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I
Harvard College
Library
FlOH THI BEQDEST OF
JOHN HARVEY TREAT
OF LAWBENCB, MASS.
cusaoFiMa
tffi
Lehre, des heil. Thomas von Aquin
fiensireMderyemiiiiitipntan.
Eine philosophische Stadie
Fr. Onndisalv Feldner, Ord. Praed.,
Begeiu nnd BMcalantem 8. Thcol.
■ ■ - GRAZ.
Verlag von Ulrich Mosers Bnchhandlnng
(J. Ueyerboff).
1890.
( OEC 9 1920''
Die tliiterzRickneteD haben im Auftrage der Ordensobem vor-
liegendes Buch durchgesehen und zur Drncklegnng begataohtet.
1 14. September 1889.
P. Fr. Augustin Kantor,
HagiaMr der TheologiB.
P. Fr. Leo Michel,
Baccalaorens der Thsalogje.
Imprimi permittimoa.
-aecii, die 14. Septembrie 1889.
P. Magister Fr. Thomas Anselmi,
k
Alle Rechte Torbehatt«n.
K. k. Uiiivenit«t«-Biiolidni>k«r«i .Styri»' in Gru.
Vorwort.
iha ist keiine leichte Sache, das Gebiet der Willensfreiheit
richtig, abzugrenzen. Die Geschichte weiBB von Streitigkeiten zu
erzählen, die diesbezüglich mehr als einmal im Laufe der Jahr-
handerte entstanden sind. Die einen wollten dieses Gebiet mehr
als erlaubt ist ausdehnen, die andern gegen alles Recht ein-
schränken. Zum Glücke fUr die Menschen hat die göttliche \'ot--
sebung Sorge dafUr getri^en, dass in diese dunkle Frage volle
Klarheit komme. Der große heil. Augustin und S. Thonia» von
Aquin sind vor allem die providentiellen Männer, welcbe Gott
gesandt hat, um uns über die Willensfreiheit richtigen Atifiseblnss
zo geben. Vorliegende Arbeit bringt ausschließlich die Lehre
des Doctor Angelicns über die Willensfreiheit der vernlioftigen
Wesen vom philosophischen Standpunkte aus zur Darstellung.
Sollte es gelingen durch dieses Werk im erhöhten Masse die Auf-
Baerksamkeit der Leser auf die Doctrin des heil. Thomas zu lenken,
so würde niemand glücklicher sein als:
Graz, am 14. September 1889.
Der Verfasser.
Inhalts -Obersieht. *
Seite
L Kapitel: Der Wille als Vermögen oder Potenz . 1—124
§ 1. Der Wille der* yenittnftigen Wesen 1—12
Allgemeine Begriflfsbestimmungen des Willens, Haupt-
merkmal: die Selbstbestimmung; n. 1. Bestimmung und
Selbstbestimmung überhaupt; n. 2. Zweifache Selbstbestim-
mung; n. 3. Der Wille im allerweitesten Sinne bestimmt;
n. 4. Unterschied des Willens vom Strebevermögen der
Naturdinge und der Thiere ; n. 5, a, 6.
^ $2. Abhängigkeit des Willens yom Tevstande 12—24
Der Wille vernünftig durch Antheilnahme; n. 6. Was das
bedeutet ; n. 7. Unter Verstand ist der praktische gemeint.
Folgen eines Fehlers im Verstände. Eine in neuerer Zeit
aufgetauchte Lehre ; n. 8. Zwei concrete Beispiele von der
Abhängigkeit des Willens: die Übereinstimmung unseres
Willens mit dem göttlichen ; n. 9. Pflicht des Willens dem
• irrenden Verstände zu folgen; n. 10. Der Einfluss des
Verstandes auf den Willen ein m i 1 1 e 1 b a r e r ; n. 11. Dieser
Einfluss ein ausschließlich objectiver; n. 12.
§8. Der Wille als Natur and. dessen Natamothwendigkeit ^4—46
Der Wille ein einziges y ermögen; n. 13. Die Natur-
nothwendigkeit im Objecto begründet; n. 14. ,Das Gut,
die Glückseligkeit im allgemeinen und das e i nrz i g^ Mittel
zum Ziele bilden das genannte Object; n. 15f Eine unbe-
dingte und bedingte Nothwendigkeit auch in Gott; n. IG.
Dieses nöthigende Object fär den geschaffenen Willen
nicht objectum g'i«?d;n. 17; sondern bloß objectiver ^rund,
ratio volendi'^ n. 18. Gottes Wesenheit allein bewegt den
^ •Willen objectiv nothwendig; n. 19. Die neuere 'Sifcorie
unrichtig; n. 20. Inwiefern die objective Bewegung des ♦
Willens „allgemliner Natur"; n. 21. Das Object bestimmt
den Willen specificativ; n. 22. Der Zwang und die
Gewalt allein der Freiheit hinderlich; n. 23.
§ 4. Der Wille als Wahlfireilieit /^liberum arbltriumj .... 47—62
Warum der Wille frei ist; n. 24. Was die Wahlfreiheit
in sich ist; n. 25. Die Wahlfreiheit formell einfach, vir-
tuell zweifach; n. 26. Die Vernunft nicht formell iden-
tisch mit der Freiheit; n. 27. Die Vernunft wirkliches
Princip, Grund und Wurzel der Freiheit; n. 28.
VI —
Seite
fp5* Das tiefste innerste linsen der Wahlfreiheit .... 62—86
Der Wille an und für sich ein reines Vermögen, eine
reine Potenz; n. 29. Der Wille als actives Princip zu-
4 sammengesetzt aus Potenz und Act. Unterschied zwischen •
activer und passiver Potenz. Eine zweifache objective In-
differenz des Willens '•, n. 30. Doppelte subjective Indifferenz
des Willens; n. 31. Die subjective Indifferenz des Willens
* zugleich v<arbunden mit der objectiven; n. 32. Welche In-
differenz des 'Willens fär die Freiheit wesentlich erfor-
derlich, damit der Wille an und flir sich frei genannt werden *
könne; n.33. Die passive oder privative für die Frei-
heit anundfürsich nicht nothwendig ; p . 34. Die Freiheit ,
formell durch die active Indifferenz constituiert; n. 35.
In den Geschöpfen die passive damit verbunden; n. 36.
Diese active Indifferenz eigentlich und per se Indifferenz
hinsichtlich der Thätigkeit oder der Unthätigkeit;
n. 37. Sie hängt aber per accidens von der* objectiven ab,
schließt diese letztere per accidens in sich ; n. 38. Die Lehre
des heil. Thomas und seiner Schüler nicht fegen die Frei-
heit; n. 39. Der senaus compositus und divisua des heil. Thomas ;
n.40. Dar Wille niemals zu einem bestimmt; n.41.
% 6. Der Gegenstand oder das Object der Wahlfreiheit ^ . 86—124
Das dreifache Object hinsichtlich dessen der Wille frei ;
n. 42. Hierin der diametrale Gegensatz zwischen S. Thomas «
und Calvin, Jansenius bezüglich des Objectes; n. 43. Ebenso
in Betreff der Thätigkeit oder Unthätigkeit; n. 44. Die
Lehre des heil. Thomas diesbezüglich eine ständige ; n. 45.
Die Macht des Willens, nach dem Bösen zu streb'en, der
Freiheit nicht wesentlich; n. 46. Der Grund warum der
Wille Böses begehren kann ; n. 47. Die Unabhängigkeit
der Freiheit nicht wesentlich; n. 48. Das Gebiet der Frei-
heit somit ein sehr ausgedehntes, bevor der Wille Gottes
Wesenheit besitzt; n. 49. Einwürfe gegen die dargelegte
Doctrm: der Wille kann nicht alle seine Acte nicht voU-
» ziehen. Widerlegung derselben. *Der Wille kennt keine Ge-
walt; n. 50. Er kennt auch keii^e subjective Nothwendig-
keit; n. 51. Die sogenannten moHu primo primi beweisen
nichts dagegen ; n. 52. Diese mohu unterstehen auch dann
der Freiheit, wenn sie von der Vernunft selber ausgehen;
n: 53. Der Vorwurf gegen die Thomisten, als zerstörten sie
die Freiheit, durchaus unbegründet ; n. 54.
IL Kapitel : D{e ThätigtLeit des Willens der vernanfUgen
^ ^Wesen . i 129^144
S 7. Die Willenstlifttigkeit oder der WUlenstfet ..... 125--135
Die Potenz Princip einer Thätigkeit ; n. 55. Verschiedene
Namen für die Thätigkeit: den Act, die Form und die wirk-
same Ursache bezeichnend; n. 56. Die Thätigkeit als Ac-
cidens und darum als Form im Thäti^keitsvermögen; n. 57.
Die immanente und transeunte Thätigkeit als Accidens
im Thätigkeitsvermögen als ihrem Subjecte; n. 58. Die
Thätigkeit als solche, oder formell genommen in gar
keinem Subjecte; n. 59. Die cperaiio im Unterschiede von
der actio] n. 60.
|8.])u Vn-hlUnis der ThBUffkelt n ihreu Frlne^ei >. .
in der Wesenlielt, m der PMeu Im pusslrea nad
aeÜTen ZnsUnde 136— 111
f Dia Thätjgkeit sachlich untenchiedsD von der Wesen-
heit in allen geschaffeueo DiDgen; d. 61. Die Thädgkeit in
den Gesohspfen h a c h 1 i c h nntersoiiieden von ihrer ^iiteoz ;
D. GS. Die Thätigkeit in den Creatuien sachlich nnter'-
schieden von der p&eaiven Potenz, von dem Ageas m
potentia; n. 63. Die ThtttigkeiC sachlich unterBchluden
von der activen Potenz, von dem Agens >n acta; n. 64.
Die sctive Potenz, das Agens m aetu zusammenge-
setzt aus Potenz und Act; b. 60.
Ul. Kapitel: Der Einflus$ Gottes auf den Willen der
Geschöpfe 145-274
Die active Potenz Princip der Thätigkeit; n. 66. Goit
die UrBache der activen Potenz; n. 67. Oott allein
Urssche der actiren Foteiu ; n. 68. Die praemotio jAj/iica;
n. 69. Das ^plicieren doppelsinnig; d. 70. Der 6aga-
' nannte simultane Concurs; n. 71. Der bloB ainmltiuiä
Concors unzaruichend; n. 73.
|10.C)ottdleünBoliederThBtiKkeIt In den eeBohapfen 1B4— 180
Die Thätigkeit Gottes der Natur und Causalität nach
früher: n. 73. Im Concurae der Gegner keine Über- und
Unterordnung ; Q. 74. Gottes Thätigkeit früher, weil sie
ihm immanent; n. 75. Die Thätigkeit selber nicht con-
Btitutivea Prinoip der activen Potenz; n. 76. Gutt
und das Geschöpf entfalten nur eine Thätigkeit; n. 77.
Inwiefern Gott nnmittelbar wirkt; n. 78. Der simaltane
' Concurs nur haltbur unter Voraussetzmig der praemiitio
pl^nea;u. 79. Das Geschöpf Instrument Gottes; d. HU.
§11. Der tiefste Innerste Grand der praenfbtlo phyaica . . 1S0~1S8
Unfähigkeit der Creatur das Sein der activen Potenz
zu verursachen; n. 81. Die Creatur wirkt das Sein Uer
Thätigkeit nur als Instrument GotCbs, durch aicb
selbst aber aus8ChUe£lich passiv, stofflich; n, 82. Der
- ganzeEffectdergescbafrenenUrsachezuzuschreiben; n.S3
' 1 12. Die prMmotlo physlca der Tertheldlger des blofi slmDl-
tanen Cftncnnea Iä8— 1S7
Die Gegner lehren thatsächlich eine Jiroeniofip phi/-
nca; n. 81. Dasselbe lehrt ebenso klar die neueste Tfaeoiiu
von der Bewegung zum Guten und zu der 61ückseligki-i:
im allgemeinen; n. 85. Die praanotio p/a/siea von all-
gemeinen Gesichtspunkten aus bewiesen ; n. 86.
|18. Die plirsisolie Torberbewegnng and die Freiheit . . 1!)7— 223
Der -vorhergehende Einfluss Gottes im Interesse der
Freiheit bestritten ; n. 87. Dieser Einfluss nothwendig flir
die formelle Freiheit; n. 88. Durch diese Bewegung
erhält der Wille die Herrschaft über sebe Thätigkeit;
" "" "' '■ "" r Freiheit ebensowenig eohfidlicb
VIII —
f
'0 ♦. *
• 4
f
Seite
t als «der Wille selber^ »n. 90*. Die praemotio V^schafft dem
Willen die ihm fehlende Vfllkommenheit ; n. 91. Die, Vorher-
de terminierung; n. 92. Vom hl. Thomas gtelehrt; n. 93.
Die Vorherdeterminierung gehört zur Providenz; n. 94. f
Sie ist nicht gegen die Freiheit; n. 95. Inwiefern eine
Thätigkeit mit Nothwendigkeit erfolgt; n. 96. Die
Vorherdeterminierung c o n f o r m der Natur des Geschöpfes ;
n. 97. Die Vorherdeterminierung bringt ebensowenig eine
Nothwendigkeit mit wie die S e 1 b s t determinierung des
Willens; n. 98. Der Wille kann hier auf Erden die Frei-
heit gar nicht verlieren; n. 99. Die Vereinbarkeit der
Vorherbewegung mit der Freiheit aus allgemeinen Prin-
cipien bewiesen; n. 100.
§14. Die praemotio physica und die Sflnde.des freien Willens 223—240
Das Wesen der Sünde; n. 101. Die Sünde nicht der
Tod, sondern eine unheilbare Krankheit ; n. 102. Das Ab-
weichen von der Richtschnur begründet eigentlich die
Deformität in der Sünde: n. 103. Inwiefern Gott Ursache
und nicht Ursache der Sünde; n. 104. In der Sünde ein
Dreifaches ; n. 105. Warum Gott nicht die Sünde als solche
verursachen kann ; n. 106. Gott nicht £ndziel, darum auch
nicht Ursache der Sünde ; n. 107. Dass di^ Sünde inner-
lich mit dem Acte verbunden ist, beweist nichts da-
gegen ; n. 108. ,
S 15. Der bloß simultane Concnrs Gottes und. die Sttnde . 240—250
Bei dem bloß simultanen Concurse wirkt Gott eben-
falls zur Sünde mit; n.'109. Dasselbe gilt, wenn er den
Wülen nur zum Guten und zur Glückseligkeit im all-
gemeinen bewegt ; n. 110. Dieser Vermittlungsversuch daher
ganz unbrauchbar; n. 111.
§16. Schluss: Allgemeiner Überblick Aber das gewonnene
Resultat 250—274
Die objective Freiheit; n. 112. Die formelle in Gott;
n. 113. In den Geschöpfen ; n. 114. Das Freiheits p r i a c i p ; *
n. 115. Die Überführung des Vermögens in den Act
durch öott; n. 116. Der Name: jjproemorio'*, richtig; n. 117. '
Der bloß simultane Concurs unrichtig; n. 113. Die prae-
motio nicht gegen die Freiheit; n. 119.« Die Stellen aus
S. Thomas beweisen nichts für die Gegner; n. 120. Die .
jGegner verlangen Unabhängigkeit des Willens; n.l21.
I.Kapitel.
Der Wille als Vermögen oder Potenz.
§ 1. Der WiUe.
1. Der Wille ist jenes geistige Sti-ebeyermögen, welches sich
zu einem vom Verstände vorgeateilten Gut in der Weise neigt,
dasB es diese seine Neigung eicli selber bestimmt- Diese Defiuitiou
des Willens deutet indessen schon auf einen Willensact hin, be-
rflbrt darum direct weniger die Potenz oder das Vermögen, als
den Act dieser Potenz. Wir sagen daher lieber, der Sache ent-
sprechender, der Wille sei jene Potenz unserer Seele, die ihrer
Natur, ihrem Wesen nach, zu einem durch die Vernunit vorge-
stellten Gut bingeordnet ist.
Der englische Lehrer äuiJert sich hierüber mit folgenden
Worten: „Je sähev eine Natiir Gott steht, destomebr finden wir.
die Ähuliohkeit der göttlichen Wurde in ihr ausgeprägt. Dieser
göttlichen WUrde aber ist es eigen, alles zu bewegen, zn neigen,
za leiten, wählend Gott selber von keinem andern bewegt, ge-
neigt oder gelenkt wird. Eine Natur wird infoige dessen umso-
weaiger von Gott geneigt, besitzt aber dafür umsomehr die .Fähig-
keit, sich selber zu neigen, je näher sie an Gott hinaoreicht. Die
nicht mit Sinneswerkzeugen ausgestattete Natur steht auf Grund
ihrer StofTiichkeit am weitesten von Gott ab. Damm wird sie
zwar zu einem Ziele hingeneigt, so jedoch, dass in ihr selber
kein Neigendes, sondern bloJi ein Prineip dieser Neigung vor-
handen ist. Die mit Sinnen begabte Natur erscheint Gott näher-
gerUckt. Aus diesem Grunde hat sie ein Neigendes m eich selber,
nämlich das erfasste oder erkannte Begehrenswerte. Allein die
Neigung selber untersteht nicht der Macht' des Thieres, welches
geneigt wird, sondern ist ihm von anderswoher bestimmt oder
determiniert. Das Thier bleibt bei dem Anblicke eines ergötzlichen
Gegenstandes nicht frei, hat nicht die Möglichkeit in sich, den-
aelben nicht zu begehren. Die Tbiere besitzen keinerlei Herrschaft
Über ihre Neigungen, Sie sind darum nicht eigentlich selber
tbätig, sondern werden vielmehr, wie Damascenus sagt, getrieben
(agnntur). Die Ursache dieser Erscheinung ist darin zu suchen,
Faldoer, wmoiutralhelt. 1
das8 die sinnliche Strebekraft von einem leiblichen Organe ab-
hängt. Die sinnliche Natur nähert sich infolge dessen den Dispo-
sitionen der Materie und körperlichen Dinge, so dass sie nicht so
fast sich selber bewegt, als vielmehr bewegt wird.
Die vernünftige Natur ist Gott ganz nahe. Darum besitzt
sie nicht allein eine Hinneigung zu einem andein überhaupt,
wie die nicht belebten Geschöpfe eine solche ebenfalls haben;
und sie setzt diese ihre Neigung nicht bloß in Bewegung, gleich-
sam als wäre dieselbe für sie schon von anderswoher bestimmt,
wie die der sinnlichen Natur: nein, sie hat überdies noch diese
ihre Neigung in der Gewalt, so dass sie nicht mit Nothwen-
digkeit nach dem erkannten begehrenswerten Gut strebt, so
dass sie sich dazu hinneigen oder nicht hinneigen kann. Daraus
ergibt sich dann die Folgerung, dass diese Neigung für sie nicht
von einem andeiii bestimmt wird, sondern dass sie selber sich
diese Neigung bestimmt. Sie vermag dieses deshalb zu thun, weil
sie sich dabei keines leiblichen Organes bedient. Eben dadurch
entfernt sie sich von der Natur des Beweglichen, nähert sich aber
dafür der Natur des Bewegenden und Thätigen. Dass ein Ding
die Neigung zum Ziele sich selber bestimme, das kann nur ge-
schehen, wenn es sowohl das Ziel als auch all^ Beziehungen des
Zieles zu dem Mittel erkennt. Dies aber ist ausschließlich das
Werk der Vernunft. Das Strebevermögen, welches von keinem
andern mit Nothwendigkeit bestimmt wird, richtet sich demgemäß
nach der Auffassung oder Erkenntnis der Vemunft. Wir nennen
dieses geistige Strebevermögen Willen** (de veritate q. 22. a. 4.).
Wie aus dieser etwas umständlichen Definition des Willens
durch den englischen Lehrer ersichtlich ist, beruht das Haupt-
merkmal des Willens auf der Selbstbestimmung der eigenen Nei-
gung, der eigenen Thätigkeit. Der Wille als Potenz wird durch
den ihm specifisch eigenen Act definiert. Dies darf uns jedoch
nicht irre machen, denn die wirkliche und genau zutreffende
Definition des Willens erleidet darunter keinerlei Beeinträchtigung,
indem ynv ja wissen, dass die Potenz als solche ihren Namen
und ihr Wesen nur mit Bücksicht auf den Act besitzt. Ebenso
verhält es sich mit dem Acte, denn auch dieser wird auf Grund
seines Verhältnisses zu der Potenz also benannt und definiert.
Der Unterachied des Willens vom sinnlichen Strebeveimögen fußt
der soeben angeführten Begriffsbestimmung zufolge zunächst nicht
darauf, dass, gleichwie das sinnliche Strebevermögen der sinnen-
ßUligen Erkenntnis, ebenso der Wille der Erkenntnis des Ver-
standes folge. Den Hauptunterochied macht der Umstand ans,
dass der Wille die Hinneigung zu dem erkannten Gut sich
selber bestimmt, während die Hinneigung des sinnlichen Be-
gehrungsvermögens von einem andern bestimmt wird (I.e. ad 1.).
Wollten wir das Strebevermögen überhaupt in ein solches ein-
— 3 —
theilen, das ein AIIgcineiDCg, und in ein solches, das ein Par«
ticuläres zu seinem Gegenstande hat, so wäre dieses nicht ein
Unterschied an sich oder per se, sondern bloß in der Folge oder
ex consequefdif insofern nämlich die Erkenntnis manchmal ein Allge-
meines, manchmal dagegen ein Particuläres zu ihrem Objecte hat.
Dieser Erkenntnis folgt dann die Neigung des Strebevermögens
das einemal zu einem Allgemeinen, das anderemal zu einem Par-
ticalären (1. c. ad 2.).
2. Wir sehen also, wie der heil. Thomas bei der Definition
des Willens ganz besonderes Gewicht legt auf die Selbst-
bestimmung desselben zu einem Acte. Das Wort Selbstbe-
stimmung im Texte' des Doctor Angelicus dOrfte indessen eine
nähere Erklärung umsomehr fordern, als es sich in gegenyrärtiger
Abhandlung häufig wiederfindet. Was bedeutet zunächst der Be-
triff: Bestimmung, Determinierung? Der englische Meister gibt
uns hierüber folgenden Aufschluss: ^Das Geschöpf wird in drei-
facher Weise bestimmt. Es geschieht entweder durch Beifügung
einer Differenz, die der Potenz oder Möglichkeit nach in der
Gattung enthalten ist ; oder dadurch, dass die gemeinsame Natur
iu irgend einem Subjecte aufgenommen und damit individuell
wird; oder endlich durch Beigabe eines Zufälligen, eines Accidens''
(l.dist.8. q.4. a. 1. ad 2.). Diesen Worten des heil. Thomas ist zu
entnehmen, dass bestimmen, determinieren so viel bedeutet, als
einem Dinge Grenzen setzen, ein Ding einschränken, umzäunen
(Quodl. 7. a.l. ad 1.). Ein Beispiel davon weist jede Definition auf,
die wir über irgend eine Sache geben. Alle Dinge kommen, wie
wir wissen, in irgend einem gemeinsamen Merkmale ttberein. Das
höchste, allen gemeinsame besteht darin, dass sie etwas sind, eine
Wesenheit, ein Sein haben. Wüssten wir aber yon einem Dinge,
das wir genau kennen zu lernen wünschen, weiter nichts, als dass
es etwas ist, eine Wesenheit besitzt, so wäre unsere Erkenntnis
äusseret mangelhaft und zu gar wenig nütze. Wollen wir darum
mehr von ihm in Erfahrung bringen, darüber eine vollständigere
Erkenntnis uns erwerben, so müssen wir es näher bestimmen,
determinieren. Dies kann aber nur dadurch geschehen, dass wir zu
dem Gemeinsamen, worin es mit den übrigen Dingen überein-
kommt, ein Merkmal hinzufügen, welches ihm allein eigen ist.
Setzen wir diesen Process so lange fort, bis wir bei .den indivi-
duellen Merkmalen und Eigenschaften angelangt sind, so werden
v^r das erreichen, was wir wollen: die volle, genaue Erkenntnis
dieses Einzeldinges. Jedermann sieht sofbrt ein, dasS bei diesem
Vorgänge eine beständige Determinierung oder Einschränkung,
dass unausgesetzt eine Einengung, Umzäunung oder Begrenzung
platzgegriffen hat. Die Kreise um das Gemeinsame wurden immer
enger und enger gezogen und dasselbe, durch HinzufUgung neuer
Eigenschaften, schliesslich auf ein ganz bestimmtes, individuelles
1»*
I
I
*«.
\
— 4 —
Wesen eingeschränkt. Wa3 ihm daher zuletzt zukommt, das ist
ihm allein eigen.
3. Diese Determinierung oder Bestimmung nehmen wir that-
sächlich auch bei dem Willen der Greaturen wahr. Der Wille als
Potenz ist unbeschränkt. Potenz oder Vermögen, wurde früher
gesagt, wird er genannt auf Grund eines Verhältnisses, seiner
Beziehung zu dem Acte. Wenngleich der Wille zu einem Acte
hingeordnet ist, so ist doch damit kein- bestimmter, kein Act im
einzelnen darunter zu verstehen. Zu einem Acte itn einzelnen muss
er erst auf irgend eine Weise bestimmt, determiniert, d. h. ein-
geschränkt werden. Diese Bestimmung oder Begrenzung trifft nun,
wie wir vorhin vom englischen Lehrer gehört haben, der Wille
von und durch sich selber. Darum heisst sie Selb st be-
Stimmung. Er selber determiniert sich zu diesem oder jenem Acte.
Allerdings soU damit nicht gesagt sein, dass er sich allein und
ausschliesslich selber bestimme. Wir werden später aus S. Thomas
den stringenten Beweis zu liefern Gelegenheit finden, dass bei
dieser Selbstbestimmung des Willens die erste Ursache, Gott,
keineswegs zurückgesetzt oder übergangen werden darf,, ohne
Unmögliches und in sich selbst Widersprechendes zu vertheidigen.
Die SelbstbestimmuDg des Willens schliesst zwei Momente aus,
nämlich: dass Gott den Willen mit Nothwendigkeit, und
. irgend eine creatürliche Ursache ihn auch nur ' in hinreichender,
wirksamer Weise zu der Thätigkeit, zu einem Acte bestimme.
Diese zwei Arten der Bestimmung resp. des Bestimmtwerdens
allein kommen ihm nicht zu. Sie bilden daher für ihn die
specifische Differenz, die bei jeder richtigen Definition vorhanden
sein. muss.
Es gibt indessen noch eine andere Weise des Bestimmt- oder
Eingeschränktseins. Eine Potenz wird nicht nur vom Acte, son-
dern auch vom Objecto begrenzt und eingeengt. Die Potenz ist
allerdings unmittelbar zu ihrem Acte hingeordnet; allein der
Act ist ebensowenig wie die Potenz um seiner selbst willen da.
Er hat vielmehr Beziehung zu dem Gegenstande oder Objecto.
Das Object bildet, das Princip und die bewegende Ursache für den
Act der passiven Potenz. Die Farbe z. B. ist das Princip des
Sehens oder Sehactes, indem sie den Gesichtssinn bewegt Für
die Thätigkeit, den Act der activen Potenz, ist der tenninus und
das Ziel Object (1. p. q. 77. a.' 3.). Mögen wir demnach den Willen
als passive oder als active Potenz fassen, in beiden Fällen müssen
wir eine Beschränkung, Bestimmung desselben durch das Object
anerkennen. Der Gegenstand des Willens ist das Gut im allge-
meinen. Durch, das Gut wird also der Wille bewegt, aber auch
begrenzt. AUeia unter diesem universellen Gut sind unzählige
particuläre Güter enthalten. * Zu keinem derselben ist der Wille
bestimmt, auf keines beschränkt (de veritate q. 22. a. 6. ad 4, ad 5.
— 5 —
»
«
— de malo q.6. a.anic. ad .6. — 1: p. q. 82. a. 2. ad 1.). Dieselbe
Thatsache ergibt sich, wenn wir den Willen als actiye Potenz be*
tracUten, für welche das Ziel Object ist. Alles Mögliche kann dem
Willen als Ziel seiner Tfaätigkeit dienen. Nicht nur Objecte> die
ausserhalb oder innerhalb des bekehrenden Sabjectes liegen/ der
Willenäact, das« Wollen selber, ja noch mehr, selbSjt das Ificht-
woUen,^ kann f&r ihn Ziel und terminus sein. An sich aber ist er
zu allen diesen Objecteu unbestimmt, nicht determiniert. Erselbst*
determiniert sich zu dem einen oder dem andern.
Die. ein2ig& jßestimmung oder Determinierung , ^ welche der
Wille von Natur aus kennt, besteht folglich darin, zu einem Acte
und Objecte überhaupt bingeordnet zu sein. Darin lic^ in-
dessen gerade das Wesen eines Vermögens, einer Potenz. Da-
durch wird eine Potenz als solche constituiert. Davon leitet sie
ihr Wesen und Sein ab. Diese Hinordnüng/ darf aber nicht als
Bezieihung, als Relation aufgeftiisst werden. Die Potenz ist dem
englischen Meister nicht identisch mit der Beziehung eine^ Prin-
. cipes, denn in diesem Falle wäre die Potenz in der Kategorie,
im 'Prädicamente : „Relatio*^, Sie bezeichnet vieln^ehr ein Princip
selbst, oder dasjenige, wodurch das Agens thätig ist (1. p. q.41;
a. 5. adl.). Die Potenz ist demnach m sich selber, mit Rück-
sicht auf ihr Sein nicht eine Beziehung (1. dist?.' q. 1. a. 2. — .
de potentia q. 1. a. li ad 3.)*. Wird sie in, sich selber betrachtet,- so
gehört sie in die Kategorie, welche Qualität genannt wird. Selbst-
verständlich kann man dies nur vom Willen, von der Potenz in
den Geschöpfen behaupten. Jn Oott ist die Potenz sachlich
ein und dasselbe mit der Wesenheit. Nichtsdestoweniger bezeichnet
auch in Gott die Potenz eine Wesenheit mit der Beziehung zu
dnem Acte und Objecte. • • ^'
Der Wille ist foi-ner beschränkt und, bestimmt dadurcB, dass er
den Gegenstand nur als ein Gut anstrebt und begehrt. In dieser
Beziehung wird er ebenfalls nicht durch sich delber, sondern durch
Gott, seinen Schöpfer ,^ den Urheber seiner Natur, eigentlich
durch das Wesen seiner Natur bestimmt. Darum wurde oben in
der Definitioi^ gesagt, der Wille sei nichts anders als die Neigung
zu einem Gut. Ein Nichtgut als solches kann niemals Gegenstand
eines Begehrungs- oder Stre1)evennÖgens sein. Jedes Ding neigt
sich ausschliesslich nur zu einem sich Ähnlichen und Gonvenieren-
den. Das Nichtgut aber ist dem Strebevermögen durchaus unähn-
lich, sagt demselben in keiner Weise zu. Darum nennt S. Thomas
das Verhältnis des geistigen Strebevermögens zu einem Nichtgut
nduniaSf das zu einem Gut hingegen yoluntas (1. 2. q. 8. tf. I.e.
und adl.). Gegen alles, jvas nicht gut ist, hegt der Wille A.b-
neigung, zu dem Gut hat er Hinneigung. Das Gut bildet als
Gegenstand für den Willen sozusagen die Form desselben, gleich-
wie das Intelligible die Form des Intellectes ist (de virt. q. 2. a. 3.).
— 6 —
Das Nicbtgut als solches aber besitzt keine Form, es ist im
Gegentheil der Mangel^ die privatio jeglicher Form, jedes Guts.
Folglich kann es den Willen • nicht bestimmen, nicht an sich
ziehen, dessen Neigung nicht gewinnen. Es wirkt nur abstoßend.
4. Diese natürliche Beschränkung des Willens auf ein
Gut mit Ausschluss jedes Nichtguts benimmt demselben in keiner
Weise seine Unbestimmtheit und Unbegi*enztheit. Denn, wie der
•englische Lehrer bemeriit, neigt siel) der Wille zu jenem Gut,
welches ihm von der Vernunft vorgestellt wird. Die Vernunft aber
erkennt und erfasst alles, was immer auf irgend ' eine. Art ein
Sein hat. Materie und Geist, Gott und Weft, sich selbst und
anderes, den Willpn mit allen seinen Eigenschaften, mit seinen
Neigungen und Abneigungen kann die Vernunft dem geistigen
Strebevermögen als ein Gut darstellen. Sie vermag sogar das,
was in Wahrheit nicht ein Gut ist, als etwas Begehrenswertes
dem Willen einzureden und ihm die Neigung zu diesem Schein-
gut abzugewinnen. Das Gebiet der Vernunft ist somit ein sehr
ausgedehntes, man kann es in gewissem Sinne ein geradezu
schrankenloses nennen, denn qs wird nur vom Nichts, vom Nicht-
sein begrenzt, ttichtet sich nun der Wille, gemäss der ausdrück-
lichen Lehre ' ded heil. Thomas, nach der Erkenntnis und Dar-
stellung eines Gegenstandes durx^h die Vernunft, so unterliegt es
keinem Zweifel, dass er auch an dieser Unbegrenztheit der Ver-
nunft participiert. Seine natürliche Neigung ei-streckt sich dem-
nach auf alles das, was auf Grund des Urtheils der Vernunft ein
Gut ist (de virt q. 1 . a. S. c. ad 1 et 2.). Wir sagen, seine natür-
liche, oder angebome Neigung beziehe sich auf jedes beliebige
Gut, er sei zu keinem an und für sich bestimmt, determiniert.
Dadurch unterscheidet sich eben das Verm(^gen, die Potenz eines
Dinges von seiner Tbätigkeit, seinem Acte. IJnd unsere Aufgabe
ist zunächst die, den Willen als geistiges Begehrungsvermögen,
als Potenz zu definieren..
Die Lehre des englischen Meisters, dass der Wille sich selber
bestimme, darf nicht in dem Sinne verstanden werden, als be-
stimmte, beschränkte der Wille sich selber zum Strebeiverm ögeu,
zu der Potenz. Diesbezüglich ist er schon durch seine Natur,
durch den Schöpfer der Natur bestim*mt Noch weit richtiger würde
man indessen sagen, dazu sei er durch seinen Ursprung aus dem
Nichts bestimmt worden. Zu dem Gut im allgemeinen hat ihn aller-
dings der Urheber, seiner Natur entsprechend, bestimmt. Die mög*
liehe, potentielle Neigung zu dem genannten Gut stammt von Gott.
Sie liegt ganz und gar im Wesen des Willens selbst. In dieser Bezie-
hqng kann somit von einer ^elbstbestin^mung nicht die Re^e sein.
Die Selbstbestimmung des Willens, von welcher S. Thomas spricht,
gilt der Willensthätigkeit oder -Unthätigkeit, sowie den einzelnen
Gegenständen^ Objecten, zU welchen der Wille sich neigen oder nicht
_ 7 —
neigen kano. Ber Willenaact isl jedesmal bestimmt, ToUkomniei)
abgegrenzt. Das Nähere hierüber wird in der vorliegenden
Äbhandlnng allseitig eriSrtert nod zur Genüge klargestellt werden.
5. Fassen wir die Tom englischen Meister angeführte Definition
des Willem genauer ins Auge, und wir werden finden, dass sie
durchaus richtig und sehr zntrefTead ist. Das, was dem Strebe-
TermSgen überhaupt zukommt, nämlich die Neigung zn einer
Form, welche Form anch Act genannt wird, ist auch in der Be-
griffsbestimmung des Willens klar ausgesprochen. Der Wille ist
die Neigung zu einem von der Vernunft erkannten und ihm vor-
gestellten Objeete. Dieses Objeet bildet ftlr den Willen alsPotenz
den Act oder die Form, zu welcher er sich neigt. Wir haben so-
mit das gmus der Definition. Die specifische Differenz wird da-
dsreb ausgedrückt, dass der Wille diese seine Neigung sich
selbst gibt oder bestimmt. Diese Eigenschaft ist das, wodurch
der Wille von dem StrebevermGgen der andern Geschöpfe sich
unterscheidet nnd zwar erstens:
a) vom Begehrungsvermßgen der Natnrdinge.
Die leblosen Creaturen haben bloß das Princip der Nei-
l^ng zu einem andern in sich, nicht diese Neignng selber. Zweifels-
ohne streben alle Dinge nach dem Gut, aber ein jedes nach
seiner Art nnd Weise. Ein Ding wird nämlich auf doppelte Art
zu einem andern als seinem Ziele hingeorduet und hingelenkt.
Entweder geschieht es durch sich selber, wie z. B. der Menseh
sich selber zu einem Orte hinbegibt^ den er im Auge hat; oder
durch ein anderes, wie z. B. der Pfeil vom Bogenscbützen zu einer
bestimmten Stelle hin dirigiert wird. Jene Wesen allein vermögen
sieb selber zu dirigieren, die das Ziel erkennen. Denn derjenige,
der etwas zu einem andern hinlenkt, muss von diesem andern
Kenntnis haben. Was' dagegen von einem andern geleitet wird,
das braucht nicht selber das bestimmte Ziel zu erkennen. Diese
Hinneigung eines Dinges durch ein anderes kann auf zweifache
Weise erfolgen. Manchmal wird das, was eine Hinneigung zu
^nem Ziele in sich hat, vom Dirigierenden bloß angetrieben und
bewegt, ohne von ihm einen bleibenden Eindruck, eine Form
zQ erhalten, auf deren Grund hin sonst dem in dieser Weise
geleiteten äubjeete die angezeigte Direction oder Neigung zu-
kommt. Neigungm dieser Art werden gewattthätige genannt, wie
z, B. jene, die vom Bogenschützen dem Pfeile mitgetheilt wird.
"Ein anderesmal emptangt das, was zu einem Ziele dirigiert oder
Üingeleukt wird, vom Dirigierenden oder Bewegenden eine Form,
durch .welche ihm diese Neigung zutheil wird. Die Neigung dieser
Art ist eine natarllche, indem sie gleichsam ein natürliches
Princip hat. Derjenige, der dem Steine die Schwerkraft verlieben,
hat demselben auch die Neigung gegeben, dass er naturgemäß
nach der Tiefe gezogen werde. Darum ist der Erzeuger, wie der
— 8 —
Philosoph im 8. Buche der Physik lehrt, der Beweger für alles
Schwere und Leichte. Die Naturdinge sind auf diese Art zu all
dem hingeneigt, was ihnen entspricht, indem sie ein gewisses
Princip dieser Neigung in sich selbst haben. Die Neigung ist in-
folge dessen für sie eine natürliche, so dass sie in gewisser
Beziehung selber vorwärtsstreben, und nicht bloß zu dem ent-
sprechenden, ihnen convenierenden Ziele geleitet oder ge-
führt werden. Die Naturdinge selbst schreiten auf ihr Ziel zu,
weil sie mit dem Neigenden und Dirigierenden durch das ihnen
eingeprägte Princip thätig sind (cooperantur). Die Dinge hin-
gegen, welche Gewalt erleiden, werden ausschliesslich geführt,
weil sie selber für den Beweger zu dieser Bewegung nichts bei-
tragen. Alle Dinge sind demnach naturgemäß zum Gut geneigt,
ja man kann sagen, dass alle nach dem Gut streben. Streben
bedeutet soviel, als dasjenige begehren, zu dem man hinge-
ordnet ist. Alle Dinge aber werden von Gott zu dem Gut hin-
geordnet und dirigiert, und zwar in der Art, dass jedes derselben
das Princip, wodurch es das Gut anstrebt, in sich selber hat.
Man muss deshalb zugeben, dass alle Dinge, naturgemäß nach
dem Gut streben. Wären die Dinge zum Gut hingeneigt, ohne
das Princip der Neigung in sich zu haben, so müsste man aner-
kennen, dass sie zwar zu dem Gut dirigiert sind, nicht aber, dass
sie nach dem Gut streben. Vermöge des in sie gelegten Principes
streben alle das Gut an (de veritate q. 22. a. 1.).
Wir haben also hier den ersten Unterschied des Willens von
den Naturdiugen. Diese haben nur das Princip der Neigung,
nicht die Neigung selber in sich. Nicht sie selbst neigen sich zu
der ihnen entsprechenden Form, sondern sie werden ausschließlich
von einem andern dazu geneigt.
Es ist aber noch ein weiterer Unterschied wahrzunehmen.
Das Gut, welches vom natürlichen Strebevermögen begehrt wird,
ist ein bestimmtes und uniformes (1. c. a. 3. ad 3.); weil
das natürliche Strebevermögen der Geschöpfe im allgemeinen nichts
anderes bedeutet, als die Neigung eines Dinges in Kraft seiner
Natur. Daher begehrt überhaupt jede Potenz durch ihr natürliches
Streben etwas, was ihr zusagt oder conveniert (1. p. q. 78. a. 1.
ad 3.). Der Wille dagegen begehrt nicht bloß das, was ihm zu-
sagt, was ihm als Potenz conveniert, sondern alles, was die
andern Potenzen angebt, was überhaupt ein. Gut fhr den ganzen
Menschen ist (1. 2. q. 10. a. 1.). Das Gut des Willens ist daher nicht
ein bestimmtes und uniformes, sondern der Zahl und Art nach
ein gar vielfaches. Daher ist auch vonseiten des Willens die Nei-
gung zu dem Gut nicht eine uniforme und bestunmte.
Endlich ist der Unterschied zwischen dem Willen nnd dem
Begehmngsvermögen der Naturdinge auch darin begründet, dass
diese letzteren keine Erkenntnis des Objectes haben, nach welchem
— 9 —
sie streben. Füt das Streben der Naturdinge ist eine natürliche Er-
kenntnis durchaus nicht nothwendig. Denn die Erkenntnis konuut
durch eine Ähnlichkeit zustande. Die Ähnlichkeit bezttglich des
Seins in der Natur bringt nicht allein keine Erkenntnis hervor,
sondern ist derselben geradezu hinderlich. Zum Beweise dafür dient
die Thatsache, dass die Organe, deren die Sinne zürn Zwecke
der Erkenntnis bedürfen, von allen Ähnlichkeiten der sinnenfUUigen
Dinge frei sein, müssen, um dieselben aufnehmen und erfassen zu
können. Nichtsdestoweniger begehren Wesen dieser Art etwas,
indem sie vermöge ihres natürlichen Strebens, ihrer natürlichen
Neigung zu einem in der Wirkliphkeit existierenden Dinge Be-
ziehung haben (de veritate q. 22. a. 1. ad 2.). Die Naturdinge selbst
brauchen keine Erkenntnis des Zweckes zu besitzen, denn sie
werden anstatt zu lenken, selber zu dem Ziele hingeleitet (1. c. ad 9.).
Wir wollen auf die noch ausführlichere Darlegung dieses Unter-
schiedes vorläufig nicht weiter eingehen. Wer noch Näheres dar-
über zu wissen verlangt, vergleiche: 1. 2. q. 8. a. 1.-^ ib. q. 17.
a. 8. — ib. q. 26. a. 1 . — ib. q. 35. a. 1. — ^ ib. q. 40. a. 3. — ^ de malo
q. 3. a. 3. — de virt: q. 4. a. 3. ^ 1. p. q. 103. .a. 1. — ib; a. 8.* —
und noch sehr viele andere Stellen des Doctor Angelicus.
bj Der Wille unterscheidet sich ferner nach der oben gegebenen
Definition aus S. Thomas vom B'egehrungsvermögen der Thiere.
Obgleich alle Dinge nach dem Gut streben, und das Priucip
dieses Strebens, dieser Neigung in sich haben, so bewegen doch
nicht alle sich selber. Um sich selber bewegen« zu können, .dazu
ist nämlich erforderlich, dass nicht bloB überhaupt, eine Bewegung
stattfinde, sondern dass isie um eines Zieles willen geschehe. Dies
setzt aber ^ine Kenntnis des .Zieles voraus vonseiten desjenigen,
was sich selber bewegt (1. 2. q. 6. a. 1.). Diese Kenntniid des Zieles
ist entweder eine vollkommene oder eine unvollkommene. Wird
der vom Erkenntnisvermögen erfasste Gegenstand nur als eine
Sache, eine res, nicht formell .als Ziel, und die Thä^gkeit tles
sich selbst Bewegenden nicht ..in ihrem Verhältnisse, in ihrer Be-
ziehung zu dieipem Ziele erkannt, so bleibt die Kenntnis des Zieles
ein- für allemal eine unvollkommene. Wird dagegen das Ziel nicht
bloß als Sache, als res, sondern formell als Ziel erfasst, und
das Verhältnis dessen erkannt,' was zu diesem Ziele liingeordnet
ist, irgendwie darauf Bezug hat, so ist und bleibt die Kenntnis
des Zieles eine vollkommene. Erstere Kenntnis des Zieles ist den,
Thieren eigen, letztere kommt dem ternünftigen, geistigen Wesen
zu (1.2. q. 6. a.'2.). Verstehen wir demnach das Wort: geneigt
(vdlufUariumJ in pin'em Weitern Sinne, insofern es nämlieh dem
GewaHthätigen entgegengesetzt ist, so unterliegt es gar keinem
Zweifel, dass auch die Thiere ein neigendes, oder sagen wir
williges Begehrungsvermögeif haben. Denn in diesem Sinne ge-
neigt oder willig heißt alles das, was von einem Innern Princip
— 10 —
ausgeht, gegenüber dem Gewaltsamen, dessen Princip ein äuBeres
ist. Die Thiere werden thatsächlic^ dureb sieb selber bewegt. Sie
besitzen jedoch weder einen Willen, noch eine Wahlfreiheit
(2. dist. 25. q. 1. a. 1. ad 6.) Die Thiere erkennen nicht formell
und durch Vergleichnng das ihnen vorgestellte Gut, sondern durch
einen gewissen natürlichen Instinct; Daher haben sie eine gewisse
Auffassung und Abschätzung des Nützlichen wie Schädlichen
(aestimatiojy aber keine eigentliche Kenntnis. Sie üben infolge
dessen ihre Thätigkeit deshalb aus, weil sie von der Natur dazu
bestimmt werden, nicht aber dadurch, dass sie sich im eigent-
lichen Sinne selbst dazu bestimmen (1. c. ad 7.). — Der erste Unter-
schied zwischen dem Willen und dem Begehrungsvermögen der
Thiere besteht somit darin, dass die Thiere keine eigentliche
Erkenntnis dessen besitzen, wornach sie streben.
Dazu kommt ein zweiter. Das Urtheil der Thiere erstreckt
sich nicht auf alles, wie jenes der Vernunft, sondern nur auf ganz
bestimmte Dinge. Ihr Urtheil ist, strenge genommen, zu einem
bestimmt (de veritate q. 24. a. 2.). Sie urtheilen in Kraft des Natur-
triebes, niemals aber mit Überlegung. Daher sehen wir, dass alle
Thiere einer und derselben Art ihre Thätigkeit auf gleiche Weise
entfalten : z. B. die Schwalben bei dem Bq^u der Nester, die Bienen
bei Verfertigung der Waben u. s. f. Sie vermögen aber anderer-
seits auch keine andere, als die ihrer Art entsprechende Arbeit
zu verrichten. Die Schwalbe kann nur Nester bauen, weiter nichts.
So verhält es sich mit allen Thieren. (1. c. a. 1 .) Die Erkenntnis
des Menschen dagegen- ist eine gar mannigfaltige. Sein Urtheil
erstreckt sich auf alles, was in der Wirklichkeit oder in der Auf-
fassung ein Sein hat Der Mensch urtheilt über sich selber, über
seine Thätigkeit, über das eigene Urtheil. Er selbst, niefit aber
seine Natur, ist die Ursache 'dieses seines Urtheiles (1. c.)*
Der dritte Unterschied zeigt sich darin, dass die Thiere nicht
im 'eigentlichen Sinne sich selber bewegen, zu' einer Thätigkeit
bestimmen. Sie werden vielmehr von Gott durch den natürlichen
Instinct in Bewegung und in Thätigkeit versetzt. D^rum gehorchen
auch sie ihrem Schöpfer (2; 2. q. 83. a. 10. ad 3.). Die Thätigkeit
des Strebevermögens richtet sich stets nach dem Urtheile der
Erkenntnis^kraft. Das Urtheil der Thiere ist, wip wir soeben vom
englischen Meister gehört, zu einem bestimmt. Das nämliche
muss folgerichtig auch vom Begehrungsveimögen der l^hiere ge-
sagt werden. Sie werden dsiher, wie S. Augustin bemerkt, vom
wahrgenommenen Gegenstande bewegt, und, nac& dem Zeugnisse
des Damascenus, von den Leidenschaft^ getrieben, weil sie über
ein wahrgenommenes Object und eine angeregte Leidenschaft auf
natürlicherweise urtheilen. Die Folge davon ist dann, dass sie
durch den Anblick eines Gegenstandes und» durch die sogleich
dabei entstehende Leidenschaft nothwendig zum Fliehen oder zum
— u —
Begehren angeregt resp. bewegt werden (de reritate q. 24. ad 2.).
Es hat dufam seine volle Richtigkeit, dasa die bewegende Kraft
der Thiere, an und fllr sieb betrachtet, weder zu dem einen noch
zu dem andern sich mehr neigt. Insofern werden sie bewegt
nnd auch nicht bewegt. Allein das Urtbeil, wodurch die bewe-
gende Ei'aft xa dem einen oder andern appliciert wird, iet ein
bestimmtes, ganz determiniertes. (I. c. ad 2.) Wenn auch
bei den Thieren dem Gesagten zufolge eine gewi^e Indifferenz
der Thätigkeit anerkannt werden musa, so kann man doch nicht
behaupten, dasB es ihnen freistehe, zn bandeln oder nicht zu
huidcln, freie Thätigkeiten zu entfalten. Die Tbätigkeit an nnd
{^ sich ist eine freie. Nimmt man jedoch Ktteksicht anf ihre Be-
ziehung zu dem Urtbeile, so wird man finden, dass sie zu einem
bestimmt, auf eines eingeschränkt ist. (,1. c. ad 3.) Daher erfolgt
die Thätigkeit der Thiere ans der Bestimmung der Natur, nicht
aber aus jener des Thätigen Bclber('2. diBt.'25. q. 1. a.l. ad 7.).
Ans diesem Gmnde mnss das Scbaf den Wolf fliehen, es kann
gar nicht anders.
Die Thätigkeit oder Bewegung des StrebevermÖgena bei
den Thieren bat also strenge genommen einen äußeren Gnind.
Der heil. Thomas sagt diesbezüglich Folgendes: Die Bewegung
im Tbiere wird auf zweifache Weise von einer äu&eren Ursache
veranlasst. Zunächst wird durch dieae äußere Bewegung den
Sinnen dea Thieres ein sinnenf&lliger Gegenstand vorgestellt, der,
sobald er erkannt wird, alaogleicb das Begelirungsvermögen des
Thieres in Bewegung setzt. Überdies wird dureh die äußere Be-
wegung der Körper dea Thieres einigermaßen infolge seiner Ver-
änderlicbkeit alteriert. Bei dieser durch die Bewegung eines
äuiteren Gegenstandea bewirkten Alteration dea tbieriaclien Körpers,
wird auch, alleiilingB per accidens, das sinnliche Begebrungs-
vermSgen beeinflosst Es ist ja au ein leiblicbea Organ gebunden
und ändert sich demnach ebenfalls, wenn das Organ geändert
wird" (1. 2. q. 6., a. 1, ad 2.), In dem Momente, \vo das Tbier ein
niltEÜcbes oder schädliches Object siebt,, tritt aueb sofort das'Be-
gebrungsvermfigen desaelben in Thätigkeit (I. c. a. 2.). Das ätrebe-
vermßgen der Tbiere, wie selbst das sinnliche im Hensuben, wird
an und fllr sich vom äußeren Objecto mit Nothwcndigkfit in
Thätigkeit versetzt. Bei den Tbieren'ateht diea, wie die Erfabrnng
zeigt, anäer Frage. Anf Grund dieser mit Nothwendigkeit
wirkenden äußeren Einflnssnabmc ist eiue Dressur möglich (de
vAitatö q, 22. a. 2, ad 7.). .Das eionlicbe Begebrungavermögen dea
Menschen wird nur inaofem vom äußeren Ohjecte nicht mit
N'othwendigkeit bewegt, ala es, nicht de'spotiseb zwar, wohl
aber politiacb unter der OberheiTscbaft dea Verstandes und Willenä
steht. Die motua primo primi weisen indessen auf die ihm natUr-
ficbe nnd .nothwendjge Bewegung hin.
I
I •
• 4
I
— 12 —
Aus der soeben dargelegten Untersaehung ergibt sich mit
voller Klarheit, dass der englische Lehrer den Willen sehr richtig
und genau definiert hat, wenn er sagt: der Wille sei die aas
der Selbst bestimmung hervorgeheiide Neigung zn irgend einem
durch den Verstand ihm vorgestellten Gut. £ls kann jedes h^
liebige, wahre oder scheinbaris Gut sein, welches er begehrt
Weder, der Verstand noch der Wille sind hierin beschränkt, wie
die Erkenntniskraft und das Begehrungsvermögen in den Thieren,
wie der appetitus naturalis bei den Katurdingeu beschränkt sind.
Diese Neigung wird ferner nicht bestimmt vom äußern Objecte.
Keines derselben wirkt nöthigend auf den Willen «ein. Das
Gegentheil davon sehen wir bei den Thieren. Das Schaf m u s s
fliehen, sobald es des Wolfes ansichtig geworden. Sie ist auch
nicht bestimmt durch den Schöpfer unseres Willens, wie der
appetitus naturalis in den unbelebten Greaturen und das Strebe-
vermögen der Thiere, sondern der Wille selbst bestimmt seine
eigene Neigung.
Deni aufmerksamen Leser der eingangs angefahrten Stelle
aus dem englischen Meister wird es nicht entgangea sein, dass
der Doctor Angelicus einzig und allein auf dieSelbstbestim-
mung des Willens Gewicht legt. Hierin findet er das unter-
scheidende Merkmal des Willens von den anderen Strebevermögen.
Es ist von großer, tiefgehender Bedeutung, sich diese. Lehre des
heil. Thomas .im Verlaufe' gegenwäiiiiger Abhandlung fortwährend
vor Augen zu halten. Die Noth wendig keit der Vorherbewe-
gung des Willens - durch Gott sowohl, wie nicht minder- die Wah-
rung der vollen Freiheit desselben, werden dabei in ein helles
Licht gesetzt, und können folglich an Gewissheit nur gewinnen.
Niemand hat die Freiheit 46s Willens nach jeder Bichtung hin
besser und entschiedener vertheidigt als der englische *Meister,
niemand besteht aber aucb andererseits energischer auf der prae-
motio phf/sica wie er.
«
§ 2. Abhängigkeit des Willens vom Verstände.
6. Der heil. Thomas beiAerkt mehr als einmal, der Wille
sei eine Neigung, die einer vom Verstands erkannten Form folgt^
I^iese Bemerkung iUhrt uns*zur Betrachtung des Abhängigkeits-
verhältnisses der «Willenskraft vom Verstände. Wiederholt spricht
sich der englische Meister dahin aus, dass der Wille vernünftig
durch Antheilnahme sei (rationale pex participaüonem). So sägt
er z. B. vernünftig durch Antheilnahme sei nicht bloß* der zom-
müthige und begierliche Theii, sondirn wie es im ersten Buche
&er Ethik teißt, das Strebevermögen des Menschen .überhaupt
Unter dem Strebevermögen sei indessen auch der Wille mitein-
begriffen (1. 2. q. 56. a.6. ad 2.). Dasselbe lehrt dfer Doctor Ange-
*
'— 13 —
liens: 1. 3< q. 59. &. 4. ad 2. Damit stimmt eine andere Stelle
flberein, in welcher S. Thomas Folgendes schreibt : „Da« Sabject
der CardinaltageDd ist vierfach, nämlich das VemEliiitige dnrofa
die Wesenheit; dieses wird dnrch die KIngheit Terrollkommnet.
Femer das VemQnftige dnrch Antheilnahme, welches in drei-
facher Weise uaterschieden wird: als Wille, als begierlicher nnd
zommüthiger Theil. Der Wille bildet das Sabject ftlr die Gereditig-
keit, der begierlicbe Theil ftlr die Mäßigkeit, der zornmUthige
für den Starkmuth (1. 2. q. 61. a. 3.). VeruUnftig durch Antheil-
nahme wird folglich nicht bloß der zommüthige und begierliche
Theil genannt, sondern das Strebevermtigea im allgemeinen.
Damm hat der Wille, obgleich er durch seine Weienheit
ün iDtellectiven Theile ist, mit Bezug auf seine Acte Antheil an
der Vernunft. Zumal stiebt er nach den Mitteln, wie sie von der
Vemanll im Torans angeordnet sind (3. dist. 33. q. 2. a. 4. qu. 3.
ad 1.). Gleichwie es daher zur Vollkommenheit der menBohliofaen
Natur, insofern der Mensch Mensch ist, gehört, dasg er einen
vernünftigen Willen besitze, ebenso ist ihm als Anima] das
smnlicbe Strebevermögen eigen. Dieses letztere hat jedoch bei
den Thieren nicht die Bedeutung des Willens, denn die Thiere
werden otehr vom Instincte der Natur getrieben, als dass sie selber
thätig sind. Infolge dessen haben sie keine freie Bewegung, wie
der Wille eine solche verlangt. Das sinnliche StrebevermSgen im
Menschen kann man indessen Willen nennen, insofern es der
Vernunft gehorcht, wie es im ersten Buche der Ethik heißt.
Ans diesem Grunde bat es einigermaßen Antheil an der Frei-
heit des Willens und Geradheit des Verstandes. Nur in diesem
Sinne kann man sagen, es sei Wille durch Antheilnahme, wie es
aach Vernunft durch Antheilnahme genannt wird (3. dist. 17. q. 1.
a. 1, qu. 2.). Das Strebevennögen überhaupt wird demnach insofern
vernünftig dnrch Antheilnahme genannt, als es der Vernunft ge-
horcht (2. 2. q. 58. a.4 ad 3). Der Wille steht in der Mitte zwischen
der Vernunft und dem begierliehen Theile und er kann von beiden
bewegt werden" (2.2. q. 155. a. 3. ad 2.).
7, Was will uns nun der englische Lehrer mit diesen Er-
klärungen sagen? etwa dass der Wille keine geistige Potenz,
kein Vom Leibe unabhängiges Vermögen bilde ? Dnrchans nicht.
Das liegt der Lehre des heil. Thomas ganz und gar ferne: Der
Wille ist dem Doctor Angelicus eine Potenz, die unmittelbar
in der Seele ruht, folglich durchaus göstiger Natur ist (3. dist 23.
q. 1. a. 3. qu. 1.). Auf die Frage, ob die Vernunfl das Subject
der Charitas sei, antwortet S. Thomas : „Um zu wissen, in welcher
Potenz irgend eine Tugend ist, muss man beachten, welcher Potenz
der betreffende Tugendact angehört. Nun besteht die Hauptthätig-
keit der Charitas darin, Gott zu lieben. Dies aber ist Aufgabe
der Vemunfl als dirigierender, und des Strebevermtigens als ans-
— 14 —
führender Potenz. Dieser Act gehört folglich dem Strebevermögen
an. Allein das sinnliche Strebevermögen ist außerstande, diesen
Act ansznüben, denn Gott ist nicht Object dieses Vermögens.
Dieser Act kommt folglich dem Strebevermögen des intellec-
tiven Theiles zu, und zwar nicht insofern er die Mittel zum
Ziele erwählt, sondern insofern er Bezug auf das letzte Ziel hat.
Dies aber ist dem Willen eigen. Daher ist der Wille das eigent-
liche Subject der Charitas. Vernünftig durch die Wesenheit
heißt demnach nicht bloß die Vernunft selber, sondern auch das
mit der Vernunft verbundene Strebevermögen, nämlich der Wille,
Daher erklärt der Philosoph (3. de anima text. 42.), der Wille
sei in der Vernunft (3. dist.27. q.2. a. 3. c. et ad 1.). Seiner Wesen-
heit nach ist der Wille in jenem Theile, der per essefntiam ver-
nünftig ist. Allerdings kommt er in Bezug auf die Ähnlichkeit
seiner Acte mit dem zornmüthigen und begierlichen Theile, die
vernünftig durch Antheilnahme genannt werden, überein. Der
Wille selbst hat in gewisser Hinsicht Antheil an der Vernnnfty
indem er von der erkennenden Vernunft dirigiert wird^ (ib.adS.).
Diese Stellen, besonders die letzte, machen uns genau mit
dem Sinne bekannt, welchen der englische Lehrer unter dem „Ver-
nünftigsein durch Antheilnahme'^ gemeint hat. Der Willö ist ver-
nünftig durch Antheilnahme, insofern er von der Vernunft geleitet
wird und derselben gehorcht. Von selten des Verstandes mnss
die Erkenntnis eines Gegenstandes vorausgehen, damit der Wille
sich zu diesem Objecto neige. Der Grund davon ist nicht schwer
zu begreifen. Das Strebevermögen ist nämlich eine passive
Potenz. Es hat daher die Bestimmung in sich, vom erkannten
Objecte bewegt zu werden. Das erkannte Gut verhält sich dem-
nach zu dem Strebevermögen wie ein Unbewegliches, das bewegt
(1. p. q. 80. a. 2. — 1. 2. q. 18. a. 2. ad 3.). Die Bewegung oder
Neigung des Strebevermögens folgt daher stets einer voraus- '
gegangenen Erkenntnis (1.2. q. 28. a. 1.). Diese Wahrheit hat *
übrigens nicht bloß lunsichtlich des menschlichen Willens ihre
Geltung, sondern auch in Betreff des Begehrungsvermögens der
Thiere und des appetitus naturalis der leblosen Geschöpfe. Der
Unterschied besteht nur in Folgendem. Der Wille wird infolge
der Erkenntnis des mit ihm geeinten Verstandes bewegt,
während die Bewegung des Strebevermögens der Natnrdinge der
Erkenntnis eines von demselben getrennten Verstandes, jenes
des Schöpfers der Natur folgt. Das gleiche muss von dem Be-
gehrungsvermögen der Thiere behauptet werden, denn auch diese
handeln aus einem gewissen natürlichen Instincte (1.2. q. 40. a*3«
— 1. dist. 1. q.4. a. 1. ad 1. — ib. dist. 35. q. 1. a. 1.). Ohne irgend
eine Erkenntnis kommt demnach niemals eine Bewegung des Strebe-
vermögens zustande. Jederzeit muss eine solche vorausgehen. Da*
her ist nicht bloß das Strebevermögen bewegend, sondern bei den
Thieren und Menscbeo such der Sina, die Phantasie, der Ver-
stand, weil, darch diese drei Kräfte, die der Erkenntnia dienen,
das Objectflir das Strebevermögen vermittelt wird (de veritate
q, 15. a.3. — ib. 23. a. 1.). Die Erkenntnis ist fUr das Streben
geradeicn wesentlich. Der engtiscbe Meister erklärt darum,
durch den Verstand oder die Sinne erkannt sein, komme dem
Gnt, welches begehrt wird, durchaus nicht per accidms, sondern
per se zu (1. p. q. 80. a. 2. ad 1.). Was den Willen anbelangt, so
ist es nicht nothwendig, dass die Erkenntnis sich aaf ein Gut
beziehe, das in der Wirklichkeit ein solches ist, es genügt, dass
es überhaupt als ein Gnt vom Verstände erfasst und dem Willen
rorgestellt wird (1.2. q. 8. a. 1. — ib. q.l3. a. 5. ad 2. — ib. q. 19.
a. 1. ad 1 und ad 3.). Mit Recht macht darum der heil. Augustin
einmal die Bemerkung, der Wille entstehe aus der Erkenutuis
(2. 2. q. 83. a. 3.).
Es kann eich Übrigens anch gar nicht anders verhalten. Denn
wer die ideale Form eines andern in sieb hat, geht durch diese
Form, durch dieses ideale Abbild eine Beziehung ein zu dem
Dinge, welclies anfierhalb existiert. Weil nun in demjenigen, der
Tcrsieht und empfindet, das ideale Abbild der erkannten und
empfundenen Sache selber enthalten ist — jede Erkenntnis voll-
zieht sich durch eine Ähnlichkeit, ein Abbild des zu erkennenden
nud erkannten Objectes — , deshalb muss im erkennenden und
empfindenden Subjecte sich eine Beziehnag herstellen zu den
erkannten und empfundenen Dingen, die in der Wirklichkeit und
außerhalb des Erkenntnisvermßgens existieren. Dieses Verhältnis,
diese Beziehung kann nicht dadurch augeknUpft werden, dass
jemand einfachhin erkennt Qnd empfindet. Das Erkennen und
Empfinden kommt ja dadurch zustande, dass die Gegenstände
ihrem Abbilde, ihrer Ähnlichkeit nach im Verstände resp, im Sinne,
nicht außerhidb derselben sich befinden. Das erkennende oder
empfindende Snbjeet muss daher diese Beziehung zn den anßen-
' stehenden Dingen durch den Willen resp. das sinnliche Strebever-
mögen vermitteln (I. contr. Gent. c. 72.). Ans diesem Grmide nennen
wir das Object des Willens auch Ziel, und der Verstand bewegt
den Willen, indem er demselben das Ziel vorzeigt, nacii webhem
er streben soll (1. p. q. 8*2. a. 4.). Die Bewegung des Willens er-
folgt somit nur dann, wenn der Verstand ein Object als Ziel
darstellt. Daher übt der speculative Vei-stand nie einen be-
wegenden Einfloss anf das Strebevermögen aus, ebensowenig
die Phantasie ohne Vorstellung des Objectes als eines Guts oder
Übels (1. contr. Gent c. 72. n. 5.).
Daraus leuchtet ein, welche Bedeutung der Erkenntnis be-
züglich ihres Einfinsses auf den Willen zugeschrieben werden
müsse. Selbst dem Streben der Natnrdiuge muss irgend eine
Kenntnis Torangeben, damit es sich verwirklichen k&nne. Der
— 16 —
Unterschied zwischen diesem und den frühern besteht, nur darin^
dass die Naturdinge die Erkenntnis nicht in sich selber haben,
oder, wie S. Thomas sagt, dass der Verstand, dem diese' Erkenntnis
angehört, nicht mit dem begehrenden Subjecte verbunden ist»
Die für sie nothwendige Erkenntnis besitzt aber der Urheber und
Schöpfer der Naturdinge. Darum wird die- Welt das Werk einer
Intelligenz genannt.
8. Aus diesem Abhängigkeitsverliältnisse des Willens vom
Verstände ergibt sich die Folgerung, dass der Wille niemals nach
dem Bösen streben kann, außer auf Grund eines Irrthums, eines
fehlerhaften Urtheils von Seiten, der Vernunft. Speculativ mag jenes
Urtheil ein richtiges sein, allein das speculative Urtheil bat für
den Willen keinerlei Bedeutung. Der intellectus speculativus be-
wegt nicht, lehrt der englische Meister. Auch das speculativ-
praktische Urtheil kann allenfalls zutreffend sein, wenn der Wille
sich zu einem Gegenstande neigt, der nicht gut ist. Ein Fehler
muss jedoch unter allen Umständen vorhanden sein im Urtheile
der Vernunft über das Particuläre, zu welchem sich der Wille
hie et nunc neigt. Da nämlich das erkannte Gut das Object
für den Willen bildet, so kann der Wille nicht zu dem Bösen sich
neigen, wenn es ihm nicht hie et nune als ein Gut dargestellt
wird. Der Irrthum liegt somit darin, dass die Vernunft dem Willen
das Böse als ein Gut vorhält (1. contr. Gent. c. 95.). Das Streben des
Willens geht einzig und allein nur auf alles das, was der Ver-
stand als ein Gut darstellt. Begehrt der Wille, thatsächlich
etwas Böses, wählt er also verkehrt, so geschieht es, wie der
Philosoph bemerkt, infolge eines unrichtigen Urtheils der Vernunft
darüber, was in diesem Einzelfalle zu wählen sei (3. contr. Gent.
0. 85.). Zu dem Bösen als solchem würde der Wille niemals sich
neigen. Auf die Frage, ob der Wille ausschließlich nur das Gut
begehre, antwortet dai*um der heil. Thomas bejahend. Der Beweis,
den er dafür angibt, hat folgenden Wortlaut: „Der Wille ist ein
geistiges Strebevermögen. Jedes Strebevermögen aber ist nur
auf das Gut gerichtet. Der Grund davon aber liegt darin, dass
das Streben eine Neigung des begehrenden Subjectes ist. Dieses
Subject kann sich indessen nur zu jenem Gegenstande neigen^
der ihm als ähnlich und convenient dargestellt wird. Jedes Streben
zielt demnach auf ein Gut ab, denn das Ähnliche, Convenierende
bildet für das begehrende Subject zweifelsohne ein Gut. Der
Philosoph bat folglich durchaus recht, wenn er sagt, dass alle
Dinge nach dem Gut verlangen. Die Naturdinge neigen sich zu
der in der WirkUchkeit existierenden Form, das sinnliche and
geistige Strebevermögen, der Wille, zu der Form, die durch eine
Erkenntnis vermittelt wird. Der appetittis naturalis strebt nach
dem wirklichen Gut in der Sache, der appetitus animalis und der
Wille nach dem Gut in der Sache infolge der Vorstellung durch
— 17 —
das ErkenntDisvermögen. Ist es auch keia wahres^ so muss es
doch ein scheinbares Gut sein, damit der Wille es begehfe (1. 2.
q. 8. a. 1 .).
Diese Lehre des heil. Thomas über die natürliche Ab-
hängigkeit des Willens vom Verstände müssen wir nebst anderen
Gründen anch deshalb besonders betonen, weil in neuerer Zeit
eine alte Ansicht wieder sich Geltung zu verschaffen sucht; näm-
lich diC; dass Gott den Willen des Menschen zu Atta Gut und
der Glückseligkeit im allgemeinen bewege. Der Einfluss Gottes
auf die vernünftigen Geschöpfe* sei einzig und allein nur in
dieser Weise vom heil. Thomas anerkannt und vertheidigt
worden. Ebenso sei dieser Einfluss oder diese Bewegung all-
gemeiner Natur. Vergleichen wir die vorhin dargelegte Lehre
des Doctor Angelicus über die Abhängigkeit des Willens vom
Verstände, indem der Wille ausschließlich nur ein Gut begehren
kann; erinnern wir ups femef an das Unbeschränktsein des
Willens hinsichtlich der Objecte^ so dass er nach allem, was
immer als ein Gut ihm vorgestellt wird, streben kann: und'
wi|: haben genau dasjenige, was diese neuere, in Wirklichkeit
schon bedeutend ältere Ansicht, den englischen Meister lehren
lässt. Allein bei einiger Aufmerksamkeit wird jedermann unschwer
herausfinden, dass hier weder von einer Bewegung durch
Gott die Rede, noch dass diese Bewegung allgemeiner Natur ist.
Der heil. Thomas hat weder das eine noch das andere gelehrt.
Das unmittelbare, aber objective Princip für die Bewegung
des Willens bildet allerdings das erkannte Gut, weil es das Object
des Willens ist und letzterer durch dasselbe bewegt wird, wie
der Gesichtssinn von der Farbe (3. contr. Gent. c. 88.). Man darf
jedoch nicht vergessen, dass diese natürliche Neigung des
Willens keineswegs auf das Gut und die Glückseligkeit im allge-
meinen, also auf das letzte Ziel allein sich erstreckt, sondern
auf jedes Gut, das als solches erkannt wird. Wie jede andere
Potenz zu ihrem Objecte, so ist der Wille zu dem erkannten Gut
auf natürliche Weise hingeordnet (de virt. q.l. a. 5. ad 2).
Der englische Lehrer sieht den Grund, dass im Menschen zwei
Strebevermögen angenommen werden müssen, gerade in dem Um-
stände, dass es zwei Erkenntniskräfte gibt (3. dist. 26. q. 1. a. 2. —
1. p. q. 80. a. 2. — de veritate q. 15. a.3. — ib. q. 25. a. 1.).
9. Die soeben dargelegte Lehre des Doctor Angelicus ist
indessen nicht bloß für die Speculation, sie ist ebensosehr auch
für die Praxis von Wichtigkeit. Wir wollen es an zwei Beispielen
nachweisen. Der heil. Thomas schreibt, die Frage erörternd, in-
wieweit unser Wille mit dem göttlichen bezüglich des gewollten
Objectes conform sein müsse. Nachstehendes : „Manches will Gott
durch den sogenannten vorausgehenden Willen. In dieser Be-
ziehung unterliegt es keinem Zweifel, dass wir hinsichtlich des
Feldner, Willensfreiheit. 2
— 18 —
Gewollten unseren Willen dem göttlichen anbequemen müssen.
Gott will aber auch manches durch den nachfolgenden Willen.
Dieses Gewollte ist uns nicht immer bekannt, auJ3er es wird
durch Gottes Wirken uns irgendwie offenbar. Das Gewollte dieser
Art fllgt der Sache noch etwas an Güte bei, so dass die Sache
deshalb gewollt werden kann, weil Gott sie will und angeordnet
hat. Sobald daher etwas als von Gott gewollt erkannt wird,
erfassen wir es als ein Gut. Folglich muss der Wille auf diese
Erkenntnis hin nach jenem Gut streben. Würde er dieses
Gut fliehen, so wäre die Bewegung des Willens weder gut, noch
Gott conform. Kein Strebevermögen braucht sich indessen zu einem
Gut zu neigen, dessen Wesen nicht erkannt wird.
Wir wissen nun aber, dass es verschiedene Abstufungen des
Strebens gibt, weil verschiedene Erkenntnisse vorangehen, auf
welche das Streben folgt. Im Menschen ist z. B. das sinnliche
Streben, das auf die sinnenfällige Erkenntnis hin erfolgt. Dieses
Streben ist einzig und allein auf jenes Gut gerichtet, welches uns
dem Leibe nach zusagt. Durch dieses Streben wird also das für die
Sinne angenehme Gut begehrt, niemals aber ein geistiges z. B. die
Wissenschaft. Femer besitzen wir einen gewissen natürlichen
Willen, wodurch wir das erstreben, was an sich uns Menschen,
als solchen, gut vorkommt. Dieses Streben folg:t auf die Erkenntnis
der Vernunft; insofern sie etwas absolut betrachtet, z. B. Wissen-
schaft, Tugend, Gesundheit, die wir Menschen wollen. Endlich
findet sich in uns ein gewisser überlegter Wille, dem Acte des
Verstandes folgend, der das Ziel und die verschiedenen Umstände
ins Auge fasst. Gemäß diesem Willen streben wir nach dem, was
in Kraft des Zieles oder aus irgend einem anderen Umstände
ein Gut ist. Hat nun ein Ding alle drei Arten der Güte, so wird
jedes Strebevermögen, vorausgesetzt, dass es ein geordnetes ist,
jenes Gut begehren. Fehlt dagegen dem Dinge eine dieser Arten,
dann darf jenes Strebevermögen, dem die fehlende Güte entspricht,
nicht nach jenem Dinge verlangen, sondern nach dem geraden
Gegentheile, wenn in diesem Gegentheile die Güte liegt. Sich um
der Gesundheit willen einer Operation unterziehen, ist weder dem
Leibe besonders angenehm, noch an sich ein Gut. Ein Gut ist
es bloß aus dem Ziele. Daher wählt dies bloß der überlegte Wille.
Das sinnliche Strebevermögen und der Wille als Natur verab-
scheuen es. Auf ähnliche Weise verhält es sich bei unserer vorhin
gestellten Frage. Wird etwas als von Gott gewollt erkannt,
was man besonders aus dem Wirken Gottes sehen kann, so muss
d^r überlegte Wille (der Wille als Freiheit), welcher der
Vernunft, die vergleichend, untersuchend jenen Grund der Güte
erkennt, folgt, das Gut wollen, wenngleich der natürliche Wille
und das sinnliche Strebevermögen jenes Gut fliehen. Gerade durch
diese Flucht sind sie dem göttlichen Willen conform, denn sie
— 19 _
streben nach dem Out gemüi ihrer Erkeantuis. Ans diesem
Gmode kann jemand Über deu Tod seiner Ehern trauern, nad er
braucht sich nicht darüber zu frenen, was nach Gottes Willen ge-
schieht. Daher bemerkt der Philosoph, es reiche hin, dass der Starke
im Anblicke der Todesgefahr traurig gestimmt werde, es sei nicht
nothwendig, dass er darüber Frende habe" (I. dist. 48, q. 1. a. 4.).
Denselben Einfluss des Verstandes, respective der Erkenntnis
aaf den Willen lehrt S. Thomas an einer anderen Stelle. „Der
Wille strebt nach seinem Gegenstände, wie er ihm von der Ver- ,
nnnft vorgestellt wird. Die Verannft aber kann etwas nnter rer-
ficbiedeuen Gesichispaakten betrachten, so dass der Gegenstand
unter dem einen als ein Gut, nnter dem andern nicht als ein
Gut erscheint. Begehrt nnn der Wille das Object von jenem
Gesichtspunkte aus, unter welchem es als ein Gut erscheint
und der Wille eibes andern strebt nicht nach jenem Objecte,
weil ee vom Gesichtspunkte aus, unter welchem es ihm vor-
gestellt wird, nicht als ein Gut erscheint, sq sind die Willen
dieser beiden vollkommen geordnete. Der Richter will den Ver-
brecher mit dem Tode bestrafen aud er handelt gut, sein Wille
ist correct. Die Gemahlin oder die Kinder dieses Verbrechers
wollen nicht, dass der Delinquent gestraft werde, weil dieser Tod
für sie naturgemäß ein Übel ist. Auch sie befinden sich im Bechte.
Gott, der nniveraelle Urheber und Regierer aller Geschöpfe, be-
trachtet die Dinge von einem hChern Standpunkte ans, als wir
Menschen. Er will infolge dessen auch manches, was wir nicht
za wollen branchen, denn sein Verstand, seine Kenntnis
stellt dem Willen so manches als ein Gut dar, was unser Verstand
nicht als ein Gnt auffasst. Damm ist auch nicht erforderlich, dass
unser Wille nach jenem Dinge strebe. Im Gegentheil, dadurch,
dass der Mensch es nicht will, ist sein Wille dem göttlichen con-
form, denn Gott will, dass der Mensch es nicht wolle. Unser
Wil^e mnss demnach mit dem göttlichen Übereinstimmen formell,
d. h. er muBS das allgemeine und göttliche Gut wollen, er mnss
das particnläre Gut auf das allgemeine, als auf das Ziel beziehen.
Das particnläre Gut selber ist er bloß materiell zu wollen ver-
pflichtet, insofern es ihm von der Vernunft, als particulSres
Gut dargestellt wird. Erkennt er es nicht als MnOut, so kann
er es nicht wollen, obgleich Gott, der universelle Machthaber, es
will (1. 2. q. 19. a. 10. — ib. q. 39. a, 2. ad 3. — 2. 2. q. 104. a. 4.
ad 3.). Unser Wille ist demnach dem göttlichen dadnr<^ voll-
kommen gleichßirmig, dass er dasjenige begehrt, was der Ver-
stand ihm als ein Gut vergegenwärtigt. Das verlangt Qott von
unserem Willen (de veritate q. 23. a. 7.). Man vergleiche damit
noch den Artiklel 8 derselben Qaästio, woraos abermals hervor-
geht, wie sehr der Wille jederzeit nach der Benrtheilnng eines
Dinges durch den Verstand sich richtet. •
.— ■ 20 —
10. Ein zweites Beispiel dieser Art bietet uns der englische
Lehrer in der Lösung der Frage, ob der Wille dem Verstände
folgen müsse, wenn letzterer thatsä,chlieh irrt. S. Thomas äuBert
sich hierüber: ^Wenn der Wille bei Gegenständen indifferenter
Natur mit der Yemunff nicht Übereinstimmt! so ist er böse* in
. Anbetracht des Objectes, von welchem die Güte oder Bösartigkeit
des Willens abhängt. Das Object ist nicht vermöge seiner Natur
der Grund davon, sondern insofern es per accidens von der Ver-
nuoft als ein begehrenswertes Gut, oder als ein Übel, ein Böses,
das zu meiden ist, aufgefasst wird. Weil nun dasjenige den Ge-
genstand des Willens ausmächt, was ihm» von der Vernunft dar-
gestellt wird (1.-2. q. 8. a. 1.), deshalb wird der Wille, der nach
einem von der Vernunft als böse erkannten Objecte strebt, da-
durch selber böse. Dies gilt nicht allein in Bezug auf jene Dinge,
die an und für sich indifferent, sondern auch hinsichtlich jener,
die an und fUr sich gut oder böse sind. Denn. nicht nur das In-
differente kann per accidens gut oder böse werden, sondern auch
das, Was gut, kann böse, und das, was böse, kann gut werden,
je nach der Erkenntnis oder Auffassung der Ver-
nunft. An Jesus Christus glauben, ist an und fUr sich gut und
zu unserm Heile nothwendig. Allein unser Wille begehii; dieses
nut, wie es ihm von der Vernunft vorgestellt wird. Würde es ihm
von der Vernunft als böse dargelegt, so würde der Wille, wenn
er es begehrt, etwas Böses anstreben, nicht etwa deshalb, weil
es an und für sich böse ist, sondern per accidenSy infolge der
Auffassung unserer Vernunft. Darum erklärt der Philo-
soph, an und ftlr sich gesprochen, sei derjenige unenthaltsam, der
das richtige Urtheil der Vernunft nicht beachtet, ^er accidens
j6doch auch, derjenige, der dem irrenden nicht Folge leistet.
(1. 2. q. 19. a. 5.) Daraus ergibt sich die Folgerung, schließt S. Tho-
mas daselbst, dass der Wille, der mit dem Verstände, sei er nun
. richtig, oder befinde er sich im Irrthume, nicht übereinstimmt,
dem Urtheile desselben nicht folgt, jederzeit böse ist. Der
Grund dieser Wahrheit ist einfach und klar. Der Wille wird nur
dadurch bewegt, etwas anzustreben, dass irgend eine Erkenntnis
vorausgeht. Der Gegenstand des Willens ist ein Gut. oder ein
Übel (BösesX K nachdem es von der Vernunft als ein solches
erkanift wird (2. dist. 39. q. 2.^a. 3. — de veritate q. 17. a. 4.). Die
Erkenntnis, was in einem einzelnen Falle zu thun sei, erfolgt
durch die Vorschrift des Gewissens. Das Gewissen ist nichts
anderes als die actaelle Applioiemng der Erkenntnis auf
einen einzelnen Fall. Daraus ist demnach klar, dass das Gewissen,
das riclitige wie das irrende, betreffe es das an und ftlr sich
Gute, Böse oder Indifferente stets fttr den Willed eine Verpflich-
tung zur Folgeleistung in sich schließt. {Quodl. 3. a. 27. und 8.
a. 13. — ib. a. 15.) • *
— 21 —
Die Abhängigkeit des Willens vom Verstände ist somit anßer
alten Zweifel gestellt. Wenn aach die hier angefllhrten Beispiele
zunächst nicht so sehr das geietige StrebeTeEmögen als 'Potenz
betreffen, sondem mehr Bezug auf den Act dieser Potenz haben,
80 ist doch audeterseits ebenso kl&r und sicher, dass die Potenz
selber sich nach dem Verhältnisse ihres Actes ricbtet. Die natür-
liche Neigung der Potenz bildet die entsprechende Grundlage für
den Act. Dies gilt zumal vom Willen, indem der Willensact nichts
anderes ist als eine Terstärkte Neigung der Potenz. Gegen die
Neigung des WilleDa, erfolgt von seiner Seite niemals ein Act.
Dies wäre Zwang, und zwingen lässt sich der 'Wille nicht einmal
von Gott, umsoweniger van irgend einer Creatnr. Das Nähere
hierüber w«rdeä wir noch zu betrachten Gelegenbeit haben. Daher
begehrt der Wille immer, seiner innecsten Neigung entsprechend,,
jenes Object, welches ihm 'durch die Yemunft als ein Gut vor-
gehalten wird. '
DeE. Grundsatz nihil volÜum quin praecoffnüum findet durch-
wegs Beine Bestätigung. Wohl bildet die Erkenntnis oder der
Gegenstand als erkannter nicht den formellen Grand, dass
die Strebfikraft sich zu demselben neigt, er ist abpr doch die un-
erlässliche Bedingung, die conditio sine qua nan, damit die Neigung
des Willens zu ihm hingeordnet, werde. Iffiwti ntUla eupido. Diese
Wahrheit bleibt ein- fUr allemal mallgebend.
Nmi kommt es allerdings manchmal vor, dass die Neigung
dea Willens sich nicht nach dem Urtheile der Vernunft richtet,
im Gegentheil, sich vielmehr dü-ect davon abzuwenden scheint.
Allein dies ist .eben nur Sch^, nicht Wirklichkeit, und hat seinen
Grand darin,' dass die Vernunft, vgm Willen dazu angeregt, ihr
Urtheil Über die Gute des GcgcAstaudes ändert. Der Wille be- '
stinnnt nicht bloß sieh selber, sondern- auch alle übrigen Ver-
mögen, den Verstand nicht ausgenommen. Infolge .einer von^ Willen
oder einer. Leidenschaft, Gewohnheit etc. ausgebenden Bewegu.ug
erkennt die Vernunft ihren Gegenstand anders als früher, und
damit ändert sie ihr Urtheil. Nichtsdestoweniger besteht dag Ab-
hängigkeitsverhältnis des Willens von der Vernunft aufrecht, weil
der Wille endgilt ig immer zu dem Gut sich neigen wird, 'was
ihm die Vernunft,' durch ihr letztes Urtheil, äie sogenannte
Sentenz, als dea Begebrens wert vorhält.
11. Es erübrigt noch, dass wir genauer bestimmen, in welcher
Weise eigentlich der Verstand den Willen von sieb abhängig
macht, den Willen deteiminiert. Das Streberermögen Überhaupt
. ist nach S. Thomas eine passive Potenz, jedoch befähigt vom
erkannten Gut bewegt za werden. Das erkannte Begehrenswerte
verhält sich daher wie der unbewegliche Beweger, das Strebe-
vermOgen hingegen wie das Bewegende, das bewegt worden ist,
wie Aristoteles lehrt (1. p. q. 80. a. 2.). Der Befehl (Imperium) ist
— 22. —
nichts anderes als ein Act der ordnenden Vernunft, verbunden
mit einer gewissen Bewegung, auf dass etwas geschehe oder
gethan werde. Nun kann aber offenbar die Vernunft über den
Willen disponieren, denn wie sie zu urtheilen yermag, dass es
gut sei etwas zu wollen, ebenso kann sie befehlend anordnen, dass
der. Mensch wolle (1.2. q. 17. a. 5.). Bloß der erste Willensact
entstammt nicht der Anordnung der Vernunft, sondern aus dem
Antriebe der Natur oder einer höbern Ursache, die keine andere
als Gott sein kann (1. 2. q. 9. a. 4. — 1. 2. q. 17. a. 5. ad 3.).
Ein Ding kann indessen auf zweifache Art bewegen. Ent-
weder als Zweck, Ziel, wie man z. B. vom Ziele sagt, es bewege
die wirksame Ursache. In dieeer Weise bewegt der Verstand
unsem Willen, weil das erkannte Gut Object des Willens ist,
»und als Ziel ihn bewegt (1. p. q. 82. a. 4.). Das Object aber be-
wegt, indem es den Act nach Art 'eines formellen Prin-
cipes bestimmt. Das erste formelle Frincip ist das univer-
selle Seiende und Wahre, das darum das Object ftir den Verstand
bildet. Auf diese Art bewegt der Verstand den Willen, indem er
ihm sein Object vorstellt (1.2. q. 9. a. 1.). Er bewegt somit den
Willen nicht direct, sondern vermittest des Objectes (1. 2. q. 9.
a. 3. ad 3.). Betrachten wir demnach die Bewegungen der Potenzen
unserer Seele mit Bezug auf das Object, das den Act speciäciert,
so gehört das erste Princip der Bewegung dem Verstände an.
Denn auf diese Weise wird der Wille vom erkannten Gut be-
wegt (de malo q. 6. a. nnic). Wir wollen ein Ding, weil es uns als
ein Gut erscheint ^3. dist. 23. q. 4. a. 2. ad 3.). Daraus folgt sodann,
dass der Wille nie etwas begehrt, auJ3er er werde dazu durch
jenes Object, das begehrenswerte Gut und Ziel, bewegt (de
-veritate q. 14. a. 2.). „Alle Thätigkeiten der Geschöpfe", lehrt
S. Thomas, „unterstehen • der Ordnung der göttlichen Voi*sehnng,
so dass keines derselben mit AuBerachtlassung der Gesetze dieser
Ordnung irgendwie thätig sein kann. Das Gesetz der göttlichen
Vorsehung aber lautet dahin, dass jedes Ding von seiner un-
mittelbaren Ursache bewegt werde. Das nächste den Willen be-
wegende Princip ist das erkannte Gut, weil es für den Willen
Object bildet und er selbst von demselben in der Weise* bewegt
wird, wie der Gesichtssinn von der Farbe. Keine Creatur
vermag daher den Willen anders zu bewegen, als mittelst eines
erkannten Guts. Dies geschieht dadurch, dass sie ihm zeigt, etwas
sei gut, wenn es geschieht'^ (3. contr. Gent. c. 88.). Nur auf diese
Art kann ein Geschöpf ansem Willen einigermassen neigen, wie
z. B. jemand den andern Überredet, etwas zu thnn, Indem er ihm
die Nützlichkeit und das Edle der That vorstellt (de veritate
q. 22. a. 9.). Wer immer daher uns einen Bath ertheilt, oder uns
zuredet, der wirkt auf unsem' Willen ein, jedoch nur dadurch,
dass er bewirkt, dass das erkannte Object uns als ein Gut er-
^ 23 —
scheint (de malo q. 3. a. 3.). Der Verstand leitet mithin den Willen
nicht dadurch^ dass er selbst denselben zu dem neigt» was der-
selbe begehrt, sondern bloB indem er demselben zeigt, wonach
er streben soll (de veritate q. 22. a. 11. ad 5.).
12. Der Einfluss der Erkenntniskraft auf den Willen ist nach
der soeben dargelegten Doctrin des englischen Meisters ein durch-
aus objectiver, die Thätigkeit des Willens specificierender. Die
Vernunft zeigt dem Willen einen Gegenstand mit dem Bedeuten,
derselbe sei gut, und somit begehrenswert. Von der zweiten
Art des Einflusses auf den Willen per modum imperii, thu das!
mfissen wir vorläufig absehen, weil diese letztere Art bereits eine
Willensthätigkeit voraussetzt (cfr. 1.2. q. 17. a. 1.). Der Wille kann
aber objectiv auf eine dreifache Weise bestimmt, resp. bewegt
werden. Zunächst geschieht es durch das vorgestellte Objeet selber.
Die vorgesetzte Speise z. B. ei-weckt im Menschen Esslust. In
zweiter Linie bestimmt und bewegt auch derjenige den Willen,
der ihm ein erstrebenswertes Object darbietet oder vorstellt.
Drittens wirkt bestimmend auf den Willen derjenige ein, welcher
den Nachweis liefert, dass dieser oder jener Gegenstand ein Gut
sei. Denn auch dieser letzte stellt in gewisser Beziehung dem
Willen das demselben eigenthtimliche Object vor (1. 2. q. 80. a. 1.).
In der Darstellung des Gegenstandes als eines» Guts liegt
demnach eigentlich und formell der Grund, dass der Wille sich
zu diesem Gut neigt.
Dieser letzte Satz schließt indessen eine Schwierigkeit in sich.
Worin haben wir den formellen Grund der Bestimmung und
objectiven Bewegung des Willens zu suchen: in der Darstellung?
oder in der Güte des Gegenstandes ? Wird der Wille formell vom
erkannten Gut oder vom erkannten Gut bewegt und be-
stimmt? Wir unterschreiben unsererseits die Ansicht jener Autoren,
welche behaupten, die Erkenntnis und Darstellung durch die Ver-
nunft sei bloß eine uothwendige Bedingung, conditio sine qua non,
keineswegs aber der formelle Grund, dass der Wille sich zu
dem Qegenstande neigt. Und in der That spricht S. Thomas immer
davon-, dass der Wille sub ratione boni sein Object begehre (cfr.
de veritate q. 22. a. 12. — 1. 2. q. 8. a. 1. ad 2.).
Der Einfluss der Vernunft auf den Willen ist ferner ein
durchaus objectiver. Der Wille kann nämlich in doppelter
Weise bestimmt werden. Wird dem Willen ein Object als ein
Gut vorgestellt, so kann er, falls er dieses Gut begehrt, nicht zu-
gleich ein anderes erstreben. Durch die Voratellung des Guts wird
er zu • d i e s e m Gut bestimmt. Die Autoren nennen diese Be-
stimmung oder Bewegung des Willens eine o b j e c t i v e. Es kann
aber geschehen, dass der Wille sich nicht wirklich zu diesem Gut
neigt,' dass er keine Thätigkeit vollzieht, um dieses Gut zu
erreichen. Bestimmt ein vorgestelltes Gut den Willen derart, dass
»
— 24 —
ec in Tbätigkeit tritt, so wird er subjeetiv tod diesem
Gm bestimmt. Diese subjective Beetimmnng de« Willene durch
irgead ciuea Gegenstand ist es dod, die vom englischen
Lehrer bestritten wird. Er anerkeimt nur eine objective in dem
Sinne, dass der Wille, wenn er thätig ist, vom Gegenstande,
dem vorgestellten Gut, bestimmt nnd bewegt wird. Der Einflnss
des Objectes ^nf den Willens act ist demnach nnr ein bedingang^-
weiser, falls der Wille thstig ist. Die Gtlter, welcher Art sie immer
seien, verniiig:en den Willen zwar einigermassen, aliqualüer
zu bewegen, aber keines derselben, aneh nicht alle zusammeo-
genomnien, bringen es zustande, dass er wirksam, efßcacUer,
bestimmt unil bewegt wird. Gott, das allseitig vollkommene Gat,
kann aucli als Gegenstand oder Object nnsem Willen wirk-
sam bewegen. Allein solange wir hier auf Erden sind, gelingt
dieses selbst ibm nicht. Die Erkenntnis und Darstellung durch die
Vernunft ist unerlSssliche Bedingung, damit der Wille ein Gut
begehre. In diesem Leben aber ist es der Yemnnft unmSglieh, dem
Willen Gott so vorzustellen, wie er in sich selber ist. Wenn ein
Gegenstand unsem Willen wirksam bewegen soU, so muss er
ihm unmittelbar als absolutes, in jeder Beziehung vollkommenea
Gut vorgestellt werden. Dies kann erst im andern Leben geschehen,
wo wir Gott von Angesicht zu Angesicht schauen werden.
Während die Vernunft den Willen stets objeetiv, durch
Vorstellung eines erstrebenswerten Guts bewegt, vrird umgekehrt
die Vernunft selber vom Willen snbjectiv in Tbätigkeit gesetzt.
Die Vernunft bewegt den Willen per modum finis, der Wille die
Vernunft per 7noditm agentis (1. p. q, 82. a. 4.). Die Bewegung des
Willens durch das vorgestellte Gut kann folgerichtig nicht im
eigentlichen Sinne, streng genommen eine Bewegung genannt wer-
den. Sie ist rielmehr eine äpecificierung der WillensthäCigkeit, die,
wenn diese in Bewegung ist, sich entfaltet Diese äpecificiemng
geschiebt indessen nicht später, als die Tbätigkeit vor sieb geht.
Beide sind gleichzeitig.
§ 3. Der Wille als Natar und dessen Natornothwendijgkeit.
13. Der Verstand wirkt mittelst des Objectes bestimmend,
in einiger Hinsicht bewegend auf den Willen ein, indem er ihm
das Object als ein begehrenswertes Gut darstellt : dies war das
Kesultat unserer frtthern Untersuchung. Nach der Beschaffenheit des
vorgestellten Objectes erfolgt dann auch die Begriffsbestimmung
des Willens aU Natar nnd dessen Natnmothwendigkeit.
Vor allem muss bemerkt werden, dass der Wille als geistiges
Strebe vermögen oder als Potenz nur eine einzige Facultas der
Seele ist. Die Unterscheidung betrifft blofl das Verhältnis idieser
Potenz zu dem Torgestelltea Objecte. Die Potenzen unterBcbeiden
— 25' —
sich, nach der Lehre des heil. Thomas^ gemäß den verschiedenen
rationes oder objectiven Gesichtspunkten, unter welchen sie tran-
scendentale Beziehung zu ihren Objecten haben. Nun' ist der
Gegenstand des Willens ein Gut, und zwar formell oder insofeme
es ein Gut ist (secundum rationem boni). Dieser formelle Grund
kommt aber allen Dingen gemeinsam zu. Daher kann der Wille
als geistiges Strebe Vermögen überhaupt nicht in verschiedene Po-
tenzen eingetheilt werden. In jedem Menschen ist daram nur e i n
Wille als Potenz anzunehmen. Es kann jedoch verschiedene Be-
ziehungen dieses einen Willens geben, nach welchen er manch-
mal unterschieden wird. So unterscheiden wir einen natür-
lichen Willen, welcher nämlich infolge der absoluten Güte, die
wir in einem Gegenstande erfassen, nach Art der'Naturzu
diesem Objecte bewegt wird. Ferner sprechen wir von einem
vernünftigen Willen, der zu einem Objecte bewegt wird, nicht
auf Grund der absoluten Güte des Objeetes selber, sondern. weil
es gut ist, in Bezug auf ein anderes, in der Hinordnung zu einem
andern. Indessen ist diese Unterscheidung nur darin begründet,
dass die Bewegung des Willens das einemal nach vorausgegan-
gener Vergleichung, das anderemal ohne eine solche erfolgt. Ver-
gleiche ziehen iteht aber an und für sich nicht dem Willen, son-
dern der Vernunft zu. Daher ist diese Eintheilung des Willens
nicht durch wesentliche, sondern z u f ä 1 11 g e, acciden teile Merk- *
male . durchgefühlt. Daraus folgt aber dann, dass es nicht zwei,
geistige Strebevermögen, Potenzen oder Willen, sondern nur eines
geben kanti. Immerbin aber besteht ein Unterschied darin, dass
der Bewegung dieser, einen Potenz^ eine Erkenntnis mit oder
ohne Vergleichung zwischen mehreren Objecten vorangeht (3. dist. i 7.
q. 1. a. 1. qu<3.). Der Wille als Natur und der Wille als Frei-
heit unterscheiden sich demnach nicht nach der Wesenheit des
geistigen Strebevermögens, weil natürliche Hinneigung zu
einem Objecte und Infolge von Überlegung nicht an und
für sich. Differenzen des Willens bilden, sondern nur insofern
der Wille dem Urtbeile der Vernunft folgt. Die Vernunft jaämlich
erkennt manches natürlich, gleichsam als unbeweisbares Princip-
fttr die Handlungen. Dieses Erkannte .verhält sich, daün wie das
2iel; denn in Be^ug'auf die 'Handlungen nimmt das Ziel die Stelle
eines Principes ein, wie es im 6. Buche. der Ethik heißt. Was
daher dem Menschen als Ziel, gilt, das wird von der Vernunft
auf natürliche Art (naturaliter) als gut und begehrenswert erkannt.
Der Wille, der dieser Erkenntnis folgt, wird Wille als Natur* ge-
nannt (2. dist S9. q; 2. a. 2. ad 2.). - . * .
An einer andern Stelle fragt S. Thomas, ob in Christus zwei
geistige Strebevermögen gewesen seiend' Die Antwort darauf l&utet:
^Der Wille wird manchmal für den Act, manchmal für die f^otenz
genommen. Versteht man unter Willen den Act, dann muss aner-.
— '26 —
kannt werdeD, dass in Christus zwei geistige Willen, d. b. zwei
Arten von Willensaeten gewesen sind. Denn der Wille strebt, wie
anderswo nachgewiesen wurde (1.2. q. 8. a. 2. et3.), sowohl nacb
dem Ziele, als auch nach den Mitteln zum Ziele (est earum quae
sunt adfinem), und er begehrt beides auf verschiedene Weise.
Das Ziel verlangt er schlechthin und absolut als ein Gut an und
für sich; das Mittel zum Ziele dagegen strebt er mit einer ge-
wissen Vergleichung an, nämlich insofern es durch Einordnung
zu einem andern Güte besitzt. Darum ist anderer Art der Willens-
act insofern er sich auf etwas bezieht, was an und für sich oder
um seiner selbst willen gewollt ist, z. B. die Gesundheit ; und
wieder anderer Art der Willensaet, der sich auf dasjenige er-
streckt, was bloJ3 wegen Hinordnung zu einem andern gewollt wird,
z. B. der Gebrauch von Medicinen. Ersteren Willen nennen Da-
mascenus Thelesis, d. h. einfach Willen, die Magistri Willen als
Natur. Letzterer heißt nach Damascenus Boulesis, d. h. berathender
Wille-, gemäß der Sentenz der Magistri wird er Wille als Ver-
nunft genannt. Diese Unterscheidung der Acte bewirkt aber keinen
Unterschied der Potenz ; denn beide Acte erfolgen mit Bezug anf
den einen gemeinsamen formellen Grund: das Gut als solches.
Spricht man also vom Willen als Potenz in Christus, so war dem
Wesen nach, nicht durch Antheilnahme, nur ein menschlicher Wille
in ihm. Meint man hingegen damit den Willensaet, so muss man
in Christus den Willen als Natur, der Thelesis genannt wird,
unterscheiden vom Willen als Vernunft, der Boulesis heißt (3. p. q. 18.
a. 3.) Man vergleiche daselbst a. 4. und 5. Ebenso q. 21. a. 3.
Der englische Lehrer zieht, um die Unterscheidung des
Willens in den Willen als Natur und als. Freiheit klar zu machen,
einen Vergleich zwischen Verstand und Vernunft im Erkenntnis-
vermögen. Die Potenzen, die der Erkenntnis dieüen, und die-
jenigen des Strebevermögens, müssen sich gegenseitig entsprechen.
Für die geistige Erkenntnis haben wir den Verstand und die
Vernunft. Daher müssen auf selten des Strebevermögens der Wille
und die Freiheit oder Wahlkraft angenommen werden. Dies wird
umsomehr einleuchten, wenn wir die Objecte und Acte derselben
einer Betrachtimg unterziehen. Verstehen bedeutet soviel ald etwas
schlechthin erfassen. Daher bezieht sich das Verstehen eigentlich
auf die Priucipien, die ohne Vergleichung durch sich selber er-
kannt werden. Schließen dagegen besagt eigentlich soviel als von
den^ einen zur Kenntnis des andern gelangen. Diese Schluss-
folgerungen aber ergeben sich aus den Principieq. Auf dieselbe
Art .bedeutet Wollen einfach ein Ding begehren oder nach einer
Sache streben. Darum bezieht sich der Wille auf das Ziel; das
um seiner selbst willen begehrt wird. Auswahlen hingegen ist
soviel als etwas anstreben, um damit ein anderes zu .erreichen.
Die Wahl zielt daher auf die Mittel ab. Wie sich bei der Er-
— 27 —
kenntnis das Princip znm Schiasse verhält, so verhält sich be-
züglich des Strebens das Ziel oder der Zweck zum Mittel. Den
Schlüssen stimmen wir der Principien wegen bei, das Mittel ver-
langen wir um des Zieles willen. Daraus folgt weiters, dass die
Freiheit sich zum Willen verhält, wie die Vernunft zum Verstände.
Verstand und Vernunft bilden jedoch eine Potenz, folglich ebenso
Wille und Freiheit (1. p. q. 88. a. 4.). Das Wort: Wille absolut ge-
noDomen bezeichnet den Willen als Natur; der Wille, der einen
Bath von Seiten des Verstandes voraussetzt, ist identisch mit der
Freiheit (2. dist. 24. q. 1 . a. 3). Es unterliegt folgerichtig gar keinem
Zweifel, dass wir einen natürlichen Willen besitzen, durch
welchen vdr dasjenige begehren, was dem Menschen, insofeme
er Mensch- ist, als ein Gut erscheint, und dieser Wille folgt auf
die Erkenntnis der Vernunft, die etwas absolut betrachtet (1. dist. 48.
q. 1. a. 4.). Der Wille als Wahlfreiheit unterscheidet sich der Natur
gegenüber wie eine Ursache von der andern. Manches geschieht
auf natürliche Weise, manches mit Willen. Es gibt aber noch
eine ferneVe Art zu wirken, neben derjenigen die der Natur,
welche zu einem bestimmt ist, zukommt. Und diese Art ist dem
Willen eigenthümlich, weil er J9err seiner Acte ist. Da indessen
der Wille in einer Natur seinen Grund hat ffundaturj, so ist es
nothwendig, dass die Art, die der Natur eigen ist, einigermaßen
vom Willen getheilt werde. Das Spätere hat Antheil an dem,
was dem Frühern gehört. Früher ist in jedem Dinge das Sein,
welches das Ding durch die Natur besitzt, als das Wollen, welches
es durch den Willen hat. Aus diesem Grunde begehrt der Wille
manches natürlich (1. 2. q. 10. a. 1. ad 1.). Die Natur und der
Wille stehen demnach in einem solchen Verbältnisse zu einander,
dass der Wille selbst eine gewisse Natur ist, weil alles, was in
der Wirklichkeit vorhanden, eine gewisse Natur bildet. Darum
finden wir im Willen nicht allein das, was ihm als Wille, sondern
auch das, was ihm als Natur zukommt. Folglich wohnt dem Willen
ein gewisses natürliches Streben nach dem cönvenierenden Gut
inne. Neben diesem begehrt er aber noch etwas .aus eigener Be-
stimmung, nicht aber aus Nothwendigkeit. Dies kommt ihm als
WilW zu. Wie die Natur zum Willen sich verhält, so verhält sich
das, was der Wille nfttürlich begehrt, zu dem, wofür er nicht
aus *der Natur, sondern aus sich selber bestimmt wird. Gleichwie
daher die Natur das Fundament für den Willen abgibt, so ist
das Begehrenswerte, das natürlich angestrebt wird, das Pripcip
und Fundament für alles andere Begehrenswerte. Daraus geht
zur Evidenz hervor, das der Wille etwas mit natürlicher Neigung
begehrt (de veritate q. 22. a. 5.).
14. Die Lehre des heil. Thomas Jlber den Willen als Natu/
dürfte nunmehr aus den soeben citierten Stellen vollkommen ein-
leuchten. Wir haben diesen Willen früher auch 'Naturnöth wen-
— 28 — . .
Jlatur^iaxft^*^^** ^^^ ^^^®^* bestimmt nämlicb den Willen als
dieses ObWf *^ ^^ einem, so dass er nicht das Gegentiieil
nach ein ij.^^"^®^ ^*^^' ^^^ ^^®®® Weise versetzt es ihn
Actes in ^ ^ Richtung hin, in Betreff der Specificierung seines
vom bocto "^A ^^^^^^^ d®r Nothwendigkeit. Der Wille als Uatur,
aich df^m^^ Angelieus schlechthin JTatur genannt, unterscheidet
ok mt« . ^^^ ^Ulen als Freiheit dadurch, dass der Wille
^P«s^n t • ^^^ ^®*^g auf das Object bestimmt ist und infolge
^Ar Will ^^^ ^^*®°2 für das Gegentheil des Objectes hat, während
^p w ® Freiheit diese Bestimmung nicht kennt, folglich die
TT tpi. ,^^f «führte Potenz flir das Gegentheil beibehält. Dieser
Ijnierseined igt darin begründet, dass die Wirkung der Form des
AgenS) durch welche dieses wirkt, ähnlich ist. Jedes Ding besitzt
aoer nur eine natürliche Form, jene nämlich, wodurch es
h^ ' Daher wirkt jedes Dinjg in der Weise, wie es selber
b^^?|jp?^ ist. Die Form dagegen, durch welche der Wille als
Wahlfreiheit wirkt, ist nicht eine einzelne, numerisch bestimmte,
sondern es sind deren mehrere, ja sehr viele, weil ei mehfere,
sehr viele erkannte, von der Vernunft gebildete Vorstellungen
gibt. Was somit durch den Willen als Freiheit gewirkt wird, das
ist nicht ein solches wie das Agens selbst ist, sondern wie das
Agens erkennt und will. Darum bildet der Wille als Freiheit
das Princip für jene Dinge, die so oder ' auch anders ausfallen
können. Für jene Dinge hingegen, die nur auf eine Weise verwirk-
licht' werden, .die nur so und nicht anders sein können, ist der
Wille als Natur das Princip (1. p. q. 41. a. 2.). Der Natur ent8i(richt
indessen immer einea^ das zu ihr in einem richtigen Verbälti^isse
stejit. Der Natur in der Gattung e9tspricht eines in der Gattung,
der Natur in der Art, einßs in' der Art; der individuellen Natur
eines, das individuell ist. Zu diesem einen ist die Natur be-
stimmt, wie wir früher bei der Erklärung des Wortes „Bestimmung^
nachgewiesen haben. Der Wille ist^ gleich d^m Verstände, eine
immaterielle Kraft. Daher entspricht ihm ganz naturgemäß eines,
das, wie er selb.st, univeraell ist, nämlich das Gut im allgemeinen.
Dem Verstände entspricht das Wahre und Seie|;ide im allgemeinen.
Zu dem Gut im allgemeinen ist darum der Wille, zu dem^Wahren.
und Seienden im allgemeinen der Verstand bestimmt* Dieses
Object begehrt folglich der Wille aU Natur. Allein das Gut im
allgemeinen enthält viele particuläre Güter, und zu keinem der-
selben ist er als immaterielle Kraft bestimmt. 'Nach jedem der-
selben strebt er daher mit Freiheit, nicht mit Nothwendigkeit
(1.2. q. 10. a. J. ad 3.).
Von der Naturnothwenäigkeit des Willens kann man
^Iso in zweifacher Weise sprecben: entweder indem man dem
Willen in sieh als eine Potenz der Seele, oder indem man ihna
in seiuer* Beziehung zu deip Objecte betrachtet. Der Wille alsi
— 29 —
Potenz ist eine natürliche Kraft der Seele, so dass er mit Noth-
wendigkeit aus der Natur folgt. Er bildet ein accidens proprium
nicht ein accidens per accidens der vernünftigen Natur. Manchmal
\nrd aber die Bewegung oder der Act des Willens ebenfalls
Wille genannt. In diesem Sinne gefasst ist der Wille bisweilen
natürlich und nothwendig, z. B. hinsichtlich der Glückseligkeit,
bisweilen hingegen frei, weder nothwendig noch natürlich, je
nachdem die Vernunft, die das Princip dieser Bewegung ist, dem
Willen ein nothwendiges oder freies Object vorstellt (3. p. q. 18.
a, 1. ad3.). Wird ihm das Gut im allgemeinen vorgehalten, so
will er es mit einer Nothwendigkeit, wodurch die Potenz, das
Vermögen für das Gegentheil ausgeschlossen wird. Wenn darum
der Mensch nothwendig glücklich sein will, und das muss er,
so kann er nicht zugleich unglücklich sein wollen (2. dist. 39. q. 2.
a. 2. ad 5.).
Wie indessen jeder bemerken kann, betrifft diese Nothwen-
digkeit das Object, weil der englische Lehrer behauptet, sie
schlieJBe das gegentheilige Object aus. Die Stelle aus dem dritten
Theile seiner theologischen Summa, die wir soeben angeführt,
scheint aber noch auf eine andere Nothwendigkeit Rücksicht zu
nehmen. Der Doctor Angelicus spricht nämlich daselbst von einer
Bewegung oder einer Thätigkeit des Willens. Und von dieser
Thätigkeit, dieser Bewegung des Willens, sagt er, sie sei bis-
weilen eine natürliche und nothwendige, bisweilen aber nicht.
Dem aufmerksamen Leser wird jedoch nicht entgangen sein, was
der englische Meister daselbst weiter bemerkt, die Vernunft sei
das Princip dieser Bewegung, dieses Willensactes. Wie geneigt
man also auch, an sich genommen, sein könnte, hier wirklich an
eine subjectiv (quoad exercitium adw«^ nothwendige Bewe-
gung ^es Willens zu denken, so zwingen uns doch die Worte:
„die Vernunft ist das Princip dieser Bewegung", sie ausschließ-
lich obj ectiv zu fassen. Die Vernunft, so haben wir früher nach-
gewiesen, bewegt den Willen hier auf Erden nur obj ectiv, nie
subjectiv, so dass der Wille infolge dieser Bewegung keines-
wegs einen Act vollzieht. Die Naturnothwendigkeit, von welcher
wir in diesem Paragraph gesprochen, berührt folgerichtig den
Willensa et selbst in keiner Weise. Der englische Lehrer redet
nur vom Objecto, welches die Vernunft dem Willen vorstellt.
Dieses Object ist manchmal, wenn es dem Willen als Gut und
Glückseligkeit im allgemeinen dargestellt wird, von der Beschaffen-
heit, dass er es nicht zurückweisen, nicht ein anderem an dessen
Stelle wollen kann. Alle andern Objecto will er frei, keines
mit Nothwendigkeit. Ebenso ist er jederzeit frei hinsichtlich
seines Actes seiner Thätigkeit. In dieser letztern Beziehung ist
von einer Naturnothwendigkeit des Willens überhaupt
keine Bede.
— 30 —
Dieee Lehre des heil. Tkomas ist entscheidend für unsere
ganze Frage nod bietet den ScblUssel zur LOaang der Schwierig-
keit, wie die physische Yorherbewegnng und die Freiheit nebea-
einander nngestijrt and friedlich bestehen kltnnea.
15. Nach welchem Objecte strebt nnu der Wille mit Noth-
wendigkeit? welchen Gegenstand begehrt er auf natarliche Weise,
nicht ans freier Wahl? Wir werden zunächst mit dem englischen
Lehrer eine mehrfache Koth wendigkeit nuterscheiden mtlsseo.
Nothwendig kann etwas nach S. Thomas in mehr als einer Be-
ziehung genannt werden. Nothwendig bedeutet, dass etwas nicht
nicht sein könne, oder dass es sein müsse. Dies kann nun seinen
Grund in einem innem materiellen Principe haben, wie wir z. B.
sagen, das aus Gegensätzen Zusammengefügte unterliege noth-
wendig der Zerstörung und Auflösung, oder es hat den Grund
der Notbwendigkeit in dem formellen Principe, demgemäß wir
sagen, das Dreieck uilisse nothwendig drei Winkel haben, die
zwei rechten gleichkommen. Diese zwei Arten von Notbwendig-
keit sind natürliche nnd absolute. Andererseits kann etwas nicht
Dicht sein infolge einer äuJ3em Ursache oder in Hinsicht anf das
Ziel, wenn jemand ohne dieses gar nicht, oder wenigstens nicht so
gat das Ziel erreichen wtlrde. Anf diese Weise ist die Nahrung^
zum Leben, das Pferd für eine Reise nothwendig. Diese Noth-
wendigkeit nennt man auch die Notbwendigkeit des Zieles, bis-
weilen heißt sie Nützlichkeit (1. p.q. 82. a. 1.).
Dies vorausgesetzt, lässt sich nun mit Leichtigkeit bestinuneo,
welche Objecte der Wille mit Notbwendigkeit begehrt Zunächst
ist es das Gut im allgemeinen ; dann das Endziel oder die Gläck-
seligkeit; endlich alles das, was mit dem Endziele in einem noth-
w endigen Zusammenhange steht. Wie die Principien der gei-
stigen Erkenntnis auf naturgemäße Weise erkannt werden, so
muss anch das Princip der Bewegungen unseres Willens etwas
natürlich, nicht frei Gewolltes sein. Dies ist thatsächlich das Gut
im allgemeinen, nach welchem der Wille anf dieselbe natürliche
Weise strebt, wie jede andere Potenz nach ihrem eigenen Ob-
jecte. Ein nothwendig gewolltes Objeet ist femer das Endziel,
welches in der Praxis dieselbe Bedeutung hat, wie die ersten
Principien in der Speculaüon. Endlich bildet alles das, was dem
Willen überhaupt zukommt, ein Objeet, das den Willen nSthigt
Der Wille begehrt nicht allein das, was zu seinem Wesen aU
Potenz gehört, sondern alles, was den einzelnen Potenzen, was
dem ganzen Menschen zuträglich ist. Aus diesem Gründe strebt
der Mensch auf natürliche Weise nicht allein nach dem Gegen-
stande des Willens selber, er begehrt auch anderes, was den
Übrigen Potenzen conveniert, z. B. die Erkenntnis des Wahren,
die unmittelbar Sache des Verstandes ist, das Dasein, das Leben
und was immer zur Consistenz des Menschen erforderlich ist;
— 31 —
karz: alle diese particalären Guter siod im Objecte des Willem
eiogeschlosBea (1. 2. q. 10. a. I.). Diese Güter sind, mit AnsDabme
der Glückseligkeit, selbstverständlich nnr bedingungsweise gewollt,
d. h. unter der Voraussctzang, dass der Wille seine Glückseligkeit
wirklich zu erreichen begehrt Die Glückseligkeit selbst hingegen
ist absolot gewollt. Mit absoluter Nothwendigkeit strebt der Wille
Dar nach dem Tollkommenen Gut. Vollkommen nennen wir
dasjenige, dem nichts fehlt. Ein solches Gut kann der Wille nicht
nicht wollen. Das Endziel ist aber ein solches Gut. Mit der uSm-
tichen Nothwendigkeit strebt der Wille auch nach allen jenen
Dingen, die zu dem Endziele eine derartige Beziehung haben,
daes es ohne sie nicht eiTCicbt werden kann, z. B. das Dasein,
das Leben (1. c. ad 3.). Ähnlich verhält es sich mit den Mitteln.
Kann man nur durch ein Mittel znm Ziele gelangen, so muss
man, vorausgesetzt, dass man das Ziel begehrt, auch das Mittel
wollen. Wer z. ß. ttber das Meer fahren will, der muss nothwen-
digerweise ein Schiff verlangen. Diese Nothwendigkeit steht in-
dessen keineswegs im Widerspruche mit dem Willen, weil es
nicht eine absolote, sondern eine bedingte ist.
16. Die Nothwendigkeit, absolnte wie bedingte, ist in Betreff
mancher Objecte nicfat bloß dem menschlichen Willen eigen, sie
findet sich auch in Gott. Der englische Lehrer hat sich hierüber
in der unzweideutigsten Weise ausgesprochen. In der Summa
contra Gentes führt er fünf Beweise dafür an, dass Gott sein Da-
sein und seine Güte mit Nothwendigkeit will. „Gott will
nothwendig sein Dasein und seine Güte, heisst es dortselbst, und
er kann nicht das Gegentheil davon wollen. Gott will sein
Dasein und seine Güte als Hanptobjeet und als formellen Grund,
warum er alles anders will. Wass immer er demnach begehrt,
ist nnr insofern ein Gegenstand seines Willens, als er darin sein
Dasein und seine Güte will. Das Auge sieht in jeder Farbe das
Licht. Gott muss aber alles in aetu wollen, er kann niemals bloß
in der Potenz wollend sein. Er muss folglich nothwendig sein
Dasein und seine Gute begehren. Er will überdies mit derselben
Nothwendigkeit sein Endziel, mit welcher der Mensch nach seiner
Glückseligkeit strebt. Gott kann aber auch so wenig wie der
Mensch unglücklich seih wollen. Als Endziel aber will er sich
selber, folglich will er mit Nothwendigkeit seine E^stenz und er
kann unmöglich nicht sein wollen.
Dies lässt sich noch ans einem andern Grund nachweisen. Be-
züglich des Strebens und der Tbätigkeiteu ist fllr die Praxis das
Endziel genau das, was in der Speculation das in und durch sich
bekannte, daher nnbeweisbare Princip ist. Denn wie in der Wissen-
schaft aus den Frincipien die Schlussfolgerungen abgeleitet werden,
ebenso wird der formelle Grund ftir alles das, was man will oder
thut, vom Endziele hergenommen. Der Verstand stimmt aber in der
— 32 —
Wissenschaft den ersten Principien mit einer solchen Nothwendigkeit
bei, dass er dem Gegentheile unter keiner Bedingung seinen BeipstU
zollen kann. Mit ganz der gleichen Nothwendigkeit begehrt folgÜch
auch der Wille das Endziel. Unmöglich kann er das Gegentheil wollen.
Weil aber Gott kein anderes Endziel hat als sich selber, muss er
sich sein Dasein mit Nothwendigkeit begehren.'' Aus dieser Argu-
mentation des Doctor Angelicas geht hervor, dass Gott etwas mit
absoluter Nothwendigkeit will. Er hat eine absolut nothwendige Be-
ziehung zu seiner eigenen Güte, weil sie das seinem Willen eigen*
thttm liehe Object ist. Gleichwie daher unser Wille nothwendig
die Glückseligkeit, und ilberhaupt jede Potenz ihr eigentliches und
vorzügliches Object, z. B. das Auge die Farbe begehrt, ebenso
nothwendig will Gott seine Güte und sein Dasein (1. p. q. 19.
a. 3. — ib. a. 10. — ib. q.41. a.6.ad3. — ib. q.46. a. 1. — a. 2.).
Gott will femer manche Dinge bedingungsweise, gleichwie
der Mensch sie will, mit dem Unterachiede jedoch, dass der
Mensch sein Endziel damit zu eiTcichen strebt, während Gott das
Endziel schon besitzt. Gott will demnach viele Dinge, nicht um
dadurch seine Güte und Glückseligkeit zu erlangen, sondern selbe
zu offenbaren und andern mitzutheilen. Jedem Wesen kommt
naturgemäß nur ein letztes Ziel zu, welches von ihm mit natür-
licher Nothwendigkeit gewollt wird. Die Natur strebt immer nach
einem. Weil indessen zu diesem einen Ziele gar vieles bin-
geordnet werden kann, deshalb kann die vernünftige und geistige
Natur vielerlei anstreben und viele Mittel zum Ziele auswählen.
So z. B. will Gott naturgemäß seine Güte als Endziel und eigent-
liches Object. Diese kann er unter keinen Umständen nicht wollen.
Zu dieser seiner Güte können indessen viele Modus und Ab-
stufungen der Dinge hingeordnet werden. Sein Wille bezieht sich
daher nie derart auf eines seiner Geschöpfe, dass er, an sich
genommen, sich nicht auf andere ebenfalls beziehen könnte (de
malo q. 16. a. 5.). Der Grund davon liegt offen zu Tage. Die Crea-
turen will Gott erst in zweiter Linie. Jeder Wille hat nämlich zwei
Objecte: einen Hauptgegenstand und einen gleichsam secundären.
Zu dem Hauptgegenstande wird der Wille seiner Natur nach
hingezogen, weil der Wille selbst eine Natur bildet und natür-
liche Beziehung zu einem andern hat. Dieses Object begehrt der
Wille auf natürliche Weise, wie z. B. der menschliche Wille die
Glückseligkeit, nach welcher er mit Nothwendigkeit strebt, indem
dieses per modum naturae geschieht. Secundäre Objecte sind alle
jene Dinge, die zu dem Hauptgegenstande, als dem Ziele, irgend
eine Beziehung haben. Hinsichtlich dieser beiden Objecte und des
Willens besteht dasselbe Verhältnis, wie zwischen den ersten Prin-
cipien und Schlussfolgerungen und dem Denkvermögen. Der gött-
liche Wille hat dasjenige zum Hauptobject, was er naturgemäß
will und was gleichsam das Endziel seines Willens ist, nämlich
seine eigene Gate. Um dieser Gute willen begebrt er alles, was
er Oberhaupt will. Wegen seiner Gtite will er die Geschöpfe, wie
Angastinns bemerkt, damit seine Gute, die der Wesenheit nach
nicht Terrieißlltigt werden kann, wenigstens durch Antheiluabme
an seiner Äbnliefakeit vielen Dingen zutheil werde. Was demnach
Gott in Betreff der Creatnren will, das ist sozusagen secundäres
Object. Alles das will er seiner Gtlte wegen. Seine Gute bildet
ferner den Grund, die ratio volmdi, dass er alles andere will,
gleichwie seine Wesenheit der formelle Grund ist, dass er alles
erkennt {de veritate q. 23. a. 4.).
Ebenso begehrt der Engel etwas mit absoluter Nothwendig-
keit Auch er will nothwendig glücklich sein, niemals strebt
er nach dem Elende, wie Augustinus sagt. Weil jedoch viele
Dinge xu dieser Glückseligkeit hingeordnet werden können, des-
halb steht es dem Willen des Engels gerade so wie jenem des
Menschen voilkommen frei, die verschiedenen Mittel auszuwählen
(de malo q. 16. a. 5. — 1. p. q. 60. a. 1.).
17. Ans dem ist klar ersichtlich, dass alle mit Verstand und
Willen ausgestatteten Wesen ein b j e c t haben, das sie mit
absoluter Nothwendigkeit wollen. Selbst Gott macht hierin keine
Ausnahme. Ebenso gibt es in allen eine bedingte Nothwendigkeit,
die der heil. Thomas Nothwendigkeit des Zieles nennt. Will näm-
lich ein solches Wesen irgend ein Ziel, so muss es auch die Mittel
zu diesem Ziele wollen. Hinsichtlich der Mittel im einzelnen, ob
dieses oder jenes zu wählen sei, herrscht vollkommene Freiheit,
wenn es mehr als ein Mittel gibt, wodurch das Ziel eiTeicht
werden kann. Aber selbst in Betreff des Zieles kann der Wille
noch in doppelter Weise frei sein. Solange der Gegenstand,
in welchem der Wahrheit gemäß das Endziel des Geschöpfes
begründet liegt, dem Willen nicht anmittelbar vorgestellt wird,
begehrt der Wille diesen Gegenstand nicht mit objectiver
Nothwendigkeit. Er kann diesen Gegenstand abweisen und
sich für einen andern entscheiden. Er begehrt ihn aber auch snb-
jectiv nicht mit Nothwendigkeit Er kann, wenn der
Gegenstand vorgestellt wird, die Gedanken davon abwenden, folg-
lich bezüglich dieses Gegenstandes keinen Act aosHben,
ihn in Wirklichkeit nicht wollen. In Gott verhält sich die
Sache anders, denn seine Gtlte, real identisch mit seiner Wesen-
heit, bildet den Gegenstand selbst, den er nothwendig will.
Überdies ist sein Verstand und Wille niemals in der Potenz, son-
dern stets im Aote, ja Aot nnd Object zugleich.
Nunmehr hält es nicht schwer, zu begreifen, was der eng-
lische Lehrer unter der Natnmothwendigkeit des Willens ver-
standen hat. Passen wir seine Doctrin Übersichtlich zusanmieu.
Wir stellen zu diesem Zwecke zwei Fropositionen auf.
Erste Proposition: Die Nothwendigkeit bezieht sich anf
Fcldner, WUlMafreilieit. 3
— 34 —
gar kein in der Wirklichkeit existierendes Objeet. Solange wir
hier auf Erden leben, ist selbst Gott nicht ein Gegenstand, den der
Wille mitNothwendigkeit begehrt. Der heil. Thomas lehrt dies-
büglich: „Da jedes Ding nach seiner Vollkommenheit strebt, so
begehrt es dasjenige als Endziel, was in der Weise ein Gut ist, dass
es das Verlangen des Strebenden stillt. Das Endziel muss die
ganze Sehnsucht des Menschen befriedigen, so dass nichts mehr
übrig bleibt, was er begehren könnte (1. 2. q. 1. a. 5.). Dieses End-
ziel begehren alle Menschen, denn alle wünschen ihre endgiltige
Vervollkommnung.** Allein wo existiert dieses Gut in der Wirk-
lichkeit für uns hier auf Erden? Nirgends. Daher suchen es
die einen in den Reichthümern, die andern im Vergnügen, die
dritten in noch etwas anderem und so fort (1.2. q. 1. a. 7.). Im
dritten Buche seiner Summa contra Gentes zählt der englische Lehrer
wenigstens fünfzehn Objecte auf mit der Frage: ob in einem dieser
Gegenstände die Glückseligkeit des Menschen beschlossen sei?
Es geschieht hier so ziemlich von allem Erwähnung, was der
Mensch begehren kann. Keines dieser Objecte, erklärt der eng-
lische Meister, enthält in der Wirklichkeit die Glückselig-
keit, nach welcher unser Wille strebt. Sinnliche Vergnügungen,
Ehren, Weltruhm, Reiehthümer, irdische Macht, leibliche Vorzüge,
oder was überhaupt dem sinnlichen Theil des Menschen an-
genehm ist, Übung der moralischen Tugenden, vollendete Klng-
heit, Kunst, die Erkenntnis Gottes aus der Betrachtung seiner
Werke, die Erkenntnis Gottes, wie die Gelehrten sie besitzen,
das Wissen über Gott durch den Glauben, die Erkenntnis
über die Engel : kurz, kein Gegenstand macht für uns auf dieser
Welt jene Vollkommenheit aus, die wir als unser Endziel be-
gehren (3. contr. Gent. c. 27. — 45.). Existiert demnach kein Objeet,
hat kein allseitig vollkommener Gegenstand in der Wirk-
lichkeit Dasein, dann strebt der Wille nach keinem mit Noth-
wendigkeit, begehrter keinObject, keine res auf naturgemäße
Weise. Jedem gegenüber ist sein Verhältnis ein durchaus freies.
Das Gut und die Glückseligkeit im allgemeinen bilden folglich
nicht das objectum quod, sondern quo. Sie existieren ja in der
Wirklichkeit nirgends für uns. Sie sind thatsächlich etwas rein
Ideales oder, wie der englische Lehrer bemerkt, principium in-
tentionis. Für den Willen sind sie daher nur die ratio volendi, der
formelle Grund, unter welchem der Wille alles begehrt, wie die
beleuchtete Farbe die ratio videndi für das Auge bildet. Gleich-
wie aber das Auge ganz und gar frei ist, diesen oder jenen
Gegenstand zu sehen, ebenso, allerdings in einem noch weit
höherem Grade, ist der Wille frei, irgend eines der geschaffenen
Güter zu begehren. Von keinem wirklichen Objecte geht eine
derart nöthigende Bestimmung aus, dass der Wille es wollen
müsste, dass er nicht das Gegentheil desselben wollen könnte.
Wir können den Beweis dafür noch in einer aadero Weise
tiihren, ausgebend von dem Grandsatze, daas das Endziel l'Ur die
Praxis die nämliche Bedeutung hat, wie die ersten Primiiiieu fllr
die äpecnlation. Den ersten Frincipien Btimmt der Verstand natflr-
licherweise und mit Nothwendigkeit bei. Das gleiche uiuhs vom
Willen befaanptet werden. Das Endziel will er natürlich und uoth-
wendig. In der Wieseascbaft finden sieb nun Wahrheiten, die mit
den ersten Frincipien nicht in einem nothwendigen Ziisammen-
bauge stehen, z. li. die contingenten PropoBitionen. Kttumt man
diese nicht an, so werden die ersten Frincipien dadurcli nicht
umgestoßen. Den Wahrheiten dieser Art stimmt der Verstand
nicht mit No thwendig,keit bei, wenngleich hingicbtlich der
Frincipien selbst das Gegentheil der Fall ist. Geradeso verhält es
sich mit dem Willen. Einige particuläre Güter haben mit der
Glückseligkeit keinen notfaweodigeu Zasamlnenhang, , so ilase je-
mand auch ohne sie glücklich sein ^ann« Zu Gittern dieser Alt ■
'neigt sich der Will« nicht mit Nothwendigkeit, obgleich,
er nothwendig glücklich sein will. Nehmen wir indessen an,
die particulären Güter, oder wenigstens einige derselben wären
nothwendige, sie hätten mit der Glückseligkeit einen muh wen-
digen Zusammenhang: wir mUssten nichtsdestoweniger behaup-
ten, dasB der Wille sie nicht mit Nothwendigkeit begehrt.
Manche Propositionen, erklärt der beil. Thom&s weiter, sind noth-
wendige, weit sie mit den ersten Frincipien einen notliwendigen
Zueammenbang aufweisen, z.'B. die demonstrativen äcbhisafolge-
rnngen. Negiert man diese, so fallen damit anCh die Frincipien.
üiesen Schlnssfolgernngen stimmt dämm der Verstand m i t Noth-
wendigkeit hei, sobald er den nothwendigen Zusanintenhang
derselben mit den Frincipien auf dem Wege der Demonstration
erkannt bat. Allein, solange er die Nothwendigkeit dieses
Zaaammenbanges nieht durch Demonstration erkennt, ist seine
IJeistimmnng nicht eine nothwendige. Ebenso gibt e^^ Gilter,
die mit der Glückseligkeit nothwendig Zusammenbau ^-cn, jene
cämlicb, durch welche der Mensch Gott anhängt, in dem allein
das wahre GlBok des Menschen liegt. Bevor jedoch die Noth-
wendigkeit dieses Zusammenhanges nicht durch die Uewiss-
beit der Anschauung' Gottes erwiesen !st, bangt der Wille
'Selbst Gott nicht mit Nothwendigkeit an, nucb viel
ffen^r irgend einem andern Gut, das Gott gehCrt. Der Wille
desjenigen aber, der Gottes Wesenheit schaut, hängt Gott
ebenso mit Nothwendigkeit an, wie wir jetzt hier auf Erden
nothwendig glücklich sein wollen (1. p. q. 8'2. a. 2.).
18. Die Natiirnothwendigkeit des Willens lässt sich denmacb,
der Lehre des heil. Thomas vollständig entsprechend, in lullender
Weise darstellen: Der Wille strebt mit Nothwendigkeit und natur-
gemäß nach dem formellen Grunde, nach der Gute. Nichts begehrt
— 36 —
4
•
er^ außer es ist ein Gut, wie das Äuge nichts sieht, auJ3er das Ge-
färbte als solches. Das Böse als solches kann der Wille nicht
begehren, dafür hat er gar keine Potenz. Wornach immer er strebt,
und wie beschaffen der Gegenstand sonst auch sein möge, er will
nur das Gut als solches, er begehrt alles sub ratione boni. Würde
er je, was übrigens unmöglich ist, das Böse als solches anstreben,
so müsste er dabei sich selber zerstören, weil er gegen seine eigene
Natur handeln würde. Das Böse zu wollen ist indessen unmöglich,
weil er das Gut mit Noth wendigkeit begehrt. Und würde.
Gott ihm je zum Bösen als solchem bewegen, so wäre das Ge-
walt. Zwingen aber lässt sich der Wille nie, und von keiner Macht,
welcher Art »sie immer sei. Was gegen, den Willen ist, das stammt
eben nicht vom Willen, das ist nicht sein Werk. -Die einzige
Nothwendigkeit* für ihn ist also ausschließlich die, dass er alles,
was 6r begebrt,' als eib Gut erstrebt. Er kann nicht etwas, das
ütcht ein G.ut ist, ve^lang^n. Gbtt ha.t ihn so geschaffen, diese
3estimtnnng, Beschränkung, wenn man es so nennen wiU, in seine
Natur, in seiH Wesen gelegt. Jedermann sieht, dass hier von 'einer
Bewegung im eigentlichen Sinne weder die Rede ist, noch sein
kann. Wenn daher in neuerer Zeit die Theorie i^ertheidigt wird,
Gott bewege den Willen natürlich und nothwendig, d. h. unfrei
zum Guten und zu der Glückseligkeit im allgemeinen, und diese
Bewegung sei, wie alle wissen, allgemeiner* Natur, so kann darunter
nichts anderes verstanden werden, als die von uns soeben dar-
gelegte objectiv formelle Bestimm'ung zum Gut. Dieser Theorie
gemäß ertheilt Goffc der Creatur weiter nichts als die ratio volendi,
den formellen Grund, unter welchem der Wille alles begehrt,
was er anstrebt. Da nun diese ratio volendi in der Natur, im
Wesen des Willens selber ihren eigentlichen Grund hat, indem
der Wille von Natur aus nur ein Gut als solches (sub ratione
boni) anstreben kann, so ist, wenn mau die Gesetze der Logik
überhaupt noch zu Worte kommen lässt, von einer Bewegung
durch Gott nicht mehr die Bede. Niemand wird im Ernste be-
haupten, derjenige, der dem Auge die Einrichtung gegeben hat,
dass es nur die Farbe sehen kann, sei die bewegende Ursache,
dass das Auge sieht Und diese Bewegung, dieses Sehen sei ein*
natürliches und notSwendiges, d. h. un&eies. Doch davon wird
später noch zu sprechen Gelegenheit sein. »
Außer dieser ratio volendi, außer dieser von Gott selbst (^m.
Willen in seine Natur, in sein Wesen gelegten Bestimmung, dass
er immer nur das Gut als solches, nie das Böse, und dieses
letztere nur stib ratione boni begehren kann, existiert für den
Willen keinerlei absolute Nothwendigkeit. Kein geschaffenes Ob-
ject strebt er objectiv auf natürliche Weise und mit Nothwendig-
keit an; denn keines ist allseitig ein Gut, keines bildet somit
für den Willen das adäquate objectum quod. Alle geschaffenen
. . •— 37 —
Dinge sind eigeiAlicb aar Mittel za dem Endziele,, zn dem all-,
seitig Tollkommeaea Gat, der 'GlttckBeligkeit dea Willens, and
keines steht damit in einem notliweiidigen Zusammenbange.
Das Objactum qitod der Glückseligkeit ist fllr dea Heaschen etwas
rein Ideales, es bat keine Wirklichkeit.
Docb nein, es bat Wirklichkeit, am meisten Wirklichkeit von
allen; denn dieeea Dhjectum quod ist Gott, der hOchst'Gnte, die Gute,
die laatere. allseitige Gute selber. So richtig, dies an sich ist, so
wahr erweist sich die Lehre des beil. Thomas, dass der Wille hier
auf Erden selbst Gott nicht auf aatUrlicbc Weise and mit Noth-
wendigkeit begehre. Der Mensch erkebat'Gott nicht wie er in
sich ist, er w e i Q hier anf Erden nicht, dass Gottes Wesenheit das
ohjectum quod nnd qtw seiner Seligkeit aasmaeht. Daruni ist er frei,
absolut frei, Gott oder etwas anderes als objectum quod seiner
Glückseligkeit zu erwählen, oder anch abzuweisen, diesen so heiß ,
ersehnten Gegenstand anderswo zU' Sachen. Im andelra Leben ja,
weno er Gottes Wesenheit selber scbaat,'daaa wird er mit Noth-
wendigkeit von diesem Objecto angezogen, er kann es mit
keinem andern vertauschen, kein anderes an dessen Stelle setzeo,
nm in ihm sein Glück, seine Bähe zn genießen. Wir können so-
mit, gestutzt auf die Anctorität des heil. Thomas sagen: der Wille
des Menschen ist hier auf Erden objeotir, hinsichtlich jedes
in der Wirklicbkeit existierenden Objectes frei, er begehrt absolat
keines mit Notbwendigkeit
19. Zweite Proposition: Obgleich der Wille das Gut und
die Glückseligkeit im allgemeinen objectiv mit NothweDdigkeit
begehrt, so dass er nicht deren Geg:antbeil verlangen kann, so ist
er doch absolut frej in Betreff seiner Thätigkeit, des Actes (quoad
exercitium actus), womit er, sei es irgend ein Gut, sei es die GlUck.
Seligkeit selber, begehrt. Hierin gibt es für iho Überhaupt
keine Notbwendigkeit,
Wo immer der englische Lehrer von der objectiven Bewegung
des Willens, von der durch das Object erfolgten nothwcndigen
Bestimmnng desselben spricht, setzt er die subjective Bewegung,
die Thätigkeit, den Act des Willens voraus. Aaf die Frage: ob
der Wille von seinem Objecte mit Notbwendigkeit bewegt werde,
antwortet der Doetor Angeiious: nein, so oft' von der sabjcc-
tiven Bewegung die Rede ist, detin jemand kann Über welches
Object immer nicht nachdenken, und infolge dessen kann er
auch es tbatsächlich facfuj nicht wollen. "Sobald dem Auge das
entsprechende Object, das Gsßirbte - vorgehalten wird, flbt die
Farbe einen nothwendigeo respeetire niftbigenden Einfluss
auf das Auge ans, vorausgesetzt jedoch, dass jemand das
Auge nicht davon abwendet, was zum Sebacte (adexercitiwn actus)
gehört. Das nämliche gilt vom Willen. .Wird diesem ein Gegen-
stand vorgestellt, der allseitig (unwersaliterj uad in jeder Beziehung
— SB —
.ein 6at ist, so strebt der Wille, wenn er e*twas 'begehrt,
mit Noth wendigkeit nacb jenem Gut (1. 2. q. 10. a. 2.). Sebon ans
dieser einen Stelle gebt znr Evidenz hervor, dass das Object auf
die s-ubjective Bewegung, anf den Willem aet keinen wirksam
bewegenden Einflnss hat, denn was Ton einer Bedingung ab-
hängig ist, eine Bedingung -voranssetzt, das kann niebt die wirk-
same Ursache - dieser Bedingung sein. Das Object übt auf den
Willen Einfluas aus, wenn dieser thätig ist, sobald er einen
Act vollzieht. Unmöglich kann daher das Object diese Tbädgkeit,
diesen Act im Willen hervorbringen. Das niuss von jedem Ob-
jecte gesagt werden, solange wir hier auf Erden leben. ,An der
soeben citierten Stelle hat ja der englische Meister jenes Objeet
im Auge, "welches den Willen objectiv mit Notbwendig-
keit bewegt, weil es allseitig und in jeder Hinsicht ein
Gut ist. Dieses Gut ist fllr den Menschen die GlUckBeligkeit im
allgemeinen. Die ist fUr ihn das vollkommene Gut. Und gerade
von diesem Gut sagt der beil. Thomas, dass es den Willen s n b-
jectir nicht bewege, sondern ihn bloß, wenn er es will /'s»
aliquid velüj, mit Nothwendigkeit dazu bestimme, es selbst, nicht
sein Gegentheit zu wollen.
Dieser Beweis kann nocb durch viele andere Texte des Doctor
Angelicus gestutzt werden. Der heil. Thomas findet den Grund,
warum der Wille niemals d i r e c t zu einer Sünde verleitet werden
kann, darin, dass kein Object ihn zur Tbätigkeit, also zur Ein-
willigung bewegt oder bestimmt. Der Wille kann nar vom Endziele
objeetiv mit Kothwendigkeit bewegt werden. Darin aber, dass der
Wille das Endziel begehrt, kann eine Sünde nicht liegen. Außer
dem Endziele aber reicht kein Object hin, nm als wirksam bewe-
gende Ursache der Sünde zu gelten, weder ein von außen dem
Willen vorgestelltes, nocb jemand, der uns zu der SUnde bereden
will (I. 2. q.80. a. 1.). Der Wille kann somit vom Objecte, insofern
es ein Gut ist, bewegt werden, aber nicht hinreichend und
wirksam. Das Bewegliche kann nur dann hinreichend be-
wegt werden, wenn die aetive Kr alt des Bewegers entweder
gleich odei größer ist als die passive Kraft des Beweglichen.
Nno aber erstreckt sieb die passive Kraft des Willens auf das
Gut im allgemeinen, während jedes geschafifene Gut etwas
Particuläres ist. Damm kann Gott , das universelle Gut
allein, auch als Object den Willen hinreichend fsufficierUerJ
bewegen (1. p.q. lOö. a.4.). Alle andern Guter sind bloß imstande,
den Willen einigermaüeD (aliqualiterj za neigen, keines bewegt
ihn hinreichend (ib. q. 106. a. '!.). Der Engel und der Mensch
kOnoeu dnrch Zureden den Willen bestimmen. Allein das genügt
nicht, nm ihn in Tbätigkeit zn versetzen (ib. q. 111. a. *2.).
20. Die neuere lläeorie behauptet, Gott bewege den Willen
anf natürliche Weise und oothwendig, d. h, anfrei zum Guten und
r
I
39 —
za der Glückseligkeit im allgemeinen. Dieses sei der einzige
EJDfluss^ den Gott auf den Willen der vernünftigen Geschöpfe
ausübt, und dieser einzige Einflnss werde vom heil. Thomas ge-
lehrt und vertheidigt.
Wieviel, oder richtiger wie wenig Wahrheit in dieser Theorie
enthalten ist, möge uns der heil. Thomas selbst sagen. Wäre diese
subjective Bewegung des Willens durch Gott tibatsächlich eine
natürliche und notfawendige, d.h. unfreie, so müsste sie immer
bleiben oder mit Gewalt zurückgehalten werden. Was einem
Dinge natürlich und nothwendig zukommt, das besitzt dasselbe zu
jeder Zeit, oder es wird in diesem Besitze gestört, es stellt sich
ein Hindernis in den Weg, und das ist Gewalt, weil die Lage
des Dinges infolge dessen eine unnatürliche wird. Bewegt
also Gott den Willen natürlich und nothwendig, d. h. unfrei zum
Guten und zu der Glückseligkeit im allgemeinen, so muss er
bezüglich dieses Objectes ununterbrochen thätig, immer in actn
sein, oder er erleidet Gewalt, wie wir es bei der Thätigkeit der
Naturdinge sehen. Beides verwirft der englische Lehrer mit aus-
drücklichen Worten, so dass ein Zweifel darüber nicht aufkommen
kann. „Das erste Gut**, lehrt S. Thomas, „wird per se gewollt
und der Wille strebt per se und naturgemäß nach diesem Gut.
Allein er will dieses Gut nicht immer thatsächlich (non
semper vult in actu). Es ist durchaus nicht nothwendig, dass alles
das, was der Seele auf natürliche Weise conveniert, jederzeit
adu in der Seele sei. Die ersten Principien werden ja auch natur-
gemäß, d. h. mit nothwendiger Zustimmung erkannt. Trotzdem
werden sie nicht fortwährend actuell einer Betrachtung unterzogen^
(de veritate q. 22. a. 5. ad 11), [Aus diesen Worten geht heiTor,
dass der Wille selbst zum ersten Gut, das per se gewollt wird,
zu der Glückseligkeit, subjectiv nicht mit Nothwendig-
keit bewegt wird, denn er kann die Gedanken von diesem
Objecte ablenken, was bei einer nothwendigen Bewegung
einfach unmöglich ist. Der Wille ist mithin nicht immer in adu
hinsichtlich dieses Objectes. Dadurch unterscheidet sich der Wille
von den Naturdingen. Das Schwere strebt ohne Aufhören nach
unten, außer es wird von einer andern Ursache daran gehindert
(de veritate q. 22. a. 6.). In jedem Zustande der Natur, d. b.
solange wir hier auf Erden sind, besitzt der Wille subjectiv
in Betreff jedes Objectes volle Freiheit. Er kann begehren und
nicht begehren. Anders verhält er sich mit Bezug anf das Object.
In dieser Hinsicht ist er nur frei in der Auswahl der Mittel, hin-
sichtlich des Zieles dagegen ist er in der von uns früher ange-
gebenen Weise bestimmt. Das Dasein unserer Seele ist ein, zwar
uicht durch sie selber, wohl aber durch einen andern bestimmtes.
Ihr Wollen jedoch bestimmt sie sich selber. Während ihr Sein
daher ein unveränderliches ist, bleibt ihr Wollen ein unbestimmtes,
— 40 —
nicht determiniertes (1. c. ad 1.). So oft demnach von der Bewe-
gung des Willens mit Bezug auf seine Thätigkeit die
Rede ist; muss jede Nothwendigkeit geläugnet werden. Und es
ist ganz gleichgiltig, ob dem Willen irgend ein particuläres Ob*
ject oder die Glückseligkeit im allgemeinen vorgestellt wird, denn
jemand kann über die Glückseligkeit nicht nachdenken
wollen. Die Acte des Verstandes und Willens sind ja ebenfalls
etwas Particuläres (de malo q. 6. a. unic). „Manche be-
haupteten", bemerkt S.Thomas, „die Bewegung des Willens daure
immer an, und zwar deshalb, weil der Wille auf natürliche
Weise das Gut begehrt. Versteht man unter dieser Bewegung
einen Act des Willens (bperatio), so ist diese Behauptung falsch.
Der Wille ist nicht derart auf natürliche Weise zu einem be-
stimmt, dass er infolge dessen i m m e r m cuiu t h ä t i g sein müsste'^
(2. dist. 39. q. 3. a. 3. expos. text). In dieser Ansicht einiger Ge-
lehrten, von denen der englische Meister hier spricht, wird genau
dasselbe vertheidigt, was die vorhin genannte neuere Theorie con-
• sequenterweise annehmen muss : der Wille sei immer in actu,
weil er natüi'lich und nothwendig das Gut und die Glückseligkeit
begehrt. £s ist demnach sonnenklar, dass diese Theorie mit der
' Lehre des heil. Thomas in directem Widerspruche steht. Welches
Object immer Gott dem Willen vorstellen möge, sei es die Glück-
seligkeit selbst, hier auf Erden wird er dadurch nicht einmal
wirksam, umsoweniger nothweiidig von Gott bewegt.
Diese' Bewegung, wie die genannte Theorie sie auffasst;
müsste aber eigentlich eine objective sein, nämliöh dadurch
bewirkt, dass Gott dem WiÜeu das Gut und die Glütckseligkeit
im allgemeinen vorstellt. Die subjective kann in dieser Theorie
nicht gemeint sein, weil ja gesagt wird, diese Bewegung sei,
wie alle wissen, allgemeiner Natur. Wir sagen, dass diese
Theorie ohne Zweifel die objective Bewegung durch Gott im
Auge habe, denn wäre wirklich darunter die subjective in
dem Sinne zu verstehen, dass Gott selber unmittelbar den
Willen bewegt, nicht durch Vorstellung der Glückseligkeit, so
hätten wir nicht allein abermals einen offenen Widerspruch mit
der Lehre des heil. Thomas, der entschieden bestreitet, dass diese
Bewegung eine natürliche uudnothwen^ige sei, sondern
eine contradidio in adjeäo* Der englische Meister sagt, der Act
dei9 Verstandes und Willens sei e t w a s Particuläres. Das Partica-
läre aber kann unmöglich allgemeiner Natur sein. Ebenso
soll doch dieser Einfluss, diese Bewegung durch Gott eine Be-
wegung im Willen* hervorbringen, der Wille infolge dessen einen
Act ausüben. Lässt sich nun «ine Bewegung und ein Act all-
gemeiner Natur im Menschen denken? Wir sind nicht im-
stande, uns davon auch nur annäherungsweise eine Idee zu bilden.
Wir glauben daher den Sinn dieser Theorie, soweit sie einen
— 41 —
SioD hat, dahin deuten zn sollen, ja za mtlsseo, dasa Oott dem
Willen die GlBckaeligkeit voratellt und ihn dadnrch natürlich
und nothwendig, d. h. nnfrei bewegt. In diesem Falle ist die
Bewegung specificativ und objectir allerdings allgemeiner
Natur. Das Objeot nämlich ist imiTersell und es achlieset darnm
alle mOghcben particulären Guter in sieh (1. p. q. 82. a. 2. ad 1.).
Iq diesem Sinne ist der zweite Theil der genannten Theorie
richtig. Allein der vorhergebende Tbeil der ausgesprochenen Be-
hauptung ist dann unrichtig, nämlich dass diese Bewegung eine
natürliehe und nothwendige, d. h. unfreie sei. Gottes
Wesenheit selber bewegt zwar den Willen im anderen Leben
wirksam, jedoch, wie wir nachweisen werden, nicht nothwen-
dig. Die subjective Notbwendigkeit hat im andern Leben ihren
Grand in der Natur des Willens und in seiner Abhängigkeit TOm
Verstände. Hier auf Erden aber, lehrt S. Thomas, wird unser
Wille TOD keinem Objecto, wer es auch ihm Torstellea möge,
hinreicbend bewegt. Von jedem, die Gifickseligkeit nicht ana-
genommen, kann er seine Aufmerksamkeit ablenken, und es in-
folge dessen nicht wollen.
Diese Wahrheit hat ihren Grund in der vom heil. Thomas
Bo oft betonten Lehre, dass der Verstand den Willen Überhaupt
niemals quoad exercitium actus bewege. Umgekehrt werde der
Verstand vom Willen in dieser Weise bewegt. Darum erklärt
der englische Lehrer fortwährend, es stehe in der Macht des
Willens die Glückseligkeit nicht zn begehren, denn er kSnne den
Gedanken ' an dieselbe ablenken, indem der Wille bestimmend,
bewegend auf den Verstand einwirkt. Der Wille selber hingegen
werde von keiner andern Potenz, sondera nur von sich selber
bewegt (de malo q. 6. a. unic. ad 10.). Wenn also Gott den Willen
objectiv bewegt, so mnss er dem Menschen vermittelst des
Verstandes die Glückseligkeit vorstellen. Eine andere Art und
Weise ist nicht denkbar. Das unmittelbar Bewegende ist und
bleibt darnm immer das von nnserm Verstände dem Willen vor-
gezeigte Object. Und dieses bewegt nicht mit Notbwendigkeit,
Beibat dann nicht, wenn es die Glückseligkeit des Henscben dar-
stellt. Hierüber hat der heil, Thomas mit aller wünschenswerten
Klarheit sich ausgesprochen.
21. Das Verhältnis der Gewalt zn der Freiheit wird nns
Bpater beschäftigen. Der Wille als Natur bedeutet also, dies ist
dag Resultat unserer Untersuchung, die Iranscendentale Hinord-
nang der Potenz zum Gut und der Glückseligkeit im allgemeinen ;
mr sagen der Potenz oder des Willens als geistigen Strebe-
vermOgens. Vom Willensa et e, von der Thätigkeit des Willens
iat dabei gar nicht die Rede. Da der Wille geistiger Natur ist,
eine immaterielle Kraft der Seele bildet, so kann er Gegenstände
doppelter Art begehren, entweder ein particnläres oder ein all-
gemeines Gut. Das Wort: „allgemein" bedeutet bier soviel als
allseitig, in jeder Beziehang gnt. Der Wille neigt sieb
zn dem Gut im allgemeinen, besa^ demnacb, dass er jenes 6at
begebrt, welches nur gut ist, gut ebne Beschränkung, ohne iu
irgendwelober Beziehung einen Mangel an Gute in sieh zn haben.
Der Wille strebt nach dem Gut im allgemeinen, kann aber anch
soviel heissen als: er begebrt immer nur das G a t als solches,
niemals das Böse formell genommen. Daneelbe muss gesagt werden
in Bezug auf die Glückseligkeit im allgemeinen. Der Wille begehrt
die Glückseligkeit im allgemeinen kann den Sinn haben: der Wille
erstrebt jeden Gegenstand nur, insofern er durch denselben glück-
lich IU werden hofft, er will durch kein Object sich unglQcklicfa
machen. Es kann aber auch besagen, dass der Wille jenen Gegen-
stand verlangt, der ihn allgemein, in jeder Beziehung glUcklich
zu Diacben imstande ist.
Der Wille wurde seiner Wesenheit nach von Gott zu diesen
zwei Arten des ihm eigentbUmlichen Gegenstandes auf natürliche
und nothwendige, d.h. unfreie Weise faingeordnet, Der Wille
hat nicht das Vermögen, die Potenz, das BSse als
solches zu begehren , oder auch das allseitig vollendete
Gut nicht zn verlangen, um nach dem Gegentheil desselben zu
streben. Der Mangel dieses Vermögens dieser Potenz liegt in
seinem Wesen, in seiner Natur. Der Wille war auf diese Weise
in der Idee Gottes vorgebildet und Gott hat ihn so erschaffen.
Darum nannten wir vorhin dieses Verhältnis trän sc enden tale,
nattlrlicbe Hinordnung zum Gut und za der Glückseligkeit im
allgemeinen. Hat die vorhin erwähnte nenere, wieder aufgefrischte
Theorie nichts anderes im Auge, als dieses transcendentale Ver-
hältnis, so lässt sich gegen dieselbe gar nichts einwenden. Sie
ist vollkommen begründet und wird vom heil. Thomas tlberall
gelehrt und vertheicligt. Allein ganz nnd gar unrichtig ist es, zu
behaupten, dass dieses Verhältnis des Willens zu den oben be-
zeichneten Objecten eine Bewegung durch Gott sei. Dies
ist vielmehr ein bleibender natUrli eher Znstand, nicht eine
vorübergehende Bewegung. Es liegt in der Natur des Willens,
in dieser Weise zum Gut nnd der Glückseligkeit im atlgemeinen
hingeorduet zn sein. Dies alles geht den Willen in aclu prtmo an.
Betrachten wir nun den Einfluss dieser beiden Objecto auf
den Willen. In welchem transcendentalen Verhältnisse sieben diese
Objecte zu dem Willen? Wir werden, gestützt auf die Lehre des
beil. Thomas, diesbezüglich Folgendes behaupten müssen. Das Gut
nnd die Glückseligkeit im allgemeinen bestimmen und bewegen
den Willen objectiv derart, dass er nicht das Gegentheil
derselben begehren kann. Sie sind derart zn dem Willen hin-
geordnet, dasa derselbe nicht die Potenz, das VermOgen für das
Gegentheil besitzt. Hinsichtlich der subjectiven Bewegung*
— 43 —
I
(qiioad eoßercitium actusj bewegt das allseitig 'vollendete Gut, der
Gegenstand, welcher in jeder Beziehung gut ist ohne Beimischung
des Nichtguts, auch alsObject den Willen in wirksamer Weise
(efficaciterj. Dies geschieht aber nur dann, wenn das genannte
6«t in dieser Vollendung den? Willen durch die Vernunft vor-
gestellt wird. Wird es ihm nicht unmittelbar, wie es in sich ist,
vorgestellt, so bewegt es als Object den Willen subjectiv
meht auf wirksame Weise. Dasselbe muss vom Gut im allgemeinen
entsprechend der andern Bedeutung, und von der Glückseligkeit
im allgemeinen gesagt werden. Diesbezüglich kann die Vernunft
ihre Aufmerksamkeit davon ablenken, und der Wille hört auf,
dieses Gut zu wollen.
Inwiefern ist der Wille zu diesen Gütern aut eine noth-
wendige, natürliche, d.h. unfreie Art hingeordnet? In-
sofern sie in unserer Vorstellung sind, die ratio volendi bilden.
In der Wirklichkeit, a parte rei, existiert für uns hier auf Erden
kein Gut, welches unsern Willen in dieser Weise bestimmte. Ein
allseitig vollendetes Gut gibt esfür uns in diesem Leben nicht.
Allerdings existiert Gott, und er ist dieses Gut in aller Wirklich-
keit. Allein die Vernunft stellt uns in diesem Leben Gott nicht
vor, wie er thatsäohlich in sich ist. Ebensowenig existiert a parte rei
die Glückseligkeit im allgemeinen. Darum ist der Wille zu diesen
Gütern wohl transcendental in natürlicher und nothwendiger
Weise hingeordnet, nicht aber actuell. Die actuelle Hinordnung,
die Willensthätigkeit ist etwas Particuläres, und aus diesem Grunde
nicht auf natürliche und nothwendige Weise bestimmt.
22. Dieses ist ohne Zweifel die richtige Auslegung der Doctrin
des englischen Meisters, wenn er den Willen d^r vernünftigen
Wesen bisweilen Natur nennt und von einer Naturnoth wendig-
keit des Willens spricht. Er will damit nur das Verhältnis des
Willens zu dem adäquaten, demselben eigenthümlichen
Gegenstande bezeichnen. Jedes Vermögen, jede Potenz unterhält
eine ti*anscendentale Beziehung zu der eigenen Thätigkeit, zu dem
eigenen Objecto. Potentia secundum illud quod est potentia ordinatur
ad actum, et actus diversißcatur secundum diversam rationem objecti
(1. p. q. 77. a. 3.). Für das Begehrungsvermögen aber ist das Ziel,
oder Gut das entsprechende adäquate Object. Und weil die Strebe-
kraft ein passives Vermögen ist, deshalb verhält sich dieses
Object zu ihr wie die bestimmende, bewegende Ursache. Der
Wille der vernünftigen Wesen ist eine geistige, von jedem leib-
lichen Organ unabhängige EVaft. Er besitzt folglich die Natur des
Allgemeinen, des Unbeschränkten. Das ihm adäquate Object muss
demnach ebenfalls die Natur des Allgemeinen, Unbegrenzten haben.
Das Gut als solches, das Endziel erfreut sich thatsächlich
einer solchen allgemeinen Natur. Darum sprechen wir von einer
Glückseligkeit im allgemeinen.
I
— 44 —
Dieses adäquate Object füllt die ganze Potentialität des Willens
ans, denn es entspricht genau der Aufnahmsfabigkeit und Beweg-
lichkeit des Willens. Es bestimmt folglich den Willen objectiv
und specificatiy auf natürliche und nothwendige Weise. Daher
bemerkt der englische Lehrer, das Bewegende verursache im
Beweglichen dann eine npthwendige Bewegung, wenn seine Kraft
gröBer ist als das Bewegliche, so dass dessen ganze Possibilität
oder Empfänglichkeit dem Bewegenden untersteht (1. p. q. 82. a. 2.
ad 2.). Diese natürliche und nothweudige Bestimmung durch den
Gegenstand schließt im Willen das Veimögen, die Potenz oder
Neigung zum Gegentheil des Objectes aus. Da nun das
Gut als solches und die Glückseligkeit im allgemeinen das adäquate
Object für den Willen bilden, so wird der Wille nie dife Neigung
zu einem Nichtgut und zu der Unglückseligkeit in sich haben.
Er ist vielmehr diesbezüglich zu e i n e m , zu diesem einen adäquaten
Objecte auf natürliche und nothweudige, d. h. unfreie
Weise bestimmt. Dies ist aber auch die einzige Nothwendig-
keit, mit welcher der Wille überhaupt bestimmt und bewegt wird.
Eine andere kennt «r nicht. Wie indessen jedermann sieht,
ist diese Nothwendigkeit ausschließlich eine objective oder speci-
ficative.
Das vorhin angezogene adäquate Object des Willens kann
aber in doppelter Weise betrachtet werden: entweder formell
oder materiell. Das Object formell genommen, wird vom
englischen Lehrer stets rtxtio uüimi finis oder ratio volendi ge-
nannt. Das Object materiell genommen, heißt bei ihm: id in quo
isla ratio invenitur, oder res in qua ratio honi invenüur (1. 2. q. 1.
a. 7 und 8). Die Nothwendigkeit, von welcher wir vorhin ge-
sprochen, bezieht sich ausschließlich nur auf das Object im
formellen Sinne, solange wir hier auf Erden leben. Das fo^
melle Object allein bestimmt unseren Willen auf natürliche
und nothweudige, d. h. unfreie Art. Darum kommen alle
Willen hinsichtlich der Neigung zu diesem Objecte überein und
es gibt für alle nur e i n Gut, e i n Endziel (1. c).
Die Neigung des Willens zu dem Objecte in materieller Be-
deutung ist keineswegs eine natürliche und nothweudige,
solange wir uns hier auf Erden befiiiden. Hinsichtlich dieses Ob-
jectes kommen darum die Willen der verschiedenen Menschen
nicht überein. Der eine strebt nach diesem,, der andere nach jenem
Gegenstande, in welchem er das Gut und die Glückseligkeit zu
finden hofft. Dies ist der beste Beweis, dass der Wille zu diesem
Objecte frei, nicht aber nothwendig hingeordnet ist. Den
Grund dafUr haben wir oben angegeben. Daselbst wurde gesagt,
dass für uns jetzt kein Gegenstand existiert, in welchem sieb
das formelle und materielle Object decken. Es gibt für uns in
diesem Leben kein Object, in welchem die ratio honi, A\e ratio
— 45 —
Ultimi finis und die res in qua ista ratio invenüur real identisch sind.
Jede res, jeder Gegenstand ist ein particuläres, d. h. beschränktes
Gut, kein Object ist allseitig; in jeder Beziehung vollkommen,
darcB und durch ein Qut und nichts als Gut. Keines füllt somit
die Potentialität; die Äufnahmsfähigkeit des Willens aus. Folglidi
bestimmt und bewegt keines den Willen auf eine natttrliche und
nothwendige; d. h. unfreie Art.
Dasselbe gilt von der Willensthätigkeit, vom Willensacte.
Diese Thätigkeit ist ebenfalls ein particuläres, beschränktes Gut.
Darum begehrt der Wille seine Thätigkeit frei; keineswegs
aber nothwendig.
23. Aus dieser Lehre des heil. Thomas ergießt sich neues
Licht ttber eine andere Theorie desselben Il(eisterS; dass nämlich
der Zwang allein; nicht aber die natttrliche Nothwendig-
kei^ gegen die Freiheit verstoße. Man hat es sehr missbilUgt;
. dass wir in unsem kritischen Bemerkungen mehrere Stellen dieses
Inhaltes aus S. Thomas, der sich dabei jedesmal auf S. Augustin
beruft; angeführt* haben. Es wurde die Ansicht ausgesprochen;
dass diese Theorie nach der kirchlichen Verurtheilung des Janse-
nismus nicht mehr vertheidigt und gelehrt werden dttrfe.
Sollten denn S. Augustin und der heil. Thomas mitverurtheilt
worden sein ? Ist so etwas glaubwürdig in einer Frage; wo beide
als Autoritäten ersten Ranges allgemein anerkannt und gefeiert .
werden ? Der Autor befindet sich offenbar in einem Missverständ-
nisse hinsichtlich der natürlichen Nothwendigkeit und der Freiheit.
Was ist Zwang oder Gewalt ? Es ist der Einfiuss eines Agens
anf ein Passives gegen die innere Neigung des Passiven
(1.2. q. 6. a. 4. ad 2.). Welche innere Neigung besitzt nun der-
Wille, dieses passive Veimögen der vernünftigen Wesen? Wir
haben es früher gesehen. Der Wille hat eine natHrliche und
noth wendige Neigung zum Gut als solchem und zu der Glück-
seligkeit im allgemeinen; d. h. zu der ratio boni und zu der ratio
Ultimi ßnis; er hat eine freie Neigung zum Gegenstande; zu der
res, in qua invenüur ista ratia; er hat endlich eine freie.
Neigung zu ä^iner Thätigkeit; zu seinem Acte. Diese Neigung ist
eine innerC; eine natürliche; transcendentale, die der Wille mit
anf die Welt bringt. Die transcendentale Beziehung ist nicht etwas
der Wesenheit des Willens Hinzugefügtes, sondern die Wesen-
heit selbtr. %»
Würde nun Gott den Willen jetzt zu dem Gut und zu der
Glückseligkeit im allgemeinen objectiv nicht natürlich und noth-
wendig; sondern frei; zu den Gegenständen aber und zu der
Thätigkeit natürlich und nothwendig bewegen, so müsste offenbar
Zwang und Gewalt platzgreifen. Die Neigung der ersten Art; von
welcher wir bis jetzt gesprochen; hat mit der Freiheit nichts zu
thun, kann somit der Freiheit nicht schädlich sein. Sie bildet
_ 46 —
vielmehr das Fundameut fUr die Freiheit. Die natürliche
und. Dotbwendige, d.h. nnfreie, transcendentale Neignog
verstoßt folglich nioht gegen die Freiheit. Unrichtig wäre nur
die Behanptung, dass Gott dem Willen erst dann diese Nei^ng
mittheilt, wenn er ihn zn einer Thätigkeit bewegt, und dass diese
Neigung eine freie ist. Uie Neigung der zweiten und dritten
Art haben allerdings Beziehung zur Freiheit. Allein diesbezUglicb
wäre jede natürliche und nothwendige, d. h. unfreie
Beweguttg des Willens durch Gott gleichbedeutend mit Gewalt
und Zwang. Gewalt und Zwang ist alles das, was gegen die
innere oattlrliche Neigung des Willens' gerichtet ist.
Warum soll nun diese Doctrin der beiden Rieseugeisterj des
beil. Augustin und Thomas von Aquin, seit der Verwerfung der
jansenistischen Lehre nicht mehr vertheidigt werden dürfen? Deckt
sie sich vielleicht mit der Lehre des Jangenius? Wer könnte so
etwas im Ernste behaupten ? Allüberall erklärt der englische Meister,
Gott bewege jedes Ding der Natur desselben durchaus
entsprechend. Ebenso genau bestimmt er, -in wieweit eine
natlirlichä und nothwendige, d. h. nnfreie Bewegung des Willens,
mit andern Worten, in wieweit eine Nothwendigkeit vor-
banden ist. Diese Nothwendigkeit aber erstreckt sich nicht auf
den Willens a et, auch nicht auf das Object, die res.
Wir haben viel schwerere Bedenken jener Behauptung gegen-
über, dass S. Thomas blo£ einen auf natürliche und nothwendige,
d. h. unfreie Weise bewegenden Einfluss Gottes auf den Willen
der vernünftigen Gescbtipfe gelehrt habe. Demgemäß würde folgen,
dass der Wille entweder überhaupt keine freie Thätigkeit, oder
eine freie ganz und gar unabhängig von Gott besitzt, oder
endlieb, dass die natürliche und nothwendige, d. h. nnfreie Be-
wegung eine freie verursacht. Das eine ist so unrichtig wie das
andere, und steht im diametralen Gegensatz zur wirklichen
Lehre des englisßhen Meisters. Der heil. Thomas anerkennt nur
eine Nothwendigkeit, die sieb indessen mit der Freiheit sehr
wohl verträgt und zugleich dem lEinflnsse Gottes auf den Willen
den weitesten Spielraum lässt. , *
Damit sind die Zweifel dai-über, was der Doctor Angelicns
unter dem Willen als Natur, oder unter der Naturnothwendig-
keit des Willens etwa verstanden haben möge, wie wir hoffen,
gelüst. Diese Natumothwendigkeit ist nicht eine Bewegung im
eigentlichen Sinne, per modum agmtis, sondern eine solche im
übertragenen Sinne, per modum finis. Sie ist objectiv, nicht snb-
jectiv, und selbst das erstere nur in beschränkter, soeben dar-
gelegter Weise. Eine weitere Bestätignng der von uns entwickelten
Doctrin des englischen Meisters wird sich uns aus dem Nach-
folgenden ergeben, in welchem wir seine Lehre über die Wahl-
IreiheitdesWillenB einer eingehenden Untersuchung würdigen wollen.
— 47 —
§ 4. Der Wille als WaUflreiheit oder das liberum arbitrium.
24. Dieser Abschnitt, der wichtigste, schwerste der ganzen
Abhandlang, mass naturgemäß unsere ganze Aufmerksamkeit auf
sich lenken und infolge dessen zur genauesten Prüfung der dies-
bezüglichen Lehre des Doctor Angelicus auffordern. Dass die Doctrin
unseres Meisters ihre Probe glänzend bestehen wird, das ver-
steht sich von selber. Darüber brauchen wir uns keine Sorge zu
machen.
Dem Doctor Angelicus ist das eigentliche Wesen der Freiheit
in der Selbstbestimmung des Willens gelegen. Indem der
Wille sich selber den Gegenstand; den er begehrt, aussucht,
und ebenso sich selber für die Thätigkeit oder Unthätig-
keit entscheidet, offenbart er damit das innerste Wesen der
Freiheit. Darum wird der Wille diesbezüglich: „Wahlfreiheit oder
Willkür" (Wille— Wil-kür[Mittelhochd. Handwb. v. Lexer,pag. 890])
genannt. Fassen wir zunächst die Bestimmung des Gegenstandes '
ins Auge. Sie kann, wie wir früher gesehen haben, nur durch
die Erkenntniskraft geschehen, weil nur diese unmittelbar dem
Willen einen begehrenswerten Gegenstand vorstellt. Die Erkenntnis
ist doppelter Art. Die eine schlechthin und absolut, wenn die
Vernunft alsogleich^ ohne weitere Discussion über den aufgefassten
Gegenstand entscheidet. Dieser Erkenntnis folgt das Wollen, welches
wir das nicht überlegte nennen. Die andere Art der Erkenntnis
ist untersuchend; indem die Vernunft zwischen Gut und Böse,
zwischen Zuträglichem und Schädlichem abwägend Untersuchungen
anstellt. Dieser Erkenntnis folgt der überlegte Wille (2. dist. 24.
q. 3. a. 1.). Wir sehen aber^ dass manche Wesen ohne eigenes
Ürtheil handeln, und das thun alle jene, denen die Erkenntnis
fehlt. Andere handeln zwar mit einem Urtheile, allein dieses ist
nicht ein freies Urtheil, denn es wird nicht durch Berechnung und
Vergleichung gebildet, sondern auf Grund des natürlichen Instincts.
Der Mensch indessen handelt infolge eines Urtheils. Er bestimmt
durch seine Erkenntniskraft, was zu thun und was zu meiden^
was anzustreben oder zu fliehen ist. Dieses Urtheil hat nicht den
natürlichen Instinct zu seiner wirksamen Ursache, weil es sich
mit dem Einzelnen, nicht mit dem Allgemeinen befasst. Es gründet
sich daher auf Berechnung und Vergleichung durch die Vernunft.
Aus dieser Ursache heisst es ein freies, und beschäftigt es sich
mit ganz Verschiedenem. Denn die Vernunft ist bezüglich des
Contingenten vollständig indifferent, weder zu diesem Objecto,
noch zu dem Gegentheile desselben bestimmt. Alles aber, was
durch den Willen begehrt wird, selbst seine eigene Thätigkeit,
bildet etwas Particuläres und darum Contingentes. Das Uitheil
der Vernunft ist somit nicht zu einem bestimmt, sondern steht
1
— 48 — .
vielem indifferent gegenüber. Der Mensch muss folglich schon des-
halb frei sei^j weil er eine vernünftige Natnr hat (1. p. q. 83. a. 1.).
Solange nun der Wille für Verschiedenes indifferent ist, er-
folgt keinerlei Thätigkeit, vollzieht -sich niemals ein Willensa ct.
Es ist ja kein bestinmites Object da, welches der Thätigkeit als Ziel
dienen könnte. Thätig nennen wir ein Wesen, wenn es der Wirk-
lichkeit,'^- nicht der Möglichkeit nach, einen Act ausübt. Das In-
differente ist bloB in der Möglichkeit (in potentia), nicht in der
Wirklichkeit (in actu) thätig. Es erfolgt darum, wie der Commen-
tator sagt, nichts, solange es nicht zu einem der beiden Theile
bestimmt ist. Diese Bestimmung des Agens zu einer Thätigkeit
geschieht durch die Erkenntnis, die der Thätigkeit einen Zweck,
ein Ziel vorsetzt. Bei manchen Wesen ist die Erkenntnis, wodurch
die Thätigkeit bestimmt und das Ziel vorgezeichnet wird, in ihnen
selber, wie z. B. bei dem Menschen, der das Ziel semer Thätig-
keit sich selber vorsteckt. Die Naturwesen besitzen diese Er*
kenntnis nicht selber, daher werden ihre Thätigkeiten durch den
* Schöpfer der Natur zu dem bestimmten Ziele hingeordnet. Das
Werk der Natur ist ebenfalls das Werk einer Intelligenz. Der
Unterschied dieser dreifachen Thätigkeit der Geschöpfe lässt sich
demnach mit Leichtigkeit feststellen. Manche Dinge bestimmen
sich das Ziel und die diesem Ziele entsprechende Thätigkeit selber,
andere dagegen vermögen dies nicht zu thun. Kein Agens kann
sich das Ziel selber bestimmen, wenn es nicht das Ziel formell
als solches, und die Mittel zum Ziele erkennt. Die geistigen Wesen
besitzen diese Erkenntnis. Sie sind imstande, ein Urtheil über
ihre eigene Thätigkeit abzugeben. Darum liegt es auch in ihrer
Macht, diese oder jene Thätigkeit auszuüben. Daher sagt man
von ihnen, dass sie die Herrschaft über ihre Thätigkeiten haben,
dass sie eine Wahlfreiheit besitzen (2. dist. 25. q. I. a. I.). Die
Auswahl, die Selbstbestimmung zu einem Gegenstande sowohl,
wie. auch zu irgend einer Thätigkeit gehört wesentlich zar
Freiheit. Indem der Mensch das eine nehmen, das andere ver-
sehmähen kann, vnrd er frei genannt. Zu der Auswahl aber trägt
etwas die Denkkraft und etwas das Strebevermögen bei. Der
Vernunft gehört der Rath an, wodurch beurtheilt und entschieden
wird, was dem andern vorgezogen werden soll. Von Seiten des
Strebevermögens wird gefordert, dass es dasjenige, was durch
den Rath für die Auswahl vorgelegt wird, begierig annehme
n. p. q. 83. a. 3.) Das Wesen der Freiheit besteht folglich darin,
dass der Mensch thätig oder nichtthätig sein kann (2. dist. 23.
q. 1. a. 1.). Die Freiheit ist ein Vermögen, em^facuüas. Vermögen
aber bedeutet nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche die Macht,
durch welche uns etwas zur Verfllgung steht. Aus diesem Grunde
werden die Besitzthümer Vermögen genannt, denn sie unterstehen
der Herrschaft des Besitzers. Die Freiheit wii*d folglich deshalb
— 49 —
»
ein Vermögen genannt, weil sie ihre eigene Thätigkeit in der
Gewalt hat (2. dist. 24. q. 1. a. 1. ad 2.).
Es ist y6n großer Bedeutung für uqsere Frage, dass der
englische Lehrer das Wesen der Freiheit beständig in das
Thätigsein- oder Untbätig^einkönnen setzt. Offenbar will er damit,
sagen/ dass die objective Bestimmung des Willens zu dem
Gut und zu der Glückseligkeit im allgemeinen unserer Frei-
heit nicht abträglich sei, indem sie die Freiheit gar nicht bertlhrt
Er spricht sich tlbrigens* hierüber mit aller wünschenswerten Deut-
lichkeit aus. Welches Gut immer, meint S. Thomas, dem Willen
vorgestellt werden möge, stets Hegt es in seiner Macht, dieses
Gut zu wählen oder nicht zu wählen. Kein Gut ist hier
auf Erden flir 4en Menschen von der Art, dass es in jeder
Hinsicht genügte. Welches Gut; oder welches Böse darum auch
durch den Verstand vorgestellt wird, 9er Wille kann ihm an-
hängen oder zum Gegentheile sich neigen. Das schlechthin Böse
kann ihm. als scheinbares Gut, das schlechthin Gute als schein-
bares Böse dargestellt werden. Es steht ihm daher frei zu wählen
oder nicht zu wählen. Wäre er von einem leiblichen Organe ab-
hängig, dann würdö er mit Nothwendigkeit zu seiner Thätig-
keit bestimmt (2. dist. 25. q. 1. a. 2.). Allein dies ist nicht der Fall.
Verstand und Wille bedürfen bei ihrer ihnen eigenthümlichen
Thätigkeit eines leiblichen Organs nicht. Das Princip flir jede
Thätigkeit ist die Form, durch welche ein Wesen in der Wirk-
lichkeit (actu) ist, weil jedes Ding sich als thätig erweist, insofern
es in der Wirklichkeit ist. Nach der Art und Weise der Form
richtet sich darum aiich die Art und Weise der Thätigkeit, welche
auf die Form folgt. Stammt nun die Form, durch welche das
Agens thätig ist, nicht vom Agens selber, so erfolgt eine Thätig-
keit, über die das Agens nicht Herr ist. Kommt dagegen die Form,
durch welche das Agens thätig ist, von ihm selber, so besitzt es
die Herrschaft über die daraus sich ergebende Thätigkeit.
Die Formen der Naturdinge, aus welchen die natürlichen
Bewegungen und Thätigkeiten erfolgen, haben nicht die Natur-
dinge selber, deren Formen sie sind, zu ihrer Ursache. Sie sind
vielmehr ganz und gar (totaliter) Von einem äußern Agens.* Durch
die natürliche Form hat jedes Ping das Dasein in der eigenen
Natur, nichts aber kann die Uraache seines eigenen Daseins
bilden. Was daher auf natürliche Weise bewegt wird, das bewegt
niemals sich selber. Das Scjiwere bewegt nicht sich selbst nach
der Tiefe, sondern dies geschieht durch denjenigen, der demselben
die Form gegeben hat. Bei den Thieren erscheinen die durch die
Phantasie und andern Sinne aufgenommenen resp. empfundenen
. Formen, die eine Bewegung verursachen, ebenfalls nicht von den
Thieren 'selbst gebildet. Sie werden im Gegentheil von den äuBem "
sinnenfälligen Dingen, die auf die Sinne dpr Thiere einwirken,
I Feldner, WiUexiafreiheit. J.
— 50 —
in denselben hervorgebracht, und das Urtheil ds^rüber fällt die
sogenannte Ästimationskraft. Obgleich sie sich demnach in ge-
wisser Beziehung selber bewegen, indem ein Theil' derselben die
Bewegung veranlasst und der andere bewegt wird, so ist es doch
anderseits gewiss, dass die Bewegung, nicht von ihnen selbst^
sondern von den äujßern Dingen, die auf die Sinne einen Einfluss
ausüben, und von der Natur ihren Ausgang nimmt. Die Thätig-
keit des Begehrungsveimögens folgt in ihnen mit Nothwendigkeit
ans den durch die Sinne aufgenommenen formen und das Urtbeil
darüber wird von der natürlichen ästimativen Kraft gefallt. Sie
selbst bilden folglich nicht. den Grund ihrer Bewegung und sie
haben daher auch keinerlei Herrschaft über ihre eigene Thätigkeit.
Die erkannte Form Endlich, durch welche die geistige^ vernünftige
Substanz thätig ist, hat den Verstand resp. die Vernunft zu ihrer
Ursache. Sie wird vom Verstände gebildet, gewissermaßen ausge-
dacht, wie wir es z. B. bei dem Künstler sehen. Der Künstler con-
pipiert und componiert sich selbst jene Kunstform, durch welche er
dann seine Thätigkeit entfaltet. Die vernünftigen geistigen Sub-
stanzen bewegen sich selber zu den Thätigkeiten, sie besitzen
darum auch die Herrschaft über dieselben (2. contr. Gent. c. 47.).
In dieser HeiTSchaft über die eigenen Thätigkeiten erblickt der
englische Meister den Unterschied des Menschen von allen andern
irdischen Geschöpfen. Menschliche Handlungen sind im eigent-
lichen Sinne nach ihm nur diejenigen zu nennen, über welche der
Mensch durch die Vernunft und den Willeil Herr ist. Die ans
freier Überlegung herstanmoienden Thätigkeiten sind in der eigent-
lichsten Bedeutung menschliche Handlungen (1. 2. q. 1. a. 1.).
25. Wie haben wir nun die Freiheit subjectiv genauer auf-
zufassen? Was ist sie? ein Vermögen, eine Potenz? oder ein
Habitus? oder eine Thätigkeit?
An mehreren Stellen spricht der heil. Thomas von der An-
sicht einiger Autoren, welche die Freiheit als Qualität oder Habitos
anneifamen. Diese behaupten nämlich, das Wort: Freiheit bedeute
nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche eine Qualität oder einen
Habitus, obgleich mit demselben Namen auch ein Vermögen oder
eine Thätigkeit bezeichnet werde, wie ja auch das Wort: Ver-
stand manchmal das Vermögen, manchmal den Habitus oder
manchmal den Act bezeichne. Indessen ist dieser Habitus, welchen
sie unter dem Worte : Freiheit verstehen, nicht eine Qualität^ die
zu dem Vermögen, zu der Potenz hinzukommt, sondern eine ge-
wisse Tauglichkeit der Potenz ftir den Act oder eine gewisse
Leichtigkeit, Fertigkeit, welche einer Potenz aus der Unterstützung
äer andern erwächst. Aus diesem Grunde wird nach ihrer Mei-
nung die Freiheit die Fähigkeit des Verstandes und Willens
genannt.
Diese Lehre wifd vom englischen Meister bekämpft. Es ist
— 51 —
{
ein Missbraach; den man mit dem Worte: Habitus treibt^ bemerkt
S. ThomaS; wenn man die Freiheit einen Habitus nennt; denn der
Habitus bedeutet seinem eigentlichen Namen nach eine Qualität,
(iarch welche das Vermögen oder die Potenz informiert und ver-
vollkommnet wird; und welche das Princip für den Act bildet.
Nimmt man darum den Habitus im eigentlichen Sinne, so muss
er zu der Potenz, wie die Vervollkommnung zu dem, was ver-
vollkommnet werden soll, hinzukommen. Überdies ist es unmöglich,
dass die Freiheit ein Habitus sei, wenn man die Vernunft und
den Willen an sich betrachtet. Nimmt man jede für sich, so ist
klar, dass beide Vermögen oder Potenzen sind. Wird die Freiheit
nun von der einen oder der andern gebildet, so kann sie in beiden
Fällen nur eine Potenz sein. Oder man betrachtet die eine Po-
tenz mit Bezug auf die andere, und dann kann man abermals
nicht sagen, die eine sei der Habitus der andern. Eine Potenz
bildet niemals den Habitus einer andern Potenz. Endlich kann
man noch die Beziehung selbst, welche die eine zu der andern
hat; ins Auge fassen. Allein auch diese Beziehung darf nicht
Habitus genannt werden. Der Habitus gehört dem Prädicamente
der Qualität an, nicht jenem der Beziehung oder Relation. Es ist
also, schließt der Doctor Angelicus, nicht vernünftig gesprochen,
wenn man die Freiheit einen Habitus nennt.
Andere Autoren verstanden unter dem Worte: Freiheit ein
Vermögen, eine Potenz, aber nicht eine Potenz absolut, sondern
eine solche, die durch einen Habitus vervollkommnet ist. Dieser
Habitus ist nach ihrer Ansicht nicht ein ei*worbener oder ein ein-
gegossener, sondern ein natürlicher. Durch diesen Habitus geht die
Potenz mit solcher Leichtigkeit in Thätigkeit über, dass man von
ihr sagen kann, sie besitze die Herrschaft über ihre Thätigkeit.
Diese Anschauung ist nach S. Thomas abermals unrichtig.
Der Wille hat die Herrschaft über seine Thätigkeit aus der Natur
der Potenz selbst. Diese Leichtigkeit besitzt er folglich durch sich
selber, nicht durch irgend einen Habitus. Überdies dient der Habitus
nicht dem Zwecke, dass überhaupt eine Thätigkeit erfolge,
sondern dass sie gut vonstatten gehe. Die Freiheit dagegen ist
, dasjenige, wodurch ein Act vollzogen wird, unbekümmert darum, ob
dies gut, schlecht oder in einer ganz indifferenten Weise geschieht. m
-^ie Freiheit ist folglich nicht ein Habitus im eigentlichen Sinne, ;
sondern jenes Vermögen, jene Potenz, deren Act Auswahl genannt ^
(«;ird (2. dist. 24. q. 1. a. 1.). Und in der That ist der Beweis, dass
[die Freiheit nicht ein Habitus sein könne, unschwer zu liefern. d
Das Subject eines Habitus kann nur eine Potenz sein. Wir wissen 1
jJ^ber, dass die Freiheit durch die Gnade, die ein Habitus ist, ver-
vollkommnet wird. Sie kann somit unmöglich selber ein Habitus
iein. Wäre sie in der Wirklichkeit ein Habitus, so könnte es nur
'in natürlicher Habitus sein. Dem Menschen kommt ja die Frei-
4*
i
. 9
— 52 —
heit natürlicherweise zu. Allein hinsichtlich dessen, wad wir dnrch
unsere Freiheit erreichen, dürfen wir nicht einen natürlichen
Habitus besitzen. Was \^r durch einen* natürlichen Habitus
erwirken, das ist nicht etwas Freies, sondern mit Nothwendig-
keit und naturgeinäßer Neigung Vollbrachtes. Dieses bildet
demnach den geraden Gegensatz zu der Freiheit. Dieser natür-
liche Habitus zerstört darum das Wesen der Freiheit Unmöglich
kann er also die Freiheit selber sein (J. p. q. 83. a. 2.). Der Ha-
bitus bestimmt, beschränkt die Potenz, die Freiheit hingegen ver-
langt nothwendig Unbestimmtheit, Indifferenz dem Verschiedensten
gegenüber: Frei geschieht dasjenige, was der Macht der wir-
kenden Ursache untersteht. In unserer Macht aber haben wir
etwas vermöge der Potenz, in Kraft des Willens, nicht auf Grund
eines Habitus. Das Wort Freiheit bezeichnet folglich eine Potenz
absolut genommen (de yeritate q. 24. a. 4.).
Daraus folgt die Antwort auf die früher gestellte Frage: ob
die Freiheit der Act oder die Thätigkeit des Willens sei, von
selber. Nach der Wortbezeichnung bedeutet Freiheit allerdings
einen Act, eine Thätigkeit. Geniäß dem igewöhnlichea Sprach-
gebrauche jedoch wird damit das Princip der Thätigkeit be-
zeichnet Wenn wir sagen, der Mensch sei frei, so meinen wir
damit nicht, er urtheile thatsächlich oder actuell frei, sondern er
besitze die Macht, wodurch er frei urtheilen kann (de verit&te
q. 24. a. 4. c. und ad 13.). Wir wollen mithin durch das Wort:
Freiheit auf dasjenige hinweisen, wodurch der Mensch frei urtheiit,
auf die Potenz. Dieses Verfahren ist nicht ein unrichtiges. Im
Gegentheil ist es gewöhnlich, wie der englische Lehrer bezeugt,
dass eine Potenz mit dem Namen ihres Actes, ihrer Thätigkeit
bezeichnet vnrd. Auf diese Weise wird durch das freie Urtfaeil,
welches ein Act ist, auch die Potenz frei genannt. Eine Thätig-
keit kann das Wort: Freiheit schon ans dem Grunde hiebt be-
deuten, weil die Freiheit dann dem Menschen nicht inuuer zu-
käme. Er ist ja nicht immer nach diesef Richtung hin in Thätig-
keit (1. p. q. 83. a. 2. c. und ad 1.). Die Freiheit selber* hat ihre
Thätigkeit, ihren Act in der Gewalt, sie kann folglich nicht selber
dieser Act oder diese Thätigkeit sein. Man kann doch unmöglich
sagen, dass etwas sich selber in der Gewalt habe, über sich
selber frei verfüge. Wäre die Freiheit wirklich mit der Thätig-
keit, dem Acte identisch, so müsste man fragen, ob dieser Act
von der Potenz, welche den Act vollzieht, frei oder mit Noth-
wendigkeit ausgeübt worden? Ist ersteres der Fall, so wird man
dadurch gezwungen, eine freie Potenz anzunehmen und voraus-
zusetzen, denn die Potenz ist das Princip des Actes. Wenn der
Act ein freier ist, muss es nothwendig auch die Potenz sein. Einer
unfreien Potenz entspringt niemals ein freier Act Und diese
Potenz kann nicht durch den Act frei sein, weil sie früher ist
_ 53 —
als ihr Act. Darum erweist sieh auch die zweite Annahme; dass
die Potenz, mit Nothwendigkeit thätig sei und trotzdem ein freier
Act daraus hervorgehe/ als unmöglich: Da nun in der Seele nach
Aristoteles nur drei Dinge sind; die Potenz, der Habitus und die
Leidenschaft, so folgt mt voller Klarheit, dass die Freiheit eine
* Potenz bezeichnen muss. Die Willensthätigkeit ist, obgleich dem
Willen immanent, ein Effect, ' eijie Wirkung der freien Potenz.
'26. Die Freiheit muss, ihrer subjectiven Seite nach betrachtet,
eine Potenz gebannt werden. Welche ' Potenz ist es nun, die den
Namen Freiheit führt? Ist es eine eigene, von den andern unter-
schiedene, oder kommt der Begriff: Freiheit mehreren Potenzen zu?
Aus 'der bisher vorgetragenen Lehre des Doctor Angelicus
* ist zu entnehmen, dass die Freiheit einen Vorzug, ein Plrivileg dß»
Menschen bildet Der Mensch unterscheidet sich aber von den
übrigen Weseü durch den geistigen Th eil, die Seele. Die Freiheit
aiass daruln subjec\iv im höheren,, geistigen Theile des Mensche^
sein. Sie . kommt also dem Menschen formell als einer vernünftigen,
geistigen Substanz zii. Indessen wird auch der niedere Theil*im
Menschen,. vrte wir früher von S; Thomaq' gehört haben, vernünftig
durch Anüieilnahme genannt. Auch der niedere Theil des Menscheu-
■ participiert somit einigermjaßen an der Freiheit. In welcher Weise
dies geschieht, 'wurde früher dargelegt. Der sinnliche Theil im
Menschen ist vernünftig durch Antheilnahmö, insoCern er der.Ver-
napft und dem Willen gehorcht, von diesen beiden Potenzen zu
seiner Thätigkeit bestinunt und bewegt wird. Diese Thätigkeit
heißt actus imper<Uu8, weil das unmittelbare Princip derselben
zwar ' eine ' der sinnlichen Potenzen, das entfernte, eigentlich be-
wegende, die Thätigkeit veranlassende aber der Verstand und
der Wille sind. Die Thätigkeit der sensitiven Potenzen -lietzen
, daher die Freiheit .schon voraus und sie haben Antheil an der-
selben, weil sie von ihr geleitet werden können. 'Wo keine Unter-
ordnung und Lenkbarkeit durch den höhern Theil im Meqßchen
statthat, wie der vegetative keine aufweist, da ist auch von einer *
Freihisit wedpr im formellen Sinne^ noch gemäß einer Antheil-
nahme die Rede.* Bei unserer Frage handelt es sich um das un-
Diittelbare Princip der freien Thätigkeit, insofern ein Act
foi^mell frei genannt werden muss. Dass dieses Princip ni6ht
im sensitiven Theile gesucht werden' dürfe, steht nach dem bisher
* Dargelegten außer allem Zweifel. , Der höhere geistige Theil des
Menschen bildet das unmittelbare Princip ^es freien Actes.
Dieser Theil hat zwei Potenzen : die Vernunft und den Willem.
Welcher dieser beiden besitzt nun formell die Freiheit? Der
englische Meister zählt diesbezüglich mehrere Ansichten auf. Die
erste behauptet, die Freiheit sei nich*t eine bestimmte geistige
Potenz, sondern die Summe aller Söefenkräfte, gleichsam das aus
seinen Theilep zusammengesetzte universelle Ganze. Allein »das
•»
t
• t.
— 54 —
ist nicht richtig, erwidert S. Thomas, denn die Freiheit wäre dann
ihrem Sein nach vervielfacht, weil es mehrere Potenzen gibt.
Zudem müsste das Wesen der Freiheit in den einzelnen Potenzen
enthalten sein. Indessen entwickelt nicht jede Potenz im Menschen
eine freie Thätigkeit, sondern nur eine g^nz bestimmte.
Eine zweite Ansicht behauptet, die Freiheit umfasse mehrere
Potenzen, wie das integrierende Ganze seine Theile. Allein das
ist unmöglich, bemerkt der englische Lehrer. Die Potenzen sind
nicht integrierende Theile eineS' Ganzen; wenn dieses Ganze
schlechthin eins ist. ' Die Freiheit aber ist schlechthin eins,
denn es kommt ihr ein ganz bestimmter Act zu: die Auswahl
Ein specieller Act kann nicht unmittelbar von zwei Potenzen
ausgeübt werden, sondern von der einen mittelbar, von der andern
hingegen unmittelbar, insofern das, was der einen Potenz an-
gehört, auch in der andern enthalten ist. Ein Ding kann nämlich
auf zweifache Weise mehrere andere enthalten. Zunächst wesentr
lieh, wie das Ganze seine Theile umfasst ; in zweiter Art virtuell,
wenn eines au der Kraft mehrerer Antheil hat. Die Freiheit be-
greift nicht wesentlich, wohl aber virtuell mehrere Potenzen
in sich. An und für sich ist sie eine bestimmte Potenz. Alle Po-
tenzen der Seele nehmen ihren Ursprung von der Wesenheit der
Seele, denn sie sind Eigenschaften, die aus den Wesensprincipien
hervorgehen, sogenannte accidentia propria. Indessen ist in dem
Ursprünge eine gewiss^ Reihenfolge zu beobachten, indem die
eine die andere voraussetzt, und auf diese Weise, sozusagen
mittelst der andern von der Wesenheit der Seele sich herleitet
' Dieser Process ist an den Thätigkeiten oder Acten erkennbar.
Die Thätigkeit des Strebevermögeus z. B. setzt jene der Erkenntnis-
kraft voraus. Gleichwie daher die Kraft der Seele in ihren Po-
tenzen zurückbleibt, so enthält auch die spätere Potenz die Kraft .
der frühem, voitiusgehenden. Infolge dessen kann eine Potenz die
Kräfte mehrerer .anderer ah sich haben. Mit der Freiheit verhält
• es sich thatsächlich so. Die Auswahl, der eigentliche Act der
Freiheit, bedeutet ein Zweifaches : ein Urtheil, eine Entscheidung,
und die Neigung zu .dem, was durch die Entscheidung als gut
dargestellt wird. Aui^wählen heißt eines mehr wünschen als das
andere. Dazu gehört aber die Kraft des Verstandes und Willens.
Die Freiheit umfasst daher die Kraft des Verstandes und Willens
(2. dist. 24. q. 1. a. 2. — de veritate q. 24. a. 5.). Die Freiheit ist '
somit wesentlich eine einzige Potenz, virtuell dagegen zwei-
fj^ch, denn zu der Auswahl, dem eigentlichen Acte der Freiheit,
trägt etwas der Verstand und etwas der Wille bei. Von selten
der Vernunft haben wir den Rath, wodurch beurtheilt und ent-
schieden wird, was den* andern vorzuziehen sei; das Strebe-
vermögen, der Wille neigt 'sich zu 'dem, «was durch die Vernunft
entschieden worden ist (1 . p. q. 83. a. 3.). Da indessen der Wille
— 55 —
es ist, der eine Auswahl trifft, so wird die Freiheit baupt-
aäehlieh dem Willen zugeschrieben, nicht absolut, soudem
insofern die Eraft des Verstandes ond der Ratb ei- 1 Lei lern! ea
Venranft mit ihm verbunden ist. Etwas ^nz Gleiches ist in der
Specnlation Dachweiabar. Der Verstand befasst sich mit den eri^ten
Principien, die Vernunft mit den Sehlnsefulgernngen. Diu eigent-
hche Thätigkeit der Vernunft besteht demzufolge darii], ans <[en
Principien Schlüsse abzuleiten. Schlosse ziefaeu aber kunimt der -
Vernunft nicht absolut zn, sondern insofern sie die Kraft des
Verstandes enthält (2. dist 24. q. 1 . a. 3.)-
Die Freiheit ist daher formell, aufgeEasst, nichts atider.eB,
als das geistige Strebevermljgen selber, denn jenes \'crmügen,
jeoe Potenz, welcher eine freie Thätigkeit, der Freibcitsaet zu-
kommt, wird auch von diesem Acte also benannt. Man darf sie
jedoch nicht ohneweiters und absolut Willen nennen, weil iht
die- freie Thätigkeit nicht absolut zukommt, sondern in l>eziehuug
zu der Vemunftl Sie fllhrt darum einen eigenen Namen, der von
der Vernunft und dem Willen sieh unterscbeideC. Das Wort : Wissen
ist ja auch dem Namen nach sowohl vom Verstände n\ä von der
Vernunft verschieden (ib. ad 1.), Dem Qrnnde nach oder jw^ica-
■ lüer gehö'rt die Freiheit der Vernunft an, wie sich ana tler nach-
folgenden Tlnter&uchung ergeben wird,
27. Die Freiheit als Potenz ist idenfisch mit dem Willen,
diesen letztem nicht absolut genommen, . sondern in i^äiner Ab-
hängigkeit, vom Versfande, Daraus geht nnwiderlegliiti hervor,
dasB die Vernunft mit der Wahlfreiheit in einem nahem /.u^auimen-
haifge steht, dase die Vernunft dabei hervorragend bcthedigt er-
scheint In Tirelcher Weise ? Ist die Vernunft formell dii^ l'reiheit,
. mit ihr formell identisch? Es' scheint so, denn der beil. Thomas
lehrt, die geiatigen Potenzen seien frei, der Mensch i^ei formell
deshalb frei, weil er eine vernünftige, geistige Natur beriitzt. Der_
Verstand oder die Vernunft aber sind Vermögen der geistigen
Natur. Es hat somit den Anschein, daas nicht nui- der Wille,
sondern auch die Vernunft formell frei ist. Ja dei Vemimft
mass die Freiheit formell weit mehr zukommen als d^^m Willen.
Denn ist der formelle Grund unserer Freiheit die Gcistigkeit,
so muss jenes Yermfigen, das an Geiatigkeit die andern über-
trifft, auch formell freier sein. Die Vernunft überragt aber alle
andern VermiSgen, selbst den Willen, durch ihre geistige Natur.
Trotz dieses ^egengrundes müssen wir behauptet), dass die ,
Freiheit nicht formell in der Vernunft liegt. Die Thätigkeit
imser«r Freiheit besteht formell in der Auswahl. Wir werden
ans dem Grunde frei gesaunt, weil wir das eine ncluncn, das
andere zurückweisen können, was nichts anderes ist, als aus<
wählen. Die Natur, das Wesen der Freiheit muss dain'm von
1 Seiten der Ait^wahl ins Auge gefasst werden. Die Vernunft tiägt
^^'«li ihren B ~ ^* - ■
jene, festei „t ?„ J- a. 3 ."'5 '"> *ss dSlr't'' »«
k , • • ««°-4eser noU,- .
— 57
wendigen Beziehung der Schlassfojgerung zu den Prineipien wird
der Verstand selbst durch die Principie-n genöthigt, den
Schlnssfolgemngen seine Zustimmung zu geben. Kein Gegenstand
oder Objeet tler Freihei); aber .steht mit dem Endziele in eineir so
' nothwendigen Verbindung, dass das Endziel ohne dieses Mittel,
das eigentliche Objeet der Freihi^it, . nicht erreicht werden könnte.
Zu- dem Endziele kann man in der Wahrheit oder wenigstens
scheinbar auf verschiedenen Wegen gelangen. Die Freiheit weiß
darum von keine.r Noth.wendigkeit^.wie die Vernunft eine
solche kennt (de veritate q. 22. a. 6« ad 4.). Die Vernunft kann
sogar gezwungen werden, etwas einzusehen, der Wille dagegen
niemals ej;was zu .begehren. Ebenso stimmt das Denkvermögen
nicht allein den ersten Prineipien mit Nothw^hdigkeit bei,
sondern auch den Schlussfolgerungen in der demonstrativen Beweis-
führung. Der Wille hingegen ist nie in nothwendiger Weise
th&tig, ' selbst dann nicht, wenn er^das Gut und die Glückselig-
keit im allgemeinen, begehrt.
Es darf auch nicht zugegeben werden, dass die Vernunft in
jederBeziehung voUkonünener sei als der. Wille. Gerade mit
Rilcksicht auf die Freiheit ist das Gegentheil der Fall. Die Ver-
nimft bewegf den Willen bloB o b j e o t i v, indem sie ein Gut, das
Endziel od^r das Mittel zum Ziele d^m Willen vorstellt. Die Be-
wegung durch die Vernunft erfolgt, wie der englische Lehrer sagt,
p^ modum finis. Der Wille aber bewegt alle ihm unterstehendeif
Kräfte, selbst das Denkvermögen, als wirksame Ursache, oder.*
per tnodUin agentis (de veritate q. 22. a. 12. — 1. p. q. 82. a. 4.).
Die Herrschaft des Willens Über die Tl)ätigkeiten, Acte der ver-
schiedeneq Veimögen^ ist dalher viel größer als jene der Vernunft
In dieser Herrschaft über die Thätigkeiten aber besteht wesent-
lich und formell die Freiheit. Überdies bestimmt und bewegt
.der Wille sich selber, ein Beweis, dass die Freiheit formell
in ihm ist, denn sich selber bewegen per modum agentis zeugt
von dem innei'sten Wesen der Freiheit.
28. Die Freiheit ist formell im geistigen Strebe vermögen.
Ist der Wille dann auch zugleich das Prinoip, der Grund
und die Wurzel der Freiheit? Einige Autoren behaupten es.
Und wenngleich das Urtheil der Vernunft nothwendig vorausgehen
mnss, damit der Wille eine freie Thätigkeit entfalten kann, so
ist doch dieses Urtheil nach ihrer Ansicht bloß Gelegenheit
oder Bedingung sine qua non, keineswegs aber Ursache oder
Princip der Freiheit. Die Freiheit des Willens, meinen diese Ge-
lehrten, hängt durchaus nicht von der Indifferenz des Urtheils
als dem Principe ab, sondern von sich selber.
Diese Lehre muss, als eine unrichtige, fallen gelassen werden.
Die Grundlage und Wurzel der Freiheit des Willens liegt gerade
in der Indifferenz des Urtheils der Vernunft. An mehr als einer
— 58 -
Stelle unterscheidet der englische Lehrer die freien Wesen von
deo nnfreien dadurch, dass erstere ein freies, letztere nicht ein
freies Urtheil haben. Berechnnng, Vergleichnng sind aar da mög-
lich, wo da^ Urthei! an sich vielen indifferent gegentlbersteht,
Die Freiheit aber stützt sieh auf die Vergleichung nnd Berecbnnog
durch die Vernunft. „Bomo agU judicio, quia per vim cognoscitivam
judicat aliquid esse fugiendum vel prosequendum. Sed quia Judi-
cium istud TUm est ex naturali instinctu, in particulari operabäi,
sed ex collatiotie quadam 'rtäümis, ideo agit libero judicio, poltm
in diversa ferri. Ratio enitn- circa cotdingeniia habet viam ad op-
posita, ut patet in dialedicis syllogistnis.ä, rhetoricis persuasionihts.
Particularia autem operqbilia sunt quaedam cotUingentia. Et ideo ctrea
ea Judicium rationis ad diversa se habet et nan est determinatum
ad unum. Et pro tanto necesse est, quod Homo sit liberi arbitrii ex
hoc ipso quod rationalis est" (1. p, q, 83. a. 1.). Der Wille bildet
darum als Snbject die Wurzel der Freiheit, die Vernunft da-
gegen als Qrund und Ursache. Der Wille kann deshalb
frei nach vielerlei streben, weil die Vernuuft verschiedene Aaf-
fassongen des Quts ihm voratellt. Die alten Philosophen definieren
daher die Freiheit als freies Urtheil der Vemnnft, so dasa die
Vernunft Ursache- der Freiheit ist (1- 2: q. '7. a. 1. ad 2.).
Die tiefere Begründimg dieser Wahrheit wird wiederam im
Abhängigkeitsverhältnisse des Willens vom Verstände gesacht
"werden müsBen. Wir haben früher schon von S. Thomas die Lehre
■ vernommen Über den Ursprung der Seelenkräfte ans dem Wesen
der Seele selber. Es besteht eine gewisse Ordnung, sagt der eng-
lische Heister, so daes das eine Vermögen das andere voranii'
setzt, und sozusagen vermittelst ded andern ans 'der Wesenheit
der Seele hervorgeht Ans diesem Grunde setzen die sinnliche nnd
geistige Strebekrafl das sinnliche und geistige Anffassnngs- oder
Erkenntnis vermögen voraus. Nach der Ordnung der Vermögen
oder Potenzen richtet sich die Ordnung der Thätigkeiten. Damia
setzt der Willensact nothwendig, den, Act der Vemnnft voraus.
Der Satz: Ignoti nuUa cupido findet darin seine Bestättgnng
(2. dist. 24. q. 1. a.2.). Die Thätigkeit der Vernunft ißt somit
nicht bloß Gelegenheit oder nothwendige Vorbedingung fUr die
freie Thätigkeit des Willens, sondern eine wirkliche Causalität
Sie bewirkt nicht den Willensact schlechthin, dies kommt dem
Willen selber zu, sie bewirkt jedoch, dass dieser Willensact frei
oder unfrei, zn einem Objecte nothw.endig bestimmt oder nicbt
bestimmt durch den Willen ansgellbt werde. Die Vemnnft nimmt
nicht Einfluss auf die Substanz der Willensthätigkeit, wobl aber
auf die Art und Weise oder den modus dieser Thätigkeit. Denn
jede Thätigkeit richtet sich nach dem formellen Princip oder der
Form, durch welche ein W^sen thätig ist. Das formelle Princip
aber, wodurch das Strebevennögeu thätig ist, wird vom erkannten
— 59 —
Gut gebildet. Wie sich daher der Wille zu diesem von der Ver-
nunft erkannten und vorgestellten Gut verhält, so wird auch die
Willensthätigkeit^ der Act sich verhalten. Das Princip im Menschen
sind eigentlich Verstand und. WiUe. Und dieses Princip kommt
einerseits mit dem activen Principe der Naturdinge überein, während
es andererseits sich wieder davon unterscheidet. Beidq kommen
darin tiberein, dass sie eine Form, die Princip. der Thätigkeit ist,
und eine Neigung, die auf diese Form folgt, besitzen. Bei den
Naturdingen heijßt diese Neigung natürliches Strebevermögen,
appetUua naturalis , und dieses bildet das Subject, aus welchem
die Thätigkeit hervorgeht. Im Menschen haben wir die erkannte
Form und die Neigung des Willens zu dieser erfassten Form,
worauf dann die äussere Thätigkeit folgt. Der Unterschied aber
besteht darin, dass die Focm der Naturdinge durch die Materie
zu einer individuellen bestimmt und damit auch die folgende
Neigung auf eines beschränkt wird, während die von der Ver-
nunft aufgefasste Form allgemeiner Natur ist*, unter welcher
vieles miteinbegriffen erscheint. Da nun die Thätigkeiten etwas
Singular es sind, wird durch keine derselben die Potenz, das
Vermögen für das Allgemeine erschöpft. Die Neigung des Willens
bleibt folglich dabei unbeschränkt und sie verliert dadurch nicht
ihre Indifferenz für vieles. Diese Wahrheit lässt sich ohne Mühe
durch ein Beispiel klar machen. Der Künstler entwirft im allge-
meinen die Idee, den Plan eines Hauses. Diese allgemeine Idee
eines Hauses lässt noch die verschiedensten Formen, Figuren für
dasselbe offen, die Idee selbst ist zu keiner bestimmt. Der Wille
kann daher zu dieser od^r jener Sich neigen, für diese oder jene
sich bestimmen.' * . '
Das active Princip in den Thieren steht in der Mitte zwischen
dem der Naturdinge und /eriem der vernünftigen Geschöpfe: Die
mittelst der @inne aufgenommene Form ist indiViduell gleich der
Form in den Naturdingen. Dieser Form folgt darum die Neigui^g
zu' einem Acte wie bei den Naturdingen. Weil indessen diese
Sinne nicht stets die nämliche Form aufnehmen, sondern bald
diese^ bald eine andere,* was bei den Naturdingen nicht zutrifft,
deshalb erfolgen bei dem Thiere verschiedene Thätigkeiten. Das
einemal flieht es, das anderemal strebt es nach dem vorgestellten
Gut. Hierin konunen folglich die Thiere mit dem activen Principe
der vernünftigen Wesen überein (de malo q. 6. a. unic). Aber
auch insofern sind sie den vernünftigen Wesen ähnlich, als sie
in Wahrheit ein Urtheil besitzen. Freilich ist dies Urtheil in ihnen
ein natürliches, ein vom Schöpfer der Natur eingegebenes. Da-
durch unterscheiden sie sich von allen andern, und dies ist auch
der Grund, warum sie resp. dieses ihr Urtheil nicht die Ursache
der Freiheit in ihnen sein kann, warum sie überhaupt nicht frei
sind. Der Mensch hingegen urtheilt über das, was zu thnn ist.
— 60 —
• • •
er urtheilt über seine Freiheit selber, denn er erkennt das Wesen
des Zieles und Mittels^ er beg^reifl; die Beziehung und Hinordnong
des einen zum andern.* Er . ist darum nicht s^lein die Ursache
fieiuer selbst hinsichtlich der Bewegung, sondern auch in Betreff
des Urtheils. Aus. diesem Grunde besitzt er die. Freiheit, und
es ist dies soviel, als wollte man sagen, er habe ein freies Urtheil
. darüber, was zu thiin oder nicht zu thun ist (de veritate q. 24. a. \X
Das Objectj welches Vom Verstände demi Willen vorgestellt, wira,
hat demnach die Bedeutung einer jähren Caüsalität, es bewegt
und specificiert. objectiv die.' Thätigkeit des WiHeos*. Folglich ist
es mehr als eine conditio sine qua non, oder eine Gelegenheit, did
Veranlassung gibt, dass der Wille in Thätigkeit tritt. Es ist viel-
mehr das.Pnncfpiww radicale odet causale der Freiheit.
' Kurz, aber klar h^t der. englische Meister diese Wahrheit in
einem- Artikel seiner theologischen Summa zasammengefasst Er
sagt daselbät : „In molu cujuMibet pofentitze a suo objecto consideranda
est ratio, per quam objectüm movet potentiam. Visibile enim^movd
Visum sub ratione coloris actu visibilis, Unde «f color proportionatur
visui, ex tiecessitate movet ipsum^ nisi quis visum avertat, qtiod
pertinet ad ^xercititm actus. 8i autem proponeretur aliquid visui,
quod non omnibus modis esset color in actu, sed secundum aliquid
esset, tale, secundum aliquid autem nofi tale, *non ex necessitate visui
tale objectUm videret. Posset enim intehdere in ipsum ex ea parte,
qua non est coloratum in actu, et sie ipsum non videret, Sieut
autem coloratum'- in actu est objectüm vism, ita bonum est objectüm
^oluntatis, Unde si proponatur aliquod objectüm voluntati, quo^'Sit
universaliter bonum, et secundum omnem considerationem, ex necesÄ-
tote 'volufütas in illud tendit, si aliquid velit, Non enim poterit vdh
oppositum, 'Si autem proponatur sibi aliquod objectüm, quod non
secundum quamlibet considerationem M^. bonum, - non ex necessitate
, voluntas fertur in illud, . Et quia defectus cujuscumque boni .habet
ratümem non boni, ideo illud solum bonum, quod est jperfeetum et
ciii nihil deficit est tale bonum, quod voluntas non potest non veüe,
quod est beatitudo, Älia autem quaelibet particularia bona, in quamr
tum deficiunt ab aliquo bono, possunt accipi ut non bona. Et secw^
dum hanc considerationem possunt rqpudiari, vd approbari a polunr
tote, quae potest in idem ferri secundum diversas con^ideratianes"
(1. 2. p. 10. a. 2.).
Diese Stelle des Doctor Angelicus gewährt uns einen voll-
kommenen Einblick in die Bedeutung des vom Verstände erkannten
Objectes für die Fr^siheit. Der Wille folgt der Erkenntnis oder
dem erkannten Gut als seiner Form, seinem formellen Principe
der Thätigkeit. Jede Thätigkeit aber folgt den Bedingungen seines
formellen Principes oder der Form, wodurch das Wesen thätig
ist. Je nachdem die Erkenntnis oder das Urtheil der Vernunft
zu einem bestimmt oder indififerent zu vielen ist, wird daher
— ■ «J ^ .
die Thätigkeit des Willens bestimmt odei' indifferent ausfallen.
Das Urtheil der Yernanft lautet mit Bezu^ auf jedes Öut, so-
lange wir hier auf tlrden sind; indifferent, -d. 1). die Vernunft er-
klärt, jedes Gut könne begehrt oder nicht begehet werden, jedes
habe einen Tbeil der Güte, keines sei allseitig und in jeder Be-
ziehung ein Gut. Der Wille wird folglich nach jedem derselben
in der Weise streben, dass er auch nieht darnach streben oder
auch das Gegentheir davon begehren kann. .Dies aber heisst ein
Gut mit Indifferenz und Freiheit anstreben. DasNähere
hierüber wird die Untersuchung über den Gegenstand, das Object
der Freiheit bringen.
Wie überall, so zeigt auch hier der englische Meister uns
den Mittelweg, auf welchem allein die Wahrheit sich finden lässt.
Der Wille in den vernünftigen Wesen ist in der Wirklichkeit frei.
Dies zu beweisen ist ganz und ^ar nicht ' noth wendig, weil der-
jenige, der es bestreitet, dadurch allein schon beweist,, dass er
frei ist. Die tägliche Erfahrung an sich selbst und an andern
Menschen belehrt jeden, dass er frei ist. Überall in . den ver-
nünftigen Geschöpfen sehen wir Überlegung, Berathung, Vor-
schriften, Ermahnungen, Tadel, Aussicht auf Lohn und Strafe,
alles Beweise dafU'r, dass der Mensch mit Freiheit begabt^ mit
Wahlfreiheit ausgezeichnet ist. Der englische Meister hat sich in-
dessen mit dem Beweise für die Wahlfreiheit, der aus der Er-
fahrung hergeleitet wird, durchaus nicht begnügt, sondern die
Frage über die Freiheit in ihrem innersten Grunde klargelegt.
Der Mensch ist frei, erklärt S. Thomas, denn sein höheres
Erkenntnis- und Begehrungsvermögen siiid nicht auf eines der
Art und dem Individuum nach beschränkt. Eine Begrenzung,
weun man sie so nennen will, findet nur insofern statt, als sie
zu ein^m der Gattung nach, zu dem universellen Gut bestimint
sind. In welcher Weise diese Beschränkung eintritt, wurde früher
gezeigt. Ebenso wurde nachgewiesen, dass eine Beschränkung
dieser Art der Freiheit durchaus nicht im Wege steht, derselben
vielmehr als. Grundlage dient. Da nun kein existierendes oder
auch nur eingebildetes Gut in jeder Beziehung vollkommen, all-
seitig ein Gut ist, so wird die Vernunft niemals hier auf Erden
in die Lage kommen, dem Willen einen Gegenstand als univer-
selles Gut, welches zugleich Ohjedum quod ist, vorzustellen. Infolge
dessen bleibt der Wille diesbezüglich unbeschränkt, somit unter
allen Umständen in seiner Auswahl frei.
Diese Wahlfreiheit ist nichts anderes als, der Wille selber.
Wir verstehen darunter nicht einen Habitus oder eine «u dem
Willen hinzugekommene Vollkommenheit. Wir meinen mit dem
Worte Freiheit auch nicht die Willensthätigkeit, den Willensact.
Es ist auch nicht ein drittes Vermögen unserer. Seele, unter-
schieden von der Vernunft und dem Willen. Der WiUe selber ist
— 62 —
es^ der, auf das indifferente Urtheil der Vernunft sich stützend,
ein vorgestelltes Gut entweder begehrt oder abweist. Im Willen
als Potenz, als geistigem Vermögen der Seele liegt formell die
Freiheit der vernünftigen Wesen.
Indessen ist der Wille eine blinde Macht, unfähig nach etwas
zu streben, wenn es ihm nicht als ein Gut dargestellt wird. Um
dieses -Gut frei zu begehi*en, um es anstreben oder auch nicht
anstreben zu können, ist absolut erforderlich, dass es ihm nur als
partielles, als beschränktes, nicht als allseitig und in jeder Hin-
sicht vollkommenes Gut vorgestellt werde. Dies geschieht that-
sächlich in Betreff jedes Gegenstandes. Dies ist selbst dann
noch der Fall, wenn ihm das Gut und die Glückseligkeit im all-
gemeinen vorgezeigt wird. Wenngleich diesbezüglich dasObject,
die ratio boni, von ihm mit Nothwendigkeit begehrt wird, so bleibt
doch seine Thätigkeit, der Act, wodurch er nach diesem
Objecte strebt, ein particniäres, beschränktes Gut, und der Wille
infolge dessen formell vollkommen frei.
§ 5. Das tiefste innerste Wesen der Wahlfireiheit.
29. Nachdem erwiesen, dasd die Freiheit formell im Willen,
radical aber, oder ihrem Grunde nach in der Vernunft
resp. in der Indifferenz des Erkenntnisvermögens besteht, wirft
sich uns von selber die Frage auf, in welchem Zustande diese
beiden Vermögen oder Potenzen sich befinden müssen, damit man
sie im eigentlichen Sinne frei nennen kann? Welche Indifferenz
gehört im strengsten Sinne dazu, dass das geistige Wesen ein
freies, ein mit der Wahlfreiheit ausgestattetes ist ? Wird zu diesem
Zwecke die active Indifferenz, oder die passive, privative ver-
langt? Muss das geistige Wesen, um frei zu sein, sich in jenem
Zustande befinden, in welchem es weder zu irgend einem Ob-
jecte bestimmt ist, folglich jedem Objecte indifferent gegenüber-
steht, noch auch irgend ein Objectthatsächlich, actnell
will, also rein nnthätig sich verhält?
Es ist allgemein bekannt, dass die Form als constitatiyes
Element einer Wesenheit, Differenz, differentia specifica genannt
wird. Sie verdient diesen Namen mit Recht, denn durch sie wird
das andere constitutive Element, der Stoff, oder was sich wie
Stoff verhält, zu einer bestimmten Art, zu einem bestimmten Seins-
grad determiniert. Durch diese Bestimmung verliert das Stoffliche
seine Indifferenz und tritt aus jenem Zustande heraus, in welchem
es absolut zu allem indifferent ist. Der erste Stoff, die materia
prima, bietet ups hieftir ein Beispiel. An und ftlr sich betrachtet
besitzt dieser Stoff die größte Indifferenz, denn er kann alle
stofflichen Formen aufnehmen, hat aber in sich selber gar
keine. Darum ist er in diesem Zustande rein passiv, sein Ver-
- 63 -
hältnis ein rein privatives. Nimmt er eine Form auf, so büßt er
diese seine absolute Indifferenz ein, denn er wird mit der Form
ein bestimmtes Wesen. Allein er bleibt nichtsdestoweniger in-
different f&r andere Formen, ^^r kann noch vieles andere werden^
obgleich er jetzt unter einer bestimmten Form, sich befindet.
Verliert die erste Materie durch die Form ihre Vollkommen-
heit ? Sie wird ja dem Zustande der absoluten passiven Indifferenz
durch die Form entrückt? Ihre Vollkommenheit wird durch die
Form nicht allein nicht geschädigt, sondern erst hervorgebraoht
Ganz dasselbe muss vom Willen behauptet werden. Wie die
stofflichen Dinge in ordine mtüativo aus Stoff und Form, die
geistigen und überhaupt alle geschaffenen Wesen aus Wesenheit
und j^istenz zusammengesetzt sind, so ist es auch der Wille in
ordine operativo. Darum kann er sowohl active als auch passive
Potenz genannt werden. An und für sich ist er rein passiv,
denn er ist indifferent mit Bezug auf die Objecte und hinsichtlich
der Thätigkeit. Er gleicht hierin vollständig dem Stoffe, wenn
man letztem ohne irgend eine bestimmte Form betrachtet Daher
muss er passiv genannt werden. Kurz, aber meisterhaft wie
immer erklärt der englische Lehrer diesen Zustand des Willens.
In seiner theologischen Summa hatte er nachgewiesen, dass der
Wille manches mit Nothwendigkeit begehrt, nach einem
Objecte, welches er daselbst nennt, auf natürliche Weise strebt.
Gegen den Inhalt dieses Artikels wendet er sich nun mit folgender
Schwierigkeit: „Der Wille begehrt nichts auf natürliche Weise
(naturcditer), denn was einem Dinge auf natürliche Weise zu-
kommt, das ist jederzeit (semper) in diesem Dinge. Dem Feuer
kommt das Warmsein immer zu. Die Bewegung oder Thätigkeit
des Willens aber, ist nicht ununterbrochen vorhanden. Folglieh
kann man nicht sagen, dass irgend eine Bewegung 'oder Thätig-
keit dem Willen auf natürliche Weise zukomme."
Das Argument beweist, dass der Wille nicht immer active
Potenz, oder wie der heil. Thomas an anderen Stellen sagt, Agens
in aäu ist. Da es aber nur zwei Arten von Potenzen gibt : active
und passive, so folgt daraus zur Evidenz, dass der Wille zur
Zeit, wo er nicht thätig ist, passiv genannt werden muss. Es
unterliegt demnach keinem Zweifel, dass der Wille manchmal
passiv ist. Dies wird in der Antwort des englischen Lehrers auf
diese Schwierigkeit auch gar nicht bestritten, vielmehr mit Bezug
auf den Willen der Geschöpfe ausdrücklich behauptet und zu-
gegeben. Von diesem passiven Zustande des Willens scliließt nun
der Argumentant auf die Unmöglichkeit, dass der Wille et^as
auf natürliche Weise begehre. Wie kommt er zu dieser Schluss-
folgerung? Er verwechselt natürlich (naturaliter) mit wesentlich
und sagt, wenn die Tbätigkeit zum Wesen des Willens gehört,
wenn der Wille» wesentlich eine active Potenz ist, so kann
— 64 —
I
.ihm die Tbjltigkeit niemals fehlen. Da dieses thatsächlich nicht
der Fall ist, vielmehr oft das Gegentheil zutrifft, der Wille näm-
lich untbätig ist^ so. ist klar erwiesen, dass er nicht wesent-
lich activ, sondern passiv genannt werden muss.
Die Antwort des Doctor Angelicns auf diesen Einwand ist
interessant. Er sagt: „Was den Naturdingen. in der Weise natur-
gemäß ist,' dass es ausschließlich der. Form folgt, das besitzeil
dieselben stets, ohne Unterbrechung in der Wirklichkeit, in actu.
Dagegen haben sie jenes Naturgemäße, das dem Stoffe folgt,
nicht jedei-zeit wirklich, in actu, sondern manchmal bloß der Mög-
lichkeit nach '(secundum potentiam .tantum). Die Form verleiht
Wirklichkeit, ist Act, der Stoff aber Möglichkeit,. Potenz, und die
Bewegung ist der Act desjenigen, was in der .Potenz existiert..
Was immer daher bei den Naturdingen zu der Bewegung gehört,
' oder aus der Bewegung folgt, das ist nicht immer in^ bewegten
Subjecte. Das Feuer z. B. strebt .nicht immer in die Höhe, sondern
nur dann, wenn' es freien Spielraum hat^ „Ebenso^, schließt
S.Thomas, „muss der Wille, der von der Potenz in den Act
übergeführt wird, wenn er etwas will,' es nicht immer actu
wollen, idondern bloß dann, wenn er sich dazu in einer bestinunten
Disposition befindet. Dagegen ist der Wille Gottes reiner Act,
lauteres Sein, und aus diesem Grunde immer actnell
thätig" (1. 2. q. 10. a^, 1. .ad 2).
30/ Diese Lehre des englischen Meisters ist von größter Wichtig-
keit. Der Wille Gottes ist nicht zusammengesetzt aus Möglichkeit
und Wirklichkeit, aus Potenz und Act. Darum ist er ununter-
brochen thätig, in actu. Der Wille der Greaturen ist nicht jeder-
zeit thätig, in actu. Und warum dies? Weil er nicht reiner Act,
lauteres Sein ist. Der Wille der Geschöpfe ist also zusammen-
gesetzt aus Potenz und Act. Solange er den Act nicht hat, ist er
reine Potenz, also passiv und infolge dessen empfänglich fbr
den Act, fähig, den Act aufzunehmen. Wie sehr man demnach
im Rechte ist zu sagen, die Freiheit sei ein actives Vermögen,
weil es dem geistigen Theile, der Form angehört, die das Princip
aller Thätigkeit bildet, ebenso wahr spricht man, wenn man be-
hauptet, sie sei ein passives Vermögen, weil sie nicht reiner
Act, sondern als actives Princip zusammengeaetzt Ist aus
Potenz und Act. Hat sie diesen Act nicht, dann ist sie. reine
Potenz, also. rein passiv, oder wie man es mit andern Worten
nennt: si^ ist indifferent fbr die Thätigkeit und Nichtthätigkeit.
Um den Unterschied zwischen activer und passiver Potenz
V\A auseinander zu halten, wollen wir eine Stelle des englischen
Lehrers bieher setzen. „Die Potenz hat ihren Namen vom Acte.
Der Act aber ist zweifach: der erste, der Form heißt, und der
zweite, der Thätigkeit genannt wird. Es scheint nachr allgemeiner
Übereinstimmung, dass der Name ,Act^ zuerst der Thätigkeit bei-
* •
- 65 -^ •
gefegt wurde. Das verstehen alle unter dem Worte: ,Act^ Dann
aber wurde dieser Name auch auf die Form übertragen, insofern*
Dämlich die t'orm'tias Princip und Epdziel der Thätigkeit ist.
Dieser zweifachen Auffassung des Actes zufolge muss auch eine
doppelte Potenz unterschieden werden. Die eine ist die active,
welcher der Act oder die Thätigkeit entspricht, und diese wurde
ursprünglich Potenz genannt. Die andere« ist die passivje, welcher •
der erste Act oder, die Form entspricht. Auf diese wurde der««»
Name: ,Potenz^ in zweiter Linie übertragen. Gleichwie nun nichts
verändert wird (patüur), außer auf Grund der passiven Potenz,
ebenso ist nichts thätig auBer in Kraft des ersten Actes, der
Form. Auf die Form wurde zuerst der Name: ,ActS von der
Thätigkeit hergeleitet, übertragen. Active Potenz wird demnach
' ein Vermögen genannt, insofern es Princip der Thätigkeit ist"
(de potentia q. 1 . a. f.). — Aus diesen wenigen Sätzen des Doctor
Angelicus ist der Begriff der passiven und activei) Potenz klar
entwickelt. Wenden wir das soeben Gehörte auf unsere Freiheit
an, und es muss -sich Folgendes ergeben: Der Wille ist passive
Potenz, wenn er iw. ordifie operativo keine Form hat, denn- der
passiven Potenz correspondiert der erfete Act, jüe Form. Der Wille
ist active t'otenz, wenn er thätig ist, einen Act vollzieht, denn
der activen Potenz entspricht äie Thätigkeit, die operatio. Von .
daher hat *sie ihren Namen^ wie die pa^ive den ihrigen von der
Form herleitet. Der heil. Thomas lehrt aber, wie wir vorhin. ge-
sehen haben, der Wille sei nicht .immer in actu, nicht fort-
während thätig. Somit ist er nicht ununterbrochen active, sondern
manchmal passive Potenz, er ii^t nicht selten indifferent.
Diese Indifferenz ist zweifach, activ. und passiv. Der Wille
der geschaffenen Wesen hat eine doppelte Beziehung : zu seiner
Thätigkeit und zu dem Gegenstande* oder Objecte. Die Thätig- .
keit selbst muss abermals in doppelter Weise betrachtet werden:
Die Thätigkeit ist zunächst ein Effect, eine Wirkung- der Po-
tenz. Da aber eine Wirkung nur von einer activen, niemals von
einer passiven Potenz herstanunen kann, so liegt es klar vor
Äogen, dass der Wille bezüglich seiner T)iätigkeit aetives^
nicht aber passives Princip genannt werden^ muss. Diese active
Potenz ist insoferne indifferent, als sie gemäß ihrer Form, durch •
welche sie thätig ist, weder subjectiv noch objectiv von einem
Stoffe abhängt, noch auch zu einem einzigen Acte bestimmt
wird. Subjectiv nicht, weil die Bewegung durch Gott in ihr als
geistiger Potenz, daher ^^on jedem leiblichen Organ unabhängig,
aufgenommen wird; aber auch objectiv. nicht, weil der formelle
Grund, der erkannte Gegenstand -abstracter Natur ist. .Weder die
Bewegung durch Gott, die nach Art einer Form^ aber per modunt
transeurUis oder passionis den Willen in Thätigkeit setzt, hat mit
dem Stoffe, etwas zu thun, da sie im Willen selber aufge-
Feldner, Willensfreiheit. 5 .
- 66 -
nommen wird; noch die objective Form, das bonum sub ratiöne
'boni, öder das Mittel, insofern es Mittel ist. Der Wijle wird aber
auch nicht zu einem einzigen Acte bestimmf/ denn Gott bewegt
ihn seiner Natur entsprechend, und die Freiheit verlaugt, weil
dies in ihrem Wesen liegt, nicht zu einem einzigen Acte bestimmt
zu werden; denn der Act ist etwas Particuläres. Ebenso stellt
f die Vernunft ihm nicht .ein einzigem, sondern bald dieses, bald
^jenes begehrenswerte Gut vor. Somit ist auch »die objective Form
eine vielfache. Sie wird ihm sogar nicht selten da^ Unthätigsein
als ein Gut vorstellen. Weil der Wille demnach viele Acte voll-
ziehen kann, deshalb bleibt er Herr seiner Thätigkeiten. Es steht
in seiner Macht, diesen oder jenen, selbst gar keinen Act ansza-
üben. Und wenn er einen vollzieht, kann er davon ablassen und
einen andern ausüben. Obgleich active Potenz, muss er dennoch
zufolge dem soeben Dargelegten, indifferent genannt werden. Dies
ist die active Indifferenz des Willens. Der Stoff ohne Form
ist passiv, mit einer Form activ indifferent.
31. Die Thätigkeit des Willens muss aber noch von einer
andern Seite aus, nämlich als Vervollkommnung des Willens be-
trachtet werden. Die Thätigkeit des Willens, der Willensact, ist
als Effect etwas Immanentes, ein der Potenz inhärierendes Acci-
.dens. Jedes Accidens bildet, als ein positive Seiendes, wie es
die Thätigkeit ist, eine Vervollkommnung der Potenz, welcher, es
inhäriert. Es verhält sich, wie die Form zum Stoffe, zu der Ma-
terie und die Form ist dasjenige, wodurch etwas vervollkommnet
wird. Vergleichen wir also die active Potenz mit ihrer Thätigkeit,
die ein Effect, eine Wirkung von ihr ist, so müssen wir gestehen, dass
diese active Potenz, von einer andern Seite betrachtet, zugleich
passive ist. Das aufnehmende Subject, dasjenige, dem ein an-
deres inhäriert, verhält sich* ja empfangend, somit passiv dem-
jenigen gegenüber, welches aufgenommen wird und dem es in-
häriert. Die Willensthätigkeit inhäriert nun thatsächlich der activen
Potenz,' weil sie etwas Immanentes ist. Jede Thätigkeit des Willens
der Greaturen bildet folglich fUr denselben eine Vervollkommnung«
Zu demselben Resultate gelangen wir, wenn wir einen andern
Grundsatz des englischen Lehrers prüfen. Stets betont S. Thomas,
namentlich wo er vom Habitus oder der Tugend spricht, der Act
sei das Endziel für die Potenz. Das Endziel eines Dinges aber
muss für dasselbe ' nothwendig eine Vervollkommnung bilden.
Ebenso sicher ist andererseits, dass die Potenz hinsichtlich des
Endzieles sich aufnehmend, passiv verhält. Wir sehen also, dass
selbst die active Potenz nicht reiner Act, lauteres Sein,
dass sie vielmehr verbunden ist 'mit einem Acte, der ihr inhäriert,
tu welchem sie folglich im Verhältnis der passiven Potenz steht.
Insofern nun der Wille durch verschiedene und viele Acte ver-
vollkommnet werden kann und nicht auf einen einzigen Act be-
" — 67 —
schränkt ist, sagt man 'von ihm, er sei indiffereDt, DieRf IndifTe-
reoz faeifit passive nach Art des ersten Stoffes, der motfi-i'i jirima,
die insofern indifferent genannt werden miiss, als sie liineh ver-
schiedene Formen vervollkommnet werden kann. Eine active
Indifferenz rnnss auch in Gott angenommen werden hinsichtlich
der Geschöpfe, die er hervorbringt und hervorbringen kann. Seine
Macht und schOpferiBche Thätigkeit ist auf vielerlei Arten, wie
die verscliiedenen Creaturen .und Wirkungen in den Geachöpfen
nachweisen, in AnwendnOg gekommen. Gott entwickelt inil liezug
auf diefCreaturen nicht bloß eine einzige Tfaätigkcit, und in
der Weise, dass eie nur auf eine Art znm Ausdruck kiuue, ob-
gleich sie in sich nnr eine und mit Seiner Weseuh^t identisch
*ist. Die passive Potenz dagegen nrnss von Gott absolut fern-
gehalten werden. Gott wird durch seine Thätigkeit nicht vervoll-
kommnet, er uutei-Bcheidet sich nicht real von seiner Tiiätigkeit,
sie ist in ihm nicht Accidene und darum ist er auch nicht in der
Potenz, weder in der passiven nocff in der activen zo <iem Ac);e,
der Thätigkeit selber. Eine Vervollkommnung ist nur da möglieh,
wo Wesenheit und Existenz sich real unterscheiden. Die^ ist die
Ansicht des englischen Meisters, welche sich, wie ein rother Faden
durch allä seine Werke hindurchzieht. Die reale Identität bewirkt,
dass auch Wesenheit und Potenz, Potenz und Act, dass mit einem
Worte alles in einem Wesen real identisch ist Damit ist jede
VervollkommnungsfUliigkeit ausgeschlossen.
32. Der Wille hat nicht allein zn der Thätigkeit, dem Acte
Beziehung, sondern auch zn dem Objeete., Das Öbject der Frei-
heit ist, wie wir alsbald sehen werden, das parüculSre Gut, und
aus diesem Grunde bleibt der Wille objectiv indifferent. Der par-
liculären GUtei*gibt es viele und der Terschiedeusten^^rt, Jedes
derselben kann vom Willen begehrt werden, denn jedes hat
Antheil an der Güte, isf somit eigentliches Object des Willens.
Keines aber muss begehrt werden, weil es nur theilweise, nicht
allseitig gut, nicht die Gute selbst isL Welches particulare 6nt
- immer dem Willen vorgestellt wird, er strebt nach keinem mit
Notb wendigkeit, so dass er es nicht nicht begehren könnte. Darum
verhält er sich jedem gegeiiUber vollkommen indifferent. Das, Ob-
ject des Willens kann nämlich in zweifacher Weise genommen
werden. Als den Willen bewegend, weil das Object nach y. Thomas
den "willen per modum finis bewegt. In dieser Bedeutung fjefaaat,
verhält sieh der Wille dem Objeete gegenttber passiv oder be-
weglich. Das finis in interdione ist das Bewegende, der Wille das
Bewegte. Weil indessen der Wille von sehr vielen pariiciilären
Gttem betwegt werden kann, nicht auf eines derselben beschränkt
ist, deshalb sagt man von ihm, er sei in der passiven In-
differenz. Das Object kann aber auch fermwiws sein, der Wille
kann durch seine Thätigkeit ein partictiläres Gut erst bcrvor-
— 68 —
bringen nach dem Grandsatze des englisehen Lehrers: finis est
primum in intentione et ultimum in eocecvtione. In diesem Sinne
verhält sich der Wille zu .d^m Objecte nicht passiv, sondern
activ. Das hervorgebrachte Gut ist in diesem Falle Effect,
Wirkung des Willens, wie wir früher vom x4.cte, von der Thätig-
keit gesagt haben. Da tinn der Wille viele particuläre Güter
hervorbringen kann, z. B. durch den actus imperatus, indem er
alle Potenzen des Menschen, mit Ausnahme der vegetativen, zu
ihren Thätigkeiten bewegt, so muss man ^en Willen diesbezüglich
^activ indifferent nennen. S.Thomas bedient sich häi^g des
Beispiels vom Baumeister und Architekten.
Hier lyusß noch einer anderen Indifferenz Erwähnung ge-
schehen. Die eine ist die Indifferenz der Thätigkeit und zugleich
die des specificierten Gegenstandes (qux)ad exercitium actus et
specificationem sijnvl); die andere bezieht sich bloß auf das speci-
ficierte Object: Vor allem muss an dem Begriffe: „Indifferenz*^
festeehalten werden, denn alPe andern Misverständnisse in der
Frage über die Freiheit haben* den unrichtigen Begriff der In-
differenz zur Voraussetzung. Die Indifferenz bildet den Gegensatz
zu der Nothwendigkeit. Noth wendig heißt dasjenige, was zu einem
bestimmt, auf ein einziges jsingeschränkt ist. Die Nothwendig-
keit mit Bezug auf dieJThätigkeit und den Gegenstand zugleich,
die auch absolute Nothwendigkeit genannt wird, ist dann vor-
handen, wenn der Wille dieses Object begehren muss, sodass
er kein anderes, oder nicht das Gegentheil von diesem anstreben
kann, und wenn er überdies dieses Object immer actuell
wollen muss, so dass er von der Thätigkeit nicht ablassen, die-
selbe nicht unterbrechen kann. In Gott haben wir diese zweifache
Nothwendigkeit hinsichtlich seiner selbst. Als reiner Act, laateres
Sein, muss er immer einen Verstandes- und Willensact aasttben.
Er kann niemals aufhören, diese Acte ilbterbrechen. Er muss
femer sich selber erkennen und lieben, das Gegentheil davon
wäre für ihn unmöglich. Liebt er nebenbei noch etwas anderes,
so geschieht es um seiner selbst willen. Dasselbe gilt vom Engel
in Betreff seiner eigeneä Wesenheit. Diese muss er lieben, ohne
jemals aussetzen zu können. Diese Thätigkeit bildet für ihn das
Leben, ist für ihn Lebensact. Ebenso &ann er nicht seine ^Ve8en-
heit nicht lieben. Die Nothwendigkeit bezüglich des specifischen
Objectes allein , genommen, besagt, dass der Wille, wenn'er
ftctuell thätig ist, dieses ihm vorgestellte Qbject wollen muss.
Hinsichtlich des Actes, der Thätigkeit dagegen ist keine Noth-
wendigkeit vorhanden. Unsere frühere Darlegung des Willens als
Natur gibt hinreichend darüber Aufschluss. Da nun, wje sehen
bemerkt, die Indifferenz den Gegensatz zu der Nothwendigkeit
bildet, 80 ist klar, was wir unter der zweifachen und einfachen
Indifferenz zu verstehen haben.
. _ 69 —
* 33. Welcbd Indifferenz ist nun fttr die Freiheit wesentlich?
Durch welche- wird dieselbe formell constituiert?
Erste Proposition: Die objectire nnd zwar actiye Indiffe- ^
ranz ist flir die Freiheit der geistigen Wesen überhaupt unbedingt
nothwendig.
Der Beweis fttr diese Proposition wurde früher erbracht, als
wir über die Abhängigkeit des Willens von der Vemnnft r^sp.
vom Objecto, welches dem Willen durch die Vernunft vorgestellt
wird, ausführlich gesprochen haben. Der Wille ist eine blinde
Macht, das vom Verstände ihm dargestellte Gut sein eigentliches
Object. Es erweist sich demnach geradezu als unmöglich,, dass
er die Fähigkeit besitze, nach ^rschiedenen, Entgegengesetzten
zu streben, wenn diese nicht von der Vernunft als indifferente
Güter erkannt und in d e r W^ise ihm vorgestellt werden. That- •
sächlich, wie wir gesehen haben, geschieht es auch, indem kein
Object dem Willen hier auf Ef den als ein Gut in jeder Be-
ziehung vorgezeigt wird. Die objective Indifferenz bild^ darum
die Grundlage und Voraussetzung ^r die formelle Freiheit. des
Willens der geistigen T^Tesen. Ob dieses Gut ein zu erreichendes
oder ein zu bewirkendes ist, das ändert an def Sache nichts.
34. Zweite Proposition: Zur Freiheit* an und für
sich genommen geljört nicht, dass der Wille objectiv oder
• snbjectiv pa*8siv oder privativ indifferent sei. Die rein active
und positive Indifferenz reicht dafür vollkommen aus.
Die Freiheit ist nicht ein Privileg der Geschöpfe, kommt
nicht ausschließlich den vernünftigen Creaturen.zn. Vor allem
ist Gott im höchsten Gradö frei. Gott will zwar seine eigene. Güte
mit Nothwendigkeit, allein alles andere will er mit größter Frei- *
heit (1. p. q. 19. a. 10.). Nichts steht mit seiner Güte, seiner Glück-
seligkeit, die er nothwendig begehrt, derart im Zusammenhange,
dass er ohne dieselbe nicht gut, nicht vollkommen glücklich sein
könnte. Er gebraucht die Geschöpfe zur Offenbarung seines •
Glückes, seiner Güte. Dies könnte indessen durch andere Crea^
turen« nnd auf eine andere Weise ebensowohl geschehen. Er be-
sitzt infolge dessen ein ganz und gar freies, Mudiffereutes Urtheil^
Ube*r dieses und jenes Gut, gleichwie die Geschöpfe ein solches*
haben. Allein die Freiheit ist anders in uns, im Engel und in
Gott. Das Freiheitsvermögen setzt zw^i Dinge voraus : eine Natur
und eine Erkenntniskraft. Die Natur Gottes unterscheidet sich
durchaus von jener der Gfeaturen. In Gott ist sie ungeschaffenj^
real identisch . mit seiner Elxistenz und seiner* Güte. In ihm gibt
es folglich keinen Mangel, keine Potentialität, weder mit Bezug
auf das Sein, "noch in Betreff der Güte. Die Natur der Engel
und Menschen ist geschaffen, stammt aus dem Nichts, und besitzt^
darum Potentialität und, an sich genommen, Mängel und Unvoll-
kommehheiten. Ebenso ist die Erkenntnis in Gott* einfach.* Ohne
_ 70 — .
Discurs aad UatersuchuDg schaut Gott alle WalirheLt. Er weiß
dämm weder etwas von einem Zweifel, ooeh von einer Schwierig-
keit im Unterscheiden nnd Urtheilen. Die Auswahl ist somit in
Gott eine durch und durch vollkommene (de veritate q. 24. a. 3.).
Der Wille Gottes, obgleich frei, hat dennoch keine Poten-
tialltät "hinsichtlich der verBchiedenen Dinge oder Objeete, welche
er will ; denn keines dieser Objeete steht ^n seinem Willen im
Ve'rhältuiase eines Bewegers. Darum ist die Freiheit objectiv
genommen in ihm nicht passiv. Jeder Wille hat uämlich ein
doppeltes Objeet: ein Hauptobject, und ein secundäres. Nach dem
ersteren strebt der Wille gemäß seiner Natur, denn der Wille
selbst ist äine Natur, und er hat auch eine natürliche Einordnung
zu etwas. Dieses begehrt der Wille auf natürliche Weise, wie
, z. B. der menschliche Wille die Glückseligkeit. Secuiidüj-e Objeete
bilden alle jene Dinge, die zu dem Hanptobjecte, als dem Ziele,
Beziehung haben. Zu diesem zweifachen Gegenstande verhält sieb
der Wide gerade so, wie der Verstand zu den Principien, die er
naturgemäß erkennt, und zu den Scfaiussfolgerungen, die er ans
ihnen ableitet. Das Haaptobject, welches Gott auf natürliche Weise
begehrt, und 'welches gleiehaaui das Endziel fUr seinen Willen
bildet, ist seine- eigene Güte. Um ihretwillen begehi-t er, was immer
er außer ihr will. Die Geschöpfe will er nur wegen seiner eigenen
Gute, wie Augustinus bemerkt, damit sie nämlich, -da sie ihrer,
Wesenheit nach nicht vervielfältigt werden kann, wenigstens darch
die Antheiloabme an ihrer Ähnlichkeit anf viele Dinge sieh er-
strecke. Was Gott demnach mit Bezog auf die Geschöpfe will,
das ist seeundäres Objeet seines Willens. Alles begehrt er seiner
Gute wegen, so dass diese den formellen Grund bildet, wamm
er alles andere will, gleichwie seine Wesenheit der formelle Grund
ist, dass er alles erkennt
Uiusiehtlich des Hanptobjectes, seiner Güte, ist Gott nicht
frei, diese will er mit Notbwetidigkeit, zwar nicht mit Zwang,
sonderii mit natürlicher Neigung, welche indessen . der Freiheit
nicht widerspricht, wie S. Augnstin bezeugt. Gott kann nicht nicht
wolieu, dass er gut, weise, mfichtig oder sonst irgend etwas von
alldem sei, in welchem das Wesen seiner Güte enthalten ' ist.
In Betreif jedes secundären Objectes dagegen besitzt Gott volle
Freiheit. Der formelle Grund, warum das Mittel gewollt wird, ist
das Kudzid. Wie sich daher das Mittel zum Endziele verhält, so
wird es vom Willen begehrt. Schließt es das Endziel vollständig
in sieh und kann «hne dieses Mittel das Endziel nicht erreicht
werden, sd wird es mit derselben Nothwendigkeit begehrt, wie
das Endziel selber. Da nun keine Wirkung, kerne Creatur der
güttliciieü Macht, der Ursache der Geschöpfe gleichkommt, so
kann auch keine, wie sehr sie auch zu Gott als ihrem Endziele
Mugeordnet sein möge, dem Eodziele gleichkouomen. Kein Ge-
*
. •
— 71 — •
8chöp£ ist Gott vollkommen gleich. Dies ist nur bei dem ange-
schaffenen Worte der Fall. Wenn daher eine der Creaturen auf
eine aasgezeichnete Weiser za Gott hingeordnet ist; and dadurch
mit ihm einige Ähnlichkeit hat, so «entsteht damit für Gott keine
Nothwendigkeit Es kann eine andere in gleich vorzüglicher Art
zu ihm hingeordnet sem und seine Güte darstellen. Aas der noth-
wendigen Liebe, die Gott m seiner eigenen Güte hat, folgt dem-
nach keineswegs eine ebenso npthwendige diese oder jene Creatar
zu wollen. Er kennt aber aach keine Nothwendigkeit bezüglich
sämmtlicher Geschöpfe des ganzen Uniyersums. Seine Güte ist
allseitig vollkommen selbst dann, wenn gar keine Creatar exi-
stiert. Er bedarf, wie es im Psalm 15. 2*he>Bt, anserer Güter
nicht. Die Güte Gottes ist nicjit ein Ziel, das erst darch die
Mittel bewirkt und hervorgebracht wird. Darnm bemerkt Avicenna,
Gottes Thätigkeit allein sei wahrhaft and rein liberal «der frei-
gebig, denn er habe von alldem, was er in Rücksicht anf die
Geschöpfe will and that, keinerlei Vortheil oder Natzen (de veri-
tate q. 23. a. 4.). Dieselbe Lehre trägt S.Thomas vor: 1. p. q. 19.
a. 3. Wenn also Gott aas den Geschöpfen,, dem secandär gewollten
Object, keine Vollkommenheit erwächst, so ist offenbar, duss er
hinsichtiich dieses Objectes nicht in der passiven oder pri-
vativen Indifferenz, folglich aach niemals diesbezüglich in der
passiven Potenz sein kann. Das secandäre Object verhält sich'
daher dem Willen Gottes gegenüber nicht bewegend* wie bei
den Gesehöpfeö. Nichtsdestoweniger mass zagegeben Werden, dass
Gott absolatfrei ist. Der passive Zastand des Willens mit Bezng
auf das Object gehört somit nicht an and für sich za der Freiheit.'
Gottes Wille ist aber aach nicht passiv indifferent in
Betreff des Actes, der Thätigkeit. Der Wille ist in Gott nicht als
Potenz oder als Habitas, sondern als Act, weil er in Wirklich-
keit dasselbe ist mit seiner Wesenheit (4. contr. Gent. c. 19.).* Als
reiner Act ist sein Wille daher immer in Thätigkeit and- er geht
nicht aas dem Zastande der Unthätigkeit in jenen der Thätigkeit
über (1. 2. q. 10. a. 1. ad 2.). Der Gründe für die Wahrheit, dass
in Gott keine, passive Potenz angenommen werden dürfe, gibt
es viele. Zunächst ist kein Ding actives Princip, solange es siöh
nicht als in der Wirklichkeit (in actu operaiivo) existierend and
überdies als vollkommen ecweist. Passiv hingegen verhält sich
ein Ding, solange es mangelhaft and anvollkommen ist. Nun liegt
es aaf der Hand, dass Gott, das reine Sein, der schlechthin und
allseitig Vollkommene, in sich keinen Mangel, keine UnvoUkom-
menheit haben kann. Er ist darum im höchsten Grade actives,
niemals passives Princip. Da aber der Begriff eines activen
Principes der activen Potenz zukommt, — die active Potenz
bildet ja das Princip auf ein anderes zu wirken, die passive
von einem andern zu empfangen, wie der Philosoph bezeugt, —
70
SO steht es außer allem Zweifel fest; dass Goft im vollkommensten
Gtade die active Potenz besitzt (1. p. q. 25. a. 1.). Ein fernerer
Grund ist der, dass der Act, die Thätigkeit^ wo immer sie sich
real von der Potenz unterscheidet, «tets vollkommener ist, als
die Potenz. Würde sich demnach die Thäti^keit Gottes von seiner
activen Potenz unterscheiden, so roüsste in ihm eine größere
Vollkommenheit angenommen werden, als die active Potenz selber
ist. Damit wäre aber dann Gottea Wesenheit und active Potenz
vervollkommnungsfähig durch den Act, die Thätigkeit, was ent-
schieden in Abrede gestallt werden muss. Die Thätigkeit Gt^ttes
unterscheidet sich weder von seiner Wesenheit, noch von seiner
activen Potenz real: Sie kann somit nicht vollkommener sein,
als die Potenz (ib. ad 2.J. Die Potenz ist darum* in Gott zwar
l^rincip des pflFectes, der Wirkung, aber unter keiner Bedingung
real unterschiedenes Princip der Thätigkeit Velber, weil siß mi^
der Wesenheit und der Thätigkeit selbst real identisch sich zeigt.
In den Creaturen aber ist sie beides, sowohl Princip der Thätig-
keit als auch des Effectes (ib. ad 3!). .
Die Thätigkeit Vles Willens der Geschöpfe Inuss ein acci-
dentelles Seiende (ens accidentale) genannt werden. Als imma-
nent es* Seiende inhäriert si0 der activen Potenz und bildet
folglich eine accidentelle .Vollkommenheit eben dieser activen
* Potenz. Daher bemerkt der englfsche Lehrer, in den Wesjen, in
denen die Potenz real von dem Acte^ der Thätigkeit sich unter-
scheidet, s6i der Act stets vollkomni'ener als die*Potenz. Dieser
.Ausspruch kann nicht den Sinn haben, dass die Thätigkeit als
Wirkung, alsEffect yollkofimener sei, denn die active Potenz.
In diesem Falle hätten wir ja.. etwas in der Wirkung, was nicht
in der^ Ursache war. Keine Ursache kann etwas Vollkommeneres
hervorbringen, als sie selber ist. S. Thomas will somit nur sagen,
die Thätigkeit inhäriere als Aecidenz der activen Potenz und bilde
darum fiir dieselbe eine VollkonamenBeit. Die active Potenz ver-
halte sich demnach, diesem Accidens geg^ntiber passiv, weil sie
Hubject ist, welchem dieses Accidens inhäriert. Da nun' der Aet,
in welcher Weise immer genommen^ volk'ommener ist, als .die
passive Potenz, und die Thätigkeit, der Act der Potenz 'als ein.
Aecidenz derselben inhärrert, die active Potenz sich diesbezüg-
lich passiv verhält, so ihuss uoth.wendig ^ie Thätigkeit des
Willens vollkommener sein als die active Potenz oder der
Wille in adu. In Gott sind Wesenheit, Potenz und Act in d^r
Wirklichkeit ein und dasselbe. Der Act kann folglich nicht voll-
kommener sein als die Potenz. Ebenso mass -man sagen: in
Gott kann die Thätigkeit in der Wirklichkeit nicht vollkommener
sein als die Potenz, denn in diesem Falle wlirde'die Potenzsich
real vom Acte unterscheiden. Aus dieser Lehr^ folgt mit strengster
Nothwendigkeit, dass in den Geschöpfen, zum Unterschiede von
• •
73
Gott, dieactive Potenz nnd der Act oder die Thätigkeit sich real
unterscheiden. Keine Greatur ist in irgend einer Hinsicht Gott gleich.
In scharfsinniger Weise legt der heil. Thomas aus der Begriffs -
bestimmang der Potenz dar, dass in .Gott keine passive Potenz
sein*könne. Er sagt: „Der Name ^Potenz' wurde zuerst gebraucht;
Uffl damit' die Macht (potestaiem) eines Menschen zu bezeichnen.
Demgemäß nennen wir manche Menschen mächtig (potentes), wie ,
Avicenna bemerkt. Später wurde dieser Name auch auf die Natur-
dinge übeirtragen. Mächtig nennen wir jenen Menschen, der ohne
Hindernis thun kann, was er will. So yiel er Hindernisse findet,
am so viehwi\*d seine Macht, die Potenz vermindert. Das Hin-
dernis einer Potenz, sei sie den Naturdingen oder den freien Ge-
schöpfen angehörend, besteht darin, dass sie von einem andern
etwas aufnahmen, also leiten (pati) kann. In der ersten Bedeu-
tung besagt demnach die Potenz soviel als: „nicht leiden können^
(non passe patij.h Daraus lässt sich nun die vollkommene Macht
oder Potenz Gottes ohne Mühe .ableiten. Zunächst bewirkt er alles,
und dies ^ommt ihm zu, * weil hr reiner, vollkommener Acl ist,
denn. nichts wirkt, wenn es nicht ein ttäu Seiendes ist. Er nimmt
aber auch nichts^ auf (non patüur), und^ zwar deshalb, weil ^r
.reiner Act ohne Beimischung eines Stofflichen, einer
Potentialität ist. Jedes, Ding leidet,* ist aufnehmend auf Gmind '
eines materiellen, passiven Principes (l.dist. 42. q. t. a. 1.). Was
der englische Meister hier Materie nennt, bedeutet nicht den Stoff •
allein, da hätte der. Beweis desselben sehr wenig Sinn. In diedem
Falle wäre auch der Wille des Meuächen 'reiner Act (actus purus)
daher immer in actu, was S. Thomas jedoch bestreitet,* indem er
Gott den Creatüren gegenüberstellt. Materie, materiell ist folglich
bier soviel als passiv, empfangend, aufnehmend. Qott als j*einer
Act ist also weder mit Bezug auf die active Potenz aufnehmend,
'seine Thätigkeit bildet nicht ein der activen Potenz inhärierendes
AcciHens, noch ist er im Zustande der passiven' Potenz verglichen
mit der activen, weil er als reiner Act nicht * etwas aufnehnien
kann, wodurch er vom passiven Zustande in den aktiven über-
geführt' würde. Er hat überhaupt kein au&ehmendes Subject in
sieb. Bei den .Creatüren muss. folglich, weil sie den Gegensatz
zu Gott bilden, das Umgekehrte zutreffen.
Eifien anderen * Beweis dafür, um mit diesem zu schließen,
dass in Gott keine passive Potenz sein kann, führt der englische
Lehrer noch an, nämlich: weil i|i Gott keine Bewegung möglich
ist. Gott ist nicht. durch Bewegung thätig. Nach Avicenna ist das
.geschaffene Agens durch eine Bewegung thätig. Jede Bewe-
gung aber ist eine Thätigkeit desjenigen, was in der Potenz
sich befindet (ib. ad 3.).. Dazu vergleiche man: 1. contr. Gent.'
c. 16. — 2. contr. Gent. c. 7. — ib. c. 25. n. 1. — ^ de veritate q. 22.
a. 6. ad 3. — de potentia q. 1. a. 1. c. ad 4. 6. 7. -r ib. q, 7. a. 1/
— 74
Es unterliegt demnach gar keinem Zweifel, dass der Wille
Gottes weder eine passive Potenz besitzt gegenüber der activen,
dass er folglich nicht manchmal agens in potentia, manchmal agens
in actu sein kann: noch auch verhält sich seine active Potenz
passiv mit Bezug auf seme Thätigkeit. Denn obgleich «sein
Wiilensact immanent ist, so bildet er doch nicht ein Accidens,
^ welches der Potenz inhäriert, sondern er ist in der Wirklichkeit,
real die Potenz selber. Damit ist der passive Zustand der Potenz
hinsichtlich ihres Actes ausgeschlossen.
Nichtsdestoweniger muss behauptet werden, dass Gott voll-
kommen frei ist. Daraus folgt zur Evidenz, dass das. Wesen der
Freiheit an und für sich genommen nicht in der passiven
Potenz begründet sein kann.
35. Dritte Proposition: Die eigentliche und formelle In-
differenz, durch welche die Freiheit constituieii; wird, ist die
active; in den Geschöpfen ist jedoch diese active «Indiffe-
renz- mit einer*Potentialität oder passiven Indifferenz verbunden.
'Das freie Vermögen besagt in seiner ersten Bedeutung, dass
ein Wesen die Macht hat thätig zu .sein, einen Act zu vollziehen,
oder ZH unterlassen. Wir haben vorher gehört, wie S. Thomas den
Namen: ,Potenz^ bestimmt. . Potenz bedeutet Macht; mäohtig ist
derjenige, der thun kann,- was er will, ohne ä!uf ein Hindernis zu
stoßen. Hier wird ausdrücklich die Thätigkeit oder Unthätig-
keit als für die Potenz charakteristisch hervorgehoben. Durchwegs
ist dem englischen Lehrer die aative Potenz dasjenige, wodurch
ein Effect, eine Wirkung hervoi^ebracht wird. Dies bedeutet aber
thätig sein. Die passive Potenz dagegen nimmt die Einwirkung,
den Elffect oder die Thätigkeit eines andern Agens in sich auf.
Sie ist darum nicht thätig, sondern leidend. Sie kann nicht
thun, was sie will, denn sie hat ein Hindernis in sich, eben
diesen pasi^ivein Zustand. Nicht beeinflusst werden, nicht leiden'
können, bildet das beste Zeugnis ftir die Mächt und folglich für
die Freiheit eines Wesens, wie wir es in Gott sehen. Diese Voll-
kommenheit, aber ist an und für sich der activen Potenz eigen.
Diese gibt, theilt, indem sie wirkt, ihre Ähnlichkeit andem'Dingen
mit, ohne zu empfangen, von andern etwas aufzunehmen. Sie ist
darum im höchsten Grade frei.
Zu demselben Resultate gelangen wir bei der Prüfung des
Wortes: Herrschaft (dominium). Der englische Meister behauptet
fortwährend, der Wille der vernünftigen Geschöpfe sei frei, inso-
fern er Herr seiner Thätigkeit, seiner Acte ist (1. 2. q. I. a.l. ad 2.).
Die Freiheit wird- nach ihm eine Macht (faculUisJ genannt, wo-
durch einem etwas zur Verfügung steht, wodurch etwas sich unter
der Herrschaft des Besitzers befindet. Darum heiBen die Besitz-
thümer ebenfalls facultates, weil der Besitzer nach seinem Belieben
darüber verfllgt. Unter der Herrschaft der Freiheit kann aber nur
— 75 —
die Herrschaft Über den Act, die Tbätigkeit versUiüdeii werden
(2. diet24. q. 1. a. I. ad 2.). Weil wir dieses und jenes atiswäbleii,
Terschiedeue Wablaote rollzieben können, deshalb sind wir Herr
ooaerer Thätigkeiten (1. p. q. 82. a. 1. ad 3.). Die Eigenschaft,
Herrin der eigenen Acte zu sein, kann unmöglich der ;)aaäiven
Potenz, dem agms in potentta zukommen. Die passive Potenz ist
ja empfangend, aufnehmend, nicht gebend, mittheilend. Sie kann
nicht über dasjenige verfllgen, was sie gar nicht besitzt, was sie
sich zu verschaffen anßerstande ist.
Die passive Potenz vennag in der That eineu Act nicht
hervorzubringen, weil sie unvollkommen ist. Ein jedes Wesen
aber Übt eine Tbätigkeit ans, wenn es vollkommen. Diese Voll-
kommenheit besteht nach dem Doetor Angelicus darin, dass etwas
in adu, agens in actu ist. Den Beweis für diesen Satz haben wir
m unsem kritischen Bemerkungen zu der Broschüre Sr. Eminenz
Cardinal Peccis, Seite 28, erbracht. Alle Augenblicke 8tol3t mau
m den Werken des englischen Heisters auf die Worte : ein Ding
seithätig, insofern es sich in actu befindet. Die Bezeiiljinmg: iti
actu, in der, Wirklichkeit darf nicht in dem Sinne vuu existent '
genommen werden. Dass ein Wesen, wdohes nicht esittiiert, auch
uicht thätig sein könne, braucht kaum cr»t bewiesen uder beson-
ders betont zu werden. Das agens in actu, d. h. t» actit operativo
ist somit die active Potenz; denn diese besitzt jene Vollkommen-
heit, die nothwendig ist, damit der Effect, die Tbätigkeit hervor-
gebracht werde. Solauge daher der Wille der vernünftigen Ge-
Bchüpfe Dicht in der Wirklichkeit, sondern bloB der Möglichkeit
.nach thätig ist, kann man von ihm nicht sagen, er sei Heri- seiner
Acte, ihm stehe es formell frei, thätig' oder nichttbätig zu sein.
Die passive Potenz als solche ist vielmehr zur Unthätigkeit be-
stimmt. Sie besitzt bloß eine mögliche Tbätigkeit. Dies kommt
ihr wesentlich und formell zu. Hierin nnterseheidet sicli aber der
'Wille weder von den Naturdingeu noch von dem Streb evetmögeu
der Thiere. Alle Geschöpfe ohne irgendwelche Ausnahme besitzeu
neben dem Wesen noch Vermögen, oder Potenzen, die von sich
selber nicht in Tbätigkeit Übergehen, -sondern, wie äicb g{)atei'
herausstellen wird, von Gott in Bewegung, in Tbätigkeit gesetzt
werden müssen. In diesem . allea Creaturen gemeiDsamen pas-
siven Zustande kann demnach die Freiheit des Willens nicht
ihren formellen Grund haben. Der Unterschied zwischen tVei und
nichtfrei liegt vielmehr in einer besondern BescbafTeubeit der
activen Potenz, des Willens in actu, der seine Tbätigkeit aus
selbsteigener Bestimmung ausübt oder uuterlässt, das Tbätigseia
dem Unthätigsein vorzieht oder umgekehrt-
36. Der zweite Theil der Proposition ist ans dem klar, was
oben gesagt wurde über das Verhältnis der Tbätigkeit. «äes Actes
zu der activen Potenz in den Creatoren. Die active Potenz unter-
•
— 76 —
scheidet sich der Wirklichkeit nach (real) von ihrer Thätigkeit
in allen geschaffenen Dingen. In Gott allein ist dieser Unterschied
nicht ein wirklicher. Diese Thätigkeit des Willens ist jedoch nicht
etwas von der Potenz Getrenntes, sondern derselben imma-
nent. Die Potenz verhält sich demnach zu ihrer Thätigkeit wie
das Subject und ist folglich in dieser Beziehung aufnehmend oder
passiv. Die Thätigkeit selbst bildet flir die active Potenz eine
accidentelle Vollkommenheit. Daher bemerkt der englische Meister:
„Der activen Potenz entspricht* die Thätigkeit oder'Action, und
durch diese Thätigkeit wird die active Potenz vervollständigt.
Ebenso wird das, was gleichsam als Vervollkommnung und Gom-
plement der passiven Potenz entspricht, Act genannt. Aus diesem
Grande heißt jede Form Act, auch die von jeder Materie ge-
trennten Formen, und Gott, das Prificip der Vollkommenheit eines
jeden Dinges, wird erster und reiner Act genannt. Ihm kommt
jene Potenz am meisten zu. (Sicut potentiae activae respondet ope-
ratio vd actio, in qua completur potentia activa, ita etiam
illud, quod respondet potentiae possivae, quasi perfectio et comple-
tnentum, actus dicitur. Et propter hoc pmnis forma f^t^s diciti^r,
etiam ipsae formae separatäe, ^t illud, quod est principium perfecüonis .
totius, quod eet Deus, vocatur cu^tus primus, et purus, cui maxime
illa potentia conmnit. l. dist. 42. q. 1. a. 1. ad. V). Wenn also ge-
mllß der Lehre des heil. Thomas die Thätigkeit ein Complement *
der activen Potenz ist, so kann diese Potenz offenbar nicht in
der .Wirklichkeit oder real dasselbe sein wie die Thätigkeit. Die
Potenz kann u Amöglicb durch sich selber ' complet werden.
Weiters folgt daraus, dass die active Potenz mit Bezug auf
ihre Thätigkeit im «passiven oder aufnehmenden Znstande sich
befindet. 8ie ist in der Potenz zu ihrem Complement, was nur
. zutrifft, wenn sie sich' passiv verhält, und durch die Thätigkeit,
dieses accidentelle vSeiende ver\t)llkommnet, complet *wird. .
Der Beweis für- diese Wahrheit lässt sich indessen noch in'
eine andere Form kleiden. Der Wille wird dadurch, dass er in
Thätigkeit übergeht, verändert. Manchmal ist er ja unthätig, wie
jedermann weiß, und er hört auf, thätig zu sein; selbst Wenn er
es früher gewesen ist.. Eine Veränderung lässt sich aber schlechter-
dings nibht denken außer auf Grand einer Potentialität, eines
passiven Zustandes.
In Gott, haben wir früher gesehen,' verhält sich die Sache
anders. Seine Thätigkeit ist nicht ein Complement' der activen
Potenz, sondern diese selber. Sie verhält sich darum nicht wie
ein Accidens, das einem Subjecte inhäriert. Kurz und schön hat
'S. Thomas sich an einer Steile darüber ausgesprochen : „Ad utrumr
übet enim esse alicui virttäi potest convenire dupliciter: uno modo
ex parte sui; alio modo ex parte 'ejus ad quod dicitur. Ex parte
quidem sui, quando nondum consecuta est suam perfectionem, per
t7 —
\
quam od unum cteterminetur, Unde hoc in imperfectionefh virtutis
redundat, et attenditur esse pi)tentißlitas in ipsa, sicutpatet in
inteUectu dübitantis, qui nondum cfssectUus est principüi, eoi quibm ad
alterum determinetur. Ex parte autem ejus, ad quod dicitur, invenitur
dliqua virtus ad utrundibet esse, quando perfecta operatio vitiutis a
neutro dependet, sed tarnen utroque uti potes^, sicut aliquis, qui diversis
instrumentis uti potest aequcditer ad idenC optis perficiendum. Hoc
autem ad, imperfectionem viHutis non pertinet, sed magis ad ejus
eminentiam, in quantum virumlibet oppositorum excedü, et bb hoc
detenninatur ad neutrtfm, sed cuH utrumlibet se habet.
Sic atdem est in divina voluntate respectu aliorum ase, Nam
finis ejus a nulh aliorum dependet, cum tarnen ipsa suo fini sUper^
feäissime unita. Noti igitur oportet potentialitatem aliquam in
divina voluntate ponere.
Similiter autem nee mutabilüatem, Si enim in divina voluntate
nuUa est poterdialita^, non sie absque necessüate alterum oppositorum
praeaccipü circa sua causata, quctsi consideretur in potentia ad
iärumque, ut primo sit volens potentia utrumque, et postmodum volens
aäu, sed semper est volens actu quidquid vuU, non solum circa se,
sed etiam drca causata. Sed quia volitum non habet necessarium
otdinem ad divinam bonitatem, quae est proprium objectum divinae
voluntatis, per modum, quo non necessaria, sed possibilia enuntia-
büia dicimus, cum non est necessarium ordo praedicati ad subjectum
(1. conti*. Gent. c. 82.). Es zeigt sich also wiederum, dass der ei^-
lische Lehrer in Qott allein jede Potentialität oder Passivität
bestreitet. Jedes Geschöpf muss folglich seine Vermögen^ Potenzen
mit einer Passivität, P^tentialität vermischt haben; denn darin
besteht der contradictorische Gegensatz zn Gott, den S. Thomas
offenbar in allen seinen Werken betonen will.
37. Vierte Proposition: Die active Indiflferenz, welche
per se und wesentlich constitutives Princip der Freiheit ist, bezieht
sich eigentlich nur auf die Thätigkeit, den Act (indifferentia contra-
diäionis vel exercitii), nicht auf den Gegenstand (indifferentia contrarie-
tati^seu specificcUionis). Letztere gehört nur per accidens zum Wesen
der Freiheit, indem sie nämlich erstere einschliesst, für erstere
die Grnndla^ bildet.
Das Hauptgewicht legt S. Thomas, die Freiheit erörternd,
immer darauf, dass der Wille die Herrschaft über seine Thätig-
keit, seinen Act besitze. Den Gegenstand, das Object, auf welches
dieser Act gerichtet ist^ lässt er dabei häufig ganz unberührt.
Schon daraus muss folgerichtig geschlossen werden,* der englische
Lehrer betrachtet die Indifferenz thätig oder unthätig zu sein als
innem formell constitutiven Grund der Freiheit. Er spricht sich
übrigens ganz unzweideutig darüber aus. So erklärt er unter
andern: „Keiner Creatur wurde die Gabe verliehen, noch auch
war diese Gabe irgend einer Creatur mittheilbar, vermöge der
••
>•'
- 7^ -
Eigenschaften ihrer Natur nicht fehlen za können. Der
Grund d^fttr ist folgender: Jedes geschaffene Wesen hängt in
seinem Sein von Gott als seiner Ursache ab. Wird es sich selber
überlassen, so muss es zugrunde glehen. Solange es den Einfluss
der Ursache in sich aufnimmt, hat es Bestand. Diese Abhängig-
keit (applicatio) des Verursachten von der Ursache kann nun
zweifacher Art sein. Es 'liegt entweder in der Macht des Ver-
ursachten einigermassen (qtmfUum ad aliquid) von seiner Ursache
abzuweichen- oder nicht abzuweichen, oder es steht überhaupt
nicht in der Macht des Verursacivten, davon abzugehen. Ersteres
gehört zur Freiheit, denn der Freiheit kommt es wesentlich
zu, dass sie etwa« thun oder nicht thun könne. Wenn
nun die Creatur ihrer Ursache nicht anhängt, so muss sie fehlen.
Darum war es unmöglich, dass einem Geschöpfe unter Beibehal-
tung der Freiheit die Gabe zutheil würde, ihrer Natur nach
nicht fehlen zu können. Dies wäre ein Widerspruch, weil es der
Creatur gemäß ihrer Freiheit eigen ist, ihrer Ursache an-
hängen oder nicht anhängen zu können. Wenn sie aber
nicht fehlen, nicht sündigen kann, so kann sie ihrer Ursache nicht
nicht anhängen. Und darin liegt der Widerspruch zwischen frei sein
und nicht fehlen können (2. dist. 23. q. 1. a. 1.). Diese Stelle be-
weist klar, dass der englische Lehrer das Wesen der Freiheit in
die Macht thätig oder nichtthätig zu sein setzt. Das Merkmal,
dij^s eine Substanz die Herrschaft über ihre Thätigkeiten besitzt,
ist daraus erkennbar, dass sie thätig oder nicht thätig sein kann,
und dieses .Merkmal hat der Wille in sich (2. contr. Gent. c. 49.).
Dadurch unterscheidet er sich von den ^aturdingen und den
Thieren (de veritate q. 22. a. 6.). Das Princip, wodurch die Frei-
heit formell constituiert wird, muss darum in der Indifferenz für
die Thätigkeit oder Unthätigkeit des Willens gesucht werden
(quo(id exercitium actus oder contr adictionis).
Die andere Indifferenz, qtwad specificationem, hinsichtlich dieses
oder jenes Objectes bewirkt nicht, dass der Wille mehr Herr
seiner Acte sei. Im Gegentheil, diese findet sich auch in gewiaser
Beziehung im Thiere. Die sinnliche Erkenntniskraft stellt auch
Thieren viele und verschiedene Gegenstände ^or, die be-
gehrenswert sind, wenngleich in geringerer Anzahl als jene ist,
^ die von der Vernunft vorgestellt wird. Immerhin liegt bei den
Thieren die Möglichkeit vor, diesen oder jenen (Gegenstand za
wählen. Allein ganz und gar unmöglich ist es dem Thiere, den
vorgestellten Gegenstand zu begehren oder nicht zu be-
gehren, eine Thätigkeit zu vollziehen oder nicht zu vollziehen.
Darum bemerkt S.Thomas mehr als einmal, das Schaf müsse
fliehen, sobald es den Wolf erblickt. Den Grund haben wir schon
früher gehört. Einerseits ist es die Veränderung des Organs in-
folge der Einwirkung des äußeren Objectes, worauf die noth-
. ,• , ^ 79 *-. . . . ^
wendige Meignng des BegehrangBTermOgens folgt. Xadererseits
ist es der Schöpfer, der die Tiiiere zur Tbätigkeit bewegt, o b tt e
dass die Thiere sich sejlier dazu bestimöiei]. Ans diesem
•Grauile handeld sie eben nicht frei, sonderib aothwendig. Hiu-
geg^en -Regt es in. ihrer Macht, nach mehreren Gegeustäaden
in streben. Hierin äind sie ■ nicht zn einem einzigen bestimmt.
Daraus folgt zur ETvidenz , dass die Freiheit f o r m e 1 1 und
wesentlich in der Indifferenz thStig oder nicht thätig zu sein
besteht
Die Herrschaft des Willens wird darch die Indifferenz für
verschiedene Objecte nicht erweitert, wird hiebt größer, als sie
es dnrch die Indifferenz fUr verschiedene Thätigkeiten ist.
Die Freiheit qnoad exerdtium actus ist viel uneingeschräukter als
jene, hinsichtlich der Oegenstände oder quoad specificationem.
Erstere besitzt der Wille nach der Lebre des englischeu Meisters
in j e d e m Znstande der Natur und mit Bezug auf jedes Object
(de veritate q. 22. a. 6.), letztere dagegen nicht Das Hauptobject,
das Gnt und die Glückseligkeit im allgemeinen, mnss der Wille
objectiv begehren. Daher ist er in dieser Beziehung nicht frei.
Dafllr ist er vollkommen frei nach diesem Gut a e t u e 1 1, in der
Wirklichkeit zu streben oder nicht zu streben, eine Tbätigkeit zu
entwickeln oder zn unterlassen. Diese Freiheit hat er in jedem
Zustande und in Betreff eines jeden Gegenstandes, solange wir
hier auf Frden leben. Eine Spontaneität, eine nothwendige
Neigung des Willens zn seiner eigenen Tbätigkeit existiert fUr
ibn nicht. Dies wäre direct gegen seine natürliche Neigung, und
darum, vie wir oben in der Abhandlnng über den Willen als
Natur nachgewiesen haben, Gewalt nnd Zwang. Darum lehrt
S. Thomas, der Wille strebq nach dei^ soeben genannten Objecten
mit Notbwendigkeit, wenn er die Gegenstände begehrt,
voransgesetzt, daas er sie thataächlich will (t.2. q. 10. a. 2. —
de malo q. 6.).
Daraus ist unschwer zu ersehen, dass die Freiheit thätig od^
onthätig zu sein eine weit gröUere Ausdehnung hat, Somit grfiSer
und unbeschränkter ist, als jene bezüglich der Objecte. Besteht
DQu die Freiheit, in der Herrscbaft nach Belieben zu bandeln oder
nicht* zn handeln, so liegt Bie per se, formell und wesentlich
in der activen Indifferenz quoad exercUium actus, in der Auswahl
seiner Tbätigkeit oder Unthätigkeit.
38. Fünfte Propoeition: Diese aetive Indifferenz in Be-
treff der Tbätigkeit oder Unthätigkeit schließt per acddens jene
hinsichtlich der Objecte in sich und if^ngt per ac(ndetis von der-
selben ab.
Die objeetive Indifferenz erfolgt daraus, dass die Vernunft
als Erkenntnisvermögen einen Gegenstand indifferent, d. b. als
partielles Gnt außasst nnd dem Willen vorstellt. Das Urtheil der
f
, , .. . _^ 80 — • ' *: .
YernanftistMDdifferent^ indem es lautet, dieses Object könne be-
gehrt od^r auch nietet b*egebrt werdisn. Der Wille könne dasselbe
bege*hren, weil es tthfei 1 weise gut igt,* etwas vom Gut m Bich
bat, er könne abe« auch nicht darnach* streben*,, weil es *t heil-*
weise nicht ein Gut bildet. 'Dieses Urfheil kommt der Vernunft,
nieht dem Willen zu. Für den Willen ist es^ daher per aecidem^
nicht per» se, dass der Gegenstand als ein indifferenter er-
scheiut. Man dsflrf nicht vergefecen, dass es sich bei der Willens-
thätigkeit, wodurch ein Gegenstand in der Wirklichkeit begehrt
wird, eigentlich um zweiObjecte handelt. Nicht nur der äußere
Gegenstand, wenn Wir ihn so nennen wollen, sondern der eigene
Act des Willens selber ist Object. Nehmen wir einmal an, die
Vernunft stelle dem Willen das Gut und die Glückseligkeit im
allgemeinen vor. Dieses Gut nennen wir das äußere Object. Sie
wird ihm aber auch vorstellen, es sei gut, nach diesem Objecte
in der Wirklichkeit, actuell zu streben. Dieses Object ist
das innere. Das innere verhält sich zum äußern wie das Mittel
zum Ziel. Das eine ist allgemeiner, das andere particulärer
Natur. Daher strebt der Wille nach dem einen objectiv, mit
Nothwendigkeit, nach dem andern dagegen mit vollkommener
Freiheit. Subjectiv, quoad exercitium actus, strebt er nach
beiden, insofern sie wirklich existierende Objecte sind, ganz und
gar frei. Und warum dies?
Die Vernunft sagt ihm allerdings, es sei gut dieses oder
jenes zu thnn, so oder anders zu handeln, um glücklich zu sein,
um die Glückseligkeit im allgemeinen zu erreicnen. Allein sie
kann dem Willen ebenso sagen, es sei besser, dieses oder jenes
nicht zu thun, es sei besser, gar nicht zu handeln, sondern nn-
thätig zu bleiben. Die Glückseligkeit im allgemeinen existiert für
uns in diesem Leben nicht in irgend einem bestimmten Objecte,
und die Thätigkeit, der Willensa et ist nicht das einzige Mittel,
um glücklich zu sein. Der Wille kann, durch irgend eine Neigung
vx)n Seiten der Leidenschaften u. s. w. beeinflusst, den Verstand
bewegen, nibht nachzudenken, die Gedanken davon ab- und
anderswo hinzulenken. Der Wille kann die Vernunft bewegen,
ihm durch ihr letztes praktisches Urtheil, die Sentenz, die Untbätig-
keit als höheres Gut denn die Thätigkeit darzustellen. Dass
dem Willen dieses freisteht, unterliegt keinem Zweifel, deiiu
die Thätigkeit wie die Uüthätigkeit sind particuläre Güter,
und keines derselben bildet den einzigen Weg, das einzige
Mittel zum Glücke. Das einemal wird es die Thätigkeit, das andere-
mal die Unthätigkeit sein^ worin der Wille sein Glück sacht
und findet.
Aus all dem ist ersichtlich, dass die eine Indifi^erenz eigent-
lich die andere einschließt und die subjective per accidens von
der objectiven abhängt. Der Wille ist subjectiv, quoad exercitium
— 81 —
actus frei, weil ihm die Vernnnft seine eigene TUätigkcic als ein
iudifferenteB Gut daratellt. Darum kano er zwiscfaeo seiner TLätig-
keit und Unthätigkeit wählen. Dadurch ist die Freiheit weseut-
lieb und formell gewahrt.
Wo immer der englische Lehrer von der Freiheit Gottes
spricht, da führt er dieselbe zurück auf die "[Ddifferenz mit Bezug
auf die Thätigkeit. Gott ist frei, indem er wollen kaun, dass
dieses oder jenes sei oder nicht sei, gleichwie wir sitzen wullen
oder nicht wollen können (1. p. q. 19. a. 10. ad 2.). Gott liestiiumt
sich seine Thätigkeit selber, sie wird nicht von einem andern
bestimmt. Er ist darum im wahren Sinne fverissimej Herr seiner
Werke (2. disL 25. q. 1. a. 1. ad I.). Zur Freiheit gehöit, dasa sie
einen Aet ausüben oder nicht ausüben künne, und dies ist bei
Gott der Fall. Das Gut, welches er wirkt, kann er uuch nicht
wirken (1. c. ad 2.}. Er ist somit indifferent fUr vieles. ^Ulerdings
Ut es nicht in der Weise zu verstehen, daag er jetzt etwas will
und später nicht will, weil das seiner Unveränderlichkeit wider-
spricht, aondem es uiuss in dem Sinne verstanden werden, dass er
dieses wollen oder nicht wollen kann (de veritate q. 24. a. 3. ad 3.),
Wir glauben hiemit zur Genüge dargethan zu haben, dass
die Wahlfreiheit per se, wesentlich und formell in der Indifferenz
bezüglich der Thätigkeit oder Unthätigkeit (iadifferentia cotUradic-
tionis) besteht. Die IndifTereuz mit Bezug auf die verscliiedeuen
Gegenstände (indiffereniia contrarietatis oder specificationis) bildet
zwar die erste nnd entfernte Grundlage, die radix lüm-tatis, aber
formell und wesentlich die Freiheit ist sie nicht. Nichts-
destoweniger ist diese Indifferenz für die Freiheit nothwendig.
39. Wie verhält es sieb nun mit der Behauptung, dass die
Doctrin der Thomisten die Freiheit in ihrem Bestände verletze?
Die Antwort darauf ist leicht zu geben.
Es wurde bereits dargethan, dass der Wille, wenngleich er
in od« oder agens in actu ist, sieb doch noch seiner eigenen
Thätigkeit gegenüber passiv verhält, weil diese Thätigkeit ein
aecidms ist, welches dem Willen als seinem Snbjecte inhäriert.
losofern diese Thätigkeit Wirkung oder Effect des Willens ist,
befindet sieb letzterer nicht in der Potenz zu ihr, verhält er sich
ihr gegenüber nicht passiv, sondern aetiv. Er bildet vielmehr
die wirksame Ursache dieses Effectes. Passiv ist der Wille
nur insofern die Thätigkeit ein accidena ist und dem Willen im-
manent inhäriert. Allein der Wille muss noch in einer andern
Beziehung passiv genannt werden. Er hat nämlicb von Natur aus
gar keine Thätigkeit. Aus nnd durch sich selber ist er nicht
actives Princip, active Potenz oder agens in actu. Er besitzt
bloß das Vermligen thätig zn sein. Diese Eigenschaft ist ihm
übrigens mit allen andern Geschöpfen gemeinsam, kommt nicht
ibm allein zu. Von den Naturkräflen unterscheidet sich iudesi^en
Feldner, WillenBtreibeit. <i
— 82 —
der Wille dadurch, dass jene nach dem eraten Anstoße von Seiten
Gottes ununterbrochen thätig sind, unausgesetzt wirken, solange
sie kein Hindernis finden, während dieser nur zeitweilig thätig ist
Er ist, wie S. Thomas bemerkt, quandoque agens in jpotentia^
quandoque c^gei^s in actu. Wenn es nun die allen Geschöpfen
gemeinsame Eigenschaft ist, aus und durch sich selber ohne
Thätigkeit zu sein, so kann in dieser Unthätigkeit die Freiheit
des Willens nicht liegen. Das Gemeinsame bildet niemals zugleicb
den Unterschied von andern. Das bloße Vermögen, die reine
Potenz eine Thätigkeit auszuüben, ist somit nicht die Differenz,
wodurch sich die freien Creaturen von den unfreien unterscheiden.
Zur Freiheit gehört, dass der Wille eine Thätigkeit vollziehen
oder nicht vollziehen könne. Solange der Wille passiv, bloßes
Thätigkeits V e r m ö g e n ist, steht es nicht in seiner Macht, eine
Thätigkeit nicht zu setzen. Er m u s s vielmehr in der Unthätig*
keit bleiben, weil dies der ursprüngliche, natürliche Zustand des
Geschöpfes ist.
Der englische Meister findet den Vorzug der vernünftigen
Wesen, nämlich die Freiheit darin, dass sie sich selber be-
stimmen. Er spricht nicht vom bestimmen können, obgleich
das Können, die Fähigkeit vorausgehen muss. Noch deutlicher
sagt uns dies die Herrschaft über die eigene Thätigkeit Hen
über etwas ist jemand erst dann, wenn er es in der Wirklichkeit
besitzt, so dass er darüber frei verfugt. Der Wille als Vermögen,
als Potenz hat aber keine wirkliche Thätigkeit, sondern bloß die
Fähigkeit dazu. Von einer Herrschaft kann somit nicht die Rede
sein. Der Wille als agens in potentia kann folglich über die
Thätigkeit oder Unthätigkeit nicht frei und nach Gutdünken
verfügen, sich selber dazu bestimmen.
Anders verhält sich die Sache, sobald der Wille in actu,
agens in actu ist. In diesem Falle ist er wirkliche Ursache,
actu caiisans. Die Ursache enthält in dem Momente, wo sie etwas
verursacht, den Effect in sich, denn der Effect geht aus ihr hervor.
Die Thätigkeit ist nun ein Effect des Willens, wie S. Thomas
beständig lehrt, und sie geht aus dem Willen als ihrer Ursache
hervor. Sie muss folgerichtig im Willen enthalten sein. Dies aber
ist erst dann der Fall, wenn der Wille active Potenz, actives
Princip oder agens in actu ist. Der Wille besitzt demnach die
Herrschaft über seine Thätigkeit, und bestinunt sich selber zn
dieser Thätigkeit, sobald tx prindpium activum ist. Diesem Princip
entspricht der Effect, die Thätigkeit.
40. Zur freien Thätigkeit des Willens gehören demnach zwei
Dinge, von denen das eine die Potenz oder den actm primus,
das andere die actuelle Ausübung der Thätigkeit angeht. Von
Hciten der Potenz wird gefordert und genügt die Fähigkeit oder
das Können, d. h. die Macht fpotestasj zu den beiden entgegen-
geeetzten Extremen: z. B. die Fähigkeit zu wollen, niclit zn wollen,
zu lieben, nicht zu lieben. Diese Fähigkeit, dieses Können «bildet
die Grundlage ftlr die Freiheit. Ein% Thätigkeit ohne das Ver-
mögen, ohne die Potenz* tou welcher diese ThStigkeit aosge'ht,
lässt sich absolut nicht denken. Von seiten der wirklieben Ent-
laltnng einer Thätigkeit wird verlangt, ilasB die Boeben genannte
Potenz sich aetuell za einem der beiden Extreme appliciere,
während es zn.-dem andern 'nicht geecbieht. Beiden zugleich
taun die Potenz nicht appliciert werden, denn eine and dieselbe
Potenz Termag nicht zwei Tbätigkeiten zugleich auBzaUbeo, noch
* aacb zugleich thätig und uathätig zu sein. Bei dieser aetnellen
Applioierung njass jedoch die Potenz fUr das Gegentheil intact
bleiben, sie darf dadurch nicht aufgehoben werden.
Untersachen wir nun diese Bedingungen der Wablfreiheit
etwas näher. Ea wurde früher gesagt, die objective Indifferenz
Bei notfawendig für die Freiheit, obgleiob sie die Freiheit per ae,
wesentlich und formell nicht eonstitaiert So pft demnach der
Wille frei handelt, muss'ein zweifaches, formell oder virtuell
QQterBchiedeneB Urtheil von selten der Vernonft vorausgeHen. Das
eine legt indi^eient ,die. beiden Extreme vor, zwischen "welehen.
eine Wahl stattfinden* die freie Thätigkeit vollzogen werden soll.
Das eine wie das andere dieser Extreme muss soviel an Gute
blitzen, dass es begehrt werden kann, begehrenswert erscheint,
zugleich aber auch soviel Mangel an Gute haben, dass es zurück-
gewiesen, nicht augestrebt werden kann. Das zweite Urtheil
schreibt ganz bestimmt und wirksam vor, welcher von diesen
beiden Theilen hie et nunc zn wählen ist. Durch das erste Urtheil
ist der Wille in actu primo {[ei, and er besitzt die Fähigkeit für
beide Theile. Durch das zweite wird er aetuell, i& der Wirklich-
keit auswählend. Durch dieses Urtheil geschiebt die .A^licierpng
des Willens zu einem dieser Theile, anf welchen die Wahi fällt.
In derselben Weise muss die subjectiv freie Thätigkeit des
Willens vor sich gehen. Damit der Wille in actu primo frei sei,
genllgt die Fähigkeit, den einen wie den andern Theil begehren
la können. Indessen geht er dadaroh nicht schon zn einer wirk-
lichen Thätigkeit über. Er bleibt (^ens in potentia. Ist er, wie
wir nabhweisen werden, durch die pmemotio physica agena trf adu,
active Potenz, actives Princip geworden, so wird unfehlbar eine
Tbätigkeit erfolgen,' die auf den einen und nicht auf den andern
Tbeil, auf das Uuthätigsein gerichtet ist. So wenig Uer Wille auf
das letzte praktische Urtheil der Vernunft, die Sentenz hin, für
beide Theile gleich aetuell indifferent bleibt, ebensowenig ist er
als actiTC Potenz, als agens in ort« für die Thätigkeit und Un-
tbätigkeit actu eil gleich indifferent. Zwei actoelle Indifferenzen
zu gleicher Zeit vertragen sieh nicht. Dayiof berubt die Unter-
schejduDg des sen^s compoaitus nnd sensua divisus, die sich im
-'84 -
heil. Thomas ausdrücklich findet, wenngleich sie von manchen
Autoiten nicht verstanden wird (cfr. S. Th. 1. p. q. 14. a. 13. ad 3. —
q.,19. a. 8. ad 1. — 1.2. *q. 10. a. 4. ad 3.). An der zuletzt ge-
nannten Stelle bemerkt der Doctor Angelicus ti*effend : wenn Gott
den Willen zu etwas bewegt, also ans einem agens in potmtia
ein agens in actu macht, so ist es unmöglich, dass derselbe zu-
gleich zu diesem etwas nicht bewegt werde. Allein schlechthin
ist und bleibt es nicht unmöglich. S. Thomas hat hy&r nichts anderes
im Auge, als den senms composittis und den sensus divisus,
Dass die Freiheit darunter keinen Schaden erleidet, ergibt
sich ebenso klar daraus, wenn .wir den Willen ganz und gar
unabhängig sein lassen. Setzt der Wille durch jsich selber eine
Thätigkeit, so ist er nicht zu gleicher Zeit unthätig, und umge-
kehrt. Niemand wird indessen behaupten, der Wille habe in diesem
Falle seine Freiheit eingebüjßt. Das Vermögen, die Potenz für das
Gegeutheil besitzt er dabei ungeschmälert, somit auch die Frei-
heit. Wählt er thatsächlich eines der beiden Objecto, so verliert
er dadurch nicht die Möglichkeit, die Potenz das andere zu wählen.
Zwei Gegenstände zugleich, die ihm unter der Indifferenz vor-
gestellt worden, kann er ebensowenig, wählen, .wie er ui^ht za
gleicher Zeit thätig und unthätig zu sein vermag. Begehrt er
thatsächlich eines der beiden vorgestellten Objecte, so wird
dadurch bloß die objectiv passive, nicht active Indifferehz
aufgehoben. Und übt er in der Wirklichkeit einen Act aus, so
kann damit die subjectiv passive Indifferenz nicht bestehen.
Allein diese Indifferenz, die Unthätigkeit, gehört nicht zum Wesen
der Freiheit. Weder nach dem einen, noch nach dem andern
Gegenstände streben, gehört ebenfalls nicht zum Wesen der
Freiheit. Der Wille ist folgerichtig dann frei, wenn er nach
diesem Objecte sti-ebt, während .er doch nach dem andern
streben könnte, und umgekehrt. Und er ist dann frei, wenn er
thatsächlich einen Gegenstand begehrt, während er ihn anch
nicht begehren könnte, oder umgekehrt.
41. Der passive Zustand ist demnach der Freiheit an und f&r
sich nicht eigenthttmlich, wie wir es ja in Gott sehen, der immer
agens in adu, stets active Potenz, und nichts destoweniger im
höchsten, vollkommensten Grade frei ist. Er kommt aber auch
nicht an und für sich der gebchöp fliehen Freiheit zu. Warum
er sich trotzdem bei der Freiheit der Geschöpfe vorfindet, werden
wir sogleich Vom englischen Lehrer hören.
Den Grund hiefUr erblickt nämlich der heil. Thomas darin,
dass nichts in der Wirklichkeit Existierendes bei den Ge-
schöpfen einfach^ sondern alles zusammengesetzt ist Der
Wille als Vermögen, als Potenz ist darum seiner Natur nach
aus und durch sich seljl>er ganz und gar passiv. In ordine qperatico
gleicht er dem ersten Stoffe, der materia prima. Er kann »alle
. _ 85 — . ■ .
möglicben Objecte wollen, zu einem bestimmten ist er nicht
hingeordnet. Ebenso kann er 'riel'e Acte aostlben oder nicht aas-
Üben, aber zu keiner bestimmten Volluehnng; oder NichtroU-
ziehnng, seiner Tbätigkeit ist er hingeordnet. Dasa dieser Znstand
ein sehr unvollkommener ist, wird jeder begreifen. Er ist so wenig
vollkommen wie der Z.iistand <Ie8 ersten Stoffes ohne die ent- '
sprechende Form nnd Existenz. Dieser Znstand kann folglich nicht
die Freiheit bilden. Frei ist der Wille dann, wenn er nicht bloft
in ordine entitattw, sondern auch in ordme opertUivo existiert,
d.h. wenn er actives Princip, actire Polen» oder agens in actu ist.
Dem Willen als VermOgen fehlt aber in ordine operativo die
Existenz. Diese mnss erst zn dem Vermögen hinzukommen,
dasselbe actuierend nnd ans ihm ein agens in actu constituieren.
Daraus folgt aber dann, dass die actire Potenz etwas Znsammeu-
geselztes ist ans dem Potentialen oder der Potenz nnd demjeni-
gen, wodurch das Potentiale in ordine operntivb formell in actu
ist oder existiert. Wir haben hier ganz dieselbe Zusammensetzung
wie bei der Wesenheit in ordine entitativo. Die Wesenheit ist das
Potentiale, das dnrcb die Existenz formell in actu gesetzt wird.
Weil also der Wille als Vermögen reine Potenz ist, deshalb,
wird er als active Potenz, als agens in adu, nicht reiner Act,
aäus purus, sondern ans Potenz nnd Act zusammen gesetzt. Qamm
sagten wir oben, der passive oder potentiale Znstand des Willens
der Geschöpfe sei auch noch in der Wahlfreiheit rorhanden. Wie die
Wesenheit der Creatnren durch die Existenz nicht actus purus wird,
ebenso wird es auch der Wille durch die praemotio physiea nicht.
Geht dadurch nicht der Vorzng, das Pririleginm, dessen sich
die vemUnftigen Wesen auf Grund der freien Wahl erfreuen, yer-
loren? Keineswegs. Denn gleich wie der erste Stoff, im Besitze
eioer bestimmten Form dadurch seine Unbestimmtheit allen
anderen Formen gegenliber nicht verliert, sondern die Fähigkeit,
die Potenz zn allen andern Formen beibehält, ebenso ist dies der
Fall bei der Wahlfreiheit, wenn der Wille aotive Potenz, agem
in adu ist. Strebt der Wille als agens in actu nach einem be-
stimmten Objecte, so verliert er dadurch die Fähigkeit, die
Potenz alle anderen zu hegehren, nicht. Und vollzieht er eine b e-
Btimmte Thätigkeit, so bUlIt er dabei die Fähigkeit zu einer
andern Thätigkeit oder auch zn der Unthätigkeit nicht ein. Der
Wille int dämm niemals determiniert zu einem wie der appe-
titus naturalis der nnbelebten Dinge, oder bloß auf die sinnen-
fUlligen Gflter beschränkt, wie das StrebevermOgen der Thiere.
Überdies wissen wir aus S. Thomas, daas das Begehrungsver-
niGgen der Thiere nicht nntbätig bleiben kann, wenn ihm ein
Oat vorgestellt wird. Anders verhält es sich mit dem Willen der
vernünftigen Wesen. Diese bestimmen sich den Gegenstand selber
und auch das Mittel, die Thätigkeit oder Unthätigkeit, wodurch
« •
— 86 — ♦ ♦
sie dieseii Geg^enstand ihrer Nei^ng and Liebe erreichen. Das
einemad sind sie in ihrer Thätigkei^ das anderemal in ihrer Uq-
tbätigkeit glttcklieh. Dass die Tbätigkeit oder Unthätigkeit nie
mab letztes Ziel, sondern immer nnr Mittel znm Ziele sein kann,
beweist der englische Meister an mehreren Stellen (cfr. 1.2. q. 1.
•a. 1. ad2: — ib. q. 2. a. 7.).
Die genaoe Kenntnis' des innersten Wesens def Wahlfreibeit
ist von solcher Wichtigkeit, dass man ohne sie ans den Schwierig-
keiten nicht heränskommt Dielte Schmerigkeiten sind allerdings
ganz gleich groß, ob die praemotio physica angenommen oder ver-
worfen'wird. Eis ist dämm keineswegs angezeigt, selbe immer nar
den Thonusten vorzuhalten. Mit denselben Gründen werden sie von
den Thomisten gelösf, niit welchen von anderer Seite eine Ans-
tragnng bewerkstelligt wird. Wer das eigentliche Wesen .der'Frei-
beit gründlich erfasst hat, für dep wird die Orientierung eine
ziemlich leichte seiti.
§ 6. Der Gegenstand oder das Objejst der "Wahlfreiheit. .
42. Die Wahlfreiheit bildet den Xjregensatz zu der Nothwen-
digkeit. Noth wendig wird etwas dann genannt, wenn ^ unver-
an d ehrlich zu einem bestimmt ist. Der Wille der vernünftigen
Wesen ist zu vielerlei nicht bestimmt. Daher weiB er von einer
Nothwendigkeit eittzig und allein nur in. Bezug auf dasjenige,
wozu er vermöge seiner natürlichen Neigung bestimmt erscheint.
Weil indessen jedes Bewegliche aiif ein Unbewegliches, jedes Un-
bestimmte auf ein Bestimmtes als auf sein Princip zurückgeftihrt
wird, ' deshalb muss dasjenige, wozu der Wille bestimmt ist, das
Princip bilden ftir das' Streben nach demjenigen, wozu er nicht
bestimmt ist. Bestimmt verhält sich der Wille bloß dem Endziele
gegenüber. Nicht bestimmt dagegen ist er binsichtlichdreier Dinge:
nämlich in Betreff des Objectes, des Actes und der Hinordnung
zum Ziele.
q) Was das Object anbelangt, so ist zu bemerken, dass
darunter die Mittel, nicht das Endziel selber verstanden werden
müssen. Der Grund, warum der Wille in den Mitteln frei ist,
liegt darin, dass man auf verschiedenen Wegen zum Ziele gelan-
gen kann, und dass den Verschiedenen auch verschiedene Wege
offen stehen, dahin zu kommen. Der Wille durfte aus diesem
Grunde unmöglich bezüglich der Mittel bestimmt werden, wie es
bei den Naturdingen der Fall ist, die dir ein gewisses und be-
stimmtes Ziel auch einen gewissen und bestimmten Weg haben.
Die Naturdinge streben darum mit der gleichen Nothwen-
digkeit nach dem Ziele und den Mitteln. Sie können infolge
dessen nicht etwas begehren oder nicht begehren. Der Wille hin-
gegen strebt zwar mit Nothwendigkeit nach dem Endzielei
— 87 —
«
indem er dasselbe nicht nicht begehren kann; allein das Mittel
verlangt er keineswegs mit Nothwendigkeit. In Betreff der Mittel
steht es demnach vollkommen in seiner Macht, dieses oder jenes
aDzastreben.
b) Der Wille ist femer nicht bestimmt hinsichtlich des Actes.
Er kann selbst dann, wenn ihm ein bestimmtes Object vor-
gestellt wird, nach Belieben in Thätigkeit Übergehen oder nnthätig
bleiben. Er kann jedes Object (respedu cujtislibet) actuell be-
gehren oder auch keinen Act ausüben. Bei den Naturdingen trifft
dieses nicht zu. Das Schwere strebt stets in der Wirklichkeit
(actul nach dem Centrum, ausgenommen es werde darin durch
irgeud etwas aufgehalten. Die unbeseelten Wesen werden eben
nicht durch sich selber, sondern durch ein anderes bewegt. Die
lebenden Wesen hingegen bewegen sich selber. Darum kann der
Wille begehren oder nicht begehren.
c) Drittens ist der Wille nicht bestimmt bezüglich der Hin-
ordnung zimi Endziele, indem er nach dem streben kann, was in
Wahrheit, oder was nur scheinbar dem eigentlichen Ziele dienlich
ist. Diese Nichtbestimmung hängt von zwei Umständen ab. Erstens
davon, dass der Wille nicht bestimmt ist, in Betreff der Mittel.
Zweitens davon, dass die Vernunft nicht bestimmt ist mit Bezug
auf die Erkenntnis, die folglich eine richtige oder irrige sein kann.
Unter Voraussetzung eines richtigen Principes ergibt sich niemals
eine unrichtige Schlussfolgerung, außer dadurch, dass die Vernunft
einen Fehler begeht, etwas unrichtig unterstellt, oder die Schluss-
folgerung unrichtig auf das Princip bezieht. Gerade so verhält es
sich mit dem Willen. Denn ist das Streben nach dem Endziele
ein geordnetes, so könute niemand etwas in verkehrter Weise be-
gehen, würde nicht die Vernunft etwas auf das Ziel beziehen,
was sich auf dasselbe einfach nicht beziehen lässt. Wer z. B. in
geordneter Weise nach der Glückseligkeit strebt, der kann nie-
mals verleitet werden, einen Diebstahl zu begehen. Geschieht es
dennoch, so erachtet er ihn als ein Gut. Der Diebstahl ist für
ihn ein angenehmes Gut, und er kann als ein schwaches Abbild
der Glückseligkeit, auf dieselbe bezogen werden. Daraus folgt die
Nichtbestimmung des Willens, zufolge welcher er das wirkliche
Gut, oder das nur scheinbare, das Böse, begehren kann.
Der Wille wird frei genannt, insofern er keine Nothwendig-
keit kennt. Die Freiheit des Willens besteht demnach in drei
Dingen. Erstens in der Freiheit des Actes, indem er wollen und
nicht wollen kann. Zweitens in der Freiheit des Objectes, indem
er dieses oder jenes, oder das Gegentheil desselben wollen kann.
Di'ittens in der Freiheit der Beziehung zum Endziele, indem er
das Gute oder das Böse begehren kann. Die Freiheit der ersten Art
besitzt der Wille in jedem Zustande der Natm*, also in diesem
Leben, und mit Bezug auf jedes Object. Die der zweiten hat
— 88 — .
er nur in Betreff einiger, der Mittel nämlich, nicht des Endzieles
selber, und dies ebenfalls in jedem Zustande der Natur. Die
dritte Art bezieht sich auf einige Objecte, auf die Mittel, sie findet
sich aber nicht in jedem Zustande der Natur, sondern bloß in
jenem, in welchem die Natur fehlen kann. Denn wo die Erkenntnis
und Vergleichung ohne Fehler ist, wie in den Seligen des Himmels,
da kann der Wille nicht das Böse begehren und anstreben (de
veritate q. 22. a. 6.).
Wir müssen diese drei Objecte, betreffs welcher der WiDe
der vernünftigen Geschöpfe fr^i ist, selbst auf die Gefahr hin zu
wiederholen, genauer examinieren, weil die Doctrin des Calvin
und Jansenius der Lehre des heil. Thomas diametral entgegen-
gesetzt ist.
43. Der Gegenstand des Willens kommt in zweifacher Weise
in Betracht : formell und materiell. Die formelle Seite eines Objectes
bildet den Grund, durch welchen es auf ein Vermögen, auf eine
Potenz einwirkt. Nach der Lehre des heil. Thomas öind die Ver-
mögen, Veratand und Wille der Geschöpfe hinsichtlich ihrer Ob-
jecte passiv. Der Gegenstand bildet darum für die Potenz das
Princip der Bewegung, Bestimmung, die Potenzen sind das Be-
wegte, Bestimmte (1. p. q. 80. a. 2.). Wenngleich nun der Gegen-
stand das bewegende Princip, principium quod, bildet, so ist er
doch nicht jedesmal auch zugleich das Princip quo oder wodurch
dieser Einfluss auf die Potenz ausgeübt wird. Der sichtbare Gegen-
stand wirkt als principium qiiod auf das Sehorgan, hingegen ist
die beleuchtete Farbe das principium quo, oder dasjenige, wo-
durch diese Einwirkung erfolgt. Der Wille wird vom Gegenstande,
welcher gut ist, bewegt. Diese Bewegung aber wird ausgeführt
durch die Güte, welche das Object in sich hat. Der Gegen-
stand, welcher bewegend auf den Willen Einfluss nimmt, heißt
auch materielles, und dasjenige, wodurch diese Einflussnahme von-
statten geht, formelles Object, oder formeller Grund. Der englische
Lehrer nennt letzteres immer die rcttio volendi, ersteres : id in quo
ratio ista invenitur (1.2. q. 1, a, 7,).
In der vorhin citierten Stelle bemerkt nun S. Thomas, die
Freiheit des Willens erstrecke sich auf alle Objecte mit Aus-
nahme des Endzieles, der Glückseligkeit im allgemeinen, nach
welcher der Wille nicht frei, sondern mit Nothwendigkeit strebe.
Um zu sehen, inwiefern der Wille die Glückseligkeit im allge-
meinen mit Nothwendigkeit begehrt, muss sie in der oben an-
gegebenen zweifachen Weise unterschieden werden. Das Endziel
ist dem englischen Lehrer dasjenige Gut, welches vermöge seiner
Vollkommenheit das Verlangen des Willens ganz und gar stillt
Weil jedes Wesen seine eigene Vollkommenheit begehrt, deshalb
strebt es nach jenem Gut als dem Endziele, welches, in sich voll-
kommen, auch das strebende Subject zu vollenden imstande ist
._ 89 —
* ♦
Das Endziel mass darum derart das Verlaugen des Willens be-
friedigen^ dass demselben nichts mehr ttbrig bleibt, was er noch
wflnscheu konnte. (1. 2. q. 1. a. 5.). Wird ihm dieses allseitige
Gut in der Wirklichkeit von der Vernunft vorgestellt, - so
kann er nicht es nicht begehren, d. h. er kann nicht das Gegen-
theil von diesem Gut anstreben. Und insofern begehrt der Wille
das Endziel, die Glückseligkeit im allgemeinen mit Nothwendig-.
keit. Hierüber wurde früher, bei der Behandlung des Willens als
Natur, das Nähere nachgewiesen (cfr. 1. 2. q. 10. a. 1.).
Gibt es nun für die geschaffene vernünftige Strebekraft einen
Gegenstand, ein Object, objectum quod, welches als ein all-
seitig und in jeder Beziehung vollkommenes Gut von der Vernunft
ihr vorgestellt wird? Nein, es existiert kein solches. Der Gegen-
stand, das objectum quod, ist für den geschaffenen Willen, so-
lange er nicht die Anschauung Gottes genießt, niemals ein voll-
kommenes Gut In diesem Leben ist selbst Gott, das vollkom-
menste Gut, von uns nicht in einem solchen Grade erkannt, dass
wir ihn notb wendig begehren, nicht das Gegen theil von ihm
anstreben könnten (1. p. q. 82. a. 1.). Ganz dasselbe mnss von der
Glückseligkeit im allgemeinen gesagt werden. Die Ansicht des
englischen Meisters lässt einen Zweifel hierüber nicht aufkommen.
Derselbe schreibt: „Wenn wir die Bewegung des Willens von
Seiten des Objectes, welches den Act des Willens dieses oder
jenes zn wollen specificiert, ins Auge fassen, so muss vor allem
beachtet werden, dass das erkannte, dem Willen zusagende
(cmveniens) Object den Willen bewegt. Würde darum dem Willen
ein Gut vorgestellt, welches bloß als ein Gut, nicht auch als
convenient erkannt ist, es wäre nicht geeignet, den Willen zu
bewegen. Der Rath und die Auswahl beziehen sich nun auf etwas
Particuläres, mit welchem sich die Thätigkeit des Willens befasst.
Das was als gut und zuträglich erkannt wird, muss folglich als
ein Gut und etwas Zuträgliches im einzelnen, nicht bloß im
allgemeinen aufgefasst werden. Erscheint ein Gegenstand als
ein convenientes Gut mit Bezug auf alles Particuläre, was da-
bei in Betracht kommen kann, so wird er den Willen mit Noth-
wendigkeit bewegen. Aus diesem Grunde begehrt der Wille
mit Nothwendigkeit die Glückseligkeit, denn diese bildet nach
Bo^thius einen Zustand, der durch die Fülle aller Güter voll-
kommen ist. Diese Nothwendigkeit bezieht sich indessen nur auf
die Bestimmung des Actes, insofern der Wille nicht das
Gegentheil von diesem vollendeten Gute begehren kann (de
malo q. 6. a. unic). Wo existiert aber dieses allseitig vollkommene
Gut ftlr den Menschen in diesem Leben? Nirgends als in seiner
Vorstellung. Und wenn er selbst alle Güter des Himmels und der
Erde zusammenfasst, wie er sie jetzt erkennt, wie sie seinem
Geiste vorschweben, sie bilden trotzdem nicht in der Wirklichkeit
— 90 — . . .
Jenen Gegenstand, der, ihn wahrhaft und für immer gllieklicb
macht. Das Objedum quod oder dasjenige, worin die Glückselig-
keit objectiv liegty ist Gott, in seiner Wesenheit geschaut, nüd
eben diese Wesenheit 'erkennen wir hier an,f Erden nicht, wie sie
in sich ist Wir wissen es nicht, obgleich wir es glauben,' dass
Gottes Wesenheit, das allseitige^ allein gltlcklich machende
jGfut für uns Menschen bildet. Wir erkennen und wissen- zwar,
dass Gott das höchste und volll^omüienste Gut ist. Allein das
reicht, wie S. Thomas bemerkt, nicht hin, um. den Willen zu be-
wegen. Soll ein Object den Willen bewegen, die Thätigkeit des-
selben bestilnmen, specificieren, so muss es nicht bloß als ein Gat
überhaupt, sondern als ein Gut für den Willen, als etwas
Convenientes erkannt werden. Ob Gottes Wesenheit für uns ein
zuträgliches Gut ist, das wissen wir nicht in jenem Grade, dass
wir dieses Gut müssten begehren mit natürlicher Nothwendig-
keit. Der Glaube bietet nicht eine solche Gewissheit, dass der
Wille infolge dessen mit Nothwendigkeit Gottes Wesenheit
begehrt. Diese Sicherheit gewährt aber die Anschauung Gottes
im andern Leben. Jetzt, hier auf Erden, ist denmach Gottes
Wesenheit nicht der Gegenstand, der unsern Willen mit Noth-
wendigkeit bestinmit, der Mensch kann das Gegentheil wollen.
Die verworfenen Engel haben es thatsächlich gethan, ein Beweis,
dass sie frei waren.
Alles Geschaffene ist nach dem englischen Meister theilweise
ein Gut, theilweise nicht ein Gut. Es ist beschränkt und darum
nicht allseitig vollkommen, sondern zugleich mit einer Unvollkom-
menheit behaftet Aus diesem Grunde begehrt der Wille nichts
von all dem, was existiert, mit Nothwendigkeit. Die Ver-
nunft kann jedes geschaffene Gut dem Willen von jener Seite
aus darstellen, von welcher aus es ein Gut ist. Sie kann es
aber auch von jener Seite aus thun, welche Unvollkommenheiten
aufweist. Dem Willen steht es infolge dessen frei, dieses Gut zu
begehren oder abzuweisen. Nothwendig strebt er nur nach
jenem Gut, welches gar keine Unvollkommenheit in sich schließt,
von welcher Seite aus es immer betrachtet werden möge (1.2.
q. 10. a. 2.).
Fragen wir demnach, ob irgend ein Gegenstand (res)^
welcher Wirklichkeit hat, ein Object, welches existiert, den Willen,
wenn er thätig ist, objectiv mit Nothwendigkeit bestimme
und bewege, so müssen wir diese Frage verneinen. Allerdings
können wir dies nur mit dem Beifügen thun, solange wir nicht
Gottes Wesenheit in sich schauen. Die Glückseligkeit im ali-
gemeinen, von welcher S. Thomas lehrt, sie bewege und bestimme
den Willen mit Nothwendigkeit, ist nicht etwas in der Wirklich-
keit, sie existiert nicht als pbjectum quod, sondern mehr als
objedum quo und als objective ratio volendi. Für dieses Leben
^ 91 - •
f
existiert sie als Gegenstand nur in unserem Denken, wie S. Tho-
mas bemerkt. Finis ultimum est in intentione, und insofern bewegt
sie den Willen mit Nothwendigkeit. Der Wille strebt . bei all seiner
Thätigkeit nach dem Glücke, er kann niemals unglücklich zu sein
begehren. Dies thut indessen seiner Freiheit keinen Eintrag. Gott .
selbst kann nicht unglücklich, sein wollen, strebt m*it Noth-
wendigkeit nach dem Glücke. Er strebt aber auch noth wendig
nach dem Gut als solchem. Er kann sowenig wie der Mensch
das Böse als solchem wollen. Nichtsdestoweniger bleibt er im Voll-
besitze der Freiheit. Der Unterschied, welcher diesbezügliQh zwischen
Gott und uns hier auf Erden gemacht werden mnss, besteht darin^
dass Gottes Wesenheit für ihn das objedum quo und quod zu-
gleich* bildet, .während wir kein bestimmtes, existierendes objedüm
quod unserer Glückseligkeit haben. Darum sucht es auch der
eine da, der andere dort. Darum entscheidet sich der eine direct
f&r Gott, weil ihm die aus dem Glauben geschöpfte Erkenntnis
genttgt, der andere aber folgt der Neigung seiner Leidenschaften
und wendet sich ein fttr allemal von Gott, dem einzigen Gegen-
stande seines wahren Glückes, ab. Wir sind folglich in diesem
Leben anch hinsichtlich des objectum quod frei. Anders verhält
sich die Sache im Jenseits, wo wir, gleichwie Gott selbst, die
Wesenheit* Gottes mit Nothwendigkeit begehren werden.
Vom Hauptobjecte sind wir dann bestimmt, dieses können .
wir nicht nicht wollen, nach dem Gegenth^ile desselben können
wir nicht streben.
Es ergibt sich somit, dass die Freiheit der Geschöpfe mit
Bezug auf die Objecto sehr unbeschränkt, ja dass sie a 1 s F r e i-
heit Oberhaupt objectiv nicht begrenzt ist. Unglücklich sein
wollen ist keine Vollkommenheit, das Böse als solches begehren
ebensowenig. Denn in beiden Fällen hätte die Greatnr keine
Ähnlichkeit mit Gott, und was Gott nicht ähnlich, das ist unvoll-
kommen. Wenn es also nach der Lehre des heil. Thomas jedem
Wesen eigen ist; seine Vollkommenheit als Endziel zu begehren,
und wenn das, was den Willen unglücklich macht, das, was für'
ibn etwas fiöses ist, unmöglich ' eine Vollkommenheit für ihn sein
kann, .80 liegt es klar zu Tage, dass in der Bestimmung, Beschrän-
kung des Willens auf das Gut und die Glückseligkeit im allge-
meinen eine Beeinträchtigung der Freiheit nicht gefunden werden
kann. Im Gegentheil mnss dies vielmehr als Fundament und Grund- •
läge der Freiheit betrachtet werden, weil jedes Bewegliche auf
ein Unbewegliches, jedes Unbestimmte, nicht Determinierte auf
ein Bestimmtes, als sein Princip zurückzuführen ist (1. p. q. 82.
a. 1 . — de veritate q. 22. a. 5.).
Übrigens haben wir früher gehört, dass die Bestimmung des
Willens durch das Object nicht formell zum Wesen der Frei-
heit gehört. Gäbe es selbst nur ein einziges Object, welches den
- 92 ^
•
Willen mit Nothwendigkeit bestimmt, er wäre in Betreff
seiner Thätigkeit, dieses Objeet zu begehren, od^r zu ver-
schmähen, dennoch frei, und man mflsste von ihm einfachhin sagen,
dass er frei ist. Denn solange die Freiheit formell besteht,
die Freiheit thätig oder unthätig zu sein vorhanden ist, ranss
absolut anerkannt werden, dass der Wille frei ist. Wir tragen
darum gar kein Bedenken, die Ansicht auszuspreclien, der Mensch,
überhaupt das vernlinftige Geschöpf, sei auch mit Bezug auf das
Gut und die Glückseligkeit im allgemeinen formell frei zu nennen.
Obgleich der Wille nach diesem Gut, wenn er dasselbe begehrt,
mit Nothwendigkeit strebt, so kann man doch nicht schlechthin
behaupten, er sei diesbezüglich unfrei. Er bleibt frei hinsichtlich
seiner Thätigkeit, in Betreff des Actes, welchen er vollziehenr oder
auch nicht vollziehen kann.
44. Damit kommen wir zu der zweiten, vom englischen Lehrer
angeführten Art der Freiheit : nämlich mit Rücksicht auf die Thätig-
kcit oder Unthätigkeit des Willens.
S. Thomas bemerkt an obiger Stelle, der Wille sei nicht be-
stimmt, sondern frei in seiner Tbätigkeit in Betreff jedes Objectes.
Selbst wenn ihm ein bestimmtes Objeet vorgestellt wird, könne
er in lliätigkeit übergehen, oder in der Unthätigkeit verharren.
Dabei macht der englische Meister einen Unterschied zwischen
der objectiven Freiheit, die wir soeben näher besprochen haben,
und der subjectiven^ die in der Indifferenz thätig oder nicht thätig
zu sein besteht. Die erstere Freiheit ist enger, indem der Wille
das Gut und die Glückseligkeit im allgemeinen nicht frei, son-
dern mit Nothwendigkeit begehrt. Sie erstreckt sich dem-
nach nicht auf alles. Von der Freiheit im letztem Sinne, der
subjectiven dagegen sagt der Doctor Angelicus, sie sei vorhanden
mit Bezug auf jedes Objeet.
Die Hauptschwierigkeit ist nun die : ob der Wille hinsichtGch
des Guten und der Glückseligkeit im allgemeinen nach der Lehre
des heil. Thomas subjectiv frei sei, oder ob er diese zwei Objecto
mit Nothwendigkeit begehre ? Wir glauben diese schwierige Frage
im Sinne des heil. Thomas dadurch zu lösen, dass wir die be-
treffenden Stellen genauer examinieren und zum Schlüsse das
Resultat herausbringen: Der Wille begehrt an und für
sich das Gut und die Glückseligkeit im allgemeinen
subjectiv nicht mit Nothwendigkeit, d. h. er kann
hinsichtlich dieser Objecte in Tbätigkeit übergehen
oder unthätig bleiben.
Nothwendig nennt der englische Meister dasjenige, was
unveränderlich zu einem bestimmt ist. Wäre der Wille
nun an und ftlr sich mit Bezug auf die genannten Objecte sub-
jectiv unfrei, so mttsste er dieselben unveränderlich be-
gehren. Er mUsste hinsichtlich dieser Objecte beständig in
i.
— 93 -
"fTJiätigkeit sein, aie nnunterbroclien actaell wollen.
Die Nothwendigkeit in Betreff de« Actes (quoad exercitium actun)
befiteht ja gemäß der Begriffsbestimmung des: BNotbwendigen'
darin, dass der Wille nureränderlicb zti einem bestimmt
ist. Die ffotbwendigkeit schließt folglich das andere, das Gegeu-
theil ans. Das Qegeatheil von Thätigkeit ist Unthätigkeit oder
Nichtthätigttein. Begehrt nun der Wille das Gut und die Glück-
seligkeit im allgemeinen Babjeotir nbthweudig, d. h. nnfiei,
80 ist er unveränderlich zu dieser Thätigkeit bestimmt.
' Dieses aber bestreitet der heil. Tßomas an mehr als einer Steile.
Schon die Worte an der oheu angeführten Stelle, der Wille sei '
HnbjectiT (quoad exercitium) frei mit Beza^ auf jedes Object,
deuten darauf hin, dasa die. Willensthätigkeit unter allen Um-
Btändeu eine freie ist. Der vom heil. Thomas aaegesprx>chene Gruud-
Batz lautet allgemein : respectu cujtislibet objecti. Überdies müsste
der Unterschied zwischen der ersten und zweiten Art, der sab-
jectiven und objectiveu Freiheit wegfallen. In Betreff der objec-
ti?en uimmt S. Thomas einen Gegenstand, die Glückseligkeit im
allgemeinen ans, indem er lehrt,' der Wille begehre diese noth-
' wendig. Bezieht 'sieb diese Kothwendigkeit nicht bloß auf das
genannte Object, sondern auch auf die Thätigkeit, auf den Willeus-
act, dann ist es ganz, und gar unrichtig zu sagen, die Willens-
tliätigkeit sei mit Bezug anf jedes Object eine freie. Der Wider-
spruch im heil. Tbomaa liegt dann auf der Hand. Hinsichtlich
der anbjectiveu Freiheit lehrt er, sie erstrecke sieh auf alle Ob-
jecte; bezüglich der objectiveu macht er eine Ausnahme, und docii
Holl diese Ausnahme auch ftlr die subjectire Geltung habsn. Wir
baben somit die Wahl zwischen einem ofFenen Widerspiucbe des
englischen Meisters mit sich selbst, oder seiner Lehre, der Wille
begehre subjectiv das Gut und die GlDckseligkeit im atlge-
meinen nicht auf natürliche and nothwendige, d. b. uufieie Weise,
sondern er behalte auch diesbezüglich seine Freiheit bei.
Wir haben früher die Worte: „an und für sich" gebraucht,
um damit anszudrllcken, was dem Willen seiner Natur nach zu-
kommt, solange er sich nicht in der Anschauung Gottes befindet.
Diese letztere besitzt er ans Gnade, nicht durch seine Natur.
Den iweiten Bevfeis gegen die Notbwendigkeit des
Willens aet es mit Bezug auf die Glückseligkeit im allgemeinen
entnehmen wir, wie schon gesagt, der Begriffsbestimtnuug des
„Nothweudigen", das als solches unveränderlich zu eiuem
bestimmt ist, uud' ebeu dadurch sein Gegentheil ausschlieilt. Die-
sem Principe entsprechend mlisste der Wille, wenn er das ge-
nannte Objeci nothwendig begehrt, -dasselbe immer actaell
austrebeu, hinsicbtlich desselben immer oder unTeränderlicb in
Thätigkeit seiu. ' Dem widersprechen mehrere Äußeruugen des
englischen Meisters. So m^cht er sich z. B. an einer Stelle folgen-
— 94 —
den Eiowuif : «Was einem Dinge per se innewohnt, das ist noth-
wendig in diesem Dinge. Etwas wollfen kommt dem Willen per se
za: fol^eh begehit er etwas mit Kothwendigkeit Der Beweis
dallSr ist leicht zn fthren. Das höchste Gnt ist ein per se gewolltes
6nt. Wann imMer daher der Wille dasselbe actnell begehrt, will
er es per se. Knn will er es immer, denn er «begehrt es aaf
natOrlidie Weise: folglich strebt er inmier per se nach dem
höchsten Gijte/ Die Aiitwort «darauf lautet: ,,Das erste Gut ist
etwas per se Gewolltes, und der Wille strebt per^se und auf
natOriidie Weise nach demselben. Allein es ist nicht richtig, *
* dass er dieses Gut immer in der Wirklichkeit, actuell begehrt.
So manches kommt der Seele auf naturgemäße Art am. Daraus
folgt aber nicht, dass alles das, x^as ihr auf .d\ese Weise zu-
kommt, immjer actuell in der Seele seL Die ersten Principien
werden naturgemäß erkannt, und trotzdem beschäftigt sich der
Verstand nicht inuner actuell mit denselben (deveritäte q. 22.
'a5.ad 11.). In dieser Stelle wird die objective Nothwendig-
keit des Willens offenl^ar von der subjectiven Freiheit
desselben unterschieden, und ausdrücklich betont, dass ans der
Nothwendigkeit der einen nicht die NotHwendigkeit der *
andern' folge. Der Wille bleibt subjectiv auch dann frei, wenn er
objectiv etwas mit Nothwendigkeit begehrt
45. Sollte yielleicht der heil. Thomas irgendwo andenr die
Lehre vortragen, dass' der Wille yon Gott» ^bjectiv auf natfir-
liehe und nothwendige, d. h. unfreie Art bewegt werde? Wir
haben keine Stelle dieses Inhaltes gefunden. In einem seiner
Werke hat der englische Lehrer ausfhhrlich unsere Frage be-
handelt. Es heißt daselbst: „Um zu beweisen, dass der Wille
nicht mit Nothwendigkeit bewegt werde, muss die Bewegung des
Willens in Bezug auf den Willensact und im Hinblicke auf die
Bestimmung dieses Actes durch das Object ins Auge gefasst wer-
den. In ersterer Hinsicht ist zunächst klar, dass der Wille durch
sich selber bewegt wird. Wie er die andern Potenzen bewegt, so
bewegt er auch sich selber. Daraas folgt indessen nicht, dass er
dann Beweger und Bewegtes zugleich und unter dem nämlichen
Gesichtspunkte sei, dass er damit zugleich in der Potenz und im
Acte sich befinde. Gleich wie der Verstaftid in Betreff der Er-
kenntnis sich selber bewegt, indem er von einem in der Wirklich-
keit erkannten Gegenstande zu einem unbekannten fortschreitet,
der nur der Möglichkeit nach oder in der Potenz erkannt war,
ebenso bewegt sich der Mensch dadurch, dass er etwas actuell
will, dazu auch etwas anderes in der Wirklichkeit zu wollen.
Jemand will z. B. die Gesundheit. Dadurch bestimmt er sich dann
Medicin zu nehmen. Indem er die Gesundheit begehrt, fUngt er
an darüber nachzudenken, was alles zur Gesundheit beiträgt In-
folge dieser Berathung mit sich selb^ will er endlich Medicin
95 —
I
anwenden. Es ergibt sieh hieniit eine bestimmte Reihenfolge. Dem
Willensacte Medieiu zu nehmen, gebt der Rath voraus, und dieser *
Bath erfolgt auf Grund des Willensactes, womit er einen Rath «
begehrt. Der Wille bewegt sich somit durch den Rath, der Rath ,
aber schließt eine Untersuchung in sich ilber verschiedene und
entgegengesetzte, Mi ttlßl. Er sagt nicht apodiktisch oder demonstrativ,
dieses sei *2u wählen. Darum bewegt sich der Wille auch nicht
mit Kothwendigkeit. Weil jedbch der Wille nicht immer einen
Bäth begehrt, deshalb muss er von irgend einem andern« daani
bestimm^ werden, dass er einen Rath wUnsche. Würde diese Be-*
Stimmung von ihni selber ausgehen, so mtLssta dem Gesagten zu-
folge dieser Bewegung des Willens ein Rath vorangehen, und
diesem Bathe ein Act des Willens, wodurch wir ins Unendliche
kämen. Um das zu vermeiden, muss angenommen werden, dass'
der Wille mit Bea^ug auf seine erste Bewegung, wenn er etwas
nicht immer actnell will, von einöm äußern Principe bejvegt
werde, «auf dessen Atistoß, hin der Wille zu wollen beginnt. Diesen .
Anstoß von außen schreiben nun manche einem Himmelskörper zu.
Diese Anschauung ist jedoch faMch. Es bleibt dahisr nichts anderes
übrig, als zu sagen, wie es auch Aristoteles in*der That beliauptet,
jenes Princip, welches den Willen und Verstand zuerst beWegt,
sei etwas über dem Verstände und Willen, nämlich Gott. Gott
aber bewegt alles entsprechend der Natur des Beweglichen, das
Leichte nach oben, das Schwere nach unten. Er bewegt folglich
auch den Willen nach dessen Verhältnissen, so zwar, dass der-
selbe nicht mit Nothwendigkeit bewegt wird, sondern dabei
vielen gegenüber sich indifferent verhält. Aus dieser Darlegung
folgt; dass die Bewegung des Willens bezüglich d e s A c t e s, der
Willens t hat igkeit eine durchaus freie, keineswegs aber eine
nothwendige ist** (demalo q. 6. a. 1.).
. Wie wir sehen, lautet auch hier der Grundsatz des englischen
Meisters allgemein: die Willensthätigkeit, der Willensact
erfolgt frei, nicht nothwendig, obgleich die erste, oberste Ursache
davon Gott ist. Die Natur und Beschaffenheit des Willens erfor-
dern, dass er zu seinen Thätigkeiten frei bewegt werde. Daher
schließt S. Thomas den soeben citierten Artikel mit den Worten :
„Mit Bezug auf manches wird der Wille von selten des Objectes
mit Nothwendigkeit bewegt, jedoch nicht mit Bezug auf alles.
Von Seiten der Vollziehung des Actes dagegen wird er nicht
mit Nothwendigkeit bewegt.** Der Doctor Angelicus weiß also
diesbezüglich von einer Ausnahme nichts. Die Freiheit des Willens
hinsichtlich seiner Thätigkeit erstreckt sich auch auf die Glück-
seligkeit im allgemeinen.
In diesem Artikel führt S. Thomas auch den tiefern Grund
an für die von ihm vorgetragene und vertheidigte Lehre. Er findet
diesen Grund darin, dass die Thätigkeiten des Verstandes und
— 96 —
•
Willens etwas Particuläres smd. Hinsichtlich des Particuläreo aber
ist und bleibt der Wille frei. Denn das Particuläre bildet nicht
ein allseitig vollkommenes Gut, es ist vielmehr gerade wegen
seiner psu'ticulären Beschaffenheit theilweise ein Gut, th^ilweise
nicht ein Gut. Der Wille kann demnach dieses Gut begehren oder
nicht begehren. Nicht allein die äußern Gegenstände, sondern auch
die Willensthätigkeit selber gehört zu dem Objecte-des Willen«.
Weil er über sich selbst zu refle(?tieren vermag, deshalb kann er
sich seine Qigene Thätigkeit als Object oder Ziel seines Strebens
vorstellen (1. 2. q. 1. a. 1. ad 2.). Diese Thätigkeit aber ist etwas
Particuläres. Eine. Bewegung, einen Willensact allgemeiner
Natur gibt es weder, noch* kann es einen -solchen geben, ob-
gleich in neuester Zeit das Gegentheil 'behauptet, und zum Über-
flusse noch beigefügt wird, jedermann wisse, dass die Bewegung
des Willens zum Guten und zu der Glückseligkeit im allgemeinen
allgemeiner Natur sei. Zu diesem Jedermann" darf S. Thomas
jedenfalls tiicht gerechnet werden ; denn er weiß thatsächlich nichts
von einer subjectiven Bewegung des Willens, die allgemeiner
Natur sein soll. Wie man sich eine Willensthätigkeit all-
gemeiner Natur etwa zu denken habe, ist recht schwer zu be-
greifen. Nach S. Thomas sind die Acte des Verstandes und Willens
etwas Particuläres, darum keineswegs allgemeiner Natur. Aus
diesem Grunde bewahrt der Willen ihnen gegenüber seine Frei-
heit. Wenngleich Gott den Willen zu einer Thätigkeit bewegt, so
kann er doch nicht bewirken, dass diese Thätigkeit allgemeiner
Natur sei, weil dieses der Beschaffenheit des Willens und der
Thätigkeit desselben widerspricht. Wie die Thätigkeit des Wil-
lens ein particuläres Gut, so ist auch die Unthätigkeit desselben
ein solches. Der Verstand vermag nicht bloß ein wahres, sondern
auch ein scheinbares Gut zu erfassen. Vielfach ist die Unthätigkeiti
des Willens ein wahres Gut. Der Wille kann somit zwischen der
Thätigkeit oder dem Nichtthätigsein wählen und ist infolge dessen
freL Die Freiheit besteht per se und formell in der Thätigkeit
oder Unthätigkeit des Willens. Wo immer daher der englische
Lehrer von der Nothwendigkeit spricht, da meint er stets die
objective. Darum setzt er jedesmal die Bedingung bei: wenn
der Wille etwas begehrt. Man vergleiche z. B. : 1.2. q. 10. a. 2.
Die Acte des Verstandes und Willens bleiben auch im andern
Leben etwas Particuläres, und insofern bleibt der Wille frei.
Allein er strebt aus einem andern Grunde mit einer gewissen
Nothwendigkeit nach der Wesenheit Gottes. Zunächst wird die
Wesenheit Gottes als gut und convenient nicht nur im allge-
meinen, sondern im particulären erkannt. Gott ist etwas
ganz und gar Singuläres. Die Glückseligkeit, nach welcher wir
jetzt hier auf Erden verlangen, ist etwas Allgemeines. Femer steht
die Willensthätigkeit im andern Leben in einem nothwendigen
I
- 97 -^
•
Zusammenhange mit der Glückseligkeit; und zwar derart^ da89
die Untfaätigkeit' nicht mehr als ein Gut erscheint. Der Verstand
kann diese Unthätigkeit auch nicht als ein scheinbares Gut dar-
stellen, sondJern nur als nicht ein Gut in jeder Beziehung. Da
nun das Object des Willens das Gut ist, so kann er unmöglich
nach etwas streben, was nicht ein Gut ist Öier auf Erden weist
die Willensthätigkeit keinen nothWendigen ' Zusammen-
hang auf mit der Glückseligkeit im allgemeinen. Manche suchen
ja ihr Glück in der Unthätigkeit. Die modernen Selbstmörder ver-
meinen dadurch ihr Glück zu erreichen^ dass sie angeblich in
das Nichts zurücksinken, wo sie weder etwas zu denken, noch
zu wollen brauchen. Es ist also klar, dass auch die Unthätig-.
keit des Willens mit der Glückseligkeit im allgemeinen, scheinbar
wenigstens, einen Zusammenhang bat. Aus diesem Grunde kann
der Wille sie wählen. Er muss sie aber so wenig wählen, wie
er die. Thätigkeit wählt. Mit Bezug auf beide ist er frei;
Darum bemerkt der heil. Thomas, der Mensch könne an ein
jedes Object nicht denken (1.2. q. 10.* a. 2.), und es liege in seiner
Macht, in dem Äugenblicke, wo die Glückseligkeit ihm vorgestellt *
wird, darüber nicht nachdenken zu wollen (potest aliquia 9ion velie
tunc cogitare de becUittidine) (de malo q. 6. a. unic). Bezüglich der
Thätigkeit, eines Actes ist der Wille hier auf Erden absoluter
Freiherr, er kann auch das Gegentheil wählen. Wenn er von Gott •
bewegt, zu einer Thätigkeit bestimmt wird, so kann dies nur ge-
schehen in Übereinstimmung mit der Natur und Beschaffenheit
des Willens. Was gege^n die Natur desselben verstoßt, das ist
Zwang, Gewalt. Gewalt oder Zwang, von Gott ausgeübt, wider-
spricht sich selber, ist eine contradictio in adjecto. Denn vermöge
ier potentia obedientialis neigt jedes Geschöpf. zu dem, was Gott
mit ihm thun will. Was aber dfer Neigung des Geschöpfes ent-
sprechend geschieht, das vollzieht sich eben gemäß der Natur,
und Beschaffenheit . der Creatur» Und diese Beschaffenheit d^s
Willeiis verlangt, dass derselbe mit Bezug -auf seine Thätigkeit,
seinen Act frei bewegt' werde,- nämlich unter Beibehaltung d«r
Potenz für das Gegentheil von diesem Acte, wenngleich manchmal .
die Potenz für das Gegentheil vom Objecte, welches er begehrt,
dabei verloren geht. Dies trifft einzig und allein nur dann zu, *
wenn das Gut und die Glückseligkeit im allgemeinen dal^ Object
bilden. In Betreff dieses Objectes besitzt .der Wille keine
Potenz zum Gegentheile. Da indessen das Object, das principium
radicale, nur Ursache, nicht formell constitutives . Princip der
Freiheit ist, so muss der Wille schlechthin und formell frei genannt
werden, solange er die Macht thätig oder unthätig zu sein besitzt^
was hier auf Erden nach d^m Gesagten unbedingt der Fall ist.
Der Freiheit des Willens schadet folglich nur der Zwang,
die Gewalt,, weil diese beiden auf die Thätigkeit oder Unthätigkeit
Feldner, Willensfreiheit. 7 ' *
♦
des Willens einwirken. Die Creatar kennt jedocb Gott gegenüber
weder Zwang noch Gewalt. Wozu er sie bewegt, dazn neigt sie
sich im Tollsten Gehorsam, mit bereitwilligster ZustimmuDg, die
eine mit natürlteber nndnöthwendiger, die andere mit freier Zn-
neigang, wie es ihrem Weeeo, ihret Natur entsprieht. Die natür-
liche und nothwendige geht nie in eine freie, die freie nie in
eine iiolliwendige nnd natürliche d.h. unfreie Neigung über. Dies
verbietet die Natur der einen wie der andern. Aber auch Gott
bewegt Jedes Wesen der Natnr desselben entsprechend.
46. Die dritte Art der Freiheit, die S. Thomas frUher auf-
gezählt hat, die Freiheit Gates oder Böses zu wählen, führt uns
7U der Frage: ob die Fähigkeit oder Macht, Böses zu begehren, io
Wirklichkeit zu der Freiheit des Willens gehöre? Die objectiTe
Indiffereuj gehört causaliter, die snbjeetiTe formaliter zur Freiheit.
Bildet die Indifferenz für das Gut oder Böge ebenfalls einen
Theil der Freiheit? Der englische Meister verneint diese Frage.
Die Freilieit verhält sich mit Bezug auf die Auswahl der Mittel,
vfie der Verstand zu den Sehlussfolgerangen. Zum Wesen der
Vevstaiideskraft aber gehört, dass sie, gemäß den gegebenen Prin-
cipicu, verseliiödene Schlussfolgerungen ziehe. Wenn sie nun einen
^clituss zieht und dabei die Ordnung der Principien nicht berllck-
sichligt, SD beweist sie dadurch ihre Fehlerhaftigkeit, nicht aber
ihre Macht nnd Vollkommenheit. Ganz dasselbe gilt auch vom
Willen. Es zeigt von der Vollkommenheit des Willens, wenn er
mit Einhaltung der Ordnung zum Endziele verschiedene Mittel
auswählen kann. Wählt er indessen etwas, indem er von der
Ordnung zum Ziele abweicht, mit andern Worten^ sündigt er,
80 erklärt ei damit, dass seine Freiheit fehlerhaft ist (I. p. q. 62.
a, 8 ad 3.). Xicht sUndigen können mindert demnach die Freiheit
des Willens nicht (2. 2. q, 88. a. 4. ad h), denn wie Anselm und
Boetius bemerken, gehört dieses nicht znr Freiheit des Willens,
es ist mehr eine Beigabe und Eigenschaft des fehlerhaften Willens
insofern er ais dem Nichts stammt (1. dist. 42. q. 2. a, 1. ad 3. —
2. dist. 7. q. 1. a. 1. ad 3.). Der Grand, warum das Böae wollen
nicht zum Wesen der Freiheit gehört, ist sehr klar. Das Böse ist
nicht GegeuBtand, bildet nicht ein Object iltr den Willen. Der
Wille ist pff se und seiner Natur nach tUr das Gut bestimmt,
wie jede Eiudere Potenz zu ihrem Objecte. Damm strebt der Wille
nach dem Bösen nur infolge eines Fehlers, indem die Vernunft
das Böse als ein Gnt auffasat und dem Willen vorhält. Es kann
somit in einem Wesen die ToUkommenste Freiheit sein, obgleich
es die genannte Fehlerhaftigkeit nicht in sich hat, und deshalb
nicht das ßüse begehren kann (2. dist. 25. q.l. a. 1. ad 2.). Das
Wesen der Freiheit besteht, wie wir gesehen, darin, ias» der Wille
dem Cuniradictorisohen gegenüber eich indifferent verhallt (ib.
dist. 14. q. 1, a. 1. ad 1.). Es kann daher der Wüle von Natur ans,
— 99 —
wie in Gott, oder durch die Gnade und Glorie, wie in den Seligen
des Himmels, einen solchen Grad der Vollkommenheit besitzen,
dass er nur mehr auf das Gut gerichteji; ist, zu dem er auf natttr-
liehe Weise hingeordnet wurde. Allerdings ist der Wille der Ge-
schöpfe indifferent für das Gut und Böse, allein er ist nicht um
des Bösen willen, sondern des Guts wegen den Creaturen gegeben
worden (3. dist. 18. q. 1. a. 2. ad 5.).
Daraus folgt mit Nothwendigkeit, dass Böses wollen zwar ein
Zeichen der Freiheit, nicht aber die Freiheit selbst oder ein Theil
derselben ist (de veritate q. 22. a. 6.). Die Fähigkeit, Böses zu be-
gehren, folgt der Freiheit des geschöpf liehen Willens, solange der-
selbe nicht die Anschauang Gottes besitzt (ib. q. 24. a. 3. ad 2.).
Als Grund, warum der geschöpfliche Wille fehlen, das Böse be-
gehren kann, obgleich dies nicht zur Freiheit selbst gehört, gibt
der englische Meister folgenden an: „Jede Thätigkeit geht aus dem
Agens, als etwas demselben Ähnliches hervor, wie z. B*. das Waime
erwärmt. Soll nun die Thätigkeit eines Agens, welches vermöge
seiner Thätigkeit zu einem particulären Gut hingeordnet ist, auf
natürliche Weise, nicht auf Grund der Gnade oder Glorie,
fehlerfrei erfolgen, so milsste das Wesen jenes Guts dem Agens
natürlich und unveränderlich innewohnen. Die vernünf-
tige Natur ist zum Gut absolut hingeordnet, und zwar nicht
durch eine einzelne Thätigkeit, sondern durch viele und verschiedene.
Wenn also diese Thätigkeiten auf natürliche Weise fehlerlos sich
vollziehen, so müssen die Vernunft und der Wille natürlich
und unveränderlich im Besitze des Wesens, des universellen
und vollkommenen Guts sein. Dies aber ist nur bei der göttlichen
Natur der Fall. Gott allein ist reine Wirklichkeit, ohne Beimischung
einer Möglichkeit oder Potenz. Dadurch ist er die reine abso-
lute Güte. Jedes Geschöpf ohne Ausnahme bildet ein parti-
culäres Gut, weil es in seiner Natur mit einer Potenz ver-
mischt oder zusammengesetzt ist. Die Ursache dafür liegt darin,
dass es aus dem Nichts kommt. Von allen vernünftigen Wesen
besitzt folglich Gott allein eine Freiheit, die von Natur aus
fehlerfrei und im Guten, gefestigt ist. In den Creaturen ist dies
unmöglich, denn sie sind aus dem Nichts, demgemäß particn-
läre Güter und darin hat das Böse seinen Grund '^ (de veritate
q. 24. a. 7.).
Diese natürliche Fehlbarkeit der vernünftigen Geschöpfe
hindert indessen nicht, dass die Freiheit des Willens, durch die
Gnade eine Befestigung im Guten erhalte, auf Grund welcher sie
nicht mehr fehlen kann. Es wurde früher nachgewiesen, dass die
Indifferenz für das Gut und Böse nicht znt Freiheit gehört. Sie
ist nicht per se, sondern nur per accidens der Freiheit eigen, inso-
fern nämUch diese einer Natur zukommt, die fehlen kann. Der
Wille ist an und für sich zum Guten als seinem Objecto hinge-
7*
— 100 —
ordnet. Strebt er nach dem Bösen, so hat ihn die Vernunft
irregeführt, indem sie das Böse als ein Gut dargestellt. Dieser
Fehler gehört der Vernunft an, welche die Grundlage für die
Freiheit bildet. Niemals aber gehört es zum Wesen einer Potenz,
eines Vermögens, in seiner Thätigkeit fehlerhaft zu sein, wie es
z. B. nicht zum Wesen der Sehkraft gehört, dass jemand den
Gegenstand undeutlich wahrnehme. Es kann somit gar wohl eine
Freiheit geben, die, sei sie in Kraft der Natur, ' wie bei Gott, oder
auf Grund der Gnade, wie bei den Bewohnern des EUmmels,
nur mehr nach dem Guten strebt und in keiner Weise das Böse
begehren kann (de malo q. 16. a. 5.). Durch die Gnade wird ja die
Freiheit der geschöpflichen Wesen mit Gott, dem vollkommenen
und absoluten Gut, vereinigt. Ist diese Einigung eine vollendete,
so dass Gott selbst den ganzen Grund der Thätigkeit des Willens
. ausmacht, so kann dieser sich nicht mehr zum Bösen neigen. Die
Heiligen bieten dafür ein Beispiel. Sie erkennen, indem sie Gottes
Wesenheit schauen, dass Gott das Endziel ist, welches am meisten
geliebt zu werden verdient. Sie erkennen überdies alles, was mit
Gott verbint, oder von ihm trennt, nicht bloß im allgemeinen,
sondern im einzelnen; sie schauen Gott nicht allein in sieb,
sondern auch als d^n Grund von allem, und dadurch, wird ihre
Vernunft derart gestärkt, dass die niedern Kräfte nur nach der
Direction derselben thätig sind. Gleichwie wir hier auf Erden das
Gut im allgemeinen auf unveränderliche Weise be-
gehren, ebenso unveränderlich streben. sie das Gut im par-
ticulären an. Neben dieser natürlichen Neigung des Willens
besitzen sie noch eine vollkommene Liebe, wodurch sie ganz und
gar mit Gott verbunden sind. Aus diesem Grunde können sie nicht
mehr sündigen.
47. Der Fehler in der Vernunft, die den Willen irreleitet,
hat nämlich eine doppelte Ursache. Er kommt entweder von der
Vernunft, oder von einem Äußern. Von der Vernunft, denn diese
erkennt von Natur aus bloß das Gut im allgemeinen, sei es
nun Endziel oder Mittel, auf eine unveränderliche, irr-
thumslose Weise. Mit Bezug auf das Particüläre kann sie sieb
täuschen, indem sie dafür hält, etwas sei Endziel, was nicht ein
solches ist, oder etwas sei zweckdienlich, was jedoch in Wahr-
heit nicht der Fall. Auf Grund dieses Irrthums begehrt dann
auch der Wille im particulären dieses oder jenes verkehrt.
Die äußere Ursache wird von den Leidenschaften gebildet, die
bei heftigem Ansturm die Thätigkeit der Vernunft stören, so dass
ihre Entscheidung über ein Gut nicht klar und kräftig genug dem
Willen vorgebalten wird. Diese beiden Ursachen der Fehlerhaftig-
keit, yon welchen die .geschöpf liehe Freiheit von Natur aus be-
gleitet wird, können durch die Gnade und Glorie des Himmels
vollständig beseitigt werden (de veritate q. 24. a. 8.).
— 101 —
Die Indifferenz fUr das Gnt und BOae macht eomit weder
die Freiheit selbst, noch einen Theil von ihr aus. Sie gehört Uber-
haopt nicht zur Freiheit, obgleich sie zeigt, dass ein GeschOpf
frei ist.
48. Schließlich haben wir noch zu nntersnchen, ob znm Wesen
der Freiheit erforderlich sei, dass ein Wesen die erste, d. b. von
Jedem andern unabhängige Ursache seiner Thätigkeit bilde.
Der englische Meister bestreitet diese Nothwendigkeit nnd
erklärt, dass sie nicht zum Wesen der Freiheit gehöre. Seine
Worte sind: «Die Freiheit ist der Grund ihrer eigenen Bewegung,
ihrer Thätigkeit, denn durch die Freiheit bewegt der Mensch sieh
selber zur Thätigkeit. Um frei zu sein wird indessen nicht noth-
wendig erfordert, dass derjenige, der frei ist, die erste Ursache
bilde. Es kann ein Ding die Ursache eines andern sein, ohne
dass es nothwendig die erste Ursache desselben ist, Gott bewegt,
als erste Ursache, die natllrlioben und freien Ursachen. Und
wie er den natürlichen Ureachen, dieselben bewegend, nicht be-
oimmt, dass ihre Thätigkeiten natürliche sind, ebenso benimmt
er den freien Ursachen, indem er sie bewegt, in keiner Weise,
dass ihre Tbätigkeiten freie bleiben. Im Gegentheil, dies bewirkt
er gerade in ihnen, denn er ist in jedem Dinge thätig, entsprechend
den Eigenthllmlichkeiten desselben" (1. p. q. 83. a. 1. ad 3.). Daiane
dass Gott als erste Ursache in den Herzen der Menschen thätig
ist, folgt demnach in keiner Weise die Zerstörung der Freiheit.
Der Wille bleibt dabei selber Ursache seiner Tbätigkeiten (de
veritate q. 24. a. 1. ad. 3.). Indem etwas sieh selber bewegt, bildet
das nämliche Sabject zugleich den Beweger nnd das Bewegte.
Wird etwas von einem andern bewegt, so sind Beweger nnd Be-
wegtes verschieden. Wenn nun ein Wesen ein anderes bewegt,
so folgt daraus, dass es Beweger ist, nicht ohneweiters die
Eigenschaft eines ersten Bewegers. Es kann darum ganz gnt selber
von einem andern bewegt werden und ebenso von diesem andern
die Fähigkeit erhalten haben, zu bewegen. Ganz dasselbe gilt,
wenn ein Ding sich selber bewegt. Es wird von einem andern
bewegt nnd besitzt zugleich von diesem andern die Macht, sich
selber zu bewegen. Obgleich also Gott die Ursache des freien
Willensactes ist, so beeinträchtigt er doch dadurch die Freiheit
Dicht (de malo q. 3. a. 2. ad. 4.). Die Freiheit verlangt bloß, dass
das Princip der Thätigkeit ein inneres sei, dass diese Thätigkeit
unmittelbar einem Principe entstamme, welches im thUtigen Suh-
jecte selber ist. Dieses innere Princip kann indessen sehr wohl
von einem äußern Principe verursacht sein nnd in Bewegung oder
in Thätigkeit gesetzt werden. Erstes Princip bilden gehört folge-
richtig nicht zum Wesen der Freiheit, wie es aberbaapt nicht zum
Weseu einer Ursache gehört, erste Ursache zu sein (1.2. q. 6.
a. 1. adl.). Der geschöpfliche Wille könnte gar nicht in Thätig-
— 102 —
keit übergehen, Princip seiner Thätigkeit sein, wenn er erstes
Prineip, d. h. unabhängige Ursache seiner Neigung wäre. So wenig
die Wesenheit sich selber das Dasein, die Existenz zu geben ver-
mag, ebensowenig ist der Wille imstande, sich selber in Thätig-
keit zu versetzen. Der nachfolgende Paragraph wird es erweisen.
Wir mttssen auf diese Lehre des englischen Meisters ganz
besonders aufmerksam machen und die geehrten Leser ergebenst
bitten, dieselbe unentwegt im Äuge behalten zu wollen. In eiaem
philosophischen Lehrbuche der neueren Zeit hat ein Autor sech-
zehn Stellen aus den verschiedenen Werken des Doctor Angelicus
zusammengeti'agen, um den Beweis zu erbringen, dass S. Thomas
die Vorherbewegung des Willens durch Gott nicht gelehrt habe.
Diese Stellen werden uns noch später beschäftigen. Hier sei vor-
läufig nur auf eine etwas sonderbare Methode aufmerksam ge-
macht. Es werden alle möglichen Stellen zusammengesucht, in
denen der englische Meister die Lehre vorträgt, der Wille bilde
das Princip seiner eigenen Thätigkeit, er selber bestimme sich
die Thätigkeit und das Ziel, er werde nicht von einem andern
bestimmt etc., und dann der Schluss darauf gebaut, die prämotio
physica müsse unter allen Umständen fallen. Dass der heil. Thomas
dabei überall Gott, die erste Ursache nicht allein nicht aus-
schlieft, sondern ausdrücklich voraussetzt, wie die von uns
citierten Stellen zeigen, das wird natüi'lieh nicht gesagt. Hätte
der englische Meister die zukünftigen Schwierigkeiten geahnt, er
wäre höchstwahrscheinlich auf die Idee gekommen, jeder dies«
bezüglich verführerischen Stelle die Worte, den Refrain beizufüg^en :
nan omne, qtiod est principium, est principium primum. Cum aliquid
movet seipsum, non excludüur, quin ab alio moveatur, a gm habet
hoc ipsum, quod seipsum movet (de malo q. 3. a. 2. ad 4.).
49. Hiemit haben wir das ausgedehnte Gebiet der Freiheit
durchwandert. Es ist ein weitnmgrenztes Gebiet und lässt dämm
der Willensfreiheit einen großen Spielraum. Der Wille vennag
alles zu begehren, was gut, was scheinbar oder in der Wahrkeit
gut ist Hierin kommen alle vernünftigen Geschöpfe überein. Und
nicht allein die Geschöpfe, sondern Gott selbst will, was immer
er will, nur insofern es ein Gut ist. Was nicht ein Gut, oder
was Böse ist, kann als solches niemals Gegenstand, Object
des geistigen Strebevermögens sein. Das Strebevermögen der
Dinge ist überhaupt zu einem Gut hingeorduet. Es bleibt darum
unbeschränkt, obgleich es keineswegs ein Kichtgut, oder etwas
Böses als solches begehren kann. Eine Beschränkung der Potenz
erfolgt durch das Object. Wenn nun das Nichtgut und das Böse
formeil genommen gar nicht unter den Gegenstand des Willens-
vermögens gerechnet werden dürfen, so kann von einer Beschrän-
kung des geistigen Strebevermögens durch diese Objecte in keiner
Weise die Rede sein. Cfr. 1. p. q. 19. a. 9. — ib. q. 103. a, 8. —
^ _ 103 —
1. 2. q. 8. a. I. — ib. q. 23. a. 2. — ib. q. 27. a. 1. ad 1, — de
malo q. 16. a. 2.
Der Geg:enstaud des Willens Anas in doppelter Bedeutsog auC-
gefasst werden, entweder formell oder stoflflich. Objeet im formellen
Sinne wird dasjenige genannt, wodnrch ein Gegenstand auf die
Potenz einwirkt, indem er dieselbe determiniert nnd specific! ert. Die
von der Sonne belencfatete Farbe an dem Gegenstände ist tUr das
Sebvenuiigen formelles Objeet. Durch diese Farbe wirkt der Gegen-
stand auf das Auge ein, und letzteres erblickt alle Objecte iiDter
diesem formellen Gesichtspunkte. Stoffliches, materielles Objeet
Dennen wir dasjenige, was, den Gegenstand, w el ch e r anf die Potenz
einen Einflnss ausübt. Der gefärbte Gegenstand ist stoffliches Ob-
jeet für das Ange. Der Wille der geistigen Wesen begehrt alles
was gut ist. Das Gut als solches ist ftlr ihn formelles Objeet,
das materielle wird von den Gegenständen, welche gut aind, gebi Idet.
Daraus ist klar, dass'der formelle Gegenstand jederzeit eins
(unum) ist, während der stoffliche vielfach sein kann. Jedes Ver-
mögen, jede Potenz erscheint darum in irgend einerWpiaS zu einem
(ad tmum) bestimmt. Der Natur t^ntsprbht stets eines, weiebes
' zu ihr im Verhältuiaae steht, ihr proportioniert ist. Der Katur ifi
der Gattung entspricht eines in der Gattung, der. Natur in der
Art, eines in der Art, der Natur in der individnellen Bestimmt-
heit, eines, welches individuelt ist. Die Vernunft und dör Wille
der geistigen Wesen sind nicht stoffliche, sondern geistige, im-
materielle Kräfte. Daher entspricht ihnen naturgemäi3 eines
von allgemeiner fieschaffenfaeit, nämiicb das Gut resp. das Wahre,
das Sejende (1.'2. q. 10. a. I. ad. 3.). In dieser Beziehung stebt
es demnach außer allem Zweifel, dass auch der Wille, aul Grund
seiner eigenen Natur, zu einem determiniert- ist. Und weil diese
DestimmuDg zu einem in seiner Natur liegt, weil sein Wesen
transcendental zn diesem einem hiogeordnet ist, deshalb will er
es auf natürliche und nothwendige d. h. unfreie Weise. In dieser
Hinsicht gibt es keine Wahlfreiheit.
Die Bestimmung des Willens zn einem geht indessen nur
vom formellen Objecte aus, denn nur dieses ist fllr den Willen
eines. In den Naturdingen treffen beide Objeete, das formelle
und stoffliche, in dieser Einheit zusammen. 'Darum ist auch die
ihnen entsprechende Potenz doppelt zn einem bestimmt. Bichtiger
■ vielleicht sagen wir, die Potenz der Naturdinge sei aussc hliel3-
lich zn dem stofflicb'en Objecte hestimiftt, weil das formelle
eine Erkenntnis voraussetzt. Das Strebevermögen der Nacurdinge
ist auf den Gegenstand selbst gerichtet, welcher begehrenswert
isi, ohne Erkenntnis des Grundes, der ratio appetibüäatis, warum
er Tou der Potenz angestrebt wird. Denn das. natürliche 8trebe-
vermfigen, der appetitus naturalis, ist nichts anderes als die Neigung
nnd Binordnung eines DingeB zu einem singulären convenienten
— 104 — 4
*
Objecte. Gleichwie aber das Naturding in seinem natürlichen Seia
bestimmt ist^ ebenso ist auch die Neigung zu einem bestimmten
Gegenstande eine. Infolge dessen bedarf das Naturding keiner
Erkenntnis, wodurch es ein begehrenswertes Object von einem
nichtbegehrenswerten unterscheiden könnte. Diese Kenntnis muss
jedoch der Schöpfer der Natur besitzen, weil er jedem Dinge die
demselben entsprechende Neigung gegeben hat (de veritate q. 25.
a. 1.). Für die Naturdinge selbst existiert somit kein formelles
Object, sondern sie sind zu einem einzigen materiellen bestimmt.
Das sinnlidie Begehrungsvermögen strebt nach dem begehrens-
werten Objecte, insofern in diesem der formelle Grund, die ratio appe-
tihilitatis Vorhanden ist. Es strebt nicht nach dem formellen Grunde .
selbst (in ipsam rationem appetibilitatis), denn- das niedere Strebe-
vermögen begehrt nicht die Güte oder Nützlichkeit und Ergötzlich-
keit, sondern diesen nützlichen oder ergötzlichen Gegenstand. Weil
es indessen nicht diesen oder jenen ausschlieißlich, sondern
jed,en begehrt, der ihm nützlich oder ergötzlich ist, deshalb steht
dieses Strebevertoögen 4iöher, als das der Naturdinge. Es braucht
d&Vum eine Erikenntnis, woduj^ßh das Ergötzliche vjm Nichtergötz- ^
lifehen unterschieden wird (I. c. de ventate).» » ....
Wir ersehen hieraus, dass bei dem sinnlichen Strebevermögen
die formelle Bestimmung, die durch das formelle Object b^irkt
wird, noch eine ist, die vom materiellen hingegen eine vielfache
wird. Hieiin ist das sinnliche Begehrungsvermögen nicht zu einem
bestimmt. Dies muss noch .mehr vom Willen der geistigen Wesen
behauptet werden. Den Grund dafür gibt der englische Meister
an genannter Stelle an. Das höhere Strebevermögen, des Wille,
begehrt direct und absolut den Gegenstand als for nie lies Ob-
ject (tendit directe *in rationem appetibilitatis absolute). Der Wille
strebt nach der Güte, Nützlichkeit etc. in erster Linie und 'haupt-
sächlich. Das materielle Object, dieses oder jenes Gut, will er nor
in zweiter Linie, insofern das formelle mit dem materiellen Ob-
jecte eins ist, indem das materielle an dem formellen Antheil hat
Der Wille ist von so unbeschränkter Fähigkeit, dass die Neigung
zu einem bestimmten Gegenstande dafür nicht ausreicht. Darum
geht seine Neigung auf etwas allgemeines, auf das, was in vielen
sich findet. Weil di6 Vernunft dieses Allgemeine erkennt, deshalb
strebt der Wille durch die Erkenntnis dieses Allgemeinen nach
jenem begehrenswei*ten Objecte, in welchem er das genannte All-* .
gemeine findet. * »
Nach der Beschränkung oder Nichtbeschränkung «des Gegen- *
Standes richtet sich dem früher ausgesprochenen Grundsatze des. .
heil. Thomas zufolge auch die objective Beschränkung oder
Nichtbeschränkung resp. Noth wendigkeit des Strebevermögens.
Das Begehrungsvermögen der Naturdinge strebt mit Noth wendig-
keit nach der Sache, dem Gegenstande selber, welcher
-=- 105 — .
begehrt wird. Das Schwere z. B. strebt mit Nothwendigkeit
nach dem Centmm. Das Bensitire BegehraogsvermSgen begehrt
an und ftlr sich nichts mit Nothwendigkeit. Wird jedoch
irgend ein Gegenstand als nützlich oder ergOtidieb erkannt (sub
ratione delectahilis vel utäis), dann strebt es mit Notli wendig-
keit nach diesem nützlichen oder ergötzlichen Objecte. Das Tliier
mus's daher den vorgestellten Gegenstand begehren. Der Wille
endlich kennt nur eine Nothwendigkeit, nämlich die in Bezug
auf die Güte and Nittzlichkeit selber. Das Gut begehrt
der Mensch nothwendig. Indessen existiert kein Object, gibt es
keinen Gegenstand im materiellen Sinne, wie sehr er auch als
gat nud nützlich erkannt wird, der ihn mit Nothwendigkeit
bestimmte. Und warum dies? Weil jede Potenz nur binsiclitlich
ihres eigenen, des ihr eigentbUmlichen Objectes mit einer
gewissen Nothwendigkeit bfestimmt ist. Der Gegenstand d^s
□ atUrlicben Strebevennögens ist dieses Ding, insofern es
di,ese8 ist. Das Object des sinnlichen Begeh mugs Vermögens
ist dieses Ding, insofern es convenient oder ergötzlich, z. B. das
Wasser, insofern es dem Gescbmacke zusagt, nicht aber insofern
es Wasser ist. Das Object des Willens endlich ist das Out selbst
absolut genommen. , ' .
Wir haben dieser meisterhaft klaren Darstellung der noth-
wendigen Bestimmung des Willens durch den etigli^cben Lehrer
nichts beizufligen, Sie sagt uns zur GenUge, inwieweit von einer
natürlichen und- nothwendigen, d. h. unfreien Bestimmung, resp.
objectiven Bewegung des Willens, gesprochen werden kann. Zum
formellen Object ist der Wille determiniert, dieses, aber auch nur
dieses, begehrt er mit Nothwendigkeit. Bezüglich des materiellen
Gegenstandes, der res, in qua est ista ratio voleudi, weiU er hier
auf Erden von keinerlei Nothwendigkeit, zu keinem Gegen-
stände ist er bestimmt.
Anders verhält sich die Sache im Jenseits. Für den Willen
der Bewohner des Himmels ist das formelle Object zugleich
materielles, d. b. das materielle deckt sich vollkommen mit dem
formellen. Gottes Wesenheit ist die Gute selber absolut. 8ie bat
nicht Antheil an diesem formellen Grunde, an der Güte, sondern
, sie ist selbst dieser formelle Grund, Das fonnelle und materielle
Object sind sAcliIicfa identisch. Darum schließt <fie Nothwendig-
keit mit Bezug auf das eine, die Nothwendigkeit in Betrefl' des
andern in sich. Der Wille strebt mit einer und derselben Noth-
wendigkeit nach beiden. Im gegenwärtigen Leben aber mangelt
uns die Erkenntnis dieser *ealen Identität des materiellen Objeetes
mit dem formellen in Gott, weil es uns versagt ist, Gottes Wesen-
heit, wie sie in sich ist, zn schauen. Infolge dessen strebt der
Wille nach Gott nicht anf natürliche und nothwendige, d. h. un-
freie Weise, sondern seine Beziehung zu diesem Objecte ist eine
— 106 '—
durchaus freie. Umsomehr ist sie eine freie hinsichtlich aller übrigen
geschaffenen Güter, denn, jedes hat bloß Antheil an dem for-
mellen Objecte, an der Güte absolut.
50. Gegen unsere Darlegung der unbedingten subjec-
t i V e n Willensfreiheit fquoad eccercitium actus) mit Bezug auf
jedes Object, »nch das formelle, spricht eine andere Ansicht,
die erklärt, der Wille könne nicht alle seine Acte nicht voUzleheD.
Und man beruft sich, dabei auch auf die sogenannten motusprimo
primi, um zu beweisen, dass der Wille manchmal thätig sein
müsse, also nothwendig handle.
Wir werden vor allem eine zweifache Willensthätigkeit zu
unterscheiden haben. Geht diese Thätigkeit unmittelbar vom Willen
aus und bleibt sie in ihm als ihrem Subjecte, so nennen wir sie
actus elidtus. Geht sie auf eine andere Potenz über, indem sie
diese Potenz in Bewegung setzt, so ist es ein actus imperatus. Die
Tfhätigkeit der vom Willen bewegten Potenz ist ein actu^ elicitus
jener Potenz und zugleich ein actus imperatus des Willens. Selbst-
verständlich kann der Wille eine andere Potenz nur durch seine
eigene Thätigkeit, durch seine^n actus elicittcs in Bewegung setzen.
Hinsichtlich der actus imperati, jener nämlich, welche von
fmdern Potenzen vollzogen werden, unterliegt es keinem Zweifel,
dass sie* bisweilen nicht freie Acte sind. Allein mit diesen Acten
hat die Freiheit nichts zu thun. Die Freiheit besteht nicht in der
Selbstbestimmung zu diesen Acten (deveritate q. 24. a. 1.
ad 1. — de malo q. 6, ad 1.). Thätigkeiten dieser Art können von
einem andern Agens erzwungen werden (1. c. de malo ad 15 u. 22).
Es handelt sich demnach in unserer Frage bloB um den aäus
elicitusj'um. das Wollen selbst.
Kann der Wille diesen Act nicht nicht ausüben, so sind zwei
Fälle möglich. Er wird entweder gezwungen, oder er besitzt eine
natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Neigung zu seiner Thätig-
keit. Beides wird vom englischen Lehrer bekämpft.
a) Der Wille kann nicht gezwungen werden. — Nachdem
S. Thomas die vorhin aufgezählten zwei Arten von Willensacteu
unterschieden und die Frage, ob man dem Willen Gewalt anthun
könne, bezüglich der actus imperati bejaht hat, kommt er auf das
Wollen selbst zu sprechen. Von diesem nun behauptet er, dass .
es niemals mit* Gewalt erwirkt werden könne. Di€ Willensthätig-
keit ist nichts anderes als eine gewisse Neigung, die von einem
i n n e r n Princip, dem Willen selbst ausgeht. Hierin unterscheidet
sich die Willensthätigkeit nicht vom wirklichen Streben der Natur-
dinge. Der appetitus naturalis der Naiurdinge ist ebenfalls eine
Neigung, welche einem Innern Principe entspringt. Nur fehlt
den Natnrdingen die Erkenntnis, die das mit einer Willenskraft
ausgestattete Wesen besitzt. Der Zwang und die Gewalt hingegen
stammen von einem äußern Princip. Darum widerspricht es direct
— 107 —
dem inuereten Wesen des Willens, das« er za einer Thätigkeit
geKwnngen werde oder Gewalt erleide. Wenn der Stein in die
Höhe geworfen wird, so verstoßt dies gegen seine natür-
liche Neignng. Daher geschiebt ea in gewaltsamer Weise.
DasB aber diese gewaltsame Bewegung zugleich am der natür-
lichen Neigung des Steines erfolge, das ist einfach ein Ding
der Unmöglichkeit. Auf dieselbe Weise kann auch der Mensch
gewaltsam irgendwohin gezerrt werden. Allein, dass dieses ans
natöriicher Neigung des Willens geschehe, das widerstreitet dem
Wesen der Gewalt (1.2. q. 6. a. i.) Gäbe es demnach in nng
Willensacte, die wir nicht verhindern können, so wären sie einer-
seits ans der innero Neigung des Willens hervorgegangen,
denn darin besteht wesentlich der Willensact, und andererseits
zugleich gegen diese innere Neigung, denn darin liegt das
Wesen der Gewalt. ' Der Widersprach ist offenkundig. Willens-
neigung und Gewalt mit Bezug auf den Willen stehen im contra-
dictorischen Gegensatz zn einander (1, p. q. 82. a. 1. — 4. dist, 29,
Q, I. a. 1. — de veritate q. 22. a. 5.).
Und woher sollte dieser Zwang, diese Gewalt auch kommen?
Von irgendeinem äußern Agens? Keine geschaffene Ursache
besitzt Kraft genug, um der Wüleusneigung selbst entgegenzu-
arbeiten. Keine Creatar vermag auf den Willen unmittelbar sub-
jeetiv einzuwirken. Das steht Gott allein zu. Die Geschöpfe wirken
bloß objectiv auf den Willen ein. Wie sehr indesaen ein geschaf-
fenes Gut auch den Willen bewegen mag, es kann ihn nicht
zwiugea, es vermag nicht einmal ihn in wirksamer Weise
zu einer Thätigkeit zu bestimmen. Es kiJnnte folglich nur dui'cb
Gott geschehen, der allein auf den Willen unmittelbar und subjectir
bewegend einwirkt. Gewalt oder Zwang ist jedoch von dieser
Bewegung durch Gott absolut ausgesclilossen ; denn kein Geschöpf
besitzt eine Neigung gegen das, was Gott in ihr tbut. In Kraft der
potentia obedientialis neigt sich jedes geschaffene Wesen naturgemäß
in all dem, was der Urheber dieses Wesens in demselben wirkt.
Von einer gegentbeiligen Neigung kann man in dieser Beziehung
gar nicht sprechen. Diese ist allerdings manchmal vorhanden,
bevor der Wille von Gott bewegt wird (de veritate q. 22. a. 6,).
h) Wenn der Wille nicht alle seine Acte nicht vollziehen kann,
so mDsste der Grund darin gesucht werden, dass er auf natür-
liche und nothwendige, d, h. unfreie Weise von irgend einem Agens
subjectiv bewegt und bestimmt wird. Diesbezüglich wollen wir
abermals eine Unterscheidung machen. Entweder ist der Wille
vonNatnr aus dergestalt /u einem Gegenstande, einem Objecte
hingeordnet, dass er dieses Object, sobald es ihm durch die Ver-
nunft vorgestellt wird, auf genannte Weise begehrt; oder er wird
von Gott subjectiv auf natürliche und nothwendige Weise bewegt.
Das eine wie das andere wird vom englischen Meister bestritten.
T»f
— 108 —
Ersteren Fall mttssten wir offenbar dahin erklären^ dass irgend
einObject nicht bloß objectiv oder specificierend, sondern auchsub-
jectiv in wirksamer Weise bewegend auf den Willen einwirkt.
Wird ihm daher dieser Gegenstand vorgestellt, so mass er in
Thätigkeit tibergehen, er kann nicht das Gegentheil, kann nicht
unthätig bleiben. Was lehrt nun der heil. Thomas in dieser Frage?
Der Wille kann von jedem Gegenstande, der ein Gut ist
bewegt werden. Allein diese Bewegung reicht nicht hin, ist nicht
eine wirksame, außer sie erfolgt .durch Gott (non autem suffi-
cienter et efßcaciter nisi a Deq), Ein Bewegliches kann vom Be-
wegenden nur dann in genügender Weise bewegt werden,5wenn
die active Kraft des Bewegenden größer, öder wenigstens gleich
ist der passiven, aufnehmenden Kraft des Beweglichen. Die passiFe
Kraft des Willens erstreckt sich auf das Gut im allgemeinen,
denn das universelle Gut ist Object für deü Willen. Jedes ge-
schaffene Gut aber ist etwas Particuläres, ein particu-
Jiäres Gut, Gott allein hingegen das universelle. Darum füllt er
allein den Willen aus, und bewegt auch als Ohject den-
selben hinreichend (1. p. q. 105. a. 4.). Die andern Objecte ver-
mögen zwar den Willen einigevmsLsaen fcUiqualüerJ zu. be-
wegen, keines jedoch, außer Gott, das universelle Gut, in hin-
reichender Weise (ib. q. 106. a. 2. — q. lll. a. 2.). So lautet die
Ansicht des heil. Thomas.
Diese Stellen lassen einen Zweifel über die Lehre des heil.
Thomas nicht aufkommen. Kein Object bewegt subjectiv den
Willen auf eine natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Weise,
zu keinem ist er auf die genannte Art hingeordnet. Seine sab*
jective natürliche Neigung ist somit eine freie.
Aber Gott, Gottes Wesenheit als Object, bewegt doch den
Willen auf natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Art ? Im gegen-
wärtigen Leben geschieht auch dieses nicht.
Manche Dinge stehen mit der Glückseligkeit in einem noth-
wendigen Zusammenhange, alle jene nämlich, wodurch man Gott,
in dem allein die wahre Glückseligkeit besteht, anhängt. Allein so-
lange uns dieser nothwendige Zusammenhang nicht durch die
Gewissheit der göttlichen Anschauung klar gemacht
wird, hängt der Wille Gott nicht mit Nothwendigkeit
an. Folglich auch nicht irgend einem andern, was mit Gott im
Zusammenhange steht (1. p. q. 82. a. 2.). Am meisten und noth-
wendigsten hängt mit der Glückseligkeit doch gewiss der Ver-
standes- und Willens act zusammen. Durch diese Thätigkeit ist
ja der Mensch formell glücklich. Sie bilden die beatitvdoformalis»
Und doch gibt S. Thomas nicht zu, dass wir hier auf Erden diese
Thätigkeiten mit Nothwendigkeit vollziehen. Stet« setzt der
englische Lehrer die Bedingung bei: wenn er will. Wenn der
Wille die Glückseligkeit thatsächlich begehrt, dann kann er
— 109 —
*
nicht das Gegentheil der Glückseligkeit wollen. Allein gerade diese
Bedingung schli^üt in sich, dass der Wille das Gegentheil seiner
Thätigkeit, die Unthätigkeit, begehren kann.
In der theologischen Summa fragt der englische Lehrer mehr-
mals, ob der Wille mit Nothwendigkeit etwas begehre. Man
vergleiche z. B. 1. p. q. 82. a. 1. — 1. 2. q. 10. a. 1. Untersucht
man den Artikel näher, so ergibt sich, dass hier immer nur von
der objectiven Bewegung die Rede ist. Das Object specificiert
manchmal den Willensact, wenn ein solcher vorhanden ist,
mit Nothwendigkeit. Der Wille kann in diesem Falle nicht das
Gegentheil desObjectes wählen. Nirgends jedoch spricht S.Tho-
mas davon, dass ein Object den Willen subjectiv, quoad exer-
cüium actus mit Nothwendigkeit bewege. Das vorhin eben-
falls aus der theologischen Summa Angeführte dient zur Bestäti-
gung dieser unserer Behauptung. Wenngleich daher S. Thomas
lehrt, der Wille werde zu manchem auf nattlr liehe Weise be-
wegt, so darf dies doch nicht von der subjectiven Bewegung
verstanden werden. Dies beweist schon, wie Conrad (in 1. 2. q. 10.
a. 1.) mit Recht bemerkt, der Ausdruck: zu etwas, ad aliquid.
Der englische Meister stellt die Frage nicht absolut, nämlich ob
der Wille auf natürliche Weise bewegt werde, sondern ob er auf
genannte Weise zu etwas bewegt werde. Somit ist offenbar die
»Specificienjng, die öbjeetive Bewegung darunter gemeint. Von der
subjectiven jgeschieht hier keine Erwähnung.
Dal'tlr spricht sich der Doctor Angelicus, wie wir fi*üher nach-
gewiesen, an andern Stellen um so entschiedener über die subjec-
tive Freiheit des Willens aus. Der Wille ist mit Bezug auf seine
Thätigkeit in jedem Zustande der Natur frei (de veritate q. 22.
a. 6.). Darum besitzt er die Selbstbestimmutig. Dadurch
unterscheidet er sich vom Thiere. Die Willensfreiheit hinsichtlich
der Acte folgt ohneweiters schon daraus, dass überhaupt nichts,
außer Gott, auf den Willen einen subjectiven Einfluss auszuüben
imstande ist.
51. Damit kommen wir zu dem zweiten oben angegebenen
Fall. Kann der Wille nicht alle seine Acte nicht vollziehen, so
haben wir als Grund dafür anzugeben, dass Gott ihn manchmal
wenigstens zum Gut und zu der Glückseligkeit im allgemeinen
subjectiv auf natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Weise
bewegt.
Diese Ansicht findet in neuerer Zeit wieder ihre Vertreter.
Sie ist indessen nicht neu. Der Gistercienser Petrus vom heil.
Josef, geboren 1592, gest. 1662 (cfr. Hurter Nomenciator liter.
I. B. Seite 760), schrieb 1633 eine Vertheidigung des heil. Thomas
gegen die Thomisten. In diesem Buche trägt der genannte
Autor alles Mögliche und Unmögliche aus verschiedenen Autoren
zusammen, um zu beweisen, dass die Thomisten den englischen
— 110 —
Meister ganz mit Unrecht die praemotio physica bezüglich der
freien Acte lehren lassen. Der Uauptbeweis des Autors versucht
darzuthun, dass S. Thomas weiter nichts vertheidigt habe, als
jenen Einfluss Gottes auf den Willen, wodurch derselbe auf natür-
liche und nothwendige, d. h. unfreie Weise zum Guten und zu
der Glückseligkeit im allgemeinen bewege. Neues hat unser
Autor in seiner Vertheidigung des heil. Thomas gegen die
Thomisten nicht vorgebracht. Es wurde alles schon von andern
vor und neben ihm gelehrt und die Thomisten brauchen sich vor
dieser Vertheidigung ihres Meisters nicht zu fürchten.
Der heil. Thomas hat nirgends gelehrt, dass Gott den
Willen subjectiv auf natürliche und nothwendige, d. b. unfreie
Weise bewege. Der Beweis dafür ist nicht schwer zu erbringen.
Schlagen wir zunächst die theologische Summa des Meisters
auf. In: 1.2. q. 10. a. 4. fragt S.Thomas, ob Gott den Willen
mit Nothwendigkeit bewege. Die Antwort auf diese Frage
lautet: „Der Vorsehung Gottes kommt es zu, die Natur der Dinge
zu erhalten, nicht aber dieselbe zu zerstören. Er bewegt folglich
alles entsprechend den Bedingungen derselben. Darum gehen aus den
nothwend igen Ursachen durch die göttliche Bewegung noth-
wendige Wirkungen, aus den contingenten Ursachen da-
gegen contingente Efifecte hervor. Da nun der Wille als
actives Princip nicht zu einem bestimmt ist, sondern vielen
gegenüber sich indifferent verhält, so bewegt ihn Gott in der Weise,
dass er infolge dieser Bewegung, nicht mit Nothwendigkeit
zu einem bestimmt wird, sondern diese Bewegung eine contin-
gente bleibt, nicht eine nothwendige wird."
Der englische Lehrer spricht hier von einer Bewegung des
Willens durch Gott, die der natürlichen Neigung des Willens
conform, genau angepasst ist. Wir haben vorhin diese natürliche
Neigung des Willens kennen gelernt. Mit Bezug auf den Act,
die Thätigkeit, ist diese Neigung eine von Natur aus freie, con-
tingente. Entspricht nun die Bewegung durch Gott vollkommen
dieser natürlichen Neigung des Willens, so kann sie unmög-
lich eine nothwendige, unfreie sein. Femer erklärt der Doctor
Angelicus an dieser Stelle, der Wille sei als actives Princip
nicht zu einem bestimmt. Wenn aber dies, dann ist er frei.
Denn jenes Thätigkeitsvermögen, welches nicht zu einem be-
stimmt ist, welches noch die Potenz zum Gegentheil in sich bat,
nennen wir frei. Wenn also der Wille als actives Princip, ab
agens in acta nicht zu einem bestimmt ist, so mnss er frei ge-
nannt werden. Als actives Princip aber steht er schon unter
der Bewegung Gottes. Den Nachweis daflir werden wir später
liefern. In der Antwort auf den ersten Einwurf bemerkt der
Doctor Angelicus, es würde der göttlichen Bewegung mehr wider-
atreiten, falls der Wille mit Nothwendigkeit bewegt würde, ata
_ 111 _
wenn er frei bewegt wird. Ersteres verstoßt gegen seine Nstnr,
letzteres entspricht dereelbeii. Da ea nnn dem güttliclieo Willea
eigen ist, nicht bloß durch das Geschöpf, welches er bewegt,
etwas hervorzubringen, sondern daBselbe auch anf die Art und
Weise zq wirken, welche der Natnr des Geschöpfes zakommt, so
muss folgerichtig diese Bewegung eine freie, sie kann nicbt eine
nothwendige sein. Dem Einwurfe, das der Wille unter der Ha-
wegiing durch Gott dasjenige, wozu er bewegt wird, wollen ni (1 b s e,
indem sonst Gottes Thätigkeit sich als onwirksani erweise, be-
gegnet der englische Lehrer mit den Worten, diese Notliweudtg-
keit sei bloI3 eine bedingungsweise, nicht eine absolate. Diese
Nothwendigkeit bat ihreu Grund darin, daes contradictoiisch ent-
gegengesetzte Dinge nicbt zu gleicher Zeit einem und demselben
Subjecte zukommen können. Wenn Gott den Willen bewegt, so
kann er ihn nicbt zugleich nicbt bewegen. Eine Nothwendigkeit
dieser Art existiert somit auch in Gott, der unbedingt und in
jeder Beziehung frei ist. Das contradictorisch Entgegengesetzte
kann aach in Gott nicbt verbunden sein, weil der eine Tbeil
innerlich und naturgemäÜ den andern ausschließt. So oft demnach
der Wille von Gott bewegt wird, kann er nicht zugleich nicht
bewegt werden. Diese Nothwendigkeit tritt der Freiheit nirgends
hindernd in den Weg, denn sie findet sieb überall. Durch die
Bestimmung zu einem, so dass die Potenz fUr das Oegentbeil
anfgehoben wird, erleidet die Freiheit Schaden. Die Determinierung
zneinem steht nicht der Bestimmung zu vielen, sondernjener
zum Gegentheil gegenüber. Würde daher der Wille von Gott
mit Nothwendigkeit bewegt, so hätte er keine Potenz (ür das
Nichtbewegtwerden. Er mUsste folglich immer in Thätigkeit sein,
weil er keine Möglichkeit, keine Potenz besäße untbätig zu sein.
Da in Wirklichkeit die Sache sich anders verhält, so ist klar,
dass Gott den Willen frei bewegt, keineswegs, wie behauptet
wird, anf natürliche und nothwendige, d. b. unfreie Weise.
Macht aber hier der heil. Thomas nicbt eigens eine Ausnahme?
Sagte er nicht ausdrücklich, die Bewegung des Willens sei eine
coDtingeate, aasgenommeu fnisij mit BcKog auf das, was er
naturgemäß {naturalUerJ. begehrt? Es scheint also doch, da^« nach
der Lehre des hl, Thomas der Willen subjectiv von Gott auf
natürliche nnd nothwendige, d. h. unfreie Weise zam Goten oder
za der Glückseligkeit im allgemeinen bewegt wird.
Dieser Ansicht können wir unsere Zustimmung nicht eilbeilen.
Legen wir den heil. Thomas in dieser Art aus, so mÜEsen wir
behaupten, dass er mit sich selber im hellsten Widerspruche sieht.
In der ersten Quästio der Prima Secundae erklärt der engÜBche
Meister im erstes Artikel, welche Handlungen oder Thätigkeiteu
im eigentlichen Sinne mensehliche genannt Werden. Es sind jene,
fllier welche der Verstand und der Wille die Herrschaft besitzt
— 112 —
Diesen stellt er andere gegenüber, jene nämlich, welche vom
sensitiven nnd vegetativen Theile des Menschen ausgeftlhrt werden
(1. c. ad. 3.). Die Thätigkeiten des Verstandes und Willens theilt
er nicht ab in solche, die frei, und solche, die auf natürliche und
nothwendige Weiöe vollzogen werden. Dies ist doch sicher ein
Zeichen, dass er Thätigkeiten der letztern Art nicht kennt. Anders-
wo (1. 2. q. 10. a. 2) bemerkt S. Thomaä, der Mensch könne über
jedes Object nicht nachdenken und infolge dessen jedes in der
Wirklichkeit nicht wollen. Wird dem Willen ein universelles Gut
vorgestellt, so strebt der Wille mit Nothwendigkeit nach
diesem allseitig vollkommenen Gut, wenn er etwaswill, d.h.
er kann nicht das Gegentheil dieses Guts begehren. Das Gut und
die Glückseligkeit im allgemeinen bilden ohne Zweifel für den
Willen das universelle Gut. Dennoch muss der Wille nicht
dieses Gut that sächlich begehren, sondern nur wenn er will.
Bewegt nun Gott den Willen zu diesem Gut auf natürliche und
nothwendige, d. h. unfreie Weise, dann haben die Worte des
englischen Meisters: „wenn er etwas will'^, einfach keinen Sinn.
Wird der Wille subjectiv mit Nothwendigkeit bewegt, dann kann
man nicht mehr beifügen: „wenn er will".
Noch deutlicher spricht sich der Doctor Angelicus au einer
andern Stelle aus (de malo 6. a. uo.). Daselbst hei£t es : „Das-
jenige, was den Verstand und Willen zuerst (primoj bewegt,
ist etwas über dem Verstand und Willen, nämlich Gott. Dieser
aber bewegt alles nach den Eigenschaften des Beweglichen, das
Leichte nach oben, das Schwere nach unten: Gott bewegt auch den
Willen entsprechend den Bedingungen desselben. Und er bewegt ihn
so, dass er nicht mit Nothwendigkeit, sondern mit Indiffe-
renz vielen gegenüber diese Bewegung ausführt. Daraus folgt, dass
die subjective Bewegung des Willens nicht mit Nothwen-
digkeit vor sich geht. Patet ergo, quod si consideretur motus
voluntatis ex parte exercüii actitö, non movetur ex neoessitate . . . Wird
dem Willen ein Gut vorgestellt, welches in j eder Beziehung zusagt,
so wird er objectiv mit Nothwendigkeit bewegt. Ich sage Qbjectiv
oder bezüglich der Determinierung des Actes, weil er nicht das
Gegentheil dieses Guts begehren kann. Subjectiv wird er nicht
mit Nothwendigkeit bewegt, denn es kann jemand zu der
Zeity tunc, über die Glückseligkeit nicht nachdenken wollen."
Klar und deutlich lehrt also hier der heil. Thomas dass der
Wille subjectiv, quoad exerdtium actus, jederzeit frei ist
Bewegt Gott den Willen auf natürliche und nothwendige, d« h.
unfreie Weise zu dieser Glückseligkeit, so muss der Mensch über
die Glückseligkeit nachdenken wollen. Er kann nicht das Gegen-
theil thun, weil er subjectiv mit Nothwendigkeit, d.h. unfrei, zn
einem bestimmt, zum Nachdenkenwollen determiniert ist. Der
englische Meister kann somit nicht ohne Widerspruch mit sich
u
— J13 —
selber die Behauptung anfatellen. Gott bewege den Willen snbjectiv
nothwendig' and anf natürliche Weise za dem Gut nnd der Gllick.-
«eUgkeit im allgemeinen.
Derselbe Widerspruch ergibt flieh ans einer andern Doctrin
■ des heil. Thonla^. Als Grund, waram der" Wille subjectiv frei ist
lUbit S. Thomas an, weil der, Verstandes- und Willensaet etwas
Pa'rticuläres sind.' HSren sie vieUeieht anf, etwas Partioaläres
za sein, wenn der Mensoh durch sie nach dem Gut and der,
Glückseligkeit im allgemeinen strebt? Gewiß nicht, denn sie richten
eich nach dem thgtigen Sabjecte {actiones sunt suppositorum), welches
ohne Zweifel etwas Singuiäres ist. Vertheidigt nun der englische
Lehrer die Ansicht, der Wille sei mit Bezug. auf alles ParUcn-
lärje objectiv and sabjectiv frei, so kann er nicht ohne
Widerspruch mit sich, zugleich behauptenj die Willensthätigkeit,
womit der Mensch das Gnt und die Glückseligkeit im allgemeinen
begehrt, sei eine natürliche and nothwendige, d. h. unfreie. Wir
werden darum die Schlussworte des vierten Artikels in : 1. 2, q. 10.
a, 4, dahin erklären mUssen, dass S.Thomas damit die obj ective
Nothwendigkeit gemeint hat. Es gibt ßir den Willen überhaupt
aar eine Nothwendigkeit, die objeetiye Determiniernng zum Gut
Dnd za der Gifickseligkeit im allgemeiueo. Hinsichtlich seiner
Thätigkeit ist der Wille vollkommen frei. Damit stimmt auch
Copad Hberein (in: 1. 2. q. 10. a. 4.). Man vergleiche den ge-
nannten Gommentator, den wir unsererseits dem Cajetan unbe-
dmgt vorziehen, zu dem ersten Artikel der genannten Quästio.
Man hat sich in ^lenerer Zeit noch auf andere Stellen des
beil. Thomas berufen, so z. B. in: 1.2. q. 9. a. 6. ad3. und
1. p. q. 105. a. 4., nm dea Beweis zu erbringen, dass Gott auf
natürliche nnd nothwendige, d. b. nnfi'eie Weise deu Willen zum
6at und der Gltlckseligkeit im allgemeinen bewege.
Wenden wir diesen unsere Aufmerksamkeit zu. In; 1.2, q, 9.
a. 6. beweist der heil. Thomas, das von allen äußern bewegenden
Frincipien Gott allein den Willen innerlich bewege, weil er
allein die Ursache, der Urheber des Willens ist Gegen diesen
Beweis macLt sich nun S. Thomas folgende Schwierigkeit: „Gott
Ternreacht nur Gutes. Wird nun der Wille des Menschen von Gott
allein bewegt, so kann diese Bewegung niemals auf das Böse
gerichtet sein, was unrichtig ist." Der englische Meister erwidert
darauf: „Gott bewegt als aniverseller Beweger den Willen der
Meuscheil zum universellen Objecte des Willens, nämlich zum Gut.
Ohne diese universelle Bewegung kann der Mensch nicht irgend-
etwas wollen,' X)er Mensch aber bestijnmt sich selber durch seine
Vernunft, dieses odrfr. jenes, ein wifhres oder ein Scheingut zil ■
*begehren.'Bi8weUeii bewegt Gott einigt ganz speciell,» etwa* be-
stimmt zu woHen, eiu bestimmtes Gut zm begehren. Dies tnfft bei
allen jenen zu, die er durch die Gnade bewegt"
FeldnsT, wmeiisfrsUielt. 8
— 114 —
Die Frage, um welche es sich hier handelt, ist die: woher
.es komme, dass der Wille mauclimal nach dem Bösen strebt,
wenn er von Gott allein bewegt wird. Gott bewegt ja n u r zum
Guten. Von welcher Bewegung ist hier die Rede? Offenbar von
der objectiven. Warum der Wille manchmal das Böse be-
gehre, um das fragt es sich. Gott bewegt den Willen ausschließlich
zum Guten, niemals zum Bösen. Begehrt der Wille thatsächlich
, B ö s e s, ein Scheingut, so ist der Grund dafür nicht in Gott, resp.
in der Bewegung des Willens durch Gott, sondern im ver-
kehrten Urtheile der Vernunft zu suchen. Und dies mit Recht, denn
Gott bewegt den Verstand und Willen für gewöhnlich ganz ent-
sprechend der Bejjchaflfenheit, der Disposition derselben. Befin-
den sich diese zwei Vermögen infolge der Leidenschaft o,der
einer Gewohnheit, eines Habitus in einer schlechten Disposition,
so werden sie anstfatt das Gut, das Böse begehren. Die Bewe-
gung Gottes wird in der Potenz der Geschöpfe aufgenommen
und infolgedessen nach der Beschaffenheit dieser Potenz uiodi-
ficiert. Daher ist nicht Gott die Ursache, dass der Wille Bösea
anstrebt, sondern die verkehrte Disposition der Vernunft und
des Willens. Näheres darüber später.
Spricht der englische Lehrer hier von einer subjectiv nothwen-
digen Bewegung des Willens durch Gott ? Wir finden in dieser Hinsicht
nicht den mindesten Anhaltspunkt. Es ist von der Bewegung zum
Guten die Rede. Und ohne diese Hinorduung zum Guten kann
der Wille nichts begehren. Selbst das Böse wird von ihm als ein
Schein gut angestrebt. Die Nothwendigkeif, welche S. Thomas hier
im Auge hat, bezieht sich somit auf die Specificierung des
Actes, auf die objective Bestimmung zu einem, nämlich zum
Gut. Ohne diese Determinierung zum eigenen Objecte könnte
der Wille überhaupt nichts begehren. Zu diesem seinem Objecte
ist er darum ebenso nothwendig bestimmt, wie jede andere Potenz
zu dem ihr eigenthümlichen Objecte. Da es aber ein zweifaches
Gut gibt, ein wahres und ein scheinbares, und der Grund, warum
es als ein scheinbares Gut aufgefasst und vorgestellt wird,
in einem Fehler der Vernunft liegt, so bewegt Gott den Willen
nur zum Guten. Die Entscheidung des Willens für das schein-
bare und nicht für das wahre Gut wird mit Recht dem Willen
der Creatur zugeschrieben. Der Wille hat sich dabei von der Ver-
nunft täuschen, in*eftihren lassen. Man vergleiche zu dieser Stelle
den Conrad.
In der zweiten Stelle, auf die man sich beruft, um 'die sub-
jectiv noth wendige Bew^ung des Willens durch Gott darzn-
4hun: 1.. p. q. 105. a. 4: sagt der heil. Thötnas, Gott bewege den
Willen nittht bloß objecj;iv, sond^ern auch subjectiv Wnreichend
und \t*rksam. Wann dieses objectiv geschieht, haben wir früher
gesehen. Dann nämlich bewegt Gott als Obje*ct den Willen
k
— 115 —
biureichead nnd wirksam zur Thätigkeit, ad exercitium actus,
weDn seiae WeBeiiheit unmittelbar aDserm Verstände gegenwärtig
ist, d. b. im andern Leben. Sier auf Erden wird der Wille von
Gott als Object weder liiureicbeud noch wirksaiu zu einciu
Acte bewegt. Umsoweniger kann dann tod einer Notli wen-
digkeit gesprocfaen weiden, tiubjectir bewegt Gott den Wiltea
hinreichend und wirksam, während dies kein Geschöpf vermag,
weil er dem Willen die Etaft zu wollen verleibt. Dem engten
Beweger kommt es zu, den Willen zum uniTersellen Gut zu be-
wegen. Auch hier ist, wie jedermaoa sieht, von einer nothwea-
digen Uewegung nicht die Rede. Die Anadrllcke: „mfßcienler
et efßcaciter" kCunen doch uomSglich dasselbe bedeuten, was die
Ausdrucke: „notLwendig and natürlich, d.h. unfrei" besagen.
Zudem wiid von den Gegnern das Wort: allgemeiu oder
Mtverselt Ibrtwäbrend ganz und gar unrichtig aiifgefaHi«t. Das
imiverselle Gnt ist nicht etwas Abstractes, ist nicht allgemeiner
Natur, denn in diesem allgemeinen Zustande würde es gar nicht
auf den Willen einwirken, denselben in keiner Weise bewegen.
Was als gnt und zuträglich aulgefasst wird, moss als gut und
coDveuient im particulären, nicht im allgemeinen erkannt
werden. Das universelle Gut muss darum so beschafTen sein,
(lasH es alles Particuläre In sich schließt. Si ergo appnhmdatur
aliquid ut bonum convmiens secundum omnia particularia quae «om-
siderari possunt, ex necessitafe movebU volunttUem (de malo q. 6,
a. UD.). Wenn man denmach sagt, das Object des WilletL^ sei das
Gut im allgemeinen, so ist darunter nicht etwas Abstractes,
oder ein Gegenstand allgemeiner Natur zu verstehen, soudern
€8 wird damit die ßeschiänkung des Willens auf ein bestimmtes,
nicht allseitig vollkommenes Gnt ausgeschlossen. Das Object
des Willens im andern Leben ist ein sehr bestimmtes, d. h. singu-
läres Gut, die Wesenheit Gottes. Diese ist weder etwas Abstractes,
uoeh allgemeiner Natur. Dennoch muss sie antverselles Gut
genannt werden, weil sie alles Farticnläre in sich begreift. Noch
weit unrichtiger ist es, wenn man die subjective Bewegung
des Willens dnrch Gott allgemeiner Natur sein läset.
Die dritte Stelle aus dem englischen Lehrer, auf die man
sich stutzt, nm die natürliche und notbwendige, d. h. unfreie,
subjective Bewegung des Willens zum Gnt und zn der Gltlck-
seligkeit im allgemeinen zu erweisen, findet sich: l.p. q. 82, a. l.
DasB S.Thomas daseii)st von der objectiven, nicht von der
subjeetiven Notbwendigkeit spricht, Jcanu jeder erkennen, der
die Stelle liest. Wäre dem' nicht so, dann mllsste der Wille mit
liozng auf das Gut und die Gluckseligkeit im allgemeinen immer
iu Thätigkeit, in acta »ein, was der englische Meister ausdrllck-
lich bestreitet. Indem der Doctor Angelicus erklärt, der Wille
begehre zwar virtuell und implieite, oiebt aber acta eil in allen
r- 116 — *
seinen Handlangen das Endziel/die Gläckseligkeit im allgemeineü, hat
er am deutlichsten dargethan, von welcher Bewegung des Willens
er spricht. Man vergleiche z. B. 1. 2. q. 1. a.6. besonders ad 3. Hier
wird ausdrücklich gesagt^ dass der Mensch nicht immer an das
Endziel denke, wenn er etwas thut. Auf Grund dieser Lehre
argumentieren wir in folgender Weise: Gott bewegt den Willen
zum universellen Gut und ohne die allgemeine Bewegung kann
der Mensch nichts wollen. Versteht tiun S. Thomas unter dieser
allgemeinen Bewegung die subjective Bewegung des Willens, quoad
exerdtium adm, so muss der Mensch jedesmal, so oft er etwas
will, zuerst das Gut und die Glückseligkeit im allgemeinen wollen.
Dazu gentigt aber das virtuelle Wollen nicht. Es ist ja eine
wirkliche, eine actuelle Bewegung, die Gott dem Willen
mittheilt. Allein der englische Lehrer bestreitet an der vorhin an-
gegebenen Stelle, dass der Mensch immer an das Endziel, an das Gut
und die Glückseligkeit im allgemeinen denken müsse, wenn er irgend
etwas will. Es ist somit ganz und gar unrichtig, die Stelle : 1. 2. q. 9.
a.6. ad. 3. in der Bedeutung der subjectiven Bewegung des
Willens aufzufassen. Umsoweniger genügt dann diese Bewegung
durch Gott, und umsoweniger entspricht es der Wahrheit, dass
S. Thomas nur diesen und keinen anderen Einfluss Gottes auf
die vernünftigen Geschöpfe gelehrt habe.
Was der englische Meister in Wirklichkeit lehrt, ist, dass Gott
den Willen weder zum Gut und zu der Glückseligkeit im allge-
meinen, noch zu irgend einem particulären Gut subjectiv auf
eine natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Weise bewegt
In beiden Fällen würde eine derartige Bewegung der innern
natürlichen Neigung des Willens widersprechen. Sie wäre
folgUch eine gewaltsame, sie wäre gleichbedeutend mit Zwang.
52. Wie verhält es sich nun mit den actus oder motiis primo
primi? Inwiefern unterstehen diese Thätigkeiten dem freien Willen,
der Wahlfreiheit?
Es muss zunächst eine zweifache Art vonThätigkeit im Menschen
unterschieden werden. Manche Thätigkeiten sind menschlicbe,
andere Thätigkeiten des Menschen factiones humanae et adiones
hominisj. Erstere kommen dem Menschen formell als solchem
zu,, letztere insofern das Agens, das Suppositum ein Mensch ist.
Die menschlichen Handlungen sind alle frei, die Thätig-
keiten des Menschen nicht immer (1. 2. q. 1. a. 1. und ad 3.).
' Die sogenannten motus primo primü haben ein doppeltes
Subject uäd Princip. Die einen entstehen im sinnlichen Tbeile,
in der nied^rn Natur des Menschen, ' die andern im hohem, in
der Vernunft und . dem Willen. Betrachten wir vorerst jene motus,
die ihren Ursprung im sinnlichen Theile haben. Inwieweit' kommt
die Willensfreiheit mit ihnen in Beziehung? .
Der Wille vermajg alle Potenzen des Menschen, mit Ausnahme
b
u
-^ 117 —
der vegetativeDy in Thätigkeit zu versetzen, und deren Thätigkeiten
za hemmen, wieder einzustellen. Die Unterwerfung des niedem
Theiles im Mensehen unter den höhern ist nicht eine sclavische
(modo despoticoj, sondern eine politische (modo jpoliticoj, so dass
der niedere Theil gegen den höhern sich auflehnen, die Bewegung
des niedern dem höhern zuvorkommen kann. Die Thätigkeiten oder
Bewegungen dieses Theiles sind demnach insofern freiwillige
zu nennen, als sie vom Willen hervorgerufen werden, folglich
aäus impercUi des Willens bilden, oder auch insofern der Wille
dieselben nicht zurückdrängt, ihnen keinen Widerstand entgegen-
setzt, obgleich er es könnte. Hinsichtlich der adm imperati hat
es keine Schwierigkeit, denn werden sie vom Willen selber durch
Bewegung der betreflFenden Potenzen veranlasst, so besteht über
ihre Abhängigkeit vom Willen kein Zweifel. Sie haben den freien
Willen zu ihrer Ursache. Sie werden dadurch zu menschlichen
Handlungen. Indessen geschieht es auch sehr oft, dass diese Be-
wegungen des sinnlichen Theiles dem Urtheile der Vernunft und
der Auswahl des Willens zuvorkommen, also nicht (ict%is
imperati sind. Nichtsdestoweniger bemerkt der englische Lehrer
von diesen Thätigkeiten des sinnlichen Theiles, dass es lässliche
Sünden seien (de pialo q. 7; a. 6.). Dies ist aber nur möglich, wenn
sie in irgend einer Weise dem freien Willen unterworfen sind.
Wie kann dieser motus, welcher der Vernunft und dem Willen
zuvorkommt, ein freiwilliger sein? S. Thomas antwortet im
genannten Artikel ad 2., er sei deshalb ein freiwilliger, weil der
Wille ihn verhindern könne. Die Vernunft, lehrt der Doctor
Angelicus daselbst (ad 6.), verhält sich liieser Bewegung des sinn-
lichen Theiles gegenüber auf eine dreifache Art. Das einemal
widersteht sie, das anderemal yntt sie diese Bewegung hervor
(imperat), ein drittesmal erfolgt von ihrer Seite weder ein Verbot,
noch ein^ Anregung dazu, sondern sie stimmt einfach zu. Die
Bewegung des sinnlichen Strebevermögens geht nämlich in doppelter
Weise vor sich. Sie wird entweder durch die Disjposition des
Leibes veranlasst, oder infolge einer Erkenntnis. Die erstere unter-
steht nicht der Vernunft, wohl aber die letztere. Die letztere des-
halb, weil die Vernunft, besonders in Abwesenheit eines Gegen-
standes für den Tastsinn, die Thätigkeit jeder Erkenntniskraft
verhindern kan)]. Die erstere Bewegung der Sinnlichkeit, jene
nämlich, welche eine leibliche Disjposition zu ihrer Ursache hat,
gehorcht nicht der Vernunft, ist somit nicht eine freiwillige.
Diese Bewegung wird von manchen motus primo primus genannt.
Die Bewegung hingegen, welcher einer Erkenntnis entspringt, ist
eine freie (I.e. ad 8.). Die unfreiwillige Bewegung des niedern
Theiles nennt S. Thomas an einer andern Stelle natürliches Streben,
üppetüm naturalis, z. B.» das Begehren 'nach Speise. Dieses Ver-
langen' wird nicht von der Phantasie angeregt, sondern von der
— 118 —
Disposition der natürlichen Qualitäten. Bewegungen dieser Art unter-
stehen und gehorchen nicht der Vernunft. Darum sind es auch nicht
menschliche Thätigkeiten, sondern solche des Menschen.
Diese gehören folglich nicht zu unserer Frage (2. dist. 24. q. 3. a. 1.).
Wir haben es darum mit jener Bewegung des sinnlichen
Theiles zu thuu, welche auf eine Erkenntnis folgt. Der englische
Lehrer nennt sie motus secundo primi zum Unterschiede von der
früher angegebenen, der natürlichen. An dieser Bewegung betheiligt
sich die Freiheit, denn der Doctor Angelicus behauptet von ihr,
dass sie sündhaft sei, was ohne Freiheit nicht möglich ist. Aller-
dings besitzt der WiUe über diese Bewegung nicht eine vollkom-
mene Herrschaft (dominium' completum), wohl aber eine unvollkom-
mene (incompletum), er kann sie hindern oder nicht hindern. Über
die actus imperati hat er volle Herrschaft. Ob nun diese Bewe-
gungen des sinnlichen Theiles auf Antrieb der Vernunft und des
Willens erfolgen, oder ob sie ohne einen solchen entstehen, aber
von der Vernunft und dem Willen gehindert oder nicht gehindert
werden, in beiden Fällen müssen sie freie Bewegungen genannt
werden (1. e. a. 2.). Cfr. de veritate q. 25. a^ 4 und 5. Wegen der
unvollkommenen Unterwerfung dieser Bewegungen unter die Ver-
nunft und den Willen, d. h. wegen der unvollkommenen Herrschaft
des Willens über diese Bewegungen bilden sie niemals schwere,
sondern nur lässliche Sünden. Anders verhält sich die Sache,
wenn sie actus imperati der Vernunft und des Willens sind. Dann
ist die Herrschaft über sie eine vollkommene und die Sünde, wenn
diese Bewegungen nicht gehindert werden, eine schwere. Dies
gilt selbstverständlich von jenen Bewegungen, die infolge einer
Erkenntnis entstehen, denn, wie schon bemerkt, sind nur diese
freie Bewegungen (2. dist. 21. q. 1. a. 2. ad 5. — 1. 2. q. 17. a.'7.
— 2. dist. 40. q. 1. a. 4. ad 3.).
Hier müssen wir indessen auf eine Schwierigkeit aufmerksam
machen. Der heil. Thomas erklärt, alle Bewegungen, die auf Grand
einer Erkenntnis entstehen, seien in der Macht des Willens ge>
legen, und darum lässliche Sünden, wenn sie nicht gebindert
werden. Diese Ansicht scheint etwas zu strenge, denn wie oft
haben wir plötzlich ein Phantasiebild vor uns, eine Vorstellung,
die den sinnlichen Theil anregt. Die Bewegung folgt auf die
Vorstellung mit derselben Schnelligkeit, mit welcher das Phantasie-
bild entstanden ist. Liegt dieser Vorgang wirklich, wenn auch
nur unvollkommen, in unserer Macht? Begehen wir wirklieh eine
lässliche Sünde, falls diese Bewegung nicht ebenso schnell be-
kämpft wird?
Eine Unterscheidung dürfte sich liier als nothwendig heraus-
stellen. Der englische Lehrer sagt in einer früher von uns an-
geführten Stelle (de malo q. 7. a. 6. ad 8.), die Vernunft könne
die Thätigkeit jeder Erkenntniskraft hindern^ besonders' dann,
— 119 —
wenn kein sinnenfälliges Object für den Tastsinn gegenwärtig
ist. Damit scheint angedeutet^ dass in Gegenwart eines solciien
Objectes die Vernunft ein Phantasiebild, eine sinnliche Vorstellnug
nicht zu hindern die Macht habe. Infolge dessen ist auch die
Bewegung des sinnlichen Theiles, welche auf diese Vorstellung
plötzlich folgt, nicht eine freie, und somit auch nicht eine
lässliche Sünde. In diesem Sinne erklärt Conrad eine Stelle des
heil. Thomas in: 1.2. q. 74. a. 3. ad 2. allerdings mit dem Zusätze :
jfSalvo jvdido meliert^ . Auf dieselbe Art begegnet dieser Schwierig-
keit Capreolus (in 2. dist. 4. ad 2^°^ Durandi öontr. 1*"^ conclus.).
Der genannte Autor unterscheidet zwei Arten von Thätigkeiten,
solche die infolge 'eines Phantasiebildes allein im niedern Theile
sich entfalten. Bei manchen ist die Phantasie mehr begleitend, als
im eigentlichen Sinne dieselben verursachend. Diese haben ihren
Ursprung entweder in den natürlichen Qualitäten des Leibes, oder,
falls sie ein Phantasiebild zu ihrer Ursachß haben, ist dieses von
der Art/ dass es vom WiHen nicht entfernt werden, die daraus
entstehende Bewegung des sinnlichen Theiles folglich nicht ge-
hindert werden kann. Dies trifft zumal dann zu, wenn ein Object
selbst gegenwärtig ist, oder die Phantasie plötzlich spielt, oder
wenn von dergleichen Gegenständen gesprochen wird. Thätigkeiten
dieser Art unterstehen nicht dem Gesetze der Moral, sie sind in
sich diesbezüglich indifferent. Andere hingegen werden nicht bloß
von einem Phantasiebilde begleitet, sondern von diesem selbst
verursacht. Dies geschieht dann, wenn die Phantasie nicht so
überraschend und naturgemäß wirkt, so dass das Phantasiebild
und die daraus entstehende Bewegung unterdrückt werden können.
Diese Thätigkeiten fallen unter das Gesetz der Moral.
Daraus folgt demnach, dass alle jene Thätigkeiten des niedern
Strebevermögens, die von einem a.ugenlälicklichentstandenen
Phantasiebilde angeregt werden, nicht in der Macht und Wahl
unseres Willens liegen, und' infolge dessen, wenn sie. im Menschen
sind, auch nicht eine lässliche Sünde bilden können. Der Wille
ist weder direct noch.indirect daran betheiligt, weder direct noch
interpretativ, imputativ daran schuld. Werden aber die genannten
Bewegiingen von der Phantasie verursacht, und zwar in der Weise,
dass die Phantasie nicht unvermuthet und sozusagen natür-
lich diese Bilder entwirft, dann können sie von der Veniunft
und dem Willen verscheucht, die daraus entstehenden Bewegungen
des sinnlichen Theiles aufgehalten werden. . Sie fallen daher in
das Gebiet der Moral, d^nn es sind freie Bewegungen. Welche
Bewegungen des sinnlichen Theiles somit freie genannt werden
müssen, ergibt sich aus dieser Darstellung mit voller Klarheit.
Es sind, ' wie S. Thomas bemerkt, die actus secundo primi jene,
welche auf Grund einer Erkenn tn.is, die von der Vernunft
beherrscht werden kann, im sinnlichen Begehrungsvermögen
— 120 —
♦ ^ •
entstehen. Weil die Vernunft und der Wille über die Thätigkeiten
dieser Art eine^ wenngleich unvollkommene, Herrschaft 'besitzen,
deshalb müssen diese Thätigkeiten menschliche genannt werden.
Die andern, vorhin erwähnten, sind Handlungen des Menschen,
picht aber men schliche. Durch diese witd indessen die Wahl-
freiheit in keiner Weise eingeschränkt oder beeinträchtigt, weil
sie dem Menschen nicht formell als solchem zukommen, besonders
dann nicht, wenn sie aus der leiblichen Disposition entstehen.
53. Die sogenannten mottis primo primi, bet S. Thomas motue
secundo primi, nehüien ihren Ausgang nicht bloß von der sinnen-
falligen Erkenntnis, der Phantasie und von dem sinnlichen Be-
gehningsvermögen, sondern es gibt auch solche,' welche direct von
der Vernunflund dem Willen hervorgerufen werden. Dacum fragt
der englische Lehrer an einer Stelle (K 2. q. 74. a. 10.): ob in
der höhern Vernunft selbst eine lässliche Sünde sein könne, indem
sie sich den göttlichen Wahrheiten gegenüber moralisch schlecht
verhält. Zweitbit z. B. die. Vernunft an einem Glaubensartikel oder
an einer Wahrheit, die in der heil. Schrift enthalten ist, begeht
sie dann jedesmal eine schwere Sünde, öder ist diesbezüglich auch
eine lässliche möglich?
S. Thomos erklärt diesbezüglich zunächst, dass die höhere Ver-
nunft sich anders verhalte zu ihrem eigenen Objecte und anders
zu dem Gegenstande der. niederen Kräfte, welche unter ihrer
Direction stehen. Das Verhältnis der Vernunft zu dem Objecte der
niederen Eräfie ist stets ein mit Überlegung eingegangenes.
Sind demnach die Thätigkeiten dieser Kräfte an und fttr sich
eoa 81M genere, schwere Sünden, so ist es auch die üb-erlegte
'Beistimmung der Vernunft Sind die genannten Acte ex suo
genere lässliche, so muss dasselbe von der «Sünde der Vernunü
gesagt werden. Die Ausnahme, e^ contemptu beschäftigt uns hier
nicht, wir haben es mit deip allgemeinen Principe zu thun. Die
Vernunft stimmt also diesen Objecten niemals zu, ohne die ewigen
Gründe zu* befragen und zu Rathe zu ziehen. Aus diesem Grunde
geschieht es mit Freiheit (1.2. q. 13.) Diese Zustimmung kann
eine positive oder privative sein. Unterlässt sie es auch die ewigen
Gründe zu befragen, ihre Zustimmung ist dennoch eine interpretativ
und impntativ freie. Sie stimmt niemals den Objecten dieser Art
plötzlich bei. Hat sie zum Überlegen keine Zeit,, so stinoimtsie
eben nicht zu. Darum wurde früher gesagt, dass nicht die motus
primo primi, sondern die mottis secundo primi lässliche Sünden
bilden.
Mit Bezug auf das eigene Object der höheren Verbanft
dagegen, muss eine zweifache Thätigkeit unterschieden werden:
die einfache Erfassung, simplex inttiütis, und die Überlegung. Dem-
zufolge ist auch eine plö.tzliche Bewegung und eine überlegte
Zustimmung vorhanden. Die eine kann mau prima, die andere
— 121 -^
secunda operatio intelleetus nennen. Obgleich nun diese Bewegungen
au und für sich auf einen Gegenstand gerichtet sein können, der
ex suo genere eine schwere Sünde ist, z. B. die Bewegung gegen
einen Artikel des heil. Glaubens, so kann diese Bewegung anderer-
seits doch einelässliche Sünde sein, wegen ihres plötzlichen
Auftretens. Weil indessen die Vernunft auch hinsichtlich ihres
eigenen Objectes überlegen kann, deshalb wäre eine überlegte
Bewegung gegen einen Gegenstand hin, der ex suo genere mortale ist,
• ebenfalls schwer sündhaft. Die Bewegung, welche auf eine plötz-
liQ.he Auffassung folgt, oder eine 'solche begleitet, muss in diesem
Falle lässlich sündhaft per accidens, nicht ex stw, genere, genannt '
werden. Per accidens eben, weil er auf Grund des unvermutheten
Einfalles nichl wahrnimmt, dass sie verboten, gegen das Gesetz
Gottes verstoße. Es muss aber hier beigefügt werden, dass
die Vernnnft dies nickt wahniimmt oder auch nicht wahr-
'nehmen kann.' Kann un4 soll sie acht geben, ob es verboten '
ist oder nicht, und sie unterlässt dieses zu thi^n, so begeht sie
ein schweres Unrecht. Diese Nicbachtung oder Ignoranz ist eine
vollkommen freiwillige. . . .
Was ist nun aber bei diesem Vorgange sündhaft? der un-
vermuthete Einfall, z. B. dass die Auferstehung der Todten 'der
Natur nach unmöglich, sei? Nein, nicht die vorschnelle Auffassung •
darf plötzliche Be.Wegung genannt werden. Nicht in dieser
liegt die lässliche Sünde. Es ist vielmehr ein gewisses Wider-
streben der Vernunft, ein gewisses üngläubigsein derselben mit
Bezug auf das, was Gottes Gebot verlangt. Die Auffassung, die Ap-
prehensio selbst, bildet in keiner Weise eine Sünde, z. B. dass die
Auferstehung auf natürliche Weise unmöglich sei ; wohl aber der
Zweifel und das Schwanken, welche auf dieses Erfassen folgen,
bevor die Vernunft auf das achtet, was der Glaube in Betreff der
Auferstehung lehrt.
Der . heil. Thomas gibt uns in dieser Angelegenheit klaren
Aufschluss. Wenn eine Bewegung nur eine lässliche Sünde ist,
so hat das einen doppelten Grund. Entweder ist der Act an sich
ex suo gerrere gering, so dass es nur ein leichter Fehler ist, z. B.
em überflüssiges Wort.; oder jene Bewegung- geht der Überlegung
des Handelnden voraus. Der ganze Vorgang lässt sich auf diese
Weise erklären. Wenn irgend eine Potenz zu etwas Höherem^ als
. • sie selbst zu leisten vermag, erhoben wird, so hat sie oft eine'
plötzliche Bewegung zu dena, was ihr an und für sich zukommt.
Die zweite Bewegung hingegen besitzt sie, insofern sie zu etwas
Höherein bestimmt wurde. Wir können dem sinnlichen Strebe-
vermögen ein Beispiel entnehmen. Dieses Begehrungsvernäögen
besitzt eine ganz unverhoffte Bewegung nach dem, was die Sinüe
ihm vergegenwärtigen. Wird di^se Bewegung aber von der Ver-
nunft geleitet, und durch die Tugend vervollkommnet, so erfolgt
— 122 —
sie mit Überlegung und dem entsprechend, was der Verannft
conveniert. Indessen wird das sinnliche Strebevermögen darch die
Herrschaft der Vernunft zu dem emporgehoben, was über ihm ist.
Auf ganz dieselbe Weise wird die höhere Ternunft durch das
Licht des heil Glaubens über das erhoben, was sie durch die
natürlichen Erkenntnisse erreicht. Die unvermuthete Bewegung des
Erfassens durch die höhere Vernunft geschieht nach ihrer natür-
lichen Erkenntnis. Verstoßt sie irgendwie gegen den heil. Glauben,
so ist es ein vorschneller Act des Unglaubeus (erü motus infideli-
tatis ex surreptione). Wegen Mangel an Überlegung -bildet er dämm
eine lässliche Sünde. Um zu entscheiden, ob in der höhern Ver-
nunft eine lässliche Sünde sein könne, muss demnach notbwendig
eine Unterscheidung gemacht werden. Betriflft die Bewegung der
höhern Vernunft dasjenige, was ex genere suo schwere Sünde ist,
so kann diese in einer zweifachen Weise sich ereignen. Entweder
ist es das der Vernunft eigenthümliche Object, auf welches das
Streben gerichtet ist, oder es ist das Object der niederen Kräfte.
In ersterm Falle haben wir zwei Bewegungen : eine plötzliche,
die der Überlegung zuvorkommt, und diese ist eine lässliche
Sünde; die zweite ist eine mit Überlegung ausgeführte und des-
halb schwer sündhaft. In letzterem Falle handelt die Vernunft
stets frei und darum ist die Bewegung zu dem Objecte, welches
ex genere suo schwere Sünde ist, ebenfalls schwer sündhaft (2. dist 24.
q. 3. a. 5.). Die ganze Quästio 74 der Prima secunda ist in dieser
Beziehung von größter Wichtigkeit.
Da unsere Aufgabe nur darin besteht, nachzuweisen, dass
der Wille mit Bezug auf seine Thätigkeit, quoad exercüium actus,
frei genannt werden müsse, so genügt zu diesem Zwecke die
soeben erfolgte Darlegung. Damit eine Thätigkeit sündhaft sei,
dazu ist erforderlich, dass sie in irgend einer Weise mit der Frei-
heit zusammenhänge. Sie muss darum entweder (idus elicüus, oder
actus imperatm des Willen sein. Ebenso muss sie von der Richt-
schnur, von der geordneten Vernunft und dem göttlichem Gesetze
abweichen (1.2. q. 71. a. 6.). Nun lehrt der heil. Thomas, dass
alle Thätigkeiten des Strebevermögens, des niedern wie des hohem,
auch jenC; die der Aufinerksamkeit der Vernunft zuvorkommen,
(ante advertentiam et deliberationem) sündhaft seien. Daraus folgt
doch mit Evidenz, dass sie irgendwie unter der Herrschaft des
Willens stehen, somit freie Thätigkeiten sind. Die motua pritno
primi beweisen folglich gar nichts gegen die Lehre des heil. Thomas,
dass der Wille subjectiv mit Bezug auf seine Thätigkeiten
hier auf Erden absolut frei sei. Kommen auch einerseits
manche derselben der Aufmerksamkeit der Vernunft zuvor, so
kann doch andererseits die Vernunft darauf aufinerksam werden
und dadurch über dieselben frei disponieren. Thut sie es nicht,
vernachlässigt sie diese ihre Pflicht, so ist sie dafl}r verantY^ortlich.
— 123 —
Diese Unterlassang igt eine interpretativ und impntativ frei-
willige. Die Lehre des heU. Thomas über die anhjective
Freiheit des Willens bernht mithin auf Wahrheit und hat ihre
tiefen GrHnde. Mit Eecht setzt der englische Meister das Wesen
der Freiheit, in die Herrschaft Über die Thätigkeiten. Die ver-
nünftigen Wesen besitzen deshalb Wahlfreiheit, weil sie Herr
ihrer Thätigkeiten sind. Und sie sind darum Herr ihrer Acte, weil
diese particaläre Guter bilden. Die vernünftigen Geschöpfe sind
vor der seligen Anschauung Gottes irn Himmel ans dem Gründe
subjectiv, quoad ea!ercäium actus, frei, weil keine ihrer Thätigkeiten
das einzige Mittel ist, um die Gltlcksehgkeit zu erreichen nnd
zn besitzen, die von ihnen mit Nothwendigkeit. gewollt wird.
54. Es ist schwer zu begreifen, wie man dazu kommen konnte,
gegen die Thqmisten den Voi-wni-f zu erheben, dass sie mit ihrer
Lehre die Freiheit des Willens zerstörten. Dieser Vorwurf ist in
Wahrheit nicht recht verständlich. Die Thomisten lehren mit
ihrem Meister, die Willensthätigkei t der vernliuftigen
Wesen sei eine dnrchatis freie. Gott hat den geschaffenen
Willen so eingerichtet, dass derselbe zu seiner Thätigkeit frei
hingeordnet ist. Diese freie transcen dentale Hinordnung liegt im
Wesen des Willens, hängt darum nicht einmal, von Gottes Tliiitig-
■keit, von Gottes Einflüsse ab. Das Wesen eines Dinges vermag;
selbst Gott nicht nach Belieben einzurichten und ebenso nach
Belieben zu ändern. Er kann ein vernünftiges Geschöpf nicht
als ein unvernünftiges ins Dasein rufen. Ist es aber that-
säehlicb einvernUnftiges, dann muss es mit eben derselben
Nothwendigkeit auch ein frei es sein. Darum sagt der heil. Thomas
mit seiner ihm eigenen Energie: et pro tanto homo est Uberi ar-
hürii, quia est rotionalis naturae (1. Ip. q. 83. a. 1.). Liegt nnn diese
freie Beziehung des Willens zu seiner Thätigkeit im Wesen
der Wahlfreiheit selber, geht die innere natürliche Neigung
des Willens dahin, stets eine freie Thätigkeit zu entfalten, so
kann Gott den Willen auch nicht anders als frei bewegen. Die
innere Natur eines Dinges vermag er nicht umzuändern, und
gegen diese innere, natürliche Neigung des Willens han-
deln kann er auch nicht. Das wäre Gewalt, Zwang. Zwingen
aber lässt sich der Wille der Geschöpfe nicht. Zutreffend bemerkt
daher der englische Lehrer, Gott bewege jedes Ding der Neigung
und den Bedingungen desselben genau entsprechend. Der
Wille muss demnach frei bewegt werden, denn so fordert es
seine innere natürliche Neigung.
Eine innere, natürliche, aber nothwendigie Neigung besitzt
der Wille bloß zum universellen, zum allseitig vollkommenen
Gut. Die Thätigkeit aber ist kein nniverselles Gut, kein Gut
in jeder Beziehung, sondern etwas Particnläres, ein be-
sebränktee, und . darum mit Unvollkommenheif
— 124 —
Gut. Würde Gott den Willen zu der Thätigkeit mit Noth-
wendigke.it bewegen, so müsste er vorerst die innere natürliche
Neigung desselben zu dieser Thätigkeit ändern, was er nicht kann ;
oder er müsste den Willen gegen die ihm entsprechende innere Nei-
gung bewegen, was gleichbedeutend ist mit Zwang; oder er müsste
endlich dem Willen die Thätigkeit als ein universelles Gat
darstelien, d.h. er müsste den Willen betrügen, einfach täuschen.
Der Wille hat ebenso eine' innere natürliche, aber noth-
wendige Neigung zu dem Mittel, durch welches das End-
ziel, sein eigentliches und Hauptobject, erreicht wird, wenn dieses
Mittel das einzige ist, das zum Ziele führt. Nun begehrt zwar
der Wille das Gut und die Glückseligkeit im allgemeinen mit
Nöthwendigkeit. Allein die Thätigkeit des Willens ist
•für ihn hie^ auf*Erden keineswegs das einzige Mittel,, um glück-
lich zu sein. Er begehrt sehr oft gerade ß.\Q Unthät.igkeit,
um sein Glück zu erreichen oder auch) um in seinem Glücke jiicht
gestört zu werden. Bewegt nun Gott den Willen mit Nöth-
wendigkeit, so muss er ihm die Thätigkeit als einziges
Mittel darstellen, er muss ihn abermals täuschen .und ihm die
Möglichkeit benehmen, irgendeinen Gegenstand als Scheingnt
anzustreben. Wir sagen, hier auf Ei'den müsste die Thätigkeit dem
Willen als einziges Mittel zu seinem Glücke vorgestellt werden,
was aber thatsächiich nicht der Fäll ist. Im andern Leben wird
dieses eintreffen. . Da erkennt die Vernunft, dass die Thätigkeit
des Verstandes und Willens das einzige JVfittel sind, um den
Gegenstand, wodurch der Mensch für immer glücklich ist, dauernd
zu besitzen, im Vollgenusse der Seligkeit zu bleiben. Darum ist
die Thätigkeit des Willens in. der andern Welt eine natür-
liche und nothwendige, d.h. eiirigei*mai3en unfreie. Sie ist
dieses nicht etwa deshalb, weil sie ein universelles Gut wird, son-
dern sie ist es aus dem Grunde, weil die Vernunft dem Willen
die Unthätigkeit, das Ablassen von der Thätigkeit nicht als ein
höheres, besseres Gut darstellen kann denn die Thätigkeit ist,
welche in der Anschauung Gottes besteht.
Wie ist es auch nur denkbar, dasö eine Doctrin, wie wir sie
aus S. Thomas dargelegt und wie sie von den Thomisten Wort
für Wort vertheidigt wird, die Freiheit des Willens schädige?
Noch ausdrücklicher kann die Willensfreiheit nicht mehr betont
werden als es hier geschieht. Von der Lehre Calvins oder des.
Jansenius ist die Doctrin des heil. Thomas sterneuweit entfernt
Viel eher zerstören jene Autoren die Freiheit des Willens,
welche behaupten, dass der Wille nicht alle seine Acte nicht
vollziehen könne,- sowie ferner: dass Gott den Willen auf natür-
liche und nothwendige, d. h. unfreie Weise zum Gut und
zu der Glückseligkeit im allgemeinen bewege.
II. Kapite].
Die Thätigkeit des Willens der vernünfligen Wesen.
§ 7. Die Willensthatigkeit oder der Wülensact,
55. Wir haben bisher den Willen als Vermögen einer ge-
nauen Betrachtung nnteizogen, und eingehend nächgewiesen, zu
welchen Dingen und in welcher Weise er zu dieaea Dingen
tranecendental hingeordnet ist. Das Keenltat dieser Untersuchung
wird iUr die Leser dieser philosophischen Arbeit, eo hoffen wir,
nicht zweifelhaft sein. Namentlich ist es die Lehre des englischen
Meistere über die Wahlfreifieit des Willens, die unsere volle Auf-
merksamkeit verdient.
Der Name Vermögen oder Potenz kommt in Terachiedener
Bedeutung vor. Manchmal versteht man darunter alle Eigenschaften
«der Proprietäten, die nattu^emäB anf die Wesenheit der Seele
folgen, ohne KUcksicht daranf, ob sie einer Thätigkeit dienen
oder nicht (1. dist. 3. q. 4. a. 1.). Gewöhnlich jedoch nennen die
Philosophen jene Eigenschaften, welche zu einer Thätigkeit Be-
ziehnng haben, Potenzen (1. c. ad 3.}. Die Potenz bedeutet dem-
nach Boviel als Thätigkeitsprincip. Sie ist nicht das Princip quod
oder welches thätig ist, das kommt dem Agens za, sondern das
Princip ^o, wodurch das Agens eine Thätigkeit ausübt (1. p. q. 41.
a, 5, ad 1.), Das Wesen der Potenz besteht somit nicht in einer
Beziehung oder Relation des Principes zu der Thätigkeit, obgleich
sie, wie wir früher gesehen haben, nach dieser Beziehung be-
nannt wird, entsprechend dem Grundsätze : potentia dicitut- ad
icns, diese Beziehung der
ine relatio secundum dici,
ist die Potenz wirkliches
aäum. Damm erklärt der Doctor Angeli
Potenz zur Thätigkeit, zum Acte sei ei
nicht secundum esse. Ihrem Sein nach i
Princip (1. dist. 7. q. 1, a. 2.), Daher gehört sie^jn die K,ategorie
der Qualität, nicht in jene der Belation (de potentia q. 2. a. 2,).
Die Potenz ist also im eigentlichen Sinne Princip einer
Thätigkeit. Dies bedeutet sie in erster Linie, obgleich man auch
von dem, was a<nfqehmei\de8 Pr^noip ist, qagt, es habe eine
Potenz die Thätigkeit des -Agens aufzn«6hmen fl! (tist,-42. q. 1.
a. 1. ad 1. et 2.). Dieses letztere ist im übertragenen Sinne zu
— 126 —
verstehen und bedeutet die Potenz in zweiter Linie (de potentia
q. 1. a. 1.)* Da indessen das Thätigkeitsprincip zweifach ist, ein
nächstes und ein entferntes, so fragt es sich, welches Princip mit
dem Namen Potenz bezeichnet werde. • Der englische Lehrer be-
hauptet, unter Potenz sei das nächste oder unmittelbare Princip
einer Thätigkeit zu verstehen (1. dist. 45. q. 1. a. 3. ad 2.),
Widerstreitet diese Lehre des heil. Thomas nicht der von uns
früher aufgestellten Behauptung, dass der Wille an und für sich
eine passive Potenz sei? Keineswegs; denn auch der englische
Meister lehrt ganz dasselbe. Wird der Begriff passiv richtig
aufgefasst, so kann von einem Widerspruche in der Lehre des
h^il. Thomas nicht die Bede sein. Passiv nennen wir dasjenige,
was sich wie der Stoff verhält. Die Eigenschaft des Stoffes liegt
wesentlich darin, trag, uuthätig zu sein. Dagegen heißt activ
dasjenige, was im Verhältnisse der Form steht. Die Form bildet
das Princip flir die Thätigkeit. Nun ist aber dem heil. Thomas
der Gegenstand, nämlich das Gut und das Endziel, die Form für
den Willen, gleichwie das Intelligible die Form für den Verstand
bildet (de virt. q. 2. a. 3.). Dasjenige, was nichts thut, muss ohne
Zweifel passiv genannt werden. Der Wille aber thut nichts, wexin
er nicht durch sein Object, das begehrenswerte Gut und Endziel
in Bewegung, in Thätigkeit versetzt wird (de veritate q. 14, a. 2.).
Und nicht bloß vom Objecte muss der Wille bewegt werden,
damit er thätig wird, sondern er bedarf überdies noch einer Be-
wegung, die von einem äußern Princip herkommt. Dieses äußere
Princip muss den Menschen und Engel instigieren, damit sie be-
rat heu, was zu thun ist. Der Philosoph nennt dieses äußere
Princip Gott (Quodl. 1. a. 7.). Daraus folgt offenbar, dass der
Wille, um nur von diesem zu reden, an und für sich, oder seinem
Wesen nach passiv ist. Das Nichtdeterminierte verhält sich stets
passiv. Der Wille aber ist in zweifacher Weise nicht bestimmt,
hinsichtlich des Gegenstandes und mit Bezug auf seine Thätig-
keit (1.2. q. 9. a. 1.). Er muss somit erst durch ein anderes
Thätigkeitsprincip werden. Wodurch dieses geschieht, werden
wir ohne besonders große Mühe dann ersehen, wenn 'wir die
Thätigkeit überhaupt einer Untersuchung werden unterworfen
haben.
56. Wie in der deutschen Sprache die Ausdrücke: wirken,
verursachen, thun, handeln u. s. w. eine Thätigkeit in sich be-
greifen^ so bedifnt sich auch die lateinische Sprache verschiedener
termini, um die Thätigkeit eines Dinges damit zu bestimmen.
Wir nennen hier nur die gebräuchlichsten aus dem heil. Thomas.
Der Name : „Thätigkeit'' bezeichnet an sich etwas Abstractes^
etwas nach Art der Substanz für siph'B^teljreudes. 'Wird er da-
• gegen concfet .^enommöp, so bedeutet 'er ein Thätigsein und be-
zeichnet ein Subject, das Agens, welchem die Thätigkeit angehört,
— 127 —
iD welcbem sie ist nad toq welchem sie aasgebt. Im beil. Tbomas
finden eich verschiedene Ausdrucke, womit die Tlia.ti^keit eines
Dingee bezeichnet wiid. IJald nennt der englische Lehrer sie Act,
aäm, bald actio oder auch operatio.
Das Wort: „Act" bedeutet zunächst eine Form, durchweiche
einem andern irgend ein Sein verliehen wird. So ist z. B. die
Fai-be dasjenige, wodurch einem Gegenstande das Oefärbtsein,
das Licht dasjenige, wodnrch einem Dinge das Hcliaein, oder
das Beleuchtetsein zutheil wird a. s. w. Dieser Act gibt indessen
ein Sein uicbt als wirkende fcausa efficimsj, sondern als Ibrmelle
Ursache Ccausa formaltsj. Aus diesem Grunde bezeichnet er, wie
schon bemerkt, eine Form. In diesem Sinne tuUssen wir also die
Thätigkeit definieren als dasjenige, was formell, oder nach Art
der Form bewirkt, dass ein Ding thätig ist und so genannt wird.
Die Form aber ist dem Subjecte iuncrlich and constituiert das-
selbe innerlicb in einem substantiellen oder accidentelieu Sein. Die
Thütigkeit eines Dinges ist somit dasjenige, wodurch eia äubjeci;,
das Agens, innerlich und formell als thätig, in seinem Thätigseio
coustitniert wii'd, wie z. B. die Existenz dasjenige genannt wird,
wodurch eine Wesenheit innerlieh uad foiTsell in ihrem Öaaeiu
constituiert wird. In allen diesen Fällen bildet der Act das furmelle
Piincip quo oder wodurch ein Ding ein Sein bat ohne Rücksicht
auf die wirkende Uraaehe, welche diesen Effect, dieses Sein
hervorbringt. Die Form benennt ihr Subject, insofern nie demselben
i n b ä r i e r t. In unseter Frage verstellen wir, demnach anter Willens-
thätigkeit dasjenige Seiende (ens), wodurch der Wille innerlich
nad formell thätig ist und so genannt wird.
Das Wort: »Act", actus kann aber auch in einer andern Be-
deutung genommen werden, insofern damit nicht die formelle,
sondern die wirksame Ursache fcattsa efßcimsj bezeichnet wird.
In diesein Sinue gebraucht der Doctor Angolicus den Ausdruck:
„actio". Darunter verstehen wir dasjenige, wodurch das Agens als
wirkeude Ursache thätig ist, Fragen wir wodurch ein Wesen auf
ein anderes wirke, so wird uns die Autwort zntheil: durch
seine Thätigkeit. Dasjenige, wodurch das Agens wirkt, ist, wie
sich alsbald zeigen wird, ebenfalls eine Form, Allein in dieser
zweiten Bedeutung wird diese Form oder der Act nicht als etwas
einem Subjecte Inbärierendes aufgefasst, sondern als etwas,
aus dem Agens Heraustretendes. Darum sagt der englische Lehrer,
die Thätigkeit, die actio sei etwas vom Agens mittelst einer Be-
wegung Ausfließendes (actio secundum giforf est praedicamenfum,
dicH oiiquid fluens ab agente cum motu) {l . dist.8. q.4'. a. .3. ad 3.),
Die Thätigkeit ist also dem beil. Thomas in erster Linie 'nichts
auderes, als der Ausgang oder der Ursprung einer Bewegung..
Durch die Bewegung- wird ein Ding aus' seiner fiTäbcren Di^ipo- -
siiiou gebracht, was ohne einen zureichenden Grund sei bstv erstand-
— 128 —
lieh nicht geschehen kann. Die Bewegung heißt anch Leiden, in-
sofern sie nämlich von einer Ursache ausgeht, dem BewegUehen
mitgetheilt nnd Ton diesem aufgenommen wird. DenAnsgang-
oder Ursprung dieser Bewegung nennt man mit Bezug auf den
Anstoß, welchen die Bewegung erhält, und mit Rücksicht auf das
Bewegliche, in welchem sie abschließt oder terminiert, actio, Thätig-
keit (1. p. q. 41. a. 1. ad 2.). In diesem Sinne verstehen ¥nr also
unter Thätigkeit dasjenige, was vom Agens ausgeht und wodurch
dasselbe einem andern seine Ähnlichkeit mittheUt, indem es ein
anderes aas dem Zustande der Möglichkeit, der Potenz, in jenen
der Wirklichkeit, in den Act, überfahrt. Das Agens ist durch seine
Thätigkeit in aetu, in der Wirklichkeit Wenn es ' nun bevnrkt,
dass ein anderes ebenfalls wirklich wird, iu adu ist, so macht
es damit dieses andere sich ähnlich, theilt es dem andern seine
Ähnlichkeit mit. Darin aber besteht eigentlich und wesentlich das
Thätigsein eines Dinges (1. p^q. 11 5. a. 1.).
Daraus ergibt sich, dass die Thätigkeit als actio, obgleich
dem Subjecte inhärierend, doch nicht als formell inhärierend
anfgefasst wird, wie d^r Act, sondern als etwas, was ans dem
Agens hervorgeht, und in einem andern seinen Abschluss findet
Dasjenige, wodurch das Agens auf ei|i anderes wirkt, ist
wiederum eine Form, denn durch die Form ist es selber in aäu,
und die Ähnlichkeit .der Form ist es, die nach Möglichkeit dem
andern mitgetheilt wird. Der Stoff als solcher, oder was sich wie
Stoff verhält, die Potenz als solche, ist niemals thätig, ihre Ähn-
lichkeit kann sie keinem andern mittheilen. Den tiefem Grund
daftir werden wir noch kennen lernen.
57. Die Thätigkeit der Geschöpfe helBt noch aus einem
andern Grunde „Act^. Obgleich sie nämlich ein Effect, eine
Wirkung der wirksamen operativen Potenz ist, so bleibt sie doch
als Act des activen Principes in diesem Principe, in ihrer Ursache.
Wir sagen ausdrücklich die Thätigkeit der Geschöpfe, denn in
den Creaturen ist die Thätigkeit ein Accidens, somit sachlich,
real von der Substanz und der activen Potenz unterschieden.
Jedes positive Accidens aber verhält sich zu dem Subjecte, in
welchem es ist, wie die Form oder der Act, und das Subject
steht im yerh4ltnisse der aufoehmenden Potenz; daraus folgt,
dass die Thätigkeit der Geschöpfe, obwohl ein Effect der
operativen Potenz, dennoch Form oder Act dieser Potenz genannt
wer4en niuss. '
Dass die Thätigkeit der Geschöpfe eine Wirkung, ein Effect
sei, l^st sich ans folgender Stelle ^des heil. Thomas beweisen.
Wo immer es mehrere*^ untergeordnete Thätige gibt, da wird das
; niedere Agens vom hOhem ;bewe^, wie ^. ^. im Menschen der
• Leib von der Seele uitd die niedern ErlSt^ von der Yerdunft.
Daher sind die Thätigkeiten und die Bewegung des nntergeord-
— 129 —
neten Principes nicht so sehr Thätigkeiten, als vielmehr Wir-
kungen (bp^o^o^. Mit Bezug anf des erste Princip dagegen
ist es Tbätigkeit im eigentlichen Sinne (3. p. q. 19. a. 1.). Es
kann aber anch gar nicht anders sein. Die Thätigkeit ist ein
Seiendes, ein ens. Jedes Seiende muss eine wirkende Ursache
haben. Gott allein hat keine wirkende Ursache. Das Agens
mnss demnach für seine Thätigkeit die wirksame Ursache bilden.
Dies mnsomehr, als die Thätigkeit nicht ein accidens proprium
ist, welches aus den constitutiven Principien der Wesenheit per
modum naturalis resuitantiae hervorgeht, sondern ein accidens per
accidens.
Der zweite von uns vorhin ausgesprochene Satz war, dass
die Thätigkeit der Geschöpfe im Agens als ihrem Subjecte sei,
und s u b j e c t i V im Agens bleibe. Vor allem müssen zwei Arten
von Thätigkeiten unterschieden werden: solche, die im Agens
bleiben ((zdio immanens), und solche, die auf einen Effect, der
aaJBerhalb des Agens existiert, übergehen resp. einen solchen
Effect hervorbringen (actio transiens). Der Gegenstand oder das
Object, welches wir als den terminus der Thätigkeit bezeichnen,
ist bei der actio immanens im thätigen Subjecte selbst, nicht außer-
halb desselben. Darum nennen wir diese Thätigkeit eine immanente.
Der englische Lehrer zählt drei Arten dieser immanenten Thätig-
keit auf: Erkennen, Wollen und Empfinden, letzteres nur mit einer
gewissen Einschränkung. Bei der übergehenden Thätigkeit steht
das Object, der terminus, auf welchen die Thätigkeit des Agens
gerichtet ist, aaßerhalb des Agens. Wir können unmöglich alle
diesbezüglichen Stellen des heil. Thomas hier anführen und be-
gnügen uns daher mit der einen und der andern. So bemerkt er
z. B. einmal : „Obgleich bei den Thätigkeiten, die auf eine äußere
Wirkung tibergehen, das Object dieser Thätigkeit, das als terminus
bezeichnet wird, etwas außerhalb des Agens Existierendes ist, so
ist doch bei den Thätigkeiten, die im Agens bleiben, das Object
oder der terminus im Agens selbst. Das Agens dieser Art ist in
der Wirklichkeit thätig (operaiio in actu) insofern das Object
in ihm ist (1. p. q. 14. a. 2.). Es gibt somit zwei Thätigkeiten,
wie der Philosoph im 9. Buche seiner Metaphysik lehrt: die eine
geht auf eine äußere Materie über, z. B. erwärmen, schneiden;
die andere bleibt im Agens, z. B. erkennen, wollen, empfinden.
Sie unterscheiden sich dadurch voneinander, dass erstere nicht
eine Vollkommenheit für das Agens bildet, welches bewegt, son-
dern für dasjenige, was bewegt wird; letztere dagegen ist eine
Vollkolnmenheit für das Agens selbst. Weil nun aber die Be-
wegung ein Act des Beweglichen ist, deshalb heisst die zweite
Thätigkeit die. immanente, insofern sie ein Act des Agens, nur
ähnlichsweise Bewegung. Gleichwie nämlich die Bewegung
ein Act des Beweglichen, ebenso ist die immanente Thätigkeit
Feldner, WillenBfreiheit. 9
— 130 —
ein Act des Agens. Während aber die Bewegung auf die Thätig-
keit eines Unvollkommenen hinweist, dessen nämlich, was in der
Möglichkeit, in der Potenz existiert, bildet die immanente Thätig-
keit den Act eines bereits Vollkommenen dessen, was in der
Wirklichkeit, in actu ist" (1. p. q. 18. a. 3. ad 1.). Man vergleiche
noch dazu: 1. p. q. 23. a. 2. adl. — ib. q. 27. a. 1. a. 2. a. 3.
a. 5. — ib. q. 28. a. 4. u. s. w.
In allen diesen Stellen des englischen Meisters findet unsere
Behauptung, die Thätigkeit der Geschöpfe sei ein Effect, eine
Wirkung, die als acddens dem Agens inhäriert, ihre volle Be-
stätigung. Mit Bezug auf die immanente Tbätigkeit unterliegt
diese Sentenz gar keinem Zweifel, weil S. Thomas ausdrücklich
betont, dass die Thätigkeit dieser Art im Agens bleibe. Allerdings
spricht er, wie die Stellen deutlich beweisen, unmittelbar nur den
Grundsatz aus, das Object oder der termimcs, mit welchem sieb
die Tbätigkeit befasst, sei etwas dem Agens Innerliches. Allein
er lehrt andererseits auch, dass diese Thätigkeit fär das Agens
eine Vollkommenheit bilde. Dies ist aber nur möglich, wenn das
acddens im Subjecte selber ist, das Subject informiert. Formell
wird jedes Ding dadurch vervollkommnet, dass es die betreffende
Vollkommenheit besitzt, in sich hat. Die immanente Thätigkeit
der Geschöpfe ist mithin subjectiv im Agens selber, weil sie ein
acddens, picht eine Substanz bildet.
58. Eine größere Schwierigkeit erhebt sich bezüglich der
Thätigkeit, die auf ein anderes übergeht (aäio transiens), Dass
auch die Thätigkeit dieser Art ein Accidens ist, steht außer
Frage. Welchem Subjecte inhäriert nun dieses Accidens? Für
sich bestehen kann es nicht, weil es Accidens, nicht Substanz ist.
Wir werden einen Unterschied machen müssen, um der Lehre
des heil. Thomas nahe zu kommen. Die übergehende Thätigkeit
inhäriert ihrem Wesen nach dem Subjecte, von welchem sie
aufgenommen wird. Indessen geschieht dieses nicht formell,
insofern sie Thätigkeit des activen Principes ist. In diesem Sinne
ist sie im Agens, weil sie vom Agens ausgeht. Sie befindet
sich im Agens als dem eigentlichen Prineipe, der eigenen Ursache.
Das Agens ist sozusagen das Fundament der Thätigkeit. S. Tho-
mas äußert sich hierüber wie folgt: „Nachdem der Philosoph
gezeigt, dass die Bewegung ein Act des Bewegers und Beweg-
lichen ist, wirft er dagegen eine Schwierigkeit auf. Der Act kann
nämlich dem activen und dem passiven Principe angehören, denn
der Beweger wie das Bewegte übt eine Thätigkeit aus. Der Act
des activen Principes wird Thätigkeit (actio), jener des passiven
Leiden (passioj genannt. Beide aber, die Thätigkeit und das
Leiden, bilden eine Bewegung, sind mit derselben identisch.
Entweder sind nun die Thätigkeit und das Leiden eine und die-
selbe Bewegung, oder aber verschiedene. Sind es verschiedene,
— 131 -
80 mu3s jede derselben in einem Snbjecte seia, folglich entweder
beide im leidenden nud bewegten, oder die eine, nSmlicli die
Thätigkeit, im Agens, und die andere, das Leiden, im Leidenden.
Wenn jemand sagt, die Sache verhalte sieh umgekehrt, das Leiden
sei im Agens, und die Thätigkeit im leidenden Snbjecte, so bedient
er sieb offenbar eines Sophismas, indem er das Leiden Thätigkeit
nnd diese letztere Leiden nennt. Behauptet hingegen jemand, die
Thätigkeit sei im Agens und das Leiden im Leidenden, so folgt,
daes die ^Bewegung im'Beweger ist, deun «die Thätigkeit ist due
Bewegung. Dann wird aber der Beweger selbst ebenfalls bewegt,
weil dasselbe vom Bewegei- ausgesagt werden muss, wie vom
Bewegten, nämlich, dass dasjenige, in dem die Bewegung ist,
bewegt wird. Oder vom Leiden gilt dasselbe, wie vom Agens,
und dann folgt der Widerspruch : dass entweder jeder Beweger
gelt)er auch bewegt wird, oder dass etwas eine Bewegung hat
ohne bewegt zu werden. Die Thätigkeit ist aber der Act des
Agena. Ist sie nun im Leidenden, nicht im Agens, so folgt, daas
der eigene Act nicht in demjenigen sich befindet, dessen Act er
ist." — Wie lassen sich nun diese Widersprüche ausgleichen?
„Die Thätigkeit nnd das Leiden sind eine und dieselbe Be-
wegung, nicht dergn zwei. Insofern diese Bewegung vom Agens
ansgeht (est ab agerUeJ, hei£t sie Tfaätigkeh, und insofern sie im
Leidenden aufgenommen ist, Vird sie Leiden genannt. Die
Thätigkeit des Agens ist also gewissermasscD im Leidenden, der
Act des einen im andern. Dies ist nun aber ganz gut möglich.
So ist z. B. das Lehren, die Thätigkeit des Lehrens im Magister.
Sie geht von ihm aus und nimmt beständig, ohne Unterbrechung
die Richtung zu einem andern hin. Diese Thätigkeit gghSrt folglich
dem Agens als demjenigen an, von welchem sie ausgeht, im
Leidenden aber, z. B. im Schuler, ist sie als etwas Aufgenommenes. *
Ein Widerspruch wäre nur dann vorbanden, wenn die Thätigkeit
des einen auf die nämlicheWeise, auf welche sie Thätigkeit
in dem einen ist, es auch im andern wäre" (physic. lib. 3. lect. 5.
ed. nov.).
Aus diesen Worten des englischen Heisters folgt die Be-
stätigung unserer frtiher aufgestellten These. Jede Bewegung ist ,
im Beweglichen und jede Thätigkeit der Geschöpfe bildet ihrem
Wesen nach eine Bewegung. Daher ist die Thätigkeit ihrem
Wesen nach im Leidenden als ihrem Subjecte. Dararii bemerkt
der heil. Thomas anderswo, die Thätigkeit, welche auf einen
äußern Gegenstand tibergeht, sei sachlich, in Wirklichkeit (realiter)
ein Mittelding zwischen dem Agena und dem Subjecte, in welchem
die Thätigkeit aufgenommen wird. Die Thätigkeit dagegen, welche
ini Agens bleibt, bilde nicht real ein Mittelding zwischen dem
Agens und dem Objectc, sondern bloß gemäss der Bezeichnung
(seeundum modum significandi). Der Doctor Augelicus unterscheidet
-^ 132 —
•
somit ganz deutlich das Subject, von welchem diB Thätigkeit
anfgenommen wird vom Agens, welches das andere Elxtrem ana-
macht. Zwischen diesem Subjecte und dem Agens steht der
Wirklichkeit nach (realiter) die Thätigkeit selber in der Mitte
(1. p. q. 54. a. 1. ad 8.).
Weiter bemerkt S. Thomas, es ergebe sich kein Widerspruch,
wenn der Act des einen in dem andern ist. Ein Widerspruch
wäre nur dann nachweisbar, wenn der Act des einen auf die- .
selbe Art in dem eitien und dem andern sich fände. \yir wissen
aber, dass diese Thätigkeit, dieser Act, Act des activen Principes
insofern ist, als er vom Agens ausgeht. Unter di^*ser For-
malität befindet er sich aber nicht im Leidenden. Vom Leidenden,
Passiven geht keiue Thätigkeit aus, dieses kann vielmehr nur
eine Thätigkeit empfangen und in sich aufnehmen. Als vom
Leidenden aufgenommene Thätigkeit ist sie Act des Passifcn.
Somit ist die Thätigkeit des Agens dieser Art, weil vom Passiven
aufgenommen, subjectiv im Leidenden. Sie ist es jedoch nicht
formell, als Thätigkeit, die vom Agens ausgeht, denn sonst
mfisste man das Leidende, das Passive, Agens nennen. Jede
Form, die einem Subjecte formell oder als Form mitgetheilt
wird, benennt das entsprechende Subject formell. Vom Leiden&en,
Passiven kann aber dicht formell ausgesagt werden, es sei ein
Agens. Folglich ist die Thätigkeit des Agens, insofern sie formell
von demselben ausgeht, nicht im Passiven, im Leidenden. Ein
und dasselbe kann unmöglich zu gleicher Zeit und unter d«m-
selben Gesichtspunkte Agens und Patiens sein. Darum ist die
Thätigkeit fqrmell als solche, und insofern sie vom Agens
ausgeht, su^bjectiv nicht im Leidenden. la diesem ist sie als
aufgenommene Form, die ein mehr oder minder bleibendes, oder
vorilbergehendes Sein hat, solange eben die Bewegung andauert
59. Wo ist aber dann die Thätigkeit als solche oder anter
dieser Formalität subjectiv? Im Passiven^ haben wir gesehen,
kann sie nicht sein. Im Agens scheint sie ebenfalls nicht sub-
jectiv zu sein, denn sie ist etwas vom Agens AusflieBendes
(est aliquid fluens ab agenJte cuv^ motu). Die Thätigkeit als solche
nämlich unter dieser Formalität ist in gar keinem Subjecte.
Allein da sie keine Substanz, sondern ein Accidens ist, hat sie ihr
subjectives Sein i m A g e n s, im thätigen Vermögen, in der operativen
Potenz. Diese Lehre trägt der englische Meister zweifellos an ver-
schiedenen Stellen vor. Wir wollen einige derselben examinieren.
Vor allem kann nach dem heil. Thomas etwas auf dreifache
Weise in einem andern sein: wesentlich, vorausgehend (antecedenUr)
und begleitend (concamitanter) oder nachfolgend. Ninmut man die
Übergehende Thätigkeit consecutiv, d. h. i^ls dasjenige, was auf
Orund der Thätigkdt im 'Leidenden, Passiven, zurttckbleibt, als
Bewegung und ausflicBende Form, so ist klar, dass die TUitig-
'...... -L 133 — ■ . _ ...
keit snbjectiy im Leidenden eick befindet. Die Erhitzung >des
Wassers z. B., oder die im Waaeer durch das Feaer vermittelst
der Krhitznng hervorgebrachte Wärme ist sabjectiv im Leidenden,)
im Wasser. Ans diesem Grunde bildet die Thätigkeit für das
Passive oder Leidende eine Vollkommenheit. Wenn man also
sagt, die Thätigkeit sei eine Vollkommenheit für das Leidende,
so ist das eine Aassage per concomitantiam, nämlich in dem Sinne,
dass durch die abergehende Thütigkeit dem Leidenden eine Voll-
kommenheit zntheil wird. Ähnlich verhält es sich, wenn man sagt,
die Abstractionskraft, der intellectvs agens, sei seine eigene Tbätig-
keit. Diese Aussage geschieht ebenfalls per concomitantiam oder
■per causam, indem nämlich der Abstractionskraft die Thäti^'keit
folgt. Keineswegs aber wollen wir damit ansdrüoken, dass diese
Kraft mit ihrer Thätigkeit sachlich identisch sei (praedicatio
essentialis). Fassen wir dagegen die Thätigkeit als vorauBgehend,
Dämlich als Form des Agens, die das nächste, unmittelbare Princip
der Thätigkeit bildet, so ist die Thätigkeit subjectiv im Agens.
Die Erhitzung, genommen als Wärme, die das unmittelbare Princip
der Erhitzung des Wassers bildet, ist offenbar subjectiv im
Feuer. Wird endlich die Thätigkeit wesentlich (essmtialittr)
ausgesagt, nämlich das Verhältnis des Agens zum Leidenden da-
darch bezeichnet, dann bedeutet sie das Herausfliegen, den Aus-
gang der '^hätigkeit,- wodurch die Form im Leidenden hervor-
gebracht wird. So kann man z. ß. die active Mittheilung der
Wärme'des Agens, des Feuers und durch das Feuer, die dem
Wasser ztftheil wird, als eine Tl^ätigkeit aiiffassen. Diese Thätig-
keit mnsB aber danti in zweifacher Weise in Betracht gezogen
werden. Erstens mit Bezng auf die Ai-t der Bezeiclmung. In
diesem Sinne is't die Thätigkeit subjectiv nicht int Agens,
d. h, wir wollen mit dem Worte' „Thätigkeit" nicht andeuten, dass
dieselbe im Agens als ihrem Subjecte sei, obgleich sie that-
aäcblieh im Agens sich befindet. Zweitens wird mit dem- Worte
^Thätigkeit" auf die damit bezeichnete Sache hingewiesen. In
dieser Bedeutung verstanden, ist die Übergehende Thätigkeit im
Agens selber, denn etwas kann sehr wobt einem andern inhalieren,
was jedoch nicht als inhärierend bezeichnet ,wird. Die Thätigkeit,
haben wir frUher gesehen, besagt an und fUr sich eicht, dass
etwas inbäriere, denn wir wollen damit nicht von derselben aus-
sagen, dass sie in dem Agens sei, sondern' dass sie vom Agens
ausgehe. Nichtsdestoweniger ist die Thätigkeit im Agens. Man
vergleiche: L p.q.54. a. 1, ad 1. — 1.2. q. 3. a. 3. *— ib. q. 6.
a. 8. — ih. q. 19. a. 6. — ib. q. 76. a. 3. a. 4, — de veritate q. 25.
a. 1. ad 1. bezüglich der dreifachen Art, auf welche etwas in einem
andern ist. — Darüber, dass die Thätigkeit im Agens selber ist
cfr. de poteotia q. 7. a. 9. ad 7. — ib. a. 10. ad 1. — 1 . dist. 32.
q. I. a. 1. — ib. dist. 40. q. \. a. 1. ad 1.
. , — 134 — . • ...
• Aus diese!" Darlegung des Doctor Angelicus ergibt sich mit
aller Bestimmtheit, dass die Thätigkeit im Agens als ihrer
»Ursache ist, obgleich sie nicht als inhärierend benannt wird.
Jedes Accidens, und ein solches ist die Thätigkeit, mnss in der
Substanz sein, dessen Accidens es bildet. Darum bemerkt der
englische Meister an einer Stelle Folgendes: ^DieArt der Benennung
richtet sich nach der verschiedenen Natur des Agens. Manche
Gattungen bezeichnen ihrem Wesen nach ein Ding als inhärierend,
z. B. die Quantität und die Qualität. In diesen Dingen stützt sich
die Benennung jederzeit auf eine inhärierende Form, die Princip
für ein substantielles oder accidentelles Sein ist. Andere bezeichnen
ihrem Wesen nach etwas von einem andern Seiendes, nicht
etwas Inhärierendes. Besonders gilt dies bezüglich der Thätigkeit
(actio). Die Thätigkeit als solche bedeutet etwas von einem
andern Seiendes. Wenn sie nichtsdestoweniger in einem Agens
sich befindet, so ist das fbr sie zufällig, nicht wesentlich. Sie muss
in einem Agens sein, wenn sie Accidens, nicht Substanz ist Wäre
sie z. B. nicht Accidens, so würde sie nicht inhärieren und trotz-
dem das Agens benennen, wie es in Gott der Fall ist. Wir
sagen von Gott die Thätigkeit aus, obgleich sie «ihm nicht in-
häriert, weil sie in ihm nicht Accidens ist. Gott nennen wir aus
dem Grunde thätig) weil die Thätigkeit von ihm ausgeht^ (1. di8t.32.
q. 1. a.fl.). Noch deutlicher spricht er sich anderswo darüber aus:
„Weil die Thätigkeit im Agens und das Leiden im Leidenden ist,
deshalb kann nicht das numerisch eine Accidens^ z. B. die Thätig-
keit als Accidens, und .das Leidqp als Accidens sachlich ein und
dasselbe sein. ;^in Accidens findet sich nie in verschiedenen Sub-
jecten. Darum bemerkt Avicenna, dass in zwei Dingen, die* spe-
cifisch gleich sind, nicht numerisch eine Gleichheit sein könne**
(2. disfr. 40. .q. 1. a. 4. ad. 1.). '
Es ist somit klar, dass auch die übergehende Thätigkeit, die
actio transiens im Agens selber sich befindet. Sie ist und bleibt
ein Accidens, welches der thätigen Potenz inhäriert. Der Unter-
schied zwischen der immanenten und transeunten Thätigkeit be-
steht darin, dass dasjenige, was durch die immanente verursacht
und hervorgebracht wird, im Agens selber bleibt, während bei
der übergehenden das, was sie verursacht, von einem äußern Sub-
jecte aufgenommen wird. Die transeunte Thätigkeit selbst geht
nicht über ihrer Wesenheit nach, sie bleibt als Accidens im
Agens. In diesem Sinne bildet nicht a,llein die inunanente, sondern
auch die transeunte Thätigkeit fbr das Agens eine VoUkonmienheit.
60. Endlich haben wir noch eine andere Bezeichnung der
Thätigkeit kurz zu betrachten : die Operatio. Der englische Lehrer
bemerkt, die übergehende Thätigkeit werde eigentlich actio, die
immanente eigentlich operatio genannt Seine Worte sind: „Die
Thätigkeit (actio) ist zweifach : die eine geht vom Agens aus und
— 135 —
anf eine äußere Materie Über. Diese verhält sich wie das Erlenchteo,
Hellmachen (iUuminare). Die andere geht nicht auf eine Materie
Sfaer, sondern bleibt als Vollkommenheit im Agens selbst. Diese
verhält sich wie das Hellaein (lucere). Erstere heißt eigentlich
adio, letztere operatio. Beide kommen darin Uberein, dass sie nur
von einem Subjeote ausgehen, welches wirklich (in adii) und
insofern es wirklich ist. Ein Körper ist nicht bell, außer er besitzt
in der Wirklichkeit Licht. Ebenso kann er nicht Licht ausstrahlen,
andere Gegenstände belencbten und erhellen, wenn er selbst in
der Wirklichkeit kein Licht hat" (de veritate q. 8. a. 6.).
Die Thätigkeit der Geschöpfe ist demnach nichts anderes
als eine aecidentelle Form, welche vom Agens, der thätigen wir-
kenden Potenz, mittelst der Bewegung ausgeht oder ausfließt, und
in einem Snbjecte aufgenommen wird. Wir sagen die Thätigkeit
der Geschöpfe, denn die Thätigkeit Gottes ist sachlich ein und
dasselbe mit seiner Wesenheit, der substantiellen Form, Darum.
erklärt S. Thomas, künne man von Gott nicht sagen, er wirke
mittelst der Thätigkeit, wenn man unter dieser Thätigkeit das
versteht, was im Prädicamente, in der Kategorie : „Thätigkeit'
einbegriffen ist. Diese Aussage mltsse bloß als eine analoge auf-
gefasst werden (1. dist. 8. q. 4. a. 3. ad 3.). Gott ist uicht durch
eine Bewegung thätig (2, dist. 17. q. 1, a, 2. ad 4. — ib. dist. 18.
q. 2. a. 2.). Jede gescbijpfliche Thätigkeit hingegen gehört der
Kategorie: „Thätigkeit" an, weil sie durch eine Bewegung sich
vollzieht und Überdies sachlich nicht ein und dasselbe ist mit der
Wesenheit, weder mit der Wesenheit der Substanz noch mit jener
des Vermögens oder der Potenz. Sie bildet hinsichtlich beider
etwas Hinzugefügtes, ein Aceidens. Dies führt uns zu der Unter-
suchung Über den sachlichen realen Unterschied der Tliäiigkeit
von ihrem nächsten und entfernten Principe.
§ 8. Das Verhältnis der Thätigkeit za ihrem Principe : zu
der Wesenheit, zu der Potenz im passiven und activen
Zustande.
61. An rerscbiedenen Stellen erörtert der englische Lehrer
die Frage, ob die Thätigkeit eines Geschöpfes mit der Wesenheit
desselben sachlich identisch sei. Der Heilige verneint diese Frage
niit dem Bemerken, dass die sachliche Identität der Wesenheit
mit dem Thätigsein ausschließlich Gott zukomme. In den Creatuien
dagegen sei ohne Ansnahme ein realer Unterschied anzuerkennen.
Betrachten wir zunächst das Tollkommenste der Geschöpfe,
den Engel. Die Verstaudesthätigkeit des Engels ist sachlich nicht
ein und dasselbe mit seiner Wesenheit, denn die Thätigkeit eines
Dinges steht weiter von der Wesenheit desselben ab, als die
Eiistenz dieser Wesenheit. In einem Geschöpfe aber sind die
— 136 —
Substanz und das Dasein sachlich nicht ein und dasselbe. Dies
ist Gott allein eigen. Weder im Engel, noch in sonst irgend einer
Creatur ist folglich die Thätigkeit real identisch mit der Substanz
oder Wesenheit. Der tiefere, innere Grund für diese Wahrheit
muss darin gesucht werden, dass die Thätigkeit die Actualität
oder Verwirklichung der Kraft ist, gleichwie das Dasein, die
Existenz, die Actualität der Substanz oder Wesenheit bildet. Nun
erweist es sich aber als geradezu unmöglich, dass ein Ding, welches
nicht reine Wirklichkeit, actus purus, sondern mit einer Poten-
tialität vermischt ist, seine eigene Actualität aufmache. Die Actua-
lität widersti*eitet der Potentialität. Da nun kein Geschöpf reine
Wirklichkeit ist — - denn Gott allein ist acttis punts — , so folgt
mit zwingender Nothwendigkeit, dass die Wesenheit und Thätig-
keit in den Greaturen nicht sachlich ein und dasselbe sein können.
Dazu kommt noch ein weiterer Grund. Wäre nämlich die
Verstandesthätigkeit des Engels mit der Substanz desselben real
identisch, so müsste diese Thätigkeit etwas Subsistentes sein.
Allein die subsistente Verstandesthätigkeit kann nur als einzige
existieren, wie irgend ein subsistierendes Abstractes. Daraus würde
aber dann folgen, dass die Substanz des einen Engels sich
weder von der Substanz Gottes, welche subsistente Verstandes-
thätigkeit ist, noch von der Substanz des andern Engels unter-
scheiden könnte.
In diesein Falle könnte es auch keine Abstufungen geben,
indem der eine vollkommener versteht, als der andere. Die Ab-
stufungen dieser Art sind nur möglich durch die Antheilnahme an
der Verstandesthätigkeit (1. p.q.54. a.l.). Die Verstandesthätig-
keit des Engels kann somit nicht real identisch sein mit der Sub-
stanz oder Wesenheit desselben (4. contr. Gent. c. 11.). Darum
haben sie auch nur das Bild des dreieinigen Gottes in sich. Das
Wort und die Liebe bilden in ihnen aus dem Grunde nicht sub-
sistente Personen, weil ihr Verstehen und Wollen sich real von
der Wesenheit unterscheidet (de potentia q. 10. a. 1. ad 5.). Es unter-
liegt demnach gar keinem Zweifel, dass die Thätigkeit des Engels,
so gut wie die der übrigen Geschöpfe sich sachlich von der Wesen-
heit unterscheidet. Die Thätigkeit bildet in ihnen die Actualität
der operativen Potenz oder Kraft, gleichwie die Existenz
Actualität der Wesenheit ist. Durch diese Actualität haben beide
Wirklichkeit : die Wesenheit mit Bezug auf das Dasein, das Ver-
mögen oder die Potenz im Hinblick auf die Thätigkeit. Niemand
kann darum behaupten, wenn er überhaupt bei Sinnen ist /^nisi
insanusj, die Thätigkeit der geschaffenen Substanz sei mit der
Wesenheit real identisch. Mit Kecht unterscheidet darum Dionysios
in den höhern Substanzen die Wesenheit von der Kraft und von
der Thätigkeit (de spiritual. creat. a. 11.).
Endlich ergibt sich die Unmöglichkeit der sachlichen Identitfit
- 137 —
von Wesenheit und Thätigkeit in den Geschöpfen auch daraus,,
das» jede Creatnr mehrere ond gaoz versohiedene Thätigkeiteb
sDSflbt, während die Wesenheit derselben nur eine einzige ist.
Diese Mehrheit nnd Verschiedenheit kann Dur erklärt werden,
wenn das nächste, unmittelbare Frineip der Thätigkeit gleich-
falls als ein Mehrfaches, Verschiedenes angenommen wird. Daher
bemerkt der englische Meister, dass in Gott nur eine einzige
Potenz sei, nämlioh das mit der Wesenheit sachlich identische
Frineip der Thätigkeit. Ebenso ist in ihm real nur eine einzige
Thätigkeit, nämlieh die Wesenheit selber. Dagegen sind mehrere
Wirkungen dieser einen Thätigkeit (1. dist.42. q. 1. a.3.). Die
Terschiedenen Thätigkeiten der Geschöpfe aber können nicht
von einem unmittelbar wirkenden Principe ausgehen.
Aus dieser Argnmentation des Doctor Ängehcug folgt aber-
mals die grolle Bedeutung des sachlichen Unterschiedes zwischen
Wesenheit nnd Existenz in den Creatnren. Der englische Lehrer
knüpft an diesen Unterschied, wie mr sehen, die weitgehendsten
Scblnssfolgeningen. Viele andere Wahrheiten stützen »ch gerade:sa
auf diese eine. Namentlich ist es der große absolute Abstand
der Geschöpfe von Gott, der damit ausgesprochen und ver-
theidigt wird.
62. Aber vielleicht ist die Thätigkeit der Geschöpfe sacblich
em und dasselbe mit der Existenz, so dass die Greaturen, weil
sie existieren, eo ipso auch thätig sind?
Der englische Lehrer vermag dieser Ansicht nicht beizin-
pflichten. Nachdem er die Frage aufgeworfen, ob die Verstaudea-
thätigkeit des Engels sachlich identisch sei mit der Wesen b eit
desselben, fragt er weiter, ob diese Thätigkeit identisch sei mit
dem Dasein. Wie die erste, so wird auch die zweite Frage von
ihm verneint.
Die Thätigkeit des Engels bildet eine Bewegung, die Existenz
dagegen etwas Stabiles, nicht aber eine Bewegung. Folglieh
kiinnen diese beiden unmöglich i'eal ein nnd dasselbe sein. Diese
Wahrheit hat indes ihre Geltung nicht bloß in Bezug auf den
Engel, sondern auch hinsichtticb der Geschöpfe überiiaupt. Die
Thätigkeiten sind entweder transeunte oder immanente. Die ei-atern
kSnnen mit der Existenz aus dem Grunde nicht sachljcb identisch
sein, weil die Existenz etwas Innerliches ist, während sie selbst
einen Ansflnss vom Agens und Übergang auf das Leidende be-
zeichnen. Die immanenten Thätigkeiten besitzen eine gewisse Un-
endlichkeit, denn das Wahre als Object des Verstandes, und das
Gnt als Object des Willens sind so allgemeiner Natur, wie das
Seiende, das Ens. Daher kann der Verstand an und fUr sich alles
erfassen und der Wille alles begehren. Und beide Vermögen
werden vom Objecte speeificiert. Das Dasein, die Existeaz hin-
gegen ist anf eine bestimmte Gattung und Art eingeschränkt
- 138 —
Darum ist aiiB8chie£lich nur die Existenz Gottes mit seiner Tbätig;-
keit sachlich identisch. Der En^l kann manoheB darch seine
Wesenheit verstehen, aber bei weitem nicht alles (l. p. q.54. a.2.).
Dazn kommt noch, das dasjenige, was der Verstand des
Engels von der erkannten Sache ia sieh bildet, das sogenannte
verbum, oder die species expressa nicht real identisch ist mit seiner
Substanz. Die Existenz dieser species esopressa ist im Engel nnd
im Menschen im Verstände selber, die Existenz des Verstandes
dagegen nichL Dies ist nur in Gott der Fall (4. contr. Gent e. II.).
Wie sich daher die Wesenheit zur Existenz verhält, so verhält
sieh das Können zum Thätigseiu. Und wie sich das Dasein zar
Thätigkeit verhält, so verhält sich die Potenz, das Vermögen
zur Wesenheit. Existenz und Thätigkeit sind in Grott allein real
ein und dasselbe (de anima a. 12. arg. pro).
Zn demselben Resultate gelangen wir auf einem andern Wege.
Das Hein, die Existenz ist Act, denn sie bildet die letzte Actna-
lität der Wesenheit. Wäre nun die geistige Substanz, die Seele
oder der Engel resp. die Existenz derselben unmittelbar
Prineip der Thätigkeiten,' so mUssten sie ununterbrochen geistig
tbätig sein. Die fäistenz kennt keine fernere Hinordnnng zu einem
Acte, indem sie selber der letzte Act ist. Sfit Bezug aof die
menschllcbe Seele weist aber die Erfabmng nach, dass sie nicht
beständig geistig tbätig ist Der Engel erkennt und liebt zwar
ohne Unterbrechung sich selber. Allein hiusichtlich der andern
Objecte trifft dieses nicht zu. Auch er ist demnach gleich der mensch-
lichen Seele, manchmal in der Potenz zn dieser oder jener Thätig-
keit (l.p.q.77. a.l).
Die Thätigkeit der Geschöpfe gehört somit weder zn der
Wesenheit, noch zum Dasein derselben. Sie bildet auch nicht
ein accidens proprium derselben, weil sie nicht aus den consti-
tutiven Principien der Wesenheit hervorgeht und die Wesenheit
nicht immer im Besitze der Thätigkeit sich befindet. Die Thätig-
keit bildet ein Accidens per acadens, während die Wesenheit
direct, die Existenz rednctive zur Kategorie Substanz gehören.
Aus alledem folgt zur Evidenz, dass die Wesenheit der
Creatnieu nicht nächstes, unmittelbares Prineip ihrer Thätigkeiten
sein kann. Sie übt vielmehr vermittelst accidenteller Principien
ihre Thätigkeiten ans. Während sie selbst als erstes radicales
Prineip eines ist, besitzt sie verschiedene Vermögen oder Potenzen,
durch welche die Thätigkeiten unmittelbar vollzogen werden. Die
Potenz Qud der Act mUssen in Correlation stehen (de anima a. 12.).
Diese Potenzen wirken nicht selbständig und unabhängig, soD-
dem in der Kraft des ersten Principes, der Seele (I. c. ad 10.}.
Die Vermögen der Geschöpfe stehen daher in der Mitte zwischen
der Substanz und der Thätigkeit, nnd sie bilden die Instnunentil-
ursache fär die Wesenheit (de spirit creat a. 11. arg. pro). Dass
die Potenzen oder Vennßgen der Greatnren sich Bachlich ron der
Wesenheit derselben nnterecfaeiden, . ist dem englischen Lehrer
nicht zweifelhaft. Der Unterschied ist in derselben Weise real wie
jener zwischen Wesenheit nnd Thätigkeit. Wir sehen indessen von
der Prüfung dieser Doctrin des heil. Thomas ab, weil wir nnr
das Verhältnis der Th^ligkeit za dem Wesen, der Substanz der
Geschöpfe darlegen wollen.
Bilden nun die Potenzen das nächste, anmittelbare Princip
für die Tbätigkeiten eiaes geschaffenen Wesens, so drängt sich
nns die weitere Frage anf, in welchem Verhältnis sieh die Thätig-
keit der Potenz gegenüber befindet.
63. Fassen wir znnäebst das Verhältnis der TbStigkeit zu der
Potenz in ihrem rein passiven Zustande ins Äuge. Mnss /.wischen
der passiven Potenz, dem agens in potentia, nnd der Thätigkeit
eine sachliche Identität angenommen werden? Offenbar nicfat;
denn agens in potenUa wird ein Ding gerade darum genannt, weil
es nnthätig ist, keine Thätigkeit ausübt: Es verhält sich somit
andei-8, wenn es unthätig, nnd anders, sobald es eine Thätigkeit
vollzieht. Diese Änderung gebt nicht blo£ unserer Auffassuug nach
vor sich, sondern sie ist eine wirkhche, reale. S. Thomas lehrt,
die Thätigkeit sei eine Bewegung, sei ein Ausfliegen ans dem
Agens. Dies aber Ifisst sich ohne reale Veränderung des Agens
nicht denken. Die passive Potenz bewegt sich nicht, aus ihr flieJ^t
uiehbs aus, weil sie nichts besitzt, was aus ihr hervorgeben könnte.
Das agtns in potentia ist zwar der Möglichkeit nach, aber
nicht in der Wirklichkeit thätig. Wir haben früher gehört, dass
der englische Lehrer behauptet, zwischen der Potenz und dem
Acte müsse eine Gorrelation sein. Infolge dessen entspricht dem
<yms in potentia eine Thätigkeit in polmtia. Die passive Potenz
besitzt nur eine mögliche Thätigkeit, keineswegs eine wirkliche.
Allein wir fragen, wie sich die wirkliehe Thätigkeit zu dem
agens in potentia verhält. Dieses letztere kann demnach in keiner
Weise mit der Thätigkeit selbst saehUch identisch sein.
Diese Wahrheit folgt mit zwingender Nothwendigkeit in Bezug
auf den Willen. Der Beweis des heil. Thomas, dass die Wesen-
heit der Seele sachlich nicht ein- und dasselbe sein könne mit
ihren Vermögen oder Potenzen, iässt sich genau anf nnaern Gegen-
Bland anwenden. Wäre die Seele unmittelbar Princip der Thätig-
keit, bemerkt der englische Lehrer, so müsste der Mensch, so
lange er lebt, immer geistig thätig sein, gleichwie er immer in
Wirklichkeit focfuj existiert. Allein der Mensch ist nicht immer
geistig thätig. Ganz dasselbe mnss Tom Willen als Potenz gesagt
werden. Ist die passive Potenz, das agens in potentia, mit der
Thä^gkeit real identisch, so mnss sie immer thätig sein. Der Wille
existiert immer, ist immer vorhandeo. Und dennoch ist er nicht
immer thätig. Der englische Meister sagt mit Grund von ihm, er
- uo -
sei quandoque cogens in potentia, * quandoque agens in actu. Ef fangt
jetzt 2U wollen an, während er» früher nicht wollte (1. 2. q. 9. a. 4,).
Somit kann' er unmöglich mit der Thätigkeit selber sachlich
identisch sein.
Es ist ständige Lehre des heil. Thomas, dass ein Ding erst
dann eine Thätigkeit ausübt, wenn es in actu, in der Wirklich-
keit, nicht aber solange es in der Möglichkeit sich befindet. Stellen
für diese Lehre sind in den Werken des Doctor Angelicus unge-
zählte. Und warum ist es erst dann thätig, wenn es in der Wirk-
lichkeit sich befindet? Der englische Lehrer antwortet, weil es
erst dann vollkommen ist. Actives Frincip ist ein Ding erst
dann, wenn es vollkommen (1, p. q. 25. a. 1.). Die passive Potenz,
das agens in potmtia, besitzt oifenbar nicht die verlangte' Voll-
kommenheit, sonst wäre sie ja thätig. Dieses agens in potentia
unterscheidet sich real von jenerVollkommenheit, wodurch
es agens in actu wird. Durch sich selber kann es nicht zugleich
unvollkommen und vollkommen sein. Darum unterscheidet sich die
passive Potenz real von der aetiven, oder wie S. Thomas sagt:
potentia passiva dividüur contra actum (1. c. ad 1.). Er zählt stets
zwei Kategorien von Potfenzen auf: active und passive. Die active
Potenz ist Thätigkeitsprincip,' die passive niemals. Diese
ist Princip für das Leiden. Sie kann folglich mit der Th&tigkeit
nicht real identisch sein.
Dies ergibt sich aus der Doctrin des englischen Meisters über
das Wesen der Thätigkeit. Dieser Doctrin zufolge ist die {Thätig-
keit eine Wirkung, ein Effect der aetiven Potenz. Die
active Potenz bildet das Princip der Thätigkeit. Nun unterliegt
es doch gar keinem Zweifel, dass zwischen der Ursache und der
Wirkung ein sachlicher, realer Unterschied besteht. Wollten wir
demnach auch zugeben, dass die passive Potenz eine Thätigkeit
hervorzubringen imstande sei, sie könnte trotzdem nicht mit dieser
ihrer Thätigkeit real ein und dasselbe sein. Die Ursache kann
unmöglich sich selber hervorbringen, Ursache und Wirkung zu-
gleich bilden. Damit ist aber dann der reale Unterschied des
Willens im passiven Zustande, des agens in potentia, von der Thätig-
keit, dem Acte desselben auBer Frage gestellt. Das agens in po-
tentia dividitur contra actum. In diesem unvollkommenen
Zustande hat es keine Correlation mit der Thätigkeit.
Nehmen wir dazu noch die Tbatsache, dass die Thätigkeit ein
Zufälliges, ein Accidens der Potenz ist, so bedarf der reale Unter-
schied zwischen ihr und diesem Accidens keines längern Beweises
mehr. Die Lehre des heil. Thomas lautet klar und bestimmt
64. In welchem Verhältnisse steht nun die Thätigkeit zu der
aetiven Potenz, zu dem agens in actu? Muss auch in dieser Be-
ziehung ein realer, sachlicher Unterschied angenommen werden?
Wir behaupten dies, gestützt auf die Lehre des englischen Meisten*
— Ul —
Was Tflrsteht S. Thomas nnter der Tbätigkeit? Die Thätig-
keit iet ihm nichts aoderes, als die Uittheilnng deseen, wodurcb
das agens in actu in der WirkHchkeit ist (depotentia q. 2. a. i.)-
Ans diesem Grande ist jedes Wesen erst dann tbätig, wenn es
Wirklichkeit hat, in actu ist. Der Philosoph nennt darnm dasjenige
^ vollkommeD, welches einem anderq mittheilen kann, was es selber
ist (I.e. arg. pt4>). Jede Tbätigkeit geht ans einer 'Potenz hervor
(jprocedü). Der activen Potenz entspricht der Act oder die Tbätig-
keit. AcÜYe Potenz heißt sie deshalb, weil sie Princip der
Thätigkeit ist {secwndum quod esi prirunpittm acHoniaJ; decu jede
Tbätigkeit setzt ein Prinoip vorans (depotentia q. 1. a. 1.). Die
Tbätigkeit der Geschöpfe fließt aus diesem Principe, aus der
acÜTeo Potenz heraus und letztere steht in der Mitte zwisehea
dem Agens nnd der Tbätigkeit. Sie unterscheidet sich von beiden
real (i. dist. 8. q. 4. a. 3. ad 3.). Man kann sie folglich in zwei-
facher Weise betrachten. Entweder insofern sie vom Thätigeu eus-
gebt, oder insofern sie im Gewirkten terminiert (1. c. dist. 37. q. 3.
a. 2. ad 3. — 2. dist. 13. q. 1. ad 5.). Dasa abo die Thätigkeit
nicht sachlich ein und dasselbe sein kann mit der activeu Potenz
oder dem agens in aäu ergibt sieb aus der Doctrin des heil. Thomas
mit Sicherheit.
Um den Unterschied Gottes ron den Geschöpfen faerrorzu-
belien, erklärt der englische Meister, dass in Gott die active Po-
tenz nicht eigentlich Princip der Tbätigkeit genaDiit werden
dtlri'e. Gott besitzt in keiner Weise eine passive, sondern nar eine
active Potenz, Er ist im höchsten Grade actives Princip, Der
activen Potenz aber koinmt es wesentlich' zu, actives Princip
za sein; denn sie ist das Princip, anf ein anderes zu wirken.
Die Thätigkeit Gottes ist indessen nicht: „ein anderes" als seine
Potenz-, bilde sind r«al identisch mit der Wesenheit, gleichwie
da« Dasein, die Existenz sacbticb dasselbe ist mit der Wesenheit.
Die Potenz der Geschöpfe ist nicht bloß Princip der Thätigkeit,
sondern anch der Wirkung, des Effectes. In Gott ist sie Princip
des Effectes, nicht aber Princip der Thätigkeit. Thäügkeitsprincip
ist die WcBenbeit selber; der Unterschied zwischen dem Princip
und der Thätigkeit in ihm besteht nur in unserer Auffas-
sung (secundum modum intelliffendi). Der Unterschied ist daher
in Gott bloß ein virtueller (1. p. q. 25. a. 1.).
Wenn der Unterschied der activen Potenz von der Tbätig-
küt in Gott ein virtaeller ist, so mnss er in den Geschöpfen ein
realer sein, damit der Abstand Grottes von der Creatnr gewahrt
bleibe. Der englische Meister stützt seine Beweisführung anf den
Unterschiid zwischeD Dasein und Wesenheit. Dieser llnterschied
ist ihm in Gott ein virtueller, in den Creaturen aber ein realer.
Das Dämliche muss fofgerichtig auch vom Unterschiede zwischen
der actiTen Potenz und der Thätigkeit behauptet werden.
- 142 -
Der beil. TbomaB bemerkt sehr oft, ein Ding sei tbätig in-
sofeme es Wirklichkeit hat, in acht ist. Was haben wir darunter
zu verstehen ? Etwa, dass es existieren mUsse, nm thätig za sein ?
Das iBt 60 Belbstverständlicb, dass es uns nicht zweimal gesagt
zn werden braucht. Oder bedeuten diese Worte, dass ein Ding
thätig, insofern es thätig ist^ Änch dieser Satz kann nicht be-
sonders geistreich genannt werden. Das Wort ^insofern" deatet'
folglich auf den realen Unterschied hin, der zwisehen der activen
Potenz, dem agens in actu und der daraus folgenden Thätigkeit
besteht. Sobald ein Ding in adu ist, in ordine operativo exi-
stiert, entwickelt es eine Thätigkeit, tbeilt es dies& seine Exi-
stenz einem andern, der eigenen Thätigkeit mit.
Daher nennt S. Thomas die Thätigkeit der Geschöpfe etwas
Gewirktes, guid operatum (3. p. q. 19. a. 1,), Dieser Wirkung,
diesem Effecte steht die active Potenz, das a^ens in actu als
Ur«ache gegenüber. Der Unterschied zwischen Ursache und
Wirkung muss aber stets ein realer sein. Die Ursache ist, wenig-
stens der Natur und Causalität nach, zumeist auch zeitlich frUher
als der Effect. Unmöglich kann tiarum die Thätigkeit constitntires
Princip sein, dass das agens in actu ist. Dies müsste aber ge-
schehen, wenn sie real mit der actiren Potenz identisch ist. Hit
Recht nennt also der englische Lehrer die Thätigkeit „ein anderes",
aliud, als die active Potenz, das agens in actu. Und dieses andere,
die Thätigkeit, inhäriert-als Aecidens der acüven Potenz. Weil
sie sieb real ron der activen Potenz nnterscheidet, ein Aecidens
derselben bildet, deshalb ist sie nach dem heil. Thomas etwas
Besseres, etwas Vorzüglicheres als die Potenz selber (1. p. q. 25.
a. 1. ad 2.). Insofern sie Wirknug, Effect der activen' Potenz ist,
kann man nicht sagen, sie sei etwas Besseres als ihre Ursache,
aber als A c o i d e n s , welches der Potenz ifihäriert, mUss sie etwas
Vorzüglicheres genannt werden.
' 65. Ans dieser Lehre des englischen Meisters ergibt sich aber-
mals die tiefgreifende Bedeutnng des sachlichen Unterschiedes
zwischen der Wesenheit und Existenz in den geschaffenen Dingen.
Dieser eine Unterschied bildet die Grundlage Hlr den Unterschied
in allen andern Beziehungen, er zieht sich durch alles Geschaffene
hindurch. Die Thätigkeit ist dem Doctor Angelicus nichts anderes
als die letzte Verwirklichung, ActualiUlt der Kraft oder der activm
Potenz und zwar in derselben Weise, wie die Existenz die letzte
Actnalität fUr die Wesenheit bildet. Keine geschaffene Snbst&nx
aber ist ihre eigene letzte Actnalität: folglich auch keine real
identisch mit ihrer Thätigkeit. Die Thätigkeit heißt actus aecwtdua
der Potei^, des Thätigkeitsvermßgens, und die Existenz wird actus
secundus der Wesenheit genannt. Die Existenz ist dasjenige, wo-
durch die Wesenheit Wirklichkeit besitzt, tbätsächUch da ist,
und die Existenz dasjenige, wodurch die Potenz wirklieh eine
— 143 —
Thätigkeit anslibt, in ordine operative Wirklichkeit hat. Wäre nnn
das eine oder das andere eeiae eigeae letzte Qoalität, so hätten
wir den reinen Act (actus puntsj, die lautere Wirklichkeit vor
ODs, ohne Beimischnng einer Möglichkeit oder Potentiahtät, and die
Greatur wäre Gott selbst. Weil indessen kein Geschöpf Gott gleich-
kommt, sondern gemischt, daher nicht reine Potenz and auch nicht
reiner Act, lauteres Sein ist, deshalb ist es auf Gruud dieser
Potentialität noch in der Möglichkeit, in der Potenz, einen fernem
Act, eine weitere Verwirklichung und VollkommeDbeit in sich auf-
zunehmen. Das Geschöpf ist in der Potenz zn der Thätigkeit als
ihrer letzten Actualit&t. Um der Thätigkeit willen ist es da, diese
bildet sein Endziel, so dass sie entweder selbst das Endziel aus-
macht, oder wenigstens durch sie das Endziel erreicht wird
(1. 2. q. 1. a. 1. ad. 2. — 3. contr. Gent. o. 2, — de potentia q. 5.
a. 5. ad 14. — 1. p. q. 65. a. 2. — ib. q. 105. a. 5.
Jetzt verstehen wir auch was S. Thomas will, wenn er den
Grundsatz ausspricht: „operari sequitur esse"; und: „modus ope-
randi sequitur modum essendi" (1. p. q. 89, a. 1.). Jene Substanz,
deren Dasein sachlich mit ihr selber identisch ist, wirkt unmittel-
bar durch sich selber. Sie ist auch mit ihrer Thätigkeit sachlich
identisch. Sie bildet eine reine unvermischte Wirklichkeit, lauteres
Sein in jeder Beziehung, denn ihre Thätigkeit richtet sich
nach dem Wesen, welches selber der formelle innere Grund
der Wirklichkeit, die Wirklichkeit selber ist. Weil diese Substanz
den Act, die Wirklichkeit ohne Beimischung einer Potentialität
besitzt, deshalb hat sie in diesem Acte ihre letzte, cnd gilt ige
Yollkommenheit. Darnm ist sie nicht mehr in der Potenz zur
Thätigkeit. Auf deu letzten Act folgt kein weiterer mehr, Sie
ist somit die Thätigkeit selber, ihr eigenes Objcct und Endziel.
Eine Substanz dieser Art, die einzige welche existiert, ist
Gott, der actus purus.
Keine Creatur besitzt das Sein, die Wirklichkeit, rein und
[uiTermifiCbt, so dass sie an Vollkommenheit Gott gleich wäre.
Sie enthält vielmehr Uu Vollkommenheiten in sich. Diese TJuToli-
kommenheiten bilden den Gegensatz zu deoi Acte, Gott ist des-
halb voUkommeo, weil er Act, uur Act ist. Der Gegenaat/. von
Act heißt Potenz. In Act und Potenz theilt sich alles ab. Die
Creatnren haben mithin Potenz nnd Act, weil sie von Gottes
Vollkommenheit abstehen. Die Wesenheit ist die Potenz, das Dasein
der Act. Nach diesem Verhältnisse richtet sieh auch die Thätig-
keit der Geschöpfe: operari sequitur esse; und: modus operandi
sequitur modum essendi. Daher ist das Thätigkeitsprincip eben-
fals ein zusammengesetztes. Es besteht aus Potenz und Act.
In keiner Creatnr kann es reine Wirklichkeit, actus jnirus sein.
Die Potenz wird gebildet dnrch die verschiedenen Tiiätigkeits-
vermögen, Eräfl:e oder Potenzen, die aus den coustilutiven Prin-
— 144 —
cipien yer modum naturalis resuüantiae hervorgehen. Dieses natür-
liche Heraasfließen ist nicht so zu verstehen; als ob die Wesenheit
durch eine Thätigkeit, somit als wirkende Ursache,
ihre verschiedenen Vermögen, Potenzen hervorbrächte. Die Potenzen
folgen oder ergeben sich vielmehr auf natürliche Weise aus den
genannten Principien. Es kann keine Wesenheit ohne ihre acddentia
prapria sein. Die Thätigkeit des wirkenden Agens, welche einem
andern Form und Wirklichkeit verleiht, gibt demselben auch alles
übrige, was auf die Form folgt. Die Thätigkeitsvermögen, die
Potenzen folgen auf die Form, denn es sind specifische, nicht
individuelle Eigenthümlichkeiten. In der Art (in speciej aber ist
jedes Ding durch seine Form (1. p. q. 77. a. 6. und 7. — 1. distS.
q. 3. a. 2.). Von der Wesenheit stammen also die verschiedenen
Vermögen nur als Potenzen. Da nun das Princip der Thätig-
keit aus Potenz und Act zusammengesetzt sein muss, so fragt
es sich, woher der Act, die Wirklichkeit dieser Potenz komme.
Diese Frage führt uns zur: praemotio physica.
^
• . ■ ■ m. Kapitel.
Der Einfluss Gottes aüfden Willen der Geschöpfe.
' § 9. Gott die Ursache der activen Potenz, des 'VrilleDS
■ ' ■ . .in actu.
66. .feind die Greaturen dadurch, dasa sie. vom Sciiüpi'er eine
- Wesenheit empfaDgen haben und mit verscIiiedeDen FlUiigl^eiten,
Vermögen ' oder 'Potenzen aVisgerUatet worden, scbon eo ipso in
Thätigkeit? Wird-zur Entfaltung einer miätigkeit weiter nicbts"
verlangt, als die Sntgtans unij eine Polen* ? DiesQ Frage iiiussdaliia
beantwortet 'werden, dasä die Wesenheit und Potenz aJiein ni(;ht
genügen, um sagen zu können, ein Geschöpf sei in Thätigkeit.
Die ■ Xhäti^eit ist,, wie wir nachgewiesen, weder mit der.-
Wesenheit, rfocli mit der Potenz sachlich identisch. Die Creatur,
jtäre anderufalla immer und ohne Unterbrechung, solange sie
existiert, in Thätigkeit ■begriffen. Ja, noch raehrl Sie wäre auf
Grun4 ■ ihrer Wesenheit uiid ihrer Kraft in der Thätigkeit '
Denn ist die Thätigkeit mit den vorgenannten eo ipso gegeben,
mit denselben sachÜoh ein und dasselbe, -so kann man sich zwar
die Wesenheit and die verscliiedenen .Vermögen derselben 'ohne
Thätigkeit den'ken, indem man von letzterer abstrahiei-t, allein
man kann sich .absolut nicht denked, dass diese beiden ohne
Thätigkeit da seien oder existieren. Das nämiiehe Priucip mliaste
hier seine Geltung haben, wie ea bezüglich des Accidena ;^roprium-
platzgreift. Darf Accidens proprium kann zwar unteraehiedeu vob
üet Substanz, nicht aber von ijir getrennt gedacht werden,
gleichwie man 'die' Wesenheit oder Substanz zwar ohne das Acci-
' A^m proprium auffassen, nicht aber sie als ohne dasselbe exls t ie-
vend zu denken vermag (de spiiit. creat. a, 11. ad 7. — de anima
a, 12' ad 7.}. Eis unterliegt jedoch gar keinem Zweifel, dass wir
uns ein Wesen, dass wir uns je.{Jea Geschöpf existierend, aber
in Unthätigkeit gesetzt denken können. Und nicht bloß zu
denken vermögen wir uns diesen Fall, "sondern er trifft auch in
der Wirklichkeit zu. In einer vorhin von nna citierten Stelle sagt
der englische Meister, darf geistige Geschöpf übe tbatsäc\ilich nicht
immer einen Lebensact aus (invinitur autem habena animam,-^
Falduei, WUleüafnihBit. '. ' ' 10 '
— 146 —
non semper esse in adu operum vitae, 1. p. q. 77. a. 1.). Es hat
somit eine vollständige Wesenheit nebst dem Dasein, es besitzt
auch verschiedene Kräfte und ist trotzdem an t hat ig. Van der
menschlichen Seele behauptet S.Thomas wiederholt, dass sie manch-
mal nur der Möglichkeit nach (in potentia) thätig, also in der
Wirklichkeit (in adu) unthätig ist (1. 2. q.2. a.7. — ib.q.9,
und q. 10.). Die ganze Theorie des englischen Meisters von der
Bewegung und Beweglichkeit eines Dinges beruht eigentlich aaf
der Unthätigkeit. Denn beweglich ist ein Ding nur darum,
weil es die letzte Äctualität; die letzte Vollkommenheit nicht be-
sitzt, oder wie S. Thomas] erklärt, ,weil es in der Potenz ist.
Ebenso kommt die Bewegung einem Dinge zu, insofern dasselbe
in der Möglichkeit, in der Potenz sich befindet. Man vergleiche
dqn Commentar des heil. Thomas zu der Physik des Aristoteles.
Sobald dagegen ein Ding eine Thätigkeit ausübt, ist es nicht
beweglich, sondern bewegend, einem andern Bewegung mit-
theilend nnd darum nicht nfehr in der Potenz, sondern in adu.
Darum lehrt der Doctor Angelicus an unzähligen Stellen, ein Ding
sei dann thätig, Wenn es in adu, in der Wirklichkeit ist, zum
Unterschiede vom .Zustande der Poteqz. Dies setzt offenbar eine
Veränderung voraus* und zwar eine Veränderung zum Bessere.
Dies besagt somit, dass zu . der Wesenheit nnd dem Vermögen der
' Creatur eine neue Vollkommenheit hinzugetreten ist, wodurch das
Vermögen aus dem Zustande der Potenz, der bloß hiö glichen
Thätigkpit in jenen der wirklichen versetzt worden ist Zwischen,
dem aber, wodurch ein Ding verändert re^p. verbessert, und
dem, was dadurch verändert und verbessert wird, muss- ohne
Zweifel ein s a c h 1 i c h e r, r e a 1 e r Unterschied angenommen werden.
' Wodurch gelangt nun die Creatur zu jenem Zustande, von
dem ^ir sagen, er bewirk^ formell, dass die Creatur thätig ist?
Vielleicht durch die Thätigkeit selber*? Allein die Thätigkeit ist
ja ein Effect, eine Wirkung des thätigen Dinges,, des Agens. Die
Thätigkeit wij'd vom heil. Thomas als etwas vomAgensAns-
flieBendes bezeichnet. Diesel^ Ausfließen folgt demnach auf das
Agens als Agens,^ls wirkende Ursache nnd bildet selber den
Effec|; dieser wirkenden Ursache. Der Effect aber kaqn nnmög-'
lieh eine wirkende Ursache formell constituieren.
Er wäre in diesem Fälle früher als die ihn hervorbringende Ur-
sache* und darum nicht Wirkung, sondern Formalursache der*
jenigen Ursache, welche ihn selber bewirkt. Es genügt nicht, dass
die Ursache überhaupt früher sei, oder existiere, sie muss als
thätig e, wirkende Ursache wenigstens der Natur und Voll-
kommenheit nach früher 'sein. Die Thätigkeit der Geschöpfe wird
vom englischen Meister etwas Gewirktes,« Verursachtes genannt
(3. p.q. 19. a. 1.). Sie kann demnach nicht den formellen Graod
abgeben, dass das Thätigkeitsvermögen der Creaturen in der
»
«
— 147 —
Wirklicbkeit (in actu) sei, anstatt in der Mögliehteit, in dei' Potenz
zu bleiben. Und doch mllssen diese verschiedenen Vermuten etwas
in sich haben, wodareh sie formell in 'der Wiikticbkeit sind,
weil sie factisoh Thätigkeiten ausüben. Also wober dieses Etwas,
welches formell bewirkt, dass die Geschöpfe Ursachen, agentia
in actu, sind?
Vielleicht ans nud von sich selber? Dies ist gerade so wenig
möglich, als es geschehen kann,, dass eine Weacnlieit sich selber
hervorbringe, sieh selber das Dasein, die Existenz verleibe. For-
mleren wir nun unser Argnment, welches die Voihmbewegmig
durch Gott strlugent beweist:
67. JedcCreatur uiusb vonGottznderTbätigkeit
bewegt werden, weil sie ans nnd durch sich unt in
der Möglichkeit, nicht aber id der Wirklichkeit'
tbätig ist.
Jede Giieatu;: ist dann erst tfaätig, theilt erst dann einem
andern die Ähnlichkeit und Güte ihrer. Form mit, wenn sie ,
diese Form .selber besitzt, wenb sie, wie S. Thomas bemerkt,
in adu ist San vermag aber keine Creatur sieb selber diese
Form, diesen Act zu geben : folglich mues dieser Act von Gott
dem Geschöpfe per mödum transeuntis itiitgetbeiit nud so lange
es tbätig ist, erhalten werden. Die constitutive Form bildet zwar
4as erste radicale Princip (principium prtmum quo) der Tbätigkelt,
allein diese Form ist, wie nachgewiesen wurde, nicht unmittel-
bar tbätig, somit nicht das nächste Princip (principium proximmn
quo). Dies wird vielmehr vom Vermögen, von der Potenz gebildet,
ÜiesePotenzistaber ans und durch sich nicht imstande, eineThiitig-
keit zu entfalten ans einem zweifachen Grunde. Au und tllr sich
betrachtet ist sie r e i n e P o t e n z , daher bloß der Möglichkeit
nach tbätig. Nun lehrt S. Thomas, die Thätigkeit bestehe darin,
dass das Ageifs einem andern so- viel als möglieb seine Form,
rfeine Ähnlichkeit und -Gute mittheile (de potentia q. I. a. 1.),
Wtjfn mnse aber das Agens, <(ie Potenz, die Ähnlichkeit uud
Gute der Form mittheilen? Offenbar zunächst der Tbätigkcit,
denn diese ist der unmittelbare. Effect. Allein die Tbätigkeit bat
mit dem Agens in poteniia, mit der passiven Potenz keine Ähnlich-
keit, Die Tbätigkcit ist ein Seiendes in adu; das Agens in potentia,
die Potenz hingegen in ordine oper'ativo ein Seieudes in der Potenz.
Dieses Agens könnte somit, ohne VcrandemDg nnd Vervollkommnung,
nur eine Tbätigkcit in der Potenz hervorbringen. Zwischen
der Ursache in der Potenz nnd der Wirkung iu der Potenz
besteht volle Ähnlichkeit, Eine Tbätigkelt in der Potenz ist
jedoch keine wirkli'che Tbätigkelt.
Weil also jede Creatur an und für sich nur der Möglich-
keit nach' tbätig ist, indem das Thätägsein als accidens per
occiäens ihr nicht an und fUr sich zukommt, nicht aus den con-
10* ■
_ • 148 — •
«
Btitativeir Frincipien der Wesenheit, oder auch der verschiedenen
'fhätigkeitsvermögen ohne Weiters hervorgeht) deshalb kann sie
ihre Ähnlichkeit und Gttte einem andern, der Thätigkeit
nicht mittheileA. Sie muss vorerst in adu gesetzt werdeü, mnss
jene Vollkommenheit Erhalten, durch welche sie in actu operaUva
sich befindet. Erst von diesem Momente an . wird sie dem hervor-
zubringenden Effecte ähnlich. Denn jetzt haben wir eine Potenz
mit einer Form, einem Acte/wenu auch nur per modum trameuntiß,
und in der Wirkung,, in der Thätigkeit, die von ihr hervorge-
bracht wird, haben wir ebenfalls eine Potenz mit einter Föim, einem
Acte. Es gibt kein wirkendes geschaffenes Seiende, welches
reiner Act, oder welches reine Potenz wäre. Jedes geschaffene
Sei^de, Existierende ist aus Potenz und Act zusammengesetzt.
Diesen Grundsatz macht *der englische Lehrer überall geltend. Die
Potenz in actu wirkt demnach ein Ihr selber Ähnliches, nämlich die
Thätigkeit. Darum nennt S.Thomas die Thätigkeit, etwas vom
Agens Ausfliegendes (aliquid fliiens ab agente cum motu).
Aus diesem Grunde wiederholt *er so oft, dass ein Ding^ dann
thätig sei, wen;i es in adjt ist. Solange ein Ping i n derPotenz
ist) kann nichts von ihm ausfließen. Die Ähnlichkeit, in der Potenz,
.in der Möglichkeit sich zu befinden, lässt sich keinem andern
mittheilen. In der Möglichkeit ist ein jedes geschöpfliche Seiende
aus und durch sich.
Der zweite vom Doctor Angelicus angeführte Grund ist der,
da^s jedes geschaffene. Seiende, gleichviel ob Substanz oder
Accidens, ein Zusammengesetztes bildet. Darum muss das
Thätigkeitsvermögen,* die Potenz, wenn »sie einen Effect wirken
soll, aus Potenz und Act zusammengesetzt seiYi. Sie muss
folglich, soll sie wirken, voiisrst einen Act erhalten, den »sie in
sich aufnimmt, der ihr inhäriert solange *sie Thätigk^iten
' entfaltet. Dieser Act ist nichts anders alsdieB^w^gungdurch
Gott..^ • • . * ' •
Der Beweis, ^as jedes geschaffene Seiende ein Zusammen-
gesetztes bilde, ist nicht schwer zu erbringen. Jede^ Ding, dem
. die Existenz durch Antheilnahme, zukommt, ist zusamn^engesetzt,
im Unterschiede vom reinen Acte, vom lautem Dasein (actus purusj^
welchem die Existenz der Wesenheit nach und durch die Wesen-
heit selbst zukommt. Es unter liegl; aber nicht dem geringsten Zweifel,
dass jedes Geschöpf die Existenz durch Antheilnahme hat; denn
durch die eigene Wesenheit besitzt sie Gott allein. Der Besitz
des Daseins durch Antheilnahme erklärt auch, warum Ursachen,
seihst der nämlichen Art angehörend, eine verschiedene, größere
oder geringere Thätigkeit entwickeln. Das Feuer z. B. ist manch-
mal von größerer, manchmal von geringerer Thätigkeit Woher
kommt das ? Offenbar daher, dass es mehr oder weniger in actu^
also mehr oder weniger an dem Sein in ordine operative Antheil
Ww ■
— 149 —
'hat. Das Sein kann indessen nur beschränkt; mehr oder weniger
werden durch die Aufnahme in einer PotenÄ (Comp. Theol. c. 18. —
2. cöntr. Qent. c. 52. — 1. p.q. 7. a/1.). Daraus, folgt zur Evidenz,
dass das Princip der Thätigkeit aus ^otenSs und Act zusammen-
gesetzt ist. Je mehr die Potenz an dem Acte Antheil hat, desto
größer ist die Thätigkeit,« welche die Potenz entfaltet. Gott ist
reiner- Act; und darum keiner gröBern Thätigkeit fähig. Er besitzt
aus diesem Grunde die absolut größte. Bei den Creaturen kann sie
Wachsen, weil dieselben nicht reiner Act' sind, daher sich in Kraft
ihrer Foten^S oder Potentialität in der Möglichkeit befinden, eine
größere Actualität* aufzunehmen und infolge dessen einen voll-
kommenem Effect, eine bessere Thätigkeit. auszuüben. Je weniger
diese- Actuali tat in einer* Potenz aufgenommen wird, je mehr ein
Ding in ordine öperativo in actu ist, . desto weniger hat es von der.
Potenz. . Um so vollkommener wird dann auch die Thätigkeit
selber ausfallen. Gott, der. aäus purus, bietet 'uns hiefUr das
Beispiel.
Ebenso folgt ans der Contingenz der Thätigkeit in den Crea-
turen, dass die. Potenz, um thätig sein zu können, in sich
selber eine YervoUkommniing, einen Act erhalten müsse. Mit
Recht bemerkt darum der beil. Thomas: ^Je vollkommener das
Tbätigkeitsprincip eines Dinges ist, desto weiter kann es seine
Thätigkeit ausdehnen. Diese Thätigkeit vermag selbst ganz ent-
fernte Gegenstände zu. erreichen, wie wir es bei einem starken
Feuer sehen. Gott, der reine Act, ist vollkommener als jener Act,
der, wie bei den Creaturen, mit einer Potenz vermischt ist. .Der
Act aber bildet das Princip für die Thätigkeit" (2. contr. Gent,
c. 6. ratio 6.).
Yeimag nun eine Creatur sich selber diesen Act zu geben,
sich selber aus der Potenz in den Act überaufUhren ? So wenige
haben wir früher gesagt, alß sie vermag, sich selber das Dasein,
die Existenz zu geben. Sie müsste ja wenigstens der Natur und
Causalität nach, schon in ac^u sein, um sich in den Act über-
führen zu können. Allein darin liegt eine contradicfio in adjecto. .
Diese Überführung musä durch Gott göscbehen.» Darum bemerkt
der englische Meister ii'gendwo : „Di6 Ursache, dass die Creaturen
existieren oder sind^ muss, wie Dionysius und Augustinus sagen,
zurückgeführt werden auf die göttliche Güte. Gott wollte nämlich
die Vollkoiiimenheit seiher Güte, soweit es möglich ist,* den 'Ge-
schöpfen mitthetlen. Die Güte Gottes besitzt indes^n eine doppelte
Vollkoipmenheit : die eine an sich, insofern er jede Vollkommen-
heit auf die vorzüglichste Weise in sich schließt; die andere
dagegen, insofern er auf d^e Dinge einen Einfluss ausübt (inftuit
in res). Aus diesem Grunde war es der göttlichen ^ Güte ange-
messen, beide dieser Vollkommenheiten den Geschöpfen mitzu-
theilen, und zwar in der Weise, dass die Creatur von der gött-
— 150 —
4
liehen Güte nieht bloß das Dasein^ die Existenz erhalte und gut'
sei, sondern auch dass das Geschöpf, andern das Dasein und die
Güte mittheile. Die Sonne z. B. bewirkt durch die Äussendnng
ihrer Strahlen nicht allein, dass die Körper licht sind, sondern
auch, dass sie Licht von sich geben. Hierin besteht jedoch eine
gewisse Ordnung. Denn jene, welche der Sonne mehr gleich-
förmig siud^ empfangen mehr Licht, und dieses selbst reicht hin
sowohl für sie selber, als auch dazu, dasselbe andern einzuflößen.
Daher kommt es, dass in 'der Ordnung des Universums die höhern
Creaturen durch .den Einfluss der göttlichen Güte üicht bloß in
sich selbst gut sind, sondern auch die Ursache der Güte für
andere bilden. Jene Wesen hingegen, welche mit Bezug auf die
Antheiinahme an der göttlichen Güte die niederste Stufe ein-
nehmen, existieren bloß, ohne andere Dinge zu yerursachen*^ (de
veritate q. 5. a. 8.).
Gott ist also in zweifacher Hinsicht Ursache: erstens, dass
die Geschöpfe existieren, zweitens dass sie wirken oder wir-
kende Ursachen sind. Gleichwie nun die Creatur bezüglich
ihrer Existenz an und für sich nicht nothwendig, sondern bloß
möglich genannt werden muss, und infolge dessen von Gott ab-
hängt, Gottes Thätigkeit voraussetzt, damit sie selber existiere;
ebenso bildet die Creatur nicht eine nothwendige Ursache, sie ist
als Ursache nicht nothwendig thätig, so dass sie die Ähnlichkeit
und Güte ihrer Form ununterbrochen andern mittheilte, sondern
an und für sich hat sie bloß die Möglichkeit dazu, sie besitzt die
Potenz zur Thätigkeit. Jede passive Potenz bedingt aber eine
active, wodurch sie in den Act übergefUhrt, oder aus dem Un-
thätigen ein Tbätiges wird, gleichwie sie aus dem Nichtexistie-
renden • ein Existentes wird. Daher sagt der englische Meister ein-
mal: „Weil jedes Agens ein ihm selbst Ähnliches wirkt, deshalb
entspricht jeder activen Potenz oder Kraft das Mögliche als eigen-
thümliches Object, gemäß dem Wesen jenes Actes, in welchem die
active Potenz ihren Grund hat. Die Kraft zu erwärmen hat zu
ihrem eigentlichen Objecte das Warmsein des zu erwärmenden
Gegenstandes (1. p.q. 25. a. 3.).
Betrachten wir i\un die vorhingenannten zwei Vollkommen-
heiten Gottes und dasjenige, was ihnen entspricht. Gott theilt als
erstep Seiende die Vollkommenheit seiner Güte den Creataren
actaell zu dem Zwecke mit;, dass auch die Geschöpfe . das Dasein
besitzen. Dieser Vollkommenheit entspricht von Seite der Creataren
die Möglichkeit zu sein, zu existieren. Gott theilt aber aÜQh seine
zweite Vollkommenheit mit zu dem Zwecke, dass di^ Creaturen
wirken, oder wie S. Thomas sich ausdrückt, dass sie Ursachen
seien, und auf andere einen Einfluss ausüben. Dieser Vollkommen-
heit muss von Seiten, der Geschöpfe ebenfalls eine Möglicbkeit-
entsprechen, die durch Gott als Ursache verwirklicht oder in
^ 151 —
den Aet Übergeführt wird, damit die Creatoren in Wirk-
liohkeit dieses oder jenes verareachen. Daraus folgt, daas die
Geschöpfe an and fUr sich ein Ag^ens in potentia, niubt aber ein
Agens in adu sind. Es waltet ein ganz weeentÜcber Unterschied
ob zwischen dem, dass ein Geschöpf vollkommen in sich, und
dem, dass es nicht bloß vollkommen in sich ist, sondern dieae seine
Vollkommenheit auch andern mitsutheilen, ein ihm selbst Ähnliches
hervorzubringen vermag. Die eratere Vollkommenheit genügt für
sich allein nicht. Darum betont der heil. Thomas fortwäln-end,
die Crcatur mUssQ in ordine operaiivo in acta sein, gm eine Thätig-
keit wirklich, actuell zu vollziehen. Dasjenige, was die Potenz
in den Act Überführt, verhält sich genau wie dasjenige, was der
Wesenheit eines Dinges die Wirklichkeit verleiht. Die Existenz
ist es, welche nach Art einer Form, als principium quo der Wesen-
heit in ordine ^üativo das Dasein, die Wirklichkeit gibt, und die
physische Vorherbewegung ist es, die, nach Art der Foi-m als
principium quo, dem TbätigkeitSTermCgen in ordine operativo das
Dasein, die Wirklichkeit verleiht Die Existenz in ordine entitativo
bleibt länger mit der Wesenheit verbunden. Darum kann man
sagen, dasa sie per modum permanentis der Wesenheit zukomme;
die physische Vorherbewegung dauert weniger lange au, weil die
Creaturen nicht immer thälig sind. Daher ist die genannte ße-
wegnng in ihnen per modum transeurUis oder passimiis.
68. Wir haben nur noch darzuthnn, dass diese Überführung
durch etwas geschehen mttase, das in adu operativo ist, uud dasa
dieses Etwas Gott allein sein könne.
Dem Möglichen die Wirklichkeit geben, ein Ding aus der
Potenz in den Act Überfuhren, bedeutet nach der Lehre des heiligen
Thomas soviel, als ein Ding bewegen. Ein Ding muss insofern
von einem andern bewegt werden, als es mehreren gegenüber
sich im Zustande der Möglichkeit, der Potenz befindet. Denn das,
was lo der Potenz ist, muss durch etwas, was in actu ist, in den
Act überfuhrt werden, und dieses bedeutet soviel als bewegen
(1. 2. q.9. a. 1.). Bewegt wird ein Ding, weil es in der Potenz,
nnd insofern es in der Potenz ist. Die Bewegung ist der Act des
Beweglichen als solchen. Die Bewegung actiy gefasst, als
Wirkung des Bewegenden, muss von einem Wesen ausgehen,
welches in actu ist. Das Feuer z. B. bewirkt, dass ein Stück Holz,
welches der Möglichkeit nach warm ist, es in der Wirklichkeit
werde. Das Feuer selbst aber kann dieses nur deshalb bewirken,
weil es in ordine operaiivoia der Wirklichkeit, nicht iu der
Möglichkeit Feuer ist. Der Beweger muss dabei in adu, das Be-
wegliehe in der Potenz sieh befinden. Nun haben wir früher ge-
sehen, dass kein Geschöpf an und für sieh in ac(u operativo ist,
so wenig, wie m adu entitativo. Darum muss Gott, der actus
purus, der in jeder Beziehung in actu nnd niemals irgend-
: . •— •152 — .
wie sich in der Potenz befindet, den Creatftren diesen doppelten
Act, dass sie existieren und dass sie in der Wirklichkeit thäng
sind, mittheilen^ Auf diesem Gründsatze bemht ja der aus der
Bewegung hergeleitete Gottesbeweis. Wer diese Bewegung durch
Gott nicht anerkennt, für den hat der Gottesbeweis überhaupt
nicht genügende Kraft und es ist nur Mangel an Consequenz,
wenn er daran. festhält. Selbst P. Eleutgen meint, wohl möge ein
Wesen niclit bloß Empfänglichkeit für die Bestimmung, dfe es in
der Veränderung erhält, sondern auch das Vermögen besitzen^
dieselbe sich zu geben -, es könne dennoch dieses Vermögen nie-
mals sich selbst genügen. Denn wenn es die Bestimmung, sei
es einen Zustand, oder eine Eigenschaft^ die es hervorbringen
konnte, bis dahin nicht hervorbrachte, so müsse es jetzt, da es
ihn hervorbringt, eben hiezu bestimmt worden, und also bereits
eine Änderung, .und sei es auch nur die Hebung eines Hhider'
nisses, eingetreten sein (Philos. d. Vorz. 2. Bd. 2. Aufl. Seite 676.)
• Gewiss reicht die Fähigkeit, thätig zu sein, nicht hin,
sonst wäl'e es ja keine Fähigkeit mehr, sondern Wirklichkeit,
Act. Die Creatur wäre immer in actu, eine Eigenschaft^ die nur
Gott besitzt, der durch seine Wesenheit, nicht durch Fähig-
keiten oder Potenzen thätig ist. Könnte demnach eine Creator
ihre Fähigkeiten selber in den Act überführen, selber bewirken,
dass sie in adu sind, so wäre sie Gott, sie wäre folglich nie in
der Potenz mit Bezug auf die Thätigkeit. Da nun der modus
operandi dem modtis essendi gleicht, indem jenes Wesen, welches
durch sichselber thätig, in adu ist, durch seine Wesenheit
wirkt, wie wir aus S. Thomas wissen, so mögen die Gegner der
physischen Vorherbewegung zusehen, ob es ihnen gelingt, die Gott-
gleichheit der Geschöpfe von sich abzuweisen. Der englische Meister
bekämpft entschieden die Ansicht, dass ein Geschöpf je sich selber
aus der Potenz ip den Act überführen könne. Naich seiner Lehre
wirkt Gott hinsichtlich der Crealuren zwei Dinge: dass sie exi-
stieren und dass sie Ursachen sind; Ursache aber ist ein* Ding,
wenn es in adu sich befindet, weil es dann wirkt, seine Ähnlich-
keit und Güte andern mittheilt.
Wir können den Beweis noch unter einem andern Gesichts-
punkte darstellen. Wenn ein Ding in adu ist, besitzt es eine
größere Vollkommenheit, als im Zustande der Potenz. Solange es
in der Potenz ist, wirkt es nicht. Im Augenblicke, wo es sich in adu
befindet, ist es thätig. Das Ageps iri adu ist nur der Natur nnd
Cansalität nach früher als seine Thätigkeit, sonst sind beide gleich-
zeitig. Die Thätigkeit legt Zeugnis ab von der Vollkommenheit
des Agens. Der erste Stofi*, die materia prima, die Materie
überhaupt, vollzieht keine Thätigkeit, weil sie unvollkonunen ist.
Ebensowenig sind die Vermögen, die Potenzen thätig, denn sie
sind unvollkommen. Die Potenz in adu dagegen wirkt und übt Thätig-
— 153 — •
keitea aus. Wvber kommt nun diese Vollkommenheit? Jede VotU
kommenheit ist etwas Positives, eip Seietides (ms). Weil sie aber
in nnsei-m Falle nicht Gott selber sein kann, bo mnas diese Voll-
kommenheit ein Seiendes durch Antheilnahoie bilden. Gott ist ein
Seieädea' dni'cb seine Wesenbeit, jedes Geeohaffene, gleichviel ob
Wesenheit Oder -Aceidenzj ist ein Seiendes durch Antheikahme. ■
Nnn lebrt der heil. Thomas an mehr als einer Stelle, dase alles .
Seiende durch Antheilnahme zurückgeführt werden mlisse
auf das Seiende dur^ seine eigene Wesenheit (1. p. q. 41. a. I.}.
Der engliecbe Meister spricht nicht bloß von der Wesenheit und
Existenz der Geseböpfe, sondern von jedem Seienden, anf welche
Weise es immer existieren mag: omne ens, quod quocumque modo
est a Deo esse. Da nun dasjenige, .wedurch das Tbätigkeitsver-
mögen, die Potenz in actu gesetzt wird, ein ens sein muss, so
Dinss dieses ens auf Gott als die Ursache zurUckgefUhrt werden.
Das Agens in potentia ' kann folglicb nur durcb Gott und ihn
allein ein Agens in actu ■ werden. Gott theilt demnach der
Creatur dieses ens, diesen Act, wodurch die Crealur in acta
ist, der Potenz mit, und diese nimmt es in sich auf. Darum muss
die Theorie, dass Gott nicht auf die Potenz wirke, eine entscliie-
lien unrichtige genannt, und deshalb lallen gelassen werden. Wie
kann Gott der Wesenheit die Existenz mittheilen, wenn er nicht
auf die Wesenheit wirkt? Wenn die Wesenheit das Dasein nicht
in sieb aufnimmt, wie kann sie daän existieren? Ganz' dasselbe
gilt von den Thätigkeitsvermögen oder Potenzen der Geschtipfe.
Diese Potenzen kOimen in ordine operativo nicht existieren, in. acta
Bein, wenn sie das, wodurch sie formell in actu gesetzt werden,
nicht in sich aufnehmen; und sie vermügen es nicht in' sich auf-
zunehmen, außer Gott theilt es ihnen mit, wirkt auf sie ein.
Wird die Potenz nicht geändert, erhält sie selbst keine neue
Vollkommenheit, so ist und bleibt sie ewig der Möglichkeit,
nicht der Wirklichkeit nacbthätig. Niemals wird der Efl'ect,
die Thädgkeit aus ihr herausfließen, es sei denn auf Grund der
praetnotio physicä, denn durch diese wird die Potenz zur Ur-
sache.
69. Man beanständet fortwährend das Wort: „V o r h e r-
bewegnng'', praemotio, dessen die Thomisten sich in dieser Frage
bedienen. Dieses Wort, so sagt man, findet sich in den Werken
des heiligen Thomas nirgends.
Wir legen auf dieses Wort kein besonderes Gewicht, wohl
aber auf die Sache. Lehrt man einfa<^, Gott führe die Creatur
aus dem Zustande der Unthätigkeit in jenen der Thätigkeit
über, er mache aus 'der passiven Potenz eine active, so ist
damit die Lehre des englischen Meisters und der Thomisten genan
und klar gekennzeichnet. Um Worte streiten wir nicht.
MilL Bezug auf die Behauptung, dass S. Thomas nirgends das
---- 154 -
Wort praemotio gebraucht, überlassen wir dem englischen Lehrer
selber deren Widerlegung. Die Bewegung des Bewegers geht
der Bewegung des Beweglichen, dem Wesen und der Ur-
sache nach, voraus. Motio atdem moventis praecedit motutn
mobili» ratione et causa. 3. contr. Gent. c. 149. Der Doetor Ange-
licus stellt hier* die Frage, ob der Mensch die Gnade verdienen
könne? Die Antwort darauf lautet verneinend. Denn jedes Ding
verhält sich zu dem, was ü b e r i h m ist, wie der StoflF. Der StoflT aber
bewegt sich nicht selber zu seiner Vollkommenheit. Er mnss dazu
von einem andern bewegt werden. Der Mensch bewegt sich
folglich nicht selber, damit er die Gnade erlange, die über ihm
steht, sondern er wird zu diesem Zwecke von Gott bewegt.
Nun folgen die früher angeführten Worte. Der Heilige schließt
dann mit den Satze: „Nicht deshalb wird uns die göttliche Hilfe
zutheil, weil wir uns durch gute Werke dazu bewegen, vielmehr
(potim) bewegen wir uns darum durch gute Werke vorwärts, weil
die göttliche Hilfe uns zuvorkommt, quia divino auxüio prae-
venimur^. Das Wort: praevenire kommt in diesem Gapitel wenig-
stens sieben- oder achtmal vor.
Wenden wir nun den Grundsatz des heil. Thomas auf unsere
Frage an. Die active Potenz, das Agens in actu, ist ohne
Zweifei höher als die passive, das Agens im Zustande der Potenz.
Die passive Potenz idt unthätig, die active hingegen thätig. Und
der Grund, warum das Agens in der Potenz keine Thätigkeit aus-
übt, liegt nach der Lehre des heil. Thomas in der Unvollkommen-
h e i t dieses Agens^ Die Potenz im passiven Zustande verhält sich
somit wie der Stoff. Nun wurde nachgewiesen, dass die Creatar
im passiven Zustande nicht durch sich selbst activ werden
kann. Sie kann sich nicht selber eine Vollkommenheit
geben. Dies kommt einer contradictio in ac{;ec^o gleich/ Keine
Ursache vermag eine Wirkung hervorzubringen, die vollkommener
ist als sie selber. Diese Vollkommenheit verhält sich wie die Form
zum Stoffe. Sowenig die Materie, der Stoff, sich selber zur Form
bewegt, sowenig bewegt die passive Potenz, das Agens* m potentia^
sich selber zur Vollkommenheit, durch welche es Agens in adu
wird. Diese Bewegung muss von einei& Agens in adu ausgehen.
Das einzige Agens, welches immer und von Natur aus durch
sich selber in adu ist, nennen wir Gott. Wenn aber nach der
Lehre des englischen Meisters die Bewegung Gottes, des Bewegers,
der Bewegung des Beweglichen, nämlich der Greatur, der Natur
nach vorausgeht, hat dann S.Thomas nicht die praemotio
physica gelehrt? Die Thomisten behaupten nichts anderes, als
dass die Bewegung Gottes der Natur und Causalität nach
vorausgehe.
In der vorhin oitierten Stelle aus der Summa contra Gentes
bemerkt der heil Thomas in n. 3, die menschliche Seele verhalte
— 155 —
sich jGiott gegenüber^, wie das particuläre Agens zam universellen.
Darum sei es ganz unmöglicb, dass die Thätigkeit Gottes einer
Bewegung der Seele nicht zuvorkomme (quem non praeveniat
actio divinaj. Eb ist richtig, dass S. Thomas nicht ausdrücklich
das W ort :^„praemotio^^ gebraucht. Allein welcher Unterschied waltet
ob zwischen diesem Worte und dem Ausdrucke; ^,praecedü^^ und
„praevenit^'. Hierin eine nennenswerte Verschiedenheit heraus zu
finden, dürfte etwas schwer sein.
Und wenn der englische Lehrer andei-swo sagt, Gott bewege
die Geschöpfe. zur Thätigkeit, was ist dann der Natur und
Causa li tat nach früher, die Bewegung durch Gott, oder
die Thätigkeit derCreatur? Offenbar die erstere, denn durch sie
wird das. Geschöpf zur Thätigkeit gebracht. Cfr. de potentia
q. 3. a. 7. Daselbst heißt es ad 3.: Bei der Thätigkeit, durch welche
Gott die Natur bewegt, wirkt die Natur nicht mit. In operatione,
(jua Deus opercUur movendo naturam, non operatur natura. Wenn
diesem Ausspruche zufolge Gott tbätig ist, indem er das Geschöpf
bewegt, während das Geschöpf selbst dabei nicht thätig ist,
keine Thätigkeit entfaltet, muss dann nicht behauptet werden,
diese Bewegung durch Gott erfolge früher als die Thätigkeit
der Creatur? Sollten denn diese. Worte in der Wirklichkeit so
grundverschieden sein von der praemotio physica? Das wird im
Ernste niemand glauben.
Nach der Lehre des heil. Thomas muss jedes Agens in po-
tentia von einem Agens tn actu, in den Act übergeführt werden,
und diesen Vorgang nennt er Bewegung (1. 2. q. 9 a. 1.). Was
ist nun der Natur und Causalität nach früher, die Thätigkeit
des Agens wodurch das Agens in potentiay in den Act übergeführt
wird, oder das Übergeführtwerden des Agens in potentia ? Die
Ursache muss doch gewiss früher sein als die Wirkung. Der Zeit
nach sind beide zugleich. Der Würde und Causalität nach ist
ohne Zweifel erstere früher. Die Bewegung ist allerdings eine
gemeinsame Thätigkeit des Bewegers und Bewegten, allein eine
andere Thätigkeit ist eine Bewegung verursachen, und eine
andere diese Bewegung aufnehmen. Darum unterscheiden wir zwei
Kategorien oder Prädicamente, nämlich : thun und leiden (2. contr.
Gent c. 57.). Es bedarf aber doch sicher keines langen Nach-
weises, dass die Thätigkeit der Natur und Causalität nach früher
genannt werden muss, als das Leiden. Das Leiden oder Aufnehmen
einer Thätigkeit erfolgt ja auf die Einwirkung, die Thätigkeit des
Agens. Dieses Leiden, dieses Aufnehmen aber bildet keine Thätig-
keit im eigentlichen Sinne, sonst wären nicht zwei .Kategorien.
Tbätigsein heißt geben, mittheilen, die Thätigkeit ist ein Ausfließen
aus dem Priöeip, aus der activen Potenz. Das Agens hi potentia
muss vorerst durch, die Bewegung, die von Gott gewirkt wird,
Agens in actu werden. Solange es das nicht ist, übt es keine
■ . _ 156 — .
Thätigkeit ans, weil es in diefFem Znstande ^icht Prineip. einer
TbStigkeit sein kann. Dieses. Prineip wird Tielmelir von der
actiTen Potenz, vom dem Agens in actu gebildet. Mit Recht
bemerkt aber, der engliBcte Lehrer, die Creatur sei bei dieser
Überführung aus dem passiven in den active'n Zasund nicht
tbätig. Sie nimmt, bloß den EinSuss Gottes in sich auf. Wir.habeD
somit 'bei diesem Vorgange zwei Eactoren :' die Bewegung Gottes,
tind das Bewegtwerden der Creatnr. J)ie Creator wird von Gott
Jjewegt, diese Be'wegnng geht von Gott, nicht vom .GeBebQpfe
ans, weil das Geschßpf dabei noch uicfat in actu, •Agens in aetu
' ist, sondern auf dem Wege dazn sich befindet. Und do'chsoli die
Tbätigkeit Gottes nicht der Natnr und Cansaütät naeh der Thätig-
keit. des Geschöpfes torhergehen, sondern beide zugleich
^ein ! Wie ist so etwas möglieb? Das» die -Bewegung der Zeil
nach fi'Uher s'ei, hat niemand behauptet, niid konnte niemand
vertheidigen, weil Gott nicht in .der Zeit. wirkt.
70. Der engbsche Meister sagt zutreffend, Gott bewege die
Geschöpfe zur Tbätigkeit oder er appliciere die Kraft znr
Tbätigkeit (de potenlia q. 3. a..7.). Das Wort applicieren mnsa
genau erklärt werden, we|l es einen zweifachen Sinn haben kano.
Man kann ein Instrument, welches schon thätig ist, z. B. das
fließende Wasser, eine im Gang befindliche Maschine, dirigieren
nnd zu einer Wirkung applicieren, die das lustmment allein
fUr sich nicht erzielen wUrde. Bei diesem Vorgänge wird das
Instrument nicht überhaupt in Tbätigkeit gesetzt , sondern
der Beweger bedient sich dieser Tbätigkeit zum Zwecke eines
höbem Effectes. In dieser Weise wird von den Gegnern der Eio-
fluss Gottes auf den Willen erklärt. Der Wille ist aus nnd
durch sich selber thätig, aber er kann ohne Hithilfe Gottes
den gewünschten Effect nicht hervorbringen. Allein diese Ansiebt
widei-spricbt direot der Lehre des heil. Thomas. Der Wille ist ihr
znfolge ans und durch sich Itberbaupt nicht thätig,
Damm kann Gott nicht ohne weiters die Tbätigkeit des
Willens applicieren, wie man ein bereits thätig es Instrument
appliciert. Der Wille muss darum von Gott erst zur Tbätig-
keit appliciert werden, Gott muss ihm die Tbätigkeit selber mit-
theilen. Wie kann nun dieses geschehen? Lässt es sieb ansfllbren
ohne Mittheilung einer Vollkommenheit, so dass der Wille dabei
passiv Agens in polentia bleibt? Dies ist einfach ein Ding der
Unmöglichkeit. In diesem Falle wird der Wille niemals eioe
Tbätigkeit ausüben, weil er nicht Thätigkeitsprincip, und eine
Tbäligkeit ohne Prineip dieser Tbätigkeit nicht denkbar ist.
Gott kann allerdings eine Tbätigkeit des Willens ohne den
Willen hervorbringen, denn die Tbätigkeit ist Aecidens und vom
Willen real unterschieden. Allein er vermag . nicht zu bewirken,
dflss diese ' Tbätigkeit eine Tbätigkeit des Willens sei. Die
— . 157' — •
Tbättgkeit des Willens mnss tod ihm -selber als dem
innera Prineip hervorgehen (1. 2. q, 6. a..l.)- I^'" paaeive
Wille aber, das Agens in pdtmtia, bHdet'keia Prineip der '
Tliätigkeit. t)i<e active Potenz, das AgeuB in acfUfist Prineip
der Thätigkelt. Daraus folgt zur Eridenz, dass der Wille ohne
Verändernng, ohne nene in sich aufgenommene Voll-
kommenheit, nie und nimmer ans dem passiven Zastamle,'
aQB der' Unthutigkeit, herauskommt. Eben diese Vollkommen^
)ieit wird ibui durch die Bewegung Gottes mitgetbeilt, dadurch
wird er zum Principe,- zur Ursache seiner Thätigkeit erhoben.
Und als Ursache wiiilt er, ist er tbätig. Es liegt aufderHandj
dass hier von IrUher und' später die Rede ist (de poteutia q. 3.
a.7. ad. 4, 9.). * - ' ■ ■ ' '
71. Gegen unsere bisherige Darlegung kann der Einwand er-.
hoben frerden, däss zur Erklärung dpr von uns vorgebrachten That-
gacben die physische Vqrherbeweguug keineswegs erforderlich sei,.
sondern der simultane Concurs sich als vollkonimen aüsieichead
•erweise. Dieses sei umsoniebr dann der Fall, wenn zwischen der
Poteu? oder-Kraft .m acfu, und dfer Tbäügkeit, der EraftänJJerung
'selber kein sachlicher Unterschied Migenommen wird:
' Wir werden, um unsere Behauptung apfrecbt 'erhalten zi^ .
kJinnen, nothweDdig Über den sogenaooten simultanen ConCnrs -
nts Klarheit verschalen mtlsgen. Nach der Lebre des heil. Thomas
gibt es eine doppelte Bewegung: die eine von der Kraft zur Wirlt-
hchkeit, "von der Potenz zum Acte, wie z. li. das kalte Wasser
warm wird, in warmes übergeht, oder die Sehkraft zum wirklichen
' Sehen fortschreitet; die andere Bewegung geht vom Thätigeu auf
ein Snbject über, welches jiiese Tbätigkeit aufnfmmt, wie z. B.
' das klionnenlicht die Luft erhellt, so dass die liuft' selbst in der
Wirklichkeit bell ist (4. dist. 1. q. 1. Ji. 4. qu. 4.). Die erste Bewe-
gung darf von Gott nicht ausgesagt werden; denn seine Kraft
geht nicht aber in eine Tbätigkeit, weil sie selber schon Tbätigkeit
iet, sachlich ein und dasselbe mit der Tbätigkeit ausmacht. Darum
nennen wir Gott den uobeweglichen Beweger. Er bewegt
alles, ohne selbst bewegt zu werden. In den Creaturen dagegen
finden wir sowohl die et%te ^ie die zweite Bewegung; denn keine
ist reine Kraftäußerang, reine Wirklichkeit. Fassen wir ihre
Wesenheit ins Auge, so sehen wir, dass sie aus und durch sich
selber nur möglich, nicht wirklieh. ist. So gut sie da ist, that-
aächlicb existiert, ebensogut kljonte sie auch nicht dasein. Die
wirkliche Existenz kommt ihr somit nicht nothwendig zu, sie
existiert formell nicht, weil sie diese oder jene, weil sie Überhaupt
Wesenheit ist. Die Wirklichkeit wird ihr folglich durch etwas
zotbeil, was zu ihr hinzutritt, von ihr aufgenommen wird. Die
Wesenheit der Geschöpfe, wie vollkommen sie sonst auch sein
möge, bildet demnach nicht eine reine, sondern eine gemischte,
— 158 —
zusammengesetzte SnbstaDZ. Dadarcb ist sie weBentlich
nnd eia- flir xllemal nnterscbieden von der Sal)atanz, dem Wesea
Gottes. Die Weseabeit verhält sich zu ihrer Wirklichkeit wie das
anfnehmende, empfangende Subject. Aas diesem Grande wird sie
leidend, passiv geoannt, nnd dasjenige, was von ihr aufgenommen,
nnd wodurch -sie wirklich wird, heißt Act, Fonn, Kraft,. Weil die
Wesenheit dieser Kraft gegenüber sich empfangend, aufnehmend
verhält, im Zustande der sahjectiven realen Möglichkeit ist, des-
halb muss diese Kraft ihr von einer äiiJ^em Ursache mitgetheilt
werden. Sie kann dieselbe nicht sieb selber geben, so weifig als
der Marmor sich die Wirkliebkeit einer berrlicben Statae ztt ver-
leiben imstande ist.
Das soeben dargelegte Verhältnis finden wir auch in der
Kraftäußerang oder Tbätigkeit der Geschöpfe. Sie besitzen Kräfte,
allein sie äaßern, sie entfalten dieselben nicbt, öder wenlgsteos
nicht immer. Manche Dinge wirken gar. nicht aufeinander ein,
andere nnr unter bestimmten Umständen. Der Stoff bewegt Über-
haupt nicht, seine Eigenschaft besteht ausschließlich darin, «ine -
Bewegung aufzunehmen. Das ganze Universum mnsste darnm
„{leu ersten Stoß" von einer äußern Ursache erhalten. Daraus
ergibt sich, dass die, Bewegung, die Kraftäußerung oder Tbätig-
keit nicht zum Wesen derGeschöpfe gehört, nicht aus dem Wesen
dei-aelben folgt, denn sonst müssten alle thätig sein, eine Bewe-
gung verursaebed, nicbt aber eine soicbe aufnehmen, und Über-
dies die Bewegung ohne Aufboren fortsetzen. Wäre die Thätigkeit
ein und dasselbe mit dem Wesen, so könnte dasselbe ohne sie
nieht existieren. ^Die Eraftaußerang muss demnach den Geschöpfen
von einer außerhalb der Geschöpfe un4 Über denselben stehenden
Ursache mitgetheilt, die Geschöpfe mUssen von Gott bewegt werden
(l. p. q. 2. a. 3. — 1. conti-, öent. c. 13.).
Die Lehre, d^sB Gott bei jeder Kraftäußemng oder Tbfitig-
keit der Creatoren in irgend einer Weise, mitbetbeiligt sei, kann
ohne Frage als eine allgemein angenommene bezeichnet werden.
Die Materialisten lassen wir hier natürlich ganz beiseite. Eine
andere Theorie wollen wir aber bier vor allem richtigstellen, weil
sie vou der Doetrin des heil. Tbom&s aUweicht, Die Frage über
den EiufiusB Gottes auf die Creatur, speciell aof die vernünftigen
Geschöpfe, wird unrichtig aufgeworfen. Wir fragen stets, aufweiche
Weise Gott bei der Tbätigkeit der Geschöpfe mitwirke.
Der heil. Thomas hingegen erklärt uns fortwährend, auf welche
Weise die Creatur bei der Tbätigkeit Gottes mitwirke.
Man vergleiche z. B. die Stelle: 4. dist. 5. q. 1. a. 2, wo der eng-
lische Lehrer ausdrücklich vier Arten aufzählt, auf welche die
Creator mit Gott wirkt, nicht umgekehrt. Dieser Unterschied
ist von Wichtigkeit, denn nicbt die Creatur bildet das Hanptagens,
sondern Gott. Das Geschöpf steht Gott gegenüber im Verbältnisse
— 159 —
eines lostramentes. Die Thätigkeit aber wird mehr dem Haupt-
agens als dem Instrinneiite zngesehrieben. Dae Hauptagene ist
eigentlich dasjenige, was thätig ist, das Instrument dagegen das-
jeoige, wodurch das Hauptagena seine Thätigkeit entfaltet, ob-
gleich dae InstmntCDt selbst ebenfalls wirkt.
Die Creatur wirkt daher insofern simultan mit Gott, als
gie ihre instmmentelle Thätigkeit entwickelt und in dieser Thätig-
keit zngteich auch die Thätigkeit der göttlichen Kraft enthalten ist.
Simultan tbätigscin bedeutet nicIiQi anderes, als zugleich eine
Thätigkeit setzen. Bei dem aimultanen Coucurse wirkt demnach
nicht ein Agens allein und getrennt von den übrigen, sondern alle
bethätigeo ihre Kraft zugleich. Dies trifft ganz besonders dann
ZD, wenn die Tbätigen voneinander unabhängig, einander nicht
unter- und Ubergeordöet sind. Der englische Meister bemerkt aber
aach an einer stelle mit Recht, das habere Agens wirke nicht
getrennt (seorsm)- von den- niedem, untergeordneten; denn das
letzte oder niederste wirke in der Kraft aller frühem. „Darum",
meint S, Thomas, „werden der Wirkung verschiedener Thiitigen
nicht versxihiedene Formen eiugeptägt, sondern es iät nur
eine einzige in derselben, die vom unmittelbaren Agens,
irelches der Kraft nach oder virtnell alle vorausgehenden Formen
enthält, dem Effecte mitgetheilt wird (de spirit. creat. a. 3. ad 20.].
Der simaltane Cononrs des heil. Thomas wird uns noch später
besehäftigen.
Das Wort: ^zugleich" kann indessen ein Zweifaches bedeuten.
Es wird damit entweder die Zeit gemeint, so daas dadurch aus-
gedrückt wird, etwas geschehe zu gleicher Zeit;- oder es wird
dabei.die Causalität tind Natur als frllhere oder als zngleiche ins
Auge gefasst. Eine Ursache kann „gleichzeitig" sein mit ihrer
Wirkung, allein det -Natur und Causalität nach, d. h. formell als
Ursache, musa sie frUher sein. In unserer "Frage haben wir es
anssohließiich mit .dem zugleich 'oder frUher in Bezug auf die Cau-
salität und Natur zu thun. Behauptet man also, äie Thätigkeit
der Geschöpfe' und Gottes werde zugleich ausgeübt, so will man
' damit' andeuten, dass die .Thätigkeit des einen unabhängig von '
jener des andern vor ^ich geht. Die Thätigkeiten beider treffen
nur in ^er Wirkung zusammen, während sie selbst nicht im
Verhältnisse der Ursache und Wirkung zu einander stehen. Das
Beispiel von mehreren, die ein Schiff ans Gestade ziehen, macht
uns die Sache anschaulieh. Die Thätigkeit des einen wirkt nicht
ein auf diejenige des andern, sondern alle haben denselben ter-
, minus: das Schiff, welches durch die Thätigkeit aller zugleich ,
ziehenden Kräfte bewegt wii-d. Sie hängen nur im Erfolge, hin-
sichtlich der Bewegung des Schiffes voneinander ab, indem die
Kraft des einzelnen nicht hinreichen wUrde, diese Bewegung des
Schiffes zn verwirklieben. In unserer Frage verursaeht demnach
— • 160 -^
(Sott alles dasjemge, alle jene Effecte, 'welche voti den Creataren
' bewirkt werden, zu gleicher Zeit, mit diesen Creataren. Allein er
bewirkt nicht', dass die Geschöpfe selber th ä tri g werden, in
• Thätigkeit .Übergehen. Er trägt somit hnr zum Gelingen
dcfs Effectes bei. * ;Wenn das Feuer dasi Wasser erwärnut," sagt
P.' Molin'a, ,^im Wasser Wärme erzeugt, so ist dabei auch. Gott
tbätig. Allein er wirkt nicbt auf das Feuer, sondern auf das
Wasser, in weichein der Effect, die Wärme,*, welche von Gott und
dem Feuer zugleich hervorgebracht wurde, Aufnahme findet. Das-
selbe muss bei deü immanenten Thätigkeiteü gesagt werden. Der
allgemeine Concurs Gottes mit der thäti^en Ursache z. B. mit dem
Verstand^ bei der . Verständesthätigkeit, bei dem» Erkennem, und
bezüglich des Willens bei dem Wollen, ist jiicht ein Einfluss Gottes
auf die Ursache, als wäre diese thätig, pachdem sie früher bewegt
und angeregt worden ** (Concordia q. 14. a. 13. disp. 29. Seite 12?.
.. ed. Antverp.). Diese Doctrin .wird noch in neuester Zeit vorgetragen,
. indem man die Theorie aufstellt, Gott wirke den Effect, nicht aber
den Act 'oder die Thätigkeit Um die Sache recht klar zu .machen,
hat man wieder zum 'Sphiffe als Ai^skunftsmittel -gegriffen. Gott,
sagt man, bildet für das Schiff den Wind, der daa SchifiT in Be-
' wegung' setzt, z. B. nach Osten,* ohne dasselbe in einen bestimmten
Hafen zu treiben. Letzteres besorgt der Steuermann, der, das
Steuer' in der Hand, das Schiff dahin oder dortbin lenkt.
72. Reicht der simultane Concurs, in dieser Weise • gefasst,
näitalich:als Einfluss Gottes auf die Wirkung, hig zur Erklärung,
•wie die Geschöpfe bei der Thätigkeit Gottes * mitwirken ? Wir
müssen es verneinen. ' . ' *
' Der Hauptfehler der Vertheidiger des ausschließlich simultanen.
Concurses besteht 4artn, dass sie die Greatur ohneweiters als thätig
hmstelFen. MoÜQa spricht schon von einer cau^ar operans, ebenso
alle andern, bis herab zum 'Erfinder des berühmten Scjiiffes. Die
Gfigaer des Thomismus nfachen^sifh die Sache etwas zu leicht
Wir * gebim unbedingt zu, dass das Schiff vom Wind getrieben
wircl. Allein, abgesehen von der contradictio in aii/^e^; .dass man
' das Schiff sich „im allgemeinen^ bewegen lässt, als gäbe es 'über*
haupt eine „allgemeine Bewegung,^ eine „{iligemeine Thätigkeit"^,
wird dabei zunächst ganz vergessen^ uns zu sagen, v^er denn
den Steuermann bewegt, in Thätigkeit versetzt. Oder. sollte viel-
leicht der Wind es sein, der den Steuermann aus d^r Rülie briagt
und das Steuer in die Hand zu nehmen anregt? In diesem Falle
wäre es ja doch thatsächlich der Einfluss des Windes auf die
^Ursache, den Steuermann, was man gerade mit diesem Bei-
spiele leugnen will. Wenn aber der Steuermann, anstatt das Steuer
in Wirklichkeit, thatsächlich zu handhaben, zu dirigiereo,
ruhig und unthätig neben demselben sitzt und in aller Gemtith-
lichkeit seinen Grog trinkt, was dann? Das Schiff wird sich zwar
_ 161' —
iofolge deB Windes auch dann Doch bewegen, allein diese Bewe-
gnng bat mit dem SteDermann nichts zn thun, darf deimelbeti io
keiDer Weise zugeschrieben werden. Mit diesem sehr faubschen
Fahrzeuge kann man folg-Hch die Schwierigkeitea sehr glücklich
mit Yollen Segeln umschiffen, za lösen jedoch Termag man die-
selben nicht. Um das Cap der guten Hoffnung kommen wir
diuiiit nicht herum. ITnsere erste Frage igt immer die, wie die
Creatnr, welche mit der Eraftentwioklang, mit der Thätigkeit
sachlich nicht identisch ist, za dieser ihrer Thätigkeit komme?
fiel dieser Festung Gibraltar darf kein Schiff, auch nicht das
des F. Comoldi vorbei, wie herrlich auch der. Wind die Segel
streicht und schwellt.
Wir haben oben gesehen, dasB der englische Lebrer eine
doppelte Bewegung vertheidigt: diejenige von der Müglicbkeit
(potetUia) in die Wirklichkeit (in actu) und jene Ton der Wirklich-
keit in den Eifect. Erstere muss nothwendig der*Natur und Gau-
salität nach früher sein, denn wirken, seine Kraft entwickeln kaun
ein Ding erst, wenn es wirklich (in actu) ist. Von dem Seiuigeu
nüdern mittheilen, kann man nur, wenn man selber etwas besitzt.
Der mögliebe Reicbtbum genügt dazu nicht, es muss der wirk-
liche sein. ISerlibrt nun der Einfluss Gottes das Thätigkeitepriucip
der Creatur, welches bloß in der Möglichkeit zum Handeln
ist, nicht, so bleibt es eben in dieser Möglichkeit nnd daraus wird
ewig nie eme Thätigkeit folgen. Von einem Concurse darf man
dann nicht reden, weil zu diesem zjwei Tbätige gehören. Darum
verwhft der heil. Thomas den Concurs bezüglich der ÜbeifUbrung
der Creatur aus der Potenz in den Act, indem er lehrt, bei der
Thätigkeit, durch welche Gott, die Natnr bewegend, wiikt, habe
die Natur selber nichts zu tbun, bleibe sie unthätig (in o^peratiane
qua Dens operatur movendo naturam, non operatur natura, de po-
tentia q. 3. a. 7. ad 3.). Wenn aber das, dann kann man nicht
sagen, Gott and die Creatur seien zugleich thätig. Offenbar ist
danu Gott' früher thätig. Wohbr sollte denn auch die Creatur
ibre Thätigkeit . haben ? Aus sich selber? Kann sie sich selber
etwas geben, was sie frUher nicht hatte? Es ist auch nicht richtig,
^^enu P. Klentgen ausweichend antwortet, es sei wenigstens die
Eotfemung eines Hindernisses erforderlich, dass ein Ding, welches
früher unthätig, jetzt eine Thätigkeit entwickle. Dieses 'Hindernis
kann allerdings die Thätigkeit, welche schon vorbanden
ist, aufhalten, allein das ist ein unnatürlicher Zustand, den
wir Gewalt und Zwang nennen. Sollen wir nun anDehmen, Gott
habe die Creaturen in diesem unnatürlichen Zustande geschaffen
und seine Thätigkeit bestehe nur darin, die Hindernisse aus dem
Wege zu räumen? Es handelt sich jedoch um die Frage, wie die
Creatoren überhaupt thätig zn sein anfangen. Bedürfen sie da»
erstemal dei praemotio physica, danu ist der Beweis fUr ihre
FsUner, WmeMfrelhelt 11
— ^162 —
Nothwendigkeit erbracht. Hinsichtlich des Willens aber erweist
sich diese Theorie als unrichtig, weil der Wille kein Hinder-
nis kennt. Ihn kann niemand zwingen, unthätig zu bleiben, er
weiß von keiner Gewalt.
Wenn er also manchgaal tbätig, manchmal unthätig ist, so
müssen wir den Grund dafür anderswo suchen als in einem Hinder-
nisse oder in der Entfernung dieses Hindernisses. Solange d^
Geschöpf unthätig ist, fehlt ihm eben die letzte formelle Voll-
endung, die Wirklichkeit in ordine operativo; seine Kräfte ver-
halten sich« passiv. Das Princip der Tbätigkeit bildet aber die
active Potenz. Diese active Kraft oder diese potentia in actu ist
/las Princip der ^Tbätigkeit und des Effectes (l. p. q. 25. a. I.)^
Bei dem Proeesse, durch welchen die passiven Kräfte active
werden, können diese selber keine Tbätigkeit ausüben, weil sie ja
. erst active werden und das Princip jeder Tbätigkeit die active
Potenz bildet. Daher sagt der englische Meister bei diesem Vor-
• gange, bei der Überführung aus dem passiven, in den activen
Zustand seien die Geschöpfe nicht thätig. Diese Überfbbruug
muss demnach früher sein als die Tbätigkeit der Geschöpfe.
Darum erklärt der heil. Tbomas, die Bewegung des Bewegers gehe
' der Natjir und Oausalität nach der Bewegung des Beweglichen
voraus (motio moventis praecedü mdtum mobilis ratione' et causa.
3. contr. Gent. c. 149).* Die Tbätigkeit Gottes ist sojnit früher
als die Aufnahme derselben im Vermögen, in der Potenz, und
ein simultaner Goncurs dadurch ganz und gar unmöglich. Denn
ein simultaner Goncurs, wobei der aüdere Theil unthätig ist, bildet
eine contrac[ictig in adjedo. Die Creätur muss also früher von
Gott verändert, vervollkommnet, dem Thätigkeits vermögen etwas
mitgetheilt werden, damit, es in actu sei, in ordine operlUivo Wirk-
lichkeit hkbe, dann erst wird es seine Kraft äußern und bethä-
tigen. Wirkt Gott nicht auf dieses Vermögen ein, so. bleibt es
selbst passiv, und wenn Gott hloB die Tbätigkeit wirkt, so ist
diese Tbätigkeit nicht formell die Tbätigkeit der Greatur,
da sie nicht aus dem Thätigkeits v e r m ö g e n }iervorgeht. Von
einer passiven Potenz geht ewig nie eine. Tbätigkeit aus.. Sie
muss früher vervollkommnet, in. die Wirklichkeit übergeführt
werden, dann tritt sie in Tbätigkeit. Die Vollkommenheit des Ver-
mögens ais solchen reicht allein nicht hin, um eine Tbätigkeit
auszuüben. Mit meisterhafter Klarheit hat S. Thomas diese Wahr-
heit dargelegt. Er schreibt diesbezüglich: „Bei der Bewegung der
Körper sehen wir, dass die Form, die Kraft, die das Princip der
Bewegung oder Tbätigkeit bildet, sich als unzureichend erweist
Zur .Bewegung ist auch noch die Bewegung des ersten Bewe-
gers nothwendig. Mit Bezug auf die Körper aber ist der erste
Beweger der Himmelskörper. Wie vollkommen demnach die Hitze
'des Feuers auch sein mag, es wird dennoch keinen Gegenstand
— 163 —
erwärmen, weon es nicht vom Himmelakörper die Bewegung em-
pfängt. Gleichwie mm alle Körperbewegungen zarilobgefUbrt werden
niüBBen auf den Hiuimetskßrper, als den ersten Körperbeweger,
ebenso niUssen alle Bewegungen, seien es körperliche oder gei-
stige, zurückgeführt werden anf Gott, den Beweger schlechthin.
Mag darum eine körperliche oder geistige Natur noch so roU-
koninien sein, sie kann nicht ia Thätigkeit übergehen
(non potest in suum actum procedere), wenn sie nicht von
Gott bewegt wird. Diese Bewegung erfolgt indessen nach dem
Plane seiner Vorsehung, nicht wie die Bewegung des Himmels-
körpers, mit Naturiioth wendigkeit. Und nicht allein jede Bewe-
gung stammt von Gott, dem ersten Beweger, sondern auch jede
formelle Vollkommenheit ist von ihm, als der ersten Wirk-
lichkeit, dem ersten Acte. Die Tbätigkeit des Verstandes, nnd
überhaupt die Tbätigkeit jedes geschafTenen Seienden hängt
folglich in zweifacher Weise von Gott ab. Ztmäcbst bat das Ge-
schöpf von Gott die Vollkouinienheit oder Form, wodurch es thätig
ist, überdies noch wird es von ihm zur Tbätigkeit bewegt
{I. 2. q, 109. a. 1.). Diese Stelle des englischen Meisters läset einen
Zweifel über die praemotio physica nicht aufkommen. Die Voll-
kommenheit der Vermögen als Vermögen oder Potenzen genügt
nicht dazu, dass ein Geschöpf in der Wirklichkeit eine
Tbätigkeit ausübe. Es muss von Gott bewegt werden. Ist nun die
Bewegung zu einer Tbätigkeit etwas anderes als die Vorfaer-
bewegung? Kann jemand ein Ding anders bewegen als dadurch,
dass er dasselbe ans einem Unthätigen zu einem Tliätigea macht?
Wie aber geschieht dies anders, wenn nicht dadurch, dasa er
auf dasselbe einwirkt, den Anstoß zu der Bewegung gibt?
Das particuläre Agens kann niemals der Thätigkeit des ersten
QuiverscUen Agens zuvorkommen, denn jede Thätigkeit des parti-
culären Agens stammt vom universellen, wie die Bewegung des
Himmelskörpers früher ist als die Bewegungen hier auf Erden.
Die menschliehe Seele aber untersteht Gott, als partieoläres Agens
unter dem universellen. Darum ist es geradezu unmöglich, dass
die Seele eine Bewegung ausführe, welcher nicht die göttliche
Tbätigkeit zuvorkommt. Ganz zutreffend sagt daher Jesus
Christus (Johann. 15.): Ohne mich könnt ihr nichts thuu (3. coutr.
Gent. c. 149.), Wenn also die Thätigkeit Gottes der Bewegung
der Greatnr zuvorkommt, muss man dann nicht gestehen, dass
Gott die Geschöpfe vorberbewege? Ohne Veränderung, Bewegung
erfolgt keine Tbätigkeit in den geschaffenen Dingen, denn sie ist
iätquid fiuena ab agente cum motu. Die Dinge müssen folglieh von
demjenigen bewegt werden, der immerfort in Tbätigkeit sieb be-
findet. l3ies ist nur Gott, denn seine Wesenheit unterscheidet sieh
nicht sachlich von seiner Thätigkeit. Weun aber die Tbätigkeit
jedes Bewegers der Natur und Causalität nach früher ist als die
— 164 —
Bewegung des Beweglichen, was ist sie dann anderes ala Vor-
berbewegnng? Die Ursache rnnas doch gewiss früher sein als
die Wirkung.
Der heil. Thomas spricht auch davon, dass dasjenige, was
Gott in den Geschöpfen wirkt, and wodurch dieselben aetnell
thätig werden, ein unvollkommenes Sein in ihnen habe, wie die
Tarlie in der Luft und die Kraft des Künstlers im Instrumente
(de poteiitia q. 3. a, 7. ad 7.). Das, was Gott in den Creatnren
witkt, ist somit in denselben, nnd durch dieses werden sie tbätig.
Alles das aber widerspricht dem simultanen Concnrse. Diesem zu-
folge beündet sich das, was Gott wirkt, im Effecte, es ist der
Effeut gelber. Es berührt demnach die Ursache, die Potenz nicht.
Ferner wird die Greatur durch den simultanen Concurs Überhaupt
nicht aktuell thätig, sondern in ihrer Thgligkeit nnterstutzt,
vervollkommnet, um eine Wirkung hervorzubringen, die von den
Gescbö|>fen allein nicht bervorgebracht werden kann. Der eng-
liscbe Meister dagegen behauptet, dass die Geschöpfe durcb das,
was sie von Gott erhalten, in Thätigkeit Übergehen (quo
res naturalis actutUäer agat). Damit ist hinlänglich bewiesen, dass
der siumltane Concurs der Gegner sich mit der Lehre des heil.
Thomas absolut nicht vertragt. Ebenso klar iat die Unzulänglich-
keit ilesselben, da er uns davon nichts sagt, wie die passive Po-
tenz v.m- activen, das agens i» potentia zu einem offms in aclu
werde. Er setzt einfach voraus, was erst dargelegt werden soll,
uämlicb den Übergang des Willens aus dem unthätigeu in den
tbäti^eu Zustand, der ohne praemotio phyaica gar nicht möglich ist.
§. 10. Gott die Ursache der Thätigkeit in den Geschöpfen.
73. Im Voraosgehenden warde die Nothwendigkeit der ^tmemofid
physica dargetban auf Grund des an und für sich von Matur
BUS passiven Znstandes der Tbätigkeitsvermögen, der Potenzen,
die außerstande sind, durch sich selber diesen Zastand za ver-
iinilern, in einen activen umzugestalten. Dabei wurde die Lehre
des li{;il. Thomas über den sachlichen Unterschied zwischen den
Kräften, Vermßgen oder Potenzen der Geschöpfe im Zustande der
möglichen und jenem der wirklichen Thätigkeit als Grand-
lage angenommen. Dieser sachliche Unterschied kann nach
unserer Überzeugung im Ernste nicht bestritten werden. Das eine
ist in JL-ilem Falle gewiß, dass er vom englischen Meister gelehrt
und wrllieidigt wird. Unsere bisherige Darstellung der Doctrin
des heil. Thomas hat dartlber, so hoffen wir, in genügender Weise
Anlat'liluss ertheilt.
lietracbteo wir nun die zweite Art der Bewegung des Ge-
schöpfes, von welcher der Doctor Angelicus in der frllher von ans
citierten Stelle spricht, nftmlidi von der Bewegung des Agens m
I
— 165 —
pasaum, in das antergeordnete Sabject. Das Agens mues, um diese
Bewegung anszufllbren, bereits, in der Wirklicbkeit, in acht sein,
denn nur dasjeuige theilt die Äiinlichkeit und Gute seiner Form,
seiner Kral't einem andern mit, welches diese Ähnliclikeit und Gute
tbatsächlich besitit. Das GescbOpf niuas folglich in aäu operutivo
sein, hinsichtlich der Tbätigkeit Wirkbchkeit haben, damit es seine
Kraftentwicklang äußere. Diese Kraflentwicklung oder Tbätigkeit
wird ans im Gegenwärtigen eingehender beschäftigen.
Als bekannte nnd allgemein angenommene Wahrheit gilt, dass
sowohl Gott als auch die Geschöpfe, zumal diejenigen, welche
eine geis^ge Natur, Verstand und Willen haben, im eigentlichsten
Sinne thätig sind. Ebenso gewiB finden wir Gottes Tbätigkeit in
jeder Xraftentfaltnng der Greatur. Denn es gibt kein äeieudes,
oder auch nur einen Theil desselben, der nicht in irgend einer
Weise von Gott wäre, Necesse est dicere, quod omne ma, quocumque
modo eal, a Deo esse (l.p.q.44. a.l.). Dies ist nicht bluß Lehre
des heil. Thomas, sondern des heiligen Glaubens.
Wie verbalten sieb nun diese beiden Thätigkeiten, der Act
Gottes und jener der Creatur zu einander? Sind sie zugleich in
Bezug auf die Natur und Cansalität? oder ist die Tbätigkeit Gottes
auch diesbezüglich früher, als jene des Geschtipt'es? ]>ie
Gleichzeitigkeit kommt hier nicht in Frage, weil darüber kein
Zweifel herrscht. Die Proposition, welche wir vertbeidigeu lautet:
Die Tbätigkeit Gottes und der Creatnren sind niebt in dem
Sinne simultan, dass sie der Natur und Cansalität nach
zugleich ausgetlbt werden, sondeni nur insofern die eine nicht
ohne die andere sieb vollzieht.
Der englische Lehrer fUgt zu den Worten : „bei der Tbätig-
keit, durch welche Gott die Natnr bewegt, sei die Natur selber
nnthätig" Folgendes hinzu: „die Tbätigkeit der Natur igt aber
andererseits auch die Tbätigkeit der göttlichen Kraft,
gleichwie die Tbätigkeit des Inetrumentes durch die Kraft des
Uauplagens erfolgt. Dies hindert aber nicht, dass Gott und die
Natur ein und dasselbe wirken in Anbetracht der Über- uud
Unterordnung zwischen Gott und den Creaturen" (de poientiaq. 3.
a. 7, ad 3.). Diese Worte des englischen Meisters geben klar zu
erkennen, dass beide Ursachen, Gott und die Creatur, in irgend
einer Weise simnltan wirken, denn beide bringen einen und
denselben Effect hervor, wie ausdrücklich bemerkt wiid. Dieser
Effect aber ist die Tbätigkeit selber (sed ipsa naturae operatio
est etiam operatio virttUis divinae). Wie bestimmt hier die Tbätig-
keit vom Agens unterschieden wird, wollen wir nur nebenbei an-
deuten. Die Tbätigkeit bildet den Effect des Agens, weit
S. Thomas erklärt, es habe gar keine Schwierigkeit, dass Gott
und die Natur ein und dasselbe wirken. Dieses ein und dasselbe
war ihm numittelbar roriier die Tbätigkeit, die operatio. Die
— 166 —
Thätigkeit der Greatur bildet somit den gemeinsamen terminm der
beiden Ursachen als der wirksamen Factoren. Welche von beiden
mnss nun im vorhin angegebenen Sinne als die frühere be-
zeichnet werden? Offenbar diejenige, welche zu dem, genannten
Effecte die Kraft hergibt. Der Doctor Angelicus vergleicht die
Thätigkeit des Geschöpfes mit der eines Instrumentes. Das Haupt-
agens ist aber ohne Zweifel der Natur und Causalität nach
früher thätig, als das Instrument, weil letzteres nur in der
Kraft, auf Grund der Thätigkeit des ersteren eine Wirksam-
keit ausübt. Denselben Grundsatz hat der englische Lehrer an
einer anderen von uns schon citierten Stelle ausgesprochen, wenn
er sagt, die letzte unmittelbare Ursache der Wirkung sei in
der Kraft aller andern übergeordneten thätig, und es werde dem
Effecte nur eine Form eingeprägt, die indessen virtuell, der Kraft
nach, alle vorausgehenden Formen enthält (de spirit. creat. a. 3.
ad 20.). Wir werden demnach, gestutzt auf die Doctrin des eng-
lischen Lehrers sagen müssen, die Thätigkeit Gottes sei früher
als die der Greatur. Obgleich die erste Ursache nicht getrennt
von den untergeordneten wirkt, so ist doch andererseits ebenso
sicher, dass letztere nur als Instrumente und in der Kraft der
erstem thätig sind. Die Gausalität der ersten Ursache muss folg-
lich auch in Bezug auf die Thätigkeit in gewisser Hinsicht als
früher angenommen werden. Die Ordnung der Ursachen richtet
sich, nach 8. Thomas, entsprechend der Anordnung der Effecte.
Die allgemeinern Wirkungen müssen auf die allgemeinern und
frühern Ursachen zurückgeführt werden. Die erste Ursache aber
wirkt das DB.sein (esse) als den ihr „eigentlichen*" Effect, denn dieser
ist der allgemeinste, die Verwirklichung (actus) und der formelle
Grund, warum jedes Ding existiert. Die untergeordneten Ursachen
applicieren dieses Sein auf irgend etwas, wodurch dasselbe
materiell, nicht aber formell bestimmt, beschränkt wird.
(2. contr. Gent. c.21.). Mit Bezug auf das Sein, die Existenz der
Thätigkeit oder des Effectes verhält sich demnach die Greatur
mehr als materielle denn formelle Ursache. Gott, das
erstcÄgenS; bildet die f o r m e 1 1 e. Das Höhere ist stets formell.
Formelle Ursache zu sein kommt dem Hauptagens, materielle dem
Instrumente zu. Das Instrument aber wird nach der Lehre des
heil. Thomas immer nur mittelst der Bewegung in Anwen-
dung gebracht, denn es liegt im Wesen des Instrumentes be-
wegter Beweger (movens motum) zu sein (1. c. ratio 4.). Da nun
das Instrument in der Kraft des Hauptagens thätig ist, und
diese Kraft eigentlich die Form, das Sein des Instramentes
in ordine operativo bildet, so muss man auierkennen, dass auch
bei dem sogenannten simultanen Goncurse, wie er vom heiligen
Thomas vertheidigt wird, die Thätigkeit Gottes schlechthin
(simplicüer) oder der Würde und Causalität nach früher ist. Die
. _ 167 —
Form ist schlechthin frliher als der Stoff, obgleich in ge-
wisser Beziehnng die Sache sich umgekehrt verhält.
74. Im Concurue dev Gegner des hei). Thonms kann die
Tbätigkeit Gottes allerdings io keiner Hinsicht IVulier sein
als jeDC des Geschöpres. Dafür ist aber aach darin für eine
Unter- nnd Überordniing der Ursachen kein Platz. Je4e Ordnung
gefalielft irgend eine Art fon früher und später in sich (2.'2. q.2U.
a. 1. — 1. diät. 20. q. 1. a. 3".)- Wenn wir also .von einer Unter-
ordonug sprechea, so dürfen wir dabei das „früher und später"
oicbt>an3 dem Ange verlieren. Im sunultanen Cuncnrse der Gegner
aber Wirkt keine der beiden Ursachen früher, nnd die eine steht
ancb niclit im Verhältnisse eines Principes zur andern, wie es
sich zeigt im Beispiele, wo mehrere eine Last heben, ein Schiff
ziehen. Das von P. Liberatore so angepriesene Schiff des P. Cor-
noldi wird durch Gott, den Wind, bewegt. Gott bewegt aua-
flcblieitlicfa nur das Schiff, nicht den Steuermann. Er verhält ^ich
demnach zu der Tbätigkeit des Steuermannes nicht als
Princip derselben. Darum besteht in den beiden Thätigkeiten
keinerlei Über- und Unterordnung, denn eine Ordnung ist nach
S. Thomas nnr mSglieh in Rücksicht anf ein Princip (I. c. 1. p. q. 42.
8. '6 ). Dieser Grundsatz wurde schon von Aristotelee geltend ge-
macht. Im fünften Buche seiner Methaphysik bemerkt er, früher
und später werde in jeder Ordnung ausgesagt mit Beza^ auf das
Princip derselben Ordnung, z, B. früher im Orte, bezüglich des
Principes der locatio, früher in der WiBsenschaft oder Kunst hin-
sichtlich des Principe» derselben. Früher der Natur nach werde
etwas genannt in Hinblick auf die Principien der Natur, die vier
Ursachen. Was diesen Ursachen näher steht, das sei der Natur
nach früher (Quodl. 5. a. 19.). Wo immer also ein Princip vor-
handen ist, da muss auch eine Ordnung sein und infolge dessen
auch ein FrUlier nnd Später. Darum beliebt sich das Früher der
Natui; nach auf das Verhältnis der Ursache zu dem Terursachten,
denn Princip) und Ursache sind identisch (4. dist. 17. q. I. a. 4.
qu. 1.). Im simultanen Goncurse der Gegner bildet die Tliatigkeit
Gottes nicht die Ursache der Tbätigkeit des Geschöpfes. Daher
ist jede Über- und Unterordnung unmöglich, sie können nur
neheneinaDder seio.
Man hat zwar geltend gemacht, die Tbätigkeit Gotte^i sei
insofern früher, als sie jeue der Creatur au Vollkommenheit über-
trifft, von ' univeraellerer Wirksamkeit ist als die Tbätigkeit des
Geschöpfes. Es bestehe somit eine Überordnnng der göttlichen
Cansalität Allein wie wir soeben aus S. Thomas vernommen, reicht
dieser Vorzug nicht? hin, wenn er nicht auch Ursache i^t. .Die
Ttiätigkeit Gottes muss Ursache der Tbätigkeit de^ Geschöpfes,
und letztere demnach Wirkung sein. Nun sagt uns P. Molina,
80 oft das Feuer dem Wasser seine Form, seine Wärme mittheile,
— 168 — •
wirke Gott ebenfalls mit. Er wirke jedoch nicht auf das Feuer,
sondern auf das Wasser, er wirke die Wärme im Wasser.
Da ist doch offenbar von einer Über- und Unterordnung der ü r-
sachen, der Thätigkeiten keine Rede. Gott wirkt ja nicht
auf die Thätigkeit des Feuers, sie ist folglich nicht von
Gott verursacht. Darum sind beide nebeneinander. Wer kann
aber mit Wahrheit behaupten, Gott sei *t!7 eben Ursache in* Bezug
auf irgend etwas. Geschaffenes? In diesem Beispiele ist er noch
dazu eigentlich gar nicht Ursache eines geschaffenen Seien-
den, nämlich der Thätigkeit ^des Geschöpfes, sondern bloß der
Wirkung, der Wärme im Wasser. Ob an einer solchen Ansicht
festgehalten wer3en darf? Wir bezweifeln es. Mit der Lehre
des heil. Thomas steht sie im entschiedensten Gegensatz, and
es ist geradezu sonderbar, dass man den englischen Meister für
diese Theorie anrufen will. P. Molina hatte wenigstens noch
zugegeben, dass ihm die Lehre des heil. Thomas Schwierig-
keiten bereite. Und er gesteht ein, dass der Doctor Angelicos
vielleicht (forte)- diQ genannte Theorie vorgetragen habe(Con-
cordia q. 14. a. 13. disp. 26. Seite 110. 111.). In neuerer Zeit jedoch
wird behauptet, der englische Meister habe sicher so gelehrt
Man könne aus 70 Parallelstellen nachweisen, dass Gott nur die
Wirkung, den Effect, nicht den A c t verursache. Dem heiligen
Thomas ist es sicher gar nicht eingefallen eine derartige Doctria
aufzustellen. Im Gegentheil! Seiner an unzähligen Stellen vorge-
tragenen Lehre zufolge, wirkt oder »bethätigt sich die Greatnr an
einom Effecte nur in der Kraft Gottes. Gottes Thätigkeit
bildet somit die Ursache der Thätigkeit des Geschöpfes,
und letztere ist eine Wirkung der erstem. Durch Gott sind
oder existieren die Greaturen, und durch ihn sind sie auch
Ursachen. Diese beiden Vollkommenheiten, das Dasein und
das Thätigsein haben sie ausschließlich von Gott, wie
frtlher aus ^.Thomas nachgewiesen ^wurde. Damit ist der ^imuU
tane Goncurs der Gegner des heil. Thomas hinreichend widerlegt.
Gott kann niemals N e b e n Ursache, er muss Haupt Ursache sein.
Nicht e r wirkt mit der Greatur, sondern umgekehrt, diese wirken
mit ihm. Sie bilden das Instrument, welches dem Hauptagens
unter- nicht neben geordnet sein muss. Wenn aber dies, dann
ist die Gausalität Gottes früher als jene der Geschöpfe und letztere
vollzieht sich auf Grund der Bewegung durch Gott, in de^
Kraft Gpttes.
75. Ein Gelehrter der neuem Zeit hat die Behauptung auf-
gestellt, der heil. Thomas könne nicht den vorhergehenden und
den, simultanen Goncurs Gottes gelehrt haben,* weil Gottes Thätig-
keit eine immanente ist. Denn Gottes Thätigkeit unterscheide sich
nicht sachli(Ai von seiner Wesenheit.
Wenn damit gesagt sein will; der heil. Thomas habe aus
diesem Grande nicht den Bimulttineri Concnrs der Gegner ge-
lehrt, dass Dämlich Qott bloß das Frinclp dee Effectes and
nicht des Actes sei, so haben wir an dies'er Theorie niclit das
mindeste aoszusetzen. Sie bernht auf Wahrheit niid ist Doctrin
des englischen Heisters. AUeid die vorhin genannte Behauptung
in diesem* Sinne anfziifaeeen, scheint deshalb nnmSglicb, weil sie
im Widerspruch stehen wtlrde mit dem, waa derselbe Autor drei
Zeilen früher oiedergescbriebcn hat Wir wollen darum den Autor
von einem Widerspruche mit sich selber freisprechen, und die
Tbeae direct gegen S. Thomas und die Thomisten gerichtet sein
lassen. Der Behauptung: S. Thomas könne die physisclic Vorher-
bewegUDg nnd den simnltanen Concurs deshalb nicbt gelehrt
haben, weil Gottes Thätigkeit mit seiner Wesenheit
real, oder sachlich identisch ist, stellen wir folgende Be-
hauptung gegenüber:
„Der heil. Thomas muss die physische Vorherbeweguug und
den simultanen Concors der Thomisten gelehrt haben, weil
Oottes Thätigkeit mit seiner Wesenheit real iden-
tisch ist."
Auf Grund eben dieser Bachlichen Identität bildet die Thätig-
keit Gottes ein Seiendes durch seine Weseuheit, ein ens per isse}itiam.
Die Thätigkeit der Greatnr muss folglich ein Seiendes durch An-
t||eilnahme, ^n ens per partidpatiomm genannt werden, denn es
gibt nur ein einziges ens per essentiam: Gott. Nun aber lehrt
S. Thomas: jedes ens per participationem oder durch Autbeil-
nahme müsse zurückgeführt werden auf das ens per
eisentiam. als seine Ursache. Folglich lehrt S. Thomas den
simultanen Concurs der Thomisten. lu der That! Die Tiiätigkeit
der Creatur ist ohne Zweifel ein ens. Und weil sie selber nicht
Gott sein kann, muss sie ein 'ens per participationem oder durch
Antbeilnahme sein. Wenn nnn diese Thätigkeit des Geschöpfes
anf die erste Ursache, auf das ens per essentiam zurückge-
führt werden muss, wie ist es dann möglich, dass Gott diese
Thätigkeit der Creatur nicht wirkt, dass er nicht
deren Ursache bildet? Dadurch i^t der simultane Concurs der
Gegner vom heil. Thomas ausdrücklich verworfen, deuu Gott ist
nach seiner Lehre nicht bloß das Frincip des Effectes, son-
dern auch des Actes. lu diesem Syllogismus ist 'aber auch die
p-aemotio physica mit mathematischer Genauigkeit dar-
gethan. Ist nämlich die Thätigkeit Gottes, dieses ens per essentiam
die Ursache der Thätigkeit, des ens per participationem der
Geschöpfe, so muiss diese Thätigkeit Effect, Wirkung der ge-
nannten Ursache sein. Eine Ursache ohne Wirkung, eine Thätig-
keit ohne etwas, was dnrcb diese Thätigkeit hervorgebracht wird,
ist ein Unding, eine contradictio in adjecto. Die Ursache ist aber
nach jeder Philosophie und Logik der Natur nnd Cansalität nach
— 170 —
früher als die Wirkung, d'er Effect. Die praemotio physica will
nichts. anderes als die Wahrheit vertheidigen, dass Gottes Thätig-
keit in der soeben angedeuteten Weise der Thätigkeit der Crea-
tujren vorausgehe. Das Argument des genannten Gelehrten beweist
somit das gerade Gegentheil desläen, was qs darthun will. Die
praemotio physica und den simultanen Concurs des heil. Thomas
kann man nur dann leugnen, wenn die Tliätigkeit der Geschöpfe
nicht als ein Seiendes durch Antheilnahme^ sondern als ein solches
durch die Wesenheit, per essentiam ausgegeben wird,* Eine Thä4ig-
keit per essentiam unterscheidet sich aber nicht sachlich, real
von Gott.
Mag man demnach zwischen dem Thätigen in der Wirklich-
keit, dem Agens in actu, und der Tliätigkeit, der operatio selbst,
einen realen Unterschied anerkennen oder verwerfen, die praemotio
physica muss unter allen Umständen zugegeben werden. Unmöglich
kann man leugnen, dass die Creaturen, besonders der Wille,
manchmal thätig, manchmal unthätig oder bloß der Möglichkeit nach
thätig« ist. Ebenso kann man nicht bestreiten, dass die wirkliebe
Ausübung der Thätigkeit für die Creatur eine Vollkommenheit
bildet, dass ein Ding, welches thätig, vollkommener ist, als ein
unthätiges. Diese Vollkommenheit muss mithin ein ens sein. Dieses
ens ist nicht Gott, es ist nicht das ens per essentiam, sondern per
partidpaiiotiem. Aus diesem Grunde hat es Go|t zu seiner
Ursache. Jede Ursache aber muss der Natur und Cansalität
nach früher, der Zeit nach kann sie mit der Wirkung zugleich
sein. Darin liegt das Wesen der praemotio physica. Der Concars,
welchen der englische Meister lehrt, besteht darin, dass (jrott nicht
allein^ ohne Thätigkeit der Geschöpfe, Effecte oder
Wirkungen hervorbringt. Die Creaturen sind im wahren Sinne
Ursachen, nicht wie die Occasionalisten behaupten, bloß Veran-
lassung oder Gelegenheit, dass Gott diese und jene Wirkung her-
vorbringt. Weil also Gott und die Creatur Ursachen sind,
deshalb kann man überhaupt von einem Goncurse sprechen. In
diesem Sinne anerkennt S. Thpmas einen Concurs. Von einem
simultanen Concurse in^jiessen, wie die Gegner ihn' auffassen,
weiß der englische Meister absolut nichts. Diese zwei Ursachen
sind nicht nebeneinander^ sondern über- und untergeordnet.
Wenn alifo, wie behauptet wird, „alle darin übereinkommen,
dass es in uns keinen Act gebe, ja nicht den geringsten Tbeil
eines Actes, von dem man nicht sagen mUsse, er sei kraft jenes
Concurses von Gott als der obersten Ursache gewirkt — auch Suarez
vertheidige diese Ansicht — ; dass die gegentheilige Ansicht falsch
und gegen den Glauben sei", und trotzdem die physische Vorher-
bewegung durch Gott bei jeder Thätigkeit der Creaturen ge-
leugnet und auf das entschiedenste bekämpft wird; so heißt das
soviel als alle Gesetze der Logik mit Füßen treten. Fürwahr!
— 171. —
Allee geschaffene Sein hat Gott zu seiner UrB.ache, Eb ist
somit Eff«ct. Bas Thätigsein oder Ursachesein der Crea-
toren ist etwas Fositivea, eine Vollkommenheit; ein Sein. Es ist
folglieh ein Effect Gottes itnd er bildet die Ursache desRelhen.
' Aliein diese Ursache ist der Natur und* Cansftlität nach nicht
frttber als die Wirkung, als dieses Sein, d.h. er ist Ursache '
Qod-ist nicht Ursache. So lautet der logisch richtige Schluss
im System der Gegner des heil. Thomas. Eine Ursache, die der
Natur und Cansalität nach nicht früher ist als der Effect, kann
absolut nicht dessen Ursache sein. Sein und Ursache sein sind
iwei ganz verschiedene Dinge. Wir haben früher an der Hand
des heil. Thomas nachgewiesen, dass manche Dinge, z. B. der
Stoff oder was sich wie Stoff verhält, sind, existieren, ohne in-
dessen anderes zu wirken, für anderes die wirkende Ui-sache zu
bilden. Alle Vermögen, Fähigkeiten der Creaturen esistieren, sie
sind aber nicht immer, nnausgesetzt Ursachen, weil üe nicht
fortwährend eine Thätigkeit ausüben, in actu sich befinden. Eine
eama efficiens, die nicht actuell etwas wirkt, verdient nicht den
Namen efficiens. Wodurch wird sie nun eine efficienst Durch sich
selber? dann hat sie etwas, was nicht von Gott kommt. Damit
nird der Satz umgestoßen, dass jedes Seiende Gott zu seiner
Ursach e habe, dass es weder einen Act noch einen Thcil des-
selben gebe, der nicht Gott als erste, oberste Ursache voraus-
setzte. Oder dasjenige, wodurch sie Ursache ist, stammt von
Gott, und dann ist es ganz und gar nnrichtig, in sieh selbst wider-
Bpreehend zu sagen, dasjenige, wodurch die Creatur Ursache
iBt, sei der Natur und Abhängigkeit nach zugleich, nicht
später als jene wirkende Uraaebe, durch deren Tbätigkeit sie
selbst zu einer Ursache geworden ist.
Ein ähnlicher Widerspruch liegt in einer andern Theorie. Darin
wird gelehrt: Gott bewege den Menschen ausschließlich nur zum
Guten und zur Glllckseligkeit im allgemeinen, und diese Bewegung
sei eine natürliche und nothwendige, ä. h, unfreie.
Diese Theorie enthlilt, wie gesagt, einen Widerspruch. Denn
entweder ist die natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Be-
wegung sachlich, real mit der freien identisch, und dann ist es
ein Widersprnch von freien Thätigkeiten zu sprechen. Oder bei
der freien Thätigkeit hat Gott nichts zu thun. er bildet nicht die
Ursache derselben, und dann ist es ein Widerspruch zu be-
haupten, es gebe keinen Act, der nicht von Gott als der obei-sten
Ursache kommt. Oder dieser freie Act hat wirklich Gott zu seiner
Ursache, er ist ein Effect Gottes, und dann ist es ein Widerspruch,
dass dieser Act der Natur und Gausalität nach zugleich mit
seiner Ursache sein könne.
Damm lehrt der englische Meister mit Recht, Gott habe den
Creatoren eine doppelte Vollkommenheit mitgetheilt. Die eine
* • - .172 -
wodarcb sie sind, existieren ; die andere wodurch sie wirken, sich
thätig erweisen, andern das Sein und die Güte mittbeilen (de
veritate q. 5. a. 8.).
76. Noch viel weniger genUgt der simultane Goncurs der
Qegner des • heil. Thomas, mit noch weit größerer Nothwendigkcit
• wird die praemotio physica verlangt, wenn man der Wahrheit und
Lehre des Doctor Angelicus entsprechend zwischen der activen
Potenz, der potentia in adu, und der Thätigkeit selbst einen realen,
sachlichen Unterschied anerkennt. Aus einer vorhin von uns citierten
Stelle des englischen Lehrers (1. 2. q. 109. a. 1) geht hervor, dass
die bloße Existenz der verschiedenen Thätigkeitsvermögen für die
wirklichen Thätigkeiten nicht hinreicht. Unzähligemale betont
der Doctor Angelicus, dass das Princip der Thätigkeit actuell
oder in actu sein müsse, denn solange es in der Möglichkeit, in
der Potenz bleibt, erfolge keinerlei Thätigkeit. Wodurch wird nun
dieses Thätigkeitsprincip, welches von Natur aus, durch sich selbst
nur in der Möglichkeit oder Potenz ist, ein actuelles? Sehen wir
von der praemotio physica ab, so haben wir im Geschöpfe noch
drei Factoren: das Thätigkeitsvermögen, die Thätigkeit und das,
was durch den richtig verstandenen Concurs Gottes hervorgebracht
wird, den Effect. Welcher von diesen drei Factoren constitniert
demnach das Thätigkeitsvermögen als actuelles ? Der erste offen-
bar nicht, denn sich selber kann man nicht geben, was man
nicht besitzt. Vielleicht der zweite, die Thätigkeit selbst? Dies ist
einfach unmöglich, weil das Princip actuell sein muss, damit
es eine Thätigkeit ausübe. Das Princip, von welchem effectiv eine
Thätigkeit hervorgeht, kann daher unmöglich von der Thätigkeit
selbst gebildet werden. In diesem Falle würde etwas sich selber
hervorbringen, die Wirkung ihre eigene Ursache consti-
tili er en. Der dritte Factor, der Effect, welcher durch die Thätig-
keit hervorgebracht wird? Auch das ist unmöglich. Die Wirkung
ist später als die Thätigkeit und setzt nothwendig letztere voraus.
Überdies fällt der Effect bei den immanenten Thätigkeiten mit
diesen selber zusammen, ist mit ihnen sachlich identisch, so oft
von den <ictu8 elicüi gesprochen wird. Aus all dem folgt mit evi-
denter Gewissheit, dass dasjenige, wodurch die Greatur actuelles
Princip der Thätigkeit wird, nicht in ihr selber liegen kann.
Darum muss es ihr von einer andern wirksamen Ursache mitge-
theilt werden. Jene Ursache, die actuelles Princip ist, mnss die
Creatur zu einem actnellen Princip machen. Damit ergibt sich
dann die praemotio physica von selbst. Alles was in der Potenz,
was der Möglichkeit nach thätig ist, muss in die Wirklichkeit
übergeführt werden durch denjenigen, der schon wirklich ist,
nnd diesen nennen wir Gott, und dieses Überführen nennen wir
bewegen (1.2. q. 9. a. 1.). Wie kann aber diese Überführung ge-
schehen, wenn Gott in ordine operativo, mit Bezug auf seine Thätig*
— 173 —
keit, uicbt der Nfttnr und Cansalität Dach, frUher ist als die
Creator? Was soll er dann in den Act Überführen, wenu die
Creatur, der Natar'nod GanBalit&t nacb, schon zugleich [tiit Gott
ft> adu ist? MOge einen solchen Widersprach begreifen wer kane.
Zntreffend bemerkt darnm der englische Meister, bei dieser Übel'-
Itlhriing aus der Potenz in den Act, ans dem passivem Zustande
des ThätigkeitspriDcipes in den activea, sei die Creatur uicht
tbätig. Wie ktiante sie aacfa irgend eine Thätigkeit voll/ieiien,
bevor sie actaelles, wirkliuhes Princip dieser Thiitigkeit
ist? Fügen wir dem noch bei, dass das ThätigkeitepiiiK^ip der
Tbätif^'keit selbst das mittheilt, was es selbst besitzt: ditä Sein,
die Ähnlichkeit, die Gute, wie S. Tlwmas constant lehrt; wie kaiia
man dann auf die praemodo ^Ay«co' verzichten? Ein mögliciics
Sein, eine mögliche Ähnlichkeit, eine >oögliche Gtlto, wie die
VeimCgen, Potenzen aus und durch sich sie besitzen, lüsat sich
ichlechterdings keinem andern luittheilen.
77, Der simultane Concnrs der Gegner widerspricJit nouh in
eiuer andern Beziehung der Lehre des heil. Thomag. Dem ge-
oannlen Concarse zufolge mUssen zwei Thätigkeiten angenommen
werden. Gott nnd das Geschöpf hat seine eigeoe Tliutigkeic.
Beiden gemeinsam ist bloß die Wirkung, der £ffect. Nach der
Lehre des heil. Thomas dagegen gibt as nur eine Thüiigkeit.
Die Thätigkeit selbst ist beiden gemeinsam. Als lleweis
daflir dient zunächst die schon angeführte Stelle de potciitia q. 3.
a, 7. ad 3. Daselbst heißt es: „Bei der Thätigkeit, woilureb Gott
die Katar bewegend wirkt, ist die Natur nicht thäti^'. Die
Thätigkeit der Natur ist aber andererseits auch die Thätig-
keit der göttlichen Kraft, gleichwie die Thätigkeit des lustru-
mentes durch die Kraft des Hanptagens zustande kumiiit." Be-
trachten wir den Willen in seiner Unthätigkeit, in dem passiven
Zustande, als agms in potentia. Bei dem Herausführen uns liiesem
Znstande haben wir nur eine Thätigkeit, die Thätigkeit Gottes,
der Wille ist nicht thätig. Lassen wir den Willen in 'idu sein,
nebcaea wir ihn als agens in actu, so ist klar, dass er ebeufalls
wirkt. Allein er ist nur in der Kraft Gottes, oder als von
Gott bewegt, thätig. Es ergibt sich daher abermals die Ein-
beit des Wirkens.
Es wurde früher nachgewiesen, dass der Wille in adu, das
agens in actu ein aas Potenz und Act Zusammengesetztes bildet
Das StofiFliche, Potentielle wird vom Willens v er mU^^en, das
Formelle, Aetuelle von der Bewegung durch Gott vertreten. Der
Wille besitzt diese Form, diesen Act mäht per modum-pennanmtis,
als eomplete Form, sondern per modum trtmseuntis, oder passionts,
als incoQipletes Sein (cfr. de potentia q. 3, a. 7. ad 7. — de veri-
tate q. 12. a. 1. — 2. 2. q. 171. a. 2.). Nun igt aber die Form
das Princip der Thätigkeit, das principiitm quo, der Stoff dagegen
— 174_ —
< das Princip des Leidens. Diese Form wird dem *6eschÖpfe von
'Gott vorabei-g:ehend mitgetbeilt, tod demselben aufgenommen,
nnd sie bewirkt, dass die Creatur tbätig ist. Daher bemerkt der
' heil. Thomas, das nnirerselle 4geDs wi/ke aicht gesondert (seorsum)
f Von den unteigeördneteu Tbatigen, sondern das letzte unmittel-'
y bare Agens sei in .der Kraft aller .böhern tbäüg. Infolge dessen,
t meint der engliscbe Lebrer w£iter, .werden von den yerscbiedeneu*
Agentien einem nnd demäelbeu Dinge nicbt verscbiedene Formen
, eingeprägt. Es ist nur eine Form vorhanden, jene nämlißh, welche
vom unmittelbaren Agens eingeprägt wird. Allein diese eine
Foim enthält -virtuell (virtute). alle vorausgebendea in sich (de
spirit. creat." a, S/ ad 20.}.
Diese Wahrheit ist sehr 'einleuchtend, denn in jedem Agens
sind it vr e i Dinge zu betrachten. Das Supp'ositnm, welcbes thätig
isl, und die, Kraft, wodqrcb es wirkt. Das Feuer z. B. erwärmt
duich die Hitze, Die Kraft des ni.edern Agens hängt von jener
. des liöhem ab, denn das höhere Agens verleiht dem niedbrn die
Kraft, wodurch dieses thätig ist, erhält und appliciert dieselbe
I zu einer Thätigkeit. Das Instrument in der Hand des Künstlers
f liefert uns dafUr ein Beispiel. Der Künstler jgibt dem Instrameute
i _ eine Art Form, d. h. eine Bewegung; Daraus folgt, dass die
I Thätigkeit des niedern. Agens niubt allein durch die eigene
f ' Kraft, sondern . dnicfa die Kraft aller höhern Agentien - zustande
kommen muss. Es ist in der Kraft aller höbern' thätig. Gleich-
I wie daher das niederste Agens unmittelbar, immedtatione supposüi,
thätig ist, ebenso wirkt die Kraft des ersten Agens un-
mittelbar, immedtatione virtutis, den Effect. Die Kraft des niedern
Agens wirkt diesen Effect nicbt ans sich selber, sondern
in der Kraft des höbern. Das höchste oder erste Agens wiiAt
diesen Effect ans sich, gleichsam als unmittelbare Ursache.
Wie es nun' keineswegs in sich widersprechend ist, dass eine
und dieselbe Thätigkeit vom Agens und dessen Kraft
hervorgebracht werde, ebenso kann man nicht von einem Wider-
spruche reden, dass der nämliche Effect vom niedern Agens und
vun Gott gewirkt werde, nnd zwar von beiden unmittelbar,
wenngleioh in anderer, und anderer Weise. Der von Gott be-
wegte Wille ist das quod agU, und die Bewegung Gottes du
I quo agit. Allerdings darf man sich die Sache nicbt so denken,
^ dass ein und derselbe Effect theilweise vom natürlichen Agens,
■ und theilweise vou Gott hervorgebracht werde. Kein, der
Vl ganze stammt von beiden, nur auf eine andere Art. Dem Haupt-
9r agens und dem Instrumente muss der ganze und Dämliche Effect
W ziigeachrieben werden (3. contr. Gent c. 70,).
Es ist dämm ganz klar, dass die Thät^keit Gottes, wodurcb
der Wille aus dem passiven in den sctiven Znstand UbergefUhrt
L wird, sich vou der Thätigkeit des Willens nnterseheidet. Bei diesem
, _ 175 .—
Vorgänge ist, wie gesagt, der Wille nicht tbStig. Allein die
Tbätigkeit, welche von der eigene^n Kra(t des Willeu» aus-
gebt, insofern er von öott bewegt und zur Tliädgkeit appliciert
ersclieint, unterecbeidet sieb nicht von der Tbätigkeit Güttes oder '
dem Bimoltanen Coocurse im Sinne des englischen Meisters und
der Thomisten. Der Wille gibt seiner eigenen Tbätigkeit das
Werden, Gott aber das Sein. Der Wille determiniert nach Art
deB Stoffes dieses Sein der Th&tigkelt. '
78. Inwiefern biingt die göttliche 'Kraft unmittelbar eine
Wirknng herror? Unmittelbar nennen wir dasjenige, was uicbts
anderes mehr-Toranssetzt, und auf welcbes kein andere» mebr
•folgt. Die Kraft Gottes wird yon' keiner andern bewegt. Sie
ist die erste, höchste. ' Sie besitzt ihre Wirksamkeit aus sich,
nicht ans der Eraft eines andern. Die ersten demoustrativeu Prin-
cipien verhalten sich auf ähnliehe Weise. Die Geschöpl'e dagegen
wirken numittelbar aU Suppositnm, wenn nach Üineu kein
anderes Snppositum mehr, folgt, das sich thatig zeigt Die Creatur
bildet daher das stoffliche' Element, und ist agens quod, di^
göttliche Kraft hingegen dasfoi-meile und agens quo. Üasjenige,
was sich thätig^ erweist, ist der Wille, dasjenige,- wodurch
dieses geschieht, ist aus sich die gßttliche Kraft nnd jeue des
Gescbdpfes, insofern sie von Oott bewegt wird. Da nun
die Form' den Grund, die ratio des Wirkens bildet, so kann man
von ihr sagen, sie wirke innerlicher nnd- nnmittelbarer als
das Sappositum, welches thätig ist
Je hShef eine Ursache, desto allgemeiner und wirksamer ist
sie. Und je wirksamer, desto tiefer dringt sie in den Effect ein,
and vermag sie selbst das, was am meisten in der Poten»
ist, in den Act Überzuführen. In jeder Creatur können wir vier
Dinge unterscheiden. Jedes ist ein Seiendes (en3), eine Substanz,
besitzt eine nach Gattung und Art bestimmte Natur, Das erste
hat sie gemeinsam mit allen Seienden, das zweite mit den Sub-
stanzcD, das dritte mit andern derselben Art. Das Individuatious-
princip und die Ubiigen Accidenzeu sind ihr allein eigen. Das
Individuum kann somit durch seiue Tbätigkeit nicht ans und duroh
sieb ein Ähnliches der Art nach hervorbringen. Es veriuag dies
nnr als Instroment jener Ursache zu thun, die Macht hat
über die ganze Art, und noch weiter Über das gauze Sein der
natürlichen Dinge. Keine Creatur ist folglich imstande, ein Sein
za wirken, auBer durch die Kraft Gottes, denn das tiein
ist der allgemeinste, der erste und innerlichste Effect
von allen. Dieser Effect wird daher von Gott allein durch
eigene Kraft gewirkt. Aus diesem Grunde ist Gott die Ur-
sache jeder Tbätigkeit, denn jedes andere Agens ist In-
«Irument Gottes und wirkt in der göttlichen Kraft.
Betrachten wir also die geschaffenen Agentieo als Supposita,
— 176 — ,
1
»
SO müssen wir sagen, dass jedes particuläre Agens seinen Elffect
unmittelbar wifkt. Nehmen wir dagegen Rücksicht auf die
Kraft, durch welche diese Thätigkeit vor sich geht, so
lässt es sich i^cht bestreiten, dass die Kraft der höhern Ur-
sache dem Effecte unmittelbarer ist, als die Kraft des niedem
Agens. Die niedere Kraft erreicht ihre Wirkung nur durch die
höhere. Darum heißt es im Buche über die Ursachen, die Kraft
der ersten* Ursache wirke früher auf das Verursachte und
durchdringe dasselbe energischer (depotentia q. 3. a. 7.).
Daher sind bei der Wiiiensthätigkeit, wie «überhaupt bei jeder
Thätigkeit der Geschöpfe nicht zwei Ursachen: Klott und die
Greatur/ Diese Thätigkeit wird nicht theils von Gott und theils '
von der geschaffenen Ursache ausgeübt, sondern von beiden ganz.
Ebensowenig stammt die* Wirkung theils von Gott und theils
von der Creatur. Die Thätigkeit der Geschöpfe ist offenbar ein
Seiendes, ein ens. Das Sein, das esse aber ist Effect Gottes. Wirkt
eine Creatur das Sein, so kann dies nur in der Kraft Gottes
geschehen, wie S. Thomas durch mehrere Argumente beweist
(3. contr. Gent. c. 66). Darum bildet Gott die Ursache der Thä-
tigkeit in allen Dingen, die überhaupt eine Thätigkeit entfalten.
Denn jede Thätigkeit, die ohne den Eiufluss (impressio) eines
Agens nicht fortbestehen kann, hat jenes Agens zu ihrer Ursache,
wie die Farbe, welche ohne Licht nicht sichtbar wird, ihr Sicht-
barsein vom Lichte herleitet. Gleichwie nun Gott den Geschöpfen
bei ihrem Entstehen das Sein gibt, und dieses Sein, solange sie
existieren, erhält, ebenso hat er den Greaturen nicht bloß bei
ihrem Entstehen Thätigkeitskräfte verliehen, sondern er wirkt
oder verursacht sie immer in ihnen. Würde daher Gottes
Einfluss aufhören, so wäre es auch um die Thätigkeit der Ge-
schöpfe geschehen. Die operativen Kräfte der Greaturen müssen
folglich immer von Gott zur Thätigkeit (ad ägendum) appli-
eiert werden. Diese Applicierung vollzieht sich durch eine Bewe-
gung des Körpers oder der Seele, und das erste Princip der
einen wie der andern Bewegung ist Gott (I.e. c. 67.). Bei der
Mittheiluug der Kraft, der Bewegung durch Gott wirkt das Ge-
schöpf nicht mit, darum ist hier nur eine active Thätigkeit vor-
handen, das Wirken Gottes. Dieses geht der Natur und Causalitäi
nach der Thätigkeit des Geschöpfes voraus, eben aus dem Grunde,
weil die Greatur dabei nicht activ thätig ist. Darum wird sie
praemotio physica genannt. Bei der Applicierung dieser opera-
tiven Kraft wirkt auch die Greatur thätig mit, nioht Gott
allein. Dies ist der simultane Goncurs des heil. Thomas.
79. Es kann ohne Schwierigkeit der Nachweis geliefert werden,
dass mit der Verwerfung der praemotio physica auch der simultaiie
Goncurs der Gegner des heil. Thomas fällt.
Nach der Theorie der Gegner wirkt Gott bloß den Effect^
— 177 — ■
niebt'den Act^' er fuhrt mit einem Worte nicht die Cieatnr ans
der Potenz in den Act Ober, er träg:t nictita dazu bei, daaa die
Creatnr, welche an nnd für sich der Möglichkeit nach tbäli^ ist -
(a^ensinpotentitt), dieses in der Wirklichkeit werde (offms in actu).
Dies thut vielmehr die Creatnr selber. Gott hilft somit nur, duss
die Wirkung zustande komme.
Darauf erwidern wir, dass wir dazu Gott gar nicht hranchen.
Der englische Meister bemerkt einmal: „Die Natur jedes. Actes
besteht darin, dass er sich selber mittbeile, so weit es eben möglich
ist. Aus diesem Gründe ist jedes Agens thätig insoferu ns sich
m oc/U; befindet. Die göttliche Natur, welche an) meisten und atu
reinsten Act ist, tbeilt sich darum mit, soviel die Möglichkeit er-
lanbt (de potentia q. 2. a. 1.). Auf diese Stelle gründen wir unsere '
Argumentation. Nach der Theorie der Gegner vermag daa Agens
in potentia, die Creatnr, welche der Möglichkeit nach ihalig
ist, ohne Einwirkung Gottes sich in den- Zustand der actiielle'n
ThätigkeJt zu versetzen, sie wird durch sich selber ein Ägeus in adu;
Dann bewirkt sie umsomebr durch sich selber, obne Beihilfe
Gottes, einen Effect. . Im erstem Falle, wo sie -agens in potentia
ist, hat sie offenbar weniger vom Acte, als wenn sie agms ih
aäu ist. Reicht nun dieses „Weniger", hin, um sich selber in den
Act zu versetzen, so muss umsomebr da,s agena in actu hinreichen,
am eine Wirkung bervorzabringen. Je mehr ein Ding in actu ist,
erklärt S. Thomas, desto mehr kann es wirken. Darum kann Gott,
der am meisten in actu ist, alles wirken, er ist allmäclitig. Wenn
nun die Creatur im Zustande eines agetis in potentia aus sich selber
ein agens in actu zu machen vermag, warum soll sie danu, wenn
sie m e b r m adu ist, außerstande sein einen Effect hervorzubringen ?
Der simultane Concurs hat somit weder Berechtigung noch Öinu.
Deun wer das Schwerere ;rermag, der muss auch dag Leichtere
fertig bringen.
Man wende nicht ein, dass der Concurs Gottes hiusi^btlich
des Effectes nothwendig ist, weil die Creatnr allein /.u schwach
sich erweist, um diesen Effect zn verursachen. In diesem Falle
würde ja zugegeben, dass die Creatnr durch sich selber zu
wenig in adu ist. Denn wie S. Thomas oben lehit, besitzt ein
Weseo eine umso größere Kraft, eine Wirkung zu eraieleii, je mehr
es in actu ist. Mangelt ihm also die nothtveudige Kraft, so
ist es durch sieh allein zu wenig in actu. Folghch muss noth-
wendig die praemotio physica aushelfen und bewirken, dass die
Creatur mehr in actu gesetzt werde, in ordine operatico mehr
Wirklichkeit erhalte.
Der simultane Concurs ist . ebensowenig zu dem Zwecke er-
forderlich, damit die Thätigkeit, dieses ens per participationem, auch
Gott zur Ursache habe. Denn dasjenige, was durch eine Ursache
vollkommen erreicht wird, bedarf einer zweiten nicht. Vei'mag nun
Feldner, ViUenshaibeit 12
•— 178 —
die Creatur sich selber aus der Potenz in den Act überzuf&hren,
80 reicht sie vollkommen hin, um jede beliebige Thätigkeit aus-
zuüben. Zudem gibt sie sich dadurch, dass sie sich in den Act über-
führt, offenbar selber ein ens per partidpätionem. Und weil dieses
letztere ens, wie wir dargethan, nicht weniger groß und voll-
kommen sein kann als das erstere, die Thätigkeit^ so ist absolut
nicht einzusehen, waruni . für ersteres ein Concurs, für letzteres
hingegen keiner nothwendig sein soll. Wir sind demnach wieder
auf die praemotio physica angewiesen, oder der simultane Concura
existiert in keiner Weise, Gott wirkt überhaupt nicht mit bei der
Thätigkeit der Geschöpfe. Wir werden folgerichtig und der
Logik entsprechend dann sagen müssen, Gott habe den Ge-
schöpfen bloß die Fähigkeit thätig zu sein gegeben, alles
übrige vollbringen sie selber. Diesen Grundsatz darf man indessen
auf keinen Fall unterschreiben. Wir haben somit nur die Wahl
für die praemotio physica uns zu entscheiden.
Gott theilt sohin dem Thätigkeitsvermögen der Geschöpfe
eine Vollkommenheit ' mit, nicht als bleibende Form, sondern vor-
übergehend, per modum transeuntis, per modum motixmis, wodurch
sie in ordine operativo Wirklichkeit erlangen, existieren, und infoge
dessen andern das Sein, die Ähnlichkeit und Güte nach Möglich-
keit verleihen. Gerade dasjenige, was sie durch die Bewegung
von Gott empfangen haben, das Sein (esse in adu), geben sie
einem andern, ihrer eigenen Thätigkeit. Dadurch bestätigt sich
der Ausspmch des heil. Thomas, dass jedes Agens ein sich Ähn-
liches hervorbringe. Das Agens und die Thätigkeit sind beide iu
der Wirklichkeit (in actu).
80. Die Geschöpfe theileki dieses Sein nicht selbststäudig,
unabhängig andern mit, sondern sie alle sind bloß als Instramente
in der Hand Gottes thätig.
Das vorhin über den sachlichen Unterschied zwischen der
passiven und activen Potenz oder dem Agens in potentia und Agens
in actu Gesagte findet seine Bestätigung iu der Doctrin des heiligen
Thomas über die Creatur als Instrument Gottes. Für den englischen
Lehrer ist es eine unbestreitbare Wahrheit, dass die Geschöpfe
nur Instrumente in der Hand Gottes sind. Denn alle unterge-
ordneten wirksamen Ursachen müssen als Instrumente zurück-
geführt werden auf die höhern und eristen. Da es aber nur eine
erste und höchste Ursache gibt, Gott, so ist klar, dass die Ge-
schöpfe nur Instrumente sind, und in der Kraft der ersten Ur-
sache wirlsen (2. contr. Gent. c. 21.). Das Instrument aber wirkt
nicht, außer es erhält vom Hauptagens eine Bewegung. Es gehört
zum Wesen des Instrumentes ein bewegter Beweger zu sein
(I.e. und de potentia q. 3. a.7.). Darum ist jedes Bewegte,
welches wieder ein anderes bewegt, Instrument. (4. dist. 40.
q. 1. a. 1. ad 1. — de potentia. q. 5 a. 5.). Die substantiell voll-
_ 179 —
kommenen Geschöpfe stehen daher in der Mitte zwischen Gott
Qod dem Stoffe. Dem allgemeiaen Beweger ist das allgemein
Bewegte entgegengesetzt. Das Bewegende befindet sicli in der
Wirklichkeit, in actu, das Bewegte in der Mtiglißhkeit oder Potenz.
In der Potenz sein und in actu bilden Gegensätze. Der allgenieine
Beweger heißt Gott, die erste Ursache, die von keinem andern
bewegt wird. Das allgemein Bewegte iieuuen wir Stoff, nnd dieser
ist ganz und gar onthätig. Zwischen diesen beiden Extremen haben
wir ein drittes zu verzeichnen, welches bewegt, nachdem es selbst
bewegt wordeu ist: die vollkommenen Substanzen oder GcBcliüpfe.
Weil sie nicht reine Wirklichkeit, ac^ts purus sind, sondern etwas
Stoffliches, oder was sich wie der Stoff verhält, di» Potenz, in
sich haben, werden sie bewegt. Allein sie sind andereiseits auch
nicht reiner Stoff, reine Potenz, sie habe^ 'etwas von der ^Vir^;
% licUkcit, sieviehmeu Antheil an dem Acte, der WirkliclAi^eit, sie-
- neiimen die Thäügkeit Cöttes, den Act .des Bewegers;'in sich ^
auf,' daran) bewegen «ie, theilen sie aas Sein, die Ähulichkeit
und Gute andern mit.
Dieses ist ohne Zweifel der Sinn jener Stelle des englischen
Meisters, worin er sagt,, die active Kraft werde nicht mit der-
selben Vollkommenheit vom Instrumente aufgenommen, mit
welcher sie im Kauptageus sich befindet. Da nun jedes bewegte
Bewegende Instrument ist, so werde die Kralt des ersten Be-
wegers, durch viele Mittelstnfen geleitet, endlich schwach und
gelange zu demjenigen, welches nur mehr bewegt nird, ohne
selbst zu bewegen (i, dist. 40. q, 1. a. 1. ad 1.). Das lustra-
meut wirkt demnach nur dadurch, dass es vom Hauptagens eine
Kraft erhält und in sich aufnimmt. Beztlgtieh der inutrumen-
tellen Thätigkeit bewegt es nicht sich selber, soudem es wird
vom Hauptageus bewegt. Indem es aber diese BewegDng in sich
aufnioHnt, wirkt es mit dem Hauptagens einen Effect. Darum er-
klärt S.Thomas, das Wesen des Instrumentes besiehe düiin,
von einem andern bewegt zu werden, uicht aber darin, dass
es sich selber bewege (3. p. q. 63. a. 5. ad 2.).* Das Instrument
wirkj nicht dnrch die Kraft seiner Form, souderu bloß
durch die Bewegung, welche es vom Hauptagens erhält (3. p. q. 62.
a. 1. und a. 4.).
' Wenn nun die Creatoren, wie gezeigt wurde, aus und durch
sich nur der Möglichkeit nach (in potentia) nicht in der
Wirklichkeit fin actuj thätig sind, indem das Thätigsein weder
zur Wesenheit gehört, noch ein Accidens proprium bildet; wie
können sie dann sieb selber aus dem Zustande der Potenz,
des Nichtseins in ordine operative, in den Zustand des Seins
überfuhren? In ordine operativo existieren eje 'nicht, solange sie
bloß in der PoteAz thätig sind. Sie sind in dieser Ordnung
gerade so wie die Wesenheit ohne Existenz. Wenn sie sich als?
— 180 —
dieses Sein geben, so geschieht es als Instrument Gottes.
Dem Instrumente aber ist es wesentlich, bewegt zu werden,
nicht selber zu bewegen. Muss aber dann nicht die Bewegung
Oottes der Natur und Gausalität nach vorhergehen? Kann folg-
lich die praemotio physica im Ernste bestritten werden ? Das In-
strument wirkt ohne Bewegung nicht, denn es wirkt nicht in
der Kraft seiner Form, sondern durch die Bewegung des
Hauptagens, hat uns S. Thomas soeben gesagt. Wenn also die
Creatur im Zustande der Potenz, das Agens in potentia, die Be-
wegung durch Gott nicht in sich aufnimmt, so wird es in
Ewigkeit nie ein Agens in actu werden und eine Thätigkeit aus-
üben. Hiemit sind wir bei dem tiefsten Grunde der praemotio
physica angelangt. * , . . • •
§ 11 f. Der tiefste, .innerste Grund der praemouo physica.
81. 6ie. physische Vorherbewegung d«rchGott ist deshalb' ab-
solut nothwendig, weil keine Creatur sich oder andern das
Sein, die Existenz Verleihen kann. Selbst als Instrument Gottes
wirkt sie das Sein nur bestimmend, modificierend, daher als stoff-
lich e oder materielle Ursache.
Der englische Meister äußert sich hierüber in folgender
Weise: „Die untergeordnefe Ursache (causa secunda) kann eine
doppelte Thätigkeit entfalten : die eine vermöge der eigenen Nator^
die andere in der Kraft der höheren Ursache. Durch die eigene
Natur vermag die untergeordnete Ursache niemals das Sein
als solches hervorzubringen. Dies ist nur der ersten Ursache
eigen. Die Ordnung der Wirkungen richtet sich stets nach der
Ordnung der Ursachen. Nun ist aber das Sein der erste Effect,
weil er selbst allen andern vorausgeht, und keinen andern vor-
aussetzt. Darum kommt es der. ersten Ursache allein zu, ans
eigener Kraft (secundum propriam virttäem) das Sein als solches
zu verleihen. Wenn immer irgend eine landere Ursache das Sein
gibt, so veniiag sie dieses nur deshalb, weil die Kraft und
Thätigkeit der ersten Ursache in ihr ist, keineswegs aber
geschiebt dieseis aus eigener Kraft. Das Instrument z. B. Übt
eine instmmentelle Thätigkeit aus. Allein dies geschieht nicht auf
Grund der Kraft seiner eigenen Natur, sondern durch die Kraft
des Bewegers Die subalterne Ursache ist darum nur thätig
infolge des Einflusses der ersten, und jede ihrer Thätigkeiten
setzt das erste Agens als ihre Ursache voraus. (Qausa secunda
non agü, nisi ex influentia causae primae ; et sie amnis actio causae
seeundae est ex praesuppositione causae agentis.) Die natürliche
Wärme erzeugt d\i ri; h die Kraft d e r S e e l-e lebendes Fleisch^
durch die Kraft der eigenen Natur dagegen wirkt sie biqS er-
.wärmend und auflösend^ (de potentia q. 3. a. 4.).
. _ 181 —
Was Sein, esse, bei dem heil. Thomag bedeutet, ist niobt
schwer za 8ag:eD. £8 ist die letzte Actaalität des StoSe» sowohl
wie der Form, es ist jene Vollkommenheit, jener Act, darch
welchen eio Wesen da ist oder existiert, Wirkliclikeit hat
(l.p. q, 3. a. 4. ' — ih. q. 4, a. 1. ad 3.). Durch das Ü^a ist ein
Ding in actu, ohne das Sein befindet es sich bloB in der Potenz.
Nun wissen wir aber, dasfi die Creaturen mit Bezug auf die Thätig;-
keit, m ordine operativo an und t'Ur sieb nur in der Potenz
giad, andernfalls wäre die Tbätigkeit sachlich mit dem Wesen
des Agens identisch und dasselbe wäre immer in Thätigkeit,
iras von Gott allein behaoptet werden darf. Woher haben sie
dann das Seia in dieser Ordnung, denn es sind ja manclie be-
ständig tbätig, wie z. B. die Himmelskörper, manche sehr oft, wie
der Verstand nnd Wille der vernünftigen Creaturen? Können sie
sieh dieses Sein, das esse in actu selber geben? Offenbar nicht,
denn das Sein wird nach dem heil. Xlion»)^ ^OQ *^'t allein den
Geschöpfen mitgetheilt. ^sse es( proprixis effedm causae primai.
Danraus folgt aber dann die praemtdio pkysica und. der Cuncurs,
wie beide vom Doctor Angeiieus gelehrt ■ werden. •
Betrachten wir zunächst das Sein, durch welches die Creatar
Ina einem Agens in potentia ein Agens in actu wird. Dieses Sein
nird von Gott allein und ausschließlich aus eigener Kraft
gewirkt, pie Creatur kann diesbezüglich nicht mitwirken, denn
befor. siä nicht m_ actu ist, wirkt sie liberhanpt nicht. Bei dem
•Übergange aus der Potenz in ^eu Act befindet sieb aber die
Creatiir nicht in aitu, sondern auf dem Wege zu dem Acte.
Darui}! bemerkt S. Thomas mit Reebt, dass die Creatur bei der
Tbätigkeit, durch welche ^^tt, die Natur .bewegend, wirkt, nicht
tbätig sei (de .potentia q.3. a.7. ad3.).'Die Creatur ist also in
dieser Hinsicht nicht activ thätiges Instrument Gottes.
Das Instrument muss ja selber thätig sein, sonst bildet ?,» kein
Ittatrument. Die Bewegung ist bei dieser Übei-fUhrung aus der
Potenz in den Act etwas Passives oder, um mit S. Tiiotnas zu
sprechen, 4Ie Action des BeweglioJien. Unmöglich kann ä'omit
sich die Creator in irgend einer Weise ans der Potenz in den
Act Sberfllhren, sich das Sein, das esse in actu verleihen. Dieses
Sein mosB ausschließlich von Gott verarsacht werden. Daraus
folgt mit evidenter Notbwendigkeit die physische Vorherl)ewef,'uug,
denn dieses Sein ist im strengsten Sinne der Effect derersten
Ursache. Die Creatur kann nicht als Instrument und iuder
Kraft Gotteq sieh dieses Sein geben, indem ihr wesentlich
nur dns Beweg t-w erden, moveri, zukommt.
Fassen wir dagegen die Creatnr'als Ageng in oi^u ins Auge,
HO werden wir,Bag«n mUsaenl dass siezwar einem andern, näm-
lich ihrer Tbätigkeit, das S^in, die Wirklichkeit verleiben kann
nad thatflächlich verleiht, allein dieses* thut sie als Instrument
— 182 —
und in der ^raft Gottes. Das Instrument ist ein bewegter
Beweger, movens motum. Bewegt wird es dadurch, dass es vom
Hauptagens einen Abt, eine Vollkommenheit empfängt. Und es
bewegt dadurch, dass es diese Vollkommenheit-, diesen Act —
allerdings nicht numerisch den nämlichen — ^ einem andern
mittheilt. Dieses andere ist die Thätigkeit, denn diese bildet den
ersten, unmittelbaren Effect der activen Potenz, des Agens in actu.
In diesem Sinne ist die Creatur actives Instrument, und sie
übt ihre Thätigkeit in der Kraft Gottes aus. Das Bewegtwerden
hat seine Kraft in der praemotio physica, das Bewegen in dem
Concurse Gottes. Dieser Concurs ist jedoch, wie wir schon dar-
gethan haben, nur in dem Sinne simultan, als Gott diese
Thätigkeit nicht ohne Mithilfe der Creatur hervorbringt,
als die Creatur, die active Potenz, das Agens in actu ebenfalls
thätig ist. Die Thätigkeit Gottes ist der Natur und Causalität
nach jederzeit früher. Rücksichtlich des Concurses lehrt daher
cfer englische Meister, dass 4ie active und passive Kraft des
Geschöpfes in ihrerOrdnungzur Thätigkeit hinreichen. Nichts-
destoweniger Verde da^u die Kraft Gottes erfordert, damit
diese Kräfte in wirkliche Thätigkeit übergehen (de potentia
q. 3. a. 7. ad 1.). Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass beid«
unmitteflbar thätig sind, obgleich sie si6h zu einander als
früher und später verhalten (I.e. ad 4.), denn zu d^m Wesen
der unfergeordneten Kraft gehört nur, dass sje in ihr*er .Otd-
nung.ge Wissermassen Princip .der Thätigkeit sei, d. h. dass sie
als Instrument der höhern Kraft sich thätig erweise.
Wird die höhere Kraft ausgeschlossen, so ist für die untergeordnete
jede Thätigkeit unmöglich (1. c. ad 5.). Darum geht der Wille
Gottes, von welchem j e*d e Bewegung der Creatuf ihren Ursprung
hat, der Thätigkeit der Geschöpfe voraus (I.e. ad 9.).
82. Aus dieser Darlegjing würde nun aber doch folgen, dass
die Creatur wenigstens a 1 s Instrument Gottes, das Sein ver-
leihen könnte ? Keineswegs, denn es besteht ein großer Unterschied
zwischen dem Sein als solchem, und der -Bestimmung, der Be-
schränkung desselben auf dieses oder jenes Sein. Das Sein als
solches bildet den ausschließlichen Effect Gottes, der ersten Ur-
sache, und diesbezüglich kann die Creatur auch nicht Instrument
sein. In diesem Falle könnte die Creatur als Instrument und in
der Kraft Gottes erschaffen, was der englische Meister entschie-
den in Abrede stellt (l.p. q. 45. a. 5. — de potentia ^q. 3. a.4.).
* Hinsichtlich des bestimmten, beschränkten 3ein9 niuss eine
Upterscheidung^gemacht werden. Das Sein ist dasjenige, wodurch
irgend ein Subject, eine Wesenheit Wirklichkeit hat. Das
Sein des Menschen, das Sein der Verstandes- und Willensthätig;'
keit ist dasjenige, wodurch im erstem Falle die Wesenheit der
Substanz^ im letztern die Wesenheit des Accidens da ist oder
— 183 —
ezisliert. Diesen Effect bringt dae Sein nicbt als wirkHanie
UrBache, sondern nach Art der formellen hervor. Wir haben
demnaeb zwei Dinge in Betracht zu ziehen :. die Wesenheit und
das Sein, die Wirklichkeit eben dieser Wesenheit. Die Wirklich-
keit, oder dasjenige, wodurch die Wesenheit z. B, der Willeos-
thätigkeit in Wirklichkeit existiert, wird von der Creatiir nicht
als eigener Effect hervorgebracht, sondern bloß als Elfect des
Instranientes, gewirkt in der KraA Gottes. Nimmt man dagegen
beide, Wesenheit und Dasein dieses Accidens zusammen, und
faBst es als dasjenige, was da ist oder existiert, auf, m miiss zu-
gegeben .werden, dass die Creatnr diesen Effect hanptsäclilich
wirkt. Denn die Creatnr bringt jene Natur oder Wescnlieit her-
vor, weiche das Sein hat, und durchweiche dieses Sein aUiil'lich-
bestimmt, beschränkt wird. Man erinnere sich was S. Thooins aa
einer früheren Stelle gelehrt hat (de potentia q. 3. a. 4.), Atiiierswo
erklärt der engHsche Meister, nichts verleihe einem andern das
Sein, außer insofern es selbst ein Seiendes in der Wirklichkeit,
ein ens actu ist. Die Creatur befindet sich durch Gnties Vor-
sehung in actu und vermöge dieser göttliclien Kraft ist sie im-
, Btaiuie, andern Aa& Sein mitzutheiten (3. contr Gent. c. 66.). Als
Grand dafUr wird vom Doctor Angelieus folgender angegeben:
„Alle nntergeordueten wirkenden Ursachen erzielen den Effect, der
ihnen gemeinsam ist, dadurch, dass sie sich vereinigen in der
Antheilnahme an der Bewegung und Ernft des ersten Agens.
Viele Agentien können nicht ein und dasselbe wirken, wenn sie
Dicht irgendwie eins sind, wie z. B. die Soldaten den Sieg, welchen*
Bie beabsichtigen, nicht erkämpfen, außer unter der Leitung des '
Feldberrn, deih- der Sieg als eigene Wirkung zokomuit. Nun
wissen wir, dass das Sein der gemeinsame Effect aller wirken-
den Ursachen ist, indem jedes Agens verursacht, dass etwas wirk-
lich in actu ist. Diese Wirkung können sie demnach nur dadurch
bervorh ringen) dass sie unter der Leitung des ersten Agens stellen^
und in der Kraft desselben thätig sind. Das Sein hat folglich ,
Gott ziir eigentlichen Ursache, die andern wirken es in seiner
Kraft. Die Ergänzung, das C omplementum der Kraft des
nntergeordueten Agens, stammt aus der Kraft des erstenc"
Cfr. 2. pQntr. Gent, c 21..
In der vorhin citierten Stelle finden wir auch den Beweis
dafUr, dass die Creaturen das Sein, wenn es als (juo etl, als
Existenz oder als letzte Actualität und Vollkommenheit eiijes Dinges
aufgefasst wird, uicht iij wirksamer Weise und ans eigener
■ Kraft, sondern in dei' Kraft Gottes und mehr n'ach Art des Stoffes .
bestimmend, beschränkend hervorbringen. Der englische Meister
sagt: „Nach ^er, Ordnung der Ursachen riohtet sich die Ordnung
der Wirkungen. Der er^te aller Effecte iat das Sein, denn alles
andere ist Bestimmung, Determiniernt^ des Seins. Aus diesem
_ 184 — .
. . • . ♦
Grunde, bildet das Sein den eigentlieheu Effect der ersten
. Ursache/ alle andern wirken es, insofern sie in der Kraft des
ersten Agens* thätig sind. Die untergeordneten Ursached besondern
un^ bestimmen . sozusagen die Thätigkeit des ersten Agens. Sie
bringen darum andere YoUkoMmetiheiten als eigentliche Effecte
hervor, durch welche das Sein bestimmt wird.*?
Zwei. Sätze in dieser Stelle, bedürfen einer Erklärung. Nach
S. Thomas bringen die subalternen Ursachen yollkommenheiten
hervor, ,welche das Sein bestimmen. In welcher )Veise bestimmen
diösc Vollkommenheiten das Sein? Etwa nach Art der Form, des
Actes? In diesem Sinne, darf der Ausspruch des heil. Thomas
niclit versfanden werden, denn- daq Sein ist selbst'der Act, und
.zwar der letzte, welcher nach Art der Form alle? Voraus-
gehende, S(äi es Stoff, sei es Form, vervoUkoinmnet und in den
Zustand der ' Wirkliblrkeit versetzt. Das Sein' selbst kann somit
nicht abermals 'durch eine Vollkomnienheit bostimmt werdeü. Das
Sein wird dadurch bestimmt, dass es in einem Subjecte Aufnahme
findet, und dieses Subject nennen wir Wesenheit, entweder sub-
stantielle oder accidentelle * Wesenheit. Durch die Aufnahme in
diesem Subjecte wird das Sein bestimmt, z. B. zum «Sein des
Menschen, des Verstandesactes, der Willensthätigkeit etc. Das ist
die einzige Art, in welcher das Sein Bestimmungen erhält
(2. contr. Gent. c. 52. ratio 3.). Die untergeordneten Ursachen be-
stimmen daher das Sein dadurch, dass sie das Sein in einer sub-
stantiellen oder accidentellen Wesenheit aufnehmen. Diese Wesen-
Mieit verhält sich daher passiv, empfangend, und ist folglich an
*'und flir sich betrachtet etwas Potentiales. In def selben Weise
wird das Sein m ordine operativo von der PotVn'z der Creatur,
dem Agens in pot^tia bestimmt. Ein Geschöpf ^4st z. B. ib irgend
einer Beziehung unthätig^ es fehlt ihm* in Betreff der Thätigkeit
das Sein, das Thätigsein. Dieses Sein muss ihm folglich von der
ersten Ursache mitgetheilt werden. Dieses geschieht durch die
^Bewegung, die Thätigkeit Gottes, die praemotio physica. Diese
ThätigKeit wird aber modificiert, determiniert durch die Aofiiabme
in der passiven, unthätigen Potenz des Geschöpfes. Jedes Auf-
g«npmm£ne wird bestimmt nach der Art und Weise des auf-
nehmenden Subjectes. Quidquid recipüur,»recipitur 8ecundi4fi\fnodum
recipietUis. Darin liegt die Erklärung für die zweite Schwierigkeit
Der Doctor Angelicus bemerkt nämlich an der vorhin ge-
nannten Stelle, dass die . untergeordneten Ursachen die Thätigkeit
d^s ersten Agens beüondern und besdiränken. Es liegt auf der
Hand^ das^ diese* Ursachen die Thätigkeit Qottes. nicht durch«
* irgend eine Thätigkeit vo n ' i h r e r Sei t'e 'bestimmen können,
weil dieselbe formeU Gott immanent ist. Die T'l^lltigkeit Gottes
unterscheidet sich real oder sachlich nicht von- seiner Wesenheit
Diese Beschränkung kann «omit nur darin bestehen, dass die sub*
*
- 185 —
alternen UrBaobcD die ThStigkeit die Bewegung Gottes in aicii'
SDfDehmeQ, nnd dadurch auf einen beetimmten Effect einscbiänken,
gemäß dem soeben ansgeaprocbeuen GnindEiatze, dasB Aaa Auf-
genommene sieb nach der BescbaEfenhgit, nach der EnipfäDgiicb-
keit des aafnelimenden Snbjecties richtet, vom Aufuebuienden dann
determiniert wird. Diese Determinierung ist also niebt eine for-
melle oder eine wirksame, sondern eine materielle, stoff-
liche, mit andern Worten eine passive, nicht active, deun
jedes Ding verhält sieb zu dem, was über iUm ist, wie dei--ätoCF.
Und der Stoff bestimmt, bewegt sich nicht selber, sondern er muss
von einem andern bewegt werden (3. contr. Gent c. 149.).
Damit ist jedoch picht gesagt, dase die Creatar bloß die
Wesenheit eines Dinges und Qütt das Sein desselben hervor-
bringe. Die untergeordnete Ursache wirkt die Bestimmung des
Seins stofflich, nnd als das, was existiert, ui quod est, indem sie
Vollkommenheiten hervorbringt, die - das Sein durch stuffllcbe
oder passive Bestimmung detciTiinieren. Sie wirkten ebenfalls das
Sein, aber nicht formell, d, b. sie wirkten es nicht formell als
dasjenige, wodnrch, ut quo, die entsprechende Wesenheit da
ist oder existiert. Dazu reicht ihr© eigene Kraft nicht aus,
während sie für ersteres, für die stoffliche BeBtimuiung genügt,
weil dazo kein Act, keine Thätigkeit erforderlich ist. Das Stoff-
liche, Passive nimmt auf, ohne dabei activ thätig zu sein, wie
ja die Bewegung zeigt, die der Act eines Passiven ist. Wenn
man also sagt, das geschaffene Agens bringe nicht die Wesenheit
der Thätigkeit allein hervoi', sondarn das (üanze, indem es eine
in der Wirkliiihkeit existierende Thätigkeit ansUbt, so ist dieses
an*gich Tollkommen richtig, flieht man aber dann den Sublass:
folglich |Wirkt dieses geschaffene Agens auch die Existenz,
das Se^n der Thätigkei^ -so kann diese Behauptung nur mit
einer g^naaep Unterscheida'i^ hingenommen ^ei'deo. Dieses Sein
wirtf'vom geschaffenen Agenfftwar aas eige'ner Kraf^hervor-'
gebfacht als das, was ist, als existierende ^hätigk^it, keines-
wegj-aber als da^, wod.nrcb diese Thätigkeit Wirklichkeit be-
sitzt.' Wirklich fvird -immer, dasjenige, was ist 'ode^ existiert,
das sogenannte quod est. Und dieses quod est bildet den eigent-
lichen Effect der thätigen Greatur. Die Existenz aber, oder das
JMO M('der Thätigkeit entspricht ^ eigen thUmlicb" dem Wirken der
ersten Ursache. Dieses Sein kann das Geschüpf nicht aus
eigener Kraft, sondern nnr in drör Kraft Gottes wirken.
Der tkrminus totalis der aetiven Potenz, des .^gens in acta
ist sDniit' niemals die Wesenheit, oder die Existenz der Thätigkeit
allein fllr sich, sondern stets beide zusammen. Das quod und
p» est bilden den Urminvs. Die Thätigkeit als in der Wirklich-
keit biistierendes Aceidens wird tfaatsächlicb hervorgebracht, (iott
und die Creatnr wirken einen und denselben Effect, die Thätig-
— 186 —
iLeit. Diese Thätigkeit als Ganzes ist eigentlicher Effect
des geschaffenen Agens. Allein dasjenige, wodurch das Ganze
existiert, i^t nicht eigentlicher Effect (effectus proprium) des
geschaffenen Agens, sondern Gottes, der ersten Ursache. Diesen
Effect wirkt das untergeordnete A^ens in der Kraft Gottes,
Gott hingegen aus eigener Kraft. Durch die stoffliche Beschrän-
kung oder Detenninierung durch das geschaffene Agens wird
demnach das Sein, welches der Gott eigenthümliche Effect
ist, zu einer Verstandes- oder Willens- oder sinnlichen Thätigkeit,
je nachdem das active Princip des Verstandes, des Willens oder
der »Sinne eine Thätigkeit ausUbt. Die Determinierung ist aber
eine stoffliche, nicht formelle oder ^ctive deshalb, weil das
Sein, die Existenz in diesem oder jenem accidentellen Wesen,
resp. in dieser oder jener Thätigkeit aufgenommen wird.
Die geschaffenen Agentien vermögen somit nicht durch Gene-
ration oder irgend eine andere -Thätigkeit das Sein absolut, son-
dern nur dieses oder jenes Sein hervorzubringen (1. p. q. 45. a. 5.).
Indessen bringen sie dieses oder jenes Sein auch nicht in
eigener Kraft, sondern in der Kraft der ersten Ursache
hervor. Sie sind daher diesbezüglich Instrumente in der Hand
Gottes. Oportet quod dare esse, in quarUum Kujusmodi, sU effeäus
primae catisae solius, secundum proprium virtutem. Et quaecumque
alia causa dat esse, hoc habet, in qtiantum est in ea virtus et
operatio primae causae, et non per propriam virtutem. Sicut ä
instrumentum efficit actionem instrumentalem, non per virtutem
propriae naturae, sed. per virbdem moventis (ia potentia q. 3. a. 4.).
Das Sein, von welchem der heil. Thomas hior spricht, und welches
von der Greatur, als dem Instrumente. Gotteil hervorgebracht wird,
ist nicht das Sein absolut. Dass die Creatar dieses Sein
hervorbringen* könne^ leugnet gerade* ^er englische Meißter mit
dem Hinweise, dass ^ sie dann auch iA der Schöpfung al& Instrn-
* *n^nt djpnen könnte £^ ist folglich'idas beschränkte, determinierte
Sein. Diesc^ Determjnierung darfauch nicht in activ er, formeller
Weise geschehen, sondern in stofflicher,, passiver. ^Den
Grand daAlr werden wir alsbald angeben. • Darum* ist der ' dem
geschaffenen Agens „eigenthümliche'' Effect die existierende
Thätigkeit, und die Existenz dieser Thätigkeit nnr insofern,
als sie in dieser Wesenheit als ihrem Snbjecte sich befindet.
Diese Darlegung gilt natürlich nur vom Sein, von der Existenz
der Thätigkeit. Das Seiü dieser Thätigkeit wird vom ge^
schaffenen Agens gewirkt. Es is\ ausschlieBlich nur in «Betreff
der Thätigkeit Instrument Gottes, und in dessen K^^aft
thätig. Wie indessen nachgewiesen wurde, gibt es noch ein
anderes Sein, eine andere Existenz, die nicht vom Geschöpfe
weder aus eigener Kraft, noch in der Kraft Gottes verflr^acht
wird, nämlich: das Sein der Potenz in ordine operatito,
— ]87 —
4
nümlicli das Sein des Agens in actu. Dieses Sein wird einzig
und allein von Gott verursacht. Die Creator hat dabei gar nichts
EU thun. Sie könnte nicht einmal etwas thun, weil sie passiv,
nnthätig, CTst auf dem Wege zn einer ThStigkeit sieh befiii<)et.
Sie ist noch nicht Agens t'n acte, daher aach oichtPrincip oder
Ursache einer Thätigkeit. Damm kann sie zur Thätigkeit Gottes,
der ersten Ursache, Kicbts beitragen, mit derselben uicbt mit-
belfen. Was nicht tbätig ist, nicht eine eigene Thätigkeit ausübt,
kann auch nicht Instrument der ersten U^acbe sein. ^
83. Wenn aber das geschaffene Agens das Sein (quo est)
der eigenen Thätigkeit nicht in eigener Kraft, eondeni in der
Kraft Gottes, der ersten Ursache nnd noch dazu auf atoft'liche
Weise verursacht, kann man dann in Wahrheit sagen, es wirke
das Ganze, das quod est, nnd dieses Ganze bilde den „eigenen"
Effect des geschaffenen Agens? Kann man dann behaupten, dass
dieses Agens überhaupt wirke?
Allerdings kann man das mit vollem Rechte sageu. Das
Instrument bringt den ganzen Effect heiTor, obgleich dieses
' nur in der Kraft des Hauptagens geschieht. Das Hauptagens ist
der erste Beweger, das instrumentale hingegen ein bewegter
Beweger. Das Instrument besitzt eine zweifache Thätigkeit, die
eine hat es durch die eigene Natur, die andere insofertt es vom
ersten Beweger bewegt wird. Manchmal erreicht die Thätigkeit
, des Inetrumentea jene Vollkommenheit, weiche vom Hauptagens
rerursacht wird, manchmal hinwiederum nicht. Stets jedoeh wirkt
das Instrument etwas HOheres als das ist, was ihm seiner Natur
nach zukommt. Andernfalls wäre ea nicht als Instrument thätig
(4. dist, i. q. 1. a. 4. qu. 1.). Das Instfitment bringt den ganzen
Effect hervor, der anch vom Hauptagens gewirkt wird, nur in
einer andern Art und Weise (3. conlr. Gent. c. 70.).
Ea vrurde früher nachgewiesen, dass d ie Thätigkeit des
6e8ehSpfe8.dieselbe ist mit der T hätigkeit der ersteu Ursache.
Von Seiten Gottes bildet die Thätigkeit, wodurch das Agens
in pctentia ein Ageos in acti^ wird, also die praejnotio pkysica,
' . nud die Thätigkeit, ■ wodurch ^das Ageiis in actu, eine Thätigkeit '
ausübt, ein und dasselbe Wirken. Es dürfen nicht zwei
Thätigkeiten Gottes angenominen werden. Diese eine Tliätigkeit
Gottes unterscheidet sich sacblich oder real von der Thätigkeit
der Greatnr bei der Überführung aus dem passiven Zustande in
den activen, indem die Creatnr da nicht mitwirkt, nicht tbätig
ist Wie kommt nun die Thätigkeit des Geschöpfes zustande?
Dadurch, das» die Creatnr die Thätigkeit oder Itewegiing Gottes
in sich aufnimmt, imd auf den Effect, auf die eigene»Tliiitigkeit llber-
ieitet. Gleichwie die active Potenz, das Agens in actu, die^orm,
wodurch es in actu ist, nur vorUli ergehend, per modum trameunlis,
besitzt, ebcBso hat die Thätigkeit ihre Form, ihren Act nur
— 188 —
k
per modum tränseuntis in den mit Freibeit begabten Creataren.
Die Natardinge besitzen diese Form oinigermaseen per madum
permanentis, jedoch nicbt in dem G-rade wie Gott. Es bangt von
Gott ab, in welcher Weise er ihnen diese Form mittbeilt. Wir
sehen aber thateächlicb, dagB eie anunterbrochen eine Tbätigkeit
entwickeln, daas sie somit auch immer actiye Potenzen haben,
agmtia in actu sind. Bei den vernünftigen* Geschöpfen ist dieses
nicht der Fali. Daraus ist klar, dass eine und dieselbe Bewegung
Gottes es ist, wodurch die Thätigkeit der Creatur zustande kommt.
Wenn der englische Lehrer beständig erklärt, das Geschöpf
sei in der Kraft Gottes tbätig, was meint er damit? Was
versteht er unter dieser Kraft? Nichts anderes als die Bewegung
oder Actio Gottes. Eine und dieselbe Kraft oder Form ist es,
wodui-eh die Tbätigkeit ausgeübt wird. Die Form aber ist Princip
der Tbätigkeit. Wären mehrere Thatigkeiten vorhanden, die
Ttiätigkeit Gottes und der Cieatur, so müssten auch der Wirkung
mehrere Formen eingeprägt werden, denn thätigsein bedentet
nichts anderes, als dem Effecte eine Form einprägen, durch
welche das Agens selber wirkt. Der beil. Thomas bestreitet aber, *
dass dem Effecte mehrere Formen eingeprägt werden. Nach seiner
Lehre ist es nur eine einzige Form, die vom unmittelbaren,
letzten Agens dem Effecte mitgetheilt wird. Und die«e Form
schlieft virtuell alle vorausgehenden in sich (de spirit. creat. a. 3.
ad 20.). Durch die praemotio phygica wird somit d^r Wille bewegt, .
und als bewegte Kraft wirkt er eine Tbätigkeit. DarauB«rgibt
sich, dass die ganze Tliätigkeit, Wesenheit und Existenz dieses
Accidens, .der untergeordneten Ursache zugeschrieben werden muss.
Wäre dem' auch nichl so, die Tbätigkeit würde nichtsdesto-
weniger roll und ganz der subalternen Ursache angehören. Bei
der Generation des Menschen bringt das geschaffene Agfius keines-
wegs alles hervor. Die Form, nämlich die Seele und die Existenz,
das Sein des Menschen wird von Gott unmittelbar und« allein ver-
ursacht, 'trotzdem sagen v?ir, dass der Mensch _ den Menschen
hervorbringt. Wir schreiben ihoi depinach den ganzen Effect zu.
' Umaomebr. mus^ dieses »dann b^i der Thätigkejt geschehen, ,'
' welche von einer and derselben Kraft ausgeübt wird.
Es jinterliegt demnach gar keinem Zweifel, dass die prat-
motio physica und der simultane Goncnrs vom heil. Thomas ge-
lehrt worden sind. Allerdings nicht jene praemotio, die von den
Gegnern, wenn sie conseqnent verfahren, vertheidigt werden muss.
§ 12. Die praemotio physipa der Vertheidiger des bloss
* simultanen Concnrses.
84. Die Überschrift des vorliegenden Paragraphen eTscheiot
befremdend. Nichtsdestoweniger stehen wir für die volle Richtig-
_ 189 —
keit derselben ein. Gegen die praemotia pkysica des engÜBchen
Meistere atid der Thomisten äußert man alle möglichen Bedenken,
und uimmt, nm diese Schwierigkeiten zu vermeiden eine Tbeorie
an, die, beim Liebte betrachtet, ebenfalls eine praeniofio physica
ist, aber nocb weit größere Schwierigkeiten in sieb schließt.
Hier ist der Beweis dafür.
Gott bewegt, so wird gelehrt, die Geschöpfe, znmal den Willen,
nnr im allgemeinen. Dieser Einflaee ist der Wind, welcher
das Segelschiff nach einer allgemeinen Kichtang hiu, z. B. nach
Osten treibt. Diese Bewegung zielt anf keinen bestimmten
Hafen oder Landangsplatz ab. Der menschliche Wille hiogegen
bestimmt oder determiniert diese al Ige meine Bewegung.
Der Stenermana dirigiert dag Schiff in einer bestimmten Kich-
. tirng zn diesenr o^er jänem Hafen ■•• ■ ' '
Ein {bedenken g^en «liese LehreVhaben wii- sphon frUh*
geäußert, es ist dieses : auf welche Weis? der Steuermann bewegt,
zur Thätigkeit angeregt werde. Man rergisst immer uns dieses
■ zn sagen, ^u erküren. Durch den Wind kann der Steuermann
unmöglich bewegt werden. Der Wind bringt im Steuermann keine
Thätigkeit herror. Man lässt ihn einfach ohne weiters thätig sein
und.das Schiff dirigieren. Immer wird nnr von der Wirkung,
von der Bewegung des Schiffes gesprochen. Auf diese Art löst
man Schwierigkeiten nicht, sondern vermehrt sie nur. Der heihg;e
Thomas sagt, Gott bewege den Willen zur Thätigkeit, ad
agendum. Da aber der -Steuermann offenbar auch ein Geschiipf
ist, nud nach der Lehre des heil. Thomas jedes Geschöpf
von Gott bewegt wird, so ist mit dem genannten Schiff einfach
uichts erklärt. Noch schlimmer steht die ganze Sache, wenn an-
genommen wird, und consequenterweise muee es geschehen, dass
der Wille sich selber bewege, ohne Einfluas uiul Zutbun
Gottes. Erbringt dann ein Seiendes, ein ens hervor, dessen Ur-
heber nicht Gott ist. Damit wollen wir uns jedoub uicht weiter
beschäftigen. Unser Zweck ist vielmehr der, uachzuweiaeu, dass
die Gegner des heil. Thomas eine praemotia phyaica Ichren.
Der Einflass Gottes auf die Geschöpfe besteht iu einer all-
gemeinen Bewegung. Da diese Bewegung etwas Wirkliches,
nicht etwas Abstra^ctes ist, so müssen wir ihre allgemeine
Natnr in der Weise auffassen, wie den ersten Stoff, die materia
prima. Was sagt nun der englische Meister vom ersten Stoffe?
Der ferste Stoff ist ihm an und fUr sicb'am wenigsteu besti mm t,
aber am meisten b«stimmbar. Diese Unbestimmtheit und
Bestimmbarkeit des ersten Stoffes- bildet Jlen Grund seiner großen
Unvollkommen hei t.. Der Stoff wird durch die Form bestimmt
nod vervollkommnet, denn durch die form erhält er Wirklich-
keit, wird er ein.«MS in actu. Ohne Form ist er bloß ein ena in
potentia. Die Potenz ist etwas Unvollkommenes, der Act etwas
— 190 —
Vollkommenes. Diesen Giiindsätzen begegnet man in den Werken
des heiL Thomas alle Angenblicke, weshalb wir von der Angabe
von Citaten absehen.
Wie verhält sich nun das Bestimmbare zum Beistim-
menden, das StoflFliche zum Formellen? Welches ist der Natur
und Gausalität nach früher? Jedes FrUhersein der Natur
nach muss auf irgend eine Weise zurückgeführt werden auf das
Verhältnis von Ursache und Wirkung. Princip und Ursache sind
ein und dasselbe. Der Stoff ist Ursache der Form, insofern er
die Form stützt (sustmtans). Die Form bildet Ursache für den Stoff,
weil sie formell bewirkt; dass dieser Wirklichkeit hat, in actu
ist. Die Formalursache als solche ist der Natur nach früher
(4. dist. 17. q. 1. a. 4. qu. 1.). Alles das, was im, Verhältnisse einer
T'orm steht, ist früher ais das, was sich wie, der Stoff ' verhält.
Dieses Frijher gehört der Ordnung«derWx)llkomm*enheit an
(ordo perfectionis) (de ve^i'itate q. 9. a. 3. ad 6.). Der Natur nach,
schlechthin früher müssen wir dasjenige nennen, was im Wirken
früher ist, wie z. B. die Zweckursache (1. c. q. 28. a. 7.). Cfr. 1. 2.
q. 20. a. 1. ad 3. — ib. q. 62. a. 4. — de malo q.4. a. 4.
Wenden wir nun diese Principien des Doctor Angelicns an
auf unsern Gegenstand. Gott bewegt die Creaturen resp« den
den Willen im allgemeinen. Wie die Bewegung allgemein,
so ist auch das Endziel ein allgemeines. Die Bichtung, welche
das Schiff nach Osten einschlägt, ist in sich.un bestimmt, aber
bestimmbar durch die Thätigkeit, die Direction des Steuer-
mannes. Die Bewegung durch Gott verhält sich somit zu der Be-
wegung der Creatur, wie der Stoff zur Form, denn sie wird von
dem Geschöpfe bestimmt, und zu einem bestimmten Ziele hin-
gelenkt. Die Thätigkeit der Geschöpfe bildet demnach das For-
melle. Nach der Lehre des heil. Thomas aber ist das Formelle
der Natur und Gausalität, der Vollkommenheit nach
früher als das Stoffliche. Daraus folgt zur Evidenz, dass
die Vertheidiger des bloß simultanen Concurses ebenfalls eine
praemotio physica lehren. Ein anderes „Früher", als der Natur
und Gausalität nach, als in Bezug auf die VoUkonmienbeit ver-
theidigen S. Thomas und seine Schüler auch nicht.
Unsere zweite Behauptung war, dass daß System der Gegner
die Schwierigkeiten vermehrt In der That ! Wie kann Gott ein
Geschöpf bewegen, ohne dass er ein bestimmtes Ziel im Auge
hat? Und wie kann sichGott der Creatur gegenüber stofflich,
d.h. unvollkommen verhalten? Wie kann er sich das Ziel
seiner Bewegung erst darch di«e Geschöpfe bestimmen lassen?
Der englische Lehrer spricht fortwährend davon, dass Gott die
Creatur zur Thätigkeit appliciere. Im Systeme der Gegner
wird aber eine Thätigkeit appliciert, und zwar die Thätigkeit
Gottes durch eine Creatur. Die Thätigkeit Gottes wird
— 191 — .
dareb jene des GescfaOpfes einer bestimintflu Richtung, einem
bestimmten Ziele appliciert. Sie hängt somit ganz and gar von
der Thätigkeit der Creator ab, ist derselben untergeordnet.
Durch die Bewegung Gottes begehrt der Wille etwas, er weiß
aber noch nicht was. Das mnss er sieb erst selber bestimnien.
Gott ist es gleicbgiltig, was der geschaffene Wille begehrt, wenn
derselbe nur im allgemeinen oder Überhaupt will. Weiter
kümmert sich Gott nicht. Im Gegentheil lässt er es sieb rubig
gefallen, dass seine Bewegung durch die Thätigkeit des
Geschöpfes modificiert, bestimmt, verrollkommnet wird.
Daraus ergibt sich, dass der bloß simultane Concarti manches
gar nicht zu erklären vermag, indem er uns uichts darüber sagt,
wie und wodurch die Creatur aus der Uutbätigkeit in die Thätig-
keit übergeht, au» dem. p'fl^^iven ^ust^ude heta.us^optmt'Uad
active' Potenz, "Agfens 'in'aäu wird. Zweitens, dass der siuinl-
tane Concurs, wie die Gegner ihn auffassen, eine praemott/j physica
ist nnr in verkehrter Ordnung. Diese praemotio gebt nicht von
Gott, eondem von der Ciieatur aus, und sie bezieht 'sich nipbt auf
den Willen der vernunftigen Geschöpfe, auf die Creaturen über-
haupt, sondern auf den Willen Gottes. Drittens folgt aus
dieser Darlegung, dass es überhaupt keinen solchen simultanen
Cuncurs geben kann, wie die Gegner ibu verstehen. Gottes
Thätigkeit ist auch dann noch der Natur und Cauäalität,
der Vollkommenheit nach frllber, wenn die Creatur mit
ihr wirkt, wenn da« Geschöpf selber thätig ist. Simultan heißt er
einzig und allein nur aus dem Grunde, weil Gott eine Wirkung,
einen Effect nicht ohne Mitwirkung der Geschöpfe her-
vorbringt. Eiu simultaner Concurs in einem andern Sinne kann
gar nicht eiistieren, denn er würde die Rechte und Vollkommeu-
beiten Gottes beeinträchtigen, Gott znruntergeordneteu,8ecun-
dären Ursache berabdrUcken.
85. Dieses Urtheil müssen wir auch über die Theorie eines an-
dern Gelehrten der Gegeuwail aussprechen. Dieser Autor bekämpft
die praemotio pkysica des heil. Thomas, den simultanen Concurs
des euglischeu Mebters und der Gegner. Wie verhält sich aber
die Sache? Sehr einfach, meint der genannte Autor: Gott bewegt
den Willen auf natürliche und uothwendige, d.h. un-
freie Weise zum Guten und zu der Glückseligkeit im allge-
meinen. Das ist alles, was er thnt. Und diese Bewegung ist
allgemeiner Natur. Ohne diese allgemeine Bewegung kann
der Wille nichts Particuläres begehren.
Wir haben früher erklärt, dass es eine allgemeine Be-
wegmig ein flir allemal nicht geben köuue. . Bewegung ist Thätig-
keit. Die Thätigkeit ist aber etwas Particuläres. Dag ist con-
ataote Lehre des heil. Thomas. Ebenso wurde früher nachgewiesen,
dass die Behauptung nnriehtig ist, der Mensch köuue nichts Par-
— 192 —
ticnläres wollen ohne diese Bewegung; falls die Bewegung sab-
jeetiv, quoad exercitium actm genommen wird. Verstehen wir waUsr
dieser Bewegung wirklich eine Thätigkeit, und ist der Satz: „der
Wille könne ohne diese Bewegung nichts Particuläres .begehren**
richtig; so heißt dies soviel als: ;,der Wille kann nichts Partiea-
läres in Wirklichkeit ((ictu) begehren^ ohne das Gute und die
Glückseligkeit im allgemeinen in Wirklichkeit (adu) zu wollen.
Dieser erste Satz aber widerspricht direct der Lehre des heiligen
Thomas. Der englische Lehrer sagt ausdrücklich, wenn der Wille
irgend einen Act ausübt, sei es durchaus nicht nothwendig, dabei
in Wirklichkeit ((xctu) an das Endziel, an die Glückseligkeit
zu denken. Non oportet ut semper aliquis cogüet de ultimo fine,
quandocunque , aliquid appetit vel operatur. (1. 2, q. L a. 6.* ad 3.).
Daohit, 4^8 ^Endziel- irgend %iner Hahdlhn^ Gett sei, dazu* ist nicht
nothwendig, dass derjenige, welcher * die Handlung* vollzieht, an
Gott, oder die Lieb^ denke (2. dist. 38. q. 1. a. 1. ad 4.). Cfr,
ib. dist. 40. q. 1. a. 5. ad 3. 6. 7. — 4. dist. 15, q. 4. a. 2. qu. 4-)-
Wie ii|t es nun möglich, dass Gott, so*, oft der Wille etwas Par-
ticuläres begehrt, den Willen auf natürliche und nothwendige/
d..h. unfreie Weise zum Guten und £u der Glückseligkeit im all-
gemeinen bewegt — weil der Wille ohne diese Bewegung* nichts
Particuläres begehren kann — und der Mensch trotz dieser sub*
jectiven Bewegung nicht au das Gute und die Glückseligkeit im
allgemeinen denkt. Kann Gott den Willen zu etwas subjectiv
oder actuell bewegen, ohne dass der Verstand daran denkt?
Wenn nicht, dann ist die Auslegung, welche der genannte Autor
den Stellen des heil. Thomas zutheil werden lässt, total falsch.
Wenn ja, dann ist die Lehre des Doctor Angelicus über die Ab-
hängigkeit des Willens vom Verstände^ total unrichtig.
Wir werden uns für erstere Folgerung entscheiden müssen.
Der Mensch kann darum ein particuläres Gut anstreben, ohne von
Gott subjectiv, actuell zum Guten uud zu der Glückseligkeit im
allgemeinen bewegt zu werden. Auf die Theorie des Autors haben
wir übrigens schon früher reflectiert.
Nehmen wir nun den Fall an, die Bewegung des Willens
durch Gott sei, wie dieser Autor behauptet, wirklich allge-
meiner Natur. Was würde daraus folgen? Genau das System
der Vertheidiger des bloß simultanen Goncurses. Wir begreifen
in Wahrheit nicht, wie dieser Gelehrte den simultanen Concars
bestreiten kann, indem doch sein System so genau der simultane
Goncurs der Gegner des heil. Thomas ist, dass man ihn mit dem
schär&ten Vergrößerungsglase davon nicht zu unterscheiden im-
stande ist. Dre Bewegung des Willens durch Gott zum Guten
und zu der Glückseligkeit im allgemeinen entspricht haarklein
der Bewegung des Schiffes nach Osten ohne bestimmtes Ziel^
ebne bestimmten Häfen.
_ 193 —
Wo existiert das Gut und die GlUckaeligkeit im ailgemeioea
für die remllDUigen Geschöpfe, solauge sie Gottes Wesenheit
nieht von Angesicht zu 'Angesicht schauen? Nirgend», haben
wir früher gesagt. Den Gegenständ, die res, worin d&s allseitige
Gnt and infolge 'dessen die Glückseligkeit des vernUnfLigeu Ge-
schöpfes ihren Grund hat, ist etwa« ganz^Un bestimmtes. Der
eine glaaßt sie in diesem, der andere iu einem andern, zu tinden.
Gott bewegt demnach den Willen im allgemeinen znm Guten und
zu der GlUokseligkeit, Der Mensch, nm bei diesem zu. bleiben, -
sucht aber einen bestimmten Gegenstand, -ein gewisBes
OlDJect seines Glückes, ßequiriütr, ut id, quod appreheiulilar «i
bmum et cfmvmiens, apprehmdatur ut bonum et convmiens in par-
Hadari, et no» in ■universali ftanium (demalo q. 6, a.*].). Wer
bestimmt nun dieses particuläre Gnt und'diese particuiäie Be-.
wegung? offenbar der Wille ^selber, denn Gott verleiht nur eine
allgemeine Bewegung und ein allgemeines Gü\. Die
Theorie des genannten Autors steht somit genau auf dem Stand-
punkte, welchen die Vertheidigter des bloß simultanen Concurses
einnehmen. Die allgemeiue Bewegung des Willens duriib Gort
wird modificiert, bestimmt durch die Thätigkeit der Geschöpfe.
Diese Tbätigkeit ist daher der Natur nndCansalität, der
Vollkommenheit nach früher, als die Bewegung durch
Gott. Die Thätigkeit Gottes wird von der Action der Creatur ■
einem particuläreu Gut appliciert. Was wir demnach gegen den
bloß simultanen Goncnrs eingewendet, das hat «eiue volle Geltung
auch bezüglich der Anschauung dieses Gelehrten. 8ie erklärt
nicht, durch wen das Geschöpf aus dem passiven, untliätigen
Zustande in' jenen des Wirkens übergeführt wird. Die Bewegung
zum Guten und zu der Glückseligkeit im allge-
meinen genügt durchaus nicht, weil der Willä actnell ein
particüläres Gut begehren kann, ohne actnell die . genannten
Güter anzustreben. Das wirkliche (in aclu) Begehren des einen
kfinn ohne das Streben nach dem andern vor sich gehen. . Die
nämliche praemotio pkysica lässt sich in dieser Theorie nach-
weisen, wie sie im System des bloß simultanen Concurses c o n-
sequenterweise angenommen werden muss. Es ist durchaus
nicht etwas Neues, was der gelehrte Antor hier bietet, sundem
die alte Lehre gegen den beil. Thomas, die man wieder, oder
sagen wir lieber und richtiger, doeheudlich einmal /.nr
Geltung bringen möchte. Wir glauben indessen, dasa es den ge-
ehrten Lesern nicht sonderlich schwer fallen werde, zwischen der
praemotio pkysiea des heil. Thomas und jei^er, welche von den
Vertheidigern des bloß simultanen Concurses vorgetragen wird,
eine Wahl zu treffen.
86. Fassen wir diese wichtige Lehre des Doctor Angehens
über Ak praemotio physica anter allgemeinen Gesichtspunkten
F«tdn«r, WUlensfreltieit 13
— 194 — • ' ■
zusammen, und ed wird sich mit evidenter Klarheil zeigen, dass
.es einen simultanen Concurs, wie er von den Gegnern ver-
theidigit wird, gar. nicht geben kann. Wir schicken drei Prin-
cipien voraus. • ^ • . ,
Erste« trincip: Der Concurs, dessen terminm die Thätig-
keit'der Geschöpfe ist', darf nicht simultan im Sinne der Gegner
genannt werden. - , *
Unter dem simultanen Concurse versteht man nitthts anderes
« als,, dass Gott durch eine und dieselbe Thätigkeit, durch welche
die subalterne Ursache einen Effect hervorbringt diesen Effect
ebenfalls wirkt. Der simtiltane Qoncurs ist somit niehts. anderös,
als^ die Thätigkeit der untergeordneten Ur^che, insofern sie zu- *
gleich voH Gott abhängt;. Da nun niclyts sich selber zu seinem eigenen
, terminus haben kanif, sondern zwischen dem, was einen terminiis
hat und dem terminus selbst eine reale Ordnung und' Abhängig-
. keit platzgreifen muss, so liegt es *auf der Hand, dass der Con-
curs, der die Thätigkeit der Geschöpfe zum terminus hat, nicht
simultan sein kann. Auf dieses Princip stützt sich unser Be-
weis von der Nothwendigkeit der praemotio physica.
Die Thätigkeit Gottejs muss die Thätigkeit der Geschöpfe zu
ihrem terminus haben, denn diese Thätigkeit der Creaturen ist
etw%s Wirkliches, ein Seiendes, ein ens. Jedes geschaffene Seiende
. ist ein ens per participationem oder durch Antheilnahme. Es muss
folglich zurückgeführt werden auf Gott, das Seiende durch seine
eigene Wesenheit. Das Seiende durch seine Wesenheit aber verhält
sich zu allen andern Dingen wie die Ursache zu der Wir-
•kun^. Da nun die Ursache der Natur und Causalität nach früher
sein muss, als die Wirkung, so folgt mit Evidenz, dass die Thätig-
keit Gottes, die mit seiner Wesenheit real identisch, somit eint
ens per essentium ist, vorhergeht dej Thätigkeit der Creatur,
wie tiberhiiupt jede Urs'ach^ früher ist als die Wirkung. Hätte
die Thätigkeit Gotfes jene der Geschöpfe nicht zu ihrem terminus^
so .wäre diese letztere- nicht ein Seiendes durch Antheiinahme,
ens per participationem, 'sondern ein solches dufch seine Wesenheit
ein ens per essentiam, Sie wäre folglich Gott. Darum haben wir
vorhin gesagt, die praemotio physica sei deshalb nothwendig, weil
die Thätigkeit Gottes eine immanente, mit seiner Wesenheit
sachlich, real identische ist. Aus diesemGrunde bildet sie ein
ens per essentiam, und damit die Ursache der geschöpf liehen
Thätigkeit, während diese Effect ist. Der Concurs Gottes kann
darum unmöglich ein sipiultaner im Sinne der Gegner sein.
* Aus diesem Principe folgt demnach wenigsfens das eine,
dass Gott das Princip .des Actes der (jreaturen sein müsse,
nicht ausBchlieBlich nur das. Princip des Effectes, welcher
durch die Thätigkeit der Geschöpfe gewirkt wird. Wollte man
darum bloß zugeben, dass Gott zwar die Thätigkeit der Goschöpfe
hervorbringe, nicht aber die paaaiv.e Potenz eu einer activen
mache, dieselbe nicht aus der .Potenz iij den Act überführe; der
simultane CoQcurs- mlisate dem 'Gesagten zufolge trotzdem fallen
.gelassen werdeb. Selbst wenn die Potenz ans und durch sich
gelber hinreichend in actu ist, um eine Tbätigkeit zu vollziehen,
muss nicbtsdestuweaiger die praemotio physica angenomraeii werden. '
Zweites Piincip; Gott kanu nnr als universelle und un-
beschränlite Ursache mit den Creatttren wirkeif oder thälig sein.
Jedes Ding ist insofem Ursache und thätig, als es in'
der Wirklichkeit, in actu sich befindet, pasjenige, was. durch
sich nnd wesentlich, oder seiner ganzen Wesenheit nach
wirktichj in actu \%t, muss folglich universelle bnd unbescbräukte
Ursache sein. Denn jenes Wesen, welches durch sich selber
existiert, \&i actus pums, reine Wirklichkeit. Darum, ist auch seine
Tbätigkeit sachltch mit der Wesenheit identisch. Gleitbwie es .
daher seiner, Wes&nlieit nach allgen^ein und uabeschränkt, «o muss
es auch in Bezug a'uf'seine Tbätigkeit, ^ie mit dem Wesen ein
und dasselbe ist, allgemein und unbeschränkt sein. Modus operandi
sepiitur tnodum essendi. Wir wissön. ab'er,- dass Gott actus purus,
lautere Wirklichkeit, folglich auCh reine Tbätigkeit ist. -Diese
letztere muss somit universell und ohne Beschränkung sein, wie
die Wesenheit, mit welcher sie sachlich, real identisch ist.
Daraus folgt aber dann mit voller ßestitiimtbeit die Noth-
wendigkeit der praemotio physica. Der Beweis dafür lautet;
Wenn Gott die Creator nieht vorherbewegt, sd übt er
aaf sie nicht als universelle Ursdbbe einen Einfluss aus. Als
universelle Ursache" auf*, ein Ding einwirken bedeutet, das- '
selbe unter dem nniVerSellen Gesichtspunkte eines Seienden her-
vorbringen, mit aod.eren Worten: all es. wirken, was in diesem
Dinge ein wirkliches^ reales Sein hat. Zwischen" der Ursache uud
dem Effecte muss diesbazUglich ein gewisses Verhältnis, eine
Proportion bestehen. Je höher die Uieachg,' desto mehr. bringt sie.
hwyoi;. Die universelle Ursache muss somit alles Seiende ver- ^
■wirklichen. .Die Creatyr b&siht nun drei rea(e Öinge: das Ver- ■
mögen oder die Potenz, die Potenz mit einer Vollkommenheit,
oder die Potenz in actu, endlich die ThätigkeJt selber. Die Potenz
fBr «ich bildet das entfernte, . die Potenz in actu das nächste re-a I e '
Princip, aus'welcbem die Tbätigkeit als dritte Realität iinfeblbar
hervorgebt. Auf welche Weise wii;kl nun Gott diese drei Realitäten ? ,
Mittelst des simultanen Coneurses? Diese Annahme eVweist
sich als unhaltbar. Jede Realität, jedes Seiende ist'EfJ'ect
Oottes und er bildet dessen Ursache. Die Ursache aber muss
früher sein als die Wirkung. Es genügt auch nicht,'da88. Gott ;
der Creatur die'Pot«nz thätig zu sein mittheile, denn dieser
Potenz entspricht hiofi die mögliche, ' nicht die wirkliche
Tbätigkeit. Wirkt Gqtt mit der Creatur die 'Tbätigkeit, so
J3*
— 196 — *
#
entspricht diese letztere dem Wirken Gottes als etwas 'aus dem
aet.iven Principe der Creatur bereits Hervorgegangenes,
' nicht aber als etwas unfehlbar Heraüstre.tendes. Das
active Princip, die Potenz in actu ist ebenfalls etwas Keales^
. weil sie eine reale Wirkung hervorbringt. Dieses Princip muss
folglich Gott zu seiner Ursache haben, andernfalls wirkt Gott
nicht alles Keale in der Creatur. Mit Bezug auf dieses active
Princip ist der simultane Concurs ein Ding der Unmöglich-,
keit, denn die Creatur' kann erst dann mitwirken, wenn sie
selbst atJtfves Princip, Potenz in actu ist.
Wit haben somit einen dreifachen realen terminm der prae-
motio physica: die Potenz, die Potenz in actu und die Thätigkeit.
In Beti*eff der zwei ersten gibt es keine Mitwirkung von Seiten
der G<»schöpfe, hinsichtlich des dritten sind 'sie 9iitthätig. Die
Thätigkeit Gottes jedoch geht jedesmal voraus, denn sie i^t
die universelle Ursache alles Realen in jden «Geschöpfen.
Drittes Principv Gott wirkt stets als erstes Agens* uud
erste Ursache. , .
^Gott ist durch seine Wesenheit Ursache, ohnd eihe
andere vorauszusetzen. Er ist Princip ohne Princip, gleichwie er
Endziel ohne Endziel ist. Eine Ursache mit solchen Eigen-
schaften muss unbedingt früher sein als jene,, welche noch eine
andere voraussetzt. Gott bildet somit nicht bloß das erste Seiende,
sondern »auch die erste Ursache. IJnd weil ihm dies wesent-
lich zukommt, wahrt er es^ bei all seiner Thätigkeit. Aus diesem
•* Princip folgt abeimals die Nothwendigkeit der praemotio pkysiea.
Nach dem allgemein anerkannten Grundsätze ist das primutn
. in uno guoque genere ratio et causa caeterorum. Ganz vorzüglich
gilt dies bei den wirksamen Ursachen, in causis ^ficientibus. Wenn
also Gott als wii*ksame Ursache die erste*. ist, so müssen alle
andern' durch ihn Ursachen sein, ' und folgerichtig von ihm,
insofern sieUrsachen sind, abhängen. Diese Abhängigkeit
* darf sich nicht ausschließlich auf.dje Wirkung efstreä^n,
welche, von den andern Ursachen erzielt wird, sondern auf sie
selbst als Ursach'en. Der simultane Concurs hat nicht die
.. Cre^turen als Ursachen zu seinem terminus, sondern die
Thätigkeit dieser Ursachen. Nun wissen wir aber, dass diese
Thätigkeit eine Wirkung, nicht unmittelbar selbst eine Ur-
* s'achß ist. Bei den transeunten Thätigkeiten kann man allerdings
sagen, dass sie selber Ursachen eines EfTectes seien,, bei den im-
manenten indessen, den actus eliciti, wäre diese Aussage unrichtig.
. Der. simultane Concurs lässt folglich die Creaturen als Ur-
'• Sachen völlig unberührt. Aus der Lehre des P. Molina geht dies
zweifellos hervor; dena ihr gemäß wirkt /Gott nicht auf das
Feuer, sondern auf die Wärme im Wasser, die vom Feuer and
Gott zugleich hervorgebracht wird. Die Creatur ist somit Ursache
— ,197 —
ohne Einfluss Gottes, ist frilber, als Gott mit ihr den Effect t
wirkt. In genere cmsarum efficientmm darf man dämm nach dieser '
Lehre tiott nicht als erste Ursache bezeichnen, denn die sub-
alterne hängt als actuelle Ursache nicht Ton Gott ab. Einer i
Doctria, die zu solchen Folgerungen hinleitet, darf sieber nicht
das Wort geredet werden. Die Lehre des heil. Thomas : tiott sei |
die Ursache, dass die Creaturen existieren, und auch die
Ursache, dass sie Ursachen jiind, beruht demnach auf voller
Wahrheit In dieser Lehre ist aber gerade die praemotio physka
eiogeschlosBen. Die active Potenz oder die Potenz in actu wird
durch Gottes voraasgebende Thätigkeit Princip und Ur-
sache ihrer eigenen Thätigkeit.
Wir haben die praemotio physica hiemit iu einigen Umrissen
gezeichnet nnd mit einigen Argumenten zu stutzen gesucht. Mau
kÖDnte deben noch viele anfdhren, wir glauben jedoch, davon
Abstand nehmen zn dUrfen. Mancbeo genUgen zwau/.ig uud mehr
beweise auch nicht.
§ 13. Die physische Torherbewegung und die Freiheit des
Willens.
87. Die Notb wendigkeit der praemotio physica im Sinne des
beil. Thomas für die Creaturen, und zwar fttr alle ebne Ausnahme,
bat sich uns vorzUglicb daraus ergeben, dass das i'rincip der
Thätigkeit dieser Creaturen init der Wesenheit sachlich, real nicht
identisch ist. Aus diesem Grunde sind sie nicht sclion von seibat
in Thätigkeit, obgleich sie existieren, sie besitzen eine Thätigkeit
nur der Möglichkeit nach, keineswegs aber iu der Wirk-
lichkeit, inactu. Darum unlersclieidet sich in den Creaturen das
ISein oder Dasein real vom Thätigsetn. Sein und Ursache, Princip
einer Thätigkeit sein, bedeuten zwei ganz verschiedene VoUkom-
menheiten. Die Creatur ist folglich ans und durch sich, oder
dadurch, das Gott ihr das Dasein gegeben hat, nicht in Thätig-
keit, sie kann es bloß sein. Sie hat die Kraft, das Vermögen,
die Potenz dazu. In diesem Znstande aber darf man sie nicht
Princip der Thätigkeit nennen, denn das Princip der Thätigkeit
ist etwas Vollkommenes, etwas in der Wirklichkeit, in actu, nicht
in der Möglichkeit, in potmtia Existierendes.-
Die Creatur bedarf folglich einer nenen Vollkommenheit,
nm in die wirkliche Thätigkeit überzugehen, um ihr tie\o, ihre
Abnlichkeit nnd Gute einem andern, der Thätigkeit, die der
Effect, die von ihr bervorgebrachte Wirkung ist, mitzutbeiien.
Diese Vollkommenheit, diesen Act, wodurch das Geschöpf,
Princip, Ursache seiner Thätigkeit wird, kann es unmöglich
schon in sich haben, oder auch sich selber geben. Im erstem
Falle wäre es ununterbrochen tbätig, diese Thätigkeit wäre mit
— 198- —
der Wesenheit saeblich iderftifich oder wetiigstens ein. accidens
proprium derselben, was aber mit ' der Dauer dieser Thätigkeit^
der Unterbrechung u. s. w. nicht im Einklänge steht. Es müsste
mit dem Aufhören der Thätigkeit .zugleicli seine Existenz, sein
Dasein verlieren. Denn gehört die Thätigkeit zum Wesen des
. Geschöpfes, so kann es ohne dieiselbe ebensowenig existieren, wie
ohne die constitativen Principien des Wesens. Dies gilt selbst
dann, wenn die Thätigkeit nur ein accidens proprium ist. Man
kann sich zwar, wie der englische Meister, bemerkt; eine Wesen-
beit ohne accidens proprium denken, im Gedanken davon ab-
strahieren^ allein man kann sijch nicht denken, dass eine solche
ohne accidens proprium existiere. Die Thätigkeit -ist folglich
ein. accidens per accidens. Dann inuss aber auch das unmittel-
bare, nächste Princip derselben ein accidens, kanii es nicht*
die Wesenheit selber sein.
Dieses unmittelbare Princip, ' durch welches die Thätigkeit zu-
stande kommt, nennen wir Vermögen, Potenz. Diese Potenz ist
-zweifach: entweder passive oder active. «Passiv heißt sie dann,
wenn sie etwas empfängt, aufnimmt.' Dadurch wird sie verändert,
Vervollkommnet und wir sagen, dass sie dadurch leide. Leiden
wird hier ina. weitesten Sinne genommen, und .bezeichnet jedwede
Veränderung. Die active Potenz empfängt nichts, nimmt nichts
. auf, sondern sie gibt etwas, theilt etwas andern mit. Sie verleiht
einem andern ihr Sein, ihre Ähnlichkeit und Güte, allerdings nicht
numerisch dasselbe Sein, dieselbe Güte, sondern specifisch oder
wenigstens analog. Daraus folgt, dass die passive Potenz sich
real, sachlich, von der activen unterscheidet, denn empfangen
und mittheilen sind real unterschiedene Thätigkeiten. Obgleich
daher die Bewegung oder Veränderung die gemeinsame Thätig-
keit, der gemeinsame Act des Bewegers und Bewegten ist, so
ist doch die Thätigkeit, durch welche eine Veränderung oder Be-
wegung verursacht wird, verschieden von jener, welche eine
Veränderung oder Bewegung aufnimmt. Darum haben wir
zwei Kategorien, Prädicamente : thun und leiden (2. contr. Gent,
c. 57.).
Das Thätigkeits vermögen, die Potenz der Geschöpfe kann
somit nicht aus und durch* sich selber active Potenz
werden, indem sie von Natur aus passive ist. Der activen
folgt unmittelbar die Thätigkeit, weil sie das Princip, die
Ursache dieser Thätigkeit bildet. In Wirklichkeit aber sehen
wir, dass die Greaturen manchmal ohne Thätigkeit sind. Woher
kommt dies? Offenbalr daher, dass ihnen etwas fehlt, dass sie
dasjenige selbst nicht besitzen, was sie andern mittheilen sollten.
Es fehlt ihnen die active Potenz, jener Act, jene Vollkommen-
heit, wodurch ihr Thätigkeitsver mögen wirklich ist (in actu),
in ordine operativo existiert. Das Thätigkeits princip bildet darum
•_ 199 — .
ein ZnsamineDgesetzteB &ns dem Tbätigkeits verpCgen nnd J e d e r
VollkommeDheit, die es durch die praemotio phtfaica erbält.
Dadurch nnterecbäidea sieh die Creattirei\ roD Gott.- In Gott ist
das Thätigkeitsprincip einfach, weil auch sein Wesen und
Dasein einfach ist. Real oder Haeblich ist in Gott daa Wesen
mit dem Daaein nnd dem Thätippin efn nnd dasselbe. In den
Creatoren finden wir Überall Znsammensetznng.
Die Gegner des heil. Thomas bestreiten dea vorberge ben--
den Einflnss Gottes anf die Geschöpfe Überhaupt; ganz besonders
aber, so behauptet man, dürfe die praemfltio pki/sica nicht ange-
nommeo werden mit Bezog anf die yernUnftigen Cresturen, weil
sie mit der Wahlfreiheit im Widerspruche stehe, dieselbe völlig -
zeiBtöre, mnmfiglieh mache. O'is praemoHo ließe man sich eventuell
noch gefallen, aber die praedeferminatio in keiner Weise.
88. Demgegenüber stellen wir folgenden Lehrsatz anf:
Diipraemotio nnd praedeterminatio pht/sica sind durchaus notb-
wendig, damit die Freiheit formell als solche gewahrt werde nnd bleibe
Was die Wahlfreiheit im formellen Sinne ist, wurde
froher weitläufig dargelegt. Es mnss darunter die Herrschaft
der Geschöpfe, über ihre eigene Tbätigkeit reistauden
werden. Zwei Dinge werden erfordert, damit der Wille frei sei.
Das eine muss dje Potenz, oder das ThätigkeitsvermSgen be-
schaffen) daa ?weite die l'otenz in actu^ oder das Thätigkeits-
princip. Von gelten der Potenz wird verlangt. und genügt,
ilass sie die Fähigkeit besitzt, sich zu verBchiedenen oder auch
entgegengesetzten. Dingen neigen zu kßn'nen, z. B. dieses oder
jenes lieben, lieben oder nicht lieben, d. h. keinen Ljebesact aus-
üben zn können. Von selten des Thätigkeitsprincipes ist das
eine nothwendig, nämlicb, dass es diesen oder jenen der ge-
nannten Acte ausübe und nicht einen andern, indem es zwei .
Acte zugleich unmöglich vüllziehen kann. Diese Entwicklung der
Tbätigkeit muss abet- derart stattfinden, dass damit und dadurch
die' Potenz, die Fähigkeit für den andern, oder auch den
entgegengeaetzteu Act, nicht ausgeschlossen w6rde. Die Möglichkeit,
das Können hinsichtlich beider muas intact bleiben. Eine Tbätig-
keit kann daher in einem zweifachen Sinne frei genannt werden.
Einmal deshalb, weil sie aus dem letzten Entschlüsse der Ver-
nunft, der sogenannten Sentenz und der Wahl von seilen des
Willens hervorgeht j zweitens, weil sie von einer Potenz stammt,
die ihrer Natur nach weder mehr für daa eine als für das andere
Urtbeil im einzelnen bestimmt ist. Im erstem Falle ist die Tbätig-
keit eigentlich und formell frei, im letztem nicht eigent-
lich nnd formell, sondern der Ursache nach und radical.
Denn vermöge dieser letztem Bedingung hat der Wille uur das
eine, dass er nicht zu einem einzigen bestimmt ist, sondeirn dieses
oder jen^ Mittel answähleu kann.
• . _ 200 — •
So. oft demnach der Wille frei bandelt, mnss ein doppeltes
Urtheil der Vernunft entweder formell oder virtuell diese Thätig-
keit bestimmen. Das eine Urtheil stellt ganz indifferent mehrere
Guter vor, unter welchen eine Auswahl platzgreifen, bezüglich
welcher eine freie Thätigkeit stattfinden kann. Jedes dieser Gttter
muss soweit begehrenswert sein, dass der Wille nach demselben
streben könne. Keines jedoch darf allseitig ein Gut sein, damit
der Wille dasselbe auch zu verschmähen die Möglichkeit besitze.
Das zweite Urtheil dagegen sagt, welches dieser Güter bestimmt
imd flir diesen Fall, hie et nunc, in wirksamer Weise anzu-
streben sei. Das erste Urtheil ist der Grund der radicalen
Freiheit, indem es dem Willen die Potenz^ die Fähigkeit belässt,
dieses oder jenes begehren zu können. Das zweite «hingegen
constituiert ihn in der actuellen Ausübung des freien Actes,
weil der Wille in fall! bei auf dieses Urtheil hin, dieses Gut
anstatt der andern auswählt. Zu der radicalen oder causalen
Freiheit gehöit also nur die Fähigkeit, etwas begehren oder
nicht begehren zu können. Diese Fähigkeit oder Potenz bleibt
selbst dann noch zurecht bestehen, wenn der Wille sich ftir das
eine oder das andere bestimmt hat. Allerdings hat er dieses Gnt
vor den andern gewählt, und ist diesbezüglich aus der Potenz,
dem Wählen können herausgetreten. Allein seine ganze Fähig-
keit wurde dadurch nicht bestimmt/ nicht in die Wirklichkeit
übergeführt. Ks ist bloB eine Seite derselben in cLctu constituiert
worden. Nach dieser Seite hin muss der Wille eigentlich and
formell frei genannt werden, während «er nach der andern unter
der formellen Freiheit radical und causal frei bleibt
Wir haben früher aus dem heil. Thomas nachgewiesen, dass
die vernünftigen Geschöpfe in dreifacher Beziehung frei sind:
hinsichtlich der Thätigkeit, des Gegenstandes und der Hinordnuog
der Mittel zum Endziele. Wo alle diese drei im voraus be-
stimmt sind, da kann von der Freiheit nicht mehr die Rede
sein. Bleibt das Geschöpf mit Bezug auf eines derselben indifferent,
nicht bestimmt, so nross man es frei nennen. Hauptsächlich aber
und in erster Linie frei ist jene Greatur, die über ihre Thätig-
keit die Herrschaft besitzt. Der dominum suorum aduutn wird vom
englischen Meister so oft und so nachdrücklich als das Muster-
bild der eigentlichen Freiheit uns vorgestellt Diesen dotninus
wollen wir nun von der praemotio physica beeinflusst werden
lassen, um zu sehen, ob er nicht dabei sein ganzes dominium
einbüßt
89. Die Freiheit im formellen Sinne ist dann vorhanden,
wenn das Geschöpf Herr seiner Thätigkeiten ist Durch die prae-
motio physica aber wird das Geschöpf erst formell Herr seiner
Thätigkeiten. Folglich schadet die praemotio physica der Freiheit
nicht bloß nicht, sondern sie bewirkt dieselbe geradezu.
Solange eiu GescLßpf untbStig, in der Mßgliclikeit oder
Potenz zu der Thätigkeit, ein Agens in potetUia kt, kann man
offenbat nicht behaupten, es besitze formell die Herrschaft Über
seine Thätigkeit- Über das, was Jemand nicht besitzt, kann er
unmöglich Herr sein, er wäre König ohne. Land nad Untertbaneu.
Der Wille beißt facultas, weil dieses Wort allgemein eine Macht
(■potestas) bedeutet, durch welche einem etwas ad nutum zur Ver-
filgung steht. Der Wille aber hat seine Thätigkeit in freier Macht
(2. dist. 24. q. I. a. 1. ad 2.). Unter Macht verstehen wir eine
active Potenz mit einem gewissen Vorzüge (4. dist. 24. q. 1. a. 1.
qa. 2. ad 3.). Nun wissen wir, dass der Wille ans und durch
sich selber diese Macht nicht besitzt, da er sich nur in der
Mßglichkeit befindet, thätig zu sein. Er ist passiv indiffe-
rent, und in diesem Zustande verfElgt er nicht nach Belieben
über seine Thätigkeit. Es fehlt ihm daher formell da» dominium
sui actus. Die Freiheit kann folglich nicht eigentlich und for-
mell in dieser passiven Indifferenz, im Zustande der Unthätig-.
keit liegen. Der Wille in der Potenz ist darum auch nicht
eigentlich und formell frei. Das Thfttigsein- oder Untliätig^
eeinkOanen begründet somit nicht die Freiheit eigentlich
nnd farmell.
Dies zeigt sieh noch um so klarer, wenn wir nach der Frei-
heit in Gott fragen. Gott ist immer thätig, stets in aclu und deu-
.Doch im höchsten Grade am allervollkommensten frei (de veritate
q. 24. a. 3,X Aber auch die Freiheit der Geschöpfe kann unmög-
lich in dieser passiven Indifferenz, im-Thätigseinkönnen bestehen.
Wäre die Unthätigkelt der Freiheit wesentlich, so gebe es
llberhaapt kein unfreies Geschöpf. Es wurde hinreichend darge-
tban, dass keine Greatur ans und durch sich selber allein eine
Thätigkeit auszuüben vermag. Als Grund dattir wurde angeführt,
weil jede Greatur an und für sich zwar ein Tbätigkeitsveimli-
gen, aber nicht ein Thätigkeitsprincip besitzt. Oonsdtuierf dieses
Thätigkeitsvermögen, die Potenz thätig zu sein, in den Ge-
schöpfen die Freiheit, so sind alle ohne Ausnahme frei. Die U n-
thätigkeit ist ihnen nicht weniger eigen, als den vernliuftigen
Wesen, nnd die Mögliclikeit, die Potenz thätig zu seiu,
besitzen sie ebenfalls alle mit AuBsehlnss des Stoffes.
Daraus ergibt sich mit Evidenz, dass die Freiheit eigent-
lich und formell erst dann vorhanden, wenn der Wille m acto
sich befindet, actives Princip, Ursache seiner Thätigkeit ist,.
Als actives Princip, als Ursache hat er das dotniniitm über
Beine Thätigkeit, weil diese als Effect iu der Ursache enthalten
ist. Aus dieser Ursache fließt die Thätigkeit heraus, wie S. Thomas
zutreffend bemerkt. Daram muss das Agens früher in actu sein,
denn solange es bloß in der Potenz ist, enthält es keine
Wirkung, keinen Effect. Es ist folglich nicht dominus suoriim
--- 202 — .
. actüum. Um formell Herr über seiqe Thätigkeit zu sein, genügt
nicht, dass*man dieselbe der* Möglichkeit nach besitze, nnd dies
selbst dann nicht, wenn diese Mögli6hkeit durch eine neve Voll-
kommenheit derselben Art oder Qualität, den sogenannten Habitus
verstärkt wird. Der englische Meister erklärt ausdrücklich, eine
körperliche oder geistige Natur,' möge sie noch- so vollkom-
men sein, könne nicht in den Act übergeheja, wenn sie nicht
' von 6ot*t bewegt wird (1. 2. .q. 109. a, 1.). Selbstverständ-
lich ist sie dann auch nicbt im Besitze der Herrschaft über diesen
Act, folglich nicht eigentlich tind f o r m e 1 1 frei. Die Potenz
• in acta ist frei, indem sie ihre Thätigkeit in der Weise volbrieht,
dass sie die Möglichkeit fUr das Gegentheil beibehält. Die Potenz
in actUy oder richtiger,' dasjenige, wodurch die Potenz in <idu
constituiert wird, constituiert zugleich auch in den vernünftigen Ge-
schöpfen formell und ini eigentlichen Sinne die Freiheit derselben.
Der passive Zustand ist, wie gesagt, nicht einmal ausschlieS-
.lieh der freien Creatur eigen, sondern dem Geschöpfe über-
haupt. Er k$inn somit nicht die Freiheit formell constituieren.
* • ^0. Kehmen wir einmal an, die Freiheit bestehe in der passiYen
Indifferenz^ sie bestehe darin, da*ss der Wille «thätig sein oder
* nicht thätig sein kann, also in der Potenz thätig zi^ sein.
Was würde folgen, abgesehen von der pnwnotio physica, wenn
der Wille durch sich selber. aus dieser Indifferenz heraustritt
und eine Thätigkeit ausübt? Nothwendigerweise. müsste dann der,
Wille seine eigene Freiheit aufheben. Der actuell tbätige Wille
ist ja sachlich voip Willen unterschieden, der bloß in der Mög-
lichkeit, in der Potenz zudieser seiner Thätigkeit sich be-
findet. Gehört letztere, die Möglichkeit, diePotenzwesentlicfa,
.'formell zur Freiheit,, so wird diede durch ihren eigenen Act;
ihre eigene Thätigkeit zerstört. Wir. haben das* Unmögliche
angenommen, nämlich, dass die Creatur, die in der Potenz
.thätig zu sein ist, sich selber diese Thätigkeit verleihe, sich selber
in »den Act übertühr'e.
Was geschiebt nun durch die' prccemotio physica? Sie bewirkt,
dass die Creatur, welche radical und causal, d.h. der Mög-
lichkeit nach frei war, es jetzt eigentlich und formell
wird. Sie fuhrt das Thätigkeitsvermögen aus dem Zustande der
Potenz in jenen des Actes über. Sie bewirkt, dass aus dem mög-
lichen Princip ein wirkliches, aus der NichtUrsache eine
.Ursache wird. Wenn nun, wie nachgewiesen wurde, -die active
Potenz, die Ursache der Thätigkeit, eigentlich und formell
die Freihet bildet, wie kann dann die praemotio physica, welche
bewirkt, dass die Creatur frei sei, eben dieser Freiheit schaden ?
Folgt daraus nicht vielmehr, dass sie idie Freiheit eigentlich erst
verursache?
In der Tbat ! Die Creatur ist ohne praemotio physica im pias-
• — 208. .— • • •
* •
• sive^ Zustande, indiffereiit für das Th£(tigsein* und Nichtthätigsein,
denn sie ist an und fttr sicli ein Agens in potenüa. In diesem
Znstande kann sie. unmöglich in eine Thätigkeit übergehen, wenn
sie nicht durch ein anderes zu einem determiniert oder bestimmt
wird. Das Indifferente ist ein Seiendes 4n der Potei>z, die Potenz
aber bildet kein Thätigkeitsprincip (physicör. 2. 8. 3. ednovipag. 79,).
Das Thätigkeitsprincip i^t immer eine Form oder ein Act. Darum
existiert die Ähnlichkeit der Wirkung schon vorher im Agens,
und durch diese Ähnlichkeit wird. dann die Thätigkeit zu diesem
Effecte bestimmt (3. contr. Gent. c. .2;). Da nun jede geschöpf liehe
Thätigkeit mittelst Bewegung sich vollzieht, so muss dasjenige,
welches bewegt, in adu sein. Solange. es in der Potenz jsich
.befindet, kann es nur bewegt werden-, nicht aber selbst be-
wegen. Pie passive Potenz,. das Agens in potentia vermag
darum überhaupt keinen- ActI auszuüben, Weder einen nothwen-
digen, noch einen freien. Man kanh folglich von einer Freiheit
gar nicht sprechen. Die Thätigkeit is*t etwas ganz Bestimmtes.
• Aus einem unbestimmten Princip aber geht niemals ein be- '
stimmter Act hervor. Was in der Potenz' ist, muss durch ein •
adu Seiendes in den Act Übergeführt werden, und das heißt man
l)ewegen (I.*2. q. 9. a. 1.). • • . r
»Ferüer wurde früher gezeigt, dass'in den Geschöpfen .nichts
reiner Act, actus purus ist. Das Thätigkeitsvermögen, auch das
freie, muss darum ein Zusammengesetztes ausmachen^ wenn es
Thätigkeitsprincip sein soll. Überdies' bemerkt *der englische
Lehrer an unzähligen Orten, jede Creatur sei ein movens motum,
weil jede, ihrem Sein und ihrer Thätigkeit nach, etwas Contin-
gentes, Gotf allein in jeder Beziehung etwas Nothwendiges sei. Die
contingente Ursache muss von einem Äußern zu einer. Wirkung,
einem Effecte bestimmt werden, die nothwendige, . der göttliche
Wille, bestimint sich selber zu den gewollten Dingen, zu denen ,*
er jedoch nicht in einer noth wendigen Beziehung steht ( 1 . p. q. 19.
a. 3. ad 5.). In Gott ist darum nur die active Indifferenz, nicht
die passive. Betrachten . wir demnach die Freiheit an und für
sich, d. h. absehend vom Wesen, in welchem sie ist, so gehört
ihr allerdings nur wesentlich zn,.das8 sie eine Facultas oder
Potestas, eine active Kraft bilde, activ indifferent sei und sich
selber bewegen könpe. Auf diese, Art, • in dieser Vollendung be-
sitzt Gott die Freiheit. Er hat sie ihrem ganzen Wesen nach.
Die Creaturen dagegen besitzen die Freiheit nur durch" Anthei 1-
nahme. Sie haben folglich nicht das ganze Wesen derselben,
dieses ist vielmehr beschränkt, mit Potentialität gemischt.
So oft daher die Geschöpfe von der Thätigkeit ablassen, unthätig
sind, besitzen sie nur den stofflichen Theil der Freiheit, die
Potentialität. Durch die praemotio physica erhalten sie auch den .
formellen, indem diese Potentialität durch die . genannte Be-
— . 204 —
wegung per modum 'transewntis veiTollkommnöt wird. Die Potenz
mit dieser Bewegung bildet das Agens in actu und dieses ist
eigentlich nnd formeil frei. In diesem Zustande ist das ver-
nünftige Geschöpf Ursache freier Thätigkeiten.
Daraus folgt aber dann^ dass Gott den Geschöpfen die for-
melle Freiheit ebenso gewiss mittheilen muss, wie er ihnen die
stoffliche, nämlich das Freiheits vermögen, die Potenz verliehen
hat. Was frei ist durch Antheilnahme, muss zurückgeflUirt
werden auf das Freie durch seine Wesenheit. Dieses letztere
bildet die Ursache für das erstere. Das fol'mell Freie ist so-
mit Effect Gottes. Ohne praemotio physica wäre demnach das
vernünftige Geschöpf zwar radical, niemals aber formell freL
Die Creatur hätte zwar ein freies Thätigkeits v e r m ö g.e n, aber
kein freies Thätigkeitsprincip, denn nur die actiye Potenz,
nicht die passive, ist Thätigkeitsprincip. Klar und bestimmt wie
immer hat der" englische Lehrer in wenigen Worten diese Wahr*
heit vorgetragen. Wenn def Wille von neuem zu wählen beginnt,
so wird er von seiner frühem Disposition insofern umgeändert,
als er früher in der Potenz wählend war, jetzt aber oo^u, in
der Wirklichkeit wählt. Diese Veränderung stanmit von einem
Beweger her, denn der Wille bewegt sich selber zur Thätigkeit
(ad a^fmrfwm^,- er wird aber auch von Gott bewegt. Die Dispo-
sition des ersten Bewegers bleibt in den von ihm Bewegten
zurück, insofern sie von ihm bewegt werden. Auf diese Weise
nehmen * sie die Ähnlichkeit des ersten Bewegers auf (de malo
q.6. ad 17. und ad 11.). Wie jedermann ersieht, spricht S. Thomas
hier von der Umänderung der Geschöpfe bei dem Obergange
aus der Potenz in den Act. Bei dieser Umänderung erhalten sie
etwas vom ersten Beweger, nämlich dessen Ähnlichkeit. Gott ist
reiner Act, lautere Wirklichkeit, seine Thätigkeit ist real identisch
mit der activen Potenz und mit seiner Wesenheit. Hierin sind
ihm die Creaturen ganz und gar unähnlich, denn ihre Thätigkeit
ist real unterschieden von der activen Potenz, und diese wieder-
um vom Thätigkeits vermögen. An und für sich besitzen sie nnr
eine passive Potenz. Durch die praemotio physica werden sie
Gott ähnlich, denn ihre passive Potenz wird actu und sie selbst
dadurch ein Agens in aotu, wie es Gott ist. Als Agens in actu
können sie dann filiere in passum, dieses „esse in actu" einem
andern, ihrer Thätigkeit mittheilen. Sie sind folglich Gott ähnlich,
obgleich nicht vollkommen, totaliter, wie der englische Lehrer
an der genannten Stelle bemerkt.
' 91 . Von einer Schädigung der Freiheit durch die praemotio phy-
sica kann somit keine Bede sein. Dieser Vorwurf beruht lediglich aof
völliger Unkenntnis des eigentlichen Wesens der Freiheit. Wäre
das Wesen der Freiheit im Unthätigsein gelegen, dann würde
die praemotio physica die Freiheit zerstören. Allein in diesem
_- 205 —
Falle mOsste sie auf ganz gleiche Weise dnrch den simultanen
ConcurB, ja selbst durch die natürliche Kraft des Geaeböpfes
anrgehoben werden. Diesen Fehler begeben alle jene, die, ohne
den Dotbweiidigeti Unterschied^ zu machen, das Wesen der Frei-
heit in das Nichtdeterminiertsein verlegen. Die Freiheit
kann unmöglicb in dem passiven Nichtdeterraiaiertsein bestehen,
denn dieses bildet eine große ünvollkommenheit flir die
Gescliöpfe. In diesem Zustande kann das GesehOpt' nie Ursache
irgendwelcher Thätigkett sein, denn tlrsache ist nach S. Thomas
dasjenige „ad qüod sequitur esse oUerius seu causati", oder „prin-
cipium influens in esse alferius, qtiod est ex ipso" (pbyaicoi'. 2. 10. 15.
edit. Dov., pag. 86.). Der- ei^Iiscbe Meister hat ausdrilciilieb eine
zweifache Indifferenz untersohieden. Eiae Kraft' Itaiiij in' zwei-
facher Weise indifferent sein fad utrumUbetJ: entweder in sieh
-selbst, oder hinsichtlich dessen, worauf sie sich bezieht. In Betreff
ihrer selbst ist diese.Kraft indifferent, wenn sie noch nicht ihre
Vollkommenheit, wodurch sie zu einem bestimmt wird, er-
langt bat. Diese Indifferenz hat zu ihrer Ursachij die Unroll-
kommenb6it ihrer Kraft, und diese Indifferenz gibt Zeugnis
von der iPotentialität in der Kraft selbst. In ihrer Be-
ziehung zu einem andern ist eine Eraft indifferent, wenn die roll-
kommene Thätigkeit dieser Kraft weder vom einen, noch voip
andern abhängt, wie z. B. in einem Künstler, der zu einem und
demselbeu Werke gleicbmäliig verschiedene Instrumente verwen-
den kann. In diesem letztem -Falle besitzt das Agens eine voll-
kommene Kraft, die den einen wie den anderu Effect übertrifft
uud deshalb beiden gegenüber unbestimmt, indifferent sich ver-
hält. Die Kraft, resp. Indifferenz in dieser let«teru Bedeutung
findet sieh im göttlichen Willen. Damm ist in seinem Willen
keuie Potentialität nnd keine Veränderlichkeit (1. eontr.
Gent. o. 82.). Er ist nicht in der Weise indifferent, dass er zuerst
etwas bloß der Möglichkeit nach (potentia), und dann in der
Wirklichkeit (aäul will, sondern er will stets alles actu (1. c.).
Nichted es [0 weniger besitzt er die vollendetste Freiheit, ist diese
ihm sogar wesentlieli eigen, während die Creatur nur Antheil
an derselben hat.
■ Dadurch ist wohl 'am besten der Vorwurf widerlegt, die
prasmotio physica zerstöre alle Freiheit, denn das Agens in potentia
ist nach der Lehre des englischen Meisters etwas Unvollkom-
menes, es hftsitzt eine unvoll krommene £r^ft thätig zii sein,
"^til dieselbe für sich allein genommen Potentialität ist. Die
wahre Freiheit hingegen ist etwas V o 1 1 k o tn m e n »'S, ist A c t u a-
l.it&t, nicht Potentialität.^. •
Möge mau also nicht immer nur Freiheitl Freiheit! ruffen,"
sondern etadlich einmal auch die Vernunft zum Wortfe kommen
lassfJh. und sich über das eigen*tliche Wesen der Freiheit
. . . . _ 208 - . - *
grttndlicli' orientieren. Die praemotio physica rettet die Freiheit,
anstatt sie. zu schädigen. ^ . '
92. Aus dem Dargelegten ist die Antivort auf den Vorwurf,
dass die Thomisten nicht 'bloß eifie physische Vorherbewegung,
sondern i^uch eine solche Vorherdete^minierung» lehren, auch
schon .gegeben.! Diesei letztere nun, so behauptet man, sei ganz
und gar" unverträglich mit der Freiheit.
Die Vorher d e t e r mi n i e r ü n g lehren nicht allein die Thomisten,
die yertheidigt auch ihr Meister, der heil. Thomas. Der engtische
Lehrer fragt einmal, ob alles dem Faktum unterworfen sei ? Diese
Frage hat, insofern Berechtigung, weil in früherer Zeit gezweifelt
wu\de. ob alle» das, was auf verän4erlu5he Weise und ohne be-
stimmte Otdnüog geschieht, auf eine* ordnende .Ursache zurüdk-
geführt werden müsse. Nachdem S. Thomas diesbezüglich mehrere
Ansichten aufgezählt und als unrichtig ^(urückge wiesen,, bemerkt,
er: „Einige Gelehrten führen alles auf di^ göttliche Vorsehmig
als auf die Ursache zurück, von welcher alles vorherb^timmt
(praedeterminata) und geordnet ist. Dieser Lehre gßmäß ist das
Fatum, der Zufall, ein Eflfect der Providenz, denn dfe Providenz
ist nichts anderes, als die Idee (ratio) der Ordnung der Dinge
im Verstände Gottes. Das Fatum hingegen ist die Entfaltang,
Ausführung jener Ordnung in den Dingen. Darum sagt BoSthios,
das Fatum sei die den beweglichen Dingen inhärierende unbe-
wegliche Disposition. In diesem Sinne untersteht alles dem
Fatum** (Quodl. 12. a. 4.). In dieser. Stelle wird offenbar von eiil^D
Vorherbestimmung gesprochen, welcher alle Dinge unterworfen
sind. Man darf die Gedanken- und Willensthätigkeit nicht davon
ausnehmen. S. Thomas bestreitet nur, dass alles hier auf Erden
durch den Lauf der Gestirne geordnet werde, weil die Gedanken
und das Wollen nicht der Thätigkeit eines Körpers anterlieg;en
können. Aber gegen die Ansicht, dass alles von der göttlicnen
Vorsehung vorherbestimmt und geordnet werde, hat der DoctQr
Angelicus gar nichts einzuwenden. Der Sinn dieser Stelle ist deiy-
.nach folgender: Durch die göttliche Voraehung ist alles vother«
bestimmt und geordnet. Die. Vorh&rbestimmung und Ordnung
besteht in einer gewissen Disposition und unabänderlichen An-
ordnung in den veränderlichen Dingen/ durch welche sich^die
göttliche Vorsehung offenl)art oder zu erkennen gibt. Was kann
nun diese Anordnung und unabänderliche Disposition in den ge-
. schs^ffanen Dinge^ sein? ; Offeiibar kann es nichts«. anderes , sein
als die praemotio physica, denn diese bildet eine •ufaaßänderlictie*
Disposition iik den veränderlichen Dingen. Darum bemerkt der
heil. Thomas, Gott bewege den Willen«-jinabänderlich (irnfnobi-
'liUrJ wegen der Wirksamkeit der bewegenden Kraft, die niciit
fehlen kaitn. Daraus folge aber nicht, meint der Heilige, 'dass
hier eine Nothwendigkeit^vorUege, denn vermöge der. Katar
des bewegten Willens, der rieieh gegenüber indifferent sich ver-
hält, bleibe die Freibeit zarecht bestehen. -Die göttliebe VorBebnog
is't überhaupt in allen pingen anf infallible Art thatig, dcuuocb
Tcruraachen die centingenten UrBachen ihre Effeete auf cuutin-
gente Weise, weil Gott jedöa Ding gemäjj seiner Art und Weise
bewegt (de malo q. 6. ad 3.), Die göttliche Vorsehong beuimtat
somit den Dingen ihre Gontingenz and Veränderliobkeit nicht,
obgleich sie, nach Bo^thias: „est inhaerens rebus ^mobüibus dis-
posUio, per quam suis quaeque nectü ordinibus". Wer' darum das
Fatqm oder die praemotio ,phi/siqa, dife praedeterminatio leugnet,
der bestreitet Gottes Vorsehung (3. coutr, Gent c. 93.). Denn,
wenn alles durch die göttliche Vorsehung geordnet ist, und diese
Ordnung unabäuderltcb in den Dingen selbst sich Toräadet,
80 müssen die Dinge Ton der göttlichen Vorsehung auch vorUer-
determiniert'sein. Die Vorherdeterminierung ist ja nichts anderes
als eine gewisse unabänderliche Hinorduung der Dinge zu ihrem
Endziele.
. Was. bedeutet in der That determinieren ? Nichts anderes,
als einem Dinge Grenzen setzen, ein Ding einschrünkeu, zu etwas
bestimoien. Die Grenze, der terminus oder das Ziel sind aber ein
Dod dasselbe. Die Determinierung 'geschieht demnach mit Hezag
auf ein Ziel. Das Ziel einer jeden Potenz ist der Act, die Thätig-
keit, mag diese Potenz nun eine passive oder eine active sein.
Das Ziel des Stoffes ist die eigene Form, daher wird er durch
die Form determiniert. Die active Potenz bat ihre Determiuierung
durch das Ziel oder den Zweck, um dessentwillen sie thätig ist.
Dieses Ziel aber wird von der Thätigkeit selber gebildet, denn
sie ist das der Potenz innerliche Ziel, potentia dicitur ad actum.
Ein Ding kann aber in doppelter Weise des Zieles wegen thätig
sein. Manchmal steckt sich das Ageus das Ziel selber, und dies
geschieht jedesmal, so oft ein vernhuftiges Wesen in ThUtigkeit
■ tritt. Manchmal hingegen wird dem Agens das Ziel von der Hanpt-
nrsache vorgestellt. Den Naturdingen wird das Ziel vom Schöpfer
der Natur angewiesen. Gott aber wirkt durch seinen Verstand.
Darum kommt es ihm zu, alles Geschaffene zu einem Ziele hin-
zuordnen. Jeder Werkmeister ordnet alles das, was er will, nach
einem Plane, einer Idee. Diese Idee ist sein Vorbild, die causa
exemplaris für das Werk, welches erstehen soll. Diese Idee im
Verstände Gottes, des gröJiten aller Künstler, wird vom englischen
Mtistir eine V or b e r d e t e r m ini e t u q g^.genannt ^'prae<^iffinüio
operum offendorum). Er' beruft sich dabei auf folgende Worte des
Dionysius, de divin. nomin. cap. 5. Innuit Dionysius: exemplaria
dicimus in Deo existentium rationes substantifkaia^, et singiäarüer
■ praeevislentes, quas Theolagia p-aediffinitiones mcat, et di^inas et
bonos volwttat^s existentium praedeterminativas et effectivas, secundum
juds supersubstantialis essentia omnia praediffinivü et produaÄt
-^ 202 — .
actüum. Um formell Herr über seiqe Thätigkeit zu sein, genügt
nicht, das8*man dieselbe der * Möglichkeit nacb besitze/ nnd dies
selbst dann nicht, wenn diese Möglichkeit durch eine neve Voll-
konmieuheit derselben Art oder Qualität, Öeu sogenannten Habitns
verstärkt wird. Der englische Meister erklärt ausdrücklich, eine
körperliche oder geistige Natur,' möge sie noch* so vollkom-
men sein, könne nicht in den Act übergehen^ wenn sie nicht
von 6ot*t bewegt wird (1. 2. .q. 109. a, 1.). Selbstverständ-
lich ist sie dann auch nicht im Besitze der Herrschaft über diesen
Act, folglich nicht eigentlich und formell frei. Die Potenz
in actu ist frei, indem sie ihre Thätigkeit in der Weise vollzieht^
dass sie die Möglichkeit fUr das Gegentheil beibehält. Die Potenz
in actu, oder richtiger,* dasjenige, wodurch die Potenz in adu
constituiert wird, constituiert zugleich auch in den vernünftigen Ge-
schöpfen formell und ini eigentlichen Sinne die Freiheit derselben.
Der passive Zustand ist, wie gesagt, nicht einmal ausschließ-
.licb der freien Greatur eigen, sondern dem Geschöpfe über-
haupt. Er k$inn somit nicht die Freiheit formell constituieren.
* ^0. Nehmen wir einmal an, die Freiheit bestehe in der passiven
Indifferenz^ sie bestehe darin, da*ss der Wille thätig sein oder
nicht thätig sein kann, also in der Potenz thätig zi^sein.
Was würde folgen, abgesehen von der praemotio phtfsica, wenü
der Wille durch sich selber. aus dieser Indifferenz heraustritt
und eine Thätigkeit ausübt ? Nothwendigerweise. müsste dann der,
Wille seine eigene Freiheit aufheben. Det actuell tbätige Wille
ist ja sachlich voip Willen unterschieden, der bloB in der Mög-
lichkeit, in der Potenz zu dieser seiner Thätigkeit sich be-
findet. Gehört letztere, die Möglichkeit, diePotenzwesentlichy
formell zur Freiheit,, so wird diese durch ihren eigenen Aet;
ihre eigene Thätigkeit zerstört. Wir. haben das* Unmögliche
angenommen, nämlich, dass die Greatur, die in* der Potenz
.thätig zu sein ist, sich selber diese Thätigkeit verleihe, sich selber
in den Act übertühre. • ♦
Was geschiebt nun durch die- praemotio physica? Sie bewirkt,
dass die Greatur, welche radical und causal, d.h. der Mög-
lichkeit nach frei war, es jetzt eigentlich und formell
wird. Sie führt das Thätigkeitsvermögen aus dem Zustande der
Potenz in jenen des Actes über. Sie bewirkt, dass au^ dem mög-
lichen Princip ein wirkliches, aus der NichtUrsache eine
.Ursache wird. Wenn nun, wie nachgewiesen wurde, -die active
Potenz, die Ursache der Thätigkeit, eigentlich und formell
die Freihet bildet, wie kann dann die praemotio physica, welche
bewirkt, dass die Greatur frei sei, eben dieser Freiheit scbädeti ?
Folgt daraus nicht vielmehr, dass sie die Freiheit eigentlich erst
verursache?
In der Tbat! Die Greatur ist ohne praemotio physica im pas-
siven ZoBtande, indifferent i^r das Tb^tigsein' und NiehttbätigseiD,
denn sie ist an and fUr sicH ein Agens in potentka. In diesem
Zustande kann sie unmöglich in eine Thätigkeit Übergehen, wenn
sie niobt durch ein anderes zn einem determiniert oder bestimmt
wird. Das Indifferente ist ein Seiendes -in der Po tenz, die Potenz
aber bildet kein Thätigkeitaprincip (physicör. 2. §. 3. ed dot. pag. 79.).
Das Thätigkeitaprincip igt immer eine f*orm oder ein Act, Darum
existiert die Älmlichkeit der Wirkung schon vorher im Agens,
und durch diese Ähnlichkeit wird dann die Thätigkeit zu diesem
Effecte bestimmt (3. contr. Gent. c. 2.). Da nun jede gescbOpfliche
. Thätigkeit mittelst- Bewegung sich vollzieht, so muss dasjenige,
welches bewegt, in, actu sein. Solange.es in der Potenz sich
.befindet, kann es nur bewegt werden, nicht aber seibat be-
wegen. Die passive Potenz, das Agens in patmtia vermag
dämm überhaupt keinen- Act) auszuUbeo, Weder einen nothwen-
digen, noeh einen freien. Man kanfa folglich von einer Freiheit
gar nicht sprechen. Die Tb^tigkeHt ist etw&s ganz Bestimmt^.
Aus einem unbestimmten Princip aber geht niemals ein be-
stimmter Act hervor. Was in der Potenz' ist, panss durch ein '
a^u Seiendes in den Act Übergeführt werden, und das heißt man
l)ewegen (l-."2. q, 9. a, t,). ■ ■
• Ferber wurde früher gezeigt, dass'in den Geschöpfen nichts
reiner Act, adus purua ist. Das Thätigkeitsvermögen, auch das
freie, tnuss darum ein Zusammengesetztes aiismacheD, wenn es
Thätigkeitaprincip sein soll. Überdies' bemerkt -der englische
Lehrer an unzähligen Orten, jede Creatur sei ein movens motum,
weil jede, ihrem Sein nnd ihrer Thätigkeit nach, etwas Ct)ntiQ-
gentes, Gott allein in jeder Beziehung etwas Nothwendiges sei. Die
contingente Ursache muss von einem Äußern zu einer Wirkung,
einem Effecte bestimmt werden, die nothwendige, der göttliche
Wille, hestimritt sich selber zu den gewollten Dingen, zu denen
erjedoch nichtin einer noth wendigen Beziehung steht (l.p.e[, 19.
a.3. ad 5.). In Gott ist darum nur die aetive Indifferenz, nicht
die passive. Betrachten wir demnach die Freiheit an und für
sich, d, h. absehend vom Wesen, in welchem sie ist, so gehört
ihr allerdings nur wesentlich zu, dass sie eine Facultas oder
Fotestas, eine activeEiaft bilde, aetiv indifferent sei und sieh
selber bewegen könne. Auf diese, Art, in dieaer Vollendung he-
aitzt Gott die Freiheit. Er hat aie ihrem ganzen Wesen nach.
Die Creatoren dagegen besitzen die Freiheit nur durch Antheil-
nahme. Sie haben folglich nicht das ganze Wesen derselben,
dieses ist vielmehr beschränkt, mit Potentialität gemischt.
äo oft daher die Geschöpfe von der Thätigkeit ablassen, untbätig
sind, besitzen sie nur den stofflieben Theil der Freiheit, die
Potentialität. Durch die praemotio physica erbalten sie alich den
formellen, indem diese Potentialität durch die. genannte Be-
— . 204 —
wegang per modum 'transeuntis vervollkommnet wird. Die Potenz
mit dieser Bdwegnng bildet das Agens in actu und dieses ist
eigentlich und formell frei. In diesem Zustande ist das Ter-
nUnftige Geschöpf Ursache freier Thätigkeiten.
Daraus folgt aber dann, dass Gott den Geschöpfen die for-
melle Freiheit ebenso gewiss mittheilen muss, wie er ihnen die
Stoff lichC; nämlich das Freiheits vermöge n, die Potenz verliehen
hat. Was frei ist durch Antheilnahme, muss zurückgeführt
werden auf das Freie durch seine Wesenheit. Dieses letztere
bildet die Ursache für das erstere. Das fofmel.l Freie ist so-
mit Effect Gottes. Ohne praemotio physica wäre demnach das
vernünftige Geschöpf zwar radical, niemals aber formell frei.
Die Greatur hätte zwar ein freies Thätigkeitsvermög.en, aber
kein freies Thätigkeitsprincip, denn nur die actiye Potenz,
nicht die passive, ist Thätigkeitsprincip. Klar und bestimmt wie
immer hat der englische Lehrer in wenigen Worten diese Wahr^
heit vorgetragen. Wenn def Wille von neuem zu wählen beginnt,
so wird er von seiner frühern Disposition insofern umgeändert,
als er früher in der Potenz wählend war, jetzt aber actu^ in
der Wirklichkeit wählt. Diese Veränderung stammt von einem
Beweger her, denn der Wille bewegt sich selber zur Thätigkeit
(ad a^^mrfwm^,- er wird aber auch von Gott bewegt. Die Dispo-
sition des ersten Bewegers bleibt in den von ihm Bewegten
zurück, insofern sie von ihm bewegt werden. Auf diese Weise
nehmen * sie die Ähnlichkeit des ersten Bewegers auf (de malo
q.6. ad 17. und ad 11.). Wie jederinann ersieht, spricht S. Thomas
hier von der Umänderung der Geschöpfe bei dem Obergange
aus der Potenz in den Act. Bei dieser Umänderung erhalten sie
etwas vom ersten Beweger, nämlich dessen Ähnlichkeit. Gott ist
reiner Act, lautere Wirklichkeit, seine Thätigkeit ist real identisch
mit der activen Potenz und mit seiner Wesenheit. Hierin sind
ihm die Greaturen ganz und gar unähnlich, denn ihre Thätigkeit
ist real unterschieden von der activen Potenz, und diese wieder-
um vom Thätigkeits vermögen. An und für sich besitzen sie nnr
eine passive Potenz. Durch die praemotio physica werden sie
Gott ähnlich, denn ihre passive Potenz wird adu und sie selbst
dadurch ein Agens in actu, wie es Gott ist. Als Agens in actu
können sie dann fluere in passum, dieses „esse in actu*' einem
andern, ihrer Thätigkeit mittheilen. Sie sind folglich Gott ähnlich,
obgleich nicht vollkommen, totaliter, wie der englische Lehrer
an der genannten Stelle bemerkt.
9 1 . Von einer Schädigung der Freiheit durch die praemotio phy-
sica kann somit keine Bede sein. Dieser Vorwurf bemht lediglich auf
völliger Unkenntnis des eigentlichen Wesens der Freiheit. Wäre
das Wesen der Freiheit im Unthätigsein gelegen, dann würde
die praemotio physica die Freiheit zerstören. Allein in diesem
— 205 —
« *
Falle mUsste sie auf ganz gleiche Weise durch den simxiltanen
Concurs, ja selbst durch die natürliche Kraft des Geschöpfes
aufgehoben werden. Diesen Fehler begehen alle jene, die, ohne
den nothwendigen Unterschied^ zu machen, das Wesen der Frei-
heit in das Nichtdeterminiertsein verlegen. Die Freiheit
kann unmöglich in dem passiven Nichtdeterminiertsein bestehen,
denn dieses bildet eine groBe Unvollkommenheit für die
Gescliöpfe. In diesem Zustande kann das Geschöpf nie Ursache,
irgendwelcher Thätigkeit sein, denn Ursache ist nach S. Thomas
disisjenige yfOd qüod sequüür esse alterim seu causaW, oder „prin-
cipium influens in esse aUerius, quod ^st ex ipso^^ (phyaicoi'. 2. 10. 15.
edit. nov.. pag. 86.). Der* CAgli^che Meister hat ausdrücklich eine
zweifache Indjfferenz unterschieden. Eine Kraft' kanjgi. in* zwei-
facher Weise indifferent sein fad tdrumlibetj: entweder in* sich
' selbst, oder hinsichtlich dessen, worauf sie sich bezieht. In Betreff
ihrer selbst ist diese. Kraft indifferent, wenn sie noch nicht ihre
Vollkommenheit, wodurch sie zu einem bestimmt wird, er-
langt bat Diese Indifferenz hat zu ihrer Ursache die Unvoll-
kommenheit ihrer Kraft, und diese Indifferenz gibt Zeugnis
von der iPotentialität in der Kraft selbst. In ihrer Be-
ziehung zu einem andern ist eine Kraft indifferent, wenn die voll-
kommene Thätigkeit dieser Kraft weder vom einen, noch voip
andern abhängt, wie z. B. in einem Künstler, der zu einem und
demselben Werke gleichmäßig verschiedene Instrumente verwen-
den kann. In diesem letztern *Falle besitzt das Agens eine voll-
kommene Kraft, die den einen wie den andern Effect übertrifft
und deshalb beiden gegenüber unbestimmt, indifferent sich ver-
hält. Die Kraft, resp. Indifferenz in dieser letztern Bedeutung
findet sich imgöttlichenWillen. Darum ist in seinem Willen
kevpe Potentialität und keine Veränderlichkeit (1. contr.
Gent. c. 82.). Er ist nicht in der Weise indifferent, dass er zuerst
etwas bloB der Möglichkeit nach (potentia), und dann in der
Wirklichkeit (actul will, sondern er will stets alles actu (1. c).
Kichtsdestoweniger besitzt er die vollendetste Freiheit, ist diese,
ihm sogar wesentlich eig'en^ während die Greatur nur Antheii
an derselben hat.
. Dadurch ist wohl 'am besten der Vorwurf widerlegt, die
praemotio physica zerstöre alle Freiheit, denn das Agens in potentia
ist nach der Lehre des englischen Meisters etwas Unvollkom-
inenes, es besitzt eine unvoUkrommene Kr^.ft thätig zu pein,
'^eil dieselbe* für sich allein genommen Potentialität ist. Die
wahre Freiheit hingegen ist etwas V o 1 1 k o to m e n &s, ist A c t u a-
lität, nicht Potentialität./. • :
Möge man also nicht immer nur Freiheit! Freiheit! rufen/
sondern endlich einmal' auch die Vernunft zum Wort^ kommen
lasscJh. und sich über das eigentliche Wesen der Freiheit
*
. . — 206 — . . •
gründlich' orientieren. Die praemotio physiQa rettet die Freiheit,
anstatt sie. zu schädigen. ^ . . '
92. Aus dem Dargelegten ist die Antwort auf den Vorwurf,
dass die Thomisten nicht 'bloß elfte physische Vor her bewegung,
sondern s^uch eine solche Vorherdete^minierungi lehren^ auch
schon .gegeben.. Diese' letztere nun, so behauptet man, sei ganz
und gar unverto*äglich mit der Freiheit.
Die Vorher deter minier üng lehren nicht allein die Thomisten,
die yertheidigt auch ibfr Meister, der heil. Thomas. Der englische
Lehrer fragt einmal, ob alles dem Fs^tum untei-worfen sei ? Diese
Frage hat, insofern Berechtigung, weil in früherer Zeit gezweifelt
wuxde« ob alle» das, was auf veränderlu^he Weise und ohne be-
stimmte Otdming' geschieht, auf eine* ordnende .Urs?[che zurüct
gefüBrt werden müsse. Nachdem S. Thomas diesbezüglich mehrere
Ansichten aufgezählt und als unrichtig zurückgewiesen,, bemerkt,
er: „Einige Gelehrten führen alles auf di^ göttliche Vorsehung
als auf die Ursache zurück, von welcher alles vorherb^timmt
(praedetermincUa) und geordnet ist. Dieser Lehre gßinäß ist das
Fatum, der Zufall, ein Effect der Providenz, denn die Providenz
ist nichts anderes, als die Idee (ratio) der Ordnung der Dinge
im Verstände Gottes. Das Fatum hingegen ist die Entfaltung,
^usflihrung jener Ordnung in den Dingen. Darum gagt BoSthius,
das Fatum sei die den beweglichen Dingen inhärierende unbe-
wegliche Disposition. In diesem Sinne untersteht alles dem
Fatum" (Quodl. 12. a. 4.). In dieser-Stelle wird offenbar von eiiteü
Vorherbestimmung gesprochen, welcher alle Dinge unterworfen
sind. Man darf die Gedanken- und WiUensthätigkeit nicht davon
ausnehmen. S. Thomas bestreitet nur, dass alles hier auf Erden
durch den Lauf der Gestirne geordnet werde, weil die Gedanken
und das Wollen nicht der Thätigkeit eines Körpers unterlieRen
können. Aber gegen die Ansicht, dass alles von der göttlicneti
Vorsehung vorherbestimmt und geordnet werde, hat der Doct^r
Angelicus gar nichts einzuwenden. Der Sinn dieser Stelle ist deiy-
.nach folgender: Durch die göttliche Vorsehung ist alles vother*
bestimmt und geordnet. Die. VorhSrbestimmung und Ordnoog
besteht in einer gewissen Disposition und unabänderlichen An-
ordnung in den veränderlichen Dingen* durch welche sich .die
göttliche Vorsehung offenl^art oder zu erkennen gibt. Was kann
nun diese Anordnung und unabänderliche Disposition in den ge-
. sch^ffenen Dingei^ aein ? ; Offeqbar kann es nichts^anderes sein
als die praemotio physica, denn diese bildet eine üfaaBänderliciie'
Disposition in» den veränderlichen Dingen. Darum bemerkt der
heil. Thomas, Gott bewege den Willen.-jinabänderlich (tmiwöti-
*literj wegen der Wirksamkeit der bewegenden Kraft, die nicht
fehlen kaitn. Daraus folge aber nicht, meint der Heilige, -dass
hier eine Noth wendigkeit* vorliege, denn vermöge der.Katnr
_ 207. — • , . '
dea bewegten Willens, der vielen gegendber indiffereul sicii ver-
hält, bleibe die Fieiheit unrecht beoteben. J>ie göttliche Vorsehung
is't überhaupt in allen Dingen auf infallible Art tbätig, dennoch
verursachen die centingenten Ursachen iliie Effeete nof cuutio-
gente Weise, weil Gott jed^ Ding gemäß seiner Art und Weise
bewegt (de malo q. 6. ad 3.). Die göttliche Vorsebnng benimmt
somit den Dingen ihre Contingenz und Veränderlichkeit nicht,
obgleich sie, nach BoSthins: „est inhaerens rebus "'mobüibus dis-
posUio, per quam suis quaeque nectit ordinibus-". Wer' darum das
FatQm oder die praemotio ^phifsiqa, dife praedeterminatio leugnet,
der bestreitet Gottes Vorsehung (3. coutr. Gent, c, 93.). Denn,
wenn alles duroh die göttliche Vorsehung geordnet ist, und diese
Ordnung unabäuderlfc'h iu den Dingen selbst sich vorfiadet,
Bo müssen die Dinge von der gjjttlichen Vorsehung auch vorher-
determiniert sein. Die Vorherdeterminiernng ist ja nichts anderes
^H eine gewisse unabänd«rlicbe Hinordnnng der Dinge zu ihrem
Endziele.
Was. bedeutet in der Tfaat determinieren ? Nichts anderes,
als einem Dinge Grenzen setzen, ein Ding emschrünken, zu etwas
bestimmen. Die Grenze, der terminus oder das Ziel sind aber ein
nod dasselbe. Die Determinierung •geschieht demnach mit Bezug
aof ein Ziel. Das Ziel einer jeden Potenz ist der Act, die Thätig-
keit, mag diese Potenz nun eine passive oder eine active sein.
Das Ziel des Stoffes ist die eigene Form, daher wird er durch
die Form determiniert. Die active Potenz hat ihre Determiuieraug
durch das Ziel oder den Zweck, um dessentwilleu sie thälig ist.
Dieses Ziel aber wird von der Thätigkeit selber gebildet, denn
sie ist das der Potenz innerliche Ziel, potentia dicitur ad actum.
Ein Ding kann aber in doppelter Weise des Zieles wegen tbätig
aein. Manchmal steckt sich das Agens das Ziel selber, und dies
geschieht jedesmal, so oft ein vernünftiges Wesen in Thätigkeit
• tritt. Manchmal hingegen wird dem Agens das Ziel von der Haupt-
Ursache vorgestellt. Den Naturdingen wird das Ziel vom Schöpfer
der Natur angewiesen. Gott aber wirkt durch seinen Verstand.
Darum kommt es ihm zu, alles GeschafTene zu einem Ziele hin-
ziiordnen. Jeder Werkmeister ordnet alles das, was er will, nach
einem Plane, einer Idee. Diese Idee ist sein Vorbild, die causa
exemplaris für das Werk, welches erstehen soll. Diese Idee im
Verstände Gottes, des größten aller Künstler, wird vom englischen
MeiBter eine V orh erdet er minrieTuq^, genannt >(^ae^/)fnt<io
operum agendorum). Er' beruft sich dabei auf folgende Worte des
Dionysius, de divin. nomin. cap. ä. InnuU Dionysius: exemplaria
dkimas in Deo existmtium rationes substantificai^, et sinffularäer
■ fraeevistmies, quas Theologia p-'aediffinüiones mcat, et dipnas et
bmaa voluntcdds earistentium praedeierminativas et effectivas, secundum
^iws supersubHantialis essentia omnia praediffinivü et produxnt
— «208 —
I
(de veritate q. 3. a. 1.). Diese Ideen -im göttlichen Verstände sind
schöpferisch und sie bringen die Dinge heryor (I.e. ad 5.).
93. Weil also Gott bei aller .Thatigkeit, bei jedem Werke,
welches ep hervorbringt, durch seinen Verstand wirkt, jedem Ge-
schöpfe das Ziel anweist und alles zu diesem Ziele bewegt, des-
halb kann man die göttliche Determinierung, wodurch der gött-
liche Wille actuell eine geschaffene Ursache zu einer wirklicheo
Thatigkeit bestimmt, mit Recht eiuQ Vorher determinierung
nennen. Der ewige, göttliche Wille, wird ja auch, wie wir soebe»
gehört, existentium praedeterminativa et productiva genannt. Durch
den Hinzutritt des Willens wird die speculative Idee von den
Dingen in Gott eine ibimell praktische (de veritate q. 3. a. 6.).
Nicht die Bewegung Gottes auf jede beliebige Weise kann man
praedetenninatio nennen, sondern jene Bewegung, durch welche
er mittelst des Verstandes wirkt und alles zum Ziel hinordnet.
Die praedeterminatio hat eigeutlidh Beziehung zu einem Zukiinf-
* tigeu (de veritate q. 6. a. 1.).
Welcher Ansicht der heil. Thomas hinsichtlich der Vorher-
determinierung gewesen, ist aus diesen Stellen klar. Man
hat merkwürdigerweise in neuerer Zeit die Behauptung aufgestellt,
das Wort: praedeterminare, wie es sich 1. q. 23. a. 1. ad 1. und
Quodl. 12. a. 4. findet, habe mit der Application und dem Concarse
durchaus nichts zu thun, da es an den genannten Stellen die
Präextstenz der Ideen des Zukunftigen im göttlichen Verstände
bezeichne. Wir nennen diese Behauptung merkwtirdig und mit
Recht. Sehen wir uns beide Stellen näher an. Die erste weist
einen Einwurf zurück gegen den Artikel, in welchem über die
Vorherbestimmuug der Menschen gesprochen wird. Dagegen er-
hebt S. Thomas folgenden Einwurf: „Es scheint, dass die Men-
schen nicht von Gott vorherbestimmt werden, denn Damascenus
sagt, man müsse wissen, dass Gott zwar alles vorher er kennt,
nicht aber i(orher bestimmt. Gott erkennt zwar alles in uns.*
er bestimmt aber nicht alles vorher. Wir besitzen Verdienste und
Missverdienste, weil wir durch unsere Freiheit Heri* unserer Hand-
lungen sind. Was demnach Verdienst oder Missverdienst in uns
betrifft, werden die Menschen von Gott nicht vorherbestimmt.*
Der Doctor Angelicus erwidert darauf, Damascenus verstehe unter
der Prädeterminierung einen nöthigenden Einfluss, wie er in
den Naturdingen vorkommt, die zu einem prädeterminiert sind.
Die Prädestination werHe von dieser Schwierigkeit nicht getroffen.
Diese Stelle soll imit dei* Application und dem Concarse durch-
aus nichts zu thun haben, weil sie bloß von der Präexistenz der
Ideen des Zukünftigen im göttliphen Verstände spreche! Der eng-
lische Meister lehrt doch ausdrücklich, dass die nienschlichen
Handlangen von Gott prädeterminiert sind. Nor die Art und
Weise dieser Prädeterminierung ist verschieden bei den Nator-
«
*
_ 209 — . . . ,
* dingen und bei den vernilnftigeü Geschöpfen.. Es ist ganz und •
gar unrichtig, dass bloJß jdie Idee in Gott präd,eterminiert sei..
Der Einwurf spricht von den Dingen im Menschen und die
Antwort erfolgt in 'demselben Sinne. Eine solche Coüfusion
darf man S. Thomas denn doch nich^ zutrauen^ *dass sein Gegner
etwas im Auge hat; was im Menschen ist, und er redet von
dem, was in Gott existiert. Geben wir indessen ruhig zu, S. Thor
mas rede *yon 'der Präexisteiiz der Idee des Zukünftigen. Kann
es Üenn ein nicht prädeterminiertes Zukünftiges geben? Weim
cß zukünftig ist; muss es eine Ursache* habeU; durch welche
es zukünftig ist^und wenn es zukünftig ist; muss esschen b*e-
stimmt, sein in. seiner Ursache. Ein in seiner Ursache un-
bestimmt Zukünftiges schließt einen Widerspruch iii sieh. Da es
nicht in sich' selber bestimmt sein kann, so muss es in seiner <
Ursache bestimmt sein. Wenn demnach die Ursache diei^es
Zukünftigen, bestimmt ist, so* mus3 auch der Effect in dieser
Ursache entsprechend bestimmt sein.. Aus einer bestimmten '
Ursache kann unmöglich ein unbestimmter 'Effect' hervorgehen.
Darum bemerkt der epglische Lehrer treffend; diese präexistierende
Idee ^ei praediffinitiva et produdiva reruin. Man muss die Werke
des heil. Thpmas nicht gelesen habeU; um solclie Theorien vor-
tragen zu können. Die Handlungen der Menschen sind somit prä-
determiniert, nicht zwar. in sich^.denn in diesem Falle, wären sie
gegenwärtig;* nicht aber zukünftig; sondern in ihren Ur-,
Sachen. Pie erste und oberste Ursache dieser Handlungen bilden
die göttlichen IdeeU; die durch tlen Willen Gottes prädeter-
miniert sind. Aus der determinierten* ersten Ursache folgt die
determinierte Wirkung, d. h. die determinierte zweite.
Ursäch'C. Und weil die Ursache der Natur und Causalität nach
früher ist als der Effect, deshalb sind die menschlichen Hand-
lungen von Gott p r ä determiniert in ihren Ursachen. Aus
diesem Grunde sind sie eben zukünftig.
94. Ebenso unrichtig ist die Behauptung bezüglich der zweiten
Steile aus Quodl. 12. a. 4. Daselbst erklärt der Doctor Angelicus,
. was das Fatum sei. Alii reducunt omnia haec in causam suprä-
cQelestem, scilicet in providentiam Dei, a qua omnias unt praedeter-
minata et ordinata, et seoundum istos fatum erit quidam effectus
providentiae : quia Providentia nihil aliud est, quam ratio ordinis
rerum prot^ est in pi^te divina., 'Fatum vero est explicatio illitcs
ordinis prout est in rebus, ünde Boethius.: fatum est imniobilis dis-
positio rebus mobUibtts inhaerens. Ob diese Stelle mit der Appli-.
cation und dem Concurse wirklich nichts zu thun hat, das zu
' beurtheilfen tiberlassen wir den geehrten Lesern. Es sind übrigens
aneh noch andere; Stellen, besonders 3. contr. Gent. c. 93. Man
lese z. B. folgende : In re creata^ duo' possunt considef^ari, scilicet
ipstt'species ejus absolute, et ordo ejus ad finem^ Et utriusque forma .
Feldner, WmeuBfreiheit. • 14 .
. . . _ 210 —
. praecessit in Dea. Forma ergo exemplaris rei secundum suam spe-
dem dbsolxde est idea. Sed form^ rei, secundum quod est ordinctta
in finem, est Providentia, Ipse autem ordo a divina Providentia rebus
inditm, fatum vocatur secundum Boethiutn, TJhde sicid se höhet idea
ad speciem rei, iki se habet* Providentia ad fatum. Et tarnen quam-
vis idea possit pertinere ad speculativam cognitionem (tUguo modo,
tarnen Providentia tantum ad practicam pertinet, eo quod importat
ordinem ad finem, et ita ad opus, quo mediante pervenitur ad finetn
(de veritate q. 5. a. 1. ad 1.). Cfr. ib. a. 2 und 5. An letzterer
Stelle ad 4. sagt der englische Lehrer, die Providenz des Menschen
. hinsichtlich seiner eigeneü Acte schließe die göttliche Providenz
gerade sowenig aus, wie die activen Kräfte der Geschöpfe die
active Kraft GoUes ausschließen. .Die erstere Stelle beschäftigt
• sich allerdings zunächst mit den Naturdingen. Was'iiidesseu der
Dpctor Apgelicus mit Bezug auf die Providenz Gottes über die
Naturdinge sagt, das gilt von den«Creaturen überhaupt.. Die Vor-
* sehung und die Prädeter.minierung hängen auf das innigste
zusammen. Wer die eine bestreitet, der muss aucb die andere
leugnen.
In der That! Wo der englische Meister die Regierung des
ganzen Universums durch Gott beweist, da geht er stets von der
Prädeterminierung aus. Wenn mehrere Dinge zu einem bestimmten
Ziele hingeordnet wferden, so unterstehen alle der Disposition des-
jenigen, dem das genannte Ziel angehört. Alle Dinge aberhaben
Gottes Güte zu ihrem Ziele. Folglich muss Gott, dem jene Güte
hauptsächlich- angehört, alle Dinge zu diesem Ziele hinordneo.
Was immer existiert, irgend ein Sein hat, das ist Effect Gottes,
und er dirigiert jedes zu dem Ziele, welches er selber ist. Der
erste Beweger bewegt nicht minder als die subalterneny» sondern
mehr, weil diese ohne ihn nichts bewegen können. Alles, was
bewegt wird, das wird um eines Zieles willen bewegt. Darum
bewegt Gott alles durch seinen Verstand und Willen zu dem eut-
sprechenden Ziele und dies ist soviel als durch die Vorsehung
alles regieren und lenken. Jedes geschaffene Wesen erreicht seine
letzte Vollkommenheit durch die eigene Thätigkeit, denn das End-
ziel und die Vollkommenheit eines Dinges ist entweder die Thätig*
keit selbst oder der terminus dieser Thätigkeit, der Effect Die
Form, durch welche ein Ding ist, bildet nur die erste Voll-
kommenheit, aber auch sie hat Gottes Weisheit zur Ursacbe. Dann
muss aber auch die Ordnung der Thätigkeit von Gott kommen,
denn durch diese letztere sind die Dinge ihrein Endziele näher
als durch die erstere. Die Thätigkeiten .der Dinge zu dem Ziele
hinordnen, heißt nun die Dinge regieren (3. contr. Gent. c. €4.).
Aus diesen Argumenten des Doctor Angelicus folgt, daas die
Geschöpfe zu ihren Thätigkeiten prädeterminiert werden, denn
die Form, durch welche ein Ding existiert und die Form, durch
— 211 — .
welche es thätig ist, haben Gott zu ihrer Ursache. Wenn
das Ziel jeder Creator die Thätigkeit 'selbst oder der terminus
dieser Thätigkeit; der eben nur durch die Thätigkeit eriejcht wird,
bildet, wie der englische Meister hier sagt, and wenn Gotf alle
GescbÖpfe zn diesem Ziele binordpet und bewegt; miiss itian dann
nicht Dothwendig die Prädeterminieruug anuehmeu? Und wenn
man die Prädeterminierung leugnet, wie kann dann die (lubernatio
Doch vertheidigt werden ?
Aus der Regierung Gottes schlieft der engliache Lehrei; auf
die Efhaltnng aller Dinge durch Gott. Der Schluss' ist voilkomnien
logisch und darum auch berechtigt. Denn gehtirt zu der Regie-
rung der. Dinge alles das, wodurch dieselben ihr Ziel erreichen,
so gehört dazu ohne Zweifel auch, dass sie zu ibretu Ziele hin-
geordnet werden. Die Uinordoung der Dinge zu ihrem Endziele,
der göttlichen Güte, besteht aber nicht bloß darin, daiis sie (hütig
sind, sondern aacb dann, dass sie existieren, Sie sitid mit Be^ug
saf ihre Existenz Gott ebenfalls ähnlich (3. contr. Gent. c. 65.).
Gleichwie demnach Gottes Eiafluss die Ursache i»^t, dass
die Geschöpfe existieren, ebenso ist sein Eiöfluss die Ur-
sache, dass sie thätig sind.
Es ist darum ganz unrichtig und der Lehre des beil. Thomas
widersprechend, wenn man die präexistierendcn Ideen im
Verstände Gottes als speeulative Ideen auffasst. In diesem Falle
euthielte die Antwort des beil. Thomas auf den ans Damüi^ceuas
eutnommenen Einwurf einen reinen Unsinn. Damasceuas sagt,
Gott wisse oder erkenne alles vorher, aber er bestiinine, deter-
Eoiniere nicht alles vorher. Daranf entgegnet der Doctur Augelicus,
diese Vorherbestimmnng schließe mit Bezug auf die nmnschlichen
Handlungen bloß die Notbwendigkeit infolge dieser V'oihcrbestim-
inang aus; nicht die Vorherbestimmung Überhaupt. Wir sage»,
dass diese Erwiderung einen Unstnn enthält, denn die «pf^culativen
Ideen in Gott sind alle nothwendige. Die praktischen Ideen
von den Geschöpfen hingegen sind freie, weil die Deteiminicrung
des göttlichen Willens hinzutreten mass, damit sie praktische
werden. Dafür passt aber dann wieder die Antwort des heil. Tho-
mas nicht, weil er einen Unterschied macht zwischen den Natur-
diogen und den menschlichen Handlungen, und die Tliätigkeit
der erstem eine nothwendige nennt. Sind vielleicht die prak-
tischen Ideen Gottes von den Naturdingen und ihrer Thätigkeit
uothwendigc? In keiner Weise. Es kann somit nur von Jenen
Ideen die Rede sein, durch welche die Geschöpfe zu ihrem Ziele,
zn ihrer Tliätigkeit bingeorduet, determiniert werden. Weil jedoch
der Wille Gottes sich selber determiniert und dadurch Ursache
jeder andern Determinierung wird, und jede Ur&ache der AVir-
kuDg vorhergebt, deshalb mnss man sagen, däss Gott alle
Öescböpfe, jede Thätigkeit der Greaturen p r ä determiniere. Er
* . _ 212 -T-^ . • • •
• • •
• . ■ • • .
.• macht die Geschöpfe, natura et causalitdte prius^ zuerst zur 'Ur-
sache ihrer Thätigkeit vtnd leitet und lenkt sie dann zu ihi*em
Endziele.« . . ' ; •
Hieraus ergibt, sich ein kleiner UntersQhied zwischen ' der
praemotia und der praedeterminatio, Erstere bezieht sich eigentlich
auf die Causalität der Geschöpfe; betont nicht ausdrücklich deren '
Hinordnung zutb Ziele, * sondern bloß die Überführung aus der
, Potenz in den Act. Letztere dagegen hat eigentlich diese Hinord-
nung im Aug«. Ebensa befasst .sich die praemotio mit der Appli-
cierubg, der Ursachen zu ihren Thätigkeiten, I^iq priiedeterinmatio
hingegen bezieht sich nicht Moß «darauf allein, sondern auch auf
die Erhaltung der Dinge in ihrem Sein. Indessen ist dieser Unter-
schied nicht von Bedeutung, zumal* wir aus« S. Thomas y^issen,
dass die 'Thätigkeit das Endziel der Geschöpfe idt. Mag apicb
das objective Ziel ein anderes als die Thätigkeit ^ein, da»
formelle wird stets von der Thätigkeit selber gebildet.
Wir glauben aus dem Gesagten den 'Beweis erbracht zu
haben, dass nipht allein die Thomisten, sondern s^uch, allen voran,
der Doctor Angelicus selbst, klar und bestimmt die Prädeter-
minier ung der Geschöpfe durch Gott lehrt. Quidam . . . omnia
fato agi dixerunt, ordinationem, quae est in rebus ex divina Provi-
dentia, fatum nominantes, Unde ßoethius dicit, quod fatum est in--
haerens rebus mobilibus dispositio, per quam Providentia suis quaeqiie
nectit Qrdinibus , , . In qua fati aescriptione dispositio pro ordina-
tione ponitur. Rebus autem inhaerens ponitur, ut distingnatur fatum a
Providentia. Jfam ipsa ordinatio, secundum quod in mente divina est,
nofidum rebus impressa, Providentia est Secundum vero jam ejy^li-
cata est in rehm, fatum nominatur. Mobilibus atäem dicü, ut
ostendatj .quod ordö providenfiae a rebus oontingevftiam et mobilitatetn
non aufert, ut quidam posuerunt, Secundam hanc ergo acceptiofiefn
negare fatum est providentiam negare (3. contr. Gent. c. 93.). Die
Behauptung, im heil. Thomas finde sich keine Stelle, welche von
der Pr.ädeterminierung der freien Geschöpfe spricht^ entbehrt
demna<ih jeder Grundlage. Sie besagt nichts weniger, als der
englische Meister habe bezüglich der freien Geschöpfe die Vor-
sehung Gottes geleugnet.
95. Es wird weiters behauptet, diesem Prädeterminierung ver-
trage sich schlechterdings nicht mit der Freiheit, denn an diese
Prädeterminierung knüpfe sich: „mit absoluter Nothwendigkeit^
die Thätigkeit, und: „es wäre kein actus secimdu^y also kei&
agens in actu, wenn es ohne Thätigkeit sein könnte".
' Wir müssen uns vor allem um den Beweis umsehen dafür,
dass auf die Prädeterminierung mit absoluter Nothwendig-
k e i t die Thätigkeit folge. Der Beweis lautet aus St. Thomas :
„unumquodqiie operatur prout est in actu secundo^^.
* Zunächst wurde in den Text des englischen Lehrers ein
; . — 213 — . • .
Wort eiDgesöliobßn, daS Wort: „secundo": Allerdings sagt S. Thomas
an unzäüligen Stellen: wnumquodque offit in '^udntutn, secundum
qtfod fst in actu. Wir ha})eo indessen- üirgend» dabei das Wort:
„secunHo" gefunden. Der Grund dafUr ist alter auch sehr eint'acb.
ä. Thomas veretelit unter dem actus secundus die Tliätigkeit selbst.
Nan kann man einem Denker von der logischen Schärfe eines
Thomas wirklich uiubt Aussprüche zumuth&n wie: ein jedes Ding
aei- thätig, insofern es thätig ist, eine Thatigkeit ausübt. Selbst-
Terständliche Wahrheiten betont S. Thomas ganz sicher uicht so
oft wie den Satz, dass jedes Ding dknn in 'Thatigkeit Übergebe,
wenn es im actu sich befindet. ' • *
Das Zweite, was wir im beil. Thomas nicht gefunden haben,
ist die Behauptung, daes anf die Prädetermjnierung mitabeoluter
Nothwendigk-eit.die Thatigkeit folge. Im angefilhrten Texte
sieht darüber auch 'nicht ein Wort. Ebenso vetgebens wird man in
seiueu andern Werken, einen Beweis fllr ^ie»e absointe Noth-
w^D^'S^^'t ='*> entdecken imstande 'sein. Wie könntet es aiich
.andej-s sein, da es außer 'dw Thatigkeit Gottes u'beihaupt keine'
absolut nothwendige gibt. '
Die Naturdinge selbst sind nicht mit absoluter Noth-
wendigkeit thätig. Der englische Meister macht sieb einmal -'
folgenden Einwurf : „Wenn einmal dieUrsaebe daist, ao folgt
aus der Nothweudigkeit der ihätigeii oder wirkenden Natur die,
Thatigkeit derselben, ausgenommen sie stoßt per aecidetis auf
Hindernisse.* Die Natur iat ja zu einem determiniert. Wenn dem-
nach die Hitze des Feuers mit Natumothwendigkeit thätig ist,
so folgt daraus, dass das Feuer vorhanden ist, ohne weiters die ,
Erwärmung (cal^aetio^, und es bedarf nicht terner einer böbern
in ihm wirkenden Kraft." S. Thomas entgegnet: „Die Nothwendig-
keit der Natur, durch welche die Hitze thätig ist, wird durch die
Ordnung der vorausgehenden Ursachen constituiert. Sie schließt
folglich die Kraft*der ersten Ursache .in sieb" {de potentia
q. 3. a. 7 ad 8.). Anderswo bemerkt er, die Deterrainierung, wo- "
durch das Naturding zu einem bestimmt wird, stamme nicht
vom Naturdinge selbst her, sondern von einem andern. Darum
lege die Detenninierung- zu einem bestimmten Effecte, welcher der
Ursache entspricht, Zeugnis ab von der göttlieben Vorsehung (de
veritate q. 5. a.2. ad. 5.}. Diesen beiden Stellen wollen wir noch
eine dritte beifügen. „Kein Ding ist durch sieh selber thätig
oder durch sieh selbst bewegt, außer der nicht bewegte Be-
weger. Darum ist ein Ding Ursache der Thatigkeit eines andern,
insofern es diesetf andere zur Thatigkeit bewegt. Daninter
darf nicht die Mitth^ilung oder Erhaltung der activen Kraft ver-
standen.' werden, sondern d.ie Applicierung difeser Kraft
zur Thatigkeit, wie der Mensch dadurch, däsa er das Messer
bewegt und die Schaffe desselben zum {Einschneiden appUciert,
— . 204 —
wegung per modum 'transeuntis veiTollkommnöt wird. Die Potenz
mit dieser Bdwegang bildet das Agens in actu nnd dieses ist
eigentlich und formeil frei. In diesem Zustande ist das ver-
nünftige Geschöpf Ursache freier Thätigkeiten.
Daraus folgt aber dann, dass Gott den Geschöpfen die for-
melle Freiheit ebenso gewiss mittheilen muss, wie er ihnen die
stoffliche; nämlich das FreiheitsY ermögen; die Potenz verliehen
hat. Was frei ist durch Antheilnahme, muss zurückgeführt
werden auf das Freie durch seine Wesenheit. Dieses letztere
bildet die Ursache für das erstere. Das foi-mel.l Freie ist so-
mit Effect Gottes. Ohne praemotio pht/sica wäre demnach das
vernünftige Geschöpf zwar radical, niemals aber formell frei.
Die Creatur hätte zwar ein freies Thätigkeitsvermög.en, aber
kein freies Thätigkeitsprineip, denn nur die actiye Potenz,
nicht die passive, ist Thätigkeitsprincip. Klar und bestimmt wie
immer hat der englische Lehrer in wenigen Worten diese Wahr»
heit vorgetragen. Wenn delr Wille von neuem zu wählen beginnt,
so wird er von seiner frühern Disposition insofern umgeändert,
als er früher in der Potenz wählend war, jetzt aber actu, in
der Wirklichkeit wählt. Diese Veränderung stanmit von einem
Beweger her, denn der Wille bewegt sich selber zur Thätigkeit
(ctd agendum),' er wird aber auch von Gott bewegt. Die Dispo-
sitiou des ersten Bewegers bleibt in den von ihm Bewegten
zurück; insofern sie von ihm bewegt werden. Auf diese Weise
nehmen * sie die Ähnlichkeit des ersten Bewegers auf (de malo
q.6, ad 17. und ad 11.). Wie jedermann ersieht, spricht S. Thomas
hier von der Umänderung der Geschöpfe bei dem Übergange
aus der Potenz in d«n Act. Bei dieser Umänderung erhalten sie
etwas vom ersten Beweger; nämlich dessen Ähnlichkeit. Gott ist
reiner Act, lautere Wirklichkeit, seine Thätigkeit ist real identisch
mit der activeu Potenz und mit seiner Wesenheit. Hierin sind
ihm die Creaturen ganz und gar unähnlich; denn ihre Thätigkeit
ist real unterschieden von der activen Potenz, und diese wieder-
um vom Thätigkeits vermögen. An und für sich besitzen sie nur
eine passive Potenz. Durch die praemotio pht/sica werden sie
Gott ähnlich; denn ihre passive Potenz wird actu nnd sie selbst
dadurch ein Agens in actu, wie es Gott ist. Als Agens in actu
können sie dann fluere in passum, dieses „esse in actu'' einem
andern, ihrer Thätigkeit mittheilen. Sie sind folglich Grott ähnlich,
obgleich nicht vollkommen; totalitär, wie der englische Lehrer
an der genannten Stelle bemerkt.
9 1 . Von einer Schädigung der Freiheit durch die praemotio phy-
sica kann somit keine Rede sein. Dieser Vorwurf beruht lediglich aaf
vöUigej- Unkenntnis des eigentlichen Wesens der Freiheit Wäre
das Wesen der Freiheit im Unthätigsein gelegen; dann würde
die praemotio physica die Freiheit zerstören. Allein in diesem
Falle mUsate sie auf ganz gleiche Weicie durch den simultaneii
Concors, ja selbst dnreh die natürliche Eral't des Geschüpt'es
aargeboben werdeD. Diesen Fehler begehen alle jeue, die, obne
den nothwendigen Untei'sebied, zu mach'en, das Wesen der Frei-
heit in das Niohtdeterminiertaein verlegen. Die Freiheit
kann unmüglich in dempaBsiven Niehtdeterminiertsein bentehen,
denn dieses bildet eine große Unvollkommenheit für die
Gescliöpfe, In diesem Zustande kann das öesehöpt' nie Ursache
irgendwelcher Thätigkeit sein, denn Ursache ist uacli S. Thomas
dasjenige „ad qüod sequäür esse alterim seu causitli", oder „prin-
cipium infiuens in esse aUerius, quod est ex ipso" (physieoi-. 2. 10. 15.
edit. noT.. pag. 86.). Der- englische Meister bat ausdrücklich eine
zweifache Indifferenz uutei-sehicden. Eioe Kraft' kann in' zwei-
facher Weise indifferent sein /"ad utrumlibetj: entweder in sich
' selbst, oder hinsichtiich dessen, worauf sie sich bezieht. lu Betreff
ihrer selbst ist diese. Kraft indifferent, wenn sie noch nicht ihre
Vollkommenheit, wodurch sie zu einem bestimmt wird, er-
langt bat Diese Indifferenz hat zu ihrer Ursacfai; die UnvoU-
kommenhöit ihrer Kraft, und diese Indifferenz gibt Zeugnis
von der Potentialität in der Kraft selbst. In ihrer Be-
ziehung zu einem andern ist eine Kraft indifferent, wenn die voll-
kommene Thätigkeit dieser Kraft weder vom einen, noch roqrt
andern abhängt, wie z. B. in einem Künstler, der zu einem uud
demselben Werke gleichmäiiig verschiedene Instrumente verwen-
den kann. In diesem letztern -Falle besitzt das Agens eine voll-
kommene Kraft, die den einen wie den andern Effect llbcrtrlfft
und deshalb beiden gegenüber unbestimmt, indifferent sicli ver-
hält. Die Kraft, resp. Indifferenz in dieser letztern Bedeutung
findet sich im göttlichen Willen. Darum ist in seinem Willen
keipe Potentialität und keine Veränderlichkeit (1. contr.
Gent, c. 82.). Er ist nicht in der Weise indifferent, dass er zuerst
etwas bloß der Miiglichkeit nach (potentia), und dann in der
Wirklichkeit (adul will, soudem er will stets alles adu (i. c).
Nichtsdestoweniger besitzt er die vollendetste Freiheit, ist diese
ihm sogar wesentlich eigen, während die Greatar nur Äntbeil
an derselben hat.
■ Dadurch ist wohl am besten der Vorwurf widerlegt, die
praemotio physica zerstöre alle Freiheit, denn das Agens in potentia
ist nach der Lehre des englischen Meisters etwas Unvollkom-
menes, es besitzt eine unvollkrommene Krfift thätig zu sein,
'i^eil dieselbe fUr sich allein genommen Potentialität ist. Die
wahre Freiheit hingegen ist etwas Vollkotemen&s, istActua-
Htät, nicht Potentialität.^^
Möge man also nicht immer nur Freiheit) Freiheit! rufen,'
Sondern endlich einmtd auch die Vernunft zum Wortb kommen
iaesA und sich über das eigenMiche Wesen der Freiheit
• . — 206 — . . •
gründlich- orientieren. Die praemotio physica rettet die Freiheit,
anstatt sie. zn schädigen. ^ . . '
92. Aus dem Dargelegten ist die Antwort auf den Vorwurf,
dass die Thomisten nicht 'bloß eifie physische Vor her bewegung,
sondern s^uch eine solche Vorherdete^minierungi lehren, auch
schon .gegeben.' Diesef letztere nun, so behauptet man, sei ganz
und gar' unverträglich mit der Freiheit.
Die Vorherdeterminierüng lehren nicht allein die Thomisten,
die yertheidigt auch ibfr Meister, der heil. Thomas. Der englische
Lehrer fragt einmal, ob alles dem Fs^tum unten'Worfen sei ? Diese
Frage hat, insofern Berechtigung, weil in früherer Zeit gezweifelt
wuxdci ob alle» das, was auf veränderlu^he Weise und ohne be-
stimmte Ordnung geschieht, auf eine' ordnende .Ursache zurück-
geführt werden müsse. Nachdem S. Thomas diesbezüglich mehrere
Ansichten aufgezählt und als unrichtig zurückgewiesen,, bemerkt,
er: „Einige Gelehrten führen alles auf di^ göttliche Vorsehung
als auf die Ursache zurück, von welcher alles vorherb^ßtimmt
(praedetermincUa) und geordnet ist. Dieser Lehre gßinäß ist das
Fatum, der Zufall, ein Eflfect der Providenz, denn dfe Providenz
ist nichts anderes, als die Idee (ratio) der Ordnung der Dinge
im Verstände Gottes. Das Fatum hingegen ist die Entfaltung,
^usftihrung jener Ordnung in den Dingen. Darum gagt Bo^thios,
das Fatum sei die den beweglichen Dingen inhärierende unbe-
wegliche Disposition. In diesem Sinne untersteht alles dem
Fatum" (Quodl. 12. a. 4.). In dieser-Stelle wird offenbar von eiiteu
Vorherbestimmung gesprochen, welcher alle Dinge unterworfen
sind. Man darf die Gedanken- und WiUensthätigkeit nicht davon
ausnehmen. S. Thomas bestreitet nur, dass alles hier auf Erden
durch den Lauf der Gestirne geordnet werde, weil die Gedanken
und das Wollen nicht der Thätigkeit eines Körpers unterlief^en
können. Aber gegen die Ansicht, dass alles von der göttlicneü
Vorsehung vorherbestimmt und geordnet werde, hat der Doctgr
Angelicus gar nichts einzuwenden. Der Sinn dieser Stelle ist deiy-
.nach folgender: Durch die göttliche Voi-sehung ist alles vofher
bestimmt und geordnet. Die. Vorh6rbestimmung und Ordnung
besteht in einer gewissen Disposition und unabänderlichen An-
ordnung in den veränderlichen Dingen,' durch welche sich .die
göttliche Vorsehung offenl^art oder zu erkennen gibt. Was kann
nun diese Anordnung und unabänderliche Disposition in den ge*
. sch^ffenen Dingei^ aein ? ; Offei|bar kann es nichts* anderes sein
als die praemotio physica, denn diese bildet eine ühaBänderlicbe*
Disposition in» den veränderlichen Dingen. Darum bemerkt der
heil. Thom^, Gott bewege den Willen^jinabänderlich (tmwwJi-
'literj wegen der Wirksamkeit der bewegenden Kraft, die nicht
fehlen kaitn. Daraus folge aber nicht, meint der Heilige, 'dass
hier eine Noth wendigkeit* vorliege, denn vermöge der. Katar
.«
»
_ 207. —
des bewegten Willens, der vielen gegäntlber iudifFerent sieb rer-
bält, bleibe die Fretbeit zureeht besteben. 'Die gßttlißhe Vorsebnog
ist 'Uberbanpt in allen Dingen auf infallible Art thätig, dennoch
verarsacben die centingenten 'Ursachen ihre Effeete ftnf cuntin-
gente Weise, weil Oott jed^s Ding gemäß seiner Art und Weise
bewegt (de malo q. 6. ad 3.). Die göttbche Vorsebnng benimmt
somit den Diugeu ihre Contingenz und Veränderlichkeit nicht,
obgleich sie, nach Boetbius: „est iTjhaerens rebus ''mohüibus dia-
fositio, per quam suis quaeque nedit ordinibus-" . Wer' darum das
Fatqm oder die praemotio ,physi<;a, di6 praedeterminatio leugnet,
der bestreitet Gottes Vorsebnng (3, eontr. Gent, c. 93.). Denn,
wenn alles durch die göttliche Vorsebnng geordnet ist, und diese
Ordnung nnabäuderltc'h iu den Dingen selbst sich vuröadct,
' so mUssen die Dinge von der göttlichen Vorsebnng aucli vorher-
determiniert sein. Die Vorherdeterminieriing ist ja nichts anderes
als eine gewisse unabändArliche llinordnnug der Dinge zu ibrem
Endziele,
. Was. bedeutet in der Tbat determinieren ? Nicht« anderes,
als einem Dinge Gienzen setzen, ein Ding einschränken^ zu etwas
bestimmen. Die Grenze, der terminua oder das Ziel sind aber ein
nod dasselbe. Die Determinier ang •geschieht demnach mit Bezog
anf ein Ziel. Das Ziel einer jeden Potenz ist der Act, die Thätig-
keit, mag diese Potenz nun eine passive oder eine active sein.
Das Ziel des Stoffes ist die eigene Foim, daher wird er durch
die Form determiniert. Die active Potenz hat ihre Determiuierung
darcb das Ziel oder den Zweck, um dessentwillen sie thätig ist.
Dieses Ziel aber wird von der Thätigkeit selber gebildet, denn
sie ist das der Potenz innerliche Ziel, potentia dicitur ad actum.
Ein Ding kann aber in doppelter Weise des Zieles wegeu thätig
sein. Manchmal steckt sich das Agens das Ziel selber, und dies
geschieht jedesmal, so oft ein vernünftiges Wesen in Thätigkeit
■ • tritt. Manchmal hingegen wird dem Agens das Ziel v jn dei' Haupt-
ursache vorgestellt. Den Naturdingen wird das Ziel vom Schöpfer
der Natur angewiesen. Gott aber wirkt durch seinen Verstand.
Darum kommt es ihm zu, alles Geschaffene zu einem Ziele bin-
zuordnen. Jeder Werkmeister ordnet alles das, was er will, nach '
einem Plane, einer Idee. Diese Idee ist sein Vorbild, die causa
fxemplaris für das Werk, welches ersteben soll. Diese Idee im
Verstände Gottes, des größten aller Künstler, wird vom engliacben
Mftistär eine Vorherdetermitvieruii^.'genannt >(^r(jef^/)fnäio
<^erum agmßorum). Er' beruft sich dabei auf folgende Worte des
üionysius, de divin. nomin. cap.'S, Innuit Dionysius: exemplaria
diämus in -Deo existentium raliones substantißcatw, et singulariter
praeexietentes, quas Tkeologia p-'aediffinitiones vocat, et di^inas et
v<nm voluvtat^s existerdium praedeterminativas et effecttvas, secundum
■ pfcs supersubstantialis essentia omnta praediffinivit et produxit
— 214 —
die Ursache ist, dass das Messer einschneideJ:. Jede untergeordnete
Natur gelangt aber nur dadurch zu einer Thätigkeit, dass sie be-»
wegj wird. Daraus-folgt mit absoluter Nothwendigkeit, dass^Gott
die Ursache der Thätigkeit der 'Naturdinge ist, indem er
die Kraft bewegt und zu der Thätigkeit appliciert" (de potentia
q. 3. a. 7.).
Stellen wir diese Lehre des heil. Thomas der oben genannten
Behauptung über d i e absolute Nothwendigkeit gegenüber,
und die volle Unrichtigkeit fier letztern .ergibt siph von selbst. Was
in obiger Behauptung, actus secundus ist; das ist in der Doctrin des
f englischen Meistera die actiye Krafl;.' Die potentia activa bildet
' nach S, Thomas das prindpium agendi (1. p. q. 25. a. 1.). Dem
; • gemäß mtisste/ sobald ein Ding die actiye Kraft besitzt, mit
absoluter Nothwenaigkeit die Thätigkdt folgen. Was lehrt
aber S. Thomas in Wahrheit? Diese Kraft genügt nach ihm nichts
dass ein Ding ohneweiters und durch' sich selbst in Tbätigkeit
, 6ei,» sie jnuss erst von Gott zu dieser, Thätigkeit appli eiert
»werden. Von einer absoluten Nothwendigkeit, mit welcher
die Thätigkeit aus &em ad>us secundus hervorgehen soll, ist somit
bei. dem heil. Thomas au und für sich gar keine Rede. Die Sache
. ist aber auch in sich unrichtig, denn ein accidens per acciden»
geht nie, wie das accidens proprium mit absoluter. IJotbwen-
digkeit aus der Ursache hervor.
' 96. Der heil. Thomas spricht indessen wirklich sehr oft von einer
Nothwendigkeit, mit welcher die Naturdiuge ihre Thätigkeit voU-
, ziehen. Woher kommt nun diese Nothwendigkeit, denn eine solche
ist wirklich vorhanden? Sie stammt zunächst von Gott, der ersten
Ursache, die in ihrer Weisheit es also geordnet, dass manche Ge-
schöpfe, von ihr bewegt* und zur Thätigkeilt bestimmt, nur diese
und keine andere Thätigkeit ausüben können. Die Natardinge
bestimmen nicht^sich selber zur Thätigkeit, sondern sie werden
ausschließlich nur von Gott dazu bestimmt. Daritm hat Gott auch
• ..ihre Natur so eingerichtet, dass sie, von Gott bewegt, eine
*' Thätigkeit mitNothwendigkeit entfalten, indem sie sich zu
ihrer Thätigkeit nicbtselber bestimmen. Der nächste, unmittel-
bare Grund dieser Nothwendigkeit liegt allerdings in der
Natur und Beschaffenheit der Naturdinge, allein sie haben die-
selbe eben nicht aus sich selber, sondern vom Schöpfer der
Natur. Ihre Natur ist genau dieser Thätigkeit angepasst Ud4
weil Gott jedes Ding seiner Natur entsprechend bewegt, dashalb
muss die Thätigkeit dieser Greaturen mit Nothwendigkeit erfolgen.
Die Applicierung der activen Kraft durch Gott erfolgt demnach
in der Weise, dass diese Geschöpfe die Potenz fUr das Nicht-
thätigsein, und die Potenz, mit dieser ihrer Thätigkeit ein anderes
als das .gerade vorgestellte Object anzustreben, verlieren. Vom
Verlieren kann man jedoch eigentlich nicht sprechen, denn sie
_-^215 —
habeu, weun ai^ in acht sind, tod Natar aus nicht die Poteo^
fUr das NichtthätigseiD, oder ftir einen andern Gegenatand als
den bestimmten. Die erste Ui'sache dieser Nothwendi^'keit haben
wir in Gott zu suchen, der vorbildliche und wirkende Ureacbe-
für alles ist, sowohl hiDsichttieh des Seins, als aufli der TLatig-
keit. Die nächste unmittelbare Ursache dieser Notlivrendigkeit
liegt darin, dass sib an einen Stoff gebunden und iu ihrer Tliatig-
keit ganz davon abhängig sind. Sie besitzen infolge dessen weder
die Herrschaft Über ihre Thätigkeit, noch stehen sie höhei' a!s
ihr Object,
Diese Nothwendigkeit hindert jedoch nictit, dass die Thätig-
keit der Natnräiuge eine conti ngeate sei. Die Erde bringt nicht
'auf nothwendige, sondern auf contingeute Weise Pflanz-en iindFriluhtc
hervor. Würde die Thätigkeit selbst mit absoluter Noth-
wendigkeit ans dör aetiven PoteuK folgen, so wäre nicht ein-
zusehen, warum Gott diese active Kraft noch eigens zu der
Thätigkeit ap.pli^iereu mllsste. Wir könnten in diesem Falle
die Sentenz des Durai^dus nnterschreiben, dass Gott den Geschiipi'en
einzig ]ind allein nnr die aetiven Kräfte gibt und erliäit, ohne
nnmitelbaV bei der Thätigkeit selbst mitzuwirken. In 'Wahi'heit
verhält es sich anders. Die Naturdinge sind bestimmt in liezng
auf die Art der Thätigkeit, nicht aber biosichtiich des (iin/.i?tiien
Actes (quoad speciem actus, non quoad mdividuiiin). Sie l'fibreu
ja mehrere individuell oder numerisch verschiedene Thätig-
keiten- aus. Die .operativen Kräfte wurden ihnen. tiicht bloß zu
einem einzigen Acte verliehen, sonst wären sie nach Ausllbiing
dieses Actes vollkommen überflüssig. Diese eine individuelle
Thätigkeit iässt sich ja nicht wiederholen. Es muss folglicli zuge-
geben werden, dass jedes geschaffene Agens, wie sehr es auch
durch die active Kraft sieh iw acfu ^befindet, nichtsdestoweniger
AtT praemotio physka, oder des simultanen Concurses im Sinne des
heil, Thomas bedarf. Auf jeden Fall bleibt ea nicht deter-
miniert fttr die individuellen Acte. Wenngleich es also hin-
reichend fUr den erstön Act determiiyert ist, so ist es doch da-
darcb undeterminiert für deü zweiten und den folgenden. WähieriVl
es den- ersten vollzieht, ist es hinsichtlich des zweiten in der
Potenz, denn. zwei zugleich kann das Gesoliüjti' iiifht aus-
t üben. Somit nmss es za dem zweiten erstdetertuiiiiert weiden.
Wir werden also sagen mtlsaen, dass die Tliiiii.nkeii /.war
ihfallibi titer, nicht aber mit absoluter Notb wen di^^k ei t
aus der aetiven Potenz hervorgehe. Der Hauptuntetschied z\vischen
freien und nichtfreien Thätigkeitffli kann demnach keineswegs in
dieser absoluten Nothwend'igkeit gesucht werden, sondern
darin, ob die .Creaturen sich zu diesen ihren Thätigkeitcu deter-
niinierep, oder ob die gaoze Determimemng einzig und allein
Von Gott kommt. Determinieren sich die Creaturen ebeafalls,
— * 220 —
•
inielligendi, unserer Auffassung nach, früher als die scientia media,
denn dieses Wesen, dieses ms, diese Möglichkeit der freic^n Acte
bildet in Gott das Object der Allmacht, und die Allmaj^bt ist
früher als die scientia media, Sie kann somit nicht' ton der
scientia media abhängen. Die Freiheit ist ohne Zweifel ein etis^
eine große Vollkommenheit, sie untersteht demnach der Allmacht
6ottes, weil jeder activen Potenz ein possibile als eigenthümliches
Object zukommt (1. p. q. 25. a. 3.). Da nun die Potenz in Gott
unendlich ist, so muss ihr neben allen andern Dingen auch die
Freiheit der Geschöpfe als possibile correspondieren. Die Haupt-
schwierigkeit liegt in dem Nachweise, dass die Allmacht unserer
Auffassung nach früher sei als die scientia media. Allein wenn
man bedenkt, dass das Object der Allmacht universeller als das
der scientia media, erstere überdies ein absolutes und nothwen-
diges Attribut in Gott ist, während letztere zwischen dem not-
wendigen und freien in der Mitte liegt, so leuchtet ein, dass das
Object der Allmacht früher sein müsse, als die scientia media.
^£s liegt darum ganz klar zu Tage, dass Gott ohne die seientia
media den Willen frei bewegen kam), und die praemotio'physica
sehr wohl vereinbar ist mit döf Freiheit. Intrinsece oder absolute
impossibilia sind diese beiden Sätze: Gott bewegt den Willen
frei, und: derselbe wird frei bewegt, nicht, sonst könnten sie nicht
Gegenstand seiner Allmacht sein. Oder sollte Gott wirklich etwas
, Positives, elwas Vollkommenes ^icht zulande bringen, was doch
der aftnen Citeatur gelüagt? Hat er es vermocht, 4ii vfernünfligea
Geschöpfe al^ ffeie*ins Dasein zu rufen, sie mit der Grundlage
und Vorbedingung für die^ Freiheit auszustatten, so dass si^ eine
' •frdie'Thäti^keit ausübe können, sÖ'wird es ihm ohne Frag^'
auch ein Leichtes sein, diesQ^* ersten V(ftl^ommenI)eit eine zweite,
die freie* T h ä f i g k e i t selbst beizufügen. %
Zweites Pr^ncip: Gott bewegt die Gegchöpfe von' seiner
Seite frei, gleichwie er sie frei geschaffen hat; Auf Grund dieser
• seiner Freiheit bewegt er aucli'die vernünftigen Geschöpfe frei, '
sie behalten ihre Freiheit bei. Weil die Bewegupg von Seiten
Gottes eine freie ist, deshalb lässt sie im Willen die Potenz ftlr
das Gegentheil zurück, das heiBt der entgegengesetzte Act ist
dem Willen noch im eigentlichen Sinne möglich. Das Mögliche
bildet das Correlat zu der Potenz, dem Vermögen. Die Thätig-
keit, welche Gott ausüben kann, ist in Wahrheit möglich, sonst
wäre die Potenz in Gott eine Chimäre. Wenn nun Gott den Willen
von seiner Seite frei bewegt, so ist derselbe zugleich in der Po-
tenz, besitzt derselbe die Macht, nach Entgegengesetztem zu streben.
Frei handelt nur jenes Wesen, welches eine Potenz für das Gegen-
theil hat. Der entgegengesetzte Act ist somit in Wahrheit noch
möglich. Wenn aber dies, dann lässt die Be\fegung durch Gott
im Willen die Potenz für das Gegentheil zurück. Daraus folgt
_ 221 — ■
evident, daiss Gott, welcher von seiner Seite frei bewegt, diese
Freiheit auch in dei* Creatar Trahri, wenigstens wahren könne.
Darnm.ißt die praemotio physica. mit der Freiheit dnrchaas ver-
einbar. ■ ■
Drittes Princip: Die freie Tbätigkeit wird gewahrt, w«nn
dia Potenz. fUr däs-Gegentheil noch vorhandea ist. Diee. aber trifft
bei der praematio physka -zn. Es ist ganz die- gleiche Schwierig-
keit, dass bei der .praem^o physica die Potenz für das Gegen-
tbeii bleibe, pnd dass diese Potenz bleibe, wenn d.ieTbätigkeiC'
de facto ausge'hbt wird. Darum haben wir früher, gesagt, dass
jede Detertuinieruug, von welcher Seite immer sie »abgebt, die
Freiheit aufhebe, wenn die Tbätigkeif mit absoluter Notb-,
wendigkeit ans .dieser Determinierung folgt. Die Puteu^ tllr
(iaa- Gegentbeil bleibt jedoch hier vollkommeit intact, weil bezüg-
lich der positiven Dinge. nur die oonträr entgegbngeBetzten nicht
zugleich sein kSunen. Hier handelt es sieb aber um zwei conträr
Positive, Zwei Positive können nicht contradictoiisch oder privativ, .
sondern nur conträr entgegenstehen. Nnn müssen' zwei conträr
entgegengesetzte Extreme derselben Gattung angehören, iji eodetn
ijenere sein. Die wirkliche Ansübung unserer Thätigkeit aber und
die Potenz für den entgegengesetzten Act sind nicht in eödein
genere. .Die Thätigkeit ist wirklieb, die' Potenz für den andern
Act nur möglich. Folglich stehen sie nicht im conträren Gegen-
satz, und können somit zugleich sein. Wenn demnach durch die
Thätigkeit selbst - die Potenz nicht, anfgeboben wird, so wird dies
ilnreb die prasmoHo zn dieser Thätigkeit auch nicht geschehen.
Die Freiheit bleibt Dohin. vollkommen aufrecht bestehen, weil der
Wille eine Thätigkeit vollziehend die Potenz für eine andere
■beibehält.-
Viertes Princip; Wie sehr auch der Wille vorherbewegt
wird, et kann sich' zu seiner Thätigkeit als 'dem erkannten Ob-
jecte neigen oder nicht neigen.- Folglich muss er diesen Act, seine
Thätigkeit frei wollen. Man erinnere sich an das, was wir früher
über die Abhängigkeit des- Willens vom Verstände gesagt haben.
Der Wille neigt sich zu dem, erkannten und vorg^tellteu Objecte
80, wie dasselbe ihm vorgestellt wird. Wird ihm eines sitb in-
diferentia Vorgestellt, so neigt er sich zn demselben frei. Nan
kann der Verstand niemals die Willenslhätigkeit. als eiu allge-
meines Gut d. h. ohne Indifferenz vorstellen, denn sie ist etwas
Paytieulä-res. Das Particuläre kann zwar, muss aber nicht
begehrt werden. Der Verstand kann es somit nur svi> indiffereniia
vorstellen, f^olglieh kann auch xler Wille nnr- sub ' indijfemitin
d. b. frei sich zn seiner Thätigkeit als einem vorgestellten Ob-
jecte neigen.
Ans alledem geht hervor, dass die praematio physka den
Willen gar nicht mit Nothweodigkeit za ein^r Thätigkeit he-
. — 222 —
stimmen kann. Gott mttsste zam Zwecke ^er nothwendigen
Bewegung zuerst den Verstand betrügen. Da det Wille über-
haupt nur dann in Tbätigkeit übergehen kann, wenn der Verstand
ihm ein Object vorstellt, so müsste Gott den Verstand derart
bewegen, dass er »die Willensthätigkeit als etwas allgemeines, aU
bonum universal^ erkenne und vorstelle, oder wenigstens als ein-
ziges Mittel zu diesem allgemeinen Gut. Das erstere ist einfach
unmöglich, hier. wie in der andern Wölt, das letztere unmöglich
■für uns hier auf Erden. Solange der Verstand dicj Willensthätig-
keit als ein partieuiäres Gut, und noch dazu als nicht noth-
wendiges Mittel zum Guten und zu der Glückseligkeit im all-
gemeinen vorstellt, solange wird die praemotio physica nie die
Willensthätigkeit nothwendig^ sondern stets frei verursachen.
Gott bewegt den Willen zwar unabänderlich fimmutctbiliter),
wegen der Wirksamkeit der bewegenden Kraft, die kein Hindernis
kennt, allein in Anbetracht der Natur des bewegten Willens, die
vielen gegenüber sich indifferent verhält, ist keine Noth-
wendigkeit, sondern volle Freiheit in ihm (de malo
q. 6. a. .1. ad* 3.)
Gott ändert nichts im Willen, weder dessen Natur, noch den
modtcs dieser Natur, er entfernt durch seinen Einfluss bloB eine
seiner Unvollkommenheiten, die reine Potentialität, indem er
macht, dass diese Potentialität verwirklieht wird, Aktualität erhält,
gleichwie er der Wesenheit der Geschöpfe die Actualität, die
Jfixistenz oder das Dasein verleiht. Wie aber diese Existenz doreb
diesen Einfluss Gottes nicht eine noth wendige wird, sondern
eine contingente bleibt, ebenso wird auch die Thätigkeit de«
Willens durch die praemotio phi/sica nicht eine nothwendige,
sondern sie bleibt eine contingente. Nothwendig und contingeot
gehören dem Seienden an, sind Eigenschaften des ens. Da non
Gott durch die praemotio physica die Thätigkeit des Willens her-
vorbringt, insofern diese ein ens ist, so hängt es nur von ihm ab,
ob der modtcs dieses ens ein nothwendiger oder contingenter werde.
Die wirksame Ursache bringt nicht nur öinen Effect hervor,
welcher als ens ihr ähnlich ist, sondern auch den modus dieses
Effectes. Gottes Wille aber erweist sich am allerwirksamsten.
Darum wird nicht bloß alles das, was et will, sondern es Wird
auch auf jene Art und Weise, Wie Gott es will. Er will,
dass manche Dinge nothwendig, manche dagegen contingent seien,
damit unter den Geschöpfen Ordnung herrsche und das Uolversnm
in seiner Vollendung dastehe (1. p. q. 19. a. 8.). Es. hängt dem-
ilach nicht vom Willen ab, dass seine Thätigkeit nothwendig oder
in contingenter Weise erfolge, sondern von Gott, der will, dass
manche Ursache nothwendig, manche contingenter thätig seien.
Um zu beweisen, dass die praemotio physica der Freiheit schade,
müsste vorerst dargethan werden, Gott wolle die freie Thätigkeit
— 223 —
aufheben und er habe za diesem Zwecke den Willuu der Gefl(^ill!pfe
als nothwendige Ursache ins Leben, genil'eii. Allein diespr
Beweis wird nie gelingen. Wegen der Ordnung und Vollendimg
des Universums will er gerade, dass der Wille der Creaturen
eine freie Ureache sei, und dasp ans dieser freien Ursache
freie- Thätigkeiten entstehen. Ebenso mllsste bewiesen werden,
dasa Gott durcli die praemotio und praedetei-iniiiutio physka <lie
Katur des Verstandes und Willens der vemlinftigen Geschöpfe
andere. Der Versucli, dieses zu beweisen, wiid aber misalingen
(1.2. q. )0. a. 4,). Das einzige, was von Gott geändert wiid, ist
der passive, utithätige Ziistaud, .in welchen! die Creattir aus und
durch sich selber ist. Da aber dieser Zustand nicht gleiehbedentend
ist mit der Freiheit selber, so erleidet letztere liiufb diese Ände-
rung ^einerlei ächadeo (cir. de oiaLo q. 3. a.i. ad 17.).
§ 14. Die praemotio physica und die Sttnde des freien Willens.
101. Eine der schärfsten Angriffswaffen, deren sieb die Gegner
bedienen, um die praemotio physica aus der Welt -/.a seliatTeu,
bildet ohne Frage die SUnde des freien WillenH. Wenn Gott den
Willen der vernünftigen Geschöpfe vorherbewegt und vorherdeter-
miniert, wie ist derselbe dann frei, und wenn er nicht frei, wie
kann ihm dann etwas zur Sünde angerechnet werden? Ebenso
masB Gott selbst, indem er den Willen deriirL bestimmt, dass
unfehlbar daraus eine Thätigkeit erfolgt, die l'eblerbaft ist. die
Ursache dieser fehlerhaften Thätigkeit bilden.
Vorerst oiUssen wir uns über das Wesen der ^iinUe klar
werden. Die Sünde ist dem heil. Thomas eine Thütigkeit, die von
ihrer Richtschnur, nach welcher sie ausgeübt wcnien sollte, ab-
weicht (1. p. q, 63. a. 1.). Jede Thätigkeit voll'/.iebt sich um eines
Zweckes, eines Zieles willen. Beobachtet sie nicht die gehörige
Ordnung zu diesem Ziele, so wird sie sündhaft. Die Einordnung
zum Ziele findet ihren Maßstab in einer Regel «>der Richtschnur.
In Bezug auf die menschlichen Handlnngcn muas eine zwei-
fache Richtschnur ins Auge gefasst werden; dii: menscbliebe Ver-
nunft als nächste, das ewige Gesetz, als höcheti'. ICntfcrnt sieb die
menschliche Thätigkeit von dieser Regel, so nennen wir sie Sünde
(1. 2. q. 21. a. 1. — ib. q. 71. a. 6.)-. Die Sünde besteht demnach
in jener Thätigkeit, die ihr Ziel nicht erreicbl, welches sie er-
.reichen soll (2. dist. 3ü. q. V. a. ].). Wie es unter den wirksamen
Uraachen eine Ordnung gibt, indem das BDi);iUerne Agens vum
Uanptagens abhängt, ebenso muss anch unter duu Finalursachen
eine Ordnung sein, so dass das- subalterne Ziel vom Hauptdele
abhängt. Bei den wirksamen- Ursachen geschieht ein Fehler da-
durch, dass das secundüre Agens ans der Ordnung des Haupt-
agens heraustritt, wie z. B. der Fuß, weil er krumm oder halb-
i
intelügmdi, unserer ÄufiassuQg nach, fi llher »Ib die sckntia ■media,
denn dieses Wesen, dieses ens, diese Möglicltkeit der freien Acie
bildet in Gott das Object der Allmacht, aud die AllmAjCht igt
frUber als die scientta media. Sie kann eomit nicht' ton der
scientia media abhängen. Die Freiheit ist ohne Zweifel eia em,
eine große Vollkommenheit, sie untersteht demnach der Allmacht
öottes, weil jeder actlven Potenz ein possihile als eigenthümlichea
Object zukommt (1. p, q. 25. a. 3.). Da nun die Potenz in Gott
unendlich i»t, so muss ihr nebeu allen andern Dingen auch die
Freiheit der Geschöpfe als possibile correspondiereo. DieHanpt-
Bcbwierigkeit liegt in dem N^acbweise, dass die Allmacht unserer
Aul'l'assuug nach früher sei als die scientia media. Ailein wean
man bedenkt, dass das Object der Allmacht uniTerseller als das
der scientia media, erstere überdies ein absolutes und nothwea-
diges Attribut in Gott ist, während letztere zwiBchen dem uBfti-
wendigen und freien in der Mitte Hegt, so leuchtet ein, dass Ats
Object der Allmacht früher sein mUsse, als die scientia media.
_Es liegt darum ganz klar zu Tage, dass Gott ohne die seientia
'media deu Willen frei bewegen kann, und die praemotio-pht/sioi
sehr wohl vereinbar ist mit d6f Freiheit. Intrinsece oder absoUtle
iiiij>ombilia sind diese beiden Sätze: Gott bewegt den Willen
frei, und: derselbe wird frei bewegt, nicht, sonst könnten sie nicbt
Gegenstaud seiner Allmacht sein. Oder sollte Gott wirklich etwas
Posilives, etwas Vollkommenes ^icht zustande bringen, was doch
der aAnen GAatur gelingt? Hat er es vermocht, dii v%rnQnfiLg«iL
Geschöpfe al| freie>ins Dasein zu rufen, sie mit der Grundlage
und Vorbedingung fUr di& Freiheit auszustatten, so dass sie eine
•fräie'Thätigkeit ansübe^ können, sö'wird es ihm ohne Frag?
auch ein Leichtes sein, dies^ ersten VcftlfcommeDlJeit eine zweite,
die freie' Thät'igkeit selbst beizufügen. «
Zweites Prjncip: Gott bewegt die Geschöpfe voo'seuier
Seite tVei, gleichwie er sie frei geseh^en hati Auf Grund dieser
seiner Freiheit bewegt er auclfdie vernünftigen Geschöpfe frei, '
sie behalten ihre Fi-eiheit bei. Weil die Bewegung von Seiten
Gottes eine freie ist, deshalb lässt sie im Willen die Potenz fBr
das Gegeutheil zurück, das hei£t der entgegengesetzte Act ist
dem Willen noch im eigentlichen Sinne möglich. Das Mögliche
bildet das Gorrelat zn der Potenz, dem Vermögen. Die Thätig-
keit, welche Gott ausDbeu kann, ist in Wahrheit möglich, sonst
wäre die Potenz in Gott eine Chimäre. Wenn nun Gott den Willeo
von seiner Seite frei bewegt, so ist dei-selbe zugleich in der Po-
tenz, besitzt derselbe die Macht, nach Entgegengesetztem zu streben.
Frei handelt nur jenes Wesen, welches eiue Potenz fUr das Gegen-
tbeil hat. Der entgegengesetzte Act ist somit in Wahrheit noch
möglich. Wenn aber dies, dann lässt die Beilegung durch Gott
im Willen die Potenz iüv das Gegentheü zurück. Daraus fol^
evident, dass Gott, welcher von seiner Seite frei bewegt, diese
Freiheit auch in ,der Creatnr wahr«, wenigstens wahren liünne.
Daram.ist die praemotio phyaica mit der Freiheit durchaus ver-
einbar. ■ ■
DritteB Princip: IKe freie ThätFgkeit wird gewahrt, wenn
die Potenz. fUr. däs-Gegentheil noch vorhsndeQ ist Dies. aber trifft
bei der praemotio physka -zu. Es ist- ganz dia gleiche äehwierig-
' keit, dflsa bei der .prflemttio physica die Potenz fUr das Gegen-
theil bleibe, und dass diese Potenz bleibe, wenn d.i e T li ä t i g Ic e i t'
de fade ansgellbt wird. Darnm haben wir IrUher. getitigt, dass
jede DeteroiinicruDg, von welcher Seite immer sie ausgeht, die
Freiheit aufhebe, wenn die Tbätfglceif mit absoluter Noth-,
wendigkeit ans .dieser Determinieiung folgt. Die Poteu? fliv
<laS' Gegentbeil bleibt jedoch hier vollkouimeq iutact, weil bezüg-
lich der positiven Dinge. nur die oontriir entgegengeaetzten nicht
zugleich sein kßnnen. Hier handelt es sich aber um zwei conträr
Positive. Zwei Positive kSniien nicht eontradictorisch oder privativ, .
Sündern nur conträr entgegenstehen. Nnii müssen' zwei conträr
entgegengesetzte Extreme derselben Gattung augehßreu, in eodem
gmere sein. Die wirkliche Ausübung unserer Thätigkeit aber uud
die Potenz für den entgegengesetzten Act sind nitht m eodem
genere. .Die Thätigkeit ist wirklich, die Potenz für den andern
Act nur möglich. .Folglich stehen sie nicht un coaträren Crcgeu-
satz, iind' können somit zugleich sein- Wenn demnach durch die
Thätigkeit selbst die Potenz nicht, aufgehoben wird, so wird dies
durch die praemotio zn dieser Thätigkeit auch nicht geschehen.
Die Freiheit bleibt sühin. voükommen aufrecht bestellen, weil der
Wille eine Thätigkeit vollziehend die Potenz für eine andere
■beibehält.'
Viertes Prinoip: Wie sehr auch der Wille vorherbewegt
wird, ^r kann sich' zu seiner Thätigkeit als dem erkannten Ob-
jecte neigen oder nicht neigen.' Folglieh müss er diesen Act, seine
Thätigkeit frei wollen. Man erinnere sich an das,' was wir frilher
Über die Abhängigkeit des- Willens vom Verstände gesagt haben.
Der Wille neigt sich zu dem. erkannten und vorgestellten Objecte
H9, wie dasselbe ihm vorgestellt wird. Wird ihm eines suh in-
differentia Vorgestellt, so neigt er sich zu demselben frei. Nun
kann der Verstand- niemals die WiUeaslhätigkeit als ein allge-
meines Gut d. h. ohne Indifferenz vorstellen, denn sie ist etwas
P ar t i c u 1 är e s. Das Particuläre kann zwar, muss aber nicht
begehrt werden. Der Verstand kann es somit nur sui indifferentia
vorstellen, f'olglich kann aueh xier Wille duf- sub indifferentia
d. h. frei sich au seiner Thätigkeit als einem vorgestellten Ob-
jecte neigen.
Ans alledem geht hervoi', dass die praemotio physica den
Willen gar nicht mit Kothwendigkeit zu ein^r Thätigkeit he-
— 222 —
stimmen kann. Gott müsste zum Zwecke ^er nothwendigen
Bewegung zuerst den Verstand betrügen. Da det Wille über-
haupt nur dann in Thätigkeit übergehen kann, wenn der Verstand
ihm ein Objeet vorstellt, so müsste Gott den Verstand derart
bewegen, dass er -die Willensthätigkeit als etwas allgemeines, als
bonum universal^ erkenne und vorstelle, oder wenigstens als ein-
ziges Mittel zu diesem allgemeinen Gut. Das erstere ist einfach
unmöglich, hier. wie in der andern Wölt, das letztere unmöglich
•für uns hier auf Erden. Solange der Verstand diQ Willensthätig-
keit als ein particuläres Gut, und noch dazu als nicht noth-
wendiges Mittel zum Guten und zu der Glückseligkeit im all-
. gemeinen vorstellt, solange wird die praemotio physica nie die
Willensthätigkeit nothwendig, sondern stets frei verursachen.
Gott bewegt den Willen zwar unabänderlich ftmmutabUiter),
wegen der Wirksamkeit der bewegenden Kraft, die kein Hindernis
kennt, allein in Anbetracht der Natur des bewegten Willens, die
vielen gegenüber sich indifferent verhält, ist keine Noth-
wendigkeit, sondern volle Freiheit in ihm (de malo
q. 6. a. .1. ad- 3.)
Gott ändert nichts im WilleU; weder dessen Natur, noch den
modus dieser Natur, er entfernt durch seinen Einfluss bloß eine
seiner Unvollkommenheiten, die reine Potentialität, indem er
macht, dass diese Potentialität verwirklicht wird, Aktualität erhält,
gleichwie er der Wesenheit der Geschöpfe die Actualität, die
Jfixistenz oder das Dasein verleiht. Wie aber diese Existenz durch
diesen Einfluss Gottes nicht eine noth wendige wird, sondern
eine contingente bleibt, ebenso wird auch die Thätigkeit des
Willens durch die praemotio physica nicht eine nothwendige,
sondern sie bleibt eine contingente. Nothwendig und contiDg;ent
gehören dem Seienden an, sind Eigenschaften des ens. Da nun
Gott durch die praemotio physica die Thätigkeit des Willens her-
vorbringt, insofern diese ein ens ist, so hängt es nur von ihm ab,
ob der modus dieses ens ein nothwendiger oder contingenter werde.
Die wirksame Ursache bringt nicht nur öinen Effect hervor,
welcher als ens ihr ähnlich ist, sondern auch den modus dieses
Effectes. Gottes Wille aber erweist sich am allerwirksamsten.
Darum wird nicht bloß alles das, was ec will, sondern es wird
auch auf jene Art und Weise, wie Gott es will. Er will,
dass manche Dinge nothwendig, manche dagegen contingent seien,
damit unter den Geschöpfen Ordnung herrsche und das Universnm
in seiner Vollendung dastehe (1. p. q. 19. a. 8.). Es. hängt dem-
ilach nicht vom Willen ab, dass seine Thätigkeit nothwendig oder
in contingenter Weise erfolge, sondern von Gott, der will, dass
manche Ursache nothwendig, manche contingenter thätig seien.
Um zu beweisen, dass die praemotio physica der Freiheit schade,
müsste vorerst dargetban werden, Gott wolle die freie Thätigkeit
aufheben und er habe zn diesem Zwecke den Willeu der Gescböpfe
als DOthwendige Ursache ins Leben, gernt'ett. Allein dichter
Beweis wird nie gelingen. Wegen der Ordnung; und Volleiidnng
des Universums will er gerade, dass der Wille der Creatoren
eine freie LJi'sache sei, und daa^ ans dieser freien Ursache
freie- Tbätigkeiten entstehen. Ebenso mUsste bewiesen werden,
dass Gott durcli die praemolio und praedetermhiatio physica die
Natur des Verstandes und Willens der vernilnftigen Geschöpfe
Hudere. Der Versucli, dieses zu beweisen, wird aber misslingen
(1.2, q. 10, a. 4.). Das einzige, was von 6ott gelindert wird, ist
der passive, untliütige Zustand, in welchem die Creatur aus und
dorcb «ich selber ist. Da aber dieser Zustand nicht gleichbedentead
ist mit der Freiheit selber, so erleidet letztere durch diese Ände-
rung ^einerlei IScbaden (cfr. de malo q. 6. a. I. ad 17.).
§ 14. Die praetnotio physica und die Sttade des freien Willens.-
101. Eine der schärfsten AngriffswafFen, deren sich die Geguer
bedienen, um die praemotio physica aus der Welt ku schaffen,
bildet ohne Frage die Sünde des freien Willens. Wenn Gutt den
Willen der vernünftigen fieschöpfe vorherbewegt und vorherdeter-
miniert, wie ist derselbe dann frei, und wenn er nicht frei, wie
kann ihm dann etwas zur Sünde angereehuet werden? Ebenso
muss Gott selbst, indem er den Willeu derart bestimmt, dass
unfehlbar daraus eine Tbätigkeit erfolgt, die fehlerhaft ist, die
Ursache dieser fehlerhaften Tbätigkeit bilden.
Vorerst mllssen wir uns über das Wesen der äUude klar
werden. Die Sitnde ist dem heil. Thomas eine Tbätigkeit, die von
ihrer Richtschnur, nach welcher sie ausgeübt werden sollte, ab-
weicht (1. p.q. 63. a. 1.). Jede Tbätigkeit Voläzieht sich um eines
Zweckes, eines Zieles willen. Beobachtet sie nicht die gehörige
Ordnung zu diesem Ziele, so wird sie sündhaft. Die Hiuordnnng
7.Qm Ziele findet ihren Maßstab in einer Regel oder Richtschnur..
In Bezug auf die menschlichen Handlungen muss eine i^wei-
fache Richtschnur ins Auge gefasst werden: die menschliche V-er-^
QDDft als nächste, das ewige Gesetz als höchste. Entfernt sieb die
meusehlicbe Tbätigkeit von dieser Regel, so nennen wir sie Sünde
(1. 2. q, 21, a. 1. — ib. q.Tl. a. &.)x Die Sünde besteht demuaeh
in jener Tbätigkeit, die ihr Ziel nicht erreicht, welches sie er-
reichen soll (2. dist. 30. q. i: a. 1.). Wie es unter den wirksamen
Ursachen eine Ordnung gibt, indem das subalterne Agens vom
Hauptagens abhängt, ebenso muss auch unter den Finalursachen
eine Ordnung sein, so dass da» subalterne Ziel vom Hauptziele
abhängt. Bei den wirksamen- Ursachen geschieht ein Fehler da-
. durch, dass das seeundäre Agens ans der Ordnung des Haupt-
agerts heraustritt, wie z. B. der FuQ, weil er krumm oder halb-
— 228 —
was an irgend einem Gut IVfangel hat. Sündhaft dagegen heifit
jene Thätigkeit, die um. irgend eines Zwecke» oder Zieles willen
vollzogen wird, und sit^h zu diesem Ziele in unrichtiger. Ordnung
befindet. Die richtige Ordnung zum ^ijele hat* ihren Mafistab in
einer Kegel In den Naturdingen wird die Regel von der Kraft
der Natur selber gebildet, die zu diesem Ziele neigt. Geht die
Thätigkeit dieser Wes^n von der natürlichen Kraft aus, ent-
sprechend der natürlichen Neigung zum Ziele, so ist sie richtig
geregelt, denn sie weicht von der Hinordnung zum Ziele
durch das active* Princip nicht ab. So ofl hingegen irgend ein
Act von dieser Richtschnur sich entfernt, wird er böse oder fehler-
haft. Entspricht die Thätigkeit, welche von den vernünftigen Ge-
schöpfen ausgeübt wird, in ihrer Ordnung zum Ziele de^ richtigen
Vernunft und dem ewigen Gesetze, so ist sie geregelt und aus
diesem Grunde gut. Weicht sie von dieser Richtschnur ab, dann
müssen wir sie böse, sündhaft nennen. Unter dem Ziele ist in
unserer Frage selbstverständlifch das letzte oder Endziel zu ver-
stehen (1. 2. q. 21. a. 1. c. und ad 2.). Cfr. 2. 2." q. 162. a. 1. — ib.
q. 168. a. 4.-— 1. dist. 48. q. 1.. a. 3.'
Nicht bloß in den wirksamen Ursachen gibt es eine Ordnung;
indem die secundäre vom Hauptagens abhängig ist, sondern diese
Ordnung greift, auch bei den Finalursachen platz. Das secundäre
Ziel muss unter der Ordnung des Hauptzieles stehen. Ist ea diesem
nicht untergeordnet, so wird jedesmal eine Sünde erfolgen (3. contr.
Gent. .c. 109.). Die Sünde ist somit nichts anderi? als eine un-
geordnete Thätigkeit, indem etwas nicht so geschieht, wie es
geschehen . soll (de veritate q. 24. *a. 7.).
Die Moratität hängt femer ab von' der Freiheit. Es muss an
uns liegen, diese Th$ltigkeit. zu setzen oder zu unteriassen. Kar
auf diese Weise verdienen wir Lob oder Tadel (L c. q. 25. a. 5.).
Daher werden wir untersuchen müssen, ob die praemotio physica
die Freiheit des sündhaften Actes nicht aufhebt.
104, Wie verhält sich nun Gett zu dem sündhaften Acte des
Willens? Ist er die Ursache der Sünde, weil er den Willen vi
diesem Acte vorherbewegt?
Jemand kann auf doppelte Weise Ursache der Sünde eines
andern sein, entweder direct, indem er den \P^illen des andern
zur Sünde neigt^ oder indirect, weil er den andern von d^r Sünde
nicht zurückhält.
Erste P.roposition: Gott ist nicht direct Ursache der Sünde
des Geschöpfes. . *
Jede Sünde besteht im Abweichen *von der Hinordnung za
Gott als dem Endziele/ Gott aber, neigt und wendet alles Ge-
schaflfene zu sich als dem Endziele. Darum kann er unmQglicb
die Ursache sein, daas der Wille von dieser EEinordnUng zu Gott
abweicht (1. 2. q. 79. a. 1. — ib. q. 80. a. 1.). .Ein jedes Agens
— 225 —
welche dem Willea als Natur eigen ist, hat die Thiltigkeit als
ens oder Act in der phyalecbeu Ordnang zu ihrem Objecte. Die
andere Neigung, die ihm als Wahlfreibeit zukommt und durch
welche er das von der Vemunftentscheidiing, der sogenannten
Sentenz, vorgestellte Object auswählt, zielt auf das $ns in der ,
moralischen Ordnung ab: Per Gegenstand dieser Neigung ist das
6ut, das vollzogen oder gethan wird. In ersterer Neigung liegt
kein Defect, nichts Sündhaftes, Wohl aber in letzterer. Gleicliwie
der Verstand in Bezug auf die ersten Principiea nicht irrt, weil
Erkenntnis und Neigung zu diesen Principien ihm auf natUrliche
Weise zukommen, ebenso fehlt der Wille dadnrcb, dass er sich
zum Gnt jm allgemeinen neigt, durchaus nicht. Die Vernunft fehlt
dadurch, dass sie atis den Principien Folgerungen ableitet, die
in ihnen nieht enthalten sind, oder dadurch, dass sie manches
unrichtig zu den Principien hinordnet. Auf ähnlicbe Weise kommt
- bei der freien Willensthätigkeit ein Defect zustande. Wählt der
WiUe äinparticuläres Gut, das in sich nieht ein wahres, sondern
ein Scheingut ist, oder bezieht er ein wirkliches Gut nicht richtig
auf das Endziel, so ist die Sttnde unausbleiblich. Der WiUe be-
geht nach S. Thomas .anf zweifache Weise eine TodsUnde, einmal
dadurch, dass er ein Böses wählt, z. B. den Ehebruch, der iu sich
|j{)se ist.. Dieser verkehrten Wahl geht ein Irrthum von Seiten der
Vernunft voraus, denn sonst könnte das Böse nicht als. ein Gut
gewählt' werden. Oder er wählt etwas, was an sich ein Gut ist,
aber es, wird dabei die Ordnung nach der Vorschrift der Regel
außer Acht gelaesed (1. p. q. 63. a. 1. ad 4.).
102.. Aus all dem geht klar hervor, dass die SUnde ein Zweifaches
bedeute : einen ßCangel, eine' privatio boni, oder eine Unordnung
nnd Abkehr' vom Endziel; und die Thätigkeit oder deh Act mit
dieser. prJutdM), in wejeher eigentlich ■ das Böse seinen formellen
(ürond hat, gleichwie z. B. der Mensch da9 >3ubject bedeutet,
welches die menschliche Natuf bat, und Überdies die kutnanitas
als dasjenige, wodurch dieses Sabjeet foitoell Mensch ist,
■ Der Act, welcher das Subject dieser Unordnung ist, muss .
. abermals in doppelter Weise betrachtet werden: als äubject und
ZQgleioh als. Ursache, und als Subject allein. Der Acrt bildet die
Ursache dieser Deformität, insofern er auf ein vergäugltcbes Gut
gerichtet ist, woraus die Abkehr von Gott folgt. Die Affinpation
bildet immer die Ursache der Negation. Das Feuer .bteabsichtigt
seine Forin mitzntheilen, woraus im Gegenstande die privatio der
Kälte folgt. Allein das Feuer ist diesbezüglich nur Ursache dieser..
privatio per accidens, denn keine Ursache intendiert ein Übel zn
^rken. In derselben Wei^e. hat die SUnde, insofern -sie Sünde
Ul, iti ordine morali, eine defecte Ursache per accidens. Indessen-
■nnsg jede Ursache per accidena- zurüAkgefUhrt .werden auf eine ■
solche per S6, Die Ursaebe per se des untergeordneten Actes bildet
"Feiatfer, WUleiufiellielt, 16
— 214 —
•.
die Ursache ist, dass das Messer einschneidei;. Jede untergeordnete
Natur gelangt aber nur dadurch zu einer Thätigkeit, dass sie be-»
wegj wird. Daraus- folgt mit absoluter Nbthwendigkeit, dass Gott
die Ursache der Thätigkeit der*Naturdinge ist, indem er
die Kraft bewegt und zu der Thätigkeit appliciert" (de potentia
q. 3. a. 7.).
Stellen wir diese Ijehre des beil. Thomas der oben genannten
Behauptung über d i e absolute Nothwendigkeit gegentiber,
und die volle Unrichtigkeit .der letztern .ergibt siph von selbst. Was
in obiger Behauptung, actiis secundus ist, das ist in der Doctrin des
' englischen Meisters die actire Kra£t. Die potentia activa bildet
nach S. Thomas das principium agendi (1. p. q. 25. a. 1.). Dem
gemäß mtisste/ sobald ein Ding die actiye Kraft besitzt, mit
absoluter Nothwen'digkeit die Thätigkeit folgen. Was lehrt
aber S. Thomas in Wahrheit? Diese Kraft genügt nach ihm nicht,
dass ein Ding ohneweiters und durch' sich selbst in Thätigkeit
6ei,« sie puss ei*st von Gott zu dieser, Thätigkeit appliciert
.werden. Von eiifer absoluten Notbw^endigkeit, mit welcher
die Th^^tigkeit aus flem actm secundus hervorgehen soll, ist somit *
bei dem heil. Thomas an und für sich gar keine Bede. Die Sache
ist aber auch in sich unrichtig, denn ein accidens per acciden»
geht nie, wie das accidens proprium mit absoluter. IJothwen-
digkeit aus der Ursache hervor.
' 96. Der heil. Thomas spricht indessen wirklich sehr oft von einer
Nothwendigkeit, mit welcher die Naturdinge ihre Thätigkeit voll-
ziehen. Woher kommt nun diese Nothwendigkeit, denn eine solche
ist wirklich vorhanden? Sie stammt zunächst von Gott, der ersten
Ursache, die in ihrer Weisheit es also geordnet, dass manche Ge-
schöpfe, von ihr bewegt* und zur Thätigkeit bestimmt, nur diese
und keine andere Thätigkeit ausüben können. Die Natnrdinge
bestimmen nicht^sich selber zur Thätigkeit, sondern sie werden
ausschließlich nur von Gott dazu bestimmt. Damm hat Gott auch
..ihre Natur so eingerichtet, dass sie, von Gott bewegt, eine
Thätigkeit mitNothwendigkeit entfalten, indem sie sich zn
ihrer Thätigkeit nichtselber bestimmen. Der nächste, unmittel-
bare Grund dieser Nothwendigkeit liegt allerdings in der
Natur und Beschaffenheit der Naturdinge, allein sie haben die-
selbe eben nicht aus sich selber, sondern vom Schöpfer der
Natur. . Ihre Natur ist genau dieser Thätigkeit angepasst Ud4
weil Gott jedes Ding seiner Natur entsprechend bewegt, dashalb
muss die Thätigkeit dieser Creaturen mit Nothwendigkeit erfolgen.
Die Applicierung der activen Kraft durch Gott erfolgt demnach
der Weise, dass diese Geschöpfe die Potenz für das Nicht-
in
thätigsein, und die Potenz, mit dieser ihrer Thätigkeit ein anderes
als das gerade vorgestellte Object anzustreben, verlieren. Vom
Verlieren kann man jedoch eigentlich nicht sprechen, denn sie
-,215 -
habeu, wenn sIq in acht sind^ von Natur ans nicht die Potenz
für das Kichtthätigsein, oder hr einen andern Gegenstand als
den bestimmten. Die erste Ursache dieser Nothwendigkeit haben
wir in Gott zu suchen, der vorbildliche und wirkende Ursache,
für alles ist, sowohl hinsichtlich des Seins, als auch der Thätig-
keit. Die nächste unmittelbare Ursache dieser Nothwendigkeit
liegt darin, dass si^ an einen Stoff gebunden und in ihrer Thätig-
keit ganz davon abhängig sind. Sie besitzen infolge dessen weder
die Herrschaft über ihre Thätigkeit, noch stehen sie höher als
ihr Object.
Diese Nothwendigkeit hindert jedoch nicht, dass die Thätig-
keit der Naturdinge eine conti ngente sei. Die Erde bringt nicht
*anf nothwendi^e, sondern auf contingente Weise Pflanzen und Früchte
hervor. Würde die Thätigkeit selbst mit absoluter Noth-
wendigkeit aus dör activen Potenz folgeU; so wäre nicht ein-
zusehen, warum Gott diese active Kraft noch eigens zu der
Tfcätigkeit ap.p linieren müsste. Wir könnten in die'sem' Falle
die Sentenz des Durai^dus unterschreiben, dass Gott den Geschöpfen
einzig jind allein nur die activen Kräfte gibt und erhält, ohne
nnmitelbar bei der Thätigkeit selbst mitzuwirken. In Wahrheit
verhält es sich anders. Die Naturdinge sind bestimmt in Bezug
auf die Art der Thätigkeit, nicht aber hinsichtlich des einzelnen
Actes (quoad speciem actus, non quoad individuum), Sie fuhren
ja mehrere individuell oder numerisch verschiedene Thätig-
- keiten- aus. Die .operativen Kräfte wurden ihnen. nicht bloß zu
einem einzigen Acte verliehen, sonst wären sie nach Ausübung
dieses Actes vollkommen überflüssig. Diese eine individuelle
Thätigkeit lässt sich ja nicht wiederholen. Es muss folglich zuge-
geben werden, dass jedes geschaffene Agens, wie sehr es auch
durch die active Kraft sich in oc^w befindet, nichtsdestoweniger
der praemotio physica, oder des simultanen Concurses im Sinne des
heil. Thomas bedarf. Auf jeden Fall bleibt es nicht deter-
miniert für die individuellen Acte. Wenngleich es also hin-
reichend für den erstein Act determiiyert ist, so ist es doch da-
durch undeterminiert für deü zweiten und den folgenden. Währedti
*e8 deir ersten vollzieht, ist es hinsichtlich des zweiten in der
Potenz, denn < zwei zugleich kann das Gesohö^f nicht aus-
üben. Somit muss es zu dem zweiten erst determiniert werden.
Wir werden also sagen müssen, dass die Thätigkeit zwar
infallibiliter, nicht aber mit absoluter Nothwendigkeit
aus der activen Potenz hervorgehe. Der Hauptuntetschied zwischen
freien und nichtfreien Thätigkeit^ kann demnach .keineswegs in
dieser absoluten Nothwend-igkeit gesucht werden, sondern
darin, ob die .Creaturen sich zu diesen ihren Thätigkeiten deter-
minieren, oder ob die ganze Determinierung einzigund allein
von Gatt kommt. Determinieren sich die Creaturen ebenfalls.
•
allen Geschöpfen mit, soviel sie dafür empfänglich sind. Kommt
bei dieser Antheilnahme an seiner Güte ein Defect vor, so ist es
ein Zeichen, dass die Creatur dieser Antheilnahme irgend ein
Hindernis gesetzt hat ((Jemalo q. 3, a. 1. ad 8.). Die Bewegung
des ersten Bewegers wii^d nicht gleichmäßig von allen Beweg-
lichen anfgenommen, sondern entsprechend der Art und
Weise eines jeden Geschöpfes. Ist das -Geschöpf in der ge-
hörigen Disposition flir diese Aufnahme, so erfolgt eine
vollkommene Thätigkeit, wie der erste Beweger sie intendierte.
Fehlt diese Disposition und Fähigkeit, so wird die Thätigkeit
'mangelhaft ausfallen. Das Positive in dieser Thätigkeit hat den
ersten Beweger zu seiner Ursache, das Mangelhafte hingegea
stammt vom subalternen Agens, welclies von der Ordnung
des ersten abfällt (ib. a. 2.). Daraus folgt, dass Gott in keiner
Weise Ursache der Sünde genannt werden könne (1.2. q. 79. a. 2.).
105. Im Acte der Sünde muss demnach ein Dreifaches im
Auge behalten werden : Die Thätigkeit, wirksam aufgefasst ; femer
specificiert und formell in ordine morali genommen ; endlich die
Unordnung oder der Mangel der richtigen Regelung in ordine
morali. Bei der Unmäßigkeit z. B. haben wir zunächst das actuelle
Begehren nach Speise und Trank, oder mit andern Worten die
äußere Thätigkeit selbst. Dieser Act, efficienter aufgefasst, ist an
und für sich nicht in der Gattung der Moralität, denn er kann
gut oder böse, ein Act der Tugend oder Sünde sein, er ist ein-
fach ein Naturtrieb. Die Bestimmung durch den Willen, durch die
Wahlfreiheit specificiert diesen Act dahin, dass er böse, unge-
ordnet, gegen die Vorschrift der Vernunft, und darum fehlerhaft
wird. Es ist nicht das Verlangen überhaupt nach dem Gegen-
stande, sondern der unmäßige, ungezähmte Wupsch. Moralisch
wird er somit durch das formell wirksame Princip, den Willen,
sündhaft hingegen dadurch, dass er im Widerspruche steht mit dem
formell dirigierenden Principe, mit der Vernunft, Diese Unordnung
oder privatio rectitudinis ist daher das Dritte, was hier in Betracht
kommt. Der Act selbst bildet Subjeet und Ursache dieser Unord-
nung, inwieweit die privatio eine Ursache hat, nämlich, wie früher
gesagt wurde, per accidens und deficienter. Indepn der Wille als
actuelles Princip diese Thätigkeit ausübt, kehrt er sich vom
höchsten Gute und Endziele ab, und darin liegt der Defect, die
Unordnung. Diese Abkehr wird nicht direct, sondern per accidens
intendiert. Der Mensch, welcher sündigt, will diesen Defect nicht
per sey dennoch ist derselbe gewollt, weil der Mensch mehr liebt
diesen Defect in sich zu haben, als von der Thätigkeit ganz und
gar abzustehen. Gott will diesen Defect, welcher in der Sünde
liegt, auf keine Weise. Dieser erfolgt vielmehr daraus, dass die
Wahlfreiheit des Menschen von der Ordnung des göttlichen Willens
abweicht (de malo q. 3. a. 2. ad 1 .). Das formelle und specificative
— 233 ■ —
Prmcip der sUndLaften Thätigkeit bildet somH der Wille, insofei-u
er sich Vom Endziel abkehrt (2, dist. 3S. q. 1. a. 5. sed contr.).
Das materielle Prinoip wird von der Hinaeigang zdui rergäug-
liehen Qut gebildet. Dieser Stoff, dieses stoffliche Pi-incip empfUngt
die Abkehr aia Form, lq der Weise, wie das Formelle vom Stoff-
lichen anfgenommen wird. Darum ist .der Act der Sliude in der
moralischen Ordiiung ein Seiendes in der Potenz, denn
er befindet sich als menschlicher Act in der Potenz znr
Ordnung der richtigen Yernuaft and zu der Binordonng zürn End-
ziele. Das erste Thätigkeitsprincip aber ist , das Ziel, das ßnis,
das zweite das Agens, dag dritte die Ffirm, welche in einem l^toffe
hervorgebracht wird.
Damm bemerkt der heil. Thomas, die Thätigkeit, welche
einen Defect hat, deform ist, werde gut genannt, weil sie phy-
sisch, als actio, natürliche Gute besitzt. Dieser Defect lässt sich
allerdings von der Thätigkeit nicht trennen, allein jene Güte der
Natur bildet nur das Subject der Deformität. G^tt verursacht
die Thätigkeit, insofern sie Thätigkeit, nicht aber, insofern sie
deform ist. Er trennt zwar die Thätigkeit von ihrem Defecte
nicht, aber er' wirkt sie auch nicht, sondern er verursacht bloß
dasjenige, was sie als Thätigkeit ist. Es kann sehr gut vorkom-
men, dass in einem Effecte mehrere Dinge untrennbar verbunden
sind. Wer Ursache .des einen ist, mnss deshalb nicht auch Ursache
aller andern sein (2. dist. 37. q. 2. a. 2. ad 5.).
Gott ist , in der That in dreifacher Weise Ursache: als wir-
kend, als vorbildend und als Endziel. Als wirksame Ursache ver-
leiht er das. Sein, als vorbildliche die Art, als Endziel die Güte.
Das Sein besitzt keinerlei Gute, wenn es nicht zum Endziele hin-
geordnet ist, von dem alle Gute stammt. Ebenso befindet sich das
Sein anf Grund des Vorbildes, der Idee in einer bestimmten Art.
Diese Idee im göttlichen Verstände bewirkt daher das specifische
Sein der Creatoren. Sie ist sozusagen die Art in Gott. Die Mora-
lität, welche in der Hinordnung der Thätigkeit zum Endziele be-
steht, ist das Kunstwerk bezüglich der Substanz, des phydischen
Seins der Thätigkeit. Der Act befindet sich in einer zweifachen
Art: in jener der Natur und in jener der Mpralität Von Natur
ist er eine vitale Thätigkeit, von der Moralität aus liiogegeu
ist er geordnet oder nngeordnet, gut oder böse. Wenn der Künstler
nach den Gesetzen der Kunst ein Werk schafft, so besitzt
dieses eine doppelte Güte, in esse naturae und in esse artis. Lässt
er sich nicht von den Gesetzen der Kunst dirigieren, so wird es
nnr die erstere beibehalten, als Kunstwerk aber fehlerhaft sein.
Die Kunst ist nicht Ursache des Fehlers, ebensowenig der Künstler,
weicher kunstgerecht vorgeht, wohl aber der KUnstler, welcher
Ton den Gesetzen der Kunst abweicht.
106. Gott kann von diesen Gesetzen der Kunst nicht ab-
— 234 —
t
*
weichen, denn dasjenige, wodurch das Agens zuerst bewegt
wird, ist das Endziel, und dieses ist in Gott er selber. Ebenso
unterscheidet sich in. Gott die praktische Idee, durch welche er
thätig ist, nicht sachlich vom Agens und Endziele. Ein und das-
selbe Princip der Thätigkeit ist zugleich finis, agens und idea.
Da nun das Endziel identisch mit seiner Güte, so kann er
unmöglich etwas anderes als ein Gut wollen. Das universelle
Agens wird vom universellen Endziel zur Thätigkeit bewegt.
Zu diesem universellen Endziele, der eigenen Güte, hat er eine
uothwendige Beziehung.. Daher kann er niemals die Sünde
als solche verursachen. Die SUnde als solche lässt sich nicht
dem Endziele Gottes unterordnen, hat zu demselben keinerlei Be-
ziehung. Das Geschöpf hingegen kann fehlen, denn es ist ein
particuläres Agens, das mit particulären Gütern sich befasst, zu
denen es keine uothwendige Beziehung hat.
Den Act der Sünde hingegen kann Gott verursachen, weil
dieser ein Gut ist. Die Sünde ist nicht. eine negcUio, sondern eine
privatio. Jede privatio hat ein Seiendes, ein ens zu ihrem Sub-
jecte. Dieses Subject, ein ens per partidpcUionem, ist zugleich ein
bonwn per partidpationem, denn ens et bonum convertuntur. Die
Sünde als solche hingegen ist nicht ein honum per partidpationen^,
denn das vergängliche Gut,, welches der Sünder begehrt, bildet
selber dessen Endziel, steht somit im Gegensatz^ nicht in Unterord-
nung zu Gott, dem eigentlichen Bndziele. Die Wirkung, die Thätig-
keit des Willens, welche in Unterordnung unter die erste Ursache
ausgeübt wird, muss demnach auf die erste Ursache zurück-
geführt werden. Überschreitet der Wille die Ordnung der ersten
Ursache, so hat dieser Fehler nicht Gott zur Ursache (1.2. q. 79.
a. 1. ad 3.).
Die Wahrheit dieser Lehre lässt sich noch von einer andern
Seite ans beleuchten. Es wurde früher nachgewiesen, dass jedes
Agens einem andern sein Wirklichsein, seine Ähnlichkeit und Ottte
mitzutheilen bestrebt ist. Darin liegt das Wesen der Thätigkeit.
Ebenso wurde gezeigt, dass das Agens, um eine Thätigkeit aus-
zuüben in actu sein müsse. In der Sünde haben wir nun zwei
Dinge: ein ^9 in actu, den Act in der physischen Ordnung, und
ein ens in potentia, den Act in ordine morali. Der Act als Defect
ist bezüglich der moralischen Ordnung in der Potenz. Das en^
in der Potenz als solches untersteht nicht der Causalität Darum
bemerkt S. Thomas, der erste Stoff, die materia prima als solche
sei nicht geschaffen, sondern bloß mit geschaffen, insofern sie
nämlich, von einer Form actuiert, Wirklichkeit hat. Insofern also
die Sünde als Act ein physisches Sein hat, untersteht sie der
Causalität Gottes, denn sie ist ein ens in actu. Als Sünde in der
moralischen Ordnung hingegen, ist sie ein ens in potentia. Daher
kann Gott nicht die Ursache derselben sein. In diesem Sinne
— 235 —
antwortet Albert der GroJ3e auf eine Schwierigkeit, in der früher
von ons citierten Stelle. Der Stuff, sagt er daseibat, kann auf
doppelte Weise betrachtet werden, ßrstens insofern er existiert,
und in dieser Weise ist er t» a<du. Zweitens ohne irgend eine
Form, nnd in diesem Sinne ist er in der Potenz. Ebenso iet
der Act als Snbject des Defectes, der privtüio, ein ens artu, und
in Bezug auf dieses Sein, bat er Gott za seiner Ursache. Be-
trachtet man hingegen den Act formell als Sünde (sub prlvatione),
so ist er ein ens in der Potenz, und darum nicht von Gott vcr-
arsacht. Daraas ergibt sich der Untersobted der gtittlichen Cau-
salität bei den moralisch guten und moralisch bösen Acten. Die
moralisch guten haben eine doppelte Vollkommenheit: die Sub-
stanz des Actes und die moralische Form: beides wirkt Gott.
Bei den bösen findet sich blo£ eine, denn die moralische Form
geht ihnen ab (Alb. Hagu. in. 2. diBt.35. a. 7. pag. 323.). Albert
der Große beruft sich dabei auf folgende Stelle des heil. Anaelm
(lib. de praescicnt. et libero arbitr. c. 10.): „Omnis qualitas ei omnis
actio et quidquid habet essentiam, a Deo est, a quo est omnis justitia
et ntdla injustUia. Fatnt igitur OTTtnia quae justa vel injusia voliin-
tate ßunt, id est bona opera et mala. In bonis quidem facit quod
sunt et quod bona sunt; in malis vero facit quod sunt, sed non quod
mala sunt." Daraus folgt mit evidenter Gewissheit, dass die sünd-
haften Handlungen, hinsichtlich dessen, was sie Positives be-
sitzen, gnt sind und von Gott verorsacbt werden (de veritate q. 3.
a. 4. ad 5). _
Gott intendiert also bei der praemotio physica sich aelber
als Endziel in ordine physieo und in ordine morali. Die Creatur
soll sich diesem Endziele in dieser doppelten Richtung confoimiereu.
Bei der guten Handlung wirkt der Wille des GeBcIiQpfes that-
sächlich mit Gott in dieser zweifachen Beziehung. Bei deu sllnd-
baften dagegen nur in der einen, in esse pkysico, während er in
esse morali das vergängliche Gut zu seinepi Endziele wählt. Dieses
Ebdziel aber ist dem schlechthin ersten nicht untergeordnet uud
es bestimmt das Agens nicht in der Kraft des ersten Agens.
Folglich wendet sich der Wille, dieses verfolgend nnd begehreud,
vom eigentlichen Endziele ab, und tritt dadurch aus der Ord-
nung Gottes heraus. Darum kann der-Fehler nicht Gott zu -
geschriebcQ werden, denn das Geschöpf handelt dabei nicht in
der Kraft Gottes,' sondern in der eigenen Schwäche.
107. Gott kann somit nnr von demjenigen Ui-sache oder ci-stes
Princip sein, von dem er zugleich auch das Endziel ist. Das erste
Prineip mnss mit dem Endziele zusammenfallen. Würe us von
irgend etwas erste Ursache oder erstes Prineip, aber nicht End-
ziel, so wäre seine Oausalität als wirksame Ursache dieebezilglich
grCäer, universeller denn jene, die ihm als Endziel zukommt.
Dies aber darf in keiner Weise zugegeben werden. Das Endziel
— 236 —
enthält gerade so gut alle Vollkommenheiten, wie das erste Prineip.
Für den Act der Süüde in der physischen Ordnung Wldet nun
'Gott in der That d^s Endziel, «fedes Seiende ist ein Gut, das
ens und bonum sind correlate Dinge, oder wie S. Thomas sagt,
ens et bonum convertuntur. Und jedes geschaflfene Gut hat Antbeil
an der Güte Gottes, an dem Endziele aller Dinge. Der Act der
Siinde als Act bezieht sich somit auf Gott als das Endziel, und
Gottes Güte ist die Ursache davon, nach dem Axiom : primum in
genere est causa caeterorum.
Nach dem vorhin ausgesprochenen Grundsatze muss ' aber
Gott auch die wirksame Ursache,- die causa efßdens dieses Actes
seio. Denn gleich wie dieser Act als solcher ein Gut durch An-
theilnahme, ebenso ist er ein Seiendes durch Antheilnahme. Jedes
Seiende durch Antheilnahme aber muss zurückgeführt werden,
als auf seine Ursache, auf das Seiende durch seine eigene Wesen-
heit. Das ist ständige Lehre des englischen Meisters und dürfte
vernünftigerweise kaum je besti-itten werden: Datier muss be-
hauptet werden, dass Gott diesen Act wirke. Die gegentheilige
Lehre wurde, wie Albert der Große berichtet, von mehreren Ge-
lehrten seiner Zeit flir häretisch gehalten. Gott wirkt folglich
jiicbt bloß den Effect, wie man in neuerer Zeit noch zu lehren
beliebt, sondern er wirkt auch den Act des Willens, und dies
selbst, dann, wenn dieser Act ein sündhafter ist: Ein «n^ inordine-
physico bleibt er trotz seiner Sündhaftigkeit.
Wie verhält es sich nun mit .der Sündhaftigkeit^ selbst? Die
Sünde als solche, das Formelle dieses Actes hat nicht (xott zu
seinem Endziele. Wäre Gott das Endziel, so könnte der Act auch
in* der moi*^lischen Oi*dnung, in esse morali auf Gott bezogen
werden. In diesem Falle wäre von einer Sünde überhaupt keine
Bede. Das Formelle der Sün(}e besteht ja gerade in der Ab-
kehr von Gott. Das macht eben die Süude. zur Sünde, dass sie
Gott nicht zu ihrem Endziele hat. Ist aber Gott nicht Endziel, so
kann er auch nicht erstes Prineip, erste Ursache sein^.Gotl katfn
niemals eine Thätigk'eit ausüben, ohne sie auf das Endziel, auf
seine Güte^ auf sich selber 2u beziehen. Wäre er demnach durch '
die praemotio physica die erste Ursache der Sünde als solcher,
des Formellen in diesem' Acte, so müsste er es auf das Endziel
beziehen. Dadurch hört aber die Sünde auf, Sünde zu siein.
Mit Recht führt darum der englische Meister den Grand,
warum Gott nicht Ursache der Sünde als solcher sein könne, darauf
zurück, dass er von seiner höchsten Güte, um welcher willen er
thätig ist, nicht abweichen kann. Das Endziel, diese seine Güte
liebt er nothwendig und auf natürliche Weise. Dieser
Güte wegen, um seiner selbst willen, thut er alles, was er wirkt.
Aus diesem Grunde kann er nichts wirken, was nicht ein Gut ist,
zum Endziele Beziehung hat. Als universelles Agens wird er stets
— 237 — " .
TOD einem nDiTereell^n Ziele geleitet. Die SUnde als golche aber
ist nicht ein Gut, sifl hat keiaen Atttbeil an der Otlte des End-
zieles, non ^ bonum per participalionem. Unm&glich kann daher
Gott Ursache des Formellen in der Sunde sein.
Der Wille der veraUnftigeii Geschöpfe hingegen kann t'eJilett,
ist die Ursache des Formellen in der Sünde, denn seine Beziehung'
znm Eodziele ist in ihm, nicht auf naturnolhwendige nnd uayer-
änderliche Weise. Darum bemerkt der heil. Thomas: tKrfi/ra rathnalls,
quae ordinata est ad bonum absolute per adioties mtiüifarias, höh
potest habere naiuralüer aetiones indeßcientes a bano, nisi ei natitra-
liter et immobüiter insit ratio universalis et perfectt boni. Quod
quidetn esse non potest, nisi natura (/iiima (de reritate q.24. a. 7,i.
Gott kann niemals ein anderes Endziel haben, als Bicb selber,
das Geschöpf hingegen kann sich ein anderes erwählen, als Gott,
das höchste universelle Out. Die Hinotdnnng Gottes za seinem
Endziele ist eine noth wendige und natllrlichö, jeoc des Willens,
solange er Gottes Wesenheit' in der andern Welt nicht besitzt,
eine durchaus freie und vetänderlicbe. Den Beweis dafllr haben
wir frUber erbracht. Infolge dieser freien, veränderlichen
Hiuordn|ing des Willens zum Endziele, zu Gott, ist der Creatur
die Möglichkeit geboten, eine Sflnde zu begehen. Der Wille allein
bildet demnach die Ursache der Slinde als solcher, des Formellen
in dem sündhaften, Acte, indem er sich von Gott, dem wahren
Endziele abwendet, und ein anderes Gut, .bonum cotnmutahile sich
als Endziel anserwählt.
108. Aber, die Sünde ist doch nothwendig mit diesem Acic
des geschöpäichen Willens' verbunden ? Allerdings' ist gie mit dem
Acte selber vereint, keineswegs jedoch insofern dieser Act von Oott
gewirkt wird, sondern insofern 'er den geschaffenen Willen zu seiner
nächsten Ursache' hat. Der Beweis dafür ist leicht zu erbringen.
■ Gott bewegt den Willen zu siöh, weil er das Endziel für den-
selben bildet. Der sQndhaite Wille hat nicht Gott zum Endziele,
sondern ein vergängliches Gut. Es sind somit hier zwei wirkende
Ursachen mit formell verschiedenen nnd nebeneinander ste-
heodeu Endüelen. Das vergängliche Gut kann als Endziel nicht
.Gott.untergeOrdnet werden. Es hindert daher gar nichts, dasa
eine nnd dieselbe' Thätigkeit vom Agens stammt, welches eine
■untergeordnete Ursache ium Guten bewegt, während die subalterne
Ursache diesen Act swi ratione malt auBllht. Dieser eine Act hat
ja verschiedene Endziele, somit verschieden^ form'elit Priucipieu,
neren einea nicht üher-, das andere nicht untergeordnet ist. Die
Thätigkeiten werden" von den versebiedeften forniellen und finalen
Principien apecifiel'ert. Der hefl. l^omas bemerkt diesbezliglieb:
„fjffectus causae mediae procedens ab ea securtdum qiiod subditßr
ordini causae primae, reducitur diam in causam primam. Sed si
procedat a causa media secundum quod exit ordinetA causae primae:
— 238 —
sicut si minister faciat aliquid contra mandatum Domini, hoc non
reducitur in Dominum, sicut in causam. Et similiter peccaium, quod
liberum arbürium committit contra pra'eceptum Dei, non reducitur
in Deum sicut in causam^ (1.5^. q. 79. a. 1. ad 3.).
Öer sündhafte Wille tritt oflFenbar aus der Ordnung det End-
ursache Gottes heraus. Gott kann nicht wollen^ dass ein geschaf-
fenes Gut Endziel des menschlichen Willens sei. Geschieht es
trotzdem, so kanp dieser Defect, diese Deformität des Willens-
ajßtes nicht auf Gott, als auf die Ursache zurückgeflihrt werden.
Die Ursache, welche fehlt und sündigt, ist daher nicht Gott, son-
dern der Wille des Menschen. Der Wille ist in diesem Falle nicht
agens simpliciter, sondern agens deficiens, Gott dagegen agens sim-
pliciter. Die Thätigkeit Gottes befindet sich physisch und moralisch
(in genere physico et morali) in richtiger Hinordnung zum Endziele,
jene der Creatur nur physisch, während die moralische fehlt Ein
ähnliches Verhältnis haben wir im Menschen selber. Der Wille
bewegt durch seine Thätigkeit die Organe des Leibes in .irgend
einer Absicht zu einem bestimmten Zwecke. Sind diese nicht gut
disponiert, so wird ihre Thätigkeit das vom Willen vorgesteckte
Ziel nicht erreichen. Trägt der Wille die Schuld daran, dass die
Thätigkeiten der riiedera Potenzen ihr Ziel nicht erreichen? Das
wird niemand im Ernste behaupten.
Allein Gott bewegt jeden Willen nicht bloJß als Endziel, son-
dern als wirksame, Ursache? Er muss somit auch die Verantwor-
tung tragen für die Fehler, welche infolge dieser Bewegung sich
herausstellen? Das ist in keiner Weise nothwendig. Die Bewe-
gung Gottes wird im Willen, in der Potenz selber aufgenommen.
Befindet sich der Wille in der richtigen Disposition für die Auf-
nahme der Bewegung Gottes, so wif d die Thätigkeit, die er aus-
übt; eine vollkommene sein, und der Absicht des ersten Bewegers
entsprechen. Fehlt dem Willen die richtige Disposition und Em-
pfänglichkeit für die genannte Aufnahme; so wird eine unvoll-
Kommene Thätigkeit erfolgen. Das Positive dieser Thätigkeit hat
den ersten Beweger zu seiner* Ursache, das Fehlerhafte hingegen
deq Willen. Dieser Defect folgt aus der Thätigkeit des Willens,
der aus der Ordnung des ersten Bewegers heraustritt (de pialo-
q. 3. a. 2.).
Gott kann noch aus einem andeiii Gilinde nicht Ursache der
Sünde als solcher sein. Verursachen oder thätig sein bedeutet nichts
andjeres, als einem andern das mittheilen, was man selber besitzt,
einem andern die Ähnlichkeit der Form einprägen, duix^h welche'
das Agens selbec in actu ist. Das agens in aetu, bemerkt der
heil. Thomas so oft, bewirkt, dass ein anderes das Sein in aäu
erhalte, Gott ist in zweifacher Weise in actu, agens in actu ip
der physischen und in der moralischen Ordnung. Die sündhafte
Handlung dagegen ist in der physischen Ordnung in actu, in der
— 239 —
moraliscben a^et ia der Potenz. Die Sflnde als Bolclie liesitzt'
daram keine Ähalichkeil; mit Gott. Und Gott kann ihr seine eigene
ÄbnUchkeit, das: „esse in actu in ordine morali" nicbt mittheilen,
weil sie dadurch anfhöien würde SUnde zu sein. Wirkt Gott, wie
jedes ' a^ens in acUi, eio' eich ÄhnlicheB, so kann er iiur etwas
wirken, was in der moralischen Ordnung ein ens in actu ist.
Da nun, wie gesagt, die Sünde als solche in der iiioralischeD .
Ordnung ehi Seiendes in der Potenz ist, bo kann sie in dieser
Bezielmng nicht Gott, das Seiende in adu, in esse morali /ja ihrer
wirksamen Ursache haben. Wir mUssen dämm diese Ursache im
Willen suchen. Die Bewegung Gottes wird im Willen aiifgenommea.
Mit Bezug auf die physische Ordnung ist der Wille jederzeit iUr
diese Aufnahme disponiert, denn er emplaugt dadurch eine neue
Vollkommenheit, er wird agens in actu, Ursache. Als Ursache
gibt er einem andern, seiner eigenen Thätigkeit das .Sein. Darin
Hegt kein Fehler, denn der Act ist in ordine pht/sico etwas Gutes.
Anders verhält sich die Sache in ordine morali. DiealiezUglich
bleibt der Wille oft, infolge der Leidenschaften, Gewohnheiten,
selbst vermöge .der natürlichen Neigung seit der Erbsünde, filr
die Aufnahme der göttlichen Beweg:ung schlecht dittponiert. Die
praemotio physica wjrd somit in ordine morali ihre Wirkung nicht
erreichen, denn: quidquid redpUur, redpiiur secundum modum
recipimtis. Während der Wille demnach in der physiachen Ordnung
aus der Potenz in den Act Ubergefllbrt wird durch die Bewegung,
die von Gott ausgebt, bleibt er in der moralischen Orduung noch
in der Potenz. Das agens in potentia aber, kann nicht einem
andern das Sein geben. Es besitzt dieses Sein ja selber nicht.
Daher wird auch die Thätigkeit, die aus dem Willen folgt, in der
physischen Ordnung ein ens in actu, in der moralisehen dagegen
ein ens in potentia sein. Daraus ist klar, daes nicht Gott, sondern
der Wille Ursache der Sünde als solcher ist. Wie der Wille in
esse morali in der Potenz ist, ebenso auch der Act. Die Sünde
als solche hat keine causa efficims, wohl aber eine causa deficiens.
Hören wir hierüber Albeit den Großen. Einwurf: Actus non
causatur, nisi secundum quod est in actu, d non secundum guod '
est in genere. wl in intellectu. Actu autem non est, -nisi substratus
inalitiae. Ergo non causatur ah aliquo^ nisi jiubstratus malitiae. 8i
^go causatur a Deo, causabihir secundum guod est malitin.
Antwort darauf: Maieria consideratur dupliciter, scüicet prout
est, et sie est materia in actu. Alio modo consideratur materia_sine
otnni forma, et sie non est nisi in potentia. Jta etiam actus substtms
privationi actu est, et causatur secundum e^se swiw», quo subsiat, a
Oeo. Sed eonsideratus sub privatione,.non est nisi in potentia. Et
Äoc modo non causatur. Et haec est differentia. inter eoncursum Dei
*^ actus bonos, etiam moralüer, et eoncursum ejus ad actus -malos :
9Mta JM qctibus bonis est perfectio substantiae actus et formae moratis.
— 240- —
*' f
Et ideo ihi facit uirumque. 8ed in malis tantum alterum, eo quod
. mortüis forma deficit in eis (2. äist. 35. a. 1\ pag. 321.).. Cfr: ib.
dist. 34, a. 3. pag. 308. — dist. 37. «.. 1. pag. 334.
Es lässt, sich .demnach in • keinei; Weise bestreiten, dass Gott
durch die praefnotio physica Ursache dör Thätjgkeit, und .doch
nicht Ursache der sündhaften Thätigkeit des Willens ist.
, Sicut actio, quae deformitatefn peccati habet, dicitur bona, inqtuintuni
est actio j bonitate naturae, non propter hoc, quad aliquanao inveniatur ,
separata a defonnitate, sed quia bonitas illa naturae deformitaii
substat, Ita etiam Dens est. causa illius actionis, inquantum est actvOj
et non inquantum est deformitas, hoc . modo, quod actionem non
facit a 'deformitate separatam, sed quia in 'actione deformüati con-
juncta, hoc qüöd est actionis facit, et quod est deformitatis non facit.
Et si enim in aliquo effectu plurä inseparabilit^ conjunda SHtiif
non oportet, ut, qüod e$t causa ejus quantum ad unum, sit etiam
causa ejus quantum ad alterum, Sicut natura est causa oculi, qimth
,tum ad substantiam. ejus, et non quantum ad defectum caecüatiSj
quae ex defedu naturae patiicularis äccidit (2. dist. 37. q. 2. ad 2.
äd 5.). Sowenig der Wille für die schlechte Schrift, welche die
. zitternde Hand hervorbringt, zur Verantwortung gezogen werden
kann, weil , er ganz und 'gar unschuldig daran i&t, ebensowenig
•ist Gott die Ursache, wenn der Wille unter der praemotio physicä
' einen sttndh.aften Act ausübt. Gott könnte jedesmal die schlechte
Disposition des Willens früher abändern; ja, darüber ist kein
. Zwpifel. Da 'ei* jedoch dies zu thun nicht verpflichtet ist, es viel-
. mehr ihm eigen ist,» ein jedes Ding der Natur und -Verfassung des-
. selben entsprechend zu neigen, so liegt auf der .Hand, das^
es nicht seine, Schuld ist, wenn von den Geschöpfen Fehler, und
Sünden begangep. werden. Sein Einfluss zielt einzig und allein
• auf das Gute, auf das wahre Glück seiner Greäturen ab. Xn dieser
Intentioja' handelt er, wirkt auf den Willen ein. Leider entspricht
dicBer seinen. Erwartungen gar häufig nicht,- ist derselbe zu allem
andern eher disponiert und empfanglich als zu def Aufnahme jenes
Gutes, jener Vollkommenheit, die ihm. der Schöpfer mittheilt. Gott
hat. durch die praemotio physica alles, gethan, was er thirn sollte.
Es wäre, darum mehr als ungerecht, ihn mit, Vorwürfen zu über-
häufen, ihm 4ie Bchuld zu geben, wenn die Sache misslingt.
§ 15. Der bloß simultane Conctirs Gottes und die Sünde.
109. Es ist werkwürdig, dass die Angriffe gegen die prae-
motio physica sich darauf stützen, diese . Vorherbe wegnng sei Ur-
. Sache der Sünde. Wenn die Gegner genauer acl^tgeben wollteo^
80. würden sie finden, dass es im eigenen Hanse der Schwierig-
keiten 'übergenug gibt. Ist Gottes Vorherbewe^nng an der Sünde
. schuld, dann ist es ebenso sein simultaner CoQcnrs. In der That!
. • »
— 241 —
Gott bewegt den Willen nur im allgemeineQ. Kehliger muss
im Sione dieser Lehre gesagt werden, Gott bewegt nicht den
Willeu, er bewirkt nar die WillenEithätigkeit oder den
EfTect, nnd zwar tm allgemeinen. Das Schiff, um uoch
einmal mit diesem gebrechlichen Fahizenge die Beiae zu machen,
wird vom Winde bewegt, nicht aber der Steuermann. Diese Be-
wegung des SchiflFes ist aber eine allgemeine, z. B. nach
Osten gerichtete. Der Steuermann bestimmt durch seine Thätig-
keit die Riebtnng des Schiffes im einzelnen, z. B. filr Alexan-
drien. Fährt das Schiff auf einer Klippe auf, so trägt die Schuld
daran der Steuermann, nicht der Wind. Oenan so verhält es sich,
erklärt man, mit dem simultanen Concurse dem Willen gegenüber.
Gott wirkt die Thätigkeit des Willens nur inj allgemeinen.
Diese Thätigkeit im allgemeinen, z.*B^ etwas eu thun, wird d^nn
im einzelnen -durch den Willen b*eBtiinmt. Bestimmt (^er Wifte
diese allgemeine 'Thätigkeit zum Bösen, so ist er allein es, der
Btlndigt, nicht aber Gott,
Wir wollen über den Widerspruch in diesem Syätein hinweg-
gehen, nämlich, dass Gott eigentlich nur den Effect verursacht
nnd andererseits doch wieder die Thätigkeit des Willens wirkt.
Ans dem Beispiele vom Schiffe geht ja klar hervor, daKS Gott
resp. der Wind nur die Bewegung des Schiffes, nicht die
Thätigkeit des Steuerjnanns verursacht. Wenn man conse-
qaent sein will, so könnte man in diesem Systeme Überhaupt nicht
fragen, inwiefern Gott die Ursache des schlechten Willens,
oder auch der schlechten Willens thätigkeit sei. Logisch richtig
handelt es sich in dieser Theorie nur darum, inwiefern Gott die
Ursache des BSsen sei, welches durch die Willensthatigkeit des
Menschen oder Engels hervorgebracht wird. Gott wirkt ja
nicht auf die Potenz, anch nicht den Act, sondern nur den
Effect. Andererseits behauptet man aber doch wiederum, Gott
wirke mit der Thätigkeit. Bleiben wir also bei der zweiten
Annahme, die Schwierigkeiten bleiben dieselben.
Gott bewegt den Willen im allgemeinen, so wird gelehrt.
Wenn diese allgemeine -Bewegung einen Sinn haben soll, so kann
darunter nichts anderes vei'standen werden, als: Gott bewegt den
Willen, dkss er im allgemeinen etwas thuo will, etwas begehrt.
Was im einzelnen begehrt wird, was ich im speciellen thun will,
das hängt ausaehlie^lich von meinem Willen ab, damit hat Gott
nichts zu thnn. Diese Bewegung nun kann zweifacher Natur sein.
l^e^Uensch kann sieh im allgemeinen vornehmen, schlecht zu
handeln, ein sündhaftes Leben zu führen, ohne dabei in das ein-
zelne einzugehen. Dass dieser Willensact möglich, ja thatsächlich
von manchen Menschen ausgeübt wird, unterliegt keinem Zweifei.
Ciilt dasselbe Ja ebenso von den guten Willensacten. Der Mensch
kann im allgemeinen gnt handeln, ein gutes Leben fahren
^elduir, WilleDifyihsit. 16
wollea. Es ist ein wirklielter Act des Willens, der hier votl-
zogeD wird.
Wie verbält sich nnn Gott diesem verkehrten, bösen Acte des
Willens gegenüber? Bildet er die Ursacbe davon? Trägt Gott
dnrcb den simultanen Coneurs etwas zu diesem Acte bei? Die
Gregner antworten uein, Gott ist nicht die Ursache dieses sUnd-
haften Actes, denn Gott bewegt den Willen nur im allgemeinen,
und diese Bewegung wird dann durch den Willen selber bestimmt.
Den Hafen ftlr die Richtung, welche das vom Winde getriebene
Schiff einhalten soll, bestimmt der Steuermann. Er dirigiert das
Schiff zu diesem Hafen bin.
Abgesehen davon, dass hier von einer Bestimmung im eigent-
lichen Sinne nicht die Rede sein kann — der Willensact, BJtees im
allgemeinen thnn jfi woUep, Ist' ganz und gar unbestimmt — baD-
dftli^es sich wesentlich dahim,'«b Gott. bei dieser ßestimmung
durch 'den Willen etwas zu thun habe. oder nicht. Die ThUtig^eit
des Willens, ifodurch die von Gott ausgehende allgemeine
Bewegung des Willens bestimmt wird, muss doch etwas Posi-
tives, ein ens sein. In der Theorie der Gegner wird eigens he^
vorgehoben, dass die Thätigkeit, die Actio des Willens den
EinflusB, die Bewegung Gottes bestimme. Eine stoffliche Be-
stimmung, nämlich durch Aufnahme der Thäti^eit Gottes im
Willen vertheidigen S. Thomas nnd aejne Schüler ebenfalls. 'Alleü
dies geschieht nicht durch eine Thätigkeit, durch eine cictio von
Seiten des Willens, sondern durch ein Leiden, eine passio. Hit
dieser letztern Auffassung verträgt sich aber der bloß simultane
Coneurs nicht.
Die Bestimmung der von Gott ausgehenden allgemeineD
Bewegung geschieht somit durch die thatsächliche Mitwirkung dei
Willens. Ans diesem Grunde kann man von einem Concnrse
sprechen. Wie kann aber Gott zu einer sündhaften Handluug
seine Mitwirkung bergeben ! Ist er dann nicht ebenso Ursache der
Sünde wie der Wille? Man vergesse nicht, dass der Coneurs Gottes
nichts anderes ist als ein Act seines Willens. Wie kann also
Gott durch seinen Willen mitwirken zu einer Handlung des creattir-
licben Willens, die in Wahrheit sündhaft ist. Die ScUwierigkeit
ist damit nichtg elöst, dass man sagt, die Sünde liege rn der ver-
kehrten Bestimmung der Bewegung Gottes durch den menscblichen
Willen. Es ist ja ein und derselbe Effect, der von zwei Ursachen,
Gott und dem Willeh berrorgebracht wir<l, nämlich die Thätigkeit.
Die Bewegung Gottes ist das Bestimmbare, die Thätigkeit des
Willens das Bestimmende, Nach getroffener Bestimmung h^en
wir nur mehr eines, nämlich : die durch den menschlichen Willen
bestimmte Bewegung Gottes, Die Thätigkeit, der Wille Gottes,
ist daher noch daran betheiligt. Unterlässt Gott die allgemeine
Bewegung des menschlicbeo Willens, so ist jede sündhafte Hand-
— 243 —
lang des GesoIiSpfes uomJiglicb. Dann hat der Wille nichts, was
er JD verkehrter Weise beatimmeti könnte.
Man entgegnet, Gottes Godcqvs erstrecke sich bloß aaf die
Willensthätigkeit insofern sie bloße Thätigkeit ist und somit
Gute besitzt. Das lehren S. TbomaB und seine Scbfller ebenfalls,
und mit gerade soviel Wahrheit and Gründen, wie die Verthei-
diger des bloJ3 siiualtanen Gonenraes. Oder soll vielleicht der-
jenige, der einen andern zur sündhaften Handlung bewegt,
an der Sünde selbst schuld sein, derjenige hingegen, der zn dieser
Handlung bloß mithilft nicht? Im Gegentheil, Gott bat bei
der Vorherbewegung immer das eine Ziel vor Augen,
weshalb er den Willen bewegt, nämlich sich selber. Von diesem
Ziele weicht seine Bewegung nicht ab. Wirkt indessen Gott
bloß simultan und wird seine Thätigkeit dnrcb den sehlechten
Willen des GeschSpfes bestimmt, so ist gar nicht einzusehen,
warum er nicht an der Sünde selbst betbeiligt sein soll. Mehrere
Agentien können nicht anders formell bestimmt oder deter-
miniert werden, als durch ein gemeinsames Ziel. Das Ziel bildet
die erate bewegende Ursache zu einer Thätigkeit. Hierin mUssen
sie demnach alle gemeinsam zusammentreffen. Wirkt daher Gott
bloß simultan, so muss er mit dem Willen des Menschen
ein gemeinsames Ziel baben. Und trotzdem soll er nicht Ur-
sache der Sünde selber sein? Warum hilft er mit, warum läset
er seinen Willen, seine Bewegung von der Creatnr determinieren,
wenn er weiß, dass das Ganze verkehrt ansfällt? Warum wirkt
er simultan mit, wenn er weiß, dass die Thätigkeit des Oeschöpfea
sündhaft ist?
Eine andere Lösung, die man versneht bat, ist ebenso nn-
branchbar. Man sagt, diese Willensthätigkeit des Geschöpfes sei
nnr deshalb sündhaft, weil sie bestimmt und individnell
ist. Gott hingegen wirke, uor mit einem allgemeinen, generellen
Concnrse mit
Wenn man uns nur einmal sagen wollte, was dieser generelle
Concnrs ist. £r muss offenbar eine Thätigkeit sein. Ebenso
ist der lerminus dieses Concurses eine Thätigkeitj die Be-
wegung des Willens. Gibt es überhaupt eine allgemeine, eine
generelle Thätigkeit? Nein, das ist eine cotUradicHo in adjecto.
Adionea sunt suppositorum. Gleichwie daher das Supposltum be-
stimmt und individnell, ebenso ist auch j ede Thätigkeit
bestimmt und individuell. Wir stehen daher vor der alten
Schwierigkeit.
Ein genereller Concurs ist demnach nnr insofern möglieh,
als die Bewegung zu einem allgemeinen Objecte oder Gegen-
stande hingeordnet ist. Ich will im allgemeinen Gutes thun. Der
Gegensatz davon lantet danu: ich will dieses bestimmte, in-
dividuelle Gute thnn. Einzig und allein mit Bezug anf die
— 244 —
Objecto kann im Sinne der Gegner von einem generellen Con-
curse gesprochen werden. Bei dem heil. Thomas hat der generelle
Goncurs eine ganz andere Bedeutung. Gerade die Stelle, anf
welche man sich beruft, um eine universelle Bewegung heraus-
zubringen, beweist, was der englische Lehrer darunter gemeint
hat. Der Doctor Angelicus sagt: ,,Deus movet voluntatem homim
sicut universalis motor ad universale objectum voluntatis, quod est
bonum^* (1. 2. q. 9. a. 6. ad 3.). Wenn der Sinn dieser Stelle der
ist, dass Gott nur im allgemeinen bewege, dass diese Be-
wegung nichts Bestimmtes, Individuelles bezeichnet, so
bewegt er eben den Willen nicht zu einem bestimmten, indi-
viduellen Acte. Dann kann man aber auch nicht sagen, Gott
bewege den Willen blo£ zu dem Acte, insofern dieser Act ist.
Als Act ist er bestimmt und individuell. Es beruht aucti
nicht auf Wahrheit; dass der Act deshalb. böse, weil er durch
den Willen bestimmt und individuell gemacht wird. Durch die
Bestimmung zu einem Individuum wird er wahrlich nicht böse,
sonst müsste man das von jedem Willensacte aussagen. Wenn
man erkläii;, der generelle Concurs Gottes neige den Willen zu
keinem der beiden Theile, so behauptet man einfach einen
Widerspruch. Ein Act, der sich zu keinem der beiden Theile
neigt, ist zugleich Thätigkeit und Nichtthätigkeit. Ebenso bezieht
er sich auf ein Object, weil ein Act ohne Object ein Ding der
Unmöglichkeit ist, und er bezieht sich zugleich auf kein Object
Einen Concurs von solcher Beschaffenheit können wir nicht brauchen.
Was ist nun mit jenen Willensacten, die sich auf kein be-
stimmtes, individuelles Object beziehen? Wie verhält sich
der Goncurs Gottes zu dem Willen, der böse zu sein begehrt, ohne
dass er sich etwas bestinuntes individuell Böses zu thun vornimmt?
Dieser Willensact ist gewiss allgemein genug. Wirkt Gott mit bei
diesem Acte ? Wenn ja, wie kommt es . dann, dass er nicht Ur-
sache dieser Sünde selbst ist? Oder ist dieser Act überhaupt nicht
sündhaft? Wir sehen demnach, dass der sogenannte generelle
Concurs der Gegner sammt der activen Bestimmung und Indi-
vidualisierung der Thätigkeit durch den Willen uns über die
Schwierigkeiten nicht hinüber hilft. Damit wird einfach nichts
bewiesen.
1 10. Ein anderer Versuch, Gott von der Sünde freizusprechen,
geht dahin, das behauptet wird, Gott bewege den Willen aot
natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Weise znm Guten und
zu der Glückseligkeit im allgemeinen. Diese Art des göttlichen
Einflusses auf die vernünftigen Geschöpfe sei die einzige, welche
sich vertheidigen lässt. Ebenso sei dieser Einfluss allgemeiner
Natur.
Ist diese Theorie richtig, so wirkt Gott den f r e i e n Act des
Willens überhaupt nicht. Allein dies widerspricht direot der Lehre
— 245 —
des heil. Thomas, der klar beweist, dasB Gott den Act der
SUnde tbatsächlieh veruraache. Eb muss aber auch so sein, dena
alles Seiende durch Antheitnahme, hat Gott, das Seieade durch
seine eigene Wesenheit, zur Ursache. Der sündhafte Act ist in
der physischen Ordnung ein wirkliches etu und gehört in die
Kategorie der Actio. Die natürliche und nothwendige, d. h. unfreie
Bewegung des Willens kann in keiner Weise sündhaft sein.
Hätte S. Thomas in seinen Werken nichts anderes gelehrt als
dieser Autor ihn vertheidigen lässt, dann begreifen wir die Mühe
nicht, welche der Doctor Angelicus eich gibt, den Einfluss Gottes
mit der Freiheit zu rereinbaren. Wirkt Gott nur den natürlichen
und nothweudigen , d. h. unfreien Act des Willens , den freien
aber nicht, dann hat die Sache ja Überhaupt gar keine Schwibrig-
keit. Allerdings möge der Autor zosehen, wie er ans dem Wider-
spruche mit sich selber herauskomme, wenn er auderswo schreibt,
es gebe keinen Act, auch nicht einen Theil desselben, der nicht
von Gott gewirkt werde.
Diese natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Bewegung
des Willens zum Guten und zu der Glflckseligkeit im allgemeinen
bezieht sich blo3 auf die formelle Seite des Objectes oder
Gegenstandes. Wir haben früher gehört, dass diese Hinordnnag
des Willens nach der Lehre des beil. Thomas nichts anderes ist
als die ratio volendi. In dieser Beziehung gibt es überhaupt . keine
Sünde, Denn dadui-eh, dass der Wille irgend einen Gegenstand
als ein 8cheiugut unter dem forraetleu Gesichtspunkte eines
Guts begehrt, wird sein Streben nicht ein sUndbaftes. Die SUnde-
hegt vielmehr darin, dass er einen Gegenstand, odei' wie
S, Thomas sagt, eine res, ein Ohject im stofflichen Sinne ge- .
uommen verlangt, das nicht auf Gott bezogen werden kann. Wenn
der Wille den Gegenstand seines Glückes anderswo als
in Gott sucht, dann sündigt er. Nun ist aber die Bewegung des
Willens zu irgend einem Gegenstande, in welchem der
Mensch sein Glück, also diese ratio formalis volendi zu finden
glaubt, hier auf Erden eine durchaus freie. Es gibt überhaupt in
diesem Lehen keine natürliche und nothwendige, d. h. unfreie
Bewegung des Willens zu einem Gegenstande oder Ob-
jecte. Es kann nur manchmal von einer objectiven, specificativen
Notbwendigkeit die Rede sein. Allein die Bewegung des Willens
durch das Ohject ist Dicht effectiv oder wirksam, d.h. durch
diese Bewegung, durch daa Object tritt der Wille nicht ans
seiner Unthätigkeit heraus. Der Wille muss subjectiv
wirksam bewegt werden, denn der Willensact, um den es
sich hier handelt, ist eine Wirkung der subjectiven Bewegung
des Willens. Diesbezüglich aber ist er durchaus frei.
Ferner sagt man, der heil. Thomas erkläre, dass der Wille
sich hinreichend t» aetu befinde, wenn er von Gott auf natürliche
— 246 —
und nothwendige, d. h. anfreie Weise znm Guten und zu der
OlHckseligkeit im allgemeinen bewegt wird. Zu allen andern be-
stimme sich der Wille selber und allein.
Erkundigen wir uns etwas genauer in den Werken des heiligen
Thomas, und es wird uns sofort einleuchten, dass das gerade
Gegentheil Lehre des englischen Meisters ist. Bewegt Gott den
Willen in der genannten Weise, so ist derselbe allerdings hin-
reichend in actu bezüglich der formellen Seite des Gegen-
standes: er will im allgemeinen glücklich sein. Zu dem
objedum quo ist der Wille bestimmt. Allein den Gegenstand,
welcher ihn glücklich macht, das objectum quod muss er erst
suchen. In dieser Beziehung ist er somit nicht bestimmt, folglieh
nicht hinreichend in actu. Darum bemerkt der heil. Thomas,
der eine suche das Endziel, den Gegenstand seines Glückes da,
der andere dort. Der eine erwählt sich die Thätigkeit, der andere
die Unthätigkeit zu seinem Endziele. Wenn aber der Mensch
suchen muss, wenn er, wie S.Thomas sagt, dazu vorerst des
Rathes der Vernunft bedarf, so kann der Wille unmöglich
schon hinreichend in actu sein. In Bezug auf das Formelle des
Objectes, hinsichtlich der ratio volendi braucht er keinen Ratb.
Zu dieser ist er auf natürliche und nothwendige, d. h. unfreie
Weise bestimmt. Anders aber verhält sich die Sache in Betreff
des .Gegenstandes selber und der entsprechenden Mittel.
Im Artikel, worauf man sich hier beruft: 1. 2. q. 9. a. 4.
spricht der heil. Thomas ausdrücklich davon, dass der Wille zu
seinem ersten Acte einen äußern Beweger brauche. Was versteht
er unter diesem ersten WiUensacte? Vielleicht die natörlichc
und nothwendige, d. h. unfreie Hinneigung znm Guten und zn
der Glückseligkeit im allgemeinen ? Keineswegs, denn er beweist
daselbst, dass der Wille zu diesem ersten Acte eines Rathes be-
dürfe, einen Rath voraussetze. Um das Gute und die Glückselig-
keit im allgemeinen zu woUen, dazu, wie gesagt, braucht der
Mensch keinen Rath. Bedarf nun der Wille des Einflusses Gottes,
um ein bestimmtes Object zu begehren, in welchem er sein
Glück zu finden vermeint, wie S. Thomas auch noch anderswo
lehrt (de malo q. 6. a. unic), so' ist er durch die sogenannte
allgemeine Bewegung durchaus nicht hinreichend in actu. Diese
erste Bewegung des Willens durch Gott wird vom englichen
Lehrer in dem soeben angeführten Artikel ausdrücklich eine
freie genannt. Ein Beweis mehr dafür, dass darunter nicht die
natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Bewegung znm Guten
und zu der Glückseligkeit im allgemeinen verstanden werden darf.
Jeder Ascet wird uns sagen, wir sollen uns nie etwas im
allgemeinen zu thnn vornehmen. Und warum dies? Einfach
deshalb, weil in diesem Falle nichts ausgeführt wird. Ist nun
dieses möglich, wenn der Wille bei diesem Streben im allge*
. _ 247 —
meinen schon hinreichend m .adu ist, am particnläre Güter za
Wolfen, um individnell thätig zn sein? Sobald der Wille in ac^
ist, erfolgt zuversichtlich (infolUbüiter) wenn auch nicbt, wie be-
banptet wird, nothwendigerweise eine Thätfgkeit. Seibat
wenn ein Rath Vorangegangen, ist der Wille uoeh nicht hin-
reichend in adu. Es mnss das letzte Urtheil gesprochen, 'die Sen-
tenz geßUlt sein« dann erst erfolgt auf die Bewegung durch Gott
hin eine wirkliche Thätigkeit. Erst dann wählt der Wille das
eine anstatt des andern. Die Appliciemng des Willens zum
Gnten im allgemeinen reicht demnach beiweitem nicht aus. Der
Gegenstand, ias Object, in welchem der Wille glHcklich zu sein
hofft, mnsB ausgewählt werden. Constlia et eUcHones sunt circa
particularia, qtiorum est actus, ünde requiräur ut id, quod ap-
prehenditur honum et convmiens, apprehendatur id bonum et con- •
veniens in particulari, et non in univeraali tantum (I. c. de malo).
Aus all dem geht hervor, dass S, Thomas in keiner Weise
jene Lehre vorgetragen hat, die von den Gegnern verthcidigt
wird. Seiner Doctrin zufolge muss vielmehr Qoft den Willeu be-
wegen, aus der Indifferenz dieses oder jenes Object zu wählen
heranszieheu, sonst erfolgt keine Thätigkcit. Ans einem Indifferenten
geht niemals ein bestimmter Aot hervor. Jeder Act aber iät etwas
Bestimmtes, Individuelles. Tnierior voluntas movetur ab uUquo
saperiori principio quod est Deus. Et secundum hoc Apostolm didt,
jjiod twn est volmtis, sdlicet velle, neque currentis, sctlicet currere,
sicvi primi prindpii, sed Dei miserentis. Voluntas aliquid confert,
cum a Deo movetur. Ipsa enim est, quas operatur, sed motu a Deo.
Et ideo motus ejus, quamvis sit ab eiirinseco, sicut primo principio,
non tarnen est violentas. Quando voluntas de novo incipit eligere,
transmutatur a sua priori dispositione, quantutn ad hoc, quod prius
erat eligens in potentia, et postea fit eligens in adu. Et haec quidem
transmtUatio est db aliquo movente, inquantum ipsa volwUas movet
seipsam ad agendum, et inquantum etiam movetur ab aliqm ejy
teriori agente, scüicet Deo (1. c. a. 4, nnd 17.)i Hier ist tiberall von
der Wahl die Rede. Wir wissen aber, dasa der Wille das Gut
nnd die Glückseligkeit im allgemeinen nach der Lehre des heil.
Thomas gar nicht wählen kann, weil er dazu von Natar aus
schon bestimmt ist. Man vergleichft z. B.: 3. contr. Gent. c. 9. '
Daselbst heiS t es : Elecf^iones et voluntates immediate a Deo disponuntur.
Wir sehen ab von weiterer. Aoflihrang von Texten aus dem
heil. Thomas. Die Unrichtigkeit der Theorie, S. Thomas habe bloß
gelebrtj dass der Wille von Gott auf natürliche und nothwendige
d. h. unfreie Weise zum Guten und zu der Glückseligkeit im all-
gemeinen bewegt werde, ergibt sieh ans dem bisher Gesagten mit
voller Klarheit.' Der Wille ist weit mehr passiv und inffifferent
mit Bezug auf die particnlären Güter, weil er in dieser Hinsicht
des Rathes und der Auswahl bedarf, als in Betreff, des Guten im
_ 248 —
allgemeinen. Für das Gute im allgemeinen ist der Wille über-
haupt nicht objeetiy indifferent; denn* dieses bildet für ihn ' das
adaequate Objeet. Wo immer ^er englische Meister die Freiheit
bespricht, da zählt er zu ihren vorzüglichsten, hauptsächlichsten
AQten die Auswahl. Hängt der Wille des Geschöpfes in dieser
Beziehufag nicht von Gott ab, so ist offenbar der Wille selber
erster Beweger. Und gerade das ist es, was S. Thomas unaus-
gesetzt bestreitet.
111. Die Bewegung ' des Willens zum Guten und zu der
Glückseligkeit im allgemeinen erweist sich demnach als voll-
kommen unzureichend. Der Wille muss zu jeder Thätigkeit, die
er ausübt, von Gott bewegt werden. Der englische Meister spricht
stets in allgemeinen Ausdrücken. Wir finden nirgends eine Be-
schränkung. . Gott ist Ursache jeder Thätigkeit (de potentia
q. 3. a. 7.). Das erste Agens bewegt alle andern zur Thätigkeit.
Daher sind alle in der Kraft Gottes thätig und er selbst bildet
die Ursache aller Thätigkeiten der Agentien (1. p. q. 105. a. 5.).
Was durch uns gesdiieht, das verursacht Gott in uns nicht
ohne unsere eigene Thätigkeit. Er selbst aber ist in jedem
Willen und in jeder Natur thätig (1.2. q. 55. a. 4. ad 6.). Er
wirkt in jeder thätigeu Kraft. Dem est operans in qucUibet vir-
tute operante (1. dist. 37. q. 3. a. 3. ad 3,). Seine Kraft ist das
Medium, welches den Effect mit der Kraft der subalternen Uraache
verbindet (2. dist 1. q. 1. a. 4.). Ohne Thätigkeit Gottes können
daher die Natur und der Wille weder bestehen, noch eine rechte
Bewegung haben, denn Gott ist als erste Ursache in der Natur
und im Willen, d. h^ in den untergeordneten Agentien thätig
(2. dist. 24. q. 1. a. 4. ad 1.). Die göttliche Gausalität ist nicht
ausgeschlossen, wenn wir sagen, der Wille könne dieses und
jenes durch sich selber tbun (1. c. dist. 28. q, 1. a. 1.). Denn Gott
bewegt alle Dinge zu ihren Thätigkeiten (3. contr. Gent. c. 68.).
Man vergleiche noch: 1. 2. q. 6. a. 1. ad 3. — 1. dist. 42. q. 2. a. 1.
— 2, dist 9. q. 1. a. 2. ad 4. — ib. dist 15. q. 3. a. 1. ad 2. etc
Wie ist es möglich^ fragen wir, dass der englische Lehrer
behauptet, Gott sei die Ursache jeder Thätigkeit, sowohl der
Naturwesen, als auch der vernünftigen Geschöpfe, und jer meint
* damit nur die natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Hinneigung
des Willens zum Guten und zu der Glückseligkeit im allgemeinen?
Kennt denn S. Thomas keine freien Thätigkeiten? Oder sind
ihm frei und nothwendig real identische Dinge? Der Doctor
Angelicus lehrt ausdrücklich, Gott sei Ursache der Sünde, inso-
fern sie ein. physischer Act, ein Seiendes in der physischen Ord-
nung ist Muss nun aber die Sünde nicht zu den freien Acten des
Willens gerechnet werden? Wie kann man demnach behaupten,
S. Thomas lehre bloß jenen Einfluss Gottes auf den Willen, wo-
durch derselbe auf natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Weise
, _ 249 —
zum Gutes und zu der Glllckseiigkeit im allgemeinen bewegt
wird? VermittlnDgBrersuche haben immer etwas Missliches. Hier
baben wir iodesseo thatsäcblich gar keiaen VermittlaügsverBucb,
sondern des reinen Simnltanooncurs der Gegner des heil.
Tbomiu. Die Erklämug, wie Gott zur SUnde mitwirkt, ist darum
nicbt allein in eich uuricbtig, sondern bietet auch eben bo viele
und eben bo groBe SohwierigkeiteD, wie im System de» heil. Tho-
mas und seiner Schiller. Wie die Frage von den Vertheidigera
des bloß simultanen Concurses gelöst wird, anf dieselbe Weise
wird sie von den Thomisten gelöst.
Der meuBcblicIie Wille ist nicht deshalb Ursache der SUnde,
weil er bloö das StofFliche, das Snbject des moralisch Utiseu.
nämlich den Aet in der physischen Ordnung wirkt. Nein,
er wirkt diesen Act auch in der moralischen Ordnung.
£r ist darum auch Ursache des Bösen selber. Dieser Act geht
nicht überhaupt oder im allgemeinen aus dem Willen hervor,
sondern ans dem Willen, der in mdividuo moralisch bandelt. Ist
er in diesem Zustande von Gott abgewendet, so wirkt er fehler-
haft und gibt seiner Thätigkeit eine Deformität. Diese Thätig-
keit geht, in esse moris specificiert und von der sittlichen Becht-
scbafTenheit abweichend, aus dem Willen hervor.
Durch die Bewegung Gottes wird die Thätigkeit des Willens
nicht in der moralischen, soodero bloß iu der physischen Ordnung
Bpecificiert. Der Thätigkeit in esse naturae kommt per accidens eine
Deformität zu wegen der Beziehung zur nächsten defecten
Ursache, aus welcher sie, in esse moris speeificiert, hervorgeht.
Cfr. de malo q. 3. a. 2. Die Deformität ist allerdings innerlich,
intrinsece mit diesem Acte verbunden, aber nur insofem als dieser
Aet, in der moralischen Ordnung speeificiert, ans der fehler-
haften Ursache stammt. In der physischen Ordnung ist die
Deformität für den Act etwas rein Zufälliges. Deformitas peccati
«ö» consequOur speciem actus, secundum quod est in gener e naturae;
sie autem a Deo causaiur. Sed consequitur speciem ödiw, secundum
juoif est moralis, prout causatur ex Hbero arbitrio, sicut in alia
quaestione (q. 2. a. 2. et 3.) dictum est (de malo q. 3. a. 2. ad 2.).
Darans ist klar, dass Gott den Act der Sünde wirken kann, ohne
zugleich die Sünde selber zu verursachen. Es ist nicht ohne-
veiterc richtig, dass, wenn zwei Dinge miteinander verbunden
sind, derjenige, der das eine wirkt, auch das andere hervor-
bringen müsse. Er . mUsste zu diesem Zwecke auch das andere
Als Ursache wirken. Effectus causati, in^atUum est causatum,
reducitur in causam. Si autem aliquid procedat a causato, non
secundum quod est causatum, hoc non oportet in causam, redud,
Sicut motua tibiae causatur a virlute tnotwa animalis, quae tibiam
»Kwef, Sed obliquitas ambulationis tton provenit a tibia, secundum
gwdest mota a virtute motiva, sed secmdum ^uod deficit a susci-
^ 250 — »
piendo inf/uxum mativae virtutis per suum defedtmi. Et ideo daudi*
catio non causatur a virttUe motiva. Sic ergo peccatum causatur a
libero arbürio, secundum quod deficit a Deo, TJnde non oportet,
quod Dens sit causa peccati, licet sit causa liberi arbitrii (de malo
p. 3. a. 1. ad 4.). Würde Gott zugleich auch die schlechte
Disposition des Willens für die Aufnahme seiner Bewegung
hervorbringen^ dann wäre er Ursache des fehlerhaften Actes.
Das lehrt aber weder S. Thomas, noch einer seiner Schüler.
Man wird demnach zugeben müssen, dass 6ott den Act
der Sünde in der That verursacht, widrigenfalls der Wille zur
ersten Ursache wird. Erste Ursache ist stets diejenige, die
keine andere voraussetzt. Allein deshalb wirkt Gott nicht auch
zugleich die Sünde als solche. Diese hat keineswegs ein effec-
tives, sondern ein defectives Agens zu ihrer Ursache, denn
sie ist an sich ein Mangel, eine privatio. Die Wahlfreiheit, nicht
als solche, sondern als fehlerhafte, als deficiens, weil aus dem Nichts
stammend, bildet ausschließlich und allein den Grund für den
fehlerhaften Act. Der Wille ist von Natur aus zum Fehlen geneigt.
Selbst Gott konnte ihn vonNatur aus nicht anders machen,
weil er eben ein Geschöpf ist (de veritate p. 24. a. 7.). Was die
Sünde Positives an sich hat, das kommt von Gott und ist gat^
bonum et ens convertuntur. Diesbezüglich hat sie in analoger Weise
Antheil an der Form Gottes, an dem Sein. Sie ist ein ens per
participationem, und aus diesem Grunde von Gott verursacht. Als
Sünde dagegen besitzt sie keine Form, kein Sein, sie hat viel-
mehr Mangel an der Form, an dem Sein. Darum ist sie eine
privatio und hat als solche in keiner Weise Antheil an Gott,
Ähnlichkeit mit Gott.
Der Wille wirkt nur solange in der Kraft Gottes, ab
er in der Unterordnung nnter Gott bleibt. Das geschieht mit
Bezug auf seinen Act in der physischen Ordnung. Hinsichtlich
dieses Actes in der moralischen Ordnung dagegen tritt er ans
der Unterordnung unter Gott heraus. Das vom Willen angestrebte
Endziel ist in esse moris nicht Gott, sondern ein vergängliches
Gut. Ebenso ist die formelle Ursache, das wirksame Princip dieses
Actes in esse moris nicht der Wille als efficiens, sondern als
deficiens. Gott aber kann niemals causa deficiens sein. In dieser
Beziehung ist somit der Wille Gott nicht untergeordnet
§. 16. Schluss. Allgemeiner Überblick über das gewonnene
Besultat.
112. Wir können nun unsere Untersuchung über die Lehre des
heil. Thomas mit Bezug auf die Willensfreiheit der vernünftigen
Wesen zum Abschlüsse bringen. Das Hauptsächlichste in dieser
Frage glauben wir mehr oder minder berührt zu haben. Eän klarer
- 251 —
Einbliek in die Lehre des großen Meistera dUrfte demzufolge
möglich sein.
Die Willens- oder Wahlfreiheit hat ihren Grund, ihre
Wnrzel in der Abhängigkeit des Willens vom Verstände. Der
Wilfe strebt nach seinem Objeete in der Weise, wie es ihm durch
den Verstand vorgestellt wird. Der Verstand kann das Objeet des
Willens in doppelter Weise vorstellen: entweder als ein abso-
Intes, in jeder Beziehnng vollkommenes, daher allge-
meines, oder als ein beschrfinktee, mit Unvollkommenbeit ver-
misßhtes, daher particaläres Gut. Wird es dem Willen als eiu Gut
in jeder Beziehnng dargestellt, so begehrt es der Wille m i t N o t h-
wendigkeit und auf natürliche Art. Der Wille ist dem-
nach in dieser Hinsicht nicht frei, d. h. er kann nicht das Ge-
gentherl von diesem Gnt anstreben. Er ist vielmehr für dieaes
Gnt bestimmt, determiniert. Ein Gnt dieser Art füllt die ganze
Potentialität des Willens aas. Darum ist die Kraft dieses
Gnts so groß, dass es den Willen objectiv auf natUrlicbe und
nothwendige Weise bewegt, mit Ausschlass der objectiven
Indifferenz, daher auch der objectiven Wahlfreiheit.
Ein solches Gut findet sich in der That vor. Es ist das Got
als solches und die Glückseligkeit im allgemeinen. Der Wille
kann nieciials ein Nichtgut als solches begehren, er kann nie-
mals unglUcklieh sein wollen. DafUr besitzt er keine obJQC-
tive Indifferenz. Das ist selbst G«tt, dem freiesten Weseu von
allen, nicht gegeben, dass er etwas wolle, was nicht ein Gut ist,
oder dass er unglücklich zu sein begehre. Diese objective Noth-
wendigkeit bildet das eigentliche Fundament fUr die Frei-
heit des Willens (de veritate q. 22. a. 5.).
Da indessen der Wille als Strebevermögen, im Unterschiede
von der Erkenntoiskraft, nicht das vorgestellte Gut begehrt,
d. h. nach demselben nicht strebt, wie es in der Vorstellung,
Bondem wie es in der Wirklichkeit ist, so wirft sich die
Frage von selber auf, ob es für den Willen der vernünftigen
Wesen ein solches Gut in der Wirklichkeit aparte rei geben
kCune, welches den Willen objectiv auf natUrlicbe Weise und mit
Nothwendigkeit bestimmt? Das erste and höchste aller geistigen
Wesen, Gott, besitzt in d«ir Tfaat ein solches Gut. Es ist seine
eigene Wesenheit. Diese stellt sieh als ein allseitig, in jeder Be-
ziehung vollkommenes Gut dar. Der Grund davon liegt in ihrer
Einfachheit. Sie ist Act, nichts als Act, somit nichts als Voll-
kommenheit. Gott liebt darum seine Wesenheit, sich selber, auf
natarliche und nothwendige, d. b. unfreie Weise. Er ist za dieser
Beiner Wesenheit bestimmt oder determiniert In Gott sind
die objective, formelle ratio vokndi uod der Gegenstand, die res,
in welcher diese ratio volendi sich befindet, sachlich ein und das-
selbe. Alles in ihm ist lautere Güte (1. eontr. Gent. o. 74. und 80.}.
— 252 —
Ftlr den Willea der vernltnftigeD GeBohßpfe gibt es keinen
Gegenstand, keine res, wodurch dei-selbe anf natürliche und noth-
wendige, d. h. unfreie Weise bestimmt würde, solange der Verstand
ihm nicht Gottes Wesenheit selbst darstellt. Was der Verstand
TOI- dem Znstaode der Seligkeit im Jenseits dem Willen verge-
genwärtigt, das ist und bleibt stets als Gegenstand oder ob-
jedum ^iod etwas mit einer Unvollkommenheit Veriniaßhtes. Dia
geschaffenen Güter sind aasnahmslos zusammengesetzt aus Potene
und Act, zum mindesten ans Wesenheit und Existenz. Die Potenz
aber, oder was sich wie die Potenz, wie der Stoff verhält, be-
dentet immer etwas Unvollkommenes. Der Act, die Existenz,
oder was sich auf diese Art verhält, bildet allerdings etwas Voll-
kommenes. Da nuD kein geschaiTenes Wesen reiner Act, lau-
tere Wirklichkeit, un vermischtes Sein ist, wie Gottes Wesen-
heit, so kann der Verstand dem Willen nichts Geschaffenes als
ein allseitig nnd in jeder Beziehung vollkommenes Gnt
darstellen. Es gibt folglich für ihn in diesem Zastaade keinen
Gegenstand, kein Object (objedum quodj, i.a ^veleheta er a,a{
natürliche und nothwendige, d.h. unfreie Weise bestimmt wäre.
Gott existiert allerdings, und er ist in der Wirklichkeit
ein solcher Gegenstand, ein objeetum quod für den Willen der
Geschöpfe. Allein der Verstand stellt dem Willen Gott nicht so
dar, wie er in sich selber ist. Und nach der Vorstellung des
Verstandes richtet sich das Streben des Willens. Der Wille der
geschafTenen Wesen ist daher bloß bestimmt zu dem objec-
tiven, formellen Grunde, zu der ratio volendi, aber za
keinem in der Wirklichkeit existierenden Gegen-
stände. In letzterer Beziehung bleiben sie demnach frei. Das
nämhcbe mnss gesagt werden vom Willen Gottes mit Bezng auf
alles, was nicht seine eigene Wesenheit ist. Das ist in Kürze
das Resultat unserer Untersuchung Über den Gmnd oder die
Radix der Freiheit, über die Freiheit im objectiven Sinne.
113. Die Freiheit der vernünftigen Wesen muss aber auch
von ihrer formellen Seite ans betrachtet werden. Die Freiheit
im formellen Sinne ist nichts anderes, als die Macht, eine
Thätigkeit auszuüben, oder dieselbe zn unterlassen, und, wenn
der Wille thätig ist, wieder davon abzustehen. '
Gott ist auch in dieser Beziehnng das freteste Wesen von
allen. Obgleich er an und für sich niemals im Zustaude der U n-
thätigkeit sich befindet, sondern reine lautere Thätigkeit ist,
so bleibt er dennoch im bbchsten Grade frei. Ein Beweis, daas
dieUnthätigkeit an nndfttr sich nicht zur Freiheit gehört. Der
Wille Gottes ist auf natürliche und nothwendige, d. h. un-
freie Weise thätig im Wollen seiner seihst, seiner Wesen-
heit. Die Thätigkeit, welche sich auf alle andern Objecte bezieht,
muss eine absolut freie genannt werden.
— 253 —
Wie verhält es sich aber dano mit dem Ornndsatze des
heil. Thomas, die remlinftigeD Wesen seien deshalb subjectiv
oder formell frei, weil die Thätigkeit, der Act, etwas Par-
ticuläres iatV^Muss die Willensthätigkeit Gottes nicht ebenfall«
etwas ParticulSres genannt werden? Obne Zweifel ist sie
etwas Particnläres oder Singuläres. Das Partieuläraein als solehe»
hindert nicht, dasB der Wille auf natürliche und nothwendige
Weise begehre. Particulär kann nämlich ein Ding auf doppelte
Art sein. Entweder durch sich selber, ohne Zusammensetzung mit
einem andern, ohne Beimischung eines Unvollkommenen. In dieser
Art Singular ist dasjenige, was weder die Fähigkeit besitzt, etwa»
anderes anfzanehmen, noch von einem andern aufgenommen za
werden. Ein solches Wesen ist zwar particulär, aber nichts destb-'
weniger allseitig und in jeder Beziehung ein Gut. Es
ist n u r ein Gut, nichts als ein Gut, daher auch bmum universale.
So yerhält es sich thatsächiich mit der göttlichen Willensthätig-
keit, wodurch er seine eigene Wesenheit begehrt. Seine Tliätigkeit
DDterscheidet sieb sachlich oder real nicht von sein^* Wesenheit.
Gleichwie daher seine Wesenheit zwar singulBr, und doch ein
bonum universale ist, ebenso muss dieses von seiner Tliätigkeit
in sich selber behauptet werden. Er will folglieh seine Thätigkeit
auf natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Weise.
Im heil. Thomas finden wir indessen noch eine andere Noth-
wendigkeit. Der Verstand, eine geistige und darum refiesive Kraft,
kann nicht bloQ die Willensthätigkeit als ein in sieb begehrens-
wertes Gut vorteilen, sondern aach als ein Mittel, um das
Endziel, die Glückseligkeit ku erreichen, zu besitzen. Wird Hie
Thätigkeit dem Willen vom Verstände als einziges Mittel dar-
gestellt, 80 begehrt der Wille seine Thätigkeit ganz mit derselben
Nothwendigkeit, mit welcher er objectiv das Endziel begehrt.
Gott will nothweadig das Gut und die Glückseligkeit im all-
gemeinen: mit andern Worten, er begehrt nothwendig das
Endziel. Dieses Endziel aber besitzt er durch seine Thä-
tigkeit. Diese Thätigkeit ist sozusagen das Mittel, welches
ihn in den Besitz der Glückseligkeit setzt. Selbstveraländlieb darf
sie in Wirklichkeit nicht Mittel genannt werden, weil sie sich
ja von der Glückseligkeit selber nicht real unterscheidet. Nichts-
destoweniger entspricht dieses Verhältnis unserer Auffassung.
Daraus folgt abermals, dass Gott die Thätigkeit seines Willens
ftnf natürliche und nothwendige, d. b. unfreie Weise begehrt. Diese
Nothwendigkeit entspringt somit einem doppelten Grunde. Einmal,
weil die Thätigkeit iu sich ein allseitig und iu jeder Be-
ziehung voUkommcaes Gut ist, ein bonum universale bildet, in-
dem sie sich von seiner Wesenheit nicht real unterscheidet. Als
zweiter Grund kann angeführt werden, weil sie das einzige
Mittel ist, nm glücklich zu sein.
— 254 —
Beü'Echteii wir nun die Willensthätigkeit Glottes in ihrer
Beziehung zu den geschöpf liehen Dingen. DiesbezUglieh ist
sie eine durchaus freie, und zwar aus denselben zwei Gründen,
aus welchen sie früher eine nothwendige war. Die Willensthätig-
keit Gottes in ihrem Verhältnisse zu den geschöpf liehen
Dingen ist sozusagen nicht ein bonum universale, und sie bildet
nicht das einzige Mittel für Gott, ntä glücklich zu sein. Selbst wenn
er gar kein Geschöpf will, bleibt er im Vollbesitze seiner Glück-
seligkeit. Begehrt er deren, so geschieht es einzig und allein nur
seiner eigenen Wesenheit und Güte, seiner eigenen Glückselig-
keit wegen. Er kann dieselbe dadurch nicht für sich vergrößern,
sondern bloß andern von seiner eigenen Größe mittheilen wollen.
• ' 114. Anders verhält sich die Sache in Betreff der Willens-
thätigkeit der vernünftigen Geschöpfe. Diese ist in sich etwas
Particuläres, aber ein Particuläres, das mit einer Unvpllkom-
ni'enheit vermischt sich zeigt. Die Thätigkeit der Geschöpfe ist,
wie diese selber, zusammengesetzt aus Potenz und Act.- Jede
Substanz besteht aus Wesenheit und Existenz oder Dasein. Das-
selbe gilt vom Accidens. Die Wesenheit bildet etwas Unvoll-
kommenes, die Existenz, der Act ist das Vollkommene. Aus
dieser Mischung eines Unvollkommenen mit einem Vollkommenen
folgt aber, dass die Thätigkeit nicht ein a 1 1 s e i t i g und *i n j e d e r
Beziehung vollkommenes Gut, dass sie nicht ein bonum universale
ist. Da nun der Wille nur das bonum universale auf natürliche
und nothwendige, d.h. unfreie Weise begehrt, die Thätig-
keit des Geschöpfes aber nicht ein solches Gut ist, so ergibt sidi
daraus mit voller Klarheit, dass der Wille subjectiv, formell,
mit Bezug auf seine Thätigkeit vollkommen frei ist.
Dazu kommt noch ein anderer Grund. Der Wille begehrt
zwar mit der früher genannten Nothwendigkeit das Gut und die
Glückseligkeit im allgemeinen. Er will unter allen Umständen
glücklich sein. Allein das ist, wie früher nachgewiesen wurde,
bloß die ratio volendi. Unter dieser Glückseligkeit im allgemeinen
ist kein bestimmter Gegenstand einbegriflfen, kein Mittel ange-
geben, wodurch er in den Besitz der Glückseligkeit gelangt. Wäre
die Thätigkeit real identisch mit dem Gegenstande selbst, und
dieser wiederum mit der ratio volendi, dann könnte man von einer
Nothwendigkeit sprechen. Oder wäre die Thätigkeit das einzige
Mittel um glücklich zu sein, so hätten. wir abermals eine Noth-
wendigkeit zu verzeichnen. Allein dieses ist nicht der Fall. Das
Geschöpf kann gerade darin glücklich sein, dass es keine Willens-
thätigkeit ausübt, oder dieselbe wieder unterbricht, und in den
Zustand der Unthätigkeit zurückkehrt. Mit Recht bemerkt
darum der heil. Thomas, der Mensch brauche über die Glück-
seligkeit nicht nachzudenken, dieselbe folglich nicht thatsäehlich
(actu) zu wollen.
— 255 —
Im andern Leben wird dieses Verhältnis eiaigermaßeu ge-
äadert.. Die Thäügkeit selbst bleibt anch dort in s'icfa etwas Par-
ticuiäres, mit einer Unvoll kommenheit Vermlscbtes. Sie wird nicht
reine Thätigkeit, actus purus. In dieser Hinsieht ist und bleibt sie
demnacb eine vollliotnmen freie Eigenschaft des vernünftigen Ge-
schöpfes. Sie biiugt aber deshalb eine gewisse Notbwen-
digkeit mit sich, weil sie zum einzigen Mittel wird, um glück-
lich zu sein. Der Verstand wird im Jenseits dem Willen niemals
die Unthätigkeit als Mittel zur SeUgkeit vorstellen. Dies gilt
natürlich nur in Bezug auf die Anschauung Gottes, in Bezug auf
das actiielle Streben des Willens nach dem Endziele selber.
Hinsichtlich des Begebrena der andern Guter, außerhalb der gött-
lichen Wesenheit, bleibt die Tbätigkeit des Willens eine ganz
und gar'freie, ähnlich deijenigen, die Gott in Betreff der Ge-
schöpfe besitzt.
Der Grundsatz ^es englischen Meiatera, der Wille sei mit Üe^ag
anf seine Thätigkeit, quoad exercitium actus, frei (liberi ai^itrii), •
weil die Tbätigkeit etwas Particuläres ist, bat somit seine volle
Geltung. Wir sprechen ja zuuäebst von der Freiheit des Willens
Überhaupt. Und es ist anch vollkommen richtig, wenn S. Thomas
erklärt, diese subjeetive, formelle Freiheit behalte der Mensch:
„in quolibet statu naturae respedu cußislibet objecti" (de veritate
q. 22. a. 6.). Der status gloriae ist nicht ein Status naturae, sondern
supranaturae. Der veränderte Zustand im Jenseits kommt ihm
daher nicht mit Kiicksickt auf seine Natur zu. Damit ist ;',ugleich
das Gebiet der Willensfreiheit genau angegeben.
115. Wir wollen nun anch das FreÜieits p r i n c i p kennen
lernen. In Gott ist das Freiheiteprincip unmittelbar die Wesenheit
selber. Verstand und Wille sind in ihm real ein und dasselbe mit
seiner Wesenheit. Diese Wesenheit aber ist reine Form, reiner
Act. Seine Thätigkeit muss daher ebenfalls reiner Act sein. In
keiner Beziehung findet sich darum in Gott irgendeine Potentialität.
'Er ist niemals ^eder Potenz, nocn in der Potenz,* Infolgedessen
• kann man anch von ihm nicht sagen, er sei acta oder in adu.
Gott ist nicht in der Wirklichkeit, sondern nur Wirklichkeit.
Er ist nur adus.
Das 'fhätigkeitsprincip in Gott mllesen wir Form, Wirk-
lichkeit, actus nennen. D^mgegenllber heißt Thätigkeitsprincip
in den Gesehüpfen dasjenige, was actu oder in adu ist. Dieses
begründet einen mehr als himmelweiten Unterschied. Die vernünf-
tigen Geschöpfe — mit diesen wollen wir uns jetzt ausschlielilich
beschäftigen — sind nicht unmittelbar durch den Act oder.die
Form thätig. Die Form oder der Act, wodurch sie in der Seina-
ordnuQg in ordine entitalivo constituiert werden^_ ist nicht zugleich
. das nächste, unmitt^bare Priucip der Thätigkeit (in ordine opera-
iivo). Das nächste unmittelbare Prlncip wird vielmehr von der
— 256 —
Potenz oder dem Thätigkeitsv er mögen gebildet. Nor handelt
es sich jetzt daram, genau anzugeben, in welchem Zustande das
Thätigkeitsv ermögen sein rnttssC; um in der Wirklichkeit Pr in cip
oder Ursache einer Thätigkeit genannt werden zu können.
Der englische Meister lehrt, dass Gott allein ohne Beimischnng
einer Potentialität sei. Alles Geschaffene ist somit, wenn es
Wirklichkeit besitzt, aus Potenz und Act zusammengesetzt. Dieses
Gesetz finden wir in ordine entüativo sowohl, wie auch in ordine
operätivo ausgeprägt. Das Thätigkeitsprincip, die Ursache als
solche muss daher etwas Zusammengesetztes sein. S. Thomas
weist darauf hin, wenn er sagt^ dieses Princip sei die potentia in
actUy das Agens in dctu. Eine Potenz in adu bedeutet nichts an-
deres als eine Potenz, verbunden, vermischt mit einem
Acte. Die Wesenheit in adu ist die Wesenheit als Potent, ver-
einigt mit der Existenz als ihrem Acte. Von Gott sagt der Doctor
Angelicus das nicht. Gott ist nicht Potenz, apch nicht Potenz in
adu, sondern ausschließlich Act, adus. Der Grund davon liegt
in seiner absoluten Einfachheit sowohl in ordine entitcUivo
als in ordine operätivo.
Der Wille als Thätigkeits princip, als wirkliche Ur-
sache, muss somit zusammengesetzt sein aus Potenz und Act
Er kann in diesem Zustande nicht reine Potenz sein, denn die
reine Potenz ist aufnehmendes, nicht aber mittheilendes^
gebendes Princip. Das Thätigkeitsprincip gibt- etwas, die
Ursache theilt ihrer Wirkung, dem Effecte das Sein mit. Dieses
Princip kann indessen auch nicht reinerAct sein, denn reiner
Act ist nur Gott, er allein.
Besitzt nun der Wille als Thätigkeits vermögen diese zwei
Eigenschaften, die in den geschaffenen Dingen gefordert werden^
um Princip, um Ursache zu sein? Ist dieses Vermögen
zusammengesetzt aus Potenz und Act? An und für sich nicht^
denn auf das Princip, au/ die Ursache folgt infallibel
die Thätigkeit als Effect. Eine wirkliche JUrsache, die'
nichts verursacht, lässt sich schlechterdings nicht denken. Der
heil. Thomas lehrt aber, der Wille sei manchmal ohne Thätig-
keit, agens in potentia. In diesem Zustande ist er folglieh nicht
Princip, nicht Ursache. Und warum dies? Weil er reine
Potenz ist. Es fehlt ihm in diesem *Zu8tande der Act, die Exi«
stenz in ordine operätivo.
Wer gibt dem Willen, dem Thätigkeitsv er mögen, diesen
Act, die Existenz, wodurch er in ordine operätivo Wirklichkeit hat^
und infolge dessen Princip, Ursache wird? Vielleicht er selber? Das
ist gerade sowenig möglich, als es möglich ist, dass eine Wesen-
heit sich selber die Existenz verleihe. Der Wille als Ver-
mögen könnte sich etwas nur vermittelst einer Thätigkeit geben«
Allein das setzt voraus, dass schon ein Princip, eine Ur-
- 257 —
Sache dieser Tliätigkeit vorbaDden ist. Priucip der TliHtigkeit
ist aber nach der Lehre des heil. Thomas die actire Potenz,
oder die potentia in actu, das agetis in actu. Vermag demnach dev
Wille als Thätigkeitaverniögeu sich selber dasjenige zu geben,
wodurch er active Poteuz, poteiUia in actu wird, was aber nur
dureh eine Thätigkeit geschehen kann, so bringt er eine
Wirkung hervor, beyor er Princip oder Ursache dieser
Thätigkeit ist. Dann ist er zugleich passive nnd actire Föten»,
ungleich agens in potentia und a^ens in actu. Das agens iu potentia
imd das agens in actu ist eins und dasselbe. Das sind doch wohl
belle Widersprftche.
Man erwidert, der Wille sei nicht eine passive, sondern
eine active Potenz, Allerdings ist er das, aber wann? Erst dann,
wenn er agens in üctu geworden. An und für sich ist er es durch-
aus nicht, denn in diesem Falle könnte er nie ohne Thätigkeit
sein. Auf die active Potenz folgt unfehlbar eine Thätigkeit.
Die active Potenz ist bloß der Natur und Causalität nach früher
•a\s die Thätigkeit. In Bezug auf die Zeit sind beide zagleieb.
Die atftive Potenz ist Princip, Ursache. Die Ursache j;:eht
der Wirkung zwar der Natur und Causalität nach voraus, hinsicbt-
lieb der Zeit sind beide zugleich. Es widerspricht darum der Lehre
des heil. Thomas, wenn man den Willen schlechthin active
Potenz nennt. An und für sich ist er Tbätigkeits vermögen,
somit reine Potenz, folglich passiv- Active Potenz umss
er erst werden durch ein Agens, welches schon in actu ist.
116.' Der Wille, als Tbätigkeits v e r m ö g e n ist reine Potenz,
kann darum nicht sich selber zu einer activeu Potenz, zu
emeüpotentid in actu oclereinem agens in actu machen. Die Form,
der Act, wodurch &r potentia in actu wird, muss darum notliwcndig
von Gott kommen. Denn Gott ist actus, er allein kann den AVillen
subjectiv bewegen, aus dem passiven in den activen Zustand
überführen. Gott allein kann den Willen zum Princip, zur
Ursache machen. Durch das, was Gott ihm niittheilt, wird der
Wille in ordine operativo existent, und jetzt geht er dann in
Thätigkeit über. Die Potenz als solche ist niemals Tbätig-
keitsprincip, denn sie verhält sich wie der Stoff. Dieses Pnncip
wird immer durch die Form coustitniert. Dasjenige, wodurch
der Wille Princip oder Ursache der Thätigkeit wird, ist folge-
richtig nichts anderes als die Bewegung durch Gott. Diese
inhäriert dem Willen vorübergehend j)er modum formae oder actus.
Und warum nicht auf permanente Art? Deshalb nicht, antwortet
S, Thomas, weil die Form, der Act per modum permanentis einzig
und allein Gott eigen ist. Die Geschöpfe besitzen diese Form
nur per modum transemtiis. Alio modo oportet ponere virtutem
agendi in agente principali, alio modo in agente instrumentali. Agens
etiim principale agit setmndum exigentiam suae formae. Et ideo pirtus
Feldntr, Wülenifreibeit. 17
— 258 —
activa in ipso est aliqua forma vel qualäas, habens completum esse
in natura. Instrumentum autem agit tU motum ab alio, et ideo com-
petit sibi virtiis proportionata motui, Mottis autem non est ens com-
pletum, sed via in ens, quasi medium quid inter puram potentiam
et purum actum tU dicUur in 3, Ethic. (4. dist. 1. q. 1. a. 4. qji. 2.).
Die Natardiuge besitzen diesen Act einig'ermaßen ständig,
indem sie ohne Unterbrechung von Gott bewegt werden,-
was bei dem Willen der vernünftigen Geschöpfe nicht der Fall
ist. Indessen darf man doch nicht sagen, dass sie diesen Act per
modum permanentis haben. Virtus naturalis, quae est rebus natura-
libtis in sua instittUione collata, inest eis ut quaedam forma, habens
esse ratum et firmum in natura, Sed id, quod a Deo fit in re na-
turäli, quo actualiter agit, est ut intentio sola, habens esse quQddam
incompletum, per modum, quo colores sunt in aere, et virtus ariis
in instrumento artifigis (de poteutia q. 3. a. 7. ad 7.).
Das Willens vermögen mit dem Acte, mit der aufgenom-
menen Form oder Bewegung bildet das unmittelbare principium
quod der Thätigkeit. Aber das principium quo dieBer Thätigkeit
ist die Form, die vorübergehend aufgenommene Bewegung.
Das Willensvermögen aliein genommen, verhält sich stofiTlieh
und der StofT, die Materie kann nie principium quo einer Thätig-
keit sein. Das ist immer die Form. Daraus leuchtet ein, warum
der heil. Thomas beständig lehrt, das Geschöpf sei in der Kraft
Gottes thätig. Die Bewegung des Wiltens durch Gott isl das
prhwipium wodurch oder quo der Wille Thätigkeitsprincip
oder Ursache wird. Und eben diese Bewegung ist das prindipium
quo der Thätigkeit.
Damit fällt der Einwurf, den ein Autor gegen die pra^motio
physica erhebt. Dieser Autor sagt, wenn Gott den Willen vorher-
bewege, so sei er nicht unmittelbar thätig. Wir antworten
darauf: Gott ist nicht unmittelbar thätig als principium quod.
Dieses Princip ist, wie schon bemerkt wurde, der bewegte
Wille. Er ist aber unmittelbar thätig als principium quo. Dies
gilt selbstverständlich nur mit Bezug auf die Thätigkeit des
Willens. Bei der Überführung des Willens aus der Potenz in den
Act ist der Wille auch nicht als principium quod thätig. Dieses
Übergeführtwerden ist ein B e w e g t w e r d e n. Bewegtwerden aber
bedeutet Leiden, nicht Thätigsein. Die Thätigkeit steht in einer
andern Kategorie, als das Leiden. Bei dieser Überführung ist darum
die Bewegung durch Gott principium quod und quo der Thätigkeit
117. Kann man diesen Einfluss Gottes auf den Willen prae-
motio physica nennen, und ist diese Benennung im heil. Thomas
begründet? Unbedingt ja. Von einer eigenen neuen Benenuang
durch die Thomisten ist gar keine Rede. Alle möglichen Vorwurfe
erheben, ist eine leichte Sache. Doch hören wir den^ heil. Thomas
selber. Motio autem moventis praecedit motum mobilis ratione et
'causa (3. conti. Gent c. 149.). Daselbst kommt das Wort: prae-
ceäere, praevenire weuigatens siebenmal oder achtmal vor. In
operatione, qua Dem operatur movendo naturam, non operatur natura
(de potentlft q. 3. a. 7. ad 3.). Man behauptet, der engliscbe Lebrer
■ spreche immer nur von einem Applicieren der Potenz zu ibrer
Tbätigkeit. Das ist sehr uageuun und unklar geäußert. Wir wollen
uns dieses AppHeieren näher besehen. Gott appUciert den Willen
zur Tbätigkeit. Das kann nur 'bedeuten, Gott bewegt den Willen,
damit der Wille Thütigkeit wird, eine Tbätigkeit ausübt.
In welchem Zustande muss uno der Wille sieb befinden,
damit er eine Tbätigkeit vollziehe? Er oiuss nothweudig aetive
Potenz, potentia in acht, ei; muss Pi'ineip, Ursache sein. Es wurde
aber früher gezeigt, das» der Wille dieses uiebt durch sieh
selber ist, sondern dass Gott ihn dazu machen rauss. ■ Das
geschiebt durch die Überführung aus dem passiven in den
activen Znstand. Kann der Wille bei dieser Überführung thätig
sein? Wir müssen es absolut verneinen. Durch diese Uberflihrnng
selber wird der Wille erst acfive Potenz oder Agens in acta.
DasPrincip der Tbätigkeit abar ist die aetive, nicbt die passive
■Potenz (1. p. q, 25. ».].). Von selten des Willens haben wir
darum bei dieser Überfllhrung nur ein Bewegtwerden, sohin
ciu Leiden. Mit Kecbt sagt darum der heil. Thomas diesbezüglich:
' „non operaiur natura". Damit ist die praemotio klar und deutlich
ausgesprochen. Gott kann nur eine a c t i v e, nicht eine passive
Potenz zur Thätigl{eit applicieren. Er. mnss daher den Willen
vor^rs.t zur activen Potenz macheu, npd dann wird si?
appUeiert, wird sie thätig.
Femer wnide bewiesen, dass der Wille in acht aus Potenz
und Act zusammengesetzt ist.. Dpr Act dieser Potenz ist nichts
aoderes, als die Bewegung durch Gott.'NQn lehrt der beil. Tho-
mas an Tieleu HIellen, dass der Act oder die Form schlecht bin
d. h. der Natur, Causalität und Wljrde oder Vollkommenheit nach
früher sei als der Stoff. Daraus folgt abermals die praemotio,
DasFrÖher in einer andern Weise hat kein Thomist gelehrt.
Die praemotio bleibt dämm auch zu Kecht beateben bei dem
eogeuauDten simultanen Coucurjie des heil. Thomas. Simultan
heißt dieser Goncnre nur deshalb, weil nicht mehr Gott allein
thätig ist, sondern auch der Wille mitwirkt. Bei diesen^ Con-
curse bort indessen die Bewegung Gottes nicht auf. Form oder
Aot des Willens zu sein. Darum bleibt sie, auch in dieser Be-
ziehung, nach dem vorhin ausgesprochenen Grundsätze, in Wirklich-
keit eine praemotio.' Das Formelle ist früher als das Stuffliche,
118. Es wird femer eingewendet, die pfae»io(io vertrage sich
nicht mit der Freiheit. Allein wir sehen keinen Grund daittr.
Wenn zum Wesen der Freiheit gehört, dass der Wille .unthäf ig,
passiv bleibe, dann wird die Freiheit allerdings durch die
— 260 —
p7'aemotio aufgehoben. Sie wird aber dann auch zerstört, so oft
der Wille durch sich selber thätig ist. Ebenso wtlrde die
Freiheit Schaden leiden, falls Gott durch seine Bewegung die
ganze Potentialität des Willens ausfüllte/ Dasi hat aber
kein Thomist je gelehrt, und kein Gegner bis jetzt bewiesen.
Gott bewegt den WjUen der Natur desselben entsprechend und
diese Natur verlangt, dass er frei bewegt werde, Sie Potenz für
das Gegentheil beibehalte. Der Wille wird daliA nur theilweise
bestimmt, determiniert, nämlich zu diesem Acte. Für alle andern
bleibt er frei. Würde er picht determiniert, so könnte überhaupt
keine Thätigkeit erfolgen, denn aus einem nicht Determinierten
erfolgt niemals eine bestimmte, d.et^erminierte Thätigkeit.
Urfd eine unbestimmte ^Thätigkeit existiert nicht. ^
Daraus folgt die Unrichtigkeit des bloß simultanen Conciirses
der Gegner. Denn dieser bestimmt oder determiniert nicht den
Willen, sondern nur die Thätigkeit des Willens. Auf den
Willen selbst wirkt er gar nicht ein. Der Wille selber bleibt
folglich entweder unbestimfnt, nicht determiniert, und
trotzdem geht eine bestimmte ThJ^tigkeit aus ihm hervor, oder
er bestimmt sich selber allein. Daseineist so unmöglich
wie das andere. Ersteres ist von selber klar, letztetes leicht zu
beweisen. Der Wille könnte sich selber nur durch die Thätig-
keit bestimmen. Allein jede Thätigkeit setzt ein bestimmtes
Princip voraus. Deiv Wille ist aber unbestimmt, weil er sich
ja'erst selber bestimmt^ Er ist somit bestimmt und unbestimmt
zugleich. Oder sollte vielleicht die eigene Thätigkeit den Willen
bestiliimen? In die^sem Falle hätten wir 6ine Wirkung* durch
welche die Ursache erst bestimmt wird. Und diese Wirkung
müssfe, um determinieren zu könnep, früljer existieren, als ihre
eigene Urs'ache, Von wdcher sie selber hervorgebracht wird.
Daraus folgt zur Evidenz, dass der. Wille 'selbst dann, wenn er
als active Potenz, als agens in actu betrachtet wird, durch die
praemotio bestimmt werden iniiss, jun diesen individuellen Act
* auszuüben. Nihil agit, nisi secunäum quod est in actü, Etitide est
quod oportet omnfi agens esse determinatum ad aä'eram partem.
Quod enim est ad tdrumlibet aequaliter se habens, est quodanmiodo
potmtia resjßectu utriusque. Et inde est, ut dicit Commeniaior. in
2, Phys. quod ab eo, quod est ad tärumlibet, nihil sequitur, nisi
determinetur (2. dist. 25. q. 1. a. 1.). fn tantum indiget aliquid
moveri ab aliquo, inquantum est inpotentia ad plura. Oportet enim y
ut idj quod est in potentia, reducatur in actum per aiiquid/ quod
est actu. Et hoo^ est movere (1.2. q. 9. a. 1.).
119. Gegen diese Determinieriing des Willens durch die
praemotio wird softrt bemerkt, dass darunter die Freiheit nicht
bestehen könne. Zur Freiheit nämlich gehöre, [däss der Wille volle
Herrschaft besitze über seine Thätigkeit oder seSne'UntHäligkeit.
— 261 —
Die Gegner bemerken vielleicht nicht, sonst würden sie diesen
Satz kaum aussprechen, dass sie damit volle Unabhängig- * t
keit des Willens fordern. In dieser vollen Herrschaft ist nicht •
blo£ eingeschlossen, dass der Mensch frei über seine Acte dis-
poniere, sondern auch über die Thätigkeit Gottes. Diese
volle Herrschaft fordert dann, dass, wenn Gott den Willen bewegt,
es dem Willen freistehen mUsse, diese Bewegung anzunehmen
oder abzuweisen, in die Thätigkeit Überzugehen oder unthätig zu
bleiben. Der Wille disponiert somit frei Über die Thätigkeit, die •
Bewegung Gottes. Dies aber ist gleichbedeutend mit Unab-
hängigkeit. < ^
Ja noch mehr! Der bloß simultane Concurs verlangt nicht
allein volle Unabhängigkeit des Willens von Gott, sondern volle
Herrschaft desselben über Gott. Die Bewegung des Willens
durch Gott ist, wie behauptet wird, nur allgemeiner Natur.
Durch den Willen selber wird sie dann bestimmt, determi-
niert, wird das vom Winde getfiebene Schiff da- und dorthin
gelenkt. Wer ist aun hier disponierendes Agens? Welches übt
dan!i die Herrschaft aus über die Thätigkeit des andern? Offenbar * ,
der Wille des Geschöpfes. Das heißt doch des Guten zuviel ver-
langen, um frei zu sein. Deus movet voluntatem immutabilüer
propter efficaciam virtutis moventiSj quae deficere non potest (de malo
q. 6. a. unic. ad 3). Der Wille des Geschöpfes kann Gottes Thätig-
keit« umsoweniger bestimmen, über dieselbe umsoWeniger dispo-
nieren, als er ohne Wirken Gottes überhaupt keinerlei Thätig-
keit besitzt. Darin allein schon liegt ein Widerspruch, dass die
allgemeine Bewegung des Willens durch Gott, von seiner
" eigenen bestimmt, determiniert werde. Diese eigene muss ja eben-
falls von (Sott erst gewirkt werden. Der Wille hat ohne Gott
gar keine* eigene Thätigkeit. Aber selbsj zugegeben, er hätte
»eine eigene, Gottes Wirken könnte trotzdem nicht durch sie
bestimmt, determiniert werden: propter efficaciam virtutis moventis, •
quae deficere non potest.
Die Bewegung Gottes wird somit nur passiv bestimmt durch
den Willen der Creaturen, d.h. durch das Leiden, nicht durch
die Thätigkeit, durch die Aufnahme in den Geschöpfen. In
dieser Beziehung ist sie dann allerdings veränderlich, denn : quid-
quid recipitur, recipitur secundum modum recipientis. Darum be-
merkt der heil. Thomas an der vorhin angeführten Stelle weiter:
„sed propter naturam voluntatis motae, quae indifferenter se habet
ad diversa, non inducitur necessitas, sed manet libertas, Sicut etiam in
Omnibus Providentia divina iiifallibiliter operatur, et tarnen a camis
contin^ntibus proveniunt effectus contingenter, inquantum Deus omnia
movet proportimabiliter^ unumquodque secundum suum modum,"
Die praemotio physica wendet sich demnach bloß gegen den
passiven; unthatigen Zustand des Willens, in welchem aber die
— 262 —
Freiheit nicht besteht. Sobald der Wille active Potenz, ayeiis
in actu ist, wirkt er selber mit Gott eine Thätigkeit. Und er thut
es 'geiai, es geschieht ganz nnd gar freiwillig, eben weil er selber
mithilft, sich zu dieser Thätigkeit neigt. Andernfalls würde er ja
nicht mitwirken. Die Thätigkeit des Willens besteht ja in einer
Neigung desselben zu irgend einem Objecte. Will er etwas nicht
freiwillig, so neigt er sich einfach nicht dazu, er hilft nicht mit.
Bei der Überführung des Willens aus der Potenz in den Act
kommt ihm überhaupt . noch * k e i n e Thätigkeit, sondern nur
das Bewegtwerden zu. Da ist er noch nicht Princip oder
Ursache einer Thätigkeit, er wird es erst, und zwar gerade da-
durch, dass w von Gott bewegt wird,
120. Ein Autor der neuern Zeit hat sieb die Mühe genommen,
viele Stellen aus dem heil. Thomas zusammenzutragen zum Be-
weise, dass der englische Meister gegen die praemotio physica
gewesen sei. Er zählt deren siebenzehn auf. Ob der Autor sie
alle selber aus denWei'ken fles heiU Thomas gesammelt, wissen
wir nicht. Indessen finden sich schon alle ii^ mehreren Werken
von Autoren aus dem 16. und 17. Jahrhunderte. Zunächst tvird
folgende angegebeu: 1. „Judidum de actione propria est solutn in
habentibus intellectum, quasi in potestate eorum constütUum sU eligere
hanc actionein vel illam. TJnde et dominium sui actus habere dicuntur.
Et propter hoc in solis intellectum habentibus liberum arbüriufn in-
venitur, non autem in Ulis, quorum actiones non determinantur ab dpsis
agentibussed a quibusdamaliiscau^prioribus^ (2. dist 25. q. 1. a. 1.).
2. „Ea quae dicuntur de Deo et creaturis, ut in 1. libr. dictum
est, semper eminentius An ipso inveniuntur. Et ideo eledio salvatur
in Deo hoc modo, quod abjiciatur id, quod imperfectionis est, retefito
eo, quod ad perfectionem pertinet, Quod enim post inquisUionem
consilii electio fiat, hoc imperfectionis est, et accidit libero arbürio
prout est in natura tgnorante. TJnde secundum hoc in Deo fwn .
salvatur, Sed qumUum ad hoc, quod determinatio sui actus non est
sibi ab alio, sed a seipso. Unde ipse verissime sui operis dominus
est, et propter hoc etiam in littera dicitur, quod liberum arbitrium
aliter in Deo, quam in aliis creaturis invenitur" (1. c. ad 1.).
3. Deus operatur in omnibus, üa tarnen, quod in unaqtioque
secundum ejus conditio7iem. Unde in rebus näturalibus operatur sicut
ministrans virtutem agendi, et sicut determinans naturam ad taUm
actionem. In libero autem arbürio hoc modo agit, ut virtutem sibi
ministret, et ipso operante liberum arbitrium agat. tkd tarnen dktermi-
natio actionis et finis jn potestate liberi arbitrii constituUur^ (1. c. ad 3.).
Wir wollen uns fUr einige Augenblicke bei diesen Stellen
aufhalten. Der heil. Thomas will in diesem Artikel beweisen, dass
GQtt einen freien Willen habe. Er unterscheidet zu*diesem Zwecke
die Naturdiuge, und indirekt auch die Thiere, von den vernünf-
tigen Wesen dadurch, dass er behauptet, die freien Wesen be-
stimmten eich selber, sie wllrden nicht von einem andern bestimmt.
Wie man daraus scbließen kann, die Freiheit der Gesehüpfe
bestehe darin, eich selber allein, d. b. mit AusschlnsB Gottes zu
hestimmeD, dag vermügen wir nicht zu begieifen. Der heilige
Thomas spricht hier von der Freiheit der vernünftigen Wesen,
nicht der vernünftigen Geschöpfe. Er will ja darthun, dass
Gott einen freien Willen habe: „titrum in Deo sit liberum arbi-
irium." S. Thomas nntersoheidet hier einfach die freien Wesen
von den unfreien. Die einen determinieren sich selber, die andern
hingegen nicht.
Znm UnglSete fUr die Auffassung unseres Autors bemerkt
S. Thomas, die Freiheit sei in Gott anders, aliter als in den Ge-
schCpfen. Wenn die GeschCpfe sieh selber bestimmen, ohne dass
Gott sie bestimmt, dann ist ihre Fieiheit nicht aliter als die Fiei-
heit Gottes. Beide sind gleich unabhängig von einer andern
Ursache. Ein Unterschied ist darum nicht herauszufinden.
Bezüglich der dritten Stelle ist zu bemerken, dasa die von
nneerm Autor ausgelassenem Worte: „licet non itn sicut
primo agenti" noch dazu gelesen werden müssen. Daraus wird das
Ganze klar. Wenn diese Detevminiernng der Thätigkeit und des
Zieles nicht so wie in Gott ist, daon muss sie noch von
einer andern hfihern Ursache abhangen.
4, Eine weitere vom Autor angeführte Stelle : „non eniin esset
homo liberi arbiirü, nisi ad eum sui operis detei-minatio pertineret,
ut ex proprio judicio eligeret hoc aut illud", beweist Dicht mehr und
nicht weniger, als dass der Wille sieh ebenfalls selber be-
stimme. Man braucht nnr einen oherfläcblicben Blick auf flen
Text zu werfen, nm sofort zu erkennen, dass S. Thomas damit
die Kothwendigkeit ausschließen will. Er wendet sich aus-
drücklich gegen die Vertheidiger einer Nothwendigkeit.
Unser Autor müsste vorerst beweisen, was leider nicht ge-
schieht, dass S. Tliomas behauptet habe, die praemotio fhysica ver-
ursache im Willen eine Nothwendigkeit. Nnr in diesem
Falle wäre der Doctor Angelicns gegen die praemotio phi/sica.
Warum hat der Autor daselbst nicht auch noch das andere gelesen ?
Es heißt Dämlich weiter: „Et ideo alii nat-uram liberi arbitrii sal-
vare volmtes, in alium errorem prolapsi svni, sdlicet Pelagiani, facul-
latem liberi arbitrii amplianles. Dicuni enim, quod, quia liberum
arbitrium de se non est deferminatum ad aliquod opus, sed ex ipso
pendet determinatio cujuscunque operis, ideo homo per libfrum arbi-
trium in quodlibet bonum opus potest sine aliqua gratia super
addita .. ." Dann beweist S.Thomas, dass der Mensch ohne Gnade
Und ohne erworbene Tugend eine gute That vollbringeu
könne, aber so, dass: „to per se non exdudat divinam camalüo'-
iem, secundum quod ipse Deus in omnibus operaiur tti universalis
causa boni, ut dicüur Isaias 26; 13: Omnia opera nostra operatus
— 264 —
es in nobis Domine. Sed exclvdit habitum aliquem creatum ncUuralibus
superadditum,'^ Diese letzten Worte passen allerdings sehr schlecht
für den vom Autor unternommenen Beweis, dass S. Thomas Gegner
der praemotio sei. Hätte der Autor noch weiter gelesen, so wäre
er zu folgenden Worten gekommen : „nihil tarnen boni polest facere
sine gratia Dei, secundum quod intelligitur gratia ipse Deus gratis
dans, eo quod ipse est principium omnis boni, non tantum in hotni-
nibus, sed etiam in aliis creaturis. Et sie intelligendum est, quod
didtur, sine me nihü potestis facere. Et sie etiam potest intdligi
quod Apostolics dicit, quod non sumus sufßcientes cogitare aliquid
a nobis, quasi ex nobis/^ Und einige Zeilen darauf: „Deus noti
tantum juvat nos ad bene agendum per habitum gratiae, sed etiam
interius operando in ipsa voluntate, sicut in qualibet re operatur"
(2. dist. 28. q. I. a. I.e. und ad 1. et 3.).
5. Ferner wird uns entgegengehalten, was S. Thomas anderswo
sagt : „quod voluntas determinate exeat in hunc actum vel in illum, non
est ab cUio determinante, sed ab ipsa voluntate^' (2. dist. 39. q. 1. a. 2.).
Es wäre unserm Autor nicht schwer gewesen, den richtigen
Sinn dieses Satzes herauszufinden. Der englische Lehrer fragt in
diesem Artikel, ob der Wille eine Sünde begehen könne ? „ ütrum
voluntas possit perverti per peccatumj^ Ohne Zweifel, erwidert
S. Thomas, denn der Wille vollzieht nicht bloß einen Act (stib-
stantiam actus), sondern determiniert sich auch zu diesem Acte.
In den Natur dingen hingegen tritt der Act zwar aus dem
Agens hervor, allein die Determinierung zu diesem Acte
stammt nicht vom Agens selber, sondern vom Urheber der Natur.
Es ist klar, dass S. Thomas hier einfach die freien Geschöpfe den
nicht freien gegenüberstellt. Nicht ein einziges Wort in dieser
Stelle spricht gegen die praemotio physica. Gott bewegt den Willen
nicht in der Weise, dass derselbe bloß den Act ausübt, ohne
sich selber dazu zu determinieren, wie er die unfreien
Geschöpfe bewegt. Das ist alles, was der Meister hier sagt.
6. Fernerer Einwurf unseres Autors: „Ratio culpae in actu
defonni est ex hoc, quod procedit ab eo, qui habet dominium sui
actus. Hoc autem est in homine secundum illam potentiam, quae ad
plura se habet, nee ad aliquid eoriim determinatur, nisi ex seipsa,
quod tantum voluntuti convenit" (1. c. a. 2.).
Hätte unser Autor etwas weiter citiert, so wäre dadurch sein
Argument von ihm selber widerlegt worden. Es heißt nämlich
unmittelbar darauf: „Potentiae enim organis affixae coguntur ad
aliquem actum per immutationem organorum, sine quibus in actum
eanre non possunt. Intellectus autem, quamvis sit potentia non afßjca
organo, tamen cogüur ad aliquid ex ratione, vel argumento, sive
deficit ab aliquo, in quod non potest, ex defectu demonstrationis et
intellectualis luminis. Voluntas autem potest de se in quodlibet, quod
apprehensum fuerit, mc ab eo per aliquam rationem violenter pro^
— 265 —
hiberi potestJ' — Was soll nun diese Stelle gegen ^{^ prae^notU)
phjfsica beweisen? Übt vielleicht die praemotio Gewalt aus?
7. „Pötentia rationcUis se habet ad opposita in his, quae ei
subsuni. Et haec sunt illa, qtiae per ipsam determinantur, Non atUem
potest in opposita ülorumy quae ei sunt ab alio determinata. Et ideo
voluntas non potest in oppositum ejus, ad quod ex divina impressione
determinatur, scilicet in oppositum finis tUtimi, Potest atUem in oppo-
situm eorum, quae ipsa sibi determinat, sicut sunt eä, quae ordinan-
tur in finem ultimum, quorum electio ad ipsam pertlnef^ (4:.di8t.49.
q. 1. a. 3. qn. 2. ad 1.).
Der Autor citiert, wie die frühere, so auch diese Stelle un-
genau. Ein Beweis, dass er den heil. Thomas selber wahrscheia-
lieh nicht gelesen hat. Das Gitat des Autors lautet: 4. dist. 49.
q. 1. a. 3. ad 1. Von welcher Determinierung spricht hier der
heil. Thomas? Offenkundig von der objeetiven. Wer die Augen
otfen hat, kann das nicht bestreiten. Zum Überflusse wollen wir
den Einwurf hierhersetzen, auf welchen S. Thomas antwortet.
Objectio: „videtur quod aliquis possit miseriam appetere. Omnis
enim raiionalis potentia ad opposita se habet Sed volutüas est potentia
rationalis. Ergo se habet ad opposita. Beatitudini autem opponitur
miseria. Ergo si potest aliquis appetere beatitudinem, potest etiam
appetere miseriam/^ Wir sind erstaunt darüber, dass man diese
Stelle gegen die praemotio physica zu verwerten den Muth hat.
Die objective Bestimmung zum Endziele hat mit der praemotio
physica gar nichts zu thun. Es ist ein großes Unglück
für den Autor, dass er uns auf diese Stelle des heil. Thomas auf-
merksam gemacht hat Wir wären vielleicht nicht darauf gekom-
men. Im corpus der Quaestiuncula 2 bemerkt nämlich S. Thomas
Folgendes: „Ad secundam quaestionem dicendum, quod operatio
causae secundae semper fundatur super operatione causae primae et
praesupponit eam. Et ideo oportet, quod omnis operatio animae
procedat ex suppositione ejus, quod inditum est animae ex impressione
primi agentis, Dei scilicet.*' Besser und prägnanter in der That,
kann man die praemotio physica nicht lehren, als es vom englischen
Meister in diesen wenigen Worten geschieht. Wie man daher die
responsio ad 1 noch gegen die praemotio ins Feld führen kann, nach-
dem man den Artikel selber gelesen, das ist uns ein wahres Räthsel.
8. Der heil. Thomas lehrt aber doch „quod licet cama prima
maoAme influat in effectum, tarnen eju^ influentia per causam proxi-
mam determinatur et specificatur** (de potentia q. 1. a. 4. ad 3.).
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Bewegung der ersten
Ursache durch die secundäre Ursache bestimmt und specificiert
wird. Darüber äußert sich der heil. Thomas mehr als einmal.
Allein der englische Lehrer unterscheidet eine zweifache Bestim-
mung oder Specificierung. Die eine stammt vom Stoffe, die andere
von der Kraft, der Form her. Der Stoff, oder was sich stofflich
— 266 —
verhält, bestimmt seine ihm entsprechende Kraft oder Form da-
durch, dass diese Kraft im Stoffe aufgenommen wird. Dadurch
wird die Form eingeschränkt, determiniert und specificiert nach
dem Grundsatze: omne quod recipitur, recipitur secundum modum
redpientis. Diesbezüglich richtet sich daher die Form oder Kraft
nach dem Stoffe. Die andere Bestimmung und Speeificierung geht
von der Form, der Kraft aus, und dadurch wird der Stoff deter-
miniert und specificiert Erstere wirkt verunvoUkommnend auf die
Form, letztere vervollkommnend auf den Stoff ein. Diese *wei
Arten von gegenseitiger Bestimmung und Speeificierung finden
wir in dem von Gott bewegten Willen. Der Einfluss Gottes wird
durch diese Aufnahme im Willen der Geschöpfe stofflich, materiell
oder passiv bestimmt und specificiert. Folgende Stelle des eng-
lischen Meisters gibt uns darüber Aufschluss: „Detis movet qui-
dem voluntatem immutabiliter propter efficadam virtutis moventis,
quae deficere non potest, Sed propter naturam voluntatis tnctae,
quae indifferenter se habet ad diversa, non induciter necessitas, sed
manet lihertas, Sictd etiam in Omnibus Providentia divina infaüi-
hinter operatur, et tarnen a causis contingentibm prov&niunt effectus
contingentery inquantum Detis omnia movet proportionabüüer, unum-
quodque secundum suum modum (de malo p. 6. a. nnic. ad 3.). Daraus
ist klar, dass der von Gott bewegte Wille mit Bezug aaf
seine Thätigkeit der Bewegung Gottes auch nicht bei-
stimmen kann. Der Wille wird frei bewegt, behält somit die
Potenz für das Gegentheil bei. Ähnlich äußert sich S. Tho-
mas anderswo (I. c. ad 12.) : „dispositio primi moventis manet in
hiSj quae ab eo moventur, inquantum moventur ab ipso. Sic enim
ejus similitudinem recipiunt, Non tamen oportet, quod totaUter ejus
similitudinem sequantur. ünde primum principium movens est im-
mobile, non aiUem alia/^ Die Thätigkeit Gottes, die Bewegung des
Willens durch Gott wird demnach stofflich bestimmt, per recep-
tionem in voluntcUe. Der Wille verhält sich dieser Bewegung geg^en-
über, wie der Stoff zur Form, wie die Potenz zum Acte. Der
Wille ist daher das Unvollkommene, das der Natur und Can-
salität, der Würde nach Spätere, die Bewegung Gottes, das
Vollkommene, folglich das in der genannten Weise Frühere.
Daher spricht S. Thomas wiederholt vom Vorausgehen, praecedere,
der Thätigkeit Gottes. Man lese z. B. folgende Stellen : „tarn Deus
quam natura immediate operantur, licet ordinentur secundum prius
et posterius ut ex dictis in artictUo patet (de potentia q. 3. a. 7.
ad 4.). De ratione virtutis inferioris est, quod sit aliquo modo ape^
rationis principium in suo ordine; id est, ut agat ut instrumentum
superioris virttUis. Unde exclusa superiori virtute inferior virtus
operationem non habet. Voluntas Bei, quae est origo omnis naturalis
moti4S, praecedü operationem naturae. ünde et ejus openxtio in
omni operatione naturae requiritur^ (1. c. ad 9.).
— 267 —
Die Gegner des heil. Thomas aber behaupten, dass der Wille
die Thätigkeit Gottes nieht passiv oder stofflich, sondern ac tiv
nnd formell bestimme and specificiere. Nach ihnen ist diese
Thätigkeit Gottes allgemeiner Natur, somit in sich unbe-
stimmt aber bestimmbar. Durch die Thätigkeit des Willens
wird die Bewegung Gottes bestimmt und specificiert. Da
nun die Form, das formell Bestimmende, gemäß den Principien
des heil. Thomas, der Natur und Gausalität, der Vollkommenheit
nach früher ist, als «das Stoffliche oder Bestimmbare, so folgt
aus dieser Lehre, dass Gottes Thätigkeit weniger vollkommen
und später ist, als die des Willens. Eine solche Doctrin kann
der englische Meister unmöglich vertheidigt haben. Eine Deter-
minierung und Specifici'erung dieser Art keilnt S. Thomas Aicht.
Der Wille kann nicht durch seine Thätigkeit die Bewegung
Gottes bestimmen, weil er durch eben diese Bewegung erst
thätig wird. Ägere mim cujuslibet ipaorum a Deo causatur,
sicut et motus moiüis a motione moventis (Compeud. Theol. c. 180.).
Fatum est dispositio, id est ordinatio immobüis rebus mobilibus
inhaere9is (1. c: c. 138.). 'Quandocunque enim duo sunt principia
moventia vel agentia ad invicem brdinata, id quod in effectu est ab
agente superiori est stcut formale. Quod vero est ab inferiori agente est
sicut materiale (de veritate q. 14. a. 5. — 3. contr. Gent. c. 149.).
9. Weiter wird bemerkt: yfVoluntas dicitur habere dominium
sui actus, non per exclusionem causae primae, sed quia causa prima
non ita agit in voluntate, ut eam de necessitate ad unum determinet,
sicut determinat naturam. Et ideo determinoitio actus relinquitur in
potestate rationis et voluntatis" (depotentia q. 3. a. 7. ad 13.).
Durcb diese Worte soll, der heil. Thomas die praemotio physica
verwerfen ? Man traut seinen eigenen Augen nicht, wenn man diese
Behauptung liest. Der Wille besitzt die Herrschaft llber seine Thätig-
keit dadurch, dass er selber sich dazu bestimmt. Geschieht das durch
ihn allein? Nein, antwortet S. Thomas, die erste Ursache darf
* davon nicht ausgeschlossen* werden. Gott bestimmt somit
den Willen ebenfalls. Welche von diesen beiden Bestimmungen
ist die frühere? Offenbar die Bestimmung durch Gott. Der
englische Meister wendet sich gegen den Einwurf, dass durch
diese Bestimmung von selten Gottes der Wille die Herrschaft ver-
liere. Daher bemerkt er, Gott bestimme den Willen nicht mit
Nothwendigkeit, wie die Natur von ihm bestimmt wird. Weit
entfernt also, dass S. Thomas hier die praemotio verwirft, lehrt er
sie vielmehr ausdrücklich. Andernfalls hat die ganze Stelle keinen
Sinn. Es wird die freie Bestimmung durch Gott von der noth-
w endigen unterschieden, nicht aber, wie der Autor meint, die
Kichtbestimmung durch Gott von der Bestimmung.
10. Aber, erklärt man: „Voluntas, cum sit ad utrundibet, per
aliquid determinatur ad unum, scilicet per consilium rationis. Nee
— 268 —
oportet hoc esse per aliquod agens extrinsecum^ (de malo q. 3.
a. 3. ad 5.).
Durch diese Stelle wird der Einwurf widerlegt, als sei der
Teufel die Ursache der Sünde des menschlichen Willens. Der
heil. Thomas spricht somit von einem äußern geschaffenen
Agens. Gott aber ist nicht ein äußeres Agens, sondern ein
inneres, weil er direct im Willen thätig ist Durch diese Stelle
wird demnach nicht die praemotio physica bekämpft, wohl aber
der simultane Concurs der Gegner. Dem* wenn Gott, den Effect
wirkt, nicht den Act oder die Thätigkeit, wenn er nicht im
Willen selber thätig ist, so bildet er für denselben ein Agens
extrinsectim. Ein solches Agens aber braucht der Wille "'nicht, be-
merkt der heil. Thomas.
11. Unser Autor verweist auch auf: de malo q. 6. a. unic.
und zieht hier abermals die objective, specificative Indifferenz in
die Frage herein. Diese aber, so weiß alle Welt, nur unser Autor
nicht, hat mit der praemotio p%5fca, nichts zu <thun. Der ^anze
Artikel des heil. Thomas, auf den sich unser Autor beruft, legt
mit mathematischer Genauigkeit die pfaemotio physica dar. Wer
indessen nicht will,, der zeigt eben, dass er f£ei ist.
12. Sagt aber, der heil. Thomas nicht: „Esse anitnae non est
determinatum a se ipsa, sed ah alio, sed ipsa determinal sibi suutn
velle. Et ideo quamvis esse sit immutabile, tarnen velle indeterminatum
est, hc per hoc in diversa flexihile^? (de veritate q. 22. a. 6. ad 1.).
Diese Stelle beweist, dass der Wille sich selber bestimme,
weil er von Gott nicht mit Nothwendigkeit zu den einzelnen
Objecten bestimmt worden ist, wie zum Dasein. Die Worte: in
diversa flexihile sagen klar und deutlich, von welcher Nicht-
bestimmung der heil. Thomas spricht. Es ist die objective, spe-
cificative, die unser Autor zum so und sovielteumale mit der sub-
jectiven confundiert.
13. Allein: „Forma^ quaenon est ab ipso agenfe per formam,
' cat^at operationem, cujus agens »non est dominus j si qua vero fuerü *
forma, quae sit ab eo, qui per ipsam operatur, etiam consequentis
operationis dominium habehit*^ (2. contr. Gent. c. 47. n. 3.).
Wie diese Stelle gegen die praemotio physica etwas beweisen
soll, ist wirklich schwer zu begreifen. Der heil. Thomas erörtert
hier die Wahrheit, dass die geistigen Substanzen einen Willen
besitzen: „Quod substantiae intelleduales sunt volentes,^ Die Form,
von welcher er hier spricht, ist das durch den Verstand vor-
gestellte Object. Forma autem intellecta, per quam suhstaniia in-
tellectualis operatur, est ab ipso inteUectu, utpote per ipsum concepta,
et quodammodo excogitata, ut patet de forma artis, quam artifex
eoncipit et ewcogüat, et per eam operatur. Substantiae igOur in^
tellectuaies seipsas agunt ad operandum, ut habentes suae ope-
rationis dominium, Habent igitur voluntatem. Jeder Commentar zu
— 269 —
dieser Stelle ist vollkommen überflüssig, denn sie redet van der
objectiven, specifieativen Selbstbestimmung. * '
. . 14. Ferner wird Folgende8*eingeworfen : ;, Omnis forma inclinat
suum ßubjectum secundum modum ncUurae ejus. Modus autem naturalis
intellectualis naturae est, üt libere feratur in ea, quae vtdt. Et ideo «
inclinatio gratiae *non imponit necessitatem, sed habens gratiam potest
ea non uti et peccare^ (1. p. q. 62. a. 3. ad 2.).
Der Einwurf, den sich der heil 'Thomas daselbst nJacht, lautet:
gratia inclinat naturam-rationalem in Deumj Si igitur angelus in gfatia
creatus fuissetj nullus angelus' fuisset a Deo aversus. Was bestreitet
nun S.Thojnas in seiner Antwort? Dass die Gnadenden Willen mit
Nothwendigkeit zu Gott neige. Neigt die praemotio physica
den Willen mitNothwendigkeitzu seineivObjecten ? In keiner
Weise, denn Gott bewegt, den Willen der Natur desselben ent-
sprechend. Objectiv ist er vollkommen frei. Aber auch subjectiv
kennt er eine Nothwendigkeit nicht, weil die Bewegung durch
Gott, diese vorübergehend mitgetheilte Form, * nicht die ganze
Fotentialität des Willens ausfüllt. ^^ ^ •
Wenn aber Gott den Willen zur Thätigkeit bewegt, so kanp
doch derselbe nicht unthätig bleiben? Wir antworten, dass er
das auch nicht könne, wenn er sich selbQr allein bewegt. Contra-
dictorisch Entgegengesetzte können nicht zugleich existieren.
Es ist demnach eine und dieselbe Nothwendigkeit, mit welcher
der Wille in Thätigkeit übei'geht, sei es, dass er voif Gott, sei
es, Hass er von sieh selber allein bewegt wird. Die Nothwendig-
keit dieser Art Verträgt sich indessen sehr g\it mit der Freiheit,
sonst müsste man behaupten, der Wille hebe seine eigene Freiheit
auf, sobald er überhaupt eine Thätigkeit vollzieht. Eine andere
Nothwendigkeit aber, als diese, vermögen die Gegner nicht nach-
zuweisen. ' Si Deus' mövet' volüntatem ad aliquid, incompossibile e^t
huic positioni, quod voluntas ad illtid non moveatuv, Non tarnen
est impossibile simpliciter, TJnde non sequilur, quod voluntas a Deo
ex ^necessitate moveatuv (L2. q. 10. a.'4r. ad 3.). Si autem detur
quod aliqua potentia activa ad opposita se habeat, non sequitur
opposita esse -simuL Quia etsi utrumque > oppositorum , ad quod
potentia se ' habet,' $it,possibile, unum tarnen est incompossibile altert
(demalo q. 6. a. unic. .ad 16.). Voluntas, quando de ^ novo incipit
eligere, transmutatur a sua priori dispositione , quantum ad hoc^
quod priüs erat eligens in potentia- et postea fit eligens actu. Et haec
quidem trcmsmutatio e3t ab aliquo movente, inquantum ipsa voluntas,
movet' seipsam ad agendum, et inquantum etiam movetur ah aliquo
exteriori ägente, scilicßt Deo,- Non tarnen ex necessitate imvetur
(I.e. ad 17.). Licet ergo.simul insithomini potentia ad opposita se
habens, tamen opposita illa, ad quae se habet voluntas, non sunt
siniul (1. d. ad 19.).
15. Ein' weiterer Einwurf aus S.Thomas lautet: „Qualität
ff" *■
_ 270 —
hominis est duplex. TJna naturalis, alia superveniens . . . Quali-
totes autem supervenientes sunt, sicut habittss et passiqnes, secundum
quas aliquis magis inclinatur in untim, quam in alterum. Tafnefi
istae etiam inclinationes suhjacent judicio rationis et hujustnodi
» etiam qualitates ei> suhjacent, inquantum in nobis est, tales qualüates
acquirere, vel causaliter, vel dispositive, vel a nobis exjcludere. Ei
sie nihil est, quod libertati arbitrii repu^nöt" (1. p. q. 83. a. 1. ad 5.).
Nach dftr Auffassung unseifes Autors lehrt S. Thomas, die prae-
motio physica sei eine Qualität wie der Habitus oder die Leiden-
schaft, wie er sie ja auch im frühefn Argumente mit der Gnade
vergleicht. AUejn das hat der englische Meister nirgends gelehrjt,
rielmehr wird von ihm das Gegeutheil vorgetragen. Die praemotio
physica ist eine Bewegung, nicht ein Zustand. „Immutat
autem (Deus) voluntatem dupliciter: %no modo movendo tantum,
quando scüicet rnovet voluntatem ad dliquid volendum, sine höc,
qu/od aliquam formam imprimat voluntati. Sicut sine appositione
alicujus KMtus quandoque facit, ut homo velit hoc, quod prius non
vdebat^ (de veritate q. 22. a. &.). Überall bemerkt S. Thomas, dieso
Bewegung habe ein unvollkommene^ Sein. Cfir,: 4. dist. 1.
q. 1. a. 4. qu. 2. — ib. dist. 5. q. 2. a. 2. qu. 2. Wenn man die
Lehre des heil. Thomas unrichtig erfasst, so ergeben sich freilich
mancherlei Schwierigkeiten. Allein die Schuld 4^^^^^ trägt nicht
der englische Meister.
121. Sehen wir genauer nach, auf was die Doctrin der Gegner
abzielt, so ist es im Grunde nichts Geringeres, als die völlige
Unabhängigkeit des Willens. Der Wille determinifert sich
selber. Er braucht dazu Gott nicht. Er ist alleinige Ursache
seiner Selbstdeterminierung. Der heil. Thomas indessen bestreitet
auf das entschiedenste, dass zur Freiheit die ausschließliche
Selbstbestimmung gehöre. „Non tarnen hoc est de mcessüate Über-
tatis, quod sit prima causa sui,, id quod liberum est, Sicut nee ad
hoCf ut aliquid sit causa cUterius requiritur, quod sit prima causa
ejus (1. p. q. 83. a. 1. ad 3.). Deu^ operatur in unoquoque ageiüe
etiam secundum modum illius agentis, Sicut causa prima operaiur
in operatione causae secundae, cum secunda causa non possit in
actum procedere, nisi per virtutem causae primae, Unde per hoc,
quod Deus est causa Operons in cordibus, hominum non exclu-
ditur, quin ipsae humanae mentes sint causae suorum m(^um*
Unde non tollitur ratio libertatis (de veritate q. 24. a. L ad 3.).
Instrumentum dupliciter dicüur, Uno modo proprie, quando scüicet
aliquid ita ab altero movetur, qu^d non confertur ei a movenU
aliquod principium talis motus, sicut serra movetur a carpentario.
Et tale instrumentum est expers libertatis, Alio modo dicitur instru-
mentum magis communifer, quidquid est movens ab alio motum^ sive
sit in ipso principium sui motus, sive non. Et sie ab instrumento
non oportet, quod omnino excludatur ratio libertatis, Quia aliquid
— 271 —
♦
potest esse ah alio mptum, quod tarnen se ipsum fnovet. Et ita^ est
de mente humana (1. c. ad 5.). Ex praescientia Dei non potest
concludi, quod. actus nostri sirit necessarii necessitate absoluta, quae
dicitur necessitas consequehtis ; sed , necessitate conditionata, quae
dicitur necessitas consequentiae ui patet per Boeth. in ßne consoh
philos^. (1. c. ad. 13.) Manifestum est quod, cum aliquid movet aUerum,.
non ex hoc ipso, quod est movens, ponitur, quod ^^t primum movens,
ünde non ßxcludüur, quin ah aüero moveatur, et ah altero haheal
similiter hoc ipsum, quod movet, Similiter cum aliquid movet se-
ipsum, non excludüur^ quin ah alio moveatur, a quo höhet hoc ipsum
quod seipsum movet. Et sie non 'repug7iat lihertati, quod Dens est
causa actus liheri arhitrii (de mulo q. 3. a. 2. ad 4.).
Non.onme principium est principium primum. Licet ergo de
rattone voluntarii sit,' quod principium ejus sü intra, non tarnen est
contra rationem voluntarii, quod principium intri'nsecum causetur,
vel moveatur ah exteriori principio, gfUia non est de ratione volun- .
tarii, quod^prindpium inirinsecum sit principium primum (1.2. q. 6.
a. 1. ad l.j. .
Actus voluntatis a solo Deö est, qui solus causa est naturaß
rationalis voluntatem hahentis. ünde patet, quod non est contra
hominis lihertatem, si Deus voluntatem' hominis movet, sicut non est'
contra naturam, quod Deus in Hhus naturalihus operatur; sed tarn
inclinatio naturalis, quam voluntaria a Deo est^ iitramque prae-
veniens seoundum ' condüiofiem rei, cujus est, Sic enim .Deus "res
movet, secundum quod convenit eorum naturae (Comp, theol. c. 129.).
Etiam interiar voluhtas movetur ah^ aliquo superiori principio
quod est Deus, Et secundum . hoc Apostolus dicit, quod non est
volentis, scüicet veUe, neque currentis, scilicet currere, sicwt primi
principii, sed Dei miserentis (de malo q. 6. a. unic. ad 1.). Electiones
et voluntates immediate a Deo disponuntur. Oportet ergo omnium
voluntatum et electionum motus in divinam voluntatem reduci, non
autem in aliquam aliam causam, quia solus Deus nosträrum volun-
tatum et electionum causa est (3. contr. Gent. c.91.). Cfr. 1.2.
q. 109. a. 2. ad 1.).
Operatio illius agentis, quod per se agit, oportet quöd in primum
agens, sicut in causam reducatur, Quamvis enim hujusmodi entia'
per se agaM, quia per propriarh naturam et proprium Judicium
actus sux>s determinant, nan tarnen a se hahent, quod agant, sed a
primo agente, quod eis et ^sse, et posse, et agere confert (2. dist. 37.
q. 1. a. 2. ad 5.).
Causa, quae est ex se contingens, oportet ut determinetur ah
oliqvo exteriori ad effectum, Sed voluntas divina, quae ex se necessi-
tatem habet, determinat seipsam ad volitum, ad quod hahet hahi--
tudinem non necessariam (1. p. q. 9. a. 3. ad 5.).
Diesen Zeugnissen des heil. Thomas . gegenüber kann die
Doctiiu der Gegner nicht standhalten. Der WiUe behält unter der
«
— 272 —
■ . •
' Bewegung Gottös seine volle Freiheit, obgleich er nicht Bn ab-
hängiges, erstes Pfincip seiner Thätigkeit ist. Und er selbst
ist es> der dasjenige will, wozu Gott ihn liewegt. Gptt wirkt im
Willen 80, wie derselbe vermöge seiner Natur es fordert. Selbst
dann, wenn Gott den Willen umändert, bewirkt es seine Allmaeht^
» dass der Wille das, zu dem er umgeändert wurde, freiwillig be-
gehrt (2. dist. 25. q. 1. a. 2. ad 1.). Denn so oft Gott den Willen
umändert, bewirkt er, dass auf dte frühere Neigung eine andere
folge. Die eretere wird somit entfernt und die letztere bleibt
zurück. Wenn er demnach den Willen zu etwas bewegt, so
geschieht dieses nicht gegen die momentan im Willen existie-
rende Neigung, sondern gegen diejenige, die er früher hatte
• (de veritate q. 22. a. 8.).
Jede Thätigkeit der Geschöpfe, * der Vernünftigen wie der
unvernünftigen, muss demnach Gott, als der ersten Uraache
. zugeschrieben werden. Es ghht nicht an, ihm bloß die Bewegung
des Willens zum Guten und zur Glückseligkeit im allgemeinen
zuzurechnen. Selbst die sündhafte Handlung hat als That, als
actio Gott» zu i; Ursache. Alia'opinio dicebat, actus peccütorum
nullo modo, nee etiam inquantum actus sunt, a' Deo esse. Et hae^
'Ojpinio tängitur in praesenti ^distinctione, quam ad praesens nutli vel
pauci tenent qida propinquissima est errori dUplici.
Primo quidem., quia ex ea videtur sequi, quod sint plurä p'iwi"
prlncipia. Hoc enim eß,t de ratione prifni principii, ut agere possit
sine aüxilio prioris agentis, et inßuentia ejus, Unde si volwita^
humana action^em aliquam.posset producere, duju^ auctor Deus non
. ' esset, voluntas humana rationem primi principii haberet,
Quamvis .Rohere hoc nitaniur dicentes, quod voluntas, et si
'per se possit actionem producere sine infliientia prioris ägentis, non
tarnen habet a se esse, sed ab alio, quod etiam exigeretur ad ratio-
nem primi principii,
. Sed hoc videtur ificonvenien^, ut, quod a se esse non habet, a ä
agere possit, cum etiam per se durare non possit, quod a se nofi est.
Omnis etiam virtt^ ab essentiaprocedit, et operatio a virtuie, Unde
cujus essentia ab alio est, oportet quod' virtus et operatio ab älio sit
Et praeierea, quamvis per hanc responsionem evitaretur, quod non
esset primum simpliciter, non tarnen posset vitari, quin esset primum
agens, si ejus actio in aliquid priu^s agens non reducereütr sicut in causam,
Secundo, quia, cum actio etiam peccati sit ens quoddam, non
' solum secundum quod' privationes et negationes entia dicuntur, sed
etiam secundum quod res in genere existentes entia sunt, eo quod et
ipsae actiones in genere 07*dinantur, sequeretur, si actiones peccati a
Deo non sunt, quod aliquod ens essentiam habens a Deo non esset. Et
ita Deus non esset universalis causa omnium entium, quod est cofitM
peffectionem primi entis, Primum enim in quolibet genere, est causa
eorum, quae suntpost, ut in 2^ metaph. dicitur (2. dist. 37. q. 2. a. -.)
— 278 —
Wie jedei-mann sieht, handelt es sich hier um freie Thätig-
keiten, nicht um die nothwendige und natürliche, d.h.
unfreie Hinneigung des Willens zum Guten und zu der Glück-
seligkeit im allgemeinen. Ebensowenig ist hier die Rede von
jener Bewegung des Willens durch Gott, die, wie der Wind das
Schiff im allgemeinen nach Osten bewegt, so dem Willen eine
allgemeine Bewegung mittheilt. Daher bemerkt S. Thomas mit
Kecht: ,,NuUum agens particulare potest universaliter praevenire
actionem primi universaliter agentis, eo quod omnis actio particu-
laris agentis originem habeat ab universali agente; sicut in istis in-
Jerioribus omnis motus praevenitur a motu coelestL Sed anima humana
ordinatur sub Deo, sicut particulare agens sub universali. Impossi-
bile est ergo, esse aliquem rectum motum in ipsa, quem non prae-
veniat actio divina, Unde et Joannis c, 15. Dominus dicit, sine me
nihil potestis facere (3. contr. Gent. c. 149.).
Gott bildet aber auch die Ursache, dass der Wille Thätig-
keitsprincip, dass er Ursache seiner eigenen Thätigkeit ist.
Die Ursache wird vom heil. Thomas definiert als dasjenige, „ad
quod sequitur esse alterius, seu causati; vel principium influens
in esse alterius, quod est ex ipso, (Physic. 2. 10. 15. ed nova.). Wir
müssen demnach eine zweifache Abhängigkeit des Willens von
Gott unterscheiden. „Actio cujuscunque entis creati dependet a Deo
quantum ad duo. Uno modo, inquantum ab ipso habet perfectionem,
sive formam, per quam agit; alio modo, inquantum movetur ab
ipso ad agendum (1. 2. q. 109. a. 1.). Die Thätigkeit Gottes, wo-
durch dem Willen diese Vollkommenheit, diese Form per modum
transeuntis mitgetheilt wird, heißt in der natürlichen Ordnung prae-
motio physica schlechthin, weil der Wille dabei nicht selber
thätig ist, sondern erst Thätigkeitspr in cip wird. Die Bewegung
des Willens durch Gott zur Thätigkeit selbst heißt simul-
taner Concurs, weil dabei nicht mehr Gott allein, sondern auch
der Wille des Geschöpfes eine Thätigkeit ausübt. In der über-
natürlichen Ordnung entspricht dieser Bewegung des Willens aus
dem passiven Zustande heraus in den acti ven die gratia operans ;
der Bewegung aus dem activen zu der Thätigkeit, die gratia
cooperans. Bei ersterem Vorgange ist der Wille selber u n t h ä t i g.
Er wird ausschließlich nur bewegt. Bei letzterem hingegen wirkt
er selber mit. Operatio enim alicujus effedus non attribuitur mobili,
sed moventi. In illo ergo effectu, in qico mens nostra est mota, et
non movens, solus autem Deus movens, operatio' Deo attribuitur. Et
secundum hoc dicitur gratia operans. In illo autem effectu, in quo
mens nostra et movet, et movetur,* operatio non solum attribuitur
Deo, sed etiam enimae. Et secundum hoc dicitur gratia cooperans
(1. 2. q. 111. a. 2.). Demzufolge unterscheidet sich sachlich od^r
real die reine Vorherbewegung von der Applicierung oder dem
simultanen Concurse im Sinne des heil. Thomas. Bei dem Processe
Feldner, wmensfreilieit. 18
— 274 —
der Vorherbewegung wird der Wille Thätigkeitsprincip, wird
er Ursache; bei der Applicierung geht dieses Princip, diese
Ursache in eine wirkliche Thätigkeit über. Solange der Wille
sich im passiven, unthätigen Zustande befindet, ist er der Grand-
lage nach oder radicaliter frei. Als Thätigkeitsprincip,
als Ursache, agms in actu, besitzt er die Freiheit formell und
eigentlichst. Als Agens in potentia hat der Wille keine Herr-
schaft, kein dominium tlber seine Thätigkeit oder Unthätigkeit.
Er besitzt diese Herrschaft erst, wenn er agens in actu, Thätig-
keitsprincip geworden ist. Als agens in potentia kann er dem-
nach der Beweguog Gottes, der praemotio physica auch nicht
widerstehen. Als agens in actu dagegen vermag er es. Dies ist
aber auch nicht in dem Sinne zu verstehen, als besitze er die
Herrschaft über die Thätigkeit, über die praemotio Gottes. Der
Wille kann unmöglich über das nach Belieben, also frei disponieren,
wovon er selber abhängt. Wenn man darum sagt, der Wille könne
unter der praemotio physica „non consentire si vuW, so bedeutet
dieses nichts anderes, als dass der Wille die Bewegung darch
Gott, stofflich, keineswegs aber a et iv, modificieren könne. Die
Bewegung Gottes wird durch die schlechte oder gute Disposition
des Willens bei der Aufnahme in denselben stofflich, mate-
riell beeinflusst. Diese Beeinflussung kann unmöglich activ ge-
schehen, d. h. durch eine Thätigkeit, die von der praemoüo physica
unabhängig ist.
Der Wille besitzt ohne praemotio physica keinerlei Thätigkeit.
Wir haben nachgewiesen, dass es keine natürliche und noth-
wendige, d.h. unfreie subjective Bewegung (Thätigkeit)
des Willens gibt. Indessen selbst angenommen, es existierte eine
solche, sie wäre ungenügend. Gott muss den Willen zu jeder
Thätigkeit bewegen, die freie ist davon nicht ausgenommen.
Dass diese Bewegung eine vo rh ergehende genannt werden könne,
wurde ebenfalls aus S. Thomas nachgewiesen, indem derselbe das
Wort: praecedere, praevenire wiederholt gebraucht.
Nicht die Thomisten sind es folgerichtig, die eine nene
Lehre aufgebracht haben, sondern die Gegner des heil. Thomas
haben jene alte Lehre wieder aufgefrischt, von welcher Albert
der Große sagt, dass sie zu seiuer Zeit: fere cessit ah aüla et a
muÜis modernorum repuiatur haeretica (in 2. dist. 35. a. 7. pag. 322.).
Diese alte Lehre ist es, von welcher S. Thomas bemerkt: quod
Sit propinquissima Huplici errorL Ideo ad praesens nuUi vel pauci
eamjenent (2. dist. 37. q. 2. a. 2.).
F"».
». ' .
V<>n dasmliten Vetfai^er «i«ebieo rat ^lötken T«rlage:
Die
Lehre des heil. Thomas
ober den
EinfliLss Gottes auf die Handlungen der
Ternünftigen Geschöpfe.
Sn Eriiinenz Cardinal Josef PeccL
Kritisch beleuchtet.
1889. 103 Seiten 8^ Preis 80 kr. = M. 1-40.
^. . . , Als eine besonders gründliche und lichtvolle Ai^it mnss
die dfs» P. Guridi«m]v Feld n er bez^tchnet werden. Der Verfinser ist viel-
jiihni^tsr Frofesi^or <ler Suioma des hell. Tboauis uod irar daher m aemer Arbeit
tttmgezeiehDet befähig.
In seiner inaßioUen Polemik folgt der gelehrte VerCtsHer deo Ans-
ffihnintren Hr. EioiDenz Schritt für Schritt und weiset aus den Werken des
h'^iL lliorrias überzeugend nitch, dass der Doctor AngeiicQS emea nm-
fnssenderen Kinfluss Gottes auf die Handlungen der vernünftigen Gesdiöpfe
lehre, als Se. Euiineuz anuiuunt . . . ^
Hr. Kftrl Wei0 im ^Literariscbeii AneeigeK m. Jtikr^Mmg. Kr. 6.
„ ViiHwAYm kridschö Ziel, aber eingehender und seharfer, verfolgt
in ohi:tigen;iiiTiter Schrift einer seiner deutschen OrdensgenoMen, der Gruer
lionjiriicHTier G. Fddner, den wir bereits aus einer Abhandlung In CommefS
,Jahrbuch für i^hilosophie^ (II, 523 ff. u. 111, I ff. 131 ff.) als grundiicben Kenner
des heil, Thomas und gewandten Dialectiker kennen gelernt haben Diese
IVgriffe und Grundsätze und hienach den Kernpunkt der Streitlrage genauer
bestimmt zu haben: das ist ein Haupt verdienst der Feldner'sohen Schrift .. . .*
Prof. Margott im yLiterftriseken Handweiser^.
„...P. Feldner hat das Verdienst, dass er kurz und in lichtvoilster
Schärfe nachweist — zudem oft aus den Widersprüchen, in die sein Gegner
hi(rfi verwickelt — rlass Thomas gar nicht so gelehrt haben kann, wie Seine
Kumu'ji'A meint Wir müssen dem Verfasser zuerkennen, dass er seinem Gegen-
HinrnUt amt d'irehaus vorurtheils freie, stets in edler Sprache gäal*
tenc. Beh:iii(liuiig zu geben versteht. Er hat seinen Zweck vor Augen. Personen
verwer;hh"it er nirlit mit de>r Sache. Wer die Schrift des Cardinais gelesen,
musH, um keinem einseitigen Urtheile anhüimzufallen, auch die Feldnerwhe
(''<"'' ,Thoma8bliltter^9 I. Bd. Heft «.
K. k. ('iiiveisitfits-linchtlmckerei ,Styria' in Gras.
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Von demselben Verfasser erschien im^ gleicben Verlage:
. Die
Lehre des heil Thomas
über den
Einfluss Gottes auf die Handlungen der
^en wescnopie.
Dargelegt
von ^
Sr. Eminenz Cardinal Josef Pecci.
Eritisch beleuchtet.
1889. 103 Seiten 8^ Preis 80 kr. = M, 1*40.
„. . . . Als eine besonders grün di! ehe und lichtvolle Arbeit ronsa
die des P. Gundisaly Feldner bezeichnet werden. Der VerfalBser ist viel-
jähriger Professor der Siiinraa des heih Thomas und war daher za seiner Arbeit
ausgezeichnet betatiigt.
In seiner maßvollen Polemik folgt der gelehrte Verfasser den Ans-
ttihrunpen Sr. Eminenz Schritt für Schritt und weiset aus den Werken des
heil. Thonias fiberzeugend nach, dass der Doctor Angelictts einen um-
fassenderen Einfluss Gottes auf die Handlungen der vemfinftigen Geschöpfe
lehre, als Se. Eminenz anniuunt. . . ^
Dr. Karl Weiß im ^Literari sehen Anzeiger^« ni« Jahrgang« Kr. &
„ Djisselbe kritisclie Ziel, aber eingehender und schärfer, verfolgt
in obengenannter Schrift einer seiner deutschen Ordensgenossen, der Graser
Dominicaner G. Feldner, den wir bereits aus einer Abhandlung in Commera
,Jahrbuch für Philosophie^ (H, 523 ff. u. HI, 1 ff. 131 ff.) als gründlichen Kenner
des heil. Thomas und gewandten Diaiectiker kennen geleint haben Diese
Hegriffe und Grundsätze und luenach den Kernpunkt der Streitfrage genauer
bestimmt zu haben: das ist ein Hauptverdienst der Feldner'sohen Schrift ....*'
Prof. Margott im ^Literarischen Handweiser^.
„....P. Feldner bat das Verdienst, dass er kurz und in lichtvollster
Schärfe nachweist — zudem oft aus den Widersprüchen, ia die sein Gegner
sich verwickelt — dass Thomas gar nicht so gelehrt haben kann, wie S^ne
Eminenz meint. Wir müssen dem Verfasser zuerkennen, dass er seinem Gegen-
Stande eine durchaus vorurtheils freie, stets in edler Sprache gehal-
tene Behaiidhing zu geben verstellt. Er hat seinen Zweck vor Augen. Personen
venvecliselt er nicht mit der Sache. Wer die Sclirift des Cardinais gelesen,
muss, um keinem einseitigen Urtheile anheimzufallen, auch die Feldner'sche
1' '' n "^ ,TkomasbliltterS l. Bd. Heft 0.
K. k. Universitrits-Bnchdmckerei ,Styria' in Gra«.
•
— 272 —
Bewegung Gottes seine voHq Freiheit, obgleich er nicht unab-
hängiges, erstes Princip seiner Thätigkeit ist. Und er selbst
ist esj der dasjenige will, wozu Gott ihn bewegt. Gptt wirkt ^im
Willen so, wie derselbe vernijöge seiner Natur es fordert. Selbst
dann, wenn Gott den Willen umändert, bewirkt es seine Allmacht^
» dass der Wille das, zu dem er timgeändert wurde, freiwillig be-
gehrt (2. dist. 25. q. 1. a. 2. ad 1.). Denn so oft Gott den Willen
umändert^ bewirkt er, dass auf djie frühere Neigung eine andere
folge. Die eretere wird somit entfernt und die letztere bleibt
zurück. Wenn er demnach den Willen zp etwas bewegt, so
geschieht dieses nicht gegen, die momentan im Willen existie-
rende Neigung, sondern gegen diejenige, die er früher hatte
• (de veritate q. 22. a. 8.).
Jede Thätigkeit der Geschöpfe, * der Vernünftigen wie der
unvernünftigen, muss demnach Gott, als der erstenUraache
. zugeschrieben werden. Es gfeht nicht an, ihm bloß die Bewegung
des Willens zum Guten und zur Glückseligkeit im allgemeinen
zuzuFechnen. Selbst die sündhafte Handlung hat als That, als
actio Gott» z u v U r s a p h e. Alia 'opinio dicehat, actus peccätorum
nvllo modo, nee etiam inquantum actus sunt, a- Deo esse. Et haeo
* opinio tängitur in praesenti 'distinctione, quam ad praesens nulli vel
pauci tenent quia propinquissima est errori dUplici,
Primo quidem, quia ex ea mdetur sequi, quod sint plurä prima
principia.' Hoc enim esj, de ratione prifni principii, ut agere possit
sine auxilio p-ioris agentis, et inßuentia ejus, tlnde si voluntas
hwnana actioi\em aliquam.posset producere, öuju^ auctor Deus noi\
. ' essei, voluntas humana rationem pri^i principii haberet.
Quamvis solvere hoc nitaniur dicentes, quod voluntas, et sl
per se possit actionem producere sine, infliientia prioris ägentis, non
tameß'i habet a se esse, sed ab alio, quod etiam exigeretur ad ratio-
nem primi principii.
Sed hoc mdetur ificonvenien^, tU, quod a se esse non habet, . a se
agere possit, cum etiam per se durare non possit, quod a se non est.
Omnis etiam virtt^ ab essentiaprocedit, et operatio a virtute. Unde
cujus essentiä ab alio est, oportet quod' virtus et operatio ah älio sit.
Et praeierea, quamvis per hancresponsionem evitaretur, qij^od non
esset primum simpliciter, non tamenposset vitari, quin esset primum
agens, st ejus actio in aliquid prius agens non reduceretur sicut in causam,
Secundo, quia, cum actio etiam peccati sit ens quoddam, non
' solum secundum quod' privationes et negatlones entia dicuntur, sed
etiam secundum quod res in genere existentes entia sunt, eo quod et
ipsae a^tiones in genere ordinant^ir, sequeretur, si actiones peccati a
Deo non sunt, quod aliquod ens essentiam habens a Deo non esset. Et
ita Deus non esset universalis causa omnium entium, quod est contra
perfectionem primi entie, Primum enim in quolibet genere, est causa
eorum, quae sunt post, ut in 2^ metaph. dicitur {2. disU ^7. q. 2. a. 2.).