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1
Die Meisterstucke der deutschen Lyrik. IV
DIE LYRISCHEN MEISTERSTUCKE
VON
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE
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129
Gocrnt
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DIE
LYRISCHEN
MEISTERSTUCKE
VON
GOETHE
ZWEITER BAND
l-MIT-EinLEITUnC-UnD-ANMEßKUflGEn
W _^m VON ^^m.
RICMARDMMEYER,
LEIPZIG
•VERLAGVOttWILnELMWEICnER-
DIE
LYRISCHEN MEISTERSTÜCKE
VON
JOHANN WOLFGANG
VON GOETHE
IN ZWEI BÄNDEN
Mit Einleitung und Anmerkungen
von
RICHARD M. MEYER
ZWEITER BAND
Leipzig: "Wilhelm Weicher, Inselstrasse lo, p.r.
Paris : A. Perche, 45 Rue Jacob
Bruxelles : Spineux & Cie, 3 Rue du Bois Sauvage
Lausanne: Edwin Frankfurter, 12 Grand-Chene
London & Glasgow : Gowans & Gray, Ltd.
1908
INHALT
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
SONXTTE SEITE
Mächtiges UberrascJun ------ i
Rtisezehrung --------I
Abschied- --------2
Epoche ---------3
VERMISCHTE GEDICHTE
KLiggesang --------^
NLahomets Gesang _.----- 6
Gesang der Geister über den Wassern - - - - 8
Meine Göttin - - - - - - - -lO
Harzreise im IVinter - - - - - -12
An Schivjger Kronos - - - - - "*5
IVandrers Sturmlied - - - - - - -16
Seefahrt - - - - - - - " -20
Prometheus - - - - ■ ~ " -21
Ganijtned - - - - - - * "-3
Grunzen der Menschheit - - - - - "-4
Das Göttliche - - -26
Lilt's Park i!^
Liebebedürfniss - - - - - - - "3-
Morgenklagen - - - - - - - "33
Der Besuch - - - - - - - "35
Der Becher - - - - - - - "37
Nachtgedanken - - - - - - - "3^
An Lida .-------38
vi INHALT
SEITE
Im Vorübergehn - - - - - - "38
AUS WJLIIELM MEISTER
Heiss mich nicht reden, he'tss mich schiveigen - - "39
Nur iver die Sehnsucht kennt - . . - . ^o
So las st mich scheinen, bis ich iver Je - - - . 40
IVer sich der Einsamkeit ergibt - - - - "41
An die Thüren ivill ich schleichen - - - - - 42
Pi^er nie sein Brot mit Thronen ass - - - - 42
Fhiline -.------.42
ANTIKER FORM SICH NÄHERND
Warnung -._-._-- 44
Einsamkeit -------- 44
Erivählter Fels ---..--44
Spiegel der Muse - - - - - - -45
Schiveizeralpe --------4^
AN PERSONEN
Ilmenau -------«-46
KUNST
Der Wandrer --.-----52
Amor als Landschaf tsmahler - - - • "59
ALTERSLYRIK
Trilo^ie der Leidenschaft
An Werther ------- 61
Elegie - - - - - - - "63
Aussöhnung - - - - - - -68
Aolsharfen - - - - - - - -68
Mai 70
Zivischen beiden Welten - - - - - "7*
GOTT UND WELT
Proamion - - - - - - - "7'
Weltseele --------72
INHALT VM
SEITE
Dauer im Wechsel - - - - - - "73
Eins und Alles --.-----'7<f
Vermächtniss - - - - - - - -76
Metamorphose der Thiere - - - - - "77
Die Reliquien Schill:: rs - - - - - -80
Urivorte. Orphisch - - - - - - -81
HoivarJs Ehr engedächt niss - - - - - -83
Lebensgenuss -------- 84
Schlusspoetik - - - - - - - - %±
Zahme Xenien
Wenn im Unendlichen dasselbe - - - - 85
Vom Vater hab' ich die Statur - - - - 86
Theilen kann ich flieht das Leben - - - - 86
VERSTREUTE LYRIK
AUS PANDORA [1808]
Der Seligkeit Eülle die hab' ich empfunden / - - - 86
Wer "von der Schönen zu scheiden •verdammt ist - " ^7
AUS WILHELM MUSTERS WANDERJAHREN [1821]
Ein Wunder ist der arme Mensch geboren - - - 88
AUS FAUST, ZWEITER THl.IL [1831]
Trauergesang - - - - - - - -89
Lied des Lynceus --.--._^0
WEST-ÖSTLICHER DIVAN [1814-1819]
Hegire --------- go
Seiigt Sehnsucht - - - - - - -9z
Versunken - - - - - - - "93
Schlechter Trost - - - - - - "93
" Die Jahre nahmen dir, du sagst, so vieles " - - - 94
An Suleika ........ 94
Gingo biloba - - - - - - - "95
Volk und Knecht und Uberzvinder - - - "95
viii INHALT
SEITE
Hatem ---------^6
An "vollen Büschelziveigen - - » - - -^y
Deinem Blick mich zu bequemen - - - - - 97
IViederßnden - - - - - - - -98
In tausend Formen magst du dich verstecken, - - - 99
Vermächtniss altpersischen Glaubens - - - - loo
£inlass - - - - - - - ' -103
Lasst mich iveinen/ umschränkt von Macht - - - 104
LETZTES LIEDERBUCH
CHINESISCH-DEUTSCHE JAHRESZEITEN [1827]
Ziehn die Schafe von der JViese, - - - - -105
D'dmmrung senkte sich von oben - - - • -105
ABSCHIEDSKLÄNGE
CURISTMNE
Du versuchst. 0 Sonne, vergebens - - - - -106
£in rascher Sinn, der keinen Ziveifel hegt, - - - 106
LOKD BYRON [1829]
Ein freundlich IVort kommt eines nach dem andern - - 106
An Lord Byron - - - - - - -107
AN DIE NEUNZEHN FREUNDE IN ENGLAND
Worte, die der Dichter spricht - - - - - I07
DICHTUNG UND WELT
Dem au/gehenden Vollmonde - - - - -lOo
Früh ivenn Thal, Gebir^ und Garten - - - - 108
IVenn ich mir in stiller Seele - - - - - 109
Worte sind der Seele Bild — - - - - - 109
T. W. VON GOETHE
GEDICHTE. ZVrEITE?. THEIL. 1815
50 NETTE
EIN Strom entracscht um-- ' ^ '
Dem Ocean «ich cüig 2_ .::_.. .
Was aoch sich spiegeln mag von Grund zu
Gnioden,
Er wandeit miaiifhaltsam fort za Thale.
Dämonisch aber stürzt mit einem Male —
Ihr folgten Berg und Wald in Wirbelwinden —
Sich Oreas, Behagen dort za finden.
Und hemmt den Lauf, begränzt die weite Schale«
Die Welle sprüht, nnd staunt zurück und weichet.
Und schwillt bergan, sich immer selbst zu trin ken ;
Gehemmt ist nun zum Vater hin das Streben.
Sie schwankt und ruht, zum See zurückgedeichet ;
Gestirne, spiegelnd sich, beschaun das Blinken
Des Wellenschlags am Fels, ein neues Leben«
ENTW^ÖHNEN sollt' ich mich vom Glanz der
Blicke,
Mein Leben sollten sie nicht mehr Terschöncn«
130 I
J. W. VON GOETHE
Was man Geschick nennt, l'ässt sich nicht
versöhnen,
Ich weiss es wohl und trat bestürzt zurücke
Nun wusst' ich auch von keinem weitern Glücke ;
Gleich fing ich an von diesen und von jenen
Nothwend'gen Dingen sonst mich zu entwöhnen:
Nothwendig schien mir nichts als ihre Blicke.
Des Weines Gluth, den Vielgenuss der Speisen,
Bequemlichkeit und Schlaf und sonst' ge Gaben,
Gesellschaft wies ich weg, dass wenig bliebe.
So kann ich ruhig durch die Welt nun reisen :
Was ich bedarf ist überall zu haben.
Und Unentbehrlichs bring' ich mit — die Liebe.
Abschied
WAR unersättlich nach viel tausend Küssen,
Und musst' mit Einem Kuss am Ende scheiden.
Nach herber Trennung tiefempfundnen Leiden
War mir das Ufer, dem ich mich entrissen,
Mit Wohnungen, mit Bergen, Hügeln, Flüssen,
So lang ich's deutlich sah, ein Schatz der Freuden;
Zuletzt im Blauen blieb ein Augenweiden
An fernentwichnen lichten Finsternissen.
Und endlich, als das Meer den Blick umgränzte,
Fiel mir zurück in's Herz mein heiss Verlangen;
Ich suchte mein Verlornes gar verdrossen.
Da war es gleich als ob der Himmel glänzte ;
Mir schien, als wäre nichts mir, nichts entgangen.
Als hätt' ich alles, was ich je genossen.
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Epoche
MIT Flammenschrift war innigst eingeschrieben
Petrarca's Brust, ror allen andern Tagen,
Charfreitag. Eben so, ich darf's wohl sagen,
Ist mir Advent von Achtzehnhundert sieben.
Ich fing nicht an, ich fuhr nur fort zu lieben
Sie, die ich früh im Herzen schon getragen,
Dann wieder weisHch aus dem Sinn geschlagen,
Der ich nun wieder bin an's Herz getrieben.
Petrarca's Liebe, die unendlich hohe.
War leider unbelohnt und gar zu traurig.
Ein Herzensweh, ein ewiger Charfreitag ;
Doch stets erscheine, fort und fort, die frohe,
Süss, unter Palmenjubel, wonneschaurig,
Der Herrin Ankunft mir, ein ew'ger Maitag.
VERMISCHTE GEDICHTE
Klaggesang
von der edlen Frauen des Asan Aga, aus dem Ldorlack'tschen
WAS ist Weisses dort am grünen Walde ?
Ist es Schnee wohl oder sind es Schwäne ?
War' es Schnee, er wäre weggeschmolzen ;
Wären's Schwäne, wären weggeflogen.
Ist kein Schnee nicht, es sind keine Schwäne,
's ist der Glanz der Zelten Asan Aga.
Niederlicgt er drin an seiner Wunde ;
Ihn besucht die Mutter und die Schwester,
Schamhaft säumt sein Weib, zu ihm zu kommen.
3
J. W. VON GOETHE
Als nun seine Wunde linder wurde,
Liess er seinem treuen Weibe sagen :
" Harre mein nicht mehr an meinem Hofe,
Nicht am Hofe und nicht bei den Meinen.'*
Als die Frau dies harte Wort vernommen,
Stand die Treue starr und voller Schmerzen,
Hört der Pferde Stampfen vor der Thüre,
Und es deucht ihr, Asan kam', ihr Gatte,
Springt zum Thurme, sich herab zu stürzen.
Angstlich folgen ihr zwei liebe Töchter,
Rufen nach ihr, weinend bittre Thränen :
*' Sind nicht unsers Vaters Asan Rosse,
Ist dein Bruder Pintorowich kommen ! "
Und es kehret die Gemahlin Asans,
Schiinst die Arme jammernd um den Bruder :
" Sieh die Schmach, o Bruder, deiner Schwester !
Mich Verstössen, Mutter dieser fünfe ! "
Schweigt der Bruder, ziehet aus der Tasche,
Eingehüllet in hochrothe Seide,
Ausgefertiget den Brief der Scheidung,
Dass sie kehre zu der Mutter Wohnung,
Frei sich einem andern zu ergeben.
Als die Frau den Trauer-Scheidbrief sähe,
Küsste sie der beiden Knaben Stirne,
Küsst' die Wangen ihrer beiden Mädchen.
Aber ach ! vom Säugling in der Wiege
Kann sie sich im bittern Schmerz nicht reissen !
Reisst sie los der ungestüme Bruder,
Hebt sie auf das muntre Ross behende,
Und so eilt er mit der bangen Frauen
G'rad nach seines Vaters hoher Wohnung.
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Kurze Zeit war*s, noch nicht sieben Tage ;
Kurze Zeit g'nug ; von viel grossen Herren
Unsre Frau in ihrer Witwen-Trauer,
Unsre Frau zum Weib begehret wurde.
Und der grösste war Imoski's Cadi ;
Und die Frau bat weinend ihren Bruder:
** Ich beschwüre dich bei deinem Leben,
Gib mich keinem andern mehr zur Frauen,
Dass das Wiedersehen meiner Heben
Armen Kinder mir das Herz nicht breche ! "
Ihre Reden achtet nicht der Bruder,
Fest, Imoski's Cadi sie zu trauen.
Doch die Gute bittet ihn unendlich :
'* Schicke wenigstens ein Blatt, o Bruder,
Mit den Worten zu Imoski's Cadi :
Dich begrüsst die junge Wittib freundlich.
Und lässt durch dies Blatt dich höchlich bitten,
Dass, wenn dich die Suaten herbegleiten.
Du mir einen langen Schleier bringest,
Dass ich mich vor Asans Haus verhülle.
Meine lieben Waisen nicht erblicke."
Kaum ersah der Cadi dieses Schreiben,
Als er seine Suaten alle sammelt.
Und zum Wege nach der Braut sich rüstet,
Mit den Schleier, den sie heischte, tragend.
Glücklich kamen sie zur Fürstin Hause,
Glücklich sie mit ihr vom Hause wieder.
Aber als sie Asans Wohnung nahten.
Sahn die Kinder oben ab die Mutter,
Riefen : " Komm zu deiner Halle wieder !
Iss das Abendbrot mit deinen Kindern ! '*
Traurig hört' es die Gemahlin Asans,
5
J. W. VON GOETHE
Kehrete sich zu der Suaten Fürsten :
*' Lass doch, lass die Suaten und die Pferde
Halten wenig vor der Lieben Thiire,
Dass ich meine Kleinen noch beschenke."
Und sie hielten vor der Lieben Thüre,
Und den armen Kindern gab sie Gaben ;
Gab den Knaben goldgestickte Stiefel,
Gab den Mädchen lange reiche Kleider,
Und dem Säugling, hültios in der Wiege,
Gab sie für die Zukunft auch ein Röckchen.
Das beiseit sah Vater Asan Aga,
Rief gar traurig seinen lieben Kindern :
" Kehrt zu mir, ihr lieben armen Kleinen ;
Eurer Mutter Brust ist Eisen worden,
Fest verschlossen, kann nicht Mitleid fühlen."
Wie das hörte die Gemahlin Asans,
Stürzt' sie bleich den Boden schütternd nieder,
LTnd die Seel' entfloh dem bangen Busen,
Als sie ihre Kinder vor sich fliehn sah.
Mahomets Gesang
SEHT den Felsenquell,
Freudehell,
Wie ein Sternenblick ;
Über Wolken
Nährten seine Jugend
Gute Geister
Zwischen Klippen im Gebüsch,
Jünglingfrisch
Tanzt er aus der Wolke
Auf die Marmorfelsen nieder,
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Jauchzet wieder
Nach dem Himmel.
Durch die Gipfelg'änge
Jai2t er bunten Kieseln nach.
Und mit frühem Führertritt
Reisst er seine Bruderquellen
Mit sich fort.
Drunten werden in dem Thal
Unter seinem Fusstritt Blumen,
Und die Wiese
Lebt von seinem Hauch.
Doch ihn hält kein Schattenthal,
Keine Blumen,
Die ihm seine Knie' umschlingen,
Ihm mit Liebes- Augen schmeicheln:
Nach der Ebne dringt sein Lauf
Schlangenwandelnd.
Bäche schmiegen
Sich geselHg an. Nun tritt er
In die Ebne silberprangend.
Und die Ebne prangt mit ihm.
Und die Flüsse von der Ebne
Und die Bäche von den Bergen
Jauchzen ihm und rufen : Bruder !
Bruder, nimm die Brüder mit.
Mit zu deinem alten Vater,
Zu dem ew'gen Ocean,
Der mit ausgespannten Armen
Unser wartet.
Die sich ach ! vergebens öffnen,
Seine Sehnenden zu fassen ;
Denn uns frisst in öder Wüste
J. W. VON GOETHE %
V
Gier'ger Sand ; die Sonne droben
Saugt an unserm Blut ; ein Hügel
Hemmet uns zum Teiche ! Bruder,
Nimm die Bri.ider von der Ebne,
Nimm die Brüder von den Bergen
Mit, zu deinem Vater mit !
Kommt ihr alle ! —
Und nun schwillt er
Herrlicher ; ein ganz Geschlechte
Trägt den Fürsten hoch empor !
Und im rollenden Triumphe
Gibt er Ländern Namen, Städte
Werden unter seinem Fuss.
Unaufhaltsam rauscht er weiter,
Lässt der Thürme Flammengipfel,
Marmorhäuser, eine Schöpfung
Seiner Fülle, hinter sich.
Cedernhäuser trägt der Atlas
Auf den Riesenschultern : sausend
Wehen über seinem Haupte
Tausend Flaggen durch die Lüfte,
Zeugen seiner Herrlichkeit.
Und so trägt er seine Brüder,
Seine Schätze, seine Kinder,
Dem erwartenden Erzeuger
Freudebrausend an das Herz.
Gesang der Geister üher den Wassern
DES Menschen Seele
Gleicht dem Wasser :
Vom Himmel kommt es.
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muss es,
Ewig wechselnd.
Strömt von der hohen
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen,
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend,
Zur Tiefe nieder.
Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmuthig
Stufenweise
Zum Abgrund.
Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesenthal hin.
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.
Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler ;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.
Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser !
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind !
J. W. VON GOETHE
Meine Gottin
WELCHER Unsterblichen
Soll der höchste Preis sein ?
Mit niemand streit' ich,
Aber ich geb' ihn
Der ewig beweglichen,
Immer neuen,
Seltsamen Tochter Jovis,
Seinem Schooskinde,
Der Phantasie.
Denn ihr hat er
Alle Launen,
Die er sonst nur allein
Sich vorbehält.
Zugestanden,
Und hat seine Freude
An der Thörin.
Sie mag rosenbekränzt
Mit dem Lilienstengel
Blumenthäler betreten,
Sommervögeln gebieten.
Und leichtnährenden Thau
Mit Bienenlippen
Von Bliithen saugen :
Oder sie mag
Mit fliegendem Haar
Und düsterm Blicke
Im Winde sausen
Um Felsen wände,
Und tausendfarbig.
Wie Morgen und Abend,
Immer wechselnd,
lO
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Wie Mondesblicke,
Den Sterblichen scheinen.
Lasst uns alle
Den Vater preisen !
Den alten hohen,
Der solch eine schöne
Unverwelkliche Gattin
Dem sterblichen Menschen
Gesellen mögen !
Denn uns allein
Hat er sie verbunden
Mit Himnielsband,
Und ihr geboten.
In Freud' und Elend,
Als treue Gattin
Nicht zu entweichen.
Alle die andern
Armen Geschlechter
Der kinderreichen
Lebendigen Erde
Wandeln und weiden
In dunkelm Genuss
Und trüben Schmerzen
Des augenblicklichen
Beschränkten Lebens,
Gebeugt vom Joche
Der Nothdurft.
Uns aber hat er
Seine gewandteste
Verzärtelte Tochter,
Freut euch ! gegönnt.
Begegnet ihr lieblich,
II
J. \V. VON GOETHE
Wie einer Geliebten !
Lasst ihr die Würde
Der Frauen im Haus !
Und dass die alte
Schwiegermutter Weisheit
Das zarte Seelchen
Ja nicht beleid'ge !
Doch kenn' ich ihre Schwester,
Die ältere, gesetztere,
Meine stille Freundin :
O dass die erst
Mit dem Lichte des Lebens
Sich von mir wende,
Die edle Treiberin,
Trösterin HolFnuns !
Harzretse im Wtnter
DEM Geier gleich.
Der auf schweren Morgenwolken
Mit sanftem Fittig ruhend
Nach Beute schaut,
Schwebe mein Lied.
Denn ein Gott hat
Jedem seine Bahn
Vorgezeichnet,
Die der Glückliche
Rasch zum freudigen
Ziele rennt :
Wem aber L^nglück
Das Herz zusammenzog,
Er sträubt vergebens
12
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Sich gegen die Schranken
Des ehernen Fadens,
Den die doch bittre Schere
Nur einmal lös't.
In Dickichts-Schauer
Drängt sich das rauhe Wild,
Und mit den Sperlingen
Haben länost die Reichen
In ihre Sümpfe sich gesenkt.
Leicht ist's folgen dem Wagen,
Den Fortuna führt,
Wie der gemächliche Tross
Auf gebesserten Wegen
Hinter des Fürsten Einzug.
Aber abseits wer ist's ?
In's Gebüsch verliert sich sein Pfad,
Hinter ihm schlagen
Die Sträuche zusammen.
Das Gras steht wieder auf.
Die Ode verschlingt ihn.
Ach, wer heilet die Schmerzen
Dess, dem Balsam zu Gift ward ?
Der sich Menschenhass
Aus der Fülle der Liebe trank ?
Erst verachtet, nun ein Verächter,
Zehrt er heimlich auf
Seinen eignen Werth
In ung'nügender Selbstsucht.
Ist auf deinem Psalter,
Vater der Liebe, ein Ton
Seinem Ohre vernehmlich,
So erquicke sein Herz 1
»3
J. W. VON GOETHE
Offne den umwölkten Blick
Über die tausend Quellen
Neben dem Durstenden
In der Wüste.
Der du der Freuden viel schaffst,
Jedem ein überfliessend Mass,
Segne die Brüder der Jagd
Auf der Fährte des Wilds
Mit jugendlichem Uberrauth
Fröhlicher Mordsucht,
Späte Rächer des Unbills,
Dem schon Jahre vergeblich
Wehrt mit Knütteln der Bauer.
Aber den Einsamen hülF
In deine Goldwolken !
Umgib mit Wintergrün,
Bis die Rose wieder heranreift,
Die feuchten Haare,
O Liebe, deines Dichters !
Mit der dämmernden Fackel
Leuchtest du ihm
Durch die Furten bei Nacht,
Über grundlose Wege
Auf öden Gefilden ;
Mit dem tausendfarbigen Morgen
Lachst du in's Herz ihm ;
Mit dem beizenden Sturm
Trägst du ihn hoch empor ;
Winterströme stürzen vom Felsen
In seine Psalmen,
Und Altar des lieblichsten Danks
Wird ihm des gefürchteten Gipfels
Schneebehangner Scheitel,
»4
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Den mit Geisterreihen
Kränzten ahnende Völker.
Du stehst mit unerforschtem Busen
Geheimnissvoll offenbar
Über der erstaunten Welt,
Und schaust aus Wolken
Auf ihre Reiche und Herrlichkeit,
Die du aus den Adern deiner Brüder
Neben dir wässerst.
jin Schwager Kronos
SPUDE dich, Kronos!
Fort den rasselnden Trott !
Bergab gleitet der Weg ;
Ekles Schwindeln zöoert
o
Mir vor die Stirne dein Zaudern.
Frisch, holpert es gleich,
Über Stock und Steine den Trott
Rasch in's Leben hinein !
Nun schon wieder
Den erathmenden Schritt
Mühsam Berg hinauf!
Auf denn, nicht träge denn,
Strebend und hoffend hinan !
Weit, hoch, herrlich der Blick
Rings in's Leben hinein.
Vom Gebirg' zum Gebirg'
Schwebet der ewige Geist,
Ewigen Lebens ahndevoll.
Seitwärts des Uberdachs Schatten
Zieht dich an,
»5
J. W. VON GOETHE
Und ein Frischung verheissender Blick
Auf der Schwelle des Mädchens da.
Labe dich ! — Mir auch, Mädchen,
Diesen schäumenden Trank,
Diesen frischen Gesundheitsblick !
Ab denn, rascher hinab !
Sieh, die Sonne sinkt !
Eh' sie sinkt, eh' mich Greisen
Ergreift im Moore Nebelduft,
• Entzahnte Kiefer schnattern
Und das schlotternde Gebein.
Trunknen vom letzten Strahl
Reiss mich, ein Feuermeer
Mir im schäumenden Aug',
Mich geblendeten Taumelnden
In der Hölle nächtliches Thor.
Töne, Schwager, in's Hern,
Rassle den schallenden Trab,
Dass der Orcus vernehme : wir kommen,
Dass gleich an der Thüre
Der Wirth uns freundlich empfange.
Wandrers Sturmlied
WEN du nicht verlassest, Genius,
Nicht der Regen, nicht der Sturm
Haucht ihm Schauer über's Herz.
Wen du nicht verlassest, Genius,
Wird dem Regengewölk,
Wird dem Schlossensturm
Entgegen singen.
Wie die Lerche,
Du da droben.
i6
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Den du nicht verlassest, Genius,
Wirst ihn heben liber'n Schlammpfad
Mit den Feuerflügeln ;
Wandeln wird er
Wie mit Blumenfüssen
Über Deukalions Fluthschlamm,
Python tödtend, leicht, gross,
Pythius Apollo.
Den du nicht verlassest, Genius,
Wirst die wollnen Flügel unterspreiten.
Wenn er auf dem Felsen schläft.
Wirst mit Hüterfittigen ihn decken
In des Haines Mitternacht.
Wen du nicht verlassest, Genius,
Wirst im Schneegestöber
Wärmumhüllen ;
Nach der Wärme ziehn sich Musen,
Nach der Wärme Charitinnen.
Umschwebet mich, ihr Musen,
Ihr Charitinnen !
Das ist Wasser, das ist Erde
Und der Sohn des Wassers und der Erde,
Über den ich wandle
Güttergleich.
Ihr seid rein, wie das Herz der Wasser,
Ihr seid rein, wie das Mark der Erde,
Ihr umschwebt mich und ich schwebe
Über Wasser, über Erde,
Göttergleich.
Soll der zurückkehren
Der kleine, schwarze, feurige Bauer ?
181 17
J. W. VON GOETHE
Soll der zurückkehren, erwartend
Nur deine Gaben, Vater Bromius,
Und hellleuchtend umwärmend Feuer ?
Der kehren muthig ?
Und ich, den ihr begleitet,
Musen und Charitinnen alle.
Den alles erwartet, was ihr,
Musen und Charitinnen,
Umkränzende Seligkeit
Rings um's Leben verherrlicht habt,
Soll muthlos kehren ?
Vater Bromius !
Du bist Genius,
Jahrhunderts Genius,
Bist, was innre Giuth
Pindarn war,
Was der Welt
Phöbus Apoll ist.
Weh ! Weh ! Innre W^ärme,
Seelenwärme,
Mittelpunkt !
Glüh entgegen
Phüb' Apollen ;
Kalt wird sonst
Sein Fürstenblick
Über dich vorübergleiten,
NeidgetrofFen
Auf der Ceder Kraft verweilen,
Die zu grünen
Sein nicht harrt.
Warum nennt mein Lied dich zuletzt?
Dich, von dem es begann,
x8
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Dich, in dem es endet,
Dich, aus dem es quillt,
Jupiter Pluvius !
Dich, dich strömt mein Lied,
Und kastalischer Quell
Rinnt ein Nebenbach,
Rinnet Massigen,
Sterblich Glücklichen
Abseits von dir.
Der du mich fassend deckst,
Jupiter Pluvius !
Nicht am Ulmenbaum
Hast du ihn besucht,
Mit dem Taubenpaar
In dem zärtlichen Arm,
Mit der freundlichen Ros' umkränzt,
Tändelnden ihn, blumenglücklichen
Anakreon,
Sturmathmende Gottheit !
Nicht im Pappelwald
An des Sybaris Strand,
An des Gebirges
Sonnebeglänzter Stirn nicht
Fasstest du ihn,
Den Blumen-sinuenden
Honig-lallenden
Freundlich winkenden
Theokrit.
AVenn die Räder rasselten
Rad an Rad rasch um's Ziel weg,
Hoch flog
Sieodurchglühter
Jünglinge Peitschenknall,
J. W. VON GOETHE
Und sich Staub wälzt',
Wie vom Gebirg' herab
Kieselwetter in's Thal,
Glühte deine Seel' Gefahren, Pindar,
Mmh.— Glühte :—
Armes Herz !
Dort auf dem Hügel,
Himmlische Macht I
Nur so viel Gluth,
Dort meine Hütte,
Dorthin zu waten !
Seefahrt
LANGE Tag' und Nächte stand mein Schiff
befrachtet ;
Günst'ger Winde harrend, sass mit treuen Freunden,
Mir Geduld und guten Muth erzechend,
Ich im Hafen.
Und sie waren doppelt ungeduldig :
Gerne gönnen wir die schnellste Reise,
Gern die hohe Fahrt dir ; Güterfülle
Wartet drüben in den Welten deiner,
Wird Rückkehrendem in unsern Armen
Lieb' und Preis dir.
Und am frühen Morgen w^ard's Getümmel,
Und dem Schlaf entjauchzt uns der Matrose,
Alles wimmelt, alles lebet, webet.
Mit dem ersten Segenshauch zu schiffen.
Und die Segel blühen in dem Hauche,
Und die Sonne lockt mit Feuerliebe ;
Ziehn die Segel, ziehn die hohen Wolken,
Jauchzen an dem Ufer alle Freunde
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Hoffbnngslieder nach, im Freudetaumel
Reisefreoden wähnend, wie des Einschiffmorgens,
Wie der ersten hohen Stemennächte.
Aber gottgesandte Wechselwindc treiben
Seitwärts ihn der vorgesteckten Fahrt ab.
Und er scheint sich ihnen hinzugeben.
Strebet leise sie zu überlisten.
Treu dem Zweck auch auf dem schieren We^e.
Aber aus der dumpfen grauen Ferne
K"n:!f: le'^ewandelnd sich der Sturm an.
D-: :: i-
Vögel nieder auPs Gewässer,
Dr::. :: r:
^^J^. sehen schwellend Herz darnieder.
V:L -: ...^
r :. Vor seinem starren Wüthen
Mi:'-V'l:
::: :fr: klag die Segel nieder,
"Zsterfüllten Balle spielen
Wir.! L^
" "en.
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'-'- drüben stehen
F.c.:.-:'_
r , beben auf dem Festen :
Ach, War-
Ach, er s-o
r :■: e: nicht hier geblieben !
\'erschlagen weg vom Glücke !
- Grunde gehen ?
iie, ach, er könnte ! Götter !
D -
männlich an dem Steuer ;
- ^-^ielen Wind und Wellen;
Wi
icht mit seinem Herzen:
L:.^ ,....-
: die grinune Tiefe,
_ , i oder landend,
Seinen G .:
::z::..
Promrtbcus
EEDEC'"~ vinen Himmel, Zeus,
Mit Wl. . it,
n
J. W. VON GOETHE
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn ;
Iviusst mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Gluth
Du mich beneidest.
Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn', als euch, Götter !
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät,
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Thoren.
Da ich ein Kind war.
Nicht wusste wo aus noch ein.
Kehrt' ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber war'
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz, wie mein's,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
Wer half mir
Wider der Titanen Ubermuth ?
Wer rettete vom Tode mich.
Von Sklaverei ?
Hast du nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz ?
Und glühtest jung und gut,
22
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben ?
Ich dich ehren ? Wofür ?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen ?
Hast du die Thränen gestillet
Je des Geängsteten ?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine ?
Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehen.
Weil nicht alle
Blüthenträume reiften ?
Hier sitz' ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen.
Zu geniessen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich 1
Ganymed
WIE im Morgenglanze
Du rings mich anglühst,
Frühling, Geliebter 1
Mit tausendfacher Liebes wonne
Sich an mein Herz drängt
Deiner ewigen Wärme
«3
J. W. VON GOETHE
Heilig Gefühl,
Unendliche Schöne !
Dass ich dich fassen möcht*
In diesen Arm !
Ach an deinem Busen
Lieg' ich, schmachte,
Und deine Blumen, dein Gras
Drängen sich an mein Herz.
Du kühlst den brennenden
Durst meines Busens,
Lieblicher Morgenwind !
Ruft drein die Nachtigall
Liebend nach mir aus dem Nebelthal.
Ich komm', ich komme !
Wohin ? Ach, wohin ?
Hinauf! Hinauf strebt's.
Es schweben die Wolken
Abwärts, die Wolken
Neigen sich der sehnenden Liebe.
Mir! Mir!
In euerm Schoose
Aufwärts !
Umfangend umfangen !
Aufwärts an deinen Busen,
Alliebender Vater ?
G ranzen der Menschheit
WENN der uralte
Heilige Vater
Mit gelassener Hand
24
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Aus rollenden Wolken
Segnende Blitze
Über die Erde sät,
Küss' ich den letzten
Saum seines Kleides,
Kindliche Schauer
Treu in der Brust.
Denn mit Göttern
Soll sich nicht messen
Irgend ein Mensch.
Hebt er sich aufwärts,
Und berührt
Mit dem Scheitel die Sterne,
Nirgends haften dann
Die unsichern Sohlen,
Und mit ihm spielen
Wolken und Winde,
Steht er mit festen
Markigen Knochen
Auf der wohlgegriindeten
Dauernden Erde ;
Reicht er nicht auf,
Nur mit der Eiche
Oder der Rebe
Sich zu vergleichen.
Was unterscheidet
Götter von Menschen ?
Dass viele Wellen
Vor jenen wandeln.
Ein ewiger Strom :
Uns hebt die Welle,
Verschlingt die Welle,
Und wir versinken.
2S
J. W. VON GOETHE
Ein kleiner Ring
Begränzt unser Leben,
Und viele Geschlechter
Reihen sich dauernd
An ihres Daseins
Unendliche Kette.
Das Göttliche
EDEL sei der Mensch,
Hülfreich und gut !
Denn das allein
Unterscheidet ihn
Von allen Wesen,
Die wir kennen.
Heil den unbekannten
Höhern Wesen,
Die wir ahnen !
Ihnen gleiche der Mensch ;
Sein Beispiel lehr' uns
Jene glauben.
Denn unfühlend
Ist die Natur :
Es leuchtet die Sonne
Über Bös' und Gute,
Und dem Verbrecher
Glänzen, wie dem Besten,
Der Mond und die Sterne.
Wind und Ströme,
Donner und Hagel
Rauschen ihren Weg,
Und ergreifen,
26
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Vorübereilend,
Einen um den andern.
Auch so das Glück
Tappt unter die Menge,
Fasst bald des Knaben
Lockige Unschuld,
Bald auch den kahlen
Schuldigen Scheitel.
Nach ewigen, ehrnen,
Grossen Gesetzen
Müssen wir alle
Unseres Daseins
Kreise vollenden.
Nur allein der Mensch
Vermag das Unmögliche :
Er unterscheidet,
Wählet und richtet ;
Er kann dem Augenblick
Dauer verleihen.
Er allein darf
Dem Guten lohnen,
Den Bösen strafen,
Heilen und retten.
Alles Irrende, Schweifende
Nützlich verbinden.
Und wir verehren
Die Unsterblichen,
Als wären sie Menschen,
Thäten im Grossen,
Was der Beste im Kleinen
Thut oder möchte.
J. W. VON GOETHE
Der edle Mensch
Sei hülfieich und gut !
Unermiidet schaff' er
Das NützHche, Rechte,
Sei uns ein Vorbild
Jener geahneten Wesen !
LU?s Park
IST doch keine Menagerie
So bunt, als meiner Lili ihre !
Sie hat darin die wunderbarsten Thiere
Und kriegt sie 'rein, weiss selbst nicht wie.
O, wie sie hüpfen, laufen, trappeln,
Mit abgestumpften Flügeln zappeln,
Die armen Prinzen allzumal,
In nie gelöschter Liebesqual !
Wie hiess die Fee : — Lili ? — Fragt nicht nach ihr !
Kennt ihr sie nicht, so danket Gott dafür.
Welch ein Geräusch, welch ein Gegacker,
Wenn sie sich in die Thüre stellt
Und in der Hand das Futterkörbchen hält !
Welch ein Gequiek, welch ein Gequacker !
Alle Bäume, alle Büsche
Scheinen lebendig zu werden :
So stürzen sich ganze Heerden
Zu ihren Füssen ; sogar im Bassin die Fische
Patschen ungeduldig mit den Köpfen heraus.
Und sie streut dann das Futter aus
Mit einem Blick — Götter zu entzücken.
Geschweige die Bestien. Da geht's an ein Picken,
28
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
An ein Schlürfen, an ein Hacken ;
Sie stürzen einander über die Nacken,
Schieben sich, drängen sich, reissen sich,
Jagen sich, ängsten sich, beissen sich,
Und das all um ein Stückchen Brot,
Das, trocken, aus den schönen Händen schmeckt.
Als hätt' es in Ambrosia gesteckt.
Aber der Blick auch ! der Ton,
Wenn sie ruft : Pipi ! Pipi !
Zöge den Adler Jupiter's vom Thron ;
Der Venus Taubenpaar,
Ja, der eitle Pfau sogar.
Ich schwöre, sie kämen,
Wennn sie den Ton von weitem nur vernähmen.
Denn so hat sie aus des Waldes Nacht
Einen Bären, ungeleckt und ungezogen,
Unter ihren Beschluss herein betrogen.
Unter die zahme Kompagnie gebracht.
Und mit den andern zahm gemacht :
Bis auf einen gewissen Punkt, versteht sich !
Wie schön und ach, wie gut
Schien sie zu sein ! Ich hätte mein Blut
Gegeben, um ihre Blumen zu begiessen.
*' Ihr sagtet: Ich! Wie? Wer?"
Gut denn, ihr Herrn, grad aus : Ich bin der Bär ;
In einem Filetschurz gefangen.
An einem Seidenfaden ihr zu Füssen.
Doch wie das alles zugegangen.
Erzähl' ich euch zur andern Zeit ;
Dazu bin ich zu wüthig heut.
Denn, ha ! steh' ich so an der Ecke,
Und hör' von weitem das Geschnatter,
29
J. W. VON GOETHE
Seh' das Geflitter, das Geflatter,
Kehr' ich mich um
Und brumm',
Und renne rückwärts eine Strecke,
Und seh' mich um
Und brumm',
Und laufe wieder eine Strecke,
Und kehr' doch endHch wieder um.
Dann fängt's auf einmal an zu rasen,
Ein mächt'ger Geist schnaubt aus der Nasen,
Es wildzt die innere Natur.
Was, du ein Thor, ein Häschen nur !
So ein Pipi, Eichhörnchen, Nuss zu knacken!
Ich sträube meinen borst'gen Nacken,
Zu dienen ungewöhnt.
Ein jedes aufgestutzte Bäumchen höhnt
Mich an ! Ich flieh' vom Boulingreen,
Vom niedlich glatt gemähten Grase ;
Der Buchsbaum zieht mir eine Nase,
Ich flieh' ins dunkelste Gebüsche hin.
Durchs Gehäge zu dringen,
Über die Planken zu springen !
Mir versagt Klettern und Sprung,
Ein Zauber bleit mich nieder.
Ein Zauber häkelt mich wider.
Ich arbeite mich ab, und bin ich matt genung.
Dann lieg' ich an gekünstelten Kaskaden,
Und kau' und wein' und wälze halb mich todt,
Und ach ! es hören meine Noth
Nur porzellanene Oreaden.
Auf einmal ! Ach, es dringt
Ein seliges Gefühl durch alle meine Glieder !
Sie ist's, die dort in ihrer Laube singt !
30
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Ich höre die liebe, liebe Stimme wieder,
Die ganze Luft ist warm, ist bliithevoll.
Ach, singt sie wohl, dass ich sie hören soll ?
Ich dringe zu, tret' alle Strauche nieder.
Die Büsche fiichn, die Bäume weichen mir,
Und so — zu ihren Füssen liegt das Thier.
Sie sieht es an : " Ein Ungeheuer, doch drollig !
Für einen Bären zu mild,
Für einen Pudel zu wild.
So zottig, tapsig, knollig ! "
Sie streicht ihm mit dem Füsschen übern Rücken ;
Er denkt im Paradiese zu sein.
Wie ihn alle sieben Sinne jucken !
Und Sie, sieht ganz gelassen drein.
Ich küss' ihre Schuhe, kau' an den Sohlen,
So sittig, als ein Bär nur mag ;
Ganz sachte heb' ich mich und schwinge mich
verstohlen
Leis an ihr Knie — am günst'gen Tag
Lässt sie's geschehn und kraut mir um die Ohren
Und patscht mich mit muthwillig derbem Schlag ;
Ich knurr', in Wonne neu geboren ;
Dann fordert sie mit süssem, eitlem Spotte :
Allons tout doux ! eh la menotte l
Kt f altes Serviteur
Comme un jolt Seigneur.
So treibt sie's fort mit Spiel und Lachen !
Es hofft der oft betrogne Thor ;
Doch will er sich ein bischen unnütz machen,
Hält sie ihn kurz als wie zuvor.
Doch hat sie auch ein Fläschchen Balsam-Feuers,
Dem keiner Erde Honig gleicht,
W^ovon sie wohl einmal, von Lieb' und Treu' erweicht,
3«
J. W. VON GOETHE
Um die verlechzten Lippen ihres Ungeheuers
Ein Tröpfchen mit der Fingerspitze streicht
Und wieder flieht und mich mir überlässt,
Und ich dann, losgebunden, fest
Gebannt bin, immer nach ihr ziehe,
Sie suche, schaudre, wieder fliehe —
So lässt sie den zerstörten Armen gehn,
Ist seiner Lust, ist seinen Schmerzen still ;
Ha ! manchmal lässt sie mir die Thür halb offen stehn,
Seitblickt mich spottend an, ob ich nicht fliehen will.
Und ich ! — Götter, ist's in euren Händen,
Dieses dumpfe Zauberwerk, zu enden.
Wie dank' ich, wenn ihr mir die Freiheit schafft !
Doch sendet ihr mir keine Hülfe nieder —
Nicht ganz umsonst reck' ich so meine Glieder,
Ich f ühPs ! Ich schwör's ! Noch hab' ich Kraft.
JLiebebedürfniss
WER vernimmt mich ? Ach, wem soll ich's klagen?
Wer's vernähme, würd' er mich bedauern?
Ach ! die Lippe, die so manche Freude
Sonst genossen hat und sonst gegeben,
Ist gespalten, und sie schmerzt erbärmlich.
Und sie ist nicht etwa wund geworden.
Weil die Liebste mich zu wild ergriffen,
Hold mich angebissen, dass sie fester
Sich des Freunds versichernd ihn genösse:
Nein, das zarte Lippchen ist gesprungen.
Weil nun über Reif und Frost die Winde
Spitz und scharf und lieblos mir begegnen.
LTnd nun soll mir Saft der edlen Traube,
Mit dem Saft der Bienen bei dem Feuer
J2
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Meines Herds vereinigt, Lindrung schaffen.
Ach, was will das helfen, mischt die Liebe
Nicht ein Tröpfchen ihres Balsams drunter ?
Morgen klagen
O DU loses, leidigliebes Mädchen,
Sag mir an, womit hab' ich's verschuldet,
Dass du mich auf diese Folter spannest,
Dass du dein gegeben Wort gebrochen ?
Drucktest doch so freundlich gestern Abend
Mir die Hände, lispeltest so lieblich :
Ja, ich komme, komme gegen Morgen
Ganz gewiss, mein Freund, auf deine Stube.
Angelehnet Hess ich meine Thüre,
Hatte wohl die Angeln erst geprüfet
Und mich recht gefreut, dass sie nicht knarrten.
Welche Nacht des Wartens ist vergangen !
Wacht' ich doch und zählte jedes Viertel ;
Schlief ich ein auf wenig Augenblicke,
War mein Herz beständig wach geblieben,
Weckte mich von meinem leisen Schlummer.
Ja, da segnet' ich die Finsternisse,
Die so ruhig alles überdeckten,
Freute mich der allgemeinen Stille,
Horchte lauschend immer in die Stille,
Ob sich nicht ein Laut bewegen möchte.
*' Hätte sie Gedanken wie ich denke,
Hätte sie Gefühl, wie ich empfinde,
Würde sie den Morgen nicht erwarten.
Würde schon in dieser Stunde kommen."
132 33
J. W. VON GOETHE
Hüpft' ein Kätzchen oben übern Boden,
Knisterte das Mäuschen in der Ecke,
Regte sich, ich weiss nicht was, im Hause
Immer hofft' ich, deinen Schritt zu hören,
Immer glaubt' ich, deinen Tritt zu hören.
Und so lag ich lang' und immer länger,
Und es fing der Tag schon an zu grauen.
Und es rauschte hier und rauschte dorten.
*' Ist es ihre Thüre ? Wär's die meine ! "
Sass ich aufgestemmt in meinem Bette,
Schaute nach der halb erhellten Thüre,
Ob sie nicht sich wohl bewegen möchte.
Angelehnet blieben beide Flügel
Auf den leisen Angeln ruhig hangen.
Und der Tag ward immer hell und heller ;
Hört' ich schon des Nachbars Thüre gehen.
Der das Taglohn zu gewinnen eilet.
Hört' ich bald darauf die Wagen rasseln.
War das Thor der Stadt nun auch eröffnet.
Und es regte sich der ganze Plunder
Des bewegten Marktes durch einander.
Ward nun in dem Haus ein Gehn und Kommen
Auf und ab die Stiegen, hin und wieder
Knarrten Thüren, klapperten die Tritte ;
Und ich konnte wie vom schönen Leben
Mich noch nicht von meiner Hoffnung scheiden.
Endlich, als die ganz verhasste Sonne
Meine Fenster traf und meine Wände,
Sprang ich auf und eilte nach dem Garten,
Meinen heissen, sehnsuchtsvollen Athem
Mit der kühlen Morgenluft zu mischen.
Dir vielleicht im Garten zu begegnen :
34
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Und nun bist du weder in der Laube
Noch im hohen Lindengang zu finden.
Der Besuch
MEINE Liebste wollt' ich heut beschleichen,
Aber ihre Thüre war verschlossen.
Hab' ich doch den Schlüssel in der Tasche !
Offn' ich leise die geliebte Thüre !
Auf dem Saale fand ich nicht das Mädchen,
Fand das Mädchen nicht in ihrer Stube ;
Endlich, da ich leis die Kammer öffne,
Find' ich sie, gar zierlich eingeschlafen,
Angekleidet auf dem Sopha liegen.
Bei der Arbeit war sie eingeschlafen ;
Das Gestrickte mit den Nadeln ruhte
Zwischen den gefaltnen zarten Händen ;
Und ich setzte mich an ihre Seite,
Ging bei mir zu Rath', ob ich sie weckte.
Da betrachtet' ich den schönen Frieden,
Der auf ihren Augelidern ruhte :
Auf den Lippen war die stille Treue,
Auf den Wangen Lieblichkeit zu Hause,
Und die Unschuld eines guten Herzens
Regte sich im Busen hin und wieder.
Jedes ihrer Glieder lag gefällig
Aufgelöst vom süssen Götterbalsam.
Freudig sass ich da, und die Betrachtung
Hielte die Begierde, sie zu wecken,
Mit geheimen Banden fest und fester.
35
J. W. VON GOETHE
O du Liebe, dacht' ich, kann der Schlummer,
Der Verräther jedes falschen Zuges,
Kann er dir nicht schaden, nichts entdecken.
Was des Freundes zarte Meinung störte ?
Deine holden Augen sind geschlossen,
Die mich offen schon allein bezaubern ;
Es bewegen deine süssen Lippen
Weder sich zur Rede noch zum Kusse ;
Aufgelöst sind diese Zauberbande
Deiner Arme, die mich sonst umschlingen.
Und die Hand, die reizende Gefährtin
Süsser Schmeicheleien, unbeweglich.
Wär's ein Irrthum, wie ich von dir denke.
War' e« Selbstbetrug, wie ich dich liebe,
Müsst' ich's jetzt entdecken, da sich Amor
Ohne Binde neben mich gestellet.
Lange sass ich so und freute herzlich
Ihres Werthes mich und meiner Liebe ;
Schlafend hatte sie mir so gefallen,
Dass ich mich nicht traute, sie zu wecken.
Leise leg' ich ihr zwei Pomeranzen
o
Und zwei Rosen auf das Tischchen nieder ;
Sachte, sachte schlich ich meiner Wege.
Oilnet sie die Augen, meine Gute,
Gleich erblickt sie diese bunte Gabe,
Staunt, wie immer bei verschlossnen Thüren
Dieses freundliche Geschenk sich finde.
Seh' ich diese Nacht den Engel wieder,
O, wie freut sie sich, vergilt mir doppelt
Dieses Opfer meiner zarten Liebe.
36
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Der Becher
EINEN wohlgeschnitzten vollen Becher
Hielt ich drückend in den beiden Händen,
Sog begierig süssen Wein vom Rande,
Gram und Sorg' auf einmal zu vertrinken.
Amor trat herein und fand mich sitzen,
Und er lächelte bescheiden-weise,
Als den Unverständigen bedauernd.
" Freund, ich kenn' ein schöneres Gefässe,
Werth, die ganze Seele drein zu senken ;
Was gelobst du, wenn ich dir es gönne,
Es mit anderm Nektar dir erfülle ? "
O, wie freundlich hat er Wort gehalten !
Da er, Lida, dich mit sanfter Neigung
Mir, dem lange Sehnenden, geeignet.
Wenn ich deinen lieben Leib umfasse,
Und von deinen einzig treuen Lippen
Langbewahrter Liebe Balsam koste.
Selig Sprech* ich dann zu meinem Geiste ;
Nein, ein solch Gefäss hat ausser Amorn
Nie ein Gott gebildet noch besessen !
Solche Formen treibet nie Vulcanus
Mit den sinnbegabten feinen Hämmern !
Auf belaubten Hügeln mag Lyäus
Durch die ältsten, klügsten seiner Faunen
Ausgesuchte Trauben keltern lassen.
Selbst geheimnissvoller Gährung vorstehn :
Solchen Trank verschafft ihm keine Sorgfalt !
37
J. W. VON GOETHE
Nachtgedanken
EUCH bedaur' ich, ungliickserge Sterne,
Die ihr schön seid und so herrlich scheinet,
Dem bedrängten Schitfer gerne leuchtet,
Unbelohnt von Göttern und von Menschen :
Denn ihr liebt nicht, kanntet nie die Liebe !
Unaufhaltsam führen ew'ge Stunden
Eure Reihen durch den weiten Himmel.
Welche Reise habt ihr schon vollendet,
Seit ich weilend in dem Arm der Liebsten
Euer und der Mitternacht vergessen !
j4n Li da
DEN Einzigen, Lida, welchen du lieben kannst,
Forderst du ganz für dich, und mit Recht.
Auch ist er einzig dein ;
Denn, seit ich von dir bin,
Scheint mir des schnellsten Lebens
Lärmende Bewegung
Nur ein leichter Flor, durch den ich deine Gestalt
Immerfort wie in Wolken erblicke :
Sie leuchtet mir freundlich und treu.
Wie durch des Nordlichts bewegliche Strahlen
Ewige Sterne schimmern.
Im Voruhergehn
ICH ging im Felde
So für mich hin.
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.
38
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Da stand ein Blümchen
Sogleich so nah,
Dass ich im Leben
Nichts lieber sah.
Ich wollt' es brechen,
Da sagt' es schleunig :
Ich habe Wurzeln,
Die sind gar heimlich.
Im tiefen Boden
Bin ich gegründet.
Drum sind die Blüthen
So schön gerundet.
Ich kann nicht liebeln,
Ich kann nicht schränken ;
Musst mich nicht brechen,
Musst mich verpflanzen.
Ich ging im Walde
So vor mich hin ;
Ich war so heiter,
Wollt' immer weiter —
Das war mein Sinn.
AUS WILHELM MEISTER
Mhnon
HEISS mich nicht reden, heiss mich schweigen,
Denn mein Geheimniss ist mir Pflicht ;
Ich möchte dir mein ganzes Innre zeigen,
Allein das Schicksal will es nicht.
39
J. W. VON GOETHE
Zur rechten Zeit vertreibt der Sonne Lauf
Die finstre Nacht, und sie muss sich erhellen ;
Der harte Fels schliesst seinen Busen auf,
Missgönnt der Erde nicht die tiefverborgnen Quellen.
Ein jeder sucht im Arm des Freundes Ruh,
Dort kann die Brust in Klagen sich ergiessen ;
Allein ein Schwur drückt mir die Lippen zu,
Und nur ein Gott vermas sie aufzuschliessen.
Dieselbe
NUR wer die Sehnsucht kennt
Weiss, was ich leide!
Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh' ich an's Firmament
Nach jener Seite.
Ach ! der mich liebt und kennt
Ist in der Weite.
Es schwindelt mir, es brennt
Mein Eingeweide.
Nur wer die Sehnsucht kennt
W^eiss, was ich leide !
Dieselbe
SO lasst mich scheinen, bis ich werde;
Zieht mir das weisse Kleid nicht aus !
Ich eile von der schönen Erde
Hinab in jenes feste Haus.
Dort ruh' ich eine kleine Stille,
Dann öffnet sich der frische Blick,
40
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Ich lasse dann die reine Hülle,
Den Gürtel und den Kranz zurück.
Und jene himmlischen Gestalten
Sie fragen nicht nach Mann und Weib,
Und keine Kleider, keine Falten
Umgeben den verklärten Leib.
Zwar lebt' ich ohne Sorg' und Mühe,
Doch fühlt ich tiefen Schmerz genung.
Vor Kummer altert' ich zu frühe ;
Macht mich auf ewi^ wieder jung !
Harfenspieler
WER sich der Einsamkeit ergibt,
Ach ! der ist bald allein ;
Ein jeder lebt, ein jeder liebt,
Und lässt ihn seiner Pein.
Ja ! lasst mich meiner Qual !
Und kann ich nur einmal
Recht einsam sein,
Dann bin ich nicht allein.
Es schleicht ein Liebender lauschend sacht.
Ob seine Freundin allein ?
So überschleicht bei Tag und Nacht
Mich Einsamen die Pein,
Mich Einsamen die Qual.
Ach werd' ich erst einmal
Einsam im Grabe sein.
Da lässt sie mich allein !
4X
J. W. VON GOETHE
Derselbe
AN die Thiiren will ich schleichen,
Still und sittsam will ich stehn :
Fromme Hand wird Nahrung reichen.
Und ich werde weiter gehn.
Jeder wird sich glücklich scheinen,
Wenn mein Bild vor ihm erscheint ;
Eine Thr'äne wird er weinen,
Und ich weiss nicht was er weint.
Derselbe
WER nie sein Brot mit Thränen ass,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend sass,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Ivlächte.
Ihr führt in's Leben uns hinein,
Ihr lasst den Armen schuldig werden,
Dann überlasst ihr ihn der Pein :
Denn alle Schuld rächt sich auf Erden,
Ihm färbt der Morgensonne Licht
Den reinen Horizont mit Flammen,
Und über seinem schuld'gen Haupte bricht
Das schöne Bild der ganzen Welt zusammen.
Phiiine
SINGET nicht in Trauertönen
Von der Einsamkeit der Nacht ;
42
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Nein, sie ist, o holde Schönen,
Zur Geselligkeit gemacht.
Wie das Weib dem Mann gegeben
Als die schönste Hälfte war,
Ist die Nacht das halbe Leben,
Und die schönste Hälfte zwar.
Könnt ihr euch des Tages freuen,
Der nur Freuden unterbricht ?
Er ist gut, sich zu zerstreuen ;
Zu was anderm taugt er nicht.
Aber wenn in nächt'ger Stunde
Süsser Lampe Dämmrung fliesst.
Und vom Mund zum nahen Munde
Scherz und Liebe sich ergiesst ;
Wenn der rasche lose Knabe,
Der sonst wild und feurig eilt,
Oft bei einer kleinen Gabe
Unter leichten Spielen weilt ;
Wenn die Nachtigall Verliebten
Liebevoll ein Liedchen singt.
Das Gefangnen und Betrübten
Nur wie Ach und Wehe klingt :
Mit wie leichtem Herzensregen
Horchet ihr der Glocke nicht,
Die mit zwölf bedächt'gen Schlägen
Ruh und Sicherheit verspricht !
Darum an dem langen Tage
Merke dir es, liebe Brust :
Jeder Tag hat seine Plage
Und die Nacht hat ihre Lust.
43
J. W. VON GOETHE
ANTIKER FORM SICH NÄHERND
Warnung
WECKE den Amor nicht auf! Noch schläft der
liebliche Knabe ;
Geh, vollbring' dein Geschäft, wie es der Tag
dir gebeut !
So der Zeit bedienet sich klug die sorgliche Mutter,
Wenn ihr Knäbchen entschläft, denn es erwacht
nur zu bald.
Einsamkeit
DIE ihr Felsen und Bäume bewohnt, o heilsame
Nymphen,
Gebet jeglichem gern, was er im Stillen begehrt!
Schaffet dem Traurigen Trost, dem Zweifelhaften
Belehrung,
Und dem Liebenden gönnt, dass ihm begegne sein
Glück.
Denn euch gaben die Götter, was sie den Menschen
versagten,
Jeglichem, der euch vertraut, tröstlich und hülflich
zu sein.
Eviv'dhiter Fels
HIER im Stillen gedachte der Liebende seiner
Geliebten ;
Heiter sprach er zu mir : Werde mir Zeuge, du
Stein !
Doch erhebe dich nicht, du hast noch viele Gesellen ;
44
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Jedem Felsen der Flur, die mich, den Glücklichen,
nährt,
Jedem Baume des Walds, um den ich wandernd mich
schlinge :
Denkmal bleibe des Glücks ! ruf ich ihm weihend
und froh.
Doch die Stimme verleih* ich nur dir, wie unter der
Menge
Einen die Muse sich wählt, freundlich die Lippen
ihm küsst.
Spiegel der Muse
SICH zu schmücken begierig verfolgte den rinnenden
Bach einst
Früh die Muse hinab, sie suchte die ruhigste Stelle.
Eilend und rauschend indess verzog die schwankende
Fläche
Stets das bewegliche Bild ; die Göttin wandte sich
zürnend ;
Doch der Bach rief hinter ihr drein und höhnte sie:
Freilich
Magst du die Wahrheit nicht sehn, wie rein dir mein
Spiegel sie zeiget !
Aber indessen stand sie schon fern, am Winkel des
Seees,
Ihrer Gestalt sich erfreuend und rückte den Kranz
sich zurechte.
Sch'welz,eraipe
WAR doch gestern dein Haupt noch so braun wi<
die Locke der Lieben,
Deren holdes Gebild still aus der Ferne mir winkt;
45
J. W. VON GOETHE
Silbergrau bezeichnet dir früh der Schnee nun die
Gipfel,
Der sich in stürmender Nacht dir um den Scheitel
ergoss.
Jugend, ach ! ist dem Alter so nah, durch's Leben
verbunden,
Wie ein beweglicher Traum Gestern und Heute
verband.
AN PERSONEN
Ilmenau
am 3 . September 1 7 8 3
ANMUTHIG Thal ! du immergrüner Hain !
Mein Herz begrüsst euch wieder auf das beste ;
Entfaltet mir die schwerbehangnen Äste,
Nehmt freundlich mich in eure Schatten ein.
Erquickt von euren Höhn, am Tag der Lieb' und
Lust,
Mit frischer Luft und Balsam meine Brust !
Wie kehrt' ich oft mit wechselndem Geschicke,
Erhabner Berg ! an deinen Fuss zurücke.
O lass mich heut an deinen sachten Höhn
Ein jugendlich, ein neues Eden sehn !
Ich hab' es wohl auch mit um euch verdienet:
Ich sorge still, indess ihr ruhig grünet.
Lasst mich vergessen, dass auch hier die Welt
So manch Geschöpf in Erdefesseln hält,
Der Landmann leichtem Sand den Samen anvertraut
Und seinen Kohl dem frechen Wilde baut,
46
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Der Knappe karges Brot in Klüften sucht.
Der Köhler zittert, wecn der Jäger flucht.
\ erjüngt euch mir, wie ihr es oft gethan,
Als fing' ich heut ein neues Leben an.
Ihr seid mir hold, ihr gönnt mir diese Träume,
Sie schmeicheln mir und locken alte Reime.
Mir wieder selbst, von allen Menschen fern.
Wie bad' ich mich in euren Dü.'ten gern !
Melodisch rauscht die hohe Tanne wieder,
Melodisch eüt der Wasserfall hernieder ;
Die Wolke sinkt, der Nebel drückt in's Thal,
Und es ist Nacht und Dämmrung auf einmal.
Im finstern Wald, bei'm Liebesblick der Sterne,
Wo ist mein Pfad, den sorglos ich verlor ?
Welch seltne Stimmen hör' ich in der Ferne ?
Sie schallen wechselnd an dem Fels empor.
Ich eile sacht zu sehn, was es bedeutet.
Wie von des Hirsches Ruf der Jäger still geleitet.
Wo bin ich ? ist's ein Zaubermährchen-Land :
Welch nächtliches Gelag am Fuss der Felsen wand?
Bei kleinen Hütten, dicht mit Reis bedecket.
Seh' ich sie froh an's Feuer hingestrecket.
Es dringt der Glanz hoch durch den Fichten-Saal;
Am niedern Herde kocht ein rohes Mahl ;
Sie scherzen laut, indessen bald geleeret
Die Flasche frisch im Kreise wiederkehret.
Sagt, wem vergleich' ich diese muntre Schaar ?
Von wannen kommt sie : um wohin zu ziehen ?
Wie ist an ihr doch alles wunderbar !
Soll ich sie grossen r soll ich vor ihr fliehen ?
Ist es der Jäger wildes Geisterheer ?
Sind's Gnomen, die hier Zauberkünste treiben ?
47
J. W. VON GOETHE
Ich seh' im Busch der kleinen Feuer mehr ;
Es schaudert mich, ich wage kaum zu bleiben.
Ist's der Agyptier verdächtiger Aufenthalt ?
Ist es ein flüchtiger Fürst wie im Ardenner-Wald ?
Soll ich Verirrter hier in den verschlungnen Gründen
Die Geister Shakespeare's gar verkörpert finden ?
Ja, der Gedanke führt mich eben recht :
Sie sind es selbst, wo nicht ein gleich Geschlecht !
Unbändig schwelgt ein Geist in ihrer Mitten,
Und durch die Rohheit fühl' ich edle Sitten.
Wie nennt ihr ihn ? Wer ist's, der dort gebückt
Nachlässig stark die breiten Schultern drückt ?
Er sitzt zunächst gelassen an der Flamme,
Die markige Gestalt aus altem Heldenstamme.
Er saugt begierig am geliebten Rohr,
Es steigt der Dampf an seiner Stirn empor.
Gutmüthig trocken weiss er Freud' und Lachen
Im ganzen Cirkel laut zu machen.
Wenn er mit ernstlichem Gesicht
Barbarisch bunt in fremder Mundart spricht.
Wer ist der andre, der sich nieder
An einen Sturz des alten Baumes lehnt,
Und seine langen feingestalten Glieder
Ekstatisch faul nach allen Seiten dehnt.
Und, ohne dass die Zecher auf ihn hören,
Mit Geistesflug sich in die Höhe schwingt.
Und von dem Tanz der himmelhohen Sphären
Ein monotones Lied mit grosser Inbrunst singt ?
Doch scheinet allen etwas zu gebrechen.
Ich höre sie auf einmal leise sprechen.
Des Jünolings Ruhe nicht zu unterbrechen.
Der dort am Ende, wo das Thal sich schliesst,
48
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
In einer Hütte, leicht gezimmert,
Vor der ein letzter Blick des kleinen Feuers schim-
mert,
Vom Wasserfall umrauscht, des milden Schlafs
geniesst.
Mich treibt das Herz nach jener Kluft zu wandern.
Ich schleiche still und scheide von den andern.
Sei mir gegrüsst, der hier in später Nacht
Gedankenvoll an dieser Schwelle wacht !
Was sitzest du entfernt von jenen Freuden ?
Du scheinst mir auf was Wichtiges bedacht.
Was ist's, dass du in Sinnen dich verlierest.
Und nicht einmal dein kleines Feuer schürest ?
** O fraae nicht ! denn ich bin nicht bereit,
Des Fremden Neugier leicht zu stillen ;
Sogar verbitt' ich deinen guten Willen ;
Hier ist zu schweigen und zu leiden Zeit.
Ich bin dir nicht im Stande selbst zu sagen
Woher ich sei, wer mich hierher gesandt ;
Von fremden Zonen bin ich her verschlagen
Und durch die Freundschaft festgebannt.
Wer kennt sich selbst ? wer weiss was er vermag ?
Hat nie der Muthige Verwegnes unternommen ?
Und was du thust, sagt erst der andre Tag,
War es zum Schaden oder Frommen.
Liess nicht Prometheus selbst die reine Himmelsgluth
Auf frischen Thon vergötternd niederfliessen ?
Und könnt' er mehr als irdisch Blut
Durch die belebten Adern giessen ?
Ich brachte reines Feuer vom Altar ;
Was ich entzündet, ist nicht reine Flamme.
133 49
J. W. VON GOETHE
Der Sturm vermehrt die Gluth und die Gefahr,
Ich schwanke nicht, indem ich mich verdamme.
Und wenn ich unklug Muth und Freiheit sang
Und Redlichkeit und Freiheit sonder Zwang,
Stolz auf sich selbst und herzliches Behagen,
Erwarb ich mir der Menschen schöne Gunst :
Doch ach ! ein Gott versagte mir die Kunst,
Die arme Kunst, mich künstlich zu betragen.
Nun sitz' ich hier zugleich erhoben und gedrückt,
Unschuldig und gestraft, und schuldig und beglückt.
Doch rede sacht ! denn unter diesem Dach
Ruht all mein Wohl und all mein Ungemach :
Ein edles Herz, vom Wege der Natur
Durch enges Schicksal abgeleitet.
Das, ahnungsvoll, nun auf der rechten Spur
Bald mit sich selbst und bald mit Zauberschatten
streitet.
Und was ihm das Geschick durch die Geburt
geschenkt
Mit Müh und Schweiss erst zu erringen denkt.
Kein liebevolles Wort kann seinen Geist enthüllen
Und kein Gesang die hohen Wogen stillen.
Wer kann der Raupe, die am Zweige kriecht,
Von ihrem künft'gen Futter sprechen ?
Und wer der Puppe, die am Boden liegt.
Die zarte Schale helfen durchzubrechen ?
Es kommt die Zeit, sie drängt sich selber los
Und eilt auf Fittigen der Rose in den Schoos.
Gewiss, ihm geben auch die Jahre
Die rechte Richtung seiner Kraft.
Noch ist bei tiefer Neigung für das Wahre
Ihm Irrthum eine Leidenschaft.
so
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Der Vorwitz lockt ihn in die Weite,
Kein Fels ist ihm zu schroff, kein Steg zu schmal ;
Der Unfall lauert an der Seite
Und stürzt ihn in den Arm der Qual.
Dann treibt die schmerzlich überspannte Regung
Gewaltsam ihn bald da bald dort hinaus,
Und von unmuthiger Bewegung
Ruht er unmuthig wieder aus.
Und düster wild an heitern Tagen,
Unbändig ohne froh zu sein.
Schläft er, an Seel' und Leib verwundet und
zerschlagen,
Auf einem harten Lager ein:
Indessen ich hier still und athmend kaum
Die Augen zu den freien Sternen kehre.
Und, halb erwacht und halb im schweren Traum,
Mich kaum des schweren Traums erwehre.*'
Verschwinde Traum !
Wie dank' ich, Musen, euch !
Dass ihr mich heut auf einen Pfad gestellet.
Wo auf ein einzig Wort die ganze Gegend gleich
Zum schönsten Tage sich erhellet ;
Die Wolke flieht, der Nebel fällt.
Die Schatten sind hinweg. Ihr Götter, Preis und
Wonne !
Es leuchtet mir die wahre Sonne,
Es lebt mir eine schönre Welt ;
Das ängstliche Gesicht ist in die Luft zerronnen,
Ein neues Leben ist's, es ist schon lang begonnen.
Ich sehe hier, wie man nach langer Reise
Im Vaterland sich wieder kennt,
Ein ruhig Volk in stillem Fleisse
Benutzen, was Natur an Gaben ihm gegönnt.
51
J. W. VON GOETHE
Der Faden eilet von dem Rocken
Des Webers raschem Stuhle zu ;
Und Seil und Kübel wird in längrer Ruh
Nicht am verbrochnen Schachte stocken ;
Es wird der Trug entdeckt, die Ordnung kehrt
zurück,
Es folgt Gedeihn und festes irdisches Glück.
So niüg', o Fürst, der Winkel deines Landes
Ein Vorbild deiner Tage sein !
Du kennest lang die Pflichten deines Standes
Und schränkest nach und nach die freie Seele ein.
Der kann sich manchen Wunsch gewähren,
Der kalt sich selbst und seinem Willen lebt ;
Allein wer andre wohl zu leiten strebt,
Muss fähig sein, viel zu entbehren.
So wandle du — der Lohn ist nicht gering —
Nicht schwankend hin, wie jener Sämann ging,
Dass bald ein Korn, des Zufalls leichtes Spiel,
Hier auf den Weg, dort zwischen Dornen fiel ;
Nein ! streue klug wie reich, mit männlich stäter
Hand,
Den Segen aus auf ein geackert Land ;
Dann lass es ruhn : die Ernte wird erscheinen
Und dich beglücken und die Deinen.
KUNST
Der Wandrer
WANDRER
GOTT segne dich, junge Frau,
LTnd den säugenden Knaben
52
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
An deiner Brust !
Lass mich an der Felsenwand hier,
In des Ulmbaums Schatten,
Meine Bürde werfen,
Neben dir ausruhn.
FRAU
Welch Gewerbe treibt dich
Durch des Tages Hitze
Den staubigen Pfad her ?
Bringst du Waaren aus der Stadt
Im Land herum ?
Lächelst, Fremdling,
Über meine Frage ?
WANDRER
Keine Waaren bring' ich aus der Stadt :
Kühl wird nun der Abend.
Zeige mir den Brunnen,
Draus du trinkest.
Liebes junges W^eib !
VRAU
Hier den Felsenpfad hinauf.
Geh voran ! Durch's Gebüsche
Geht der Pfad nach der Hütte,
Drin ich wohne,
Zu dem Brunnen,
Den ich trinke.
WANDRER
Spuren ordnender Menschenhand
Zwischen dem Gesträuch !
Diese Steine hast du nicht gefügt,
Reichhinstreuende Natur !
53
J. W. VON GOETHE
FRAU
Weiter hinauf!
WANDRER
Von dem Moos gedeckt ein Architrav !
Ich erkenne dich, bildender Geist !
Hast dein Siegel in den Stein gepr'ägt.
FRAU
Weiter, Fremdling !
WANDRER
Eine Inschrift, über die ich trete !
Nicht zu lesen !
Weggewandelt seid ihr,
Tiefgegrabne Worte,
Die ihr eures Meisters Andacht
Tausend Enkeln zeigen solltet.
FRAU
Staunest, Fremdling,
Diese Stein' an ?
Droben sind der Steine viel
Um meine Hütte.
WANDRER
Droben ?
FRAU
Gleich zur Linken
Durch's Gebüsch hinan ;
Hier.
WANDRER
Ihr Musen und Grazien !
FRAU
Das ist meine Hütte.
54
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
WANDRER
Eines Tempels Trümmer !
FRAU
Hier zur Seit' hinab
Quillt der Brunnen,
Den ich trinke.
WANDRER
Glühend webst du
Über deinem Grabe,
Genius ! über dir
Ist zusammengestürzt
Dein Meisterstück,
O du Unsterblicher !
FRAU
Wart', ich hole das Gefäss
Dir zum Trinken.
WANDRER
Epheu hat deine schlanke
Götterbildung umkleidet.
Wie du emporstrebst
Aus dem Schutte,
S'äulenpaar !
Und du einsame Schwester dort,
Wie ihr.
Düstres Moos auf dem heiligen Haupt,
Majestätisch trauernd herabschaut
Auf die zertrümmerten
Zu euren Füssen,
Eure Geschwister !
In des Brombeergesträuches Schatten
Deckt sie Schutt und Erde,
55
J. W. VON GOETHE
Und hohes Gras wankt drüber hin.
Schätzest du so, Natur,
Deines Meisterstücks Meisterstück ?
Unempfindlich zertrümmerst du
Dein Heiligthum :
Säest Disteln drein ?
FRAU
Wie der Knabe schläft !
Willst du in der Hütte ruhn,
Fremdling ? Willst du hier
Lieber in dem Freien bleiben ?
Es ist kühl ! Nimm den Knaben,
Dass ich Wasser schöpfen gehe.
Schlafe, Lieber! schlaf!
WANDRER
Süss ist deine Ruh !
Wie's, in himmlischer Gesundheit
Schwimmend, ruhig athmet !
Du, geboren über Resten
Heiliger Vergangenheit,
Ruh ihr Geist auf dir !
Welchen der umschwebt,
Wird in Götterselbstuef ühl
Jedes Tags geaiessen.
Voller Keim blüh' auf,
Des glänzenden Frühlings
Herrlicher Schmuck,
Und leuchte vor deinen Gesellen !
Und welkt die Blüthenhülle weg,
Dann steig' aus deinem Busen
Die volle Frucht,
Und reife der Sonn' entgegen !
56
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
FRAU
Gesegne's Gott ! — Und schl'äft er noch ?
Ich habe nichts zum frischen Trunk,
Als ein Stück Brot, das ich dir bieten kann.
WANDRER
Ich danke dir.
Wie herrlich alles blüht umher
Und grünt !
FRAU
Mein Mann wird bald
Nach Hause sein
Vom Feld. O bleibe, bleibe, Mann !
Und iss mit uns das Abendbrot.
WANDRER
Ihr wohnet hier ?
FRAU
Da, zwischen dem Gemäuer her.
Die Hütte baute noch mein Vater
Aus Ziegeln und des Schuttes Steinen.
Hier wohnen wir.
Er gab mich einem Ackersmann,
Und starb in unsern Armen. —
Hast du geschlafen, liebes Herz ?
Wie er munter ist, und spielen will !
Du Schelm !
WANDRER
Natur ! du ewig keimende,
Schaffst jeden zum Genuss des Lebens,
Hast deine Kinder alle mütterlich
Mit Erbtheil ausgestattet, einer Hütte.
Hoch baut die Schwalb' an das Gesims,
57
J. W. VON GOETHE
Unfühlend, welchen Zierrath
Sie verklebt ;
Die Raup' umspinnt den goldnen Zweig
Zum Winterhaus für ihre Brut ;
Und du flickst zwischen der Vergangenheit
Erhabne Trümmer
Für deine Bedürfniss'
Eine Hütte, o Mensch,
Geniessest über Gräbern ! —
Leb' wohl, du glücklich Weib !
FRAU
Du willst nicht bleiben ?
WANDRER
Gott erhalt' euch,
Segn' euern Knaben !
FRAU
Glück auf den Weg !
WANDRER
Wohin führt mich der Pfad
Dort über'n Berg ?
FRAU
Nach Cuma.
WANDRER
Wie weit ist's hin ?
FRAU
Drei Meilen gut-
WANDRER
Leb' wohl !
O leite meinen Gang, Natur !
Den Fremdlings- Reisetritt,
58
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Den über Gräber
Heiliger Vergangenheit
Ich wandle.
Leit' ihn zum Schutzort,
Vor'ra Nord gedeckt,
Und wo dem Mittagsstrahl
Ein Pappel Wäldchen wehrt.
Und kehr' ich dann
Am Abend heim
Zur Hütte,
Vergoldet vom letzten Sonnenstrahl ;
Lass mich empfangen solch ein Weib,
Den Knaben auf dem Arm !
Amor als Landschaftsmahier
SASS ich früh auf einer Felsenspitze,
Sah mit starren Augen in den Nebel ;
Wie ein grau grundirtes Tuch gespannet
Deckt' er alles in die Breit' und Höhe.
Stellt' ein Knabe sich mir an die Seite,
Sagte : Lieber Freund, wie magst du starrend
Auf das leere Tuch gelassen schauen ?
Hast du denn zum Mahlen und zum Bilden
Alle Lust auf ewig wohl verloren ?
Sah ich an das Kind und dachte heimlich :
Will das Bübchen doch den Meister machen !
Willst du immer trüb' und müssig bleiben,
Sprach der Knabe, kann nichts Kluges werden
Sich, ich will dir gleich ein Bildchen mahlen,
Dich ein hübsches Bildchen mahlen lehren.
59
J. W. VON GOETHE
Und er richtete den Zeigefinger,
Der so röthlich war wie eine Rose,
Nach dem weiten ausgespannten Teppich,
Fing mit seinem Finger an zu zeichnen:
Oben mahlt' er eine schöne Sonne,
Die mir in die Augen mächtig glänzte.
Und den Saum der Wolken macht' er golden,
Liess die Strahlen durch die Wolken dringen ;
Mahlte dann die zarten leichten Wipfel
Frisch erquickter Bäume, zog die Hügel,
Einen nach dem andern, frei dahinter ;
Unten liess er's nicht an Wasser fehlen.
Zeichnete den Fluss so ganz natürlich,
Dass er schien im Sonnenstrahl zu glitzern,
Dass er schien am hohen Rand zu rauschen.
Ach, da standen Blumen an dem Flusse,
Und da waren Farben auf der Wiese,
Gold und Schmelz und Purpur und ein Grünes,
Alles wie Smaragd und wie Karfunkel !
Hell und rein lasirt' er drauf den Himmel
Und die blauen Berge fern und ferner,
Dass ich ganz entzückt und neu geboren
Bald den Mahlcr, bald das Bild beschaute.
Hab' ich doch, so sagt' er, dir bewiesen,
Dass ich dieses Handwerk gut verstehe ;
Doch es ist das Schwerste noch zurücke.
Zeichnete darnach mit spitzem Finger
Und mit grosser Sorgfalt an dem Wäldchen,
Grad an's Ende, wo die Sonne kräftig
Von dem hellen Boden widergiänzte.
Zeichnete das allerliebste Mädchen,
Wohlgebildet, zierlich angekleidet,
60
GEDICHTE. ZWEITER THEIL
Frische Wangen unter braunen Haaren,
Und die Wangen waren von der Farbe,
Wie das Finger eben, das sie gebildet.
O du Knabe ! rief ich, welch ein Meister
Hat in seine Schule dich genommen,
Dass du so geschwind und so natürlich
Alles klug beginnst und gut vollendest ?
Da ich noch so rede, sieh, da rühret
Sich ein Windchen, und bewegt die Gipfel
Kräuselt alle Wellen auf dem Flusse,
Füllt den Schleier des volikommnen Madchens,
Und was mich Erstaunten mehr erstaunte.
Fängt das Mädchen an den Fuss zu rühren.
Geht zu kommen, nähert sich dem Orte,
Wo ich mit dem losen Lehrer sitze.
Da nun alles, alles sich bewegte,
Bäume, Fluss und Blumen und der Schleier
Und der zarte Fuss der Allerschönsten ;
Glaubt ihr wohl, ich sei auf meinem Felsen,
Wie ein Felsen, still und fest geblieben ?
ALTERSLYRIK
Trilogie der Leidenschaft
An Werthdr
NOCH einmal wagst du, vielbeweinter Schatten,
Hervor dich an das Tageslicht,
Begegnest mir auf neu beblümten Matten
Und meinen Anblick scheust du nicht.
6i
J. W. VON GOETHE
Es ist als ob du lebtest in der Frühe,
Wo uns der Thau auf Einem Feld erquickt,
Und nach des Tages unwillkommner Mühe
Der Scheidesonne letzter Strahl entzückt ;
Zum Bleiben ich, zum Scheiden du erkoren,
Gingst du voran — und hast nicht viel verloren.
Des Menschen Leben scheint ein herrlich Leos :
Der Tag, wie lieblich, so die Nacht, wie gross !
Und wir, gepflanzt in Paradieses Wonne,
Geniessen kaum der hocherlauchten Sonne,
Da kämpft sogleich verworrene Bestrebung
Bald mit uns selbst und bald mit der Umgebung ;
Keins wird vom andern wünschenswerth ergänzt.
Von aussen düstert's, wenn es innen glänzt.
Ein glänzend Äussres deckt mein trüber Blick,
Da steht es nah — und man verkennt das Glück.
Nun glauben wir's zu kennen ! Mit Gewalt
Ergreift uns Liebreiz weiblicher Gestalt:
Der Jüngling, froh wie in der Kindheit Flor,
Im Frühling tritt als Frühling selbst hervor.
Entzückt, erstaunt, wer dies ihm angethan ?
Er schaut umher, die Welt gehört ihm an.
In*s Weite zieht ihn unbefangne Hast,
Nichts engt ihn ein, nicht Mauer, nicht Palast ;
Wie Vögelschaar an Wäldergipfeln streift,
So schwebt auch er, der um die Liebste schweift,
Er sucht vom Äther, den er gern verlässt,
Den treuen Blick, und dieser hält ihn fest.
Doch erst zu früh und dann zu spät gewarnt,
Fühlt er den Flug gehemmt, fühlt sich umgarnt.
Das Wiedersehn ist froh, das Scheiden schwer,
Das Wieder-Wiedersehn beglückt noch mehr
62
ALTERSLYRIK
Und Jahre sind im Augenblick ersetzt ;
Doch tückisch harrt das Lebewohl zuletzt.
Du lächelst, Freund, gefühlvoll wie sich ziemt :
Ein grässlich Scheiden machte dich berühmt ;
Wir feierten dein kläglich Missgeschick,
Du liessest uns zu Wohl und Weh zurück ;
Dann zog uns wieder ungewisse Bahn
Der Leidenschaften labyrinthisch an ;
Und wir verschlungen wiederholter Noth,
Dem Scheiden endlich — Scheiden ist der Tod !
Wie klingt es rührend wenn der Dichter singt.
Den Tod zu meiden, den das Scheiden bringt !
Verstrickt in solche Qualen halbverschuldet
Geb' ihm ein Gott zu sasen was er duldet.
Elegie
Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,
Gab mir ein Gott zu sagen was ich leide.
WAS soll ich nun vom Wiedersehen hoffen,
Von dieses Tages noch geschloss'ner Blüthe ?
Das Paradies, die Hölle steht dir offen ;
Wie wankelsinnig regt sich's im Gemüthe ! —
Kein Zweifeln mehr ! Sie tritt an's Himmelsthor,
Zu ihren Armen hebt sie dich empor.
So warst du denn im Paradies empfangen.
Als wärst du werth des ewig schönen Lebens ;
Dir blieb kein Wunsch, kein Hoffen, kein Verlangen,
Hier war das Ziel des innigsten Bestrebens,
Und in dem Anschaun dieses einzig Schönen
Versiegte gleich der Quell sehnsüchtiger Thränen.
63
J. W. VON GOETHE
Wie regte nicht der Tag die raschen Flügel,
Schien die Minuten vor sich her zu treiben !
Der Abendkuss, ein treu verbindlich Siegel :
So wird es auch der nächsten Sonne bleiben.
Die Stunden glichen sich in zartem Wandern
Wie Schwestern zwar, doch keine ganz den andern.
Der Kuss der letzte, grausam süss, zerschneidend
Ein herrliches Geflecht verschlunoner Minnen.
Nun eilt, nun stockt der Fuss die Schwelle meidend,
Als trieb' ein Cherub flammend ihn von hinnen ;
Das Auge starrt auf düstrem Pfad verdrossen.
Es blickt zurück, die Pforte steht verschlossen.
Und nun verschlossen in sich selbst, als hätte
Dies Herz sich nie geöffnet, selige Stunden
Mit jedem Stern des Himmels um die Wette
An ihrer Seite leuchtend nicht empfunden ;
Und Missmuth, Reue, Vorwurf, Sorgenschwere
Belasten's nun in schwüler Atmosphäre.
Ist denn die Welt nicht übrig ? Felsen wände
Sind sie nicht mehr gekrönt von heiligen Schatten ?
Die Ernte reift sie nicht? Ein grün Gelände
Zieht sich's nicht hin am Fluss durch Busch und
Matten ?
Und wölbt sich nicht das überweltlich Grosse,
Gestaltenreiche, bald gestaltenlose ?
Wie leicht und zierlich, klar und zart gewoben.
Schwebt, Seraph gleich, aus ernster Wolken Chor,
Als glich' es ihr, am blauen Äther droben.
Ein schlank Gebild aus lichtem Duft empor ;
So sahst du sie in frohem Tanze walten
Die lieblichste der lieblichsten Gestalten.
64
ALTERSLYRIK
Doch nur Momente darfst dich unterwinden
Ein Luftgebild statt ihrer fest zu halten ;
In's Herz zurück, dort wirst dü's besser finden,
Dort regt sie sich in wechselnden Gestalten ;
Zu vielen bildet Eine sich hinüber,
So tausendfach, und immer immer lieber.
Wie zum Empfang sie an den Pforten weilte
Und mich von dannauf stufenweis beolückte ;
Selbst nach dem letzten Kuss mich noch ereilte,
Den letztesten mir auf die Lippen drückte:
So klar beweglich bleibt das Bild der Lieben,
Mit Flammenschrift, in's treue Herz geschrieben.
In's Herz, das fest wie zinnenhohe Mauer
Sich ihr bewahrt und sie in sich bewahret,
Für sie sich freut an seiner eignen Dauer,
Nur weiss von sich, wenn sie sich offenbaret,
Sich freier fühlt in so geliebten Schranken
Und nur noch schlägt, für alles ihr zu danken.
War Fähigkeit zu lieben, war Bedürfen
Von Gegenliebe weggelöscht, verschwunden ;
Ist Hoffnungslust zu freudigen Entwürfen,
Entschlüssen, rascher That sogleich gefunden !
Wenn Liebe je den Liebenden begeistet.
Ward es an mir auf's lieblichste geleistet ;
Und zwar durch sie ! — Wie lag ein innres Bangen
Auf Geist und Körper, unwillkommer Schwere:
Von Schauerbildern rings der Blick umfangen
Im wüsten Raum beklommner Herzensleere ;
Nun dämmert Hoffnung von bekannter Schwelle,
Sie selbst erscheint in milder Sonnenhelle.
Dem Frieden Gottes, welcher euch hienieden
Mehr als Vernunft beseliget — wir lesen' s —
134 6;
J. W. VON GOETHE
Vergleich' ich wohl der Liebe heitern Frieden
In Gegenwart des allgeliebten Wesens ;
Da ruht das Herz und nichts vermag zu stören
Den tiefsten Sinn, den Sinn ihr zu gehören.
In unsers Busens Reine wogt ein Streben,
Sich einen Höhern, Reinern, Unbekannten
Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben,
Enträthselnd sich den ewig Ungenannten ;
Wir heissen's: fromm sein! — Solcher seligen Höhe
Fühl' ich mich theilhaft. wenn ich vor ihr stehe.
Vor ihrem Blick, wie vor der Sonne Walten,
Vor ihrem Athem, wie vor Frühlingslliften,
Zerschmilzt, so langst sich eisig starr gehalten,
Der Selbstsinn tief in winterlichen Grüften ;
Kein Eigennutz, kein Eigenwille dauert.
Vor ihrem Kommen sind sie weggeschauert.
Es ist als wenn sie sagte : " Stund' um Stunde
Wird uns das Leben freundlich dargeboten.
Das Gestrige Hess uns geringe Kunde,
Das Morgende, zu wissen ist's verboten ;
Und wenn ich je mich vor dem Abend scheute,
Die Sonne sank und sah noch was mich freute.
Drum thu' wie ich und schaue, froh verständig,
Dem Augenblick in's Auge ! Kein Verschieben !
Begegn' ihm schnell, wohlwollend wie lebendig.
Im Handeln sei's zur Freude, sei's dem Lieben ;
Nur wo du bist sei alles, immer kindlich.
So bist du alles, bist unüberwindlich."
Du hast gut reden, dacht' ich, zum Geleite
Gab dir ein Gott die Gunst des Augenblickes,
Und jeder fühlt an deiner holden Seite
66
ALTERSLYRIK
Sich Augenblicks den Günstling des Geschickes ;
Mich schreckt der Wink von dir mich zu entfernen,
Was hilft es mir so hohe Weisheit lernen !
Nun bin ich fern ! Der jetzigen Minute
Was ziemt denn der ? Ich wüsst' es nicht zu sagen ;
Sie bietet mir zum Schönen manches Gute,
Das lastet nur, ich muss mich ihm entschlagen ;
Mich treibt umher ein unbezwinglich Sehnen,
Da bleibt kein Rath als gränzenlose Thränen.
So quellt denn fort ! und fiiesset unaufhaltsam ;
Doch nie gelang's die innre Gluth zu dämpfen !
Schon rast's und reisst in meiner Brust gewaltsam,
Wo Tod und Leben grausend sich bekämpfen.
Wohl Kräuter gäb's, des Körpers Qual zu stillen ;
Allein dem Geist fehlt's am El ntschluss und Willen,
Fehlt's am Begriff: wie sollt' er sie vermissen?
Er wiederholt ihr Bild zu tausendmalen.
Das zaudert bald, bald wird es weggerissen,
Undeutlich jetzt und jetzt im reinsten Strahlen ;
Wie könnte dies geringstem Tröste frommen.
Die Ebb' und Fluth, das Gehen wie das Kommen ?
Verlasst mich hier, getreue Weggenossen !
Lasst mich allein am Fels, in Moor und Moos ;
Nur immer zu ! euch ist die Welt erschlossen,
Die Erde weit, der Himmel hehr und gross ;
Betrachtet, forscht, die Einzelheiten sammelt,
Naturgeheimniss werde nachgestammelt.
Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren,
Der ich noch erst den Göttern Liebling war ;
Sie prüften mich, verliehen mir Pandoren,
67
J. W. VON GOETHE
So reich an Gütern, reicher an Gefahr ;
Sie drängten mich zum gabesehgen Munde,
Sie trennen mich, und richten mich zu Grunde.
Aussöhnung
DIE Leidenschaft bringt Leiden! — Wer be-
schwichtigt
Beklommnes Herz das allzuviel verloren ?
Wo sind die Stunden, überschnell verflüchtigt ?
Vergebens war das Schönste dir erkoren !
Trüb' ist der Geist, verworren das Beginnen ;
Die hehre Welt wie schwindet sie den Sinnen !
Da schwebt hervor Musik mit Engelschwingen,
Verflicht zu Millionen Tön* um Töne,
Des Menschen Wesen durch und durch zu dringen,
Zu überfüllen ihn mit ew'ger Schöne :
Das Auoe netzt sich, fühlt im höhern Sehnen
Den Götter-Werth der Töne wie der Thränen.
Und so das Herz erleichtert merkt behende
Dass es noch lebt und schlägt und möchte schlagen.
Zum reinsten Dank der überreichen Spende
Sich selbst erwidernd willig darzutragen.
Da fühlte sich — o dass es ewig bliebe ! —
Das Doppel-Glück der Töne wie der Liebe.
Äolsharfen
Gespräch
KR
ICH dacht' ich habe keinen Schmerz
Und doch war mir so bang um's Herz,
68
ALTERSLYRIK
Mir war's gebunden vor der Stirn
Und hohl im innersten Gehirn —
Bis endlich Thrän' auf Thräne lliesst,
Verhaltnes Lebewohl ergiesst. —
Ihr Lebewohl war heitre Ruh,
Sie weint wohl jetzund auch wie du.
SIE
Ja er ist fort, das muss nun sein !
Ihr Lieben, lasst mich nur allein,
Sollt' ich euch seltsam scheinen.
Es wird nicht ewig währen !
Jetzt kann ich ihn nicht entbehren,
Und da muss ich weinen
ER
Zur Trauer bin ich nicht gestimmt
Und Freude kann ich auch nicht haben :
Was sollen mir die reifen Gaben,
Die man von jedem Baume nimmt !
Der Tas ist mir zum Uberdruss,
Langweilig ist's, wenn Nächte sich befeuern ;
Mir bleibt der einzige Genuss
Dein holdes Bild mir ewig zu erneuern,
Und fühltest du den Wunsch nach diesem Segen,
Du kämest mir auf halbem Weg entgegen.
SIE
Du trauerst dass ich nicht erscheine,
Vielleicht entfernt so treu nicht meine.
Sonst war' mein Geist im Bilde da.
Schmückt Iris wohl des Himmels Bläue ?
Lass regnen, gleich erscheint die Neue,
Du weinst ! Schon bin ich wieder da.
6g
J. W. VON GOETHE
ER
Ja du bist wohl an Iris zu vergleichen !
Ein liebenswürdig Wunderzeichen.
So schmiegsam herrlich, bunt im Harnionie
Und immer neu und immer gleich wie sie.
Mai
LEICHTE Silberwolken schweben
Durch die erst erwärmten Lüfte,
Mild, von Schimmer sanft umgeben,
Blickt die Sonne durch die Düfte ;
Leise wallt und drängt die Welle
Sich am reichen Ufer hin,
Und wie reingewaschen helle.
Schwankend hin und her und hin,
Spiegelt sich das junge Grün.
Still ist Luft und Lüftchen stille ;
Was bewegt mir das Gezweige ?
Schwüle Liebe dieser Fülle,
Von den Bäumen durch's Gesträuche.
Nun der Blick auf einmal helle.
Sieh ! der Bübchen Flatterschaar,
Das bewegt und regt so schnelle,
Wie der Morgen sie gebar,
Flügelhaft sich Paar und Paar.
Fangen an das Dach zu flechten ; —
Wer bedürfte dieser Hütte .'*
L^nd wie Zimmrer, die gerechten,
Bank und l'ischchen in der Mitte !
Und so bin ich noch verwundert,
Sonne sinkt, ich fühl' es kaum ;
70
ALTERSLYRIK
Und nun führen aber hundert
Mir das Liebchen in den Raum,
Tag und Abend, welch ein Traum !
Zivischen beiden Wehen
EINER Einzigen angehören,
Einen Einzigen verehren
Wie vereint es Herz und Sinn !
Lida! Glück der nächsten Nähe,
William ! Stern der schönsten Höhe,
Euch verdank' ich was ich bin.
Tag' und Jahre sind verschwunden.
Und doch ruht auf jenen Stunden
Meines Werthes Vollsewinn,
GOTT UND WELT
Procemion
IM Namen dessen, der Sich selbst erschuf!
Von Ewigkeit in schaffendem Beruf;
In Seinem Namen, der den Glauben schafft,
Vertrauen, Liebe, Thätigkeit und Kraft ;
In Jenes Namen, der, so oft genannt.
Dem Wesen nach blieb immer unbekannt :
So weit das Ohr, so weit das Auge reicht,
Du findest nur Bekanntes das Ihm gleicht,
Und deines Geistes höchster Feuerflug
Hat schon am Gleichniss, hat am Bild genug ;
Es zieht dich an, es reisst dich heiter fort,
Und wo du wandelst, schmückt sich Weg und Ort ;
71
J. W. VON GOETHE
Du zahlst nicht mehr, berechnest keine Zeit,
Und jeder Schritt ist Unermesslichkeit.
Was war' ein Gott, der nur von aussen stiesse,
Im Kreis das All am Finger laufen Hesse !
Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in Sich, Sich in Natur zu hegen.
So dass was in Ihm lebt und webt und ist,
Nie Seine Kraft, nie Seinen Geist vermisst.
Im Innern ist ein Universum auch ;
Daher der Völker löblicher Gebrauch,
Dass jeglicher das Beste was er kennt,
Er Gott, ja seinen Gott benennt.
Ihm Himmel und Erden übergibt,
Ihn fürchtet, und wo möglich liebt.
JVeltseele
VERTHEILET euch nach allen Regionen
Von diesem heil'uen Schmaus !
Veroeistert reisst euch durch die nächsten Zonen
In's All und füllt es aus !
Schon schwebet ihr in ungemess'nen Fernen
Den sel'gen Göttertraum,
Und leuchtet neu, gesellig, unter Sternen
Im lichtbesäten Raum.
Dann treibt ihr euch, gewaltige, Kometen,
In's Weit' und Weitr' hinan.
Das Labyrinth der Sonnen und Planeten
Durchschneidet eure Bahn.
7i
GOTT UND WELT
Ihr greifet rasch nach ungeformten Erden
Und wirket schöpfrisch jung,
Dass sie belebt und stets belebter werden,
Im abgemess'nen Schwung.
Und kreisend führt ihr in bewegten Lüften
Den wandelbaren Flor,
Und schreibt dem Stein in allen seinen Grüften
Die festen Formen vor.
Nun alles sich mit göttlichem Erkühnen
Zu übertreffen strebt ;
Das Wasser will, das unfruchtbare, grünen
Und jedes Staubchen lebt.
Und so verdrangt mit liebevollem Streiten
Der feuchten Qualme Nacht ;
Nun glühen schon des Paradieses Weiten,
In überbunter Pracht.
Wie regt sich bald, ein holdes Licht zu schauen,
Gestaltenreiche Schaar,
Und ihr erstaunt, auf den beglückten Auen,
Nun als das erste Paar,
Und bald verlischt ein unbegränztes Streben
Im sel'gen Wechselblick.
Und so empfangt, mit Dank, das schönste Leben
Vom All in's All zurück.
Dauer im Wechsel
HIELTE diesen frühen Segen
Ach, nur Eine Stunde fest !
Aber vollen Blüthenregen
Schüttelt schon der laue West.
73
J. W. VON GOETHE
Soll ich mich des Grünen freuen
Dem ich Schatten erst verdankt ?
Bald wird Sturm auch das zerstreuen,
Wenn es falb im Herbst geschwankt.
Willst du nach den Früchten crreifen.
Eilig nimm dein Theil davon !
Diese fangen an zu reifen
Und die andern keimen schon ;
Gleich mit jedem Reaengusse
Ändert sich dein holdes Thal,
Ach, und in demselben Flusse
Schwimmst du nicht zum zweitenmal.
Du nun selbst ! Was felsenfeste
Sich vor dir hervorgethan,
Mauern siehst du, siehst Paläste
Stets mit andern Augen an.
Weggeschwunden ist die Lippe,
Die im Kusse sonst genas,
Jener Fuss, der an der Klippe
Sich mit Gemsenfreche mass,
Jene Hand, die gern und milde
Sich bewegte wohlzuthun.
Das gegliederte Gebilde,
Alles ist ein andres nun.
Und was sich an jener Stelle
Nun mit deinem Namen nennt.
Kam herbei wie eine Welle
Und so eilt's zum Element.
Lass den Anfang mit dem Ende
Sich in Eins zusammenziehn !
Schneller als die Gegenstände
Selber dich vorüberfliehn.
74
GOTT UND WELT
Danke, dass die Gunst der Musen
Unvergängliches verhelsst,
Den Gehalt in deinem Busen
Und die Form in deinem Geiste
Eins und Alles
IM Gränzenlosen sich zu finden
Wird gern der Einzelne verschwinden,
Da lös't sich aller Uberdruss ;
Statt heissem Wünschen, wildem Wollen,
Statt l'äst'gem Fordern, strengem Sollen,
Sich aufzusehen ist Genuss.
Weltseele komm uns zu durchdringen !
Dann mit dem Weltfjeist selbst zu ringen
Wird unsrer Kräfte Hochberuf.
Theilnehmend führen gute Geister,
Gelinde leitend, höchste Meister,'
Zu dem der alles schafft und schuf.
Und umzuschaffen das Geschaffne,
Damit sich's nicht zum Starren waffne,
Wirkt ewiges lebend'ges Thun.
Und was nicht war, nun will es werden.
Zu reinen Sonnen, farbigen Erden,
In keinem Falle darf es ruhn.
Es soll sich regen, schaffend handeln.
Erst sich gestalten, dann verwandeln ;
Nur scheinbar steht's Momente still.
Das Ew'ge regt sich fort in allen :
Denn alles muss in Nichts zerfallen.
Wenn es im Sein beharren will.
75
J. W. VON GOETHE
Vermächtnlss
KEIN Wesen kann zu Nichts zerfallen!
Das Ew'ge regt sich fort in allen,
Am Sein erhalte dich beglückt !
Das Sein ist ewig : denn Gesetze
Bewahren die lebend'gen Schätze
Aus welchen sich das All geschmückt.
Das Wahre war schon längst gefunden,
Hat edle Geisterschaft verbunden,
Das alte Wahre fass es an !
Verdank' es Erdensohn dem Weisen,
Der ihr die Sonne zu umkreisen
Und dem Geschwister wies die Bahn.
Sofort nun wende dich nach innen.
Das Centrum findest du dadrinnen
Woran kein Edler zweifeln mag.
Wirst keine Regel da vermissen :
Denn das selbstständige Gewissen
Ist Sonne deinem Sittentag.
Den Sinnen hast du dann zu trauen,
Kein Falsches lassen sie dich schauen,
Wenn dein Verstand dich wach erhält.
Mit frischem Blick bemerke freudig.
Und wandle sicher wie geschmeidig
Durch Auen reichbegabter Welt.
Geniesse massig Füll* und Segen,
Vernunft sei überall zugegen
Wo Leben sich des Lebens freut.
Dann ist Vergangenheit beständig,
Das Künftige voraus lebendig,
Der Augenblick ist Ewigkeit.
76
GOTT UND WELT
Und war es endlich dir gelungen,
Und bist du vom Gefühl durchdrungen
Was fruchtbar ist, allein ist wahr,
Du prüfst das allgemeine Walten,
Es wird nach seiner Weise schalten,
Geselle dich zur kleinsten Schaar.
Und wie von Alters her im Stillen
Ein Liebewerk nach eignem Willen
Der Philosoph, der Dichter schuf.
So wirst du schönste Gunst erzielen ;
Denn edlen Seelen vorzufühlen
Ist wünschenswerthestcr Beruf.
Metamorphose der Thiere
WAGT ihr, also bereitet, die letzte Stufe zu steigen
Dieses Gipfels, so reicht mir die Hand und öffnet
den freien
Blick in's weite Feld der Natur. Sie spendet die
reichen
Lebensgaben umher, die Göttin ; aber empfindet
Keine Sorge wie sterbliche Fraun um ihrer Gehörnen
Sichere Nahrung ; ihr ziemet es nicht : denn zwie-
fach bestimmte
Sie das höchste Gesetz, beschränkte jegliches Leben,
Gab ihm gemess'nes Bedürfniss, und ungemessene
Gaben,
Leicht zu finden, streute sie aus, und ruhig begünstigt
Sie das muntre Bemühn der vielfach bedürftigen
Kinder ;
Unerzogen schwärmen sie fort nach ihrer Bestim-
mung.
17
J. W. VON GOETHE
Zweck sein selbst ist jegliches Thier, vollkommen
entspringt es
Aus dem Schoos der Natur und zeugt vollkommene
Kinder.
Alle Glieder bilden sich aus nach ew'gen Gesetzen
Und die seltenste Form bewahrt im Geheimen das
Urbild.
So ist jeglicher Mund geschickt die Speise zu
fassen
Welche dem Körper gebührt, es sei nun schwächlich
und zahnlos
Oder mächtig der Kiefer gezahnt, in jeglichem
Falle
Fördert ein schicklich Organ den übrigen Gliedern
die Nahrung.
Auch bewegt sich jeglicher Fuss, der lange, der
kurze,
Ganz harmonisch zum Sinne des Thiers und seinem
Bedürfniss.
So ist jedem der Kinder die volle reine Gesundheit
Von der Mutter bestimmt : denn alle lebendigen
Glieder
Widersprechen sich nie und wirken alle zum Leben.
Also bestimmt die Gestalt die Lebensweise des
Thieres,
Und die Weise zu leben sie wirkt auf alle Gestalten
Mächtig zurück. So zeiget sich fest die geordnete
Bildung,
Welche zum Wechsel sich nei<it durch äusserlich
wirkende Wesen.
Doch im Innern befindet die Kraft der edlern
Geschöpfe
Sich im heiligen Kreise lebendiger Bildung be-
schlossen.
78
GOTT UND WELT
Diese Gränzen erweitert kein Gott, es ehrt die
Natur sie :
Denn nur also beschränkt war je das Vollkommene
möglich.
Doch im Innern scheint ein Geist gewaltig zu
ringen,
Wie er durchbräche den Kreis, Willkür zu schaffen
den Formen
Wie dem Wollen ; doch was er beginnt, beginnt er
vergebens.
Denn zwar drängt er sich vor zu diesen Gliedern,
zu jenen.
Stattet mächtig sie aus, jedoch schon darben dagegen
Andere Glieder, die Last des Übergewichtes ver-
nichtet
Alle Schöne der Form und alle reine Bewegung.
Siehst du also dem einen Geschöpf besonderen
Vorzug
Irgend gegönnt, so frage nur gleich, wo leidet es
etwa
Mangel anderswo, und suche mit forschendem Geiste;
Finden wirst du sogleich zu aller Bildung den
Schlüssel.
Denn so hat kein Thier, dem sämmtliche Zähne
den obern
Kiefer umzäunen, ein Hörn auf seiner Stirne getragen,
LTnd daher ist den Löwen gehörnt der ewigen Mutter
Ganz unmöglich zu bilden und böte sie alle Gewalt
auf;
Denn sie hat nicht Masse genug die Reihen der
Zähne
Völlig zu pflanzen und auch Geweih und Hörner zu
treiben.
79
J W. VON GOETHE
Dieser schöne Begriff von Macht und Schranken,
von Willkür
Und Gesetz, von Freiheit und Mass, von beweg-
licher Ordnung,
Vorzug und Mangel, erfreue dich hoch ; die heilige
Muse
Bringt harmonisch ihn dir, mit sanftem Zwange
belehrend.
Keinen hohem Begriff erringt der sittliche Denker,
Keinen der thätige Mann, der dichtende Künstler ;
der Herrscher,
Der verdient es zu sein, erfreut nur durch ihn sich
der Krone.
Freue dich, höchstes Geschöpf der Natur, du
fühlest dich fähig
Ihr den höchsten Gedanken, zu dem sie schaffend
sich aufschwang,
Nachzudenken. Hier stehe nun still und wende die
Blicke
Rückwärts, prüfe, vergleiche, und nimm von Munde
der Muse,
Dass du schauest, nicht schwärmst, die liebliche
volle Gewissheit.
Die Reliquien Schillers
IM ernsten Beinhaus war's wo ich beschaute
Wie Schädel Schädeln angeordnet passten ;
Die alte Zeit gedacht' ich, die ergraute.
Sie stehn in Reih' geklemmt die sonst sich hassten,
Und derbe Knochen die sich tödtlich schlugen
Sie liegen kreuzweis zahm allhier zu rasten.
Entrenkte Schulterblätter ! was sie trugen
80
GOTT UND WELT
Fragt niemand mehr, und zierlich thät'ge Glieder,
Die Hand, der Fass zerstreut aus Lebensfugen.
Ihr Müden also lagt vergebens nieder,
Nicht Ruh im Grabe Hess man euch, vertrieben
Seid ihr herauf zum lichten Tage wieder,
Und niemand kann die dürre Schale lieben.
Welch herrlich edlen Kern sie auch bewahrte.
Doch mir Adepten war die Schrift geschrieben
Die heil'gen Sinn nicht jedem offenbarte.
Als ich in Mitten solcher starren Menge
Unschätzbar herrlich ein Gebild gewahrte,
Dass in des Raumes Moderkält' und Enae
Ich frei und wärmefühlend mich erquickte,
Als ob ein Lebensquell dem Tod entspränge.
Wie mich geheimnissvoll die Form entzückte !
Die gottgedachte Spur die sich erhalten !
Ein Blick der mich an jenes Meer entrückte,
Das fluthend strömt gesteigerte Gestalten.
Geheim Gefäss, Orakelsprüche spendend !
Wie bin ich werth dich in der Hand zu halten.
Dich höchsten Schatz aus Moder fromm entwendend
Und in die freie Luft, zu freiem Sinnen,
Zum Sonnenlicht andächtig hin mich wendend.
Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen,
Als dass sich Gott-Natur ihm offenbare ?
Wie sie das Feste lässt zu Geist verrinnen.
Wie sie das Geisterzeuste fest bewahre.
Urworte. Orph'isch
AAIMßX, DÄMON
WIE an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
Die Sonne stand zum Grusse der Planeten,
135 8i
J. W. VON GOETHE
Bist alsobald und fort und fort gediehen,
Nach dem Gesetz wonach du angetreten.
So musst du sein, dir kannst du nicht entfliehen,
So sagten schon Sibyllen, so Propheten ;
Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
Geprägte Form die lebend sich entwickelt.
TTXH, DAS ZUFÄLLIGE
Die strenge Gr'anze doch umgeht gefällig
Ein Wandelndes, das mit und um uns wandelt ;
Nicht einsam bleibst du, bildest dich gesellig,
Und handelst wohl so wie ein andrer handelt :
Im Leben ist's bald hin- bald wiederfällig.
Es ist ein Tand und wird so durchgetandelt.
Schon hat sich still der Jahre Kreis gerundet,
Die Lampe harrt der Flamme die entzündet.
EPfiS, LIEBE
Die bleibt nicht aus! — Er stürzt vom Himmel nieder,
Wohin er sich aus alter Ode schwang.
Er schwebt heran auf luftigem Gefieder
Um Stirn und Brust den Frühlingstag entlang.
Scheint jetzt zu fliehn, vom Fliehen kehrt er wieder,
Da wird ein Wohl im Weh, so süss und bang.
Gar manches Herz verschwebt im Allgemeinen,
Doch widmet sich das edelste dem Einen.
AXArKH, NÖTHIGUNG
Da ist's denn wieder wie die Sterne wollten ;
Bedingung und Gesetz und aller Wille
Ist nur ein Wollen, weil wir eben sollten.
Und vor dem Willen schweigt die Willkür stille ;
Das Liebste wird vom Herzen weggescholten.
Dem harten Muss bequemt sich Will' und Grille.
8a
GOTT UND WELT
So sind wir scheinfrei denn nach manchen Jahren
Nur enger dran als wir am Anfang waren.
EAIIIS, HOFFNUNG
Doch solcher Granze, solcher ehrnen Mauer
Höchst widerwärt'ge Pforte wird entriegelt,
Sie stehe nur mit alter Felsendauer !
Ein Wesen regt sich leicht und ungezügelt :
Aus Wolkendecke, Nebel, Regenschauer
Erhebt sie uns, mit ihr, durch sie beflügelt,
Ihr kennt sie wohl, sie schwärmt durch alle Zonen ;
Ein Flügelschlag — und hinter uns Äonen!
Hoivards Ehremed'dchtniss
WENN Gottheit Camarupa^ hoch und hehr,
Durch Lüfte schwankend wandelt leicht und schwer.
Des Schleiers Falten sammelt, sie zerstreut,
Am Wechsel der Gestalten sich erfreut.
Jetzt starr sich halt, dann schwindet wie ein Traum,
Da staunen wir und trau'n dem Auge kaum ;
Nun regt sich kühn des eignen Bildens Kraft,
Die Unbestimmtes zu Bestimmtem schafft ;
Da droht ein Leu, dort wogt ein Elephant,
Kameles Hals, zum Drachen umgewandt.
Ein Heer zieht an, doch triumphirt es nicht,
Da es die Macht am steilen Felsen bricht ;
Der treuste Wolkenbote selbst zerstiebt
Eh' er die Fern' erreicht, wohin man liebt.
Er aber, Howard, gibt mit reinem Sinn
Uns neuer Lehre herrlichsten Gewinn.
Was sich nicht halten, nicht erreichen lasst,
83
J. W. VON GOETHE
Er fasst es an, er hält zuerst es fest ;
Bestimmt das Unbestimmte, schränkt es ein,
Benennt es treffend ! — Sei die Ehre dein ! —
Wie Streife steigt, sich ballt, zerflattert, fällt,
Erinnre dankbar deiner sich die Welt.
Lehensgenuss
" WIE man nur so leben mag ?
Du machst dir gar keinen guten Tag ! '*
Ein guter Abend kommt heran.
Wenn ich den ganzen Tag gethan.
Wenn man mich da- und dorthin zerrt
Und wo ich nichts vermag.
Bin von mir selbst nur abgesperrt.
Da hab' ich keinen Tag.
Thut sich nun auf was man bedarf
Und was ich wohl vermag,
Da greif ich ein, es geht so scharf,
Da hab' ich meinen Tag.
Ich scheine mir an keinem Ort,
Auch Zeit ist keine Zeit,
Ein geistreich-aufgeschloss'nes Wort
Wirkt auf die Ewigkeit.
Schlusspoetik
SAGE, Muse, sag' dem Dichter
Wie er denn es machen soll r
Denn der wunderlichsten Richter
Ist die liebe Welt so voll.
84
GOTT UND WELT
Immer hab' ich doch den rechten
Klaren Weg im Lied gezeigt,
Immer war es doch den schlechten
Düstren Pfaden abaeneigt.
Aber was die Herren wollten
Ward mir niemals ganz bekannt ;
Wenn sie wüssten was sie sollten,
War' es auch wohl bald genannt.
** Willst du dir ein Mass bereiten ;
Schaue was den Edlen misst.
Was ihn auch entstellt zu Zeiten,
Wenn der Leichtsinn sich vergisst.
Solch ein Inhalt deiner Sänge
Der erbauet, der gefällt.
Und, im wüstesten Gedränge,
Dankt's die stille bess're Welt.
Frage nicht nach anderm Titel,
Reinem Willen bleibt sein Recht !
Und die Schurken lass dem Büttel,
Und die Narren dem Geschlecht.'*
Z,ahme Xenien
WENN im L^nendlichen dasselbe
Sich wiederholend ewig lliesst.
Das tausendfältige Gewölbe
Sich kräftig in einander schliesst ;
Strömt Lebenslust aus allen Dingen,
Dem kleinsten wie dem grössten Stern,
Und alles Drängen, alles Ringen
Ist ewige Ruh in Gott dem Herrn.
85
J. W. VON GOETHE
VOM Vater hab' ich die Statur,
Des Lebens ernstes Führen,
Von Mütterchen die Frohnatur
Und Lust zu fabuliren.
L^rahnherr war der Schönsten hold,
Das spukt so hin und wieder,
Urahnfrau liebte Schmuck und Gold,
Das zuckt wohl durch die Glieder.
Sind nun die Elemente nicht
Aue dem Complex zu trennen,
Was ist denn an dem ganzen Wicht
Oriainal zu nennen ?
THE IL EX kann ich nicht das Leben,
Nicht das Innen noch das Aussen,
Allen muss das Ganze geben.
Um mit euch und mir zu hausen.
Immer hab' ich nur geschrieben
Wie ich fühle, wie ich's meine,
Und so spalt' ich mich, ihr Lieben,
Und bin immerfort der Eine.
VERSTREUTE LYRIK
AUS PANDOP.A [i8c8]
DER Seligkeit Fülle die hab' ich empfunden !
Die Schönheit besass ich, sie hat mich gebunden ;
Im Frühlingsgefülge trat herrlich sie an.
Sie erkannt' ich, sie ergriff ich, da war es gethan !
Wie Nebel zerstiebte trübsinniger Wahn,
Sie zog mich zur Erd' ab, zum Himmel hinan.
86
VERSTREUTE LYRIK
Du suchest nach Worten sie wüidig zu loben,
Du willst sie erhöhen ; sie wandelt schon oben.
Vergleich' ihr das Beste ; du hältst es für schlecht.
Sie spricht, du besinnst dich ; doch hat sie schon
Recht.
Du stemmst dich entgegen ; sie gewinnt das Gefecht.
Du schwankst ihr zu dienen, und bist schon ihr
Knecht.
Das Gute, das Liebe, das mag sie erwidern.
Was hilft hohes Ansehn ? Sie wird es erniedern.
Sie stellt sich an's Ziel hin, beßügelt den Lauf;
Vertritt sie den Weg dir, gleich hält sie dich auf.
Du willst ein Gebot thun, sie treibt dich hinauf.
Gibst Reichthum und Weisheit und alles in den
Kauf.
Sie steiget hernieder in tausend Gebilden,
Sie schwebet auf Wassern, sie schreitet auf Gefilden,
Nach heiligen Massen erglänzt sie und schallt,
Und einzig veredelt die Form den Gehalt,
Verleiht ihm, verleiht sich die höchste Gewalt,
Mir erschien sie in Juoend-, in Frauen-Gestalt.
WER von der Schönen zu scheiden verdammt ist,
Fliehe mit abgewendetem Blick !
Wie er, sie schauend, in Tiefsten entflammt ist.
Zieht sie, ach ! reisst sie ihn ewig zurück.
Frage dich nicht in der Nähe der Süssen :
Scheidet sie? scheid' ich? Ein grinnniger Schmerz
Fasset im Krampfdich, du liegst ihr zu Füssen
Und die Verzweiflung zerreisst dir das Herz.
87
J. W. VON GOETHE
Kannst du dann weinen und siehst sie durch
Thiänen,
Fernende Thränen, als wäre sie fern :
Bleib' ! Noch ist's möglich ! Der Liebe, dem
Sehnen
Neigt sich der Nacht unbeweglichster Stern.
Fasse sie wieder ! Empfindet selbander
Euer Besitzen und euren Verlust !
Schlägt nicht ein Wetterstrahl euch auseinander ;
Inniger dränget sich Brust nur an Brust.
Wer von der Schönen zu scheiden verdammt ist,
Fliehe mit abegewendetem Blick !
Wie er, sie schauend, im Tiefsten entflammt ist.
Zieht sie, ach ! reisst sie ihn ewig zurück.
AUS WILHELM MEISTERS WANDER JAHREN
[1821]
EIN Wunder ist der arme Mensch geboren.
In Wundern ist der irre Mensch verloren.
Nach welcher dunklen, schwer entdeckten Schwelle
Durchtappen pfadlos ungewisse Schritte ?
Denn in lebendigem Himmelsglanz und Mitte
Gewahr' empfind' ich Nacht und Tod und Hülle.
Bist noch so tief in Schmerz und Qual verloren.
So bleibst du doch zum Jugendgllick geboren ;
Ermanne dich zu rasch gesundem Schritte,
Komm in der Freundschaft Himmelsglanz und Helle,
Empfinde dich in treuer Guten Mitte,
Da spriesse dir des Lebens heitre Quelle.
VERSTREUTE LYRIK
AUS FAUST, ZWEITER THEIL [1831]
Trauergesang
NICHT allein! — wo du auch weilest,
Denn wir glauben dich zu kennen,
Ach ! wenn du dem Tag enteilest,
Wird kein Herz von dir sich trennen.
Wüssten wir doch kaum zu klagen,
Neidend sinken wir dein Loos :
Dir in klar- und trüben Tagen
Lied und Muth war schön und gross.
Ach ! zum Erdengliick geboren,
Hoher Ahnen, grosser Kraft,
Leider ! früh dir selbst verloren,
Jugendblüthe weggerafft.
Scharfer Blick die Welt zu schauen,
Mitsinn jedem Herzensdrang,
Liebesoluth der besten Frauen
Und ein eigenster Gesang.
Doch du ranntest unaufhaltsam
Frei in's willenlose Netz,
So entzweitest du gewaltsam
Dich mit Sitte, mit Gesetz ;
Doch zuletzt das höchste Sinnen
Gab dem reinen Muth Gewicht,
Wolltest Herrliches gewinnen,
Aber es gelang dir nicht.
Wem gelingt es ? — Trübe Frage,
Der das Schicksal sich vermummt,
Wenn am unglückseligsten Tage
Blutend alles Volk verstummt.
89
J. W. VON GOETHE
Doch erfrischet neue Lieder,
Steht nicht länger tief gebeugt :
Den der Boden zeugt sie wieder,
Wie von je er sie gezeugt.
Lied des Lynceus
ZUM Sehen geboren.
Zum Schauen bestellt,
Dem Thurme geschworen,
Gefällt mir die Welt.
Ich blick' in die Ferne,
Ich seh' in der Näh,
Den Mond und die Sterne,
Den Wald und das Reh.
So seh' ich in allen
Die ewige Zier,
Und wie mir's gefallen
Gefair ich auch mir.
Ihr Glücklichen Auoen
Ö o
Was je ihr gesehn.
Es sei wie es wolle.
Es war doch so schön !
WEST-ÖSTLICHER DIVAN [1814-1819]
Hegire
NORD und West und Süd zersplittern,
Throne bersten, Reiche zittern.
Flüchte du, im reinen Osten
.Patriarchenluft zu kosten,
90
WEST-ÖSTLICHER DIVAN
Unter Lieben, Trinken, Singen
Soll dich Chisers Quell verjüngen.
Dort im Reinen und im Rechten
Will ich menschlichen Geschlechten
In des L'"rsprungs Tiefe dringen,
Wo sie noch von Gott empfingen
Himmelslehr' in Erdesprachen,
Und sich nicht den Kopf zerbrachen.
Wo sie Väter hoch verehrten ;
Jeden fremden Dienst verwehrten ;
Will mich freun der Jugendschranke:
Glaube weit, eng der Gedanke,
Wie das Wort so wichtig dort war,
Weil es ein gesprochen Wort war.
Will mich unter Hirten mischen.
An Oasen mich erfrischen,
Wenn mit Caravanen wandle,
Schawl, Caffee und Moschus handle ;
Jeden Pfad will ich betreten
Von der Wüste zu den Städten.
Bösen Felsweg auf und nieder
Trösten, Hafis, deine Lieder,
Wenn der Führer mit Entzücken
Von des Maulthiers hohem Rücken
Singt, die Sterne zu erwecken
Und die Räuber zu erschrecken.
Will in Bädern und in Schenken,
Heil'ger Hafis, dein gedenken ;
Wenn den Schleier Liebchen lüftet.
Schüttelnd Ambralocken düttet.
Ja des Dichters LiebeHüstern
Mache selbst die Huris lüstern.
91
J. W. VON GOETHE
Wolltet ihr ihm dies beneiden,
Oder etwa gar verleiden ;
Wisset nur, dass Dichterworte
Um des Paradieses Pforte
Immer leise klopfend schweben
Sich erbittend ew'ges Leben.
Selige Sehnsucht
SAGT es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menoe gleich verhöhnet,
Das Lebend'ge will ich preisen
Das nach Flammentod sich sehnet.
In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du zeugtest.
Überfällt dich fremde Fühlung
Wenn die stille Kerze leuchtet.
Nicht mehr bleibest du umfangen
In der Finsterniss Beschattung,
Und dich reisset neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.
Keine Ferne macht dich schwierig.
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig.
Bist du Schmetterling verbrannt.
Und so lang du das nicht hast,
Dieses : Stirb und werde !
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunkeln Frde.
92
WEST-ÖSTLICHER DIVAN
Versunken
VOLL Locken kraus ein Haupt so rund! —
Und darf ich dann in solchen reichen Haaren
Mit vollen Händen hin und wieder fahren,
Da fi.ihl' ich mich von Herzensgrund gesund.
Und kliss' ich Stirne, Bogen, Auge, Mund,
Dann bin ich frisch und immer wieder wund.
Der fünfgezackte Kamm wo sollt' er stocken ?
Er kehrt schon wieder zu den Locken.
Das Ohr versagt sich nicht dem Spiel,
Hier ist nicht Fleisch, hier ist nicht Haut,
So zart zum Scherz, so liebeviel !
Doch wie man auf dem Köpfchen kraut,
Man wird in solchen reichen Haaren
Für ewig auf und nieder fahren.
So hast du, Halis, auch gethan,
Wir fangen es von vornen an.
Schlechter Trost
MITTERNACHTS weint' und schluchzt' ich,
Weil ich dein entbehrte.
Da kamen Nachtgespenster
Und ich schämte mich.
Nachtgespenster, sagt' ich,
Schluchzend und weinend
Findet ihr mich, dem ihr sonst
Schlafendem vorüberzogt.
Grosse Güter vermiss' ich.
Denkt nicht schlimmer von mir
Den ihr sonst weise nanntet,
Grosses Übel betrifft ihn ! — -
93
J. W. VON GOETHE
Und die Nachtgespenster
Mit langen Gesichtern
Zogen vorbei,
Ob ich weise oder thörig
Völlig unbekümmert.
"DIE Jahre nahmen dir, du sagst, so vieles :
Die eigentliche Lust des Sinnespieles,
Erinnerung des allerliebsten Tandes
Von gestern, weit- und breiten Landes
Durchschweifen frommt nicht mehr ; selbst nicht
von Oben
Der Ehren anerkannte Zier, das Loben
Erfreulich sonst. Aus eignem Thun Behagen
Quillt nicht mehr auf, dir fehlt ein dreistes Wagen !
Nun wüsst* ich nicht was dir Besondres bliebe ? "
Mir bleibt genug ! Es bleibt Idee und Liebe !
jt4n Suleika
DIR mit Wohlgeruch zu kosen,
Deine Freuden zu erhöhn.
Knospend müssen tausend Rosen
Erst in Gluthen untergehn.
Um ein Fläschchen zu besitzen
Das den Ruch auf ewig hält,
Schlank wie deine Fingerspitzen,
Da bedarf es einer Welt ;
Einer Welt von Lebenstrieben,
Die in ihrer Fülle Drang
94
WEST-ÖSTLICHER DIVAN
Ahneten schon Bulbuls Lieben,
Seeleregenden Gesang.
Sollte jene Qual uns quälen,
Da sie unsre Lust vermehrt ?
Hat nicht Myriaden Seelen
Timurs Herrschaft aufgezehrt ?
G'tngo h'iloha
DIESES Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie's den Wissenden erbaut.
Ist es Ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt ?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Dass man sie als Eines kennt?
Solche Frage zu erwidern
Fand ich wohl den rechten Sinn ;
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Dass ich eins und doppelt bin ?
SULEIKA
VOLK und Knecht und Uberwinder
Sie gestehn, zu jeder Zeit :
Höchstes Gluck der Eidenkinder
Sei nur die Persönlichkeit.
Jedes Leben sei zu führen.
Wenn man sich nicht selbst vermisst ;
Alles könne man verlieren.
Wenn man bliebe was man ist.
95
J. W. VON GOETHE
HATEM
Kann wohl sein ! so wird gemeinet ;
Doch ich bin auf andrer Spur :
Alles Erdenglück vereinet
Find' ich in Suleika nur.
Wie sie sich an mich verschwendet,
Bin ich mir ein werthes Ich ;
Hätte sie sich weggewendet,
Augenblicks verlor' ich mich.
Nun mit Hatem war's zu Ende ;
Doch schon hab' ich umgelos't :
Ich verkörpre mich behende
In den Holden, den sie kos't.
Wollte, wo nicht gar ein Rabbi,
Das will mir so recht nicht ein,
Doch Ferdusi, MotanabbI,
Allenfalls der Kaiser sein.
Hat
em
LOCKEN, haltet mich gefangen
Im dem Kreise des Gesichts !
Euch geliebten braunen Schlangen
Zu erwidern hab' ich nichts.
Nur dies Herz, es ist von Dauer,
Schwillt in jugendlichstem Flor ;
Unter Schnee und Nebelschauer
Ras't ein Ätna dir hervor.
Du beschämst wie Morgenröthe
Jener Gipfel ernste Wand,
96
WEST-ÖSTLICHER DIVAN
Und noch einmal fühlet Hatem
Frühlingshauch und Sommerbiand.
Schenke her ! Noch eine Flasche !
Diesen Becher bring' ich ihr !
Findet sie ein Häufchen Asche,
Sagt sie : der verbrannte mir.
AN vollen Büschelzweigen,
Geliebte, sieh nur hin !
Lass dir die Früchte zeigen
Umschalet stachlig grün.
Sie hängen längst geballet,
Still, unbekannt mit sich,
Ein Ast der schaukelnd wallet
Wiegt sie geduldiglich.
Doch immer reift von Innen
Und schwillt der braune Kern,
Er möchte Luft gewinnen
Und sah' die Sonne gern.
Die Schale platzt und nieder
Macht er sich freudig los ;
So fallen meine Lieder
Gehäuft in deinen Schoos.
DEINEM BHck mich zu bequemen,
Deinem Munde, deiner Brust,
Deine Stimme zu vernehmen
War die letzt' und erste Lust.
Gestern, ach, war sie die letzte.
Dann verlosch mir Leucht' und Feuer,
lae Q7
J. W. VON GOETHE
Jeder Scherz der mich ergetzte
Wird nun schuldenschwer und theuer.
Eh' es Allah nicht gefällt
Uns auf's neue zu vereinen,
Gibt mir Sonne, Mond und Welt
Nur Geleoenheit zum Weinen.
Wiederfinden
IST es möglich ! Stern der Sterne,
Drück' ich wieder dich an's Herz !
Ach, was ist die Nacht der Ferne
Für ein Abgrund, für ein Schmerz !
Ja du bist es ! meiner Freuden
Süsser, lieber Widerpart ;
Eingedenk veroangner Leiden
Schaudr' ich vor der Gegenwart.
Als die Welt im tiefsten Grunde
Lag an Gottes ew'ger Brust,
Ordnet' er die erste Stunde
Mit erhabner Schüpfungslust,
Und er sprach das Wort : Es werde !
Da erklang ein schmerzlich Ach !
Als das All mit Machtgebärde
In die Wirklichkeiten brach.
Auf that sich das Licht : so trennte
Scheu sich Finsterniss von ihm,
Und sogleich die Elemente
Scheidend auseinander fliehn.
Rasch, in wilden wüsten Traumen
Jedes nach der Weite rang,
98
WEST-OSTLICHER DIVAX
Starr, in ungemess'nen Räumen,
Ohne Sehnsucht, ohne Klang.
StumDi war alles, still und öde.
Einsam Gott zum erstenmal !
Da erschuf er Morgenrüthe,
Die erbarmte sich der Qual ;
Sie entwickelte dem Trüben
Ein erklingend Farbenspiel,
Und nun konnte wieder lieben
Was erst auseinander fiel.
Und mit eiligem Bestreben
Sucht sich was sich angehört ;
Und zu ungemess'nem Leben
Ist Gefühl und Blick gekehrt.
Sei's Erareifen, sei es Raifen,
Wenn es nur sich tassr und hält !
Allah braucht nicht mehr zu schaffen,
Wir erschalfen seine T^ eJt.
So, mit morgenrothen Flügeln,
Riss es mich an deinen Mund,
L^nd die Nacht mit tausend Siegeln
Kräfti'Tt sternenhell den Bund.
Beide sind wir auf der Erde
Musterhaft in Freud' und Qual,
L^nd ein zweites Wort : Es werde !
Trennt uns nicht zum zweitenmal.
IN tausend Formen magst du dich verstecken,
Doch, Allerliebste, gleich erkenn' ich dich ;
Du magst mit Zauberschleiern dich bedecken,
All gegen wärt' ge, gleich erkenn' ich dich.
99
J. W. VON GOETHE
An der Cypresse reinstem, jungem Streben,
Allschöngewachs'ne, gleich erkenn' ich dich ;
In des Canales reinem Wellenleben,
Allschmeichelhafte, wohl erkenn' ich dich.
Wenn steigend sich der Wasserstrahl entfaltet
Allspielende, wie froh erkenn' ich dich ;
Wenn Wolke sich gestaltend umgestaltet,
Allmannigfalt'ge, dort erkenn' ich dich ; ■
An des geblümten Schleiers Wiesenteppich,
Allbuntbesternte, schön erkenn' ich dich ;
Und greift umher ein tausendarm'ger Eppich,
O Allumklammernde, da kenn' ich dich.
Wenn am Gebirg der Morgen sich entzündet,
Gleich, Allerheiternde, begrüss' ich dich.
Dann über mir der Himmel rein sich rundet,
Allherzerweiternde, dann athm' ich dich.
Was ich mit äusserm Sinn, mit innerra kenne,
Du Allbelehrende, kenn' ich durch dich ;
Und wenn ich Allahs Namenhundert nenne.
Mit jedem klingt ein Name nach für dich.
Vermächtniss altper suchen Glaubens
WELCH Vermächtniss, Brüder, sollt' euch kommen
Von dem Scheidenden, dem armen Fronmien,
Den ihr Jüngeren geduldig nährtet,
Seine letzten Tage pflegend ehrtet ?
Wenn wir oft oesehn den König reiten,
Gold an ihm und Gold an allen Seiten,
Edelstein' auf ihn und seine Grossen
Ausgesät wie dichte Hagelschlossen,
WEST-ÖSTLICHER DIVAN
Habt ihr jemals ihn darum beneidet ?
Und nicht herrlicher den Blick geweidet,
Wenn die Sonne sich auf Morgenflügeln
Darnawends unzähl'gen Gipfelhügeln
Bogenhaft hervorhob ? Wer enthielte
Sich des Blicks dahin ? Ich fühlte, fühlte
Tausendmal, in so viel Lebenstagen,
Mich mit ihr, der kommenden, getragen
Gott auf seinem Throne zu erkennen.
Ihn den Herrn des Lebensquells zu nennen,
Jenes hohen Anblicks werth zu handeln
Und in seinem Lichte fortzuwandeln.
Aber stieg der Feuerkreis vollendet,
Stand ich als in Finsterniss geblendet,
Schlug den Busen, die erfrischten Glieder
Warf ich, Stirn voran, zur Erde nieder.
Und nun sei ein heiliges Vermächtniss
Brüderlichem Wollen und Ged'ächtniss :
Schtverer Dienste tägliche Beivahrung,
Sonst bedarf es keiner Offenbarung.
Regt ein Neugeborner fromme Hände,
Dass man ihn sogleich zur Sonne wende.
Tauche Leib und Geist im Feuerbade !
Fühlen wird es jeden Morgens Gnade.
Dem Lebendigen übergebt die Todten,
Selbst die Thiere deckt mit Schutt und Boden,
Und, so weit sich eure Kraft erstrecket,
Was euch unrein dünkt, es sei bedecket.
Grabet euer Feld in's zierlich Reine,
Dass die Sonne gern den Fleiss bescheine ;
lOI
J. W. VON GOETHE
Wenn ihr Bäume pflanzt, so sei's in Reihen,
Denn sie lässt Geordnetes gedeihen.
Auch dem Wasser darf es in Canälen
Nie am Laufe, nie an Reine fehlen ;
Wie euch Senderud aus Bergrevieren
Rein entspringt, soll er sich rein verlieren.
Sanften Fall des Wassers nicht zu schwächen,
Sorgt, die Gräben fleissig auszustechen ;
Rohr und Binse, Molch und Salamander,
Ungeschöpfe, tilgt sie mit einander !
Habt ihr Erd' und Wasser so im Reinen,
Wird die Sonne gern durch Lüfte scheinen.
Wo sie, ihrer würdig aufgenommen,
Leben wirkt, dem Leben Heil und Frommen.
Ihr, von Müh zu Mühe so gepeinigt.
Seid getrost, nun ist das All gereinigt,
Und nun darf der Mensch als Priester wagen
Gottes Gleichniss aus dem Stein zu schlagen.
Wo die Flamme brennt erkennet freudig,
Hell ist Nacht und Glieder sind geschmeidig.
An des Herdes raschen Feuerkräften
Reift das Rohe Thier- und PHanzensäften.
Schleppt ihr Holz herbei, so thut's mit Wonne,
Denn ihr tragt den Samen ird'scher Sonne ;
Pflückt ihr Pambeh, mögt ihr traulich sagen :
Diese wird als Docht das Heil'ge tragen.
Werdet ihr in jeder Lampe Brennen
Fromm den Abglanz höhern Lichts erkennen,
Soll euch nie ein Missaeschick verwehren
Gottes Thron am Morgen zu verehren.
WEST-OSTLICHER DIVAN
Da ist unsers Daseins Kaisersiegel,
Uns und Engeln reiner Gottesspiegel,
Und was nur am Lob des Höchsten stammelt
Ist in Kreis' um Kreise dort versammelt.
Will dem Ufer Senderuds entsagen,
Auf zum Darnawend die Flügel schlagen,
Wie sie tagt ihr freudig zu begegnen
Und von dorther ewig euch zu segnen.
E'miajs
HURI
HEUTE steh' ich meine Wache
Vor des Paradieses Thor,
Weiss nicht grade wie ich's mache,
Kommst mir so verdächtig vor !
Ob du unsern Mosleminen
Auch recht eigentlich verwandt ?
Ob dein Kämpfen, dein Verdienen
Dich an' 8 Paradies gesandt :
Zählst du dich zu jenen Helden :
. Zeige deine Wunden an.
Die mir Rühmliches vermelden.
Und ich führe dich heran.
DICHTER
Nicht so vieles Federlesen !
Lass mich immer nur herein ;
Denn ich bin ein Mensch gewesen
Und das heisst ein Kämpfer sein.
Schärfe deine kräft'gen Blicke !
Hier durchschaue diese Brust,
103
J. W. VON GOETHE
Sieh der Lebens- Wunden Tücke,
Sieh der Liebes-Wunden Lust.
Und doch sang ich glaub' ger Weise :
Dass mir die Geliebte treu,
Dass die Welt, wie sie auch kreise,
Liebevoll und dankbar sei.
Mit den Trefflichsten zusammen
Wirkt' ich, bis ich mir erlangt
Dass mein Nam' in Liebesflaramen
Von den schönsten Herzen prangt.
Nein ! du wählst nicht den Geringern
Gib die Hand, dass Tag für Tag
Ich an deinen zarten Fingern
Ewigkeiten zählen mag.
LASST mich weinen ! umschränkt von Nacht,
In unendlicher Wüste.
Kamele ruhn, die Treiber dessgleichen,
Rechnend still wacht der Armenier ;
Ich aber, neben ihm, berechne die Meilen
Die mich von Suleika trennen, wiederhole
Die wegeverlängernden ärgerlichen Krümmungen.
Lasst mich weinen ! das ist keine Schande.
Weinende Männer sind gut.
Weinte doch Achill um seine Briseis !
Xerxes beweinte das unerschlagene Heer,
Über den selbstgeniordeten Liebling
Alexander weinte.
Lasst mich weinen ! Thränen beleben den Staub.
Schon grunelt's.
104
LETZTES LIEDERBUCH
CHINESISCH-DEUTSCHE JAHRESZEITEN [1827]
III
ZIEHN die Schafe von der Wiese,
Liegt sie da, ein reines Grün,
Aber bald zum Paradiese
Wird sie bunt geblümt erblühn.
Hoffnung breitet leichte Schleier
Nebelhaft vor unsern Blick :
Wunscherfüllung, Sonnenfeier,
Wolkentheilung bring' uns Glück.
VIII
DÄMMRUNG senkte sich von oben,
Schon ist alle Nähe fern ;
Doch zuerst emporgehoben
Holden Lichts der Abendstern !
Alles schwankt in's Ungewisse,
Nebel schleichen in die Höh ;
Schwarzvertiefte Finsternisse
Wiederspiegelnd ruht der See.
Nun am östlichen Bereiche
Ahn' ich Mondcnglanz und -Gluth,
Schlanker Weiden Haargezweige
Scherzen auf der nächsten Fluth.
Durch bewegter Schatten Spiele
Zittert Luna's Zauberschein,
Und durch's Auge schleicht die Kühle
Sänftigend in's Herz hinein.
J. W. VON GOETHE
ABSCHIEDSKLÄNGE
CHRISTIANE
Den 6. Juni l8l6
DU versuchst, o Sonne, vergebens
Durch die düstren Wolken zu scheinen !
Der ganze Gewinn meines Lebens
Ist ihren Verlust zu beweinen.
[1816]
EIN rascher Sinn, der keinen Zweifel hegt,
Stets denkt und thut und niemals überlegt.
Ein treues Herz, das wie empfängt so gibt,
Geniesst und mittheilt, lebt indem es liebt.
Froh glänzend Auge, Wange frisch und roth.
Nie schön gepriesen, hübsch bis in den Tod.
Da blickt' ich ihn noch manchmal freundlich an
Und habe leidend viel für ihn gethan.
Indess mein armes Herz im Stillen brach.
Da sagt' ich mir : bald folgst du ihnen nach !
Ich trug des Hauses nun zu schwere Last,
Um seinetwillen nur ein Erdengast.
LORD BYRON [1829]
EIN freundlich Wort kommt eines nach dem andern
Von Süden her und bringt uns frohe Stunden ;
Es ruft uns auf, zum Edelsten zu wandern.
Nicht ist der Geist, doch ist der Fuss gebunden.
106
ABSCHIEDSKLANGE
Wie soll ich dem, den ich so lang begleitet,
Nun etwas Traulichs in die Ferne sagen ?
Ihm, der sich selbst im Innersten bestreitet.
Stark angewohnt das tiefste Weh zu tragen.
Wohl sei ihm doch wenn er sich selbst empfindet !
Er wage selbst sich hoch beglückt zu nennen,
Wenn Musenkraft die Schmerzen überwindet ;
Und wie ich ihn erkannt, mög' er sich kennen.
yln Lord Byron
STARK von Faust, gewandt im Rath
Liebt er die Hellenen ;
Edles Wort und schöne That
Füllt sein Aug' mit Thränen.
Liebt den Säbel, liebt das Schwert,
Freut sich der Gewehre ;
Sah' er, wie sein Herz begehrt,
Sich vor muth'gem Heere !
Lasst ihn der Historia,
Bändigt euer Sehnen ;
Ewig bleibt ihm Gloria,
Bleiben uns die Thränen.
AN DIE NEUNZEHN FREUNDE IN ENGLAND
JVeimary den 28. August, 1831
WORTE, die der Dichter spricht,
Treu, in heimischen Bezirken,
Wirken gleich, doch weiss er nicht,
Ob sie in die Ferne wirken.
107
J. W. VON GOETHE
Briten ! habt sie aufgefasst :
'* Thätigen Sinn, das Thun gezügelt ;
Stetig Stieben, ohne Hast.'*
Und so wollt ihr's denn besiegelt.
DICHTUNG UND WELT
Dem aufgehenden Vollmonde
Dornburg, 25. August l8z8
WILLST du mich sogleich verlassen !
Warst im Augenblick so nah !
Dich umiinstern Wolkenmassen
Und nun bist du gar nicht da.
Doch du fühlst wie ich betrübt bin,
Blickt dein Rand herauf als Stern !
Zeugest mir dass ich geliebt bin,
Sei das Liebchen noch so fern.
So hinan denn ! hell und heller,
Reiner Bahn, in voller Pracht!
Schlägt mein Herz auch schmerzlich schneller,
Uberselig ist die Nacht.
Dornburg, September 1828
FRÜH wenn Thal, Gebirg und Garten
Nebelschleiern sich enthüllen.
Und dem sehnlichsten Erwarten
Blumenkelche bunt sich füllen ;
Wenn der Äther, Wolken tragend,
Mit dem klaren Tage streitet,
108
ABSCHIEDSKLÄNGE
Und ein Ostwind, sie verjagend,
Blaue Sonnenbahn bereitet ;
Dankst du dann, am Blick dich weidend,
Reiner Brust der Grossen, Holden,
Wird die Sonne, röthlich scheidend,
Rings den Horizont vergolden.
WENN ich mir in stiller Seele
Singe leise Lieder vor :
Wie ich fühle, dass sie fehle.
Die ich einzig mir erkor ;
Möcht' ich hoffen, dass sie sänge,
Was ich ihr so gern vertraut.
Ach, aus dieser Brust und Enge
Drängen frohe Lieder laut !
WORTE sind der Seele Bild—
Nicht ein Bild ! sie sind ein Schatten !
Sagen herbe, deuten mild
Was wir haben, was wir hatten. —
Was wir hatten wo ist's hin ?
Und was ist's denn was wir haben ?
Nun, wir sprechen ! Rasch im Fliehn
Haschen wir des Lebens Gaben.
lOq
ANMERKUNGEN
BAND I
I. Hollenfahrt Jesu Christi. Das Gedicht des sechs-
zehnjährigen Goethe wurde in einer obskuren
Frankfurter Zeitschrift '-'Die Sichtbaren" 1766
gedruckt. " Ich hätte mögen toll darüber werden,"
schrieb der Dichter 12. Oktober 1767 an seine
Schwester, als er erfuhr, dass " die vermaledeite
Wochenschrift" sein Produkt veröffentlicht hatte,
'•' und noch dazu mit dem J. W. G.," also einer in der
Vaterstadt leicht verständlichen Andeutung des
Verfassers. — Erst Februar 1 8z6 wurde das Gedicht in
dem Originalabdruck von Eckermann wieder ent-
deckt, der es allzusehr lobt (vgl. Goethes Gespräche
mit Eckermann 16. Feb. 1826). Goethe, der schon
in "Dichtung und Wahrheit" aus ungenauer Erin-
nerung von dem Gedichte gesprochen hatte, meinte
nun, es sei vielleicht von seiner frommen Freundin
Frl. V Klettenberg veranlasst worden. Die Dichtung
steht natürlich noch unter dem Einfluss der gleich-
zeitigen, besonders der geistlichen Dichtung ; pathe-
tische Reime wie ''Triumphe: Sumpfe" fing der
junge Goethe schon damals selbst an, als gesucht zu
verspotten. Überhaupt trägt das Gedicht einen
stark rhetorischen Charakter ; die Anschaulichkeit
reiferer Dichtungen darf man hier noch nicht suchen.
Immerhin ist zu beachten, wie Goethe durch eine
durchgeführte Personifikation der Hölle bestrebt ist
der Gefahr vager Allgemeinheit zu entgehen.
Spätere Eigenheiten sind in der starken Ausarbeitung
des — freilich durch die Sache selbst gegebnen! —
Gegensatzes von Hell und Dunkel angedeutet; auch
ist die Wahl des Stoffes doch bezeichnend : wie im
*•' Faust " wird der Sieg Gottes über den Teufel
1x0
ANMERKUNGEN
dargestellt (vgl. besonders Str. 9 !), — Metrisch ist
das Gedicht recht gewandt; nur die veralteten Flick-
formen des Verbums ('•' stirbet," "lieget" u. dgl.)
verraten noch Unsicherheit. — Eine ähnliche Situation
wie in den ersten Strophen schildert Goethe in dem
merkwürdigen Fragment "der ewige Jude": die
Heimkehr Christi zu den Menschen. Wie weit steht
aber da die Vergegenwärtigung ab von diesen
ängstlichen "an jenen Ort," '''aus den dunklen
Orten ! " Ebenso widerstrebt dem späteren Goethe
die hier mit aller Härte ausgedrückte Anschauung
der ewigen Verdammnis durchaus.
S. 6. Brief an Riese. J. J. Riese war ein drei Jahr
älterer studirender Landsmann Goethes, an den er
von Leipzig aus einen mit Versen untermischten
Brief richtet. — Die leichte Handhabung der unglei-
chen Verse hat man nicht mit Unrecht besonders
auf das Vorbild Hagedorns zurückgeführt. Der
jugendliche Dilettant versucht alle Künste der an-
gesehenen Meister. Der Manier seiner Zeit gehört
ebensowohl das antikisirende Spiel mit " Zephyr "
und "Nord" an, als wiederum die Unbestimmtheit
von Ausdrücken wie " den Ort." Auch die epigram-
matische Zuspitzung der Schlusszeile gehört hierher;
solche Momente lassen jetzt noch keine reine Lyrik
aufkommen.
8.7. An die Mutter. Ein etwas mühsam durchgeführtes
Gleichnis schädigt den Eindruck der herzlichen
Worte. Die "Bilderjagd" hatte vor allem Ewald
V. Kleist in Blüte gebracht.
S. 8. Wie Eugen WolfF in seiner nützlichen Ausgabe
"Der junge Goethe" hervorhebt, ist dies die erste
Probe eines von Goethe für Gesang und Komposi-
tion bestimmten Liedes. Str. i, "Bettler oft zum
Throne...'^: vielleicht eine Anspielungauf ein berühm-
tes Impromptu Voltaires, in dem er sich " zum
König träumte." Str. 2, " Lust" im erotischen Sinn.
"Neid'scher Seide " : die Seide der Bluse neidet ihm
den Anblick der Brust, gönnt ihn dem Liebhaber
nicht. Str. 3," von dem Gefieder" : von den Flügeln,
mit denen der Schlafgott ausgestattet ist. Die Kon-
struktion der Schlusszeilen ist ein wenig gewaltsam,
III
ANMERKUNGEN
ohne dass die Absicht, die stammelnde Verwirrung
des Liebenden zu malen, vorausgesetzt werden
dürfte.
S. 9. An meine Lieder. Str. 2, ''Er, dem ich euch sang,
mein Freund" : Behrisch, der das "Buch Annette "
mit seiner zierlichen Handschrift hergestellt hat.
S. 9. Zueignung. Der Dichter stellt sich in der her-
kömmlichen Rolle des anakreontischen Dichters dar,
der " am Rand des Bachs " improvisirt. Rasch geht
er aber von der Konvention zur Wirklichkeit über
und nimmt auf seinen Gesundheitszustand und die
dadurch erforderte Diät ganz realistisch Rücksicht.
Str. 2, '•' blinzt " : sieht mit halb geschlossenem Auge.
Str. 3, " Halb scheel, halb weise " : eine jener mild-
ironischen Teilungen, w^ie Goethe sie liebt ; so im
"Faust" : " Halb Kinderspiel, halb Gott im Herzen."
Str. 4: die üblichen Stufen des anakreontischen
Liebesverhältnisses. "Dem Abgrund," grammatisch
abhängig von " in der Nähe " = '•' nah."
S. IG. M^ahrer Genuss : ursprünglich als ein moralisches
Strafgedicht an den Fürsten von Dessau gedacht,
dessen illegitimen Sohn jener Behrisch zu erziehen
hatte ; allmählich aller direkten Beziehungen ent-
kleidet. Str. 2 : die freiwillige Gebundenheit ist
ein Lieblingsgedanke Goethes. Str. 4, " Wollüstig
nur an meiner Seite...," Str. 5, "des Liebsten
Füsse..." : ererbte Wendungen der epigrammatischen
Liebespoesie.
S. 12. NeujahrslieJ. Goethe war am 7 Dez. 1768 von
einem Rückfall schwerer Krankheit befallen worden ;
kaum genesen, beruhigt er seine durch die Nachricht
geängstigten Freunde. Er lässt ein Bänkelsängerlied
drucken, wie sie damals noch wirklich auf den
Strassen gesungen wurden, und schickt es nach
Leipzig zur Verteilung an seine dortigen Freunde. —
Da eben erst " diätetische Ruh " ihm " den Daumen
auf die Augen " gedrückt hatte, ist es natürlich, dass
sein bänkelsängerisches Neujahrslied sich zu einer
Parade der Lebensalter vor Amor gestaltet. Er
selbst nennt sich an letzter Stelle als einen, der den
Freuden der Liebe entsagt. Ein wehmütig-lächeln-
des Lied! Str. i, "kömmt": dialektische Form.
113
ANMERKUNGEN
"Devisen": Sprüche, etwa auf ändern gedruckt,
wie sie der Bänkelsänger verkauft.
S. 14. An Madcmoiselle Oeser, die liebenswürdige und
gescheite Tochter seines Leipziger Zeichenlehrers,
die ihm den bildungsfrohen Ton der Universitätsstadt
gegenüber der heimischen Rückständigkeit vertritt.
Str. I, •' Mennonist ": eine pietistische Sekte. Str.
2, " Cortex China" : Chinarinde. Str. 3:Boucher
als Vertreter der Eleganz, Gerhard Dow als Reprä-
sentant der nüchternen Sachlichkeit. "Tisane":
Krankensuppe. Str. 4, •'•' Halb siech, und halb
gesund " : aus dem ersten Abschnitt wieder auf-
genommen. "Alraune": zauberkräftige Wurzel-
geister. Str. 6, "rechte gute Leute" : für "recht
gute Leute." Str. 8, "das Frauenzimmer": alt-
modischer Ausdruck für die Gesamtheit der weib-
lichen Umgebung. "Herr Schübler" : Daniel
Schiebeier, der am Schlüsse seiner Romanze "Pygma-
lion " den Amor nach Hamburg weist ; "Statuen wirst
du finden, so schöne macht ein Künstler nie " (Eugen
Wolff). Str. IG, "aus Bergamo": die Bergamasken
waren in der italienischen Komödie die Tölpel, wie
noch in Sliakespeares "' Sommernachtstraum."
" Grandison " : Richardsons Mustermensch be-
herrschte die Lektüre der "Provinz." Str. 14,
"mein böses Mädchen" : Käthchen Schönkopf
Str. 17, "fatale" : mir vom Schicksal bestimmt.
3. 20. Sehnsucht. Das Gedicht erschien erst 1793 in der
Zeitschrift " Urania " mit dem Hinweis : Melodie:
O Vater der Barmherzigkeit. Der pietistische Ton
verweist in frühe Zeit, ebenso der Stil zumal der
ersten Strophe. Str. 3, "ausgefüllt" : terminus
technicus der pietistischen Sehnsucht nach Gott.
S. 20. Sesenheimer Liederbuch : der erste Klang reiner
Liebeslyrik. Die Deminutiva bilden die Kinder-
sprache nach.
Erivache, Friederike. Str. I, "Geschwister": die
beiden Schwestern Friederike und "' Olivia," die — •
Str. 3 — bei einander schlafen. Str. 2 : die laut-
singende Nachtigall wagt die Schlafende nicht zu
wecken, während die andern Vögel leise flüstern.
Am Ende beginnt Philomele denn doch zu singen,
137 „3
ANMERKUNGEN
aber noch immer schlummert Friederike. Das
Gedicht ist gewiss aus unmittelbarem Erlebnis in
Sesenheim entstanden.
S. 22. Elegie. Str. 2: das doppelte "dir" entspricht
einer syntraktischen Neigung Goethes. Wie im
"Neujahrslied" werden die Lebensalter, unter dem
Zeichen der Hoffnung diesmal, verglichen : die
Gaukelnden, spielenden Kinder ; die Jungfrau, die
fühlt und hofft ; der reife Mann, der sät und hofft.
S. 23. Empßndsamkeit. Str. i, "Zauberspiegel": wie
etwa im " Macbeth " oder in Feenmärchen derartige,
das Ferne vergegenwärtigende Spiegel eine Rolle
spielen.
S. 24. An Liii\ Kampf zwischen Liebe und Scheiden.
S. 25. Ihr 'verblühet... '. aus dem Schauspiel mit Gesang
"Erwin and Elmire," das auf eine Romanze
Goldsmiths zurückgeht.
S. 25. An den Herzog. " Umschwänzen," sonst "um-
schwänzeln": liebedienerisch umkreisen. " Umkre-
denzen": neugebildetes Wort für die dienstfertigen
Höflinge.
S. 26. An den Herzog', ein freundliches Mahngedicht
an den Fürsten, im Ton etwa an den "' ewigen
Juden " erinnernd. Das Gedicht wurde durch einen
Bauern überreicht, als der Herzog Frau v Stein
auf ihrem Gute Kochberg in dem benachbarten
Herzogtum Meiningen besuchte.
S. 27. Warum gabst du uns... : die erste und eins der
schönsten unter jenen philosophischen Dichtungen
Goethes, die für ihn so charakteristisch sind wie für
Schiller dessen ganz anders geartete Gedankenlyrik.
Goethe spielt hier mit dem Gedanken der Seelen-
wanderung, indem er das Schicksal befragt, was ihn
zu der Geliebten zwinge. Str. i, " Wähnend " :
hoffend, und dabei doch "Hangend und bangend"
" Gewühle " : ein Goethischer Ausdruck für das
unruhige Treiben der Welt, oder, wie hier, des
Herzens. Str. 2, "Dumpf" : ohne klare Absicht
und Einsicht. " Schweben " : sich ohne feste Grund-
lage hin und her bewegen. Das ganze Gedicht ist
erfüllt von solchen Ausdrücken, die der Dichter sich
zu seinem individuellsten Gebrauch geprägt hatte.
"4
ANMERKUNGEN
Str. 4, " wie die reinste Nerve...": Gleichnis von der
wohlgestimmten Saite.
S. 29. Und ich geh... Str. i, "Wiese" : zunächst ganz
wörtlich zu verstehen von der Wiese an der sein
Gartenhaus lag. Str. 2, '•' des Herren " : des Herzogs.
Die zweite Strophe ist wieder fast ganz in jener
Geheimsprache persönlicher Prägungen verfasst.
S. 29. Aus dem Zauberthal. Str. I, "umtrübt'': trübend
umgiebt.
S. 30. Um Mitternacht^^ : ein Elfenlied.
S. 30. Sag, ich' s euch... Str. 2, " Freud- und Schmerzen " :
so liebt Goethe die beiden sich ergänzenden Pluralia
oder ähnliche zusammengehörige zu Einem Begrifi
zusammenzuziehn. '•' Dichte, dichte, dicht " :
emphatische Wiederholung.
S. 32. Cupido, loser eigensinniger Knabe...: ein Gedicht, das
Goethe besonders lieb war. Am 6 April 1829 hat
er mit Eckermann über seinen Ton und die laut-
malende Kraft des Versmasses lehrreich gesprochen.
S. 33. Zueignung: ursprünglich als Prolog zu den
didaktischen ■'•Geheimnissen " gedacht. Das Gedicht
ist für Goethes Auffassung seines Dichterberufs
aufklärend wie kein zweites und zugleich ein
Meisterstück anschaulicher Allegorie. Str. i : das
physische Emporsteigen als Bild des geistigen.
Str. 2-3: eine Kunst der Beobachtung und Schil-
derung von Wolkengestalten, wie sie nur dem
geübten Auge des Meteorologen gelingen konnte!
Str. 7 : die Wahrheit, in deren Dienst er zur Zeit des
" Sturmes und Dranges " mit vielen Gespielen
"geirrt" hatte, während er jetzt mit seiner neuen
klassicistischen Erkenntnis alleinsteht; noch hatte
er, als er dies schrieb, die Stellung nicht wiederero-
bert, die ihm sonst " Götz " geschaffen hatte. Str. 8,
"Übermensch": das durch Nietzsche berühmt
gewordene Wort, von Goethe nicht zuerst geprägt,
stammt bei jenem von hier. Str. 9 : der ewige Kon-
flikt zwischen P^ita contemplativa und activa.
Str. 11: der wunderbare Schleier, wohl dem der
Leukothea bei Homer nachgebildet, kehrt am
Schluss der " Helena" im zweiten l'eil des " Faust"
wieder.
"5
ANMERKUNGEN
S. 36. Vorklage. Goethe hat das Un künstlerische, das
eigentlich in jeder Gedichtsammlung liegt, durch
feinsinnige Anordnung zu überwinden gewusst, wie
zuerst Wilhelm Scherer gezeigt hat.
S. 37. Heidenröslän : individualisirende Bearbeitung
eines Volksliedes, im Ton diesem gleichend.
S. 38. Der Musensohn : Mittelpunkt einer Gruppe von
Liedern, die Komposition und Gesang erfolgreich
herausfordern.
S. 39. Gefunden : bezieht sich auf Christiane Vulpius.
S. 41. Der GoldschmieJgeseU. Ein Reim ist durch alle
Strophen durchgeführt.
S. 42. Glück und Traum : ein frühes Gedicht, das unter
den lebensvolleren ein wenig leer wirkt; es ist um
die schöne Schlusswendung- gedichtet.
S. 43. An Luna: ebenfalls ein älteres Gedicht. Str. i,
'•' das erste Licht " ist natürlich die Sonne. Str. 2,
'•Durch das g'läserne Gewitter": durch das ver-
gitterte Fenster.
S. 44. N'dJie des Geliebten: 1795 als Gegenstück zu
einem Lied der Dichterin Friederike Brun verfasst,
welches beginnt: ''Ich denke dein, v^enn sich im
Blütenregen Der Frühling malt." Die Melodie —
Zelter hatte das erste Lied komponirt — hatte nach
Goethes späterem Geständnis an Zelter für ihn
'•'einen unglaublichen Reiz;" er eignete sie sich
an, indem er ihr ein eigenes Gedicht unterlegte.
S. 47. Meeres Stille — Glückliche Fahrt : Meisterstücke der
Lautmalerei.
S. 48. Mut: hiess ursprünglich '•' Eislebenslied,"
womit das vom Eislauf genommene Gleichnis klarer
angedeutet wird.
S. 48. Willkommen und Abschied: aus dem Sesenheimer
Liederbuch. Der Seelenzustand des aufgeregten
Reiters ist mit grossartiger Kunst wiedergegeben.
S. 49. Neue Liebe neues Leben: an Lili ; ebenso das
folgende.
S. 52. Mit einem gemahlten Band. Dieser damals beliebte
Liebesgruss ward an Friederiken gesandt.
S. 53. An Lottchen: wieder eins jener wunderbaren
Gedichte, in denen des Dichters persönlichstes
Empfinden sich zu Weltempfindung erweitert —
116
ANMERKUNGEN
Gedichte, wie es sie vor Goethe nicht gab. '' Ohne
Sturm und ohne Ruh " : ohne rechte Anstrengung
und ohne rechte Ruhe. '-'Die so oft dich trog'':
man beachte die Kraft dieser kurzen inhaltsvollen
Zeile!
S. 54. Auf dem See. Die Empfindungen des Dichters, der
auf dem Boot langsam dem Ufer zu treibt und aus
der Allheit der Natur heraus ins fest Umgrenzte
fährt wird mit wunderbarer poetischer Kraft ohne
alle Hilfsmittel poetisirender l'echnik gegeben.
S. 56. Frühzeitiger Frühling : " wahrscheinlich 1801
entstanden, als Goethe nach schwerer Krankheit den
frühzeitigen Frühling dieses Jahres seinem Land gut
Oberrossla bei Weimar genoss " (L. Blume in seiner
guten kommentirten Auswahl Goethischer Gedichte).
S. 58. Rastlose Liebe: Ilmenau 6 Mai 1786 entstamien ;
kurz vorher hatte Goethe aus dem Städtchen
geschrieben: "Hier ist den ganzen Morgen Schnee."
Leidenschaftlichster Ausdruck der Liebesunruhe;
ein so individuelles Seelengemälde, wie sie die Lyrik
erst seit Goethe kennt.
S. 59. Schäfers Klagelied : bildet mit ''Jägers Abendlied "'
und "Wandrers Nachtlied " eine Gruppe von
Seelengemälden, die durch eine geeignete Scenerie
und ein sorgsam gewähltes Kostüm in ihrer
Wirksamkeit verstärkt werden. Das Gedicht ist
volkstümlich gehalten und bedient sich wirklicher
Reminiscenzen aus dem Volkslied, Es ist die
träumerische Stimmung eines mit halbem Anteil an
den Dingen in der Natur dahinlebendeii Mannes zu
vergegenwärtigen, wie sie Goethe etwa bei geschäft-
lichen Ritten überkommen mochte. Der Hauptton
liegt auf dem Unwillkürlichen, Instinktiven der
Empfindung und Handlung.
S. 59- Trost in Thränen. Auch hier sind die beiden ersten
Strophen nahezu wörtlich einem Volkslied ent-
nommen. Str. 3, " Vertraue den Verlust " : komme
vertrauend über den Verlust fort (nicht etwa:
" Vertraure"!).
S. 61. Nachtgesang: ebenfalls durch ein Volkslied (und
seine Melodie!) angeregt, diesmal aber ein italien-
isches mit dem Refrain: "Dormi, che vuoi di piu?"
117
ANMERKUNGEN
In jeder Strophe wird ein Vers der vorigen auf-
genommen und als musikalisches Thema variirt, wie
denn überhaupt das Lied mehr eine musikalische
Stimmung erwecken als einen bestimmten Inhalt
bergen soll. Es ist auf diese Weise ganz auf zwei
Reime gestellt, die zugleich die herrschenden
Gedanken tragen : den Gegensatz der träumerischen
Ruhe auf dem Lager, in der der halb Schlummernde
sich den "ewigen Gefühlen hingiebt," zu dem
''irdischen Gewühl" des hellen lauten Tages.
Selten hat selbst Goethe den melodischen Reiz dieser
Komposition erreicht.
S. 6i. Sehnsucht : wahrscheinlich an die jugendlich
liebliche Silvie v. Ziegesar gerichtet, die in einem
nah gelegnen " Bergschloss " den Stammsitz ihrer
Familie hatte. — Die mehrmalige Verwandlung des
Liebenden — in den Vogel, den Stern, — bis amSchluss
der Beglückte in seiner wahren Gestalt der Geliebten
zu Füssen liegt ist ein Märchenmotiv, das auch in
dies Gedicht einen volkstümlichen Zug trägt.
Str. 2, " Umfittigen " : kühne Neubildung im Sinne
von '"'umkreisen mit schlagenden Fittigen." Str. 3,
"Sie wandelt am Bache die Wiesen entlang": die
typische Situation der Liebenden bei Goethe.
S. 63. An Mignon. Der Titel ist nicht klar, da eine
weibliche Person (Str. 4) spricht; ist etwa "an"
hier so zu verstehn, dass das Gedicht an den Mignon
-cyklus anzuhängen wäre ? — Auch hier liegt eine
fremde, wieder eine italienische Anregung vor. Die
"schöne Mailänderin," die der Dichter in Castel
Gandolfo geliebt hatte,, entliess ihn mit den Worten :
" Ihr seid glücklich. ..Schon lange seh ich vor meinem
Fenster Schiffe kommen und abgehn, ausladen, und
einladen ; das ist unterhaltend, und ich denke
manchmal, woher und wohin dies alles " (v. Loeper
in seiner grundlegenden kommentirten grösseren
Ausgabe der Gedichte). Man denkt an Tennyson's
"Lady von Shalott " : die stille beschauliche
Einsamkeit der Frau im Gegensatz zu dem
"Gewühle" der arbeitsamen Männer. — Das Reim-
paar " Schmerzen : Herzen " ist durch alle Strojihen
durchgeführt, Goethes jetziger Neigung ent-
118
ANMERKUNGEN
sprechend, die zwischen den Gliedern eines Gedichts
gern verbindende " Verzahnungen " anbringt. Es
ist der häufigste Reim der deutschen Sprache, aber
wie wirkt er hier so gar nicht trivial, so aus der
Situation heraus neu erfunden! Str. 4, "Herz im
Herzen " : das innerste des Herzens, cor cordls.
S. 64. An ein goldnes Herz : wieder ein Lililied, Die
Nachbarschaft ist durch das Spiel mit dem Worte
''Herz" (Str. 2) veranlasst.
S. 65. Wandrers NachÜieJ. " Am Hang des Ettersberg,
den 12 Februar 76" steht auf der Handschrift.
Dieser wunderschöne Ausdruck einer tiefen Nacht-
stimmung bringt wieder das unruhige Treiben der
Welt zu der Sehnsucht nach Ruhe in Gegensatz.
V. 2 und V. 6 in ihrer kühnen Konstruktion
entsprechen sich refrainartig.
S. 65. Ein gleiches. Dies berühmte Nachtlied schrieb
Goethe in der Nacht vom 6 zum 7 Sept. 1780 mit
Bleischrift auf die Wand des Bretterhäuschens auf
dem Gickelhahns, dem höchsten Berge bei Ilmenau.
"Noch im August 1831, also ein halbes Jahrhundert
nach ihrer Entstehung und kurz vor seinem Tode,
" recognoscirte " er sie an Ort und Stelle " (Briefwech-
sel mit Zelter, 280). Als er damals das Lied
überlas — wusste später sein Begleiter zu berichten —
strömten ihm die Tränen über die Wangen. Die
Augen trocknend, soll er mit wehmütigem Ausdruck
die Worte wiederholt haben: "Warte nur, balde,
balde ruhest du auch 1 "
S. 65. Jägers Abendlied: eins der schönsten unter den
herrlichen Mondliedern Goethes. — Der Reim mit
" Bild " ist nur durch die erste Hälfte durchgeführt.
S. dd. An den Ädond : ursprünglich 19 Januar 1778 an
Frau V. Stein übersandt als ein Klagelied, nachdem
sich die junge Christiane v Lassberg in der Um
ertränkt hatte und der Dichter des "Werther" für
ihren Selbstmord verantwortlich gemacht worden
war. Das Gedicht musste daher später starke, nicht
immer glückliche Änderungen erleiden. Die ur-
sprüngliche Fassung in den "Briefen an Frau v.
Stein "... Der Dichter wandelt wieder am Fluss die
Wiese entlang und hört in der still gewordenen
1:9
ANMERKUNGEN
Natur nur noch die ewigen Elementartöne. Die
Stimmung milder Menschenscheu überkommt den
Einsamen und die einzelnen Strophen lässt er sich
von dem treueren Freund, dem Fluss, reihe nach
zuflüstern.
S, 67. Gesellige Lieder : für eine wirkliche Tafelrunde
von Freunden verfasst.
S. 67. Bundeslied. Dies Gedicht ist älter und schon 1775
auf die Hochzeit eines Freundes gedichtet.
S. 69. Tischlied. ••' Die erste Strophe ist eine freie Wieder-
gabe der zweiten Strophe des bekannten Studenten-
liedes aus dem 12 Jahrhundert: Meum est propositum
in taberna mori " (v. Loeper). Dies war von Bürger
verdeutscht worden ; man schrieb es dem Engländer
Walter Map zu. Wie im Original wird in jeder
Strophe ein Reim viermal wiederholt. — Das Hoch
gilt zuerst dem Fürsten als dem Mittelpunkt des
Kreises, dann den Herrscherinnen über die Herzen
der Genossen, diesen selbst, schliesslich allen in
braver Gesinnung Verwandten.
S. 71. Gcneralbeichte : der Titel vielleicht von Schiller.
Das Alotiv der scherzhaften Beichte ist in der mittel-
alterlichen Dichtung und in der Zeit des Humanismus
beliebt : für Goethe scheint (nach Vosslers Nachweis)
ein solches Gedicht des Lorenzo de Medici als Vorbild
gedient zu haben. Der Protest gilt dem philiströsen
Lebensdilettantismus, der keine günstige Gelegenheit
rechtschaffen auskostet.
S. 72. O^ne Tafel : Bearbeitung eines Scherzgedichts
von La Motte mit dem Refrain '•' Va-t'en voir s'ils
viennent, Jean."' Der Schluss gehört Goethe, "der
das biblische Gleichnis von den geladenen Gästen,
Lucas 14, 17-23, von früh an poetisch zu verwenden
liebte " (v. Loeper) — Die Reihenfolge ist ungefähr
dieselbe wie im •'■' Neujahrslied."
S. 74. Rechenschaft : veranlasst durch einen Brief von
Goethes Freund Zelter vom 30 Dec. 1809 : «<Fast
hätte ich aber auch Lust, die deutschen Poeten bei
Ihnen zu verklagen, die sich in ihren Liedern gar zu
ernsthaft ausgeben, und ich dächte, Sie redeten die
guten Leute einmal fröhich an, sich nicht gar zu
pensiv und finster vernehmen zu lassen ; man müsste
I2Q
ANMERKUNGEN
ja wohl des Wimmerns und Ächzens im gemeinen
Leben sich voll ersättigen können." Schon am 14
Feh. 1810 empfing Zelter das Gedicht, das er nun
seinerseits sofort komponirte : eine gemeinsame
Arbeit zu polemischen Zwecken, wie wenn Goethe
mit Heinrich Meyer Manifeste gegen neue Richtun-
gen der Malerei ergehn liess. Im Übrigen ist dies
Aufzählen guter Werke, auch eine Art von General-
beichte, ein Gegenstück zu dem Katalog böser
Werke z. B. der Hexen im '-'Macbeth." Str. 3,
'•'Kegel" : eigentlich uneheliches Kind, hier (dem
Reim zu lieb !) überhaupt für ein schwächliches,
zurückgesetztes Wesen. "Mannsen" : volkstümlich
lustiger Ausdruck. Str. 5, '«'wollte mich erneuen ":
gegen die Goethe unsympathischen Bestrebungen
der Patrioten, auf ganz neue Wege zu lenken, die
freilich eine grössere Berechtigung hatten, als der für
die Kontinuität der Kultur fürchtende Dichter glaubte.
Str. 6, " Druckser " : der sich mit falscher Beschei-
denheit duckt und ächzt. Str. 7 : die Ungerechtig-
keit der Schlussstrophe ist nur aus der allgemeinen
Stellung Goethes zu begreifen, der nun einmal im
kulturellen Fortbau auf der alten Basis durch keine
deutschtümliclien Tendenzen behindert sein wollte.
S. 78. ^rgo bibamus. Auch dies noch heut gern gesun-
gene Lied verdankt einer äussern Anregung seine
Entstehung. Goethe erzählte März 18 10 von dem
wunderlichen Schulmann Basedow, mit dem er einst
zusammengereist, und der zu behaupten pflegte, " die
Konklusion ergo bibamus passe zu allen Prämissen.
Es ist schönes Wetter, ergo bibamus ! Es ist ein
hässlicher Tag, ergo bibamus! Wir sind unter
Freunden, ergo bibamns ! Es sind fatale Burschen
in der Gesellschaft, er^ro bibamus." Dies reg-te
Goethes Gesellschafter, den Philologen Riemer, zu
einem Gedicht an, dem wiederum Goethe selbst das
seine folgen Hess. Str. 3, " sich schmorgt " :
vulgärer Ausdruck, etwa : in Fetzen abfällt.
S. 79. Balladen : episch-lyrische Dichtungen, an denen
vor allem das berülimte Balladenjahr 1797, das Jahr
des Wetteifers mit Schiller, reicli war.
S. 79. Mignon. 1784 für den Roman " Wiliielm
121
ANMERKUNGEN
Meister " gedichtet. Das wunderbare Lied gibt der
Sehnsucht Goethes nach Italien Ausdruck, die ihn vor
seiner Reise fast krank maciite. Wie die Land-
schafter jener Tage erst die Vegetation zeichnen,
sie dann durch eine heroische Architektur beleben,
so geht auch der Dichter %'or ; die dritte Strophe
malt dann den Weg über die Alpen zu dem ersehnten
Ziele. Str. 3 : dass die Cäsur den niederstürzenden
Bach teilt (•'•und über ihn die Fluth"), pries der ber-
ühmte Ästhetiker Vischer als eine besondere Schönheit
des an ergreifender Lautmalerei reichen Gedichtes.
S. 80. Der Sänger : um 1783. Die typische Situation
des Sängers bei Hofe zum Ruhm des Dichters ausge-
deutet, dem seine göttliche Gabe reichster Lohn ist.
Schiller äusserte ähnliche Gedanken.
S. 81. Da$ Veilchen', schon von 1774. Die stille Erge-
benheit hinsterbender Liebe an einem volkstümlichen
Symbol Tcrherrlicht ; es ist Goethes •'* Ritter Toggen-
barg."
S. 82. Erltönig : 1782 für das Singspiel " die Fischerin "
gedichtet, von der Sängerin Corona Schröter, der
Freundin des Dichters, zuerst komponirt und ge-
sungen. Der ••Erlkönig" ist eigentlich ein Elfen-
könig, der die geheimnisvoll unheimliche Stimmung
des unbelebten nächtlichen Waldes darstellt. Das
Gedicht ist ein durchaus '•' modernes," indem es den
pathologischen Zustand des aufgeregten und nicht
zn beruhigenden Kindes mit grösster Kunst des Ein-
fuhlens veranschaulicht ; und doch gehört es in jene
gern mit volkstümlichen Alärchenmotiven arbeitende
Zeit.
S. 83. Der Fischer : etwa von 1778. Goethe 19 Jan.
1779 an P''2U ^- Stein : '•' Diese einladende Trauer hat
was gefahrlich anziehendes wie das Wasser selbst,
and der Abglanz des Himmels, der aus beiden leuch-
tet, lockt uns." Ibsen hat dieselbe Kraft, die lockt
und zieht, auf seine Art in dem fremden Mann der
'•'Frau von Meere" symbolisirt.
S. 84. Der König in Thule : die älteste Ballade Goethes,
1773 anzusetzen. ** Thule" bezeichnet von den
Alten her ein in romantischer Ferne liegendes
Eiland.
122
ANMERKUNGEN
85. Der Schatzgräber : 1797 durch ein Bild angeregt.
In einer Übersetzung einer Schrift Petrarcas fand
Goethe eine Abbildung mit der '•' artigen Idee, dass
ein Kind einem Schatzgräber eine leuciitende Schale
bringt." Die Schale ward dem Dichter zum Sinnbild
fröhlichen Lebensgenusses und so entstand die eigen-
tümliche episch-lyrisch-didaktische Kunstwerk. —
Man beachte die Kunst der Reimordnung, die sym-
bolisch "Kreis um Kreise" zieht.
86. Der Zauberlehrling : 1797 nach einer Erzählung
bei Lucian, der ähnliche Sagenmotive bei neueren
Völkern zur Seite stehen. Das Gedicht tritt drama-
tisch auf als Monolog des Lehrlings, den am Schluss
der Meister ablöst. Str. i, <'Wort und Werke"
gehören zu jedem Zauberbrauch : Zauberspruch und
rituelle Handlung.
89. Die Braut -von Korinih : 4-5 Juni 1797 ; nach
einer antiken Quelle. Das Interesse für die —
vorzugsweise slavischen — Vampyrsagen half der
Entstehung. Mit dem '' König in Thule " und dem
" Gott und der Bajadere " bildet das Gedicht den
Höhepunkt der Goethischen Balladenkunst. Den
persönlichen Anteil des Dichters erweckte seine
Abneigung gegen die neu auftauchende romantische
Religiosität und Unduldsamkeit. Str. 4, '"'Dass er
angekleidet..." : der Dichter Chamisso entdeckte
auf seiner Weltumsegelung, dass der Vers eine
Hebung zu viel hat. Str. 7, "Ceres Gabe" : Brot
(vgl. Str. 14); die Toten schlürfen Wein, nehmen
aber keinerlei feste Nahrung zu sich. Die Kunst
der Sprache und des Versbaus ist auch hier
unvergleichlich. "Wie kontrastiren die lang
gezogenen ersten Verse mit dem kosenden Getändel
der zwei kurzen Zeilen, und wie innig sind sie durch
den langen feierlichen Schlussvers zusammengehalten,
grade wie Tod und Leben, wie Grabesschauer und
stammelndes Liebesgeflüster in der Ballade sich
verweben " (M. Carriere).
96. Der Gott und die Bajadere : 6-9 Juni 1797, also
unmittelbar nach der '•' Braut von Korinth " gedichtet.
Nach indischer Quelle, aus der Goethe den grossen
auch christlichen Gedanken der Entsühnung
123
ANMERKUNGEN
durch liebende Aufopferung heraus las. Str. i,
•'Mahadöh"" : der grosse Gott. Eigentlich ist es
Wischnu, der in mancherlei Gestalten auf Erden
wandelt. Diese Mischung des Göttlichen und
Menschlichen bildet der starke Rhythmuswechsel
ab. Str. 9 : das Bild der Schlusstrophe ward durch
Andachtsgemälde an die Hand gegeben, in denen die
Heilige unten im Sarkophag beigesetzt wird und
oben in den Lüften von Christus empfangen.
S. 99. Paria. Goethe lernte die indische Quelle früh
kennen und trug sich 1816-1821 mit der Idee, die
dann durch die Tragödie ''le Paria" von Casimir
Delavignefreigemacht wurde. Wie der greise Dichter
Trilogien liebt, hat er auch diesen Stoff in eine solche
gelegt. Str. i, *<die Bramen : " den Stand der
Priester; '-'die Rajas " : die Fürsten. Str. 2: der
Paria nährt sich von dem, das die höheren Stände
verwerfen. Str. 5 : der Anblick göttlicher Schön-
heiten stört die Andacht der Frommen in manch
indischer Legende.
S. 105. Elegien. Die '•' Römischen Elegien " entstanden
erst in Deutschland nach der Heimkehr, als der
Dichter sich eine Fortdauer der italienischen
Zustände an Christianens Seite vorzutäuschen
suchte. L : die vorbereitende Stimmung, wie
im Anfang von "Romeo und Julia." IL, "das
traurige Spiel " : Goethe blieb dem Kartenspiel
abgeneigt, das in jenen Jahren erst so recht die
Gesellschaft eroberte. — "Alalbrough" : Malbrouck
s^en va-t-en guerre, mirontonton, mirontain. V.: ^'noc-
turna "veriate manu, "versate diurna.^^ — Dass die Plastik
wesentlich auf den Tastsinn angewiesen sei, hatte
Goethes Lehrer Herder verkündigt. — "Seinen
Triumvirn" : den "Triumvirn der Liebe," Catull,
Tibull, Properz. VII. "Jupiter Xenius," der Hüter
der Fremden, der " wirthliche Gott." — "Cestius'
Mal," wo der Friedhof der Nichtkatholiken war.
VIII. "Als ein besonderes Kind" : ein Kind von
eigener Art. XI. Auch die berühmte Schilderung
der antiken Göttertypen bildet Anregungen Herders
genial weiter. Xll. "Der Profane" der nicht in
die Mysterien eingeweiht war. — Goethe scheint die
124
ANMERKUNGEN
Einführung des Neophyten nach dem Bild der Frei-
maurerweihe zu schildern ; mit Wieland gehörte ei
seihst der Loge an. XIII. : Verteidigung der für
die " Elegien " gewählten Kunstform. — '•' Dich,
Aurora " : die Morgenstunde gehörte zu den liebsten
Arbeitszeiten des Dichters. — XV. : der Poet hatte auf
Kaiser Hadrians Reisen das Epigramm gedichtet:
"Ich möchte nicht die Welt regieren, Durch Eng-
land irren, bei den Skythen frieren ! " Der Kaiser
replicirte: "Und ich möcht' nicht wie Florus in den
Gassen mich von den Wirtshauswanzen plagen
lassen!" — "Grösseres sähest du nichts..." : wieder
eine lateinische Reminiscenz aus Horaz, Carmen
taeculare V. g : ^'•Alme Sol...possis nihil urbe Roma viser e
maius \'^ "glücklicher Räuber" : die Sage vom Raub
der Sabinerinnen und überhaupt vom Ursprung
Roms.
S. 122. Amyntas. Goethe notirt 19 Sept 1797 im Tage-
buch der Schweizerreise: "Ein Apfelbaum, mit
Epheu umwunden, gab Anlass zur Elegie Amyntas."
Er dachte an sein Liebesverhältnis mit Christianen,
das ihm so vielfach abgeraten wurde und dessen
Gefahren er selbst auch erkannte, ohne verzichten
zu können. — Die Liebe zu den Elementarmächten
gestellt
S. 125. Die Metamorphose der Pßanzen. 1798 gedichtet,
gibt sich dies wunderbare Lehrgedicht als ein
Versuch Christianen in die Grundanschauungen
von Goethes Entwicklungslehre der Pflanzen
einzuführen. Eigentlich ist es wohl doch mehr ein
Versuch, zwischen den getrennten Reichen der
Forschung und der Dichtung nach dem Muster der
Alten eine Brücke zu schlagen. An ein grosses
Lehrgedicht über die Natur hat Goethe lange
gedacht; nur dies Bruchstück und die "Metamor-
phose der Thiere " kam zu stände.
S. 129. Hermann und Dorothea : 1796 als Ankündigung
des gleichnamigen Epos an Schiller gesandt. Im
Bewusstsein iiirer Gemeinschaft verkündet der
Freund dem Freunde, wie kein Pliilisterium und
keine Splitterrichterei ihn in der Nachfolge der
Alten beirren soll, die seit der italienischen Reise, sein
ANMERKUNGEN
unerschütterliches Evangelium geworden war. Neben
der Dichtung (Römische Elegien !) kommt auch
seine Lebenshaltung zur Sprache, die in dem Liebes-
verhältnis zu Christianen : "der Heuchelei dürftige
Maske verschmäht! " Doch geht der Vers <'Dass
kein Name mich täuscht..." wohl speciell auf die
Kämpfe gegen Newton und seine Farbenlehre.
"Erst die Gesundheit des Mannes..." : des Philo-
logen Wolf, der die Einheit der homerischen Gedichte
bestritt; "des Dichters Geist..." : J. H. Voss.
131. Epigramme : 1790 in Venedig entstanden, "ein
poetisches Tagebuch von Goethes Aufenthalt in Vene-
dig." Str. 2, "die Wiege Virgils" : " bei Man-
tua, den Grenzbezirk Italiens anzudeuten." Str. 3,
" Vetturine " : die Lohnkutscher, denen man sich für
die Reisen in Italien anvertraute ; "die Dogane " : das
Zollamt; "Rinaldo" : den paradiesisch verzauberten
Rinaldo hat Goethe selbst zum Gegenstand einer Kan-
tate nach Ariost gemacht. Str. 4, "Faustinen " : die
Geliebte der "Elegien." Str. 5, "Daphne" : die in
einen Lorbeer verwandelte Nymphe. Str. 7 : bezieht
sich auf Frau v. Stein, die er seit der Flucht nach
Italien verloren hatte. Str. 20, "der neue geflügelte
Kater" : der Markuslöwe, den Gegensatz antiker
und mittelalterlicher Kunst auszudrücken, Str. 22,
"Jupiter Pluvius " : der Gott des Regens. Str. 29:
ungerechte Klage des Dichters, der den Wohlklang
der italienischen Sprache einseitig beneidet. Str.
34 : schönes Dankwort an Carl August.
126
ANMERKUNGEN
BAND II
S. I. Sonette : entstanden Winter 1807-8, als eine in
Jena erscliienene Ausgabe von Petrarcas Sonetten
und der Aufenthalt des eifrig sonettirenden Roman-
tikers Zacharias Werner den Dichter reizten, sich in
dieser Form breiter zu versuchen, die er erst abgelehnt,
dann nur gelegentlich angev^'-andt hatte. Die Sonette
gelten überwiegend Minna Herzlieb, der Pflegetochter
jenes Verlegers Frommann, bei dem die Petrarca-
Ausgabe herausgekommen war. Man darf sie nicht
zu den höchsten Kunstleistungen des Dichters rechnen,
der in der musikalischen Lyrik seinen Thron hatte.
Doch haben sie für die Einbürgerung des Sonetts
viel geleistet, das eine Zeit lang alleinige Domäne
der Romantii^er bleiben zu sollen schien.
S. I. Mächtiges Überraschen : der Strom — wie in " Maho-
mets Gesang " und sonst — als Gleichnis für die
"dämonische" Persönlichkeit; Ureas, die Berg-
nymphe, als Vertreterin des unerwarteten Lebense-
reignisses : der Liebe. Der Dichter, auf dem
gleichmässigen Wege ins All, wird durch dies
Erlebnis in seiner Rulie aufgestört ; aber die Aufre-
gung ballt sich in die glatte Kunstform des Sonetts
zusammen.
S. 3. Epoche, Am i Advent 1807, 29 Nov., begegnete
der Dichter Minna Herzlieb zum ersten Mal im
Frommannschen Hause.
S. 3. Kluggesang : nach dem Serbischen.
S. 6. Mahomets Gesang : 1772-73 als Dialog für das
Mahomet-Drama gedichtet. In dem Propheten sieht
der Dichter das Wesen des Genies verkörpert und
schildert in dem poetischen Bilde des Felsenquells die
typische Entwicklung der grossgeistigen Erol)ercr.
127
ANMERKUNGEN
S. 8. Gesang der Geister über den fVassern : 1779 ^^^ ^^^
Schweizer Reise den Wasserfällen abgelauscht. Man
beachte, wie prachtvoll sich der Rhythmus und die
Klangfarbe jeder Bewegung des Gedankens ansch-
miegen !
S. 10. Meine Göttin : 15 Sept. 1780 an Frau v. Stein
geschickt. Str. 3, ''Sommervögel" : Sclimetterlinge.
S. 12. Harzreise im Winter : die Reise fand 29 Nov.-i
Dez. 1777 statt ; sie galt eigentlich einem unglück-
lichen Hypochonder, Plessing, der sich hilfesuchend
an den Dichter gewandt hatte. Goethe hat selbst
anlässlich einer Abhandlung von 1820 (•'•'Über
Goethes Harzreise im Winter, von Dr Kannegiesser ")
sich in ausführlichem Kommentar über das schwierige
Gedicht geäussert. Str. 2 und 6 beziehen sich auf
Plessing, den er als Verteter des unglücklichen
Lebensverfehlens zu sich selbst in mitleidsvollen
Gegensatz bringt. "Seine herzliche Teilnahme
ergiesst sich im Gebet " (Str. 7). Str. 8, " die Brüder
der Jagd" : "der Dichter erinnert sich seiner engver-
bundenen Freunde, welche grade in dieser Jahreszeit
und Witterung eine bedeutende Jagd unternehmen,
um das in gewisser Gegend sich mehrende Schwarz-
wildpret zu bekämpfen." Str. 10, '•' des gefürchteten
Gipfels..." : der Brocken ist der Sitz mancher
Spuksage. Str. 11 "Du stehst..." : "' Hier ist leise
auf den Bertrbau bedeutet. Der unerforschte Busen
o o
des Hauptgipfels wird den Adern seiner Brüder
entgegengesetzt. Die Metalladern sind gemeint, aus
welchen die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit
gewässert werden."
S. 15. An Schivager Kronos '. IG Okt. 1774 im Postwagen
gedichtet. " Schwager " : volkstümlich gemütliche
Benennung für den Postillon. Str. i : dein Zaudern
verursacht mir ein Gefühl des Unbehagens, eine Art
Seekrankheit, wie man sie beim Boot fühlen kann,
wenn es zu lang an der Landungsstelle hält. — Die
Fahrt wird Sinnbild des Lebens und seiner wechseln-
den Momente. Str. 5 "Entzahnte Kiefer" : die
ihre spitzen Nasen verloren haben. Str. 6 "Trunk-
nen..." : kühne latinisirende Konstruktion.
S. 16. PVandrers Sturmlied : aus der Zeit vor der Abreise
128
ANMERKUNGEN
nach Wetzlar. April 1772. '•' Ich sang diesen
Halbunsinn leidenschaftlich vor mich hin, da mich
ein schreckliches Wetter unterwegs traf, dem ich
entgegengehn musste." Str. i : der '•' Genius " wie
das Daimonion des Sokrates. als ein selbständiger
Schutzgeist des '•' dämonischen " Menschen gedacht.
Str. 2, ''Deukalions Flutschlamm" : der nach Ablauf
der Sintflut auf der Erde geblieben war. Str. 5, "der
Sohn des Wassers und der Erde'' : der durchnässte
Boden. Str. 7, '•' Der kleine schwarze feurige Bauer ''
ist als ein wirklich auf dem Wege erblickter aufzu-
fassen. "Vater Bromius ■' : Bacchus. Str. 8 : eine
Art Gedankenfiucht ist für die Improvisation char-
akteristisch. Die " Musen und Charitinnen," kaum
angerufen, sind Begleiterinnen geworden ; die Nen-
nung des Bromius führt zu seiner Anrede, da der
duchnässte Dichter sich nach dem wärmenden Trunk
sehnt : höchster Schwung der Poesie und realistische
Wiedergabe der Stimmung unmittelbar verschwistert.
Str. 9, "Mittelpunkt"*: ein Lieblingsausdruck aus
den ästhetischen Theorien des jungen Goethe, hier
ohne Vermittlung herausgeschleudert. Str. 11,
•'Tändelnden ihn" : wieder jener Latinismus. Die
folgenden Verse erfüllt von Erinnerungen an Dicht-
ungen des Anakreon, Theokrit, Horaz. — Der Schluss
kehrt wieder von der den Wanderer geleitenden Muse
zur prosaischen Wirklichkeit zurück.
20. Seefahrt: 1776 entstanden, als die grosse Wendung
im Leben des Dichters auch wohlwollende Freunde
mit Sorge erfüllte (v. Loeper). Inhaltlich stehen
" Meeresstille " und " Glückliche Fahrt " nahe.
Str. 2, "Rückkehrendem" : Latinismus. Str. 3,
"entjauchzt" : weckt durch Jauchzen. Str. 4,
" Einschiffmorgens " : Morgen des EinschifTens. —
Die Meisterscliaft in Beherrschung der neugewon-
nenen Form der "freien Riiytiimen " zeigt sich
besonders in der Schilderung des heranbrausenden
Sturms.
21. Prometheus : 1774 gedichtet, ein selbständiger
Monolog neben dem begonnenen Drama. Die
Stimmung des genialen Individualismus hat niemals
grossartigeren Ausdruck gefunden. Aber Prome-
188 Z29
ANMERKUNGEN
theus ist nicht schlechtweg Goethe 1 — Berühmt ward
die Dichtung noch durch die Rolle, die sie in dem
Kampf zwischen den Philosophen Mendelssohn und
Jacobi um Lessings Spinozismus spielte : Lessing
hatte das Gedicht seinem Inhalt nach gebilligt, was
den Theisten Alendelssohn entsetzte.
S. 23. Gani/med '. etwa gleichzeitig oder (nach Köster)
schon etwa um 1772. Das aus der Frühlingserde
dringende Lebensgefühl hebt den Dichter gleichsam
physisch in die Höhe, wie Ganymed zu Zeus
emporgetragen wurde.
S. 24. Gräfizen der Menschheit : gleichsam ein Widerruf
des '•' Ganymed," in dem der begeisterte Mensch sich
''aufwärts hob." Str. 2, "Berührt mit dem Scheitel
die Sterne" : horazische Reminiscenz.
S. 26. Das Göttliche : 1775? Dem didaktischen Ton ent-
sprechend sind die freien Rhythmen zu gleichartigeren
Strophen geordnet. Str. 7, "Er kann dem Augen-
blick Dauer verleihen " : in Goethes Ausdruckweise
das besondere Vorrecht des verewigenden Dichters.
S. 28. Lili's Park : natürlich aus der Zeit des Kampfes
mit Lilis Koketterie. Str. 6, " Filetschurz" : "Knoten
einer weiblichen Handarbeit" (v. Loeper).
S. 32. Liebebed'iirfniss : 2 Nov. 1776 unter dem Titel " An
den Geist des Johannes Secundus," des durch sein
Gedichtbuch " Basia " ("Küsse ") berühmten Human-
isten.
S. 33. Morgenklagen : "aus der Zeit der ersten Verbin-
dung mit Christiane Vulpius, dem Hochsommer
1788;" inhaltlich den "Römischen Elegien" nahe
verwandt.
S. 35. Der Besuch : gleicher Zeit und gleicher Art.
Wir besitzen eine Handzeichnung Goethes, die
Christianen so auf dem Sofa schlafend darstellt.
Str. 5, "Hielte" : veraltete Form.
S. 37. Der Becher : Sept. 1771. Str. 4, " Lida " : Kose-
form für Frau v. Stein.
S. 38. Nachtgedanken : 20 Sept. 1781 an Frau v. Stein.
S. 38. An Lida : Okt. 1781 an Frau v. Stein.
S. 38. Im Vorübergehn : 1813, als Goethe sein 25 jähriges
Jubiläum mit Christiane feiern konnte. Volkstüm-
lich, dem " Heideröslein " zu vergleichen; auch die
130
ANMERKUNGEN
ungenauen Reime wie " schleuning : heimlich" sind
wohl archaisirender Absicht zuzuschreiben.
S. 39. Aus Wilhelm Meister ', 1783-95 entstanden.
S. 40. So lasst mich scheinen .. . : aus der Situation im Roman
zu verstehen : Mignon ist in ein weisses Gewand
gekleidet, '"'Den Gürtel und den Kranz" : Symbole
der Jungfräulichkeit. — Im übrigen zeigen grade
diese tief ergreifenden Gedichte, mit welcher Kraft
Goethe in seinen Figuren allgemein menschliche
Empfindungen restlos auszudrücken verstanden hat.
S. 42. Philine : die Repräsentantin heiterer, ja lockerer
Lebensanschauung im Roman. Str. 7, ''Jeder Tag
hat seine Plage " : ein bekanntes Bibelwort halb
parodistisch fortgesetzt.
S. 44. Antiker Form sich nähernd : ungefälliger Gesamttitel
für eine Reihe von Dichtungen in antiken Massen,
zumeist Epigrammen im alten Sinn des Wortes.
"Erwählter Fels" : auf einem Stein im Weimarer
Park noch heut zu lesen. ''Schweizeralpe" : 1797
auf der Schweizerreise gedichtet ; damals begann der
Dichter zu ergrauen.
S. 46. An Personen : die Überschrift ist nicht schön.
Aber da der Dichter seine poetischen Hervorbringun-
gen sonst als " Bruchstücke einer grossen Beichte"
zusammenfasste, musste er wohl die abgrenzen, die
einer mehr äusserlichen Anregung ihr Dasein ver-
danken. Freilich befinden sich unter diesen auch
Dichtungen von persönlichstem Charakter, wie
gleich " Ilmenau."
S. 46. Ilmenau. "Am 3 Sept. 1783 " Goethe hatte sich
bemüht, in Ilmenau, wo sonst der Herzog gern zur
Jagd weilte, das alte Bergwerk wieder in Betrieb zu
bringen. Nun stand dessen Wiedereröffnung bevor :
das gab wohl den äussern Anlass zu der herrlichen
Dichtung. Der Dichter übersieht bei dieser Gele-
genheit sein ganzes bisheriges Wirken in den Landen
des Herzogs; als seine eigentliche Aufgabe erscheint
ihm die Einwirkung auf den Fürsten, aus dessen vom
Ungestüm verwirrter Seele das edle Metall heraus-
zuholen ist." Bedenkt man, wie diese Verse sich
unmittelbar an den Herzog selbst richten, so erstaunt
man über den tapfern Freimut des Mannes, den man
ANMERKUNGEN
so oft als unterwürfigen Höfling zu schildern gewagt
hat, — Die poetische Situation ist die, dass nach der
Anstrengung einer Jagd der Herzog mit seinem
Gefolge im Walde ausruht ; Goethe sitzt an dem an-
gezündeten Herdfeuer und betrachtet nachdenkend
die Gruppe. Er erinnert sich früherer Besuche in
diesem Tal. Str. z, •'•' Erhabner Berg " : der Gickel-
hahn, auf dem das " Abendlied '" entstand; "sachte
Hölin " : sanft ansteigende. Str. 3 : Klage über die
übertriebene Jagdlast des Herzogs ; sie kehrt in
Goethes Briefen wieder. ''Der Knappe" : nämlich
der Bergknappe. Str. 4, ••Melodisch": die Worte
fordern kühn zur Würdigung von des Dichters eigner
melodischer Kunst auf. Str. 7, "der Jäger wildes
Geisterheer ; " das Heer des " wilden Jägers ; "
"Ägyptier;" französische Benennung der Zigeuner.
; <•' wie im Ardennerwald " : Anspielung auf Shake-
speares •'•'Wie es auch gefällt." Str. 8 und 9 : Por-
traits zweier Hofleute, von denen einer jedenfalls
Goethes " Urfreund," v. Knebel, ist, der die erste
Bekanntschaft mit dem Herzog vermittelt hatte.
"Ekstatisch faul" : in wahrer Begeisterung der
Trägheit, in begeistertem Genuss des Nichtstuns.
Str. 10 iSchilderung Karl Augusts. " So war er ganz
und gar," sagte Goethe nach dem Tode des Herzogs
zu Eckermann, •'•'es ist darin nicht der kleinste Zug
übertrieben." Str. 11 : Anrede an das eigne Selbst des
Dichters. Str. la, "Von fremden Zonen " : natürlich
nicht geographisch zu verstehen, sondern von dem
Exil aus rein poetischer Lebenstätigkeit. Str. 13 :
Selbstanklagen des Dichters, der sich so kühn an so
schwierige Aufgaben gemacht. Str. 14 : der Erfolg
des " Götz," dem Goethe seine Dichterkrone ver-
dankte. Str. 15 : das Gedicht kehrt zu dem Herzog
zurück. " Durch enges Schicksal abgeleitet " : wie
Hamlet durch eine zu grosse Aufgabe, ist der "dä-
monisch " veranlagte Fürst durch deren Kleinheit
gefährdet : sie zwingt ihn zu zweckloser Vergeudung
seiner Kräfte; "Und was ihm das Geschick..." :
Goethe schrieb Okt. 1780 an Lavater : "Herrschaft
wird niemand angeboren, und der sie ererbte, muss
sie so bitter gewinnen als der Eroberer." Man
132
ANMERKUNGEN
denke auch an die berühmten Verse '•' Was du ererbst
von deinen Vätern hast, erwirb es um es zu be-
sitzen ; " doch ist dort ein inneres Aneignen gemeint,
hier eine unnütze Bemühung. Str. 17 : dass der
Herzog sich waghalsig überflüssigen Gefahren aus-
setzte, bildet ebenfalls ein Hauptthema der Klagen
in Goethes Briefen an Frau v. Stein. Str. 18 : die
Vision schwindet und beruhigt sieht der Dichter
nun auch das Gute um ihn her. Str. 20, '•' der
Winkel deines Landes " : Ilmenau war eine wei-
marische Enklave. Str. 21 : •'•'jener Sämann" :
Matth. 13.
S. 52. Ddr IVatidrer : in Wetzlar 1772 entstanden, ein
Reflex der Wanderungen des unruhvollen Junglings,
ins heroische der Landschaft hineinstilisirt. Das
Gedicht gehörte von Anfang an zu den meistbewun-
derten.— Das Bild der Landschaft rollt sich wie aul
einem Fries ab ; Glieder : die säugende Frau, mit
der der Wandrer spricht; der Wandrer in Betrach-
tung der Tempeltrümmer ; an der Wiege des
schlafenden Knaben; Gebet; Abschied. — ••'Diese
Steine hast du nicht gefügt " : die Natur wandelt
die W'erke der Kunst wieder in Natur um, gleicht
sie sich an. Diese Berührungen von alter Kunst
und Natur bilden den gedanklichen Inhalt des
Gedichtes, wie der Gegensatz des ruhelosen Wan-
derers zu der idyllischen Stille der an ihrer Scholle
festgewurzelten Landleute den Stimmungsgehalt
schartet. (Ahnlich der grosse Gegensatz von Ruhe
und Bewegung in ''Hermann und Dorothea.'')
*•' Ihr Musen und Grazien " : Wielandischer Ausruf.
"Welchen der umschwebt..." : wie in "Wandrers
Sturmlied " latinisirende Konstruktion : quem tu
]S/lelpomene... — Der Schluss wendet das Gedicht zur
Allegorie auf den Dichter, der über Gräber vorwärts
muss, über die verehrten Gräber früherer Kunst. —
Ein herzlich gefühlter Wunsch des "Unbehausten "
als Sciilussakkord.
S. 59. Amor als Lands chaftsmahltr : von der italienischen
Reise wie das Gedicht " Cupiilo, loser eigensinniger
Knabe." — Ein reizendes Märchen in der Art der
Sage von Pygmalion, \^'ie in "Ilmenau" taucht
ANMERKUNGEN
die helle Landschaft, durch den Geist von dem Nebel
befreit, aus der Dämmerung hervor.
S. 6l. Trilogie der Leidemchaft : nur die beiden letzten
Gedichte gehören innerlich zusammen ; das dritte
hat Goethes Neigung zu Trilogien hinzugesellt,
weil es an die Perioden jugendlicher Leidenschaft
erinnert. Goethe sagt i Dez. 1831 zu Eckermann:
*'Dann wollte Weygand eine neue Ausgabe meines
Werther veranstalten und bat mich um ein Vorrede,
welches mir denn ein höchst willkommner Anlass
war, mein Gedicht an Werther zu schreiben. Da
ich aber noch immer einen Rest jener Leidenschaft
(zu Ulrike v. Levetzow) im Herzen hatte, so gestal-
tete sich das Gedicht wie von selbst als Introduktion
zu jener Elegie. So kam es denn, dass alle drei
jetzt beisammenstehenden Gedichte von demselben
liebesschmerzlichen Gefühl durchdrungen worden
und jene "Trilogie der Leidenschaft" sich bildete,
ich weiss nicht wie."
S. 61. An V/erther. Str. i: <' in der Frühe" : zu jener
frülien Zeit, da Goethe und Werther Altersgenossen
waren. Str. 2 : Schilderung typisclien Lebenslaufes ;
man vergleiche die *•' Orphischen Urworte." Str. 5,
"Ein grässlich Scheiden" : halb ironische Erinne-
rung an Werthers Selbstmord. " Gieb' ihm ein
Gott" : Anspielung auf die berühmten Verse des
" Tasso " : " Und wenn der Mensch in seiner Qual
verstummt, gab mir ein Gott zu sagen was ich
leide" — Die Schlussverse führen zu der "Elegie"
über.
S. 63. Elegie : die sogenannte Marienbader Elegie.
Goethes Zeugnis : "Ich schrieb das Gedicht un-
mittelbar als ich von Marienbad abreiste und ich
mich noch im vollen frischen Gefühl des Erlebten
befand. Morgens acht Uhr auf der ersten Station
schrieb ich die erste Strophe und so dichtete ich im
Wagen fort und schrieb von Station zu Station das
im Gedächtnis Gefasste nieder, so dass es Abends
fertig auf dem Papiere stand " Diese Angal)en
scheinen nicht völlig genau, geben aber jedenfalls
die Energie zutreffend wieder, mit der Goethe die
ungeheuere Gemütserschütterung dichterisch ver-
ANMERKUNGEN
arbeitete. Es handelte sich um die leidenschaftliche
Liebe, die den Dichter zu der jungen Ulrike v.
Levetzow ergriffen hatte. Str. 6 : der höcliste
Ausdruck der verzweifelnden Leidenschaft, in dem
alles zu wanken, ja zu vergehn scheint, was der
Greis in einem langen Leben als die selbstverständ-
liche Grundlage aller Existenz angesehen. Str. 7 :
wiederum die Vision der Geliebten, wie sie aus der
erregten Stimmung körperhaft hervorgezaubert
wird. Str. 13, '"'Dem Frieden Gottes..." : Paulus
an die Phillipper 4, 7. Str. 23, ''Pandoren" :
deren Büchse als verhängnisvolles Geschenk alle
Übel enthielt.
S. 68. Aussöhnung : Marienbad 19 Aug. 1823. Vor
allem hatte das Klavierspiel der Virtuosin Fr. v.
Szymanowska ihn begeistert und beruhigt. Die
melodische Überwindung des grenzenlosen Schmer-
zes im Liede hat kein ergreifenderes Denkmal als
dies Gedicht gefunden, das in seinem unmittelbaren
Anschluss an das vorige das wirklich Erlebte un-
mittelbar mit gewaltiger Kraft in die Sphäre des
poetischen Erlebnisses hebt.
S. 68. Aolsharfen : Sommer 1882 ; die beliebte Spiel-
erei der Äolsharfen, an Bäumen befestigter Saiten,
die der Wind zum Tönen brachte, wird von Goethe
symbolisch umgedeutet auf jene Stimmen, die die
Gemütserregung aus der Natur heraushört. Die
Träne erscheint auch hier als einzig mögliche
Losung der ungeheuren Spannung.
S. 70. Mai : 2 Januar 1818. Ein Bild von Corot!
Amoretten durchfliegen den wunderschönen Früh-
lingstag.
S. 71. Zivischen beiden fVe/ten : aus der Zeit der Liebe
zu Frau v. Stein und an sie gerichtet ; sie und
Shakespeare als Schutzgötter seines irdischen und
geistigen Lebens.
S. 71. Gott um/ Welt : Gedankendichtung des Greises,
vorzugsweise mit Schelling übereinstimmend ; spino-
zistisch schon im Titel : '^ Jeus sive natura/ "
S. 71. Proamion : Anruf Gottes, feierlich theologisch
gehalten. Str. 2, "Du findest nur Bekanntes..." :
weil "alles Vergängliche nur ein Gleichnis," nur
135
ANMERKUNGEN
Abglanz des Unfassbaren ist. "Hat schon am
Gleichniss" : '«Am farbigen Abglanz haben wir das
Leben," wie es im "'Faust" heisst... Str. 3, '■ Was
war ein Gott.,." : die berühmte Erklärung gegen
einen ausserweltlichen Gott.
S. 72. Weltseele : Wohl 1881-2; zuerst '«Weltschö-
pfung"" genannt. Es ist ein Gegenstück zum
Schluss der "Helena" im >'•' Faust," w^o sich die
beseelenden Kräfte der Natur wieder in sie auflösen :
so verteilen sie sich hier nach allen Regionen und
erfüllen es mit Leben. Str. 5, "Den wandelbaren
Flor"' : die Wolken. Str. 6, "Das Wasser will
grünen " : "' will Leben zeugen."
S. 73. Dauer im Wechsel : etwa gleichzeitig. Str. 2,
"Ach. und in demselbem Flusse..."' : ein Spruch des
Heraklit, der den unaufhörlichen Fluss der Dinge
ausdrückt. Alles wandelt sich ; nur dem Dichter
ist es gegeben, das Vorüberfliehende festzuhalten,
dem Moment Dauer zu verleihen.
S. 75. Eins und Alles \ Okt. 1821. Der Geist des Ein-
zelnen, des Forschers oder Dichters wird jenen
Naturseelen verglichen, die in unaufhörlichem
Wandel die Welt durchfliegen und beleben. Die
Sehnsucht Werthers, sich im Universum aufzulösen,
um. der drückenden Schranke Individualität ledig zu
werden, kehrt bei dem Greis wieder, aber hofl^end,
wo Werther klagte! — "'Weltseele" : im Anschluss
an Schellings Terminologie die Gesamtheit der
belebenden Kräfte oder ihre Quintessenz. Die
beiden letzten Verse werden von dem nächsten
Gedicht widerrufen.
S. 76. Vermacht niss. Eckermann 1 2 Feb. 1 829 :"' Goethe
lieset mir das frisch entstandene, überaus herrliche
Gedicht : Kein Wesen kann zu nichts zerfallen.
Ich habe, sagte er, dieses Gedicht als Widerspruch
der Verse : -denn alles muss zu nichts zerfallen,
Avenn es im Sein beharren will,' geschrieben,
welche dumm sind und welche meine Berliner
Freunde bei Gelegenheit der naturforschenden
Versammlung zu meinem Arger in goldenen
Buchstaben ausgestellt haben." Tatsächlich han-
delt es sich nur um eine stärkere Betonung der im
136
ANMERKUNGEN
Wechsel beharrenden Individualität. Es ist wirk-
lich das Vermächtnis seiner letzten Philosophie,
deshalb auch in pathetischem Tone vorgetragen,
der doch die Anwendung selbst ein wenig prosai-
scher Kunstausdrücke nicht verschmäht. Str. i,
'•'Das Sein ist ewig" : eben jene Weltseele des
vorigen Gedichts. Str. 2 und 3 im Anschluss an
Kant : " der bestirnte Himmel über mir und das
moralische Gesetz in mir " als die beiden erhaben-
sten Dinge. Parallelismus des Kosmos, der Welt
mit ihrem geordneten Aufbau, und des Mikrokos-
mos, des Menschen. Ebenso oben S. 72 : *' Im
Innern ist ein Universum auch." Str. 4 : '"'die
Sinne trügen nicht! " Str. 6 : •'•'Geselle dich zur
kleinsten Schaar " : der der Auserwählten.
S. 77. Melamorphosi der Thiere : ungewissen Ursprungs.
— Auch hier wird die Dauer im Wechsel verkündet :
wie durch alle Metamorphosen hindurch die Art
der Tiere sich behauptet — womit die Grenze von
Goethes •'*' Darwinismus " ausgesprochen ist. —
"Zweck sein selbst ist jegliches Thier " : Ableh-
nung der Teleologie, die alle Tiere zur Nahrung für
andre und schliesslich zum Besten des Menschen
erschaffen sein lässt. '•' Und die seltenste Form
bewahrt im Geheimen das Urbild" : der Gedanke
einer, lediglich theoretischen, Urpflanze, einer allen
wechselnden Gestaltungen zu gründe liegenden
'•' Urpflanze." "Doch im Innern..." : der " Bildungs-
trieb," der entwickelnd wirkt.
S. 80. Die Reliquien Schillers : so nennt Goethe^ das
Gedicht an Zelter, 24 Okt. 1827; sonst die Über-
schrift : "Bei Betrachtung von Schillers Schädel."
17 Sept. 1826, als der Schädel in das Piedestal der
Danneckerschen Schillerhüste auf der Weimarer
Bibliothek niedergelegt wurde. ..Die Terzinen sind
vielleicht symbolisch für das Ineinandergreifen der
Glieder im menschlichen Körper gemeint. Die
ersten Worte erinnern an die Hamlets auf dem
Kirchhof. Die Schlussverse enthalten wieder jene
pantheistiche Anschauung von dem Dauer des
Göttlichen durch allen Wechsel der Erscheinungs-
formen hindurch.
137
ANMERKUNGEN
S. 8i. Ur-worte. Orphisch. Es gelüstet den Greis, die
Summe seiner Welterkenntnis, soweit sie das
Menschenschicksal betrifft, in geweihter Form
niederzulegen ; er wählt das Kleid des uralten
mystichen Sängers, Das Gedicht entsteht Okt.
1817 unter Mitwirkung mythologischer Studien —
Der Lebenslauf wird als ein fest geformtes Natur-
produkt aufgefasst, der durch fünf notwendige
Entwicklungsstufen hindurchgehe. Die Geburt
giebt die unveränderliche Grundlage : die Indivi-
dualität erscheint als ein nicht weiter aufzulösendes
"Urphänomen." Dazu gesellt sich dann die Summe
der zufälligen, d. h. vom Wesen des Individuums
unabhängigen Einflüsse. Die Reife der Persönlichkeit
offenbart sich sodann in ihrem Begehren der Aussen-
welt gegenüber, bis das Schicksal zur Entsagung
zwingt ; doch bleibt die Hoffnung auf immer neue
Gestalten des individuellen Lebens. Str. i : das
Urphänomen der angeborenen Eigenschaften astro-
logisch poetisirt. "Geprägte Form" : wieder die
Lehre von der Unvergänglichkeit des Lebendigen.
Str. 3, '<Er " : Eros.
S. 83. Hotvardi EhrengeJächtn'iss, April oder Mai 1821
zum Gedächtnis des Begründers der wissenschaft-
lichen Meteorologie verfasst, nachdem Goethe schon
15 Dez. 18 17 die von Howard gekennzeichneten
Wolkenformen (Cirrus, Stratus, Cumulus) in Verse
gesetzt hatte. Str. i, '"Camarupa" : die indische
Wolkengöttin. — Die Wolken als Sinnbild des ewig
Wechselnden. Str. 2 : wieder eine Anspielung auf
eine bekannte Hamletstelle.
S. 84. Lebensgenuss : 1821. — Schlusspoetik ; abschliessende
Rückblicke auf Kunst und Lebenskunst unter Hin-
blick auf die zeitgenössische Kritik. "Was den Edlen
misst" ; was den Massstab für den Edlen hergiebt ;
"dem Geschlecht" ; ilirer eignen Generation, mit
der die Narren vergehn.
S. 85. Zahme Xenien : so im Gegensatz zu den " wilden "
Xenien des Kampfes gegen den Dilettantismus
genannt, übrigens vielfach schärfer als Goethes
damalige Xenien; lehrhaft-lyrischer Natur. Goethe
liielt diese Improvisationen des Ärgers oder "Über-
138
ANMERKUNGEN
muts " in Schreibtisch zurück; sie wurden aus dem
Nachlass veröffentlicht. ''Vom Vater..." : eine
scherzhafte Analyse der docli unteilbaren Individua-
lität, wie manche gleichzeitige Sprüche gegen die
Originalitätssucht der jungen Generation gerichtet.
" Theilen kann ich nicht das Leben" ; wiederum die
Lehre von der Unveränderlichkeit der Individualität
durch allen Wechsel der "Häutungen," der Reife-
formen hindurch.
S. 86. Versireute Lyrik \ Epos und Drama des Greises
geben ihm Gelegenheit zu lyrischen Ergüssen von
unvergleichlicher Schönheit, wie es sonst das Leben
tat.
S. 86. Aus Pandora. "Der Seligkeit Fülle..." : die heisse
Lebens- und Liebessehnsucht des reifenden Jünglings
wird von dem Greis noch einmal mit wunderbarer
Kraft ausgesungen. Die Bewegung der Form ist
freier dem Inhalt angepasst, als sonst in den meisten
Altersdichtungen. Ein Reflex der letzten Liebe ist
schwerlich zu verkennen. Str. i : "das Ewig-
Weibliche zieht uns hinan." — "Wer von dem
Schönen zu scheiden verdammt ist" : das ergreifende
Abschiedslied an die unüberwindliche Schönheit I
S. 88. Aus Wilhelm Meisters Wanderjahren : die beiden
sich antwortenden Strophen sind glossenartig auf
dieselben Reime gestellt. Wie hierin zeigt sich
romantischer Einflussauch in dem starken Gebrauch
des romantischen Lieblingswortes " Wunder."
S. 89. Aus Faust, zxveitem Thcil. Trauergesang : auf Lord
Byron. Ued des Lynceus : vielleicht das schönste
Lied des goethischen Greisenalters. Wie in jenem
Gesang aus "Pandora" von der Schönheit der Frau,
nimmt er hier von der des Lebens tief bewegten
Abschied. Der Türmer als Abbild des auf höchster
Warte stehenden Dichters.
S. 90. Westöstlicher Divan : die Selbststilisirung, mit der
Goethe sich der allzuhoch angewachsenen Kultur
erledigt und sich in den nur unmittelbar von der
Natur belehrten Sänger des Orients wandelt, macht
ihn noch einmal für eine reiche Produktion lyrisch-
betraciitender Poesie fruchtbar. Wir liaben hier nur
rein lyrische Stücke auswählen können; der
139
ANMERKUNGEN
"Divan " erhält seinen eigentümlichsten Wert aber
grade durch die eigentümliche bunte Mischung
seiner Elemente — auch dem dichterischen Rang nach
ist keine Sammlung Goethes so ungleich wie diese.
S. 90. Hegire oder Hedschra : die epochemachende
Flucht des Propheten Mahomed, von der der Islam
seine Zeitrechnung datirt. Str. i ; Anspielung auf
die gewaltigen Zeitereignisse der napoleonischen
Periode. ••Chiser" : der Vertreter ewiger Jugend
in der morgenländischen Legende. Str. 5 : Hafis,
der berühmteste Lyriker des Orients, dessen von
Hammer-Piirgstall übersetzte Gedichte zu den
wichtigsten Fermenten des ''Divans" gehören,
wird zum Führer in der orientalischen Dichtung
gewählt. Str. 6, "die Huris" : die himmlischen
Jungfrauen des islamitischen Paradieses.
S. 9z. Selige Sehnsucht : bei diesem mystischen Gedicht
ist an die Allsehnsucht von '■ Eins und Alles " zu
erinnern, freilich aber auch zu beherzigen, dass
Goethe sich hier mehr noch zum Interpreten orien-
talischer Mystik als eigner Gefühle macht!
S. 94. An Suleika. Der Name der persischen Geliebten
gilt im "Divan " der Freundin Marianne v. Wille-
mer. Str. I : das Rosenöl wird aus Tausenden von
Rosen hergestellt. Str. 3, '•Bulbul"' : die Nachtigall.
S. 95. Gingo biloba : allegorische Ausdeutung des eigen-
tümlich gespaltenen Blattes dieser Pflanze.
S. 95. Volk und Knecht... : auch hier beschäftigt den
Dichter, wenn auch in spielender Form, das Pro-
blem von Dauer und Verwandlung. Str 6,
Ferdusi, Motanabbi ; orientalische Dichter.
S. 96. Hatem. Unter diesem Namen versteckt Goethe
in anmutigem Reimspiel (Str. 3) seinen eignen
Namen.
S. 97. An 'Vollen Büschelziveigen... : ging dem Dichter
unter den Kastanien der Heideli)erger Schlosster-
rasse auf.
S. 98. Wiederßmlen ; die grossartige Anwendung orien-
talisch-pantheistisch Naturphilosophie zur Verherr-
lichung der Geliebten. Str. 2 ; der Schmerz der
uranfänglichen Trennung. Str. 4, "Sie entwi-
ckelte ■' ; das Wort noch prägnant genommen ; sie
140
ANMERKUNGEN
wickelte aus dem Trüben, Farblosen ein helle«
Farbenspiel. Der Mythos Piatons von der Liebe
als Wiedervereinig'uno- der einstmals 2:etrennten
Elemente leise berührt.
S. 99. In tausend Formen : der Pantheismus der Liebe in
geistreichstem Ausdruck, in Anlehnung an die
orientalische Verherrlichung des einen Gottes unter
tausend Namen.
S. 100. Vermächtniss altpersischen Glaubens. Der Dicliter
Tersetzt sich aus dem Kreis der Mahomedaner in den
der persischen Feueranbeter Str. 3, "Darnawend" :
die iiöchste Spitze des Eiburs am Kaspischen Meer.
An ihn knüpfen sich viele Wundersagen. Str. 4,
"Bogenhaft hervorhob*' : die aufsteigende Sonne
beschreibt einen Bogen am Horizont. Str. 16,
'•Pambeh" : Baumwolle. Str. 19, '•' Senderud "' : der
Strom an dem Ispahan liegt.
S. 103. Einlass. Der Dichter benutzt die Maske des
islamischen Ketzers, um sich mit den Anforderungen
heimischer Orthodoxie auseinander zusetzen.
S. IC4. Lasst mich iveinen \ der unmittelbare Ausdruck
starker Empfindung als ein weiteres befreiendes
Geschenk ursprünglicherer Verhältnisse.
S. 105. Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten. Der
Dichter, durch neue Lektüre angeregt, sucht sich
die Gemeingiltigkeit seiner Empfindungen, wie einst
an persischen, so jetzt an chinesischen Zuständen zu
vergegenwärtigen, die ihm das Bild alter gefestigter,
reinlicher Kultur geben. III. : eine syml)olische
Anwendung der geliebten Meteorologie.
S. 106. Abschiedsklänge : unter diesem Titel fasse ich die
letzten Dichtungen von persöiilicliem Charakter
zussammen. '• Du versuclist...'' : unter dem unmittel-
baren Eindruck Christianens Todes verfasst. — "Ein
rascher Sinn..."' : abwägendes Urteil des Liebenden.
S. 106. Ein freundlich Wort... \ in erwiderung einer
Zusendung von Lord Byron.
S. 107. An Lora Byron : nach seinem Tod ; ein anderer
Threnos in den zweiten Teil des '•' Faust" eingelegt ;
8. o.
S. 107. An die neunzehn Freunde in England : auf Carlyles
Veranlassung hatten ihm 19 englische Verehrer ein
141
ANMERKUNGEN
Petschaft überschickt, das eine sich in den Schwanz
beisende Schlange darstellte und Goethes Worte
trug <<Ohne Hast, ohne Rast." Goethe umschreibt
nun diese seine eigenen Worte.
S io8. Dornburg : der letzte Cykius goethischer
Gelegenheitsdichtung.
ENDE DES ZWEITEN BANDES
14a
Uoiversity of Toronto
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