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Full text of "Die Lehre des Heil. Thomas von Aquin über die Willensfreiheit der vernünftigen Wesen: Eine ..."

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I 



Harvard College 
Library 




FlOH THI BEQDEST OF 

JOHN HARVEY TREAT 

OF LAWBENCB, MASS. 



cusaoFiMa 



tffi 



Lehre, des heil. Thomas von Aquin 



fiensireMderyemiiiiitipntan. 



Eine philosophische Stadie 



Fr. Onndisalv Feldner, Ord. Praed., 

Begeiu nnd BMcalantem 8. Thcol. 




■ ■ - GRAZ. 

Verlag von Ulrich Mosers Bnchhandlnng 
(J. Ueyerboff). 

1890. 



( OEC 9 1920'' 




Die tliiterzRickneteD haben im Auftrage der Ordensobem vor- 
liegendes Buch durchgesehen und zur Drncklegnng begataohtet. 



1 14. September 1889. 



P. Fr. Augustin Kantor, 

HagiaMr der TheologiB. 



P. Fr. Leo Michel, 

Baccalaorens der Thsalogje. 



Imprimi permittimoa. 

-aecii, die 14. Septembrie 1889. 



P. Magister Fr. Thomas Anselmi, 



k 



Alle Rechte Torbehatt«n. 



K. k. Uiiivenit«t«-Biiolidni>k«r«i .Styri»' in Gru. 



Vorwort. 



iha ist keiine leichte Sache, das Gebiet der Willensfreiheit 
richtig, abzugrenzen. Die Geschichte weiBB von Streitigkeiten zu 
erzählen, die diesbezüglich mehr als einmal im Laufe der Jahr- 
handerte entstanden sind. Die einen wollten dieses Gebiet mehr 
als erlaubt ist ausdehnen, die andern gegen alles Recht ein- 
schränken. Zum Glücke fUr die Menschen hat die göttliche \'ot-- 
sebung Sorge dafUr getri^en, dass in diese dunkle Frage volle 
Klarheit komme. Der große heil. Augustin und S. Thonia» von 
Aquin sind vor allem die providentiellen Männer, welcbe Gott 
gesandt hat, um uns über die Willensfreiheit richtigen Atifiseblnss 
zo geben. Vorliegende Arbeit bringt ausschließlich die Lehre 
des Doctor Angelicns über die Willensfreiheit der vernlioftigen 
Wesen vom philosophischen Standpunkte aus zur Darstellung. 
Sollte es gelingen durch dieses Werk im erhöhten Masse die Auf- 
Baerksamkeit der Leser auf die Doctrin des heil. Thomas zu lenken, 
so würde niemand glücklicher sein als: 

Graz, am 14. September 1889. 

Der Verfasser. 



Inhalts -Obersieht. * 



Seite 

L Kapitel: Der Wille als Vermögen oder Potenz . 1—124 

§ 1. Der Wille der* yenittnftigen Wesen 1—12 

Allgemeine Begriflfsbestimmungen des Willens, Haupt- 
merkmal: die Selbstbestimmung; n. 1. Bestimmung und 
Selbstbestimmung überhaupt; n. 2. Zweifache Selbstbestim- 
mung; n. 3. Der Wille im allerweitesten Sinne bestimmt; 
n. 4. Unterschied des Willens vom Strebevermögen der 
Naturdinge und der Thiere ; n. 5, a, 6. 

^ $2. Abhängigkeit des Willens yom Tevstande 12—24 

Der Wille vernünftig durch Antheilnahme; n. 6. Was das 
bedeutet ; n. 7. Unter Verstand ist der praktische gemeint. 
Folgen eines Fehlers im Verstände. Eine in neuerer Zeit 
aufgetauchte Lehre ; n. 8. Zwei concrete Beispiele von der 
Abhängigkeit des Willens: die Übereinstimmung unseres 
Willens mit dem göttlichen ; n. 9. Pflicht des Willens dem 
• irrenden Verstände zu folgen; n. 10. Der Einfluss des 
Verstandes auf den Willen ein m i 1 1 e 1 b a r e r ; n. 11. Dieser 
Einfluss ein ausschließlich objectiver; n. 12. 

§8. Der Wille als Natur and. dessen Natamothwendigkeit ^4—46 

Der Wille ein einziges y ermögen; n. 13. Die Natur- 
nothwendigkeit im Objecto begründet; n. 14. ,Das Gut, 
die Glückseligkeit im allgemeinen und das e i nrz i g^ Mittel 
zum Ziele bilden das genannte Object; n. 15f Eine unbe- 
dingte und bedingte Nothwendigkeit auch in Gott; n. IG. 
Dieses nöthigende Object fär den geschaffenen Willen 
nicht objectum g'i«?d;n. 17; sondern bloß objectiver ^rund, 
ratio volendi'^ n. 18. Gottes Wesenheit allein bewegt den 
^ •Willen objectiv nothwendig; n. 19. Die neuere 'Sifcorie 

unrichtig; n. 20. Inwiefern die objective Bewegung des ♦ 

Willens „allgemliner Natur"; n. 21. Das Object bestimmt 
den Willen specificativ; n. 22. Der Zwang und die 
Gewalt allein der Freiheit hinderlich; n. 23. 

§ 4. Der Wille als Wahlfireilieit /^liberum arbltriumj .... 47—62 

Warum der Wille frei ist; n. 24. Was die Wahlfreiheit 
in sich ist; n. 25. Die Wahlfreiheit formell einfach, vir- 
tuell zweifach; n. 26. Die Vernunft nicht formell iden- 
tisch mit der Freiheit; n. 27. Die Vernunft wirkliches 
Princip, Grund und Wurzel der Freiheit; n. 28. 



VI — 



Seite 

fp5* Das tiefste innerste linsen der Wahlfreiheit .... 62—86 

Der Wille an und für sich ein reines Vermögen, eine 
reine Potenz; n. 29. Der Wille als actives Princip zu- 
4 sammengesetzt aus Potenz und Act. Unterschied zwischen • 
activer und passiver Potenz. Eine zweifache objective In- 
differenz des Willens '•, n. 30. Doppelte subjective Indifferenz 
des Willens; n. 31. Die subjective Indifferenz des Willens 
* zugleich v<arbunden mit der objectiven; n. 32. Welche In- 
differenz des 'Willens fär die Freiheit wesentlich erfor- 
derlich, damit der Wille an und flir sich frei genannt werden * 
könne; n.33. Die passive oder privative für die Frei- 
heit anundfürsich nicht nothwendig ; p . 34. Die Freiheit , 
formell durch die active Indifferenz constituiert; n. 35. 
In den Geschöpfen die passive damit verbunden; n. 36. 
Diese active Indifferenz eigentlich und per se Indifferenz 
hinsichtlich der Thätigkeit oder der Unthätigkeit; 
n. 37. Sie hängt aber per accidens von der* objectiven ab, 
schließt diese letztere per accidens in sich ; n. 38. Die Lehre 
des heil. Thomas und seiner Schüler nicht fegen die Frei- 
heit; n. 39. Der senaus compositus und divisua des heil. Thomas ; 
n.40. Dar Wille niemals zu einem bestimmt; n.41. 

% 6. Der Gegenstand oder das Object der Wahlfreiheit ^ . 86—124 

Das dreifache Object hinsichtlich dessen der Wille frei ; 
n. 42. Hierin der diametrale Gegensatz zwischen S. Thomas « 

und Calvin, Jansenius bezüglich des Objectes; n. 43. Ebenso 
in Betreff der Thätigkeit oder Unthätigkeit; n. 44. Die 
Lehre des heil. Thomas diesbezüglich eine ständige ; n. 45. 
Die Macht des Willens, nach dem Bösen zu streb'en, der 
Freiheit nicht wesentlich; n. 46. Der Grund warum der 
Wille Böses begehren kann ; n. 47. Die Unabhängigkeit 
der Freiheit nicht wesentlich; n. 48. Das Gebiet der Frei- 
heit somit ein sehr ausgedehntes, bevor der Wille Gottes 
Wesenheit besitzt; n. 49. Einwürfe gegen die dargelegte 
Doctrm: der Wille kann nicht alle seine Acte nicht voU- 
» ziehen. Widerlegung derselben. *Der Wille kennt keine Ge- 
walt; n. 50. Er kennt auch keii^e subjective Nothwendig- 
keit; n. 51. Die sogenannten moHu primo primi beweisen 
nichts dagegen ; n. 52. Diese mohu unterstehen auch dann 
der Freiheit, wenn sie von der Vernunft selber ausgehen; 
n: 53. Der Vorwurf gegen die Thomisten, als zerstörten sie 
die Freiheit, durchaus unbegründet ; n. 54. 

IL Kapitel : D{e ThätigtLeit des Willens der vernanfUgen 
^ ^Wesen . i 129^144 

S 7. Die Willenstlifttigkeit oder der WUlenstfet ..... 125--135 

Die Potenz Princip einer Thätigkeit ; n. 55. Verschiedene 
Namen für die Thätigkeit: den Act, die Form und die wirk- 
same Ursache bezeichnend; n. 56. Die Thätigkeit als Ac- 
cidens und darum als Form im Thäti^keitsvermögen; n. 57. 
Die immanente und transeunte Thätigkeit als Accidens 
im Thätigkeitsvermögen als ihrem Subjecte; n. 58. Die 
Thätigkeit als solche, oder formell genommen in gar 
keinem Subjecte; n. 59. Die cperaiio im Unterschiede von 
der actio] n. 60. 



|8.])u Vn-hlUnis der ThBUffkelt n ihreu Frlne^ei >. . 
in der Wesenlielt, m der PMeu Im pusslrea nad 
aeÜTen ZnsUnde 136— 111 

f Dia Thätjgkeit sachlich untenchiedsD von der Wesen- 

heit in allen geschaffeueo DiDgen; d. 61. Die Thädgkeit in 
den Gesohspfen h a c h 1 i c h nntersoiiieden von ihrer ^iiteoz ; 
D. GS. Die Thätigkeit in den Creatuien sachlich nnter'- 
schieden von der p&eaiven Potenz, von dem Ageas m 
potentia; n. 63. Die ThtttigkeiC sachlich unterBchluden 
von der activen Potenz, von dem Agens >n acta; n. 64. 
Die sctive Potenz, das Agens m aetu zusammenge- 
setzt aus Potenz und Act; b. 60. 

Ul. Kapitel: Der Einflus$ Gottes auf den Willen der 

Geschöpfe 145-274 



Die active Potenz Princip der Thätigkeit; n. 66. Goit 
die UrBache der activen Potenz; n. 67. Oott allein 
Urssche der actiren Foteiu ; n. 68. Die praemotio jAj/iica; 
n. 69. Das ^plicieren doppelsinnig; d. 70. Der 6aga- 
' nannte simultane Concurs; n. 71. Der bloB ainmltiuiä 
Concors unzaruichend; n. 73. 
|10.C)ottdleünBoliederThBtiKkeIt In den eeBohapfen 1B4— 180 

Die Thätigkeit Gottes der Natur und Causalität nach 
früher: n. 73. Im Concurae der Gegner keine Über- und 
Unterordnung ; Q. 74. Gottes Thätigkeit früher, weil sie 
ihm immanent; n. 75. Die Thätigkeit selber nicht con- 
Btitutivea Prinoip der activen Potenz; n. 76. Gutt 
und das Geschöpf entfalten nur eine Thätigkeit; n. 77. 
Inwiefern Gott nnmittelbar wirkt; n. 78. Der simaltane 
' Concurs nur haltbur unter Voraussetzmig der praemiitio 
pl^nea;u. 79. Das Geschöpf Instrument Gottes; d. HU. 
§11. Der tiefste Innerste Grand der praenfbtlo phyaica . . 1S0~1S8 

Unfähigkeit der Creatur das Sein der activen Potenz 

zu verursachen; n. 81. Die Creatur wirkt das Sein Uer 

Thätigkeit nur als Instrument GotCbs, durch aicb 

selbst aber aus8ChUe£lich passiv, stofflich; n, 82. Der 

- ganzeEffectdergescbafrenenUrsachezuzuschreiben; n.S3 

' 1 12. Die prMmotlo physlca der Tertheldlger des blofi slmDl- 

tanen Cftncnnea Iä8— 1S7 

Die Gegner lehren thatsächlich eine Jiroeniofip phi/- 
nca; n. 81. Dasselbe lehrt ebenso klar die neueste Tfaeoiiu 
von der Bewegung zum Guten und zu der 61ückseligki-i: 
im allgemeinen; n. 85. Die praanotio p/a/siea von all- 
gemeinen Gesichtspunkten aus bewiesen ; n. 86. 
|18. Die plirsisolie Torberbewegnng and die Freiheit . . 1!)7— 223 

Der -vorhergehende Einfluss Gottes im Interesse der 
Freiheit bestritten ; n. 87. Dieser Einfluss nothwendig flir 
die formelle Freiheit; n. 88. Durch diese Bewegung 
erhält der Wille die Herrschaft über sebe Thätigkeit; 
" "" "' '■ "" r Freiheit ebensowenig eohfidlicb 



VIII — 



f 



'0 ♦. * 

• 4 



f 



Seite 



t als «der Wille selber^ »n. 90*. Die praemotio V^schafft dem 
Willen die ihm fehlende Vfllkommenheit ; n. 91. Die, Vorher- 
de terminierung; n. 92. Vom hl. Thomas gtelehrt; n. 93. 
Die Vorherdeterminierung gehört zur Providenz; n. 94. f 

Sie ist nicht gegen die Freiheit; n. 95. Inwiefern eine 
Thätigkeit mit Nothwendigkeit erfolgt; n. 96. Die 
Vorherdeterminierung c o n f o r m der Natur des Geschöpfes ; 
n. 97. Die Vorherdeterminierung bringt ebensowenig eine 
Nothwendigkeit mit wie die S e 1 b s t determinierung des 
Willens; n. 98. Der Wille kann hier auf Erden die Frei- 
heit gar nicht verlieren; n. 99. Die Vereinbarkeit der 
Vorherbewegung mit der Freiheit aus allgemeinen Prin- 
cipien bewiesen; n. 100. 

§14. Die praemotio physica und die Sflnde.des freien Willens 223—240 

Das Wesen der Sünde; n. 101. Die Sünde nicht der 
Tod, sondern eine unheilbare Krankheit ; n. 102. Das Ab- 
weichen von der Richtschnur begründet eigentlich die 
Deformität in der Sünde: n. 103. Inwiefern Gott Ursache 
und nicht Ursache der Sünde; n. 104. In der Sünde ein 
Dreifaches ; n. 105. Warum Gott nicht die Sünde als solche 
verursachen kann ; n. 106. Gott nicht £ndziel, darum auch 
nicht Ursache der Sünde ; n. 107. Dass di^ Sünde inner- 
lich mit dem Acte verbunden ist, beweist nichts da- 
gegen ; n. 108. , 

S 15. Der bloß simultane Concnrs Gottes und. die Sttnde . 240—250 

Bei dem bloß simultanen Concurse wirkt Gott eben- 
falls zur Sünde mit; n.'109. Dasselbe gilt, wenn er den 
Wülen nur zum Guten und zur Glückseligkeit im all- 
gemeinen bewegt ; n. 110. Dieser Vermittlungsversuch daher 
ganz unbrauchbar; n. 111. 

§16. Schluss: Allgemeiner Überblick Aber das gewonnene 

Resultat 250—274 

Die objective Freiheit; n. 112. Die formelle in Gott; 
n. 113. In den Geschöpfen ; n. 114. Das Freiheits p r i a c i p ; * 
n. 115. Die Überführung des Vermögens in den Act 
durch öott; n. 116. Der Name: jjproemorio'*, richtig; n. 117. ' 

Der bloß simultane Concurs unrichtig; n. 113. Die prae- 
motio nicht gegen die Freiheit; n. 119.« Die Stellen aus 
S. Thomas beweisen nichts für die Gegner; n. 120. Die . 
jGegner verlangen Unabhängigkeit des Willens; n.l21. 



I.Kapitel. 

Der Wille als Vermögen oder Potenz. 



§ 1. Der WiUe. 

1. Der Wille ist jenes geistige Sti-ebeyermögen, welches sich 
zu einem vom Verstände vorgeateilten Gut in der Weise neigt, 
dasB es diese seine Neigung eicli selber bestimmt- Diese Defiuitiou 
des Willens deutet indessen schon auf einen Willensact hin, be- 
rflbrt darum direct weniger die Potenz oder das Vermögen, als 
den Act dieser Potenz. Wir sagen daher lieber, der Sache ent- 
sprechender, der Wille sei jene Potenz unserer Seele, die ihrer 
Natur, ihrem Wesen nach, zu einem durch die Vernunit vorge- 
stellten Gut bingeordnet ist. 

Der englische Lehrer äuiJert sich hierüber mit folgenden 
Worten: „Je sähev eine Natiir Gott steht, destomebr finden wir. 
die Ähuliohkeit der göttlichen Wurde in ihr ausgeprägt. Dieser 
göttlichen WUrde aber ist es eigen, alles zu bewegen, zn neigen, 
za leiten, wählend Gott selber von keinem andern bewegt, ge- 
neigt oder gelenkt wird. Eine Natur wird infoige dessen umso- 
weaiger von Gott geneigt, besitzt aber dafür umsomehr die .Fähig- 
keit, sich selber zu neigen, je näher sie an Gott hinaoreicht. Die 
nicht mit Sinneswerkzeugen ausgestattete Natur steht auf Grund 
ihrer StofTiichkeit am weitesten von Gott ab. Damm wird sie 
zwar zu einem Ziele hingeneigt, so jedoch, dass in ihr selber 
kein Neigendes, sondern bloJi ein Prineip dieser Neigung vor- 
handen ist. Die mit Sinnen begabte Natur erscheint Gott näher- 
gerUckt. Aus diesem Grunde hat sie ein Neigendes m eich selber, 
nämlich das erfasste oder erkannte Begehrenswerte. Allein die 
Neigung selber untersteht nicht der Macht' des Thieres, welches 
geneigt wird, sondern ist ihm von anderswoher bestimmt oder 
determiniert. Das Thier bleibt bei dem Anblicke eines ergötzlichen 
Gegenstandes nicht frei, hat nicht die Möglichkeit in sich, den- 
aelben nicht zu begehren. Die Tbiere besitzen keinerlei Herrschaft 
Über ihre Neigungen, Sie sind darum nicht eigentlich selber 
tbätig, sondern werden vielmehr, wie Damascenus sagt, getrieben 
(agnntur). Die Ursache dieser Erscheinung ist darin zu suchen, 

Faldoer, wmoiutralhelt. 1 



das8 die sinnliche Strebekraft von einem leiblichen Organe ab- 
hängt. Die sinnliche Natur nähert sich infolge dessen den Dispo- 
sitionen der Materie und körperlichen Dinge, so dass sie nicht so 
fast sich selber bewegt, als vielmehr bewegt wird. 

Die vernünftige Natur ist Gott ganz nahe. Darum besitzt 
sie nicht allein eine Hinneigung zu einem andein überhaupt, 
wie die nicht belebten Geschöpfe eine solche ebenfalls haben; 
und sie setzt diese ihre Neigung nicht bloß in Bewegung, gleich- 
sam als wäre dieselbe für sie schon von anderswoher bestimmt, 
wie die der sinnlichen Natur: nein, sie hat überdies noch diese 
ihre Neigung in der Gewalt, so dass sie nicht mit Nothwen- 
digkeit nach dem erkannten begehrenswerten Gut strebt, so 
dass sie sich dazu hinneigen oder nicht hinneigen kann. Daraus 
ergibt sich dann die Folgerung, dass diese Neigung für sie nicht 
von einem andeiii bestimmt wird, sondern dass sie selber sich 
diese Neigung bestimmt. Sie vermag dieses deshalb zu thun, weil 
sie sich dabei keines leiblichen Organes bedient. Eben dadurch 
entfernt sie sich von der Natur des Beweglichen, nähert sich aber 
dafür der Natur des Bewegenden und Thätigen. Dass ein Ding 
die Neigung zum Ziele sich selber bestimme, das kann nur ge- 
schehen, wenn es sowohl das Ziel als auch all^ Beziehungen des 
Zieles zu dem Mittel erkennt. Dies aber ist ausschließlich das 
Werk der Vernunft. Das Strebevermögen, welches von keinem 
andern mit Nothwendigkeit bestimmt wird, richtet sich demgemäß 
nach der Auffassung oder Erkenntnis der Vemunft. Wir nennen 
dieses geistige Strebevermögen Willen** (de veritate q. 22. a. 4.). 

Wie aus dieser etwas umständlichen Definition des Willens 
durch den englischen Lehrer ersichtlich ist, beruht das Haupt- 
merkmal des Willens auf der Selbstbestimmung der eigenen Nei- 
gung, der eigenen Thätigkeit. Der Wille als Potenz wird durch 
den ihm specifisch eigenen Act definiert. Dies darf uns jedoch 
nicht irre machen, denn die wirkliche und genau zutreffende 
Definition des Willens erleidet darunter keinerlei Beeinträchtigung, 
indem ynv ja wissen, dass die Potenz als solche ihren Namen 
und ihr Wesen nur mit Bücksicht auf den Act besitzt. Ebenso 
verhält es sich mit dem Acte, denn auch dieser wird auf Grund 
seines Verhältnisses zu der Potenz also benannt und definiert. 
Der Unterachied des Willens vom sinnlichen Strebeveimögen fußt 
der soeben angeführten Begriffsbestimmung zufolge zunächst nicht 
darauf, dass, gleichwie das sinnliche Strebevermögen der sinnen- 
ßUligen Erkenntnis, ebenso der Wille der Erkenntnis des Ver- 
standes folge. Den Hauptunterochied macht der Umstand ans, 
dass der Wille die Hinneigung zu dem erkannten Gut sich 
selber bestimmt, während die Hinneigung des sinnlichen Be- 
gehrungsvermögens von einem andern bestimmt wird (I.e. ad 1.). 
Wollten wir das Strebevermögen überhaupt in ein solches ein- 



— 3 — 

theilen, das ein AIIgcineiDCg, und in ein solches, das ein Par« 
ticuläres zu seinem Gegenstande hat, so wäre dieses nicht ein 
Unterschied an sich oder per se, sondern bloß in der Folge oder 
ex consequefdif insofern nämlich die Erkenntnis manchmal ein Allge- 
meines, manchmal dagegen ein Particuläres zu ihrem Objecte hat. 
Dieser Erkenntnis folgt dann die Neigung des Strebevermögens 
das einemal zu einem Allgemeinen, das anderemal zu einem Par- 
ticalären (1. c. ad 2.). 

2. Wir sehen also, wie der heil. Thomas bei der Definition 
des Willens ganz besonderes Gewicht legt auf die Selbst- 
bestimmung desselben zu einem Acte. Das Wort Selbstbe- 
stimmung im Texte' des Doctor Angelicus dOrfte indessen eine 
nähere Erklärung umsomehr fordern, als es sich in gegenyrärtiger 
Abhandlung häufig wiederfindet. Was bedeutet zunächst der Be- 
triff: Bestimmung, Determinierung? Der englische Meister gibt 
uns hierüber folgenden Aufschluss: ^Das Geschöpf wird in drei- 
facher Weise bestimmt. Es geschieht entweder durch Beifügung 
einer Differenz, die der Potenz oder Möglichkeit nach in der 
Gattung enthalten ist ; oder dadurch, dass die gemeinsame Natur 
iu irgend einem Subjecte aufgenommen und damit individuell 
wird; oder endlich durch Beigabe eines Zufälligen, eines Accidens'' 
(l.dist.8. q.4. a. 1. ad 2.). Diesen Worten des heil. Thomas ist zu 
entnehmen, dass bestimmen, determinieren so viel bedeutet, als 
einem Dinge Grenzen setzen, ein Ding einschränken, umzäunen 
(Quodl. 7. a.l. ad 1.). Ein Beispiel davon weist jede Definition auf, 
die wir über irgend eine Sache geben. Alle Dinge kommen, wie 
wir wissen, in irgend einem gemeinsamen Merkmale ttberein. Das 
höchste, allen gemeinsame besteht darin, dass sie etwas sind, eine 
Wesenheit, ein Sein haben. Wüssten wir aber yon einem Dinge, 
das wir genau kennen zu lernen wünschen, weiter nichts, als dass 
es etwas ist, eine Wesenheit besitzt, so wäre unsere Erkenntnis 
äusseret mangelhaft und zu gar wenig nütze. Wollen wir darum 
mehr von ihm in Erfahrung bringen, darüber eine vollständigere 
Erkenntnis uns erwerben, so müssen wir es näher bestimmen, 
determinieren. Dies kann aber nur dadurch geschehen, dass wir zu 
dem Gemeinsamen, worin es mit den übrigen Dingen überein- 
kommt, ein Merkmal hinzufügen, welches ihm allein eigen ist. 
Setzen wir diesen Process so lange fort, bis wir bei .den indivi- 
duellen Merkmalen und Eigenschaften angelangt sind, so werden 
v^r das erreichen, was wir wollen: die volle, genaue Erkenntnis 
dieses Einzeldinges. Jedermann sieht sofbrt ein, dasS bei diesem 
Vorgänge eine beständige Determinierung oder Einschränkung, 
dass unausgesetzt eine Einengung, Umzäunung oder Begrenzung 
platzgegriffen hat. Die Kreise um das Gemeinsame wurden immer 
enger und enger gezogen und dasselbe, durch HinzufUgung neuer 
Eigenschaften, schliesslich auf ein ganz bestimmtes, individuelles 

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— 4 — 

Wesen eingeschränkt. Wa3 ihm daher zuletzt zukommt, das ist 
ihm allein eigen. 

3. Diese Determinierung oder Bestimmung nehmen wir that- 
sächlich auch bei dem Willen der Greaturen wahr. Der Wille als 
Potenz ist unbeschränkt. Potenz oder Vermögen, wurde früher 
gesagt, wird er genannt auf Grund eines Verhältnisses, seiner 
Beziehung zu dem Acte. Wenngleich der Wille zu einem Acte 
hingeordnet ist, so ist doch damit kein- bestimmter, kein Act im 
einzelnen darunter zu verstehen. Zu einem Acte itn einzelnen muss 
er erst auf irgend eine Weise bestimmt, determiniert, d. h. ein- 
geschränkt werden. Diese Bestimmung oder Begrenzung trifft nun, 
wie wir vorhin vom englischen Lehrer gehört haben, der Wille 
von und durch sich selber. Darum heisst sie Selb st be- 
Stimmung. Er selber determiniert sich zu diesem oder jenem Acte. 
Allerdings soU damit nicht gesagt sein, dass er sich allein und 
ausschliesslich selber bestimme. Wir werden später aus S. Thomas 
den stringenten Beweis zu liefern Gelegenheit finden, dass bei 
dieser Selbstbestimmung des Willens die erste Ursache, Gott, 
keineswegs zurückgesetzt oder übergangen werden darf,, ohne 
Unmögliches und in sich selbst Widersprechendes zu vertheidigen. 
Die SelbstbestimmuDg des Willens schliesst zwei Momente aus, 
nämlich: dass Gott den Willen mit Nothwendigkeit, und 
. irgend eine creatürliche Ursache ihn auch nur ' in hinreichender, 
wirksamer Weise zu der Thätigkeit, zu einem Acte bestimme. 
Diese zwei Arten der Bestimmung resp. des Bestimmtwerdens 
allein kommen ihm nicht zu. Sie bilden daher für ihn die 
specifische Differenz, die bei jeder richtigen Definition vorhanden 
sein. muss. 

Es gibt indessen noch eine andere Weise des Bestimmt- oder 
Eingeschränktseins. Eine Potenz wird nicht nur vom Acte, son- 
dern auch vom Objecto begrenzt und eingeengt. Die Potenz ist 
allerdings unmittelbar zu ihrem Acte hingeordnet; allein der 
Act ist ebensowenig wie die Potenz um seiner selbst willen da. 
Er hat vielmehr Beziehung zu dem Gegenstande oder Objecto. 
Das Object bildet, das Princip und die bewegende Ursache für den 
Act der passiven Potenz. Die Farbe z. B. ist das Princip des 
Sehens oder Sehactes, indem sie den Gesichtssinn bewegt Für 
die Thätigkeit, den Act der activen Potenz, ist der tenninus und 
das Ziel Object (1. p. q. 77. a.' 3.). Mögen wir demnach den Willen 
als passive oder als active Potenz fassen, in beiden Fällen müssen 
wir eine Beschränkung, Bestimmung desselben durch das Object 
anerkennen. Der Gegenstand des Willens ist das Gut im allge- 
meinen. Durch, das Gut wird also der Wille bewegt, aber auch 
begrenzt. AUeia unter diesem universellen Gut sind unzählige 
particuläre Güter enthalten. * Zu keinem derselben ist der Wille 
bestimmt, auf keines beschränkt (de veritate q. 22. a. 6. ad 4, ad 5. 



— 5 — 

» 

« 

— de malo q.6. a.anic. ad .6. — 1: p. q. 82. a. 2. ad 1.). Dieselbe 
Thatsache ergibt sich, wenn wir den Willen als actiye Potenz be* 
tracUten, für welche das Ziel Object ist. Alles Mögliche kann dem 
Willen als Ziel seiner Tfaätigkeit dienen. Nicht nur Objecte> die 
ausserhalb oder innerhalb des bekehrenden Sabjectes liegen/ der 
Willenäact, das« Wollen selber, ja noch mehr, selbSjt das Ificht- 
woUen,^ kann f&r ihn Ziel und terminus sein. An sich aber ist er 
zu allen diesen Objecteu unbestimmt, nicht determiniert. Erselbst* 
determiniert sich zu dem einen oder dem andern. 

Die. ein2ig& jßestimmung oder Determinierung , ^ welche der 
Wille von Natur aus kennt, besteht folglich darin, zu einem Acte 
und Objecte überhaupt bingeordnet zu sein. Darin lic^ in- 
dessen gerade das Wesen eines Vermögens, einer Potenz. Da- 
durch wird eine Potenz als solche constituiert. Davon leitet sie 
ihr Wesen und Sein ab. Diese Hinordnüng/ darf aber nicht als 
Bezieihung, als Relation aufgeftiisst werden. Die Potenz ist dem 
englischen Meister nicht identisch mit der Beziehung eine^ Prin- 
. cipes, denn in diesem Falle wäre die Potenz in der Kategorie, 
im 'Prädicamente : „Relatio*^, Sie bezeichnet vieln^ehr ein Princip 
selbst, oder dasjenige, wodurch das Agens thätig ist (1. p. q.41; 
a. 5. adl.). Die Potenz ist demnach m sich selber, mit Rück- 
sicht auf ihr Sein nicht eine Beziehung (1. dist?.' q. 1. a. 2. — . 
de potentia q. 1. a. li ad 3.)*. Wird sie in, sich selber betrachtet,- so 
gehört sie in die Kategorie, welche Qualität genannt wird. Selbst- 
verständlich kann man dies nur vom Willen, von der Potenz in 
den Geschöpfen behaupten. Jn Oott ist die Potenz sachlich 
ein und dasselbe mit der Wesenheit. Nichtsdestoweniger bezeichnet 
auch in Gott die Potenz eine Wesenheit mit der Beziehung zu 
dnem Acte und Objecte. • • ^' 

Der Wille ist foi-ner beschränkt und, bestimmt dadurcB, dass er 
den Gegenstand nur als ein Gut anstrebt und begehrt. In dieser 
Beziehung wird er ebenfalls nicht durch sich delber, sondern durch 
Gott, seinen Schöpfer ,^ den Urheber seiner Natur, eigentlich 
durch das Wesen seiner Natur bestimmt. Darum wurde oben in 
der Definitioi^ gesagt, der Wille sei nichts anders als die Neigung 
zu einem Gut. Ein Nichtgut als solches kann niemals Gegenstand 
eines Begehrungs- oder Stre1)evennÖgens sein. Jedes Ding neigt 
sich ausschliesslich nur zu einem sich Ähnlichen und Gonvenieren- 
den. Das Nichtgut aber ist dem Strebevermögen durchaus unähn- 
lich, sagt demselben in keiner Weise zu. Darum nennt S. Thomas 
das Verhältnis des geistigen Strebevermögens zu einem Nichtgut 
nduniaSf das zu einem Gut hingegen yoluntas (1. 2. q. 8. tf. I.e. 
und adl.). Gegen alles, jvas nicht gut ist, hegt der Wille A.b- 
neigung, zu dem Gut hat er Hinneigung. Das Gut bildet als 
Gegenstand für den Willen sozusagen die Form desselben, gleich- 
wie das Intelligible die Form des Intellectes ist (de virt. q. 2. a. 3.). 



— 6 — 

Das Nicbtgut als solches aber besitzt keine Form, es ist im 
Gegentheil der Mangel^ die privatio jeglicher Form, jedes Guts. 
Folglich kann es den Willen • nicht bestimmen, nicht an sich 
ziehen, dessen Neigung nicht gewinnen. Es wirkt nur abstoßend. 

4. Diese natürliche Beschränkung des Willens auf ein 
Gut mit Ausschluss jedes Nichtguts benimmt demselben in keiner 
Weise seine Unbestimmtheit und Unbegi*enztheit. Denn, wie der 
•englische Lehrer bemeriit, neigt siel) der Wille zu jenem Gut, 
welches ihm von der Vernunft vorgestellt wird. Die Vernunft aber 
erkennt und erfasst alles, was immer auf irgend ' eine. Art ein 
Sein hat. Materie und Geist, Gott und Weft, sich selbst und 
anderes, den Willpn mit allen seinen Eigenschaften, mit seinen 
Neigungen und Abneigungen kann die Vernunft dem geistigen 
Strebevermögen als ein Gut darstellen. Sie vermag sogar das, 
was in Wahrheit nicht ein Gut ist, als etwas Begehrenswertes 
dem Willen einzureden und ihm die Neigung zu diesem Schein- 
gut abzugewinnen. Das Gebiet der Vernunft ist somit ein sehr 
ausgedehntes, man kann es in gewissem Sinne ein geradezu 
schrankenloses nennen, denn qs wird nur vom Nichts, vom Nicht- 
sein begrenzt, ttichtet sich nun der Wille, gemäss der ausdrück- 
lichen Lehre ' ded heil. Thomas, nach der Erkenntnis und Dar- 
stellung eines Gegenstandes durx^h die Vernunft, so unterliegt es 
keinem Zweifel, dass er auch an dieser Unbegrenztheit der Ver- 
nunft participiert. Seine natürliche Neigung ei-streckt sich dem- 
nach auf alles das, was auf Grund des Urtheils der Vernunft ein 
Gut ist (de virt q. 1 . a. S. c. ad 1 et 2.). Wir sagen, seine natür- 
liche, oder angebome Neigung beziehe sich auf jedes beliebige 
Gut, er sei zu keinem an und für sich bestimmt, determiniert. 
Dadurch unterscheidet sich eben das Verm(^gen, die Potenz eines 
Dinges von seiner Tbätigkeit, seinem Acte. IJnd unsere Aufgabe 
ist zunächst die, den Willen als geistiges Begehrungsvermögen, 
als Potenz zu definieren.. 

Die Lehre des englischen Meisters, dass der Wille sich selber 
bestimme, darf nicht in dem Sinne verstanden werden, als be- 
stimmte, beschränkte der Wille sich selber zum Strebeiverm ögeu, 
zu der Potenz. Diesbezüglich ist er schon durch seine Natur, 
durch den Schöpfer der Natur bestim*mt Noch weit richtiger würde 
man indessen sagen, dazu sei er durch seinen Ursprung aus dem 
Nichts bestimmt worden. Zu dem Gut im allgemeinen hat ihn aller- 
dings der Urheber, seiner Natur entsprechend, bestimmt. Die mög* 
liehe, potentielle Neigung zu dem genannten Gut stammt von Gott. 
Sie liegt ganz und gar im Wesen des Willens selbst. In dieser Bezie- 
hqng kann somit von einer ^elbstbestin^mung nicht die Re^e sein. 
Die Selbstbestimmung des Willens, von welcher S. Thomas spricht, 
gilt der Willensthätigkeit oder -Unthätigkeit, sowie den einzelnen 
Gegenständen^ Objecten, zU welchen der Wille sich neigen oder nicht 






_ 7 — 

neigen kano. Ber Willenaact isl jedesmal bestimmt, ToUkomniei) 
abgegrenzt. Das Nähere hierüber wird in der vorliegenden 
Äbhandlnng allseitig eriSrtert nod zur Genüge klargestellt werden. 

5. Fassen wir die Tom englischen Meister angeführte Definition 
des Willem genauer ins Auge, und wir werden finden, dass sie 
durchaus richtig und sehr zntrefTead ist. Das, was dem Strebe- 
TermSgen überhaupt zukommt, nämlich die Neigung zn einer 
Form, welche Form anch Act genannt wird, ist auch in der Be- 
griffsbestimmung des Willens klar ausgesprochen. Der Wille ist 
die Neigung zu einem von der Vernunft erkannten und ihm vor- 
gestellten Objeete. Dieses Objeet bildet ftlr den Willen alsPotenz 
den Act oder die Form, zu welcher er sich neigt. Wir haben so- 
mit das gmus der Definition. Die specifische Differenz wird da- 
dsreb ausgedrückt, dass der Wille diese seine Neigung sich 
selbst gibt oder bestimmt. Diese Eigenschaft ist das, wodurch 
der Wille von dem StrebevermGgen der andern Geschöpfe sich 
unterscheidet nnd zwar erstens: 

a) vom Begehrungsvermßgen der Natnrdinge. 

Die leblosen Creaturen haben bloß das Princip der Nei- 
l^ng zu einem andern in sich, nicht diese Neignng selber. Zweifels- 
ohne streben alle Dinge nach dem Gut, aber ein jedes nach 
seiner Art nnd Weise. Ein Ding wird nämlich auf doppelte Art 
zu einem andern als seinem Ziele hingeorduet und hingelenkt. 
Entweder geschieht es durch sich selber, wie z. B. der Menseh 
sich selber zu einem Orte hinbegibt^ den er im Auge hat; oder 
durch ein anderes, wie z. B. der Pfeil vom Bogenscbützen zu einer 
bestimmten Stelle hin dirigiert wird. Jene Wesen allein vermögen 
sieb selber zu dirigieren, die das Ziel erkennen. Denn derjenige, 
der etwas zu einem andern hinlenkt, muss von diesem andern 
Kenntnis haben. Was' dagegen von einem andern geleitet wird, 
das braucht nicht selber das bestimmte Ziel zu erkennen. Diese 
Hinneigung eines Dinges durch ein anderes kann auf zweifache 
Weise erfolgen. Manchmal wird das, was eine Hinneigung zu 
^nem Ziele in sich hat, vom Dirigierenden bloß angetrieben und 
bewegt, ohne von ihm einen bleibenden Eindruck, eine Form 
zQ erhalten, auf deren Grund hin sonst dem in dieser Weise 
geleiteten äubjeete die angezeigte Direction oder Neigung zu- 
kommt. Neigungm dieser Art werden gewattthätige genannt, wie 
z, B. jene, die vom Bogenschützen dem Pfeile mitgetheilt wird. 
"Ein anderesmal emptangt das, was zu einem Ziele dirigiert oder 
Üingeleukt wird, vom Dirigierenden oder Bewegenden eine Form, 
durch .welche ihm diese Neigung zutheil wird. Die Neigung dieser 
Art ist eine natarllche, indem sie gleichsam ein natürliches 
Princip hat. Derjenige, der dem Steine die Schwerkraft verlieben, 
hat demselben auch die Neigung gegeben, dass er naturgemäß 
nach der Tiefe gezogen werde. Darum ist der Erzeuger, wie der 



— 8 — 

Philosoph im 8. Buche der Physik lehrt, der Beweger für alles 
Schwere und Leichte. Die Naturdinge sind auf diese Art zu all 
dem hingeneigt, was ihnen entspricht, indem sie ein gewisses 
Princip dieser Neigung in sich selbst haben. Die Neigung ist in- 
folge dessen für sie eine natürliche, so dass sie in gewisser 
Beziehung selber vorwärtsstreben, und nicht bloß zu dem ent- 
sprechenden, ihnen convenierenden Ziele geleitet oder ge- 
führt werden. Die Naturdinge selbst schreiten auf ihr Ziel zu, 
weil sie mit dem Neigenden und Dirigierenden durch das ihnen 
eingeprägte Princip thätig sind (cooperantur). Die Dinge hin- 
gegen, welche Gewalt erleiden, werden ausschliesslich geführt, 
weil sie selber für den Beweger zu dieser Bewegung nichts bei- 
tragen. Alle Dinge sind demnach naturgemäß zum Gut geneigt, 
ja man kann sagen, dass alle nach dem Gut streben. Streben 
bedeutet soviel, als dasjenige begehren, zu dem man hinge- 
ordnet ist. Alle Dinge aber werden von Gott zu dem Gut hin- 
geordnet und dirigiert, und zwar in der Art, dass jedes derselben 
das Princip, wodurch es das Gut anstrebt, in sich selber hat. 
Man muss deshalb zugeben, dass alle Dinge, naturgemäß nach 
dem Gut streben. Wären die Dinge zum Gut hingeneigt, ohne 
das Princip der Neigung in sich zu haben, so müsste man aner- 
kennen, dass sie zwar zu dem Gut dirigiert sind, nicht aber, dass 
sie nach dem Gut streben. Vermöge des in sie gelegten Principes 
streben alle das Gut an (de veritate q. 22. a. 1.). 

Wir haben also hier den ersten Unterschied des Willens von 
den Naturdiugen. Diese haben nur das Princip der Neigung, 
nicht die Neigung selber in sich. Nicht sie selbst neigen sich zu 
der ihnen entsprechenden Form, sondern sie werden ausschließlich 
von einem andern dazu geneigt. 

Es ist aber noch ein weiterer Unterschied wahrzunehmen. 
Das Gut, welches vom natürlichen Strebevermögen begehrt wird, 
ist ein bestimmtes und uniformes (1. c. a. 3. ad 3.); weil 
das natürliche Strebevermögen der Geschöpfe im allgemeinen nichts 
anderes bedeutet, als die Neigung eines Dinges in Kraft seiner 
Natur. Daher begehrt überhaupt jede Potenz durch ihr natürliches 
Streben etwas, was ihr zusagt oder conveniert (1. p. q. 78. a. 1. 
ad 3.). Der Wille dagegen begehrt nicht bloß das, was ihm zu- 
sagt, was ihm als Potenz conveniert, sondern alles, was die 
andern Potenzen angebt, was überhaupt ein. Gut fhr den ganzen 
Menschen ist (1. 2. q. 10. a. 1.). Das Gut des Willens ist daher nicht 
ein bestimmtes und uniformes, sondern der Zahl und Art nach 
ein gar vielfaches. Daher ist auch vonseiten des Willens die Nei- 
gung zu dem Gut nicht eine uniforme und bestunmte. 

Endlich ist der Unterschied zwischen dem Willen nnd dem 
Begehmngsvermögen der Naturdinge auch darin begründet, dass 
diese letzteren keine Erkenntnis des Objectes haben, nach welchem 



— 9 — 



sie streben. Füt das Streben der Naturdinge ist eine natürliche Er- 
kenntnis durchaus nicht nothwendig. Denn die Erkenntnis konuut 
durch eine Ähnlichkeit zustande. Die Ähnlichkeit bezttglich des 
Seins in der Natur bringt nicht allein keine Erkenntnis hervor, 
sondern ist derselben geradezu hinderlich. Zum Beweise dafür dient 
die Thatsache, dass die Organe, deren die Sinne zürn Zwecke 
der Erkenntnis bedürfen, von allen Ähnlichkeiten der sinnenfUUigen 
Dinge frei sein, müssen, um dieselben aufnehmen und erfassen zu 
können. Nichtsdestoweniger begehren Wesen dieser Art etwas, 
indem sie vermöge ihres natürlichen Strebens, ihrer natürlichen 
Neigung zu einem in der Wirkliphkeit existierenden Dinge Be- 
ziehung haben (de veritate q. 22. a. 1. ad 2.). Die Naturdinge selbst 
brauchen keine Erkenntnis des Zweckes zu besitzen, denn sie 
werden anstatt zu lenken, selber zu dem Ziele hingeleitet (1. c. ad 9.). 
Wir wollen auf die noch ausführlichere Darlegung dieses Unter- 
schiedes vorläufig nicht weiter eingehen. Wer noch Näheres dar- 
über zu wissen verlangt, vergleiche: 1. 2. q. 8. a. 1.-^ ib. q. 17. 
a. 8. — ib. q. 26. a. 1 . — ib. q. 35. a. 1. — ^ ib. q. 40. a. 3. — ^ de malo 
q. 3. a. 3. — de virt: q. 4. a. 3. ^ 1. p. q. 103. .a. 1. — ib; a. 8.* — 
und noch sehr viele andere Stellen des Doctor Angelicus. 

bj Der Wille unterscheidet sich ferner nach der oben gegebenen 
Definition aus S. Thomas vom B'egehrungsvermögen der Thiere. 

Obgleich alle Dinge nach dem Gut streben, und das Priucip 
dieses Strebens, dieser Neigung in sich haben, so bewegen doch 
nicht alle sich selber. Um sich selber bewegen« zu können, .dazu 
ist nämlich erforderlich, dass nicht bloB überhaupt, eine Bewegung 
stattfinde, sondern dass isie um eines Zieles willen geschehe. Dies 
setzt aber ^ine Kenntnis des .Zieles voraus vonseiten desjenigen, 
was sich selber bewegt (1. 2. q. 6. a. 1.). Diese Kenntniid des Zieles 
ist entweder eine vollkommene oder eine unvollkommene. Wird 
der vom Erkenntnisvermögen erfasste Gegenstand nur als eine 
Sache, eine res, nicht formell .als Ziel, und die Thä^gkeit tles 
sich selbst Bewegenden nicht ..in ihrem Verhältnisse, in ihrer Be- 
ziehung zu dieipem Ziele erkannt, so bleibt die Kenntnis des Zieles 
ein- für allemal eine unvollkommene. Wird dagegen das Ziel nicht 
bloß als Sache, als res, sondern formell als Ziel erfasst, und 
das Verhältnis dessen erkannt,' was zu diesem Ziele liingeordnet 
ist, irgendwie darauf Bezug hat, so ist und bleibt die Kenntnis 
des Zieles eine vollkommene. Erstere Kenntnis des Zieles ist den, 
Thieren eigen, letztere kommt dem ternünftigen, geistigen Wesen 
zu (1.2. q. 6. a.'2.). Verstehen wir demnach das Wort: geneigt 
(vdlufUariumJ in pin'em Weitern Sinne, insofern es nämlieh dem 
GewaHthätigen entgegengesetzt ist, so unterliegt es gar keinem 
Zweifel, dass auch die Thiere ein neigendes, oder sagen wir 
williges Begehrungsvermögeif haben. Denn in diesem Sinne ge- 
neigt oder willig heißt alles das, was von einem Innern Princip 



— 10 — 



ausgeht, gegenüber dem Gewaltsamen, dessen Princip ein äuBeres 
ist. Die Thiere werden thatsächlic^ dureb sieb selber bewegt. Sie 
besitzen jedoch weder einen Willen, noch eine Wahlfreiheit 
(2. dist. 25. q. 1. a. 1. ad 6.) Die Thiere erkennen nicht formell 
und durch Vergleichnng das ihnen vorgestellte Gut, sondern durch 
einen gewissen natürlichen Instinct; Daher haben sie eine gewisse 
Auffassung und Abschätzung des Nützlichen wie Schädlichen 
(aestimatiojy aber keine eigentliche Kenntnis. Sie üben infolge 
dessen ihre Thätigkeit deshalb aus, weil sie von der Natur dazu 
bestimmt werden, nicht aber dadurch, dass sie sich im eigent- 
lichen Sinne selbst dazu bestimmen (1. c. ad 7.). — Der erste Unter- 
schied zwischen dem Willen und dem Begehrungsvermögen der 
Thiere besteht somit darin, dass die Thiere keine eigentliche 
Erkenntnis dessen besitzen, wornach sie streben. 

Dazu kommt ein zweiter. Das Urtheil der Thiere erstreckt 
sich nicht auf alles, wie jenes der Vernunft, sondern nur auf ganz 
bestimmte Dinge. Ihr Urtheil ist, strenge genommen, zu einem 
bestimmt (de veritate q. 24. a. 2.). Sie urtheilen in Kraft des Natur- 
triebes, niemals aber mit Überlegung. Daher sehen wir, dass alle 
Thiere einer und derselben Art ihre Thätigkeit auf gleiche Weise 
entfalten : z. B. die Schwalben bei dem Bq^u der Nester, die Bienen 
bei Verfertigung der Waben u. s. f. Sie vermögen aber anderer- 
seits auch keine andere, als die ihrer Art entsprechende Arbeit 
zu verrichten. Die Schwalbe kann nur Nester bauen, weiter nichts. 
So verhält es sich mit allen Thieren. (1. c. a. 1 .) Die Erkenntnis 
des Menschen dagegen- ist eine gar mannigfaltige. Sein Urtheil 
erstreckt sich auf alles, was in der Wirklichkeit oder in der Auf- 
fassung ein Sein hat Der Mensch urtheilt über sich selber, über 
seine Thätigkeit, über das eigene Urtheil. Er selbst, niefit aber 
seine Natur, ist die Ursache 'dieses seines Urtheiles (1. c.)* 

Der dritte Unterschied zeigt sich darin, dass die Thiere nicht 
im 'eigentlichen Sinne sich selber bewegen, zu' einer Thätigkeit 
bestimmen. Sie werden vielmehr von Gott durch den natürlichen 
Instinct in Bewegung und in Thätigkeit versetzt. D^rum gehorchen 
auch sie ihrem Schöpfer (2; 2. q. 83. a. 10. ad 3.). Die Thätigkeit 
des Strebevermögens richtet sich stets nach dem Urtheile der 
Erkenntnis^kraft. Das Urtheil der Thiere ist, wip wir soeben vom 
englischen Meister gehört, zu einem bestimmt. Das nämliche 
muss folgerichtig auch vom Begehrungsveimögen der l^hiere ge- 
sagt werden. Sie werden dsiher, wie S. Augustin bemerkt, vom 
wahrgenommenen Gegenstande bewegt, und, nac& dem Zeugnisse 
des Damascenus, von den Leidenschaft^ getrieben, weil sie über 
ein wahrgenommenes Object und eine angeregte Leidenschaft auf 
natürlicherweise urtheilen. Die Folge davon ist dann, dass sie 
durch den Anblick eines Gegenstandes und» durch die sogleich 
dabei entstehende Leidenschaft nothwendig zum Fliehen oder zum 



— u — 

Begehren angeregt resp. bewegt werden (de reritate q. 24. ad 2.). 
Es hat dufam seine volle Richtigkeit, dasa die bewegende Kraft 
der Thiere, an und fllr sieb betrachtet, weder zu dem einen noch 
zu dem andern sich mehr neigt. Insofern werden sie bewegt 
nnd auch nicht bewegt. Allein das Urtbeil, wodurch die bewe- 
gende Ei'aft xa dem einen oder andern appliciert wird, iet ein 
bestimmtes, ganz determiniertes. (I. c. ad 2.) Wenn auch 
bei den Thieren dem Gesagten zufolge eine gewi^e Indifferenz 
der Thätigkeit anerkannt werden musa, so kann man doch nicht 
behaupten, dasB es ihnen freistehe, zn bandeln oder nicht zu 
huidcln, freie Thätigkeiten zu entfalten. Die Tbätigkeit an nnd 
{^ sich ist eine freie. Nimmt man jedoch Ktteksicht anf ihre Be- 
ziehung zu dem Urtbeile, so wird man finden, dass sie zu einem 
bestimmt, auf eines eingeschränkt ist. (,1. c. ad 3.) Daher erfolgt 
die Thätigkeit der Thiere ans der Bestimmung der Natur, nicht 
aber aus jener des Thätigen Bclber('2. diBt.'25. q. 1. a.l. ad 7.). 
Ans diesem Gmnde mnss das Scbaf den Wolf fliehen, es kann 
gar nicht anders. 

Die Thätigkeit oder Bewegung des StrebevermÖgena bei 
den Thieren bat also strenge genommen einen äußeren Gnind. 
Der heil. Thomas sagt diesbezüglich Folgendes: Die Bewegung 
im Tbiere wird auf zweifache Weise von einer äu&eren Ursache 
veranlasst. Zunächst wird durch dieae äußere Bewegung den 
Sinnen dea Thieres ein sinnenf&lliger Gegenstand vorgestellt, der, 
sobald er erkannt wird, alaogleicb das Begelirungsvermögen des 
Thieres in Bewegung setzt. Überdies wird dureh die äußere Be- 
wegung der Körper dea Thieres einigermaßen infolge seiner Ver- 
änderlicbkeit alteriert. Bei dieser durch die Bewegung eines 
äuiteren Gegenstandea bewirkten Alteration dea tbieriaclien Körpers, 
wird auch, alleiilingB per accidens, das sinnliche Begebrungs- 
vermSgen beeinflosst Es ist ja au ein leiblicbea Organ gebunden 
und ändert sich demnach ebenfalls, wenn das Organ geändert 
wird" (1. 2. q. 6., a. 1, ad 2.), In dem Momente, \vo das Tbier ein 
niltEÜcbes oder schädliches Object siebt,, tritt aueb sofort das'Be- 
gebrungsvermfigen desaelben in Thätigkeit (I. c. a. 2.). Das ätrebe- 
vermßgen der Tbiere, wie selbst das sinnliche im Hensuben, wird 
an und fllr sich vom äußeren Objecto mit Nothwcndigkfit in 
Thätigkeit versetzt. Bei den Tbieren'ateht diea, wie die Erfabrnng 
zeigt, anäer Frage. Anf Grund dieser mit Nothwendigkeit 
wirkenden äußeren Einflnssnabmc ist eiue Dressur möglich (de 
vAitatö q, 22. a. 2, ad 7.). .Das eionlicbe Begebrungavermögen dea 
Menschen wird nur inaofem vom äußeren Ohjecte nicht mit 
N'othwendigkeit bewegt, ala es, nicht de'spotiseb zwar, wohl 
aber politiacb unter der OberheiTscbaft dea Verstandes und Willenä 
steht. Die motua primo primi weisen indessen auf die ihm natUr- 
ficbe nnd .nothwendjge Bewegung hin. 



I 
I • 



• 4 

I 



— 12 — 

Aus der soeben dargelegten Untersaehung ergibt sich mit 
voller Klarheit, dass der englische Lehrer den Willen sehr richtig 
und genau definiert hat, wenn er sagt: der Wille sei die aas 
der Selbst bestimmung hervorgeheiide Neigung zn irgend einem 
durch den Verstand ihm vorgestellten Gut. £ls kann jedes h^ 
liebige, wahre oder scheinbaris Gut sein, welches er begehrt 
Weder, der Verstand noch der Wille sind hierin beschränkt, wie 
die Erkenntniskraft und das Begehrungsvermögen in den Thieren, 
wie der appetitus naturalis bei den Katurdingeu beschränkt sind. 
Diese Neigung wird ferner nicht bestimmt vom äußern Objecte. 
Keines derselben wirkt nöthigend auf den Willen «ein. Das 
Gegentheil davon sehen wir bei den Thieren. Das Schaf m u s s 
fliehen, sobald es des Wolfes ansichtig geworden. Sie ist auch 
nicht bestimmt durch den Schöpfer unseres Willens, wie der 
appetitus naturalis in den unbelebten Greaturen und das Strebe- 
vermögen der Thiere, sondern der Wille selbst bestimmt seine 
eigene Neigung. 

Deni aufmerksamen Leser der eingangs angefahrten Stelle 
aus dem englischen Meister wird es nicht entgangea sein, dass 
der Doctor Angelicus einzig und allein auf dieSelbstbestim- 
mung des Willens Gewicht legt. Hierin findet er das unter- 
scheidende Merkmal des Willens von den anderen Strebevermögen. 
Es ist von großer, tiefgehender Bedeutung, sich diese. Lehre des 
heil. Thomas .im Verlaufe' gegenwäiiiiger Abhandlung fortwährend 
vor Augen zu halten. Die Noth wendig keit der Vorherbewe- 
gung des Willens - durch Gott sowohl, wie nicht minder- die Wah- 
rung der vollen Freiheit desselben, werden dabei in ein helles 
Licht gesetzt, und können folglich an Gewissheit nur gewinnen. 
Niemand hat die Freiheit 46s Willens nach jeder Bichtung hin 
besser und entschiedener vertheidigt als der englische *Meister, 
niemand besteht aber aucb andererseits energischer auf der prae- 
motio phf/sica wie er. 

« 

§ 2. Abhängigkeit des Willens vom Verstände. 

6. Der heil. Thomas beiAerkt mehr als einmal, der Wille 
sei eine Neigung, die einer vom Verstands erkannten Form folgt^ 
I^iese Bemerkung iUhrt uns*zur Betrachtung des Abhängigkeits- 
verhältnisses der «Willenskraft vom Verstände. Wiederholt spricht 
sich der englische Meister dahin aus, dass der Wille vernünftig 
durch Antheilnahme sei (rationale pex participaüonem). So sägt 
er z. B. vernünftig durch Antheilnahme sei nicht bloß* der zom- 
müthige und begierliche Theii, sondirn wie es im ersten Buche 
&er Ethik teißt, das Strebevermögen des Menschen .überhaupt 
Unter dem Strebevermögen sei indessen auch der Wille mitein- 
begriffen (1. 2. q. 56. a.6. ad 2.). Dasselbe lehrt dfer Doctor Ange- 



* 



'— 13 — 

liens: 1. 3< q. 59. &. 4. ad 2. Damit stimmt eine andere Stelle 
flberein, in welcher S. Thomas Folgendes schreibt : „Da« Sabject 
der CardinaltageDd ist vierfach, nämlich das VemEliiitige dnrofa 
die Wesenheit; dieses wird dnrch die KIngheit Terrollkommnet. 
Femer das VemQnftige dnrch Antheilnahme, welches in drei- 
facher Weise uaterschieden wird: als Wille, als begierlicher nnd 
zommüthiger Theil. Der Wille bildet das Sabject ftlr die Gereditig- 
keit, der begierlicbe Theil ftlr die Mäßigkeit, der zornmUthige 
für den Starkmuth (1. 2. q. 61. a. 3.). VeruUnftig durch Antheil- 
nahme wird folglich nicht bloß der zommüthige und begierliche 
Theil genannt, sondern das Strebevermtigea im allgemeinen. 
Damm hat der Wille, obgleich er durch seine Weienheit 
ün iDtellectiven Theile ist, mit Bezug auf seine Acte Antheil an 
der Vernunft. Zumal stiebt er nach den Mitteln, wie sie von der 
Vemanll im Torans angeordnet sind (3. dist. 33. q. 2. a. 4. qu. 3. 
ad 1.). Gleichwie es daher zur Vollkommenheit der menBohliofaen 
Natur, insofern der Mensch Mensch ist, gehört, dasg er einen 
vernünftigen Willen besitze, ebenso ist ihm als Anima] das 
smnlicbe Strebevermögen eigen. Dieses letztere hat jedoch bei 
den Thieren nicht die Bedeutung des Willens, denn die Thiere 
werden otehr vom Instincte der Natur getrieben, als dass sie selber 
thätig sind. Infolge dessen haben sie keine freie Bewegung, wie 
der Wille eine solche verlangt. Das sinnliche StrebevermSgen im 
Menschen kann man indessen Willen nennen, insofern es der 
Vernunft gehorcht, wie es im ersten Buche der Ethik heißt. 
Ans diesem Grunde bat es einigermaßen Antheil an der Frei- 
heit des Willens und Geradheit des Verstandes. Nur in diesem 
Sinne kann man sagen, es sei Wille durch Antheilnahme, wie es 
aach Vernunft durch Antheilnahme genannt wird (3. dist. 17. q. 1. 
a. 1, qu. 2.). Das Strebevennögen überhaupt wird demnach insofern 
vernünftig dnrch Antheilnahme genannt, als es der Vernunft ge- 
horcht (2. 2. q. 58. a.4 ad 3). Der Wille steht in der Mitte zwischen 
der Vernunft und dem begierliehen Theile und er kann von beiden 
bewegt werden" (2.2. q. 155. a. 3. ad 2.). 

7, Was will uns nun der englische Lehrer mit diesen Er- 
klärungen sagen? etwa dass der Wille keine geistige Potenz, 
kein Vom Leibe unabhängiges Vermögen bilde ? Dnrchans nicht. 
Das liegt der Lehre des heil. Thomas ganz und gar ferne: Der 
Wille ist dem Doctor Angelicus eine Potenz, die unmittelbar 
in der Seele ruht, folglich durchaus göstiger Natur ist (3. dist 23. 
q. 1. a. 3. qu. 1.). Auf die Frage, ob die Vernunfl das Subject 
der Charitas sei, antwortet S. Thomas : „Um zu wissen, in welcher 
Potenz irgend eine Tugend ist, muss man beachten, welcher Potenz 
der betreffende Tugendact angehört. Nun besteht die Hauptthätig- 
keit der Charitas darin, Gott zu lieben. Dies aber ist Aufgabe 
der Vemunfl als dirigierender, und des Strebevermtigens als ans- 



— 14 — 

führender Potenz. Dieser Act gehört folglich dem Strebevermögen 
an. Allein das sinnliche Strebevermögen ist außerstande, diesen 
Act ansznüben, denn Gott ist nicht Object dieses Vermögens. 
Dieser Act kommt folglich dem Strebevermögen des intellec- 
tiven Theiles zu, und zwar nicht insofern er die Mittel zum 
Ziele erwählt, sondern insofern er Bezug auf das letzte Ziel hat. 
Dies aber ist dem Willen eigen. Daher ist der Wille das eigent- 
liche Subject der Charitas. Vernünftig durch die Wesenheit 
heißt demnach nicht bloß die Vernunft selber, sondern auch das 
mit der Vernunft verbundene Strebevermögen, nämlich der Wille, 
Daher erklärt der Philosoph (3. de anima text. 42.), der Wille 
sei in der Vernunft (3. dist.27. q.2. a. 3. c. et ad 1.). Seiner Wesen- 
heit nach ist der Wille in jenem Theile, der per essefntiam ver- 
nünftig ist. Allerdings kommt er in Bezug auf die Ähnlichkeit 
seiner Acte mit dem zornmüthigen und begierlichen Theile, die 
vernünftig durch Antheilnahme genannt werden, überein. Der 
Wille selbst hat in gewisser Hinsicht Antheil an der Vernnnfty 
indem er von der erkennenden Vernunft dirigiert wird^ (ib.adS.). 
Diese Stellen, besonders die letzte, machen uns genau mit 
dem Sinne bekannt, welchen der englische Lehrer unter dem „Ver- 
nünftigsein durch Antheilnahme'^ gemeint hat. Der Willö ist ver- 
nünftig durch Antheilnahme, insofern er von der Vernunft geleitet 
wird und derselben gehorcht. Von selten des Verstandes mnss 
die Erkenntnis eines Gegenstandes vorausgehen, damit der Wille 
sich zu diesem Objecto neige. Der Grund davon ist nicht schwer 
zu begreifen. Das Strebevermögen ist nämlich eine passive 
Potenz. Es hat daher die Bestimmung in sich, vom erkannten 
Objecte bewegt zu werden. Das erkannte Gut verhält sich dem- 
nach zu dem Strebevermögen wie ein Unbewegliches, das bewegt 
(1. p. q. 80. a. 2. — 1. 2. q. 18. a. 2. ad 3.). Die Bewegung oder 
Neigung des Strebevermögens folgt daher stets einer voraus- ' 
gegangenen Erkenntnis (1.2. q. 28. a. 1.). Diese Wahrheit hat * 
übrigens nicht bloß lunsichtlich des menschlichen Willens ihre 
Geltung, sondern auch in Betreff des Begehrungsvermögens der 
Thiere und des appetitus naturalis der leblosen Geschöpfe. Der 
Unterschied besteht nur in Folgendem. Der Wille wird infolge 
der Erkenntnis des mit ihm geeinten Verstandes bewegt, 
während die Bewegung des Strebevermögens der Natnrdinge der 
Erkenntnis eines von demselben getrennten Verstandes, jenes 
des Schöpfers der Natur folgt. Das gleiche muss von dem Be- 
gehrungsvermögen der Thiere behauptet werden, denn auch diese 
handeln aus einem gewissen natürlichen Instincte (1.2. q. 40. a*3« 
— 1. dist. 1. q.4. a. 1. ad 1. — ib. dist. 35. q. 1. a. 1.). Ohne irgend 
eine Erkenntnis kommt demnach niemals eine Bewegung des Strebe- 
vermögens zustande. Jederzeit muss eine solche vorausgehen. Da* 
her ist nicht bloß das Strebevermögen bewegend, sondern bei den 



Thieren und Menscbeo such der Sina, die Phantasie, der Ver- 
stand, weil, darch diese drei Kräfte, die der Erkenntnia dienen, 
das Objectflir das Strebevermögen vermittelt wird (de veritate 
q, 15. a.3. — ib. 23. a. 1.). Die Erkenntnis ist fUr das Streben 
geradeicn wesentlich. Der engtiscbe Meister erklärt darum, 
durch den Verstand oder die Sinne erkannt sein, komme dem 
Gnt, welches begehrt wird, durchaus nicht per accidms, sondern 
per se zu (1. p. q. 80. a. 2. ad 1.). Was den Willen anbelangt, so 
ist es nicht nothwendig, dass die Erkenntnis sich aaf ein Gut 
beziehe, das in der Wirklichkeit ein solches ist, es genügt, dass 
es überhaupt als ein Gnt vom Verstände erfasst und dem Willen 
rorgestellt wird (1.2. q. 8. a. 1. — ib. q.l3. a. 5. ad 2. — ib. q. 19. 
a. 1. ad 1 und ad 3.). Mit Recht macht darum der heil. Augustin 
einmal die Bemerkung, der Wille entstehe aus der Erkenutuis 
(2. 2. q. 83. a. 3.). 

Es kann eich Übrigens anch gar nicht anders verhalten. Denn 
wer die ideale Form eines andern in sieb hat, geht durch diese 
Form, durch dieses ideale Abbild eine Beziehung ein zu dem 
Dinge, welclies anfierhalb existiert. Weil nun in demjenigen, der 
Tcrsieht und empfindet, das ideale Abbild der erkannten und 
empfundenen Sache selber enthalten ist — jede Erkenntnis voll- 
zieht sich durch eine Ähnlichkeit, ein Abbild des zu erkennenden 
nud erkannten Objectes — , deshalb muss im erkennenden und 
empfindenden Subjecte sich eine Beziehnag herstellen zu den 
erkannten und empfundenen Dingen, die in der Wirklichkeit und 
außerhalb des Erkenntnisvermßgens existieren. Dieses Verhältnis, 
diese Beziehung kann nicht dadurch augeknUpft werden, dass 
jemand einfachhin erkennt Qnd empfindet. Das Erkennen und 
Empfinden kommt ja dadurch zustande, dass die Gegenstände 
ihrem Abbilde, ihrer Ähnlichkeit nach im Verstände resp, im Sinne, 
nicht außerhidb derselben sich befinden. Das erkennende oder 
empfindende Snbjeet muss daher diese Beziehung zn den anßen- 
' stehenden Dingen durch den Willen resp. das sinnliche Strebever- 
mögen vermitteln (I. contr. Gent. c. 72.). Ans diesem Grmide nennen 
wir das Object des Willens auch Ziel, und der Verstand bewegt 
den Willen, indem er demselben das Ziel vorzeigt, nacii webhem 
er streben soll (1. p. q. 8*2. a. 4.). Die Bewegung des Willens er- 
folgt somit nur dann, wenn der Verstand ein Object als Ziel 
darstellt. Daher übt der speculative Vei-stand nie einen be- 
wegenden Einfloss anf das Strebevermögen aus, ebensowenig 
die Phantasie ohne Vorstellung des Objectes als eines Guts oder 
Übels (1. contr. Gent c. 72. n. 5.). 

Daraus leuchtet ein, welche Bedeutung der Erkenntnis be- 
züglich ihres Einfinsses auf den Willen zugeschrieben werden 
müsse. Selbst dem Streben der Natnrdiuge muss irgend eine 
Kenntnis Torangeben, damit es sich verwirklichen k&nne. Der 



— 16 — 

Unterschied zwischen diesem und den frühern besteht, nur darin^ 
dass die Naturdinge die Erkenntnis nicht in sich selber haben, 
oder, wie S. Thomas sagt, dass der Verstand, dem diese' Erkenntnis 
angehört, nicht mit dem begehrenden Subjecte verbunden ist» 
Die für sie nothwendige Erkenntnis besitzt aber der Urheber und 
Schöpfer der Naturdinge. Darum wird die- Welt das Werk einer 
Intelligenz genannt. 

8. Aus diesem Abhängigkeitsverliältnisse des Willens vom 
Verstände ergibt sich die Folgerung, dass der Wille niemals nach 
dem Bösen streben kann, außer auf Grund eines Irrthums, eines 
fehlerhaften Urtheils von Seiten, der Vernunft. Speculativ mag jenes 
Urtheil ein richtiges sein, allein das speculative Urtheil bat für 
den Willen keinerlei Bedeutung. Der intellectus speculativus be- 
wegt nicht, lehrt der englische Meister. Auch das speculativ- 
praktische Urtheil kann allenfalls zutreffend sein, wenn der Wille 
sich zu einem Gegenstande neigt, der nicht gut ist. Ein Fehler 
muss jedoch unter allen Umständen vorhanden sein im Urtheile 
der Vernunft über das Particuläre, zu welchem sich der Wille 
hie et nunc neigt. Da nämlich das erkannte Gut das Object 
für den Willen bildet, so kann der Wille nicht zu dem Bösen sich 
neigen, wenn es ihm nicht hie et nune als ein Gut dargestellt 
wird. Der Irrthum liegt somit darin, dass die Vernunft dem Willen 
das Böse als ein Gut vorhält (1. contr. Gent. c. 95.). Das Streben des 
Willens geht einzig und allein nur auf alles das, was der Ver- 
stand als ein Gut darstellt. Begehrt der Wille, thatsächlich 
etwas Böses, wählt er also verkehrt, so geschieht es, wie der 
Philosoph bemerkt, infolge eines unrichtigen Urtheils der Vernunft 
darüber, was in diesem Einzelfalle zu wählen sei (3. contr. Gent. 
0. 85.). Zu dem Bösen als solchem würde der Wille niemals sich 
neigen. Auf die Frage, ob der Wille ausschließlich nur das Gut 
begehre, antwortet dai*um der heil. Thomas bejahend. Der Beweis, 
den er dafür angibt, hat folgenden Wortlaut: „Der Wille ist ein 
geistiges Strebevermögen. Jedes Strebevermögen aber ist nur 
auf das Gut gerichtet. Der Grund davon aber liegt darin, dass 
das Streben eine Neigung des begehrenden Subjectes ist. Dieses 
Subject kann sich indessen nur zu jenem Gegenstande neigen^ 
der ihm als ähnlich und convenient dargestellt wird. Jedes Streben 
zielt demnach auf ein Gut ab, denn das Ähnliche, Convenierende 
bildet für das begehrende Subject zweifelsohne ein Gut. Der 
Philosoph bat folglich durchaus recht, wenn er sagt, dass alle 
Dinge nach dem Gut verlangen. Die Naturdinge neigen sich zu 
der in der WirkUchkeit existierenden Form, das sinnliche and 
geistige Strebevermögen, der Wille, zu der Form, die durch eine 
Erkenntnis vermittelt wird. Der appetittis naturalis strebt nach 
dem wirklichen Gut in der Sache, der appetitus animalis und der 
Wille nach dem Gut in der Sache infolge der Vorstellung durch 



— 17 — 

das ErkenntDisvermögen. Ist es auch keia wahres^ so muss es 
doch ein scheinbares Gut sein, damit der Wille es begehfe (1. 2. 
q. 8. a. 1 .). 

Diese Lehre des heil. Thomas über die natürliche Ab- 
hängigkeit des Willens vom Verstände müssen wir nebst anderen 
Gründen anch deshalb besonders betonen, weil in neuerer Zeit 
eine alte Ansicht wieder sich Geltung zu verschaffen sucht; näm- 
lich diC; dass Gott den Willen des Menschen zu Atta Gut und 
der Glückseligkeit im allgemeinen bewege. Der Einfluss Gottes 
auf die vernünftigen Geschöpfe* sei einzig und allein nur in 
dieser Weise vom heil. Thomas anerkannt und vertheidigt 
worden. Ebenso sei dieser Einfluss oder diese Bewegung all- 
gemeiner Natur. Vergleichen wir die vorhin dargelegte Lehre 
des Doctor Angelicus über die Abhängigkeit des Willens vom 
Verstände, indem der Wille ausschließlich nur ein Gut begehren 
kann; erinnern wir ups femef an das Unbeschränktsein des 
Willens hinsichtlich der Objecte^ so dass er nach allem, was 
immer als ein Gut ihm vorgestellt wird, streben kann: und' 
wi|: haben genau dasjenige, was diese neuere, in Wirklichkeit 
schon bedeutend ältere Ansicht, den englischen Meister lehren 
lässt. Allein bei einiger Aufmerksamkeit wird jedermann unschwer 
herausfinden, dass hier weder von einer Bewegung durch 
Gott die Rede, noch dass diese Bewegung allgemeiner Natur ist. 
Der heil. Thomas hat weder das eine noch das andere gelehrt. 
Das unmittelbare, aber objective Princip für die Bewegung 
des Willens bildet allerdings das erkannte Gut, weil es das Object 
des Willens ist und letzterer durch dasselbe bewegt wird, wie 
der Gesichtssinn von der Farbe (3. contr. Gent. c. 88.). Man darf 
jedoch nicht vergessen, dass diese natürliche Neigung des 
Willens keineswegs auf das Gut und die Glückseligkeit im allge- 
meinen, also auf das letzte Ziel allein sich erstreckt, sondern 
auf jedes Gut, das als solches erkannt wird. Wie jede andere 
Potenz zu ihrem Objecte, so ist der Wille zu dem erkannten Gut 
auf natürliche Weise hingeordnet (de virt. q.l. a. 5. ad 2). 
Der englische Lehrer sieht den Grund, dass im Menschen zwei 
Strebevermögen angenommen werden müssen, gerade in dem Um- 
stände, dass es zwei Erkenntniskräfte gibt (3. dist. 26. q. 1. a. 2. — 
1. p. q. 80. a. 2. — de veritate q. 15. a.3. — ib. q. 25. a. 1.). 

9. Die soeben dargelegte Lehre des Doctor Angelicus ist 
indessen nicht bloß für die Speculation, sie ist ebensosehr auch 
für die Praxis von Wichtigkeit. Wir wollen es an zwei Beispielen 
nachweisen. Der heil. Thomas schreibt, die Frage erörternd, in- 
wieweit unser Wille mit dem göttlichen bezüglich des gewollten 
Objectes conform sein müsse. Nachstehendes : „Manches will Gott 
durch den sogenannten vorausgehenden Willen. In dieser Be- 
ziehung unterliegt es keinem Zweifel, dass wir hinsichtlich des 

Feldner, Willensfreiheit. 2 



— 18 — 

Gewollten unseren Willen dem göttlichen anbequemen müssen. 
Gott will aber auch manches durch den nachfolgenden Willen. 
Dieses Gewollte ist uns nicht immer bekannt, auJ3er es wird 
durch Gottes Wirken uns irgendwie offenbar. Das Gewollte dieser 
Art fllgt der Sache noch etwas an Güte bei, so dass die Sache 
deshalb gewollt werden kann, weil Gott sie will und angeordnet 
hat. Sobald daher etwas als von Gott gewollt erkannt wird, 
erfassen wir es als ein Gut. Folglich muss der Wille auf diese 
Erkenntnis hin nach jenem Gut streben. Würde er dieses 
Gut fliehen, so wäre die Bewegung des Willens weder gut, noch 
Gott conform. Kein Strebevermögen braucht sich indessen zu einem 
Gut zu neigen, dessen Wesen nicht erkannt wird. 

Wir wissen nun aber, dass es verschiedene Abstufungen des 
Strebens gibt, weil verschiedene Erkenntnisse vorangehen, auf 
welche das Streben folgt. Im Menschen ist z. B. das sinnliche 
Streben, das auf die sinnenfällige Erkenntnis hin erfolgt. Dieses 
Streben ist einzig und allein auf jenes Gut gerichtet, welches uns 
dem Leibe nach zusagt. Durch dieses Streben wird also das für die 
Sinne angenehme Gut begehrt, niemals aber ein geistiges z. B. die 
Wissenschaft. Femer besitzen wir einen gewissen natürlichen 
Willen, wodurch wir das erstreben, was an sich uns Menschen, 
als solchen, gut vorkommt. Dieses Streben folg:t auf die Erkenntnis 
der Vernunft; insofern sie etwas absolut betrachtet, z. B. Wissen- 
schaft, Tugend, Gesundheit, die wir Menschen wollen. Endlich 
findet sich in uns ein gewisser überlegter Wille, dem Acte des 
Verstandes folgend, der das Ziel und die verschiedenen Umstände 
ins Auge fasst. Gemäß diesem Willen streben wir nach dem, was 
in Kraft des Zieles oder aus irgend einem anderen Umstände 
ein Gut ist. Hat nun ein Ding alle drei Arten der Güte, so wird 
jedes Strebevermögen, vorausgesetzt, dass es ein geordnetes ist, 
jenes Gut begehren. Fehlt dagegen dem Dinge eine dieser Arten, 
dann darf jenes Strebevermögen, dem die fehlende Güte entspricht, 
nicht nach jenem Dinge verlangen, sondern nach dem geraden 
Gegentheile, wenn in diesem Gegentheile die Güte liegt. Sich um 
der Gesundheit willen einer Operation unterziehen, ist weder dem 
Leibe besonders angenehm, noch an sich ein Gut. Ein Gut ist 
es bloß aus dem Ziele. Daher wählt dies bloß der überlegte Wille. 
Das sinnliche Strebevermögen und der Wille als Natur verab- 
scheuen es. Auf ähnliche Weise verhält es sich bei unserer vorhin 
gestellten Frage. Wird etwas als von Gott gewollt erkannt, 
was man besonders aus dem Wirken Gottes sehen kann, so muss 
d^r überlegte Wille (der Wille als Freiheit), welcher der 
Vernunft, die vergleichend, untersuchend jenen Grund der Güte 
erkennt, folgt, das Gut wollen, wenngleich der natürliche Wille 
und das sinnliche Strebevermögen jenes Gut fliehen. Gerade durch 
diese Flucht sind sie dem göttlichen Willen conform, denn sie 



— 19 _ 

streben nach dem Out gemüi ihrer Erkeantuis. Ans diesem 
Gmode kann jemand Über deu Tod seiner Ehern trauern, nad er 
braucht sich nicht darüber zu frenen, was nach Gottes Willen ge- 
schieht. Daher bemerkt der Philosoph, es reiche hin, dass der Starke 
im Anblicke der Todesgefahr traurig gestimmt werde, es sei nicht 
nothwendig, dass er darüber Frende habe" (I. dist. 48, q. 1. a. 4.). 
Denselben Einfluss des Verstandes, respective der Erkenntnis 
aaf den Willen lehrt S. Thomas an einer anderen Stelle. „Der 
Wille strebt nach seinem Gegenstände, wie er ihm von der Ver- , 
nnnft vorgestellt wird. Die Verannft aber kann etwas nnter rer- 
ficbiedeuen Gesichispaakten betrachten, so dass der Gegenstand 
unter dem einen als ein Gut, nnter dem andern nicht als ein 
Gut erscheint. Begehrt nnn der Wille das Object von jenem 
Gesichtspunkte aus, unter welchem es als ein Gut erscheint 
und der Wille eibes andern strebt nicht nach jenem Objecte, 
weil ee vom Gesichtspunkte aus, unter welchem es ihm vor- 
gestellt wird, nicht als ein Gut erscheint, sq sind die Willen 
dieser beiden vollkommen geordnete. Der Richter will den Ver- 
brecher mit dem Tode bestrafen aud er handelt gut, sein Wille 
ist correct. Die Gemahlin oder die Kinder dieses Verbrechers 
wollen nicht, dass der Delinquent gestraft werde, weil dieser Tod 
für sie naturgemäß ein Übel ist. Auch sie befinden sich im Bechte. 
Gott, der nniveraelle Urheber und Regierer aller Geschöpfe, be- 
trachtet die Dinge von einem hChern Standpunkte ans, als wir 
Menschen. Er will infolge dessen auch manches, was wir nicht 
za wollen branchen, denn sein Verstand, seine Kenntnis 
stellt dem Willen so manches als ein Gut dar, was unser Verstand 
nicht als ein Gnt auffasst. Damm ist auch nicht erforderlich, dass 
unser Wille nach jenem Dinge strebe. Im Gegentheil, dadurch, 
dass der Mensch es nicht will, ist sein Wille dem göttlichen con- 
form, denn Gott will, dass der Mensch es nicht wolle. Unser 
Wil^e mnss demnach mit dem göttlichen Übereinstimmen formell, 
d. h. er muBS das allgemeine und göttliche Gut wollen, er mnss 
das particnläre Gut auf das allgemeine, als auf das Ziel beziehen. 
Das particnläre Gut selber ist er bloß materiell zu wollen ver- 
pflichtet, insofern es ihm von der Vernunft, als particulSres 
Gut dargestellt wird. Erkennt er es nicht als MnOut, so kann 
er es nicht wollen, obgleich Gott, der universelle Machthaber, es 
will (1. 2. q. 19. a. 10. — ib. q. 39. a, 2. ad 3. — 2. 2. q. 104. a. 4. 
ad 3.). Unser Wille ist demnach dem göttlichen dadnr<^ voll- 
kommen gleichßirmig, dass er dasjenige begehrt, was der Ver- 
stand ihm als ein Gut vergegenwärtigt. Das verlangt Qott von 
unserem Willen (de veritate q. 23. a. 7.). Man vergleiche damit 
noch den Artiklel 8 derselben Qaästio, woraos abermals hervor- 
geht, wie sehr der Wille jederzeit nach der Benrtheilnng eines 
Dinges durch den Verstand sich richtet. • 



.— ■ 20 — 

10. Ein zweites Beispiel dieser Art bietet uns der englische 
Lehrer in der Lösung der Frage, ob der Wille dem Verstände 
folgen müsse, wenn letzterer thatsä,chlieh irrt. S. Thomas äuBert 
sich hierüber: ^Wenn der Wille bei Gegenständen indifferenter 
Natur mit der Yemunff nicht Übereinstimmt! so ist er böse* in 

. Anbetracht des Objectes, von welchem die Güte oder Bösartigkeit 
des Willens abhängt. Das Object ist nicht vermöge seiner Natur 
der Grund davon, sondern insofern es per accidens von der Ver- 
nuoft als ein begehrenswertes Gut, oder als ein Übel, ein Böses, 
das zu meiden ist, aufgefasst wird. Weil nun dasjenige den Ge- 
genstand des Willens ausmächt, was ihm» von der Vernunft dar- 
gestellt wird (1.-2. q. 8. a. 1.), deshalb wird der Wille, der nach 
einem von der Vernunft als böse erkannten Objecte strebt, da- 
durch selber böse. Dies gilt nicht allein in Bezug auf jene Dinge, 
die an und für sich indifferent, sondern auch hinsichtlich jener, 
die an und fUr sich gut oder böse sind. Denn. nicht nur das In- 
differente kann per accidens gut oder böse werden, sondern auch 
das, Was gut, kann böse, und das, was böse, kann gut werden, 
je nach der Erkenntnis oder Auffassung der Ver- 
nunft. An Jesus Christus glauben, ist an und fUr sich gut und 
zu unserm Heile nothwendig. Allein unser Wille begehii; dieses 
nut, wie es ihm von der Vernunft vorgestellt wird. Würde es ihm 
von der Vernunft als böse dargelegt, so würde der Wille, wenn 
er es begehrt, etwas Böses anstreben, nicht etwa deshalb, weil 
es an und für sich böse ist, sondern per accidenSy infolge der 
Auffassung unserer Vernunft. Darum erklärt der Philo- 
soph, an und ftlr sich gesprochen, sei derjenige unenthaltsam, der 
das richtige Urtheil der Vernunft nicht beachtet, ^er accidens 
j6doch auch, derjenige, der dem irrenden nicht Folge leistet. 
(1. 2. q. 19. a. 5.) Daraus ergibt sich die Folgerung, schließt S. Tho- 
mas daselbst, dass der Wille, der mit dem Verstände, sei er nun 

. richtig, oder befinde er sich im Irrthume, nicht übereinstimmt, 
dem Urtheile desselben nicht folgt, jederzeit böse ist. Der 
Grund dieser Wahrheit ist einfach und klar. Der Wille wird nur 
dadurch bewegt, etwas anzustreben, dass irgend eine Erkenntnis 
vorausgeht. Der Gegenstand des Willens ist ein Gut. oder ein 
Übel (BösesX K nachdem es von der Vernunft als ein solches 
erkanift wird (2. dist. 39. q. 2.^a. 3. — de veritate q. 17. a. 4.). Die 
Erkenntnis, was in einem einzelnen Falle zu thun sei, erfolgt 
durch die Vorschrift des Gewissens. Das Gewissen ist nichts 
anderes als die actaelle Applioiemng der Erkenntnis auf 
einen einzelnen Fall. Daraus ist demnach klar, dass das Gewissen, 
das riclitige wie das irrende, betreffe es das an und ftlr sich 
Gute, Böse oder Indifferente stets fttr den Willed eine Verpflich- 
tung zur Folgeleistung in sich schließt. {Quodl. 3. a. 27. und 8. 
a. 13. — ib. a. 15.) • * 



— 21 — 

Die Abhängigkeit des Willens vom Verstände ist somit anßer 
alten Zweifel gestellt. Wenn aach die hier angefllhrten Beispiele 
zunächst nicht so sehr das geietige StrebeTeEmögen als 'Potenz 
betreffen, sondem mehr Bezug auf den Act dieser Potenz haben, 
80 ist doch audeterseits ebenso kl&r und sicher, dass die Potenz 
selber sich nach dem Verhältnisse ihres Actes ricbtet. Die natür- 
liche Neigung der Potenz bildet die entsprechende Grundlage für 
den Act. Dies gilt zumal vom Willen, indem der Willensact nichts 
anderes ist als eine Terstärkte Neigung der Potenz. Gegen die 
Neigung des WilleDa, erfolgt von seiner Seite niemals ein Act. 
Dies wäre Zwang, und zwingen lässt sich der 'Wille nicht einmal 
von Gott, umsoweniger van irgend einer Creatnr. Das Nähere 
hierüber w«rdeä wir noch zu betrachten Gelegenbeit haben. Daher 
begehrt der Wille immer, seiner innecsten Neigung entsprechend,, 
jenes Object, welches ihm 'durch die Yemunft als ein Gut vor- 
gehalten wird. ' 

DeE. Grundsatz nihil volÜum quin praecoffnüum findet durch- 
wegs Beine Bestätigung. Wohl bildet die Erkenntnis oder der 
Gegenstand als erkannter nicht den formellen Grand, dass 
die Strebfikraft sich zu demselben neigt, er ist abpr doch die un- 
erlässliche Bedingung, die conditio sine qua nan, damit die Neigung 
des Willens zu ihm hingeordnet, werde. Iffiwti ntUla eupido. Diese 
Wahrheit bleibt ein- fUr allemal mallgebend. 

Nmi kommt es allerdings manchmal vor, dass die Neigung 
dea Willens sich nicht nach dem Urtheile der Vernunft richtet, 
im Gegentheil, sich vielmehr dü-ect davon abzuwenden scheint. 
Allein dies ist .eben nur Sch^, nicht Wirklichkeit, und hat seinen 
Grand darin,' dass die Vernunft, vgm Willen dazu angeregt, ihr 
Urtheil Über die Gute des GcgcAstaudes ändert. Der Wille be- ' 
stinnnt nicht bloß sieh selber, sondern- auch alle übrigen Ver- 
mögen, den Verstand nicht ausgenommen. Infolge .einer von^ Willen 
oder einer. Leidenschaft, Gewohnheit etc. ausgebenden Bewegu.ug 
erkennt die Vernunft ihren Gegenstand anders als früher, und 
damit ändert sie ihr Urtheil. Nichtsdestoweniger besteht dag Ab- 
hängigkeitsverhältnis des Willens von der Vernunft aufrecht, weil 
der Wille endgilt ig immer zu dem Gut sich neigen wird, 'was 
ihm die Vernunft,' durch ihr letztes Urtheil, äie sogenannte 
Sentenz, als dea Begebrens wert vorhält. 

11. Es erübrigt noch, dass wir genauer bestimmen, in welcher 
Weise eigentlich der Verstand den Willen von sieb abhängig 
macht, den Willen deteiminiert. Das Streberermögen Überhaupt 
. ist nach S. Thomas eine passive Potenz, jedoch befähigt vom 
erkannten Gut bewegt za werden. Das erkannte Begehrenswerte 
verhält sich daher wie der unbewegliche Beweger, das Strebe- 
vermOgen hingegen wie das Bewegende, das bewegt worden ist, 
wie Aristoteles lehrt (1. p. q. 80. a. 2.). Der Befehl (Imperium) ist 



— 22. — 

nichts anderes als ein Act der ordnenden Vernunft, verbunden 
mit einer gewissen Bewegung, auf dass etwas geschehe oder 
gethan werde. Nun kann aber offenbar die Vernunft über den 
Willen disponieren, denn wie sie zu urtheilen yermag, dass es 
gut sei etwas zu wollen, ebenso kann sie befehlend anordnen, dass 
der. Mensch wolle (1.2. q. 17. a. 5.). Bloß der erste Willensact 
entstammt nicht der Anordnung der Vernunft, sondern aus dem 
Antriebe der Natur oder einer höbern Ursache, die keine andere 
als Gott sein kann (1. 2. q. 9. a. 4. — 1. 2. q. 17. a. 5. ad 3.). 

Ein Ding kann indessen auf zweifache Art bewegen. Ent- 
weder als Zweck, Ziel, wie man z. B. vom Ziele sagt, es bewege 
die wirksame Ursache. In dieeer Weise bewegt der Verstand 
unsem Willen, weil das erkannte Gut Object des Willens ist, 
»und als Ziel ihn bewegt (1. p. q. 82. a. 4.). Das Object aber be- 
wegt, indem es den Act nach Art 'eines formellen Prin- 
cipes bestimmt. Das erste formelle Frincip ist das univer- 
selle Seiende und Wahre, das darum das Object ftir den Verstand 
bildet. Auf diese Art bewegt der Verstand den Willen, indem er 
ihm sein Object vorstellt (1.2. q. 9. a. 1.). Er bewegt somit den 
Willen nicht direct, sondern vermittest des Objectes (1. 2. q. 9. 
a. 3. ad 3.). Betrachten wir demnach die Bewegungen der Potenzen 
unserer Seele mit Bezug auf das Object, das den Act speciäciert, 
so gehört das erste Princip der Bewegung dem Verstände an. 
Denn auf diese Weise wird der Wille vom erkannten Gut be- 
wegt (de malo q. 6. a. nnic). Wir wollen ein Ding, weil es uns als 
ein Gut erscheint ^3. dist. 23. q. 4. a. 2. ad 3.). Daraus folgt sodann, 
dass der Wille nie etwas begehrt, auJ3er er werde dazu durch 
jenes Object, das begehrenswerte Gut und Ziel, bewegt (de 
-veritate q. 14. a. 2.). „Alle Thätigkeiten der Geschöpfe", lehrt 
S. Thomas, „unterstehen • der Ordnung der göttlichen Voi*sehnng, 
so dass keines derselben mit AuBerachtlassung der Gesetze dieser 
Ordnung irgendwie thätig sein kann. Das Gesetz der göttlichen 
Vorsehung aber lautet dahin, dass jedes Ding von seiner un- 
mittelbaren Ursache bewegt werde. Das nächste den Willen be- 
wegende Princip ist das erkannte Gut, weil es für den Willen 
Object bildet und er selbst von demselben in der Weise* bewegt 
wird, wie der Gesichtssinn von der Farbe. Keine Creatur 
vermag daher den Willen anders zu bewegen, als mittelst eines 
erkannten Guts. Dies geschieht dadurch, dass sie ihm zeigt, etwas 
sei gut, wenn es geschieht'^ (3. contr. Gent. c. 88.). Nur auf diese 
Art kann ein Geschöpf ansem Willen einigermassen neigen, wie 
z. B. jemand den andern Überredet, etwas zu thnn, Indem er ihm 
die Nützlichkeit und das Edle der That vorstellt (de veritate 
q. 22. a. 9.). Wer immer daher uns einen Bath ertheilt, oder uns 
zuredet, der wirkt auf unsem' Willen ein, jedoch nur dadurch, 
dass er bewirkt, dass das erkannte Object uns als ein Gut er- 






^ 23 — 

scheint (de malo q. 3. a. 3.). Der Verstand leitet mithin den Willen 
nicht dadurch^ dass er selbst denselben zu dem neigt» was der- 
selbe begehrt, sondern bloB indem er demselben zeigt, wonach 
er streben soll (de veritate q. 22. a. 11. ad 5.). 

12. Der Einfluss der Erkenntniskraft auf den Willen ist nach 
der soeben dargelegten Doctrin des englischen Meisters ein durch- 
aus objectiver, die Thätigkeit des Willens specificierender. Die 
Vernunft zeigt dem Willen einen Gegenstand mit dem Bedeuten, 
derselbe sei gut, und somit begehrenswert. Von der zweiten 
Art des Einflusses auf den Willen per modum imperii, thu das! 
mfissen wir vorläufig absehen, weil diese letztere Art bereits eine 
Willensthätigkeit voraussetzt (cfr. 1.2. q. 17. a. 1.). Der Wille kann 
aber objectiv auf eine dreifache Weise bestimmt, resp. bewegt 
werden. Zunächst geschieht es durch das vorgestellte Objeet selber. 
Die vorgesetzte Speise z. B. ei-weckt im Menschen Esslust. In 
zweiter Linie bestimmt und bewegt auch derjenige den Willen, 
der ihm ein erstrebenswertes Object darbietet oder vorstellt. 
Drittens wirkt bestimmend auf den Willen derjenige ein, welcher 
den Nachweis liefert, dass dieser oder jener Gegenstand ein Gut 
sei. Denn auch dieser letzte stellt in gewisser Beziehung dem 
Willen das demselben eigenthtimliche Object vor (1. 2. q. 80. a. 1.). 
In der Darstellung des Gegenstandes als eines» Guts liegt 
demnach eigentlich und formell der Grund, dass der Wille sich 
zu diesem Gut neigt. 

Dieser letzte Satz schließt indessen eine Schwierigkeit in sich. 
Worin haben wir den formellen Grund der Bestimmung und 
objectiven Bewegung des Willens zu suchen: in der Darstellung? 
oder in der Güte des Gegenstandes ? Wird der Wille formell vom 
erkannten Gut oder vom erkannten Gut bewegt und be- 
stimmt? Wir unterschreiben unsererseits die Ansicht jener Autoren, 
welche behaupten, die Erkenntnis und Darstellung durch die Ver- 
nunft sei bloß eine uothwendige Bedingung, conditio sine qua non, 
keineswegs aber der formelle Grund, dass der Wille sich zu 
dem Qegenstande neigt. Und in der That spricht S. Thomas immer 
davon-, dass der Wille sub ratione boni sein Object begehre (cfr. 
de veritate q. 22. a. 12. — 1. 2. q. 8. a. 1. ad 2.). 

Der Einfluss der Vernunft auf den Willen ist ferner ein 
durchaus objectiver. Der Wille kann nämlich in doppelter 
Weise bestimmt werden. Wird dem Willen ein Object als ein 
Gut vorgestellt, so kann er, falls er dieses Gut begehrt, nicht zu- 
gleich ein anderes erstreben. Durch die Voratellung des Guts wird 
er zu • d i e s e m Gut bestimmt. Die Autoren nennen diese Be- 
stimmung oder Bewegung des Willens eine o b j e c t i v e. Es kann 
aber geschehen, dass der Wille sich nicht wirklich zu diesem Gut 
neigt,' dass er keine Thätigkeit vollzieht, um dieses Gut zu 
erreichen. Bestimmt ein vorgestelltes Gut den Willen derart, dass 



» 



— 24 — 

ec in Tbätigkeit tritt, so wird er subjeetiv tod diesem 
Gm bestimmt. Diese subjective Beetimmnng de« Willene durch 
irgead ciuea Gegenstand ist es dod, die vom englischen 
Lehrer bestritten wird. Er anerkeimt nur eine objective in dem 
Sinne, dass der Wille, wenn er thätig ist, vom Gegenstande, 
dem vorgestellten Gut, bestimmt nnd bewegt wird. Der Einflnss 
des Objectes ^nf den Willens act ist demnach nnr ein bedingang^- 
weiser, falls der Wille thstig ist. Die Gtlter, welcher Art sie immer 
seien, verniiig:en den Willen zwar einigermassen, aliqualüer 
zu bewegen, aber keines derselben, aneh nicht alle zusammeo- 
genomnien, bringen es zustande, dass er wirksam, efßcacUer, 
bestimmt unil bewegt wird. Gott, das allseitig vollkommene Gat, 
kann aucli als Gegenstand oder Object nnsem Willen wirk- 
sam bewegen. Allein solange wir hier auf Erden sind, gelingt 
dieses selbst ibm nicht. Die Erkenntnis und Darstellung durch die 
Vernunft ist unerlSssliche Bedingung, damit der Wille ein Gut 
begehre. In diesem Leben aber ist es der Yemnnft unmSglieh, dem 
Willen Gott so vorzustellen, wie er in sich selber ist. Wenn ein 
Gegenstand unsem Willen wirksam bewegen soU, so muss er 
ihm unmittelbar als absolutes, in jeder Beziehung vollkommenea 
Gut vorgestellt werden. Dies kann erst im andern Leben geschehen, 
wo wir Gott von Angesicht zu Angesicht schauen werden. 

Während die Vernunft den Willen stets objeetiv, durch 
Vorstellung eines erstrebenswerten Guts bewegt, vrird umgekehrt 
die Vernunft selber vom Willen snbjectiv in Tbätigkeit gesetzt. 
Die Vernunft bewegt den Willen per modum finis, der Wille die 
Vernunft per 7noditm agentis (1. p. q, 82. a. 4.). Die Bewegung des 
Willens durch das vorgestellte Gut kann folgerichtig nicht im 
eigentlichen Sinne, streng genommen eine Bewegung genannt wer- 
den. Sie ist rielmehr eine äpecificierung der WillensthäCigkeit, die, 
wenn diese in Bewegung ist, sich entfaltet Diese äpecificiemng 
geschiebt indessen nicht später, als die Tbätigkeit vor sieb geht. 
Beide sind gleichzeitig. 

§ 3. Der Wille als Natar und dessen Natornothwendijgkeit. 

13. Der Verstand wirkt mittelst des Objectes bestimmend, 
in einiger Hinsicht bewegend auf den Willen ein, indem er ihm 
das Object als ein begehrenswertes Gut darstellt : dies war das 
Kesultat unserer frtthern Untersuchung. Nach der Beschaffenheit des 
vorgestellten Objectes erfolgt dann auch die Begriffsbestimmung 
des Willens aU Natar nnd dessen Natnmothwendigkeit. 

Vor allem muss bemerkt werden, dass der Wille als geistiges 
Strebe vermögen oder als Potenz nur eine einzige Facultas der 
Seele ist. Die Unterscheidung betrifft blofl das Verhältnis idieser 
Potenz zu dem Torgestelltea Objecte. Die Potenzen unterBcbeiden 



— 25' — 



sich, nach der Lehre des heil. Thomas^ gemäß den verschiedenen 
rationes oder objectiven Gesichtspunkten, unter welchen sie tran- 
scendentale Beziehung zu ihren Objecten haben. Nun' ist der 
Gegenstand des Willens ein Gut, und zwar formell oder insofeme 
es ein Gut ist (secundum rationem boni). Dieser formelle Grund 
kommt aber allen Dingen gemeinsam zu. Daher kann der Wille 
als geistiges Strebe Vermögen überhaupt nicht in verschiedene Po- 
tenzen eingetheilt werden. In jedem Menschen ist daram nur e i n 
Wille als Potenz anzunehmen. Es kann jedoch verschiedene Be- 
ziehungen dieses einen Willens geben, nach welchen er manch- 
mal unterschieden wird. So unterscheiden wir einen natür- 
lichen Willen, welcher nämlich infolge der absoluten Güte, die 
wir in einem Gegenstande erfassen, nach Art der'Naturzu 
diesem Objecte bewegt wird. Ferner sprechen wir von einem 
vernünftigen Willen, der zu einem Objecte bewegt wird, nicht 
auf Grund der absoluten Güte des Objeetes selber, sondern. weil 
es gut ist, in Bezug auf ein anderes, in der Hinordnung zu einem 
andern. Indessen ist diese Unterscheidung nur darin begründet, 
dass die Bewegung des Willens das einemal nach vorausgegan- 
gener Vergleichung, das anderemal ohne eine solche erfolgt. Ver- 
gleiche ziehen iteht aber an und für sich nicht dem Willen, son- 
dern der Vernunft zu. Daher ist diese Eintheilung des Willens 
nicht durch wesentliche, sondern z u f ä 1 11 g e, acciden teile Merk- * 
male . durchgefühlt. Daraus folgt aber dann, dass es nicht zwei, 
geistige Strebevermögen, Potenzen oder Willen, sondern nur eines 
geben kanti. Immerbin aber besteht ein Unterschied darin, dass 
der Bewegung dieser, einen Potenz^ eine Erkenntnis mit oder 
ohne Vergleichung zwischen mehreren Objecten vorangeht (3. dist. i 7. 
q. 1. a. 1. qu<3.). Der Wille als Natur und der Wille als Frei- 
heit unterscheiden sich demnach nicht nach der Wesenheit des 
geistigen Strebevermögens, weil natürliche Hinneigung zu 
einem Objecte und Infolge von Überlegung nicht an und 
für sich. Differenzen des Willens bilden, sondern nur insofern 
der Wille dem Urtbeile der Vernunft folgt. Die Vernunft jaämlich 
erkennt manches natürlich, gleichsam als unbeweisbares Princip- 
fttr die Handlungen. Dieses Erkannte .verhält sich, daün wie das 
2iel; denn in Be^ug'auf die 'Handlungen nimmt das Ziel die Stelle 
eines Principes ein, wie es im 6. Buche. der Ethik heißt. Was 
daher dem Menschen als Ziel, gilt, das wird von der Vernunft 
auf natürliche Art (naturaliter) als gut und begehrenswert erkannt. 
Der Wille, der dieser Erkenntnis folgt, wird Wille als Natur* ge- 
nannt (2. dist S9. q; 2. a. 2. ad 2.). - . * . 

An einer andern Stelle fragt S. Thomas, ob in Christus zwei 
geistige Strebevermögen gewesen seiend' Die Antwort darauf l&utet: 
^Der Wille wird manchmal für den Act, manchmal für die f^otenz 
genommen. Versteht man unter Willen den Act, dann muss aner-. 



— '26 — 

kannt werdeD, dass in Christus zwei geistige Willen, d. b. zwei 
Arten von Willensaeten gewesen sind. Denn der Wille strebt, wie 
anderswo nachgewiesen wurde (1.2. q. 8. a. 2. et3.), sowohl nacb 
dem Ziele, als auch nach den Mitteln zum Ziele (est earum quae 
sunt adfinem), und er begehrt beides auf verschiedene Weise. 
Das Ziel verlangt er schlechthin und absolut als ein Gut an und 
für sich; das Mittel zum Ziele dagegen strebt er mit einer ge- 
wissen Vergleichung an, nämlich insofern es durch Einordnung 
zu einem andern Güte besitzt. Darum ist anderer Art der Willens- 
act insofern er sich auf etwas bezieht, was an und für sich oder 
um seiner selbst willen gewollt ist, z. B. die Gesundheit ; und 
wieder anderer Art der Willensaet, der sich auf dasjenige er- 
streckt, was bloJ3 wegen Hinordnung zu einem andern gewollt wird, 
z. B. der Gebrauch von Medicinen. Ersteren Willen nennen Da- 
mascenus Thelesis, d. h. einfach Willen, die Magistri Willen als 
Natur. Letzterer heißt nach Damascenus Boulesis, d. h. berathender 
Wille-, gemäß der Sentenz der Magistri wird er Wille als Ver- 
nunft genannt. Diese Unterscheidung der Acte bewirkt aber keinen 
Unterschied der Potenz ; denn beide Acte erfolgen mit Bezug anf 
den einen gemeinsamen formellen Grund: das Gut als solches. 
Spricht man also vom Willen als Potenz in Christus, so war dem 
Wesen nach, nicht durch Antheilnahme, nur ein menschlicher Wille 
in ihm. Meint man hingegen damit den Willensaet, so muss man 
in Christus den Willen als Natur, der Thelesis genannt wird, 
unterscheiden vom Willen als Vernunft, der Boulesis heißt (3. p. q. 18. 
a. 3.) Man vergleiche daselbst a. 4. und 5. Ebenso q. 21. a. 3. 

Der englische Lehrer zieht, um die Unterscheidung des 
Willens in den Willen als Natur und als. Freiheit klar zu machen, 
einen Vergleich zwischen Verstand und Vernunft im Erkenntnis- 
vermögen. Die Potenzen, die der Erkenntnis dieüen, und die- 
jenigen des Strebevermögens, müssen sich gegenseitig entsprechen. 
Für die geistige Erkenntnis haben wir den Verstand und die 
Vernunft. Daher müssen auf selten des Strebevermögens der Wille 
und die Freiheit oder Wahlkraft angenommen werden. Dies wird 
umsomehr einleuchten, wenn wir die Objecte und Acte derselben 
einer Betrachtimg unterziehen. Verstehen bedeutet soviel ald etwas 
schlechthin erfassen. Daher bezieht sich das Verstehen eigentlich 
auf die Priucipien, die ohne Vergleichung durch sich selber er- 
kannt werden. Schließen dagegen besagt eigentlich soviel als von 
den^ einen zur Kenntnis des andern gelangen. Diese Schluss- 
folgerungen aber ergeben sich aus den Principieq. Auf dieselbe 
Art .bedeutet Wollen einfach ein Ding begehren oder nach einer 
Sache streben. Darum bezieht sich der Wille auf das Ziel; das 
um seiner selbst willen begehrt wird. Auswahlen hingegen ist 
soviel als etwas anstreben, um damit ein anderes zu .erreichen. 
Die Wahl zielt daher auf die Mittel ab. Wie sich bei der Er- 



— 27 — 

kenntnis das Princip znm Schiasse verhält, so verhält sich be- 
züglich des Strebens das Ziel oder der Zweck zum Mittel. Den 
Schlüssen stimmen wir der Principien wegen bei, das Mittel ver- 
langen wir um des Zieles willen. Daraus folgt weiters, dass die 
Freiheit sich zum Willen verhält, wie die Vernunft zum Verstände. 
Verstand und Vernunft bilden jedoch eine Potenz, folglich ebenso 
Wille und Freiheit (1. p. q. 88. a. 4.). Das Wort: Wille absolut ge- 
noDomen bezeichnet den Willen als Natur; der Wille, der einen 
Bath von Seiten des Verstandes voraussetzt, ist identisch mit der 
Freiheit (2. dist. 24. q. 1 . a. 3). Es unterliegt folgerichtig gar keinem 
Zweifel, dass wir einen natürlichen Willen besitzen, durch 
welchen vdr dasjenige begehren, was dem Menschen, insofeme 
er Mensch- ist, als ein Gut erscheint, und dieser Wille folgt auf 
die Erkenntnis der Vernunft, die etwas absolut betrachtet (1. dist. 48. 
q. 1. a. 4.). Der Wille als Wahlfreiheit unterscheidet sich der Natur 
gegenüber wie eine Ursache von der andern. Manches geschieht 
auf natürliche Weise, manches mit Willen. Es gibt aber noch 
eine ferneVe Art zu wirken, neben derjenigen die der Natur, 
welche zu einem bestimmt ist, zukommt. Und diese Art ist dem 
Willen eigenthümlich, weil er J9err seiner Acte ist. Da indessen 
der Wille in einer Natur seinen Grund hat ffundaturj, so ist es 
nothwendig, dass die Art, die der Natur eigen ist, einigermaßen 
vom Willen getheilt werde. Das Spätere hat Antheil an dem, 
was dem Frühern gehört. Früher ist in jedem Dinge das Sein, 
welches das Ding durch die Natur besitzt, als das Wollen, welches 
es durch den Willen hat. Aus diesem Grunde begehrt der Wille 
manches natürlich (1. 2. q. 10. a. 1. ad 1.). Die Natur und der 
Wille stehen demnach in einem solchen Verbältnisse zu einander, 
dass der Wille selbst eine gewisse Natur ist, weil alles, was in 
der Wirklichkeit vorhanden, eine gewisse Natur bildet. Darum 
finden wir im Willen nicht allein das, was ihm als Wille, sondern 
auch das, was ihm als Natur zukommt. Folglich wohnt dem Willen 
ein gewisses natürliches Streben nach dem cönvenierenden Gut 
inne. Neben diesem begehrt er aber noch etwas .aus eigener Be- 
stimmung, nicht aber aus Nothwendigkeit. Dies kommt ihm als 
WilW zu. Wie die Natur zum Willen sich verhält, so verhält sich 
das, was der Wille nfttürlich begehrt, zu dem, wofür er nicht 
aus *der Natur, sondern aus sich selber bestimmt wird. Gleichwie 
daher die Natur das Fundament für den Willen abgibt, so ist 
das Begehrenswerte, das natürlich angestrebt wird, das Pripcip 
und Fundament für alles andere Begehrenswerte. Daraus geht 
zur Evidenz hervor, das der Wille etwas mit natürlicher Neigung 
begehrt (de veritate q. 22. a. 5.). 

14. Die Lehre des heil. Thomas Jlber den Willen als Natu/ 
dürfte nunmehr aus den soeben citierten Stellen vollkommen ein- 
leuchten. Wir haben diesen Willen früher auch 'Naturnöth wen- 



— 28 — . . 

Jlatur^iaxft^*^^** ^^^ ^^^®^* bestimmt nämlicb den Willen als 
dieses ObWf *^ ^^ einem, so dass er nicht das Gegentiieil 
nach ein ij.^^"^®^ ^*^^' ^^^ ^^®®® Weise versetzt es ihn 
Actes in ^ ^ Richtung hin, in Betreff der Specificierung seines 
vom bocto "^A ^^^^^^^ d®r Nothwendigkeit. Der Wille als Uatur, 
aich df^m^^ Angelieus schlechthin JTatur genannt, unterscheidet 
ok mt« . ^^^ ^Ulen als Freiheit dadurch, dass der Wille 
^P«s^n t • ^^^ ^®*^g auf das Object bestimmt ist und infolge 
^Ar Will ^^^ ^^*®°2 für das Gegentheil des Objectes hat, während 
^p w ® Freiheit diese Bestimmung nicht kennt, folglich die 

TT tpi. ,^^f «führte Potenz flir das Gegentheil beibehält. Dieser 
Ijnierseined igt darin begründet, dass die Wirkung der Form des 
AgenS) durch welche dieses wirkt, ähnlich ist. Jedes Ding besitzt 
aoer nur eine natürliche Form, jene nämlich, wodurch es 
h^ ' Daher wirkt jedes Dinjg in der Weise, wie es selber 
b^^?|jp?^ ist. Die Form dagegen, durch welche der Wille als 
Wahlfreiheit wirkt, ist nicht eine einzelne, numerisch bestimmte, 
sondern es sind deren mehrere, ja sehr viele, weil ei mehfere, 
sehr viele erkannte, von der Vernunft gebildete Vorstellungen 
gibt. Was somit durch den Willen als Freiheit gewirkt wird, das 
ist nicht ein solches wie das Agens selbst ist, sondern wie das 
Agens erkennt und will. Darum bildet der Wille als Freiheit 
das Princip für jene Dinge, die so oder ' auch anders ausfallen 
können. Für jene Dinge hingegen, die nur auf eine Weise verwirk- 
licht' werden, .die nur so und nicht anders sein können, ist der 
Wille als Natur das Princip (1. p. q. 41. a. 2.). Der Natur ent8i(richt 
indessen immer einea^ das zu ihr in einem richtigen Verbälti^isse 
stejit. Der Natur in der Gattung e9tspricht eines in der Gattung, 
der Natur in der Art, einßs in' der Art; der individuellen Natur 
eines, das individuell ist. Zu diesem einen ist die Natur be- 
stimmt, wie wir früher bei der Erklärung des Wortes „Bestimmung^ 
nachgewiesen haben. Der Wille ist^ gleich d^m Verstände, eine 
immaterielle Kraft. Daher entspricht ihm ganz naturgemäß eines, 
das, wie er selb.st, univeraell ist, nämlich das Gut im allgemeinen. 
Dem Verstände entspricht das Wahre und Seie|;ide im allgemeinen. 
Zu dem Gut im allgemeinen ist darum der Wille, zu dem^Wahren. 
und Seienden im allgemeinen der Verstand bestimmt* Dieses 
Object begehrt folglich der Wille aU Natur. Allein das Gut im 
allgemeinen enthält viele particuläre Güter, und zu keinem der- 
selben ist er als immaterielle Kraft bestimmt. 'Nach jedem der- 
selben strebt er daher mit Freiheit, nicht mit Nothwendigkeit 
(1.2. q. 10. a. J. ad 3.). 

Von der Naturnothwenäigkeit des Willens kann man 
^Iso in zweifacher Weise sprecben: entweder indem man dem 
Willen in sieh als eine Potenz der Seele, oder indem man ihna 
in seiuer* Beziehung zu deip Objecte betrachtet. Der Wille alsi 



— 29 — 

Potenz ist eine natürliche Kraft der Seele, so dass er mit Noth- 
wendigkeit aus der Natur folgt. Er bildet ein accidens proprium 
nicht ein accidens per accidens der vernünftigen Natur. Manchmal 
\nrd aber die Bewegung oder der Act des Willens ebenfalls 
Wille genannt. In diesem Sinne gefasst ist der Wille bisweilen 
natürlich und nothwendig, z. B. hinsichtlich der Glückseligkeit, 
bisweilen hingegen frei, weder nothwendig noch natürlich, je 
nachdem die Vernunft, die das Princip dieser Bewegung ist, dem 
Willen ein nothwendiges oder freies Object vorstellt (3. p. q. 18. 
a, 1. ad3.). Wird ihm das Gut im allgemeinen vorgehalten, so 
will er es mit einer Nothwendigkeit, wodurch die Potenz, das 
Vermögen für das Gegentheil ausgeschlossen wird. Wenn darum 
der Mensch nothwendig glücklich sein will, und das muss er, 
so kann er nicht zugleich unglücklich sein wollen (2. dist. 39. q. 2. 
a. 2. ad 5.). 

Wie indessen jeder bemerken kann, betrifft diese Nothwen- 
digkeit das Object, weil der englische Lehrer behauptet, sie 
schlieJBe das gegentheilige Object aus. Die Stelle aus dem dritten 
Theile seiner theologischen Summa, die wir soeben angeführt, 
scheint aber noch auf eine andere Nothwendigkeit Rücksicht zu 
nehmen. Der Doctor Angelicus spricht nämlich daselbst von einer 
Bewegung oder einer Thätigkeit des Willens. Und von dieser 
Thätigkeit, dieser Bewegung des Willens, sagt er, sie sei bis- 
weilen eine natürliche und nothwendige, bisweilen aber nicht. 
Dem aufmerksamen Leser wird jedoch nicht entgangen sein, was 
der englische Meister daselbst weiter bemerkt, die Vernunft sei 
das Princip dieser Bewegung, dieses Willensactes. Wie geneigt 
man also auch, an sich genommen, sein könnte, hier wirklich an 
eine subjectiv (quoad exercitium adw«^ nothwendige Bewe- 
gung ^es Willens zu denken, so zwingen uns doch die Worte: 
„die Vernunft ist das Princip dieser Bewegung", sie ausschließ- 
lich obj ectiv zu fassen. Die Vernunft, so haben wir früher nach- 
gewiesen, bewegt den Willen hier auf Erden nur obj ectiv, nie 
subjectiv, so dass der Wille infolge dieser Bewegung keines- 
wegs einen Act vollzieht. Die Naturnothwendigkeit, von welcher 
wir in diesem Paragraph gesprochen, berührt folgerichtig den 
Willensa et selbst in keiner Weise. Der englische Lehrer redet 
nur vom Objecto, welches die Vernunft dem Willen vorstellt. 
Dieses Object ist manchmal, wenn es dem Willen als Gut und 
Glückseligkeit im allgemeinen dargestellt wird, von der Beschaffen- 
heit, dass er es nicht zurückweisen, nicht ein anderem an dessen 
Stelle wollen kann. Alle andern Objecto will er frei, keines 
mit Nothwendigkeit. Ebenso ist er jederzeit frei hinsichtlich 
seines Actes seiner Thätigkeit. In dieser letztern Beziehung ist 
von einer Naturnothwendigkeit des Willens überhaupt 
keine Bede. 



— 30 — 

Dieee Lehre des heil. Tkomas ist entscheidend für unsere 
ganze Frage nod bietet den ScblUssel zur LOaang der Schwierig- 
keit, wie die physische Yorherbewegnng und die Freiheit nebea- 
einander nngestijrt and friedlich bestehen kltnnea. 

15. Nach welchem Objecte strebt nnu der Wille mit Noth- 
wendigkeit? welchen Gegenstand begehrt er auf natarliche Weise, 
nicht ans freier Wahl? Wir werden zunächst mit dem englischen 
Lehrer eine mehrfache Koth wendigkeit nuterscheiden mtlsseo. 
Nothwendig kann etwas nach S. Thomas in mehr als einer Be- 
ziehung genannt werden. Nothwendig bedeutet, dass etwas nicht 
nicht sein könne, oder dass es sein müsse. Dies kann nun seinen 
Grund in einem innem materiellen Principe haben, wie wir z. B. 
sagen, das aus Gegensätzen Zusammengefügte unterliege noth- 
wendig der Zerstörung und Auflösung, oder es hat den Grund 
der Notbwendigkeit in dem formellen Principe, demgemäß wir 
sagen, das Dreieck uilisse nothwendig drei Winkel haben, die 
zwei rechten gleichkommen. Diese zwei Arten von Notbwendig- 
keit sind natürliche nnd absolute. Andererseits kann etwas nicht 
Dicht sein infolge einer äuJ3em Ursache oder in Hinsicht anf das 
Ziel, wenn jemand ohne dieses gar nicht, oder wenigstens nicht so 
gat das Ziel erreichen wtlrde. Anf diese Weise ist die Nahrung^ 
zum Leben, das Pferd für eine Reise nothwendig. Diese Noth- 
wendigkeit nennt man auch die Notbwendigkeit des Zieles, bis- 
weilen heißt sie Nützlichkeit (1. p.q. 82. a. 1.). 

Dies vorausgesetzt, lässt sich nun mit Leichtigkeit bestinuneo, 
welche Objecte der Wille mit Notbwendigkeit begehrt Zunächst 
ist es das Gut im allgemeinen ; dann das Endziel oder die Gläck- 
seligkeit; endlich alles das, was mit dem Endziele in einem noth- 
w endigen Zusammenhange steht. Wie die Principien der gei- 
stigen Erkenntnis auf naturgemäße Weise erkannt werden, so 
muss anch das Princip der Bewegungen unseres Willens etwas 
natürlich, nicht frei Gewolltes sein. Dies ist thatsächlich das Gut 
im allgemeinen, nach welchem der Wille anf dieselbe natürliche 
Weise strebt, wie jede andere Potenz nach ihrem eigenen Ob- 
jecte. Ein nothwendig gewolltes Objeet ist femer das Endziel, 
welches in der Praxis dieselbe Bedeutung hat, wie die ersten 
Principien in der Speculaüon. Endlich bildet alles das, was dem 
Willen überhaupt zukommt, ein Objeet, das den Willen nSthigt 
Der Wille begehrt nicht allein das, was zu seinem Wesen aU 
Potenz gehört, sondern alles, was den einzelnen Potenzen, was 
dem ganzen Menschen zuträglich ist. Aus diesem Gründe strebt 
der Mensch auf natürliche Weise nicht allein nach dem Gegen- 
stande des Willens selber, er begehrt auch anderes, was den 
Übrigen Potenzen conveniert, z. B. die Erkenntnis des Wahren, 
die unmittelbar Sache des Verstandes ist, das Dasein, das Leben 
und was immer zur Consistenz des Menschen erforderlich ist; 



— 31 — 

karz: alle diese particalären Guter siod im Objecte des Willem 
eiogeschlosBea (1. 2. q. 10. a. I.). Diese Güter sind, mit AnsDabme 
der Glückseligkeit, selbstverständlich nnr bedingungsweise gewollt, 
d. h. unter der Voraussctzang, dass der Wille seine Glückseligkeit 
wirklich zu erreichen begehrt Die Glückseligkeit selbst hingegen 
ist absolot gewollt. Mit absoluter Nothwendigkeit strebt der Wille 
Dar nach dem Tollkommenen Gut. Vollkommen nennen wir 
dasjenige, dem nichts fehlt. Ein solches Gut kann der Wille nicht 
nicht wollen. Das Endziel ist aber ein solches Gut. Mit der uSm- 
tichen Nothwendigkeit strebt der Wille auch nach allen jenen 
Dingen, die zu dem Endziele eine derartige Beziehung haben, 
daes es ohne sie nicht eiTCicbt werden kann, z. B. das Dasein, 
das Leben (1. c. ad 3.). Ähnlich verhält es sich mit den Mitteln. 
Kann man nur durch ein Mittel znm Ziele gelangen, so muss 
man, vorausgesetzt, dass man das Ziel begehrt, auch das Mittel 
wollen. Wer z. ß. ttber das Meer fahren will, der muss nothwen- 
digerweise ein Schiff verlangen. Diese Nothwendigkeit steht in- 
dessen keineswegs im Widerspruche mit dem Willen, weil es 
nicht eine absolote, sondern eine bedingte ist. 

16. Die Nothwendigkeit, absolnte wie bedingte, ist in Betreff 
mancher Objecte nicfat bloß dem menschlichen Willen eigen, sie 
findet sich auch in Gott. Der englische Lehrer hat sich hierüber 
in der unzweideutigsten Weise ausgesprochen. In der Summa 
contra Gentes führt er fünf Beweise dafür an, dass Gott sein Da- 
sein und seine Güte mit Nothwendigkeit will. „Gott will 
nothwendig sein Dasein und seine Güte, heisst es dortselbst, und 
er kann nicht das Gegentheil davon wollen. Gott will sein 
Dasein und seine Güte als Hanptobjeet und als formellen Grund, 
warum er alles anders will. Wass immer er demnach begehrt, 
ist nnr insofern ein Gegenstand seines Willens, als er darin sein 
Dasein und seine Güte will. Das Auge sieht in jeder Farbe das 
Licht. Gott muss aber alles in aetu wollen, er kann niemals bloß 
in der Potenz wollend sein. Er muss folglich nothwendig sein 
Dasein und seine Gute begehren. Er will überdies mit derselben 
Nothwendigkeit sein Endziel, mit welcher der Mensch nach seiner 
Glückseligkeit strebt. Gott kann aber auch so wenig wie der 
Mensch unglücklich seih wollen. Als Endziel aber will er sich 
selber, folglich will er mit Nothwendigkeit seine E^stenz und er 
kann unmöglich nicht sein wollen. 

Dies lässt sich noch ans einem andern Grund nachweisen. Be- 
züglich des Strebens und der Tbätigkeiteu ist fllr die Praxis das 
Endziel genau das, was in der Speculation das in und durch sich 
bekannte, daher nnbeweisbare Princip ist. Denn wie in der Wissen- 
schaft aus den Frincipien die Schlussfolgerungen abgeleitet werden, 
ebenso wird der formelle Grund ftir alles das, was man will oder 
thut, vom Endziele hergenommen. Der Verstand stimmt aber in der 



— 32 — 

Wissenschaft den ersten Principien mit einer solchen Nothwendigkeit 
bei, dass er dem Gegentheile unter keiner Bedingung seinen BeipstU 
zollen kann. Mit ganz der gleichen Nothwendigkeit begehrt folgÜch 
auch der Wille das Endziel. Unmöglich kann er das Gegentheil wollen. 
Weil aber Gott kein anderes Endziel hat als sich selber, muss er 
sich sein Dasein mit Nothwendigkeit begehren.'' Aus dieser Argu- 
mentation des Doctor Angelicas geht hervor, dass Gott etwas mit 
absoluter Nothwendigkeit will. Er hat eine absolut nothwendige Be- 
ziehung zu seiner eigenen Güte, weil sie das seinem Willen eigen* 
thttm liehe Object ist. Gleichwie daher unser Wille nothwendig 
die Glückseligkeit, und ilberhaupt jede Potenz ihr eigentliches und 
vorzügliches Object, z. B. das Auge die Farbe begehrt, ebenso 
nothwendig will Gott seine Güte und sein Dasein (1. p. q. 19. 
a. 3. — ib. a. 10. — ib. q.41. a.6.ad3. — ib. q.46. a. 1. — a. 2.). 
Gott will femer manche Dinge bedingungsweise, gleichwie 
der Mensch sie will, mit dem Unterachiede jedoch, dass der 
Mensch sein Endziel damit zu eiTcichen strebt, während Gott das 
Endziel schon besitzt. Gott will demnach viele Dinge, nicht um 
dadurch seine Güte und Glückseligkeit zu erlangen, sondern selbe 
zu offenbaren und andern mitzutheilen. Jedem Wesen kommt 
naturgemäß nur ein letztes Ziel zu, welches von ihm mit natür- 
licher Nothwendigkeit gewollt wird. Die Natur strebt immer nach 
einem. Weil indessen zu diesem einen Ziele gar vieles bin- 
geordnet werden kann, deshalb kann die vernünftige und geistige 
Natur vielerlei anstreben und viele Mittel zum Ziele auswählen. 
So z. B. will Gott naturgemäß seine Güte als Endziel und eigent- 
liches Object. Diese kann er unter keinen Umständen nicht wollen. 
Zu dieser seiner Güte können indessen viele Modus und Ab- 
stufungen der Dinge hingeordnet werden. Sein Wille bezieht sich 
daher nie derart auf eines seiner Geschöpfe, dass er, an sich 
genommen, sich nicht auf andere ebenfalls beziehen könnte (de 
malo q. 16. a. 5.). Der Grund davon liegt offen zu Tage. Die Crea- 
turen will Gott erst in zweiter Linie. Jeder Wille hat nämlich zwei 
Objecte: einen Hauptgegenstand und einen gleichsam secundären. 
Zu dem Hauptgegenstande wird der Wille seiner Natur nach 
hingezogen, weil der Wille selbst eine Natur bildet und natür- 
liche Beziehung zu einem andern hat. Dieses Object begehrt der 
Wille auf natürliche Weise, wie z. B. der menschliche Wille die 
Glückseligkeit, nach welcher er mit Nothwendigkeit strebt, indem 
dieses per modum naturae geschieht. Secundäre Objecte sind alle 
jene Dinge, die zu dem Hauptgegenstande, als dem Ziele, irgend 
eine Beziehung haben. Hinsichtlich dieser beiden Objecte und des 
Willens besteht dasselbe Verhältnis, wie zwischen den ersten Prin- 
cipien und Schlussfolgerungen und dem Denkvermögen. Der gött- 
liche Wille hat dasjenige zum Hauptobject, was er naturgemäß 
will und was gleichsam das Endziel seines Willens ist, nämlich 



seine eigene Gate. Um dieser Gute willen begebrt er alles, was 
er Oberhaupt will. Wegen seiner Gtite will er die Geschöpfe, wie 
Angastinns bemerkt, damit seine Gute, die der Wesenheit nach 
nicht Terrieißlltigt werden kann, wenigstens durch Antheiluabme 
an seiner Äbnliefakeit vielen Dingen zutheil werde. Was demnach 
Gott in Betreff der Creatnren will, das ist sozusagen secundäres 
Object. Alles das will er seiner Gtlte wegen. Seine Gute bildet 
ferner den Grund, die ratio volmdi, dass er alles andere will, 
gleichwie seine Wesenheit der formelle Grund ist, dass er alles 
erkennt {de veritate q. 23. a. 4.). 

Ebenso begehrt der Engel etwas mit absoluter Nothwendig- 
keit Auch er will nothwendig glücklich sein, niemals strebt 
er nach dem Elende, wie Augustinus sagt. Weil jedoch viele 
Dinge xu dieser Glückseligkeit hingeordnet werden können, des- 
halb steht es dem Willen des Engels gerade so wie jenem des 
Menschen voilkommen frei, die verschiedenen Mittel auszuwählen 
(de malo q. 16. a. 5. — 1. p. q. 60. a. 1.). 

17. Ans dem ist klar ersichtlich, dass alle mit Verstand und 
Willen ausgestatteten Wesen ein b j e c t haben, das sie mit 
absoluter Nothwendigkeit wollen. Selbst Gott macht hierin keine 
Ausnahme. Ebenso gibt es in allen eine bedingte Nothwendigkeit, 
die der heil. Thomas Nothwendigkeit des Zieles nennt. Will näm- 
lich ein solches Wesen irgend ein Ziel, so muss es auch die Mittel 
zu diesem Ziele wollen. Hinsichtlich der Mittel im einzelnen, ob 
dieses oder jenes zu wählen sei, herrscht vollkommene Freiheit, 
wenn es mehr als ein Mittel gibt, wodurch das Ziel eiTeicht 
werden kann. Aber selbst in Betreff des Zieles kann der Wille 
noch in doppelter Weise frei sein. Solange der Gegenstand, 
in welchem der Wahrheit gemäß das Endziel des Geschöpfes 
begründet liegt, dem Willen nicht anmittelbar vorgestellt wird, 
begehrt der Wille diesen Gegenstand nicht mit objectiver 
Nothwendigkeit. Er kann diesen Gegenstand abweisen und 
sich für einen andern entscheiden. Er begehrt ihn aber auch snb- 
jectiv nicht mit Nothwendigkeit Er kann, wenn der 
Gegenstand vorgestellt wird, die Gedanken davon abwenden, folg- 
lich bezüglich dieses Gegenstandes keinen Act aosHben, 
ihn in Wirklichkeit nicht wollen. In Gott verhält sich die 
Sache anders, denn seine Gtlte, real identisch mit seiner Wesen- 
heit, bildet den Gegenstand selbst, den er nothwendig will. 
Überdies ist sein Verstand und Wille niemals in der Potenz, son- 
dern stets im Aote, ja Aot nnd Object zugleich. 

Nunmehr hält es nicht schwer, zu begreifen, was der eng- 
lische Lehrer unter der Natnmothwendigkeit des Willens ver- 
standen hat. Passen wir seine Doctrin Übersichtlich zusanmieu. 
Wir stellen zu diesem Zwecke zwei Fropositionen auf. 

Erste Proposition: Die Nothwendigkeit bezieht sich anf 
Fcldner, WUlMafreilieit. 3 



— 34 — 

gar kein in der Wirklichkeit existierendes Objeet. Solange wir 
hier auf Erden leben, ist selbst Gott nicht ein Gegenstand, den der 
Wille mitNothwendigkeit begehrt. Der heil. Thomas lehrt dies- 
büglich: „Da jedes Ding nach seiner Vollkommenheit strebt, so 
begehrt es dasjenige als Endziel, was in der Weise ein Gut ist, dass 
es das Verlangen des Strebenden stillt. Das Endziel muss die 
ganze Sehnsucht des Menschen befriedigen, so dass nichts mehr 
übrig bleibt, was er begehren könnte (1. 2. q. 1. a. 5.). Dieses End- 
ziel begehren alle Menschen, denn alle wünschen ihre endgiltige 
Vervollkommnung.** Allein wo existiert dieses Gut in der Wirk- 
lichkeit für uns hier auf Erden? Nirgends. Daher suchen es 
die einen in den Reichthümern, die andern im Vergnügen, die 
dritten in noch etwas anderem und so fort (1.2. q. 1. a. 7.). Im 
dritten Buche seiner Summa contra Gentes zählt der englische Lehrer 
wenigstens fünfzehn Objecte auf mit der Frage: ob in einem dieser 
Gegenstände die Glückseligkeit des Menschen beschlossen sei? 
Es geschieht hier so ziemlich von allem Erwähnung, was der 
Mensch begehren kann. Keines dieser Objecte, erklärt der eng- 
lische Meister, enthält in der Wirklichkeit die Glückselig- 
keit, nach welcher unser Wille strebt. Sinnliche Vergnügungen, 
Ehren, Weltruhm, Reiehthümer, irdische Macht, leibliche Vorzüge, 
oder was überhaupt dem sinnlichen Theil des Menschen an- 
genehm ist, Übung der moralischen Tugenden, vollendete Klng- 
heit, Kunst, die Erkenntnis Gottes aus der Betrachtung seiner 
Werke, die Erkenntnis Gottes, wie die Gelehrten sie besitzen, 
das Wissen über Gott durch den Glauben, die Erkenntnis 
über die Engel : kurz, kein Gegenstand macht für uns auf dieser 
Welt jene Vollkommenheit aus, die wir als unser Endziel be- 
gehren (3. contr. Gent. c. 27. — 45.). Existiert demnach kein Objeet, 
hat kein allseitig vollkommener Gegenstand in der Wirk- 
lichkeit Dasein, dann strebt der Wille nach keinem mit Noth- 
wendigkeit, begehrter keinObject, keine res auf naturgemäße 
Weise. Jedem gegenüber ist sein Verhältnis ein durchaus freies. 
Das Gut und die Glückseligkeit im allgemeinen bilden folglich 
nicht das objectum quod, sondern quo. Sie existieren ja in der 
Wirklichkeit nirgends für uns. Sie sind thatsächlich etwas rein 
Ideales oder, wie der englische Lehrer bemerkt, principium in- 
tentionis. Für den Willen sind sie daher nur die ratio volendi, der 
formelle Grund, unter welchem der Wille alles begehrt, wie die 
beleuchtete Farbe die ratio videndi für das Auge bildet. Gleich- 
wie aber das Auge ganz und gar frei ist, diesen oder jenen 
Gegenstand zu sehen, ebenso, allerdings in einem noch weit 
höherem Grade, ist der Wille frei, irgend eines der geschaffenen 
Güter zu begehren. Von keinem wirklichen Objecte geht eine 
derart nöthigende Bestimmung aus, dass der Wille es wollen 
müsste, dass er nicht das Gegentheil desselben wollen könnte. 



Wir können den Beweis dafür noch in einer aadero Weise 
tiihren, ausgebend von dem Grandsatze, daas das Endziel l'Ur die 
Praxis die nämliche Bedeutung hat, wie die ersten Primiiiieu fllr 
die äpecnlation. Den ersten Frincipien Btimmt der Verstand natflr- 
licherweise und mit Nothwendigkeit bei. Das gleiche uiuhs vom 
Willen befaanptet werden. Das Endziel will er natürlich und uoth- 
wendig. In der Wieseascbaft finden sieb nun Wahrheiten, die mit 
den ersten Frincipien nicht in einem nothwendigen Ziisammen- 
bauge stehen, z. li. die contingenten PropoBitionen. Kttumt man 
diese nicht an, so werden die ersten Frincipien dadurcli nicht 
umgestoßen. Den Wahrheiten dieser Art stimmt der Verstand 
nicht mit No thwendig,keit bei, wenngleich hingicbtlich der 
Frincipien selbst das Gegentheil der Fall ist. Geradeso verhält es 
sich mit dem Willen. Einige particuläre Güter haben mit der 
Glückseligkeit keinen notfaweodigeu Zasamlnenhang, , so ilase je- 
mand auch ohne sie glücklich sein ^ann« Zu Gittern dieser Alt ■ 

'neigt sich der Will« nicht mit Nothwendigkeit, obgleich, 
er nothwendig glücklich sein will. Nehmen wir indessen an, 
die particulären Güter, oder wenigstens einige derselben wären 
nothwendige, sie hätten mit der Glückseligkeit einen muh wen- 
digen Zusammenhang: wir mUssten nichtsdestoweniger behaup- 
ten, dasB der Wille sie nicht mit Nothwendigkeit begehrt. 
Manche Propositionen, erklärt der beil. Thom&s weiter, sind noth- 
wendige, weit sie mit den ersten Frincipien einen notliwendigen 
Zueammenbang aufweisen, z.'B. die demonstrativen äcbhisafolge- 
rnngen. Negiert man diese, so fallen damit anCh die Frincipien. 
üiesen Schlnssfolgernngen stimmt dämm der Verstand m i t Noth- 
wendigkeit hei, sobald er den nothwendigen Zusanintenhang 
derselben mit den Frincipien auf dem Wege der Demonstration 
erkannt bat. Allein, solange er die Nothwendigkeit dieses 
Zaaammenbanges nieht durch Demonstration erkennt, ist seine 
IJeistimmnng nicht eine nothwendige. Ebenso gibt e^^ Gilter, 
die mit der Glückseligkeit nothwendig Zusammenbau ^-cn, jene 
cämlicb, durch welche der Mensch Gott anhängt, in dem allein 
das wahre GlBok des Menschen liegt. Bevor jedoch die Noth- 
wendigkeit dieses Zusammenhanges nicht durch die Uewiss- 
beit der Anschauung' Gottes erwiesen !st, bangt der Wille 

'Selbst Gott nicht mit Nothwendigkeit an, nucb viel 
ffen^r irgend einem andern Gut, das Gott gehCrt. Der Wille 
desjenigen aber, der Gottes Wesenheit schaut, hängt Gott 
ebenso mit Nothwendigkeit an, wie wir jetzt hier auf Erden 
nothwendig glücklich sein wollen (1. p. q. 8'2. a. 2.). 

18. Die Natiirnothwendigkeit des Willens lässt sich denmacb, 
der Lehre des heil. Thomas vollständig entsprechend, in lullender 
Weise darstellen: Der Wille strebt mit Nothwendigkeit und natur- 
gemäß nach dem formellen Grunde, nach der Gute. Nichts begehrt 



— 36 — 

4 

• 

er^ außer es ist ein Gut, wie das Äuge nichts sieht, auJ3er das Ge- 
färbte als solches. Das Böse als solches kann der Wille nicht 
begehren, dafür hat er gar keine Potenz. Wornach immer er strebt, 
und wie beschaffen der Gegenstand sonst auch sein möge, er will 
nur das Gut als solches, er begehrt alles sub ratione boni. Würde 
er je, was übrigens unmöglich ist, das Böse als solches anstreben, 
so müsste er dabei sich selber zerstören, weil er gegen seine eigene 
Natur handeln würde. Das Böse zu wollen ist indessen unmöglich, 
weil er das Gut mit Noth wendigkeit begehrt. Und würde. 
Gott ihm je zum Bösen als solchem bewegen, so wäre das Ge- 
walt. Zwingen aber lässt sich der Wille nie, und von keiner Macht, 
welcher Art »sie immer sei. Was gegen, den Willen ist, das stammt 
eben nicht vom Willen, das ist nicht sein Werk. -Die einzige 
Nothwendigkeit* für ihn ist also ausschließlich die, dass er alles, 
was 6r begebrt,' als eib Gut erstrebt. Er kann nicht etwas, das 
ütcht ein G.ut ist, ve^lang^n. Gbtt ha.t ihn so geschaffen, diese 
3estimtnnng, Beschränkung, wenn man es so nennen wiU, in seine 
Natur, in seiH Wesen gelegt. Jedermann sieht, dass hier von 'einer 
Bewegung im eigentlichen Sinne weder die Rede ist, noch sein 
kann. Wenn daher in neuerer Zeit die Theorie i^ertheidigt wird, 
Gott bewege den Willen natürlich und nothwendig, d. h. unfrei 
zum Guten und zu der Glückseligkeit im allgemeinen, und diese 
Bewegung sei, wie alle wissen, allgemeiner* Natur, so kann darunter 
nichts anderes verstanden werden, als die von uns soeben dar- 
gelegte objectiv formelle Bestimm'ung zum Gut. Dieser Theorie 
gemäß ertheilt Goffc der Creatur weiter nichts als die ratio volendi, 
den formellen Grund, unter welchem der Wille alles begehrt, 
was er anstrebt. Da nun diese ratio volendi in der Natur, im 
Wesen des Willens selber ihren eigentlichen Grund hat, indem 
der Wille von Natur aus nur ein Gut als solches (sub ratione 
boni) anstreben kann, so ist, wenn mau die Gesetze der Logik 
überhaupt noch zu Worte kommen lässt, von einer Bewegung 
durch Gott nicht mehr die Bede. Niemand wird im Ernste be- 
haupten, derjenige, der dem Auge die Einrichtung gegeben hat, 
dass es nur die Farbe sehen kann, sei die bewegende Ursache, 
dass das Auge sieht Und diese Bewegung, dieses Sehen sei ein* 
natürliches und notSwendiges, d. h. un&eies. Doch davon wird 
später noch zu sprechen Gelegenheit sein. » 

Außer dieser ratio volendi, außer dieser von Gott selbst (^m. 
Willen in seine Natur, in sein Wesen gelegten Bestimmung, dass 
er immer nur das Gut als solches, nie das Böse, und dieses 
letztere nur stib ratione boni begehren kann, existiert für den 
Willen keinerlei absolute Nothwendigkeit. Kein geschaffenes Ob- 
ject strebt er objectiv auf natürliche Weise und mit Nothwendig- 
keit an; denn keines ist allseitig ein Gut, keines bildet somit 
für den Willen das adäquate objectum quod. Alle geschaffenen 



. . •— 37 — 

Dinge sind eigeiAlicb aar Mittel za dem Endziele,, zn dem all-, 
seitig Tollkommeaea Gat, der 'GlttckBeligkeit dea Willens, and 
keines steht damit in einem notliweiidigen Zusammenbange. 
Das Objactum qitod der Glückseligkeit ist fllr dea Heaschen etwas 
rein Ideales, es bat keine Wirklichkeit. 

Docb nein, es bat Wirklichkeit, am meisten Wirklichkeit von 
allen; denn dieeea Dhjectum quod ist Gott, der hOchst'Gnte, die Gute, 
die laatere. allseitige Gute selber. So richtig, dies an sich ist, so 
wahr erweist sich die Lehre des beil. Thomas, dass der Wille hier 
auf Erden selbst Gott nicht auf aatUrlicbc Weise and mit Noth- 
wendigkeit begehre. Der Mensch erkebat'Gott nicht wie er in 
sich ist, er w e i Q hier anf Erden nicht, dass Gottes Wesenheit das 
ohjectum quod nnd qtw seiner Seligkeit aasmaeht. Daruni ist er frei, 
absolut frei, Gott oder etwas anderes als objectum quod seiner 
Glückseligkeit zu erwählen, oder anch abzuweisen, diesen so heiß , 
ersehnten Gegenstand anderswo zU' Sachen. Im andelra Leben ja, 
weno er Gottes Wesenheit selber scbaat,'daaa wird er mit Noth- 
wendigkeit von diesem Objecto angezogen, er kann es mit 
keinem andern vertauschen, kein anderes an dessen Stelle setzeo, 
nm in ihm sein Glück, seine Bähe zn genießen. Wir können so- 
mit, gestutzt auf die Anctorität des heil. Thomas sagen: der Wille 
des Menschen ist hier auf Erden objeotir, hinsichtlich jedes 
in der Wirklicbkeit existierenden Objectes frei, er begehrt absolat 
keines mit Notbwendigkeit 

19. Zweite Proposition: Obgleich der Wille das Gut und 
die Glückseligkeit im allgemeinen objectiv mit NothweDdigkeit 
begehrt, so dass er nicht deren Geg:antbeil verlangen kann, so ist 
er doch absolut frej in Betreff seiner Thätigkeit, des Actes (quoad 
exercitium actus), womit er, sei es irgend ein Gut, sei es die GlUck. 
Seligkeit selber, begehrt. Hierin gibt es für iho Überhaupt 
keine Notbwendigkeit, 

Wo immer der englische Lehrer von der objectiven Bewegung 
des Willens, von der durch das Object erfolgten nothwcndigen 
Bestimmnng desselben spricht, setzt er die subjective Bewegung, 
die Thätigkeit, den Act des Willens voraus. Aaf die Frage: ob 
der Wille von seinem Objecte mit Notbwendigkeit bewegt werde, 
antwortet der Doetor Angeiious: nein, so oft' von der sabjcc- 
tiven Bewegung die Rede ist, detin jemand kann Über welches 
Object immer nicht nachdenken, und infolge dessen kann er 
auch es tbatsächlich facfuj nicht wollen. "Sobald dem Auge das 
entsprechende Object, das Gsßirbte - vorgehalten wird, flbt die 
Farbe einen nothwendigeo respeetire niftbigenden Einfluss 
auf das Auge ans, vorausgesetzt jedoch, dass jemand das 
Auge nicht davon abwendet, was zum Sebacte (adexercitiwn actus) 
gehört. Das nämliche gilt vom Willen. .Wird diesem ein Gegen- 
stand vorgestellt, der allseitig (unwersaliterj uad in jeder Beziehung 



— SB — 

.ein 6at ist, so strebt der Wille, wenn er e*twas 'begehrt, 
mit Noth wendigkeit nacb jenem Gut (1. 2. q. 10. a. 2.). Sebon ans 
dieser einen Stelle gebt znr Evidenz hervor, dass das Object auf 
die s-ubjective Bewegung, anf den Willem aet keinen wirksam 
bewegenden Einflnss hat, denn was Ton einer Bedingung ab- 
hängig ist, eine Bedingung -voranssetzt, das kann niebt die wirk- 
same Ursache - dieser Bedingung sein. Das Object übt auf den 
Willen Einfluas aus, wenn dieser thätig ist, sobald er einen 
Act vollzieht. Unmöglich kann daher das Object diese Tbädgkeit, 
diesen Act im Willen hervorbringen. Das niuss von jedem Ob- 
jecte gesagt werden, solange wir hier auf Erden leben. ,An der 
soeben citierten Stelle hat ja der englische Meister jenes Objeet 
im Auge, "welches den Willen objectiv mit Notbwendig- 
keit bewegt, weil es allseitig und in jeder Hinsicht ein 
Gut ist. Dieses Gut ist fllr den Menschen die GlUckBeligkeit im 
allgemeinen. Die ist fUr ihn das vollkommene Gut. Und gerade 
von diesem Gut sagt der beil. Thomas, dass es den Willen s n b- 
jectir nicht bewege, sondern ihn bloß, wenn er es will /'s» 
aliquid velüj, mit Nothwendigkeit dazu bestimme, es selbst, nicht 
sein Gegentheit zu wollen. 

Dieser Beweis kann nocb durch viele andere Texte des Doctor 
Angelicus gestutzt werden. Der heil. Thomas findet den Grund, 
warum der Wille niemals d i r e c t zu einer Sünde verleitet werden 
kann, darin, dass kein Object ihn zur Tbätigkeit, also zur Ein- 
willigung bewegt oder bestimmt. Der Wille kann nar vom Endziele 
objeetiv mit Kothwendigkeit bewegt werden. Darin aber, dass der 
Wille das Endziel begehrt, kann eine Sünde nicht liegen. Außer 
dem Endziele aber reicht kein Object hin, nm als wirksam bewe- 
gende Ursache der Sünde zu gelten, weder ein von außen dem 
Willen vorgestelltes, nocb jemand, der uns zu der SUnde bereden 
will (I. 2. q.80. a. 1.). Der Wille kann somit vom Objecte, insofern 
es ein Gut ist, bewegt werden, aber nicht hinreichend und 
wirksam. Das Bewegliche kann nur dann hinreichend be- 
wegt werden, wenn die aetive Kr alt des Bewegers entweder 
gleich odei größer ist als die passive Kraft des Beweglichen. 
Nno aber erstreckt sieb die passive Kraft des Willens auf das 
Gut im allgemeinen, während jedes geschafifene Gut etwas 
Particuläres ist. Damm kann Gott , das universelle Gut 
allein, auch als Object den Willen hinreichend fsufficierUerJ 
bewegen (1. p.q. lOö. a.4.). Alle andern Guter sind bloß imstande, 
den Willen einigermaüeD (aliqualiterj za neigen, keines bewegt 
ihn hinreichend (ib. q. 106. a. '!.). Der Engel und der Mensch 
kOnoeu dnrch Zureden den Willen bestimmen. Allein das genügt 
nicht, nm ihn in Tbätigkeit zn versetzen (ib. q. 111. a. *2.). 

20. Die neuere lläeorie behauptet, Gott bewege den Willen 
anf natürliche Weise und oothwendig, d. h, anfrei zum Guten und 



r 

I 



39 — 



za der Glückseligkeit im allgemeinen. Dieses sei der einzige 
EJDfluss^ den Gott auf den Willen der vernünftigen Geschöpfe 
ausübt, und dieser einzige Einflnss werde vom heil. Thomas ge- 
lehrt und vertheidigt. 

Wieviel, oder richtiger wie wenig Wahrheit in dieser Theorie 
enthalten ist, möge uns der heil. Thomas selbst sagen. Wäre diese 
subjective Bewegung des Willens durch Gott tibatsächlich eine 
natürliche und notfawendige, d.h. unfreie, so müsste sie immer 
bleiben oder mit Gewalt zurückgehalten werden. Was einem 
Dinge natürlich und nothwendig zukommt, das besitzt dasselbe zu 
jeder Zeit, oder es wird in diesem Besitze gestört, es stellt sich 
ein Hindernis in den Weg, und das ist Gewalt, weil die Lage 
des Dinges infolge dessen eine unnatürliche wird. Bewegt 
also Gott den Willen natürlich und nothwendig, d. h. unfrei zum 
Guten und zu der Glückseligkeit im allgemeinen, so muss er 
bezüglich dieses Objectes ununterbrochen thätig, immer in actn 
sein, oder er erleidet Gewalt, wie wir es bei der Thätigkeit der 
Naturdinge sehen. Beides verwirft der englische Lehrer mit aus- 
drücklichen Worten, so dass ein Zweifel darüber nicht aufkommen 
kann. „Das erste Gut**, lehrt S. Thomas, „wird per se gewollt 
und der Wille strebt per se und naturgemäß nach diesem Gut. 
Allein er will dieses Gut nicht immer thatsächlich (non 
semper vult in actu). Es ist durchaus nicht nothwendig, dass alles 
das, was der Seele auf natürliche Weise conveniert, jederzeit 
adu in der Seele sei. Die ersten Principien werden ja auch natur- 
gemäß, d. h. mit nothwendiger Zustimmung erkannt. Trotzdem 
werden sie nicht fortwährend actuell einer Betrachtung unterzogen^ 
(de veritate q. 22. a. 5. ad 11), [Aus diesen Worten geht heiTor, 
dass der Wille selbst zum ersten Gut, das per se gewollt wird, 
zu der Glückseligkeit, subjectiv nicht mit Nothwendig- 
keit bewegt wird, denn er kann die Gedanken von diesem 
Objecte ablenken, was bei einer nothwendigen Bewegung 
einfach unmöglich ist. Der Wille ist mithin nicht immer in adu 
hinsichtlich dieses Objectes. Dadurch unterscheidet sich der Wille 
von den Naturdingen. Das Schwere strebt ohne Aufhören nach 
unten, außer es wird von einer andern Ursache daran gehindert 
(de veritate q. 22. a. 6.). In jedem Zustande der Natur, d. b. 
solange wir hier auf Erden sind, besitzt der Wille subjectiv 
in Betreff jedes Objectes volle Freiheit. Er kann begehren und 
nicht begehren. Anders verhält er sich mit Bezug anf das Object. 
In dieser Hinsicht ist er nur frei in der Auswahl der Mittel, hin- 
sichtlich des Zieles dagegen ist er in der von uns früher ange- 
gebenen Weise bestimmt. Das Dasein unserer Seele ist ein, zwar 
uicht durch sie selber, wohl aber durch einen andern bestimmtes. 
Ihr Wollen jedoch bestimmt sie sich selber. Während ihr Sein 
daher ein unveränderliches ist, bleibt ihr Wollen ein unbestimmtes, 



— 40 — 

nicht determiniertes (1. c. ad 1.). So oft demnach von der Bewe- 
gung des Willens mit Bezug auf seine Thätigkeit die 
Rede ist; muss jede Nothwendigkeit geläugnet werden. Und es 
ist ganz gleichgiltig, ob dem Willen irgend ein particuläres Ob* 
ject oder die Glückseligkeit im allgemeinen vorgestellt wird, denn 
jemand kann über die Glückseligkeit nicht nachdenken 
wollen. Die Acte des Verstandes und Willens sind ja ebenfalls 
etwas Particuläres (de malo q. 6. a. unic). „Manche be- 
haupteten", bemerkt S.Thomas, „die Bewegung des Willens daure 
immer an, und zwar deshalb, weil der Wille auf natürliche 
Weise das Gut begehrt. Versteht man unter dieser Bewegung 
einen Act des Willens (bperatio), so ist diese Behauptung falsch. 
Der Wille ist nicht derart auf natürliche Weise zu einem be- 
stimmt, dass er infolge dessen i m m e r m cuiu t h ä t i g sein müsste'^ 
(2. dist. 39. q. 3. a. 3. expos. text). In dieser Ansicht einiger Ge- 
lehrten, von denen der englische Meister hier spricht, wird genau 
dasselbe vertheidigt, was die vorhin genannte neuere Theorie con- 

• sequenterweise annehmen muss : der Wille sei immer in actu, 
weil er natüi'lich und nothwendig das Gut und die Glückseligkeit 
begehrt. £s ist demnach sonnenklar, dass diese Theorie mit der 

' Lehre des heil. Thomas in directem Widerspruche steht. Welches 
Object immer Gott dem Willen vorstellen möge, sei es die Glück- 
seligkeit selbst, hier auf Erden wird er dadurch nicht einmal 
wirksam, umsoweniger nothweiidig von Gott bewegt. 

Diese' Bewegung, wie die genannte Theorie sie auffasst; 
müsste aber eigentlich eine objective sein, nämliöh dadurch 
bewirkt, dass Gott dem WiÜeu das Gut und die Glütckseligkeit 
im allgemeinen vorstellt. Die subjective kann in dieser Theorie 
nicht gemeint sein, weil ja gesagt wird, diese Bewegung sei, 
wie alle wissen, allgemeiner Natur. Wir sagen, dass diese 
Theorie ohne Zweifel die objective Bewegung durch Gott im 
Auge habe, denn wäre wirklich darunter die subjective in 
dem Sinne zu verstehen, dass Gott selber unmittelbar den 
Willen bewegt, nicht durch Vorstellung der Glückseligkeit, so 
hätten wir nicht allein abermals einen offenen Widerspruch mit 
der Lehre des heil. Thomas, der entschieden bestreitet, dass diese 
Bewegung eine natürliche uudnothwen^ige sei, sondern 
eine contradidio in adjeäo* Der englische Meister sagt, der Act 
dei9 Verstandes und Willens sei e t w a s Particuläres. Das Partica- 
läre aber kann unmöglich allgemeiner Natur sein. Ebenso 
soll doch dieser Einfluss, diese Bewegung durch Gott eine Be- 
wegung im Willen* hervorbringen, der Wille infolge dessen einen 
Act ausüben. Lässt sich nun «ine Bewegung und ein Act all- 
gemeiner Natur im Menschen denken? Wir sind nicht im- 
stande, uns davon auch nur annäherungsweise eine Idee zu bilden. 
Wir glauben daher den Sinn dieser Theorie, soweit sie einen 



— 41 — 

SioD hat, dahin deuten zn sollen, ja za mtlsseo, dasa Oott dem 
Willen die GlBckaeligkeit voratellt und ihn dadnrch natürlich 
und nothwendig, d. h. nnfrei bewegt. In diesem Falle ist die 
Bewegung specificativ und objectir allerdings allgemeiner 
Natur. Das Objeot nämlich ist imiTersell und es achlieset darnm 
alle mOghcben particulären Guter in sieh (1. p. q. 82. a. 2. ad 1.). 
Iq diesem Sinne ist der zweite Theil der genannten Theorie 
richtig. Allein der vorhergebende Tbeil der ausgesprochenen Be- 
hauptung ist dann unrichtig, nämlich dass diese Bewegung eine 
natürliehe und nothwendige, d. h. unfreie sei. Gottes 
Wesenheit selber bewegt zwar den Willen im anderen Leben 
wirksam, jedoch, wie wir nachweisen werden, nicht nothwen- 
dig. Die subjective Notbwendigkeit hat im andern Leben ihren 
Grand in der Natur des Willens und in seiner Abhängigkeit TOm 
Verstände. Hier auf Erden aber, lehrt S. Thomas, wird unser 
Wille TOD keinem Objecto, wer es auch ihm Torstellea möge, 
hinreicbend bewegt. Von jedem, die Gifickseligkeit nicht ana- 
genommen, kann er seine Aufmerksamkeit ablenken, und es in- 
folge dessen nicht wollen. 

Diese Wahrheit hat ihren Grund in der vom heil. Thomas 
Bo oft betonten Lehre, dass der Verstand den Willen Überhaupt 
niemals quoad exercitium actus bewege. Umgekehrt werde der 
Verstand vom Willen in dieser Weise bewegt. Darum erklärt 
der englische Lehrer fortwährend, es stehe in der Macht des 
Willens die Glückseligkeit nicht zn begehren, denn er kSnne den 
Gedanken ' an dieselbe ablenken, indem der Wille bestimmend, 
bewegend auf den Verstand einwirkt. Der Wille selber hingegen 
werde von keiner andern Potenz, sondera nur von sich selber 
bewegt (de malo q. 6. a. unic. ad 10.). Wenn also Gott den Willen 
objectiv bewegt, so mnss er dem Menschen vermittelst des 
Verstandes die Glückseligkeit vorstellen. Eine andere Art und 
Weise ist nicht denkbar. Das unmittelbar Bewegende ist und 
bleibt darnm immer das von nnserm Verstände dem Willen vor- 
gezeigte Object. Und dieses bewegt nicht mit Notbwendigkeit, 
Beibat dann nicht, wenn es die Glückseligkeit des Henscben dar- 
stellt. Hierüber hat der heil, Thomas mit aller wünschenswerten 
Klarheit sich ausgesprochen. 

21. Das Verhältnis der Gewalt zn der Freiheit wird nns 
Bpater beschäftigen. Der Wille als Natur bedeutet also, dies ist 
dag Resultat unserer Untersuchung, die Iranscendentale Hinord- 
nang der Potenz zum Gut und der Glückseligkeit im allgemeinen ; 
mr sagen der Potenz oder des Willens als geistigen Strebe- 
vermOgens. Vom Willensa et e, von der Thätigkeit des Willens 
iat dabei gar nicht die Rede. Da der Wille geistiger Natur ist, 
eine immaterielle Kraft der Seele bildet, so kann er Gegenstände 
doppelter Art begehren, entweder ein particnläres oder ein all- 



gemeines Gut. Das Wort: „allgemein" bedeutet bier soviel als 
allseitig, in jeder Beziehang gnt. Der Wille neigt sieb 
zn dem Gut im allgemeinen, besa^ demnacb, dass er jenes 6at 
begebrt, welches nur gut ist, gut ebne Beschränkung, ohne iu 
irgendwelober Beziehung einen Mangel an Gute in sieh zn haben. 
Der Wille strebt nach dem Gut im allgemeinen, kann aber anch 
soviel heissen als: er begebrt immer nur das G a t als solches, 
niemals das Böse formell genommen. Daneelbe muss gesagt werden 
in Bezug auf die Glückseligkeit im allgemeinen. Der Wille begehrt 
die Glückseligkeit im allgemeinen kann den Sinn haben: der Wille 
erstrebt jeden Gegenstand nur, insofern er durch denselben glück- 
lich IU werden hofft, er will durch kein Object sich unglQcklicfa 
machen. Es kann aber auch besagen, dass der Wille jenen Gegen- 
stand verlangt, der ihn allgemein, in jeder Beziehung glUcklich 
zu Diacben imstande ist. 

Der Wille wurde seiner Wesenheit nach von Gott zu diesen 
zwei Arten des ihm eigentbUmlichen Gegenstandes auf natürliche 
und nothwendige, d.h. unfreie Weise faingeordnet, Der Wille 
hat nicht das Vermögen, die Potenz, das BSse als 
solches zu begehren , oder auch das allseitig vollendete 
Gut nicht zn verlangen, um nach dem Gegentheil desselben zu 
streben. Der Mangel dieses Vermögens dieser Potenz liegt in 
seinem Wesen, in seiner Natur. Der Wille war auf diese Weise 
in der Idee Gottes vorgebildet und Gott hat ihn so erschaffen. 
Darum nannten wir vorhin dieses Verhältnis trän sc enden tale, 
nattlrlicbe Hinordnung zum Gut und za der Glückseligkeit im 
allgemeinen. Hat die vorhin erwähnte nenere, wieder aufgefrischte 
Theorie nichts anderes im Auge, als dieses transcendentale Ver- 
hältnis, so lässt sich gegen dieselbe gar nichts einwenden. Sie 
ist vollkommen begründet und wird vom heil. Thomas tlberall 
gelehrt und vertheicligt. Allein ganz nnd gar unrichtig ist es, zu 
behaupten, dass dieses Verhältnis des Willens zu den oben be- 
zeichneten Objecten eine Bewegung durch Gott sei. Dies 
ist vielmehr ein bleibender natUrli eher Znstand, nicht eine 
vorübergehende Bewegung. Es liegt in der Natur des Willens, 
in dieser Weise zum Gut nnd der Glückseligkeit im atlgemeinen 
hingeorduet zn sein. Dies alles geht den Willen in aclu prtmo an. 

Betrachten wir nun den Einfluss dieser beiden Objecto auf 
den Willen. In welchem transcendentalen Verhältnisse sieben diese 
Objecte zu dem Willen? Wir werden, gestützt auf die Lehre des 
beil. Thomas, diesbezüglich Folgendes behaupten müssen. Das Gut 
nnd die Glückseligkeit im allgemeinen bestimmen und bewegen 
den Willen objectiv derart, dass er nicht das Gegentheil 
derselben begehren kann. Sie sind derart zn dem Willen hin- 
geordnet, dasa derselbe nicht die Potenz, das VermOgen für das 
Gegentheil besitzt. Hinsichtlich der subjectiven Bewegung* 



— 43 — 

I 

(qiioad eoßercitium actusj bewegt das allseitig 'vollendete Gut, der 
Gegenstand, welcher in jeder Beziehung gut ist ohne Beimischung 
des Nichtguts, auch alsObject den Willen in wirksamer Weise 
(efficaciterj. Dies geschieht aber nur dann, wenn das genannte 
6«t in dieser Vollendung den? Willen durch die Vernunft vor- 
gestellt wird. Wird es ihm nicht unmittelbar, wie es in sich ist, 
vorgestellt, so bewegt es als Object den Willen subjectiv 
meht auf wirksame Weise. Dasselbe muss vom Gut im allgemeinen 
entsprechend der andern Bedeutung, und von der Glückseligkeit 
im allgemeinen gesagt werden. Diesbezüglich kann die Vernunft 
ihre Aufmerksamkeit davon ablenken, und der Wille hört auf, 
dieses Gut zu wollen. 

Inwiefern ist der Wille zu diesen Gütern aut eine noth- 
wendige, natürliche, d.h. unfreie Art hingeordnet? In- 
sofern sie in unserer Vorstellung sind, die ratio volendi bilden. 
In der Wirklichkeit, a parte rei, existiert für uns hier auf Erden 
kein Gut, welches unsern Willen in dieser Weise bestimmte. Ein 
allseitig vollendetes Gut gibt esfür uns in diesem Leben nicht. 
Allerdings existiert Gott, und er ist dieses Gut in aller Wirklich- 
keit. Allein die Vernunft stellt uns in diesem Leben Gott nicht 
vor, wie er thatsäohlich in sich ist. Ebensowenig existiert a parte rei 
die Glückseligkeit im allgemeinen. Darum ist der Wille zu diesen 
Gütern wohl transcendental in natürlicher und nothwendiger 
Weise hingeordnet, nicht aber actuell. Die actuelle Hinordnung, 
die Willensthätigkeit ist etwas Particuläres, und aus diesem Grunde 
nicht auf natürliche und nothwendige Weise bestimmt. 

22. Dieses ist ohne Zweifel die richtige Auslegung der Doctrin 
des englischen Meisters, wenn er den Willen d^r vernünftigen 
Wesen bisweilen Natur nennt und von einer Naturnoth wendig- 
keit des Willens spricht. Er will damit nur das Verhältnis des 
Willens zu dem adäquaten, demselben eigenthümlichen 
Gegenstande bezeichnen. Jedes Vermögen, jede Potenz unterhält 
eine ti*anscendentale Beziehung zu der eigenen Thätigkeit, zu dem 
eigenen Objecto. Potentia secundum illud quod est potentia ordinatur 
ad actum, et actus diversißcatur secundum diversam rationem objecti 
(1. p. q. 77. a. 3.). Für das Begehrungsvermögen aber ist das Ziel, 
oder Gut das entsprechende adäquate Object. Und weil die Strebe- 
kraft ein passives Vermögen ist, deshalb verhält sich dieses 
Object zu ihr wie die bestimmende, bewegende Ursache. Der 
Wille der vernünftigen Wesen ist eine geistige, von jedem leib- 
lichen Organ unabhängige EVaft. Er besitzt folglich die Natur des 
Allgemeinen, des Unbeschränkten. Das ihm adäquate Object muss 
demnach ebenfalls die Natur des Allgemeinen, Unbegrenzten haben. 
Das Gut als solches, das Endziel erfreut sich thatsächlich 
einer solchen allgemeinen Natur. Darum sprechen wir von einer 
Glückseligkeit im allgemeinen. 



I 



— 44 — 

Dieses adäquate Object füllt die ganze Potentialität des Willens 
ans, denn es entspricht genau der Aufnahmsfabigkeit und Beweg- 
lichkeit des Willens. Es bestimmt folglich den Willen objectiv 
und specificatiy auf natürliche und nothwendige Weise. Daher 
bemerkt der englische Lehrer, das Bewegende verursache im 
Beweglichen dann eine npthwendige Bewegung, wenn seine Kraft 
gröBer ist als das Bewegliche, so dass dessen ganze Possibilität 
oder Empfänglichkeit dem Bewegenden untersteht (1. p. q. 82. a. 2. 
ad 2.). Diese natürliche und nothweudige Bestimmung durch den 
Gegenstand schließt im Willen das Veimögen, die Potenz oder 
Neigung zum Gegentheil des Objectes aus. Da nun das 
Gut als solches und die Glückseligkeit im allgemeinen das adäquate 
Object für den Willen bilden, so wird der Wille nie dife Neigung 
zu einem Nichtgut und zu der Unglückseligkeit in sich haben. 
Er ist vielmehr diesbezüglich zu e i n e m , zu diesem einen adäquaten 
Objecte auf natürliche und nothweudige, d. h. unfreie 
Weise bestimmt. Dies ist aber auch die einzige Nothwendig- 
keit, mit welcher der Wille überhaupt bestimmt und bewegt wird. 
Eine andere kennt «r nicht. Wie indessen jedermann sieht, 
ist diese Nothwendigkeit ausschließlich eine objective oder speci- 
ficative. 

Das vorhin angezogene adäquate Object des Willens kann 
aber in doppelter Weise betrachtet werden: entweder formell 
oder materiell. Das Object formell genommen, wird vom 
englischen Lehrer stets rtxtio uüimi finis oder ratio volendi ge- 
nannt. Das Object materiell genommen, heißt bei ihm: id in quo 
isla ratio invenitur, oder res in qua ratio honi invenüur (1. 2. q. 1. 
a. 7 und 8). Die Nothwendigkeit, von welcher wir vorhin ge- 
sprochen, bezieht sich ausschließlich nur auf das Object im 
formellen Sinne, solange wir hier auf Erden leben. Das fo^ 
melle Object allein bestimmt unseren Willen auf natürliche 
und nothweudige, d. h. unfreie Art. Darum kommen alle 
Willen hinsichtlich der Neigung zu diesem Objecte überein und 
es gibt für alle nur e i n Gut, e i n Endziel (1. c). 

Die Neigung des Willens zu dem Objecte in materieller Be- 
deutung ist keineswegs eine natürliche und nothweudige, 
solange wir uns hier auf Erden befiiiden. Hinsichtlich dieses Ob- 
jectes kommen darum die Willen der verschiedenen Menschen 
nicht überein. Der eine strebt nach diesem,, der andere nach jenem 
Gegenstande, in welchem er das Gut und die Glückseligkeit zu 
finden hofft. Dies ist der beste Beweis, dass der Wille zu diesem 
Objecte frei, nicht aber nothwendig hingeordnet ist. Den 
Grund dafUr haben wir oben angegeben. Daselbst wurde gesagt, 
dass für uns jetzt kein Gegenstand existiert, in welchem sieb 
das formelle und materielle Object decken. Es gibt für uns in 
diesem Leben kein Object, in welchem die ratio honi, A\e ratio 



— 45 — 

Ultimi finis und die res in qua ista ratio invenüur real identisch sind. 
Jede res, jeder Gegenstand ist ein particuläres, d. h. beschränktes 
Gut, kein Object ist allseitig; in jeder Beziehung vollkommen, 
darcB und durch ein Qut und nichts als Gut. Keines füllt somit 
die Potentialität; die Äufnahmsfähigkeit des Willens aus. Folglidi 
bestimmt und bewegt keines den Willen auf eine natttrliche und 
nothwendige; d. h. unfreie Art. 

Dasselbe gilt von der Willensthätigkeit, vom Willensacte. 
Diese Thätigkeit ist ebenfalls ein particuläres, beschränktes Gut. 
Darum begehrt der Wille seine Thätigkeit frei; keineswegs 
aber nothwendig. 

23. Aus dieser Lehre des heil. Thomas ergießt sich neues 
Licht ttber eine andere Theorie desselben Il(eisterS; dass nämlich 
der Zwang allein; nicht aber die natttrliche Nothwendig- 
kei^ gegen die Freiheit verstoße. Man hat es sehr missbilUgt; 
. dass wir in unsem kritischen Bemerkungen mehrere Stellen dieses 
Inhaltes aus S. Thomas, der sich dabei jedesmal auf S. Augustin 
beruft; angeführt* haben. Es wurde die Ansicht ausgesprochen; 
dass diese Theorie nach der kirchlichen Verurtheilung des Janse- 
nismus nicht mehr vertheidigt und gelehrt werden dttrfe. 

Sollten denn S. Augustin und der heil. Thomas mitverurtheilt 
worden sein ? Ist so etwas glaubwürdig in einer Frage; wo beide 
als Autoritäten ersten Ranges allgemein anerkannt und gefeiert . 
werden ? Der Autor befindet sich offenbar in einem Missverständ- 
nisse hinsichtlich der natürlichen Nothwendigkeit und der Freiheit. 

Was ist Zwang oder Gewalt ? Es ist der Einfiuss eines Agens 
anf ein Passives gegen die innere Neigung des Passiven 
(1.2. q. 6. a. 4. ad 2.). Welche innere Neigung besitzt nun der- 
Wille, dieses passive Veimögen der vernünftigen Wesen? Wir 
haben es früher gesehen. Der Wille hat eine natHrliche und 
noth wendige Neigung zum Gut als solchem und zu der Glück- 
seligkeit im allgemeinen; d. h. zu der ratio boni und zu der ratio 
Ultimi ßnis; er hat eine freie Neigung zum Gegenstande; zu der 
res, in qua invenüur ista ratia; er hat endlich eine freie. 
Neigung zu ä^iner Thätigkeit; zu seinem Acte. Diese Neigung ist 
eine innerC; eine natürliche; transcendentale, die der Wille mit 
anf die Welt bringt. Die transcendentale Beziehung ist nicht etwas 
der Wesenheit des Willens Hinzugefügtes, sondern die Wesen- 
heit selbtr. %» 

Würde nun Gott den Willen jetzt zu dem Gut und zu der 
Glückseligkeit im allgemeinen objectiv nicht natürlich und noth- 
wendig; sondern frei; zu den Gegenständen aber und zu der 
Thätigkeit natürlich und nothwendig bewegen, so müsste offenbar 
Zwang und Gewalt platzgreifen. Die Neigung der ersten Art; von 
welcher wir bis jetzt gesprochen; hat mit der Freiheit nichts zu 
thun, kann somit der Freiheit nicht schädlich sein. Sie bildet 



_ 46 — 

vielmehr das Fundameut fUr die Freiheit. Die natürliche 
und. Dotbwendige, d.h. nnfreie, transcendentale Neignog 
verstoßt folglich nioht gegen die Freiheit. Unrichtig wäre nur 
die Behanptung, dass Gott dem Willen erst dann diese Nei^ng 
mittheilt, wenn er ihn zn einer Thätigkeit bewegt, und dass diese 
Neigung eine freie ist. Uie Neigung der zweiten und dritten 
Art haben allerdings Beziehung zur Freiheit. Allein diesbezUglicb 
wäre jede natürliche und nothwendige, d. h. unfreie 
Beweguttg des Willens durch Gott gleichbedeutend mit Gewalt 
und Zwang. Gewalt und Zwang ist alles das, was gegen die 
innere oattlrliche Neigung des Willens' gerichtet ist. 

Warum soll nun diese Doctrin der beiden Rieseugeisterj des 
beil. Augustin und Thomas von Aquin, seit der Verwerfung der 
jansenistischen Lehre nicht mehr vertheidigt werden dürfen? Deckt 
sie sich vielleicht mit der Lehre des Jangenius? Wer könnte so 
etwas im Ernste behaupten ? Allüberall erklärt der englische Meister, 
Gott bewege jedes Ding der Natur desselben durchaus 
entsprechend. Ebenso genau bestimmt er, -in wieweit eine 
natlirlichä und nothwendige, d. h. nnfreie Bewegung des Willens, 
mit andern Worten, in wieweit eine Nothwendigkeit vor- 
banden ist. Diese Nothwendigkeit aber erstreckt sich nicht auf 
den Willens a et, auch nicht auf das Object, die res. 

Wir haben viel schwerere Bedenken jener Behauptung gegen- 
über, dass S. Thomas blo£ einen auf natürliche und nothwendige, 
d. h. unfreie Weise bewegenden Einfluss Gottes auf den Willen 
der vernünftigen Gescbtipfe gelehrt habe. Demgemäß würde folgen, 
dass der Wille entweder überhaupt keine freie Thätigkeit, oder 
eine freie ganz und gar unabhängig von Gott besitzt, oder 
endlieb, dass die natürliche und nothwendige, d. h. nnfreie Be- 
wegung eine freie verursacht. Das eine ist so unrichtig wie das 
andere, und steht im diametralen Gegensatz zur wirklichen 
Lehre des englisßhen Meisters. Der heil. Thomas anerkennt nur 
eine Nothwendigkeit, die sieb indessen mit der Freiheit sehr 
wohl verträgt und zugleich dem lEinflnsse Gottes auf den Willen 
den weitesten Spielraum lässt. , * 

Damit sind die Zweifel dai-über, was der Doctor Angelicns 
unter dem Willen als Natur, oder unter der Naturnothwendig- 
keit des Willens etwa verstanden haben möge, wie wir hoffen, 
gelüst. Diese Natumothwendigkeit ist nicht eine Bewegung im 
eigentlichen Sinne, per modum agmtis, sondern eine solche im 
übertragenen Sinne, per modum finis. Sie ist objectiv, nicht snb- 
jectiv, und selbst das erstere nur in beschränkter, soeben dar- 
gelegter Weise. Eine weitere Bestätignng der von uns entwickelten 
Doctrin des englischen Meisters wird sich uns aus dem Nach- 
folgenden ergeben, in welchem wir seine Lehre über die Wahl- 
IreiheitdesWillenB einer eingehenden Untersuchung würdigen wollen. 



— 47 — 



§ 4. Der Wille als WaUflreiheit oder das liberum arbitrium. 

24. Dieser Abschnitt, der wichtigste, schwerste der ganzen 
Abhandlang, mass naturgemäß unsere ganze Aufmerksamkeit auf 
sich lenken und infolge dessen zur genauesten Prüfung der dies- 
bezüglichen Lehre des Doctor Angelicus auffordern. Dass die Doctrin 
unseres Meisters ihre Probe glänzend bestehen wird, das ver- 
steht sich von selber. Darüber brauchen wir uns keine Sorge zu 
machen. 

Dem Doctor Angelicus ist das eigentliche Wesen der Freiheit 
in der Selbstbestimmung des Willens gelegen. Indem der 
Wille sich selber den Gegenstand; den er begehrt, aussucht, 
und ebenso sich selber für die Thätigkeit oder Unthätig- 
keit entscheidet, offenbart er damit das innerste Wesen der 
Freiheit. Darum wird der Wille diesbezüglich: „Wahlfreiheit oder 
Willkür" (Wille— Wil-kür[Mittelhochd. Handwb. v. Lexer,pag. 890]) 
genannt. Fassen wir zunächst die Bestimmung des Gegenstandes ' 
ins Auge. Sie kann, wie wir früher gesehen haben, nur durch 
die Erkenntniskraft geschehen, weil nur diese unmittelbar dem 
Willen einen begehrenswerten Gegenstand vorstellt. Die Erkenntnis 
ist doppelter Art. Die eine schlechthin und absolut, wenn die 
Vernunft alsogleich^ ohne weitere Discussion über den aufgefassten 
Gegenstand entscheidet. Dieser Erkenntnis folgt das Wollen, welches 
wir das nicht überlegte nennen. Die andere Art der Erkenntnis 
ist untersuchend; indem die Vernunft zwischen Gut und Böse, 
zwischen Zuträglichem und Schädlichem abwägend Untersuchungen 
anstellt. Dieser Erkenntnis folgt der überlegte Wille (2. dist. 24. 
q. 3. a. 1.). Wir sehen aber^ dass manche Wesen ohne eigenes 
Ürtheil handeln, und das thun alle jene, denen die Erkenntnis 
fehlt. Andere handeln zwar mit einem Urtheile, allein dieses ist 
nicht ein freies Urtheil, denn es wird nicht durch Berechnung und 
Vergleichung gebildet, sondern auf Grund des natürlichen Instincts. 
Der Mensch indessen handelt infolge eines Urtheils. Er bestimmt 
durch seine Erkenntniskraft, was zu thun und was zu meiden^ 
was anzustreben oder zu fliehen ist. Dieses Urtheil hat nicht den 
natürlichen Instinct zu seiner wirksamen Ursache, weil es sich 
mit dem Einzelnen, nicht mit dem Allgemeinen befasst. Es gründet 
sich daher auf Berechnung und Vergleichung durch die Vernunft. 
Aus dieser Ursache heisst es ein freies, und beschäftigt es sich 
mit ganz Verschiedenem. Denn die Vernunft ist bezüglich des 
Contingenten vollständig indifferent, weder zu diesem Objecto, 
noch zu dem Gegentheile desselben bestimmt. Alles aber, was 
durch den Willen begehrt wird, selbst seine eigene Thätigkeit, 
bildet etwas Particuläres und darum Contingentes. Das Uitheil 
der Vernunft ist somit nicht zu einem bestimmt, sondern steht 



1 



— 48 — . 

vielem indifferent gegenüber. Der Mensch muss folglich schon des- 
halb frei sei^j weil er eine vernünftige Natnr hat (1. p. q. 83. a. 1.). 
Solange nun der Wille für Verschiedenes indifferent ist, er- 
folgt keinerlei Thätigkeit, vollzieht -sich niemals ein Willensa ct. 
Es ist ja kein bestinmites Object da, welches der Thätigkeit als Ziel 
dienen könnte. Thätig nennen wir ein Wesen, wenn es der Wirk- 
lichkeit,'^- nicht der Möglichkeit nach, einen Act ausübt. Das In- 
differente ist bloB in der Möglichkeit (in potentia), nicht in der 
Wirklichkeit (in actu) thätig. Es erfolgt darum, wie der Commen- 
tator sagt, nichts, solange es nicht zu einem der beiden Theile 
bestimmt ist. Diese Bestimmung des Agens zu einer Thätigkeit 
geschieht durch die Erkenntnis, die der Thätigkeit einen Zweck, 
ein Ziel vorsetzt. Bei manchen Wesen ist die Erkenntnis, wodurch 
die Thätigkeit bestimmt und das Ziel vorgezeichnet wird, in ihnen 
selber, wie z. B. bei dem Menschen, der das Ziel semer Thätig- 
keit sich selber vorsteckt. Die Naturwesen besitzen diese Er* 
kenntnis nicht selber, daher werden ihre Thätigkeiten durch den 
* Schöpfer der Natur zu dem bestimmten Ziele hingeordnet. Das 
Werk der Natur ist ebenfalls das Werk einer Intelligenz. Der 
Unterschied dieser dreifachen Thätigkeit der Geschöpfe lässt sich 
demnach mit Leichtigkeit feststellen. Manche Dinge bestimmen 
sich das Ziel und die diesem Ziele entsprechende Thätigkeit selber, 
andere dagegen vermögen dies nicht zu thun. Kein Agens kann 
sich das Ziel selber bestimmen, wenn es nicht das Ziel formell 
als solches, und die Mittel zum Ziele erkennt. Die geistigen Wesen 
besitzen diese Erkenntnis. Sie sind imstande, ein Urtheil über 
ihre eigene Thätigkeit abzugeben. Darum liegt es auch in ihrer 
Macht, diese oder jene Thätigkeit auszuüben. Daher sagt man 
von ihnen, dass sie die Herrschaft über ihre Thätigkeiten haben, 
dass sie eine Wahlfreiheit besitzen (2. dist. 25. q. I. a. I.). Die 
Auswahl, die Selbstbestimmung zu einem Gegenstande sowohl, 
wie. auch zu irgend einer Thätigkeit gehört wesentlich zar 
Freiheit. Indem der Mensch das eine nehmen, das andere ver- 
sehmähen kann, vnrd er frei genannt. Zu der Auswahl aber trägt 
etwas die Denkkraft und etwas das Strebevermögen bei. Der 
Vernunft gehört der Rath an, wodurch beurtheilt und entschieden 
wird, was dem andern vorgezogen werden soll. Von Seiten des 
Strebevermögens wird gefordert, dass es dasjenige, was durch 
den Rath für die Auswahl vorgelegt wird, begierig annehme 
n. p. q. 83. a. 3.) Das Wesen der Freiheit besteht folglich darin, 
dass der Mensch thätig oder nichtthätig sein kann (2. dist. 23. 
q. 1. a. 1.). Die Freiheit ist ein Vermögen, em^facuüas. Vermögen 
aber bedeutet nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche die Macht, 
durch welche uns etwas zur Verfllgung steht. Aus diesem Grunde 
werden die Besitzthümer Vermögen genannt, denn sie unterstehen 
der Herrschaft des Besitzers. Die Freiheit wii*d folglich deshalb 



— 49 — 

» 

ein Vermögen genannt, weil sie ihre eigene Thätigkeit in der 
Gewalt hat (2. dist. 24. q. 1. a. 1. ad 2.). 

Es ist y6n großer Bedeutung für uqsere Frage, dass der 
englische Lehrer das Wesen der Freiheit beständig in das 
Thätigsein- oder Untbätig^einkönnen setzt. Offenbar will er damit, 
sagen/ dass die objective Bestimmung des Willens zu dem 
Gut und zu der Glückseligkeit im allgemeinen unserer Frei- 
heit nicht abträglich sei, indem sie die Freiheit gar nicht bertlhrt 
Er spricht sich tlbrigens* hierüber mit aller wünschenswerten Deut- 
lichkeit aus. Welches Gut immer, meint S. Thomas, dem Willen 
vorgestellt werden möge, stets Hegt es in seiner Macht, dieses 
Gut zu wählen oder nicht zu wählen. Kein Gut ist hier 
auf Erden flir 4en Menschen von der Art, dass es in jeder 
Hinsicht genügte. Welches Gut; oder welches Böse darum auch 
durch den Verstand vorgestellt wird, 9er Wille kann ihm an- 
hängen oder zum Gegentheile sich neigen. Das schlechthin Böse 
kann ihm. als scheinbares Gut, das schlechthin Gute als schein- 
bares Böse dargestellt werden. Es steht ihm daher frei zu wählen 
oder nicht zu wählen. Wäre er von einem leiblichen Organe ab- 
hängig, dann würdö er mit Nothwendigkeit zu seiner Thätig- 
keit bestimmt (2. dist. 25. q. 1. a. 2.). Allein dies ist nicht der Fall. 
Verstand und Wille bedürfen bei ihrer ihnen eigenthümlichen 
Thätigkeit eines leiblichen Organs nicht. Das Princip flir jede 
Thätigkeit ist die Form, durch welche ein Wesen in der Wirk- 
lichkeit (actu) ist, weil jedes Ding sich als thätig erweist, insofern 
es in der Wirklichkeit ist. Nach der Art und Weise der Form 
richtet sich darum aiich die Art und Weise der Thätigkeit, welche 
auf die Form folgt. Stammt nun die Form, durch welche das 
Agens thätig ist, nicht vom Agens selber, so erfolgt eine Thätig- 
keit, über die das Agens nicht Herr ist. Kommt dagegen die Form, 
durch welche das Agens thätig ist, von ihm selber, so besitzt es 
die Herrschaft über die daraus sich ergebende Thätigkeit. 

Die Formen der Naturdinge, aus welchen die natürlichen 
Bewegungen und Thätigkeiten erfolgen, haben nicht die Natur- 
dinge selber, deren Formen sie sind, zu ihrer Ursache. Sie sind 
vielmehr ganz und gar (totaliter) Von einem äußern Agens.* Durch 
die natürliche Form hat jedes Ping das Dasein in der eigenen 
Natur, nichts aber kann die Uraache seines eigenen Daseins 
bilden. Was daher auf natürliche Weise bewegt wird, das bewegt 
niemals sich selber. Das Scjiwere bewegt nicht sich selbst nach 
der Tiefe, sondern dies geschieht durch denjenigen, der demselben 
die Form gegeben hat. Bei den Thieren erscheinen die durch die 
Phantasie und andern Sinne aufgenommenen resp. empfundenen 
. Formen, die eine Bewegung verursachen, ebenfalls nicht von den 
Thieren 'selbst gebildet. Sie werden im Gegentheil von den äuBem " 
sinnenfälligen Dingen, die auf die Sinne dpr Thiere einwirken, 

I Feldner, WiUexiafreiheit. J. 



— 50 — 

in denselben hervorgebracht, und das Urtheil ds^rüber fällt die 
sogenannte Ästimationskraft. Obgleich sie sich demnach in ge- 
wisser Beziehung selber bewegen, indem ein Theil' derselben die 
Bewegung veranlasst und der andere bewegt wird, so ist es doch 
anderseits gewiss, dass die Bewegung, nicht von ihnen selbst^ 
sondern von den äujßern Dingen, die auf die Sinne einen Einfluss 
ausüben, und von der Natur ihren Ausgang nimmt. Die Thätig- 
keit des Begehrungsveimögens folgt in ihnen mit Nothwendigkeit 
ans den durch die Sinne aufgenommenen formen und das Urtbeil 
darüber wird von der natürlichen ästimativen Kraft gefallt. Sie 
selbst bilden folglich nicht. den Grund ihrer Bewegung und sie 
haben daher auch keinerlei Herrschaft über ihre eigene Thätigkeit. 
Die erkannte Form Endlich, durch welche die geistige^ vernünftige 
Substanz thätig ist, hat den Verstand resp. die Vernunft zu ihrer 
Ursache. Sie wird vom Verstände gebildet, gewissermaßen ausge- 
dacht, wie wir es z. B. bei dem Künstler sehen. Der Künstler con- 
pipiert und componiert sich selbst jene Kunstform, durch welche er 
dann seine Thätigkeit entfaltet. Die vernünftigen geistigen Sub- 
stanzen bewegen sich selber zu den Thätigkeiten, sie besitzen 
darum auch die Herrschaft über dieselben (2. contr. Gent. c. 47.). 
In dieser HeiTSchaft über die eigenen Thätigkeiten erblickt der 
englische Meister den Unterschied des Menschen von allen andern 
irdischen Geschöpfen. Menschliche Handlungen sind im eigent- 
lichen Sinne nach ihm nur diejenigen zu nennen, über welche der 
Mensch durch die Vernunft und den Willeil Herr ist. Die ans 
freier Überlegung herstanmoienden Thätigkeiten sind in der eigent- 
lichsten Bedeutung menschliche Handlungen (1. 2. q. 1. a. 1.). 

25. Wie haben wir nun die Freiheit subjectiv genauer auf- 
zufassen? Was ist sie? ein Vermögen, eine Potenz? oder ein 
Habitus? oder eine Thätigkeit? 

An mehreren Stellen spricht der heil. Thomas von der An- 
sicht einiger Autoren, welche die Freiheit als Qualität oder Habitos 
anneifamen. Diese behaupten nämlich, das Wort: Freiheit bedeute 
nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche eine Qualität oder einen 
Habitus, obgleich mit demselben Namen auch ein Vermögen oder 
eine Thätigkeit bezeichnet werde, wie ja auch das Wort: Ver- 
stand manchmal das Vermögen, manchmal den Habitus oder 
manchmal den Act bezeichne. Indessen ist dieser Habitus, welchen 
sie unter dem Worte : Freiheit verstehen, nicht eine Qualität^ die 
zu dem Vermögen, zu der Potenz hinzukommt, sondern eine ge- 
wisse Tauglichkeit der Potenz ftir den Act oder eine gewisse 
Leichtigkeit, Fertigkeit, welche einer Potenz aus der Unterstützung 
äer andern erwächst. Aus diesem Grunde wird nach ihrer Mei- 
nung die Freiheit die Fähigkeit des Verstandes und Willens 
genannt. 

Diese Lehre wifd vom englischen Meister bekämpft. Es ist 



— 51 — 



{ 



ein Missbraach; den man mit dem Worte: Habitus treibt^ bemerkt 
S. ThomaS; wenn man die Freiheit einen Habitus nennt; denn der 
Habitus bedeutet seinem eigentlichen Namen nach eine Qualität, 
(iarch welche das Vermögen oder die Potenz informiert und ver- 
vollkommnet wird; und welche das Princip für den Act bildet. 
Nimmt man darum den Habitus im eigentlichen Sinne, so muss 
er zu der Potenz, wie die Vervollkommnung zu dem, was ver- 
vollkommnet werden soll, hinzukommen. Überdies ist es unmöglich, 
dass die Freiheit ein Habitus sei, wenn man die Vernunft und 
den Willen an sich betrachtet. Nimmt man jede für sich, so ist 
klar, dass beide Vermögen oder Potenzen sind. Wird die Freiheit 
nun von der einen oder der andern gebildet, so kann sie in beiden 
Fällen nur eine Potenz sein. Oder man betrachtet die eine Po- 
tenz mit Bezug auf die andere, und dann kann man abermals 
nicht sagen, die eine sei der Habitus der andern. Eine Potenz 
bildet niemals den Habitus einer andern Potenz. Endlich kann 
man noch die Beziehung selbst, welche die eine zu der andern 
hat; ins Auge fassen. Allein auch diese Beziehung darf nicht 
Habitus genannt werden. Der Habitus gehört dem Prädicamente 
der Qualität an, nicht jenem der Beziehung oder Relation. Es ist 
also, schließt der Doctor Angelicus, nicht vernünftig gesprochen, 
wenn man die Freiheit einen Habitus nennt. 

Andere Autoren verstanden unter dem Worte: Freiheit ein 
Vermögen, eine Potenz, aber nicht eine Potenz absolut, sondern 
eine solche, die durch einen Habitus vervollkommnet ist. Dieser 
Habitus ist nach ihrer Ansicht nicht ein ei*worbener oder ein ein- 
gegossener, sondern ein natürlicher. Durch diesen Habitus geht die 
Potenz mit solcher Leichtigkeit in Thätigkeit über, dass man von 
ihr sagen kann, sie besitze die Herrschaft über ihre Thätigkeit. 

Diese Anschauung ist nach S. Thomas abermals unrichtig. 
Der Wille hat die Herrschaft über seine Thätigkeit aus der Natur 
der Potenz selbst. Diese Leichtigkeit besitzt er folglich durch sich 
selber, nicht durch irgend einen Habitus. Überdies dient der Habitus 
nicht dem Zwecke, dass überhaupt eine Thätigkeit erfolge, 
sondern dass sie gut vonstatten gehe. Die Freiheit dagegen ist 
, dasjenige, wodurch ein Act vollzogen wird, unbekümmert darum, ob 
dies gut, schlecht oder in einer ganz indifferenten Weise geschieht. m 

-^ie Freiheit ist folglich nicht ein Habitus im eigentlichen Sinne, ; 

sondern jenes Vermögen, jene Potenz, deren Act Auswahl genannt ^ 

(«;ird (2. dist. 24. q. 1. a. 1.). Und in der That ist der Beweis, dass 
[die Freiheit nicht ein Habitus sein könne, unschwer zu liefern. d 

Das Subject eines Habitus kann nur eine Potenz sein. Wir wissen 1 

jJ^ber, dass die Freiheit durch die Gnade, die ein Habitus ist, ver- 
vollkommnet wird. Sie kann somit unmöglich selber ein Habitus 
iein. Wäre sie in der Wirklichkeit ein Habitus, so könnte es nur 
'in natürlicher Habitus sein. Dem Menschen kommt ja die Frei- 

4* 

i 

. 9 



— 52 — 

heit natürlicherweise zu. Allein hinsichtlich dessen, wad wir dnrch 
unsere Freiheit erreichen, dürfen wir nicht einen natürlichen 
Habitus besitzen. Was \^r durch einen* natürlichen Habitus 
erwirken, das ist nicht etwas Freies, sondern mit Nothwendig- 
keit und naturgeinäßer Neigung Vollbrachtes. Dieses bildet 
demnach den geraden Gegensatz zu der Freiheit. Dieser natür- 
liche Habitus zerstört darum das Wesen der Freiheit Unmöglich 
kann er also die Freiheit selber sein (J. p. q. 83. a. 2.). Der Ha- 
bitus bestimmt, beschränkt die Potenz, die Freiheit hingegen ver- 
langt nothwendig Unbestimmtheit, Indifferenz dem Verschiedensten 
gegenüber: Frei geschieht dasjenige, was der Macht der wir- 
kenden Ursache untersteht. In unserer Macht aber haben wir 
etwas vermöge der Potenz, in Kraft des Willens, nicht auf Grund 
eines Habitus. Das Wort Freiheit bezeichnet folglich eine Potenz 
absolut genommen (de yeritate q. 24. a. 4.). 

Daraus folgt die Antwort auf die früher gestellte Frage: ob 
die Freiheit der Act oder die Thätigkeit des Willens sei, von 
selber. Nach der Wortbezeichnung bedeutet Freiheit allerdings 
einen Act, eine Thätigkeit. Geniäß dem igewöhnlichea Sprach- 
gebrauche jedoch wird damit das Princip der Thätigkeit be- 
zeichnet Wenn wir sagen, der Mensch sei frei, so meinen wir 
damit nicht, er urtheile thatsächlich oder actuell frei, sondern er 
besitze die Macht, wodurch er frei urtheilen kann (de verit&te 
q. 24. a. 4. c. und ad 13.). Wir wollen mithin durch das Wort: 
Freiheit auf dasjenige hinweisen, wodurch der Mensch frei urtheiit, 
auf die Potenz. Dieses Verfahren ist nicht ein unrichtiges. Im 
Gegentheil ist es gewöhnlich, wie der englische Lehrer bezeugt, 
dass eine Potenz mit dem Namen ihres Actes, ihrer Thätigkeit 
bezeichnet vnrd. Auf diese Weise wird durch das freie Urtfaeil, 
welches ein Act ist, auch die Potenz frei genannt. Eine Thätig- 
keit kann das Wort: Freiheit schon ans dem Grunde hiebt be- 
deuten, weil die Freiheit dann dem Menschen nicht inuuer zu- 
käme. Er ist ja nicht immer nach diesef Richtung hin in Thätig- 
keit (1. p. q. 83. a. 2. c. und ad 1.). Die Freiheit selber* hat ihre 
Thätigkeit, ihren Act in der Gewalt, sie kann folglich nicht selber 
dieser Act oder diese Thätigkeit sein. Man kann doch unmöglich 
sagen, dass etwas sich selber in der Gewalt habe, über sich 
selber frei verfüge. Wäre die Freiheit wirklich mit der Thätig- 
keit, dem Acte identisch, so müsste man fragen, ob dieser Act 
von der Potenz, welche den Act vollzieht, frei oder mit Noth- 
wendigkeit ausgeübt worden? Ist ersteres der Fall, so wird man 
dadurch gezwungen, eine freie Potenz anzunehmen und voraus- 
zusetzen, denn die Potenz ist das Princip des Actes. Wenn der 
Act ein freier ist, muss es nothwendig auch die Potenz sein. Einer 
unfreien Potenz entspringt niemals ein freier Act Und diese 
Potenz kann nicht durch den Act frei sein, weil sie früher ist 



_ 53 — 

als ihr Act. Darum erweist sieh auch die zweite Annahme; dass 
die Potenz, mit Nothwendigkeit thätig sei und trotzdem ein freier 
Act daraus hervorgehe/ als unmöglich: Da nun in der Seele nach 
Aristoteles nur drei Dinge sind; die Potenz, der Habitus und die 
Leidenschaft, so folgt mt voller Klarheit, dass die Freiheit eine 

* Potenz bezeichnen muss. Die Willensthätigkeit ist, obgleich dem 
Willen immanent, ein Effect, ' eijie Wirkung der freien Potenz. 

'26. Die Freiheit muss, ihrer subjectiven Seite nach betrachtet, 
eine Potenz gebannt werden. Welche ' Potenz ist es nun, die den 
Namen Freiheit führt? Ist es eine eigene, von den andern unter- 
schiedene, oder kommt der Begriff: Freiheit mehreren Potenzen zu? 

Aus 'der bisher vorgetragenen Lehre des Doctor Angelicus 

* ist zu entnehmen, dass die Freiheit einen Vorzug, ein Plrivileg dß» 
Menschen bildet Der Mensch unterscheidet sich aber von den 
übrigen Weseü durch den geistigen Th eil, die Seele. Die Freiheit 
aiass daruln subjec\iv im höheren,, geistigen Theile des Mensche^ 
sein. Sie . kommt also dem Menschen formell als einer vernünftigen, 
geistigen Substanz zii. Indessen wird auch der niedere Theil*im 
Menschen,. vrte wir früher von S; Thomaq' gehört haben, vernünftig 
durch Anüieilnahme genannt. Auch der niedere Theil des Menscheu- 

■ participiert somit einigermjaßen an der Freiheit. In welcher Weise 
dies geschieht, 'wurde früher dargelegt. Der sinnliche Theil im 
Menschen ist vernünftig durch Antheilnahmö, insoCern er der.Ver- 
napft und dem Willen gehorcht, von diesen beiden Potenzen zu 
seiner Thätigkeit bestinunt und bewegt wird. Diese Thätigkeit 
heißt actus imper<Uu8, weil das unmittelbare Princip derselben 
zwar ' eine ' der sinnlichen Potenzen, das entfernte, eigentlich be- 
wegende, die Thätigkeit veranlassende aber der Verstand und 
der Wille sind. Die Thätigkeit der sensitiven Potenzen -lietzen 

, daher die Freiheit .schon voraus und sie haben Antheil an der- 
selben, weil sie von ihr geleitet werden können. 'Wo keine Unter- 
ordnung und Lenkbarkeit durch den höhern Theil im Meqßchen 
statthat, wie der vegetative keine aufweist, da ist auch von einer * 
Freihisit wedpr im formellen Sinne^ noch gemäß einer Antheil- 
nahme die Rede.* Bei unserer Frage handelt es sich um das un- 
Diittelbare Princip der freien Thätigkeit, insofern ein Act 
foi^mell frei genannt werden muss. Dass dieses Princip ni6ht 
im sensitiven Theile gesucht werden' dürfe, steht nach dem bisher 

* Dargelegten außer allem Zweifel. , Der höhere geistige Theil des 
Menschen bildet das unmittelbare Princip ^es freien Actes. 

Dieser Theil hat zwei Potenzen : die Vernunft und den Willem. 
Welcher dieser beiden besitzt nun formell die Freiheit? Der 
englische Meister zählt diesbezüglich mehrere Ansichten auf. Die 
erste behauptet, die Freiheit sei nich*t eine bestimmte geistige 
Potenz, sondern die Summe aller Söefenkräfte, gleichsam das aus 
seinen Theilep zusammengesetzte universelle Ganze. Allein »das 



•» 



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• t. 



— 54 — 

ist nicht richtig, erwidert S. Thomas, denn die Freiheit wäre dann 
ihrem Sein nach vervielfacht, weil es mehrere Potenzen gibt. 
Zudem müsste das Wesen der Freiheit in den einzelnen Potenzen 
enthalten sein. Indessen entwickelt nicht jede Potenz im Menschen 
eine freie Thätigkeit, sondern nur eine g^nz bestimmte. 

Eine zweite Ansicht behauptet, die Freiheit umfasse mehrere 
Potenzen, wie das integrierende Ganze seine Theile. Allein das 
ist unmöglich, bemerkt der englische Lehrer. Die Potenzen sind 
nicht integrierende Theile eineS' Ganzen; wenn dieses Ganze 
schlechthin eins ist. ' Die Freiheit aber ist schlechthin eins, 
denn es kommt ihr ein ganz bestimmter Act zu: die Auswahl 
Ein specieller Act kann nicht unmittelbar von zwei Potenzen 
ausgeübt werden, sondern von der einen mittelbar, von der andern 
hingegen unmittelbar, insofern das, was der einen Potenz an- 
gehört, auch in der andern enthalten ist. Ein Ding kann nämlich 
auf zweifache Weise mehrere andere enthalten. Zunächst wesentr 
lieh, wie das Ganze seine Theile umfasst ; in zweiter Art virtuell, 
wenn eines au der Kraft mehrerer Antheil hat. Die Freiheit be- 
greift nicht wesentlich, wohl aber virtuell mehrere Potenzen 
in sich. An und für sich ist sie eine bestimmte Potenz. Alle Po- 
tenzen der Seele nehmen ihren Ursprung von der Wesenheit der 
Seele, denn sie sind Eigenschaften, die aus den Wesensprincipien 
hervorgehen, sogenannte accidentia propria. Indessen ist in dem 
Ursprünge eine gewiss^ Reihenfolge zu beobachten, indem die 
eine die andere voraussetzt, und auf diese Weise, sozusagen 
mittelst der andern von der Wesenheit der Seele sich herleitet 

' Dieser Process ist an den Thätigkeiten oder Acten erkennbar. 
Die Thätigkeit des Strebevermögeus z. B. setzt jene der Erkenntnis- 
kraft voraus. Gleichwie daher die Kraft der Seele in ihren Po- 
tenzen zurückbleibt, so enthält auch die spätere Potenz die Kraft . 
der frühem, voitiusgehenden. Infolge dessen kann eine Potenz die 
Kräfte mehrerer .anderer ah sich haben. Mit der Freiheit verhält 

• es sich thatsächlich so. Die Auswahl, der eigentliche Act der 
Freiheit, bedeutet ein Zweifaches : ein Urtheil, eine Entscheidung, 
und die Neigung zu .dem, was durch die Entscheidung als gut 
dargestellt wird. Aui^wählen heißt eines mehr wünschen als das 
andere. Dazu gehört aber die Kraft des Verstandes und Willens. 
Die Freiheit umfasst daher die Kraft des Verstandes und Willens 
(2. dist. 24. q. 1. a. 2. — de veritate q. 24. a. 5.). Die Freiheit ist ' 
somit wesentlich eine einzige Potenz, virtuell dagegen zwei- 
fj^ch, denn zu der Auswahl, dem eigentlichen Acte der Freiheit, 
trägt etwas der Verstand und etwas der Wille bei. Von selten 
der Vernunft haben wir den Rath, wodurch beurtheilt und ent- 
schieden wird, was den* andern vorzuziehen sei; das Strebe- 
vermögen, der Wille neigt 'sich zu 'dem, «was durch die Vernunft 
entschieden worden ist (1 . p. q. 83. a. 3.). Da indessen der Wille 



— 55 — 

es ist, der eine Auswahl trifft, so wird die Freiheit baupt- 
aäehlieh dem Willen zugeschrieben, nicht absolut, soudem 
insofern die Eraft des Verstandes ond der Ratb ei- 1 Lei lern! ea 
Venranft mit ihm verbunden ist. Etwas ^nz Gleiches ist in der 
Specnlation Dachweiabar. Der Verstand befasst sich mit den eri^ten 
Principien, die Vernunft mit den Sehlnsefulgernngen. Diu eigent- 
hche Thätigkeit der Vernunft besteht demzufolge darii], ans <[en 
Principien Schlüsse abzuleiten. Schlosse ziefaeu aber kunimt der - 
Vernunft nicht absolut zn, sondern insofern sie die Kraft des 
Verstandes enthält (2. dist 24. q. 1 . a. 3.)- 

Die Freiheit ist daher formell, aufgeEasst, nichts atider.eB, 
als das geistige Strebevermljgen selber, denn jenes \'crmügen, 
jeoe Potenz, welcher eine freie Thätigkeit, der Freibcitsaet zu- 
kommt, wird auch von diesem Acte also benannt. Man darf sie 
jedoch nicht ohneweiters und absolut Willen nennen, weil iht 
die- freie Thätigkeit nicht absolut zukommt, sondern in l>eziehuug 
zu der Vemunftl Sie fllhrt darum einen eigenen Namen, der von 
der Vernunft und dem Willen sieh unterscbeideC. Das Wort : Wissen 
ist ja auch dem Namen nach sowohl vom Verstände n\ä von der 
Vernunft verschieden (ib. ad 1.), Dem Qrnnde nach oder jw^ica- 
■ lüer gehö'rt die Freiheit der Vernunft an, wie sich ana tler nach- 
folgenden Tlnter&uchung ergeben wird, 

27. Die Freiheit als Potenz ist idenfisch mit dem Willen, 
diesen letztem nicht absolut genommen, . sondern in i^äiner Ab- 
hängigkeit, vom Versfande, Daraus geht nnwiderlegliiti hervor, 
dasB die Vernunft mit der Wahlfreiheit in einem nahem /.u^auimen- 
haifge steht, dase die Vernunft dabei hervorragend bcthedigt er- 
scheint In Tirelcher Weise ? Ist die Vernunft formell dii^ l'reiheit, 
. mit ihr formell identisch? Es' scheint so, denn der beil. Thomas 
lehrt, die geiatigen Potenzen seien frei, der Mensch i^ei formell 
deshalb frei, weil er eine vernünftige, geistige Natur beriitzt. Der_ 
Verstand oder die Vernunft aber sind Vermögen der geistigen 
Natur. Es hat somit den Anschein, daas nicht nui- der Wille, 
sondern auch die Vernunft formell frei ist. Ja dei Vemimft 
mass die Freiheit formell weit mehr zukommen als d^^m Willen. 
Denn ist der formelle Grund unserer Freiheit die Gcistigkeit, 
so muss jenes Yermfigen, das an Geiatigkeit die andern über- 
trifft, auch formell freier sein. Die Vernunft überragt aber alle 
andern VermiSgen, selbst den Willen, durch ihre geistige Natur. 

Trotz dieses ^egengrundes müssen wir behauptet), dass die , 
Freiheit nicht formell in der Vernunft liegt. Die Thätigkeit 
imser«r Freiheit besteht formell in der Auswahl. Wir werden 
ans dem Grunde frei gesaunt, weil wir das eine ncluncn, das 
andere zurückweisen können, was nichts anderes ist, als aus< 
wählen. Die Natur, das Wesen der Freiheit muss dain'm von 
1 Seiten der Ait^wahl ins Auge gefasst werden. Die Vernunft tiägt 



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— 57 



wendigen Beziehung der Schlassfojgerung zu den Prineipien wird 
der Verstand selbst durch die Principie-n genöthigt, den 
Schlnssfolgemngen seine Zustimmung zu geben. Kein Gegenstand 
oder Objeet tler Freihei); aber .steht mit dem Endziele in eineir so 
' nothwendigen Verbindung, dass das Endziel ohne dieses Mittel, 
das eigentliche Objeet der Freihi^it, . nicht erreicht werden könnte. 
Zu- dem Endziele kann man in der Wahrheit oder wenigstens 
scheinbar auf verschiedenen Wegen gelangen. Die Freiheit weiß 
darum von keine.r Noth.wendigkeit^.wie die Vernunft eine 
solche kennt (de veritate q. 22. a. 6« ad 4.). Die Vernunft kann 
sogar gezwungen werden, etwas einzusehen, der Wille dagegen 
niemals ej;was zu .begehren. Ebenso stimmt das Denkvermögen 
nicht allein den ersten Prineipien mit Nothw^hdigkeit bei, 
sondern auch den Schlussfolgerungen in der demonstrativen Beweis- 
führung. Der Wille hingegen ist nie in nothwendiger Weise 
th&tig, ' selbst dann nicht, wenn er^das Gut und die Glückselig- 
keit im allgemeinen, begehrt. 

Es darf auch nicht zugegeben werden, dass die Vernunft in 
jederBeziehung voUkonünener sei als der. Wille. Gerade mit 
Rilcksicht auf die Freiheit ist das Gegentheil der Fall. Die Ver- 
nimft bewegf den Willen bloB o b j e o t i v, indem sie ein Gut, das 
Endziel od^r das Mittel zum Ziele d^m Willen vorstellt. Die Be- 
wegung durch die Vernunft erfolgt, wie der englische Lehrer sagt, 
p^ modum finis. Der Wille aber bewegt alle ihm unterstehendeif 
Kräfte, selbst das Denkvermögen, als wirksame Ursache, oder.* 
per tnodUin agentis (de veritate q. 22. a. 12. — 1. p. q. 82. a. 4.). 
Die Herrschaft des Willens Über die Tl)ätigkeiten, Acte der ver- 
schiedeneq Veimögen^ ist dalher viel größer als jene der Vernunft 
In dieser Herrschaft über die Thätigkeiten aber besteht wesent- 
lich und formell die Freiheit. Überdies bestimmt und bewegt 
.der Wille sich selber, ein Beweis, dass die Freiheit formell 
in ihm ist, denn sich selber bewegen per modum agentis zeugt 
von dem innei'sten Wesen der Freiheit. 

28. Die Freiheit ist formell im geistigen Strebe vermögen. 
Ist der Wille dann auch zugleich das Prinoip, der Grund 
und die Wurzel der Freiheit? Einige Autoren behaupten es. 
Und wenngleich das Urtheil der Vernunft nothwendig vorausgehen 
mnss, damit der Wille eine freie Thätigkeit entfalten kann, so 
ist doch dieses Urtheil nach ihrer Ansicht bloß Gelegenheit 
oder Bedingung sine qua non, keineswegs aber Ursache oder 
Princip der Freiheit. Die Freiheit des Willens, meinen diese Ge- 
lehrten, hängt durchaus nicht von der Indifferenz des Urtheils 
als dem Principe ab, sondern von sich selber. 

Diese Lehre muss, als eine unrichtige, fallen gelassen werden. 
Die Grundlage und Wurzel der Freiheit des Willens liegt gerade 
in der Indifferenz des Urtheils der Vernunft. An mehr als einer 



— 58 - 

Stelle unterscheidet der englische Lehrer die freien Wesen von 
deo nnfreien dadurch, dass erstere ein freies, letztere nicht ein 
freies Urtheil haben. Berechnnng, Vergleichnng sind aar da mög- 
lich, wo da^ Urthei! an sich vielen indifferent gegentlbersteht, 
Die Freiheit aber stützt sieh auf die Vergleichung nnd Berecbnnog 
durch die Vernunft. „Bomo agU judicio, quia per vim cognoscitivam 
judicat aliquid esse fugiendum vel prosequendum. Sed quia Judi- 
cium istud TUm est ex naturali instinctu, in particulari operabäi, 
sed ex collatiotie quadam 'rtäümis, ideo agit libero judicio, poltm 
in diversa ferri. Ratio enitn- circa cotdingeniia habet viam ad op- 
posita, ut patet in dialedicis syllogistnis.ä, rhetoricis persuasionihts. 
Particularia autem operqbilia sunt quaedam cotUingentia. Et ideo ctrea 
ea Judicium rationis ad diversa se habet et nan est determinatum 
ad unum. Et pro tanto necesse est, quod Homo sit liberi arbitrii ex 
hoc ipso quod rationalis est" (1. p, q, 83. a. 1.). Der Wille bildet 
darum als Snbject die Wurzel der Freiheit, die Vernunft da- 
gegen als Qrund und Ursache. Der Wille kann deshalb 
frei nach vielerlei streben, weil die Vernuuft verschiedene Aaf- 
fassongen des Quts ihm voratellt. Die alten Philosophen definieren 
daher die Freiheit als freies Urtheil der Vemnnft, so dasa die 
Vernunft Ursache- der Freiheit ist (1- 2: q. '7. a. 1. ad 2.). 

Die tiefere Begründimg dieser Wahrheit wird wiederam im 
Abhängigkeitsverhältnisse des Willens vom Verstände gesacht 
"werden müsBen. Wir haben früher schon von S. Thomas die Lehre 
■ vernommen Über den Ursprung der Seelenkräfte ans dem Wesen 
der Seele selber. Es besteht eine gewisse Ordnung, sagt der eng- 
lische Heister, so daes das eine Vermögen das andere voranii' 
setzt, und sozusagen vermittelst ded andern ans 'der Wesenheit 
der Seele hervorgeht Ans diesem Grunde setzen die sinnliche nnd 
geistige Strebekrafl das sinnliche und geistige Anffassnngs- oder 
Erkenntnis vermögen voraus. Nach der Ordnung der Vermögen 
oder Potenzen richtet sich die Ordnung der Thätigkeiten. Damia 
setzt der Willensact nothwendig, den, Act der Vemnnft voraus. 
Der Satz: Ignoti nuUa cupido findet darin seine Bestättgnng 
(2. dist. 24. q. 1. a.2.). Die Thätigkeit der Vernunft ißt somit 
nicht bloß Gelegenheit oder nothwendige Vorbedingung fUr die 
freie Thätigkeit des Willens, sondern eine wirkliche Causalität 
Sie bewirkt nicht den Willensact schlechthin, dies kommt dem 
Willen selber zu, sie bewirkt jedoch, dass dieser Willensact frei 
oder unfrei, zn einem Objecte nothw.endig bestimmt oder nicbt 
bestimmt durch den Willen ansgellbt werde. Die Vemnnft nimmt 
nicht Einfluss auf die Substanz der Willensthätigkeit, wobl aber 
auf die Art und Weise oder den modus dieser Thätigkeit. Denn 
jede Thätigkeit richtet sich nach dem formellen Princip oder der 
Form, durch welche ein W^sen thätig ist. Das formelle Princip 
aber, wodurch das Strebevennögeu thätig ist, wird vom erkannten 



— 59 — 

Gut gebildet. Wie sich daher der Wille zu diesem von der Ver- 
nunft erkannten und vorgestellten Gut verhält, so wird auch die 
Willensthätigkeit^ der Act sich verhalten. Das Princip im Menschen 
sind eigentlich Verstand und. WiUe. Und dieses Princip kommt 
einerseits mit dem activen Principe der Naturdinge überein, während 
es andererseits sich wieder davon unterscheidet. Beidq kommen 
darin tiberein, dass sie eine Form, die Princip. der Thätigkeit ist, 
und eine Neigung, die auf diese Form folgt, besitzen. Bei den 
Naturdingen heijßt diese Neigung natürliches Strebevermögen, 
appetUua naturalis , und dieses bildet das Subject, aus welchem 
die Thätigkeit hervorgeht. Im Menschen haben wir die erkannte 
Form und die Neigung des Willens zu dieser erfassten Form, 
worauf dann die äussere Thätigkeit folgt. Der Unterschied aber 
besteht darin, dass die Focm der Naturdinge durch die Materie 
zu einer individuellen bestimmt und damit auch die folgende 
Neigung auf eines beschränkt wird, während die von der Ver- 
nunft aufgefasste Form allgemeiner Natur ist*, unter welcher 
vieles miteinbegriffen erscheint. Da nun die Thätigkeiten etwas 
Singular es sind, wird durch keine derselben die Potenz, das 
Vermögen für das Allgemeine erschöpft. Die Neigung des Willens 
bleibt folglich dabei unbeschränkt und sie verliert dadurch nicht 
ihre Indifferenz für vieles. Diese Wahrheit lässt sich ohne Mühe 
durch ein Beispiel klar machen. Der Künstler entwirft im allge- 
meinen die Idee, den Plan eines Hauses. Diese allgemeine Idee 
eines Hauses lässt noch die verschiedensten Formen, Figuren für 
dasselbe offen, die Idee selbst ist zu keiner bestimmt. Der Wille 
kann daher zu dieser od^r jener Sich neigen, für diese oder jene 
sich bestimmen.' * . ' 

Das active Princip in den Thieren steht in der Mitte zwischen 
dem der Naturdinge und /eriem der vernünftigen Geschöpfe: Die 
mittelst der @inne aufgenommene Form ist indiViduell gleich der 
Form in den Naturdingen. Dieser Form folgt darum die Neigui^g 
zu' einem Acte wie bei den Naturdingen. Weil indessen diese 
Sinne nicht stets die nämliche Form aufnehmen, sondern bald 
diese^ bald eine andere,* was bei den Naturdingen nicht zutrifft, 
deshalb erfolgen bei dem Thiere verschiedene Thätigkeiten. Das 
einemal flieht es, das anderemal strebt es nach dem vorgestellten 
Gut. Hierin konunen folglich die Thiere mit dem activen Principe 
der vernünftigen Wesen überein (de malo q. 6. a. unic). Aber 
auch insofern sind sie den vernünftigen Wesen ähnlich, als sie 
in Wahrheit ein Urtheil besitzen. Freilich ist dies Urtheil in ihnen 
ein natürliches, ein vom Schöpfer der Natur eingegebenes. Da- 
durch unterscheiden sie sich von allen andern, und dies ist auch 
der Grund, warum sie resp. dieses ihr Urtheil nicht die Ursache 
der Freiheit in ihnen sein kann, warum sie überhaupt nicht frei 
sind. Der Mensch hingegen urtheilt über das, was zu thnn ist. 



— 60 — 

• • • 

er urtheilt über seine Freiheit selber, denn er erkennt das Wesen 
des Zieles und Mittels^ er beg^reifl; die Beziehung und Hinordnong 
des einen zum andern.* Er . ist darum nicht s^lein die Ursache 
fieiuer selbst hinsichtlich der Bewegung, sondern auch in Betreff 
des Urtheils. Aus. diesem Grunde besitzt er die. Freiheit, und 
es ist dies soviel, als wollte man sagen, er habe ein freies Urtheil 

. darüber, was zu thiin oder nicht zu thun ist (de veritate q. 24. a. \X 
Das Objectj welches Vom Verstände demi Willen vorgestellt, wira, 
hat demnach die Bedeutung einer jähren Caüsalität, es bewegt 
und specificiert. objectiv die.' Thätigkeit des WiHeos*. Folglich ist 
es mehr als eine conditio sine qua non, oder eine Gelegenheit, did 
Veranlassung gibt, dass der Wille in Thätigkeit tritt. Es ist viel- 
mehr das.Pnncfpiww radicale odet causale der Freiheit. 

' Kurz, aber klar h^t der. englische Meister diese Wahrheit in 
einem- Artikel seiner theologischen Summa zasammengefasst Er 
sagt daselbät : „In molu cujuMibet pofentitze a suo objecto consideranda 
est ratio, per quam objectüm movet potentiam. Visibile enim^movd 
Visum sub ratione coloris actu visibilis, Unde «f color proportionatur 
visui, ex tiecessitate movet ipsum^ nisi quis visum avertat, qtiod 
pertinet ad ^xercititm actus. 8i autem proponeretur aliquid visui, 
quod non omnibus modis esset color in actu, sed secundum aliquid 
esset, tale, secundum aliquid autem nofi tale, *non ex necessitate visui 
tale objectUm videret. Posset enim intehdere in ipsum ex ea parte, 
qua non est coloratum in actu, et sie ipsum non videret, Sieut 
autem coloratum'- in actu est objectüm vism, ita bonum est objectüm 
^oluntatis, Unde si proponatur aliquod objectüm voluntati, quo^'Sit 
universaliter bonum, et secundum omnem considerationem, ex necesÄ- 
tote 'volufütas in illud tendit, si aliquid velit, Non enim poterit vdh 
oppositum, 'Si autem proponatur sibi aliquod objectüm, quod non 
secundum quamlibet considerationem M^. bonum, - non ex necessitate 

, voluntas fertur in illud, . Et quia defectus cujuscumque boni .habet 
ratümem non boni, ideo illud solum bonum, quod est jperfeetum et 
ciii nihil deficit est tale bonum, quod voluntas non potest non veüe, 
quod est beatitudo, Älia autem quaelibet particularia bona, in quamr 
tum deficiunt ab aliquo bono, possunt accipi ut non bona. Et secw^ 
dum hanc considerationem possunt rqpudiari, vd approbari a polunr 
tote, quae potest in idem ferri secundum diversas con^ideratianes" 
(1. 2. p. 10. a. 2.). 

Diese Stelle des Doctor Angelicus gewährt uns einen voll- 
kommenen Einblick in die Bedeutung des vom Verstände erkannten 
Objectes für die Fr^siheit. Der Wille folgt der Erkenntnis oder 
dem erkannten Gut als seiner Form, seinem formellen Principe 
der Thätigkeit. Jede Thätigkeit aber folgt den Bedingungen seines 
formellen Principes oder der Form, wodurch das Wesen thätig 
ist. Je nachdem die Erkenntnis oder das Urtheil der Vernunft 
zu einem bestimmt oder indififerent zu vielen ist, wird daher 



— ■ «J ^ . 

die Thätigkeit des Willens bestimmt odei' indifferent ausfallen. 
Das Urtheil der Yernanft lautet mit Bezu^ auf jedes Öut, so- 
lange wir hier auf tlrden sind; indifferent, -d. 1). die Vernunft er- 
klärt, jedes Gut könne begehrt oder nicht begehet werden, jedes 
habe einen Tbeil der Güte, keines sei allseitig und in jeder Be- 
ziehung ein Gut. Der Wille wird folglich nach jedem derselben 
in der Weise streben, dass er auch nieht darnach streben oder 
auch das Gegentheir davon begehren kann. .Dies aber heisst ein 
Gut mit Indifferenz und Freiheit anstreben. DasNähere 
hierüber wird die Untersuchung über den Gegenstand, das Object 
der Freiheit bringen. 

Wie überall, so zeigt auch hier der englische Meister uns 
den Mittelweg, auf welchem allein die Wahrheit sich finden lässt. 
Der Wille in den vernünftigen Wesen ist in der Wirklichkeit frei. 
Dies zu beweisen ist ganz und ^ar nicht ' noth wendig, weil der- 
jenige, der es bestreitet, dadurch allein schon beweist,, dass er 
frei ist. Die tägliche Erfahrung an sich selbst und an andern 
Menschen belehrt jeden, dass er frei ist. Überall in . den ver- 
nünftigen Geschöpfen sehen wir Überlegung, Berathung, Vor- 
schriften, Ermahnungen, Tadel, Aussicht auf Lohn und Strafe, 
alles Beweise dafU'r, dass der Mensch mit Freiheit begabt^ mit 
Wahlfreiheit ausgezeichnet ist. Der englische Meister hat sich in- 
dessen mit dem Beweise für die Wahlfreiheit, der aus der Er- 
fahrung hergeleitet wird, durchaus nicht begnügt, sondern die 
Frage über die Freiheit in ihrem innersten Grunde klargelegt. 

Der Mensch ist frei, erklärt S. Thomas, denn sein höheres 
Erkenntnis- und Begehrungsvermögen siiid nicht auf eines der 
Art und dem Individuum nach beschränkt. Eine Begrenzung, 
weun man sie so nennen will, findet nur insofern statt, als sie 
zu ein^m der Gattung nach, zu dem universellen Gut bestimint 
sind. In welcher Weise diese Beschränkung eintritt, wurde früher 
gezeigt. Ebenso wurde nachgewiesen, dass eine Beschränkung 
dieser Art der Freiheit durchaus nicht im Wege steht, derselben 
vielmehr als. Grundlage dient. Da nun kein existierendes oder 
auch nur eingebildetes Gut in jeder Beziehung vollkommen, all- 
seitig ein Gut ist, so wird die Vernunft niemals hier auf Erden 
in die Lage kommen, dem Willen einen Gegenstand als univer- 
selles Gut, welches zugleich Ohjedum quod ist, vorzustellen. Infolge 
dessen bleibt der Wille diesbezüglich unbeschränkt, somit unter 
allen Umständen in seiner Auswahl frei. 

Diese Wahlfreiheit ist nichts anderes als, der Wille selber. 
Wir verstehen darunter nicht einen Habitus oder eine «u dem 
Willen hinzugekommene Vollkommenheit. Wir meinen mit dem 
Worte Freiheit auch nicht die Willensthätigkeit, den Willensact. 
Es ist auch nicht ein drittes Vermögen unserer. Seele, unter- 
schieden von der Vernunft und dem Willen. Der WiUe selber ist 



— 62 — 

es^ der, auf das indifferente Urtheil der Vernunft sich stützend, 
ein vorgestelltes Gut entweder begehrt oder abweist. Im Willen 
als Potenz, als geistigem Vermögen der Seele liegt formell die 
Freiheit der vernünftigen Wesen. 

Indessen ist der Wille eine blinde Macht, unfähig nach etwas 
zu streben, wenn es ihm nicht als ein Gut dargestellt wird. Um 
dieses -Gut frei zu begehi*en, um es anstreben oder auch nicht 
anstreben zu können, ist absolut erforderlich, dass es ihm nur als 
partielles, als beschränktes, nicht als allseitig und in jeder Hin- 
sicht vollkommenes Gut vorgestellt werde. Dies geschieht that- 
sächlich in Betreff jedes Gegenstandes. Dies ist selbst dann 
noch der Fall, wenn ihm das Gut und die Glückseligkeit im all- 
gemeinen vorgezeigt wird. Wenngleich diesbezüglich dasObject, 
die ratio boni, von ihm mit Nothwendigkeit begehrt wird, so bleibt 
doch seine Thätigkeit, der Act, wodurch er nach diesem 
Objecte strebt, ein particniäres, beschränktes Gut, und der Wille 
infolge dessen formell vollkommen frei. 

§ 5. Das tiefste innerste Wesen der Wahlfireiheit. 

29. Nachdem erwiesen, dasd die Freiheit formell im Willen, 
radical aber, oder ihrem Grunde nach in der Vernunft 
resp. in der Indifferenz des Erkenntnisvermögens besteht, wirft 
sich uns von selber die Frage auf, in welchem Zustande diese 
beiden Vermögen oder Potenzen sich befinden müssen, damit man 
sie im eigentlichen Sinne frei nennen kann? Welche Indifferenz 
gehört im strengsten Sinne dazu, dass das geistige Wesen ein 
freies, ein mit der Wahlfreiheit ausgestattetes ist ? Wird zu diesem 
Zwecke die active Indifferenz, oder die passive, privative ver- 
langt? Muss das geistige Wesen, um frei zu sein, sich in jenem 
Zustande befinden, in welchem es weder zu irgend einem Ob- 
jecte bestimmt ist, folglich jedem Objecte indifferent gegenüber- 
steht, noch auch irgend ein Objectthatsächlich, actnell 
will, also rein nnthätig sich verhält? 

Es ist allgemein bekannt, dass die Form als constitatiyes 
Element einer Wesenheit, Differenz, differentia specifica genannt 
wird. Sie verdient diesen Namen mit Recht, denn durch sie wird 
das andere constitutive Element, der Stoff, oder was sich wie 
Stoff verhält, zu einer bestimmten Art, zu einem bestimmten Seins- 
grad determiniert. Durch diese Bestimmung verliert das Stoffliche 
seine Indifferenz und tritt aus jenem Zustande heraus, in welchem 
es absolut zu allem indifferent ist. Der erste Stoff, die materia 
prima, bietet ups hieftir ein Beispiel. An und ftlr sich betrachtet 
besitzt dieser Stoff die größte Indifferenz, denn er kann alle 
stofflichen Formen aufnehmen, hat aber in sich selber gar 
keine. Darum ist er in diesem Zustande rein passiv, sein Ver- 



- 63 - 

hältnis ein rein privatives. Nimmt er eine Form auf, so büßt er 
diese seine absolute Indifferenz ein, denn er wird mit der Form 
ein bestimmtes Wesen. Allein er bleibt nichtsdestoweniger in- 
different f&r andere Formen, ^^r kann noch vieles andere werden^ 
obgleich er jetzt unter einer bestimmten Form, sich befindet. 

Verliert die erste Materie durch die Form ihre Vollkommen- 
heit ? Sie wird ja dem Zustande der absoluten passiven Indifferenz 
durch die Form entrückt? Ihre Vollkommenheit wird durch die 
Form nicht allein nicht geschädigt, sondern erst hervorgebraoht 

Ganz dasselbe muss vom Willen behauptet werden. Wie die 
stofflichen Dinge in ordine mtüativo aus Stoff und Form, die 
geistigen und überhaupt alle geschaffenen Wesen aus Wesenheit 
und j^istenz zusammengesetzt sind, so ist es auch der Wille in 
ordine operativo. Darum kann er sowohl active als auch passive 
Potenz genannt werden. An und für sich ist er rein passiv, 
denn er ist indifferent mit Bezug auf die Objecte und hinsichtlich 
der Thätigkeit. Er gleicht hierin vollständig dem Stoffe, wenn 
man letztem ohne irgend eine bestimmte Form betrachtet Daher 
muss er passiv genannt werden. Kurz, aber meisterhaft wie 
immer erklärt der englische Lehrer diesen Zustand des Willens. 
In seiner theologischen Summa hatte er nachgewiesen, dass der 
Wille manches mit Nothwendigkeit begehrt, nach einem 
Objecte, welches er daselbst nennt, auf natürliche Weise strebt. 
Gegen den Inhalt dieses Artikels wendet er sich nun mit folgender 
Schwierigkeit: „Der Wille begehrt nichts auf natürliche Weise 
(naturcditer), denn was einem Dinge auf natürliche Weise zu- 
kommt, das ist jederzeit (semper) in diesem Dinge. Dem Feuer 
kommt das Warmsein immer zu. Die Bewegung oder Thätigkeit 
des Willens aber, ist nicht ununterbrochen vorhanden. Folglieh 
kann man nicht sagen, dass irgend eine Bewegung 'oder Thätig- 
keit dem Willen auf natürliche Weise zukomme." 

Das Argument beweist, dass der Wille nicht immer active 
Potenz, oder wie der heil. Thomas an anderen Stellen sagt, Agens 
in aäu ist. Da es aber nur zwei Arten von Potenzen gibt : active 
und passive, so folgt daraus zur Evidenz, dass der Wille zur 
Zeit, wo er nicht thätig ist, passiv genannt werden muss. Es 
unterliegt demnach keinem Zweifel, dass der Wille manchmal 
passiv ist. Dies wird in der Antwort des englischen Lehrers auf 
diese Schwierigkeit auch gar nicht bestritten, vielmehr mit Bezug 
auf den Willen der Geschöpfe ausdrücklich behauptet und zu- 
gegeben. Von diesem passiven Zustande des Willens scliließt nun 
der Argumentant auf die Unmöglichkeit, dass der Wille et^as 
auf natürliche Weise begehre. Wie kommt er zu dieser Schluss- 
folgerung? Er verwechselt natürlich (naturaliter) mit wesentlich 
und sagt, wenn die Tbätigkeit zum Wesen des Willens gehört, 
wenn der Wille» wesentlich eine active Potenz ist, so kann 



— 64 — 

I 

.ihm die Tbjltigkeit niemals fehlen. Da dieses thatsächlich nicht 
der Fall ist, vielmehr oft das Gegentheil zutrifft, der Wille näm- 
lich untbätig ist^ so. ist klar erwiesen, dass er nicht wesent- 
lich activ, sondern passiv genannt werden muss. 

Die Antwort des Doctor Angelicns auf diesen Einwand ist 
interessant. Er sagt: „Was den Naturdingen. in der Weise natur- 
gemäß ist,' dass es ausschließlich der. Form folgt, das besitzeil 
dieselben stets, ohne Unterbrechung in der Wirklichkeit, in actu. 
Dagegen haben sie jenes Naturgemäße, das dem Stoffe folgt, 
nicht jedei-zeit wirklich, in actu, sondern manchmal bloß der Mög- 
lichkeit nach '(secundum potentiam .tantum). Die Form verleiht 
Wirklichkeit, ist Act, der Stoff aber Möglichkeit,. Potenz, und die 
Bewegung ist der Act desjenigen, was in der .Potenz existiert.. 
Was immer daher bei den Naturdingen zu der Bewegung gehört, 
' oder aus der Bewegung folgt, das ist nicht immer in^ bewegten 
Subjecte. Das Feuer z. B. strebt .nicht immer in die Höhe, sondern 
nur dann, wenn' es freien Spielraum hat^ „Ebenso^, schließt 
S.Thomas, „muss der Wille, der von der Potenz in den Act 
übergeführt wird, wenn er etwas will,' es nicht immer actu 
wollen, idondern bloß dann, wenn er sich dazu in einer bestinunten 
Disposition befindet. Dagegen ist der Wille Gottes reiner Act, 
lauteres Sein, und aus diesem Grunde immer actnell 
thätig" (1. 2. q. 10. a^, 1. .ad 2). 

30/ Diese Lehre des englischen Meisters ist von größter Wichtig- 
keit. Der Wille Gottes ist nicht zusammengesetzt aus Möglichkeit 
und Wirklichkeit, aus Potenz und Act. Darum ist er ununter- 
brochen thätig, in actu. Der Wille der Greaturen ist nicht jeder- 
zeit thätig, in actu. Und warum dies? Weil er nicht reiner Act, 
lauteres Sein ist. Der Wille der Geschöpfe ist also zusammen- 
gesetzt aus Potenz und Act. Solange er den Act nicht hat, ist er 
reine Potenz, also passiv und infolge dessen empfänglich fbr 
den Act, fähig, den Act aufzunehmen. Wie sehr man demnach 
im Rechte ist zu sagen, die Freiheit sei ein actives Vermögen, 
weil es dem geistigen Theile, der Form angehört, die das Princip 
aller Thätigkeit bildet, ebenso wahr spricht man, wenn man be- 
hauptet, sie sei ein passives Vermögen, weil sie nicht reiner 
Act, sondern als actives Princip zusammengeaetzt Ist aus 
Potenz und Act. Hat sie diesen Act nicht, dann ist sie. reine 
Potenz, also. rein passiv, oder wie man es mit andern Worten 
nennt: si^ ist indifferent fbr die Thätigkeit und Nichtthätigkeit. 

Um den Unterschied zwischen activer und passiver Potenz 
V\A auseinander zu halten, wollen wir eine Stelle des englischen 
Lehrers bieher setzen. „Die Potenz hat ihren Namen vom Acte. 
Der Act aber ist zweifach: der erste, der Form heißt, und der 
zweite, der Thätigkeit genannt wird. Es scheint nachr allgemeiner 
Übereinstimmung, dass der Name ,Act^ zuerst der Thätigkeit bei- 



* • 

- 65 -^ • 

gefegt wurde. Das verstehen alle unter dem Worte: ,Act^ Dann 
aber wurde dieser Name auch auf die Form übertragen, insofern* 
Dämlich die t'orm'tias Princip und Epdziel der Thätigkeit ist. 
Dieser zweifachen Auffassung des Actes zufolge muss auch eine 
doppelte Potenz unterschieden werden. Die eine ist die active, 
welcher der Act oder die Thätigkeit entspricht, und diese wurde 
ursprünglich Potenz genannt. Die andere« ist die passivje, welcher • 
der erste Act oder, die Form entspricht. Auf diese wurde der««» 
Name: ,Potenz^ in zweiter Linie übertragen. Gleichwie nun nichts 
verändert wird (patüur), außer auf Grund der passiven Potenz, 
ebenso ist nichts thätig auBer in Kraft des ersten Actes, der 
Form. Auf die Form wurde zuerst der Name: ,ActS von der 
Thätigkeit hergeleitet, übertragen. Active Potenz wird demnach 
' ein Vermögen genannt, insofern es Princip der Thätigkeit ist" 
(de potentia q. 1 . a. f.). — Aus diesen wenigen Sätzen des Doctor 
Angelicus ist der Begriff der passiven und activei) Potenz klar 
entwickelt. Wenden wir das soeben Gehörte auf unsere Freiheit 
an, und es muss -sich Folgendes ergeben: Der Wille ist passive 
Potenz, wenn er iw. ordifie operativo keine Form hat, denn- der 
passiven Potenz correspondiert der erfete Act, jüe Form. Der Wille 
ist active t'otenz, wenn er thätig ist, einen Act vollzieht, denn 
der activen Potenz entspricht äie Thätigkeit, die operatio. Von . 
daher hat *sie ihren Namen^ wie die pa^ive den ihrigen von der 
Form herleitet. Der heil. Thomas lehrt aber, wie wir vorhin. ge- 
sehen haben, der Wille sei nicht .immer in actu, nicht fort- 
während thätig. Somit ist er nicht ununterbrochen active, sondern 
manchmal passive Potenz, er ii^t nicht selten indifferent. 

Diese Indifferenz ist zweifach, activ. und passiv. Der Wille 
der geschaffenen Wesen hat eine doppelte Beziehung : zu seiner 
Thätigkeit und zu dem Gegenstande* oder Objecte. Die Thätig- . 
keit selbst muss abermals in doppelter Weise betrachtet werden: 
Die Thätigkeit ist zunächst ein Effect, eine Wirkung- der Po- 
tenz. Da aber eine Wirkung nur von einer activen, niemals von 
einer passiven Potenz herstanunen kann, so liegt es klar vor 
Äogen, dass der Wille bezüglich seiner T)iätigkeit aetives^ 
nicht aber passives Princip genannt werden^ muss. Diese active 
Potenz ist insoferne indifferent, als sie gemäß ihrer Form, durch • 
welche sie thätig ist, weder subjectiv noch objectiv von einem 
Stoffe abhängt, noch auch zu einem einzigen Acte bestimmt 
wird. Subjectiv nicht, weil die Bewegung durch Gott in ihr als 
geistiger Potenz, daher ^^on jedem leiblichen Organ unabhängig, 
aufgenommen wird; aber auch objectiv. nicht, weil der formelle 
Grund, der erkannte Gegenstand -abstracter Natur ist. .Weder die 
Bewegung durch Gott, die nach Art einer Form^ aber per modunt 
transeurUis oder passionis den Willen in Thätigkeit setzt, hat mit 
dem Stoffe, etwas zu thun, da sie im Willen selber aufge- 

Feldner, Willensfreiheit. 5 . 



- 66 - 

nommen wird; noch die objective Form, das bonum sub ratiöne 
'boni, öder das Mittel, insofern es Mittel ist. Der Wijle wird aber 
auch nicht zu einem einzigen Acte bestimmf/ denn Gott bewegt 
ihn seiner Natur entsprechend, und die Freiheit verlaugt, weil 
dies in ihrem Wesen liegt, nicht zu einem einzigen Acte bestimmt 
zu werden; denn der Act ist etwas Particuläres. Ebenso stellt 
f die Vernunft ihm nicht .ein einzigem, sondern bald dieses, bald 
^jenes begehrenswerte Gut vor. Somit ist auch »die objective Form 
eine vielfache. Sie wird ihm sogar nicht selten da^ Unthätigsein 
als ein Gut vorstellen. Weil der Wille demnach viele Acte voll- 
ziehen kann, deshalb bleibt er Herr seiner Thätigkeiten. Es steht 
in seiner Macht, diesen oder jenen, selbst gar keinen Act ansza- 
üben. Und wenn er einen vollzieht, kann er davon ablassen und 
einen andern ausüben. Obgleich active Potenz, muss er dennoch 
zufolge dem soeben Dargelegten, indifferent genannt werden. Dies 
ist die active Indifferenz des Willens. Der Stoff ohne Form 
ist passiv, mit einer Form activ indifferent. 

31. Die Thätigkeit des Willens muss aber noch von einer 
andern Seite aus, nämlich als Vervollkommnung des Willens be- 
trachtet werden. Die Thätigkeit des Willens, der Willensact, ist 
als Effect etwas Immanentes, ein der Potenz inhärierendes Acci- 
.dens. Jedes Accidens bildet, als ein positive Seiendes, wie es 
die Thätigkeit ist, eine Vervollkommnung der Potenz, welcher, es 
inhäriert. Es verhält sich, wie die Form zum Stoffe, zu der Ma- 
terie und die Form ist dasjenige, wodurch etwas vervollkommnet 
wird. Vergleichen wir also die active Potenz mit ihrer Thätigkeit, 
die ein Effect, eine Wirkung von ihr ist, so müssen wir gestehen, dass 
diese active Potenz, von einer andern Seite betrachtet, zugleich 
passive ist. Das aufnehmende Subject, dasjenige, dem ein an- 
deres inhäriert, verhält sich* ja empfangend, somit passiv dem- 
jenigen gegenüber, welches aufgenommen wird und dem es in- 
häriert. Die Willensthätigkeit inhäriert nun thatsächlich der activen 
Potenz,' weil sie etwas Immanentes ist. Jede Thätigkeit des Willens 
der Greaturen bildet folglich fUr denselben eine Vervollkommnung« 

Zu demselben Resultate gelangen wir, wenn wir einen andern 
Grundsatz des englischen Lehrers prüfen. Stets betont S. Thomas, 
namentlich wo er vom Habitus oder der Tugend spricht, der Act 
sei das Endziel für die Potenz. Das Endziel eines Dinges aber 
muss für dasselbe ' nothwendig eine Vervollkommnung bilden. 
Ebenso sicher ist andererseits, dass die Potenz hinsichtlich des 
Endzieles sich aufnehmend, passiv verhält. Wir sehen also, dass 
selbst die active Potenz nicht reiner Act, lauteres Sein, 
dass sie vielmehr verbunden ist 'mit einem Acte, der ihr inhäriert, 
tu welchem sie folglich im Verhältnis der passiven Potenz steht. 
Insofern nun der Wille durch verschiedene und viele Acte ver- 
vollkommnet werden kann und nicht auf einen einzigen Act be- 



" — 67 — 

schränkt ist, sagt man 'von ihm, er sei indiffereDt, DieRf IndifTe- 
reoz faeifit passive nach Art des ersten Stoffes, der motfi-i'i jirima, 
die insofern indifferent genannt werden miiss, als sie liineh ver- 
schiedene Formen vervollkommnet werden kann. Eine active 
Indifferenz rnnss auch in Gott angenommen werden hinsichtlich 
der Geschöpfe, die er hervorbringt und hervorbringen kann. Seine 
Macht und schOpferiBche Thätigkeit ist auf vielerlei Arten, wie 
die verscliiedenen Creaturen .und Wirkungen in den Geachöpfen 
nachweisen, in AnwendnOg gekommen. Gott entwickelt inil liezug 
auf diefCreaturen nicht bloß eine einzige Tfaätigkcit, und in 
der Weise, dass eie nur auf eine Art znm Ausdruck kiuue, ob- 
gleich sie in sich nnr eine und mit Seiner Weseuh^t identisch 
*ist. Die passive Potenz dagegen nrnss von Gott absolut fern- 
gehalten werden. Gott wird durch seine Thätigkeit nicht vervoll- 
kommnet, er uutei-Bcheidet sich nicht real von seiner Tiiätigkeit, 
sie ist in ihm nicht Accidene und darum ist er auch nicht in der 
Potenz, weder in der passiven nocff in der activen zo <iem Ac);e, 
der Thätigkeit selber. Eine Vervollkommnung ist nur da möglieh, 
wo Wesenheit und Existenz sich real unterscheiden. Die^ ist die 
Ansicht des englischen Meisters, welche sich, wie ein rother Faden 
durch allä seine Werke hindurchzieht. Die reale Identität bewirkt, 
dass auch Wesenheit und Potenz, Potenz und Act, dass mit einem 
Worte alles in einem Wesen real identisch ist Damit ist jede 
VervollkommnungsfUliigkeit ausgeschlossen. 

32. Der Wille hat nicht allein zn der Thätigkeit, dem Acte 
Beziehung, sondern auch zn dem Objeete., Das Öbject der Frei- 
heit ist, wie wir alsbald sehen werden, das parüculSre Gut, und 
aus diesem Grunde bleibt der Wille objectiv indifferent. Der par- 
liculären GUtei*gibt es viele und der Terschiedeusten^^rt, Jedes 
derselben kann vom Willen begehrt werden, denn jedes hat 
Antheil an der Güte, isf somit eigentliches Object des Willens. 
Keines aber muss begehrt werden, weil es nur theilweise, nicht 
allseitig gut, nicht die Gute selbst isL Welches particulare 6nt 
- immer dem Willen vorgestellt wird, er strebt nach keinem mit 
Notb wendigkeit, so dass er es nicht nicht begehren könnte. Darum 
verhält er sich jedem gegeiiUber vollkommen indifferent. Das, Ob- 
ject des Willens kann nämlich in zweifacher Weise genommen 
werden. Als den Willen bewegend, weil das Object nach y. Thomas 
den "willen per modum finis bewegt. In dieser Bedeutung fjefaaat, 
verhält sieh der Wille dem Objeete gegenttber passiv oder be- 
weglich. Das finis in interdione ist das Bewegende, der Wille das 
Bewegte. Weil indessen der Wille von sehr vielen pariiciilären 
Gttem betwegt werden kann, nicht auf eines derselben beschränkt 
ist, deshalb sagt man von ihm, er sei in der passiven In- 
differenz. Das Object kann aber auch fermwiws sein, der Wille 
kann durch seine Thätigkeit ein partictiläres Gut erst bcrvor- 



— 68 — 

bringen nach dem Grandsatze des englisehen Lehrers: finis est 
primum in intentione et ultimum in eocecvtione. In diesem Sinne 
verhält sich der Wille zu .d^m Objecte nicht passiv, sondern 
activ. Das hervorgebrachte Gut ist in diesem Falle Effect, 
Wirkung des Willens, wie wir früher vom x4.cte, von der Thätig- 
keit gesagt haben. Da tinn der Wille viele particuläre Güter 
hervorbringen kann, z. B. durch den actus imperatus, indem er 
alle Potenzen des Menschen, mit Ausnahme der vegetativen, zu 
ihren Thätigkeiten bewegt, so muss man ^en Willen diesbezüglich 
^activ indifferent nennen. S.Thomas bedient sich häi^g des 
Beispiels vom Baumeister und Architekten. 

Hier lyusß noch einer anderen Indifferenz Erwähnung ge- 
schehen. Die eine ist die Indifferenz der Thätigkeit und zugleich 
die des specificierten Gegenstandes (qux)ad exercitium actus et 
specificationem sijnvl); die andere bezieht sich bloß auf das speci- 
ficierte Object: Vor allem muss an dem Begriffe: „Indifferenz*^ 
festeehalten werden, denn alPe andern Misverständnisse in der 
Frage über die Freiheit haben* den unrichtigen Begriff der In- 
differenz zur Voraussetzung. Die Indifferenz bildet den Gegensatz 
zu der Nothwendigkeit. Noth wendig heißt dasjenige, was zu einem 
bestimmt, auf ein einziges jsingeschränkt ist. Die Nothwendig- 
keit mit Bezug auf dieJThätigkeit und den Gegenstand zugleich, 
die auch absolute Nothwendigkeit genannt wird, ist dann vor- 
handen, wenn der Wille dieses Object begehren muss, sodass 
er kein anderes, oder nicht das Gegentheil von diesem anstreben 
kann, und wenn er überdies dieses Object immer actuell 
wollen muss, so dass er von der Thätigkeit nicht ablassen, die- 
selbe nicht unterbrechen kann. In Gott haben wir diese zweifache 
Nothwendigkeit hinsichtlich seiner selbst. Als reiner Act, laateres 
Sein, muss er immer einen Verstandes- und Willensact aasttben. 
Er kann niemals aufhören, diese Acte ilbterbrechen. Er muss 
femer sich selber erkennen und lieben, das Gegentheil davon 
wäre für ihn unmöglich. Liebt er nebenbei noch etwas anderes, 
so geschieht es um seiner selbst willen. Dasselbe gilt vom Engel 
in Betreff seiner eigeneä Wesenheit. Diese muss er lieben, ohne 
jemals aussetzen zu können. Diese Thätigkeit bildet für ihn das 
Leben, ist für ihn Lebensact. Ebenso &ann er nicht seine ^Ve8en- 
heit nicht lieben. Die Nothwendigkeit bezüglich des specifischen 
Objectes allein , genommen, besagt, dass der Wille, wenn'er 
ftctuell thätig ist, dieses ihm vorgestellte Qbject wollen muss. 
Hinsichtlich des Actes, der Thätigkeit dagegen ist keine Noth- 
wendigkeit vorhanden. Unsere frühere Darlegung des Willens als 
Natur gibt hinreichend darüber Aufschluss. Da nun, wje sehen 
bemerkt, die Indifferenz den Gegensatz zu der Nothwendigkeit 
bildet, 80 ist klar, was wir unter der zweifachen und einfachen 
Indifferenz zu verstehen haben. 



. _ 69 — 



* 33. Welcbd Indifferenz ist nun fttr die Freiheit wesentlich? 
Durch welche- wird dieselbe formell constituiert? 

Erste Proposition: Die objectire nnd zwar actiye Indiffe- ^ 
ranz ist flir die Freiheit der geistigen Wesen überhaupt unbedingt 
nothwendig. 

Der Beweis fttr diese Proposition wurde früher erbracht, als 
wir über die Abhängigkeit des Willens von der Vemnnft r^sp. 
vom Objecto, welches dem Willen durch die Vernunft vorgestellt 
wird, ausführlich gesprochen haben. Der Wille ist eine blinde 
Macht, das vom Verstände ihm dargestellte Gut sein eigentliches 
Object. Es erweist sich demnach geradezu als unmöglich,, dass 
er die Fähigkeit besitze, nach ^rschiedenen, Entgegengesetzten 
zu streben, wenn diese nicht von der Vernunft als indifferente 
Güter erkannt und in d e r W^ise ihm vorgestellt werden. That- • 
sächlich, wie wir gesehen haben, geschieht es auch, indem kein 
Object dem Willen hier auf Ef den als ein Gut in jeder Be- 
ziehung vorgezeigt wird. Die objective Indifferenz bild^ darum 
die Grundlage und Voraussetzung ^r die formelle Freiheit. des 
Willens der geistigen T^Tesen. Ob dieses Gut ein zu erreichendes 
oder ein zu bewirkendes ist, das ändert an def Sache nichts. 

34. Zweite Proposition: Zur Freiheit* an und für 
sich genommen geljört nicht, dass der Wille objectiv oder 
• snbjectiv pa*8siv oder privativ indifferent sei. Die rein active 
und positive Indifferenz reicht dafür vollkommen aus. 

Die Freiheit ist nicht ein Privileg der Geschöpfe, kommt 
nicht ausschließlich den vernünftigen Creaturen.zn. Vor allem 
ist Gott im höchsten Gradö frei. Gott will zwar seine eigene. Güte 
mit Nothwendigkeit, allein alles andere will er mit größter Frei- * 
heit (1. p. q. 19. a. 10.). Nichts steht mit seiner Güte, seiner Glück- 
seligkeit, die er nothwendig begehrt, derart im Zusammenhange, 
dass er ohne dieselbe nicht gut, nicht vollkommen glücklich sein 
könnte. Er gebraucht die Geschöpfe zur Offenbarung seines • 
Glückes, seiner Güte. Dies könnte indessen durch andere Crea^ 
turen« nnd auf eine andere Weise ebensowohl geschehen. Er be- 
sitzt infolge dessen ein ganz und gar freies, Mudiffereutes Urtheil^ 
Ube*r dieses und jenes Gut, gleichwie die Geschöpfe ein solches* 
haben. Allein die Freiheit ist anders in uns, im Engel und in 
Gott. Das Freiheitsvermögen setzt zw^i Dinge voraus : eine Natur 
und eine Erkenntniskraft. Die Natur Gottes unterscheidet sich 
durchaus von jener der Gfeaturen. In Gott ist sie ungeschaffenj^ 
real identisch . mit seiner Elxistenz und seiner* Güte. In ihm gibt 
es folglich keinen Mangel, keine Potentialität, weder mit Bezug 
auf das Sein, "noch in Betreff der Güte. Die Natur der Engel 
und Menschen ist geschaffen, stammt aus dem Nichts, und besitzt^ 
darum Potentialität und, an sich genommen, Mängel und Unvoll- 
kommehheiten. Ebenso ist die Erkenntnis in Gott* einfach.* Ohne 



_ 70 — . 

Discurs aad UatersuchuDg schaut Gott alle WalirheLt. Er weiß 
dämm weder etwas von einem Zweifel, ooeh von einer Schwierig- 
keit im Unterscheiden nnd Urtheilen. Die Auswahl ist somit in 
Gott eine durch und durch vollkommene (de veritate q. 24. a. 3.). 
Der Wille Gottes, obgleich frei, hat dennoch keine Poten- 
tialltät "hinsichtlich der verBchiedenen Dinge oder Objeete, welche 
er will ; denn keines dieser Objeete steht ^n seinem Willen im 
Ve'rhältuiase eines Bewegers. Darum ist die Freiheit objectiv 
genommen in ihm nicht passiv. Jeder Wille hat uämlich ein 
doppeltes Objeet: ein Hauptobject, und ein secundäres. Nach dem 
ersteren strebt der Wille gemäß seiner Natur, denn der Wille 
selbst ist äine Natur, und er hat auch eine natürliche Einordnung 
zu etwas. Dieses begehrt der Wille auf natürliche Weise, wie 
, z. B. der menschliche Wille die Glückseligkeit. Secuiidüj-e Objeete 
bilden alle jene Dinge, die zu dem Hanptobjecte, als dem Ziele, 
Beziehung haben. Zu diesem zweifachen Gegenstande verhält sieb 
der Wide gerade so, wie der Verstand zu den Principien, die er 
naturgemäß erkennt, und zu den Scfaiussfolgerungen, die er ans 
ihnen ableitet. Das Haaptobject, welches Gott auf natürliche Weise 
begehrt, und 'welches gleiehaaui das Endziel fUr seinen Willen 
bildet, ist seine- eigene Güte. Um ihretwillen begehi-t er, was immer 
er außer ihr will. Die Geschöpfe will er nur wegen seiner eigenen 
Gute, wie Augustinus bemerkt, damit sie nämlich, -da sie ihrer, 
Wesenheit nach nicht vervielfältigt werden kann, wenigstens darch 
die Antheiloabme an ihrer Ähnlichkeit anf viele Dinge sieh er- 
strecke. Was Gott demnach mit Bezog auf die Geschöpfe will, 
das ist seeundäres Objeet seines Willens. Alles begehrt er seiner 
Gute wegen, so dass diese den formellen Grund bildet, wamm 
er alles andere will, gleichwie seine Wesenheit der formelle Grund 
ist, dass er alles erkennt 

Uiusiehtlich des Hanptobjectes, seiner Güte, ist Gott nicht 
frei, diese will er mit Notbwetidigkeit, zwar nicht mit Zwang, 
sonderii mit natürlicher Neigung, welche indessen . der Freiheit 
nicht widerspricht, wie S. Augnstin bezeugt. Gott kann nicht nicht 
wolieu, dass er gut, weise, mfichtig oder sonst irgend etwas von 
alldem sei, in welchem das Wesen seiner Güte enthalten ' ist. 
In Betreif jedes secundären Objectes dagegen besitzt Gott volle 
Freiheit. Der formelle Grund, warum das Mittel gewollt wird, ist 
das Kudzid. Wie sich daher das Mittel zum Endziele verhält, so 
wird es vom Willen begehrt. Schließt es das Endziel vollständig 
in sieh und kann «hne dieses Mittel das Endziel nicht erreicht 
werden, sd wird es mit derselben Nothwendigkeit begehrt, wie 
das Endziel selber. Da nun keine Wirkung, kerne Creatur der 
güttliciieü Macht, der Ursache der Geschöpfe gleichkommt, so 
kann auch keine, wie sehr sie auch zu Gott als ihrem Endziele 
Mugeordnet sein möge, dem Eodziele gleichkouomen. Kein Ge- 



* 



. • 



— 71 — • 

8chöp£ ist Gott vollkommen gleich. Dies ist nur bei dem ange- 
schaffenen Worte der Fall. Wenn daher eine der Creaturen auf 
eine aasgezeichnete Weiser za Gott hingeordnet ist; and dadurch 
mit ihm einige Ähnlichkeit hat, so «entsteht damit für Gott keine 
Nothwendigkeit Es kann eine andere in gleich vorzüglicher Art 
zu ihm hingeordnet sem und seine Güte darstellen. Aas der noth- 
wendigen Liebe, die Gott m seiner eigenen Güte hat, folgt dem- 
nach keineswegs eine ebenso npthwendige diese oder jene Creatar 
zu wollen. Er kennt aber aach keine Nothwendigkeit bezüglich 
sämmtlicher Geschöpfe des ganzen Uniyersums. Seine Güte ist 
allseitig vollkommen selbst dann, wenn gar keine Creatar exi- 
stiert. Er bedarf, wie es im Psalm 15. 2*he>Bt, anserer Güter 
nicht. Die Güte Gottes ist nicjit ein Ziel, das erst darch die 
Mittel bewirkt und hervorgebracht wird. Darnm bemerkt Avicenna, 
Gottes Thätigkeit allein sei wahrhaft and rein liberal «der frei- 
gebig, denn er habe von alldem, was er in Rücksicht anf die 
Geschöpfe will and that, keinerlei Vortheil oder Natzen (de veri- 
tate q. 23. a. 4.). Dieselbe Lehre trägt S.Thomas vor: 1. p. q. 19. 
a. 3. Wenn also Gott aas den Geschöpfen,, dem secandär gewollten 
Object, keine Vollkommenheit erwächst, so ist offenbar, duss er 
hinsichtiich dieses Objectes nicht in der passiven oder pri- 
vativen Indifferenz, folglich aach niemals diesbezüglich in der 
passiven Potenz sein kann. Das secandäre Object verhält sich' 
daher dem Willen Gottes gegenüber nicht bewegend* wie bei 
den Gesehöpfeö. Nichtsdestoweniger mass zagegeben Werden, dass 
Gott absolatfrei ist. Der passive Zastand des Willens mit Bezng 
auf das Object gehört somit nicht an and für sich za der Freiheit.' 
Gottes Wille ist aber aach nicht passiv indifferent in 
Betreff des Actes, der Thätigkeit. Der Wille ist in Gott nicht als 
Potenz oder als Habitas, sondern als Act, weil er in Wirklich- 
keit dasselbe ist mit seiner Wesenheit (4. contr. Gent. c. 19.).* Als 
reiner Act ist sein Wille daher immer in Thätigkeit and- er geht 
nicht aas dem Zastande der Unthätigkeit in jenen der Thätigkeit 
über (1. 2. q. 10. a. 1. ad 2.). Der Gründe für die Wahrheit, dass 
in Gott keine, passive Potenz angenommen werden dürfe, gibt 
es viele. Zunächst ist kein Ding actives Princip, solange es siöh 
nicht als in der Wirklichkeit (in actu operaiivo) existierend and 
überdies als vollkommen ecweist. Passiv hingegen verhält sich 
ein Ding, solange es mangelhaft and anvollkommen ist. Nun liegt 
es aaf der Hand, dass Gott, das reine Sein, der schlechthin und 
allseitig Vollkommene, in sich keinen Mangel, keine UnvoUkom- 
menheit haben kann. Er ist darum im höchsten Grade actives, 
niemals passives Princip. Da aber der Begriff eines activen 
Principes der activen Potenz zukommt, — die active Potenz 
bildet ja das Princip auf ein anderes zu wirken, die passive 
von einem andern zu empfangen, wie der Philosoph bezeugt, — 






70 



SO steht es außer allem Zweifel fest; dass Goft im vollkommensten 
Gtade die active Potenz besitzt (1. p. q. 25. a. 1.). Ein fernerer 
Grund ist der, dass der Act, die Thätigkeit^ wo immer sie sich 
real von der Potenz unterscheidet, «tets vollkommener ist, als 
die Potenz. Würde sich demnach die Thäti^keit Gottes von seiner 
activen Potenz unterscheiden, so roüsste in ihm eine größere 
Vollkommenheit angenommen werden, als die active Potenz selber 
ist. Damit wäre aber dann Gottea Wesenheit und active Potenz 
vervollkommnungsfähig durch den Act, die Thätigkeit, was ent- 
schieden in Abrede gestallt werden muss. Die Thätigkeit Gt^ttes 
unterscheidet sich weder von seiner Wesenheit, noch von seiner 
activen Potenz real: Sie kann somit nicht vollkommener sein, 
als die Potenz (ib. ad 2.J. Die Potenz ist darum* in Gott zwar 
l^rincip des pflFectes, der Wirkung, aber unter keiner Bedingung 
real unterschiedenes Princip der Thätigkeit Velber, weil siß mi^ 
der Wesenheit und der Thätigkeit selbst real identisch sich zeigt. 
In den Creaturen aber ist sie beides, sowohl Princip der Thätig- 
keit als auch des Effectes (ib. ad 3!). . 

Die Thätigkeit Vles Willens der Geschöpfe Inuss ein acci- 
dentelles Seiende (ens accidentale) genannt werden. Als imma- 
nent es* Seiende inhäriert si0 der activen Potenz und bildet 
folglich eine accidentelle .Vollkommenheit eben dieser activen 
* Potenz. Daher bemerkt der englfsche Lehrer, in den Wesjen, in 
denen die Potenz real von dem Acte^ der Thätigkeit sich unter- 
scheidet, s6i der Act stets vollkomni'ener als die*Potenz. Dieser 
.Ausspruch kann nicht den Sinn haben, dass die Thätigkeit als 
Wirkung, alsEffect yollkofimener sei, denn die active Potenz. 
In diesem Falle hätten wir ja.. etwas in der Wirkung, was nicht 
in der^ Ursache war. Keine Ursache kann etwas Vollkommeneres 
hervorbringen, als sie selber ist. S. Thomas will somit nur sagen, 
die Thätigkeit inhäriere als Aecidenz der activen Potenz und bilde 
darum fiir dieselbe eine VollkonamenBeit. Die active Potenz ver- 
halte sich demnach, diesem Accidens geg^ntiber passiv, weil sie 
Hubject ist, welchem dieses Accidens inhäriert. Da nun' der Aet, 
in welcher Weise immer genommen^ volk'ommener ist, als .die 
passive Potenz, und die Thätigkeit, der Act der Potenz 'als ein. 
Aecidenz derselben inhärrert, die active Potenz sich diesbezüg- 
lich passiv verhält, so ihuss uoth.wendig ^ie Thätigkeit des 
Willens vollkommener sein als die active Potenz oder der 
Wille in adu. In Gott sind Wesenheit, Potenz und Act in d^r 
Wirklichkeit ein und dasselbe. Der Act kann folglich nicht voll- 
kommener sein als die Potenz. Ebenso mass -man sagen: in 
Gott kann die Thätigkeit in der Wirklichkeit nicht vollkommener 
sein als die Potenz, denn in diesem Falle wlirde'die Potenzsich 
real vom Acte unterscheiden. Aus dieser Lehr^ folgt mit strengster 
Nothwendigkeit, dass in den Geschöpfen, zum Unterschiede von 






• • 



73 



Gott, dieactive Potenz nnd der Act oder die Thätigkeit sich real 
unterscheiden. Keine Greatur ist in irgend einer Hinsicht Gott gleich. 

In scharfsinniger Weise legt der heil. Thomas aus der Begriffs - 
bestimmang der Potenz dar, dass in .Gott keine passive Potenz 
sein*könne. Er sagt: „Der Name ^Potenz' wurde zuerst gebraucht; 
Uffl damit' die Macht (potestaiem) eines Menschen zu bezeichnen. 
Demgemäß nennen wir manche Menschen mächtig (potentes), wie , 
Avicenna bemerkt. Später wurde dieser Name auch auf die Natur- 
dinge übeirtragen. Mächtig nennen wir jenen Menschen, der ohne 
Hindernis thun kann, was er will. So yiel er Hindernisse findet, 
am so viehwi\*d seine Macht, die Potenz vermindert. Das Hin- 
dernis einer Potenz, sei sie den Naturdingen oder den freien Ge- 
schöpfen angehörend, besteht darin, dass sie von einem andern 
etwas aufnahmen, also leiten (pati) kann. In der ersten Bedeu- 
tung besagt demnach die Potenz soviel als: „nicht leiden können^ 
(non passe patij.h Daraus lässt sich nun die vollkommene Macht 
oder Potenz Gottes ohne Mühe .ableiten. Zunächst bewirkt er alles, 
und dies ^ommt ihm zu, * weil hr reiner, vollkommener Acl ist, 
denn. nichts wirkt, wenn es nicht ein ttäu Seiendes ist. Er nimmt 
aber auch nichts^ auf (non patüur), und^ zwar deshalb, weil ^r 
.reiner Act ohne Beimischung eines Stofflichen, einer 
Potentialität ist. Jedes, Ding leidet,* ist aufnehmend auf Gmind ' 
eines materiellen, passiven Principes (l.dist. 42. q. t. a. 1.). Was 
der englische Meister hier Materie nennt, bedeutet nicht den Stoff • 
allein, da hätte der. Beweis desselben sehr wenig Sinn. In diedem 
Falle wäre auch der Wille des Meuächen 'reiner Act (actus purus) 
daher immer in actu, was S. Thomas jedoch bestreitet,* indem er 
Gott den Creatüren gegenüberstellt. Materie, materiell ist folglich 
bier soviel als passiv, empfangend, aufnehmend. Qott als j*einer 
Act ist also weder mit Bezug auf die active Potenz aufnehmend, 
'seine Thätigkeit bildet nicht ein der activen Potenz inhärierendes 
AcciHens, noch ist er im Zustande der passiven' Potenz verglichen 
mit der activen, weil er als reiner Act nicht * etwas aufnehnien 
kann, wodurch er vom passiven Zustande in den aktiven über- 
geführt' würde. Er hat überhaupt kein au&ehmendes Subject in 
sieb. Bei den .Creatüren muss. folglich, weil sie den Gegensatz 
zu Gott bilden, das Umgekehrte zutreffen. 

Eifien anderen * Beweis dafür, um mit diesem zu schließen, 
dass in Gott keine passive Potenz sein kann, führt der englische 
Lehrer noch an, nämlich: weil i|i Gott keine Bewegung möglich 
ist. Gott ist nicht. durch Bewegung thätig. Nach Avicenna ist das 
.geschaffene Agens durch eine Bewegung thätig. Jede Bewe- 
gung aber ist eine Thätigkeit desjenigen, was in der Potenz 
sich befindet (ib. ad 3.).. Dazu vergleiche man: 1. contr. Gent.' 
c. 16. — 2. contr. Gent. c. 7. — ib. c. 25. n. 1. — ^ de veritate q. 22. 
a. 6. ad 3. — de potentia q. 1. a. 1. c. ad 4. 6. 7. -r ib. q, 7. a. 1/ 



— 74 



Es unterliegt demnach gar keinem Zweifel, dass der Wille 
Gottes weder eine passive Potenz besitzt gegenüber der activen, 
dass er folglich nicht manchmal agens in potentia, manchmal agens 
in actu sein kann: noch auch verhält sich seine active Potenz 
passiv mit Bezug auf seme Thätigkeit. Denn obgleich «sein 
Wiilensact immanent ist, so bildet er doch nicht ein Accidens, 
^ welches der Potenz inhäriert, sondern er ist in der Wirklichkeit, 
real die Potenz selber. Damit ist der passive Zustand der Potenz 
hinsichtlich ihres Actes ausgeschlossen. 

Nichtsdestoweniger muss behauptet werden, dass Gott voll- 
kommen frei ist. Daraus folgt zur Evidenz, dass das. Wesen der 
Freiheit an und für sich genommen nicht in der passiven 
Potenz begründet sein kann. 

35. Dritte Proposition: Die eigentliche und formelle In- 
differenz, durch welche die Freiheit constituieii; wird, ist die 
active; in den Geschöpfen ist jedoch diese active «Indiffe- 
renz- mit einer*Potentialität oder passiven Indifferenz verbunden. 
'Das freie Vermögen besagt in seiner ersten Bedeutung, dass 
ein Wesen die Macht hat thätig zu .sein, einen Act zu vollziehen, 
oder ZH unterlassen. Wir haben vorher gehört, wie S. Thomas den 
Namen: ,Potenz^ bestimmt. . Potenz bedeutet Macht; mäohtig ist 
derjenige, der thun kann,- was er will, ohne ä!uf ein Hindernis zu 
stoßen. Hier wird ausdrücklich die Thätigkeit oder Unthätig- 
keit als für die Potenz charakteristisch hervorgehoben. Durchwegs 
ist dem englischen Lehrer die aative Potenz dasjenige, wodurch 
ein Effect, eine Wirkung hervoi^ebracht wird. Dies bedeutet aber 
thätig sein. Die passive Potenz dagegen nimmt die Einwirkung, 
den Elffect oder die Thätigkeit eines andern Agens in sich auf. 
Sie ist darum nicht thätig, sondern leidend. Sie kann nicht 
thun, was sie will, denn sie hat ein Hindernis in sich, eben 
diesen pasi^ivein Zustand. Nicht beeinflusst werden, nicht leiden' 
können, bildet das beste Zeugnis ftir die Mächt und folglich für 
die Freiheit eines Wesens, wie wir es in Gott sehen. Diese Voll- 
kommenheit, aber ist an und für sich der activen Potenz eigen. 
Diese gibt, theilt, indem sie wirkt, ihre Ähnlichkeit andem'Dingen 
mit, ohne zu empfangen, von andern etwas aufzunehmen. Sie ist 
darum im höchsten Grade frei. 

Zu demselben Resultate gelangen wir bei der Prüfung des 
Wortes: Herrschaft (dominium). Der englische Meister behauptet 
fortwährend, der Wille der vernünftigen Geschöpfe sei frei, inso- 
fern er Herr seiner Thätigkeit, seiner Acte ist (1. 2. q. I. a.l. ad 2.). 
Die Freiheit wird- nach ihm eine Macht (faculUisJ genannt, wo- 
durch einem etwas zur Verfügung steht, wodurch etwas sich unter 
der Herrschaft des Besitzers befindet. Darum heiBen die Besitz- 
thümer ebenfalls facultates, weil der Besitzer nach seinem Belieben 
darüber verfllgt. Unter der Herrschaft der Freiheit kann aber nur 



— 75 — 

die Herrschaft Über den Act, die Tbätigkeit versUiüdeii werden 
(2. diet24. q. 1. a. I. ad 2.). Weil wir dieses und jenes atiswäbleii, 
Terschiedeue Wablaote rollzieben können, deshalb sind wir Herr 
ooaerer Thätigkeiten (1. p. q. 82. a. 1. ad 3.). Die Eigenschaft, 
Herrin der eigenen Acte zu sein, kann unmöglich der ;)aaäiven 
Potenz, dem agms in potentta zukommen. Die passive Potenz ist 
ja empfangend, aufnehmend, nicht gebend, mittheilend. Sie kann 
nicht über dasjenige verfllgen, was sie gar nicht besitzt, was sie 
sich zu verschaffen anßerstande ist. 

Die passive Potenz vennag in der That eineu Act nicht 
hervorzubringen, weil sie unvollkommen ist. Ein jedes Wesen 
aber Übt eine Tbätigkeit ans, wenn es vollkommen. Diese Voll- 
kommenheit besteht nach dem Doetor Angelicus darin, dass etwas 
in adu, agens in actu ist. Den Beweis für diesen Satz haben wir 
m unsem kritischen Bemerkungen zu der Broschüre Sr. Eminenz 
Cardinal Peccis, Seite 28, erbracht. Alle Augenblicke 8tol3t mau 
m den Werken des englischen Heisters auf die Worte : ein Ding 
seithätig, insofern es sich in actu befindet. Die Bezeiiljinmg: iti 
actu, in der, Wirklichkeit darf nicht in dem Sinne vuu existent ' 
genommen werden. Dass ein Wesen, wdohes nicht esittiiert, auch 
uicht thätig sein könne, braucht kaum cr»t bewiesen uder beson- 
ders betont zu werden. Das agens in actu, d. h. t» actit operativo 
ist somit die active Potenz; denn diese besitzt jene Vollkommen- 
heit, die nothwendig ist, damit der Effect, die Tbätigkeit hervor- 
gebracht werde. Solauge daher der Wille der vernünftigen Ge- 
Bchüpfe Dicht in der Wirklichkeit, sondern bloB der Möglichkeit 
.nach thätig ist, kann man von ihm nicht sagen, er sei Heri- seiner 
Acte, ihm stehe es formell frei, thätig' oder nichttbätig zu sein. 
Die passive Potenz als solche ist vielmehr zur Unthätigkeit be- 
stimmt. Sie besitzt bloß eine mögliche Tbätigkeit. Dies kommt 
ihr wesentlich und formell zu. Hierin nnterseheidet sicli aber der 
'Wille weder von den Naturdingeu noch von dem Streb evetmögeu 
der Thiere. Alle Geschöpfe ohne irgendwelche Ausnahme besitzeu 
neben dem Wesen noch Vermögen, oder Potenzen, die von sich 
selber nicht in Tbätigkeit Übergehen, -sondern, wie äicb g{)atei' 
herausstellen wird, von Gott in Bewegung, in Tbätigkeit gesetzt 
werden müssen. In diesem . allea Creaturen gemeiDsamen pas- 
siven Zustande kann demnach die Freiheit des Willens nicht 
ihren formellen Grund haben. Der Unterschied zwischen tVei und 
nichtfrei liegt vielmehr in einer besondern BescbafTeubeit der 
activen Potenz, des Willens in actu, der seine Tbätigkeit aus 
selbsteigener Bestimmung ausübt oder uuterlässt, das Tbätigseia 
dem Unthätigsein vorzieht oder umgekehrt- 

36. Der zweite Theil der Proposition ist ans dem klar, was 
oben gesagt wurde über das Verhältnis der Tbätigkeit. «äes Actes 
zu der activen Potenz in den Creatoren. Die active Potenz unter- 



• 



— 76 — 

scheidet sich der Wirklichkeit nach (real) von ihrer Thätigkeit 
in allen geschaffenen Dingen. In Gott allein ist dieser Unterschied 
nicht ein wirklicher. Diese Thätigkeit des Willens ist jedoch nicht 
etwas von der Potenz Getrenntes, sondern derselben imma- 
nent. Die Potenz verhält sich demnach zu ihrer Thätigkeit wie 
das Subject und ist folglich in dieser Beziehung aufnehmend oder 
passiv. Die Thätigkeit selbst bildet flir die active Potenz eine 
accidentelle Vollkommenheit. Daher bemerkt der englische Meister: 
„Der activen Potenz entspricht* die Thätigkeit oder'Action, und 
durch diese Thätigkeit wird die active Potenz vervollständigt. 
Ebenso wird das, was gleichsam als Vervollkommnung und Gom- 
plement der passiven Potenz entspricht, Act genannt. Aus diesem 
Grande heißt jede Form Act, auch die von jeder Materie ge- 
trennten Formen, und Gott, das Prificip der Vollkommenheit eines 
jeden Dinges, wird erster und reiner Act genannt. Ihm kommt 
jene Potenz am meisten zu. (Sicut potentiae activae respondet ope- 
ratio vd actio, in qua completur potentia activa, ita etiam 
illud, quod respondet potentiae possivae, quasi perfectio et comple- 
tnentum, actus dicitur. Et propter hoc pmnis forma f^t^s diciti^r, 
etiam ipsae formae separatäe, ^t illud, quod est principium perfecüonis . 
totius, quod eet Deus, vocatur cu^tus primus, et purus, cui maxime 
illa potentia conmnit. l. dist. 42. q. 1. a. 1. ad. V). Wenn also ge- 
mllß der Lehre des heil. Thomas die Thätigkeit ein Complement * 
der activen Potenz ist, so kann diese Potenz offenbar nicht in 
der .Wirklichkeit oder real dasselbe sein wie die Thätigkeit. Die 
Potenz kann u Amöglicb durch sich selber ' complet werden. 
Weiters folgt daraus, dass die active Potenz mit Bezug auf 
ihre Thätigkeit im «passiven oder aufnehmenden Znstande sich 
befindet. 8ie ist in der Potenz zu ihrem Complement, was nur 
. zutrifft, wenn sie sich' passiv verhält, und durch die Thätigkeit, 
dieses accidentelle vSeiende ver\t)llkommnet, complet *wird. . 

Der Beweis für- diese Wahrheit lässt sich indessen noch in' 
eine andere Form kleiden. Der Wille wird dadurch, dass er in 
Thätigkeit übergeht, verändert. Manchmal ist er ja unthätig, wie 
jedermann weiß, und er hört auf, thätig zu sein; selbst Wenn er 
es früher gewesen ist.. Eine Veränderung lässt sich aber schlechter- 
dings nibht denken außer auf Grand einer Potentialität, eines 
passiven Zustandes. 

In Gott, haben wir früher gesehen,' verhält sich die Sache 
anders. Seine Thätigkeit ist nicht ein Complement' der activen 
Potenz, sondern diese selber. Sie verhält sich darum nicht wie 
ein Accidens, das einem Subjecte inhäriert. Kurz und schön hat 
'S. Thomas sich an einer Steile darüber ausgesprochen : „Ad utrumr 
übet enim esse alicui virttäi potest convenire dupliciter: uno modo 
ex parte sui; alio modo ex parte 'ejus ad quod dicitur. Ex parte 
quidem sui, quando nondum consecuta est suam perfectionem, per 



t7 — 



\ 






quam od unum cteterminetur, Unde hoc in imperfectionefh virtutis 
redundat, et attenditur esse pi)tentißlitas in ipsa, sicutpatet in 
inteUectu dübitantis, qui nondum cfssectUus est principüi, eoi quibm ad 
alterum determinetur. Ex parte autem ejus, ad quod dicitur, invenitur 
dliqua virtus ad utrundibet esse, quando perfecta operatio vitiutis a 
neutro dependet, sed tarnen utroque uti potes^, sicut aliquis, qui diversis 
instrumentis uti potest aequcditer ad idenC optis perficiendum. Hoc 
autem ad, imperfectionem viHutis non pertinet, sed magis ad ejus 
eminentiam, in quantum virumlibet oppositorum excedü, et bb hoc 
detenninatur ad neutrtfm, sed cuH utrumlibet se habet. 

Sic atdem est in divina voluntate respectu aliorum ase, Nam 
finis ejus a nulh aliorum dependet, cum tarnen ipsa suo fini sUper^ 
feäissime unita. Noti igitur oportet potentialitatem aliquam in 
divina voluntate ponere. 

Similiter autem nee mutabilüatem, Si enim in divina voluntate 
nuUa est poterdialita^, non sie absque necessüate alterum oppositorum 
praeaccipü circa sua causata, quctsi consideretur in potentia ad 
iärumque, ut primo sit volens potentia utrumque, et postmodum volens 
aäu, sed semper est volens actu quidquid vuU, non solum circa se, 
sed etiam drca causata. Sed quia volitum non habet necessarium 
otdinem ad divinam bonitatem, quae est proprium objectum divinae 
voluntatis, per modum, quo non necessaria, sed possibilia enuntia- 
büia dicimus, cum non est necessarium ordo praedicati ad subjectum 
(1. conti*. Gent. c. 82.). Es zeigt sich also wiederum, dass der ei^- 
lische Lehrer in Qott allein jede Potentialität oder Passivität 
bestreitet. Jedes Geschöpf muss folglich seine Vermögen^ Potenzen 
mit einer Passivität, P^tentialität vermischt haben; denn darin 
besteht der contradictorische Gegensatz zn Gott, den S. Thomas 
offenbar in allen seinen Werken betonen will. 

37. Vierte Proposition: Die active Indiflferenz, welche 
per se und wesentlich constitutives Princip der Freiheit ist, bezieht 
sich eigentlich nur auf die Thätigkeit, den Act (indifferentia contra- 
diäionis vel exercitii), nicht auf den Gegenstand (indifferentia contrarie- 
tati^seu specificcUionis). Letztere gehört nur per accidens zum Wesen 
der Freiheit, indem sie nämlich erstere einschliesst, für erstere 
die Grnndla^ bildet. 

Das Hauptgewicht legt S. Thomas, die Freiheit erörternd, 
immer darauf, dass der Wille die Herrschaft über seine Thätig- 
keit, seinen Act besitze. Den Gegenstand, das Object, auf welches 
dieser Act gerichtet ist^ lässt er dabei häufig ganz unberührt. 
Schon daraus muss folgerichtig geschlossen werden,* der englische 
Lehrer betrachtet die Indifferenz thätig oder unthätig zu sein als 
innem formell constitutiven Grund der Freiheit. Er spricht sich 
übrigens ganz unzweideutig darüber aus. So erklärt er unter 
andern: „Keiner Creatur wurde die Gabe verliehen, noch auch 
war diese Gabe irgend einer Creatur mittheilbar, vermöge der 



•• 



>•' 



- 7^ - 



Eigenschaften ihrer Natur nicht fehlen za können. Der 
Grund d^fttr ist folgender: Jedes geschaffene Wesen hängt in 
seinem Sein von Gott als seiner Ursache ab. Wird es sich selber 
überlassen, so muss es zugrunde glehen. Solange es den Einfluss 
der Ursache in sich aufnimmt, hat es Bestand. Diese Abhängig- 
keit (applicatio) des Verursachten von der Ursache kann nun 
zweifacher Art sein. Es 'liegt entweder in der Macht des Ver- 
ursachten einigermassen (qtmfUum ad aliquid) von seiner Ursache 
abzuweichen- oder nicht abzuweichen, oder es steht überhaupt 
nicht in der Macht des Verursacivten, davon abzugehen. Ersteres 
gehört zur Freiheit, denn der Freiheit kommt es wesentlich 
zu, dass sie etwa« thun oder nicht thun könne. Wenn 
nun die Creatur ihrer Ursache nicht anhängt, so muss sie fehlen. 
Darum war es unmöglich, dass einem Geschöpfe unter Beibehal- 
tung der Freiheit die Gabe zutheil würde, ihrer Natur nach 
nicht fehlen zu können. Dies wäre ein Widerspruch, weil es der 
Creatur gemäß ihrer Freiheit eigen ist, ihrer Ursache an- 
hängen oder nicht anhängen zu können. Wenn sie aber 
nicht fehlen, nicht sündigen kann, so kann sie ihrer Ursache nicht 
nicht anhängen. Und darin liegt der Widerspruch zwischen frei sein 
und nicht fehlen können (2. dist. 23. q. 1. a. 1.). Diese Stelle be- 
weist klar, dass der englische Lehrer das Wesen der Freiheit in 
die Macht thätig oder nichtthätig zu sein setzt. Das Merkmal, 
dij^s eine Substanz die Herrschaft über ihre Thätigkeiten besitzt, 
ist daraus erkennbar, dass sie thätig oder nicht thätig sein kann, 
und dieses .Merkmal hat der Wille in sich (2. contr. Gent. c. 49.). 
Dadurch unterscheidet er sich von den ^aturdingen und den 
Thieren (de veritate q. 22. a. 6.). Das Princip, wodurch die Frei- 
heit formell constituiert wird, muss darum in der Indifferenz für 
die Thätigkeit oder Unthätigkeit des Willens gesucht werden 
(quo(id exercitium actus oder contr adictionis). 

Die andere Indifferenz, qtwad specificationem, hinsichtlich dieses 
oder jenes Objectes bewirkt nicht, dass der Wille mehr Herr 
seiner Acte sei. Im Gegentheil, diese findet sich auch in gewiaser 
Beziehung im Thiere. Die sinnliche Erkenntniskraft stellt auch 
Thieren viele und verschiedene Gegenstände ^or, die be- 
gehrenswert sind, wenngleich in geringerer Anzahl als jene ist, 
^ die von der Vernunft vorgestellt wird. Immerhin liegt bei den 
Thieren die Möglichkeit vor, diesen oder jenen (Gegenstand za 
wählen. Allein ganz und gar unmöglich ist es dem Thiere, den 
vorgestellten Gegenstand zu begehren oder nicht zu be- 
gehren, eine Thätigkeit zu vollziehen oder nicht zu vollziehen. 
Darum bemerkt S.Thomas mehr als einmal, das Schaf müsse 
fliehen, sobald es den Wolf erblickt. Den Grund haben wir schon 
früher gehört. Einerseits ist es die Veränderung des Organs in- 
folge der Einwirkung des äußeren Objectes, worauf die noth- 



. ,• , ^ 79 *-. . . . ^ 

wendige Meignng des BegehrangBTermOgens folgt. Xadererseits 
ist es der Schöpfer, der die Tiiiere zur Tbätigkeit bewegt, o b tt e 
dass die Thiere sich sejlier dazu bestimöiei]. Ans diesem 
•Grauile handeld sie eben nicht frei, sonderib aothwendig. Hiu- 
geg^en -Regt es in. ihrer Macht, nach mehreren Gegeustäaden 
in streben. Hierin äind sie ■ nicht zn einem einzigen bestimmt. 
Daraus folgt zur ETvidenz , dass die Freiheit f o r m e 1 1 und 
wesentlich in der Indifferenz thStig oder nicht thätig zu sein 
besteht 

Die Herrschaft des Willens wird darch die Indifferenz für 
verschiedene Objecte nicht erweitert, wird hiebt größer, als sie 
es dnrch die Indifferenz fUr verschiedene Thätigkeiten ist. 
Die Freiheit qnoad exerdtium actus ist viel uneingeschräukter als 
jene, hinsichtlich der Oegenstände oder quoad specificationem. 
Erstere besitzt der Wille nach der Lebre des englischeu Meisters 
in j e d e m Znstande der Natur und mit Bezug auf jedes Object 
(de veritate q. 22. a. 6.), letztere dagegen nicht Das Hauptobject, 
das Gnt und die Glückseligkeit im allgemeinen, mnss der Wille 
objectiv begehren. Daher ist er in dieser Beziehung nicht frei. 
Dafllr ist er vollkommen frei nach diesem Gut a e t u e 1 1, in der 
Wirklichkeit zu streben oder nicht zu streben, eine Tbätigkeit zu 
entwickeln oder zn unterlassen. Diese Freiheit hat er in jedem 
Zustande und in Betreff eines jeden Gegenstandes, solange wir 
hier auf Frden leben. Eine Spontaneität, eine nothwendige 
Neigung des Willens zn seiner eigenen Tbätigkeit existiert fUr 
ibn nicht. Dies wäre direct gegen seine natürliche Neigung, und 
darum, vie wir oben in der Abhandlnng über den Willen als 
Natur nachgewiesen haben, Gewalt nnd Zwang. Darum lehrt 
S. Thomas, der Wille strebq nach dei^ soeben genannten Objecten 
mit Notbwendigkeit, wenn er die Gegenstände begehrt, 
voransgesetzt, daas er sie thataächlich will (t.2. q. 10. a. 2. — 
de malo q. 6.). 

Daraus ist unschwer zu ersehen, dass die Freiheit thätig od^ 
onthätig zu sein eine weit gröUere Ausdehnung hat, Somit grfiSer 
und unbeschränkter ist, als jene bezüglich der Objecte. Besteht 
DQu die Freiheit, in der Herrscbaft nach Belieben zu bandeln oder 
nicht* zn handeln, so liegt Bie per se, formell und wesentlich 
in der activen Indifferenz quoad exercUium actus, in der Auswahl 
seiner Tbätigkeit oder Unthätigkeit. 

38. Fünfte Propoeition: Diese aetive Indifferenz in Be- 
treff der Tbätigkeit oder Unthätigkeit schließt per acddens jene 
hinsichtlich der Objecte in sich und if^ngt per ac(ndetis von der- 
selben ab. 

Die objeetive Indifferenz erfolgt daraus, dass die Vernunft 
als Erkenntnisvermögen einen Gegenstand indifferent, d. b. als 
partielles Gnt außasst nnd dem Willen vorstellt. Das Urtheil der 



f 



, , .. . _^ 80 — • ' *: . 



YernanftistMDdifferent^ indem es lautet, dieses Object könne be- 
gehrt od^r auch nietet b*egebrt werdisn. Der Wille könne dasselbe 
bege*hren, weil es tthfei 1 weise gut igt,* etwas vom Gut m Bich 
bat, er könne abe« auch nicht darnach* streben*,, weil es *t heil-* 
weise nicht ein Gut bildet. 'Dieses Urfheil kommt der Vernunft, 
nieht dem Willen zu. Für den Willen ist es^ daher per aecidem^ 
nicht per» se, dass der Gegenstand als ein indifferenter er- 
scheiut. Man dsflrf nicht vergefecen, dass es sich bei der Willens- 
thätigkeit, wodurch ein Gegenstand in der Wirklichkeit begehrt 
wird, eigentlich um zweiObjecte handelt. Nicht nur der äußere 
Gegenstand, wenn Wir ihn so nennen wollen, sondern der eigene 
Act des Willens selber ist Object. Nehmen wir einmal an, die 
Vernunft stelle dem Willen das Gut und die Glückseligkeit im 
allgemeinen vor. Dieses Gut nennen wir das äußere Object. Sie 
wird ihm aber auch vorstellen, es sei gut, nach diesem Objecte 
in der Wirklichkeit, actuell zu streben. Dieses Object ist 
das innere. Das innere verhält sich zum äußern wie das Mittel 
zum Ziel. Das eine ist allgemeiner, das andere particulärer 
Natur. Daher strebt der Wille nach dem einen objectiv, mit 
Nothwendigkeit, nach dem andern dagegen mit vollkommener 
Freiheit. Subjectiv, quoad exercitium actus, strebt er nach 
beiden, insofern sie wirklich existierende Objecte sind, ganz und 
gar frei. Und warum dies? 

Die Vernunft sagt ihm allerdings, es sei gut dieses oder 
jenes zu thnn, so oder anders zu handeln, um glücklich zu sein, 
um die Glückseligkeit im allgemeinen zu erreicnen. Allein sie 
kann dem Willen ebenso sagen, es sei besser, dieses oder jenes 
nicht zu thun, es sei besser, gar nicht zu handeln, sondern nn- 
thätig zu bleiben. Die Glückseligkeit im allgemeinen existiert für 
uns in diesem Leben nicht in irgend einem bestimmten Objecte, 
und die Thätigkeit, der Willensa et ist nicht das einzige Mittel, 
um glücklich zu sein. Der Wille kann, durch irgend eine Neigung 
vx)n Seiten der Leidenschaften u. s. w. beeinflusst, den Verstand 
bewegen, nibht nachzudenken, die Gedanken davon ab- und 
anderswo hinzulenken. Der Wille kann die Vernunft bewegen, 
ihm durch ihr letztes praktisches Urtheil, die Sentenz, die Untbätig- 
keit als höheres Gut denn die Thätigkeit darzustellen. Dass 
dem Willen dieses freisteht, unterliegt keinem Zweifel, deiiu 
die Thätigkeit wie die Uüthätigkeit sind particuläre Güter, 
und keines derselben bildet den einzigen Weg, das einzige 
Mittel zum Glücke. Das einemal wird es die Thätigkeit, das andere- 
mal die Unthätigkeit sein^ worin der Wille sein Glück sacht 
und findet. 

Aus all dem ist ersichtlich, dass die eine Indifi^erenz eigent- 
lich die andere einschließt und die subjective per accidens von 
der objectiven abhängt. Der Wille ist subjectiv, quoad exercitium 



— 81 — 

actus frei, weil ihm die Vernnnft seine eigene TUätigkcic als ein 
iudifferenteB Gut daratellt. Darum kano er zwiscfaeo seiner TLätig- 
keit und Unthätigkeit wählen. Dadurch ist die Freiheit weseut- 
lieb und formell gewahrt. 

Wo immer der englische Lehrer von der Freiheit Gottes 
spricht, da führt er dieselbe zurück auf die "[Ddifferenz mit Bezug 
auf die Thätigkeit. Gott ist frei, indem er wollen kaun, dass 
dieses oder jenes sei oder nicht sei, gleichwie wir sitzen wullen 
oder nicht wollen können (1. p. q. 19. a. 10. ad 2.). Gott liestiiumt 
sich seine Thätigkeit selber, sie wird nicht von einem andern 
bestimmt. Er ist darum im wahren Sinne fverissimej Herr seiner 
Werke (2. disL 25. q. 1. a. 1. ad I.). Zur Freiheit gehöit, dasa sie 
einen Aet ausüben oder nicht ausüben künne, und dies ist bei 
Gott der Fall. Das Gut, welches er wirkt, kann er uuch nicht 
wirken (1. c. ad 2.}. Er ist somit indifferent fUr vieles. ^Ulerdings 
Ut es nicht in der Weise zu verstehen, daag er jetzt etwas will 
und später nicht will, weil das seiner Unveränderlichkeit wider- 
spricht, aondem es uiuss in dem Sinne verstanden werden, dass er 
dieses wollen oder nicht wollen kann (de veritate q. 24. a. 3. ad 3.), 

Wir glauben hiemit zur Genüge dargethan zu haben, dass 
die Wahlfreiheit per se, wesentlich und formell in der Indifferenz 
bezüglich der Thätigkeit oder Unthätigkeit (iadifferentia cotUradic- 
tionis) besteht. Die IndifTereuz mit Bezug auf die verscliiedeuen 
Gegenstände (indiffereniia contrarietatis oder specificationis) bildet 
zwar die erste nnd entfernte Grundlage, die radix lüm-tatis, aber 
formell und wesentlich die Freiheit ist sie nicht. Nichts- 
destoweniger ist diese Indifferenz für die Freiheit nothwendig. 

39. Wie verhält es sieb nun mit der Behauptung, dass die 
Doctrin der Thomisten die Freiheit in ihrem Bestände verletze? 
Die Antwort darauf ist leicht zu geben. 

Es wurde bereits dargethan, dass der Wille, wenngleich er 
in od« oder agens in actu ist, sieb doch noch seiner eigenen 
Thätigkeit gegenüber passiv verhält, weil diese Thätigkeit ein 
aecidms ist, welches dem Willen als seinem Snbjecte inhäriert. 
losofern diese Thätigkeit Wirkung oder Effect des Willens ist, 
befindet sieb letzterer nicht in der Potenz zu ihr, verhält er sich 
ihr gegenüber nicht passiv, sondern aetiv. Er bildet vielmehr 
die wirksame Ursache dieses Effectes. Passiv ist der Wille 
nur insofern die Thätigkeit ein accidena ist und dem Willen im- 
manent inhäriert. Allein der Wille muss noch in einer andern 
Beziehung passiv genannt werden. Er hat nämlicb von Natur aus 
gar keine Thätigkeit. Aus nnd durch sich selber ist er nicht 
actives Princip, active Potenz oder agens in actu. Er besitzt 
bloß das Vermligen thätig zn sein. Diese Eigenschaft ist ihm 
übrigens mit allen andern Geschöpfen gemeinsam, kommt nicht 
ibm allein zu. Von den Naturkräflen unterscheidet sich iudesi^en 

Feldner, WillenBtreibeit. <i 



— 82 — 

der Wille dadurch, dass jene nach dem eraten Anstoße von Seiten 
Gottes ununterbrochen thätig sind, unausgesetzt wirken, solange 
sie kein Hindernis finden, während dieser nur zeitweilig thätig ist 
Er ist, wie S. Thomas bemerkt, quandoque agens in jpotentia^ 
quandoque c^gei^s in actu. Wenn es nun die allen Geschöpfen 
gemeinsame Eigenschaft ist, aus und durch sich selber ohne 
Thätigkeit zu sein, so kann in dieser Unthätigkeit die Freiheit 
des Willens nicht liegen. Das Gemeinsame bildet niemals zugleicb 
den Unterschied von andern. Das bloße Vermögen, die reine 
Potenz eine Thätigkeit auszuüben, ist somit nicht die Differenz, 
wodurch sich die freien Creaturen von den unfreien unterscheiden. 
Zur Freiheit gehört, dass der Wille eine Thätigkeit vollziehen 
oder nicht vollziehen könne. Solange der Wille passiv, bloßes 
Thätigkeits V e r m ö g e n ist, steht es nicht in seiner Macht, eine 
Thätigkeit nicht zu setzen. Er m u s s vielmehr in der Unthätig* 
keit bleiben, weil dies der ursprüngliche, natürliche Zustand des 
Geschöpfes ist. 

Der englische Meister findet den Vorzug der vernünftigen 
Wesen, nämlich die Freiheit darin, dass sie sich selber be- 
stimmen. Er spricht nicht vom bestimmen können, obgleich 
das Können, die Fähigkeit vorausgehen muss. Noch deutlicher 
sagt uns dies die Herrschaft über die eigene Thätigkeit Hen 
über etwas ist jemand erst dann, wenn er es in der Wirklichkeit 
besitzt, so dass er darüber frei verfugt. Der Wille als Vermögen, 
als Potenz hat aber keine wirkliche Thätigkeit, sondern bloß die 
Fähigkeit dazu. Von einer Herrschaft kann somit nicht die Rede 
sein. Der Wille als agens in potentia kann folglich über die 
Thätigkeit oder Unthätigkeit nicht frei und nach Gutdünken 
verfügen, sich selber dazu bestimmen. 

Anders verhält sich die Sache, sobald der Wille in actu, 
agens in actu ist. In diesem Falle ist er wirkliche Ursache, 
actu caiisans. Die Ursache enthält in dem Momente, wo sie etwas 
verursacht, den Effect in sich, denn der Effect geht aus ihr hervor. 
Die Thätigkeit ist nun ein Effect des Willens, wie S. Thomas 
beständig lehrt, und sie geht aus dem Willen als ihrer Ursache 
hervor. Sie muss folgerichtig im Willen enthalten sein. Dies aber 
ist erst dann der Fall, wenn der Wille active Potenz, actives 
Princip oder agens in actu ist. Der Wille besitzt demnach die 
Herrschaft über seine Thätigkeit, und bestinunt sich selber zn 
dieser Thätigkeit, sobald tx prindpium activum ist. Diesem Princip 
entspricht der Effect, die Thätigkeit. 

40. Zur freien Thätigkeit des Willens gehören demnach zwei 
Dinge, von denen das eine die Potenz oder den actm primus, 
das andere die actuelle Ausübung der Thätigkeit angeht. Von 
Hciten der Potenz wird gefordert und genügt die Fähigkeit oder 
das Können, d. h. die Macht fpotestasj zu den beiden entgegen- 



geeetzten Extremen: z. B. die Fähigkeit zu wollen, niclit zn wollen, 
zu lieben, nicht zu lieben. Diese Fähigkeit, dieses Können «bildet 
die Grundlage ftlr die Freiheit. Ein% Thätigkeit ohne das Ver- 
mögen, ohne die Potenz* tou welcher diese ThStigkeit aosge'ht, 
lässt sich absolut nicht denken. Von seiten der wirklieben Ent- 
laltnng einer Thätigkeit wird verlangt, ilasB die Boeben genannte 
Potenz sich aetuell za einem der beiden Extreme appliciere, 
während es zn.-dem andern 'nicht geecbieht. Beiden zugleich 
taun die Potenz nicht appliciert werden, denn eine and dieselbe 
Potenz Termag nicht zwei Tbätigkeiten zugleich auBzaUbeo, noch 
* aacb zugleich thätig und uathätig zu sein. Bei dieser aetnellen 
Applioierung njass jedoch die Potenz fUr das Gegentheil intact 
bleiben, sie darf dadurch nicht aufgehoben werden. 

Untersachen wir nun diese Bedingungen der Wablfreiheit 
etwas näher. Ea wurde früher gesagt, die objective Indifferenz 
Bei notfawendig für die Freiheit, obgleiob sie die Freiheit per ae, 
wesentlich und formell nicht eonstitaiert So pft demnach der 
Wille frei handelt, muss'ein zweifaches, formell oder virtuell 
QQterBchiedeneB Urtheil von selten der Vernonft vorausgeHen. Das 
eine legt indi^eient ,die. beiden Extreme vor, zwischen "welehen. 
eine Wahl stattfinden* die freie Thätigkeit vollzogen werden soll. 
Das eine wie das andere dieser Extreme muss soviel an Gute 
blitzen, dass es begehrt werden kann, begehrenswert erscheint, 
zugleich aber auch soviel Mangel an Gute haben, dass es zurück- 
gewiesen, nicht augestrebt werden kann. Das zweite Urtheil 
schreibt ganz bestimmt und wirksam vor, welcher von diesen 
beiden Theilen hie et nunc zn wählen ist. Durch das erste Urtheil 
ist der Wille in actu primo {[ei, and er besitzt die Fähigkeit für 
beide Theile. Durch das zweite wird er aetuell, i& der Wirklich- 
keit auswählend. Durch dieses Urtheil geschiebt die .A^licierpng 
des Willens zu einem dieser Theile, anf welchen die Wahi fällt. 
In derselben Weise muss die subjectiv freie Thätigkeit des 
Willens vor sich gehen. Damit der Wille in actu primo frei sei, 
genllgt die Fähigkeit, den einen wie den andern Theil begehren 
la können. Indessen geht er dadaroh nicht schon zn einer wirk- 
lichen Thätigkeit über. Er bleibt (^ens in potentia. Ist er, wie 
wir nabhweisen werden, durch die pmemotio physica agena trf adu, 
active Potenz, actives Princip geworden, so wird unfehlbar eine 
Tbätigkeit erfolgen,' die auf den einen und nicht auf den andern 
Tbeil, auf das Uuthätigsein gerichtet ist. So wenig Uer Wille auf 
das letzte praktische Urtheil der Vernunft, die Sentenz hin, für 
beide Theile gleich aetuell indifferent bleibt, ebensowenig ist er 
als actiTC Potenz, als agens in ort« für die Thätigkeit und Un- 
tbätigkeit actu eil gleich indifferent. Zwei actoelle Indifferenzen 
zu gleicher Zeit vertragen sieh nicht. Dayiof berubt die Unter- 
schejduDg des sen^s compoaitus nnd sensua divisus, die sich im 



-'84 - 

heil. Thomas ausdrücklich findet, wenngleich sie von manchen 
Autoiten nicht verstanden wird (cfr. S. Th. 1. p. q. 14. a. 13. ad 3. — 
q.,19. a. 8. ad 1. — 1.2. *q. 10. a. 4. ad 3.). An der zuletzt ge- 
nannten Stelle bemerkt der Doctor Angelicus ti*effend : wenn Gott 
den Willen zu etwas bewegt, also ans einem agens in potmtia 
ein agens in actu macht, so ist es unmöglich, dass derselbe zu- 
gleich zu diesem etwas nicht bewegt werde. Allein schlechthin 
ist und bleibt es nicht unmöglich. S. Thomas hat hy&r nichts anderes 
im Auge, als den senms composittis und den sensus divisus, 

Dass die Freiheit darunter keinen Schaden erleidet, ergibt 
sich ebenso klar daraus, wenn .wir den Willen ganz und gar 
unabhängig sein lassen. Setzt der Wille durch jsich selber eine 
Thätigkeit, so ist er nicht zu gleicher Zeit unthätig, und umge- 
kehrt. Niemand wird indessen behaupten, der Wille habe in diesem 
Falle seine Freiheit eingebüjßt. Das Vermögen, die Potenz für das 
Gegeutheil besitzt er dabei ungeschmälert, somit auch die Frei- 
heit. Wählt er thatsächlich eines der beiden Objecto, so verliert 
er dadurch nicht die Möglichkeit, die Potenz das andere zu wählen. 
Zwei Gegenstände zugleich, die ihm unter der Indifferenz vor- 
gestellt worden, kann er ebensowenig, wählen, .wie er ui^ht za 
gleicher Zeit thätig und unthätig zu sein vermag. Begehrt er 
thatsächlich eines der beiden vorgestellten Objecte, so wird 
dadurch bloß die objectiv passive, nicht active Indifferehz 
aufgehoben. Und übt er in der Wirklichkeit einen Act aus, so 
kann damit die subjectiv passive Indifferenz nicht bestehen. 
Allein diese Indifferenz, die Unthätigkeit, gehört nicht zum Wesen 
der Freiheit. Weder nach dem einen, noch nach dem andern 
Gegenstände streben, gehört ebenfalls nicht zum Wesen der 
Freiheit. Der Wille ist folgerichtig dann frei, wenn er nach 
diesem Objecte sti-ebt, während .er doch nach dem andern 
streben könnte, und umgekehrt. Und er ist dann frei, wenn er 
thatsächlich einen Gegenstand begehrt, während er ihn anch 
nicht begehren könnte, oder umgekehrt. 

41. Der passive Zustand ist demnach der Freiheit an und f&r 
sich nicht eigenthttmlich, wie wir es ja in Gott sehen, der immer 
agens in adu, stets active Potenz, und nichts destoweniger im 
höchsten, vollkommensten Grade frei ist. Er kommt aber auch 
nicht an und für sich der gebchöp fliehen Freiheit zu. Warum 
er sich trotzdem bei der Freiheit der Geschöpfe vorfindet, werden 
wir sogleich Vom englischen Lehrer hören. 

Den Grund hiefUr erblickt nämlich der heil. Thomas darin, 
dass nichts in der Wirklichkeit Existierendes bei den Ge- 
schöpfen einfach^ sondern alles zusammengesetzt ist Der 
Wille als Vermögen, als Potenz ist darum seiner Natur nach 
aus und durch sich seljl>er ganz und gar passiv. In ordine qperatico 
gleicht er dem ersten Stoffe, der materia prima. Er kann »alle 



. _ 85 — . ■ . 

möglicben Objecte wollen, zu einem bestimmten ist er nicht 
hingeordnet. Ebenso kann er 'riel'e Acte aostlben oder nicht aas- 
Üben, aber zu keiner bestimmten Volluehnng; oder NichtroU- 
ziehnng, seiner Tbätigkeit ist er hingeordnet. Dasa dieser Znstand 
ein sehr unvollkommener ist, wird jeder begreifen. Er ist so wenig 
vollkommen wie der Z.iistand <Ie8 ersten Stoffes ohne die ent- ' 
sprechende Form nnd Existenz. Dieser Znstand kann folglich nicht 
die Freiheit bilden. Frei ist der Wille dann, wenn er nicht bloft 
in ordine entitattw, sondern auch in ordme opertUivo existiert, 
d.h. wenn er actives Princip, actire Polen» oder agens in actu ist. 
Dem Willen als VermOgen fehlt aber in ordine operativo die 
Existenz. Diese mnss erst zn dem Vermögen hinzukommen, 
dasselbe actuierend nnd ans ihm ein agens in actu constituieren. 
Daraus folgt aber dann, dass die actire Potenz etwas Znsammeu- 
geselztes ist ans dem Potentialen oder der Potenz nnd demjeni- 
gen, wodurch das Potentiale in ordine operntivb formell in actu 
ist oder existiert. Wir haben hier ganz dieselbe Zusammensetzung 
wie bei der Wesenheit in ordine entitativo. Die Wesenheit ist das 
Potentiale, das dnrcb die Existenz formell in actu gesetzt wird. 
Weil also der Wille als Vermögen reine Potenz ist, deshalb, 
wird er als active Potenz, als agens in adu, nicht reiner Act, 
aäus purus, sondern ans Potenz nnd Act zusammen gesetzt. Qamm 
sagten wir oben, der passive oder potentiale Znstand des Willens 
der Geschöpfe sei auch noch in der Wahlfreiheit rorhanden. Wie die 
Wesenheit der Creatnren durch die Existenz nicht actus purus wird, 
ebenso wird es auch der Wille durch die praemotio physiea nicht. 
Geht dadurch nicht der Vorzng, das Pririleginm, dessen sich 
die vemUnftigen Wesen auf Grund der freien Wahl erfreuen, yer- 
loren? Keineswegs. Denn gleich wie der erste Stoff, im Besitze 
eioer bestimmten Form dadurch seine Unbestimmtheit allen 
anderen Formen gegenliber nicht verliert, sondern die Fähigkeit, 
die Potenz zn allen andern Formen beibehält, ebenso ist dies der 
Fall bei der Wahlfreiheit, wenn der Wille aotive Potenz, agem 
in adu ist. Strebt der Wille als agens in actu nach einem be- 
stimmten Objecte, so verliert er dadurch die Fähigkeit, die 
Potenz alle anderen zu hegehren, nicht. Und vollzieht er eine b e- 
Btimmte Thätigkeit, so bUlIt er dabei die Fähigkeit zu einer 
andern Thätigkeit oder auch zn der Unthätigkeit nicht ein. Der 
Wille int dämm niemals determiniert zu einem wie der appe- 
titus naturalis der nnbelebten Dinge, oder bloß auf die sinnen- 
fUlligen Gflter beschränkt, wie das StrebevermOgen der Thiere. 
Überdies wissen wir aus S. Thomas, daas das Begehrungsver- 
niGgen der Thiere nicht nntbätig bleiben kann, wenn ihm ein 
Oat vorgestellt wird. Anders verhält es sich mit dem Willen der 
vernünftigen Wesen. Diese bestimmen sich den Gegenstand selber 
und auch das Mittel, die Thätigkeit oder Unthätigkeit, wodurch 



« • 



— 86 — ♦ ♦ 

sie dieseii Geg^enstand ihrer Nei^ng and Liebe erreichen. Das 
einemad sind sie in ihrer Thätigkei^ das anderemal in ihrer Uq- 
tbätigkeit glttcklieh. Dass die Tbätigkeit oder Unthätigkeit nie 
mab letztes Ziel, sondern immer nnr Mittel znm Ziele sein kann, 
beweist der englische Meister an mehreren Stellen (cfr. 1.2. q. 1. 
•a. 1. ad2: — ib. q. 2. a. 7.). 

Die genaoe Kenntnis' des innersten Wesens def Wahlfreibeit 
ist von solcher Wichtigkeit, dass man ohne sie ans den Schwierig- 
keiten nicht heränskommt Dielte Schmerigkeiten sind allerdings 
ganz gleich groß, ob die praemotio physica angenommen oder ver- 
worfen'wird. Eis ist dämm keineswegs angezeigt, selbe immer nar 
den Thonusten vorzuhalten. Mit denselben Gründen werden sie von 
den Thomisten gelösf, niit welchen von anderer Seite eine Ans- 
tragnng bewerkstelligt wird. Wer das eigentliche Wesen .der'Frei- 
beit gründlich erfasst hat, für dep wird die Orientierung eine 
ziemlich leichte seiti. 

§ 6. Der Gegenstand oder das Objejst der "Wahlfreiheit. . 

42. Die Wahlfreiheit bildet den Xjregensatz zu der Nothwen- 
digkeit. Noth wendig wird etwas dann genannt, wenn ^ unver- 
an d ehrlich zu einem bestimmt ist. Der Wille der vernünftigen 
Wesen ist zu vielerlei nicht bestimmt. Daher weiB er von einer 
Nothwendigkeit eittzig und allein nur in. Bezug auf dasjenige, 
wozu er vermöge seiner natürlichen Neigung bestimmt erscheint. 
Weil indessen jedes Bewegliche aiif ein Unbewegliches, jedes Un- 
bestimmte auf ein Bestimmtes als auf sein Princip zurückgeftihrt 
wird, ' deshalb muss dasjenige, wozu der Wille bestimmt ist, das 
Princip bilden ftir das' Streben nach demjenigen, wozu er nicht 
bestimmt ist. Bestimmt verhält sich der Wille bloß dem Endziele 
gegenüber. Nicht bestimmt dagegen ist er binsichtlichdreier Dinge: 
nämlich in Betreff des Objectes, des Actes und der Hinordnung 
zum Ziele. 

q) Was das Object anbelangt, so ist zu bemerken, dass 
darunter die Mittel, nicht das Endziel selber verstanden werden 
müssen. Der Grund, warum der Wille in den Mitteln frei ist, 
liegt darin, dass man auf verschiedenen Wegen zum Ziele gelan- 
gen kann, und dass den Verschiedenen auch verschiedene Wege 
offen stehen, dahin zu kommen. Der Wille durfte aus diesem 
Grunde unmöglich bezüglich der Mittel bestimmt werden, wie es 
bei den Naturdingen der Fall ist, die dir ein gewisses und be- 
stimmtes Ziel auch einen gewissen und bestimmten Weg haben. 
Die Naturdinge streben darum mit der gleichen Nothwen- 
digkeit nach dem Ziele und den Mitteln. Sie können infolge 
dessen nicht etwas begehren oder nicht begehren. Der Wille hin- 
gegen strebt zwar mit Nothwendigkeit nach dem Endzielei 



— 87 — 

« 

indem er dasselbe nicht nicht begehren kann; allein das Mittel 
verlangt er keineswegs mit Nothwendigkeit. In Betreff der Mittel 
steht es demnach vollkommen in seiner Macht, dieses oder jenes 
aDzastreben. 

b) Der Wille ist femer nicht bestimmt hinsichtlich des Actes. 
Er kann selbst dann, wenn ihm ein bestimmtes Object vor- 
gestellt wird, nach Belieben in Thätigkeit Übergehen oder nnthätig 
bleiben. Er kann jedes Object (respedu cujtislibet) actuell be- 
gehren oder auch keinen Act ausüben. Bei den Naturdingen trifft 
dieses nicht zu. Das Schwere strebt stets in der Wirklichkeit 
(actul nach dem Centrum, ausgenommen es werde darin durch 
irgeud etwas aufgehalten. Die unbeseelten Wesen werden eben 
nicht durch sich selber, sondern durch ein anderes bewegt. Die 
lebenden Wesen hingegen bewegen sich selber. Darum kann der 
Wille begehren oder nicht begehren. 

c) Drittens ist der Wille nicht bestimmt bezüglich der Hin- 
ordnung zimi Endziele, indem er nach dem streben kann, was in 
Wahrheit, oder was nur scheinbar dem eigentlichen Ziele dienlich 
ist. Diese Nichtbestimmung hängt von zwei Umständen ab. Erstens 
davon, dass der Wille nicht bestimmt ist, in Betreff der Mittel. 
Zweitens davon, dass die Vernunft nicht bestimmt ist mit Bezug 
auf die Erkenntnis, die folglich eine richtige oder irrige sein kann. 
Unter Voraussetzung eines richtigen Principes ergibt sich niemals 
eine unrichtige Schlussfolgerung, außer dadurch, dass die Vernunft 
einen Fehler begeht, etwas unrichtig unterstellt, oder die Schluss- 
folgerung unrichtig auf das Princip bezieht. Gerade so verhält es 
sich mit dem Willen. Denn ist das Streben nach dem Endziele 
ein geordnetes, so könute niemand etwas in verkehrter Weise be- 
gehen, würde nicht die Vernunft etwas auf das Ziel beziehen, 
was sich auf dasselbe einfach nicht beziehen lässt. Wer z. B. in 
geordneter Weise nach der Glückseligkeit strebt, der kann nie- 
mals verleitet werden, einen Diebstahl zu begehen. Geschieht es 
dennoch, so erachtet er ihn als ein Gut. Der Diebstahl ist für 
ihn ein angenehmes Gut, und er kann als ein schwaches Abbild 
der Glückseligkeit, auf dieselbe bezogen werden. Daraus folgt die 
Nichtbestimmung des Willens, zufolge welcher er das wirkliche 
Gut, oder das nur scheinbare, das Böse, begehren kann. 

Der Wille wird frei genannt, insofern er keine Nothwendig- 
keit kennt. Die Freiheit des Willens besteht demnach in drei 
Dingen. Erstens in der Freiheit des Actes, indem er wollen und 
nicht wollen kann. Zweitens in der Freiheit des Objectes, indem 
er dieses oder jenes, oder das Gegentheil desselben wollen kann. 
Di'ittens in der Freiheit der Beziehung zum Endziele, indem er 
das Gute oder das Böse begehren kann. Die Freiheit der ersten Art 
besitzt der Wille in jedem Zustande der Natm*, also in diesem 
Leben, und mit Bezug auf jedes Object. Die der zweiten hat 



— 88 — . 

er nur in Betreff einiger, der Mittel nämlich, nicht des Endzieles 
selber, und dies ebenfalls in jedem Zustande der Natur. Die 
dritte Art bezieht sich auf einige Objecte, auf die Mittel, sie findet 
sich aber nicht in jedem Zustande der Natur, sondern bloß in 
jenem, in welchem die Natur fehlen kann. Denn wo die Erkenntnis 
und Vergleichung ohne Fehler ist, wie in den Seligen des Himmels, 
da kann der Wille nicht das Böse begehren und anstreben (de 
veritate q. 22. a. 6.). 

Wir müssen diese drei Objecte, betreffs welcher der WiDe 
der vernünftigen Geschöpfe fr^i ist, selbst auf die Gefahr hin zu 
wiederholen, genauer examinieren, weil die Doctrin des Calvin 
und Jansenius der Lehre des heil. Thomas diametral entgegen- 
gesetzt ist. 

43. Der Gegenstand des Willens kommt in zweifacher Weise 
in Betracht : formell und materiell. Die formelle Seite eines Objectes 
bildet den Grund, durch welchen es auf ein Vermögen, auf eine 
Potenz einwirkt. Nach der Lehre des heil. Thomas öind die Ver- 
mögen, Veratand und Wille der Geschöpfe hinsichtlich ihrer Ob- 
jecte passiv. Der Gegenstand bildet darum für die Potenz das 
Princip der Bewegung, Bestimmung, die Potenzen sind das Be- 
wegte, Bestimmte (1. p. q. 80. a. 2.). Wenngleich nun der Gegen- 
stand das bewegende Princip, principium quod, bildet, so ist er 
doch nicht jedesmal auch zugleich das Princip quo oder wodurch 
dieser Einfluss auf die Potenz ausgeübt wird. Der sichtbare Gegen- 
stand wirkt als principium qiiod auf das Sehorgan, hingegen ist 
die beleuchtete Farbe das principium quo, oder dasjenige, wo- 
durch diese Einwirkung erfolgt. Der Wille wird vom Gegenstande, 
welcher gut ist, bewegt. Diese Bewegung aber wird ausgeführt 
durch die Güte, welche das Object in sich hat. Der Gegen- 
stand, welcher bewegend auf den Willen Einfluss nimmt, heißt 
auch materielles, und dasjenige, wodurch diese Einflussnahme von- 
statten geht, formelles Object, oder formeller Grund. Der englische 
Lehrer nennt letzteres immer die rcttio volendi, ersteres : id in quo 
ratio ista invenitur (1.2. q. 1, a, 7,). 

In der vorhin citierten Stelle bemerkt nun S. Thomas, die 
Freiheit des Willens erstrecke sich auf alle Objecte mit Aus- 
nahme des Endzieles, der Glückseligkeit im allgemeinen, nach 
welcher der Wille nicht frei, sondern mit Nothwendigkeit strebe. 
Um zu sehen, inwiefern der Wille die Glückseligkeit im allge- 
meinen mit Nothwendigkeit begehrt, muss sie in der oben an- 
gegebenen zweifachen Weise unterschieden werden. Das Endziel 
ist dem englischen Lehrer dasjenige Gut, welches vermöge seiner 
Vollkommenheit das Verlangen des Willens ganz und gar stillt 
Weil jedes Wesen seine eigene Vollkommenheit begehrt, deshalb 
strebt es nach jenem Gut als dem Endziele, welches, in sich voll- 
kommen, auch das strebende Subject zu vollenden imstande ist 



._ 89 — 

* ♦ 

Das Endziel mass darum derart das Verlaugen des Willens be- 
friedigen^ dass demselben nichts mehr ttbrig bleibt, was er noch 
wflnscheu konnte. (1. 2. q. 1. a. 5.). Wird ihm dieses allseitige 
Gut in der Wirklichkeit von der Vernunft vorgestellt, - so 
kann er nicht es nicht begehren, d. h. er kann nicht das Gegen- 
theil von diesem Gut anstreben. Und insofern begehrt der Wille 
das Endziel, die Glückseligkeit im allgemeinen mit Nothwendig-. 
keit. Hierüber wurde früher, bei der Behandlung des Willens als 
Natur, das Nähere nachgewiesen (cfr. 1. 2. q. 10. a. 1.). 

Gibt es nun für die geschaffene vernünftige Strebekraft einen 
Gegenstand, ein Object, objectum quod, welches als ein all- 
seitig und in jeder Beziehung vollkommenes Gut von der Vernunft 
ihr vorgestellt wird? Nein, es existiert kein solches. Der Gegen- 
stand, das objectum quod, ist für den geschaffenen Willen, so- 
lange er nicht die Anschauung Gottes genießt, niemals ein voll- 
kommenes Gut In diesem Leben ist selbst Gott, das vollkom- 
menste Gut, von uns nicht in einem solchen Grade erkannt, dass 
wir ihn notb wendig begehren, nicht das Gegen theil von ihm 
anstreben könnten (1. p. q. 82. a. 1.). Ganz dasselbe mnss von der 
Glückseligkeit im allgemeinen gesagt werden. Die Ansicht des 
englischen Meisters lässt einen Zweifel hierüber nicht aufkommen. 
Derselbe schreibt: „Wenn wir die Bewegung des Willens von 
Seiten des Objectes, welches den Act des Willens dieses oder 
jenes zn wollen specificiert, ins Auge fassen, so muss vor allem 
beachtet werden, dass das erkannte, dem Willen zusagende 
(cmveniens) Object den Willen bewegt. Würde darum dem Willen 
ein Gut vorgestellt, welches bloß als ein Gut, nicht auch als 
convenient erkannt ist, es wäre nicht geeignet, den Willen zu 
bewegen. Der Rath und die Auswahl beziehen sich nun auf etwas 
Particuläres, mit welchem sich die Thätigkeit des Willens befasst. 
Das was als gut und zuträglich erkannt wird, muss folglich als 
ein Gut und etwas Zuträgliches im einzelnen, nicht bloß im 
allgemeinen aufgefasst werden. Erscheint ein Gegenstand als 
ein convenientes Gut mit Bezug auf alles Particuläre, was da- 
bei in Betracht kommen kann, so wird er den Willen mit Noth- 
wendigkeit bewegen. Aus diesem Grunde begehrt der Wille 
mit Nothwendigkeit die Glückseligkeit, denn diese bildet nach 
Bo^thius einen Zustand, der durch die Fülle aller Güter voll- 
kommen ist. Diese Nothwendigkeit bezieht sich indessen nur auf 
die Bestimmung des Actes, insofern der Wille nicht das 
Gegentheil von diesem vollendeten Gute begehren kann (de 
malo q. 6. a. unic). Wo existiert aber dieses allseitig vollkommene 
Gut ftlr den Menschen in diesem Leben? Nirgends als in seiner 
Vorstellung. Und wenn er selbst alle Güter des Himmels und der 
Erde zusammenfasst, wie er sie jetzt erkennt, wie sie seinem 
Geiste vorschweben, sie bilden trotzdem nicht in der Wirklichkeit 



— 90 — . . . 

Jenen Gegenstand, der, ihn wahrhaft und für immer gllieklicb 
macht. Das Objedum quod oder dasjenige, worin die Glückselig- 
keit objectiv liegty ist Gott, in seiner Wesenheit geschaut, nüd 
eben diese Wesenheit 'erkennen wir hier an,f Erden nicht, wie sie 
in sich ist Wir wissen es nicht, obgleich wir es glauben,' dass 
Gottes Wesenheit, das allseitige^ allein gltlcklich machende 
jGfut für uns Menschen bildet. Wir erkennen und wissen- zwar, 
dass Gott das höchste und volll^omüienste Gut ist. Allein das 
reicht, wie S. Thomas bemerkt, nicht hin, um. den Willen zu be- 
wegen. Soll ein Object den Willen bewegen, die Thätigkeit des- 
selben bestilnmen, specificieren, so muss es nicht bloß als ein Gat 
überhaupt, sondern als ein Gut für den Willen, als etwas 
Convenientes erkannt werden. Ob Gottes Wesenheit für uns ein 
zuträgliches Gut ist, das wissen wir nicht in jenem Grade, dass 
wir dieses Gut müssten begehren mit natürlicher Nothwendig- 
keit. Der Glaube bietet nicht eine solche Gewissheit, dass der 
Wille infolge dessen mit Nothwendigkeit Gottes Wesenheit 
begehrt. Diese Sicherheit gewährt aber die Anschauung Gottes 
im andern Leben. Jetzt, hier auf Erden, ist denmach Gottes 
Wesenheit nicht der Gegenstand, der unsern Willen mit Noth- 
wendigkeit bestinmit, der Mensch kann das Gegentheil wollen. 
Die verworfenen Engel haben es thatsächlich gethan, ein Beweis, 
dass sie frei waren. 

Alles Geschaffene ist nach dem englischen Meister theilweise 
ein Gut, theilweise nicht ein Gut. Es ist beschränkt und darum 
nicht allseitig vollkommen, sondern zugleich mit einer Unvollkom- 
menheit behaftet Aus diesem Grunde begehrt der Wille nichts 
von all dem, was existiert, mit Nothwendigkeit. Die Ver- 
nunft kann jedes geschaffene Gut dem Willen von jener Seite 
aus darstellen, von welcher aus es ein Gut ist. Sie kann es 
aber auch von jener Seite aus thun, welche Unvollkommenheiten 
aufweist. Dem Willen steht es infolge dessen frei, dieses Gut zu 
begehren oder abzuweisen. Nothwendig strebt er nur nach 
jenem Gut, welches gar keine Unvollkommenheit in sich schließt, 
von welcher Seite aus es immer betrachtet werden möge (1.2. 
q. 10. a. 2.). 

Fragen wir demnach, ob irgend ein Gegenstand (res)^ 
welcher Wirklichkeit hat, ein Object, welches existiert, den Willen, 
wenn er thätig ist, objectiv mit Nothwendigkeit bestimme 
und bewege, so müssen wir diese Frage verneinen. Allerdings 
können wir dies nur mit dem Beifügen thun, solange wir nicht 
Gottes Wesenheit in sich schauen. Die Glückseligkeit im ali- 
gemeinen, von welcher S. Thomas lehrt, sie bewege und bestimme 
den Willen mit Nothwendigkeit, ist nicht etwas in der Wirklich- 
keit, sie existiert nicht als pbjectum quod, sondern mehr als 
objedum quo und als objective ratio volendi. Für dieses Leben 



^ 91 - • 

f 

existiert sie als Gegenstand nur in unserem Denken, wie S. Tho- 
mas bemerkt. Finis ultimum est in intentione, und insofern bewegt 
sie den Willen mit Nothwendigkeit. Der Wille strebt . bei all seiner 
Thätigkeit nach dem Glücke, er kann niemals unglücklich zu sein 
begehren. Dies thut indessen seiner Freiheit keinen Eintrag. Gott . 
selbst kann nicht unglücklich, sein wollen, strebt m*it Noth- 
wendigkeit nach dem Glücke. Er strebt aber auch noth wendig 
nach dem Gut als solchem. Er kann sowenig wie der Mensch 
das Böse als solchem wollen. Nichtsdestoweniger bleibt er im Voll- 
besitze der Freiheit. Der Unterschied, welcher diesbezügliQh zwischen 
Gott und uns hier auf Erden gemacht werden mnss, besteht darin^ 
dass Gottes Wesenheit für ihn das objedum quo und quod zu- 
gleich* bildet, .während wir kein bestimmtes, existierendes objedüm 
quod unserer Glückseligkeit haben. Darum sucht es auch der 
eine da, der andere dort. Darum entscheidet sich der eine direct 
f&r Gott, weil ihm die aus dem Glauben geschöpfte Erkenntnis 
genttgt, der andere aber folgt der Neigung seiner Leidenschaften 
und wendet sich ein fttr allemal von Gott, dem einzigen Gegen- 
stande seines wahren Glückes, ab. Wir sind folglich in diesem 
Leben anch hinsichtlich des objectum quod frei. Anders verhält 
sich die Sache im Jenseits, wo wir, gleichwie Gott selbst, die 
Wesenheit* Gottes mit Nothwendigkeit begehren werden. 
Vom Hauptobjecte sind wir dann bestimmt, dieses können . 
wir nicht nicht wollen, nach dem Gegenth^ile desselben können 
wir nicht streben. 

Es ergibt sich somit, dass die Freiheit der Geschöpfe mit 
Bezug auf die Objecto sehr unbeschränkt, ja dass sie a 1 s F r e i- 
heit Oberhaupt objectiv nicht begrenzt ist. Unglücklich sein 
wollen ist keine Vollkommenheit, das Böse als solches begehren 
ebensowenig. Denn in beiden Fällen hätte die Greatnr keine 
Ähnlichkeit mit Gott, und was Gott nicht ähnlich, das ist unvoll- 
kommen. Wenn es also nach der Lehre des heil. Thomas jedem 
Wesen eigen ist; seine Vollkommenheit als Endziel zu begehren, 
und wenn das, was den Willen unglücklich macht, das, was für' 
ibn etwas fiöses ist, unmöglich ' eine Vollkommenheit für ihn sein 
kann, .80 liegt es klar zu Tage, dass in der Bestimmung, Beschrän- 
kung des Willens auf das Gut und die Glückseligkeit im allge- 
meinen eine Beeinträchtigung der Freiheit nicht gefunden werden 
kann. Im Gegentheil mnss dies vielmehr als Fundament und Grund- • 
läge der Freiheit betrachtet werden, weil jedes Bewegliche auf 
ein Unbewegliches, jedes Unbestimmte, nicht Determinierte auf 
ein Bestimmtes, als sein Princip zurückzuführen ist (1. p. q. 82. 
a. 1 . — de veritate q. 22. a. 5.). 

Übrigens haben wir früher gehört, dass die Bestimmung des 
Willens durch das Object nicht formell zum Wesen der Frei- 
heit gehört. Gäbe es selbst nur ein einziges Object, welches den 



- 92 ^ 

• 

Willen mit Nothwendigkeit bestimmt, er wäre in Betreff 
seiner Thätigkeit, dieses Objeet zu begehren, od^r zu ver- 
schmähen, dennoch frei, und man mflsste von ihm einfachhin sagen, 
dass er frei ist. Denn solange die Freiheit formell besteht, 
die Freiheit thätig oder unthätig zu sein vorhanden ist, ranss 
absolut anerkannt werden, dass der Wille frei ist. Wir tragen 
darum gar kein Bedenken, die Ansicht auszuspreclien, der Mensch, 
überhaupt das vernlinftige Geschöpf, sei auch mit Bezug auf das 
Gut und die Glückseligkeit im allgemeinen formell frei zu nennen. 
Obgleich der Wille nach diesem Gut, wenn er dasselbe begehrt, 
mit Nothwendigkeit strebt, so kann man doch nicht schlechthin 
behaupten, er sei diesbezüglich unfrei. Er bleibt frei hinsichtlich 
seiner Thätigkeit, in Betreff des Actes, welchen er vollziehenr oder 
auch nicht vollziehen kann. 

44. Damit kommen wir zu der zweiten, vom englischen Lehrer 
angeführten Art der Freiheit : nämlich mit Rücksicht auf die Thätig- 
kcit oder Unthätigkeit des Willens. 

S. Thomas bemerkt an obiger Stelle, der Wille sei nicht be- 
stimmt, sondern frei in seiner Tbätigkeit in Betreff jedes Objectes. 
Selbst wenn ihm ein bestimmtes Objeet vorgestellt wird, könne 
er in lliätigkeit übergehen, oder in der Unthätigkeit verharren. 
Dabei macht der englische Meister einen Unterschied zwischen 
der objectiven Freiheit, die wir soeben näher besprochen haben, 
und der subjectiven^ die in der Indifferenz thätig oder nicht thätig 
zu sein besteht. Die erstere Freiheit ist enger, indem der Wille 
das Gut und die Glückseligkeit im allgemeinen nicht frei, son- 
dern mit Nothwendigkeit begehrt. Sie erstreckt sich dem- 
nach nicht auf alles. Von der Freiheit im letztem Sinne, der 
subjectiven dagegen sagt der Doctor Angelicus, sie sei vorhanden 
mit Bezug auf jedes Objeet. 

Die Hauptschwierigkeit ist nun die : ob der Wille hinsichtGch 
des Guten und der Glückseligkeit im allgemeinen nach der Lehre 
des heil. Thomas subjectiv frei sei, oder ob er diese zwei Objecto 
mit Nothwendigkeit begehre ? Wir glauben diese schwierige Frage 
im Sinne des heil. Thomas dadurch zu lösen, dass wir die be- 
treffenden Stellen genauer examinieren und zum Schlüsse das 
Resultat herausbringen: Der Wille begehrt an und für 
sich das Gut und die Glückseligkeit im allgemeinen 
subjectiv nicht mit Nothwendigkeit, d. h. er kann 
hinsichtlich dieser Objecte in Tbätigkeit übergehen 
oder unthätig bleiben. 

Nothwendig nennt der englische Meister dasjenige, was 
unveränderlich zu einem bestimmt ist. Wäre der Wille 
nun an und ftlr sich mit Bezug auf die genannten Objecte sub- 
jectiv unfrei, so mttsste er dieselben unveränderlich be- 
gehren. Er mUsste hinsichtlich dieser Objecte beständig in 



i. 



— 93 - 

"fTJiätigkeit sein, aie nnunterbroclien actaell wollen. 
Die Nothwendigkeit in Betreff de« Actes (quoad exercitium actun) 
befiteht ja gemäß der Begriffsbestimmung des: BNotbwendigen' 
darin, dass der Wille nureränderlicb zti einem bestimmt 
ist. Die ffotbwendigkeit schließt folglich das andere, das Gegeu- 
theil ans. Das Qegeatheil von Thätigkeit ist Unthätigkeit oder 
Nichtthätigttein. Begehrt nun der Wille das Gut und die Glück- 
seligkeit im allgemeinen Babjeotir nbthweudig, d. h. nnfiei, 
80 ist er unveränderlich zu dieser Thätigkeit bestimmt. 
' Dieses aber bestreitet der heil. Tßomas an mehr als einer Steile. 
Schon die Worte an der oheu angeführten Stelle, der Wille sei ' 
HnbjectiT (quoad exercitium) frei mit Beza^ auf jedes Object, 
deuten darauf hin, dasa die. Willensthätigkeit unter allen Um- 
Btändeu eine freie ist. Der vom heil. Thomas aaegesprx>chene Gruud- 
Batz lautet allgemein : respectu cujtislibet objecti. Überdies müsste 
der Unterschied zwischen der ersten und zweiten Art, der sab- 
jectiven und objectiveu Freiheit wegfallen. In Betreff der objec- 
ti?en uimmt S. Thomas einen Gegenstand, die Glückseligkeit im 
allgemeinen ans, indem er lehrt,' der Wille begehre diese noth- 
' wendig. Bezieht 'sieb diese Kothwendigkeit nicht bloß auf das 
genannte Object, sondern auch auf die Thätigkeit, auf den Willeus- 
act, dann ist es ganz, und gar unrichtig zu sagen, die Willens- 
tliätigkeit sei mit Bezug anf jedes Object eine freie. Der Wider- 
spruch im heil. Tbomaa liegt dann auf der Hand. Hinsichtlich 
der anbjectiveu Freiheit lehrt er, sie erstrecke sieh auf alle Ob- 
jecte; bezüglich der objectiveu macht er eine Ausnahme, und docii 
Holl diese Ausnahme auch ftlr die subjectire Geltung habsn. Wir 
baben somit die Wahl zwischen einem ofFenen Widerspiucbe des 
englischen Meisters mit sich selbst, oder seiner Lehre, der Wille 
begehre subjectiv das Gut und die GlDckseligkeit im atlge- 
meinen nicht auf natürliche and nothwendige, d. b. uufieie Weise, 
sondern er behalte auch diesbezüglich seine Freiheit bei. 

Wir haben früher die Worte: „an und für sich" gebraucht, 
um damit anszudrllcken, was dem Willen seiner Natur nach zu- 
kommt, solange er sich nicht in der Anschauung Gottes befindet. 
Diese letztere besitzt er ans Gnade, nicht durch seine Natur. 

Den iweiten Bevfeis gegen die Notbwendigkeit des 
Willens aet es mit Bezug auf die Glückseligkeit im allgemeinen 
entnehmen wir, wie schon gesagt, der Begriffsbestimtnuug des 
„Nothweudigen", das als solches unveränderlich zu eiuem 
bestimmt ist, uud' ebeu dadurch sein Gegentheil ausschlieilt. Die- 
sem Principe entsprechend mlisste der Wille, wenn er das ge- 
nannte Objeci nothwendig begehrt, -dasselbe immer actaell 
austrebeu, hinsicbtlich desselben immer oder unTeränderlicb in 
Thätigkeit seiu. ' Dem widersprechen mehrere Äußeruugen des 
englischen Meisters. So m^cht er sich z. B. an einer Stelle folgen- 



— 94 — 

den Eiowuif : «Was einem Dinge per se innewohnt, das ist noth- 
wendig in diesem Dinge. Etwas wollfen kommt dem Willen per se 
za: fol^eh begehit er etwas mit Kothwendigkeit Der Beweis 
dallSr ist leicht zn fthren. Das höchste Gnt ist ein per se gewolltes 
6nt. Wann imMer daher der Wille dasselbe actnell begehrt, will 
er es per se. Knn will er es immer, denn er «begehrt es aaf 
natOrlidie Weise: folglich strebt er inmier per se nach dem 
höchsten Gijte/ Die Aiitwort «darauf lautet: ,,Das erste Gut ist 
etwas per se Gewolltes, und der Wille strebt per^se und auf 
natOriidie Weise nach demselben. Allein es ist nicht richtig, * 

* dass er dieses Gut immer in der Wirklichkeit, actuell begehrt. 
So manches kommt der Seele auf naturgemäße Art am. Daraus 
folgt aber nicht, dass alles das, x^as ihr auf .d\ese Weise zu- 
kommt, immjer actuell in der Seele seL Die ersten Principien 
werden naturgemäß erkannt, und trotzdem beschäftigt sich der 
Verstand nicht inuner actuell mit denselben (deveritäte q. 22. 

'a5.ad 11.). In dieser Stelle wird die objective Nothwendig- 
keit des Willens offenl^ar von der subjectiven Freiheit 
desselben unterschieden, und ausdrücklich betont, dass ans der 
Nothwendigkeit der einen nicht die NotHwendigkeit der * 
andern' folge. Der Wille bleibt subjectiv auch dann frei, wenn er 
objectiv etwas mit Nothwendigkeit begehrt 

45. Sollte yielleicht der heil. Thomas irgendwo andenr die 
Lehre vortragen, dass' der Wille yon Gott» ^bjectiv auf natfir- 
liehe und nothwendige, d. h. unfreie Art bewegt werde? Wir 
haben keine Stelle dieses Inhaltes gefunden. In einem seiner 
Werke hat der englische Lehrer ausfhhrlich unsere Frage be- 
handelt. Es heißt daselbst: „Um zu beweisen, dass der Wille 
nicht mit Nothwendigkeit bewegt werde, muss die Bewegung des 
Willens in Bezug auf den Willensact und im Hinblicke auf die 
Bestimmung dieses Actes durch das Object ins Auge gefasst wer- 
den. In ersterer Hinsicht ist zunächst klar, dass der Wille durch 
sich selber bewegt wird. Wie er die andern Potenzen bewegt, so 
bewegt er auch sich selber. Daraas folgt indessen nicht, dass er 
dann Beweger und Bewegtes zugleich und unter dem nämlichen 
Gesichtspunkte sei, dass er damit zugleich in der Potenz und im 
Acte sich befinde. Gleich wie der Verstaftid in Betreff der Er- 
kenntnis sich selber bewegt, indem er von einem in der Wirklich- 
keit erkannten Gegenstande zu einem unbekannten fortschreitet, 
der nur der Möglichkeit nach oder in der Potenz erkannt war, 
ebenso bewegt sich der Mensch dadurch, dass er etwas actuell 
will, dazu auch etwas anderes in der Wirklichkeit zu wollen. 
Jemand will z. B. die Gesundheit. Dadurch bestimmt er sich dann 
Medicin zu nehmen. Indem er die Gesundheit begehrt, fUngt er 
an darüber nachzudenken, was alles zur Gesundheit beiträgt In- 
folge dieser Berathung mit sich selb^ will er endlich Medicin 



95 — 



I 



anwenden. Es ergibt sieh hieniit eine bestimmte Reihenfolge. Dem 
Willensacte Medieiu zu nehmen, gebt der Rath voraus, und dieser * 
Bath erfolgt auf Grund des Willensactes, womit er einen Rath « 
begehrt. Der Wille bewegt sich somit durch den Rath, der Rath , 

aber schließt eine Untersuchung in sich ilber verschiedene und 
entgegengesetzte, Mi ttlßl. Er sagt nicht apodiktisch oder demonstrativ, 
dieses sei *2u wählen. Darum bewegt sich der Wille auch nicht 
mit Kothwendigkeit. Weil jedbch der Wille nicht immer einen 
Bäth begehrt, deshalb muss er von irgend einem andern« daani 
bestimm^ werden, dass er einen Rath wUnsche. Würde diese Be-* 
Stimmung von ihni selber ausgehen, so mtLssta dem Gesagten zu- 
folge dieser Bewegung des Willens ein Rath vorangehen, und 
diesem Bathe ein Act des Willens, wodurch wir ins Unendliche 
kämen. Um das zu vermeiden, muss angenommen werden, dass' 
der Wille mit Bea^ug auf seine erste Bewegung, wenn er etwas 
nicht immer actnell will, von einöm äußern Principe bejvegt 
werde, «auf dessen Atistoß, hin der Wille zu wollen beginnt. Diesen . 
Anstoß von außen schreiben nun manche einem Himmelskörper zu. 
Diese Anschauung ist jedoch faMch. Es bleibt dahisr nichts anderes 
übrig, als zu sagen, wie es auch Aristoteles in*der That beliauptet, 
jenes Princip, welches den Willen und Verstand zuerst beWegt, 
sei etwas über dem Verstände und Willen, nämlich Gott. Gott 
aber bewegt alles entsprechend der Natur des Beweglichen, das 
Leichte nach oben, das Schwere nach unten. Er bewegt folglich 
auch den Willen nach dessen Verhältnissen, so zwar, dass der- 
selbe nicht mit Nothwendigkeit bewegt wird, sondern dabei 
vielen gegenüber sich indifferent verhält. Aus dieser Darlegung 
folgt; dass die Bewegung des Willens bezüglich d e s A c t e s, der 
Willens t hat igkeit eine durchaus freie, keineswegs aber eine 
nothwendige ist** (demalo q. 6. a. 1.). 

. Wie wir sehen, lautet auch hier der Grundsatz des englischen 
Meisters allgemein: die Willensthätigkeit, der Willensact 
erfolgt frei, nicht nothwendig, obgleich die erste, oberste Ursache 
davon Gott ist. Die Natur und Beschaffenheit des Willens erfor- 
dern, dass er zu seinen Thätigkeiten frei bewegt werde. Daher 
schließt S. Thomas den soeben citierten Artikel mit den Worten : 
„Mit Bezug auf manches wird der Wille von selten des Objectes 
mit Nothwendigkeit bewegt, jedoch nicht mit Bezug auf alles. 
Von Seiten der Vollziehung des Actes dagegen wird er nicht 
mit Nothwendigkeit bewegt.** Der Doctor Angelicus weiß also 
diesbezüglich von einer Ausnahme nichts. Die Freiheit des Willens 
hinsichtlich seiner Thätigkeit erstreckt sich auch auf die Glück- 
seligkeit im allgemeinen. 

In diesem Artikel führt S. Thomas auch den tiefern Grund 
an für die von ihm vorgetragene und vertheidigte Lehre. Er findet 
diesen Grund darin, dass die Thätigkeiten des Verstandes und 



— 96 — 

• 

Willens etwas Particuläres smd. Hinsichtlich des Particuläreo aber 
ist und bleibt der Wille frei. Denn das Particuläre bildet nicht 
ein allseitig vollkommenes Gut, es ist vielmehr gerade wegen 
seiner psu'ticulären Beschaffenheit theilweise ein Gut, th^ilweise 
nicht ein Gut. Der Wille kann demnach dieses Gut begehren oder 
nicht begehren. Nicht allein die äußern Gegenstände, sondern auch 
die Willensthätigkeit selber gehört zu dem Objecte-des Willen«. 
Weil er über sich selbst zu refle(?tieren vermag, deshalb kann er 
sich seine Qigene Thätigkeit als Object oder Ziel seines Strebens 
vorstellen (1. 2. q. 1. a. 1. ad 2.). Diese Thätigkeit aber ist etwas 
Particuläres. Eine. Bewegung, einen Willensact allgemeiner 
Natur gibt es weder, noch* kann es einen -solchen geben, ob- 
gleich in neuester Zeit das Gegentheil 'behauptet, und zum Über- 
flusse noch beigefügt wird, jedermann wisse, dass die Bewegung 
des Willens zum Guten und zu der Glückseligkeit im allgemeinen 
allgemeiner Natur sei. Zu diesem Jedermann" darf S. Thomas 
jedenfalls tiicht gerechnet werden ; denn er weiß thatsächlich nichts 
von einer subjectiven Bewegung des Willens, die allgemeiner 
Natur sein soll. Wie man sich eine Willensthätigkeit all- 
gemeiner Natur etwa zu denken habe, ist recht schwer zu be- 
greifen. Nach S. Thomas sind die Acte des Verstandes und Willens 
etwas Particuläres, darum keineswegs allgemeiner Natur. Aus 
diesem Grunde bewahrt der Willen ihnen gegenüber seine Frei- 
heit. Wenngleich Gott den Willen zu einer Thätigkeit bewegt, so 
kann er doch nicht bewirken, dass diese Thätigkeit allgemeiner 
Natur sei, weil dieses der Beschaffenheit des Willens und der 
Thätigkeit desselben widerspricht. Wie die Thätigkeit des Wil- 
lens ein particuläres Gut, so ist auch die Unthätigkeit desselben 
ein solches. Der Verstand vermag nicht bloß ein wahres, sondern 
auch ein scheinbares Gut zu erfassen. Vielfach ist die Unthätigkeiti 
des Willens ein wahres Gut. Der Wille kann somit zwischen der 
Thätigkeit oder dem Nichtthätigsein wählen und ist infolge dessen 
freL Die Freiheit besteht per se und formell in der Thätigkeit 
oder Unthätigkeit des Willens. Wo immer daher der englische 
Lehrer von der Nothwendigkeit spricht, da meint er stets die 
objective. Darum setzt er jedesmal die Bedingung bei: wenn 
der Wille etwas begehrt. Man vergleiche z. B. : 1.2. q. 10. a. 2. 
Die Acte des Verstandes und Willens bleiben auch im andern 
Leben etwas Particuläres, und insofern bleibt der Wille frei. 
Allein er strebt aus einem andern Grunde mit einer gewissen 
Nothwendigkeit nach der Wesenheit Gottes. Zunächst wird die 
Wesenheit Gottes als gut und convenient nicht nur im allge- 
meinen, sondern im particulären erkannt. Gott ist etwas 
ganz und gar Singuläres. Die Glückseligkeit, nach welcher wir 
jetzt hier auf Erden verlangen, ist etwas Allgemeines. Femer steht 
die Willensthätigkeit im andern Leben in einem nothwendigen 



I 



- 97 -^ 



• 



Zusammenhange mit der Glückseligkeit; und zwar derart^ da89 
die Untfaätigkeit' nicht mehr als ein Gut erscheint. Der Verstand 
kann diese Unthätigkeit auch nicht als ein scheinbares Gut dar- 
stellen, sondJern nur als nicht ein Gut in jeder Beziehung. Da 
nun das Object des Willens das Gut ist, so kann er unmöglich 
nach etwas streben, was nicht ein Gut ist Öier auf Erden weist 
die Willensthätigkeit keinen nothWendigen ' Zusammen- 
hang auf mit der Glückseligkeit im allgemeinen. Manche suchen 
ja ihr Glück in der Unthätigkeit. Die modernen Selbstmörder ver- 
meinen dadurch ihr Glück zu erreichen^ dass sie angeblich in 
das Nichts zurücksinken, wo sie weder etwas zu denken, noch 
zu wollen brauchen. Es ist also klar, dass auch die Unthätig-. 
keit des Willens mit der Glückseligkeit im allgemeinen, scheinbar 
wenigstens, einen Zusammenhang bat. Aus diesem Grunde kann 
der Wille sie wählen. Er muss sie aber so wenig wählen, wie 
er die. Thätigkeit wählt. Mit Bezug auf beide ist er frei; 

Darum bemerkt der heil. Thomas, der Mensch könne an ein 
jedes Object nicht denken (1.2. q. 10.* a. 2.), und es liege in seiner 
Macht, in dem Äugenblicke, wo die Glückseligkeit ihm vorgestellt * 
wird, darüber nicht nachdenken zu wollen (potest aliquia 9ion velie 
tunc cogitare de becUittidine) (de malo q. 6. a. unic). Bezüglich der 
Thätigkeit, eines Actes ist der Wille hier auf Erden absoluter 
Freiherr, er kann auch das Gegentheil wählen. Wenn er von Gott • 
bewegt, zu einer Thätigkeit bestimmt wird, so kann dies nur ge- 
schehen in Übereinstimmung mit der Natur und Beschaffenheit 
des Willens. Was gege^n die Natur desselben verstoßt, das ist 
Zwang, Gewalt. Gewalt oder Zwang, von Gott ausgeübt, wider- 
spricht sich selber, ist eine contradictio in adjecto. Denn vermöge 
ier potentia obedientialis neigt jedes Geschöpf. zu dem, was Gott 
mit ihm thun will. Was aber dfer Neigung des Geschöpfes ent- 
sprechend geschieht, das vollzieht sich eben gemäß der Natur, 
und Beschaffenheit . der Creatur» Und diese Beschaffenheit d^s 
Willeiis verlangt, dass derselbe mit Bezug -auf seine Thätigkeit, 
seinen Act frei bewegt' werde,- nämlich unter Beibehaltung d«r 
Potenz für das Gegentheil von diesem Acte, wenngleich manchmal . 
die Potenz für das Gegentheil vom Objecte, welches er begehrt, 
dabei verloren geht. Dies trifft einzig und allein nur dann zu, * 
wenn das Gut und die Glückseligkeit im allgemeinen dal^ Object 
bilden. In Betreff dieses Objectes besitzt .der Wille keine 
Potenz zum Gegentheile. Da indessen das Object, das principium 
radicale, nur Ursache, nicht formell constitutives . Princip der 
Freiheit ist, so muss der Wille schlechthin und formell frei genannt 
werden, solange er die Macht thätig oder unthätig zu sein besitzt^ 
was hier auf Erden nach d^m Gesagten unbedingt der Fall ist. 

Der Freiheit des Willens schadet folglich nur der Zwang, 
die Gewalt,, weil diese beiden auf die Thätigkeit oder Unthätigkeit 

Feldner, Willensfreiheit. 7 ' * 






♦ 



des Willens einwirken. Die Creatar kennt jedocb Gott gegenüber 
weder Zwang noch Gewalt. Wozu er sie bewegt, dazn neigt sie 
sich im Tollsten Gehorsam, mit bereitwilligster ZustimmuDg, die 
eine mit natürlteber nndnöthwendiger, die andere mit freier Zn- 
neigang, wie es ihrem Weeeo, ihret Natur entsprieht. Die natür- 
liche und nothwendige geht nie in eine freie, die freie nie in 
eine iiolliwendige nnd natürliche d.h. unfreie Neigung über. Dies 
verbietet die Natur der einen wie der andern. Aber auch Gott 
bewegt Jedes Wesen der Natnr desselben entsprechend. 
46. Die dritte Art der Freiheit, die S. Thomas frUher auf- 
gezählt hat, die Freiheit Gates oder Böses zu wählen, führt uns 
7U der Frage: ob die Fähigkeit oder Macht, Böses zu begehren, io 
Wirklichkeit zu der Freiheit des Willens gehöre? Die objectiTe 
Indiffereuj gehört causaliter, die snbjeetiTe formaliter zur Freiheit. 
Bildet die Indifferenz für das Gut oder Böge ebenfalls einen 
Theil der Freiheit? Der englische Meister verneint diese Frage. 
Die Freilieit verhält sich mit Bezug auf die Auswahl der Mittel, 
vfie der Verstand zu den Sehlussfolgerangen. Zum Wesen der 
Vevstaiideskraft aber gehört, dass sie, gemäß den gegebenen Prin- 
cipicu, verseliiödene Schlussfolgerungen ziehe. Wenn sie nun einen 
^clituss zieht und dabei die Ordnung der Principien nicht berllck- 
sichligt, SD beweist sie dadurch ihre Fehlerhaftigkeit, nicht aber 
ihre Macht nnd Vollkommenheit. Ganz dasselbe gilt auch vom 
Willen. Es zeigt von der Vollkommenheit des Willens, wenn er 
mit Einhaltung der Ordnung zum Endziele verschiedene Mittel 
auswählen kann. Wählt er indessen etwas, indem er von der 
Ordnung zum Ziele abweicht, mit andern Worten^ sündigt er, 
80 erklärt ei damit, dass seine Freiheit fehlerhaft ist (I. p. q. 62. 
a, 8 ad 3.). Xicht sUndigen können mindert demnach die Freiheit 
des Willens nicht (2. 2. q, 88. a. 4. ad h), denn wie Anselm und 
Boetius bemerken, gehört dieses nicht znr Freiheit des Willens, 
es ist mehr eine Beigabe und Eigenschaft des fehlerhaften Willens 
insofern er ais dem Nichts stammt (1. dist. 42. q. 2. a, 1. ad 3. — 
2. dist. 7. q. 1. a. 1. ad 3.). Der Grand, warum das Böae wollen 
nicht zum Wesen der Freiheit gehört, ist sehr klar. Das Böse ist 
nicht GegeuBtand, bildet nicht ein Object iltr den Willen. Der 
Wille ist pff se und seiner Natur nach tUr das Gut bestimmt, 
wie jede Eiudere Potenz zu ihrem Objecte. Damm strebt der Wille 
nach dem Bösen nur infolge eines Fehlers, indem die Vernunft 
das Böse als ein Gnt auffasat und dem Willen vorhält. Es kann 
somit in einem Wesen die ToUkommenste Freiheit sein, obgleich 
es die genannte Fehlerhaftigkeit nicht in sich hat, und deshalb 
nicht das ßüse begehren kann (2. dist. 25. q.l. a. 1. ad 2.). Das 
Wesen der Freiheit besteht, wie wir gesehen, darin, ias» der Wille 
dem Cuniradictorisohen gegenüber eich indifferent verhallt (ib. 
dist. 14. q. 1, a. 1. ad 1.). Es kann daher der Wüle von Natur ans, 



— 99 — 

wie in Gott, oder durch die Gnade und Glorie, wie in den Seligen 
des Himmels, einen solchen Grad der Vollkommenheit besitzen, 
dass er nur mehr auf das Gut gerichteji; ist, zu dem er auf natttr- 
liehe Weise hingeordnet wurde. Allerdings ist der Wille der Ge- 
schöpfe indifferent für das Gut und Böse, allein er ist nicht um 
des Bösen willen, sondern des Guts wegen den Creaturen gegeben 
worden (3. dist. 18. q. 1. a. 2. ad 5.). 

Daraus folgt mit Nothwendigkeit, dass Böses wollen zwar ein 
Zeichen der Freiheit, nicht aber die Freiheit selbst oder ein Theil 
derselben ist (de veritate q. 22. a. 6.). Die Fähigkeit, Böses zu be- 
gehren, folgt der Freiheit des geschöpf liehen Willens, solange der- 
selbe nicht die Anschauang Gottes besitzt (ib. q. 24. a. 3. ad 2.). 
Als Grund, warum der geschöpfliche Wille fehlen, das Böse be- 
gehren kann, obgleich dies nicht zur Freiheit selbst gehört, gibt 
der englische Meister folgenden an: „Jede Thätigkeit geht aus dem 
Agens, als etwas demselben Ähnliches hervor, wie z. B*. das Waime 
erwärmt. Soll nun die Thätigkeit eines Agens, welches vermöge 
seiner Thätigkeit zu einem particulären Gut hingeordnet ist, auf 
natürliche Weise, nicht auf Grund der Gnade oder Glorie, 
fehlerfrei erfolgen, so milsste das Wesen jenes Guts dem Agens 
natürlich und unveränderlich innewohnen. Die vernünf- 
tige Natur ist zum Gut absolut hingeordnet, und zwar nicht 
durch eine einzelne Thätigkeit, sondern durch viele und verschiedene. 
Wenn also diese Thätigkeiten auf natürliche Weise fehlerlos sich 
vollziehen, so müssen die Vernunft und der Wille natürlich 
und unveränderlich im Besitze des Wesens, des universellen 
und vollkommenen Guts sein. Dies aber ist nur bei der göttlichen 
Natur der Fall. Gott allein ist reine Wirklichkeit, ohne Beimischung 
einer Möglichkeit oder Potenz. Dadurch ist er die reine abso- 
lute Güte. Jedes Geschöpf ohne Ausnahme bildet ein parti- 
culäres Gut, weil es in seiner Natur mit einer Potenz ver- 
mischt oder zusammengesetzt ist. Die Ursache dafür liegt darin, 
dass es aus dem Nichts kommt. Von allen vernünftigen Wesen 
besitzt folglich Gott allein eine Freiheit, die von Natur aus 
fehlerfrei und im Guten, gefestigt ist. In den Creaturen ist dies 
unmöglich, denn sie sind aus dem Nichts, demgemäß particn- 
läre Güter und darin hat das Böse seinen Grund '^ (de veritate 
q. 24. a. 7.). 

Diese natürliche Fehlbarkeit der vernünftigen Geschöpfe 
hindert indessen nicht, dass die Freiheit des Willens, durch die 
Gnade eine Befestigung im Guten erhalte, auf Grund welcher sie 
nicht mehr fehlen kann. Es wurde früher nachgewiesen, dass die 
Indifferenz für das Gut und Böse nicht znt Freiheit gehört. Sie 
ist nicht per se, sondern nur per accidens der Freiheit eigen, inso- 
fern nämUch diese einer Natur zukommt, die fehlen kann. Der 
Wille ist an und für sich zum Guten als seinem Objecto hinge- 

7* 



— 100 — 

ordnet. Strebt er nach dem Bösen, so hat ihn die Vernunft 
irregeführt, indem sie das Böse als ein Gut dargestellt. Dieser 
Fehler gehört der Vernunft an, welche die Grundlage für die 
Freiheit bildet. Niemals aber gehört es zum Wesen einer Potenz, 
eines Vermögens, in seiner Thätigkeit fehlerhaft zu sein, wie es 
z. B. nicht zum Wesen der Sehkraft gehört, dass jemand den 
Gegenstand undeutlich wahrnehme. Es kann somit gar wohl eine 
Freiheit geben, die, sei sie in Kraft der Natur, ' wie bei Gott, oder 
auf Grund der Gnade, wie bei den Bewohnern des EUmmels, 
nur mehr nach dem Guten strebt und in keiner Weise das Böse 
begehren kann (de malo q. 16. a. 5.). Durch die Gnade wird ja die 
Freiheit der geschöpflichen Wesen mit Gott, dem vollkommenen 
und absoluten Gut, vereinigt. Ist diese Einigung eine vollendete, 
so dass Gott selbst den ganzen Grund der Thätigkeit des Willens 
. ausmacht, so kann dieser sich nicht mehr zum Bösen neigen. Die 
Heiligen bieten dafür ein Beispiel. Sie erkennen, indem sie Gottes 
Wesenheit schauen, dass Gott das Endziel ist, welches am meisten 
geliebt zu werden verdient. Sie erkennen überdies alles, was mit 
Gott verbint, oder von ihm trennt, nicht bloß im allgemeinen, 
sondern im einzelnen; sie schauen Gott nicht allein in sieb, 
sondern auch als d^n Grund von allem, und dadurch, wird ihre 
Vernunft derart gestärkt, dass die niedern Kräfte nur nach der 
Direction derselben thätig sind. Gleichwie wir hier auf Erden das 
Gut im allgemeinen auf unveränderliche Weise be- 
gehren, ebenso unveränderlich streben. sie das Gut im par- 
ticulären an. Neben dieser natürlichen Neigung des Willens 
besitzen sie noch eine vollkommene Liebe, wodurch sie ganz und 
gar mit Gott verbunden sind. Aus diesem Grunde können sie nicht 
mehr sündigen. 

47. Der Fehler in der Vernunft, die den Willen irreleitet, 
hat nämlich eine doppelte Ursache. Er kommt entweder von der 
Vernunft, oder von einem Äußern. Von der Vernunft, denn diese 
erkennt von Natur aus bloß das Gut im allgemeinen, sei es 
nun Endziel oder Mittel, auf eine unveränderliche, irr- 
thumslose Weise. Mit Bezug auf das Particüläre kann sie sieb 
täuschen, indem sie dafür hält, etwas sei Endziel, was nicht ein 
solches ist, oder etwas sei zweckdienlich, was jedoch in Wahr- 
heit nicht der Fall. Auf Grund dieses Irrthums begehrt dann 
auch der Wille im particulären dieses oder jenes verkehrt. 
Die äußere Ursache wird von den Leidenschaften gebildet, die 
bei heftigem Ansturm die Thätigkeit der Vernunft stören, so dass 
ihre Entscheidung über ein Gut nicht klar und kräftig genug dem 
Willen vorgebalten wird. Diese beiden Ursachen der Fehlerhaftig- 
keit, yon welchen die .geschöpf liehe Freiheit von Natur aus be- 
gleitet wird, können durch die Gnade und Glorie des Himmels 
vollständig beseitigt werden (de veritate q. 24. a. 8.). 



— 101 — 

Die Indifferenz fUr das Gnt und BOae macht eomit weder 
die Freiheit selbst, noch einen Theil von ihr aus. Sie gehört Uber- 
haopt nicht zur Freiheit, obgleich sie zeigt, dass ein GeschOpf 
frei ist. 

48. Schließlich haben wir noch zu nntersnchen, ob znm Wesen 
der Freiheit erforderlich sei, dass ein Wesen die erste, d. b. von 
Jedem andern unabhängige Ursache seiner Thätigkeit bilde. 

Der englische Meister bestreitet diese Nothwendigkeit nnd 
erklärt, dass sie nicht zum Wesen der Freiheit gehöre. Seine 
Worte sind: «Die Freiheit ist der Grund ihrer eigenen Bewegung, 
ihrer Thätigkeit, denn durch die Freiheit bewegt der Mensch sieh 
selber zur Thätigkeit. Um frei zu sein wird indessen nicht noth- 
wendig erfordert, dass derjenige, der frei ist, die erste Ursache 
bilde. Es kann ein Ding die Ursache eines andern sein, ohne 
dass es nothwendig die erste Ursache desselben ist, Gott bewegt, 
als erste Ursache, die natllrlioben und freien Ursachen. Und 
wie er den natürlichen Ureachen, dieselben bewegend, nicht be- 
oimmt, dass ihre Thätigkeiten natürliche sind, ebenso benimmt 
er den freien Ursachen, indem er sie bewegt, in keiner Weise, 
dass ihre Tbätigkeiten freie bleiben. Im Gegentheil, dies bewirkt 
er gerade in ihnen, denn er ist in jedem Dinge thätig, entsprechend 
den Eigenthllmlichkeiten desselben" (1. p. q. 83. a. 1. ad 3.). Daiane 
dass Gott als erste Ursache in den Herzen der Menschen thätig 
ist, folgt demnach in keiner Weise die Zerstörung der Freiheit. 
Der Wille bleibt dabei selber Ursache seiner Tbätigkeiten (de 
veritate q. 24. a. 1. ad. 3.). Indem etwas sieh selber bewegt, bildet 
das nämliche Sabject zugleich den Beweger nnd das Bewegte. 
Wird etwas von einem andern bewegt, so sind Beweger nnd Be- 
wegtes verschieden. Wenn nun ein Wesen ein anderes bewegt, 
so folgt daraus, dass es Beweger ist, nicht ohneweiters die 
Eigenschaft eines ersten Bewegers. Es kann darum ganz gnt selber 
von einem andern bewegt werden und ebenso von diesem andern 
die Fähigkeit erhalten haben, zu bewegen. Ganz dasselbe gilt, 
wenn ein Ding sich selber bewegt. Es wird von einem andern 
bewegt nnd besitzt zugleich von diesem andern die Macht, sich 
selber zu bewegen. Obgleich also Gott die Ursache des freien 
Willensactes ist, so beeinträchtigt er doch dadurch die Freiheit 
Dicht (de malo q. 3. a. 2. ad. 4.). Die Freiheit verlangt bloß, dass 
das Princip der Thätigkeit ein inneres sei, dass diese Thätigkeit 
unmittelbar einem Principe entstamme, welches im thUtigen Suh- 
jecte selber ist. Dieses innere Princip kann indessen sehr wohl 
von einem äußern Principe verursacht sein nnd in Bewegung oder 
in Thätigkeit gesetzt werden. Erstes Princip bilden gehört folge- 
richtig nicht zum Wesen der Freiheit, wie es aberbaapt nicht zum 
Weseu einer Ursache gehört, erste Ursache zu sein (1.2. q. 6. 
a. 1. adl.). Der geschöpfliche Wille könnte gar nicht in Thätig- 



— 102 — 

keit übergehen, Princip seiner Thätigkeit sein, wenn er erstes 
Prineip, d. h. unabhängige Ursache seiner Neigung wäre. So wenig 
die Wesenheit sich selber das Dasein, die Existenz zu geben ver- 
mag, ebensowenig ist der Wille imstande, sich selber in Thätig- 
keit zu versetzen. Der nachfolgende Paragraph wird es erweisen. 

Wir mttssen auf diese Lehre des englischen Meisters ganz 
besonders aufmerksam machen und die geehrten Leser ergebenst 
bitten, dieselbe unentwegt im Äuge behalten zu wollen. In eiaem 
philosophischen Lehrbuche der neueren Zeit hat ein Autor sech- 
zehn Stellen aus den verschiedenen Werken des Doctor Angelicus 
zusammengeti'agen, um den Beweis zu erbringen, dass S. Thomas 
die Vorherbewegung des Willens durch Gott nicht gelehrt habe. 
Diese Stellen werden uns noch später beschäftigen. Hier sei vor- 
läufig nur auf eine etwas sonderbare Methode aufmerksam ge- 
macht. Es werden alle möglichen Stellen zusammengesucht, in 
denen der englische Meister die Lehre vorträgt, der Wille bilde 
das Princip seiner eigenen Thätigkeit, er selber bestimme sich 
die Thätigkeit und das Ziel, er werde nicht von einem andern 
bestimmt etc., und dann der Schluss darauf gebaut, die prämotio 
physica müsse unter allen Umständen fallen. Dass der heil. Thomas 
dabei überall Gott, die erste Ursache nicht allein nicht aus- 
schlieft, sondern ausdrücklich voraussetzt, wie die von uns 
citierten Stellen zeigen, das wird natüi'lieh nicht gesagt. Hätte 
der englische Meister die zukünftigen Schwierigkeiten geahnt, er 
wäre höchstwahrscheinlich auf die Idee gekommen, jeder dies« 
bezüglich verführerischen Stelle die Worte, den Refrain beizufüg^en : 
nan omne, qtiod est principium, est principium primum. Cum aliquid 
movet seipsum, non excludüur, quin ab alio moveatur, a gm habet 
hoc ipsum, quod seipsum movet (de malo q. 3. a. 2. ad 4.). 

49. Hiemit haben wir das ausgedehnte Gebiet der Freiheit 
durchwandert. Es ist ein weitnmgrenztes Gebiet und lässt dämm 
der Willensfreiheit einen großen Spielraum. Der Wille vennag 
alles zu begehren, was gut, was scheinbar oder in der Wahrkeit 
gut ist Hierin kommen alle vernünftigen Geschöpfe überein. Und 
nicht allein die Geschöpfe, sondern Gott selbst will, was immer 
er will, nur insofern es ein Gut ist. Was nicht ein Gut, oder 
was Böse ist, kann als solches niemals Gegenstand, Object 
des geistigen Strebevermögens sein. Das Strebevermögen der 
Dinge ist überhaupt zu einem Gut hingeorduet. Es bleibt darum 
unbeschränkt, obgleich es keineswegs ein Kichtgut, oder etwas 
Böses als solches begehren kann. Eine Beschränkung der Potenz 
erfolgt durch das Object. Wenn nun das Nichtgut und das Böse 
formeil genommen gar nicht unter den Gegenstand des Willens- 
vermögens gerechnet werden dürfen, so kann von einer Beschrän- 
kung des geistigen Strebevermögens durch diese Objecte in keiner 
Weise die Rede sein. Cfr. 1. p. q. 19. a. 9. — ib. q. 103. a, 8. — 



^ _ 103 — 

1. 2. q. 8. a. I. — ib. q. 23. a. 2. — ib. q. 27. a. 1. ad 1, — de 
malo q. 16. a. 2. 

Der Geg:enstaud des Willens Anas in doppelter Bedeutsog auC- 
gefasst werden, entweder formell oder stoflflich. Objeet im formellen 
Sinne wird dasjenige genannt, wodnrch ein Gegenstand auf die 
Potenz einwirkt, indem er dieselbe determiniert nnd specific! ert. Die 
von der Sonne belencfatete Farbe an dem Gegenstände ist tUr das 
Sebvenuiigen formelles Objeet. Durch diese Farbe wirkt der Gegen- 
stand auf das Auge ein, und letzteres erblickt alle Objecte iiDter 
diesem formellen Gesichtspunkte. Stoffliches, materielles Objeet 
Dennen wir dasjenige, was, den Gegenstand, w el ch e r anf die Potenz 
einen Einflnss ausübt. Der gefärbte Gegenstand ist stoffliches Ob- 
jeet für das Ange. Der Wille der geistigen Wesen begehrt alles 
was gut ist. Das Gut als solches ist ftlr ihn formelles Objeet, 
das materielle wird von den Gegenständen, welche gut aind, gebi Idet. 

Daraus ist klar, dass'der formelle Gegenstand jederzeit eins 
(unum) ist, während der stoffliche vielfach sein kann. Jedes Ver- 
mögen, jede Potenz erscheint darum in irgend einerWpiaS zu einem 
(ad tmum) bestimmt. Der Natur t^ntsprbht stets eines, weiebes 
' zu ihr im Verhältuiaae steht, ihr proportioniert ist. Der Katur ifi 
der Gattung entspricht eines in der Gattung, der. Natur in der 
Art, eines in der Art, der Natur in der individnellen Bestimmt- 
heit, eines, welches individuelt ist. Die Vernunft und dör Wille 
der geistigen Wesen sind nicht stoffliche, sondern geistige, im- 
materielle Kräfte. Daher entspricht ihnen naturgemäi3 eines 
von allgemeiner fieschaffenfaeit, nämiicb das Gut resp. das Wahre, 
das Sejende (1.'2. q. 10. a. I. ad. 3.). In dieser Beziehung stebt 
es demnach außer allem Zweifel, dass auch der Wille, aul Grund 
seiner eigenen Natur, zu einem determiniert- ist. Und weil diese 
DestimmuDg zu einem in seiner Natur liegt, weil sein Wesen 
transcendental zn diesem einem hiogeordnet ist, deshalb will er 
es auf natürliche und nothwendige d. h. unfreie Weise. In dieser 
Hinsicht gibt es keine Wahlfreiheit. 

Die Bestimmung des Willens zn einem geht indessen nur 
vom formellen Objecte aus, denn nur dieses ist fllr den Willen 
eines. In den Naturdingen treffen beide Objeete, das formelle 
und stoffliche, in dieser Einheit zusammen. 'Darum ist auch die 
ihnen entsprechende Potenz doppelt zn einem bestimmt. Bichtiger 
■ vielleicht sagen wir, die Potenz der Naturdinge sei aussc hliel3- 
lich zn dem stofflicb'en Objecte hestimiftt, weil das formelle 
eine Erkenntnis voraussetzt. Das Strebevermögen der Nacurdinge 
ist auf den Gegenstand selbst gerichtet, welcher begehrenswert 
isi, ohne Erkenntnis des Grundes, der ratio appetibüäatis, warum 
er Tou der Potenz angestrebt wird. Denn das. natürliche 8trebe- 
vermfigen, der appetitus naturalis, ist nichts anderes als die Neigung 
nnd Binordnung eines DingeB zu einem singulären convenienten 



— 104 — 4 

* 

Objecte. Gleichwie aber das Naturding in seinem natürlichen Seia 
bestimmt ist^ ebenso ist auch die Neigung zu einem bestimmten 
Gegenstande eine. Infolge dessen bedarf das Naturding keiner 
Erkenntnis, wodurch es ein begehrenswertes Object von einem 
nichtbegehrenswerten unterscheiden könnte. Diese Kenntnis muss 
jedoch der Schöpfer der Natur besitzen, weil er jedem Dinge die 
demselben entsprechende Neigung gegeben hat (de veritate q. 25. 
a. 1.). Für die Naturdinge selbst existiert somit kein formelles 
Object, sondern sie sind zu einem einzigen materiellen bestimmt. 

Das sinnlidie Begehrungsvermögen strebt nach dem begehrens- 
werten Objecte, insofern in diesem der formelle Grund, die ratio appe- 
tihilitatis Vorhanden ist. Es strebt nicht nach dem formellen Grunde . 
selbst (in ipsam rationem appetibilitatis), denn- das niedere Strebe- 
vermögen begehrt nicht die Güte oder Nützlichkeit und Ergötzlich- 
keit, sondern diesen nützlichen oder ergötzlichen Gegenstand. Weil 
es indessen nicht diesen oder jenen ausschlieißlich, sondern 
jed,en begehrt, der ihm nützlich oder ergötzlich ist, deshalb steht 
dieses Strebevertoögen 4iöher, als das der Naturdinge. Es braucht 
d&Vum eine Erikenntnis, woduj^ßh das Ergötzliche vjm Nichtergötz- ^ 
lifehen unterschieden wird (I. c. de ventate).» » .... 

Wir ersehen hieraus, dass bei dem sinnlichen Strebevermögen 
die formelle Bestimmung, die durch das formelle Object b^irkt 
wird, noch eine ist, die vom materiellen hingegen eine vielfache 
wird. Hieiin ist das sinnliche Begehrungsvermögen nicht zu einem 
bestimmt. Dies muss noch .mehr vom Willen der geistigen Wesen 
behauptet werden. Den Grund dafür gibt der englische Meister 
an genannter Stelle an. Das höhere Strebevermögen, des Wille, 
begehrt direct und absolut den Gegenstand als for nie lies Ob- 
ject (tendit directe *in rationem appetibilitatis absolute). Der Wille 
strebt nach der Güte, Nützlichkeit etc. in erster Linie und 'haupt- 
sächlich. Das materielle Object, dieses oder jenes Gut, will er nor 
in zweiter Linie, insofern das formelle mit dem materiellen Ob- 
jecte eins ist, indem das materielle an dem formellen Antheil hat 
Der Wille ist von so unbeschränkter Fähigkeit, dass die Neigung 
zu einem bestimmten Gegenstande dafür nicht ausreicht. Darum 
geht seine Neigung auf etwas allgemeines, auf das, was in vielen 
sich findet. Weil di6 Vernunft dieses Allgemeine erkennt, deshalb 
strebt der Wille durch die Erkenntnis dieses Allgemeinen nach 
jenem begehrenswei*ten Objecte, in welchem er das genannte All-* . 
gemeine findet. * » 

Nach der Beschränkung oder Nichtbeschränkung «des Gegen- * 
Standes richtet sich dem früher ausgesprochenen Grundsatze des. . 
heil. Thomas zufolge auch die objective Beschränkung oder 
Nichtbeschränkung resp. Noth wendigkeit des Strebevermögens. 
Das Begehrungsvermögen der Naturdinge strebt mit Noth wendig- 
keit nach der Sache, dem Gegenstande selber, welcher 



-=- 105 — . 

begehrt wird. Das Schwere z. B. strebt mit Nothwendigkeit 
nach dem Centmm. Das Bensitire BegehraogsvermSgen begehrt 
an und ftlr sich nichts mit Nothwendigkeit. Wird jedoch 
irgend ein Gegenstand als nützlich oder ergOtidieb erkannt (sub 
ratione delectahilis vel utäis), dann strebt es mit Notli wendig- 
keit nach diesem nützlichen oder ergötzlichen Objecte. Das Tliier 
mus's daher den vorgestellten Gegenstand begehren. Der Wille 
endlich kennt nur eine Nothwendigkeit, nämlich die in Bezug 
auf die Güte and Nittzlichkeit selber. Das Gut begehrt 
der Mensch nothwendig. Indessen existiert kein Object, gibt es 
keinen Gegenstand im materiellen Sinne, wie sehr er auch als 
gat nud nützlich erkannt wird, der ihn mit Nothwendigkeit 
bestimmte. Und warum dies? Weil jede Potenz nur binsiclitlich 
ihres eigenen, des ihr eigentbUmlichen Objectes mit einer 
gewissen Nothwendigkeit bfestimmt ist. Der Gegenstand d^s 
□ atUrlicben Strebevennögens ist dieses Ding, insofern es 
di,ese8 ist. Das Object des sinnlichen Begeh mugs Vermögens 
ist dieses Ding, insofern es convenient oder ergötzlich, z. B. das 
Wasser, insofern es dem Gescbmacke zusagt, nicht aber insofern 
es Wasser ist. Das Object des Willens endlich ist das Out selbst 
absolut genommen. , ' . 

Wir haben dieser meisterhaft klaren Darstellung der noth- 
wendigen Bestimmung des Willens durch den etigli^cben Lehrer 
nichts beizufligen, Sie sagt uns zur GenUge, inwieweit von einer 
natürlichen und- nothwendigen, d. h. unfreien Bestimmung, resp. 
objectiven Bewegung des Willens, gesprochen werden kann. Zum 
formellen Object ist der Wille determiniert, dieses, aber auch nur 
dieses, begehrt er mit Nothwendigkeit. Bezüglich des materiellen 
Gegenstandes, der res, in qua est ista ratio voleudi, weiU er hier 
auf Erden von keinerlei Nothwendigkeit, zu keinem Gegen- 
stände ist er bestimmt. 

Anders verhält sich die Sache im Jenseits. Für den Willen 
der Bewohner des Himmels ist das formelle Object zugleich 
materielles, d. b. das materielle deckt sich vollkommen mit dem 
formellen. Gottes Wesenheit ist die Gute selber absolut. 8ie bat 
nicht Antheil an diesem formellen Grunde, an der Güte, sondern 
, sie ist selbst dieser formelle Grund, Das fonnelle und materielle 
Object sind sAcliIicfa identisch. Darum schließt <fie Nothwendig- 
keit mit Bezug auf das eine, die Nothwendigkeit in Betrefl' des 
andern in sich. Der Wille strebt mit einer und derselben Noth- 
wendigkeit nach beiden. Im gegenwärtigen Leben aber mangelt 
uns die Erkenntnis dieser *ealen Identität des materiellen Objeetes 
mit dem formellen in Gott, weil es uns versagt ist, Gottes Wesen- 
heit, wie sie in sich ist, zn schauen. Infolge dessen strebt der 
Wille nach Gott nicht anf natürliche und nothwendige, d. h. un- 
freie Weise, sondern seine Beziehung zu diesem Objecte ist eine 



— 106 '— 

durchaus freie. Umsomehr ist sie eine freie hinsichtlich aller übrigen 
geschaffenen Güter, denn, jedes hat bloß Antheil an dem for- 
mellen Objecte, an der Güte absolut. 

50. Gegen unsere Darlegung der unbedingten subjec- 
t i V e n Willensfreiheit fquoad eccercitium actus) mit Bezug auf 
jedes Object, »nch das formelle, spricht eine andere Ansicht, 
die erklärt, der Wille könne nicht alle seine Acte nicht voUzleheD. 
Und man beruft sich, dabei auch auf die sogenannten motusprimo 
primi, um zu beweisen, dass der Wille manchmal thätig sein 
müsse, also nothwendig handle. 

Wir werden vor allem eine zweifache Willensthätigkeit zu 
unterscheiden haben. Geht diese Thätigkeit unmittelbar vom Willen 
aus und bleibt sie in ihm als ihrem Subjecte, so nennen wir sie 
actus elidtus. Geht sie auf eine andere Potenz über, indem sie 
diese Potenz in Bewegung setzt, so ist es ein actus imperatus. Die 
Tfhätigkeit der vom Willen bewegten Potenz ist ein actu^ elicitus 
jener Potenz und zugleich ein actus imperatus des Willens. Selbst- 
verständlich kann der Wille eine andere Potenz nur durch seine 
eigene Thätigkeit, durch seine^n actus elicittcs in Bewegung setzen. 

Hinsichtlich der actus imperati, jener nämlich, welche von 
fmdern Potenzen vollzogen werden, unterliegt es keinem Zweifel, 
dass sie* bisweilen nicht freie Acte sind. Allein mit diesen Acten 
hat die Freiheit nichts zu thun. Die Freiheit besteht nicht in der 
Selbstbestimmung zu diesen Acten (deveritate q. 24. a. 1. 
ad 1. — de malo q. 6, ad 1.). Thätigkeiten dieser Art können von 
einem andern Agens erzwungen werden (1. c. de malo ad 15 u. 22). 
Es handelt sich demnach in unserer Frage bloB um den aäus 
elicitusj'um. das Wollen selbst. 

Kann der Wille diesen Act nicht nicht ausüben, so sind zwei 
Fälle möglich. Er wird entweder gezwungen, oder er besitzt eine 
natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Neigung zu seiner Thätig- 
keit. Beides wird vom englischen Lehrer bekämpft. 

a) Der Wille kann nicht gezwungen werden. — Nachdem 
S. Thomas die vorhin aufgezählten zwei Arten von Willensacteu 
unterschieden und die Frage, ob man dem Willen Gewalt anthun 
könne, bezüglich der actus imperati bejaht hat, kommt er auf das 
Wollen selbst zu sprechen. Von diesem nun behauptet er, dass . 
es niemals mit* Gewalt erwirkt werden könne. Di€ Willensthätig- 
keit ist nichts anderes als eine gewisse Neigung, die von einem 
i n n e r n Princip, dem Willen selbst ausgeht. Hierin unterscheidet 
sich die Willensthätigkeit nicht vom wirklichen Streben der Natur- 
dinge. Der appetitus naturalis der Naiurdinge ist ebenfalls eine 
Neigung, welche einem Innern Principe entspringt. Nur fehlt 
den Natnrdingen die Erkenntnis, die das mit einer Willenskraft 
ausgestattete Wesen besitzt. Der Zwang und die Gewalt hingegen 
stammen von einem äußern Princip. Darum widerspricht es direct 



— 107 — 

dem inuereten Wesen des Willens, das« er za einer Thätigkeit 
geKwnngen werde oder Gewalt erleide. Wenn der Stein in die 
Höhe geworfen wird, so verstoßt dies gegen seine natür- 
liche Neignng. Daher geschiebt ea in gewaltsamer Weise. 
DasB aber diese gewaltsame Bewegung zugleich am der natür- 
lichen Neigung des Steines erfolge, das ist einfach ein Ding 
der Unmöglichkeit. Auf dieselbe Weise kann auch der Mensch 
gewaltsam irgendwohin gezerrt werden. Allein, dass dieses ans 
natöriicher Neigung des Willens geschehe, das widerstreitet dem 
Wesen der Gewalt (1.2. q. 6. a. i.) Gäbe es demnach in nng 
Willensacte, die wir nicht verhindern können, so wären sie einer- 
seits ans der innero Neigung des Willens hervorgegangen, 
denn darin besteht wesentlich der Willensact, und andererseits 
zugleich gegen diese innere Neigung, denn darin liegt das 
Wesen der Gewalt. ' Der Widersprach ist offenkundig. Willens- 
neigung und Gewalt mit Bezug auf den Willen stehen im contra- 
dictorischen Gegensatz zn einander (1, p. q. 82. a. 1. — 4. dist, 29, 
Q, I. a. 1. — de veritate q. 22. a. 5.). 

Und woher sollte dieser Zwang, diese Gewalt auch kommen? 
Von irgendeinem äußern Agens? Keine geschaffene Ursache 
besitzt Kraft genug, um der Wüleusneigung selbst entgegenzu- 
arbeiten. Keine Creatar vermag auf den Willen unmittelbar sub- 
jeetiv einzuwirken. Das steht Gott allein zu. Die Geschöpfe wirken 
bloß objectiv auf den Willen ein. Wie sehr indesaen ein geschaf- 
fenes Gut auch den Willen bewegen mag, es kann ihn nicht 
zwiugea, es vermag nicht einmal ihn in wirksamer Weise 
zu einer Thätigkeit zu bestimmen. Es kiJnnte folglich nur dui'cb 
Gott geschehen, der allein auf den Willen unmittelbar und subjectir 
bewegend einwirkt. Gewalt oder Zwang ist jedoch von dieser 
Bewegung durch Gott absolut ausgesclilossen ; denn kein Geschöpf 
besitzt eine Neigung gegen das, was Gott in ihr tbut. In Kraft der 
potentia obedientialis neigt sich jedes geschaffene Wesen naturgemäß 
in all dem, was der Urheber dieses Wesens in demselben wirkt. 
Von einer gegentbeiligen Neigung kann man in dieser Beziehung 
gar nicht sprechen. Diese ist allerdings manchmal vorhanden, 
bevor der Wille von Gott bewegt wird (de veritate q. 22. a. 6,). 

h) Wenn der Wille nicht alle seine Acte nicht vollziehen kann, 
so mDsste der Grund darin gesucht werden, dass er auf natür- 
liche und nothwendige, d, h. unfreie Weise von irgend einem Agens 
subjectiv bewegt und bestimmt wird. Diesbezüglich wollen wir 
abermals eine Unterscheidung machen. Entweder ist der Wille 
vonNatnr aus dergestalt /u einem Gegenstande, einem Objecte 
hingeordnet, dass er dieses Object, sobald es ihm durch die Ver- 
nunft vorgestellt wird, auf genannte Weise begehrt; oder er wird 
von Gott subjectiv auf natürliche und nothwendige Weise bewegt. 
Das eine wie das andere wird vom englischen Meister bestritten. 



T»f 



— 108 — 

Ersteren Fall mttssten wir offenbar dahin erklären^ dass irgend 
einObject nicht bloß objectiv oder specificierend, sondern auchsub- 
jectiv in wirksamer Weise bewegend auf den Willen einwirkt. 
Wird ihm daher dieser Gegenstand vorgestellt, so mass er in 
Thätigkeit tibergehen, er kann nicht das Gegentheil, kann nicht 
unthätig bleiben. Was lehrt nun der heil. Thomas in dieser Frage? 

Der Wille kann von jedem Gegenstande, der ein Gut ist 
bewegt werden. Allein diese Bewegung reicht nicht hin, ist nicht 
eine wirksame, außer sie erfolgt .durch Gott (non autem suffi- 
cienter et efßcaciter nisi a Deq), Ein Bewegliches kann vom Be- 
wegenden nur dann in genügender Weise bewegt werden,5wenn 
die active Kraft des Bewegenden größer, öder wenigstens gleich 
ist der passiven, aufnehmenden Kraft des Beweglichen. Die passiFe 
Kraft des Willens erstreckt sich auf das Gut im allgemeinen, 
denn das universelle Gut ist Object für deü Willen. Jedes ge- 
schaffene Gut aber ist etwas Particuläres, ein particu- 
Jiäres Gut, Gott allein hingegen das universelle. Darum füllt er 
allein den Willen aus, und bewegt auch als Ohject den- 
selben hinreichend (1. p. q. 105. a. 4.). Die andern Objecte ver- 
mögen zwar den Willen einigevmsLsaen fcUiqualüerJ zu. be- 
wegen, keines jedoch, außer Gott, das universelle Gut, in hin- 
reichender Weise (ib. q. 106. a. 2. — q. lll. a. 2.). So lautet die 
Ansicht des heil. Thomas. 

Diese Stellen lassen einen Zweifel über die Lehre des heil. 
Thomas nicht aufkommen. Kein Object bewegt subjectiv den 
Willen auf eine natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Weise, 
zu keinem ist er auf die genannte Art hingeordnet. Seine sab* 
jective natürliche Neigung ist somit eine freie. 

Aber Gott, Gottes Wesenheit als Object, bewegt doch den 
Willen auf natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Art ? Im gegen- 
wärtigen Leben geschieht auch dieses nicht. 

Manche Dinge stehen mit der Glückseligkeit in einem noth- 
wendigen Zusammenhange, alle jene nämlich, wodurch man Gott, 
in dem allein die wahre Glückseligkeit besteht, anhängt. Allein so- 
lange uns dieser nothwendige Zusammenhang nicht durch die 
Gewissheit der göttlichen Anschauung klar gemacht 
wird, hängt der Wille Gott nicht mit Nothwendigkeit 
an. Folglich auch nicht irgend einem andern, was mit Gott im 
Zusammenhange steht (1. p. q. 82. a. 2.). Am meisten und noth- 
wendigsten hängt mit der Glückseligkeit doch gewiss der Ver- 
standes- und Willens act zusammen. Durch diese Thätigkeit ist 
ja der Mensch formell glücklich. Sie bilden die beatitvdoformalis» 
Und doch gibt S. Thomas nicht zu, dass wir hier auf Erden diese 
Thätigkeiten mit Nothwendigkeit vollziehen. Stet« setzt der 
englische Lehrer die Bedingung bei: wenn er will. Wenn der 
Wille die Glückseligkeit thatsächlich begehrt, dann kann er 



— 109 — 

* 

nicht das Gegentheil der Glückseligkeit wollen. Allein gerade diese 
Bedingung schli^üt in sich, dass der Wille das Gegentheil seiner 
Thätigkeit, die Unthätigkeit, begehren kann. 

In der theologischen Summa fragt der englische Lehrer mehr- 
mals, ob der Wille mit Nothwendigkeit etwas begehre. Man 
vergleiche z. B. 1. p. q. 82. a. 1. — 1. 2. q. 10. a. 1. Untersucht 
man den Artikel näher, so ergibt sich, dass hier immer nur von 
der objectiven Bewegung die Rede ist. Das Object specificiert 
manchmal den Willensact, wenn ein solcher vorhanden ist, 
mit Nothwendigkeit. Der Wille kann in diesem Falle nicht das 
Gegentheil desObjectes wählen. Nirgends jedoch spricht S.Tho- 
mas davon, dass ein Object den Willen subjectiv, quoad exer- 
cüium actus mit Nothwendigkeit bewege. Das vorhin eben- 
falls aus der theologischen Summa Angeführte dient zur Bestäti- 
gung dieser unserer Behauptung. Wenngleich daher S. Thomas 
lehrt, der Wille werde zu manchem auf nattlr liehe Weise be- 
wegt, so darf dies doch nicht von der subjectiven Bewegung 
verstanden werden. Dies beweist schon, wie Conrad (in 1. 2. q. 10. 
a. 1.) mit Recht bemerkt, der Ausdruck: zu etwas, ad aliquid. 
Der englische Meister stellt die Frage nicht absolut, nämlich ob 
der Wille auf natürliche Weise bewegt werde, sondern ob er auf 
genannte Weise zu etwas bewegt werde. Somit ist offenbar die 
»Specificienjng, die öbjeetive Bewegung darunter gemeint. Von der 
subjectiven jgeschieht hier keine Erwähnung. 

Dal'tlr spricht sich der Doctor Angelicus, wie wir fi*üher nach- 
gewiesen, an andern Stellen um so entschiedener über die subjec- 
tive Freiheit des Willens aus. Der Wille ist mit Bezug auf seine 
Thätigkeit in jedem Zustande der Natur frei (de veritate q. 22. 
a. 6.). Darum besitzt er die Selbstbestimmutig. Dadurch 
unterscheidet er sich vom Thiere. Die Willensfreiheit hinsichtlich 
der Acte folgt ohneweiters schon daraus, dass überhaupt nichts, 
außer Gott, auf den Willen einen subjectiven Einfluss auszuüben 
imstande ist. 

51. Damit kommen wir zu dem zweiten oben angegebenen 
Fall. Kann der Wille nicht alle seine Acte nicht vollziehen, so 
haben wir als Grund dafür anzugeben, dass Gott ihn manchmal 
wenigstens zum Gut und zu der Glückseligkeit im allgemeinen 
subjectiv auf natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Weise 
bewegt. 

Diese Ansicht findet in neuerer Zeit wieder ihre Vertreter. 
Sie ist indessen nicht neu. Der Gistercienser Petrus vom heil. 
Josef, geboren 1592, gest. 1662 (cfr. Hurter Nomenciator liter. 
I. B. Seite 760), schrieb 1633 eine Vertheidigung des heil. Thomas 
gegen die Thomisten. In diesem Buche trägt der genannte 
Autor alles Mögliche und Unmögliche aus verschiedenen Autoren 
zusammen, um zu beweisen, dass die Thomisten den englischen 



— 110 — 

Meister ganz mit Unrecht die praemotio physica bezüglich der 
freien Acte lehren lassen. Der Uauptbeweis des Autors versucht 
darzuthun, dass S. Thomas weiter nichts vertheidigt habe, als 
jenen Einfluss Gottes auf den Willen, wodurch derselbe auf natür- 
liche und nothwendige, d. h. unfreie Weise zum Guten und zu 
der Glückseligkeit im allgemeinen bewege. Neues hat unser 
Autor in seiner Vertheidigung des heil. Thomas gegen die 
Thomisten nicht vorgebracht. Es wurde alles schon von andern 
vor und neben ihm gelehrt und die Thomisten brauchen sich vor 
dieser Vertheidigung ihres Meisters nicht zu fürchten. 

Der heil. Thomas hat nirgends gelehrt, dass Gott den 
Willen subjectiv auf natürliche und nothwendige, d. b. unfreie 
Weise bewege. Der Beweis dafür ist nicht schwer zu erbringen. 

Schlagen wir zunächst die theologische Summa des Meisters 
auf. In: 1.2. q. 10. a. 4. fragt S.Thomas, ob Gott den Willen 
mit Nothwendigkeit bewege. Die Antwort auf diese Frage 
lautet: „Der Vorsehung Gottes kommt es zu, die Natur der Dinge 
zu erhalten, nicht aber dieselbe zu zerstören. Er bewegt folglich 
alles entsprechend den Bedingungen derselben. Darum gehen aus den 
nothwend igen Ursachen durch die göttliche Bewegung noth- 
wendige Wirkungen, aus den contingenten Ursachen da- 
gegen contingente Efifecte hervor. Da nun der Wille als 
actives Princip nicht zu einem bestimmt ist, sondern vielen 
gegenüber sich indifferent verhält, so bewegt ihn Gott in der Weise, 
dass er infolge dieser Bewegung, nicht mit Nothwendigkeit 
zu einem bestimmt wird, sondern diese Bewegung eine contin- 
gente bleibt, nicht eine nothwendige wird." 

Der englische Lehrer spricht hier von einer Bewegung des 
Willens durch Gott, die der natürlichen Neigung des Willens 
conform, genau angepasst ist. Wir haben vorhin diese natürliche 
Neigung des Willens kennen gelernt. Mit Bezug auf den Act, 
die Thätigkeit, ist diese Neigung eine von Natur aus freie, con- 
tingente. Entspricht nun die Bewegung durch Gott vollkommen 
dieser natürlichen Neigung des Willens, so kann sie unmög- 
lich eine nothwendige, unfreie sein. Femer erklärt der Doctor 
Angelicus an dieser Stelle, der Wille sei als actives Princip 
nicht zu einem bestimmt. Wenn aber dies, dann ist er frei. 
Denn jenes Thätigkeitsvermögen, welches nicht zu einem be- 
stimmt ist, welches noch die Potenz zum Gegentheil in sich bat, 
nennen wir frei. Wenn also der Wille als actives Princip, ab 
agens in acta nicht zu einem bestimmt ist, so mnss er frei ge- 
nannt werden. Als actives Princip aber steht er schon unter 
der Bewegung Gottes. Den Nachweis daflir werden wir später 
liefern. In der Antwort auf den ersten Einwurf bemerkt der 
Doctor Angelicus, es würde der göttlichen Bewegung mehr wider- 
atreiten, falls der Wille mit Nothwendigkeit bewegt würde, ata 



_ 111 _ 

wenn er frei bewegt wird. Ersteres verstoßt gegen seine Nstnr, 
letzteres entspricht dereelbeii. Da ea nnn dem güttliclieo Willea 
eigen ist, nicht bloß durch das Geschöpf, welches er bewegt, 
etwas hervorzubringen, sondern daBselbe auch anf die Art und 
Weise zq wirken, welche der Natnr des Geschöpfes zakommt, so 
muss folgerichtig diese Bewegung eine freie, sie kann nicbt eine 
nothwendige sein. Dem Einwurfe, das der Wille unter der Ha- 
wegiing durch Gott dasjenige, wozu er bewegt wird, wollen ni (1 b s e, 
indem sonst Gottes Thätigkeit sich als onwirksani erweise, be- 
gegnet der englische Lehrer mit den Worten, diese Notliweudtg- 
keit sei bloI3 eine bedingungsweise, nicht eine absolate. Diese 
Nothwendigkeit bat ihreu Grund darin, daes contradictoiisch ent- 
gegengesetzte Dinge nicbt zu gleicher Zeit einem und demselben 
Subjecte zukommen können. Wenn Gott den Willen bewegt, so 
kann er ihn nicbt zugleich nicbt bewegen. Eine Nothwendigkeit 
dieser Art existiert somit auch in Gott, der unbedingt und in 
jeder Beziehung frei ist. Das contradictorisch Entgegengesetzte 
kann aach in Gott nicbt verbunden sein, weil der eine Tbeil 
innerlich und naturgemäÜ den andern ausschließt. So oft demnach 
der Wille von Gott bewegt wird, kann er nicht zugleich nicht 
bewegt werden. Diese Nothwendigkeit tritt der Freiheit nirgends 
hindernd in den Weg, denn sie findet sieb überall. Durch die 
Bestimmung zu einem, so dass die Potenz fUr das Oegentbeil 
anfgehoben wird, erleidet die Freiheit Schaden. Die Determinierung 
zneinem steht nicht der Bestimmung zu vielen, sondernjener 
zum Gegentheil gegenüber. Würde daher der Wille von Gott 
mit Nothwendigkeit bewegt, so hätte er keine Potenz (ür das 
Nichtbewegtwerden. Er mUsste folglich immer in Thätigkeit sein, 
weil er keine Möglichkeit, keine Potenz besäße untbätig zu sein. 
Da in Wirklichkeit die Sache sich anders verhält, so ist klar, 
dass Gott den Willen frei bewegt, keineswegs, wie behauptet 
wird, anf natürliche und nothwendige, d. b. unfreie Weise. 

Macht aber hier der heil. Thomas nicbt eigens eine Ausnahme? 
Sagte er nicht ausdrücklich, die Bewegung des Willens sei eine 
coDtingeate, aasgenommeu fnisij mit BcKog auf das, was er 
naturgemäß {naturalUerJ. begehrt? Es scheint also doch, da^« nach 
der Lehre des hl, Thomas der Willen subjectiv von Gott auf 
natürliche nnd nothwendige, d. h. unfreie Weise zam Goten oder 
za der Glückseligkeit im allgemeinen bewegt wird. 

Dieser Ansicht können wir unsere Zustimmung nicht eilbeilen. 
Legen wir den heil. Thomas in dieser Art aus, so mÜEsen wir 
behaupten, dass er mit sich selber im hellsten Widerspruche sieht. 
In der ersten Quästio der Prima Secundae erklärt der engÜBche 
Meister im erstes Artikel, welche Handlungen oder Thätigkeiteu 
im eigentlichen Sinne mensehliche genannt Werden. Es sind jene, 
fllier welche der Verstand und der Wille die Herrschaft besitzt 



— 112 — 

Diesen stellt er andere gegenüber, jene nämlich, welche vom 
sensitiven nnd vegetativen Theile des Menschen ausgeftlhrt werden 
(1. c. ad. 3.). Die Thätigkeiten des Verstandes und Willens theilt 
er nicht ab in solche, die frei, und solche, die auf natürliche und 
nothwendige Weiöe vollzogen werden. Dies ist doch sicher ein 
Zeichen, dass er Thätigkeiten der letztern Art nicht kennt. Anders- 
wo (1. 2. q. 10. a. 2) bemerkt S. Thomaä, der Mensch könne über 
jedes Object nicht nachdenken und infolge dessen jedes in der 
Wirklichkeit nicht wollen. Wird dem Willen ein universelles Gut 
vorgestellt, so strebt der Wille mit Nothwendigkeit nach 
diesem allseitig vollkommenen Gut, wenn er etwaswill, d.h. 
er kann nicht das Gegentheil dieses Guts begehren. Das Gut und 
die Glückseligkeit im allgemeinen bilden ohne Zweifel für den 
Willen das universelle Gut. Dennoch muss der Wille nicht 
dieses Gut that sächlich begehren, sondern nur wenn er will. 
Bewegt nun Gott den Willen zu diesem Gut auf natürliche und 
nothwendige, d. h. unfreie Weise, dann haben die Worte des 
englischen Meisters: „wenn er etwas will'^, einfach keinen Sinn. 
Wird der Wille subjectiv mit Nothwendigkeit bewegt, dann kann 
man nicht mehr beifügen: „wenn er will". 

Noch deutlicher spricht sich der Doctor Angelicus au einer 
andern Stelle aus (de malo 6. a. uo.). Daselbst hei£t es : „Das- 
jenige, was den Verstand und Willen zuerst (primoj bewegt, 
ist etwas über dem Verstand und Willen, nämlich Gott. Dieser 
aber bewegt alles nach den Eigenschaften des Beweglichen, das 
Leichte nach oben, das Schwere nach unten: Gott bewegt auch den 
Willen entsprechend den Bedingungen desselben. Und er bewegt ihn 
so, dass er nicht mit Nothwendigkeit, sondern mit Indiffe- 
renz vielen gegenüber diese Bewegung ausführt. Daraus folgt, dass 
die subjective Bewegung des Willens nicht mit Nothwen- 
digkeit vor sich geht. Patet ergo, quod si consideretur motus 
voluntatis ex parte exercüii actitö, non movetur ex neoessitate . . . Wird 
dem Willen ein Gut vorgestellt, welches in j eder Beziehung zusagt, 
so wird er objectiv mit Nothwendigkeit bewegt. Ich sage Qbjectiv 
oder bezüglich der Determinierung des Actes, weil er nicht das 
Gegentheil dieses Guts begehren kann. Subjectiv wird er nicht 
mit Nothwendigkeit bewegt, denn es kann jemand zu der 
Zeity tunc, über die Glückseligkeit nicht nachdenken wollen." 

Klar und deutlich lehrt also hier der heil. Thomas dass der 
Wille subjectiv, quoad exerdtium actus, jederzeit frei ist 
Bewegt Gott den Willen auf natürliche und nothwendige, d« h. 
unfreie Weise zu dieser Glückseligkeit, so muss der Mensch über 
die Glückseligkeit nachdenken wollen. Er kann nicht das Gegen- 
theil thun, weil er subjectiv mit Nothwendigkeit, d.h. unfrei, zn 
einem bestimmt, zum Nachdenkenwollen determiniert ist. Der 
englische Meister kann somit nicht ohne Widerspruch mit sich 



u 



— J13 — 

selber die Behauptung anfatellen. Gott bewege den Willen snbjectiv 
nothwendig' and anf natürliche Weise za dem Gut nnd der Gllick.- 
«eUgkeit im allgemeinen. 

Derselbe Widerspruch ergibt flieh ans einer andern Doctrin 

■ des heil. Thonla^. Als Grund, waram der" Wille subjectiv frei ist 
lUbit S. Thomas an, weil der, Verstandes- und Willensaet etwas 
Pa'rticuläres sind.' HSren sie vieUeieht anf, etwas Partioaläres 
za sein, wenn der Mensoh durch sie nach dem Gut and der, 
Glückseligkeit im allgemeinen strebt? Gewiß nicht, denn sie richten 
eich nach dem thgtigen Sabjecte {actiones sunt suppositorum), welches 
ohne Zweifel etwas Singuiäres ist. Vertheidigt nun der englische 
Lehrer die Ansicht, der Wille sei mit Bezug. auf alles ParUcn- 
lärje objectiv and sabjectiv frei, so kann er nicht ohne 
Widerspruch mit sich, zugleich behauptenj die Willensthätigkeit, 
womit der Mensch das Gnt und die Glückseligkeit im allgemeinen 
begehrt, sei eine natürliche and nothwendige, d. h. unfreie. Wir 
werden darum die Schlussworte des vierten Artikels in : 1. 2, q. 10. 
a, 4, dahin erklären mUssen, dass S.Thomas damit die obj ective 
Nothwendigkeit gemeint hat. Es gibt ßir den Willen überhaupt 
aar eine Nothwendigkeit, die objeetiye Determiniernng zum Gut 
Dnd za der Gifickseligkeit im allgemeiueo. Hinsichtlich seiner 
Thätigkeit ist der Wille vollkommen frei. Damit stimmt auch 
Copad Hberein (in: 1. 2. q. 10. a. 4.). Man vergleiche den ge- 
nannten Gommentator, den wir unsererseits dem Cajetan unbe- 
dmgt vorziehen, zu dem ersten Artikel der genannten Quästio. 

Man hat sich in ^lenerer Zeit noch auf andere Stellen des 
beil. Thomas berufen, so z. B. in: 1.2. q. 9. a. 6. ad3. und 
1. p. q. 105. a. 4., nm dea Beweis zu erbringen, dass Gott auf 
natürliche nnd nothwendige, d. b. nnfi'eie Weise deu Willen zum 
6at und der Gltlckseligkeit im allgemeinen bewege. 

Wenden wir diesen unsere Aufmerksamkeit zu. In; 1.2, q, 9. 
a. 6. beweist der heil. Thomas, das von allen äußern bewegenden 
Frincipien Gott allein den Willen innerlich bewege, weil er 
allein die Ursache, der Urheber des Willens ist Gegen diesen 
Beweis macLt sich nun S. Thomas folgende Schwierigkeit: „Gott 
Ternreacht nur Gutes. Wird nun der Wille des Menschen von Gott 
allein bewegt, so kann diese Bewegung niemals auf das Böse 
gerichtet sein, was unrichtig ist." Der englische Meister erwidert 
darauf: „Gott bewegt als aniverseller Beweger den Willen der 
Meuscheil zum universellen Objecte des Willens, nämlich zum Gut. 
Ohne diese universelle Bewegung kann der Mensch nicht irgend- 
etwas wollen,' X)er Mensch aber bestijnmt sich selber durch seine 
Vernunft, dieses odrfr. jenes, ein wifhres oder ein Scheingut zil ■ 

*begehren.'Bi8weUeii bewegt Gott einigt ganz speciell,» etwa* be- 
stimmt zu woHen, eiu bestimmtes Gut zm begehren. Dies tnfft bei 
allen jenen zu, die er durch die Gnade bewegt" 

FeldnsT, wmeiisfrsUielt. 8 



— 114 — 

Die Frage, um welche es sich hier handelt, ist die: woher 
.es komme, dass der Wille mauclimal nach dem Bösen strebt, 
wenn er von Gott allein bewegt wird. Gott bewegt ja n u r zum 
Guten. Von welcher Bewegung ist hier die Rede? Offenbar von 
der objectiven. Warum der Wille manchmal das Böse be- 
gehre, um das fragt es sich. Gott bewegt den Willen ausschließlich 
zum Guten, niemals zum Bösen. Begehrt der Wille thatsächlich 
, B ö s e s, ein Scheingut, so ist der Grund dafür nicht in Gott, resp. 
in der Bewegung des Willens durch Gott, sondern im ver- 
kehrten Urtheile der Vernunft zu suchen. Und dies mit Recht, denn 
Gott bewegt den Verstand und Willen für gewöhnlich ganz ent- 
sprechend der Bejjchaflfenheit, der Disposition derselben. Befin- 
den sich diese zwei Vermögen infolge der Leidenschaft o,der 
einer Gewohnheit, eines Habitus in einer schlechten Disposition, 
so werden sie anstfatt das Gut, das Böse begehren. Die Bewe- 
gung Gottes wird in der Potenz der Geschöpfe aufgenommen 
und infolgedessen nach der Beschaffenheit dieser Potenz uiodi- 
ficiert. Daher ist nicht Gott die Ursache, dass der Wille Bösea 
anstrebt, sondern die verkehrte Disposition der Vernunft und 
des Willens. Näheres darüber später. 

Spricht der englische Lehrer hier von einer subjectiv nothwen- 
digen Bewegung des Willens durch Gott ? Wir finden in dieser Hinsicht 
nicht den mindesten Anhaltspunkt. Es ist von der Bewegung zum 
Guten die Rede. Und ohne diese Hinorduung zum Guten kann 
der Wille nichts begehren. Selbst das Böse wird von ihm als ein 
Schein gut angestrebt. Die Nothwendigkeif, welche S. Thomas hier 
im Auge hat, bezieht sich somit auf die Specificierung des 
Actes, auf die objective Bestimmung zu einem, nämlich zum 
Gut. Ohne diese Determinierung zum eigenen Objecte könnte 
der Wille überhaupt nichts begehren. Zu diesem seinem Objecte 
ist er darum ebenso nothwendig bestimmt, wie jede andere Potenz 
zu dem ihr eigenthümlichen Objecte. Da es aber ein zweifaches 
Gut gibt, ein wahres und ein scheinbares, und der Grund, warum 
es als ein scheinbares Gut aufgefasst und vorgestellt wird, 
in einem Fehler der Vernunft liegt, so bewegt Gott den Willen 
nur zum Guten. Die Entscheidung des Willens für das schein- 
bare und nicht für das wahre Gut wird mit Recht dem Willen 
der Creatur zugeschrieben. Der Wille hat sich dabei von der Ver- 
nunft täuschen, in*eftihren lassen. Man vergleiche zu dieser Stelle 
den Conrad. 

In der zweiten Stelle, auf die man sich beruft, um 'die sub- 
jectiv noth wendige Bew^ung des Willens durch Gott darzn- 
4hun: 1.. p. q. 105. a. 4: sagt der heil. Thötnas, Gott bewege den 
Willen nittht bloß objecj;iv, sond^ern auch subjectiv Wnreichend 
und \t*rksam. Wann dieses objectiv geschieht, haben wir früher 
gesehen. Dann nämlich bewegt Gott als Obje*ct den Willen 



k 



— 115 — 

biureichead nnd wirksam zur Thätigkeit, ad exercitium actus, 
weDn seiae WeBeiiheit unmittelbar aDserm Verstände gegenwärtig 
ist, d. b. im andern Leben. Sier auf Erden wird der Wille von 
Gott als Object weder liiureicbeud noch wirksaiu zu einciu 
Acte bewegt. Umsoweniger kann dann tod einer Notli wen- 
digkeit gesprocfaen weiden, tiubjectir bewegt Gott den Wiltea 
hinreichend und wirksam, während dies kein Geschöpf vermag, 
weil er dem Willen die Etaft zu wollen verleibt. Dem engten 
Beweger kommt es zu, den Willen zum uniTersellen Gut zu be- 
wegen. Auch hier ist, wie jedermaoa sieht, von einer nothwea- 
digen Uewegung nicht die Rede. Die Anadrllcke: „mfßcienler 
et efßcaciter" kCunen doch uomSglich dasselbe bedeuten, was die 
Ausdrucke: „notLwendig and natürlich, d.h. unfrei" besagen. 

Zudem wiid von den Gegnern das Wort: allgemeiu oder 
Mtverselt Ibrtwäbrend ganz und gar unrichtig aiifgefaHi«t. Das 
imiverselle Gnt ist nicht etwas Abstractes, ist nicht allgemeiner 
Natur, denn in diesem allgemeinen Zustande würde es gar nicht 
auf den Willen einwirken, denselben in keiner Weise bewegen. 
Was als gnt und zuträglich aulgefasst wird, moss als gut und 
coDveuient im particulären, nicht im allgemeinen erkannt 
werden. Das universelle Gut muss darum so beschafTen sein, 
(lasH es alles Particuläre In sich schließt. Si ergo appnhmdatur 
aliquid ut bonum convmiens secundum omnia particularia quae «om- 
siderari possunt, ex necessitafe movebU volunttUem (de malo q. 6, 
a. UD.). Wenn man denmach sagt, das Object des WilletL^ sei das 
Gut im allgemeinen, so ist darunter nicht etwas Abstractes, 
oder ein Gegenstand allgemeiner Natur zu verstehen, soudern 
€8 wird damit die ßeschiänkung des Willens auf ein bestimmtes, 
nicht allseitig vollkommenes Gnt ausgeschlossen. Das Object 
des Willens im andern Leben ist ein sehr bestimmtes, d. h. singu- 
läres Gut, die Wesenheit Gottes. Diese ist weder etwas Abstractes, 
uoeh allgemeiner Natur. Dennoch muss sie antverselles Gut 
genannt werden, weil sie alles Farticnläre in sich begreift. Noch 
weit unrichtiger ist es, wenn man die subjective Bewegung 
des Willens dnrch Gott allgemeiner Natur sein läset. 

Die dritte Stelle aus dem englischen Lehrer, auf die man 
sich stutzt, nm die natürliche und notbwendige, d. h. unfreie, 
subjective Bewegung des Willens zum Gnt und zn der Gltlck- 
seligkeit im allgemeinen zu erweisen, findet sich: l.p. q. 82, a. l. 
DasB S.Thomas daseii)st von der objectiven, nicht von der 
subjeetiven Notbwendigkeit spricht, Jcanu jeder erkennen, der 
die Stelle liest. Wäre dem' nicht so, dann mllsste der Wille mit 
liozng auf das Gut und die Gluckseligkeit im allgemeinen immer 
iu Thätigkeit, in acta »ein, was der englische Meister ausdrllck- 
lich bestreitet. Indem der Doctor Angelicus erklärt, der Wille 
begehre zwar virtuell und implieite, oiebt aber acta eil in allen 



r- 116 — * 

seinen Handlangen das Endziel/die Gläckseligkeit im allgemeineü, hat 
er am deutlichsten dargethan, von welcher Bewegung des Willens 
er spricht. Man vergleiche z. B. 1. 2. q. 1. a.6. besonders ad 3. Hier 
wird ausdrücklich gesagt^ dass der Mensch nicht immer an das 
Endziel denke, wenn er etwas thut. Auf Grund dieser Lehre 
argumentieren wir in folgender Weise: Gott bewegt den Willen 
zum universellen Gut und ohne die allgemeine Bewegung kann 
der Mensch nichts wollen. Versteht tiun S. Thomas unter dieser 
allgemeinen Bewegung die subjective Bewegung des Willens, quoad 
exerdtium adm, so muss der Mensch jedesmal, so oft er etwas 
will, zuerst das Gut und die Glückseligkeit im allgemeinen wollen. 
Dazu gentigt aber das virtuelle Wollen nicht. Es ist ja eine 
wirkliche, eine actuelle Bewegung, die Gott dem Willen 
mittheilt. Allein der englische Lehrer bestreitet an der vorhin an- 
gegebenen Stelle, dass der Mensch immer an das Endziel, an das Gut 
und die Glückseligkeit im allgemeinen denken müsse, wenn er irgend 
etwas will. Es ist somit ganz und gar unrichtig, die Stelle : 1. 2. q. 9. 
a.6. ad. 3. in der Bedeutung der subjectiven Bewegung des 
Willens aufzufassen. Umsoweniger genügt dann diese Bewegung 
durch Gott, und umsoweniger entspricht es der Wahrheit, dass 
S. Thomas nur diesen und keinen anderen Einfluss Gottes auf 
die vernünftigen Geschöpfe gelehrt habe. 

Was der englische Meister in Wirklichkeit lehrt, ist, dass Gott 
den Willen weder zum Gut und zu der Glückseligkeit im allge- 
meinen, noch zu irgend einem particulären Gut subjectiv auf 
eine natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Weise bewegt 
In beiden Fällen würde eine derartige Bewegung der innern 
natürlichen Neigung des Willens widersprechen. Sie wäre 
folgUch eine gewaltsame, sie wäre gleichbedeutend mit Zwang. 

52. Wie verhält es sich nun mit den actus oder motiis primo 
primi? Inwiefern unterstehen diese Thätigkeiten dem freien Willen, 
der Wahlfreiheit? 

Es muss zunächst eine zweifache Art vonThätigkeit im Menschen 
unterschieden werden. Manche Thätigkeiten sind menschlicbe, 
andere Thätigkeiten des Menschen factiones humanae et adiones 
hominisj. Erstere kommen dem Menschen formell als solchem 
zu,, letztere insofern das Agens, das Suppositum ein Mensch ist. 
Die menschlichen Handlungen sind alle frei, die Thätig- 
keiten des Menschen nicht immer (1. 2. q. 1. a. 1. und ad 3.). 

' Die sogenannten motus primo primü haben ein doppeltes 
Subject uäd Princip. Die einen entstehen im sinnlichen Tbeile, 
in der nied^rn Natur des Menschen, ' die andern im hohem, in 
der Vernunft und . dem Willen. Betrachten wir vorerst jene motus, 
die ihren Ursprung im sinnlichen Theile haben. Inwieweit' kommt 
die Willensfreiheit mit ihnen in Beziehung? . 

Der Wille vermajg alle Potenzen des Menschen, mit Ausnahme 



b 



u 



-^ 117 — 



der vegetativeDy in Thätigkeit zu versetzen, und deren Thätigkeiten 
za hemmen, wieder einzustellen. Die Unterwerfung des niedem 
Theiles im Mensehen unter den höhern ist nicht eine sclavische 
(modo despoticoj, sondern eine politische (modo jpoliticoj, so dass 
der niedere Theil gegen den höhern sich auflehnen, die Bewegung 
des niedern dem höhern zuvorkommen kann. Die Thätigkeiten oder 
Bewegungen dieses Theiles sind demnach insofern freiwillige 
zu nennen, als sie vom Willen hervorgerufen werden, folglich 
aäus impercUi des Willens bilden, oder auch insofern der Wille 
dieselben nicht zurückdrängt, ihnen keinen Widerstand entgegen- 
setzt, obgleich er es könnte. Hinsichtlich der adm imperati hat 
es keine Schwierigkeit, denn werden sie vom Willen selber durch 
Bewegung der betreflFenden Potenzen veranlasst, so besteht über 
ihre Abhängigkeit vom Willen kein Zweifel. Sie haben den freien 
Willen zu ihrer Ursache. Sie werden dadurch zu menschlichen 
Handlungen. Indessen geschieht es auch sehr oft, dass diese Be- 
wegungen des sinnlichen Theiles dem Urtheile der Vernunft und 
der Auswahl des Willens zuvorkommen, also nicht (ict%is 
imperati sind. Nichtsdestoweniger bemerkt der englische Lehrer 
von diesen Thätigkeiten des sinnlichen Theiles, dass es lässliche 
Sünden seien (de pialo q. 7; a. 6.). Dies ist aber nur möglich, wenn 
sie in irgend einer Weise dem freien Willen unterworfen sind. 
Wie kann dieser motus, welcher der Vernunft und dem Willen 
zuvorkommt, ein freiwilliger sein? S. Thomas antwortet im 
genannten Artikel ad 2., er sei deshalb ein freiwilliger, weil der 
Wille ihn verhindern könne. Die Vernunft, lehrt der Doctor 
Angelicus daselbst (ad 6.), verhält sich liieser Bewegung des sinn- 
lichen Theiles gegenüber auf eine dreifache Art. Das einemal 
widersteht sie, das anderemal yntt sie diese Bewegung hervor 
(imperat), ein drittesmal erfolgt von ihrer Seite weder ein Verbot, 
noch ein^ Anregung dazu, sondern sie stimmt einfach zu. Die 
Bewegung des sinnlichen Strebevermögens geht nämlich in doppelter 
Weise vor sich. Sie wird entweder durch die Disjposition des 
Leibes veranlasst, oder infolge einer Erkenntnis. Die erstere unter- 
steht nicht der Vernunft, wohl aber die letztere. Die letztere des- 
halb, weil die Vernunft, besonders in Abwesenheit eines Gegen- 
standes für den Tastsinn, die Thätigkeit jeder Erkenntniskraft 
verhindern kan)]. Die erstere Bewegung der Sinnlichkeit, jene 
nämlich, welche eine leibliche Disjposition zu ihrer Ursache hat, 
gehorcht nicht der Vernunft, ist somit nicht eine freiwillige. 
Diese Bewegung wird von manchen motus primo primus genannt. 
Die Bewegung hingegen, welcher einer Erkenntnis entspringt, ist 
eine freie (I.e. ad 8.). Die unfreiwillige Bewegung des niedern 
Theiles nennt S. Thomas an einer andern Stelle natürliches Streben, 
üppetüm naturalis, z. B.» das Begehren 'nach Speise. Dieses Ver- 
langen' wird nicht von der Phantasie angeregt, sondern von der 



— 118 — 

Disposition der natürlichen Qualitäten. Bewegungen dieser Art unter- 
stehen und gehorchen nicht der Vernunft. Darum sind es auch nicht 
menschliche Thätigkeiten, sondern solche des Menschen. 
Diese gehören folglich nicht zu unserer Frage (2. dist. 24. q. 3. a. 1.). 

Wir haben es darum mit jener Bewegung des sinnlichen 
Theiles zu thuu, welche auf eine Erkenntnis folgt. Der englische 
Lehrer nennt sie motus secundo primi zum Unterschiede von der 
früher angegebenen, der natürlichen. An dieser Bewegung betheiligt 
sich die Freiheit, denn der Doctor Angelicus behauptet von ihr, 
dass sie sündhaft sei, was ohne Freiheit nicht möglich ist. Aller- 
dings besitzt der WiUe über diese Bewegung nicht eine vollkom- 
mene Herrschaft (dominium' completum), wohl aber eine unvollkom- 
mene (incompletum), er kann sie hindern oder nicht hindern. Über 
die actus imperati hat er volle Herrschaft. Ob nun diese Bewe- 
gungen des sinnlichen Theiles auf Antrieb der Vernunft und des 
Willens erfolgen, oder ob sie ohne einen solchen entstehen, aber 
von der Vernunft und dem Willen gehindert oder nicht gehindert 
werden, in beiden Fällen müssen sie freie Bewegungen genannt 
werden (1. e. a. 2.). Cfr. de veritate q. 25. a^ 4 und 5. Wegen der 
unvollkommenen Unterwerfung dieser Bewegungen unter die Ver- 
nunft und den Willen, d. h. wegen der unvollkommenen Herrschaft 
des Willens über diese Bewegungen bilden sie niemals schwere, 
sondern nur lässliche Sünden. Anders verhält sich die Sache, 
wenn sie actus imperati der Vernunft und des Willens sind. Dann 
ist die Herrschaft über sie eine vollkommene und die Sünde, wenn 
diese Bewegungen nicht gehindert werden, eine schwere. Dies 
gilt selbstverständlich von jenen Bewegungen, die infolge einer 
Erkenntnis entstehen, denn, wie schon bemerkt, sind nur diese 
freie Bewegungen (2. dist. 21. q. 1. a. 2. ad 5. — 1. 2. q. 17. a.'7. 
— 2. dist. 40. q. 1. a. 4. ad 3.). 

Hier müssen wir indessen auf eine Schwierigkeit aufmerksam 
machen. Der heil. Thomas erklärt, alle Bewegungen, die auf Grand 
einer Erkenntnis entstehen, seien in der Macht des Willens ge> 
legen, und darum lässliche Sünden, wenn sie nicht gebindert 
werden. Diese Ansicht scheint etwas zu strenge, denn wie oft 
haben wir plötzlich ein Phantasiebild vor uns, eine Vorstellung, 
die den sinnlichen Theil anregt. Die Bewegung folgt auf die 
Vorstellung mit derselben Schnelligkeit, mit welcher das Phantasie- 
bild entstanden ist. Liegt dieser Vorgang wirklich, wenn auch 
nur unvollkommen, in unserer Macht? Begehen wir wirklieh eine 
lässliche Sünde, falls diese Bewegung nicht ebenso schnell be- 
kämpft wird? 

Eine Unterscheidung dürfte sich liier als nothwendig heraus- 
stellen. Der englische Lehrer sagt in einer früher von uns an- 
geführten Stelle (de malo q. 7. a. 6. ad 8.), die Vernunft könne 
die Thätigkeit jeder Erkenntniskraft hindern^ besonders' dann, 



— 119 — 

wenn kein sinnenfälliges Object für den Tastsinn gegenwärtig 
ist. Damit scheint angedeutet^ dass in Gegenwart eines solciien 
Objectes die Vernunft ein Phantasiebild, eine sinnliche Vorstellnug 
nicht zu hindern die Macht habe. Infolge dessen ist auch die 
Bewegung des sinnlichen Theiles, welche auf diese Vorstellung 
plötzlich folgt, nicht eine freie, und somit auch nicht eine 
lässliche Sünde. In diesem Sinne erklärt Conrad eine Stelle des 
heil. Thomas in: 1.2. q. 74. a. 3. ad 2. allerdings mit dem Zusätze : 
jfSalvo jvdido meliert^ . Auf dieselbe Art begegnet dieser Schwierig- 
keit Capreolus (in 2. dist. 4. ad 2^°^ Durandi öontr. 1*"^ conclus.). 
Der genannte Autor unterscheidet zwei Arten von Thätigkeiten, 
solche die infolge 'eines Phantasiebildes allein im niedern Theile 
sich entfalten. Bei manchen ist die Phantasie mehr begleitend, als 
im eigentlichen Sinne dieselben verursachend. Diese haben ihren 
Ursprung entweder in den natürlichen Qualitäten des Leibes, oder, 
falls sie ein Phantasiebild zu ihrer Ursachß haben, ist dieses von 
der Art/ dass es vom WiHen nicht entfernt werden, die daraus 
entstehende Bewegung des sinnlichen Theiles folglich nicht ge- 
hindert werden kann. Dies trifft zumal dann zu, wenn ein Object 
selbst gegenwärtig ist, oder die Phantasie plötzlich spielt, oder 
wenn von dergleichen Gegenständen gesprochen wird. Thätigkeiten 
dieser Art unterstehen nicht dem Gesetze der Moral, sie sind in 
sich diesbezüglich indifferent. Andere hingegen werden nicht bloß 
von einem Phantasiebilde begleitet, sondern von diesem selbst 
verursacht. Dies geschieht dann, wenn die Phantasie nicht so 
überraschend und naturgemäß wirkt, so dass das Phantasiebild 
und die daraus entstehende Bewegung unterdrückt werden können. 
Diese Thätigkeiten fallen unter das Gesetz der Moral. 

Daraus folgt demnach, dass alle jene Thätigkeiten des niedern 
Strebevermögens, die von einem a.ugenlälicklichentstandenen 
Phantasiebilde angeregt werden, nicht in der Macht und Wahl 
unseres Willens liegen, und' infolge dessen, wenn sie. im Menschen 
sind, auch nicht eine lässliche Sünde bilden können. Der Wille 
ist weder direct noch.indirect daran betheiligt, weder direct noch 
interpretativ, imputativ daran schuld. Werden aber die genannten 
Bewegiingen von der Phantasie verursacht, und zwar in der Weise, 
dass die Phantasie nicht unvermuthet und sozusagen natür- 
lich diese Bilder entwirft, dann können sie von der Veniunft 
und dem Willen verscheucht, die daraus entstehenden Bewegungen 
des sinnlichen Theiles aufgehalten werden. . Sie fallen daher in 
das Gebiet der Moral, d^nn es sind freie Bewegungen. Welche 
Bewegungen des sinnlichen Theiles somit freie genannt werden 
müssen, ergibt sich aus dieser Darstellung mit voller Klarheit. 
Es sind, ' wie S. Thomas bemerkt, die actus secundo primi jene, 
welche auf Grund einer Erkenn tn.is, die von der Vernunft 
beherrscht werden kann, im sinnlichen Begehrungsvermögen 



— 120 — 

♦ ^ • 

entstehen. Weil die Vernunft und der Wille über die Thätigkeiten 
dieser Art eine^ wenngleich unvollkommene, Herrschaft 'besitzen, 
deshalb müssen diese Thätigkeiten menschliche genannt werden. 
Die andern, vorhin erwähnten, sind Handlungen des Menschen, 
picht aber men schliche. Durch diese witd indessen die Wahl- 
freiheit in keiner Weise eingeschränkt oder beeinträchtigt, weil 
sie dem Menschen nicht formell als solchem zukommen, besonders 
dann nicht, wenn sie aus der leiblichen Disposition entstehen. 

53. Die sogenannten mottis primo primi, bet S. Thomas motue 
secundo primi, nehüien ihren Ausgang nicht bloß von der sinnen- 
falligen Erkenntnis, der Phantasie und von dem sinnlichen Be- 
gehningsvermögen, sondern es gibt auch solche,' welche direct von 
der Vernunflund dem Willen hervorgerufen werden. Dacum fragt 
der englische Lehrer an einer Stelle (K 2. q. 74. a. 10.): ob in 
der höhern Vernunft selbst eine lässliche Sünde sein könne, indem 
sie sich den göttlichen Wahrheiten gegenüber moralisch schlecht 
verhält. Zweitbit z. B. die. Vernunft an einem Glaubensartikel oder 
an einer Wahrheit, die in der heil. Schrift enthalten ist, begeht 
sie dann jedesmal eine schwere Sünde, öder ist diesbezüglich auch 
eine lässliche möglich? 

S. Thomos erklärt diesbezüglich zunächst, dass die höhere Ver- 
nunft sich anders verhalte zu ihrem eigenen Objecte und anders 
zu dem Gegenstande der. niederen Kräfte, welche unter ihrer 
Direction stehen. Das Verhältnis der Vernunft zu dem Objecte der 
niederen Eräfie ist stets ein mit Überlegung eingegangenes. 
Sind demnach die Thätigkeiten dieser Kräfte an und fttr sich 
eoa 81M genere, schwere Sünden, so ist es auch die üb-erlegte 
'Beistimmung der Vernunft Sind die genannten Acte ex suo 
genere lässliche, so muss dasselbe von der «Sünde der Vernunü 
gesagt werden. Die Ausnahme, e^ contemptu beschäftigt uns hier 
nicht, wir haben es mit deip allgemeinen Principe zu thun. Die 
Vernunft stimmt also diesen Objecten niemals zu, ohne die ewigen 
Gründe zu* befragen und zu Rathe zu ziehen. Aus diesem Grunde 
geschieht es mit Freiheit (1.2. q. 13.) Diese Zustimmung kann 
eine positive oder privative sein. Unterlässt sie es auch die ewigen 
Gründe zu befragen, ihre Zustimmung ist dennoch eine interpretativ 
und impntativ freie. Sie stimmt niemals den Objecten dieser Art 
plötzlich bei. Hat sie zum Überlegen keine Zeit,, so stinoimtsie 
eben nicht zu. Darum wurde früher gesagt, dass nicht die motus 
primo primi, sondern die mottis secundo primi lässliche Sünden 
bilden. 

Mit Bezug auf das eigene Object der höheren Verbanft 
dagegen, muss eine zweifache Thätigkeit unterschieden werden: 
die einfache Erfassung, simplex inttiütis, und die Überlegung. Dem- 
zufolge ist auch eine plö.tzliche Bewegung und eine überlegte 
Zustimmung vorhanden. Die eine kann mau prima, die andere 



— 121 -^ 

secunda operatio intelleetus nennen. Obgleich nun diese Bewegungen 
au und für sich auf einen Gegenstand gerichtet sein können, der 
ex suo genere eine schwere Sünde ist, z. B. die Bewegung gegen 
einen Artikel des heil. Glaubens, so kann diese Bewegung anderer- 
seits doch einelässliche Sünde sein, wegen ihres plötzlichen 
Auftretens. Weil indessen die Vernunft auch hinsichtlich ihres 
eigenen Objectes überlegen kann, deshalb wäre eine überlegte 
Bewegung gegen einen Gegenstand hin, der ex suo genere mortale ist, 
• ebenfalls schwer sündhaft. Die Bewegung, welche auf eine plötz- 
liQ.he Auffassung folgt, oder eine 'solche begleitet, muss in diesem 
Falle lässlich sündhaft per accidens, nicht ex stw, genere, genannt ' 
werden. Per accidens eben, weil er auf Grund des unvermutheten 
Einfalles nichl wahrnimmt, dass sie verboten, gegen das Gesetz 
Gottes verstoße. Es muss aber hier beigefügt werden, dass 
die Vernnnft dies nickt wahniimmt oder auch nicht wahr- 
'nehmen kann.' Kann un4 soll sie acht geben, ob es verboten ' 
ist oder nicht, und sie unterlässt dieses zu thi^n, so begeht sie 
ein schweres Unrecht. Diese Nicbachtung oder Ignoranz ist eine 
vollkommen freiwillige. . . . 

Was ist nun aber bei diesem Vorgange sündhaft? der un- 
vermuthete Einfall, z. B. dass die Auferstehung der Todten 'der 
Natur nach unmöglich, sei? Nein, nicht die vorschnelle Auffassung • 
darf plötzliche Be.Wegung genannt werden. Nicht in dieser 
liegt die lässliche Sünde. Es ist vielmehr ein gewisses Wider- 
streben der Vernunft, ein gewisses üngläubigsein derselben mit 
Bezug auf das, was Gottes Gebot verlangt. Die Auffassung, die Ap- 
prehensio selbst, bildet in keiner Weise eine Sünde, z. B. dass die 
Auferstehung auf natürliche Weise unmöglich sei ; wohl aber der 
Zweifel und das Schwanken, welche auf dieses Erfassen folgen, 
bevor die Vernunft auf das achtet, was der Glaube in Betreff der 
Auferstehung lehrt. 

Der . heil. Thomas gibt uns in dieser Angelegenheit klaren 
Aufschluss. Wenn eine Bewegung nur eine lässliche Sünde ist, 
so hat das einen doppelten Grund. Entweder ist der Act an sich 
ex suo gerrere gering, so dass es nur ein leichter Fehler ist, z. B. 
em überflüssiges Wort.; oder jene Bewegung- geht der Überlegung 
des Handelnden voraus. Der ganze Vorgang lässt sich auf diese 
Weise erklären. Wenn irgend eine Potenz zu etwas Höherem^ als 
. • sie selbst zu leisten vermag, erhoben wird, so hat sie oft eine' 
plötzliche Bewegung zu dena, was ihr an und für sich zukommt. 
Die zweite Bewegung hingegen besitzt sie, insofern sie zu etwas 
Höherein bestimmt wurde. Wir können dem sinnlichen Strebe- 
vermögen ein Beispiel entnehmen. Dieses Begehrungsvernäögen 
besitzt eine ganz unverhoffte Bewegung nach dem, was die Sinüe 
ihm vergegenwärtigen. Wird di^se Bewegung aber von der Ver- 
nunft geleitet, und durch die Tugend vervollkommnet, so erfolgt 



— 122 — 

sie mit Überlegung und dem entsprechend, was der Verannft 
conveniert. Indessen wird das sinnliche Strebevermögen darch die 
Herrschaft der Vernunft zu dem emporgehoben, was über ihm ist. 
Auf ganz dieselbe Weise wird die höhere Ternunft durch das 
Licht des heil Glaubens über das erhoben, was sie durch die 
natürlichen Erkenntnisse erreicht. Die unvermuthete Bewegung des 
Erfassens durch die höhere Vernunft geschieht nach ihrer natür- 
lichen Erkenntnis. Verstoßt sie irgendwie gegen den heil. Glauben, 
so ist es ein vorschneller Act des Unglaubeus (erü motus infideli- 
tatis ex surreptione). Wegen Mangel an Überlegung -bildet er dämm 
eine lässliche Sünde. Um zu entscheiden, ob in der höhern Ver- 
nunft eine lässliche Sünde sein könne, muss demnach notbwendig 
eine Unterscheidung gemacht werden. Betriflft die Bewegung der 
höhern Vernunft dasjenige, was ex genere suo schwere Sünde ist, 
so kann diese in einer zweifachen Weise sich ereignen. Entweder 
ist es das der Vernunft eigenthümliche Object, auf welches das 
Streben gerichtet ist, oder es ist das Object der niederen Kräfte. 
In ersterm Falle haben wir zwei Bewegungen : eine plötzliche, 
die der Überlegung zuvorkommt, und diese ist eine lässliche 
Sünde; die zweite ist eine mit Überlegung ausgeführte und des- 
halb schwer sündhaft. In letzterem Falle handelt die Vernunft 
stets frei und darum ist die Bewegung zu dem Objecte, welches 
ex genere suo schwere Sünde ist, ebenfalls schwer sündhaft (2. dist 24. 
q. 3. a. 5.). Die ganze Quästio 74 der Prima secunda ist in dieser 
Beziehung von größter Wichtigkeit. 

Da unsere Aufgabe nur darin besteht, nachzuweisen, dass 
der Wille mit Bezug auf seine Thätigkeit, quoad exercüium actus, 
frei genannt werden müsse, so genügt zu diesem Zwecke die 
soeben erfolgte Darlegung. Damit eine Thätigkeit sündhaft sei, 
dazu ist erforderlich, dass sie in irgend einer Weise mit der Frei- 
heit zusammenhänge. Sie muss darum entweder (idus elicüus, oder 
actus imperatm des Willen sein. Ebenso muss sie von der Richt- 
schnur, von der geordneten Vernunft und dem göttlichem Gesetze 
abweichen (1.2. q. 71. a. 6.). Nun lehrt der heil. Thomas, dass 
alle Thätigkeiten des Strebevermögens, des niedern wie des hohem, 
auch jenC; die der Aufinerksamkeit der Vernunft zuvorkommen, 
(ante advertentiam et deliberationem) sündhaft seien. Daraus folgt 
doch mit Evidenz, dass sie irgendwie unter der Herrschaft des 
Willens stehen, somit freie Thätigkeiten sind. Die motua pritno 
primi beweisen folglich gar nichts gegen die Lehre des heil. Thomas, 
dass der Wille subjectiv mit Bezug auf seine Thätigkeiten 
hier auf Erden absolut frei sei. Kommen auch einerseits 
manche derselben der Aufmerksamkeit der Vernunft zuvor, so 
kann doch andererseits die Vernunft darauf aufinerksam werden 
und dadurch über dieselben frei disponieren. Thut sie es nicht, 
vernachlässigt sie diese ihre Pflicht, so ist sie dafl}r verantY^ortlich. 



— 123 — 

Diese Unterlassang igt eine interpretativ und impntativ frei- 
willige. Die Lehre des heU. Thomas über die anhjective 
Freiheit des Willens bernht mithin auf Wahrheit und hat ihre 
tiefen GrHnde. Mit Eecht setzt der englische Meister das Wesen 
der Freiheit, in die Herrschaft Über die Thätigkeiten. Die ver- 
nünftigen Wesen besitzen deshalb Wahlfreiheit, weil sie Herr 
ihrer Thätigkeiten sind. Und sie sind darum Herr ihrer Acte, weil 
diese particaläre Guter bilden. Die vernünftigen Geschöpfe sind 
vor der seligen Anschauung Gottes irn Himmel ans dem Gründe 
subjectiv, quoad ea!ercäium actus, frei, weil keine ihrer Thätigkeiten 
das einzige Mittel ist, um die Gltlcksehgkeit zu erreichen nnd 
zn besitzen, die von ihnen mit Nothwendigkeit. gewollt wird. 
54. Es ist schwer zu begreifen, wie man dazu kommen konnte, 
gegen die Thqmisten den Voi-wni-f zu erheben, dass sie mit ihrer 
Lehre die Freiheit des Willens zerstörten. Dieser Vorwurf ist in 
Wahrheit nicht recht verständlich. Die Thomisten lehren mit 
ihrem Meister, die Willensthätigkei t der vernliuftigen 
Wesen sei eine dnrchatis freie. Gott hat den geschaffenen 
Willen so eingerichtet, dass derselbe zu seiner Thätigkeit frei 
hingeordnet ist. Diese freie transcen dentale Hinordnung liegt im 
Wesen des Willens, hängt darum nicht einmal, von Gottes Tliiitig- 
■keit, von Gottes Einflüsse ab. Das Wesen eines Dinges vermag; 
selbst Gott nicht nach Belieben einzurichten und ebenso nach 
Belieben zu ändern. Er kann ein vernünftiges Geschöpf nicht 
als ein unvernünftiges ins Dasein rufen. Ist es aber that- 
säehlicb einvernUnftiges, dann muss es mit eben derselben 
Nothwendigkeit auch ein frei es sein. Darum sagt der heil. Thomas 
mit seiner ihm eigenen Energie: et pro tanto homo est Uberi ar- 
hürii, quia est rotionalis naturae (1. Ip. q. 83. a. 1.). Liegt nnn diese 
freie Beziehung des Willens zu seiner Thätigkeit im Wesen 
der Wahlfreiheit selber, geht die innere natürliche Neigung 
des Willens dahin, stets eine freie Thätigkeit zu entfalten, so 
kann Gott den Willen auch nicht anders als frei bewegen. Die 
innere Natur eines Dinges vermag er nicht umzuändern, und 
gegen diese innere, natürliche Neigung des Willens han- 
deln kann er auch nicht. Das wäre Gewalt, Zwang. Zwingen 
aber lässt sich der Wille der Geschöpfe nicht. Zutreffend bemerkt 
daher der englische Lehrer, Gott bewege jedes Ding der Neigung 
und den Bedingungen desselben genau entsprechend. Der 
Wille muss demnach frei bewegt werden, denn so fordert es 
seine innere natürliche Neigung. 

Eine innere, natürliche, aber nothwendigie Neigung besitzt 
der Wille bloß zum universellen, zum allseitig vollkommenen 
Gut. Die Thätigkeit aber ist kein nniverselles Gut, kein Gut 
in jeder Beziehung, sondern etwas Particnläres, ein be- 
sebränktee, und . darum mit Unvollkommenheif 



— 124 — 

Gut. Würde Gott den Willen zu der Thätigkeit mit Noth- 
wendigke.it bewegen, so müsste er vorerst die innere natürliche 
Neigung desselben zu dieser Thätigkeit ändern, was er nicht kann ; 
oder er müsste den Willen gegen die ihm entsprechende innere Nei- 
gung bewegen, was gleichbedeutend ist mit Zwang; oder er müsste 
endlich dem Willen die Thätigkeit als ein universelles Gat 
darstelien, d.h. er müsste den Willen betrügen, einfach täuschen. 

Der Wille hat ebenso eine' innere natürliche, aber noth- 
wendige Neigung zu dem Mittel, durch welches das End- 
ziel, sein eigentliches und Hauptobject, erreicht wird, wenn dieses 
Mittel das einzige ist, das zum Ziele führt. Nun begehrt zwar 
der Wille das Gut und die Glückseligkeit im allgemeinen mit 
Nöthwendigkeit. Allein die Thätigkeit des Willens ist 
•für ihn hie^ auf*Erden keineswegs das einzige Mittel,, um glück- 
lich zu sein. Er begehrt sehr oft gerade ß.\Q Unthät.igkeit, 
um sein Glück zu erreichen oder auch) um in seinem Glücke jiicht 
gestört zu werden. Bewegt nun Gott den Willen mit Nöth- 
wendigkeit, so muss er ihm die Thätigkeit als einziges 
Mittel darstellen, er muss ihn abermals täuschen .und ihm die 
Möglichkeit benehmen, irgendeinen Gegenstand als Scheingnt 
anzustreben. Wir sagen, hier auf Ei'den müsste die Thätigkeit dem 
Willen als einziges Mittel zu seinem Glücke vorgestellt werden, 
was aber thatsächiich nicht der Fäll ist. Im andern Leben wird 
dieses eintreffen. . Da erkennt die Vernunft, dass die Thätigkeit 
des Verstandes und Willens das einzige JVfittel sind, um den 
Gegenstand, wodurch der Mensch für immer glücklich ist, dauernd 
zu besitzen, im Vollgenusse der Seligkeit zu bleiben. Darum ist 
die Thätigkeit des Willens in. der andern Welt eine natür- 
liche und nothwendige, d.h. eiirigei*mai3en unfreie. Sie ist 
dieses nicht etwa deshalb, weil sie ein universelles Gut wird, son- 
dern sie ist es aus dem Grunde, weil die Vernunft dem Willen 
die Unthätigkeit, das Ablassen von der Thätigkeit nicht als ein 
höheres, besseres Gut darstellen kann denn die Thätigkeit ist, 
welche in der Anschauung Gottes besteht. 

Wie ist es auch nur denkbar, dasö eine Doctrin, wie wir sie 
aus S. Thomas dargelegt und wie sie von den Thomisten Wort 
für Wort vertheidigt wird, die Freiheit des Willens schädige? 
Noch ausdrücklicher kann die Willensfreiheit nicht mehr betont 
werden als es hier geschieht. Von der Lehre Calvins oder des. 
Jansenius ist die Doctrin des heil. Thomas sterneuweit entfernt 

Viel eher zerstören jene Autoren die Freiheit des Willens, 
welche behaupten, dass der Wille nicht alle seine Acte nicht 
vollziehen könne,- sowie ferner: dass Gott den Willen auf natür- 
liche und nothwendige, d. h. unfreie Weise zum Gut und 
zu der Glückseligkeit im allgemeinen bewege. 



II. Kapite]. 

Die Thätigkeit des Willens der vernünfligen Wesen. 

§ 7. Die Willensthatigkeit oder der Wülensact, 

55. Wir haben bisher den Willen als Vermögen einer ge- 
nauen Betrachtung nnteizogen, und eingehend nächgewiesen, zu 
welchen Dingen und in welcher Weise er zu dieaea Dingen 
tranecendental hingeordnet ist. Das Keenltat dieser Untersuchung 
wird iUr die Leser dieser philosophischen Arbeit, eo hoffen wir, 
nicht zweifelhaft sein. Namentlich ist es die Lehre des englischen 
Meistere über die Wahlfreifieit des Willens, die unsere volle Auf- 
merksamkeit verdient. 

Der Name Vermögen oder Potenz kommt in Terachiedener 
Bedeutung vor. Manchmal versteht man darunter alle Eigenschaften 
«der Proprietäten, die nattu^emäB anf die Wesenheit der Seele 
folgen, ohne KUcksicht daranf, ob sie einer Thätigkeit dienen 
oder nicht (1. dist. 3. q. 4. a. 1.). Gewöhnlich jedoch nennen die 
Philosophen jene Eigenschaften, welche zu einer Thätigkeit Be- 
ziehnng haben, Potenzen (1. c. ad 3.}. Die Potenz bedeutet dem- 
nach Boviel als Thätigkeitsprincip. Sie ist nicht das Princip quod 
oder welches thätig ist, das kommt dem Agens za, sondern das 
Princip ^o, wodurch das Agens eine Thätigkeit ausübt (1. p. q. 41. 
a, 5, ad 1.), Das Wesen der Potenz besteht somit nicht in einer 
Beziehung oder Relation des Principes zu der Thätigkeit, obgleich 
sie, wie wir früher gesehen haben, nach dieser Beziehung be- 
nannt wird, entsprechend dem Grundsätze : potentia dicitut- ad 



icns, diese Beziehung der 
ine relatio secundum dici, 
ist die Potenz wirkliches 



aäum. Damm erklärt der Doctor Angeli 
Potenz zur Thätigkeit, zum Acte sei ei 
nicht secundum esse. Ihrem Sein nach i 
Princip (1. dist. 7. q. 1, a. 2.), Daher gehört sie^jn die K,ategorie 
der Qualität, nicht in jene der Belation (de potentia q. 2. a. 2,). 
Die Potenz ist also im eigentlichen Sinne Princip einer 
Thätigkeit. Dies bedeutet sie in erster Linie, obgleich man auch 
von dem, was a<nfqehmei\de8 Pr^noip ist, qagt, es habe eine 
Potenz die Thätigkeit des -Agens aufzn«6hmen fl! (tist,-42. q. 1. 
a. 1. ad 1. et 2.). Dieses letztere ist im übertragenen Sinne zu 



— 126 — 

verstehen und bedeutet die Potenz in zweiter Linie (de potentia 
q. 1. a. 1.)* Da indessen das Thätigkeitsprincip zweifach ist, ein 
nächstes und ein entferntes, so fragt es sich, welches Princip mit 
dem Namen Potenz bezeichnet werde. • Der englische Lehrer be- 
hauptet, unter Potenz sei das nächste oder unmittelbare Princip 
einer Thätigkeit zu verstehen (1. dist. 45. q. 1. a. 3. ad 2.), 

Widerstreitet diese Lehre des heil. Thomas nicht der von uns 
früher aufgestellten Behauptung, dass der Wille an und für sich 
eine passive Potenz sei? Keineswegs; denn auch der englische 
Meister lehrt ganz dasselbe. Wird der Begriff passiv richtig 
aufgefasst, so kann von einem Widerspruche in der Lehre des 
h^il. Thomas nicht die Bede sein. Passiv nennen wir dasjenige, 
was sich wie der Stoff verhält. Die Eigenschaft des Stoffes liegt 
wesentlich darin, trag, uuthätig zu sein. Dagegen heißt activ 
dasjenige, was im Verhältnisse der Form steht. Die Form bildet 
das Princip flir die Thätigkeit. Nun ist aber dem heil. Thomas 
der Gegenstand, nämlich das Gut und das Endziel, die Form für 
den Willen, gleichwie das Intelligible die Form für den Verstand 
bildet (de virt. q. 2. a. 3.). Dasjenige, was nichts thut, muss ohne 
Zweifel passiv genannt werden. Der Wille aber thut nichts, wexin 
er nicht durch sein Object, das begehrenswerte Gut und Endziel 
in Bewegung, in Thätigkeit versetzt wird (de veritate q. 14, a. 2.). 

Und nicht bloß vom Objecte muss der Wille bewegt werden, 
damit er thätig wird, sondern er bedarf überdies noch einer Be- 
wegung, die von einem äußern Princip herkommt. Dieses äußere 
Princip muss den Menschen und Engel instigieren, damit sie be- 
rat heu, was zu thun ist. Der Philosoph nennt dieses äußere 
Princip Gott (Quodl. 1. a. 7.). Daraus folgt offenbar, dass der 
Wille, um nur von diesem zu reden, an und für sich, oder seinem 
Wesen nach passiv ist. Das Nichtdeterminierte verhält sich stets 
passiv. Der Wille aber ist in zweifacher Weise nicht bestimmt, 
hinsichtlich des Gegenstandes und mit Bezug auf seine Thätig- 
keit (1.2. q. 9. a. 1.). Er muss somit erst durch ein anderes 
Thätigkeitsprincip werden. Wodurch dieses geschieht, werden 
wir ohne besonders große Mühe dann ersehen, wenn 'wir die 
Thätigkeit überhaupt einer Untersuchung werden unterworfen 
haben. 

56. Wie in der deutschen Sprache die Ausdrücke: wirken, 
verursachen, thun, handeln u. s. w. eine Thätigkeit in sich be- 
greifen^ so bedifnt sich auch die lateinische Sprache verschiedener 
termini, um die Thätigkeit eines Dinges damit zu bestimmen. 
Wir nennen hier nur die gebräuchlichsten aus dem heil. Thomas. 

Der Name : „Thätigkeit'' bezeichnet an sich etwas Abstractes^ 
etwas nach Art der Substanz für siph'B^teljreudes. 'Wird er da- 
• gegen concfet .^enommöp, so bedeutet 'er ein Thätigsein und be- 
zeichnet ein Subject, das Agens, welchem die Thätigkeit angehört, 



— 127 — 

iD welcbem sie ist nad toq welchem sie aasgebt. Im beil. Tbomas 
finden eich verschiedene Ausdrucke, womit die Tlia.ti^keit eines 
Dingee bezeichnet wiid. IJald nennt der englische Lehrer sie Act, 
aäm, bald actio oder auch operatio. 

Das Wort: „Act" bedeutet zunächst eine Form, durchweiche 
einem andern irgend ein Sein verliehen wird. So ist z. B. die 
Fai-be dasjenige, wodurch einem Gegenstande das Oefärbtsein, 
das Licht dasjenige, wodnrch einem Dinge das Hcliaein, oder 
das Beleuchtetsein zutheil wird a. s. w. Dieser Act gibt indessen 
ein Sein uicbt als wirkende fcausa efficimsj, sondern als Ibrmelle 
Ursache Ccausa formaltsj. Aus diesem Grunde bezeichnet er, wie 
schon bemerkt, eine Form. In diesem Sinne tuUssen wir also die 
Thätigkeit definieren als dasjenige, was formell, oder nach Art 
der Form bewirkt, dass ein Ding thätig ist und so genannt wird. 
Die Form aber ist dem Subjecte iuncrlich and constituiert das- 
selbe innerlicb in einem substantiellen oder accidentelieu Sein. Die 
Thütigkeit eines Dinges ist somit dasjenige, wodurch eia äubjeci;, 
das Agens, innerlich und formell als thätig, in seinem Thätigseio 
coustitniert wii'd, wie z. B. die Existenz dasjenige genannt wird, 
wodurch eine Wesenheit innerlieh uad foiTsell in ihrem Öaaeiu 
constituiert wird. In allen diesen Fällen bildet der Act das furmelle 
Piincip quo oder wodurch ein Ding ein Sein bat ohne Rücksicht 
auf die wirkende Uraaehe, welche diesen Effect, dieses Sein 
hervorbringt. Die Form benennt ihr Subject, insofern nie demselben 
i n b ä r i e r t. In unseter Frage verstellen wir, demnach anter Willens- 
thätigkeit dasjenige Seiende (ens), wodurch der Wille innerlich 
nad formell thätig ist und so genannt wird. 

Das Wort: »Act", actus kann aber auch in einer andern Be- 
deutung genommen werden, insofern damit nicht die formelle, 
sondern die wirksame Ursache fcattsa efßcimsj bezeichnet wird. 
In diesein Sinue gebraucht der Doctor Angolicus den Ausdruck: 
„actio". Darunter verstehen wir dasjenige, wodurch das Agens als 
wirkeude Ursache thätig ist, Fragen wir wodurch ein Wesen auf 
ein anderes wirke, so wird uns die Autwort zntheil: durch 
seine Thätigkeit. Dasjenige, wodurch das Agens wirkt, ist, wie 
sich alsbald zeigen wird, ebenfalls eine Form, Allein in dieser 
zweiten Bedeutung wird diese Form oder der Act nicht als etwas 
einem Subjecte Inbärierendes aufgefasst, sondern als etwas, 
aus dem Agens Heraustretendes. Darum sagt der englische Lehrer, 
die Thätigkeit, die actio sei etwas vom Agens mittelst einer Be- 
wegung Ausfließendes (actio secundum giforf est praedicamenfum, 
dicH oiiquid fluens ab agente cum motu) {l . dist.8. q.4'. a. .3. ad 3.), 
Die Thätigkeit ist also dem beil. Thomas in erster Linie 'nichts 
auderes, als der Ausgang oder der Ursprung einer Bewegung.. 
Durch die Bewegung- wird ein Ding aus' seiner fiTäbcren Di^ipo- - 
siiiou gebracht, was ohne einen zureichenden Grund sei bstv erstand- 



— 128 — 

lieh nicht geschehen kann. Die Bewegung heißt anch Leiden, in- 
sofern sie nämlich von einer Ursache ausgeht, dem BewegUehen 
mitgetheilt nnd Ton diesem aufgenommen wird. DenAnsgang- 
oder Ursprung dieser Bewegung nennt man mit Bezug auf den 
Anstoß, welchen die Bewegung erhält, und mit Rücksicht auf das 
Bewegliche, in welchem sie abschließt oder terminiert, actio, Thätig- 
keit (1. p. q. 41. a. 1. ad 2.). In diesem Sinne verstehen ¥nr also 
unter Thätigkeit dasjenige, was vom Agens ausgeht und wodurch 
dasselbe einem andern seine Ähnlichkeit mittheUt, indem es ein 
anderes aas dem Zustande der Möglichkeit, der Potenz, in jenen 
der Wirklichkeit, in den Act, überfahrt. Das Agens ist durch seine 
Thätigkeit in aetu, in der Wirklichkeit Wenn es ' nun bevnrkt, 
dass ein anderes ebenfalls wirklich wird, iu adu ist, so macht 
es damit dieses andere sich ähnlich, theilt es dem andern seine 
Ähnlichkeit mit. Darin aber besteht eigentlich und wesentlich das 
Thätigsein eines Dinges (1. p^q. 11 5. a. 1.). 

Daraus ergibt sich, dass die Thätigkeit als actio, obgleich 
dem Subjecte inhärierend, doch nicht als formell inhärierend 
anfgefasst wird, wie d^r Act, sondern als etwas, was ans dem 
Agens hervorgeht, und in einem andern seinen Abschluss findet 
Dasjenige, wodurch das Agens auf ei|i anderes wirkt, ist 
wiederum eine Form, denn durch die Form ist es selber in aäu, 
und die Ähnlichkeit .der Form ist es, die nach Möglichkeit dem 
andern mitgetheilt wird. Der Stoff als solcher, oder was sich wie 
Stoff verhält, die Potenz als solche, ist niemals thätig, ihre Ähn- 
lichkeit kann sie keinem andern mittheilen. Den tiefem Grund 
daftir werden wir noch kennen lernen. 

57. Die Thätigkeit der Geschöpfe helBt noch aus einem 
andern Grunde „Act^. Obgleich sie nämlich ein Effect, eine 
Wirkung der wirksamen operativen Potenz ist, so bleibt sie doch 
als Act des activen Principes in diesem Principe, in ihrer Ursache. 
Wir sagen ausdrücklich die Thätigkeit der Geschöpfe, denn in 
den Creaturen ist die Thätigkeit ein Accidens, somit sachlich, 
real von der Substanz und der activen Potenz unterschieden. 
Jedes positive Accidens aber verhält sich zu dem Subjecte, in 
welchem es ist, wie die Form oder der Act, und das Subject 
steht im yerh4ltnisse der aufoehmenden Potenz; daraus folgt, 
dass die Thätigkeit der Geschöpfe, obwohl ein Effect der 
operativen Potenz, dennoch Form oder Act dieser Potenz genannt 
wer4en niuss. ' 

Dass die Thätigkeit der Geschöpfe eine Wirkung, ein Effect 

sei, l^st sich ans folgender Stelle ^des heil. Thomas beweisen. 

Wo immer es mehrere*^ untergeordnete Thätige gibt, da wird das 

; niedere Agens vom hOhem ;bewe^, wie ^. ^. im Menschen der 

• Leib von der Seele uitd die niedern ErlSt^ von der Yerdunft. 

Daher sind die Thätigkeiten und die Bewegung des nntergeord- 



— 129 — 

neten Principes nicht so sehr Thätigkeiten, als vielmehr Wir- 
kungen (bp^o^o^. Mit Bezug anf des erste Princip dagegen 
ist es Tbätigkeit im eigentlichen Sinne (3. p. q. 19. a. 1.). Es 
kann aber anch gar nicht anders sein. Die Thätigkeit ist ein 
Seiendes, ein ens. Jedes Seiende muss eine wirkende Ursache 
haben. Gott allein hat keine wirkende Ursache. Das Agens 
mnss demnach für seine Thätigkeit die wirksame Ursache bilden. 
Dies mnsomehr, als die Thätigkeit nicht ein accidens proprium 
ist, welches aus den constitutiven Principien der Wesenheit per 
modum naturalis resuitantiae hervorgeht, sondern ein accidens per 
accidens. 

Der zweite von uns vorhin ausgesprochene Satz war, dass 
die Thätigkeit der Geschöpfe im Agens als ihrem Subjecte sei, 
und s u b j e c t i V im Agens bleibe. Vor allem müssen zwei Arten 
von Thätigkeiten unterschieden werden: solche, die im Agens 
bleiben ((zdio immanens), und solche, die auf einen Effect, der 
aaJBerhalb des Agens existiert, übergehen resp. einen solchen 
Effect hervorbringen (actio transiens). Der Gegenstand oder das 
Object, welches wir als den terminus der Thätigkeit bezeichnen, 
ist bei der actio immanens im thätigen Subjecte selbst, nicht außer- 
halb desselben. Darum nennen wir diese Thätigkeit eine immanente. 
Der englische Lehrer zählt drei Arten dieser immanenten Thätig- 
keit auf: Erkennen, Wollen und Empfinden, letzteres nur mit einer 
gewissen Einschränkung. Bei der übergehenden Thätigkeit steht 
das Object, der terminus, auf welchen die Thätigkeit des Agens 
gerichtet ist, aaßerhalb des Agens. Wir können unmöglich alle 
diesbezüglichen Stellen des heil. Thomas hier anführen und be- 
gnügen uns daher mit der einen und der andern. So bemerkt er 
z. B. einmal : „Obgleich bei den Thätigkeiten, die auf eine äußere 
Wirkung tibergehen, das Object dieser Thätigkeit, das als terminus 
bezeichnet wird, etwas außerhalb des Agens Existierendes ist, so 
ist doch bei den Thätigkeiten, die im Agens bleiben, das Object 
oder der terminus im Agens selbst. Das Agens dieser Art ist in 
der Wirklichkeit thätig (operaiio in actu) insofern das Object 
in ihm ist (1. p. q. 14. a. 2.). Es gibt somit zwei Thätigkeiten, 
wie der Philosoph im 9. Buche seiner Metaphysik lehrt: die eine 
geht auf eine äußere Materie über, z. B. erwärmen, schneiden; 
die andere bleibt im Agens, z. B. erkennen, wollen, empfinden. 
Sie unterscheiden sich dadurch voneinander, dass erstere nicht 
eine Vollkommenheit für das Agens bildet, welches bewegt, son- 
dern für dasjenige, was bewegt wird; letztere dagegen ist eine 
Vollkolnmenheit für das Agens selbst. Weil nun aber die Be- 
wegung ein Act des Beweglichen ist, deshalb heisst die zweite 
Thätigkeit die. immanente, insofern sie ein Act des Agens, nur 
ähnlichsweise Bewegung. Gleichwie nämlich die Bewegung 
ein Act des Beweglichen, ebenso ist die immanente Thätigkeit 

Feldner, WillenBfreiheit. 9 



— 130 — 

ein Act des Agens. Während aber die Bewegung auf die Thätig- 
keit eines Unvollkommenen hinweist, dessen nämlich, was in der 
Möglichkeit, in der Potenz existiert, bildet die immanente Thätig- 
keit den Act eines bereits Vollkommenen dessen, was in der 
Wirklichkeit, in actu ist" (1. p. q. 18. a. 3. ad 1.). Man vergleiche 
noch dazu: 1. p. q. 23. a. 2. adl. — ib. q. 27. a. 1. a. 2. a. 3. 
a. 5. — ib. q. 28. a. 4. u. s. w. 

In allen diesen Stellen des englischen Meisters findet unsere 
Behauptung, die Thätigkeit der Geschöpfe sei ein Effect, eine 
Wirkung, die als acddens dem Agens inhäriert, ihre volle Be- 
stätigung. Mit Bezug auf die immanente Tbätigkeit unterliegt 
diese Sentenz gar keinem Zweifel, weil S. Thomas ausdrücklich 
betont, dass die Thätigkeit dieser Art im Agens bleibe. Allerdings 
spricht er, wie die Stellen deutlich beweisen, unmittelbar nur den 
Grundsatz aus, das Object oder der termimcs, mit welchem sieb 
die Tbätigkeit befasst, sei etwas dem Agens Innerliches. Allein 
er lehrt andererseits auch, dass diese Thätigkeit fär das Agens 
eine Vollkommenheit bilde. Dies ist aber nur möglich, wenn das 
acddens im Subjecte selber ist, das Subject informiert. Formell 
wird jedes Ding dadurch vervollkommnet, dass es die betreffende 
Vollkommenheit besitzt, in sich hat. Die immanente Thätigkeit 
der Geschöpfe ist mithin subjectiv im Agens selber, weil sie ein 
acddens, picht eine Substanz bildet. 

58. Eine größere Schwierigkeit erhebt sich bezüglich der 
Thätigkeit, die auf ein anderes übergeht (aäio transiens), Dass 
auch die Thätigkeit dieser Art ein Accidens ist, steht außer 
Frage. Welchem Subjecte inhäriert nun dieses Accidens? Für 
sich bestehen kann es nicht, weil es Accidens, nicht Substanz ist. 
Wir werden einen Unterschied machen müssen, um der Lehre 
des heil. Thomas nahe zu kommen. Die übergehende Thätigkeit 
inhäriert ihrem Wesen nach dem Subjecte, von welchem sie 
aufgenommen wird. Indessen geschieht dieses nicht formell, 
insofern sie Thätigkeit des activen Principes ist. In diesem Sinne 
ist sie im Agens, weil sie vom Agens ausgeht. Sie befindet 
sich im Agens als dem eigentlichen Prineipe, der eigenen Ursache. 
Das Agens ist sozusagen das Fundament der Thätigkeit. S. Tho- 
mas äußert sich hierüber wie folgt: „Nachdem der Philosoph 
gezeigt, dass die Bewegung ein Act des Bewegers und Beweg- 
lichen ist, wirft er dagegen eine Schwierigkeit auf. Der Act kann 
nämlich dem activen und dem passiven Principe angehören, denn 
der Beweger wie das Bewegte übt eine Thätigkeit aus. Der Act 
des activen Principes wird Thätigkeit (actio), jener des passiven 
Leiden (passioj genannt. Beide aber, die Thätigkeit und das 
Leiden, bilden eine Bewegung, sind mit derselben identisch. 
Entweder sind nun die Thätigkeit und das Leiden eine und die- 
selbe Bewegung, oder aber verschiedene. Sind es verschiedene, 



— 131 - 

80 mu3s jede derselben in einem Snbjecte seia, folglich entweder 
beide im leidenden nud bewegten, oder die eine, nSmlicli die 
Thätigkeit, im Agens, und die andere, das Leiden, im Leidenden. 
Wenn jemand sagt, die Sache verhalte sieh umgekehrt, das Leiden 
sei im Agens, und die Thätigkeit im leidenden Snbjecte, so bedient 
er sieb offenbar eines Sophismas, indem er das Leiden Thätigkeit 
nnd diese letztere Leiden nennt. Behauptet hingegen jemand, die 
Thätigkeit sei im Agens und das Leiden im Leidenden, so folgt, 
daes die ^Bewegung im'Beweger ist, deun «die Thätigkeit ist due 
Bewegung. Dann wird aber der Beweger selbst ebenfalls bewegt, 
weil dasselbe vom Bewegei- ausgesagt werden muss, wie vom 
Bewegten, nämlich, dass dasjenige, in dem die Bewegung ist, 
bewegt wird. Oder vom Leiden gilt dasselbe, wie vom Agens, 
und dann folgt der Widerspruch : dass entweder jeder Beweger 
gelt)er auch bewegt wird, oder dass etwas eine Bewegung hat 
ohne bewegt zu werden. Die Thätigkeit ist aber der Act des 
Agena. Ist sie nun im Leidenden, nicht im Agens, so folgt, daas 
der eigene Act nicht in demjenigen sich befindet, dessen Act er 
ist." — Wie lassen sich nun diese Widersprüche ausgleichen? 

„Die Thätigkeit nnd das Leiden sind eine und dieselbe Be- 
wegung, nicht dergn zwei. Insofern diese Bewegung vom Agens 
ansgeht (est ab agerUeJ, hei£t sie Tfaätigkeh, und insofern sie im 
Leidenden aufgenommen ist, Vird sie Leiden genannt. Die 
Thätigkeit des Agens ist also gewissermasscD im Leidenden, der 
Act des einen im andern. Dies ist nun aber ganz gut möglich. 
So ist z. B. das Lehren, die Thätigkeit des Lehrens im Magister. 
Sie geht von ihm aus und nimmt beständig, ohne Unterbrechung 
die Richtung zu einem andern hin. Diese Thätigkeit gghSrt folglich 
dem Agens als demjenigen an, von welchem sie ausgeht, im 
Leidenden aber, z. B. im Schuler, ist sie als etwas Aufgenommenes. * 
Ein Widerspruch wäre nur dann vorbanden, wenn die Thätigkeit 
des einen auf die nämlicheWeise, auf welche sie Thätigkeit 
in dem einen ist, es auch im andern wäre" (physic. lib. 3. lect. 5. 
ed. nov.). 

Aus diesen Worten des englischen Heisters folgt die Be- 
stätigung unserer frtiher aufgestellten These. Jede Bewegung ist , 
im Beweglichen und jede Thätigkeit der Geschöpfe bildet ihrem 
Wesen nach eine Bewegung. Daher ist die Thätigkeit ihrem 
Wesen nach im Leidenden als ihrem Subjecte. Dararii bemerkt 
der heil. Thomas anderswo, die Thätigkeit, welche auf einen 
äußern Gegenstand tibergeht, sei sachlich, in Wirklichkeit (realiter) 
ein Mittelding zwischen dem Agena und dem Subjecte, in welchem 
die Thätigkeit aufgenommen wird. Die Thätigkeit dagegen, welche 
ini Agens bleibt, bilde nicht real ein Mittelding zwischen dem 
Agens und dem Objectc, sondern bloß gemäss der Bezeichnung 
(seeundum modum significandi). Der Doctor Augelicus unterscheidet 



-^ 132 — 

• 

somit ganz deutlich das Subject, von welchem diB Thätigkeit 
anfgenommen wird vom Agens, welches das andere Elxtrem ana- 
macht. Zwischen diesem Subjecte und dem Agens steht der 
Wirklichkeit nach (realiter) die Thätigkeit selber in der Mitte 
(1. p. q. 54. a. 1. ad 8.). 

Weiter bemerkt S. Thomas, es ergebe sich kein Widerspruch, 
wenn der Act des einen in dem andern ist. Ein Widerspruch 
wäre nur dann nachweisbar, wenn der Act des einen auf die- . 
selbe Art in dem eitien und dem andern sich fände. \yir wissen 
aber, dass diese Thätigkeit, dieser Act, Act des activen Principes 
insofern ist, als er vom Agens ausgeht. Unter di^*ser For- 
malität befindet er sich aber nicht im Leidenden. Vom Leidenden, 
Passiven geht keiue Thätigkeit aus, dieses kann vielmehr nur 
eine Thätigkeit empfangen und in sich aufnehmen. Als vom 
Leidenden aufgenommene Thätigkeit ist sie Act des Passifcn. 
Somit ist die Thätigkeit des Agens dieser Art, weil vom Passiven 
aufgenommen, subjectiv im Leidenden. Sie ist es jedoch nicht 
formell, als Thätigkeit, die vom Agens ausgeht, denn sonst 
mfisste man das Leidende, das Passive, Agens nennen. Jede 
Form, die einem Subjecte formell oder als Form mitgetheilt 
wird, benennt das entsprechende Subject formell. Vom Leiden&en, 
Passiven kann aber dicht formell ausgesagt werden, es sei ein 
Agens. Folglich ist die Thätigkeit des Agens, insofern sie formell 
von demselben ausgeht, nicht im Passiven, im Leidenden. Ein 
und dasselbe kann unmöglich zu gleicher Zeit und unter d«m- 
selben Gesichtspunkte Agens und Patiens sein. Darum ist die 
Thätigkeit fqrmell als solche, und insofern sie vom Agens 
ausgeht, su^bjectiv nicht im Leidenden. la diesem ist sie als 
aufgenommene Form, die ein mehr oder minder bleibendes, oder 
vorilbergehendes Sein hat, solange eben die Bewegung andauert 
59. Wo ist aber dann die Thätigkeit als solche oder anter 
dieser Formalität subjectiv? Im Passiven^ haben wir gesehen, 
kann sie nicht sein. Im Agens scheint sie ebenfalls nicht sub- 
jectiv zu sein, denn sie ist etwas vom Agens AusflieBendes 
(est aliquid fluens ab agenJte cuv^ motu). Die Thätigkeit als solche 
nämlich unter dieser Formalität ist in gar keinem Subjecte. 
Allein da sie keine Substanz, sondern ein Accidens ist, hat sie ihr 
subjectives Sein i m A g e n s, im thätigen Vermögen, in der operativen 
Potenz. Diese Lehre trägt der englische Meister zweifellos an ver- 
schiedenen Stellen vor. Wir wollen einige derselben examinieren. 
Vor allem kann nach dem heil. Thomas etwas auf dreifache 
Weise in einem andern sein: wesentlich, vorausgehend (antecedenUr) 
und begleitend (concamitanter) oder nachfolgend. Ninmut man die 
Übergehende Thätigkeit consecutiv, d. h. i^ls dasjenige, was auf 
Orund der Thätigkdt im 'Leidenden, Passiven, zurttckbleibt, als 
Bewegung und ausflicBende Form, so ist klar, dass die TUitig- 



'...... -L 133 — ■ . _ ... 

keit snbjectiy im Leidenden eick befindet. Die Erhitzung >des 
Wassers z. B., oder die im Waaeer durch das Feaer vermittelst 
der Krhitznng hervorgebrachte Wärme ist sabjectiv im Leidenden,) 
im Wasser. Ans diesem Grunde bildet die Thätigkeit für das 
Passive oder Leidende eine Vollkommenheit. Wenn man also 
sagt, die Thätigkeit sei eine Vollkommenheit für das Leidende, 
so ist das eine Aassage per concomitantiam, nämlich in dem Sinne, 
dass durch die abergehende Thütigkeit dem Leidenden eine Voll- 
kommenheit zntheil wird. Ähnlich verhält es sich, wenn man sagt, 
die Abstractionskraft, der intellectvs agens, sei seine eigene Tbätig- 
keit. Diese Aussage geschieht ebenfalls per concomitantiam oder 
■per causam, indem nämlich der Abstractionskraft die Thäti^'keit 
folgt. Keineswegs aber wollen wir damit ansdrüoken, dass diese 
Kraft mit ihrer Thätigkeit sachlich identisch sei (praedicatio 
essentialis). Fassen wir dagegen die Thätigkeit als vorauBgehend, 
Dämlich als Form des Agens, die das nächste, unmittelbare Princip 
der Thätigkeit bildet, so ist die Thätigkeit subjectiv im Agens. 
Die Erhitzung, genommen als Wärme, die das unmittelbare Princip 
der Erhitzung des Wassers bildet, ist offenbar subjectiv im 
Feuer. Wird endlich die Thätigkeit wesentlich (essmtialittr) 
ausgesagt, nämlich das Verhältnis des Agens zum Leidenden da- 
darch bezeichnet, dann bedeutet sie das Herausfliegen, den Aus- 
gang der '^hätigkeit,- wodurch die Form im Leidenden hervor- 
gebracht wird. So kann man z. ß. die active Mittheilung der 
Wärme'des Agens, des Feuers und durch das Feuer, die dem 
Wasser ztftheil wird, als eine Tl^ätigkeit aiiffassen. Diese Thätig- 
keit mnsB aber danti in zweifacher Weise in Betracht gezogen 
werden. Erstens mit Bezng auf die Ai-t der Bezeiclmung. In 
diesem Sinne is't die Thätigkeit subjectiv nicht int Agens, 
d. h, wir wollen mit dem Worte' „Thätigkeit" nicht andeuten, dass 
dieselbe im Agens als ihrem Subjecte sei, obgleich sie that- 
aäcblieh im Agens sich befindet. Zweitens wird mit dem- Worte 
^Thätigkeit" auf die damit bezeichnete Sache hingewiesen. In 
dieser Bedeutung verstanden, ist die Übergehende Thätigkeit im 
Agens selber, denn etwas kann sehr wobt einem andern inhalieren, 
was jedoch nicht als inhärierend bezeichnet ,wird. Die Thätigkeit, 
haben wir frUher gesehen, besagt an und fUr sich eicht, dass 
etwas inbäriere, denn wir wollen damit nicht von derselben aus- 
sagen, dass sie in dem Agens sei, sondern' dass sie vom Agens 
ausgehe. Nichtsdestoweniger ist die Thätigkeit im Agens. Man 
vergleiche: L p.q.54. a. 1, ad 1. — 1.2. q. 3. a. 3. *— ib. q. 6. 
a. 8. — ih. q. 19. a. 6. — ib. q. 76. a. 3. a. 4, — de veritate q. 25. 
a. 1. ad 1. bezüglich der dreifachen Art, auf welche etwas in einem 
andern ist. — Darüber, dass die Thätigkeit im Agens selber ist 
cfr. de poteotia q. 7. a. 9. ad 7. — ib. a. 10. ad 1. — 1 . dist. 32. 
q. I. a. 1. — ib. dist. 40. q. \. a. 1. ad 1. 



. , — 134 — . • ... 

• Aus diese!" Darlegung des Doctor Angelicus ergibt sich mit 
aller Bestimmtheit, dass die Thätigkeit im Agens als ihrer 
»Ursache ist, obgleich sie nicht als inhärierend benannt wird. 
Jedes Accidens, und ein solches ist die Thätigkeit, mnss in der 
Substanz sein, dessen Accidens es bildet. Darum bemerkt der 
englische Meister an einer Stelle Folgendes: ^DieArt der Benennung 
richtet sich nach der verschiedenen Natur des Agens. Manche 
Gattungen bezeichnen ihrem Wesen nach ein Ding als inhärierend, 
z. B. die Quantität und die Qualität. In diesen Dingen stützt sich 
die Benennung jederzeit auf eine inhärierende Form, die Princip 
für ein substantielles oder accidentelles Sein ist. Andere bezeichnen 
ihrem Wesen nach etwas von einem andern Seiendes, nicht 
etwas Inhärierendes. Besonders gilt dies bezüglich der Thätigkeit 
(actio). Die Thätigkeit als solche bedeutet etwas von einem 
andern Seiendes. Wenn sie nichtsdestoweniger in einem Agens 
sich befindet, so ist das fbr sie zufällig, nicht wesentlich. Sie muss 
in einem Agens sein, wenn sie Accidens, nicht Substanz ist Wäre 
sie z. B. nicht Accidens, so würde sie nicht inhärieren und trotz- 
dem das Agens benennen, wie es in Gott der Fall ist. Wir 
sagen von Gott die Thätigkeit aus, obgleich sie «ihm nicht in- 
häriert, weil sie in ihm nicht Accidens ist. Gott nennen wir aus 
dem Grunde thätig) weil die Thätigkeit von ihm ausgeht^ (1. di8t.32. 
q. 1. a.fl.). Noch deutlicher spricht er sich anderswo darüber aus: 
„Weil die Thätigkeit im Agens und das Leiden im Leidenden ist, 
deshalb kann nicht das numerisch eine Accidens^ z. B. die Thätig- 
keit als Accidens, und .das Leidqp als Accidens sachlich ein und 
dasselbe sein. ;^in Accidens findet sich nie in verschiedenen Sub- 
jecten. Darum bemerkt Avicenna, dass in zwei Dingen, die* spe- 
cifisch gleich sind, nicht numerisch eine Gleichheit sein könne** 
(2. disfr. 40. .q. 1. a. 4. ad. 1.). ' 

Es ist somit klar, dass auch die übergehende Thätigkeit, die 
actio transiens im Agens selber sich befindet. Sie ist und bleibt 
ein Accidens, welches der thätigen Potenz inhäriert. Der Unter- 
schied zwischen der immanenten und transeunten Thätigkeit be- 
steht darin, dass dasjenige, was durch die immanente verursacht 
und hervorgebracht wird, im Agens selber bleibt, während bei 
der übergehenden das, was sie verursacht, von einem äußern Sub- 
jecte aufgenommen wird. Die transeunte Thätigkeit selbst geht 
nicht über ihrer Wesenheit nach, sie bleibt als Accidens im 
Agens. In diesem Sinne bildet nicht a,llein die inunanente, sondern 
auch die transeunte Thätigkeit fbr das Agens eine VoUkonmienheit. 
60. Endlich haben wir noch eine andere Bezeichnung der 
Thätigkeit kurz zu betrachten : die Operatio. Der englische Lehrer 
bemerkt, die übergehende Thätigkeit werde eigentlich actio, die 
immanente eigentlich operatio genannt Seine Worte sind: „Die 
Thätigkeit (actio) ist zweifach : die eine geht vom Agens aus und 



— 135 — 

anf eine äußere Materie Über. Diese verhält sich wie das Erlenchteo, 
Hellmachen (iUuminare). Die andere geht nicht auf eine Materie 
Sfaer, sondern bleibt als Vollkommenheit im Agens selbst. Diese 
verhält sich wie das Hellaein (lucere). Erstere heißt eigentlich 
adio, letztere operatio. Beide kommen darin Uberein, dass sie nur 
von einem Subjeote ausgehen, welches wirklich (in adii) und 
insofern es wirklich ist. Ein Körper ist nicht bell, außer er besitzt 
in der Wirklichkeit Licht. Ebenso kann er nicht Licht ausstrahlen, 
andere Gegenstände belencbten und erhellen, wenn er selbst in 
der Wirklichkeit kein Licht hat" (de veritate q. 8. a. 6.). 

Die Thätigkeit der Geschöpfe ist demnach nichts anderes 
als eine aecidentelle Form, welche vom Agens, der thätigen wir- 
kenden Potenz, mittelst der Bewegung ausgeht oder ausfließt, und 
in einem Snbjecte aufgenommen wird. Wir sagen die Thätigkeit 
der Geschöpfe, denn die Thätigkeit Gottes ist sachlich ein und 
dasselbe mit seiner Wesenheit, der substantiellen Form, Darum. 
erklärt S. Thomas, künne man von Gott nicht sagen, er wirke 
mittelst der Thätigkeit, wenn man unter dieser Thätigkeit das 
versteht, was im Prädicamente, in der Kategorie : „Thätigkeit' 
einbegriffen ist. Diese Aussage mltsse bloß als eine analoge auf- 
gefasst werden (1. dist. 8. q. 4. a. 3. ad 3.). Gott ist uicht durch 
eine Bewegung thätig (2, dist. 17. q. 1, a, 2. ad 4. — ib. dist. 18. 
q. 2. a. 2.). Jede gescbijpfliche Thätigkeit hingegen gehört der 
Kategorie: „Thätigkeit" an, weil sie durch eine Bewegung sich 
vollzieht und Überdies sachlich nicht ein und dasselbe ist mit der 
Wesenheit, weder mit der Wesenheit der Substanz noch mit jener 
des Vermögens oder der Potenz. Sie bildet hinsichtlich beider 
etwas Hinzugefügtes, ein Aceidens. Dies führt uns zu der Unter- 
suchung Über den sachlichen realen Unterschied der Tliäiigkeit 
von ihrem nächsten und entfernten Principe. 

§ 8. Das Verhältnis der Thätigkeit za ihrem Principe : zu 

der Wesenheit, zu der Potenz im passiven und activen 

Zustande. 

61. An rerscbiedenen Stellen erörtert der englische Lehrer 
die Frage, ob die Thätigkeit eines Geschöpfes mit der Wesenheit 
desselben sachlich identisch sei. Der Heilige verneint diese Frage 
niit dem Bemerken, dass die sachliche Identität der Wesenheit 
mit dem Thätigsein ausschließlich Gott zukomme. In den Creatuien 
dagegen sei ohne Ansnahme ein realer Unterschied anzuerkennen. 

Betrachten wir zunächst das Tollkommenste der Geschöpfe, 
den Engel. Die Verstaudesthätigkeit des Engels ist sachlich nicht 
ein und dasselbe mit seiner Wesenheit, denn die Thätigkeit eines 
Dinges steht weiter von der Wesenheit desselben ab, als die 
Eiistenz dieser Wesenheit. In einem Geschöpfe aber sind die 



— 136 — 

Substanz und das Dasein sachlich nicht ein und dasselbe. Dies 
ist Gott allein eigen. Weder im Engel, noch in sonst irgend einer 
Creatur ist folglich die Thätigkeit real identisch mit der Substanz 
oder Wesenheit. Der tiefere, innere Grund für diese Wahrheit 
muss darin gesucht werden, dass die Thätigkeit die Actualität 
oder Verwirklichung der Kraft ist, gleichwie das Dasein, die 
Existenz, die Actualität der Substanz oder Wesenheit bildet. Nun 
erweist es sich aber als geradezu unmöglich, dass ein Ding, welches 
nicht reine Wirklichkeit, actus purus, sondern mit einer Poten- 
tialität vermischt ist, seine eigene Actualität aufmache. Die Actua- 
lität widersti*eitet der Potentialität. Da nun kein Geschöpf reine 
Wirklichkeit ist — - denn Gott allein ist acttis punts — , so folgt 
mit zwingender Nothwendigkeit, dass die Wesenheit und Thätig- 
keit in den Greaturen nicht sachlich ein und dasselbe sein können. 

Dazu kommt noch ein weiterer Grund. Wäre nämlich die 
Verstandesthätigkeit des Engels mit der Substanz desselben real 
identisch, so müsste diese Thätigkeit etwas Subsistentes sein. 
Allein die subsistente Verstandesthätigkeit kann nur als einzige 
existieren, wie irgend ein subsistierendes Abstractes. Daraus würde 
aber dann folgen, dass die Substanz des einen Engels sich 
weder von der Substanz Gottes, welche subsistente Verstandes- 
thätigkeit ist, noch von der Substanz des andern Engels unter- 
scheiden könnte. 

In diesein Falle könnte es auch keine Abstufungen geben, 
indem der eine vollkommener versteht, als der andere. Die Ab- 
stufungen dieser Art sind nur möglich durch die Antheilnahme an 
der Verstandesthätigkeit (1. p.q.54. a.l.). Die Verstandesthätig- 
keit des Engels kann somit nicht real identisch sein mit der Sub- 
stanz oder Wesenheit desselben (4. contr. Gent. c. 11.). Darum 
haben sie auch nur das Bild des dreieinigen Gottes in sich. Das 
Wort und die Liebe bilden in ihnen aus dem Grunde nicht sub- 
sistente Personen, weil ihr Verstehen und Wollen sich real von 
der Wesenheit unterscheidet (de potentia q. 10. a. 1. ad 5.). Es unter- 
liegt demnach gar keinem Zweifel, dass die Thätigkeit des Engels, 
so gut wie die der übrigen Geschöpfe sich sachlich von der Wesen- 
heit unterscheidet. Die Thätigkeit bildet in ihnen die Actualität 
der operativen Potenz oder Kraft, gleichwie die Existenz 
Actualität der Wesenheit ist. Durch diese Actualität haben beide 
Wirklichkeit : die Wesenheit mit Bezug auf das Dasein, das Ver- 
mögen oder die Potenz im Hinblick auf die Thätigkeit. Niemand 
kann darum behaupten, wenn er überhaupt bei Sinnen ist /^nisi 
insanusj, die Thätigkeit der geschaffenen Substanz sei mit der 
Wesenheit real identisch. Mit Kecht unterscheidet darum Dionysios 
in den höhern Substanzen die Wesenheit von der Kraft und von 
der Thätigkeit (de spiritual. creat. a. 11.). 

Endlich ergibt sich die Unmöglichkeit der sachlichen Identitfit 



- 137 — 

von Wesenheit und Thätigkeit in den Geschöpfen auch daraus,, 
das» jede Creatnr mehrere ond gaoz versohiedene Thätigkeiteb 
sDSflbt, während die Wesenheit derselben nur eine einzige ist. 
Diese Mehrheit nnd Verschiedenheit kann Dur erklärt werden, 
wenn das nächste, unmittelbare Frineip der Thätigkeit gleich- 
falls als ein Mehrfaches, Verschiedenes angenommen wird. Daher 
bemerkt der englische Meister, dass in Gott nur eine einzige 
Potenz sei, nämlioh das mit der Wesenheit sachlich identische 
Frineip der Thätigkeit. Ebenso ist in ihm real nur eine einzige 
Thätigkeit, nämlieh die Wesenheit selber. Dagegen sind mehrere 
Wirkungen dieser einen Thätigkeit (1. dist.42. q. 1. a.3.). Die 
Terschiedenen Thätigkeiten der Geschöpfe aber können nicht 
von einem unmittelbar wirkenden Principe ausgehen. 

Aus dieser Argnmentation des Doctor Ängehcug folgt aber- 
mals die grolle Bedeutung des sachlichen Unterschiedes zwischen 
Wesenheit nnd Existenz in den Creatnren. Der englische Lehrer 
knüpft an diesen Unterschied, wie mr sehen, die weitgehendsten 
Scblnssfolgeningen. Viele andere Wahrheiten stützen »ch gerade:sa 
auf diese eine. Namentlich ist es der große absolute Abstand 
der Geschöpfe von Gott, der damit ausgesprochen und ver- 
theidigt wird. 

62. Aber vielleicht ist die Thätigkeit der Geschöpfe sacblich 
em und dasselbe mit der Existenz, so dass die Greaturen, weil 
sie existieren, eo ipso auch thätig sind? 

Der englische Lehrer vermag dieser Ansicht nicht beizin- 
pflichten. Nachdem er die Frage aufgeworfen, ob die Verstaudea- 
thätigkeit des Engels sachlich identisch sei mit der Wesen b eit 
desselben, fragt er weiter, ob diese Thätigkeit identisch sei mit 
dem Dasein. Wie die erste, so wird auch die zweite Frage von 
ihm verneint. 

Die Thätigkeit des Engels bildet eine Bewegung, die Existenz 
dagegen etwas Stabiles, nicht aber eine Bewegung. Folglieh 
kiinnen diese beiden unmöglich i'eal ein nnd dasselbe sein. Diese 
Wahrheit hat indes ihre Geltung nicht bloß in Bezug auf den 
Engel, sondern auch hinsichtticb der Geschöpfe überiiaupt. Die 
Thätigkeiten sind entweder transeunte oder immanente. Die ei-atern 
kSnnen mit der Existenz aus dem Grunde nicht sachljcb identisch 
sein, weil die Existenz etwas Innerliches ist, während sie selbst 
einen Ansflnss vom Agens und Übergang auf das Leidende be- 
zeichnen. Die immanenten Thätigkeiten besitzen eine gewisse Un- 
endlichkeit, denn das Wahre als Object des Verstandes, und das 
Gnt als Object des Willens sind so allgemeiner Natur, wie das 
Seiende, das Ens. Daher kann der Verstand an und fUr sich alles 
erfassen und der Wille alles begehren. Und beide Vermögen 
werden vom Objecte speeificiert. Das Dasein, die Existeaz hin- 
gegen ist anf eine bestimmte Gattung und Art eingeschränkt 



- 138 — 

Darum ist aiiB8chie£lich nur die Existenz Gottes mit seiner Tbätig;- 
keit sachlich identisch. Der En^l kann manoheB darch seine 
Wesenheit verstehen, aber bei weitem nicht alles (l. p. q.54. a.2.). 

Dazn kommt noch, das dasjenige, was der Verstand des 
Engels von der erkannten Sache ia sieh bildet, das sogenannte 
verbum, oder die species expressa nicht real identisch ist mit seiner 
Substanz. Die Existenz dieser species esopressa ist im Engel nnd 
im Menschen im Verstände selber, die Existenz des Verstandes 
dagegen nichL Dies ist nur in Gott der Fall (4. contr. Gent e. II.). 
Wie sich daher die Wesenheit zur Existenz verhält, so verhält 
sieh das Können zum Thätigseiu. Und wie sich das Dasein zar 
Thätigkeit verhält, so verhält sich die Potenz, das Vermögen 
zur Wesenheit. Existenz und Thätigkeit sind in Grott allein real 
ein und dasselbe (de anima a. 12. arg. pro). 

Zn demselben Resultate gelangen wir auf einem andern Wege. 
Das Hein, die Existenz ist Act, denn sie bildet die letzte Actna- 
lität der Wesenheit. Wäre nun die geistige Substanz, die Seele 
oder der Engel resp. die Existenz derselben unmittelbar 
Prineip der Thätigkeiten,' so mUssten sie ununterbrochen geistig 
tbätig sein. Die fäistenz kennt keine fernere Hinordnnng zu einem 
Acte, indem sie selber der letzte Act ist. Sfit Bezug aof die 
menschllcbe Seele weist aber die Erfabmng nach, dass sie nicht 
beständig geistig tbätig ist Der Engel erkennt und liebt zwar 
ohne Unterbrechung sich selber. Allein hiusichtlich der andern 
Objecte trifft dieses nicht zu. Auch er ist demnach gleich der mensch- 
lichen Seele, manchmal in der Potenz zn dieser oder jener Thätig- 
keit (l.p.q.77. a.l). 

Die Thätigkeit der Geschöpfe gehört somit weder zn der 
Wesenheit, noch zum Dasein derselben. Sie bildet auch nicht 
ein accidens proprium derselben, weil sie nicht aus den consti- 
tutiven Principien der Wesenheit hervorgeht und die Wesenheit 
nicht immer im Besitze der Thätigkeit sich befindet. Die Thätig- 
keit bildet ein Accidens per acadens, während die Wesenheit 
direct, die Existenz rednctive zur Kategorie Substanz gehören. 

Aus alledem folgt zur Evidenz, dass die Wesenheit der 
Creatnieu nicht nächstes, unmittelbares Prineip ihrer Thätigkeiten 
sein kann. Sie übt vielmehr vermittelst accidenteller Principien 
ihre Thätigkeiten ans. Während sie selbst als erstes radicales 
Prineip eines ist, besitzt sie verschiedene Vermögen oder Potenzen, 
durch welche die Thätigkeiten unmittelbar vollzogen werden. Die 
Potenz Qud der Act mUssen in Correlation stehen (de anima a. 12.). 
Diese Potenzen wirken nicht selbständig und unabhängig, soD- 
dem in der Kraft des ersten Principes, der Seele (I. c. ad 10.}. 
Die Vermögen der Geschöpfe stehen daher in der Mitte zwischen 
der Substanz und der Thätigkeit, nnd sie bilden die Instnunentil- 
ursache fär die Wesenheit (de spirit creat a. 11. arg. pro). Dass 



die Potenzen oder Vennßgen der Greatnren sich Bachlich ron der 
Wesenheit derselben nnterecfaeiden, . ist dem englischen Lehrer 
nicht zweifelhaft. Der Unterschied ist in derselben Weise real wie 
jener zwischen Wesenheit nnd Thätigkeit. Wir sehen indessen von 
der Prüfung dieser Doctrin des heil. Thomas ab, weil wir nnr 
das Verhältnis der Th^ligkeit za dem Wesen, der Substanz der 
Geschöpfe darlegen wollen. 

Bilden nun die Potenzen das nächste, anmittelbare Princip 
für die Tbätigkeiten eiaes geschaffenen Wesens, so drängt sich 
nns die weitere Frage anf, in welchem Verhältnis sieh die Thätig- 
keit der Potenz gegenüber befindet. 

63. Fassen wir znnäebst das Verhältnis der TbStigkeit zu der 
Potenz in ihrem rein passiven Zustande ins Äuge. Mnss /.wischen 
der passiven Potenz, dem agens in potentia, nnd der Thätigkeit 
eine sachliche Identität angenommen werden? Offenbar nicfat; 
denn agens in potenUa wird ein Ding gerade darum genannt, weil 
es nnthätig ist, keine Thätigkeit ausübt: Es verhält sich somit 
andei-8, wenn es unthätig, nnd anders, sobald es eine Thätigkeit 
vollzieht. Diese Änderung gebt nicht blo£ unserer Auffassuug nach 
vor sich, sondern sie ist eine wirkhche, reale. S. Thomas lehrt, 
die Thätigkeit sei eine Bewegung, sei ein Ausfliegen ans dem 
Agens. Dies aber Ifisst sich ohne reale Veränderung des Agens 
nicht denken. Die passive Potenz bewegt sich nicht, aus ihr flieJ^t 
uiehbs aus, weil sie nichts besitzt, was aus ihr hervorgeben könnte. 
Das agtns in potentia ist zwar der Möglichkeit nach, aber 
nicht in der Wirklichkeit thätig. Wir haben früher gehört, dass 
der englische Lehrer behauptet, zwischen der Potenz und dem 
Acte müsse eine Gorrelation sein. Infolge dessen entspricht dem 
<yms in potentia eine Thätigkeit in polmtia. Die passive Potenz 
besitzt nur eine mögliche Thätigkeit, keineswegs eine wirkliche. 
Allein wir fragen, wie sich die wirkliehe Thätigkeit zu dem 
agens in potentia verhält. Dieses letztere kann demnach in keiner 
Weise mit der Thätigkeit selbst saehUch identisch sein. 

Diese Wahrheit folgt mit zwingender Nothwendigkeit in Bezug 
auf den Willen. Der Beweis des heil. Thomas, dass die Wesen- 
heit der Seele sachlich nicht ein- und dasselbe sein könne mit 
ihren Vermögen oder Potenzen, iässt sich genau anf nnaern Gegen- 
Bland anwenden. Wäre die Seele unmittelbar Princip der Thätig- 
keit, bemerkt der englische Lehrer, so müsste der Mensch, so 
lange er lebt, immer geistig thätig sein, gleichwie er immer in 
Wirklichkeit focfuj existiert. Allein der Mensch ist nicht immer 
geistig thätig. Ganz dasselbe mnss Tom Willen als Potenz gesagt 
werden. Ist die passive Potenz, das agens in potentia, mit der 
Thä^gkeit real identisch, so mnss sie immer thätig sein. Der Wille 
existiert immer, ist immer vorhandeo. Und dennoch ist er nicht 
immer thätig. Der englische Meister sagt mit Grund von ihm, er 



- uo - 

sei quandoque cogens in potentia, * quandoque agens in actu. Ef fangt 
jetzt 2U wollen an, während er» früher nicht wollte (1. 2. q. 9. a. 4,). 
Somit kann' er unmöglich mit der Thätigkeit selber sachlich 
identisch sein. 

Es ist ständige Lehre des heil. Thomas, dass ein Ding erst 
dann eine Thätigkeit ausübt, wenn es in actu, in der Wirklich- 
keit, nicht aber solange es in der Möglichkeit sich befindet. Stellen 
für diese Lehre sind in den Werken des Doctor Angelicus unge- 
zählte. Und warum ist es erst dann thätig, wenn es in der Wirk- 
lichkeit sich befindet? Der englische Lehrer antwortet, weil es 
erst dann vollkommen ist. Actives Frincip ist ein Ding erst 
dann, wenn es vollkommen (1, p. q. 25. a. 1.). Die passive Potenz, 
das agens in potmtia, besitzt oifenbar nicht die verlangte' Voll- 
kommenheit, sonst wäre sie ja thätig. Dieses agens in potentia 
unterscheidet sich real von jenerVollkommenheit, wodurch 
es agens in actu wird. Durch sich selber kann es nicht zugleich 
unvollkommen und vollkommen sein. Darum unterscheidet sich die 
passive Potenz real von der aetiven, oder wie S. Thomas sagt: 
potentia passiva dividüur contra actum (1. c. ad 1.). Er zählt stets 
zwei Kategorien von Potfenzen auf: active und passive. Die active 
Potenz ist Thätigkeitsprincip,' die passive niemals. Diese 
ist Princip für das Leiden. Sie kann folglich mit der Th&tigkeit 
nicht real identisch sein. 

Dies ergibt sich aus der Doctrin des englischen Meisters über 
das Wesen der Thätigkeit. Dieser Doctrin zufolge ist die {Thätig- 
keit eine Wirkung, ein Effect der aetiven Potenz. Die 
active Potenz bildet das Princip der Thätigkeit. Nun unterliegt 
es doch gar keinem Zweifel, dass zwischen der Ursache und der 
Wirkung ein sachlicher, realer Unterschied besteht. Wollten wir 
demnach auch zugeben, dass die passive Potenz eine Thätigkeit 
hervorzubringen imstande sei, sie könnte trotzdem nicht mit dieser 
ihrer Thätigkeit real ein und dasselbe sein. Die Ursache kann 
unmöglich sich selber hervorbringen, Ursache und Wirkung zu- 
gleich bilden. Damit ist aber dann der reale Unterschied des 
Willens im passiven Zustande, des agens in potentia, von der Thätig- 
keit, dem Acte desselben auBer Frage gestellt. Das agens in po- 
tentia dividitur contra actum. In diesem unvollkommenen 
Zustande hat es keine Correlation mit der Thätigkeit. 

Nehmen wir dazu noch die Tbatsache, dass die Thätigkeit ein 
Zufälliges, ein Accidens der Potenz ist, so bedarf der reale Unter- 
schied zwischen ihr und diesem Accidens keines längern Beweises 
mehr. Die Lehre des heil. Thomas lautet klar und bestimmt 

64. In welchem Verhältnisse steht nun die Thätigkeit zu der 
aetiven Potenz, zu dem agens in actu? Muss auch in dieser Be- 
ziehung ein realer, sachlicher Unterschied angenommen werden? 
Wir behaupten dies, gestützt auf die Lehre des englischen Meisten* 



— Ul — 

Was Tflrsteht S. Thomas nnter der Tbätigkeit? Die Thätig- 
keit iet ihm nichts aoderes, als die Uittheilnng deseen, wodurcb 
das agens in actu in der WirkHchkeit ist (depotentia q. 2. a. i.)- 
Ans diesem Grande ist jedes Wesen erst dann tbätig, wenn es 
Wirklichkeit hat, in actu ist. Der Philosoph nennt darnm dasjenige 
^ vollkommeD, welches einem anderq mittheilen kann, was es selber 
ist (I.e. arg. pt4>). Jede Tbätigkeit geht ans einer 'Potenz hervor 
(jprocedü). Der activen Potenz entspricht der Act oder die Tbätig- 
keit. AcÜYe Potenz heißt sie deshalb, weil sie Princip der 
Thätigkeit ist {secwndum quod esi prirunpittm acHoniaJ; decu jede 
Tbätigkeit setzt ein Prinoip vorans (depotentia q. 1. a. 1.). Die 
Tbätigkeit der Geschöpfe fließt aus diesem Principe, aus der 
acÜTeo Potenz heraus und letztere steht in der Mitte zwisehea 
dem Agens nnd der Tbätigkeit. Sie unterscheidet sich von beiden 
real (i. dist. 8. q. 4. a. 3. ad 3.). Man kann sie folglich in zwei- 
facher Weise betrachten. Entweder insofern sie vom Thätigeu eus- 
gebt, oder insofern sie im Gewirkten terminiert (1. c. dist. 37. q. 3. 
a. 2. ad 3. — 2. dist. 13. q. 1. ad 5.). Dasa abo die Thätigkeit 
nicht sachlich ein und dasselbe sein kann mit der activeu Potenz 
oder dem agens in aäu ergibt sieb aus der Doctrin des heil. Thomas 
mit Sicherheit. 

Um den Unterschied Gottes ron den Geschöpfen faerrorzu- 
belien, erklärt der englische Meister, dass in Gott die active Po- 
tenz nicht eigentlich Princip der Tbätigkeit genaDiit werden 
dtlri'e. Gott besitzt in keiner Weise eine passive, sondern nar eine 
active Potenz, Er ist im höchsten Grade actives Princip, Der 
activen Potenz aber koinmt es wesentlich' zu, actives Princip 
za sein; denn sie ist das Princip, anf ein anderes zu wirken. 
Die Thätigkeit Gottes ist indessen nicht: „ein anderes" als seine 
Potenz-, bilde sind r«al identisch mit der Wesenheit, gleichwie 
da« Dasein, die Existenz sacbticb dasselbe ist mit der Wesenheit. 
Die Potenz der Geschöpfe ist nicht bloß Princip der Thätigkeit, 
sondern anch der Wirkung, des Effectes. In Gott ist sie Princip 
des Effectes, nicht aber Princip der Thätigkeit. Thäügkeitsprincip 
ist die WcBenbeit selber; der Unterschied zwischen dem Princip 
und der Thätigkeit in ihm besteht nur in unserer Auffas- 
sung (secundum modum intelliffendi). Der Unterschied ist daher 
in Gott bloß ein virtueller (1. p. q. 25. a. 1.). 

Wenn der Unterschied der activen Potenz von der Tbätig- 
küt in Gott ein virtaeller ist, so mnss er in den Geschöpfen ein 
realer sein, damit der Abstand Grottes von der Creatnr gewahrt 
bleibe. Der englische Meister stützt seine Beweisführung anf den 
Unterschiid zwischeD Dasein und Wesenheit. Dieser llnterschied 
ist ihm in Gott ein virtueller, in den Creaturen aber ein realer. 
Das Dämliche muss fofgerichtig auch vom Unterschiede zwischen 
der actiTen Potenz und der Thätigkeit behauptet werden. 



- 142 - 

Der beil. TbomaB bemerkt sehr oft, ein Ding sei tbätig in- 
sofeme es Wirklichkeit hat, in acht ist. Was haben wir darunter 
zu verstehen ? Etwa, dass es existieren mUsse, nm thätig za sein ? 
Das iBt 60 Belbstverständlicb, dass es uns nicht zweimal gesagt 
zn werden braucht. Oder bedeuten diese Worte, dass ein Ding 
thätig, insofern es thätig ist^ Änch dieser Satz kann nicht be- 
sonders geistreich genannt werden. Das Wort ^insofern" deatet' 
folglich auf den realen Unterschied hin, der zwisehen der activen 
Potenz, dem agens in actu und der daraus folgenden Thätigkeit 
besteht. Sobald ein Ding in adu ist, in ordine operativo exi- 
stiert, entwickelt es eine Thätigkeit, tbeilt es dies& seine Exi- 
stenz einem andern, der eigenen Thätigkeit mit. 

Daher nennt S. Thomas die Thätigkeit der Geschöpfe etwas 
Gewirktes, guid operatum (3. p. q. 19. a. 1,), Dieser Wirkung, 
diesem Effecte steht die active Potenz, das a^ens in actu als 
Ur«ache gegenüber. Der Unterschied zwischen Ursache und 
Wirkung muss aber stets ein realer sein. Die Ursache ist, wenig- 
stens der Natur und Causalität nach, zumeist auch zeitlich frUher 
als der Effect. Unmöglich kann tiarum die Thätigkeit constitntires 
Princip sein, dass das agens in actu ist. Dies müsste aber ge- 
schehen, wenn sie real mit der actiren Potenz identisch ist. Hit 
Recht nennt also der englische Lehrer die Thätigkeit „ein anderes", 
aliud, als die active Potenz, das agens in actu. Und dieses andere, 
die Thätigkeit, inhäriert-als Aecidens der acüven Potenz. Weil 
sie sieb real ron der activen Potenz nnterscheidet, ein Aecidens 
derselben bildet, deshalb ist sie nach dem heil. Thomas etwas 
Besseres, etwas Vorzüglicheres als die Potenz selber (1. p. q. 25. 
a. 1. ad 2.). Insofern sie Wirknug, Effect der activen' Potenz ist, 
kann man nicht sagen, sie sei etwas Besseres als ihre Ursache, 
aber als A c o i d e n s , welches der Potenz ifihäriert, mUss sie etwas 
Vorzüglicheres genannt werden. 

' 65. Ans dieser Lehre des englischen Meisters ergibt sich aber- 
mals die tiefgreifende Bedeutnng des sachlichen Unterschiedes 
zwischen der Wesenheit und Existenz in den geschaffenen Dingen. 
Dieser eine Unterschied bildet die Grundlage Hlr den Unterschied 
in allen andern Beziehungen, er zieht sich durch alles Geschaffene 
hindurch. Die Thätigkeit ist dem Doctor Angelicus nichts anderes 
als die letzte Verwirklichung, ActualiUlt der Kraft oder der activm 
Potenz und zwar in derselben Weise, wie die Existenz die letzte 
Actnalität fUr die Wesenheit bildet. Keine geschaffene Snbst&nx 
aber ist ihre eigene letzte Actnalität: folglich auch keine real 
identisch mit ihrer Thätigkeit. Die Thätigkeit heißt actus aecwtdua 
der Potei^, des Thätigkeitsvermßgens, und die Existenz wird actus 
secundus der Wesenheit genannt. Die Existenz ist dasjenige, wo- 
durch die Wesenheit Wirklichkeit besitzt, tbätsächUch da ist, 
und die Existenz dasjenige, wodurch die Potenz wirklieh eine 



— 143 — 

Thätigkeit anslibt, in ordine operative Wirklichkeit hat. Wäre nnn 
das eine oder das andere eeiae eigeae letzte Qoalität, so hätten 
wir den reinen Act (actus puntsj, die lautere Wirklichkeit vor 
ODs, ohne Beimischnng einer Möglichkeit oder Potentiahtät, and die 
Greatur wäre Gott selbst. Weil indessen kein Geschöpf Gott gleich- 
kommt, sondern gemischt, daher nicht reine Potenz and auch nicht 
reiner Act, lauteres Sein ist, deshalb ist es auf Gruud dieser 
Potentialität noch in der Möglichkeit, in der Potenz, einen fernem 
Act, eine weitere Verwirklichung und VollkommeDbeit in sich auf- 
zunehmen. Das Geschöpf ist in der Potenz zn der Thätigkeit als 
ihrer letzten Actualit&t. Um der Thätigkeit willen ist es da, diese 
bildet sein Endziel, so dass sie entweder selbst das Endziel aus- 
macht, oder wenigstens durch sie das Endziel erreicht wird 
(1. 2. q. 1. a. 1. ad. 2. — 3. contr. Gent. o. 2, — de potentia q. 5. 
a. 5. ad 14. — 1. p. q. 65. a. 2. — ib. q. 105. a. 5. 

Jetzt verstehen wir auch was S. Thomas will, wenn er den 
Grundsatz ausspricht: „operari sequitur esse"; und: „modus ope- 
randi sequitur modum essendi" (1. p. q. 89, a. 1.). Jene Substanz, 
deren Dasein sachlich mit ihr selber identisch ist, wirkt unmittel- 
bar durch sich selber. Sie ist auch mit ihrer Thätigkeit sachlich 
identisch. Sie bildet eine reine unvermischte Wirklichkeit, lauteres 
Sein in jeder Beziehung, denn ihre Thätigkeit richtet sich 
nach dem Wesen, welches selber der formelle innere Grund 
der Wirklichkeit, die Wirklichkeit selber ist. Weil diese Substanz 
den Act, die Wirklichkeit ohne Beimischung einer Potentialität 
besitzt, deshalb hat sie in diesem Acte ihre letzte, cnd gilt ige 
Yollkommenheit. Darnm ist sie nicht mehr in der Potenz zur 
Thätigkeit. Auf deu letzten Act folgt kein weiterer mehr, Sie 
ist somit die Thätigkeit selber, ihr eigenes Objcct und Endziel. 
Eine Substanz dieser Art, die einzige welche existiert, ist 
Gott, der actus purus. 

Keine Creatur besitzt das Sein, die Wirklichkeit, rein und 
[uiTermifiCbt, so dass sie an Vollkommenheit Gott gleich wäre. 
Sie enthält vielmehr Uu Vollkommenheiten in sich. Diese TJuToli- 
kommenheiten bilden den Gegensatz zu deoi Acte, Gott ist des- 
halb voUkommeo, weil er Act, uur Act ist. Der Gegenaat/. von 
Act heißt Potenz. In Act und Potenz theilt sich alles ab. Die 
Creatnren haben mithin Potenz nnd Act, weil sie von Gottes 
Vollkommenheit abstehen. Die Wesenheit ist die Potenz, das Dasein 
der Act. Nach diesem Verhältnisse richtet sieh auch die Thätig- 
keit der Geschöpfe: operari sequitur esse; und: modus operandi 
sequitur modum essendi. Daher ist das Thätigkeitsprincip eben- 
fals ein zusammengesetztes. Es besteht aus Potenz und Act. 
In keiner Creatnr kann es reine Wirklichkeit, actus jnirus sein. 
Die Potenz wird gebildet dnrch die verschiedenen Tiiätigkeits- 
vermögen, Eräfl:e oder Potenzen, die aus den coustilutiven Prin- 



— 144 — 

cipien yer modum naturalis resuüantiae hervorgehen. Dieses natür- 
liche Heraasfließen ist nicht so zu verstehen; als ob die Wesenheit 
durch eine Thätigkeit, somit als wirkende Ursache, 
ihre verschiedenen Vermögen, Potenzen hervorbrächte. Die Potenzen 
folgen oder ergeben sich vielmehr auf natürliche Weise aus den 
genannten Principien. Es kann keine Wesenheit ohne ihre acddentia 
prapria sein. Die Thätigkeit des wirkenden Agens, welche einem 
andern Form und Wirklichkeit verleiht, gibt demselben auch alles 
übrige, was auf die Form folgt. Die Thätigkeitsvermögen, die 
Potenzen folgen auf die Form, denn es sind specifische, nicht 
individuelle Eigenthümlichkeiten. In der Art (in speciej aber ist 
jedes Ding durch seine Form (1. p. q. 77. a. 6. und 7. — 1. distS. 
q. 3. a. 2.). Von der Wesenheit stammen also die verschiedenen 
Vermögen nur als Potenzen. Da nun das Princip der Thätig- 
keit aus Potenz und Act zusammengesetzt sein muss, so fragt 
es sich, woher der Act, die Wirklichkeit dieser Potenz komme. 
Diese Frage führt uns zur: praemotio physica. 



^ 



• . ■ ■ m. Kapitel. 

Der Einfluss Gottes aüfden Willen der Geschöpfe. 



' § 9. Gott die Ursache der activen Potenz, des 'VrilleDS 
■ ' ■ . .in actu. 

66. .feind die Greaturen dadurch, dasa sie. vom Sciiüpi'er eine 
- Wesenheit empfaDgen haben und mit verscIiiedeDen FlUiigl^eiten, 
Vermögen ' oder 'Potenzen aVisgerUatet worden, scbon eo ipso in 
Thätigkeit? Wird-zur Entfaltung einer miätigkeit weiter nicbts" 
verlangt, als die Sntgtans unij eine Polen* ? DiesQ Frage iiiussdaliia 
beantwortet 'werden, dasä die Wesenheit und Potenz aJiein ni(;ht 
genügen, um sagen zu können, ein Geschöpf sei in Thätigkeit. 

Die ■ Xhäti^eit ist,, wie wir nachgewiesen, weder mit der.- 
Wesenheit, rfocli mit der Potenz sachlich identisch. Die Creatur, 
jtäre anderufalla immer und ohne Unterbrechung, solange sie 
existiert, in Thätigkeit ■begriffen. Ja, noch raehrl Sie wäre auf 
Grun4 ■ ihrer Wesenheit uiid ihrer Kraft in der Thätigkeit ' 
Denn ist die Thätigkeit mit den vorgenannten eo ipso gegeben, 
mit denselben sachÜoh ein und dasselbe, -so kann man sich zwar 
die Wesenheit and die verscliiedenen .Vermögen derselben 'ohne 
Thätigkeit den'ken, indem man von letzterer abstrahiei-t, allein 
man kann sich .absolut nicht denked, dass diese beiden ohne 
Thätigkeit da seien oder existieren. Das nämiiehe Priucip mliaste 
hier seine Geltung haben, wie ea bezüglich des Accidena ;^roprium- 
platzgreift. Darf Accidens proprium kann zwar unteraehiedeu vob 
üet Substanz, nicht aber von ijir getrennt gedacht werden, 
gleichwie man 'die' Wesenheit oder Substanz zwar ohne das Acci- 
' A^m proprium auffassen, nicht aber sie als ohne dasselbe exls t ie- 
vend zu denken vermag (de spiiit. creat. a, 11. ad 7. — de anima 
a, 12' ad 7.}. Eis unterliegt jedoch gar keinem Zweifel, dass wir 
uns ein Wesen, dass wir uns je.{Jea Geschöpf existierend, aber 
in Unthätigkeit gesetzt denken können. Und nicht bloß zu 
denken vermögen wir uns diesen Fall, "sondern er trifft auch in 
der Wirklichkeit zu. In einer vorhin von nna citierten Stelle sagt 
der englische Meister, darf geistige Geschöpf übe tbatsäc\ilich nicht 
immer einen Lebensact aus (invinitur autem habena animam,-^ 

Falduei, WUleüafnihBit. '. ' ' 10 ' 



— 146 — 

non semper esse in adu operum vitae, 1. p. q. 77. a. 1.). Es hat 
somit eine vollständige Wesenheit nebst dem Dasein, es besitzt 
auch verschiedene Kräfte und ist trotzdem an t hat ig. Van der 
menschlichen Seele behauptet S.Thomas wiederholt, dass sie manch- 
mal nur der Möglichkeit nach (in potentia) thätig, also in der 
Wirklichkeit (in adu) unthätig ist (1. 2. q.2. a.7. — ib.q.9, 
und q. 10.). Die ganze Theorie des englischen Meisters von der 
Bewegung und Beweglichkeit eines Dinges beruht eigentlich aaf 
der Unthätigkeit. Denn beweglich ist ein Ding nur darum, 
weil es die letzte Äctualität; die letzte Vollkommenheit nicht be- 
sitzt, oder wie S. Thomas] erklärt, ,weil es in der Potenz ist. 
Ebenso kommt die Bewegung einem Dinge zu, insofern dasselbe 
in der Möglichkeit, in der Potenz sich befindet. Man vergleiche 
dqn Commentar des heil. Thomas zu der Physik des Aristoteles. 
Sobald dagegen ein Ding eine Thätigkeit ausübt, ist es nicht 
beweglich, sondern bewegend, einem andern Bewegung mit- 
theilend nnd darum nicht nfehr in der Potenz, sondern in adu. 
Darum lehrt der Doctor Angelicus an unzähligen Stellen, ein Ding 
sei dann thätig, Wenn es in adu, in der Wirklichkeit ist, zum 
Unterschiede vom .Zustande der Poteqz. Dies setzt offenbar eine 
Veränderung voraus* und zwar eine Veränderung zum Bessere. 
Dies besagt somit, dass zu . der Wesenheit nnd dem Vermögen der 
' Creatur eine neue Vollkommenheit hinzugetreten ist, wodurch das 
Vermögen aus dem Zustande der Potenz, der bloß hiö glichen 
Thätigkpit in jenen der wirklichen versetzt worden ist Zwischen, 
dem aber, wodurch ein Ding verändert re^p. verbessert, und 
dem, was dadurch verändert und verbessert wird, muss- ohne 
Zweifel ein s a c h 1 i c h e r, r e a 1 e r Unterschied angenommen werden. 
' Wodurch gelangt nun die Creatur zu jenem Zustande, von 
dem ^ir sagen, er bewirk^ formell, dass die Creatur thätig ist? 
Vielleicht durch die Thätigkeit selber*? Allein die Thätigkeit ist 
ja ein Effect, eine Wirkung des thätigen Dinges,, des Agens. Die 
Thätigkeit wij'd vom heil. Thomas als etwas vomAgensAns- 
flieBendes bezeichnet. Diesel^ Ausfließen folgt demnach auf das 
Agens als Agens,^ls wirkende Ursache nnd bildet selber den 
Effec|; dieser wirkenden Ursache. Der Effect aber kaqn nnmög-' 
lieh eine wirkende Ursache formell constituieren. 
Er wäre in diesem Fälle früher als die ihn hervorbringende Ur- 
sache* und darum nicht Wirkung, sondern Formalursache der* 
jenigen Ursache, welche ihn selber bewirkt. Es genügt nicht, dass 
die Ursache überhaupt früher sei, oder existiere, sie muss als 
thätig e, wirkende Ursache wenigstens der Natur und Voll- 
kommenheit nach früher 'sein. Die Thätigkeit der Geschöpfe wird 
vom englischen Meister etwas Gewirktes,« Verursachtes genannt 
(3. p.q. 19. a. 1.). Sie kann demnach nicht den formellen Graod 
abgeben, dass das Thätigkeitsvermögen der Creaturen in der 



» 
« 



— 147 — 

Wirklicbkeit (in actu) sei, anstatt in der Mögliehteit, in dei' Potenz 
zu bleiben. Und doch mllssen diese verschiedenen Vermuten etwas 
in sich haben, wodareh sie formell in 'der Wiikticbkeit sind, 
weil sie factisoh Thätigkeiten ausüben. Also wober dieses Etwas, 
welches formell bewirkt, dass die Geschöpfe Ursachen, agentia 
in actu, sind? 

Vielleicht ans nud von sich selber? Dies ist gerade so wenig 
möglich, als es geschehen kann,, dass eine Weacnlieit sich selber 
hervorbringe, sieh selber das Dasein, die Existenz verleibe. For- 
mleren wir nun unser Argnment, welches die Voihmbewegmig 
durch Gott strlugent beweist: 

67. JedcCreatur uiusb vonGottznderTbätigkeit 
bewegt werden, weil sie ans nnd durch sich unt in 
der Möglichkeit, nicht aber id der Wirklichkeit' 
tbätig ist. 

Jede Giieatu;: ist dann erst tfaätig, theilt erst dann einem 
andern die Ähnlichkeit und Güte ihrer. Form mit, wenn sie , 
diese Form .selber besitzt, wenb sie, wie S. Thomas bemerkt, 
in adu ist San vermag aber keine Creatur sieb selber diese 
Form, diesen Act zu geben : folglich mues dieser Act von Gott 
dem Geschöpfe per mödum transeuntis itiitgetbeiit nud so lange 
es tbätig ist, erhalten werden. Die constitutive Form bildet zwar 
4as erste radicale Princip (principium prtmum quo) der Tbätigkelt, 
allein diese Form ist, wie nachgewiesen wurde, nicht unmittel- 
bar tbätig, somit nicht das nächste Princip (principium proximmn 
quo). Dies wird vielmehr vom Vermögen, von der Potenz gebildet, 
ÜiesePotenzistaber ans und durch sich nicht imstande, eineThiitig- 
keit zu entfalten ans einem zweifachen Grunde. Au und tllr sich 
betrachtet ist sie r e i n e P o t e n z , daher bloß der Möglichkeit 
nach tbätig. Nun lehrt S. Thomas, die Thätigkeit bestehe darin, 
dass das Ageifs einem andern so- viel als möglieb seine Form, 
rfeine Ähnlichkeit und -Gute mittheile (de potentia q. I. a. 1.), 
Wtjfn mnse aber das Agens, <(ie Potenz, die Ähnlichkeit uud 
Gute der Form mittheilen? Offenbar zunächst der Tbätigkcit, 
denn diese ist der unmittelbare. Effect. Allein die Tbätigkeit bat 
mit dem Agens in poteniia, mit der passiven Potenz keine Ähnlich- 
keit, Die Tbätigkcit ist ein Seiendes in adu; das Agens in potentia, 
die Potenz hingegen in ordine oper'ativo ein Seieudes in der Potenz. 
Dieses Agens könnte somit, ohne VcrandemDg nnd Vervollkommnung, 
nur eine Tbätigkcit in der Potenz hervorbringen. Zwischen 
der Ursache in der Potenz nnd der Wirkung iu der Potenz 
besteht volle Ähnlichkeit, Eine Tbätigkelt in der Potenz ist 
jedoch keine wirkli'che Tbätigkelt. 

Weil also jede Creatur an und für sich nur der Möglich- 
keit nach' tbätig ist, indem das Thätägsein als accidens per 
occiäens ihr nicht an und fUr sich zukommt, nicht aus den con- 

10* ■ 



_ • 148 — • 

« 

Btitativeir Frincipien der Wesenheit, oder auch der verschiedenen 
'fhätigkeitsvermögen ohne Weiters hervorgeht) deshalb kann sie 
ihre Ähnlichkeit und Gttte einem andern, der Thätigkeit 
nicht mittheileA. Sie muss vorerst in adu gesetzt werdeü, mnss 
jene Vollkommenheit Erhalten, durch welche sie in actu operaUva 
sich befindet. Erst von diesem Momente an . wird sie dem hervor- 
zubringenden Effecte ähnlich. Denn jetzt haben wir eine Potenz 
mit einer Form, einem Acte/wenu auch nur per modum trameuntiß, 
und in der Wirkung,, in der Thätigkeit, die von ihr hervorge- 
bracht wird, haben wir ebenfalls eine Potenz mit einter Föim, einem 
Acte. Es gibt kein wirkendes geschaffenes Seiende, welches 
reiner Act, oder welches reine Potenz wäre. Jedes geschaffene 
Sei^de, Existierende ist aus Potenz und Act zusammengesetzt. 
Diesen Grundsatz macht *der englische Lehrer überall geltend. Die 
Potenz in actu wirkt demnach ein Ihr selber Ähnliches, nämlich die 
Thätigkeit. Darum nennt S.Thomas die Thätigkeit, etwas vom 
Agens Ausfliegendes (aliquid fliiens ab agente cum motu). 
Aus diesem Grunde wiederholt *er so oft, dass ein Ding^ dann 
thätig sei, wen;i es in adjt ist. Solange ein Ping i n derPotenz 
ist) kann nichts von ihm ausfließen. Die Ähnlichkeit, in der Potenz, 

.in der Möglichkeit sich zu befinden, lässt sich keinem andern 
mittheilen. In der Möglichkeit ist ein jedes geschöpfliche Seiende 
aus und durch sich. 

Der zweite vom Doctor Angelicus angeführte Grund ist der, 
da^s jedes geschaffene. Seiende, gleichviel ob Substanz oder 
Accidens, ein Zusammengesetztes bildet. Darum muss das 
Thätigkeitsvermögen,* die Potenz, wenn »sie einen Effect wirken 
soll, aus Potenz und Act zusammengesetzt seiYi. Sie muss 
folglich, soll sie wirken, voiisrst einen Act erhalten, den »sie in 
sich aufnimmt, der ihr inhäriert solange *sie Thätigk^iten 

' entfaltet. Dieser Act ist nichts anders alsdieB^w^gungdurch 
Gott..^ • • . * ' • 

Der Beweis, ^as jedes geschaffene Seiende ein Zusammen- 
gesetztes bilde, ist nicht schwer zu erbringen. Jede^ Ding, dem 

. die Existenz durch Antheilnahme, zukommt, ist zusamn^engesetzt, 
im Unterschiede vom reinen Acte, vom lautem Dasein (actus purusj^ 
welchem die Existenz der Wesenheit nach und durch die Wesen- 
heit selbst zukommt. Es unter liegl; aber nicht dem geringsten Zweifel, 
dass jedes Geschöpf die Existenz durch Antheilnahme hat; denn 
durch die eigene Wesenheit besitzt sie Gott allein. Der Besitz 
des Daseins durch Antheilnahme erklärt auch, warum Ursachen, 
seihst der nämlichen Art angehörend, eine verschiedene, größere 
oder geringere Thätigkeit entwickeln. Das Feuer z. B. ist manch- 
mal von größerer, manchmal von geringerer Thätigkeit Woher 
kommt das ? Offenbar daher, dass es mehr oder weniger in actu^ 
also mehr oder weniger an dem Sein in ordine operative Antheil 



Ww ■ 



— 149 — 

'hat. Das Sein kann indessen nur beschränkt; mehr oder weniger 
werden durch die Aufnahme in einer PotenÄ (Comp. Theol. c. 18. — 
2. cöntr. Qent. c. 52. — 1. p.q. 7. a/1.). Daraus, folgt zur Evidenz, 
dass das Princip der Thätigkeit aus ^otenSs und Act zusammen- 
gesetzt ist. Je mehr die Potenz an dem Acte Antheil hat, desto 
größer ist die Thätigkeit,« welche die Potenz entfaltet. Gott ist 
reiner- Act; und darum keiner gröBern Thätigkeit fähig. Er besitzt 
aus diesem Grunde die absolut größte. Bei den Creaturen kann sie 
Wachsen, weil dieselben nicht reiner Act' sind, daher sich in Kraft 
ihrer Foten^S oder Potentialität in der Möglichkeit befinden, eine 
größere Actualität* aufzunehmen und infolge dessen einen voll- 
kommenem Effect, eine bessere Thätigkeit. auszuüben. Je weniger 
diese- Actuali tat in einer* Potenz aufgenommen wird, je mehr ein 
Ding in ordine öperativo in actu ist, . desto weniger hat es von der. 
Potenz. . Um so vollkommener wird dann auch die Thätigkeit 
selber ausfallen. Gott, der. aäus purus, bietet 'uns hiefUr das 
Beispiel. 

Ebenso folgt ans der Contingenz der Thätigkeit in den Crea- 
turen, dass die. Potenz, um thätig sein zu können, in sich 
selber eine YervoUkommniing, einen Act erhalten müsse. Mit 
Recht bemerkt darum der beil. Thomas: ^Je vollkommener das 
Tbätigkeitsprincip eines Dinges ist, desto weiter kann es seine 
Thätigkeit ausdehnen. Diese Thätigkeit vermag selbst ganz ent- 
fernte Gegenstände zu. erreichen, wie wir es bei einem starken 
Feuer sehen. Gott, der reine Act, ist vollkommener als jener Act, 
der, wie bei den Creaturen, mit einer Potenz vermischt ist. .Der 
Act aber bildet das Princip für die Thätigkeit" (2. contr. Gent, 
c. 6. ratio 6.). 

Yeimag nun eine Creatur sich selber diesen Act zu geben, 
sich selber aus der Potenz in den Act überaufUhren ? So wenige 
haben wir früher gesagt, alß sie vermag, sich selber das Dasein, 
die Existenz zu geben. Sie müsste ja wenigstens der Natur und 
Causalität nach, schon in ac^u sein, um sich in den Act über- 
führen zu können. Allein darin liegt eine contradicfio in adjecto. . 
Diese Überführung musä durch Gott göscbehen.» Darum bemerkt 
der englische Meister ii'gendwo : „Di6 Ursache, dass die Creaturen 
existieren oder sind^ muss, wie Dionysius und Augustinus sagen, 
zurückgeführt werden auf die göttliche Güte. Gott wollte nämlich 
die Vollkoiiimenheit seiher Güte, soweit es möglich ist,* den 'Ge- 
schöpfen mitthetlen. Die Güte Gottes besitzt indes^n eine doppelte 
Vollkoipmenheit : die eine an sich, insofern er jede Vollkommen- 
heit auf die vorzüglichste Weise in sich schließt; die andere 
dagegen, insofern er auf d^e Dinge einen Einfluss ausübt (inftuit 
in res). Aus diesem Grunde war es der göttlichen ^ Güte ange- 
messen, beide dieser Vollkommenheiten den Geschöpfen mitzu- 
theilen, und zwar in der Weise, dass die Creatur von der gött- 



— 150 — 

4 

liehen Güte nieht bloß das Dasein^ die Existenz erhalte und gut' 
sei, sondern auch dass das Geschöpf, andern das Dasein und die 
Güte mittheile. Die Sonne z. B. bewirkt durch die Äussendnng 
ihrer Strahlen nicht allein, dass die Körper licht sind, sondern 
auch, dass sie Licht von sich geben. Hierin besteht jedoch eine 
gewisse Ordnung. Denn jene, welche der Sonne mehr gleich- 
förmig siud^ empfangen mehr Licht, und dieses selbst reicht hin 
sowohl für sie selber, als auch dazu, dasselbe andern einzuflößen. 
Daher kommt es, dass in 'der Ordnung des Universums die höhern 
Creaturen durch .den Einfluss der göttlichen Güte üicht bloß in 
sich selbst gut sind, sondern auch die Ursache der Güte für 
andere bilden. Jene Wesen hingegen, welche mit Bezug auf die 
Antheiinahme an der göttlichen Güte die niederste Stufe ein- 
nehmen, existieren bloß, ohne andere Dinge zu yerursachen*^ (de 
veritate q. 5. a. 8.). 

Gott ist also in zweifacher Hinsicht Ursache: erstens, dass 
die Geschöpfe existieren, zweitens dass sie wirken oder wir- 
kende Ursachen sind. Gleichwie nun die Creatur bezüglich 
ihrer Existenz an und für sich nicht nothwendig, sondern bloß 
möglich genannt werden muss, und infolge dessen von Gott ab- 
hängt, Gottes Thätigkeit voraussetzt, damit sie selber existiere; 
ebenso bildet die Creatur nicht eine nothwendige Ursache, sie ist 
als Ursache nicht nothwendig thätig, so dass sie die Ähnlichkeit 
und Güte ihrer Form ununterbrochen andern mittheilte, sondern 
an und für sich hat sie bloß die Möglichkeit dazu, sie besitzt die 
Potenz zur Thätigkeit. Jede passive Potenz bedingt aber eine 
active, wodurch sie in den Act übergefUhrt, oder aus dem Un- 
thätigen ein Tbätiges wird, gleichwie sie aus dem Nichtexistie- 
renden • ein Existentes wird. Daher sagt der englische Meister ein- 
mal: „Weil jedes Agens ein ihm selbst Ähnliches wirkt, deshalb 
entspricht jeder activen Potenz oder Kraft das Mögliche als eigen- 
thümliches Object, gemäß dem Wesen jenes Actes, in welchem die 
active Potenz ihren Grund hat. Die Kraft zu erwärmen hat zu 
ihrem eigentlichen Objecte das Warmsein des zu erwärmenden 
Gegenstandes (1. p.q. 25. a. 3.). 

Betrachten wir i\un die vorhingenannten zwei Vollkommen- 
heiten Gottes und dasjenige, was ihnen entspricht. Gott theilt als 
erstep Seiende die Vollkommenheit seiner Güte den Creataren 
actaell zu dem Zwecke mit;, dass auch die Geschöpfe . das Dasein 
besitzen. Dieser Vollkommenheit entspricht von Seite der Creataren 
die Möglichkeit zu sein, zu existieren. Gott theilt aber aÜQh seine 
zweite Vollkommenheit mit zu dem Zwecke, dass di^ Creaturen 
wirken, oder wie S. Thomas sich ausdrückt, dass sie Ursachen 
seien, und auf andere einen Einfluss ausüben. Dieser Vollkommen- 
heit muss von Seiten, der Geschöpfe ebenfalls eine Möglicbkeit- 
entsprechen, die durch Gott als Ursache verwirklicht oder in 



^ 151 — 

den Aet Übergeführt wird, damit die Creatoren in Wirk- 
liohkeit dieses oder jenes verareachen. Daraus folgt, daas die 
Geschöpfe an and fUr sich ein Ag^ens in potentia, niubt aber ein 
Agens in adu sind. Es waltet ein ganz weeentÜcber Unterschied 
ob zwischen dem, dass ein Geschöpf vollkommen in sich, und 
dem, dass es nicht bloß vollkommen in sich ist, sondern dieae seine 
Vollkommenheit auch andern mitsutheilen, ein ihm selbst Ähnliches 
hervorzubringen vermag. Die eratere Vollkommenheit genügt für 
sich allein nicht. Darum betont der heil. Thomas fortwäln-end, 
die Crcatur mUssQ in ordine operaiivo in acta sein, gm eine Thätig- 
keit wirklich, actuell zu vollziehen. Dasjenige, was die Potenz 
in den Act Überführt, verhält sich genau wie dasjenige, was der 
Wesenheit eines Dinges die Wirklichkeit verleiht. Die Existenz 
ist es, welche nach Art einer Form, als principium quo der Wesen- 
heit in ordine ^üativo das Dasein, die Wirklichkeit gibt, und die 
physische Vorherbewegung ist es, die, nach Art der Foi-m als 
principium quo, dem TbätigkeitSTermCgen in ordine operativo das 
Dasein, die Wirklichkeit verleiht Die Existenz in ordine entitativo 
bleibt länger mit der Wesenheit verbunden. Darum kann man 
sagen, dasa sie per modum permanentis der Wesenheit zukomme; 
die physische Vorherbewegung dauert weniger lange au, weil die 
Creaturen nicht immer thälig sind. Daher ist die genannte ße- 
wegnng in ihnen per modum transeurUis oder passimiis. 

68. Wir haben nur noch darzuthnn, dass diese Überführung 
durch etwas geschehen mttase, das in adu operativo ist, uud dasa 
dieses Etwas Gott allein sein könne. 

Dem Möglichen die Wirklichkeit geben, ein Ding aus der 
Potenz in den Act Überfuhren, bedeutet nach der Lehre des heiligen 
Thomas soviel, als ein Ding bewegen. Ein Ding muss insofern 
von einem andern bewegt werden, als es mehreren gegenüber 
sich im Zustande der Möglichkeit, der Potenz befindet. Denn das, 
was lo der Potenz ist, muss durch etwas, was in actu ist, in den 
Act überfuhrt werden, und dieses bedeutet soviel als bewegen 
(1. 2. q.9. a. 1.). Bewegt wird ein Ding, weil es in der Potenz, 
nnd insofern es in der Potenz ist. Die Bewegung ist der Act des 
Beweglichen als solchen. Die Bewegung actiy gefasst, als 
Wirkung des Bewegenden, muss von einem Wesen ausgehen, 
welches in actu ist. Das Feuer z. B. bewirkt, dass ein Stück Holz, 
welches der Möglichkeit nach warm ist, es in der Wirklichkeit 
werde. Das Feuer selbst aber kann dieses nur deshalb bewirken, 
weil es in ordine operaiivoia der Wirklichkeit, nicht iu der 
Möglichkeit Feuer ist. Der Beweger muss dabei in adu, das Be- 
wegliehe in der Potenz sieh befinden. Nun haben wir früher ge- 
sehen, dass kein Geschöpf an und für sieh in ac(u operativo ist, 
so wenig, wie m adu entitativo. Darum muss Gott, der actus 
purus, der in jeder Beziehung in actu nnd niemals irgend- 



: . •— •152 — . 

wie sich in der Potenz befindet, den Creatftren diesen doppelten 
Act, dass sie existieren und dass sie in der Wirklichkeit thäng 
sind, mittheilen^ Auf diesem Gründsatze bemht ja der aus der 
Bewegung hergeleitete Gottesbeweis. Wer diese Bewegung durch 
Gott nicht anerkennt, für den hat der Gottesbeweis überhaupt 
nicht genügende Kraft und es ist nur Mangel an Consequenz, 
wenn er daran. festhält. Selbst P. Eleutgen meint, wohl möge ein 
Wesen niclit bloß Empfänglichkeit für die Bestimmung, dfe es in 
der Veränderung erhält, sondern auch das Vermögen besitzen^ 
dieselbe sich zu geben -, es könne dennoch dieses Vermögen nie- 
mals sich selbst genügen. Denn wenn es die Bestimmung, sei 
es einen Zustand, oder eine Eigenschaft^ die es hervorbringen 
konnte, bis dahin nicht hervorbrachte, so müsse es jetzt, da es 
ihn hervorbringt, eben hiezu bestimmt worden, und also bereits 
eine Änderung, .und sei es auch nur die Hebung eines Hhider' 
nisses, eingetreten sein (Philos. d. Vorz. 2. Bd. 2. Aufl. Seite 676.) 
• Gewiss reicht die Fähigkeit, thätig zu sein, nicht hin, 
sonst wäl'e es ja keine Fähigkeit mehr, sondern Wirklichkeit, 
Act. Die Creatur wäre immer in actu, eine Eigenschaft^ die nur 
Gott besitzt, der durch seine Wesenheit, nicht durch Fähig- 
keiten oder Potenzen thätig ist. Könnte demnach eine Creator 
ihre Fähigkeiten selber in den Act überführen, selber bewirken, 
dass sie in adu sind, so wäre sie Gott, sie wäre folglich nie in 
der Potenz mit Bezug auf die Thätigkeit. Da nun der modus 
operandi dem modtis essendi gleicht, indem jenes Wesen, welches 
durch sichselber thätig, in adu ist, durch seine Wesenheit 
wirkt, wie wir aus S. Thomas wissen, so mögen die Gegner der 
physischen Vorherbewegung zusehen, ob es ihnen gelingt, die Gott- 
gleichheit der Geschöpfe von sich abzuweisen. Der englische Meister 
bekämpft entschieden die Ansicht, dass ein Geschöpf je sich selber 
aus der Potenz ip den Act überführen könne. Naich seiner Lehre 
wirkt Gott hinsichtlich der Crealuren zwei Dinge: dass sie exi- 
stieren und dass sie Ursachen sind; Ursache aber ist ein* Ding, 
wenn es in adu sich befindet, weil es dann wirkt, seine Ähnlich- 
keit und Güte andern mittheilt. 

Wir können den Beweis noch unter einem andern Gesichts- 
punkte darstellen. Wenn ein Ding in adu ist, besitzt es eine 
größere Vollkommenheit, als im Zustande der Potenz. Solange es 
in der Potenz ist, wirkt es nicht. Im Augenblicke, wo es sich in adu 
befindet, ist es thätig. Das Ageps iri adu ist nur der Natur nnd 
Cansalität nach früher als seine Thätigkeit, sonst sind beide gleich- 
zeitig. Die Thätigkeit legt Zeugnis ab von der Vollkommenheit 
des Agens. Der erste Stofi*, die materia prima, die Materie 
überhaupt, vollzieht keine Thätigkeit, weil sie unvollkonunen ist. 
Ebensowenig sind die Vermögen, die Potenzen thätig, denn sie 
sind unvollkommen. Die Potenz in adu dagegen wirkt und übt Thätig- 



— 153 — • 

keitea aus. Wvber kommt nun diese Vollkommenheit? Jede VotU 
kommenheit ist etwas Positives, eip Seietides (ms). Weil sie aber 
in nnsei-m Falle nicht Gott selber sein kann, bo mnas diese Voll- 
kommenheit ein Seiendes durch Antheilnahoie bilden. Gott ist ein 
Seieädea' dni'cb seine Wesenbeit, jedes Geeohaffene, gleichviel ob 
Wesenheit Oder -Aceidenzj ist ein Seiendes durch Antheikahme. ■ 
Nnn lebrt der heil. Thomas an mehr als einer Stelle, dase alles . 
Seiende durch Antheilnahme zurückgeführt werden mlisse 
auf das Seiende dur^ seine eigene Wesenheit (1. p. q. 41. a. I.}. 
Der engliecbe Meister spricht nicht bloß von der Wesenheit und 
Existenz der Geseböpfe, sondern von jedem Seienden, anf welche 
Weise es immer existieren mag: omne ens, quod quocumque modo 
est a Deo esse. Da nun dasjenige, .wedurch das Tbätigkeitsver- 
mögen, die Potenz in actu gesetzt wird, ein ens sein muss, so 
Dinss dieses ens auf Gott als die Ursache zurUckgefUhrt werden. 
Das Agens in potentia ' kann folglicb nur durcb Gott und ihn 
allein ein Agens in actu ■ werden. Gott theilt demnach der 
Creatur dieses ens, diesen Act, wodurch die Crealur in acta 
ist, der Potenz mit, und diese nimmt es in sich auf. Darum muss 
die Theorie, dass Gott nicht auf die Potenz wirke, eine entscliie- 
lien unrichtige genannt, und deshalb lallen gelassen werden. Wie 
kann Gott der Wesenheit die Existenz mittheilen, wenn er nicht 
auf die Wesenheit wirkt? Wenn die Wesenheit das Dasein nicht 
in sieb aufnimmt, wie kann sie daän existieren? Ganz' dasselbe 
gilt von den Thätigkeitsvermögen oder Potenzen der Geschtipfe. 
Diese Potenzen kOimen in ordine operativo nicht existieren, in. acta 
Bein, wenn sie das, wodurch sie formell in actu gesetzt werden, 
nicht in sich aufnehmen; und sie vermügen es nicht in' sich auf- 
zunehmen, außer Gott theilt es ihnen mit, wirkt auf sie ein. 
Wird die Potenz nicht geändert, erhält sie selbst keine neue 
Vollkommenheit, so ist und bleibt sie ewig der Möglichkeit, 
nicht der Wirklichkeit nacbthätig. Niemals wird der Efl'ect, 
die Thädgkeit aus ihr herausfließen, es sei denn auf Grund der 
praetnotio physicä, denn durch diese wird die Potenz zur Ur- 
sache. 

69. Man beanständet fortwährend das Wort: „V o r h e r- 
bewegnng'', praemotio, dessen die Thomisten sich in dieser Frage 
bedienen. Dieses Wort, so sagt man, findet sich in den Werken 
des heiligen Thomas nirgends. 

Wir legen auf dieses Wort kein besonderes Gewicht, wohl 
aber auf die Sache. Lehrt man einfa<^, Gott führe die Creatur 
aus dem Zustande der Unthätigkeit in jenen der Thätigkeit 
über, er mache aus 'der passiven Potenz eine active, so ist 
damit die Lehre des englischen Meisters und der Thomisten genan 
und klar gekennzeichnet. Um Worte streiten wir nicht. 

MilL Bezug auf die Behauptung, dass S. Thomas nirgends das 



---- 154 - 

Wort praemotio gebraucht, überlassen wir dem englischen Lehrer 
selber deren Widerlegung. Die Bewegung des Bewegers geht 
der Bewegung des Beweglichen, dem Wesen und der Ur- 
sache nach, voraus. Motio atdem moventis praecedit motutn 
mobili» ratione et causa. 3. contr. Gent. c. 149. Der Doetor Ange- 
licus stellt hier* die Frage, ob der Mensch die Gnade verdienen 
könne? Die Antwort darauf lautet verneinend. Denn jedes Ding 
verhält sich zu dem, was ü b e r i h m ist, wie der StoflF. Der StoflT aber 
bewegt sich nicht selber zu seiner Vollkommenheit. Er mnss dazu 
von einem andern bewegt werden. Der Mensch bewegt sich 
folglich nicht selber, damit er die Gnade erlange, die über ihm 
steht, sondern er wird zu diesem Zwecke von Gott bewegt. 
Nun folgen die früher angeführten Worte. Der Heilige schließt 
dann mit den Satze: „Nicht deshalb wird uns die göttliche Hilfe 
zutheil, weil wir uns durch gute Werke dazu bewegen, vielmehr 
(potim) bewegen wir uns darum durch gute Werke vorwärts, weil 
die göttliche Hilfe uns zuvorkommt, quia divino auxüio prae- 
venimur^. Das Wort: praevenire kommt in diesem Gapitel wenig- 
stens sieben- oder achtmal vor. 

Wenden wir nun den Grundsatz des heil. Thomas auf unsere 
Frage an. Die active Potenz, das Agens in actu, ist ohne 
Zweifei höher als die passive, das Agens im Zustande der Potenz. 
Die passive Potenz idt unthätig, die active hingegen thätig. Und 
der Grund, warum das Agens in der Potenz keine Thätigkeit aus- 
übt, liegt nach der Lehre des heil. Thomas in der Unvollkommen- 
h e i t dieses Agens^ Die Potenz im passiven Zustande verhält sich 
somit wie der Stoff. Nun wurde nachgewiesen, dass die Creatar 
im passiven Zustande nicht durch sich selbst activ werden 
kann. Sie kann sich nicht selber eine Vollkommenheit 
geben. Dies kommt einer contradictio in ac{;ec^o gleich/ Keine 
Ursache vermag eine Wirkung hervorzubringen, die vollkommener 
ist als sie selber. Diese Vollkommenheit verhält sich wie die Form 
zum Stoffe. Sowenig die Materie, der Stoff, sich selber zur Form 
bewegt, sowenig bewegt die passive Potenz, das Agens* m potentia^ 
sich selber zur Vollkommenheit, durch welche es Agens in adu 
wird. Diese Bewegung muss von einei& Agens in adu ausgehen. 
Das einzige Agens, welches immer und von Natur aus durch 
sich selber in adu ist, nennen wir Gott. Wenn aber nach der 
Lehre des englischen Meisters die Bewegung Gottes, des Bewegers, 
der Bewegung des Beweglichen, nämlich der Greatur, der Natur 
nach vorausgeht, hat dann S.Thomas nicht die praemotio 
physica gelehrt? Die Thomisten behaupten nichts anderes, als 
dass die Bewegung Gottes der Natur und Causalität nach 
vorausgehe. 

In der vorhin oitierten Stelle aus der Summa contra Gentes 
bemerkt der heil Thomas in n. 3, die menschliche Seele verhalte 



— 155 — 

sich jGiott gegenüber^, wie das particuläre Agens zam universellen. 
Darum sei es ganz unmöglicb, dass die Thätigkeit Gottes einer 
Bewegung der Seele nicht zuvorkomme (quem non praeveniat 
actio divinaj. Eb ist richtig, dass S. Thomas nicht ausdrücklich 
das W ort :^„praemotio^^ gebraucht. Allein welcher Unterschied waltet 
ob zwischen diesem Worte und dem Ausdrucke; ^,praecedü^^ und 
„praevenit^'. Hierin eine nennenswerte Verschiedenheit heraus zu 
finden, dürfte etwas schwer sein. 

Und wenn der englische Lehrer andei-swo sagt, Gott bewege 
die Geschöpfe. zur Thätigkeit, was ist dann der Natur und 
Causa li tat nach früher, die Bewegung durch Gott, oder 
die Thätigkeit derCreatur? Offenbar die erstere, denn durch sie 
wird das. Geschöpf zur Thätigkeit gebracht. Cfr. de potentia 
q. 3. a. 7. Daselbst heißt es ad 3.: Bei der Thätigkeit, durch welche 
Gott die Natur bewegt, wirkt die Natur nicht mit. In operatione, 
(jua Deus opercUur movendo naturam, non operatur natura. Wenn 
diesem Ausspruche zufolge Gott tbätig ist, indem er das Geschöpf 
bewegt, während das Geschöpf selbst dabei nicht thätig ist, 
keine Thätigkeit entfaltet, muss dann nicht behauptet werden, 
diese Bewegung durch Gott erfolge früher als die Thätigkeit 
der Creatur? Sollten denn diese. Worte in der Wirklichkeit so 
grundverschieden sein von der praemotio physica? Das wird im 
Ernste niemand glauben. 

Nach der Lehre des heil. Thomas muss jedes Agens in po- 
tentia von einem Agens tn actu, in den Act übergeführt werden, 
und diesen Vorgang nennt er Bewegung (1. 2. q. 9 a. 1.). Was 
ist nun der Natur und Causalität nach früher, die Thätigkeit 
des Agens wodurch das Agens in potentiay in den Act übergeführt 
wird, oder das Übergeführtwerden des Agens in potentia ? Die 
Ursache muss doch gewiss früher sein als die Wirkung. Der Zeit 
nach sind beide zugleich. Der Würde und Causalität nach ist 
ohne Zweifel erstere früher. Die Bewegung ist allerdings eine 
gemeinsame Thätigkeit des Bewegers und Bewegten, allein eine 
andere Thätigkeit ist eine Bewegung verursachen, und eine 
andere diese Bewegung aufnehmen. Darum unterscheiden wir zwei 
Kategorien oder Prädicamente, nämlich : thun und leiden (2. contr. 
Gent c. 57.). Es bedarf aber doch sicher keines langen Nach- 
weises, dass die Thätigkeit der Natur und Causalität nach früher 
genannt werden muss, als das Leiden. Das Leiden oder Aufnehmen 
einer Thätigkeit erfolgt ja auf die Einwirkung, die Thätigkeit des 
Agens. Dieses Leiden, dieses Aufnehmen aber bildet keine Thätig- 
keit im eigentlichen Sinne, sonst wären nicht zwei .Kategorien. 
Tbätigsein heißt geben, mittheilen, die Thätigkeit ist ein Ausfließen 
aus dem Priöeip, aus der activen Potenz. Das Agens hi potentia 
muss vorerst durch, die Bewegung, die von Gott gewirkt wird, 
Agens in actu werden. Solange es das nicht ist, übt es keine 



■ . _ 156 — . 

Thätigkeit ans, weil es in diefFem Znstande ^icht Prineip. einer 
TbStigkeit sein kann. Dieses. Prineip wird Tielmelir von der 
actiTen Potenz, vom dem Agens in actu gebildet. Mit Recht 
bemerkt aber, der engliBcte Lehrer, die Creatur sei bei dieser 
Überführung aus dem passiven in den active'n Zasund nicht 
tbätig. Sie nimmt, bloß den EinSuss Gottes in sich auf. Wir.habeD 
somit 'bei diesem Vorgange zwei Eactoren :' die Bewegung Gottes, 
tind das Bewegtwerden der Creatnr. J)ie Creator wird von Gott 
Jjewegt, diese Be'wegnng geht von Gott, nicht vom .GeBebQpfe 
ans, weil das Geschßpf dabei noch uicfat in actu, •Agens in aetu 
' ist, sondern auf dem Wege dazn sich befindet. Und do'chsoli die 
Tbätigkeit Gottes nicht der Natnr und Cansaütät naeh der Thätig- 
keit. des Geschöpfes torhergehen, sondern beide zugleich 
^ein ! Wie ist so etwas möglieb? Das» die -Bewegung der Zeil 
nach fi'Uher s'ei, hat niemand behauptet, niid konnte niemand 
vertheidigen, weil Gott nicht in .der Zeit. wirkt. 

70. Der engbsche Meister sagt zutreffend, Gott bewege die 
Geschöpfe zur Tbätigkeit oder er appliciere die Kraft znr 
Tbätigkeit (de potenlia q. 3. a..7.). Das Wort applicieren mnsa 
genau erklärt werden, we|l es einen zweifachen Sinn haben kano. 
Man kann ein Instrument, welches schon thätig ist, z. B. das 
fließende Wasser, eine im Gang befindliche Maschine, dirigieren 
nnd zu einer Wirkung applicieren, die das lustmment allein 
fUr sich nicht erzielen wUrde. Bei diesem Vorgänge wird das 
Instrument nicht überhaupt in Tbätigkeit gesetzt , sondern 
der Beweger bedient sich dieser Tbätigkeit zum Zwecke eines 
höbem Effectes. In dieser Weise wird von den Gegnern der Eio- 
fluss Gottes auf den Willen erklärt. Der Wille ist aus nnd 
durch sich selber thätig, aber er kann ohne Hithilfe Gottes 
den gewünschten Effect nicht hervorbringen. Allein diese Ansiebt 
widei-spricbt direot der Lehre des heil. Thomas. Der Wille ist ihr 
znfolge ans und durch sich Itberbaupt nicht thätig, 
Damm kann Gott nicht ohne weiters die Tbätigkeit des 
Willens applicieren, wie man ein bereits thätig es Instrument 
appliciert. Der Wille muss darum von Gott erst zur Tbätig- 
keit appliciert werden, Gott muss ihm die Tbätigkeit selber mit- 
theilen. Wie kann nun dieses geschehen? Lässt es sieb ansfllbren 
ohne Mittheilung einer Vollkommenheit, so dass der Wille dabei 
passiv Agens in polentia bleibt? Dies ist einfach ein Ding der 
Unmöglichkeit. In diesem Falle wird der Wille niemals eioe 
Tbätigkeit ausüben, weil er nicht Thätigkeitsprincip, und eine 
Tbäligkeit ohne Prineip dieser Tbätigkeit nicht denkbar ist. 
Gott kann allerdings eine Tbätigkeit des Willens ohne den 
Willen hervorbringen, denn die Tbätigkeit ist Aecidens und vom 
Willen real unterschieden. Allein er vermag . nicht zu bewirken, 
dflss diese ' Tbätigkeit eine Tbätigkeit des Willens sei. Die 



— . 157' — • 

Tbättgkeit des Willens mnss tod ihm -selber als dem 
innera Prineip hervorgehen (1. 2. q, 6. a..l.)- I^'" paaeive 
Wille aber, das Agens in pdtmtia, bHdet'keia Prineip der ' 
Tliätigkeit. t)i<e active Potenz, das AgeuB in acfUfist Prineip 
der Thätigkelt. Daraus folgt zur Eridenz, dass der Wille ohne 
Verändernng, ohne nene in sich aufgenommene Voll- 
kommenheit, nie und nimmer ans dem passiven Zastamle,' 
aQB der' Unthutigkeit, herauskommt. Eben diese Vollkommen^ 
)ieit wird ibui durch die Bewegung Gottes mitgetbeilt, dadurch 
wird er zum Principe,- zur Ursache seiner Thätigkeit erhoben. 
Und als Ursache wiiilt er, ist er tbätig. Es liegt aufderHandj 
dass hier von IrUher und' später die Rede ist (de poteutia q. 3. 
a.7. ad. 4, 9.). * - ' ■ ■ ' ' 

71. Gegen unsere bisherige Darlegung kann der Einwand er-. 
hoben frerden, däss zur Erklärung dpr von uns vorgebrachten That- 
gacben die physische Vqrherbeweguug keineswegs erforderlich sei,. 
sondern der simultane Concurs sich als vollkonimen aüsieichead 
•erweise. Dieses sei umsoniebr dann der Fall, wenn zwischen der 
Poteu? oder-Kraft .m acfu, und dfer Tbäügkeit, der EraftänJJerung 
'selber kein sachlicher Unterschied Migenommen wird: 

' Wir werden, um unsere Behauptung apfrecbt 'erhalten zi^ . 
kJinnen, nothweDdig Über den sogenaooten simultanen ConCnrs - 
nts Klarheit verschalen mtlsgen. Nach der Lebre des heil. Thomas 
gibt es eine doppelte Bewegung: die eine von der Kraft zur Wirlt- 
hchkeit, "von der Potenz zum Acte, wie z. li. das kalte Wasser 
warm wird, in warmes übergeht, oder die Sehkraft zum wirklichen 
' Sehen fortschreitet; die andere Bewegung geht vom Thätigeu auf 
ein Snbject über, welches jiiese Tbätigkeit aufnfmmt, wie z. B. 
' das klionnenlicht die Luft erhellt, so dass die liuft' selbst in der 
Wirklichkeit bell ist (4. dist. 1. q. 1. Ji. 4. qu. 4.). Die erste Bewe- 
gung darf von Gott nicht ausgesagt werden; denn seine Kraft 
geht nicht aber in eine Tbätigkeit, weil sie selber schon Tbätigkeit 
iet, sachlich ein und dasselbe mit der Tbätigkeit ausmacht. Darum 
nennen wir Gott den uobeweglichen Beweger. Er bewegt 
alles, ohne selbst bewegt zu werden. In den Creaturen dagegen 
finden wir sowohl die et%te ^ie die zweite Bewegung; denn keine 
ist reine Kraftäußerang, reine Wirklichkeit. Fassen wir ihre 
Wesenheit ins Auge, so sehen wir, dass sie aus und durch sich 
selber nur möglich, nicht wirklieh. ist. So gut sie da ist, that- 
aächlicb existiert, ebensogut kljonte sie auch nicht dasein. Die 
wirkliche Existenz kommt ihr somit nicht nothwendig zu, sie 
existiert formell nicht, weil sie diese oder jene, weil sie Überhaupt 
Wesenheit ist. Die Wirklichkeit wird ihr folglich durch etwas 
zotbeil, was zu ihr hinzutritt, von ihr aufgenommen wird. Die 
Wesenheit der Geschöpfe, wie vollkommen sie sonst auch sein 
möge, bildet demnach nicht eine reine, sondern eine gemischte, 



— 158 — 

zusammengesetzte SnbstaDZ. Dadarcb ist sie weBentlich 
nnd eia- flir xllemal nnterscbieden von der Sal)atanz, dem Wesea 
Gottes. Die Weseabeit verhält sich zu ihrer Wirklichkeit wie das 
anfnehmende, empfangende Subject. Aas diesem Grande wird sie 
leidend, passiv geoannt, nnd dasjenige, was von ihr aufgenommen, 
nnd wodurch -sie wirklich wird, heißt Act, Fonn, Kraft,. Weil die 
Wesenheit dieser Kraft gegenüber sich empfangend, aufnehmend 
verhält, im Zustande der sahjectiven realen Möglichkeit ist, des- 
halb muss diese Kraft ihr von einer äiiJ^em Ursache mitgetheilt 
werden. Sie kann dieselbe nicht sieb selber geben, so weifig als 
der Marmor sich die Wirkliebkeit einer berrlicben Statae ztt ver- 
leiben imstande ist. 

Das soeben dargelegte Verhältnis finden wir auch in der 
Kraftäußerang oder Tbätigkeit der Geschöpfe. Sie besitzen Kräfte, 
allein sie äaßern, sie entfalten dieselben nicbt, öder wenlgsteos 
nicht immer. Manche Dinge wirken gar. nicht aufeinander ein, 
andere nnr unter bestimmten Umständen. Der Stoff bewegt Über- 
haupt nicht, seine Eigenschaft besteht ausschließlich darin, «ine - 
Bewegung aufzunehmen. Das ganze Universum mnsste darnm 
„{leu ersten Stoß" von einer äußern Ursache erhalten. Daraus 
ergibt sich, dass die, Bewegung, die Kraftäußerung oder Tbätig- 
keit nicht zum Wesen derGeschöpfe gehört, nicht aus dem Wesen 
dei-aelben folgt, denn sonst müssten alle thätig sein, eine Bewe- 
gung verursaebed, nicbt aber eine soicbe aufnehmen, und Über- 
dies die Bewegung ohne Aufboren fortsetzen. Wäre die Thätigkeit 
ein und dasselbe mit dem Wesen, so könnte dasselbe ohne sie 
nieht existieren. ^Die Eraftaußerang muss demnach den Geschöpfen 
von einer außerhalb der Geschöpfe un4 Über denselben stehenden 
Ursache mitgetheilt, die Geschöpfe mUssen von Gott bewegt werden 
(l. p. q. 2. a. 3. — 1. conti-, öent. c. 13.). 

Die Lehre, d^sB Gott bei jeder Kraftäußemng oder Tbfitig- 
keit der Creatoren in irgend einer Weise, mitbetbeiligt sei, kann 
ohne Frage als eine allgemein angenommene bezeichnet werden. 
Die Materialisten lassen wir hier natürlich ganz beiseite. Eine 
andere Theorie wollen wir aber bier vor allem richtigstellen, weil 
sie vou der Doetrin des heil. Tbom&s aUweicht, Die Frage über 
den EiufiusB Gottes auf die Creatur, speciell aof die vernünftigen 
Geschöpfe, wird unrichtig aufgeworfen. Wir fragen stets, aufweiche 
Weise Gott bei der Tbätigkeit der Geschöpfe mitwirke. 
Der heil. Thomas hingegen erklärt uns fortwährend, auf welche 
Weise die Creatur bei der Tbätigkeit Gottes mitwirke. 
Man vergleiche z. B. die Stelle: 4. dist. 5. q. 1. a. 2, wo der eng- 
lische Lehrer ausdrücklich vier Arten aufzählt, auf welche die 
Creator mit Gott wirkt, nicht umgekehrt. Dieser Unterschied 
ist von Wichtigkeit, denn nicbt die Creatur bildet das Hanptagens, 
sondern Gott. Das Geschöpf steht Gott gegenüber im Verbältnisse 



— 159 — 

eines lostramentes. Die Thätigkeit aber wird mehr dem Haupt- 
agens als dem Instrinneiite zngesehrieben. Dae Hauptagene ist 
eigentlich dasjenige, was thätig ist, das Instrument dagegen das- 
jeoige, wodurch das Hauptagena seine Thätigkeit entfaltet, ob- 
gleich dae InstmntCDt selbst ebenfalls wirkt. 

Die Creatur wirkt daher insofern simultan mit Gott, als 
gie ihre instmmentelle Thätigkeit entwickelt und in dieser Thätig- 
keit zngteich auch die Thätigkeit der göttlichen Kraft enthalten ist. 

Simultan tbätigscin bedeutet nicIiQi anderes, als zugleich eine 
Thätigkeit setzen. Bei dem aimultanen Coucurse wirkt demnach 
nicht ein Agens allein und getrennt von den übrigen, sondern alle 
bethätigeo ihre Kraft zugleich. Dies trifft ganz besonders dann 
ZD, wenn die Tbätigen voneinander unabhängig, einander nicht 
unter- und Ubergeordöet sind. Der englische Meister bemerkt aber 
aach an einer stelle mit Recht, das habere Agens wirke nicht 
getrennt (seorsm)- von den- niedem, untergeordneten; denn das 
letzte oder niederste wirke in der Kraft aller frühem. „Darum", 
meint S, Thomas, „werden der Wirkung verschiedener Thiitigen 
nicht versxihiedene Formen eiugeptägt, sondern es iät nur 
eine einzige in derselben, die vom unmittelbaren Agens, 
irelches der Kraft nach oder virtnell alle vorausgehenden Formen 
enthält, dem Effecte mitgetheilt wird (de spirit. creat. a. 3. ad 20.]. 
Der simaltane Cononrs des heil. Thomas wird uns noch später 
besehäftigen. 

Das Wort: ^zugleich" kann indessen ein Zweifaches bedeuten. 
Es wird damit entweder die Zeit gemeint, so daas dadurch aus- 
gedrückt wird, etwas geschehe zu gleicher Zeit;- oder es wird 
dabei.die Causalität tind Natur als frllhere oder als zngleiche ins 
Auge gefasst. Eine Ursache kann „gleichzeitig" sein mit ihrer 
Wirkung, allein det -Natur und Causalität nach, d. h. formell als 
Ursache, musa sie frUher sein. In unserer "Frage haben wir es 
anssohließiich mit .dem zugleich 'oder frUher in Bezug auf die Cau- 
salität und Natur zu thun. Behauptet man also, äie Thätigkeit 
der Geschöpfe' und Gottes werde zugleich ausgeübt, so will man 
' damit' andeuten, dass die .Thätigkeit des einen unabhängig von ' 
jener des andern vor ^ich geht. Die Thätigkeiten beider treffen 
nur in ^er Wirkung zusammen, während sie selbst nicht im 
Verhältnisse der Ursache und Wirkung zu einander stehen. Das 
Beispiel von mehreren, die ein Schiff ans Gestade ziehen, macht 
uns die Sache anschaulieh. Die Thätigkeit des einen wirkt nicht 
ein auf diejenige des andern, sondern alle haben denselben ter- 
, minus: das Schiff, welches durch die Thätigkeit aller zugleich , 
ziehenden Kräfte bewegt wii-d. Sie hängen nur im Erfolge, hin- 
sichtlich der Bewegung des Schiffes voneinander ab, indem die 
Kraft des einzelnen nicht hinreichen wUrde, diese Bewegung des 
Schiffes zn verwirklieben. In unserer Frage verursaeht demnach 



— • 160 -^ 

(Sott alles dasjemge, alle jene Effecte, 'welche voti den Creataren 

' bewirkt werden, zu gleicher Zeit, mit diesen Creataren. Allein er 
bewirkt nicht', dass die Geschöpfe selber th ä tri g werden, in 

• Thätigkeit .Übergehen. Er trägt somit hnr zum Gelingen 
dcfs Effectes bei. * ;Wenn das Feuer dasi Wasser erwärnut," sagt 
P.' Molin'a, ,^im Wasser Wärme erzeugt, so ist dabei auch. Gott 
tbätig. Allein er wirkt nicbt auf das Feuer, sondern auf das 
Wasser, in weichein der Effect, die Wärme,*, welche von Gott und 
dem Feuer zugleich hervorgebracht wurde, Aufnahme findet. Das- 
selbe muss bei deü immanenten Thätigkeiteü gesagt werden. Der 
allgemeine Concurs Gottes mit der thäti^en Ursache z. B. mit dem 
Verstand^ bei der . Verständesthätigkeit, bei dem» Erkennem, und 
bezüglich des Willens bei dem Wollen, ist jiicht ein Einfluss Gottes 
auf die Ursache, als wäre diese thätig, pachdem sie früher bewegt 
und angeregt worden ** (Concordia q. 14. a. 13. disp. 29. Seite 12?. 

.. ed. Antverp.). Diese Doctrin .wird noch in neuester Zeit vorgetragen, 

. indem man die Theorie aufstellt, Gott wirke den Effect, nicht aber 
den Act 'oder die Thätigkeit Um die Sache recht klar zu .machen, 
hat man wieder zum 'Sphiffe als Ai^skunftsmittel -gegriffen. Gott, 
sagt man, bildet für das Schiff den Wind, der daa SchifiT in Be- 

' wegung' setzt, z. B. nach Osten,* ohne dasselbe in einen bestimmten 
Hafen zu treiben. Letzteres besorgt der Steuermann, der, das 
Steuer' in der Hand, das Schiff dahin oder dortbin lenkt. 

72. Reicht der simultane Concurs, in dieser Weise • gefasst, 
näitalich:als Einfluss Gottes auf die Wirkung, hig zur Erklärung, 
•wie die Geschöpfe bei der Thätigkeit Gottes * mitwirken ? Wir 
müssen es verneinen. ' . ' * 

' Der Hauptfehler der Vertheidiger des ausschließlich simultanen. 
Concurses besteht 4artn, dass sie die Greatur ohneweiters als thätig 
hmstelFen. MoÜQa spricht schon von einer cau^ar operans, ebenso 
alle andern, bis herab zum 'Erfinder des berühmten Scjiiffes. Die 
Gfigaer des Thomismus nfachen^sifh die Sache etwas zu leicht 
Wir * gebim unbedingt zu, dass das Schiff vom Wind getrieben 
wircl. Allein, abgesehen von der contradictio in aii/^e^; .dass man 

' das Schiff sich „im allgemeinen^ bewegen lässt, als gäbe es 'über* 
haupt eine „allgemeine Bewegung,^ eine „{iligemeine Thätigkeit"^, 
wird dabei zunächst ganz vergessen^ uns zu sagen, v^er denn 
den Steuermann bewegt, in Thätigkeit versetzt. Oder. sollte viel- 
leicht der Wind es sein, der den Steuermann aus d^r Rülie briagt 
und das Steuer in die Hand zu nehmen anregt? In diesem Falle 
wäre es ja doch thatsächlich der Einfluss des Windes auf die 

^Ursache, den Steuermann, was man gerade mit diesem Bei- 
spiele leugnen will. Wenn aber der Steuermann, anstatt das Steuer 
in Wirklichkeit, thatsächlich zu handhaben, zu dirigiereo, 
ruhig und unthätig neben demselben sitzt und in aller Gemtith- 
lichkeit seinen Grog trinkt, was dann? Das Schiff wird sich zwar 



_ 161' — 

iofolge deB Windes auch dann Doch bewegen, allein diese Bewe- 
gnng bat mit dem SteDermann nichts zn thun, darf deimelbeti io 
keiDer Weise zugeschrieben werden. Mit diesem sehr faubschen 
Fahrzeuge kann man folg-Hch die Schwierigkeitea sehr glücklich 
mit Yollen Segeln umschiffen, za lösen jedoch Termag man die- 
selben nicht. Um das Cap der guten Hoffnung kommen wir 
diuiiit nicht herum. ITnsere erste Frage igt immer die, wie die 
Creatnr, welche mit der Eraftentwioklang, mit der Thätigkeit 
sachlich nicht identisch ist, za dieser ihrer Thätigkeit komme? 
fiel dieser Festung Gibraltar darf kein Schiff, auch nicht das 
des F. Comoldi vorbei, wie herrlich auch der. Wind die Segel 
streicht und schwellt. 

Wir haben oben gesehen, dasB der englische Lebrer eine 
doppelte Bewegung vertheidigt: diejenige von der Müglicbkeit 
(potetUia) in die Wirklichkeit (in actu) und jene Ton der Wirklich- 
keit in den Eifect. Erstere muss nothwendig der*Natur und Gau- 
salität nach früher sein, denn wirken, seine Kraft entwickeln kaun 
ein Ding erst, wenn es wirklich (in actu) ist. Von dem Seiuigeu 
nüdern mittheilen, kann man nur, wenn man selber etwas besitzt. 
Der mögliebe Reicbtbum genügt dazu nicht, es muss der wirk- 
liche sein. ISerlibrt nun der Einfluss Gottes das Thätigkeitepriucip 
der Creatur, welches bloß in der Möglichkeit zum Handeln 
ist, nicht, so bleibt es eben in dieser Möglichkeit nnd daraus wird 
ewig nie eme Thätigkeit folgen. Von einem Concurse darf man 
dann nicht reden, weil zu diesem zjwei Tbätige gehören. Darum 
verwhft der heil. Thomas den Concurs bezüglich der ÜbeifUbrung 
der Creatur aus der Potenz in den Act, indem er lehrt, bei der 
Thätigkeit, durch welche Gott, die Natnr bewegend, wiikt, habe 
die Natur selber nichts zu tbun, bleibe sie unthätig (in o^peratiane 
qua Dens operatur movendo naturam, non operatur natura, de po- 
tentia q. 3. a. 7. ad 3.). Wenn aber das, dann kann man nicht 
sagen, Gott and die Creatur seien zugleich thätig. Offenbar ist 
danu Gott' früher thätig. Wohbr sollte denn auch die Creatur 
ibre Thätigkeit . haben ? Aus sich selber? Kann sie sich selber 
etwas geben, was sie frUher nicht hatte? Es ist auch nicht richtig, 
^^enu P. Klentgen ausweichend antwortet, es sei wenigstens die 
Eotfemung eines Hindernisses erforderlich, dass ein Ding, welches 
früher unthätig, jetzt eine Thätigkeit entwickle. Dieses 'Hindernis 
kann allerdings die Thätigkeit, welche schon vorbanden 
ist, aufhalten, allein das ist ein unnatürlicher Zustand, den 
wir Gewalt und Zwang nennen. Sollen wir nun anDehmen, Gott 
habe die Creaturen in diesem unnatürlichen Zustande geschaffen 
und seine Thätigkeit bestehe nur darin, die Hindernisse aus dem 
Wege zu räumen? Es handelt sich jedoch um die Frage, wie die 
Creatoren überhaupt thätig zn sein anfangen. Bedürfen sie da» 
erstemal dei praemotio physica, danu ist der Beweis fUr ihre 

FsUner, WmeMfrelhelt 11 



— ^162 — 



Nothwendigkeit erbracht. Hinsichtlich des Willens aber erweist 
sich diese Theorie als unrichtig, weil der Wille kein Hinder- 
nis kennt. Ihn kann niemand zwingen, unthätig zu bleiben, er 
weiß von keiner Gewalt. 

Wenn er also manchgaal tbätig, manchmal unthätig ist, so 
müssen wir den Grund dafür anderswo suchen als in einem Hinder- 
nisse oder in der Entfernung dieses Hindernisses. Solange d^ 
Geschöpf unthätig ist, fehlt ihm eben die letzte formelle Voll- 
endung, die Wirklichkeit in ordine operativo; seine Kräfte ver- 
halten sich« passiv. Das Princip der Tbätigkeit bildet aber die 
active Potenz. Diese active Kraft oder diese potentia in actu ist 
/las Princip der ^Tbätigkeit und des Effectes (l. p. q. 25. a. I.)^ 
Bei dem Proeesse, durch welchen die passiven Kräfte active 
werden, können diese selber keine Tbätigkeit ausüben, weil sie ja 

. erst active werden und das Princip jeder Tbätigkeit die active 
Potenz bildet. Daher sagt der englische Meister bei diesem Vor- 

• gange, bei der Überführung aus dem passiven, in den activen 
Zustand seien die Geschöpfe nicht thätig. Diese Überfbbruug 
muss demnach früher sein als die Tbätigkeit der Geschöpfe. 
Darum erklärt der heil. Tbomas, die Bewegung des Bewegers gehe 

' der Natjir und Oausalität nach der Bewegung des Beweglichen 
voraus (motio moventis praecedü mdtum mobilis ratione' et causa. 
3. contr. Gent. c. 149).* Die Tbätigkeit Gottes ist sojnit früher 
als die Aufnahme derselben im Vermögen, in der Potenz, und 
ein simultaner Goncurs dadurch ganz und gar unmöglich. Denn 
ein simultaner Goncurs, wobei der aüdere Theil unthätig ist, bildet 
eine contrac[ictig in adjedo. Die Creätur muss also früher von 
Gott verändert, vervollkommnet, dem Thätigkeits vermögen etwas 
mitgetheilt werden, damit, es in actu sei, in ordine operlUivo Wirk- 
lichkeit hkbe, dann erst wird es seine Kraft äußern und bethä- 
tigen. Wirkt Gott nicht auf dieses Vermögen ein, so. bleibt es 
selbst passiv, und wenn Gott hloB die Tbätigkeit wirkt, so ist 
diese Tbätigkeit nicht formell die Tbätigkeit der Greatur, 
da sie nicht aus dem Thätigkeits v e r m ö g e n }iervorgeht. Von 
einer passiven Potenz geht ewig nie eine. Tbätigkeit aus.. Sie 
muss früher vervollkommnet, in. die Wirklichkeit übergeführt 
werden, dann tritt sie in Tbätigkeit. Die Vollkommenheit des Ver- 
mögens ais solchen reicht allein nicht hin, um eine Tbätigkeit 
auszuüben. Mit meisterhafter Klarheit hat S. Thomas diese Wahr- 
heit dargelegt. Er schreibt diesbezüglich: „Bei der Bewegung der 
Körper sehen wir, dass die Form, die Kraft, die das Princip der 
Bewegung oder Tbätigkeit bildet, sich als unzureichend erweist 
Zur .Bewegung ist auch noch die Bewegung des ersten Bewe- 
gers nothwendig. Mit Bezug auf die Körper aber ist der erste 
Beweger der Himmelskörper. Wie vollkommen demnach die Hitze 
'des Feuers auch sein mag, es wird dennoch keinen Gegenstand 



— 163 — 

erwärmen, weon es nicht vom Himmelakörper die Bewegung em- 
pfängt. Gleichwie mm alle Körperbewegungen zarilobgefUbrt werden 
niüBBen auf den Hiuimetskßrper, als den ersten Körperbeweger, 
ebenso niUssen alle Bewegungen, seien es körperliche oder gei- 
stige, zurückgeführt werden anf Gott, den Beweger schlechthin. 
Mag darum eine körperliche oder geistige Natur noch so roU- 
koninien sein, sie kann nicht ia Thätigkeit übergehen 
(non potest in suum actum procedere), wenn sie nicht von 
Gott bewegt wird. Diese Bewegung erfolgt indessen nach dem 
Plane seiner Vorsehung, nicht wie die Bewegung des Himmels- 
körpers, mit Naturiioth wendigkeit. Und nicht allein jede Bewe- 
gung stammt von Gott, dem ersten Beweger, sondern auch jede 
formelle Vollkommenheit ist von ihm, als der ersten Wirk- 
lichkeit, dem ersten Acte. Die Tbätigkeit des Verstandes, nnd 
überhaupt die Tbätigkeit jedes geschafTenen Seienden hängt 
folglich in zweifacher Weise von Gott ab. Ztmäcbst bat das Ge- 
schöpf von Gott die Vollkouinienheit oder Form, wodurch es thätig 
ist, überdies noch wird es von ihm zur Tbätigkeit bewegt 
{I. 2. q, 109. a. 1.). Diese Stelle des englischen Meisters läset einen 
Zweifel über die praemotio physica nicht aufkommen. Die Voll- 
kommenheit der Vermögen als Vermögen oder Potenzen genügt 
nicht dazu, dass ein Geschöpf in der Wirklichkeit eine 
Tbätigkeit ausübe. Es muss von Gott bewegt werden. Ist nun die 
Bewegung zu einer Tbätigkeit etwas anderes als die Vorfaer- 
bewegung? Kann jemand ein Ding anders bewegen als dadurch, 
dass er dasselbe ans einem Unthätigen zu einem Tliätigea macht? 
Wie aber geschieht dies anders, wenn nicht dadurch, dasa er 
auf dasselbe einwirkt, den Anstoß zu der Bewegung gibt? 
Das particuläre Agens kann niemals der Thätigkeit des ersten 
QuiverscUen Agens zuvorkommen, denn jede Thätigkeit des parti- 
culären Agens stammt vom universellen, wie die Bewegung des 
Himmelskörpers früher ist als die Bewegungen hier auf Erden. 
Die menschliehe Seele aber untersteht Gott, als partieoläres Agens 
unter dem universellen. Darum ist es geradezu unmöglich, dass 
die Seele eine Bewegung ausführe, welcher nicht die göttliche 
Tbätigkeit zuvorkommt. Ganz zutreffend sagt daher Jesus 
Christus (Johann. 15.): Ohne mich könnt ihr nichts thuu (3. coutr. 
Gent. c. 149.), Wenn also die Thätigkeit Gottes der Bewegung 
der Greatnr zuvorkommt, muss man dann nicht gestehen, dass 
Gott die Geschöpfe vorberbewege? Ohne Veränderung, Bewegung 
erfolgt keine Tbätigkeit in den geschaffenen Dingen, denn sie ist 
iätquid fiuena ab agente cum motu. Die Dinge müssen folglieh von 
demjenigen bewegt werden, der immerfort in Tbätigkeit sieb be- 
findet. l3ies ist nur Gott, denn seine Wesenheit unterscheidet sieh 
nicht sachlich von seiner Thätigkeit. Weun aber die Tbätigkeit 
jedes Bewegers der Natur und Causalität nach früher ist als die 



— 164 — 

Bewegung des Beweglichen, was ist sie dann anderes ala Vor- 
berbewegnng? Die Ursache rnnas doch gewiss früher sein als 
die Wirkung. 

Der heil. Thomas spricht auch davon, dass dasjenige, was 
Gott in den Geschöpfen wirkt, and wodurch dieselben aetnell 
thätig werden, ein unvollkommenes Sein in ihnen habe, wie die 
Tarlie in der Luft und die Kraft des Künstlers im Instrumente 
(de poteiitia q. 3. a, 7. ad 7.). Das, was Gott in den Creatnren 
witkt, ist somit in denselben, nnd durch dieses werden sie tbätig. 
Alles das aber widerspricht dem simultanen Concnrse. Diesem zu- 
folge beündet sich das, was Gott wirkt, im Effecte, es ist der 
Effeut gelber. Es berührt demnach die Ursache, die Potenz nicht. 
Ferner wird die Greatur durch den simultanen Concurs Überhaupt 
nicht aktuell thätig, sondern in ihrer Thgligkeit nnterstutzt, 
vervollkommnet, um eine Wirkung hervorzubringen, die von den 
Gescbö|>fen allein nicht bervorgebracht werden kann. Der eng- 
liscbe Meister dagegen behauptet, dass die Geschöpfe durcb das, 
was sie von Gott erhalten, in Thätigkeit Übergehen (quo 
res naturalis actutUäer agat). Damit ist hinlänglich bewiesen, dass 
der siumltane Concurs der Gegner sich mit der Lehre des heil. 
Thomas absolut nicht vertragt. Ebenso klar iat die Unzulänglich- 
keit ilesselben, da er uns davon nichts sagt, wie die passive Po- 
tenz v.m- activen, das agens i» potentia zu einem offms in aclu 
werde. Er setzt einfach voraus, was erst dargelegt werden soll, 
uämlicb den Übergang des Willens aus dem unthätigeu in den 
tbäti^eu Zustand, der ohne praemotio phyaica gar nicht möglich ist. 

§. 10. Gott die Ursache der Thätigkeit in den Geschöpfen. 

73. Im Voraosgehenden warde die Nothwendigkeit der ^tmemofid 
physica dargetban auf Grund des an und für sich von Matur 
BUS passiven Znstandes der Tbätigkeitsvermögen, der Potenzen, 
die außerstande sind, durch sich selber diesen Zastand za ver- 
iinilern, in einen activen umzugestalten. Dabei wurde die Lehre 
des li{;il. Thomas über den sachlichen Unterschied zwischen den 
Kräften, Vermßgen oder Potenzen der Geschöpfe im Zustande der 
möglichen und jenem der wirklichen Thätigkeit als Grand- 
lage angenommen. Dieser sachliche Unterschied kann nach 
unserer Überzeugung im Ernste nicht bestritten werden. Das eine 
ist in JL-ilem Falle gewiß, dass er vom englischen Meister gelehrt 
und wrllieidigt wird. Unsere bisherige Darstellung der Doctrin 
des heil. Thomas hat dartlber, so hoffen wir, in genügender Weise 
Anlat'liluss ertheilt. 

lietracbteo wir nun die zweite Art der Bewegung des Ge- 
schöpfes, von welcher der Doctor Angelicus in der frllher von ans 
citierten Stelle spricht, nftmlidi von der Bewegung des Agens m 



I 



— 165 — 

pasaum, in das antergeordnete Sabject. Das Agens mues, um diese 
Bewegung anszufllbren, bereits, in der Wirklicbkeit, in acht sein, 
denn nur dasjeuige theilt die Äiinlichkeit und Gute seiner Form, 
seiner Kral't einem andern mit, welches diese Ähnliclikeit und Gute 
tbatsächlich besitit. Das GescbOpf niuas folglich in aäu operutivo 
sein, hinsichtlich der Tbätigkeit Wirkbchkeit haben, damit es seine 
Kraftentwicklang äußere. Diese Kraflentwicklung oder Tbätigkeit 
wird ans im Gegenwärtigen eingehender beschäftigen. 

Als bekannte nnd allgemein angenommene Wahrheit gilt, dass 
sowohl Gott als auch die Geschöpfe, zumal diejenigen, welche 
eine geis^ge Natur, Verstand und Willen haben, im eigentlichsten 
Sinne thätig sind. Ebenso gewiB finden wir Gottes Tbätigkeit in 
jeder Xraftentfaltnng der Greatur. Denn es gibt kein äeieudes, 
oder auch nur einen Theil desselben, der nicht in irgend einer 
Weise von Gott wäre, Necesse est dicere, quod omne ma, quocumque 
modo eal, a Deo esse (l.p.q.44. a.l.). Dies ist nicht bluß Lehre 
des heil. Thomas, sondern des heiligen Glaubens. 

Wie verbalten sieb nun diese beiden Thätigkeiten, der Act 
Gottes und jener der Creatur zu einander? Sind sie zugleich in 
Bezug auf die Natur und Cansalität? oder ist die Tbätigkeit Gottes 
auch diesbezüglich früher, als jene des Geschtipt'es? ]>ie 
Gleichzeitigkeit kommt hier nicht in Frage, weil darüber kein 
Zweifel herrscht. Die Proposition, welche wir vertbeidigeu lautet: 

Die Tbätigkeit Gottes und der Creatnren sind niebt in dem 
Sinne simultan, dass sie der Natur und Cansalität nach 
zugleich ausgetlbt werden, sondeni nur insofern die eine nicht 
ohne die andere sieb vollzieht. 

Der englische Lehrer fUgt zu den Worten : „bei der Tbätig- 
keit, durch welche Gott die Natnr bewegt, sei die Natur selber 
nnthätig" Folgendes hinzu: „die Tbätigkeit der Natur igt aber 
andererseits auch die Tbätigkeit der göttlichen Kraft, 
gleichwie die Tbätigkeit des Inetrumentes durch die Kraft des 
Uauplagens erfolgt. Dies hindert aber nicht, dass Gott und die 
Natur ein und dasselbe wirken in Anbetracht der Über- uud 
Unterordnung zwischen Gott und den Creaturen" (de poientiaq. 3. 
a. 7, ad 3.). Diese Worte des englischen Meisters geben klar zu 
erkennen, dass beide Ursachen, Gott und die Creatur, in irgend 
einer Weise simnltan wirken, denn beide bringen einen und 
denselben Effect hervor, wie ausdrücklich bemerkt wiid. Dieser 
Effect aber ist die Tbätigkeit selber (sed ipsa naturae operatio 
est etiam operatio virttUis divinae). Wie bestimmt hier die Tbätig- 
keit vom Agens unterschieden wird, wollen wir nur nebenbei an- 
deuten. Die Tbätigkeit bildet den Effect des Agens, weit 
S. Thomas erklärt, es habe gar keine Schwierigkeit, dass Gott 
und die Natur ein und dasselbe wirken. Dieses ein und dasselbe 
war ihm numittelbar roriier die Tbätigkeit, die operatio. Die 



— 166 — 

Thätigkeit der Greatur bildet somit den gemeinsamen terminm der 
beiden Ursachen als der wirksamen Factoren. Welche von beiden 
mnss nun im vorhin angegebenen Sinne als die frühere be- 
zeichnet werden? Offenbar diejenige, welche zu dem, genannten 
Effecte die Kraft hergibt. Der Doctor Angelicus vergleicht die 
Thätigkeit des Geschöpfes mit der eines Instrumentes. Das Haupt- 
agens ist aber ohne Zweifel der Natur und Causalität nach 
früher thätig, als das Instrument, weil letzteres nur in der 
Kraft, auf Grund der Thätigkeit des ersteren eine Wirksam- 
keit ausübt. Denselben Grundsatz hat der englische Lehrer an 
einer anderen von uns schon citierten Stelle ausgesprochen, wenn 
er sagt, die letzte unmittelbare Ursache der Wirkung sei in 
der Kraft aller andern übergeordneten thätig, und es werde dem 
Effecte nur eine Form eingeprägt, die indessen virtuell, der Kraft 
nach, alle vorausgehenden Formen enthält (de spirit. creat. a. 3. 
ad 20.). Wir werden demnach, gestutzt auf die Doctrin des eng- 
lischen Lehrers sagen müssen, die Thätigkeit Gottes sei früher 
als die der Greatur. Obgleich die erste Ursache nicht getrennt 
von den untergeordneten wirkt, so ist doch andererseits ebenso 
sicher, dass letztere nur als Instrumente und in der Kraft der 
erstem thätig sind. Die Gausalität der ersten Ursache muss folg- 
lich auch in Bezug auf die Thätigkeit in gewisser Hinsicht als 
früher angenommen werden. Die Ordnung der Ursachen richtet 
sich, nach 8. Thomas, entsprechend der Anordnung der Effecte. 
Die allgemeinern Wirkungen müssen auf die allgemeinern und 
frühern Ursachen zurückgeführt werden. Die erste Ursache aber 
wirkt das DB.sein (esse) als den ihr „eigentlichen*" Effect, denn dieser 
ist der allgemeinste, die Verwirklichung (actus) und der formelle 
Grund, warum jedes Ding existiert. Die untergeordneten Ursachen 
applicieren dieses Sein auf irgend etwas, wodurch dasselbe 
materiell, nicht aber formell bestimmt, beschränkt wird. 
(2. contr. Gent. c.21.). Mit Bezug auf das Sein, die Existenz der 
Thätigkeit oder des Effectes verhält sich demnach die Greatur 
mehr als materielle denn formelle Ursache. Gott, das 
erstcÄgenS; bildet die f o r m e 1 1 e. Das Höhere ist stets formell. 
Formelle Ursache zu sein kommt dem Hauptagens, materielle dem 
Instrumente zu. Das Instrument aber wird nach der Lehre des 
heil. Thomas immer nur mittelst der Bewegung in Anwen- 
dung gebracht, denn es liegt im Wesen des Instrumentes be- 
wegter Beweger (movens motum) zu sein (1. c. ratio 4.). Da nun 
das Instrument in der Kraft des Hauptagens thätig ist, und 
diese Kraft eigentlich die Form, das Sein des Instramentes 
in ordine operativo bildet, so muss man auierkennen, dass auch 
bei dem sogenannten simultanen Goncurse, wie er vom heiligen 
Thomas vertheidigt wird, die Thätigkeit Gottes schlechthin 
(simplicüer) oder der Würde und Causalität nach früher ist. Die 



. _ 167 — 

Form ist schlechthin frliher als der Stoff, obgleich in ge- 
wisser Beziehnng die Sache sich umgekehrt verhält. 

74. Im Concurue dev Gegner des hei). Thonms kann die 
Tbätigkeit Gottes allerdings io keiner Hinsicht IVulier sein 
als jeDC des Geschöpres. Dafür ist aber aach darin für eine 
Unter- nnd Überordniing der Ursachen kein Platz. Je4e Ordnung 
gefalielft irgend eine Art fon früher und später in sich (2.'2. q.2U. 
a. 1. — 1. diät. 20. q. 1. a. 3".)- Wenn wir also .von einer Unter- 
ordonug sprechea, so dürfen wir dabei das „früher und später" 
oicbt>an3 dem Ange verlieren. Im sunultanen Cuncnrse der Gegner 
aber Wirkt keine der beiden Ursachen früher, nnd die eine steht 
ancb niclit im Verhältnisse eines Principes zur andern, wie es 
sich zeigt im Beispiele, wo mehrere eine Last heben, ein Schiff 
ziehen. Das von P. Liberatore so angepriesene Schiff des P. Cor- 
noldi wird durch Gott, den Wind, bewegt. Gott bewegt aua- 
flcblieitlicfa nur das Schiff, nicht den Steuermann. Er verhält ^ich 
demnach zu der Tbätigkeit des Steuermannes nicht als 
Princip derselben. Darum besteht in den beiden Thätigkeiten 
keinerlei Über- und Unterordnung, denn eine Ordnung ist nach 
S. Thomas nnr mSglieh in Rücksicht anf ein Princip (I. c. 1. p. q. 42. 
8. '6 ). Dieser Grundsatz wurde schon von Aristotelee geltend ge- 
macht. Im fünften Buche seiner Methaphysik bemerkt er, früher 
und später werde in jeder Ordnung ausgesagt mit Beza^ auf das 
Princip derselben Ordnung, z, B. früher im Orte, bezüglich des 
Principes der locatio, früher in der WiBsenschaft oder Kunst hin- 
sichtlich des Principe» derselben. Früher der Natur nach werde 
etwas genannt in Hinblick auf die Principien der Natur, die vier 
Ursachen. Was diesen Ursachen näher steht, das sei der Natur 
nach früher (Quodl. 5. a. 19.). Wo immer also ein Princip vor- 
handen ist, da muss auch eine Ordnung sein und infolge dessen 
auch ein FrUlier nnd Später. Darum beliebt sich das Früher der 
Natui; nach auf das Verhältnis der Ursache zu dem Terursachten, 
denn Princip) und Ursache sind identisch (4. dist. 17. q. I. a. 4. 
qu. 1.). Im simultanen Goncurse der Gegner bildet die Tliatigkeit 
Gottes nicht die Ursache der Tbätigkeit des Geschöpfes. Daher 
ist jede Über- und Unterordnung unmöglich, sie können nur 
neheneinaDder seio. 

Man hat zwar geltend gemacht, die Tbätigkeit Gotte^i sei 
insofern früher, als sie jeue der Creatur au Vollkommenheit über- 
trifft, von ' univeraellerer Wirksamkeit ist als die Tbätigkeit des 
Geschöpfes. Es bestehe somit eine Überordnnng der göttlichen 
Cansalität Allein wie wir soeben aus S. Thomas vernommen, reicht 
dieser Vorzug nicht? hin, wenn er nicht auch Ursache i^t. .Die 
Ttiätigkeit Gottes muss Ursache der Tbätigkeit de^ Geschöpfes, 
und letztere demnach Wirkung sein. Nun sagt uns P. Molina, 
80 oft das Feuer dem Wasser seine Form, seine Wärme mittheile, 



— 168 — • 

wirke Gott ebenfalls mit. Er wirke jedoch nicht auf das Feuer, 
sondern auf das Wasser, er wirke die Wärme im Wasser. 
Da ist doch offenbar von einer Über- und Unterordnung der ü r- 
sachen, der Thätigkeiten keine Rede. Gott wirkt ja nicht 
auf die Thätigkeit des Feuers, sie ist folglich nicht von 
Gott verursacht. Darum sind beide nebeneinander. Wer kann 
aber mit Wahrheit behaupten, Gott sei *t!7 eben Ursache in* Bezug 
auf irgend etwas. Geschaffenes? In diesem Beispiele ist er noch 
dazu eigentlich gar nicht Ursache eines geschaffenen Seien- 
den, nämlich der Thätigkeit ^des Geschöpfes, sondern bloß der 
Wirkung, der Wärme im Wasser. Ob an einer solchen Ansicht 
festgehalten wer3en darf? Wir bezweifeln es. Mit der Lehre 
des heil. Thomas steht sie im entschiedensten Gegensatz, and 
es ist geradezu sonderbar, dass man den englischen Meister für 
diese Theorie anrufen will. P. Molina hatte wenigstens noch 
zugegeben, dass ihm die Lehre des heil. Thomas Schwierig- 
keiten bereite. Und er gesteht ein, dass der Doctor Angelicos 
vielleicht (forte)- diQ genannte Theorie vorgetragen habe(Con- 
cordia q. 14. a. 13. disp. 26. Seite 110. 111.). In neuerer Zeit jedoch 
wird behauptet, der englische Meister habe sicher so gelehrt 
Man könne aus 70 Parallelstellen nachweisen, dass Gott nur die 
Wirkung, den Effect, nicht den A c t verursache. Dem heiligen 
Thomas ist es sicher gar nicht eingefallen eine derartige Doctria 
aufzustellen. Im Gegentheil! Seiner an unzähligen Stellen vorge- 
tragenen Lehre zufolge, wirkt oder »bethätigt sich die Greatnr an 
einom Effecte nur in der Kraft Gottes. Gottes Thätigkeit 
bildet somit die Ursache der Thätigkeit des Geschöpfes, 
und letztere ist eine Wirkung der erstem. Durch Gott sind 
oder existieren die Greaturen, und durch ihn sind sie auch 
Ursachen. Diese beiden Vollkommenheiten, das Dasein und 
das Thätigsein haben sie ausschließlich von Gott, wie 
frtlher aus ^.Thomas nachgewiesen ^wurde. Damit ist der ^imuU 
tane Goncurs der Gegner des heil. Thomas hinreichend widerlegt. 
Gott kann niemals N e b e n Ursache, er muss Haupt Ursache sein. 
Nicht e r wirkt mit der Greatur, sondern umgekehrt, diese wirken 
mit ihm. Sie bilden das Instrument, welches dem Hauptagens 
unter- nicht neben geordnet sein muss. Wenn aber dies, dann 
ist die Gausalität Gottes früher als jene der Geschöpfe und letztere 
vollzieht sich auf Grund der Bewegung durch Gott, in de^ 
Kraft Gpttes. 

75. Ein Gelehrter der neuem Zeit hat die Behauptung auf- 
gestellt, der heil. Thomas könne nicht den vorhergehenden und 
den, simultanen Goncurs Gottes gelehrt haben,* weil Gottes Thätig- 
keit eine immanente ist. Denn Gottes Thätigkeit unterscheide sich 
nicht sachli(Ai von seiner Wesenheit. 

Wenn damit gesagt sein will; der heil. Thomas habe aus 



diesem Grande nicht den Bimulttineri Concnrs der Gegner ge- 
lehrt, dass Dämlich Qott bloß das Frinclp dee Effectes and 
nicht des Actes sei, so haben wir an dies'er Theorie niclit das 
mindeste aoszusetzen. Sie bernht auf Wahrheit niid ist Doctrin 
des englischen Heisters. AUeid die vorhin genannte Behauptung 
in diesem* Sinne anfziifaeeen, scheint deshalb nnmSglicb, weil sie 
im Widerspruch stehen wtlrde mit dem, waa derselbe Autor drei 
Zeilen früher oiedergescbriebcn hat Wir wollen darum den Autor 
von einem Widerspruche mit sich selber freisprechen, und die 
Tbeae direct gegen S. Thomas und die Thomisten gerichtet sein 
lassen. Der Behauptung: S. Thomas könne die physisclic Vorher- 
bewegUDg nnd den simnltanen Concurs deshalb nicbt gelehrt 
haben, weil Gottes Thätigkeit mit seiner Wesenheit 
real, oder sachlich identisch ist, stellen wir folgende Be- 
hauptung gegenüber: 

„Der heil. Thomas muss die physische Vorherbeweguug und 
den simultanen Concors der Thomisten gelehrt haben, weil 
Oottes Thätigkeit mit seiner Wesenheit real iden- 
tisch ist." 

Auf Grund eben dieser Bachlichen Identität bildet die Thätig- 
keit Gottes ein Seiendes durch seine Weseuheit, ein ens per isse}itiam. 
Die Thätigkeit der Greatnr muss folglich ein Seiendes durch An- 
t||eilnahme, ^n ens per partidpatiomm genannt werden, denn es 
gibt nur ein einziges ens per essentiam: Gott. Nun aber lehrt 
S. Thomas: jedes ens per participationem oder durch Autbeil- 
nahme müsse zurückgeführt werden auf das ens per 
eisentiam. als seine Ursache. Folglich lehrt S. Thomas den 
simultanen Concurs der Thomisten. lu der That! Die Tiiätigkeit 
der Creatur ist ohne Zweifel ein ens. Und weil sie selber nicht 
Gott sein kann, muss sie ein 'ens per participationem oder durch 
Antbeilnahme sein. Wenn nnn diese Thätigkeit des Geschöpfes 
anf die erste Ursache, auf das ens per essentiam zurückge- 
führt werden muss, wie ist es dann möglich, dass Gott diese 
Thätigkeit der Creatur nicht wirkt, dass er nicht 
deren Ursache bildet? Dadurch i^t der simultane Concurs der 
Gegner vom heil. Thomas ausdrücklich verworfen, deuu Gott ist 
nach seiner Lehre nicht bloß das Frincip des Effectes, son- 
dern auch des Actes. lu diesem Syllogismus ist 'aber auch die 
p-aemotio physica mit mathematischer Genauigkeit dar- 
gethan. Ist nämlich die Thätigkeit Gottes, dieses ens per essentiam 
die Ursache der Thätigkeit, des ens per participationem der 
Geschöpfe, so muiss diese Thätigkeit Effect, Wirkung der ge- 
nannten Ursache sein. Eine Ursache ohne Wirkung, eine Thätig- 
keit ohne etwas, was dnrcb diese Thätigkeit hervorgebracht wird, 
ist ein Unding, eine contradictio in adjecto. Die Ursache ist aber 
nach jeder Philosophie und Logik der Natur nnd Cansalität nach 



— 170 — 



früher als die Wirkung, d'er Effect. Die praemotio physica will 
nichts. anderes als die Wahrheit vertheidigen, dass Gottes Thätig- 
keit in der soeben angedeuteten Weise der Thätigkeit der Crea- 
tujren vorausgehe. Das Argument des genannten Gelehrten beweist 
somit das gerade Gegentheil desläen, was qs darthun will. Die 
praemotio physica und den simultanen Concurs des heil. Thomas 
kann man nur dann leugnen, wenn die Tliätigkeit der Geschöpfe 
nicht als ein Seiendes durch Antheilnahme^ sondern als ein solches 
durch die Wesenheit, per essentiam ausgegeben wird,* Eine Thä4ig- 
keit per essentiam unterscheidet sich aber nicht sachlich, real 
von Gott. 

Mag man demnach zwischen dem Thätigen in der Wirklich- 
keit, dem Agens in actu, und der Tliätigkeit, der operatio selbst, 
einen realen Unterschied anerkennen oder verwerfen, die praemotio 
physica muss unter allen Umständen zugegeben werden. Unmöglich 
kann man leugnen, dass die Creaturen, besonders der Wille, 
manchmal thätig, manchmal unthätig oder bloß der Möglichkeit nach 
thätig« ist. Ebenso kann man nicht bestreiten, dass die wirkliebe 
Ausübung der Thätigkeit für die Creatur eine Vollkommenheit 
bildet, dass ein Ding, welches thätig, vollkommener ist, als ein 
unthätiges. Diese Vollkommenheit muss mithin ein ens sein. Dieses 
ens ist nicht Gott, es ist nicht das ens per essentiam, sondern per 
partidpaiiotiem. Aus diesem Grunde hat es Go|t zu seiner 
Ursache. Jede Ursache aber muss der Natur und Cansalität 
nach früher, der Zeit nach kann sie mit der Wirkung zugleich 
sein. Darin liegt das Wesen der praemotio physica. Der Concars, 
welchen der englische Meister lehrt, besteht darin, dass (jrott nicht 
allein^ ohne Thätigkeit der Geschöpfe, Effecte oder 
Wirkungen hervorbringt. Die Creaturen sind im wahren Sinne 
Ursachen, nicht wie die Occasionalisten behaupten, bloß Veran- 
lassung oder Gelegenheit, dass Gott diese und jene Wirkung her- 
vorbringt. Weil also Gott und die Creatur Ursachen sind, 
deshalb kann man überhaupt von einem Goncurse sprechen. In 
diesem Sinne anerkennt S. Thpmas einen Concurs. Von einem 
simultanen Concurse in^jiessen, wie die Gegner ihn' auffassen, 
weiß der englische Meister absolut nichts. Diese zwei Ursachen 
sind nicht nebeneinander^ sondern über- und untergeordnet. 

Wenn alifo, wie behauptet wird, „alle darin übereinkommen, 
dass es in uns keinen Act gebe, ja nicht den geringsten Tbeil 
eines Actes, von dem man nicht sagen mUsse, er sei kraft jenes 
Concurses von Gott als der obersten Ursache gewirkt — auch Suarez 
vertheidige diese Ansicht — ; dass die gegentheilige Ansicht falsch 
und gegen den Glauben sei", und trotzdem die physische Vorher- 
bewegung durch Gott bei jeder Thätigkeit der Creaturen ge- 
leugnet und auf das entschiedenste bekämpft wird; so heißt das 
soviel als alle Gesetze der Logik mit Füßen treten. Fürwahr! 



— 171. — 

Allee geschaffene Sein hat Gott zu seiner UrB.ache, Eb ist 
somit Eff«ct. Bas Thätigsein oder Ursachesein der Crea- 
toren ist etwas Fositivea, eine Vollkommenheit; ein Sein. Es ist 
folglieh ein Effect Gottes itnd er bildet die Ursache desRelhen. 
' Aliein diese Ursache ist der Natur und* Cansftlität nach nicht 
frttber als die Wirkung, als dieses Sein, d.h. er ist Ursache ' 
Qod-ist nicht Ursache. So lautet der logisch richtige Schluss 
im System der Gegner des heil. Thomas. Eine Ursache, die der 
Natur und Cansalität nach nicht früher ist als der Effect, kann 
absolut nicht dessen Ursache sein. Sein und Ursache sein sind 
iwei ganz verschiedene Dinge. Wir haben früher an der Hand 
des heil. Thomas nachgewiesen, dass manche Dinge, z. B. der 
Stoff oder was sich wie Stoff verhält, sind, existieren, ohne in- 
dessen anderes zu wirken, für anderes die wirkende Ui-sache zu 
bilden. Alle Vermögen, Fähigkeiten der Creaturen esistieren, sie 
sind aber nicht immer, nnausgesetzt Ursachen, weil üe nicht 
fortwährend eine Thätigkeit ausüben, in actu sich befinden. Eine 
eama efficiens, die nicht actuell etwas wirkt, verdient nicht den 
Namen efficiens. Wodurch wird sie nun eine efficienst Durch sich 
selber? dann hat sie etwas, was nicht von Gott kommt. Damit 
nird der Satz umgestoßen, dass jedes Seiende Gott zu seiner 
Ursach e habe, dass es weder einen Act noch einen Thcil des- 
selben gebe, der nicht Gott als erste, oberste Ursache voraus- 
setzte. Oder dasjenige, wodurch sie Ursache ist, stammt von 
Gott, und dann ist es ganz und gar nnrichtig, in sieh selbst wider- 
Bpreehend zu sagen, dasjenige, wodurch die Creatur Ursache 
iBt, sei der Natur und Abhängigkeit nach zugleich, nicht 
später als jene wirkende Uraaebe, durch deren Tbätigkeit sie 
selbst zu einer Ursache geworden ist. 

Ein ähnlicher Widerspruch liegt in einer andern Theorie. Darin 
wird gelehrt: Gott bewege den Menschen ausschließlich nur zum 
Guten und zur Glllckseligkeit im allgemeinen, und diese Bewegung 
sei eine natürliche und nothwendige, ä. h, unfreie. 

Diese Theorie enthlilt, wie gesagt, einen Widerspruch. Denn 
entweder ist die natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Be- 
wegung sachlich, real mit der freien identisch, und dann ist es 
ein Widersprnch von freien Thätigkeiten zu sprechen. Oder bei 
der freien Thätigkeit hat Gott nichts zu thun. er bildet nicht die 
Ursache derselben, und dann ist es ein Widerspruch zu be- 
haupten, es gebe keinen Act, der nicht von Gott als der obei-sten 
Ursache kommt. Oder dieser freie Act hat wirklich Gott zu seiner 
Ursache, er ist ein Effect Gottes, und dann ist es ein Widerspruch, 
dass dieser Act der Natur und Gausalität nach zugleich mit 
seiner Ursache sein könne. 

Damm lehrt der englische Meister mit Recht, Gott habe den 
Creatoren eine doppelte Vollkommenheit mitgetheilt. Die eine 



* • - .172 - 

wodarcb sie sind, existieren ; die andere wodurch sie wirken, sich 
thätig erweisen, andern das Sein und die Güte mittbeilen (de 
veritate q. 5. a. 8.). 

76. Noch viel weniger genUgt der simultane Goncurs der 
Qegner des • heil. Thomas, mit noch weit größerer Nothwendigkcit 
• wird die praemotio physica verlangt, wenn man der Wahrheit und 
Lehre des Doctor Angelicus entsprechend zwischen der activen 
Potenz, der potentia in adu, und der Thätigkeit selbst einen realen, 
sachlichen Unterschied anerkennt. Aus einer vorhin von uns citierten 
Stelle des englischen Lehrers (1. 2. q. 109. a. 1) geht hervor, dass 
die bloße Existenz der verschiedenen Thätigkeitsvermögen für die 
wirklichen Thätigkeiten nicht hinreicht. Unzähligemale betont 
der Doctor Angelicus, dass das Princip der Thätigkeit actuell 
oder in actu sein müsse, denn solange es in der Möglichkeit, in 
der Potenz bleibt, erfolge keinerlei Thätigkeit. Wodurch wird nun 
dieses Thätigkeitsprincip, welches von Natur aus, durch sich selbst 
nur in der Möglichkeit oder Potenz ist, ein actuelles? Sehen wir 
von der praemotio physica ab, so haben wir im Geschöpfe noch 
drei Factoren: das Thätigkeitsvermögen, die Thätigkeit und das, 
was durch den richtig verstandenen Concurs Gottes hervorgebracht 
wird, den Effect. Welcher von diesen drei Factoren constitniert 
demnach das Thätigkeitsvermögen als actuelles ? Der erste offen- 
bar nicht, denn sich selber kann man nicht geben, was man 
nicht besitzt. Vielleicht der zweite, die Thätigkeit selbst? Dies ist 
einfach unmöglich, weil das Princip actuell sein muss, damit 
es eine Thätigkeit ausübe. Das Princip, von welchem effectiv eine 
Thätigkeit hervorgeht, kann daher unmöglich von der Thätigkeit 
selbst gebildet werden. In diesem Falle würde etwas sich selber 
hervorbringen, die Wirkung ihre eigene Ursache consti- 
tili er en. Der dritte Factor, der Effect, welcher durch die Thätig- 
keit hervorgebracht wird? Auch das ist unmöglich. Die Wirkung 
ist später als die Thätigkeit und setzt nothwendig letztere voraus. 
Überdies fällt der Effect bei den immanenten Thätigkeiten mit 
diesen selber zusammen, ist mit ihnen sachlich identisch, so oft 
von den <ictu8 elicüi gesprochen wird. Aus all dem folgt mit evi- 
denter Gewissheit, dass dasjenige, wodurch die Greatur actuelles 
Princip der Thätigkeit wird, nicht in ihr selber liegen kann. 
Darum muss es ihr von einer andern wirksamen Ursache mitge- 
theilt werden. Jene Ursache, die actuelles Princip ist, mnss die 
Creatur zu einem actnellen Princip machen. Damit ergibt sich 
dann die praemotio physica von selbst. Alles was in der Potenz, 
was der Möglichkeit nach thätig ist, muss in die Wirklichkeit 
übergeführt werden durch denjenigen, der schon wirklich ist, 
nnd diesen nennen wir Gott, und dieses Überführen nennen wir 
bewegen (1.2. q. 9. a. 1.). Wie kann aber diese Überführung ge- 
schehen, wenn Gott in ordine operativo, mit Bezug auf seine Thätig* 



— 173 — 

keit, uicbt der Nfttnr und Cansalität Dach, frUher ist als die 
Creator? Was soll er dann in den Act Überführen, wenu die 
Creatur, der Natar'nod GanBalit&t nacb, schon zugleich [tiit Gott 
ft> adu ist? MOge einen solchen Widersprach begreifen wer kane. 

Zntreffend bemerkt darnm der englische Meister, bei dieser Übel'- 
Itlhriing aus der Potenz in den Act, ans dem passivem Zustande 
des ThätigkeitspriDcipes in den activea, sei die Creatur uicht 
tbätig. Wie ktiante sie aacfa irgend eine Thätigkeit voll/ieiien, 
bevor sie actaelles, wirkliuhes Princip dieser Thiitigkeit 
ist? Fügen wir dem noch bei, dass das ThätigkeitepiiiK^ip der 
Tbätif^'keit selbst das mittheilt, was es selbst besitzt: ditä Sein, 
die Ähnlichkeit, die Gute, wie S. Tlwmas constant lehrt; wie kaiia 
man dann auf die praemodo ^Ay«co' verzichten? Ein mögliciics 
Sein, eine mögliche Ähnlichkeit, eine >oögliche Gtlto, wie die 
VeimCgen, Potenzen aus und durch sich sie besitzen, lüsat sich 
ichlechterdings keinem andern luittheilen. 

77, Der simultane Concnrs der Gegner widerspricJit nouh in 
eiuer andern Beziehung der Lehre des heil. Thomag. Dem ge- 
oannlen Concarse zufolge mUssen zwei Thätigkeiten angenommen 
werden. Gott nnd das Geschöpf hat seine eigeoe Tliutigkeic. 
Beiden gemeinsam ist bloß die Wirkung, der £ffect. Nach der 
Lehre des heil. Thomas dagegen gibt as nur eine Thüiigkeit. 
Die Thätigkeit selbst ist beiden gemeinsam. Als lleweis 
daflir dient zunächst die schon angeführte Stelle de potciitia q. 3. 
a, 7. ad 3. Daselbst heißt es: „Bei der Thätigkeit, woilureb Gott 
die Katar bewegend wirkt, ist die Natur nicht thäti^'. Die 
Thätigkeit der Natur ist aber andererseits auch die Thätig- 
keit der göttlichen Kraft, gleichwie die Thätigkeit des lustru- 
mentes durch die Kraft des Hanptagens zustande kumiiit." Be- 
trachten wir den Willen in seiner Unthätigkeit, in dem passiven 
Zustande, als agms in potentia. Bei dem Herausführen uns liiesem 
Znstande haben wir nur eine Thätigkeit, die Thätigkeit Gottes, 
der Wille ist nicht thätig. Lassen wir den Willen in 'idu sein, 
nebcaea wir ihn als agens in actu, so ist klar, dass er ebeufalls 
wirkt. Allein er ist nur in der Kraft Gottes, oder als von 
Gott bewegt, thätig. Es ergibt sich daher abermals die Ein- 
beit des Wirkens. 

Es wurde früher nachgewiesen, dass der Wille in adu, das 
agens in actu ein aas Potenz und Act Zusammengesetztes bildet 
Das StofiFliche, Potentielle wird vom Willens v er mU^^en, das 
Formelle, Aetuelle von der Bewegung durch Gott vertreten. Der 
Wille besitzt diese Form, diesen Act mäht per modum-pennanmtis, 
als eomplete Form, sondern per modum trtmseuntis, oder passionts, 
als incoQipletes Sein (cfr. de potentia q. 3, a. 7. ad 7. — de veri- 
tate q. 12. a. 1. — 2. 2. q. 171. a. 2.). Nun igt aber die Form 
das Princip der Thätigkeit, das principiitm quo, der Stoff dagegen 



— 174_ — 

< das Princip des Leidens. Diese Form wird dem *6eschÖpfe von 

'Gott vorabei-g:ehend mitgetbeilt, tod demselben aufgenommen, 

nnd sie bewirkt, dass die Creatur tbätig ist. Daher bemerkt der 

' heil. Thomas, das nnirerselle 4geDs wi/ke aicht gesondert (seorsum) 

f Von den unteigeördneteu Tbatigen, sondern das letzte unmittel-' 

y bare Agens sei in .der Kraft aller .böhern tbäüg. Infolge dessen, 

t meint der engliscbe Lebrer w£iter, .werden von den yerscbiedeneu* 

Agentien einem nnd demäelbeu Dinge nicbt verscbiedene Formen 
, eingeprägt. Es ist nur eine Form vorhanden, jene nämlißh, welche 

vom unmittelbaren Agens eingeprägt wird. Allein diese eine 
Foim enthält -virtuell (virtute). alle vorausgebendea in sich (de 
spirit. creat." a, S/ ad 20.}. 

Diese Wahrheit ist sehr 'einleuchtend, denn in jedem Agens 
sind it vr e i Dinge zu betrachten. Das Supp'ositnm, welcbes thätig 
isl, und die, Kraft, wodqrcb es wirkt. Das Feuer z. B. erwärmt 
duich die Hitze, Die Kraft des ni.edern Agens hängt von jener 
. des liöhem ab, denn das höhere Agens verleiht dem niedbrn die 

Kraft, wodurch dieses thätig ist, erhält und appliciert dieselbe 
I zu einer Thätigkeit. Das Instrument in der Hand des Künstlers 

f liefert uns dafUr ein Beispiel. Der Künstler jgibt dem Instrameute 

i _ eine Art Form, d. h. eine Bewegung; Daraus folgt, dass die 

I Thätigkeit des niedern. Agens niubt allein durch die eigene 

f ' Kraft, sondern . dnicfa die Kraft aller höhern Agentien - zustande 

kommen muss. Es ist in der Kraft aller höbern' thätig. Gleich- 
I wie daher das niederste Agens unmittelbar, immedtatione supposüi, 

thätig ist, ebenso wirkt die Kraft des ersten Agens un- 
mittelbar, immedtatione virtutis, den Effect. Die Kraft des niedern 
Agens wirkt diesen Effect nicbt ans sich selber, sondern 
in der Kraft des höbern. Das höchste oder erste Agens wiiAt 
diesen Effect ans sich, gleichsam als unmittelbare Ursache. 
Wie es nun' keineswegs in sich widersprechend ist, dass eine 
und dieselbe Thätigkeit vom Agens und dessen Kraft 
hervorgebracht werde, ebenso kann man nicht von einem Wider- 
spruche reden, dass der nämliche Effect vom niedern Agens und 
vun Gott gewirkt werde, nnd zwar von beiden unmittelbar, 
wenngleioh in anderer, und anderer Weise. Der von Gott be- 
wegte Wille ist das quod agU, und die Bewegung Gottes du 
I quo agit. Allerdings darf man sich die Sache nicbt so denken, 

^ dass ein und derselbe Effect theilweise vom natürlichen Agens, 

■ und theilweise vou Gott hervorgebracht werde. Kein, der 

Vl ganze stammt von beiden, nur auf eine andere Art. Dem Haupt- 

9r agens und dem Instrumente muss der ganze und Dämliche Effect 

W ziigeachrieben werden (3. contr. Gent c. 70,). 

Es ist dämm ganz klar, dass die Thät^keit Gottes, wodurcb 

der Wille aus dem passiven in den sctiven Znstand UbergefUhrt 

L wird, sich vou der Thätigkeit des Willens nnterseheidet. Bei diesem 



, _ 175 .— 

Vorgänge ist, wie gesagt, der Wille nicht tbStig. Allein die 
Tbätigkeit, welche von der eigene^n Kra(t des Willeu» aus- 
gebt, insofern er von öott bewegt und zur Tliädgkeit appliciert 
ersclieint, unterecbeidet sieb nicht von der Tbätigkeit Güttes oder ' 
dem Bimoltanen Coocurse im Sinne des englischen Meisters und 
der Thomisten. Der Wille gibt seiner eigenen Tbätigkeit das 
Werden, Gott aber das Sein. Der Wille determiniert nach Art 
deB Stoffes dieses Sein der Th&tigkelt. ' 

78. Inwiefern biingt die göttliche 'Kraft unmittelbar eine 
Wirknng herror? Unmittelbar nennen wir dasjenige, was uicbts 
anderes mehr-Toranssetzt, und auf welcbes kein andere» mebr 
•folgt. Die Kraft Gottes wird yon' keiner andern bewegt. Sie 
ist die erste, höchste. ' Sie besitzt ihre Wirksamkeit aus sich, 
nicht ans der Eraft eines andern. Die ersten demoustrativeu Prin- 
cipien verhalten sich auf ähnliehe Weise. Die Geschöpl'e dagegen 
wirken numittelbar aU Suppositnm, wenn nach Üineu kein 
anderes Snppositum mehr, folgt, das sich thatig zeigt Die Creatur 
bildet daher das stoffliche' Element, und ist agens quod, di^ 
göttliche Kraft hingegen dasfoi-meile und agens quo. Üasjenige, 
was sich thätig^ erweist, ist der Wille, dasjenige,- wodurch 
dieses geschieht, ist aus sich die gßttliche Kraft nnd jeue des 
Gescbdpfes, insofern sie von Oott bewegt wird. Da nun 
die Form' den Grund, die ratio des Wirkens bildet, so kann man 
von ihr sagen, sie wirke innerlicher nnd- nnmittelbarer als 
das Sappositum, welches thätig ist 

Je hShef eine Ursache, desto allgemeiner und wirksamer ist 
sie. Und je wirksamer, desto tiefer dringt sie in den Effect ein, 
and vermag sie selbst das, was am meisten in der Poten» 
ist, in den Act Überzuführen. In jeder Creatur können wir vier 
Dinge unterscheiden. Jedes ist ein Seiendes (en3), eine Substanz, 
besitzt eine nach Gattung und Art bestimmte Natur, Das erste 
hat sie gemeinsam mit allen Seienden, das zweite mit den Sub- 
stanzcD, das dritte mit andern derselben Art. Das Individuatious- 
princip und die Ubiigen Accidenzeu sind ihr allein eigen. Das 
Individuum kann somit durch seiue Tbätigkeit nicht ans und duroh 
sieb ein Ähnliches der Art nach hervorbringen. Es veriuag dies 
nnr als Instroment jener Ursache zu thun, die Macht hat 
über die ganze Art, und noch weiter Über das gauze Sein der 
natürlichen Dinge. Keine Creatur ist folglich imstande, ein Sein 
za wirken, auBer durch die Kraft Gottes, denn das tiein 
ist der allgemeinste, der erste und innerlichste Effect 
von allen. Dieser Effect wird daher von Gott allein durch 
eigene Kraft gewirkt. Aus diesem Grunde ist Gott die Ur- 
sache jeder Tbätigkeit, denn jedes andere Agens ist In- 
«Irument Gottes und wirkt in der göttlichen Kraft. 
Betrachten wir also die geschaffenen Agentieo als Supposita, 



— 176 — , 

1 

» 

SO müssen wir sagen, dass jedes particuläre Agens seinen Elffect 
unmittelbar wifkt. Nehmen wir dagegen Rücksicht auf die 
Kraft, durch welche diese Thätigkeit vor sich geht, so 
lässt es sich i^cht bestreiten, dass die Kraft der höhern Ur- 
sache dem Effecte unmittelbarer ist, als die Kraft des niedem 
Agens. Die niedere Kraft erreicht ihre Wirkung nur durch die 
höhere. Darum heißt es im Buche über die Ursachen, die Kraft 
der ersten* Ursache wirke früher auf das Verursachte und 
durchdringe dasselbe energischer (depotentia q. 3. a. 7.). 

Daher sind bei der Wiiiensthätigkeit, wie «überhaupt bei jeder 
Thätigkeit der Geschöpfe nicht zwei Ursachen: Klott und die 
Greatur/ Diese Thätigkeit wird nicht theils von Gott und theils ' 
von der geschaffenen Ursache ausgeübt, sondern von beiden ganz. 
Ebensowenig stammt die* Wirkung theils von Gott und theils 
von der Creatur. Die Thätigkeit der Geschöpfe ist offenbar ein 
Seiendes, ein ens. Das Sein, das esse aber ist Effect Gottes. Wirkt 
eine Creatur das Sein, so kann dies nur in der Kraft Gottes 
geschehen, wie S. Thomas durch mehrere Argumente beweist 
(3. contr. Gent. c. 66). Darum bildet Gott die Ursache der Thä- 
tigkeit in allen Dingen, die überhaupt eine Thätigkeit entfalten. 
Denn jede Thätigkeit, die ohne den Eiufluss (impressio) eines 
Agens nicht fortbestehen kann, hat jenes Agens zu ihrer Ursache, 
wie die Farbe, welche ohne Licht nicht sichtbar wird, ihr Sicht- 
barsein vom Lichte herleitet. Gleichwie nun Gott den Geschöpfen 
bei ihrem Entstehen das Sein gibt, und dieses Sein, solange sie 
existieren, erhält, ebenso hat er den Greaturen nicht bloß bei 
ihrem Entstehen Thätigkeitskräfte verliehen, sondern er wirkt 
oder verursacht sie immer in ihnen. Würde daher Gottes 
Einfluss aufhören, so wäre es auch um die Thätigkeit der Ge- 
schöpfe geschehen. Die operativen Kräfte der Greaturen müssen 
folglich immer von Gott zur Thätigkeit (ad ägendum) appli- 
eiert werden. Diese Applicierung vollzieht sich durch eine Bewe- 
gung des Körpers oder der Seele, und das erste Princip der 
einen wie der andern Bewegung ist Gott (I.e. c. 67.). Bei der 
Mittheiluug der Kraft, der Bewegung durch Gott wirkt das Ge- 
schöpf nicht mit, darum ist hier nur eine active Thätigkeit vor- 
handen, das Wirken Gottes. Dieses geht der Natur und Causalitäi 
nach der Thätigkeit des Geschöpfes voraus, eben aus dem Grunde, 
weil die Greatur dabei nicht activ thätig ist. Darum wird sie 
praemotio physica genannt. Bei der Applicierung dieser opera- 
tiven Kraft wirkt auch die Greatur thätig mit, nioht Gott 
allein. Dies ist der simultane Goncurs des heil. Thomas. 

79. Es kann ohne Schwierigkeit der Nachweis geliefert werden, 
dass mit der Verwerfung der praemotio physica auch der simultaiie 
Goncurs der Gegner des heil. Thomas fällt. 

Nach der Theorie der Gegner wirkt Gott bloß den Effect^ 



— 177 — ■ 

niebt'den Act^' er fuhrt mit einem Worte nicht die Cieatnr ans 
der Potenz in den Act Ober, er träg:t nictita dazu bei, daaa die 
Creatnr, welche an nnd für sich der Möglichkeit nach tbäli^ ist - 
(a^ensinpotentitt), dieses in der Wirklichkeit werde (offms in actu). 
Dies thut vielmehr die Creatnr selber. Gott hilft somit nur, duss 
die Wirkung zustande komme. 

Darauf erwidern wir, dass wir dazu Gott gar nicht hranchen. 
Der englische Meister bemerkt einmal: „Die Natur jedes. Actes 
besteht darin, dass er sich selber mittbeile, so weit es eben möglich 
ist. Aus diesem Gründe ist jedes Agens thätig insoferu ns sich 
m oc/U; befindet. Die göttliche Natur, welche an) meisten und atu 
reinsten Act ist, tbeilt sich darum mit, soviel die Möglichkeit er- 
lanbt (de potentia q. 2. a. 1.). Auf diese Stelle gründen wir unsere ' 
Argumentation. Nach der Theorie der Gegner vermag daa Agens 
in potentia, die Creatnr, welche der Möglichkeit nach ihalig 
ist, ohne Einwirkung Gottes sich in den- Zustand der actiielle'n 
ThätigkeJt zu versetzen, sie wird durch sich selber ein Ägeus in adu; 
Dann bewirkt sie umsomebr durch sich selber, obne Beihilfe 
Gottes, einen Effect. . Im erstem Falle, wo sie -agens in potentia 
ist, hat sie offenbar weniger vom Acte, als wenn sie agms ih 
aäu ist. Reicht nun dieses „Weniger", hin, um sich selber in den 
Act zu versetzen, so muss umsomebr da,s agena in actu hinreichen, 
am eine Wirkung bervorzabringen. Je mehr ein Ding in actu ist, 
erklärt S. Thomas, desto mehr kann es wirken. Darum kann Gott, 
der am meisten in actu ist, alles wirken, er ist allmäclitig. Wenn 
nun die Creatur im Zustande eines agetis in potentia aus sich selber 
ein agens in actu zu machen vermag, warum soll sie danu, wenn 
sie m e b r m adu ist, außerstande sein einen Effect hervorzubringen ? 
Der simultane Concurs hat somit weder Berechtigung noch Öinu. 
Deun wer das Schwerere ;rermag, der muss auch dag Leichtere 
fertig bringen. 

Man wende nicht ein, dass der Concurs Gottes hiusi^btlich 
des Effectes nothwendig ist, weil die Creatnr allein /.u schwach 
sich erweist, um diesen Effect zn verursachen. In diesem Falle 
würde ja zugegeben, dass die Creatnr durch sich selber zu 
wenig in adu ist. Denn wie S. Thomas oben lehit, besitzt ein 
Weseo eine umso größere Kraft, eine Wirkung zu eraieleii, je mehr 
es in actu ist. Mangelt ihm also die nothtveudige Kraft, so 
ist es durch sieh allein zu wenig in actu. Folghch muss noth- 
wendig die praemotio physica aushelfen und bewirken, dass die 
Creatur mehr in actu gesetzt werde, in ordine operatico mehr 
Wirklichkeit erhalte. 

Der simultane Concurs ist . ebensowenig zu dem Zwecke er- 
forderlich, damit die Thätigkeit, dieses ens per participationem, auch 
Gott zur Ursache habe. Denn dasjenige, was durch eine Ursache 
vollkommen erreicht wird, bedarf einer zweiten nicht. Vei'mag nun 

Feldner, ViUenshaibeit 12 



•— 178 — 

die Creatur sich selber aus der Potenz in den Act überzuf&hren, 
80 reicht sie vollkommen hin, um jede beliebige Thätigkeit aus- 
zuüben. Zudem gibt sie sich dadurch, dass sie sich in den Act über- 
führt, offenbar selber ein ens per partidpätionem. Und weil dieses 
letztere ens, wie wir dargethan, nicht weniger groß und voll- 
kommen sein kann als das erstere, die Thätigkeit^ so ist absolut 
nicht einzusehen, waruni . für ersteres ein Concurs, für letzteres 
hingegen keiner nothwendig sein soll. Wir sind demnach wieder 
auf die praemotio physica angewiesen, oder der simultane Concura 
existiert in keiner Weise, Gott wirkt überhaupt nicht mit bei der 
Thätigkeit der Geschöpfe. Wir werden folgerichtig und der 
Logik entsprechend dann sagen müssen, Gott habe den Ge- 
schöpfen bloß die Fähigkeit thätig zu sein gegeben, alles 
übrige vollbringen sie selber. Diesen Grundsatz darf man indessen 
auf keinen Fall unterschreiben. Wir haben somit nur die Wahl 
für die praemotio physica uns zu entscheiden. 

Gott theilt sohin dem Thätigkeitsvermögen der Geschöpfe 
eine Vollkommenheit ' mit, nicht als bleibende Form, sondern vor- 
übergehend, per modum transeuntis, per modum motixmis, wodurch 
sie in ordine operativo Wirklichkeit erlangen, existieren, und infoge 
dessen andern das Sein, die Ähnlichkeit und Güte nach Möglich- 
keit verleihen. Gerade dasjenige, was sie durch die Bewegung 
von Gott empfangen haben, das Sein (esse in adu), geben sie 
einem andern, ihrer eigenen Thätigkeit. Dadurch bestätigt sich 
der Ausspmch des heil. Thomas, dass jedes Agens ein sich Ähn- 
liches hervorbringe. Das Agens und die Thätigkeit sind beide iu 
der Wirklichkeit (in actu). 

80. Die Geschöpfe theileki dieses Sein nicht selbststäudig, 
unabhängig andern mit, sondern sie alle sind bloß als Instramente 
in der Hand Gottes thätig. 

Das vorhin über den sachlichen Unterschied zwischen der 
passiven und activen Potenz oder dem Agens in potentia und Agens 
in actu Gesagte findet seine Bestätigung iu der Doctrin des heiligen 
Thomas über die Creatur als Instrument Gottes. Für den englischen 
Lehrer ist es eine unbestreitbare Wahrheit, dass die Geschöpfe 
nur Instrumente in der Hand Gottes sind. Denn alle unterge- 
ordneten wirksamen Ursachen müssen als Instrumente zurück- 
geführt werden auf die höhern und eristen. Da es aber nur eine 
erste und höchste Ursache gibt, Gott, so ist klar, dass die Ge- 
schöpfe nur Instrumente sind, und in der Kraft der ersten Ur- 
sache wirlsen (2. contr. Gent. c. 21.). Das Instrument aber wirkt 
nicht, außer es erhält vom Hauptagens eine Bewegung. Es gehört 
zum Wesen des Instrumentes ein bewegter Beweger zu sein 
(I.e. und de potentia q. 3. a.7.). Darum ist jedes Bewegte, 
welches wieder ein anderes bewegt, Instrument. (4. dist. 40. 
q. 1. a. 1. ad 1. — de potentia. q. 5 a. 5.). Die substantiell voll- 



_ 179 — 

kommenen Geschöpfe stehen daher in der Mitte zwischen Gott 
Qod dem Stoffe. Dem allgemeiaen Beweger ist das allgemein 
Bewegte entgegengesetzt. Das Bewegende befindet sicli in der 
Wirklichkeit, in actu, das Bewegte in der Mtiglißhkeit oder Potenz. 
In der Potenz sein und in actu bilden Gegensätze. Der allgenieine 
Beweger heißt Gott, die erste Ursache, die von keinem andern 
bewegt wird. Das allgemein Bewegte iieuuen wir Stoff, nnd dieser 
ist ganz und gar onthätig. Zwischen diesen beiden Extremen haben 
wir ein drittes zu verzeichnen, welches bewegt, nachdem es selbst 
bewegt wordeu ist: die vollkommenen Substanzen oder GcBcliüpfe. 
Weil sie nicht reine Wirklichkeit, ac^ts purus sind, sondern etwas 
Stoffliches, oder was sich wie der Stoff verhält, di» Potenz, in 
sich haben, werden sie bewegt. Allein sie sind andereiseits auch 
nicht reiner Stoff, reine Potenz, sie habe^ 'etwas von der ^Vir^; 
% licUkcit, sieviehmeu Antheil an dem Acte, der WirkliclAi^eit, sie- 
- neiimen die Thäügkeit Cöttes, den Act .des Bewegers;'in sich ^ 
auf,' daran) bewegen «ie, theilen sie aas Sein, die Ähulichkeit 
und Gute andern mit. 

Dieses ist ohne Zweifel der Sinn jener Stelle des englischen 
Meisters, worin er sagt,, die active Kraft werde nicht mit der- 
selben Vollkommenheit vom Instrumente aufgenommen, mit 
welcher sie im Kauptageus sich befindet. Da nun jedes bewegte 
Bewegende Instrument ist, so werde die Kralt des ersten Be- 
wegers, durch viele Mittelstnfen geleitet, endlich schwach und 
gelange zu demjenigen, welches nur mehr bewegt nird, ohne 
selbst zu bewegen (i, dist. 40. q, 1. a. 1. ad 1.). Das lustra- 
meut wirkt demnach nur dadurch, dass es vom Hauptagens eine 
Kraft erhält und in sich aufnimmt. Beztlgtieh der inutrumen- 
tellen Thätigkeit bewegt es nicht sich selber, soudem es wird 
vom Hauptageus bewegt. Indem es aber diese BewegDng in sich 
aufnioHnt, wirkt es mit dem Hauptagens einen Effect. Darum er- 
klärt S.Thomas, das Wesen des Instrumentes besiehe düiin, 
von einem andern bewegt zu werden, uicht aber darin, dass 
es sich selber bewege (3. p. q. 63. a. 5. ad 2.).* Das Instrument 
wirkj nicht dnrch die Kraft seiner Form, souderu bloß 
durch die Bewegung, welche es vom Hauptagens erhält (3. p. q. 62. 
a. 1. und a. 4.). 

' Wenn nun die Creatoren, wie gezeigt wurde, aus und durch 
sich nur der Möglichkeit nach (in potentia) nicht in der 
Wirklichkeit fin actuj thätig sind, indem das Thätigsein weder 
zur Wesenheit gehört, noch ein Accidens proprium bildet; wie 
können sie dann sieb selber aus dem Zustande der Potenz, 
des Nichtseins in ordine operative, in den Zustand des Seins 
überfuhren? In ordine operativo existieren eje 'nicht, solange sie 
bloß in der PoteAz thätig sind. Sie sind in dieser Ordnung 
gerade so wie die Wesenheit ohne Existenz. Wenn sie sich als? 



— 180 — 



dieses Sein geben, so geschieht es als Instrument Gottes. 
Dem Instrumente aber ist es wesentlich, bewegt zu werden, 
nicht selber zu bewegen. Muss aber dann nicht die Bewegung 
Oottes der Natur und Gausalität nach vorhergehen? Kann folg- 
lich die praemotio physica im Ernste bestritten werden ? Das In- 
strument wirkt ohne Bewegung nicht, denn es wirkt nicht in 
der Kraft seiner Form, sondern durch die Bewegung des 
Hauptagens, hat uns S. Thomas soeben gesagt. Wenn also die 
Creatur im Zustande der Potenz, das Agens in potentia, die Be- 
wegung durch Gott nicht in sich aufnimmt, so wird es in 
Ewigkeit nie ein Agens in actu werden und eine Thätigkeit aus- 
üben. Hiemit sind wir bei dem tiefsten Grunde der praemotio 
physica angelangt. * , . . • • 



§ 11 f. Der tiefste, .innerste Grund der praemouo physica. 

81. 6ie. physische Vorherbewegung d«rchGott ist deshalb' ab- 
solut nothwendig, weil keine Creatur sich oder andern das 
Sein, die Existenz Verleihen kann. Selbst als Instrument Gottes 
wirkt sie das Sein nur bestimmend, modificierend, daher als stoff- 
lich e oder materielle Ursache. 

Der englische Meister äußert sich hierüber in folgender 
Weise: „Die untergeordnefe Ursache (causa secunda) kann eine 
doppelte Thätigkeit entfalten : die eine vermöge der eigenen Nator^ 
die andere in der Kraft der höheren Ursache. Durch die eigene 
Natur vermag die untergeordnete Ursache niemals das Sein 
als solches hervorzubringen. Dies ist nur der ersten Ursache 
eigen. Die Ordnung der Wirkungen richtet sich stets nach der 
Ordnung der Ursachen. Nun ist aber das Sein der erste Effect, 
weil er selbst allen andern vorausgeht, und keinen andern vor- 
aussetzt. Darum kommt es der. ersten Ursache allein zu, ans 
eigener Kraft (secundum propriam virttäem) das Sein als solches 
zu verleihen. Wenn immer irgend eine landere Ursache das Sein 
gibt, so veniiag sie dieses nur deshalb, weil die Kraft und 
Thätigkeit der ersten Ursache in ihr ist, keineswegs aber 
geschiebt dieseis aus eigener Kraft. Das Instrument z. B. Übt 
eine instmmentelle Thätigkeit aus. Allein dies geschieht nicht auf 
Grund der Kraft seiner eigenen Natur, sondern durch die Kraft 
des Bewegers Die subalterne Ursache ist darum nur thätig 
infolge des Einflusses der ersten, und jede ihrer Thätigkeiten 
setzt das erste Agens als ihre Ursache voraus. (Qausa secunda 
non agü, nisi ex influentia causae primae ; et sie amnis actio causae 
seeundae est ex praesuppositione causae agentis.) Die natürliche 
Wärme erzeugt d\i ri; h die Kraft d e r S e e l-e lebendes Fleisch^ 
durch die Kraft der eigenen Natur dagegen wirkt sie biqS er- 
.wärmend und auflösend^ (de potentia q. 3. a. 4.). 



. _ 181 — 

Was Sein, esse, bei dem heil. Thomag bedeutet, ist niobt 
schwer za 8ag:eD. £8 ist die letzte Actaalität des StoSe» sowohl 
wie der Form, es ist jene Vollkommenheit, jener Act, darch 
welchen eio Wesen da ist oder existiert, Wirkliclikeit hat 
(l.p. q, 3. a. 4. ' — ih. q. 4, a. 1. ad 3.). Durch das Ü^a ist ein 
Ding in actu, ohne das Sein befindet es sich bloB in der Potenz. 
Nun wissen wir aber, dasfi die Creaturen mit Bezug auf die Thätig;- 
keit, m ordine operativo an und t'Ur sieb nur in der Potenz 
giad, andernfalls wäre die Tbätigkeit sachlich mit dem Wesen 
des Agens identisch und dasselbe wäre immer in Thätigkeit, 
iras von Gott allein behaoptet werden darf. Woher haben sie 
dann das Seia in dieser Ordnung, denn es sind ja manclie be- 
ständig tbätig, wie z. B. die Himmelskörper, manche sehr oft, wie 
der Verstand nnd Wille der vernünftigen Creaturen? Können sie 
sieh dieses Sein, das esse in actu selber geben? Offenbar nicht, 
denn das Sein wird nach dem heil. Xlion»)^ ^OQ *^'t allein den 
Geschöpfen mitgetheilt. ^sse es( proprixis effedm causae primai. 
Danraus folgt aber dann die praemtdio pkysica und. der Cuncurs, 
wie beide vom Doctor Angeiieus gelehrt ■ werden. • 

Betrachten wir zunächst das Sein, durch welches die Creatar 
Ina einem Agens in potentia ein Agens in actu wird. Dieses Sein 
nird von Gott allein und ausschließlich aus eigener Kraft 
gewirkt, pie Creatur kann diesbezüglich nicht mitwirken, denn 
befor. siä nicht m_ actu ist, wirkt sie liberhanpt nicht. Bei dem 
•Übergange aus der Potenz in ^eu Act befindet sieb aber die 
Creatiir nicht in aitu, sondern auf dem Wege zu dem Acte. 
Darui}! bemerkt S. Thomas mit Reebt, dass die Creatur bei der 
Tbätigkeit, durch welche ^^tt, die Natur .bewegend, wirkt, nicht 
tbätig sei (de .potentia q.3. a.7. ad3.).'Die Creatur ist also in 
dieser Hinsicht nicht activ thätiges Instrument Gottes. 
Das Instrument muss ja selber thätig sein, sonst bildet ?,» kein 
Ittatrument. Die Bewegung ist bei dieser Übei-fUhrung aus der 
Potenz in den Act etwas Passives oder, um mit S. Tiiotnas zu 
sprechen, 4Ie Action des BeweglioJien. Unmöglich kann ä'omit 
sich die Creator in irgend einer Weise ans der Potenz in den 
Act Sberfllhren, sich das Sein, das esse in actu verleihen. Dieses 
Sein mosB ausschließlich von Gott verarsacht werden. Daraus 
folgt mit evidenter Notbwendigkeit die physische Vorherl)ewef,'uug, 
denn dieses Sein ist im strengsten Sinne der Effect derersten 
Ursache. Die Creatur kann nicht als Instrument und iuder 
Kraft Gotteq sieh dieses Sein geben, indem ihr wesentlich 
nur dns Beweg t-w erden, moveri, zukommt. 

Fassen wir dagegen die Creatnr'als Ageng in oi^u ins Auge, 
HO werden wir,Bag«n mUsaenl dass siezwar einem andern, näm- 
lich ihrer Tbätigkeit, das S^in, die Wirklichkeit verleiben kann 
nad thatflächlich verleiht, allein dieses* thut sie als Instrument 



— 182 — 

und in der ^raft Gottes. Das Instrument ist ein bewegter 
Beweger, movens motum. Bewegt wird es dadurch, dass es vom 
Hauptagens einen Abt, eine Vollkommenheit empfängt. Und es 
bewegt dadurch, dass es diese Vollkommenheit-, diesen Act — 
allerdings nicht numerisch den nämlichen — ^ einem andern 
mittheilt. Dieses andere ist die Thätigkeit, denn diese bildet den 
ersten, unmittelbaren Effect der activen Potenz, des Agens in actu. 
In diesem Sinne ist die Creatur actives Instrument, und sie 
übt ihre Thätigkeit in der Kraft Gottes aus. Das Bewegtwerden 
hat seine Kraft in der praemotio physica, das Bewegen in dem 
Concurse Gottes. Dieser Concurs ist jedoch, wie wir schon dar- 
gethan haben, nur in dem Sinne simultan, als Gott diese 
Thätigkeit nicht ohne Mithilfe der Creatur hervorbringt, 
als die Creatur, die active Potenz, das Agens in actu ebenfalls 
thätig ist. Die Thätigkeit Gottes ist der Natur und Causalität 
nach jederzeit früher. Rücksichtlich des Concurses lehrt daher 
cfer englische Meister, dass 4ie active und passive Kraft des 
Geschöpfes in ihrerOrdnungzur Thätigkeit hinreichen. Nichts- 
destoweniger Verde da^u die Kraft Gottes erfordert, damit 
diese Kräfte in wirkliche Thätigkeit übergehen (de potentia 
q. 3. a. 7. ad 1.). Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass beid« 
unmitteflbar thätig sind, obgleich sie si6h zu einander als 
früher und später verhalten (I.e. ad 4.), denn zu d^m Wesen 
der unfergeordneten Kraft gehört nur, dass sje in ihr*er .Otd- 
nung.ge Wissermassen Princip .der Thätigkeit sei, d. h. dass sie 
als Instrument der höhern Kraft sich thätig erweise. 
Wird die höhere Kraft ausgeschlossen, so ist für die untergeordnete 
jede Thätigkeit unmöglich (1. c. ad 5.). Darum geht der Wille 
Gottes, von welchem j e*d e Bewegung der Creatuf ihren Ursprung 
hat, der Thätigkeit der Geschöpfe voraus (I.e. ad 9.). 

82. Aus dieser Darlegjing würde nun aber doch folgen, dass 
die Creatur wenigstens a 1 s Instrument Gottes, das Sein ver- 
leihen könnte ? Keineswegs, denn es besteht ein großer Unterschied 
zwischen dem Sein als solchem, und der -Bestimmung, der Be- 
schränkung desselben auf dieses oder jenes Sein. Das Sein als 
solches bildet den ausschließlichen Effect Gottes, der ersten Ur- 
sache, und diesbezüglich kann die Creatur auch nicht Instrument 
sein. In diesem Falle könnte die Creatur als Instrument und in 
der Kraft Gottes erschaffen, was der englische Meister entschie- 
den in Abrede stellt (l.p. q. 45. a. 5. — de potentia ^q. 3. a.4.). 
* Hinsichtlich des bestimmten, beschränkten 3ein9 niuss eine 
Upterscheidung^gemacht werden. Das Sein ist dasjenige, wodurch 
irgend ein Subject, eine Wesenheit Wirklichkeit hat. Das 
Sein des Menschen, das Sein der Verstandes- und Willensthätig;' 
keit ist dasjenige, wodurch im erstem Falle die Wesenheit der 
Substanz^ im letztern die Wesenheit des Accidens da ist oder 



— 183 — 

ezisliert. Diesen Effect bringt dae Sein nicbt als wirkHanie 
UrBache, sondern nach Art der formellen hervor. Wir haben 
demnaeb zwei Dinge in Betracht zu ziehen :. die Wesenheit und 
das Sein, die Wirklichkeit eben dieser Wesenheit. Die Wirklich- 
keit, oder dasjenige, wodurch die Wesenheit z. B, der Willeos- 
thätigkeit in Wirklichkeit existiert, wird von der Creatiir nicht 
als eigener Effect hervorgebracht, sondern bloß als Elfect des 
Instranientes, gewirkt in der KraA Gottes. Nimmt man dagegen 
beide, Wesenheit und Dasein dieses Accidens zusammen, und 
faBst es als dasjenige, was da ist oder existiert, auf, m miiss zu- 
gegeben .werden, dass die Creatnr diesen Effect hanptsäclilich 
wirkt. Denn die Creatnr bringt jene Natur oder Wescnlieit her- 
vor, weiche das Sein hat, und durchweiche dieses Sein aUiil'lich- 
bestimmt, beschränkt wird. Man erinnere sich was S. Thooins aa 
einer früheren Stelle gelehrt hat (de potentia q. 3. a. 4.), Atiiierswo 
erklärt der engHsche Meister, nichts verleihe einem andern das 
Sein, außer insofern es selbst ein Seiendes in der Wirklichkeit, 
ein ens actu ist. Die Creatur befindet sich durch Gnties Vor- 
sehung in actu und vermöge dieser göttliclien Kraft ist sie im- 
, Btaiuie, andern Aa& Sein mitzutheiten (3. contr Gent. c. 66.). Als 
Grand dafUr wird vom Doctor Angelieus folgender angegeben: 
„Alle nntergeordueten wirkenden Ursachen erzielen den Effect, der 
ihnen gemeinsam ist, dadurch, dass sie sich vereinigen in der 
Antheilnahme an der Bewegung und Ernft des ersten Agens. 
Viele Agentien können nicht ein und dasselbe wirken, wenn sie 
Dicht irgendwie eins sind, wie z. B. die Soldaten den Sieg, welchen* 
Bie beabsichtigen, nicht erkämpfen, außer unter der Leitung des ' 
Feldberrn, deih- der Sieg als eigene Wirkung zokomuit. Nun 
wissen wir, dass das Sein der gemeinsame Effect aller wirken- 
den Ursachen ist, indem jedes Agens verursacht, dass etwas wirk- 
lich in actu ist. Diese Wirkung können sie demnach nur dadurch 
bervorh ringen) dass sie unter der Leitung des ersten Agens stellen^ 
und in der Kraft desselben thätig sind. Das Sein hat folglich , 
Gott ziir eigentlichen Ursache, die andern wirken es in seiner 
Kraft. Die Ergänzung, das C omplementum der Kraft des 
nntergeordueten Agens, stammt aus der Kraft des erstenc" 
Cfr. 2. pQntr. Gent, c 21.. 

In der vorhin citierten Stelle finden wir auch den Beweis 
dafUr, dass die Creaturen das Sein, wenn es als (juo etl, als 
Existenz oder als letzte Actualität und Vollkommenheit eiijes Dinges 
aufgefasst wird, uicht iij wirksamer Weise und ans eigener 
■ Kraft, sondern in dei' Kraft Gottes und mehr n'ach Art des Stoffes . 
bestimmend, beschränkend hervorbringen. Der englische Meister 
sagt: „Nach ^er, Ordnung der Ursachen riohtet sich die Ordnung 
der Wirkungen. Der er^te aller Effecte iat das Sein, denn alles 
andere ist Bestimmung, Determiniernt^ des Seins. Aus diesem 



_ 184 — . 

. . • . ♦ 

Grunde, bildet das Sein den eigentlieheu Effect der ersten 

. Ursache/ alle andern wirken es, insofern sie in der Kraft des 
ersten Agens* thätig sind. Die untergeordneten Ursached besondern 
un^ bestimmen . sozusagen die Thätigkeit des ersten Agens. Sie 
bringen darum andere YoUkoMmetiheiten als eigentliche Effecte 
hervor, durch welche das Sein bestimmt wird.*? 

Zwei. Sätze in dieser Stelle, bedürfen einer Erklärung. Nach 
S. Thomas bringen die subalternen Ursachen yollkommenheiten 
hervor, ,welche das Sein bestimmen. In welcher )Veise bestimmen 
diösc Vollkommenheiten das Sein? Etwa nach Art der Form, des 
Actes? In diesem Sinne, darf der Ausspruch des heil. Thomas 
niclit versfanden werden, denn- daq Sein ist selbst'der Act, und 

.zwar der letzte, welcher nach Art der Form alle? Voraus- 
gehende, S(äi es Stoff, sei es Form, vervoUkoinmnet und in den 
Zustand der ' Wirkliblrkeit versetzt. Das Sein' selbst kann somit 
nicht abermals 'durch eine Vollkomnienheit bostimmt werdeü. Das 
Sein wird dadurch bestimmt, dass es in einem Subjecte Aufnahme 
findet, und dieses Subject nennen wir Wesenheit, entweder sub- 
stantielle oder accidentelle * Wesenheit. Durch die Aufnahme in 
diesem Subjecte wird das Sein bestimmt, z. B. zum «Sein des 
Menschen, des Verstandesactes, der Willensthätigkeit etc. Das ist 
die einzige Art, in welcher das Sein Bestimmungen erhält 
(2. contr. Gent. c. 52. ratio 3.). Die untergeordneten Ursachen be- 
stimmen daher das Sein dadurch, dass sie das Sein in einer sub- 
stantiellen oder accidentellen Wesenheit aufnehmen. Diese Wesen- 

Mieit verhält sich daher passiv, empfangend, und ist folglich an 

*'und flir sich betrachtet etwas Potentiales. In def selben Weise 
wird das Sein m ordine operativo von der PotVn'z der Creatur, 
dem Agens in pot^tia bestimmt. Ein Geschöpf ^4st z. B. ib irgend 
einer Beziehung unthätig^ es fehlt ihm* in Betreff der Thätigkeit 
das Sein, das Thätigsein. Dieses Sein muss ihm folglich von der 
ersten Ursache mitgetheilt werden. Dieses geschieht durch die 

^Bewegung, die Thätigkeit Gottes, die praemotio physica. Diese 
ThätigKeit wird aber modificiert, determiniert durch die Aofiiabme 
in der passiven, unthätigen Potenz des Geschöpfes. Jedes Auf- 
g«npmm£ne wird bestimmt nach der Art und Weise des auf- 
nehmenden Subjectes. Quidquid recipüur,»recipitur 8ecundi4fi\fnodum 
recipietUis. Darin liegt die Erklärung für die zweite Schwierigkeit 
Der Doctor Angelicus bemerkt nämlich an der vorhin ge- 
nannten Stelle, dass die . untergeordneten Ursachen die Thätigkeit 
d^s ersten Agens beüondern und besdiränken. Es liegt auf der 
Hand^ das^ diese* Ursachen die Thätigkeit Qottes. nicht durch« 

* irgend eine Thätigkeit vo n ' i h r e r Sei t'e 'bestimmen können, 
weil dieselbe formeU Gott immanent ist. Die T'l^lltigkeit Gottes 
unterscheidet sich real oder sachlich nicht von- seiner Wesenheit 
Diese Beschränkung kann «omit nur darin bestehen, dass die sub* 



* 



- 185 — 

alternen UrBaobcD die ThStigkeit die Bewegung Gottes in aicii' 
SDfDehmeQ, nnd dadurch auf einen beetimmten Effect einscbiänken, 
gemäß dem soeben ansgeaprocbeuen GnindEiatze, dasB Aaa Auf- 
genommene sieb nach der BescbaEfenhgit, nach der EnipfäDgiicb- 
keit des aafnelimenden Snbjecties richtet, vom Aufuebuienden dann 
determiniert wird. Diese Determinierung ist also niebt eine for- 
melle oder eine wirksame, sondern eine materielle, stoff- 
liche, mit andern Worten eine passive, nicht active, deun 
jedes Ding verhält sieb zu dem, was über iUm ist, wie dei--ätoCF. 
Und der Stoff bestimmt, bewegt sich nicht selber, sondern er muss 
von einem andern bewegt werden (3. contr. Gent c. 149.). 

Damit ist jedoch picht gesagt, dase die Creatar bloß die 
Wesenheit eines Dinges und Qütt das Sein desselben hervor- 
bringe. Die untergeordnete Ursache wirkt die Bestimmung des 
Seins stofflich, nnd als das, was existiert, ui quod est, indem sie 
Vollkommenheiten hervorbringt, die - das Sein durch stuffllcbe 
oder passive Bestimmung detciTiinieren. Sie wirkten ebenfalls das 
Sein, aber nicht formell, d, b. sie wirkten es nicht formell als 
dasjenige, wodnrch, ut quo, die entsprechende Wesenheit da 
ist oder existiert. Dazu reicht ihr© eigene Kraft nicht aus, 
während sie für ersteres, für die stoffliche BeBtimuiung genügt, 
weil dazo kein Act, keine Thätigkeit erforderlich ist. Das Stoff- 
liche, Passive nimmt auf, ohne dabei activ thätig zu sein, wie 
ja die Bewegung zeigt, die der Act eines Passiven ist. Wenn 
man also sagt, das geschaffene Agens bringe nicht die Wesenheit 
der Thätigkeit allein hervoi', sondarn das (üanze, indem es eine 
in der Wirkliiihkeit existierende Thätigkeit ansUbt, so ist dieses 
an*gich Tollkommen richtig, flieht man aber dann den Sublass: 
folglich |Wirkt dieses geschaffene Agens auch die Existenz, 
das Se^n der Thätigkei^ -so kann diese Behauptung nur mit 
einer g^naaep Unterscheida'i^ hingenommen ^ei'deo. Dieses Sein 
wirtf'vom geschaffenen Agenfftwar aas eige'ner Kraf^hervor-' 
gebfacht als das, was ist, als existierende ^hätigk^it, keines- 
wegj-aber als da^, wod.nrcb diese Thätigkeit Wirklichkeit be- 
sitzt.' Wirklich fvird -immer, dasjenige, was ist 'ode^ existiert, 
das sogenannte quod est. Und dieses quod est bildet den eigent- 
lichen Effect der thätigen Greatur. Die Existenz aber, oder das 
JMO M('der Thätigkeit entspricht ^ eigen thUmlicb" dem Wirken der 
ersten Ursache. Dieses Sein kann das Geschüpf nicht aus 
eigener Kraft, sondern nnr in drör Kraft Gottes wirken. 

Der tkrminus totalis der aetiven Potenz, des .^gens in acta 
ist sDniit' niemals die Wesenheit, oder die Existenz der Thätigkeit 
allein fllr sich, sondern stets beide zusammen. Das quod und 
p» est bilden den Urminvs. Die Thätigkeit als in der Wirklich- 
keit biistierendes Aceidens wird tfaatsächlicb hervorgebracht, (iott 
und die Creatnr wirken einen und denselben Effect, die Thätig- 



— 186 — 

iLeit. Diese Thätigkeit als Ganzes ist eigentlicher Effect 
des geschaffenen Agens. Allein dasjenige, wodurch das Ganze 
existiert, i^t nicht eigentlicher Effect (effectus proprium) des 
geschaffenen Agens, sondern Gottes, der ersten Ursache. Diesen 
Effect wirkt das untergeordnete A^ens in der Kraft Gottes, 
Gott hingegen aus eigener Kraft. Durch die stoffliche Beschrän- 
kung oder Detenninierung durch das geschaffene Agens wird 
demnach das Sein, welches der Gott eigenthümliche Effect 
ist, zu einer Verstandes- oder Willens- oder sinnlichen Thätigkeit, 
je nachdem das active Princip des Verstandes, des Willens oder 
der »Sinne eine Thätigkeit ausUbt. Die Determinierung ist aber 
eine stoffliche, nicht formelle oder ^ctive deshalb, weil das 
Sein, die Existenz in diesem oder jenem accidentellen Wesen, 
resp. in dieser oder jener Thätigkeit aufgenommen wird. 

Die geschaffenen Agentien vermögen somit nicht durch Gene- 
ration oder irgend eine andere -Thätigkeit das Sein absolut, son- 
dern nur dieses oder jenes Sein hervorzubringen (1. p. q. 45. a. 5.). 
Indessen bringen sie dieses oder jenes Sein auch nicht in 
eigener Kraft, sondern in der Kraft der ersten Ursache 
hervor. Sie sind daher diesbezüglich Instrumente in der Hand 
Gottes. Oportet quod dare esse, in quarUum Kujusmodi, sU effeäus 
primae catisae solius, secundum proprium virtutem. Et quaecumque 
alia causa dat esse, hoc habet, in qtiantum est in ea virtus et 
operatio primae causae, et non per propriam virtutem. Sicut ä 
instrumentum efficit actionem instrumentalem, non per virtutem 
propriae naturae, sed. per virbdem moventis (ia potentia q. 3. a. 4.). 
Das Sein, von welchem der heil. Thomas hior spricht, und welches 
von der Greatur, als dem Instrumente. Gotteil hervorgebracht wird, 
ist nicht das Sein absolut. Dass die Creatar dieses Sein 
hervorbringen* könne^ leugnet gerade* ^er englische Meißter mit 
dem Hinweise, dass ^ sie dann auch iA der Schöpfung al& Instrn- 
* *n^nt djpnen könnte £^ ist folglich'idas beschränkte, determinierte 
Sein. Diesc^ Determjnierung darfauch nicht in activ er, formeller 
Weise geschehen, sondern in stofflicher,, passiver. ^Den 
Grand daAlr werden wir alsbald angeben. • Darum* ist der ' dem 
geschaffenen Agens „eigenthümliche'' Effect die existierende 
Thätigkeit, und die Existenz dieser Thätigkeit nnr insofern, 
als sie in dieser Wesenheit als ihrem Snbjecte sich befindet. 

Diese Darlegung gilt natürlich nur vom Sein, von der Existenz 
der Thätigkeit. Das Seiü dieser Thätigkeit wird vom ge^ 
schaffenen Agens gewirkt. Es is\ ausschlieBlich nur in «Betreff 
der Thätigkeit Instrument Gottes, und in dessen K^^aft 
thätig. Wie indessen nachgewiesen wurde, gibt es noch ein 
anderes Sein, eine andere Existenz, die nicht vom Geschöpfe 
weder aus eigener Kraft, noch in der Kraft Gottes verflr^acht 
wird, nämlich: das Sein der Potenz in ordine operatito, 



— ]87 — 
4 
nümlicli das Sein des Agens in actu. Dieses Sein wird einzig 
und allein von Gott verursacht. Die Creator hat dabei gar nichts 
EU thun. Sie könnte nicht einmal etwas thun, weil sie passiv, 
nnthätig, CTst auf dem Wege zn einer ThStigkeit sieh befiii<)et. 
Sie ist noch nicht Agens t'n acte, daher aach oichtPrincip oder 
Ursache einer Thätigkeit. Damm kann sie zur Thätigkeit Gottes, 
der ersten Ursache, Kicbts beitragen, mit derselben uicbt mit- 
belfen. Was nicht tbätig ist, nicht eine eigene Thätigkeit ausübt, 
kann auch nicht Instrument der ersten U^acbe sein. ^ 

83. Wenn aber das geschaffene Agens das Sein (quo est) 
der eigenen Thätigkeit nicht in eigener Kraft, eondeni in der 
Kraft Gottes, der ersten Ursache nnd noch dazu auf atoft'liche 
Weise verursacht, kann man dann in Wahrheit sagen, es wirke 
das Ganze, das quod est, nnd dieses Ganze bilde den „eigenen" 
Effect des geschaffenen Agens? Kann man dann behaupten, dass 
dieses Agens überhaupt wirke? 

Allerdings kann man das mit vollem Rechte sageu. Das 
Instrument bringt den ganzen Effect heiTor, obgleich dieses 
' nur in der Kraft des Hauptagens geschieht. Das Hauptagens ist 
der erste Beweger, das instrumentale hingegen ein bewegter 
Beweger. Das Instrument besitzt eine zweifache Thätigkeit, die 
eine hat es durch die eigene Natur, die andere insofertt es vom 
ersten Beweger bewegt wird. Manchmal erreicht die Thätigkeit 
, des Inetrumentea jene Vollkommenheit, weiche vom Hauptagens 
rerursacht wird, manchmal hinwiederum nicht. Stets jedoeh wirkt 
das Instrument etwas HOheres als das ist, was ihm seiner Natur 
nach zukommt. Andernfalls wäre ea nicht als Instrument thätig 
(4. dist, i. q. 1. a. 4. qu. 1.). Das Instfitment bringt den ganzen 
Effect hervor, der anch vom Hauptagens gewirkt wird, nur in 
einer andern Art und Weise (3. conlr. Gent. c. 70.). 

Ea vrurde früher nachgewiesen, dass d ie Thätigkeit des 
6e8ehSpfe8.dieselbe ist mit der T hätigkeit der ersteu Ursache. 
Von Seiten Gottes bildet die Thätigkeit, wodurch das Agens 
in pctentia ein Ageos in acti^ wird, also die praejnotio pkysica, 
' . nud die Thätigkeit, ■ wodurch ^das Ageiis in actu, eine Thätigkeit ' 
ausübt, ein und dasselbe Wirken. Es dürfen nicht zwei 
Thätigkeiten Gottes angenominen werden. Diese eine Tliätigkeit 
Gottes unterscheidet sich sacblich oder real von der Thätigkeit 
der Greatnr bei der Überführung aus dem passiven Zustande in 
den activen, indem die Creatnr da nicht mitwirkt, nicht tbätig 
ist Wie kommt nun die Thätigkeit des Geschöpfes zustande? 
Dadurch, das» die Creatnr die Thätigkeit oder Itewegiing Gottes 
in sich aufnimmt, imd auf den Effect, auf die eigene»Tliiitigkeit llber- 
ieitet. Gleichwie die active Potenz, das Agens in actu, die^orm, 
wodurch es in actu ist, nur vorUli ergehend, per modum trameunlis, 
besitzt, ebcBso hat die Thätigkeit ihre Form, ihren Act nur 



— 188 — 

k 

per modum tränseuntis in den mit Freibeit begabten Creataren. 
Die Natardinge besitzen diese Form oinigermaseen per madum 
permanentis, jedoch nicbt in dem G-rade wie Gott. Es bangt von 
Gott ab, in welcher Weise er ihnen diese Form mittbeilt. Wir 
sehen aber thateächlicb, dagB eie anunterbrochen eine Tbätigkeit 
entwickeln, daas sie somit auch immer actiye Potenzen haben, 
agmtia in actu sind. Bei den vernünftigen* Geschöpfen ist dieses 
nicht der Fali. Daraus ist klar, dass eine und dieselbe Bewegung 
Gottes es ist, wodurch die Thätigkeit der Creatur zustande kommt. 

Wenn der englische Lehrer beständig erklärt, das Geschöpf 
sei in der Kraft Gottes tbätig, was meint er damit? Was 
versteht er unter dieser Kraft? Nichts anderes als die Bewegung 
oder Actio Gottes. Eine und dieselbe Kraft oder Form ist es, 
wodui-eh die Tbätigkeit ausgeübt wird. Die Form aber ist Princip 
der Tbätigkeit. Wären mehrere Thatigkeiten vorhanden, die 
Ttiätigkeit Gottes und der Cieatur, so müssten auch der Wirkung 
mehrere Formen eingeprägt werden, denn thätigsein bedentet 
nichts anderes, als dem Effecte eine Form einprägen, durch 
welche das Agens selber wirkt. Der beil. Thomas bestreitet aber, * 
dass dem Effecte mehrere Formen eingeprägt werden. Nach seiner 
Lehre ist es nur eine einzige Form, die vom unmittelbaren, 
letzten Agens dem Effecte mitgetheilt wird. Und die«e Form 
schlieft virtuell alle vorausgehenden in sich (de spirit. creat. a. 3. 
ad 20.). Durch die praemotio phygica wird somit d^r Wille bewegt, . 
und als bewegte Kraft wirkt er eine Tbätigkeit. DarauB«rgibt 
sich, dass die ganze Tliätigkeit, Wesenheit und Existenz dieses 
Accidens, .der untergeordneten Ursache zugeschrieben werden muss. 

Wäre dem' auch nichl so, die Tbätigkeit würde nichtsdesto- 
weniger roll und ganz der subalternen Ursache angehören. Bei 
der Generation des Menschen bringt das geschaffene Agfius keines- 
wegs alles hervor. Die Form, nämlich die Seele und die Existenz, 
das Sein des Menschen wird von Gott unmittelbar und« allein ver- 
ursacht, 'trotzdem sagen v?ir, dass der Mensch _ den Menschen 
hervorbringt. Wir schreiben ihoi depinach den ganzen Effect zu. 
' Umaomebr. mus^ dieses »dann b^i der Thätigkejt geschehen, ,' 
' welche von einer and derselben Kraft ausgeübt wird. 

Es jinterliegt demnach gar keinem Zweifel, dass die prat- 
motio physica und der simultane Goncnrs vom heil. Thomas ge- 
lehrt worden sind. Allerdings nicht jene praemotio, die von den 
Gegnern, wenn sie conseqnent verfahren, vertheidigt werden muss. 

§ 12. Die praemotio physipa der Vertheidiger des bloss 
* simultanen Concnrses. 

84. Die Überschrift des vorliegenden Paragraphen eTscheiot 
befremdend. Nichtsdestoweniger stehen wir für die volle Richtig- 



_ 189 — 

keit derselben ein. Gegen die praemotia pkysica des engÜBchen 
Meistere atid der Thomisten äußert man alle möglichen Bedenken, 
und uimmt, nm diese Schwierigkeiten zu vermeiden eine Tbeorie 
an, die, beim Liebte betrachtet, ebenfalls eine praeniofio physica 
ist, aber nocb weit größere Schwierigkeiten in sieb schließt. 
Hier ist der Beweis dafür. 

Gott bewegt, so wird gelehrt, die Geschöpfe, znmal den Willen, 
nnr im allgemeinen. Dieser Einflaee ist der Wind, welcher 
das Segelschiff nach einer allgemeinen Kichtang hiu, z. B. nach 
Osten treibt. Diese Bewegung zielt anf keinen bestimmten 
Hafen oder Landangsplatz ab. Der menschliche Wille hiogegen 
bestimmt oder determiniert diese al Ige meine Bewegung. 
Der Stenermana dirigiert dag Schiff in einer bestimmten Kich- 
. tirng zn diesenr o^er jänem Hafen ■•• ■ ' ' 

Ein {bedenken g^en «liese LehreVhaben wii- sphon frUh* 
geäußert, es ist dieses : auf welche Weis? der Steuermann bewegt, 
zur Thätigkeit angeregt werde. Man rergisst immer uns dieses 
■ zn sagen, ^u erküren. Durch den Wind kann der Steuermann 
unmöglich bewegt werden. Der Wind bringt im Steuermann keine 
Thätigkeit herror. Man lässt ihn einfach ohne weiters thätig sein 
und.das Schiff dirigieren. Immer wird nnr von der Wirkung, 
von der Bewegung des Schiffes gesprochen. Auf diese Art löst 
man Schwierigkeiten nicht, sondern vermehrt sie nur. Der heihg;e 
Thomas sagt, Gott bewege den Willen zur Thätigkeit, ad 
agendum. Da aber der -Steuermann offenbar auch ein Geschiipf 
ist, nud nach der Lehre des heil. Thomas jedes Geschöpf 
von Gott bewegt wird, so ist mit dem genannten Schiff einfach 
uichts erklärt. Noch schlimmer steht die ganze Sache, wenn an- 
genommen wird, und consequenterweise muee es geschehen, dass 
der Wille sich selber bewege, ohne Einfluas uiul Zutbun 
Gottes. Erbringt dann ein Seiendes, ein ens hervor, dessen Ur- 
heber nicht Gott ist. Damit wollen wir uns jedoub uicht weiter 
beschäftigen. Unser Zweck ist vielmehr der, uachzuweiaeu, dass 
die Gegner des heil. Thomas eine praemotia phyaica Ichren. 

Der Einflass Gottes auf die Geschöpfe besteht iu einer all- 
gemeinen Bewegung. Da diese Bewegung etwas Wirkliches, 
nicht etwas Abstra^ctes ist, so müssen wir ihre allgemeine 
Natnr in der Weise auffassen, wie den ersten Stoff, die materia 
prima. Was sagt nun der englische Meister vom ersten Stoffe? 
Der ferste Stoff ist ihm an und fUr sicb'am wenigsteu besti mm t, 
aber am meisten b«stimmbar. Diese Unbestimmtheit und 
Bestimmbarkeit des ersten Stoffes- bildet Jlen Grund seiner großen 
Unvollkommen hei t.. Der Stoff wird durch die Form bestimmt 
nod vervollkommnet, denn durch die form erhält er Wirklich- 
keit, wird er ein.«MS in actu. Ohne Form ist er bloß ein ena in 
potentia. Die Potenz ist etwas Unvollkommenes, der Act etwas 



— 190 — 

Vollkommenes. Diesen Giiindsätzen begegnet man in den Werken 
des heiL Thomas alle Angenblicke, weshalb wir von der Angabe 
von Citaten absehen. 

Wie verhält sich nun das Bestimmbare zum Beistim- 
menden, das StoflFliche zum Formellen? Welches ist der Natur 
und Gausalität nach früher? Jedes FrUhersein der Natur 
nach muss auf irgend eine Weise zurückgeführt werden auf das 
Verhältnis von Ursache und Wirkung. Princip und Ursache sind 
ein und dasselbe. Der Stoff ist Ursache der Form, insofern er 
die Form stützt (sustmtans). Die Form bildet Ursache für den Stoff, 
weil sie formell bewirkt; dass dieser Wirklichkeit hat, in actu 
ist. Die Formalursache als solche ist der Natur nach früher 
(4. dist. 17. q. 1. a. 4. qu. 1.). Alles das, was im, Verhältnisse einer 
T'orm steht, ist früher ais das, was sich wie, der Stoff ' verhält. 
Dieses Frijher gehört der Ordnung«derWx)llkomm*enheit an 
(ordo perfectionis) (de ve^i'itate q. 9. a. 3. ad 6.). Der Natur nach, 
schlechthin früher müssen wir dasjenige nennen, was im Wirken 
früher ist, wie z. B. die Zweckursache (1. c. q. 28. a. 7.). Cfr. 1. 2. 
q. 20. a. 1. ad 3. — ib. q. 62. a. 4. — de malo q.4. a. 4. 

Wenden wir nun diese Principien des Doctor Angelicns an 
auf unsern Gegenstand. Gott bewegt die Creaturen resp« den 
den Willen im allgemeinen. Wie die Bewegung allgemein, 
so ist auch das Endziel ein allgemeines. Die Bichtung, welche 
das Schiff nach Osten einschlägt, ist in sich.un bestimmt, aber 
bestimmbar durch die Thätigkeit, die Direction des Steuer- 
mannes. Die Bewegung durch Gott verhält sich somit zu der Be- 
wegung der Creatur, wie der Stoff zur Form, denn sie wird von 
dem Geschöpfe bestimmt, und zu einem bestimmten Ziele hin- 
gelenkt. Die Thätigkeit der Geschöpfe bildet demnach das For- 
melle. Nach der Lehre des heil. Thomas aber ist das Formelle 
der Natur und Gausalität, der Vollkommenheit nach 
früher als das Stoffliche. Daraus folgt zur Evidenz, dass 
die Vertheidiger des bloß simultanen Concurses ebenfalls eine 
praemotio physica lehren. Ein anderes „Früher", als der Natur 
und Gausalität nach, als in Bezug auf die VoUkonmienbeit ver- 
theidigen S. Thomas und seine Schüler auch nicht. 

Unsere zweite Behauptung war, dass daß System der Gegner 
die Schwierigkeiten vermehrt In der That ! Wie kann Gott ein 
Geschöpf bewegen, ohne dass er ein bestimmtes Ziel im Auge 
hat? Und wie kann sichGott der Creatur gegenüber stofflich, 
d.h. unvollkommen verhalten? Wie kann er sich das Ziel 
seiner Bewegung erst darch di«e Geschöpfe bestimmen lassen? 
Der englische Lehrer spricht fortwährend davon, dass Gott die 
Creatur zur Thätigkeit appliciere. Im Systeme der Gegner 
wird aber eine Thätigkeit appliciert, und zwar die Thätigkeit 
Gottes durch eine Creatur. Die Thätigkeit Gottes wird 



— 191 — . 

dareb jene des GescfaOpfes einer bestimintflu Richtung, einem 
bestimmten Ziele appliciert. Sie hängt somit ganz and gar von 
der Thätigkeit der Creator ab, ist derselben untergeordnet. 
Durch die Bewegung Gottes begehrt der Wille etwas, er weiß 
aber noch nicht was. Das mnss er sieb erst selber bestimnien. 
Gott ist es gleicbgiltig, was der geschaffene Wille begehrt, wenn 
derselbe nur im allgemeinen oder Überhaupt will. Weiter 
kümmert sich Gott nicht. Im Gegentheil lässt er es sieb rubig 
gefallen, dass seine Bewegung durch die Thätigkeit des 
Geschöpfes modificiert, bestimmt, verrollkommnet wird. 

Daraus ergibt sich, dass der bloß simultane Concarti manches 
gar nicht zu erklären vermag, indem er uns uichts darüber sagt, 
wie und wodurch die Creatur aus der Uutbätigkeit in die Thätig- 
keit übergeht, au» dem. p'fl^^iven ^ust^ude heta.us^optmt'Uad 
active' Potenz, "Agfens 'in'aäu wird. Zweitens, dass der siuinl- 
tane Concurs, wie die Gegner ihn auffassen, eine praemott/j physica 
ist nnr in verkehrter Ordnung. Diese praemotio gebt nicht von 
Gott, eondem von der Ciieatur aus, und sie bezieht 'sich nipbt auf 
den Willen der vernunftigen Geschöpfe, auf die Creaturen über- 
haupt, sondern auf den Willen Gottes. Drittens folgt aus 
dieser Darlegung, dass es überhaupt keinen solchen simultanen 
Cuncurs geben kann, wie die Gegner ibu verstehen. Gottes 
Thätigkeit ist auch dann noch der Natur und Cauäalität, 
der Vollkommenheit nach frllber, wenn die Creatur mit 
ihr wirkt, wenn da« Geschöpf selber thätig ist. Simultan heißt er 
einzig und allein nur aus dem Grunde, weil Gott eine Wirkung, 
einen Effect nicht ohne Mitwirkung der Geschöpfe her- 
vorbringt. Eiu simultaner Concurs in einem andern Sinne kann 
gar nicht eiistieren, denn er würde die Rechte und Vollkommeu- 
beiten Gottes beeinträchtigen, Gott znruntergeordneteu,8ecun- 
dären Ursache berabdrUcken. 

85. Dieses Urtheil müssen wir auch über die Theorie eines an- 
dern Gelehrten der Gegeuwail aussprechen. Dieser Autor bekämpft 
die praemotio pkysica des heil. Thomas, den simultanen Concurs 
des euglischeu Mebters und der Gegner. Wie verhält sich aber 
die Sache? Sehr einfach, meint der genannte Autor: Gott bewegt 
den Willen auf natürliche und uothwendige, d.h. un- 
freie Weise zum Guten und zu der Glückseligkeit im allge- 
meinen. Das ist alles, was er thnt. Und diese Bewegung ist 
allgemeiner Natur. Ohne diese allgemeine Bewegung kann 
der Wille nichts Particuläres begehren. 

Wir haben früher erklärt, dass es eine allgemeine Be- 
wegmig ein flir allemal nicht geben köuue. . Bewegung ist Thätig- 
keit. Die Thätigkeit ist aber etwas Particuläres. Dag ist con- 
ataote Lehre des heil. Thomas. Ebenso wurde früher nachgewiesen, 
dass die Behauptung nnriehtig ist, der Mensch köuue nichts Par- 









— 192 — 

ticnläres wollen ohne diese Bewegung; falls die Bewegung sab- 
jeetiv, quoad exercitium actm genommen wird. Verstehen wir waUsr 
dieser Bewegung wirklich eine Thätigkeit, und ist der Satz: „der 
Wille könne ohne diese Bewegung nichts Particuläres .begehren** 
richtig; so heißt dies soviel als: ;,der Wille kann nichts Partiea- 
läres in Wirklichkeit ((ictu) begehren^ ohne das Gute und die 
Glückseligkeit im allgemeinen in Wirklichkeit (adu) zu wollen. 
Dieser erste Satz aber widerspricht direct der Lehre des heiligen 
Thomas. Der englische Lehrer sagt ausdrücklich, wenn der Wille 
irgend einen Act ausübt, sei es durchaus nicht nothwendig, dabei 
in Wirklichkeit ((xctu) an das Endziel, an die Glückseligkeit 
zu denken. Non oportet ut semper aliquis cogüet de ultimo fine, 
quandocunque , aliquid appetit vel operatur. (1. 2, q. L a. 6.* ad 3.). 
Daohit, 4^8 ^Endziel- irgend %iner Hahdlhn^ Gett sei, dazu* ist nicht 
nothwendig, dass derjenige, welcher * die Handlung* vollzieht, an 
Gott, oder die Lieb^ denke (2. dist. 38. q. 1. a. 1. ad 4.). Cfr, 
ib. dist. 40. q. 1. a. 5. ad 3. 6. 7. — 4. dist. 15, q. 4. a. 2. qu. 4-)- 
Wie ii|t es nun möglich, dass Gott, so*, oft der Wille etwas Par- 
ticuläres begehrt, den Willen auf natürliche und nothwendige/ 
d..h. unfreie Weise zum Guten und £u der Glückseligkeit im all- 
gemeinen bewegt — weil der Wille ohne diese Bewegung* nichts 
Particuläres begehren kann — und der Mensch trotz dieser sub* 
jectiven Bewegung nicht au das Gute und die Glückseligkeit im 
allgemeinen denkt. Kann Gott den Willen zu etwas subjectiv 
oder actuell bewegen, ohne dass der Verstand daran denkt? 
Wenn nicht, dann ist die Auslegung, welche der genannte Autor 
den Stellen des heil. Thomas zutheil werden lässt, total falsch. 
Wenn ja, dann ist die Lehre des Doctor Angelicus über die Ab- 
hängigkeit des Willens vom Verstände^ total unrichtig. 

Wir werden uns für erstere Folgerung entscheiden müssen. 
Der Mensch kann darum ein particuläres Gut anstreben, ohne von 
Gott subjectiv, actuell zum Guten uud zu der Glückseligkeit im 
allgemeinen bewegt zu werden. Auf die Theorie des Autors haben 
wir übrigens schon früher reflectiert. 

Nehmen wir nun den Fall an, die Bewegung des Willens 
durch Gott sei, wie dieser Autor behauptet, wirklich allge- 
meiner Natur. Was würde daraus folgen? Genau das System 
der Vertheidiger des bloß simultanen Goncurses. Wir begreifen 
in Wahrheit nicht, wie dieser Gelehrte den simultanen Concars 
bestreiten kann, indem doch sein System so genau der simultane 
Goncurs der Gegner des heil. Thomas ist, dass man ihn mit dem 
schär&ten Vergrößerungsglase davon nicht zu unterscheiden im- 
stande ist. Dre Bewegung des Willens durch Gott zum Guten 
und zu der Glückseligkeit im allgemeinen entspricht haarklein 
der Bewegung des Schiffes nach Osten ohne bestimmtes Ziel^ 
ebne bestimmten Häfen. 



_ 193 — 

Wo existiert das Gut und die GlUckaeligkeit im ailgemeioea 
für die remllDUigen Geschöpfe, solauge sie Gottes Wesenheit 
nieht von Angesicht zu 'Angesicht schauen? Nirgend», haben 
wir früher gesagt. Den Gegenständ, die res, worin d&s allseitige 
Gnt and infolge 'dessen die Glückseligkeit des vernUnfLigeu Ge- 
schöpfes ihren Grund hat, ist etwa« ganz^Un bestimmtes. Der 
eine glaaßt sie in diesem, der andere iu einem andern, zu tinden. 
Gott bewegt demnach den Willen im allgemeinen znm Guten und 
zu der GlUokseligkeit, Der Mensch, nm bei diesem zu. bleiben, - 
sucht aber einen bestimmten Gegenstand, -ein gewisBes 
OlDJect seines Glückes, ßequiriütr, ut id, quod appreheiulilar «i 
bmum et cfmvmiens, apprehmdatur ut bonum et convmiens in par- 
Hadari, et no» in ■universali ftanium (demalo q. 6, a.*].). Wer 
bestimmt nun dieses particuläre Gnt und'diese particuiäie Be-. 
wegung? offenbar der Wille ^selber, denn Gott verleiht nur eine 
allgemeine Bewegung und ein allgemeines Gü\. Die 
Theorie des genannten Autors steht somit genau auf dem Stand- 
punkte, welchen die Vertheidigter des bloß simultanen Concurses 
einnehmen. Die allgemeiue Bewegung des Willens duriib Gort 
wird modificiert, bestimmt durch die Thätigkeit der Geschöpfe. 
Diese Tbätigkeit ist daher der Natur nndCansalität, der 
Vollkommenheit nach früher, als die Bewegung durch 
Gott. Die Thätigkeit Gottes wird von der Action der Creatur ■ 
einem particuläreu Gut appliciert. Was wir demnach gegen den 
bloß simultanen Goncnrs eingewendet, das hat «eiue volle Geltung 
auch bezüglich der Anschauung dieses Gelehrten. 8ie erklärt 
nicht, durch wen das Geschöpf aus dem passiven, untliätigen 
Zustande in' jenen des Wirkens übergeführt wird. Die Bewegung 
zum Guten und zu der Glückseligkeit im allge- 
meinen genügt durchaus nicht, weil der Willä actnell ein 
particüläres Gut begehren kann, ohne actnell die . genannten 
Güter anzustreben. Das wirkliche (in aclu) Begehren des einen 
kfinn ohne das Streben nach dem andern vor sich gehen. . Die 
nämliche praemotio pkysica lässt sich in dieser Theorie nach- 
weisen, wie sie im System des bloß simultanen Concurses c o n- 
sequenterweise angenommen werden muss. Es ist durchaus 
nicht etwas Neues, was der gelehrte Antor hier bietet, sundem 
die alte Lehre gegen den beil. Thomas, die man wieder, oder 
sagen wir lieber und richtiger, doeheudlich einmal /.nr 
Geltung bringen möchte. Wir glauben indessen, dasa es den ge- 
ehrten Lesern nicht sonderlich schwer fallen werde, zwischen der 
praemotio pkysiea des heil. Thomas und jei^er, welche von den 
Vertheidigern des bloß simultanen Concurses vorgetragen wird, 
eine Wahl zu treffen. 

86. Fassen wir diese wichtige Lehre des Doctor Angehens 
über Ak praemotio physica anter allgemeinen Gesichtspunkten 
F«tdn«r, WUlensfreltieit 13 



— 194 — • ' ■ 

zusammen, und ed wird sich mit evidenter Klarheil zeigen, dass 

.es einen simultanen Concurs, wie er von den Gegnern ver- 
theidigit wird, gar. nicht geben kann. Wir schicken drei Prin- 
cipien voraus. • ^ • . , 

Erste« trincip: Der Concurs, dessen terminm die Thätig- 
keit'der Geschöpfe ist', darf nicht simultan im Sinne der Gegner 
genannt werden. - , * 

Unter dem simultanen Concurse versteht man nitthts anderes 

« als,, dass Gott durch eine und dieselbe Thätigkeit, durch welche 
die subalterne Ursache einen Effect hervorbringt diesen Effect 
ebenfalls wirkt. Der simtiltane Qoncurs ist somit niehts. anderös, 
als^ die Thätigkeit der untergeordneten Ur^che, insofern sie zu- * 
gleich voH Gott abhängt;. Da nun niclyts sich selber zu seinem eigenen 

, terminus haben kanif, sondern zwischen dem, was einen terminiis 
hat und dem terminus selbst eine reale Ordnung und' Abhängig- 

. keit platzgreifen muss, so liegt es *auf der Hand, dass der Con- 
curs, der die Thätigkeit der Geschöpfe zum terminus hat, nicht 
simultan sein kann. Auf dieses Princip stützt sich unser Be- 
weis von der Nothwendigkeit der praemotio physica. 

Die Thätigkeit Gottejs muss die Thätigkeit der Geschöpfe zu 
ihrem terminus haben, denn diese Thätigkeit der Creaturen ist 
etw%s Wirkliches, ein Seiendes, ein ens. Jedes geschaffene Seiende 

. ist ein ens per participationem oder durch Antheilnahme. Es muss 
folglich zurückgeführt werden auf Gott, das Seiende durch seine 
eigene Wesenheit. Das Seiende durch seine Wesenheit aber verhält 
sich zu allen andern Dingen wie die Ursache zu der Wir- 
•kun^. Da nun die Ursache der Natur und Causalität nach früher 
sein muss, als die Wirkung, so folgt mit Evidenz, dass die Thätig- 
keit Gottes, die mit seiner Wesenheit real identisch, somit eint 
ens per essentium ist, vorhergeht dej Thätigkeit der Creatur, 
wie tiberhiiupt jede Urs'ach^ früher ist als die Wirkung. Hätte 
die Thätigkeit Gotfes jene der Geschöpfe nicht zu ihrem terminus^ 
so .wäre diese letztere- nicht ein Seiendes durch Antheiinahme, 
ens per participationem, 'sondern ein solches dufch seine Wesenheit 
ein ens per essentiam, Sie wäre folglich Gott. Darum haben wir 
vorhin gesagt, die praemotio physica sei deshalb nothwendig, weil 
die Thätigkeit Gottes eine immanente, mit seiner Wesenheit 
sachlich, real identische ist. Aus diesemGrunde bildet sie ein 
ens per essentiam, und damit die Ursache der geschöpf liehen 
Thätigkeit, während diese Effect ist. Der Concurs Gottes kann 
darum unmöglich ein sipiultaner im Sinne der Gegner sein. 

* Aus diesem Principe folgt demnach wenigsfens das eine, 
dass Gott das Princip .des Actes der (jreaturen sein müsse, 
nicht ausBchlieBlich nur das. Princip des Effectes, welcher 
durch die Thätigkeit der Geschöpfe gewirkt wird. Wollte man 
darum bloß zugeben, dass Gott zwar die Thätigkeit der Goschöpfe 



hervorbringe, nicht aber die paaaiv.e Potenz eu einer activen 
mache, dieselbe nicht aus der .Potenz iij den Act überführe; der 
simultane CoQcurs- mlisate dem 'Gesagten zufolge trotzdem fallen 
.gelassen werdeb. Selbst wenn die Potenz ans und durch sich 
gelber hinreichend in actu ist, um eine Tbätigkeit zu vollziehen, 
muss nicbtsdestuweaiger die praemotio physica angenomraeii werden. ' 

Zweites Piincip; Gott kanu nnr als universelle und un- 
beschränlite Ursache mit den Creatttren wirkeif oder thälig sein. 

Jedes Ding ist insofem Ursache und thätig, als es in' 
der Wirklichkeit, in actu sich befindet, pasjenige, was. durch 
sich nnd wesentlich, oder seiner ganzen Wesenheit nach 
wirktichj in actu \%t, muss folglich universelle bnd unbescbräukte 
Ursache sein. Denn jenes Wesen, welches durch sich selber 
existiert, \&i actus pums, reine Wirklichkeit. Darum, ist auch seine 
Tbätigkeit sachltch mit der Wesenheit identisch. Gleitbwie es . 
daher seiner, Wes&nlieit nach allgen^ein und uabeschränkt, «o muss 
es auch in Bezug a'uf'seine Tbätigkeit, ^ie mit dem Wesen ein 
und dasselbe ist, allgemein und unbeschränkt sein. Modus operandi 
sepiitur tnodum essendi. Wir wissön. ab'er,- dass Gott actus purus, 
lautere Wirklichkeit, folglich auCh reine Tbätigkeit ist. -Diese 
letztere muss somit universell und ohne Beschränkung sein, wie 
die Wesenheit, mit welcher sie sachlich, real identisch ist. 

Daraus folgt aber dann mit voller ßestitiimtbeit die Noth- 
wendigkeit der praemotio physica. Der Beweis dafür lautet; 

Wenn Gott die Creator nieht vorherbewegt, sd übt er 
aaf sie nicht als universelle Ursdbbe einen Einfluss aus. Als 
universelle Ursache" auf*, ein Ding einwirken bedeutet, das- ' 
selbe unter dem nniVerSellen Gesichtspunkte eines Seienden her- 
vorbringen, mit aod.eren Worten: all es. wirken, was in diesem 
Dinge ein wirkliches^ reales Sein hat. Zwischen" der Ursache uud 
dem Effecte muss diesbazUglich ein gewisses Verhältnis, eine 
Proportion bestehen. Je höher die Uieachg,' desto mehr. bringt sie. 
hwyoi;. Die universelle Ursache muss somit alles Seiende ver- ^ 
■wirklichen. .Die Creatyr b&siht nun drei rea(e Öinge: das Ver- ■ 
mögen oder die Potenz, die Potenz mit einer Vollkommenheit, 
oder die Potenz in actu, endlich die ThätigkeJt selber. Die Potenz 
fBr «ich bildet das entfernte, . die Potenz in actu das nächste re-a I e ' 
Princip, aus'welcbem die Tbätigkeit als dritte Realität iinfeblbar 
hervorgebt. Auf welche Weise wii;kl nun Gott diese drei Realitäten ? , 
Mittelst des simultanen Coneurses? Diese Annahme eVweist 
sich als unhaltbar. Jede Realität, jedes Seiende ist'EfJ'ect 
Oottes und er bildet dessen Ursache. Die Ursache aber muss 
früher sein als die Wirkung. Es genügt auch nicht,'da88. Gott ; 
der Creatur die'Pot«nz thätig zu sein mittheile, denn dieser 
Potenz entspricht hiofi die mögliche, ' nicht die wirkliche 
Tbätigkeit. Wirkt Gqtt mit der Creatur die 'Tbätigkeit, so 

J3* 



— 196 — * 

# 

entspricht diese letztere dem Wirken Gottes als etwas 'aus dem 
aet.iven Principe der Creatur bereits Hervorgegangenes, 
' nicht aber als etwas unfehlbar Heraüstre.tendes. Das 
active Princip, die Potenz in actu ist ebenfalls etwas Keales^ 
. weil sie eine reale Wirkung hervorbringt. Dieses Princip muss 
folglich Gott zu seiner Ursache haben, andernfalls wirkt Gott 
nicht alles Keale in der Creatur. Mit Bezug auf dieses active 
Princip ist der simultane Concurs ein Ding der Unmöglich-, 
keit, denn die Creatur' kann erst dann mitwirken, wenn sie 
selbst atJtfves Princip, Potenz in actu ist. 

Wit haben somit einen dreifachen realen terminm der prae- 
motio physica: die Potenz, die Potenz in actu und die Thätigkeit. 
In Beti*eff der zwei ersten gibt es keine Mitwirkung von Seiten 
der G<»schöpfe, hinsichtlich des dritten sind 'sie 9iitthätig. Die 
Thätigkeit Gottes jedoch geht jedesmal voraus, denn sie i^t 
die universelle Ursache alles Realen in jden «Geschöpfen. 

Drittes Principv Gott wirkt stets als erstes Agens* uud 
erste Ursache. , . 

^Gott ist durch seine Wesenheit Ursache, ohnd eihe 
andere vorauszusetzen. Er ist Princip ohne Princip, gleichwie er 
Endziel ohne Endziel ist. Eine Ursache mit solchen Eigen- 
schaften muss unbedingt früher sein als jene,, welche noch eine 
andere voraussetzt. Gott bildet somit nicht bloß das erste Seiende, 
sondern »auch die erste Ursache. IJnd weil ihm dies wesent- 
lich zukommt, wahrt er es^ bei all seiner Thätigkeit. Aus diesem 
•* Princip folgt abeimals die Nothwendigkeit der praemotio pkysiea. 

Nach dem allgemein anerkannten Grundsätze ist das primutn 
. in uno guoque genere ratio et causa caeterorum. Ganz vorzüglich 
gilt dies bei den wirksamen Ursachen, in causis ^ficientibus. Wenn 
also Gott als wii*ksame Ursache die erste*. ist, so müssen alle 
andern' durch ihn Ursachen sein, ' und folgerichtig von ihm, 
insofern sieUrsachen sind, abhängen. Diese Abhängigkeit 

* darf sich nicht ausschließlich auf.dje Wirkung efstreä^n, 
welche, von den andern Ursachen erzielt wird, sondern auf sie 
selbst als Ursach'en. Der simultane Concurs hat nicht die 

.. Cre^turen als Ursachen zu seinem terminus, sondern die 
Thätigkeit dieser Ursachen. Nun wissen wir aber, dass diese 
Thätigkeit eine Wirkung, nicht unmittelbar selbst eine Ur- 

* s'achß ist. Bei den transeunten Thätigkeiten kann man allerdings 
sagen, dass sie selber Ursachen eines EfTectes seien,, bei den im- 
manenten indessen, den actus eliciti, wäre diese Aussage unrichtig. 

. Der. simultane Concurs lässt folglich die Creaturen als Ur- 

'• Sachen völlig unberührt. Aus der Lehre des P. Molina geht dies 

zweifellos hervor; dena ihr gemäß wirkt /Gott nicht auf das 

Feuer, sondern auf die Wärme im Wasser, die vom Feuer and 

Gott zugleich hervorgebracht wird. Die Creatur ist somit Ursache 



— ,197 — 

ohne Einfluss Gottes, ist frilber, als Gott mit ihr den Effect t 

wirkt. In genere cmsarum efficientmm darf man dämm nach dieser ' 

Lehre tiott nicht als erste Ursache bezeichnen, denn die sub- 
alterne hängt als actuelle Ursache nicht Ton Gott ab. Einer i 
Doctria, die zu solchen Folgerungen hinleitet, darf sieber nicht 
das Wort geredet werden. Die Lehre des heil. Thomas : tiott sei | 
die Ursache, dass die Creaturen existieren, und auch die 
Ursache, dass sie Ursachen jiind, beruht demnach auf voller 
Wahrheit In dieser Lehre ist aber gerade die praemotio physka 
eiogeschlosBen. Die active Potenz oder die Potenz in actu wird 
durch Gottes voraasgebende Thätigkeit Princip und Ur- 
sache ihrer eigenen Thätigkeit. 

Wir haben die praemotio physica hiemit iu einigen Umrissen 
gezeichnet nnd mit einigen Argumenten zu stutzen gesucht. Mau 
kÖDnte deben noch viele anfdhren, wir glauben jedoch, davon 
Abstand nehmen zn dUrfen. Mancbeo genUgen zwau/.ig uud mehr 
beweise auch nicht. 

§ 13. Die physische Torherbewegung und die Freiheit des 
Willens. 

87. Die Notb wendigkeit der praemotio physica im Sinne des 
beil. Thomas für die Creaturen, und zwar fttr alle ebne Ausnahme, 
bat sich uns vorzUglicb daraus ergeben, dass das i'rincip der 
Thätigkeit dieser Creaturen init der Wesenheit sachlich, real nicht 
identisch ist. Aus diesem Grunde sind sie nicht sclion von seibat 
in Thätigkeit, obgleich sie existieren, sie besitzen eine Thätigkeit 
nur der Möglichkeit nach, keineswegs aber iu der Wirk- 
lichkeit, inactu. Darum unlersclieidet sich in den Creaturen das 
ISein oder Dasein real vom Thätigsetn. Sein und Ursache, Princip 
einer Thätigkeit sein, bedeuten zwei ganz verschiedene VoUkom- 
menheiten. Die Creatur ist folglich ans und durch sich, oder 
dadurch, das Gott ihr das Dasein gegeben hat, nicht in Thätig- 
keit, sie kann es bloß sein. Sie hat die Kraft, das Vermögen, 
die Potenz dazu. In diesem Znstande aber darf man sie nicht 
Princip der Thätigkeit nennen, denn das Princip der Thätigkeit 
ist etwas Vollkommenes, etwas in der Wirklichkeit, in actu, nicht 
in der Möglichkeit, in potmtia Existierendes.- 

Die Creatur bedarf folglich einer nenen Vollkommenheit, 
nm in die wirkliche Thätigkeit überzugehen, um ihr tie\o, ihre 
Abnlichkeit nnd Gute einem andern, der Thätigkeit, die der 
Effect, die von ihr bervorgebrachte Wirkung ist, mitzutbeiien. 
Diese Vollkommenheit, diesen Act, wodurch das Geschöpf, 
Princip, Ursache seiner Thätigkeit wird, kann es unmöglich 
schon in sich haben, oder auch sich selber geben. Im erstem 
Falle wäre es ununterbrochen tbätig, diese Thätigkeit wäre mit 



— 198- — 

der Wesenheit saeblich iderftifich oder wetiigstens ein. accidens 
proprium derselben, was aber mit ' der Dauer dieser Thätigkeit^ 
der Unterbrechung u. s. w. nicht im Einklänge steht. Es müsste 
mit dem Aufhören der Thätigkeit .zugleicli seine Existenz, sein 
Dasein verlieren. Denn gehört die Thätigkeit zum Wesen des 

. Geschöpfes, so kann es ohne dieiselbe ebensowenig existieren, wie 
ohne die constitativen Principien des Wesens. Dies gilt selbst 
dann, wenn die Thätigkeit nur ein accidens proprium ist. Man 
kann sich zwar, wie der englische Meister, bemerkt; eine Wesen- 
beit ohne accidens proprium denken, im Gedanken davon ab- 
strahieren^ allein man kann sijch nicht denken, dass eine solche 
ohne accidens proprium existiere. Die Thätigkeit -ist folglich 
ein. accidens per accidens. Dann inuss aber auch das unmittel- 
bare, nächste Princip derselben ein accidens, kanii es nicht* 
die Wesenheit selber sein. 

Dieses unmittelbare Princip, ' durch welches die Thätigkeit zu- 
stande kommt, nennen wir Vermögen, Potenz. Diese Potenz ist 

-zweifach: entweder passive oder active. «Passiv heißt sie dann, 
wenn sie etwas empfängt, aufnimmt.' Dadurch wird sie verändert, 
Vervollkommnet und wir sagen, dass sie dadurch leide. Leiden 
wird hier ina. weitesten Sinne genommen, und .bezeichnet jedwede 
Veränderung. Die active Potenz empfängt nichts, nimmt nichts 

. auf, sondern sie gibt etwas, theilt etwas andern mit. Sie verleiht 
einem andern ihr Sein, ihre Ähnlichkeit und Güte, allerdings nicht 
numerisch dasselbe Sein, dieselbe Güte, sondern specifisch oder 
wenigstens analog. Daraus folgt, dass die passive Potenz sich 
real, sachlich, von der activen unterscheidet, denn empfangen 
und mittheilen sind real unterschiedene Thätigkeiten. Obgleich 
daher die Bewegung oder Veränderung die gemeinsame Thätig- 
keit, der gemeinsame Act des Bewegers und Bewegten ist, so 
ist doch die Thätigkeit, durch welche eine Veränderung oder Be- 
wegung verursacht wird, verschieden von jener, welche eine 
Veränderung oder Bewegung aufnimmt. Darum haben wir 
zwei Kategorien, Prädicamente : thun und leiden (2. contr. Gent, 
c. 57.). 

Das Thätigkeits vermögen, die Potenz der Geschöpfe kann 
somit nicht aus und durch* sich selber active Potenz 
werden, indem sie von Natur aus passive ist. Der activen 
folgt unmittelbar die Thätigkeit, weil sie das Princip, die 
Ursache dieser Thätigkeit bildet. In Wirklichkeit aber sehen 
wir, dass die Greaturen manchmal ohne Thätigkeit sind. Woher 
kommt dies? Offenbalr daher, dass ihnen etwas fehlt, dass sie 
dasjenige selbst nicht besitzen, was sie andern mittheilen sollten. 
Es fehlt ihnen die active Potenz, jener Act, jene Vollkommen- 
heit, wodurch ihr Thätigkeitsver mögen wirklich ist (in actu), 
in ordine operativo existiert. Das Thätigkeits princip bildet darum 



•_ 199 — . 

ein ZnsamineDgesetzteB &ns dem Tbätigkeits verpCgen nnd J e d e r 
VollkommeDheit, die es durch die praemotio phtfaica erbält. 
Dadurch nnterecbäidea sieh die Creattirei\ roD Gott.- In Gott ist 
das Thätigkeitsprincip einfach, weil auch sein Wesen und 
Dasein einfach ist. Real oder Haeblich ist in Gott daa Wesen 
mit dem Daaein nnd dem Thätippin efn nnd dasselbe. In den 
Creatoren finden wir Überall Znsammensetznng. 

Die Gegner des heil. Thomas bestreiten dea vorberge ben-- 
den Einflnss Gottes anf die Geschöpfe Überhaupt; ganz besonders 
aber, so behauptet man, dürfe die praemfltio pki/sica nicht ange- 
nommeo werden mit Bezog anf die yernUnftigen Cresturen, weil 
sie mit der Wahlfreiheit im Widerspruche stehe, dieselbe völlig - 
zeiBtöre, mnmfiglieh mache. O'is praemoHo ließe man sich eventuell 
noch gefallen, aber die praedeferminatio in keiner Weise. 

88. Demgegenüber stellen wir folgenden Lehrsatz anf: 

Diipraemotio nnd praedeterminatio pht/sica sind durchaus notb- 
wendig, damit die Freiheit formell als solche gewahrt werde nnd bleibe 

Was die Wahlfreiheit im formellen Sinne ist, wurde 
froher weitläufig dargelegt. Es mnss darunter die Herrschaft 
der Geschöpfe, über ihre eigene Tbätigkeit reistauden 
werden. Zwei Dinge werden erfordert, damit der Wille frei sei. 
Das eine muss dje Potenz, oder das ThätigkeitsvermSgen be- 
schaffen) daa ?weite die l'otenz in actu^ oder das Thätigkeits- 
princip. Von gelten der Potenz wird verlangt. und genügt, 
ilass sie die Fähigkeit besitzt, sich zu verBchiedenen oder auch 
entgegengesetzten. Dingen neigen zu kßn'nen, z. B. dieses oder 
jenes lieben, lieben oder nicht lieben, d. h. keinen Ljebesact aus- 
üben zn können. Von selten des Thätigkeitsprincipes ist das 
eine nothwendig, nämlicb, dass es diesen oder jenen der ge- 
nannten Acte ausübe und nicht einen andern, indem es zwei . 
Acte zugleich unmöglich vüllziehen kann. Diese Entwicklung der 
Tbätigkeit muss abet- derart stattfinden, dass damit und dadurch 
die' Potenz, die Fähigkeit für den andern, oder auch den 
entgegengeaetzteu Act, nicht ausgeschlossen w6rde. Die Möglichkeit, 
das Können hinsichtlich beider muas intact bleiben. Eine Tbätig- 
keit kann daher in einem zweifachen Sinne frei genannt werden. 
Einmal deshalb, weil sie aus dem letzten Entschlüsse der Ver- 
nunft, der sogenannten Sentenz und der Wahl von seilen des 
Willens hervorgeht j zweitens, weil sie von einer Potenz stammt, 
die ihrer Natur nach weder mehr für daa eine als für das andere 
Urtbeil im einzelnen bestimmt ist. Im erstem Falle ist die Tbätig- 
keit eigentlich und formell frei, im letztem nicht eigent- 
lich nnd formell, sondern der Ursache nach und radical. 
Denn vermöge dieser letztem Bedingung hat der Wille uur das 
eine, dass er nicht zu einem einzigen bestimmt ist, sondeirn dieses 
oder jen^ Mittel answähleu kann. 



• . _ 200 — • 

So. oft demnach der Wille frei bandelt, mnss ein doppeltes 
Urtheil der Vernunft entweder formell oder virtuell diese Thätig- 
keit bestimmen. Das eine Urtheil stellt ganz indifferent mehrere 
Guter vor, unter welchen eine Auswahl platzgreifen, bezüglich 
welcher eine freie Thätigkeit stattfinden kann. Jedes dieser Gttter 
muss soweit begehrenswert sein, dass der Wille nach demselben 
streben könne. Keines jedoch darf allseitig ein Gut sein, damit 
der Wille dasselbe auch zu verschmähen die Möglichkeit besitze. 
Das zweite Urtheil dagegen sagt, welches dieser Güter bestimmt 
imd flir diesen Fall, hie et nunc, in wirksamer Weise anzu- 
streben sei. Das erste Urtheil ist der Grund der radicalen 
Freiheit, indem es dem Willen die Potenz^ die Fähigkeit belässt, 
dieses oder jenes begehren zu können. Das zweite «hingegen 
constituiert ihn in der actuellen Ausübung des freien Actes, 
weil der Wille in fall! bei auf dieses Urtheil hin, dieses Gut 
anstatt der andern auswählt. Zu der radicalen oder causalen 
Freiheit gehöit also nur die Fähigkeit, etwas begehren oder 
nicht begehren zu können. Diese Fähigkeit oder Potenz bleibt 
selbst dann noch zurecht bestehen, wenn der Wille sich ftir das 
eine oder das andere bestimmt hat. Allerdings hat er dieses Gnt 
vor den andern gewählt, und ist diesbezüglich aus der Potenz, 
dem Wählen können herausgetreten. Allein seine ganze Fähig- 
keit wurde dadurch nicht bestimmt/ nicht in die Wirklichkeit 
übergeführt. Ks ist bloB eine Seite derselben in cLctu constituiert 
worden. Nach dieser Seite hin muss der Wille eigentlich and 
formell frei genannt werden, während «er nach der andern unter 
der formellen Freiheit radical und causal frei bleibt 

Wir haben früher aus dem heil. Thomas nachgewiesen, dass 
die vernünftigen Geschöpfe in dreifacher Beziehung frei sind: 
hinsichtlich der Thätigkeit, des Gegenstandes und der Hinordnuog 
der Mittel zum Endziele. Wo alle diese drei im voraus be- 
stimmt sind, da kann von der Freiheit nicht mehr die Rede 
sein. Bleibt das Geschöpf mit Bezug auf eines derselben indifferent, 
nicht bestimmt, so nross man es frei nennen. Hauptsächlich aber 
und in erster Linie frei ist jene Greatur, die über ihre Thätig- 
keit die Herrschaft besitzt. Der dominum suorum aduutn wird vom 
englischen Meister so oft und so nachdrücklich als das Muster- 
bild der eigentlichen Freiheit uns vorgestellt Diesen dotninus 
wollen wir nun von der praemotio physica beeinflusst werden 
lassen, um zu sehen, ob er nicht dabei sein ganzes dominium 
einbüßt 

89. Die Freiheit im formellen Sinne ist dann vorhanden, 
wenn das Geschöpf Herr seiner Thätigkeiten ist Durch die prae- 
motio physica aber wird das Geschöpf erst formell Herr seiner 
Thätigkeiten. Folglich schadet die praemotio physica der Freiheit 
nicht bloß nicht, sondern sie bewirkt dieselbe geradezu. 



Solange eiu GescLßpf untbStig, in der Mßgliclikeit oder 
Potenz zu der Thätigkeit, ein Agens in potetUia kt, kann man 
offenbat nicht behaupten, es besitze formell die Herrschaft Über 
seine Thätigkeit- Über das, was Jemand nicht besitzt, kann er 
unmöglich Herr sein, er wäre König ohne. Land nad Untertbaneu. 
Der Wille beißt facultas, weil dieses Wort allgemein eine Macht 
(■potestas) bedeutet, durch welche einem etwas ad nutum zur Ver- 
filgung steht. Der Wille aber hat seine Thätigkeit in freier Macht 
(2. dist. 24. q. I. a. 1. ad 2.). Unter Macht verstehen wir eine 
active Potenz mit einem gewissen Vorzüge (4. dist. 24. q. 1. a. 1. 
qa. 2. ad 3.). Nun wissen wir, dass der Wille ans und durch 
sich selber diese Macht nicht besitzt, da er sich nur in der 
Mßglichkeit befindet, thätig zu sein. Er ist passiv indiffe- 
rent, und in diesem Zustande verfElgt er nicht nach Belieben 
über seine Thätigkeit. Es fehlt ihm daher formell da» dominium 
sui actus. Die Freiheit kann folglich nicht eigentlich und for- 
mell in dieser passiven Indifferenz, im Zustande der Unthätig-. 
keit liegen. Der Wille in der Potenz ist darum auch nicht 
eigentlich und formell frei. Das Thfttigsein- oder Untliätig^ 
eeinkOanen begründet somit nicht die Freiheit eigentlich 
nnd farmell. 

Dies zeigt sieh noch um so klarer, wenn wir nach der Frei- 
heit in Gott fragen. Gott ist immer thätig, stets in aclu und deu- 
.Doch im höchsten Grade am allervollkommensten frei (de veritate 
q. 24. a. 3,X Aber auch die Freiheit der Geschöpfe kann unmög- 
lich in dieser passiven Indifferenz, im-Thätigseinkönnen bestehen. 
Wäre die Unthätigkelt der Freiheit wesentlich, so gebe es 
llberhaapt kein unfreies Geschöpf. Es wurde hinreichend darge- 
tban, dass keine Greatur ans und durch sich selber allein eine 
Thätigkeit auszuüben vermag. Als Grund dattir wurde angeführt, 
weil jede Greatur an und für sich zwar ein Tbätigkeitsveimli- 
gen, aber nicht ein Thätigkeitsprincip besitzt. Oonsdtuierf dieses 
Thätigkeitsvermögen, die Potenz thätig zu sein, in den Ge- 
schöpfen die Freiheit, so sind alle ohne Ausnahme frei. Die U n- 
thätigkeit ist ihnen nicht weniger eigen, als den vernliuftigen 
Wesen, nnd die Mögliclikeit, die Potenz thätig zu seiu, 
besitzen sie ebenfalls alle mit AuBsehlnss des Stoffes. 

Daraus ergibt sich mit Evidenz, dass die Freiheit eigent- 
lich und formell erst dann vorhanden, wenn der Wille m acto 
sich befindet, actives Princip, Ursache seiner Thätigkeit ist,. 
Als actives Princip, als Ursache hat er das dotniniitm über 
Beine Thätigkeit, weil diese als Effect iu der Ursache enthalten 
ist. Aus dieser Ursache fließt die Thätigkeit heraus, wie S. Thomas 
zutreffend bemerkt. Daram muss das Agens früher in actu sein, 
denn solange es bloß in der Potenz ist, enthält es keine 
Wirkung, keinen Effect. Es ist folglich nicht dominus suoriim 



--- 202 — . 

. actüum. Um formell Herr über seiqe Thätigkeit zu sein, genügt 
nicht, dass*man dieselbe der* Möglichkeit nach besitze, nnd dies 
selbst dann nicht, wenn diese Mögli6hkeit durch eine neve Voll- 
kommenheit derselben Art oder Qualität, den sogenannten Habitus 
verstärkt wird. Der englische Meister erklärt ausdrücklich, eine 
körperliche oder geistige Natur,' möge sie noch- so vollkom- 
men sein, könne nicht in den Act übergeheja, wenn sie nicht 

' von 6ot*t bewegt wird (1. 2. .q. 109. a, 1.). Selbstverständ- 
lich ist sie dann auch nicbt im Besitze der Herrschaft über diesen 
Act, folglich nicht eigentlich tind f o r m e 1 1 frei. Die Potenz 

• in acta ist frei, indem sie ihre Thätigkeit in der Weise volbrieht, 
dass sie die Möglichkeit fUr das Gegentheil beibehält. Die Potenz 
in actUy oder richtiger,' dasjenige, wodurch die Potenz in <idu 
constituiert wird, constituiert zugleich auch in den vernünftigen Ge- 
schöpfen formell und ini eigentlichen Sinne die Freiheit derselben. 
Der passive Zustand ist, wie gesagt, nicht einmal ausschlieS- 
.lieh der freien Creatur eigen, sondern dem Geschöpfe über- 
haupt. Er k$inn somit nicht die Freiheit formell constituieren. 
* • ^0. Kehmen wir einmal an, die Freiheit bestehe in der passiYen 
Indifferenz^ sie bestehe darin, da*ss der Wille «thätig sein oder 

* nicht thätig sein kann, also in der Potenz thätig zi^ sein. 
Was würde folgen, abgesehen von der pnwnotio physica, wenn 
der Wille durch sich selber. aus dieser Indifferenz heraustritt 
und eine Thätigkeit ausübt? Nothwendigerweise. müsste dann der, 
Wille seine eigene Freiheit aufheben. Der actuell tbätige Wille 
ist ja sachlich voip Willen unterschieden, der bloß in der Mög- 
lichkeit, in der Potenz zudieser seiner Thätigkeit sich be- 
findet. Gehört letztere, die Möglichkeit, diePotenzwesentlicfa, 

.'formell zur Freiheit,, so wird diede durch ihren eigenen Act; 
ihre eigene Thätigkeit zerstört. Wir. haben das* Unmögliche 
angenommen, nämlich, dass die Creatur, die in der Potenz 
.thätig zu sein ist, sich selber diese Thätigkeit verleihe, sich selber 
in »den Act übertühr'e. 

Was geschiebt nun durch die' prccemotio physica? Sie bewirkt, 
dass die Creatur, welche radical und causal, d.h. der Mög- 
lichkeit nach frei war, es jetzt eigentlich und formell 
wird. Sie fuhrt das Thätigkeitsvermögen aus dem Zustande der 
Potenz in jenen des Actes über. Sie bewirkt, dass aus dem mög- 
lichen Princip ein wirkliches, aus der NichtUrsache eine 
.Ursache wird. Wenn nun, wie nachgewiesen wurde, -die active 
Potenz, die Ursache der Thätigkeit, eigentlich und formell 
die Freihet bildet, wie kann dann die praemotio physica, welche 
bewirkt, dass die Creatur frei sei, eben dieser Freiheit schaden ? 
Folgt daraus nicht vielmehr, dass sie idie Freiheit eigentlich erst 
verursache? 

In der Tbat ! Die Creatur ist ohne praemotio physica im pias- 



• — 208. .— • • • 

* • 

• sive^ Zustande, indiffereiit für das Th£(tigsein* und Nichtthätigsein, 
denn sie ist an und fttr sicli ein Agens in potenüa. In diesem 
Znstande kann sie. unmöglich in eine Thätigkeit übergehen, wenn 
sie nicht durch ein anderes zu einem determiniert oder bestimmt 
wird. Das Indifferente ist ein Seiendes 4n der Potei>z, die Potenz 
aber bildet kein Thätigkeitsprincip (physicör. 2. 8. 3. ednovipag. 79,). 
Das Thätigkeitsprincip i^t immer eine Form oder ein Act. Darum 
existiert die Ähnlichkeit der Wirkung schon vorher im Agens, 
und durch diese Ähnlichkeit wird. dann die Thätigkeit zu diesem 
Effecte bestimmt (3. contr. Gent. c. .2;). Da nun jede geschöpf liehe 
Thätigkeit mittelst Bewegung sich vollzieht, so muss dasjenige, 
welches bewegt, in adu sein. Solange. es in der Potenz jsich 

.befindet, kann es nur bewegt werden-, nicht aber selbst be- 
wegen. Pie passive Potenz,. das Agens in potentia vermag 
darum überhaupt keinen- ActI auszuüben, Weder einen nothwen- 
digen, noch einen freien. Man kanh folglich von einer Freiheit 
gar nicht sprechen. Die Thätigkeit is*t etwas ganz Bestimmtes. 

• Aus einem unbestimmten Princip aber geht niemals ein be- ' 
stimmter Act hervor. Was in der Potenz' ist, muss durch ein • 
adu Seiendes in den Act Übergeführt werden, und das heißt man 
l)ewegen (I.*2. q. 9. a. 1.). • • . r 

»Ferüer wurde früher gezeigt, dass'in den Geschöpfen .nichts 
reiner Act, actus purus ist. Das Thätigkeitsvermögen, auch das 
freie, muss darum ein Zusammengesetztes ausmachen^ wenn es 
Thätigkeitsprincip sein soll. Überdies' bemerkt *der englische 
Lehrer an unzähligen Orten, jede Creatur sei ein movens motum, 
weil jede, ihrem Sein und ihrer Thätigkeit nach, etwas Contin- 
gentes, Gotf allein in jeder Beziehung etwas Nothwendiges sei. Die 
contingente Ursache muss von einem Äußern zu einer. Wirkung, 
einem Effecte bestimmt werden, die nothwendige, . der göttliche 
Wille, bestimint sich selber zu den gewollten Dingen, zu denen ,* 
er jedoch nicht in einer noth wendigen Beziehung steht ( 1 . p. q. 19. 
a. 3. ad 5.). In Gott ist darum nur die active Indifferenz, nicht 
die passive. Betrachten . wir demnach die Freiheit an und für 
sich, d. h. absehend vom Wesen, in welchem sie ist, so gehört 
ihr allerdings nur wesentlich zn,.das8 sie eine Facultas oder 
Potestas, eine active Kraft bilde, activ indifferent sei und sich 
selber bewegen könpe. Auf diese, Art, • in dieser Vollendung be- 
sitzt Gott die Freiheit. Er hat sie ihrem ganzen Wesen nach. 
Die Creaturen dagegen besitzen die Freiheit nur durch" Anthei 1- 
nahme. Sie haben folglich nicht das ganze Wesen derselben, 
dieses ist vielmehr beschränkt, mit Potentialität gemischt. 
So oft daher die Geschöpfe von der Thätigkeit ablassen, unthätig 
sind, besitzen sie nur den stofflichen Theil der Freiheit, die 
Potentialität. Durch die praemotio physica erhalten sie auch den . 
formellen, indem diese Potentialität durch die . genannte Be- 



— . 204 — 

wegung per modum 'transewntis veiTollkommnöt wird. Die Potenz 
mit dieser Bewegung bildet das Agens in actu und dieses ist 
eigentlich nnd formeil frei. In diesem Zustande ist das ver- 
nünftige Geschöpf Ursache freier Thätigkeiten. 

Daraus folgt aber dann^ dass Gott den Geschöpfen die for- 
melle Freiheit ebenso gewiss mittheilen muss, wie er ihnen die 
stoffliche, nämlich das Freiheits vermögen, die Potenz verliehen 
hat. Was frei ist durch Antheilnahme, muss zurückgeflUirt 
werden auf das Freie durch seine Wesenheit. Dieses letztere 
bildet die Ursache für das erstere. Das fol'mell Freie ist so- 
mit Effect Gottes. Ohne praemotio physica wäre demnach das 
vernünftige Geschöpf zwar radical, niemals aber formell freL 
Die Creatur hätte zwar ein freies Thätigkeits v e r m ö g.e n, aber 
kein freies Thätigkeitsprincip, denn nur die actiye Potenz, 
nicht die passive, ist Thätigkeitsprincip. Klar und bestimmt wie 
immer hat der" englische Lehrer in wenigen Worten diese Wahr* 
heit vorgetragen. Wenn def Wille von neuem zu wählen beginnt, 
so wird er von seiner frühem Disposition insofern umgeändert, 
als er früher in der Potenz wählend war, jetzt aber oo^u, in 
der Wirklichkeit wählt. Diese Veränderung stanmit von einem 
Beweger her, denn der Wille bewegt sich selber zur Thätigkeit 
(ad a^fmrfwm^,- er wird aber auch von Gott bewegt. Die Dispo- 
sition des ersten Bewegers bleibt in den von ihm Bewegten 
zurück, insofern sie von ihm bewegt werden. Auf diese Weise 
nehmen * sie die Ähnlichkeit des ersten Bewegers auf (de malo 
q.6. ad 17. und ad 11.). Wie jedermann ersieht, spricht S. Thomas 
hier von der Umänderung der Geschöpfe bei dem Obergange 
aus der Potenz in den Act. Bei dieser Umänderung erhalten sie 
etwas vom ersten Beweger, nämlich dessen Ähnlichkeit. Gott ist 
reiner Act, lautere Wirklichkeit, seine Thätigkeit ist real identisch 
mit der activen Potenz und mit seiner Wesenheit. Hierin sind 
ihm die Creaturen ganz und gar unähnlich, denn ihre Thätigkeit 
ist real unterschieden von der activen Potenz, und diese wieder- 
um vom Thätigkeits vermögen. An und für sich besitzen sie nnr 
eine passive Potenz. Durch die praemotio physica werden sie 
Gott ähnlich, denn ihre passive Potenz wird actu und sie selbst 
dadurch ein Agens in aotu, wie es Gott ist. Als Agens in actu 
können sie dann filiere in passum, dieses „esse in actu" einem 
andern, ihrer Thätigkeit mittheilen. Sie sind folglich Gott ähnlich, 
obgleich nicht vollkommen, totaliter, wie der englische Lehrer 
an der genannten Stelle bemerkt. 

' 91 . Von einer Schädigung der Freiheit durch die praemotio phy- 
sica kann somit keine Bede sein. Dieser Vorwurf beruht lediglich aof 
völliger Unkenntnis des eigentlichen Wesens der Freiheit. Wäre 
das Wesen der Freiheit im Unthätigsein gelegen, dann würde 
die praemotio physica die Freiheit zerstören. Allein in diesem 



_- 205 — 

Falle mOsste sie auf ganz gleiche Weise dnrch den simultanen 
ConcurB, ja selbst durch die natürliche Kraft des Geaeböpfes 
anrgehoben werden. Diesen Fehler begeben alle jene, die, ohne 
den Dotbweiidigeti Unterschied^ zu machen, das Wesen der Frei- 
heit in das Nichtdeterminiertsein verlegen. Die Freiheit 
kann unmöglicb in dem passiven Nichtdeterraiaiertsein bestehen, 
denn dieses bildet eine große ünvollkommenheit flir die 
Gescliöpfe. In diesem Zustande kann das GesehOpt' nie Ursache 
irgendwelcher Thätigkett sein, denn tlrsache ist nach S. Thomas 
dasjenige „ad qüod sequitur esse oUerius seu causati", oder „prin- 
cipium influens in esse alferius, qtiod est ex ipso" (pbyaicoi'. 2. 10. 15. 
edit. Dov., pag. 86.). Der- ei^Iiscbe Meister hat ausdrilciilieb eine 
zweifache Indifferenz untersohieden. Eiae Kraft' Itaiiij in' zwei- 
facher Weise indifferent sein fad utrumUbetJ: entweder in sieh 
-selbst, oder hinsichtlich dessen, worauf sie sich bezieht. In Betreff 
ihrer selbst ist diese.Kraft indifferent, wenn sie noch nicht ihre 
Vollkommenheit, wodurch sie zu einem bestimmt wird, er- 
langt bat. Diese Indifferenz hat zu ihrer Ursachij die Unroll- 
kommenb6it ihrer Kraft, und diese Indifferenz gibt Zeugnis 
von der iPotentialität in der Kraft selbst. In ihrer Be- 
ziehung zu einem andern ist eine Eraft indifferent, wenn die roll- 
kommene Thätigkeit dieser Kraft weder vom einen, noch voip 
andern abhängt, wie z. B. in einem Künstler, der zu einem und 
demselbeu Werke gleicbmäliig verschiedene Instrumente verwen- 
den kann. In diesem letztem -Falle besitzt das Agens eine voll- 
kommene Kraft, die den einen wie den anderu Effect übertrifft 
uud deshalb beiden gegenüber unbestimmt, indifferent sich ver- 
hält. Die Kraft, resp. Indifferenz in dieser let«teru Bedeutung 
findet sieh im göttlichen Willen. Damm ist in seinem Willen 
keuie Potentialität nnd keine Veränderlichkeit (1. eontr. 
Gent. o. 82.). Er ist nicht in der Weise indifferent, dass er zuerst 
etwas bloß der Möglichkeit nach (potentia), und dann in der 
Wirklichkeit (aäul will, sondern er will stets alles actu (1. c.). 
Nichted es [0 weniger besitzt er die vollendetste Freiheit, ist diese 
ihm sogar wesentlieli eigen, während die Creatur nur Antheil 
an derselben hat. 

■ Dadurch ist wohl 'am besten der Vorwurf widerlegt, die 
prasmotio physica zerstöre alle Freiheit, denn das Agens in potentia 
ist nach der Lehre des englischen Meisters etwas Unvollkom- 
menes, es hftsitzt eine unvoll krommene £r^ft thätig zii sein, 
"^til dieselbe für sich allein genommen Potentialität ist. Die 
wahre Freiheit hingegen ist etwas V o 1 1 k o tn m e n »'S, ist A c t u a- 
l.it&t, nicht Potentialität.^. • 

Möge mau also nicht immer nur Freiheitl Freiheit! ruffen," 
sondern etadlich einmal auch die Vernunft zum Wortfe kommen 
lassfJh. und sich über das eigen*tliche Wesen der Freiheit 



. . . . _ 208 - . - * 

grttndlicli' orientieren. Die praemotio physica rettet die Freiheit, 
anstatt sie. zu schädigen. ^ . ' 

92. Aus dem Dargelegten ist die Antivort auf den Vorwurf, 
dass die Thomisten nicht 'bloß eifie physische Vorherbewegung, 
sondern i^uch eine solche Vorherdete^minierung» lehren, auch 
schon .gegeben.! Diesei letztere nun, so behauptet man, sei ganz 
und gar" unverträglich mit der Freiheit. 

Die Vorher d e t e r mi n i e r ü n g lehren nicht allein die Thomisten, 
die yertheidigt auch ihr Meister, der heil. Thomas. Der engtische 
Lehrer fragt einmal, ob alles dem Faktum unterworfen sei ? Diese 
Frage hat, insofern Berechtigung, weil in früherer Zeit gezweifelt 
wu\de. ob alle» das, was auf verän4erlu5he Weise und ohne be- 
stimmte Otdnüog geschieht, auf eine* ordnende .Ursache zurüdk- 
geführt werden müsse. Nachdem S. Thomas diesbezüglich mehrere 
Ansichten aufgezählt und als unrichtig ^(urückge wiesen,, bemerkt, 
er: „Einige Gelehrten führen alles auf di^ göttliche Vorsehmig 
als auf die Ursache zurück, von welcher alles vorherb^timmt 
(praedeterminata) und geordnet ist. Dieser Lehre gßmäß ist das 
Fatum, der Zufall, ein Eflfect der Providenz, denn dfe Providenz 
ist nichts anderes, als die Idee (ratio) der Ordnung der Dinge 
im Verstände Gottes. Das Fatum hingegen ist die Entfaltang, 
Ausführung jener Ordnung in den Dingen. Darum sagt BoSthios, 
das Fatum sei die den beweglichen Dingen inhärierende unbe- 
wegliche Disposition. In diesem Sinne untersteht alles dem 
Fatum** (Quodl. 12. a. 4.). In dieser. Stelle wird offenbar von eiil^D 
Vorherbestimmung gesprochen, welcher alle Dinge unterworfen 
sind. Man darf die Gedanken- und Willensthätigkeit nicht davon 
ausnehmen. S. Thomas bestreitet nur, dass alles hier auf Erden 
durch den Lauf der Gestirne geordnet werde, weil die Gedanken 
und das Wollen nicht der Thätigkeit eines Körpers anterlieg;en 
können. Aber gegen die Ansicht, dass alles von der göttlicnen 
Vorsehung vorherbestimmt und geordnet werde, hat der DoctQr 
Angelicus gar nichts einzuwenden. Der Sinn dieser Stelle ist deiy- 
.nach folgender: Durch die göttliche Voraehung ist alles vother« 
bestimmt und geordnet. Die. Vorh&rbestimmung und Ordnung 
besteht in einer gewissen Disposition und unabänderlichen An- 
ordnung in den veränderlichen Dingen/ durch welche sich^die 
göttliche Vorsehung offenl)art oder zu erkennen gibt. Was kann 
nun diese Anordnung und unabänderliche Disposition in den ge- 
. schs^ffanen Dinge^ sein? ; Offeiibar kann es nichts«. anderes , sein 
als die praemotio physica, denn diese bildet eine •ufaaßänderlictie* 
Disposition iik den veränderlichen Dingen. Darum bemerkt der 
heil. Thomas, Gott bewege den Willen«-jinabänderlich (irnfnobi- 
'liUrJ wegen der Wirksamkeit der bewegenden Kraft, die niciit 
fehlen kaitn. Daraus folge aber nicht, meint der Heilige, 'dass 
hier eine Nothwendigkeit^vorUege, denn vermöge der. Katar 






des bewegten Willens, der rieieh gegenüber indifferent sich ver- 
hält, bleibe die Freibeit zarecht bestehen. -Die göttliebe VorBebnog 
is't überhaupt in allen pingen anf infallible Art thatig, dcuuocb 
Tcruraachen die centingenten UrBachen ihre Effeete auf cuutin- 
gente Weise, weil Gott jedöa Ding gemäjj seiner Art und Weise 
bewegt (de malo q. 6. ad 3.), Die göttliche Vorsehong beuimtat 
somit den Dingen ihre Gontingenz and Veränderliobkeit nicht, 
obgleich sie, nach Bo^thias: „est inhaerens rebus ^mobüibus dis- 
posUio, per quam suis quaeque nectü ordinibus". Wer' darum das 
Fatqm oder die praemotio ,phi/siqa, dife praedeterminatio leugnet, 
der bestreitet Gottes Vorsehung (3. coutr, Gent c. 93.). Denn, 
wenn alles durch die göttliche Vorsehung geordnet ist, und diese 
Ordnung unabäuderltcb in den Dingen selbst sich Toräadet, 
80 müssen die Dinge Ton der göttlichen Vorsehung auch vorUer- 
determiniert'sein. Die Vorherdeterminierung ist ja nichts anderes 
als eine gewisse unabänderliche Hinorduung der Dinge zu ihrem 
Endziele. 

. Was. bedeutet in der That determinieren ? Nichts anderes, 
als einem Dinge Grenzen setzen, ein Ding einschrünkeu, zu etwas 
bestimoien. Die Grenze, der terminus oder das Ziel sind aber ein 
Dod dasselbe. Die Determinierung 'geschieht demnach mit Hezag 
auf ein Ziel. Das Ziel einer jeden Potenz ist der Act, die Thätig- 
keit, mag diese Potenz nun eine passive oder eine active sein. 
Das Ziel des Stoffes ist die eigene Form, daher wird er durch 
die Form determiniert. Die active Potenz bat ihre Determiuierung 
durch das Ziel oder den Zweck, um dessentwillen sie thätig ist. 
Dieses Ziel aber wird von der Thätigkeit selber gebildet, denn 
sie ist das der Potenz innerliche Ziel, potentia dicitur ad actum. 
Ein Ding kann aber in doppelter Weise des Zieles wegen thätig 
sein. Manchmal steckt sich das Ageus das Ziel selber, und dies 
geschieht jedesmal, so oft ein vernhuftiges Wesen in ThUtigkeit 

■ tritt. Manchmal hingegen wird dem Agens das Ziel von der Hanpt- 
nrsache vorgestellt. Den Naturdingen wird das Ziel vom Schöpfer 
der Natur angewiesen. Gott aber wirkt durch seinen Verstand. 
Darum kommt es ihm zu, alles Geschaffene zu einem Ziele hin- 
zuordnen. Jeder Werkmeister ordnet alles das, was er will, nach 
einem Plane, einer Idee. Diese Idee ist sein Vorbild, die causa 
exemplaris für das Werk, welches erstehen soll. Diese Idee im 
Verstände Gottes, des gröJiten aller Künstler, wird vom englischen 
Mtistir eine V or b e r d e t e r m ini e t u q g^.genannt ^'prae<^iffinüio 
operum offendorum). Er' beruft sich dabei auf folgende Worte des 
Dionysius, de divin. nomin. cap. 5. Innuit Dionysius: exemplaria 
dicimus in Deo existentium rationes substantifkaia^, et singiäarüer 

■ praeevislentes, quas Theolagia p-aediffinitiones mcat, et di^inas et 
bonos volwttat^s existentium praedeterminativas et effectivas, secundum 
juds supersubstantialis essentia omnia praediffinivü et produaÄt 



-^ 202 — . 

actüum. Um formell Herr über seiqe Thätigkeit zu sein, genügt 
nicht, das8*man dieselbe der * Möglichkeit nacb besitze/ nnd dies 
selbst dann nicht, wenn diese Möglichkeit durch eine neve Voll- 
konmieuheit derselben Art oder Qualität, Öeu sogenannten Habitns 
verstärkt wird. Der englische Meister erklärt ausdrücklich, eine 
körperliche oder geistige Natur,' möge sie noch* so vollkom- 
men sein, könne nicht in den Act übergehen^ wenn sie nicht 
von 6ot*t bewegt wird (1. 2. .q. 109. a, 1.). Selbstverständ- 
lich ist sie dann auch nicht im Besitze der Herrschaft über diesen 
Act, folglich nicht eigentlich und formell frei. Die Potenz 
in actu ist frei, indem sie ihre Thätigkeit in der Weise vollzieht^ 
dass sie die Möglichkeit fUr das Gegentheil beibehält. Die Potenz 
in actu, oder richtiger,* dasjenige, wodurch die Potenz in adu 
constituiert wird, constituiert zugleich auch in den vernünftigen Ge- 
schöpfen formell und ini eigentlichen Sinne die Freiheit derselben. 
Der passive Zustand ist, wie gesagt, nicht einmal ausschließ- 
.licb der freien Greatur eigen, sondern dem Geschöpfe über- 
haupt. Er k$inn somit nicht die Freiheit formell constituieren. 
* ^0. Nehmen wir einmal an, die Freiheit bestehe in der passiven 
Indifferenz^ sie bestehe darin, da*ss der Wille thätig sein oder 
nicht thätig sein kann, also in der Potenz thätig zi^sein. 
Was würde folgen, abgesehen von der praemotio phtfsica, wenü 
der Wille durch sich selber. aus dieser Indifferenz heraustritt 
und eine Thätigkeit ausübt ? Nothwendigerweise. müsste dann der, 
Wille seine eigene Freiheit aufheben. Det actuell tbätige Wille 
ist ja sachlich voip Willen unterschieden, der bloB in der Mög- 
lichkeit, in der Potenz zu dieser seiner Thätigkeit sich be- 
findet. Gehört letztere, die Möglichkeit, diePotenzwesentlichy 
formell zur Freiheit,, so wird diese durch ihren eigenen Aet; 
ihre eigene Thätigkeit zerstört. Wir. haben das* Unmögliche 
angenommen, nämlich, dass die Greatur, die in* der Potenz 
.thätig zu sein ist, sich selber diese Thätigkeit verleihe, sich selber 
in den Act übertühre. • ♦ 

Was geschiebt nun durch die- praemotio physica? Sie bewirkt, 
dass die Greatur, welche radical und causal, d.h. der Mög- 
lichkeit nach frei war, es jetzt eigentlich und formell 
wird. Sie führt das Thätigkeitsvermögen aus dem Zustande der 
Potenz in jenen des Actes über. Sie bewirkt, dass au^ dem mög- 
lichen Princip ein wirkliches, aus der NichtUrsache eine 
.Ursache wird. Wenn nun, wie nachgewiesen wurde, -die active 
Potenz, die Ursache der Thätigkeit, eigentlich und formell 
die Freihet bildet, wie kann dann die praemotio physica, welche 
bewirkt, dass die Greatur frei sei, eben dieser Freiheit scbädeti ? 
Folgt daraus nicht vielmehr, dass sie die Freiheit eigentlich erst 
verursache? 

In der Tbat! Die Greatur ist ohne praemotio physica im pas- 



siven ZoBtande, indifferent i^r das Tb^tigsein' und NiehttbätigseiD, 
denn sie ist an and fUr sicH ein Agens in potentka. In diesem 
Zustande kann sie unmöglich in eine Thätigkeit Übergehen, wenn 
sie niobt durch ein anderes zn einem determiniert oder bestimmt 
wird. Das Indifferente ist ein Seiendes -in der Po tenz, die Potenz 
aber bildet kein Thätigkeitaprincip (physicör. 2. §. 3. ed dot. pag. 79.). 
Das Thätigkeitaprincip igt immer eine f*orm oder ein Act, Darum 
existiert die Älmlichkeit der Wirkung schon vorher im Agens, 
und durch diese Ähnlichkeit wird dann die Thätigkeit zu diesem 
Effecte bestimmt (3. contr. Gent. c. 2.). Da nun jede gescbOpfliche 

. Thätigkeit mittelst- Bewegung sich vollzieht, so muss dasjenige, 
welches bewegt, in, actu sein. Solange.es in der Potenz sich 

.befindet, kann es nur bewegt werden, nicht aber seibat be- 
wegen. Die passive Potenz, das Agens in patmtia vermag 
dämm überhaupt keinen- Act) auszuUbeo, Weder einen nothwen- 
digen, noeh einen freien. Man kanfa folglich von einer Freiheit 
gar nicht sprechen. Die Tb^tigkeHt ist etw&s ganz Bestimmt^. 
Aus einem unbestimmten Princip aber geht niemals ein be- 
stimmter Act hervor. Was in der Potenz' ist, panss durch ein ' 
a^u Seiendes in den Act Übergeführt werden, und das heißt man 
l)ewegen (l-."2. q, 9. a, t,). ■ ■ 

• Ferber wurde früher gezeigt, dass'in den Geschöpfen nichts 
reiner Act, adus purua ist. Das Thätigkeitsvermögen, auch das 
freie, tnuss darum ein Zusammengesetztes aiismacheD, wenn es 
Thätigkeitaprincip sein soll. Überdies' bemerkt -der englische 
Lehrer an unzähligen Orten, jede Creatur sei ein movens motum, 
weil jede, ihrem Sein nnd ihrer Thätigkeit nach, etwas Ct)ntiQ- 
gentes, Gott allein in jeder Beziehung etwas Nothwendiges sei. Die 
contingente Ursache muss von einem Äußern zu einer Wirkung, 
einem Effecte bestimmt werden, die nothwendige, der göttliche 
Wille, hestimritt sich selber zu den gewollten Dingen, zu denen 
erjedoch nichtin einer noth wendigen Beziehung steht (l.p.e[, 19. 
a.3. ad 5.). In Gott ist darum nur die aetive Indifferenz, nicht 
die passive. Betrachten wir demnach die Freiheit an und für 
sich, d, h. absehend vom Wesen, in welchem sie ist, so gehört 
ihr allerdings nur wesentlich zu, dass sie eine Facultas oder 
Fotestas, eine activeEiaft bilde, aetiv indifferent sei und sieh 
selber bewegen könne. Auf diese, Art, in dieaer Vollendung he- 
aitzt Gott die Freiheit. Er hat aie ihrem ganzen Wesen nach. 
Die Creatoren dagegen besitzen die Freiheit nur durch Antheil- 
nahme. Sie haben folglich nicht das ganze Wesen derselben, 
dieses ist vielmehr beschränkt, mit Potentialität gemischt. 
äo oft daher die Geschöpfe von der Thätigkeit ablassen, untbätig 
sind, besitzen sie nur den stofflieben Theil der Freiheit, die 
Potentialität. Durch die praemotio physica erbalten sie alich den 
formellen, indem diese Potentialität durch die. genannte Be- 



— . 204 — 

wegang per modum 'transeuntis vervollkommnet wird. Die Potenz 
mit dieser Bdwegnng bildet das Agens in actu und dieses ist 
eigentlich und formell frei. In diesem Zustande ist das Ter- 
nUnftige Geschöpf Ursache freier Thätigkeiten. 

Daraus folgt aber dann, dass Gott den Geschöpfen die for- 
melle Freiheit ebenso gewiss mittheilen muss, wie er ihnen die 
Stoff lichC; nämlich das Freiheits vermöge n, die Potenz verliehen 
hat. Was frei ist durch Antheilnahme, muss zurückgeführt 
werden auf das Freie durch seine Wesenheit. Dieses letztere 
bildet die Ursache für das erstere. Das fofmel.l Freie ist so- 
mit Effect Gottes. Ohne praemotio physica wäre demnach das 
vernünftige Geschöpf zwar radical, niemals aber formell frei. 
Die Greatur hätte zwar ein freies Thätigkeitsvermög.en, aber 
kein freies Thätigkeitsprincip, denn nur die actiye Potenz, 
nicht die passive, ist Thätigkeitsprincip. Klar und bestimmt wie 
immer hat der englische Lehrer in wenigen Worten diese Wahr^ 
heit vorgetragen. Wenn def Wille von neuem zu wählen beginnt, 
so wird er von seiner frühern Disposition insofern umgeändert, 
als er früher in der Potenz wählend war, jetzt aber actu^ in 
der Wirklichkeit wählt. Diese Veränderung stammt von einem 
Beweger her, denn der Wille bewegt sich selber zur Thätigkeit 
(ad a^^mrfwm^,- er wird aber auch von Gott bewegt. Die Dispo- 
sition des ersten Bewegers bleibt in den von ihm Bewegten 
zurück, insofern sie von ihm bewegt werden. Auf diese Weise 
nehmen * sie die Ähnlichkeit des ersten Bewegers auf (de malo 
q.6. ad 17. und ad 11.). Wie jederinann ersieht, spricht S. Thomas 
hier von der Umänderung der Geschöpfe bei dem Obergange 
aus der Potenz in den Act. Bei dieser Umänderung erhalten sie 
etwas vom ersten Beweger, nämlich dessen Ähnlichkeit. Gott ist 
reiner Act, lautere Wirklichkeit, seine Thätigkeit ist real identisch 
mit der activen Potenz und mit seiner Wesenheit. Hierin sind 
ihm die Greaturen ganz und gar unähnlich, denn ihre Thätigkeit 
ist real unterschieden von der activen Potenz, und diese wieder- 
um vom Thätigkeits vermögen. An und für sich besitzen sie nnr 
eine passive Potenz. Durch die praemotio physica werden sie 
Gott ähnlich, denn ihre passive Potenz wird adu und sie selbst 
dadurch ein Agens in actu, wie es Gott ist. Als Agens in actu 
können sie dann fluere in passum, dieses „esse in actu*' einem 
andern, ihrer Thätigkeit mittheilen. Sie sind folglich Gott ähnlich, 
obgleich nicht vollkommen, totaliter, wie der englische Lehrer 
an der genannten Stelle bemerkt. 

9 1 . Von einer Schädigung der Freiheit durch die praemotio phy- 
sica kann somit keine Bede sein. Dieser Vorwurf bemht lediglich auf 
völliger Unkenntnis des eigentlichen Wesens der Freiheit. Wäre 
das Wesen der Freiheit im Unthätigsein gelegen, dann würde 
die praemotio physica die Freiheit zerstören. Allein in diesem 



— 205 — 

« * 

Falle mUsste sie auf ganz gleiche Weise durch den simxiltanen 
Concurs, ja selbst durch die natürliche Kraft des Geschöpfes 
aufgehoben werden. Diesen Fehler begehen alle jene, die, ohne 
den nothwendigen Unterschied^ zu machen, das Wesen der Frei- 
heit in das Nichtdeterminiertsein verlegen. Die Freiheit 
kann unmöglich in dem passiven Nichtdeterminiertsein bestehen, 
denn dieses bildet eine groBe Unvollkommenheit für die 
Gescliöpfe. In diesem Zustande kann das Geschöpf nie Ursache, 
irgendwelcher Thätigkeit sein, denn Ursache ist nach S. Thomas 
disisjenige yfOd qüod sequüür esse alterim seu causaW, oder „prin- 
cipium influens in esse aUerius, quod ^st ex ipso^^ (phyaicoi'. 2. 10. 15. 
edit. nov.. pag. 86.). Der* CAgli^che Meister hat ausdrücklich eine 
zweifache Indjfferenz unterschieden. Eine Kraft' kanjgi. in* zwei- 
facher Weise indifferent sein fad tdrumlibetj: entweder in* sich 
' selbst, oder hinsichtlich dessen, worauf sie sich bezieht. In Betreff 
ihrer selbst ist diese. Kraft indifferent, wenn sie noch nicht ihre 
Vollkommenheit, wodurch sie zu einem bestimmt wird, er- 
langt bat Diese Indifferenz hat zu ihrer Ursache die Unvoll- 
kommenheit ihrer Kraft, und diese Indifferenz gibt Zeugnis 
von der iPotentialität in der Kraft selbst. In ihrer Be- 
ziehung zu einem andern ist eine Kraft indifferent, wenn die voll- 
kommene Thätigkeit dieser Kraft weder vom einen, noch voip 
andern abhängt, wie z. B. in einem Künstler, der zu einem und 
demselben Werke gleichmäßig verschiedene Instrumente verwen- 
den kann. In diesem letztern *Falle besitzt das Agens eine voll- 
kommene Kraft, die den einen wie den andern Effect übertrifft 
und deshalb beiden gegenüber unbestimmt, indifferent sich ver- 
hält. Die Kraft, resp. Indifferenz in dieser letztern Bedeutung 
findet sich imgöttlichenWillen. Darum ist in seinem Willen 
kevpe Potentialität und keine Veränderlichkeit (1. contr. 
Gent. c. 82.). Er ist nicht in der Weise indifferent, dass er zuerst 
etwas bloB der Möglichkeit nach (potentia), und dann in der 
Wirklichkeit (actul will, sondern er will stets alles actu (1. c). 
Kichtsdestoweniger besitzt er die vollendetste Freiheit, ist diese, 
ihm sogar wesentlich eig'en^ während die Greatur nur Antheii 
an derselben hat. 

. Dadurch ist wohl 'am besten der Vorwurf widerlegt, die 
praemotio physica zerstöre alle Freiheit, denn das Agens in potentia 
ist nach der Lehre des englischen Meisters etwas Unvollkom- 
inenes, es besitzt eine unvoUkrommene Kr^.ft thätig zu pein, 
'^eil dieselbe* für sich allein genommen Potentialität ist. Die 
wahre Freiheit hingegen ist etwas V o 1 1 k o to m e n &s, ist A c t u a- 
lität, nicht Potentialität./. • : 

Möge man also nicht immer nur Freiheit! Freiheit! rufen/ 
sondern endlich einmal' auch die Vernunft zum Wort^ kommen 
lasscJh. und sich über das eigentliche Wesen der Freiheit 



* 



. . — 206 — . . • 

gründlich' orientieren. Die praemotio physiQa rettet die Freiheit, 
anstatt sie. zu schädigen. ^ . . ' 

92. Aus dem Dargelegten ist die Antwort auf den Vorwurf, 
dass die Thomisten nicht 'bloß elfte physische Vor her bewegung, 
sondern s^uch eine solche Vorherdete^minierungi lehren^ auch 
schon .gegeben.. Diese' letztere nun, so behauptet man, sei ganz 
und gar unverto*äglich mit der Freiheit. 

Die Vorher deter minier üng lehren nicht allein die Thomisten, 
die yertheidigt auch ibfr Meister, der heil. Thomas. Der englische 
Lehrer fragt einmal, ob alles dem Fs^tum untei-worfen sei ? Diese 
Frage hat, insofern Berechtigung, weil in früherer Zeit gezweifelt 
wuxde« ob alle» das, was auf veränderlu^he Weise und ohne be- 
stimmte Otdming' geschieht, auf eine* ordnende .Urs?[che zurüct 
gefüBrt werden müsse. Nachdem S. Thomas diesbezüglich mehrere 
Ansichten aufgezählt und als unrichtig zurückgewiesen,, bemerkt, 
er: „Einige Gelehrten führen alles auf di^ göttliche Vorsehung 
als auf die Ursache zurück, von welcher alles vorherb^timmt 
(praedetermincUa) und geordnet ist. Dieser Lehre gßinäß ist das 
Fatum, der Zufall, ein Effect der Providenz, denn die Providenz 
ist nichts anderes, als die Idee (ratio) der Ordnung der Dinge 
im Verstände Gottes. Das Fatum hingegen ist die Entfaltung, 
^usflihrung jener Ordnung in den Dingen. Darum gagt BoSthius, 
das Fatum sei die den beweglichen Dingen inhärierende unbe- 
wegliche Disposition. In diesem Sinne untersteht alles dem 
Fatum" (Quodl. 12. a. 4.). In dieser-Stelle wird offenbar von eiiteü 
Vorherbestimmung gesprochen, welcher alle Dinge unterworfen 
sind. Man darf die Gedanken- und WiUensthätigkeit nicht davon 
ausnehmen. S. Thomas bestreitet nur, dass alles hier auf Erden 
durch den Lauf der Gestirne geordnet werde, weil die Gedanken 
und das Wollen nicht der Thätigkeit eines Körpers unterlieRen 
können. Aber gegen die Ansicht, dass alles von der göttlicneti 
Vorsehung vorherbestimmt und geordnet werde, hat der Doct^r 
Angelicus gar nichts einzuwenden. Der Sinn dieser Stelle ist deiy- 

.nach folgender: Durch die göttliche Vorsehung ist alles vother* 
bestimmt und geordnet. Die. VorhSrbestimmung und Ordnoog 
besteht in einer gewissen Disposition und unabänderlichen An- 
ordnung in den veränderlichen Dingen* durch welche sich .die 
göttliche Vorsehung offenl^art oder zu erkennen gibt. Was kann 
nun diese Anordnung und unabänderliche Disposition in den ge- 

. sch^ffenen Dingei^ aein ? ; Offeqbar kann es nichts^anderes sein 
als die praemotio physica, denn diese bildet eine üfaaBänderliciie' 
Disposition in» den veränderlichen Dingen. Darum bemerkt der 
heil. Thomas, Gott bewege den Willen.-jinabänderlich (tmiwöti- 

*literj wegen der Wirksamkeit der bewegenden Kraft, die nicht 
fehlen kaitn. Daraus folge aber nicht, meint der Heilige, -dass 
hier eine Noth wendigkeit* vorliege, denn vermöge der.Katnr 






_ 207. — • , . ' 

dea bewegten Willens, der vielen gegendber indiffereul sicii ver- 
hält, bleibe die Fieiheit unrecht beoteben. J>ie göttliche Vorsehung 
is't überhaupt in allen Dingen auf infallible Art tbätig, dennoch 
verursachen die centingenten Ursachen iliie Effeete nof cuutio- 
gente Weise, weil Gott jed^ Ding gemäß seiner Art und Weise 
bewegt (de malo q. 6. ad 3.). Die göttliche Vorsebnng benimmt 
somit den Dingen ihre Contingenz und Veränderlichkeit nicht, 
obgleich sie, nach BoSthins: „est inhaerens rebus "'mobüibus dis- 
posUio, per quam suis quaeque nectit ordinibus-". Wer' darum das 
FatQm oder die praemotio ^phifsiqa, dife praedeterminatio leugnet, 
der bestreitet Gottes Vorsehung (3. coutr. Gent, c, 93.). Denn, 
wenn alles duroh die göttliche Vorsehung geordnet ist, und diese 
Ordnung unabäuderlfc'h iu den Dingen selbst sich vorfiadet, 
Bo müssen die Dinge von der gjjttlichen Vorsehung auch vorher- 
determiniert sein. Die Vorherdeterminiernng ist ja nichts anderes 
^H eine gewisse unabänd«rlicbe Hinordnnng der Dinge zu ihrem 
Endziele. 

Was. bedeutet in der Tfaat determinieren ? Nichts anderes, 
als einem Dinge Grenzen setzen, ein Ding emschrünken, zu etwas 
bestimmen. Die Grenze, der terminus oder das Ziel sind aber ein 
nod dasselbe. Die Determinierung •geschieht demnach mit Bezug 
aof ein Ziel. Das Ziel einer jeden Potenz ist der Act, die Thätig- 
keit, mag diese Potenz nun eine passive oder eine active sein. 
Das Ziel des Stoffes ist die eigene Form, daher wird er durch 
die Form determiniert. Die active Potenz hat ihre Determiuieraug 
durch das Ziel oder den Zweck, um dessentwilleu sie thälig ist. 
Dieses Ziel aber wird von der Thätigkeit selber gebildet, denn 
sie ist das der Potenz innerliche Ziel, potentia dicitur ad actum. 
Ein Ding kann aber in doppelter Weise des Zieles wegen tbätig 
aein. Manchmal steckt sich das Agens das Ziel selber, und dies 
geschieht jedesmal, so oft ein vernünftiges Wesen in Thätigkeit 

• tritt. Manchmal hingegen wird dem Agens das Ziel von der Haupt- 
Ursache vorgestellt. Den Naturdingen wird das Ziel vom Schöpfer 
der Natur angewiesen. Gott aber wirkt durch seinen Verstand. 
Darum kommt es ihm zu, alles GeschafTene zu einem Ziele hin- 
ziiordnen. Jeder Werkmeister ordnet alles das, was er will, nach 
einem Plane, einer Idee. Diese Idee ist sein Vorbild, die causa 
exemplaris für das Werk, welches erstehen soll. Diese Idee im 
Verstände Gottes, des größten aller Künstler, wird vom englischen 
MeiBter eine V orh erdet er minrieTuq^, genannt >(^ae^/)fnt<io 
operum agendorum). Er' beruft sich dabei auf folgende Worte des 
Dionysius, de divin. nomin. cap. ä. InnuU Dionysius: exemplaria 
dkimas in Deo existmtium rationes substantificai^, et sinffularäer 

■ fraeevistmies, quas Theologia p-'aediffinüiones mcat, et dipnas et 
bmaa voluntcdds earistentium praedeierminativas et effectivas, secundum 
^iws supersubHantialis essentia omnia praediffinivü et produxnt 



— «208 — 

I 

(de veritate q. 3. a. 1.). Diese Ideen -im göttlichen Verstände sind 
schöpferisch und sie bringen die Dinge heryor (I.e. ad 5.). 

93. Weil also Gott bei aller .Thatigkeit, bei jedem Werke, 
welches ep hervorbringt, durch seinen Verstand wirkt, jedem Ge- 
schöpfe das Ziel anweist und alles zu diesem Ziele bewegt, des- 
halb kann man die göttliche Determinierung, wodurch der gött- 
liche Wille actuell eine geschaffene Ursache zu einer wirklicheo 
Thatigkeit bestimmt, mit Recht eiuQ Vorher determinierung 
nennen. Der ewige, göttliche Wille, wird ja auch, wie wir soebe» 
gehört, existentium praedeterminativa et productiva genannt. Durch 
den Hinzutritt des Willens wird die speculative Idee von den 
Dingen in Gott eine ibimell praktische (de veritate q. 3. a. 6.). 
Nicht die Bewegung Gottes auf jede beliebige Weise kann man 
praedetenninatio nennen, sondern jene Bewegung, durch welche 
er mittelst des Verstandes wirkt und alles zum Ziel hinordnet. 
Die praedeterminatio hat eigeutlidh Beziehung zu einem Zukiinf- 
* tigeu (de veritate q. 6. a. 1.). 

Welcher Ansicht der heil. Thomas hinsichtlich der Vorher- 
determinierung gewesen, ist aus diesen Stellen klar. Man 
hat merkwürdigerweise in neuerer Zeit die Behauptung aufgestellt, 
das Wort: praedeterminare, wie es sich 1. q. 23. a. 1. ad 1. und 
Quodl. 12. a. 4. findet, habe mit der Application und dem Concarse 
durchaus nichts zu thun, da es an den genannten Stellen die 
Präextstenz der Ideen des Zukunftigen im göttlichen Verstände 
bezeichne. Wir nennen diese Behauptung merkwtirdig und mit 
Recht. Sehen wir uns beide Stellen näher an. Die erste weist 
einen Einwurf zurück gegen den Artikel, in welchem über die 
Vorherbestimmuug der Menschen gesprochen wird. Dagegen er- 
hebt S. Thomas folgenden Einwurf: „Es scheint, dass die Men- 
schen nicht von Gott vorherbestimmt werden, denn Damascenus 
sagt, man müsse wissen, dass Gott zwar alles vorher er kennt, 
nicht aber i(orher bestimmt. Gott erkennt zwar alles in uns.* 
er bestimmt aber nicht alles vorher. Wir besitzen Verdienste und 
Missverdienste, weil wir durch unsere Freiheit Heri* unserer Hand- 
lungen sind. Was demnach Verdienst oder Missverdienst in uns 
betrifft, werden die Menschen von Gott nicht vorherbestimmt.* 
Der Doctor Angelicus erwidert darauf, Damascenus verstehe unter 
der Prädeterminierung einen nöthigenden Einfluss, wie er in 
den Naturdingen vorkommt, die zu einem prädeterminiert sind. 
Die Prädestination werHe von dieser Schwierigkeit nicht getroffen. 

Diese Stelle soll imit dei* Application und dem Concarse durch- 
aus nichts zu thun haben, weil sie bloß von der Präexistenz der 
Ideen des Zukünftigen im göttliphen Verstände spreche! Der eng- 
lische Meister lehrt doch ausdrücklich, dass die nienschlichen 
Handlangen von Gott prädeterminiert sind. Nor die Art und 
Weise dieser Prädeterminierung ist verschieden bei den Nator- 



« 
* 



_ 209 — . . . , 

* dingen und bei den vernilnftigeü Geschöpfen.. Es ist ganz und • 
gar unrichtig, dass bloJß jdie Idee in Gott präd,eterminiert sei.. 
Der Einwurf spricht von den Dingen im Menschen und die 
Antwort erfolgt in 'demselben Sinne. Eine solche Coüfusion 
darf man S. Thomas denn doch nich^ zutrauen^ *dass sein Gegner 
etwas im Auge hat; was im Menschen ist, und er redet von 
dem, was in Gott existiert. Geben wir indessen ruhig zu, S. Thor 
mas rede *yon 'der Präexisteiiz der Idee des Zukünftigen. Kann 
es Üenn ein nicht prädeterminiertes Zukünftiges geben? Weim 
cß zukünftig ist; muss es eine Ursache* habeU; durch welche 
es zukünftig ist^und wenn es zukünftig ist; muss esschen b*e- 
stimmt, sein in. seiner Ursache. Ein in seiner Ursache un- 
bestimmt Zukünftiges schließt einen Widerspruch iii sieh. Da es 
nicht in sich' selber bestimmt sein kann, so muss es in seiner < 
Ursache bestimmt sein. Wenn demnach die Ursache diei^es 
Zukünftigen, bestimmt ist, so* mus3 auch der Effect in dieser 
Ursache entsprechend bestimmt sein.. Aus einer bestimmten ' 
Ursache kann unmöglich ein unbestimmter 'Effect' hervorgehen. 
Darum bemerkt der epglische Lehrer treffend; diese präexistierende 
Idee ^ei praediffinitiva et produdiva reruin. Man muss die Werke 
des heil. Thpmas nicht gelesen habeU; um solclie Theorien vor- 
tragen zu können. Die Handlungen der Menschen sind somit prä- 
determiniert, nicht zwar. in sich^.denn in diesem Falle, wären sie 
gegenwärtig;* nicht aber zukünftig; sondern in ihren Ur-, 
Sachen. Pie erste und oberste Ursache dieser Handlungen bilden 
die göttlichen IdeeU; die durch tlen Willen Gottes prädeter- 
miniert sind. Aus der determinierten* ersten Ursache folgt die 
determinierte Wirkung, d. h. die determinierte zweite. 
Ursäch'C. Und weil die Ursache der Natur und Causalität nach 
früher ist als der Effect, deshalb sind die menschlichen Hand- 
lungen von Gott p r ä determiniert in ihren Ursachen. Aus 
diesem Grunde sind sie eben zukünftig. 

94. Ebenso unrichtig ist die Behauptung bezüglich der zweiten 
Steile aus Quodl. 12. a. 4. Daselbst erklärt der Doctor Angelicus, 

. was das Fatum sei. Alii reducunt omnia haec in causam suprä- 
cQelestem, scilicet in providentiam Dei, a qua omnias unt praedeter- 
minata et ordinata, et seoundum istos fatum erit quidam effectus 
providentiae : quia Providentia nihil aliud est, quam ratio ordinis 
rerum prot^ est in pi^te divina., 'Fatum vero est explicatio illitcs 
ordinis prout est in rebus, ünde Boethius.: fatum est imniobilis dis- 
positio rebus mobUibtts inhaerens. Ob diese Stelle mit der Appli-. 
cation und dem Concurse wirklich nichts zu thun hat, das zu 
' beurtheilfen tiberlassen wir den geehrten Lesern. Es sind übrigens 
aneh noch andere; Stellen, besonders 3. contr. Gent. c. 93. Man 
lese z. B. folgende : In re creata^ duo' possunt considef^ari, scilicet 
ipstt'species ejus absolute, et ordo ejus ad finem^ Et utriusque forma . 

Feldner, WmeuBfreiheit. • 14 . 



. . . _ 210 — 

. praecessit in Dea. Forma ergo exemplaris rei secundum suam spe- 
dem dbsolxde est idea. Sed form^ rei, secundum quod est ordinctta 
in finem, est Providentia, Ipse autem ordo a divina Providentia rebus 
inditm, fatum vocatur secundum Boethiutn, TJhde sicid se höhet idea 
ad speciem rei, iki se habet* Providentia ad fatum. Et tarnen quam- 
vis idea possit pertinere ad speculativam cognitionem (tUguo modo, 
tarnen Providentia tantum ad practicam pertinet, eo quod importat 
ordinem ad finem, et ita ad opus, quo mediante pervenitur ad finetn 
(de veritate q. 5. a. 1. ad 1.). Cfr. ib. a. 2 und 5. An letzterer 
Stelle ad 4. sagt der englische Lehrer, die Providenz des Menschen 

. hinsichtlich seiner eigeneü Acte schließe die göttliche Providenz 
gerade sowenig aus, wie die activen Kräfte der Geschöpfe die 
active Kraft GoUes ausschließen. .Die erstere Stelle beschäftigt 

• sich allerdings zunächst mit den Naturdingen. Was'iiidesseu der 
Dpctor Apgelicus mit Bezug auf die Providenz Gottes über die 
Naturdinge sagt, das gilt von den«Creaturen überhaupt.. Die Vor- 

* sehung und die Prädeter.minierung hängen auf das innigste 
zusammen. Wer die eine bestreitet, der muss aucb die andere 
leugnen. 

In der That! Wo der englische Meister die Regierung des 
ganzen Universums durch Gott beweist, da geht er stets von der 
Prädeterminierung aus. Wenn mehrere Dinge zu einem bestimmten 
Ziele hingeordnet wferden, so unterstehen alle der Disposition des- 
jenigen, dem das genannte Ziel angehört. Alle Dinge aberhaben 
Gottes Güte zu ihrem Ziele. Folglich muss Gott, dem jene Güte 
hauptsächlich- angehört, alle Dinge zu diesem Ziele hinordneo. 
Was immer existiert, irgend ein Sein hat, das ist Effect Gottes, 
und er dirigiert jedes zu dem Ziele, welches er selber ist. Der 
erste Beweger bewegt nicht minder als die subalterneny» sondern 
mehr, weil diese ohne ihn nichts bewegen können. Alles, was 
bewegt wird, das wird um eines Zieles willen bewegt. Darum 
bewegt Gott alles durch seinen Verstand und Willen zu dem eut- 
sprechenden Ziele und dies ist soviel als durch die Vorsehung 
alles regieren und lenken. Jedes geschaffene Wesen erreicht seine 
letzte Vollkommenheit durch die eigene Thätigkeit, denn das End- 
ziel und die Vollkommenheit eines Dinges ist entweder die Thätig* 
keit selbst oder der terminus dieser Thätigkeit, der Effect Die 
Form, durch welche ein Ding ist, bildet nur die erste Voll- 
kommenheit, aber auch sie hat Gottes Weisheit zur Ursacbe. Dann 
muss aber auch die Ordnung der Thätigkeit von Gott kommen, 
denn durch diese letztere sind die Dinge ihrein Endziele näher 
als durch die erstere. Die Thätigkeiten .der Dinge zu dem Ziele 
hinordnen, heißt nun die Dinge regieren (3. contr. Gent. c. €4.). 

Aus diesen Argumenten des Doctor Angelicus folgt, daas die 
Geschöpfe zu ihren Thätigkeiten prädeterminiert werden, denn 
die Form, durch welche ein Ding existiert und die Form, durch 



— 211 — . 

welche es thätig ist, haben Gott zu ihrer Ursache. Wenn 
das Ziel jeder Creator die Thätigkeit 'selbst oder der terminus 
dieser Thätigkeit; der eben nur durch die Thätigkeit eriejcht wird, 
bildet, wie der englische Meister hier sagt, and wenn Gotf alle 
GescbÖpfe zn diesem Ziele binordpet und bewegt; miiss itian dann 
nicht Dothwendig die Prädeterminieruug anuehmeu? Und wenn 
man die Prädeterminierung leugnet, wie kann dann die (lubernatio 
Doch vertheidigt werden ? 

Aus der Regierung Gottes schlieft der engliache Lehrei; auf 
die Efhaltnng aller Dinge durch Gott. Der Schluss' ist voilkomnien 
logisch und darum auch berechtigt. Denn gehtirt zu der Regie- 
rung der. Dinge alles das, wodurch dieselben ihr Ziel erreichen, 
so gehört dazu ohne Zweifel auch, dass sie zu ibretu Ziele hin- 
geordnet werden. Die Uinordoung der Dinge zu ihrem Endziele, 
der göttlichen Güte, besteht aber nicht bloß darin, daiis sie (hütig 
sind, sondern aacb dann, dass sie existieren, Sie sitid mit Be^ug 
saf ihre Existenz Gott ebenfalls ähnlich (3. contr. Gent. c. 65.). 

Gleichwie demnach Gottes Eiafluss die Ursache i»^t, dass 
die Geschöpfe existieren, ebenso ist sein Eiöfluss die Ur- 
sache, dass sie thätig sind. 

Es ist darum ganz unrichtig und der Lehre des beil. Thomas 
widersprechend, wenn man die präexistierendcn Ideen im 
Verstände Gottes als speeulative Ideen auffasst. In diesem Falle 
euthielte die Antwort des beil. Thomas auf den ans Damüi^ceuas 
eutnommenen Einwurf einen reinen Unsinn. Damasceuas sagt, 
Gott wisse oder erkenne alles vorher, aber er bestiinine, deter- 
Eoiniere nicht alles vorher. Daranf entgegnet der Doctur Augelicus, 
diese Vorherbestimmnng schließe mit Bezug auf die nmnschlichen 
Handlungen bloß die Notbwendigkeit infolge dieser V'oihcrbestim- 
inang aus; nicht die Vorherbestimmung Überhaupt. Wir sage», 
dass diese Erwiderung einen Unstnn enthält, denn die «pf^culativen 
Ideen in Gott sind alle nothwendige. Die praktischen Ideen 
von den Geschöpfen hingegen sind freie, weil die Deteiminicrung 
des göttlichen Willens hinzutreten mass, damit sie praktische 
werden. Dafür passt aber dann wieder die Antwort des heil. Tho- 
mas nicht, weil er einen Unterschied macht zwischen den Natur- 
diogen und den menschlichen Handlungen, und die Tliätigkeit 
der erstem eine nothwendige nennt. Sind vielleicht die prak- 
tischen Ideen Gottes von den Naturdingen und ihrer Thätigkeit 
uothwendigc? In keiner Weise. Es kann somit nur von Jenen 
Ideen die Rede sein, durch welche die Geschöpfe zu ihrem Ziele, 
zn ihrer Tliätigkeit bingeorduet, determiniert werden. Weil jedoch 
der Wille Gottes sich selber determiniert und dadurch Ursache 
jeder andern Determinierung wird, und jede Ur&ache der AVir- 
kuDg vorhergebt, deshalb mnss man sagen, däss Gott alle 
Öescböpfe, jede Thätigkeit der Greaturen p r ä determiniere. Er 



* . _ 212 -T-^ . • • • 

• • • 

• . ■ • • . 

.• macht die Geschöpfe, natura et causalitdte prius^ zuerst zur 'Ur- 
sache ihrer Thätigkeit vtnd leitet und lenkt sie dann zu ihi*em 
Endziele.« . . ' ; • 

Hieraus ergibt, sich ein kleiner UntersQhied zwischen ' der 
praemotia und der praedeterminatio, Erstere bezieht sich eigentlich 
auf die Causalität der Geschöpfe; betont nicht ausdrücklich deren ' 
Hinordnung zutb Ziele, * sondern bloß die Überführung aus der 

, Potenz in den Act. Letztere dagegen hat eigentlich diese Hinord- 
nung im Aug«. Ebensa befasst .sich die praemotio mit der Appli- 
cierubg, der Ursachen zu ihren Thätigkeiten, I^iq priiedeterinmatio 
hingegen bezieht sich nicht Moß «darauf allein, sondern auch auf 
die Erhaltung der Dinge in ihrem Sein. Indessen ist dieser Unter- 
schied nicht von Bedeutung, zumal* wir aus« S. Thomas y^issen, 
dass die 'Thätigkeit das Endziel der Geschöpfe idt. Mag apicb 
das objective Ziel ein anderes als die Thätigkeit ^ein, da» 
formelle wird stets von der Thätigkeit selber gebildet. 

Wir glauben aus dem Gesagten den 'Beweis erbracht zu 
haben, dass nipht allein die Thomisten, sondern s^uch, allen voran, 
der Doctor Angelicus selbst, klar und bestimmt die Prädeter- 
minier ung der Geschöpfe durch Gott lehrt. Quidam . . . omnia 
fato agi dixerunt, ordinationem, quae est in rebus ex divina Provi- 
dentia, fatum nominantes, Unde ßoethius dicit, quod fatum est in-- 
haerens rebus mobilibus dispositio, per quam Providentia suis quaeqiie 
nectit Qrdinibus , , . In qua fati aescriptione dispositio pro ordina- 
tione ponitur. Rebus autem inhaerens ponitur, ut distingnatur fatum a 
Providentia. Jfam ipsa ordinatio, secundum quod in mente divina est, 
nofidum rebus impressa, Providentia est Secundum vero jam ejy^li- 
cata est in rehm, fatum nominatur. Mobilibus atäem dicü, ut 
ostendatj .quod ordö providenfiae a rebus oontingevftiam et mobilitatetn 
non aufert, ut quidam posuerunt, Secundam hanc ergo acceptiofiefn 
negare fatum est providentiam negare (3. contr. Gent. c. 93.). Die 
Behauptung, im heil. Thomas finde sich keine Stelle, welche von 
der Pr.ädeterminierung der freien Geschöpfe spricht^ entbehrt 
demna<ih jeder Grundlage. Sie besagt nichts weniger, als der 
englische Meister habe bezüglich der freien Geschöpfe die Vor- 
sehung Gottes geleugnet. 

95. Es wird weiters behauptet, diesem Prädeterminierung ver- 
trage sich schlechterdings nicht mit der Freiheit, denn an diese 
Prädeterminierung knüpfe sich: „mit absoluter Nothwendigkeit^ 
die Thätigkeit, und: „es wäre kein actus secimdu^y also kei& 
agens in actu, wenn es ohne Thätigkeit sein könnte". 

' Wir müssen uns vor allem um den Beweis umsehen dafür, 

dass auf die Prädeterminierung mit absoluter Nothwendig- 

k e i t die Thätigkeit folge. Der Beweis lautet aus St. Thomas : 

„unumquodqiie operatur prout est in actu secundo^^. 

* Zunächst wurde in den Text des englischen Lehrers ein 



; . — 213 — . • . 

Wort eiDgesöliobßn, daS Wort: „secundo": Allerdings sagt S. Thomas 
an unzäüligen Stellen: wnumquodque offit in '^udntutn, secundum 
qtfod fst in actu. Wir ha})eo indessen- üirgend» dabei das Wort: 
„secunHo" gefunden. Der Grund dafUr ist alter auch sehr eint'acb. 
ä. Thomas veretelit unter dem actus secundus die Tliätigkeit selbst. 
Nan kann man einem Denker von der logischen Schärfe eines 
Thomas wirklich uiubt Aussprüche zumuth&n wie: ein jedes Ding 
aei- thätig, insofern es thätig ist, eine Thatigkeit ausübt. Selbst- 
Terständliche Wahrheiten betont S. Thomas ganz sicher uicht so 
oft wie den Satz, dass jedes Ding dknn in 'Thatigkeit Übergebe, 
wenn es im actu sich befindet. ' • * 

Das Zweite, was wir im beil. Thomas nicht gefunden haben, 
ist die Behauptung, daes anf die Prädetermjnierung mitabeoluter 
Nothwendigk-eit.die Thatigkeit folge. Im angefilhrten Texte 
sieht darüber auch 'nicht ein Wort. Ebenso vetgebens wird man in 
seiueu andern Werken, einen Beweis fllr ^ie»e absointe Noth- 
w^D^'S^^'t ='*> entdecken imstande 'sein. Wie könntet es aiich 
.andej-s sein, da es außer 'dw Thatigkeit Gottes u'beihaupt keine' 
absolut nothwendige gibt. ' 

Die Naturdinge selbst sind nicht mit absoluter Noth- 
wendigkeit thätig. Der englische Meister macht sieb einmal -' 
folgenden Einwurf : „Wenn einmal dieUrsaebe daist, ao folgt 
aus der Nothweudigkeit der ihätigeii oder wirkenden Natur die, 
Thatigkeit derselben, ausgenommen sie stoßt per aecidetis auf 
Hindernisse.* Die Natur iat ja zu einem determiniert. Wenn dem- 
nach die Hitze des Feuers mit Natumothwendigkeit thätig ist, 
so folgt daraus, dass das Feuer vorhanden ist, ohne weiters die , 
Erwärmung (cal^aetio^, und es bedarf nicht terner einer böbern 
in ihm wirkenden Kraft." S. Thomas entgegnet: „Die Nothwendig- 
keit der Natur, durch welche die Hitze thätig ist, wird durch die 
Ordnung der vorausgehenden Ursachen constituiert. Sie schließt 
folglich die Kraft*der ersten Ursache .in sieb" {de potentia 
q. 3. a. 7 ad 8.). Anderswo bemerkt er, die Deterrainierung, wo- " 
durch das Naturding zu einem bestimmt wird, stamme nicht 
vom Naturdinge selbst her, sondern von einem andern. Darum 
lege die Detenninierung- zu einem bestimmten Effecte, welcher der 
Ursache entspricht, Zeugnis ab von der göttlieben Vorsehung (de 
veritate q. 5. a.2. ad. 5.}. Diesen beiden Stellen wollen wir noch 
eine dritte beifügen. „Kein Ding ist durch sieh selber thätig 
oder durch sieh selbst bewegt, außer der nicht bewegte Be- 
weger. Darum ist ein Ding Ursache der Thatigkeit eines andern, 
insofern es diesetf andere zur Thatigkeit bewegt. Daninter 
darf nicht die Mitth^ilung oder Erhaltung der activen Kraft ver- 
standen.' werden, sondern d.ie Applicierung difeser Kraft 
zur Thatigkeit, wie der Mensch dadurch, däsa er das Messer 
bewegt und die Schaffe desselben zum {Einschneiden appUciert, 



— . 204 — 

wegung per modum 'transeuntis veiTollkommnöt wird. Die Potenz 
mit dieser Bdwegang bildet das Agens in actu nnd dieses ist 
eigentlich und formeil frei. In diesem Zustande ist das ver- 
nünftige Geschöpf Ursache freier Thätigkeiten. 

Daraus folgt aber dann, dass Gott den Geschöpfen die for- 
melle Freiheit ebenso gewiss mittheilen muss, wie er ihnen die 
stoffliche; nämlich das FreiheitsY ermögen; die Potenz verliehen 
hat. Was frei ist durch Antheilnahme, muss zurückgeführt 
werden auf das Freie durch seine Wesenheit. Dieses letztere 
bildet die Ursache für das erstere. Das foi-mel.l Freie ist so- 
mit Effect Gottes. Ohne praemotio pht/sica wäre demnach das 
vernünftige Geschöpf zwar radical, niemals aber formell frei. 
Die Creatur hätte zwar ein freies Thätigkeitsvermög.en, aber 
kein freies Thätigkeitsprineip, denn nur die actiye Potenz, 
nicht die passive, ist Thätigkeitsprincip. Klar und bestimmt wie 
immer hat der englische Lehrer in wenigen Worten diese Wahr» 
heit vorgetragen. Wenn delr Wille von neuem zu wählen beginnt, 
so wird er von seiner frühern Disposition insofern umgeändert, 
als er früher in der Potenz wählend war, jetzt aber actu, in 
der Wirklichkeit wählt. Diese Veränderung stanmit von einem 
Beweger her, denn der Wille bewegt sich selber zur Thätigkeit 
(ctd agendum),' er wird aber auch von Gott bewegt. Die Dispo- 
sitiou des ersten Bewegers bleibt in den von ihm Bewegten 
zurück; insofern sie von ihm bewegt werden. Auf diese Weise 
nehmen * sie die Ähnlichkeit des ersten Bewegers auf (de malo 
q.6, ad 17. und ad 11.). Wie jedermann ersieht, spricht S. Thomas 
hier von der Umänderung der Geschöpfe bei dem Übergange 
aus der Potenz in d«n Act. Bei dieser Umänderung erhalten sie 
etwas vom ersten Beweger; nämlich dessen Ähnlichkeit. Gott ist 
reiner Act, lautere Wirklichkeit, seine Thätigkeit ist real identisch 
mit der activeu Potenz und mit seiner Wesenheit. Hierin sind 
ihm die Creaturen ganz und gar unähnlich; denn ihre Thätigkeit 
ist real unterschieden von der activen Potenz, und diese wieder- 
um vom Thätigkeits vermögen. An und für sich besitzen sie nur 
eine passive Potenz. Durch die praemotio pht/sica werden sie 
Gott ähnlich; denn ihre passive Potenz wird actu nnd sie selbst 
dadurch ein Agens in actu, wie es Gott ist. Als Agens in actu 
können sie dann fluere in passum, dieses „esse in actu'' einem 
andern, ihrer Thätigkeit mittheilen. Sie sind folglich Grott ähnlich, 
obgleich nicht vollkommen; totalitär, wie der englische Lehrer 
an der genannten Stelle bemerkt. 

9 1 . Von einer Schädigung der Freiheit durch die praemotio phy- 
sica kann somit keine Rede sein. Dieser Vorwurf beruht lediglich aaf 
vöUigej- Unkenntnis des eigentlichen Wesens der Freiheit Wäre 
das Wesen der Freiheit im Unthätigsein gelegen; dann würde 
die praemotio physica die Freiheit zerstören. Allein in diesem 



Falle mUsate sie auf ganz gleiche Weicie durch den simultaneii 
Concors, ja selbst dnreh die natürliche Eral't des Geschüpt'es 
aargeboben werdeD. Diesen Fehler begehen alle jeue, die, obne 
den nothwendigen Untei'sebied, zu mach'en, das Wesen der Frei- 
heit in das Niohtdeterminiertaein verlegen. Die Freiheit 
kann unmüglich in dempaBsiven Niehtdeterminiertsein bentehen, 
denn dieses bildet eine große Unvollkommenheit für die 
Gescliöpfe, In diesem Zustande kann das öesehöpt' nie Ursache 
irgendwelcher Thätigkeit sein, denn Ursache ist uacli S. Thomas 
dasjenige „ad qüod sequäür esse alterim seu causitli", oder „prin- 
cipium infiuens in esse aUerius, quod est ex ipso" (physieoi-. 2. 10. 15. 
edit. noT.. pag. 86.). Der- englische Meister bat ausdrücklich eine 
zweifache Indifferenz uutei-sehicden. Eioe Kraft' kann in' zwei- 
facher Weise indifferent sein /"ad utrumlibetj: entweder in sich 
' selbst, oder hinsichtiich dessen, worauf sie sich bezieht. lu Betreff 
ihrer selbst ist diese. Kraft indifferent, wenn sie noch nicht ihre 
Vollkommenheit, wodurch sie zu einem bestimmt wird, er- 
langt bat Diese Indifferenz hat zu ihrer Ursacfai; die UnvoU- 
kommenhöit ihrer Kraft, und diese Indifferenz gibt Zeugnis 
von der Potentialität in der Kraft selbst. In ihrer Be- 
ziehung zu einem andern ist eine Kraft indifferent, wenn die voll- 
kommene Thätigkeit dieser Kraft weder vom einen, noch roqrt 
andern abhängt, wie z. B. in einem Künstler, der zu einem uud 
demselben Werke gleichmäiiig verschiedene Instrumente verwen- 
den kann. In diesem letztern -Falle besitzt das Agens eine voll- 
kommene Kraft, die den einen wie den andern Effect llbcrtrlfft 
und deshalb beiden gegenüber unbestimmt, indifferent sicli ver- 
hält. Die Kraft, resp. Indifferenz in dieser letztern Bedeutung 
findet sich im göttlichen Willen. Darum ist in seinem Willen 
keipe Potentialität und keine Veränderlichkeit (1. contr. 
Gent, c. 82.). Er ist nicht in der Weise indifferent, dass er zuerst 
etwas bloß der Miiglichkeit nach (potentia), und dann in der 
Wirklichkeit (adul will, soudem er will stets alles adu (i. c). 
Nichtsdestoweniger besitzt er die vollendetste Freiheit, ist diese 
ihm sogar wesentlich eigen, während die Greatar nur Äntbeil 
an derselben hat. 

■ Dadurch ist wohl am besten der Vorwurf widerlegt, die 
praemotio physica zerstöre alle Freiheit, denn das Agens in potentia 
ist nach der Lehre des englischen Meisters etwas Unvollkom- 
menes, es besitzt eine unvollkrommene Krfift thätig zu sein, 
'i^eil dieselbe fUr sich allein genommen Potentialität ist. Die 
wahre Freiheit hingegen ist etwas Vollkotemen&s, istActua- 
Htät, nicht Potentialität.^^ 

Möge man also nicht immer nur Freiheit) Freiheit! rufen,' 
Sondern endlich einmtd auch die Vernunft zum Wortb kommen 
iaesA und sich über das eigenMiche Wesen der Freiheit 



• . — 206 — . . • 

gründlich- orientieren. Die praemotio physica rettet die Freiheit, 
anstatt sie. zn schädigen. ^ . . ' 

92. Aus dem Dargelegten ist die Antwort auf den Vorwurf, 
dass die Thomisten nicht 'bloß eifie physische Vor her bewegung, 
sondern s^uch eine solche Vorherdete^minierungi lehren, auch 
schon .gegeben.' Diesef letztere nun, so behauptet man, sei ganz 
und gar' unverträglich mit der Freiheit. 

Die Vorherdeterminierüng lehren nicht allein die Thomisten, 
die yertheidigt auch ibfr Meister, der heil. Thomas. Der englische 
Lehrer fragt einmal, ob alles dem Fs^tum unten'Worfen sei ? Diese 
Frage hat, insofern Berechtigung, weil in früherer Zeit gezweifelt 
wuxdci ob alle» das, was auf veränderlu^he Weise und ohne be- 
stimmte Ordnung geschieht, auf eine' ordnende .Ursache zurück- 
geführt werden müsse. Nachdem S. Thomas diesbezüglich mehrere 
Ansichten aufgezählt und als unrichtig zurückgewiesen,, bemerkt, 
er: „Einige Gelehrten führen alles auf di^ göttliche Vorsehung 
als auf die Ursache zurück, von welcher alles vorherb^ßtimmt 
(praedetermincUa) und geordnet ist. Dieser Lehre gßinäß ist das 
Fatum, der Zufall, ein Eflfect der Providenz, denn dfe Providenz 
ist nichts anderes, als die Idee (ratio) der Ordnung der Dinge 
im Verstände Gottes. Das Fatum hingegen ist die Entfaltung, 
^usftihrung jener Ordnung in den Dingen. Darum gagt Bo^thios, 
das Fatum sei die den beweglichen Dingen inhärierende unbe- 
wegliche Disposition. In diesem Sinne untersteht alles dem 
Fatum" (Quodl. 12. a. 4.). In dieser-Stelle wird offenbar von eiiteu 
Vorherbestimmung gesprochen, welcher alle Dinge unterworfen 
sind. Man darf die Gedanken- und WiUensthätigkeit nicht davon 
ausnehmen. S. Thomas bestreitet nur, dass alles hier auf Erden 
durch den Lauf der Gestirne geordnet werde, weil die Gedanken 
und das Wollen nicht der Thätigkeit eines Körpers unterlief^en 
können. Aber gegen die Ansicht, dass alles von der göttlicneü 
Vorsehung vorherbestimmt und geordnet werde, hat der Doctgr 
Angelicus gar nichts einzuwenden. Der Sinn dieser Stelle ist deiy- 
.nach folgender: Durch die göttliche Voi-sehung ist alles vofher 
bestimmt und geordnet. Die. Vorh6rbestimmung und Ordnung 
besteht in einer gewissen Disposition und unabänderlichen An- 
ordnung in den veränderlichen Dingen,' durch welche sich .die 
göttliche Vorsehung offenl^art oder zu erkennen gibt. Was kann 
nun diese Anordnung und unabänderliche Disposition in den ge* 
. sch^ffenen Dingei^ aein ? ; Offei|bar kann es nichts* anderes sein 
als die praemotio physica, denn diese bildet eine ühaBänderlicbe* 
Disposition in» den veränderlichen Dingen. Darum bemerkt der 
heil. Thom^, Gott bewege den Willen^jinabänderlich (tmwwJi- 
'literj wegen der Wirksamkeit der bewegenden Kraft, die nicht 
fehlen kaitn. Daraus folge aber nicht, meint der Heilige, 'dass 
hier eine Noth wendigkeit* vorliege, denn vermöge der. Katar 



.« 



» 



_ 207. — 

des bewegten Willens, der vielen gegäntlber iudifFerent sieb rer- 
bält, bleibe die Fretbeit zureeht besteben. 'Die gßttlißhe Vorsebnog 
ist 'Uberbanpt in allen Dingen auf infallible Art thätig, dennoch 
verarsacben die centingenten 'Ursachen ihre Effeete ftnf cuntin- 
gente Weise, weil Oott jed^s Ding gemäß seiner Art und Weise 
bewegt (de malo q. 6. ad 3.). Die göttbche Vorsebnng benimmt 
somit den Diugeu ihre Contingenz und Veränderlichkeit nicht, 
obgleich sie, nach Boetbius: „est iTjhaerens rebus ''mohüibus dia- 
fositio, per quam suis quaeque nedit ordinibus-" . Wer' darum das 
Fatqm oder die praemotio ,physi<;a, di6 praedeterminatio leugnet, 
der bestreitet Gottes Vorsebnng (3, eontr. Gent, c. 93.). Denn, 
wenn alles durch die göttliche Vorsebnng geordnet ist, und diese 
Ordnung nnabäuderltc'h iu den Dingen selbst sich vuröadct, 
' so mUssen die Dinge von der göttlichen Vorsebnng aucli vorher- 
determiniert sein. Die Vorherdeterminieriing ist ja nichts anderes 
als eine gewisse unabändArliche llinordnnug der Dinge zu ibrem 
Endziele, 

. Was. bedeutet in der Tbat determinieren ? Nicht« anderes, 
als einem Dinge Gienzen setzen, ein Ding einschränken^ zu etwas 
bestimmen. Die Grenze, der terminua oder das Ziel sind aber ein 
nod dasselbe. Die Determinier ang •geschieht demnach mit Bezog 
anf ein Ziel. Das Ziel einer jeden Potenz ist der Act, die Thätig- 
keit, mag diese Potenz nun eine passive oder eine active sein. 
Das Ziel des Stoffes ist die eigene Foim, daher wird er durch 
die Form determiniert. Die active Potenz hat ihre Determiuierung 
darcb das Ziel oder den Zweck, um dessentwillen sie thätig ist. 
Dieses Ziel aber wird von der Thätigkeit selber gebildet, denn 
sie ist das der Potenz innerliche Ziel, potentia dicitur ad actum. 
Ein Ding kann aber in doppelter Weise des Zieles wegeu thätig 
sein. Manchmal steckt sich das Agens das Ziel selber, und dies 
geschieht jedesmal, so oft ein vernünftiges Wesen in Thätigkeit 

■ • tritt. Manchmal hingegen wird dem Agens das Ziel v jn dei' Haupt- 

ursache vorgestellt. Den Naturdingen wird das Ziel vom Schöpfer 
der Natur angewiesen. Gott aber wirkt durch seinen Verstand. 
Darum kommt es ihm zu, alles Geschaffene zu einem Ziele bin- 
zuordnen. Jeder Werkmeister ordnet alles das, was er will, nach ' 
einem Plane, einer Idee. Diese Idee ist sein Vorbild, die causa 
fxemplaris für das Werk, welches ersteben soll. Diese Idee im 
Verstände Gottes, des größten aller Künstler, wird vom engliacben 
Mftistär eine Vorherdetermitvieruii^.'genannt >(^r(jef^/)fnäio 
<^erum agmßorum). Er' beruft sich dabei auf folgende Worte des 
üionysius, de divin. nomin. cap.'S, Innuit Dionysius: exemplaria 
diämus in -Deo existentium raliones substantißcatw, et singulariter 
praeexietentes, quas Tkeologia p-'aediffinitiones vocat, et di^inas et 
v<nm voluvtat^s existerdium praedeterminativas et effecttvas, secundum 

■ pfcs supersubstantialis essentia omnta praediffinivit et produxit 



— 214 — 

die Ursache ist, dass das Messer einschneideJ:. Jede untergeordnete 
Natur gelangt aber nur dadurch zu einer Thätigkeit, dass sie be-» 
wegj wird. Daraus-folgt mit absoluter Nothwendigkeit, dass^Gott 
die Ursache der Thätigkeit der 'Naturdinge ist, indem er 
die Kraft bewegt und zu der Thätigkeit appliciert" (de potentia 
q. 3. a. 7.). 

Stellen wir diese Lehre des heil. Thomas der oben genannten 

Behauptung über d i e absolute Nothwendigkeit gegenüber, 

und die volle Unrichtigkeit fier letztern .ergibt siph von selbst. Was 

in obiger Behauptung, actus secundus ist; das ist in der Doctrin des 

f englischen Meistera die actiye Krafl;.' Die potentia activa bildet 

' nach S, Thomas das prindpium agendi (1. p. q. 25. a. 1.). Dem 

; • gemäß mtisste/ sobald ein Ding die actiye Kraft besitzt, mit 

absoluter Nothwenaigkeit die Thätigkdt folgen. Was lehrt 

aber S. Thomas in Wahrheit? Diese Kraft genügt nach ihm nichts 

dass ein Ding ohneweiters und durch' sich selbst in Tbätigkeit 

, 6ei,» sie jnuss erst von Gott zu dieser, Thätigkeit appli eiert 
»werden. Von einer absoluten Nothwendigkeit, mit welcher 
die Thätigkeit aus &em ad>us secundus hervorgehen soll, ist somit 
bei. dem heil. Thomas au und für sich gar keine Rede. Die Sache 
. ist aber auch in sich unrichtig, denn ein accidens per acciden» 
geht nie, wie das accidens proprium mit absoluter. IJotbwen- 
digkeit aus der Ursache hervor. 

' 96. Der heil. Thomas spricht indessen wirklich sehr oft von einer 
Nothwendigkeit, mit welcher die Naturdiuge ihre Thätigkeit voU- 

, ziehen. Woher kommt nun diese Nothwendigkeit, denn eine solche 
ist wirklich vorhanden? Sie stammt zunächst von Gott, der ersten 
Ursache, die in ihrer Weisheit es also geordnet, dass manche Ge- 
schöpfe, von ihr bewegt* und zur Thätigkeilt bestimmt, nur diese 
und keine andere Thätigkeit ausüben können. Die Natardinge 
bestimmen nicht^sich selber zur Thätigkeit, sondern sie werden 
ausschließlich nur von Gott dazu bestimmt. Daritm hat Gott auch 

• ..ihre Natur so eingerichtet, dass sie, von Gott bewegt, eine 

*' Thätigkeit mitNothwendigkeit entfalten, indem sie sich zu 
ihrer Thätigkeit nicbtselber bestimmen. Der nächste, unmittel- 
bare Grund dieser Nothwendigkeit liegt allerdings in der 
Natur und Beschaffenheit der Naturdinge, allein sie haben die- 
selbe eben nicht aus sich selber, sondern vom Schöpfer der 
Natur. Ihre Natur ist genau dieser Thätigkeit angepasst Ud4 
weil Gott jedes Ding seiner Natur entsprechend bewegt, dashalb 
muss die Thätigkeit dieser Greaturen mit Nothwendigkeit erfolgen. 
Die Applicierung der activen Kraft durch Gott erfolgt demnach 
in der Weise, dass diese Geschöpfe die Potenz fUr das Nicht- 
thätigsein, und die Potenz, mit dieser ihrer Thätigkeit ein anderes 
als das .gerade vorgestellte Object anzustreben, verlieren. Vom 
Verlieren kann man jedoch eigentlich nicht sprechen, denn sie 



_-^215 — 

habeu, weun ai^ in acht sind, tod Natar aus nicht die Poteo^ 
fUr das NichtthätigseiD, oder ftir einen andern Gegenatand als 
den bestimmten. Die erste Ui'sache dieser Nothwendi^'keit haben 
wir in Gott zu suchen, der vorbildliche und wirkende Ureacbe- 
für alles ist, sowohl hiDsichttieh des Seins, als aufli der TLatig- 
keit. Die nächste unmittelbare Ursache dieser Notlivrendigkeit 
liegt darin, dass sib an einen Stoff gebunden und iu ihrer Tliatig- 
keit ganz davon abhängig sind. Sie besitzen infolge dessen weder 
die Herrschaft Über ihre Thätigkeit, noch stehen sie höhei' a!s 
ihr Object, 

Diese Nothwendigkeit hindert jedoch nictit, dass die Thätig- 
keit der Natnräiuge eine conti ngeate sei. Die Erde bringt nicht 
'auf nothwendige, sondern auf contingeute Weise Pflanz-en iindFriluhtc 
hervor. Würde die Thätigkeit selbst mit absoluter Noth- 
wendigkeit ans dör aetiven PoteuK folgen, so wäre nicht ein- 
zusehen, warum Gott diese active Kraft noch eigens zu der 
Thätigkeit ap.pli^iereu mllsste. Wir könnten in diesem Falle 
die Sentenz des Durai^dus nnterschreiben, dass Gott den Geschiipi'en 
einzig ]ind allein nnr die aetiven Kräfte gibt und erliäit, ohne 
nnmitelbaV bei der Thätigkeit selbst mitzuwirken. In 'Wahi'heit 
verhält es sich anders. Die Naturdinge sind bestimmt in liezng 
auf die Art der Thätigkeit, nicht aber biosichtiich des (iin/.i?tiien 
Actes (quoad speciem actus, non quoad mdividuiiin). Sie l'fibreu 
ja mehrere individuell oder numerisch verschiedene Thätig- 
keiten- aus. Die .operativen Kräfte wurden ihnen. tiicht bloß zu 
einem einzigen Acte verliehen, sonst wären sie nach Ausllbiing 
dieses Actes vollkommen überflüssig. Diese eine individuelle 
Thätigkeit iässt sich ja nicht wiederholen. Es muss folglicli zuge- 
geben werden, dass jedes geschaffene Agens, wie sehr es auch 
durch die active Kraft sieh iw acfu ^befindet, nichtsdestoweniger 
AtT praemotio physka, oder des simultanen Concurses im Sinne des 
heil, Thomas bedarf. Auf jeden Fall bleibt ea nicht deter- 
miniert fttr die individuellen Acte. Wenngleich es also hin- 
reichend fUr den erstön Act determiiyert ist, so ist es doch da- 
darcb undeterminiert für deü zweiten und den folgenden. WähieriVl 
es den- ersten vollzieht, ist es hinsichtlich des zweiten in der 
Potenz, denn. zwei zugleich kann das Gesoliüjti' iiifht aus- 
t üben. Somit nmss es za dem zweiten erstdetertuiiiiert weiden. 
Wir werden also sagen mtlsaen, dass die Tliiiii.nkeii /.war 
ihfallibi titer, nicht aber mit absoluter Notb wen di^^k ei t 
aus der aetiven Potenz hervorgehe. Der Hauptuntetschied z\vischen 
freien und nichtfreien Thätigkeitffli kann demnach keineswegs in 
dieser absoluten Nothwend'igkeit gesucht werden, sondern 
darin, ob die .Creaturen sich zu diesen ihren Thätigkeitcu deter- 
niinierep, oder ob die gaoze Determimemng einzig und allein 
Von Gott kommt. Determinieren sich die Creaturen ebeafalls, 









— * 220 — 



• 



inielligendi, unserer Auffassung nach, früher als die scientia media, 
denn dieses Wesen, dieses ms, diese Möglichkeit der freic^n Acte 
bildet in Gott das Object der Allmacht, und die Allmaj^bt ist 
früher als die scientia media, Sie kann somit nicht' ton der 
scientia media abhängen. Die Freiheit ist ohne Zweifel ein etis^ 
eine große Vollkommenheit, sie untersteht demnach der Allmacht 
6ottes, weil jeder activen Potenz ein possibile als eigenthümliches 
Object zukommt (1. p. q. 25. a. 3.). Da nun die Potenz in Gott 
unendlich ist, so muss ihr neben allen andern Dingen auch die 
Freiheit der Geschöpfe als possibile correspondieren. Die Haupt- 
schwierigkeit liegt in dem Nachweise, dass die Allmacht unserer 
Auffassung nach früher sei als die scientia media. Allein wenn 
man bedenkt, dass das Object der Allmacht universeller als das 
der scientia media, erstere überdies ein absolutes und nothwen- 
diges Attribut in Gott ist, während letztere zwischen dem not- 
wendigen und freien in der Mitte liegt, so leuchtet ein, dass das 
Object der Allmacht früher sein müsse, als die scientia media. 
^£s liegt darum ganz klar zu Tage, dass Gott ohne die seientia 
media den Willen frei bewegen kam), und die praemotio'physica 
sehr wohl vereinbar ist mit döf Freiheit. Intrinsece oder absolute 
impossibilia sind diese beiden Sätze: Gott bewegt den Willen 
frei, und: derselbe wird frei bewegt, nicht, sonst könnten sie nicht 
Gegenstand seiner Allmacht sein. Oder sollte Gott wirklich etwas 

, Positives, elwas Vollkommenes ^icht zulande bringen, was doch 
der aftnen Citeatur gelüagt? Hat er es vermocht, 4ii vfernünfligea 
Geschöpfe al^ ffeie*ins Dasein zu rufen, sie mit der Grundlage 
und Vorbedingung für die^ Freiheit auszustatten, so dass si^ eine 

' •frdie'Thäti^keit ausübe können, sÖ'wird es ihm ohne Frag^' 
auch ein Leichtes sein, diesQ^* ersten V(ftl^ommenI)eit eine zweite, 
die freie* T h ä f i g k e i t selbst beizufügen. % 

Zweites Pr^ncip: Gott bewegt die Gegchöpfe von' seiner 
Seite frei, gleichwie er sie frei geschaffen hat; Auf Grund dieser 
• seiner Freiheit bewegt er aucli'die vernünftigen Geschöpfe frei, ' 
sie behalten ihre Freiheit bei. Weil die Bewegupg von Seiten 
Gottes eine freie ist, deshalb lässt sie im Willen die Potenz ftlr 
das Gegentheil zurück, das heiBt der entgegengesetzte Act ist 
dem Willen noch im eigentlichen Sinne möglich. Das Mögliche 
bildet das Correlat zu der Potenz, dem Vermögen. Die Thätig- 
keit, welche Gott ausüben kann, ist in Wahrheit möglich, sonst 
wäre die Potenz in Gott eine Chimäre. Wenn nun Gott den Willen 
von seiner Seite frei bewegt, so ist derselbe zugleich in der Po- 
tenz, besitzt derselbe die Macht, nach Entgegengesetztem zu streben. 
Frei handelt nur jenes Wesen, welches eine Potenz für das Gegen- 
theil hat. Der entgegengesetzte Act ist somit in Wahrheit noch 
möglich. Wenn aber dies, dann lässt die Be\fegung durch Gott 
im Willen die Potenz für das Gegentheil zurück. Daraus folgt 



_ 221 — ■ 

evident, daiss Gott, welcher von seiner Seite frei bewegt, diese 
Freiheit auch in dei* Creatar Trahri, wenigstens wahren könne. 
Darnm.ißt die praemotio physica. mit der Freiheit dnrchaas ver- 
einbar. ■ ■ 

Drittes Princip: Die freie Tbätigkeit wird gewahrt, w«nn 
dia Potenz. fUr däs-Gegentheil noch vorhandea ist. Diee. aber trifft 
bei der praematio physka -zn. Es ist ganz die- gleiche Schwierig- 
keit, dass bei der .praem^o physica die Potenz für das Gegen- 
tbeii bleibe, pnd dass diese Potenz bleibe, wenn d.ieTbätigkeiC' 
de facto ausge'hbt wird. Darum haben wir früher, gesagt, dass 
jede Detertuinieruug, von welcher Seite immer sie »abgebt, die 
Freiheit aufhebe, wenn die Tbätigkeif mit absoluter Notb-, 
wendigkeit ans .dieser Determinierung folgt. Die Puteu^ tllr 
(iaa- Gegentbeil bleibt jedoch hier vollkommeit intact, weil bezüg- 
lich der positiven Dinge. nur die oonträr entgegbngeBetzten nicht 
zugleich sein kSunen. Hier handelt es sieb aber um zwei conträr 
Positive, Zwei Positive können nicht contradictoiisch oder privativ, . 
sondern nur conträr entgegenstehen. Nnn müssen' zwei conträr 
entgegengesetzte Extreme derselben Gattung angehören, iji eodetn 
ijenere sein. Die wirkliche Ansübung unserer Thätigkeit aber und 
die Potenz für den entgegengesetzten Act sind nicht in eödein 
genere. .Die Thätigkeit ist wirklieb, die' Potenz für den andern 
Act nur möglich. Folglich stehen sie nicht im conträren Gegen- 
satz, und können somit zugleich sein. Wenn demnach durch die 
Thätigkeit selbst - die Potenz nicht, anfgeboben wird, so wird dies 
ilnreb die prasmoHo zn dieser Thätigkeit auch nicht geschehen. 
Die Freiheit bleibt Dohin. vollkommen aufrecht bestehen, weil der 
Wille eine Thätigkeit vollziehend die Potenz für eine andere 
■beibehält.- 

Viertes Princip; Wie sehr auch der Wille vorherbewegt 
wird, et kann sich' zu seiner Thätigkeit als 'dem erkannten Ob- 
jecte neigen oder nicht neigen.- Folglich muss er diesen Act, seine 
Thätigkeit frei wollen. Man erinnere sich an das, was wir früher 
über die Abhängigkeit des- Willens vom Verstände gesagt haben. 
Der Wille neigt sich zu dem, erkannten und vorg^tellteu Objecte 
80, wie dasselbe ihm vorgestellt wird. Wird ihm eines sitb in- 
diferentia Vorgestellt, so neigt er sich zn demselben frei. Nan 
kann der Verstand niemals die Willenslhätigkeit. als eiu allge- 
meines Gut d. h. ohne Indifferenz vorstellen, denn sie ist etwas 
Paytieulä-res. Das Particuläre kann zwar, muss aber nicht 
begehrt werden. Der Verstand kann es somit nur svi> indiffereniia 
vorstellen, f^olglieh kann auch xler Wille nnr- sub ' indijfemitin 
d. b. frei sich zn seiner Thätigkeit als einem vorgestellten Ob- 
jecte neigen. 

Ans alledem geht hervor, dass die praematio physka den 
Willen gar nicht mit Nothweodigkeit za ein^r Thätigkeit he- 



. — 222 — 

stimmen kann. Gott mttsste zam Zwecke ^er nothwendigen 
Bewegung zuerst den Verstand betrügen. Da det Wille über- 
haupt nur dann in Tbätigkeit übergehen kann, wenn der Verstand 
ihm ein Object vorstellt, so müsste Gott den Verstand derart 
bewegen, dass er »die Willensthätigkeit als etwas allgemeines, aU 
bonum universal^ erkenne und vorstelle, oder wenigstens als ein- 
ziges Mittel zu diesem allgemeinen Gut. Das erstere ist einfach 
unmöglich, hier. wie in der andern Wölt, das letztere unmöglich 
■für uns hier auf Erden. Solange der Verstand dicj Willensthätig- 
keit als ein partieuiäres Gut, und noch dazu als nicht noth- 
wendiges Mittel zum Guten und zu der Glückseligkeit im all- 
gemeinen vorstellt, solange wird die praemotio physica nie die 
Willensthätigkeit nothwendig^ sondern stets frei verursachen. 
Gott bewegt den Willen zwar unabänderlich fimmutctbiliter), 
wegen der Wirksamkeit der bewegenden Kraft, die kein Hindernis 
kennt, allein in Anbetracht der Natur des bewegten Willens, die 
vielen gegenüber sich indifferent verhält, ist keine Noth- 
wendigkeit, sondern volle Freiheit in ihm (de malo 
q. 6. a. .1. ad* 3.) 

Gott ändert nichts im Willen, weder dessen Natur, noch den 
modtcs dieser Natur, er entfernt durch seinen Einfluss bloB eine 
seiner Unvollkommenheiten, die reine Potentialität, indem er 
macht, dass diese Potentialität verwirklieht wird, Aktualität erhält, 
gleichwie er der Wesenheit der Geschöpfe die Actualität, die 
Jfixistenz oder das Dasein verleiht. Wie aber diese Existenz doreb 
diesen Einfluss Gottes nicht eine noth wendige wird, sondern 
eine contingente bleibt, ebenso wird auch die Thätigkeit de« 
Willens durch die praemotio phi/sica nicht eine nothwendige, 
sondern sie bleibt eine contingente. Nothwendig und contingeot 
gehören dem Seienden an, sind Eigenschaften des ens. Da non 
Gott durch die praemotio physica die Thätigkeit des Willens her- 
vorbringt, insofern diese ein ens ist, so hängt es nur von ihm ab, 
ob der modtcs dieses ens ein nothwendiger oder contingenter werde. 
Die wirksame Ursache bringt nicht nur öinen Effect hervor, 
welcher als ens ihr ähnlich ist, sondern auch den modus dieses 
Effectes. Gottes Wille aber erweist sich am allerwirksamsten. 
Darum wird nicht bloß alles das, was et will, sondern es Wird 
auch auf jene Art und Weise, Wie Gott es will. Er will, 
dass manche Dinge nothwendig, manche dagegen contingent seien, 
damit unter den Geschöpfen Ordnung herrsche und das Uolversnm 
in seiner Vollendung dastehe (1. p. q. 19. a. 8.). Es. hängt dem- 
ilach nicht vom Willen ab, dass seine Thätigkeit nothwendig oder 
in contingenter Weise erfolge, sondern von Gott, der will, dass 
manche Ursache nothwendig, manche contingenter thätig seien. 
Um zu beweisen, dass die praemotio physica der Freiheit schade, 
müsste vorerst dargethan werden, Gott wolle die freie Thätigkeit 



— 223 — 

aufheben und er habe za diesem Zwecke den Willuu der Gefl(^ill!pfe 
als nothwendige Ursache ins Leben, genil'eii. Allein diespr 
Beweis wird nie gelingen. Wegen der Ordnung und Vollendimg 
des Universums will er gerade, dass der Wille der Creaturen 
eine freie Ureache sei, und dasp ans dieser freien Ursache 
freie- Thätigkeiten entstehen. Ebenso mllsste bewiesen werden, 
dasa Gott durcli die praemotio und praedetei-iniiiutio physka <lie 
Katur des Verstandes und Willens der vemlinftigen Geschöpfe 
andere. Der Versucli, dieses zu beweisen, wiid aber misalingen 
(1.2. q. )0. a. 4,). Das einzige, was von Gott geändert wiid, ist 
der passive, utithätige Ziistaud, .in welchen! die Creattir aus und 
durch sich selber ist. Da aber dieser Zustand nicht gleiehbedentend 
ist mit der Freiheit selber, so erleidet letztere liiufb diese Ände- 
rung ^einerlei ächadeo (cir. de oiaLo q. 3. a.i. ad 17.). 

§ 14. Die praemotio physica und die Sttnde des freien Willens. 

101. Eine der schärfsten Angriffswaffen, deren sieb die Gegner 
bedienen, um die praemotio physica aus der Welt -/.a seliatTeu, 
bildet ohne Frage die SUnde des freien WillenH. Wenn Gott den 
Willen der vernünftigen Geschöpfe vorherbewegt und vorherdeter- 
miniert, wie ist derselbe dann frei, und wenn er nicht frei, wie 
kann ihm dann etwas zur Sünde angerechnet werden? Ebenso 
masB Gott selbst, indem er den Willen deriirL bestimmt, dass 
unfehlbar daraus eine Thätigkeit erfolgt, die l'eblerbaft ist. die 
Ursache dieser fehlerhaften Thätigkeit bilden. 

Vorerst oiUssen wir uns über das Wesen der ^iinUe klar 
werden. Die Sünde ist dem heil. Thomas eine Thütigkeit, die von 
ihrer Richtschnur, nach welcher sie ausgeübt wcnien sollte, ab- 
weicht (1. p. q, 63. a. 1.). Jede Thätigkeit voll'/.iebt sich um eines 
Zweckes, eines Zieles willen. Beobachtet sie nicht die gehörige 
Ordnung zu diesem Ziele, so wird sie sündhaft. Die Einordnung 
zum Ziele findet ihren Maßstab in einer Regel «>der Richtschnur. 
In Bezug auf die menschlichen Handlnngcn muas eine zwei- 
fache Richtschnur ins Auge gefasst werden; dii: menscbliebe Ver- 
nunft als nächste, das ewige Gesetz, als höcheti'. ICntfcrnt sieb die 
menschliche Thätigkeit von dieser Regel, so nennen wir sie Sünde 
(1. 2. q. 21. a. 1. — ib. q. 71. a. 6.)-. Die Sünde besteht demnach 
in jener Thätigkeit, die ihr Ziel nicht erreicbl, welches sie er- 
.reichen soll (2. dist. 3ü. q. V. a. ].). Wie es unter den wirksamen 
Uraachen eine Ordnung gibt, indem das BDi);iUerne Agens vum 
Uanptagens abhängt, ebenso muss anch unter duu Finalursachen 
eine Ordnung sein, so dass das- subalterne Ziel vom Hauptdele 
abhängt. Bei den wirksamen- Ursachen geschieht ein Fehler da- 
durch, dass das secundüre Agens ans der Ordnung des Haupt- 
agens heraustritt, wie z. B. der Fuß, weil er krumm oder halb- 



i 



intelügmdi, unserer ÄufiassuQg nach, fi llher »Ib die sckntia ■media, 
denn dieses Wesen, dieses ens, diese Möglicltkeit der freien Acie 
bildet in Gott das Object der Allmacht, aud die AllmAjCht igt 
frUber als die scientta media. Sie kann eomit nicht' ton der 
scientia media abhängen. Die Freiheit ist ohne Zweifel eia em, 
eine große Vollkommenheit, sie untersteht demnach der Allmacht 
öottes, weil jeder actlven Potenz ein possihile als eigenthümlichea 
Object zukommt (1. p, q. 25. a. 3.). Da nun die Potenz in Gott 
unendlich i»t, so muss ihr nebeu allen andern Dingen auch die 
Freiheit der Geschöpfe als possibile correspondiereo. DieHanpt- 
Bcbwierigkeit liegt in dem N^acbweise, dass die Allmacht unserer 
Aul'l'assuug nach früher sei als die scientia media. Ailein wean 
man bedenkt, dass das Object der Allmacht uniTerseller als das 
der scientia media, erstere überdies ein absolutes und nothwea- 
diges Attribut in Gott ist, während letztere zwiBchen dem uBfti- 
wendigen und freien in der Mitte Hegt, so leuchtet ein, dass Ats 
Object der Allmacht früher sein mUsse, als die scientia media. 
_Es liegt darum ganz klar zu Tage, dass Gott ohne die seientia 
'media deu Willen frei bewegen kann, und die praemotio-pht/sioi 
sehr wohl vereinbar ist mit d6f Freiheit. Intrinsece oder absoUtle 
iiiij>ombilia sind diese beiden Sätze: Gott bewegt den Willen 
frei, und: derselbe wird frei bewegt, nicht, sonst könnten sie nicbt 
Gegenstaud seiner Allmacht sein. Oder sollte Gott wirklich etwas 
Posilives, etwas Vollkommenes ^icht zustande bringen, was doch 
der aAnen GAatur gelingt? Hat er es vermocht, dii v%rnQnfiLg«iL 
Geschöpfe al| freie>ins Dasein zu rufen, sie mit der Grundlage 
und Vorbedingung fUr di& Freiheit auszustatten, so dass sie eine 
•fräie'Thätigkeit ansübe^ können, sö'wird es ihm ohne Frag? 
auch ein Leichtes sein, dies^ ersten VcftlfcommeDlJeit eine zweite, 
die freie' Thät'igkeit selbst beizufügen. « 

Zweites Prjncip: Gott bewegt die Geschöpfe voo'seuier 
Seite tVei, gleichwie er sie frei geseh^en hati Auf Grund dieser 
seiner Freiheit bewegt er auclfdie vernünftigen Geschöpfe frei, ' 
sie behalten ihre Fi-eiheit bei. Weil die Bewegung von Seiten 
Gottes eine freie ist, deshalb lässt sie im Willen die Potenz fBr 
das Gegeutheil zurück, das hei£t der entgegengesetzte Act ist 
dem Willen noch im eigentlichen Sinne möglich. Das Mögliche 
bildet das Gorrelat zn der Potenz, dem Vermögen. Die Thätig- 
keit, welche Gott ausDbeu kann, ist in Wahrheit möglich, sonst 
wäre die Potenz in Gott eine Chimäre. Wenn nun Gott den Willeo 
von seiner Seite frei bewegt, so ist dei-selbe zugleich in der Po- 
tenz, besitzt derselbe die Macht, nach Entgegengesetztem zu streben. 
Frei handelt nur jenes Wesen, welches eiue Potenz fUr das Gegen- 
tbeil hat. Der entgegengesetzte Act ist somit in Wahrheit noch 
möglich. Wenn aber dies, dann lässt die Beilegung durch Gott 
im Willen die Potenz iüv das Gegentheü zurück. Daraus fol^ 



evident, dass Gott, welcher von seiner Seite frei bewegt, diese 
Freiheit auch in ,der Creatnr wahr«, wenigstens wahren liünne. 
Daram.ist die praemotio phyaica mit der Freiheit durchaus ver- 
einbar. ■ ■ 

DritteB Princip: IKe freie ThätFgkeit wird gewahrt, wenn 
die Potenz. fUr. däs-Gegentheil noch vorhsndeQ ist Dies. aber trifft 
bei der praemotio physka -zu. Es ist- ganz dia gleiche äehwierig- 
' keit, dflsa bei der .prflemttio physica die Potenz fUr das Gegen- 
theil bleibe, und dass diese Potenz bleibe, wenn d.i e T li ä t i g Ic e i t' 
de fade ansgellbt wird. Darnm haben wir IrUher. getitigt, dass 
jede DeteroiinicruDg, von welcher Seite immer sie ausgeht, die 
Freiheit aufhebe, wenn die Tbätfglceif mit absoluter Noth-, 
wendigkeit ans .dieser Determinieiung folgt. Die Poteu? fliv 
<laS' Gegentbeil bleibt jedoch hier vollkouimeq iutact, weil bezüg- 
lich der positiven Dinge. nur die oontriir entgegengeaetzten nicht 
zugleich sein kßnnen. Hier handelt es sich aber um zwei conträr 
Positive. Zwei Positive kSniien nicht eontradictorisch oder privativ, . 
Sündern nur conträr entgegenstehen. Nnii müssen' zwei conträr 
entgegengesetzte Extreme derselben Gattung augehßreu, in eodem 
gmere sein. Die wirkliche Ausübung unserer Thätigkeit aber uud 
die Potenz für den entgegengesetzten Act sind nitht m eodem 
genere. .Die Thätigkeit ist wirklich, die Potenz für den andern 
Act nur möglich. .Folglich stehen sie nicht un coaträren Crcgeu- 
satz, iind' können somit zugleich sein- Wenn demnach durch die 
Thätigkeit selbst die Potenz nicht, aufgehoben wird, so wird dies 
durch die praemotio zn dieser Thätigkeit auch nicht geschehen. 
Die Freiheit bleibt sühin. voükommen aufrecht bestellen, weil der 
Wille eine Thätigkeit vollziehend die Potenz für eine andere 
■beibehält.' 

Viertes Prinoip: Wie sehr auch der Wille vorherbewegt 
wird, ^r kann sich' zu seiner Thätigkeit als dem erkannten Ob- 
jecte neigen oder nicht neigen.' Folglieh müss er diesen Act, seine 
Thätigkeit frei wollen. Man erinnere sich an das,' was wir frilher 
Über die Abhängigkeit des- Willens vom Verstände gesagt haben. 
Der Wille neigt sich zu dem. erkannten und vorgestellten Objecte 
H9, wie dasselbe ihm vorgestellt wird. Wird ihm eines suh in- 
differentia Vorgestellt, so neigt er sich zu demselben frei. Nun 
kann der Verstand- niemals die WiUeaslhätigkeit als ein allge- 
meines Gut d. h. ohne Indifferenz vorstellen, denn sie ist etwas 
P ar t i c u 1 är e s. Das Particuläre kann zwar, muss aber nicht 
begehrt werden. Der Verstand kann es somit nur sui indifferentia 
vorstellen, f'olglich kann aueh xier Wille duf- sub indifferentia 
d. h. frei sich au seiner Thätigkeit als einem vorgestellten Ob- 
jecte neigen. 

Ans alledem geht hervoi', dass die praemotio physica den 
Willen gar nicht mit Kothwendigkeit zu ein^r Thätigkeit he- 



— 222 — 

stimmen kann. Gott müsste zum Zwecke ^er nothwendigen 
Bewegung zuerst den Verstand betrügen. Da det Wille über- 
haupt nur dann in Thätigkeit übergehen kann, wenn der Verstand 
ihm ein Objeet vorstellt, so müsste Gott den Verstand derart 
bewegen, dass er -die Willensthätigkeit als etwas allgemeines, als 
bonum universal^ erkenne und vorstelle, oder wenigstens als ein- 
ziges Mittel zu diesem allgemeinen Gut. Das erstere ist einfach 
unmöglich, hier. wie in der andern Wölt, das letztere unmöglich 
•für uns hier auf Erden. Solange der Verstand diQ Willensthätig- 
keit als ein particuläres Gut, und noch dazu als nicht noth- 
wendiges Mittel zum Guten und zu der Glückseligkeit im all- 
. gemeinen vorstellt, solange wird die praemotio physica nie die 
Willensthätigkeit nothwendig, sondern stets frei verursachen. 
Gott bewegt den Willen zwar unabänderlich ftmmutabUiter), 
wegen der Wirksamkeit der bewegenden Kraft, die kein Hindernis 
kennt, allein in Anbetracht der Natur des bewegten Willens, die 
vielen gegenüber sich indifferent verhält, ist keine Noth- 
wendigkeit, sondern volle Freiheit in ihm (de malo 
q. 6. a. .1. ad- 3.) 

Gott ändert nichts im WilleU; weder dessen Natur, noch den 
modus dieser Natur, er entfernt durch seinen Einfluss bloß eine 
seiner Unvollkommenheiten, die reine Potentialität, indem er 
macht, dass diese Potentialität verwirklicht wird, Aktualität erhält, 
gleichwie er der Wesenheit der Geschöpfe die Actualität, die 
Jfixistenz oder das Dasein verleiht. Wie aber diese Existenz durch 
diesen Einfluss Gottes nicht eine noth wendige wird, sondern 
eine contingente bleibt, ebenso wird auch die Thätigkeit des 
Willens durch die praemotio physica nicht eine nothwendige, 
sondern sie bleibt eine contingente. Nothwendig und contiDg;ent 
gehören dem Seienden an, sind Eigenschaften des ens. Da nun 
Gott durch die praemotio physica die Thätigkeit des Willens her- 
vorbringt, insofern diese ein ens ist, so hängt es nur von ihm ab, 
ob der modus dieses ens ein nothwendiger oder contingenter werde. 
Die wirksame Ursache bringt nicht nur öinen Effect hervor, 
welcher als ens ihr ähnlich ist, sondern auch den modus dieses 
Effectes. Gottes Wille aber erweist sich am allerwirksamsten. 
Darum wird nicht bloß alles das, was ec will, sondern es wird 
auch auf jene Art und Weise, wie Gott es will. Er will, 
dass manche Dinge nothwendig, manche dagegen contingent seien, 
damit unter den Geschöpfen Ordnung herrsche und das Universnm 
in seiner Vollendung dastehe (1. p. q. 19. a. 8.). Es. hängt dem- 
ilach nicht vom Willen ab, dass seine Thätigkeit nothwendig oder 
in contingenter Weise erfolge, sondern von Gott, der will, dass 
manche Ursache nothwendig, manche contingenter thätig seien. 
Um zu beweisen, dass die praemotio physica der Freiheit schade, 
müsste vorerst dargetban werden, Gott wolle die freie Thätigkeit 



aufheben und er habe zn diesem Zwecke den Willeu der Gescböpfe 
als DOthwendige Ursache ins Leben, gernt'ett. Allein dichter 
Beweis wird nie gelingen. Wegen der Ordnung; und Volleiidnng 
des Universums will er gerade, dass der Wille der Creatoren 
eine freie LJi'sache sei, und daa^ ans dieser freien Ursache 
freie- Tbätigkeiten entstehen. Ebenso mUsste bewiesen werden, 
dass Gott durcli die praemolio und praedetermhiatio physica die 
Natur des Verstandes und Willens der vernilnftigen Geschöpfe 
Hudere. Der Versucli, dieses zu beweisen, wird aber misslingen 
(1.2, q. 10, a. 4.). Das einzige, was von 6ott gelindert wird, ist 
der passive, untliütige Zustand, in welchem die Creatur aus und 
dorcb «ich selber ist. Da aber dieser Zustand nicht gleichbedentead 
ist mit der Freiheit selber, so erleidet letztere durch diese Ände- 
rung ^einerlei IScbaden (cfr. de malo q. 6. a. I. ad 17.). 

§ 14. Die praetnotio physica und die Sttade des freien Willens.- 

101. Eine der schärfsten AngriffswafFen, deren sich die Geguer 
bedienen, um die praemotio physica aus der Welt ku schaffen, 
bildet ohne Frage die Sünde des freien Willens. Wenn Gutt den 
Willen der vernünftigen fieschöpfe vorherbewegt und vorherdeter- 
miniert, wie ist derselbe dann frei, und wenn er nicht frei, wie 
kann ihm dann etwas zur Sünde angereehuet werden? Ebenso 
muss Gott selbst, indem er den Willeu derart bestimmt, dass 
unfehlbar daraus eine Tbätigkeit erfolgt, die fehlerhaft ist, die 
Ursache dieser fehlerhaften Tbätigkeit bilden. 

Vorerst mllssen wir uns über das Wesen der äUude klar 
werden. Die Sitnde ist dem heil. Thomas eine Tbätigkeit, die von 
ihrer Richtschnur, nach welcher sie ausgeübt werden sollte, ab- 
weicht (1. p.q. 63. a. 1.). Jede Tbätigkeit Voläzieht sich um eines 
Zweckes, eines Zieles willen. Beobachtet sie nicht die gehörige 
Ordnung zu diesem Ziele, so wird sie sündhaft. Die Hiuordnnng 
7.Qm Ziele findet ihren Maßstab in einer Regel oder Richtschnur.. 
In Bezug auf die menschlichen Handlungen muss eine i^wei- 
fache Richtschnur ins Auge gefasst werden: die menschliche V-er-^ 
QDDft als nächste, das ewige Gesetz als höchste. Entfernt sieb die 
meusehlicbe Tbätigkeit von dieser Regel, so nennen wir sie Sünde 
(1. 2. q, 21, a. 1. — ib. q.Tl. a. &.)x Die Sünde besteht demuaeh 
in jener Tbätigkeit, die ihr Ziel nicht erreicht, welches sie er- 
reichen soll (2. dist. 30. q. i: a. 1.). Wie es unter den wirksamen 
Ursachen eine Ordnung gibt, indem das subalterne Agens vom 
Hauptagens abhängt, ebenso muss auch unter den Finalursachen 
eine Ordnung sein, so dass da» subalterne Ziel vom Hauptziele 
abhängt. Bei den wirksamen- Ursachen geschieht ein Fehler da- 
. durch, dass das seeundäre Agens ans der Ordnung des Haupt- 
agerts heraustritt, wie z. B. der FuQ, weil er krumm oder halb- 






— 228 — 

was an irgend einem Gut IVfangel hat. Sündhaft dagegen heifit 
jene Thätigkeit, die um. irgend eines Zwecke» oder Zieles willen 
vollzogen wird, und sit^h zu diesem Ziele in unrichtiger. Ordnung 
befindet. Die richtige Ordnung zum ^ijele hat* ihren Mafistab in 
einer Kegel In den Naturdingen wird die Regel von der Kraft 
der Natur selber gebildet, die zu diesem Ziele neigt. Geht die 
Thätigkeit dieser Wes^n von der natürlichen Kraft aus, ent- 
sprechend der natürlichen Neigung zum Ziele, so ist sie richtig 
geregelt, denn sie weicht von der Hinordnung zum Ziele 
durch das active* Princip nicht ab. So ofl hingegen irgend ein 
Act von dieser Richtschnur sich entfernt, wird er böse oder fehler- 
haft. Entspricht die Thätigkeit, welche von den vernünftigen Ge- 
schöpfen ausgeübt wird, in ihrer Ordnung zum Ziele de^ richtigen 
Vernunft und dem ewigen Gesetze, so ist sie geregelt und aus 
diesem Grunde gut. Weicht sie von dieser Richtschnur ab, dann 
müssen wir sie böse, sündhaft nennen. Unter dem Ziele ist in 
unserer Frage selbstverständlifch das letzte oder Endziel zu ver- 
stehen (1. 2. q. 21. a. 1. c. und ad 2.). Cfr. 2. 2." q. 162. a. 1. — ib. 
q. 168. a. 4.-— 1. dist. 48. q. 1.. a. 3.' 

Nicht bloß in den wirksamen Ursachen gibt es eine Ordnung; 
indem die secundäre vom Hauptagens abhängig ist, sondern diese 
Ordnung greift, auch bei den Finalursachen platz. Das secundäre 
Ziel muss unter der Ordnung des Hauptzieles stehen. Ist ea diesem 
nicht untergeordnet, so wird jedesmal eine Sünde erfolgen (3. contr. 
Gent. .c. 109.). Die Sünde ist somit nichts anderi? als eine un- 
geordnete Thätigkeit, indem etwas nicht so geschieht, wie es 
geschehen . soll (de veritate q. 24. *a. 7.). 

Die Moratität hängt femer ab von' der Freiheit. Es muss an 
uns liegen, diese Th$ltigkeit. zu setzen oder zu unteriassen. Kar 
auf diese Weise verdienen wir Lob oder Tadel (L c. q. 25. a. 5.). 
Daher werden wir untersuchen müssen, ob die praemotio physica 
die Freiheit des sündhaften Actes nicht aufhebt. 

104, Wie verhält sich nun Gett zu dem sündhaften Acte des 
Willens? Ist er die Ursache der Sünde, weil er den Willen vi 
diesem Acte vorherbewegt? 

Jemand kann auf doppelte Weise Ursache der Sünde eines 
andern sein, entweder direct, indem er den \P^illen des andern 
zur Sünde neigt^ oder indirect, weil er den andern von d^r Sünde 
nicht zurückhält. 

Erste P.roposition: Gott ist nicht direct Ursache der Sünde 
des Geschöpfes. . * 

Jede Sünde besteht im Abweichen *von der Hinordnung za 
Gott als dem Endziele/ Gott aber, neigt und wendet alles Ge- 
schaflfene zu sich als dem Endziele. Darum kann er unmQglicb 
die Ursache sein, daas der Wille von dieser EEinordnUng zu Gott 
abweicht (1. 2. q. 79. a. 1. — ib. q. 80. a. 1.). .Ein jedes Agens 









— 225 — 

welche dem Willea als Natur eigen ist, hat die Thiltigkeit als 
ens oder Act in der phyalecbeu Ordnang zu ihrem Objecte. Die 
andere Neigung, die ihm als Wahlfreibeit zukommt und durch 
welche er das von der Vemunftentscheidiing, der sogenannten 
Sentenz, vorgestellte Object auswählt, zielt auf das $ns in der , 
moralischen Ordnung ab: Per Gegenstand dieser Neigung ist das 
6ut, das vollzogen oder gethan wird. In ersterer Neigung liegt 
kein Defect, nichts Sündhaftes, Wohl aber in letzterer. Gleicliwie 
der Verstand in Bezug auf die ersten Principiea nicht irrt, weil 
Erkenntnis und Neigung zu diesen Principien ihm auf natUrliche 
Weise zukommen, ebenso fehlt der Wille dadnrcb, dass er sich 
zum Gnt jm allgemeinen neigt, durchaus nicht. Die Vernunft fehlt 
dadurch, dass sie atis den Principien Folgerungen ableitet, die 
in ihnen nieht enthalten sind, oder dadurch, dass sie manches 
unrichtig zu den Principien hinordnet. Auf ähnlicbe Weise kommt 
- bei der freien Willensthätigkeit ein Defect zustande. Wählt der 
WiUe äinparticuläres Gut, das in sich nieht ein wahres, sondern 
ein Scheingut ist, oder bezieht er ein wirkliches Gut nicht richtig 
auf das Endziel, so ist die Sttnde unausbleiblich. Der WiUe be- 
geht nach S. Thomas .anf zweifache Weise eine TodsUnde, einmal 
dadurch, dass er ein Böses wählt, z. B. den Ehebruch, der iu sich 
|j{)se ist.. Dieser verkehrten Wahl geht ein Irrthum von Seiten der 
Vernunft voraus, denn sonst könnte das Böse nicht als. ein Gut 
gewählt' werden. Oder er wählt etwas, was an sich ein Gut ist, 
aber es, wird dabei die Ordnung nach der Vorschrift der Regel 
außer Acht gelaesed (1. p. q. 63. a. 1. ad 4.). 

102.. Aus all dem geht klar hervor, dass die SUnde ein Zweifaches 
bedeute : einen ßCangel, eine' privatio boni, oder eine Unordnung 
nnd Abkehr' vom Endziel; und die Thätigkeit oder deh Act mit 
dieser. prJutdM), in wejeher eigentlich ■ das Böse seinen formellen 
(ürond hat, gleichwie z. B. der Mensch da9 >3ubject bedeutet, 
welches die menschliche Natuf bat, und Überdies die kutnanitas 
als dasjenige, wodurch dieses Sabjeet foitoell Mensch ist, 
■ Der Act, welcher das Subject dieser Unordnung ist, muss . 
. abermals in doppelter Weise betrachtet werden: als äubject und 
ZQgleioh als. Ursache, und als Subject allein. Der Acrt bildet die 
Ursache dieser Deformität, insofern er auf ein vergäugltcbes Gut 
gerichtet ist, woraus die Abkehr von Gott folgt. Die Affinpation 
bildet immer die Ursache der Negation. Das Feuer .bteabsichtigt 
seine Forin mitzntheilen, woraus im Gegenstande die privatio der 
Kälte folgt. Allein das Feuer ist diesbezüglich nur Ursache dieser.. 
privatio per accidens, denn keine Ursache intendiert ein Übel zn 
^rken. In derselben Wei^e. hat die SUnde, insofern -sie Sünde 
Ul, iti ordine morali, eine defecte Ursache per accidens. Indessen- 
■nnsg jede Ursache per accidena- zurüAkgefUhrt .werden auf eine ■ 
solche per S6, Die Ursaebe per se des untergeordneten Actes bildet 

"Feiatfer, WUleiufiellielt, 16 



— 214 — 



•. 



die Ursache ist, dass das Messer einschneidei;. Jede untergeordnete 
Natur gelangt aber nur dadurch zu einer Thätigkeit, dass sie be-» 
wegj wird. Daraus- folgt mit absoluter Nbthwendigkeit, dass Gott 
die Ursache der Thätigkeit der*Naturdinge ist, indem er 
die Kraft bewegt und zu der Thätigkeit appliciert" (de potentia 
q. 3. a. 7.). 

Stellen wir diese Ijehre des beil. Thomas der oben genannten 
Behauptung über d i e absolute Nothwendigkeit gegentiber, 
und die volle Unrichtigkeit .der letztern .ergibt siph von selbst. Was 
in obiger Behauptung, actiis secundus ist, das ist in der Doctrin des 

' englischen Meisters die actire Kra£t. Die potentia activa bildet 
nach S. Thomas das principium agendi (1. p. q. 25. a. 1.). Dem 
gemäß mtisste/ sobald ein Ding die actiye Kraft besitzt, mit 
absoluter Nothwen'digkeit die Thätigkeit folgen. Was lehrt 
aber S. Thomas in Wahrheit? Diese Kraft genügt nach ihm nicht, 
dass ein Ding ohneweiters und durch' sich selbst in Thätigkeit 
6ei,« sie puss ei*st von Gott zu dieser, Thätigkeit appliciert 
.werden. Von eiifer absoluten Notbw^endigkeit, mit welcher 
die Th^^tigkeit aus flem actm secundus hervorgehen soll, ist somit * 
bei dem heil. Thomas an und für sich gar keine Bede. Die Sache 
ist aber auch in sich unrichtig, denn ein accidens per acciden» 
geht nie, wie das accidens proprium mit absoluter. IJothwen- 
digkeit aus der Ursache hervor. 

' 96. Der heil. Thomas spricht indessen wirklich sehr oft von einer 
Nothwendigkeit, mit welcher die Naturdinge ihre Thätigkeit voll- 
ziehen. Woher kommt nun diese Nothwendigkeit, denn eine solche 
ist wirklich vorhanden? Sie stammt zunächst von Gott, der ersten 
Ursache, die in ihrer Weisheit es also geordnet, dass manche Ge- 
schöpfe, von ihr bewegt* und zur Thätigkeit bestimmt, nur diese 
und keine andere Thätigkeit ausüben können. Die Natnrdinge 
bestimmen nicht^sich selber zur Thätigkeit, sondern sie werden 
ausschließlich nur von Gott dazu bestimmt. Damm hat Gott auch 

..ihre Natur so eingerichtet, dass sie, von Gott bewegt, eine 
Thätigkeit mitNothwendigkeit entfalten, indem sie sich zn 
ihrer Thätigkeit nichtselber bestimmen. Der nächste, unmittel- 
bare Grund dieser Nothwendigkeit liegt allerdings in der 
Natur und Beschaffenheit der Naturdinge, allein sie haben die- 
selbe eben nicht aus sich selber, sondern vom Schöpfer der 
Natur. . Ihre Natur ist genau dieser Thätigkeit angepasst Ud4 
weil Gott jedes Ding seiner Natur entsprechend bewegt, dashalb 
muss die Thätigkeit dieser Creaturen mit Nothwendigkeit erfolgen. 
Die Applicierung der activen Kraft durch Gott erfolgt demnach 
der Weise, dass diese Geschöpfe die Potenz für das Nicht- 



in 



thätigsein, und die Potenz, mit dieser ihrer Thätigkeit ein anderes 
als das gerade vorgestellte Object anzustreben, verlieren. Vom 
Verlieren kann man jedoch eigentlich nicht sprechen, denn sie 



-,215 - 

habeu, wenn sIq in acht sind^ von Natur ans nicht die Potenz 
für das Kichtthätigsein, oder hr einen andern Gegenstand als 
den bestimmten. Die erste Ursache dieser Nothwendigkeit haben 
wir in Gott zu suchen, der vorbildliche und wirkende Ursache, 
für alles ist, sowohl hinsichtlich des Seins, als auch der Thätig- 
keit. Die nächste unmittelbare Ursache dieser Nothwendigkeit 
liegt darin, dass si^ an einen Stoff gebunden und in ihrer Thätig- 
keit ganz davon abhängig sind. Sie besitzen infolge dessen weder 
die Herrschaft über ihre Thätigkeit, noch stehen sie höher als 
ihr Object. 

Diese Nothwendigkeit hindert jedoch nicht, dass die Thätig- 
keit der Naturdinge eine conti ngente sei. Die Erde bringt nicht 

*anf nothwendi^e, sondern auf contingente Weise Pflanzen und Früchte 
hervor. Würde die Thätigkeit selbst mit absoluter Noth- 
wendigkeit aus dör activen Potenz folgeU; so wäre nicht ein- 
zusehen, warum Gott diese active Kraft noch eigens zu der 
Tfcätigkeit ap.p linieren müsste. Wir könnten in die'sem' Falle 
die Sentenz des Durai^dus unterschreiben, dass Gott den Geschöpfen 
einzig jind allein nur die activen Kräfte gibt und erhält, ohne 
nnmitelbar bei der Thätigkeit selbst mitzuwirken. In Wahrheit 
verhält es sich anders. Die Naturdinge sind bestimmt in Bezug 
auf die Art der Thätigkeit, nicht aber hinsichtlich des einzelnen 
Actes (quoad speciem actus, non quoad individuum), Sie fuhren 
ja mehrere individuell oder numerisch verschiedene Thätig- 

- keiten- aus. Die .operativen Kräfte wurden ihnen. nicht bloß zu 
einem einzigen Acte verliehen, sonst wären sie nach Ausübung 
dieses Actes vollkommen überflüssig. Diese eine individuelle 
Thätigkeit lässt sich ja nicht wiederholen. Es muss folglich zuge- 
geben werden, dass jedes geschaffene Agens, wie sehr es auch 
durch die active Kraft sich in oc^w befindet, nichtsdestoweniger 
der praemotio physica, oder des simultanen Concurses im Sinne des 
heil. Thomas bedarf. Auf jeden Fall bleibt es nicht deter- 
miniert für die individuellen Acte. Wenngleich es also hin- 
reichend für den erstein Act determiiyert ist, so ist es doch da- 
durch undeterminiert für deü zweiten und den folgenden. Währedti 
*e8 deir ersten vollzieht, ist es hinsichtlich des zweiten in der 
Potenz, denn < zwei zugleich kann das Gesohö^f nicht aus- 
üben. Somit muss es zu dem zweiten erst determiniert werden. 
Wir werden also sagen müssen, dass die Thätigkeit zwar 
infallibiliter, nicht aber mit absoluter Nothwendigkeit 
aus der activen Potenz hervorgehe. Der Hauptuntetschied zwischen 
freien und nichtfreien Thätigkeit^ kann demnach .keineswegs in 
dieser absoluten Nothwend-igkeit gesucht werden, sondern 
darin, ob die .Creaturen sich zu diesen ihren Thätigkeiten deter- 
minieren, oder ob die ganze Determinierung einzigund allein 
von Gatt kommt. Determinieren sich die Creaturen ebenfalls. 



• 

allen Geschöpfen mit, soviel sie dafür empfänglich sind. Kommt 
bei dieser Antheilnahme an seiner Güte ein Defect vor, so ist es 
ein Zeichen, dass die Creatur dieser Antheilnahme irgend ein 
Hindernis gesetzt hat ((Jemalo q. 3, a. 1. ad 8.). Die Bewegung 
des ersten Bewegers wii^d nicht gleichmäßig von allen Beweg- 
lichen anfgenommen, sondern entsprechend der Art und 
Weise eines jeden Geschöpfes. Ist das -Geschöpf in der ge- 
hörigen Disposition flir diese Aufnahme, so erfolgt eine 
vollkommene Thätigkeit, wie der erste Beweger sie intendierte. 
Fehlt diese Disposition und Fähigkeit, so wird die Thätigkeit 
'mangelhaft ausfallen. Das Positive in dieser Thätigkeit hat den 
ersten Beweger zu seiner Ursache, das Mangelhafte hingegea 
stammt vom subalternen Agens, welclies von der Ordnung 
des ersten abfällt (ib. a. 2.). Daraus folgt, dass Gott in keiner 
Weise Ursache der Sünde genannt werden könne (1.2. q. 79. a. 2.). 
105. Im Acte der Sünde muss demnach ein Dreifaches im 
Auge behalten werden : Die Thätigkeit, wirksam aufgefasst ; femer 
specificiert und formell in ordine morali genommen ; endlich die 
Unordnung oder der Mangel der richtigen Regelung in ordine 
morali. Bei der Unmäßigkeit z. B. haben wir zunächst das actuelle 
Begehren nach Speise und Trank, oder mit andern Worten die 
äußere Thätigkeit selbst. Dieser Act, efficienter aufgefasst, ist an 
und für sich nicht in der Gattung der Moralität, denn er kann 
gut oder böse, ein Act der Tugend oder Sünde sein, er ist ein- 
fach ein Naturtrieb. Die Bestimmung durch den Willen, durch die 
Wahlfreiheit specificiert diesen Act dahin, dass er böse, unge- 
ordnet, gegen die Vorschrift der Vernunft, und darum fehlerhaft 
wird. Es ist nicht das Verlangen überhaupt nach dem Gegen- 
stande, sondern der unmäßige, ungezähmte Wupsch. Moralisch 
wird er somit durch das formell wirksame Princip, den Willen, 
sündhaft hingegen dadurch, dass er im Widerspruche steht mit dem 
formell dirigierenden Principe, mit der Vernunft, Diese Unordnung 
oder privatio rectitudinis ist daher das Dritte, was hier in Betracht 
kommt. Der Act selbst bildet Subjeet und Ursache dieser Unord- 
nung, inwieweit die privatio eine Ursache hat, nämlich, wie früher 
gesagt wurde, per accidens und deficienter. Indepn der Wille als 
actuelles Princip diese Thätigkeit ausübt, kehrt er sich vom 
höchsten Gute und Endziele ab, und darin liegt der Defect, die 
Unordnung. Diese Abkehr wird nicht direct, sondern per accidens 
intendiert. Der Mensch, welcher sündigt, will diesen Defect nicht 
per sey dennoch ist derselbe gewollt, weil der Mensch mehr liebt 
diesen Defect in sich zu haben, als von der Thätigkeit ganz und 
gar abzustehen. Gott will diesen Defect, welcher in der Sünde 
liegt, auf keine Weise. Dieser erfolgt vielmehr daraus, dass die 
Wahlfreiheit des Menschen von der Ordnung des göttlichen Willens 
abweicht (de malo q. 3. a. 2. ad 1 .). Das formelle und specificative 



— 233 ■ — 

Prmcip der sUndLaften Thätigkeit bildet somH der Wille, insofei-u 
er sich Vom Endziel abkehrt (2, dist. 3S. q. 1. a. 5. sed contr.). 
Das materielle Prinoip wird von der Hinaeigang zdui rergäug- 
liehen Qut gebildet. Dieser Stoff, dieses stoffliche Pi-incip empfUngt 
die Abkehr aia Form, lq der Weise, wie das Formelle vom Stoff- 
lichen anfgenommen wird. Darum ist .der Act der Sliude in der 
moralischen Ordiiung ein Seiendes in der Potenz, denn 
er befindet sich als menschlicher Act in der Potenz znr 
Ordnung der richtigen Yernuaft and zu der Binordonng zürn End- 
ziele. Das erste Thätigkeitsprincip aber ist , das Ziel, das ßnis, 
das zweite das Agens, dag dritte die Ffirm, welche in einem l^toffe 
hervorgebracht wird. 

Damm bemerkt der heil. Thomas, die Thätigkeit, welche 
einen Defect hat, deform ist, werde gut genannt, weil sie phy- 
sisch, als actio, natürliche Gute besitzt. Dieser Defect lässt sich 
allerdings von der Thätigkeit nicht trennen, allein jene Güte der 
Natur bildet nur das Subject der Deformität. G^tt verursacht 
die Thätigkeit, insofern sie Thätigkeit, nicht aber, insofern sie 
deform ist. Er trennt zwar die Thätigkeit von ihrem Defecte 
nicht, aber er' wirkt sie auch nicht, sondern er verursacht bloß 
dasjenige, was sie als Thätigkeit ist. Es kann sehr gut vorkom- 
men, dass in einem Effecte mehrere Dinge untrennbar verbunden 
sind. Wer Ursache .des einen ist, mnss deshalb nicht auch Ursache 
aller andern sein (2. dist. 37. q. 2. a. 2. ad 5.). 

Gott ist , in der That in dreifacher Weise Ursache: als wir- 
kend, als vorbildend und als Endziel. Als wirksame Ursache ver- 
leiht er das. Sein, als vorbildliche die Art, als Endziel die Güte. 
Das Sein besitzt keinerlei Gute, wenn es nicht zum Endziele hin- 
geordnet ist, von dem alle Gute stammt. Ebenso befindet sich das 
Sein anf Grund des Vorbildes, der Idee in einer bestimmten Art. 
Diese Idee im göttlichen Verstände bewirkt daher das specifische 
Sein der Creatoren. Sie ist sozusagen die Art in Gott. Die Mora- 
lität, welche in der Hinordnung der Thätigkeit zum Endziele be- 
steht, ist das Kunstwerk bezüglich der Substanz, des phydischen 
Seins der Thätigkeit. Der Act befindet sich in einer zweifachen 
Art: in jener der Natur und in jener der Mpralität Von Natur 
ist er eine vitale Thätigkeit, von der Moralität aus liiogegeu 
ist er geordnet oder nngeordnet, gut oder böse. Wenn der Künstler 
nach den Gesetzen der Kunst ein Werk schafft, so besitzt 
dieses eine doppelte Güte, in esse naturae und in esse artis. Lässt 
er sich nicht von den Gesetzen der Kunst dirigieren, so wird es 
nnr die erstere beibehalten, als Kunstwerk aber fehlerhaft sein. 
Die Kunst ist nicht Ursache des Fehlers, ebensowenig der Künstler, 
weicher kunstgerecht vorgeht, wohl aber der KUnstler, welcher 
Ton den Gesetzen der Kunst abweicht. 

106. Gott kann von diesen Gesetzen der Kunst nicht ab- 



— 234 — 

t 

* 

weichen, denn dasjenige, wodurch das Agens zuerst bewegt 
wird, ist das Endziel, und dieses ist in Gott er selber. Ebenso 
unterscheidet sich in. Gott die praktische Idee, durch welche er 
thätig ist, nicht sachlich vom Agens und Endziele. Ein und das- 
selbe Princip der Thätigkeit ist zugleich finis, agens und idea. 
Da nun das Endziel identisch mit seiner Güte, so kann er 
unmöglich etwas anderes als ein Gut wollen. Das universelle 
Agens wird vom universellen Endziel zur Thätigkeit bewegt. 
Zu diesem universellen Endziele, der eigenen Güte, hat er eine 
uothwendige Beziehung.. Daher kann er niemals die Sünde 
als solche verursachen. Die SUnde als solche lässt sich nicht 
dem Endziele Gottes unterordnen, hat zu demselben keinerlei Be- 
ziehung. Das Geschöpf hingegen kann fehlen, denn es ist ein 
particuläres Agens, das mit particulären Gütern sich befasst, zu 
denen es keine uothwendige Beziehung hat. 

Den Act der Sünde hingegen kann Gott verursachen, weil 
dieser ein Gut ist. Die Sünde ist nicht. eine negcUio, sondern eine 
privatio. Jede privatio hat ein Seiendes, ein ens zu ihrem Sub- 
jecte. Dieses Subject, ein ens per partidpcUionem, ist zugleich ein 
bonwn per partidpationem, denn ens et bonum convertuntur. Die 
Sünde als solche hingegen ist nicht ein honum per partidpationen^, 
denn das vergängliche Gut,, welches der Sünder begehrt, bildet 
selber dessen Endziel, steht somit im Gegensatz^ nicht in Unterord- 
nung zu Gott, dem eigentlichen Bndziele. Die Wirkung, die Thätig- 
keit des Willens, welche in Unterordnung unter die erste Ursache 
ausgeübt wird, muss demnach auf die erste Ursache zurück- 
geführt werden. Überschreitet der Wille die Ordnung der ersten 
Ursache, so hat dieser Fehler nicht Gott zur Ursache (1.2. q. 79. 
a. 1. ad 3.). 

Die Wahrheit dieser Lehre lässt sich noch von einer andern 
Seite ans beleuchten. Es wurde früher nachgewiesen, dass jedes 
Agens einem andern sein Wirklichsein, seine Ähnlichkeit und Ottte 
mitzutheilen bestrebt ist. Darin liegt das Wesen der Thätigkeit. 
Ebenso wurde gezeigt, dass das Agens, um eine Thätigkeit aus- 
zuüben in actu sein müsse. In der Sünde haben wir nun zwei 
Dinge: ein ^9 in actu, den Act in der physischen Ordnung, und 
ein ens in potentia, den Act in ordine morali. Der Act als Defect 
ist bezüglich der moralischen Ordnung in der Potenz. Das en^ 
in der Potenz als solches untersteht nicht der Causalität Darum 
bemerkt S. Thomas, der erste Stoff, die materia prima als solche 
sei nicht geschaffen, sondern bloß mit geschaffen, insofern sie 
nämlich, von einer Form actuiert, Wirklichkeit hat. Insofern also 
die Sünde als Act ein physisches Sein hat, untersteht sie der 
Causalität Gottes, denn sie ist ein ens in actu. Als Sünde in der 
moralischen Ordnung hingegen, ist sie ein ens in potentia. Daher 
kann Gott nicht die Ursache derselben sein. In diesem Sinne 



— 235 — 

antwortet Albert der GroJ3e auf eine Schwierigkeit, in der früher 
von ons citierten Stelle. Der Stuff, sagt er daseibat, kann auf 
doppelte Weise betrachtet werden, ßrstens insofern er existiert, 
und in dieser Weise ist er t» a<du. Zweitens ohne irgend eine 
Form, nnd in diesem Sinne ist er in der Potenz. Ebenso iet 
der Act als Snbject des Defectes, der privtüio, ein ens artu, und 
in Bezug auf dieses Sein, bat er Gott za seiner Ursache. Be- 
trachtet man hingegen den Act formell als Sünde (sub prlvatione), 
so ist er ein ens in der Potenz, und darum nicht von Gott vcr- 
arsacht. Daraas ergibt sich der Untersobted der gtittlichen Cau- 
salität bei den moralisch guten und moralisch bösen Acten. Die 
moralisch guten haben eine doppelte Vollkommenheit: die Sub- 
stanz des Actes und die moralische Form: beides wirkt Gott. 
Bei den bösen findet sich blo£ eine, denn die moralische Form 
geht ihnen ab (Alb. Hagu. in. 2. diBt.35. a. 7. pag. 323.). Albert 
der Große beruft sich dabei auf folgende Stelle des heil. Anaelm 
(lib. de praescicnt. et libero arbitr. c. 10.): „Omnis qualitas ei omnis 
actio et quidquid habet essentiam, a Deo est, a quo est omnis justitia 
et ntdla injustUia. Fatnt igitur OTTtnia quae justa vel injusia voliin- 
tate ßunt, id est bona opera et mala. In bonis quidem facit quod 
sunt et quod bona sunt; in malis vero facit quod sunt, sed non quod 
mala sunt." Daraus folgt mit evidenter Gewissheit, dass die sünd- 
haften Handlungen, hinsichtlich dessen, was sie Positives be- 
sitzen, gnt sind und von Gott verorsacbt werden (de veritate q. 3. 
a. 4. ad 5). _ 

Gott intendiert also bei der praemotio physica sich aelber 
als Endziel in ordine physieo und in ordine morali. Die Creatur 
soll sich diesem Endziele in dieser doppelten Richtung confoimiereu. 
Bei der guten Handlung wirkt der Wille des GeBcIiQpfes that- 
sächlich mit Gott in dieser zweifachen Beziehung. Bei deu sllnd- 
baften dagegen nur in der einen, in esse pkysico, während er in 
esse morali das vergängliche Gut zu seinepi Endziele wählt. Dieses 
Ebdziel aber ist dem schlechthin ersten nicht untergeordnet uud 
es bestimmt das Agens nicht in der Kraft des ersten Agens. 
Folglich wendet sich der Wille, dieses verfolgend nnd begehreud, 
vom eigentlichen Endziele ab, und tritt dadurch aus der Ord- 
nung Gottes heraus. Darum kann der-Fehler nicht Gott zu - 
geschriebcQ werden, denn das Geschöpf handelt dabei nicht in 
der Kraft Gottes,' sondern in der eigenen Schwäche. 

107. Gott kann somit nnr von demjenigen Ui-sache oder ci-stes 
Princip sein, von dem er zugleich auch das Endziel ist. Das erste 
Prineip mnss mit dem Endziele zusammenfallen. Würe us von 
irgend etwas erste Ursache oder erstes Prineip, aber nicht End- 
ziel, so wäre seine Oausalität als wirksame Ursache dieebezilglich 
grCäer, universeller denn jene, die ihm als Endziel zukommt. 
Dies aber darf in keiner Weise zugegeben werden. Das Endziel 



— 236 — 

enthält gerade so gut alle Vollkommenheiten, wie das erste Prineip. 
Für den Act der Süüde in der physischen Ordnung Wldet nun 
'Gott in der That d^s Endziel, «fedes Seiende ist ein Gut, das 
ens und bonum sind correlate Dinge, oder wie S. Thomas sagt, 
ens et bonum convertuntur. Und jedes geschaflfene Gut hat Antbeil 
an der Güte Gottes, an dem Endziele aller Dinge. Der Act der 
Siinde als Act bezieht sich somit auf Gott als das Endziel, und 
Gottes Güte ist die Ursache davon, nach dem Axiom : primum in 
genere est causa caeterorum. 

Nach dem vorhin ausgesprochenen Grundsatze muss ' aber 
Gott auch die wirksame Ursache,- die causa efßdens dieses Actes 
seio. Denn gleich wie dieser Act als solcher ein Gut durch An- 
theilnahme, ebenso ist er ein Seiendes durch Antheilnahme. Jedes 
Seiende durch Antheilnahme aber muss zurückgeführt werden, 
als auf seine Ursache, auf das Seiende durch seine eigene Wesen- 
heit. Das ist ständige Lehre des englischen Meisters und dürfte 
vernünftigerweise kaum je besti-itten werden: Datier muss be- 
hauptet werden, dass Gott diesen Act wirke. Die gegentheilige 
Lehre wurde, wie Albert der Große berichtet, von mehreren Ge- 
lehrten seiner Zeit flir häretisch gehalten. Gott wirkt folglich 
jiicbt bloß den Effect, wie man in neuerer Zeit noch zu lehren 
beliebt, sondern er wirkt auch den Act des Willens, und dies 
selbst, dann, wenn dieser Act ein sündhafter ist: Ein «n^ inordine- 
physico bleibt er trotz seiner Sündhaftigkeit. 

Wie verhält es sich nun mit .der Sündhaftigkeit^ selbst? Die 
Sünde als solche, das Formelle dieses Actes hat nicht (xott zu 
seinem Endziele. Wäre Gott das Endziel, so könnte der Act auch 
in* der moi*^lischen Oi*dnung, in esse morali auf Gott bezogen 
werden. In diesem Falle wäre von einer Sünde überhaupt keine 
Bede. Das Formelle der Sün(}e besteht ja gerade in der Ab- 
kehr von Gott. Das macht eben die Süude. zur Sünde, dass sie 
Gott nicht zu ihrem Endziele hat. Ist aber Gott nicht Endziel, so 
kann er auch nicht erstes Prineip, erste Ursache sein^.Gotl katfn 
niemals eine Thätigk'eit ausüben, ohne sie auf das Endziel, auf 
seine Güte^ auf sich selber 2u beziehen. Wäre er demnach durch ' 
die praemotio physica die erste Ursache der Sünde als solcher, 
des Formellen in diesem' Acte, so müsste er es auf das Endziel 
beziehen. Dadurch hört aber die Sünde auf, Sünde zu siein. 

Mit Recht führt darum der englische Meister den Grand, 
warum Gott nicht Ursache der Sünde als solcher sein könne, darauf 
zurück, dass er von seiner höchsten Güte, um welcher willen er 
thätig ist, nicht abweichen kann. Das Endziel, diese seine Güte 
liebt er nothwendig und auf natürliche Weise. Dieser 
Güte wegen, um seiner selbst willen, thut er alles, was er wirkt. 
Aus diesem Grunde kann er nichts wirken, was nicht ein Gut ist, 
zum Endziele Beziehung hat. Als universelles Agens wird er stets 



— 237 — " . 

TOD einem nDiTereell^n Ziele geleitet. Die SUnde als golche aber 
ist nicht ein Gut, sifl hat keiaen Atttbeil an der Otlte des End- 
zieles, non ^ bonum per participalionem. Unm&glich kann daher 
Gott Ursache des Formellen in der Sunde sein. 

Der Wille der veraUnftigeii Geschöpfe hingegen kann t'eJilett, 
ist die Ursache des Formellen in der Sünde, denn seine Beziehung' 
znm Eodziele ist in ihm, nicht auf naturnolhwendige nnd uayer- 
änderliche Weise. Darum bemerkt der heil. Thomas: tKrfi/ra rathnalls, 
quae ordinata est ad bonum absolute per adioties mtiüifarias, höh 
potest habere naiuralüer aetiones indeßcientes a bano, nisi ei natitra- 
liter et immobüiter insit ratio universalis et perfectt boni. Quod 
quidetn esse non potest, nisi natura (/iiima (de reritate q.24. a. 7,i. 
Gott kann niemals ein anderes Endziel haben, als Bicb selber, 
das Geschöpf hingegen kann sich ein anderes erwählen, als Gott, 
das höchste universelle Out. Die Hinotdnnng Gottes za seinem 
Endziele ist eine noth wendige und natllrlichö, jeoc des Willens, 
solange er Gottes Wesenheit' in der andern Welt nicht besitzt, 
eine durchaus freie und vetänderlicbe. Den Beweis dafllr haben 
wir frUber erbracht. Infolge dieser freien, veränderlichen 
Hiuordn|ing des Willens zum Endziele, zu Gott, ist der Creatur 
die Möglichkeit geboten, eine Sflnde zu begehen. Der Wille allein 
bildet demnach die Ursache der Slinde als solcher, des Formellen 
in dem sündhaften, Acte, indem er sich von Gott, dem wahren 
Endziele abwendet, und ein anderes Gut, .bonum cotnmutahile sich 
als Endziel anserwählt. 

108. Aber, die Sünde ist doch nothwendig mit diesem Acic 
des geschöpäichen Willens' verbunden ? Allerdings' ist gie mit dem 
Acte selber vereint, keineswegs jedoch insofern dieser Act von Oott 
gewirkt wird, sondern insofern 'er den geschaffenen Willen zu seiner 
nächsten Ursache' hat. Der Beweis dafür ist leicht zu erbringen. 
■ Gott bewegt den Willen zu siöh, weil er das Endziel für den- 
selben bildet. Der sQndhaite Wille hat nicht Gott zum Endziele, 
sondern ein vergängliches Gut. Es sind somit hier zwei wirkende 
Ursachen mit formell verschiedenen nnd nebeneinander ste- 
heodeu Endüelen. Das vergängliche Gut kann als Endziel nicht 
.Gott.untergeOrdnet werden. Es hindert daher gar nichts, dasa 
eine nnd dieselbe' Thätigkeit vom Agens stammt, welches eine 
■untergeordnete Ursache ium Guten bewegt, während die subalterne 
Ursache diesen Act swi ratione malt auBllht. Dieser eine Act hat 
ja verschiedene Endziele, somit verschieden^ form'elit Priucipieu, 
neren einea nicht üher-, das andere nicht untergeordnet ist. Die 
Thätigkeiten werden" von den versebiedeften forniellen und finalen 
Principien apecifiel'ert. Der hefl. l^omas bemerkt diesbezliglieb: 
„fjffectus causae mediae procedens ab ea securtdum qiiod subditßr 
ordini causae primae, reducitur diam in causam primam. Sed si 
procedat a causa media secundum quod exit ordinetA causae primae: 



— 238 — 

sicut si minister faciat aliquid contra mandatum Domini, hoc non 
reducitur in Dominum, sicut in causam. Et similiter peccaium, quod 
liberum arbürium committit contra pra'eceptum Dei, non reducitur 
in Deum sicut in causam^ (1.5^. q. 79. a. 1. ad 3.). 

Öer sündhafte Wille tritt oflFenbar aus der Ordnung det End- 
ursache Gottes heraus. Gott kann nicht wollen^ dass ein geschaf- 
fenes Gut Endziel des menschlichen Willens sei. Geschieht es 
trotzdem, so kanp dieser Defect, diese Deformität des Willens- 
ajßtes nicht auf Gott, als auf die Ursache zurückgeflihrt werden. 
Die Ursache, welche fehlt und sündigt, ist daher nicht Gott, son- 
dern der Wille des Menschen. Der Wille ist in diesem Falle nicht 
agens simpliciter, sondern agens deficiens, Gott dagegen agens sim- 
pliciter. Die Thätigkeit Gottes befindet sich physisch und moralisch 
(in genere physico et morali) in richtiger Hinordnung zum Endziele, 
jene der Creatur nur physisch, während die moralische fehlt Ein 
ähnliches Verhältnis haben wir im Menschen selber. Der Wille 
bewegt durch seine Thätigkeit die Organe des Leibes in .irgend 
einer Absicht zu einem bestimmten Zwecke. Sind diese nicht gut 
disponiert, so wird ihre Thätigkeit das vom Willen vorgesteckte 
Ziel nicht erreichen. Trägt der Wille die Schuld daran, dass die 
Thätigkeiten der riiedera Potenzen ihr Ziel nicht erreichen? Das 
wird niemand im Ernste behaupten. 

Allein Gott bewegt jeden Willen nicht bloJß als Endziel, son- 
dern als wirksame, Ursache? Er muss somit auch die Verantwor- 
tung tragen für die Fehler, welche infolge dieser Bewegung sich 
herausstellen? Das ist in keiner Weise nothwendig. Die Bewe- 
gung Gottes wird im Willen, in der Potenz selber aufgenommen. 
Befindet sich der Wille in der richtigen Disposition für die Auf- 
nahme der Bewegung Gottes, so wif d die Thätigkeit, die er aus- 
übt; eine vollkommene sein, und der Absicht des ersten Bewegers 
entsprechen. Fehlt dem Willen die richtige Disposition und Em- 
pfänglichkeit für die genannte Aufnahme; so wird eine unvoll- 
Kommene Thätigkeit erfolgen. Das Positive dieser Thätigkeit hat 
den ersten Beweger zu seiner* Ursache, das Fehlerhafte hingegen 
deq Willen. Dieser Defect folgt aus der Thätigkeit des Willens, 
der aus der Ordnung des ersten Bewegers heraustritt (de pialo- 
q. 3. a. 2.). 

Gott kann noch aus einem andeiii Gilinde nicht Ursache der 
Sünde als solcher sein. Verursachen oder thätig sein bedeutet nichts 
andjeres, als einem andern das mittheilen, was man selber besitzt, 
einem andern die Ähnlichkeit der Form einprägen, duix^h welche' 
das Agens selbec in actu ist. Das agens in aetu, bemerkt der 
heil. Thomas so oft, bewirkt, dass ein anderes das Sein in aäu 
erhalte, Gott ist in zweifacher Weise in actu, agens in actu ip 
der physischen und in der moralischen Ordnung. Die sündhafte 
Handlung dagegen ist in der physischen Ordnung in actu, in der 



— 239 — 

moraliscben a^et ia der Potenz. Die Sflnde als Bolclie liesitzt' 
daram keine Ähalichkeil; mit Gott. Und Gott kann ihr seine eigene 
ÄbnUchkeit, das: „esse in actu in ordine morali" nicbt mittheilen, 
weil sie dadurch anfhöien würde SUnde zu sein. Wirkt Gott, wie 
jedes ' a^ens in acUi, eio' eich ÄhnlicheB, so kann er iiur etwas 
wirken, was in der moralischen Ordnung ein ens in actu ist. 
Da nun, wie gesagt, die Sünde als solche in der iiioralischeD . 
Ordnung ehi Seiendes in der Potenz ist, bo kann sie in dieser 
Bezielmng nicht Gott, das Seiende in adu, in esse morali /ja ihrer 
wirksamen Ursache haben. Wir mUssen dämm diese Ursache im 
Willen suchen. Die Bewegung Gottes wird im Willen aiifgenommea. 
Mit Bezug auf die physische Ordnung ist der Wille jederzeit iUr 
diese Aufnahme disponiert, denn er emplaugt dadurch eine neue 
Vollkommenheit, er wird agens in actu, Ursache. Als Ursache 
gibt er einem andern, seiner eigenen Thätigkeit das .Sein. Darin 
Hegt kein Fehler, denn der Act ist in ordine pht/sico etwas Gutes. 
Anders verhält sich die Sache in ordine morali. DiealiezUglich 
bleibt der Wille oft, infolge der Leidenschaften, Gewohnheiten, 
selbst vermöge .der natürlichen Neigung seit der Erbsünde, filr 
die Aufnahme der göttlichen Beweg:ung schlecht dittponiert. Die 
praemotio physica wjrd somit in ordine morali ihre Wirkung nicht 
erreichen, denn: quidquid redpUur, redpiiur secundum modum 
recipimtis. Während der Wille demnach in der physiachen Ordnung 
aus der Potenz in den Act Ubergefllbrt wird durch die Bewegung, 
die von Gott ausgebt, bleibt er in der moralischen Orduung noch 
in der Potenz. Das agens in potentia aber, kann nicht einem 
andern das Sein geben. Es besitzt dieses Sein ja selber nicht. 
Daher wird auch die Thätigkeit, die aus dem Willen folgt, in der 
physischen Ordnung ein ens in actu, in der moralisehen dagegen 
ein ens in potentia sein. Daraus ist klar, daes nicht Gott, sondern 
der Wille Ursache der Sünde als solcher ist. Wie der Wille in 
esse morali in der Potenz ist, ebenso auch der Act. Die Sünde 
als solche hat keine causa efficims, wohl aber eine causa deficiens. 

Hören wir hierüber Albeit den Großen. Einwurf: Actus non 
causatur, nisi secundum quod est in actu, d non secundum guod ' 
est in genere. wl in intellectu. Actu autem non est, -nisi substratus 
inalitiae. Ergo non causatur ah aliquo^ nisi jiubstratus malitiae. 8i 
^go causatur a Deo, causabihir secundum guod est malitin. 

Antwort darauf: Maieria consideratur dupliciter, scüicet prout 
est, et sie est materia in actu. Alio modo consideratur materia_sine 
otnni forma, et sie non est nisi in potentia. Jta etiam actus substtms 
privationi actu est, et causatur secundum e^se swiw», quo subsiat, a 
Oeo. Sed eonsideratus sub privatione,.non est nisi in potentia. Et 
Äoc modo non causatur. Et haec est differentia. inter eoncursum Dei 
*^ actus bonos, etiam moralüer, et eoncursum ejus ad actus -malos : 
9Mta JM qctibus bonis est perfectio substantiae actus et formae moratis. 



— 240- — 



*' f 



Et ideo ihi facit uirumque. 8ed in malis tantum alterum, eo quod 
. mortüis forma deficit in eis (2. äist. 35. a. 1\ pag. 321.).. Cfr: ib. 
dist. 34, a. 3. pag. 308. — dist. 37. «.. 1. pag. 334. 

Es lässt, sich .demnach in • keinei; Weise bestreiten, dass Gott 
durch die praefnotio physica Ursache dör Thätjgkeit, und .doch 
nicht Ursache der sündhaften Thätigkeit des Willens ist. 
, Sicut actio, quae deformitatefn peccati habet, dicitur bona, inqtuintuni 
est actio j bonitate naturae, non propter hoc, quad aliquanao inveniatur , 
separata a defonnitate, sed quia bonitas illa naturae deformitaii 
substat, Ita etiam Dens est. causa illius actionis, inquantum est actvOj 
et non inquantum est deformitas, hoc . modo, quod actionem non 
facit a 'deformitate separatam, sed quia in 'actione deformüati con- 
juncta, hoc qüöd est actionis facit, et quod est deformitatis non facit. 
Et si enim in aliquo effectu plurä inseparabilit^ conjunda SHtiif 
non oportet, ut, qüod e$t causa ejus quantum ad unum, sit etiam 
causa ejus quantum ad alterum, Sicut natura est causa oculi, qimth 
,tum ad substantiam. ejus, et non quantum ad defectum caecüatiSj 
quae ex defedu naturae patiicularis äccidit (2. dist. 37. q. 2. ad 2. 
äd 5.). Sowenig der Wille für die schlechte Schrift, welche die 
. zitternde Hand hervorbringt, zur Verantwortung gezogen werden 
kann, weil , er ganz und 'gar unschuldig daran i&t, ebensowenig 
•ist Gott die Ursache, wenn der Wille unter der praemotio physicä 
' einen sttndh.aften Act ausübt. Gott könnte jedesmal die schlechte 
Disposition des Willens früher abändern; ja, darüber ist kein 
. Zwpifel. Da 'ei* jedoch dies zu thun nicht verpflichtet ist, es viel- 
. mehr ihm eigen ist,» ein jedes Ding der Natur und -Verfassung des- 
. selben entsprechend zu neigen, so liegt auf der .Hand, das^ 
es nicht seine, Schuld ist, wenn von den Geschöpfen Fehler, und 
Sünden begangep. werden. Sein Einfluss zielt einzig und allein 
• auf das Gute, auf das wahre Glück seiner Greäturen ab. Xn dieser 
Intentioja' handelt er, wirkt auf den Willen ein. Leider entspricht 
dicBer seinen. Erwartungen gar häufig nicht,- ist derselbe zu allem 
andern eher disponiert und empfanglich als zu def Aufnahme jenes 
Gutes, jener Vollkommenheit, die ihm. der Schöpfer mittheilt. Gott 
hat. durch die praemotio physica alles, gethan, was er thirn sollte. 
Es wäre, darum mehr als ungerecht, ihn mit, Vorwürfen zu über- 
häufen, ihm 4ie Bchuld zu geben, wenn die Sache misslingt. 

§ 15. Der bloß simultane Conctirs Gottes und die Sünde. 

109. Es ist werkwürdig, dass die Angriffe gegen die prae- 
motio physica sich darauf stützen, diese . Vorherbe wegnng sei Ur- 

. Sache der Sünde. Wenn die Gegner genauer acl^tgeben wollteo^ 
80. würden sie finden, dass es im eigenen Hanse der Schwierig- 
keiten 'übergenug gibt. Ist Gottes Vorherbewe^nng an der Sünde 

. schuld, dann ist es ebenso sein simultaner CoQcnrs. In der That! 



. • » 






— 241 — 

Gott bewegt den Willen nur im allgemeineQ. Kehliger muss 
im Sione dieser Lehre gesagt werden, Gott bewegt nicht den 
Willeu, er bewirkt nar die WillenEithätigkeit oder den 
EfTect, nnd zwar tm allgemeinen. Das Schiff, um uoch 
einmal mit diesem gebrechlichen Fahizenge die Beiae zu machen, 
wird vom Winde bewegt, nicht aber der Steuermann. Diese Be- 
wegung des SchiflFes ist aber eine allgemeine, z. B. nach 
Osten gerichtete. Der Steuermann bestimmt durch seine Thätig- 
keit die Riebtnng des Schiffes im einzelnen, z. B. filr Alexan- 
drien. Fährt das Schiff auf einer Klippe auf, so trägt die Schuld 
daran der Steuermann, nicht der Wind. Oenan so verhält es sich, 
erklärt man, mit dem simultanen Concurse dem Willen gegenüber. 
Gott wirkt die Thätigkeit des Willens nur inj allgemeinen. 
Diese Thätigkeit im allgemeinen, z.*B^ etwas eu thun, wird d^nn 
im einzelnen -durch den Willen b*eBtiinmt. Bestimmt (^er Wifte 
diese allgemeine 'Thätigkeit zum Bösen, so ist er allein es, der 
Btlndigt, nicht aber Gott, 

Wir wollen über den Widerspruch in diesem Syätein hinweg- 
gehen, nämlich, dass Gott eigentlich nur den Effect verursacht 
nnd andererseits doch wieder die Thätigkeit des Willens wirkt. 
Ans dem Beispiele vom Schiffe geht ja klar hervor, daKS Gott 
resp. der Wind nur die Bewegung des Schiffes, nicht die 
Thätigkeit des Steuerjnanns verursacht. Wenn man conse- 
qaent sein will, so könnte man in diesem Systeme Überhaupt nicht 
fragen, inwiefern Gott die Ursache des schlechten Willens, 
oder auch der schlechten Willens thätigkeit sei. Logisch richtig 
handelt es sich in dieser Theorie nur darum, inwiefern Gott die 
Ursache des BSsen sei, welches durch die Willensthatigkeit des 
Menschen oder Engels hervorgebracht wird. Gott wirkt ja 
nicht auf die Potenz, anch nicht den Act, sondern nur den 
Effect. Andererseits behauptet man aber doch wiederum, Gott 
wirke mit der Thätigkeit. Bleiben wir also bei der zweiten 
Annahme, die Schwierigkeiten bleiben dieselben. 

Gott bewegt den Willen im allgemeinen, so wird gelehrt. 
Wenn diese allgemeine -Bewegung einen Sinn haben soll, so kann 
darunter nichts anderes vei'standen werden, als: Gott bewegt den 
Willen, dkss er im allgemeinen etwas thuo will, etwas begehrt. 
Was im einzelnen begehrt wird, was ich im speciellen thun will, 
das hängt ausaehlie^lich von meinem Willen ab, damit hat Gott 
nichts zu thnn. Diese Bewegung nun kann zweifacher Natur sein. 
l^e^Uensch kann sieh im allgemeinen vornehmen, schlecht zu 
handeln, ein sündhaftes Leben zu führen, ohne dabei in das ein- 
zelne einzugehen. Dass dieser Willensact möglich, ja thatsächlich 
von manchen Menschen ausgeübt wird, unterliegt keinem Zweifei. 
Ciilt dasselbe Ja ebenso von den guten Willensacten. Der Mensch 
kann im allgemeinen gnt handeln, ein gutes Leben fahren 

^elduir, WilleDifyihsit. 16 



wollea. Es ist ein wirklielter Act des Willens, der hier votl- 
zogeD wird. 

Wie verbält sich nnn Gott diesem verkehrten, bösen Acte des 
Willens gegenüber? Bildet er die Ursacbe davon? Trägt Gott 
dnrcb den simultanen Coneurs etwas zu diesem Acte bei? Die 
Gregner antworten uein, Gott ist nicht die Ursache dieses sUnd- 
haften Actes, denn Gott bewegt den Willen nur im allgemeinen, 
und diese Bewegung wird dann durch den Willen selber bestimmt. 
Den Hafen ftlr die Richtung, welche das vom Winde getriebene 
Schiff einhalten soll, bestimmt der Steuermann. Er dirigiert das 
Schiff zu diesem Hafen bin. 

Abgesehen davon, dass hier von einer Bestimmung im eigent- 
lichen Sinne nicht die Rede sein kann — der Willensact, BJtees im 
allgemeinen thnn jfi woUep, Ist' ganz und gar unbestimmt — baD- 
dftli^es sich wesentlich dahim,'«b Gott. bei dieser ßestimmung 
durch 'den Willen etwas zu thun habe. oder nicht. Die ThUtig^eit 
des Willens, ifodurch die von Gott ausgehende allgemeine 
Bewegung des Willens bestimmt wird, muss doch etwas Posi- 
tives, ein ens sein. In der Theorie der Gegner wird eigens he^ 
vorgehoben, dass die Thätigkeit, die Actio des Willens den 
EinflusB, die Bewegung Gottes bestimme. Eine stoffliche Be- 
stimmung, nämlich durch Aufnahme der Thäti^eit Gottes im 
Willen vertheidigen S. Thomas nnd aejne Schüler ebenfalls. 'Alleü 
dies geschieht nicht durch eine Thätigkeit, durch eine cictio von 
Seiten des Willens, sondern durch ein Leiden, eine passio. Hit 
dieser letztern Auffassung verträgt sich aber der bloß simultane 
Coneurs nicht. 

Die Bestimmung der von Gott ausgehenden allgemeineD 
Bewegung geschieht somit durch die thatsächliche Mitwirkung dei 
Willens. Ans diesem Grunde kann man von einem Concnrse 
sprechen. Wie kann aber Gott zu einer sündhaften Handluug 
seine Mitwirkung bergeben ! Ist er dann nicht ebenso Ursache der 
Sünde wie der Wille? Man vergesse nicht, dass der Coneurs Gottes 
nichts anderes ist als ein Act seines Willens. Wie kann also 
Gott durch seinen Willen mitwirken zu einer Handlung des creattir- 
licben Willens, die in Wahrheit sündhaft ist. Die ScUwierigkeit 
ist damit nichtg elöst, dass man sagt, die Sünde liege rn der ver- 
kehrten Bestimmung der Bewegung Gottes durch den menscblichen 
Willen. Es ist ja ein und derselbe Effect, der von zwei Ursachen, 
Gott und dem Willeh berrorgebracht wir<l, nämlich die Thätigkeit. 
Die Bewegung Gottes ist das Bestimmbare, die Thätigkeit des 
Willens das Bestimmende, Nach getroffener Bestimmung h^en 
wir nur mehr eines, nämlich : die durch den menschlichen Willen 
bestimmte Bewegung Gottes, Die Thätigkeit, der Wille Gottes, 
ist daher noch daran betheiligt. Unterlässt Gott die allgemeine 
Bewegung des menschlicbeo Willens, so ist jede sündhafte Hand- 



— 243 — 

lang des GesoIiSpfes uomJiglicb. Dann hat der Wille nichts, was 
er JD verkehrter Weise beatimmeti könnte. 

Man entgegnet, Gottes Godcqvs erstrecke sich bloß aaf die 
Willensthätigkeit insofern sie bloße Thätigkeit ist und somit 
Gute besitzt. Das lehren S. TbomaB und seine Scbfller ebenfalls, 
und mit gerade soviel Wahrheit and Gründen, wie die Verthei- 
diger des bloJ3 siiualtanen Gonenraes. Oder soll vielleicht der- 
jenige, der einen andern zur sündhaften Handlung bewegt, 
an der Sünde selbst schuld sein, derjenige hingegen, der zn dieser 
Handlung bloß mithilft nicht? Im Gegentheil, Gott bat bei 
der Vorherbewegung immer das eine Ziel vor Augen, 
weshalb er den Willen bewegt, nämlich sich selber. Von diesem 
Ziele weicht seine Bewegung nicht ab. Wirkt indessen Gott 
bloß simultan und wird seine Thätigkeit dnrcb den sehlechten 
Willen des GeschSpfes bestimmt, so ist gar nicht einzusehen, 
warum er nicht an der Sünde selbst betbeiligt sein soll. Mehrere 
Agentien können nicht anders formell bestimmt oder deter- 
miniert werden, als durch ein gemeinsames Ziel. Das Ziel bildet 
die erate bewegende Ursache zu einer Thätigkeit. Hierin mUssen 
sie demnach alle gemeinsam zusammentreffen. Wirkt daher Gott 
bloß simultan, so muss er mit dem Willen des Menschen 
ein gemeinsames Ziel baben. Und trotzdem soll er nicht Ur- 
sache der Sünde selber sein? Warum hilft er mit, warum läset 
er seinen Willen, seine Bewegung von der Creatnr determinieren, 
wenn er weiß, dass das Ganze verkehrt ansfällt? Warum wirkt 
er simultan mit, wenn er weiß, dass die Thätigkeit des Oeschöpfea 
sündhaft ist? 

Eine andere Lösung, die man versneht bat, ist ebenso nn- 
branchbar. Man sagt, diese Willensthätigkeit des Geschöpfes sei 
nnr deshalb sündhaft, weil sie bestimmt und individnell 
ist. Gott hingegen wirke, uor mit einem allgemeinen, generellen 
Concnrse mit 

Wenn man uns nur einmal sagen wollte, was dieser generelle 
Concnrs ist. £r muss offenbar eine Thätigkeit sein. Ebenso 
ist der lerminus dieses Concurses eine Thätigkeitj die Be- 
wegung des Willens. Gibt es überhaupt eine allgemeine, eine 
generelle Thätigkeit? Nein, das ist eine cotUradicHo in adjecto. 
Adionea sunt suppositorum. Gleichwie daher das Supposltum be- 
stimmt und individnell, ebenso ist auch j ede Thätigkeit 
bestimmt und individuell. Wir stehen daher vor der alten 
Schwierigkeit. 

Ein genereller Concurs ist demnach nnr insofern möglieh, 
als die Bewegung zu einem allgemeinen Objecte oder Gegen- 
stande hingeordnet ist. Ich will im allgemeinen Gutes thun. Der 
Gegensatz davon lantet danu: ich will dieses bestimmte, in- 
dividuelle Gute thnn. Einzig und allein mit Bezug anf die 



— 244 — 

Objecto kann im Sinne der Gegner von einem generellen Con- 
curse gesprochen werden. Bei dem heil. Thomas hat der generelle 
Goncurs eine ganz andere Bedeutung. Gerade die Stelle, anf 
welche man sich beruft, um eine universelle Bewegung heraus- 
zubringen, beweist, was der englische Lehrer darunter gemeint 
hat. Der Doctor Angelicus sagt: ,,Deus movet voluntatem homim 
sicut universalis motor ad universale objectum voluntatis, quod est 
bonum^* (1. 2. q. 9. a. 6. ad 3.). Wenn der Sinn dieser Stelle der 
ist, dass Gott nur im allgemeinen bewege, dass diese Be- 
wegung nichts Bestimmtes, Individuelles bezeichnet, so 
bewegt er eben den Willen nicht zu einem bestimmten, indi- 
viduellen Acte. Dann kann man aber auch nicht sagen, Gott 
bewege den Willen blo£ zu dem Acte, insofern dieser Act ist. 
Als Act ist er bestimmt und individuell. Es beruht aucti 
nicht auf Wahrheit; dass der Act deshalb. böse, weil er durch 
den Willen bestimmt und individuell gemacht wird. Durch die 
Bestimmung zu einem Individuum wird er wahrlich nicht böse, 
sonst müsste man das von jedem Willensacte aussagen. Wenn 
man erkläii;, der generelle Concurs Gottes neige den Willen zu 
keinem der beiden Theile, so behauptet man einfach einen 
Widerspruch. Ein Act, der sich zu keinem der beiden Theile 
neigt, ist zugleich Thätigkeit und Nichtthätigkeit. Ebenso bezieht 
er sich auf ein Object, weil ein Act ohne Object ein Ding der 
Unmöglichkeit ist, und er bezieht sich zugleich auf kein Object 
Einen Concurs von solcher Beschaffenheit können wir nicht brauchen. 

Was ist nun mit jenen Willensacten, die sich auf kein be- 
stimmtes, individuelles Object beziehen? Wie verhält sich 
der Goncurs Gottes zu dem Willen, der böse zu sein begehrt, ohne 
dass er sich etwas bestinuntes individuell Böses zu thun vornimmt? 
Dieser Willensact ist gewiss allgemein genug. Wirkt Gott mit bei 
diesem Acte ? Wenn ja, wie kommt es . dann, dass er nicht Ur- 
sache dieser Sünde selbst ist? Oder ist dieser Act überhaupt nicht 
sündhaft? Wir sehen demnach, dass der sogenannte generelle 
Concurs der Gegner sammt der activen Bestimmung und Indi- 
vidualisierung der Thätigkeit durch den Willen uns über die 
Schwierigkeiten nicht hinüber hilft. Damit wird einfach nichts 
bewiesen. 

1 10. Ein anderer Versuch, Gott von der Sünde freizusprechen, 
geht dahin, das behauptet wird, Gott bewege den Willen aot 
natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Weise znm Guten und 
zu der Glückseligkeit im allgemeinen. Diese Art des göttlichen 
Einflusses auf die vernünftigen Geschöpfe sei die einzige, welche 
sich vertheidigen lässt. Ebenso sei dieser Einfluss allgemeiner 
Natur. 

Ist diese Theorie richtig, so wirkt Gott den f r e i e n Act des 
Willens überhaupt nicht. Allein dies widerspricht direot der Lehre 



— 245 — 

des heil. Thomas, der klar beweist, dasB Gott den Act der 
SUnde tbatsächlieh veruraache. Eb muss aber auch so sein, dena 
alles Seiende durch Antheitnahme, hat Gott, das Seieade durch 
seine eigene Wesenheit, zur Ursache. Der sündhafte Act ist in 
der physischen Ordnung ein wirkliches etu und gehört in die 
Kategorie der Actio. Die natürliche und nothwendige, d. h. unfreie 
Bewegung des Willens kann in keiner Weise sündhaft sein. 
Hätte S. Thomas in seinen Werken nichts anderes gelehrt als 
dieser Autor ihn vertheidigen lässt, dann begreifen wir die Mühe 
nicht, welche der Doctor Angelicus eich gibt, den Einfluss Gottes 
mit der Freiheit zu rereinbaren. Wirkt Gott nur den natürlichen 
und nothweudigen , d. h. unfreien Act des Willens , den freien 
aber nicht, dann hat die Sache ja Überhaupt gar keine Schwibrig- 
keit. Allerdings möge der Autor zosehen, wie er ans dem Wider- 
spruche mit sich selber herauskomme, wenn er auderswo schreibt, 
es gebe keinen Act, auch nicht einen Theil desselben, der nicht 
von Gott gewirkt werde. 

Diese natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Bewegung 
des Willens zum Guten und zu der Glflckseligkeit im allgemeinen 
bezieht sich blo3 auf die formelle Seite des Objectes oder 
Gegenstandes. Wir haben früher gehört, dass diese Hinordnnag 
des Willens nach der Lehre des beil. Thomas nichts anderes ist 
als die ratio volendi. In dieser Beziehung gibt es überhaupt . keine 
Sünde, Denn dadui-eh, dass der Wille irgend einen Gegenstand 
als ein 8cheiugut unter dem forraetleu Gesichtspunkte eines 
Guts begehrt, wird sein Streben nicht ein sUndbaftes. Die SUnde- 
hegt vielmehr darin, dass er einen Gegenstand, odei' wie 
S, Thomas sagt, eine res, ein Ohject im stofflichen Sinne ge- . 
uommen verlangt, das nicht auf Gott bezogen werden kann. Wenn 
der Wille den Gegenstand seines Glückes anderswo als 
in Gott sucht, dann sündigt er. Nun ist aber die Bewegung des 
Willens zu irgend einem Gegenstande, in welchem der 
Mensch sein Glück, also diese ratio formalis volendi zu finden 
glaubt, hier auf Erden eine durchaus freie. Es gibt überhaupt in 
diesem Lehen keine natürliche und nothwendige, d. h. unfreie 
Bewegung des Willens zu einem Gegenstande oder Ob- 
jecte. Es kann nur manchmal von einer objectiven, specificativen 
Notbwendigkeit die Rede sein. Allein die Bewegung des Willens 
durch das Ohject ist Dicht effectiv oder wirksam, d.h. durch 
diese Bewegung, durch daa Object tritt der Wille nicht ans 
seiner Unthätigkeit heraus. Der Wille muss subjectiv 
wirksam bewegt werden, denn der Willensact, um den es 
sich hier handelt, ist eine Wirkung der subjectiven Bewegung 
des Willens. Diesbezüglich aber ist er durchaus frei. 

Ferner sagt man, der heil. Thomas erkläre, dass der Wille 
sich hinreichend t» aetu befinde, wenn er von Gott auf natürliche 



— 246 — 

und nothwendige, d. h. anfreie Weise znm Guten und zu der 
OlHckseligkeit im allgemeinen bewegt wird. Zu allen andern be- 
stimme sich der Wille selber und allein. 

Erkundigen wir uns etwas genauer in den Werken des heiligen 
Thomas, und es wird uns sofort einleuchten, dass das gerade 
Gegentheil Lehre des englischen Meisters ist. Bewegt Gott den 
Willen in der genannten Weise, so ist derselbe allerdings hin- 
reichend in actu bezüglich der formellen Seite des Gegen- 
standes: er will im allgemeinen glücklich sein. Zu dem 
objedum quo ist der Wille bestimmt. Allein den Gegenstand, 
welcher ihn glücklich macht, das objectum quod muss er erst 
suchen. In dieser Beziehung ist er somit nicht bestimmt, folglieh 
nicht hinreichend in actu. Darum bemerkt der heil. Thomas, 
der eine suche das Endziel, den Gegenstand seines Glückes da, 
der andere dort. Der eine erwählt sich die Thätigkeit, der andere 
die Unthätigkeit zu seinem Endziele. Wenn aber der Mensch 
suchen muss, wenn er, wie S.Thomas sagt, dazu vorerst des 
Rathes der Vernunft bedarf, so kann der Wille unmöglich 
schon hinreichend in actu sein. In Bezug auf das Formelle des 
Objectes, hinsichtlich der ratio volendi braucht er keinen Ratb. 
Zu dieser ist er auf natürliche und nothwendige, d. h. unfreie 
Weise bestimmt. Anders aber verhält sich die Sache in Betreff 
des .Gegenstandes selber und der entsprechenden Mittel. 

Im Artikel, worauf man sich hier beruft: 1. 2. q. 9. a. 4. 
spricht der heil. Thomas ausdrücklich davon, dass der Wille zu 
seinem ersten Acte einen äußern Beweger brauche. Was versteht 
er unter diesem ersten WiUensacte? Vielleicht die natörlichc 
und nothwendige, d. h. unfreie Hinneigung znm Guten und zn 
der Glückseligkeit im allgemeinen ? Keineswegs, denn er beweist 
daselbst, dass der Wille zu diesem ersten Acte eines Rathes be- 
dürfe, einen Rath voraussetze. Um das Gute und die Glückselig- 
keit im allgemeinen zu woUen, dazu, wie gesagt, braucht der 
Mensch keinen Rath. Bedarf nun der Wille des Einflusses Gottes, 
um ein bestimmtes Object zu begehren, in welchem er sein 
Glück zu finden vermeint, wie S. Thomas auch noch anderswo 
lehrt (de malo q. 6. a. unic), so' ist er durch die sogenannte 
allgemeine Bewegung durchaus nicht hinreichend in actu. Diese 
erste Bewegung des Willens durch Gott wird vom englichen 
Lehrer in dem soeben angeführten Artikel ausdrücklich eine 
freie genannt. Ein Beweis mehr dafür, dass darunter nicht die 
natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Bewegung znm Guten 
und zu der Glückseligkeit im allgemeinen verstanden werden darf. 

Jeder Ascet wird uns sagen, wir sollen uns nie etwas im 
allgemeinen zu thnn vornehmen. Und warum dies? Einfach 
deshalb, weil in diesem Falle nichts ausgeführt wird. Ist nun 
dieses möglich, wenn der Wille bei diesem Streben im allge* 



. _ 247 — 

meinen schon hinreichend m .adu ist, am particnläre Güter za 
Wolfen, um individnell thätig zn sein? Sobald der Wille in ac^ 
ist, erfolgt zuversichtlich (infolUbüiter) wenn auch nicbt, wie be- 
banptet wird, nothwendigerweise eine Thätfgkeit. Seibat 
wenn ein Rath Vorangegangen, ist der Wille uoeh nicht hin- 
reichend in adu. Es mnss das letzte Urtheil gesprochen, 'die Sen- 
tenz geßUlt sein« dann erst erfolgt auf die Bewegung durch Gott 
hin eine wirkliche Thätigkeit. Erst dann wählt der Wille das 
eine anstatt des andern. Die Appliciemng des Willens zum 
Gnten im allgemeinen reicht demnach beiweitem nicht aus. Der 
Gegenstand, ias Object, in welchem der Wille glHcklich zu sein 
hofft, mnsB ausgewählt werden. Constlia et eUcHones sunt circa 
particularia, qtiorum est actus, ünde requiräur ut id, quod ap- 
prehenditur honum et convmiens, apprehendatur id bonum et con- • 
veniens in particulari, et non in univeraali tantum (I. c. de malo). 

Aus all dem geht hervor, dass S, Thomas in keiner Weise 
jene Lehre vorgetragen hat, die von den Gegnern verthcidigt 
wird. Seiner Doctrin zufolge muss vielmehr Qoft den Willeu be- 
wegen, aus der Indifferenz dieses oder jenes Object zu wählen 
heranszieheu, sonst erfolgt keine Thätigkcit. Ans einem Indifferenten 
geht niemals ein bestimmter Aot hervor. Jeder Act aber iät etwas 
Bestimmtes, Individuelles. Tnierior voluntas movetur ab uUquo 
saperiori principio quod est Deus. Et secundum hoc Apostolm didt, 
jjiod twn est volmtis, sdlicet velle, neque currentis, sctlicet currere, 
sicvi primi prindpii, sed Dei miserentis. Voluntas aliquid confert, 
cum a Deo movetur. Ipsa enim est, quas operatur, sed motu a Deo. 
Et ideo motus ejus, quamvis sit ab eiirinseco, sicut primo principio, 
non tarnen est violentas. Quando voluntas de novo incipit eligere, 
transmutatur a sua priori dispositione, quantutn ad hoc, quod prius 
erat eligens in potentia, et postea fit eligens in adu. Et haec quidem 
transmtUatio est db aliquo movente, inquantum ipsa volwUas movet 
seipsam ad agendum, et inquantum etiam movetur ab aliqm ejy 
teriori agente, scüicet Deo (1. c. a. 4, nnd 17.)i Hier ist tiberall von 
der Wahl die Rede. Wir wissen aber, dasa der Wille das Gut 
nnd die Glückseligkeit im allgemeinen nach der Lehre des heil. 
Thomas gar nicht wählen kann, weil er dazu von Natar aus 
schon bestimmt ist. Man vergleichft z. B.: 3. contr. Gent. c. 9. ' 
Daselbst heiS t es : Elecf^iones et voluntates immediate a Deo disponuntur. 

Wir sehen ab von weiterer. Aoflihrang von Texten aus dem 
heil. Thomas. Die Unrichtigkeit der Theorie, S. Thomas habe bloß 
gelebrtj dass der Wille von Gott auf natürliche und nothwendige 
d. h. unfreie Weise zum Guten und zu der Glückseligkeit im all- 
gemeinen bewegt werde, ergibt sieh ans dem bisher Gesagten mit 
voller Klarheit.' Der Wille ist weit mehr passiv und inffifferent 
mit Bezug auf die particnlären Güter, weil er in dieser Hinsicht 
des Rathes und der Auswahl bedarf, als in Betreff, des Guten im 



_ 248 — 

allgemeinen. Für das Gute im allgemeinen ist der Wille über- 
haupt nicht objeetiy indifferent; denn* dieses bildet für ihn ' das 
adaequate Objeet. Wo immer ^er englische Meister die Freiheit 
bespricht, da zählt er zu ihren vorzüglichsten, hauptsächlichsten 
AQten die Auswahl. Hängt der Wille des Geschöpfes in dieser 
Beziehufag nicht von Gott ab, so ist offenbar der Wille selber 
erster Beweger. Und gerade das ist es, was S. Thomas unaus- 
gesetzt bestreitet. 

111. Die Bewegung ' des Willens zum Guten und zu der 
Glückseligkeit im allgemeinen erweist sich demnach als voll- 
kommen unzureichend. Der Wille muss zu jeder Thätigkeit, die 
er ausübt, von Gott bewegt werden. Der englische Meister spricht 
stets in allgemeinen Ausdrücken. Wir finden nirgends eine Be- 
schränkung. . Gott ist Ursache jeder Thätigkeit (de potentia 
q. 3. a. 7.). Das erste Agens bewegt alle andern zur Thätigkeit. 
Daher sind alle in der Kraft Gottes thätig und er selbst bildet 
die Ursache aller Thätigkeiten der Agentien (1. p. q. 105. a. 5.). 
Was durch uns gesdiieht, das verursacht Gott in uns nicht 
ohne unsere eigene Thätigkeit. Er selbst aber ist in jedem 
Willen und in jeder Natur thätig (1.2. q. 55. a. 4. ad 6.). Er 
wirkt in jeder thätigeu Kraft. Dem est operans in qucUibet vir- 
tute operante (1. dist. 37. q. 3. a. 3. ad 3,). Seine Kraft ist das 
Medium, welches den Effect mit der Kraft der subalternen Uraache 
verbindet (2. dist 1. q. 1. a. 4.). Ohne Thätigkeit Gottes können 
daher die Natur und der Wille weder bestehen, noch eine rechte 
Bewegung haben, denn Gott ist als erste Ursache in der Natur 
und im Willen, d. h^ in den untergeordneten Agentien thätig 
(2. dist. 24. q. 1. a. 4. ad 1.). Die göttliche Gausalität ist nicht 
ausgeschlossen, wenn wir sagen, der Wille könne dieses und 
jenes durch sich selber tbun (1. c. dist. 28. q, 1. a. 1.). Denn Gott 
bewegt alle Dinge zu ihren Thätigkeiten (3. contr. Gent. c. 68.). 
Man vergleiche noch: 1. 2. q. 6. a. 1. ad 3. — 1. dist. 42. q. 2. a. 1. 
— 2, dist 9. q. 1. a. 2. ad 4. — ib. dist 15. q. 3. a. 1. ad 2. etc 

Wie ist es möglich^ fragen wir, dass der englische Lehrer 
behauptet, Gott sei die Ursache jeder Thätigkeit, sowohl der 
Naturwesen, als auch der vernünftigen Geschöpfe, und jer meint 
* damit nur die natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Hinneigung 
des Willens zum Guten und zu der Glückseligkeit im allgemeinen? 
Kennt denn S. Thomas keine freien Thätigkeiten? Oder sind 
ihm frei und nothwendig real identische Dinge? Der Doctor 
Angelicus lehrt ausdrücklich, Gott sei Ursache der Sünde, inso- 
fern sie ein. physischer Act, ein Seiendes in der physischen Ord- 
nung ist Muss nun aber die Sünde nicht zu den freien Acten des 
Willens gerechnet werden? Wie kann man demnach behaupten, 
S. Thomas lehre bloß jenen Einfluss Gottes auf den Willen, wo- 
durch derselbe auf natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Weise 



, _ 249 — 

zum Gutes und zu der Glllckseiigkeit im allgemeinen bewegt 
wird? VermittlnDgBrersuche haben immer etwas Missliches. Hier 
baben wir iodesseo thatsäcblich gar keiaen VermittlaügsverBucb, 
sondern des reinen Simnltanooncurs der Gegner des heil. 
Tbomiu. Die Erklämug, wie Gott zur SUnde mitwirkt, ist darum 
nicbt allein in eich uuricbtig, sondern bietet auch eben bo viele 
und eben bo groBe SohwierigkeiteD, wie im System de» heil. Tho- 
mas und seiner Schiller. Wie die Frage von den Vertheidigera 
des bloß simultanen Concurses gelöst wird, anf dieselbe Weise 
wird sie von den Thomisten gelöst. 

Der meuBcblicIie Wille ist nicht deshalb Ursache der SUnde, 
weil er bloö das StofFliche, das Snbject des moralisch Utiseu. 
nämlich den Aet in der physischen Ordnung wirkt. Nein, 
er wirkt diesen Act auch in der moralischen Ordnung. 
£r ist darum auch Ursache des Bösen selber. Dieser Act geht 
nicht überhaupt oder im allgemeinen aus dem Willen hervor, 
sondern ans dem Willen, der in mdividuo moralisch bandelt. Ist 
er in diesem Zustande von Gott abgewendet, so wirkt er fehler- 
haft und gibt seiner Thätigkeit eine Deformität. Diese Thätig- 
keit geht, in esse moris specificiert und von der sittlichen Becht- 
scbafTenheit abweichend, aus dem Willen hervor. 

Durch die Bewegung Gottes wird die Thätigkeit des Willens 
nicht in der moralischen, soodero bloß iu der physischen Ordnung 
Bpecificiert. Der Thätigkeit in esse naturae kommt per accidens eine 
Deformität zu wegen der Beziehung zur nächsten defecten 
Ursache, aus welcher sie, in esse moris speeificiert, hervorgeht. 
Cfr. de malo q. 3. a. 2. Die Deformität ist allerdings innerlich, 
intrinsece mit diesem Acte verbunden, aber nur insofem als dieser 
Aet, in der moralischen Ordnung speeificiert, ans der fehler- 
haften Ursache stammt. In der physischen Ordnung ist die 
Deformität für den Act etwas rein Zufälliges. Deformitas peccati 
«ö» consequOur speciem actus, secundum quod est in gener e naturae; 
sie autem a Deo causaiur. Sed consequitur speciem ödiw, secundum 
juoif est moralis, prout causatur ex Hbero arbitrio, sicut in alia 
quaestione (q. 2. a. 2. et 3.) dictum est (de malo q. 3. a. 2. ad 2.). 
Darans ist klar, dass Gott den Act der Sünde wirken kann, ohne 
zugleich die Sünde selber zu verursachen. Es ist nicht ohne- 
veiterc richtig, dass, wenn zwei Dinge miteinander verbunden 
sind, derjenige, der das eine wirkt, auch das andere hervor- 
bringen müsse. Er . mUsste zu diesem Zwecke auch das andere 
Als Ursache wirken. Effectus causati, in^atUum est causatum, 
reducitur in causam. Si autem aliquid procedat a causato, non 
secundum quod est causatum, hoc non oportet in causam, redud, 
Sicut motua tibiae causatur a virlute tnotwa animalis, quae tibiam 
»Kwef, Sed obliquitas ambulationis tton provenit a tibia, secundum 
gwdest mota a virtute motiva, sed secmdum ^uod deficit a susci- 



^ 250 — » 

piendo inf/uxum mativae virtutis per suum defedtmi. Et ideo daudi* 
catio non causatur a virttUe motiva. Sic ergo peccatum causatur a 
libero arbürio, secundum quod deficit a Deo, TJnde non oportet, 
quod Dens sit causa peccati, licet sit causa liberi arbitrii (de malo 
p. 3. a. 1. ad 4.). Würde Gott zugleich auch die schlechte 
Disposition des Willens für die Aufnahme seiner Bewegung 
hervorbringen^ dann wäre er Ursache des fehlerhaften Actes. 
Das lehrt aber weder S. Thomas, noch einer seiner Schüler. 

Man wird demnach zugeben müssen, dass 6ott den Act 
der Sünde in der That verursacht, widrigenfalls der Wille zur 
ersten Ursache wird. Erste Ursache ist stets diejenige, die 
keine andere voraussetzt. Allein deshalb wirkt Gott nicht auch 
zugleich die Sünde als solche. Diese hat keineswegs ein effec- 
tives, sondern ein defectives Agens zu ihrer Ursache, denn 
sie ist an sich ein Mangel, eine privatio. Die Wahlfreiheit, nicht 
als solche, sondern als fehlerhafte, als deficiens, weil aus dem Nichts 
stammend, bildet ausschließlich und allein den Grund für den 
fehlerhaften Act. Der Wille ist von Natur aus zum Fehlen geneigt. 
Selbst Gott konnte ihn vonNatur aus nicht anders machen, 
weil er eben ein Geschöpf ist (de veritate p. 24. a. 7.). Was die 
Sünde Positives an sich hat, das kommt von Gott und ist gat^ 
bonum et ens convertuntur. Diesbezüglich hat sie in analoger Weise 
Antheil an der Form Gottes, an dem Sein. Sie ist ein ens per 
participationem, und aus diesem Grunde von Gott verursacht. Als 
Sünde dagegen besitzt sie keine Form, kein Sein, sie hat viel- 
mehr Mangel an der Form, an dem Sein. Darum ist sie eine 
privatio und hat als solche in keiner Weise Antheil an Gott, 
Ähnlichkeit mit Gott. 

Der Wille wirkt nur solange in der Kraft Gottes, ab 
er in der Unterordnung nnter Gott bleibt. Das geschieht mit 
Bezug auf seinen Act in der physischen Ordnung. Hinsichtlich 
dieses Actes in der moralischen Ordnung dagegen tritt er ans 
der Unterordnung unter Gott heraus. Das vom Willen angestrebte 
Endziel ist in esse moris nicht Gott, sondern ein vergängliches 
Gut. Ebenso ist die formelle Ursache, das wirksame Princip dieses 
Actes in esse moris nicht der Wille als efficiens, sondern als 
deficiens. Gott aber kann niemals causa deficiens sein. In dieser 
Beziehung ist somit der Wille Gott nicht untergeordnet 

§. 16. Schluss. Allgemeiner Überblick über das gewonnene 

Besultat. 

112. Wir können nun unsere Untersuchung über die Lehre des 
heil. Thomas mit Bezug auf die Willensfreiheit der vernünftigen 
Wesen zum Abschlüsse bringen. Das Hauptsächlichste in dieser 
Frage glauben wir mehr oder minder berührt zu haben. Eän klarer 



- 251 — 

Einbliek in die Lehre des großen Meistera dUrfte demzufolge 
möglich sein. 

Die Willens- oder Wahlfreiheit hat ihren Grund, ihre 
Wnrzel in der Abhängigkeit des Willens vom Verstände. Der 
Wilfe strebt nach seinem Objeete in der Weise, wie es ihm durch 
den Verstand vorgestellt wird. Der Verstand kann das Objeet des 
Willens in doppelter Weise vorstellen: entweder als ein abso- 
Intes, in jeder Beziehnng vollkommenes, daher allge- 
meines, oder als ein beschrfinktee, mit Unvollkommenbeit ver- 
misßhtes, daher particaläres Gut. Wird es dem Willen als eiu Gut 
in jeder Beziehnng dargestellt, so begehrt es der Wille m i t N o t h- 
wendigkeit und auf natürliche Art. Der Wille ist dem- 
nach in dieser Hinsicht nicht frei, d. h. er kann nicht das Ge- 
gentherl von diesem Gnt anstreben. Er ist vielmehr für dieaes 
Gnt bestimmt, determiniert. Ein Gnt dieser Art füllt die ganze 
Potentialität des Willens aas. Darum ist die Kraft dieses 
Gnts so groß, dass es den Willen objectiv auf natUrlicbe und 
nothwendige Weise bewegt, mit Ausschlass der objectiven 
Indifferenz, daher auch der objectiven Wahlfreiheit. 

Ein solches Gut findet sich in der That vor. Es ist das Got 
als solches und die Glückseligkeit im allgemeinen. Der Wille 
kann nieciials ein Nichtgut als solches begehren, er kann nie- 
mals unglUcklieh sein wollen. DafUr besitzt er keine obJQC- 
tive Indifferenz. Das ist selbst G«tt, dem freiesten Weseu von 
allen, nicht gegeben, dass er etwas wolle, was nicht ein Gut ist, 
oder dass er unglücklich zu sein begehre. Diese objective Noth- 
wendigkeit bildet das eigentliche Fundament fUr die Frei- 
heit des Willens (de veritate q. 22. a. 5.). 

Da indessen der Wille als Strebevermögen, im Unterschiede 
von der Erkenntoiskraft, nicht das vorgestellte Gut begehrt, 
d. h. nach demselben nicht strebt, wie es in der Vorstellung, 
Bondem wie es in der Wirklichkeit ist, so wirft sich die 
Frage von selber auf, ob es für den Willen der vernünftigen 
Wesen ein solches Gut in der Wirklichkeit aparte rei geben 
kCune, welches den Willen objectiv auf natUrlicbe Weise und mit 
Nothwendigkeit bestimmt? Das erste and höchste aller geistigen 
Wesen, Gott, besitzt in d«ir Tfaat ein solches Gut. Es ist seine 
eigene Wesenheit. Diese stellt sieh als ein allseitig, in jeder Be- 
ziehung vollkommenes Gut dar. Der Grund davon liegt in ihrer 
Einfachheit. Sie ist Act, nichts als Act, somit nichts als Voll- 
kommenheit. Gott liebt darum seine Wesenheit, sich selber, auf 
natarliche und nothwendige, d. b. unfreie Weise. Er ist za dieser 
Beiner Wesenheit bestimmt oder determiniert In Gott sind 
die objective, formelle ratio vokndi uod der Gegenstand, die res, 
in welcher diese ratio volendi sich befindet, sachlich ein und das- 
selbe. Alles in ihm ist lautere Güte (1. eontr. Gent. o. 74. und 80.}. 



— 252 — 

Ftlr den Willea der vernltnftigeD GeBohßpfe gibt es keinen 
Gegenstand, keine res, wodurch dei-selbe anf natürliche und noth- 
wendige, d. h. unfreie Weise bestimmt würde, solange der Verstand 
ihm nicht Gottes Wesenheit selbst darstellt. Was der Verstand 
TOI- dem Znstaode der Seligkeit im Jenseits dem Willen verge- 
genwärtigt, das ist und bleibt stets als Gegenstand oder ob- 
jedum ^iod etwas mit einer Unvollkommenheit Veriniaßhtes. Dia 
geschaffenen Güter sind aasnahmslos zusammengesetzt aus Potene 
und Act, zum mindesten ans Wesenheit und Existenz. Die Potenz 
aber, oder was sich wie die Potenz, wie der Stoff verhält, be- 
dentet immer etwas Unvollkommenes. Der Act, die Existenz, 
oder was sich auf diese Art verhält, bildet allerdings etwas Voll- 
kommenes. Da nuD kein geschaiTenes Wesen reiner Act, lau- 
tere Wirklichkeit, un vermischtes Sein ist, wie Gottes Wesen- 
heit, so kann der Verstand dem Willen nichts Geschaffenes als 
ein allseitig nnd in jeder Beziehung vollkommenes Gnt 
darstellen. Es gibt folglich für ihn in diesem Zastaade keinen 
Gegenstand, kein Object (objedum quodj, i.a ^veleheta er a,a{ 
natürliche und nothwendige, d.h. unfreie Weise bestimmt wäre. 

Gott existiert allerdings, und er ist in der Wirklichkeit 
ein solcher Gegenstand, ein objeetum quod für den Willen der 
Geschöpfe. Allein der Verstand stellt dem Willen Gott nicht so 
dar, wie er in sich selber ist. Und nach der Vorstellung des 
Verstandes richtet sich das Streben des Willens. Der Wille der 
geschafTenen Wesen ist daher bloß bestimmt zu dem objec- 
tiven, formellen Grunde, zu der ratio volendi, aber za 
keinem in der Wirklichkeit existierenden Gegen- 
stände. In letzterer Beziehung bleiben sie demnach frei. Das 
nämhcbe mnss gesagt werden vom Willen Gottes mit Bezng auf 
alles, was nicht seine eigene Wesenheit ist. Das ist in Kürze 
das Resultat unserer Untersuchung Über den Gmnd oder die 
Radix der Freiheit, über die Freiheit im objectiven Sinne. 

113. Die Freiheit der vernünftigen Wesen muss aber auch 
von ihrer formellen Seite ans betrachtet werden. Die Freiheit 
im formellen Sinne ist nichts anderes, als die Macht, eine 
Thätigkeit auszuüben, oder dieselbe zn unterlassen, und, wenn 
der Wille thätig ist, wieder davon abzustehen. ' 

Gott ist auch in dieser Beziehnng das freteste Wesen von 
allen. Obgleich er an und für sich niemals im Zustaude der U n- 
thätigkeit sich befindet, sondern reine lautere Thätigkeit ist, 
so bleibt er dennoch im bbchsten Grade frei. Ein Beweis, daas 
dieUnthätigkeit an nndfttr sich nicht zur Freiheit gehört. Der 
Wille Gottes ist auf natürliche und nothwendige, d. h. un- 
freie Weise thätig im Wollen seiner seihst, seiner Wesen- 
heit. Die Thätigkeit, welche sich auf alle andern Objecte bezieht, 
muss eine absolut freie genannt werden. 



— 253 — 

Wie verhält es sich aber dano mit dem Ornndsatze des 
heil. Thomas, die remlinftigeD Wesen seien deshalb subjectiv 
oder formell frei, weil die Thätigkeit, der Act, etwas Par- 
ticuläres iatV^Muss die Willensthätigkeit Gottes nicht ebenfall« 
etwas ParticulSres genannt werden? Obne Zweifel ist sie 
etwas Particnläres oder Singuläres. Das Partieuläraein als solehe» 
hindert nicht, dasB der Wille auf natürliche und nothwendige 
Weise begehre. Particulär kann nämlich ein Ding auf doppelte 
Art sein. Entweder durch sich selber, ohne Zusammensetzung mit 
einem andern, ohne Beimischung eines Unvollkommenen. In dieser 
Art Singular ist dasjenige, was weder die Fähigkeit besitzt, etwa» 
anderes anfzanehmen, noch von einem andern aufgenommen za 
werden. Ein solches Wesen ist zwar particulär, aber nichts destb-' 
weniger allseitig und in jeder Beziehung ein Gut. Es 
ist n u r ein Gut, nichts als ein Gut, daher auch bmum universale. 
So yerhält es sich thatsächiich mit der göttlichen Willensthätig- 
keit, wodurch er seine eigene Wesenheit begehrt. Seine Tliätigkeit 
DDterscheidet sieb sachlich oder real nicht von sein^* Wesenheit. 
Gleichwie daher seine Wesenheit zwar singulBr, und doch ein 
bonum universale ist, ebenso muss dieses von seiner Tliätigkeit 
in sich selber behauptet werden. Er will folglieh seine Thätigkeit 
auf natürliche und nothwendige, d. h. unfreie Weise. 

Im heil. Thomas finden wir indessen noch eine andere Noth- 
wendigkeit. Der Verstand, eine geistige und darum refiesive Kraft, 
kann nicht bloQ die Willensthätigkeit als ein in sieb begehrens- 
wertes Gut vorteilen, sondern aach als ein Mittel, um das 
Endziel, die Glückseligkeit ku erreichen, zu besitzen. Wird Hie 
Thätigkeit dem Willen vom Verstände als einziges Mittel dar- 
gestellt, 80 begehrt der Wille seine Thätigkeit ganz mit derselben 
Nothwendigkeit, mit welcher er objectiv das Endziel begehrt. 
Gott will nothweadig das Gut und die Glückseligkeit im all- 
gemeinen: mit andern Worten, er begehrt nothwendig das 
Endziel. Dieses Endziel aber besitzt er durch seine Thä- 
tigkeit. Diese Thätigkeit ist sozusagen das Mittel, welches 
ihn in den Besitz der Glückseligkeit setzt. Selbstveraländlieb darf 
sie in Wirklichkeit nicht Mittel genannt werden, weil sie sich 
ja von der Glückseligkeit selber nicht real unterscheidet. Nichts- 
destoweniger entspricht dieses Verhältnis unserer Auffassung. 
Daraus folgt abermals, dass Gott die Thätigkeit seines Willens 
ftnf natürliche und nothwendige, d. b. unfreie Weise begehrt. Diese 
Nothwendigkeit entspringt somit einem doppelten Grunde. Einmal, 
weil die Thätigkeit iu sich ein allseitig und iu jeder Be- 
ziehung voUkommcaes Gut ist, ein bonum universale bildet, in- 
dem sie sich von seiner Wesenheit nicht real unterscheidet. Als 
zweiter Grund kann angeführt werden, weil sie das einzige 
Mittel ist, nm glücklich zu sein. 



— 254 — 

Beü'Echteii wir nun die Willensthätigkeit Glottes in ihrer 
Beziehung zu den geschöpf liehen Dingen. DiesbezUglieh ist 
sie eine durchaus freie, und zwar aus denselben zwei Gründen, 
aus welchen sie früher eine nothwendige war. Die Willensthätig- 
keit Gottes in ihrem Verhältnisse zu den geschöpf liehen 
Dingen ist sozusagen nicht ein bonum universale, und sie bildet 
nicht das einzige Mittel für Gott, ntä glücklich zu sein. Selbst wenn 
er gar kein Geschöpf will, bleibt er im Vollbesitze seiner Glück- 
seligkeit. Begehrt er deren, so geschieht es einzig und allein nur 
seiner eigenen Wesenheit und Güte, seiner eigenen Glückselig- 
keit wegen. Er kann dieselbe dadurch nicht für sich vergrößern, 
sondern bloß andern von seiner eigenen Größe mittheilen wollen. 
• ' 114. Anders verhält sich die Sache in Betreff der Willens- 
thätigkeit der vernünftigen Geschöpfe. Diese ist in sich etwas 
Particuläres, aber ein Particuläres, das mit einer Unvpllkom- 
ni'enheit vermischt sich zeigt. Die Thätigkeit der Geschöpfe ist, 
wie diese selber, zusammengesetzt aus Potenz und Act.- Jede 
Substanz besteht aus Wesenheit und Existenz oder Dasein. Das- 
selbe gilt vom Accidens. Die Wesenheit bildet etwas Unvoll- 
kommenes, die Existenz, der Act ist das Vollkommene. Aus 
dieser Mischung eines Unvollkommenen mit einem Vollkommenen 
folgt aber, dass die Thätigkeit nicht ein a 1 1 s e i t i g und *i n j e d e r 
Beziehung vollkommenes Gut, dass sie nicht ein bonum universale 
ist. Da nun der Wille nur das bonum universale auf natürliche 
und nothwendige, d.h. unfreie Weise begehrt, die Thätig- 
keit des Geschöpfes aber nicht ein solches Gut ist, so ergibt sidi 
daraus mit voller Klarheit, dass der Wille subjectiv, formell, 
mit Bezug auf seine Thätigkeit vollkommen frei ist. 

Dazu kommt noch ein anderer Grund. Der Wille begehrt 
zwar mit der früher genannten Nothwendigkeit das Gut und die 
Glückseligkeit im allgemeinen. Er will unter allen Umständen 
glücklich sein. Allein das ist, wie früher nachgewiesen wurde, 
bloß die ratio volendi. Unter dieser Glückseligkeit im allgemeinen 
ist kein bestimmter Gegenstand einbegriflfen, kein Mittel ange- 
geben, wodurch er in den Besitz der Glückseligkeit gelangt. Wäre 
die Thätigkeit real identisch mit dem Gegenstande selbst, und 
dieser wiederum mit der ratio volendi, dann könnte man von einer 
Nothwendigkeit sprechen. Oder wäre die Thätigkeit das einzige 
Mittel um glücklich zu sein, so hätten. wir abermals eine Noth- 
wendigkeit zu verzeichnen. Allein dieses ist nicht der Fall. Das 
Geschöpf kann gerade darin glücklich sein, dass es keine Willens- 
thätigkeit ausübt, oder dieselbe wieder unterbricht, und in den 
Zustand der Unthätigkeit zurückkehrt. Mit Recht bemerkt 
darum der heil. Thomas, der Mensch brauche über die Glück- 
seligkeit nicht nachzudenken, dieselbe folglich nicht thatsäehlich 
(actu) zu wollen. 



— 255 — 

Im andern Leben wird dieses Verhältnis eiaigermaßeu ge- 
äadert.. Die Thäügkeit selbst bleibt anch dort in s'icfa etwas Par- 
ticuiäres, mit einer Unvoll kommenheit Vermlscbtes. Sie wird nicht 
reine Thätigkeit, actus purus. In dieser Hinsieht ist und bleibt sie 
demnacb eine vollliotnmen freie Eigenschaft des vernünftigen Ge- 
schöpfes. Sie biiugt aber deshalb eine gewisse Notbwen- 
digkeit mit sich, weil sie zum einzigen Mittel wird, um glück- 
lich zu sein. Der Verstand wird im Jenseits dem Willen niemals 
die Unthätigkeit als Mittel zur SeUgkeit vorstellen. Dies gilt 
natürlich nur in Bezug auf die Anschauung Gottes, in Bezug auf 
das actiielle Streben des Willens nach dem Endziele selber. 
Hinsichtlich des Begebrena der andern Guter, außerhalb der gött- 
lichen Wesenheit, bleibt die Tbätigkeit des Willens eine ganz 
und gar'freie, ähnlich deijenigen, die Gott in Betreff der Ge- 
schöpfe besitzt. 

Der Grundsatz ^es englischen Meiatera, der Wille sei mit Üe^ag 
anf seine Thätigkeit, quoad exercitium actus, frei (liberi ai^itrii), • 
weil die Tbätigkeit etwas Particuläres ist, bat somit seine volle 
Geltung. Wir sprechen ja zuuäebst von der Freiheit des Willens 
Überhaupt. Und es ist anch vollkommen richtig, wenn S. Thomas 
erklärt, diese subjeetive, formelle Freiheit behalte der Mensch: 
„in quolibet statu naturae respedu cußislibet objecti" (de veritate 
q. 22. a. 6.). Der status gloriae ist nicht ein Status naturae, sondern 
supranaturae. Der veränderte Zustand im Jenseits kommt ihm 
daher nicht mit Kiicksickt auf seine Natur zu. Damit ist ;',ugleich 
das Gebiet der Willensfreiheit genau angegeben. 

115. Wir wollen nun anch das FreÜieits p r i n c i p kennen 
lernen. In Gott ist das Freiheiteprincip unmittelbar die Wesenheit 
selber. Verstand und Wille sind in ihm real ein und dasselbe mit 
seiner Wesenheit. Diese Wesenheit aber ist reine Form, reiner 
Act. Seine Thätigkeit muss daher ebenfalls reiner Act sein. In 
keiner Beziehung findet sich darum in Gott irgendeine Potentialität. 
'Er ist niemals ^eder Potenz, nocn in der Potenz,* Infolgedessen 
• kann man anch von ihm nicht sagen, er sei acta oder in adu. 
Gott ist nicht in der Wirklichkeit, sondern nur Wirklichkeit. 
Er ist nur adus. 

Das 'fhätigkeitsprincip in Gott mllesen wir Form, Wirk- 
lichkeit, actus nennen. D^mgegenllber heißt Thätigkeitsprincip 
in den Gesehüpfen dasjenige, was actu oder in adu ist. Dieses 
begründet einen mehr als himmelweiten Unterschied. Die vernünf- 
tigen Geschöpfe — mit diesen wollen wir uns jetzt ausschlielilich 
beschäftigen — sind nicht unmittelbar durch den Act oder.die 
Form thätig. Die Form oder der Act, wodurch sie in der Seina- 
ordnuQg in ordine entitalivo constituiert werden^_ ist nicht zugleich 
. das nächste, unmitt^bare Priucip der Thätigkeit (in ordine opera- 
iivo). Das nächste unmittelbare Prlncip wird vielmehr von der 



— 256 — 

Potenz oder dem Thätigkeitsv er mögen gebildet. Nor handelt 
es sich jetzt daram, genau anzugeben, in welchem Zustande das 
Thätigkeitsv ermögen sein rnttssC; um in der Wirklichkeit Pr in cip 
oder Ursache einer Thätigkeit genannt werden zu können. 

Der englische Meister lehrt, dass Gott allein ohne Beimischnng 
einer Potentialität sei. Alles Geschaffene ist somit, wenn es 
Wirklichkeit besitzt, aus Potenz und Act zusammengesetzt. Dieses 
Gesetz finden wir in ordine entüativo sowohl, wie auch in ordine 
operätivo ausgeprägt. Das Thätigkeitsprincip, die Ursache als 
solche muss daher etwas Zusammengesetztes sein. S. Thomas 
weist darauf hin, wenn er sagt^ dieses Princip sei die potentia in 
actUy das Agens in dctu. Eine Potenz in adu bedeutet nichts an- 
deres als eine Potenz, verbunden, vermischt mit einem 
Acte. Die Wesenheit in adu ist die Wesenheit als Potent, ver- 
einigt mit der Existenz als ihrem Acte. Von Gott sagt der Doctor 
Angelicus das nicht. Gott ist nicht Potenz, apch nicht Potenz in 
adu, sondern ausschließlich Act, adus. Der Grund davon liegt 
in seiner absoluten Einfachheit sowohl in ordine entitcUivo 
als in ordine operätivo. 

Der Wille als Thätigkeits princip, als wirkliche Ur- 
sache, muss somit zusammengesetzt sein aus Potenz und Act 
Er kann in diesem Zustande nicht reine Potenz sein, denn die 
reine Potenz ist aufnehmendes, nicht aber mittheilendes^ 
gebendes Princip. Das Thätigkeitsprincip gibt- etwas, die 
Ursache theilt ihrer Wirkung, dem Effecte das Sein mit. Dieses 
Princip kann indessen auch nicht reinerAct sein, denn reiner 
Act ist nur Gott, er allein. 

Besitzt nun der Wille als Thätigkeits vermögen diese zwei 
Eigenschaften, die in den geschaffenen Dingen gefordert werden^ 
um Princip, um Ursache zu sein? Ist dieses Vermögen 
zusammengesetzt aus Potenz und Act? An und für sich nicht^ 
denn auf das Princip, au/ die Ursache folgt infallibel 
die Thätigkeit als Effect. Eine wirkliche JUrsache, die' 
nichts verursacht, lässt sich schlechterdings nicht denken. Der 
heil. Thomas lehrt aber, der Wille sei manchmal ohne Thätig- 
keit, agens in potentia. In diesem Zustande ist er folglieh nicht 
Princip, nicht Ursache. Und warum dies? Weil er reine 
Potenz ist. Es fehlt ihm in diesem *Zu8tande der Act, die Exi« 
stenz in ordine operätivo. 

Wer gibt dem Willen, dem Thätigkeitsv er mögen, diesen 
Act, die Existenz, wodurch er in ordine operätivo Wirklichkeit hat^ 
und infolge dessen Princip, Ursache wird? Vielleicht er selber? Das 
ist gerade sowenig möglich, als es möglich ist, dass eine Wesen- 
heit sich selber die Existenz verleihe. Der Wille als Ver- 
mögen könnte sich etwas nur vermittelst einer Thätigkeit geben« 
Allein das setzt voraus, dass schon ein Princip, eine Ur- 



- 257 — 

Sache dieser Tliätigkeit vorbaDden ist. Priucip der TliHtigkeit 
ist aber nach der Lehre des heil. Thomas die actire Potenz, 
oder die potentia in actu, das agetis in actu. Vermag demnach dev 
Wille als Thätigkeitaverniögeu sich selber dasjenige zu geben, 
wodurch er active Poteuz, poteiUia in actu wird, was aber nur 
dureh eine Thätigkeit geschehen kann, so bringt er eine 
Wirkung hervor, beyor er Princip oder Ursache dieser 
Thätigkeit ist. Dann ist er zugleich passive nnd actire Föten», 
ungleich agens in potentia und a^ens in actu. Das agens iu potentia 
imd das agens in actu ist eins und dasselbe. Das sind doch wohl 
belle Widersprftche. 

Man erwidert, der Wille sei nicht eine passive, sondern 
eine active Potenz, Allerdings ist er das, aber wann? Erst dann, 
wenn er agens in üctu geworden. An und für sich ist er es durch- 
aus nicht, denn in diesem Falle könnte er nie ohne Thätigkeit 
sein. Auf die active Potenz folgt unfehlbar eine Thätigkeit. 
Die active Potenz ist bloß der Natur und Causalität nach früher 
•a\s die Thätigkeit. In Bezug auf die Zeit sind beide zagleieb. 
Die atftive Potenz ist Princip, Ursache. Die Ursache j;:eht 
der Wirkung zwar der Natur und Causalität nach voraus, hinsicbt- 
lieb der Zeit sind beide zugleich. Es widerspricht darum der Lehre 
des heil. Thomas, wenn man den Willen schlechthin active 
Potenz nennt. An und für sich ist er Tbätigkeits vermögen, 
somit reine Potenz, folglich passiv- Active Potenz umss 
er erst werden durch ein Agens, welches schon in actu ist. 

116.' Der Wille, als Tbätigkeits v e r m ö g e n ist reine Potenz, 
kann darum nicht sich selber zu einer activeu Potenz, zu 
emeüpotentid in actu oclereinem agens in actu machen. Die Form, 
der Act, wodurch &r potentia in actu wird, muss darum notliwcndig 
von Gott kommen. Denn Gott ist actus, er allein kann den AVillen 
subjectiv bewegen, aus dem passiven in den activen Zustand 
überführen. Gott allein kann den Willen zum Princip, zur 
Ursache machen. Durch das, was Gott ihm niittheilt, wird der 
Wille in ordine operativo existent, und jetzt geht er dann in 
Thätigkeit über. Die Potenz als solche ist niemals Tbätig- 
keitsprincip, denn sie verhält sich wie der Stoff. Dieses Pnncip 
wird immer durch die Form coustitniert. Dasjenige, wodurch 
der Wille Princip oder Ursache der Thätigkeit wird, ist folge- 
richtig nichts anderes als die Bewegung durch Gott. Diese 
inhäriert dem Willen vorübergehend j)er modum formae oder actus. 
Und warum nicht auf permanente Art? Deshalb nicht, antwortet 
S, Thomas, weil die Form, der Act per modum permanentis einzig 
und allein Gott eigen ist. Die Geschöpfe besitzen diese Form 
nur per modum transemtiis. Alio modo oportet ponere virtutem 
agendi in agente principali, alio modo in agente instrumentali. Agens 
etiim principale agit setmndum exigentiam suae formae. Et ideo pirtus 
Feldntr, Wülenifreibeit. 17 



— 258 — 

activa in ipso est aliqua forma vel qualäas, habens completum esse 
in natura. Instrumentum autem agit tU motum ab alio, et ideo com- 
petit sibi virtiis proportionata motui, Mottis autem non est ens com- 
pletum, sed via in ens, quasi medium quid inter puram potentiam 
et purum actum tU dicUur in 3, Ethic. (4. dist. 1. q. 1. a. 4. qji. 2.). 

Die Natardiuge besitzen diesen Act einig'ermaßen ständig, 
indem sie ohne Unterbrechung von Gott bewegt werden,- 
was bei dem Willen der vernünftigen Geschöpfe nicht der Fall 
ist. Indessen darf man doch nicht sagen, dass sie diesen Act per 
modum permanentis haben. Virtus naturalis, quae est rebus natura- 
libtis in sua instittUione collata, inest eis ut quaedam forma, habens 
esse ratum et firmum in natura, Sed id, quod a Deo fit in re na- 
turäli, quo actualiter agit, est ut intentio sola, habens esse quQddam 
incompletum, per modum, quo colores sunt in aere, et virtus ariis 
in instrumento artifigis (de poteutia q. 3. a. 7. ad 7.). 

Das Willens vermögen mit dem Acte, mit der aufgenom- 
menen Form oder Bewegung bildet das unmittelbare principium 
quod der Thätigkeit. Aber das principium quo dieBer Thätigkeit 
ist die Form, die vorübergehend aufgenommene Bewegung. 
Das Willensvermögen aliein genommen, verhält sich stofiTlieh 
und der StofT, die Materie kann nie principium quo einer Thätig- 
keit sein. Das ist immer die Form. Daraus leuchtet ein, warum 
der heil. Thomas beständig lehrt, das Geschöpf sei in der Kraft 
Gottes thätig. Die Bewegung des Wiltens durch Gott isl das 
prhwipium wodurch oder quo der Wille Thätigkeitsprincip 
oder Ursache wird. Und eben diese Bewegung ist das prindipium 
quo der Thätigkeit. 

Damit fällt der Einwurf, den ein Autor gegen die pra^motio 
physica erhebt. Dieser Autor sagt, wenn Gott den Willen vorher- 
bewege, so sei er nicht unmittelbar thätig. Wir antworten 
darauf: Gott ist nicht unmittelbar thätig als principium quod. 
Dieses Princip ist, wie schon bemerkt wurde, der bewegte 
Wille. Er ist aber unmittelbar thätig als principium quo. Dies 
gilt selbstverständlich nur mit Bezug auf die Thätigkeit des 
Willens. Bei der Überführung des Willens aus der Potenz in den 
Act ist der Wille auch nicht als principium quod thätig. Dieses 
Übergeführtwerden ist ein B e w e g t w e r d e n. Bewegtwerden aber 
bedeutet Leiden, nicht Thätigsein. Die Thätigkeit steht in einer 
andern Kategorie, als das Leiden. Bei dieser Überführung ist darum 
die Bewegung durch Gott principium quod und quo der Thätigkeit 

117. Kann man diesen Einfluss Gottes auf den Willen prae- 
motio physica nennen, und ist diese Benennung im heil. Thomas 
begründet? Unbedingt ja. Von einer eigenen neuen Benenuang 
durch die Thomisten ist gar keine Rede. Alle möglichen Vorwurfe 
erheben, ist eine leichte Sache. Doch hören wir den^ heil. Thomas 
selber. Motio autem moventis praecedit motum mobilis ratione et 



'causa (3. conti. Gent c. 149.). Daselbst kommt das Wort: prae- 
ceäere, praevenire weuigatens siebenmal oder achtmal vor. In 
operatione, qua Dem operatur movendo naturam, non operatur natura 
(de potentlft q. 3. a. 7. ad 3.). Man behauptet, der engliscbe Lebrer 

■ spreche immer nur von einem Applicieren der Potenz zu ibrer 
Tbätigkeit. Das ist sehr uageuun und unklar geäußert. Wir wollen 
uns dieses AppHeieren näher besehen. Gott appUciert den Willen 
zur Tbätigkeit. Das kann nur 'bedeuten, Gott bewegt den Willen, 
damit der Wille Thütigkeit wird, eine Tbätigkeit ausübt. 

In welchem Zustande muss uno der Wille sieb befinden, 
damit er eine Tbätigkeit vollziehe? Er oiuss nothweudig aetive 
Potenz, potentia in acht, ei; muss Pi'ineip, Ursache sein. Es wurde 
aber früher gezeigt, das» der Wille dieses uiebt durch sieh 
selber ist, sondern dass Gott ihn dazu machen rauss. ■ Das 
geschiebt durch die Überführung aus dem passiven in den 
activen Znstand. Kann der Wille bei dieser Überführung thätig 
sein? Wir müssen es absolut verneinen. Durch diese Uberflihrnng 
selber wird der Wille erst acfive Potenz oder Agens in acta. 
DasPrincip der Tbätigkeit abar ist die aetive, nicbt die passive 

■Potenz (1. p. q, 25. ».].). Von selten des Willens haben wir 
darum bei dieser Überfllhrung nur ein Bewegtwerden, sohin 
ciu Leiden. Mit Kecbt sagt darum der heil. Thomas diesbezüglich: 

' „non operaiur natura". Damit ist die praemotio klar und deutlich 
ausgesprochen. Gott kann nur eine a c t i v e, nicht eine passive 
Potenz zur Thätigl{eit applicieren. Er. mnss daher den Willen 
vor^rs.t zur activen Potenz macheu, npd dann wird si? 
appUeiert, wird sie thätig. 

Femer wnide bewiesen, dass der Wille in acht aus Potenz 
und Act zusammengesetzt ist.. Dpr Act dieser Potenz ist nichts 
aoderes, als die Bewegung durch Gott.'NQn lehrt der beil. Tho- 
mas an Tieleu HIellen, dass der Act oder die Form schlecht bin 
d. h. der Natur, Causalität und Wljrde oder Vollkommenheit nach 
früher sei als der Stoff. Daraus folgt abermals die praemotio, 
DasFrÖher in einer andern Weise hat kein Thomist gelehrt. 

Die praemotio bleibt dämm auch zu Kecht beateben bei dem 
eogeuauDten simultanen Coucurjie des heil. Thomas. Simultan 
heißt dieser Goncnre nur deshalb, weil nicht mehr Gott allein 
thätig ist, sondern auch der Wille mitwirkt. Bei diesen^ Con- 
curse bort indessen die Bewegung Gottes nicht auf. Form oder 
Aot des Willens zu sein. Darum bleibt sie, auch in dieser Be- 
ziehung, nach dem vorhin ausgesprochenen Grundsätze, in Wirklich- 
keit eine praemotio.' Das Formelle ist früher als das Stuffliche, 

118. Es wird femer eingewendet, die pfae»io(io vertrage sich 
nicht mit der Freiheit. Allein wir sehen keinen Grund daittr. 
Wenn zum Wesen der Freiheit gehört, dass der Wille .unthäf ig, 
passiv bleibe, dann wird die Freiheit allerdings durch die 



— 260 — 

p7'aemotio aufgehoben. Sie wird aber dann auch zerstört, so oft 
der Wille durch sich selber thätig ist. Ebenso wtlrde die 
Freiheit Schaden leiden, falls Gott durch seine Bewegung die 
ganze Potentialität des Willens ausfüllte/ Dasi hat aber 
kein Thomist je gelehrt, und kein Gegner bis jetzt bewiesen. 
Gott bewegt den WjUen der Natur desselben entsprechend und 
diese Natur verlangt, dass er frei bewegt werde, Sie Potenz für 
das Gegentheil beibehalte. Der Wille wird daliA nur theilweise 
bestimmt, determiniert, nämlich zu diesem Acte. Für alle andern 
bleibt er frei. Würde er picht determiniert, so könnte überhaupt 
keine Thätigkeit erfolgen, denn aus einem nicht Determinierten 
erfolgt niemals eine bestimmte, d.et^erminierte Thätigkeit. 
Urfd eine unbestimmte ^Thätigkeit existiert nicht. ^ 

Daraus folgt die Unrichtigkeit des bloß simultanen Conciirses 
der Gegner. Denn dieser bestimmt oder determiniert nicht den 
Willen, sondern nur die Thätigkeit des Willens. Auf den 
Willen selbst wirkt er gar nicht ein. Der Wille selber bleibt 
folglich entweder unbestimfnt, nicht determiniert, und 
trotzdem geht eine bestimmte ThJ^tigkeit aus ihm hervor, oder 
er bestimmt sich selber allein. Daseineist so unmöglich 
wie das andere. Ersteres ist von selber klar, letztetes leicht zu 
beweisen. Der Wille könnte sich selber nur durch die Thätig- 
keit bestimmen. Allein jede Thätigkeit setzt ein bestimmtes 
Princip voraus. Deiv Wille ist aber unbestimmt, weil er sich 
ja'erst selber bestimmt^ Er ist somit bestimmt und unbestimmt 
zugleich. Oder sollte vielleicht die eigene Thätigkeit den Willen 
bestiliimen? In die^sem Falle hätten wir 6ine Wirkung* durch 
welche die Ursache erst bestimmt wird. Und diese Wirkung 
müssfe, um determinieren zu könnep, früljer existieren, als ihre 
eigene Urs'ache, Von wdcher sie selber hervorgebracht wird. 
Daraus folgt zur Evidenz, dass der. Wille 'selbst dann, wenn er 
als active Potenz, als agens in actu betrachtet wird, durch die 
praemotio bestimmt werden iniiss, jun diesen individuellen Act 
* auszuüben. Nihil agit, nisi secunäum quod est in actü, Etitide est 
quod oportet omnfi agens esse determinatum ad aä'eram partem. 
Quod enim est ad tdrumlibet aequaliter se habens, est quodanmiodo 
potmtia resjßectu utriusque. Et inde est, ut dicit Commeniaior. in 
2, Phys. quod ab eo, quod est ad tärumlibet, nihil sequitur, nisi 
determinetur (2. dist. 25. q. 1. a. 1.). fn tantum indiget aliquid 
moveri ab aliquo, inquantum est inpotentia ad plura. Oportet enim y 
ut idj quod est in potentia, reducatur in actum per aiiquid/ quod 
est actu. Et hoo^ est movere (1.2. q. 9. a. 1.). 

119. Gegen diese Determinieriing des Willens durch die 
praemotio wird softrt bemerkt, dass darunter die Freiheit nicht 
bestehen könne. Zur Freiheit nämlich gehöre, [däss der Wille volle 
Herrschaft besitze über seine Thätigkeit oder seSne'UntHäligkeit. 



— 261 — 

Die Gegner bemerken vielleicht nicht, sonst würden sie diesen 
Satz kaum aussprechen, dass sie damit volle Unabhängig- * t 

keit des Willens fordern. In dieser vollen Herrschaft ist nicht • 
blo£ eingeschlossen, dass der Mensch frei über seine Acte dis- 
poniere, sondern auch über die Thätigkeit Gottes. Diese 
volle Herrschaft fordert dann, dass, wenn Gott den Willen bewegt, 
es dem Willen freistehen mUsse, diese Bewegung anzunehmen 
oder abzuweisen, in die Thätigkeit Überzugehen oder unthätig zu 
bleiben. Der Wille disponiert somit frei Über die Thätigkeit, die • 
Bewegung Gottes. Dies aber ist gleichbedeutend mit Unab- 
hängigkeit. < ^ 

Ja noch mehr! Der bloß simultane Concurs verlangt nicht 
allein volle Unabhängigkeit des Willens von Gott, sondern volle 
Herrschaft desselben über Gott. Die Bewegung des Willens 
durch Gott ist, wie behauptet wird, nur allgemeiner Natur. 
Durch den Willen selber wird sie dann bestimmt, determi- 
niert, wird das vom Winde getfiebene Schiff da- und dorthin 
gelenkt. Wer ist aun hier disponierendes Agens? Welches übt 
dan!i die Herrschaft aus über die Thätigkeit des andern? Offenbar * , 

der Wille des Geschöpfes. Das heißt doch des Guten zuviel ver- 
langen, um frei zu sein. Deus movet voluntatem immutabilüer 
propter efficaciam virtutis moventiSj quae deficere non potest (de malo 
q. 6. a. unic. ad 3). Der Wille des Geschöpfes kann Gottes Thätig- 
keit« umsoweniger bestimmen, über dieselbe umsoWeniger dispo- 
nieren, als er ohne Wirken Gottes überhaupt keinerlei Thätig- 
keit besitzt. Darin allein schon liegt ein Widerspruch, dass die 
allgemeine Bewegung des Willens durch Gott, von seiner 
" eigenen bestimmt, determiniert werde. Diese eigene muss ja eben- 
falls von (Sott erst gewirkt werden. Der Wille hat ohne Gott 
gar keine* eigene Thätigkeit. Aber selbsj zugegeben, er hätte 
»eine eigene, Gottes Wirken könnte trotzdem nicht durch sie 
bestimmt, determiniert werden: propter efficaciam virtutis moventis, • 
quae deficere non potest. 

Die Bewegung Gottes wird somit nur passiv bestimmt durch 
den Willen der Creaturen, d.h. durch das Leiden, nicht durch 
die Thätigkeit, durch die Aufnahme in den Geschöpfen. In 
dieser Beziehung ist sie dann allerdings veränderlich, denn : quid- 
quid recipitur, recipitur secundum modum recipientis. Darum be- 
merkt der heil. Thomas an der vorhin angeführten Stelle weiter: 
„sed propter naturam voluntatis motae, quae indifferenter se habet 
ad diversa, non inducitur necessitas, sed manet libertas, Sicut etiam in 
Omnibus Providentia divina iiifallibiliter operatur, et tarnen a camis 
contin^ntibus proveniunt effectus contingenter, inquantum Deus omnia 
movet proportimabiliter^ unumquodque secundum suum modum," 

Die praemotio physica wendet sich demnach bloß gegen den 
passiven; unthatigen Zustand des Willens, in welchem aber die 






— 262 — 

Freiheit nicht besteht. Sobald der Wille active Potenz, ayeiis 
in actu ist, wirkt er selber mit Gott eine Thätigkeit. Und er thut 
es 'geiai, es geschieht ganz nnd gar freiwillig, eben weil er selber 
mithilft, sich zu dieser Thätigkeit neigt. Andernfalls würde er ja 
nicht mitwirken. Die Thätigkeit des Willens besteht ja in einer 
Neigung desselben zu irgend einem Objecte. Will er etwas nicht 
freiwillig, so neigt er sich einfach nicht dazu, er hilft nicht mit. 
Bei der Überführung des Willens aus der Potenz in den Act 
kommt ihm überhaupt . noch * k e i n e Thätigkeit, sondern nur 
das Bewegtwerden zu. Da ist er noch nicht Princip oder 
Ursache einer Thätigkeit, er wird es erst, und zwar gerade da- 
durch, dass w von Gott bewegt wird, 

120. Ein Autor der neuern Zeit hat sieb die Mühe genommen, 
viele Stellen aus dem heil. Thomas zusammenzutragen zum Be- 
weise, dass der englische Meister gegen die praemotio physica 
gewesen sei. Er zählt deren siebenzehn auf. Ob der Autor sie 
alle selber aus denWei'ken fles heiU Thomas gesammelt, wissen 
wir nicht. Indessen finden sich schon alle ii^ mehreren Werken 
von Autoren aus dem 16. und 17. Jahrhunderte. Zunächst tvird 
folgende angegebeu: 1. „Judidum de actione propria est solutn in 
habentibus intellectum, quasi in potestate eorum constütUum sU eligere 
hanc actionein vel illam. TJnde et dominium sui actus habere dicuntur. 
Et propter hoc in solis intellectum habentibus liberum arbüriufn in- 
venitur, non autem in Ulis, quorum actiones non determinantur ab dpsis 
agentibussed a quibusdamaliiscau^prioribus^ (2. dist 25. q. 1. a. 1.). 

2. „Ea quae dicuntur de Deo et creaturis, ut in 1. libr. dictum 
est, semper eminentius An ipso inveniuntur. Et ideo eledio salvatur 
in Deo hoc modo, quod abjiciatur id, quod imperfectionis est, retefito 
eo, quod ad perfectionem pertinet, Quod enim post inquisUionem 
consilii electio fiat, hoc imperfectionis est, et accidit libero arbürio 
prout est in natura tgnorante. TJnde secundum hoc in Deo fwn . 
salvatur, Sed qumUum ad hoc, quod determinatio sui actus non est 
sibi ab alio, sed a seipso. Unde ipse verissime sui operis dominus 
est, et propter hoc etiam in littera dicitur, quod liberum arbitrium 
aliter in Deo, quam in aliis creaturis invenitur" (1. c. ad 1.). 

3. Deus operatur in omnibus, üa tarnen, quod in unaqtioque 
secundum ejus conditio7iem. Unde in rebus näturalibus operatur sicut 
ministrans virtutem agendi, et sicut determinans naturam ad taUm 
actionem. In libero autem arbürio hoc modo agit, ut virtutem sibi 
ministret, et ipso operante liberum arbitrium agat. tkd tarnen dktermi- 
natio actionis et finis jn potestate liberi arbitrii constituUur^ (1. c. ad 3.). 

Wir wollen uns fUr einige Augenblicke bei diesen Stellen 
aufhalten. Der heil. Thomas will in diesem Artikel beweisen, dass 
GQtt einen freien Willen habe. Er unterscheidet zu*diesem Zwecke 
die Naturdiuge, und indirekt auch die Thiere, von den vernünf- 
tigen Wesen dadurch, dass er behauptet, die freien Wesen be- 



stimmten eich selber, sie wllrden nicht von einem andern bestimmt. 
Wie man daraus scbließen kann, die Freiheit der Gesehüpfe 
bestehe darin, eich selber allein, d. b. mit AusschlnsB Gottes zu 
hestimmeD, dag vermügen wir nicht zu begieifen. Der heilige 
Thomas spricht hier von der Freiheit der vernünftigen Wesen, 
nicht der vernünftigen Geschöpfe. Er will ja darthun, dass 
Gott einen freien Willen habe: „titrum in Deo sit liberum arbi- 
irium." S. Thomas nntersoheidet hier einfach die freien Wesen 
von den unfreien. Die einen determinieren sich selber, die andern 
hingegen nicht. 

Znm UnglSete fUr die Auffassung unseres Autors bemerkt 
S. Thomas, die Freiheit sei in Gott anders, aliter als in den Ge- 
schCpfen. Wenn die GeschCpfe sieh selber bestimmen, ohne dass 
Gott sie bestimmt, dann ist ihre Fieiheit nicht aliter als die Fiei- 
heit Gottes. Beide sind gleich unabhängig von einer andern 
Ursache. Ein Unterschied ist darum nicht herauszufinden. 

Bezüglich der dritten Stelle ist zu bemerken, dasa die von 
nneerm Autor ausgelassenem Worte: „licet non itn sicut 
primo agenti" noch dazu gelesen werden müssen. Daraus wird das 
Ganze klar. Wenn diese Detevminiernng der Thätigkeit und des 
Zieles nicht so wie in Gott ist, daon muss sie noch von 
einer andern hfihern Ursache abhangen. 

4, Eine weitere vom Autor angeführte Stelle : „non eniin esset 
homo liberi arbiirü, nisi ad eum sui operis detei-minatio pertineret, 
ut ex proprio judicio eligeret hoc aut illud", beweist Dicht mehr und 
nicht weniger, als dass der Wille sieh ebenfalls selber be- 
stimme. Man braucht nnr einen oherfläcblicben Blick auf flen 
Text zu werfen, nm sofort zu erkennen, dass S. Thomas damit 
die Kothwendigkeit ausschließen will. Er wendet sich aus- 
drücklich gegen die Vertheidiger einer Nothwendigkeit. 
Unser Autor müsste vorerst beweisen, was leider nicht ge- 
schieht, dass S. Tliomas behauptet habe, die praemotio fhysica ver- 
ursache im Willen eine Nothwendigkeit. Nnr in diesem 
Falle wäre der Doctor Angelicns gegen die praemotio phi/sica. 
Warum hat der Autor daselbst nicht auch noch das andere gelesen ? 
Es heißt Dämlich weiter: „Et ideo alii nat-uram liberi arbitrii sal- 
vare volmtes, in alium errorem prolapsi svni, sdlicet Pelagiani, facul- 
latem liberi arbitrii amplianles. Dicuni enim, quod, quia liberum 
arbitrium de se non est deferminatum ad aliquod opus, sed ex ipso 
pendet determinatio cujuscunque operis, ideo homo per libfrum arbi- 
trium in quodlibet bonum opus potest sine aliqua gratia super 
addita .. ." Dann beweist S.Thomas, dass der Mensch ohne Gnade 
Und ohne erworbene Tugend eine gute That vollbringeu 
könne, aber so, dass: „to per se non exdudat divinam camalüo'- 
iem, secundum quod ipse Deus in omnibus operaiur tti universalis 
causa boni, ut dicüur Isaias 26; 13: Omnia opera nostra operatus 



— 264 — 

es in nobis Domine. Sed exclvdit habitum aliquem creatum ncUuralibus 
superadditum,'^ Diese letzten Worte passen allerdings sehr schlecht 
für den vom Autor unternommenen Beweis, dass S. Thomas Gegner 
der praemotio sei. Hätte der Autor noch weiter gelesen, so wäre 
er zu folgenden Worten gekommen : „nihil tarnen boni polest facere 
sine gratia Dei, secundum quod intelligitur gratia ipse Deus gratis 
dans, eo quod ipse est principium omnis boni, non tantum in hotni- 
nibus, sed etiam in aliis creaturis. Et sie intelligendum est, quod 
didtur, sine me nihü potestis facere. Et sie etiam potest intdligi 
quod Apostolics dicit, quod non sumus sufßcientes cogitare aliquid 
a nobis, quasi ex nobis/^ Und einige Zeilen darauf: „Deus noti 
tantum juvat nos ad bene agendum per habitum gratiae, sed etiam 
interius operando in ipsa voluntate, sicut in qualibet re operatur" 
(2. dist. 28. q. I. a. I.e. und ad 1. et 3.). 

5. Ferner wird uns entgegengehalten, was S. Thomas anderswo 
sagt : „quod voluntas determinate exeat in hunc actum vel in illum, non 
est ab cUio determinante, sed ab ipsa voluntate^' (2. dist. 39. q. 1. a. 2.). 

Es wäre unserm Autor nicht schwer gewesen, den richtigen 
Sinn dieses Satzes herauszufinden. Der englische Lehrer fragt in 
diesem Artikel, ob der Wille eine Sünde begehen könne ? „ ütrum 
voluntas possit perverti per peccatumj^ Ohne Zweifel, erwidert 
S. Thomas, denn der Wille vollzieht nicht bloß einen Act (stib- 
stantiam actus), sondern determiniert sich auch zu diesem Acte. 
In den Natur dingen hingegen tritt der Act zwar aus dem 
Agens hervor, allein die Determinierung zu diesem Acte 
stammt nicht vom Agens selber, sondern vom Urheber der Natur. 
Es ist klar, dass S. Thomas hier einfach die freien Geschöpfe den 
nicht freien gegenüberstellt. Nicht ein einziges Wort in dieser 
Stelle spricht gegen die praemotio physica. Gott bewegt den Willen 
nicht in der Weise, dass derselbe bloß den Act ausübt, ohne 
sich selber dazu zu determinieren, wie er die unfreien 
Geschöpfe bewegt. Das ist alles, was der Meister hier sagt. 

6. Fernerer Einwurf unseres Autors: „Ratio culpae in actu 
defonni est ex hoc, quod procedit ab eo, qui habet dominium sui 
actus. Hoc autem est in homine secundum illam potentiam, quae ad 
plura se habet, nee ad aliquid eoriim determinatur, nisi ex seipsa, 
quod tantum voluntuti convenit" (1. c. a. 2.). 

Hätte unser Autor etwas weiter citiert, so wäre dadurch sein 
Argument von ihm selber widerlegt worden. Es heißt nämlich 
unmittelbar darauf: „Potentiae enim organis affixae coguntur ad 
aliquem actum per immutationem organorum, sine quibus in actum 
eanre non possunt. Intellectus autem, quamvis sit potentia non afßjca 
organo, tamen cogüur ad aliquid ex ratione, vel argumento, sive 
deficit ab aliquo, in quod non potest, ex defectu demonstrationis et 
intellectualis luminis. Voluntas autem potest de se in quodlibet, quod 
apprehensum fuerit, mc ab eo per aliquam rationem violenter pro^ 



— 265 — 

hiberi potestJ' — Was soll nun diese Stelle gegen ^{^ prae^notU) 
phjfsica beweisen? Übt vielleicht die praemotio Gewalt aus? 

7. „Pötentia rationcUis se habet ad opposita in his, quae ei 
subsuni. Et haec sunt illa, qtiae per ipsam determinantur, Non atUem 
potest in opposita ülorumy quae ei sunt ab alio determinata. Et ideo 
voluntas non potest in oppositum ejus, ad quod ex divina impressione 
determinatur, scilicet in oppositum finis tUtimi, Potest atUem in oppo- 
situm eorum, quae ipsa sibi determinat, sicut sunt eä, quae ordinan- 
tur in finem ultimum, quorum electio ad ipsam pertlnef^ (4:.di8t.49. 
q. 1. a. 3. qn. 2. ad 1.). 

Der Autor citiert, wie die frühere, so auch diese Stelle un- 
genau. Ein Beweis, dass er den heil. Thomas selber wahrscheia- 
lieh nicht gelesen hat. Das Gitat des Autors lautet: 4. dist. 49. 
q. 1. a. 3. ad 1. Von welcher Determinierung spricht hier der 
heil. Thomas? Offenkundig von der objeetiven. Wer die Augen 
otfen hat, kann das nicht bestreiten. Zum Überflusse wollen wir 
den Einwurf hierhersetzen, auf welchen S. Thomas antwortet. 
Objectio: „videtur quod aliquis possit miseriam appetere. Omnis 
enim raiionalis potentia ad opposita se habet Sed volutüas est potentia 
rationalis. Ergo se habet ad opposita. Beatitudini autem opponitur 
miseria. Ergo si potest aliquis appetere beatitudinem, potest etiam 
appetere miseriam/^ Wir sind erstaunt darüber, dass man diese 
Stelle gegen die praemotio physica zu verwerten den Muth hat. 
Die objective Bestimmung zum Endziele hat mit der praemotio 
physica gar nichts zu thun. Es ist ein großes Unglück 
für den Autor, dass er uns auf diese Stelle des heil. Thomas auf- 
merksam gemacht hat Wir wären vielleicht nicht darauf gekom- 
men. Im corpus der Quaestiuncula 2 bemerkt nämlich S. Thomas 
Folgendes: „Ad secundam quaestionem dicendum, quod operatio 
causae secundae semper fundatur super operatione causae primae et 
praesupponit eam. Et ideo oportet, quod omnis operatio animae 
procedat ex suppositione ejus, quod inditum est animae ex impressione 
primi agentis, Dei scilicet.*' Besser und prägnanter in der That, 
kann man die praemotio physica nicht lehren, als es vom englischen 
Meister in diesen wenigen Worten geschieht. Wie man daher die 
responsio ad 1 noch gegen die praemotio ins Feld führen kann, nach- 
dem man den Artikel selber gelesen, das ist uns ein wahres Räthsel. 

8. Der heil. Thomas lehrt aber doch „quod licet cama prima 
maoAme influat in effectum, tarnen eju^ influentia per causam proxi- 
mam determinatur et specificatur** (de potentia q. 1. a. 4. ad 3.). 

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Bewegung der ersten 
Ursache durch die secundäre Ursache bestimmt und specificiert 
wird. Darüber äußert sich der heil. Thomas mehr als einmal. 
Allein der englische Lehrer unterscheidet eine zweifache Bestim- 
mung oder Specificierung. Die eine stammt vom Stoffe, die andere 
von der Kraft, der Form her. Der Stoff, oder was sich stofflich 



— 266 — 

verhält, bestimmt seine ihm entsprechende Kraft oder Form da- 
durch, dass diese Kraft im Stoffe aufgenommen wird. Dadurch 
wird die Form eingeschränkt, determiniert und specificiert nach 
dem Grundsatze: omne quod recipitur, recipitur secundum modum 
redpientis. Diesbezüglich richtet sich daher die Form oder Kraft 
nach dem Stoffe. Die andere Bestimmung und Speeificierung geht 
von der Form, der Kraft aus, und dadurch wird der Stoff deter- 
miniert und specificiert Erstere wirkt verunvoUkommnend auf die 
Form, letztere vervollkommnend auf den Stoff ein. Diese *wei 
Arten von gegenseitiger Bestimmung und Speeificierung finden 
wir in dem von Gott bewegten Willen. Der Einfluss Gottes wird 
durch diese Aufnahme im Willen der Geschöpfe stofflich, materiell 
oder passiv bestimmt und specificiert. Folgende Stelle des eng- 
lischen Meisters gibt uns darüber Aufschluss: „Detis movet qui- 
dem voluntatem immutabiliter propter efficadam virtutis moventis, 
quae deficere non potest, Sed propter naturam voluntatis tnctae, 
quae indifferenter se habet ad diversa, non induciter necessitas, sed 
manet lihertas, Sictd etiam in Omnibus Providentia divina infaüi- 
hinter operatur, et tarnen a causis contingentibm prov&niunt effectus 
contingentery inquantum Detis omnia movet proportionabüüer, unum- 
quodque secundum suum modum (de malo p. 6. a. nnic. ad 3.). Daraus 
ist klar, dass der von Gott bewegte Wille mit Bezug aaf 
seine Thätigkeit der Bewegung Gottes auch nicht bei- 
stimmen kann. Der Wille wird frei bewegt, behält somit die 
Potenz für das Gegentheil bei. Ähnlich äußert sich S. Tho- 
mas anderswo (I. c. ad 12.) : „dispositio primi moventis manet in 
hiSj quae ab eo moventur, inquantum moventur ab ipso. Sic enim 
ejus similitudinem recipiunt, Non tamen oportet, quod totaUter ejus 
similitudinem sequantur. ünde primum principium movens est im- 
mobile, non aiUem alia/^ Die Thätigkeit Gottes, die Bewegung des 
Willens durch Gott wird demnach stofflich bestimmt, per recep- 
tionem in voluntcUe. Der Wille verhält sich dieser Bewegung geg^en- 
über, wie der Stoff zur Form, wie die Potenz zum Acte. Der 
Wille ist daher das Unvollkommene, das der Natur und Can- 
salität, der Würde nach Spätere, die Bewegung Gottes, das 
Vollkommene, folglich das in der genannten Weise Frühere. 
Daher spricht S. Thomas wiederholt vom Vorausgehen, praecedere, 
der Thätigkeit Gottes. Man lese z. B. folgende Stellen : „tarn Deus 
quam natura immediate operantur, licet ordinentur secundum prius 
et posterius ut ex dictis in artictUo patet (de potentia q. 3. a. 7. 
ad 4.). De ratione virtutis inferioris est, quod sit aliquo modo ape^ 
rationis principium in suo ordine; id est, ut agat ut instrumentum 
superioris virttUis. Unde exclusa superiori virtute inferior virtus 
operationem non habet. Voluntas Bei, quae est origo omnis naturalis 
moti4S, praecedü operationem naturae. ünde et ejus openxtio in 
omni operatione naturae requiritur^ (1. c. ad 9.). 



— 267 — 

Die Gegner des heil. Thomas aber behaupten, dass der Wille 
die Thätigkeit Gottes nieht passiv oder stofflich, sondern ac tiv 
nnd formell bestimme and specificiere. Nach ihnen ist diese 
Thätigkeit Gottes allgemeiner Natur, somit in sich unbe- 
stimmt aber bestimmbar. Durch die Thätigkeit des Willens 
wird die Bewegung Gottes bestimmt und specificiert. Da 
nun die Form, das formell Bestimmende, gemäß den Principien 
des heil. Thomas, der Natur und Gausalität, der Vollkommenheit 
nach früher ist, als «das Stoffliche oder Bestimmbare, so folgt 
aus dieser Lehre, dass Gottes Thätigkeit weniger vollkommen 
und später ist, als die des Willens. Eine solche Doctrin kann 
der englische Meister unmöglich vertheidigt haben. Eine Deter- 
minierung und Specifici'erung dieser Art keilnt S. Thomas Aicht. 
Der Wille kann nicht durch seine Thätigkeit die Bewegung 
Gottes bestimmen, weil er durch eben diese Bewegung erst 
thätig wird. Ägere mim cujuslibet ipaorum a Deo causatur, 
sicut et motus moiüis a motione moventis (Compeud. Theol. c. 180.). 
Fatum est dispositio, id est ordinatio immobüis rebus mobilibus 
inhaere9is (1. c: c. 138.). 'Quandocunque enim duo sunt principia 
moventia vel agentia ad invicem brdinata, id quod in effectu est ab 
agente superiori est stcut formale. Quod vero est ab inferiori agente est 
sicut materiale (de veritate q. 14. a. 5. — 3. contr. Gent. c. 149.). 

9. Weiter wird bemerkt: yfVoluntas dicitur habere dominium 
sui actus, non per exclusionem causae primae, sed quia causa prima 
non ita agit in voluntate, ut eam de necessitate ad unum determinet, 
sicut determinat naturam. Et ideo determinoitio actus relinquitur in 
potestate rationis et voluntatis" (depotentia q. 3. a. 7. ad 13.). 

Durcb diese Worte soll, der heil. Thomas die praemotio physica 
verwerfen ? Man traut seinen eigenen Augen nicht, wenn man diese 
Behauptung liest. Der Wille besitzt die Herrschaft llber seine Thätig- 
keit dadurch, dass er selber sich dazu bestimmt. Geschieht das durch 
ihn allein? Nein, antwortet S. Thomas, die erste Ursache darf 
* davon nicht ausgeschlossen* werden. Gott bestimmt somit 
den Willen ebenfalls. Welche von diesen beiden Bestimmungen 
ist die frühere? Offenbar die Bestimmung durch Gott. Der 
englische Meister wendet sich gegen den Einwurf, dass durch 
diese Bestimmung von selten Gottes der Wille die Herrschaft ver- 
liere. Daher bemerkt er, Gott bestimme den Willen nicht mit 
Nothwendigkeit, wie die Natur von ihm bestimmt wird. Weit 
entfernt also, dass S. Thomas hier die praemotio verwirft, lehrt er 
sie vielmehr ausdrücklich. Andernfalls hat die ganze Stelle keinen 
Sinn. Es wird die freie Bestimmung durch Gott von der noth- 
w endigen unterschieden, nicht aber, wie der Autor meint, die 
Kichtbestimmung durch Gott von der Bestimmung. 

10. Aber, erklärt man: „Voluntas, cum sit ad utrundibet, per 
aliquid determinatur ad unum, scilicet per consilium rationis. Nee 



— 268 — 

oportet hoc esse per aliquod agens extrinsecum^ (de malo q. 3. 
a. 3. ad 5.). 

Durch diese Stelle wird der Einwurf widerlegt, als sei der 
Teufel die Ursache der Sünde des menschlichen Willens. Der 
heil. Thomas spricht somit von einem äußern geschaffenen 
Agens. Gott aber ist nicht ein äußeres Agens, sondern ein 
inneres, weil er direct im Willen thätig ist Durch diese Stelle 
wird demnach nicht die praemotio physica bekämpft, wohl aber 
der simultane Concurs der Gegner. Dem* wenn Gott, den Effect 
wirkt, nicht den Act oder die Thätigkeit, wenn er nicht im 
Willen selber thätig ist, so bildet er für denselben ein Agens 
extrinsectim. Ein solches Agens aber braucht der Wille "'nicht, be- 
merkt der heil. Thomas. 

11. Unser Autor verweist auch auf: de malo q. 6. a. unic. 
und zieht hier abermals die objective, specificative Indifferenz in 
die Frage herein. Diese aber, so weiß alle Welt, nur unser Autor 
nicht, hat mit der praemotio p%5fca, nichts zu <thun. Der ^anze 
Artikel des heil. Thomas, auf den sich unser Autor beruft, legt 
mit mathematischer Genauigkeit die pfaemotio physica dar. Wer 
indessen nicht will,, der zeigt eben, dass er f£ei ist. 

12. Sagt aber, der heil. Thomas nicht: „Esse anitnae non est 
determinatum a se ipsa, sed ah alio, sed ipsa determinal sibi suutn 
velle. Et ideo quamvis esse sit immutabile, tarnen velle indeterminatum 
est, hc per hoc in diversa flexihile^? (de veritate q. 22. a. 6. ad 1.). 

Diese Stelle beweist, dass der Wille sich selber bestimme, 
weil er von Gott nicht mit Nothwendigkeit zu den einzelnen 
Objecten bestimmt worden ist, wie zum Dasein. Die Worte: in 
diversa flexihile sagen klar und deutlich, von welcher Nicht- 
bestimmung der heil. Thomas spricht. Es ist die objective, spe- 
cificative, die unser Autor zum so und sovielteumale mit der sub- 
jectiven confundiert. 

13. Allein: „Forma^ quaenon est ab ipso agenfe per formam, 

' cat^at operationem, cujus agens »non est dominus j si qua vero fuerü * 
forma, quae sit ab eo, qui per ipsam operatur, etiam consequentis 
operationis dominium habehit*^ (2. contr. Gent. c. 47. n. 3.). 

Wie diese Stelle gegen die praemotio physica etwas beweisen 
soll, ist wirklich schwer zu begreifen. Der heil. Thomas erörtert 
hier die Wahrheit, dass die geistigen Substanzen einen Willen 
besitzen: „Quod substantiae intelleduales sunt volentes,^ Die Form, 
von welcher er hier spricht, ist das durch den Verstand vor- 
gestellte Object. Forma autem intellecta, per quam suhstaniia in- 
tellectualis operatur, est ab ipso inteUectu, utpote per ipsum concepta, 
et quodammodo excogitata, ut patet de forma artis, quam artifex 
eoncipit et ewcogüat, et per eam operatur. Substantiae igOur in^ 
tellectuaies seipsas agunt ad operandum, ut habentes suae ope- 
rationis dominium, Habent igitur voluntatem. Jeder Commentar zu 



— 269 — 

dieser Stelle ist vollkommen überflüssig, denn sie redet van der 
objectiven, specifieativen Selbstbestimmung. * ' 

. . 14. Ferner wird Folgende8*eingeworfen : ;, Omnis forma inclinat 
suum ßubjectum secundum modum ncUurae ejus. Modus autem naturalis 
intellectualis naturae est, üt libere feratur in ea, quae vtdt. Et ideo « 
inclinatio gratiae *non imponit necessitatem, sed habens gratiam potest 
ea non uti et peccare^ (1. p. q. 62. a. 3. ad 2.). 

Der Einwurf, den sich der heil 'Thomas daselbst nJacht, lautet: 
gratia inclinat naturam-rationalem in Deumj Si igitur angelus in gfatia 
creatus fuissetj nullus angelus' fuisset a Deo aversus. Was bestreitet 
nun S.Thojnas in seiner Antwort? Dass die Gnadenden Willen mit 
Nothwendigkeit zu Gott neige. Neigt die praemotio physica 
den Willen mitNothwendigkeitzu seineivObjecten ? In keiner 
Weise, denn Gott bewegt, den Willen der Natur desselben ent- 
sprechend. Objectiv ist er vollkommen frei. Aber auch subjectiv 
kennt er eine Nothwendigkeit nicht, weil die Bewegung durch 
Gott, diese vorübergehend mitgetheilte Form, * nicht die ganze 
Fotentialität des Willens ausfüllt. ^^ ^ • 

Wenn aber Gott den Willen zur Thätigkeit bewegt, so kanp 
doch derselbe nicht unthätig bleiben? Wir antworten, dass er 
das auch nicht könne, wenn er sich selbQr allein bewegt. Contra- 
dictorisch Entgegengesetzte können nicht zugleich existieren. 
Es ist demnach eine und dieselbe Nothwendigkeit, mit welcher 
der Wille in Thätigkeit übei'geht, sei es, dass er voif Gott, sei 
es, Hass er von sieh selber allein bewegt wird. Die Nothwendig- 
keit dieser Art Verträgt sich indessen sehr g\it mit der Freiheit, 
sonst müsste man behaupten, der Wille hebe seine eigene Freiheit 
auf, sobald er überhaupt eine Thätigkeit vollzieht. Eine andere 
Nothwendigkeit aber, als diese, vermögen die Gegner nicht nach- 
zuweisen. ' Si Deus' mövet' volüntatem ad aliquid, incompossibile e^t 
huic positioni, quod voluntas ad illtid non moveatuv, Non tarnen 
est impossibile simpliciter, TJnde non sequilur, quod voluntas a Deo 
ex ^necessitate moveatuv (L2. q. 10. a.'4r. ad 3.). Si autem detur 
quod aliqua potentia activa ad opposita se habeat, non sequitur 
opposita esse -simuL Quia etsi utrumque > oppositorum , ad quod 
potentia se ' habet,' $it,possibile, unum tarnen est incompossibile altert 
(demalo q. 6. a. unic. .ad 16.). Voluntas, quando de ^ novo incipit 
eligere, transmutatur a sua priori dispositione , quantum ad hoc^ 
quod priüs erat eligens in potentia- et postea fit eligens actu. Et haec 
quidem trcmsmutatio e3t ab aliquo movente, inquantum ipsa voluntas, 
movet' seipsam ad agendum, et inquantum etiam movetur ah aliquo 
exteriori ägente, scilicßt Deo,- Non tarnen ex necessitate imvetur 
(I.e. ad 17.). Licet ergo.simul insithomini potentia ad opposita se 
habens, tamen opposita illa, ad quae se habet voluntas, non sunt 
siniul (1. d. ad 19.). 

15. Ein' weiterer Einwurf aus S.Thomas lautet: „Qualität 



ff" *■ 



_ 270 — 

hominis est duplex. TJna naturalis, alia superveniens . . . Quali- 
totes autem supervenientes sunt, sicut habittss et passiqnes, secundum 
quas aliquis magis inclinatur in untim, quam in alterum. Tafnefi 
istae etiam inclinationes suhjacent judicio rationis et hujustnodi 
» etiam qualitates ei> suhjacent, inquantum in nobis est, tales qualüates 
acquirere, vel causaliter, vel dispositive, vel a nobis exjcludere. Ei 
sie nihil est, quod libertati arbitrii repu^nöt" (1. p. q. 83. a. 1. ad 5.). 
Nach dftr Auffassung unseifes Autors lehrt S. Thomas, die prae- 
motio physica sei eine Qualität wie der Habitus oder die Leiden- 
schaft, wie er sie ja auch im frühefn Argumente mit der Gnade 
vergleicht. AUejn das hat der englische Meister nirgends gelehrjt, 
rielmehr wird von ihm das Gegeutheil vorgetragen. Die praemotio 
physica ist eine Bewegung, nicht ein Zustand. „Immutat 
autem (Deus) voluntatem dupliciter: %no modo movendo tantum, 
quando scüicet rnovet voluntatem ad dliquid volendum, sine höc, 
qu/od aliquam formam imprimat voluntati. Sicut sine appositione 
alicujus KMtus quandoque facit, ut homo velit hoc, quod prius non 
vdebat^ (de veritate q. 22. a. &.). Überall bemerkt S. Thomas, dieso 
Bewegung habe ein unvollkommene^ Sein. Cfir,: 4. dist. 1. 
q. 1. a. 4. qu. 2. — ib. dist. 5. q. 2. a. 2. qu. 2. Wenn man die 
Lehre des heil. Thomas unrichtig erfasst, so ergeben sich freilich 
mancherlei Schwierigkeiten. Allein die Schuld 4^^^^^ trägt nicht 
der englische Meister. 

121. Sehen wir genauer nach, auf was die Doctrin der Gegner 
abzielt, so ist es im Grunde nichts Geringeres, als die völlige 
Unabhängigkeit des Willens. Der Wille determinifert sich 
selber. Er braucht dazu Gott nicht. Er ist alleinige Ursache 
seiner Selbstdeterminierung. Der heil. Thomas indessen bestreitet 
auf das entschiedenste, dass zur Freiheit die ausschließliche 
Selbstbestimmung gehöre. „Non tarnen hoc est de mcessüate Über- 
tatis, quod sit prima causa sui,, id quod liberum est, Sicut nee ad 
hoCf ut aliquid sit causa cUterius requiritur, quod sit prima causa 
ejus (1. p. q. 83. a. 1. ad 3.). Deu^ operatur in unoquoque ageiüe 
etiam secundum modum illius agentis, Sicut causa prima operaiur 
in operatione causae secundae, cum secunda causa non possit in 
actum procedere, nisi per virtutem causae primae, Unde per hoc, 
quod Deus est causa Operons in cordibus, hominum non exclu- 
ditur, quin ipsae humanae mentes sint causae suorum m(^um* 
Unde non tollitur ratio libertatis (de veritate q. 24. a. L ad 3.). 
Instrumentum dupliciter dicüur, Uno modo proprie, quando scüicet 
aliquid ita ab altero movetur, qu^d non confertur ei a movenU 
aliquod principium talis motus, sicut serra movetur a carpentario. 
Et tale instrumentum est expers libertatis, Alio modo dicitur instru- 
mentum magis communifer, quidquid est movens ab alio motum^ sive 
sit in ipso principium sui motus, sive non. Et sie ab instrumento 
non oportet, quod omnino excludatur ratio libertatis, Quia aliquid 



— 271 — 

♦ 

potest esse ah alio mptum, quod tarnen se ipsum fnovet. Et ita^ est 
de mente humana (1. c. ad 5.). Ex praescientia Dei non potest 
concludi, quod. actus nostri sirit necessarii necessitate absoluta, quae 
dicitur necessitas consequehtis ; sed , necessitate conditionata, quae 
dicitur necessitas consequentiae ui patet per Boeth. in ßne consoh 
philos^. (1. c. ad. 13.) Manifestum est quod, cum aliquid movet aUerum,. 
non ex hoc ipso, quod est movens, ponitur, quod ^^t primum movens, 
ünde non ßxcludüur, quin ah aüero moveatur, et ah altero haheal 
similiter hoc ipsum, quod movet, Similiter cum aliquid movet se- 
ipsum, non excludüur^ quin ah alio moveatur, a quo höhet hoc ipsum 
quod seipsum movet. Et sie non 'repug7iat lihertati, quod Dens est 
causa actus liheri arhitrii (de mulo q. 3. a. 2. ad 4.). 

Non.onme principium est principium primum. Licet ergo de 
rattone voluntarii sit,' quod principium ejus sü intra, non tarnen est 
contra rationem voluntarii, quod principium intri'nsecum causetur, 
vel moveatur ah exteriori principio, gfUia non est de ratione volun- . 
tarii, quod^prindpium inirinsecum sit principium primum (1.2. q. 6. 
a. 1. ad l.j. . 

Actus voluntatis a solo Deö est, qui solus causa est naturaß 
rationalis voluntatem hahentis. ünde patet, quod non est contra 
hominis lihertatem, si Deus voluntatem' hominis movet, sicut non est' 
contra naturam, quod Deus in Hhus naturalihus operatur; sed tarn 
inclinatio naturalis, quam voluntaria a Deo est^ iitramque prae- 
veniens seoundum ' condüiofiem rei, cujus est, Sic enim .Deus "res 
movet, secundum quod convenit eorum naturae (Comp, theol. c. 129.). 

Etiam interiar voluhtas movetur ah^ aliquo superiori principio 
quod est Deus, Et secundum . hoc Apostolus dicit, quod non est 
volentis, scüicet veUe, neque currentis, scilicet currere, sicwt primi 
principii, sed Dei miserentis (de malo q. 6. a. unic. ad 1.). Electiones 
et voluntates immediate a Deo disponuntur. Oportet ergo omnium 
voluntatum et electionum motus in divinam voluntatem reduci, non 
autem in aliquam aliam causam, quia solus Deus nosträrum volun- 
tatum et electionum causa est (3. contr. Gent. c.91.). Cfr. 1.2. 
q. 109. a. 2. ad 1.). 

Operatio illius agentis, quod per se agit, oportet quöd in primum 
agens, sicut in causam reducatur, Quamvis enim hujusmodi entia' 
per se agaM, quia per propriarh naturam et proprium Judicium 
actus sux>s determinant, nan tarnen a se hahent, quod agant, sed a 
primo agente, quod eis et ^sse, et posse, et agere confert (2. dist. 37. 
q. 1. a. 2. ad 5.). 

Causa, quae est ex se contingens, oportet ut determinetur ah 
oliqvo exteriori ad effectum, Sed voluntas divina, quae ex se necessi- 
tatem habet, determinat seipsam ad volitum, ad quod hahet hahi-- 
tudinem non necessariam (1. p. q. 9. a. 3. ad 5.). 

Diesen Zeugnissen des heil. Thomas . gegenüber kann die 
Doctiiu der Gegner nicht standhalten. Der WiUe behält unter der 



« 



— 272 — 

■ . • 

' Bewegung Gottös seine volle Freiheit, obgleich er nicht Bn ab- 
hängiges, erstes Pfincip seiner Thätigkeit ist. Und er selbst 
ist es> der dasjenige will, wozu Gott ihn liewegt. Gptt wirkt im 
Willen 80, wie derselbe vermöge seiner Natur es fordert. Selbst 
dann, wenn Gott den Willen umändert, bewirkt es seine Allmaeht^ 
» dass der Wille das, zu dem er umgeändert wurde, freiwillig be- 
gehrt (2. dist. 25. q. 1. a. 2. ad 1.). Denn so oft Gott den Willen 
umändert, bewirkt er, dass auf dte frühere Neigung eine andere 
folge. Die eretere wird somit entfernt und die letztere bleibt 
zurück. Wenn er demnach den Willen zu etwas bewegt, so 
geschieht dieses nicht gegen die momentan im Willen existie- 
rende Neigung, sondern gegen diejenige, die er früher hatte 
• (de veritate q. 22. a. 8.). 

Jede Thätigkeit der Geschöpfe, * der Vernünftigen wie der 
unvernünftigen, muss demnach Gott, als der ersten Uraache 
. zugeschrieben werden. Es ghht nicht an, ihm bloß die Bewegung 
des Willens zum Guten und zur Glückseligkeit im allgemeinen 
zuzurechnen. Selbst die sündhafte Handlung hat als That, als 
actio Gott» zu i; Ursache. Alia'opinio dicebat, actus peccütorum 
nullo modo, nee etiam inquantum actus sunt, a' Deo esse. Et hae^ 
'Ojpinio tängitur in praesenti ^distinctione, quam ad praesens nutli vel 
pauci tenent qida propinquissima est errori dUplici. 

Primo quidem., quia ex ea videtur sequi, quod sint plurä p'iwi" 

prlncipia. Hoc enim eß,t de ratione prifni principii, ut agere possit 

sine aüxilio prioris agentis, et inßuentia ejus, Unde si volwita^ 

humana action^em aliquam.posset producere, duju^ auctor Deus non 

. ' esset, voluntas humana rationem primi principii haberet, 

Quamvis .Rohere hoc nitaniur dicentes, quod voluntas, et si 
'per se possit actionem producere sine infliientia prioris ägentis, non 
tarnen habet a se esse, sed ab alio, quod etiam exigeretur ad ratio- 
nem primi principii, 

. Sed hoc videtur ificonvenien^, ut, quod a se esse non habet, a ä 
agere possit, cum etiam per se durare non possit, quod a se nofi est. 
Omnis etiam virtt^ ab essentiaprocedit, et operatio a virtuie, Unde 
cujus essentia ab alio est, oportet quod' virtus et operatio ab älio sit 

Et praeierea, quamvis per hanc responsionem evitaretur, quod non 
esset primum simpliciter, non tarnen posset vitari, quin esset primum 
agens, si ejus actio in aliquid priu^s agens non reducereütr sicut in causam, 

Secundo, quia, cum actio etiam peccati sit ens quoddam, non 
' solum secundum quod' privationes et negationes entia dicuntur, sed 
etiam secundum quod res in genere existentes entia sunt, eo quod et 
ipsae actiones in genere 07*dinantur, sequeretur, si actiones peccati a 
Deo non sunt, quod aliquod ens essentiam habens a Deo non esset. Et 
ita Deus non esset universalis causa omnium entium, quod est cofitM 
peffectionem primi entis, Primum enim in quolibet genere, est causa 
eorum, quae suntpost, ut in 2^ metaph. dicitur (2. dist. 37. q. 2. a. -.) 



— 278 — 

Wie jedei-mann sieht, handelt es sich hier um freie Thätig- 
keiten, nicht um die nothwendige und natürliche, d.h. 
unfreie Hinneigung des Willens zum Guten und zu der Glück- 
seligkeit im allgemeinen. Ebensowenig ist hier die Rede von 
jener Bewegung des Willens durch Gott, die, wie der Wind das 
Schiff im allgemeinen nach Osten bewegt, so dem Willen eine 
allgemeine Bewegung mittheilt. Daher bemerkt S. Thomas mit 
Kecht: ,,NuUum agens particulare potest universaliter praevenire 
actionem primi universaliter agentis, eo quod omnis actio particu- 
laris agentis originem habeat ab universali agente; sicut in istis in- 
Jerioribus omnis motus praevenitur a motu coelestL Sed anima humana 
ordinatur sub Deo, sicut particulare agens sub universali. Impossi- 
bile est ergo, esse aliquem rectum motum in ipsa, quem non prae- 
veniat actio divina, Unde et Joannis c, 15. Dominus dicit, sine me 
nihil potestis facere (3. contr. Gent. c. 149.). 

Gott bildet aber auch die Ursache, dass der Wille Thätig- 
keitsprincip, dass er Ursache seiner eigenen Thätigkeit ist. 
Die Ursache wird vom heil. Thomas definiert als dasjenige, „ad 
quod sequitur esse alterius, seu causati; vel principium influens 
in esse alterius, quod est ex ipso, (Physic. 2. 10. 15. ed nova.). Wir 
müssen demnach eine zweifache Abhängigkeit des Willens von 
Gott unterscheiden. „Actio cujuscunque entis creati dependet a Deo 
quantum ad duo. Uno modo, inquantum ab ipso habet perfectionem, 
sive formam, per quam agit; alio modo, inquantum movetur ab 
ipso ad agendum (1. 2. q. 109. a. 1.). Die Thätigkeit Gottes, wo- 
durch dem Willen diese Vollkommenheit, diese Form per modum 
transeuntis mitgetheilt wird, heißt in der natürlichen Ordnung prae- 
motio physica schlechthin, weil der Wille dabei nicht selber 
thätig ist, sondern erst Thätigkeitspr in cip wird. Die Bewegung 
des Willens durch Gott zur Thätigkeit selbst heißt simul- 
taner Concurs, weil dabei nicht mehr Gott allein, sondern auch 
der Wille des Geschöpfes eine Thätigkeit ausübt. In der über- 
natürlichen Ordnung entspricht dieser Bewegung des Willens aus 
dem passiven Zustande heraus in den acti ven die gratia operans ; 
der Bewegung aus dem activen zu der Thätigkeit, die gratia 
cooperans. Bei ersterem Vorgange ist der Wille selber u n t h ä t i g. 
Er wird ausschließlich nur bewegt. Bei letzterem hingegen wirkt 
er selber mit. Operatio enim alicujus effedus non attribuitur mobili, 
sed moventi. In illo ergo effectu, in qico mens nostra est mota, et 
non movens, solus autem Deus movens, operatio' Deo attribuitur. Et 
secundum hoc dicitur gratia operans. In illo autem effectu, in quo 
mens nostra et movet, et movetur,* operatio non solum attribuitur 
Deo, sed etiam enimae. Et secundum hoc dicitur gratia cooperans 
(1. 2. q. 111. a. 2.). Demzufolge unterscheidet sich sachlich od^r 
real die reine Vorherbewegung von der Applicierung oder dem 
simultanen Concurse im Sinne des heil. Thomas. Bei dem Processe 

Feldner, wmensfreilieit. 18 



— 274 — 

der Vorherbewegung wird der Wille Thätigkeitsprincip, wird 
er Ursache; bei der Applicierung geht dieses Princip, diese 
Ursache in eine wirkliche Thätigkeit über. Solange der Wille 
sich im passiven, unthätigen Zustande befindet, ist er der Grand- 
lage nach oder radicaliter frei. Als Thätigkeitsprincip, 
als Ursache, agms in actu, besitzt er die Freiheit formell und 
eigentlichst. Als Agens in potentia hat der Wille keine Herr- 
schaft, kein dominium tlber seine Thätigkeit oder Unthätigkeit. 
Er besitzt diese Herrschaft erst, wenn er agens in actu, Thätig- 
keitsprincip geworden ist. Als agens in potentia kann er dem- 
nach der Beweguog Gottes, der praemotio physica auch nicht 
widerstehen. Als agens in actu dagegen vermag er es. Dies ist 
aber auch nicht in dem Sinne zu verstehen, als besitze er die 
Herrschaft über die Thätigkeit, über die praemotio Gottes. Der 
Wille kann unmöglich über das nach Belieben, also frei disponieren, 
wovon er selber abhängt. Wenn man darum sagt, der Wille könne 
unter der praemotio physica „non consentire si vuW, so bedeutet 
dieses nichts anderes, als dass der Wille die Bewegung darch 
Gott, stofflich, keineswegs aber a et iv, modificieren könne. Die 
Bewegung Gottes wird durch die schlechte oder gute Disposition 
des Willens bei der Aufnahme in denselben stofflich, mate- 
riell beeinflusst. Diese Beeinflussung kann unmöglich activ ge- 
schehen, d. h. durch eine Thätigkeit, die von der praemoüo physica 
unabhängig ist. 

Der Wille besitzt ohne praemotio physica keinerlei Thätigkeit. 
Wir haben nachgewiesen, dass es keine natürliche und noth- 
wendige, d.h. unfreie subjective Bewegung (Thätigkeit) 
des Willens gibt. Indessen selbst angenommen, es existierte eine 
solche, sie wäre ungenügend. Gott muss den Willen zu jeder 
Thätigkeit bewegen, die freie ist davon nicht ausgenommen. 
Dass diese Bewegung eine vo rh ergehende genannt werden könne, 
wurde ebenfalls aus S. Thomas nachgewiesen, indem derselbe das 
Wort: praecedere, praevenire wiederholt gebraucht. 

Nicht die Thomisten sind es folgerichtig, die eine nene 
Lehre aufgebracht haben, sondern die Gegner des heil. Thomas 
haben jene alte Lehre wieder aufgefrischt, von welcher Albert 
der Große sagt, dass sie zu seiuer Zeit: fere cessit ah aüla et a 
muÜis modernorum repuiatur haeretica (in 2. dist. 35. a. 7. pag. 322.). 
Diese alte Lehre ist es, von welcher S. Thomas bemerkt: quod 
Sit propinquissima Huplici errorL Ideo ad praesens nuUi vel pauci 
eamjenent (2. dist. 37. q. 2. a. 2.). 



F"». 



». ' . 



V<>n dasmliten Vetfai^er «i«ebieo rat ^lötken T«rlage: 

Die 

Lehre des heil. Thomas 

ober den 

EinfliLss Gottes auf die Handlungen der 
Ternünftigen Geschöpfe. 

Sn Eriiinenz Cardinal Josef PeccL 
Kritisch beleuchtet. 



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^. . . , Als eine besonders gründliche und lichtvolle Ai^it mnss 
die dfs» P. Guridi«m]v Feld n er bez^tchnet werden. Der Verfinser ist viel- 
jiihni^tsr Frofesi^or <ler Suioma des hell. Tboauis uod irar daher m aemer Arbeit 
tttmgezeiehDet befähig. 

In seiner inaßioUen Polemik folgt der gelehrte VerCtsHer deo Ans- 
ffihnintren Hr. EioiDenz Schritt für Schritt und weiset aus den Werken des 
h'^iL lliorrias überzeugend nitch, dass der Doctor AngeiicQS emea nm- 
fnssenderen Kinfluss Gottes auf die Handlungen der vernünftigen Gesdiöpfe 
lehre, als Se. Euiineuz anuiuunt . . . ^ 

Hr. Kftrl Wei0 im ^Literariscbeii AneeigeK m. Jtikr^Mmg. Kr. 6. 

„ ViiHwAYm kridschö Ziel, aber eingehender und seharfer, verfolgt 

in ohi:tigen;iiiTiter Schrift einer seiner deutschen OrdensgenoMen, der Gruer 
lionjiriicHTier G. Fddner, den wir bereits aus einer Abhandlung In CommefS 
,Jahrbuch für i^hilosophie^ (II, 523 ff. u. 111, I ff. 131 ff.) als grundiicben Kenner 

des heil, Thomas und gewandten Dialectiker kennen gelernt haben Diese 

IVgriffe und Grundsätze und hienach den Kernpunkt der Streitlrage genauer 
bestimmt zu haben: das ist ein Haupt verdienst der Feldner'sohen Schrift .. . .* 

Prof. Margott im yLiterftriseken Handweiser^. 

„...P. Feldner hat das Verdienst, dass er kurz und in lichtvoilster 
Schärfe nachweist — zudem oft aus den Widersprüchen, in die sein Gegner 
hi(rfi verwickelt — rlass Thomas gar nicht so gelehrt haben kann, wie Seine 
Kumu'ji'A meint Wir müssen dem Verfasser zuerkennen, dass er seinem Gegen- 
HinrnUt amt d'irehaus vorurtheils freie, stets in edler Sprache gäal* 
tenc. Beh:iii(liuiig zu geben versteht. Er hat seinen Zweck vor Augen. Personen 
verwer;hh"it er nirlit mit de>r Sache. Wer die Schrift des Cardinais gelesen, 
musH, um keinem einseitigen Urtheile anhüimzufallen, auch die Feldnerwhe 

(''<"'' ,Thoma8bliltter^9 I. Bd. Heft «. 



K. k. ('iiiveisitfits-linchtlmckerei ,Styria' in Gras. 



■M 



Von demselben Verfasser erschien im^ gleicben Verlage: 

. Die 

Lehre des heil Thomas 

über den 

Einfluss Gottes auf die Handlungen der 




^en wescnopie. 

Dargelegt 

von ^ 

Sr. Eminenz Cardinal Josef Pecci. 
Eritisch beleuchtet. 



1889. 103 Seiten 8^ Preis 80 kr. = M, 1*40. 



„. . . . Als eine besonders grün di! ehe und lichtvolle Arbeit ronsa 
die des P. Gundisaly Feldner bezeichnet werden. Der VerfalBser ist viel- 
jähriger Professor der Siiinraa des heih Thomas und war daher za seiner Arbeit 
ausgezeichnet betatiigt. 

In seiner maßvollen Polemik folgt der gelehrte Verfasser den Ans- 
ttihrunpen Sr. Eminenz Schritt für Schritt und weiset aus den Werken des 
heil. Thonias fiberzeugend nach, dass der Doctor Angelictts einen um- 
fassenderen Einfluss Gottes auf die Handlungen der vemfinftigen Geschöpfe 
lehre, als Se. Eminenz anniuunt. . . ^ 

Dr. Karl Weiß im ^Literari sehen Anzeiger^« ni« Jahrgang« Kr. & 

„ Djisselbe kritisclie Ziel, aber eingehender und schärfer, verfolgt 

in obengenannter Schrift einer seiner deutschen Ordensgenossen, der Graser 
Dominicaner G. Feldner, den wir bereits aus einer Abhandlung in Commera 
,Jahrbuch für Philosophie^ (H, 523 ff. u. HI, 1 ff. 131 ff.) als gründlichen Kenner 

des heil. Thomas und gewandten Diaiectiker kennen geleint haben Diese 

Hegriffe und Grundsätze und luenach den Kernpunkt der Streitfrage genauer 
bestimmt zu haben: das ist ein Hauptverdienst der Feldner'sohen Schrift ....*' 

Prof. Margott im ^Literarischen Handweiser^. 

„....P. Feldner bat das Verdienst, dass er kurz und in lichtvollster 
Schärfe nachweist — zudem oft aus den Widersprüchen, ia die sein Gegner 
sich verwickelt — dass Thomas gar nicht so gelehrt haben kann, wie S^ne 
Eminenz meint. Wir müssen dem Verfasser zuerkennen, dass er seinem Gegen- 
Stande eine durchaus vorurtheils freie, stets in edler Sprache gehal- 
tene Behaiidhing zu geben verstellt. Er hat seinen Zweck vor Augen. Personen 
venvecliselt er nicht mit der Sache. Wer die Sclirift des Cardinais gelesen, 
muss, um keinem einseitigen Urtheile anheimzufallen, auch die Feldner'sche 

1' '' n "^ ,TkomasbliltterS l. Bd. Heft 0. 



K. k. Universitrits-Bnchdmckerei ,Styria' in Gra«. 



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Bewegung Gottes seine voHq Freiheit, obgleich er nicht unab- 
hängiges, erstes Princip seiner Thätigkeit ist. Und er selbst 
ist esj der dasjenige will, wozu Gott ihn bewegt. Gptt wirkt ^im 
Willen so, wie derselbe vernijöge seiner Natur es fordert. Selbst 
dann, wenn Gott den Willen umändert, bewirkt es seine Allmacht^ 
» dass der Wille das, zu dem er timgeändert wurde, freiwillig be- 
gehrt (2. dist. 25. q. 1. a. 2. ad 1.). Denn so oft Gott den Willen 
umändert^ bewirkt er, dass auf djie frühere Neigung eine andere 
folge. Die eretere wird somit entfernt und die letztere bleibt 
zurück. Wenn er demnach den Willen zp etwas bewegt, so 
geschieht dieses nicht gegen, die momentan im Willen existie- 
rende Neigung, sondern gegen diejenige, die er früher hatte 
• (de veritate q. 22. a. 8.). 

Jede Thätigkeit der Geschöpfe, * der Vernünftigen wie der 
unvernünftigen, muss demnach Gott, als der erstenUraache 
. zugeschrieben werden. Es gfeht nicht an, ihm bloß die Bewegung 
des Willens zum Guten und zur Glückseligkeit im allgemeinen 
zuzuFechnen. Selbst die sündhafte Handlung hat als That, als 
actio Gott» z u v U r s a p h e. Alia 'opinio dicehat, actus peccätorum 
nvllo modo, nee etiam inquantum actus sunt, a- Deo esse. Et haeo 
* opinio tängitur in praesenti 'distinctione, quam ad praesens nulli vel 
pauci tenent quia propinquissima est errori dUplici, 

Primo quidem, quia ex ea mdetur sequi, quod sint plurä prima 

principia.' Hoc enim esj, de ratione prifni principii, ut agere possit 

sine auxilio p-ioris agentis, et inßuentia ejus, tlnde si voluntas 

hwnana actioi\em aliquam.posset producere, öuju^ auctor Deus noi\ 

. ' essei, voluntas humana rationem pri^i principii haberet. 

Quamvis solvere hoc nitaniur dicentes, quod voluntas, et sl 
per se possit actionem producere sine, infliientia prioris ägentis, non 
tameß'i habet a se esse, sed ab alio, quod etiam exigeretur ad ratio- 
nem primi principii. 

Sed hoc mdetur ificonvenien^, tU, quod a se esse non habet, . a se 
agere possit, cum etiam per se durare non possit, quod a se non est. 
Omnis etiam virtt^ ab essentiaprocedit, et operatio a virtute. Unde 
cujus essentiä ab alio est, oportet quod' virtus et operatio ah älio sit. 

Et praeierea, quamvis per hancresponsionem evitaretur, qij^od non 
esset primum simpliciter, non tamenposset vitari, quin esset primum 
agens, st ejus actio in aliquid prius agens non reduceretur sicut in causam, 

Secundo, quia, cum actio etiam peccati sit ens quoddam, non 
' solum secundum quod' privationes et negatlones entia dicuntur, sed 
etiam secundum quod res in genere existentes entia sunt, eo quod et 
ipsae a^tiones in genere ordinant^ir, sequeretur, si actiones peccati a 
Deo non sunt, quod aliquod ens essentiam habens a Deo non esset. Et 
ita Deus non esset universalis causa omnium entium, quod est contra 
perfectionem primi entie, Primum enim in quolibet genere, est causa 
eorum, quae sunt post, ut in 2^ metaph. dicitur {2. disU ^7. q. 2. a. 2.).