ausschnitt gefallen lassen müssen. . . . 

Was die Darstellung der Kaselbesätze anlangt, so enthält das Kreuz in 
den Querbalken und in dem oberen Teil des Längenbalkens den Weltenrichter, 
der die Toten aus den Gräbern ruft. Rechts und links knien fürbittend Maria 
und Johannes. Zu den Füßen des auf dem Erdball thronenden Gottmenschen 
steigen zwei Tote aus ihrer Gruft. Den Rest des Längenbalkens nehmen 
zwei Totentanzszenen ein, Tod und Papst und Tod und Kardinal. Auf dem 
Stabe der Brustseite des Gewandes befinden sich zwei weitere, oben Tod und 
Erzbischof, darunter Tod und Bischof. Zu beachten ist, daß auf dem Meß- 
gewand nur solche Szenen des Totentanzes angebracht sind, in denen geist- 
liche Personen zum Todesreigen abgeholt werden. 

Die Darstellung auf dem Schilde des Pluviale entspricht dem Bild im 
oberen Teile des Meßgevvandkreuzes. Sehen wir dort die Auferweckung der 
Toten zum Gericht, so gewahren wir hier als Gegenstück dazu die Wieder- 
erweckung des Lazarus. 

Die Stäbe des Pluviale bestehen gerade wie beim Osnabrücker Chorkappen- 
besatz aus je drei übereinander angebrachten Feldern. Es haben auf ihnen 
die weltlichen Herren ihren Platz erhalten. Die Reihenfolge der Szenen be- 
ginnt an der linken Seite mit Tod und Kaiser; darunter folgt Tod und König, 



' Stimmen aus Maria-Laach LX (1901) 118 ff. 



3. Die Darstellung der Legende in der bildenden Kunst des Mittelalters. 59 

weiter Tod und Herzog. Rechts eröffnen den Reigen Tod und Graf; ihnen 
schließen sich an Tod und Ritter und als die letzten Tod und Edelmann. 
Die dargestellten Personen sind dieselben, die auch sonst in den Totentänzen 
aufzutreten pflegen. Welche Szenen einst auf den Dalraatiken dargestellt 
waren^ läßt sich nicht mehr feststellen. 

Hinzugefügt sei, daß die Besätze aller drei Gewänder nach Ausweis der 
Technik und des Stils der Stickereien flandrische Arbeit aus dem Ende des 
16. Jahrhunderts sind, und zwar müssen sie aus ein und derselben Hand oder 
doch derselben Werkstätte hervorgegangen sein. Das bekundet der Charakter 
der Borten, welche die einzelnen Felder umrahmen, die Behandlung des Fuß- 
bodens, die Form der Arabesken, welche auf allen drei Gewändern den oberen 
Teil der Felder füllen und sich voneinander nur in minimaler, mehr zu- 
fälliger als beabsichtigter Weise unterscheiden. Namentlich erhellt das aber 
daraus, daß drei Scenen der Osnabrücker Pluvialstäbe : Tod und Papst, Tod 
und Kardinal, Tod und Bischof, wenn wir uns des Ausdrucks bedienen dürfen, 
wörtlich auf der Kasel von St-Nicolas wiederkehren." 

Zum Schlüsse sei es mir gestattet, nochmals auf jenes Bild zurückzukommen, 
das den Anlaß zu der ganzen Untersuchung gegeben hat, nämlich auf jenes in 
der St Jodokskapelle zu Überlingen am Bodensee, das Herr Kunstmaler 
V. Mezger im Jahre 1902 aufgedeckt und vortrefflich kopiert hat (vgl. Tafel I). 
An der Südwand des Langhauses läuft unter der Fensterbank ein längerer Ge- 
mäldezyklus hin, der mit einer Kreuzigungsgruppe eröflfiaet wurde. Auf diese 
folgen drei reich gekleidete Männer, die mit dem Ausdruck des Schreckens starr 
auf den gleichen Gegenstand schauen. Der vorderste und älteste trägt einen 
reich damaszierten, bis zu den Knöcheln ragenden Leibrock und darüber einen 
dunkeln Mantel mit Schellenkragen ; beide Hände hat er zum Redegestus er- 
hoben. Der zweite trägt einen gelblichen Leibrock mit Hermelinkragen und 
schwarzem Oberkleid. Mit der Rechten hält er ein Zepter, auf der Linken 
sitzt ein Falke. Das blonde Lockenhaupt schmückt, wie auch bei seinem 
Vordermann, eine barettartige Krone. Der dritte, von jugendlichem Aussehen, 
trägt ein rotes, nicht ganz bis zu den Knien reichendes Wams mit einer roten 
Mütze auf dem Kopf; die Rechte hat er auf die Brust gelegt, während er mit 
der Linken einen Falken hält. Alle stecken in auffallend langen Schnabel- 
schuhen von roter Farbe. Unmittelbar vor den drei Lebenden stehen die 
drei Toten, von denen der vorderste allerdings in der oberen Partie stark 
beschädigt ist. Eigentliche Skelette vermochte^er Künstler auch hier nicht 
zu zeichnen, sondern nur abgemagerte €r@slalten mit leeren Augenhöhlen und 
entfleischten Nasen. Rote Schlangen winden sich um die schwarzgrauen 
Körperteile, ragen sogar wie Feuerflammen aus den Mund- und Augenhöhlen. 
Von den Knochenschultern hängt das Leichentuch als Mantel herab, während 
das grinsende Haupt mit einer goldenen Krone, bestehend aus Reif und Kugel- 
spitzen, geziert ist. Zwei sehr geschickt gezeichnete Spruchbänder, deren In- 
halt leider nicht mehr zu entziffern ist, sind über den beiden Gruppen an- 
gebracht. Den Hintergrund bildet ein grünlicher Vorhang mit Goldfransen, 
der sich hinter der Kreuzigungsgruppe fortsetzt, wodurch wohl angedeutet 
werden soll, daß beide Szenen zusammengehören. Koloristisch betrachtet war 
das Überlinger Bild eine sehr ansehnliche Leistung; denn die grauen Toten- 
gestalten mit ihren goldenen Kronen und die Figuren der Lebenden mit ihren 
reichen Gewändern heben sich sehr wirkungsvoll von dem grünen Hinter- 
grund ab, und es ist ein großer unterschied zwischen den handwerklichen 



60 I^' ^i® Legende von den drei Lebenden und den drei Toten. 

Schildereien in Badenweiler und dem farbenprächtigen Bild in Überlingen. 
Aber auch dieses verrät noch nichts von jenem Aufschwung, den die Kunst von 
der Mitte des 15. Jahrhunderts auch diesseits der Alpen genommen, und die 
schematisch steife Art, mit der der Maler seine Figuren ohne landschaftlichen 
Hintergrund und ohne Kenntnis der Perspektive in den Raum stellt, ist für 
die Datierung von Wichtigkeit. Übrigens gibt uns die Baugeschichte der 
Kapelle sichere Anhaltspunkte. Im Jahre 1424 hat ein Überlinger Bürger 
eine Summe zur Erbauung des Gotteshauses gestiftet, und im Jahre 1462 hat 
der Weihbischof von Konstanz dieselbe eingeweiht. Es ist damit aber nicht 
gesagt, daß der Bau und die Innenausstattung erst um diesen Zeitpunkt 
vollendet wurden, im Gegenteil wird man annehmen dürfen, da£ man sofort, 
nachdem die Bausumme gestiftet war, an die Herstellung der Kapelle schritt, 
die bei ihren einfachen Formen und ihrem geringen Umfang um 1430 vollendet 
gewesen sein wird. In dieser Zeit ist denn auch unser Bild gemalt worden, 
welches, wie auch das an der Nordwand des Langschiffes angebrachte Ge- 
mälde der Jakobslegende, zur ursprünglichen Ausstattung der Kapelle gehört. 

Welchem Umstand verdankt dieses in Deutschland immerhin seltene Sujet 
seine Entstehung? Sollte es nicht auch eine Stiftung einer religiösen Ge- 
nossenschaft sein wie der gegenüberliegende Zyklus der Jakobslegende, der 
ohne Zweifel den Kreisen der Überlinger Jakobspilger sein Entstehen ver- 
dankt. Bis auf den heutigen Tag wird in der ehemaligen Reichsstadt Über- 
lingen an Fastnacht ein Schwerttanz, und zwar von den Bürgern des Stadt- 
teils, in dem unsere Kapelle liegt, aufgeführt. Was aber heute zum bloßen 
Karnevalsspiel geworden ist, war im Mittelalter eine religiöse Zeremonie, die 
in ihren Anfängen vielleicht in die vorchristliche Zeit hinaufreicht. In dem 
Dorfe Cervieres, Departement des Hautes- Alpes, wird bis zur Gegenwart 
am Rochusfest ein altertümlicher Schwerttanz, Bachuber genannt, aufgeführt, 
der, wie das Heiligenfest, an dem er stattfand, andeutet, den Zweck hatte, 
sich vor der Pestgefahr zu sichern durch die Fürbitte des Pestpatrons ^. Sollte 
das Überlinger Bild und der Schwerttanz seiner Bürger eine ähnliche Be- 
deutung haben? Tatsächlich versammeln sich die Überlinger Schwerttänzer 
bis auf den heutigen Tag, bevor sie zum Waffentanz antreten, in der Kapelle, 
in welcher die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten abgebildet 
ist, um eine heilige Messe zu hören. Sollte zwischen Schwerttanz und Toten- 
tanz — so hat man die Bilder unserer Legende oft genannt — nicht irgend 
welche Beziehung bestehen? 

Aus diesien Untersuchungen ergibt sich also, daß die Legende von den 
drei Lebenden und den drei Toten viel weiter verbreitet war und viel mannig- 
faltigere Formen angenommen hat, als man nach den bisherigen Unter- 
suchungen annehmen konnte. In der literarischen Form war sie hauptsächlich 
in Frankreich verbreitet, wo wir aus dem 13. — 15. Jahrhundert sechs ver- 
schiedene Beai*beitimgen kennen gelernt haben. Hier ist sie von Anfang an 
mit moralischen Tendenzen und religiösen Motiven stark durchsetzt. Die 
niederdeutsche Fassung verrät französischen Einfluß, während die oberdeutsche 
Form, wie sie in der Wolfenbüttler Handschrift vorliegt, ganz selbständig 
gehalten ist und nur den Grundgedanken der Legende, wie er in dem Spruch 
der Toten an die Lebenden ausgesprochen ist, in rein menschlichen Motiven 



^ Vgl. Kilian, Georgia oder der Mensch 306, zitiert von Massm ann, Serapeum VIII 
im Leben und im Staat I, Leipzig 1806, 1, 135. 



8. Die Darstellung der Legende in der bildenden Kunst des Mittelalters. gl 

variiert. Die Legende war aber schon, bevor Baudouin de Conde im 13. Jahr- 
hundert sie poetisch bearbeitete, Gemeingut der abendländischen Christenheit 
geworden, wie sich aus der Verbreitung des Spruches ergibt und daraus, daß 
sie schon im 12. Jahrhundert in Italien einen unbekannten Dichter zu einem 
großen Poem begeisterte, ursprünglich muß sie ganz allgemein von drei 
Lebenden und drei Toten gehandelt haben, wie sich aus dem ständigen Titel 
„Les trois vivs et les trois morts" ergibt. Bald werden aus den drei Lebenden 
drei Könige. Doch viel größeres Gewicht legen die Erzähler alle darauf, die 
Toten zu individualisieren: sie werden zum Bischof, Graf, König; Papst, 
Kardinal, päpstlicher Notar; in Deutschland zu den Vätern der Lebenden, 
Mit der Verbreitung der Totentanztexte im 15. Jahrhundert verliert die Legende 
in ihrer literarischen Form an Interesse, während sie sich in der bildlichen 
Darstellung neben den Totentanzbildern weiter erhält. 

Wie der Text, so wissen auch die ältesten bildlichen Darstellungen zu- 
nächst nur allgemein von drei Lebenden und drei Toten, die sich ruhig gegen- 
tibertreten, so in Metz (S. Segolena) und in der Miniatur der Handschrift aus 
der Arsenalbibliothek in Paris. Doch beginnt schon hier die Legende ihre 
Modulationsfähigkeit zu zeigen: in S. Segolena sehen wir zwei Gruppen von 
Lebenden neben den Toten, und in der erwähnten Miniatur erscheinen die 
Lebenden als Frauen. In Badenweiler sind die Lebenden Fürsten verschie- 
dener Alterstufen. In Kermaria sprengen sie mit Kronen auf dem Haupt 
über den Kirchhof, im Begriff, auf die Jagd zu gehen. Das Motiv der Jagd, 
meist angedeutet durch einen Falken, den die Könige auf der linken Faust 
tragen, bleibt fortan beliebt, doch ist es kein wesentlicher Zug der Legende. 
Zunächst zur malerischen Ausschmückung erfunden, geht es auch in den Text 
über und hat lediglich den Zweck, den Gegensatz zwischen Leben und Sterben 
möglichst deutlich zum Ausdruck zu bringen. Darum ist die Behauptung 
Camillo Morgans ^ die mittelalterlichen Totentanzschöpfungen — unter 
Totentänzen meint er die Bilder unserer Legende, insbesondere jenes zu Pisa — 
stünden mit dem edeln Weidwerk in engster Beziehung, und die Totentanz- 
idee verdanke sozusagen der Jagd ihren Ursprung, falsch. 

Dem ästhetischen Empfinden des unbekannten Meisters vom Campo Santo 
in Pisa hat es widerstrebt, drei stehende Gerippe zu malen und die Toten 
als lebend und handelnd darzustellen. Darum ließ er die Lebenden vor drei 
Särgen angelangen. Da aber die Legende eine Zwiesprache zwischen Lebenden 
und Toten verlangt, läßt er im Namen der Toten den Eremiten sprechen, 
der ebensowenig wie das Jagdmotiv zum ursprünglichen Inhalt der Legende 
gehört. Wie die Entwicklung vor sich ging, zeigt deutlich folgendes Beispiel : 
Das an letzter Stelle von Montaiglon mitgeteilte Gedicht hat eine lange Ein- 
leitung, in welcher der Dichter auf die Legende vorbereitet. Wörtlich wurde 
das ganze Stück in die Grande dance macabre und die Heures über- 
nommen, aber die Einleitung des Dichters wird einfach dem Eremiten in den 
Mund gelegt. 

Vasari hat den Pisaner Eremiten Makarius getauft, wahrscheinlich in 
Erinnerung an den Begriff „Dance macabre",; es ist darum gänzlich unberech- 
tigt, wenn neuere Forscher unsere Legende kurzweg Makariuslegende nennen 
und den Eremiten, der diesseits und jenseits der Alpen bald beliebt wurde, 
mit dem ägyptischen Aszeten ohne weiteres identifizieren. Aus Italien stammt 



» Natur und Kultur V, München 1908, 219 ff. 



62 



IV. Die Legende yod den drei Lebenden uncTden drei Toten. 



auch das andere Motiv, dafi die Toten den Lebenden feindselig gegenüber- 
treten, auf sie schießen und ihnen nachreiten (Subiaco, Glusone). 

Während in der literarischen Form der Legende die Lebenden nur all- 
gemein als Vornehme, die Toten dagegen deutlich als Vertreter verschiedener 
Lebensstände gekennzeichnet werden, ist es in der bildlichen Darstellung 
gerade umgekehrt. Zwar soll auch hier nicht der personifizierte Tod dreimal 
wiederholt, sondern bestimmte Tote dargestellt werden, aber genau charak- 
terisiert werden nur die Lebenden. Schon in den Miniaturen des 14. Jahr- 
hunderts sind sie Frauen, im Codex Harl. Papst, Kaiser, König, in 
Clm 14053 König, Rechtsgelehrter, Königin, in den meisten monu^ 
mentalen Bildern König, Herzog, Graf. 

Lehrreich ist auch der Zusammenhang, in dem das Bild auftritt. In 
Frankreich ist es fast stets das Kirchhofskreuz, in Deutschland eine Kreuzigungs- 
gruppe, in Ditchingham und Ennezat das Jüngste Gericht. Wichtiger ist die 
Tatsache, daß unsere Legende in Paris, in Kermaria, in Glusone, auf der oben 
beschriebenen Paramentenstickerei und in fast allen französischen Totentanz- 
drucken vom Ende des 15. Jahrhunderts in enger Verbindung mit dem Toten- 
tanz erscheint. Sollen damit nur verwandte Erscheinungen zufällig miteinander 
vereinigt werden, oder darf man daraus schließen, daß die Totentanzbilder 
sich aus der Legende der drei Lebenden und der drei Toten entwickelt haben ? 
Ich bin in der Tat der Meinung, daß man von der Legende der drei Lebenden 
und der drei Toten ausgehen müsse, wenn man das Rätsel des Totentanzes 
lösen will ; aus diesem Grunde habe ich sie hier auch so ausführlich behandelt. 
Sollte sich meine Vermutung, daß der Totentanz aus der Legende heraus- 
gewachsen ist, bestätigen, was aber noch untersuclit werden muß, so setzt 
jedenfalls die Entwicklung nicht bei der literarischen, sondern bei der monu- 
mentalen Form der Überlieferung ein, weil nur in letzterer wie im Totentanz 
die Lebenden als deutlich herausgearbeitete Individuen uns entgegentreten. 



J 




V. DER TOTENTANZ UND DIE LEGENDE DER DREI 

LEBENDEN UND DER DREI TOTEN. 

1. DIE BISHERIGEN ANSCHAUUNGEN ÜBER DIE ENTSTEHUNG 

DES TOTENTANZES. 

A. DIE ERSTE ZUSAMMENFASSENDE BEHANDLUNG. 

is zum Jahre 1820 hat niemand das Problem des Totentanzes einer 
eingehenden Untersuchung für würdig erachtet, und die gelegentlichen 
Bemerkungen einzelner Historiker angesichte bestimmter Monumente verraten 
eine vollständige Unkenntnis dieser mittelalterlichen Kulturerscheinung. In 
Deutschland waren »Holbein" und „Totentanz" untrennbare Begriffe; in Frank- 
reich glaubte man, daß der Totentanz seinen Ursprung in England habe ^ 
und in England meinte man, daß die erste Idee dazu in Deutschland ent- 
standen sei^. 

Die erste zusammenfassende Darstellung über Totentänze verdanken wir 
J. D. Fiorillo, der in seiner „Geschichte der zeichnenden Künste in Deutsch- 
land und den vereinigten Niederlanden* ^ unserem Thema einen großen Ab- 
schnitt widmet und äine Reihe von Mißverständnissen aufklärt. So hat Fio- 
rillo zuerst erkannt, daß sich die Worte des Pariser Chronisten: „L'an 1424 
fut faicte la dance macabre [maratre] aux Innocens et fut commencee environ 
le mois d'aoust et achevee en Caresme en suivant* S nicht auf ein Schauspiel, 
sondern auf einen Gemäldezyklus beziehen. Von der irrtümlichen Meinung aus- 
gehend, die bis auf die Gegenwart alle Forscher beherrscht, daß die Skelette, 
die den einzelnen Lebenden beigegeben sind, jeweils der personifizierte Tod 
seien, behauptet er, daß man im 13. — 14. Jahrhundert darauf verfallen sei, den 
Tod als Skelett darzustellen, um die Menschen zu schrecken ; zur Erinnerung 
an irgend eine große Sterblichkeit, die keinen Stand verschonte, hätte man 
alsdann die Totentänze erfunden^. Der Gedanke, den Tod ein musikalisches 
Instrument spielend oder in dem Bestreben darzustellen, jemanden zu einem 
Tanze zu zwingen, scheint ihm eine Ursache zu haben, die sich in die mytho- 
logischen, fabelhaften Zeiten verliere. Dabei lehnt er die Hypothese von 
Ludwig Suhl ab, der schon im Jahre 1783 angesichts des Lübecker Toten- 



* So Fdlibien in seiner ^Histoire de la • Stove, Survey of London 1599, S. 264 

ville de Paris** zum Jahre 1424. Auch ganz ' IV, Hannover 1820, 119—174. 

gelehrte Franzosen schrieben noch im Anfang * Journal d'un bourgeois de Paris 1405 ä 

des 19. Jahrhunderts die Totentänze ihres 1449, publ. par AI. Tuetey, Paris 1881, 

' eigenen Landes Holbein zu (vgl. P eignet, 203. 

Recherches sur les danses des morts 83). * Fiorillo a. a. 0. 122—123. 



64 ^- ^^^ Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

tanzes das Tanzmotiv aus dem deutschen Sprichwort „nach jemandes Pfeife 
tanzen ** erklären wollte, mit der ganzen richtigen Motivierung, daß dieser 
Ausdruck erst dem Oemälde entlehnt sei. 

Doch legt Fiorillo auf diese grundsätzlichen Erörterungen kein großes 
Gewicht : seine Absicht geht dahin, die mannigfaltigen Totentanzdarstellungen 
genau zu unterscheiden, sie in chronologischer Ordnung vorzuführen und fest- 
zustellen, inwieweit Holbein als Maler von Totentanzbildern in Betracht kommt. 

B. DIE TOTENTÄNZE IN DER FRANZÖSISCHEN UND ENGLISCHEN LITERATUR. 

Die erste selbständige Schrift über Totentänze verdanken wir dem Fran- 
zosen Gabriel PeignotS der gleich in den ersten Sätzen hervorhebt, daß 
er über sein Thema, abgesehen von zwei kleinen Abhandlungen über Toten- 
tanzdrucke, keine Literatur vorgefunden habe. Peignot muß ein komischer 
Herr gewesen sein. Nachdem er auf LVI Seiten über den Totentanz über- 
haupt und die Totentanzdrucke im besondern gehandelt hat, sieht er zu seinem 
Schmerze, daß sein Büchlein doch zu klein ausgefallen sei, und kündet in 
einem Avertissement dem Leser an, daß er nun noch einen Aufsatz über den 
Ursprung und die Geschichte der Kartenspiele beifügen wolle. Doch statt 
dessen folgt zunächst auf 74 Seiten eine Abhandlung über den Totentanz von 
Basel und jenen von Holbein, die man voneinander unterscheiden müsse, und 
auf Seite 77 — 194 eine ermüdende Behandlung der Dance macabre, der Dance 
des aveugles etc. Jetzt erst wird die in Aussicht gestellte Geschichte der 
Kartenspiele angefügt. Viele Kapitel hätte Peignot sich sparen können, wenn 
er den grundlegenden Aufsatz des verständigen Fiorillo gekannt hätte. Wie 
dieser geht auch Peignot von den antiken Todesdarstellungen aus und schildert 
zunächst die bekannte Szene im »Gastmahl des Trimalchio* von Petronius 
(Satir. 34), wo erzählt wird 2, daß nach einem üppigen Mahle ein Sklave 
ein silbernes Skelett brachte, das er nach Art einer Gliederpuppe den Gästen 
vorführte, wozu Trimalchio die Worte deklamierte: 

Heu! heu! nos miseroa quam tetus homuncio nil est! 
Quam fragilis tenero flamine vita cadit! 
Sic erimus cuncti, postquam nos auferet orcus. 
Ergo yivamus, dum licet esse bene. 

Nachdem er sodann noch auf einen von Gori veröffentlichten geschnittenen 
Stein hingewiesen, auf dem ein Skelett vor einem Flöte spielenden Landmann 
tanzt, glaubt er unter Hinweis auf die tanzenden Skelette von Gumae fest- 
stellen zu können, daß den Alten die Idee des Totentanzes nicht unbekannt 
gewesen sei. 

Im christlichen Mittelalter, als die ursprüngliche Reinheit der Sitten be- 
denklich nachgelassen habe, sei man auf die Idee gekommen, dem Volke, um 
es zu sittlichem Ernste zurückzuführen, den Tod in sinnlich wahrnehmbaren 
Bildern vorzuführen, und unter dem Eindruck der großen Sterben im 14. Jahr- 
hundert seien alsdann die Totentänze entstanden. 

Darnach möchte man vermuten, daß Peignot den Aufsatz von Fiorillo, der 
ja den gleichen Gedanken ausspricht, gekannt hat, obwohl er ihn nicht nennt. 



* Rechercbes historiques sur les danses des * Eine ähnliche Sitte erwähnt Herodot 

morts et sur l'origine h jouer, Dijon 1826. TT, 78. 



1. Die bisherigen Anschauungen Ober die Entatehoug des Totentanzes, 65 

YerdiensÜicb ist das Kapitel über die Dance macabre^ die er selt- 
samerweiae von der «Dance des morU' (Baaler und Holbeinsche Zyklen) unter- 
scheidet. Er bringt eine Reihe von Nachrichten aus französischen Geschichts- 
quellen des 15. Jahrhunderts über das Gemälde des Klosters Saints-Innocents 
in Paris und berichtigt, wie mir scheint, wiederum in Abhängigkeit von Fio- 
rillo, einige irrtümliche Auffassungen. So war bis in die dreißiger Jahre des 
vorigen Jahrhunderts die Meinung verbreitet, der Text zum Pariser Toten- 
tanz stamme von einem deutecben Dichter Macaber und sei nach ihm , Dance 
macabre" genannt worden, ein Irrtum, der sich an eine lateinische Ausgabe 
des Totentanztextes mit folgendem Titel knüpft: Chorea ab eximio Macabro 
versibuB alemanicis edita et a Petro Desrey emendata. Pariaiis per magiatrum 
Quidonem Mercatorem (Guyot Marcbant) pro Godofredo de Mamef, 1490 
(Bild 14)2. 

Es fällt Peignot nicht schwer, zu zeigen, daß der französische Tezt schon 
in älteren Druckaußgaben vorliege und daß das Wort ,macabre" bereits im 



Bild 14. Aus dem Totentanz von Guyot Marchsnt Paris 1485. 

Anfang des 15. Jahrhunderts in der französischen Literatur vorkomme. Zu 
erklären vermag auch er es nicht, wie ihm auch die von Van Praet auf- 
gestellte Etymologie (maqbara = Grab, Plural maqäbir) nicht einleuchten will, 
weil die mohammedanische Auffassung vom Tod mit der christlichen nicht 
harmoniere. 

Auf Peignot fußt in seinem allgemeinen Teil der Engländer Francis 
Douce^ der sich in der Hauptsache die Erklärung der Holbeinschen Todes- 
bilder zum Vorwurf gemacht hat. Er hat das Verdienst, zuerst auf die Legende 

! A. a. 0. 77 ff. 1460 (sie) reddidit Petrus Desrey . . . Auch 

' Der Titel hat anch sonst viel Verwirrung das Gelehrten lex ikon von J o c fa e r und 

angerichtet. Verbreitet wurde das Märchen Rotermund IV 298 verzeichnet den Dichter 

von einem deutschen Dichter Macaber durch , Macaber'. 

Fabricius, der in seiner ,Bibliotheca med. et ' Tbe Dance of Death exhibited in elegant 

inf. latinitatis* (V I] schreibt: Macaber aactor engravings on wood with a dissertation on 

speculi morticini sive speculi choreae mor- the several representationa of tbat subject, 

tuorutn , non tarnen ab eo compositt , sed buttnore particularly on those ascribed to 

TTthtnia germamcia, quoa latinis circa anno Macaber and Hans Holbein, London 1833. 

Kflnitle. Drei Leitende und drei Tote. 5 



66 



V. Der Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 



der drei Lebenden und der drei Toten als einer mit dem Totentanz nahe ver- 
wandten Erscheinung auftnerksani gemacht zu haben K In ihr glaubt er auch 
die Erklärung des Wortes «macabre'* gefunden zu haben, und er leitet es 
von dem Mönche ab, der auf einzelnen Bildern und in einigen Legendenfonnen 
im Namen der Toten zu den Lebenden spricht. 

Wir werden später sehen, daß diese Hypothese ganz haltlos ist. 

Auch Douce geht von den Personifikationen des Todes bei den Alten aus, 
ohne freilich eine Verbindung zwischen dem vorchristlichen Altertum und den 
mittelalterlichen Ideen, die dem Totentanz zu Grunde liegen, zu finden. Letz- 
terer sei vielmehr eine Erfindung „der finsteren Zeiten mönchischer Bigotterie, 
die dem mißleiteten Volke klar machte, daß die Furcht vor dem Tode eine 
Gott angenehme Gesinnung sei*". 

Von Interesse ist sein Versuch, zu erklären, wie das Motiv des Tanzes 
mit dem Sterben in Verbindung kam. Er geht von den religiösen Tänzen 
aus, die man in vor- und nachchristlicher Zeit vor und in den Gotteshäusern 
aufführte, um dann ausführlich von jener Tanzwut zu reden, die zum ersten- 
mal aus der Diözese Magdeburg im 11. Jahrhundert berichtet wird, und die 
sich bis ins 14. Jahrhundert verfolgen läßt. 

Ja schon Eugen II. hätte sich genötigt gesehen, zu bestimmen : ut sacer- 
dotes admoneant vires ac mulieres^ qui festis diebus ad ecclesiam occur- 
runt, ne ballando et turpia verba decantando choros teneant ac ducant simi- 
litudinem paganorum peragendo. Da aber die Sucht des gemeinen Volkes, 
in den Kirchen und auf den Friedhöfen zu tanzen, unausrottbar schien, so sei 
der Klerus auf den Gedanken verfallen, das Schauspiel des Totentanzes ein- 
zuführen. 

Ich brauche nicht ausdrücklich beizufügen, daß dieser Erklärungsversuch 
verfehlt ist, denn er ist innerlich unwahrscheinlich und in der Geschichte 
nirgends belegt. Zudem darf nicht übersehen werden, daß in dem schauerlichen 
Reigen, der nach Douce dem Volke die Lust an dem sündhaften Tanze ab- 
gewöhnen sollte, der Tod seine Partner fast ausschließlich aus aristokra- 
tischen und klerikalen Kreisen holt. 

Unterdessen hatte Achille Jubinal^ einen neuen Totentanz in der 
Kirche zu La Chaise-Dieu aus dem 15. Jahrhundert gefunden und kurz in einer 
besondern Abhandlung beschrieben (Bild 15). Er hebt in seinen einleitenden 
Bemerkungen hervor, daß der mittelalterliche Totentanz mit den tanzenden 
Skeletten des Altertums in keiner Beziehung stehe. Er sei vielmehr aus der 
Legende der drei Lebenden und der drei Toten, und zwar unter dem Einfluß 
der großen Sterben des 14. und 15. Jahrhunderts herausgewachsen. 

Aus dem übrigen recht dürftigen Inhalt hebe ich nur noch hervor, daß 
Jubinal die Erklärung von Douce: Macabre = Macarius, ablehnt mit der 
ganz richtigen Begründung, daß die Vita bei den BoUandisten von einer Be- 
ziehung des Macarius mit dieser Legende nichts weiß. 



» The Dance of Death 81 u. 228. 

^ Explication de la danse des morts de La 
Cbaise-Dieu, fresque inedite du XV^siecle, pre- 
c^d^e de quelques details sur Ics autres monu- 
meuts de ce «enre. Paris 1841. Seltsamerweise 
gibt er von den Bildern nur eine einzige Szene 
und verweist für die übrigen auf das schwer 
zugängliche Werk „Les anciennes Tapisseries 



histori^es". In der dritten Ausgabe aus dem 
Jahre 1862, die mir aber nicht zugänglich ist, 
wird der ganze Zyklus auf fünf Tafeln mitgeteilt. 
Langlois bildet den Totentanz von La Chaise- 
Dieu auf Tafel XLII ebenfalls unvollständig, 
aber doch in seinen wesentlichen Bestandteilen 
ab. Die Datierung scheint mir unsicher, und 
die Bilder sind später tibermalt worden. 



1. Die bUherigen AoscbauaDgen aber die Entstehung des Tetentanzes. 



Bild 15. Totentanz in La Chaise-Dieu. 

FortouH ergeht sich in der Einleitung zu seinen Untersuchungen Über 
den Holbeinschen Totentanz in tiefsinnigen Betrachtungen Über die Kultur- 
entwicklung des Mittelalters. Die großen Fortschritte, die das 12. und 13. Jahr- 
hundert auf allen Gebieten gezeitigt haben, brachten nach ihm die Kirche in die 
größte Gefahr, ihren Dinäuß auf die Menschheit zu verlieren. Da seien nun 
die Franziskaner und Dominikaner auf den genialen Gedanken verfallen, durch 
Erfindung des Totentanzes die Menschen in die Arme der Kirche zurück- 
zutreiben. Dabei vergißt der geistreiche Frauzose aber vollständig, daß so- 
wohl dem Texte des Totentanzes wie ganz besonders auch der Legende von 
den drei Lebenden und Toten, die Fortoul ganz richtig mit dem Totentanz in 
Verbindung bringt, vielfach ein geradezu kirchenfeindlicher, jedenfalls ein anti- 
klerikaler Zug innewohnt. 

Was Fortoul weiter über kirchliche Tänze etc. vorbringt, können wir 
hier füglich übergehen; Peignot und Douce sind seine Quellen. 

Geradezu ein Prachtwerk, was typographische Ausstattung und Reich- 
haltigkeit der Abbildungen angeht, hat uns Langlois^ über die Totentänze 
hinterlassen. Leider kann dieses Lob nicht auch auf den Inhalt ausgedehnt werden. 
Von den Totentanzskulpturen auf dem Kirchhof öaint-Maclou zu Ronen aus- 
gehend, trägt Langlois in behaglicher Breite und mit großem Fleiß alles zusammen, 
was er über die Materie bei seinen Vorgängern fand, ohne auch nur in einem 
einzigen Punkt unser Wissen über die Entstehung der Totentänze zu fördern. 

Auch der lange und sehr gelehrte Brief eines gewissen Leber, der am 
Schlüsse des ersten Bandes mitgeteilt wird, eröffnet keine neuen Gesichts- 
punkte. Der Wert der Publikationen besteht in den 54 Tafeln, mit deren 
Erklärung sich fast der ganze zweite Band befaßt. 

Gleichzeitig mit Langlois veröffentlichte der in historisch-philologischer 
und musikalischer Hinsicht sehr gelehrte Georges Kästner^ eine sehr 



' La Danse des raorts deasinöe par Hans rairea et musicalea aur les divers inoDuments 

[folbein. grav^e sur pierre par Joseph Schbtt- de ce genre, qui esistent ou qui ont existe 

hauer, Paris 1842. tant en France qu' a l'Ötranger, accompagnees 

• Kssai historique. pliÜosophique et pitlorea- de la danse uiacabre, grande ronde vocale et 

que sur les danses des morts par E. H. Lang- instrumentale ... et d'une auite de planches 

loia.accompagnidecinquante-qHatreplanobes reprösentant desujeta Üi6a d'anciennes danaea 

et de nombreusei vignettes . . . euivi d'une dea morta des XIV*, XV', XVI' et XVII' 

lettre de C. Leber et d'une note de Depping. si^cles, la plupart public en France poar la 

Ouvrage cumpMtö et pttbliö par A. Pottier premiere fois, aveo lea figurea d' instrumenta 

et A. Baudry. 2 Bdc, Reuen 1S52. de muaique qu'lls contiennent, ajnsi que 

' Lea danaes dea morts. DissertHtions et d'autres ägurea d'instrumenta du moyen-fige 

recberches bistoriques. pbiloeopbiques, littt^- et de renaiasance, Paris 1853. 



68 ^* ^er Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

schätzenswerte Arbeit über den Totentanz, die er dem preußischen König 
Friedrich Wilhelm IV. widmete. Sein eigentlicher Zweck ist die musikalische 
Seite der Totentänze. Er begnügt sich nicht damit, die Musikinstrumente, 
deren sich die Totengerippe auf den ihm bekannten Bildern bedienen, genau 
zu beschreiben und abzubilden, sondern er komponiert auch einen von Edouard 
Thierry gedichteten Totentanztext. 

Darauf hätte sich Kastner beschränken sollen. Statt dessen nötigt er aber 
den Leser, noch einmal den ganzen Wust von antiquarischer Gelehrsamkeit 
über die Vorstellungen und Abbildungen des Todes bei den Alten, über Dance 
macabre und die Versuche, dieses Wort zu erklären, über Statistik und Biblio- 
graphie der Totentänze, lauter Dinge, die seine gelehrten Landsleute schon 
zur Genüge erzählt hatten, noch einmal über sich ergehen zu lassen. Es muß 
allerdings zugegeben werden, daß Kastner die von Peignot, Douce und Fortoul 
benutzten Quellen selbständig durchforscht und mit einer Reihe neuer Be- 
obachtungen ergänzt hat, aber gefördert hat er die Wissenschaft nur für die 
Geschichte der Musikinstrumente. 

In Frankreich ruhte die Totentanzforschung zwei Dezennien lang, bis 
Valentin Dufour den Pariser Totentanz, wie er in der Ausgabe von 
Guyot Marchant aus dem Jahre 1485 überliefert ist, aufs neue edierte und 
untersuchte ^ Was er hier zu unserem Thema im allgemeinen bemerkt, geht 
nicht in die Tiefe; aber einige Gedanken verdienen doch hervorgehoben zu 
werden. So macht er darauf aufmerksam, daß Dance im mittelalterlichen 
Französisch die Bedeutung von Vorbeimarsch einer großen Menschenmenge 
in geordnetem Zuge bedeute, also etwa mit Parade und Prozession zu über- 
setzen ist. Doch bezweifle ich, ob es richtig ist, daß man mit dem Begriff 
stets die Nebenbedeutung von etwas Unglücklichem, Schrecklichem ver- 
bunden habe. 

Auch Dufour entscheidet sich für die einst so ungläubig aufgenommene 
Erklärung von „Macabre", wie sie van Praet zuerst aufstellte, und er 
kann sich darauf berufen, daß die modernen französischen Philologen sich 
diesem Erklärungsversuch durchaus anschließen. 

Auch darin stimme ich Dufour bei, wenn er auch keinen Beweis erbringt, 
daß der Totentanz aus der Legende der drei Lebenden und der drei Toten 
sich entwickelt habe. 

Im Jahre 1882 entdeckte und publizierte F. Soleil den Totentanz von 
Kermaria (Bild 16) 2. Leider ist mir die Schrift nicht zugänglich. Aber nach 
dem, was er in seinen „Heures gothiques" ^^ ^o er den Zyklus von Kermaria 
in schlechten Abbildungen mitteilt, zu den Totentänzen überhaupt bemerkt, ist 
er so unselbständig (S. 69 — 80), daß von ihm ein Beitrag zur Lösung unserer 
Frage nicht zu erwarten ist. Aber auch den von ihm selbst entdeckten 
Totentanz hat er entschieden falsch beurteilt, und er scheint gar nicht im 
stände zu sein, ein mittelalterliches Gemälde zeitlich zu bestimmen. Die Kirche 
von Kermaria stammt aus zwei verschiedenen Perioden: die vier ersten 



^ y. Dufour, Recherches sur la Dance reproduction de Tödition princeps donnäe par 

macabre peinte en 1485, extrait du Bibliophile Guyot Marchant (1485), Paris 1891. 

fran^ais, 1873; La Dance macabre des Saints- ' La Danse macabre de Kermaria- an-Isquit, 

Innocents de Paris d'apres l'ödition de 1485, Saint-Brieuc 1882. 

Paris 1874; La Dance macabre de 1485, Paris ^ Felix Soleil, Les Heures gothiques et 

1874 ; La Dance macabre peinte sous les la Littdrature pieuse aux XV* et XVI* siäcles, 

charniers des Saints-Innocents de Paris (1425), Ronen 1882. 



1. Die bisherigen ÄnsehaauDgen Ober die Entstehang des Totentanzes. 



69 




Bild 16. Totentanz in Kermaria. 

Gewölbejoche gehören dem 13. Jahrhundert an; die drei folgenden mit dem 
Querschiff und Chor sind aus dem 14. Jahrhundert. Die Totentanzgemälde 
befinden sich nun im frühgotischen Teil der Kirche rechts und links über den 
Arkaden und sind so einfach und unbeholfen gehalten, daß man spätestens 
ans 14. Jahrhundert denken darf. Die Bilderreihen brechen auf beiden Seiten 
da ab, wo der Anbau des 14. Jahrhunderts beginnt. Sie müssen also älter 
sein als dieser, denn es ist schlechterdings nicht einzusehen, warum der Maler, 
wenn er, wie Soleil behauptet, erst um 1450 seinen Zyklus gemalt hätte, als 
die Kirche schon um drei Joche und das Querschiff vergrößert war, seine 
Gebilde auf die frühgotischen Mauerflächen zusammengedrängt hätte. Im 
Totentanz von Kermaria fehlen im Vergleich zur Dance macabre von Paris 
oder vielmehr zur Druckausgabe von Guyot Marchant von 1485 außer dem 
einleitenden und dem Schlußbild sieben Paare (Doipherr, Kaufmann, Arzt, 
Advokat, Pfarrer, Küster und Eremit). Wie Soleil behaupten kann, der Maler 
habe diese Stände aus Raummangel weggelassen, ist mir unbegreiflich. Nein, 
diese Gestalten fehlen, weil wir hier den Totentanz in seiner frühesten Ent- 
wicklung vor uns haben; sowenig der vierzeilige oberdeutsche in den Hand- 
schriften eine Verkürzung des Klein-Basler Totentanzes ist, ebensowenig ist 
jener von Kermaria eine Verkürzung der Dance macabre von Paris. 



C. DIE DEUTSCHE TOTENTANZLITERATUR. 

In Deutschland sind zunächst nur kleinere und gelegentliche Untersuchungen 
zu verzeichnen. So liefert Karl Grüneisen schätzenswerte Beiträge zur 
Geschichte und Beurteilung der Totentänze ^ die er um ein Exemplar aus 
der Stuttgarter Bibliothek zu bereichern in der Lage ist. Freilich versteht 



Kunstblatt 1830, Nr 22 R. 



70 ^' ^61* Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

man nicht, warum er diesen Codex, der nach ihm „das Erzeugnis klöster- 
licher Geschmacklosigkeit aus den spätesten Zeiten'' ist, der Vergessenheit 
entreißt. Grüneisen findet, daß Fiorillo, Peignot und Hegner ^ auf die er sich 
stützt, das komische Element in seiner eigentümlichen, bald harmlosen 
bald sarkastischen und polemischen Mischung mit dem Ernsten und Schauer- 
lichen genügend zu erklären unterlassen haben. 

Man hat aber nicht die Empfindung, daß Grüneisen sich auf dem richtigen 
Wege bewegt in seinem Unternehmen, das eigentliche Wesen der Totentänze 
zu erklären, weil ihm stets die Stiche Holbeins, die wohl Imagines mortis, 
aber keine eigentlichen Totentänze mehr sind, vor Augen schweben, und weil 
seine Absicht dahin geht, „dem großen Meister von Bern, Niclaus Manuel, 
der dem Totentanz eine Reihe von Zügen beigefügt hat, die den ursprüng- 
lichen Erzeugnissen fremd sind, den lange nicht allgemein genug anerkannten 
Kranz zu sichern"*. Wer das Wesen der Totentänze erklären will, muß von 
der Dance macabre zu Kermaria, den niederdeutschen Totentanzbildern und 
dem oberdeutschen vierzeiligen Text ausgehen. 

Auch den Geist des mittelalterlichen Christentums faßt Grüneisen einseitig 
auf, und es sind eitel Phrasen, wenn er behauptet, daß die mittelalterliche 
Kirche, als sie sich vor die Aufgabe gestellt sah, die rohen Völker des Nordens 
zu christlicher Bildung und Sitte zu erziehen, statt sie emporzuziehen ins 
freie Leben des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, eine Zwangs- und 
Strafanstalt errichtete, die, gleich dem alttestamentlichen Gesetze, nicht durch 
den Geist des Glaubens und der versöhnenden Liebe und einer heiteren Welt- 
ansicht, sondern durch strenge Satzungen, durch harte Bußübungen und durch 
Drohungen zeitlicher und ewiger Strafen die Menschheit im Zaume zu halten 
suchte. Aus diesem Streben entwickelten sich nach ihm die Totentänze. 

Allein Grüneisen geht von der falschen Anschauung aus, als ob die 
Totentänze von der Kirche als solcher ausgingen und gleichsam ein Kirchen- 
gebot wären. Das ist grundfalsch; vielmehr ist daran festzuhalten, daß sie 
eine vereinzelte Erscheinung sind, die stets und überall auf das Volk selbst 
und nicht auf die Kirchenobern zurückgehen. Besser gelingt Grüneisen die 
Erklärung des komischen, scherzhaften Zuges im Totentanz, indem er auf 
den Volkswitz hinweist, der sich auf allen Gebieten mittelalterlicher Kunst 
bemerkbar macht. „Diese komische Seite der mittelalterlichen Kunst war 
recht eigentlich ein in der Natur selbst begründetes Gegengewicht gegen das 
Extrem scholastischer Leere in einer spitzfindigen Theorie, harten Zwanges 
in der hierarchischen Kirchenverfassung und grämlicher Aszese in der Mönchs- 
moral. Gegen solche Fesseln lehnte sich in kräftigem Selbstbewußtsein das 
frische Leben und die jugendliche Natur der nordischen Völker auf. . . . Die 
Masse des Volkes nahm ihre Zuflucht zum Scherze, um die Last kirchlicher 
Gebote und heiliger Legenden sich zu erleichtern. Am eifrigsten war der 
niedere Klerus selbst beflissen, teils gegen die höhere Geistlichkeit teils unter 
sich das Spiel der Laune walten zu lassen. . . . 

In die Reihe künstlerischer Produktionen, welche diese launige Seite des 
mittelalterlichen religiösen Volkscharakters repräsentieren, muß man sons^ch 
auch die Totentänze stellen. ..." 

Ich muß jedoch auch hier bemerken, daß die Mischung des Heiteren und 
Possenhaften mit dem Ernsten und Schauderhaften, worin Grüneisen das Wesen 



' Hana Holbein der Jüugere, Berlin 1827. 



1. Die bisherigen Anschauungen Über die Entstehung des Totentanzes. 71 

der Totentänze sieht, erst in den letzten Ausläufern desselben sich findet. 
Ursprünglich sind sie durchaus ernste und feierliche Prozessionen der ver- 
schiedenen Stände zu dem letzten Endziel. Grüneisen hat zudem eine ganz 
falsche Auffassung von der kirchlichen Kultur des Mittelalters. Auch in der 
Zeit des Zerfalls der Scholastik hat man die gelehrten Streitigkeiten der 
Schule nicht in das Volk getragen ; auch hat man dieses weder nach schola- 
stischer Methode unterrichtet noch mit grämlicher Aszese der Mönchsmoral 
geplagt. 

Auf solche prinzipielle Fragen geht H. F. Massmann*, dessen Verdienst 
in der bibliographischen Beschreibung der Abdrücke von Holbeins „Imagines 
mortis", des Groß-Basler und des vierzeiligen deutschen Totentanzes mit 
24 Paaren, der Dance macabre und der französischen Gebetbücher mit Toten- 
tänzen besteht, nicht ein. Er hat zuerst erkannt, daß dem vierzeiligen ober- 
deutschen Totentanztext die Priorität vor allen übrigen deutschen Texten 
zukommt. 

Das Büchlein von F. Naumann, Der Tod in allen seinen Beziehungen, 
ein Warner, Tröster und Lustigmacher 2, soll nur ein bescheidener Beitrag zur 
Literaturgeschichte der Totentänze sein. Es ist dies auch in der Tat, und 
man ist über die gänzliche Unkenntnis der vorausgehenden französischen Werke 
überrascht. Wertvoll ist nur die Beschreibung und Abbildung der Totentanz- 
skulpturen vom herzoglichen Schloß in Dresden aus dem Jahre 1534, wo die 
verschiedenen Stände von drei Toten zum Sterben geführt werden. Das 
Totentanzproblem an sich macht ihm wenig Sorgen: die ernste Dai*stellung 
des deutschen Todes gehört ganz eigentümlich dem frühesten Mittelalter an, 
und fast will es scheinen, als ob vom 12., besonders vom 13. bis 15. Jahr- 
hundert, begünstigt von den damaligen Päpsten, Poesie, Malerei und Bild- 
hauerkunst gewetteifert hätten, den doch so schönen Jüngling der Griechen 
als furchterregendes Skelett darzustellen. . . . Wer nun auf die kühne, gewiß 
poetische Idee eines Totentanzes gekommen ist, wird nie mit Gewißheit be- 
stimmt werden können. Einige behaupten, man müsse die Idee einem deutschen 
Dichter, Exemius Macaber, zuschreiben. . . . ^ 

Oberflächlicher kann man die Sache gewiß nicht anfassen. 

Einige neue Momente dagegen bringt A. E Hissen^ in seiner geistreichen 
Abhandlung zu Holbeins Initialbuchstaben. Auch er geht, den französischen 
Forschern folgend, von den antiken Todesmythologien aus, um aber fest- 
zustellen, daß der Ursprung des Totentanzes nicht in der griechischen und 
römischen Vorzeit, sondern im Morgenlande zu suchen sei, wofür ihm Beweis 
ist die Benennung „Dance macabre*, die er nach van Praet erklärt und 
für eine wörtliche Herübernahme aus dem Arabischen hält, wo »tanz-d- 
makabiri" Kirchhofskurzweil bedeutet. In der arabi9chen Literatur spiele der 
Dämon Azrael, wie aus dem von Herder bearbeiteten Märchen „Der Wagen 
des Todes" zu ersehen sei, eine ähnliche Rolle wie der Tod im Totentanz. 



* Li tteratur der Tod ten tanze. Aus dem ,Se- * Dresden 1844. 

rapeum* besonders abgedruckt, Leipzig 1840. ^ A. a. 0. 6. 

D e r 8. , Die Basler Todtentänze in getreuen * Hans Holbeins Initialbuchstaben mit dem 
Abbildungen. Nebst geschichtlicher Unter- Todtentanz nach Hans Lutzelburgers Original- 
Buchung sowie Vergleichung mit den übrigen holzschnitten . . . treu copiert von Heinrich 
deutschen Todtentänzen , mit einem Atlas, Loedel. Mit erläuternden Gedenkversen und 
Stattgart 1847 : Der Schatzgräber, hrsg. von einer geschichtlichen Abhandlung über die 
J. Scheible, Tl 5. Todtentänze, Göttingen 1849. 



72 ^* ^or Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

Das eigentliche Wesen des Totentanzes sieht Ellissen in dem satirischen 
Element, das er in Zusammenhang bringt mit der in Dichtung und Bildnerei 
des Mittelalters typisch gewordenen Personifizierung des Narrentums. Er stützt 
sich dabei auf eine Anregung von E. Rosenkranz, der in seiner «Geschichte 
der deutschen Poesie im Mittelalter' bemerkt: »Der Totentanz veranschaulicht 
die Eitelkeit der närrischen Welt und verkehrt ihre Verkehrtheit/ 

Dieser Erklärungsversuch trifft in der Hauptsache mit demjenigen Grün- 
eisens zusammen und beruht auf den gleichen Fehlem. 

Jakob Grimm^ erklärt die Verbindung des Tanzes mit dem Tode so: 
„Der Tod wird als Bote gedacht. Boten zu sein pflegten im Altertum Fiedler 
und Spielleute; es liegt nahe, den Tod mit seinem Gesinde einen Reigen 
aufführen zu lassen." Allein ich kann nicht finden, daß die Verbindung der 
Begriffe Bote und Spielmann eine so enge ist, wie Grimm annimmt. Manche 
Spielleute übernahmen, weil ihr Beruf sie von Ort zu Ort führte, Boten- 
dienste, aber nicht alle Boten waren Spielleute. Wäre die Annahme Grimms 
richtig, so müßte in allen Totentänzen der Tod als Fiedler auftreten, was 
aber nicht zutrifft. 

Von großem Einfluß auf die Totentanzbetrachtungen in der zweiten Hälfte 
des 19. Jahrhunderts wurde Wackernagels Aufsatz „Der Totentanz" ^. Sein 
eigentliches Thema bilden zwar nur die Basler Bilder, aber er schickt eine 
wertvolle kultur- und literargeschichtliche Untersuchung voraus und gibt eine 
Darstellung der allgemeinen Zustände des 14. und 15. Jahrhunderts, die von 
seinen Nachfolgern vielfach wörtlich übernommen wird. 

Zeiten sozialen und politischen Unglücks, wie sie die zwei letzten Jahrhunderte des 
Mittelalters mit sich brachten, üben nach Wackernagel auf die einzelnen Menschen je nach 
deren Sinn eine ganz verschiedene Wirkung aus: „Die einen fliehen vor solchen Strafgerichten 
in sich selbst zurück und zu Gott, die andern suchen die Strafgerichte und Gott und sich 
selbst in den bunten Freuden der Welt zu vergessen. ** In Italien sind die deutlichsten Bei- 
spiele hierfür Dante und Boccaccio. „Oder deutsche Beispiele. Nebeneinander gehen da geist- 
liche Lieder der Buße und des Heimwehs und weltliche selbst der frevelhaftesten Art. . . . 
Dieser Gegensatz von düsterem Ernst und scherzendem Leichtsinne stand jedoch nicht lediglich 
so unvermittelt da; er fand zugleich seine gemütliche und künstlerische Ausgleichung. Er 
fand sie in der Satire, welche die Tugend empfahl, indem sie das Laster strafte, und das 
Laster strafte, indem sie dasselbe als Torheit, als Narrheit dem Gelächter preisgab; er fand 
sie mit höherem Maß der Erhebung, als Spott und Ironie gewähren konnten, in jener großen 
Stimmung des Gemütes, wo Laune und Wehmut, komische und tragische Weltanschauung in 
einen Ton zusammenfließen, im Humor. . . . Zumal aber auch ward diese Art und Weise, 
die Dinge der Welt zu betrachten, auf den angewendet, der auch keines Standes achtet noch 
schont und jeden Unterschied ausgleicht, auf den Tod, den Genius des Zeitalters. . . . Immer- 
fort und immer auf dem Grunde der ironisch-humoristischen Stimmung wurden neue Ver- 
bildlichungen und Personifizierungen des Todes erfunden und gebraucht und aus der Poesie 
in die alltägliche Denk- und Sprechweise fortgepflanzt.** Wackernagel findet alsdann, daß 
die mittelalterliche Todesmythologie vor dem 14. Jahrhundert fast durchgehends einen andern 
Charakter besessen habe als in und seit demselben. «Vor ihm geschah die Verbildlichung 
meist noch ohne Zutun des Humors, in einem einfachen, aber durch die Einfachheit groß- 
artigen Stil, und es ward der Tod . . . entweder mit weiterer Ausführung eines biblischen 
Bildes als Ackersmann dargestellt, der den Garten des Lebens jätet imd eine Blume darin 



' Deutsche Mythologie, 3. Ausgabe, Göt- fünften Säkularfeier des Erdbebens amStLukas- 

tingcn 1854, 807. tage 1856, hrsg. von der Basler Historischen 

* Zuerst erschienen in Haupts Zeitschrift Gesellschaft, Basel 1856, 377 — 425. Wieder ab- 

für deutsches Altertum IX 302 — 365, dann gedruckt in Wackernagels Kleineren Schriften 

in erweiterter Gestalt in : Basel im 14. Jahr- I, Leipzig 1872, 302—375. In dieser Form hat 

hundert. Geschichtliche Darstellungen zur die Abhandlung allseitige Beachtung gefunden. 



1. Die bisherigen Anschauungen über die Entstehung des Totentanzes. 73 

nach der andern bricht . . . oder mit mehr Selbständigkeit der Vergleichung als ein gewaltiger 
König, der durch die Lande fährt und seine Heerscharen, eben die Sterbenden, sammelt. . . . 
Anders seit dem 14. Jahrhundert. Für die Neigungen, die von jetzt an herrschten, waren 
jene Bilder zu heldenhaft einfach, zu unmittelbar: man ließ sie meistens fallen und griff 
dafür nach solchen, die auf den näheren Stufen des Alltagslebens lagen, und die den Eindruck 
des Erhabenen dadurch machten, daß sie das Große einkleideten in verhältnismäßig Niederes 
und Geringes, ja Gemeines. . . . Hieran denn endlich lehnt sich die Vergleichung, auf die wir 
fortan unser ausschließliches Augenmerk richten wollen, die Zusammenstellung des Todes 
mit solchen Lustbarkeiten, die Hand in Hand mit den übrigen Freuden eines Festes und 
Festgelags zu gehen pflegen, mit Musik und Tanz.* 

Wackemagel behauptet alsdann, daß die deutsche Literatur schon im 14. Jahrhundert 
eine Dramatisierung des Totentanzes besessen habe. Zum mittelalterlichen Drama gehörte 
aber gemeiniglich Musik und Tanz. 

So gelehrt und geistreich diese Ausführungen auch sind, so kann ich 
doch nicht zugeben, da£ sie die Entstehung der Totentänze richtig erklären. 
Der größte Fehler besteht darin, daß Wackemagel stets von deutschen 
Kultur- und Literaturverhältnissen ausgeht. Und doch ist der Totentanz in 
ganz Europa verbreitet und ist sicher nicht in Deutschland entstanden. 
Hierhin kam er vielmehr aus Frankreich, und zwar schon in seiner aus- 
gebildeten Form. Alsdann scheint es mir nicht richtig zu sein, daß alle 
mittelalterlichen Schauspiele mit Musik und Tanz verbunden waren, und es 
ist eine leere Behauptung, daß der Totentanz schon im 14. Jahrhundert in 
Deutschland als Drama bestanden hat ^. Wohl gab es Dialoge zwischen dem 
Tod und den Lebenden in großer Zahl, aber sie waren nicht zu dramatischer 
Auffuhrung bestimmt 2. 

Nach Lübke^ ist der Totentanz ein monumentales Memento mori. In 
ihrer „roh sinnlichen Äußerlichkeit" sah sich die* Kirche des 14. Jahrhunderts 
genötigt, den Gläubigen, die besonders seit dem raschen Wachstum der Städte 
in leidenschaftlicher Unbändigkeit überschäumten und einen unerschöpflichen 
Hang zu fröhlichem Saus und Braus, derbe Festeslust und rohe Ausschweifung 
an den Tag legten, eine gemalte Predigt vor Augen zu stellen. Als Lübke 
dieses scharfe Urteil über die Kirche des 14. Jahrhunderts fällte, war er der 
Meinung, daß die Totentänze von Como, Klein-Basel, Paris und Minden noch 
dem genannten Zeitraum angehörten; sie sind von ihm aber sämtlich falsch 
datiert. Auch hat er die eigentliche Idee unserer Darstellungen nicht erfaßt, 
wenn er in ihnen ein Memento mori schlechthin sieht. Der Totentanz will, 
wie sich gerade aus dem Berliner Text ganz deutlich ergibt, nicht einfach 
sagen, daß alle Menschen sterben müssen und daß vor dem Tod alle Menschen 
gleich seien, sondern er will die Todeskandidaten vor dem 
schnellen und unvorhergesehenen Tode warnen. Darum ist die 
demokratische Gesinnung, die Lübke in unsern Bildern ausgedrückt findet, 
eine Erfindung von ihm, die andere gedankenlos nachschrieben. 

Diese Ideen werden zum Teil wörtlich herübergenommen von Welt- 
mann^ in seiner Einleitung zu Holbeins Totentanz, nur daß das komische 
Element in der mittelalterlichen Kunst überhaupt schärfer betont wird. 



^ Das hat auch Sehn aase, Zur Geschichte geteilten Sprüche aus der Wolfenbüttler Hand- 

der Tod ten tanze (Mitteilungen der k. k. Central- schrift. 

Commission zur Erforschung der Baudenkmale ' Der Todtentanz in der Marienkirche zu 

VI, Wien 1861, 221—223) örkannt. Berlin, Leipzig 1862. 

' Vgl. Die Totentanzsprtiche von S c h r ö e r * Holbein und seine Zeit. Des Künstlers 

(Germania XII 284 ff) und die oben mit- Familie, Leben und Schaffen ^ Leipzig 1874. 



74 ^* ^^^ Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

Wackernagels Anschauungen übernimmt alsdann Bahn^ in der Einleitung 
zu den Totentänzen der Schweiz. Wessely^ lehnt es ab, die Totentänze 
mit den großen Sterben des 14. Jahrhunderts in Beziehung zu bringen. Die 
Begründung, die er dafür vorbringt, ist allerdings hinfällig: der Klein-Basler 
Totentanz sei schon aus dem Jahre 1312, also vor dem Eintreten der großen 
Seuchen. Überdies „weiß" Wessely, daß es schon im frühen Mittelalter 
Zeremonien gab, bei denen der Tod als Akteur auftrat und seine Rolle hatte. 

.Es waren teils mimische Vorstellungen oder Ballette, bei denen eine Person den Sprecher, 
den Erklärer machte, teils Prozessionen, durch welche stets wechselnde Bilder an den Zu- 
schauern vorübergeführt wurden.* ' Wie unsicher es aber mit dem „Wissen* Wessely s 
bestellt ist, ersieht man daraus, daß er noch behauptet, eine solche Pantomime habe im Jabre 
1424 in der Minoritenkirche zu Paris stattgefunden. Es ist aber nach Wessely noch wahr- 
scheinlicher, daß beide, die theatralischen wie die bildlich dargestellten Totentänze in einem 
und demselben gemeinschaftlichen Boden, dem Worte des Dichters und Predigers, 
wurzeln. Dahin gehörten die Verse des Thibaud deMarly, des Walter de Mapes, 
des Barthel Regenbogen und die Expektorationen populärer Prediger, welche die 
hier ausgesprochenen Gedanken: «Vom Papst bis zum Bettler, vom Greis bis zum Säugling, 
alles verfällt dem' Tode*, per enumerationem partium unter das Volk brachten *, „Wie bildeten 
sich nun die alten ,Ghorea6' oder Prozessionen zu einem Tanze aus?'' Zufällig sei ein Maler 
auf die Idee verfallen, den Toten gestalten ein Musikinstrument in den Mund zu geben. 
, Hatte man dem Tod einmal ein Instrument gegeben, so ergab sich der Tanz von selbst.* ^ 

Diese Erklärung ist aber darum hinfallig, weil in den französischen 
monumentalen Totentänzen, von denen die Untersuchung doch stets aus- 
zugehen hat, der Tod niemals ein Musikinstrument hat. Die tanzende Be- 
wegung ist also das Frühere und führte erst in den Miniaturen und den 
deutschen Totentänzen zur Beigabe der Musikinstrumente. 

Auch W. Bäumker® ist in seiner populären und rein kompilatorischen 
Darstellung von Wackernagel abhängig, gibt aber eine gute Übersicht der 
gesamten Materie. Dasselbe gilt auch von Th. Prüfer'', der 1883 den 
Berliner Totentanz (Bild 17) in guten farbigen Lithographien herausgab und 
eine wertvolle chronologisch geordnete Zusammenstellung aller ihm bekannten 
Totentänze damit verband. Auch nach ihm ist es über jeden Zweifel erhaben, 
daß die Totentanzbilder aus dem Drama herausgewachsen sind. 

Das Tanzmotiv erklärt er daraus, daß man das „Tanzen als Heilmittel nicht nur gegen 
den Schmerz über den Tod eines Freundes und Verwandten, sondern auch gegen schwere 
Krankheit ganz allgemein im Mittelalter anwandte.*^ Allein wenn dem so ist, so begreift 
man nicht, warum in unsem Bilderzyklen gerade der Tod den Tanzreigen eröffnet, während 
die Lebenden nur gezwungen sich zum Tanze führen lassen. 

Weitaus die selbständigste Untersuchung über unsem Gegenstand aus 
neuerer Zeit hat W. Seelmann in seiner Abhandlung „Die Totentänze des 
Mittelalters " geliefert ^. 

Vom Lübecker Totentanz aus dem Jahre 1463 ausgehend, weist Seelmann nach, daß der 
alte niederdeutsche Text und wahrscheinlich auch die Bilder in der Marienkirche zu Lübeck 
(Tafel VII a) auf ein niederländisches Vorbild zurückgehen ; nach den Niederlanden kamen Text 
und Bilder aber aus Frankreich, wo der Totentanz schon im 1^ Jahrhundert verbreitet war. 



^ Geschichte der bildenden Künste in der ^ Der TodienlHB in der Marienkirche zu 

Schweiz, Zürich 1876, 650 ff. Berlin und Gesohicfali und Idee der Todten- 

' Die Gestalten des Todes und des Teufels tanzbilder überhaupt. Mit 4 Blatt farbiger 

in der darstellenden Kunst, Leipzig 1876. Lithographien, Berlin 188S. 

3 Ebd. 34. * Ebd. ä6. » Ebd. 37—38. « Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche 

* Der Todtentanz: FrankfuHer zeitgemäße SprachÜBBBokiug XVII (1891), Norden und 

Broschüren, Neue Folge II, Nr 6, Frank- Leipzig 1892, 1—80. 
fürt a. M. 1881. 



1. Die bisherigen Anschauungen über die Entatebnng des Totentanzes. 



Bild 17. Totentanz in der Marienkirche eu Berlin. 

,Id ttmtliclien hochdeotschen und rcanzSsischen Texten iet das Zwiegesprftch i 
Uemcliea and Tod derartig geataltet. daß der Tod eine ganze Strophe zu dem von ihm ano 
Tanz aafgsfordarten Menschen spricht. Dieser antwortet in der folgenden Strophe. Danuf 
w«B4«t sieh in einer neuen Strophe der Tod zu dem Nächstfolgenden, der dann wieder, wie 
sein Vorginger, In einer Strophe antwortet. . . , Im Ltibecker Totentanz von 1463 richtet der 
Tod, nachdem er sieben Verae zu irgend einer Person geredet bat, im acbten Verau der- 
aolba« Stnplie die Auffordemng an die nächstfolgende Person, znm Tanze anzutreten. Diese 
redet dann in eioei' achtzeiligen Strophe den Tod an, worauf dieser in den ersten sieben 
VerMU der nSchsten Strophe erwidert, um dann wieder die aehto Zeile an die folgende Person 
zn richten.* ' Diese EigentQmlicbkeit. daS der Tod, der mit den verschiedenen meuschlidien 
Wesen spricht, immer ein und derselbe ist, findet sich, wie Seelmann glaubt, nur noch in 
dem altapanischen Danza general de la niuerte aus dem An&ng des 15. Jahrhunderts, 
der aber auch seiuerseit« eine Übersetzung oder Bearbeitung des nümUckeD ^tfranzüsiachen 
Originals des 14. Jahrhunderts iat, aus dem such der Lübecker Text etiHmt. Daraus ergibt 
sich fftr Seeloiaim folgendes wichtige Resultat*; 

.Des Bild kann nicht daa Ursprüngliche, das FrUhere gewesen sein. Wire der älteste 
Text als Erläuterung zu einem vorhandenen Bilde, welches den menschlichen Figuren im 
Tanzreigen je einen besondern Tod als Tanzpertner gab, verfaßt worden, so b&tte der Dichter 
naoh Art der jüngeren Totentänze jeden Tod einzig und allein zu seinem Tanzer sprechen 
leisen kOnnen. Auch wUrde ein Maler, der unabhängig von einem Text ein ßem&lde entwirft, 
den Entwurf in Einklang mit der Besonderheit seiner Enust gesetzt haben. Der Dichter 
kann zeitlich aufeinander folgende Vorgänge schildern, der Haler ist auf die bildliche Wieder- 
gabe dessen beschrankt, was das Auge in demselben Moment erscfaanen kann. Den Tanz in 
seinem Verlaufe, also wie der Tod nacheinander die verschiedenen Menschen auffordert, in 
demselben Gemälde bildlich darzustellen, war unmöglich. Ein Maler hatte nicht an einen 
Qeaamtreigen gedacht, sondern in einzelnen Gruppenbildern den Tanz veranschaulicht, 

Ea muß also das Werk des Dichter», der Text, das Ursprüngliche gewesen und zu 
ihm, tu seiner Eriftuterung oder Veranschaulichung, das Bild hinzugefugt sein. , . . Der Maler 
ergtifC den Ausweg, den Tod so oft zu malen, als er das Wort ergreift, und die sämtlichen 
Tode und Menschen zu einem G«Bamtreigen zu vereinigen." 



76 ^* ^ci* Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

Auch die Frage, welcher Dichtungsgattung der von ihm erschlossene 
altfranzösische Totentanztext ursprünglich angehört habe, weiß Seelmann zu 
beantworten : aus der eigentümlichen Dialogform, daß der Tod in der nämlichen 
Strophe zuerst die vor ihm stehende Person anspricht und sich dann im letzten 
Vers an die nachfolgende wendet, ergebe sich, daß die alte Totentanzdichtung 
ein Drama war. Dabei gibt er allerdings zu, daß diese Schlußfolgerung noch 
durch andere Gründe zu stützen sei. 

Obgleich es hiemach scheinen könnte, daß Seelmann der angeblichen 
dramatischen Form im Lübecker Totentanztext nur nebensächliche Bedeutung 
beimesse, ist sie doch der eigentliche Ausgangspunkt seiner ganzen Beweis- 
führung. Sie trübt sein Auge und verleitet ihn zu einer Reihe von Irrtümern. 
Weil er, von Wackernagel beeinflußt, mit der vorgefaßten Meinung an seine 
Aufgabe herantritt, daß der Totentanz ursprünglich ein Drama gewesen sei, 
greift er auch sofort aus der großen Zahl von Monumenten und Texten, die 
ihm alle wohl bekannt sind, den niederdeutschen in Lübeck heraus und be- 
hauptet von ihm ohne allen Beweis, daß er die altertümlichste Form von 
allen erhaltenen Totentänzen darbiete. Er tut dies, obwohl weder vom Text 
noch von den Bildern die Originale mehr vorhanden sind. Seelmann hat das 
richtige Empfinden, daß man von den ältesten Formen auszugehen habe, 
wenn man das Wesen des Totentanzes ergründen will; aber man versteht 
nicht, wie er achtlos an dem vierzeiligen Text vorbeigehen konnte, den schon 
Massmann als Erzeugnis des 14. Jahrhunderts nachgewiesen hat. Aber freilich, 
Reste vom ursprünglichen Drama stecken in ihm nicht, darum muß ihn Seel- 
mann beiseite lassen. Wäre er von ihm ausgegangen, so hätte er sich vor 
einem andern Irrtum bewahrt, der für seine Untersuchung so verhängnisvoll 
geworden ist und der darin besteht, daß er glaubt, jeder menschlichen Figur 
sei jedesmal der nämliche personifizierte Tod beigegeben. „Blicken wir 
auf die Totentanzgemälde, so finden wir nicht einen Tod, sondern eine große 
Anzahl Figuren, welche den Tod darstellen. Jeder menschlichen Figur ist 
ihr eigener, besonderer Tod beigegeben und häufig dem ganzen Reigen noch 
außerdem ein oder einige Tode als Pfeifer oder Vortänzer. 

In dem Texte, welchen der lübisch-revalische Totentanz und die Danza 
general bieten, ist dagegen der Tod, welcher mit den verschiedenen mensch- 
lichen Wesen redet, immer ein und derselbe. Denn wenn z. B. der Tod in 
den ersten Zeilen der Strophen dem Papst antwortet und in der Schlußzeile 
derselben Strophe den Kaiser auffordert, zum Tanz anzutreten, und dann, 
als dieser Einwendungen erhebt, sie in derselben neuen Strophe widerlegt, 
in welcher er sich schließlich zur Kaiserin wendet, so kann hierbei doch immer 
nur derselbe Tod als redend gedacht sein^. 

Die Gemälde zeigen also viele Tode, die Dichtung kennt nur einen 
einzigen Tod. 

Es liegt hier ein Widerspruch zwischen Bild und Text vor. . . .* 2 

Aus dem Text des vierzeiligen oberdeutschen Totentanzes ^ in den Hand- 
schriften und Blockbüchern hätte Seelmann entnehmen können, daß die Todes- 
figuren im Gemälde nicht der personifizierte Tod sein wollen, sondern Tote; 



* Es ist aber nicht allein die eigentümliche ^ Seelmann a. a. 0. 11. 

Dialogform, die erkennen läßt, daß der per- ^ Daß Seelmann diesem so wenig Beachtung 

sonifizierte Tod spricht ; auch der Inhalt läßt schenkte , ist fQr seine Untersuchung sehr 

dies deutlich erkennen. nachteilig geworden. 



1. Die bisherigen Anschauungen über die Entstehung des Totentanzes. 



77 



denn sie werden als des Todes Gesellen, Knechte, als wilde Wölfe usw. 
bezeichnet. Fehse, auf dessen Untersuchung wir weiter unten noch zu sprechen 
kommen, hat unwidersprechlich nachgewiesen, daß in diesem alten Text der 
Tod als Personifikation niemals auftritt. Wohl ist dies aber in den 15 Zusatz- 
strophen im monumentalen Elein-Basler Totentanz der Fall, die sich schon 
durch ihre Sprache als spätere Erfindung kennzeichnen. Man hat also um 
die Mitte des 15. Jahrhunderts den Totentanz in seiner Eigenart nicht mehr 
erkannt und im Text ihn aus einem Tanz Lebender mit Toten zu einem 
Todestanz umgestaltet. 

Übrigens hätte Seelmann auch aus den französischen Denkmälern ersehen 
können, daß die Gemälde nicht viele Tode, sondern viele Tote geben wollen. 
Ich will auf den umstand, daß in der Grande dance macabre dem Reigen 
vier Tote mit Musikinstrumenten vorausgehen, die doch unmöglich den einen 
personifizierten Tod darstellen können, kein besonderes Gewicht legen, weil 
das eine spätere Entwicklung des französischen Totentanzes ist. In dem 
Totentanz zu Eermaria, dem ältesten Denkmal Frankreichs dieser Art, das 
in seiner ursprünglichen Form erhalten ist, macht der Maler den schwierigen 
Versuch, die Toten zu individualisieren, indem er ihnen phantastische Tierköpfe 
aufsetzt. Die Totenfigur zwischen Wucherer und Mönch trägt ferner Frauen- 
kleidung ^. Das gleiche gilt von den Totengestalten inLaChaise-Dieu, wo 
der Maler, um es ganz deutlich auszudrücken, daß nicht der Tod, sondern ver- 
schiedene Tote die Lebenden zum Sterben abholen, die Gestalt, die den Ritter 
anfaßt, mit weiblichen Brüsten ausstattet; andern gibt er affenartige Köpfe ^. 

Wenn also Seelmann einen Widerspruch zwischen Text und Bild kon- 
statiert, so ist dieser zuzugeben; aber. ich leugne, daß er daher kommt, daß 
das Gemälde ein bildlich fixiertes Drama sei. Wenn der Maler es unter- 
nommen hätte, das geistliche Schauspiel vom Totentanz darzustellen, wo der 
eine Tod die verschiedenen Lebenden abholt, so hätte er vernünftigerweise 
sein Bild nur so gestalten müssen, daß die ganze Prozession der Lebenden 
dem einen Tod entgegenschritte. Diese Form zeigt auch das Totentanz- 
gemälde in Pisogne^. 

Wenn Seelmann recht hätte, so wären alle Totentanztexte, in denen der 
Tod zu jedem Lebenden eine besondere Strophe spricht, spätere Adaptierungen 
des Schauspieltextes an das Bild, und alle ursprünglichen Totentanztexte hätten 
die dramatische Form des lübeckischen und der Danza general aufgewiesen. 
Es läßt sich aber positiv zeigen, daß gerade das Umgekehrte der Fall ist. 
Der französische Text tritt uns in der ältesten Überlieferung entgegen einmal 
in den sechs Strophen, die sich in Kermaria erhalten haben, und dann in der 
bald nach 1425 verfertigten englischen Übersetzung des Mönches Lydegate. 
In beiden Fällen spricht der Tod zu jedem Lebenden eine besondere Strophe. 
Erst in der Druckausgabe vom Jahre 1485 wird in drei Strophen versucht, 
die sog. dramatische Form einzuführen. 



^ Vgl. Soleil, Les Heures gothiques 283. 

' Es ist das Verdienst von G o e 1 1 e , Hol- 
beins Totentanz und seine Vorbilder, Straß- 
burg 1897, 36 ff, auf diese Eigentümlichkeiten 
hingewiesen zu haben. 

' Abgebildet bei Vallardi, Trionfo e Danza 
della morte o Danza macabra a Clusone. 
Dogma della morte a Pisogne, Tafel V u. VI ; 
auch V i g o , Le Danze macabre etc. 80 gibt 



eine Skizze. Das Fresko besteht aus zwei 
Teilen ; auf dem ersten empfängt der gekrönte 
Tod, mit Pfeil und Bogen bewaffnet, die geist- 
lichen und weltlichen Würdenträger sowie 
eine Gesellschaft von bürgerlichen Männern 
und Frauen, die alle Geld und Kostbarkeiten 
bei sich tragen. Auf dem zweiten Bild führt 
Christus die Auserwählten dem bew^affneten 
Tod entgegen. 



« 



78 ^' ^^^ Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

Man begreift übrigens leicht, wie um die Mitte des 15. Jahrhunderts ein 
französischer Bearbeiter des Textes auf den Gedanken verfiel, den Tod in 
derselben Strophe seinen Vorder- und Hintermann ansprechen zu lassen. Er 
wurde dazu durch das Reigenbild veranlaßt, in dem der Tod beide zugleich 
anfaßt. 

Der Gegensatz zwischen Text und Bild ist ferner in den Denkmälern, 
die Seelmann seiner Untersuchung zu Grunde legt, in noch viel weiterem 
Umfang vorhanden, als er ahnt: im Bilde handeln verschiedene Tote, die 
fast überall, auch in deutschen Monumenten, als besondere Individuen zu 
erkennen sind; im Texte aber spricht der eine personifizierte Tod. Diese 
Toten können aber unmöglich aus dem Schauspiel, wie Seelmann es sich denkt, 
stammen; denn hier spricht stets der nämliche Tod. 

Der Gegensatz zwischen Text und Bild muß also anders erklärt werden. 

Die Totentanzgemälde sind ihrem Inhalte nach zum monumentalen Schmuck 
von Eirchhofsmauern, Gottesackerkapellen und Beinhäusern bestimmt und auch 
ohne Text verständlich. 

Die 60—80 Strophen des Textes von je acht Zeilen, die ja ein kleines 
Buch ausfüllen, können in einer Zeit, wo die Kunst des Lesens noch so wenig 
verbreitet war, unmöglich ursprünglich als Unterschriften zu monumentalen 
Bildern gedacht gewesen sein. Der natürliche Platz so umfangreicher Texte 
ist das Papier oder das Pergament. Sie sind erst entstanden, als man 
anfing, die Totentanzszenen auch in Handschriften zu übertragen. Aus ihnen 
wanderten alsdann die bald volkstümlich gewordenen Strophen auch unter 
die monumentalen Bilder, für die sie ursprünglich nicht verfaßt waren. 
Dieser Sachverhalt läßt sich für Klein -Basel noch genau verfolgen, wo 
man die Strophen des vierzeiligen oberdeutschen Textes der Handschriften 
verwendete. 

Die Texte sind also das spätere Element in der Totentanzidee; alle 
sind mit Ausnahme des vierzeiligen oberdeutschen Textes mit den 24 Paaren 
erst in einer Zeit entstanden, da man den ursprünglichen Sinn der Gemälde 
nicht mehr verstand und glaubte, die Totenfiguren, die den einzelnen Lebenden 
beigegeben sind, seien immer der nämliche personifizierte Tod. Daher rührt 
der Gegensatz zwischen Text und Bild. 

In Deutschland läßt sich diese Entwicklung noch deutlich verfolgen ; denn 
während im Text des vierzeiligen oberdeutschen Totentanzes, wie er in den 
bekannten Münchener und Heidelberger Handschriften und Blockbüchern über- 
liefert ist, die Toten deutlich als Individuen reden, ist in den 15 Zusatz- 
strophen, um die der Maler des Klein-Basler Totentanzes den Zyklus vermehrt, 
überall aus den Toten der Tod geworden. Gefördert wurde diese Entwicklung 
durch das Bestreben, den Inhalt immer mehr predigtartig zu gestalten. In 
Frankreich, wo schon im 13. Jahrhundert bei Baudouin de Cond^ die Sprüche 
der Toten an die Lebenden aszetisch gefärbt sind, hat diese Entwicklung 
früher eingesetzt, und es fehlen uns hier die Zwischenstufen. Reste haben 
sich in den Überschriften der Dance macabre erhalten, wo die Strophen der 
ursprünglichen Toten stets mit „Le mort" eingeführt werden, während man 
die Empfindung hat, daß la Mort spricht. 

Seelmann hat selber empfunden, daß seine Hypothese von dem Vor- 
handensein eines französischen Totentanzdramas noch durch urkundliche Zeug- 
nisse gestützt werden müsse. Diejenigen, die er anführt, sind recht eigenartig 
und aus später Zeit. 



1. Die bisherigen AnschauaDgen über die Entstehung des Totentanzes. 



79 



Was für ein Spiel es war, das sich Herzog Philipp der Gute an seinem 
Hof zu Brügge im Jahre 1449 aufführen ließ, lä^t sich aus folgendem 
Rechnungsausweis nicht mehr erkennen: 

A IJicaise de Cambray, painctre, demourant en la ville de Douay, pour 
lui aidier ä defTroyer au mois de septembre Tan 1449, de la ville de Bruges, 
quant il a joue devant mondit seigneur, en son hostel, avec ses autres com- 
paignons, certain jeu, histoire et moralite sur le fait de la dance macabre 
. . . Vlil francs K 

Ein geistliches Schauspiel in der Art, wie Seelmann uns das Totentanz- 
drama schildert, hat der lebenslustige Herzog sich von dem Maler Nicasius 
aus Cambray gewiß nicht vorspielen lassen. Übrigens scheint der Rechnungs- 
schreiber selber nicht recht gewußt zu haben, wie er das Spiel bezeichnen soll. 

Nicht viel deutlicher ist eine ähnliche Notiz aus einer Handschrift aus 
Besannen, die in Du Ganges Glossarium s. v. Machabaeorum chorea Aufnahme 
fand und vielfach kommentiert wurde: 

Sexcallus solvat D. loanni Caleti, matriculario S. loannis, quatuor simasias 
vini per dictum matricularium exhibitas illis, qui choream Machabaeorum 
fecerunt 10. lulii (1453) nuper lapsa hora missae in ecclesia s. loannis 
Evangelistae, propter capitulum provinciale fratrum minorum. Der Seneschall 
wird hier beauftragt, dem Sakristan der Johanniskirche die vier Simasien 
(= 24 Maß) Wein zu vergüten, welche dieser, als am 10. Juli 1453 bei 
Gelegenheit des Provinzialkapitels der Franziskaner nach der Messe der 
Makkabäertanz aufgeführt wurde, den Darstellern desselben gegeben hatte. 

Wenn die Franziskaner von Besangen den Ordensprovinzialen ein geist- 
liches Schauspiel, wie Seelmann es sich vorstellt, aufführten, so geschah dies 
doch gewiß durch die Mitglieder ihres Konventes. Diese zu verköstigen war 
aber nicht die Aufgabe des Sakristans der Johanniskirche ; es können darum 
jene, »qui choream Machabaeorum fecerunt", nur Handwerker gewesen sein, 
etwa Maler, wie beim Spiel in Brügge, welche die Zurüstung zum „tableau 
vivant" trafen. Über die Art des Spiels ist aus beiden Urkunden nichts zu 
entnehmen. Das Spiel in Brügge denke ich mir als eine Moralität in der 
Art des englischen Stückes: „The pride of life", wo der Tod den König des 
Lebens besiegt; der Rechnungsschreiber nannte es: jeu . . . sur le fait de la 
danse macabre, weil darin der Tod wie in der eigentlichen Dance macabre 
sprechend auftrat 2. 

Was das Spiel von dem Provinzialkapitel der Franziskaner angeht, so 
wirft vielleicht der 10. Juli, an dem es aufgeführt wurde, einiges Licht auf 
die „Chorea Machabaeorum". An diesem Tage feiert die Kirche von alters 
her das Fest der sieben Söhne der hl. Felicitas, von denen einer nach 
dem andern zur Hinrichtung abgeführt wurde 8. Vielleicht hat man diese 
Legende, die in ihrem Inhalt und in ihrer literarischen Darstellung große 



* Mitgeteilt von De Laborde, Les ducs 
de Bourgogne. Etudes sur les lettres, les 
arts et Tindustrie pendant le 15^'"*^ siecle et 
plus particulierement dans les Pays-Bas II, 
1, 393. 

' Dafür spricht die merkwürdige Sieges- 
feier, die der Herzog von Bedfort nach dem 
Siege von Yerneuil beging: seine Soldaten 
schritten in feierlicher Prozession, aus deren 



Mitte ein Skelett hervorragt, das auf dem 
Haupt eine Königskrone und in der Hand 
einen Zepter trug, durch die Stadt. Die Pro- 
zession nannte man Dance macabre ou 
infernale. Vgl. P eignet, Recherches 
sur les danses des morts XXXV. 

' Vgl. Künstle, Hagiographische Studien 
über die Passio Felicitatis cum VII filiis, 
Paderborn 1894. 



80 



y. Der Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 



Ähnlichkeit mit dem Martyrium der makkabäischen Brüder aufweist, in Form 
eines lebenden Bildes aufgeführt. Die Aufführung mußte, wenn sie nach 
dem Wortlaut der Legende vor sich ging, jeden Beschauer an die 
Gemälde der Dance macabre erinnern, denn in der Legende wie in dem 
Gemälde werden eine Reihe von Männern in verschiedenen Altersstufen zum 
Tode geführt. Es lagen darum dem Schreiber der Zahlungsanweisung die 
Begriffe „Dance macabre*' und „Maccabaei'' nahe, und ersteres, da er sich 
des lateinischen Idioms zu bedienen hatte, mit „Chorea Machabaeoriim" zu 
übersetzen, zumal man auch in Frankreich das Wort „macabre* im 15. Jahr- 
hundert nicht mehr verstand und in der mannigfaltigsten Weise variierte ^ 

Doch w^ie dem auch sei, das ist jedenfalls gewiß, daß man weder in 
Deutschland noch in Frankreich oder sonst irgendwo einen Totentanztext 
nachweisen kann, der jemals als geistliches Schauspiel verwendet worden 
wäre, wie wir denn auch aus keinem Land und aus keiner Zeit ein urkund- 
liches Zeugnis dafür besitzen, daß man einen Totentanz als geistliches Schau- 
spiel aufgeführt habe, wie Seelmann es beschreibt^. 

Daß seine Theorie falsch ist, ergibt sich auch daraus, daß er aus ihr das 
Reigen- und Tanzmotiv nicht zu erklären vermag, und doch sind das gerade 
wesentliche Eigenschaften des älteren Totentanzes. Wenn wir somit Seel- 
mann auch in dem Kernpunkt seiner Untersuchung widersprechen müssen, 
so sei doch ausdrücklich anerkannt, daß er in seinem kurzen Aufsatze durch 
gewissenhafte Behandlung aller wichtigen Monumente und durch sorgsame 
Zusammenstellung der Literatur sich um die Geschichte der Totentänze viel 
größere Verdienste erworben hat als die meisten seiner Vorgänger, waren 
sie auch Verfasser von dickleibigen Bänden, wie Langlois, Kastner etc. 

Ganz von den Anschauungen Seelmanns beherrscht ist Alexander 
Goette^ der, obwohl weder Historiker noch Kunstkritiker, unserem Problem 



* Vgl. Seelmann, Die Totentänze des 
Mittelalters 24 ff. 

« Ebd. 17 : Auf die Bühne tritt der Tod . . . 
und ruft zuerst den Papst . . . Indem der Papst 
hinter einer Türe verschwindet, fordert der 
Tod den Kaiser, Kardinal . . . auf. Die Vor- 
stellung selbst geschah unter musikalischer 
Begleitung. — Als Beispiele für wirkliche 
Totentanzaufführungen lindet man oft jenen 
merkwürdigen Karnevalszug angeführt, den 
der Maler Piero di Cosimo (1441 — 1521) 
wahrscheinlich im Jahre 1511 in Florenz ver- 
anstaltete : Auf einem groBen, von schwarzen 
Büffeln gezogeneu Wagen stand der Tod mit 
seiner Sense ; umgeben von zugedeckten 
Gräbern. Von Zeit zu Zeit hielt der Wagen 
still, die Gräber öffneten sich, Tote erhoben 
sich daraus und sangen ein Lied, welches 
begann : 

Dolor, pianto e penitenza 
Ci tormenta tutta via; 
Questa morta compagnia 
Ya gridando penitenza. 
Fummo gia come voi siete, 
Yoi saretc come noi. 



Ist das ein Totentanz ? Nein ; wir haben hier 
vielmehr eine dramatische Darstellung der 
Legende der drei Lebenden und der drei 
Toten in italienischer Umgestaltung (vgl. 
R. Köhler, Kleinere Schriften II 30 ff). — 
Ferner behauptet man, daß man in Spanien 
zur Zeit des Cervantes den Totentanz auf- 
geführt habe, und beruft sich dabei auf Don 
Quichotte 4, 11, wo der Ritter von der 
traurigen Gestalt einem Schanspielerkarren 
begegnet und mit den Insassen ein Gespräch 
anknüpft. Wir sind, so sagt der Wortführer, 
die Schauspieler der Gesellschaft des bösen 
Engels; wir haben diesen Morgen, an der 
Oktav des Fronleichnamsfestes, die Tragödie 
von den Ständen des Todes aufgeführt. Dieser 
junge Mann stellt den Tod dar, jener einen 
Engel. Die Frau des Verfassers unseres 
Stückes ist die Königin; dieser hier ist der 
Kaiser, jener ein Soldat, und ich bin der 
Teufel. — Hier liegt eine der Moralitäten vor, 
in denen der Tod wie in dem englischen 
Stück „The pride of life* eine Rolle spielt, aber 
nicht ein Totentanz im Sinne unserer Bilder. 
* Holbeins Totentanz und seine Vorbilder. 
Mit 95 Abbildungen im Text, 2 Beilagen uud 
2 Tafeln. Straßburg 1897. 



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1 der Marienkirclio 



I, Drei Lsbonde and dte! Tr' 



1. Die bisherigen Anschauungen über die Entstehung des Totentanzes. gl 

ein schön ausgestattetes Buch widmet. Sein eigentlicher Vorwurf sind zwar 
nur die Totentanzzeichnungen Holbeins, aber sein eifriges Bemühen, diese 
aus den älteren Totentanzgemälden zu erklären, führt ihn zu einer Reihe 
neuer Beobachtungen, die für die Beurteilung des Totentanzproblems von 
Wichtigkeit sind. So hat er klar erkannt und nachgewiesen, was Seelmann 
ganz entging, daß nicht der personifizierte Tod, sondern verschiedene Tote 
die Lebenden zum Sterben abholen. Auch hat er im Gegensatz zu seinem 
Vorgänger den vierzeiligen oberdeutschen Totentanz nach Gebühr gewürdigt. 
Wohlgelungen ist auch der auf Grund der Bildervergleichung geführte Nach- 
weis, daß der Groß-Basler Totentanz später entstanden ist als der Klein- 
Basler; daß letzterer aber aus einem oberdeutschen Drama herausgewachsen 
sei, das sich schon im 14. Jahrhundert von seinem französischen Vorbild 
emanzipiert habe, ist eine ganz grundlose Behauptung. 

Die Hypothese Seelmanns, daß die Totentanzgemälde aus einem geist- 
lichen Schauspiel herausgewachsen seien, hat Goette ganz gefangen genommen; 
sie ist ihm zur unumstößlichen Wahrheit geworden, die keines Beweises mehr 
bedarf. Es kümmert ihn als richtigen Dilettanten auf dem Gebiete der 
historischen Forschung nicht im mindesten, daß die Geschichte von einem 
solchen Drama nichts weiß. Er sieht überall Spuren vom Schauspiel, spricht 
auf jeder Seite von ihm und führt einen wahren Hexensabbat mit ihm vor 
dem Leser auf. Der Standpunkt Goettes ist um so unhaltbarer, als er deutlich 
erkannt hat, daß die Totenfiguren der Gemälde nicht der personifizierte Tod, 
sondern Tote sind, während Seelmann auf seine verfehlte Hypothese gerade 
durch diesen Irrtum geführt wurde. 

Die Erklärung des Tanzmotivs findet Goette darin, daß bei Aufführung 
des Dramas von der Geistlichkeit musiziert wurde. Der Straßburger Zoologe 
scheint sich die Geistlichen des 15. Jahrhunderts in der Art von gewissen 
Sektenpredigern in Amerika oder von „Offizieren'' der Heilsarmee vorzustellen, 
die ja auch zur Musik und Poesie ihre Zuflucht nehmen, um Zuhörer in ihre 
Bethäuser zu locken. 

Obwohl Kraus ^ den Aufsatz von Seelmann nicht kennt, so ist es auch 
ihm nicht zweifelhaft, daß der Totentanz ein ins Bild übersetztes Spiel ist, wie 
ein solches 1424 auf dem Kirchhof von Saints-Innocents zu Paris aufgeführt wurde. 
Dabei übersieht aber Kraus, daß die Worte im Journal d'un bourgeois 
de Paris sous Charles VH^: „L'an 1424 fut faicte la dance macabre 
aux Innocents et fut commencde environ le moys d'aoust et achev^e au 
karesme en suivant**, sich, wie schon Fiorillo und Peignot gezeigt haben, gar 
nicht auf ein Spiel, sondern auf ein Gemälde beziehen. Nach Kraus hatte 
man auf dem Kirchhof von Saints-Innocents vom Monat August bis in die 
Fastenzeit den Makkabäertanz aufgeführt, denn Dance macabre ist ihm 
identisch mit Chorea Maccabaeorum. Ich wende mich hier nur gegen das Phantom 
des Makkabäertanzes. Diejenigen, die davon reden, gehen gewöhnlich von 
dem Irrtum aus, daß die Innocents, nach denen die Kirche der Dominikaner 
in Paris benannt ist, die Makkabäischen Märtyrer seien. Innocents sind 
aber nach kirchlichem Sprachgebrauch stets nur jene unschuldigen Kinder, 
die Herodes ermorden ließ. Wenn Kraus zum Schluß noch bemerkt, daß man 
als ersten Keim des Totentanzes die Legende der drei reitenden Könige, denen 



' Geschiebte der christlichen Kunst II 1, ' Journal d'un bourgeois de Paris 1405 äl449y 

448 if. publ. par A 1. Tuetey , Paris 1881, 203 u. 234. 

KQnstle, Drei Lebende und drei Tote. 6 



82 



Y. Der Totentanz und die Legende der drei Lebenden nnd der drei Toten. 



drei Totengerippe begegnen, zu betrachten habe, so kann er damit keinen 
Eindruck machen; denn entweder sind die Totentänze aus dem Makkabäer- 
spiel oder aus der erwähnten Legende entstanden, jedenfalls nicht aus beiden 
zugleich 1. 

Auch Alois Brandl'^ ist, auf Seelmann sich berufend, der Ansicht, daii 
der Urtotentanz aller Wahrscheinlichkeit nach ein französisches Drama aus 
dem dritten Viertel des 14. Jahrhunderts gewesen sei, das in Form einer 
Umdichtung in der Danza general de la muerte und in dem lübisch-revalschen 
Gemäldetext vorliege. Ja er glaubt in der von ihm edierten englischen 
Moralität des 15. Jahrhunderts „The Pride of Life" einen dritten „Sprossen* 
des Urtotentanzes gefunden zu haben, indem er darauf aufmerksam macht, 
daß die Reden des Königs, der Königin und des Bischofs inhaltlich auch in 
dem spanischen und lübisch-revalschen Text wiederkehren. Allein mit dem 
gleichen Recht kann man alle die verschiedenen Fassungen der Legende der 
drei Lebenden und der drei Toten als „Sprossen** des dramatischen Urtoten- 
tanzes bezeichnen. „The Pride of Life" ist nur fragmentarisch erhalten, aber 
aus dem Prolog ersieht man, dalä der Tod in dem Stück auftrat und den 
König des Lebens besiegte; von einem Totentanz ist jedoch keine Rede. 

Nur der Vollständigkeit wegen erwähne ich Otto Wasers^ Abhandlung 
über den Fährmann der Unterwelt, worin er auch zu unserem Problem Stellung 
nehmen zu müssen glaubt. Nachdem der höfische Minnegesang und die höfische 
Epik verstummt, so führt er aus*, als die Städte im Reich zu Ansehen und 
Macht gelangt waren und der Bürgerstand an Selbstbewußtsein und Selb- 
ständigkeit zugenommen hatte, da war auch der Boden bereitet für allegorische 
Schildereien, wie sie uns im Totentanz entgegentreten; da wird uns in einer 
Reihe von Gruppen unter dem vorherrschenden Bilde des Tanzes die Allgewalt 
des Todes über das Menschenleben veranschaulicht in ironisch-humoristischer 
Weise. . . . Mit kühnem, auch bitterem Humor sucht sich das aufstrebende 
Bürger- und Volkstum zu trösten über die Ungleichheit des Geschickes auf 
dieser Erde und darzutun, wie hoch und niedrig, Papst und Bischof, Kaiser 
und König, Bauer und Kaufmann tanzen müssen mit dem unerbittlichen Tod. . . . 
Unverständlich ist bei dieser Auffassung von der Entstehung der Totentänze, 
die übrigens auf Lübke zurückgeht, wie das Volk und das Bürgertum gerade 
in der Zeit, wo es sich machtvoll über seine früheren Bedrücker erhoben 
hatte, das Bedürfnis empfunden haben sollte, sich über die Ungleichheit des 
Geschickes auf dieser Erde zu trösten. 

Recht dankenswert ist schon wegen der Beigabe vieler und guter Ab- 
bildungen der Aufsatz- von W. L. Schreiber in der „Zeitschrift für Bücher- 
freunde" °. Zwar möchte man es auf den ersten Blick für überflüssig halten, 
daß die bekanntesten Totentanzbilder dem Leser hier nochmals vorgeführt 
werden, aber der Verfasser macht doch einige vorzügliche Beobachtungen, 
die vielleicht geeignet sind, das Totentanzproblem seiner Lösung näher zu 



* Ähnlich urteilt auch Kupka, Zur Genesis 
der Totentänze 17. 

2 Quellen des weltlichen Dramas in Eng- 
land vor Shakespeare: Quellen und Forschungen 
zur Sprach- und Kulturgeschichte der ger- 
manischen Völker, herausgegeben von Alois 
Ijrandl, Krnst Martin, Krich Schmidt, 
LXXX, Straßburg 1898, 16 ff. 



' Charon, Cbarun, Charos. Mythologisch- 
archäologische Monographie, Berlin 1898. 
Vgl. auch C. Hesseling, Charos: Ein Bei- 
trag zur Kenntnis des neugriechischen Volks- 
glaubens (Leiden u. Leipzig 1897), der die 
Hypothesen Seelnianns als sichere Wahrheiten 
übernimmt. * A. a. a. 0. 55 ff. 

^ II. Jahrgang 1898/99, 291 ff u. 821 ff. 



1. Die bisherigen AnschauuDgen über die Entstehung des Totentanzes. gg 

bringen. So verdient er ganz gewiß Zustimmung, wenn er behauptet, daß 
wir die Dance macabre von der Kirehhofsmauer von Saints-Innocents zu Paris 
vom Jahre 1424 nicht mehr besitzen, und daß man in den Holzschnitten des 
Guyot Marchant von 1485 keine eigentliche Kopie derselben sehen dürfe, 
wie man bisher annahm. Im großen und ganzen hat sich der Zeichner der 
Holzschnitte gewiß an die monumentale Vorlage gehalten, aber in Gewandung 
und Haltung sind seine Figuren durchaus Erzeugnisse der fortgeschrittenen 
Kunst aus dem Ende des 15. Jahrhunderts. Aus dem Umstände, daß die 
Übersetzung, die der englische Mönch Lydgate bald nach 1425 von dem 
monumentalen Totentanztext genannter Kirchhofsmauer machte, im wesentlichen 
mit jenem auf den Holzschnitten übereinstimmt, darf nicht auf die Identität 
beider Bilderserien geschlossen werden, weil Frankreich überhaupt nur einen 
Totentanztext kennt. 

Ich wundere mich, daß Schreiber den Totentanz von Kermaria in die 
Zeit zwischen 1450 und 1460 verlegt \ So naiv und schlicht hat man in Frank- 
reich um diese Zeit nicht mehr gemalt, und schon die Architektur, von der 
die einzelnen Gestalten eingefaßt sind, verbietet, an die spätgotische Periode 
zu denken. Es ist ferner zu beachten, daß derjenige Teil der Kirche, in 
welchem der Totentanz sich befindet, aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts 
stammt. Ich will nun nicht als sicher hinstellen, daß die Gemälde zur ur- 
sprünglichen Ausstattung der Kirche gehören, aber über das 14. Jahrhundert 
dürfen sie in keinem Falle herabgerückt werden. Unter sieben Szenen sind 
noch die alten Verse zu lesen, die nämlichen, die auch auf der Kirchhofsmauer 
von Saints-Innocents standen und uns auf den Holzschnitten des Guyot Marchant 
überliefert sind. Damit wird die zuversichtliche Behauptung Schreibers 2, der 
französische Totentanztext sei erst im Jahre 1424 gelegentlich der Herstellung 
der Dance macabre in Saints-Innocents entstanden, hinfällig. 

Wenn es auch unrichtig ist, wie Schreiber glaubt, daß der Zeichner des 
Heidelberger Blockbuchs (Cod. palatin. 438) von dem Maler des Klingentaler 
Totentanzes abhängig ist, so hat er doch die hohe Bedeutung der oberdeutschen 
Totentanzhandschriften mit ihren 24 Paaren für die Geschichte unseres Problems 
richtig erkannt. Sehr wichtig ist ferner die Beobachtung, daß im Münchener 
Blockbuch (Cod. xylogr. monac. 39) nicht der personifizierte Tod, sondern 
tote Menschen die Lebenden abrufen; aber er hätte hinzufügen dürfen, daß 
das im oberdeutschen vierzeiligen Totentanztext mit 24 Paaren überhaupt 
der Fall ist. 

So sehr mich die Gründe überzeugen, die Schreiber gegen die Hypothese 
Seelmanns anführt, der Totentanz sei aus einem französischen Drama ent- 
standen, so wenig kann ich den Grundsatz für allgemein richtig erkennen, 
den er für die Altersbestimmung der Totentänze überhaupt aufstellt: je weniger 
moralische Tendenzen und theologische Anschauungen sich in einem Text 
geltend machen, desto älter ist er. Damit kann man vielleicht die deutschen 
Totentänze datieren ; aber es ist nicht gestattet, den französischen Text, weil 
er mit aszetischen Ermahnungen und theologischen Motiven ganz durchsetzt 
ist, nur für einen Ableger der schon entarteten Totentanzidee in Deutschland 
im Sinne der 15 Zusatzfiguren des Klingentaler Gemäldes zu sehen. Schreiber 



* Diese Datierung rührt von V. Dufour (Le von Kermaria bedarf dringend einer neuen 
Cimetiöre des Saints-Innocents et le quartier Untersuchung: auch die vorhandenen Kopien 
des Halles, Paris 1878) her. Der Totentanz sind mangelhaft. ' A. a. 0. 340. 

6* 



84 



Y. Der Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 



sagt das zwar nicht ausdrücklich, aber er deutet diesen Gedanken doch an, 
wenn er seine Untersuchung schließt: «So glaubeich denn für meine Ansicht, 
daß der Totentanzgedanke deutscher Geistesrichtung entsprossen ist und nicht 
durch ein französisches Drama, sondern durch ein deutsches Lied seine Ver- 
breitung über Europa gefunden hat, ausreichende Beweise erbracht zu haben." ^ 

Ich kann in dieser Auffassung nur eine Hypothese sehen, zu deren An- 
nahme ich mich um so schwerer zu entschließen vermag, als es ja bekannt 
ist, daß im 13. und 14. Jahrhundert sowohl auf dem Gebiete der Literatur 
wie auf dem der Kunst der deutschen Kultur in tausend Kanälen franzosisches 
Gedankengut zufloß. 

Mit Schreibers Darlegungen berührt sich in manchen Stücken die tief 
eindringende Untersuchung von W. Fehse^. Nachdem er zunächst die Mei- 
nung von Seelmann, der Totentanz sei aus einem französischen Drama ent- 
standen, mit so durchschlagenden Gründen zurückgewiesen hat, daß man in 
Zukunft diese Hypothese füglich außer Betracht lassen kann, behandelt er 
ausführlich den vierzeiligen oberdeutschen Totentanz, wie er in Cgm 270 (M^) 
und .2927 (M^), in dem Münchener Blockbuch Nr 89 (M^), in den Codices 
palatin. 314 (H^ und 438 (H^, Blockbuch) und endlich in Ms. germ. fol. 
Berolin. 19 vorliegt ^. Fehse geht hier zwar Wege, auf denen schon vor ihm 
Massmann, Goette, Schreiber gewandelt sind, aber er faßt das Problem viel 
scharfsinniger als seine Vorgänger an. Er zeigt zunächst, daß es sich in 
diesen Handschriften und Blockbüchern im Gegensatz zu den meisten andern 
Texten um einen Tanz Lebender mit Toten, nicht mit dem Tod handle 
und daß immer von einem Reigen die Rede ist, obwohl die Bilder einen 
solchen nicht darstellen. In Basel ist aus dem Tanz der Toten in den Hand- 
schriften und Blockbüchern ein Tanz des Todes geworden. Das zeigt sich 
ganz deutlich an den 15 jüngeren Zusatzstrophen in Basel, wo ohne Ausnahme 
der personifizierte Tod von den Lebenden angesprochen wird. Daraus ergibt 
sich, wie Fehse richtig schließt, daß der Tanz der Toten in den Handschriften 
und Blockbüchern die ältere Form ist, und er beweist dies auch für den Text 
philologisch genau aus den Varianten, die auf eine Vorlage des 14. Jahr- 
hunderts hinweisen. Es muß um diese Zeit in Oberdeutschland einen monu- 
mentalen Totentanz gegeben haben, zu dem dieser Text, der die Reigenform 
zur Voraussetzung hat, gehörte. Fehse glaubt, daß die Auflösung in einzelne 
Paare in den Blockbüchern durch die Übertragung in die Buchform bedingt 
war. Das ist möglich. Aber ich gebe doch zu bedenken, daß, so gut die 
französischen Zeichner am Ende des 15. Jahrhunderts die Reigenform auf die 
Folien der Handschriften und Drucke übertragen konnten, es auch die deutschen 
vermocht hätten. Wenn sie den Reigen in einzelne Paare auflösten, so geschah 
es vielleicht auch aus andern Gründen: man versuchte die öde Reihe der 
Lebenden und Toten in künstlerische Gebilde umzuschaffen. 



' Sclireiber,Ztschr.f.BücherfreundelI342. 

* Der Ursprung der Totentänze. Mit einem 
Anhang: Der vierzeilige oberdeutsche Toten- 
tanztext. Codex palatin 314 B. (Beilage zum 
Osterprogramm 1907 des Kgl. Viktoria Gym- 
nasiums zu Burg b. M., Halle 1907). 

* Auf Grund dieser Handschriften und 
Drucke ediert Fehse (Zeitschrift für deutsche 
Philologie XL, Leipzig 1908, 67 ff) zum 



erstenmal den vierzeiligen oberdeutschen 
Totentanztext in brauchbarer Gestalt. Dabei 
zeigt er, daß Cod. H', der nur die Strophen 
der Lebenden enthält, die ursprünglichste 
Form des oberdeutschen Totentanztextes bietet. 
Dieser ist aber, wie überzeugend 
nachgewiesen wird, die oft unse- 
Übersetzung der beige- 
lügten lateinischen Stropyhen. 



1. Die bisherigen ÄDscbauungen über die Entstehung des Totentanzes. 85 

Schon Schreiber hat die Wahrnehmung gemacht, daß die 15 Zusatz* 
Strophen in Basel voll moralischer Tendenzen und theologischer Erwägungen 
sind; Fehse hebt diese Tatsache noch deutlicher hervor, warnt aber davor, 
die Texte lediglich nach dem Mehr oder Weniger solcher Ideen chronologisch 
zu ordnen. Trotzdem verfallt er in den Fehler, den er bei Schreiber rügt, 
wenn er den französischen Text, der einen Tanz des Todes zur Voraussetzung 
hat und predigtartig gestaltet ist, gerade wegen dieser beiden Eigenschaften 
für jünger hält als den Text des vierzeiligen oberdeutschen Totentanzes mit 
24 Paaren. In Frankreich sind die Gespräche der Lebenden und Toten schon 
im 13. Jahrhundert ganz mit religiösen Motiven durchsetzt, wie die Legende 
der drei Lebenden und der drei Toten des Baudouin de Gond6 zeigt ^; in 
Deutschland dagegen bewegen sich diese, wie man aus dem oben mitgeteilten 
Text aus einem Wolfenbüttler Manuskript ersehen kann, in allgemein mensch- 
lichen Motiven und Klagen ohne allen religiösen Einschlag. Wenn nun in 
Deutschland im 15. Jahrhundert zu den 24 Urstrophen 18 neue hinzutreten, 
die predigtartig gehalten sind wie die französischen, und wenn sie mit diesen 
ferner noch darin übereinstimmen, daß sie einen Tanz des Todes zur Voraus- 
setzung haben, so schließe ich daraus, daß sie in Nachahmung des französischen 
Textes gedichtet sind. 

Fehse hat wohl den Beweis erbracht, daß der oberdeutsche Text mit 
24 Paaren die älteste Urkunde eines Totentanzes in Deutschland ist; dafür 
aber, daß er der älteste Totentanz überhaupt ist, ist er den Beweis schuldig 
geblieben. Er hat ganz übersehen, daß in beiden Ländern sich die Totentanzidee 
aus einer gemeinsamen Wurzel selbständig entwickelt haben kann. In Frank- 
reich wurde aus ihr frühzeitig ein Tanz des Todes, und die Reden und Gegen- 
reden werden kleine Predigten; in Deutschland dagegen hat sich der Totentanz 
als das, was er ursprünglich war, bis ins 15. Jahrhundert erhalten: ein Tanz der 
Toten mit Lebenden ; die Gespräche zwischen beiden vermeiden alles Moralisieren. 

Während Schreiber die allen Kulturvölkern im 14. und 15. Jahrhundert 
geläufige Idee vom Totentanz aus einem deutschen Lied entstehen läßt, 
ist nach Fehse das erste Totentanzbild aus der deutschen Volksauffassung ^ 
vom Reigen der Toten heraus geboren. Dabei hat er aber vergessen, uns zu 
erklären, wie dieses ursprünglich echt deutsche Gebilde seine größte Ver- 
breitung gerade in Frankreich finden konnte, und uns zu sagen, wie es kommt, 
daß ganz Niederdeutschland und England seine Totentänze ebendaher erhielt. 

Eine so internationale Erscheinung, wie sie der Totentanz im 15. Jahr- 
hundert ist, kann nicht aus einem Lied oder der Auffassung einer einzelnen 
Nation herausgewachsen sein. Es muß nach einem Motiv gesucht werden, 
das durch die Theologie der katholischen Kirche, dem einzigen internationalen 
Kanal des früheren Mittelalters, seine Verbreitung gefunden hat. Dieses 
Motiv muß keimartig den Totentanz in sich enthalten, so daß eine ähnliche, 
wenn auch nicht identische Entwicklung in den verschiedenen Ländern möglich 
war. Daß dieses Motiv die Legende der drei Lebenden und der drei Toten ist, 
hat P. Kupka^ richtig erkannt; aber statt der Legende in ihrer literarischen 



^ Vgl. Montaiglon, L'Alphabet de la ' Über mittelalterliche Totentänze. Unter- 

mort de Hans Holbein fol. 18. suchungen über ihre Entstehung und ihre 

s Fehse spricht zwar allgemein von ger- Verwandtschaftsverhältnisse. Stendal 1905. 

manischer Volksanf Fassung; aber aus dem Ich muß darauf hinweisen, daß ich diese 

Zusammenhang ergibt sich, daß er germanisch Anschauung schon im Jahre 1904 im Histor. 

im Sinne von „deutsch* versteht. Verein zu Freiburg i. Br. vorgetragen habe. 



86 



Y. Der Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 



und monumentalen Verbreitung gründlich nachzugehen, verschwendet er seinen 
Fleiß darauf, den Nachweis zu versuchen, daß das rätselhafte Wort »macabre" 
von dem Eremiten Makarius stamme, der nach Vasari auf dem bekannten 
Bilde zu Pisa im Namen der Toten zu den Lebenden spricht. Eupka hat, 
weil er die Legende in ihren mannigfachen Fassungen zu wenig kennt, über- 
sehen, daß der Eremit nichts anderes ist, als ein literarisches Auskunftsmittel, 
eine Art Notbehelf, überall da, wo die Lebenden den Toten in ihren Särgen 
liegend entgegentreten. Es ist hier der „Doctor" oder der „Prediger", der 
im Namen der Toten spricht; eine bestimmte historische Persönlichkeit soll 
damit gar nicht gemeint sein. Wenn Vasari den Eremiten, der auch aus der 
genannten Fassung in die Monumente überging, Makarius nennt, so hat er 
allein diese Gestalt sp „getauft"; frühere Quellen wissen nichts von ihm. 
Aus diesem Grunde sind Douce, Langlois, Fortoul und Jubinal auch von der 
Idee, das Wort „macabre" aus dem Makarius des Vasari zu erklären, mit 
Recht abgestanden. Kupka tut zwar ein übriges und führt die Legende des 
Heiligen aus Rufinus' „De vitis patrum" an, ohne zu erkennen, daß sie mit 
der Legende der drei Lebenden und der drei Toten fast gar keine Berührungs- 
punkte hat^ 

Es kann Kupka, wie auch einigen andern, die sich neuerdings mehr 
gelegentlich über die Totentänze äußerten, der Vorwurf nicht erspart werden, 
daß sie Hypothesen einzelner Autoren, mit denen sie zufällig bekannt geworden 
sind, als sichere Wahrheiten verbreiten. So weiß Es eher 2 aus „verbürgten 
Nachrichten", daß in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts das Totentanz- 
drama aufgeführt wurde, und er kennt seinen äußeren Verlauf ebenso gut 
als K. Lorenz 3 und Camillo Morgan*; letzterer hat zudem noch, wie 
wir schon gehört haben, die interessante Entdeckung gemacht, daß die Toten- 
tänze mit dem „edlen Weidwerk** aufs innigste zusammenhängen, ja aus ihm 
entstanden seien. Escher ^ der im übrigen Wackernagelsche Ideen wieder- 
holt, weiß aus Eigenem die Entstehung des Tanzmotivs, das ja allen Forschern 
die große Schwierigkeit bereitet, ganz einfach zu erklären: der Tod tanze 
deswegen mit den Lebenden, weil er den Menschen diejenige Freude bereiten 
wolle, die ihnen im Leben die höchste war und deren sie selbst im Himmel 
wieder teilhaftig zu werden hofiften. Dabei hat Escher aber unterlassen, uns 



^ Kupka glaubte es seiner wisseuschaftlichen 
Ehre schuldig zu sein, einer unfreundlichen 
Rezension Bergners (Literarisches Zentralblatt 
1906, Nr 14) gegenüber «sich noch einmal mit 
den zeitraubenden, mühseligen und kostspie- 
ligen Untersuchungen über die Vorgeschichte 
der Tutentänze beschäftigen zu müssen*. So 
kam seine Broschüre „Zur Genesis der Toten- 
tänze* (Stendal 1907) zu stände, worin er einige 
Mängel seiner früheren Arbeit korrigiert. Er 
kennt jetzt 83 Darstellungen der Legende; aber 
aus seiner kunterbunten, skizzenhaften Auf- 
zählung folgt nichts für seine These, daß der 
Totentanz sich aus der Legende der drei Leben- 
den und der drei Toten entwickelt habe. Wie 
Kupka auch jetzt noch, nachdem er weiß, daß 
die »Vita Macarii* die Legende nicht kennt, 
behaupten mag, „demnach ist die Geschichte 
von den drei Toten und den drei Lebenden 



eine Makariuslegende, oder besser eine Visio 
Macarii*, ist mir unverständlich. Auch mit 
der Schwierigkeit, daß die ältesten — oder 
besser gesagt, kein einziger — Bearbeiter der 
Legende den Eremiten Makarius nicht kennen, 
findet sich Kupka leicht ab: ,Ibr erster Be- 
arbeiter Baudouin de Cond^ . . . fand den 
Stoff, aus dem der Name des Eremiten schon 
geschwunden ist, bereits vor* (a. a. 0. 13). 
Im zweiten Teil des Aufsatzes findet sich eine 
Reihe richtiger Beobachtungen. 

* Untersuchungen zur Geschichte der Wand- 
und Deckenmalerei in der Schweiz vom 9. 
bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts, Straß- 
burg 1906, 28 ff: Studien zur deutschen Kunst- 
geschichte 71. Heft. 

» Alte und Neue Welt XLI (1907) 190 ff. 

* Natur und Kultur V, München 1908, 219 ff. 

* A. a. 0. 28. 



1. Die bisherigen Anschauungen über die Entstehung des Totentanzes. 



87 



zu zeigen, daß die mittelalterliche Welt, besonders auch die Päpste und Bischöfe, 
im Tanz das größte irdische Glück sahen, und daß man das jenseitige Glück 
in ihm verkörpert glaubte. Es ist Escher entgangen, was auch der ober- 
flächlichste Beschauer doch sofort erkennen kann, daß die Lebenden stets 
nur gezwungen sich zu diesem furchtbaren Tanze engagieren lassen. 

Schlimmer ist, daß auch Rudolf Eautzsch eine irrtümliche Auffassung 
in weite Kreise der Gebildeten trägt . . . : „Den Anfang der Totentanzaufführungen 
haben wir uns derart zu denken, daß etwa ein Geistlicher die Macht des 
Todes über alle Stände, alle Alter schildert, während ein Darsteller als Tod 
eine Person um die andere, Papst, Kaiser, Bischof . . . unter allerlei Pantomimen 
vorüberführt. Aus solchen stummen Aufzügen entwickelten sich eigentliche 
Spiele. Jetzt bewegen sich die Figuren auf einer Bühne und sprechen selbst : 
der Tod ruft sein Opfer auf, dieses klagt beweglich, wird aber vom Tod 
gebührend abgefertigt ; dann folgt das nächste. In dieser Form ist der Toten- 
tanz seit Beginn des 15. Jahrhunderts nachweisbar. Den Zusammenhang mit 
der Predigtaufführung beweisen aber auch diese Spiele noch dadurch, daß zu 
Anfang ein Prediger Ermahnungen an die Zuschauer richtet. Sehr früh schon 
wurden solche Totentänze auch bildlich dargestellt. Aus dem 14. Jahrhundert 
haben wir Reste von Darstellungen der Art an Kirchen- und Kirchhofs- 
mauem. . . .* ^ 

Der Verfasser durfte es sich in dem populären Schriftchen gestatten, 
auf Quellenbelege zu verzichten, aber gerade in diesem Falle vermissen wir 
sie schmerzlich. Doch vielleicht haben wir hier einen jener Mängel vor uns, 
für die Kautzsch im Vorwort bescheiden um Verzeihung bittet 2. 



D. ITALIENISCHE AUTOREN ÜBER DEN TOTENTANZ. 

Wie in Frankreich sich mit der einzigen Ausnahme von La Chaise-Dieu 
nur im Norden des Landes, also in dem mit germanischen Elementen durch- 
setzten Gebiet, Totentanzgemälde nachweisen lassen, so besitzt auch Italien 
solche nur im Norden, wo sich auf allen Gebieten der Kultur deutscher 
Einfluß geltend macht ^. In vorzüglichen Abbildungen hat jene von Clusone 
und Pisogne Giuseppe Vallardi^ bekannt gemacht; leider muß dem bei- 
gegebenen Text dieses Prädikat versagt werden. Die Totentanzidee ist nach 
ihm aus traurigen politischen und religiösen Verhältnissen im Zeitalter des 



' R. Eautzsch, Die deutsche Illustration: 
Aus Natur und Geisteswelt XLIY, Leipzig 
1904. 92. 

' Ich nenne hier noch einige kleinere Werke: 
Berthier 0. Pr., La plus ancienne Danse 
macabre au Klingenthal. ä Bftle (Paris 1896), 
leistet sich in der Einleitung zu Bücheis 
Kopien mehr Irrtümer als Zeilen. Er weiß 
es genau, dtiß die Dominikaner in Klingental 
den Totentanz erfunden und 1312 gemalt 
haben ! — Das Schriftchen von 6 e o rg K e r n, 
Die Todtentänze zu Basel-Kienzheim-Luzern, 
(Straßburg 1900), ist wissenschaftlich wertlos. 
— Leider geht A. Dürrwächter in seiner 
sorgfältigen Untersuchung über den Füssener 
Totentanz (Jahrbuch des histor. Vereins für 
Schwaben und Neuburg 1899) auf das Toten- 



tanzproblem nicht ein. Dagegen schickt 
W. K r e i t e n S. J., Sceptra mortis (M.-Glad- 
bach 1891), der Erklärung des modernen Toten- 
tanzes in der Michaelskapelle zu Mergentheim 
eine geistreiche Einleitung voraus, worin er 
die Entstehung der Totentänze ähnlich wie 
Wackernagel erklärt. Den Totentanz von 
Bleibach (Baden) werde ich demnächst in der 
Zeitschrift „Schau-ins-Land* behandeln. 

* Siehe das Verzeichnis bei Seelmann, 
Die Totentänze des Mittelalters 60, wozu 
noch die Gemälde von Pinzolo und Rendena 
in Südtirol 2U rechnen sind (ebd. 52). 

* Trionfo e Danza della morte Danza 
macabra a Clusone. Dogma della morte a 
Pisogne nella provincia di Bergamo. Milano 
1859. 



88 ^* ^ci* ToteDtanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

Kampfes zwischen Papsttum und Kaisertum herausgewachsen, und die Unter- 
drückten suchten sich mit ihr gegen ihre Unterdrücker zu wehren. „E il 
sintomo delle grandi crisi; Testremo terrore cangiasün estrema allegranza!"^ ^ 
«Macabre'' kommt von dem ägyptischen Mönch Makarius, einem der Begründer 
der aszetischen Theologie, die gerade in der Zeit, wo das rätselhafte Wort 
zuerst auftaucht, durch die Schüler des hl. Franziskus zu neuer Blüte gelangte. 
Auch das Tanzmotiv weiß Vallardi zu erklären: Tanz ist wie der Gesang 
bei den Naturvölkern die natürliche Begleiterscheinung jeder Feierlichkeit; 
auch die Christen führten, wie Augustinus erzählt, an Festtagen Tänze auf. 
Um nun die Menschheit von dem sündhaften Treiben abzubringen, hätten 
diejenigen, die jegliche weltliche Lustbarkeit abschaffen wollten, die Toten- 
tänze erfunden, in denen der Tod als Symbol der Sünde und als Dämon des 
Heidentums auftritt 2. 

Das sind zwei ganz verschiedene Erklärungen, von denen zudem die 
letztere die erstere ausschließt. Hätte sich Vallardi den Totentanz von 
Clusone genauer betrachtet, so müßte ihm seine enge Verbindung mit der 
Legende der drei Lebenden und der drei Toten aufgefallen sein. 

Ersilia Caetani Lovatelli^ unterscheidet merkwürdigerweise zwischen 
Totentänzen (Dauses macabres) und Makkabäertanz ; letztern scheint sie be- 
sonders gut zu kennen. Nach ihr hat man begonnen, als die erste christliche 
Glaubensinbrunst nachgelassen, den Tod personifiziert darzustellen, und alsdann 
unter dem Eindruck des „schwarzen Todes'' die Totentänze ersonnen. Die 
gelehrte Römerin ist über die antike Todesmythologie entschieden besser unter- 
richtet als über die mittelalterlichen Totentänze; sie schöpft ihr Wissen aus 
Kastner und Peignot. 

Sehr ausführlich handelt Vigo* unter Mitteilung einer Reihe bisher un- 
bekannter Texte über die italienischen Totentänze^. So nannte man nach 
ihm die seltsamen Reigen von Lebenden und Toten, weil der Tod seine Opfer 
unter verdrehten und krampfhaften Bewegungen abführte. Den 
Ursprung weiß er nicht zu ergründen, aber den Zweck glaubt er erkannt zu 
haben: es sollte der verderbte Klerus des ausgehenden Mittelalters, der den 
wahren Glauben nicht mehr im Herzen trug und mehr für das irdische als 
das ewige Leben besorgt war, gegeißelt werden. Tadeln wollte man im 
Totentanz ferner die adeligen Herren, die auf ihren Schlössern in Üppigkeit 
hausend das gemeine Volk bedrückten®. Diese Auffassung möchte, wenn 
man erwägt, daß in überwiegender Zahl die Geistlichkeit und die vornehmen 
weltlichen Stände im Todesreigen vertreten sind, nicht ganz unbegründet 
erscheinen. Doch kommt es mir vor, als ob Vigo sich von dem mittelalter- 
lichen Volk eine falsche Vorstellung mache; dieses hat sich an den privi- 
legierten Ständen manchmal gerächt, aber nicht mit Bildern und Schaustücken, 
sondern mit Knütteln. 



^ Vallardi, Trionfo e Danza della morte ^ ,DaDze macabre in proprio aignifioato 

Danza macabra a Clusone 6. furono quelle rappresentazioni figurate e par- 

' £bd. 22. late, in cui personaggi di condizioni diiferenti, 

' Römische Essays. Autorisierte über- alti signori laici ed ecclesiastici, donne, arte- 

Setzung mit einem Vorwort von £. Petersen, fici, letterati, poeti, mendici, si veggono 

Leipzig 1891, 42 ff. afforrati dallo scarno braccio di uno scheletro 

* Le Danze macabre in Italia, 2. edizione che sta ad indicare )a Morte'' (p. 18). 

riveduta, Bergamo 1901. • Vigo a. a. 0. 22 ff. 



2. Die Lösung des Rätsels. 89 



2. DIE LÖSUNG DES RÄTSELS. 

Seit hundert Jahren bemüht man sich vergebens, die Entstehung der 
Totentänze zu erklären, denn keiner der vorgeführten Versuche kann, wie 
wir gesehen haben, allseitig befriedigen ; darum hat jeder neue Forscher, der 
auf den Plan trat, denn auch auf einem neuen Wege das Rätsel zu lösen 
versucht. 

Man hat es oft wiederholt und glaubt es bis heute, daß die Totentanz- 
bilder mit ihrem Text durch die großen Pestepidemien des 14. Jahrhunderts 
veranlaßt seien, und Wackernagel hat das psychologisch zu erklären versucht. 
Gewiß hat diese gewaltige Kalamität die Menschheit genötigt, sich mit den 
Gedanken, die unsern Bildern zu Grunde liegen, ernstlicher als sonst zu be- 
schäftigen. Aber ich begreife nicht, warum, wenn dem so ist, die Totentanz- 
texte niemals von „dem großen Sterben^ reden. Das müßte doch der Fall 
sein, wenn die Bilderzyklen, zu denen sie gehören, Votivbilder gegen die Pest 
sein sollten. Nicht auf das Sterben überhaupt wollen übrigens die Totentänze 
in Text und Bild hinweisen, sondern sie warnen auf jeder Entwicklungsstufe 
die Menschen vor dem plötzlichen und unvorbereiteten Tod, der 
für den gläubigen Christen das größte Unglück ist. 

Gewiß haben die mittelalterlichen Menschen zu Zeiten der Pest ihren 
Gedanken und Bitten auch in Bildern Ausdruck gegeben; aber waren dies 
Totentanzbilder? Ich verweise auf die Stiftskirche von St Goar a. Rh., die 
mit ihrem ungewöhnlich großen Reichtum an Wandgemälden geradezu ein 
Yotivheiligtum gegen die Pest genannt werden kann. Das Langhaus stammt 
aus den schlimmsten Pestzeiten : in seinen unteren Teilen gehört es der Mitte 
des 14. Jahrhunderts an, während der völlige Ausbau und die Einwölbung 
zwischen 1444 und 1469 erfolgte. Ausschlaggebend für die Intention, die 
man bei diesem Bau hatte, ist jedoch die Auswahl der Gemälde. Sofort beim 
Eingang fällt der Blick des Besuchers auf Christophorus, den Patron gegen 
einen unvorhergesehenen Tod. In einer Seitenkapelle thront der Weltenrichter 
mit Maria und Johannes dem Täufer über Wolken, aus denen ein Regen 
von Pfeilen auf die armen Erdenbewohner herniederfällt. Ausgehend von 
der Geheimen Offenbarung 16, 2, wo der Ausguß der ersten Zornesschale 
auf die Erde, die „ein verderbliches und sehr böses Geschwür an den 
Menschen" erzeugte, erzählt wird, schildert hier der Maler den Ausbruch 
der Pest. Gegen sie ruft der gläubige Christ die Fürbitte der Heiligen 
Johannes Eleemosynarius, Quirinus, Georg, Klara, Ursula, Vitus^, Antonius, 
Hieronymus, Martha, Gertrud, Katharina, Elisabeth^, Agatha und Bibiana 
an, die an den Seitenwänden des südlichen und nördlichen Seitenschififes dar- 
gestellt sind: 

Dieselben und ähnliche Patrone gegen Krankheiten und allerlei Heim- 
suchungen schmücken auch die Gewölbezwickel ; so im nördlichen Seitenschiff 
wiederum Georg mit dem überwundenen Drachen und Christophorus mit dem 
Jesuskind, alsdann Johannes Baptist und Sebastian, der klassische Pestpatron. 
Dessen Martyrium wird dann nochmals im letzten Joch des südlichen Neben- 
schiffs ausführlich geschildert. 



^ Unter diesem Bild ist die Szene einer ' Elisabeth wird in einer Inschrift um die 

Scheintotenbehandiung dargestellt. Heilung eines Cunradus angefleht. 



90 ^' ^cr Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

Daß diese Heiligenfiguren nicht zufallig, sondern mit Rücksicht auf schwere 
leibliche Not, wie sie die Pestzeiten brachten, ausgewählt sind, zeigen die 
Malereien im ersten Joche des nördlichen Nebenschififes. Man sieht hier zwei 
Gruppen von Männern und Frauen in der Ti*acht ihrer Zeit; die eine ist 
überschrieben: bruder und sustorn des heylige Geistes, die andere: 
bruder und sustern sant Joist. Sie knien vor Gott Vater, den Ge- 
kreuzigten haltend, über dem die Taube schwebt, und vor dem hl. Jodokus 
im Pilgergewande. 

Heimann, dem ich diese Notizen entnehme, schreibt mit Recht ^ : »Liegt 
es da nicht nahe, diesen Innenschmuck mit all den traurigen Ereignissen in 
Beziehung zu setzen, die den Bau begleiteten? Und die Auswahl der Bilder 
drängt darauf hin. Als die Schutzheiligen gegen die Pest und ansteckende 
Krankheiten erscheinen Sebastianus, Antonius Einsiedel, Jodokus, Georg und 
der Vorläufer des Herrn ; als solche gegen Fallsucht Vitus und Bibiana, gegen 
Verheerungen durch die Elemente und Mißwachs Agatha und Gertrud. Aus 
dem großen Reiche der Patrone der gottselig Sterbenden finden sich die 
Heiligen Katharina, Klara, Ursula; an mehreren Stellen tritt auch der Be- 
schützer vor jähem Tod, St Christophorus , uns entgegen. Die werktätige 
christliche Nächstenliebe, der die Zeiten allgemeiner Krankheiten stets ein 
großes Arbeitsfeld zuwiesen, stellt ebenfalls ihre Vertreter in den Heiligen 
Ludwig, Nikolaus, Martinus, Elisabeth und Martha. Von besonderer Bedeutung 
für die Zeit bleibt die Darstellung der beiden Bruderschaften von St Joist 
und dem Heiligen Geist, dem Patron der mittelalterlichen Spitäler." 

Ich kann auch nicht glauben, daß man in einer Zeit, wo der Tod auf 
Schritt und Tritt den Menschen vor Augen kam, die schaurigen Bilderserien, 
die im Text so oft zu satirischen und humoristischen Bemerkungen Anlaß 
geben, sollte erfunden haben, denn man malt ja bekanntlich den Teufel, 
den man fürchtet, nicht an die Wand. 

Aber auch die Möglichkeit zugegeben, daß die monumentalen Todes- 
mahnungen aus einer Gemütsverfassung herausgewachsen seien, die wir heute 
nicht mehr verstehen, so werden die Totentänze in ihrer Eigenart dadurch, 
daß man sie in Zusammenhang mit den großen Sterben des Mittelalters bringt, 
nicht erklärt. Man versteht es, daß man in dieser Zeit in Italien in sehr 
seriösen Bildern den Tod als den großen Triumphator darstellte, wie auf dem 
Campo Santo in Pisa, der mit unbezwinglicher Macht die Menschen haufen- 
weise dahinrafft, aber man begreift es nicht, daß man unter dem Eindruck 
der großen Epidemien sollte auf den Gedanken verfallen sein, die ver- 
schiedenen Vertreter der menschlichen Stände vom Kaiser bis zum Bettler 
durch je einen besondern Toten im Tanzreigen zum Sterben abholen 
zu lassen. 

Auch jene andere Behauptung, die sich durch einen großen Teil der 
Totentanzliteratur hindurchzieht, die Kirche oder einzelne Orden hätten Bild 
und Text erfunden, um das Volk, das sich dem kirchlichen Einfluß zu ent- 
ziehen suchte, zu schrecken und leichter bändigen zu können, wird der Eigenart 
der Totentänze nicht gerecht. Sie läßt, abgesehen davon, daß sie aus der 
Geschichte nicht zu erweisen ist, zwei Tatsachen unerklärt, einmal, daß gerade 
der Klerus die verhältnismäßig höchste Zahl von Lebenden zum Tanzreigen 
stellt, und dann, daß die Totentänze außer in Deutschland nur in Nord- 



Kölnische Volkszeitung 1908, Nr 168. 



2. Die Lösung des Rätsels. 91 

frankreich und Norditalien Eingang fanden. Es verdient darum der von 
Feh 8 6 ausgesprochene Gedanke, daß die tiefste Wurzel der Totentänze in 
einer germanischön Volksauf fassung zu suchen sei, vor allem beachtet 
zu werden. 

Nahe verwandt mit vorstehender Hypothese insofern, als auch sie uns 
in die Kreise des Klerus führt, ist die im Laufe der Zeit geradezu zum selbst- 
verständlichen Axiom gewordene Annahme, daß der Urtotentanz ein geistliches 
Schauspiel gewesen sei, das die Geistlichkeit in den Kirchen oder auf den 
Gottesäckern aufführte. Man hat die Idee vom Totentanz als Drama um so 
begieriger aufgenommen, als man darin endlich die Erklärung dafür gefunden 
zu haben glaubte, warum die Lebenden durch je eine besondere Todesfigur 
unter Musik und Tanz zum Sterben abgeführt wurden. Merkwürdigerweise 
kam diese Hypothese erst zu Fall, nachdem Seelmann sie scheinbar so geist- 
reich aus Bild und Text zu erweisen unternommen hatte. 

Seelmann war von dem Irrtum befangen, den er übrigens mit allen 
seinen Vorgängern teilt, daß der personifizierte Tod die Lebenden zum 
Tanzreigen führt. Aber solange man sich der Erkenntnis verschloß, daß 
jeweils verschiedene Tote den einzelnen Lebenden beigeordnet sind, war 
eine richtige Auffassung der Totentanzidee gänzlich unmöglich. Goette hat 
zuerst aus den Bildern und Fehse aus dem Text den richtigen Sachverhalt 
dargelegt ; beiden gebührt das Verdienst, den richtigen Weg zum Verständnis 
der Totentanzidee gezeigt zu haben. Wenn beide schließlich dennoch zu 
falschen Resultaten gelangten, so hat das bei Goette seinen Grund darin, daß 
die Fabel vom Totentanzdrama ihm die Augen verschloß, während Fehse sein 
ausschließliches Interesse dem vierzeiligen oberdeutschen Totentanz mit den 
24 Paaren zuwandte und den Text in den deutschen Handschriften und Block- 
büchern für die älteste Urkunde eines Totentanzes überhaupt hält. Ich gebe 
zu, daß dieser in das 14. Jahrhundert hinaufreicht, aber er ist den Bildern 
gegenüber doch sekundär und kann erst entstanden sein, nachdem man 
die monumentalen Bilder in Handschriften übertragen hatte. Das ist über- 
haupt ein Fehler, der sich durch die ganze Literatur über die Totentänze 
hinzieht, daß die französischen Forscher einseitig die französischen Monumente 
betonen und die deutschen jene ihrer Heimat einseitig in den Vordergrund 
stellen. Wer die Totentanzidee in ihrem Wesen erfassen will, muß von den 
ältesten und unveränderten Monumenten in Frankreich, Deutschland und 
Oberitalien ausgehen. Von französischen Totentänzen kommen nur jene von 
Kermaria und La Chaise-Dieu^ in Betracht, weil nur diese unverändert 
sich erhalten haben. Nur mit Vorsicht darf in diesem Zusammenhang die 
Dance macabre von Paris in der Buchausgabe des Guyot Marchant ver- 
wertet werden ; denn es ist unwahrscheinlich, daß sie eine getreue Kopie der 
Monumente von Saints-Tnnocents ist." In Deutschland sind selbstverständlich die 
Zeichnungen von Hol bei n und alle von ihm beeinflußten Zyklen von der 
Betrachtung auszuschließen, weil diese ja nicht Totentänze im eigentlichen 
Sinne, sondern Imagines mortis sind. Auch die Totentänze von Groß- 
und Klein-Basel müssen, eine so große Rolle sie in der deutschen Totentanz- 
forschung auch spielen, ausgeschieden werden, weil sie in der Form, in der 



' Die Bilder von La Chaise -Dieu haben Goette, Holbeins Totentanz und seine Vor- 
zwar eine spätere Überarbeitung erfahren, aber bilder 36 if. Daß sie noch dem 15. Jahrhundert 
sie betraf nur nebensächliche Partien; vgl. angehören, halte ich für unwahrscheinlich. 



92 



y. Der Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 



sie uns heute vorliegen, Überarbeitungen des 16. Jahrhunderts sind K Aus 
dem gleichen Grunde kann vom Lübecker Totentanz hier nicht die Rede sein. 
Dagegen hat man sein Augenmerk auf die Handschriften und Blockbücher 
in München und Heidelberg aus dem 15. Jahrhundert zu richten, die jedoch, 
wie sich aus dem Text ergibt, einen monumentalen Zyklus in Reigenform 
zur Voraussetzung haben, etwa in der Art des Totentanzes in der Marienkirche 
zu Berlin: ein ungemein wertvolles, weil niemals übermaltes Denkmal. 

Auch die Totentänze aus der Neuen Kirche in Straßburg i. E. und zu 
Metnitz in Kärnten (Tafel VII b) dürfen beigezogen werden, weil sie sich von 
jeder späteren Zutat freigehalten haben. 

Wie man im italienischen Sprachgebiet die Totentanzidee auffaßte, 
zeigen die Bilder von Pinzolo und Clusone. 

Alle übrigen Totentanzzyklen müssen, weil sie entweder zu jung oder 
zu schlecht erhalten sind oder aber nur in Kopien vorliegen, deren Treue 
nicht mehr festgestellt werden kann, hier, wo es sich darum handelt, ihre 
ursprüngliche Idee und ihre Entstehung zu ergründen, außer Betracht bleiben. 

Wenn wir diese Liste von Totentänzen überschauen, so ergibt sich zu- 
nächst , daß sie ursprünglich ausnahmslos als monumentaler Schmuck von 
Kirchhofsmauern oder Gottesackerkapellen in Betracht kamen. Die Bilder- 
serien hatten einen lehrhaften Zweck und waren auch ohne Unterschriften 
verständlich; sie sollten dem Betrachter sagen, daß es jedem Menschen, sei 
er Kaiser oder Bettler, begegnen kann, unvermutet von dieser Welt ab- 
gerufen zu werden. Die Texte, wie sie uns heute erhalten sind, zumal die 
langen achtzeiligen französischen Strophen, sind zu umfangreich, als 'daß sie 
ursprünglich für die monumentalen Bilder bestimmt sein konnten. Die 
Totentänze von Straßburg, La Chaise-Dieu, Pinzolo, Clusone waren textlos. 

Man hat also von den Bildern auszugehen, und zwar von demjenigen 
Zyklus, der die altertümlichste Form aufweist. Das ist aber ganz gewiß der 
Totentanz von Kermaria. 

Was wird nun dem Betrachter an diesem Zyklus zumeist auffallen? Daß 
die verschiedenen menschlichen Stände vom Papst und Kaiser bis zum Bauer 
und Kind vertreten sind, wird er verstehen ; aber wundern wird er sich, daß 
einem jeden Lebenden eine besondere Todesfigur beigegeben ist. Er wird 
diese eingeschrumpften, nackten Figuren mit Totenköpfen und bloßliegenden 
Rippen zuerst für den personifizierten Tod halten. Aber bei näherem Zusehen 
wird er sich überzeugen, daß der Maler nicht immer den nämlichen per- 
sonifizierten Tod, sondern verschiedene Tote geben wollte. Sollte für ihn 
daran noch ein Zweifel sein, so würde ihn der Text der oberdeutschen Hand- 
schriften aufs klarste von diesem Tatbestand überzeugen. Wenn er meines 
Erachtens auch jünger ist als die zugehörigen Bilder, so darf er doch als 
zuverlässiger Kommentar dafür angesehen werden, wie man die Bilder ur- 
sprünglich verstanden hat. 



' D. Burckhardt, der beste Kenner der 
Basler Kunst des 15. Jahrhunderts, sagt in 
seinen Studien zur Geschichte der altober- 
rbeinischen Maierei (Jahrbuch der kgl.-preuß. 
Kunstsammlungen XXVII 183): „Von alters 
her sind ja barbarische, wenn auch wohl- 
gemeinte , Restaurationen' das Los besonders 
wertgeschätzter Kunstwerke gewesen; man 



erinnere sich an das Geschick des Basler 
Totentanzes : ursprünglich im oberrheinischen 
Stil eines E. S. gemalt, wurde das Werk — 
der Totentanz — in der Renaissancezeit 
italienisiert und daraufhin im Geschmacke 
Stimmers verballhornt, so daß schließlich 
ein nndeünierbares, stilloses Zwitterding ver- 
blieb.-* 



2. Die Lösung des Rätsels. 93 

Femer wird ihm der geschlossene Reigen, der in Eermaria ganz besonders 
deutlich zum Ausdruck kommt, auffallen. Es ist aber zu beachten, daß diese 
Darstellungsform, in welcher jeder einzelne Tote sowohl seinen lebenden Vorder- 
ais Hintermann anfaßt, nicht wesentlich ist, denn sie fehlt in La Chaise-Dieu, 
Paris, Straßburg, in den oberdeutschen Handschriften und Metnitz. Das 
hastige Anfassen der Toten und ihr eiliges Herbeispringen in Eermaria, Berlin, 
La Chaise-Dieu macht eher den Eindruck eines feindseligen Angriffs als den 
des Versuches, die Lebenden zum Tanz zu zwingen. Doch gebe ich zu, daß 
die Zyklen in Kermaria und Berlin als Tanzreigen genommen werden können. 
Aber es ist wichtig, zu betonen, daß kein Toter in La Chaise-Dieu, Clusone, 
Pinzolo, Straßburg wirklich tanzt; auch trägt keiner ein Musikinstrument. 
Musik und Tanz sind Motive, die nur in den oberdeutschen Handschriften 
klar zum Ausdruck kommen. 

Daraus ergibt sich, daß zum Wesen der Totentanzbilder nur das gehört, 
daß die einzelnen Vertreter der menschlichen Stände durch je einen besondern 
Toten zum Sterben abgeholt werden. Daß dies in der Form einer feierlichen 
Prozession geschieht, liegt in der Natur der Sache. Die Frontstellung der 
Figuren rührt vielleicht nur von dem Unvermögen des Künstlers her, malerische 
Gruppen in richtiger Perspektive zu schaffen. 

In erster Linie verlangt also die überraschende Tatsache, daß nicht der 
personifizierte Tod, was jedermann verstehen würde, sondern bestimmte Tote 
die Lebenden zum Sterben abrufen und abholen, eine Erklärung. 

In der ganzen mittelalterlichen Vorstellungswelt läßt sich dazu nur eine 
einzige Parallelerscheinung namhaft machen: die Legende der drei 
Lebenden und der drei Toten. 

Schon öfters hat man diese mit dem Totentanz in Beziehung gebracht; 
es geschah immer aber nur oberflächlich und ohne ernstlichen Versuch, das 
Verhältnis beider zu einander klarzulegen. 

„Für uns ist die Legende von Wert, weil sie ein Momente mori enthält, 
das nicht von dem personifizierten Tod ausgeht, sondern von den Toten. Sie 
beweist uns, daß vor der Zeit der Totentänze in der Volksanschauung die 
Vorstellung lebendig ist, daß die Toten den Lebendigen erscheinen und sie 
an ihr Ende gemahnen. Diese Vorstellung ist für uns um so wichtiger, als 
eine ähnliche, in der der Tod die Rollen der Toten einnimmt (soll wohl 
heißen: in der die Toten die Rolle des Todes einnehmen), nicht nachweisbar ist."* 
SoFehse^ der sich im übrigen mit dieser Nebeneinanderstellung verwandter 
Motive begnügt. Ähnlich verfuhren Do uce, Ju bin al, Dufour, Kraus, die 
zwar die Entstehung der Totentanzbilder aus der Legende behaupteten, aber 
nicht bewiesen. Ernstlich versucht Kupka^ dies darzutun. Er geht von den 
Standesbezeichnungen aus, die sich die Toten in den von Montaiglon ver- 
öffentlichten Gedichten beilegen, und verweist auf die Worte des Eremiten: 

Or ne scet-on si ces trois autreffuis 
Ont estö da CS, barons, contes ou roys, 
Pappes, abb^s, cardinaulx ou cbanoines '. 

„Eine einfache Addition ergibt zehn Stände, nämlich fünf geistliche, den 
Papst, den Kardinal, den Bischof, Abt und den Domherrn. Diesen gegenüber 



* Der Ursprung der Totentänze 43. 'Montaiglon, L'Alphabet de la mort 

. « Über mittelalterliche Totentänze 27 ff und de Hans Holbein fol. dS'. 
Zur Genesis der Totentänze 15 ff. 



94 ^- ^cf Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

treten fünf weltliche, der König, der Herzog, der Graf, der Baron und der 
Notar. ... Es soll aus dieser gekünstelten Beobachtung natürlich nicht die 
törichte Behauptung abgeleitet werden, daß direkte Einflüsse dieser kon- 
struierten Reihen bei der Bildung der ihrem Wesen entsprechenden Merkmale 
der Totentanzidee lebendig gewesen wären. Es darf keineswegs verkannt 
werden, daß zwischen den Legenden- und Totentanzdarstellungen trotz aller 
Ähnlichkeit doch ein beträchtlichei* Unterschied besteht. Der legendarische 
Stoff variiert den Stand der Toten und läßt sie als Träger der irdischen 
Würden erscheinen. Die Dance macabre stellt die Toten ohne jedes weitere 
Attribut hin, der Stand haftet nur an den Lebenden. . . . 

„Um eine Dance macabre aus der Legende entstehen zu lassen, hatte die 
schafiende Phantasie nur nötig, unter Hinzufügung des Keigenmotives die 
Elemente, die ihr die Erzählung bot, zu variieren, zu multiplizieren und zu 
vertauschen. Eine derartige- Veränderung würde dem Stoff noch nicht so 
viel Gewalt antun, wie es ihm in der Weiterbildung seiner bildlichen 
Darstellung widerfährt, die aus den drei Sündern drei Heilige macht oder 
an die Stelle der drei toten Könige den Teufel und zwei pfeilbewaflfnete 
Gerippe setzt." ^ 

Merkwürdig! Die einzige richtige Beobachtung, die Kupka in seiner 
ganzen Abhandlung gemacht hat, daß nämlich die Legende von den drei 
Lebenden und den drei Toten, und nur sie. Keime und Ansätze enthält, 
aus denen sich der Totentanz entwickelt haben kann, wird von ihm selbst 
eine „gekünstelte Beobachtung* und eine „törichte Behauptung* genannt. 
Trotz dieser Selbstironisierung möchte ich an seiner Entdeckung, die ich 
übrigens schon im Jahre 1904 öflfentlich vorgetragen habe, entschieden fest- 
halten. Ich gehe aber nicht, wie er, von der literarischen, sondern, wie das 
auch ganz natürlich ist, da es sich beim Problem des Totentanzes in erster 
Linie um die Erklärung der Bilder handelt, von der bildlichen Über- 
lieferung der Legende aus, weil in ihr, wie im Totentanz, die Lebenden 
als Träger der menschlichen Würden und Stände erscheinen. 

Läßt sich nun aus den verschiedenen bildlichen Darstellungen der Legende 
noch ersehen, wie sich der Totentanz allmählich aus ihr entwickelt hat? 
Das muß doch der Fall sein, wenn meine Behauptung auf Wahrheit beruht. 

Die Legende nimmt in der Tat auf den Monumenten und in den Miniaturen 
eine sehr mannigfaltige Gestalt an; aber ich bemerke, daß die Variationen, 
die eine totentanzähnliche Form zeigen, alle erst aus späterer Zeit stammen. 
Kupka bemerkt: „Was die Vergleichung der Fassungen der Legende ergibt, 
ist die Gewißheit, daß ihr Stoflf Keime enthielt, die, in bestimmter Richtung 
fortgebildet, als Endglied ähnliche Ideen ergeben mußten, wie sie sich uns 
in dem Monumente der Dance macabre entgegenstellen, das Personen aller 
Stände vor den Toten auftreten läßt. Die Nebeneinanderstellung der Versionen 
des Dit ergibt aber noch die weitere wichtige Erkenntnis, daß diese Keime 
tatsächlich im Auswachsen begrilBfen waren." ^ 

Er hätte diesen Gedanken noch viel schärfer betonen können, wenn er 
sein Augenmerk mehr auf die monumentale Form der Legende gerichtet hätte, 
denn hier sind die Keime tatsächlich in der Richtung zum Totentanz hin im 
Auswachsen begriffen. Doch genügt diese allgemeine Bemerkung nicht; es 
müssen Zwischenglieder von Legende und Totentanz namhaft gemacht werden. 



Kupka, Über mittelalterliche Totentänze 28. * Ebd. 



2. Die Lösung des Rfitsels. 95 

Bekanntlich wird die Legende in der Regel so dargestellt, daß -von der 
einen Seite die Lebenden kommen und von der andern die Toten, während 
im Totentanz der erste Lebende neben dem ersten Toten, der zweite Lebende 
neben dem zweiten Toten usw. steht. In den Gesprächen ist aber stets der 
erste Lebende dem ersten Toten, der zweite Lebende dem zweiten Toten usw. 
zugeordnet. Es lag also nahe, die Legende auch so im Bilde darzustellen, 
zumal wenn ein Maler den Auftrag bekam, auf den durch Wandsäulen ab- 
geteilten schmalen Flächen eines Kreuzganges, die wir als die Heimat der 
Totentänze anzusehen haben, die Legende von den drei Lebenden und den 
drei Toten abzubilden. Es blieb ihm hier, wenn er anders die Beziehung der 
einzelnen Figuren zu einander deutlich zum Ausdruck bringen wollte, nichts 
anderes übrig, als in der ersten Arkade den ersten Toten mit dem ersten 
Lebenden, in der zweiten Arkade den zweiten Toten mit dem zweiten 
Lebenden usw. darzustellen. Da die Lebenden stets Vertreter verschiedener 
Stände waren: Kaiser, König, Herzog oder Papst, Kardinal, Bischof etc., 
so war damit der Anfang dessen gegeben, was man später Totentanz 
nannte. 

Da man aber begreiflicherweise die übrigen Arkaden nicht leer stehen 
lassen wollte, so war es nicht schwer, aus dem Stande des Klerus und der 
Laien neue Vertreter zu finden, und die Analogie forderte, auch ihnen je einen 
Toten zur Seite zu stellen. 

Man wird an mich jetzt das Verlangen stellen, einen solchen Totentanz 
in der Entwicklung aufzuweisen. Ich gestehe, daß ich diesem nicht strikte 
gentigen kann; aber die Schuld liegt nicht in der Schwäche der These, die 
ich verteidige, sondern in dem oft beklagten Mangel an Denkmälern aus 
der romanischen Kunstperiode; denn in diese Zeit fällt die eben geschilderte 
Entwicklung des Totentanzes aus der Legende. Der Kenner der frühmittel- 
alterlichen Kunstgeschichte wird aus dem Umstand, daß ich aus dem 11. bis 
13. Jahrhundert, also aus einer Zeit, aus der wir nur eine ganz geringe 
Zahl von monumentalen Wandgemälden besitzen, die einzelnen Entwicklungs- 
stufen nicht belegen kann, sich nicht ohne weiteres gegen meine Aufstellung 
einnehmen lassen, zumal wenn ich ihm zeigen kann, daß es solche Totentänze 
in der geschilderten Entwicklung tatsächlich gibt. Auf dem oben beschriebenen 
Pluviale aus Osnabrück sieht man auf dem einen Streifen dargestellt: den Papst 
und einen Toten, einen Kardinal und einen Toten und einen Bischof mit einem 
Toten; auf dem andern: Kaiser, König, Edelmann, jeden von einem Toten 
abgeführt. Auf der Kasel und dem Pluviale aus Mons sieht man abgebildet: 
Papst, Kardinal, Erzbischof, Bischof mit je einem Toten, und Kaiser, König, 
Herzog, Graf, Ritter, Edelmann mit je einem Toten. Das sind dieselben 
Würdenträger, die uns die ältesten Fassungen der Legende darbieten, nur 
mit dem Unterschied, daß der bildende Künstler die lebenden Personen 
individualisieren muß. Ich gebe zu, daß man diesem Zeugnis mit einem 
doppelten Einwand begegnen kann. Man kann sagen, daß diese Paramente 
aus zu später Zeit stammen, als daß sie für die Entwicklung von Kunst- 
vorstellungen des 13. oder 14. Jahrhunderts verwertet werden könnten. Aber 
ich erinnere daran, daß sich für Werke der Kleinkunst alte Vorlagen Jahr- 
hunderte hindurch erhalten haben. Man kann ferner einwenden, daß sich 
der Zeichner der Stickereivorlagen auf den beiden Pluvialen und dem Meß- 
gewande wegen Mangels an Raum auf die geringe Zahl von Totentanzfiguren 
beschränkt habe. Auch das kann ich nicht zugeben; bei dem kleinen Maß- 



96 V. Der TotentaDZ und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

Stab der Figuren hätte sich sehr wohl ein ganzer Totentanzzyklus anbringen 
lassen, zumal es ja an Raum für eine Reihe anderer Szenen nicht fehlte. 

Aber es gibt noch ältere Beispiele von der Entwicklung der Legende 
zum Totentanz hin. In der Münchener Handschrift Cgm 3974 wird dreimal 
je ein Toter einem Lebenden gegenübergestellt ^ und in Clm 14 053 wird ein 
König, ein Rechtsgelehrter und eine Königin je neben einen Toten gestellt^. 
Wichtig ist in beiden Fällen, daß der Zeichner darauf verzichtet, alle Lebenden 
von der einen und alle Toten von der andern Seite auftreten zu lassen, 
daß er vielmehr, wie im Totentanz, den ersten Lebenden neben den ersten 
Toten usw. stellt. 

Wichtig ist auch die oben mitgeteilte Illustration zur Legende aus einer 
Wolfenbüttler Handschrift, wo die Toten und die Lebenden untereinander neben 
dem Text, der ihnen in den Mund gelegt wird, angebracht sind, so daß sich 
die Reihenfolge ergibt : Toter, Greis mit Zepter, Toter, König, Toter, jugend- 
licher Fürst ^ 

Als älteste Darstellung der Legende hat sich uns das Wandgemälde in 
St Segolena in Metz ergeben mit der Reihenfolge: drei Lebende, drei Tote, 
drei Lebende und eine Kreuzigungsgruppe. Hat der Maler bei der zweiten 
Gruppe von Lebenden an solche Menschen gedacht, die die Macht des Todes 
schon an sich erfahren haben und jetzt durch die Gnade des Kreuzes der 
Seligkeit entgegengehen ? 

Ich habe oben schon auf die merkwürdige Vereinigung der Legende mit 
dem Totentanz in Clusone aufmerksam gemacht: im Giebelfeld stehen die 
drei Toten auf dem Rand eines aufgemauerten Massengrabes und wüten nicht 
bloß gegen die stereotypen drei Lebenden, sondern auch gegen eine große 
Zahl Vornehmer aus dem geistlichen und weltlichen Stand, die sich vergebens 
um Geld und Kostbarkeiten loszukaufen suchen. Darunter sieht man in feier- 
licher Prozession, je von einem Toten begleitet, zehn Männer in bürgerlicher 
Kleidung vorbeiziehen, während Frauen sich im Hintergrund anschließen. 
Das sind diejenigen, an denen der König Tod seine Macht schon ausgeübt 
hat, und er läßt sie jetzt durch seine Gehilfen abführen: Der Totentanz 
wächst aus der Legende heraus. 

Wenn das in der Tat der Fall ist, so müssen sich in den Totentanzbildern 
noch Spuren von der Legende aufdecken lassen. 

In der Dance macabre von Paris ist der letzte Lebende der Eremit ; auf 
ihn folgt ein toter König, am Boden liegend, und die Worte, die ihm in den 
Mund gelegt werden, stammen aus der Legende: 

Tel serez vous bons et pervers: 
Tous estres sont a vers donnes *. 

Selbst Goette und Seelmann müssen zugeben, daß diese beiden Figuren 
nicht aus dem Schauspiel stammen können, sondern ein Überrest aus jener 
Fassung der Legende sind, wo die Lebenden vor offenen Gräbern angelangen 
und der Eremit im Namen der Toten spricht. 

Auch in La Chaise-Dieu schließt die Reihe mit dem Eremiten, auf den 
drei Lebende folgen, ein Geistlicher, ein Laie und eine Frau: die drei Lebenden 
der Legende. 



» Vgl. oben S. 45 und Tafel 111 b. • Vgl. oben S. 38 u. 39 Bild 4—9. 

« Vgl, oben S. 46 und Bild 10—13. * Dufour, La Dance macabre 81. 



2. Die Lösung des Rätsels. 97 

Im Totentanzzyklus an der Vigiliuskirche zu Pinzolo ' in Südtirol wird 
der Reigen durch drei Skelette eröffnet: es sind die drei Toten der Legende. 
Auch der reitende Tote am Schluß stammt aus ihr^. 

Ebenso ist die Gruppe der vier musizierenden Toten zu Anfang der 
Orande dance macabre der Buchausgabe des Jahres 1486 ein Überbleibsel aus 
ihr; es sind vier, weil jede Arkade zwei Figuren verlangt. Die vier Strophen, 
die ihnen hier zugeteilt sind, decken sich mit den Reden der Toten in der 
Legende; sogar die Anrede mit „du*' ist beibehalten, obwohl sie sich nicht 
an bestimmte Personen wendet^. 

Goette sieht darin eine ungeschickte und geschmacklose Erweiterung der 
Dance macabre; besser gefallen ihm die zwei musizierenden Toten vor dem 
Beinhaus in Basel, die ja die Idee vom Totentanz als Schauspiel so deutlich 
zum Ausdruck bringen; sie sind aber nur die Toten der Legende. 
Da& dem so ist, ergibt sich ohne weiteres aus dem Berner Totentanz, wo 
den Toten des Beinhauses die Worte der Legende beigelegt werden: 

Hie liegend also unsere gebeyn. 
Zu uns her tantzend groß und kleyn. 
Die Ir jetz sind, die warend wir, 
Die wir jetz sind, die Verden ir. 

In Dresden hat der Verfertiger der Totentanzskulpturen darauf verzichtet, 
jeden Lebenden von einem besondem Toten begleiten zu lassen ; es steht ein 
solcher vielmehr nur am Anfang, in der Mitte und am Schluß. Sollte ihm 
dafür eine alte Vorlage als Muster gedient haben? Die drei Toten sind jene 
der Legende. 

Im sog. Dogma della morte in Pisogne ^ gestaltet der unbekannte Maler 
die Figurenreihe ähnlich : die eine Reihe der Lebenden, die nach links schreitet 
und von einem Bischof angeführt ist, wird von einem gekrönten Toten 
mit Pfeil und Bogen empfangen. Die andere mit Christus, Maria und den 
Aposteln an der Spitze hat ebenfalls einen Toten mit Bogen vor sich. Der 
gekrönte Tote weist unzweifelhaft auf die Toten der Legende hin. 

In der Münchener Totentanzhandschrift Cg 2927 (M^) aus dem Jahre 
1446 steht am Ende die Mahnung eines Toten ^: 

Der Tod spricht: 

mensch, sich an mich. 

Was du bist, das was ich. 

Auch sich, wie recht järoerlich 

Die wuerm beissen umb mein fleisch. 

Auch Goette muß zugeben, daß dieser „Tod** identisch ist mit einem 
Toten aus der Legende der drei Lebenden und der drei Toten ^. 

Derselbe Gelehrte wird durch die Wahrnehmung, daß mitten in die 
Totentanzreihe zu Klein-Basel eine Kreuzigungsgruppe eingefügt ist, in große 
Verlegenheit gebracht, und ohne Grund hält er sie entweder für den Rest 
^iner früheren Bemalung oder für eine spätere Zutat ®. Auch in Berlin findet er 



* Vgl. Mitteilungen der k. k. Central- ' Vgl. Vallardi, Trionfo e Danza della 
Commission, Neue B'olge XII, Wien 1886, xxii. morte Danza macabra a Clusone 17 £f. 

* Vgl. Goette, Uolbeins Totentanz und * Vgl. Fehse, Zeitschrift für deutsche 
«eine Vorbilder 49, der hier ebenfalls einen Philologie XL 90. 

Hest der Legende zugibt. * Goette a. a. 0. 92. « Ebd. 152. 

KQnstle, Drei Lebende und drei Tote. 7 



98 ^' ^er Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

die nämliche Szene eingefügt; er bemerkt dazu ganz unpassend: „Berlin zeigt 
uns in der Einfügung der Kreuzigung geradezu eine Yerirrung des dogmatischen 
Eifers der Geistlichkeit bei der Verwertung des Totentanzes für ihre Zwecke.* ^ 
Aber auch in Pinzolo bildet die Kreuzigung einen Teil des Totentanzes, und 
sogar der papst- und kirchenfeindHche Nikiaus Manuel hat in Bern nicht 
darauf verzichtet, das Zeichen der Erlösung mit dem Totentanz zu verbinden. 

Aus dem Drama kann dieses Motiv nicht stammen. Seine Vorbindung 
mit der Reihe der Lebenden und Toten, ja seine Einfügung inmitten des 
Zyklus, wie das in Basel und Berlin geschieht, erklärt sich wiederum nur 
daraus, daß der Totentanz aus der Legende herausgewachsen ist; denn in 
dieser erscheinen die Toten den Lebenden in den meisten Fällen, wie ich 
oben gezeigt habe, auf dem Kirchhof neben dem Kirchhofskreuz, das in vielen 
Fällen zwischen den beiden Gruppen entweder als einfaches Kreuz oder als 
vollständige Kreuzigungsgruppe abgebildet wird. 

Diese Tatsachen lassen eine zweifache Möglichkeit zu: entweder ist 
die Legende aus dem Totentanz entstanden, oder der Toten- 
tanz hat sich aus der Legende entwickelt^. Da aber die Legende 
schon seit dem 11. Jahrhundert in ganz Europa verbreitet war, die ältesten 
Spuren des Totentanzes jedoch erst ins 14. Jahrhundert hinaufreichen, so bleibt 
nur die zweite Alternative : der Totentanz ist eine der vielen Varia- 
tionen der Legende in jener frühen Form, wo die Lebenden 
zu Fuß auf demselben Plan mit den Toten zusammentreffen. 
Nachdem man einmal begonnen hatte, zwischen Lebenden und Toten bunte 
Reihen zu bilden, wurde die neue Bildanordnung bald beliebt und für die 
schaffende Phantasie fruchtbar. Die Beliebtheit nahm zu, sobald man in der 
Reihe der Lebenden nicht nur die Würdenträger der geistlichen und welt- 
lichen Stände, sondern auch die Vertreter des niederen Volkes gewahrte: 
die Totentanzidee wurde volkstümlich. Doch entwickelte sich die 
Legende der drei Lebenden und der drei Toten nicht auf der ganzen Linie 
ihrer Verbreitung in der angegebenen Weise, sondern nur in Deutschland 
und in denjenigen Teilen der romanischen Länder, wo ein starker Einschlag 
germanischen Geistes vorhanden war. 

Man wird mir aber einwenden, daß mit diesen Ausführungen, in denen 
die Begriffe „Tanz" und „Musik" ja gar nicht vorkommen, das eigentliche 
Wesen des „Totentanzes" nicht erklärt sei. 

Ich muß jedoch auch hier erklären, daß das Motiv des Tanzes und das 
hierdurch bedingte Musizieren der Toten nicht zur ursprünglichen Idee unserer 
Bilder gehört, so sehr unsere heutige Bezeichnung das auch zu verlangen 
scheint. Daran muß auch deswegen festgehalten werden, weil die Legende 
der drei Lebenden und der drei Toten, aus der der Totentanz sich entwickelt 
hat, von Musik und Tanz nichts weiß, sondern nur davon, daß Lebende von 
Toten plötzlich zum Sterben abgerufen werden. 

Doch sehen wir des näheren zu, wie es sich damit verhält. Das Wort 
„Dance" kommt schon in der Legende vor; so sprechen die Toten auf dem 
oben beschriebenen Bilde der drei Lebenden und der drei Toten in Kermaria, 
obwohl sie nicht tanzen: 



* Goette, Holbeins Totentanz und seine einer gemeinsamen Quelle beruhen, ist aus- 
Vorbilder 164. geschlossen, da von einer solchen nichts be- 
' Eine dritte Möglichkeit, daß beide auf kannt ist. 



2. Die Lösung des Rätsels. 



99 



Noü8 avoos bien este en cfaance 
Aiitrefois, comme estes en present 
Mais Yoos yiendrez k notre dance 
Comme nous sommes maiutenant. 

„Dance* darf also in der Sprache des 14. und 15. Jahrhunderts nicht 
ohne weiteres im Sinne von »Tanz* genommen werden. Das ergibt sich auch 
aus folgender merkwürdigen Erzählung in der Histoire de Rene d'Anjou 
von Villeneuve-Bargemont K 

,Le duc de Bedfort, surpris sans doute du succäs inesp^rä de ses armes, 
celebra la victoire de Yerneuil par une f^te qui parut plus etrange m^me 
que les revers des Fran<;ais, et il en pla9a le theätre au centre de la capitale, 
dont les habitants commen9aient ä peine ä oublier Thorrible famine qui venait 
d'en moissoner la plus grande partie. Nous voulons parier de cette fameuse 
procession qu'on vit defiler dans les rues de Paris sous le nom de Danse 
Macabree ou Infernale, epouvantable divertissement auquel presidait 
un squelette ceint du diademe royal, tenant un sceptre dans ses mains 
dechamees, et assis sur un tröne resplendissant d'or et de pierreries. Ce 
spetacle repoussant, m^lange odieux de deuil et de joie, inconnu jusqu'alors 
et qui ne s'est jaraais renouvele, n'eut guere pour temoins que des soldats 
etrangers, ou quelques malheureux echappes ä tous les fleaux röunis, et qui 
avaient vu descendre tous leurs parens, tous leurs amis dans ces sepulcres 
qu'on depoullait alors de leurs ossemens. Tandis que cette hideuse fete 
temoignait d'une mani^re si indecente le barbare orgueil des vainqueurs, les 
ev^nemens successifs de la guerre avaient force Charles VII ä errer de ville 
en ville pour en reclamer des renforts. ..." 

„Macabree" ist hier nur eine der vielen Varianten des im 15. Jahrhundert 
nicht mehr verstandenen Wortes „macabre*, und Dance macabre bedeutet 
den feierlichen Aufmarsch siegreicher Soldaten im Gefolge eines gekrönten 
Toten, eines Toten aus der Legende der drei Lebenden und der 
drei Toten. 

Angesichts dieser Tatsachen muß man sich die Frage vorlegen, ob die 
Franzosen, als sie im 15. Jahrhundert die Zyklen von Kermaria, Paris, Chaise- 
Dieu mit Dance macabre bezeichneten, damit den Begriff des Tanzes ver- 
banden oder auf Grund der Bilder damit verbinden konnten. 

In Kermaria bilden die Lebenden und die Toten eine geschlossene Reihe, 
die dadurch zu stände kommt, daß die Toten ihre Hände krampfhaft nach 
den beiden Nebenmännern ausstrecken. Die Lebenden reichen in keinem Falle 
ihre Hände zu einem freiwilligen Reigen 2. In der Dance macabre des 
Guyot Marchant kommt die Reigenform teilweise, aber nicht durchgehends 
zum Ausdruck^. In der Grande dance macabre aus dem Jahre 1486 ist die 
Reigenform fast ganz durchgeführt : zu Beginn stehen vier musizierende Tote, 
und die Toten in der Reihe selbst beginnen ganz deutlich zu tanzen, da wo 
sie Frauen anfassen. In La Chaise-Dieu haben wir eng aneinander gefügte 
Gruppen, aber der Reigen ist zusehends in der Auflösung begriffen. Goette"* 
möchte in dem Manne, der vor dem Stuhl des Predigers sitzt, einen Dudelsack- 
spieler sehen, aber das Bild selbst läßt dies in keiner Weise erkennen. 



* I 54—55; vgl. Langlois, Essai sur 
les danses des inorts I 132, dem ich die Stelle 
entnehme. 



« Vgl. Bild 16 S. 69. 
3 Vgl. Bild 14 S. 65. 
* Holbeins Totentanz und seine Vorbilder 38. 

7* 



100 ^- ^cr Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

In den niederdeutschen Totentänzen, die aber auf französische Vorbilder 
zurückgehen, kommt die Reigenform wieder klar zum Ausdruck, und vor 
dem Prediger in Berlin sitzt ein dudelsackspielender Teufel; in den ober- 
deutschen haben wir lauter einzelne Paare; die Lebenden und Toten sprechen 
aber von dem »rayen*. Das Motiv von Musik und Tanz ist in voller Ent- 
wicklung. In Pinzolo: eine enge Reihe zwischen Lebenden und Toten, ohne 
daß man den Eindruck eines Tanzreigens bekommt; zu Beginn des Zuges 
allerdings drei musizierende Tote. In Glusone ist die Reihe ähnlich gestaltet 
wie in Pinzolo, nur fehlt jeder Hinweis auf Musik ; in Straßburg und Dresden 
größere Gruppen von Lebenden mit je einem Toten. Daraus ergibt sich: 

1. Das Reigenmotiv ist den ursprünglichen französischen 
Totentanzbildern und jenen, die von ihnen unmittelbar ab- 
hängen, eigentümlich. 

2. Sobald die Totentanzbilder nach Orten verpflanzt werden, 
wo romanisches Wesen überwiegt (La Chaise-Dieu, Clusone, Pisogne), 
oder wenn sie unter dem Einfluß der Kunst der Renaissance 
entstanden sind (Straßburg, Dresden), löst sich der Reigen in eine 
feierliche Todesprozession auf, der Musik und Tanz fremd sind. 

3. Die Heimat der Motive von Tanz und Musik scheint 
Oberdeutschland zu sein, wo man vielleicht schon im 14. Jahr- 
hundert auf das Reigenmotiv verzichtete und die einzelnen 
Paare zu wirklichen Tanzpaaren gestaltete. 

4. Als Urtotentanz, wie er sich aus den vorhandenen Monu- 
menten noch erschließen läßt, ergibt sich ein nordfranzösischer 
Bilderzyklus, wo die Lebenden und Toten ähnlich wie in Ker- 
maria einen geschlossenen Reihen bildeten. 

Hat man nun die Lebenden und die Toten in dieser eigentümlichen Form 
deswegen zusammengestellt, weil man damit die Idee des Tanzes verbinden wollte? 

Man kann aus zwei Gründen daran zweifeln, einmal, weil die Legende 
der drei Lebenden und der drei Toten, aus der der Totentanz sich ent- 
wickelt hat, dieses Motiv nicht kennt, und dann, weil es eine Reihe von 
Totentänzen gibt, in denen es sieher nicht zum Ausdruck kommt. Vielleicht 
führt folgende Erwägung zum Ziel: 

Die Maler der ursprünglichen französischen Totentanzbilder stellten die 
Gestalten in Frontstellung nebeneinander, weil die primitive Kunst des 13, und 
14. Jahrhunderts keine Gruppenbilder schaffen konnte. Zu dieser steifen und 
schematischen Nebeneinanderstellung nötigten auch die durch Wandsäulen 
abgeteilten Arkadenwände der Kirchhofskreuzgänge, die wir als die Heim- 
stätten der frühesten Totentänze anzusehen haben. Unter jedem Arkaden- 
bogen konnte entweder nur eine oder höchstens zwei Figuren angebracht 
werden. Die Natur der Handlung aber, die dargestellt werden sollte, ver- 
langte, daß jedem Lebenden ein Toter beigegeben wurde. Die mittelalterlichen 
Maler haben nun die Verbindung zweier Personen, besonders wenn sie mit- 
einander sprechend dargestellt werden sollten, dadurch zum Ausdruck gebracht, 
daß sie Spruchbänder von einer zur andern zogen. Diese Spruchbänder, die 
uns in den Bildern der Legende ja öfters begegnen, empfehlen sich in den 
Totentanzbildern aus mehrfachen Gründen nicht. Einmal war der Text, durch 
den man zwar nicht ursprünglich, aber doch seit dem 14. Jahrhundert die Bilder 
zu erklären suchte, zu umfangreich für die schmalen Bänder und wurde darum 
unter die Figuren gesetzt. Dann hinderten die Wandsäulen in manchen Fällen 



2. Die Losung des Rätsels. 



101 



die Verbindung der miteinander sprechenden Figuren durch solche Spruchbänder. 
Wenn also der Maler sie dennoch miteinander verbinden wollte, so konnte er 
das nur so zum Ausdruck bringen, daß er sie sich die Hände reichen ließ. 
Vielleicht ist dieses hastige Anfassen der Lebenden von Seiten der Toten auch 
durch die Legende bedingt, wo letztere ja oft feindselig die Lebenden zu er- 
haschen suchen. Allerdings fassen die Toten in Kermaria, in den gedruckten 
französischen Totentänzen, in Berlin, Lübeck, Clusone entweder regelmäßig oder 
doch in einigen Fällen nicht nur die Person an, der sie zugeordnet sind, sondern 
beide Lebenden, zwischen denen sie stehen, wodurch das Bild den Charakter des 
Kettenreigens erhält. Dadurch soll aber kein Tanzreigen markiert, sondern 
zunächst die enge Zusammengehörigkeit der ganzen Bilderreihe betont werden; 
dann sollte der Beschauer dadurch den Eindruck gewinnen, daß die Lebenden 
den Toten, weil sie von beiden Seiten angefaßt werden, nicht entgehen können. 

Später hat man diesen zufällig entstandenen Eettenreigen irrtümlicher- 
weise für einen Tanzreigen gehalten und in Oberdeutschland die Motive von 
Tanz und Musik zu voller Ausbildung gebracht. 

Mit dieser Hypothese glaubte ich eine Zeitlang die merkwürdige Ver- 
bindung von Tanz und Tod erklären zu können; ich gestehe, daß sie mich 
nicht mehr befriedigt. Aber ich mußte diese Erwägungen anstellen, weil ich 
zu dem Resultat gekommen war, daß der Totentanz aus der Legende der drei 
Lebenden und der drei Toten stammt, der ja der Tanz fremd ist. 

Die Anschauung, daß die Toten tanzend die Lebenden zum Sterben führen, 
ist doch zu oft und zu deutlich sowohl im französischen wie im vierzeiligen 
oberdeutschen Text, die beide ins 14. Jahrhundert zurückreichen, ausgesprochen, 
und sie kommt schon in sehr frühen und maßgebenden Bildern des ganzen 
Verbreitungsgebietes so unverhohlen zum Ausdruck, daß sie nicht aus der 
irrtümlichen Auffassung eines einzelnen erklärt werden darf. Ich würde, 
wenn ich an der vorgetragenen Hypothese festhalten wollte, in den nämlichen 
Fehler fallen, den ich bei jenen tadelte, die das Tanzmotiv aus einem einzelnen 
deutschen Lied, aus einer volkstümlichen Redensart oder aus einem in der 
religiösen Dichtung des Mittelalters geschaffenen bildlichen Ausdruck ableiten 
wollten. Abgesehen davon, daß es doch unerlaubt ist, eine so internationale 
Erscheinung, wie es die Totentänze sind, aus einer rein deutschen Vor- 
stellung abzuleiten, hat man aus der mittelalterlichen Literatur nur sehr 
wenige und darunter ganz mißverstandene Stellen anführen können, aus denen 
das Totentanzmotiv abzuleiten wäre \ 



* F e h 8 e , Der Ursprung der Totentänze 40, 
wundert sich mit Recht darüber, daß Wacker- 
nagel nach Docen, Neuer Literarischer 
Anzeiger 1806 406, unter den Stellen, die 
vor dem Aufkommen der Totentanzbilder von 
einem Tanz der Toten zeugen sollen, auch 
die Strophe ans Frei dank 175, 15 anführt: 
Got tet wol, daz er verbot, 
daz niemen weiz sin selbes tot, 
wisten in die Hute gar, 
der tanz gewünne kleine schar. 
,Es ist mir rätselhaft**, bemerkt Fehse mit 
Recht, „wie Docen und seine Nachfolger aus 
diesem Wortlaut herauslesen wollen, Freidank 
rede hier ,von einem Tanz, zu dem der Tod die 
Menschen sammle'. Damit schiebt er Freidank 



die Sinnlosigkeit unter: Wüßten die Menschen 
ihren Tod voraus, so würden nur wenige in 
den Reigen des Todes eintreten, d. h. sterben. 
Die Verse besagen doch offenbar: Wüßten 
die Menschen ihren Tod voraus, so würden 
sie am Tanz und an der Lust des Lebens 
keinen Gefallen mebr finden. Der Gedanke 
würde ibnen alles verbittern.* Unbesehen 
haben diese falsche Auffassung der Stelle der 
Herausgeber des Freidank (Bezzenberger), 
Schreiber in „Zeitschrift für Bücher- 
freunde* II 341, Bäumker in Wetzer u. 
Weites Kirchenlex. XI« 1338 und Michael, 
Gesch. des deutschen Volkes vom 13. Jahrb. 
bis zum Ausgang des Mittelalters IV (1906) 
196 übernommen. 



102 V. Der Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 



Die Verbindung des Tanzes mit dem Tode, die uns heute 
so fremdartig vorkommt, muß sich bei der allseitigen Ver- 
breitung, die sie gefunden hat, auf einer breiteren Grundlage 
entwickelt haben; sie muß in den breiten Schichten des Volkes 
verstanden worden sein. Fehse, mit dem ich zwar in seiner einseitigen 
Betonung des vierzeiligen oberdeutschen Textes nicht übereinstimme, hat ganz 
richtig hervorgehoben * : 

,Bei dem Volke nitlssen wir anfragen. Es lassen sich vielleicht in der Volksanschauung 
Züge auffinden, die mit dem Motiv der Totentänze näher verwandt sind, als die wenigen 
Zitate Wackernagels, die zum größten Teil nur eine zaföllige Ähnlichkeit damit zeigen. Daß 
die Totentänze auf eine Volksanschauung zurückgehen, unterliegt meiner Ansicht nach keinem 
Zweifel, auch wenn man für sie dramatischen Ursprung annimmt. Wäre dem nicht so, dann 
hätten wir den einzigartigen Fall, daß eine einzelne literarische Tat eines mittelmäßigen 
anonymen Dichters beispiellos breite und tiefe Nachwirkung in der bildenden Kunst gezeitigt 
hätte. Zwischen dem Dichtwerk jenes Dichters und den packenden Bildern Rethels und 
Böcklins Selbstporträt mit dem fiedelnden Tode liegt eine weite Kluft, aber ohne jenen Dichter 
wären die genannten Werke nicht das, was sie sind. Es widerspricht aller Erfahrung, daß 
ein literarisches Motiv derartige Wirkungen ausübt, wenn es nicht aus der Anschauung des 
Volkes selbst hervorgegangen ist. Und das Tanzraotiv in den Totentänzen sieht wahrlich 
nicht danach aus, daß es seine Entstehung der geistreichen Erfindung eines einzelnen verdankt 

Nun wissen wir, daß der Tanz in der germanischen Volksanschauung eine beliebte 
Unterhaltung aller Geister, der guten wie der bösen, bildet. Die Analogie mit den Elfen, 
die den ahnungslosen Menschen zu seinem Verderben in ihren Ringelreigen hineinzuziehen 
suchen, liegt besonders nahe. Es fragt sich nur, ob den Toten in der Volksanschauung ein 
solches geisterhaftes Nachleben gegeben wurde. Durch die neueste Arbeit Über den Ursprung 
der Totentänze von Kupka ist wieder ein poetisches Denkmal in den Vordergrund gerückt 
worden, das seit alter Zeit mit den Totentänzen in naher Beziehung stand: die Legende von 
den drei Lebenden und den drei Toten. . . . 

Für uns ist die Legende von Wert, weil sie ein Memento mori enthält, das nicht von 
dem personifizierten Tod ausgeht, sondern von den Toten. Sie beweist uns, daß vor der Zeit 
der Totentänze in der Volksanschauung die Vorstellung lebendig ist, daß die Toten den 
Lebendigen erscheinen und sie an ihr Ende gemahnen. Diese Vorstellung ist für uns um so 
wichtiger, als eine ähnliche, in der die Toten die Rolle des Todes einnehmen ', nicht nachweisbar 
ist. In der Tat läßt sich zeigen, daß die germanische Volksanschauung den Toten ein 
geisterhaftes Nachleben gibt. Es ist dieselbe Anschauung, die uns in der Edda entgegentritt, 
wenn tote Frauen Gunnar erscheinen und ihn zum Tode rufen. . . . 

Die Toten haben im Grabe keine Ruhe. Werden sie nicht durch Opfer versöhnt, oder 
wird ihnen nicht gewaltsam der Weg verlegt, so kehren sie wieder. Deshalb ist der Kirchhof 
ein unheimlicher Ort. Die Toten haben das Bestreben, die Lebenden in ihre Schar zu ziehen.*^ 

Fehse zeigt alsdann des näheren das Vorhandensein dieser Volksanschauung 
vom Tanz der Toten: noch in neuerer Zeit bezeugt sie Goethe in seiner be- 
kannten Ballade »Der Totentanz"; im 16. Jahrhundert wird sie belegt von 
L. Lavater^, Milchius*, Herrn. Starke 



> Der Ursprung der Totentänze 40 S. 

" Das will doch wohl Fehse S. 43 sagen. 

'Ludovicus Lavater, De spectris, 
lemuribus et magnis atque insolitis fragoribus 
variisque praesagitionibus, quae plerumque 
obitum horoinura, magnas clades mutationes- 
que imperiorum praecedunt, Genevae apud 
Eustatbiam Vignon 1580, erzählt S. 21 einen 
Vorgang, aus dem sich ergibt, daß die Volks- 
anschauung vom Tanz der Toten auf dem 
Kirchhof in Zürich allgemein bekannt war. 

^Ludovicus Milchlus, Der Zauber 
Teuflfel. Von Zauberei, Wahrsagung, Be- 
schweren, Segen, Aberglauben, Hexerey und 



mancherley Werken des Teufels. Frankfurt a. M. 
1564. S. 808 wird erzählt, daß in der St Mat- 
thäus-Nacht etliche ausgingen, zu sehen, 
welche Leute beim Totentanz gefunden wurden. 
^ Theatrum diabolorum II, Frankfurt a. M. 
1587, 291 : ,Die bösen verlogen und ersoffene 
Kälber vnnd Teuffels Säuwe, so die Leute ver- 
zagt machen mit dem, daß sie sagen, seyen auf 
S. Mathias- Abend auff der Bärenhaut gewesen, 
so und so viel, diese und die am Todt«ntanz 
gesehen, einer sey gefallen vnnd wieder auf- 
gestanden, der ander sey ligen blieben. Item, 
sie bleiben oder fliehen, sollen sie doch diß 
Jar sterben." 



2. Die Lösung des Rätsels. 



103 



Auch in Bildern kommt diese Anschauung frühzeitig zum Ausdruck, so 
in dem berühmten Liber Chronicarum cum figuris et imaginibus 
ab initio mundi, gedruckt im Jahre 1493 zu Nürnberg von Anton Ko- 
berger; die Texte stammen von Hartman Schede], die Bilder von Michael 
Wohlgemut und Wilhelm Pleydenwurflf. Auf fol. 264' sind zwischen den 
Kapiteln .De morte ac fine rerum* und „De extreme iudicio ac fine mundi' 
fünf Tote dargestellt, von denen einer im Begriffe steht, sich aus dem Grabe 
zu erheben, während drei schon tanzen und der fünfte aufspielte 

Der achtzeilige oberdeutsche Totentanz wird eröffnet von sechs Gerippen, 
die ein siebentes, das im Grabe liegt, umtanzen; seitwärts ein Beinhaus. 
Darauf folgen vier Tote, die in einem Zelte musizieren, während drei vor 
ihnen tanzen. Jetzt erst folgen die einzelnen Paare. Den Schluß macht 
wiederum der Kirchhof mit Beinhaus, vor dem ein Toter sich aus dem Grab 
erhob, während vier um ihn auf dem Boden hocken 3. 

Fehse bemerkt ganz richtig, daß diese Bilder die Anschauung voraus- 
setzen, daß die Toten zur Geisterstunde auf dem Kirchhof ihren gespenstischen 
Tanz aufführen. Daraus erklärt sich aber auch die Basler Beinhausszene. 

Eine andere wichtige Darstellung des Tanzes der Toten blieb Fehse un- 
bekannt, nämlich ein Holzschnitt mit dem Vermerk: Job. Jacob Ridinger 
sculps. — Job. El. Ridinger (geb. 1695 in Ulm, gest. 1767 zu Augs- 
burg) excudit Aug. Vindel. 

Auf dem ungewöhnlich großen Einblatt (63 X 48 cm) sieht man in der 
Mitte elf Tote mit elf Frauen um ein offenes Grab einen Ringeltanz auf- 
führen, während ringsum in zwölf Medaillons ein eigentlicher Totentanz dar- 
gestellt ist: Papst, Kaiser, König, Kardinal, Bischof, Herzog, Graf, Adeliger, 
Bürger, Bauer, Bettler mit Soldat, Narr mit Kind werden je von einem 
besondern Toten zum Tanz abgeholt^. 

Wäre das Blatt 300 Jahre älter, so könnte es geradezu als demonstratio 
ad oculos des Endresultates von Fehse angesehen werden: »Aus der Volks- 
anschauung vom Reigen der Toten ist das erste Totentanzbild, ist der erste 
Totentanztext herausgeboren. " * 



* Langlois, £8sai sur les Danses des 
Morte pl. XXVII (vol. II 76). 

' Vgl. Kästner, Les danses des morte 
pl. VI— XII, wo dieser Totentanz alleiD voll- 
ständig abgebildet ist; femer siehe Seel- 
mann, Die Totentänze des Mittelalters 54. 

» Vgl. Langlois If, pl. XXV u. p. 63 flf. 
Unter den einzelnen Paaren stehen folgende 
Inschriften : 

Papa. — Nee infulae parcit quidem mors 
triplici. 

Imperater. — Mundo imperas, sed mors tibi. 

Rex. — Mors sceptra ligonibus aeqnat. 

Gardinales. — Et purpuratos saeva mors 
rapit patres. 

£piscopus. — Et episcopalis mite*a iuris 
est mei. 

Dux. — Meu[s] est in ipsos principatus 
principes. 

Comes. — Comites et ipsos oomito invisus 
com es. 



Nobilis. — Nobilis band quisquam mortem 
effusit [effugit?] etiam. 

Civis. — In civitatem mortis omnes cogimur. 

Rusticus. — Contra vim mortis non est 
medicamen in hortis. 

Mendicus, Miles. — Non tua virtus, non 
debilitas tua terret. 

Stultus, Infans. — Insipiens, sapiens ad 
mortem aequo pede pergnnt. 

Bekanntlich hat der lateinische Totentenz- 
text im Codex palatin. 814 (H^) nur die 
Strophen der Menschen (vgl. W. Fehse in der 
Zeitechrift fflr deuteche Philologie XL 90 ff), 
während die Anreden der Toten fehlen. Hier 
haben wir nur letztere in abgekürzter Form, 
die in einigen Fällen, wie in der Anrede an 
den Nobilis, an den Rusticus, den Eindruck 
machen, wie wenn sie vom Verfasser des 
lateinischen Textes in H* stemmten. 

* Fehse, Der Ursprung der Totentänze 
47. 



lOl V. Der Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 



Aber wenn der Ridingersche Holzschnitt auch dem 14. statt dem 18. Jahr- 
hundert angehörte, und wenn sich die Zeugnisse fttr das Vorhandensein der 
Volksauffassung vom Reigen der Toten, woran ich nicht zweifle, noch be- 
trächtlich vermehren ließen \ so kann ich doch der zuversichtlichen Behauptung 
nicht zustimmen, daß sich die Totentänze aus ihr unmittelbar entwickelt haben. 

Ich will kein Gewicht darauf legen, daß Fehse für das Vorhandensein 
der Volksauffassung vom Tanz der Toten nur sehr späte Zeugnisse aufführen 
konnte; da es sich um einen rein heidnischen Aberglauben handelt, ist er 
sicher nicht erst im Mittelalter entstanden, sondern er muß einen Bestandteil 
der ürtradition des Volkes gebildet haben. Aber welches Volkes? Nach 
Fehses Liste von Monumenten und literarischen Zeugnissen kann es sich nur 
um eine deutsche Volksanschauung handeln. Er scheint also zu glauben, daß 
die Totentänze ein deutsches Erzeugnis sind und von hier nach Frankreich 
und Italien verpflanzt wurden; darum betont er wohl auch so nachdrücklich 
den Satz, daß der vierzeilige oberdeutsche Totentanztext die älteste Urkunde 
der Totentanzidee sei. 

Nun läßt sich aber zeigen, daß die Vorstellung vom Tanz der Toten 
gemein-indogermanisch^ ist. Schon Langlois^ hat dafür eine Reihe von 
Beispielen aus Tibull, Virgil, Apuleius gesammelt. Auch Anakreon wird dafür 
als Zeuge angeführt*. 

Wichtig ist eine Stelle aus dem Dialog Lucians von Samosata „Der 
Lügenfreund*, wo der Dichter als Beispiel eines Mannes, der frei war von 
Aberglauben und Gespensterfurcht, Demokrit von Abdera anführt. Hier heißt 
es: »Aber du, erwiderte Arignotus, weil denn weder ich noch Dinomachus 
noch Kleodemus noch Eukrates selbst Glauben bei dir verdienen, nenne uns 
denn, wenn du kannst, den Mann, der glaubwürdiger ist als wir und das 
Gegenteil behauptet! Den will ich euch nennen, beim Jupiter! und gewiß 
einen großen und allgemein bewunderten Mann, den berühmten Demokritus 
von Abdera, der so fest überzeugt war, daß nichts dergleichen möglich sei, 
daß, als er sich, um ungestörter denken zu können, in ein altes Grabmal vor 
der Stadt einschloß, wo er Tag und Nacht mit Schreiben und Meditieren zu- 
brachte, und einige mutwillige Jünglinge, um ihm Furcht einzujagen, in 



* Ich stoße zufällig auf Jakob Baldes 
Gedicht ,Ghoreae mortuales* (Lyrica 11* 33), 
wo die Toten bei ihrem nächtlichen Tanz singen : 

Nos quicumque vides plaudere Manibus, 
Cantabis similis tu quoque naenias. 
Quod nunc es, fuimus ; quod sumus, hoc eris. 
Praemissos sequere et vale. 

Herder (Terps. I 76) übersetzt die Verse also: 
Der du, Sterblicher, nachts unsere Stimmen 

hörst, 
Bald wirst du sie mit uns flüstern. Wir 

waren auch, 
Was du bist, und du wirst w^erden, was wir 

jetzt sind. 

Die Stelle ist um so interessanter, als sich 
hiermit dem Reigen der Toten eine Reminiszenz 
aus der Legende der drei Lebenden und der 
drei Toten verbindet. 

* Wie Fehse mir brieflich mitteilte, ist er 
jetzt auch dieser Ansicht. 



» A. a. 0. I 61 ff. Auch Kastner a. a. 0. 26 ff 
geht diesen Dingen ausführlich nach, ohne sie 
aber für die Lösung des Problems auszunützen. 

* Es handelt sich hier um das Gedicht Nr 30 
unter den »Anacreontea* bei Theodor 
Bergk, Poetae lyrici graeci III*, Lipsiae 
1882, 315, wo dem Gedanken Ausdruck ge- 
geben wird : Amor, bekränze mich mit Rosen^ 
rufe die Hetäre. Ich will mich hier erfreuen, 
bevor ich zum Tanz mit den Toten gehen 
muß. Bergk hat den Text aber so um- 
gestaltet, daß nicht mehr vom Tanz der Toten, 
sondern vom Tanz der Hetäre die Rede ist, 
nach meinem Dafürhalten mit Unrecht. Zu 
der neuen Textgestaltung ließ sich der Heraus- 
geber, wie er ausdrücklich betont, neben 
andern Gründen, die mir aber nicht stich- 
haltig scheinen, auch durch den Umstand be- 
wegen, daß es ihm unglaublich schien, daE 
der Dichter von einem Tanz der Toten sollte 
reden wollen. 



2. Die Lösung des Rätsels. 105 

schwarze Leichentücher eingewickelt und mit Larven, die wie Totenköpfe 
aussahen, vor ihm erschienen und mit gewaltigen Sprüngen um ihn herum- 
tanzten, er sich so wenig durch diese Maskerade beunruhigen ließ, daß er 
nicht einmal aufsah, sondern im Fortschreiben endlich bIo£ sagte : Nun macht 
einmal dem Spaß ein Ende ! So gewiß glaubte er, daß Seelen, die ihre Leiber 
einmal verlassen haben, nichts mehr sind/ ^ 

Aus dieser Stelle ergibt sich, daß Demokrit zwar nicht an Gespenster 
und an den Tanz der Toten glaubte, daß aber wohl beim Volk diese An- 
schauung verbreitet war. 

Ich verweise alsdann auf die von den älteren Totentanzforschern viel 
behandelten tanzenden Skelette von Cumae ^ und auf den von Gori im Museum 
Florentinum I, tab. 91, veröffentlichten Sardonyx, auf dem ein wirkliches 
Skelett vor einem flötenspielenden Hirten tanzt ^. 

Es kann somit keinem Zweifel mehr unterliegen, daß die Vorstellung 
vom Tanz der Toten gemein-indogermanisch ist. 

Darf man angesichts dieser Tatsache so zuversichtlich, wie Fehse getan 
hat, behaupten, daß „aus der Yolksanschauung vom Reigen der Toten das 
Vste Totentanzbild und der erste Totentanztext herausgeboren ist*? Wenn 
diese Entwicklung so sicher und gleichsam mit Naturnotwendigkeit erfolgte, 
warum hatten dann weder die Griechen und Römer noch ein anderes indo- 
germanisches Volk der alten Zeit einen wirklichen Totentanz im Sinne der 
Bilder, die uns hier beschäftigen? Warum treten die Totentänze nur im 
späten Mittelalter und hier nur räumlich beschränkt auf, nämlich außer in 
Deutschland nur in Ländern mit einem starken Einschlag von germanischer 
Kultur und germanischem Volksgeist? 

Es ist ein Verdienst von Fehse, daß er die Idee vom Reigen der Toten, 
die von älteren Totentanzforschern sehr eingehend behandelt wurde, die aber 
in den neueren Werken keine Berücksichtigung mehr fand, für die Erforschung 
unseres Problems wieder nutzbar zu machen suchte. Er kam damit der 
Lösung des Rätsels sehr nahe. Daß sie ihm nicht vollständig gelang, rührt 
daher, daß er der Legende von den drei Lebenden und den drei Toten zu 
geringe Beachtung schenkt und sie zur Lösung der Frage nach Entstehung 
der Totentänze nicht verwertet wissen will. Er begeht damit den entgegen- 
gesetzten Fehler von Kupka und einer Reihe älterer Forscher; während 
nämlich letztere die Totentänze direkt aus der Legende abzuleiten versuchen 
und so das wichtige Tanzmotiv unerklärt lassen müssen, erklärt Fehse nur 
dieses und läßt uns über den eigentlichen Inhalt der Bilder und Texte ganz 
im ungewissen. 

Für Fehse ist die Legende, wie schon hervorgehoben wurde, nur wichtig, 
weil sie lehre, daß vor der Zeit der Totentänze in der Volksanschauung die 
Vorstellung lebendig war, daß die Toten ein geisterhaftes Nachleben hatten 
und daß sie von dem Bestreben erfüllt waren, sich mit den Lebenden in 
Beziehung zu setzen. Allein diese Anschauung ist bei fast allen Kultur- und 
Naturvölkern vorhanden, wie bei Langlois* und Kästner^ ausführlich dar- 



^ Vgl. Jacobitz, Luciani Sainosatensis Andrea de Jorio, Napoli 1810; auch ab- 

opera III, Lipsiae 1896, 116, und Wieland, gebildet bei Langlois, Essai sur les danses 

Lucians von Samosata sämtliche Werke aus des morts I 82. 

dem Griechischen übersetzt I, Leipzig 1788, ' Vgl. ebd. pl. VIP»'. 

189. * Ebd. I, chap. IV, VI, VIII. 

' Scheletri Gumani dilucidati dal canonico ^ Les danses des morts 26 if. 



106 ^* ^^1* Totentanz und die Legende der drei Lebeoden und der drei Toten. 

getan wird. Sie ist mit dem Unsterblichkeitsglauben ohne weiteres gegeben 
und erhielt durch die christliche Lehre vom Fegfeuer, in dem die Verstorbenen 
durch das Gebet der Lebenden Erleichterung finden, eine nachdrückliche Be- 
tonung. Wenn das Dogma, der Kirche sich darüber auch nicht ausspricht, 
in der Yolksanschauung war und ist der Olaube verbreitet, daß die Toten 
den Lebenden erscheinen und sie um ihre Hilfe angehen. 

Die Legende der drei Lebenden und der drei Toten ist für die Erklärung 
des Totentanzproblems viel wichtiger, als Fehse ahnt: aus ihr stammt 
die Reihe der menschlichen Würdenträger und der Vertreter 
der verschiedenen Stände, die je von einem besondern Toten 
zum Sterben abgeführt werden; aus ihr stammt auch der 
wesentliche Inhalt der Reden zwischen Lebenden und Toten, 
die wir unter den meisten Totentänzen finden. 

Diese Abstufung von Kaiser und Papst bis zum Bettler und Kind, die 
wir als wesentliche Eigenschaft der Totentanzgemälcle gefunden haben, kann 
sich aus jenem Tanzreigen, den Fehse im germanischen Volksglauben nach- 
gewiesen hat, der aber tatsächlich gemein-indogermanisch ist, nicht entwickelt 
haben; denn die Bilder sowohl wie die literarischen Zeugnisse, die sich für 
diesen gespensterhaften Tanzreigen aufweisen lassen, zeigen stets einen Rund- 
tanz entweder nur von Toten oder von Toten und Lebenden. Letztere 
sind aber unbenannt und ihrer Persönlichkeit nach vollständig 
gleichgültig. Dieser grausige Reigen zur Gespensterstunde auf dem Kirch- 
hof will nur tanzen; an der gegenseitigen erbaulichen Ansprache liegt den 
Paaren nichts. 

Die Volksanschauung vom Tanz der Toten, die sich auch im Mittelalter, 
obwohl sie einen durchaus heidnischen Charakter trägt, lebendig forterhielt, 
hat sich nun in Ober- und Niederdeutschland, in der Umgebung von Paris 
und überhaupt in Nordfrankreich, ferner in Oberitalien im Verlaufe des 14. 
und 15. Jahrhunderts mit der Legende der drei Lebenden und der drei Toten 
verbunden. Und aus dieser Verbindung sind die Totentanzbilder heraus- 
gewachsen. 

Man wird mich aber jetzt fragen: warum ist diese Entwicklung gerade 
in diesen Gegenden erfolgt? und warum geschah sie in der angegebenen Zeit? 

Ich glaube diese Fragen mit Sicherheit beantworten zu können. 

Die Entwicklung der Legende von den drei Lebenden und den drei Toten 
zum wirklichen Totentanz erfolgte unter dem Einfluß der indogermanischen 
Vorstellung vom Reigen der Toten nur da, wo die Legende besonders ver- 
breitet und beliebt war. Aus der obigen Darstellung über die literarische 
und monumentale Verbreitung derselben hat sich uns mit Sicherheit ergeben, 
daß dies in folgenden Gebieten der Fall war ^ : 

1. Oberitalien mit dem alten lateinischen Text aus Ferrara, den 
Bildern in Cremona, Clusone. 

2. Oberdeutschland mit dem sehr merkwürdigen Text in der Wolfen- 
büttler Handschrift, die aus dem Elsaß stammt, der oben beschriebenen 



^ FUr den Nachweis, daß die Legende in festlegen lassen. Die zahlreichen Miniaturen 

bestimmten Gegenden heimisch und besonders in liturgischen Handschriften und Drucken, 

beliebt war, können nur monumentale Dar- die für eine weitere Verbreitung bestimmt 

Stellungen und solche Texte verwendet werden, waren und jetzt sich in den großen Bibliotheken 

die durch ihre sprachliche Form sich örtlich angehäuft haben, kommen nicht in Betracht. 



2. Die Lösung des Rätsels. 107 

Legende in der Zeitschrift Bragur, den Bildern in Badenweiler, Überlingen 
und Eirchbühl und mehreren Darstellungen in Lothringen. 

3. Niederdeutschland mit der Fassung des Textes der Legende bei 
Staphorst, Hamburgische Kirchengeschichte, und ihrer Darstellung auf den 
Paramenten aus Osnabrück. 

4. Paris und Nordfrankreich überhaupt mit den altfranzösischen 
Texten des Baudouin de Cond^, Nicholes de Marginal u. a. In der Form 
von den Wandgemälden und Miniaturen hat die Legende hier die größte 
Verbreitung gefunden. 

5. England, wo schon Walter de Mapes im 12. Jahrhundert die Legende 
bekannt machte, besitzt Darstellungen von ihr in Ditchingham und Battel. 

Das ist aber, wenn wir uns auf die Zeit der ursprünglichen und eigent- 
lichen Totentänze von etwa 1400 bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts be- 
schränken, genau auch das Verbreitungsgebiet der Totentanzzyklen. Den 
zahlenmäßigen Nachweis kann ich mir unter Hinweis auf die sorgfältige 
Topographie der Monumente bei Seelmann^ ersparen. 

Nur eine einzige Ausnahme von der Regel muß ich zugeben : Südfrankreich 
besitzt in La Chaise-Dieu einen textlosen Totentanz. Das Totentanzgemälde 
von Metnitz in Kärnten, also einem Lande, wo die Legende nicht heimisch 
ist, kann gegen die Richtigkeit meiner These deswegen nicht angeführt werden, 
weil es, wie sich aus dem Text ergibt, ein Schößling des oberdeutschen 
Totentanzes ist ^. 

Es bleibt mir nun hoch die Beantwortung der zweiten Frage übrig, 
warum die geschilderte Entwicklung der Legende zum wirklichen Totentanz 
unter Einwirkung der Volksanschauung vom Reigen der Toten gerade am 
Ende des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts erfolgte. 

Es geschah dies deswegen, weil man um diese Zeit vielerorts begonnen 
hatte, aus den handelnden Personen der Legende, nämlich den Lebenden und 
den Toten, bunte Reihen zu bilden. Diese feierlich einherschreitenden Paare 
erinnerten, der damaligen Tanzsitte entsprechend, unwillkürlich an Tanzpaare; 
sie zu wirklichen Tanzpaaren umzugestalten, lag um so näher und vollzog 
sich um so leichter, weil die Handlung der Legende auf dem Kirchhof vor 
sich geht, wohin auch die Volksauffassung den Reigen der Toten verlegte. 

Freilich kann man sich billig wundern, wie das durch und durch gläubige 
Volk und der Klerus am Ende des 14. und am Anfang des 15. Jahrhunderts 
zu der Verbindung von Tod und Tanz kam und diese in den Dienst der 
Religion stellen konnte. Ist es für ein frommes und vom Geist des Evangeliums 
erfülltes Gemüt nix^ht unerträglich, das Ernsteste, was einem Menschen be- 
gegnen kann, das Sterben, mit dem Ausdruck der freudigsten und oft sünd- 
haften Lebenslust zu verbinden? Es ist aber zu beachten, daß die ältesten 
Totentanzbilder, wie in Kermaria und Paris, in Text und Bild Würde und 
sittliche Strenge zur Schau tragen. Wenn die einzelnen Paare auch als Tanz- 
paare gedacht sind, so wird dieser an und für sich unchristliche Zug gemildert 
durch den aszetischen Inhalt der Unterschriften. Wildes Tanzen und Musi- 
zieren ist eine Eigentümlichkeit nur der oberdeutschen Totentänze und derer, 
die von ihm abhängig sind. Nur hier ist im Text dem Humor und der 
Satire ein weiter Raum verstattet. Diese Eigenart ist wohl bedingt durch 
die konziliaren Streitigkeiten in der Kirche, die am Oberrhein durch die 



^ Die Totentänze des Mittelalters 42 ff. < Ebd. 52. 



108 ^* ^^^ Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

Konzilien von Konstanz und Basel in die weitesten Kreise des Volkes drangen 
und religiöse Gleichgültigkeit erzeugten. 

Dazu kommt ein anderes. Wie man aus den frühfränkischen Konzils- 
beschlüssen noch deutlich ersieht, hing kein Yolksstamm so zäh an seinen 
heidnischen Gewohnheiten auch nach der Bekehrung fest wie der germanische. 
Darum hat sich auch gerade bei ihm die Auffassung vom Reigen der Toten 
besonders lebendig erhalten. Aber bei den Germanen tanzten nicht 
nur die Toten an heiligen Orten, auch die Lebenden führten 
auf den Kirchhöfen und im Zusammenhang mit kirchlichen 
Festen noch in christlicher Zeit ausgelassene Tänze auf. Es 
fst mir nicht bekannt, daß ein Theologe oder Prediger, der zu Griechen oder 
Römern sprach, seine Gemeinde in folgender Weise apostrophieren mußte: 
„Isti enim infelices et miseri homines, qui balationes et saltationes ante 
ipsas basilicas sanctorum exercere non metuunt nee erubescunt, etsi christiani 
ad ecclesiam venerint, pagani de ecclesia revertuntur, quia ista consuetudo 
balandi de paganorum observatione remansit." ^ 

Dieser scharfe Tadel steht im pseudo-augustinischen Sermo 265, und sein 
Verfasser ist, wie wir jetzt wissen, Cäsarius 2, der verdiente Bischof von Arles, 
dem Knotenpunkt, wo Ost- und Westgoten, Franken und Burgunder auf- 
einanderstießen. An eine Gemeinde, die vorwiegend aus solchen germanischen 
Elementen bestand, ist obige Predigt gerichtet. Auch König Chlodwig II. 
ließ solche Tänze auf der Synode von Chälon-sur-Saöne im Jahre 650, Papst 
Zacharias 744, Bischof Odo von Paris im 12. Jahrhundert verbieten. Trotzdem 
erhielten sie sich als Tänze zu Ehren des hl. Johannes, des hl. Vitus, des 
hl. Willibrord bis ins späte Mittelalter, ja bis in die Gegenwart ^ . 

Ich führe diese Dinge nur an, um zu zeigen, daß die Verbindung von 
Tod und Tanz beim Volke — denn von diesem und nicht von der Kirche 
gehen die Totentanzbilder und ihre Texte aus — ursprünglich den frivolen 
Beigeschmack, der sich uns Modernen bei ihrer Betrachtung immer aufdrängt, 
nicht hatte. Es erklärt sich aus ihnen auch, wie leicht sich bei diesem so 
gearteten Volk die Vorstellung vom Tanz der Toten mit der Legende der 
drei Lebenden und der drei Toten verbinden und so den eigentlichen Toten- 
tanz erzeugen und allgemein beliebt machen konnte. 

Es wird daraus auch verständlich, warum das Tanzmotiv in Fi*ankreich 
und Oberitalien, wo die germanische Volksanschauung mit romanischer Kultur 
vermischt war, nur verblaßt und andeutungsweise, in Deutschland dagegen 
mit voller Klarheit zum Ausdruck kam. 

Vielleicht darf man jetzt auch der Frage nach der ursprünglichen 
Heimat der Totentanzidee mit der Hoffnung auf eine wahrscheinliche Lösung 
nahetreten. Für diejenigen Forscher, die das Tanzmotiv als wesentliche 
Eigenschaft unserer Bilderzyklen ansehen, käme nach dem Vorausgehenden 
Deutschland in Betracht. Da sich aber aus der Vergleichung aller kritisch 
verwertbaren Monumente als ihr eigentlicher Inhalt und die allen gemeinsame 
Grundidee das ergeben hat, daß die verschiedenen Vertreter der menschlichen 
Stände von je einem besondern Toten in feierlicher, geschlossener Prozession 



^ Migne, Patr. lat. XXXIX 2239. historique, philosophique et pittoresqae sur 

' Vgl. Lejay, DictionnairedeTh^ol. cath. n, les danses des morts I 564 ff und auf die 

Paris 1905, s. v. Caesarius Arelateneis. Untersuchungen von Peignot und Douce, 

' Ich verweise auf Langlois, Essai die diese Dinge ausführlich behandeln. 



2. Die Lösung des Räteels. 109 

zum Sterben abgeführt werden, während das Tanzmotiv nur die äußere, aber 
bald fast allgemein beliebte Form ist, so kann als Heimat des Totentanzes 
nur jenes Land in Betracht kommen, wo die Legende der drei Lebenden und 
der drei Toten, aus welcher ja sein wesentlicher Inhalt stammt, in monu- 
mentaler Darstellung am allgemeinsten verbreitet war. Das ist aber das 
nördliche Frankreich. Der Literaturhistoriker wird von vornherein geneigt 
sein, dieser Anschauung zuzustimmen, da er weiß, daß fast alle Stoffe der 
höfischen Epik, der Lehrgedichte, Novellen und Schwanke seit dem 13. Jahr- 
hundert der deutschen Literatur von hier zufließen; und auch der Kunst- 
historiker wird kaum Einwände erheben, wenn er erwägt, daß die deutsche 
Architektur und Plastik im 13. und 14. Jahrhundert im mittleren und nörd- 
lichen Frankreich ihren Nährboden hat. Sollte es für das Gebiet der Malerei 
anders gewesen sein? Hier liegen die Verhältnisse nicht so klar zu Tage, 
und man darf nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung nicht allgemein 
von einem Abhängigkeitsverhältnis der deutschen Malerei von der französischen 
in der genannten Zeit reden. Aber gerade für die Gegend, auf die es uns 
hier zunächst ankommt, den Oberrhein, hat die neuere kunstgeschichtliche 
Forschung Resultate gezeitigt, die vielleicht geeignet sind, auf die Frage nach 
der Herkunft der oberdeutschen Totentanzbilder, die nach Form und Text 
den Eindruck erwecken, als wären sie eine indigene Erscheinung des Ober- 
rheins, einiges Licht zu werfen. 

Seelmann hat meines Erachtens überzeugend nachgewiesen, daß ein 
altfranzösischer Totentanztext als gemeinsamer Stammvater einerseits der 
altspanischen Danza general und anderseits des niederdeutschen Totentanzes 
anzunehmen sei, und Goette^ hat gezeigt, daß der Maler des Lübecker 
Bildes, von dem alle übrigen niederdeutschen abhängig sind, das Pariser oder 
ein ihm in allen Stücken gleiches Bild kannte und nach dem Gedächtnis oder 
einer Skizze benutzte. Aus Spanien sind keine Totentanzbilder bekannt ge- 
worden, und die sieben englischen Zyklen ^ sind so mangelhaft erhalten, daß 
sie stilkritisch nicht mehr verwertet werden können; wohl aber wird uns 
ausdrücklich überliefert, daß der englische Totentanztext bald nach 1425 
durch den Dichter John Lydgate nach der Pariser Dance macabre 
bearbeitet worden ist. 

Lassen sich auch zwischen Frankreich und dem Oberrhein überhaupt und 
bezüglich der hier verbreiteten Totentänze insbesondere greifbare Zusammen- 
hänge nachweisen? Die Bemerkung Stiaßnys^ ist gewiß richtig : »Daß die 
Bheinschwaben vor allem dem Einfluß der beweglicheren Nachbarkunst unter- 
lagen und seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ,opere francogeno' 
nicht nur gern gebaut und gemeißelt, sondern gelegentlich auch gemalt haben, 
ist durchaus erklärlich. Der rege Handelsverkehr der Bodenseegegend mit 
Frankreich, Basels Diözesanverband mit Besan9on, die politischen Beziehungen 
der Westschweiz zur Freigrafschaft, der Glanz der burgundischen Hofkunst 
lockten die jungen Gesellen aus dem obern Rheintal in das Stammland der 
Gotik, bevor die Flandern- und Italienfahrten aufkamen.** 

Viel wichtiger als diese allgemeinen Sätze sind die Einzelnachweise bei 
Daniel Burckhardt in seinen Studien zur Geschichte der altoberrheinischen 
Malerei *. 



* Holbeins Totentanz und seine Vorbilder 61. 'Jahrbuch der kgl.-preuß. Kunstsamm 

• Vgl. Seelmann, Die TotentÄnze des lungen XXVII 288. 
Mittelalters 54—55. * Ebd. 179 ff. 



110 ^* ^^^ Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

,Al8 ein posthumes Werk dieser , (Eonstanzer) Eonzilskunst' erscheint das 1431 datierte 
Tiefenbronner Altarwerk des Lnkas Moser. . . . Hochaltertttmliches und Modernes, Deutsches 
und Welsches fließen merkwürdig durcheinander; es dominiert aber doch die Erinnerung an 
französisch-niederländische Kunst vom ersten Viertel des Jahrhunderts. Moser hat diese Ein- 
drücke in ähnlich rauher und derber Weise verarbeitet wie Eonrad Witz die ihm aus Eyckscher 
Kunst gewordenen Anregungen. . . . Wem es gelingt, die Mosersche Seelandschaft ihrer zu- 
fälligen, im Unvermögen des Malers liegenden Mängel zu entkleiden, wird schließlich doch 
auf ein Urbild gelangen, wie es etwa in dem von Durrieu herausgegebenen Turiner Codex 
enthalten ist. Die realistischen Köpfe Mosers finden nur in französischen Werken ihr Gegen- 
stück; auf der Malouel zugeschriebenen Darstellang der Dionysiuslegende (Louvre) ist der 
aus einem vergitterten Rundfenster blickende Kopf des kommunizierenden Pariser Heiligen 
der Moserschen Auffassung aufs nächste verwandt, und aus Frankreich stammen wohl aach 
die Vorbilder der auf dem Tiefenbronner Werk so raffiniert wiedergegebenen Bildhauerarbeiten ; 
man vergleiche das Christuskind einer im Spital zu St-Jean-de-Losne befindlichen Madonna 
mit dem Knäblein in den Armen von Mosers Madonna.' ^ 

Basel selbst besitzt aus dem Ende des 14. und dem Anfang des 15. Jahr- 
hunderts eine Beihe von Werken, die auf den ersten Blick italienische Manier 
verraten, die aber tatsächlich auf französische Vorbilder zurückgehen, so ein 
Altarbild aus der Dominikanerkirche in Basel ^ und ein Skizzenblatt mit drei 
in schwarzer Tusche gemalten Madonnen, ein unscheinbares, aber lehrreiches 
Dokument. 

„Sachen wir nach der künstlerischen Herkunft der Zeichnung, so werden wir wiederum 
nach Frankreich geführt. Die Basler Madonnenbilder erinnern zunächst an die Art des Andrea 
Beauneveu, der bedeutendsten und greifbarsten Künstlergestalt aus der älteren, für den Herzog 
von Berry tätigen Malergruppe. In dem 1402 vollendet vorliegenden Psalter der Pariser 
Nationalbibliothek (Fonds Fran^ais 13 091) sind vor allem die Einzelfiguren der sitzenden 
Propheten und Apostel mit unserer Zeichnung in Verbindung zu setzen. Äußer! ichkeiten, wie 
die charakteristische Gewand behau dlung, zeigen nächste Verwandtschaft, wie z. B. jenes System 
von spitzwinkligen, sich sanft über den Knien brechenden Falten, ferner die abgerundeten 
Mäandern ähnlichen, in symmetrisch angeordneten Gruppen rhythmisch wiederkehrenden Wellen- 
motive der unteren Gewandsäume, dann die auf den Sitzen sich bildenden Stoffbauschungen. . . . 
Die durchaus individuell aufgefaßten Madonnenköpfe mit der mächtig gewölbten Stirn, der 
breiten Nase und den starken Lippen finden ihr Gegenstück in der lebensgroßen Marmor- 
madonna, die Jean de Berry ins Cölestinerkloster von Marcoussis stiftete. . . . Die dritte 
Madonna nähert sich der in Dijon gültigen Auffassung und der künstlerischen Art jener 
Bildergruppe, die man neuerdings mit dem Namen des burgundischen Hofmalers Jean Malouel 
in Verbindung bringt. . . . Beauneveu und Malouel, der Künstlerkreis des Herzogs von Berry 
und der des Herzogs von Burgund scheinen sich in den drei Madonnenbildchen die Hand zu 
reichen.* * 

Eine deutlichere Sprache scheinen mir aber folgende Tatsachen aus der 
Kunstgeschichte Basels zu reden: Im Jahre 1418 erhielt Hans Tieffenthal 
den Auftrag, die Kapelle des „elenden Kreuzes'' mit Gemälden zu schmücken: 
die Vorbilder dazu holte er sich in der Kartause zu Dijon*. 
Im Jahre 1440 ließ der Basler Rat am Eheintor eine Darstellung des Einzugs 
der hussitischen Konzilsgesandten malen ; er ahmte damit einen Brauch Frank- 
reichs nach, wo man es liebte, die Wände der Stadttore mit berühmten 
historischen Einzugsfeierlichkeiten zu schmücken^. 

Sollte nicht auch der Totentanz von Klein-Basel, der ja nach gewöhn- 
licher Annahme derselben Zeit angehört, einem französischen Brauch seine 
Entstehung verdanken, zumal Hans Witz, der Vater des Konrat W^itz, gerade 
in dem Jahre, in dem die Dance macabre im Kreuzgang von Saints-Innocents 
in Paris gemalt wurde, im Dienst des Herzogs von Burgund sich daselbst 



» Jahrbuch der kgl.-preuß. Kunstsamm- * Ebd. 184. » Ebd. 185 u. Abb. S. 187. 

lungen XXVil 192. * Ebd. 183. * Ebd. 184. 



2. Die Lösung des Rätsels. « 111 

aufhielt und später auch in Basel auftauchte ? ^ Hat ihn vielleicht Konrat 
Witz, der von 1431 bis 1444 in Basel wohnte, nach Skizzen angefertigt, die 
sein Vater aus Frankreich mitbrachte? Doch läßt sich darüber nichts Be- 
stimmtes mehr ausmachen, da uns positive historische Nachrichten fehlen und 
wir den Klein-Basler Totentanz nur in der verderbten Gestalt kennen, die 
er im 16. Jahrhundert erhalten hat. Vielleicht kamen die Totentanzbilder 
schon im 14. Jahrhundert an den Oberrhein, und Goette zeigt mit guten 
Gründen, da& gar keine Veranlassung vorliegt, die Entstehung der Klein- 
Basler Bilder erst in die dreißiger Jahre des 15. Jahrhunderts zu verlegend 
Sollte sich hier nicht jener Totentanzzyklus in geschlossener Reigenform be- 
funden haben, den der vierzeilige oberdeutsche Text zur Voraussetzung hat? 
Jedenfalls hat in Oberdeutschland im 14. Jahrhundert ein Totentanz existiert, 
wie der genannte Text lehrt, der in der Anordnung der Figuren mit dem 
nordfranzösischen Totentanz verwandt war. Aber auch in dieser Periode 
stand die oberrheinische Kunst unter dem Einfluß der französischen, wie die 
Bilder des Nikolaus Wurmser auf Schloß Karlstein und die Heidelberger 
Manessehandschrift lehren ^. 

Nach allem diesem halte ich dafür, daß der oberdeutsche Totentanz von 
daher stammt, von wo ihn auch die übrigen Länder erhalten haben, aus 
Frankreich. Die Auflösung in einzelne Paare in den Handschriften kommt 
lediglich von der Manier der Zeichner, bei der Übertragung der Bilder in 
das Buchformat jedem Paar eine besondere Seite zu widmen. Der Klein- 
Basler Totentanz in der Form, in der er uns heute vorliegt, ist allem An- 
schein nach eine Erneuerung des ursprünglichen Gemäldes nach einer hand- 
schriftlichen Vorlage. Allerdings ist der vierzeilige oberdeutsche Text scheinbar 
ganz originell und mit dem französischen fast gar nicht verwandt. Aber 
er ist in den Strophen der Lebenden und den Anreden der 
zwei Prediger, wie Fehse gezeigt hat*, eine Übersetzung des 
lateinischen Textes in dem Heidelberger Manuskript H^ von 
dem man nicht ohne weiteres behaupten kann, daß er in Deutsch- 
land entstanden ist. Rein deutsch sind und von einem unbekannten 
oberdeutschen Dichter stammen jedoch die Anreden der Toten, also jene 
Strophen, in denen Humor und Satire so auffallend zum Ausdruck kommen 
und in denen das Tanzmotiv eine geradezu frivole Entwicklung annimmt. 

Die Erklärung des rätselhaften Terminus „Dance macabre", mit dem die 
Franzosen den Totentanz benennen, muß ich den Sprachforschern überlassen. 
Nur darauf will ich aufmerksam machen, daß sich aus der oben mitgeteilten 
ausführlichen Geschichte der drei Lebenden und der drei Toten vielleicht doch 
einige Momente ergeben, die in Zukunft beachtet werden müssen. Ich denke, 
man wird jetzt endlich aufhören, „macabre" mit »Machabaei" oder mit „Ma- 
carius* in Beziehung zu bringen, denn weder die makkabäischen Brüder noch 
der ägyptische Mönch Makarius haben mit dem Totentanz etwas zu tun. Auch 
der „Dichter Macabrus" muß in das Reich der Fabel verwiesen werden, wenn- 
gleich ihn neuestens Gaston Paris, allerdings in anderer Eigenschaft, wieder 
hervorzaubert ö. Die Stelle aus dem „Respit de mort" des Pariser Dichters 
Jehan Le Fevre (1376), von der Paris ausgeht: 



i Ebd. 190. * Zeitschrift für deutsche Philologie XL 

' Holbeins Totentanz und seine Vorbilder 88. 75 ff. 

»Burckhardta. a. 0. 179. * Roinania XXIV 129 ff. 



112 ^' ^61* Totentanz und die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. 

Je fis de Macabre la dance, 

Qui toutes gens maisne a sa tresche 

Et a la fosse les adrescbe 

Qui est leur derraine maison, 

ist gewiß wichtig, weil hier „macabre" zuerst belegt ist; auch ist richtig, 
daß es hier substantivisch und als Eigenname gebraucht wird. Auch ich 
entnehme aus der Stelle, daß Le Fevre von sich sagen wollte, er habe einen 
totentanzähnlichen Text verfaßt. Vielleicht darf man in ihm den Autor des 
französischen Totentanztextes sehen, oder aber er ist der Verfasser eines 
jener Dicts des trois mors et des trois vifs, die Montaiglon veröffentlichte. 
Aber wie man aus den Worten „Je fis de Macabre la dance" einen berühmten 
Maler konstruieren kann, von dem die französische Kunstgeschichte nichts 
weiß, ist mir unverständlich. Auf den Umstand, daß „macabre* in den an- 
geführten Versen am frühesten erwähnt wird, ist kein Gewicht zu legen, 
denn der Inhalt der Legende der drei Lebenden und der drei Toten, die 
schon seit dem 11. Jahrhundert in Frankreich bekannt war, wurde ebenfalls, 
wie sich aus der Inschrift in Eermaria und dem Aufzug der Soldaten des 
Herzogs von Bedford ergibt, mit „Dance macabre* bezeichnet^. Vielleicht 
schwebte dem Dichter Le Ffevre ein solches Spiel vor Augen, als er den 
„Herrn Macabr^" schuft. 

Von allen den vielen Versuchen ^ das rätselhafte Wort zu erklären, 
leuchtet mir jener des Bibliothekars van Praet* am ehesten ein, der es 
von dem arabischen maqäbir, Gräber, Kirchhof (Plural von maqbara, 
Grab) ableitet. Empfiehlt sich dieser Deutungsversuch auch aus dem Grunde, 
weil das arabische Wort im Gegensatz zu andern Etymologien, die man auf- 
gestellt hat, das Wesen der Sache, mit der es in Verbindung gebracht wird, 
vortrefflich andeutet, so kommt dazu noch der weitere Umstand, daß ja der 
Urtotentanz, d. h. die Legende der drei Lebenden und der drei 
Toten dem Abendland aus der arabischen Literatur zukam. 

Vielleicht darf man jetzt auch die Vermutung Ellissens^ wiederholen, 
daß „Dance* ebenfalls aus dem Arabischen stamme und „Dance macabre* gleich 
dem arabischen „tanz-d-makabiri*, Kirchhofsspiel, sei. Sollte es sich nicht 
aus der Geschichte der Legende der drei Lebenden und der drei Toten und 
des Totentanzes erklären, daß „Tanz* und „tanzen" im Deutschen erst seit 
dem 12. Jahrhundert auftaucht, und daß auch die gleichbedeutende romanische 
Sippe (ital. danzare, franz. danser oder dancer, engl, to dance) nicht früher 
zu belegen ist? Kluge, der nach meinem Dafürhalten ohne Grund annimmt. 



* Vgl. oben S. 99. 

* Sollte daher auch die Bezeichnung für 
mythische Heidenkönige stammen, die in alt- 
französischen Gedichten des 12. und 13. Jahr- 
hunderts vorkommen ? Vgl. Covenant Vi- 
vien (Mitte des 12. Jahrh.) V. 1062: E 
Clariaus et li rois Baufumez li rois de Cordres 
et li rois Macabrez; ferner Elie de A. Giles 
(13. Jahrh.) V. 1028: Par Mahomet. Fran^ois, 
or aves mal al^: je vous renderais pris mon 
signor Macabrä. Vgl. auch La chancun 
de Willame (Chiswick Press 1903) V.2282: 
Et ApolJn et ßagot et Macaber. 

' Vgl. Seelmann, Die Totentänze des 



Mittelalters 24, und Eupka, über mittel- 
alterliche Totentänze 6 ff. 

* Vgl. seinen Catalogue des liyres imprimiSs 
sur velin de la bibliotheque du roi IV 170; 
siehe auch Mi 11 in, Magasin encyclop^dique 
1811, d^c, 367. 

^ Hans Holbeins Initialbuchstaben mit dem 
Todtentanz etc. 80. Woher Fiorillo, Ge- 
schichte der zeichnenden Künste in Deutsch- 
land und den vereinigten Niederlanden IV 128, 
die Notiz nimmt: Bochart leitet das Wort 
Tanz, Danz, Dantz vom arabischen Tanza 
ab ; G u i c h a r t vom hebräischen D o n t z, 
ist mir unbekannt. 



2. Die LösuDg des R&tsels. 113 

da£ die romanische Sippe germanischen Ursprungs sei, bemerkt: „mhd. tanzen 
ist durch sein spätes Auftreten der Entlehnung verdächtig" K 

Die Naturgeschichte lehrt uns, dafi der Südwind manchmal aus Arabien 
oder Afrika Samenkörner fremdartiger Pflanzen an den Gestaden des Mittel- 
meeres oder tief im Binnenlande niederweht, die sich alsdann unter dem 
Einfluß unseres Klimas eigenartig entwickeln. Eine verwandte Erscheinung 
haben wir hier aus dem Gebiete der Kulturgeschichte verfolgt: der arabische 
Dialog zwischen Lebenden und Toten wurde zufällig in Europa bekannt und 
gestaltete sich zur Legende der drei Lebenden und der drei Toten. Aus 
ihrer bildlichen Wiedergabe wuchs nach mannigfaltigen Zwischenstufen, die 
sich im einzelnen nicht mehr genau verfolgen lassen, unter dem Einfluß der 
indogermanischen Yolksauffassung vom Tanz der Toten der sog. Toten- 
tanz heraus. 



' Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache*, zweiter Abdruck, Straßburg 1905, 
a. Y. Tanz. 



Kflnstle, Drei Lebende und drei Tote. 8 



NAMEN- UND SACHREGISTER. 



Abel, Chr. 41 57. 
Adi, arab. Dichter 29 40. 
Altes PassioDal 19. 
Antwerpener Liederbuch 22. 

Baudouin de Condö 81 41. 
Bäumker 74. 
Brandl, A. 82. 
Brann S. J. 57. 
Burckbardt, Daniel 4 109 f. 

Cftsar von Heisterbach 19 20. 
Gampo Santo in Pisa 90 ff. 
Cerviäres, französisches Dorf 

60. 
Chorea Machabäornm 29 80. 
Ghristophorus, hl. 16. 
Codex Sangallensis Nr 556 29. 

Dance macabre 65 71 88 99 

Ulf. 

Danza general de la muerte 75. 
Didron 41. 
Dies irae 88. 
Dobbert 41 52 55. 
Douce, Fr. 41 65 98. 
Dufoiir, V. 68 98. 

Eginokapelle in Reichenau 2. 
EUissen 71 112. 
Escher 86. 
Euling, K. 87. 

Fehse, W. 84 91 93. 
Fiorillo, J. D. 63. 
Fortoul 67. 
Freidank 80. 

Gebet, das Große 18. 

Georgslegende 16. 

Goedeke 28. 

Goette, A. 80 91 96 97 99 109. 

Gräter 86. 

Gramm 2. 

Grimm, J. 72. 

Grüneisen, K. 69. 

Guyot Marcbant 88 88. 

Hammer-Purgstall 80. 
Heimann 90. 



Henricas Grossit, Abt und 

Maler 8. 
Hermann von Fritzlar 19. 
Hermannus Eünig von Vach 18. 
Hettner 41 55. 
Humor im Totentanz 70 72 f 

82 107. 

Ilg 41. 
Innocenta 81. 

Jakob von Yoragine 20. 

Jakobsbrüder 19 22 if. 

Jakobslegende 7 tf 16 18 ff ; 
Holzschnitte 22; Altartafel 
in Winnenden 28; Bilder von 
Lo Spagna 28 ; Tafelgemälde 
in Freiburg i. Br. 24; in 
Tavel 24; in Wollmatingen 
24 ; überlinger Zyklus^ 6 ff 
26; Glasgemälde im Frei- 
burger Münster 27. 

Jodokuskapelle in Überlingen 
5 ff. 

Jubinal, A. 66 98. 

Kalixt n 19. 
Kastner 41 67. 
Eautzsch 87. 
Eeppler 28. 
Kläden 19. 
Elingental 2. 
Konstanz 2 16. 
Eraus 5 16 28 55 81 98. 
Ereuzigungsgruppe im Toten- 
tanz 97 98 
Eunz Eistener 19. 
Eupka, P. 41 56 85 93. 
Eyburg (ScbloBkapelle) 2. 

Langlois 41 67. 

Laurentiuskirche in Eonstanz 2. 

Lausen 2. 

Lavater 102. 

Legende der drei Lebenden 
und der drei Toten. Texte: 
bei Walter de Mapes 80; 
die französischen Fassungen 
81 ff; lateinisches Gedicht 
aus Ferrara 38 ff; Fragment 



aus der Bibliotheque Natio- 
nale in Paris 85; nieder- 
deutsche Fassung 86; ober- 
deutsches Gedicht ,Dis ist 
der weite Ion* 87 ff. Ab- 
bildungen: in dem Druck 
des Guyot Marcbant 42; in 
Pariser Handschriften 42 ff; 
Skulptur in Paris 57; im 
Wolfenbüttler Codex 43 ; in 
liturgischen Handschriften 
43 ff 47 ; Wandgemälde in 
Antigny 47 ; Jouhö 47 ; Fon- 
tenay-sur-Orne 48 ; Saint- 
Riquier 48; Longpaon 48 
Eermaria 48; Ennezat 49 
Ditchingham und Battel 49 
Zalt-Boemel 49 ; Metz 49 ff 
57 ; Badenweiler 50 ; Eirch- 
bühl 51 ; Subiaco 51 ; Clu- 
sone 52; Cremona 58; Pisa 

58 ff 56; Überlingen 8 28 

59 ff; Meister des Amster- 
damer Eabinetts 47 ; in der 
Berliner Galerie 56; Tafel- 
gemälde in Flechtingen 56 ; 
Eirchenfenster in Zurzach 
56; auf Paramenten in Os- 
nabrück und Mons 57 ff; in 
Münchener Handschriften 45 
46 96 ; Entwicklung der Le- 
gende 60 ff; die Legende 
und der Totentanz 68 ff 85 
98 ff 106; Reste der Legende 
in Totentänzen 96 ff. 

Leidensgeschichte Christi 8 9 

11 13 14. 
Lochner, Stepban 8 4. 
Longpörier 42. 
Lorenz, E. 86. 
Lübke 50 73. 
Luchini 53. 

Lucian von Samosata 104. 
Lucius Marineus Siculus 21. 
Ludovicus de la Vega 21. 
Lydgate, Mönch 83. 

Makarius, der Eremit 61 66 

86 88 111. 
Makkabäertanz 81 88. 



116 



Namen- und Sachregister. 



Manessehandschrift 2. 
Margaretenkapelle in Konstanz 

4 16. 
Maria Ruh, Wallfahrtskirche 

10 ff. 
Marienlegende in Überlingen 6. 
Marly, Dorf in der Schweiz 22. 
Martyrium der hl. Felicitas 

und ihrer Söhne 79; des 

hl. Lauren ti US 11. 
Massmann 41 71. 
Meersburg 3 9 f. 
Mezger, Maler 5 14. 
Milchius 102. 

Modhadh, König von Mekka 80. 
Montaiglon 31. 
Morgan, C. 61 86. 
Moser, Lukas 3 110. 

Naumann, F. 71. 
Nicholes de Marginal 81. 
Nikolaus Bertrand 21. 
Nikolauslegende 2. 
Nothelfer 6. 

Obermauern im Pustertal 12. 
Otto von Hachberg 4 16 17. 

Paris, Gaston 111. 

Paulus, Kunsthistoriker 28. 

Peignot, G. 64. 

Perger 41. 

Pest und Totentanz 89. 

Pestpatrone 89. 

Petrus Comestor und Petrus 
Damiani, ihre Grabschriften 
29. 

Praet van 65 68 71 112. 

Pride of Life, englisches Schau- 
spiel 82. 

Prüfer 74. 



Bahn, R. 74. 
Rauscher, H. 22. 
Reuttlinger, J. 5. 

Sainte Segolena 4. 

Santiago de Compostela (Wall- 
fahrten dahin) 18. 

Schauspiel und Totentanz 73 
74 76 80 81 84 91; Spiel 
vor dem Herzog von Bur- 
gund 79; der Franziskaner 
in Besannen 79. 

Schmied, A., Maler 24. 

Schougauer 3. 

Schreiber, W. L. 82 85. 

Schwerttanz 60. 

Seelmann 74 ff 109. 

Silvester, Abt 29. 

Skelette, tanzende 64 105. 

Soleil, F. 68. 

St Goar, Stiftskirche dort eine 
Votivkirche gegen die Pest 89. 

Stark, H. 102. 

Stiaßny 3 109. 

StoU, J., Maler 24. 

Tafelmalerei 3. 

Tanz der Toten, ein indo- 
germanischer Volksglaube 
104; Stich von Riedinger 
102; Holzschnitt im Liber 
Chronicarum 103. 

Tänze, religiöse 66 67; welt- 
liche 78; vor den Kirchen 
an hohen Festen 108. 

Tanzmotiv 81 86 ff. 

Tanzreigen 80 84 90 93 99 ff. 

Tavel (Schweiz) 24. 

Teufelsdarstellung 16 17. 

Tod und Tote 76 f 78; Tod 
und Tanz 102. 



Todesangst Christi 8. 

Töß (Kloster) 2. 

Totentanz und Kirche 90. 

Totentänze , ihre Entstehung 
und ursprüngliche Heimat 
106 ff; Bilder in Basel 77 

84 85 91; Berlin 74 75; 
Clusone 92; Dresden 71; 
Kermaria 68 f 77 83 91 92 
99; La Chaise-Dieu 66 91 
99 ; Lübeck 74 ; Metnitz 92 
Mons 95; Osnabrück 95 
Paris 699199; Pinzolo 92 
Pisogne 77; Straßburg 92 
in deutschen Handschriften 
92 ; Holbeins Zeichnungen 
70 91. 

Totentanztexte überhaupt 78 
92; oberdeutsche 76 83 84 

85 91 97 111; französischer 
Text 88 85; englischer 83. 

Trimalchio, sein Gastmahl 64. 

ühland 19. 

Tallardi, G. 87. 
Vigo, P. 83 88. 
Vitzthum, von 47. 



Wackernagel 72 ff. 
Walter de Mapes 30. 
Waser, 0. 82. 
Wesselv 74. 
Wingenroth 16 17. 
Witz, Hans 8; Konrad 4. 
Wollmatingen, Gemäldezyklus 

dort 15. 
Weltmann 73. 

Zeilen , Kapelle mit Wand- 
gemälden 13 ff. 



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