Antobte Watteau, Iris
Die Mode. 18. Jatrh. 1
DIE MODE
Menschen und Moden
im achtzehnten Jahrhundert
Nach Bildern und Stichen der Zeit ausgewählt von
Dr. Oskar Fischel
Text von
Max von Boehn
Zweite verbesserte Auflasre
MÜNCHEN / BEI F. BRUCKMANN A.-G.
Alle Rechte, besonders das für
fremdsprachliche Ausgaben, vorbehalten
Klischees und Druck von F. Bruckmann A.G., München 1919
Das Bild der Mode menschlich und ohne Verzerrung zu
geben, hat dieses Bändchen sich zum Ziel gesetzt. Der
Text schildert als Parallele dazu das Leben in seinen geistigen,
politischen und künstlerischen Faktoren, kurz alles, was die
Abbildungen schuldig bleiben müssen. Ganz ineinander auf-
gehen können Bild und Wort hier naturgemäß nicht. Niemand
wird vernünftigerweise zu allem, was an kulturellen Regungen
einer Zeit besprochen wird, eine Illustration aus der Mode
erwarten dürfen, so wenig, wie es notwendig scheint, zu
einem Bilde, das sich von selbst erklärt, nochmals eine
Paraphrase in Worten zu geben.
Nur, wer Text und Bild als ein Ganzes nimmt, wird
das, was der Titel verspricht — »Menschen und Moden« —
finden.
Für eine kurze Spanne Zeit ist hier versucht, was für
die gesamte Kostümgeschichte geleistet werden sollte: die
äußere Erscheinung einer Epoche im Spiegel ihrer Kunst
zu geben, aufrichtig, aber ohne die Schärfe oder Ueber-
treibung, die bisher fast stets in Kostümgeschichten beliebt
worden ist.
Denn nicht die Kuriosa und Absonderlichkeiten in
dem Bilde früherer Zeiten, so wenig wie lokale Besonder-
heiten sollte man suchen, sondern das Typische, Normale
und gesetzmäßig Entwickelte der Tracht. Wer sich wirklich
mit Empfinden und Gehaben einer Epoche vertraut machen
kann, wird auch für die unserem Gefühl widersprechenden
2076800
Formen der älteren Moden nicht die besser wissende Kritik
und den Spott erübrigen können, in denen lange Zeit das
Interesse an diesem Teil der Kulturgeschichte sich erschöpft
hat. So wurde hier versucht, neben der Mode und der
geistigen Erscheinung der Zeit zugleich soviel wie angängig
von der Szenerie des Lebens in Wohnungen, Möbeln, Gärten
anzudeuten, kurz die Kunst als Zeugin für das gesamte
Leben aufzurufen. Denn die Maler sind die unbefangensten
und zuverlässigsten Schilderer. Die Illustration ist darauf
bedacht gewesen, nur authentisches Material, das als Ur-
kunde für die äußere Erscheinung der Zeit gelten kann, zu
bieten. Bei der Anordnung desselben ist wie beim 17. Jahr-
hundert der Versuch gemacht worden, eine möglichst chrono-
logische Ordnung durchzuführen. In den Fällen, in denen
die Originale der Bilder oder Stiche ein Datum tragen oder
dasselbe auf andere Weise zu ermitteln war, ist es der Unter-
schrift hinzugefügt worden. Zwischen diese zeitlich fest be-
grenzten Bilder sind jene eingeschaltet worden, deren Datum
nur annähernd zu bestimmen war. Dieses Verfahren schließt
Irrtümer nicht aus, wer aber die Schwierigkeiten der Materie
kennt, wird die Arbeit mit Nachsicht aufnehmen.
Die Verfasser möchten an dieser Stelle Herrn Dr. Doege
auf das wärmste für die große und selbstlose Liebenswürdig-
keit danken, mit der sie von ihm bei ihren Studien über die
Mode gefördert und unterstützt wurden.
MAX V. BOEHN DR. OSKAR FISCHEL
Für das Abbildungsmaterial sind die Vorlagen besonders folgenden
Sammlungen entnommen :
der Freiherrlich LipperheideschenKosiümbibHothek, dem K. Kunst-
gewerbemuseum, dem K. Kupferstichkabinett, dem Hohenzollern-
Museum, dem Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin, der K. Neuen
Pinakothek, der Graphischen Sammlung, dem Nation^lmuseum
und der K. Residenz in München, der Bibliolheque nationale,
dem Cabinet des Estampes in Paris, dem British Museum und
dem South Kensington Museum in London, dem Museum in
Versailles, der Kaiserl. Gemäldegalerie, der Albertina, der Hof-
bibliothek, der Galerie Liechtenstein in Wien.
Auch an dieser Stelle sei der Dank der Herausgeber und des Ver-
lags für das Entgegenkommen, mit dem von staatlicher und privater Seite
das Unternehmen unterstützt wurde, zum Ausdruck gebracht.
Ganz besondere Dankbarkeit schulden Verfasser und Verlag den
Vorständen der Kunstgewerbemuseums- und Lipperheideschen Kostüm-
bibliothek urd des Kupterstichkabinetts in Berlin.
Chodaiüiecki , JJjg
Chodowiecki, ijSi
MENSCHEN UND MODEN IM
ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERT
Inhalts-Übersicht
1 . Kapitel :
Politik S. I — Empfindung S. 5 — Rousseau S. 6 — Einfluß Frankreichs
S. 8 — Deutsch und französisch S. 12 — Standesvorurteile S. 16 — Rang
und Titel S. 18 — Die Bekenntnisse S. 21 — Die Jesuiten S. 26 — Er-
ziehung S. 29.
2. Kapitel:
Die Moral S. 38 — Empfindung und Empfindelei S. 47 — Klopstock S. 49
— Werther S. 50 — Bildungsbedürfnis S. 52 — Norden und Süden S. 54
— Friedrich der Große S. 58 — Der Aberglaube S. 60 — ■ Abenteurer S. 66.
3. Kapitel:
Die Kunst S. 71 — Architektur S. 74 — Der Klassizismus S. 77 — Romantik
S. 79 — Malerei S. 79 — Das Porträt S. 85 — Das Pastell S. 86 — Die
Silhouette S. 88 — Das Interieur S. 90 — Das Mobiliar S. 94 — Das
englische Möbel S. 100 — Das Briefschreiben S. 104 — Gartenkunst S. 108
— Das Porzellan S. iii.
4. Kapitel:
Die Mode S. 121 — Die Damenmode S; 124 — Die Fontange' S. 128 —
Der Reifrock S. 130 — Das Schnürleib S. 13S — Die Adrienne S. 145 —
Der Caraco S. 148 — Stoffe und Farben S. 148 — Das Brautkleid S. 151
— Unterkleider S. 152 — Die Spitzen und Wäsche S. 156 — Die Frisur
S. 158 — Puder S. 172 — Schminke S. 174 — Die Mouches S. 177 —
Der Schuh S. 178.
5. Kapitel:
Die Herrenmode S. 181 — Gilets S. 186 — Das Beinkleid S. 186 — Spitzen
S. 189 — Der Degen S. 190 — Hofaniformen S. 194 — Der englische Anzug
S. 197 — Die Frisur S. 198 — Die Perncke S. 200 — Puder und Schminke
S. 206 — Der Hut S. 207 — Die Orden S. 208 — Kleiderordnungen S. 209
— Uniformierungssucht S. 2 1 4. — Die Uniform S. 2 1 7 — Das Modejournal S. 2 20.
6. Kapitel:
Zustände S. 224 — Reisen S. 228 — Reinlichkeit S. 232 — Essen S. 235
— Vergnügungen S. 241 — Das Spiel S. 244 — Die Jagd S. 246 — Das
Theater S. 248 — Die Heilkunde S. 252 — Die Klöster S. 254 — Die
Zeitungen S. 256.
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yacques-Andre Portaii, Bildnis einer Dame
Die Mode. 18. Jährt. 2
Besser, Pauker tind Trompeter aus dem Königsberger Krönungswerk ijoi
Eine spätere Epoche hat das i8. Jahrhundert mit Vorliebe VoUtik
das der Aufklärung genannt, und wenn die Zeitgenossen
desselben in seinen letzten Jahrzehnten von ihrer eigenen
Zeit sprachen, so bezeichneten sie sich mit Stolz als Ange-
hörige des »philosophischen« Zeitalters. Wie bedenklich es
auch sein mag, einen Zeitabschnitt von solcher Länge mit
einem Worte charakterisieren zu wollen, wie bedenklich es zumal
bei diesem vielgestaltigsten und an Gegensätzen reichsten Jahr-
hundert der Weltgeschichte ist, in dem sich, wie Johannes Scherr
so hübsch ausgeführt hat, in einer wahrhaft kaleidoskopischen
Buntheit der Kontraste das kühnste Denken und die raffinierteste
Genußsucht, philisterhafte Verknöcherung und revolutionärstes
Wollen, kolossale Laster und reinsterldealismus, zynischer Skep-
tizismus und kindlichster Glaube, verhärtetster Egoismus und
sentimentalste Schwärmerei zusammenfanden, so scheint es uns
doch heute beim Rückblick auf jene Zeit, daß man mit Recht
die »Aufklärung« als die wesentlichste und wichtigstealler Er-
scheinungen, die das Jahrhundert geboten, bezeichnen darf.
Die »Aufklärung« im Sinne der Befreiung von der Theologie
zur Philosophie, der Emanzipation vom sklavischen Dogma zum
freien Denken.
Die neuen Wege, welche die Großtat Luthers der Menschheit
gewiesen, sind zwei Jahrhunderte hindurch nicht von ihr be-
DieMode. IS.Jahih 2,A.
Besser, die Herren Hofgerichtsräie aus dem Königsberger Krönungswerk lyoi
gangen worden. Die geistigen Fesseln, welche die Theologen
des Luthertums in dieser Zeit der protestantischen Welt anlegten,
waren nicht minder drückend, nicht weniger eng, als es da?
Lehrgebäude gewesen, in dem die katholische Kirche vor Luther
den Geist gefangen gehalten hatte. Erst das i8. Jahrhundert
ist reformatorisch weitergeschritten, indem es sich der Führung
der Theologie entzog, indem es von theologischen Voraus-
setzungen völlig absah und sich der Erkenntnis vom Wesen
der Dinge auf Wegen zu nähern versuchte, die ihre Richtschnur
vom Denken, nicht vom Glauben empfingen. Die neue Welt-
betrachtung, welche der Menschheit eine neue Weltanschauung
bescherte, hat dann, als sie aus der Studierstube des Philo-
sophen auf den Marktplatz trat, die hergebrachte Ordnung der
Gesellschaft in ihren Grundlagen erschüttert, und jenen enormen
Umschwung herbeigeführt, der die zweite Hälfte des i8. Jahr-
hunderts so wesentlich und so merkwürdig von der ersten unter-
scheidet.
Wer heute an die Geschichte jener Zeit herantritt und mit
den Vorurteilen, welche der Geschichtsunterricht der Schule
uns zu vermitteln pflegt, das i8. Jahrhundert als eine Ein-
heit zu begreifen sucht, wird bald gewahr werden, daß sich
etwa zwischen 1740 und 1760 ein Bruch vollzieht, der das
Jahrhundert in zwei Hälften spaltet, in zwei Teile zerlegt, die
von Grund aus verschieden, zwei Körper bilden. Der erste
gehört in seiner Geschichte und Kultur noch völlig dem Mit-
telalter an. Er ist überlebt und tot, der zweite aber beginnt die
neue Zeit. Der Geist, der ihn erfüllte, ist noch lebendig, sein
Erbe nährt uns noch heute. Die erste Hälfte des Jahrhunderts
sieht im Fürsten den absoluten Herrscher, der in Sonnenhöhe
von seinen »Subjekten« entfernt, für Wohl und Wehe derselben
unempfänglich, für ihre Wünsche unerreichbar ist. Der Adel
seines Hofes ist seine Welt, der Genuß der einziee Zweck seines
Hyaänthe lügaud, Ludwig XI V.
Daseins. König Friedrich I. von Preußen verbrauchte für seinen
Hof 820000 Taler, soviel wie die ganze übrige Verw^altung
kostete. Die vorzüglichsten Repräsentanten dieser Art Herr-
scher sind in Frankreich Ludwig XV., in Deutschland August
der Starke und Max Emanuel von Bayern. Die Pracht ihres
Hofhaltes, der verschwenderische Luxus ihrer Bauten sind
in den Augen der Zeitgenossen glänzende Ruhmestitel, Ver-
Bonnard, Dame 7?iit langem Schal
dienste, der Unsterblichkeit wert und 50 Jahre später sind die
Könige, wie Friedrich der Große, Joseph IL, Katharina von
Rußland, stolz, sich als die ersten Diener ihrer Staaten fühlen
zu dürfen. Friedrich II. nennt sich den roi-philosophe, Stanis-
laus von Polen den philosophe bienfaisant, Kaiser Joseph
einen Schätzer des Menschengeschlechts. Ehemals war der
Untertan nur geduldet, weil er die Mittel zur Befriedigung der
Launen seines erhabenen Herrn zu schaffen hatte, er wurde
nicht gefragt, besaß kein Urteil und erstarb in ehrfurchtvollster
Bewunderung. Jetzt bildet sein Wohl den Angelpunkt der Ge-
danken des Herrschers, den Markstein seiner Taten. Der Adel
war alles gewesen, der Bürger nichts. Jetzt hatte der letztere
sein Haupt erhoben und setzte der Weltklugheit der Hofleute
Bonnard, Dame mit Schürzchen
duns
die Tugend des Biedermanns, dem berechnenden Verstand das
fühlende Herz entgegen.
Einer Epoche der Aeußerlichkeit, die nur die Form geschätzt Empß,
hatte, folgte eine solche der Innerlichkeit, die das Wesen suchte
und es in der Empfindungssphäre des Gefühlslebens zu finden
meinte. Der Endzweck des Lebens war nicht mehr der Genuß,
sondern das Glück, nicht länger die Befriedigung der Lust,
sondern die Erfüllung der Pflicht. Es war ein gewaltiger
Umschwung der Anschauungen, der sich auf allen Gebieten
des menschlichen Geistes geltend machte, der wie ein schöpfe-
risches »es werde« die Wissenschaft, die Kunst, die schöne
Literatur zu neuem Leben erweckte. Und diesen Umschwung
verdankte die Welt die Philosophie, welche die Erziehung der
Menschheit der Theologie entwunden hatte, verdankte Deutsch-
landinsbesondere Christian Wolff, einem Denker, der in seinen
eigenen Werken und mehr noch durch die zahllosen Schriften
seiner Schüler seine Zeitgenossen zuerst zu philosophischem
Denken erzog, zu einer Lehre, deren Endzweck die Beförderung
der Tugend, der moralische Fortschritt war. Und wie er am
Beginn des Jahrhunderts, so steht am Ende desselben Kant,
der einem zwiespältigen und zerrissenen Volk in dem ehernen
Pflichtgebot seines kategorischen Imperativs ein Fanal errich-
tete, dessen Licht die Irrenden auf den rechtem Weg zusammen-
geführt hat.
Rousseau Wie Weitgehend aber auch der Einfluß der Wolff und Kant
auf die Bildung ihrer Zeitgenossen gewesen sein mag, tiefer
im Innersten bewegt, hinreißender ergriffen hat sie doch noch
ein anderer und das war Jean Jacques Rousseau. Die ganze
zweite Hälfte des i8. Jahrhunderts steht unter seinem Zeichen.
Wie die Astrologen einst dem Sternbild, welches in der Geburts-
stunde eines Menschen im Zenith steht, eine bestimmende Ge-
walt über das ganze Leben des Neugeborenen zuschrieben,
so beherrscht Rousseau die Menschheit, deren Gedanken und
Gefühle er in seinen Bann zwingt. Er leiht der Sehnsucht
eines ganzen Zeitalters die leidenschaftlichsten Worte, den
flammendsten Ausdruck. Der Philosoph wird zum Propheten
und verkündet einen neuen Glauben, dessen einziges Evange-
lium die Natur ist. Er selbst führt ein Leben in Jammer und
Elend, aber die Feder des armseligen Notenschreibers stößt
Könige von ihren Thronen und weist der Weltgeschichte
neue Bahnen. Er bezaubert die strengen Denker wie Kant,
in dessen Rechtslehre sein Einfluß so unverkennbar ist, und
die Dichter, wie Goethe. Herder ruft ihn zu seinem Führer
an, Joseph IL. geht an Voltaires Haus vorüber, aber Rous-
seau zu besuchen, läßt er sich nicht nehmen. Der »Emile«
und die »Neue Heloise« machten Rousseau zum Abgott aller
feurigen schwärmerischen Seelen. Mendelssohn berichtet uns,
wie man sich damals seine Bücher aus den Händen gerissen hat.
Das Berauschende seiner freisinnigen Ideen und das Verfüh-
rerische seines Stiles machten seine Werke zu einer gefährlichen
Lektüre. Wenn man weiß, daß sie den berühmten Maler Maurice
Quentin de laTour um den Verstand brachten, so wundert man
sich nicht, daß Geliert seine Freundin, die Demoiselle Lucius
direkt vor ihnen warnt, ja der Beichtvater der Fürstin Lori Liech-
tenstein würde ihr noch eher gestattet haben, Voltaire zu lesen
als Rousseau. Daß die katholische Kirche seine Schriften unter
die verbotenen Bücher zählte, hinderte die Domherren der
Hyacinihe Rigaud, Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans
» Liselotte <■
rheinischen Stifte nicht, seine Büste in ihren Zimmern an die
Stelle der Mutter Gottes zu setzen. Unannehmlichkeiten zog
das nur Laien zu, wie etwa Meinhardt, der mit seinem Zög-
ling, dem Grafen Moltke, Wien besuchte und im Besitz des
»Emile« betroffen, froh sein mußte, mit Konfiskation des
Buches davonzukommen.
Die Ideen der Aufklärung, wie sie außer Rousseau, wenn auch
in anderem Sinne, Voltaire und die Enzyklopädisten vertraten,
verbreiteten sich um so schneller und unaufhaltsamer, als diese
Autoren Französisch schrieben, also in der Sprache, die der
gesamten kultivierten Welt geläufig war, vielen sogar vertrauter
als ihre Muttersprache. Der besonders von deutschen Schrift-
stellern der folgenden Zeit den Deutschen des i8. Jahrhunderts
so oft gemachte Vorwurf der Französelei verliert bei gewissen-
hafter Untersuchung seine Berechtigung. Deutschland und
das Deutsche Reich waren in jener Zeit weder ein geogra-
phisch noch politisch feststehender Begriff. An seinen Gren-
zen verschmolz es nach allen Seiten mit den Nachbarländern
zu staatlich zusammengehörigen Gebilden. Die tonangebende
Macht im Reiche, das Kaiserliche Haus, wurzelte in seiner Herr-
schaft hauptsächlich in außerdeutschen Gebieten, in Ungarn,
Böhmen, den Niederlanden, Neapel ; die Kurfürsten von Sachsen
waren Könige von Polen, die Kurfürsten von Brandenburg
Könige von Preußen, die Kurfürsten von Hannover Könige
von England, der Landgraf von Hessen-Cassel König von
Schweden. Oldenburg gehörte zu Dänemark, Pommern zu
Schweden. Der Kurfürst Max Emanuel hat, solange er lebte,
nicht aufgehört, nach einer ausländischen Krone zu trachten,
gleichviel, ob sie ihm in Spanien, in Ungarn, in Neapel, Bel-
gien oder sonstwo zu winken schien, und noch Karl Theodors
höchster Wunsch war es, Bayern dranzugehen, um König von
Burgund zu werden. Die Aufhebung des Ediktes von Nantes
füllte die deutschen protestantischen Staaten Baden, Hessen,
Braunschweig mit Refugiers, besonders die Mark Brandenburg.
So war z. B. in Berlin am Ende des 17. Jahrhunderts jeder
dritte Mensch ein Franzose. Diese Refugierten, welche ihrem
Glauben zuliebe Heim.at und Besitz unter tausend Gefahren
verließen, waren nicht nur durch die Stärke ihres Charakters
hervorragende Menschen, sie waren auch Leute, die eine feinere
Ges ttung, eine höhere Kultur mitbrachten und in der neuen
Heimat verbreiteten. In der Mark Brandenburg sollen sie allein
43 unbekannte Arten von Gewerben eingeführt haben. Lud-
wig XIV. hat allen Ernstes daran gedacht, sich zum Kaiser
von Deutschland wählen zu lassen. Und wenn er die Mehr-
zahl der deutschen Fürsten durch Subsidienzahlungen an Frank-
reich fesselte, so darf man gegen die Empfänger deswegen noch
nicht den Vorwurf des Undeutschen erheben. Sie waren infolge
der Geldarmut ihrer im Dreißigjährigen Kriege völlig ausge-
8
Ni^
""^ -^
Antoine Watteau, Junges Mädchen
Die Mode. 18. Jatrh. 3
Watteau, Der Maler selbst und Herr von yulienne
sogenen Länder geradezu auf diese Subsidien angewiesen. Der
enge, auf die Nationalität beschränkte »Patriotismus«, wie wir
ihn heute verstehen, ist erst im 19. Jahrhundert entstanden.
Jene Zeit kannte ihn gar nicht. Wenn die deutschen Höfe
damals von Franzosen wimmelten, Friedrich der Große sich
für seine Steuerunternehmungen Scharen französischer Beamten
kommen ließ, so zogen nicht weniger Deutsche nach Frankreich.
Wenn ein preußischer Feldherr wie Herzog Ferdinand von
Braunschweig äußerte: »Es ist für jeden deutschen Offizier
eine Ehre, in französischen Diensten zu stehen«, so darf man
sich nicht wundern, daß die Marschälle Frankreichs mehr als
einen Ausländer in ihren Reihen zählen, den Schweden Grafen
Löwendal, Moritz von Sachsen, den Sohn Augusts des Star-
ken u. a. Ja ganze Regimenter des französischen Heeres, wie
Royal Allemand, Royal Deux-Ponts, Royal Etranger u. a.
rekrutierten sich dauernd aus Deutschland. Ist nicht dagegen
Prinz Eugen von Savoyen kaiserlicher Feldherr geworden und
rechnen wir den »edlen Ritter« nicht zu den Unseren? Graf
Schulenburg verrichtete seine glänzenden Waffentaten im
Dienste Venedigs, Graf Lippe in dem Portugals, der Schotte
Keith im Solde Preußens. Der deutsche Graf Goerz war schwe-
discher, mehrere Grafen Bernstorff dänische Minister. Daß
ein Staatsmann oder ein Feldherr nacheinander verschiedenen
Herren verschiedener Länder diente, erregte weder Aufsehen
noch Anstoß. Nicht die Zugehörigkeit zu dieser oder jener
Nation gab den Ausschlag bei der Beurteilung eines Mannes,
sondern die Zugehörigkeit zur guten Gesellschaft. Diese war
international, weltbürgerlich, ihre Formen aber, ihre Sprache,
ihre Sitten, ihre Kunst und ihre Mode war französisch. Dieses
Ueberwiegen der französischen Kultur datierte seit den Glanz-
tagen Ludwigs XIV., seit der Sonnenkönig auf dem Gipfel
politischer Macht sich nicht mit Unrecht als den Herrscher
der Welt betrachten konnte. Von ihm empfing sie Krieg oder
Frieden, von ihm Kunst und Bildung.
Und was hätte das Deutschland von damals dieser Macht und
diesem Glanz auch entgegensetzen können? Politisch, wie
Pufendorf das Reich charakterisierte, eine krankhafte Zwitter-
bildung, ein monströser Körper, der aus mehreren Hundert
theoretisch gleichberechtigter Staaten zusammengesetzt war,
»Staaten«, unter denen sich Reichsdörfer von 500 Einwohnern,
Reichsritter über Vs Quadratmeile befanden, Miniaturdespoten,
die das Recht über Leben und Tod, Krieg und Frieden, Zölle und
Steuern nicht tiur besaßen, sondern auch ausübten. Fürst Hya-
zinth von Nassau-Siegen ließ 1707 einen Bauern aus keinem
anderen Grunde hinrichten, als um zu zeigen, daß er auch
10
Antoine Watteau, Das sog. Firmenschild des Gersaint (rechte Hälfte)
als Besitzer einer halben Grafschaft Herr über Leben und Tod
sei. Der Herzog von Sachsen-Weimar bekriegte den Fürsten von
Schwarzburg; Mainz und Würzburg, Meiningen und Koburg
haben gegeneinander die Waffen ergriffen. Herr v. Flemming auf
Weissig überzog mit seinem Heere von 30 Mann die Staaten der
Herzogin- Witwe von Sachsen- Weißenfels mit Krieg ; Lächerlich-
keiten, die den Zeitgenossen gar nicht zum Bewußtsein kamen.
II
Deutsch und So wenig wie Deutschland als Staat sich mit Frankreich, so
französisch ^gj^jg konnte die deutsche Literatur sich mit der französi-
schen messen. Wie hätte neben der Formvollendung, der glatten
Eleganz der Corneille und Racine, dem Witze Molieres und
Boileaus der Schwulst bestehen können, den die Lohenstein
und andere in einer holperigen Sprache von sich gaben, oder
jene entsetzlichen Romane AntonUlrichs von Braunschweig, von
denen Liselotte trotz ihrer Neigung für den blutsverwandten
Autor gestand, sie könne täglich nur einige Seiten davon auf
dem Kackstuhl lesen. Das Deutsche, wie man es im Beginne
des i8. Jahrhunderts schrieb und sprach, ist eine plumpe, mit
Fremdwörtern infizierte Sprache, deren grammatikalisch un-
gefügen Bau die Schriftsteller nur mit Gewalttätigkeit hand-
haben können. Wie schwerfällig drücken sich selbst solche
Deutsche aus, die eine Vorliebe für ihre Muttersprache haben,
wie Liselotte oder Friedrich Wilhelm L, wie wenig können auch
sie, um ihre Gedanken klar zu machen, das fremde Idiom, sei
es selbst nur in einigen Worten oder Phrasen, entbehren. Im
Munde des sächsischen Postmeisters Trömel, der sich als Dichter
Jean Chretien Toucement nannte, wird dieses Kauderwelsch
der damaligen Umgangssprache absichtlich oder unabsichtlich
geradezu burlesk. Unter diesen Umständen kann es nicht
wundernehmen, daß die Deutschen der höheren Klassen, welche
die Elemente einer feineren Gesittung von Frankreich empfingen,
besonders die Höfe und der Adel sich auch mit Vorliebe der
französischen Sprache zum Ausdruck ihrer Gedanken bedien-
ten. Das ganze Jahrhundert hindurch bleibt Französisch die
Sprache des Weltmanns. Baron Pöllnitz am Beginn, Graf
Lamberg am Schluß legen ihre mondainen Erinnerungen so
gut Französisch nieder wie der Italiener Casanova. Friedrich
der Große schreibt, spricht, dichtet lebenslang besser Fran-
zösisch als Deutsch, ebenso wie seine boshafte Schwester, die
Markgräfin von Bayreuth. Voltaire schreibt 1750 aus Pots-
dam : Ich befinde mich hier in Frankreich. Man spricht nur
unsere Sprache. Das Deutsche ist bloß für Soldaten und Pferde.
Kaiser Franz, der Gemahl der Maria Theresia, lernte über-
haupt nie ordentlich Deutsch. Die Prinzessin Eleonore Oet-
tingen-Spielberg fing erst an, Deutsch zu lernen, nachdem sie
sich mit dem Fürsten Liechtenstein vermählt hatte und konnte
es sich in einem halben Jahrhundert doch nicht zu eigen machen.
\2
Antoine Watteau, Cavaliei
Die Mode. 18. Jahrh. 4
AniuDie i'y uucau. I^ii inemciulii des Gersaint ( .umL/iHiiC)
13
Watteau- Liotard, Franzusisclu Scliauspiehzen
Der Marquis de Boufiflers übersetzt während eines Aufenthalts
in Wien Wielands Grazien in das Französische und begeisterte
die Damen dadurch für die deutsche Sprache. Fräulein von
Pannwitz korrespondiert mit ihrem Bräutigam, dem Herrn von
Voß, Französisch, gerade so wie Wieland mit Sophie von Guter-
mann. Deutsche, die in Paris ihren Wohnsitz nahmen, be-
herrschten die Sprache ihrer neuen Heimat bald besser als die
des Mutterlandes, wie etwa Grimm oder der berühmte Kupfer-
stecher Wille, während im umgedrehten Fall Franzosen, wie
Henri de Gatt, der Vorleser Friedrichs des Großen, 40 Jahre
und länger in Deutschland angesessen sein konnten, ohne je
seine Sprache zu lernen.
Erst von jenen Tagen an, da Christian Thomasius 1687 in
Leipzig das erste auf deutschen Universitäten in deutscher
Sprache gehaltene Kolleg ankündigte, eine Tat, welche der
Senat als entehrend für die Hochschule ansah, ist die deutsche
Sprache langsam zu Ehren gekommen. Thomasius Beispiel
14
Watteau- Basan, Italienis
cuau^j'teitr
folgte erst 1705 Professor Buddeus in Jena. Eine systematische
literarische Pflege wurde ihr aber erst, zu teil, als Gotsched zu
diesem Zweck 1727 in Leipzig eine Gesellschaft gründete,
welcher bald an anderen Orten, wie z. B. in Jena Tochter-
gesellschaften zur Seite traten. Diese absichtliche Pflege des
Deutschen betont bewußt und gewollt den Gegensatz, in dem
sich das Bürgertum zu dem Adel fühlte. Sie bildet eines der
stärksten Elemente in der Reaktion der aufkommenden deut-
schen bürgerlichen Gesellschaft, gegen die französierten höfischen
und adligen Kreise der vornehmen Welt. Der Verachtung des
Heimischen, wie jene sie affektierten, stellten sie die Ueberschät-
zung desselben entgegen, ein Umstand, der die scharfe äußere
Trennungder beiden Stände geistig noch bedeutend vertiefte. Die
Gesellschaft jener Zeit gliederte sich in Stände, die gegeneinander
mitsoviel Rechten und Pflichten Verbarrikadiertwaren, daß deren
Wahrung nicht nur für den einzelnen, sondern auch für die Staa-
ten als Ganzes den Gegenstand eifersüchtigster Sorge bildete,
15
Standes- Dcf Wert, den man auf diese Standesvorrechte legte, erhellt
für uns aus der Wichtigkeit, mit der dazumal diese Quisquilien
behandelt wurden, hat doch ein Leibniz sich literarisch damit
befaßt, sind doch die Berichte der Diplomaten zum größten Teil
mit nichts anderem angefüllt. Freiherr von Widmann, öster-
reichischer Gesandter in München, schreibt 1750 21 Folioseiten
nach Wien über die Streitigkeiten, die er bei seinem Empfang
am kurbayerischen Hofe hatte und die Memoiren der Mark-
gräfin Wilhelmine von Bayreuth behandeln in breitester Aus-
führlichkeit die ewigen Rangstreitigkeiten zwischen dem Hof-
personal, den Streit um Lehnstüle und Tabourets, um den
Vortritt und dergleichen. Nie vergißt sie zu erwähnen, bis
in welches Vorzimmer ihr die Kaiserin, die Königin von
Preußen (ihre Mutter!) und die verschiedenen minderen fürst-
lichen Personen entgegenkommen. Diese lästigen Weitläufig-
keiten der Etikette veranlaßten schließlich, daß an einzelnen
Höfen, z. B. am preußischen, von den Gästen um den Vortritt,
um die Plätze an der Tafel usw. gelost wurde. Wie besonders
der Vortritt vor anderen den Damen am Herzen lag, beweisen
die mannigfaltigsten kleinen Ereignisse der Zeit. Als der Her-
zog Ulrich von Meiningen Frankfurt a. M. besuchte, verdrängte
beim offiziellen Empfang eine fremde Dame die Stadtschult-
heißin Textor geborene Lindheimer gewaltsam von ihrem
Platz; wenn der Kurfürst von Bayern in Nymphenburg Soupers
gab, entstand zwischen den Hofdamen und den Gesandten-
Frauen ein solches Wettrennen um den Vortritt in den Speise-
saal, daß die alten Oberhofmeisterinnen den freigebig ausge-
teilten Püffen und Rippenstößen weichen mußten. Wie ein-
mal ein solcher Streit um den Vortritt, den 1747 in Meiningen
Frau von Gleichen und Frau von Pfaffrath geb. Gräfin Solms
miteinander ausfochten, sogar zum Kriege führte, mag man
in der Geschichte des sogenannten Wasunger Krieges bei Gustav
Freytag nachlesen. Uebrigens wurden diese Dinge auch außer-
halb Deutschlands mit der gleichen Wichtigkeit behandelt. Aus
Liselottens Briefen erfährt man, daß den Besuchen ihres
Schwiegersohnes, des Herzogs von Lothringen, wochenlange
Korrespondenzen über seine Ansprüche auf einen Sitz im Arm-
stuhl und dergleichen vorauszugehen pflegten und die Titulatur
des Königs von Dänemark in ihren Briefen, dem sie durchaus
nicht das Prädikat Majestät geben will, verursacht ihr und ihren
16
Frani,ois le Maine, Picknick
Die Mode. 1?. Jährt. 5
D£eMode,18.Jahrh. 2. A-
Ratgebern das größte Kopfzerbrechen. Ebenso verrufen wie
der französische Hof, dessen Kleinlichkeit in Titeln Casanova
verspottet, vv^ar jener der Großherzoge von Toscana. Nannte
man in Versailles die römischen principi nur Marquis und einen
titellosen Mann nicht monsieur, sondern nur sieur, so machten
die letzten Fürsten aus dem Hause der Medici solche Ansprüche
im Zeremoniell, daß es z. B. bei dem Besuch des Königs von
Dänemark erst langer Verhandlungen des Kammerherrn von
Ahlefeldt bedurfte, ehe ein Zusammentreflfen der Herrscher
ermöglicht werden konnte. Ganz besonders war allerdings
der immerwährende Reichstag in Regensburg ein Schauplatz
nie endender Streitigkeiten über Rang- und Zeremonialfragen,
einem Thema, dessen eingehender Erörterung Johann Georg
Keyßler, der als Hofmeister zweier Freiherren von Bernstorff 1730
dort weilte, in seiner Reisebeschreibung zwölf eng gedruckte
Quartseiten widmet. Er verleiht dabei auch seiner und aller
Beteiligten höchster Verwunderung darüber Ausdruck, daß der
damalige französische Gesandte von Chavigny jedem Anspruch
sofort nachgebe und setzt ganz naiv hinzu, daß er durch diese
Nachgiebigkeit seine politischen Absichten allerdings wesentlich
zu fördern pflege.
Rang und Da Rang und Titel zu gesellschaftlichen Ansprüchen berech-
^*"^ tigten, so war das Streben nach solchen allgemein. Der
Adel war käuflich, zumal hat ihn der Kurfürst Karl Theodor
von Bayern während seines Reichsvikariates billig abgegeben.
Für 900 bis 1000 Gulden konnte man Reichsgraf, für 600 bis
700 Gulden Reichsfreiherr werden und für 400 bis 500 Gulden
hatte man schon den niederen Adel. Die mindere Bürgerschaft
der Reichsstädte staffelte sich z. B. in Nürnberg in »Ehrbare
und Veste«, »Ehrbare und Wohlführnehme«, »Ehrbare und
Fürnehme«. Da aber diese Titel den Ehrgeizigen noch nicht
genügten, so bemühten sie sich eifrig um die Rats- und Konsul-
titel auswärtiger Fürsten; so eifrig, daß der Rat 1722 ein kaiser-
lichesVerbot gegen diese Titeljagd erwirkte. Der brave Nettelbeck
erzählt voll Spott, wie einer seiner Bekannten, ein armer Teufel,
nachdem er von der reichen Erbschaft seiner Tochter eine
größere Summe erhalten, sich als dringendste Notwendigkeit
zuerst gleich den Titel eines »Licentrats« kauft, der ihm, nach-
dem er alles vertan hat, auch schließlich als einzige Errungen-
schaft kurzen Glückes verbleibt. Friedrich Nicolai, der 1781 die
18
Watteau, Häuslidu Beschäftigung
Reichsstadt Ulm besuchte, bemerktmit einem Erstaunen, welches
an jemand, der Berliner Verhältnisse gewöhnt war, nicht ganz
natürlich erscheint, den Unterschied, der dort das Patriziat von
der Bürgerschaft trennte. In Gesellschaften mußte jedermann
nach seinem Range gesetzt werden. Die Bürgermeister führten
das Prädikat »Wohlgeborene Herrlichkeiten«, die Ratsherren
»Hoch und Wohlweise«, ein Bürger hatte den Anspruch auf den
Titel »Ehrbarer«, ein Kaufmann auf »Edler und Vester«, ein
Patrizier aber bekam »Wohlgeboren« und wenn sein Sohn etwa
einen akademischen Grad erwarb, so stand diesem der Titel
»Hochedelgeboren« zu. Die zunehmende Aufklärung hat die
Titel in Deutschlandwenigstensvereinfacht. Einerderersten.der
sich von seinen Freunden die Titulaturen verbat, war der Dichter
Gleim, weil er »der Einfalt griechischer Helden näherkommen
wollte«. Im Jahre 1794 erließ auch ein Adliger, der schlesische
Graf Schlabrendorf, einen Aufruf an seine Standesgenossen zum
Verzicht auf bloße Titel. Das Gefühl aber von dem Wesens-
unterschied der Stände war zu tief eingewurzelt, als daß es mit
19
der Abschaffung einzelner Prädikate und Titulaturen hätte aus-
gerottet werden können. Wenn gelegentlich eine Frau von Wöll-
warth auf Neubronn erklären konnte: »Adel und Bürgerstand
seien zwei verschiedene Menschenrassen, deren Trennung auch
im Jenseits fortdauern werde«, so sprach sie damit nicht nur
eine persönliche Meinung aus oder urteilte im Sinne des Adels,
yakobvan Schuppen, Prinz Eugen von Savoyen, ijiS
nein, sie wußte nur zu gut, daß der Bi^irger selbst so dachte,
hat doch der Mangel an Selbstachtung, der die Mehrzahl aus-
zeichnete, der Ueberhebung des Adels nur zu viel Vorschub ge-
leistet. Männer von der Bedeutung eines Moser, eines Pütter
sind stolz darauf, wenn sie im Bade Pyrmont in adlige Kreise
gezogen werden; Helferich Peter Sturz ist glücklich, wenn er
sein Frühstück in Gemeinschaft Adliger einnehmen darf, und
was soll man sagen, wenn Daniel Schubart, den der Herzog von
Württemberg zehn Jahre wider Recht und Gerechtigkeit auf
dem Hohenasperg gefangen gehalten hatte, nach seiner Frei-
?Q
lassung an Posselt schreibt: der Herzog habe sich bei einer
Unterredung so huldreich gezeigt, daß aller Groll seines Herzens
gegen ihn wie Xachtgewölk verschwunden sei! ? Das \'orurteil
der Stände gegeneinander ist im Laufe des i8. Jahrhunderts
zwar nicht ausgeglichen worden, noch 1781 schreibt Philippine
Engelhardt aus Cassel an Bürger, daß man ihr in bürgerlichen
Kreisen den Verkehr mit Adligen sehr verüble, aber der intime
geistige Verkehr in den Adel- und Bürgerstand je länger je mehr
miteinander traten, lehrte sie, ihre Ansichten unter höflichen
äußeren Formen zu verbergen. Drei Faktoren haben dieses
Einandernäherbringen wesentlich gefördert. Erstens der Um-
stand, daß im Laufe des Jahrhunderts die geistige Bildung als
höchstes Gut anerkannt wurde und daß der Wetteifer im Er-
werb und im Genuß derselben Adlige und Bürgerliche zu-
sammenführte. In dieser Beziehung ist vor allem der hol-
steinische Adel vorangegangen. Zweitens indem der Hang des
Jahrhunderts zur Mystik die geheimen Gesellschaften und
an ihrer Spitze die Freimaurerei begünstigte, deren End-
zweck neben der Ausbreitung der Aufklärung die Milderung
der Standesunterschiede war, und schließlich der Pietismus.
Die Anhänglichkeit an ein bestimmtes Bekenntnis, der Fanatis-
mus für ein solches, wie sie das kirchliche Leben des 16. und
17. Jahrhunderts gekennzeichnet hatten, war unter dem Einfluß
der französischen Kultur einer großen Gleichgültigkeit gegen
dasselbe gewichen. 1720 schreibt Liselotte: »Ich bin weder
reformiert noch katholisch noch lutherisch, sondern eine gute
Christin«, aber die Toleranz, für welche diese Aeußerung der
Fürstin ein so beredtes Zeugnis ablegt, war bei der Mehrzahl
der Angehörigen der oberen Klassen in eine völlige Indifferenz
umgeschlagen, während die große Masse in stumpf sinnigerWerk-
heiligkeit verharrte. Gegen beide, die Lauheit der einen, wie den
Buchstabenglauben der anderen richtet sich der Pietismus. Wie
einst im 15. Jahrhundert die Gottesfreunde und Mystiker das
in scholastische Spitzfindigkeiten zerfaserte Christentum aus
der Nüchternheit bloßer Verstandesspielereien in die herzliche
Wärme einfältigen Kinderglaubens gerettet hatten, so flüch-
teten jetzt Spener und die Seinen ihr Luthertum aus der Er-
starrung des Dogmas in die Innerlichkeit ihres Gefühls. Der
nach Tausenden zählende Anhang von Bekennern, den Spener
fand, bewies, wie lebhaft das Bedürfnis war, dem er entgegen-
21
kam. Die heftige Feindschaft der orthodoxen Geistlichkeit,
der er allenthalben begegnete, zeigte, welche Gefahr die herr-
schende Kirche in dieser Bewegung sah. Die Verfolgungen,
die der Pietismus zu erleiden hatte, schlössen um alle, die
sich zu ihm hielten, ein enges Band der Gemeinsamkeit, die
durch einen süßlichen Gefühlskultus, eine seltsame Art weiner-
licher Gottesverehrung, demütigender Gleichstellung vor dem
Lamm dazu gelangte, die Standesunterschiede, wenigstens in
kleinem Kreise zum ersten Male völlig zu verwischen. An den
hochfrommen Höfen der Reuß, der Stollberg, der Wittgenstein
und anderer verkehrten Handwerksgesellen auf einem sonder-
baren Fuß der Gleichheit mit
den regierenden Herrschaf-
ten. So fuhr z. B. ein Herzog
von Sachsen -Saalfeld einige
fromme Schusterweiber, um
den Heiland zu ehren, in eige-
ner Person öffentlich spazie-
ren und Graf Zinzendorf grün-
dete seine neue Gemeinschaft
als Gemeinde von »Brüdern«.
Wie ein Komet seinen leuch-
tenden Schweif, so zog Spener
einen Schwärm von Enthusia-
sten und Erweckten aller Art
nach sich. Die Abschließung
von der »argen Welt« führte
zu einem Konventikelwesen,
in dem Unheilige wie Eva von
Buttlar und ihre Rotte und
Heilige wie Fräulein v. Kletten-
berg, Goethes schöne Seele, ihr
Wesen mit gleicher Unbefan-
genheit trieben.
Der allgemeine Zug der Zeit
nach Aufklärung hat den Pro-
testantismus dann zu völligem
Rationalismusgeführt,zu einer
Nonchalance, die z. B. den zum
Katholizismus übergetretenen
Antoine Watteau, Studie
22
Johann August Starck jahrzehntelang
als lutherischen Oberhofprediger in
Darmstadt fungieren lassen konnte,
die Herder das Bedauern abnötigte,
daß er nicht Kardinal werden könne.
Die protestantische Predigt ver-
flachte zu bloßer Nützlichkeitslehre.
Schiller sagte von Herders Predig-
ten, daß man sie ebensogut in einer
Moschee halten könne. Wenn die
Gleichgültigkeit gegen die offenbarte
Religion auch so zur Modesache ge-
worden war, daß beispielsweise Ra-
bener, der Geliert bittet, einen Hof-
meister zu besorgen, welcher den
Kindern eines Beamten in Dresden
auch Religionsunterricht geben soll,
ihn beschwört, diesen Umstand
geheim zu halten, damit es dem
Beamten nicht schade, so hat
sie doch damals durchaus nicht
dazu geführt, daß die Konfes-
sionen sich gegenseitig Duldung
gewährt hätten. Der Westfäli-
sche Friede hatte zwar die
Gleichberechtigung des katholi-
schen, lutherischen und refor-
mierten Bekenntnisses feierlich
verbürgt, aber das war eine
schöne Theorie, von der die
Wirklichkeit weit genug ent-
fernt lag. Nicht nur in den
kaiserlichen Erblanden war die
katholische die einzig erlaubte
Religion, auch in Bayern war
den Protestanten jede Ansied-
lung verboten. Unter den Kur-
fürsten Johann Wilhelm und
Karl Philipp sind die Refor-
mierten der Pfalz in jeder Weise
Studien von Antoine Watteau
23
drangsaliert worden ; aus Salzburg hat der Erzbischof Freiherr
V. Firmian 1731 Tausende von Lutheranern und Reformierten aus-
gewiesen. Die Duldung, welche Karl XII. den Protestanten Schle-
siens ausgewirkt hatte, ist ihnen nach dem Tode des Königs tun-
lichstverkümmert worden. In den paritätischen Reichsstädten war
man übereingekommen, alle Aemter vom Bürgermeister bis zum
Nachtwächter zwischen Katholiken und Protestanten entweder
zu teilen oder sie wenigstens abwechselnd zu besetzen, gerade
wie in Osnabrück abwechselnd den Bischofsstuhl mit Katholiken
und Protestanten. Das waren Uebereinkommen, welche die
Quelle endlosen Haders geworden sind. Den gegenseitigen
Haß, der das ganze Jahrhundert latent blieb, konnte der gering-
J.ouis de Silvestre, König August II. von Polen und
König Friedrich Wilhelm I. von Preußen
24
Kurfürst Ka>i. Alo^h von txiyern im j
üi^dkosuirn
Die Mode, 18. Jatrh 6
Aiiinlia Maria Josepha, AiojuiMi/i von Bayern, im yagdkostüm
Die Mode, 18. Jahrb.?
Antoirte Pisne, Friedrich d. Gr. und seine Schwester VVilhelmine als Kinder
fügigste Anlaß zu offener Flamme auflodern lassen, wie 1750
in Oehringen, wo es erst dem Einrücken einer ansbachischen
Grenadier-Kompagnie gelang, die Zwistigkeiten zu schlich-
ten, welche zwischen Katholiken und Protestanten wegen einer
nach gregorianischem Kalender zu bestimmenden Feier des
Osterfestes ausgebrochen waren ; oder 1781 in Wallthüren, wo
drei protestantische Grafen Leiningen mit ihrem Anhang die
Fronleichnamsprozession gestört hatten, und es eines Aufgebots
von 600 Mann würzburgischer Truppen bedurfte, um die Ruhe
25
wiederherzustellen. Daß im Laufe des i8. Jahrhunderts einmal
die Truppen eines protestantischen Staates den Kirchenstaat
besetzt hatten, ist heute ziemlich in Vergessenheit geraten, und
doch stand 1708 General v. Arnim mit mehreren preußischen
Regimentern vor der Einnahme Roms, und König Friedrich I.
freute sich schon auf die päpstlichen Kanonen, die man ihm für
sein schönes Zeughaus mitbringen werde. Als Papst Clemens XI.
und Kaiser Joseph I., in dessen Armee die brandenburgischen
Hilfsvölker marschierten, sich aber versöhnten, blieb der Welt
die Wiederholung eines Sacco di Roma erspart. Daß es da,
wo die eine Partei notorisch im Uebergewicht war, an offener
oder versteckter Gewalt nicht gefehlt hat, versteht sich von
selbst. In Thorn ließen die Jesuiten 1724 zehn Protestanten,
an ihrer Spitze den Bürgermeister Rösner, hinrichten, weil der
Janhagel eine ihrer Prozessionen gestört hatte. Die Schauer-
geschichten, welche in späterer Zeit entsprungene Mönche wie
Feßler und andere erzählten, die von Klöstern zu berichten
wußten, in denen des Protestantismus Verdächtige ewig ein-
gekerkert wurden, mögen auf Uebertreibung beruhen, indessen
ist noch in Wiblingen in Schwaben ein Jurist Nickel wegen
Gottlosigkeit enthauptet worden. Er hatte nichts getan als
im Wirtshaus einige Voltairesche Ideen zum besten gegeben.
In Frankreich, dem ja die Protestanten fehlten, spitzte sich
der vorhandene Gegensatz der Meinungen auf einen Kampf
zwischen strenggläubigen und freisinnigen Katholiken, auf die
leidenschaftlich geführten Kontroversen zwischen Jansenisten
und Jesuiten zu. Wenn Liselotte 1701 ihrer herzlieben Amelisse
schreibt: »Die frantzösischen katholischen seien nicht so albern
wie die teutschen, es ist gantz ein andere sach mit, schier
als wens eine andere Religion were. Man ist nicht obligiert, an
bagatelle und alberne mirakel zu glauben«, so wird man diese
Anschauungen und diese Praxis wohl auf die konzilianten Hof-
theologen beschränken müssen, denn die Fälle der Calas, der
Sirven, d'Etallondes und anderer, die törichte oder imaginäre
Vergehen gegen die Kirche blutig büßen mußten, beweisen zu
Die deutlich das Gegenteil. Die Abneigung gegen die Gesellschaft
Jesu wuchs mit der Zunahme ihrer Macht und wußte ihren
Namen in gehässigster Weise mit allem in Verbindung zu
bringen, was geeignet war, sie verächtlich zu machen. Die
absichtliche Art, in der Pascal ihre Lehren entstellte, die Lügen
26
Nicolas Lancret, Die Tänzerin Camargo
Die Mode. 18. Jahrh. 8
.1.
bif;. ^
27
der hysterischen Cadiere, die unglücklichen Spekulationen eines
Pater Lavalette, alles mußte herhalten, um die Moral des Ordens
zu verdächtigen, seine Mitglieder als lasterhaft und verrucht
zu brandmarken. Endlich gelang es dem vereinten Haß der Auf-
geklärten, den gefürchteten Orden zu stürzen. Man hatte weder
offene Gewalt gescheut, zu der Aranda in Spanien griff, noch
List wie Pombal, der ein Attentat auf den König Joseph
von Portugal bestellte, dessen Sühne zu einer wahren Orgie
seiner Privatrache wurde. Wieviel Habgier und Eigennutz zu
der Aufhebung des Ordens beigetragen haben, ist wohl noch
nie untersucht worden. Hört man aber, daß allein in Bayern
zwölf Häuser der Gesellschaft Jesu bestanden, so begreift man,
wie groß die Anzahl derjenigen sein mußte, die von der Kon-
fiskation der Ordensgüter Gewinn zogen. Die berühmte Bulle
»Dominus ac Redemptor noster«, mit der Clemens XIV. 1773
die Aufhebung der Gesellschaft verkündete, löste einen Jubel
ohnegleichen aus. Es war in der Tat der größte Triumph,
welcher der Aufklärung beschieden war. Die Sorge der weit-
sichtigen Kaiserin Maria Theresia, daß nun die Vormauer aller
Autoritäten ins Wanken gekommen sei, beachtete nicht ein-
mal ihr Sohn. Mit der ihm eigenen Ueberstürzung, er tat, wie
Friedrich IL von ihm sagte, stets den zweiten Schritt vor dem
ersten, fuhr Joseph IL auf dem Wege der Unterdrückung fort
zu reformieren, und glaubte mit der den Fürsten eigenen Ueber-
schätzung ihrer selbst, daß er nur zu wollen habe, um die Ge-
bräuche und Gewohnheiten langer Jahrhunderte von heute auf
morgen zu ändern. Er starb, ohne daß selbst die Partei der
Aufgeklärten ihres Sieges recht froh geworden wäre. Die
Furcht vor den Jesuiten ließ kein
Gefühl der Sicherheit aufkom-
men, injederneuen geistigen Rich-
tung der Zeit witterte man ihren
Einfluß, hinter allem, was sich
ereignete, ihre geheimnisvolle
Macht. Der alte Friedrich Nico-
lai stand in seinen Zeitschriften
förmlich Wache gegen die Ge-
sellschaft und zog sich nicht mit
Unrecht den Spottnamen des
Parrocel, Der Gruß Jesuitenriechers zu. Am längsten
28
Ghunhattista Tiepolo, Aus den Fresken der J'il/u Valmarana. ijjj
Die Mode. 18. Jahrh. 9
Fan Loo, Porträtstudie
haben Friedrich der Große und Katharina II. sie in ihrem
Bestände geschützt. Beiden schien ihre Tätigkeit als Pädagogen
unentbehrHch, zumal in einer Zeit, wo ihre seit zwei Jahrhun-
derten bewährte Methode wie ein Fels in der Hochflut täg-
lich neu auftauchender Erziehungsmethoden stand.
Es war nur natürlich, daß der Umschwung des geistigen Erziehung
Lebens, der sich in der Mitte des i8. Jahrhunderts vollzog,
sich auch sogleich in einem Drängen nach erzieherischen Re-
formen äußerte. Erst, indem man sie der Jugend einpflanzt,
können neue Errungenschaften des Geistes zu dauernder Wir-
kung gebracht werden. Gerade wie im 17. Jahrhundert hatte
man in der ersten Hälfte des 18. unter der Erziehung des Welt-
mannes nichts anderes verstanden, als eine Dressur zum Ka-
29
Gravelot, Cavalier
30
Gravelot, Cavalier
31
valier. Außer den ritterlichen Künsten lernte ein solcher viel-
leicht noch Französisch, in Oesterreich und Süddeutschland
allenfalls Italienisch. Gelehrtes Wissen zu erwerben galt bei
vornehmen Leuten direkt für unschicklich. Wie Liselotte es
einmal ausdrückt »junge Leute von qualitet sollen weißen, daß
sie hertz haben, sonst kommt es gar zu doctorisch herauß«.
Und wenn sie ein ander Mal schreibt »lateinisch ist nur vor
Pedanten«, so begreift man, daß Friedrich Wilhelm L einen
seiner gewöhnlichen Tobsuchtsanfälle bekam, als er seinen Sohn
beim Einpauken von mensa mensae antraf. Um seinen Sohn
herzhaft zu machen, ließ ein anderer Hohenzoller, der Mark-
graf von Ansbach, in seinem Zimmer junge Bären aufziehen,
eine Maßregel, von welcher er erst absah, als eins der heran-
gewachsenen Tierchen sich anschickte, einen Diener zu ver-
zehren. Weltbildung erwarb ein Kavalier nicht auf Univer-
sitäten, sondern auf Reisen, gewöhnlich auf der sogenannten
großen Tour, die ihn in Begleitung seines Hofmeisters durch
Deutschland und Italien, später hauptsächlich an den franzö-
sischen Hof führte. War die Erziehung der männlichen Jugend
derhöherenStände schon einehöchst unzulängliche — Georglll.
von England konnte z. B. zehn Jahre alt, weder Deutsch noch
Englisch — so war die der Mädchen vollends ganz vernach-
lässigt und diejenigen, welche später die Lücken derselben aus-
zufüllen wußten, wie die Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth,
Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar, Katharina IL,
können ihre schlechte und oberflächliche Erziehung meist auch
durch ganz ungeeignete Individuen nicht genug beklagen. Der
Mangel an geeigneten Erziehern wurde auch sehr drückend
empfunden. Der spätere Fürst Kaunitz z. B. beschwert sich
1745 gegen seinen Vater, daß er in Brüssel keinen passenden
Hofmeister für seine Kinder finden könne. Geliert sah sich,
um diesem Uebelstande zu steuern, veranlaßt, in Leipzig ein
Kolleg über die Eigenschaften eines Hofmeisters zu lesen. Lief
schon die Erziehung der oberen Stände rein auf eine Abrichtung
zu gewissen äußeren Formen hinaus, so war die der Jugend
der übrigen Stände vollends vernachlässigt, und beschränkte
sich in der Hauptsache auf eine gründliche Verachtung der
deutschen Sprache. Den Oldenburger Schülern wurde noch
1704 verboten, außerhalb der Schule etwas anderes als Latein
zu sprechen. 1709 schreibt August Hermann Francke, daß kein
Z2
y. B. Siiiiion Cliardin, Die Lektüre
Die Mod«. 18. Jatrt. 10
DieMode.18. Jatrh. 2. A.
Nicolas Lanc7et, Schäferszene
Student der Theologie in Halle imstande sei, einen richtigen
deutschen Brief zu schreiben, ja der Hofmeister von Louise
Adelgunde Kulmus, der späteren Frau Gottsched, verwies ihr
das Schreiben deutscher Briefe als »gemein«. Und selbst in
der zweiten Hälfte des Jahrhunderts noch schreiben Lauckhard
und sein Vater an Professor Semler lieber Lateinisch als Deutsch.
Wie traurig es um den Unterricht überhaupt aussah, lehrt
Winkelmanns Jugendgeschichte. Wenn Friedrich Nicolai auf
seiner Reise feststellt, daß man in Bayern etwa nur in jedem
dreißigsten Dorf einen Schulmeister finde, so paßt das dazu,
daß auch in Oesterreich-Schlesien nur etwa der fünfund-
zwanzigste Teil der Bevölkerung Schulunterricht empfing, und
daß in Krain die Geistlichkeit in ihren Predigten das Lernen
von Lesen und Schreiben als »Teufelswerk« bezeichnete. Ganz
in diesem Sinne erzählt Serafina Feliziani, die »Gräfin« Cagliostro
einmal ihren Anbetern, daß man in Rom Mädchen, die ehrbar
und tugendhaft werden sollten, weder Lesen noch Schreiben lehre.
Als Rousseau nun der Menschheit zurief, tut das Gegenteil des
Herkömmlichen und Ihr werdet das Rechte tun, da sproßten
34
Nicolas Lancret, Nicaise
die pädagogischen Systeme aus dem Boden wie die Blumen im
Mai. Man wollte abseits von der verkünstelten Gesellschaft
mit ihrer Schablonenkultur Individuen erziehen, freie Menschen
in freier Natur. Wie die vergangene Generation die Ritter-
Akademien und die Kadetten- Anstalten zur Dressur ihrer Jugend
errichtet hatte, so gründete man jetzt » Philanthropine«. Basedow
in Dessau, Salzmann in Schnepfental, Campe in Hamburg u. a.
wirkten im Sinne individualistischer Erziehung, um wenigstens
das künftige Geschlecht dem wahren Menschentum nahe zu
bringen. Als aber Herr v. Rochow die Wohltaten der Schule auch
der Landbevölkerungzuteil werdenlassen wollte, dabedeuteteihn
ein preußischer Minister, innezuhalten, denn der gemeine Mann
habe nur Gehorsam zu lernen. Das geschah durch den gleichen
Herrn von Zedlitz, der einst Gottfried August Bürger nicht als
Lehrer anstellen wollte, damit die Jugend keinen Hang zu der
alle Seelenkraft untergrabenden Poeterei bekomme.
35
An Schonungslosigkeit gegen die Kinder ließ es allerdings
auch diese Generation, die selbst noch in sklavischem Gehor-
sam aufgewachsen war, nicht fehlen. Ismael Mengs hat Anton
Rafael und Therese Concordia Mengs zu Künstlern erprügelt,
Daulli, Ludwig XV. lyjS.
eine pädagogische Kunst, die Rafael an seinen eigenen Kindern
30 Jahre später ebenfalls übte, Casanova erzählt, wie er sie
fast zu Krüppeln geschlagen hätte. Aus Wahrheit und Dichtung
erfahren wir, wie unbarmherzig der Rat Goethe gegen Wolf-
gang und Cornelia verfuhr, wie der berühmte Zimmermann Sohn
und Tochter durch seine Härte zur Verzweiflung trieb. Mit
dieser Strenge hängt wohl auch die uns so seltsam anmutende
Frühreife der Menschen jener Zeit zusammen. Die damalige
36
R.HotiStor. nac^-. Zoaz
i^iezzolmto
WILLIAM PITT, ENGLISCHER STAATSMANN
Gesellschaft entließ ihre Angehörigen in einem Alter, in dem sie
noch Kinder waren, als fertig ins Leben. Moritz von Sachsen
wohnt als Dreizehnjähriger der Schlacht von Malplaquet bei,
Prinz Max von Württemberg ficht mit 14 Jahren schon in der
Schlacht von Pultusk mit : Leopold von Gerlach ist 1780 noch
minderjährig aber schon kgl. Regierungsrat. Sophie von Pann-
witz ist vierzehnjährig schon Hof- und Staatsdame der Königin
von Preußen, ihr späterer Mann, Johann Ernst von Yoß mit
18 Jahren Geheimrat mit Sitz und Stimme am Oberappellations-
gericht in Berlin; ihre Tochter heiratet mit 14 Jahren, Wielands
Tochter mit 15, Goethes Mutter mit 17 usw. Diese Frühreife
hängt wohl damit zusammen, daß man den Unterricht fast
npch in den W^indeln beginnen ließ. Sieht man selbst von
Wunderkindern wie ^vlozart und dem kleinen Heinecken, derein
Jahr alt den Pentateuch auswendig konnte, völlig ab, so bleibt es
doch noch wunderlich genug, daß Emilie Basedow noch nicht
vier Jahre alt Französisch spricht, Wieland seinen Unterricht
schon mit 3V2 Jahren beginnt, Seume sich auf die Zeit, in der
er nicht hätte lesen und schreiben können, überhaupt nicht
mehr besinnen kann. Welche \'orwürfe man auch immer der
heutigen Schule machen mag, man muß als Anerkennung
wenigstens gestehen, daß sie ihren Vernichtungskampf gegen
den Geist der Kinder erst in einem späteren Alter aufnimmt.
Watteau, Die Göttin Ki Mao Sao
27
Nicola
Im Winler
Die Moral
D
ie Unbefangenheit, mit welcher noch das i6. Jahrhundert
seine naive Sinnlichkeit zur Schau getragen hatte, war
im Laufe des 17. unter den Nachwehen des furchtbaren
großen Krieges zu völliger Zügellosigkeit entartet. Im 18. Jahr-
hundert werden die moralischen Anschauungen der Gesellschaft
dann so laxe, daß die Unsittlichkeit geradezu als Folgeerschei-
nung der Toleranz wirkt. Wenn Fürsten und hohe Herren sich
ihrer Liebschaften früher noch geschämt hatten, und wenigstens
38
Nicolaus Lancret, Am Morgen
eine weitere Oeffentlichkeit nicht gerade zu Zeugen ihrer Eska-
paden einluden, so macht das Beispiel Ludwig XIV. die Unmoral
nunmehr zum guten Ton. Eine Maitresse zu haben, gehörte
für einen Herrscher absolut zur Notwendigkeit, und Fürsten,
die keine Herzensneigung zu einer anderen als der eigenen Frau
fühlen, halten sich eine maitresse en titre, um ihrer höfischen
Pflicht zu genügen. So Friedrich I. von Preußen die Gräfin
Wartenberg, Kaiser Karl VI. die Gräfin Althann, Georg III. von
England, u. a. Ludwig XIV. war in der Nachgiebigkeit gegen
seine zärtlichen Neigungen durch keine Skrupel des Gewissens
behindert worden; er hatte aber die Rücksichten, die er seiner
königlichen Würde und dem öffentlichen Anstand schuldete,
nie aus den Augen verloren. Er gab seinen Maitressen hohe
Titel und Hofstellen, ja, er hat die letzte derselben, Frau von
Maintenon, sogar zur linken Hand geheiratet, sein Verkehr mit
diesen Damen bewegte sich stets in Formen, deren Feinheit
von derihm eigenen Ritterlichkeitgegen dasweiblicheGeschlecht
diktiert wurde. Sofort nach seinem Tode ward das anders. Der
39
Herzog von Orleans, Regent für den unmündigen Ludwig XV.,
kannte nur noch ein Gesetz: sich zu amüsieren. Er suchte
seine Unterhaltung in einem Kreise, dessen Eingeweihte sich
mit Stolz Roues, d. h. von allen Lastern Geräderte nannten,
und auf den Ton, den er damit angab, stimmte sich sofort
die gesamte gute Gesellschaft. Was Liselotte, die brave Mutter
des Regenten, über das Treiben und die Anschauungen der
Pariser vornehmen Welt an ihre Korrespondentinnen, auch an
die Unverheirateten derselben berichtet, stellt alles in Schatten,
was unsere Zeit an Skandalprozessen an den Tag gebracht hat.
Dieser Gesellschaft galt die eheliche Treue nicht nur als lächer-
lich, nein, sie hielt sie geradezu für einen groben Verstoß gegen
den guten Ton, nur dann verzeihlich, wenn die Gatten, wie
etwa die herzoglichen Paare von Luxemburg und von Bouffiers
miteinander in einer viereckigen Ehe lebten. Die Treue, die
Ludwig XV. jahrelang seiner Gattin bewahrte, empörte den
Hof, und seine Umgebung ruhte nicht, bis sie ihn debauchiert.
Als ähnliche Manöver bei seinem Enkel mißglückten, verfiel der-
selbe rettungslos der Lächerlichkeit. Das geringe Ansehen, in
dem Ludwig XVL bei seinem Volk stand, verdankte er der
Verachtung, mit der die Höflinge über seine Sittenstrenge
urteilten. Es war ein Ruhm, sittlich ohne Vorurteil zu sein ;
als die Tischgenossinnen der Madame de Chauvelin in einem
Vaudeville 1733 als die sieben Todsünden auf die Pariser
Bühne gebracht wurden, waren sie stolz darauf und der Herzog
von Richelieu verdankte seine sprichwörtlichen Erfolge bei den
Frauen nur dem Umstand, daß er der berüchtigste Don Juan
seiner Zeit war. Die Damen wetteiferten darin, sich für ihn
bloßstellen zu dürfen, Frau von Polignac und die Marquise
de Nesle haben sich seinetwegen sogar auf Pistolen duelliert.
Maitresse des Königs zu werden, war das höchste Ziel, das
dem Ehrgeiz der Frauen vorschwebte, das zu erreichen Intriguen
über Intriguen sogar aus den Pensionaten der vornehmen Klöster
heraus angesponnen wurden. Der Adel rechnete es zu den
Privilegien seiner Kaste, dem Herrscher die Maitressen aus
seinen Kreisen zu liefern. Die Pompadour hatte gegen den
Haß des Hofes nur aus dem Grunde zu kämpfen, weil sie
eine Bürgerliche war, und Friedrich Wilhelm H. von Preußen
kuppelte man Julie von Voß, Gräfin Sophie Dönhoflf nur zu,
um die gehaßte Bürgerliche Rietz-Enke-Lichtenau zu stürzen.
40
James '^Vatson r.t =i::.^,,-j Mezzotinto Bruckmaim.
JUNGES MADCHEN MIT SPITZENMANTILLE
12
August dem Starken stellte man vor, daß er sich auch eine
Maitresse aus dem polnischen Adel wählen müsse, damit man
in Polen nicht eifersüchtig darauf werde, daß der König diese
Ehre bisher nur Deutschen habe zuteil werden lassen. Die Ver-
hältnisse lagen in Deutschland durchaus nicht anders als in
Frankreich. Man war hohen und höchsten Ortes in Bezug auf die
Moral außerordentlich tolerant. Die Königin Sophie Charlotte
von Preußen gab einst während eines Aufenthalts in Leipzig
ihrem königlichen Wirt August dem Starken einen Ball und
hatte sich, wie Pöllnitz sehr witzig erzählt, als besonderen Spaß
ausgedacht, nicht nur die gerade in Gunst befindliche Maitresse
des Königs, sondern auch die in Ungnade gefallenen heimlich
zu diesem Fest einzuladen, so daß zu ihrem höchsten Ergötzen
der Monarch, als er ganz unerwartet die Gräfin Königsmark,
die Fürstin von Teschen, Frau von Haugwitz und Frau von
Esterle traf, sich einem Quartett von Geliebten gegenübersah.
Diese Konnivenz der Höfe blieb sich das ganze Jahrhundert
über ziemlich gleich. Herzog Karl Eugen von Württemberg be-
suchte mit Franziska von Hohenheim die deutschen Höfe lange
ehe er die Dame geheiratet hatte, und später noch empört sich
die Gräfin Voß darüber, daß die Königin von Preußen den
Markgrafen von Ansbach und Lady Craven empfängt. Es muß
allerdings zugestanden werden, daß, wenn in Deutschland auch
die moralischen Anschauungen von dergleichen Frivolität waren
wie in Frankreich, die Betätigung derselben doch jener Grazie
entbehrt, die in Frankreich selbst die Tugend weniger lang-
weilig macht als anderswo. Es liegt etwas Wüstes und Rohes,
etwas brutal Täppisches in der Art, wie viele deutsche Fürsten
jener Zeit sich auslebten. Man denke nur an den Herzog von
Mecklenburg, der Frau von Wolffrath zu seiner Maitresse machte,
nachdem er eben ihren Mann hatte hinrichten lassen, oder
an den Markgrafen von Baden-Durlach, der seineTage in einem
Harem von i6o Gartenmägdlein zubrachte, oder an den Herzog
von Württemberg, der seine Kinder von fünf Maitressen unter-
einander verheiratete. Man war in England dazumal gewiß
nicht sittenstrenger als auf dem Kontinent, aber alle Reisenden
englischer Nationalität, die in jenen Jahrzehnten Deutschland
besuchten, fällt es auf, wie völlig gleichgültig man hier gegen
jedes Gefühl äußeren Anstandes sei. Lady Montague schreibt
aus Wien, daß jede Dame von Stande ihren Cicisbeo habe
42
Frangois Boucher, Familienbild, ijjg
daß diese Verhältnisse ebenso bekannt wie selbstverständlich
seien und in allen Gesellschaften respektiert würden. In späterer
Zeit berichtet Sir William Wraxall vom Hofe in Cassel, daß
die Mißachtung des Schicklichkeitsgefühls geradezu wie etwas
Geheiligtes betrachtet werde.
Unter diesen Umständen mußte die Opposition, die aus bürger-
lichen Kreisen gegen das lockere Treiben an den Höfen und
43
?^,
Festbau auf der Place Louis le Grand, 174J
unter dem Adel laut wurde, ganz von selbst auf den Weg
der Tugend gedrängt werden. So sehen wir denn auch, daß
die Wochenschriften, die so ziemlich mit dem Anfang des Jahr-
hunderts zu erscheinen beginnen, und sich in immer steigender
Zahl an die bürgerliche Familie wenden, direkt auf moralische
Wirkung zielen, genau wie die englischen Vorbilder, denen sie
nachgeahmt sind. Während Gottsched und seine blaustrümpfige
Frau in ihrer pedantischen Art mit der Verbesserung der
deutschen Sprache die Deutschen auf rein verstandesmäßigem
Wege zur Tugend bilden wollten, machte Geliert die Pflege der
Tugend zur Sache des Herzens und des Gefühls, und beginnt
damit jene Epoche der Empfindsamkeit, welche für die Menschen
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts so charakteristisch ist.
Diese Richtung auf das Schwärmerische und Gefühlvolle wurde
ganz wesentlich unterstützt durch die Literatur, die einen ganz
anderen Charakter annimmt. An Stelle der schwülstigen Roman-
ungeheuer, die ihre ledernen Helden-, Haupt- und Staatsafifären
in dicken Quartanten abhandeln, treten die Romane, deren
Aktionsgebiet im menschlichen Herzen allein liegt, ein Unter-
schied, der sofort in die Augen springt, vergleicht man etwa
den ersten dieser neuen Art: Gellerts schwedische Gräfin mit
46
Lohensteins asiatischer Banise oder des Herzogs von Braun-
schweig Octavia, die noch die Unterhaltung der vorigen Ge-
neration gebildet hatten. Wenn Zoten und Zweideutigkeiten
sich selbst in den Versen der Dichterinnen jener Epoche breit
gemacht hatten, man lese einmal die Gedichte der Sidonia
Hedwig Zäunemann, um sich einen Begriff von dem Geschmack
und dem Zartgefühl einer Zeit zu machen, in der eine Jungfrau
einer Freundin derartige Gedichte zur Hochzeit verfertigen
konnte, so werden sie jetzt durch sentimentale Wendungen
ersetzt. Die Dichter entrücken die Liebe der Sinnlichkeit und
verpflanzen sie" in die Seele an die Seite der Freundschaft,
die bald einen ebenso breiten Raum einnimmt. Jetzt erst
scheinen die Menschen sich bewußt geworden ,zu sein, daß sie Empfindung
eine Seele haben und die Neuheit der Entdeckung reißt sie Empßndeiei
zumUeberschwangfort, zu einer Schwelgerei der Gefühle, welche
bald jede echte Empfindung in bloße Empfindelei ausarten
läßt. So gesteht Charlotte von Clausewitz ihrer Freundin Elise
von Bernstorff, daß ihr der tote Baum im Garten lieber sei als
der grüne, weil er besser zu ihrer Stimmung passe. Tausend
bis dahin unbekannte Gefühle und Gefühlchen werden tändelnd
gepflegt, man rührt sich und andere, schwelgt in Tränen und
Seufzern. Heftige Gefühlsausbrüche werden guter Ton, Um-
armungen, Küsse, Tränenströme, Ohnmächten gehören zu den
alltäglichen Umgangsformen beider Geschlechter. Bürger be-
dankt sich überschwenglich bei Miller für die wollüstigen Trä-
nen, die er beim Siegwart habe weinen dürfen, Friedrich der Große
bricht beim Rezitieren französischer Verse konvulsivisch in
Tränen aus. Prinz Ferdinand, Prinz Heinrich, preußische
Generale weinen bei jeder Gelegenheit, ebenso wie de Catt,
der nie versäumt, die vergossenen Zähren in seinem Journal
zu buchen. Die Dichterjünglinge des Hainbundes vergießen so-
viel Tränen, wie sie Verse machen, ja selbst der nüchterne Voß
steigert sich in einen wahren Rausch tränenseliger Ueberschweng-
lichkeit hinein. Man führt ein Tagebuch, um es andere lesen zu
lassen, wie die Prinzessin Heinrich, die es in Magdeburg bevor-
zugten Hofdamen zu lesen gibt und sie durch diesen Blick in
ihr Herz »innig rührt«. Man spiegelt die eigene schöne Seele
in der fremden und wird nicht müde, sich selbst und anderen
ein Theater seelischer Sensationen vorzuspielen. Gustav Gott-
hardt von Blücher, ein Bruder des Fürsten, hatte über seinem
47
Pietro Longhi-, Die Tanzstunde, I74J-
Bette die Modelle des Sarges seiner Gattin und seines eigenen
mit den zärtlichsten Inschriften. Sie war 1772 gestorben, er
starb 1808. Die Stammbücher, die bis dahin ausschließliches
Eigentum der Studenten und im Laufe der Zeit zum Tummel-
platz rohester Zoterei ausgeartet waren, wandern in den Besitz
zartfühlender Jünglinge und Jungfrauen und werden Tempel,
48
Figurine für ein Ballett
Die Mode. 18. Jahrli. 13
in denen die Herzen der Empfindsamen den Gefühlen ewiger
Liebe, unvergänglicher Freundschaft die süßesten Worte leihen.
In jedem Park gehört ein Freundschaftstempel zu den unent-
Ckarditi, Die Tanzstunde^ ^74S
behrhchen Requisiten gerührter Stimmungsmacherei. Friedrich
der Große weiht in Sanssouci einen solchen dem Andenken
seiner Schwester, Gleim richtet sich in seinem Hause in Halber-
stadt einen Freundschaftstempel ein, in dem er die Bildnisse
seiner zahllosen Freunde numeriert und etikettiert bewahrt, wie
die Kräuter in einem Herbarium.
Wie Oel ins Feuer so goß die Literatur von Zeit zu Zeit immer Kiopitock
Di« Mode. 18. Jahrh. 2. A.
49
wieder neues wonniges Gift in die Herzen der Gefühlvollen.
Klopstock riß durch den feurig leidenschaftlichen Schwung
seiner Sprache, durch das Fremdartige seiner ungereimten
Strophen die Seelen in die Höhe unbegreiflich erhabener Vor-
stellungen und füllte sie mit Idealen, weit ab von den ausge-
tretenen Pfaden der Alltäglichkeit. Der Messias war das erste
Werk der deutschen schönen Literatur, das ein lautes Echo in
ganz Deutschland weckte. Es gab den Lesern etwas Höheres,
als sie bis dahin je empfangen hatten. Er wirkte mit der Kraft
eines Elementarereignisses, das alles mit sich fortreißt. So
voll waren die Köpfe davon, daß die Synode in Magdeburg
unter dem Vorsitz des Hofpredigers Sack einmütig beschloß,
daß die eine Hauptfigur der Dichtung, der gefallene Engel
Abbadonna unbedingt selig werden müsse, und in Wahrheit und
Dichtung teilt Goethe etwas von der Wirkung des Buches in
der Kinderstube mit, als er und Cornelia das verzweifelnde
Gespräch zwischen Satan und Adramelech mit verteilten Rollen
aufsagen und durch ihre Leidenschaft eine tragikomische Kata-
strophe herbeiführen. Aus den Gebieten des Uebersinnlichen
führten dann Richardsons Romane, die in aller Hand waren,
die Gemüter der Exaltierten wieder in die bürgerliche Sphäre
sanften Empfindens zurück, wo sie mit Clarissa und Pamela,
mit Grandison und Lovelace schwärmen durften, um sich bald
darauf von Ossian mit der schmerzlichen Süßigkeit einer nebel-
haften Schwermut durchschauern zu lassen, um schließlich
durch den Werther vollends um Vernunft und Besinnung
gebracht zu werden.
Werther Man hat die Wirkung von Goethes Roman das Wertherfieber
genannt und mit um so größerem Rechte, als man sich heute
kaum noch einen Begriff davon machen kann, wie tief und
wie weit der Einfluß dieses Buches damals ging. Daß sein Ver-
fasser mit einem Schlage ein berühmter Mann, der Lieblings-
dichter seines Volkes wurde, daß Auflage der Auflage, Nach-
druck dem Nachdruck, Uebersetzung der Uebersetzung, Nach-
ahmung der Nachahmung folgte, will wenig besagen. Dieses
Schicksal haben viele Autoren mit ihren Büchern geteilt. Hier
aber hatte ein Dichter ofifenbart, was ein ganzes Volk empfand,
das Buch schien mit dem Herzblut der Zeitgenossen geschrieben.
Es drang in alle Kreise, sogar in die Hütte leibeigener Bauern,
Ernst Moritz Arndt besann sich darauf, es im Hause seiner
SO
Jean Marc Nattier, Mme. Viäoire de France, Tochter Ludwig XV. als Diana
Bildungs-
bedürfnis
Eltern gesehen zu haben ; es brachte die Studenten, wie Matthison
bekannte, aus Roheit und Verwilderung zu feinerer Sitte; es
drängte sich in Aeußerlichkeiten selbst der Tagesmode auf.
Lauckhard erzählt von der nächtlichen Prozession, die unter
Trauergesängen die gute Gesellschaft Wetzlars im Frühjahr 1776
nach Werthers Grab führte, und von wievielen wissen wir,
denen in jenen Jahren der freiwillige Tod Werthers der Weg-
weiser in die Freiheit wurde? In Linz sah Nicolai Werther
sogar als tragisches Ballett, in Wien Werther und Lottchen als
Feuerwerk.
Die Erhebung des deutschen Volkes, das Entstehen der neuen
Gesellschaft, die gleich entfernt von den Vorrechten des Adels,
den Vorurteilen der Gelehrten und der Roheit des Pöbels
ihre Mitglieder unter den »Gebildeten« sucht, dankt die Nation
der schönen Literatur und ihrer Pflege, in welcher sich die
besten und edelsten Geister zusammenfanden, in welcher sie
ihre höchste Aufgabe sahen. Das Erringen dieser Bildung war
52
'■f^^
«Bi r^Hß^ ^"
Boucher, La belle botiqueiicre
Die Mode. 18, 'atr}. 15
Chardin, Der Zeichenunterricht
indessen außerordentlich schwer, da nur die Begüterten im Besitz
von Bibliotheken waren und imstande, sich Bücher zu beschaffen.
Aus Winkelmanns und Bürgers Briefen wissen wir, wie schwierig
es war, überhaupt nur die Bücher zu erhalten, deren man be-
durfte, und daß Winkelmann einen ihm wenig zusagenden
Posten beim Grafen Bünau nur annimmt, weil er da an eine
große Bibliothek kommt. Aus Cassel schreibt 1781 Georg Forster
an Jacobi, daß dort kein Buch zu sehen sei, gerade wie Reb-
mann in Köthen nur Bibel und Gesangbuch findet. Perthes,
gewiß ein Sachverständiger, berichtet uns, daß nur die wenigsten
kleinen Städte Buchhandlungen besaßen, daß z. B. zwischen
Regensburg und Tirol nur in Augsburg und im ganzen Nord-
westen nur in Münster eine solche zu finden gewesen sei. Die
Erscheinungsart der Bücher, die damals nur zweimal im Jahr,
zur Oster- und Herbstmesse, auf den Markt kamen, machte
aber die Buchhandlungen geradezu zu Mittelpunkten des lite-
rarischen Verkehrs und auf diese Weise ganz von selbst Leipzig
als Zentrale des Buchhandels zur Zentrale des ganzen geistigen
53
Deutschlands, zu dessen Provinzen Oestcrreich und Süddeutsch-
land aber nicht gehörten. Wie stark auch der Gegensatz
Norden und zwischcu dem KathoHzismus des Südens und dem Protestan-
tismus des Nordens sein mochte, weit stärker war noch jener.
Chardin, Die Gouvernante
der dadurch entstand, daß der Süden ganz unliterarisch war.
In Oesterreich wütete die Zensur so systematisch, daß man
sich schließlich gezwungen sah, das Verzeichnis der verbotenen
Bücher zu verbieten, damit man aus demselben nicht die guten
Bücher kennen lerne ! Das kleine Bayern von damals zählte
54
Jacques- Andre Portail, Ein Duett
D;« Mode. 18. Jalirt. 16
Chardin, Das Tischgebet
zwar 28000 Kirchen und 200 Klöster mit 5000 Mönchen, aber
der einzige Verleger Grätz, der es seit undenklichen Zeiten
gewagt hatte, sich darin anzusiedeln, büßte durch schikanöse
Prozesse seiner Verfolger binnen kürzester Zeit sein Vermögen
ein. Das Land war von der geistigen Bewegung, die das
55
Ckard'm, Die Briefsieglerin
übrige Deutschland ergriffen hatte, so völlig ausgeschlossen,
als läge es auf einem anderen Planeten, so daß Riehl einmal
mit Recht sagen konnte, das bayerische Volk sei aus dem 17.
in das 19. Jahrhundert geschritten, ohne etwas vom 18. zu
merken. In der Reichsstadt Ulm machte man sich ein Ver-
dienst daraus nichts zu lesen. Man hatte dort nicht einmal
den Versuch gemacht, eine Lesegesellschaft zu gründen, wie an
anderen Orten, wo sie allerdings als Institute, welche die Auf-
klärung förderten, bald genug von der Polizei verboten wurden,
denn selbstverständlich kann es keiner Regierung erwünscht
sein, denkende Untertanen zu haben. Nicht einmal die Sprache
war ein Bindemittel zwischen Nord und Süd. Das Schrift-
deutsch, wie es sich im Lauf des Jahrhunderts herausbildete,
S6
Chardin, Dame mit Drehorgel
machte man im Süden als »lutherisch Deutsch« verdächtig, und
die Norddeutschen wiederum gaben vor, die Sprache der anderen
gar nicht zu verstehen. Möchte man der sympathischen Pfälzerin
Liselotte nicht beinahe gram werden, wenn sie »das verfluchte
Oesterreichisch wohl eine abscheuliche sprach« nennt ? Die
spinöse Markgräfin von Bayreuth kann von dem österreichischen
Kauderwelsch der Kaiserin Amalie, die sie in Frankfurt besucht,
nur hie und da ein Wort verstehen und Friedrich Nicolai, auch
ein Berliner, begleitete seine Reisebeschreibung gar mit einem
Wörterbuch des »Wiener Rotwelsch«, wie er den herzigen
Wiener Dialekt artigerweise nennt. Keyßler, der im ersten
Drittel des i8. Jahrhunderts in Süddeutschland war, bemerkt,
57
ihr Große
daß man aus dem mittäj^lichen Strich unseres geliebten Vater-
landes ruhig wegbleiben könne, da unsere Muttersprache im
Munde von Schwaben, Bayern, Oesterreichern ohnehin nicht
zu verstehen sei. Goethe erzählt umständlich genug, wie er
unter dem unerträglichen Hofmeistern der Leipziger, die
seinen oberdeutschen Dialekt lächerlich fanden, gelitten hat,
und Lauckhard nennt das Deutsch der Straßburger das jäm-
merlichste, ihre Aussprache die allergröbste, widerlichste und
abscheulichste, die man hören könne. Zu dem literarischen
Uebergewicht des Nordens trat der Ruhm der Heldentaten Fried-
Friedrich richs dcs Großeu, von dem, wie Goethe sagte, die deutsche Lite-
ratur den ersten wahren und höheren Lebensgehalt empfing, von
dessen strahlendem Namen auch ein Abglanz auf die Deutschen
als Nation fiel. Noch während des Siebenjährigen Krieges hatte
sich selbst im Lager seiner Gegner eine Fritzische Partei gebildet.
Wie es in Frankfurt zuging, erzählt ja in anschaulicher Weise
Wahrheit und Dichtung. Daß man sogar in Leipzig preußisch
gesinnt sei trotz der Kontribution von 900000 Talern, schreibt
1757 Kleist an Gleim. In Rom trank der Kardinal Albani mit
Ostentation auf das Wohl des Ketzerkönigs. Zur Zeit des baye-
rischen Erbfolgekrieges war in München kein Haus, in dem man
nicht das Bildnis Friedrichs H. gefunden hätte, man verehrte ihn
als Schutzgott Bayerns. Immermanns Vater pflegte zu erzählen,
daß, wenn bei den Revuen in Körbelitz Friedrich IL die Front
heraufgeritten sei, in lautloser Stille jeder die Empfindung ge-
habt habe, es komme der liebe Gott. Diese Bewunderung aber
blieb auf die überragende Persönlichkeit beschränkt. Man fühlte
Fritzisch, nicht preußisch, denn der Gedanke an nationale Neu-
gestaltung etwa fehlte der Zeit völlig, deren Ideen ganz auf Huma-
nität im allgemeinen, auf Menschenglück und Menschenwohl-
fahrt gerichtet waren. Die Verfolgung dieser idealen Ziele mußte
indessen fortwährend auf die Schranken stoßen, welche unhalt-
bare politische und gesellschaftliche Zustände jeder realen Bestä-
tigung entgegensetzten. Der Widerspruch zwischen hochsin-
nigem Wollen und unmöglichem Können hat zu der Erbitterung
geführt, welche gerade die Menschenfreunde an der friedlichen
Besserung alles Bestehenden verzweifeln ließ, so daß sie mit Fritz
Stollberg den Ausbruch der französischen Revolution als die Mor-
genröte der Freiheit begrüßten. Diese unerträgliche Enge der
Verhältnisse hat so viel dazu beigetragen, daß der Sturm und
58
Surugue nach Nicolas Coypel, Madame de X. (Mouchy), 1746
Drang jener Periode lediglich auf literarischem Gebiete hausen,
sich nur in Aeußerlichkeiten betätigen konnte. Sie hat ver-
schuldet, daß so viele dieser Stürmer und Dränger ihre besten
Kräfte in einer seelischen Schwelgerei von Gefühlen und Stim-
mungen nutzlos verpufiften, daß so viele andere sich in einem
59
Aberglaube
Fran^ois Boucher, Schlittenfahrt.
Hang nach dem Wunderbaren verloren, der sie hinter geheimen
Gesellschaften, illuminaten und Freimaurern, Magnetismus und
Mesmerismus, Kabbala und Rosenkreuzerei Aufschlüsse über
die letzten Geheimnisse der Menschheit suchen ließ,
fl"- So begleitet eine starke Utiterströmung des Aberglaubens die
Fluten der Aufklärung, die sich im i8. Jahrhundert durch die
Köpfe ergossen. Wenn in diesen wirbelnden Fluten viele Vor-
urteile, viel auf mangelnder Kenntnis beruhender Aberwitz zu-
grunde ging, ebensoviel blieb bestehen. Die Aufklärer kämpften
wohl erfolgreich gegen die Religion, aber indem sie den Glauben
erschütterten, befestigten sie nur den Aberglauben. Wenn man
die Aufklärung von dieser Seite aus betrachtet, so glaubt man
ein Satyrspiel vor sich zu sehen, in dem die Geste des Fort-
schritts höhnend persifliert, der Ausdruck geistiger Würde zur
grinsenden Fratze verzerrt wird. Man glaubte nicht mehr an
Gott, aber die gleichen Menschen, welche stolz darauf waren,
sich von der offenbarten Religion emanzipiert zu haben, zwei-
felten durchaus nicht an der Existenz des Teufels. Im Jahre 1727
60
Piclro Lo/i^hi. DtDiie bci iUr Toiklte
veranstalteten der berüchtigte Herzog von Richelieu, der Kar-
dinal von Sinzendorf und ein Graf Merode in Wien eine Teufels-
beschwörung. Als der Böse aber nicht erschien, erschlugen die
drei Herren im Zorn ihrer Enttäuschung den Magus. Bei
einer ähnlichen Veranlassung erging es mehreren Damen der
Pariser vornehmsten Gesellschaft noch übler. Die Hexe, welche
ihnen versprochen hatte, den Teufel zu beschwören, forderte,
daß sie sich ganz ausziehen sollten, da die Etikette verlange,
vor dem Höllenfürsten nackt zu erscheinen. Sie schloß die
vorschriftsmäßig Entkleideten dann in ein Zimmer ein und ent-
fernte sich mit Kleidern und Schmuck derselben. Die blamierten
Teufelsfreundinnen wurden erst am anderen Tage zwar nicht
vom Teufel selbst, aber von seinen Helfershelfern, der Polizei,
höchst beschämt befreit. Ungeheures Aufsehen machte durch
ihren unglücklichen Ausgang die Teufelsbeschwörung, welche
der Studiosus Weber in der Christnacht 1716 in einem Wein-
berg bei Jena vornahm. Der Unvorsichtige erstickte im Kohlen-
61
dampf und erntete statt der Schätze, die er hatte heben wollen,
den zweifelhaften Nachruhm, der Teufel habe ihm den Hals
umgedreht. Der Glaube an Zauberei und Hexen saß trotz Spee,
Becker und Thomasius fest in den Köpfen. Wilhelmine von
Grävenitz, die Landverderberin Württembergs, wurde angeklagt,
den Herzog Eberhard Ludwig bezaubert zu haben, gerade wie
Fräulein von Neitzschitz den Kurfürsten von Sachsen. Auch
Liselotte ist fest davon überzeugt, daß ihr Schwiegersohn von
Madame de Craon durch Eingeben einer bezauberten Muskat-
nuß zur Gegenliebe gezwungen worden sei. In Turin wurde
ein Mann gehängt, weil er die Absicht gehabt habe, den König
durch Sympathie zu töten. In Szegedin verbrannte man 1729
den Stadtrichter nebst seiner Frau und 34 Leidensgefährten
wegen Zauberei. In Deutschland erlitt zu Würzburg in der
Person der siebenzigjährigen Nonne Maria Renata Singer die
letzte Hexe den Feuertod am 21. Juni 1749. Niemals fand
die Kabbala so viel Gläubige als in der Zeit, da man zwar
mit dem Jenseits aufgeräumt hatte, aber doch der Zukunft ihre
Rätsel zu entreißen wünschte. Die Gräfin Cosel, Maitresse
Augusts des Starken, hat die letzten Jahrzehnte ihres Lebens
ganz in der Beschäftigung mit dieser hebräischen Geheimlehre
zugebracht, der zu Liebe
Duchanteau zum Juden-
tum übertrat. Casanova ver-
dankte die Mittel zu seinem
Aufwand zum guten Teil
seinen kabbalistischen Ora-
kelkünsten, in denen der
Regensburger Kapuziner-
pater Tertius mit ihm riva-
lisierte.
Aller Aufklärung, aller
Fortschritte der Naturfor-
schungzum Trotz hieltauch
das ganze 18. Jahrhundert
noch an einer Lieblingsidee
des Mittelalters fest, näm-
lich an jener der Verwand-
lung minderwertiger Me-
Louis Tocque, Der Opernsänger Jcliole falle in Gold. DieAlchimi-
64
#'
Jean Ilonori Fragonard, La Coqtutte
Die Mode, 18. Jahrh. 1«
^ ; ■ i)/' *5/.'tffir77«MWC;'.'.Ä' TT'. \>',ic;.v-.-,i- ji rat.- •,•-•;
Ch. N. Cochin, M?ne. de Potnpadour und der Vicomte de Kuntm ais
Aas und Galathea auf dem Theater von Versailles, 174g
sten zählten Kaiser und Könige, Adel und Geistlichkeit, Ge-
lehrte und Ungelehrte, Männer wie Frauen zu ihren Adepten.
Wenn man Wraxall Glauben schenken will, so wären allein in
Wien 3000 Personen mit Alchimie beschäftigt gewesen. Kaiser
Franz, die Könige Friedrich I. von Preußen, August der Starke,
Kurfürst Max Joseph von Bayern, der Landgraf von Hessen-
Homburg, Graf Ingelheim, Fürstbischof von Würzburg, die
Mutter Katharinas der Zweiten haben unablässig laboriert und
ihr gutes Gold, statt es zu vermehren, ebenso durch den Rauch-
fang verflüchtigt, wie der Pastor Lauckhard, der Maler Heinecken,
die Marquise d'Urfe, Fräulein v. Klettenberg u. a. Sogar ein
schlichter Leinenweber wie der Großvater von Karl Rosenkranz,
der in Buchholz bei Rostock lebte, vertat sein sauer verdientes
Geld in alchimistischen Versuchen. Man wundert sich nicht,
wenn man Fürsten sinnlosen Chimären nachjagen sieht, schrieb
doch Graf Manteuffel 1738 an Christian Wolf: »Deutschland
wimmelt von Fürsten, von denen drei Viertel kaum gesunden
Menschenverstand haben«, daß aber Gelehrte, wie der Anatom
Sömmering, denkende Köpfe wie Georg Forster, sich ernstlich
mit Goldmacherei beschäftigten, das darf uns befremden. Hätten
sie doch Veranlassung genug gehabt, eine Sache mit Mißtrauen
Die Mode. 18. Jalirli. 2. A.
65
zu betrachten, der sich so viele Abenteurer ihrer Zeit eifrig wid-
meten. Der Elsässer Jude Simon Wolff, der als Graf Saint-
Germain Europa düpierte und mehrere hundert Jahre alt seih
wollte, zeigte Ludwig XV., wie man aus mehreren kleinen
Diamanten einen großen macht, und verwandelte zu Casanovas
Zerstreuung ein i2-Sous-Stück in pures Gold. Freilich hatte
yean Etienne Liotard, jDie schöne Leserin<(^^ I7J2
er sich in der Person des berühmten Abenteurers ein ungläubiges
Publikum ausgesucht. Besserais irgendjemand wußte Casanova,
wie man die Schwächen der Menschen zu seinem Vorteil aus-
nützt. Wie er Frau von Urfe durch alchimistische, magische und
kabbalistische Spaße um die geringen Reste ihres Verstandes und
die großen ihres Vermögens brachte, muß man sich von dem
amüsanten Hochstapler selbst erzählen lassen.
Abenteunr Kein Zeitalter ist überhaupt Abenteurern aller Art so günstig
gewesen, wie das i8. Jahrhundert, kaum eines hat ihnen so
seltsame und so romantische Schicksale bereitet. Ein kleiner
westfälischer Adliger, Theodor von Neuhof, wird König von
66
M. A. Parelle, Proz'oking fidelity, iTjj
Die Mode, 18. Jatrk. 19
Fratifois Boiicher, Matquise de Pompadour
Corsica und stirbt im Schuldturm zu London ; ein Pastors-
sohn aus Halle, Struensee, wird Premier-Minister in Dänemark
und endet auf dem Schafott; ein kurländischer Gutsbesitzers-
sohn, Bühren, wird Regent von Rußland und besteigt auf
dem Umweg über Sibirien schließlich den Thron seines Heimat-
67 5-
h 'Mm
Chevillet^ Die Schwester des Künstlers
landes; der Holländer Ripperda wird spanischer Minister, der
Franzose Bonneval türkischer Pascha. Lord Baltimore, der
S, 30000 im Jahre zu verzehren hat, lebt mit seinem Harem von
acht Frauen immer auf Reisen, um den Ort nicht zu kennen, an dem
man ihn begraben wird. Charles Wortley Montague, der erste
Europäer, der als Kind geimpft wurde, war Straßenkehrer,
Fischer, Maultiertreiber in Portugal, Lakei, Student in Göttingen,
Postillon, Kutscher und Gott weiß was noch alles. Wenn im An-
fang des Jahrhunderts krippenreitende Kavaliere von Hof zu
Hof ziehen, um für ihre Spaße Unterkunft und Kost zu finden,
wie Pöllnitz, Bielefeld u. a., so werden gegen das Ende dieses
68
Lepicie, Die Jugend ah Alter verkleidet (Mme. Coyfel), lysr
Zeitraumes aus den Spaßmachern Magier und Adepten, welche
den Aberglauben ihrer Zeitgenossen für ihre Bedürfnisse in
klingende Münze umzusetzen verstehen. Dazu gehören vor
allem Cagliostro, dem kein Betrug fremd blieb, der Wunder-
täter Gaßner, welcher Teufel austrieb, der Goldmacher Sehfeld,
der Leipziger Gastwirt Schrepfer, dessen Person ihren geheim-
nisvollen Schatten noch in Wilhelm v. Kügelgens Jugend warf.
Und diese Abenteurer begleitet eine Schar von Sonderlingen
und Originalen aller Art, Menschen, deren verschrobene Eigen-
art nie besser gedieh, als in einem Zeitalter, in dem Glaube,
Aberglaube und Unglaube sich ebenso unklar durcheinander
69
wirrten wie politische und soziale Rechte und Pflichten. Edward
Wortley Montague, der in der höchsten Sphäre geboren, nur
in der niedrigsten leben konnte; der Ritter d'Eon, der sein
Geschlecht wechselte, wie andere das Hemd; der Maronit
Baron Antonio de Burkana, der nur seinem Stammbuch zu
Liebe reiste; der geheimnisvolle Baron Franck in Offenbach;
der Schwindler Orffyraeus, der das Perpetuum mobile erfunden
haben wollte und beabsichtigte, von dem ergaunerten Geld in
Karlshafen ein Tugendhaus mit einer Weisheitsschule zu errich-
ten ; Mesmer, der bei der Ausbeutung des von ihm entdeckten
tierischen Magnetismus nie den Charlatan verleugnete, der die
blinde Pianistin Therese von Paradies in Wien sehend gemacht
haben w^ollte und sich in Paris dazu herbeiließ, den Schoßhund
von Sophie Arnould zu behandeln, und viele, viele andere
mehr, deren Leben und Taten einen so farbenreichen Einschlag
im Gewebe der Geschichte einer Zeit bildet, die auf nichts
so stolz war, wie auf ihre Philosophie, ihr klares und kühles
Denken und mit deren Dünkel darauf doch nichts stärker
kontrastiert, als der Umstand, daß gerade diese Leute ein so
gläubiges Publikum fanden.
Sog. Krinolinengruppe mit August III.
70
Meißener Porzellan
Der übermächtige Einfluß, welchen die Aera Ludwigs XIV. Die Kumt
auf die Politik, die Gesellschaft und die Literatur der
europäischen Kulturvölker ausübte, macht sich auch in
der Kunst geltend. Das italienische Barock erobert, von Le
Brun und Le Pautre französiert, als Stil Louis Quatorze die
Welt. Und da diese Vorherrschaft der französischen Kunst
auch durch das ganze i8. Jahrhundert hindurch anhält, hat
man sich daran gewöhnt, die historischen Stile, welche die Kunst
dieses Zeitraums bestimmen, das Rokoko und den Zopf nach
den französischen Königen, deren Regierungen diese Jahrzehnte
ausfüllen, auch als Stil Louis Quinze und Louis Seize zu be-
zeichnen und doch kann nichts irriger sein. Man würde für
das Rokoko, welches man allgemein Louis Quinze zu nennen
pflegt, richtiger Regence sagen. Und insofern der sogenannte Stil
Louis Seize nichts anderes ist als eine Vorblüte des später Empire
genannten Stils, die sich aber unter Ludwig XV. entfaltete,
würde man die Bezeichnung Louis Seize am besten ganz fallen
lassen. Künstlerisch beginnt das i8. Jahrhundert mit dem Tode
Ludwigs XIV. Gerade wie die französische Gesellschaft ordent-
lich aufzuatmen scheint in dem Augenblick, da der Tod des
Königs sie von dem unerträglich gewordenen Joch der Etikette
befreit, wie sie sich Hals über Kopf in den tollsten Wirbel der
Vergnügungen und Zerstreuungen stürzt, geradeso entzieht sich
die Kunst den strengen Regeln, denen sie bis dahin gehorchen
mußte. An die Stelle der Regelmäßigkeit tritt die Willkür,
die Laune wird zum obersten Gesetz. Alles gerät in Fluß, die
geraden Linien beginnen sich zu schwingen, die tragenden
Glieder krümmen sich, das rein Zufällige ersetzt die Sym-
metrie. Feierlich undpomphaft wie der Alexandriner der Tragödie
erscheint das Barock neben der lustigen Sorglosigkeit des Ro-
koko, das unbekümmert um eine pedantische Ordnung alles
auf den Kopf stellt und durcheinander wirft. Aus dem Chaos
scheinbarer Unordnung erwächst dann jene Kunst der Ca-
price, deren graziöse Neckerei immer das Unerwartete bringt,
welche spielt und tändelt und scherzt, eine Kunst, deren
bezaubernder Reiz in einer unvergleichlichen Anmut liegt.
Ihre Gebilde sind rätselhaft und unverständlich, Wunder-
blumen einer daseinstrunkenen Phantasie, nicht zu fassen
und nicht zu beschreiben, wie Schöpfungen einer gesetzlosen
Natur, die der Uebermut mit der Schönheit zeugte. Eine
71
yean Bapüste Van Loo, Forträtstudie
ausgelassene Kunst für eine ausgelassene Gesellschaft, beider
Geburtsstunde schlug in den Jahren, da Laws Aktienschwindel
den Parisern die Fata morgana unermeßlicher Reichtümer
vorschwindelte. Müheloser Reichtum und genialer Leichtsinn
sind denn auch die Elemente dieses Stils, der in seinen
72
Mc Ar daü r.axii. fii. is
^^^zz^■ti^^to Bracknvann
MARY" DUCHESS OF All CAS TER
Schöpfungen einen undefinierbaren Duft von der unbeküm-
merten Lebenslust einer Zeit bewahrt hat, die genießen, nur
genießen und nichts als genießen wollte.
Die Gesellschaft des Rokoko hat ihren Chronisten in der Kunst
gefunden. Keine Feder wäre imstande gewesen, die Verfeinerung
ihres Lebensgenusses, die Schwelgerei ihrer raffinierten Kultur
zu beschreiben. Aus dem überschwenglichen Reichtum der spie-
lenden Linien dieser Kunst aber, deren ruheloser Flug allen Ge-
setzen der Vernunft zu spotten, alle Regeln der Schwerkraft in
Frage zu stellen scheint, klingt die gleiche Lebensfreude, die-
selbe übermütige Verantwortungslosigkeit wie aus dem berühm-
ten Geständnis jener großen Lebenskünstlerin der Zeit »nach
uns die Sintflut«. Für das Urteil einer späteren Zeit hat sich
dann auch, wie sonst bei keiner Epoche der Weltgeschichte
die Kunst dieser Zeit völlig mit ihrem Geist identifiziert.
Wer die Kunst des Rokoko kennt, der glaubt, die ganze Zeit
zu kennen, gerade als pulsiere in diesen tollen seltsamen
Schnörkeln noch ein geheimnisvolles Leben, als kose ein
leises Geflüster der Vergangenheit zärtlich mit der Gegen-
wart. Der neue Stil ist zwar in Frankreich entstanden und
hat sich von dort aus verbreitet, wie aber seine Väter keine
Franzosen waren, Oppenort war Niederländer, Meissonnier
Italiener, so hat er bei seinem Fluge über die Grenzen das
spezifisch Französische überall so mit der fremden Eigenart
vermischt, daß das englische, das spanische, das italienische
Rokoko etwas von dem ursprünglichen Pariser Rokoko durch-
aus Verschiedenes geworden ist. Seine eigentliche Blüte hat
dieser Stil überhaupt erst in Deutschland getrieben. Das
landläufige Vorurteil, als habe man sich im Zeitalter der
Ludwige in Deutschland damit begnügt, den Stil der Fran-
zosen einfach zu kopieren, hat schon vor einem Menschen-
alter Gurlitt dahin widerlegt, daß in jener Zeit die deutsche
Baukunst genau so reich an nationalen Eigentümlichkeiten
war, wie nur in irgend einer anderen Blütezeit der Kunst.
Es ist bezeichnend für die nüchterne Art des 19. Jahrhun-
derts, daß überhaupt erst ein Kunstgelehrter kommen mußte,
um der Welt die Augen für den Reiz eines Stils zu ö£fnen,
den man nur deshalb solange verachtet hatte, weil man seiner
schöpferischen Fülle impotent gegenüberstand, weil man zu
arm an Empfindung war, um künstlerische Werte zu genießen,
73
die sich nur fühlen, aber nicht rechnerisch nachprüfen lassen.
Als Gurlitt endlich sehen gelehrt hatte, da erkannte man
plötzlich, welche Perlen feinsten Rokokos Deutschland besitzt
und mußte alsbald inne werden, daß die reichsten und köst-
lichsten Schöpfungen dieses Stils entweder von Deutschen
oder von Ausländern auf deutschem Boden ausgeführt wurden.
Es ist gerade als habe der fremde Zaubertrank die Phantasie
deutscher Künstler in einen Rausch versetzt, dessen Ekstase
ihrem künstlerischen Vermögen Flügel lieh. Aller Erden-
schwere entkleidet, waltet ihr schöpferischer Geist fessellos im
Reiche der Schönheit, in dem alle Schranken der Möglichkeit
gefallen sind. Es entstehen Formen so neu, so kühn und viel-
gestaltig, daß neben ihnen die vergangene Kunst arm erscheint,
daß ihr unerschöpflich quellender Reichtum jeder kommenden
Kunst einen Vorwurf bedeutet.
Architehur Die damalige Zeit kannte an Monumentalbauten nur Kirchen
und Schlösser, die Richtungen, nach denen sich ihr Leben in der
Oeffentlichkeit dokumentierte, bedurften keines weiteren Aus-
drucks, höchstens, daß katholische Gegenden noch den Kloster-
bau forderten. Kasernen, Bahnhöfe und Fabriken sind erst im
nächsten Jahrhundert hinzugekommen. Wenn wir uns aber heute
in den Ländern deutscher Zunge umsehen, ob wir den Rhein
entlang wandern oder die Donau, ob wir die alte Kaiserstadt
Wien besuchen oder die still gewordenen Residenzen der Kleinen
und Allerkleinsten, ob wir die von Bergeshöhen herab herrschen-
den Gotteshäuser und Abteien oder die in grünender Wildnis
verborgenen Schlößchen aufsuchen, welche Fülle der Gesichte
offenbart sich da, wieviel Schönheit, wieviel Mannigfaltigkeit,
wieviel Zweckmäßigkeit ! Weiträumige Kirchen für den Schöpfer
der Welt und herrliche Paläste für ihre Herren, schimmernde
Hallen für lauten Prunk und lauschige Winkel für stille Freuden,
wie mannigfaltig alles und wie zweckmäßig immer, geordnet von
einem Geschmack, der das größte wie das kleinste mit gleicher
Lust behandelt, um im ganzen wie im einzelnen stets das höchste
künstlerische Wohlgefühl auszulösen. Die ganze Zeit ist in diesen
Bauten! Den spanischen Pomp des Kaiserhofes verkündet der
großzügige Stil der Hildebrand und der Fischer von Erlach,
aus dem Zwinger Pöppelmanns quillt förmlich die unverwüst-
liche Lebenslust seines königlichen Bauherrn, aus der heiteren
Anmut von Knobelsdorfifs Sanssouci lächelt der souveräne Geist
74
Daniel Chodoiuiecki, Gesellschaf tsbiUi, 1754
seines philosophischen Königs. Wie vieles auch zerstört ist, und
durch die Restauratoren täglich weiter beschädigt wird, selbst
in ihrer Degradation zu Ministerien oder Schulen haben diese
Bauwerke einen Charakter künstlerischen Adels bewahrt, den
die Folgezeit, selbst wenn sie es wollte, ihren Schöpfungen nicht
hatgeben können. Der Stil, der in der Ausführung von Schlössern
und Kirchen den ganzen verschwenderischen Reichtum seines
Könnens an den Tag legt, offenbart, wenn er kleineren Objekten
gegenüber zum [Maßhalten gezwungen ist, erst recht die originale
JCraft seiner ganz neuen schöpferischen Möglichkeiten. München
erfreut sich z. B. in Haus und Kirche der Brüder Asam eines
solchen Bauwerks, dessen persönliche Eigenart und hohe künst-
lerische Bedeutung ihm einen ersten Platz unter den Baudenk-
malen Deutschlands sichern. Freilich ist dies ein Grund, der
heutzutage so bedeutungslos erscheint, daß man für den Fort-
bestand von Haus und Kirchlein fürchten muß. Vielleicht machen
beide bald einem jener Protzenkästen Platz, wie sie so bösartig
in die feingestimmten Straßenbilder der Promenaden-, Pranner-
oderTheatinerstraße hineingespuckt haben ? Das.Hauszum Fal-
75
Nattier, Mme. Anne Henriette de France, Tochter Ludwig XV., 17s 4
ken in Würzburg, die Böttingerschen Häuser in Bamberg, das
Wespiensche Haus in Aachen und viele, viele andere zeigen das
Rokoko in glücklichster Anwendung auf Privatbauten. Gurlitt
hat mit schöner Wärme nachgewiesen, daß es ferner gerade
diesem Stil vorbehalten war, die offene Frage der protestan-
76
yean Marc Nattier, Mme. Adelaide^ Tochter Ludzuig X V.
tischen Predigtkirche inBährs Dresdener Frauenkirche meister-
haft zu lösen.
Der Wechsel des Geschmacks, der um die Wende des Jahr- Der KUsti-
hunderts sich von der höfischen Kultur abwandte, tat zugleich ^'"««'•'
mit ihr die höfische Kunst in Bann. Das Akademische, Regel-
gerechte, das der tolle Uebermut des Rokoko nur zurückgedrängt
hatte, triumphierte in Gestalt der Antike. Man wollte vornehme
Einfachheit an Stelle der fratzenhaften Schnörkel und Voluten.
Das Natürliche, zu dem man um jeden Preis zurückzukehren
suchte, schien sich noch am reinsten in der schlichten Einfalt
der Alten zu bieten. Ein Menschenalter vor der großen Re-
volution ist die Antike bereits das Schibboleth des Heils. Die
unvermutete Entdeckung Pompejis, die aus langer Vergessenheit
77
auftauchenden Tempel Siziliens und Unteritaliens, die Unter-
suchung der Ruinen von Athen und Spalato vereinigen sich,
um der auf angstvoller Suche nach ursprünglicher Kunst be-
griffenen Menschheit das Ideal vorzutäuschen, nach dem sie
strebte. Der Einfluß der Winckelmann, Caylus, Adam, die ästhe-
tischen Erörterungen der Diderot, Lessing und anderer taten
dann das Ihre, um alle Gebildeten mit dem Gedanken vertraut zu
machen, daß der Antike der Vorzug in jedem Sinne gebühre.
Bei der Wiederherstellung des alten guten Geschmacks griff man
denn auch mit beiden Händen in den Formenschatz der antiken
Architektur, zu deren herber Strenge dann unter den geschickten
Händen der Künstler des i8. Jahrhunderts so viel Zierliches
und Allerliebstes hinzutrat, daß aus der klassischen Kunst die
puppige Eleganz wurde, die wir heute Zopfstil nennen. Die
Kunstanschauung der Zeit erhob die Nachahmung zum leitenden
Grundsatz ihres Schaffens, aber man konnte sich doch nicht ver-
hehlen, wie gewaltsam die Anpassung vor sich ging, mit der
man das moderne Gegenwartsleben in die Säulenhallen und
Pilasterstellungen zwängte. Auf dem Wege der Nachahmung
konnte man ja ebenso gut versuchen, andere Gebiete der Stilge-
schichte zur Verwendung zu erobern, als gerade nur die allein-
seligmachende Antike. So begegnen wir auch wirklich schon in der
Mitte des i8. Jahrhunderts Versuchen in gotischer Baukunst.
Eä '■!■> ^ -!'.- .<">?
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Jean Marc Nattier, Maria Leszcynska, Gemahlin Ludwig XV., ijjj
78
Zcßany, Bildnis eines Ehepaares
D ; e M o d e , 18. Jatrt, 21
Der Schotte William Adam baute in diesem Stil Douglas Castle, Romantik
Robert Morris Inverary Castle, Wyatt nur wenige Jahre später
Fonthill Abbey für den reichen Sonderling William Beckford.
Der romantische Geschmack sucht im Mittelalter nach Sensa-
tionen. Er läßt Macpherson sich hinter Ossian verstecken, den
armen Chatterton seine Gedichte einem imaginären Thomas
Rawley in den Mund legen, diktiert Horace Walpole sein Schloß
von Otranto, durch ihn erwächst aber auch langsam wieder
ernsthaftes Verständnis für die Jahrhunderte hindurch als bar-
barisch verschriene Gotik. In Straßburg trat der jugendliche
Goethe mit Ehrfurcht vor das Münster und bildete mit seinem
Gefühl gewissermaßen das Bindeglied zweier Generationen;
denn wenn er als Jüngling mit seiner Bewunderung allein stand,
so sah er als Greis die Gotik überschwenglich gefeiert. Die
schulmeisterliche Richtung des Anlehnens an berühmte Vor-
bilder, die im 19. Jahrhundert in der Kunst zum Durchbruch
kam und unter der Lava ihrer Pedanterie alle \"ersuche eigen-
tümlichen Schaffens erstickte, beginnt sich schon mehrere Jahr-
zehnte früher durchzuringen. Es heißt ganz in diesem Sinne
gedacht, wenn Friedrich der Große sich einmal gegen Henri
de Catt rühmt, er habe in Potsdam im kleinen die schönsten
Bauten der ganzen Welt kopieren lassen, und später in Berlin
Gebäude aufgeführt, deren Originale in Rom, in Wien, in Eng-
land und anderswo zu finden waren. Man denkt unwillkürlich
an Hadrian. ■
Auf diesem Wege, der sie aus freiester Ungebundenheit in Malerei
die Enge akademischer Bevormundung führte, wird die Archi-
tektur von den Schwesterkünsten Malerei und Bildhauerei ge-
treulich begleitet. Das Jahrhundert, welches die Malerei mit
Watteau beginnt, beendet sie mit David. Antoine Watteau !
Klingt der weiche Schmeichellaut des Namens nicht wie ein
Zauberwort, ein »Sesam, öffne dich!«, das den Eintritt in
selige Gefilde erschließt, wie ein Wegweiser nach Cythere? Bei
seinem Klang erstehen vor unserem Auge alle jene anmut-
vollen Bilder ungetrübten Glücks, wo unter ewig blauem Him-
mel Schäfer und Schäferinnen kosen, wo holde Unschuld und
verführerische Sinnlichkeit miteinander tändeln, wo die mur-
melnde Quelle und der leise Zephyr wie in der gleichen süßen
Melodie die Sprache der Liebe reden. Eine Welt der Schön-
heit und der Fr^eude, die Heimat der Sehnsucht, jeder Atenj-
79
Pietro Longhi, Carneval, Pal. Grassi, Venedig
zug ist Heiterkeit und Lust, unter dem Lächeln ihrer Sonne
erblüht dem Wunsch auch die Erfüllung, denn die rohe Wirk-
lichkeit ist verbannt und die häßHche Wahrheit! Eine schmei-
chelnde Kunst, Zufluchtsort für die von allen Genüssen über-
zeizten Sinne einer ermüdeten Gesellschaft, deren raffinierter
80
^ES^ ! Wn«r ft'T
Pietro Longhi, Carneval, Pal. Grassi, Venedig
Kultur sie eine ebenso verfeinerte Xatur entgegenstellt, Bauern
und Bäuerinnen, Schäfer und Schäferinnen, aber in Seide und
Spitzen mit Puder und Parfüm. Zeigt uns Watteau den Geist
seiner Zeit im heiteren Gleichmaß eines Genusses, den eine
schönheitsdurstige Aesthetik im Zaume hält, so malt ihn Boucher
Die Mode. 18. Jahrb. 2. Ä.
De Troy, Toiktte pour le Bai, gesl. von Beauvarlet
im Chanipagnerrausch der Lust unter dem Stachel zügelloser
Sinnlichkeit. Er male Götter oder Sterbliche, Wesen der Erde
oder der Fabel, Menschen oder Tiere, immer geilt die Woll-
lust durch ihre Adern und buhlt aus ihren Blicken. Seinen
Göttinnen und Menschen ist die Nacktheit nur ein kokettes
Spiel der Entkleidung, ihre Haltung ist schmachtend, ihr
Lächeln zweideutig, sie stammen aus Paphos und wollen eben
dahin zurück. Boucher ist der Maler der lüsternen Grazien,
die Wirkung, auf die er ausgeht, der Kitzel der Sinne. Da-
durch ward er zum Abgott seiner blasierten Zeitgenossen.
Ebenso fruchtbar wie vielseitig hat er allem, was mit der
82
De Troy, Retour du Bai, gest. von Beauvarlet
Kunst der Zeit zusammenhing, seinen Stempel aufgedrückt.
Mit ihm ging die frivole Zeit zu Grabe, denn als er starb,
war die Tugend in der Mode, anständig zu sein war guter
Ton und die Schwelgereien Bouchers wurden durch die pro-
grammatische Tugendlangweilerei eines Greuze verdrängt.
Wie in Boucher das übersteigerte Glücksgefühl des Rausches
zum Ausdruck kommt, so stimmt der Engländer Hogarth sein
Werk auf die Ernüchterung. In langen Bilderfolgen schildert
er die Ehe nach der Mode, den Lebenslauf einer Dirne und
andere Vorwürfe von der Schattenseite der Gesellschaft. Wo
die Gegensätze von Gut und Böse in der sozialen Welt so
83 6-
unvermittelt neben einander lagen, bedurfte es für einen Künst-
ler wie Hogarth nur einer unmerklichen Korrektur der Wirk-
lichkeit, um aus ihren barocken äußeren Formen die Kari-
katur zu machen, um die Lüge ihrer Zustände mit grellem
Hohn zu beantworten. Hogarth entstellt seine Zeit wie im Zerr-
spiegel, eine bittere Simplizissimusstimmung spricht aus allen
Z. Tocqtie, Kaiserin Elisabeth von Rußland
seinen Bildern. Wahr, aber mit Liebe gesehen, erscheint uns
dagegen das i8. Jahrhundert, betrachten wir es in den Werken
von Chardin oder Chodowiecki. Da wird die ganze putzige
Gegenständlichkeit der Perückenzeit wieder lebendig, jugend-
licher Ungestüm im Haarbeutel und zarte Tugend im Reifrock,
der gravitätische Ernst einer Zeit, die gar zu gern klassisch
sein wollte und der der Zopf doch hinten hing! Zumal ist uns
Chodowiecki, der bis in sein hohes Alter rastlos fleißig war
84
und die Lebensäußerungen mehrerer Generationen mit seinem
Stift begleitet hat, nichts von alledem schuldig geblieben, was die
Urgroßväterzeit interessant machen kann. Er zeigt uns nicht nur
ihre Wesenheit in der äußeren Erscheinung, er schildert uns auch
die Form ihres Verkehrs, den Ausdruck ihrer Gefühle und die An-
schauungen, in denen sich ihr Geist bewegte. Chodowiecki ist
kein großer, aber ein überaus sympathischer Künstler, einer von
den guten Beobachtern mit scharfem Blick. Er weiß die trockene
Anmut des Lebens und der Sitten seiner Zeit mit einer haus-
backenen Ehrlichkeit aufzufassen und wiederzugeben, die etwas
Rührendes hat. Sein Oeuvre, das mehr als 2000 Blätter umfaßt,
vermittelt eine Kenntnis der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts,
die man von den Schöpfungen der großen Kunst damaliger
Zeit nicht erwarten darf. Während Chodowiecki seine Blättchen
schuf, kommandierte ja in der großen Kunst die Antike und über-
schrie den matten Widerspruch der eingeschüchterten Natura-
listen, die sich mit ihrer Freude an Leben und Wirklichkeit auf
die bescheidene Enklave des Porträts beschränkt fanden.
Die Porträtkunst als solche hat vielleicht nie größere Triumphe Das Porträt
gefeiert als im 18. Jahrhundert. Das Erbe der großen Meister
des 16. und 17. Jahrhunderts trug ihr Wucherzinsen in der
glänzenden Vollendung der malerischen Technik. Dazu in
beiden Geschlechtern Objekte, die nicht bedeutend, sondern
schön sein wollten, wo die Alten sich rosig schminkten, um
jung, und die Jungen sich weiß puderten, um alt zu scheinen,
wo Herren und Damen in der Sorgfalt der Toilette, im Reich-
tum der Kleidung sich selbst wie Kunstwerke zurechtmachten.
Der Erscheinung dieser überfeinerten Gesellschaft, deren Raffine-
ment für ein so ganz anders geartetes Geschlecht wie das unsere
immer einen Beigeschmack des Perversen behält, hat die Bild-
niskunst um so größeren Charme zu leihen gewußt, als sie
den größten Wert auf die Wiedergabe der Kleidung legte.
Die Menschen jener Zeit waren weit entfernt von jener blöden
Biedermeiermeinung, die das Aeußere gering schätzt, um das
Wissen zu überschätzen. Sie wußten recht wohl, daß viel
Lernen reine Popo-Arbeit sei, die jeder Esel auch leisten kann,
daß aber nur ein kultivierter Mensch imstande ist, sich gut
anzuziehen. Sie verlangten daher mit Recht, sorgfältig gemalt
zu werden. Sie waren überzeugt, daß Kleider nicht nur einen
wesentlichen, sondern in den meisten Fällen auch den besten
85 .
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William Hogarth, Selbstbildnis., 1738
Teil der Menschen ausmachen. So sehen wir denn, daß in den
Gemälden wie in den Stichen ein fabelhaftes Können ver-
schwendet wird, um den Glanz von Atlas und Seide, den
Schimmer des Sammets, die Wärme des Pelzwerks, die zarte
Musterung der Spitzen, das Feuer der Juwelen in einer stupenden
Weise wiederzugeben. Und zu dem Aufwand, den die Malerei
in Oel- und Wasserfarben, den Miniaturen, Schwarzkunstblätter
Das P^teii und Farbstichc treiben, tritt, eine neue Technik, das Pastell.
Sie versteht die flüchtige Grazie, den Duft des Augenblicks
festzuhalten und beherrscht wie kein anderer jene mondäne
Eleganz, die an der Oberfläche liegt. Das Pastell ist die Kunst
des gepuderten Jahrhunderts, die schöne Rosalba Carriera
führte es im Triumph durch die Welt der Höfe. Und wenn
wir die umfangreiche Sammlung ihrer köstlichen Porträts in
Dresden betrachten, so fühlen wir uns mitten in die Zeit ver-
setzt, die leichten Sinnes ihre Denkmäler aus Porzellan, ihre
Bilder aus buntem Staub formte. Der lächelnde Skeptizismus
eines Geschlechts, das wie Madame de la Verrue »fit pour
86
"W: Dickmson nach. Re^Tiolds ; Mezzotinto Bmckmaim.
ELISABETH COMTESS OF DERBY
plus grande surete son paradis dans la terre«, blickt aus der
zarten Harmonie halber Töne und gebrochener Farben, der
leisen Musik neutraler Hintergründe, die den Blick auf den
Dargestellten allein konzentrieren. Ein Menschenalter später
und das bloße Bildnis wandelt sich unter den Händen der
Reynolds, Romney, Gainsborough zum Bild. Die Distinktion
der Farbe ist die gleiche geblieben, aber die Wärme des Kolorits
kündet ein anderes Geschlecht, der Hintergrund, der das Auge
in weite Fernen grünender Landschaft lockt, teilt dem Be-
schauer etwas von der schwärmenden Empfindung mit, die
hier Maler und Gemalte erfüllt.
Auch die Porträts der Deutschen Graff, Tischbein u. a. zeigen
uns andere Gesichter, schlichte Menschen, die gern auf den
Pomp theatralischer Aufmachung verzichten, wie er noch
30 Jahre früher selbst dem einfachsten Bürgersmann unerläßlich
gewesen wäre. Keine bauschenden Seidenvorhänge mehr,
Daniel Chodowucki, Die Schwestern Quantin, 17J8
87
Alexandre Roslin, Jean de Betzkoy (Bruder der Gegenüberstehenden)
prunkende Säulen und gewaltige Architekturen sind verschwun-
den. Einfache Menschen in bescheidener Tracht und ruhiger Hal-
tung stehen vor uns. Das wirklich intime Bildnis dieser Zeit aber
müssen wir ganz wo anders suchen, nicht der Pinsel in der
Hand des Künstlers hat es uns hinterlassen, sondern wir danken
es vielmehr der Kunstfertigkeit des Amateurs. Die Schere ist
es, die uns den Schattenriß gab. Gelehrte wie Leisching,
Die Siihouttu Grünstein, Pazaurek u. a. haben die Geschichte der Silhouette
gründlich untersucht und ihre Ahnen im Altertum bei der
Tochter des Dibutades gefunden, die den Schatten ihres Ge-
liebten im Umriß auf der Felswand festgelegt, oder in den
»ombres chinoises« des fernen Ostasiens vermutet, sie haben
auch nachgewiesen, daß Scherenbilder bereits seit dem Jahre
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Roslin, Anastasia, Landgräfin von Hessen, geb. Prinzessin Trubetzkoy
1631 in Deutschland gefunden wurden, daß sie bereits von
Swift erwähnt werden, aber was macht das aus? Das erklärt
noch lange nicht, woher der Schattenriß so plötzlich in der
Mitte des 18. Jahrhunderts in Paris auftaucht, warum ihm der
unbeliebte Finanzminister Etienne de Silhouette seinen Namen
leihen mußte. Stammt nun die Erfindung oder Wiederein-
führung auch aus Frankreich, ihre eigentliche Heimat hat die
Silhouette doch erst in Deutschland gefunden. Während man
sie in Frankreich bald wieder fallen ließ, hat man diese Kunst-
fertigkeit in Deutschland mit dem größten Eifer ausgeübt, mit
solcher Liebe gepflegt, daß man das bloße Spiel wirklich zur
Kunst erhob. Die früheste Erwähnung findet sich wohl in
Briefen der Landgräfin Karoline von Hessen, die 1760 der Prin-
89
zeß Amalie Silhouetten sendet. Bald aber wird die Kunst ihrer
Anfertigung zum Gesellschaftsspiel. Biester schreibt 1775 aus
Bützow, es herrsche eine Wut von Schattenrissen. Alle Damen
handhabten den Storchschnabel und als Lavater an die Aus-
arbeitung seiner Physiognomik geht, gerät ganz Deutschland
in Aufregung. Sportmäßig werden Silhouetten gesammelt und
ihm gesandt. Jeder möchte in dem großen Werk des berühmten
Schweizers aufgenommen sein und Frau Rat Goethe ist bitter-
böse, daß sie zu den Zurückgewiesenen gehört! Man malt
die Schattenrisse, sticht sie in Kupfer, schneidet sie aus. Man
zeichnet den schwarzen Grund sorgfältig mit Deckweiß aus
und schafft auf diese Weise wirklich die reizendsten kleinen
Kunstwerke. Man hängt sie an die Wand, klebt sie in Albums,
trägt sie als Schmuck, schleift sie in Gläsern, malt sie auf
Tassen, schließlich genügt das Profilbrustbild nicht mehr, man
fertigt Silhouetten in ganzen Figuren, sogar in Lebensgröße,
die man auch zu Gruppenbildern vereinigt. 1780 erschienen
gleich auf einmal drei gedruckte Leitfaden zum Silhouetten-
zeichnen, allerorten gab es Künstler, die sie für Geld anfer-
tigten, überall fanden sich Sammler. Goethe sucht, wie Lavater
und Merck, die Charaktere nach Schattenrissen zu beurteilen,
und verliebt sich in Charlotte von Stein bei dem Anblick ihrer
Silhouette, die Zimmermann ihm mitteilt. Er findet in der
traurigen Kampagne von 1792 in dieser Kunst eine willkom-
mene Zerstreuung und sammelt noch als Greis Schattenrisse
für Marianne von Willemer.
Das inutieur Wie das Rokoko in erster Linie Gesellschaftskunst ist, so
entfaltet es auch seine feinsten Reize in der Ausstattung der
Innenräume, da hat es seine intimsten Wirkungen zur Gel-
tung gebracht. Die Zeit beanspruchte keinen Komfort, man
kannte den Begriff gar nicht, aber man forderte Kunst,
Kunst bis in den unscheinbarsten Gebrauchsgegenstand hinein.
Man war der prunkenden Staatsräume des Barock ebenso müde,
wie der steifen Etikettenformen des Verkehrs und flüchtete
aus der stilisierten Pracht der Säle und Galerien in die Traulich-
keit der kleinen Salons, in kosige Winkel des Behagens und
der Intimität. Im Schmuck und in der Ausstattung derartiger
Privatzimmer haben die Stile des 18. Jahrhunderts wohl das
Höchste geleistet, was der Kunst in dieser Beziehung über-
haupt erreichbar ist. Aehnliches haben frühere Zeiten nicht
90
Troost^ St. Nikolausfest in einan holländischen Hause, lyöi
erstrebt, spätere nicht erreicht. Mit der Freiheit des Stils,
dessen phantastische Laune an Wänden und Plafonds einen
Zierat von unbeschreiblicher Grazie erblühen läßt, vereint
sich die unermüdlich Neues schaffende Phantasie der Künst-
ler und die vollendete Technik des Handwerkers, um Räume
zu schaffen und einzurichten, deren Geschmack das ganze
Raffinement einer hochkultivierten Gesellschaft atmet. Das
Kunstbedürfnis der Zeit, das sich bis auf das geringste Blätt-
chen Gebrauchspapier erstreckte — Boucher, Cochin, Saint
Aubin, Bartolozzi u. a. haben Geschäftspapiere, Visitenkarten,
Billetts, Annoncen, Rechnungen entworfen, Watteau, Chardin
u. a. Ladenschilder gemalt — stellte die bedeutendsten Künstler
in den Dienst der Dekoration, und befruchtete ihren Geist
mit immer neuen, originellen Ideen. Man sparte weder die
kostbarsten Hölzer noch die seltensten Marmorsorten, das
überreich verwendete Gold wußte man durch die verschieden-
artigste Tönung unaufdringlich zu machen, jedem Material
verstand man durch eigenartige Verwendung noch neue Reize
abzugewinnen. Seitdem der Architekt Leblond durch die Ein-
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Cornelis l'roost, Holländische Wochenstube
fügung großer Spiegel ein völlig neues Element in die Aus-
stattung gebracht hatte, faßte man eine Vorliebe für sie, kein
Raum, den nicht Spiegel belebten und erhellten. Die Mark-
gräfin von Bayreuth berichtet mit Stolz von der Menge der-
selben in den Zimmern ihrer Mutter. Der Architekt Miquc
war der erste, der bei der Einrichtung des Boudoirs in Petit
Trianon auch die Fensterverkleidung durch Spiegel bewerk-
stelligte. Man hat Kabinette hergestellt, deren Wände und
Decke ganz mit Spiegeln belegt waren, in den römischen
Palästen wurden dem kostbaren Material zuliebe Flecken und
Sprünge mit Blumen übermalt. An anderen Orten, z. B. in
der Würzburger Residenz, gab man den Spiegelgläsern durch
Eglomisemalereien ein noch reicheres Ansehen. Tändelndes
Rankenwerk, aus dem Vollen geschnitzt, überspielt die Wände
und rahmt um Spiegel und Bilder wie in dem köstlichen
Bibliothekraum Knobelsdorffs in Sanssouci, wie in der Amalien-
burg Cuvillies, »der künstlerisch reichsten Anlage, welche
dieser Stil überhaupt zur Durchführung gebracht hat«. Man
spannt reich gemusterte Seidenstoffe über die Mauern oder
Gobelins nach Boucher und Watteau, Goya entwirft neue Serien
von Hautelisse-Tapeten für den Escorial. Olavides ließ in
92
Corne/is Troost, Holländische Villa tnit Lustboot
Lyon eine Tapete für sein spanisches Palais weben, dessen
Muster in Gold auf silbernem Grunde ausgeführt war. Der
Pfalzgraf von Zweibrücken hatte für Schloß Karlsberg eine
Atlastapete mit Darstellungen von Vögeln ausführen lassen,
die aus den richtigen Federn dieser Tiere gebildet waren. Er
hatte eigens zu diesem Zwecke die kostbarsten ornithologi-
schen Sammlungen gekauft. Man führt nicht nur das Parkett
der Fußböden, sondern die ganzen Wände in Marketterie aus,
wie in dem Kabinett der Casa del Labrador in Aranjuez, das
mit Piatina eingelegt ist und Millionen gekostet haben soll.
In Tsarskoje Selo befand sich ein Zimmer, dessen Wände
ganz mit Bernstein belegt waren, ein Geschenk Friedrich IL an
die Kaiserin Katharina. Schließlich wird es Mode, die Zimmer
von Künstlerhand ausmalen zu lassen. Von dem berühmten
Tiermaler Huet stammte die Mode der Affenkabinette, deren
bekanntestes sich wohl in Chantilly befindet. Van Spaendonck
hat das Boudoir der Tänzerin Duthe mit einer Dekoration
von Blumengirlanden versehen, deren leichte Grazie von un-
vergleichlichem Reiz ist. Fragonard malte das Boudoir einer
anderen Theaterprinzessin, der Guimard. Boucher ein Zimmer
für seinen Freund Desmarteau. Später, als der erste Vorstoß
93
der Antike erfolgte, war in Frankreich Rousseau de la Rot-
tiere berühmt für seine Zimmer im pompejanischen Stil.
Das Mobiliar Wie man sich in der Dekoration von der wuchtigen Pracht
des Barock abwandte, so ersetzte man auch das schwerfällige
Mobiliar dieser Zeit durch leichtere und bequemere Stücke.
Zur Zeit Ludwigs XIV. hatte man den Pomp silberner Möbel
geliebt, d. h. solcher, die über einem hölzernen Kern ganz
Wille nach Tocque, Marquis de Marigny^ lyöi
mit getriebenen Silberplatten belegt waren, in Whitehall hatte
Karl II. mehrere Zimmer in dieser Weise ausstatten lassen,
Friedrich Wilhelm I. Millionen an sein silbernes Mobiliar im
Berliner Schloß gewandt. Als Lady Montague Wien besuchte,
war in den Häusern des hohen Adels silbernes Mobiliar etwas
ganz Gewöhnliches. Nur einzelne Stücke sind im Laufe der
Zeiten dem Schmelztiegel entgangen, zahlreich finden sie sich
heute noch im Schlosse Rosenborg in Kopenhagen. Der ver-
feinerte Geschmack fand an solchen Prunkstücken keine Freude
94
^^«it^jt;~j/;X
Morean, Les delices de la Maternite. ijjö
Die Mode. 18. Jatrh. 24
mehr, nur für einige barbarische Höfe, wie die zu Petersburg,
Madrid und Lissabon hat der Pariser Goldschmied Germain
auch später noch silberne und vergoldete Toiletten geliefert.
Man betrachtete Gerät und Geschirr aus edlem Metall als
Kapitalsanlage, so investierte Friedrich Wilhelm I. in seinem
Silbergeschirr i'/2 Millionen Taler; Friedrich der Große 1743
ebensoviel in seinem goldenen Tafelservice; Maria Theresia
in ihrem goldenen Service 1 300 000 Gulden, und das Tafel-
service, das Max Emanuel von Bayern hatte aus Dukatengold
anfertigen lassen, diente ihm in der zweiten Hälfte seiner Regie-
rung in Augsburg als willkommenes A^ersatzstück. An Stelle
der schweren Formen treten leichtere und zweckmäßigere. Der
rohe Prunk des protzigen Materials verschwindet hinter dem
¥
A
j '-^J^^.
Dame mit Fächer
Dame mit Fiaschetto
Nymphenbxirgcr Porzellan
95
Raffinement der künstlerisch vollendeten Ausführung. Was
die Pariser Kunsttischlerei im Laufe des i8. Jahrhunderts in
dieser Art geschaffen hat, läßt sich weder beschreiben noch
durch Abbildung verdeutlichen. Man muß die Sammlungen
des Louvre-Museums, der Wallace Collection im Hertford-
house, den Jones bequest im South Kensington Museum ge-
sehen haben, um einen Begriff von der Vollendung dieser
Möbel zu bekommen. Zu den kostbarsten Hölzern Indiens:
Mahagoni-, Rosen-, Veilchen-, Tulpen-, Amaranthen-, Am-
boina-, Ebenholz fügte man Schildpatt und Perlmutter, Gold-
und Silberintarsien, Einlagen von Pietra dura, Inkrustationen
von Sevres- und Wedgwoodplatten, Mosaik aus glänzenden
Vogelfedern, Eglomise-Malereien, alles das verbunden und zu-
sammengestimmt durch Bronzen, deren köstliche Arbeit an
Feinheit der Tönung und Präzision der Ausführung ihresgleichen
heute nicht einmal mehr in Goldschmiedearbeiten findet. Die
Reihe dieser Künstler beginnt die Familie Boulle, die der
von ihr geübten Technik der Marketterie ja den Namen ge-
geben hat. Die Tüchtigkeit ihres Könnens hätte wohl den Wech-
sel des Stils überlebt, aber das Feuer, das am 30. August 1720
ihre Ateliers zerstörte, vernichtete ihren Wohlstand. Andre
Charles Boulle war in seine Arbeiten so verliebt, daß er sich
nicht entschließen konnte, sie abzuliefern und sie unter dem
Vorwand, daß sie noch nicht fertig seien, im Hause behielt.
Diese Vorliebe wurde ihm zum Verhängnis, denn die erwähnte
Katastrophe zerstörte die Früchte und den Wert jahrelanger
Arbeit. Wie die Boulle deutschen Ursprungs, so waren auch
ihre Nachfolger die Oeben, Riesener, Weißweiler, Benemann,
Schwerdfeger u. a. , die im 18. Jahrhundert den Ruhm des
Pariser Kunsthandwerks bildeten, größtenteils Deutsche. Ihrer
Kunst verdanken die berühmtesten Stücke jener Zeit ihre Ent-
stehung. So das .Rollbureau Ludwigs XV., an dem neun Jahre
lang mit einem Kostenaufwand von 72yys Livres (nach heu-
tigem Geldwert, das Livre zu M. 2,40 gerechnet, M. 174660)
gearbeitet wurde, der monumentale Schmuckschrank Marie An-
toinettes usw. Mit der Schönheit der Möbel harmoniert der
kostbare Bezug aus gestickter, bemalter, gewirkter Seide, die
Farbenpracht der Tapisserien, der Glanz der Lustres und Ge-
räte. Im Hotel der Madame de la Verrue hatte der geringste
Kronleuchter loooo Taler gekostet, Prinz Eugen bezahlte die
96
Alexandre kuiiin. Ainaceiic Ln> istine von Sachsen- Tescketi. ijSz
Die Mode. 18. Jahrh. 25
y. K. Seekatz, Die Goethesche Familie im Schäfer koslüfti aus dem Besitz Bettina s
V. Arnim, gemall 1762
DieMode.18. Jahrh. 2. A.
97
seinen das Stück mit 20000 Talern. Die Bronzen der Caffieri,
Gouthiere, Thomire, ihre Möbelbeschläge, Uhren, Leuchter,
Feuerböcke wurden mit Gold aufgewogen. Dem unglücklichen
Gouthiere blieb die Dubarry für einige Arbeiten, die er in
ihrem Schlosse Luciennes ausgeführt hatte, 756000 Livres
schuldig und stürzte den Künstler dadurch ins Elend.
Wenn auch in der Reinheit des Entwurfs und der Vollen-
dung der Technik den Pariser Arbeiten dieser Zeit der Vor-
rang gebührt, so beanspruchen doch auch die außerhalb Frank-
reichs Grenzen hergestellten Möbel einen hohen Rang. Die
Mannigfaltigkeit der Formen, in der z. B. deutsche Schreiner
das Thema Kommode abwandeln, ist unbeschreiblich. Man
findet in Grundriß, Aufbau und Profilen immer Neues und
Gefälliges. Die Hoppenhaupt, Nahl, Kambly, Hülsemann u. a.
De Carmontelle, Mme. Hirault und Mme. de Sechelle, lyöj
98
Carmontdle , Der elfjährige Mozart, ijöj
dürfen sich mit ihren Arbeiten wohl neben Pariser Stücken
sehen lassen, zumal wenn sie im Auftrag fürstlicher Mäzene
schufen. Die prächtigen Schränke aus Salzdahlum, heute in
verschiedene Museen zerstreut, sind in Entwurf und Ausführung
ebenso vollendet wie die Möbel, die Friedrich II. sich aus
99
Zedernholz mit Beschlägen von Silber, aus Schildpatt mit Platten
von Amethyst fertigen ließ. David Röntgen aus Neuwied genoß
eine europäische Berühmtheit. Für einen seiner Sekretäre, die
ihrer vielen geheimen Fächer und Schnurrpfeifereien wegen boites
ä surprises genannt wurden, zahlte Ludwig XVI. Soooo Livres.
Raffad Mengs, Marie Louise von Parma, Gattin König
Karls IV. von Spanien
Ein hervorragendes Stück aus seinen Ateliers ist heute noch
im Schloß Monbijou.
Das englische Geuz eigene Wege wandelte die englische Dekoration und
Möbelkunst des i8. Jahrhunderts. Das englische Rokoko, wie
die Chippendale es verkörpern, besteht eigentlich aus einer
sonderbaren Mischung. Sein Grundbestand ist französisches
100
Möbel
yaninet, Königin Marie AntoinetU, 177 J
Die Mode. 18. Jahrh. 26
Daniel Chodowiecki, Prinzessin Sophie Wilhelmine von Preußen,
1767 vermählt mit dem Erbstatthalter von Oram'en _
Rokoko, aber dies ist so stark mit chinesischen und selbst
gotischen Elementen verquickt, daß etwas durchaus Neues
daraus geworden ist. Das gleiche Unglück wie den Boulle
ist auch dem jüngeren Chippendale zugestoßen. Am 5. April
1755 brannte sein Laden in St. Martins Lane aus, eine Kata-
lOI
Strophe, die auch in diesem Fall die Aenderung eines Stiles
beleuchtet. In England haben die wissenschaftlichen Reisen
und praktischen Versuche der Brüder Adam die Antike früher
als auf dem Kontinent in Mode gebracht. Die Nachfolger
der Chippendale, George Hepplewhite und Thomas Sheraton
führen ihr Mobiliar schon mit starkem Anklang an klassische
Vorbilder aus. Der erstere mit der leicht englisierten Anmut
des Louis Seize-Stils, der letztere mehr in den strengeren For-
men des sogenannten Empire. Was den englischen Möbeln
aber ein ganz besonderes Gepräge gab, war ihr Charakter,
das Zweckmäßige, Schöne und Bequeme zu vereinigen, ein
Vorzug, der später das Möbel der Biedermeierzeit so stark
beeinflußt hat. In Inventaren des Berliner Schlosses finden
sich schon im Jahre 1713 englische Möbel aufgeführt, und
mit der zunehmenden Beeinflussung des Kontinents durch eng-
lische Philosophie, Literatur und Sitte wächst auch der Import
englischer Möbel und Geräte. Man gewann langsam auch bei
uns Verständnis für englischen Komfort. Die Modejournale
enthalten in jeder Nummer Anzeigen englischer Waschmaschi-
nen, Apparate zur Zimmergymnastik, Motionsstühle gegen Hypo-
chondrie u. dgl., und auf der Leipziger Messe 1797 schätzt man
die Einfuhr englischer Luxusartikel auf £800000, die der Frank-
furter Messe des gleichen Jahres auf i Million Pfund Sterling.
Das 18. Jahrhundert hat den Vorrat von Möbeln, den es
überkommen hatte, ganz bedeutend vermehrt. Einmal hat es
Ä. Aubin, Prottienade
102
Kaiserin Katharina von Rußland (Berliner
Porzellan)
die Formen der Sitz-
möbel, wie Kanapees,
Lehnstühle und Sessel
in geradezu unendlicher
• Mannigfaltigkeit ausge-
staltet. Die spätere Zeit
hat darin kaum etwas
Neues geschaffen. Dann
aber hat es endgültig
mit der Truhe gebro-
chen und die Kommode
an ihre Stelle gesetzt.
Schließlich hat es aus
dem Kabinettschränk-
chen den Schreibtisch
gemacht. Der Sekretär,
das Rollbureau, der Kau-
nitz und andere heute
Das Brief- uoch gebräuchliche Formcu des Schreibtisches stammen so gut
schreiben ^^^ diescr Zeit wie viele, viele andere, die heute vergessen sind,
wie etwa das Miniaturmöbel, das man in Frankreich » bonheur
du jour« nannte, und das in keinem Schlafzimmer einer Dame
von Welt fehlen durfte, gehörte doch beim Einschlafen ihr
letzter, wie beim Erwachen ihr erster Gedanke ihrer Korre-
spondenz. Wir sind im briefschreibenden Jahrhundert, an
dessen Beginn wir eine so
schreibfrohe Seele finden
wie Liselotte,welcher Brief e
von 25 Seiten eine Kleinig-
keit waren, die von der Prin-
zeß von Wales Antworten
von 28, 33, ja 45 Seiten er-
hielt. Ihr Zeitgenosse Phi-
lipp Jakob Spener empfing
jährlich etwa 1000 Briefe,
von denen er zwei Drittel
selbst zu beantworten pfleg-
te, und diese Leidenschaft
für das Korrespondieren
nahm zu, je weiter das Jahr- Taraval, J. J. Rousseau
104
Bartolozzi ,i,.
-',«»u Uuu.^c. A.v.c Mu
Auhc.
Die Mode. 18. J»lirh. 27
hundert vorschritt. Männer, welche wie Geliert bessernd aufweite
Kreise wirken wollten, unterhielten eine ausgebreitete Korre-
spondenz zum Teil mit ihnen persönlich ganz Unbekannten. Pri-
vate Korrespondenzen, besonders der ausgedehnte Briefwechsel
Julie Bondelis gewannen Rousseaus Anschauungen mehr An-
hänger als seine Bücher. Voltaire, der sich ',als geistiger Patriarch
Europas fühlte, korrespondierte mit der halben Welt und
konnte Casanova 1760 bei einem Besuch in Ferney eine Samm-
Dti Greux, Kaiserin Maria Theresia
lung von 50000 an ihn gerichteter Briefe zeigen. Lavater, der
jahrelang der Prophet der stillen Gemeinde der Empfindsamen
in Deutschland war, schrieb seine Zirkelbriefe, wie Friedrich
Nicolai sie nennt, unter der Voraussetzung, daß jeder der-
selben an 30 — 40 Orten bekannt werden würde. »Denn es war
überhaupt eine so allgemeine Ofifenherzigkeit unter den Men-
schen«, sagt Goethe, »daß man mit keinem einzelnen sprechen
oder an ihn schreiben konnte, ohne es zugleich als an mehrere
105
gerichtet zu betrachten. Man spähte sein eigen Herz aus und
das Herz der anderen und bei der Gleichgültigkeit der Regie-
rungen gegen eine solche Mitteilung, bei der durchgreifenden
Schnelligkeit der Taxisschen Posten, der Sicherheit des Siegels,
dem leidlichen Porto griff dieser sittliche und literarische Ver-
kehr bald weiter um sich. Solche Korrespondenzen, besonders
mit bedeutenden Perso-
nen, wurden sorgfältig
gesammelt und alsdann
bei freundschaftlichen
Zusammenkünften aus-
zugsweise vorgelesen
und so ward man, da
politische Diskurse we-
nig Interesse hatten, mit
der Breite der morali-
schen Welt ziemlich be-
kannt.« Das Briefschrei-
ben, das Weltdamen eine
Forderung der Mode
war, wurde den Blau-
strümpfen zur Pflicht.
MadameGeoffrin schrieb
aus Prinzip täglich min-
destens zwei Briefe und
Madame du Deffand
schrieb auch nicht das
kleinste Billett, ohne
nicht vorher mehrere
Brouillons davon aufzu-
setzen. So entstanden dann jene Briefwechsel, von denen Goethe
einmal sagt, daß die neuere Welt sich über ihren Geha;ltsmangel
verwundere, Ergüsse einerSchreibwut,die so tyrannisch herrschte,
daß auch der Trägste ihr gehorchen mußte ; wenn sich z. B.
ein Brieffauler wie Graf Stadion auch dadurch der Qual des
Selbstschreibens entzog, daß er die Liebesbriefe, auf die seine
Schöne ein Recht hatte, von seinem Sekretär La Roche schrei-
ben ließ. Leuchsenring, ein Apostel der Empfindsamkeit, reiste
mit mehreren Schatullen voller Briefe von Freunden, die er
Dritten mitzuteilen pflegte, und wenn wir heute diese Leiden-
Raffael Mengs, Zwei spanische Infanten
io6
Joseph Wright, Die Luftptviipe , ijög
Schabkunst von Green
Schaft für das Korrespondieren nicht mehr verstehen, so müssen
wir uns erinnern, daß auch die Modeliteratur von damals die-
sem Hang eitler und lügnerischer Selbstbespiegelung Vorschub
leistete. Von Richardsons Clarissa bis zu den frivolen »Liaisons
dangereuses« Choderlos de Laclos beherrscht die so ganz
unwahrscheinliche Form des Romans in Briefen die Lesewelt
und ein so langweiliges und konfuses Buch wie »Sophiens
Reise von Memel nach Sachsen« erlebt Auflage über Auflage,
während man schon nach dem fünften oder sechsten Brief
von keiner der handelnden Personen mehr weiß,whichiswhich ?
Heute lächeln wir über die Periode der Empfindsamkeit, die
der Gesellschaft zwischen 1760 und 1790 so sichtbar ihren
Stempel aufgedrückt hat. Heute schickt es sich, seine Gefühle
zu verbergen, Tränen, Küsse, Umarmungen sind so gut aus
der Mode gekommen wie das Briefschreiben, das wir alten
Damen überlassen, die sich nichts Dringenderes anzuvertrauen
haben als die Geheimnisse anderer Leute. Unser Verkehr
bewegt sich in anderen Formen, unser Geist wandelt andere
Bahnen, nur eine Erbschaft jener Zeit, die auf das engste
107
mit ihrer Empfindelei zusammenhängt, ist uns geblieben: der
englische Garten.
irienhunsi ßis zur Mitte des i8. Jahrhunderts gehorchten Park und
Garten dem architektonischen Gesetz, welches den Bau diktiert
hatte, den sie umgaben. Ihre Wege und Alleen setzten die Per-
spektiven der Säle und Galerien fort, ihre Anlage samt Wasser-
künsten undBoskettswar geometrisch, Bäume und Büsche stan-
den unter der Schere, es war eine künstlerisch geordnete und
eingerichtete Natur zum Gebrauch für vornehme Leute. Als
nun die Rückkehr zur Natur das Schlagwort der Gesellschaft
wurde, als es Mode wurde, Empfindungen zu haben und zu
zeigen, da sah man sich voller Enttäuschung in Gärten, deren
regelmäßige Anlage so gar nicht zu den neuen ungeregelten
Gefühlen paßte. Man verlangte nach einer natürlichen Natur
im Gegensatz zu dieser künstlich hergerichteten, im Gegen-
satz auch zur wirklichen Natur, an der erst das nächste Ge-
schlecht Genuß finden sollte. Dies Verständnis für landschaft-
liche Schönheit ist erst am Ende des Jahrhunderts zum Durch-
bruch gekommen. Diesem Bedürfnis trug die Anlage der
Parks Rechnung, wie es in England Mode geworden war,
wo bereits im Anfang des Jahrhunderts Pope und Addison
ihre Gärten einfach der Natur überlassen hatten. Die Freude
an dem Zufälligen, Regellosen einer ungehindert schaltenden
Panini, Gustav III. von Schweden beim Papst, iTjo
io8
F. Cotes, Mary Lady Boynton, ijjo
Schabkunst von Waison
109
Natur führte dann dazu, diesen Zufälligkeiten bewußt nach-
zuhelfen, das Regellose künstlich herzustellen. Durch William
Chambers wurde die Aufmerksamkeit auf die chinesischen
Gärten gelenkt, deren geschickte Anlage auch auf dem kleinsten
Raum das Bild einer ganzen Landschaft vorzutäuschen weiß.
Chambers schuf 1763 in
Kew Garden bei Rich-
mond die Anlage, welche
ganz Europa als muster-
gültig ansah und sich
beeiferte, überall nach-
zuahmen. Es wurden
jene Parks angelegt, die
darauf berechnet waren,
Empfindungen zu erre-
gen, Stimmungen auszu-
lösen. Tempel, Altäre,
künstliche Ruinen, Bau-
ernhütten,Einsiedeleien,
Kapellen, Pyramiden,
Moscheen, Grotten, Grä-
ber, Denkmäler — nichts
wurde gespart, um der
Seeledes Wanderers Ein-
drücke zu vermitteln,
welche Regungen sanf-
ter Schwärmerei und
stillen Nachsinnens,
Schrecken oder Entzük-
ken erzwingen sollten.
Auf Wilhelmshöhe
täuschten in der Grotte
des Pluto feuergelbe
Glastüren einen schauer-
lichen Feuerpfuhl vor, in unterirdischen Gewölben saßen Wachs-
figuren von Tempelrittern, Mönchen, Einsiedlern wie in Laxen-
burg oder Monrepos bei Ludwigsburg. Der Park sollte die
bessere Welt darstellen, in die man so gerne geflüchtet wäre,
darum führten seine Anregungen in zeitliche oder räumliche
Fernen, in das Altertum zu den Gräbern Homers und Virgils,
Galaanzug König Gustav III. von Schweden
HO
die besonders beliebt waren, oder nach China, das man sich
gern als Heimat beschaulicher Glückseligkeit vorstellte, in
chinesische Dörfchen, von denen eines die Kolonie Mulang
bei Kassel zur Erhöhung der Wahrscheinlichkeit noch mit
afrikanischen Mohren besiedelt wurde ! Der verdrehte Graf
Hoditz, der in seinem Leben fünf Millionen Taler verschwen-
dete, glaubte sein Roßwalde in ein Arkadien umgeschaffen
zu haben, als es ihm gelungen war, seinen Hörigen Schäfer-
spiele einzudrillen, die sie gelegentlich im Park improvisieren
mußten ; liebten die Schäfer und Schäferinnen aber zu realistisch,
so setzte es Prügel. Graf Moritz Brühl arbeitete das Röder Tal
bei Seifersdorf in der Lausitz ästhetisch empfindsam um, Goethe
spricht einmal in seinen Briefen an Carl August tadelnd von
»Seifersdorfisiren«. Berühmt war der Park des Baron Peter
Braun in Schönau bei Wien, für dessen Anlage sich der Besitzer
ruinierte.
Fast alle kontinentalen Parks sind damals in englischem Sinne
umgestaltet worden und ihren Anlagen nach bis heute auch
geblieben, wenn die Mehrzahl der sentimentalen Baulichkeiten
inzwischen natürlich auch verschwunden ist. Damit es dem
Geschmack nicht an einem Leitfaden zur Sentimentalität fehle,
gab ihm der Däne Hirschfeld in fünf Quartanten seine Theorie
der Gartenkunst, die alle Rezepte zur Erregung sanfter Trauer
und stillen Entzückens zum Schwärmen ä la St. Preux und
Heloise mitteilt.
Gelegentlich der Charakterisierung des Rokoko ist schon dar-
auf hingewiesen worden, daß die reichsten Schöpfungen dieses
Stils diejenigen, welche seine Gestaltungsmöglichkeiten am
wildesten ausgebildet zeigen, auf deutschem Boden entstanden
sind. Deutschland hat aber nicht nur in der Architektur und
den dekorativen Künsten das in Phantasie und Laune über-
schäumende Rokoko gezeitigt, es hat mehr getan, indem es
für diesen Stil gerade das Material erfand, das seiner kapri-
ziösen Kunst zu vollem Ausleben verhalf: das Porzellan.
Sich heute das i8. Jahrhundert ohne das Porzellan vorzustellen,
erscheint gerade so unmöglich, wie Biedermeier ohne die Litho-
graphie zu denken oder das zweite Kaiserreich ohne den Photo-
graphen. Das chinesische Porzellan war in Europa seit langem
bekannt und hochgeschätzt — August der Starke gab Friedrich
Wilhelm L für einige besonders schöne Vasen ein ganzes Regi-
III
ment Soldaten — es in seiner eigenen Masse nachzumachen,
war aber noch nicht dauernd geglückt. Es ist bekannt, wie der
Arkanist Johann Friedrich Böttger von August dem Starken zum
Goldmachen angestellt, durch Zufall mit der Porzellanerde
bekannt wurde und eine Erfindung machte, die wenigstens
indirekt gutes Gold einbrachte. Seit 1713 zum ersten Male
die Leipziger Messe mit Böttgerscher Ware beschickt werden
konnte, eroberte sich das sächsische Porzellan den europäischen
y. H. Tischbein, Lessing
Markt. Es trat anfänglich in der Maske seiner ostasiatischen
Heimat auf, denn die Bizarrerie des chinesischen Stils führte
eben ihren ersten siegreichen Vorstoß gegen die Kunst des
Westens aus. Chinesisches Porzellan, chinesischer Lack, chine-
sische Seiden waren die begehrtesten Luxusartikel; glocken-
behängte Pagoden, schwebende Brücken von Bambusrohr,
bezopfte Chinesen mit langen Pfeifen waren so beliebte Elemente
der Dekoration, daß sie aus dem Rokoko nicht mehr verschwun-
den sind, ja, wie Edmond de Goncourt einmal sehr hübsch
112
^
11
"I^^^^^^H
L
sagt: China zu einer Provinz des Rokoko machten. Trotz
der eifersüchtigen Hut, mit der die Fabrikation in Meißen
bewacht wurde, gelang es auf die Dauer weder das Fabrikat
für chinesisch auszugeben, noch auch das Geheimnis der Her-
stellung zu bewahren. 1718 entstand in Wien eine Porzellan-
fabrik, der seit den vierziger Jahren weitere Manufakturen in
Berlin, Fürstenberg, Frankenthal, Nymphenburg usw. folgten.
In ihren Erzeugnissen verkörpert sich heute für uns das
Graff, Frau Böhme, Goethes Freundin in Leipzig
18. Jahrhundert, dessen Anschauungen wir in der anmutigen
Form des Gebrauchsgeräts so gut wiederfinden wie in der
preziösen Grazie der zierlichen Figürchen und Vasen. Indem
man dies köstliche Material dem eigenen Bedürfnis anpaßte,
fand man auch sofort den Stil dafür. Die Meißner Manufaktur
wirkte auf diesem Gebiet ebenso schöpferisch wie bahnbrechend
und hat für alle Zeiten die Grenzen abgesteckt, jenseits deren
der Porzellanstil sich nicht wagen darf, will er sich nicht
selbst aufgeben. Ein günstiger Zufall war es, der die neue Kunst
D i e M o d e. 18. Jahrh. 2. A.
113
auch sofort vor dankbare Aufgaben stellte, als es galt, für die
neuen Luxusgetränke Kaffee, Tee und Schokolade Gefäße zu
bilden, und der glänzenden Lösung, die sie in ihren Bechern
und Tassen für diese Aufgabe fand, hatte die Porzellankunst
es zu danken, daß die vornehme Gesellschaft damit begann,
ihre ganze Tafel mit Porzellan zu besetzen. Bis dahin hatten
Reiche von Silber oder Vermeil, minder Begüterte von Zinn
oder Steingut gegessen, den Tafelschmuck fertigte der Kon-
ditor aus Zucker oder Dragant. Alle diese Materialien ver-
drängt jetzt das Porzellan. Seit 1734 liefert Meißen Tafel-
service, bei denen Form und Malerei um den Vorrang zu
streiten scheinen, liefert es jene Serien von Gruppen und Fi-
guren, die in Modellierung und Bemalung auf kleinstem Raum
das höchste künstlerische Vermögen ihrer Bildner verraten.
Ob es nun Meißner Schäfer und Schäferinnen, Fischer, Jäger.
Bauern sind, oder Nymphenburger Kavaliere und Damen, immer
sind es Angehörige der vornehmen Welt, die wir vor uns haben,
immer lächelt aus ihren süßen Gesichtchen die kokette Schelmerei,
tragen sie die ländliche Maskerade mit derselben Ziererei v^^ie
den spitzenbesetzten Putz, immer ist ihr Tun das gleiche leichte
Getändel. Die Gruppen bringen diese herzigen Dämchen und
allerliebsten Herrchen in Situationen voll schalkhaften Humors
und drolliger Neckerei, wo die leise Affektation ihrer Haltung
die gesenkten Köpfchen und gespreizten Fingerchen, die tän-
zelnden Beinderln und gebauschten Röcke uns verraten, was
man in der Perückenzeit unter Grazie verstand, wie man sich
hielt, als das Menuett den Rhythmus der Bewegung angab.
Zu diesen Tischdekorationen und Gebrauchsgefäßen tritt bald
der ganze Kleinkram der Bedürfnisse des Luxus an Dosen,
Flakons, Stockgriffen, Etuis, Vasen, Uhrgehäusen, Potpourris
etc. Das Porzellan scheint sich geradezu die ganze Kultur
untertänig machen zu wollen und vergißt wie ein glücklicher
Eroberer die Grenzen seiner Macht. Die Freude an dem herr-
lichen Material verleitet den berühmten Kandier dazu, sich
an die Ausführung einer überlebensgroßen porzellanenen Reiter-
statue Augusts HL von Polen zu wagen und läßt Carl IIL
von Spanien in seinen Schlössern Zimmer völlig mit Relief-
platten von Porzellan auskleiden, ein Unternehmen, bei dem
das Mißverhältnis zwischen dem erzielten Resultat und der
aufgewandten Mühe deutlich darauf hinweist, welche Schran-
114
ken der Leistungsfähigkeit dieses festen, aber spröden und
technisch unzuverlässigen Materials gezogen sind.
Das Porzellan errang sich seinen Platz bald auch in der
Dekoration. Entweder belegte man wie in dem Zimmer des
Grafen Dubsky in Brunn die Wände mit vielen Hundert kleiner
Platten von Porzellan oder man überzog sie mit hölzernem
Chodowiecki, Minna von Barnhelm, 1770
Schnitzwerk, das auf tausend kleinen und kleinsten wie in zu-
fälligem Spiel entstandenen Vorsprüngen und Konsolen Raum
zur Aufstellung von Tassen, Vasen und Figuren bot, während
dahinter befestigte Spiegel das unruhige Spiel des Lichts auf
Farben und Glasur steigerten und vervielfältigten. August der
Starke errichtete für seine Porzellansammlung ein eigenes Schloß,
das japanische Palais, dessen Erdgeschoß für chinesisches und
japanisches Geschirr bestimmt war, während das erste Stock-
116
Drouais, Cotnte Philippe de Vaudreuil
Stich von Henri Chef er
117
werk dem Meißener Porzellan vorbehalten blieb. Bei der Ein-
richtung war der Gedanke maßgebend, daß in jedem Zimmer
Porzellan von einer Farbe vorherrschen sollte. In der Schloß-
kapelle waren nicht nur die großen Statuen, sondern auch
Kanzel und Altar in Porzellan projektiert. Als der Pariser
Kunsttischler Martin Carlin begann, seine Möbel mit Sevres-
platten zu inkrustieren, fand sein Geschmack solchen Beifall,
daß die Herzogin von Valentinois sich 1778 in Longchamps
in einer ganz mit Porzellanplatten belegten Kutsche zeigte,
eine Uebertreibung der Mode, ähnlich jener, deren sich die
Pompadour schuldig machte, als sie bei der Vorliebe des Hofes
für Blumen aus Porzellan in ihrem Lustschloß Bellevue ein Treib-
havts einrichtete, das nur parfümierte Porzellanblumen enthielt.
Im Garten zu Beloeil
120
Nicolas Lavreince, Das Andenken
Die Mode. 18. Jährt. 29
Hubert, Voltaire am Schreibtisch
Die Vorherrschaft, die Ludwig XIV. in Europa ausübte, du Modi
hat sich zwar auf allen Gebieten des Lebens in Politik,
Kunst und Literatur gleichmäßig geäußert, sich doch
aber auf keinem anderen so augenfällig zur Geltung gebracht
als auf dem der Mode. Alle Unterschiede, welche bis dahin der
Kleidung einzelner Länder und Städte ein gewisses charak-
teristisches Gepräge verliehen hatten, verschwinden mehr und
mehr vor der unaufhaltsam vordringenden französischen Mode.
Alle Ordnungen und \^erbote sind vergebens. Nichts vermag
ihren Siegeszug aufzuhalten. Die Kleidung der Gesellschaft
wird im Lauf des i8. Jahrhunderts überall die gleiche, nämlich
die französische, und in diesem Sinne sprach Caraccioli damals
mit Recht von dem französischen Europa. Die Geschichte der
französischen Mode wird dadurch ganz von selbst zu einer
Modegeschichte Europas, das Vorbild des Hofes von Versailles
beeinflußt die Gesellschaft in Paris, und von da aus die übrige
Welt. Die Mode wirkte sicher, wenn sie auch beim Herab-
steigen der sozialen Stufenleiter die untersten Schichten eben-
sogut später erreichte wie die räumlich entfernter Wohnenden.
Jeder formte sich doch nach besten Kräften nach ihrem Bilde.
Und wenn das Pariser Muster auch nicht überall erreicht wurde,
so blieb es doch das Ideal, nach dem man strebte.
Es ist ja auch ganz selbstverständlich, daß man schneller dazu
gelangte, die äußeren Formen der bewunderten französischen
Kultur anzunehmen als ihren Geist. Wer sich französisch klei-
dete, dokumentierte schon dadurch seine Zügehörigkeit zu einer
121
höheren Klasse, und diese Tendenz, sich dem französischen
Geschmack anzupassen, wurde von Frankreich aus um so syste-
matischer unterstützt, als die französischen Manufakturen zum
größten Teil Luxusartikel produzierten: Sammet- und Seiden-
stoffe, Spitzen, Tressen u. dergl. Seit der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts hatte man in Paris begonnen, .'die Monat ein-
Louis-Michel Van Loo, Detiis Diderot
mal eine vollständig nach neuester Mode kostümierte lebens-
große Puppe nach London zu senden: »die große Pandora«
in Staatstoilette, »die kleine Pandora« in Neglige gekleidet.
Diese Puppe der Rue Saint Honore wurde anfänglich im Hotel
Rambouillet zurecht gemacht mit der gern geleisteten Hilfe
der berühmten Mademoiselle de Scudery, jener fruchtbaren
Romanschriftstellerin, die man zwar nicht mehr liest, aber aus
122
Hoffmanns Erzählungen so gut kennt. Diese Puppe wanderte
so regelmäßig über den Kanal, daß selbst Kriegszeiten die
englischen Damen nicht der Möglichkeit beraubten, sich all-
monatlich über die letzte Pariser Mode zu orientieren. Mitten
im Spanischen Erbfolgekriege bestellte König Georg I. von Eng-
land die ganze Ausstattung seiner deutschen Schwiegertochter
in Paris. Die feindlichen Generale erlaubten Pandora stets frei
zu passieren, eine Galanterie, der erst ein Barbar, wie Napo-
leon, ein Ende machte. Als zu Anfang des 19. Jahrhunderts
die englischen Damen auf den Besuch Pandoras zu verzichten
gezwungen waren, sahen sie sich, wie Mrs. Bury-Palliser be-
dauernd bemerkt, leider genötigt, sich nach eigenem Geschmack
zu kleiden. Nachdem sie der Not gehorchend einmal in diesen
Fehler verfallen mußten, haben sie ihn leider als Gewohnheit
einwurzeln lassen; von dem Resultat kann jeder Besucher Eng-
lands sich schaudernd überzeugen. Mit der Zeit reiste Pan-
dora auch nach anderen Orten als gerade nur nach London
und formte nach ihrem Bilde in Rußland wie in Deutschland
und Italien aus der Europäerin die Pariserin. Wir wollen aber
nicht verschweigen, daß es schon im 18. Jahrhundert Leute
gab, welche behaupteten, daß Pandora im Ausland stets die
Moden von vorgestern und nicht die von heute trüge; so findet
die Fürstin Liechtenstein die Damen des Ansbacher Hofes
angezogen und dekolletiert, wie sie es nie gesehen, und Nico-
lai konstatiert bei seiner Reise durch Deutschland, daß das
vornehme Frauenzimmer in Augsburg, Stuttgart und anderswo
sich zwar französisch kleide, aber nach der vorletzten Mode!
Als der Großfürst Paul von Rußland 1782 in Frankfurt a. M.
den Adel der Umgebung empfängt, da findet sein Hof, daß
die Kleider desselben einer Mode angehören, die mindestens
40 Jahre alt sein müsse.
Die Mode, in welcher die Frau aus dem 17. ins 18. Jahrhun-
dert schritt, war in der zweiten Hälfte der langen Regierungs-
zeit Ludwigs XIV. entstanden und hat mit geringfügigen Ver-
änderungen fast 40 Jahre gedauert. Ihre Stetigkeit darf man
wohl auf die ernste Sinnesweise der Dame zurückführen, die
in jenen Jahrzehnten am französischen Hofe den Ton angab,
der Marquise von Maintenon. Der Anzug der Dame bestand,
soweit er sichtbar war, aus drei Hauptstücken, der Taille mit
zwei Röcken. Die Taille, tief und spitz geschnürt, ließ Hals
124
Nicolas Lazreince, Junges MädcJun
Di« Mode. 18. Jahrb. 30
Zpffatiy, Thomas King und Mrs. Baddely in der Heimlichen Vermählung^ 1772
Schabkunst von Earlom
und Unterarme frei, ein Decollete, an das sich die schöne Welt
zwar sehr rasch, MoraHsten und Geistliche aber nur sehr lang-
sam gewöhnten. In Wien hat ein Prediger sich damals in seinem
Eifer so weit hinreißen lassen, daß er in der Hofkirche äußerte,
125
er wünsche, der Adler des Evangelisten Johannes solle den
Damen auf die entblößten Brüste seh , und sich weigerte,
dem öffentlichen Aergernis durch Abbitte Genüge zu tun. Man
beauftragte also Abraham a Santa Clara mit einer Korrektur
der anstößigen Bemerkung und der fromme Mann äußerte am
nächsten Sonntag von der Kanzel, er bedaure die Unanständig-
keit, zu der sich sein Vorredner habe hinreißen lassen herz-
Rat Goethe
lieh, ginge es aber nach seinen Wünschen, so müsse nicht
ein Adler, sondern der Ochse des Evangelisten Matthäus dies
Geschäft besorgen !
Das Kleid bestand aus zwei Röcken, von denen der untere
rund geschnitten und meist garniert war, der obere aber
vorn aufgeschnitten, nach rückwärts hochgenommen in langer
Schleppe nachfloß. Um das auf ihm lastende Gewicht der
Schleppe tragen zu können, war der untere Rock abgesteift
und enthielt, um seine runde Form zu behalten, eiserne
Reifen im Futter. Während Taille und Schlepprock, in Frank-
126
reich Manteau genannt, in Farbe und Stoff gleich waren, so
durfte das Unterkleid verschieden sein. Es wurde gestickt
und besetzt und trug, seitdem der Falbala, was wir heute
Volant nennen, erfunden war, kaum noch anderen Besatz
als solchen. Ein' glücklicher Zufall hat uns den Namen dessen
bewahrt, der den Falbala erfand, er hieß Langlee. Liselotte
schreibt einmal wie sie angezogen ist: »Alle meine Unter-
Frati Rat Goethe
rock sind mit Nesteln an mein Leibstück gebunden und le
Manteau ist auf mein Leibstück genehet.« Das Leibstück
ist die Taille, die mit dem Korsett in eins gearbeitet war.
also in diesem Fall die ganze Last der Röcke zu tragen
hatte. Die Erscheinung einer Dame in dieser Tracht war
nicht nur vorteilhaft, sondern auch würdevoll und ansehnlich,
wozu die Schleppe nicht wenig beitrug. Damit der Wetteifer
der Damen, den sie in der Länge ihrer Schleppen entfalteten,
nicht zu weit gehe, wurden genaue Vorschriften darüber er-
lassen; so durfte in Frankreich nur die Königin eine ii Ellen
127
lange Schleppe tragen, während die Prinzessinnen je nach
dem Grade ihrer näheren oder weiteren Blutsverwandtschaft
mit dem König, sich mit solchen von fünf bis neun, Herzo-
ginnen aber mit Schleppen von drei Ellen Länge begnügen
mußten (die alte französische Elle ungefähr im 20cm). Wenn
die Schleppe schon das ihre dazu beitrug, die Erscheinung
der Dame in die Länge zu ziehen, so wurde diese Richtung
nach dem Stattlichen noch bestärkt durch den Kopfputz,
Die-Fontangi dic Fontangc. Bussy-Rabutin, das bekannte Klatschmaul, er-
zählt die Geschichte ihrer Entstehung folgendermaßen. Auf
einer Hofjagd in Fontainebleau war der Geliebten des Königs,
der Herzogin von Fontanges, die Frisur aufgegangen und
da sie nicht daran denken konnte, sie gleich wieder richten
zu lassen, band sie ihr Haar geschwind über der Stirn mit
einer Schleife zusammen. Der verliebte König fand, daß ihr
dieses Arrangement vorzüglich zu Gesicht stände und bat
sie, sich nie mehr anders zu frisieren, Grund genug auch
für alle übrigen Damen des Hofes, den königlichen Wunsch
zu befolgen. Aus dieser Frisur, welche die Haare über der
Stirn aufbaute, entstand, als man dieses Auftürmen nicht
hoch genug fortsetzen konnte, unter Zuhilfename einer Coif-
füre endlich die berühmte Fontange, welche das kurze Glück
ihrer Erfinderin um Jahrzehnte überlebte. Es war ein Kopf-
putz aus Leinwand, von etwa zwei Fuß Höhe, der sich in
der Form von Orgelpfeifen auf einer Wulst aufbaute, die
in das Haar hineingearbeitet wurde. Metallstäbe gaben
diesem Gerüst Halt und Fagon, so daß der Abbe Vertot
sagte, die Damen müßten sich eigentlich vom Schlosser fri-
sieren lassen. Diese Coiffüre wurde durch Bänder, Locken
und allerhand Zie- ^ <i
rat auf das mannig- -— /«^ -^A^
faltigste ausgeputzt;
man kannte schließ-
lich 20 verschiedene
Arten der Fontange,
von denen Lady
Montague beson-
ders jene derWiener
Damen auffielen. Sie
nennt sie eine Elle Bunbury, Tanzgruppe
128
Hu'iert Droiiais, Of^sc du Barry
hoch aus unzähligen Ellen schweren Bandes in drei bis vier
Stockwerken errichtet, mehrere Reihen dicker mit Diamanten
und Perlen besetzter Nadeln standen etwa drei Zoll aus dem Kopf
hervor und schienen dem Gebäude Halt zu geben. Montesquieu
schrieb 1721 in den persischen Briefen : es gab eine Zeit, wo man
wegen der unermeßlichen Höhe der Fontange das Gesicht eines
Frauenzimmers in der Alitte ihrer Figur sah. Daß Edelsteine der
beliebteste Schmuck der Fontange waren, nimmt nicht wunder.
Mit Erstaunen erfährt man aber die Tatsache, welche Frau
von Maintenon 1692 einer ihrer Freundinnen berichtet, daß
nämlich die Coiffüre der Duchesse du Maine so viel Gold und
Edelsteine enthielt, daß sie mehr gewogen habe, als der ganze
Körper ihrer Trägerin. Der erste, welcher sich gegen diese
Ausschreitungen der Mode wandte, war Ludwig XIV. selbst.
Aber merkwürdig, der Wunsch eines verliebten Königs hatte
Die Mode, 18. Jatit. 2, A.
12g
zwar die Fontange in die' Mode gebracht, aber der Befehl des-
selben Herrschers konnte sie nicht wieder abschaffen. Frau
von Sevigne schreibt 1691 ihrer Tochter : ganz Versailles sei
in Aufruhr, weil der König die Fontangen verboten habe. Ein
Sturm im Glase Wasser. Dangeau erzählt, daß nur die im
Exil in St. Germain lebende Königin von England Maria von
Modena dem Könige zu Gefallen ihre Coiffüre bedeutend nied-
riger gemacht habe, um den Damen ein gutes Beispiel zu
geben. Die verbotene Fontange existierte noch länger als 20
Jahre und mehr als einmal, berichtet der Herzog von St. Simon,
habe Ludwig XIV. sich darüber beklagt, daß seine Macht nicht
so weit reiche, um den Damen eine Coiffüre zu verbieten, die
ihm mißfiele. Endlich schlug ihre Stunde. Im Jahre 1714 war
eine englische vornehme Dame, die Herzogin von Shrewsbury
beim Diner des Königs in Versailles Zuschauerin, und mit
Bezug auf ihren niedrigen Kopfputz äußerte der König, die
französischen Damen wüßten doch gar nicht, was ihnen stände,
sonst würden sie sich ebenso frisieren. Dies war ein Wort
zur rechten Zeit! Am anderen Morgen hatten die Damen des
Hofes ihre Coiffüren um zwei Stockwerke niedriger gemacht
und damit die neue Mode inauguriert. So hat der Sonnen-
könig, ehe sein Gestirn erlosch, wenigstens noch den Beginn
jenes großen Umschwungs mitangesehen, der unmittelbar nach
seinem Tode einsetzt, um in der Gesellschaft, der Kunst, der
Mode, der ganzen Kultur mit einem Wort, eine neue Aera
heraufzuführen.
Wie immer in diesen Dingen schwankte die Mode von einem
Extrem zum anderen. Hatte sie eben die Frisuren mittelst
der Fontange nicht hoch genug aufbauen können, so verbot
sie im nächsten Augenblick mit den Coiffüren auch die kunst-
reichen Frisuren. Die Damen sahen sich auf ihr eigenes Haar
beschränkt, das sie nun auf einmal nicht glatt, nicht flach
genug um den Kopf legen konnten. Einige Löckchen an den
Schläfen war alles, was die Mode duldete. Die systematische
Uebertreibung, in der aber das Wesen der Frauenmode be-
schlossen ist, suchte sich einen anderen Tummelplatz und fand
Dtr Reifroch ihn im Rock. Die Fontange verschwindet, der Reifrock erscheint
und gibt der Mode des Rokoko ihre eigentümliche Signatur.
Der Reifrock war durchaus nicht neu. Das 16. Jahrhundert
hatte ihn als Vertugadin gekannt und im 17. Jahrhundert hatte er
130
Daniel Choäowiecki, Der Künstler tualt die Gattin des Strasnik Czacl:! (Aus :
Von Berlin nach Danzig)^ ^77 J
der spanischen ^lode den grotesken Charakter verliehen, der uns
an den Porträts des Velasquez so frappiert. Er war nie so ganz
verschwunden, denn wenn Liselotte 1702 ein Kleid beschreibt,
das die Königin von Spanien ihrer Schwester, der Duchesse de
Bourgogne schenkt, und sagt: Im Unterrock seynd eiserne
Reiffen, unten weit, im Heraufgehen enger, so gibt sie damit
ein gut getroffenes Bild der Krinoline. Aber in dieser Form war
der Reifrock nur ein unsichtbares Hilfsmittel der Toilette ge-
wesen, um die Last der schweren Robe tragen zu helfen, von
jetzt an drängt er sich vor, denn er gibt der Trägerin einen
ganz veränderten Umriß. Als Tugendwächter — \'ertugadin —
war er verabschiedet worden, als Hühnerkorb — panier —
kam er wieder. Soweit die Nachrichten gehen, erschien er,
von England kommend, zum erstenmal 1719 in Paris auf dem
Theater. Es hat fast den Anschein, als hätten ihn die italie-
nischen Komödianten, die der Herzog von Orleans nach Paris
zurückrief, mitgebracht. Allgemeines Gelächter empfing ihn :
sein Sieg war entschieden. Die heftigen Anfeindungen, denen
er vonseiten der Geistlichkeit ausgesetzt war, ein Mitglied
der Sorbonne, J. J. Duget, machte ihn zum Studium einer
( jewissensangelegenheit für Beichtväter, haben ihm nicht ge-
131 9*
Ans iLes C/iansons de La Borde f., IJJS
132
Ses TCux Com £erines an ioar
Comme fon cocnr a L amour
^us iLes Chansotxs de La Borde t^ i-jyj
133
schadet, denn ehe der Erzbischof von Paris Kardinal de No-
ailles dazu kam, das Tragen des Reifrockes zu verbieten,
hatte ihn ein Lustspieldichter Legrand 1722 in einer Posse
so verhöhnt, daß der Kirchenfürst seine Absicht aufgab. Ueber
40 Jahre hat er geherrscht und das Bild der weiblichen
Erscheinung bestimmt. Die Reifröcke waren anfänglich rund
und bestanden aus fünf Reihen von Reifen, die sich nach
oben verjüngten und durch Wachstuch miteinander ver-
bunden waren. Das Geräusch, das sie beim Tragen machten,
zog ihnen den Namen Kreischerinnen — Criardes — zu. Dann
nahm man an Stelle dieses häßlichen Stoffes Wolle, Baumwolle
oder Seide und begann die Abwechslung in der Veränderung
der Form zu suchen. Man machte den Reifrock tonnen-
förmig oder gab ihm seit dem Beginn der vierziger Jahre
die ovale Gestalt einer Ellipse, indem man ihn von vorn und
hinten flach zusammendrückte. Dann hob man ihn an den
Seiten durch Aufbinden von Poches über die Hüften hinaus,
so hoch, daß der Ellenbogen einen bequemen Ruheplatz dar-
auf fand, und gab ihm eine Größe, die den untersten Reifen
7 — 8 Ellen, den obersten etwa noch 4 Ellen messen ließ. Die
Damen, welche solch einen Käfig trugen, konnten nur seitwärts
durch die Türen gehen, der Herr, der sie führte, mußte einen
Schritt vor oder hinter ihnen zurückbleiben. Wenn sie sich
setzten oder mehrere beisammen waren, so beanspruchten sie
dreimal soviel Platz als bisher. Der weimarische Hofpage Karl
Freiherr von Lyncker besann sich darauf, daß, wenn die Herzo-
gin Anna Amalia Sonntags in ihrer Glaskutsche ausfuhr, ihr
Reifrock zu beiden Fenstern weit herausragte. Zu manchen
Bällen in Paris und den Hofbällen in Berlin enthielt die Ein-
ladung den Vermerk: »Die Damen ohne Reifröcke«. Das
veranlaßte sofort Zank und Streit. In Versailles fand man
es der Würde der Königin nicht entsprechend, daß die Prin-
zessinnen, die rechts und links von ihr saßen, sie mit ihren
Reifröcken vollständig verdeckten, es wurde also angeordnet,
daß die Stühle neben Maria Lesczynska frei bleiben sollten.
Nun verlangten aber die Prinzessinnen von Geblüt, daß auch
sie durch leere Sessel von den Herzoginnen geschieden würden
und die Herzoginnen wollten nicht mehr unmittelbar neben
den Gräfinnen Platz nehmen. Es entstand ein Aufruhr, der
den Frieden des Hofes gefährdete und den zu beschwichtigen
134
erst der Weisheit des Premierministers, des Kardinals Fleury, ge-
lang. Er ließ leere Tabourets zwischen Prinzessinnen und Herzo-
ginnen einschieben, Herzoginnen und Gräfinnen aber mußten
nebeneinander sitzen bleiben und sich mit Reifröcken und Schick-
y. M. Moreau lej'.. In der Loge, 1774
sal abfinden, so gut sie konnten. Diese Haupt- und Staatsaffäre
findet ein Gegenstück in Deutschland, wo die Pfarrerin in
Fürstenau mit Rücksicht auf ihren Reifrock zwei Kirchen-
stühle für sich allein beanspruchte und es darüber sogar zum
Prozeß kommen ließ.
Der Reifrock verbreitete sich mit großer Schnelligkeit in alle
Kreise. In Paris gehen in den zwanziger Jahren schon die
Mägde darin auf den Markt, während die deutschen Damen
viel weniger nachsichtig gegen ihr Küchenpersonal waren. Sie
ließen den niederen Ständen das Tragen des Reifrockes ver-
bieten, in Sachsen hat man 1743 im Dorfe Dennschütz zwei
Bauernmädchen prozessiert, weil sie in Paniers gingen, und
1751 in Dresden zwei Dienstmädchen gestraft, weil sie sich
erfrecht hatten, im Reifrock
die Kirche zu besuchen. Als
den Leipziger Mädchen 1750
der Reifrock von der Obrig-
keit genommen wurde, gestat-
tete man ihnen zur Entschädi-
gung eine »Commode« zu tra-
gen, was wir heute Cul de
Paris nennen. Der Reifrock
drang bis in die klösterlichen
Erziehungsinstitute, trotzdem
die Geistlichen eine Gewissens-
frage daraus machten, ob Klo-
sterfrauen ihren Klosterfräu-
lein den Reif rock gedulden dür-
fen ? Die kleinsten Mädchen
trugen ihn wie die ältesten Da-
men. Hat doch 1737 Frau von
Bussy in Verdun, die ihr Leben
bis auf 1 1 1 Jahre gebracht hatte,
sterben müssen, weil sie beim
Anprobieren eines neuen Reif-
rockes einen Fehltritt tat. Beim
Hinfallen beschädigte sich die
alte Dame tödlich, während der
neue Reifrock glücklicherweise keinen Schaden nahm. Man be-
nutzte bald statt der eisernen oder hölzernen Reifen, welche man
anfangs verwendet hatte, solche von Fischbein und der enorme
Bedarf an diesem Material — brauchte man doch zu einem ge-
wöhnlichen Reifrock fünf, zu einen sogenannten englischen aber
acht Reifen — veranlaßte die Generalstaaten von Holland, schon
im Jahre 1722 zur Gründung einer Aktiengesellschaft mit 600000
Gulden Grundkapital, zu keinem anderen Zweck, als zum Wal-
fischfang. In Paris schwankte der Preis eines Paniers zwischen
136
Valtaire
Kleine Wiederholung der 177s 'V'"- Friedrich
d. Gr. an Voltaire geschetikten Büste
Watteau de Lille, Im Park (Zeichnung)
Die Mode. 18. Jahrk. 32
10 — 15 Livres [i Livrc nach heutigem Geldwert M. 2,40]. in
Leipzig kostete auch ein Reifrock mindestens 8 Taler [was
heute ungefähr 72-75 M. gleichkommen würde]. Wenn man
auch damals noch keine Witzblätter im heutigen Sinne kannte,
an Spott, der über den Reifrock ausgeschüttet wurde, hat es
nicht gefehlt. Auf der Bühne wurde er vom Harlekin ver-
J. M.Moreau U j , Illustration zu Koussea:i, Notivclle IJeloise, 1:74
höhnt, in Liedern, Karikaturen und Flugschriften lächerlich
gemacht, von der Kanzel wurde gegen ihn geeifert. Das hat
ihm alles nichts geschadet, denn als er zu verschwinden be-
gann, da wich er nicht der Vernunft oder Einsicht, sondern
der Veränderungslust der Mode. Die Pariser Schauspielerinnen
Clairon und Hus sollen um 1760 eine Form des Reifrocks
lanziert haben, die von den Hüften nur bis zum Knie reichte
137
und in einem Volant endigte. Man nannte sie in Frankreich
halbe Paniers oder Jansenistinnen, in Deutschland Springrock
oder Hänschen, bald aber wurde diese kleinere Form durch
eine neue Erfindung verdrängt. Monsier Pamard gab den Damen
die «Considerations«, Gerüste in der Gestalt von Turnüren, die
rechts und links auf beiden Hüften befestigt wurden und den
großen Reifrock entbehrlich machten. Diese beiden Haupt-
formen bestanden nebeneinander fort. Die eine zum großen
Putz, die andere zum bequemen Anzug. Auf den reizenden
Wiener Ansichten von Janscha und Schütz erkennt man in
der Staffage, die diese Blätter so wundernett macht, wie der
große breite und der kleine runde Reifrock gleicherweise beim
Spaziergang getragen wurden. Der eine mit langer Robe und
kleiner, zum Anknöpfen eingerichteter Schleppe, der andere
mit einem völlig fußfreien Kleid. Als in den siebziger Jahren
die Aufmerksamkeit der Mode sich fast ausschließlich der Fri-
sur zuwendet, wird der Rock vernachlässigt. Der große Panier
verschwindet allmählich ganz und hält sich nur noch als Zere-
monienkleid des Hofes. In Versailles hat er noch die ersten
Stürme der Revolution erlebt. Die letzte Dame, die sich einen
Reifrock für ihre Vorstellung bei der Königin bestellte, war
wohl Frau v. Lostanges, die am 31. August 1789 an Made-
moiselle Motte 102 Livres für ihn bezahlte. Er versank dann
mit allem übrigen Brimborium des Hofes und hat sich nur
noch am Hofe von St. James bis zum Tode der Königin
Charlotte und noch länger am sächsischen Hofe in Dresden
behauptet.
So groß die Veränderung war, die der Rock der Damen im
18. Jahrhundert erlitt, so gering war diejenige der Taille. Diese
behielt im großen Ganzen die Form, welche sie unter Lud-
wig XIV. erhalten hatte, sehr tief und sehr spitz schnürend,
Hals und Unterarme freilassend. Der Aermel, der am Ellen-
bogen in weiter Manschette endigte, hat diese überaus kleid-
same Form beinahe ein Jahrhundert beibehalten. Man nannte,
wie der Mercure galant von 1688 berichtet, die drei- oder mehr-
fache Reihe Spitzen, in denen er aufhörte, »Engageantes«.
^af Das weibliche Wesen war von seinem zartesten Alter an, die
meisten Tag und Nacht, mit dem Schnürleib gepanzert, dessen
Planchette aus einer Eisen-oder Stahlschiene bestand, die 3/4
Ellen lang, etwa i Finger breit und 1/4 Zoll stark war, ein
138
Marteriustrumeiit, gegen dessen gesundheitschädigende Wir-
kung sich i\erzte, wie der Breslauer Gottlieb Oelsner, schon
1/54 vergebens wandten, an das Frau v. Genlis noch fünfzig
Jahre später nur mit Entsetzen denken konnte. Gräfin Elise
Ouvrier, Nach Schen.iu, Die Entstehung der Malerei
von BernsdortT erzählt, daß viele Damen, die Abends in Gesell-
schaft gingen, schon am frühen IMorgen mit dem Schnüren
begannen und damit von Viertelstunde zu Viertelstunde fort-
fuhren. Gräfin Franziska Krasinska berichtet, daß ihre Taille
den Umfang einer halben Elle (30cm?) nicht überschritt.
Rousseau, Winslow, Buffon, Sömmering u. a. haben gegen das
139
Schnürleib geeifert, mit dem gleichen Mangel an Erfolg; erst
am Ende des Jahrhunderts hat es der Mode gefallen, dasselbe
ganz vorübergehend zu beseitigen. Anfänglich hatte man als
Besatz der Taille nur vorn am Ausschnitt ein Schleifchen —
»Masche«, wie man damals sagte — als Postillon d'amour ge-
steckt. Diese kleidsame Verzierung aber fand lebhaften Bei-
fall und in der Mitte des Jahrhunderts war die ganze Kor-
sage in Schleifen aufgelöst. Später trug man das Korsett aus
schwarzem Taft oder gelbem Batist auch über dem Kleid.
Die Mode der doppelten Röcke behielt man
auch im i8. Jahrhundert bei, wie früher der
untere Rock, so wurde jetzt der Reifrock
sichtbar getragen. Anfänglich hob man den
oberen Rock nicht, sondern öfTnete ihn nur
vorn in Dreieckform, als dann in den fünf-
ziger Jahren der Reifrock an Umfang verlor,
und das Kleid kürzer, schließlich völlig fuß-
frei wurde, raffte man den oberen Rock in
drei großen Bäuschen rückwärts und an den
Seiten. Da der Reifrock zu sehen war, so
wurde er aus den gleichen Stoffen, wenn
auch in anderen Farben verfertigt, wie das
Ueberkleid und meist reich garniert, wcJzu
seine Form ja auch geradezu herausforderte.
In mehreren Etagen umzogen ihn Volants,
Rüschen, Bänder, Blumen, Festons, Tressen,
Spitzen, Passementerien, Borten, Pompons,
Stickereien, alles auf das kunstreichste ge-
arbeitet und arrangiert. Sehr beliebt waren
die italienischen Blumen, die in italienischen
Nonnenklöstern gemacht wurden, und vo n den
Damen sehr geschätzt wurden. Goethe erzählt, wie er als halb-
wüchsiger Jüngling Myrten und Zwergröslein für seine Schwester
besorgte — weniger aus brüderlicher Liebe, als um bei der Ge-
legenheit — »Sie« sehen zu können. Der Marquis de Bom-
belles beschrieb dem Baron von Gleichen zwei Hofroben der
Königin von Portugal. Auf der einen sah man in Stickerei ein
Portal, dessen Säulen der Richtung der Beine folgten. Sie
trugen ein Fronton aus dem ein Wasserfall von — Gaze her-
vorbrach. Auf der anderen waren Adam und Eva dargestellt,
Goethe
140
in ihrer Mitte der verhängnisvolle Apfelbaum, aus dessen Höhe
die Schlange herabkam. Zur Herstellung einer großen Robe
waren drei Leute nötig. Die Taille fertigte der Schneider, den
Rock die Schneiderin, den Besatz aber lieferte die Marchande
Goethe
de mode, deren Garnituren fast die Hauptsache waren. Man
hatte 1/79 ^50 verschiedene Arten derselben, die in Paris alle
ihre bezeichnenden, zum Teil sehr drolligen Xamen trugen,
»soupirs etouffes«, »regrets superflus«, »oeil abattu«, »plaintes
indiscretes«, »composition honnete«, »desirs marques«, »doux
sourire « etc. etc. Eine solche Toilette kostete 10500 Livres,
141
für die bloße Garnierung eines großen Hofkleides berechnete
der Schneider Lacoste einmal 3500 Franken. Die Prinzessin de
Solre zahlte 1789 an Mademoiselle Eloffe nur für ihren Reif-
Damel Chodowiecki, Lotte, iffS
rock 1382 Livres, ja Frau von Matignon wies ihrer Schnei-
derin für eine besonders gelungene Robe eine Leibrente von
600 Livres jährlich an. Als Frau von Genlis in ihren Denk-
würdigkeiten auf diese Mode ihrer Jugend zu sprechen kommt,
142
sagt sie, daß nichts der Pracht gleichkam, den der Anblick
einer Gesellschaft reich gekleideter Hofdamen jener Zeit bot.
Daniel Chodowteckt, Wei thei , J'j'jj
Sie hätten einem kostbaren Spalier von Gold, Silber, Perlen
und Edelsteinen geglichen. Das Kleid, in dem Katharina II.
1775 den türkischen Gesandten empfing, war außer mit Dia-
manten mit 4200 großen und schönen Perlen bestickt. Und
143
nun stelle man sich vor, daß die Kaiserin Elisabeth von Ruß-
land, welche 1761 starb, eine Garderobe hinterließ, welche
15000 derartig kostbare Kleider enthielt! Sie hatte sie teils
nur einmal, teils nie angehabt. Welch ein Fortschritt gegen
die Zeit, als Peter der Erste die Kleider seiner Zarina auf dem
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Jcui.c Doii.oilMIc ..11 l\ilni,.i,l,- .L- TuK
Modekitp/er, ITJJ
Trödel kaufte! Gräfin Czernicheff büßte 1770 auf einer Reise
durch Schiffbruch 158 Kleider ein. Die Garderobe der Frau
von Bühren, der Gattin des Günstlings der Kaiserin Anna,
wurde auf 500000 Rubel geschätzt. Dagegen erscheint der
Aufwand Marie Antoinettes geradezu bescheiden. Wir erfah-
ren von Madame Campan, daß die Königin im Sommer und
im Winter nie mehr als 36 Roben im Gang hatte, 12 Staats-
144
Angelica Kauffmann, Louisa Hamtnond
Die Mode. 18. Jahrh. 33
kleider, 12 große Reifröcke ilnd ebensoviele Hauskleider von
Phantasiestoffen. Eine rechte Kleidernärrin, wenn auch in
bescheideneren Grenzen als die russische Kaiserin, muß die
Markgräfin Sybille Auguste von Baden gewesen sein, die sich
Modekupfer, 177J
für ihr Lustschloß Favorite vierzigmal porträtieren ließ, jedes-
mal in einer anderen Toilette. Neben dieser Zeremonien- und
Staatsrobe setzt sich im Laufe des Jahrhunderts noch ein an-
derer Schnitt durch, der für Neglige galt und seinen Namen
häufiger wechselte als seine Form. Unter Neglige verstand
man damals jedes Kleid, das nicht für große Gala bestimmt
war, also auch jedes Haus-, Straßen-, und Reisekleid. Bei Die AdHtnne
diesem neuen Kleid waren Taille und Rock in eins geschnitten.
Die Mode, 18. Jahrb. 2. A.
145
Perücken
Es war weit, lang und umhüllte, ohne am Gürtel eingenommen
zu sein, seine Trägerin nur ganz lose, ihr die Gestalt eines
Kegels gebend. Es ist das Kostüm mit der weiten Rücken-
falte, in dessen legeren Wurf Watteau auf seinen Bildern die
Frauen am liebsten kleidet. Es trat zugleich mit der Einfüh-
rung des Reifrocks auf und begegnete starker Mißbilligung.
Liselotte, welche findet, daß man »kammermegtisch« darin aus-
sehe, schreibt 1721 ihre Meinung ganz unverhüllt: »Die weitte
rock, so man überall tragt, seind mein aversion, stehet inso-
lent, als wenn man auß dem Bett kommt. Die mode von den
wüsten rocken kompt von Madame von Montespan so es trug,
wenn sie schwanger war. Madame d'Orleans hat sie wieder
auf die Bahn bracht.« Diejenige, welche dieses Kleid in die
Mode lancierte und ihm den Namen »Adrienne« gab, war die
Schauspielerin Madame Dancourt, die den Schnitt 1703 zuerst
auf der Bühne trug. Sie spielte in der Komödie Andrienne
von Baron die Glycerie und trat darin der Situation ihrer Rolle
entsprechend in diesem Umstandskieide auf. Die Aversion der
guten Pfälzerin ist nicht leicht zu begreifen, denn diese weiten
Kleider erforderten ebensogut das Korsett, wie der große Habit,
ihr Neglige bestand nur für das Auge in dem losen Wurf ihrer
Falten. Wie aber das Neue Gegner schon aus dem Grund fin-
det, weil es neu ist, so wurde diese »Adrienne« 1730 in Wien
verboten. Die Frauen sollten nicht, wie Keyßler schreibt, um
ihre Fleischbänke desto besser auslegen zu können, in fran-
zösischen Säcken zur Kirche kommen. Zu den Zeiten der
Montespan hatte dieses Umstandskleid den Namen »Innocente«
geführt. Dann hieß es »Adrienne« oder »Volante«, führte auch
eine Zeitlang nach der Gattin des Malers Pater die Bezeich-
nung »Hollandaise«. In England nannte man die weiten Klei-
146
der 1/54 »Carclinals«, »Trollo-
pies « , » Slammerkins « , in
Deutschland am liebsten Kon-
tusche. In Gellerts Lustspiel
»Die kranke Frau« bildet die
neue Adrienne der Frau Ste-
phan den Drehpunkt des gan-
zen Stückes. Die Kontusche
gewährte reisenden Prinzes-
sinnen eine Art Inkognito.
So erfindet die Markgräfin von Bayreuth, als sie zur Krönung
nach Frankfurt reist, für sich und ihre Hofdamen einen beson-
deren Schnitt derselben. Als Marie Antoinette 1778 zum ersten
Male in anderen Umständen war, brachte sie ihr Umstands-
kleid als »Levite« in die Mode. Sie ließ sich auch von Madame
Vigee Lebrun in diesem Kostüm
n-mlen, als das Bild aber im Salon
von 1 783 ausgestellt wurde, erregte
es beim Publikum solchen Anstoß,
daß es entfernt werden und durch
ein Porträt in großem Putz ersetzt
werden mußte. Dieser Form fügte
die Vicomtesse de Jaucourt 1781
noch eine Schleppe Ȋ queue de
singe« hinzu. Als die Dame zum
ersten Male im Garten des Palais Luxembourg in geschwänz-
ter Affenform promenierte, trieb sie der Hohn der Spazier-
gänger.in die Flucht. Man nannte den Schnitt auch »Polonaise«,
Pierrot, Circassienne, robe a la turque.älaCreoleetc. Schließlich
wird hoch und geschlossen mit langen Aermeln die Robe ä
l'Anglaise daraus, wie sie
Reynolds,Gainsboroughu.a.
^^.^^ so oft mit ihren schönen
Modellen gemalt haben. Es
ist das Kostüm, aus dem
einige Jahre später das an-
tike wird, wie es einzelne
besonders mutige Damen
auch schon früher zu tragen
versucht haben. Die schöne
rj^^'i-^-'-j''
147
10*
Elisabjpth Chudleigh, als nachmals vermählte Herzogin von
Kingston durch ihren famosen Bigamieprozeß so bekannt ge-
worden, erschien 1749 auf einem Subskriptionsball in Somerset
House in London als Iphigenie vor dem Opfer, vv^urde aber
ihrer dürftigen Bekleidung v^egen auf Veranlassung des Hofes
aus dem Saal gewiesen, während Corona Schröter, die 1778
ihr antikisierendes Gewand »in edler attischer Eleganz« auch
auf der Straße trug, in dem Weimar der Geniezeit nur Bewun-
derung erntete.
Dtr Caraco Seit der Mitte des Jahrhunderts bildet sich noch ein anderes
Negligekostüm heraus, der Caraco. So nannte man eine Taille
mit Schößen, die ihre Einführung in die Mode dem Herzog von
Aiguillon verdanken soll, welcher 1768 bei seiner Reise durch
Nantes die dortigen Bürgerfrauen damit bekleidet sah. Im
Grunde genommen ist der Caraco aber wohl nichts anderes
als der für die Damenmode adaptierte Herrenfrack. Der Schnitt
des Kleidungsstückes hat sehr oft gewechselt und dem Caraco,
den man auch Casaque und Casaquin nannte, die allerver-
schiedensten Formen gegeben. Manchmal waren die Schöße
rückwärts sehr kurz, — »Caraco pet en l'air« — , dann ver-
längerte man sie gelegentlich sogar bis zur Schleppe, dann
wieder fielen sie nicht flach auf den Rock, sondern man
bauschte sie um die Hüften. Mal waren es mehrere Schöße,
mal nur einer, kurz, man hat diesem Kleidungsstück, das sehr
beliebt war und bis in die Mitte der neunziger Jahre getragen
wurde, die mannigfaltigste Abwechslung zu geben gewußt, zu-
mal es stets von anderer Farbe und anderem Stoff gewählt
war als der dazu gehörige Rock.
Solange der große Reifrock getragen wurde, dessen Form
und Umfang schöne Stoffe voll zur Geltung brachte, waren
Seide, Damast, Brokat außerordentlich beliebt. Wir können
die herrlichen Muster und Farben derselben noch auf den
Bildern jener Zeit bewundern. In der Delikatesse seiner Farben
ist das Rokoko ja heute noch nicht übertroffen. Die matten
Töne seines Blau, Rosa, Grün müssen in ihrer zarten Nuan-
cierung, im Raffinement ihrer Zusammenstellung für das Auge
von unbeschreiblichem Reiz gewesen sein. So besaß i734
Frau von Bülow geb. von Arnim ein Schleppkleid aus Taffet
mit eingewebten Jonquillen, für das sie 40 Reichstaler, nach
heutigem Geldwert etwa 600 Mark, bezahlt hatte. In den späte-
Stoffe
und Farbtn
148
ren Jahren der Regierung Ludwigs XV. bewegten sich die
bevorzugten Farben auf einer Skala zwischen tiefem sattem
Rot und Lichtbraun, während die ersten Jahre Ludwig XVL
durch die Vorliebe für ein in das Violette spielendes Braun
gekennzeichnet werden, das man fiohfarben nannte und in
den verschiedensten Schattierungen besaß. Da gab es die
Farben: Junger und alter Floh, Flohkopf, Flohrücken, Floh-
bauch, Flohschenkel, Floh im Milchfieber usw. In Gelb war
die beliebteste Xüance ein blasses Blond, das von der Farbe
des Haares der Königin Marie Antoinette genommen w-ar,
später ersetzte es ein tiefer gefärbtes Chamois, das man ge-
schmackvollerweise »caca Dauphin« oder gar »merde d'oie«
nannte. Man schwelgte in Paris förmlich darin, den Mode-
farben die verdrehtesten Xamen zu geben: Rinnstein, Straßen-
schmutz, Londoner Rauch, Nymphenschenkel, Nönnchenbauch.
Karmeliterbauch, vergifteter Affe, sterbender Affe, lustige Witwe,
traurige Freundin, der auferstandene Tote, Stutzers Eingeweide,
kranker Spanier, Verstopftenfarbe, Pockenkrank usw. ist eine
Blütenlese der törichten Xamen. die man sich gefiel, den ein-
zelnen Schattierungen von Gelb und Grün beizulegen.
Die Gold- und Silberbrokate des i8. Jahrhunderts sind in ihrer
Qualität unübertroffen geblieben. Man fertigte goldstoffene
Chodozviecki, > Wallfahrt nach Französisch-Btichholzi, ^77S
149
Roben auch ganz ohne Naht, deren Preis aber so exorbitant
war, daß ihn Marie Lesczynska unerschwinglich fand. Gräfin
Stroganow wurde 1763 in Berlin der Königin vorgestellt in einem
Kleide von Goldbrokat, besetzt mit Silberspitzen und garniert
mit Juwelen für 20000 Rubel »wie eine Sonnengöttin«, schreibt
Graf Lehndorff. Für die Börsen Minderbemittelter gab es
bedruckte Baumwollstoffe und Kattune, die sich aller obrig-
keitlichen Verfolgung zum Trotz siegreich durchgesetzt haben.
Friedrich Wilhelm L, der die Erzeugnisse seiner Tuchmanu-
fakturen schützen wollte, bestrafte das Tragen englischer
bedruckter Baumwollzeuge mit dem Halseisen. In Leipzig
wurde der Kattun noch 1750 ausdrücklich verboten. Am
heftigsten aber wütete man in Frankreich gegen die »Indienne«.
Diese billigen, leichten, mit schönen Mustern und in leuch-
tenden Farben bedruckten Stoffe wurden gegen Ende des
17. Jahrhunderts nicht so bald bekannt, als die Regierung
ihre Konkurrenz für die kostbaren Gewebe der französischen
Seidenindustrie fürchtete und ihren Gebrauch verbot. Daraus,
daß sich von 1697— 1715 25 Verbote einander folgten, geht
schon hervor, wie wenig sie nutzten, und in dieser Einsicht
griff das Gouvernement zu wahrhaft drakonischen Maßregeln.
Man bedrohte 1717 die Händler, die noch ferner diese ver-
pönten Stoffe einführen oder verkaufen würden, mit der
Galeerenstrafe, man ließ den Frauen und Mädchen des Bürger-
standes öffentlich solche Kleider vom Leibe reißen. Noch
1755 wurde, wie Grimm schreibt, die Verurteilung zu den
Galeeren ausgeführt, es nutzte alles nichts. Der Verbrauch
bedruckter Kattune für Kleider, Möbel und Tapeten stieg
mit jedem Jahre. Es wurde schließlich ein Sport, gerade
diese Stoffe zu benutzen, die verboten waren und nur als
Konterbande ins Land kommen konnten. Die Pompadour
war 1755 stolz darauf, daß in ihrem Schlößchen Bellevue alle
Möbel mit geschmuggeltem Kattun bezogen waren. Endlich
gab die Regierung nach. 1760 wurden die Verbote aufgehoben
und zu den ersten, die sich auf die Herstellung von Indienne
warfen, gehörte der bekannte Glücksritter Casanova. In der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts verdrängten dann die leichten
englischen Gewebe Musselin, Battist, Linon die Kattune. Die
Eleganz beruht nicht mehr auf der Kostbarkeit der Stoffe,
oder dem Geschmack ihrer Musterung, sondern auf der Fein-
150
J. M. Mo)cau ... }'., I..jidez-vous pour Marly, jyjö
heit des Fadens. Die Dubarry kaufte sich ein Stück indischen
Musselin, ausreichend für vier ganze Kleider, das nur 15 Unzen
wog. Man trug diese leichten Gewebe mit Vorliebe ganz
weiß, aber es ist merkwürdig, daß das Brautkleid damals
durchaus nicht immer weiß war. Eine deutsche Braut des Das
Mittelstandes trug 1750 bei der Trauung einen Rock von brauner,
mit roten und gelben Blumen durchwirkter Seide und dazu
eine Schnürbrust von grasgrünem gros de Tours, mit Gold
gesteppt. Am französischen Hof und in der vornehmen Ge-
sellschaft trug das Brautpaar am Hochzeitstag Goldbrokat
auf schwarzen Grund. Wir begegnen in französischen Mode-
journalen z. B. Brautkleidern in Blau und nur in den oberen
BraiilkUiJ
151
St. Aubin, Au moins soyez discret
St. Aubin, Coviptez sur mes serments
Kreisen Deutschlands setzt sich im Laufe des Jahrhunderts
das reine Weiß für diesen Zweck durch. Das Brautkleid von
Fräulein v. Pannewitz, die 1751 heiratete, besteht aus weißem
Moire mit silbernen Blumen und kostet 1000 Taler, Fräulein
V. Alvensleben, die 1761 heiratet, trägt weiße Seide mit Silber
broschiert. Als Dorothea Schlözer 1787 in Göttingen zum
Dr. phil. promoviert, kleidet sie sich auf Wunsch der Mutter
»wie eine Braut« ganz in weißen Musselin mit weißer Flor-
Frisur, nur Rosen und Perlen im Haar.
Unierhieider Wenn man sich vorstellt, daß der große und weite Reifrock
den Unterkörper der Frauen zwar bedeckte, aber doch so
gut wie gar nicht schützte, so würde man glauben müssen,
die Trägerinnen desselben hätten aus Rücksichten der Gesund-
heit und des Anstandes gern zur Hose gegriffen, aber dem
war durchaus nicht so. Es galt sogar direkt für unschick-
lich, und nur von alten Damen, wie Liselotte, hört man, daß
sie wollene Hosen tragen, sonst war es nur in gewissen Fällen
als Ausnahme gestattet. Selbst die Mägde des Herrn Hope
in Amsterdam zogen Hosen nur an, wenn sie Fenster putzten.
Die Holländerinnen legten sonst nur zum Schlittschuhlaufen
solche von schwarzem Sarnmet an. Casanova, unzweifelhaft
ein kompetenter Sachverständiger in allen Fragen, welche die
Dessous des schönen Geschlechts betreffen, konstatiert mit
Mißbilligung, wenn eine Dame, der er den Hof macht, etwa
152
lySs
Maonsin des MoiJes
D|-e Mode. 18. Jahtfi. 34
Hosen von grünem Sammet trägt. Der liebenswürdige Schwere-
nöter geht sogar so weit, Damen, mit denen er im Postwagen
zusammenfährt, Vorwürfe darüber zu machen, daß sie schwarze
Beinkleider anhaben. Eine Ausnahme von dieser Regel machten
nur die Tänzerinnen auf dem Theater, welche Hosen tragen
mußten und denen in Spanien z. B. bei Strafe verboten war,
sie bei ihren Sprüngen sehen zu lassen. Casanova erzählt von der
Prima Ballerina Nina in Barcelona eine famose Geschichte. Durch
die Lebhaftigkeit ihres Temperamentes hingerissen, gab sie eines
Abends bei der Rebaltade — einem Rückwärtssprung mit Pirouette
— ihrem Reifrock einen solchen Schwung, daß das verpönte
Kleidungsstück ganz und gar zu sehen war, und mußte demgemäß
eineGeldstrafezahlen. Wütend darüber zog sie am nächsten Abend
ihre Höschen erst gar nicht an und gab bei der Rebaltade auch dem
ganzen ParterreGelegenheit, sich davon zu überzeugen. Als sie dar-
über vom Gouverneur zu Rede gestellt wurde, erwiderte sie ganz
kalt: »Es ist mir nur verboten, meine Hosen zu zeigen, und ich
glaube, kein Mensch kann behaupten, daß er sie heute abend
Zoffany, Garrick und Mrs. Pritchard in y Macbeths, 1776 Schabkumt von Val. Green
153
gesehen hat.« Unterröcke waren selbstverständlich unerläßlich.
Auf den obersten derselben, der oft sichtbar wurde und in
Deutschland auch den Namen »Appetitröckl« führte, wendete
), BwnfiimrwP'ii'yi.wiiH.n.iniiwii.i
y. M. Moreaii le j , ^La declaration de la Grossesse<, 1776
man viel Sorgfalt. Er wurde aus Seide gefertigt, gestickt,
mit Gold und Silber bordiert und wir hören, daß besonders
die schottischen Damen ihre Jupons außerordentlich reich
ausgestattet haben, da die engen Gänge und Treppen ihrer
alten Häuser sie fortwährend nötigten, ihre Reifröcke auf-
zuklappen. Als die leichten Musselinkleider Mode wurden,
kamen die Unterröcke aus dem gleichen Stoffe auf. Man
154
benötigte dieselben stets in größerer Anzahl, so daß z. B.
Sophie Arnould 1789 aus ihrem Landhause in Clichy gleich
17 weiße Unterröcke aus Battist und Baumwolle gestohlen
y. M. Moreau le j., Dame du palais de la Reine, 1777
werden konnten. Zur \'ervollständigung der Toilette gehörte
noch das Fichu, das kreuzweise gebunden den Ausschnitt be-
deckte und kurz vor der Revolution als »Trompeuse« bis
zum Kinn hinaufstieg, und die Schürze, die man auch außer-
halb des Hauses trug. Ein kokettes Tändelschürzchen, das
der Trägerin das Aussehen einer Soubrette gab, und deswegen,
als die Mode aufkam, von den Müttern in Acht und Bann
getan wurde. Die Marschallin von Luxemburg schenkte ihrer
155
Enkelin, der Herzogin von Lauzun, um sie auf die Lächerlich-
keit dieser Mode aufmerksam zu machen, eine Schürze aus
Rupfen, über und über mit den kostbarsten Spitzen besetzt.
In England wurde die Schürze aus Spitzen die Rage der
schönen Welt, trotzdem sich einige Dandies gegen sie er-
klärten. In Bath ging einer derselben, Richard Nash — »le
beau Nash« — soweit, der Herzogin von Queensberry, als
sie mit einer Schürze im Wert von £ 200 zu einer Reunion
kam, dieselbe abzureißen und in die Ecke zu werfen.
Der Luxus in der Wäsche erstreckte sich nicht, wie heutzu-
tage, auf den häufigen Wechsel derselben. Der Kurfürst von
der Pfalz z. B. gab seiner Tochter, die den Bruder Ludwigs XIV.,
den Herzog von Orleans, heiratete, nur sechs Tag- und sechs
Nachthemden in ihren Trousseau, genug, w'enn man, wie Scarron
von den Damen seiner Zeit sagt, gewohnt ist, nur einmal im
Monat das Hemd zu wechseln. Die achtzigjährige Marquise
von Coislin äußerte sich einmal sehr ungehalten zu Chateau-
briand über ihre Kammerjungfer, die ihre Wäsche so oft wechsle.
»Was hat das für einen Sinn«, sagte sie, »zu meiner Zeit hatten
wir nur 2 Hemden, die man erneuerte, wenn sie verbraucht
waren. Aber wir trugen dafür seidene Roben.« Fürst Kheven-
hüller stellte fest, daß sich in der Ausstattung der Erzher-
zogin Josepha 1767 zwar 90 seidene Kleider befanden, aber nur
wenige und schlechte Wäsche. »Ich war sehr schlecht ausge-
stattet nach Rußland gekommen«, schreibt Katharina IL in
ihren Memoiren, »ein Dutzend Hemden war meine ganze Wäsche.«
Man legte mehr Wert darauf, daß die Wäsche kostbar aus-
gestattet, als daß sie sauber war. Kaum eine Zeit war z. B.
in der Verwendung von Spitzen so verschwenderisch wie das
18. Jahrhundert. Man trug sie nicht nur als Besatz an Klei-
dern und Leibwäsche, man garnierte auch die Bettwäsche damit
Madame de Crequy besucht einmal die Herzogin de la Ferte-
und findet sie in einem Bett, dessen Spitzengarnitur 40000 Taler
gekostet hatte. Die Marquise von Pompadour besaß ein Spit-
zenkleid von points d' Angleterre, das ihr 22500 Francs (etwa
60000 M.) gekostet hatte. Die Spitzenmantillen, mit denen
man den Ausschnitt bedeckte, waren ebenfalls kostspielige
Artikel, man bezahlte sie mit 100 Dukaten und mehr. Im
Trousseau der französischen Prinzessin, die 1739 den Infanten
von Spanien heiratete, befanden sich für 625 000 Francs Spitzen
156
Gallerle des Modes
Die Mode, 18. Jahrh. 35
Daniel Chodmviecki, Friedrich d. Gr., die Parade abnehmend, 1777
und noch 1786 schreibt Swinburne aus Paris, daß man im
Trousseau jeder vornehmen Braut allein an Spitzen für etwa
£ 5000 finden könne. In Baden war es 1739 guter Ton, für
beide Geschlechter die spitzenbesetzte nasse Wäsche zum
Trocknen vor seinem Fenster aufzuhängen, dazwischen pro-
menierte dann die elegante Welt und bewunderte die ausge-
breiteten Herrlichkeiten. Viele konnten sich von ihren Spitzen
nicht trennen. Aurora V. Königsmarck nahm ein Vermögen
ah Spitzen in den Sarg mit, ebenso wie der Herzog von
Alba, der 1739 in Paris mit allen seinen Spitzen begraben
wurde. In England war man nicht weniger toll auf Spitzen
wie in Frankreich und anderswo. Die Königin Anna gab
157
z. B. im Jahr 1712 für Spitzen £ 1418 aus. Ein Kopfputz
aus Points de Bruxelles kostete 1719 & 30 -40. Auf zwei
Millionen Pfund Sterling berechnete man im Durchschnitt
die jährliche Einfuhr an flandrischen, französischen und italie-
nischen Spitzen. Aus patriotischen Rücksichten begann man
unter der Regierung Georgs II. die englischen Spitzen zu
bevorzugen. Bei der Hochzeit des Prinzen von Wales 1736
trug die ganze Hofgesellschaft ausschließlich Spitzen englischen
Ursprungs, nur der Herzog von Malborough machte eine
Ausnahme, er trug Brüsseler Kanten. Eine der berühmt
schönen Misses Gunning, Anna Herzogin von Hamilton, seit
1759 Herzogin von Argyll, führte in den vierziger Jahren die
Spitzenfabrikation in Schottland ein. Regierung und Private
vi^etteiferten darin, die heimische Produktion in Flor zu brin-
gen. Unnachsichtlich wurden ausländische Spitzen konfisziert.
So revidierte die Steuerbehörde drei Tage vor der Hochzeit der
Prinzessin Auguste mit dem Herzog von Braunschweig die Werk-
stätte der Hofmodistin und nahm ohne Barmherzigkeit die ferti-
gen Galakleider fort, soweit sie mit ausländischen Spitzen oder
anderen geschmuggelten Artikeln besetzt waren. Auf der Straße
riß man den Frauen aller Stände Hauben und Besätze weg.
In Dublin verbanden sich 1755 die jungen Herren zu einem
Verein, welcher alle Damen, die französische Spitzen tragen
würden, boykottieren wollte. Seit 1756 die Blonde auftauchte, 1768
Hammond in Nottingham eine Maschine erfand, welche den Tüll
— den man zuerst Fond de Bruxelles nannte — auf mechanischem
Wege herstellte, kommt die Spitze allmählich außer Mode.
Die indischen Musseline verdrängen sie wenigstens aus der
Toilette, denn als Besatz der Bettwäsche bleibt sie in Ehren.
Als 1778 Georg III. und die Königin Charlotte das Töchter-
chen des Herzogs von Chandos aus der Taufe hoben, da war
der kleine Täufling so in Spitzen eingehüllt, daß er während
der Zeremonie in seinem Tragkissen erstickte. Die Ehre der
königlichen Patenschaft hatte »Georgiana Carolina« das Leben
gekostet.
Die Frisur Die Frisur der Damen entwickelte sich im Gegensatz zum Um-
fang ihrer Röcke. Als der Reifrock am größten war, war
sie ganz klein. Als Reifrock und Kleid enger und kürzer
wurden, nahm sie in der gleichen Proportion zu wie jene ab.
Auf die hochansteigenden Fontangen folgte eine Frisur, welche
158
»füll»!!
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Rosmaesler, Promenade in Leipzigs ^777
alles Haar knapp und flach um den Kopf legte, fast möchte
man sagen anklebte. Man trug dazu kleine Spitzenhäubchen,
die man 1731 Fledermäuse nannte, wenn sie tief bis in das
Gesicht reichten. Seit 1760 etwa beginnt sich eine Verän-
derung geltend zu machen. Das Haar wird über der Stirn
hoch toupiert, und fällt hinter den Ohren in langen, meist
nach vorn gelegten Locken auf den Hals. Die Frisur wird
kunstreicher und umständlicher in ihrer Herstellung. Man
braucht den Friseur dazu. Der erste Mann, der in Paris
Damen frisierte, war Mr. Frison, neben ihm waren Larseneur
und Dage berühmt. Der letztere besonders dadurch bekannt
daß er sich geweigert hatte, die Pompadour zu frisieren. Der
Matador der Pariser Friseure war aber doch Legros, der sich
vom Küchenjungen zum Herrscher über die Köpfe der Damen-
welt aufschwang, der das Haaremachen zur Kunst erhob. Er
veröffentlichte 1765 ein methodisches Werk über die Kunst,
jede Dame nach der Eigenart ihres Charakters zu frisieren und
eröffnete gleichzeitig eine Akademie, die in drei Klassen ein-
geteilt. Wißbegierige in alle Geheimnisse des Metiers einweihte.
160
Ward, Louisa, ijSö
Die Mode. le.'Jatrli. 36
Nicolas Lav7eince, La Soubrette confidente
Die Frisur wird zur Hauptsache der Toilette. Erfindungsgabe
und Phantasie werden nur noch in ihrem Dienst gebraucht.
Eine neue Frisur wird zum Ereignis. 1772 bereits zeigte das
Pariser Modejournal, der »Courier de la Mode« in jedem seiner
Die Mode. 18. Jahrb. 2. A.
l6l
11
Hefte 96 verschiedene Arten Frisuren an, im ganzen Jahre
bringt es diese Zahl auf 3744 Beispiele. Der berühmte Legros
gehörte zu den Opfern der Katastrophe, welche gelegentlich
der Feste zur Vermählung Marie Antoinettes auf dem Platze
Ludwigs XV. in Paris vielen Hundert Menschen das Leben
kostete, er erstickte in der Menge. Aber sein Verlust bedeutete
nichts. In wenigen Jahren war die Zahl der Damencoiffeure
in Paris allein auf 600 gestiegen. Die Damen, die Friseure,
die Putzmacherinnen und Kammerjungfern wetteiferten in der
Erfindung neuer und immer neuer Frisuren. Alle Gebiete der
Natur und des Wissens wurden geplündert. Die Mythologie
und die Neuigkeiten des Tages mußten Vorwürfe liefern nur
zum Besten neuer Ideen für die Frisur. Nichts war so wider-
sinnig und so abgeschmackt, nichts so verkehrt und so son-
derbar, daß es nicht zu einer Damenfrisur benutzt worden wäre.
Sonne, Mond und Sterne, Meere und Wälder, Tier und Men-
schen sah man auf den Köpfen der Schönen. Eine Fregatte
mit allen Segeln war nichts Ungewöhnliches als Coiffüre und
nachdem nichts mehr übrig zu sein schien, blieb es doch noch
der Herzogin von Chartres vorbehalten, mit dem »Pouf au
sentiment« etwas völlig Neues zu lancieren. Sie trug in dieser
Frisur Figuren ihres kleinen Sohnes und seiner Amme, ihres
Lieblingspapageien und Mohren, verflochten in Locken ihrer
männlichen Verwandten, ihres Mannes, ihres Vaters und Schwie-
gervaters ! ? Der eigentliche Wahnsinn beginnt aber doch erst
in dem Augenblick, in welchem Marie Antoinette am 10. Mai 1774
Königin wird. Sie war jung, schön, töricht und schlecht be-
raten und stürzte sich wirklich Hals über Kopf in die Mode,
so daß sie im ersten Jahre nach ihrer Thronbesteigung nur für
Putz und Tand bereits 300000 Francs Schulden gemacht hatte.
Ihr Coiffeur war Leonard Autier, der berühmte, der große
Leonard, der bis zu 14 Ellen Gaze in eine einzige Coiffüre
hineinarbeitete und dessen Prinzip es war, niemals Spitzen zu
verwenden. Der Coiffeur en titre der Königin war Larseneur,
ein alter Mann ohne Geschmack, den sie aber aus Mitleid nicht
abschaffen wollte. Sobald er fertig war, zerstörte sie seine
Arbeit, Leonard kam und frisierte sie aufs neue. Marie An-
toinette konnte sich nicht von ihm trennen und nahm ihn sogar
auf die unglückliche Flucht nach Varennes mit, deren verfehl-
ten Ausgang er durch sein Zuspätkommen verschuldet haben
162
soll. Die Putzmacherin der Königin war Mlle. Bertin. Mit
beiden »arbeitete« die Königin mehrere Male in der Woche
und kreierte die Moden, um die sich die Pariserinnen aller
LaV7-eince, La consolation de l' absence
Klassen dann förmlich gerissen haben. Jede wollte, wie Ma-
dame Campan, die Kammerfrau Marie Antoinettes, in ihren
Memorien schreibt, dieselben Modelle tragen wie die Königin,
und man beschuldigte die Fürstin, daß sie durch ihre Launen
der Verschwendung Vorschub leiste und den finanziellen Ruin
Frankreichs befördere. Mlle. Bertin wurde der Minister der
Mode genannt und sie fühlte sich auch als solcher. Einmal
163
11*
Nicolas Lavreince, Qu^en dit fabbe ?
kam eine Dame in ihren Laden und verlangte Coiffüren von
der neuesten Mode. »Zeigen Sie der Dame die Modelle der
letzten Woche«, befahl sie darauf einem ihrer Fräulein. Als
die Käuferin schüchtern zu bemerken wagte, daß sie die neue-
sten, nicht die der letzten Woche sehen wollte, erhielt sie von
der Bertin die stolze Antwort: »Dann müssen Sie noch acht
164
Nicolas Lavreince, Le Billet-doux
Tage warten, die Königin und ich haben beschlossen, die neue-
ste Mode erst in der nächsten Woche erscheinen zu lassen.«
Von ihrer Arroganz und Einbildung können die Memoiren der
Zeit überhaupt nicht genug berichten. Trotz der exorbitanten
Preise, welche die Gunst des Hofes ihr zu nehmen erlaubte,
machte sie im Jahre 1787 einen Bankerott von zwei Millionen
165
Passiva. Marie Antoinette war so stolz auf ihre Erfindungs-
gabe, daß sie sich für ihre Mutter in der neuen Mode malen
ließ. Die Kaiserin Maria Theresia sandte das Bild aber zu-
rück mit der Bemerkung, es läge wohl eine Verwechslung vor,
so könne vielleicht eine Schauspielerin aussehen, aber nicht
die Königin von Franljreich ! Die Frisuren wurden jetzt so
extravagant nach Größe und Zusammensetzung, wie man sich
heute doch kaum noch vorstellen kann. Die Baronin Ober-
kirch erzählt, daß bei Damen mittlerer Größe das Kinn genau
in der Mitte zwischen den Fußspitzen und dem Gipfel der
Frisur lag. Madame Campan sagt, daß die Damen sich nicht
mehr in ihren Kutschen setzen konnten, sie mußten sich auf
den Boden derselben knien und den Kopf zum Fenster hinaus-
stecken, gerade so wie ihnen das Tanzen große Mühe verur-
sachte, da sie sorgfältig danach trachten mußten, Zusammen-
stöße mit den Kronleuchtern zu vermeiden. Graf Vaublanc
schreibt in seinen Erinnerungen, zu wie wenig geschickten
Bewegungen die Tänzerinnen durch diese Rücksicht oft ge-
zwungen waren. So soll es wirklich vorgekommen sein, daß
eine Dame ihre Coiffüre an dem Lüster eines Pariser Cafe-
hauses in Brand gesteckt hat. Um der Mißbilligung der alten
Tanten und Schwiegermütter zu entgehen, konnten sich junge
Frauen »ä la bonne maman« frisieren lassen. Dann kamen
Ressorts in die Frisur, die auf einen Druck dieselbe höher
oder niedriger machten. Es war, als hätte eine Raserei diese
Köpfe ergriffen, die sich nicht genug falsches Haar, Federn,
Bänder, Blumen, Vögel aufsetzen konnten und nur begierig
waren, für diese Chiffons immer neue Arten des Arrangements
zu erfinden. Madame de Matignon abonnierte sich bei dem
Friseur Beaulard und zahlte ihm 24000 Livres jährlich, wofür
er verpflichtet war, ihr täglich eine neue Coiffüre zu liefern.
Die Mode wechselte so rasch, daß Leonard, wenn er von der
gestrigen Mode sprach, nur »ehemals« zu sagen pflegte. Die
Schwierigkeit, eine so komplizierte Frisur herzustellen, sie über
Kissen und Drahtgestellen aufzubauen, ihr durch Pomaden
Halt zu geben, sie zu pudern usw., erforderte die Arbeit von
Stunden und es kann nicht wundernehmen, daß die Damen
sich dieser Prozedur nicht alle Tage unterwerfen konnten.
Selbst vornehme Damen ließen sich nur alle 8 bis 14 Tage
neu frisieren, ärmere noch viel seltener und wir hören davon,
166
Bandouin-Moreau^ Le coucher de la Mariee
daß Frauen und Mädchen des Mittelstandes einen Monat und
länger ihr Haar in der gleichen Frisur beließen, ohne es doch
in der Zwischenzeit kämmen zu können. Was dieser Mangel
an Reinlichkeit für Folgen hatte, läßt sich denken. Es war
das goldene Zeitalter des Ungeziefers, dem die Damen mit
ihren »grattoirs«, langen Kopfkratzern aus Gold oder Elfenbein,
167
Be7ij. West, Kdnig'm Charlotte von England und ihre Tochter, 1778
Schabkunst von V. Green
natürlich nicht beikommen konnten. Die Markgräfin von Bay-
reuth notiert bei ihrem Empfang in Hof, daß die Haare der
adligen Damen voller Schmutz und Unrat gewesen seien und
was Casanova einmal in dieser Hinsicht für Beobachtungen
auf dem Kopf einer Augsburgerin machte, teilt er in seinen
Memoiren sehr ergötzlich mit. Katharina II. verbot die Fri-
suren höher zu tragen als V4 russische Elle. Ihre Schwieger-
tochter Maria Feodorowna mußte sich deswegen einen Teil
ihrer schönen Haare abschneiden lassen. Nach einigen Jahren
änderte sich die Mode insofern, als die Coiffüre nicht mehr
in das Haar hineingearbeitet, sondern als Haube oder Hut
besonders aufgesetzt wurde. Man frisierte sich einfacher,
angeblich dem Beispiel Marie Antoinettes folgend, der während
ihres ersten Wochenbettes das Haar sehr stark ausgegangen
war. Man toupierte es nicht mehr, sondern wickelte es in Locken
und ließ es rückwärts bis zur Taille offen herabfließen. Im Auf-
stecken der Bonnets und Hüte waltete die Phantasie nun un-
168
G aller ie des Modes
Die Mode. 18 Jatrh. 37
unischränkt weiter. Drahtgestelle mit Flor überzogen, Formen
ausStroh und Filz wurden derTummelplatz der launischen Mode,
wo sie Federn, Blumen, Bänder, Schleifen, Agraffen u. a. in der
buntesten und bizarrsten Mannigfaltigkeit durcheinander wir-
belte. Ebenso barock wie die Formen der Frisuren, Coiffüren
und Hüte waren die Namen, welche man ihnen beilegte. Denn
so gut wie jede Nuance jeder Farbe einen besonderen Namen
erhielt, gab man jeder Frisur, jeder Coiffüre, jedem Hut einen
eigenen Namen. Diese Bezeichnungen, die mit dem eigent-
lichen Wesen des Gegenstandes natürlich nicht das mindeste
zu tun hatten, entlehnte man Tagesereignissen, dem Brand der
Oper, dem Freiheitskriege der Amerikaner, dem Halsbandpro-
zeß, man nahm Verbrecher zu Paten, wie den abscheulichen
Desrues oder Erfinder wie Montgolfier. Man entlieh ihn am
liebsten dem Theater. So begegnen wir Namen wie ä ITnde-
pendance, ä la Bostonienne, ä la Philadelphie, ä la nouvelle Angle-
terre, ä la Belle Poule, au glorieux d'Estaing, ä la Desrues, ä la
Montgolfiere, ä la Figaro, ä l'Almaviva, ä la Suzanne, ä la Vol-
taire, ä la nouvelle Ciarisse,
ärAndrosmane,auBandeau
d'amour, le Chien couchant,
au Parterre galant, au Cerf
volant, ä la douce Raillerie,
ä la Randan, ä la Baillard,
ä la Zinzara, ä la Tarare, ä
la nouvelle Omphale, ä la
Marlborough, ä la grande
Pretention, au Papillon con-
stant, au galant Desespoir,
au Plaisir de la Cascade usw.
usw. Wenn man bedenkt,
daß es allein 1779 ^^ P^"
riser Modehandel 200 ver-
schiedene Häubchen gab,
von denen jedes im Preise
zwischen 10 und 100 Livres
schwankend, einen beson-
deren Namen trug, so be-
greift man leicht, daß zwi-
GeigenspieUr Italien. Porzellan schen Himmel und Erde,
170
Der Handkuß^ Biskuit, Wien. Von Anton Graßl
auf und unter derselben nichts davor sicher war, der Verbin-
dung von einigen Ellen Band, Flor und Federn seinen Xamen
leihen zu müssen. Dieselben Bezeichnungen begegnen uns auch
in Deutschland. Wenn Chodowiecki oder Riepenhausen uns
die Moden von Berlin, Göttingen oder Leipzig entwerfen, be-
dienen sie sich der gleichen Xamen wie die Pariser Mode-
zeitungen. Zu den Formen, die sich fast das ganze Jahr-
hundert hindurch behaupteten, gehörte die Dormeuse, ein
Xame, der einer Haube zukam, die vielfach wirklich als Xacht-
haube benutzt wurde, wegen ihrer Einfachheit aber auch von
älteren Damen gern getragen wurde. So sieht Goethe z. B.
Frau von La Roche stets in einem »netten Flügelhäubchen«.
Den X'amen hat man dann gelegentlich im Jahre 1758 z. B. auch
einem Topfhut beigelegt, wie man ihn 1909 wieder liebt, als ob
man Mademoiselle Bertin Recht geben wollte, die einmal sagte:
»II n'y a rien de nouveau dans ce monde que ce qui est oublie.«
Sehr drollig war die Coiffüre ä la Therese, eine Kopfbedeckung
wie ein Kutschdach, die man auf- und zuklappen konnte, prak-
171
tisch und kokett zugleich. Diderot erzählt, wie gewandt seine
kleine Tochter ihm die Vorzüge dieser Kalesche auseinander-
zusetzen wußte. Für die englische Dame war der Hut nicht
nur der wesentlichste Bestandteil der Toilette, er erst gab ihr
das Cachet der Eleganz, sondern sie verstand auch, ihn mit
besonderem Schick aufzusetzen und mit feinster Koketterie zu
tragen. Wer sich von Bildern, Farbstichen oder Schabkunst-
blättern her auf die Porträts der schönen Engländerinnen jener
Zeit besinnt, wird das Entzücken begreifen, mit dem der be-
kannte Zeitungsschreiber
und Pamphletist Linguet
erklärte, wenn Homer die
Engländerinnen gekannt
hätte, so würde er der Ve-
nus als Attribut der Gra-^
zien nicht einen Gürtel,
sondern einen englischen
Hut gegeben haben. Die
reizenden Londonerinnen
jener Zeit erfreuten sich
aber auch einer Einrich-
tung, welche man heute, wo
man stets auf der Suche
nach neuen Berufen für die
Frau ist, eigentlich nach-
ahmen könnte. Die schöne
Schauspielerin Mrs. Abing-
ton, welche am Drurylane
Theater engagiert war und dort als Extrahonorar für ihre
Toiletten £ 500 jährlich bezog, fuhr in ihren Mußestunden um-
her und erteilte Rat und Auskunft in Modeangelegenheiten,
welche Nebenbeschäftigung ihr im Jahr etwa £ 1500 bis £, 1600
eingebracht haben soll.
Alle Frisuren hatten nur einen Zug miteinander gemein, sie
waren alle gepudert. In den Zeiten Ludwigs XV. und Lud-
wigs XVL puderte sich die ganze feine Welt, Männer, Frauen
Kinder stäubten sich ihr Haar dick mit Reismehl ein. Das
graue Haar machte alle miteinander gleich alt. Sich alt zu
machen, war der gute Ton, das Haar zu pudern etwas so
Selbstverständliches, daß Friedrich Nicolai in Augsburg ein
Moreau, Alte Dame
172
Gnadenbild der heiligen Jungfrau sah, dem an hohen Festen
die Perücke frisch gepudert wurde. Für das Privileg. Puder
erzeugen zu dürfen, zahlte Pietro Capranica dem Senat in Ve-
nedig 2000 Dukaten jährlich, aber sein Puder brachte ganze
Schwärme von ekelhaftem Gewürm hervor. Erst sein Sohn
y. M. Moreau Uj., Illustration zu Rousseau, Emi/e, ijjg
führte den Reispuder ein. Erst nach der Mitte des Jahrhunderts
setzt eine Bewegung gegen den Haarpuder ein, die Gründe
der Reinlichkeit und der Philanthropie miteinander verbunden
gegen das Pudern ins Feld führt. Man machte geltend, daß
der enorme Verbrauch an Weizenmehl dem Volk die notwen-
digsten Nahrungsmittel verteuere und wenn das Haarpudern
als allgemeiner Verbrauch auch erst im letzten Jahrzehnt des
i8. Jahrhunderts verschwunden ist, der Beginn der Bewegung
173
Chodow'ucki, jy8o
liegt weiter zurück. 1764
sah Casanova auf einem
Ball des Herzogs von Cum-
berland Lady Grafton mit
ungepudertem, zwanglos in
die Stirn fallendem Haar,
eine Frisur, welche von
allen Anwesenden gemiß-
billigt wurde und daher
binnen einem halben Jahr
in ganz England allgemein
getragen wurde. Sie inau-
guriert die Mode, welche
uns auf den Köpfen der
Modelle von Reynolds und Gainsborough so entzückt. Auf
dem Kontinent hat es weit länger gedauert, bis man sich des
Puders entwöhnte. Noch in den achtziger Jahren berichten
Reisende aus England mit Erstaunen, daß selbst zierlich ge-
kleidete Damen sich nicht zu pudern pflegten.
Schminie Das künstlich grau gemachte Haar schadete selbst dem jugend-
lichen Teint, wenn es ihn nicht ganz tötete. So zog das
Pudern ganz von selbst das Schminken nach sich. Alfred
Franklin, dessen Studien wir so schätzbares Material zur Kul-
turgeschichte der Moden, Trachten, Sitten und Gewohnheiten
verdanken, sagt einmal sehr witzig: Die Dichter des 18. Jahr-
hunderts hätten ihre Heldinnen sich freigebig küssen
vmd noch verschwende-
rischer Tränenströme ver-
gießen lassen, während sie
sich vor gar nichs so sehr
hätten hüten müssen, wie
gerade davor. Denn ihre
Schminke gestattete ihnen
derartig heftige Gefühle gar
nicht. An das Waschen
brauchte die Modedame von
damals nicht zu denken, aber
das Schminken durfte sie
nicht vergessen. Wenn sie
das Gesicht weiß angelegt
Chodowiecki, ijSo
174
Chodmviecki, lySo
hatte, zog sie die Brauen
mit Schwarz nach, malte
die Adern schön blau und
dann wurden die Lichter
mit Rot aufgesetzt. Das Rot
war die Hauptsache. Der
gute Ton verbot den an-
ständigen Frauen, sich das
Rot natürlich aufzulegen,
nur die Damen von einem
gewissen Metier durften
sich mittels Rot »schön«
machen, d. h. die Xatur
nachahmen, die anderen
mußten es ä tranchant auflegen, d. h. so, daß man hundert
Stund weit sah, daß dieses Rot Kunst sei. Man hatte das
Rot nicht nur in den verschiedensten Nuancen und Zusammen-
setzungen trocken und flüssig, man suchte auch in der Art,
wie man es auflegte, Gefühle und Stimmungen, sogar Standes-
unterschiede auszudrücken, wie sich denn die Damen des
Versailler Hofes brandrote abgezirkelte Flecke dicht unter
die Augen legten. »Ob die Frauen in Paris schön sind?«
schreibt Leopold Mozart 1763 an seine Frau, »das ist unmöglich
zu sagen, denn sie sind gemalt wie die Nürnberger Puppen
und durch diese widerwärtigen Kunstgriffe derartig entstellt,
daß eine von Natur schöne Frau in den Augen eines ehrlichen
Deutschen völlig unkennt-
lich wird.« Man besaß an
Rot allein zehn verschie-
dene Sorten und hat trotz-
dem in Paris versucht, an
seiner StelleLila aufzulegen.
Martin in Paris führte eins
der gesuchtesten rouge, von
dem der Topf zwischen 60
und 80 Louisdor kostete.
Wie stark der Verbrauch
war, kann man beurteilen,
wenn man hört, daß z.B. Ma-
dame Dugazon im Jahrei/Si Chodowiecki, 1780
175
Chodowieckiy ijSo
bei dem Parfümeur Montclar sechs Dutzend Töpfe Rot kaufte,
den Topf zu sechs Francs. Der Chevalier d'Elbee schätzte zur
gleichen Zeit den jährlichen Verbrauch in Frankreich allein
auf zwei Millionen Töpfe. Die Damen hatten ihre Schmink-
döschen stets bei sich und erneuerten sich ungeniert, wenn
sie es nötig fanden. Der Gebrauch war so natürlich, daß
man sogar die Leichen schminkte. Mrs. Oldfield, eine be-
kannte englische Schauspielerin, hatte in ihrem letzten Willen
festgesetzt, wie sie zum Begräbnis geschminkt sein wollte.
Keyßler sieht in Rom 1730 die Leiche des Kardinals Pamphili
rot geschminkt aufgebahrt.
In Frankreich war die Gewohnheit am tiefsten eingewurzelt,
Madame de Monaco schminkte sich auch noch, als sie zur
Guillotine gefahren wurde. In anderen Ländern schminkte
man sich wohl auch, aber man trug das Rot doch nicht so
fingerdick auf. Nicolai fällt es z. B. 1781 in Stuttgart ange-
nehm auf, daß das Frauenzimmer von Stand sich das Rot
Chodowiecki, lySo
176
zart und natürlich auflegt. Maria Lesczynska konnte ihren
Widerwillen gegen die französische Art des Schminkens nie
verbergen und erschien zu Casanovas Erstaunen sogar un-
geschminkt bei ihrem Diner. Die Infantin Marie Therese von
Spanien, w^elche 1745 den Dauphin heiraten sollte, war nur
durch einen Befehl des Königs zu bewegen, sich Rot auf-
zulegen. Man fürchtete, ihr Bräutigam würde sich vor einer
Ungeschminkten grausen. Am Wiener Hofe durften sich die
Damen nicht schminken, wenn Hoftrauer war. So wurde es
ihnen z. B. beim Tode des Kaisers Franz ausdrücklich ver-
boten. Joseph n. verbot 1787 die weiße Schminke gänzlich
als der Gesundheit schädlich und legte auf die rote eine
hohe Steuer. Wie der Haarpuder die Unsauberkeit des Kopfes
beförderte, so verursachten die Schminken, vielfach mit giftigen
Substanzen versetzt, Hautausschläge, Augenkrankheiten und
dauernde Kopfschmerzen. Aus diesem allgemeinen Gebrauch
des Schminkens erklärt sich das krasse Rot vieler Damen-
bildnisse der Zeit. Die Maler mußten ihre Modelle eben ge-
schminkt malen, weil es für schön galt. Die meisten haben
sich damit abgefunden, der berühmte Grenze allerdings weigerte
sich, die Dauphine zu porträtieren, weil sie sich so rot an-
gestrichen habe.
Den Abschluß der Gesichtstoilette bezeichnete das Anbringen Die Mouches
der Mouches, kleiner Fleckchen aus gummierter schwarzer
Seide oder Papier, die schon seit den Zeiten Heinrichs IV.
Mode, den Höhepunkt ihrer Beliebtheit doch erst im 18. Jahr-
hundert erreichen. Man hatte sie in den verschiedensten
Formen als Sterne, Halbmonde, Sonnen, Kreise, Vierecke,
Chodowiecki ij8o
Die Mode, 18. Jahrh. 2, A.
177
12
Chodou'iecki lySo
Herzen, selbst in der Ge-
stalt von Tieren und Män-
nerchen. Es war durch-
aus nicht gleichgültig, an
welche Stellen des Gesich-
tes man diese Fleckchen
pappte. Man gab ihnen je
nach ihrem Sitz beson-
dere Namen. Mitten auf
der Stirn hieß die Mouche
die Majestätische, auf der
Nase die Unverschämte,
am Auge die Leidenschaft-
liche, am Mundwinkel die
Küssefreudige, auf der Lippe die Kokette, inmitten der Wange
die Galante, zwischen Mund und Kinn die Verschwiegene,
auf einem Pickelchen endlich die Diebin. Seit der berühmte
Kanzelredner Massillon in einer seiner Predigten gegen den
Gebrauch der Mouches geeifert und sich ironisch gewundert
hatte, daß man sie nicht überall hinklebe, entschlossen sich
die Damen wirklich dazu, sie auch auf dem Busen anzubringen,
ja die geheimen Memoiren der Zeit versichern, sie hätten sich
mit diesen sichtbaren Stellen noch nicht begnügt. Einen Augen-
blick lang trug man eine Mouche von schwarzem Sammet so
groß wie ein Pflaster auf der rechten Wange und nannte
sie die Zahnschmerzliche. Madame Cazes trieb diese Mode
ins Extreme, als sie diese Sammetpflaster noch mit Diamanten
besetzte.
Dtr Schuh Die Chaussüre der Damen war der bekannte Stöckchenschuh,
ein Halbschuh, der mittels eines etwa sechs Zoll hohen Ab-
satzes den Hacken in die Höhe schob und den ganzen Fuß
nach vorn drängte, wo die Zehen in scharfer Spitze zusamrhen-
gepreßt wurden. Der Schuh bestand aus Stofif, aus Seide oder
Leinen und wurde je nach Laune oder Geschmack reich mit Stik-
kerei verziert, denn der kurze Reifrock ließ ihn ja voll zur Geltung
kommen. Lederschuhe gab es nicht. Das schöne Geschlecht ging
selten odernie aus. Der Hauptschmuck des Schuhes bestand nächst
seiner Kleinheit in den Schuhschnallen oder Schleifen, die
ihn vorn zu schließen schienen. Eine Zeitlang hatte man in
Paris auch an der Naht des Hakens kleine Schmuckstücke,
1/8
die man »Venez-y-voir« nannte und gern aus Smaragden
wählte. Man kann sich wohl denken, daß es für die Damen,
die in ein enges, tiefschnürendes Korsett eingepanzert waren
und turmhohe Frisuren zu balancieren hatten, keine geringe
Aufgabe war. sich in diesem Schuhwerk zu bewegen. An
schnelles Gehen war überhaupt nicht zu denken. Als Casanova
einmal in \'ersailles den Damen der Königin begegnet, die
aus irgendeinem Grunde genötigt waren, sich sehr rasch in
einen anderen Raum zu begeben, sieht er sie mit hochgeho-
benen Reifröcken in halb huckender Stellung mit krummen Knien
eilends davonhatschen, und als er, der die Damen dieses Hofes
überhaupt sehr häßlich fand, sich erkundigte, warum sie sich
gar so grotesk bewegen, hört er, das müßten sie, sonst fielen
sie unfehlbar der Länge nach hin. Der Zustand der Straßen
erlaubte ja auch in damaliger Zeit gar kein Ausgehen zum
\'ergnügen. In London trugen die Frauen, mußten sie aus
dem Hause, hohe, runde, eiserne Maschinen, wie kleine Stelzen,
am Fuß, sonst begnügte man sich im Garten oder auf den
seltenen Promenaden ein wenig herumzutrippeln. Erst als
der berühmte Arzt Tronchin es unternahm, die Krankheiten
dadurch zu heilen, daß er ihnen mittels einer naturgemäßen
Lebensweise vorbeugte, und den Frauen als Heilmittel gegen
das Modeleiden der Vapeurs fleißige Bewegung in freier Luft
empfahl, griffen sie zu den langen Stöcken aus spanischem
Rohr und »tronchinierten« ein wenig damit [was wir heute
müllern nennen]. Ein anderer Arzt, Roussel. wandte sich als-
bald heftig gegen diesen Gebrauch, denn das unnütze Spazieren-
gehen schade dem Temperament der Frauen und verwirre
ihre Ideen. In den achtziger Jahren nahmen die Damen den
Herrenschuh mit flachem Absatz an, der sich im letzten Jahr-
zehnt zur völlig absatzlosen flachen Sandale wandelt. Der
immer offen getragene Hals hätte eigentlich nach Schmuck
verlangen sollen, aber das war merkwürdigerweise nicht der
Fall. Man trug zur Zeit Ludwigs XV. um den Hals gern
kleine Rüschen aus Spitze oder Band, aber weder Steine noch
Perlen. Diamanten besetzten die Korsage und hingen in rie-
sigen Fassungen in den Ohren, krönten auch die Frisur, aber
Hals und Busen blieben frei von ihnen, an den Armen trug
man Perlenschnüre mit einem Medaillon als Schloß, im Gürtel
gern zwei Uhren mit Berlock wie die Herren. Unter Ludwig XVI.
179 12-
Francesco Bartolozzi, Comte de Caglloitro^ lySi
trugen Frauen und Mädchen gern ein schmales Band um den
Hals, an dem vorn am langen Ende ein Kreuzchen oder Me-
daillon hing. Als die Empfindsamkeit Mode war, fertigte man
Schmucksachen aus Haaren und trug sie als Ringe, Armbänder
und Ketten.
i8o
Während die Damenmode zur Zeit Ludwigs XIV. Tod
eine so völlige Veränderung erleidet, hat die Herren-
kleidung ihre Form noch lange beibehalten. Der Mann
trug in den letzten Jahren der Regierung des Sonnenkönigs
einen Rock, der etwa bis zum Knie reichte, Justeaucorps oder
Surtout hieß und geschlossen getragen wurde, so daß man
die darunter getragene fast ebenso lange Schoßweste gar nicht
oder kaum sah. Dazu gehörte ein kurzes Beinkleid und Knie-
strümpfe, die .über der Hose befestigt wurden. Ein spitzen-
besetztes Halstuch vervollständigte den Anzug. Dieses wurde
seit 1692 in einer besonderen Form getragen, der man den Namen
»Steinkerke« beilegte. Als die französische Armee unter dem
Marschall von Luxembourg gegen die Holländer unter dem
Prinzen von Oranien im Felde lag, da überfielen die letzteren eines
Morgens die Franzosen bei dem Dorfe Steinkerke so plötzlich, daß
die französischen Kavaliere keine Zeit mehr fanden, ihre Hals-
tücher in die üblichen eleganten Schleifen zu binden, sondern
sich begnügen mußten, sie umzuschlingen und die langen Zipfel
schnell durch ein Knopfloch des Rockes zu stecken. Nachdem
der Ueberfall mit einem glänzenden Siege der Franzosen endete,
trugen die Offiziere ihre Halstücher fortan nie mehr anders
und machten ihre Manier sofort zur allgemeinen Mode, der
sogar die Damen folgten. Die Steinkerke ist bis tief in das
18. Jahrhundert hineingetragen worden. Der Schnitt des Herren-
anzuges änderte sich nach Ludwigs XIV. Tod eigentlich nur
dadurch, daß man die Schöße des Rockes und der Weste mit
Wachstuch, Crin oder Papier abzusteifen begann, so daß sie
von den Hüften ebenso abstanden wie der Reifrock von der
Taille der Damen. Dadurch öffnete sich vorn der Rock, den
man von nun an nicht mehr zuknöpfte und ließ die Weste
sehen, die immer noch mit langen Schößen bis auf die Hälfe
des Oberschenkels reichte. Die Aermel des Rockes endigten
am Ellenbogen in einer weiten Stulpe, aus welcher der Hemd-
ärmel bis an das Handgelenk hervorbauschte, wo er in einer
Spitzenmanschette endigte. Erst seit etwa 1730 beginnt "man
die Kniehose über dem Wadenstrumpf mit einer Schnalle zu
schließen und hat dadurch jenes Kostüm hergestellt, das man
bis etwa 1760 getragen hat. Für den Soldaten waren die langen
Röcke mit den abstehenden Schößen- unpraktisch und so be-
ginnt man, zuerst zur Erhöhung der Beweglichkeit des Militärs
181
Utietine Aubry, Abschied von der Avuite
die Schöße vorn zu beschneiden, so daß das Bein in seiner
Bewegung nicht gehemmt wird. Unter dem Einfluß des Militärs
nimmt auch der Rock des Zivils langsam die gleiche Form
an. Man schneidet die Rockschöße vorne schräg ab, die Aermel
werden lang und eng und so entsteht allmählich der Frack.
Während die Weste in ihren Dimensionen zurückgeht, ihr
Schnitt enger und ihre Schöße kürzer werden, behält man
Kniestrumpf und Kniehose bei und der Schnitt der Herren-
kleidung, der die ganze zweite Hälfte des i8. Jahrhunderts
beherrschte, ist fertig. Dieses Kostüm war reich und farben-
prächtig, denn im Gegensatz zu heute, wo die männliche
Kleidung in der Farbe unansehnlich geworden ist und sich
auch in derberer Qualität der Stoffe wesentlich von jener der
Damentoilette unterscheidet, waren dazumal beiden Geschlech-
tern alle Stoffe und alle Farben gemeinsam. Ein verliebtes
Mädchen konnte aus ihrer Adrienne für den Schatz einen
Rock schneidern, wie es z. B. Mademoiselle Silvestre für den der
elterlichen Zucht entronnenen Philipp Caffieri tat. Ludwig XIV.
trug 1697 ein Habit aus Goldbrokat, dick mit Gold bestickt, wäh-
182
IVatteau de Lille^ La Loterie Rovale
rend man in der Folgezeit auf die Brokate verzichtete und den
Luxus mehr in der kostbaren Stickerei suchte. Ludwig XV. trug
gelegentlich der dreitägigen Festlichkeiten zur Hochzeit seines
Dauphin drei Kostüme, von denen jedes auf 15000 Livres zu
stehen kam. Für ihn entwarf der berühmte Kupferstecher
Eisen die Zeichnung der Stickereien zu den Hof kleidern, fiel
aber in dauernde Ungnade, als er die Dummheit beging, für
sich selbst einen Rock mit den gleichen Verzierungen machen
zu lassen und darin an den Hof zu gehen. Man stickte die
Herrenröcke und Westen in Gold und Silber, bunter Seide,
Füttern und Pailletten, wobei man darauf zu achten hatte,
daß Sammetkleider reicher gestickt sein mußten als solche
von Atlas. Wenn z. B. die Weste aus Silber- oder GoldstofY
bestand, so mußten die Aufschläge des Rockes von demselben
Stoff sein und mit der Stickerei der Weste übereinstimmen.
In der Garderobe des preußischen Ministers Freiherrn von
Bülow befanden sich 1734 außer anderem ein Purpurkleid mit
Silber bestickt und tafifetene Weste dazu ; ein kaffeebraunes
183
Kleid mit goldenen Troddeln; ein olivefarbenes Kleid ganz
mit Silber bestickt. Für die Bestickung eines seiner Kleider
mit Silber (man nannte damals auch den Herrenanzug »Kleid«)
hatte Herr von Bülow 180 Taler gegeben, für eine einzelne
Prachtweste 70 Taler, und das war verhältnismäßig billig. In
einer Rechnung, die der Schneider Langner 1740 Friedrich dem
Großen überreichte, erscheint der Macherlohn eines Rockes
mit 10 Talern, der Stoff mit 20 Talern, der Besatz mit sil-
bernen Marlytressen dagegen mit 85 Talern. Der Silbersticker
Jean Pally berechnete dem Könige für die in Silber ausge-
führte Stickerei eines blauen Rockes und ebensolcher Weste
1000 Taler, wo man, um zum heutigen Geldwert dieser Summe
zu gelangen, mit fünf multiplizieren muß. Friedrich H., der
als junger Mann auf einen prächtigen Anzug Wert legte und
in der Farbe desselben blau und silber anscheinend ebenso
bevorzugte, wie bei dem Bezug seines Mobiliars, ließ, um
immer schöne Stickereien zu erhalten, Künstler von weither
kommen. So finden wir in seinen Diensten einen böhmischen
Sticker, Heynitschek, und später Joseph Genelli aus Kopen-
hagen, den Großvater des berühmten Bonaventura Genelli.
Die Verschwendung in Farbe und Stickereien nahm noch
zu, so daß Melchior Grimm im April 1760 aus Paris schreibt:
»Die Pracht der Anzüge bei der Hochzeit des Herzogs von
Chartres war bis zum Exzeß übertrieben. Wohin soll dieser
Überschwang des Luxus noch führen? Vor 15 Jahren erfand
man für den Männeranzug Stoffe von drei Farben und glaubte,
eine so frivole Mode könne nicht von Dauer sein. Seitdem
aber hat man das Geheimnis ergründet, für eine ganze Palette
von Farben aller möglichen Schattierungen auf dem Rücken
eines Mannes Platz zu finden. Heute ist man schon soweit, die
Gold- und Silberstickereien ebenso abzutönen und mit Pailletten
zu vermischen. Wäre ich König von Frankreich, so würde ich
für meine Person diese gotischen Moden ablegen, die aus einem
bekleideten Franzosen das unwürdigste, unbedeutendste und
lächerlichste Geschöpf machen, das jemals auf zwei Beinen ging.«
Um das Jahr 1780 war die Farbenzusammenstellung des Her-
renanzuges etwa folgende: Blauer Frack, lila Weste, gelbe
Hose ; nußbrauner Frack mit Kragen von schwarzem Sam-
met und einer Doppelreihe Knopflöcher, die mit Gold einge-
faßt waren, kirschrote, goldgalonierte Weste, schwarze Sam-
184
jfamnet, L' indiscretion
Die Mode, 18. Jährt. 39
y aninet, Lhweu difficile, lySy
Die Mode, 18. Jahrh. 40
methose, grauseidene Strümpfe. Man benähte auch die Röcke
mit goldenen und silbernen Tressen, ein Besatz, der gewisse
Gefahren mit sich brachte. In Paris war es nämlich eine Zeit-
lang Mode geworden, daß die Damen als Handarbeit im Salon
Tressen aufdröselten und den gewonnenen Goldfaden verkauf-
Anton Hickd, Charles yanies Fox, englischer Staats-
vtinister
ten. Wenn sie nun Mangel an Stoff hatten, so fielen sie mit
ihren Scheren über die anwesenden Herren her. schnitten ihnen
mit sanfter Gewalt die Tressen von den Röcken und »parfi-
lierten« sie. Als die Mode einfacher wurde, behielt man Sticke-
reien und Galons den Hofkleidern vor, besetzte aber dafür
die Fräcke mit Knöpfen so groß wie ein Fünffrankentaler.
Man fertigte sie aus kostbaren Stoffen oder trug darin Minia-
turgemälde unter Glas, z. B. eine Folge der Medaillen der römi-
schen Kaiser, die ]\Ietamorphosen Ovids, die berüchtigten Po-
sturen Aretins, Rebusse u. a. Der Herzog von Artois trug
einst statt der Knöpfe eine ganze Garnitur von Uhren und wußte.
185
wie ein Witzbold sagte, doch nie, was die Glocke geschlagen
hatte. Diese Knöpfe waren so teuer, daß ein damit besetzter
ganz einfacher Frack ebensoviel kostete wie ein gestickter
Giieis oder galonierter. Zur gleichen Zeit trieb man auch einen großen
Luxus in Phantasiewesten. Die Baronin Oberkirch schreibt,
daß ein eleganter Herr sie dutzend- oder gar hundertweise
besaß. 1786 war es Mode, immer ein Dutzend Westen mit
Szenen aus den beliebtesten Theaterstücken : Figaros Hoch-
zeit, Richard Löwenherz u. a. zu kaufen. 1787 trug man in
Paris solche, worauf <lie Eröffnung der Notabeinversammlung
durch Ludwig XVL nach einem Kupferstich gestickt war. Man
hatte die Westen auch in gewirkten Stofifen, was etwas bil-
liger war. Da gab es z. B. violetten Moiree mit grünen Afifen,
die silberne Sonnenschirme trugen; rauchbraune mit weiß und
grünen Bordüren, auf denen sich die Tiere der hohen oder
niederen Jagd, Fischerei und Vogelfang u. dgl. befanden. Am
Das Beinkleid geringsten war die Veränderung, welche das Beinkleid durch-
gemacht hat. Man schloß es vorn durch einen Latz, was man
in Frankreich »au pont« oder »ä la Bavaroise« nannte. Die
beiden Schlitze rechts und links suchte man durch zwei
Uhrketten zu verstecken, an denen viele Berlocks hingen.
Beim Gehen hatte der Träger darauf zu achten, daß Ketten
und Anhänger ein liebliches Klingeln hören ließen. Man
konnte im Hervorbringen desselben in Paris eigenen Unter-
richt nehmen. Gleichzeitig versuchte man, an Stelle dieser
zweischlitzigen Klappe einen Schlitz einzuführen, eine Form,
die in Spanien zum Gegenstand der Verfolgung von selten
der Inquisition gemacht wurde. Man verbot solche Bein-
kleider, bestrafte nicht nur die Träger, sondern auch die
Schneider, die sie machten. Als alles nichts half, bediente
sich der Großinquisitor von Spanien desselben drastischen
Mittels, welches einst ein Pariser Kürschner mit Erfolg an-
gewendet hatte, um den Herren das Tragen von Muffen
aus Stoff statt solcher aus Pelzwerk zu verleiden. Dieser
hatte eine prachtvolle, reich besetzte Muffe aus Sammet an-
fertigen lassen und schenkte sie dem Henker mit der Be-
dingung, sie bei der nächsten Hinrichtung auch öffentlich
zu tragen. »Monsieur de Paris« tat das mit Vergnügen und
da kein anständiger Mensch das tragen konnte, was der
Henker trug, waren die Stoffmuffen von dem Tage an für
186
Thomas Gainsborough , George IV. als Prince of Wales, 178s
Schabkunst von Raph. Smith
die Pariser eleganten Herren erledigt. Man griff, wie gesagt,
in Spanien zu dem gleichen Mittel und ließ einen Erlaß
an die Kirchtüren anschlagen, der das Tragen von Hosen
mit Schlitz dem — Henker — erlaubte! Friedrich der Große
griff zu nicht minder drastischen Mitteln, wenn er den Herren
vom Hofe eine Mode verleiden wollte. 1770, als die großen
Herrenmuffen Mode waren, sah er in seinem Vorzimmer ein
schönes Exemplar liegen, das einem Herrn von Kameke ge-
188
hörte. Er nahm die Muffe und warf sie in das Kaminfeuer,
damit waren sie bei Hofe aus der Mode.
Die Kniehose blieb dabei halbweit. Erst nach 1780 wurde es
Mode, sie ganz enganliegend zu tragen, so daß sie die Schenkel
deutlich modellierte. »Der Herr steckt darin wie in einem Hand-
schuh«, schreibt Mercier. »Adam war mit einem Feigenblatt
bedeutend anständiger gekleidet.« Dies war eine Mode, welche
der Papst im Gebiete seiner weltlichen Macht alsbald verbot.
Der Herzog von Artois trug sie so eng, daß er sie nur an-
legen konnte, wenn er in das Kleidungsstück, das mehrere
Bediente halten mußten, von oben hineinsprang. Von dem
Herzog von Guines erzählt der Herzog von Levis, daß er sich
zu jedem Anzug zwei Paar Beinkleider machen ließ, eins, in
dem er sitzen konnte, ein anderes, in dem das nicht möglich
war. Kaiser Alexander I. von Rußland konnte sich, wie die
Gräfin Potocka erzählt, nicht setzen aus Furcht, die Hosen
zu zerplatzen. Hosenträger, wie die Herren sie heute tragen,
kamen erst 1792 allgemein auf. Vorher bedienten sich nur
Greise und Kinder derselben.
Zur Vervollständigung der großen Toilette gehörten die, Man- Spitztn
schetten und das Halstuch, welches später durch das Gefältel
des Jabots ersetzt wurde. Mit den weiten und langen Man-
schetten, die über die Hände fielen, und Pleureuses genannt
wurden, trieb man einen kolossalen Luxus. Mercier, der eine
Beschreibung von Paris und den Parisern jener Zeit hinterlassen
hat, schreibt, daß man ein schmutziges oder gar kein Hemd,
aber kostbare Spitzen trug, sagte doch das 18. Jahrhundert:
den Mann erkennt man an seinen Spitzen. Das ist in einem
Fall sogar im Wortsinn wahr geworden. Als während der Pöbel-
revolte, die Lord Gordon 1780 angezettelt hatte, London an
36 Stellen zugleich in Flammen stand, die Gefängnisse gestürmt
und ihre Insassen in Freiheit gesetzt wurden, warf eine Rotte
Übeltäter den Earl of Effingham in die Themse, wo er ertrank.
Seine Leiche konnte nur an den Spitzenmanschetten erkannt
werden, die er getragen. Der Erzbischof von Cambray besaß
1764 vier Dutzend Paare Manschetten von Malines und Valen-
ciennes-Spitzen, Ludwig XVL 1792 noch 57 Paar Spitren-
manschetten. Man trug sie so breit, daß der sparsame Fried-
rich der Große vor den Augen de Gatts einige Paar, die er
eben erhalten hatte, mit der Papierschere auseinanderschnitt.
189
Die Herren trieben in der Verwendung von Spitzen den glei-
chen Aufwand wie die Damen. Der Herzog von Penthi6vi*e
zahlte 1738 für ein spitzenbesetztes Nachthernd 520 Livres.
Casanova trug Spitzenhemden für 50 Louisd'ors und reiche
Leute ließen aXich die Livreen ihrer Domestiken reich mit Spit-
zen besetzen. Als der englische Gesandte Lord Stairs 1719 in
Paris einzog, waren die Kleider seiner Dienerschaft mit Silber-
spitzen ganz bedeckt.
Mäntel waren durchaus kein allgemein gebräuchliches Klei-
dungsstück, konnte doch Malherbe sich nicht anders gegen die
Kälte schützen, als daß er 14 Hemden und 12 Paar Strümpfe
übereinander zog. Unter Ludwig XIV. hatte man den ärmel-
losen Radmantel gehabt, der etwa zwei Finger breit über das
Knie hinab reichte und dessen einer Zipfel über die Schulter
geschlagen wurde. Diese Art Mäntel aus rotem Stoff blieb in
Venedig noch lange als Inkognitokleidung in Gebrauch. Man
verdeckte sein Gesicht zur Hälfte damit und ersparte auf diese
Weise alle Komplimente. Die Herrenüberzieher mit Ärmeln
»Casaque d'hiver ä la Brandebourg« genannt und die Redingote,
die 1725 aus England nach
Paris kam, durfte man an-
fangs nur auf Reisen tra-
gen, beileibe nicht in der
Stadt, Keyßler findet es
z. B. sehr lächerlich, daß
die Leute in Mailand bei
schlechtem Wetter Regen-
mäntel überziehen.
Der Degen Unerläßlich gehört zurKlei-
dung des Kavaliers der De-
gen, den das ganze Jahr-
hundert hindurch kein Herr
der besseren Gesellschaft
entbehren konnte. In der
Zeit der weit abstehenden
Röcke trug man ihn hori-
zontal ; englische Degen mit
Griffen von brillantiertem
Stahl waren die kostbarsten.
Es ist so gut wie selbstver- v. Göz, Supplement des Graceseffanees^ij 83
190
ständlich, daß das beständige Tragen einer Waffe zum Ge-
brauch derselben ordentlich herausfordern mußte, und wie
seine Vorgänger ist denn auch das i8. Jahrhundert noch er-
füllt vom Lärm der Duelle. Casanova beschwert sich einmal
darüber, daß man jeden Augenblick bereit sein müsse, wegen
irgendeiner Bagatelle den Degen zu ziehen, denn für rauflustige
und händelsüchtige Leute war ein Vorwand, sich zu schlagen,
bald gefunden. Herr von Blücher ließ seine Söhne, darunter
den späteren Fürsten, in die Welt ziehen, ohne ihnen etwas
anderes mitzugeben, als den Rat. sich vor allem und immer
in Avantage zu setzen d. h. jeden Gegner sofort zu schlagen.
Zweikämpfe, die aus irgendeinem Grunde nicht sofort aus-
getragen werden konnten, blieben oft Jahr und Tag in der
Schwebe, wie das Duell zwischen dem Grafen Max Adam Zobor
und dem schwedischen Gesandten am kaiserlichen Hof Hen-
ning V. Strahlenheim. Der ungarische Graf hatte in Gegen-
wart des anderen geäußert, auf die Gesundheit des Großtürken,
des Rakoczy und des Königs von Schweden trinke kein ehr-
licher Mann, hatte ä tempo ein paar ordentliche Ohrfeigen
erhalten und hatte dann alle Mühe, sich von dem durch das
Völkerrecht geschützten Gesandten Genugtuung zu verschaffen.
Die Duellwut, die besonders auf den Universitäten grassierte,
auch Goethe hatte das seine 1767 in Leipzig mit dem Livländer
Gustav Bergmann, ergriff die Theologen so gut wie die Stu-
denten anderer Fakultäten. Besonders berüchtigt waren in
Deutschland die Universitäten Jena und Gießen. Man hat das
Tragen des Degens, wie es in Hannover schon seit 1731 den
Lakaien. Handwerkern, Gesellen, der studierenden Jugend u. a.
untersagt war, auch in Halle 1750 den Studenten überhaupt
verboten. Denn daß ein Student Duell kniff, wie Bürger 1770
in Göttingen, der den Rektor um seinen Schutz anfleht, als
ihn der Mecklenburger Jakob Ludwig Ratje beleidigt hatte,
dürfte wohl ein Ausnahmefall geblieben sein. Das Duellieren
war indessen durchaus kein Vorrecht ungebärdiger Jugend.
Im Jahre 1729 beabsichtigten die Könige Friedrich Wilhelm L
von Preußen und Georg IL von England allen Ernstes, ihre
Differenzen mittels eines Zweikampfes im Angesicht ihrer Heere
zu erledigen, wie einst die trojanischen Helden. Der regierende
Fürst Leopold von Anhalt forderte den General von Grumb-
kow, konnte seinen Gegner aber, wie die Prinzessin Wilhelmine
191
erzählt, nicht zum Stehen bringen. Ganz allmählich setzten
sich mildere Sitten durch. Wenn in Wien bei Beginn des Jahr-
hunderts in einem Duell noch beide Gegner Graf Collalto und
Graf Sinzendorf fallen, wenn der Fürst Czartoryski die Hand
seiner reichen Geliebten nur dadurch gewinnen kann, daß er
seinen Mitbewerber um ihre Gunst im Duell tötet, so ist das
Duell am Ende des Jahrhunderts ein Schauspiel geworden,
dessen Aufführung in Paris z. B. 1790 30 Wagen voll Damen
beiwohnen. Lauckhard war 1777 in Straßburg schon aufge-
fallen, wie fein und manierlich die dortigen Offiziere mit ein-
ander verkehrten. Er, der den rohen Ton deutscher Univer-
sitäten gewöhnt war, schob das feine Benehmen auf den
Wunsch, Duelle möglichst zu vermeiden. Diese Gesinnung
brach sich jedenfalls Bahn ; denn 1792 erließen gerade in dem
ehedem so berüchtigten Jena 300 Studenten einen Aufruf an
die anderen Universitäten wegen gänzlicher Abschaffung der
Zweikämpfe.
Dieser Vorschlag mußte ihnen um so natürlicher erscheinen,
als mit der weiten Verbreitung des* englischen bürgerlichen An-
zugs das Degentragen außer Gebrauch kam. In England trugen
Fußgänger nie Degen. Er gehörte dort nur zur Gala und in
der Tat paßte er schlecht zu dem legeren Schnitt des englischen
Anzugs. In Deutschland allerdings fiel es dem schwedischen
Reisenden Björnstahl noch 1774 als bemerkenswert auf, daß
der Fürst Karl von Nassau-Usingen ohne Degen ging.
Das Kostüm der Herren war in jeder Beziehung außerordent-
lich reich und leistete der Prunksucht und der Verschwen-
dung jeden denkbaren Vorschub. Der Aufwand, den die
Herrentoilette erforderte, war nicht geringer, als jener der
Damen, im Gegenteil. Frau v. Sevigne entwirft ein Budget
für ihren Schwiegersohn, den Grafen Grignan, der nicht ein-
mal in Paris, sondern in der Provinz lebte, und rechnet dabei
für seine Toilette 20000 Francs jährlich, für seine Frau da-
gegen nur 6000 Francs. Ludwig XIV. trug als Garnitur bei
der Audienz des persischen Gesandten 1715 für 12 '/a Million
Diamanten an Rock und Hut. Er erlag unter der Last der-
selben, schreibt der Herzog von Saint Simon. Der Kurfürst
Max Emanuel von Bayern besaß eine Garnitur Diamantknöpfe,
an welcher er 20 Jahre hindurch gesammelt hatte. Die Kleider-
garnituren August des Starken in Smaragden, Saphiren, Rubi-
192
"Q
nen, Diamanten, welche Keyßler 1729 im Grünen Gewölbe zu
Dresden bewunderte, können wir auch heute noch dort sehen
und schätzen. Es gab Privatleute, welche hinter dieser Pracht
nicht zurückstanden. Die Garderobe des sächsischen Premier-
Heideloff- Stadler, Carl Eugen, Herzog 7'on Wih-ttemberg
ministers Grafen Brühl enthielt 500 Anzüge, 47 Pelze, 13 Muf-
fen, 75 Degen, 102 Taschenuhren, 87 Ringe, 63 Riechfläsch-
chen usw. Mr. Damer, der Gatte der englischen Bildhauerin,
der sich täglich mindestens dreimal umzuziehen pflegte, hinter-
ließ 1776 eine Garderobe im Werte von & 15000; ein Glücks-
ritter wie Casanova erzählt mit Stolz von sich, daß der An-
zug, in dem er 1766 in Lyon ein Fest besucht: Rock von
aschgrauem geschorenem Sammet mit Gold und Silber ge-
stickt, Uhren, Dose, Schuhschnallen usw. 150000 Francs wert
war. Auch für den berühmten österreichischen Staatskanzler
Fürsten Kaunitz war die Kleidung eine der Hauptangelegen-
heiten des Lebens, aber im Gegensatz zu seinem sächsischen
Kollegen trug er sich zwar sehr geschmackvoll, aber stets ein-
fach, nie reich oder gestickt. Wenn nun auch nicht jeder
D£e M ode. 18. Jahrh. 2. A.
193
Herr zu solchen Ausgaben gezwungen war, so blieb doch für
solche, die der besseren Gesellschaft angehörten, die Toilette
immer höchst kostspielig. Am Hofe der 1740 gestorbenen Kaiserin
Anna war es verboten, zweimal in dem gleichen Anzug bei Hof
zu erscheinen. Wer da von den Herren etwa nur 3000 Rubel
im Jahr für seine Toilette auszugeben hatte, der spielte eine
Hof- ärmliche Figur. Am kurfürstlichen Hofe in München existier-
mformen ^^^ ^ -^ ^^ Galatage, an denen die Hofleute jedesmal in einem
anderen Anzug kommen mußten. Da war es natürlich eine
große Erleichterung für sie, als der Kurfürst Max Joseph HL
für den Aufenthalt in Nymphenburg eine besondere Hofuni-
form einführte, die aus einem grünen Rock mit weißen Auf-
schlägen und weißer Weste bestand. Ebenso hatte der Land-
graf von Hessen-Kassel für jedes seiner Schlösser besondere
Uniformen eingeführt. Die Hofuniform, die Maria Theresia
für Laxenburg vorschrieb, bestand für die Damen aus roten,
Silber- oder goldgewirkten Roben mit einem Ausputz von Blon-
den, für Herren in Fracks von rotem Tuch nebst grünen
goldbordierten Westen. Die Dresdener Hofuniform war für
die Damen Weiß mit Gold, für die Herren Scharlach mit
Gold. Den Herren, die ihn bei seinen Reisen auf die ver-
schiedenen kleinen Lustschlösser begleiteten, gab Ludwig XV.
1748 eine Hofuniform in Grün und Gold. Katharina H. schrieb
1783 den Herren Hofuniformen in der Farbe ihrer Provinzen
vor, gleichzeitig nahm sie auch den Damen das Modekleid
und gab ihnen einen russischen Kaftan von rotem Sammet.
Manche Privatpersonen in außergewöhnlicher Stellung machten
das nach. So führte die Pompadour in ihrem Schlößchen Bellevue
Hofuniformen der Herren von rotem Tuch ein, der Herzog von
Choiseul erfand für Chanteloup eine Uniform in Grün mit gol-
denen Brandebourgs. Andere kleideten sich aus Ersparnisrück-
sichten als Abbes, schwarz mit kurzem Mäntelchen und Kra-
gen, wie z. B. Herder während seiner Reise mit dem Prinzen
von Schleswig oder Winckelmann in Rom, wo überhaupt alle
Welt bis zum Ofenheizer des Papstes hinunter als Abbate
gekleidet ging. Wer von Herren aber die halb geistliche Klei-
dung des Abbe nicht annehmen konnte, der gab vor, in Trauer
zu sein. So mokiert sich der Abbe Galiani einmal über
die reisenden Kavaliere, die sich aus Geiz immer in Trauer
kleideten.
194
Andre Vincent^ Kreidezeichnung
195
13*
Gainsboroughy Porträtstudie
196
Zu Hause legte man die kostbaren gestickten Kleider natür-
lich ab, wenn man deswegen auch noch nicht, wie Lauck-
hards Freunde im Semlerschen Hause zu Halle gleich ganz
nackt zu gehen brauchte; man bediente sich der Schlafröcke,
die im i8. Jahrhundert für Herren Mode werden. Man trug
sie nicht nur im Kreise der Familie, sondern durfte auch Be-
suche darin empfangen, wie Gottsched in einem gründamast-
nen, rotgefütterten Schlafrock Goethes Visite annimmt. Un-
zählige Porträts jener Zeit zeigen uns denn auch Gelehrte,
Künstler, Musiker u. a. im Schlafrock.
Unter Neglige verstand man damals jeden Anzug, der nicht DerengUscht
für Besuch bei Hofe oder große Gesellschaft bestimmt war, ""^
also den einfachen Alltagsanzug und je weiter der Kreis der-
jenigen wurde, welche den Verkehr an Höfen oder in höfischen
Kreisen nicht suchten oder die großen Kosten, welche der
französische Anzug verursachte, nicht erschwingen konnten, je
mehr die bürgerliche Gesellschaft an Selbstgefühl gewann, desto
größer wurde auch die Anzahl jener, die das bürgerliche Ne-
gligekleid dauernd dem höfischen vorzogen. Wie eine Reak-
tion gegen das prunkvolle und kostspielige französische Hof-
kleid beginnt das einfache Gewafcid des englischen Bürgers sich
in Europa auszubreiten, im Gefolge des Siegeszuges, den die
englische Literatur über den Kontinent hält. Der Rock kehrt
wieder, bequem im Schnitt, Tuch statt Seide oder Sammet,
also dauerhaft im Stoff; dunkel- statt hellfarbig, also praktisch
im Tragen. Als der preußische Gesandte von Cocceji 1760
aus England zurückkam, kaufte ihm die Prinzessin von Preu-
ßen den schwarzen Tuchrock ab, den er sich in London hatte
machen lassen und spielte ihn in einer Lotterie unter den Her-
ren des Hofes aus. Zu solchen Tuchröcken trug man lederne
Beinkleider und hohe Stiefel und das Kostüm, wie es Goethe
im Werther vorbildlich beschreibt, ist fertig. »Es hat schwer
gehalten,« läßt Goethe seinen Helden schreiben, »bis ich mich
entschloß, meinen blauen einfachen Frack, in dem ich mit Lotte
zum erstenmal tanzte, abzulegen. Auch habe ich mir einen
machen lassen, ganz wie den vorigen, Kragen und Aufschlag
und auch wieder so gelbe Weste und Beinkleid dazu.« Wenn
Werther dann in seinem Abschiedsbriefe sagt: »In diesen
Kleidern, Lotte, will ich begraben sein,« so war das für das
empfindsame Geschlecht von damals Grund genug, um ebenso
197
gekleidet sein zu wollen. Es ist das Gewand, in dem wir uns
die brausende Jugend der Stürmer und Dränger vorstellen dür-
fen, die Genies der Wertherzeit, deren ungestümer Protest
gegen all das Überlebte und Verknöcherte in der Gesellschaft
am heftigsten in der nachlässigen Art zur Geltung kam, wie
sie sich kleideten. Der Genieapostel Christoph Kaufmann aus
Winterthur ging nicht allein mit offenen ungekämmten Haaren,
sondern ließ auch die Brust bis zum Nabel unbedeckt. Ein
junger Mann dagegen, der sich sorgfältig kleidete, wie z. B.
Goethe, galt, wie Jerusalem 1772 aus Wetzlar an Eschenburg
schreibt, für einen Geck. Alle diese Genies wähnten sich der
Freiheit schon nahe durch die Befreiung von Zopf und Perücke,
in denen sie mit Recht eine starke Beschränkung der indivi-
duellen Freiheit empfanden. Die sorgfältige Frisur, welche die
Toilette eines gut gekleideten Herrn erforderte, war nicht
weniger mühevoll herzustellen, wie diejenige der Damen und
ebenso schnell zerstört; sie legte dem Träger den Zwang auf,
sich sehr ruhig und gesittet zu benehmen, wie es uns u. a.
auch Goethe in seinen Straßburger Erinnerungen so hübsch
beschreibt.
Die Frisur Unter Ludwig XIV. war die große Allongeperücke aufgekom-
men, zu der sich der Monarch selbst aber erst bequemte, als
er sein schönes Haar, auf das er sehr eitel gewesen war,
verlor. Wie die Fontange der Damen stieg die Herrenperücke
über der Stirn hoch auf, meist gescheitelt und in zwei Türme
dressiert, dann floß sie in langen Locken bis fast an die Taille.
Man fertigte sie aus Menschenhaar, bei der starken Nachfrage
genügte das aber bei weitem nicht, so daß man schließlich
zu Roßhaar und Wolle greifen mußte. Anfänglich blond,
hellbraun oder schwarz, beginnt bald das Pudern derselben
aufzukommen, das sich etwa um das Jahr 1700 allgemein
durchgesetzt hat. Das Beispiel des Sonnenkönigs wirkte wie
immer unwiderstehlich. Niemand war, der nicht die pomphaft
majestätische Wolkenperücke angenommen hätte, und das
trotz ihres hohen Preises und der hohen Steuern, die z. B. 1698
in Preußen darauf gelegt wurden. Die große Allongeperücke
war schwer, heiß und sehr kostspielig, 1000 Taler konnte
eine solche von blondem Haar kosten, ein Preis, den man,
um auf den heutigen Geldwert zu kommen, mit fünf multi-
plizieren muß. Bergholz erzählt in seinen Erinnerungen von
198
Thomas Rozvlandson, Vauxhall gardens^ ijSs
dem russischen Großkanzler Golowkine, der 1721 den Herzog
von Holstein in einem Zimmer empfing, dessen größter Schmuck
eine riesige blonde Perücke war. Der Kanzler war zu geizig,
dieses kostbare Stück zu tragen. Sogar die Geistlichkeit beider
Konfessionen grifif zu ihr. Katholiken mußten sie beim Messe-
lesen abnehmen, sie sollten nicht falsches Haar tragen, weil
der Kopf die Weihen empfangen habe, eine Vorschrift, welche
Bullen der Päpste Benedikt XHL und Klemens XL wieder-
199
holt einschärften. Schließlich brachte man, um dieser Unbe-
quemlichkeit abzuhelfen, in der Perücke eine kleine Klappe an,
welche während der Messe gestattete, die Tonsur zu entblößen.
Der Kardinal Ganganelli, später als Papst Klemens XI V. genannt,
war zu seiner Zeit der einzige Angehörige des Kardinalkollegiums,
der keine Perücke trug. Die protestantischen Geistlichen hatten,
wie gewöhnlich, erst auf das heftigste gegen die Perücke als
einen neuen Fallstrick des bösen Feindes gezetert, als sie sich dann
aber auch entschlossen, sie aufzusetzen, taten sieeshauptsächlich,
weil es den katholischen Geistlichen verboten war. 40 fanatische
Flugschriften wurden über die Perückenfrage zwischen den
hadernden Konfessionen gewechselt. Die Protestanten haben
dafür noch Jahrzehnte länger an ihr festgehalten als die übrige
Menschheit; wenn Torheiten und Irrtümer nur alt sind, werden
sie von selbst ehrwürdig. Nach dem Tode Ludwig XIV. tritt
mit dem Wechsel in der Kleidung auch ein solcher in der
Perücke ein. Sie türmt sich nicht mehr so hoch auf und die
Ueberfülle ihrer Locken wird an den Seiten gekürzt, rück-
wärts aber in einen Beutel gesteckt, in Frankreich Crapaud
genannt. Die Haarbeutelfrisur bestimmt das Bild der männ-
lichen Mode im 18. Jahrhundert. Der Beutel aus Seide oder
gummiertem Tuch wurde mit einer großen, breiten, im Nacken
sitzenden Schleife geschlossen oder mittels eines Bandes ge-
halten, welches leicht um den Hals lag. Das Seitenhaar flog
in offenen Löckchen oder wurde zu festen Rollen gewickelt,
die einfach, doppelt oder gar mehrfach an den Schläfen lagen.
Als die Damenfrisuren unter Ludwig XVI. so extravagante
Dimensionen annahmen, gab es Herrenfrisuren ä la nouvel
Adonis, die zwanzig dicke runde Locken um den Männerkopf
legten. Das Stirnhaar wurde toupiert, lange Jahre hindurch
in der geschwungenen Vergette, eine Mode, welcher die Damen
ebenfalls huldigten, wie denn überhaupt die Haartracht für
beide Geschlechter zwischen 1740 und 1760 ziemlich die gleiche
war. Die Mode der Haarfrisur wechselte häufig, wenn sich
Die Perücke auch bald gcwissc Formen der Perücke — denn bei den Herren-
frisuren handelt es sich fast immer nur um eine solche —
als Standesabzeichen einbürgerten. Die Encyclopedie peru-
quiere beschrieb 1764 schon 115 verschiedene Sorten von Pe-
rücken. Die englischen Perückenmacher richteten 1762 eine
Eingabe an den König, er möge befehlen, daß alle Männer
200
^^'V^?^
bfl
Perücken tragen sollten, sonst könnte ihr Gewerbe nicht be-
stehen. Die große Perruque carree, auch spanische genannt,
blieb dem Kaiser und den höchsten Standespersonen vorbe-
IVaiteau de Lille, La piude Melisse
Aus der Galerie des ModeSy 1/8/
halten. Am österreichischen Hofe Karls VI. war sie ein aus-
schließliches Vorrecht des Kaisers und den Hofleuten nur
während des Aufenthalts in Laxenburg oder der Favorite
erlaubt. Dann aber trugen z. B. Advokaten andere Perücken
als Geistliche, Kaufleute andere als der Adel, zumal aber hat
das Militär eine besondere Frisur gepflegt, den Zopf. Man
schreibt seine Erfindung Friedrich Wilhelm I. von Preußen
zu. wahrscheinlicher ist seine Herkunft aus China, das ja ge-
201
rade damals Europa mit den Erzeugnissen seiner künstlerischen
Kultur erstaunte und entzückte. Jedenfalls entsprach seine
Form dem pedantischen und sparsamen Sinn des Königs, der
in seiner Jugend die große Perücke nur mit Widerwillen ge-
Watieau de Lille, yLa belle Lyonnaise*.
Aus der Galerie des Modes, lySs
tragen hatte, war sie ihm doch schon deswegen verhaßt, weil
sie aus Frankreich kam. Wenn er den Zopf nun auch nicht zu
erfinden brauchte, jedenfalls hat er ihn in seine Armee ein-
geführt, die fast ein Jahrhundert lang den steifen bebänderten
Zopf im Nacken trug. Da die Heere der übrigen europäischen
Staaten sich nach dem preußischen Muster richteten, so ver-
breitete sich der preußische Zopf über die Welt; in der
202
französischen Armee wurde er nebst dem Puder zuerst wieder
abgeschafft, aber auch erst 1803 durch den Marschall Junot.
Für solche, die nicht zum Militär gehörten, galt der Zopf
eigentlich nicht als schicklich. In Deutschland hat ihn wohl
Watteau de Lille, iAussi brillante .'^
Aus der Galerie des Modes, 178;
der Herzog Karl August von Sachsen-Weimar, der als Oberst
der preußischen Armee angehörte, zuerst abgelegt. Wie die
Mode aber auch wechseln mochte, wie verschieden die Formen
der Perücke der Privatleute, des Zopfes bei den Soldaten war,
pudern mußten sie sich alle miteinander. Man hat damals
Aufstellungen zu machen versucht über die enormen Mengen
von Reis- und Weizenmehl, welche alljährlich an den Köpfen
203
der Menschheit zerstäubten und schließlich durch die hohen
Ziffern erschreckt gegen Ende des Jahrhunderts die Gepu-
derten als Volksfeinde gebrandmarkt, welche das Nahrungs-
mittel des Volkes geringschätzten. Bis dahin aber war es un-
erläßlich für jeden, der zur besseren Klasse gerechnet sein
wollte, sich auch das Haar mit Puder einzustäuben. Die gleich-
mäßige Verteilung desselben war eine Frage von größter
Wichtigkeit. Vornehme Leute hatten eigene Kabinetts zu
diesem Zwecke. Der Puder wurde gegen die Decke gestäubt
und fiel von da wie ein zarter Schnee auf die Köpfe herab,
indessen der also Behandelte sein Gesicht während der Mani-
pulation in eine Tüte steckte, damit ihm das feine Pulver
nicht in Augen, Mund und Nase käme. Sich pudern zu kön-
nen, war nicht jedermanns Sache, sich pudern zu dürfen nicht
jedermann erlaubt. Auf der hohen Karlsschule durften nur
Adelige und Offizierssöhne sich pudern, die anderen nicht.
Auch den Stipendiaten der Tübinger Hochschule war es unter-
sagt. Sich pudern zu dürfen, war eben das Vorrecht einer
höheren Klasse. So zahlte auf der Donaufahrt von Regens-
burg nach Wien die »gemeine« Person für ihren Schiffsplatz
nur zwei Gulden, die »gepuderte« dagegen einen Dukaten.
Wir, die wir seit Jahren gewohnt sind, daß ein Herr, der
nicht wie ein Musikschüler aussehen will, seinen Kopf scheren
lassen muß wie ein Zuchthäusler, begreifen die Wichtigkeit
gar nicht mehr, die damals die Frisur auch für Männer hatte.
Ein kahler Kopf war eine Schande im i8. Jahrhundert, daher
die Sorgfalt, mit der man das Haar pflegte, um es so lang
wie möglich zu erzielen. Fürst Belgiojoso in Mailand ließ
sich jeden Monat einen Friseur aus Paris kommen, um stets
nach der neuesten Mode frisiert zu sein. Die Perücke war
übrigens der Frisur aus eigenem Haar vollkommen gleich-
wertig. Man trug sie ganz offen und schämte sich derselben
nicht, ja als einst der englische General Lord Albemarle sich
das Gesicht verbrannt hatte, und, um es zu verbergen, seine
Perücke schief aufsetzte, machten es ihm alle Offiziere seiner
Truppen sofort nach. Wohlhabende hatten mehrere Perücken,
wenn auch vielleicht nicht alle in demselben Maßstab wie der
Graf Brühl, welcher 1500 besaß, »viel für einen Mann ohne
Kopf«, soll Friedrich der Große von ihm gesagt haben. Es
galt in manchen Kreisen für reinlicher, Perücken zu tragen,
204
Ulrich Wertmüller, Maria Antoinette mit ihren Kindern, iyi,j
205
als das eigene Haar, was man bezweifeln möchte, wenn man
an die Beschreibung denkt, welche die Markgräfin von Bay-
reuth entwirft, als sie von ihrem Empfang in Hof. den Herren
von Reitzenstein und ihren Perücken voller Läuse spricht.
Wenn der Kopf eingefettet und mit Puder dick bestreut sein
mußte, war das allerdings oft von zweifelhafter Sauberkeit.
Aus diesem Grunde hatte Casanova als Knabe eine blonde
Perücke zu tragen. Als der französische Marschall Conflans
in rundgeschnittenem Haar ging und diese Mode beim Militär
einzuführen versuchte, wurde ihm entgegnet, daß das unsauber
sei, denn wenn die Soldaten sich nicht mehr Zöpfe flechten
und Locken wickeln müßten, dann würden sie sich überhaupt
nicht mehr kämmen. In Wien dagegen durften die Kellner
sich nicht frisieren und pudern, sondern mußten das Haar
rund verschnitten tragen. Jedenfalls waren die Perücken sehr
heiß am Kopf, und so gut wie man die gestickten Kleider
im Hause ablegte, hängte man auch die Perücke an den
Nagel und trug eine Mütze oder ein Tuch. So beschreibt
Goethe den Hofrath Hüsgen, der immer eine weiße Glocken-
haube trug. So ging auch Voltaire in Ferney am liebsten
ohne Perücke, und viele Künstler haben sich selbst in der
Nachtmütze porträtiert, wie Chardin, La Tour, Georg Friedrich
Schmidt, Bernhard Vogel, Preisler, Haid u. a. Während des
ganzen Jahrhunderts war auch der Bart streng verpönt, nur
Schauspieler, welche Mörder oder Straßenräuber spielten,
trugen einen Schnurrbart. Der bekannte Schwärmer Edelmann
erregte durch seinen langen Bart mehr Aufsehen als durch
seine heterodoxen Anschauungen, ja der Bildhauer Permoser,
welcher ebenfalls einen Bart trug, fühlte sich gedrungen, zur
Entschuldigung dieses ganz ungewöhnlichen Vorgehens ein
amüsantes kleines Buch zu schreiben. Der Maler Gabr. Andr.
Donath, der um 1735 in Dresden lebte, trug einen langen Bart
in Papilloten von Papier, der Genfer Liotard war in Paris durch
seinen langen Bart mindestens ebenso berühmt wie durch seine
Pastelle und Miniaturen.
Puderund Die grau gepuderten Herren mußten sich so gut schminken
wie die gepuderten Damen. Puder und Schminke verwischen
auch bei ihnen die Altersunterschiede. Wir können uns aller-
dings vorstellen, daß der 60jährige Chevalier de Malezieux
trotz seiner rot gefärbten Backen keinen Eindruck auf Sophie
206
Schminke
Arnould machte oder der 80jährige Chevalier d'Arcigny, der
nahezu ebenso alte Herzog von Villars mit ihren rot und weiß
geschminkten Gesichtern, ihren falschen Gebissen von Elfen-
bein, ihren von Ambra duftenden Perücken und den button-
holes aus Tuberosen, Narzissen und Jasmin, Casanova recht
lächerlich erschienen.
Erst seit der Perückenzeit hörte der Mann auf, beständig den Der Hut
Hut zu tragen. xA.lle
Bilder des 17. Jahr-
hunderts, welche Ge-
sellschaften, Mahl-
zeiten, Bälle, Unter-
haltungen darstellen,
zeigen die Herren mit
bedecktem Haupt.
Seit die Perücke auf-
kommt, ist das nicht
mehr angängig. Hat
derHerr den Hut bis
dahin nicht abge-
nommen, so setzt er
ihn nun nicht mehr
auf. Das ganze 18.
Jahrhundert hin-
durch trug der Mann
seinen Hut unterm
Arm. Ob Perücke
oder eigenes Haar,
gleichviel, den Hut
hätten beide nicht
geduldet. Erst in der Zeit, als der einfachere Anzug über
den Kanal zu uns kommt, als die jungen Männer ihr eigenes
Haar offen und ungepudert zu tragen beginnen, kommt der
große runde Filzhut auf, der Quäkerhut Franklins, welcher
1786 die Pariser so enthusiasmierte und den Ahnherrn un-
seres Zylinders darstellt. Der Hut, dessen Platz stets unter
dem Armwar, hatte aufgeschlagene Krempen, nach deren ver-
schiedener Fassonierung sein Name wechselte, war mit Goldtres-
sen und Federborte besetzt und meist aus Filz. Im 17. Jahrhun-
dertkommtin Frankreich derHutausFilziniitation auf, wie Alfred
Goethe, Relief von J. V. Melchior
207
Franklin recht witzig sagt, gleichsam wie eine Vorahnung des
Ideals der Industrie des 19. Jahrhunderts »ein billiger Gegen-
stand von minderer Qualität, der alle Eigenschaften der besse-
ren zu besitzen scheint«. Diese Hüte von Halbfilz »demi castor«
wurden verboten, ohne daß dieses Verbot eine besondere Wir-
kung gehabt hätte. Wie man jetzt die Damen einer gewissen
Klasse als demi-monde bezeichnet, so nannte man sie damals,
als diese halbechten Hüte aufkamen, demi-castor.
Die französische Mode dringt unaufhaltsam vor und beseitigt
nicht nur die Reste sogenannter Volkstrachten, sondern auch
die Amtstracht. Selbst an dem so konservativen Kaiserhof
in Wien verdrängt die französische Mode die alte spanische
schwarze Hoftracht mit ihren kurzen spitzenbesetzten Mänteln,
roten Strümpfen und roten Schuhen. Maria Theresias loth-
ringischer Gemahl, der nur Französisch sprach, trug sich auch
am liebsten französisch. 1765 schaffte Kaiser Joseph zum Ent-
setzen der alten Hofherren das spanische Mantelkleid endgültig
ab. Das Vordringen der Mode auch in die niederen Stände
war ein Punkt, der von den Angehörigen der oberen Klassen
so schmerzlich empfunden wurde, daß sie es nicht ertragen
zu können glaubten, blieben als sichtbare Auszeichnung doch
Die Orden nicht einmal mehr die Orden ihnen allein! Bis in den Anfang
des 18. Jahrhunderts waren unter den wenigen Orden, die es
überhaupt nur gab, der des Goldenen Vlieses und der dänische
Elefantenorden wohl die angesehensten gewesen. Dann aber
begannen alle die unzähligen deutschen Fürsten Orden zu stif-
ten; schöne, bunte, glänzende Orden, mit deren Stern und Band
sie ihr Kleid schmückten, durch deren Verleihung an andere
sie aus der Masse der Höflinge gewissermaßen einen Klub
vertrauter Freunde heraushoben. Wie lange aber dauerte es,
und das Tragen eines Ordens bedeutete nicht einmal mehr
die Zugehörigkeit zu einer besonderen Klasse der Gesellschaft.
Man konnte sie ja überall kaufen. Casanova hält mit seiner
Meinung über die Orden, die für niemand mehr eine Auszeich-
nung seien und nur Dummköpfen Eindruck machten, nicht
zurück. Er kauft sich aber trotzdem einen, denn die Dummen
wurden schon damals nicht alle. Den Michaelsorden konnte
man für billiges Geld von den Höflingen des Kurfürsten von
Köln haben und der Markgraf von Bayreuth, der, wie seine
bissige Schwiegertochter bemerkt, beim Ordensfest ein so feier-
208
1787
Magasin des Modes
Wintertoilelie
Die Mode, 18. Jahrh. 43
liches Wesen annahm, wie Hanswurst als Kaiser im Mond,
verkauft nachher ungeniert seinen Roten Adlerorden. Der arme
Henri de Catt allerdings, der Vorleser Friedrichs des Großen,
ist recht hereingefallen, als er einem italienischen Grafen für
200 Louisdor einen
falschen preußi-
schen Orden auf-
hängen will. Durch
das ganze Mittel-
alter geht der
Kampf, den die
Obrigkeiten mit-
tels ihrer Kleider-
ordnungen gegen
den Luxus und die
Verschwendungs -
sucht ihrer Unter-
tanen geführt ha-
ben, einKampf, der
in erster Linie der
Aufrechterhaltung
äußerlich sichtba-
rer Standesunter-
schiede galt. Er ist
nie erloschen, denn
er war immer ver-
geblich, aber er hat
sich bis zum Aus-
gang des i8. Jahr-
hunderts ununter-
brochen fortge-
setzt. Wie man in
einigen Staaten die Einfuhr verschiedener Stoffe und Spitzen
untersagte, um die heimische Industrie zu schützen, so verbot
man auch den Angehörigen gewisser Stände das Tragen mancher
Modeartikel, weil die Herren sich absolut nicht in den Ge-
danken finden wollten, daß die äußerliche Sichtbarkeit der
Standesunterschiede verschwinden könnte. Die Fontangen
wurden z. B. 1698 in Leipzig, 1705 in Zwickau verboten,
ebenso der Gebrauch der Mouche. Daß in Sachsen den
Kleider-
Ortintiiijjen
y. H. JV. Tiscilbein, Goethe in Roi.
D{e Mode. 18. Jahrh. 2. A.
209
14
Dienstmädchen das Tragen der Reifröcke untersagt war, ist
schon erwähnt worden. Man wollte den niederen Ständen
auch vorschreiben, welche Sorten von Pelzwerk sie tragen
durften. L. Bartsch hat über die Prozesse, welche oft da-
raus entstanden sind, die amüsantesten Tatsachen beigebracht.
Darüber, »was jedem in seinem Stand in Bekleidungen zu-
gelassen oder verboten ist«, Verbote der Hofifart, wonach sich
Bürger nach Unterschied der Stände zu verhalten haben,
sind z. B. in Nürnberg 1693, in Stettin 1708, in Stralsund 1729,
in Gotha 1737, in Fulda 1766 erschienen, das letzte natür-
lich in Mecklenburg 1786. Ganz besonders hatten es die
regierenden Herren auf die goldenen und silbernen Tressen,
Besätze und Stickereien abgesehen, welche sie Bürgersleuten
nicht gönnen wollten. In Kur-Bayern, das in Reglemen-
tierungssucht und polizeilicher Bevormundung der Unter-
tanen auf das erfolgreichste mit Preußen wetteiferte, das
seinen Bauern vorschreiben wollte, zu welchen Stunden das
Vieh im Stalle, an welchen auf der Weide zu sein habe,
die Höhe des Tagelohnes ohne Rücksicht auf Angebot und
Nachfrage zu regeln unternahm, wo man selbst die Größe
der Baumaterialien vorschrieb, untersagte man 1749 dem Volk
die Verwendung von Gold- und Silberstoffen und Besätzen
und schritt, um diesem Verbot Nachdruck zu geben, am
Neujahrsmorgen 1750 zum Angriff gegen die Kirchgängerinnen
vor. Ohne Schonung wurden ihnen die goldenen Riegelhauben
und Bruststücke entrissen und konfisziert. Manche, die be-
sonders schlau hatten sein wollen, und ihre Riegelhauben
erst in der Kirche aufgesetzt hatten, mußten sie beim Ver-
lassen derselben doch noch hergeben. Den Ratsfrauen, gegen
die man nicht ganz so brutal vorzugehen wagte, wurde zur
Strafe Militär ins Haus einquartiert.
Am rigorosesten in dieser Beziehung war man in den kleinen
Gemeinwesen staatlicher und städtischer Republiken. Die Schwei-
zerinnen waren daheim durch Kleiderordnungen so beschränkt,
daß sie, wie Keyßler findet, deshalb mit solcher Vorliebe aus-
ländische Badeorte besuchen, ja viele derselben sich vor der
Heirat schriftlich die Versicherung geben ließen, daß sie jedes
Jahr ihre Badereise ins Ausland sollten machen dürfen. In
Genua war den verheirateten Damen nur im ersten Jahr des
Ehestandes erlaubt, bunte Farben zu tragen, nachher mußten
210
des Ornies in Fa
sie egal schwarz gehen. In den deutschen Reichsstädten, wo
das Tragen von Federhut und Degen allein den Patriziern
vorbehalten war, in denen Ratsherren, Geschlechtern, gemei-
nem Volk, Handwerkern, Mägden usw. für jeden sich im Leben
bietenden Vorfall wie Taufe, Hochzeit, Beerdigung usw. genau
vorgeschrieben war, was sie tragen mußten, kommt die lokale
Tracht, in der sich noch Reste alter Moden des i6. und 17.
Jahrhunderts konserviert hatten, allen Ge- und Verboten zum
Trotz doch in Abnahme. Keyßler fand schon 1730 in Heil-
bronn, daß die eigentümliche Trauerkleidung der dortigen Frau
so ziemlich verschwunden sei und in Ulm bemerkte Nikolai
1781, daß hauptsächlich nur noch die Dienstmädchen, wenn
sie zu Hochzeiten, Kindstaufen und Leichen einluden, jedes-
mal anders gekleidet sein müßten. Am längsten hat sich merk-
würdigerweise Straßburg, das doch seit 1681 zu Frankreich
gehörte, eine altreichsständische Einfachheit bewahrt. Der be-
rühmte Rechtslehrer Pütter beobachtete das noch in der Mitte
des 18. Jahrhunderts, während zu Goethes Zeiten die städtische
ZW
Gesellschaft sich schon französisch kleidete, und die deutsche
Tracht sich auf die Landbewohner beschränkte. Als er die
Schwestern Brion aus Sesenheim nach Straßburg bringt, sind
sie dort die einzigen in deutscher Kleidung. Wieder einige
Jahre später findet Lauckhard nur noch die dienende Klasse
in der alten Tracht.
In bezug auf die Kleidung sind Befehle ebenso machtlos wie
Verbote. König Friedrich Wilhelm L von Preußen kleidete
einmal .bei einer Truppenrevue, der die französische Gesandt-
schaft beiwohnte, die verachteten Profossen in die eleganteste
Pariser Modetracht. Gerade in jenen Jahren erlitt die eng-
lische Regierung, welche nach dem Unglückstage von Culloden
den Schotten das Tragen des Kilt verboten hatte, einen Fehl-
schlag. Sie hat es auch nicht durchsetzen können, daß ihr
Befehl, an Stelle des Schurzes Beinkleider zu tragen, befolgt
worden wäre. Im Gegenteil, die französische Mode hat, wie
manche alte Bilder von Bonnie Prince Charlie und anderen
Kavalieren zeigen, eine Verbindung mit dem Kilt eingegangen,
eine Art Zweiteilung des Mannes geschaffen, von oben bis
zum Gürtel ist er Franzose, von da bis zu den Füßen Schotte.
Unter den Regierungen der Könige Karl III. und Karl IV.
dringt die französische Mode auch nach Spanien vor und be-
hauptet sich neben der schwarz gehaltenen Volkstracht. Man
nennt sie auch beim Zivil »Militärkleidung« und selbst die
ältesten Leute tragen, wenn sie ihr heimisches Schwarz einmal
ablegen, im französischen Kostüm Rosa oder Himmelblau.
Überzeugt von dem Mißerfolg polizeilicher Verbote, versucht
es 1781 der Großherzog Leopold von Toskana, seinem Adel
durch freundliches Zureden den Luxus in der Kleidung ab-
zugewöhnen und hat auch vorübergehende Erfolge insofern,
als eben in Florenz eine Zeitlang die einfachen Schnitte und
Farben Mode werden. Ein Anonymus veröffentlichte (im Wien
Josephs IL) 1786 einen Vorschlag, der genaue Unterschiede
festsetzte für die Kleidung aller Stände und Berufe, wo für
alle Abstufungen der Beamten, Lakaien u. a. gewissenhafte
Vorsorge getroffen war. Andere versuchen die Standesunter-
schiede, welche eine gleiche Kleidung allerorten äußerlich
völlig zu verwischen im Begriff ist, dadurch zur Geltung zu
bringen, daß, wie z. B. ein Freiherr von Schröder damals vor-
geschlagen hat, jedermann durch ein gewisses Kleinod, das er
212
L. Pk. Debticourt, Le Metmet de la Mariee, 1786
sichtbar zu tragen habe, seine Zugehörigkeit zu dieser oder
jener Klasse dokumentieren müsse. Der Marquis Caraccioli
wollte, daß Achselbänder von gewisser Form und Farbe die-
sem Zwecke dienen sollten, Vorschläge, die selbstverständlich
213
ebenso ins Wasser fielen wie das Unternehmen, eine National-
tracht einzuführen, die den beständigen Wechsel der Mode
verhindern sollte. In Deutschland sind derartige Ideen, wie
sie z. B. Justus Moser oder der bekannte Pamphletist Weck-
herlin in seinen Chronologen vertrat, wie sie später Bertuch
in seinem Journal des Luxus und der Moden zur Diskussion
stellte, über das Papier, auf dem sie erörtert wurden, nicht
lebendig geworden. Nur in Schweden hat man sich ernsthaft
damit befaßt. 1773 hat die schwedische patriotische Gesell-
schaft eine Preisfrage zur allgemeinen Beantwortung gestellt,
ob es nicht für Schweden vorteilhaft sein würde, eine National-
tracht anzunehmen und schon im Jahre darauf 65 verschiedene
motivierte Antworten erhalten, die größtenteils bejahend aus-
fielen. 1778 erließ Gustav III. wirklich eine Verordnung, die
beiden Geschlechtern eine Nationaltracht vorschlug, ein Kostüm,
welches der König, seine Brüder und der ganze Hof auch
wirklich eine Zeitlang getragen haben. Es war nach den er-
haltenen Abbildungen zu urteilen, nichts anderes als die Zeit-
mode verquickt mit einigen Elementen der Tracht des 15. Jahr-
hunderts. Der König hatte nicht viel Glück mit seiner Er-
findung. »Im Putze Gustavs III. und seiner Günstlinge«, schreibt
der Herzog von Levis, »bemerkte man mit Erstaunen etwas
Weibisches und Weichliches, das einen gewissen Verdacht
hinsichtlich seiner Sitten zu bestätigen schien.« Als er in
Petersburg so erschien, nannte ihn Katharina II. nur König
Harlekin. Es war ein Versuch genau nach dem Muster des-
jenigen, den die Brüder Ludwigs XVI. in Versailles unternommen
hatten, als sie 1777 für sich und ihr Gefolge gelegentlich des
Besuches Kaiser Josephs IL von ihrem Hofschneider Sarrazin
ein Kostüm entwerfen ließen, das sich mit Wams und Puffen
an jenes der Zeit Heinrichs IV. anlehnte, und nur am Hofe
vorübergehend zur Geltung gekommen ist.
Uniformie- Dieser Wunsch, durch Verschiedenheiten in der Kleidung-
btande und Volker vonemander scheiden zu wollen, die sich
gerade in dieser Zeit des Weltbürgertums einander zu nähern
beginnen, müßte wundernehmen, hinge diese Neigung nicht
auf das engste mit einer anderen Eigenschaft des 18. Jahr-
hunderts zusammen, der Uniformierungswut. Die aufgeklärten
Volksbeglücker leiden an derselben Reglementierungssucht und
Gleichmacherei wie Tyrannen und Republikaner. Man baut
214
f^ ~
bia
Reynolds, Herzog und Herzogin vott Hamilton
ganze Städte nach einförmigen Plan, wie in Deutschland Mann-
heim und Karlsruhe, neue Stadtviertel wie Dorotheen- und
Friedrichstadt in Berlin; als Pombal nach dem großen Erd-
215
beben das zerstörte Lissabon wieder aufbaut, da geschieht es
in der Form einer Kaserne. Eine Riesenprachtfassade nach
dem Tajo, dahinter in abgezirkelten, uniform ausgestalteten
Rechtecken die neuen Stadtteile, wo jedes Handwerk nur in
einer bestimmten Straße wohnen soll. Madrid, Salamanca,
Paris, London, Turin, Petersburg und viele, viele andere Orte
tragen heute noch die Spuren der ästhetischen Uniform, die
ihnen das i8. Jahrhundert angelegt. Wie die kurbayerische
Regierung alles regeln will, was die Untertanen tun und lassen,
so mischt sich auch Struensee während der kurzen Zeit seiner
Macht durch einen Regen von Erlassen und Verordnungen
in die persönlichsten Angelegenheiten seiner Dänen, um sie mit
Gewalt glücklich zu machen, gerade so wie Joseph IL seine
Oesterreicher. Der Sturm und
Drang der Aufklärungsperiode
war die natürliche Reaktion
gegen diese schnöde Mißach-
tung der persönlichen Freiheit.
Wie man die Städte am lieb-
sten in gleicher Form gesehen
hätte, so würde man am lieb-
sten auch jedermann ein glei-
ches Kleid gegeben haben.
Selbstverständlich steckte man
die Zöglinge der Erziehungs-
institute undWaisenhäuser zu-
erst in Uniform. Auf dem Phi-
lanthropin in Heidenheim tru-
gen die Kinder braunroten
Berkan mit blau atlassnen Auf-
schlägen und Stahlknöpfen, da-
zu weiße runde Hüte mit blauen
Federbüschen ; auf dem in
Dessau weiße Röcke mit hell-
blauem Brustlatz, in Schnep-
fenthal rote Jacken. Der Her-
zog von Württemberg wollte
sein ganzes Land uniformieren
. " und gab wenigstens dem ganzen
Magasin des Modes, iy86 Volk seiner Hof-, Militär- und
2l6
%
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imi
Barlolozzi nach Sir Joslnia Reynolds^ Lady Fester . i^Sj
Die Mode. 18. Jahrh. 45
Zivilbeamten Uniformen. Katharina IL erließ 1783 einen
Ukas, mittels dessen in Esthland, Livland und Ingermann-
land Männer und Frauen eine bestimmte Provinzialkleidung
erhielten. Herr von Corberon, 1775 — 1780 Attache der fran-
zösischen Gesandtschaft iin Petersburg, schreibt diese Ver-
ordnungen dem Wunsche der Kaiserin zu. ihre Schwieger-
tochter am Tragen französischer Moden und Pariser Coif-
füren zu hindern. Der knappe Schnitt der männlichen Klei-
dung und die bunte Farbe derselben forderte ordentlich dazu
heraus, den Zusammenschluß Befreundeter durch die gleiche
Art der Kleidung zu dokumentieren, die genialische Jugend ging
ä la Werther, der Schillersche Kreis in Jena trug als Zeichen
seiner Zusammengehörigkeit dunkelblauen Frack mit himmel-
blauem Futter und silbernen Knöpfen, die Ritterschaft in West-
falen gab sich selbst eine nach den Kreisen in ihren Farben
unterschiedene Uniform usw. Die stehenden Heere, die sich du Umßi
nach dem Dreißigjährigen Kriege zu einer bleibenden Ein-
richtung entwickeln, kennen Uniformen erst seit dem Ende
des 17. Jahrhunderts. Wenn sie den Schnitt derselben ur-
sprünglich dem der gewöhnlichen Männerkleidung entlehnen,
so entwickeln sie aus ihm allmählich ihren Bedürfnissen ent-
sprechend eine neue Form. Die Rockschöße werden erst mit
ihren Enden an den Seiten zusammengenommen, dann zum
I^Vack abgeschnitten, das Beinkleid wird eng, die Gamasche
bedeckt oder ersetzt den seidenen oder wollenen Zwickel-
strumpf. Die Wechselwirkung zwischen Zivil- und Militär-
kleid war um so reger, als die Unterschiede in Schnitt und
Farbe zwischen denselben so sehr geringe waren. Die mili-
tärische Uniform gewann schließlich ein starkes Uebergewicht
dadurch, daß sie, ebenso wie das englische Bürgerkleid es
tat, dem kostspieligen französischen Moderock einen Anzug
gegenüberstellte, der praktisch und wohlfeil war. In gewissem
Sinne hat diese Wechselwirkung ja bis heute nicht aufgehört.
Wenn im Augenblick, wo wir dies schreiben, unsere Mode-
herren im unförmigen Schnitt ihrer Kleider dem perversen
(ieschmack des halb barbarischen Amerika huldigen, so wett-
eifern unsere Militärs erfolgreich mit der zivilistischen Ge-
schmacklosigkeit und wandeln als lebende Karikaturen stolz
in zu weiten Hosen, zu langen Röcken und zu großen Mützen
umher. (Das war 1908!)
217
Dieses Uebergewicht gewann die Uniform im i8. Jahrhundert,
trotzdem ihre Träger verachtet waren. Denn im damaligen
Deutschland war ein Soldat nicht viel besser angesehen als
ein Zuchthäusler. Der moralische Zustand des Militärs, dessen
Freiwillige sich nur aus der Hefe der Bevölkerung rekrutier-
ten, während der Rest aus Geworbenen bestand, die mit Be-
trug oder Gewalt enrolliert waren, ließ die Bürger mit Ab-
scheu auf die Soldaten blicken, deren Umgang sie flohen. Im
Ansehen stand unbedingt das preußische Heer als solches
obenan, seit Friedrich IL es in seinen Kriegen zu unvergeß-
lichen Heldentaten geführt hatte, aber im privaten Leben ging,
wer es konnte, den Angehörigen dieser Armee weit aus dem
Wege, Offizieren wie Gemeinen. Die Erinnerungen der Bräker,
Nettelbeck, Seume, Lauckhard u. a. erzählen die Gründe dazu
ja anschaulich genug. Der Zustand der übrigen Armeen aber
konnte wahrlich keine Achtung beanspruchen. In Oesterreich,
wo die Offiziersstellen bis 1809 käuflich waren, galt der Dienst
der eigenen Bereicherung im Frieden wie im Kriege. Von
den 135000 Mann, die bei Karls VL Tode auf dem Papiere
standen, waren de facto nur 68000 unter den Waffen, die
Löhnung der übrigen steckten die Vorgesetzten ein. Die Ver-
waltung des Generalkriegskommissariates machte reich. Wie
Prinz Eugen und der Markgraf Ludwig von Baden im Be-
ginne des Jahrhunderts geklagt hatten, war die Armee auch
später noch in Feindes- wie in Freundesland auf Plünderung
angewiesen. Der berüchtigte Oberst Menzel erbeutete drei
Millionen Gulden im Felde, den Freiherrn von der Trenk ließ
Maria Theresia seiner Schandtaten wegen auf dem Spielberg
sterben. Das kurbayerische Militär bestand aus 15000 Mann,
von denen aber nur 3000 unter Gewehr standen, die mit ihren
39 Generalen monatlich 93000 Gulden verbrauchten. Wenn
die Frau eines Offiziers in anderen Umständen war, so er-
hielt sie für ihr erwartetes Kind ein Offizierspatent, dessen
Einkünfte ihr auch dann verblieben, wenn das Kind tot zur
Welt kam oder eine Tochter war. Als dieses Heer während
des Siebenjährigen Krieges im Mai 1758 im Felde war, erbat
der Kurfürst für seine Soldaten zwei Monate Urlaub, damit
sie sich erholen könnten! Kurpfalz hielt 5500 Mann mit
21 Generalen und die Groteske dieser Zustände vervollstän-
digt der Betrieb derselben. Der schwäbische Kreis gab seinen
218
yohn Rapliael Smith, Lott: a
II (.j/'/c/S
Truppen die Artillerie nicht mit ins Feld, weil sie sie am Ende
verlieren könnten. In Mainz standen die Festungswerke unter
der Obhut des Hofgärtners, von dem die Ingenieure sich im
Bedarfsfall die Schlüssel erbitten mußten. Als Spanien 1762
mit Portugal im Kriege lag, war das spanische Heer bereits
an die portugiesische Grenze vorgerückt und stand im An-
gesicht des Feindes, als man erst bemerkte, daß man ver-
gessen hatte, das Pulver mitzunehmen !
Von Herrschern war wohl Friedrich Wilhelm I. von Preußen
der erste, welcher immer Uniform trug, die französischen Könige
legten nie eine solche an. Graf Valentin Esterhazy schreibt
in seinen Erinnerungen, daß der Dauphin 1764 zum größten
Erstaunen des Hofes zum erstenmal die Uniform seines Regi-
ments angelegt habe, man hätte das vorher nie bei Hofe gesehen.
Erst Ludwig XVI. pflegte am Nachmittag stets Uniform zu
tragen. Kaiser Joseph eiferte auch darin seinem bewunderten
219
Vorbild Friedrich dem Großen nach, daß er fast nur Uniform
trug und höchst selten das gestickte Hofkleid anlegte. Da er
die Uniform auch auf Reisen trug, so gab er damit ein gern
befolgtes Beispiel, 1772 schreibt Abbe Galiani aus Neapel an
Grimm, daß die reisenden Prinzen alle in der Uniform ihrer
Regimenter erscheinen. Friedrich der Große verzichtete bald
auf den Luxus einer geschmackvollen Kleidung nach der Mode
und legte ausschließlich Uniform an ; als er starb, bestand seine
ganze Garderobe aus 5 Uniformen, 8 Westen, 4 Paar Hosen,
6 Paar Stiefel, 10 Paar weißen und 5 Paar schwarzseidenen
Strümpfen nebst 16 schlechten Hemden. Sein Nachfolger ver-
kaufte alles zusammen für 400 Taler.
Die Frage des Schneiders und der Schneiderin war in jener
Zeit selbstverständlich ebenso wichtig wie heute. Wer im
Hause arbeiten ließ, wie Goethes in Frankfurt, dem konnte
es wohl blühen, daß er, wenn er, wie Wolfgang mit seiner
Garderobe in eine elegante Stadt wie Leipzig kam, als komische
Figur aufs Theater gebracht wurde. Die Reklame mancher
heutiger Schneider, daß sie Durchreisenden binnen einem Tag
einen Anzug machen, war damals schon etwas Altes. Casanova
erhielt in Neapel binnen 24 Stunden ein Gewand, ebenso wie
Graf Tiretta in Paris. In Wien zeigte der Schneider Otto 1781
an, daß er ein Kleid auf Wunsch in sieben Stunden liefere.
Auch die Konfektion geht bis in den Anfang des 18. Jahrhun-
derts zurück. Für Paris ist sie seit 1716 nachgewiesen. Nach
der Angabe des Voyageur fidele hatte ein Schneider in St. Denis
fertige Kleider für Männer, Frauen und Kinder auf Lager.
In London konnte man aber, wie wir von Reisenden wissen,
schon vorher Kleider und Wäsche fertig kaufen.
Das 18. Jahrhundert hat auf dem Gebiet der Mode eine Er-
scheinung gezeitigt, welche die Vorwelt nicht kannte, das
Modejournal. Seit 1672 schon hatte zwar der Mercure ga-
lant, dem von 1717 bis 1792 der Mercure de France folgte,
die schöne Welt regelmäßig darüber unterrichtet, was in Ver-
sailles oder in Paris elegant war, hatte erzählt, wie und womit
man sich amüsierte, was man trug usw. Da aber beiden Zeit-
schriften die Bilder fehlten, kann man sie wohl nur als Vorläufer
des eigentlichen Modejournals betrachten. Erst die »Galerie des
Modes« und der »Courrier des Modes«, welche in Paris seit
den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts herausgegeben wur- .
220
John Hoppner, Mrs. Ben-vcll
den, halfen diesem Uebelstande ab und brachten allen Herren
und Damen, welche sich für ]\Iode und Eleganz interessierten,
nicht nur Beschreibungen, sondern bis ins Detail getreue Ab-
l)ildungen dessen, was in Paris getragen wurde. Die künstlerisch
vollendeten Abbildungen dieser Zeitschriften dienten dann den
außerfranzösischen Publikationen als \'orlagen. Die Taschen-
bücher und Almanache, welche damals in Deutschland erblühten
und sich mit ihrem Inhalt vorwiegend an das schöne Geschlecht
wandten, haben aus dieser französischen Quelle eifrig geschöpft,
und ihre Leserinnen auf diesem kleinen Umwege mit den Pariser
Dioden bekannt gemacht. Die reizenden kleinen Bilder, welche
bei der Umwertung aus dem französischen Original in das
deutsche durch die Meisterhand eines Chodowiecki, eines
Riepenhausen u. a. an Charme entschieden gewannen, erschie-
nen aber nur einmal im Jahr. Da war es sicherlich ein äußerst
glücklicher Gedanke des unternehmenden J. J. Bertuch in
Weimar, eine Zeitung herauszugeben, die wenigstens jeden
221
G. Morland, Das Picknick
Monat einmal über die Veränderungen der Mode berichten
wollte, und sein »Journal des Luxus und der Moden«, welches
1/86 zu erscheinen begann, erwies sich denn auch als äußerst
glückliche Spekulation. Die feinen und mit größter Delika-
tesse ausgemalten Modekupfer verschafften ihm ebensoviele
Freunde wie die literarisch wertvollen Texte, an denen Gelehrte
wie Hufeland, Böttiger, Hirt u. a. sich beteiligten. Wie ein
roter Faden zieht sich durch die Korrespondenz der Frau
Rat mit ihrem Wolfgang die Sorge um diese roten Heftchen,
die sie mit Ungeduld erwartet und schmerzlich vermißt, wenn'
sie mal ausbleiben. Gegen Ende des i8. und zu Beginn des
222
19- Jahrhunderts werden die Modejournale immer zahlreicher
und erscheinen auch immer häufiger, schließlich sogar all-
wöchentlich. Als die Pariser Ereignisse das Erscheinen neuer
Moden verhindern, da beginnt der Schwabe Heideloff 1794
in London seine Galery of Fashion herauszugeben und gibt
für einige Jahre damit den Ton der ]\Iode an. welche indessen
bald genug wieder ihren Thron in Paris autschlue.
Hiepenhausen, Ahnanachkupfer
223
D
Zustände 1 \as Aussehcn der Städte im 18. Jahrhundert vermag man
sich gut vorzustellen, sind uns doch in gemalten und ge-
stochenen Prospekten jener Zeit Bilder genug erhalten.
Betrachtet man nun z. B. die Ansichten Canalettos von Dresden
und Pirna, die Kupferstichfolgen, welche Nürnberg, Augsburg.
München. Göttingen, Berlin u. a. darstellen, so fällt es auf,
daß die bedeutendsten Architekturen sowohl der öffentlichen
wie der Privatgebäude fast alle auf das i/. Jahrhundert hin-
weisen, daß nur vereinzelte Bauwerke im 18. Jahrhundert ent-
standen zu sein scheinen. Damit stimmt auch das Erinnerungs-
bild, das sich Goethe an Frankfurt bewahrt hatte, wo nichts
architektonisch Erhebendes zu sehen gewesen sei, alles auf
eine längst vergangene Zeit hingedeutet habe; damit stimmt
auch der Eindruck, den Nikolai 1781 auf seiner Reise durch
Deutschland von den großen süddeutschen Reichsstädten emp-
fängt. Die Nachwirkungen des verheerenden Dreißigjährigen
Krieges dauern bis tief in das 18. Jahrhundert hinein. Erst
1787 z. B. errichtet man in Wittenberg die Eibbrücke neu,
welche die Schweden 1637 verbrannt hatten. Wenn man die
Ansichten, die Salomon Kleiner etwa 1710 von Wien und seinen
Vorstädten verfertigt hat, mit jenen vergleicht, welche Janscha,
Schütz, Ziegler ca. 80 Jahre später ausführten, so ist man er-
staunt über die geringen Veränderungen, die in der Zwischen-
zeit eingetreten sind. Wenn die Kulturfortschritte der Kaiser-
stadt so geringe waren, so nimmt es nicht wunder, daß klei-
nere Städte noch viel weiter zurückblieben, so daß man z. B.,
wenn man neue Pläne der Städte benötigte, immer wieder auf
die Merlans zurückgreifen konnte, die doch schon hundert
Jahre alt waren. K. Fr. von Klöden schreibt noch im Beginn
des 19. Jahrhunderts über Preuß. Friedland: Dieses Gepräge
des 17. Jahrhunderts trug nicht bloß die Schule, sondern die
ganze Stadt in ihren Einrichtungen, ihren Lebensbedürfnissen,
ihrem Kulturzustand, ihrer Sprache, ihrer überaus einfachen
Häuslichkeit und nicht minder ihren Anschauungen. Wenn
fürstliche Luxusbauten wie das Schloß Salzdahlum, das Opern-
haus in Ludwigsburg, nur in Fachwerk ausgeführt wurden,
so ist es selbstverständlich, daß die Privathäuser der Bürger
noch weit bescheidener waren. Erst seit 1768 hört man z. B.
auf, die Dächer in Weimar mit Stroh zu decken. Wenn, wie
es in Halle 1730 geschah, alle Häuser der Stadt auf Befehl
224
17SS
Magasin des Modes
Straßenkleid
Die Mode, 18. Jalirh. 46
//. IV. Btmbury\ Morgen- Unter 'all im j
gelb angestrichen wurden, oder man in Jena zu diesem Zweck
die grüne Farbe vorzog, so mag der Anblick freilich nichts
Erhebendes gehabt haben, wie denn Nikolai einmal klagt, daß
man etwas Schönes im modernen reinen Stil nur in Hamburg
oder Plön finde, wo wenigstens die Galgen aus korinthischen
Säulen bestünden. In Florenz fand Keyßler in den Bürger-
häusern statt der Fensterscheiben Papier, und wenn selbst im
Schlosse zu Bayreuth die meisten Fenster zerbrochen waren, so
war es ja noch ein Vorzug, daß die Häuser in Nürnberg, Alt-
dorf, Regensburg, Ulm wenigstens Butzenscheiben aufwiesen !
Die Reinlichkeit der Straßen ließ für unsere Begriffe alles zu
wünschen übrig. Liselotte schrieb einmal: Nichts ist stinken-
der und sauischer als Paris, aber die Berichte über andere
Städte wie Berlin, Hamburg, Rom, IMadrid usw. lauten ebenso
ungünstig. Als König Karl HI. und sein Minister Esquilache
unternahmen, die Straßen von Madrid säubern zu wollen.
Die Mode, 18. Jatrb. 2. A.
22-
15
verfaßte die Korporation der Aerzte eine Denkschrift, in der
sie ausführte, die Luft von Madrid sei so gesund, daß es höchst
gefährlich sein würde, sie durch ReinHchkeit ändern zu wollen !
Mit der Beleuchtung stand es nicht besser. Berlin besaß
Vigee-Lebrun, Damenbildnis
Straßenbeleuchtung seit 1682, Wien seit 1687, langsam folgen
die übrigen deutschen Städte. 1702 Leipzig, 1705 Dresden,
1765 Braunschweig usw. Aber diese Beleuchtung ist cum grano
salis zu verstehen. In Berlin wie in München brannten die
Laternen im Sommer nie und auch im Winter nur, wenn nicht
Mondschein im Kalender stand. Stuttgart wurde nur beleuchtet,
226
wenn der Herzog anwesend war, Städte von der Bedeutung
wie Nürnberg, Augsburg, Ulm besaßen 1781 überhaupt noch
keine regelmäßige Straßenbeleuchtung! Auch die Beleuchtung
der Innenräume war bescheiden. Der englische Gesandte in
Vigee-Lebrun, Die Schauspielerin Mole-Raymoud
Berlin, Lord Malmesbury erzählt 1767, daß die Schloßzimmer
auch bei Hoffesten nur durch eine Kerze beleuchtet wurden,
die Königin und der Hof mußten im Finstern warten, bis der
König anstecken ließ. Selbst im Salon der Gräfin Dubarry in
\'ersailles trug der Lüster nur 6 Kerzen. Ebenso langsam
beginnt man die Straßen ordentlich zu pflastern. In Potsdam
227
IS*
nötigte der Schmutz alle, die sich in Gesellschaft begaben und
nicht eigene Equipage besaßen, auf Stelzen zu gehen. In Wien
fiel es Nikolai sehr auf, daß bei Staub die Straßen täglich zwei-
mal gesprengt wurden. Oeffentliche Promenaden erhielten Ber-
lin erst durch Friedrich den Großen im Tiergarten, Wien durch
Joseph II. im Prater und im Augarten. So unansehnlich wie
die Häuser von außen, so unbequem waren sie im Innern.
Man denke nur an die Beschreibung, die Goethe von seinem
Vaterhaus macht und an die Szene, die er mit dem alten Rat
hat, als er ihm die praktische Einrichtung der Leipziger Wohn-
häuser rühmt. Nürnberg fand Nikolai 150 Jahre zurück in
allem, was die Einrichtung der Zimmer und die Ausnutzung
des Raumes beträfe, nur Wien fand Gnade vor seinen Augen.
Die Einrichtung der Läden war höchst primitiv. Das Brett,
welches nachts das Fenster verschloß, wurde am Tage als Tisch
herausgeklappt, so daß der Käufer auf der Straße blieb. So
wird es uns beschrieben und so zeigen es die Bilder. Als der
Franzose Gonord, ein Silhouettenkünstler, in Wien 1782 einen
Laden eröffnete, erregte es Erstaunen und Mißbilligung, daß
er abends sogar sein Fenster beleuchtete. Fachwerkhäuser,
Schindel- und Strohdächer machen Brände zur größten Gefahr.
Nur sehr allmählich wird, vielfach zwangsweise, die Feuerver-
sicherung eingeführt, welche großem Widerstand begegnet,
denn, sagen in Württemberg die Prälaten : Womit soll denn
Gott strafen, wenn alles versichert ist?
Rnsen Dem Zustaud der städtischen entsprach jener der Land-
straßen. Oesterreich hatte die besten, Süddeutschland gute,
die schlechtesten Preußen, das erst seit 1787 Chausseen erhält.
Friedrich IL hatte eine Abneigung gegen den Bau von Chaus-
seen gehabt, »damit die fremden Fuhrleute auf den schlechten
Wegen desto länger liegen bleiben und mithin mehr ver-
zehren müssen«. Man rechnete damals in Süddeutschland
etwa 15 bis 18 Meilen täglich zurücklegen zu können, während
das in Norddeutschland unmöglich war. Die Markgräfin Wil-
helmine fährt von Hof bis Schleiz neun Stunden, Casanova
von Magdeburg nach Berlin drei Tage. Im Auslande war es
nicht besser. Winckelmann braucht im Trentino einen ganzen
Tag, um zwei Meilen zurückzulegen, 1758 von Rom nach Neapel
fünf Tage. Dabei sind Wagen und Wege so, daß man weder
sitzen, noch stehen, noch liegen kann. Die Schnellpost, welche
228
Romney, Lady Hamilton am Spinwad
Die Mode. 18. Jahrh. 47
Vigie-Lebrun, Harfenspielerin
229
Casanova in fünf Tagen von Lyon nach Paris bringen soll,
ist ein ovaler Kasten, der schwankt wie ein Schiff im Sturm
und den Unglücklichen sofort mit Vehemenz, seekrank macht.
So reiste denn auch nur, wer absolut mußte. Kant z. B. ist
sein lebelang nie über den Umkreis von Königsberg hinaus-
gekommen. Bei
den schlechten
Wegen sind Un-
fälle etwas Selbst-
verständliches.
Winckelmanns
Freund Berg aus
Livland hatte 1767
auf derReise durch
Frankreich bei
Avignon einenUn-
fall, dessen Folgen
ihn zwingen, 6 Wo-
chen das Zimmer
zu hüten. Der
Fürstin Liechten-
stein bricht der
Wagen zweimal
zwischen Mün-
chen und Ansbach.
Die Dichterin Si-
donia Hedwig
Zäunemann er-
trinkt auf der
Reise von Erfurt nach Ilmenau in einem angeschwollenen
Fluß. Wer damals eine Reise tat, der konnte was erzählen!
Seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts hatte der Freiherr
V. Lilien Fahrposten eingeführt im Dienste der Taxisschen
Post. Die Meile kostete 26 Kreuzer, mit Extrapost i'/z Taler;
die preußischen Postwagen waren nur auf den Hauptlinien
bedeckt, sonst offen. Alle 20 Meilen wurde umgepackt. Die
Reisekosten berechnete Schlözer für eine Person auf einen
Dukaten für die laufende Meile. Wen nun die hohen Kosten
nicht abhielten, der scheute außer schlechten Straßen und
schlechtem Fuhrwerk vielleicht noch die eroben Postillione.
Reynolds^ Contemplation
230
Friedrich der Große erzählte de Catt eine köstliche Geschichte,
die einem seiner französischen Bekannten zwischen Potsdam
und Berlin passiert war. Monsieur Cogolin, dem der Wagen
in dem mahlenden Sand zu langsam vorwärts kommt, glaubt,
den Postillion durch Stockschläge aufmuntern zu sollen.
Ganz unversehens aber steigt dieser ab, setzt den Koffer des
Franzosen auf die Straße,
zieht diesen selbst aus
dem Wagen und verhaut
ihn nach besten Kräften,
dann läßt er ihn neben
seinem Gepäck stehen und
fährt davon, so daß der
Franzmann mit seinem
Koffer auf dem Rücken
zu Fuße nach Berlin
laufen muß, und auf
seine Beschwerde vom
König obendrein noch
ausgelacht wird. Dit
große Unsicherheit der
Straßen war wohl ein
Hauptgrund, der das
Reisen zum bloßen Ver-
gnügen nicht gerade rät-
lich machte. Das i8. Jahr-
hundert war das der
großen Straßenräuber und R^y^oids, Lady Caroline Price
Mordbrenner, die gleich
in ganzen Banden die Gegenden unsicher machten, und mit
offener Gewalt plünderten und raubten. Italien, Frankreich,
Deutschland, England gaben sich darin nichts nach. Sie
haben um ihre Lips Tullian und Nickel List, um Mandrin
und Cartouche, Rinaldo Rinaldini, Highwaymen usw. auch
den gleichen Nimbus der Romantik gewoben. In London
ging niemand ohne Waffen aus, denn am hellen Tage über-
fielen die Gauner in den belebtesten Straßen der Stadt die
Wagen, schnitten die Riemen durch, in denen die Kutschkästen
hingen und nahmen den Insassen alle Wertsachen ab. Die
Unternehmer des Vergnügungsetablissements in Vauxhall,
231
nS6
Älagasin des Modes
nss
das vor dem Tore lag, gaben bekannt, daß der Weg bis
Westminsterbridge abends beleuchtet und gegen Straßenräuber
bewacht werde.
R.iniichktii Wer sich vom Standpunkte heutiger Verwöhnung aus über
die schlechten Straßen jener Zeit und zumal über ihren un-
glaublichen Schmutz wundern wollte, der darf nicht vergessen,
daß ein Geschlecht, welches in seinen Wohnungen und an
sich selbst den Begriff der Reinlichkeit überhaupt nicht kannte,
darin eben gar nicht anspruchsvoll war. Die Galerie vor den
Zimmern der Prinzessin Wilhelmine im Berliner Schloß be-
nutzten die Wachen als Abort, denn besondere Einrichtungen
dafür waren damals noch lange nicht allgemein. Ist doch
selbst im Schlosse zu Versailles der erste Heu d'aisance erst
unter Ludwig XVI. angelegt worden, und diente nur für den
König und die Königin. Henri de Gatt kann es im Kloster
Grüssau vor Unsauberkeit und schlechter Luft kaum aushalten,
so wenig wie Keyßler in der »Schweinerey« des Dogenpalastes
in Venedig. Liselotte findet in Saint Gloud vor Wanzen keinen
232
Bartolozzi nach Sir Joshua Reynolds, Jane Counless of Harrington mit Kindern
Die Mode. 18. Jatrh. 48
y}
Schlaf und sie tröstet sich nur mit dem Schicksal ihrer Tochter,
der Königin von Sizilien, der es in ihren Betten nicht besser
geht. Ebensowenig wie Klosetteinrichtungen gab es Bade-
zimmer. Die eine Badewanne in Versailles war vermauert
worden und wurde, als man sie zufällig auffand, als Schale
für einen Springbrunnen in den Park der Pompadour ver-
setzt. Ludwig XIV. hatte nur gebadet, wie St. Simon erzählt,
als er noch verliebt war. Dieser große Herrscher pflegte
sich beim Aufstehen mit einem in Parfüm getauchten Tuch
das Cesicht abzuwischen, ein Edelmann goß ihm ein paarTropfen
Rosen- und Orangenwasser über die Fingerspitzen und damit
war er fertig. Wenn in einer Anleitung zum guten Ton zum
Gebrauch für die höheren Stände noch 1782 vor dem Ge-
brauch des Wassers zum W^aschen gewarnt wird und dafür
Parfüm empfohlen wird, wenn man liest, daß es gut sei, sich
beinahe täglich die Hände
und fast ebenso oft das
Gesicht zu waschen, so
wundert man sich über
nichts mehr. Kaiserin Anna
von Rußland brauchte
niemals Wasser zu ihrer
Toilette, sondern rieb sich
mit Butter ab. Liselotte,
die ihre Tageseinteilung
einmal genau beschreibt,
bemerkt, daß sie sich nach
dem Aufstehen die Hände
wäscht, das ist alles, und
darum suchen wir in den
Prachträumen jener Zeit
den Waschtisch ganz ver-
geblich. Es gibt detail-
getreue Abbildungen der
WohnzimmerLudwigXIV.,
des Prinzen Eugen u. a.,
sie zeigen keine Spur von
einem Waschtisch. Die
Waschbecken, die uns aus
jener Zeit erhalten sind, Magasin des Modes, iy88
233
Watteau de Lille, tAiinable Colinette*. (Modekupfer)
Aus der Galerie des Modes, 178g
haben die Größe etwa von Fingerbowls, ■ wie wir uns ihrer
bei Tisch nach dem Obstessen bedienen. Nimmt man dazu,
daß diese Herrschaften, Herren wie Damen, alle schnupften
(Tabakdosen waren die beliebtesten Geschenke für Damen,
zur Ausstattung Marie Antoinettes gehörten 52 goldene
Dosen, der Prinz Conti hinterließ 800 Dosen, Graf Brühl
ebenso viele), so kann man sich vorstellen, wie sauber sie
ausgesehen und wie sie — gerochen haben. Liselotte sagt
vom Schnupftabak, daß er stinkend und allen Damen
schmutzige Nasen mache. Die schöne Aurora von Königs-
marck roch so übel, daß August der Starke ihr eine andere
vorzog; von der Frau Friedrichs des Großen sagte ihre
234
liebende Schwägerin : Sie stinkt entsetzlich. Der berühmte
Anton Magliabecchi wusch sich nie und war ebenso berüch-
tigt durch seine Unreinlichkeit wie der unsterbliche Leibniz.
Die Aversion Liselottens gegen das Baden — sie schreibt
einmal: »Baden wäre meine sache nicht, habe diese lust mein
lebe lang nicht begreifen können« — dauert das ganze Jahr-
hundert hindurch an. Goethe rechnet das Baden im fließen-
den Wasser unter die »damaligen Verrücktheiten« seiner Jugend
und als er und die Grafen Stolberg in Darmstadt, in der
Schweiz sich im Freien baden, da ziehen sie ihren Gastgebern
Merck und Lavater den größten Verdruß zu; die Rechtgläu-
bigkeit des Theologiestudenten Seume wird 1780 vom Kon-
sistorium in Leipzig in Zweifel gezogen, weil er sich zu oft
gebadet hätte! Es war etwas so Ungewöhnliches, sich die
Zähne zu putzen, daß Fürst Kaunitz eine Hauptaffäre daraus
machte, die er, unbekümmert um Ort und Gesellschaft, un-
mittelbar nach dem Essen, noch bei Tische sitzend, vornimmt.
In späteren Jahren wurde den französischen Prinzen die Zähne
einmal im Monat von einer eigens damit beauftragten Person
gereinigt. Daß der Jenenser Student Bartholomäus Fischenich
seine Nägel pflegte, erschien Charlotte von Schiller so lächer-
lich, daß sie über ihn schreibt: »F. putzt die Nägel fleißig.
Wir haben ausgedacht, er könne darauf reisen und wie ein
Zahnarzt seine Kunst ausbieten. Damen werden bald für
wichtig halten, schöne Nägel zu haben.« Sie ahnt also die
Manicure ! Diesen Anschauungen entsprachen die Manieren.
Noch Ludwig XIV. aß mit den Fingern und zu seiner Zeit Essen
tauchte beim Essen jeder mit seinem Löffel in alle Schüsseln.
Zum Vorlegen bedienten sich die Damen ihrer zehn Finger.
Gabeln sowie der Gebrauch besonderer Löffel zum Vorlegen
kommen erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts im allgemeinen
Gebrauch. In Hamburg erhielt man schon in den achtziger
Jahren »auf englische Art« zu jedem Gericht reine Messer
und Gabeln, in Wien noch nicht, da empfing jeder Gast eine
silberne dreizinkige und eine stählerne zweizinkige Gabel, um
sich ihrer zum Nehmen und Essen zu bedienen, dagegen stän-
dig reine Löffel. In Wien erhielt man auch zum Dessert eine
reine Serviette, die man aber nicht brauchen durfte. Das
Essen war überhaupt in dieser Zeit eine wichtige Angelegen-
heit. Man aß unendlich viel mehr als heute, wenn auch der
235
berühmte Josef Kohlnicker aus Passau, der auf einen Sitz
zwei gebratene Kälber verzehrte, 12 Maß Wein dazu trank
und in den Pausen Filzhüte knusperte, ein ausnahmsweiser
Vielfraß gewesen sein dürfte ! Man servierte die Mahlzeiten
in Trachten, so daß immer mehrere Gerichte auf einmal auf
dem Tische standen. Der erste Gang bestand etwa, wie es
Keyßler aus Genf beschreibt, nur aus gekochten Speisen, der
zweite nur aus gebratenen, der dritte nur aus gebackenen,
der vierte brachte endlich das Dessert. Ein Diner des 18. Jahr-
hunderts würde im 20. mindestens für zehn ausreichen. Darum
verbrachte man auch viel Zeit bei Tische. In den Villeggia-
turen der vornehmen Venezianer herrschte eine Zeitlang die
Sitte, eine Mahlzeit in drei verschiedenen Sälen einzunehmen,
in einem Suppe und Fleisch, im zweiten Braten, im dritten
die Süßigkeiten. Kaffee und Liköre wieder in eigenen Kios-
ken. In Magdeburg dauerte ein Diner, wie Frau v. Voß
schreibt, einen halben Tag, ein Fastenessen in Wien immerhin
fünf Stunden. Die gewöhnliche Tafel des Wiener Bürgers
war mittags mit zehn bis zwölf Speisen besetzt, bei festlichen
Schmausen gab es 24 Schüsseln. Da erschien den Wienern
das Menü, welches die Zöglinge der orientalischen Akademie
erhielten, natürlich sehr mäßig, die armen Hascherin kriegten
ja auch mittags nur fünf und abends gar nur drei Gänge !
Im Gegensatz dazu begnügten sich die »Hungerpreußen« mit
zwei Schüsseln, wofür sie von den Phäaken des Südens auch
gründlich verachtet wurden. Am Hofe Friedrich Wilhelms I.
mußte man nach dem Bericht seiner Tochter von dem
Geruch satt werden und am kurbayerischen Hof scheint es
nicht immer viel besser gewesen zu sein, wenigstens schreibt
Graf Lynar 1762 aus Nymphenburg, man bekomme wenig
zu essen und alles sei kalt. Casanova bewirtet die Hof-
gesellschaft des Kurfürsten von Köln in Brühl mit einem
Dejeuner von 24 Schüsseln, ungerechnet die Austern und
das Dessert und er verzehrt ein andermal in Mailand mit
sieben anderen 30D Austern und 20 Flaschen Sekt. Dem
Thermometermacher Reaumur verdankte man es. Gefrorenes
herstellen zu können, eine kulinarische Kunst, die auch als-
bald eifrig ausgeübt wurde. Frau Rat allerdings goß noch
das Eis, das der Königsleutnant ihren Kindern schickte, fort,
denn das könne unmöglich gesund sein. Ein ganz beson-
236
yn^fi^ssf
L'^iäs-Philibert Debucotirt, La rose mal de/endue
derer Feinschmecker war jedenfalls der Graf Manderscheidt-
Blankenheim, Bischof von Wiener-Neustadt, der, um seine
Hechte ja recht schmackhaft zu bekommen, sie — mit
Forellen füttern ließ. Eine größere Rolle als das Essen
spielte, wenigstens im Anfang des Jahrhunderts, das Trinken,
237
zumal in Deutschland. Lord Chesterfield schreibt, daß man
an den Höfen der geistlichen Kurfürsten in Trier und Mainz
gesoflfen habe wie die Vandalen, Baron Pöllnitz wird in
Würzburg acht Tage lang gar nicht nüchtern, der Mark-
graf von Bayreuth betrinkt sich täglich nur dreimal. König
Friedrich Wilhelm I. und August der Starke gründen mit-
einander die Societe des Antisobres. Als Keyßler 1730 in
Florenz weilt, erzählt man ihm, daß der Großherzog — der
letzte Medici — seit einem halben Jahr nicht mehr nüchtern
geworden sei. Liselotte, die mit ihrer gewohnten Offenher-
zigkeit 1699 schreibt: »das sauffen ist gemein bei die weiber«,
erzählt 1722 die Geschichte vom kaiserlichen Gesandten Grafen
Sintzendorff, der sich in Rheims an Champagner so sternvoll
getrunken, daß er »zweimal 24 Stundt wie eine bestia ist liegen
geblieben«. Sogar am Hof des Kronprinzen Friedrich in Rheins-
berg betrinkt sich die Gesellschaft nach dem Bericht Baron
Bielefelds derart, daß sie im Suff alles Geschirr kurz und klein
schlägt, genau wie in Nymphenburg, wo bei der Einweihung
der Magdalenen-Kapelle im Rausch des Finale für 200 Taler
Gläser zerbrochen wurden. Die Gläser standen bei Mahlzeiten
nicht auf dem Tisch. Man mußte sie sich zum Trinken fordern,
außer bei den parties fines, wo keine Diener zugegen waren.
Unser heutiger Gebrauch stammt erst seit der Revolution.
So waren denn die Gäste in Wien z. B. gewohnt, bei ihrem
Couvert eine Liste der Weine zu finden, die sie verlangen
konnten. Darin suchte ein Gastgeber den anderen zu über-
treffen. Bis zu 18 verschiedene Sorten wurden angeboten,
eine Unsitte, die der französische Gesandte de Bussy dadurch
persiflierte, daß er einmal eine »Liste von Weinen, die ich
nicht habe«, auflegte. Wenn Trinken und Betrinken nicht
nur an den Höfen allgemeine Sitte war, sondern es auch in
Bürgerkreisen zum guten Ton gehörte, sich zu berauscli^n,
wie Winckelmann mit gutem Humor von seinen Räuschen
berichtet, wenn man in Nürnberg z. B. fremde Gäste nicht
im eigenen Hause bewirtet, sondern sie ins Wirtshaus führt,
und ihnen einen Rausch anhängt, so erlaubt das einen Rück-
schluß auf die Manieren, die im übrigen den Verkehr be-
stimmten. Die Prinzessin Wilhelmine, die vom Hofe ihres
königlichen Vaters her an Zoten, Zweideutigkeiten, und Stock-
prügel gewöhnt war, ist doch noch überrascht durch die un-
238
anständige Unterhaltung, die der Erbprinz von Hessen-Darm-
stadt mit seiner Schwester führt und chokiert durch die freien
Manieren der Herzogin von Württemberg. Liselotte, die an
einem Hofe lebte, der in der Welt als das Musterbild des
feinsten Tons galt, schreibt 1702: Am Hof weiß niemand,
was Politesse ist als der König und der Dauphin, die gelten
am artigsten, so am plumpsten sind und wenn sie ein anderes
Mal den Lieblingswitz des großen Dauphins erzählt, der darin
bestand, den Damen, die im Begriffe waren, sich zu setzen,
die Hand mit aufgerichtetem Daumen unterzuhalten, so darf
man ihr wohl recht geben, daß das plumpe Spaße waren.
Friedrich August IL von Sachsen-Polen hielt sich noch Hof-
narren, deren Roheiten sein größtes Vergnügen bildeten. Der
allgemein im 18. Jahrhundert noch herrschende Ton würde
uns wohl heute sehr befremden. Auf der einen Seite im Ver-
kehr mit Hochstehenden eine Etikette, die bei der Aufwar-
tung vor Kaiser und Kaiserin die spanische Reverenz ver-
langt, d. h. ein Niederfallen auf beide Knie, auf der anderen
Seite eine Rücksichtslosigkeit gegen Gleichberechtigte oder
Niederstehende, die erstaunt. In studentischen Kreisen galt
die gröbste Roheit und Unflätigkeit für Witz, Lauckhard ist
ein klassischer Zeuge dafür. Im Siegwart kommt es vor, daß
Herren sich in Dämengesellschaft ohrfeigen, daß der Puder
stäubt. Militär und Kaufleute waren, wie Dorothea Schlegel-
Veith berichtet, nicht weniger roh, besonders in Berlin, und
als das Geniewesen Mode war, da durchbrachen die Stürmer
und Dränger absichtlich wieder die Schranken, di.e der gute
Ton aufzurichten begonnen hatte. Charlotte v. Stein schreibt
an Zimmermann, daß der Herzog Karl August selbst so sehr
Kraftbursche geworden sei, daß er finde, Leute mit Anstand
und feinen Manieren könnten unmöglich ehrliche Männer sein.
Die bequemen Manieren dringen auch in die Damenwelt, so-
gar an den Hof. Die Gräfin Voß beschwert sich bitter dar-
über, daß die Damen sich begnügen, als Gruß mit dem Kopf
zu nicken, anstatt sich mit den Knien ehrbar und feierlich
herabzusenken und langsam und stattlich wieder zu erheben.
Erst das häufige Zusammenkommen der Geschlechter ver-
feinerte die Sitten. Auch dafür gab Frankreich das Vorbild.
Die schöngeistigen Pariser Salons, die berühmt gewordenen
Bureaux d'esprit der Damen Tencin, Geoffrin, Lespinasse,
240
du Deffand u. a., die in ihren geselligen Zusammenkünften
die geistreichsten Männer mit den schönsten Frauen zusam-
menführten, gaben den Ton einer verfeinerten Gesellschaft,
die in ganz Europa bewundert und nachgeahmt wurde. Die
Frau der bürgerlichen Kreise lebt im i8. Jahrhundert sehr
abgeschlossen; eine Geselligkeit außer dem Hause existierte
eigentlich nur für Männer. Mit Ausnahme der seltenen großen
Familienschmäuse war die Frau so ziemlich auf das Kaffee-
kränzchen beschränkt, dessen Auftauchen wir an der Hand
der Spottbilder bis in das erste Drittel des Jahrhunderts ver-
folgen können. In Nürnberg wurden zu Damengesellschaften
nicht einmal die einheimischen Herren zugelassen. Die Männer
gingen ins Wirtshaus und begannen sich in Klubs nach eng-
lischem Muster zusammenzuschließen. J749 erhält Berlin seinen
Montagsklub, vorwiegend literarischen Charakters, dem u. a.
Lessing, Nikolai, Ramler angehört haben. 1752 gründet der
Assessor v. Wülben in Hannover einen Klub mit geselligem
Endzweck. Aus Italien und Frankreich werden Kaffeehäuser
und Konditoreien bei uns eingeführt, deren Wirte denn auch
lange Zeit Ausländer waren. In München Tambosi, in Berlin
Josty, d'Heureuse, Spargnapani, in Weimar Ortelli, Predari,
Horny, in Kassel Beneze usw.
Mehr Vergnügen verschafften sich die Höfe und Adelskreise, Verpuiguvofn
deren raison d'etre wie heute einzig in der Zerstreuung be-
stand. Kaiserin Katharina II. schildert in ihren Erinnerungen
die Maskenbälle, die ihre Vorgängerin auf dem Throne zu
veranstalten liebte, alle Herren mußten als Damen, alle Damen
als Herren gekleidet erscheinen. Graf Lehndorff erzählt von
derartigen Soupers beim Prinzen von Preußen und fügt hinzu,
besonders spaßhaft habe der Bischof von Breslau, Graf Schaff-
gotsch, als Dame ausgesehen. Während des Siebenjährigen
Krieges residierte der preußische Hof in Magdeburg, aber
auch während der trübsten Zeiten desselben verzeichnet das
Tagebuch der Frau v. Voß nichts als Schlittenfahrten, Schäfer-
spiele, Cafes coiffes und andere Amüsements. Prinzessin
Amalie veranstaltet einmal ein Fest, zu dem alle Herren sich
als Damen, alle Damen sich als Herren verkleiden müssen.
In Wien waren, solange ein Türkenkrieg dauerte, Masken-
bälle überhaupt nicht erlaubt, während die großen Schlitten-
fahrten, das Hauptvergnügen der vornehmen Wiener Gesell-
Die Mode. 18. Jahrfe. 2. A. 24I 16
Schaft, nicht auszusetzen brauchten. Eine solche Schlitten-
fahrt, zu der der Schnee oft erst in die Stadt gebracht werden
mußte, kostete den teilnehmenden Herren 500 Louisdors und
mehr. Die Schlittenequipage eines Grafen veranschlagte Nikolai
auf 30000 bis 70000 Gulden. Zur Zeit, als Lady Montague
sich in Wien aufhielt, veranstaltete man »Merenden«, Abend-
gesellschaften, bei denen um 2 Uhr nachts das Souper serviert
wurde, und um 3 Uhr der Ball begann. Ein Hauptvergnügen
der Höfe waren die »Wirtschaften«, Feste, bei denen die An-
wesenden sich als Bauern maskierten und für den Abend die
Etikette beiseite legten. In einem Brief vom 13. Juli 1700
beschreibt Leibniz der Kurfürstin Sophie eine Wirtschaft,
die der preußische Hof in Charlottenburg als Jahrmarkt ge-
spielt hat. Von dem Ton kann man sich einen Begriff machen,
wenn man hört, daß die Prinzessin Wilhelmine in Bayreuth
eine Wirtschaft veranstaltet, bei der sich die Gesellschaft im
»Wirtshaus zur guten Frau ohne Kopf« versammelt. Auch
an dem feierlichen Wiener Hofe waren die Wirtschaften ein
Hauptvergnügen. Man rechnete, daß eine solche jedem der
Teilnehmer für sich und seine Dame auf 3000 Gulden zu
stehen käme. Als Kaiser Joseph II. 1777 auf dem Wege nach
Paris durch Stuttgart kam, hatte er die Einladung des Her-
zogs, bei ihm abzusteigen, abgelehnt und verlangt, im Gast-
haus zu wohnen. Da ließ der Herzog an dem Residenzschloß
ein großes Schild anbringen: Wirtshaus zum römischen Kaiser,
verkleidete sich als Wirt, den Hof als Dienstpersonal und
zwang den überraschten Monarchen auf diese Weise, doch
seine Gastfreundschaft anzunehmen. Der Hof der Herzöge
von Württemberg gehörte im 18. Jahrhundert überhaupt zu
den brillantesten in Europa. Man konnte sich im Karneval
nirgends besser unterhalten, als in Stuttgart. Alle Dienstag
und Freitag um 5 Uhr war Oper, alle Montag und Donners-
Buiie tag abends von 8 bis 2 Uhr Redoute. Der Besuch derselben,
auf denen es sehr frei zuzugehen pflegte, war den Beamten
mit Frau und Töchtern befohlen, wer nicht hinging, dem
wurde zur Strafe ein Vierteljahrsgehalt abgezogen. In Augs-
burg fanden im Januar und Februar in den Drei Mohren
Maskenbälle statt, die um so besuchter waren, als die übrigen
Reichsstädte Nürnberg, Ulm, Biberach, Nördlingen, Hall u. a.
solche Vergnügungen nicht kannten. Wie ein preußischer
242
Werbeoffizier, der lange in Süddeutschland in Garnison stand,
1785 berichtet, war die Lebensart dieser Reichsstädte sehr ein-
förmig. N-ur mit Heilbronn und seinen modernen Einwohnern
macht er eine Ausnahme. Zu den Zeiten Lady Montagues
hatte das En-
tree zu den
öffentlichen
Bällen in Wien
der Dame
nichts und dem
Herrn einen
Dukaten ge-
kostet. 70 Jahre
später kostete
das Entree zu
den Redouten,
die im Fasching
dreimal wö-
chentlich in der
Hofburg statt-
fanden, nur
noch zwei Gul-
den. Oeffent-
liche Bälle wa-
ren eine Not-
wendigkeit zu
einer Zeit, in
der turmhohe
Schranken den
Adel vom Bür-
gerstand schie-
den. Als der
Adel in Dessau
einen Ball gab,
lud er aus dem Philanthropin natürlich nur die adeligen Schüler
ein. Da diese aber ohne Begleitung eines Lehrers nicht aus-
gehen durften, ein bürgerlicher Schulmeister aber ganz un-
möglich auf einen Ball Adeliger zugelassen werden konnte,
so mußte für den Abend ein italienischer Edelmann engagiert
werden, um die Knaben zu begleiten. Nur auf öffentlichen
243
16*
Bällen, gar auf Redouten, konnten Adelige und Bürgerliche
miteinander tanzen. Viel bewunderte Vergnügungsetablisse-
ments, deren Einrichtungen überall nachgeahmt wurden, waren
in London Ranelagh und Vauxhall gardens. Sie konkurrierten
so erfolgreich mit den Subskriptionsbällen der Therese Cor-
nelys, der Freundin Casanovas, daß diese berühmte Vergnü-
gungskünstlerin 1797 im Schuldgefängnis in Fleetstreet starb,
nachdem ihr Millionen von Pfund Sterling durch die Hände
gegangen waren. Zu ihren Bällen hatte man nie weniger als
zwölf Billetts nehmen können, welche neun Pftmd kosteten
und dabei belief sich die Zahl ihrer Subskribenten auf ca. 3000.
Man tanzte unter hundert verschiedenen Namen, was man
heute Kontertänze nennt: Pavanen, Couranten, Quadrillen,
Menuetts, seit dem Siebenjährigen Kriege bürgert sich in der
vornehmen Gesellschaft Frankreichs die Allemande ein, jener
überaus graziöse Tanz, den das berühmte Blatt Saint Aubin's
»Le bal pare« darstellt, und für den Johann Sebastian Bach
so viele seiner Kompositionen geschrieben hat. Bei dem jün-
geren Geschlecht werden diese Tänze, die so viel Geschick,
so viel Grazie und Anmut verlangen, seit der Mitte des Jahr-
hunderts durch den Walzer verdrängt, der sich binnen kür-
zester Zeit zum Alleinherrscher der Ballsäle aufschwingt. Er
ist in den sechziger Jahren schon so verbreitet, daß Goethe
in Straßburg das Walzen lernen muß, um in Gesellschaft mit-
tun zu können.
Das Spitl Alles, was das 18. Jahrhundert an Zerstreuungen kannte, wird
aber in Schatten gestellt durch das Spiel. Eine wahre Spiel-
wut scheint die Zeit ergriffen zu haben. Hoch und nieder,
arm und reich, Höfe, Adel, Bürger und kleine Leute, alle
huldigen dem Glücksspiel, keine Gesellschaft ohne Kartenspiel,
kein Zirkel ohne Falschspieler. Niemand tanzt mehr, beklagt
sich Liselotte, alles spielt und 70 Jahre später findet Goethe,
daß sein Vater ihm einen großen Schaden zugefügt habe, indem
er ihn vom Spiel abgehalten und fügt hinzu, das Spiel sei jungen
Leuten doch sehr zu empfehlen, denn eine Gesellschaft ohne
Kartenspiel ließe sich ja gar nicht denken, Grundsätze, denen
auch Lesing, der eine Jeuratte war wie nur eine, nur zu eifrig
huldigte. Vermögen, Ehre, guter Ruf, Anstand und Sitte werden
in die Schanze geschlagen, um dem Spiel zu fröhnen. Die
Gräfin Sintzendorff verspielt 20000 Gulden in einem Winter,
1
244
Debucourt, La Noce au chäteau, 178g
die Fürstin Auersperg verliert ihre ganze Mitgift, 12000 Dukaten,
an einem Abend. Der Abt vom Heiligen Kreuz in Donau-
wörth spielte so leidenschaftlich, daß das Kloster eine Besitzung
nach der anderen verkaufen muß. Die Frau des Malers J. B.
Tiepolo verspielte, während ihr Mann verreist war, alle Skizzen
-ihres Mannes, sogar ihr Landhaus mit allen seinen Fresken.
Der Herzog und die Herzogin von Glocester, die sich 1783
in Ansbach aufgehalten haben, verlassen es nach ^ji Jahren
mit Hinterlassung von 150000 Gulden Spielschulden. Ein Graf
Schwerin verspielt sein ganzes Vermögen und abenteuert dann
mit dem blutbefleckten Sterbehemd und Ordensband seines
vor Prag gefallenen Onkels, die er für Geld sehen läßt oder
versetzt, solange in der Welt umher, bis ihn der König auf-
greifen und in Spandau internieren läßt, wo er mit dem Abschaum
der Festungsgefangenen weiterspielt. In Regensburg wird eine
Dame am Spieltisch von der Geburt überrascht und wenn
245
Keyßler von zwei Damen erzählt, welche 24 Stunden hinter-
einander fortspielten, so übertrifft sie Casanova, der in Sulzbach
eine Partie mit dem Chevalier d'Entragues ununterbrochen
42 Stunden hindurch fortsetzte. Nikolai schätzte das Karten-
geld, welches die Bedienten erhielten, für Berlin allein auf
etwa 30000 Taler im Jahr und dieser allgemeinen Spielwut
huldigt selbst die Geistlichkeit. Die Oratorianer in Genua
ließen ihre Gäste auf der Vigna des Klosters spielen, aber
nicht um Geld, sondern um Paternoster und Ave Maria, die
der Verlierende, ehe er sich in die Stadt zurückbegab, vor
einem Kruzifix abbeten mußte. In Venedig errichtete der Rat
den Ridotto, ein Gebäude, welches ausschließlich dem Glücks-
spiel gewidmet war, wo an 60 bis 80 Tischen gespielt wurde,
wo aber das Bankhalten nur den Patriziern erlaubt war, die
dazu Amtstracht und die große Wolkenperücke anlegen mußten.
1709 sprengte König Friedrich von Dänemark im Ridotto die
Bank. Der Schelm Casanova, auf dessen unterhaltende Me-
moiren man immer wieder zurückkommen muß, wenn man
sich mit der Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts beschäftigt,
bekennt ja oft genug, wie gewinnbringend das Bankhalten war.
Er selbst und ein ganzes Heer von Abenteurern seiner Gattung
bestritten ihren gan&en Lebensunterhalt durch das Spiel und
sind beständig auf Reisen, um die Gesellschaft ztl' schröpfen ;
denn gespielt wird immer und überall und von jedermann.
Bei dieser allseitigen Neigung zum Spiel begreift man erst
das Staunen, mit dem der Marquis von Chastellux 1782 von
seinem Besuch beim General Nelson in Amerika berichtet,
wo in einem Aufenthalt von mehreren Tagen nie gespielt
worden sei. Um von dieser Disposition der Menschheit zu
profitieren, führten damals fast alle Regierungen die Geld-
lotterien ein oder das Zahlenlotto, welches Italiener mit Be-
willigung der hohen Obrigkeiten nach Oesterreich, Preußen,
Württemberg, Bayern, Hessen-Kassel usw. brachten. Den Ge-
winn am Wiener Lotto veranschlagte Schlözer für das Jahrzehnt
Die Jagd von 1759 bis 1769 auf 21 Millionen Gulden. Nächst dem Spiel
war der vornehmste Zeitvertreib hoher Herren wie im 17. Jahr-
hundert die Jagd, die so manche Existenz auf dem Thron,
besonders die der spanischen und französischen Bourbons ganz
ausgefüllt hat. Wer das Tagebuch liest, welches Ludwig XVI.
führte, das über die Tage, welche die wichtigsten und folgen-
246
schwersten seiner Regierung werden sollten, nichts zu bemerken
weiß, als die Anzahl der Tiere, die der Monarch erlegte, wird
sich über die Rolle, die der imbecille König gespielt hat, nicht
mehr wundern. Das Vorrecht der Jagd wurde mit der größten
Unbarmherzigkeit und der grausamsten Härte ausgeübt, die
Joseph Boze^ Mirabeau
Untertanen, welche in so vielen Staaten nicht einmal das Recht
besaßen, ihre Fluren gegen das Wild zu schützen, wurden dann
noch gezwungen, das erlegte Wildbret zu kaufen und teuer
zu bezahlen. Ein Wilddieb soll nach den Lehren des Geh. Rat
von Ickstadt zwar nicht das erstemal, wohl- aber im Wieder-
betretungsfalle mit dem Tode bestraft werden. Man bezahlte
Schußgelder für erlegte Wilddiebe. Im kaiserlichen Hofhalt,
247
der jährlich mehr als 3 Millionen kostete, verschlang die Jagd
nicht den geringsten Teil. Jedesmal, das der Kaiser auf Jagd
ging, kostete, wenn er über Mittag ausblieb, 30CO Gulden und
brauchte er bei weiten Entfernungen Postpferde, noch 1000
Taler mehr. Es gab leidenschaftliche Jagdfreunde, wie den
Grafen Christian Ernst Pappenheim, welcher Jäger blieb auch
nach seiner Erblindung, ein Umstand, der heute nicht mehr
befremdet, wo auf den großen höfischen Treibjagden auch
ein Stockblinder Massen von Wild zur Strecke bringen kann.
Die Jagd, die wie eine furchtbare Last auf die Untertanen
drückte, war es auch, welche die meiste Erbitterung erregte
und die ersten Symptome der Unbotmäßigkeit zeitigte. Als
1789 Graf Wilczek in gewohnter Weise seinen Bauern das Jagen
ansagen läßt, d. h. ihnen bedeutet, daß sie wieder einmal für
einige Wochen ihre Arbeiten liegen zu lassen haben, um Treiber
zu machen, da erscheinen nur sechs von ihnen, aber nicht
als Treiber, sondern um mitzujagen. Es gab auch unter den
Damen leidenschaftliche Freundinnen dieses rohen Vergnü-
gens. Liselottens drollige Jagdabenteuer mag man sich von
ihr selbst erzählen lassen. In Deutschland war die Kurfür-
stin Amalie von Bayern eine eifrige Jägerin, welche zu diesem
Sport grüne Manneskleider mit kleiner weißer Perücke an-
legte, während Fräulein v. Pannewitz für diesem Zweck ein
Kostüm von rotem Samniet mit dreieckigem Hütchen besaß.
Die »große Landgräfin« Karoline von Hessen hat sich in der
Jagduniform ihres Schwiegervaters: rot mit goldener Litze,
schwarzer Krawatte und Dreispitz malen lassen.
ixii Theaier Bcvor wir einen flüchtigen Blick auf das Theater jener Zeit
werfen, müssen wir uns klar machen, daß die abstrusen Ideen,
die mit dem Theater den Begriff von Bildungsanstalt verbinden,
Ideen, die man im 20. Jahrhundert endlich wieder über Bord
geworfen hat, dem 18. Jahrhundert fremd waren und erst im
Laufe desselben mit dem Erstarken des Bürgertums erwachen.
Das Theater war damals — Gurlitt hat das so sehr hübsch
ausgeführt — eine Schaubühne, bei der nicht die Handlung
die Hauptsache war, sondern die pompöse Dekoration und
Comparserie. Das Auge sollte in erster Linie unterhalten wer-
den, das Ohr kam erst an zweiter Stelle. So war die große Oper
ein Schauplatz der Prachtentfaltung fürstlicher Höfe. Vier
Generationen der berühmten Künstlerfamilie der Bibbiena haben
248
Älorland, The squires door, 1790
Die Mode. 18 Jahrh. 50
Diiponl nach Gainsborough^ Königin Charlotte von England, ijqo
249
dieser Kunst der Illusion ihre Talente geliehen, die verschwen-
derischsten Fürsten der Zeit, August der Starke, Karl Eugen
von Württemberg, den ganzen Luxus ihrer Hoihaltungen in
ihren Dienst gestellt. In Wien kostete die Inszenierung jeder
neuen Oper 60000 Gulden, in Dresden kamen einzelne Ballette
auf 36000 Taler, in Stuttgart erhielt der Tänzer Vestris für
sich allein für sechs Monate 12000 Gulden, Zahlen, die man,
um den heutigen Geldwert zu erhalten, mit 3 multiplizieren
muß. Das war die alte italienische Oper mit ihrem sinnlosen
Text, bei der es auf Sinn und Verstand gar nicht ankam, aber
auf dankbare Arien für die großen Sterne. Jahrzehntelang
dichtete damals Metastasio in Wien die Libretti, welche jeder
Hofkomponist Salieri, Graun, Hasse u. a. dann nach eigenem
Gefallen komponierte. Die Ausführenden waren meist italie-
nische Castraten, die sich an manchen Bühnen bis in den An-
fang des 19. Jahrhunderts behauptet haben. Diese Unglück-
lichen bezogen solche Gehalte, daß in Italien damals mancher
Vater seinen Sohn verstümmeln ließ, damit er einmal die Stütze
seiner Familie werden könne. Einer der berühmtesten von ihnen
war wohl Farinelli, außerordentlich durch seine Stimme, die 22>
ganze Töne beherrschte, ohne zu fistulieren, und seine Schick-
sale. Als er von 1734 bis 1736 in London sang, war die Gesell-
schaft im Delirium. Das Glaubensbekenntnis: es gibt nur einen
Gott, vermehrte man um den Zusatz: und nur einen Farinelli.
Dann ging er für ein Jahrgehalt von 50000 Francs nach Spa-
nien, um 26 Jahre lang im Dienste zweier geisteskranker Könige
zu stehen. Zehn Jahre lang sang er Abend für Abend die glei-
chen vier Arien, ohne je vor Fremden oder im Theater auf-
treten zu dürfen. ,
Der Zutritt in die Opernhäuser, deren Pforten auch in pro-
testantischen Ländern meist nur im Fasching geöffnet waren,
war umsonst. Der Hof, der sie unterhielt, nahm die besten
Plätze für sich. Die Herrschaften saßen vorn im Parkett,
die übrigen nach Rang und Würden. Der beste Platz war im
Proszenium auf der Bühne selbst und diese Gewohnheit, von
der Liselotte schreibt: die leutte stellen sich so haufenweis
auf das Theater, daß die Schauspieler keinen Platz haben,
existierte noch in Goethes Jugendzeit in Frankfurt. Da die
höfische Gunst sich ausschließlich der prachtvollen Oper zu-
wandte, blieb das Schauspiel dem Hanswurst oder schlimme-
250
ren Unterhaltungen wie den Tierhetzen. In Wien wohnte 1781
Nikolai einer \'orstellimg im Hetztheater bei, in der ein fettes
Schwein von zwei Wölfen lebendig gefressen wurde. Katho-
lische Gegenden kannten noch eine Art moralischer Theater,
wie Jesuitenkomödien, welche biblische und profane Vorwürfe,
wie etwa die Geschichte von Abraham und Isaak mit Perseus
und Andromeda auf
das wunderlichste
durcheinander misch-
ten, oder gar wie die
regulierten Chorher-
ren in Wengen 1783
das Lustspiel von
Engel »Der Edel-
knabe« mit Hinzu-
fügung von Isaak und
Ismael in ein Sing-
spiel verrührten.
Einen Platz für sich
beanspruchten die
Autos sacramentales,
wie sie der sächsische
Gesandte v. Gleichen
in Spanien sah. Man
sah da etwa einen
Jahrmarkt, auf dem
Christus und die hei-
lige Jungfrau Buden
halten, während der
Teufel und die sieben Todsünden Konkurrenzgeschäfte auf-
gemacht haben. Die armen Seelen kommen in Haufen und
wenden ihre Kundschaft natürlich den letzteren zu. Unser
Herr und seine göttliche Mutter teilen sich ihren Verdruß
über den schlechten Geschäftsgang in einem pas de deux
mit, worauf sie sich kurz entschließen, und die Konkurrenz
mit Peitschen vertreiben. Bei der Darstellung der Verkündi-
gung sah man Maria beim Kohlentopf sitzen und den als
Stutzer gekleideten Engel Gabriel zur Schokolade einladen.
Er muß leider danken, da er schon bei Gottvater eingeladen
sei. Nach vielen gegenseitigen Komplimenten tritt der Heilige
Anton Graff, Schiller
251
Geist ein und tanzt mit Maria einen Fandango. In dem Auto
von der Entstehung des Christusordehs erfährt man, daß
der Heiland sich darum bewirbt, Ordensritter von San Jago
zu werden. Dieser Orden ist sehr stolz und nimmt nur Leute
von ältestem Adel in seine Reihen auf. Es ist also unmöglich,
daß er unseren Herrn akzeptiert, dessen Vater ein Zimmer-
mann war und dessen Mutter sich mit Nähen ernährte.
Immerhin erkennt das Kapitel an, daß ja gewisse Rücksichten
in diesem Falle genommen werden könnten, und so schreitet
man dazu, für den Heiland einen besonderen Orden, den
Christus-Orden zu stiften.
Zur gleichen Zeit, als Gluck und Mozart die deutsche Musik
von der Alleinherrschaft des italienischen Stiles zu befreien
suchen, als Bach und Händel dem veralberten religiösen Schau-
spiel das Oratorium entgegensetzen, Geister, viel zu groß,
als daß ihre Zeitgenossen sie mehr als halb hätten verstehen
können, ersteht auch das deutsche Schauspiel wieder. In den
Truppen der Koch, Ackermann, Döbbelin, Schuch erwächst
eine deutsche bürgerliche Nationalbühne, welcher Lessing mit
seiner Minna von Barnhelm 1765, mit seiner Emilia Galotti
1773, den Lebensodem einhaucht. 1768 gründet die Herzogin
Amalie in Weimar ein Theater, um Geschmack und Sitten
des Volkes zu verbessern und zu verschönern, welches jeder-
mann dreimal wöchentlich umsonst besuchen durfte. 1776
wird das Burgtheater in Wien begründet, die klassische Stätte
deutscher Schauspielkunst, 1779 das National-Theater in Mann-
heim, lange Jahre das Vorbild Deutschlands.
P" Eines recht geringen Ansehens hat sich im 18. Jahrhundert
die ärztliche Kunst und der ärztliche Stand erfreut. Liselotte,
welche ja nie ein Hehl aus ihrer Meinung machte, schreibt:
Die Doktoren wissen nichts als purgieren, Aderlassen und
Klystieren, und kein Todesfall passiert in der königlichen
Familie, den sie nicht den Aerzten zur Last legt. Viel mehr
noch als heute sind sympathetische und Geheimmittel im Ge-
brauch: Bezoar Kugeln, Mylady Kent-Pulver u. a., ja, als Augs-
burgs Handel schon ganz darniederliegt, besteht die Ausfuhr
der Stadt hauptsächlich in allerlei Geheimmitteln : Schauers
Balsam, Elixier des Doktor Kieso, philosophisches Goldsalz
werden in ganz Deutschland verlangt. Die Pocken grassieren
fürchterlich, töten oder entstellen den vierten Teil der Mensch-
252
heit, aber trotzdem gewinnt die Schutzpockenimpfung' nur
langsam an Boden. Als 1777 der Kurfürst von Bayern an
den Pocken erkrankt, ^da läßt ihn der Leibarzt Sänfiftl ein
Muttergottesbild verschlucken, und als das nichts nützt, da
Jarques\Louis Dnvid^ Marquise d' Orvillicrs
hilft eben nix mehr! Mau tröstet sich über die eigene
Hilflosigkeit, wie der protestantische Theologe Süßmilch, der
in der großen Kindersterblichkeit eine weise Einrichtung Gottes
erblickte, welche wenigstens die eine Hälfte der Menschheit
den Verführungen dieser Welt entziehen wolle. • Der Krebs
wurde als etwas Lebendes betrachtet, ein Wesen, das man
mit Kalbfleisch füttern müsse, damit es nicht sterbe und den
253
Kranken 'nach sich ziehe. War jemand von einem tollen Hund
gebissen worden, so genoß er in der Schweiz die rohe Leber
des erkrankten Tieres, in Kur-Bayern war es in solchen Fällen
verboten, sich auf eine andere als allein auf die göttliche
Hilfe zu verlassen. 1784 waren zwölf Personen von einem
tollen Hund gebissen worden. Man nötigte sie, zu Fuß nach
St. Hubert in Flandern zu wallfahrten. Nachdem sie dort
acht Tage lang nur kaltes Schweinefleisch genossen und Weih-
wasser dazu getrunken hatten, wurde ihnen die Kopfhaut ge-
öffnet und eine kleine Partikel von der Stola des Heiligen
eingeheilt. Den Arzt aber, der sich unterstanden hatte, einen
dieser Kranken zu behandeln, bestrafte man. Bei solchen An-
schauungen hatten die Kranken doch wirklich recht, wenn sie
ebensogut grüne Seife innerlich gebrauchten, wie es der Kur-
fürst von Trier sechs Jahre lang tat, oder ihre Zuflucht zu
einem der geweihten Mittel nahmen, mit denen die Klöster
einen so schwunghaften Handel trieben. Da gab es in Tegernsee
St. Quirinsöl, in Eichstädt St. Gertraudsöl, das Kloster Scheyern
verkaufte jährlich etwa 40000 geweihte Kreuzchen usw.
Die Kiös/er Dcu Platz, dcu hcutc im öß'entlichen Leben das Militär be-
ansprucht, nahm damals in katholischen Gegenden die Geist-
lichkeit ein. Kur-Trier zählte 90 Klöster, Kur-Bayern 28000
Kirchen und 200 Klöster mit 5000 Mönchen, Oesterreich un-
ter Karl VL über 2000 Klöster für beide Geschlechter mit
63000 Insassen. In Bayern bestand der dritte Teil des Jahres
aus Feiertagen, die mit Prozessionen, Wallfahrten und Gottes-
diensten ausgefüllt wurden. Während der Fasten schleppten
besonders Eifrige riesige hölzerne Kreuze durch die Straßen,
um dem Heiland nachzufolgen, geißelten sich öffentlich, zogen
am Fuß eiserne Ketten mit schweren Kugeln nach wie Bau-
gefangene und trieben allerhand andere Selbstkasteiungen, wie
man sie auf alten Veduten der Wiener Straßen dargestellt
sieht. Für Oesterreich verbot schon Maria Theresia diesen
Unfug. Wie man heute oft sieht, daß geschmacklose Eltern
ihre kleinen Knaben in Militärtracht stecken, als Husaren
oder Dragoner herumlaufen lassen, als sei die Uniform ein
Spielzeug und das Tragen derselben ein Vergnügen, so konnte
man damals in katholischen Gegenden Kinder als Jesuiterchen,
Benediktinerchen, Karmeliterchen auf den Straßen sehen. Ja,
Casanova bemerkt in Spanien Frauen in der Kapuzinerkutte
254
Henry Danloux, M'"e de Nauzieres
und erfährt, daß das ein Akt der Frömmigkeit sei, denn die
Betreffenden trügen dieselbe auf dem bloßen Leib ohne Hemd,
Im Gerundio de Campazas wird uns verraten, daß die Frauen
sich zwar gern als Mönche trügen, für die Kutten aber bes-
sere Stoffe wählten. Heute denken Unwissende, wenn sie vom
Kloster hören, gleich an Barbara Ubryk, während im i8. Jahr-
hundert ein großer Teil gerade der Nonnenklöster nichts an-
deres war, als Stätten der Ruhe, wohin man sich zurückzog,
wie heute in ein Sanatorium. Madame du Deft'and, der be-
kannte Blaustrumpf, die Herzogin v. Choiseul u. a. wohnten
im Kloster, weil es billig war, Fräulein v. Osterhausen, die
verabschiedete Maitresse August des Starken, begibt sich zu
den Ursulinerinnen in Prag, juchhet aber tagsüber in der
Stadt umher! Es ging auch in den Klöstern durchaus nicht etwa
langweilig zu. Die Pfalzgräfin Louise Hollandine, Aebtissin von
Maubuisson, eine Tante Liselottens, hatte 14 natürliche Kin-
der und zu jedem einen anderen Vater, es wird ihr also die
Zeit nicht lang geworden sein, und wie lustig es in den Sprech-
zimmern italienischer Nonnenklöster sein konnte, wo sogar
Bälle abgehalten wurden, berichten außer anderen auch Keyß-
1er und Casanova, der, wenn man von seiner Frivolität ganz
absieht, eine erwiesenermaßen durchaus glaubwürdige und zu-
verlässige Quelle ist. Der protestantische Pfarrerssohn Lauck-
hard, der sich ein Kloster wohl auch anders vorgestellt hatte,
ist ganz erstaunt, daß es bei den Augustinerinnen in Metz
höchst fidel zugeht. Franz X. Bronner erzählt aus dem Kloster
zum Hl. Kreuz in Donauwörth, daß ein beliebtes Gesellschafts-
spiel der Mönche darin bestand, Frauen und Mädchen die
Waden zu messen, daß man sich in bunter Reihe im Kreise
auf den Boden setzte und unter den Röcken und Kutten
Schuh suchen spielte.
.-D« Zeitungen als Organe der öffentlichen Meinung kommen noch
nicht ni Betracht. 1784 zahlte ganz Deutschland kaum 217 Zei-
tungen, unter denen eigentlich nur Schlözers Staatsanzeigen
eine Rolle spielen. Man nannte ihn seiner Veröffentlichungen
wegen die Geißel der deutschen Reichsfürsten. Maria Theresia
soll bei Erwägung jeder neuen Maßregel gesagt haben, was
wird wohl Schlözer dazu sagen ! Er schrieb in Göttingen,
wohin ein Strahl der englischen Preßfreiheit fiel, an anderen
Orten würde es ihm wohl nicht möglich gewesen sein, sich
256
Sir Thomas Lawj-ence, Miss Farren, ijgs
Die M ode. 18. Jahrh. 51
Die Modfi. IS. Jahrk., 2. A
17
Girodet, Dfei musizierende Damen
gefürchtet zu machen. Das oft zitierte Wort Friedrichs des
Großen : Gazetten dürfen nicht genieret werden, darf man
beileibe nicht so verstehen, als habe es etwa für Preußen Gel-
tung gehabt. In Preußen bestand, wie Lessing 1769 an Nicolai
schrieb, die Freiheit darin, so viele Sottisen gegen die Reli-
gion, als man wolle, zu Markte zu bringen, in allen übrigen
Rücksichten war Preußen das sklavischste Land in Europa,
wie Alfieri 1770 bemerkt, eine einzige ungeheure Wachtstube.
Graf Ernst von Manteuffel hatte schon 1735 an Prof. Wolf
in Marburg geschrieben : »Jeder Untertan in diesem Lande,
von welchem Stande er auch sei, ist ein geborener Sklave.«
258
Jt-h. Baptist von Lanipi, Kaiserin Maria Feodorcmma von Rußland
Die Mode. 18. Jahrb. 52
,,^k^i
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