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DIEMUSIK
HALBMONATSSCHRIFT MIT BILDERN UND NOTEN
HERAUSGEGEBEN VON KAPELLMEISTER
BERNHARD SCHUSTER
SIEBENTER JAHRGANG
ERSTER QUARTALSBAND
BAND XXV
VERLEGT BEI SCHUSTER & LOEFFLER
BERLIN UND LEIPZIG
1907—1908
pT.I
6- 3./-&>3"
INHALT
Seite
Gustav Robert-Tornow, Zur Beurteilung der Kunst Max Regers 3
Max Reger, Offener Brief 10
Peter Raabe, Felix Weingartner als schaffender Künstler 15
Felix Weingartner, Offener Brief 34
Gerhard Schjelderup, Edvard Grieg t ^
Carl Flesch, Was bedeutet uns die Erinnerung an Joseph Joachim? 43
Eduard Platzhoff-Lejeune, Aus Briefen Edvard Grieg*s an einen Schweizer 67
Albert Schweitzer, Von Bachs Tod bis zur ersten WiederauffOhrung der Matthäuspassion.
Eine Geschichte der Anfinge des Bachkults 76
Rudolf Bilke, Martin Piaddemann 80
Wilhelm Altmann, Aus dem Briefwechsel von Johannes Brahms mit Karl Reinthaler . 08
Die Deutsche Musiksammlung bei der Königlichen Bibliothek in Berlin . • 107
Karl Schmalz, Annus conftisionis. Eine Trilogie 131
Paul Ehlers, Die soziale Lage der deutschen Chorsänger 105. 353
Rudolf M. Breithaupt, Alfred Reisenauer f 210
Herman Roth, Ober musikalische Kunstkritik 214
Gustav Ernest, Die Proportionen der Beethovenschen Instnimentalsätze 223
Egon von Komorzynski, Ignaz Brflll 220
F. A. GeiOler, August Bungert 250
August Bungert, „Warum? — Woher? — Wohin?" Ein Mysterium 274
Arno Kleffel, Max Bruch • 277
Julius Rfintgen, Edvard Grieg*s musikalischer NachlaO 288
A. Richard Scheumann, Major Einbeck, der Organisator der Militär-Kirchenchfire unter
Friedrich Wilhelm IIL und des Königlichen Hof- und Domchores zu Berlin .... 323
Alfred Overmann, Ein unbekanntes Bildnis Johann Sebastian Bachs? 335
Hans von Malier, Hoffmann contra Spontini. Eine Mitteilung und eine Auf|gabe für
Musikfireunde 338
Besprechungen (Bacher und Musikalien) 46. 100. 170. 231. 301. 366
Revue der Revueen 53. 117. 175. 236
Anmerkungen 64. 128. 102. 256. 320. 388
192681
INHALT
ScIie
Antwerpen 306
Berlin 60. 124. 178.239.306.
371
Braunsehweig . . . 178. 371
Bremen 371
Br«stRU 239. 371
BrOaset 178
Budapest 1 79. 307
DannsKdt 240
Dortmund 307
Dresden . . 60. 179. 307. 373
DOtMldorf 240
Elberfeid 240
Eaaen 372
Frankhin «. M. 61. 170. 240.
307
Berlin -126. 182.243.310.3
BrtuMchwelg 2
Bremen 1
Breslau 2
BrOssel 2
Budapest i
Buenos Aires . . . . 63. I
ChicaRo 2
Damuiadi i
Dortmund 2
Dresden . 187.240.314.3
DQaseldorr 2
Elberhld 2
Frankrurt a.M. 188. 250. 3
Kritik (Operl
Seite
Graz 179
Halle 1. S 179. 372
Hamburg . . 179. 241.307
Hannover 180.372
Karlsruhe 180. 373
KoiD Ol. 124. ISO. 241.308.
373
Königsberg 1. Pr. . . . .241
Leipilg . . . 181. 241.373
London 181. 308
Magdeburf; 373
Malland 374
Mainz 181. 374
Mannheim .... 242. 374
Moskau 242
Manchen . 61. 124.308.375
Kritik (Konzert)
Si
Genf 3
Graz 1
Halle a. S 2
Hamburg 2
Hannover 1
Kassel 3
KSln . . 188. 251. 316.3
Königsberg i. Pr. . . . .2
Leipzig . 189. 252. 316.3
London 190. 3
Mainz t
Manchester 2
Mannheim 2
München ... 190. 318.3
Paris 2
Seilt
New York 375
Namberg 375
Paris 242. 375
Prag 242. 376
Riga 181. 376
Rio Grande 376
St Petersburg . . . 182. 308
Schwerin 308
Stockholm 309
StraDburg 242
Stuttgart 182. 309
Warschau 243
Veimsr 309
Wien 310
Wiesbaden 243
ZOrich 182. 37«
Sei»
Prag 254
Riga 190
St. Petersburg 385
Schwerin 385
Sondershausen 63
Stettin 385
Stockholm 386
SiraOburg 254
Stuttgart 190. 319
Tsfngtau 127
Weimar 386
Wien . . 101. 255. 319. 387
Wiesbaden . . . . 191. 255
Zürich 191
NAMEN- UND
SACHREGISTER
ZUM I. QUARTALSBAND DES SIEBENTEN
JAHRGANGS DER MUSIK (1907/8)
Abaco, E. F., 245.
Abbesser 174.
Abendrotb, Irene, 313. 385.
Abraham (Verleger) 41.
V. Abranyi, Rosa, 180.
Abt, Franz, 96. 105.
Adam, Adolphe, 235. 310.
Adam, Franz, 243.
Adenis, E., 374.
Adler, Clarence, 126.
Affemi, Ugo, 191.
Agricola, Joh. Fr., 76.
de Ahna, Leontine, 381.
Ahner- Quartett 385.
Alard, Delphin, 44.
d' Albert, Eugen, 60. 61. 178.
179. 180. 181. 182. 184.
189. 240. 308. 312. 372.
373. 376.
Alberti, Marie, 315.
Albrechtsberger, Joh. G., 192.
Albright, Claude, 126.
Alda, Francis, 244.
Allekotte, H., 383.
Allen (Sängerin) 239.
V. Altenstein, Minister, 328.
AlthofT, Friedrich, 107.
Altmann, Wilhelm, 107.
Amalie, Prinzessin, 82.
Ambros, A. W., 33.
d^Andrade, Francesco, 378.
V. Andrassty, Hedwig, 387.
Andreae, Volkmar, 191.
Angerer, Luise, 182.
Ansorge, Conrad, 246. 314. 319.
380.
Anthes, Georg, 307.
Apel, Theodor, 384.
V. ArAnyi, Adila, 255. 378.
Arensky, Anton, 187. 242.
Argiewicz, Arthur, 126.
Arlberg, Fritz, 301.
Ariberg, H|almar, 247. 317.
Ariow (Singerin) 243.
Arminius 174.
Ärmster, Karl, 60.
Arnold, Maurice, 379.
Arnoldson, Sigrid, 240. 307.
372.
Art6t de Padilla, Lola, 60. 306.
Ascher, Dr., 29.
Ascher, Joseph, 174.
Aschylos 140.
Astorga, Emanuele, 190.
Auber, D. E., 373.
Auer, Leopold, 183. 312.
Aulin, Tor, 386.
Bach, Anna Karoline, 82.
Bach, Joh. Beb., 7. 8. 9. 45.
49. 50. 76 rr (Von B.8 Tod
bis zur ersten Wiederauf-
führung der Matthäuspassion).
109. 116. 126. 137. 145.
182. 183. 185. 187. 188.
244. 245. 246. 249. 250.
253. 305. 314. 316. 317.
319. 335 ff (Ein unbekanntes
Bildnis J. S. B.s?). 378. 379.
381. 383. 384. 385. 388
(Bilder).
Bach, K. Ph. E., 76. 77. 79.
81. 82. 84. 190. 381.
Bach, Regine Susanna, 85.
Bach, Wilh. Friedemann, 82.
254. 380.
Bachmann-Trio 250.
Backhaus, Wilhelm, 63. 190.
Bader, K. A., 87.
Baillot, P. M. Fran^ois de Sales,
43.
Baklanoff, Georg, 242.
Band, Erich, 182.
V. Bandrowski, Alexander, 243.
Bannasch, Richard, 373.
Barblan, Otto, 316.
Barmas, Issay, 184.
Bamay, Lolo, 380. 381.
Barrisson, Cesare, 255.
Bartels, Fr., 248.
Barthsche Madrigalvereinigung
246.
Bartsch (Sängerin) 182. 309.
T. Bary, Alfred, 179.
Bassermann, Fritz, 250.
Battisti, Franz, 180. 373.
Batz, Reinhold, 61.
Bauberger, Alfred, 62. 125.
Bauer, Harold, 248.
Bauer, Louis, 373.
V. BauOnern, Waldemar, 373.
Beardsley 303.
Beck (Sänger) 307.
Becker, Albert, 305.
Becker, Fritz, 184. 379.
Becker, Georg, 374.
Becker, Gottfried, 307.
Becker, Hugo, 188. 250.
Becker, L., 383.
Beckmann, Gustav, 9.
Beeg, Georg, 372.
van Beethoven, Karl, 367.
van Beethoven, Ludwig, 19. 29.
38. 44. 45. 51. 63. 85. 91.
126. 127. 157. 159. 160.
162. 165. 183. 184. 185.
187. 188. 189. 191. 192
(Autograph). 223 ff (Die Pro-
portionen der B.schen Instm-
mentalsätze). 245. 246. 247.
248. 249. 250. 251. 252.
253. 255. 310. 311. 312.
313. 314. 315. 316. 317.
318. 319. 343. ' 366. 367.
368. 377. 378. 380. 381.
383. 384. 385.
Begas, Carl, 256.
Behm, Eduard, 184. 247. 311.
313. 381.
Behr, B., 256. 303.
Behrens, Max, 316.
Beier, Franz, 383.
Beines, Martha, 317.
Beling-Schäfer, Margarete, 374.
Bellermann, Heinrich, 326.
Bellincioni, Gemma, 243. 247.
374.
Bendemann 256.
Bender, Maria, 386.
Bender, Paul, 62. 125. 375.
Bender-Schäfer, Franziska, 179.
384.
Benoit, Peter, 306.
Benzon, Otto, 299.
Berber, Felix, 188. 250. 384.
Berg, C, 310.
Berger, Rudolf, 377.
Berger, Wilhelm, 245.
Bergmann (Sänger) 372.
Bergwein, Marie, 313.
de B6riot, Charles, 44.
Beriioz, Hector, 31. 44. 116.
127. 135. 178. 253. 254.
315. 375.
Bemardi, Bernardo, 182.
Bemer, H., 373 (»Hans JOrge*".
UrauffOhrung in Magdeburg).
II
NAMENREGISTER
Bernhoff, John, 114.
Berny, Elsa, 248.
Berthald, Barron, 181.
Bertram, Heinrich, 388.
Bertram, Marie, 388.
Bertram, Theodor, 05. 388.
(Bild).
Besserer, Erika, 385.
Bielfeld-Hofmann, Jula, 375.
Bierbaum, Otto Julius, 310.
Billroth, Theodor, 106.
Birgfeld, Clara, 384. •
Birnbaum, Alex. Z., 244. 316.
Birnbaum, Amalie, 381.
Bitrenkoven, Willi, 180. 308.
BischofT, Johannes, 180. 372.
Bittner, Julius, 240 (»Die rote
Gred*. UrauffOhrung in
Frankfurt).
Bizet, Georges, 61.
B|Omson, BjOrnsteme, 30. 67.
68. 70. 71. 03. 200.
BjOrnson, Bj0m, 73.
Blanck-Peters, Marie, 248.
Blanke, Hermann, 324.
Blaß 303.
Blech, Leo, 124. 230. 311.
Blei, Franz, 338.
Blockx, Jan, 306.
Blume, Heinrich, 540.
Blumner, Martin, 377.
BOcklin, Arnold, 30.
Bodanzky, Artur, 242.
Bode, Rudolf, 380.
Bodenstedt, Friedrich, 113.
Boehe, Ernst, 100. 310.
Bohlmann, Theodor, 127.
Böhm, A, 315.
Böhm, Georg, 50.
Boehm-van Endert, Elisabeth,
170. 372. 384.
Böhme, Fr. Magnus, 301.
Boieldieu, F A., 182. <
Boito, Arrigo, 182. 375.
Bojer, Johan, 75.
Bokemeyer, Elisabeth, 245. 252.
Bolte, Adolf, 186.
Bolz, Oskar, 182.
Bond, Alessandro, 375.
Bopp-Glaser, Auguste, 182.
Boer-Gruselli, Alice. 307.
Borchers, Gustav, 180.
Borchers, Hedwig, 180.
Borghi. Luigi, 245.
Born, Leonie, 378.
Bornemann, Wilhelm, 323.
Borodin, Alexander, 317.
V. Bonkiew icz, Sergei, 380.
Boruttau, Alfred, 242. 254. 376.
Borwick, Leonard, 253.
Bosch, Katharina, 317.
Bosetti, Hermine, 62. 125. 318.
375.
Bossi, Enrico, 187.
Bowen, York, 247.
Brachvogel, E., 340.
Brahma, Johannes, 7. 8. 16. 17.
45. 06. 08 fr (Aus dem Brief-
wechsel von J. B. mit Karl
Reinthaler). 116. 126. 127.
140. 172. 182. 183. 184.
188. 180. 100. 101. 220
243. 245. 246. 247. 248.
240. 250. 251. 252. 255.
261. 265. 288. 310. 311.
312. 313. 314. 315. 318.
310. 377. 370. 382. 383.
384. 385. 386.
Brandes, Georg, 71.
Brandt, Carl, 366.
Braun, Carl, 241. 374.
Braunfels, Walter, 100. 385.
Braungart, Richard, 0.
Brecher, Gustav, 170. 180. 308.
Breest, Ernst, 184.
Breiten feld, Richard, 61.
Breitkopf & Härtel 85. 88.
107. 108. 116. 131. 233.
234.
Brendel, Franz, 170.
V. Brennerberg, Irene, 312. 370.
Brentano, Clemens, 338.
Brentano, Familie, 367.
Breuer, Hans, 125.
V. Breuning, Gerhard, 368.
Br^val, Lucienne, 376.
Bricht-Pyllemann, Agnes, 387.
Brieger, Eugen, 378.
Bricger-Palm, Margarete, 378.
Briesemeister, Otto, 125. 317.
387.
Brode, Max, 252.
Brodersen, Friedrich, 62. 125.
375. 383.
Brodsky, Adolf, 172.
Bruch, Max, 45. 08. 184. 253.
277 fr(M. B.). 312. 320 (Bilder).
378. 382. 383.
Brück, Boris, 180. 188. 372.
Brucker, Hedwig, 182.
Brückner, Anton, 8. 16. 63.
135. 180. 244. 250. 251.
310. 310. 377.
Brflll, Ignaz, 102 (Bild). 210.
220fr (IB. 1846—1007). 243.
255.
Bruntsch, Margarethe, 60.
BQchner, Emil, 384.
Bück, Rudolf, 254.
Buff, Lotte, 270.
Bugge, Sophus, 38.
Buissoo, Marie, 311. 378.
Baiau, W., 318.
Böller, Melanie, 253.
V. Bölow, Hans, 105. 151. 265.
303.
BulO, Paul, 00. 05. 06.
Bumcke, Gustav, 311.
BQmler, G. H , 78.
Bungert, August, 250 ff (A, B.>
274. 320 (Bilder).
Burchardt, Marga, 180.
Burenne (Sängedn) 102. 103.
Burg-Zimmermann, Emmy,^125»
Borger, Anton, 241.
Borger, S., 381.
Burgstaller, Alois, 125. 240.
Bunan, J., 383.
Burk- Berger, Marie, 62. 125.
308.
Burmester, Willy, 245. 240. 250.
252. 311. 310. 378. 380. 382.
386.
Bumey, Charles, 70. 81.
Burrian, Kari, 60. 170. 245.
250. 371. 384.
Bürstinghaus, Ernst, 181.
Busch, Wilhelm, 113. 114.
Buschbeck, Hermann, 308.
Busolt (Singer) 87.
Busoni, Ferruccio, 126. 168. 185*
377.
Busse, Carl, 04.
Buths, Julius, 250.
Buxtehude, Dietrich, 50. 210,
245.
Buysson, Jean, 62. 375.
Cabisius, Arno, 373.
CahnbleyHinken, Tilly, 382.
385.
Cain, Henri, 374.
Calderon 377.
Cannabich, Chr., 341.
Capcllen, Georg, 100. 231. 232.
Carl Rosa Opera Co. 253.
Carmen Sylva 260.
Caruso, Enrico, 170. 230. 241.
307. 375.
Casadesus, Henri, 245. 311.
378.
Casadesus, Maurice, 311.
Casella, Alfred, 311.
Castles, Amy, 253. 255. 315.
382.
Catellani 63.
Cavalieri, Lina, 375.
Celansky, Kapellmeister, 376.
Celli, £douard, 311.
Cernikoff, Wladimir, 313.
Cenani, Alessandro, 370.
Challier, Willibald, 107.
Charlottenburger Lehrergesang-
verein 247.
Chanres, Vivien, 184. 245.
310.
Chausson, Ernest, 254. 316.
v. Chavanne, Irene, 61.
Cherubini, Luigi, 252. 352.
Chevillard, Camille, 254.
Chialchla, Antonietta, 378.
Chopin, Fr6d6ric, 42. 145. 173.
187. 180. 102 (AutQgraph).
NAMENREGISTER
III
248. 240. 2S0. 312. 317. 318.
319. 380. 385.
Christen, Ada, 20.
Chrraaoder, Friedrich, 3S3.
Chwml, F. X., 174.
Qlea, FraoGCMO, 375.
Ckrk, Fr. H., 317.
Clirus. Mtx, 178. 371.
CIcmcDS, Louise, 246.
Clench, Nora, 311.
Cleach-Quamn all. 314. 315.
317.
Cocorescu, Mtdelelne, 240. 255.
Colon ne, Eduard, 254.
Conrad I, August, 235.
Coaried, Heinrich, 375.
Copooy, Hans. 374.
Cor de tss flo.
Corbieh, Friir, 63.
Corelli, ArcatiKclo. 245.
Cornelius, Peler 27. 60, 160.
37Z. 37J.
Coftoleils, Fritz, 308.
Coumann, Bernhard, 172.
Costa, Franz, 375.
Costa, Onllle, 375.
Couperin, Fran^ois, 79.
Courvoifiier, Witrcr, 304. 319.
de Is Cniz-Frochlich, Louis, 316.
Cal, C<tar, 308.
Culp, Julia. 183. 185. 190-244.
24S. 2S1. 252.314.318.377.
383.
Curci, Alberto, 378.
Curti, Franz, 304.
de Gurion, Henri, 338.
Czemy, Cari, 173.
DahlpllD, E., 248.
Dato, B. J., 247.
Daniela, Anas, 307.
Darcli, Edma. W.
Darier, Maurice, 315.
Darwin, Cbarles, III.
David, Ferdinand, 301,
Davidoll, Karl, 172.
Dawison, Max, 180.
Oebusiy, Claude, 179. 186. 241.
254. 255. 311.
Dechcrt, Hugo, 184.
Decken, FeliK, 182.
Decken, W.. 381.
Oepier, E. V., 188.
Debmel, Richard, 374.
Debmio«, Henbs, 247. 379.
382.
Deltera, Hennaan, 98.
244.
DeliuE, Ilse, 3S4.
Dtllinger, Rudolf. 179.
Delna, Marie, 242.
DcDCCke, Hans, 24S.
DeocTi, Eroi, 243.
DcDjrs, Thomas, 250-
DerliAs, Matbleu, 372.
377.
Dcssau-Quaneit 184. 245.
Dessoff, Olto, 22B.
DesEoir, Susanne, 126. 185.
ISS. 24g. 250. 25."). 311.313.
DeaHnn, Emmy, 239. 300.
Deuiscbe Vereinigung fflr alte
Musik 210.
Dcvilliers, Maurice, 311.
Devrite (Singer) 242.
Devrlent, Eduard, 86. 87.
Devrient, Frau,* 87,
Dickenson, Mary, 246.
Diemer, Louis, 254. 315.
Diergardt. Elisabeth, 317.
Dies, Hermann, 184.
Dicsiel, Meti, 31«.
Dieirich, Albert, 09. 100. 101.
Üleiz. Johanna, 186. 189.
Direnberger, E., 248.
V. Dohninyl, Ernst, 115. 311.
382. 387.
Dohm, Georg, 248.
Dolega-Kamlcnslii (Komponist)
248. 240.
Doles, Job. Fr., 80. 81.
Dolores, Antonls, 313.
Doenges, Paula, 385.
Donizettl, GacMDO, 128 <Blld).
309.
253,
Dor«, Tbea, 376.
Dornbusch, Max, 243,
Dorp, Elfriedc, 240.
Dortmunder Philharmonisches
Orchester 312,
Dörwald, Wilhelm, 372.
Dramsch, Gustav, 240.
Drangosch, Emesto, 63.
Draeseke, Felix, 131. 132. 169,
315.
DrechscI. Gustav. 1S3. 380,
Drews. Martha, 245.
Drill-Orridge, Theo, 310.
DroBdair, Vladimir, 127. 252.
Dtoügjikina, S.. 242.
Dubois. Marie, 370,
Dufranne 376.
Duiias, Paul, 235. 244.
bupont, Gabriel, 254.
DOrer, Albrecht, 84.
Durigo, Ilona, 313.
Durra, Hermann, ISO.
DvoMk, Anton, 127. 245. 250.
251. 252. 255. 316. 310. 383.
387.
van Dyck, Emesi, 373.
Ebera, Georg, 181.
Eckermann, J. P., 26.
Edelmann, Heinrich, 318. 385.
Egidi, Arthur, 245. 305.
Eilcnbenj. Richard, 187.
Einbeck. J. D. C. 323fr (Major
Einbect!). 388 (Bild).
Einbeck, Paul, 324. 388.
Eiaenberger, Severin, I84> 250.
btsner, Bruno, 380.
Eltner, Robert, 70. 350. 351.
Ejler-Jensen, Otbilia, 378.
Ekcblad, Marie, 306.
ELb. Margarete, 373.
Elisabeth v. Seh wart burg-Son-
dersbausen, frlnzeasln. 281.
Ellinger, G„ 351.
liiroan, Mlscha, 377. 384. 387.
Ender«, G., 314.
Enesco, Georgea, 245,
Engelen (Regisseur) 306.
Engen, Birgit, 243.
Enna. August, 112.
Epstein. Julius, 229.
Erb, Karl, 182.
Erb, M,J., 243.
ErdminngdOrfer, Max, 368.
ErdOdy, GrSHn, 368.
Erk, Ludwig, 328. 329. 330.
Erler. Klara, 247. 310. 317,
Erler Sehnaudi, Anna, 100. 251.
Ermold, Ludwig, 372.
Ernat, H. V., 44.
Ertel, Paul, 127.
Espenbahn, Fritz, 245.
Esterbaiy Fürsi, 102.
Etholer, Rosa, 373.
Eunike, Friedrich, 341. 340.
Eunike, Jobanna, 341.
Euripides 140,
EuOcrt, Margarete, 188. 252.
Evers, Eva, 63.
van Ewey^ Anhur, 247. 318.
317. 377.
Exner, Gustav, 184.
Eysler, Edmund, 170.
Fabry, Elisabeth, 306.
Palast, Hugo, 190.
Falke, Gustav, 174.
V. Falken (Singerin) 170.
V. Fangh. Frieda, 182.
V. Farnholz, Ria, 182.
Farrar, Gcraldine, 124. 375.
FaBbender, Zdenka, 82. 125.
375.
Fay, Maude, 02. 126.
Fedoroir, Nicolai, 242.
FelnbaU, Fritz, 62. 125.249.308.
Feinland, Ludwig, 247,
Felser, Frida, 61.
Fem, Anna, 240,
Feat, M. G., 317.
Feustel, Friedrich, 366.
Fiedler, Max, 184. 251.
Filier, Benhold, 240.
Fischer, Albert, 63, 311.
Fischer. Fruz, (24.
I»
IV
NAMENREGISTER
Fischer, M. G., 50. 305.
Ftocher, S., 71.
Fischer, Walter, 370.
Fitztu, Franz, 250.
Fladnitzer, Luise, 181. 373.
V. Fladung, Irene, 375.
Fleischer-Edel, Katharina, 180.
382.
Flesch, Carl, 184. 245. 252.
316.
Flith, Elsa, 318.
Flonzaley-Quartett 250. 252. 255.
315. 316. 385. 386.
V. Florentin -Weber, Paula, 241.
V. Flotow, Friedrich Frhr., 63.
Foerster, Anton, 188. 313. 317.
FOnO, Johannes, 374.
Forkel, Joh. Nikolaus, 82. 83.
84.
Forseil (Singer) 300.
FOrstel, Gertrud, 387.
Förster, Hermine, 240.
Franck, C6sar, 189. 254. 316.
381. 383. 386.
Frank, Franz, 179. 372.
Franke, Fr. W., 250. 251. 383.
Franz, Anita, 181. 373.
Franz, Gustav, 127.
Franz, Joh. Chr., 340.
Franz, Robert^ 220. 381. 383.
Frauenquartett, Hamburger, 184.
Frederigk, Hans, 371.
Freudenberg, Wilhelm, 379.
Frey, Emil, 312.
Frey, Hjalmar, 314.
Freyug-Besser, Otto, 190. 319.
Frich«, Ciaire, 376.
Fridrichowicz, Agnes, 186.
Fried, Oskar, 183. 310.
Fried, Richard, 243.
Friedberg, Karl, 190.
Friede, Richard, 252.
Friedenthal, Albert, 127.
Friedheim, Arthur, 317.
Friedrich der Große 76.
Friedrich Wilhelm III., König
von Preußen, 323. 325. 328.
329. 331. 388.
Friedrich Wilhelm IV., König
von Preußen, 331. 352.
Friedrich Wilhelm, Prinz von
Preußen, 252.
Fröhlich, Alfred, 240.
Frommer, Paul, 241.
Fuchs, Albert, 382.
Fuchs, Alois, 234.
Fuchs, Anton, 62. 125.
Fuchs, Carl, 172. 173.
Fuchs, Eduard, 303.
Fflnt, Helene, 245.
V. Gabaln, Anna, 185. 252.
Gibler, Klara, 240.
Glbler-Ruhbeck 240.
Gade, N. W., 70. 305.
Gadski, Johanna, 375.
Gallay 174.
Galston, Gottfried, 311. 312.
Gandolfl, Ettore, 379.
Garden, Mary, 179. 375.
Garrison, Max, 178.
Gaertner, Anna, 381.
Gates, Cecilia, 311.
Gaul 303.
Gebauer, Paul, 50.
Gebrath, Eugen, 374.
Gehwald, Bernhard, 245.
Geibel, Emanuel, 279.
Geis, Josef, 62. 125. 375.
Geloso, Alberto, 253.
Gentner, Karl, 241.
Gerhardt, Elena, 314. 384.
Gemsheim, Friedrich, 246.
Gesterkamp, Jan, 184.
Gevaert« F. A., 314.
Gewandhaus-Quartett 252. 317.
Geyer, Marianne, 316.
Geyer, Stefl, 382.
Geyer-Dierich, Meta, 316. 317.
377.
Giacosa, Giacomo, 124.
Giesebrecht, Ludwig, 94.
Giesen, Carl, 375.
Gießwein, Max, 313.
Gille, Carl, 310.
Gillmann, Max, 62. 125. 375.
Giordano, Umberto, 374 («Mar-
cella". UraufTflhrung in Mai-
land). 376.
Glasenapp, C. Fr., 352. 366.
Glazounow, Alexander, 127.249.
311.
Glinka, Michail, 242.
Gloersen-Huitfeldt, Maja, 189.
Gluck, Chr. W., 34. 38. 102.
178. 190. 244.266.311.319.
340. 344. 345. 346. 347. 351.
352. 377.
Gluth, Victor, 305.
Gmeiner, Ella, 125. 186. 189.
386.
Gobineau, Graf, 371.
Godard, Benjamin, 242.
Godeck, Hans, 374.
Godowsky, Leopold, 247. 248.
255. 312. 387.
Gogl, Rupert, 372.
Göhler, Georg, 132. 137. 146.
148. 149. 151. 152. 153. 155.
162. 180. 189. 233. 373.
Goldmark, Karl, 45. 106. 181.
191. 235. 242. 249. 281. 381.
Goldschmidt, Ernst, 307.
Goldschmidt, Paul, 248.
Golinelli, Franz, 371.
Gollanin, Leo, 313. 378.
Gölirich, Josef, 373.
Göpel (Singer) 382.
Goepfart, Karl, 310 (»Der Malier
von Sans-Souci*. Urauf-
führung in Weimar).
Goritz, Otto, 374. 375.
Gorter, Albert, 243.
Goethe, Johann Wolfgang, 5.
14. 26. 79. 85. 86. 113. 114.
138. 139. 140. 149. 159. 167.
244. 249. 261. 262. 263. 278.
279. 301. 338. 367.
Göttl. (Komponist) 189.
Goetz, Hermann, 63.
Götz, Karl, 126. 189.
Götzl, Anselm, 310.
Gounod, Charles, 189. 310. 319.
371.
Gozzi 126.
Grafe (Sängerin) 382.
Grahl, Maximilian, 248.
Grand-Carteret, John, 303.
Graun, Joh. G., 78.
Graun, K. H., 78. 80.
de Greef, Arthur, 386.
Gregor, Hans, 178. 181.
Gregorovius, F., 230.
Grell, Eduard, 326. 330. 333.
Grenville, L., 374.
Grieg, Edvard, 38 ff (E. G. f).
64 (Bilder). 67 ff (Aus Briefbn
E. G.*s an einen Schweizer).
128 (Bilder). 140. 145. 185.
187. 189. 190. 191. 210. 244.
245. 249. 252. 255.288 (E. G.'s
musikalischer Nachlaß). 311.
319. 377. 378. 383. 385. 386.
Grillparzer, Franz, 168. 368.
Grimm, Moritz, 178. 239.
Grimson* Quartett 314.
Grisar, A., 376.
Griswold, Putnam, 124.
Gröbke, Adolf, 372.
Grönvold, Aimar, 68.
Groß, Court, 245.
Großmann, Max, 126. 378.
Groth, Klaus, 379.
Grumbacher-de Jong, Jeannette,
184. 377.
Grflnfeld, Alft^d, 60 („Die
Schönen von Fogaras**. Ur-
aufführung in Dresden). 61.
Grflnfeld, Heinrich, 185. 189.
248. 311.
Grflnfield, V., 381.
Grflning, Wilhelm, 179.
Grflninger, Carl, 131.
Grunow, Paul, 373.
Grflnwald, Josefine^ 178. 239.
Gruselli, Fritz, 372.
Grflters, August, 383.
Grfltzmacher, Friedrich, 383.
Guicciardi, Gräfin, 368.
Guido V. Arezzo 112.
Guilmant, Alexandre, 305.
Gulbranson, Ellen, 125.
Gulbransoo, Olaf, 303.
NAMENREGISTER
Gülzow, Adalbert, 245.
Gandlach, Georg, 378.
GQnther, Albin, 374.
Gflntber-Braun, Walter, 230. 372.
Gflnzburg, Mark, 126. 250. 319.
Gara, Eugen, 00. 91. 95.
Gara, Hermann, 62. 248. 309.
Garowitsch, Sara, 189. 312.
Garzenich-Quartett 252. 316.
383.
Guszalewicz, Alice, 61. 124.
181. 373.
Gath, Eugen, 240.
Haakon VII., König, 73.
de Haan-Manifarges, Pauline,
377.
Haasters-Zinkeisen, Anna, 250.
Hadenfeldt, Lilly, 184. 186.
Hagel, Richard, 373.
Hagemann, Carl, 242.
Hahn, Marie, 180.
V. Haken, Max, 315.
Halir, Kart, 184. 100. 247. 251.
Hau, Glenn, 255. 317.
Hall, Marie, 253.
Hallwachs, Carl, 114. 383.
Hallwachs, Frida, 383.
Halvorsen, Johan, 370.
Hamann, H., 180.
Hammerstein, Martha, 180. 373.
Hammerstein, Oskar, 375.
Hlndel, Georg Friedrich, 63.
78. 80. 82. 84. 102. 100. 245.
251. 316. 317. 351. 382. 383.
Hansen, Christian, 375.
Hansen, E., 180.
Hansen, Wilhelm, 70.
Hapke (Verleger) 8.
Harder^Cervinit Lucie, 313.
Hardt, Anna, 184.
Hartl, Bruno, 240.
Hartmann, Arthur, 184. 380.
Hartmann, Georg, 372.
Härtung, Anna, 317. 384.
Hartzer, Richard, 378.
Hasse, Joh. Ad., 78. 80. 351.
Hasse, Kari, 245.
Hasse, Max, 373.
HaOler, Alfred, 318.
Hlfller, loh. W., 314.
Haumann-Merk (Sängerin) 63.
Haupt, M., 63.
Hauptmann, Moritz, 333,
V. Hausegger, Siegmund, 382.
Hausmann, G., 336.
Hausmann, Robert, 184.
Hlussel, Wilhelm, 384.
V. Haxthausen, Wilhelm, 178.
230.
Haydn, Joseph, 43. 70. 114.212.
245. 250. 251. 252. 270. 314.
316. 318. 310. 370. 384.
Haym, Hans, 250.
Hebbel, Friedrich, 145.
Heckel, Emil, 366.
Heermann, Hugo, 188. 250.
Hegar, Friedrich, 06. 186. 254.
377.
Hegedfls, Ferencz, 318.
Hegel, G. W. Fr., 88.
Hegner, Anna, 188.
Hehemann, Max, 0.
Heimsoeth, Friedrich, 08.
Heine, Heinrich, 18. 44. 92.
230. 277.
Heinemann, Alexander, 378. 382.
Heinemann, Klthe, 246.
Heise, J. P., 70.
Hekking, Anton, 126. 378. 382.
Helbling-Lafont, Laura, 247.
van Helvoirt-Pel, Richard, 179.
Hempel, Frieda, 60. 62. 239.
308. 371.
Henkel, Lilli, 318.
Henneberg, Kapellmeister, 309.
Henning, G., 189.
Henning-Trio 189.
Henschel, Theodor, 105.
Hensel, Wilhelm, 256.
Hensel-Schweitzer, Elsa, 61.
Henselt, Adolf, 192.
Hentschel-Schesmer, Grete, 381.
Henzing, Jan, 181.
Herbeck, Johann, 99.
Herder, Joh. G., 250.
Hermann, Hans, 314. 378.
Hermanns, Albert, 376.
Hermanns, Hans, 380.
Hermanns-Stibbe, Marie, 380.
Herold, Georg, 245.
Herold, Wilhelm, 371. 376.
Herrenburg-Tuczek, Leopoldine,
284.
Herrig, Hans, 27.
Herrmanns, Robert, 48.
Herzog, Emilie, 371.
Herzog, J. G., 305.
Heß, Ludwig, 244. 316. 383.
Heß, Willy, 172.
Hesse, Adolf, 50.
Heuberger, Richard, 317.
Heumann, Klte, 185. 253.
Heumann, Marie, 185. 253.
Hey, Julius, 95.
Heyde, E., 190.
V. d. Heydt, Frhr., 240.
Hieber, Theodor, 178.
Hielscher, Hans, 127.
Hieser, Helene, 182.
Hilf, Arno, 189.
Hilf-Quartett 189. 317.
Hiller, Ferdinand, 105. 192.233.
260. 279. 301. 316.
Hiller, Joh. Adam, 78. 80. 251.
252. 315. 377. 382.
Hinkley, A., 180.
Hinze-Reinhold, Bruno, 184. 185.
381. 386. 387.
Hirschberg, Leopold, 370.
Hirt, Fritz, 312.
Hirzel-Langenhan, Anna, 318.
V. Hochberg, Bolko Graf, 383.
Hofbauer, Rudolf, 310.
Hoff, Toni, 248.
Hoffknann, Baptist, 124. 239.
Hoffknann, E. T. A., 212. 278.
338 (f (H. contra Spontlni).
Hoffmann, J., 366.
Hofhnann, Karl, 245.
Hoffmeister & Kflhnel 83.
Hofkapelle, MQnchner, 191.
Hofknann, Alois, 307.
Hofmann, Heinrich, 116.
Holbein (Librettist) 338.
Holberg, Ludwig, 71.
Hölderiin, Friedrich, 104.
HoUstein, Frida, 253.
Holm, Emil, 182.
V. Holtei, Kari, 373.
Holtschneider, Karl, 382.
Homer 266.
Hopffer, Emil, 103.
HOpfl, Josef, 239.
Hoppen, Rudolf, 383.
Horsfall, Ch., 256.
Horszowski, Miecio, 186. 189.
245. 250. 318.
Hubay, Jenö, 244.
Huber, Hans, 188.
Huch, Ricarda, 338.
Hummel, Anni, 309.
Hummel, Georg, 384.
Hummel, Hildegard, 245.
Hummel, Joh. Nep., 192 (Bild).
Humperdinck, Engelbert, 116.
368. 374.
Hutt, Robert, 240.
HQttner, Georg, 307. 312.
382.
Ibach, Rud., 247.
Ibsen, Henrik, 38. 42. 64. 67.
68. 71. 72. 74. 299.
Illica, Luigi, 124. 376.
dMndy, Vincent, 249. 254.
Ingenhoven, Jan, 385.
Inner, Kapellmeister, 190.
Irrgang, Bernhard, 182. 185.
Islaub, Jean, 182.
de risle, Marie, 376.
Isola, Gebrflder, 242.
Itkis, Mitja, 378.
Jadassohn, S., 116.
Jahn, Otto, 234.
Jämefelt, Armas, 309. 386.
Jensen, Adolf, 145.
Jermolenko, Nathalie, 242.
Joachim, Amalie, 284.
Joachim, Joseph, 43 fr (Was be-
deutet uns die Erinnerung an
J. J.?). 100. 104. 105. 116.
126. 182. 183. 184. 187. 188.
190. 210. 243. 248. 249.
VI
NAMENREGISTER
251. 252. 255. 281. 285. 315.
378. 382. 385.
JoAchim, Paul, 256.
Jonas, Ella, 381.
jOrn, Carl, 245. 252.
Jossot 303.
Judeis (Direktor) 306.
Judeis (Singerin) 306.
Jung, Rudolf, 312.
Juon, Paul, 312. 316.
Kahler, Margarete, 240.
Kaehler, Willibald, 300.
Kaim-Orcbester, MQnchner, 101.
Kaiun, Gustav, 170.
Kalbeck, Max, 243.
Kalidasa 25. 26.
Kaiisch, Paul, 243.
Kalischer, Alfr. Chr., 367.
368.
Kaiweit (Singer) 377.
Klmpf, Karl, 186.
Kaempfert, Anna, 126. 188.
Kant, Immanuel, 02.
Kanzow, Wolfgang, 182. 300.
Kappel, Gertrud, 180. 372.
Karbacb, Friedrich, 101. 310.
Karg-Elert, Siegfrid, 370.
Kaschowska, Felicia, 254.
Kaschperow, Leocadie, 185. 186.
180.
Käse, Alfred, 181.
V. Kaskel, Kari, 318.
Kauffknann, Emil, 310.
KaufTinann-Franzillo, Hedwig,
60.
Kaufmann, Hedwig, 386.
Kaun, Hugo, 63. 127. 311. 370.
378.
Keiper, Hermann, 188.
Keller, Gottfried, 10.
Keller (Kassel) 383.
Kellermann, Berthold, 186.
Kem6ny, R., 382.
Kem6ny-Quartett 381.
Kemtler, Jenö, 313.
Kestner, Hermann, 270.
Kettner, Anna, 240.
Kewitscb, Willi, 381.
Kiefer, Julius, 240.
Kiel, Friedrich, 378.
KienzI, Wilhelm, 368. 360.
KieOIich, Alex, 185.
Kilian, Theodor, 385.
Kirchner, Hugo, 240.
Kirnberger, Job. Pb., 82.
KiO, Johanna, 244. 247.
Kittel, Bruno, 377.
Kittel, Hermine, 310. 387.
Kittel, Job. Chr. 337.
KlarmaUer, Fritz, 181.
Klasen, Willy, 378. '
Klausner, Otto, 181.
Klauwell, Otto, 233.
Kleefeld, Wilhelm, 310.
Kleffel, Arno, 132. 146. 147.
148. 154.
Klein, Julius, 125. 308.
Kleinpaul, A., 383.
V. Kleist, Heinrich, 27.
Kienen, Emeline, 380.
Kiengel, Julius, 180. 312. 315.
317.
Kleucker, Fr., 248.
Klimmerboom, Foco, 383.
Klinghammer, Erich, 376.
Klingler, Fridolin, 245. 378.
Klingler, Kari, 184. 245. 378.
Klingler-Quartett 245.
Klippel 178.
Klose, Friedrich, 100. 385.
Klum, Hermann, 380.
Knauer, Georg, 318.
Knaur, Hermann, 256.
Knorr, Iwan, 316.
Knote, Heinrich, 125. 308. 318.
Koboth, Irma, 62. 125.
Koch, Fr. E., 116. 384.
V. Köchel, Ludwig Ritter, 233.
Könecke, Robert, 245.
Koenen, Tilly, 248. 318. 382.
385.
Koennecke, Richard, 126. 185.
Kopfermann, Albert, 234. 235.
314.
V. Königslöw, Otto, 233.
Kopprasch 174.
Komar, Lotte, 180. 373.
Kortmann, Johanna, 178.
V. Koszalski, Raoul, 385.
Kothe, Robert, 100. 317. 383.
Krasselt-Quartett 386.
Kraus, Ernst, 125. 371.
V. Kraus, Felix, 318. 384. 385.
V. Kraus-Osborne,Adrienne,384.
Krause, A., 28a
KrauO, Irmgard, 387.
Krehl, Stephan, 317.
Kreisler, Fritz, 184. 187. 250.
252. 318.
Kreisler, Lotte, 188. 180.
Kremser, Eduard, 06. 180.
Kreowski, Ernst, 303.
V. Kresz, G6za, 101. 381.
Kretschmer, Edmund, 305.
Kretzschmar, Hermann, 256.
Kreuder, Peter, 306.
Kreutzer, Conradin, 180.
Kreutzer, Leonid, 252 384.
Kreutzer, Rodolphe, 43.
Kriegel, Abraham, 76.
Kriehuber 128.
Kronen, Franz, 375.
Kronke, Emil, 380.
Krflger, G. L., 382.
Krupp, Alfred, 270.
Kruse, F., 383.
Kruse, G. R., 63.
Krzyzanowski, Rudolf, 310.
Kubelik, Jan, 100. 253. 318.
Kuczynski, Paul, 311.
Kahmstedt, Friedrich, 50.
Kflhn, Gustav, 326.
Kflntzel, Martha, 384.
Kunwald, Ernst, 126. 184. 186.
245.
Kflnzel, Richard, 310.
Kuper, Kapellmeister, 242.
Kur-Orchester,Wiesbadener, 101.
Kurpinski, K. K., 243.
Kursch, Richard, 127.
Kurz, Lissi, 314.
Kurz, Selma, 310.
Kurz, ViI6m, 384.
Kussewitzky, Sergei, 245.
Kuttner, Max, 307.
Kutzschbach, Hermann, 242. 253.
374.
Kwast-Hodapp, Frida, 383.
Labia, Maria, 60. 178.
Lachner. Franz, 105.
Lachner, Vincenz, 270.
Lafont, Hermann, 186.
Laidlaw, Anna, 314.
Lalo, Edouard, 183. 312. 378.
384.
La Mara (Marie Lipsius) 388
(Bild).
Lambrino, T616maque, 250. 384.
Lammen, Mientje, 246.
Lamond, Fr6d6ric, 101. 245. 248.
240. 250. 251. 318. 310. 382.
Landowska, Wanda, 385.
Lang (Pianist) 382.
Langbein, Gertraut, 312.
LangCi Elisabeth, 313.
de Lange, Samuel, 100.
Langefeld, Wilhelm, 182.
Langer, R., 170.
de Lara, Isidore, 241 („Messa-
lina.* Erstaufrahrung in Leip-
zig)-
Larsen, Thyra, 308.
di Lasso, Orlando, 170. 384.
Laszky (Komponist) 248.
Lauer-Kottlar, Beatrice, 243.
Lazarus, Gustav, 378.
Leander-Flodin, Ad6e, 187.
Lederer-Prina, Felix, 126. 184.
382.
Leeser, Martin, 312.
LefHer, Robert, 240.
Lefler, Prof., 310.
Leginska, Ethel, 312.
Lehlr, Franz, 240.
Lehmann-Kalisch, Lilli, 265. 318.
310. 378.
Lehrergesangverein, Bremer, 253.
Lehrer- u. Lehrerinnen-Gesang-
verein, Kölner, 384.
Leischner, Thea, 265.
Lekeu, Guillaume, 48. 254.
Lemon, Marguerita, 374.
NAMENREGISTER
V. Leneyel, Erait, 3SI.
Uon, Viklor, flO.
LerouK, Xtvitr, 242. 375.
Leaminn. Evi, 378. 380.
Levi, Hermann, 61 •
Lewin, Gustav, 174.
Ltwinger-Qu«neit 250.
Leydheeker, Agnei, 189. 248.
Lbotiky, B., 245.
LIe, J., 187.
Uebu, Adaiben, 178.
Lreb«D, JuUus, 124.
Liebling, Georg. IM.
Liepminnssohn. Leo, 102.
vln Lier, Jacques, 184.
Lieucninn. Kun, 120.
V. LiliencroD, Detlev Frhr.,
304.
LindenuDn, Fritz, 183.
LlDdenberg, Emmi, 383.
LiDdbe (Celliit) 386.
Linggi HeRnana, 279.
Linke, Hedwig, 189.
Lloti, Qara, 310.
Ll«iewsky, Tilminn, 61.
Li*», Prani, 8. 25. 31. 44. 63.
104. 105. 116. 127. 134. 135,
149. 157, 183, 185. 187. 188.
191. 220. 235. 243. 245. 240.
24S. 249. 252. 254. 260. 261.
303. 305. 300,311. 312.314.
315. 316. 317. 319. 377. 380.
3S3. 384. 385. 386.
Lltvlnne, Fella, 188.
LoMtclll, Pietro, 43. 379. 380.
Loemer, Ch. M., 250.
Loeveoaobn, Mtrix, 246.
Loewe, Carl, 91. 06. 186. 24^
284. 318. 370. 384. 387.
Lohse, Ono, 61. 124. ISO. 241.
308. 373.
LoUi, Antonio, 43.
Loening, Rose, 312.
l^ordmann, Peler, 310.
Lorentz, Alfred, 180. 373.
Lorenz, C. Ad., 386.
Loriw, Joseph, 318. 386.
LortZlQ«. Albert. 03. 240. 281.
306. 310.
Lose (Verleger) 68. 69.
Loihir, Rudolf, 178.
LOwenfeld, Hsni, 182. 309.
Ladwig [l,, KBnIg von Bayern,
303.
Ludwig. Otto, 17.
de Lnda (Singer) 374.
Lumnitier, Msgds, 189.
LOpperti, Willy, 341.
Lurii. Ju»n 379.
Luiber, Martin, 262. 371.
V. LwolT, Oeheimrai, 326.
Mac-Crew, Rote, 230.
Maclennan, Francis, 60. 124.
Mader, Raoul, 179.
Maffloll (Gelger) 187.
Mabler, Gustav, 101. 254. 319.
375. 383. 385. 387.
MaibI, GeorK, 310.
Malkln, Josepb, 370.
Mantn, Joan, 317.
Mann iSfinger) J32.
Mannsildt, Frani, 255.
Mantler. Ludwig, 306.
MarburE, Else. 384.
Marchand, Loula, 76.
Marchesl. Mathilde, 102.
Marck, Hedwig, 313.
Marcus, Hugo, tlO.
Marpurg, Friedrich Vi I heim,
77. 83.
Marschalk, Max, 309 (.Aucassln
und Nicoleie". UraurfQhning
In Stuttgart).
Marsop, Paul, 124. 132. 146.
147. 154. 196.
Marteau, Henri. Hfl. 248. 250.
3 312.315.318. 382.385.
Martlck, Eirrlede, 60.
Martuccl, Giuseppe, 63. 316.
Marty, Georges, 309.
Marx, Mizzl, 181. 373.
Marx-Coldschmidi, Berthe, 312.
315. 318.
Mascagnl, Pietro, 374.
Massenet, Jules, 60. 179. 371.
375.
V. Mtssow, Geheimrar. 332. 333.
Materoa, Hedwig, ISI.
Mathias, Georges, 260.
MiHhaes, Gertrud, 187.
Matthcson, Johann, 77.
Matttiison- Hansen 305.
Mayer, Lina, 188.
Mayer-Mahr, Moritz, 184. 252.
Mayerhofer, F., 383.
Mayerbofer, L., 315.
Maiellicr. Jules. 254.
van Mechcleti 306. 320.
Medtner, Nicolaus, [245. 313.
384.
M«bul, E. N., 308. 352.
Meinccke, Ludwig. l3l,
Mencke, Annemarie, 379.
Mendelssohn. Arnold, 244.
V. Mendelssobn-Banboldy, Ernst,
256.
Mendelssohn, Fanny, 87.
Mendelssohn -Banholdy, Felix,
13. 26. 45. 63. 85, 89, 87.
SS. tS4. 100. 101. 213. 248.
251. 256 (Bilder). 279. 281.
301. 310.311. 316.332.333.
352. 380. 383. 385. 386.
Mendta. Catulle, 375.
Mengeiberg. \C , 188. 250.
v. Menzel, Adolph, 303.
Merkel, Willy, 178.
MerS, Jolanda. 387.
Messchaert, Jnbannes, 183. 245.
254. 310.
M^szaros, Eraerich, 179. 307.
Mctzger-Froitiheim, Ottilie, 315.
Meyer, Hedwig, 315.
Meyer. Joseph, ITI.
de Meyer, Pierre, 181. 37S.
Mcyer-QuarlcH. Waldemar, 379.
Meyer, Willem, 250.
Meyerbeer. Giacomo, 170. 242.
308. 352.
Michelaen 74.
Mlehllag, Elsa, 246.
V. Mildenburg. Anna, 319.
Milder, Anna, 87.
Miraky, Moses, 31S. 382.
Mitniizky, J.. 186. 312.
Mohr, Emmy, 310.
Mona
, L, 6
Mondel. August, 183. 247.
Monhaupt, F., 383.
Mönkemcycr. G., 248.
de Moni, Pol, 306.
Moor, Emanuel, 184. 24S. 255.
316.
Moran, Dora, 246. 383.
Mo ran- Ol den, Fanny, 383.
Moravec, K., 245.
Morena, Berts, 125. 308.
Mflrlke, Eduard, 170.
MOrike, Eduard (Kapellmdster),
250. 251. 372.
Momy, Lina, 240,
Moers, Andreas, 240.
Morvay. Susanne, 246.
MoBCheles, Charlotte, 301.
Moscheies, Felix, 256.
Moscheies, [gnaz, 301.
Moser, Andreas, 240.
Moser, Karl, 341.
Moaewius, Joh Tb-, SS.
Moest, ßudoir. ISO. 316.
da Mona, Josi Vfanna, 186.
de la Mottc-Fouquj 343.
Mottl, Felix, 62. 124. 168. 101.
318. 3S4.
Moussorgsky, Modest, 308.
Mozart, Leopold. 274.
Mozart, WolfESng .Amideus, 38.
41. 43. 45. 61 (Die MOo-
chenerM.-FMtspielel.81. 127.
132. 137. 140. 142. 143. 144.
145. 160. 165. 1S7. 168. ISO.
ISO. 192. 233. 234. 235. 241.
243. 245. 246.248.250.251.
1 252. 253. 254. 307. 311. 312.
313. 314. 315. 316. 31^7. 318.
319. 343. 351.352.371.372.
375. 378. 379. 380. 384. 385.
Mozart-Verein (Dresden) 314,
Mukle, May, 311.
MulTat, Gotilieb, 114.
' MOller. Adoir, IS4.
Vlll
NAMENREGISTER
Mfltler, Julius, 243.
Malier, Mariane, 340.
Malier, Peter, 182.
Maller (Sängerin) 180.
Mailer-Rastatt, Ella, 380.
Mailerhartung, Carl, 379.
Manchhoff, Mary, 247. 311.
Muncker, Theodor, 366.
Mysz-Gmeiner, Lula, 252. 310.
311. 383.
Napoleon I. 350.
Nast, Minnie, 61.
Naumann, Emil, 224. 226. 228.
Naval, Franz, 60. 306. 313.
Nebuschka, Franz, 61.
Nedbal, Oskar, 191. 255.
Neebscher Mlnnerchor 383.
Neefe, Chr. Gottlob, 85.
Neidhardt, August, 330. 333. 334.
Neisch, Margarete, 382.
Neitzel, Otto, 250. 377.
Neitzel, Frl., 190.
Neschdanowa, Anton ina, 242.
Neubauer, Johann, 240.
NeudOHTer, Julius, 182.
Neugebauer-Ravoth, KIte, 184.
Neumann, Alexander, 247.
Neumann, Angelo, 242.
Neumann, F. W., 249.
Ney, EUy, 251.
Nicod6, Jean Louis, 116. 183.
189. 235. 312. 315.
Nicolai, Otto, 63. 180. 281. 316.
Niemann, Walter, 47. 48. 112.
Niemcewicz 243.
Nietzsche, Friedrich, 91.92. 174.
Nikisch, Arthur, 180. 182. 189.
244. 251. 252. 311. 377. 384.
Norden, Juanita, 381.
Nordica, Lillian, 375.
Nordraak, Richard, 68. 70.
Noren, Heinrich G., 382.
NovAcek, A., 385.
Novak, Vitezlav, 384.
Noverre 233.
Nowack, Otto, 371. 372.
Nybiom (Singer) 309.
OberdOrffer, Martin, 383.
Oberländer, Adolf, 303.
Obrist, Aloys, 182. 319.
Ochs, Siegfried, 243. 315. 377.
Ochs, Traugott, 63. 311.
Offenbach, Jacques, 181. 239.
310. 375.
Ohlhoff, Elisabeth, 314.
Ohlson, Marta, 386.
Ohnesorg, Carl, 376.
Opfer, Fanny, 381.
Opiu, Paul, 324.
Oppel, Reinhard, 109.
Oratorienverein, Mengewein-
scher, 311.
Orobio de Castro, Artur, 189.
Orobio de Castro, Max, 180.
Orthec, Maria E., 253.
Osbome-Hannah, Jane, 181.
V. d. Osten, Eva, 61. 240. 382.
Oster, Mark, 372.
Ostrowsky, Alexander N., -242.
V. Othegraven, August, 96.
Ottenhelmer, Paul, 242.
Overmann, Alfred, 388.
Pachelbel, Johann, 50. 172.
v. Pachmana, Wladimir, 317.
Paderewski, ignaz, 316.
Paganini, Nicolo, 43. 44. 45.
Pahnke, Woldemar, 315.
Paladilhe, Emile, 310.
Palitzin, Iwan, 242.
Panzner,Carl, 186.245.254 376.
Parary (Singerin) 178.
Parent-Quartett 254.
Pariow, Kathleen, 183.
V. Paszthory, Palma, 378.
Pategg, Max, 363.
Pathy, Helene, 387.
Patti, Adelina, 253.
Pauer, Max, 191. 247. 250. 318.
319. 382. 384.
Paul, Bruno, 303.
Paul, Jean, 30. 171.
Pembaur, Joseph, 253. 384.
Pembaur, Karl, 188.
Pembaur, Frau, 253.
Pennarini, Alois, 180. 371. 382.
Perak (Singerin) 315.
Perrea, E., 374.
Pergolesi, G. B., 170.
Perieberg, Arthur, 186.
Perosio, E., 374.
Perron, Carl, 95.
Perscheid, N., 64.
Pestalozzi, Heinrich, 185.
Peters, C. F., 68. 69. 70. 74. 338.
Peters, E., 315. •
Peterson • Berger, Wilhelm, 48.
309.
Petri, Henri, 116. 249. 314.
Petri-Quartett 250. 315.
Petrowa, Wera, 242.
Petschnikoff, Alexander, 250. 25 1 .
380.
Petzl, Marie, 179.
Pfannstiehl, Bernhard, 317.
Pfeiffer, Elly, 240.
Pfitzner, Hans, 190. 191. 250.
255. 314. 316. 318. 338. 368.
Philharmoniker, Berliner, 191.
Philipp, Robert, 124.
Philipp], Maria, 250. 316. 317.
382. 383.
Piatti, Alf^do, 189.
Pickert, Adelheid, 178.
Piehler (Singer) 382.
Piekol (Singer) 242.
Piem6, Gabriel, 249. 317. 376.
Pilo, Mario, 110. lU. 112.
Pinks, Emil, 317. 377. 384.
Pisendel, Joh. G., 78.
Pltteroff, Mathlus, 309.
Plaichinger, Thila, 125.
Planer, Minna, 241.
V. Platen, August Graf, 171.
P16tz, Hermann, 386.
Piacker, Hermann, 182.
Piaddemann , Martin , 89 ff
(M. PI.). 128 (Bilder).
Piamer, F., 63.
Pocci, Franz Graf, 171.
Poe, E. A., 171.
Pogliettl, A., 184.
Pohl, Richard, 265.
Pohlig, Carl, 182. 309.
Poike, Max, 378.
Pollak, Egon, 371.
Ponchielli, Amllcare, 241.
Poppe, Reimar, 182.
Porges, Fr. Wilh., 245.
V. Possart, Ernst, 317.
Pott, Therese, 383.
PreO, Josef, 310.
Preß, Michael, 310.
PreO-Maurina, Vera, 310. 384.
Presuhn, Alexander, 319.
Preuse-Matzenauer, Margarete,
62. 125. 308. 371. 375.
Prevosti, Franceschina, 373.
Pricken, Liane, 376.
Prill, Emil, 116.
Prill, Paul, 183.
Prochazka, K., 245.
Pr611, Rudolf, 178.
Prume, F. H., 44.
Prusse, Theodor, 186.
Prower, Julius, 240. 372.
Puccini, Giacomo, 124. 179. 18 t.
240. 242. 310. 371. 372. 374.
Pugno, Raoul, 115. 385.
Puschkin, Alexander, 171.
Pythagoras 231.
Quanz, J.J., 78.
Querfurth, Hans, 178.
Raabe, Peter, 309.
Rabl, Walter, 52.
Rabl-von Krlesten, Hermine, 239.
Raboth, Wilhelm, 180.
Rachmaninow, Sergei, 385.
Racine, J. B., 171.
Radecke, Robert, 305.
v. Radklewicz, Claudia, 240.
Raff, Joachim, 105. 235. 250.
Rajchmann, Alexander, 243.
Rameau, J. Ph., 77.
Rapp, Fritz, 181. 373.
Rasmussen, Magnhild, 189.
vom Rath, Felix, 244.
Ravel, Maurice, 186.
Raven, Ernst, 240.
Raven, Theo, 372.
Raylaendt (Komponist) 306.
Rebhun, Elise, 188.
Rebikoff, Wladimir, 48.
NAMENREGISTER
IX
Redim, Ph., 68.
V. Redern, Grif, 332. 333. 334.
Reger, Max, 3 ff (Zur Beurteilung
der Kunst M. R.'s). 10 ff
(Ofliener Brief). 46 ff. 50. 51.
64 (Bild). 06. 131. 145. 184.
180. 100. 220. 250. 251. 252.
305. 315. 316. 382. 384. 387.
Rehberg, Adolf, 315.
Rthberg, Villy, 188. 315. 317.
Refakopf, Paul, 243.
Reicfaardt, Joh. Fr., 80. 340.
Reichel, Karl, 380.
Reichenberger, Hugo, 315.
Reichert, Johannes, 250.
Reichner- Festen, Anna« 378.
Reichwein, Leopold, 242. 371
(«Die Liebenden von Kanda-
har." Uraufführung in Bres-
lau). 372.
Reimers, Paul, 246. 377.
Reinecke, Carl, 98. 105. 252.
311. 368.
Reinhold, Arthur, 189. 248. 317.
Reiniger, Otty, 319.
Reinken, Jan, 76.
Reinthaler, Charlotte, 99. 106.
Reinthaler, Henriette, 99.
Rdnthaler, Karl, 98 ff (Aus dem
Briefwechsel von Johannes
Brahms mit K. R.).
Relsenauer, Alfred, 128. 184.
189. 190. 210ff (A. R. f).
. 249. 317.
Reiß, Albert, 125. 375.
ReiOiger, CO., 114.
R6mond, Fritz, 181. 308. 373.
Renaud 375.
Rettu, Dr., 140.
Reufi-Belce, Luise, 180. 373.
V. Reoter, Florizel, 316.
Reuter, Fritz, 171.
Reyer, Emest, 178.
Reymond, Eugene, 315.
V. Reznicek, E. N., 243.
Rheinberger, Joseph, 304. 305.
Rhode-Schaeffer, Margarete, 378.
Richards, Max, 372.
RIchardaon (Cellist) 253.
Richepin, Jean, 375.
Richter, B. Fr., 109.
Richter, E. Fr., 91.
Richter, Hans, 172. 283. 381.
Rider, Cornelia, 317.
Riedel, Robert, 172.
Riedel -Verein 189.
Rieger 178.
RIemann, Hugo, 109.218. 317.
Riemann, Ludwig, 185.
Riecsch, Heinrich, 20.
Riecz, Eduard, 87.
Righini, Vincenzo, 340.
RiUer, Otto, 188.
Rimsky-Korssakow, Nikolai 235.
Rinck, Cb. H., 50.
del Rio, Giannatasio, 367.
Ripper, Alice, 240. 247. 317.
Risler, Edouard, 183. 184. 185.
249. 250. 252. 255. 315.
Ritchie, Albany, 378.
Ritter, Alexander, 151.
Ritter, Anna, 52.
Rittershaus, Emil, 265.
Robert-Tomow, Gustav, 46 ff. 49.
Rochlitz, Joh. Friedr., 80. 81.
84. 85.
Roeder, Carlotta, 240.
Rohde, Alice, 184.
R6hr, Hugo, 308.
Rolfen, Nordahl, 75.
Roller, Alfred, 310.
Romaine, Nanon, 380.
Rom bell, Gerda, 246.
Romberg, Andreas, 341.
Romberg, Bernhard, 341. 342.
343.
Ronald, Landen, 378.
Roosevelt, Maud, 240.
van Rooy, Anton, 95. 375.
Ros6, Arnold, 387.
Roesger, C, 385.
R6sner, Franz, 181.
v. Roessel, Anatol, 317.
Rossini, Gioachino, 145. 181.
375.
R601er, Gertrud, 248.
Roth, Bertrand, 188. 382.
Rothauser, Therese, 124.
Rothbarth, Fr., 132.
Rother, Gotthold, 182.
Rotten berg, Ludwig, 61. 241.
250. 315.
Rousseau, J. J., 38.
RousseU Albert, 254.
Rubens, Paul, 181.
Rubens, P. P., 84.
Rubinstein, Anton, 61. 248.
Rflckbeil, Hugo, 319.
Rackbeil-HlUer, Emma, 250. 319.
Rackert, Friedrich, 126. 188.
230.
ROdiger, Hans, 61.
Rudolf, Erzherzog, 367. .
Rudorff, E. 98. 235.
Ruffo, Titta, 374.
Ruflnatscha, Johann, 229.
Rummel, Angelika, 185.
Rumpel, Franz, 60. 307.
Runnquist (Geiger) 386.
Rupp, E., 255.
Rflsche-Endorf, CIcilie, 180.
Rüssel, Elyda, 381.
de Ruyter-Korver (Geiger) 63.
Ruzek, Maria, 178.
Rywkind, Josef, 245. 378.
Saal, Hermann, 310.
Saatweber-Schlieper, Ellen, 245.
250. 382.
Sacchini, A. M. G., 344.
Sachs, Hans, 211.
Sacks, Voldemar, 189.
Saint-SaCns, Camille, 127. 180.
245. 252. 253. 254. 312. 315.
275. 385.
Salieri, Antonio, 192.
Samuelson, Lucy Ingeborg, 184.
Sandberg, Axel, 301. 302.
Sanderson, Lillian, 265.
Sapellnikow, Wassily, 318.
de Sarasate, Pablo, 284. 312.
315. 318.
Sardou, Victorien, 375.
Sarsen, Ellen, 248.
Sattler, Carl, 319.
Sauer, Emil, 126. 246. 249.
250. 255. 315. 316. 383. 385.
Sauret, Emile, 245. 255.
de Sauset, M. Th., 250.
Sauzay, J., 234.
Schldrich, W., 63.
Schäfer, Anna, 127.
Schaeffer, Frida, 378.
Schiffer (Antwerpen) 306.
Schal japin, Feodor, 182. 375.
Schalk, Franz, 124. 319.
Schapira, Wera, 255.
Scharrer, August, 184. 245. 378.
Scharrer, Irene, 252.
Scharwenka, Ph., 116.
Scharwenka, Xaver, 184.
Schltzel, Pauline, 87.
Schauer, Alfred, 239.
Schaul, Helene, 245.
Scheidemantel, Karl, 61. 189.
264.
Scheider, May, 247.
vom Scheidt, Julius, 308.
Scheidt, Samuel, 50.
Schelble, Joh. Nep., 88.
Schellenberg, E. L., 174.
Schelling, Emest, 186.
Scheumann, A. R., 388.
Schick, E. J. Chr., 340.
Schick, Margarete Luise, 340.
Schick-Nauth, Paula, 185.
Schiffer, A., 381.
SchildOrfer, Vilma, 376.
Schiller, Friedrich, 34. 159. 283.
284. 371. 386.
Schilling, A., 63.
Schilling, Walter, 382.
Schillings, Max, 244. 250. 273.
311. 317. 318.
Schindler, Anton, 368.
Schirmer, Robert, 307.
Schirmer, Wilhelm, 301.
Schjelderup, Gerhard, 64.
Schläger, Lucie, 373.
Schlosser, Anton, 253.
Schmalstich, Clemens, 247. 312.
314.
Schmid-Lindner, August, 244.
NAMENREGISTER
Schmidhammer^ Arpad, 303.
Schmidt, Dr., 107.
Schmidt, E., 255.
äichmidt, Felix, 311.
Schmidt, Franz, 387.
V. Schmidt, Hetta, 313.
Schmiedel, Julian, 240.
Schmitz-Schweicker,Hedwig,318.
Schnabel, Artur, 245. 248. 252.
318. 378. 381.
Schnabel-Behr, Therese, 248.
318. 381.
Schneevoigt, Georg, 191. 253.
319.
Schneider, Louis, 340.
Schneider, Max, 109.
Schnirlin, Ossip, 51. 184. 248.
Schnitzer, Germaine, 247. 383.
SchOIer (Pianist) 63.
Schon, Hedwig, 387.
Scholz, Bernhard, 98. 243.
Scholz, Luise, 98.
Schon, Friedrich, 366.
SchOnberg, Arnold, 387.
SchOnberger, Johanna, 182.
SchOningh, Anna, 250.
Schopenhauer, Arthur, 29. 92.
SchOpflSer, Maria, 248.
Schott's Söhne 108.
Schrattenholz, Leo, 245. 381.
SchreclK, Gustav, 313.
Schrey (Komponist) 306.
Schröder, Alwin, 188. 250.
Schröder, Emmy, 241.
Schroeder, Karl, 316.
Schroeder, K. M., 385.
Schröter, Luise, 243.
Schrötter, Marie, 181.
Schubert, Franz, 127. 135. 167.
170. 184. 185. 187. 189. 190.
192 (Autograph). 2 12. 245. 246.
247. 248. 250. 252. 253. 311.
313. 316. 317. 319. 368. 378.
379. 380. 383. 384. 385. 386.
Schubert, Osltar, 184. 247. 253.
313.
Schuberth & Co. 107. 113.
Schubring, Julius, 301.
V. Schuch, Ernst, 61. 187. 372.
382.
Schultz, Amalie, 381.
Schulz, Josephine, 349.
Schulze-Prislia, Walter, 382. 384.
Schumann, Georg, 63. 116. 126.
184. 244. 253. 312. 319. 377.
Schumann, Robert, 6. 13. 41. 42.
45. 170. 187. 189. 192. 212.
235. 243. 246. 248. 249. 250.
252. 254. 255. 286. 312. 313.
314. 316. 317. 318. 369. 377.
380. 381. 383. 384. 385.
Schtlnemann, Else, 183. 310.
Schuster & Loeffler 368.
Schfltt, Eduard, 311. 312.
Schatz, Hans, 189. 241. 243.
Schatz (Organist) 86.
Schwab, Prof., 319.
Schwabe, Emmy, 186. 239.
Schwabe, Friedrieb, 186.
Schwartz, Josef, 317.
Schwartz, Prof., 318.
Schweitzer, Julius, 318.
Scriabine, Alexander, 48. 186.
Scriba, Christa, 253.
Sebald, Alexander, 378.
Sefftaer, Carl, 64.
Seidel, Hermann, 184.
Seidl, Arthur, 132. 146.
Seifert, Ernst, 378.
Seilfert, Gertrude, 246.
Seiffert, Max, 63. 109. 112. 172.
381.
SeiO, Isidor, 233.
Seitz, Richard, 319.
Sekles, Bernhard, 126. 188. 245.
253.
Sellin, Lisbeth, 240.
Sembach, Johannes, 61. 179.
Senger-Bettaque, Katharina, 182.
309.
Senius, Felix, 247. 250. 310. 31 1.
319. 377.
Serato, Arrigo, 191. 378.
Seret, Maria, 317. 381.
Seväik-Quarteu 245. 384.
Senff, Richard, 384.
Shakespeare, William, 31. 282.
Sibelius, Jean, 116. 127. 251.
314. 384.
Sieben, Wilhelm, 190. 318.
Siegel, Felix, 197.
Siegel, Louis, 126.
Siegfried (Librettist) 338.
Siems, Margarete, 242.
Siewert, Hans, 239. 240.
Siloti. Alexander, 385.
SImrock, N., 105. 106.
Sinding, Christian, 114. 245.
312.
Sinigaglia, Leone, 255.
Sistermans, Anton, 184. 380.
Sitt, Hans, 188. 189. 317.
Sivori, Camino, 44.
Slezak, Leo, 125.
Smetana, Friedrich, 240. 243.
245. 252. 253. 306.
Soci6t6 de concerts d'instruments
anciens 219. 311. 378.
Soden (Librettist) 338.
Solodownikoff 242.
Soloquartett, Leipziger, 383.
Solty, Hans, 380.
Sommer, Curt, 307.
Sommer, Hans, 108.
Son, Henri, 316.
Soomer, Walther, 181. 315. 373.
Sorga, Mme., 246 382.
Spemann, Heinrich, 240.
Spencer, Herbert, 111.
Spetrino, Franz, 310.
Spierinir, Theodore, 184.
Spies, Hans, 248.
Spina (Musikverlag) 99.
Spinelli, Niecola, 181.
Spohr, Ludwig, 43. 44. 252.
Spontini, Gasparo, 87. 338 fr
(E. T. A. Hoffmann contra S.).
Sporck, Graf, 308.
Spörry, Robert, 185. 189. 317.
Springer, Gisela, 313. 384.
Sserow, Alexander, 182.
Ssobinoff, Leonid, 242.
Stadtegger, Julie, 373.
Suegemann, Helene, 185. 186.
189. 318.
Stagl, Gusti, 310.
Stahlberg, Georg, 244.
Stahlberger-Stockert, Berta, 248.
Stamitz, Johann, 317. 319.
Stapelfeldt, Martha, 184.
Stavenhagen, Bernhard, 191. 255.
377. 387.
Stebel, Paula, 316.
Stecchetti, L., 374.
Stefaniai, Emeric, 245. 386.
Steffens, Grete, 186.
Steinbach, Emil, 181. 190.
374.
Steinbach, Fritz, 191. 251. 316.
383.
Steinmann, Helmut, 311.
Steinmann, Kurt, 311.
Steinmann, Wolfram, 311.
Steinmann-Trio 311.
Stennebrüggen, Henri, 255.
Stephan, Anna, 381.
Stephani, Alfred, 240.
Stern & OUendorf 324.
Sternfeld, Richard, 379.
Stichling, Eugen, 373.
Stieler, Cari, 113.
Stifter, Adalbert, 17. 30.
Stock, Friedrich, 249.
Stölzel, G. H., 78.
Stone, Lucy, 311.
Stradal, August, 113.
Stransky, Josef, 179.
Straube, Kari, 8. 46. 49.
317.
Strauch, Margarete, 308.
Straus, Oskar, 371.
Strauß, Johann, 145.
Strauß, Richard, 13. 16. 32. 116.
132. 137. 138. 145. 148. 149.
150. 151. 152. 157. 161. 162.
165. 169. 183. 187. 190. 191.
235. 239. 240. 241. 243. 245.
248. 252. 253. 254. 305. 307.
308. 312. 318. 319. 372. 377.
378. 382. 384.
Streicher, Nanette, 367.
Streicher, Theodor, 50. 383.
NAMENSBGISm
EITUNGSAUFSÄTZE XllI
Streichquartett, BOhmitcbei, 190.
245. 252. 370. 378. 383.. 384.
385.
Streichquartett, Brflsseler, 240.
255. 311. 317. 318. 380.
Streichquartett, Mflnchener, 318.
385.
Streichquartett»Petenbnrfer,317.
Strickrodt, Kurt, 240.
Striecler, Kurt, 315.
Stronck-Kappel, Anna, 245. 250.
Stroob.Suaan, 100.
Stubenrancb, Carlotta, 253. 315.
Stubeorauch, Marie, 318.
V. Studt, Konrad, 107.
Stflmer, J. D. H., 340.
Stflrmer (Sinser) 87.
Stury, Max, 307.
Snan, Evelyn, 380.
Suck, Vilbelm, 242.
Suk, Joseph, 245.
Sünderin - Schncevoigt^ SUfflA,
385.
Sutter, Anna, 182. 374.
SvirdatrOm, Aatrid, 180.
Svirdatröm, Olga, 180.
Svirdatröm, Si^d, 180.
SvirdatrOm -Verbeck, V«lbor|^
180. 371. 382. 387.
SvirdatrOm, Geschwister, 387.
Svendsen, Johan, 03.
Swolfi, P., 300.
Sylva, Carmen, 320.
SzAntd, DesideTi 313.
V. Szekrenyessy, Nusl, 180.
Szipanek (Slnterln) 243.
SzUarska, Vanda, 253.
Takits (Sinter) 307.
Taoelew, Serfel, 245w 3SI.
TangOy Eglato, 178.
Tinzler, Hans, 180. 3711
Taylor, Lyell, 318.
Te(n^, E, 270.
Teichmann (Sinfsr) 397.
Telemann, G. Ph., 7& TL
Tertia, Lionel, 247.
Tester, Emma, 317. 3SI.
Tetrazzini, Laba, aOBL
ThamA, Johanna, 181.
Them, Prof., 255^
Thiband, Jacques^ ZUL
Thiecke, Frandi, 2811
Thiel, Karl, 300.
Thiele, Paul O, Mft.
Thoma£, Valerin, Mft.
Thomas, AnbrolM^ ttS
310. 382. ..;
Thnille^ Lndwlfe^ M|jc
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Tlnel, Edgtf, aOH JK
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Harmonium oder Orgel. 50.
— op. 00. Introduktion, Pasai-
caglia und Fuj^e fQr zwei
Klaviere zu vier Hlnden. 50.
— op. 93. Suite im alten Stil
fDr Violine und Klavier. 51.
Reinecke, Carl: op. 274. Trio
fDr Pianoförte, Klarinette und
Hom. 235.
Schantl Josef: Große theoretisch-
praktische Homschule. 174.
Schubert, Franz: KonzertstOck
fDr Violine (Bearbeitung von
Fr. Hermann). 116.
Sekles, Bernhard: op. 13. Liebes-
lieder nach slawischen und
romanischen Dichtungen. 52.
Sinding, Christian : op.77. Sieben
Gedichte von Albert Sergel
fDr eine Singstimme mit Kla-
vierbegleitung. 1 14.
Stephan!, Hermann: op. 12.
GroOe Fuge in c-moll fQr
Orgel. 305.
Stradal, August: Diverse Lieder.
113.
Streicher, Theodor: „Um Inez
weinten trüb an dieser Stelle*'.
50.
Stubbe, Arthur: op. 49. Drei
Lieder. 52.
Thiel, Karl: op. 26. „Die erste
Pflngstpredigt**. 112.
— op. 9. Vier größere Motetten
fOr gemischten Chor a cappella.
369.
Urbach, Otto: op. 28. Vier
Lieder. — op. 29. Vier Lieder.
51.
Vieuxtemps, Henri: 6 fitudes
pour le Violon, revucs par
H. Becker. 235.
Vurzer,Gabriella: Drei Gedichte
von Goethe fOr eine Sing-
I stimme mit Klavier. 114.
iNEN ZEITSCHRIFTEN-
LJFSÄTZE
Nachtrag aus der Zürcher
Zeit 238.
Bayreuther Blätter: Aufruf an alle
Verehrer Richard Wagners. 238.
Khke, Julius: Napoleon I.
and die Musik. 57.
Vilhelm: Klassische und
Musik. 177.
iedrich: Vom Dres-
tkflnstlerfest. 58.
Das Ende der
\sherrschaft. 57.
XII
REGISTER DER BESPROCHENEN BÜCHER UND MUSIKALIEN
Weis, Karl, 376.
Veismann, Julias, 315.
VeiO, Josef, 317. 379.
VeiOenboni , Hermann , 245.
247.
Vend, Otto, 316.
Wendel, Ernst, 252.
Venger, Clotilde, 179.
Wenzky, Georg, 77.
Werner, Florenz, 310.
Werner, Th. W., 382.
V. Westhoven, Ada, 373.
Wetz, Richard, 189.
Wetzel, Hermann, 378.
Wever, Max, 247.
WhitehiU, Clarence, 124. 125.
241. 308. 373.
Wiborg, Elisa, 182. 309.
Widen, Else, 318.
Widhalm, Fina, 124.
Wiekoff, Nikolai, 242.
Wigand, Otto, 99.
Wihan, Hans, 245.
Wild, Friedrich, 253.
Wild, Harrison, 249.
Wilde, Oskar, 152.
Wilder, Viktor, 233.
Wilhelmi, Maximilian, 243.
Wihelmy, Willy, 180.
Wilke, A., 303.
Wille, Alfred, 189.
Wille, Georg, 189.
Wille, O. K., 127.
Williams, Arthur, 245. 378.
Winderstein, Hans, 25 1.252. 3 16.
317. 384.
Winkelmann 174.
Wirk, Wilhelm, 62. 125. 308.
Wirt, Erik, 61.
Wirth, Emanuel, 184.
Witek, Anton, 314.
Wittekopf, Rudolf, 239
Wittenberg, Alflred, 183. 384.
Wittich, Marie, 125.
V. Witzleben, General, 325.
Wohlgemuth, Gustav, 317. 384.
V. Woikowsky-Biedau, Viktor,
132.
Wolf, Hugo, 1 3. 60. 1 35. 1 87. 1 90.
244.247.311.318. 319. 378.
Wolf, Otto, 374.
Wolf, Sophie, 372.
Wolf-Ferrari, Ermanno, 309.
Wolff, Erich J., 127. 248.
Wolff, Ernst, 256.
Wolff, Helene, 378.
Wolfiram, Cari, 307.
Wolfirum, Philipp, 316.
Wolfekehl, Otto, 249.
Wollgandt, Edgar, 252. 317.
Wolter, Bruno, 178.
V. Wolzogen, Hans, 352.
Wood, Henry, 190. 317.
Wood, Frau, 190.
Wörl, G., 63.
Wailner, Franz, 233. 316.
Wtlllner, Ludwig, 247. 250. 253.
313. 386.
Wurfechmidt, W., 251.
Wurzer, Gabriella, 114.
V. Wym6ul, Wilhelm, 181. 241.
373.
Ysaye, Eugene, 255. 385.
Zador, Desider, 125. 178.
V. Zadora, Michael, 380.
Zajic, Florian, 311.
Zawilowski, K., 243.
Zedeler, Nicoline, 245.
Zeising, Adolf, 223. 224. 225.
226. 227. 228.
Zeller, Heinrich, 244.
Zellner, Leo, 313.
Zelter, Kari Friedrich, 79. 80.
85. 86. 87. 301.
Zenatelli, Giovanni, 375.
Ziehn, Bernhard, 109.
Zilcher, Hermann, 374 («Fitze-
butze*. Uraufführung in
Mannheim).
Zimbalist, Efrem, 312. 378.
Zimin, S. J., 242.
Zlotnicka, Meta, 381.
Zoder, Anna, 182.
Zola, £mile, 140.
Zöllner, Heinrich, 306.
Zschoriich, Paul, 132. 136. 139.
140. 145. 146. 153.
Zumpe, Herman, 308 (»SAwitri*.
Uraufführung in Schwerin).
309. 385.
Zwetkowa, Helene, 242.
REGISTER DER BESPROCHENEN BÜCHER
Bach-Jahrbuch 1906. 109.
Bayreuther Briefe von Richard
Wagner (C. Fr. Glasenapp).
366.
Beethovens Slmtliche Briefe
(Alfr. Chr. Kalischer). Bd. III.
366.
Brendel, Franz: Geschichte der
Musik in Italien, Deutschland
und Frankreich. 170.
V. Breuning, Gerhard: Aus dem
Schwarzspanierhause (Alfr.
Chr. Kalischer). 368.
Capellen, Georg: Die Zukunft
der Musiktheorie. 109.
— Ein neuer exotischer Musik-
stil. 231.
Eylau, Wilhelm und Carrie:
Der musikalische Lehrberuf.
170.
Klauwell, Otto: Studien und
Erinnerungen. Gesammelte
Aufsitze aber Musik. 232.
Kreowski, Ernst, und Fuchs,
Eduard: Richard Wagner in
der Karikatur. 303.
Mendelssohn-Bartholdy, Feiix:
Briefe. 301.
Meyers Großes Konversations-
Lexikon. 6. Aufl. Bd. 16. 171.
Pilo, Mario: Psychologie d. Musik.
Gedanken u. Erörterungen. 1 10.
Reinecke. Carl: Aus dem Reich
der Töne. 171.
Robert - Tornow, Gustav: Max
Reger und Karl Straube. 46.
Sandberg, Axel: Empirische Ge-
sangschule in Dialogform für
Lernende und Lehrende. 301.
REGISTER DER BESPROCHENEN MUSIKALIEN
Baeker, Ernst: op. 11. Sechs
schlichte Weisen. 52.
Bering, Christian: Fünf Lieder
von Goethe. 113.
V. Bocklet, Heinrich: Neue,
populäre Klavierschule. 173.
Courvoisier, Walter: op. 12. Das
Schlachtschiflr T6m6raire. 304.
Delune, Louis: Sonate fOr Violine
und Klavier. 235.
Denkmller Deutscher Ton-
kunst. Zweite Folge. Denk-
mäler der Tonkunst in
Bayern. 4. Jahrg. L Bd.
Orgelkompositionen von Joh.
Pachelbel. Nebst beigefflgten
Stacken von Hier. Pachelbel.
172.
v. DohnAnyi, Ernst: op. 5. Kon-
zert für Pianoforte und Or-
chester. 1 15.
Dost, Rudolf: op. 21. Sonate
f-moll ror Orgel. 304.
Ebel, Robert: op. 5. Wander-
REGISTER DER BESPR. ZEITSCHRIFTEN- UND ZEITUNGSAUFSÄTZE XIIF
lieder des Heinrich von Ofter-
dingen. 52.
Eon«« August: „Mutterliebe^.
Legende fflr Soli, Chor und
Orchester. 112.
Filk, Richard: »Aus Junger Ehe"*.
Liederzyklus. 52.
Fuchs, Carl: Violoncell-Schule.
172.
Gebiuer, Paul: 20 Choralvor-
spiele fQr die Orgel. 50.
Georg!, Edmund: Der Fflhrer
des Pianisten. Literatur fQr
den Klavierunterricht. 174.
Hallwachs, Karl : op. 28. Sieben
Gedichte von W^ilhelm Busch
fQr eine Singstimme und Kla-
vier. 113.
Handel, G. F.: Werke für Or-
chester.ConcertiGrossi, No.23.
112.
Henning, Max: op. 11. „Aus
seliger Zeit". Ein Zyklus
von 15 Liedern. 51.
Hinze, Fr. : Orchesterstudien fQr
Klarinette. Bd. I und II. 235.
Kaun, Hugo: op. 74. Drittes
Quartett fQr 2 Violinen, Viola
und Violoncell. 370.
Kienzl, Wilhelm: op. 75. In
Knecht Ruprechts Werkstatt.
Ein Weihnachtsmärchenspiel.
368.
Kosleck, Julius: Orchesterstu-
dien fQr Trompete. 116.
Kreutzer, Rodolphe: 42 EtQden
oder Kapricen fQr Violine. 116.
KHiek, A.: Hand-Kultur fQr
Klavier, Streichinstrumente,
fQr jede Handkunst. 174.
KroO, Emil: Gradus ad Pamas-
sum fQr die Violine. 116.
Lewin, Gustav: Lieder fQr eine
Singstimme mit Pianoforte-
begleitung. 174.
Lie, Sigurd: Zwei Lieder. FQr
Streichorchester gesetzt von
Johan Halvorsen. 370.
Loewe, Carl: 44 Prlludien fflr
die Orgel (G. Zanger). 370.
— Geistliche Gesinge fQr mitt-
lere Singstimme. 370.
Meisterwerke deutscher Ton-
kunst. Gottlieb Muffst: Aus-
gewählte Klavierwerke. 114.
V. MOUendorf, Willy: op. 19.
FQnf Lieder. 52.
Mozart, W. A. : Balletmuslk aus
der Pantomime „Les petits
riens". FQr den Konzert-
gebrauch eingerichtet von
Georg Göhler. 233.
— Siebentes Konzert fQr Violine
und Orchester. Zum ersten
Male herausgegeben von Albert
Kopfermann. 233.
Orchesterstudien. Eine Samm-
lung schwieriger Stellen aus
Tonwerken fQr Kirche, Theater
und Konzertsaal. Ausgabe
fQr zweite Violine (Fr. Her-
mann), Ausgabe fQr Violoncell
(Fr. GrQtzmacher). 115.
Orgel- Kompositionen zum Kon-
zert- und gottesdienstlichen
Gebrauche. Herausgegeben
von Willy Herrmann. 305.
Palaschko, Johannes: op. 39.
FQnf CharakterstQcke fQr drei
Violinen. 116.
Pirani, Eugenio: op. 88. Die
Hochschule des Klavierspiels.
173.
Prill, Emil: Orchesterstudien fQr
Flöte. 116.
Pugno, Raoul: „Paysages^, 4
KlavierstQcke. 115.
Rabl, Walter: op. 13. „Sturm-
lieder". 52.
Reger, Max: „Meinen Jesum
laO ich nicht". Choralkantate
No. 4. 50.
Reger, Max : Romanze (a-moll) fOr
Harmonium oder Orgel. 50.
— op. 06. Introduktion, Passa-
caglia und Fuge fQr zwei
Klaviere zu vier Händen. 50.
— op. 93. Suite im alten Stil
fQr Violine und Klavier. 51.
Reinecke, Carl: op. 274. Trio
fQr Pianoforte, Klarinette und
Hom. 235.
Schantl Josef: GroDe theoretisch-
praktische Hornschule. 174.
Schubert, Franz: Konzertstück
fQr Violine (Bearbeitung von
Fr. Hermann). 116.
Sekles, Bernhard: op. 13. Liebes-
lieder nach slawischen und
romanischen Dichtungen. 52.
Sinding, Christian : op. 77. Sieben
Gedichte von Albert Sergel
für eine Singstimme mit Kla-
vierbegleitung. 1 14.
Stephani, Hermann: op. 12.
Große Fuge in c-moll fQr
Orgel. 305.
Stradal, August: Diverse Lieder.
113.
Streicher, Theodor: „Um Inez
weinten trQb an dieser Stelle".
50.
Stubbe, Arthur: op. 49. Drei
Lieder. 52.
Thiel, Karl: op. 26. „Die erste
Pflngstpredigt". 112.
— op. 9. Vier größere Motetten
fQr gemischten Chor a cappella.
369.
Urbach, Otto: op. 28. Vier
Lieder. — op. 29. Vier Lieder.
51.
Vieuxtemps, Henri: 6 £tudes
pour le Violon, revues par
H. Becker. 235.
Wurzer, Gabriella : Drei Gedichte
von Goethe für eine Sing-
stimme mit Klavier. 114.
REGISTER DER BESPROCHENEN ZEITSCHRIFTEN-
UND ZEITUNGSAUFSÄTZE
Aders, Egon: Kundrys Lachen.
53.
Allgayer, Andreas: Modulation
und Mollgeschlecht im Ge-
sangunterricht der Volks-
schule. 59.
Ahmann, Wilhelm: Joseph Jo-
achim. 123.
Avellis, Georg: Vorlesungen
Qber Stimmbildung und Sprech-
technik unter BerQcksichtigung
der Stimmhygiene. 59.
Batka, Richard: Musikalische
Apokryphen. 122.
— - LIrm. 123.
— Ein Besuch in Glucks Hei-
mat. 123.
— Vom Wechsel der Stimmung.
237.
- Zurück zur Melodie? 237.
Bayreuther Blltter: Richard
Wagner an Ministerialdirektor
Ludwig von BQrkel. 238.
— Briefe an Richard Wagner,
Nachtrag aus der ZQrcher
Zeit. 238.
Bayreuther Blltter: Aufruf an alle
Verehrer Richard Wagners. 238.
Blaschke, Julius: Napoleon I.
und die Musik. 57.
Bopp, Wilhelm: Klassische und
moderne Musik. 177.
Brandes, Friedrich: Vom Dres-
dener TonkQnstlerfest. 58.
Caligula: Das Ende der
Schreckensherrschaft. 57.
XIV REGISTER DER BESPR. ZEITSCHRIFTEN- UND ZEITUNGSAUFSÄTZE
Chop, Max: Frederik Delius.
58.
Chybinski, Adolf: Dietrich
Buxtehude, Bachs Vorginger.
57.
Gramer, Hermann : FQhrer durch
die Literatur des Violoncellos.
57.
Dammann, Immanuel: Das reli-
giöse Element in den «Meister-
singern**. 54.
Dörschel, August: August
Richard. 57.
Droste, Garlos : Max BQttner. 57.
Eitz, Garl: Die Tetrachorde in
der Tonleiter. 59.
Ergo, Emil: Ober Vagners
Melodik und Harmonik. 53.
238.
Flatau, Th. S. : Ober krankhafte
Mitbewegungen beim Singen.
59.
Gehrmann, Hermann : Joseph
Joachim. Eine Würdigung.
123.
Griner, Georg: Zum Kapitel:
Richard StrauO. 119.
GroO, Felix: Philosophische
Deutungen des Wagnerschen
Mythos. 53.
— Versuch einer vollstlndigen
philosophischen Deutung von
Wagners Ringmythos. I: Die
Gestalt Logos im »Ring". 238.
Gura, Hermann: Sawirri. 177.
Gusinde, A. : Das Notenlesen im
Lichte der Schulhygiene. 59.
Herborn, H.: Welche Beding-
ungen ermöglichen einen ratio-
nellen Gesangsunterricht? 58.
Herrmann, Emil: Der Chor im
griechischen Drama, beson-
ders bei Aschylos und So-
phokles, und die ParsifalchOre
von Richard Wagner. 54.
HeuO, Alfred: Das dritte Deut-
sche Bachfest in Eisenach. 55.
Hofinann, Friedrich: Das Char-
lottenburgerSchillertheater. 54.
Holzer, Ernst: Zur wQrttember-
gischen Musikgeschichte. 237.
V. Homstein, Robert: Memoiren.
236.
Hubermann, Bronisliw: Meine
Erinnerungen an Joseph Jo-
achim. 118. 123.
Jendrossek, Karl: Die „neuen
Bestimmungen** und der Ge-
sangsunterricht im Seminar.
59.
Karlyle, C: Die Coventgarden-
Oper. 58.
KloO, Erich: »Parsifal** (1882
bis 1907). 56.
KloO, Erich: Joseph Tichatschek.
58.
— Zum „ParsifAl*-JubilIum. 58.
Knetsch, Berthold : Tonale Chro-
matik. 58.
Kohut, Adolph: Der erste Inter-
pret des Rienzi und Tann-
hluser. 57.
V. Komorzynski, Egon: Die
«Meistersinger von NQmberg**
und ihre literarische Tradition.
54.
— C-moll Symphonie und Pasto-
rale. 56.
König, A. : Schonung der Stimme
im Gesangunterricht der
Mittelschule. 59.
Korngold, Julius: Joseph Jo-
achim. 116. 123.
— Felix Weingartner. 118.
— Ignaz Brau. 118.
KrauO. Rudolf: Friedrich Vischer
und die Musik. 56.
Leichtentritt, Hugo: AuffQh-
rungen llterer Musik in
Beriin. 54.
Leipziger Volkszeitung: Beet-
hovens Missa solemnis und
Neunte Symphonie. 120.
v. Maalkn, Carl Georg: E. T.
A. Hoflhnanns Bamberger
Wohnung. 237.
Marsop, Paul: Theodor Goering.
119.
— Von der Mflnchener musika-
lischen Volksbibliothek. 122.
— Das Ergebnis der MQnchener
FestauffOhrungen. 177.
Meinhof, Karl: Melodie und
Rhythmus in Sprache und
Musik. 121.
Mittmann, Paul : Joseph Joachim.
Ein Gedenkblatt. 123.
MOhl, Friedrich: Ignaz Brflll.
122.
Moller, Erich: C. Ad. Lorenz.
Zum 70. Geburtstage des
Meisters. 123.
Mflller-Liebenwalde, Julie: Die
Erziehung der weiblichen Sing-
stimme. 59.
MQnzer, Georg: Obungen in
der Betrachtung musikalischer
Kunstwerke. 7 : Die dreiteilige
Liedform. 8: Rondo. 57.
Nebelong: Methodische Gestal-
tung des Anfangsunterrichts
im Schulgesang. 59.
Neue Musikzeitung (Stuttgart):
Eindrücke und Nachklinge
vom Dresdener TonkQnstler-
fest. 55.
Neustadt, Richard: Wagneriana.
56.
NeiDer, Arthur: »Salome**. 55.
Neitzel, Otto: „Salome** von
Oskar Wilde und Richard
StrauO. 55.
Nodnagel, E. O.: Theorie und
Methodik der Stimmbildung
im 19. Jahrhundert. 59.
Paetow, Walter: Professor Jo-
seph Joachim. 123.
Peltzer, Alfred: Henry Thode
als Redner. 238.
Puttmann, Max: Das dritte
Deutsche Bach fest. 57.
— Joseph Joachim f» 1^3.
Riemann, Hugo: Die melodische
Struktur des Ordinarium der
Ostermesse. 54.
Scheibler, Ludwig: Das achte
Kammermusikfest in Bonn.
55.
Scheumann, A. R.: Das Richard
Wagner-Haus in Graupa. 57»
Schjelderup, Gerhard : Edvard
Grieg. 238.
Schmidt, Leopold: Joseph Jo-
achim t- 123.
Schultz, Detlef: Joseph Jo-
achim t- ^*
Schflz, Alfred: D. Heinrich
Adolf KOstlin f- 55.
— Alice Danziger. 57.
Segnitz, Eugen : Correggio's
Farbenmusik. 56.
Smolian, Arthur: Edvard Grieg f*
177.
Soehle, Karl: Warum ich den
„Fidelio* liebe. 237.
Spanuth, August: Das Volks-
liederbuch fQr Minnerchor.
57.
Stemfeld, Richard: Zum ersten
Male in Bayreuth. 119.
Die Stimme (Berlin): Robert
Radecke. 59.
Sturmann : Neuere Arbeiten zur
Physiologie und Pathologie
der Stimme. 59.
Teneo, Martial: Le Chevalier
de Malte ou la Reine de
Chypre. 54.
Vereinigte Musikalische Wochen-
schriften (Leipzig): Elf Briefe
von Richard Wagner an Georg
Unger, den ersten Bayreuther
Siegfried. 58.
Vossische Zeitung: Joseph Jo-
achim. 123.
Waiden, Franz: Dem Gedenken
eines guten Bekannten. 57.
Wallner, L.: Der .Fall dMndy**
verlegt noch Frankreich. 58.
Weingartner, Felix: Die Solisten
in den Orchesterkonzerten..
120.
REGISTER DER BESPR. ZEITSCHRIFTEN- UND ZEITUNGSAUFSÄTZE XV
Veingartner, Felix: Ober musi-
kalische Formen. 175.
Vellmery August: Eduard Grell.
59.
Wiedermann, F.: Notenufeln
mit Übungen fQr den Schul-
gesangsunterricht. 59.
Williams, C. F. Abdy: Some
Italian organs. 54.
Woerner, Roman: Jaques-Dal-
croze. 122.
Voir, Johannes: Zur Isaac-
Forschung. 54.
V. Wolzogen, Hans: Von der
Walstatt der Sprachverrottung.
53.
— Aus Heinrich von Steins
Briefen. 54.
Wothe, Anny: Isadora Duncans
Tanzschule. 57.
Wustmann, G.: Zur Entstehungs-
geschichte derSchumannschen
„Zeitschrift fQr Musik**. 54.
Zeitschrift der Internationalen
Musikgesellschaft: Orlando
Gibbons, the »English Palest-
rina«. 54.
Zeitschrift fflr Orgel-, Harmo-
nium- und Instrumentenbau
(Graz): Die große Orgel in
der Stiftskirche von St Florian
(OberOsterreich). 59.
— Reminiszenzen Aber alte und
neue Erfindungen im Orgel-
bau. 59.
Zimmermann : Ober die Brumm-
stimme. 59.
— Beitrlge zur Stimmisthetik
und Stimmhygiene. 59.
Zschoriich, Paul: Edvard] Grieg
f. 238.
DIE MUSIK
I I
MODERNE TONSETZER HEFT
Die Erfindung Ist überall die Hauptsache
Friedrich Hebbel
VII. JAHR 1907 1908 HEFT I
Erstes Oktoberheft
Herausgegeben von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & LoePFler
Beriin "W. 57, Bülowstrasse 107
"SAKciEf^
Richtung, Bildnerei, Musik — jede Kunst und jedes Kunstwerk
1 stellt sich uns dir unter verschiedenen, verschiedenartigen Ge-
I sichtspunkien. So kann man noch Im Musiker den Musiker und
I den Künstler scheiden, das musikalische Vermögen und die in
jenem wirkende menschlich-geistige Potenz. Diese Scheidung ist nicht
ohne Abstraktion. Aber auch was an ihr Abstraktion ist, hat starke sach-
liche Notwendigkeit. Nicht offenkundig bietet sie sich unserem Gedanken.
Nicht ihre allgemeine Bedeutung ist uns sofort versiandesmXssig greifbar.
Viel weniger noch die Bildung jener Grenzlinie, die sie im Einzeiralle
zwischen Musiker und Künstler zieht. Indessen, sicherer als der lotetlekt
besteht unser Gefühl auf jener geheimnisreichen Trennung; und, geleitet
von einem unbeirrten Instinkte, treffra wir vielhcb zusammen in der Be-
urteilung des Einzelnen, ehe wir uns über ihr wissenschaftliches Recht und
über das Ganze begriffliche Klarheit schufen.
Vom Zwange ähnlicher Unterscheidungen rind Kritik und Literatur
unsrer Gegenwart beherrscht, oR ohne selber es recht zu spüren. Ver-
stehen wir diese Tatsache als Symptom und fragen, was in ihr sich an-
kündigt — : dann klingt der übliche Bescheid nun doch verdSchtig. Es ist
ja leidlich bestechend, dass nur ausgelassener Dilettantismus der Vater all
jener flüssigen Vorsieilnngen sei. Aber man bringt einer lEntscheidung,
die so bequem tabula ras« macht, lieber zu viel als zu wenig Misstrauea
entgegen. Und hat man erst einmal den sachlichen Wert eines jener un-
durchforschteo Begriffe empfunden, so wird man sich hüten, die Locker-
heiten dilettantischen Denkens zur alleinigen Ursache einer weitverbreiteten,
unverscbeuchbaren Erscheinung zu machen. Eine Grenze der Genauig-
keit ist nicht jederzeit Grenze der Befugnis für unser Denken, und jenseits
heutiger Etappen liegen künftige. Auch jene Unterscheidung der Persönlich-
keit und des Musikers Im Künstler hat etwas Vorläufiges. Wer jedoch
zugibt, dass sie das Verhhren heutiger Schriftatellerel kennzeichnet, wird
ihre mehr oder minder bewusaten Bewea^ünde aufsuchen. Vielleicht li^
unter den mancherlei Quellen jener Zeitströmnng diese und jene in achwer
4
DIE MUSIK VII. 1.
erreichbarer Tiefe. Vielleicht ist eine und die andere, die wir nach kurzer
Wanderung auffinden, ein nur erst halb erschlossener Quell der Zukunft. —
Nur wo ein Verständnis für wesentliche Zusammenhänge von Kunst
und Leben erwacht, wird man im Musiker den Kunstler, im Künstler den
Menschen suchen. Nur wo das Bedürfnis nach Gemeinsamkeit des
Lebens steigt, werden weite und weitere Kreise jenes Streben teilen.
Beides ist heute bei uns der Fall. Inmitten zunehmender Spezialisierung
erwächst dem Einzelnen das Verlangen, am Ganzen der Kultur teil-
zuhaben. Auch bleibt so allein die Kultur Kultur. Und gerade unter
dem politischen Druck von Mächten, die mit ihrem Anachronismus
heute geistesfeindlich werden, erfasst uns die Sehnsucht nach Gemeinsam-
keit und Zusammenschluss all des Lebens, das unsre wahre Zukunft birgt.
Die Kunst wird mit System und Absicht ein Teil des breiten öffentlichen
Lebens. Ihr eigener Wunsch kommt dem entgegen. Aber es kann ihr
Wunsch nicht sein, nach dieser Einigung sich mehr und mehr in ein Produkt
des uferlosen öffentlichen Treibens umzuwandeln. Das Grauen vor dem
Getrieben- und Verschlungenwerden muss den echten Künstler auf sich
und sein Inneres zurücktreiben. Und irrig wäre es, zu meinen, dass ihm
bei dieser Einkehr der Einfluss unseres Publikums nur hinderlich sei und
nochmals hinderlich. Ein grosser Teil desselben ist recht ernst Ihm hat
die gediegene Arbeit unzähliger reproduzierender Künstler etwas wie einen
Überblick über die Geschichte der Musik verschafft: nun dämmert ihm die
Erkenntnis, dass all die Zeiten, deren Schöpfungen da vor uns liegen, in
ihren Denkmälern sich selbst ihr Denkmal setzten. Da ist der Gedanke
fürchterlich, in einem schlechten Kunstwerk von heute dem Ebenbilde der
eigenen Zeit zu begegnen. Klassizismus zu wünschen, sind wir alle zu
sehr Historiker. Aber schon erhebt sich die Forderung nach neuer
Klassizität. Und je unsicherer in ihrer Tiefe, je unruhiger in ihren Grund-
überzeugungen die fortgeschrittenere Gegenwart ist, desto dringlicher wird
sie dem Künstler die Forderungen häufen — dem Künstler, in welchem
sie ihr wirkliches Ich zu sehen fürchtet, ihr besseres, zukunftreiches Ich
vorauszusehen wünscht. Es ist gewiss kein Widerspruch, vom Musiker zu
erhoffen, dass er die neue Innenwelt, mit der in Wechselwirkung sich sein
Kunstwerk forme, zuallererst erschaffen helfe. Aber dann wird man eben
auch bedenken müssen, wie leicht jede Forderung an den Künstler das
Eingeständnis unserer Armut, wie leicht ein Urteil gegen ihn auch unser
Urteil ist, wie ungewöhnlich gross der Masstab, mit dem wir jenen heute
messen. Nur flache oder ungebärdige Kritik bewertet die persönliche
künstlerische Leistung nach der einen einzigen Frage: was gibt sie, bietet
sie? Denn es bedarf zum mindesten jeweils der Gegenfrage: was hat die
Zeit ihrem Künstler geistig geboten? . . . wobei denn die Kritik oftmals
5
ROBERT-TORNOW: MAX REGER
verstummt. Auf tler anderen Seite ist solche Einsicht sehr geeignet« bei
dem intelligenteren Publikum das verpflichtende Gefühl einer gewissen
Zusammengehörigkeit mit dem Künstler zu verstärken. Und man mag
zweifeln, ob je seit Goethes Tode so stark wie gegenwärtig weiteste Kreise
unseres Volkes von dem Gedanken durchdrungen waren, dass ein Stück
Vorsehung in die Hände seiner Künstler gegeben ist.
Tritt man dann aus der umgebenden sozialen Flutung in den Bezirk
der Tonkunst selber, so begegnet man dort einer entsprechenden Be-
wegung; und auch sie sucht in dem so missverständlichen Gedanken der
Persönlichkeit ihren letzten Zielpunkt. Allerdings wird nicht genug be*
achtet, wie alles „Erleben" stetes Urteilen und Bewerten ist, und wie wohl
auch ein tieferes Erlebnis aus der Berührung mit dem blossen Materiale
der Musik entspringen kann. Eigenart und Gesetzlichkeit der Tonwelt,
nicht sowohl erkannt wie empfunden, als überraschende Hilfe oder Wider-
stand, Hemmung oder wechselvolle Beglückung, müssen auf den Musiker
wirken wie ein unzerstörbares geheimes Eigenleben seines Materials.
Jeder Äusserung dieses Eigenlebens antwortet die Seele des Künstlers.
Wie weit, wie oft nun mag der Gefühlsgehalt einer Komposition gerade
nur jener Beziehung entstammen; und, — wichtiger für die Zergliederung
der Gesamtwirkung — : wie weit und oft mag dieser Gefühlsgehalt gerade
nur jener Beziehung möglich und eigen sein? Was hat er mit anderen
fiberein? Freilich ist die Entstehung eines Gebildes noch nicht Summe oder
Ganzheit seiner Bedeutungen. Aber schon weil es bei seiner Entstehung
Bestandteile von anderweitig feststehender Bedeutsamkeit in sich auf-
genommen haben kann, ist die Erkenntnis seiner Entstehung für die Er-
kenntnis seiner Bedeutungen oft sehr wesentlich. Beide Fragen sind un-
beantwortet. Doch man ermisst: Entscheidungen über derlei Probleme,
welche freilich von der einen Seite Fragen nach der blossen psychischen
Tatsächlichkeit sind, würden mit ihren Folgen hineinreichen auch in un-
psychologisches Gebiet. Wohl also ist es notwendig, einmal zu prüfen,
ob nicht, was wir «Erlebnis" nennen, gelegentlich im Reich der Töne
selbst beschlossen ist, anhebend und verlaufend in der Sphäre des Rein-
musikalischen. Aber so gewiss schon dorthin seelisch bedeutsame Fäden
vom Ganzen unseres Lebensstandes hinüberliefen, so gewiss lassen wir
als künstlerisches Erlebnis im Grossen, als Musik von Reichtum und Kraft
lediglich gelten, was mit der geschichtlich erworbenen Wertsubstanz unseres
gesamten Daseins enger, wurzelhafter, mannigfaltiger verbunden ist. Nicht
als sollte die Phantasie entthront werden. Im Gegenteil. Wie viele der
allerbesten Erlebnisse sind ihr, und einzig ihr möglich. Aber Erlebnis
eben forderte man zuerst. Nun fordert man, dass es was wert sei, ja
unsem Allgemeinbesitz vergrössere. In offenkundigster Weise suchte sich
6
DIE MUSIK VII. 1.
die Programmusik Lebensinhalt zu sichern. Dem poetischen Programm
wollte sie ihn entlehnen — und oft in harmlos äusserlichem Prozess.
Angesichts der Dinge, die sich nur unmittelbar produktiv geben lassen
oder nur aus einheitlich innerer Nachschöpfung, verharrte sie bei
ihrem beschreibenden Verfahren. Oberhaupt: wieviel Naturalismus steckt
von jeher in der Praxis der Programmusik! Doch ich glaube, in jenen
umfassenderen Kunstrichtungen, die wir allgemein als Naturalismus
bezeichnen — im Realismus, im Impressionismus, in ihnen allen wirkte
bereits die Ahnung und das dunkle Verlangen, dass unsere Kunst,
wie zuinnerst alle echte grosse Kunst, irgendwie ein Ausdruck sei
für die Wahrheit des Lebens. Wohl ward und wird solches Streben
durchschoben und gekreuzt von Trieben, die ihm fremd sind. In ihm
einen der Ursprünge des sogenannten Naturalismus finden, heisst be-
haupten, dass schon Naturalismus und Realismus die Richtung auf eine
moderne religiöse Kunst andeuteten. Der Widersinn ist wohl nur Schein.
Es hat sich gezeigt, dass die Vollständigkeit der Dinge künstlerischer
Formung spottet — und Kunst ist Auslese, Ergänzung, Formung — ; es
hat sich gezeigt, dass die gesamte Fläche oder gar Oberfläche unseres
Lebens noch nicht unseres Lebens Inbegriff ist; ja dass heute zumal
wir diesen Inbegriff erwerben müssen, am wenigsten ihn schon
besitzen. Denn was an ihm unveränderlich zu sein hätte, ist
vielleicht nur seine formelhafteste Allgemeinheit. Jedoch nach ihm ge-
tastet und ihn vor uns, nicht bei den Toten gesucht zu haben, — wird eine
Ehre selbst unklarer naturalistischer Tendenzen bleiben. Hier wie ander-
wärts sollen wir uns hüten, gegen die ganze Seele einer Bewegung die
Plattheiten ihres Dogmas auszuspielen. Und bedürfte es noch eines Be-
weises für das Aufquellen einer religiösen Unterströmung gerade im
Realismus: das stete unvermittelte Umschlagen aus krasser Realistik in
verwegensten Symbolismus; jener Umschlag, dessen verderbliche Wirkung
auf den Stil aus modernen Kompositionen nur zu bekannt ist; dessen
Misslichkeiten abzustellen, sei's durch veränderte Wahl des programmatischen
Vorwurfs, sei's durch Abwendung von der prinzipiell realistischen Technik,
niemand sich entschloss, — obwohl jede dieser Änderungen für sich allein
bereits die Möglichkeit künstlerischer Stileinheit wiedergeschaffen hätte — :
schon diese eine Tatsache erscheint mir beinahe Beweis genug. Indessen,
vernachlässigen wir alle Einzelfragen. Überblicken wir den Gesamt-
verlauf. Nie vielleicht empfinden wir deutlicher, wie notwendig Wagner
war, als nach Werken des späteren Schumann, etwa dem Manfred. Ist
nun zeitlich die Programmusik teilweise nachwagnerisch, so gehört sie doch
entwicklungsgeschichtlich zwischen Schumann und Wagner, sobald man
unseren Gesichtspunkt festhält. Wenn in .Paradies und Peri" die un-
sl
7
ROBERT-TORNOW: MAX REGER
wahrscheinliche Nichtigkeit des Vorganges häufig genug auch die Ton-
dichtung zu unwahrscheinlich schattenhaftem Dasein verurteilt, so ge-
wahren wir umgekehrt im Bereiche der symphonischen Dichtung ein
Drängen auf Wesen und Gehalt. Überdies jenen charakteristischen Gegen-
satz gegen Johannes Brahms' beschaulichere Art, wo alle Bewegung doch
eigentlich nie Tat wird. Nur freilich kann heute kaum mehr ein Zweifel
bestehen, dass jene Musik, vereinzelte Momente abgerechnet, nicht nur ihr
Programm verfehlte, sondern auch künstlerisch fehlgriff mit diesem Programm.
Inzwischen hatte Wagner eine Erfüllung gebracht. Dennoch ist es viel-
leicht nicht voreilig, zu glauben, dass, auf der Scheide zweier Zeiten,
Richard Wagners Geist mehr jenseit als diesseit wurzelt. In anderem
Sinne als einst bei Bach, ist der religiöse Dichter in Wagner Romantiker.
Wer will im Ernst behaupten, der Geist des Tristan oder gar der Geist
des Parsifal sei der Geist unserer wahren Zukunft? Auch ist gewiss in
Wagner der Dichter stärker als der Bekennen Seine Dichtungen bleiben, bei
aller Leidenschaft und Idealität, mehr nur Selbstbekenntnis und Schöpfung. Was
bei Bach beherrschende Macht ist, hat sich bei Wagner zu dieser erdrückend
wuchtigen Selbständigkeit nicht entwickelt, — gewiss nicht einzig deshalb,
weil der moderne Mensch dem Dogmatismus abhold sein will! Gegenüber
dem rein ästhetischen Vorgang ist dem religiösen eine letzte innere Ge-
bundenheit eigentümlich, die sich im lyrisch-musikalischen Ausdruck,
wo der Mensch sein schlechthin ganzes Ich gibt, am allerwenigsten
verleugnen oder überhören lässt. Man könnte sagen: es bezeichnet das
religiöse Leben, dass in ihm der Mensch sich ganz besitzt, jedoch in
völligem Abstand gegen sich selbst. Sogar die religiöse Verzückung
scheidet sich eben hierdurch von anderer Schwärmerei. So eignet auch dem
glücklichsten religiösen Leben noch eine verborgene Spannung, ein inneres
Schwergewicht, mit dem sich schlechterdings nicht spielen lässt. Alle
Künstlerschaft der Welt kann einen seltsamen Widerstreit im Wesen des
religiösen Dramas nicht tilgen. Er liegt darin, dass das völlige Zusammen-
fliessen des Dichters mit einer einzigen seiner Personen die dramatische
Objektivität und Perspektive gefährden müsste, während doch nur bei so
völligem Aufgehen Ernst und Echtheit des Religiösen gewahrt blieben.
Eigentlich nur jenseit und oberhalb der Handelnden kann die Religiosität
des Dichters sich aussprechen. Ihren geschlossenen, unverkennbaren, ver-
pflichtenden Ausdruck wird sie nur in subjektiv-lyrischen Gebilden finden.
Jenen innerhalb des »Gesamtkunstwerkes* Stätte zu geben, besass Wagner
in seinem Orchester das unvergleichliche Mittel. Nicht die Unvollkommen-
heit, nein eben jene anspruchsvolle Vollendung des Zusammenwirkens
aller Mittel, wird unsere Komponisten einstweilen dem Gesamtkunstwerk
fem halten. Wenn wirklich unserer Zeit eine religiöse Kunst entspränge.
sl
8
DIE MUSIK Vll. 1.
SO mfisste, künstlerisch betrachtet, gewiss der musikalische Fortschritt in
einer Hinsicht Weiterbildung sein, in einer andern aber Rückbildung. Eine
Kunst, hervorgehend aus dem Ringen, sich wahrhaftig und darum neu und
eigen zum Leben zu stellen, wird es schwer haben, das Innerste erst-
maligen Erlebens sogleich dem vielgliedrigen Gefüge mannigfaltiger Ge-
schehnisse völlig zu verweben. Diese Not würde vielleicht den begabtesten
Künstler einstweilen hinter das »Gesamtkunstwerk" zurücknötigen. Und
anderseits: welcher Künstler heute der fortschreitenden Nation religiös
etwas bedeuten will, der wird, religiös, hinausschreiten müssen — über
die meisten geistlichen Gesänge des »Spanischen Liederbuches", über Liszt's
Christus,^) ja, über den Parsifal; und nicht in dessen Richtung. Vollends
den überraschendsten Anblick wird die notwendige Fortbewegung unserer
Kunst dadurch gewinnen, dass gerade was solch' innere Weiterbildung an
ihr ist, geschichtlich-äusserlich betrachtet wie ein Rückschritt wirken kann,
zum mindesten im Anfang. Denn es führen Wege aus fernerer Ver-
gangenheit bis tief hinein in unsere wahre Zukunft. Auch wenn sie uns
nicht lockten, — und es ist bisweilen gut und richtig, sie nicht sehen zu
wollen — so stiessen wir einmal mit eigenem Fusse auf sie. Wer irgend
überzeugt ist, dass unsere wahre Zukunft in der Linie der Reformation
und des vorschopenhauerschen deutschen Idealismus liegt; wer irgend fühlt,
dass die Kunst Sebastian Bachs ihre wahre Mission zu erfüllen erst eben
angefangen hat, selbst unter den Gebildeten, — der wird das Urteil
.Epigonentum" deshalb nicht fällen, weil ein heutiger Künstler den einen
seiner Stützpunkte in Bach sucht.
Dieser Künstler ist Max Reger, — von den bekannten lebenden
Komponisten unstreitig der bedeutendste. Kaum eine hervorragende Er-
scheinung der deutschen Musikgeschichte, von der er nicht gelernt hätte.
Brahms und Bach verdankt er am meisten. Und es gibt in der Fülle
Regerscher Kompositionen Stücke von einer Tiefe, auch Stücke von einer
Vollendung, die hinreichen sollten, zu erweisen, wie sehr die stete Rückkehr
zum Religiösen für diesen Mann und seine Kunst eine innere Notwendigkeit
ist.^ So fesselt er unser Interesse doppelt. Seine Choralvorspiele und
-Phantasien, seine Choralkantaten, seine Monologe, dann die grossen Klavier-
') Höher als der «Christus" scheint mir in jeder Beziehung die viel früher
geschriebene «Dantesymphonie" zu stehen. Sie ist das echte und geistigste Erzeugnis
der schwer fksslichen, sozusagen sekundären Lisztschen Individualität Was sie
unserer Gegenwart zu bedeuten hätte, bleibt trotz älterer umfangreicher Besprechungen
des Werkes noch erst zu untersuchen. — An weniger markanter Stelle als Liszt
steht Anton Brückners überaus sympathische Erscheinung. Aber selbst innerhalb
ihrer Epoche ist sie ohne spezifisch fortschrittlichen Wert.
*) Hierfür verweise ich auf meinen Aufiatz: «Max Reger und Karl Straube",
Göttingen 1907, Hapke.
ROBERT-TORNOW: MAX REGER
werke, fordern geradezu eine Vergleicbung mit Bach, einen Vergleich
mit der jüngsten Vergangenheit, ein Bedenken unserer Gegenwart und
nXchsten Zukunft. —
Velche Ervanungen der heutige Künstler erfüllt oder enttäuscht, wurde
angedeutet. Ist der Mensch, was er lebte, — Regers Leben entfaltet sich
noch. Noch ist seine musikalische und seine innere menschliche Entwicklung
unsem Blicken voraus. Aber hätte man selbst ihre Wahrscheinlichkeiten
erfasst, und wären es die günstigsten, man müsste fürchten, dem Künstler
zu nahe zu treten, indem man sie öffentlich ausspricht. Auch im gesell-
schaftlichen Leben empfinden wir es als Indiskretion, wenn jemand mebr
von uns verrät, als wir ibm mit bewusster Absiebt sagten. Und steht er
auch mit seiner Arbeit in der Öffentlichkeit, gerade der aufetrebende
Künstler hat ein gewisses Recht, sich die Übersetzung seiner Lebensleistung
in eine andre Sprache, als in der er sie gab, zu verbitten. Indem wir dieses
Recht freiwillig achten, verzichten wir hier auf jede Schilderung und Zer-
gliederung der religiösen Persönlichkeit Regers aus seinen Werken. Für
sich selbst wird jeder musikalische JHenscb dieser Aufgabe nachgehn. Zu
deutlich wird, wo Bildung ist, unser aller Zusammenhang und Zusammen-
gehörigkeit mit dem Künstler gefühlt, gewollt. Wir wissen: was ihn trifft,
betrifft auch uns.
Aamerkuag der Redaktloo. Etazelne Zwelf« dei Referactaen Sctaaffea«
behandaltan ttttcende Aubilze der ^Muslk': .Max Recer aU Orgel komponlif von
Gustav Beckmann [IV, 22), .Regerlana* von Richard Braungarl (III, 9), ,Max Regrt*
von Max Hehemann (IV, 24).
Sebr verehrter Herr Redakteurl
Als Sie mich vor einigen Wochen aufforderten, Ihnen einen kleinen
Aufsatz oder Ähnliches fQr .Die Musik' zukommen zu lassen, bekam ich
ordentlich das Gruseln! Ich bitte Sie: ich, der ich zeitlebens nur mit der
Notenfeder umzugehen gewohnt bin, der ich enthusiastisch der Ansicht
huldige, dass gerade jetzt viel zu viel von Unberufenen — gelegentlich
auch von Berufenen — über Musik geschriftstellert und auch wohl geschrift-
stehlert wird — also ich soll die schier unübersehbare Reihe derer, die
durch ihre Schriften auch dazu beigetragen haben, Konfusion in der Musik
zu erregen — vergrössemll Nein, das kdnnen und dürfen Sie von mir
nicht -erwarten und verlangen 1 Wer soll denn überhaupt über Musik
schreiben? Da sagen Sie natürlich: .Vor Allem auch die Komponislenl"
O, neinl Die Komponisten werden stets komponieren, aber das Schreiben
über Musik den Schriftgelehrten überlassen. Diese Herren verstehen dies
ja viel, viel besser als wir Fachmusiker — oder wir Komponisten — (die
wir zwar die Musik .machen*). Und schliesslich: worüber sollte ich
schreiben? über unsre grossen Meister? Das wäre erst recht zwecklos;
denn: wer heutzutage noch nicht wissen sollte, wer unsre grossen Meister
gewesen sind, was sie in ewig vorbildlicher Weise geschaffen haben —
nun, diese ,Himbesitzer' kann ich auch nicht eines Besseren belehren;
es wire total verlorne Liebesmüh' — denn: selig sind die Armen im Geistel
— Soll ich vjelleicbt orakeln, wie es mit der Zukunft unsrer Musik in 50,
in 100 Jahren sein wird? Ersparen Sie mir dasi Sie wissen ja, es gibt
nichts Geßbrlicheres und Unsinnigeres als über die Zukunft einer Kunst
zu weissagen. Die Zukunft — oder wie Sie wollen — die zukünftige
Gegenwart — wird stets nur von einigen .Köpfen' repräsentiert und ge-
führt. Solche .Querköpfe' sind naiürltcta der bequemen Millelmässigkelt,
der patentierten Denkfaulheit stets recht fatal, unangenehm und verhasst
gewesen. Leider gab's zu allen Zeiten solche .verruchte Gesellen' —
Apollo wird sie aber nicht schinden — welche partout einen Fortschritt
haben wollten, welche ohne ehrfürchtige Scheu vor den .Grössen der
11
REGER: OFFENER BRIEF
Reaktion und Mittelmässigkeit'' ihren eigenen Weg gingen. Und sehen
Sie, sehr verehrter Herr Redakteur, gerade die grossen Meister waren es,
die da Neues, Ungewohntes schufen und dabei nie bedachten, dass sie
damit den süssen Schlaf des hochverehrungswürdigen Publikums und den
Krebsgang aller in Amt und Würden ergrauten Fachgenossen und Gegner
so brutal störten. All die glänzenden, unvergänglichen Erscheinungen
unserer Kunstgeschichte von Palestrina bis zum Ende dieser Welt waren,
sind solche .Gottesläugner und Antichristen'^!
Besonders bedauerlich ist diese Tatsache, wenn man dabei erwägt,
welche «schweren Sünden' gerade diese Auserwählten begangen haben
und hoffentlich bis ans Ende aller Zeiten begehen werden! Nehmen Sie
irgend ein Lehrbuch der Harmonielehre, des Kontrapunkts etc. etc. —
sofort werden Sie sehen, wie freventlich diese Auserwählten gegen die
«heiligen" Regeln unsrer Lehrbücl^er gesündigt haben! «Schaffen" konnten
diese Auserwählten wohl — das muss ihnen selbst der tollste Neid und
die grösste Borniertheit lassen — aber Lehrbücher schreiben, in denen
so recht deutlich und genau verzeichnet steht, was man alles nicht darf
— ja dies konnten die Auserwählten nicht. O, wie ersehne ich ein bürger-
liches Gesetzbuch — so recht aus innerstem Herzen — für die Musik!
— Sie sehen, die Konfusion ist gross!
Was nun diese Auserwählten weiter nie konnten — und wohl auch
nie erlernen werden — ist: «Kritiken schreiben'!
Welch ein enormer Schaden das in unsern Augen für die armen
«Auserwählten" ist, kann nur der so ganz ermessen, der sich endlich mal
klar macht, wie unzählig oftmals die Kritik schon «danebengehauen" hat
und wohl noch «danebenhauen" wird! Da sind wieder diese «Auserwählten"
die Übeltäter. Warum mussten denn die gerade so schaffen, dass man
«danebenhauen" musste, muss und müssen wird? «Wie lieblich sind die
Schuhe demutsvoller Seelenruhe!" Ja, diese demutsvolle Seelenruhe, diese
««
Grundbedingung des «kritisch-abgeklärten" Schaffens, besaissen diese Übel-
täter nie. Voller brandender Leidenschaft und rücksichtsloser Energie
schufen sie Werke über Werke, bis endlich der deutsche Michel brummend
und gähnend aus seinem Schlafe erwachte, in den ihn die Mittelmässig-
keit, der Krebsgang der Reaktion so fein hypnotisiert hatten.
Sollte ich mich darin täuschen, sehr verehrter Herr Redakteur, so
bin ich gern bereit, ein Jahr lang Unterricht in der Musikgeschichte bei
Herrn Nazi Ohnallestalent, Musikreferent des Krähwinkler Tageblattes, zu
nehmen; als Gegenleistung erteile ich dann dem Herrn Unterricht in den
Elementargründen der Musik (z. B. Tonart, Taktart, Rhythmus, ev. noch
Intervallenlehre) und dann — dann ist uns beiden geholfen! —
Oder erwarten Sie vielleicht, dass ich Ihnen, nachdem ich soeben
12
DIE MUSIK VII. 1.
zum Entsetzen aller derer, die auf der «Warte der Kunst" stehen, in
meiner unverbesserlichen Vielschreiberei mein op. 100 vollendet habe,
einen Rfickblick fiber mein bisheriges Schaffen gebe? Das ist mir wieder
unmöglich; abgesehen davon, dass es mir zu sehr widerstrebt, von mir
selbst zu reden, halte ich Rückblicke nur in der fidelen Art für berechtigt,
wie sie der Kladderadatsch oder Simplizissimus bringen. Es wird heut-
zutage' schon viel zu viel mit viel Pathos gerückblickt — und um Gottes-
willen nur nicht sentimental werden und in den gewaltig gährenden Most
unsrer Zeit fade Himbeerlimonade giessen! Was ich erstrebt, erreicht,
verfehlt habe, das weiss ich allein, das interessiert die sensationslüsterne
Menge viel zu wenig. Wer wissen will, was ich will, wer ich bin —
der soll sich das ansehen, was ich bis jetzt geschrieben habe — wird er
nicht klug daraus, versteht er's nicht, so ist's nicht meine Schuld! Ganz
im Vertrauen will ich Ihnen gestehen, .dass ich vor meinem op. 1 ein
arger Anhänger der symphonischen Dichtung war; ich hab' da so als
13 — 17 jähriger Junge eine Masse Musik verbrochen, zu der man einen
genauen „Führer* brauchte, um aus dem jugendlichen Unsinn klug zu
werden. Nun werden Sie mich für einen Erzreaktionär — oder gar Ab-
trünnigen oder noch Schlimmeres halten! Aber da hauen selbst Sie, sehr
verehrter Herr Redakteur, auch mal gründlich daneben! Ich bin absolut
kein Feind der symphonischen Dichtung, und wer da das Gegenteil von
mir behauptet, der lügt niederträchtig. Wenn Sie wollen, ist jedes
Kunstwerk, das mir seelisch etwas offenbart, eine symphonische Dichtung.
Ich erkenne vollständig die Berechtigung der symphonischen Dichtung an,
masse mir aber das Recht zu, «nach meiner Fa^on selig werden zu
dürfen"! Jede Musik, ob absolut oder symphonische Dichtung, ist mir
höchst willkommen, wenn sie eben Musik ist. Was aber ist Musik?
Bekanntlich hatte der Schah von Persien darüber eine andere Ansicht als
wir Abendländer, und, wie Ihnen wohlbekannt, haben zu allen Zeiten
die reaktionären Musiker darüber anders gedacht als jene, die vorwärts
streben. Und schliesslich herrscht selbst in den Kreisen, die dem Drang
nach Vorwärts sympathisch gegenüberstehen, die sogar selbst «mit-
streben', ein ganz verschiedener Begriff von dem, was Musik ist
— je nach der betn Clique!!!
Dieses heutzutage so ganz besonders frisch, fromm, fröhlich — aber
nicht frei — blühende Cliquenwesen halte ich für einen der grössten
Krebsschäden nebst noch anderen Dingen in unserem Kunstleben. Gewiss hat
jeder Mensch das Recht, diesen oder jenen unter den schaffenden Künstlern
für den alleinigen «Herrgott" zu erklären, weil ja jedem Narren schon
seine eigene Kappe am besten gefällt. Aber wenn sich das Cliquenwesen
derart versteinert, dass man ä tout prix jeden der betreffenden Clique auch
M
13
REGER: OFFENER BRIEF
nur ferner — nicht mal feindlich gegenüber — stehenden ^Schaffenden" oft
direkt mit allen möglichen anständigen und unanständigen Mitteln bekämpft,
so ist das ein sehr betrübendes Symptom für die „Toleranz" — bekanntlich
die Grundlage jedes nicht beschränkten Denkens — unter den Musikern.
Und gerade in den deutschen Grosstädten wie Berlin, München usw. soll
dieses Cliquenwesen in vollster — „Treibhausblüte" stehen. (Bin ich da
falsch unterrichtet??) Damit wird sehr viel geschadet — nur der Femer-
stehende, Objektive sagt sich mit behaglichem, nur zu sehr berechtigtem
Schmunzeln, dass zu solchen «Treibhausblüten" bekanntlich sehr, sehr viel
— Mist gehört! — Es fehlt trotz des Allgemeinen Deutschen Musik-
vereines unbedingt an einem „inneren Zusammenhalt" aller derer, die
fortschrittlich im gesunden Sinne energisch Front machen gegen alle
offenen und „maskierten" Rückschrittler, deren wir genug haben.
Aber was ist Fortschritt? Offen gestehe ich Ihnen, dass es mir nicht
vergönnt ist, all das als Fortschritt zu erkennen, was mir von dieser oder
jener Clique als „alleinig wahrer* Fortschritt angepriesen wird. Das
Papier ist geduldig, und nur zu oft finden sich „willige" Federn. —
Zwar heisst es: „Der Merker werde so bestellt!" — oft aber wird
der Merker anders bestellt! Ich vermag auch die nicht als die Träger
des Fortschrittes anzuerkennen, die in jugendlichem Oberschwang über
Meister wie Mendelssohn, Schumann hohnlächeln. O, was hab' ich
von solchen „Neutönem* schon erlebt! Phrasen konnten die Helden
drechseln, dass einem Mund und Nase offen standen — an ihren Werken
aber hab ich sie erkannt! Femer: es ist nicht zu leugnen, dass heut-
zutage von sehr vielen, die den Pegasus besteigen, sehr wenige eine
Ahnung vom Reiten haben. Der grosse, an und für sich prachtvolle Be-
griff „inneres Erlebnis" hat in unreifen Köpfen verheerend gewirkt; man
hat in gewissen Kreisen fast verlernt, dass Kunst von Können kommt.
Das da fehl angewandte Schlagwort „inneres Erlebnis" täuscht nur den
Dummen. Man hat zu oft vergessen da, dass unsere Meister ohne Aus-
nahme vorerst eine strenge Schule durchmachten, das „Handwerksmässige"
der Kunst vorerst gründlichst erlernten, ehe sie daran gingen, die Form
mit weiser Hand zu zerbrechen, d. h. zu erweitern, zu vertiefen. So ist
es total verkehrt, wenn unsere ,Jüngsten" z. B. glauben, als Lieder-
komponisten da einsetzen zu müssen, wo Hugo Wolf aufgehört hat. Man
vergesse ja nicht, welch enormen Entwicklungsgang Hugo Wolf durch-
gemacht hat. Dasselbe gilt von den Nachahmern Richard Strauss'. Welch
ein unendlich weiter Weg von Strauss' f-moll Symphonie bis zur „Salome" !
Freilich, wenn solche Absurditäten passieren können, wie kürzlich ein
Musikschöngeist — aber wohl nicht „Musikstarkgeist" — die „Salome"
für quasi Kammermusik erklären konnte, dann kann man sich über den
14
DIE MUSIK Vll.
tollsten Unsinn nicht wundem. Da muss selbst Goethe korrigiert werden
in: aDHS ,Uaniögltche% hier wird's Ereigoisl'
Anderseits wissen Sie, sehr verehrter Herr Redakteur, sehr wohl,
dass gerade an den staatlichen Instituten wie Hochschulen, Akademieen,
Konservatorien für Musik leider nur zu oft die denkbar rückschrittlichsten
Tendenzen, Ansichten als unfehlbar gelten. Sie wissen, selbst Richard
Vagner ist so manchem deutschen Professor für Musikwissenschaft, Kom-
position, Kontrapunkt jetzt noch eine höchst unbequeme Erscheinung.
.In Berlin soll ein Mann leben, der Richard Strauss heisst und sich sogar
Komponist nennt,* diese Äusserung eines deutschen Professors für Kontra-
punkt sei hiermit festgenagelt und einer Nachwelt zu innigstem Behagen
aufbewahrt. In Berlin konnte im Frühjahre 1907 die .wundervolle* Tat-
sache passieren, dass Richard Strauss bei der Wahl zum Mitglied der kgl.
Akademie der Künste — abgelehnt wurde. Sehen Sie, sehr verehrter
Herr Redakteur, das ist auch so ein Schildbürgerstücklein, wie es nur
der deutsche Michel fertig bringt. Ja, ja, das Volk der Denker und
Dichter! Wissen Sie jetzt, auf welcher Seite die .Konfusion in der
Musik" noch verheerender gewirkt hat? —
Mit der Hoffnung auf Besserung in dieser Konfusion und freundlichen
Grfitsen
Ihr ergebenster
Max Reger
Colberg a/Ostsee, 5. September 1907
^s ist noch gar nicht so lange her, dass man Für einen Musiker
minderer Kategorie gehalten wurde, wenn man es wagte, über
\ Veingartners Kompositionen ein freundliches Wort zu sagen
I oder gar Öffentlich zu schreiben. Allerdings brauchte man sich
in des meisten Fällen fiber diese Degradation nicht übermässig zu grämen,
denn mit verschwindend wenigen Ausnahmen wussten die, die so ungeheuer
wegwerfend und verächtlich von Weingartners Werken sprachen. In diesen
Werken herzlich wenig Bescheid. Das gilt auch von den allermeisten,
die über Weingartner schrieben. Geschimpft worden über Ihn ist enorm
viel, und verurteilt worden ist fast alles, was er schrieb, aber die Urteils-
begründungen fehlen so ziemlich überall, und von einer wirklichen Kennt-
nis dessen, was so erbarmungslos verdammt wurde, ist nur in den aller-
seltensten Fällen überhaupt die Rede.
In neuerer Zelt hat sich nun die Lage eintgermassen verändert. Das
Publikum hat von jeher WeiDgartner gegenüber keine wirklich feindselige
Stellung eingenommen; es steht ihm jetzt nach wie vor nicht unsympathisch
gegenüber. Aber auch in den Kritiken bemerkt man eine Art von Um-
schwung. Es klingt durch die neuesten Berichte über Welngartner-Auf-
führungen etwas hindurch wie Respekt, wie die Achtung, die jeder einiger-
mossen Besonnene allerorten vor demjenigen bat, der nnbelrrt und zlel-
bewusst ruhig seinen Weg geht.
Dieser Wandel der Verhältnisse hat seine guten Gründe, die in erster
Linie natürlich durch die Entwicklung Weingartners als Komponisten bedingt
sind, im übrigen aber auch einen ursächlichen Zusammenhang haben mit
den Zeitumständen und mit mancherlei Faktoren, die Weingartner zwar
sonst als Künstler, aber nicht eigentlich als Komponisten angehen.
Wenn man die masslosen Angriffe liest, die in ziemlich allen grossen
Tages- und Fachzeitungen seit dem ersten Erscheinen des aGenesius'
g^en Weingartner gerichtet worden sind, so bemerkt man deutUdi
darin einen immer wiederkehrenden Zug der Bitterkeit, einer Bitter-
keit, die nicht nur bedingt sein konnte durch Gegensätze in der
16
DIE MUSIK VII. 1.
Kunstanschauung, wie sie durch das beurteilte Kunstwerk selbst sich
dem Kritiker fühlbar machen. Überall steht gleichsam noch etwas anderes
dahinter, das alle sympathischen Regungen hemmt und die sachlichen
Gegensätze nach der persönlichen Seite hin zu beeinflussen und zu ver-
schärfen geneigt ist. Es klingt in der Mehrzahl all dieser Verdammungs-
urteile neben dem positiven «das gefällt mir nicht" oder «das halte ich ffir
schlecht*^ noch eine andere Stimme mit, die in allen Tonarten und in allen
Abstufungen der Empfindung, vom Bedauern bis zum Hass, hinzufügt:
«Und grade der wagt es, so und so zu komponieren!*
Das ist bedauerlich, aber es ist erklärlich, wenn auch — nach meiner
Auffassung — nicht entschuldbar. Weingartner hat sich in den literarischen
Arbeiten, die er veröffentlichte, in den schroffsten Gegensatz gestellt zu
allen herrschenden Kunstströmungen. Es ist kaum nötig, das näher aus-
zuführen. Jedermann weiss, dass er zu einer Zeit, als Bayreuth noch als
unantastbare Macht im öffentlichen Kunstleben Deutschlands dastand, mit
seiner Schrift über die Festspiele einen Sturm der Entrüstung erregte,
dass er sich allerlei persönliche Motive vorwerfen und niedrige Ver-
dächtigungen über sich ergehen lassen musste, nur weil er schliesslich
laut etwas gesagt hatte, was schon damals im stillen gar mancher Kundige
ebenfalls sagte, und was jetzt nach zehn Jahren jedermann sagt, nämlich
dass auch in Bayreuth mit Wasser gekocht wird, und manchmal mit nicht
ganz — sorgfältig filtriertem.
Dann kam seine Schrift über «die Symphonie nach Beethoven*. Da
stiess er nun alle vor den Kopf. Er verletzte die Anhänger Brahms', er
kränkte die Verehrer Brückners, und er reizte bis zur Wut alle diejenigen,
die sich um Richard Strauss scharten, weil er dessen Erfolge für ephemere
hielt und seine Anhänger, die fest überzeugt waren, sich im Siegeszuge
einer kulturhistorisch unvergänglichen Erscheinung zu befinden, mit Wasser
begoss, indem er das ernüchternde und erkältende Wort «Mode* aussprach.
««
— Mit seiner Schrift «Über das Dirigieren* hat er auch nicht gerade Liebe
gesät. Kurz und gut, er musste sich darauf gefasst machen, Hass zu ernten.
Und das ist ihm ja denn auch im vollsten Masse beschieden gewesen. Was
er Wahres und Tüchtiges gesagt und getan hat, wurde in für ihn ungünstiger
Weise beurteilt: Nur den Dirigenten Hess man ziemlich unbedingt gelten.
Ziemlich, auch nicht ganz. Auch da hat es Leute gegeben, die ihm
Unnatur, Pose und sonst allerlei Herabsetzendes vorwarfen oder andichteten.
Hass und Übelwollen sehen nicht scharf, und so kam es, dass von
den ausgesprochenen Gegnern Weingartners auch das, was ganz unverkenn-
bar gut war, für schlecht gehalten wurde. Seine langjährige Beschäftigung
mit Brahms z. B. zwang ihn, sein Urteil über den Meister zu verändern.
Er erkannte, dass er mit seiner schroffen Charakteristik der Brahmsschen
17
RAABE: FELIX WEINGARTNER
m
Schaffensweise im Unrecht gewesen war und erklärte öffentlich, dass er
sich eben früher geirrt habe, und dass er jetzt anderer Meinung sei. Das
ist ehrlich und mannhaft-ruhig gehandelt. Diejenigen, die ihm, gelinde
gesagt, nicht wohlwollten, fassten es nicht so auf. Da hiess es denn:
«Na also, er weiss nicht, was er will; erst verurteilt er etwas, dann
hebt er's wieder in den Himmel. Er ist überhaupt konfus, inkonsequent,
keine gefestigte Persönlichkeit." Auch ganz abgesehen von diesem Einzelfall
mit Brahms begegnet dem Beobachter der Beurteilung von Weingartners
Schaffen immer wieder der Vorwurf über die mangelnde » Persönlichkeit".
Was das eigentlich ist: eine «Persönlichkeit*, das wird dabei niemals
recht definiert. Es ist wohl auch nicht ganz leicht zu sagen; von
Musikern vielleicht noch schwerer als z. B. von Dichtern. In der
Beurteilung musikalischen Schaffens hat man sich gewöhnt, nach den
Kennzeichen des absolut Neuen, des Nichtdagewesenen in Form oder
Ausdrucksweise auszuschauen, wenn man das Prädikat der »Persönlichkeit"
erteilen will. Das führt dann dahin, dass man das Originelle nur mehr
im Sonderlichen sucht, d. h. in dem, was sich unmittelbar auf Schritt und
Tritt aufdrängt. Ein sogenanntes »Original" im Leben ist aber durchaus
nicht immer eine Persönlichkeit. In der Dichtkunst (vielleicht, weil sie
die so unendlich viel ältere ist) urteilt man darin viel liberaler, viel reifer.
Es fiele z. B. keinem Menschen mehr ein, Männer wie Stifter oder Otto
Ludwig für keine «Persönlichkeiten" zu halten, weil sie weder neue Formen
geschaffen, noch innerhalb der alten so absonderlich, so «originell" ge-
schrieben haben, dass man von jedem Satze oder auch nur von jedem
Gedichte sagen müsste: das kann kein anderer als nur Stifter oder Ludwig
geschrieben haben. Dass sie sehr wohl «Persönlichkeiten", d. h. in sich
gefestigte Individualitäten waren, zeigt sich an ganz anderen Dingen als
nur an den Merkmalen des jeweils Neuen. Es zeigt sich vor allem darin,
dass ihre Werke überall der Ausdruck einer reifen, zwar festen, aber durch
kein Dogma gefesselten Welt- und Kunstanschauung sind.
In diesem Sinne ist auch der Komponist Weingartner zweifellos eine
Persönlichkeit. Er hat keine neuen Formen geschaffen, es ist wahr, —
wer hat das von den neuesten Komponisten überhaupt? — aber er hat,
ausgestattet mit einem schon erstaunlich früh erworbenen, reichen technischen
Können in den verschiedenen bestehenden musikalischen Formen Werke
geschaffen, in denen sich für den aufmerksam Hinschauenden eine durch-
aus charakteristische «musikalische Handschrift" erkennen lässt.
Freilich, hinschauen muss man. Sonst passiert es einem, dass man
gerade die Charakteristika für Zufälligkeiten hält und bewusste Gestaltungs-
prinzipien als solche nicht erkennt, wodurch dann einer sachgemässen
Beurteilung jede Grundlage entzogen wird.
VIL 1. 2
M
18
DIE MUSIK VII. 1.
Die Lyrik
In einer Kritik fiber den Lyriker Weingartner findet sich u. a. der
folgende Satz: »Von dem vielen sonst hier Gehörten ist erwähnenswert
eine ausserordentlich abgefallene ,Vennonotonung' der Heineschen Wallfahrt
nach Kevlaar von Weingartner für Mezzosopran mit angeblichem Orchester."
Dieses Musterbeispiel für den unfreundlichen Ton, in dem die Mehr-
zahl der Kritiker über Weingartners Kompositionen zu schreiben pflegt,
ist zugleich ein Musterbeispiel dafür, wie man ein Stück in seinem innersten
Wesen missverstehen und das MissverstSndnis dann in diskreditierender
Weise äussern kann.
Aus der Kalauer-Tonart in diejenige der nüchternen Sachlichkeit
transponiert, würde das «Urteil" ungefähr heissen: Weingartner hat die
Wallfahrt nach Kevlaar in so monotoner Weise komponiert, dass sie das
Publikum langweilte; seine Instrumentation ist so dürftig, dass sie nicht
als Orchestermusik gelten kann. Wie sieht es nun in Wahrheit damit aus?
Der Ton, auf den Weingartner das Stück gestimmt hat, ist dem Charakter
der Dichtung entsprechend ein düster-legendärer. Innerhalb dieser gedrückten
Stimmung, die an sich etwas beabsichtigt Monotones hat, wendete nun aber
der Komponist (wie in vielen seiner späteren Gesänge) die Gleich-
förmigkeit in Rhythmus oder Harmonie, oder in beiden zusammen
wiederholt an, um dadurch ganz besondere Wirkungen zu erzielen, deren
Möglichkeit jeder zugeben muss, der nicht ohne weiteres auf dem Stand-
punkt verharrt: was monoton ist, muss unter allen Umständen langweilig sein.
So malt Weingartner z. B. in dieser Einfarbigkeit mit einer ans Groteske
streifenden Realistik den Gang der Prozession: die Singstimme bleibt fort-
dauernd während der ganzen Scene auf einem einzigen Tone, einem g,
während das Orchester beständig, mit allerdings fast betäubender Starrheit
den folgenden Takt wiederholt:
-r
Das steigert sich dann in der Tonstärke von einem wie von fern her-
wehenden Pianissimo bis zum brausenden Fortissimo, um dann allmählich
nachzulassen:
»Es flattern die Kirchenfahneo,
Es singt im Kircbenton;
Das ist zu Kölln am Rheine,
Da geht die Prozession *
10
RAABE: FELIX WEINGARTNER
<\['
Dann wieder bedient sich der Komponist des gleichen Ansdrucks-
mittels, wenn er schildert, wie der Todkranke zögernd und schleppend sich
dem Heiligenbilde nähert: immer wieder ertönt die gleiche Note auf vielen
Textworten; öde und trostlos, gerade weil melodien- und farblos, schleppt
sich gleichsam auch der Gesang hin. Das alles will natürlich mit höchster
Kunst vorgetragen sein. Wo die bewusst angewendete Monotonie nicht
vom Sänger bewusst aufgefasst und zur Seelenmalerei benutzt wird, da
bleibt freilich nur die Langeweile übrig, die dann aber nicht der Komponist
verschuldet hat.
Die Gleichförmigkeit als Gestaltungsprinzip ist gelegentlich mehr
oder minder von allen Meistern der Tonkunst verwendet worden. Als an
ein klassisches Beispiel sei an die ersten beiden Sätze der Beethovenschen
»Pastorale* erinnert. Und dass sie immer ein gefährliches, leicht zu Miss-
verständnissen Veranlassung gebendes Ausdrucksmittel ist, lehrt die Tat-
sache, dass noch vor kurzem ein sehr angesehener Kritiker in einem der
bedeutendsten Musikcentren Deutschlands schrieb: Beethovens Erfindung
wäre in der Pastoralsymphonie doch ziemlich schwach gewesen, denn er hätte
sich gezwungen gesehen, ein und denselben Takt immer unzählige Male
zu wiederholen!
Bei Weingartner ist es meistens die rhythmische Gleichförmigkeit,
die gewissermassen einen umfassenden Bogen über das ganze zu malende
Bild spannen soll.
In Gottfried Kellers^ Ich denke oft an's blaue Meer* und in Lenaus
»Nebel* gab er z.B. dem Stimmungsgehalt der Dichtungen einen prägnanten
Ausdruck durch das konsequente Festhalten ein und derselben rhythmischen
Bewegung in der Klavierbegleitung. (In beiden Liedern ist es übrigens
der gleiche synkopierte Rhythmus, der uns auch sonst in den Kompositionen
Weingartners noch öfters begegnet.) Die Vorstellung des unendlich weithin
sich dehnenden, kaum bewegten Meeres, ebenso wie die des trüben, alles
Sichtbare in ein trostloses Grau verwandelnden Nebels rechtfertigt eine
musikalische Behandlung des Stoffes, wie sie die Weingartnerschen Kompo-
sitionen bieten. Wie das Wort dem geistigen Auge ein Bild, hier majestätisch,
dort bedrückend wirkender Eintönigkeit vermittelt, so schafft der Komponist
durch das starre Festhalten an dem Rhythmus der Begleitungsflgur einen
parallelen Vorgang für das Ohr, und durch das Zusammengehen beider,
der Gehörswahmehmung und der geistigen Gesichtsanschauung, kann eine
Wirkung von ausserordentlicher Intensität erzielt werden, immer voraus-
gesetzt, dass Wesen und Zweck der » Monotonie* vom Ausführenden richtig
begriffen werden.
In ähnlicher und doch wieder sehr verschiedener Weise verwendet
Weingartner das Prinzip der Gleichförmigkeit in der Vertonung des Liedes
2^
8Hg DIE MUSIK VII. 1. ^HK
«Im Walde" von Ada Christen, um das Rauschen der Bäume musikalisch
so darzustellen, dass die Grundstimmung des ganzen Liedes dadurch fest-
gelegt wird. Das zugrunde liegende Gedicht ist ein, übrigens in herr-
lichen Worten gezeichnetes, Bild tiefsten Friedens, der im Walde herrscht.
Man hat sich die flüsternden Baumkronen vorzustellen, die leise und
feierlich ihr ernstes, trostvolles Lied singen. Weingartner symbolisiert
dieses geheimnisvolle Rauschen durch eine in tiefen Oktaven weich und
voll, aber doch zart gespielte Bassmelodie, die ohne Unterbrechung
wiederum vom ersten bis zum letzten Tone des Liedes sich völlig gleich
bleibt. Im Gegensatz zu den oben besprochenen Liedern aber tritt der in
der Bassfigur sich aussprechenden Gleichförmigkeit nun nicht nur in der
Singstimme, sondern auch in der Diskantpartie des Klaviers eine zart ge-
gliederte Figur gegenüber, deren Bewegung und melodischer Fluss der
durch den obstinaten Bass festgehaltenen Grundstimmung individuellere
Züge verleiht. Die Singstimme selbst geht wieder rhythmisch und melodisch
ihren eigenen Weg; das Ganze aber erhält einen wundersam fesselnden
Reiz durch die harmonische Gleichförmigkeit: wie in grossen,
weitausholenden Glockenschwingungen tönt durch alles der beständige
Wechsel von Tonika und Dominante, und gerade dieses einfachste har-
monische Verhältnis spricht hier gleichsam dieselbe Sprache, wie sie in
der Natur das Rauschen der Baumwipfel spricht, die Sprache vom elemen-
tar Wahren, vom Unberührten, Keuschen.
Die Natur und ihre Reize in musikalischer Kleinmalerei darzustellen,
liegt Weingartner überhaupt gut. So sind z. B. seine Blumenlieder aus op. 28
sehr fein gearbeitete und in den Stimmungen äusserst glücklich getroffene
Werkchen. Besonders das erste, die »chinesische Rose', hat durch die in
einfachster Form gehaltene Klavierbegleitung (mit dem fortdauernd bevor-
zugten Wechsel von fls und gis) eine musikalische Einkleidung bekommen,
die wirklich lebendig den betäubenden Duft und die zart berauschende
Farbenfülle der exotischen Blüte widerspiegelt. Diese Klavierbegleitung
nun verbindet zwei engverwandte Ausdrucksmittel miteinander, nämlich
die an den vorhergehenden Beispielen eingehender erläuterte Gleich-
förmigkeit mit der einheitlichen Durchführung eines Instrumental-
motive s. Die Grenze zwischen beiden Gestaltungsarten ist keine ganz
scharfe, dennoch ist sie aber vorhanden und eingehenderer Betrachtung
auch deutlich erkennbar. Von den Klassikern bis zu den Liederkomponisten
der neusten Zeit ist die Verwertung des durchgeführten Instrumentalmotives
die bei weitem häufigste Form der Liedbegleitung überhaupt. Auch in
Weingartners lyrischen Kompositionen nimmt sie den breitesten Raum ein.
In ihr bietet er eine Fülle feinempfundener musikalischer Charakteristik.
Es scheint mir kein Zufall zu sein, dass Heinrich Rietsch in seinem be-
21
RAABE: FELIX WEING ARTNER
.M
deutenden Buch über »Die deutsche Liedweise" bei der Besprechung gerade
dieser Kompositionstechnik einWeingartner sches Lied als Musterbeispiel
heranzieht. Es ist hier unmöglich, im einzelnen darzntun, wie Weingartner
durch die Erfindung und Ausgestaltung des Instrumentalmotives den
Gefuhlsinhalt der Dichtungen dem Hörer vermittelt, wie er durch Anlage
und Ffihrung der melodischen Linie Höhepunkte bezeichnet usw. Nur einer
besonders charakteristischen Eigenschaft seines lyrischen Schaffens sei noch
gedacht: nämlich der Art, wie er durch motivische Anspielungen oder
sonstige musikalische Mittel das in den Dichterworten gegebene Bild er-
gänzt. Es zeigt sich da, was sich auch bei der Betrachtung seiner
Instrumental- und namentlich natürlich seiner Bühnenwerke bestätigt, dass
er ein stark entwickeltes Gefühl für poetische Bilder und eine eigene
Kraft besitzt, diesen Bildern oder Visionen musikalischen Ausdruck zu
verleihen.
Wie der wahre, echte Schauspieler aus den Charakterzügen, den
Reden und Handlungen irgend einer poetischen Gestalt neue Züge folgert,
die das Gesamtbild ergänzen, wie er so Eigenes hinzufügt zu dem, was
der Poet andeutete, so sieht auch Weingartner in den Gedichten, die er kom-
poniert (wie es sich übrigens für den echten Lyriker gehört), oft noch Bilder,
die eben seine Phantasie dazuschafft. Er liest zwischen den Zeilen und gibt
das dort Gelesene wieder, und zwar meistens in so unscheinbaren aber
doch so knapp erfassten Einzelheiten, dass es dem Zuhörer kaum zum
Bewusstsein kommt, wie hier die dichterische Vorlage ergänzt, erweitert,
ausgemalt wurde. Ein Beispiel möge das Verfahren, das sich generell
schwer beschreiben lässt, erläutern.
Er komponiert ein Lied: »Das Blumenmädchen" (op. 32, No. 5),
da heisst es im Anfang:
»loh will hier am Portale stehn
Mit meinen Blumen eine Weile,
Und seh' ich ihn vorubergehn,
So flucht ich hinter jene Säule.«
Dieses Flüchten charakterisiert ein kleines Instrumentalmotiv:
Am Schluss des Liedes heisst es dann:
»Und hör* ich ferne seinen Schritt,
So werf ich es [nämlich ein Sträusschen] zu seinen Füssen,
Und wenn er sorglos darauf tritt,
So heb icbs auf, um es zu kfissoo.«
22
DIE MUSIK VII. 1.
Der Komponist hat dem in der letzten Strophe geschilderten Vorgange
mit wenigen Federstrichen eine ganz spezielle, detaillierte Deutung gegeben«
Er lässt zu den Worten: j»so werf ich es zu seinen Füssen* jenes kleine
Motiv in höherer Tonlage, forte beginnend aber ganz schnell in der Stärke
abnehmend und in einem ritardando endigend erklingen. Nach langer
Pause erscheint dann vor den Worten: «so heb' ich's auf* der Anfang des
Motives viel langsamer und in weich anschwellendem piano. Wieviel
seelisch vertiefter und auch äusserlich anschaulicher wird hier die Situation
in der gesungenen Form, als sie es in der ursprünglichen Vorlage des ge-
sprochenen Gedichtes ist. Man sieht durch die musikalische Illustration
ganz deutlich, wie das Mädchen, sobald es die Blumen hingeworfen
hat, sich hastig verbirgt, wie es in ängstlicher Spannung wartet, was nun
geschehen wird, und wie es schliesslich langsam wieder hervortritt, um
traurig den Strauss aufzuheben. Das alles spielt sich musikalisch in einem
Moment ab; es ist gewissermassen nur ein Glanzlicht, das einen besonderen
Punkt des kleinen Bildchens lebendiger hervortreten lässt. Solcher Glanz*
lichter findet man viele in den Weingartnerschen Liedern, und überall geben
sie sich unaufdringlich, fügen sich dem Gesamtbilde logisch ein und ver-
leihen ihm ein individuelles Gepräge.
Man wirft Weingartner so gern Mangel an Individualität vor! All
diese kleinen Züge aber, an denen ein musikalischer Mensch bei wirklich
aufmerksamer Betrachtung doch kaum vorübergehen kann, ohne sie zu
bemerken, sind ja Äusserungen einer Individualität, und die ganze Art,
wie er Dichtungen erfasst und wiedergibt, hat eine durchaus selb-
ständige Tätigkeit des Geistes zur Voraussetzung. Nur liegt es eben
nicht immer oben auf! Und das mag ja wohl dem allgemeinen, dem
Tageserfolge hinderlich sein. Wünscht man ihm diesen, so kann man
es fast bedauern, dass unter all seinen vielen Liedern nicht eines ist,
das auch nur im guten Sinne als .Reisser" zu bezeichnen wäre. Auch
alle diejenigen, die von einer starken Leidenschaft durchglüht sind, wie
z. B. das .Lied der Walküre*, «Letzter Tanz* usw., sind zu sehr durch-
geführte Seelenbilder, als dass Raum in ihnen wäre für diejenige rein
sinnlich reizende Melodieführung und Steigerung, die das Wesen des
Reissers ausmachen.
Als dankbar für den öffentlichen Vortrag ist übrigens doch schon
eine ganze Anzahl seiner Lieder von Sängern erkannt und verbreitet
worden: die «Plauderwäsche*, «Motten*, «Frühlingsgespenster*,
also namentlich die humoristischen Lieder, werden ziemlich viel gesungen.
Dem Komponisten ist auch gerade in diesem Genre manch trelPliches Stück-
chen gelungen. (Ausser den soeben angeführten seien noch als besonders
geeignet für Sängerinnen, die Humor haben, genannt: «Zwei Gänse* [aus
23
RA ABB: FELIX WEING ARTNER
op. 19] und .Vogellied" aus der zuletzt veröffentlichten Liedergruppe
[op. 41]). Aber auch unter den ernsteren Liedern haben manche eine
weitere Verbreitung gefunden: »Wenn schlanke Lilien wandelten',
.Lied derGhawäze", .Die Wallfahrt*; andere wieder werden noch ohne
Zweifel ihren Weg machen, wie, um nur eines zu nennen, das meisterhaft
gearbeitete .Jedem das Seine". Die schönsten Lieder freilich werden viel-
leicht niemals in der breiten Öffentlichkeit Boden gewinnen. Ich denke da an
Gedichte wie .Datura suavolens", .Anakreon", .Der öde Garten*,
kurz an solche, fiber denen ein, für Weingartners Lyrik besonders
charakteristischer Schleier keuscher Rührung und Weitabgewandtheit liegt.
Die wenden sich auch gar nicht an das sogenannte Publikum; sie wenden
sich an gar wenige, nämlich an die, denen auch der Staub auf den
Flügeln des Schmetterlings als Kunstwerk heilig ist.
Chöre mit Orchester und Bühnenwerke
Alle Eigenschaften der Konzeptionsweise Weingartners, wie die Be-
schäftigung mit seinen lyrischen Kompositionen sie erkennen lässt, zeigen
sich in potenzierter Form in zwei Werken, die deshalb als ein Höhepunkt
seines Schaffens angesehen werden müssen: in den beiden achtstimmigen
Chören mit Orchester .Traumnacht" und .Sturmhymnus", die als
38stes Werk vor ungefähr zwei Jahren erschienen.
Die reichsten Mittel des grossen Orchesters und des polyphonen
Chorsatzes sind hier verwendet. Die Werke selbst sind gross angelegte
Stimmungsgemälde, deren kühn gezeichnete Konturen und deren Farben-
reichtum bewundernswert sind. Die Wirkung muss bei würdiger Aufführung
eine ganz enorme sein. Weingartners Tonsprache ist in diesen beiden
Chören eine durchaus eigene. Sein virtuoses Können, seine eminente
Beherrschung alles dessen, was man unter dem Begriff musikalischer
Technik nur irgend versteht, wurde ja von jeher auch von seinen Gegnern
zugegeben. In diesen beiden Werken trägt nun die Fülle seines Könnens
die reifsten Früchte. Wenn heutzutage eine Komposition gut instrumentiert
ist, so fällt das kaum noch auf. Es können das eben sehr viele. Aber
man muss doch einen Unterschied machen zwischen derjenigen Art zu
instrumentieren, die nur das gute oder selbst das vortrelPliche Klingen
des Musikstückes bezweckt und erreicht, und derjenigen Art, bei der Ton-
mischungen und Klangreize förmlich aus dem musikalischen und poetischen
Gedanken herausgeboren werden. Die Texte der beiden in Rede stehenden
Chöre forderten nun einen verschwenderischen Reichtum an Klang-
schattierungen, und der Komponist streute diesen Reichtum mit vollen
Händen aus. Da begegnen uns Töne äusserster Zartheit und massloser
24
DIE MUSIK VII. 1.
Kraft; wir hören das geheimnisvoll gespenstige Flüstern des leise sich
regenden Blattes und das tosende Brüllen des entfesselten Orkanes, das
traumverlorene Murmeln leicht bewegter Wellen, das Ächzen der Todes-
angst und Verzweiflung und das Donnern der Posaunen des Weltgerichtes.
Aber nicht die instrumentale Einkleidung ist es, die den Werken ihren
bevorzugten Platz in dem Schaffen Weingartners einräumt, sondern die
reife und reiche Kunst, mit der sie aufgebaut und gegliedert sind.
Die Fülle feiner Details schliesst sich zusammen und rundet sich zu
einem Ganzen. Die etwas verbrauchte Bezeichnung «grosszügig" kann
in ihrer reinsten Bedeutung auf die beiden Chöre angewendet werden.
Als eine Stichprobe dafür betrachte man z. B. die Stelle in der «Traum-
nacht", die das «rasche Geistertreiben" schildert, das sich nächtens
vor dem «weissen Hause der Träume" entwickelt. Die Dichtung entwirft
da mit scharfen Strichen ein phantastisches Bild wirren Gedränges. Alle
Arten von Träumen in den wunderlichsten Personifizierungen: «mit Blüten
im Haar und Kronen von Gold usw., mit Skapulier und Perlgeschmeid,
und Thyrsosstab und Pilgerkleid und Tod und Teufelslüsten" drängen sich
da durcheinander, um dann in der Finsternis zu verschwinden. Auch für
dieses Drängen hat die Dichtung wieder allerlei spezielle Bezeichnungen:
«so gleitet es leicht und humpelt sacht und schwebt und wuchtet
durch die Nacht". Bei der Komposition derartig differenzierter Stimmungen
und Vorgänge liegt nun die Gefahr nahe, auch musikalisch so ins einzelne
zu gehen, dass die grosse Linie dadurch unterbrochen wird. Anderseits
darf aber selbstverständlich die Musik hier nicht das Wort nur für sich
allein aufkommen lassen. Weingartner hat in seiner musikalischen
Fassung dieser Szene mit feinem Gefühl beides zu vereinigen ver-
standen: die Wahrung des Flusses und das prägnante Herausheben der
Einzelbilder. Zunächst hält er während der Schilderung des ganzen Vor-
ganges einen Hauptrhythmus fest; das gibt das Gefühl: es ist ein be-
ständiges Vorwärtsdrängen; daneben aber benutzt er alle Mittel, die der
Musik dafür zur Verfügung stehen, in charakteristischer, aber doch nicht
aufdringlicher Weise, um die verschiedenartigen Typen des Geisterspukes, die
sich da durcheinander drängen, zu zeichnen: bald ist es die Deklamation,
wie bei den Worten «mit Skapulier", wo er dem beweglichen ^-Rhythmus des
Orchesters die steiferen würdigeren ^/g im Chorgesange entgegensetzt, dann
ist es wieder der helle Sopranklang, wie bei dem ersten Auftreten des Wortes
«Thyrsosstab", oder es sind instrumentale Mittel: Klarinettentriller und
Bratschen tremolo beim Worte «Wirrhaar", dem er durch Pausen zwischen
den beiden Silben noch einen besonders prononcierten Ausdruck gibt;
kurz, trotz allen Hastens und Durcheinanderwirrens tauchen doch deutlich
alle die Figuren, die der Dichter zeichnet, auf, und zwar wirklich mlft
m
25
RAABE: FELIX WEINGARTNER
Spukgestalten, gespenstig und wesenlos. Die Gabe Weingartners, mit
eigenen Augen eine Dichtung zu sehen, auf die schon bei der Be-
sprechung seiner Lieder hingewiesen wurde, zeigt sich auch an dieser
Stelle mit grosser Deutlichkeit. Man sehe sich darauf hin z. B. einmal
an, wie er die Worte „und Tod* aufgefasst und wiedergegeben hat. Mitten
in dem wüstesten Vorwärtsstürmen bricht plötzlich Chor und Orchester
ab, und nur von Alt- und Basstimmen, ohne jede Begleitung, tonlos und
im Zeitmass zurückhaltend, ertönen diese beiden Worte: »und Tod", um
kurz darauf in gellendem Fortissimo vom ganzen Chor wiederholt zu
werden. Das wirkt wie ein Alb, der in schwerem Traume beim Anblick
des unentrinnbaren Todes die Glieder lähmt, bis der Aufschrei des Ent-
setzens dem Körper die Kraft der Verzweiflung gibt.
Solche Proben packender Anschaulichkeit weisen auf eines der Haupt-
elemente von Weingartners Beanlagung hin, auf sein dramatisches Talent.
Von den ersten Anfängen seiner kompositorischen Tätigkeit bis in die
neueste Zeit finden wir ihn immer wieder mit Bühnenarbeiten beschäftigt.
Als Achtzehnjähriger komponiert er die «Sakuntala", wenige Jahre darauf
die «Malawika*, beide nach Dramen von Kalidasa. Er steht in beiden
Werken vollständig im Banne Wagners und Liszts. Die Sprache der selbst
verfassten Textbücher, die Melodie und Harmonik, ebenso wie die übrigens
mit staunenswertem Geschick gearbeitete Instrumentation zeigen deutlich
auf jeder Seite der Partitur den ganz unmittelbaren Einfiuss der genannten
Meister. Die beiden Jugendopern sind für uns heutzutage nur noch als
Werke zu betrachten, an denen Weingartner selbst lernte. In dieser Hinsicht
sind sie allerdings ganz interessant. Da hier der Raum fehlt, um die
Fäden zu verfolgen, die von ihnen zu den späteren Werken des Kom-
ponisten führen, so möge es bei ihrer Erwähnung sein Bewenden haben.
Das erste grosse Bühnenwerk Weingartners ist der 1888 — 1891
komponierte und am 15. November des folgenden Jahres in Berlin zum
ersten Male aufgeführte j»Genesius.* Was im Beginn dieser Studie
gesagt wurde, dass nämlich die Beurteilung Weingartnerschen Schaffens einen
bemerkenswerten Wandel erkennen lässt, ist nirgend deutlicher wahrzu-
nehmen als beim Vergleich der Aufhahme, die der «Genesius* bei seiner
Erstaufführung in Berlin fand, und der, die ihm in den jüngsten Aufführungen
in Antwerpen und Köln zuteil wurde. Es ist nicht sehr erquicklich, rück-
schauend zu betrachten, in welcher Weise das Gros der Berliner Beurteiler
gegen den »Genesius* zu Felde zog. Möge eine Erwägung darüber hier ganz
aus dem Spiele bleiben, ob es überhaupt j e statthaft ist, auch bei schärfster
und entschiedenster Ablehnung eines Kunstwerkes oder einer Kunstleistung,
mit Keulenschlägen zu kämpfen und mit verletzenden Witzen dem Ver-
dammungsurteile Ausdruck zu geben. Eins bleibt wohl für jeden ruhig und
26
DIE MUSIK VII. 1.
besonnen Urteilenden ausser Frage, und das ist, dass wenn irgend eine
Eigenschaft das Anrecht auf sachlich ernste, wenn auch vielleicht total
ablehnende Kritik Anspruch machen kann, es der unzweifelhafte Idealismus
und offenkundige künstlerische Ernst ist. Und wie man den dem «Genesius*
absprechen kann, das ist mir, offen gestanden, ein Rätsel. Die Beurteilung,
die das Werk in den späteren Auffuhrungen in Mannheim, Weimar, Leipzig,
Prag fand, war denn auch schon eine wesentlich andere. Das Hauptleitmotiv
der brüsken Verurteilungen in Berlin war wohl der Vorwurf vom Mangel
an Originalität. Das ging ja gleich mit einem Motiv an, das man so ähnlich
schon einmal in f f f Mendelssohns .Athalia* gehört hatte! Nun, diese
«Anlehnung" wurde ja schon damals von Weingartner selbst aufgeklärt.
Er sowohl wie Mendelssohn hatten aus der gleichen Quelle geschöpft,
nämlich aus einem alten katholischen Kirchengesange. Wir schenken heute
Weingartner seine »Rechtfertigung" gern (wie er sie sich jetzt wohl selbst
schenken würde). Darin hat sich in den letzten fünfzehn Jahren doch
wohl eine etwas freiere Anschauung Bahn gebrochen. Über Notenähnlich-
keiten, die das Wesen der beiden Kunstwerke nicht im mindesten berühren,
stolpern heutzutage nur noch ganz hoffnungslose Reminiszenzenjäger. In
diesem speziellen Falle kann man vielleicht sogar gemfitsruhig abwarten,
wo sich die inkriminierte Melodie länger erhalten wird, in der «Athalia*,
die schon dreiviertel tot ist, oder im «Genesius", der erst eben so kräftige
Zeichen von Lebensfähigkeit von sich gegeben hat
Dass Weingartner aber im «Genesius* unter dem Einfluss anderer
Meister, oder besser gesagt eines anderen Meisters, nämlich Wagners
steht, ist so zweifellos wie selbstverständlich. Wer wollte und wer dürfte
sich diesem Einflüsse entziehen! Über das Prinzipielle dieser Tatsache
auch nur ein Wort zu verlieren, wäre töricht und überflüssig. Es gilt da
das, was Goethe einmal zu Eckermann gesagt hat: «Von einem durchaus
verrückten und fehlerhaften Künstler Hesse sich allenfalls sagen, er habe
alles von sich selber, allein von einem trefflichen nicht."
Es ist übrigens sehr merkwürdig mit diesem Einflüsse Wagners auf
Weingartner. In den Jugendopem war es unzweifelhaft der Schöpfer des
«Parsifal* und vielleicht des «Ringes", der den jungen Komponisten so
ganz und gar in seinem Banne hatte, im «Genesius* ist es der Komponist
des «Tannhäuser", der befruchtend wirkt, und im «Orestes", dem nächsten
und bisher letzten Bühnenwerke Weingartners, ist es Wagner, Wagner
schlechthin, als der Bereiter eines Kulturbodens, als der Gesetzgeber einer
neuen Schaflfensepoche, der Evangelist der Heilslehre von der Wahrhaftigkeit
in der Kunstausübung. Zu den Grundlagen dieses Evangeliums gehört es,
dem Streben zu entsagen, das irgend wieder Mode und dem Tagesbedfirfnisse
entgegenkommt. Nun, wer nach sensationellen Erfolgen, nach Massen-
27
RAABE: FELIX WEINGARTNER
aufführungen und der Gunst des grossen Publikums strebt, der schreibt
weder einen »Genesius* noch eine ^^Orestie". Beide sind schon ihrem
Stoffe nach Dramen der Überzeugungstreue.
Die Dichtung zum «Genesius^, die Weingartner unter Benutzung der
Opemdichtung «Geminiamus* von Hans Herrig verfasste, gehört zu dem
Wirksamsten, was seit Wagner für die deutsche Opembühne geschrieben
worden ist. Wirksam nicht nur durch die Verwendung aller theatralischen
Mittel, sondern vor allem durch die psychologische Folgerichtigkeit der
Handlung und die Zeichnung der Charaktere. Dass bei der letzteren der
Musik die wesentlichste Rolle zufällt, versteht sich von selbst. Wenn aber
von einer Beeinflussung des Werkes durch den «Tannhäuser' die Rede
war, so zeigt sich diese in dem Musikalischen am wenigsten. Alles rein
musikalisch für den ,, Tannhäuser* Typische ist im ^^Genesius* nicht wieder
zu finden. Nur die grosse Form, der Umriss des Ganzen, die Art, wie
die Bestandteile der .grossen Oper* umgebildet und dann benutzt wurden,
um ein neues Gebäude aufzuführen, nur das hat der «Genesius* mit dem
»Tannhäuser" gemein. Ich möchte darauf besonders nachdrücklich verweisen,
denn, seltsam genug, aus dem Umstände, dass die Dichtungen des «Tann-
häuser" und des »Genesius* beide etwas mit dem Christentum zu tun haben,
hat oberflächliche und vorschnelle Beurteilung sogleich den Vorwurf zurecht-
gemacht, der «Genesius* sei dichterisch abhängig von «Tannhäuser". Sogar
jemand, der einen ausführlichen Essay über Weingartner veröffentlichte,
schrieb bezüglich des «Genesius": «Der Konflikt ist ähnlich dem im
Tannhäuser.* Das ist kompletter Unsinn. Auf der einen Seite Tann-
häuser, der innerlich so fest von der Berechtigung des «Menschlichen* in
ihm überzeugt ist, dass er selbst vor dem Papste nicht imstande ist, zu
widerrufen, und sich nur des «Sehnens, das kein Bussen noch gekühlt*
anklagen kann, auf der anderen Genesius, der, als er einmal erkannt hat,
dass sein Heil im Christentum liege, bis in den Tod an dieser Erkenntnis
festhält — wo da die Ähnlichkeit liegen soll, das verstehe ich
nicht recht.
Der Berliner Misserfolg hat dem «Genesius*, wie schon erwähnt,
nichts anhaben können. Bei jedem wahren Kunstwerke kommt es auf das
«Warten-können* an. Cornelius' «Barbier* z. B. oder Kleists «Zerbrochener
Krug* (um nur zwei Stücke zu nennen, die beide in Weimar einstmals
erbärmlich durchfielen) konnten auch warten. Die Opern, die zu gleicher
Zeit mit dem «Genesius* in Berlin gegeben wurden, und die damals Scharen
anzogen, dieselben Scharen, die dem «Genesius* fem blieben, — all diese
Erzeugnisse des «Verismo* — «A Santa Lucia*, «A Basso Porto* und
was weiss ich wie sie sonst hiessen, — sie konnten jedenfalls nicht
warten. Na, und wer nicht warten kann, der muss zuerst abgefertigt
28
DIE MUSIK VII. 1.
werden! Das ist nun einmal so in der Welt, und es ist wohl auch ganz
gut so eingerichtet. —
In Weingartners Jugendopern war es die indische Sagenwelt und die
buddhistische Lehre, die den Untergrund für die Dichtungen abgab, im
.Genesius" war es das Christentum und seine Verfolgung, im «Orestes*
ist es die klassisch-antike Weltanschauung. In allen zusammen aber ist
es das Rein-Menschliche, auf das es ankommt, das die Grundlage zu
Konflikten und wieder zu deren Lösungen gibt. Das heisst mit anderen
Worten: das Tendenziöse fehlt. Und es fehlt mit Recht, denn der
Dramatiker hat nur mit Gefühls- nicht mit Verstandeswerten zu rechnen.
Um unmittelbar zu unserem lebendigen Gefühl zu sprechen, das sich
durch keine historischen Belehrungen von seiner eigensinnigen Forderung
nach Herzensgerechtigkeit abbringen lässt, musste sich Weingartner im
»Orestes" teilweise weit von dem griechischen Urbilde entfernen. Die
Lösung des Konfliktes musste unserem modernen Empfinden entsprechen,
und dazu war eine einschneidende Umdichtung notwendig. Es mangelt hier
an Raum, um auf diesbezügliche Einzelheiten näher einzugehen. Man kann
eine solche Umdichtung prinzipiell ablehnen, ja man darf es sogar tun, ohne
dafür irgendeinen anderen Grund anführen zu können als den der Pietät.
Gibt man aber die Möglichkeit zu, dass aus den Ewigkeitswerken der alten
Kunst Schätze herauszuheben sind, und dass sie in Einklang mit den
Forderungen unserer heutigen Empfindungen gebracht werden können, so
muss man Weingartner zuerkennen, dass er mit fest gestaltender Hand in
seinem «Orestes" ein Werk schuf, das der Grundforderung des Dramas,
derjenigen nach logisch gefestigtem Aufbau, völlig gerecht wird. Ob die
Proportionen der Einzelteile alle so sind, dass sie der Bühnenwirksamkeit
zugute kommen, kann fraglich erscheinen.
In musikalischer Hinsicht ist der «Orestes" ein grosser Fortschritt
gegen den «Genesius", — und auch wieder nicht. Meisterhaft ist die
Art, wie Weingartner seine Motive oder deren charakteristischen Einzeleigen-
schaften (einmal eine rhythmische, ein andermal eine melodische usw.)
benutzt, um den feinsten Seelenregungen seiner Personen nachzugehen.
Beispiele dafür finden sich auf fast jeder Seite der Partitur. In der Er-
findung der Themen selbst scheint mir aber der Komponist nicht immer
so frisch zugreifend wie er es im «Genesius* und auch in seinen übrigen
Werken ist. Im dritten Teil findet sich sogar ein motivischer Bestandteil,
der banal und dessen Vorhandensein ein Fleck an dem Werke ist. Im
übrigen ist natürlich auch in bezug auf Erfindung ganz Ausgezeichnetes
im «Orestes" enthalten. Im einzelnen darauf hinzuweisen kann nich^t
die Aufgabe dieser Zeilen sein.
29
RAABE: FELIX WEING ARTNER
M
Die Instrumental -Werke
Weingartner hat keine neuen Formen geschaffen. Das wurde schon
gesagt. Er hat es ebenso wenig getan als alle anderen. Aber er gab sich
auch nicht den Anschein, als wenn er es täte. Im Gegenteil, er hielt
ostentativ darauf, dass man seine Werke nicht als zu denen gehörig be-
trachtete, die erst durch Sprengung dagewesener Formen entstanden sind,
oder entstanden zu sein vorgeben. Die Schlagworte von den „Überwindem
Beethovens und Wagners" waren ihm in der Seele zuwider, und er hat
nie ein Hehl daraus gemacht. Das brachte ihm den Namen eines Reak-
tionärs ein. Nun heisst »sich der herrschenden Richtung nicht anschliessend
noch lange nicht Reaktionär sein. Und selbst wenn das der Fall wäre,
so kommt es immer noch darauf an, welcher Art denn die .Aktion"
ist, der gegenüber man sich reaktionär verhält. Weingartner hat vor
kurzem seine Ansicht ifber musikalische Formen in einem sehr
sachlich und klar geschriebenen Artikel in der .Neuen Freien Presse*
ausgesprochen. Er erklärt da unter anderem ausdrücklich, dass er gerne
da für einen Reaktionär gelten will, wo .Willkür mit Fortschritt* ver-
wechselt wird. Die eingangs erwähnte Bitterkeit aber, mit der alle, oder
doch fast alle Gegner Weingartners dem, was er tat und sagte, einen
Anstrich der Gehässigkeit gaben, stempelte ihn nicht nur zum Reaktionär,
sondern zum Reaktionär aus Schwäche. Schwäche dokumentiert sich
für solche, die sie suchen, am ehesten und deutlichsten immer in Wider-
sprüchen, und diese konstruierte man nun in Masse und wollte sie
allenthalben in seinen Kompositionen und in seinen Äusserungen über
Kunst und Künstler gefunden haben. Das ist immer ein bedenkliches
Kampfmittel, aber es war von jeher beliebt. Schopenhauer, der grobe,
schrieb einmal vor jetzt gerade 50 Jahren an Dr. Ascher: .Widersprüche
aufsuchen ist die gemeinste und von allen Strohköpfen geübte Art, ein
Buch und System zu kritisieren: sie blättern bloss hin und her, bis sie
Sätze finden, die, aus dem Zusammenhang gerissen, nicht zu einander
reimen*. Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe den Eindruck,
dass diejenigen, die z. B. den Programmkomponisten und den absoluten
Musiker Weingartner gegen einander ausspielten, auch nur in seinen Parti-
turen .hin und her geblättert* haben.
Weingartner ist niemals Programmusiker gewesen, oder man müsste
denn überhaupt dadurch Programmusiker werden, dass man auf das erste
Blatt einer Partitur die Worte .Symphonische Dichtung* schreibt. Auch
in seiner frühesten Schaffensperiode ist die Beeinflussung seiner Phantasie
durch die Dichtkunst nur eine solche ganz allgemeinster Art gewesen,
und was von dichterischen Stimmungen ihn zum Komponieren drängte,
30
DIE MUSIK VII. I.
SS
war von jeher gleichsam nur eine andere Bezeichnung für eine musi-
kalische Stimmung, die schon in ihm schlummerte. Das zeigt sich mit
eklatanter Deutlichkeit schon in den kleinen Klavierstücken, die er als
ITjähriger Gymnasiast komponierte und j»Tonbilder zu Stifters
»Studien^* benannte.
Stifter hat bekanntlich, nach Jean Pauls Vorbilde, einzelne Kapitel
oder auch ganze Erzählungen nach Gegenständen aus der Natur benannt,
nach Steinen, Blumen usw. Nicht mehr als die Dichtungen Stifters in-
haltlich mit diesen Steinen und Blumen, haben die in der Form ganz ein-
fach gehaltenen, aber völlig abgerundeten Klavierstückchen Weingartners
mit ihren Titeln zu tun. Und wie lose diese Zusammenhänge sind, das
weiss ja ein jeder. .Turmalin*, schreibt Stifter über eine Novelle und
fängt dann seine Erzählung an: »Der Turmalin ist dunkel, und was da
erzählt wird, ist sehr dunkel, ■. Das klingt wie ein Witz,
und doch folgt dann die traurige Erzählung von dem Schicksal eines armen
Verlorenen!
Es gibt Menschen, deren Seele sich öffnet bei der Nennung eines
Wortes, das Erinnerungen irgend welcher Art weckt, deren Phantasie zu
spielen anfängt, die zu träumen beginnen, wenn man eines Kunstwerkes,
einer Landschaft, eines Erlebnisses gedenkt, und die in ihren Träumen
dann weit abgeführt werden von dem eigentlichen Ausgangspunkte. Jeder
phantasiebegabte Künstler gehört zu diesen Menschen, und so auch Wein-
gartner. Gestaltete nun ein Musiker früherer Zeit solche Träumerei zu
einem Kunstwerke, und gab er dem eine feste und scharf umrissene Form,
so nannte er es nach dieser Form, und tut dasselbe ein jetzt lebender
Musiker, so gibt er ihm den Namen dessen, wovon seine Phantasie aus-
ging. Dass er dann gewöhnlich heute noch dazu setzt: «Symphonische
Dichtung" ist ein Umstand, der viel Verwirrung anrichtet. So «glücklich
gefunden" Wagner diesen Titel nennt, so unglücklich angewendet ist er
dabei im Grunde meistens, genau so unglücklich, oder unzutreffend, oder
überflüssig, oder falsch wie einstmals das Wort «Ouvertüre* für ein Kunst-
werk, das längst wirklich «symphonische Dichtung" war.
Weingartners «Gefilde der Seligen" ist eine solche Träumerei. Der
Aufbau dieses Stückes lässt so recht deutlich erkennen, wie der Anblick
des Böcklinschen Gemäldes eine Traumregung nach der anderen in der
Seele des Komponisten weckt, wie die einzelnen Gestalten und Gestaltungen
der Phantasie zueinander in Beziehung treten, und wie schliesslich das
innen geschaute Bild dem geistigen Gesichtskreise wieder entschwindet,
wegzieht ins Ungewisse. Böcklins blaues Wasser, das immer tiefer wird,
je länger man hineinschaut, und seine weissen Märchenschwäne, die sich
in der Krystallflut spiegeln, sie mögen wohl auch in der Phantasie desjenigen
31
RAABE: FELIX WEINGARTNER
Hörers auftauchen, der je vor dem Gemälde stand, wenn die tiefen geheimnis-
▼ollen Töne im Orchester einsetzen, und zartschwebend der Gesang der
Geigen sich darüber erhebt. Nun ist es aber auch schon aus mit den
direkten Beziehungen zwischen dem mit dem Pinsel gemalten und dem
mit der Notenfeder skizzierten Bilde. Was sonst noch in dem farbenfrohen
Orchesterrondo sich an Stimmungsvorgängen abspielt, das hängt mit den
Böcklinschen Gestalten kaum noch zusammen. Wie durch das Bild der
Komponist «angeregt" wurde, so, und nicht anders soll durch den Titel
der Hörer angeregt werden, um willig dem Tonsetzer zu folgen in eine
Sphäre seiner Fantasie, in der heitere Anmut herrscht, die Anmut, die den
Erlebnissen der Seele eben den zart verklärenden Glanz verleiht, von dem
wir uns alles im »Gefilde der Seligen" umwoben denken.
Je unbestimmter also die Grundlage ist, auf der die träumende Phan-
tasie des Musikers und die Schöpfereingebung dessen, der ihn anregte, ein-
ander treffen, desto freier wird nicht nur der Komponist gestalten können,
sondern desto williger wird auch der Hörer sich dem Ideengange des
Komponisten anschliessen. Sobald die (nennen wir es nun einmal)
programmatische Vorlage ganz bestimmte Züge aufweist, die schon in
der Vorstellung des Hörers mit unerschütterlicher Deutlichkeit wurzeln,
wird sich dieser Hörer schwerer entschliessen, seiner eigenen Auffassung
von dem Gegenstande die eines Komponisten anzupassen. So verhält es
sich mit allen Tondichtungen, die entstanden sind nach dem Vorbilde, oder
auch nur wieder auf Anregung einer bekannten Gestalt aus der Dich-
tung oder Geschichte. Und so verhält es sich auch mit Weingartners
«König Lear*. Das Wort .Lear* schliesst nicht nur einen Charakter von
typisch-scharfer Bedeutung, sondern auch ein Schicksal ein, eine ganz
bestimmte, so und so verlaufene Geschichte, bei der nicht einmal
alles Geschehene aus psychologischen Ursachen geschehen musste, sondern
bei der Umstände, Verwickelungen, ja selbst Zufälle eine entscheidende
Rolle spielten. Will man dem Hörer verwehren, an diese Umstände und
Zufälle beim Hören des Tonstückes zu denken, so legt man seiner
Phantasie Fesseln an, und diese Fesseln hinderA ihn dann, mit der rechten
Bewegungsfreiheit dem Komponisten auch dahin zu folgen, wohin er sonst
wohl mit ihm zusammengehen könnte. Weingartners .König Lear* ist
kein musikalisches Analogon zu Shakespeare's Tragödie geworden. Nicht
weil der Komponist zu schwach gewesen wäre, seinen Weg ganz zu gehen,
sondern weil es überhaupt ein Ding der Unmöglichkeit ist, einem Dichter-
werk ein musikalisches Pendant zu geben. Es gibt nur einen »König
Lear*, und der ist von Shakespeare, sowie es nur einen .Hamlet* gibt,
den er und nicht Liszt schrieb, nur einen .Romeo*, der von ihm und
nicht von Berlioz ist, nur einen .Macbeth*, der seiner Feder entstammt
S^S I>IE MUSIK VII. 1. ' IMK
und nicht derjenigen Richard Strauss'I Was all diese Stücke als musi-
icalische Kunstwerke sonst noch für gute Qualitäten haben, das steh^ auf
einem ganz anderen Blatte.
Auch Weingartners »König Lear' ist ein vortrelPlich klingendes und
vor allem ein formal sehr sicher gestaltetes Stück (mir persönlich ist es
musikalisch eigentlich sogar lieber als das »Gefilde der Seligen'), aber:
eine symphonische Dichtung ist es ganz gewiss nicht, wenn man
darunter eben den Versuch einer Umwertung dichterischer Werte in solche
musikalischer Art versteht.
Mit dem »Lear* war Weingartner sich darüber klar geworden, dass
die Instrumentalmusik nur ohne die Fesseln fremder Ein fiüsse sich natur-
gemäss entwickeln und entfalten könne, und als er dieser Überzeugung
nun Ausdruck gab durch die Komposition seiner ersten Symphonie,
lehnte er prinzipiell die Kunstrichtung ab, die dem Charakteristischen
in der Musik den ersten Platz zuwies. Und seinerseits wurde er nun
wieder abgelehnt von allen, die jener Kunstrichtung huldigten. Er stand
so ziemlich vereinsamt da, und wie es fast immer zu geschehen pflegt,
er wollte nun auch einsam sein, er trotzte sich sozusagen in seine Ein-
samkeit hinein, und die Folge davon ist, dass in dieser ersten Symphonie
sich Spuren finden, die darauf hindeuten, dass hier ein Prinzipienkampf
durchgefochten werden sollte. Er wollte zeigen, dass keine Grübelei
oder irgendwie von Verstandestätigkeit angekränkelte Mache in seiner Musik
sei, und so trug diese Musik den Stempel des Unbekümmerten, etwas
Draufgängerischen in bezug auf die Themenwahl und den des Alther-
gebrachten in der Form. Er kümmert sich nicht um Anlehnungen, sieht
auch nicht darauf, ob jedes Motiv recht edel und wertvoll ist, und arbeitet
streng, wenn auch flott, so, wie man's eben gelernt hat.
Aber schon das folgende Werk, das erste Streichquartett, zeigt
Weingartner wieder als einen, der sich selbst gefunden, in dem sich das
künstlerische Gleichgewicht hergestellt hat. Einfachheit und Klarheit sind
auch hier die vorwiegenden Eigenschaften. Mit ihnen aber paart sich die
Vornehmheit der Erfindung. Und das steigert sich in jedem folgenden
Werke. Das zweite Quartett mit der düsteren Tragik seines ersten
Satzes, dem wundervollen Gesänge der »Fantasia' und der Wildheit des
Finale ist ein von aller Schablone weit entferntes, tief empfundenes Werk.
Seine zweite Symphonie ist ein Orchesterstück, das eine wahrhaft herz-
erfrischende Lebendigkeit ausstrahlt. Frische ist auch das Grundelement
des dritten Quartetts; am tiefsten aber geht Weingartner in seiner Kammer-
musik wohl in dem wie aus einem Guss geschaffenen Sextett für Klavier
und fünf Streichinstrumente. Wer an all diesen Werken in der
profunden Ausnutzung aller harmonischen, aller instrumentalen und satz-
33
RAABE: FELIX WEINGARTNER
technfschea Mittel nicht den Geist wirklich moderaen Empfindens ver-
spürt, der muss diesen Geist wohl in Dingen suchen, die ausserhalb de$
Musikalischen liegen. In seinem letzten grösseren Instrumentalwerke, dem
S t reich quint et t op. 40, nähert sich Weingartner der Ausdrucksweise der
äussersten Linken dadurch, dass er eine kompliziertere Sprache spricht. Das
macht fast den Eindruck der Absichtlichkeit, — «hier stehe ich, ich kann
auch anders!* Aber in demselben Werke finden sich dann schon wieder
Stellen von so ungetrübter Natürlichkeit, wie z. B. das entzückende Menuett
und der czardasähnliche Zweivierteltakt, dass man den Welngartner wieder-
erkennt, der praktisch und theoretisch immer wieder darauf hinweist, dass
es nur eine Art des Gesanges gibt, die angehört zu werden verdient,
nämlich die, zu singen, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Recht
ausdrücklich betonte er das durch die Veröffentlichung seiner beiden
Violinsonaten op. 42.
Als sich Weingartner seinerzeit von der Öffentlichkeit zurückzog, um
nur seinem Schaffen zu leben, da fragten viele: befindet sich der Mann
nicht in einem verhängnisvollen Irrtum? Sollte er nicht lieber grade recht
intensiv seine eminente Dirigentengabe betätigen, statt zu komponieren?
Das alles war natürlich müssig. Ein Schaffender hat nicht die Gewalt über
sich, zu sagen: ich will nicht schaffen. — Jetzt, wo Weingartner wieder
auch als ausübender Künstler hervortritt, und zwar in einem Amte, das
die grössten Anforderungen an ihn stellen wird, fragt man vielleicht wieder:
kann er denn das mit seinem Drang zu komponieren vereinbaren? Nun, die
Erfahrung hat gelehrt, dass selbst die reichste Betätigung auf reproduktivem
Gebiete die Produktionskraft nicht zu hindern braucht. Was haben unsere
grössten Meister noch alles «nebenher" getan und tun müssen! Das ist
jedenfalls sicher, dass Weingartner die Befriedigung, die ihm aus seinem
Schaffen erwächst, höher stellt als alle Ehrungen, als alle Macht, die ihm
sonst zuteil werden kann, und dass alle noch so heftigen und gehässigen
Angriffe ihn nicht von der strikten Verfolgung seiner Ziele und Ideale ab-
bringen können. Es passt auf ihn ein schönes Wort, das Ambros einmal
geschrieben hat:
«Der echte Künstler gleicht dem Hausvater im Evangelium, der sein
Gastmahl rüstet, ohne zu fragen, was für Gäste sich zu Tische setzen
werden, ohne sich darum zu kümmern, ob sich überhaupt Gäste einfinden,
und ob er auf ihren Dank rechnen darf. Es ist ein wahres Glück, dass er
eine Freundin hat, die ihn tröstet und für alles entschädigt: die KunstI*
VIL 1.
Bad Kreuth, 3. September 1907
Sehr geehrter Herr!
Sie wünschen etwas i,persönliches' von mir. Es ist nicht leicht»
Ihren Wunsch zu erfüllen. Mit einer biographischen Skizze irgend eines
Lebensabschnittes wird Ihnen nicht gedient sein; mit Mitteilungen aus
seinem Innenleben aber muss man sehr vorsichtig sein. Nichts wird so
leicht missverstanden, nichts bietet so leicht eine Zielscheibe für Angriffe»
und nichts steht auf schwankeren Füssen, wie die «persönlichen" Äusserungen»
weil die Betrachtungen des eigenen Ich wiederum nur durch das eigene
Ich geschehen können, und es sehr schwierig ist, diese beiden Ich so weit
von einander zu stellen, dass das eine das andere mit kritischer Objektivität
betrachtet. Beim künstlerischen Schaffen, um das es sich hier handeln
soll, ist diese Selbstbetrachtung doppelt schwierig, denn hier ist das Ich
so in Mitleidenschaft gezogen, dass eine Trennung in ein beobachtetes und
ein beobachtendes fast unmöglich wird. Wenn diese Trennung eintreten
kann, bei der selbstkritischen Tätigkeit, ist aber das eigentliche Schaffen
längst vorüber. Schliesslich sind die Mitteilungen über die eigene künst-
lerische Produktion auch in gewissen Beziehungen gefährlich, weil jeder
Künstler die Art, wie er schafft, naturgemäss für die richtige hält, und
leicht dazu verleitet wird, die mit der seinigen nicht übereinstimmende
Schaflfensart eines anderen für unrichtig zu halten, woraus sich Trübungen
des Urteils über die ganze künstlerische Persönlichkeit ergeben können.
Selbst Ausserlichkeiten sprechen da mit. So gestehe ich, dass ich stets
misstrauisch bin, wenn ich höre, dass jemand vorzugsweise bei Nacht
dichtet oder komponiert, weil es mir persönlich unverständlich ist, wie man
schöpferische Arbeit zu anderer Zeit als in den Morgen- und Vormittags-
stunden vollbringen kann. Auch verstehe ich nicht, wie man Alkohol, oder
andere Stimulantien zur Erhöhung der Arbeitsfähigkeit gebrauchen kann.
Doch wissen wir, dass z. B. Gluck Champagner trank, wenn er komponierte,
und Schiller sich für sein nächtliches Dichten mit schwarzem Kaffee
M
35
VEINGARTNER: OFFENER BRIEF
munter hielt Wie verschieden und unkontrollierbar müssen nun erst die
inneren Bedingungen für die Entstehung eines Kunstwerkes sein!
Wenn ich, trotz mancher Bedenken, von denen ich soeben nur einen
kleinen Teil geäussert habe, Ihrem freundlichen Wunsche nachkomme, so
möchte ich gleichzeitig wenigstens nicht unterlassen, auf das völlig vage,
gleichnisartige, unvollständige und zugleich nüchterne meiner Äusserungen
hinzuweisen, was mit den vorhin erwähnten Schwierigkeiten zu eng
zusammenhängt, als dass es durch den besten Willen, sich klar und gut
auszudrücken, vermieden werden könnte. Eine Zeitschrift frug vor einigen
Wochen bei mir an, wie ich komponiere. Ich erwiderte, dass ich, wenn
ich es zu sagen vermöchte, es auch andere lehren könnte, dass aber beides
unmöglich sei. Man hielt diese Antwort offenbar für zu unbedeutend, und
unterliess, wenigstens bis jetzt, den Abdruck. Bitte machen Sie es ebenso,
wenn Ihnen die nachfolgenden Mitteilungen ungenügend erscheinen sollten. —
Ich gehe spazieren, sitze auf dem Rade, lese, schreibe einen Brief,
bin im Begriff einzuschlafen, oder kaum erst erwacht, ich bemühe mich,
an reich gedeckter Tafel eine mehr oder minder schöne Nachbarin mehr
oder minder gut zu unterhalten, ich stehe am Pult und kann durch
irgend eine Ursache nicht in volle Stimmung kommen, ich arbeite an
einer Komposition und bin vielleicht gerade in Aufregung darüber,
dass sich die Ausführung mit meiner Absicht immer noch nicht
decken will, — plötzlich geht etwas an mir vorbei. — Ich
weiss nicht, was es ist, woher es kam, wohin es ging, aber es war
etwas, es war da und hat etwas hinterlassen, ein undefinierbares, dessen
einzige Eigenschaft zunächst eben nur darin besteht, dass es da ist.
Mitunter verschwindet es wieder, hinterlässt nicht die geringste Spur, und
dann lasse ich es unbesorgt laufen. Im Spiritismus und in der Kunst
gibt es Klopfgeister und ähnliches Gelichter, das uns unnötig aufregt.
Aber es gibt auch echte Geister, ich weiss allerdings nicht, ob im
Spiritismus, jedenfalls aber in der Kunst. Geht ein solcher an mir
vorüber, dann bleibt das haften, was er zurückliess, und hat Daseins-
dauer. Merke ich, dass dieses undefinierbare nicht verschwindet, {so
betrachte ich es mir genauer, strecke wohl auch die Hand aus, es zu
ergreifen. Aber wie sonderbar! Es bleibt gleichgiltig und rührt sich
nicht, als ob es von mir nichts wissen wollte. Mitunter krümmt es sich
sogar unwillig zusammen, und weist mir sowas wie Borsten und Krallen. —
Nun, ich verstehe, es will Ruhe haben, und die muss ich ihm lassen, denn
mit Gewalt ist ihm nicht beizukommen. Wohl noch mehreremale geht
es mir so, und ich muss vom Versuche abstehen, mit dem seltsamen
Ding was anzufangen. Aber endlich gibt es seine zurückhaltende, wider-
borstige Art auf, wird fügsamer, lässt sich von allen Seiten betrachten,.
3*
36
DIE MUSIK VII. I.
sogar befühlen, und sehe ich genau zu, so durchflutet ein warmes,
wogendes Leben seinen Körper. Nun zeigt es auch eine Art von Antlitz
und gibt Laute von sich, die einer Sprache ähneln. Ja, aus dem Ausdruck
des Antlitzes und den Lauten der Sprache empfinde ich das Bedürfnis,
mit mir in Beziehung zu treten. Es hat mich in der Zeit, da ich ihm
Ruhe Hess, kennen gelernt und weiss, dass ich zu ihm passe. Nun weiss
auch ich, was daraus werden kann und vermag an die Arbeit zu gehen.
Diese besteht zunächst darin, dem Ding diejenige Form abzulauschen, die
seinem Wesen entspricht. Das ist gar nicht leicht, denn an manchen
Stellen wogt es so üppig, dass es immer nur gärt und treibt und das
Ganze zu zersprengen droht, an andern wieder steht es still und bleibt
bocksteif, als ob gar keine Gelenkigkeit hineinkommen könnte. Hier nun
abzuwägen und auszugleichen, zu hemmen und zu beleben, bis alle Teile
das haben, was ihnen zukommt, keiner zu viel, keiner zu wenig, wie es
in einem lebensfähigen Gebilde sein muss: das ist die Hauptaufgabe.
Nun erst durchschaue ich die geheimen Zusammenhänge, sehe mit Er-
staunen, oft mit Schrecken, wie das scheinbar nebensächliche heranwächst,
wie zusammenschrumpft, was ich zuerst für ungeheuer wichtig gehalten
hatte, und wie oft ein kleines Moment, das unbeachtet geblieben war, so
umgestaltend wirkt, dass ich an sich gutes, aber gerade hier nicht
berechtigtes aufopfern muss, um das Gesamtbild nicht zu gefährden.
Immer klarer werden nun Antlitz und Form, immer deutlicher der Aus-
druck der Sprache, bis endlich etwas in seinen Umrissen fertiges vor
mir steht.
Nun heisst es, die feineren Züge ausarbeiten. Die Zeichnung ist
mir die Hauptsache. Farbe gebe ich dort, wo ich sie brauche, bald
sparsam, bald reich, mache aber meistens die Erfahrung, dass die richtige
Zeichnung die Farbe schon selbst mit sich bringt. Nie lasse ich mich
aber verleiten, der Farbe zulieb die Zeichnung zu verwischen. Wohl
aber führt mich zuweilen eine feine Detail-Zeichnung zur Erkenntnis eines
Fehlers im Hauptaufbau, wie denn überhaupt die kleinste Veränderung
selten ohne Nachwirkung auf irgend etwas anderes, oft ganz ferne
liegendes bleibt.
Sind auch die Details vollendet, so bin ich in die lebendige Gestalt,
die nun allmählich unter meinen Händen hervorgewachsen ist, natürlich
verliebt. Diese Freude darf ich mir gönnen, aber nicht zu lange.
Ich muss mich energisch losreissen, muss meine Schöpfung vor mir
selbst verleugnen und sie irgendwo verstecken, wo ich sie gar nicht
mehr sehe, muss mich auch sehr hüten, sie vorzeitig wieder hervor-
zuholen, um mich nicht etwa aufs neue in sie zu verlieben. Erst, wenn
sie mir ganz fremd geworden ist, so fremd, dass ich sie beinahe vergessen
WEINGARTNER: OFFENER BRIEF
habe (mitunter geht ein volles Jahr darüber hin), darf ich mich ihr wieder
nftbern. Dann betrachte ich sie so, als ob sie ein anderer gemacht bitte
und entdecke Fehler, die ich in meiner Triiheren Verliebtheit gar nicht
merkte. Nun kann ich aber auch gegen das eigene Werk mit jener kri-
tischen Schärfe und Rücksichtslosigkeit vorgeben, wie Ich es einer fremden
ScbSpFung gegenüber vermCcbte. Denn tritt vorwiegend der künstlerische
VersMnd in Tätigkeit und leitet mich an, dort zu erweitem, da auszumerzen,
und überall um- und neuzugesMlten, wo es notwendig ist, bis endlich,
nach vielleicht öfterer Zurücklegung und Wiederaufnahme dieser Prozeduren,
das Werk diejenige Reife erlangt hat, die erforderlich ist, um es in die
Welt hinauszuschicken, wo es nun seinen Weg so oder so finden muss.
Stets bestrebe ich mich dann, wenn ich ihm wieder begegne, am eigenen
Werk zu lernen, wie ich es ein anderesmal besser machen kann. Das
Gefühl, stets am Anfang zu stehen, stets etwas erstrebenswertes vor und
über sich zu haben, macht nicht zum wenigsten das Glück des Schaifens aus.
Indem ich Sie bitte, sich an diesen kargen Äusserungen genügen
lassen zu wollen, verbleibe ich
Ihr sehr ergebener
Felix Weingartner
kurzer Zeit hat Norwegen drei grosse Männer verloren:
' Henrik Ibsen, den berühmten Gelehrten Sophus Bugge ond
Edvard Grieg — unersetzliche Verlusiel Die allgemeine
, Landestrauer beweist, wie innig geliebt Grieg, der wundervolle
Lyriker, überall war. Ich glaube, dass selbst der Srmste Bauer in Nor-
wegen seinen Namen und teilweise auch seine Werke gekannt hat. Dass
dort ein gesundes Verbiltnts zwischen den schaffenden Geistern und der
grossen Masse des Volkes besteht, ist um so erFrenlicber in einem Lande,
in dem die praktischen Kunstverhältnisse im allgemeinen leider noch wenig
entwickelt sind.
Nicht nur Norwegen, sondern die ganze Veit verliert in Grieg einen
der eigenartigsten künstlerischen CbarakterkSpfe unserer Zeit. Er ist mit
der Natur seines Landes eng verwachsen, inniger und tiefer als irgend-
einer der anderen Meister.
In unserer Zelt scheint es ja sonderbar, dass z. B. bei Mozart die
herrliche Natur seiner Heimat keinen künstlerischen Eindruck in seinen
Werken hinterlassen hat, und dies in einer Zeit, wo Rousseau überall Mode
war, der mit Begeisterung die erhabene Schönheit der Alpenwelt priest
Gluck und Beethoven zeigen einen lebhaften Natursinn, aber bei diesen
Meistern und teilweise auch bei den Romantikem sind es allgemeine
landschaftliche Stimmungen, die vorherrschen, keine bestimmte Gegend. Und
sie sind namentlich nicht in dem Grade von der Natur besessen wie Edvard
Grieg, dessen Werke mit dem westlichen Norwegen so innig verbunden
sind, dass sie ohne diese eigenartige Natur nie bitten entstehen können.
Diese fanatische, fast dimonische Liebe zur Heimat ist die Stirke,
aber auch die Begrenzung Griegs. Es sind ganz spezielle Natureindrücke, die
seine Werke ausstrahlen. Ich werde versuchen, dies näher zu erklären.
Im allgemeinen glaube ich behaupten zu können, dass kaum je ein
schaffender Künstler seine Heimat so innig geliebt hat wie Grieg. In
seinen letzten Jahren konnte er sehr schwer die anstrengenden Reisen
und das feuchte Klima Bergens vertragen, und doch kehrte er jedes Jahr
g^en seinen vorher bestimmt ausgesprochenen Willen nach .Trollbougen'
39
SCHJELDERUP: EDVARD GRIEG f
Ji
zorfick. Er konnte eben nicht anders: die Naturmlchte, deren Treiben
er in seinen Werken so lebhaft dargestellt, zogen ihn gen Westen.
Die Natur des ostllndischen Norwegens, die kräftige Hügel- und wasser-
reiche Landschaft, die sich unendlich ausdehnenden Wilder gefielen
ihm sehr und waren seiner Gesundheit zuträglich, sie hatten aber auf sein
Schaffen keinen Einfluss.
Wer nach langer, mühsamer Meeresfahrt die Küste des westlichen
Norwegens endlich in der Feme erblickt, wird einen unvergesslichen Ein-
druck von Erhabenheit und trostloser Wildheit empfangen, besonders wenn
das Wetter rauh und regnerisch ist, wenn Nebel die höchsten Gipfel der
Berge deckt, und nur die zerrissene, kahle Felsenküste ihren ewigen
Kampf mit dem stürmischen Weltmeer einsam kämpft, ohne Licht und
Farbe von dem Sonnenglanz leuchtender Gletscher zu empfangen.
Grosse, gewaltige Linien, ein erschütterndes Drama der Jahrtausende
in lapidarer Felsenschrift geschrieben. Hier finden wir noch nicht Grieg.
Er ist nicht der Schöpfer grosser Linien, er ist weder Epiker noch
Dramatiker; das unendliche Larghetto des ruhig wogenden Weltmeers, der
gewaltige Aufruhr der wütenden Elemente, der erhabene Pessimismus
dieser starren, der Ewigkeit trotzenden Küste, wo der Mensch wie ein
Sandkorn erscheint, die Sehnsucht des fliegenden Holländers — diese
Welt der Grösse und Trauer liegt Grieg fem. Nur einmal, glaube ich,
spürte er eine Neigung, aufs Meer hinauszusteuera, durch Björason's
Feuergeist hingerissen, im Lied «Dank für deinen Rat*.
Der Wind jagt den Nebel, es zeigen sich zackige Gebirge, strahlende
Gletscher, das Meer wird blau und leuchtet im Sonnenglanz. Doch Grieg
ist noch nicht in dieser Natur, in diesen gewaltigen Linien, in diesen
schäumenden Wellen. Plötzlich steuert das Schiff zwischen wilden Schären in
einen Fjord ein, der spiegelblank daliegt, von idyllischen Umgebungen umrahmt
— ein Birkenwäldchen in Frühlingsfrische, rotgetünchte Hütten mit weissen
Fensterrahmen und blühenden Dorfdächera — einige rötliche Kühe, Schafe
mit niedlichen Lämmem, Ziegen, blonde, rotbäckige Kinder mit blauen
neugierigen Augen, Bäuerinnen in bunten Röcken, emste Fischer mit Süd-
western bekleidet — stille, friedliche Arbeit an den Netzen, während die
feuchten Gebirgswände die Sonnenstrahlen magisch widerspiegeln. Wir
sind weit von erschüttemden Katastrophen; Lebensfreude und Licht geben
dem Emst des Daseins unzählige Reize — in der Ferne schimmert
ein gewaltiger Gletscher Folgefonden, der dieser sonnigen Landschaft die
höchste Weihe gibt. Hier begegnet uns Grieg, der Sänger des intimen
Lebens, der Liebe und der rüstigen Gesundheit einfacher Menschen. In
jedem Augenblick wechselt das Bild: neue Aussichten, neue Lichtwirkungen,
leuchtende Wasserspiegel, starre Felsen, lächelnde Oasen mit schäumen-
40
DIE MUSIK VII. U
den Gebirgsbächlein und lebensgierigen Bäumchen, die sich überall trotzig
festklammern. Endlich dreht das Schiff um den bekannten Felsen »Kvarven*,
Bergen liegt vor uns weiss und lebendig zwischen den sieben Bergen. Hier
steht Grieg auf seinem heimatlichen Boden. Bergen und Hardanger sind die
reichsten Lebensquellen seiner Kunst gewesen. Dort verbrachte er die schönste
Zeit seines Schaffens. Wer diese Natur kennt» weiss, wie wechselnd sie ist.
Das Licht bedeutet hier eigentlich alles. Die Natur kann hier niederdrückend
melancholisch sein, wenn Nebel auf allen Bergen lastet und der Regen
unaufhörlich, tagelang, wochenlang, monatelang niederrieselt — eine harte
Probe für die Nerven! Wenn aber der Nordwind weht und die Sonne
scheint, ist alles von einem zauberhaften Lichtglanz, einer berauschenden
Frische. Das Wetter „moduliert* sehr plötzlich und oft, der Nordwind
kämpft mit dem regnerischen Süden — eine ewige Unruhe herrscht, nur
ausnahmsweise eine breit versöhnende Adagio-Stimmung. Und welche
wundervollen Sonnenuntergänge! Goldzarte Silbertöne, leuchtender Purpur,
grüne und tiefblaue Schattierungen.
Auch Stürme peitschen den Fjord von Bergen, doch die Wellen
sind kürzer und zackiger, weniger langatmig als die gewaltigen Wogen des
Ozeans. Das grosse Meer sah Grieg nur wie von einer erhabenen
Aussicht, als leuchtende, überirdische Fata Morgana, die weit, weit über
allen knorrigen Felsenformen und unruhigen Zinnen vulkanischer Feuer-
geister liegt, wie ein silberglänzendes Wunderland der ewigen Seligkeit.
Wie bescheiden ist Grieg's bekannte Villa Trollhougen! Die umge-
bende Natur ist die Hauptsache. Reizend ist die Lage auf einem Hügel
zwischen zwei Buchten des stillen Nordaassee.
Wundervoll färbte sich manchmal der Abendhimmel gegen Westen,
während Grieg durch das junge Laubwäldchen schritt, das er so innig
liebte. Die Villa ist geschmackvoll, aber sehr einfach eingerichtet. Zum
Arbeiten hatte er eine kleine, einsame Hütte, in der sich auch seine
Lieblingswerke, Wagners Partituren, befanden. Er liebte auch Hardanger,
wo die liebliche, sanfte Natur und eine höchst vornehme, intelligente Bauern-
bevölkerung, die teilweise alter königlicher Abstammung ist, ihm äusserst
sympathisch war. Dort sind einige seiner tiefsten und grosszügigsten
Werke entstanden: sein Quartett, seine Vinje-Lieder, seine dritte Geigen-
sonate. Die Landschaft ist dort grossartiger und harmonischer als bei
Bergen, die Stimmungen dauerhafter und gewaltiger, die Formen fester
und bestimmter. Aber manchmal drückten ihn auch hier die Felsen,
und er sehnte sich nach dem Süden, fort von Regen und finsteren
Wintertagen. Gewöhnlich zog er dann nach Dänemark, wo er seine
glückliche Jugendzeit verlebt hatte. In dieser lächelnden Natur, unter alten
Freunden und einer lebhaften, lebensfrohen Bevölkerung, fühlte er sich
41
SCHJELDERUP: EDVARD GRIEG f
äusserst wohl. Solange sein Verleger Abraham lebte, kam er auch sehr gern
nach Leipzig, um die grosse deutsche Kunst wieder in sich aufzunehmen.
Seine Dankbarkeit den Meistern gegenüber ist immer lebhaft ge-
blieben. Er konnte sich fürchterlich ärgern, wenn ein Kunstjünger z. B.
Mozart kritisierte. Seine tiefe Verwandtschaft mit Schumann und den
andern deutschen Romantikem gab er selbst zu, obgleich er sonst gern
das spezifisch Norwegische in seiner Kunst betonte. Auch Dänemark,
Gade und Hartmann gegenüber, fühlte er sich zu aufrichtigem Dank
verpflichtet. Vor allem aber war es die norwegische Volksmusik, die er
in sich aufnahm, und die ihn in seinem Schaffen befruchtete. Er sah diese
eigenartige Musik aber mit seinen eigenen Augen durch seine starke
Individualität. Manchmal fand er, und zwar mit grösster Feinfühligkeit,
nur die natürlichen Harmonieen dieser Volksweisen, die man bis dahin
nur gesammelt, aber nie künstlerisch bearbeitet hatte. In der Griegschen
Kunst ist vieles, was norwegisches Gemeingut ist, und nur eine oberfläch-
liche Kritik wird bei jedem norwegischen Künstler Griegianismen ent-
decken. Er löste aber nicht nur die Volksmusik aus dem langen Zauber-
schlaf, sondern schuf auch eine ganz selbständige Kunst, die seine Marke
trägt. Im allgemeinen wachte er ängstlich über die norwegischen Saiten
seiner Harfe und schloss sich besonders in den letzten Jahren gegen jeden
fremden Einfluss ab. Diese heroische Beschränkung zog seinem Schaffen
engere Grenzen, als die durch seine Natur bedingten. Doch hat er durch
dies etwas einseitige Betonen des Nationalen der Welt deutlich gezeigt,
dass es eine eigenartige norwegische Kunst gibt, und eine Grundlage ge-
schaffen, auf der andere mutig und vertrauensvoll weiter arbeiten können.
Wie Griegs Kunst mit der Natur inniger verbunden ist als die
anderer Meister, so ist auch die norwegische Volkskunst mit der Natur
viel enger verwandt als die Volkslieder der meisten anderen Länder —
ich brauche nur an Tirol zu erinnern. Eine tiefe Naturempflndung spricht
sich in den norwegischen Volksweisen aus, aber wie persönlich Griegs
Kunst ist, wird man gerade durch das Studium der Volkslieder verstehen.
Als echter Lyriker nahm er das ihm Verwandte der norwegischen Volks-
seele in sich auf, während er an anderen Schätzen, die auch reiche Ent-
wicklungsmöglichkeiten in sich tragen, vorüberging.
In der Lyrik liegt vor allem seine schöpferische Kraft. Nur aus-
nahmsweise hat er grössere Formen verwendet. Ohne sie zu erweitem
oder zu bereichem, hat er auch die altbewährte Sonatenform mit neuem
Inhalt gefüllt. Ein einziges dramatisches Fragment: «Olaf Trygvason*
zeigt seine Bestrebungen um ein nationales Drama. Das Ganze ist weniger
gelungen, doch finden sich darin höchst interessante Keime eines nationalen
dramatischen Stils.
IS.
42
DIE MUSIK VII. 1.
Seine Kunst ist farbenreich, unruhig, wechselnd, stürmisch, zart
und schroff zugleich, warm und doch kühl wie ein Gletscherhauch,
idyllisch und leidenschaftlich, kühn und eng begrenzt. Es ist geradezu un-
glaublich, welche Fülle reizender Stimmungen z. B. die lyrischen Klavier-
stücke enthalten in einfachen, sich wiederholenden engen Formen! Nur ein
genialer Künstler erreicht mit solchen Mitteln eine so reiche Mannigfaltigkeit.
Manche unserer berühmten «Modernen* sollten einmal ihre Kräfte
an einer ähnlichen Aufgabe versuchen, anstatt in meilenlangen Symphonieen
ihre innere Impotenz durch glänzende Klangreize zu verdecken. Sie
würden dann vielleicht weniger von »Kleinkunst' oder gar »Salonkunst*
sprechen, wenn von Grieg die Rede ist. Hier steht Grieg neben Schu-
mann und Chopin. In den Liedern ist ein reicher Schatz verborgen,
den man im allgemeinen nicht ahnt. Einzelne »berühmte* Lieder seiner
ersten Periode werden bis zur Bewusstlosigkeit abgeleiert — das ist alles.
Wer kennt die Ibsen- oder Vinje- oder Garborg-Lieder, die zu Griegs
besten gehören? Die Sonaten, das Klavierkonzert sind dagegen all-
gemein bekannt und geschätzt.
Dass ein so zartfühlender Lyriker auch ein vornehmer Mensch ge-
wesen ist, brauche ich kaum zu unterstreichen. Griegs äusseres Leben
war ausserordentlich einfach und arm an Erlebnissen. In seinem Inneren
fand er seine wahre Welt; er blieb trotz seiner vielen gesellschaftlichen
Talente immer ein einsamer, nach innen gekehrter Träumer, der sich am
wohlsten fühlte, wenn er ungestört stille Gespräche mit seinen geliebten
Berggeistern führen konnte. Er war kein grosser, tiefer Denker — für
die Philosopiiie hatte er keinen Sinn — er war vor allem Gefühls- und
Phantasiemensch. Er war eine Herrennatur, die nicht leicht Widerspruch
vertrug, heftig und leidenschaftlich in seinem Zorn, aber desto zarter und
liebevoller, wenn er ein Unrecht erkannte. Gegen jüngere Künstler war
er sehr wohlwollend und hat im stillen vielen mit Rat und Tat geholfen.
Seine Willenskraft und seelische Energie war geradezu unglaublich. Leider
konnte er trotzdem seinem tückischen Leiden nicht oft auf längere Zeit
Kraft zur Arbeit und schöpferische Stimmungen abringen. Darum schwieg
er manchmal lange und stürzte sich blindlings in überanstrengende Konzert-
untemehmungen, um seine innere Unruhe und Verzweiflung zu betäuben.
Er muss in seinem Leben unendlich viel gelitten haben; er klagte aber
selten, ja machte sich sogar oft lustig über seinen elenden Zustand. Die
humoristische Seite seiner Natur, die in seinen Werken so stark hervor-
tritt, wirkte hierbei erlösend. Er blieb bis zur letzten Stunde im harten
Lebenskampf ein wahrer Held. Aus tiefstem Herzen gönnen wir ihm die
ewige Ruhe. Seine Werke aber bleiben in blühender Frische, solange eine
nordische Kultur besteht.
■it Joseph Joachim ist nicht nur einer der grössten Geiger iller
n Zeiten dahingegangen. Vor allem haben wir in ihm den Ver-
treter oft verkannter, doch immer wieder siegreich empor-
I gekommener Kunstprinzipien verloren, den Wiederbeleber der
klassischen, altitalieniscben Scbultraditionen, dem es gegeben war, die
Pflege des Violinspiels In neue, edlere Bahnen zu lenken. Sein bleibendes,
kunsthistorisches Verdienst beruht im neuen Kurs, den er, kraft seiner grossen
Persönlichkeit, dem Öffentlichen Musikleben, wie es sich speziell in Kon-
zerten iussert, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts gegeben hat. Ein
Blick nach rückwärts wird uns die Grösse des durcbschrittenen Weges
am besten erkennen lassen.
In Viotti, Rode, Kreutzer, Baillot und (ein wenig splter) in Spohr
hatte um das Jahr 1820 die Kunst des Geigenspiels Insofern ihre Blüte-
zelt erreicht, als diese Plejade, auf den gesunden, lebensvollen Ober-
lieferungen der alten Italiener fussend, mit Hintansetzung der verXcbtlicben
Künsteleien eines Lolll oder der halsbrecherischen Probleme Locatelli's,
die Geigentechnik dennassen vervollkommnet hatte, dass das vorhandene
techniscbe Rüstzeug tut die gesteigerten Ansprüche der Solo- und
Quartettliteratur vollkommen hinreichend war. Haydn hatte sie den
Satzhau gelehrt, und die göttliche Melodik eines Mozart Hess sie in ihren
Kompositionen auch die verblüffendsten, das gute Publikum in Raserei
versetzenden Kunsistückchen zugunsten einer edlen Kantilene verschmihen.
Formvollendete, in vornehmer Männlichkeit erstrahlende Geistesprodukte,
denen es auch nicht an einer persönlichen Note fehlt, eröffnen sie
vielverheissend einen Ausblick in jene Zukunft, die den Erwählten
bringen sollte, der kraft seines Genies, dem ewigen Gesetze des Werdens
und Vergehens zufolge, seine Kunst in neue Bahnen lenkt und neue
Formen zur Versinnlichung seines Schönheitsideals Bndet. Und siehe, da
erscheint ein Mann, doch es ist — Paganinl.
Die Physiognomie dieses Neuerers, die Fülle von sonderbaren Er-
scheinungen, die sein Auftauchen nach sich zog, — sein Einfluss auf die
geigende Mit- und Nachwelt, aufden Geschmack des Publikums, auf die Violin-
44
DIE MUSIK VII. 1.
koroposition und die Kompositionstechnik im allgemeinen — mit besonderer
Berücksichtigung der Orchestration — dies alles wartet noch des Musik-
historikers, der es der Mühe wert findet, eine Entdeckungsfahrt in
dieses scheinbar so minderwertige, in Wirklichkeit jedoch unendlich
interessante Gebiet zu unternehmen. Die alten Ammenmärchen von einem
in Liebesraserei begangenen Morde, jahrelangem Schmachten im Gefäng-
nisse und eifrigem autodidaktischen Studium daselbst (als wenn das Musik-
machen in dergleichen Anstalten gestattet wäre!) können höchstens den
sensationslüsternen Teil unseres inneren Menschen befriedigen. Paganini's
Einfluss auf den Pianisten Liszt zu kennen, oder die Erkenntnis, ob nicht
Berlioz für die dazumal so verblüffenden Flageoletkombinationen im Scherzo
der «Romeo und Julie'-Symphonie sich Paganini's Lektionen zunutze ge-
macht hat, wäre für uns von weit grösserem Interesse. Ein Vergleich
zwischen einem Violinkonzert von Spohr und den Geigenpassagen im
Walkürenritt oder im Feuerzauber würde unumstösslich feststellen, dass
Wagner trotz seiner Achtung vor Spohr auf keinen Fall geigentechnischer
Studien halber bei ihm in der Lehre gewesen ist. Ja vielleicht müsste
man zu der paradox klingenden Schlussfolgerung gelangen, dass Paganini
als der Vater der modernen Orchestertechnik zu betrachten sei!
Unheilvollster Art war hingegen sein Einfluss auf die spezifische
Geigenkomposition, deren schlechte Beschaffenheit ihrerseits wieder not-
wendigerweise den Geschmack der grossen Menge auf das niedrigste Niveau
bringen musste. Die Variationenform, durch Beethoven in seinen späteren
Werken als Mittel zum Ausdruck der höchsten, letzten Dinge geheiligt,
musste ihm zum Köder dienen, mittels dessen er die sensationslüsterne Masse
an sich lockte, sollte ihm die Folie sein zu seinen im besten Falle das
Unterhaltungsbedürfnis befriedigenden Gaukeleien. Die durch ihn bewirkte
ungeheure Erweiterung der Technik musste notgedrungen, als die Ver-
wirklichung des bisher für unmöglich Gehaltenen, den angehenden Kunst-
jüngern den Kopf verdrehen und für viele Jahrzehnte die Musiker auf
Irrwege leiten. Die edle Romantik eines H. W. Ernst, von dessen »blutig
schönem Ton* uns Heine erzählt, ging in sinnlosem Nachäffen zugrunde.
Prume's geistlose „M61ancolie**, die uns heute nur mehr durch ihre un-
sagbar trockenen Trommelvariationen melancholisch stimmen kann, bildete
einen eisernen Bestandteil aller Konzertprogramme. Sivori, Alard, de
B6riot und wie sie alle heissen, überschwemmten die Konzertsäle mit einer
wirklichen Sündflut von Stücken seichtester Art, in denen der schlechte
Geschmack wahre Orgien feierte. Kein Wunder, dass es ihnen mit dieser
grenzenlosen Herabwürdigung der Kunst endlich gelang, die Geige in den
Augen des wahren Musikers dermassen zu diskreditieren, dass es noch
lange dauern wird, bis das ominöse Bild des typischen «Violinvirtuosen*
■I.- - ■*■■»
M.
45
FLESCH: JOSEPH JOACHIMS BEDEUTUNG
in den Augen der Mitwelt dem des ernststrebenden Geigers, der sich seiner
hohen Mission bewusst ist, gewichen ist.
Joseph Joachims unvergängliches Verdienst ist es, diesen verrotteten
Zuständen durch den Ernst seines künstlerischen Strebens ein Ende be-
reitet zu haben. Köstliche, längst verschollene Besitztümer — Bachs
Partiten, Mozarts Violinkonzerte, Beethovens Einziges — hat die Welt
durch ihn wiedergefunden. Spohrs Stil fand in ihm seinen berufensten
Interpreten, und der Adel seines Vortrags hauchte den alten Italienern neues
Leben ein. Mendelssohns und Schumanns Geigenkompositionen hat er aus
der Taufe gehoben. Unzählbar sind die Werke, die seinem Vorbild ihr
Entstehen verdanken. Den Geigenstücken eines Brahms, Bruch, Goldmark
ist seine Existenz eine unerlässliche Vorbedingung gewesen. Minderwertige
Tonsetzer fanden in ihm nie einen Interpreten, denn seine edle Natur
konnte sich nur wieder für Edles begeistern. Die jüngeren Geiger-
generationen hat er die in der dunkeln Paganini-Periode abhanden gekommene
künstlerische Ehrlichkeit wieder gelehrt, und der ganze Stand hat durch ihn
seine alte Würde wiedergefunden. Die Technik ist nun auf den ihr ge-
bührenden Platz, als Handlangerin im Dienste der musikalischen Idee,
zurückgekehrt. Seine Gemeinde besteht nicht mehr ausschliesslich aus
Jüngern, die seines Unterrichts teilhaftig wurden; alle ehrlichen Geiger,
aus welchen Schulen immer hervorgegangen, die nur das, was sie auch
wirklich fühlen und lieben, einer Interpretation für würdig halten, scharen
sich um seine Fahne. Nun er dahingegangen, ist uns sein Name mehr
als die Erinnerung an den grossen Geiger und Menschen: er bedeutet
für uns ein Programm fürs Leben — das der künstlerischen Würde und
Ehrlichkeit.
BÜCHER
I. Gustav Robert -Tornow: M«x Reger und Karl Straube. Verlag: Otto
Hapke, G8iiia{eii.
Ein lellaaniea Bucht Tenn wir ea aelnem beichelde&en Umhnge uacb — es
ziblt ganze lecbsundiwaniic Selten — kurz und bündig besprechen sollten, so kSnaie
die Kritik etwa helssen: eine mit «Irmttem Herzblut und mit Überzeugungslreue
geschriebene Propagandaschrift, die offenbar das Beate In der Klirung der fiffenlllchen
Meinung über Max Reger will, die aber durch Ihren lusaeren Dberschwang und Tort-
ralcbtum In der nur Lob kennenden Besprechung des genannten Komponlaten und In
einer gewissen Unduldsamkeit und Sctairfe allen dem Tondichter noch fem Stehenden
gegenüber jedenfalla nicht fiberall den erhofften Nutzen atlften dfirfie. Und aus diesen
Gründen wollen wir daa Bücblein einmal flüchtig durchblittem, um das zu unterstreichen,
waa man als Ptoctat eifriger Gelehrtenarbeit vom Verfiisser als geeignetes und Dtitz>
bringendes Aurklirungamateriai über Regera Kunst dankend entgegennehmen muaa,
zweitens aber, nm auch jene Anaführungen zu flxieren, die leleht eine neue, ganz nnnStIte
KampfeastImmung wecken kannten. Von einem Bncbe mit dem Titel .Max Reger und
Karl Siranbe' erwartet der unbehngen an das Studium herantretende Leser — als
bequeme UnterhaltungslektQre sind dergleichen Blitter )a ole gedacht — doch wenigstens
so viel ilebenawürdlgea Entgegenkommen, daaa die Art des pro et contra im Leser
nicht schon von vornherein entweder einen blindlings glaubenden Freund oder einen in
lerschmeticmden Feind voraussetzL Man will ja neue, lurerllaaige Anhinger werben,
und diese werden In den meisten Flilen doch nur aua den noch zwischen beiden Polen
unsicher hin und her Schwankenden zu gewinnen aeln. Deahalb wire In Tomows
Schrift vor allem Nachsicht und pidagoglsclie Anfklirungsarbelt am rechten PUtie
gewesen. Gerade die von Regera eifrigsten Anhingem stets beliebte Art, ihrem Melden
durch die Verlchtl Ich mach ung der Un- und Andersgliublgen zu scbnellatem Siege auf
der ganzen Linie zu verheltfen, bat zweifellos mit daa meiste dazu beigetragen, dass alch
der kfinailerische oder doch rein muslkallscho Gegensatz vieler Musiker zu Reger nach
und nach zu einem pcrsSnilcben erweiterte, denn anch die Gründe der Premdllage fSr
das abweisende gNein", die leider In der Hitze des Gefechtes oft nnerfreulich laut und
hart in Tonfall und Stil wurden, müssen gehfirt werden. Und darum hitte der Verfasser
unserer Broschüre mit der Oberbrücknng dieser Kluft beginnen sollen, indem er als
intimer Kenner des Regerschen Lebens- und Künstlerwegea nach beiden Seiten bin den
auseinander strebenden Parteien leidenschaftslos seine Fübrerhand anbot So aber schreibt
er: .Man kann nicht nur marktschreierisch anpreisen, man kann auch gevisaenlot
heruntermachen, und solche Antireklame wird und wurde gegen Reger in unerhSrter
Teiae betrieben." Mag sein! Nur wird man leider auch gar manche Stelle aus Tomows
verdienstlichem Buche inr ersten Sorte dieser Reklamekritik rechnen und ebeasovlele
Bemerkungen um der Schirfn willen als Auaiassungen einer Kampfeaart beanstanden
mBaaen, weil sie mit der .gewissenlos heruntermachenden Antireklame' In Ausdruck
47
BESPRECHUNGEN (BÜCHER)
nnd Wirkung sichtlich verwandt sind. Msn denke sich in die Stimmung eines Reger
ehrlich und fieissig suchenden Lesers hinein, der schon in den ersten Zeilen der
Broschiire gesagt bekommt: »Auf selten jener [der gegnerischen] Kritik sind Perfidie
der Klique und gesinnungstfichtige Naivitit, auf selten eines ihr nachfolgenden Publikums
Gutgliubigkeit und Phlegma einen schlimmen Bund eingegangen. Nichts war zu dumm
und weniges zu widersinnig, um nicht ernsthaft gegen Reger vorgebracht zu werden.*
Ohne Zweifel: nach der Entgegennahme solcher Freundlichkeiten wird nur bei den ein-
geschworensten Kampfgenossen Tomows noch die Neugier nach dem weiteren Speech
ihres Obmannes wachsen, und das ist um so bedauerlicher, weil dadurch die auf den
kommenden Seiten der Broschüre geleistete treffliche Arbeit des Erklirers, Führers und
Kenners Regerschen Könnens in ihrer Bedeutung und Glaubhaftigkeit in den Augen
vieler Leute an Wert herabsinken wird. Nur der Wissende kommt hier ganz auf seine
Rechnung, wihrend die noch nach der Wahrheit suchenden Musiker aber misstrauisch
und die eingeschworenen Erbfeinde des jugendlichen Meisters bestimmt in erhöhtem
Masse verbohrter werden dürften, wenn sie sehen, dass alle, die beim Beginn des Lesens
nicht schon »Ja* und »Amen* sagen, mit Worten von der Annehmlichkeit wie: »Perfidie",
»dumm* und »phlegmatisch* belegt werden. Das ist schade, denn die im Laufe der
weiteren Abhandlung angeführten Dinge sind iusserst interessant und würden in den
meisten Pillen genügen, dem nach der Wahrheit Suchenden eine bestimmte Stellung zu
Reger zu gewinnen, wenn auch die stilistische Eigenart des Buches die Formulierung
eines eigenen Urteils nicht gerade leicht macht. So wird z. B. von dem Künstler
als Klavierspieler gesagt: »Den ersten Grund, [gegenüber Regers ^muiikalischer Persön-
lichkeit] bedschtsam zu verfahren, erwihnten wir, er liegt in Regers eignem Spiel. Es
gibt unter unseren Pianisten noch grössere Techniker. Aber das ist gerade das Geheimnis,
dass man über Regers wundervollem Spiel die Tücken eines Stückes vergisst.* [Sonst
ist dies eigentlich nur bei den erstklassigen Virtuosen der Falll] »Andere
spielen ein fertiges Stück und spielen es auch wohl fertig. Ihm aber erwichst seine
Komposition unter den Hinden, ein wohlgeschlossenes Geschehn zu abgeschlossenem
Sein, unberührt und unberührbar. Sie wird uns nicht gezeigt und vorgeführt, diese Welt
voll Leben und Gestaltung: sie kommt gleichsam von selber und umflUigt uns. In
manchem ihrer Geister lebt ein Stück auch unserer Seele, und mitten, wenn sie fremd
und rätselhaft zueinander raunen, befillt uns eine eigene Gewissheit, als wüsste jeder
jener Töne, was er dem andern sagt — nur dass wir selber es nicht wissen. Dies
eben sind die beiden anderen Dinge von Bedeutung. Sehr hiufig wirkt das Aller-
firemdartigste bei Reger nicht sowohl unverständig als nur unverständlich; uns fehlt,
und uns vielleicht nur heute noch, der Schlüssel und das Mass für die Musik; uns
ist sie inkommensurabel, — und dann hinwiederum begreifen und erfassen wir anderes
in ihr, als hätten wir's von Anbeginn besessen — natürlich nicht etwa als musikalische
Reminiszenz, sondern wie ein Stück Dasein, das wir lange schon zu lieben meinen.*
Nun muss sich Jeder doch sagen: da sich die Töne oft nur gegenseitig verstehen, aber
dem Hörer inhaltlich fremd bleiben, und anderes wieder so leicht in unsere Gefühlswelt
einzieht, als sei es »ein Stück Dasein, das wir lange schon zu lieben meinen*, so kann
dies grösstenteils wohl nur an den äusseren Ausdrucksmitteln Regerscher Kunst liegen.
Leicht wäre das nun hier auszusprechen und nachzuweisen gewesen, wie es später an
einem Beispiel aus der Arbeit Dr. Walter Niemanns über Max Reger gezeigt werden soll,
aber in Tomows Buche heisst es dafür seltsamerweise: »Wer dies [im obigen Zitat über
Regers Spiel eigener Kompositionen Gesagte] erfuhr, der ist geneigt, zunächst einmal
immer an die eigene Unzulänglichkeit zu denken, wenn Reger ihn befremdet — an
Unzulänglichkeit des Ohres, aber auch an Trägheit des Herzens und der Phantasie.
48
DIE MUSIK VII. 1.
Denn freilich» diese Musik erfordert andere ,Geftitale^ als nur jene, die jeder von nns
bestindig auf Supel bat und als Menscb comme il faut sich gern zutrauen listt. Man
muss die eigene hfibscb umziumte, dafür aber auch gegen den Himmel dicht überdachte
Existenz wenigstens f&r Augenblicke hinter sich lassen. Und weiter wird, wer das erfnhry
entschieden wfinschen, dass die andern es erfahren.* Das alles liest sich nun nicht
gerade bequem und appetitanregend, aber es enthält doch ein oflTenea persönliches Be-
kenntnis, das man unbedingt respektieren muss. Besser wire an derselben Stelle aller-
dings eine Aubihlung der Grunde für das vielfache Auflehnen unserer Ohren und GefGhle
gegen Regers Tonsprache am Platze gewesen, damit für die spätere Charakteristik und
kritische Bewertung der Kompositionen desselben Meisters durch Tomow dem zu Be-
lehrenden ein handlicher Wegweiser geboten wurde. Deshalb sei diese Lficke hier mit
den Worten Dr. Walter Niemanns ausgefüllt, die wir einem Reger-Artikel in Westermanns
diesjährigem Juni-Monatsheft entnehmen. Dort heisst es: »In Regers Werken redet eine
musikalisch ungewöhnlich begabte, ausgeprägte Persönlichkeit zu uns. Ihr Grundzug
ist Männlichkeit, bis zum herben, finsteren Trotz gesteigerte Eigenwilligkeit;
ihr Charakteristisches sind jähe Gefühlsubergänge. Seine Erfindung gilt Tielen
als gering. Sie ist aber etwas ganz anderes, als wir sie bei unseren Klassikern und
Romantikem gewohnt sind. Ihre Melodielinie verzichtet aufweite Bogenführung
und gibt dafQr eine der poetischen Prosa angenäherte, wirklich sprechende,
reich verzierte und chromatisch kfihn geführte Tonsprache voll persönlichsten Ausdrucks.
Dazu eine ganz passende, reiche, überaus interessante und die Schranken der
Tonalität durch fessellose und neue Anwendung der chromatischen Ton-
leiter beinahe völlig verwischende Harmonik.... Das ist ganz sein eigen, und
die Art so eigentümlich stilisierter musikalischer freier Prosa etwas völlig
Neues. Hier liegt eine Ursache aller Widerstände und Missverständnisse,
denen seine Kunst ausgesetzt ist. ... Es fehlt also seiner Melodik an der bewnsst zu-
gunsten eines freien, instrumentalen Sprachgesanges aufgegebenen ruhigen Geschlossen-
heit Und daher der Irrtum, dass Reger keine Erfindung besässe. ... Bei
Reger ists schwerer, sich in diese neue Sprache seiner Töne hineinzufinden. Die übrigen
[Niemann meint mit ihnen Regers Vorläufer und Stilgenossen: Lekeu, Peterson-Berger,
RebikoflT, Robert Hermanns und Skriabine] bestechen durch den sinnlich schönen Reiz,
den in warme, satte und bunte Farben gehüllten Grundton ihrer Musik. Sie vermögen
eher über das Ungewohnte, dessen geahntem und gefühltem, doch nicht verstandesmässig
erfasstem Zauber man sich willig hingibt, hinwegzutäuschen. Bei Reger überwiegt
das Zeichnerische; hier stand man dem fast unverhüllten Neuen ohne
Schutz gegenüber, und die Folge davon war Stutzen, Ablehnung oder Haas
über den musikalischen Revolutionär.*
Denken wir uns diese klipp und klare Aufzählung solch überzeugender Gründe in
Tomows Broschüre kurz vor der geistvollen Würdigung der Regerschen Kompositionen
eingeschoben, so fände sich der nun an der Hand des Buches die genannten Werke
durcharbeitende Pfadsucher überall viel leichter, als es jetzt möglich ist, zurecht: zurecht
in den Formen, und zurecht auch in ihrem Inhalt. Denn gerade das, was uns Tomow
über das Wesen des Meisters, über die zwingende Notwendigkeit der getroffbnen Formen-
auswahl und benötigten Linienführung sagt, entspringt zweifellos tiefstem Verständnis
und ehrlichster Begeisterang. Hierin hat Tomow mit feinatem Ohr den Herzschlag
Regers belauscht. So sagt er z. B.: »Es ist doch wohl nicht nur Feinfühligkeit und
modeme Nervosität, oder auch nicht nur die Bedrängnis unserer geistigen Existenz,
was vielen Regerschen Tongebilden ihre Unrast gibt. Künstlerisch ehrlich ist Reger der
Lyriker stets. Wenn er massive Dissonanzen eine an die andere wirft, argwöhnt niemand
Sil.
49
BESPRECHUNGEN (BÜCHER)
unechte Leidenschaft. Aber ist Regers Leidenschaft auch immer Kraft? Oft ist sie es,
unbedingt; alsdann erreicht Regers musikalische Sprache, auch wohl ohne grossen Aufwand,
eine Erhabenheit, vor der jede Kritik schweigt.* An einer anderen Stelle wird fiber die
f-moll Passacaglia und die Violinsonate op. 72 berichtet: ^Man weist allenthalben auf die
grosse Violinsonate op. 72 hin und sagt» das sei der wahre Reger. Wirklich ist jenes
Werk von grosser Gewalt, und man erwehrt sich kaum des Gedankens, es werde der
Mann, der so vereinsamt ausgeschlossen stand, auch von draussen unsere Gesellschaft
aus den Angeln heben mit der Kraft seiner Verzweifelung. Und dennoch, was echt und
eigen ist an Reger, das spricht auch hier, in dieser Passacaglia, weil abgeklirt, gewiss
nicht weniger ergreifend ... Es ist doch, als hielte ein Mensch mit seinem Geschicke
Abrechnung und sein Geschick mit ihm; das Geschick aber lige ganz nur in ihm selber
und klinge mit in jedem seiner Worte, schon von der ersten Silbe, die es spricht. Dies
innere Geschick — des Schlusses echt Regersche Herbigkeit — ist in allem Voran-
gehenden zugegen: wohl firagend bezweifelt, wohl schon vorübergehend hingenommen,
dann auch wieder beklagt, bekimpft und plötzlich desto Qberwiltigender empfunden;
aus dem Bewusstsein schwand es nur einen einzigen Augenblick: wie nimlich dies
Bewusstsein im leeren Spiele ganz mechanisch ablief; ja selbst im Anfange, gleichsam
tief verborgen unter der liebenswfirdigen Innigkeit starker Jugendtriume, schimmert jener
Untergrund schon ahnungsvoll hindurch*. Oder: «Wer Reger einmal folgte in diesen
fremden, unheimlichen Bereich seiner Kunst, wo die Seele sich von seelenlosen Michten
umgeben fühlt und alles, was sein sollte, hinter uns zu liegen scheint; wer wiederum
anderwirts bei ihm den unbeirrten Willen heller Lebenskraft aufblitzen sah, — der muss
begreifen, wie dieser Mann immer und immer in seiner Weise auf das Religiöse hin-
getrieben werden wird, und wie die geistliche Musik so gar nichts Äusserliches bei ihm
ist . . . Vergisse Reger heute all sein reiches SchaflTen und seinen Bach und seine Jugend
an der Orgel und bliebe doch derselbe Mensch, — wir bitten morgen wieder, wo nicht
kirchliche, so geistliche Musik von ihm.*
Es würde viel zu weit führen, wollte man nach diesen Proben geistvoller Ausleger-
kunst hier nun auch noch Beweise für Tomows feine Art der Formenerklirung zum Ab-
druck bringen. Darum mag der Hinweis genügen, dass der Verfasser auch hier mit
glücklicher Hand gearbeitet hat. Wir finden uns durch alle Gebiete des Regerschen
SchaflTens in sehr eingehender Weise geführt, und wenn wir uns auch nicht überall mit
Tomow zu identifizieren brauchen (besonders über den Wert der allerletzten Komposi-
tionen und über die rein orchestralen Werke kann man auch anderer Meinung sein), so
werden wir — hat man den Inhalt der sechsundzwanzig Seiten erst erarbeitet — dem
Verfasser aufrichtigen Dank sagen müssen.
Am Schlüsse der Broschüre würdigt Tomow in ausgezeichneter Weise noch des
Leipziger Meisterorganisten Karl Straube grosse, schriftlich kaum fixierbare Verdienste
um die Neubelebung klassischer Kunst und die Einführung der breiteren öflTentlichkeit
in das Verstindnis Max Regers. Er zeigt den Orgelmeister als glinzenden Virtuosen
und tiefeinnigen Poeten, als den unübertrefPlichen Klassikerinterpreten und modernen
Forscher, mit einem Wort: als einen Mann, der es als besonderer Schützling Frau Musikas
vermag: »den Menschen von heute mit ihrem reichen, tiefen, starken, weiten, zuversicht-
lichen und ehrfürchtigen Lebensgefühl zu durchdringen.* Gern unterschreiben wir das,
was Tomow zum Schluss von Bachs grösstem Nachfolger im Thomasorganistenamte aus-
spricht: »Karl Straube bleibt das Verdienst, Reger Bahn gebrochen und Johann Sebastian Bach
im Lichte einer modemsten Kunst gezeigt zu haben . . . Seine eigenartige und unermüd-
liche Arbeit dient einer gemeinsamen und grossen Sache, auch sie an ihrem Teile will dem
deutschen Volke sein Gemüt bewahren und bereichem helfen.* Paul Mittmann
VIL 1. 4
50
DIE MUSIK VII. 1.
MUSIKALIEN
2. Theodor Streicher: .Um Inez weinten trüb an dieser Stelle". FQr eine
Singttimme mit Orchester. Verlag: Breitkopf & Hirtel, Leipzig.
Die moderne Entwicklung der musikalischen Lyrik hat es dahin gebracht, das»
den Tonsetzem das Klavier als Begleitinstrument nachgerade nicht mehr genfigt und sie
mit wachsender Vorliebe zur Begleitung ihrer Gesinge das farbenreiche Orchester
heranziehen. Zur musikalischen Illustrierung des einfachen, innigen Gedichtes von
CamoSs braucht Streicher ausser dem um eine zweite Bratachenstimme verstirkten
Streichkörper noch Flöte, Oboe, zwei Klarinetten, Fagott, zwei Homer und Harfe. An
Mitteln zur Ton- und Stimmungsmalerei fehlt es ihm also nicht; im Gegenteil, diese
Mittel werden zur Hauptsache, wihrend die Gesangsstimme zurficktritt, da sie meist
durch die beiden Bratschen gedeckt wird. Dies wird bei einer Auffuhrung zu beachten
sein. Gelingt es dem Dirigenten, das Orchester gegenüber der Singstimme zurück-
zuhalten, ohne ihm etwas von seiner eigenartigen Firbung zu nehmen, so dürfte die
Wirkung des fein gearbeiteten und besonders im Detail eflTektvollen Stückes sehr ein-
dringlich sein. F. A. Geissler
3. Max Reger: »Meinen Jesum lass ich nicht*, Choralkantate No. 4 für Solo-
sopran, gemischten Chor, Solovioline, Solobratsche und Orgel. Verlag:
Lauterbach & Kuhn, Leipzig.
Dieses Werk triflTt den kirchlichen Ton sehr glücklich und zeichnet sich durch
besondere Wirme, Milde und Herzlichkeit aus. Die grosse Leichtigkeit seiner Aus-
führung wird seiner Verbreitung erwünschte Hilfe leisten.
Dr. Hermann Stephani
4. Max Reger: Romanze (a-moll) für Harmonium oder Orgel. Verlag: Carl
Simon, Berlin.
Zu den gewaltigen Werken des Meisters ist dieses Tonstück sicherlich nicht za
zihlen. Aber selbst in dieser Kleinigkeit weisen eigenartige harmonische und feinsinnige
melodische Wendungen deutlich darauf hin, wes Geistes Kind der Urheber dieser
Romanze eigentlich ist.
5. Paul Gebauer: 20 Choralvorspiele für die Orgel zum Gebrauche beim
Gottesdienste. Verlag: Otto Junne, Leipzig.
Diese 20 Choralvorspiele sind nicht besser und nicht schlechter als hundert
andere ihnliche Gebilde, die immer wieder alljihrlich auf dem Musikalienmarirt er-
scheinen. Bei solchen Gebilden ist es dann ganz unerheblich, ob die Herren Verfesser
Schulze, Müller, Lehmann oder Gebauer sich nennen. Es sind immer wieder dieselben
nichtssagenden, Öden kontrapunktischen Machwerke, die als Vorspiele „zum Gebrauch
beim Gottesdienste* signiert werden. Eine inhaltliche und formale Steigerung in den
Leistungen auf diesem Gebiete der musikalischen Produktion werden wir erst dann
erleben, wenn die Herren, die sich mit dem Hervorbringen solcher Erzeugnisse be-
schiftigen, es einzusehen gelernt haben, dass die Klassiker der Choralbearbeitung nicht
M. G. Fischer, Ch. H. Rinck, Adolf Hesse, Friedrich Kühmstedt, vielmehr Samuel
Scheidt, Johann Pachelbel, Georg Böhm, Dietrich Buxtehude, J. G. Walther und — Johann
Sebastian Bach heissen. In den Werken dieser Meister haben wir die Vorbilder zu sehen»
die uns Richtlinien für das eigene, moderne SchaflTen geben. Karl Straube
6. Max Keger: Introduktion, Passacaglia und Fuge, für zwei Klaviere zu
vier Hinden. op. 96. Verlag: Lauterbach & Kuhn, Leipzig.
Aus der unbegreiflich starken Produktion Regers, der sich im SchaflTen nicht genug
zu tun weiss, fast unbekümmert Werk um Werk herausgibt, und jene iusserste Konzen*
51
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
tration, durch die ein BeefhoTen eben zu dem wird, was er der Welt bedeutet, gsr nicht
kennt, ragen von Zeit zu Zeit plötzlich Werke empor, die man wohl In nicht allzu langer
Frist als klassische unserer Epoche anerkennen und ansprechen wird. So z. B. manche
seiner Orgelkompositionen, dann die Beethoven-Variationen und die vorliegende Schöpfung.
In ihr haben wir ein Stfick musikalischer Zeitgeschichte vor uns, das nicht mit der Zeit
vergeht, in der es geschrieben ward. Hier feiert Regers modulatorisches Genie einen
seiner grössten Triumphe, und die alten, ehrwfirdigen Formen blfihen auf zu neuem,
frohem Leben. Ein ganz modemer Gefühlsgehalt webt in diesem kolossalen Stück und gibt
ihm über die rein musikalische Bedeutung hinaus seinen Wert. Nicht das alte, tönend
belebte Schema steht vor uns, sondern ein vom heissen Odem der Gegenwart gezeugtes
Stück Musik in einer ihm gemissen, neues Leben atmenden Form. Neben der Variation
vermochte wohl keine andere gerade einem Reger solche Möglichkeiten zur Entfaltung
seines Eigensten bieten, und vielleicht stellt gerade dieses Werk für ihn in gewisser
Hinsicht einen Höhepunkt und Abschluss dar. Falls nimlich seine Wendung zu Mozart
ihn zu der weitgeschwnngenen Melodie führt. Hier ist es der weitgeschwungene Bogen
der Harmonik, der dem Werke seinen Stempel aufdrückt; eine Harmonik, die in tausend
Tinten schillert, ein Wechsel von Akkordfarben, der doch dem weithörenden Ohre die
Grundfarbe nicht verleugnet. In der ganzen Arbeit verrit das Stück eines Meisters Hand:
wie die Introduktion die Passacaglia vorbereitet, wie sich diese über einem nicht einmal
besonders prignanten Thema entwickelt und steigert, und schliesslich aus diesem die
köstliche, von schier verwirrendem Leben erfüllte, zu höchster Pracht geführte Fuge
entwickelt. An Schwierigkeit kann dies, natürlich wieder sehr komplizierte, Werk mit
einem Lisztschen Klavierkonzert jeden Vergleich aushalten. Es gehören sehr sichere, und
nicht minder feinfühlige Spieler dazu, seine Schönheit auszuschöpfen. Max Hehemann
7. Max Reger: Suite im alten Stil für Violine und Klavier, op. 03. Verlag:
Lauterbach & Kuhn, Leipzig.
Da dieses dreisitzige Werk gelegentlich seiner Aufführung aus dem Manuskript
(durch Ossip Schnirlin und den Komponisten) und auch sonst hier schon öfter besprochen
ist, so genügt es jetzt, auf seine Drucklegung hinzuweisen. Besonders das Largo ver-
dient Beachtung; mit ihm werden sich auch diejenigen befreunden können, denen sonst
der Stil auch dieses Regerschen Werks fremdartig erscheint. Wilh. Altmann
8. Otto Urbach: Vier Lieder für eine Singstimme mit Klavier, op. 28. — Vier
Lieder für eine Singstimme mit Klavier, op. 20. Verlag: Eisoldt & Roh-
krimer, Berlin.
Schon vor lingerer Zeit hatte ich Gelegenheit, auf die Gesangskompositionen
dieses Dresdener Tondichters hinzuweisen, dessen in vieler Hinsicht erfreulichen Gesinge
sich durch das charakteristische Erfassen der Stimmung, durch die Plastik des Ausdrucks
auszeichnen. Auch in den neuen acht Liedern finde ich diese Vorzüge wieder bestitigt,
ja sogar das seelische Moment weitaus vertiefter. Wird der talentvolle Komponist
künftig einer grösseren Variabilitit des Klaviersatzes noch etwas mehr Aufmerksamkeit
widmen, so werden seine harmonisch und klanglich so vortrefPlichen Stimmungsbilder
stets eine hoch zu bewertende Bereicherung unserer Gesangsliteratur bilden.
0. JHaz Henning: »Aus seliger Zeit". Ein Zyklus von 15 Liedern von Anna
Ritter für Sopran mit Begleitung des Pianoforte. op. 11. Westend- Verlag,
Berlin-Westend.
Der umfangreiche Zyklus würde eine gute Bereicherung unserer Gesangsliteratur
bedeuten, wenn der ohne Zweifel sehr talentierte Komponist in der Auswahl seiner
melodischen Gedanken sorgfiltiger verftihren wire. Eine Menge warmempfundener,
stimmungsvoller Details stehen neben allzuleicht gewogenen Phrasen. ,»Brautring*,
4*
WL
52
DIE MUSIK VII. 1.
-^^^
»BrtutgiDg*, »Liebesruhe* and »Im LimpenscheiD* sind sehr gut chtrakterisierte Stücke,
deren Wert sich noch bedeutend erhöhen würde, wenn die Dekltmation feinsinni^r
ausgestaltet wire.
10. Artur Stubbe: Drei Lieder für eine mittlere Stimme mit obligatem Violon-
cello, op. 49. Verlag: Süddeutscher Musikverlag, G. m. b. H., Strassburg i. E.
Harmlosigkeit und Dürftigkeit der Erfindung reichen sich hier die Hand. Trotz
der Opuszahl 40 scheint der Komponist noch nicht nennenswert über die Anfinge der
Technik des Komponierens hinausgekommen zu sein. Nach dem Grunde der Notwendig-
keit der Einführung einer obligaten Cellostimme habe ich vergeblich gesucht
11. Robert Ebel: * Wanderlieder des Heinrich von Ofterdlngen, aus der
Dichtung »Das Wartburglied* von Felix Freiherm von Stenglin. op. 5.
Verlag: Eisoldt & Robkrimer, Berlin.
Der Komponist hat sich in diesem zehn Gesinge umfassenden Zyklus redlich
bemüht, der Dichtung gerecht zu werden. Wenn es ihm auch nicht durchweg geglückt
ist, eine erschöpfende Vertonung zustande zu bringen, so zeugt das op. 5 doch von
gutem Talent und sorgfiltiger Arbeit
12. Walter RabI: «Sturmlieder.« Vier Gedichte von Anna Ritter für Sopran mit
Orchester- oder Pianofortebegleitung, op. 13. Verlag: D. Rahter, Hamburg
und Leipzig.
Das starke dramatische Talent des Komponisten bat auch den Dichttingen von
Anna Ritter seinen Stempel aufgedrückt In seiner leicht formenden, brillant klingenden
Art bat Walter Rabl mit diesen Gesingen mehr iusserlich dankbare, als musikalisch tiefe
Tondichtungen geschaffen. Singerinnen mit ausgiebiger, dramatischer Sopranstimme
dürfen über diese Neuerscheinung in der Gesangsliteratur erft^ut sein.
13. Bernhard Sekles: Liebes Hede mach slawischen und romanischen Dichtungen
für eine hohe Singstimme mit Klavierbegleitung, op. 13. Verlag: D. Rahter,
Hamburg und Leipzig.
Der Komponist zeigt sich in diesem Zyklus als ein durchaus talentvoller Musiker.
Das Wollen gebt beim ihm mit dem Können zwar noch nicht derart Hand in Hand, dass
man bei diesem opus von einem wirklichen Kunstwerk sprechen kann, immerhin ist
diese Talentprobe eine für die Zukunft Gutes verbeissende.
14. Ernst Baeker: Sechs schlichte Weisen nach slawischen Volksdichtungen für
eine Singstimme mit Klavier, op. 11. Verlag: D. Rahter, Hamburg und Leipzig.
Musikalisch sauber gearbeitete, die Dichtung gut charakterisierende Gesinge,
die durch ihren lebhaften Stimmungswechsel besonders interessieren.
15. Richard Falk: «Aus junger Ehe.* Liederzyklus aus „Sehnen und Suchen*
von Albert Sergel, für eine hohe Singstimme und Klavier, op. 2. Verlag:
Ries & Erler, Berlin.
Die Dichtung hitte eine bessere Vertonung verdient Der Komponist hat sein
Können, das in jeder Beziehung auf schwachen Füssen steht, gründlich überschitzt
la Willy von Möllendorf: Fünf Lieder, op. 19. Verlag: D. Rahter, Hamburg
und Leipzig.
In der musikalischen Ausdeutung der Dichtungen tritt uns der begabte Komponist
mit mehr iusserlicher, leichter gewogener Erfindung entgegen. Dank einer wohlklingenden
Ausarbeitung und einem vortrefflichen Klaviersatze werden die Gesinge des Erfolges
nicht entbehren. Adolf Göttmann
Aus deutschen Musik-Zeitschriften
BAYREUTHER BLÄTTER 1907, 4.-6. und 7.-9. Stück. — Id dem Aufettz »Philo-
sophische Deutungen des Wtgnerschen Mythos* (4.-6. Stfick) sagt Felix Gross:
,»Dss Wort gibt die Bestimmtheit, den Umfing des Dsrgestellten, der Ton
den Ausdruck, dss Gefühl, den Inhslt. Ebenso gibt der philosophische
Begriff vor allem den Umfing dessen, wis er dirstellt, dis mythologische Bild
den Inhilt. Wie iber im Worttondmmi Wigners erst dis Zusimmenwirken von
Wort und Ton die vollstindige sinnlich bestimmte Erkenntnis bedeutet, so bedirf
luch die mythologische Dirstellung des Zusimmenwirkens mit dem philosophischen
Begriff.* Indem die philosophische Deutung in dem mythologischen Bilde «ein
ganzes Weltverhiltnis erblicken* lisst, die Bilder des Kunstwerkes und die Er-
scheinungen der Wirklichkeit ille in ihrem Zusimmenhinge zeigt, gewihrt sie
such «ein neues, ungeahntes, lebendig tiefes Geffihlsverstindnis* des Kunst-
werkes, und damit ist «auch alles Abstrakte des Begriffes verschwunden, gleichsam
verzehrt von der Glut der Farben, welche die Bilder seines Inhaltes tragen, und
mit der sie die Hülle des Begriffes vernichten. Das ist dann die wahre Erlösung
des Begriffes im Gefühl*. Die andere, und die höchste Aufgabe der philosophischen
Deutung ist «die Erlösung des GefGhles in der Tat*. Gross beklagt, dass «von
den Wirkungen des sittlichen Elementes (in den Werken Wagners) beim Publikum
wenig zu bemerken* ist. Wohl fGhlen viele durch die Wagnersche Kunst sich
michtig zu grossen sittlichen Taten gedrängt; aber sie wissen nicht, welche
Taten sie vollbringen sollen, und so sinken sie wieder zurfick «in die schmutzigen
Wellen unserer Wirklichkeit*. Auch darum bedfirfen wir der philosophischen Deutung
des Wagnerschen Mythos; denn sie „zeigt uns die Gestalten, die wir im Mythos
liebten oder hassten, in der Wirklichkeit wieder und heisst uns mit ihnen oder
gegen sie kämpfen, wie wir im Mythos kämpfen sahen. So fuhrt sie uns aus dem
Reiche der blossen Gefühle hinfiber ans Ufer der Taten.* «Nur das Wort, nur
die klare abstrakte Erkenntnis vermag uns im 'Leben zu leiten, wenn wir anders
gehen wollen, als sein Strom fuhrt, wenn uns ein höheres Ziel vorschwebt.* 0
— Den Gbrigen Inhalt der Hefte bilden, neben ausführlichen und interessanten
Bücherbesprechungen, die folgenden selbständigen Aufsätze, deren Inhaltsangabe
den Raum unserer Revue fiberschreiten würde: «Von der Walstatt der Sprach-
verrottung* von Hans von Wolzogen. — «Kundry's Lachen* von Egon Aders.
— »Ober Wagners Melodik und Harmonik* von Emil Ergo. — «Der Chor im
^) Auf ein Gebiet, auf dem die Verehrer Richard Wagners den durch seine Werke
in ihnen geweckten sittlichen Tatendrang entsprechend den eigenen Anweisungen
des Meisters betätigen können, weist das diesem Hefte der «Musik* beigegebene
Flugblatt «Aufruf an alle Verehrer Richard Wagners* hin, das die neue «Gesellschaft
zur Förderung des Tierschutzes und verwandter Bestrebungen* in Berti« W. 57,
Bfilowstr. 95, soeben herausgegeben hat
M
54
DIE MUSIK VII. 1.
griechischen Drama, besondere bei Äschylos und Sophokles, und die Ptreiftlchöre
von Richard Wagner* von Emil Herrmann. — - ,,Das religiöse Element in den
Meistersingern* von Immanuel Dammann. — »Aus Heinrich von Steins Briefen*
von Hans von Wolzogen. — »»Die Meisterainger von Nfimberg/ und ihre lite-
rarische Tradition* von Egon von Komorzynski. — »Das Charlottenburger
Schillertheater* von Friedrich Hofmann (bespricht »auf Grundlage der gleich-
namigen Schrift von Max Littmann* die Architektur dieses neuen sogenannten
Amphitbeatere).
ZEITSCHRIFT DER INTERNATIONALEN MUSIKGESELLSCHAFT (Leipzig)
1907, Heft 9— U. — Hugo Kiemann zeigt in dem Aufeatz »Die melodische Struktur
des Ordinarium der Ostermesse* (Heft 9) an einigen Beispielen aus der Ostermesse
»die Methode der Anwendung des Prinzips der Vierhebungstbeorie auf die Ab-
schnitte von Prosa -Cboraltezten*. Riemann will dadurch seine schon in dem
»Handbuch der Musikgeschichte*, 2. Halbband, und in dem Aufsatz »Das Problem
des Cfloralrbytbmus* (Jahrbuch der Musikbibliothek Peters, 1895) ausgesprochene
Meinung begründen, dass die Ansicht vom Gleichwert der Noten des Chorals falsch
sei, und dass man »für alle choraliter notierten Melodieen ein festliegendes rhyth-
misches Grundschema als selbstveratindlich annehmen* müsse. — Martial Teneo
berichtet über die erefe Aufführung der Hal6vy'scben Oper »Le Chevalier de Malte
ou la Reine de Chypre* (1841) und veröffentlicht einen Brief Halövy's, in dem er
dem Musikschriftsteller d'Ortigues ausführlich über eine Aufführung des Werkes
im Jahre 1854, besondere über das Auftreten der Mad. Stoltz berichtet* — Hugo
Leichtentritt lobt in einem ausführlichen Bericht über »Aufführungen ilterer
Musik in Berlin* besondere die Konzerte des Amsterdamer »Kleinkoor a cappella*.
Dass der Berliner Dom-Chor je eine den »Denkmilem Deutscher Tonkunst*
entnommene Komposition von Lasso und Hieronymus Praetorius aufgeführt hat,
nennt Leichtentritt »eine besondere Merkwürdigkeit*; denn »wann hört man einmal,
dass Chorleiter sich das ungeheure grossartige Material zunutze machen, das in
den zahlreichen Denkmilerpublikationen und den grossen Gesamtausgat>en dar-
geboten wird? Für das öffentliche Musikleben scheint die riesige und gewissenhafte
Arbeit, die in diesen Publiluitionen geleistet ist, so gut wie gar keine Bedeutung
zu haben*. — Jobannes Wolf teilt in dem Aufsatz »Zur Isaac-Forechung* mit,
dass er in verechiedenen Bibliotheken die Manuskripte von 5 Partituren, 8 Intavola-
turen und einem selbstindigen Orgelstück von Heinrich Isaac gefunden hat und die
Werke in einem Anbange zum nicbsten Isaac-Bande der »Denkmiler Deutscher
Tonkunst in Österreich* veröffentlichen wird. — C. F. Abdy Williams beschreibt
eingehend einige italienische Orgeln (»Some Italien Organs*) (Heft 9—10). — Der
Aufsatz »Zur Entstehungsgeschichte der Schumannschen Zeitachrift für Musik*
von G. Wustmann enthilt Auszüge aus einem Aufsatz über die neue Zeitschrift,
der kun vor deren Erecheinen in der Monatsschrift »Unser Planeth* veröffentlicht
wurde, und dessen Schlussworte vielleicht von Schumann oder einem seiner Mit-
arbeiter herrühren; ferner den Verlagskontrakt der Herausgeber der Zeitschrift:
Wieck, Schumann, Scbunke und Knorr mit dem Verleger Hartmann in Leipzig.
Auch berichtet Wustmann auf Grund von Akten des Leipziger Rataarehivs über
die Streitigkeiten, die dazu führten, dass Schumann 1835 der alleinige Besitzer
der Zeitschrift wurde und sie im Kommissionsverlag von J. A. Barth in Leipzig
herausgab. — In dem anonymen AutsMtz »Orlando Gibbons, the ,English Palestrina**
. wird kurz das Leben dieses von 1583—1625 lebenden Meistere boschrieben und
über die musiluilischen Aufführungen berichtet, die am 5. Juni 1907 gelegentlich
m
55
REVUE DER REVUEEN
der Enthüllung eines Monuments in der Westminster-Abtei in dieser Kirche stttt-
ftnden. — L. Scheibler berichtet fiber ,,Dt8 tchte Kimmermusikrest in Bonn*
(Heft 9); Alfred Heuss fiber «Das dritte Deutsche Bschfest in Eisensch* (Heft
10—11).
NEUE MUSIKZEITUNG (Stuttgart) 1907, No. 18—22. — Otto Neitzel schreibt
sm Schlüsse eines Aufsatzes fiber »Salome von Oskar Wilde und Richard Strauss*:
i^Mag denn Strauss zehnmal ein Dekadent sein ; er bleibt trotzdem die glinzendste
Erscheinung der zeitgenössischen Musik*. «Die Dichtung [von Wilde] hat in der
dekadenten Richtung neue Charaktertypen geschaffen, die Musik hat sich beeifert,
ihnen eine nicht minder neue musikalische Einkleidung zu geben. So bildet die
Salome eine neue Fortentwicklung des musikdramatischen S.tils und
sie ist der am meisten vorgeschobene Posten, den diese Kunst bisher erreicht
hat* In dem Aufsatz «Zur Würdigung von Richard Strauss* (No. 19) nennt Otto
Neitzel diesen „einen Gewaltigen . • . und den Grössten, den wir haben*. »Bei
Strauss findet man das Kunstmittel, durch das Zusammenwirken verschiedener
Stimmen-Individualititen die Ausdruckskraft zu erhöben, noch um so viel mehr
entwickelt, als er in dem Reichtum der Kombinationen der Orchesterfitktoren, in
der Kfibnheit seiner Harmonik und seiner Polyphonie fiber Wagner hinausgeht*.
«Aber bei aller Bewunderung* sei der Zuhörer doch bald «verwundert . • .
fiber die Einfachheit der Strauss'scben Erfindung. Die Strauss'schen Themen sind
alle bezeichnend, aber nicht gerade zwingend.* Daher habe Heinrich Porges den
jungen Strauss (1889) ein «reproduktives Genie* genannt «In der Erfindung nicht
fiber das hinausgehend, was seine Vorginger ersonnen haben, wird er sofort zum
Genie, sobald er seine Gedanken aufbaut und ausscbmfickt.* Aber nicht nur die
musikalischen Ausdrucksmittel, sondern auch den Inhalt der Musik habe Strauss
«bereichert oder zum mindesten . . . verändert*. Die moderne Dichtung habe
stark auf ihn gewirkt, und besonders das «Bemfihen der Moderne, jede Empfindung
auszuleben und bis in ihre feinsten Zerfaserungen, bis in ihre kaum noch merk-
lichen Wabmehmungsgrenzen zu verfeinem*, sei auch in der Strauss'schen Musik
zu finden. Der Anspruch auf das «Recht sich auszuleben* ffihre zur «Abkehr von
Zimperlichkeit und wohlerzogener Schöntuerei*, und daraus seien die «vielen
,Keckbeiten^ Strauss' zu erkliren*. Ein weiterer Einfiuss der modernen
Literatur auf Strauss sei es, dass er auch in den «Verbrecherböhlen der Gesell-
schaft* «noch Stoff zu kfinstlerischer Verwertung gefunden* habe, wie die «Salome*.
«Ein Komponist, der die Scbirfe der Charakteristik auf die Spitze treiben will,
• . . wird Motiv Motiv sein lassen und nur malen . . . Man kann nicht sagen,
dass Strauss das Motiv* — «das heisst: den konzentrierten, prägnanten musika-
lischen Gedanken* — «gefiissentlich so beiseite schiebt und ausser acht lässt wie
Debussy. Aber er verwendet es nur, wo es sich ihm gebieterisch aufdrängt . • .
Jedenfklls ist die musikalisch scharfe Charakteristik sein brennendster kfinstlerischer
Trieb. Das ist aber zweifellos ein Fortschritt Ob dies der Fortschritt ist, bleibe
hier unentschieden*. — Alft^d Schfiz widmet dem am 4. Juni gestorbenen Musik-
historiker Köstlin einen Nachruf («D. Heinrich Adolf Köstlin f*), in dem er be-
sonders auf seine Verdienste um die Pfiege des Kircbengesangs hinweist —
Arthur Neisser stellt in dem Aufsatz «,Salome* und die Pariser Kritik* eine
Anzahl Urteile französischer Zeitschriften fiber Strauss' neuestes Werk zu-
sammen. — In der Einleitung zu dem ausffihrlichen Bericht .Eindrucke und
Nachklänge vom Dresdener Tonkfinstlerfest* (No. 20) wendet sich O. K. gegen
die AuMtze in den «Signalen*, in denen Felix Draeseke und Detlef Schultz
56
DIE MUSIK VII. 1.
tuf Strtuss' Aufettz im ,,Morgen* tntworteten .(siebe die »Revue* in Heft VI, 23).
K. meint, Schultz bitte nicht Brucicner den grössten Gegner Richtrd Stnuss'
nennen sollen, denn «können zwei so verschiedene Ntturen Qberhtupt Gegner
sein?* — Rudolf Krtuss veröffentlicht zum 100. Geburtsttg des Ästhetikers
Vischer den Auf^stz «Friedrich Vischer und die Musik*. Interesssnt sind Krauss*
Mitteilungen fiber Vischers Anschsuungen von der Kunst Richard Wsgners. Im
Jsbre 1844 mschte Vischer den « Vorschlag, das Nibelungenlied zu einer grossen
heroisch-nationalen Oper zu verarbeiten. Unser Tondrama, führte er ans, faiabe
das Leben der subjektiven Empfind ungswelt zur Genfige ausgebeutet, sie möge
sich nun an die grossen objektiven Empfindungen machen. • . . Der Deutsche
solle noch seine eigene grosse Geschichte in michtigen Tönen sich entgegenwogen
hören. Wie ein Stahlbad werde dieser heldenhafte Stoff auf unser Publikum wirken.
. . • Was Richard Wagner in seiner Tetralogie geschaffen hat, ist etwas ganz anderes
als das von Vischer Gewollte. Dieser schloss sich auf^ engste an das deutsche
Nibelungenlied an« jener schöpfte aus der nordgermanischen Edda; die von dem
einen politisch-historisch und rein menschlich gedachte Grundlage ist vom
anderen ins Mythologische und Uebermenschliche gezogen. Doch auch sonst
bitte Vischer nimmermehr Wagner als den rechten Mann gelten lassen, um
seine Ideen auszuffihren . • . Wiederholt nahm Vischer in seiner ,Aesthetik* die
Gelegenheit wahr, gegen Wagners Prinzip einer Zusammenfassung simtlicher
Künste in der theatralischen zu polemisieren. ,Jede Kunst*, erkürt er einmal, ,hat
das ganze Schöne auf ihre Weise, und es gibt daher keine andere richtige Ver-
bindung von KQnsten als eine solche, worin entschieden eine Kunst herrscht, die
andere oder die anderen nur mitwirken; die Verschuttung dieser festen Gesetze
ist modemer Ueberreiz und fuhrt praktisch zum überladenen, phantastischen
Opempompe*. . . In der Oper, meinte Vischer [laut einem Briefe an Raff], mfisse
nach wie vor der Text nur der Rahmen und Stab sein, woran sich die Musik
entfalte . . . Das verdeckte Orchester erkannte er dagegen an Wagners Neuerungen
als richtig an.'' — Erich Kloss wirft in dem Artikel »Parsifal 1882-1007« (Nr. 21)
einen „Ruckblick auf die Zeit und die Umstinde, worunter der ,Parsifil' ins
Leben trat«, berichtet über die erste Auffuhrung des Vorspiels am Weihnachtstage
1878 und die ersten Aufffihrungen des ganzen Werkes im Jahre 1882, sowie fiber
die Leistungen hervorragender Dirigenten, Darsteller und Korrepetitoren, die bei
diesen und spiteren Auffuhrungen des Weihfestspieles mitgewirkt haben. — Unter
der Ueberschrift ,»Wagneriana« wird von Richard Neustadt der Inhalt von
elf unveröffentlichten Briefen Richard Wagners an den Singer Franz Betz mit-
geteilt. — Eugen Segnitz sucht in dem Aufsatz „Correggios Farbenmusik« (Nr. 22>
durch Beschreibung vieler Gemilde aus der Zeit der italienischen Renaissance
zu zeigen, wie «die flandrische Kunst harmonischen Zusammensingens gleichsam
in die Schwesterkunst der Malerei fiberging«. Den auch von der Musik jener Zeit
gesuchten „individuellen Stimmungsausdruck« habe Correggio in der Malerei »in
reicherem, unbeschrinkterem Masse als seine Vorginger gefunden. Er bildete die
Kunst des Farbenakkords, der Farbendissonanz und -auflösung durch mildere
Ueberginge zur Virtuositit aus, führte die farbige Modulationskunst in der
Malerei zur Höhe empor . • • Vielleicht ist damit nicht zuviel gesagt, dass Correggio
. . . hiuflg an die Vertreter der heutigen Modulations- und Instrumentationskunst
erinnert. Hier wie dort findet sich das scheinbare sanfte Ineinanderfiiessen, das
fiberraschend akkordische, auf das chromatische und enharmonische Prinzip ge-
stfitzte Verfahren, ja hiufig beinahe das ginzliche Aufgeben aller und jeder
57
REVUE DER REVUEEN
tODAlen Begrenzung ... Es ist der dringende Wunsch, zu tbsoluter Cbtrtkteristik
zu gelingen, der z. B. such die mtrlunte Signttur des heutigen musikalischen
Schtffens tusmtcht«. Correggios Mtdonnenbilder und ihnliche Gemilde seien mit
der spiteren italienischen Kirchenmusik vergleichbar, »die das Himmlische ver-
weltlichte, den religiösen Gedanken beinahe in ketzerischer Weise seines eigent-
lichen Inhalts beraubte, ihn aber . . . dem Menschen nahe brachte*. — Der Auf-
satz «Das Ende der Schreckensherrschaft* von Caligula handelt, wie der Auhatz
von Basilio in Nr. 14, von der Ausbeutung der Musiker durch Konzertagenturen.
Einen Rettungsweg erblickt »Caligula« darin, dass die Dirigenten, die Vorstinde
von Musikvereinen usw. die Auswahl der in ihren Konzerten auftretenden Solisten
nicht linger aus Bequemlichkeit einfach dem Agenten fiberlassen. — J. Blaschke
berichtet in dem Aufsatz »Napoleon I. und die Musik« fiber die Beziehungen
zahlreicher Musiker zu Napoleon. Aus den von ihm mitgeteilten Tataachen geht
hervor, dass Napoleon von Musik wenig verstand und ehrliche Menschen, wie
Cherubini, der ihm unerschrocken eine unangenehme Wahrheit sagte, nicht liebte. —
Von den fibrigen Aufsitaen sind erwihnenswert: »Das 3. deutsche Bach-Fest« von
Max Pnttmann (Nr. 18); »Dietrich Buxtehude, Bachs Vorginger« von
A. Chybinski; »C-moll-Symphonie und Pastorale« von E. v. Komorzynski
(Nr. 19); »Uebungen in der Betrachtung musikalischer Kunstwerke: 7. Die drei-
teilige Liedform (Nr. 19), 8. Rondo (Nr. 21)« von G. Mfinzer; »Max Bfittner« von
Carlos D roste; »Der erste Interpret des Rienzi und Tannhiuser« (Tichatachek)
von Ad. Kohut (Nr. 20); »Dem Gedenken eines guten Bekannten« (Karl Czemys)
von Franz Waiden (Nr. 21); »Alice Danziger. Biographische Skizze« von Alfred
Schfiz; »Fuhrer durch die Literatur des Violoncellos« (Fortaetaung) von Hermann
Cramer (Nr. 22); »Das Richard Wagner-Haus zu Graupa« von A. R. Scheu-
mann; »Isadora Duncans Tanzschule« von Anny Wothe; »August Richard« von
August Dörschel.
SIGNALE FÜR DIE MUSIKALISCHE WELT (Leipzig) 1907, No. 45-53. -
In einem Aufsata über das im Auftrage des Deutschen Kaisers herausgegebene
»Volksliederbuch für Minnerchor« schreibt August Spanuth, dass der »Vorwurf,
• . • weniger wire mehr gewesen, . . . zwar nicht ohne Berechtigung« sei, da durch
den grossen Umfang der zwei Binde die Verbreitung erschwert werde und manche
Seiten zu eng gedruckt seien. Andererseits liege aber in dem Umfange des
Werkes ein Vorzug, denn dadurch sei das Buch eine »praktische Geschichta des
deutschen Volksliedes geworden. . . . Aus einem Handbuch, das der Kaiser im
Sinne gehabt haben mag, ist ein Kompendium geworden, eine Sammlung, die
selbst dann von bleibendem Wert sein wird, wenn das Volk es ablehnen sollte,
sich eingehend mit den reichen einzelnen Gaben zu beschiftigen. . • . Man blieb
auch nicht in der Gegenwart und jüngeren -Vergangenheit stehen, sondern man
ging zunichst viele Jahrhunderte zurück. Nun, und da man das getan, da man
es hatte tun müssen, war der historischen Gerechtiglceit halber schon an ein
Ausschliessen des Allermodemsten nicht mehr zu denken. Wenn das Buch im
Jahre 1907 herauskam und mit Liedern aus dem dreizehnten Jahrhundert anfing,
konnte es unmöglich vor der letzten, sezessionistischen Periode Halt machen. Es
musste Proben von der Satzkunst der am weitesten Vorgeschrittenen geben,
trotzdem vielleicht manche Mitglieder der Kommission selbst sich geneigt fühlen
mochten, da eher von einer Sata-Unkunst zu reden. Das Buch wire ja sonst in
den Verdacht gekommen, ein Parteierzeugnis zu sein.« — Am Schlüsse eines
ausführlichen Berichtes »Vom Dresdener Tonkünstlerfest« (No. 45—46) sagt
58
DIE MUSIK VII. 1.
M
Friedrich Brtodes: «Voo den Ergebnisteo des Festes maf nur so viel an-
gedeutet sein, dftss die Serenade von Sekles, die Variationen von Noren, Schein-
pflugs »Frühling^ und Pfluners ,Christelflein^ als Gewinne, Rhodos Trio, das
Quartett von Reuss, die Balladen von Weismann und die Gesinge von Ehrenberg
als Hoffhungen angesehen werden können. Wo aber bleiben die verkannten
Meister? Die Dresdner Draeseke und Schulz-Beuthen? Bei diesem
43. Tonkünstlerfeste war Schulz-Beutben 43jihriges Mitglied des Allgemeinen
Deutschen Musikvereins. Frsnz Liszt hatte zur Tonkfinstlerversammlung von 1870
Scbulz-Beuthens 42. und 43. Psalm auf das Programm gesetzt* Der Erfolg war
derart, dass der Vorstand beschloss, den Psalm auf Kosten des Allgemeinen
Deutschen Musikvereins bei Kahnt in Leipzig im Druck erscheinen zu lassen.
Will man seiner noch bei Lebzeiten gedenken? Erinnert sich der Vorstand des
Vorbildes eines Franz Liszt? Dann wird es Zeit sein, im nichsten Jahre Schulz-
Beuthen bervorzusuchen. Im Juni 1908 wird er 70 Jahre alt. Das einzige, was
wir verlangen, ist: der Musikverein möge einmal revidieren. Vielleicht findet er
dann, dass einige unserer Alten noch sehr jung sind. Will er Vorschlige, so
sage ich: die Lear-Sympbonie und die Oper ,Paria^ von Schulz-Beuthen. Mag sein,
dass man am Gewinn zweifelt. Aber es ist eine Ehrenschuld, eine Tat im Sinne
von Franz Liszt*. — Ein Nachruf auf Joachim von Detlef Schultz («Joseph
Joachim f *) (No. 50), feiert den Verstorbenen vornehmlich als den »geweihten
Verkunder der sittlichen Macht der Töne*. «Joachim... war in seiner stillen
Grösse eine latente Kraft, die das Ethos in der Tonkunst reiner und tiefer zum
Ausdruck brachte als irgendeiner der Zeitgenossen, war ein Damm gegen die
zersetzenden, ichsüchtigen und veriusserlicbenden Strömungen der Musik . . •* —
Der Aufsatz «Die Coventgardenoper* von C. Karlyle (No. 51) berichtet Aber die
Aufführung deutscher Werke.
VEREINIGTE MUSIKALISCHE WOCHENSCHRIFTEN (Leipzig) No. 27-^. -
L. Wallner verteidigt sich in dem Aufsatz »Der ,Fall d'Indy^ verlegt nach Frank-
reich* (No. 27) gegen einige Vorwürfe, die Calvocoressi und Gabriel Faur€ gegen
seine Kritik des Buches „Cösar Franck* von d'Indy erhoben. Er behauptet, dass
die »reine Musik* in Frankreich in der Zeit von Rameau bis C6sar Franck sich
gar nicht entwickelt habe, und dass die neuere französische Musik mehr an
ft^mde Meister als an die alten französischen anknüpfe. Es gebe daher in Frank-
reich keine fortdauernde Tradition auf dem Gebiete der Instrumentalmosik.'
Frankreich sei mehr durch die künstlerische Kultur des Publikums als durch
einzelne hervorragende Künstler ausgezeichnet «In Deutschland müsse man das
Entgegengesetzte feststellen; darum haben die Franzosen mehr grosse ergiebige
Talente und weniger Genies . . . aufzuweisen* als die Deutschen. — Erich Kloss
veröffentlicht auch hier Aufsitze zu Tichatschek's 100. Geburtstag CJosef
Tichatschek*, No. 28) und «Zum »Parsifal^-Jubilium* (No. 29—30). — Aus einem
demnichst erscheinenden Werke über «Tonale Cbromatik* von Berthold Knet seh
wird ein langer Abschnitt abgedruckt (No. 31— -34). — Max Chop beginnt einen
ausführlichen Aufsatz über den Komponisten «Frederik Delius* (No. 35 — 36). —
«Elf Briefe von Richard Waguer an Georg Unger, den ersten Bayreuther Sieg-
fried* betreifen hauptsichlich das Engagement von Künstlern u. dgl.
DIE STIMME (Berlin) 1907, Juni— August. — In dem Aufsatz «Welche Bedingungen er-
möglichen einen rationellen Gesangunterricht?* (Juni-Heft) bezeichnet H. Herborn
«das Singen nach Noten als die allein richtige Methode*. Der Gesangunterricht
59
REVUE DER REVUEEN
M
htbe nicht nur ethische, sondern such formtle Bildung zu vermitteln. Auch dürfe
nicht »die Stimmbildung, und zwtr tuf phonetischer Grundltge unberficksichtigt
bleiben*- Am Schiuss berichtet Herbom fiber die Kurse, die die stidtische Schul-
deputttion in Frankfurt a. M. eingerichtet hat, „um den Lehrern und Lehrerinnen
Gelegenheit zu bieten, die IMetbode des Gesangsunterrichts. • . . und der Stimm-
bildung, sowie die Sprechtechnik und ... die Hygiene der Stimme genau kennen
zu lernen*. — Im Anschluss an diesen Auhatz gibt Georg Avellis, der Leiter der
erwihnten Kurse, den Inhalt seiner „Vorlesungen über Stimmbildung und Sprech-
technik unter Berücksichtigung der Stimmhygiene* an. — Unter der Oberschrift
„Der neue Direktor des Königlichen akademischen Instituts für Kirchenmusik*
wird ein kurzer Aufsatz über Hermann Kretzschmar veröffentlicht, in dem be-
sonders hervorgehoben wird, dass er als „einer der Ersten . . . mit Nachdruck
darauf hingewiesen hat, dass die deutsche Volksschule in bezug auf Entfaltung
der musikalischen Krifte der deutschen Nation nicht das leistet, was geleistet
werden könnte*. Der Gesangunterricht dürfe nicht nur im „Einprigen von
Melodieen durch blosses Vorspielen und Nachsingen* bestehen, sondern es müsse
das Singen nach Noten ohne Hilfe eines Instruments geübt werden. Das Institut
für Kirchenmusik müsse „in dieser Bewegung, die erfreulicher Weise von Volks-
schullehrem selbst ausgeht, die führende Rolle übernehmen*. — Ferner enthalten
die Hefte die folgenden AuMtze: „Ober die Brummstimme* von Zimmermann
(Juni-Heft), „Theorie und Methodik der Stimmbildung im 19. Jahrhundert* von
E. O. Nodnagel (wird fortgesetzt), „Die Erziehung der weiblichen Singstimme*
von Julie Müller-Liebenwalde (Portsetzung und Schiuss. Juni- und Juli-Heft),
„Methodische Gestaltung des Anfangsunterrichtes im Schulgesang* von Nebelong
(Juni-Heft), „Schonung der Stimme im Gesangunterricht der Mittelschule* von
A. König (Juni- und Juliheft), „Robert Radecke* (anonym; Juni-Heft), „Ober krank-
hafte Mitbewegungen beim Singen* von Theodor S. FI ata u (Juli-Heft), „Das
Notenlesen im Lichte der Schulhygiene* von A. Gusin de O^ili* und August-
Heft), „Neuere Arbeiten zur Physiologie und Pathologie der Stimme* von
Sturmann (August-Heft; enthilt die Besprechungen von 15 neuen Schriften),
»Die ,neuen Bestimmungen^ und der Gesangunterricht im Seminar* von Karl
Jendrossek* (wird fortgesetzt) »Die Tetrachorde in der Tonleiter* von Carl Eitz,
»Beitrige zur Stimmlsthetik und Stimmhygiene* von Zimmermann.
ZEITSCHRIFT FÜR ORGEL-, HARMONIUM- UND INSTRUMENTENBAU
(Graz) 1907, No. 7—8. — Der anonyme Auhatz „Die grosse Orgel in der Stifts-
kirche von St. Florian (Oberösterreich)* enthilt eine sehr ausfuhrliche Beschreibung
der Orgel, deren Bau 1772 von F. X. Krismann begonnen wurde, und einen Auf-
satz aus der Tageszeitung „Das Vaterland*, Jahrgang 1875, in dem die Geschichte
dieses Orgelbaues erzählt und die Wirkung der Vortrige auf der St Florianer
Orgel in begeisterten Worten geschildert wird. — Ausserdem enthalten die
Nummern „Reminiszenzen über alte und neue Erfindungen im Orgelbau*.
MONATSSCHRIFT FÜR SCHULGESANG (Berlin und Essen) 1907, Juli-Heft. —
August Wellmer beginnt einen ausfGhrlichen Aufsatz fiber das Leben und Schaffen
Grolls (»Eduard Grell*). — Andreas Allgayer schreibt fiber „Modulation und
Mollgeschlecht im Gesangunterricht der Volksschule*. ~~ F. Wiedermann beendet
seine Abhandlung „Notentafeln mit Obungen ffir den Schulgesangunterricht*.
Magnus Schwantje
KRITIK
OPER
BERLIN: Im Königlichen Opernbtuse
htben kürzlich die 500. AuffOhrung des
»Ttnnhiuser*, die 100. des ,»Tri8ttn* tfhd die
200. des »Fliegenden Hollinders* sttttgefiinden.
Zurückgekehrt ist Hedwig Ktuffmtnn-Prtn-
zillo, die tls Rosine im »Barbier von Sevillt*
sich sehr gut einführte und mit der tls Ein-
Itge gesungenen Glöckchen-Arie tus »Ltkm6*
einen sensationellen Erfolg hatte. Ihr Engage-
ment angetreten, und zwar mit grösstem Erfolg
hat die Koloratursin gerin Frieda Hempel;
aber auch ihre virtuose Leistung und ihr warmer
Vortrag können die völlig verblasste »Lucia* von
Donizetti nicht mehr zu einer Repertoireoper
machen. ~ In der »Komischen Oper* sang
Karl Burrian aus Dresden den Jo86 in »Car-
men*; seine ausserordentlich schönen Stimm-
mittel und auch sein feuriges Spiel gefielen
sehr, doch ist seine Neigung, sich Qbermlssig
in den Vordergrund zu drängen, nicht nach
meinem Geschmack. In der Titelrolle befestigte
J^iaria Labia ihren durch die «Tosca* erworbenen
Ruf; sie sang herrlich und bot eine eigenartige
darstellerische Leistung, unterstützt von ihren
grossen sprechenden Augen und ihren höchst
graziösen Bewegungen; das Freche und Dirnen-
hafte der Zigeunerin liegt ihr freilich nicht.
Als Micaela sang sich Lola Artöt de Padilla
wohl in das Herz aller Zuhörer. Karl Ärmster,
ein bisher hier unbekannter junger Singer,
zeigte als Escamillo einen prächtigen, sorgfiltig
geschulten Heldenbariton. Auch die Vertreterin
der Mercedes J^iargaretbe Bruntsch fiel durch
ihre schöne Stimme auf. Wilhelm Altmann
Königliches Opernhaus. — Als Turiddu
gastierte der Amerikaner Francis Maclennan,
der über hervorragende, vorliufig allerdings fast
noch im Rohzustande befindliche Stimmittel ver-
fügt Sein ausgiebiger, dunkel gefirbter Tenor
und sein temperamentvolles Spiel dürften den
Singer bei entsprechender strenger Schulung
und planmissiger Ausbildung mit der Zeit zu
einer wertvollen Kraft des Ensembles werden
lassen. Selbstverstindlich bitte er zunächst
einmal die deutsche Sprache zu erlernen. Ganz
unzulinglich war das debütierende FrL Darcb
als Lola. In der auf die »Cavalleria* folgenden
»Regimentstochter* sang Elfriede Martick mit
gar kleiner, für das Opernhaus einstweilen
nicht ausreichender Stimme die Titelrolle. —
Komische Oper. — tAit jener für romanische
Textdichter typischen harmlosen Unbekümmert-
heit Meisterschöpfungen der Weltliteratur gegen-
über haben sich ein viertel Dutzend französischer
Librettisten vor etwas über 20 Jahren auch des
»Werther* bemächtigt und daraus für Mass e*
net ein »lyrisches Drama in vier Bildern*
zurechtgezimmert, das nunmehr seine erste
Berliner Aufführung erlebt hat. Ganz abgesehen
von der bösen Theatralik des letzten Bildes, in
dem der Held trotz des eben gefallenen, töd-
lichen Schusses mit Lotte noch ein unendlich
langes und nicht eben kurzweiliges Liebesduett
singt, sind die Librettisten auch im übrigen
ziemlich willkürlich mit dem Original um-
gesprungen. Die mit der feinsten Natur-
empfindung, der intensivsten Erfassung aller
Poesie des einfachen Lebens unlöslich ver-
knüpfte Grundstimmung des Goetheschen Ro-
mans mussten sie begreiflicherweise unbenutzt
lassen. Sie beschränkten sich auf die rein
iusserliche Aneinanderreihung einzelner für ihre
Zwecke geeigneten Episoden, lose znsammen-
hingender Szenen, strichen da, flickten dort
hinzu und hielten sich in erster Linie an das
Phantastische, Sentimental-Sehnsüchtige in der
Figur des Helden. Und Massenet war nun Just
der geeignete Mann, sich schwelgend in diese
Empflndungsseligkeit zu vertiefen, nur dast er
an Stelle von Innigkeit und Wirme des Gefühls
einem Oberschwang des Sentiments die Zügel
schiessen Hess, der in seiner teils trinenreichen,
teils überhitzt leidenschaftlichen Monotonie auf
die Dauer unertriglich wirkt Dieser franzö-
sische Werther ist von seinem deutschen Vor-
bild soweit entfernt, wie Massenet's erkünstelte
Tonsprache von natürlichem Empfinden. Ist
somit kein Grund vorhanden, die Einverleibung
dieses Werkes in den deutschen Spielplan mit
besonderer Genugtuung zu begrüssen, so mnss
der Aufführung als solcher hohes Lob gezollt
werden. Der in Spiel und Gesang künstlerisch
vornehmen Haltung Franz Navals, der xarten
Anmut Lola's Artöt de Padilla ist in erster
Linie die gute Aufnahme zu danken; weit
weniger vermochte das Orchester unter Franz
Rumpel zu befriedigen. Die Regie leistete
mit vier ins kleinste sorgfiltig ausgearbeiteten,
stimmungsvollen Bühnenbildern wieder ein
Meisterstück von Inszenierungskunst.
Willy Renz
FvRESDEN: Königliche Hofoper. »DieSchö-
'^ nen von Fogaras,* komische Oper von
Alfred Grünfeld. Uraufführung. Wenn ein
neues Werk unter dem stolzen Titel einer
»komischen Oper* sich einführt, so werden im
Herzen jedes Musikers und Musikft^undes sehn-
süchtige Hoffnungen wach. Schauen wir doch
schon so lange nach dem Meister aus, der uns
ein Musikdrama von volkstümlicher Handlung^
sonniger Heiterkeit, edler Anmut und innigem,
aus tiefstem Empfinden herausgeborenem Humor
bescheren soll. Seitdem Peter Cornelius im
»Barbier von Bagdad* die Richtung andeutete
und Hugo Wolf im »Corregidor* die Feinheiten
des modern-musikalischen Ausdrucks für einen
heiteren Stoff zu verwenden wusste, haben wir
Ansitze zu einem musikalischen Lustspielstil,
und in ihm hat denn auch Eugen d'Albert mit
seiner »Abreise* das bisher beste Erzeugnis
dieser Kunstgattung geschaffen. DasGrünfeldache
Werk, das die Dresdener Hofoper in schitzefns-
wertem Tatendrang soeben herausbrachte, stellt
demgegenüber nicht nur keinen Fortschritt dar,
sondern einen Rückfall in den Stil jener alten
Zeit, die von Charakterisierung und Individua-
lisierung keine Ahnung hatte und die »Meister-
singer*, jenen strahlenden Ausgangspunkt aller
heiteren Musikdramatik, noch nicht kannte. Das
Buch ist nach einer ungarischen Novelle von
Viktor L6on verfssst und bietet einen zwar
reichlich breiten, aber doch im ganzen hübschen
ersten Akt, dem zwei vollstindig belanglose
weitere Akte folgen. Ein Konflikt fehlt ebenso
wie eine aufsteigende Handlung. Die Musik
Grünfelds ist gefillig in der Melodik, angesichts
des ungarischen Milieus sehr zahm in der
Rhythmik, enthilt viele hübsche Einzelheiten
61
KRITIK: OPER
QDd zeicboet sich durch einen leichten Flu88
mos. Der Komponist bevorzugt in richtiger
Ein8lcht die homophone Schreibweise und behllt
much den Dialog bei, wogegen nichts einzuwenden
wire, wenn nur die einzelnen ,»Nummem* seiner
Partitur in einer orgtnischen Verbindung mit-
elntnder stinden. Leider ist dts nicht der Fall.
Alle diese an sich oft sehr netten Auftrittslieder,
Duette, Chöre und Ensemblesitze sind nimlich
nicht von innen heraus geschaffen, sondern nur
iasaerlicb mit Sorgftilt und Geschick aneinander-
gereiht. Die Musik Grfinfelds entbehrt der
kfinstlerischen Wahrhaftigkeit, wie wir sie
durch Wagner gelernt haben; es mangelt ihr
ein Stfick vom eigensten Ich des Künstlers,
der Tropfen Herzblut, der allein einem Kunst-
werke das innere Leben verleiht. Wenn trotz
alledem eine sehr freundliche Aufnahme zu
verzeichnen war, so erkürt sie sich daraus,
dass einerseits Textdichter und Komponist mit
sicherem Blick für das theatralisch Wirksame
alle möglichen Effekte benützen und in jeder
Rolle ein paar dankbare Momente zu schaffen
wissen, und dass andererseits die glinzende Aus-
stattung und die Besetzung der Rollen mit den
beliebtesten Opemkriften (Damen Nast, Wede-
kind, V. d. Osten, v. Chavanne und Herren
Sctaeidemantel, Rüdiger,Nebuschka) dem
Werke sehr zu statten kam. Der neue Tenor, Herr
Sembach, führte sich als König sehr vorteilhaft
ein, und v. Sc buch sorgte am Dirigentenpult
für Leben und Bewegung. So kam ein sehr
lebhafter Publikumserfolg zustande, der vielleicht
eine Zeitlang andauern wird. Für die Musik-
geschichte aber hat die Grünfeldsche »komische
Oper* lediglich die Bedeutung eines liebens-
würdigen Anachronismus. F. A. Geissler
FRANKFURT a./M.: Das Opernhaus hat die
^ neue Saison mit der Erstaufführung von
Rubinsteins ,»D im on* eröffnet. Man hatte bis-
her hier nur die «Makkabier* gehört und so
wenig Geschmack daran gefunden, dass man
lange zögerte, wieder mit einem dramatischen
Werk des Klaviertitanen zu erscheinen. Dieses
Mal aber ist's besser gegangen. Es wire Ge-
schichtsfilschung, wollte ich behaupten, der
»Dimon* bitte alles hier bezaubert und un-
widerstehlich in seinen Bannkreis gezogen. Die
Erregung war nicht stark, aber das Interesse
blieb wach, und Einzelheiten wurden gern und
dankbar anerluinnt. So schenkte man den
national gefirbten Abschnitten der Partitur,
der rhythmisch pikanten Balletmusik und ein-
zelnen Liedern freudig Gehör und Hess sich
von der Eigenart dieser melodiös empfundenen
Musik hinreissen. Das hinderte nicht, dass man
andere Partieen, die Chöre hinter der Szene und
vieles aus der Dimon-Partie selbst für weniger
anziehend erkürte. Die Oper ist eben die un-
gleiche Arbeit eines verwöhnten Virtuosen,
dessen Selbstkritik nicht stark genug war, Un-
ebenheiten durch strenge Arbeit auszugleichen.
Dass der Stoff heute nicht mehr zündet, seitdem
der »Hollinder* das Motiv des herumirrenden,
▼erlMnnten und nach Erlösung ringenden Geistes
bis zur Vollendung erschöpft, nimmt kaum
wunder. Die Aufführung war gut, zum Teil vor-
trelflich» Frau Hensel-Schweitzer steigerte
die Partie der Tamara von der Freudigkeit der
lieblichen Braut bis zum verzweiflungsvoll zer-
marterten Weibe auf das wirkungsvollste. Herr
Breiten feld gab der Titelpartie zwar schönste
Stimmgebung, aber zu wenig Charakter. Herr
Wirl erhöhte die poetische Nachtszene durch
den Reiz seiner schmelzenden Stimme. Dr.
Rottenberg leitete die Vorstellung mit der
gewohnten feinen Künstlerschaft.
Hugo Schlemüller
KÖLN: Die neue Saison des Opernhauses hat
am 1. September mit Felix Weingartners
»Geneslus* eingesetzt, der hier Im Frühjahr
80 grossen Erfolg erzielte, und wir sahen die
damals durch das edel schöne Werk hervor-
gerufenen ausgezeichneten Eindrücke verjüngt
Otto Lobs es hinreissende Dirigenten kunst
feuerte wieder Orchester und Singer zur An-
spannung ihrer höchsten Krifte an, und da war
bei tief aus dem dramatischen Gehalte schöpfen-
den, erhabenen Klingen der Komponist gut auf-
gehoben. Als Pelagia und Genesius exzellierten
Alice Guszalewicz und Fritz R6mond. Mit
der Titelrolle von Bizets »Carmen* trat Frieda
Felser wieder dauernd in den Personalstand
der stidtischen Bühnen ein, und fand für ihre
hier nicht durch absonderlichen Regtezwang
verkümmerte, stark Individuell geprigte und
künstlerisch sich auslebende Leistung wirmsten
Beifall. Es folgten »Fidelio*, »Mignon*, »Der
fliegende Holunder*, »Die Zauberflöte*, »Zar*,
»Tristan* und Puccini's »Tosca*, dazwischen »Ba-
jazzi* und »Cavalleria*. Einen schönen Höhe-
punkt ergab inmitten der ilteren Repertoirewerke
die Neueinstudierung von Eugen d'Alberts
»Tiefland*, das wegen Personalverhiltnissen
seit dem vor zwei Jahren erfolgten ersten Er-
scheinen nicht weiter gegeben werden konnte
und jetzt wiederum durchschlagenden Erfolg
fand, als dessen Zeuge der Komponist oftmals
stürmisch hervorgerufen wurde. Otto Lohse
hat das eigenartige, stimmungskriftige und dem
dramatischen Vermögen d'Alberts ein günzen-
des Zeugnis ausstellende Werk wundervoll ein-
studiert und als Dirigent eine ungemein hoch-
stehende musikalische Totalleistung gezeitigt
Abgesehen vom Tenoristen Reinhold Batz, der
seiner gesanglichen Beanlagung nach nur be-
dingt genügen konnte, war die solistische Be-
setzung durchweg eine sehr glückliche. Eine
Prachtleistung von grösster dramatischer Verve
in Gesang und Darstellung schuf Frieda Felser
(Marta); dann fand der stimmgewaltige Bari-
tonist Tilmann Liszewsky in dem Sebastiane
eine ihm ganz besonders zusagende Rolle.
Grösste Sorgfalt war auf die Ausgestaltung der
kleinen Aufgaben verwandt worden, das En-
semble stand tadellos, kurz, es war eine recht
erfreuliche Aufführung. Paul Hiller
MÖNCHEN: Die Münchener Mozart-
Festspiele. — Als seinerzeit Levi die so
lange schnöde verballhornten Partituren der
Mozartschen Meisterwerke wieder von allen
»Verbesserungen* befreite und auf ihre Ur-
gestalt zurückgriff, als Possart diesen Werken
in unserem köstlichen Residenztheater eine
glanzvolle, durch und durch stilreine Inszenie-
rung zuteil werden Hess und die zwei Künstler
so vereint mit feinstem Verstindnis im Grossen
und Kleinen Aufführungen zustande brachten,
denen man das höchste Lob nicht versagen
konnte, sie seien Mozarts Meisterschöpfungen
m.
62
DIE MUSIK VII. 1.
wahrhaft würdig uod ihnen in ihrer Art kon-
genial, da hatten die beiden nicht nur den
Besten ihrer Zeit, sondern in gewissem Sinn
auch den Besten aller Zeiten genug getan.
FQr ihre Nachfolger konnte es sich in diesem
Falle nur darum handeln, einmal erworbene
Schätze rein und treu zu wahren. Dass sich
dieser gar nicht leichten Aufgabe die jetzige
Leitung unserer Hofbuhnen mit aller Sorgfalt
und mit grossem Geschick unterzieht, muss ihr
als ganz besonderes Verdienst angerechnet wer-
den. Freilich geschieht das ja auch im eigensten
Interesse. Denn abgesehen von der Notwendig-
keit, den künstlerischen Ruf unserer Mozart-
Festspiele zu wahren, bilden die beiden Zyklen
— man gab auch diesmal wie im Vorjahre je
zwei Vorstellungen von ,»Don Giovanni*,
„Figaros Hochzeit* und «Cosi fan tutte* —
eine der besten Einnahmequellen der Intendanz.
Mit Ausnahme der Vorstellungen von „Cosi
fan tutte* waren alle Abende trotz der hohen
Preise ausverkauft. Das Interesse, das sich in
dem enormen Zudrang ausspricht, ist, wie schon
gesagt, wohl verdient. Am geschlossensten und
vollendetsten waren die Aufführungen von „Don
Giovanni* und „Cosi fan tutte*. Dass „Cosi
fan tutte* beim Publikum nicht dieselbe Gegen-
liebe findet, wie die beiden anderen Opern, ist
begreiflich. Ist doch der Text einer der un-
glücklichsten, wenn nicht der unglücklichste,
den Mozart komponiert hat. Und obwohl die
Komposition in die letzten Jahre seines Lebens
fiUt, ist es ihm doch nicht überall geglückt,
durch seine Musik alle Mängel des Librettos so
vergessen zu machen, wie in seinen grössten
Schöpfungen. Das Schwesternpaar Dorabella
und Fiordiligi fand in den Damen Koboth und
Hempel (Schwerin) reizvolle und gesanglich
vollentsprechende Vertreterinnen; Brodersen
und Walter als Guglielmo und Ferrando
müssten nur in der Verkleidungskomödie we-
niger stark auftragen; je feiner da das Spiel ist,
desto förderlicher ist es dem Eindruck des Werk-
chens. Als Vorbild konnten gerade auch nach
dieser Richtung der prächtige Alfonso Bau-
bergers und Frau Bosettis frische Despina
dienen. Die Wiederholung brachte nur eine
einzige Veränderung: Gura (Schwerin) sang
den Guglielmo. — So schön auch musikalisch
„Figaros Hochzeit* herausgebracht wurde,
so laborierte die Wiedergabe doch an einem
Besetzungsfehler. Herr Gillmann ist kein
Figaro, trotz der geistvollen Durcharbeitung der
Rolle. Ihm liegen Gestalten wie Fafher, wie
der grimme Hagen; ihm liegt aber nicht
der schlaue, ewig lustige und bewegliche
Figaro, den er mit viel zu viel Würde und
Gravität gibt; das färbt auch auf den gesang-
lichen Teil seiner Aufgabe ab. Das übrige
Ensemble im ersten Zyklus war musterhaft:
Feinhals (Graf), FrL Koboth (Gräfin), Frau
B OS etti (Susanne) und Frl. Tordek (Cherubin)
boten ein Ensemble schöner Stimmen und
schöner Erscheinungen, wie man sie nicht all-
zuoft vereinigt finden wird; ihnen schlössen
sich würdig Frau Preuse-Matzenauer als
Marzelline und Walter als Basilio an. Der
Regie sehr ans Herz zu legen wäre eine Ver-
jüngung des Mädchenchores. Bei der Wieder-
holung von „Figaro* im zweiten Zyklus hatte
die Intendanz bei der Verteilung der Haupt-
rollen keine so glückliche Hand. Gura (Graf),
FrL Fay (Gräfin) und FrL Hempel (Susanne)
vermochten sich nicht in allem mit ihren Vor-
gängern zu messen. — Den mächtigsten Ga-
samteindruck hatte der Hörer wieder bei „Don
Giovanni*. Denn Feinhals Ist ein — für
deutschen Geschmack — so ziemlich voll-
endeter Don Giovanni, der hier In bewunderns-
werter Wandlungsfähigkeit so gut den zn-
kommenden und richtigen Ton zu treffen weiss,
wie etwa als Wotan oder Hans Sachs; imd
alle anderen: FrL Fassbender and Fran
Preuse-Matzenauer (Elvira), Frau Bnrk-
Berger (Donna Anna), Walter und Bnysson
(Ottavio), Bender und Gillmann (Komthof)^
Frau Bosetti (Zerline), Geis (Leporello) and
Bauberger (Masetto) gaben Ihre Rollen zum
Teil restlos befriedigend, zum anderen Teil
mindestens so, dass sie nirgends den packen-
den Gesamteindruck störten. Eine Immerhin
diskutable Frage wäre meines Erachtena, bei
aller Pietät gegen die Originalpartitar, die
eventuelle Streichung der letzten Szene nach
der Höllenfahrt Don Giovanni's; sie hat Ihr»
einzige Begründung in der zur Zeit der Ent-
stehung des Librettos üblichen Form der
Texte der opera buifa; dramatisch aber Ist sie
vom Obel, da sie als ungeheure Abschwichang
wirkt, um so mehr als unser heutiges Empfinden
bei der Bezeichnung „dramma giocoao* w^t
stärkeren Akzent auf den eraten Teil dl«Mir
Etikette zu legen geneigt Ist Wir sind nan des
Hervorragenden, das uns in den Mozan-Fe•^
spielen entgegentritt, schon so gewöhnt, dass
wir versucht sind, seiner nach mancher Richtnag
gar nicht mehr besondere Erwähnung xa tan.
Um aber für die kleinen Ausstellungen Im ein-
zelnen das notwendige Gegengewicht zu achaffsBi
muss immer wieder betont werden, dass man
Vorführungen Mozartscher Werke, wie sie Im
unersetzlichen Rahmen des Residenztheaters ans
such dieses Jahr wieder gegeben worden sind,
in solchem Glanz und solcher Stilechtheit der
Inszenierung, in solch abgewogener und abge-
tönter Feinheit des Zusammenspiels anderwärts
kaum zu sehen bekommen wird. Einen grossen
Anteil an diesem Erfolg kann die ausgezeichnete
Regie für sich beanspruchen, die l>el „Dem
Giovanni* in den Händen Wirke, bei „Fig»fO*
in denen Fuchs' und bei «CosI fan tutte* In
denen Walters lag. Sehr zustatten kam Ihr,
dass man es heuer wieder ermöglicht hatte, den
Szenenwechsel auf der Lautenschlägerschen
Drehbühne bei offenem Vorhang vorzunehmen,
was der Einheit der Stimmung ungemein förder-
lich ist Will man aber den bezeichnen, der
den Mozart-Festspielen zurzeit ihre ganz be-
sondere nicht nachzuahmende Signatur auf-
drückt, so muss man den Namen Mottls, des
genialen Dirigenten, nennen. Ob er nun den
Orchesterpart aufs klarste und feinste sbtönt
und sich mit nie verssgender Sicherheit daa
Orchester nach seinem Willen zu einem ein-
zigen, unendlich empfindlichen Instrument nm-
schafft, oder ob er mit leichter Hand die an-
gemein fiüssig und graziös im Geist der opera
buifa gesungenen Seccorezitative auf dem Cem-
balo begleitet, immer gibt er daa Gefühl, dass
er das Werk, dessen er sich annimmt, reatlos
63
KRITIK: KONZERT
seiner Eigenart ausschöpft, dass er es gerade
wiedererstehen lisst, wie sein Schöpfer es
ti gedacht Unter JViottl haben die Mozart-
ttspiele in ihrem reinmusikalischen Teil eine
he der Vollendung erreicht, die nicht mehr
(rtroflfen werden kann. Dr. Eduard Wahl
KONZERT
UENOS AIRES: Catellani's Bestrebungen
▼erdankten wir ein Beethoven-Konzert, das
Eroika (wohl zum erstenmal in Südamerika),
; Septett, Szene und Arie ,Ah! Perfldo* op. 65,
Andante scherzoso aus dem vierten Quartett
18 und die Egmont-Ouverture brachte. Man
SS von dem Verlangen nach mustergültiger
sf&hrung bedeutende Abzüge machen, da es
I ja an einem geschlossenen, eingespielten
:hester fehlt und die Zahl der Proben wegen
grossen Kosten unglaublich beschrinkt wird,
merhin wurden der dritte und vierte Satz sehr
reulich gespielt, und auch der erste wire recht
liessbar gewesen, wenn die Trompeten nicht
m niedergeschrieen bitten. Der Ouvertüre
rd man schon eher gerecht Das Septett ging
Der zarten Schönheit verlustig, weil man die
«mte Streicbermasse gegen die drei Bliser
bot Der Quartetuatz hatte das gleiche
licksal zu leiden, wenn man auch die liebe-
le Hand der Leitung anerkennen musste.
er die Wiedergabe der Arie schweigt man am
iten. — Reineren Genuas verschaffte das zweite
mmermusikkonzert Catellani's. Beethovens
artett No. 10 op.74 wurde bedeutend, Svendsen's
stsprühendes und blühendes Oktett op. 3 glln-
id gespielt Ein Klavierquintett von Martuzzi
kte dagegen ermüdend. — - Frau Haumann-
»rk leitete ihre gesangsunterrichtliche Titig-
t durch einen angenehmen Liederabend ein,
dem sie gute Stimmschulung und Auffassung,
if mangelnde Klarheit der Aussprache (deutsch
i französisch) offenbarte. Ein einheimischer
(bhaber erwirmte im selben Konzert durch
nrschönen Ton und ungekünstelten Vortrag.
1 Klavier gab Herr Seh ö 1er den Gesingen
e feine Untermalung. — Schliesslich trat der
Innergesangverein mit einem Konzert her-
r. Ein gutes Stimmenmaterial erwies sich
ch etwas ungebindigt, die Auswahl der Lieder
r von einer bedauerlichen Geschmacklosigkeit
eitet worden. Ersatz bot eine für die hiesige
ler verpflichtete Singerin, Eva Evers, die
ter anderem mit klangvollem Sopran und
tmatischer Kraft Rezitativ und Arie »O zittre
ht* aus der »Zauberflöte* sang. Femer erfreute
Beste Drangosch durch seinen metallenen
d wundervoll abgestuften Klavierton in den
«M61odies polonaises* und der «Campanella* von
Liszt, sowie im Weberschen „Konzertstück*, hier
vom Orchester nicht glücklich begleitet Dieses
grub noch die Ouvertüren »Ruy Blas* von
Mendelssohn und «Alessandro Stradella* von
Flotow aus. Hermann Kieslich
SONDERSHAUSEN: Eine für unser Musik-
leben epochemachende Tat von Traugott
Ochs ist die Gewinnung des Pianisten Wilhelm
Backhaus für einen jihrlich zu wiederholenden
Unterrichtskursus im Juni und Juli am hiesigen
Konservatorium. Die künstlerische, überragende
Grösse des Virtuosen Backhaus ist allgemein
anerkannt; als Pidagoge ist er nicht ein Mann
des Wortes und der Theorie, sondern des Bei-
spiels, und das wirkt bei den Schülern, die
meist schon angehende Virtuosen sind, leben-
diger. »Vorspielen ist alles.* Das Herbeirufen
von musikwissenschaftlichen und schöpferischen
Berühmtheiten zur Mitwirkung bei unsem Loh-
konzerten ist ebenfalls unserm rührigen Pro-
fessor Ochs zu danken. So hat Georg Richard
Kruse (Berlin) unter eigener Orchesterleitung
uns mit vier Lortzing'schen Kompositionen
bekannt gemacht, die der Forscher ausgegraben:
Marsch aus: .Die Schatzkammer des Inka*,
Jubelouvertüre über den «Dessauer Marsch*,
Ouvertüre zu ,»Ro1and's Knappen* und »Humo-
ristischer Walzer*. Auch die Weihnachtsouver-
türe über den Choral „Vom Himmel hoch* von
Otto Nicolai und die ,»Frühlingsouvertüre* von
Hermann Goetz gehörten diesen interessanten
Rarititen an, die uns Kruse vorführte. — Die
Programme der Lohkonzerte boten neben
den alljihrlich wiederkehrenden symphonischen
Hauptwerken der Klassiker, Romantiker und
Modernen, denen zum erstenmal auch eine
Brucknersymphonie, die dritte, zugesellt war,
eine Wiederbelebung der »Concerti grossi* von
Hindel, von denen wir zwei genossen, No. 6
in g-moll aus op. 6 und No. 7 in C-dur aus der
neuen von Max Seiffert nach Quellenfor-
schungen bearbeiteten Ausgabe. Als basso con-
tinuo war statt der Cembali die Harfe zugrunde
gelegt, die dem Klang der alten Klaviere auch
am besten entspricht Als Novititen sind drei
Charakterstücke für kleines Orchester aus dem
Zyklus op. 70 von Hugo Kann und der «Tanz
der Nymphen und Faune* aus ,»Amor und
Psyche* von Georg Schumann hervorzuheben»
alles reizende Genrebilder voll zarter Empfln-
dung und vornehmer Faktur. — Als Solisten
begrüssten wir in Konzerten und Doppelkon-
zerten die Herren Corbach, Plümer, Schid-
rich, de Ruyter-Korver (Geiger), Wörl,
Schilling (Cello), Haupt (Harfe), Fischer
(Gesang) u. a. JVi. Boltz *
In dem im 4. September ditainceganceaen Norweger Edvard Grl«C btt nicht
nur seine entere aordUcbe Heimat, sondern die tanze Veit einen der ei|en«rtlgstea
muellcalUcben CharakterkSpfe unterer Zelt verloren. TIr |laaben uns In Oberalnnimmauc
mit nnaeren Lnem za beflnden, wenn wir Im Anictaluis an die im TOrlletenden Heft
enthaltene feinilnnige Vfirdlcnng des veratorbenen Melaters aua der Feder lefne« Luida-
mannes Gerbard Scbjeldemp den Bilderteil dea den neuen Jahrfanc erSChenden Hefte«
mit einer Reibe bildlicher Dantellnngen einleiten, die aamt und aonders dem Andenicen
dea greisen LprlkerB gewidmet alnd. Und zwar beginnen wir mit einem Portril nach
einer wundervollen Pbotograpble von Perscheld, dem wir ein Bild dea FQnfsebnjihrlcen
folgen laasen. Daran scbliesaen sich die BQate nach Carl Seffner ttnd eine photo-
graphlscbe Aufoahme, die Im Frfihjahr 1907 angefertigt wurde, als Grieg, dem Inaaeren
Anschein nach noch im Vollbesitz seiner Kraft, In der dentacben Reich ibanpmadt zwei
groase eigene Konzerte leitete. Den Innigen Zuaammenbang der Grlegaehen Kflnstler-
indivldnalldt mit der landacbaftl leben Natur seinea Heimatlandes, den Scbjeldemp ao
■nachaullch und beredt zu acblldem weiss, ist daa folgende Blatt anzudeuten bestimmt,
das una sein Haue In Trollhougen und einen Blick auf die reizvolle landachaft-
licba Umgebung, von der Villa des Tondichters aus gesehen, zeigL Die nlcbaie
Beilage atellt das Musikzimmer Griegs In seinem gescbmackvoll eingerichteten Helm
In Trollbougen dar. Ala Probe aelner Handachrlfc fGgen vir zum Scbluas rinen Brlar
Edvard Griegs in Faksimile bei, den er an den Herausgeber unserer Zeftschrift ge-
richtet hat Leider bat der unerbittliche Tod die darin anagesprocbene bereitwillige Ab-
siebt, gelegentlich mitzuarbeiten, nun fBr immer vereitelt
Mit den nun folgenden Beilagen treten wir, dem Charakter unseres Sonderheftes
gemiss, ans dem Kreis plelltvoller Erinnerung mitten hinein Ina heisa pulsierende Leben
der Gegenwart Die aus (Qngster Zeit stammende Photographie Max Regera hat der
Tonaetzer selbst zur Tledergabe bestimmt; das Notenfaksimile gibt die erste Seite
dea In dieaem Heft zum erstenmal verSffentl lebten Klavlerstücka wieder. Von Felix
Telngartner bringen wir ein gleicbfalla in neueater Zeit aufgenommenes Portrit,
dem wir zwei Seltenheiten allerersten Ranges anzuachlleasen in der glücklichen Lage
sind: zwei Jugendbllder, die uns den neuen Direktor der Tlener Hofoper Im Alter
von 10 und 10 Jahren zeigen. Das Notenfaksimile von der Hand Velngartnera tat
die Partiturselie 102 seiner noch ungedmckten .Fauaf-Partitur, deren Reproduktion una
der Komponist freundliehit gestattete.
Zu ganz besonderer Freude gereicht es uns, durch die Musikbellage unseren
Lesern die Be kann tscbaft mit zwei unveröffentlichten Kompositionen Max Regers
nnd Felix Weingartnera vermitteln zu dürfen. Der Humor In Regera nlUgem, für
normale Zwelhlnder berechnetem aSalonatÜck' mit der — aelbat für Regeraetae Ver-
hilintsael — verblüffend hohen OpuszabI bedarf ebensowenig einer Empfeblnng als die
ungemein feinsinnige Vertonung des wundervollen Ibaenacben Gedlcbta „Der Eidervogel'
durch Telngartner.
Den Scblnss bildet das Exlibris zum 25. Qaartalaband der .Mnsik'.
Nicbdrack nur mll iiKdrOekllcbcr Erliubali dei Verlaae* teaiaticl.
AI lg Rechia, lajbuoiidare dM der OberMUiint, vorbebalKn.
VtrutwonllcbBT Schriftlaltar: Kipdlmaltter Bvnhan) Schuaier, Barila V. 67, BU»*tr. lOT l.
N. Per«cheld, Berlin, phoi.
EDVARD GRIEG
EDVARD GRIEG
im Alter von 15 Jahren
EDVARD GRIEG
nach der Ponrirbüste von Cirl Seffner
^JSmd
A. Schcri. Berlin, phot.
EDVARD GRIEG
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GRIEGS HAUS IN TROLLHOUGEN
TROLLHOUCEN
I Blick >ur Griegs Haus
MUSIKZIMMER EDVARD GRIEGS
in seinem Hause in Trollhougen
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ßAä^ ^Af' ^^4^ ^^ ♦/f^, »*^ ^ ^»- \^^^'\ ^(üä ^^Vjf^ i xas 4.^ ^^»^^s
EINE PARTITURSEITE AUS DER'„FAUST**-MUSIK
VON FELIX WEINGARTNER
VII. I
MAX REGER
NOTENSCHRIFT VON MAX REGER
FELIX WEINGARTNER
ZVE[ JUGENDBILDER VON FELIX VEENGARTNER
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**, n-»®**'^^ EDVARD GRIEGS
AN DEN HERAUSGEBER DER ^ÜSIK«
VII. 1
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SALONSTUCK
Noch schneller als möglich
Hax Reger, Op. 17628
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ZcA ^fY/e i<f««0« iS'/iM?ir von rückwärts^ €lso ä layyXroha" mu spielen , es wird dnnm für ,,4i99e *
nanzensauhere und tonalitäts lüsterne *< Ohren wesentlich erträglicher klingen.
Darum: AujfilhrungsresM varkeAmitem.
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6BDIGHT VON IBSEN, DBUTSCHB ÜBBB8ETZÜNQ VON CHRISTIAN M0RGBN8TBRN
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Klavier
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Felix Weingartner
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stirb «. Druckt Berliner Mufkaliea Druekorel Ckakk. ■.
EXLIBRIS
für den 1. Quartalsband des VII. Jabrcancs
Band 25 der MUSIK
Es ist ja doch nur ein ewiges Sueben in
der Kunst, und der Künstler ist verloren,
ist tot für die Kunst, sobald er sich dem
Vahne hingibt, &m Ziele zu sein.
Tilbelmlne ScbrBder>Devrlent
VII. JAHR 1907/1908 HEFT 2
Zweites Oktoberheft
Herausgegeben von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & LoefTler
Berlin W. 57, Bülowstrasse 107
JiAh,^S,Tk^.
AUS BRIEFEN EDVARD GRIEGS
AN EINEN SCHWEIZER
Mitgeteilt
von Dr. Eduard Platzhoff-Lejeune
Lausanne
^in freundlicher Zufall führte uns die fünf folgenden Briefe Griegs
an einen anonym bleiben vollenden Schweizer in die Hinde. Die
\ vier letzten erschienen, von einigen Sitzen abgesehen, in der
i Genfer .Semaioe lilliralre' vom 21. September in französischer
ObersetzuDg, verden aber hier zum erstenmal in ihrer deutschen Original-
form veröffentlicht. Sie geben uns interessante Aufocblüsse fiber Griegs
politische und religiöse Ansichten; sie zeigen uns auch, wie sehr körper-
liches Leiden in den letzten Lebensjahren das Schaffen und die volle Ent-
faltung des Griegschen Talentes unmöglich machte. Die Todesahnung ist
in dem langen vierten Briefe, 14 Monate vor seinem Scheiden, schon deut-
lich ausgesprochen.
Der erste Brief ist nocb in keiner Sprache gedruckt erschienen.
Musikalisch ist er der vicbtigste, weil er zum erstenmal die genaue Ord-
nung und vollständige AufzXblung der BQhnenmusilc zu «Peer Gynt' bringt,
von der dem grossen Publikum nur die acht umgestellten Stücke der zwei
Suiten bekannt sind, deren erste allein popuUr geworden ist. Das dringende
Bedürfnis nach einer vollstXndigen und geordneten Ausgabe der
ganzen Bühnenmusik mit verbindendem Text (Partitur und Klavleranszug)
wird nicht nur von allen Freunden Griegscher Musik IXngst empfunden,
sondern auch vom Verleger bofffentlich erkannt und bald befriedigt.*) Die
schönste Ehrung für den Komponisten und den Dichter wäre freilich,
wenn mit dieser Publikation eine Neueinstudierung des Ibsenschen Werkes
mit der vollständigen Griegschen Musik von einer Berliner Bühne in An-
griff genommen würde. Die beiden grossen Toten haben diesen künst-
lerischen Versuch wahrlich verdient.
I
KopCDbagen, !"'•' April 1805
... Es ist mir leider nicht möglich, nach Ihrem Wunsche Ihren
Brief zu beantworten. Ich habe dazu weder Zeit nocb Kräfte. Ich bin
>) Daa Glaiebe gilt für B)finsoB>Griegi .Sigard Joraalhr*, wean auch In be*
•cbeidenarem Maase.
68
DIE MUSIK VII. 2.
k.
noch sehr schwach nach einer schweren Krankheit Ich will aber doch
versuchen, so gut es eben geht, wenigstens einige Ihrer Fragen zu be-
handeln. Ich habe glficklicherweise die Reclam- Ausgabe von «Peer Cynt*
bei mir. Das Ibsen'sche Werk ist ein Meisterwerk allerersten Ranges,
was Sie aus der jämmerlichen Obersetzung leider nicht ersehen können«
Dieses möchte ich Ihnen vor allem sagen. Das einzig Interessante des
Obersetzers ist die Vorrede, auf welche ich Sie ganz besonders anf-
merksam mache • . .
In Aimar Grönvold's »Norske Musikere* (Kristiania) ist viel Richtiges
Ober die äusseren Einflüsse, fiber den Verkehr mit Dichtem, über [meinen
Freund] Nordraak als Künstler zu finden. Mit Bjömson verkehrte ich
Ende der 60 er und Anfang der 70 er Jahre täglich, und in dieser Zeit
entstand sehr viel von meiner Musik zu seiner Poesie. Was «Amljot
Gelline* betrifft, wäre es gewiss leichter, die Klosterszene zu würdigen
[op. 20. Vor der Klosterpforte], wenn das gsnze Werk verständlich wäre;
ich kenne aber leider keine Obersetzung davon. Die vier Lieder aus dem
«Fischermädchen" [op. 21, in dem Album Peters verteilt, als Nummer 24,
4, 10, 12 gedruckt, siehe die Reclam- Ausgabe No. 858 — 859] sind die
einzigen, welche ich aus dieser Novelle komponiert habe. Zu »Signrd
Jorsalfar*, Schauspiel von Bjömson, habe ich keine Musik ausser der bei
Peters veröffentlichten (op. 22 Gesang; op. 56 Orchester) geschrieben.
Die Texte zu op. 33 [Album Peters No. 37 — 48] bilden kein Ganzes,
sondern gehören zu einer grösseren Gedichtsammlung von Vinje. Die Mnsik
zu »Peer Gynt" wurde sehr richtig im Jahre 1874 — 1875 concipiert, und
zwar nach einer Aufforderung des Dichters [Ibsen, Briefe an die Freunde
p. 176 — 178]. Es handelt sich nämlich um eine szenische Darstellung des
Werkes in Kristiania, welche auch 1876 stattfand. Mitte der 80 er Jahre
wurde das Werk auf der dänischen Bfihne in Kopenhagen gebracht und
vor einigen Jahren in Kristiania wiederholt. Der Erfolg war immer sehr
bedeutend. Ich werde jetzt nach der Reclam-Ausgabe [2300 — 2310] die
Stellen mit Musik angeben^):
1. Vor dem ersten Aufzug, eine Einleitung genannt: «Im Hocbzeits-
hof". In op. 23 vierhändig gedruckt [bei Lose in Kopenhagen].
2. Seite 25, bei der Replik Peer Gynts: «Sie spielen zum Tanz*
hört man hinter der Bühne einen Halling (Tanz) aus der Einleitung.
3. Seite 26, sitzt ein Musikant, ein Bauemgeiger, auf der Bfihne und
spielt bald einen Halling, bald einen Springtanz (ungedruckt).
4. Seite 34, vor Anfang des zweiten Aufzugs, Zwischenaktsmusik,
^) Vgl. hierzu den Aufsatz über Grieg von L. Monattier in der Laasanaer
«Bibliothftque Universelle", September 1897.
60
PLATZHOFF-L^JEUNE: BRIEFE GRIEGS
genannt ,Peer Gynt und Ingrid*. In der IL Peer Gynt Suite [op. 55] als
«Ingrids Klage" gedruckt.
5. Seite 38 — 30 : Drei Sennerinnen, ist eine vollständige Musik. Die
Mädchen singen, Peer Gynt spricht dazwischen (ungedruckt).
6. Seite 42 unten. Peer Gynt schwingt sich auf den Eber^ indem
er hinausreitet, kurzes Musikstück (ungedruckt).
7. Seite 43. In der Halle des Bergkönigs. In der I. Peer Gynt Suitcf
[op. 46] gedruckt. Bei der szenischen Aufführung fingt die Musik als
Vorspiel an und bei dem grossen ff [Suiten-Partitur, von B an] geht der
Vorhang auf, indem die Repliken der Hoftrolle gesungen werden. (Die
Singstimmen sind in der Suite 'nicht gedruckt.)
8. Seite 46. Spiel und Tanz. In op. 23 vierhändig [bei Lose in
Kopenhagen; für Orchester bei Peters, op. 55] gedruckt.
9. Seite 40 — 50 nach der Replik des Dovzealten: »Ich bin schläfrig,
gute Nacht", eine melodramatische Szene mit Chor (ungedruckt).
10. Seite 50 — 52. Melodramatische Szene zwischen Peer Gynt und
der »Stimme* (ungedruckt).
11. Vor dem dritten Aufzug. Als Einleitung wird »Aases Tod* (in
der I. Peer Gynt Suite op. 46 gedruckt) gespielt.
12. Seite 63 bei der Replik Peer Gynts
»Lass, Mutter, uns ohne Zandern
Envägen, was sich schickt,
Und recht gemfitlich plaudern,
Versessen, was uns drückt,*
hört man hinter der Bfihne pp »Aases Tod*, und zwar so leise, dass man
die Musik nur als unbestimmten Laut vernimmt, welche den Dialog nicht
stört. Die Musik dauert bis auf Seite 67, wo sie bei den Worten Peer
Gynts »Hör auf mit deinem Geprater* plötzlich aufhört. Es kann so ein-
gerichtet werden, dass das Musikstück hier zu Ende geht.
13. Vor dem vierten Aufzug ein kurzes Vorspiel (ungedruckt).
Statt dessen wurde bei den Aufführungen die , Morgenstimmung* (I. Suite)
gespielt, welche aber eigentlich zu Seite 83 («Früher Morgen*) komponiert ist.
14. Seite 83. Ein Dieb und ein Hehler, Szene für 2 Gesangstimmen
mit Orchester (ungedruckt).
15. Seite 87. Chor der Mädchen. In der II. Suite als »Arabischer
Tanz* gedruckt, aber ohne Singstimmen; der Mittelsatz, a-moU, sollte von
Anitra gesungen werden.
16. Seite 80. Die Mädchen tanzend. Hier wird Anitras Tanz gespielt,
in der I. Suite gedruckt. Die Musik ist als Begleitung zu Peer Gynts Monolog
»Ei, wie die Beine gehen wie zwei Trommelstöcke*
gedacht, und sollte deshalb hinter der Bfihne pp aufgeffihrt werden.
70
DIE MUSIK VII. 2.
17. Seite 91. Serenade Peer Gynts. Nur in Dänemark bei Wilbelm
Hansen im Klavierauszug gedruckt.
18. Seite 101. Somniertag, hoch im Norden. Solyejgs ' Lied. Im
Klavierauszug unter meinen Liedern gedruckt. [Album Peters No. 25.]
Auch a]% Orchesterstack in der II. Suite.
10. Seite 113. Einleitung zum fünften Aufzug. )n der II. Suite
gedruckt. Die Verbindung mit Solvejgs Lied durch die Holzbläser gehört
aber nur in die Suite.
20. Seite 133/35. Nacht, waldige Heide, von einem Brande verwüstet:
Melodramatische Szene mit Chor (hinter der Bühne) (ungedruckt).
21. Seite 151. Kirchenbesucher auf dem Waldwege singend (un-
gedruckt).
22. Seite 154. Solvejgs Schlussgesang. Im Klavierauszug unter den
Liedern gedruckt [Album Peters No. 60]. Ich hoffe, dass die Zeit nicht
fern ist, wo ein vollständiger Klavierauszug, ja sogar eine vollständige
Orchesterpartitur der ganzen Musik zu Peer Cynt, vielleicht mit ver-
bindendem Gedicht, erscheinen kann.
Was den »Bergentrückten* betrifft [op. 32], so hat Gade kein Werk mit
diesem Titel geschrieben; er hat zwar ein grosses Werk .Erlkönigs
Tochter* geschrieben [op. 30], und man darf sagen, dass die beiden Sujets
verwandt sind. Doch haben wir aus verschiedenen Quellen geschöpft.
Gades Werk ist eine weit ausgesponnene Ballade für Chor, Soli und
Orchester. Mein Stück ist nach altnorwegischen Volksweisen komponiert,
ist nur für eine Stimme, ganz kurz und entschieden lyrisch, während Gades
Werk dramatisch angehaucht ist.
Das Gedicht „Bergliot* ') [op. 42], welches ich melodramatisch behandelt
habe, ist dasselbe, welches der Däne Heise für eine Singstimme mit
Orchester komponiert hat [bei Lose in Kopenhagen].
Die Holberg-Suite [op. 40] ist für das Jubiläum 1884 geschrieben. Das
Lied «Herbststurm* [op. 18, Album Peters No. 20] ist im Sommer 1865 in
Dänemark geschrieben; die Ouvertüre [Im Herbst, op. 11] den folgenden
Winter in Rom. In der Ouvertüre bilden die Motive aus dem Lied, welches
den Herbststurm darstellt, und das lustige Schnitterlied der Bauern die
Gegensätze, dichterisch wie musikalisch. Vom kommenden Frühling ist in
der Ouvertüre nicht die Rede, wohl aber von einer Vereinigung der ernsten
und heiteren Elemente, welche den Herbst kennzeichnet.
Der Trauermarsch über Nordraak [Peters No. 2427] wurde im Früh*
fing 1866 in Rom geschrieben, am selbigen Tage, wo ich die Nachricht
von dem Tode Nordraaks erhielt, und ist nur im Klavierauszug gedruckt.
^) von Björason.
..J
71
PLATZHOFF-LmEUNE: BRIEFE' GRIEGS
Für Blasinstrumente ist das Stuck in Kristiania aufgeführt Ich hoffe, bald
wird es in dieser Gestalt, sowie auch für ganzes Orchester erscheinen.
• . • Vielleicht sehen wir uns nächsten Winter in Leipzig, wo ich
mit allerlei Details gern zu Ihrer Verfugung stehe, nur aber nicht —
schriftlich!
Mit bestem Gruss Ihr sehr ergebener
Edvard Grieg
II
Troldh äugen bei Bergen, Norwegen, 22.8.03
. . . Eine lange, ernsthafte Krankheit ist der Grund dazu, dass ich
erst heute imstande bin, Ihren Brief zu beantworten. Sie mögen recht
haben [siehe Ibsens Werke, Ausgabe von Fischer in Berlin, Vorrede von
Georg Brandes],' dass damals auch mir der grosse Gegensatz zwischen
Björnsons und Ibsens Auffassung des norwegischen Nationalcharakters noch
nicht aufgegangen war. Doch möchte ich mit Holberg ausrufen: , Meine
Herren, Sie haben alle beide recht*! Mit anderen Worten: Bjömson und
Ibsen ergänzen sich in ihrer Auffassung. Das norwegische Volk, vor allem
das Bauemvolk, hat scharf contrastierende Eigenschaften und es liegt auf
der Hand, dass Bjömson, der Optimist, das Volk verherrlicht, während
Ibsen, der Pessimist, es geisselt. Der Komponist vermag recht wohl beide
Gegensätze in sich aufzunehmen, ohne unwahr zu erscheinen. Ich nahm
zwar nicht an Ibsens Jubiläum teil, bin aber ein schwärmerischer Ver-
ehrer von vielen seiner Dichtungen, und ganz besonders von Peer Gynt.
Mein Verhältnis zu Björnson ist ein anderes. Mit der grossen Sympathie
und Verehrung für ihn als Dichter, verbindet uns ausserdem eine intime
Freundschaft.^)
Ich vermag also Ihre Ansicht über die Aufgabe des Künstlers nicht
zuteilen. Der Künstler ist elastisch, und seine Aufgabe ist, entgegen-
gesetzten Anschauungen einen künstlerischen Ausdruck zu geben, gleich-
viel ob er denselben huldigt oder nicht. Seine Phantasie ist es, welche
in Tätigkeit versetzt sein soll, nicht seine Moral.
Sie haben ganz recht: Es ist traurig, dass die gesamte Peer Gynt-
Partitur nicht erscheint. Der Verleger hat aber die beiden Orchester-
suiten und die Lieder veröffentlicht und mag nicht mit sich selbst kon-
kurrieren! ... Viele Norweger glaubten früher mit mir, dass Peer Gynt
^) Vgl. dazu einen Artikel aus dem „Berliner Tageblatt*: „Mit Bjömson in alten
Tagen*, der eine lebendige und lustige Beschreibung der UrauffOhrung von „Sigurd
JofMlftir" <17. Mai 1870) nach Griegs eigenen Aussembgen enthält In acht Tagen
hatte Grieg die heute nur als „Suite" bekannte Panitur vollendet. Siehe op. 22 und
56 der Petersschen Ausgabe.
72
DIE MUSIK VII. 2.
nur eine Art Ausnahmetypus repraesentierte. Leider hat es sich in den
letzten Jahren erst gezeigt, wie erschfittemd wahr die Schilderung des
Dichters als Nationalcharakteristik ist. Ibsen hat eine gefihrliche Seite
an unserem ganzen Volk schonungslos aufgedeckt Daher steht es mit
den politischen Sachen in unserem Lande jetzt so faul. Mit dieser
traurigen Mitteilung muss ich schliessen.
Ihr sehr ergebener
Edvard Grieg
III
KristUni«, 15. 10. 05
. . . Verzeihen Sie, dass meine Antwort ... so lange hat auf sich
warten lassen. Oft wollte ich schreiben, immer kamen* aber aufgeregte
Tage oder Krankheiten dazwischen . . .
Ich bin wie Sie Republikaner und war es immer. In diesem Augen-
blicke aber in Norwegen die Republik zu proklamieren, wäre ein gefihr-
liches und kurzsichtiges Beginnen. Unsere Feinde wünschen es und
sprechen diesen Wunsch daher offen aus, der beste Beweis dafür, dass
wir auf unserer Hut sein müssen. Es ist also zuerst Schweden, dann
aber auch Russland, sehr darum zu tun, uns als Republik zu sehen.
Unsere freundlich gesinnten Nachbarn, vor allen England, welchem Land
wir wahrscheinlich — was wir aber noch nicht wissen — den Frieden zu
verdanken haben, wünscht aber durchaus keine Republik. Übrigens hat
Norwegen eine noch freiere Verfassung wie die meisten Republiken, und
die immer wiederkehrenden Präsidentenwahlen würden (bei der Streit-
barkeit unseres immer noch Überreste der Barbarei enthaltenden Volkes)
zu Parteikimpfen von gefährlicher Art Anlass geben. Es ist noch nicht
ausgeschlossen, dass die Volksabstimmung eine Republik erheischt. Das
Storthing und die Regierung, welche beiden Staatsgewalten zum grossen
Teile, ja sogar vielleicht hauptsächlich aus Republikanern bestehen, glauben
und hoffen es nicht, was in der Tat sehr bezeichnend ist.
Was sagen Sie von unseren beiden grossen Tagen, dem 7. Juni, wo
wir uns von Schweden lossagten, und dem 13. August, wo die von
Schweden verlangte Volksabstimmung, anstatt zu dem gewünschten
Fiasko, zu einem Triumph für Norwegen wurde? Und auch die Kon-
vention zu Karlstad? Diese Konvention hat für den geistigen Fortschritt
aller Völker eine unabsehbare Bedeutung. Man sagt, es sei ein politisches
Meisterwerk. Sehr schön. Es ist aber vor allem ein ethisches Werk*
Den hergebrachten Grundbegriffen der Ehre und der Vaterlandsliebe wird
von jetzt an eine Umwandlung zu teil, aus welcher bessere Menschen
hervorgehen müssen! Sind es Utopien? Ich glaube aber ganz gewiss
73
PLATZHOFF-LEJEUNE: BRIEFE GRIEGS
daran. Dass mein Vaterland dazu berufen wurde, hier voran zu gehen,
erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit
Ich muss leider schliessen . . .
IV
Troldhaugen 3. 7. 06
... Ich will es gar nicht versuchen, mein langes Schweigen zu ent-
schuldigen. Nur so viel will ich sagen: Ich bin ein schlechter Brief-
schreiber geworden. Früher ging das Briefschreiben wie das Schaffen
schnell und leicht. Ich bewegte mich wie der Fisch im Wasser. Körper-
liche Leiden und der Druck der Jahre hat das alles geändert. Schwer-
fällig und langsam fliesst das Blut, und in demselben Tempo bewegt
sich leider auch der Geist. Verzeihen Sie deshalb, bitte! Mein Interesse
für die grossen Fragen des Lebens ist glücklicherweise ebenso lebendig
wie in der Jugend ... Ich bin ganz der Ansicht, dass die Kirche vom
Staate zu scheiden ist, und dass bei uns sich eine solche Scheidung in
einer nicht fernen Zukunft vollziehen wird. Zum Glück glaube ich voraus-
sagen zu können, dass die Scheidung nicht gewaltsam, wie in Frankreich,
geschehen wird, sondern wie von selbst, ohne nachhaltigen Widerspruch.
Das Grosse geschah bei uns voriges Jahr, wie etwas Natürliches, Selbst-
verständliches, und die Lösung der Kirche vom Staat wird in derselben
Weise stattfinden. Über Ihre Furcht, ich möchte vielleicht eine Krönungs-
kantate schreiben, musste ich lächeln. Nein und abermals nein, so etwas
würde ich nie tun, und ich habe die Aufforderung dazu bei dieser Gelegen-
heit auch rundweg abgeschlagen. Vor einigen Jahren bekam ich aus
England einen Antrag, einen Krönungsmarsch für den englischen König
zu schreiben, was ich ebenso unbedingt abgelehnt habe.
Wo es sich um Poesie handelt, liegt die Sache anders.
»Sigurd Jorsalfar" zu komponieren war mir sympathisch, und ich
•wünschte, Sie hätten bei der Aufführung im norwegischen National theater
bei der Pestvorstellung vorigen Herbst anwesend sein können (Krönungs-
feier des Königs Haakon VII. in Christiania). Sie würden sich ohne
Zweifel gefreut haben, denn das Stück, welches von dem Theaterchef
Björn Bjömson (dem Sohn des Dichters) ausgezeichnet inszeniert ist, eignet
sich ausnahmsweise gut für nationale Festtage. %
Über die verschiedenen Regierungsformen kann man streiten, so
lange die Welt steht. Ich bin aber davon überzeugt, dass auch Sie, wenn
Sie auch, wie ich selbst, Republikaner sind, wenn Sie die Sachen in der
Nähe zu beurteilen imstande wären, zugeben würden, dass der norwegische
König nur ein König auf dem Papier ist. Wie unsere alte Geschichte
viele kleine Königreiche zeigte, was vin der norwegischen Geographie be-
>
II
i}*^*. !.dUi.. .L.^
74
DIE MUSIK VII. 2.
fjBBo
gründet ist, so bleibt unser Volk — trotz der grossen Sammlung vom
Jahr 1905 — immer ein zersplittertes Volk. Unsere politische Geschichte
seit 1814 hat diese Tatsache leider nicht geändert. Wir mfissen uns
keilen! Eine Republik mit unausbleiblichen Wahlstreitigkeiten wäre jetzt
deshalb vom Übel gewesen. Das ist nun die eine Seite der Frage. Was
die andere, die Haltung der Grossmichte betrifft, ist es bei uns ein
öffentfiches Geheimnis, dass Schweden nichts lieber wfinschte, als uns zu
überfallen, dass aber Deutschland und hauptsächlich England ein ernstes
Wort, um den Krieg zu verhindern, gesprochen hat. Ich sage hauptsächlich
England, weil dieses Land Interesse daran hatte, eine englische Prinzessin als
norwegische Königin zu sehen. Wir möchten im Verlauf der Sachen etwas
Ideales, für die Zukunft Bedeutungsvolles sehen. Aber leider: Egoismus ist
das Grundmotiv und noch eins: Glück haben wir gehabt . . . Unser jetziger
König gehört . . . einem geistig und körperlich gesunden Fürstengeschlecht an.
Dazu ist er als einfacher Seemann aufgewachsen und besitzt die ganze
Schlichtheit und Unverdorbenheit, welche für unsere Verhältnisse so gut
passt, dass er für seine Aufgaben wie geschaffen scheint. Die Hauptsache
ist, dass bei den jetzt stattfindenden Wahlen es der Regierung gelingt, die
radikale Zerstörungspartei, welche dieselbe zu stürzen droht, zu besiegen.^)
Michelsen ist immer noch der Mann des Augenblicks. Er ist meiner An-
sicht nach der Grössten einer, weil er ein unabhängiger Geist, mit klarem
Blick und ohne jede persönliche Eitelkeit und Machtbegier ist. Im Gegen-
teil, er wünscht nichts lieber, als sich zurückzuziehen. Er liebt seine Vater-
stadt Bergen, wo er eine grossartige Dampfschiffsdisponenten-Tätigkeit bat.
Und jetzt genug der Politik. Von Ibsens Tod erhielt ich die Nach-
richt in London, gerade vor einem Konzert, das ich zu dirigieren hatte.
Ich darf nicht sagen, dass ich tief erschüttert wurde, weil er für mich
schon jahrelang tot war, und weil wir die Todesnachricht jeden Tag er-
warteten. Nachher ist es mir anders gegangen. Ich empfinde die Leere
nach seiner eminenten Persönlichkeit immer schmerzvoller . . . Lange ist
es her, dass die Peer-Gynt-Musik und die Ibsen-Lieder geschrieben
wurden. So lange, dass ich die Werke dirigiere und spiele, als wären
sie nicht von mir. Ich wollte mich weiter entwickeln. Habe es
auch getan, insofern, dass ich jetzt anders empfinde. Wie gern bitte
ich meiner geistigen Entwickelung bis in der letzten Zeit einen Ausdruck
in Tönen geben mögen I Körperliche Leiden waren unübersteigbare
Hindernisse. Und jetzt ist das Ende bald da. Doch, ich bin versöhnt.
Unser Bauemdichter Vinje sagt in seinem wunderbaren Gedicht »Der
Frühling'' [op. 33 Gesang; op. 34 Orchester; Album Peters No. 38]:
>) Ist mit kleiner Mt)oritIt geschehen.
IM
75
PLATZHOFF-LI^EUNE: BRIEFE GRIEGS
aMehr bektm ich als ich verdient,
Und alles muss enden!*
. . . Der Dichter Nordahl Rolfsen lebt in Kristiania^); seine drama-
tischen Werke haben zwar keine Bedeutung, er besitzt aber ein grosses
lyrisches Talent. Wo seine Phantasie in der Kinderwelt weilt, ist er
immer glficklich.
Ich muss schliessen ... Ich habe die Empfindung, wir haben uns
noch viel zu sagen ...
Krankenbaus in Bergen,^) 28. 8. 07
... Ich war und bin immer noch krank, die letzten Tage sogar so
leidend an Schlaflosigkeit und Atemnot, dass ich hieher ziehen musste.
Deshalb haben auch Feder und Tinte ruhen müssen. Viel hätte ich Ihnen
zu schreiben und zu danken für Ihre letzten Briefe. Meine Kräfte ver-
bieten es aber . . . Das Bojer'sche Buch [«Die Macht der Treue"] hat auch
hier Aufsehen gemacht. Ich .habe es — zu meiner Schande muss ich es
gestehen — nicht gelesen und kann mich deshalb nicht darüber aussprechen.
. . . Um mich über meine Auffassung der religiösen Fragen aussprechen zu
können, dazu gehört eine bessere Gesundheit, als die meinige vor der Hand
ist. Und doch — es bedarf nicht vieler Worte : Ich wurde während eines
Besuches in England im Jahre 1888 von den »unitarianischen* Ansichten
[Glaube an Gott allein; der Glaube an einen »drei faltigen" Gott und an
einen dem Vater gleichen Sohn ausgeschlossen] ergriffen und bin in den
seitdem verflossenen neunzehn Jahren bei diesem Resultat stehen geblieben.
Alles, was man mir später vorgeschwärmt hat, machte mir keinen
Eindruck mehr. Die reine Wissenschaft? Als Mittel zum Zweck aus-
gezeichnet; als Zweck aber — für mich wenigstens — durchaus un-
befriedigend. Den Gottesbegriff muss ich aufrecht halten, obgleich der-
selbe mit dem Begriffe des Gebets nur zu oft in Kollision gerät. — Aber
ich fange schon an zu detaillieren. Und es ist leider schon meine Pflicht
zu schliessen . • .
Mit bestem Gruss ihr hochachtungsvoll ergebener
Edvard Grieg
1) Siehe Kinderlieder op. 61.
*) Entgegen den Zeitungsmeldangen ist Grieg erst nach achttägigem Aufenthalt
im Spital gestorben.
VON BACHS TOD BIS ZUR
ERSTEN WIEDERAUFFÜHRUNG
DER MATTHÄUSPASSION
EINE GESCHICHTE DER ANFÄNGE DES BACHKULTS
von Dr. Albert Schweitzer-Strassburg
lach starb den 28. Juli 1750, abends zwischen 8 and 9 Uhr, und
I wurde am Freitag, den 31., vormittags, beerdigt.
Die Trauer über sein Dahinscheiden war allgemein. JHagister
I Abraham Kriege!, sein Kollege an der Thomasscbule, gedachte
seiner in einem schönen Nachrufe. Telemann, der berühmte Hambnrger
Künstler, ehrte ihn mit folgendem Sonett:
sLaut Telichland immer viel von Virluoien ucen,
Die durch die Klingekaa« aicb dort berühmt (emacbt:
Auf deuiachem fiodea aind aie |lelcbf«lls eu erfragen,
Vo man de« Beifallt sie nicht minder fitaig acht't.
Erblichner Bach! Dir bat allein dein Orgelschlagen
Da* edle Vonu|>wort dea .Groasen" llngit tebracbt;
Und waa für Knnat dein Kiel aufi Notenblatt getragen.
Das ward mit hBcbaler Lual, aucfa oft mit Neid, betrachft.
So achlafl Dein Name bleibt vom Untergänge frei:
Die Schüler deiner Zucht und ihrer Scbfiler Reih'
Bereiten für dein Haupt des Nachruhma Ehrenkrone;
Auch deiner Kinder Hand setzt Ihren Scbmuclc daran;
Doch waa Inaonderhelt dich achlubar machen kann,
Daa selget una Berlin in einem wOrd'gen Sohne."
Mit dem Nekrolog, den die Mizlerscbe SozietXt ihrem Mit^iede
schuldete, wurden sein Sohn Emmanuel und Agricola, einer seiner
Schüler, beauftragt. Er erschien 1754.
Dieser Nekrolog eothZlt die bekanntesten Bachanekdoten, das Schicksal
des von dem Knaben nächtlicfaerweise abgeschriebenen Notenheftea, den
Wettstrelt mit Marcfaand, das iHeisterspiel vor Reinken und den Bestich
bei Friedrieb dem Grossen. Zngleicb bietet er die erste Aufsihlting der
gedruckten und ungedruckten Werke.
77
SCHWEITZER: ANFÄNGE DES BACHKULTS
Die verewigten Mitglieder der musikalischen Sozietät wurden überdies
noch mit einem «Singgedicht' gefeiert. Mit der »Verfertigung' des^auf
Bach gehenden wurde ein Herr Dr. Georg Wenzky betraut. Ein be«
sonderes Meisterstück hat er nicht geliefert. Zuerst werden die Musen
ai^rufen:
Chor: «Dimpfc, Musen, euer Saitenspiel!
Brecht ab, brecht ab die Freudenlleder!
Steckt dem VercnQgen Itzt ein Ziel,
Und singt zum Trost betrübter Brüder.
Hört, was euch das Gerüchte bringt,
Hört, was für Klagen Leipzig singt.
Es wird euch stören:
Doch müsst ihr's hören.*
Nun erscheint »Leipzig" und verkündet in einem Rezitativ:
»Der grosse Bach, der unsre Stadt,
Ja, der Europens weite Reiche
Erhob uod wenig seiner Stirke hat,
Ist — leiderl eine Leiche."
Nachdem die „Komponisten* und darauf die , Freunde der Tonkunst*
ihrem Schmerz in Reimen Luft gemacht haben, stehen zuletzt die Mit-
glieder der »Musikalischen Gesellschaft" als die wahren Eingeweihten zu
einem Klagegesang auf, der als zweistimmige Arie gedacht ist. Am Schlüsse
erhält der «Verherrlichte" das Wort. Er tröstet die Freunde damit, dass die
musikalischen Verhältnisse im Himmel noch besser als die zu Leipzig sind,
worauf der Chor das Singgedicht zu Ende bringt.
Mattheson, der tonangebende Kritiker jener Zeit, Hess nach Bachs
Tod allen heimlichen Neid, den er zeitlebens gegen ihn gehegt hatte, fahren
und widmete der «Kunst der Fuge", die anno 1751 erschienen war, einige
begeisterte Zeilen.
«Johann Sebastian Bachs sogenannte Kunst der Fuge", schreibt er in demselben
Jahr, «ein praktisches und prächtiges Werk von siebenzig Kupfern in Folio, wird alle
französische und welsche Fugenmacher dereinst in Erstaunen setzen, dafem sie es
nur recht einsehen und wohl verstehen, will nicht sagen, spielen können. Wie wäre
es denn, wenn jeder Aus- und Einlinder an diese Seltenheit seinen Louisd'or wagte?
Deuuchland ist und bleibet doch ganz gewiss das wahre Orgel- und Fugenland."
Denselben Ton hatte der bekannte Berliner Musiktheoretiker Friedrich
Wilhelm Marpurg (1718 — 1705) in der Vorrede angeschlagen, die er auf
Bitten Emmanuels zu der Kunst der Fuge verfasste, obwohl er nicht Bachs,
sondern, von seinem Pariser Aufenthalt her, Rameau's Schüler war.
Dennoch wUrde man sehr irren, wenn man meinte, Bach sei damals
unter die ersten Komponisten Deutschlands gerechnet worden. Der Ruhm
galt dem Orgelmeister; bewundert wurde der Theoretiker der Fuge; den
78
DIE MUSIK VII. 2.
Komponisten der Passionen und Kantaten nannte man nur nebenbei. In
demselben Bande der Mizlerschen Bibliothek, in dem der Nekrolog steht,
findet sich eine Aufzählung der Kfinstler, die den Ruhm der deutschen Musik
ausmachen, bei der sie in folgender Reihenfolge figurieren: Hasse, Hindel,
Telemann, die beiden Graun, Stölzel, Bach, Pisendel, Quanz und Bfimler.
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts rückte er kaum auf. Johann Adam
Hiller in seinen «Lebensbeschreibungen berfihmter Musikgelehrter* (1784)
widmet ihm nur einige oberflächliche Seiten, die dazu nur dem «Coryphaeus
aller Orgelspieler" gelten; auch Gerber in seinem Tonkünstlerlexikon gibt
sich nicht die geringste Mühe, den Komponisten neben dem Virtuosen zur
Geltung zu bringen.
Trotzdem dürfen wir gegen die Menschen, die das Grosse damals
nicht erkannten, nicht ungerecht werden. Es war nicht ihre Schuld; sie
konnten nicht anders. Unter den Umständen, die es begreiflich erscheinen
lassen, dass Bach damals so in Vergessenheit geraten konnte, kommt zu-
nächst das Künstlerideal jener Zeit in Betracht. Jene Menschen waren
noch zu unbefangen, um über dem Heute der Kunst des Gestern zu ge-
denken. Sie lebten der Oberzeugung, dass es mit der Musik immer vor-
wärts gehe, und dass das Neue, was sie selber schufen, dem Ideal not-
wendig näher stehen müsse als das Alte, weil es nach diesem gekommen
sei. Die Zeit war noch nicht so weit in der Resignation, dass der nur
nachschaifende Künstler schon als Künstler gelten konnte. Wer sich hören
lassen wollte, durfte es nur in eigenen Werken tun. Das galt für so selbst-
verständlich, dass manche nicht davor zurückschreckten, die Kompositionen
anderer unter ihrem eigenen Namen vorzutragen. Erst als die Musiker
anfingen, sich zu bescheiden und sich darein fanden, statt eigenen Ge-
danken vergängliches Leben zu geben, sie vollkommener in den Werken
anderer zu finden und sie als rein ausübende Künstler darzustellen, brach
die Zeit an, wo die Vergangenheit der Gegenwart nicht als etwas not-
wendig Überholtes galt. Das war aber erst um die Wende des 18. zum
19. Jahrhundert der Fall. Früher konnte auch Bachs Zeit nicht kommen.
Femer darf man nicht vergessen, dass schon zu Lebzeiten des
Meisters die Kunst einen Weg eingeschlagen hatte, auf dem sie seine
Kantaten und Passionen kaum in Sicht bekommen konnte. Man war der
Fugen und der Stücke, die sich in obligaten Stimmen aufbauten, über-
drüssig und sehnte sich nach einer Musik, die natürliches Gefühl, und
nur solches, wäre. Der Begriff Natur, der in der Zeit des werdenden
Rationalismus Philosophie und Dichtkunst revolutionierte, machte sich auch
in der Tonkunst geltend. Weil sie dem Suchen der Zeit entsprachen»
kamen auch den urteilsfähigen Künstlern die damaligen Kompositioneny
die auf »tendren und affektuösen Ausdruck" ausgingen, so unbedeutend
79
SCHWEITZER: ANFÄNGE DES BACHKULTS
sie an sich waren, als der Wahrheit näherstehend vor als die alten, die
in der Zeit der strengen Regel entstanden waren.
Dass Bachs Kunst in ihrer Art auch Natur war, und dass seine streng
polyphonen Kompositionen eine vulkanische Gefühls- und Vorstellungswett
wie in grandioser Versteinerung in sich eingesprengt und eingebettet trugen^
konnten die Menschen des 18. Jahrhunderts nicht ahnen. Es hat auf der
Welt nichts Unhistorischeres gegeben als den Rationalismus. Die Kunst
der Vergangenheit, auf allen Gebieten, war ihm nur Künstelei. Alles Alte
war notwendig veraltet, zum mindesten in der Form. Wollte man den,
was es an Inhalt barg, Geltung verschaffen, so musste man es auf
einen einfacheren und natürlichen Ausdruck bringen. In diesem Geiste
restaurierte man, was man an alten Gebäuden stehen Hess. In diesem
Geiste haben Bachbewunderer jener Zeit, unter ihnen des Meisters Söhne
und Zelter, Überarbeitungen seiner Werke vorgenommen, die zum Bar-
barischsten gehören, was es auf diesem Gebiete überhaupt gibt. Was Zelter
insbesondere angeht, so entdeckte er in Bachs Zopf noch französischen Puder.
«Der alte Bach", schreibt er einmal an Goethp^ «ist mit all seiner Originalitit
ein Sohn seines Landes und seiner Zeit und hat dem Einflüsse der Franzosen,
namentlich des Couperin nicht entgehen können. Man will sich auch wohl geAllig
erweisen und so entsteht, was nicht besteht. Dies Fremde kann man ihm aber ab-
nehmen wie einen dünnen Schaum, und der lichte Gehalt liegt unmittelbar darunter.
So habe ich mir für mich alleine manche seiner Kirchenstficke zugerichtet, und das Herz
sagt mir: Der alte Bach nickt mir zu, wie der gute Haydn: Ja, ja, so hab ich's gewollt!'"
«Bachs Söhne waren die Kinder ihi:er Zeit und haben ihren Vater
nie begriffen; nur aus Pietät blickten sie mit kindlicher Bewunderung zu
ihm empor", dieses Wort Eitners, so hart es scheinen mag, ist wahr. Der
Londoner Bach Hess es auch an der Pietät fehlen. Er sprach von seinem
Vater als von «der alten Perrücke".
Der grosse Komponist Bach war für das Publikum und die Kritiker
des ausgehenden 18. Jahrhunderts Emmanuel. Keiner hat dem Ruhme
seines Vaters mehr im Wege gestanden als er. Burney (1726 — 1814),
der berühmte englische Kritiker, der ihn 1772 auf seiner zweiten Fest-
landsreise besuchte, feiert ihn als den «grössten Komponisten für Klavier-
instrumente, der jemals gelebt hat", und meint, er sei nicht nur «gelehrter
als sein Vater", sondern lasse ihn auch «in Ansehung der Mannigfaltigkeit
der Modulation weit hinter sich zurück." Dass ihm Emmanuel die beiden
Binde des Wohltemperierten Klaviers gezeigt habe, wird nur so nebenbei
erwähnt, handelt es sich doch um Kompositionen, die der selige Herr
Kapellmeister «schon lange für seine Schüler gemacht hatte." Burney war
mehrere Tage in Hamburg und fast die ganze Zeit mit Emmanuel zu-
sammen ; dieser hat ihn aber keine einzige Note seines Vaters hören lassen.
80
DIE MUSIK VII. 2.
JBoB
In einem Gespräch mit seinem Besucher machte sich Bachs Sohn
fiber die Kompositionen lustig, die es mit Canons zu tun hätten und sagte,
»ihm wäre es allemal ein sichrer Beweis, dass es demjenigen ganz und
gar an Genie fehle, der sich mit einem so kneehtischen Studium abgeben
und in so unbedeutende Arbeiten verliebt sein könnte.' Hingegen lobte
er Hasse, «den listigsten Betrüger*, der in seinen Kompositionen, ohne
auf die obligate Führung der Stimmen zu sehen, so himmlische Wirkungen
hervorbringe, »wie man sie niemals von einer vollgepfropften Partitur er-
warten dürfte.* Das weist auf eine ganz neue Konzeption der Orchester-
komposition hin, wie sie nachher in der Beethovenschen Symphonie ver-
wirklicht wurde, zeigt aber zugleich die ganze Verständnislosigkeit des
Sohnes für das Wesen der Partituren seines Vaters.
Für Reichardt, die grösste kritische Autorität jener Zeit, steht der
alte Bach bedeutend unter Händel, wobei aber beiden zusammen vorge-
worfen wird, c|ass sie an alten Formeln gehangen. Den Thomaskantor fiber
Händel zu setzen wagte nur ein begeisterter Anonymus, der zu jener Zeit
in der Allgemeinen deutschen Bibliothek über Bachs Klavier- und Orgel-
werke schrieb.
Oberhaupt schadete der von der ersten Berliner Aufführung des
»Messias*" unter Hiller (10. Mai 1786) zu datierende deutsche Händelkult
der Sache Bachs ungemein, besonders da Hiller 1780 als Thomaskantor
nach Leipzig kam und dort zehn Jahre lang für Händel und Hasse, der
sein Lehrer gewesen war, wirkte, als hätte es einen Johann Sebastian Bach
niemals gegeben. Als er seine eigene Motettensammlung abgeschlossen
hatte und noch ein übriges für die Mehrung des Bestandes an guter
Kirchenmusik tun wollte, verfiel er nicht auf den Gedanken, die in
der Musikbibliothek der Kantorei befindlichen Kantaten Bachs zu ver-
öffentlichen, sondern fasste den Plan, die schönsten Stücke aus Hasses
italienischen Opern mit untergelegten deutschen kirchlichen Texten heraus-
zugeben. Die Geistlichen der Stadt brachten diesem Unternehmen das grösste
Interesse entgegen. Nach einer Äusserung Zelters suchte Hiller «die
Thomaner Muttersöhne mit Abscheu gegen die Cruditäten* Bachs zu erffillen.
Der einzige Thomaskantor der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der
etwas für Bach tat, war Doles, und dieser nur mit halbem Herzen.
Obwohl er nämlich sein Schüler gewesen war, hatte er sich für die
Komposition zur Regel gemacht, bei der kontrapunktischen Setzart »die
gehörigen Schranken zu beobachten und dabey die sanfte und rührende
Melodie nicht zu vergessen", in der er sich Hasse und Graun zum Muster
wählte. Jedoch gab er — wir wissen es von Rochlitz, der unter ihm
Thomaner war — von Zeit zu Zeit Bach'sche Werke, unter andenn
Motetten und Passionen.
►<*■
81
SCHWEITZER: ANFÄNGE DES BACHKULTS
Durch Doles lernte Mozart, der ihn verehrte und liebte, die
iBach'sche Motette «Singet dem Herrn ein neues Lied" kennen. Rochlitz,
der bei jener Aufführung zugegen war, erzählt darfiber folgendes:
«Mozart kannte Bach mehr vom Hörensagen als aus seinen Werken; wenigstens
waren seine Motetten, da sie nie gedruckt waren, Ihm noch ganz unbekannt Kaum
hatte der Chor einige Takte gesungen, so stutzte er; noch einige Takte — da rief er:
▼as ist das? Und nun schien seine ganze Seele in seinen Ohren zu sein. Als der
'Gesang su Ende war, rief er voll Freude: Das ist wieder einmal etwas, woraus sich
was lernen Msstt Man erzihlte Ihm, dass diese Schule, an der Seb. Bach Kantor
gewesen, die vollständige Sammlung seiner Motetten besitze und als ein Heiligtum
aufbewahre. Das ist recht! das ist brav! rief er. Zeigen Sie her! — Man besass aber
ikeine Partituren dieser Gesänge; er Hess sich daher die ausgeschriebenen Stimmen
reichen; und nun war es für den stillen Beobachter eine Freude zu sehen, wie eifrig
Mozart sich setzte, die Stimmen um sich herum, in beide Hände, auf die Kniee, auf
die nachten Stühle verteilte und alles andere vergessend, nicht eher aufstand, bis er
alles, was von Seb. Bach da war, sorgsam durchgesehen hatte. Er erbat sich eine
Kopie und hielt diese sehr hoch."
Derjenige, welcher am besten in der Lage schien, Johann Sebastians
Kantaten zu Gehör zu bringen, war Emmanuel, als Kirchenmusikdirektor
au Hamburg. Soviel wir wissen, führte er jedoch nur einige Kantaten
und Stücke aus der h-moU Messe auf. Viel hätte er für die Werke seines
Vaters jedenfalls nicht tun können, auch wenn er den guten Willen gehabt
hätte, da es mit dem Chor und dem Orchester, über die er verfügte,
traurig bestellt war. Bumey klagt darüber, dass eine Kirchenmusik, die
er in der Katharinenkirche hörte — es war eine Komposition Emmanuels —
80 gar schwach besetzt gewesen sei • . . »und dass sie von der Versammlung
zu unaufmerksam angehört wurde." Von der alten Begeisterung für
•Kirchenmusik war in Hamburg damals nichts mehr zu finden. „Fünfzig
Jahre früher, da hätten Sie kommen sollen*, sagte Emmanuel traurig zu
seinem Besucher. Überdies ergibt sich aus den Verhandlungen über die
Reform der Kirchenmusik nach seinem Tode, dass man ihm die Aufführung
^on Werken seines Vaters noch übel vermerkt hatte. Wenigstens sehen
-sich die Pastoren gedrungen, ihn gegen den Vorwurf in Schutz zu nehmen,
dass «manche alte Komposition genützt und mit derselben auch ein alter
»und oft unerbaulicher Musiktext ausgegeben wurde.* Seine Verteidiger
entschuldigten ihn damit, »dass es bei der übergrossen Menge der Musiken
•nicht anders sein konnte.* Dass das Kollegium der Sechziger dann die
Abschaffung der sonntäglichen Musiken, der Ersparnis halber, durchsetzte,
•und nur die sechs Festmusiken bestehen Hess, zeigt, wie teilnahmslos die
Bevölkerung lür gottesdienstliche Kunst geworden war.
So war es fast überall in Deutschland: die regelmässige Musik war
•abgeschafft worden ; die Kantoreienchöre waren meistens eingegangen ; freie
.gemischte Chöre existierten noch kaum und waren im Gottesdienst nicht
VII. 2. 6
82
DIE MUSIK Vll. 2.
geduldet; Bachs Kantaten waren nicht allein der Musik, sondern auch der*
altorthodoxen Texte wegen in den Kirchen geradezu unmöglich. Das alles,
muss man bedenken, ehe man von der Verstindnislosigkeit der Musiker,
die nichts für Bach taten, redet.
Möglich war nur eine religiöse Musik ausserhalb des Gottesdienstes,,
und zwar eine solche, die textlich befriedigte und auf Chormassenwirkung
berechnet war. Darum siegte Händel, der Oratorienkomponist, fiber Bach,.
den Schöpfer der Kantaten. Die Reaktion gegen die rationalistische geist-
liche Dichtung musste erst lange an der Arbeit sein, ehe ein Publikum«
wieder einen Bachschen Text ertragen konnte.
Gesetzt auch den Fall, jemand hätte, der Zeit trotzend, Bacbsche-
Werke aufführen wollen, so wäre er dazu kaum in der Lage gewesen,,
schon aus dem einfachen Grunde nicht, weil sie nirgends zu haben waren».
Besitzer der fünf Jahrgänge Kantaten waren Emmanuel und Friedemann,,
die den Schatz unter sich geteilt hatten. Was Friedemann in Händen«
hatte, war bald zerstreut und verschleudert. Emmanuel hütete sein Teil
besser. Aber an eine Veröffentlichung konnte er der Kosten halber nicht
denken, hätte auch kaum Abnehmer gefunden. Die schlechten Geschäfte,
die er mit der »Kunst der Fuge* gemacht hatte — bis Herbst 1756 waresi
davon ganze dreissig Exemplare abgesetzt — waren nicht ermutigend. So-
beschränkte er sich darauf, Kantatenpartituren an die wenigen Interessenteik
zur Einsicht oder zur Abschrift auszuleihen, wofür diese — auch Forkel,,
sein Freund, nicht ausgenommen — ihn bezahlen mussten. Nach seinemi
Tode setzte seine Frau das Geschäft fort; als diese starb (1705), machte-
Anna Karolina, die allein übrig gebliebene Enkelin Johann Sebastian Bachs,«
am Schluss der Todesanzeige in der Zeitung bekannt, dass sie den bisher
von ihrer seligen Mutter geführten Handel mit den Musikalien ihres seligeni
Vaters und Grossvaters ins Künftige mit der äussersten Aufmerksamkeit
weiterführen werde.
Zu Leipzig besass man die Stimmen der Motetten, die der Schule-
gehörten, drei Passionen und eine Reihe von Choralkantaten. Es waren diet^
wahrscheinlich die Musikalien, die Bachs Witwe anno 1752, als sie den^
Rat um eine Unterstützung anging, zum Kaufe anbot. Was die Prinzessin^
Amalie, die Schwester Friedrichs des Grossen und Schülerin Kimbergers,.
an Bachwerken gesammelt hatte, war vorläufig der ÖflFentlichkeit entzogen
und nur wenigen Eingeweihten bekannt. Nach ihrem Tode 1787 kam ihre*
Sammlung an die Bibliothek des Joachimstaischen Gymnasiums zu Berlin.
Mit der Verbreitung der Klavier- und Orgelwerke stand es^
kaum besser. Die im Stich erschienenen existierten von Anfang an
in so wenigen Exemplaren, dass sie kaum besser bekannt waren als.
die, welche schon zu Bachs Zeiten nur in Abschriften kursierten. Es ist
83
SCHWEITZER: ANFÄNGE DES BACHKULTS
^ ^> ^
kaum glaublich, wie wenig auch diejenigen, die von Bach bewundernd
reden, von ihm kennen. Das war von Anfang an so. Wenn man Marpurgs
berühmtes Werk und Abhandlung von der Fuge nach den Grundsitzen
und Exempeln der besten deutschen und ausländischen Meister liest, so
kommt man zur Überzeugung, dass er ausser der «Kunst der Fuge' nicht
viele Fugen Bachs unter den Augen gehabt hat. Dabei beruft er sich in
einer begeisterten Vorrede auf den Leipziger Meister! Auch die Choral-
vorspiele bat er, nach der Art, wie er davon redet, kaum gekannt. Ver-
hiltnismftssig am meisten war das »Wohltemperierte Klavier" verbreitet.
Im allgemeinen schien es am Ende des 18. Jahrhunderts, als wäre
Bach tot für immer.
Aber gleich mit dem Beginn des 10. Jahrhunderts fühlt man das
Wehen des Geistes, der ihn in seinen Werken zu unsterblichem Leben
erwecken sollte. Im Jahre 1802 erschien Ferkels Biographie. Sie be-
zeichnet den Umschwung.
Johann Nikolaus Ferkel (1749—1818) war Universitätsmusik-
direktor zu Göttingen und zugleich Musikhistoriker und schrieb an einer
allgemeinen Geschichte der Musik, die von der Gründung der Welt bis
in seine Gegenwart reichen sollte. Da er befürchtete, er könnte sterben,
bevor er bei Bach angelangt wäre, und ihm sehr daran lag, das, was er
von den beiden Söhnen des Meisters fiber ihn erfahren hatte, der Welt
zu erhalten, beschloss er, das Kapitel über Bach vorweg zu nehmen und
sogleich zu veröflFentlichen, besonders da das Bureau de Musique von HoflF-
meister & Kühnel in Leipzig eine Herausgabe der Bachschen Werke plante.
Seine Biographie sollte jenes Unternehmen vorbereiten und rechtfertigen.
Die Bedeutung dieses 60 Seiten zfthlenden Werkes liegt nicht in dem,
was es bietet, obwohl es des Interessanten die Fülle enthält, auch nicht
vorzüglich darin, dass es zum erstenmal die Welt mit Bach und seiner
Kunst bekannt macht, sondern in dem sieghaften Enthusiasmus, von dem
es getragen ist Forkel appelliert an den nationalen Sinn:
.Die Verke, die uns Job. Seb. Bach hinterlassen hat, sind ein anschitzbares
National-Erbgnt, dem kein Volk etwas Ahnliches entgegensetzen kann,' heisst es im
Beginn der Vorrede. Leiter unten: «Die Erhaltung des Andenkens an diesen grossen
Mann ist nicht bloss Kunstangelegenheit, sie ist Nationalangelegenheit* Am Schlüsse:
«Und dieser Mann, der grösste musikalische Dichter und der grösste musikalische
Deklamator, den es je gegeben hat, und den es wahrscheinlich je geben wird,
war ein Deutscher. Sei stolz auf ihn, Vaterland; sei auf ihn stolz, aber, sei auch
seiner wert!"
Zelter ist im Unrecht, wenn er meint, Forkel habe ein Leben Bachs
geschrieben, ohne mehr davon zu wissen, als was aller Welt ohnehin schon
davon bekannt war. So hatte keiner vor ihm die Grösse des Leipziger
Meisters begriffen. Freilich, der Schöpfer der Kantaten und Passionen
6*
84
DIE MUSIK vVII. 2.
mm
wir4 auch bei ilim kurz abgehandelt; aus einem einfachen Grunde: weil
Forkel nur wenige dieser Werke zu Gesicht bekommen hatte.
War Forkel der erste Bachbiograph, so war Rochlitz der erste:
Bachisthietiker. Geradezu ergreifend schildert er, wie er zu Bach kam..
Dass , er als Knabe seine Motetten und Passionen zu St. Thomas mit-
g^ungen, hatte ihn gegen den ^Meister und seine Werke nur »verschfichtert*.
Als Jfingliqg fühlte er sich durch eine dunkle Begeisterung zu ihm hin-:
gezogen und studierte die vierstimmigen Choralsätze aus den Kantaten,
die Emmanuel veröfTentlicht hatte. Er kommt aber zu keiner Klarheit, da
er infolge des Fehlens der Texte in jener Ausgabe nicht versteht, was Bach
wilL Von diesen geht er, da er von der Existenz der Inventionen nichta
wusste, zum Wohltemperierten Klavier über. Die Stücke, die ihm darin
zusagten, bezeichnete er mit einem Strich. Anfänglich warea es ihrer gar
wenige, bei einer späteren Wiederholung kommen unterschiedliche hinzu,
dann immer mehr, bis zuletzt «im ersten Teil ungefähr die Hälfte, im
zweiten vielleicht zwei Dritteile ihre Striche am Rand haben.* Daraufhin
wagte er sich an die Kompositionen, in denen das Wort sich zur Musik gesellt,
und nun erscheint ihm Vater Bach als der «Albrecht Dürer der deutschen
Tonkunst*, weil er «den Ausdruck des Grossen vor allem 4urch die tiefe
EntWickelung und unerschöpfliche Kombination des einfach Erfundenen
erreicht.* Darum stellt er Bach den «Modernen* seiner Zeit entgegen als
einen von den Alten, die man entdeckt, wenn man den Weg sucht, der
von der Kunst, die «gefällt*, zu derjenigen führt, die «befriedigt*. «Aber
sich an diese alten Meister gewöhnen, das muss man allerdings zuvor; das
liegt an ihnen, wie an uns,* gesteht er.
Seine Analysen der Johannespassion und der Kantate «Ein feste
Burg* sind Meisterleistungen ästhetischer Kritik. Das Schönste daran ist
die unmittelbare Frische. Er spricht Erkenntnisse aus, zu denen er sich
in langem Ringen hindurchgearbeitet hat, und die er sich fast scheut kund-
zugeben, weil sie ihm selber so überraschend vorkommen. Er wagt es,
Bach über Händel zu setzen, weil die Stimmen bei ihm immer so selbst-
ständig und doch wieder so zu wunderbarer Einheit zusammenwirkend
nebeneinander einherziehen, wie sie es bei anderen kaum jemals tun.
Mag Händel prächtiger sein, Bach ist wahrer. Ist der eine Dürer, so ist
der andere — Rubens. Selten ist es, führt er einmal aus, dass Bach un-
mittelbar gefällt, selten, dass er direkt auf das Gefühl wirkt: er wendet
sich an die vorstellende «lebendige, entzündbare, durchdringende Vernunft*«
Durch sie kommt dem Hörer die Befriedigung, die aus dem Empfinden
der Wahrheit fliesst Darum sagt der erste Bachästhetiker von den
Rezitationen der Johannespassion:
«Diese Wahrheit, diese Treue, diese Veranschaulichunf der Charaktere und
85
SCHWEITZER: ANFÄNtiE DES BACHKULTS
• *
Vorzfife bloss durch Töne und Rhythmen, diese scheinbar einfache and verbor|ene,
dennoch so reiche, Hefe und offenbare Kunst: wer hat dies — eben dies — Jemals
vollkommener dargelegt? Wer vermag, es vollkommener dargelegt sich auch nur .xu
denken?*
Darum musste die Zeit Bachs kommen. Rochlitz hat nicht das
Empfinden» dass sie im Anzug ist; eher glaubt er, sie verziehe. Er bemerkt,
dass die erste Begeisterung vom Jahr 1800, «als das rollende Rad des
Geschiebes auch die Speiche des ehrwürdigen Vaters Bach auf einen kurzen
Moment auf den höchsten Punkt gebracht hatte", gedämpft ist. Die Bach-
ausgabe war nicht zustande gekommen, und manche sahen den praktischen
Zweck einer Veröffentlichung sämtlicher Werke des Meisters nicht mehr ein.
Er aber befürwortet sie, auch ohne jeden praktischen Zweck, auf Zukunft
hin, «weil der Kreislauf der Dinge nach kürzeren oder längeren Zwiscben-
perioden jede Hauptrichtung grosser Menschengeister wieder empörbriiigt.''
Diese Erkenntnis ehrt den Künstler Rochlitz; den Menschen die
Sorge um Bachs letztes Kind. Als er erfuhr, dass Regina Susanna, die
bei des Vaters Tod acht Jahre gezählt hatte, in einsamer Not lebte,
veröffentlichte er eine «Bitte* in der «Musikalischen Zeitung". Sie steht
in der Mainummer des Jahres 1800 zu lesen und lautet:
»Fast noch nie habe ich die Feder mit so viel Freudigkeit ergriffen als Jetzt;
denn fast noch nie durfte ich, im Vertrauen auf gute Menschen, so fest überzeugt
sein, etwas Nützliches damit zu schaffen als Jetzt Die Familie der Bache ... ist
ausgestorben bis auf eine einzige Tochter des grossen Sebastian Bach. Und diese
Tochter, ]etzt in hohem Alter — diese Tochter darbt. Sehr wenige wissen es; denn
sie kann — nein sie soll, sie wird auch nicht betteln I Sie wird es nicht, denn
gewiss hört man auf dies bittende Wort um ihre Unterstützung; gewiss gibt es noch
gute Menschen, die nicht auf mich — wie könnte ich das verlangen — aber auf eine
anständige Veranlassung achten, den letzten Zweig eines so fruchtreichen Stammes
nicht ohne Pflege eingehen zu lassen. Gäbe nur jeder, der von den Bachen gelernt
hat, die geringste Kleinigkeit: wie sorglos und bequem würde das gute Weib ihre
letzten Jahre hinbringen können! . . .*
Als einer der ersten, der von Bach gelernt hatte, sandte Beethoven
seine Gabe ein; ein Jahr später gab er Breitkopf & Härtel zu dem guten
Zwecke ein Stück in Verlag; noch andere Geber fanden sich, so dass
genug zusammenkam , um Bachs Tochter einen von drückender Sorge
freien Lebensabend zu bereiten.
Beethoven hatte Bach durch seinen Bonner Lehrer Christian Gottlob
Neefe (1748 — 1708) kennen gelernt. Schon als Knabe studierte er das
Wohltemperierte Klavier, das er später seine musikalische Bibel nannte.
Von ihm stammt das Wort: «Nicht Bachl Meer sollte er heissen.* Am
Ende seines Lebens plante er eine Ouvertüre über den Namen Bach.
Zelter gewann dem Leipziger Meister zwei Freunde: Goethe und
den jungen Felix Mendelssohn-Bartholdy. Auch er hatte sich zum
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DIE MUSIK Vn. 2.
Verständnis Bachs erst hindurchringen müssen und es erst nach und nach
begriffen, dass dieser, wie er dem Freunde am 0. Juni 1827 schreibt, »ein
Dichter der höchsten Art* sei. Diesen Brief, der ganz in eine Belehrung
über Bach ausläuft, beschliesst er mit dem Satze: »Alles erwogen, was
gegen ihn zeugen könnte, ist dieser Leipziger Kantor eine Erscheinung
Gottes: klar, doch unerklärbar", wobei er nicht vergisst, stolz hinzu-
zusetzen, dass er ihm zurufen könne:
»Da hast mir Arbeit gemacht!
Ich habe dich wieder ans Licht gebracht!'
Goethe lässt sich gerne belehren. Er erhält von Zelter das Wohl-
temperierte Klavier zugeschickt. Schutz, der Organist zu Berka, spielte
ihm daraus vor. Dabei ging ihm etwas von der Grösse des Altmeisters
auf. Am 21. Juni 1827 schreibt er:
»Ich tprtcbs mir aus: als wenn die ewige Harmonie sich mit sich selbst
unterhielte, wie siebt etwa in Gottes Busen, kurz vor der ▼eltschöpfung, möchte
zugetragen haben. So bewegte siehe auch in meinem Innern, und es war mir, als
wenn ich weder Ohren, am wenigsten Augen, und weiter keine übrigen Sinne besässe
noch brauchte.*
Als der junge Mendelssohn im JHai 1830 bei ihm wirkte, musste
er ihm viel Bach vorspielen. Zur Ouvertüre der einen D-dur Orchester-
suite, die ihm Sein Gast für Klavier übertrug, bemerkte Goethe, es gehe
darin so pompös und vornehm zu, dass man ordentlich die Reihe geputzter
Leute, die von einer grosser Treppe heruntersteigen, vor sich sehe.
Zelter bedauerte immer, dass der Freund keiner Motettenaufführung
in der Singakademie beiwohnen konnte.
»Könnte ich Dir', heisst es in einem Briefe vom 7. September 1827, »an einem
glücklichen Tage (denn das gehört auch dazu) eine von Seb. Bachs Motetten zu
hören geben, im Mittelpunkt der Welt solltest Du Dich fühlen, denn Einer wie Da
gehört dazu. Ich höre die Stücke zum wievielhundertsten Male und bin lange noch
nicht damit fertig und werde es nie werden."
Die grösste Tat für Bach vollbrachte Zelter, als er es über sich
gewann, hinter seinen Schüler Mendelssohn zurückzutreten und ihm
zu gestatten, mit dem Chore der Singakademie die »Matthäuspassion*
aufzuführen. Es war ihm nicht leicht geworden. Fast hätte er die
beiden »jungen Leute* — Eduard Devrient begleitete Mendelssohn auf
dem schweren Gang — die ihn an einem Januarmorgen des Jahres 1829
bei der Arbeit störten, mit einem unfreundlichen Bescheid entlassen*
Mendelssohn hatte schon wieder die Tür in der Hand; der Alte brummte
von jungen »Rotznasen", die sich alles zutrauten; aber Devrient, von dem der
ganze Plan ausgegangen war, verlor den Mut nicht und brachte ihn herum.
Schon nach den ersten Proben war der Erfolg des Werkes bei den
87
SCHWEITZER: ANFANGB DES BACHKULTS
^JHR
Mitwirkenden entschieden. Als die beiden Freunde auf dem Wege waren»
die Solisten zu gewinnen, besprachen sie auf dem Opemplatz den wunder-
lichen Zufall, dass gerade hundert Jahre seit der Erstaufffihrung unter
Bach verstrichen sein mussten, bis diese Passion wieder ans Licht käme,
^und dass ein Komödiant und ein Judenjunge" dazu nötig wären.
Die Aufführung fand am 11. JHärz statt. Der Chor zählte gegen
-400 Mitwirkende; das Orchester bestand grösstenteils aus Dilettanten des
Philharmonischen Vereins; die Führer der Streichinstrumente und die
^Bläser waren aus der königlichen Kapelle gewonnen. Stürmer sang den
!Evangelisten, Devrient die Jesuspartie, Bader den Petrus, Busolt den
Hohenpriester und den Pilatus« Weppler den Judas; die Sopran- und Altsoli
3agen in den Händen der Damen Schätzel, Milder und Türrschmiedt. Alle
wirkten umsonst mit und verzichteten sogar auf Freikarten. Das Ab-
schreiben der Notenstimmen hatte Rietz mit seinem Bruder und Schwager
^fibemommen. Auch sie wiesen jedes Honorar zurück. Dass Spontini zwei
iFreiplätze annahm, wurde ihm von Fanny Mendelssohn übel angerechnet.
Mendelssohn — er war gerade 20 Jahre alt — leitete das Ganze
vorzüglich, trot^iem er zum ersten Male vor einem grossen Orchester
^nd Chor stand. Der Tradition der Singakademie gemäss tat er es vom
Flügel aus, dem Publikum im Profil zugekehrt, wobei er den ersten Chor
im Rücken hatte. Devrient zu Gefallen taktierte er nur bei den Ein-
sätzen und den schwierigen Stellen, Hess aber im übrigen die Hand
lieruntergesunken ruhen.
Die Hörer waren hingerissen, nicht nur von dem Werk, sondern
auch von der damals ganz ungewohnten feinen Dynamik der Chöre.
14icht minder gewaltig war der religiöse Eindruck der Bachschen Musik.
•Der fiberffillte Sasl gab einen Anblick wie eine Kirche' schreibt Fanny
Mendelssohn; „die feierlichste Andacht herrichte in der Vertammlung; man hörte
nur einzelne unwillkürliche Ausserunfen des tief erregten Gef&hlt'.
Am 21. März, Bachs Geburtstag, wurde das Werk noch einmal
gegeben. Spontini hatte die Wiederaufführung hintertreiben wollen; aber
Mendelssohn und Devrient hatten sich direkt an den Kronprinzen gewandt,
dessen Befehlen sich der allmächtige Beherrscher der Berliner Oper fügen
musste. Die Begeisterung war womöglich noch grösser als beim ersten-
mal. Mendelssohn aber war von der Aufführung nicht ganz befriedigt.
Die Chöre und das Orchester hatten sich zwar ausgezeichnet gehalten, aber
in den Soli waren Versehen vorgekommen, die ihm die Laune verdarben.
An jenem Abend war eine auserlesene Gesellschaft von Bach-
freunden bei Zelter, der nun mit dem Unternehmen ganz ausgesöhnt war,
jLum Essen eingeladen. Dabei sass Frau Eduard Devrient neben einem
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DIB MUSIK VII. 2.
Herrn, der ihr sehr affektiert erschien, weil er sich fortwährend dämm
kümmerte, dass ihr weisser Spitzenärmel nicht in den Teller käme*.
«Sagen Sie mir doch, wer ist der dumme Kerl da neben mir?* fragte sie
leise Mendelssohn, der in ihrer Nähe sass. Dieser hielt einen Augenblick
sein Taschentuch vor den Mund und flüsterte dann: «der dumme Kerl
da neben Ihnen ist der berühmte Philosoph Hegel*.
Dieser interessierte sich aufs lebhafteste für Bach und nahm Ge-
legenheit, in seiner Ästhetik auf den Meister hinzuweisen,
«dessen frossartige, icht protestantiscbe, kernige und doch gleichsam gelehrla
Genialität man erst neuerdings wieder vollständig hat schätzen lernen*.
Hegel brachte Bach Verständnis entgegen, weil er in dem Fortschritt
vom «bloss Melodischen zum Charaktervollen*, wobei zuletzt aber doch'
das Melodische als die tragende, einende Seele bewahrt bleibt, die «echt
Raphaelische Schönheit* seiner Musik entdeckte. Im März 1820, währendt
er die Proben der Matthäuspassion leitete, hörte Mendelssohn Ästhetik
bei Hegel, der eben bei der Musik angekommen war.
In den ersten Jahren des dritten Jahrzehnts wurde die «Matthäus-
passion* in einer grösseren Reihe deutscher Städte aufgeführt, so in^
Frankfurt, Breslau, Königsberg, Dresden und Kassel. Die Leipziger be»
kamen sie erst anno 1841 zu hören, als Mendelssohn dort wirkte.
Mit der Aufführung der Matthäuspassion war die Welt wieder «tf
den Meister aufmerksam geworden. Es sollte jedoch noch lange dauern,
bis man sich wirklich für ihn interessierte. Von den Kantaten wollte
man auch fernerhin nichts wissen. Bis zum Jahre 1843 hatte die Berliner
Singakademie deren glücklich eine aufgeführt Besser stand es in»
Frankfurt a. M., wo der feinsinnige Schelble mit dem Cäcilienverein
mehrere Kantaten gab, und in Breslau, wo Mosewius in der von ihm*
gegründeten Singakademie für Bach wirkte. Die Kirchenchöre interessiertes«
sich für Bach gar nicht, da die Werke des alten Thomaskantors nach der
Ansicht der Autoritäten jener Zeit nicht zur wahren Kirchenmusik gehörten.
Anno 1821 hatten Breitkopf & Härtel die Kantate «Ein feste Burg* vei^
öffentlicht Die Erfahrung, die sie damit machten, benahm ihnen den Mut,,
weitere Kantaten folgen zu lassen.
Wie wenig Stimmung für Bach in der Mitte des 10. Jahrhunderts
vorhanden war, ersieht man aus der Teilnahmlosigkeit, mit der die musi-
kalische Welt der Gesamtausgabe der Werke des Altmeisters durch die
alte Bachgesellschaft begegnete. Auf Grund dieser Ausgabe entstand
dann in den zwei letzten Dezennien des Jahrhunderts eine neue allgemeine
Bewegung für die Bachsche Kunst, die hoffentlich nicht so bald erlahmen^
wird wie die von 1800 und 1830.
^n einer musikalischen Gesellschaft hdne ich kürzlich von einem
namhaften österreichischen Singer Martin Plüddemanns Ge-
.Die dentsche Mnse': .Kein Augustisch Alter blBbte,
, keines MedicSers Güte lichelte der deniseben Kunst. Sie ward
nicht gepflegt vom Ruhme, sie entfaltete die Blume nicht am StrabI der
Fürslengunst. — Rühmend darfs der Deutsche sagen, höher darf das Herz
ihm schlagen: Selbst erschuf er sieb den Wert' Dem Dichter dieser
Worte hat wenigstens in den letzten Jahren seines Lebens Güte und Gunst
fSrdemd zur Seite gestanden; dem Komponisten aber gab nichts anderes
Wert und Bedeutung, als die starke Kraft des In seiner Kunst pulslerea-
den Eigenlebens. Wenn mühevolles Emporarbeiten und hartes Durch-
ringen zu Licht und WXrme ein Kennzeichen der deutschen Kunst Ist,
dann muss Martin Plüddemann einer der deutschesten Künstler gewesen
sein. .Selbst erschuf er sich den Wert." — Solche Gedanken und Be-
trachtungen fuhren mir beim Anhören des Gesanges durch den Kopf.
Nebenbei packte mich auch ein klein venig die Verwunderung darüber,
dass ein Singer zu einem halb und halb Improvisierten Vortrage gerade
diese Komposition wiblte, anstatt eines wirkungssicberen Relssers, zu dem
ein weniger geschmackvoller Künstler in Anbetracht der Situation — es
bandelte sich nm eine feuchtfröhliche Abendunterhaltung — zweifellos
gegriffen bitte. Das Werk schlug die Anwesenden voUstindig in den
Bann, ebenso wie dl« vielen uusend Teilnehmer am zweiten Kommers des
siebenten deutschen Singerfestes mit grösstem Wohlgefallen Plüddemanns:
.Sl Mariensritter' aufnahmen. Ein bemerkenswertes Zeichen! Und zwar
liegt das Erfreuliche in dem Umstände, dass sich die Singer mehr und
mehr für diese Mnslk interessieren. Das Publikum ist gar nicht so schwer
zu gewinnen, wenn nur das Fremdartige In künstlerisch vollendeter Weise
zur Anschauung gebracht wird. Aber wir erleben es ja auch in unsem
Tagen noch häufig genug, dass ein originell Schaffender, dessen Werke
einen eigenen, neuen Vonragsstil verlangen, zunichst wenige geeignete
Interpreten findet und sogar in vielleicht gutgemeinten, in Wahrheit aber
karikierenden Darstellungen der Öffentlichkeit verleidet wird. Freilich
90
DIE MUSIK VII. 2.
haben Eugen Gura und Paul Bulss Plfiddemanns Balladen gesongen,
aber nur selten und nur diejenigen, die die relativ geringsten Studien-
mfihen machten. Deshalb regten sie auch den Nachahmungseifer des
SIngemach Wuchses nicht genfigend an. Nun greift man allenthalben zu
Plfiddemanns Kompositionen. Grfinde? Vielleicht die schwere Not der
Zeit, die nur quantitativ eine Produktion ohnegleichen hervorruft, viel-
leicht das Obersittigtsein durch eine mit monotoner Chromatik und ab-
surder Harmonik chronisch behaftete Afterlyrik, ganz gewiss aber die
latente Kraft der Werke selbst.
Plfiddemanns Kompositionen, insbesondere die Balladen, streben
mit gewaltiger individueller Kraft nach klingender Äusserung. Man nehme
sich einmal in geeigneter Stimmung «Volkers Nacbtgesang', »Das Grab
am Busento", »Jung Dieterich* oder ein ähnliches Werk vor, setze sich
daheim in der Studierstube ans Klavier und vertiefe sich in diese Musik.
Es wird nicht lange dauern, da wirst du aufspringen und einsehen: das
ist keine Kunst, die man in stillen Stunden zu seiner eigenen Labung und
Erquickung pflegen kann. Zuhörer her! Das, was hier Wort und Ton so
herrlich ausdrficken, das sollt ihr miterleben. Das sagt ein deutscher
Kunstler zu seinem deutschen Volke!
Man mag fiber den internationalen Charakter der Musik denken» wie
man will ; wir wollen uns auch nicht den Kopf darfiber zerbrechen, welches
die artbestimmenden Kennzeichen der deutschen Musik sind, aber aus
Plfiddemanns Musik wird man den nationalen Kern mit aller Bestimmtheit
heraushören. Wen mahnte nicht die knorrige Kraft, der lapidare Geffihls-
ausdruck, die schlichte Innigkeit an germanisches Wesen? In den Balladen
steckt auch nichts Rudimentäres, nichts Unfertiges. Ja, es ist auch nicht
einmal möglich, bei einer Betrachtung dieser Kompositionen vom historisch-
kritischen Standpunkte aus, eine technische oder gehaltliche Steigerung in
der Leistungsfähigkeit des Autors festzustellen. Als Plfiddemann daran
ging, das Gebiet zu bebauen, das er als sein ureigenstes Kulturland
erkannt hatte, waren ihm alle inneren und äusseren Mittel, deren er be-
durfte, zur Hand. Er hat sich als ein Mann an seine Schicksalsmrbeit
gemacht, dem der schöpferische Gedanke Fundament, Aufbau und Krone
seiner Werke in vollendeter Modellierung vor das geistige Auge ffihrte, und
dessen Hände geschickt waren, das Meisterwerk zu formen. Plfiddemann
wusste, was der Kultur seiner Zeit not tat. Daran kann niemand zweifeln»
der seine, die Misere der damaligen SchaCfensepoche scharf beleuchtenden
Aufforderungen zur Subskription auf seine Werke gelesen hat. Plfiddemann
schuf nicht mit der Naivität anderer genialer Köpfe, die nur auf die von
äusseren Einflüssen unabhängigen Regungen des Geistes hören. Er be-
trachtete mit klugem Auge und fühlendem Herzen Welt und Menschen,
Ol
BILKE: MARTIN PLO ODEM ANN
er nahm an dem Kampfe teil, den die neue Kunst Richard Wagners gegen das
alte, verrottete musikalische Leben führte. Und obwohl, wie er sich selbst
ausdrückt, Wagners Riesengrösse seine Schaffenskraft eine lange Reihe
von Jahren hindurch völlig lahmlegte, fand er doch den Hebel, den seine
Hand regieren konnte und sollte, um dem Kulturgetriebe unseres Volkes
junge, fördernde Elemente dienstbar zu machen.
Die Entwicklung des Musikers Plfiddemann ist eine ganz sonderbare.
Das Elternhaus weckt durch sein lebhaftes musikalisches Leben — man
veranstaltete in der Wohnung des Schiffsreeders Plüddemann neben Kammer-
musik- und Gesangsabenden ganze Opemaufführungen — den Willen des
begabten Knaben zur Kunst, es stellt sich ihm aber dann, als der Wille
zur Tat werden will, energisch entgegen. Eine feinfühlende Künstlerseele
musste dieser Widerspruch irritieren. Der Unterricht auf dem allein-
seligmachenden Leipziger Konservatorium befriedigt den jungen Plüddemann
gar nicht, vor allem enttäuscht ihn Reinecke, der ihn nur mit Sonatinen
traktieren will. Der Suchende findet keine Autoritit, der er sich als
gläubiger Jünger anschliessen kann; keine Persönlichkeit zieht den, der
selbst durch und durch Persönlichkeit ist, in den Bann, und so gehen
Jahre dahin, ohne Spuren praktischen Fortschritts zu hinterlassen. Nach
einem Stern nur schaut das Auge des Unbefriedigten: nach Richard
Wagner. Aber dem Fluge dieses königlichen Aars vermag der noch nicht
fiügge Nestling nicht zu folgen. Er haftet gelähmt an der Erde. Da
kreuzt ein anderer zum ersten Male seinen Weg. Es ist der Künstler,
der ihm die Zauberformel für die noch unerschlossene Schatzkammer
seines Innern geben sollte: Carl Loewe. Von Eugen Gura hörte Plüddemann
«Prinz Eugen*. Obwohl er von dem Werke und von seiner vollendeten
Wiedergabe hingerissen wurde, regte ihn das Erlebnis doch nicht zum
Nachschaffen an. Er suchte und fand aber jetzt einen Meister, bei dem
er alles, was zum Handwerk des zünftigen Komponisten gehört, durch
konsequentes und fleissiges Studium erlernte. Er ging zu Ernst Friedrich
Richter. Zu dem Leipziger Musikleben trat Plüddemann in sehr lockere
Beziehungen. Die Abendunterhaltungen des Konservatoriums konnten dem
jungen Manne, der seinen Blick schon damals den Vorgängen am gesamten
künstlerischen Kulturleben zuwandte, natürlich kein Interesse abgewinnen,
und die Programme der Gewandhauskonzerte scheinen damals recht
schablonenhaft langweilig gewesen zu sein, so dass Plüddemann nur dann die
berühmten Konzerte besuchte« wenn Beethovensche Symphonieen gespielt
wurden. Die Zeitströmungen packten ihn von einer ganz anderen Seite.
Nietzsches «Geburt der Tragödie* übte durch die der Schrift innewohnende
suggestive Gewalt starke Einflüsse auf Plüddemanns Ansichten über den
Wert des rezitierenden Dramas, wie überhaupt auf gewisse Gebiete seiner
92
DIE MUSIK VII. 2.
M
Weltanschauung aus. Nietzsche führte ihn zu Schopenhauer, und dem
Studium dieses Philosophen, der auch dem ringenden Wagner auf bedeutungs-
volle Lebensfragen klare Antworten gab, widmete der Musikstudent ein
ganzes Jahr eifriger Arbeit. Wenn in einem Nachruf auf Plfiddemann zu
lesen steht, dass er als ein Opfer der von Kant und Goethe auf Schopen-
hauer, Heine und Nietzsche herabgekommenen Wettrennkultur fiel, so
zeugt das zwar von einer löblichen Gegnerschaft gegen «ine kulturfeindliche
Hetzjagd im künstlerischen Produzieren und im oberflächlichen Beurteilen
tief angelegter Künstlerindividualitäten, aber es verwechselt die Aus-
wüchse der neuzeitlichen Lebensformen mit diesen selbst. Auch die also
angefeindeten Philosophen und Dichter können, richtig begriffen, in den
Menschen sehr wohl reine und rettende Kultufgedanken wirksam werden
lassen. Trotz so vieler ehrlicher Arbeit sehen wir bei Plüddemann immef
noch keinen Anlauf zu eigenem Schaffen. Die Zeit der Vorbereitung war eben
noch lange nicht zu Ende. Erst sollte noch ein grosses Erlebnis die Seele ge-
waltig erschüttern und dem Geiste Spannkraft verleihen. Plüddemann wohnte
vielen Proben, der Hauptprobe und der ersten Aufführung des »Ringes
des Nibelungen* 1876 in Bayreuth bei. Hier sah er eine Idee ins Leben
treten, die den Kunstidealen, die sein Denken ausfüllten, entsprach. Er
sah eine Kunst emporblühen, die einem Abschnitt in der Entwicklung einer
Volkskultur den Stempel aufdrückte. Nach einiger Zeit, die damit verging,
dass er Gesangsstudien trieb, als Theaterkapellmeister in St. Gallen beil-
same Enttäuschungen einsammelte und sich mit gesangsmethodischen Pro-
blemen herumschlug, begann sich seine Schaffenskraft zu regen, und wir
sehen im Jahre 1879 die erste Ballade: «Jung Dieterich* entstehen. Das
heutige Publikum lernt das Werk wohl nur in der Bearbeitung für Gesang
und Klavier kennen. Der Komponist aber hat den ganzen modernen
Orchesterapparat zur musikalischen Schilderung und tonmalerischen Aus-
gestaltung der Vorgänge verwendet. Aber auch das Arrangement zeigt
uns die Ballade als ein in sich vollendetes Kunstwerk. Kein Tappen, kein
ängstliches Probieren, kein schüchternes Andeuten gewollter Stilcharakte-
ristika, sondern in dem Werk offenbart sich ein klarer, geläuterter Wille
und eine unbeirrt zugreifende Künstlerhand. Nach einem langsam voll«-
zogenen Entwicklungsprozess schufen die erstarkten Kräfte ein künstlerisch
Neues und Ganzes, das, anfänglich mit Misstrauen aufgenommen, sich
mit der Zeit doch durchsetzen musste. Des Künstlers lebhaftester Wunsch
war es, seinen Werken selbst Prophet zu sein. Er wünschte brennend, als
Sänger die neuen Balladen dem deutschen Volke vortragen zu könaei^
aber die Erfüllung dieses Wunsches blieb ihm versagt. Schwere Katarrhe
nahmen ihm die Stimme, und als Plüddemann nach langen Heilungsversuchen
die Hoffnung, wieder singen zu könnnn, aufgeben musste, da schwand
aBg BILKE: MARTIN PLODDEMANN ^m
merkwürdigerweise auch die Schaffenslust und die Schaffensflhigkeit. Im
Jahre 1885 schien, nach eigner Angabe des Komponisten, der Quell versiegt
zu sein, der Seele und Geist fruchtbar gemacht hatte. Plüddemann war
eine viel zu gesunde, ehrliche Natur, um sich darüber hinwegzutäuschen.
Er begann keinen, wie es schien, aussichtslosen Ringkampf zwischen Ehrgeiz
nnd innerer, schöpferischer Triebkraft. Er hatte die Harfe ergriffen, als
seine Stunde gekommen war, nicht eher ; und er setzte sie hin, als er seine
Mission erfüllt glaubte, nicht später.
Man weiss von Komponisten und Dichtem, denen das Geschaffene
an sich Lohn genug war. Sie fanden in ihren Werken die Auslosung von
Stimmungen, von denen die gespannte Seele frei gemacht werden wollte.
Sie führten ein Eigenleben und legten wenig Wert darauf, dass ihre Produkte
auf dem Alltagsmarkt von profanen Händen begriffen und entweiht wurden.
Im Gegenteil, sie versuchten ihre Schätze, die nur ihr Inneres angingen,
vor Blick und Berührung zu hüten. Zu diesen sich selbst Genügenden
gehörte Plüddemann nicht. Er wollte auf den Areopag treten und von
dem unbekannten Gott predigen. Selbstverständlich mussten ihm das seine
Neider und das Heer der NichtmitwoUenden als Eitelkeit und Vordrängen
seiner Person auslegen. Dass Plüddemann für eine Idee, für eine Sache
kämpfte, das wollte man nicht erkennen. Niemand hat sein Werk klarer
nnd schärfer kritisiert, als er selbst. Man lese seine Betrachtungen über
die Wirksamkeit seiner Balladen und wage dann noch, an der persönlichen
Bescheidenheit des Künstlers zu zweifeln. Mit grosser Beredsamkeit trat
also der Balladenkomponist für die Verbreitung seines Werkes ein. Die
Erfolge waren zwar nicht glänzend, aber sie ermöglichten doch die Heraus-
gabe der in fünf Bänden gesammelten Kompositionen.« Mit dieser Propaganda
verging die Zeit bis zum Jahre 1893. Da begannen die Stimmen im Innern
wieder zu klingen, Wünsche nach musikalischem Ausdruck, nach Befreiung
wurden mächtig, und während eines nicht zu langen Aufenthaltes in Breslau
und Krummhübel beginnt sich die zweite Schaffensepoche des Komponisten
zu entfalten« »Niels Finn", eine Ballade i^us Björnsons Drama »Hulda*,
gibt die erste Textvorlage für ein neues Opus. Bringt die zweite Epoche
auch einen neuen Stil? Ist Plüddemann, der so bewusst und reif Schaffende,
ein andrer geworden? Nein, und doch zeigen die neuen Bilder andre
Konturen und andre Farben. Eine Ursache in dieser unleugbaren Ver-
änderung liegt in der Wahl der Stoffe. Die ersten Balladen sind haupt-
sächlich Erzählungen aus der deutschen Heldensage, erfüllt von trutziger,
bäumender Kraft, von jugendlicher, torenhafter Wildheit. Die nordischen
Dichtungen, die Plüddemann nunmehr vertont, besitzen naturgemäss einen
ganz andren Charakter. Die Tragik ist düsterer, die Vorgänge sind
grausiger, die Innigkeit wird zur Sentimentalität. Und wenn der Tondichter
94
DIE MUSIK VII. 2.
nun auch den Charakter dieser Texte meisterhaft trifft, so beweist er damit
nur, wie reich sein Geffihlsleben und wie sicher seine gestaltende Hand
geworden ist. Plfiddemann ist insofern kein andrer geworden, als er den
Charakter der Ballade, die er komponiert, haarscharf erkennt nnd vollendet
trifft; kein Verirren in unwahre Ausdnicksformen, sondern ein Gestalten nach
gesetzraissigem, logischem Müssen. In erster Linie äussert sich dieses An-
passen an die Individualität der Dichtungen in der Anwendung harmonischer
und instrumentaler Illustrationsmittel. Sowohl die oben genannte Ballade als
auch die später entstandenen: «Meermaid", «Lord William und schön
Margret", »Die Judentochter", »Lord Maxwells Lebewohl",
»Rabengesang", »Lord Murray" u. a. sind relativ einCach gehalten.
Sie weisen von dem Farbenfrohsinn der ersten Balladen nur noch recht
wenig auf. Dagegen überraschen sie geradezu durch ihre packende
Stimmungsmalerei. Auch die Gedichte deutschen Ursprungs, die PlSdde*
mann jetzt verwendet, sind von einer Art, die einfachere Mittel als die
einzig richtigen erscheinen lassen; dazu gehören: »Graf Richard Ohne-
furcht" von Uhland, »Drei Wanderer" von Busse, »Der Sarg auf
der Maasinsel", »Sankt Mariensritter" und »Ave Maria" von
Giesebrecht. Nur in dem Zwiegesang: »Dantes Traum" blitzen alte
Lichter auf und zeigen so recht die Fülle der Kraft, mit welcher der
Künstler ausgestattet ist. So zeugt diese zweite Periode noch von einer
Schaffensflhigkeit des Komponisten, an die er selbst wenige Jahre vorher
nicht mehr geglaubt hat, und niemand ahnte, dass in kurzer Zeit der
Körper dem regen Geiste den Dienst aufsagen würde.
In das Innere des Künstlers haben wir nun, nach Anfang, Entwicklung
und Vollendung forschend, hineingesehen. Was sagte sein Zeitalter zu
seinen Äusserungen? Plüddemann hat des Tages Gunst so gut wie gßit
nicht erfahren. Der Verkehr mit Wagner brachte ihm wohl erhebende
Erlebnisse innerer Art, aber keine äusserliche Förderung. Die Menschen»
die er Freunde nannte, waren in erster Linie Verehrer seiner Kunst, der
sie aber nur spärliche Unterstützung zuteil werden lassen konnten, etwa
durch Subskriptionen und gelegentliche Aufführungen seiner Balladen«
Einflussreiche Gönner haben den Mann, der zum Höfling nicht taugte,
nicht gefördert. Nur vorübergehend erfreuten Erfolge den so oft Ent-
täuschten. Nach seiner zweiten Niederlassung in München bekleidete er
eine angesehene Kritikerstellung; man sang seine Chorkompositionen und,
wenn auch seltener, seine Balladen. Auch die Tätigkeit als Direktor der
Singakademie zu Ratibor schaffte Plüddemann eine Zeitlang Befriedigung.
Im allgemeinen aber war das Leben des Komponisten ein Wandern durch
schwacherhellte Gefllde. Der allerorten sich ihm entgegensetzende Wider-
stand erzeugte nach und nach eine leicht zu verzeihende Bitterkeit in ihm.
. M.m,%
95
BILKE: MARTIN PLODDEMANN
mJEo
die sich in mehreren Selbstanzeigen — in der bekannten österreichischen
Mnsikzeitschrift «Lyra* — wiederholt in energischer We*se Lnft machte.
Er machte mit Sängern trfibe ErCahrungen und auch mit dem Publikum»
Wie schon gesagt, stellten ihm Gura und Bulss ihre reife Kunst ab und
zu zur Verfügung. Auch einige Jüngere interessierten sich für die »un-
dankbaren" Novitäten. Aber mancher, der ihm als guter Balladensänger
empfohlen worden war, erwies sich als Interpret dieser Kompositionen
ungeeignet. Vor allen Dingen besassen nur wenige die erforderliche
Sprechtechnik und die Fähigkeit, die Vokale in den tausend möglichen
und notwendigen Tonfarben anzuwenden. Heute haben sich die durch
angesehene deutsche Gesangsmeister, in erster Linie durch Hey, zu An-
sehen gebrachten Sprachprinzipien allgemein Geltung verschafft, und darum
ist die Sängerschaft der Gegenwart für den Balladengesang eher prädestiniert
als zu Lebzeiten Loewes und Plüddemanns. Das Publikum machte nicht
überall mit. Diese Tatsache findet aber eben in dem Mangel an tadellosen
Vorführungen ihre Erklärung und ihre Entschuldigung. Der Komponist
selbst hat sich über die Wirkung seiner Balladen ausführlich geäussert.
Er sagt z. B., dass er sich bei der Niederschrift dieser oder jener
Komposition den Effekt anders gedacht habe, als er sich beim Vortrage
einstellte. «Das Schloss am See* hielt er für undankbar, und siehe da:
wo es auch gesungen wurde, schlug es ein. Die relativ knappe Form, die
prägnante Thematik und der bestechende instrumentale Ausdruck gefielen dem
Publikum. Wenn der Autor selbst den Innern Wert des Werkes niedriger
einschätzt als den vieler anderen Kompositionen, so hat er aber durchaus
recht. Vom .Taucher* hat er Grosses erwartet, aber das Interesse der
Hörer erlahmte immer, wenn die Erzählung des Jünglings von den
in der Tiefe geschauten Undingen einsetzte. Hier schien die Musik
zu versagen. Bei dieser Stelle denke ich immer an das Schicksal der
grossen Erzählung Wotans im zweiten Akt der .Walküre*. Ich habe
oftmals die Langeweile des Publikums beim Anhören dieser Partie be-
obachtet und begriffen. Ich habe aber auch die Augen vor Begeisterung
leuchten sehen, wenn Künstler von Gottes Gnaden, wie van Rooy, Perron
und Bertram, die Worte Allvaters sangen. Leider habe ich noch keinen
Sänger gehört, der dem «Taucher* gewachsen gewesen wäre. Dasselbe gilt vom
«Wilden Jäger.* Plüddemann konnte darüber nichts sagen, da er keinen
Bariton fand, der sich die Mühe gemacht hätte, das in der Tat sehr
schwierige Opus zu studieren. Vor nicht zu langer Zeit wagte ein süd-
deutscher Künstler die Tat, aber ohne nennenswerten Erfolg. Mit schönen
Tönen allein ist diesem Werke nicht beizukommen. Zu einer grolSen, um-
fangreichen, ausdauernden Stimme müsste sich bedeutende musikalische
Intelligenz, souveräne Beherrschung des deklamatorischen Stiles und eine
96
DIE MUSIK VII. 2.
auch das Spröde restlos zwingende Geisteskraft gesellen. Wo ist dieser
Sänger?
Plüddemanns Name blieb aber dem Publikum keineswegs fremd. Denn
alles andre, was er neben den Soloballaden komponierte, wurde gern akzep-
tiert Am besten gefielen die Bearbeitungen der altdeutschen Volks-
lieder. Heute greifen Gesangvereinsdirigenten mit gierigen Händen nach
den Arrangements alter Volksgesänge und Madrigale, wie sie Othegraven,
Reger, Brahms, Kremser, Hegar u. a. besorgt haben. Sie sind vielfach
der Meinung, daß sie damit dem Publikum ein ganz neuartiges Genre
bieten. Schon vor mehr als 20 Jahren waren Plüddemanns Bearbeitungen
von altdeutschen geistlichen und weltlichen Volksliedern ständige und be-
liebte Program mnummem. Der Stil, den der Künstler für diese Einrich-
tungen wählte, ist eine harmonisch aparte, monophone Schreibweise. Es
ist etwa dieselbe Manier, zu der Hegar, nachdem Othegravens zweifellos
meisterhafte Polyphonie lange Zeit in Anwendung war, bei der Bearbeitung der
Brahmsschen Volkslieder für Männerchor zurückgekehrt ist Die Männer-
chöre Plüddemanns fanden besonders in Österreich willige Aufnahme und
verdienten auch heute noch öfter gesungen zu werden. Einen ausgeprägten
individuellen Stil zeigen diese Kompositionen nicht, aber sie enthalten
schöne Erfindung und vornehme Arbeit. Dasselbe gilt von den Solo-
liedern, die nur Böswilligkeit oder Unverstand mit Abtschen Erzeugnissen
vergleichen konnte. Einige zeigen unverkennbar Schubertsche Einflüsse:
»Liebeslied von Hafis" und »Vineta*. »Volkers Nachtgesang*
aber und .Biterolfs Heimkehr" besitzen schon den Schwung und die
Schärfe der Charakterisierung, die wir später in den Balladen wiederfinden.
Ein ganz besonders gesundes Stück ist die »Ode an die preussische
Armee", der Bulss seinerzeit in Berlin vor dem Deutschen Kaiser zu
grossem Erfolge verhalf.
Für die Chormusik also fand Plüddemann nicht nur Sänger und
Publikum, sondern auch Verleger, die für die Herausgabe der Balladen ihr
Kapital nicht riskieren wollten. Die schlimmsten Gegner aber erblickte der
Komponist in den Kritikern, die ihn, wie er sagt, einfach ignorierten. Und
das lässt sich auch nicht leugnen; viele seiner späteren Kollegen haben
ihn sein entschiedenes und mutiges Eintreten für Wagner, überhaupt die
wagemutige Art seines Auftretens bitter entgelten lassen.
Seiner Zeit ist Plüddemann demnach nicht das gewesen, was er ihr
hatte sein wollen. Die Tageserfolge, die ihm beschieden waren, knüpften
sich an Schöpfungen, die nicht das eigentlich Persönliche des Künstlers
ausmachten. Die von Loewe geschaffene und von ihm weiter ausgebaute
neudeutsche Ballade blieb vorläufig Reservatgut kleinerer Kreise. Zehn
Jahre sind seit dem Tode Plüddemanns ins Land gegangen, und wir
* JT.il
BILKE: MARTIN PLOdDEMANN
schauen uas heute in der Musikwelt um, am Oi^e zu entdecken, wo man
diesem trefflicheo deutschen Künstler Tempel und AltSre errichtet hat;
wir durchrorschen prüfend unser modernes Musikleben, um Spuren seiner
Kunst zu entdecken, die für die Moderne als Daseinsfaktoren In musikalischer
und kultureller Beziehung gelten könnten. Süsslicher Lyrik und simpler
Ornamentik und Architektur ist der moderne Geschmack abhold. Unsere
lebenden Grossen schaffen eine nervenkräftige Kunst in reich geziertem
Gewände. Vir leben im Zeitalter der Bacbrenatssance. Herb und ernst
gestaltet die Gegenwart. So wünschte sichs Plüddemann, der Mannhafte,
Deutsche von seiner ZeiL Er wollte das Feminine aus der Kunstkultur
gebannt wissen und Werke von siegfriedischer Natur dem Volke zum
Eigentum hinterlassen. An der Bildung des modernen Genschmacks, soweit
er sieb nicht schon auf Abwege zu gedankenloser Formenüberkultar verirrt
hat, bat unser Balladenkoroponist mitgearbeitet. Seine grossen Werke finden
immer mehr Interpreten von ausreichendem Wollen und Können; das Publikum
gewinnt dadurch Einblick in bisher verschlossene Tongebiete und wird darüber
froh werden, und an der öffentlichen Anerkennung feblts Plüddemann und
seinen Schöpfungen schon lange nicht mehr. Es gibt auch einige Kom-
ponisten, die sich durch den Meister die Wege weisen Messen. Auch
einige der Allerjüngsten haben sich Balladen zu Textvorlagen gewiblt,
so dass wir hoffen dürfen, diese Kunstgattung werde auch für die Zukunft
in anserm Musikleben eine Rolle spielen.
den nächsten Tagen erscheint der dritte Bind des Brlef-
' wechseis von Brshms, den ich im Auftrage der .Deutschen
Brahms-GeseDschaFt' herausgebe. Er zeigt uns Brahms im
i brieflichen Verkehr mit Kar) Reinthaler, Max Bruch, Hermann
Deiters, Friedrich Heimsoeth, Karl Reinecke, Ernst Rudorff, Bernhard und
Luise Scholz. Einige Proben daraus dürften den Lesern der »Mtuik"
nicht unwillkommen sein, leb wäble sie ausschliesslich aus dem Brief-
wechsel mit dem Bremer Musikdirektor Reinthaler (1822 — 1896), da dieses
Mannes bisher noch nie in der ,Musik* nfiber gedacht worden ist. Man
kennt ihn als Komponisten des Oratoriums Jephtha*, der preisgekrönten
.Bismarckbymne' und der gleichfalls preisgekrönten, über eine grössere
Anzahl von Bühnen gegangenen Oper „Das K2thcfaen von Heilbronn". Mit
mir werden es viele bedauern, dass bei der Veröffentlichung des Brief-
wechsels zwischen Brahms und Reinthaler letzterer nur mit zwei Briefto
vertreten ist, die sein warmes Eintreten für Brahms freilieb in dem
schönsten Lichte zeigen. Dieser hat dem Freunde, an dessen gemQtlicheo
Frühstückstiscb er sieb immer wieder gern erinnene, es nie vei^gessen,
dass er die erste vollständige Aufführung des damals nur aus den beatigen
Sätzen 1 — 4 sowie 6 und 7 bestehenden .Deutschen Requiem' im Bremer
Dom am 10. April 1868 zustande gebracht hat. Die verhältnismässig recht
zahlreichen brieflichen Ergüsse von Brahms an Reinthaler, für dessen
Kompositionen er auch viel Interesse an den Tag legte, erstrecken sich
über diejahre 1867 — 1893. Von der Mitte der siebziger Jahre werden sie
immer spärlicher und betreffen meist nur die Mitwirkung von Brahms in
den von Reinthaler veranstalteten Konzerten. Ausser in Bremen, Olden-
burg und Hamburg sind beide Freunde auch in Bonn, Köln und Stuttgart
und vor allem auf der Seelach in Llchtenibal bei Baden-Baden zusammen
gewesen, immer ein Herz und eine Seele, ohne dass die leiseste Differenz
zwischen sie getreten ist. Vielleicht mehr als andern gegenüber bat
Brahms sein Herz Reinthaler gegenüber geölhiet : aus einigen an ihn ge-
richteten Briefen lernen wir die ungemeine Liebe von Brahms zu seinem
09
ALTMANN: BRIEFWECHSEL BRAHMS-REINTHALER
Vater und sein schönes Verhältnis auch zu seiner Stiefmutter kennen. Den
grössten Teil des Inhalts der Briefe, die auch ohne die entsprechenden
von Reinthaler kaum etwas Unverständliches bieten, machen natürlich
Mitteilungen über Konzertreisen und Aufführungen von Werken von
Brahms aus.
Auch einige Zeilen, die Brahms und Reinthaler gemeinschaftlich an
dessen Frau Charlotte gesandt haben, ein reizender Brief von Brahms an
diese seine Freundin und das warme, verhältnismässig sehr ausführliche
Beileidsschreiben, das Brahms nach Reinthalers Hinscheiden an dessen
Tochter Henriette (genannt Musi) gerichtet hat, werden der Brahms-
Gemeinde sehr willkommen sein.
Die Korrespondenz wird durch folgenden Brief eröffnet:
Brahms an Karl Reinthaler
[Wien, c. 2. Oktober 1867]
Geehrtester Herr.
Ich erfahre soeben von Joachim, dats Sie im Besitz meines »Deutschen
Requiems* sind. Darf ich Sie ersuchen, mir dasselbe jedenfalls umgehend
zukommen zu lassen. Ich erwartete es lange mit Ungeduld von Dietrich^) oder
Jotctalm zurück, und nur meine Schreibfaulheit lisst mich erst beute erfahren, dass
ich es von Ihnen zu erbitten habe.
Ich kann nietat unterlassen, zu bemerken, dtss es mir einigermassen peinlich
ist, mein Werk bei Ihnen zu wissen. Es trägt noch so arge Spuren von Flüchtigkeit
und eiligem Schreiben, dass es sich nur guten Musikern zeigen kann, die ich zugleich
nachsichtige Freunde nennen kann. Wollten Sie dies freundlichst nachträglich
bemerken und damit recht vieles einstweilen entschuldigen. Trotzdem wäre es mir
nun eine grosse Freude, wenn Sie mir in kurzem oder langem Ihre aufrichtige
Meinung über das Werk sagen möchten.
Möglicherweise habe ich in ganz kurzer Zeit hier*) eine AuffQhrung, und
deshalb wiederhole ich meine Bitte um sofortige Zusendung des Manuskripts, damit
ich es gebührend betrachten und bearbeiten kann.
An die Musikhandlung des Herrn Spina bitte ich zu adressieren.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr ergebener
Jotas Bratams
^) Vgl. Albert Dietricta (1871—90 Hofkapellmeister in Oldenburg), Erinnerungen
an Bratams (Leipzig, Otto Wigand 1888) S. 57 und 58: .Betaalte beifolgendes ,RequiemS
bis ich Dir schreibe. Gib's nicht aus den Hinden. Und schreibe mir sctaliesslich
recht ernstlich, was Du davon hiltst. Ein Bremer Anerbieten wire mir freilich höchst
erwünscht. Es müsste freilich wohl mit einem Konzert-Engagement verbunden sein.
Kurz das Ding mfisste wohl Reinthaler geradezu gefallen, dass er etwas dafOr tite.*
Dort S. 50 der Brief, in dem Brahms das Requiem von Dietrich zurückerbittet.
*) Wenigstens die drei ersten Sitze gelangten im November 1867 in Wien unter
Herbecks Leitung zur AuffQhrung.
100
DIE MUSIK VII. 2.
mSSB
Ungemein lesenswert ist die folgende Antwort Reinthalers:
Bremen, den 5. Oktober 1867
Beifolgend, hochgeehrter Herr, sende ich Ihnen in Ihrem »Deutschen Reqniem*
einen Schatz zurfick, den ich linger in meinem Hause behalten habe, als ich wahr-
scheinlich unter den zugrunde liegenden Verhiltnissen berechtigt war. Mein Freund
Dietrich, der weiss, wie sehr ich Anteil an Ihren Schöpfungen nehme, sandte mir's
auf meinen Wunsch und kam selbst; er sagte mir, dass er glaube, Sie würden nichts
dagegen haben, wenn ich eine Aufführung des Werks im Bremer Dome zustande
bringen möchte, natfirlich womöglich mit Ihnen persönlich, und wenn Sie es mm
zweckmissigsten halten wfirden.
Ich las das Werk mit dem höchsten Interesse durch, und es hat mich in
tiefster Seele berührt. Für eine Aufführung schien mir hier nur der schöne Dom
der geeignete Ort; und wir haben für diesen Winter nur noch Charf^itag^) (falls wir
nicht ein besonderes Konzert gemacht bitten) frei. Ich sah Ihr » Requiem* darauf an,
und verzeihen Sie, mir kam der Gedanke, ob nicht eine Erweiterung*) des Werks
möglich sei, welche es einer Charfreitagaaufführung niher brichte; mir schien
eine derartige Erweiterung in der Konsequenz der Idee des Werks selbst zu liegen.
Auf der andern Seite hat das Werk, wie es jetzt ist, eine in sich geschlossene
musikalische Einheit; es umfasst für ein Chorwerk ohne ausgeführte Soli eine grosse
Strecke Zeit, dass ich bedenklich war, einen Rat oder Vorschlag an Dietrich darüber
zu schreiben, da ich mich nicht für berechtigt halte oder vielmehr hielt, es gegen
Sie selbst sofort zu tun. Ich habe darüber leider einige Wochen vergehen lassen, in
denen ich durch die mannigfachsten praktischen Sorgen nach allen Seiten gezogen
wurde. Wollen Sie dies freundlichst entschuldigen! Ich bedaure nur, dass ich
Joachim um die Freude gebracht habe, Ihr »Requiem" kennen zu lernen; doch er hat
ja bald Gelegenheit, es bei Ihnen zu sehen.
Mein Gedanke war der: Sie stehen in dem Werke nicht allein auf religiösem,
sondern auf ganz christlichem Boden. Schon die zweite Nummer berührt die
Weissagung von der Wiederkunft des Herrn, und in der vorletzten wird das Geheimnis
der Auferstehung der Toten »und dass nicht alle entschlafen* ausführlich behandelt.
Es fehlt aber für das christliche Bewusstsein der Punkt, um den sich alles dreht,
nimlich der Erlösungstod des Herrn. »Ist Christus nicht auferstanden, so ist Euer
Glaube eitel*, sagt Paulus im Zusammenbang mit jener von Ihnen behandelten Stelle.
Nun wire aber an der Stelle »Tod, wo ist dein Stachel* usw. vielleicht der Punkt sn
finden, entweder kurz im Satz selbst vor der Fuge oder durch die Bildung eines
neuen Satzes. Ohnehin sagen Sie im letzten Satz: »Selig sind die Toten, die in dem
Herrn sterben von nun an*, das heisst doch nur, nachdem Christus das Erlösungs-
werk vollbracht hat.
Sie zeigen sich durch Zusammenstellung des Textes so sehr als einen Bibel-
kundigen, dass Sie gewiss die richtigen Worte finden werden, falls Sie irgend noch
eine Verinderung für zweckmässig halten sollten. Für eine Aufführung am Allerseelen-
tage oder für eine Aufführung an und für sich werden wohl wenige das bemerken,
was ich mir anzudeuten erlaubte.
Die Musik selbst anlangend, bemerke ich nur einer Äusserung Dietrichs gegen-
über, dass ich mich leicht befreunde mit der Art Ihrer Deklamation oder vielmehr
1) 10. Apnl 1868.
') Der jetzige 5. Satz („Ihr habt nun Traurigkeit*) ist nacbkomponiert.
• •
M
101
ALTMANN: BRIEFWECHSEL BRAHMS-REINTHALER
der zum 17. Jahrhundert hier und dt sich neigenden Art, die Silbe des Wortes zu
behandeln. . . .
Für das Werk als Ganzes ist nur ein Bedenken, was Sie als Künstler zurück-
zuweisen berechtigt sind; es scheint durch den grossen und andauernden Ernst, den
die Sache bedingt, für einen Teil des Publikums, das man doch zu AuffOhrungen
leider nötig hat, vielleicht ermüdend -— doch wird sich das bei einer guten Aufführung
wohl überwinden lassen; und am Ende für plebejische Ohren ist das Gute fast immer
ermüdend.
Sie wollen, dass ich aufrichtig bin: ich würde mich glücklich schltzen, bitte
ich dies Werk geschrieben; ich denke mir, dass Sie selbst auch grosse Freude daran
haben müssen und, auch iusserlich genommen, haben werden.
Somit packe ich den mir vielleicht mehr im Vertrauen Dietrichs als mit Ihrer
Zustimmung ins Haus gesandten Schatz ein und bringe ihn selbst zur Post, damit
ihn nicht die unbeiligen Hinde der Steuerbeamten öffnen oder verletzen und er sicher
in ihre Hinde gelange.
Hoffentlich hören wir bald von der ersten (für uns leider) Wiener Aufführung,
zu der ich Ihnen nicht nur das Glück guter Ausführenden, sondern auch eine
intelligente und empfingliche Hörerschar wünsche.
Mit der aufrichtigsten Hochachtung
Ihr ergebener
C. Reinthaler
Die kurze Antwort, die Brahms hierauf folgen liess, ist ffir ihn auch
als Briefschreiber so charakteristisch, dass sie gleichfalls mitgeteilt
werden muss:
Wien [c. 9. Oktober 1867]
Geehrter Herr.
Auf Ihren werten Brief wünschte ich recht sehr mit Behagen antworten zu
können. Briefichreiben ist jedoch so wenig meine Sache, dass ich mich auch dies-
mal darauf vertrösten muss, Ihnen etwa persönlich zu begegnen und dann nach
Herzenslust einiges zu plaudern.
Doch habe ich nötig, Ihnen zu schreiben, wie grosse Freude mir die herzliche
Teilnahme machte, mit der Sie mein Werk gelesen. Ich anerkenne sie doppelt, seit
ich das Werk mit einigem Schrecken wiedersah und tüchtig darin herumwirtschaftete
mit der Feder. Die Musik anlangend, habe ich so viel mehr beantwortet, als Sie
nachsichtig genug gefragt und gesagt haben.
Was den Text betrifft, will ich bekennen, dass ich recht gern auch das »Deutsch*
fortliesse und einfach den •Menschen" setzte, auch mit allem Wissen und Willen
Stellen wie z. B. Evang. Joh. Kap. 3 Vers 16 entbehrte. Hinwieder habe ich nun
wohl manches genommen, weil ich Musiker bin, weil ich es gebrauchte, weil ich
meinen ehrwürdigen Dichtem auch ein »von nun an* nicht abdisputieren oder
streichen kann.
Aber — ich höre auf, ohne ausgesprochen zu haben, und will noch einer [I]
Sache erwihnen, die mir nicht bloss angenehm, sondern wichtig wire. Das ist eine
Aufführung im Bremer Dom, von der Sie schreiben.
Ich werde hier (am 1. Dez.) aus mancherlei Gründen die erste Hüfte aufführen
und schwerlich Gelegenheit haben, das Ganze zu hören. Mögen Sie sich für eine
Aufführung in Ihrer Stadt emstiich interessieren, so verbinden Sie mich ausser-
102
DIE MUSIK VII. 2.
P.&D
ordentlich. Einigermassen wire da freilich auch wohl das Pekuniire zu bedenken;
vielleicht könnte ich in einem der Abonnement-Konzerte spielen, vielleicht auch ein
eignes Konzert geben? Kurz, ich werde sehr begierig nach einem etwaigen wettern
Brief von Ihnen ausschauen und sehr froh sein, wenn sich die Sache realisiert
Namentlich von Ende Januar ab bin ich durchaus frei und hilt mich nichts ab, nach
Belieben mich in Ihrer Stadt und Gegend aufzuhalten.
In der Hoffhung also, gelegentlich von Ihnen hierüber zu hören, mit ans-
gezeichneter Hochachtung
ergeben
J. Brahma
(Wien, Postgasse 6.)
Wie sehr es Brahms darauf ankam, dass die Bremer Aufführung
seines .Requiem" eine würdige wäre, erhellt aus folgender Äusserung in
einem Ende Dezember 1867 an Reinthaler gesandten Briefe:
Das Wichtigste an der AuffOhrung ist nur: so viel und oft probieren können,
wie ich mag. Unter uns: es ist mir ganz recht, eine Menge Geld zu verdienen, —
aber — auch unter uns — auch ganz recht, wenn ich nur f&r mein Geld Eztraproben
haben kann. NamenUich Rnde ich wünschenswert, wenn wir Doppelquartett bei den
spitem Singübungen benutzen könnten.
Welchen grossen Anteil Brahms an dem Kriege 1870 genommen hat,
wird nur wenigen der heutigen Generation bekannt sein. Ich lasse des-
halb folgenden Brief fast vollständig folgen, zumal er auch sonst einige
Charaktereigentümlichkeiten von Brahms gut aufdeckt:
[Wien, 12.] Dezember 70
Lieben Freunde!
Soll denn das schöne Jahr vorubergehn, ohne dass wir uns einmal einander
sagen: wir freuen uns seiner! Ist es nicht traurig genug, dass ich armer Abseiter
hier draussen sitze und mich ganz heimlich und sotto voce freuen muss.
Schreibt einmal ein Wort. Die Frau bitte sogar zu einigen vernünftigen die
Zeit, wozu ich es nie bringe, und was auch von einem hanseatischen Musikdirektor
nicht zu verlangen ist.
Ein dergleichen Zettel sollte lingst zu Euch, doch war ich geatem ganz vergnügt,
als mich eine Altistin, Frl. Burenne, bat, sie nach Bremen zu empfehlen; das war
doch eine Ursache, gleich zu schreiben. Besagtes Frflulein ist eine Schülerin der
Marchesi und hat hier öfter Gluck («Orpheus*) und Handel gesungen. Sie hat eine
schöne Stimme und ist recht musikalisch und heitern Temperaments. — Ich merke,
wie verlegen ich lobe und empfehle, aber ich komme auch ao achwer über den
Gefrierpunkt. Kurz, Ihr könnt sie gebrauchen. Sie ist vom 18. bia 29. Januar in
Holland, also vorher und nachher bequem zu haben — aber auch sonst jederzeit
etwa für eine ausbleibende Altistin. Gelegentlich empfiehl sie doch auch vielleieht
an Dietrich
Wie grosse Sehnsucht habe ich, nach Deutschland zu kommen!
Ich darf nicht davon anfangen. Sisse ich jetzt in Eurer kleinen Stube und frühstückte
mit! und die Kleinen dabei, die freilich nicht mehr so kleines Spielzeug sein werden.
I* *
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ALTMANN: BRIEFWECHSEL BRAHMS-REINTHALER
Könnte ich was und hitte auch noch Mut, ich schriebe ein gutes Te Deum^)
und dann führe ich nach Deutschland. Aber desto besser man das Schreiben ver-
sucht hat, desto leichter lisst inan's wohl -— bei einem ordentlichen Kerl ist eben
von versuchen nicht die Rede.
Aber jetzt ist der Kaffee zu Ende, so solPs auch der Zettel sein. Nichste Tage
erwarte ich ein Paket, eine Einladung fQr Frl. Burenne und zwei lange Briefe.
Mit herzlichstem Gruss
Jobs Brahms
Hierauf sandte Reinthaler dem Freunde den hier auszugsweise mit-
geteilten schönen Brief, der uns den hanseatischen Musikdirektor auch als
Menschen und Patrioten liebgewinnen lässt:
Bremen, den 14. Dezember 1870
Lieber Freund Brahms!
Lange haben wir keine so grosse Freude gehabt, als heute morgen, wo Dein
Schreibbrief ankam. Dietrich war eben noch auf dem Hausflur, um abzureisen. Wir
hatten nimlich gestern hier als Anfang des »Beethovenfests* die Missa solemnis,
Kyrie Gloria Sanctus, und die 9. Symphonie und freuten uns der schönen Aufführung,
sprachen dies und das, wie das Midchen und der Bursche, am meisten aber, wie
immer, auch von Dir und von meiner Schuld, dass ich nicht mehr an Dich schriebe,
obwohl Du uns täglich und stfindlich vor Augen bist und Dich in unsere Triume
verwebst.
Am Freitag machte Dietrich Dein »Requiem", wie alle sagen, in ganz vorzüg-
licher Weise, ich*) sollte singen, konnte aber nicht — und das ist mein Leiden; ich
bin nimlich seit Juni von einem schmerzhaft neuralgischen Obel geplagt, das kommt
und geht und seit fünf Wochen mich abscheulich geplagt hat und den linken Arm
ganz lihmt. Daher auch die Unlust am Schreiben und die schlechte Handschrift.
Klavier darf ich kaum anrühren: ganz abscheulich für einen hanseatischen Musik-
direktor, der jetzt fast allwöchentlich ein Konzert bezwingen muss — doch nichts
mehr davon!
Freilich!! Welch eine Zeit! Meine Frau sagt immer, Du seist gewiss heimlich
mitgegangen ins Feld; ich meinte. Du sollst Dich doch der Welt noch aufbewahren! —
Lieber Brahms! Mache Dich auf! in Deinem Gott werde Licht! Schreib das »Te
Deum*, was Du schreiben musst. Es ist meine felsenfeste Oberzeugung, dass das
die zweite grosse Tat Deines Lebens sein muss!
Wir waren nie zusammen — im Gesprich von Dir — hier, ohne dass ich und
meine Frau daran als eine ganz notwendige Sache dachten.
An mich ist auch der Gedanke herangetreten •— aHein ich könnte es nicht so —
und jetzt kann ich*s gar nicht — aber Du kannst es und Du musst es. Lass es den
Zwillingsbruder des »Requiem* sein!! —
Im Mai war ich in Berlin, Joachims werden's Dir wohl erzihlt haben. Ich
bekam dort einen prichtigen OpernstoiT') und im Juni einen fertigen Text, der zum
grössten Teil ganz gut ist. Ich hatte kaum angefangen, als der Krieg hereinbrach
^) Er arbeitete bereits an dem »Triumphlied* op. 55, das ursprünglich noch den
Zusatz im Titel hatte: »auf den Sieg der deutschen Waffen*.
*) Nimlich das Solo. Reinthaler war ein guter Barytonist
*) Die »Edda*. Text von Emil Hopifer.
104
DIE MUSIK VII. 2.
und Bremen ein grosser Lagerplatz wurde — von damals bis jetzt haben wir fast
immer Einquartierung gehabt, oft so prichtige liebe Leute, die als Freunde von uns
schieden, und an unserm Tisch assen Briutigam, Bruder unsrer Dienstleute, auch
meine Verwandten; viele sind mit; ich habe Verwundete, aber keine Toten zu beklagen.
Was soll ich Dir von dieser wunderbar reichen und grossen Zeit sagen!
Ich suchte doch in der Arbeit weiterzukommen, und es scheint, das« ich meine
Körperkrlfce übernahm; als ich besser war, reiste ich nach Berlin — in der Zeit, als
Metz fiel: ich fand Bremen patriotischer als Berlin. Oder merkt man's dort nicht
so? Dort habe ich auch viel von Dir gehandelt! Um Dein »Sextett* mit Joachim
bin ich allerdings betrogen; ich kam durch Irrtum zu spit — Frau Joachim sang
Deine Lieder viel und sollte auch die »Rhapsodie* in Bremen singen, aber nun kommt
sie ja nicht.
Was Du aber gemacht hast? — Sollte das »Te Deum* nicht wirklich schon im
Werden sein? Alter schweigsamer Mensch!
Die Burenne wird gelegentlich eingeladen werden, vielleicht schon bald
Im Oktober machten wir zu Ehren der grossen Zeit »Judas Maccabius* — ich
denke, es wird auch noch »Brahma* darankommen — so oder so.
Nun, dies sei der Vorliufer des vernünftigen Briefs. Meine Seele grüsst
Dich!! Wir grüssen dich! Schreibe, schreibe, was Du schreiben musst!
In alter Liebe
Dein
Reinthaler
Eine nicht unwichtige Mitteilung über das »Schicksalslied" findet sich
im folgenden Briefe von Brahms:
[Wien, c. 24.] Okt. 71
Mein lieber Freund.
Wie lange und oft wollte ich Dir schreiben ! Jetzt bitte ich Zeit und Last,
aber jetzt irgert mich die spitze Stahlfeder zu sehr, und so lass mich nur einiges
erwidern
Das •Schicksalslied* wird gedruckt, und der Chor schweigt im letzten Adagio.
Es ist eben — ein dummer Einfall, oder was Du willst, aber es lisst sich nichts
machen. Ich war so weit herunter, dass ich dem Chor was hineingeschrieben hatte;
es geht ja nicht. Es mag so ein misslungenes Experiment sein, aber durch solches
Aufkleben würde ein Unsinn herauskommen. Wie wir genug besprochen: ich sage
ja eben etwas, was der Dichter^) nicht sagt, und freilich wire es besser, wenn ihm
das Fehlende die Hauptsache gewesen wire -— jetzt usw.
Aber solltest Du es aufführen, so arbeite vor allem an diesem Postludiam«
Der Flötist muss sehr passioniert blasen, und eine Masse Geigen müssen schön
klingen. In Karlsruhe hat das Ding merkwürdigen Eindruck gemacht
Fast dieselbe Äusserung findet sich in dem Briefe von Brahms vom
25. Dezember 1871, der auch wegen einer ungerechten Änssenin^ Ober
Liszts »Christus* angeführt sei :
Die gewünschten Noten bitte ich gern zum Weihnachttiscta geschickt, aber es
ging nicht: ich muss sie eben erst besorgen. Dann kriegst Du alles mögliche.
') Friedrich Hölderiin.
■* *
•! • • • !
• • • • •
• • • •
105
ALTMANN: BRIEFWECHSEL BRAHMS-REINTHALER
natürlich das »Sctaickstlslied*. Zum Schluss findest Du hier freilich keinen Text,
keinen Chor. Es geht doch durchaus nicht. Es ist doch kein Gedicht, dem man
was anflicken kann. So hitte sich denn der Musiker vor eignen Betrachtungen hüten
sollen. Es ist eben ein Gelegenheitsstück, und wenn man auch vielleicht auseinander-
setzen kann, dass der Dichter die Hauptsache nicht sagt, so weiss ich doch nicht,
ob sie denn jetzt zu verstehen. Die Karlsruher Aufführung kann mich leicht lieblich
getiuscht haben. Es ging sehr gut und machte merkwürdigen Eindruck. Aber das
kleinere Auditorium, die günstige Vormeinung und was alles war für so ein
Experiment günstig
Wir erleben hier den 30. den »Christus* von Liszt, und das Ding sieht so
fabelhaft langweilig, blöd und unsinnig aus, dass ich nicht begreife, wie der nötige
Schwindel diesmal fertig gebracht wird
Der folgende Brief zeigt uns in der Hauptsache, dass Brahms gern
zu Freundschaftsdiensten bereit war, gibt aber auch sonst über sein Denken,
Fühlen und Leben einige nicht unwesentliche Äusserungen:
[Wien, 29.] Februar 76
Lieber Freund.
Gestern bin ich zurückgekommen ^) — endlich — ich wurde immer müder und
stumpfer und bitte nicht linger ausgehalten.
Zwischen Januar und Februar war nun leider wirklich keine Idee von Zeit,
und zum Schreiben war wirklich überhaupt keine! Meine Sachen verlangen doch
immer besondere Proben, mich wollen viele Leute sehen, nnd ich will doch auch
vieles sehen. — Aber Du kannst Dir das schon denken und hast es wohl entschuldigt.
Jetzt aber lese ich von Deinem nochmaligen Beinbruch! und im selben Satz
von den 1000 Talern für eine Bismarck-Hymnel*) Ich habe zwar keine Idee von
der letztem Geschichte, denke aber einstweilen, dass auch eine Dummheit ihr
Gescheutes haben und anrichten kann! Verzeih, wenn das nicht passt — aber ich
gratuliere Dir herzlich zu den 1000 Talern!
Ist es mit dem Bein wieder so schlimm, so hast Du ja leider Zeit, es mir
zu schreiben!
Ich wire gar zu gern von Holland zu Euch gekommen, schon um so recht
frisch Euch vorzuplaudern, was spiter wenig, schriftlich gar nicht geschieht. Mir
war die Reise, Land und Leute, wirklich gar angenehm und interessant.
NB. Wibrend des Schreibens fiUt mir ein, was Du denn bei Deinem neuen
Unglück als Musikdirektor anfingst! Vielleicht ist es nun ft^ilich diesmal nicht so
schlimm. Henschel*) ersetzt Dich wohl? Im Fall Du es aber irgend gebrauchen
kannst, denke doch daran, dass ich so eigentlich nichts zu tun habe und ohne irgend-
welche Ansprüche oder was sonst leicht und gern Deine Geschifte versehen könnte.
Denke daran oder darüber nach, wenn Du Henscbel nicht hast oder er Dir nicht
') Aus Holland.
*) Preisgekrönt. Das Preisrichterkollegium bestand aus Abt, Hiller, Joachim,
Lachner, RafP und Reinecke. Die erste Aufführung dieser ,,Bismarck-Hymne*
(op. 29, Verllg: N. Simrock, Berlin) fand in Bremen am 16. Mai statt. -— Bülow,
Briefe 5, 402 bezeichnet Reinthalers »Bismarck-Hymne* als höchst anstindig.
*) Theodor Henschel, Kapellmeister am Bremer Stadttheater, Komponist der
Oper »Die schöne Melusine*.
« •
106
DIE MUSIK VII. 2.
recht ist. Ich bin ganz frei bis auf einige Tage Ende Mirz in Breslau, und Siag-
verein oder Konzerte sind keine Opfer.
Deine Karte kriegte ich in Wiesbaden (oder wo). Ich habe nimlich all die
Zeit konzertiert, musste mich genug wehren, dass es endlich ein Ende hatte.
Nun lass aber hören, wie es Dir eigentlich geht; ich hoffe, alles ist übertrieben
bis auf die 1000 Taler.
Beste Grüsse Dir, Deiner Frau und den kleinen Grossen oder grossen Kleinen.
Dein J. Br.
Auch einen oifenen Geldbeutel hatte Brahms für Freunde. Reizend
liest sich dies in folgendem Brief:
[Wien Mal 1877]
Mit »zwei Zeilen* also danke ich bestens für Deinen Gruss und sage, dass ich
nicht weiss, wohin mich der Sommerwind weht. Der Brieftriger hier aber erflUin's
immerl Zum Herbst gehe ich vielleicht nach Baden — dann gehst Du aber nach Haus.
Der Nervus aber sollte Dich nicht genieren. Du kannst mich auch anpumpen.
Ich bin nicht so arm und nicht so schmutzig, wie mein Rock aussieht!^)
,Lieder* kommen genügt — aber ich gebe es auf, sie meinen Freunden zu
schicken, denn ich höre nie ein Wort') auf so schöne Sendungen. Auch die
,Sinfonie* ist^) jetzt bei Simrock.
Ich denke nichstens an den Wörther See^) in Kimthen zu gehn, vielleicht
schwenke ich aber im nichsten Augenblick um nach Zfirich; das altbekannte ist
ebenso bequem.
Ich werde mit so viel Unnützem gequilt, dass ich keine Zeit habe zum
Schreiben. Lass mich wissen, wo Ihr bleibt und seid alle von Herzen gegrfisst.
Dein und Charlotten s
Johan. Br.
Zum Schluss sei hier der kurze Gruss mitgeteilt, den Brahms auf
seiner ersten italienischen Reise an Reinthaler gerichtet hat:
Rom, 25. April 1878
Lieber Freund.
Ich denke gar zu oft an Dich hier und muss Dir notwendig einen Gruss senden.
Den herrlichsten Frühling lebe ich hier, zum erstenmal in Italien.*) Dir brauche ich
nicht zu sagen, wie und was man empfindet. Venedig, Florenz, Rom, Neapel, jetzt
wieder Rom — und dann immer doch nicht weiter nordwirts als Wien! Ich wollte.
Du wirst noch einmal hier und dabei gewesen I
Schönsten Gruss Dir und Charlotte.
Dein J. Br.
^) Vom Herausgeber durch Sperrdruck hervorgehoben.
*) Im Jahre 1877 erschienen die Liederbefte op. 60—72.
') Brahms denkt hier nicht an die schönen brieflichen Äusserungen der Frau
von Herzogenberg!
*) Die erste Sinfonie erschien erst im November 1877. ^
^) Nach Pörtschacta; hier komponierte Brahms im Sommer 1877 seine zweite
Sinfonie.
*) Am 8. April 1878 trat Brahms seine erste italienische Reise zusammen mit
Professor Theodor Billroth und Karl Goldmark an.
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DIE DEUTSCHE MUSIKSAMMLUNG BEI
DER KÖNIGLICHEN
BIBLIOTHEK IN BERLIN
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[er kürzlich ausgegebene «Jahresbericht der Königlichen Bibliothek zn
Berlin für das Jahr 1906/7* enthilt znm ersten Male auch einen Bericht
über die »Deutsche Musiksammlung*, dem wir folgendes entnehmen:
Die von deutschen Musikverlegem durch grossartige Schenkungen
begründete »Deutsche Musiksammlung bei der Königlichen Bibliothek*
(s. a. »Die Musik* Bd. 18 S. 176) trat durch den Staatshaushaltaetat für 1906 und durch
Verfügung Sr. Exzellenz des Herrn Ministers der geistlichen usw. Angelegenheiten
Dr. von StudI am 1. April 1906 ins Leben. Ober ihre Vorgeschichte ist im Zentral-
blatt für Bibliothekswesen 1906, S. 66 das Nihere mitgeteilt. Dem Verein der Deutschen
Musikalienhindler in Leipzig und insbesondere der Firma Breitkopf & Hirtel in
Leipzig gebührt das Verdienst, die zuerst von Oberbibliothekar Prof. Altmann ge-
fasste und literarisch vertretene Idee einer deutschen Musiksammlung aufgenommen
zu haben. Der Verein, dessen damaliger Vorsitzender Herr Kommerzienrat Felix
Siegel (in Firma J. Schuberth & Co.) war, gab den Plan auch nicht auf, als das
Deutsche Reich die ihm von 70 Firmen angebotenen Notenschitze ablehnte, sondern
stellte sie dem preussischen Staate zur Verfügung. Als dann dank dem Eintreten
des Herrn Ministerialdirektors Exzellenz Dr. Althoff und des Herrn Geheimen
Ober-Regierungsrats Dr. Schmidt die Annahme jener Notenschitze durch den
preussischen Staat zur Begründung der »Deutschen Musiksammlung bei der Königlichen
Bibliothek* beschlossen war, stellten auch die meisten Mitglieder des Vereins der
Berliner Musikalienhindler (Vorsitzender Herr Willibald Challier) ihren Verlag zur
Verfügung, desgleichen eine Anzahl grösserer Firmen, sogar des Auslandes, die bisher
eine abwartende Stellung eingenommen hatten. Damit war ein gewaltiger Grundstock
für die »Deutsche Musiksammlung bei der Königlichen Bibliothek* gesichert.
Im Stastshaushaltsetat für 1906 war für die Deutsche Musiksammlung bei der
Königlichen Bibliothek eine Bibliothekar-, eine Hilfsbibliothekar-, eine Expedienten-
und eine Dienerstelle, sowie als erste Rate für die Einrichtung und Katalogisierung
die Summe von 51300 Mk. vorgesehen.
Die Leitung wurde dem Oberbibliotbekar Prof. Dr. Alt mann übertragen, der
schon seit dem 1. Januar 1906 von seiner sonstigen Bibliothekstitigkeit entbunden
worden war, um die nötigen Vorarbeiten zu treffen, wozu auch die Heranbildung der
für die Katalogisierung in Aussicht genommenen Hilfkarbeiterinnen gehörte« Am
1. Mirz 1906 konnten bereits die in der alten Bauakademie^) (Schinkelplatz 6) liegenden
neu eingerichteten Geschiftsriume bezogen werden.
^) Es dürfte den meisten unserer Leser noch unbekannt sein, dass das sehr
reichhaltig mit Werken modemer Komponisten ausgestattete Lesezimmer der »Deutschen
Musiksammlung* von 9—2 Uhr geöffnet ist Jedes gewünschte Werk steht dort
sofort zur Verfügung. Die Redaktion
108
DIE MUSIK VII. 2.
Das Mass der Jm eraten Jabre geleiatelCD Kataloglalerunga arbeit Ilaat aicb as-
alberDd auf Grund der Angaben beurteilen, daaa im Ein gan gare rzelcbnii 34470 Nammeim
einKetragen, für den sy ate in ail sehen Katalog 39002, für den aipbabet lachen 453S8 Zettel
angefertigt wurden. Von ]enen 34470 Terken sind bereits zirka. 33000 gebunden «nd
gebrauch anh Ig.
Die AnfslelluDg der Beailnde erfolgt nacb dem Elnganganrzelcbnla, daa ffir
die beiden bei Mualkallen beuptaichlicb Qblicben Formate Quart (über 28 cm) and
Oktav (unter 28 cm) getrennt geführt wird. Bei der Katalogiaierung wurden lanlcbat
Partituren und Klavierausiüge von Opern und Oratorien, grössere Orcbeater- und
Kammern uaik werke, kirchonmusikaliicbe und pidagoglacbe Werke bevenugt, lednch
kein Gebiet der Musik vernacblisslgt, und zwar wurden vorwiegend die modemeo
Komponisten berückslcfatigt. Da In der alten .Musikaammlung der KOnlgllcbeB
Bibllotbek* die Klaasiker besonders gut vertreten sind, wurde deren Beaibeltnat
in der , Deutschen Mustksammlung' vorliuflg meist binauageacboben.
Beirilhrt hat sich die Elnricbtung einer Hausbncbbinder^ weaigateaa fflr das
Broacbleren der dBnnen Hefte.
Die vorhandenen Mine! wurden bis auf zirka 6000 Mk., die fQr das Eiat«|abr
1907 reserviert worden sind, aufgebraucht. Der Umbau der Rinme In der alten
Bauakademie erforderte 5250,60 Mk.; für die Innere Einrichtung (Regale, M5bcl>
wurden zirka 5750 Mk. ausgegeben, für die Buchbinderei zirka 17200 Mk.
Vlbrend dea Jahres 1906 sind die zur Verfügung gestellten Musikalien bereit*
zu einem grossen Teile eingegangen; für die grSasten Finnen, z. B. Schotts SSbae
in M^nz, Breitkopf & Hirtel In Leipzig, bedeutete das Hertuasuchen faat Ihres
geaamten, bia in daa 18. Jahrhundert zurückreichenden Verlags eine sehr (roase
Mühe. Ein Teil der Firmen bat auch berelta Ihre Neuigkeiten regelmlailg elngeaandt
Ober die Zahl und die Namen der Firmen, denen die aDentache Musiksammlung* ihr»
BestKnde verdankt (mehr als 300), gibt eine beaondere Anlage zu dem Jahreabericht
Auakunft. Einzelne Komponlaien ') haben ihren Selbstverlag beigeateuert, ao x. B.
Herr Prof. Hana Sommer in Breunschweig u. a. die Partituren seiner Opern.
Ea steht zu hoffen, dasa alcb die .Deutsche Mualksammlung* allmihlich za
einem Archiv des Mnslkverlaga auswachaen wird, in dem zum mindeaten die Terke
jedea deutschen Komponisten zu Bnden sein werden.
■) Auch Dilettanten, die einmal ein Heft Lieder oder KlavieratOcke tat elceae
Kosten drucken lassen, sollten Ihre Kompositionen der Deutschen Mualkaammlmif
einsenden. Die Redaktion
BÜCHER
17, Bach-Jahrbuch 1906. Her>ua|ccebeii von der Neuen Bacb-Geaell-
■ cbafL VerUc: Breitkopf & HIrtel, Leipilc.
Nachdem vor einer Reibe von Jabreo die alte Bacb-Getellacbafi mit Votleoduag
der krilitcbeii Ausgabe aimtllcber Verke von Jotaann Sebastian Bacb ihn Angabe te-
ISat and alcta aelbat aurgelQat taane, wnrde alibald die Neue Bacb-GeaellBchari geirfinder,
die ticb den Ankauf dea Geburtataauaes des Meiatert voniabm, bauptsicbticb aber sieb
die Pflege der boben Bacbacben Kunst zur Aufgabe setite. Sie gibt jlbrilcb ein
Jabrbucb beraus; das von 1906 Hegt uns vor. Ei entbllt folgende Aufsitze: Vllhelm
Voigt (GSttingen): Erhbrungen und Ratactalige bezfiglicb der Autflitaning Bacbscber
Kircbeokanlaten; Bernhard Friedrieb Richter (Leipzig): Ober die Scbicksaie der der
Thoraasscbule lu Leipzig angefaSrenden Kantaten Johann Sebaetlan Bacbs; Reinhard
Oppel (Bonn): Die grosse a-moU Fuge Für Orgel und Ibre Vorlage; Max Sei ff erl (Berlin):
Zur Kritik der Geaamiausgabe von Bachs Verken; Max Schneider (Berlla): Verieicbnls
der bis zum Jahre 1851 gedruckten (und der geachiieben im Handel gevesenen) Verke
Ton Jobann Sebastian Bacb. Darauf folgt eine Obersicht der AuffQbruDgen Jobann Sebastian
Bacbscber Werke von Ende 1904 bis Anfang 1907, aus der zu ersehen Ist, dass die
Pflege der Meisterkunat Johann Sebutlan Bacba einen erfreulichen Auftchwnng aufweist,
der bolfentllcb In Zukunft nicht nur anbllt, sondern sieb noch recht steigert. Den
Schlusi bilden all gemeine Mittellungen, desgleichen olflzlelle der Neuen Bacb-Gesellscbaft.
Daa solid ausgestattete und geacbmackvoll, dauerhaft gebundene Bach-Jahrbuch dürfte
■leb den Beifall nicht nur aller Bacbverehrer, sondern jedes ernsten Kunstfreundes
überhaupt erwerben. , Kurt Hey
1& Georg Capellen: Die Zukunft der Musiktheorie (Dualismus oder Monis-
mus?). Verlag: C. F. Kabni Nachfolger, Leipzig.
Die beiden Mutikibeoretiker, die sich die Bekimpfung von Rlemanns Harmonik
fQrmllcta zur Lebensaufgabe gemacht, Bernhard Ziehn und Georg Capellen, stehen
zueinander wi« Hund und Katze, sonst würden sie Rlemann eines Tsges auffreasen.
Steht Ziehn für die oh erataunilcbe Einseitigkeit seines Hsasea eine Virtnositit im
geistreich ironiscfaen Stil zu Gebot, die auf diesem Gebiet ohne Beispiel Ist, so ist
Capellen ein kühl beionnener, flelsaiger und acharfdeokender Arbeiter. Er sieht die
Zukunh der Theorie in der von Rlemann selbst früher vertretenen und «leder ver-
worfenen Annahme von Doppelkllngen (Klingen mit zwei GrundiDnen) und in der Er-
klkrung des Mollakkords als solchen Doppelklanga (z. B. a-moll Akkord mit den Grund-
tAnen c und s). Dem Begriff der .Zusstznole", als welche Riemann In aplteren Werken
alle zum Terzquinlakkord bin zutreten den anderen Intervalle bezeichnet, prophezeit
Capellen ein Ende. Damit dürfte er vielleicht Recht behalten, da ja Rlemanns theo-
retische Grundlagen In steter Evolution sieb befladen und ihm auf die Dauer der obige
Begriff, der bei groaser Bequemlicbkeit nicht profund ist, wohl nicht genügen wird.
Auch diese neue der alcb rasch folgenden Publikationen Capellens ist gedankenreich
Sp» DIE MUSIK VII. 2. SSSH
und anregend. FQr den Unterricht freilich wird stets das Verlangen nach Syttemen be-
stehen bleiben, die bei Jedem Klang genau die Intervalle in Rechnung ziehen, aus denen
er besteht, weder mehr noch weniger, also ohne Begriffe wie Zusatznote und Doppel-
klang. Wer sich für die BerGhrungspunkte zwischen neuester Zeit und Mittelalter
interessiert, sei hingewiesen auf die innere Verwandtschaft zwischen dem Schlachtruf:
»Realismus oder Nominalismus* in der damaligen Philosophie und dem im Titel dieaes
Buches: »Dualismus oder Monismus«. Dr. Max Stelnitzer
19. Mario Pilo: Psychologie der Musik. Gedanken und Erörterungen. Deutsche
Ausgabe von Christian D. Pflaum. Verlag: Georg Wigand, Ldpzig 1006.
Dieses Buch ist dem von mir im zweiten Februar-Heft besprochenen von Hugo
Marcus zwar in der von sGdländischer Beredsamkeit und sGdlftndischem Pathos durch-
tränkten Darstcllungsweise durchaus entgegengesetzt, aber in den Grundgedanken auf-
fallend verwandt, namentlich darin, dass beide Autoren der sogenannten Formal- und der
sogenannten Inhaltsisthetik gegenfiber eine vermittelnde Stellung einnehmen. Pilo hilt
es zunichst für erforderlich, den Begriff »Musik« weiter zu fassen, als es bisher geschehen
ist. Pur ihn ist Musik Jeder durch den Gehörsinn vermittelte Eindruck, der Wohlgefallen
erregt. Demgemäss gibt er in der Einleitung einen Oberblick über die Musik der Tiere,
wobei er diejenigen L4iut2us8erungen, die zu Verstäodigungszwecken oder aus anderen
praktischen Gründen erfolgen, prinzipiell aussondert, wihrend er auf eine Unterscheidung
zwischen der Freude an Gehörseindrficken und der Freude an ihrer Hervorbringung^
also zwischen Rezeptivitit und Produktivität, wohl mit Recht verzichtet. Er glaubt, dass
nicht nur die Singvögel, sondern auch die Grillen, Bienen und viele andere 'Here ans
reinem Wohlgefallen musizieren, und mag damit recht haben. Aber seine Erweiterung
des Begriffes »Musik« verführt ihn dazu, die doch gewiss wichtige Frage, wo denn unsere
eigentliche Tonkunst beginne, und wodurch sie sich vor anderen Gehörseindrücken aus-
zeichne, überhaupt nicht zu stellen. — Das Buch selbst zerfällt in vier Hauptteile: Die
Musik und die Sinne, die Musik und das Gefühl, die Musik und der Intellekt, die Musik
und das Ideal. Das Resultat, zu dem der Verfasser gelangt, liest sich vielleicht s»
skizzieren: es gibt eine Art von Musik, «die bloss dekorative Musik«, die entweder nur
dem Gehör oder, infolge assoziativer Vorgänge, auch anderen Sinnen eine angenehme
Unterhaltung bietet, im übrigen aber die Seele unberührt liest. Trotzdem kann es sieht
die wesentliche und eigenste Aufgabe der Musik sein, die Sinnenwelt darzusteilen, ds
dies die bildende Kunst in weit vollkommenerer Weise vermag. Eine anders geartete, die
sogenannte emotive Musik erregt unsere Gefühle, unser Gemütsleben, und eine dritte
Art veranlasst uns zum Denken. Aber weder Gefühle zu erregen noch Gedanken sn
veranlassen, kann die spezifische Aufgabe der Musik sein, da ersteres weit besser dnrdi
die Gebärde, letzteres weit besser durch die Sprache geschieht. Dagegen liegt die
eigentliche Aufgabe der Tonkunst in der Darstellung des Ideales, d. h. dessen, was wir
nur ahnen, des Unaussprechlichen, das eben auf keine andere Weise als nur durch
Musik wiedergegeben werden kann. Damit sind aber die drei vorher genannten Funktionell
der Musik keineswegs ausgeschlossen, und alles, was sie uns gibt, seien es nun Vor-
stellungen von der Aussenwelt, Gefühle, Gedanken oder Ideale, gibt sie uns von olner
nur ihr zugänglichen: von der spezifisch musikalischen Seite. — Man kann zugetmi,
dass in diesen Ausführungen ein richtiger Kern steckt. Aber es fehlt dem VerfiMser sn
jeder schärferen psychologischen Einsicht, und darum steht das Ganze in der Luft Ob
und wie es möglich ist, dass Musik ein rein sinnliches Vergnügen gewähre ohne unser
Gemüt zu erregen, wird nicht untersucht. Wie viele andere Musikisthetiker, so gebrsneht
auch Pilo das Wort »Gefühl« bald in seiner wahren Bedeutung, bald statt Affekt Uebs
und Haas, Hoffnung und Furcht sind Affekte. Dagegen sprechen wir von Lust- und
111
BESPRECHUNGEN (BOCHER)
Unlustgeffihl, von Strebungt- und Widentrebungsgeffibl. Welche Verwirrung aus der
Konfundiemng dieser beiden Gruppen von seelischen Vorgingen entstehen muss, ist
einleuchtend. In ähnlicher Weise wird das rein musikalische Denken mit den zufilligen
aussermusikalischen Gedanken, zu denen uns ein TonstQck anregen kann, zusammen-
geworfen. Endlich entbehrt »das Ideal* einer genaueren Definition. — Wie in der An-
deutung der Grundgedanken des Buches, so musste ich mich auch in der Kennzeichnung
seiner Schwichen naturgemiss auf das Allerwichtigste beschrinken. Das Werk bietet
kein haltbares System der Musikisthetik, das es doch offenbar geben will, enthilt aber
neben phantastischen Ausblicken in die Zukunft der Tonkunst viele anregende, *wenn
auch hittfig zum Widerspruch herausfordernde Bemerkungen. Ich will nur noch einige
besonders interessante Punkte herausgreifen. Pilo beschäftigt sich an mehreren Stellen
mit der Frage nach dem Ursprung der Tonkunst. Die Theorie Spencer's, nach welcher
der Gesang aus dem Tonfall der leidenschaftlich erregten Rede hervorgegangen ist, Iftsst
er mit Recht nur für denjenigen Teil der Musik gelten, der in der Sprache wurzelt, also
für die verschiedenen Arten der Psalmodie und des Rezitatives. Auch die Anschauung
Darwin's, nach der sich die Musik aus den Lockrufen der Tiere entwickelt hat, weist er
zurück. Dagegen nimmt er mit Richard Wagner an, dass ursprünglich Sprache und Musik
eine Einheit bildeten, indem der lautliche Ausdruck nur aus Vokalen mit verschiedenem
TonMl bestanden habe. Aber die Folgerung Wagners, dass darum der Komponist die
Gesangsmelodie aus der Sprachmelodie entwickeln mfisse, macht er nicht mit; denn nach
Eintritt der Differenzierung von Sprache und Musik bitten sich beide durchaus selbstindig
weitergebildet. So richtig dies ist, so verfehlt ist es dagegen, die immer weitergehende
Differenzierung in der Weise als ein Entwicklungsgesetz zu betrachten, dass man, wie es
Pilo tut, die dramatische Musik eigentlich für einen überwundenen Standpunkt hilt. Er
meint allen Ernstes, Wagner habe z. B. im »Ring* das, was er zu sagen hatte, durch sein
Orchester weit besser ausgedrückt als durch die singenden Personen auf der Bühne, die nur
Karikaturen seien. Ja, in seiner unglaublichen Verkennung der dramatischen Musik geht
er so weit, dass er mit Tolstoi's kindischen Ansichten über die Oper sympathisiert, und
dass er eine Oper lieber vom blossen Orchester als auf der Bühne ausführen hört
(Man weiss ja von den italienischen Blasorchestern, die im Freien vollstindige Opern,
mit allen Arien und Rezitativen, zu Gehör bringen.) Merkwürdig ist es, dass er es trotz
dieser Scheu vor dem Zusammenwirken der Künste für einen Vorzug der einzelnen
Kunst hilt, wenn sie sich gleichzeitig an mehrere Sinne wendet, wie dies die Vertreter
der künstlerischen Dekadenz anstreben. Er sieht in der heute freilich verhiltnismissig
seltenen Fihigkeit, mit Gehörseindrücken Farben-, Geruchs- oder Geschmacksempfindungen
zu verbinden, »einen glücklichen Atavismus*, der sich wohl weiter ausbilden lasse.
Im Anhang wird die »Prosa der Musik* behandelt. Jede Kunst hat gewissermassen
ihre Poesie und ihre Prosa. Sie ist prosaisch, wenn sie anderen Zwecken als dem
reinen Wohlgefallen dient Bei dieser Gelegenheit zeigt der Verfasser, wieder im An-
schluss an die Fin-de-sidcle-Richtungen, eine ganz einseitige Auffassung der eigentlichen
Poesie als einer nur durch Rhythmus und Klang wirkenden Kunst Musikalische Prosa
liegt vor in den Militirsignalen usw., aber auch in den Nationalhymnen, die »gleichsam
klingende Fahnen* sind, und in den stehend gewordenen Formeln und Formen der
Kirchenmusik. Dass diesen Ausführungen ein richtiger Gedanke zugrunde liegt, braucht
kaum besonders hervorgehoben zu werden. Ob aber die musikalische Prosa wirklich
noch in ihren Anfingen steckt und eine grosse Zukunft vor sich hat, kann man be-
zweifeln. — - Die Obersetznng des Werkes lisst die dem Original im Vorwort nach-
gerühmte Flüssigkeit und Glitte des Stiles hiufig vermissen. Viel schlimmer ist aber,
dass öfters musiktechnische Ausdrücke Msch wiedergegeben werden. So lesen wir
m
112
DIE MUSIK Vll. 2.
einmal: «Symphonie Wilhelm Teil* statt »Ouvertfire zn Wilhelm Teil«. Der Obersetaer
scheint nicht gewnsst zu haben, daas im Italienischen die Opernouvertüre mit vSinftmla*
bezeichnet wird. Auch spricht er mit wörtlicher, aber durchaas miasveratiUidllcher
Herübemahme der italienischen Ausdrucksweise häufig vom »Melodrama* statt von der
»Oper*. In einer Anmerkung über die Solmisationssilben schreibt er auch die Ein-
führung des si Guido von Arezzo zu, während diese Silbe erst im 16. Jahrhundert auf-
kam, und während Guido sein System auf dem Hexachord aufbaute, also nur die sechs
Silben von ut bis la verwendete. Ob er sie erfand, ist zweifelhaft. Im fibrigen bringen
die Anmerkungen Ergänzungen zu dem Buche und namentlich Hinweise auf einachiigige
deutsche Arbeiten, die Pilo nicht berücksichtigt hat. Dr. Richard Hohenemaer
MUSIKALIEN
20. G. F. Handels Werke für Orchester. Concerti grossi, No. 23. Bearbeitet
von Max Seiffert Verlag: Breitkopf & Härtel, Leipzig.
Einer besonderen Empfehlung bedarf die ausgezeichnete Bearbeitung der pracht-
vollen Concerti grossi Händeis durch Seiffert nicht mehr. Konzertleiter, denen es ernst
mit ihrer Aufgabe ist, und die demnach allerlei subjektive Wenns und Abera der Sache
und ihrer stilgerechten Vertretung zu opfern bereit sind, werden in ihnen erwünschtes
Material zur Aufführung ihrer Repertoire finden. Das vorliegende Werk ist herrlich
vom ersten bis zum letzten Takte. Ein kurzes Vorwort sorgt ausgiebig dafür, dasa der
Dirigent bei der Wiedergabe nicht in die Irre gehe. Prof. Dr. Wilibald Nagel
21. August Enna: »Mutterliebe*, Legende für Soli, Chor und Orchester. DIniacher
Text nach Andersens «Geschichte einer Mutter* von Viggo Stuckenberg.
Deuucb von Emma Klingen feld. Verlag: Breitkopf & Härtel, Leipzig.
Wir haben es hier mit einer durchaus innerlichen, bedeutenden musikalischen
Schöpfung zu tun, deren Textunterlage freilich etwas an verschwommener Symbolik lud
Unklarheit leidet. Urteilt W. Niemann in seiner »Musik Skandinaviens* über Enna
noch 1905, der Grundcharakter seiner Muse neige zu Mendelssohn, und der Einflnss
des Wagnera der mittleren Periode dokumentiere sich lediglich im Rhythmischen lud
in einzelnen harmonischen Wendungen, so zeigt seine »Mutterliebe*, wie er auch die
Motivbildung und Naturachilderung des Wagners der »Walküre* und des »Tristan* nun in
sich aufgenommen und seiner musikalischen Sprechweise, die den Reiz des Nationalen
(Enna ist Däne) nicht verleugnet, assimiliert hat. Assimiliert. Denn vor einem völllfen
Aufgehen in der reiferen und grösseren Kunst seines Vorbildes — so trefflich and
überzeugend gerade die Motive der Mutter, des Todes, die Schilderung des Domenbnaches
unter ihrer Einwirkung gestaltet sind — bewahrt ihn die Kunst seiner Heimat, in deren
Schlichtheit, Verträumtheit, Innigkeit das nordische Volkstum noch immer einen deutlich
fühlbaren und wohltuenden Einfiuss behauptet. Vielleicht ist als eine skandinaviaclie
Eigentümlichkeit auch noch eines anzusprechen, wodurch das Werk, zumal im ersten
Teile, sofort auffällt: das Knappe und Scharfgeschliffene der Form. Die Deklamationa-
febler der deutschen Obersetzung an der Stelle: »Jeg ser, o jeg s6r dig — Ich sehe,
o fch seh'* sind wie folgt leicht zu beheben: »Ich seh', o ich seh' dich, ein Blfimlein,
daa blü— het in ewigem Sommer; doch eines, das wel — ket gebrochen und bleich: sag,
o welches ist mefa Kind?*
22. Carl Thiel: »Die erste Pfingstpredigt.* Eine biblische Erzählung für ge-
mischten und Männerchor (Orgel- oder Harmoniumbegleitung ad üb.) op. 28.
Verlag: W. Sulzbach, Berlin.
Hier wird der Pfiogstbericht der Apostelgeschichte in vernünftiger Deklamation
113
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
vom Chore wiedergegeben. Der strengkirchliche Zweck bedingte bei der absoluten
Homophonie des Ganzen ein völliges Zurücktreten der Reize melodischer oder auch
nur formaler Kunst. So war der Eindruck des Kahlen, NGchtemen, eigentlich nicht
Notwendigen schwer zu vermeiden; die Homophonie wirkt sogar dogmatisch starr. Der
Fehler ist also im Stil zu suchen; auf das Können des Komponisten lässt sich ein
Schluss kaum tun. Dr. Hermann Stephan i
23. August Stradal: Diverse Lieder für eine Singstimme mit Pianofortebegleitung.
Verlag: J. Schuberth & Co., Leipzig.
August Stradal hat sich nicht nur als Bearbeiter von Orchesterwerken von Liszt
und anderen Meistern für Klavier einen Namen in der Musikwelt gemacht, sondern ist
auch als Liederkomponist bereits weiteren Kreisen bekannt geworden. Die vor mir
liegenden, unter den Nummern 7537—7542 der Edition Schuberth herausgegebenen
Gesinge lassen einen Tondichter erkennen, der nicht ohne Erfolg bemüht ist, den
Stimmuogsgehalt eines Gedichtes zum Tönen zu bringen^ Dass Stradal sich hierzu mehr
des Klaviers als der Singstimme bedient, liegt in seiner Vorliebe für dieses Instrument
ebenso begründet, wie die strikte Durchführung eines Motives, wie sie sich in dem
»Hingegeben* (Carl Stieler) findet, wohl mit auf die Klavierbearbeitung von Orchester*
werken zurückzuführen ist. Ein stimmungsvolles Liedchen ist „Die Nachtigall, als ich
sie fragte* (Bodenstedt). Auch die folgenden beiden Lieder, das schon erwähnte
lyHingegeben* und das «Nächtliche Wandern* (Carl Stieler), sind dem Dichter gut nach-
empfunden. Den Goetheschen Texten, »Der du von dem Himmel bist*, «Nur wer die
Sehnsucht kennt* (zweimal vertont) und »Ihr verblühet, süsse Rosen*, hat aber Stradal
nicht recht beizukommen gewusst. Am besten gelungen ist noch das erste Lied; beide
Vertonungen der »Sehnsucht* aber machen einen gesuchten Eindruck, und die »Wehmut*
mit ihren unausgesetzten Sextakkorden wirkt monoton. Unter den vier Gedichten von
Dehmel ist besonders das erste, »Maiwunder*, hervorzuheben. Ihm schliesst sich der
»Aufblick* an. Sehr charakteristisch ist das »Dann*, und wenn auch musikalisch nicht
hervorragend, so doch dem Text gut angepasst ist »Ein Tauwind fährt auf grauem Ross*
(A. von Puttkamer).
24. Christian Bering: Fünf Lieder von Goethe für eine Singstimme mit Klavier-
begleitung. Verlag: Hey'sche Buchhandlung, Mühlhausen i. Th.
Der musikalische Wert dieser fünf Lieder ist nicht sehr hoch anzuschlagen. Die
Lieder verraten ein heisses Ringen nach musikalischem Ausdruck, das den Zuhörer
nicht zum Gennss kommen lässt und auch den Komponisten nicht einmal immer vor
Alltäglichem bewahrt hat. Das Ringen nach Ausdruck äussert sich auch in den fast zu
penilieln Vortragsbezeichnungen. Da soll zu Anfang des »März* ein sich in die Tiefe
schlängelnder verminderter Septimenakkord »spitz und prickelnd* gespielt werden. Im
»April* findet sich »Ziemlich lebhaft, mit Feinheit und Grazie* als generelle Vortrags*
bezeichnung; ausserdem aber soll eine gewöhnliche Achtelbegleitung »leicht vibrierend*
und mit einem »immer sehr behutsam behandelten* Pedal gespielt werden, und später
toll der Pianist bald etwas »gemächlich*, bald »unwillig* spielen.
25. Karl Hallwachs: Sieben Gedichte von Wilhelm Busch für eine Singstimme
und Klavier, op. 28. Verlag: K. Ferd. Heckel, Mannheim.
Einem Komponisten, der auf die glückliche Idee kommt, Gedichte von Wilhelm
Busch zu komponieren, ist schon der halbe Erfolg im voraus gesichert. Der vorliegenden
Vertonung der Gedichte Buschs könnte man nun freilich in melodischer Beziehung viel
mehr Originalität, wie andererseits hier und da auch etwas mehr melodischen Fluss
gönnen. Was aber für die Gesänge einnimmt und ihnen gewiss auch weitere Verbreitung
▼erschaffen wird, das ist bei aller Schlichtheit des musikalischen Gewandes, mit dem der
Vll. 2. 8
J^K DIE MUSIK VII. 2. 9K
Komponist die köstlichen Verse Boschs zu umkleiden gewnsst hat, dst fotchlckte
Eingehen auf alle Einzelheiten des Textes. Da ist z. B. .Das Blfimlein und. der
Schmetterling* mit einer schlichten, aber charakteristischen Triolenbegleitnng. Gut ist
der Liebetschmerz des Schmetterlings geschildert, und bei der Stelle .Ein alter Esel
frass* ist Karl Hallwachs die musikalische Schilderung des Granrocka ttmt noch besser
gelungen als C. G. Reissiger in seinem Opus 110. Voll von vielem Humor sind «Der
Kritiker* und »Das Fliegel*; musikalisch arm ist «Ich sah dich gern im Sonnenschein*»
gut erfunden »Was mit dieser Welt gemeint*.
26. Gabriella Wurzer: Drei Gedichte von Goethe für eine Singatimme mit
Klavier. Verlag: K. Ferd. Heckel, Mannheim.
Gabriella Wurzer hat ihre drei Gedichte von Goethe für eine SIngstImme und
Klavier zwar ohne Opuszahl herausgegeben, dafür aber genau angegeben, wann |edes
einzelne von ihnen entstanden ist; spätere Musikhistoriker werden also nicht GefUir
laufen, die Erstlingswerke der Komponistin einer Zeit zuzuschreiben, in der diese
vielleicht auf den Höhen des Parnasses gewandelt hat. Ob ihr das fiberhmapt
gelingen wird? Nun, die vorliegenden Lieder verraten zwar das Bestreben, der vom
Dichter in seinen Versen festgehaltenen Stimmung in Tönen Ausdruck zu geben; aber
von origineller Schöpferkraft und Gedankenreichtum zeugen die vorliegenden Gesinge
keineswegs. Am besten gelungen ist No. 1, »Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg*; in den
folgenden Nummern, »Gewohnt, getan* und »Vanitas vanitatum vanitas*, kommt die
Komponistin aber aus der italienischen Zuckerbäckerei, will sagen, aus Terzen- und
Sextengängen, zu denen noch die Verdoppelung durch die Oktave kommt, gar nicht
heraus. Stellen, wie in »Gewohnt, getan" zu dem Text »sie kann nur allein mir gefUlen*,
sollte man doch heutzutage wirklich nicht mehr schreiben.
27. Christian Sinding: Sieben Gedichte von Albert Sergel fBr eine Sing-
stimme mit Klavierbegleitung, op. 77. Verlag: C. F. Peters, Leipzif.
Sinding nimmt, wie fast in allen seinen Werken, so auch in den vorii^feiiden
Lftdem unser Interesse in Anspruch. Es spricht aus den sieben Nnmmem det Opas
viel Phantasie, die dem nationalen Element nur so viel Raum gewährt, dass man in dem
Komponisten wohl den Sohn des Nordens erkennt, der rein musikalische Wert der Ge*
sänge aber nicht durch nationale Bizarrerieen verringert wird. Da finden wir sonldut
ein »Narrenlied*, in dem der Anflug von Spott, den der Text trägt, auch in der JHnsik
widerklingt. Schlicht und doch recht stimmungsvoll ist »Im Walde liegt ein stiller See*
gehalten. Der »Maientag* ist von prächtiger Wirkung, und such das letzte der Lieder»
»So gehen die Tage zu Ende*, sei besonders erwähnt. Die englische Obemetzang der
Texte hat John Bemhoff besorgt. Max Pattmann
2& Meisterwerke deutscher Tonkunst. Gottlieb Muffet: Aasgewihlte
Klavierwerke. Bearbeitet von W. Nie mann. Verlag: Breitkopf ft HIrtei»
Leipzig.
Unter all den zahlreichen »Ausgrabungen* alter Musik, die mir in der letzten Zeit
zu Gesicht gekommen sind, ist die vorliegende eine der erfreulichsten. Denn GoCtlieb
Muffkt ist in der Tat ein Meister, den man mit grösstem Genuss kennen lernt. Alle in
dem Hefte vereinigten KlavierstQcke zeigen Frische der Erflndung und jene altvaterische^
unnachahmliche Grazie des musikalischen Ausdrucks, die in Joseph Haydn später
ihre Krönung fknd. Die Stficke sind teilweise etwas unbequem Im Klaviersatz and er-
fordern, da sie nur bei sauberster Ausfuhrung ihre Wirkung tun, einen gefibten Spieler.
Jeder aber wird an den hfibschen Kompositionen des Meisters, der von 1600 — 1710 lebie^
seine Freude haben. Vor allem durfte die Empflodung für klare, knappe Form dofch
das Studium des vorliegenden Heftchens bei jedem Spieler eine wesentliche Stärkimg
115
BESPRECHUNGEN (MUSKAUEN)
erftdireny nnd dtrin liegt meiner Meinung nach gerade in unserer ao formverachtenden
Zeit teiiimtae der Hauptwert der intensiven Beschäftigung mit alter Musik.
29. Raoul Pugno: »Paysages", Vier Klavierstficke. Verlag: G. Schirmer,
New York.
Der rfihmlichst bekannte Klaviervirtuos tritt hier mit einigen Kompositionen her-
vor, die zweifellos auf den Reiz der Absonderlichkeit Anspruch erheben dfirfen. Er hat
offenbar die Absicht, Tongemälde von sezessionistischer Färbung zu liefern, und setzt
diese Absicht ohne jedes bedenken in die Tat um. Schon das erste der Stücke »Auf-
steigender Frfihnebel* wirkt durch harmonische Eigenart apart und stimmungsvoll,
wenngleich die Vorliebe des Komponisten für Folgen von grossen, bez. übermässigen
Intervallen zunächst befremdet, und auf die Dauer etwas Gekünsteltes hat. Dieser Ein-
druck wird durch das zweite Stück ,yNach klang der Gldckchen* noch wesentlich verstärkt,
zumal da Pugno auch in seiner Melodieführung Sprünge und übermässige Fortschritte
liebt Immerhin ist die Art, wie er seine Kantilene mit der fast durch das ganze Stück
gehenden Glöckchenfigur verbindet, interessant Das dritte Stück «Festlärm* ist in
bäurisch derber Manier gehalten; das letzte „Wenn alles schläft* erscheint mir als das
wertvollste. Hier offenbart sich verfeinerter Klangsinn ebenso wie Empfindung und
Kraft des Ausdrucks. Virtuos gespielt und in allen Einzelheiten fein ausgefeilt, dürften
die Stücke, die ich als modern-impressionistische Phantasieen bezeichnen möchte, eine
aparte Wirkung tun. Aber man soll sie immer nur einzeln spielen; als Reihe dürften
sie den Eindruck des ManiHerten machen. F. A. Geis sl er
30. Ernst von Dohnänyi: Konzert für Pianoforte und Orchester e-moU op. 5
und Vier Rhapsodien für Pianoforte op. 11. Verlag: Doblinger, Wien.
Das Konzert wurde seinerzeit in Wien preisgekrönt Es hat die Auszeichnung
vollauf verdient; denn es ist eines der besten Konzerte, die für das Instrument
geschrielien. Was Dohnänyi auszeichnet und mich besonders fesselt, ist jener grosse
Wurf; die kühne, ungebundene Art einer freien Energienatur. Dazu kommt ein pompöser,
voUgrifÜger, saftvoller Klaviersatz, der die Grandezza, die grossen Allüren der Litztschen
Faktur zwar nicht immer verleugnet, aber doch steta mit Geschmack zu verwerten
weiss. Wie man ihn der Epigonenschaft Brahma' bezichtigen kann, verstehe ich nicht
recht Höchstens die dritte und vierte Rhapsodie könnte man dem Einfluss des
grösseren Vorbildes zuschreiben. Im Konzert sind gar keine Sparen zu finden, — in
den übrigen Rhapsodieen ebensowenig. Der Stil zeichnet sich im Gegenteil durch üppig
schwellende Begieitpassagen und eine prachtvolle chordische Thematik aus und hat vor
Brahms eine weitaus höhere Klaviergemässheit voraus. Freilich die Technik ist nicht
leicht Sie verlangt eine reife Hand und ein gewisses knraglertes Anfassen. Ein
Temperament bedarf zur Darstellung eines gleichen Temperamentes, wenn anders es zu
einer gewisssen Harmonie und nicht zu Unstimmigkeiten kommen soll. Die «Rhapsodieen*
sind wirklich wertvolle Stücke, wie überhaupt Dohnänyi zu den wenigen Pianisten zu
zählen ist, die für ihr Instrument zu schreiben wissen. Wird der Wunsch nach grösserer
Vertiefung und einer allmählichen Emanzipation von den mehr instrumenteil als
spezifisch musikalisch-poetisch erfundenen Formen erfüllt, so können wir von ihm noch
reiche Früchte auf diesem Gebiete erwarten. Rad. M. Breithaupt
31. Orchesterstudlen: Eine Sammlung schwieriger Stellen aus Tonwerken für Kirche,
Theater und Konzertsaal. Ausgabe für zweite Violine mit Fingersatz-
und Bogenstrichbezeichnungen von Friedrich Hermann. Ausgabe für
Violoncell (zwei Bände) von Fr. Grützmacher. Verlag: Breitkopf & Härtel,
Leipzig.
Zwei ganz ausgezeichnete Sammlungen, für Jeden Orchester-Geiger und -Violoncel-
8*
116
DIE MUSIK VII. 2.
listen gradezu unentbehrlich, aber auch für Dilettanten zum Oben sehr geeignet» mit
t>esonderer Berficksichtiguog modemer Komponisten.
32. Emil KroBs: Gradus ad Parnassum ffir die Violine. Praktisch -theoretische
Anleitung zur Erreichung der Virtuosität Ergänzung der Violinschnlen lud
Etüden werke op. 50. Verlag: Bosworth & Co., Leipzig.
Wieder ein sehr nfitzliches Werk des bekannten Violinpidagogen, dessen Violin-
schule seinerzeit hier ausfuhrlich gewürdigt worden ist Die Beispiele and Etüden sind
zum guten Teil der bewährten Literatur entnommen.
33. Johannes Palaschko: Fünf Charakterstucke für drei Violinen, op.39. Verlag:
Bosworth & Co., Leipzig.
Bei dem Mangel an Werken für drei Violinen dürften diese CharakterstficlEe um
so willkommener sein, als namentlich das Scherzo, Orientalisch und Capricdoso, abge-
sehen von ihrem pädagogischen Wert, recht pikant und wohlklingend sind.
34. Franz Schubert: Konzertstück (D-dur) für Violine. Bearbeitung mit KlaWer-
begleitung von Friedrich Hermann. Verlag: Breitkopf & Hirtel, Leipzig.
Dieses aus einer Einleitung und einem sehr gefälligen Rondo bestehende nicht
schwierige Konzertstück, das kein geringerer als Henri Marteau erfolgreich in die
Öffentlichkeit eingeführt hat, liegt jetzt sorgfältig bezeichnet in der Volksaosgftbe
Breitkopf & Härtel vor.
35. R. Kreutzer: 42 Etüden oder Capricen für Violine. Instruktive Ausgabe mit
zahlreichen Erläuterungen von Henri Petri. Verlag: Breitkopf & Härtel,
Leipzig.
Eine gradezu mustergiltige, übrigens auch vortrefflich gedruckte and aasgestattete
Ausgabe dieser auch heute noch unentbehrlichen Etüden. Petri gibt zu den tiekanntesten
Etüden in C-, Es- und E-dur je 100 verschiedene Obungsarten an!
36. Julius Kosleck: Orchesterstudien für Trompete. Verlag:'Breitkopfft Härtel,
Leipzig.
Der kürzlich verstorbene berühmte Trompeter hat in diesem Werke eine grosse
Anzahl schwieriger Stellen aus Tonwerken für Kirche (namentlich Bach), Theater und
Konzertsaal vereinigt, die gleichzeitig zeigen, welche hohen Anforderungen man an die
Trompeter zu stellen berechtigt ist.
37. EmilPrill: Orchesterstudien für Flöte. Verlag: Breitkopf & Härtel, Leipzig.
Der Name Prills, der bekanntlich erster Flöter der Königlichen Kapelle und
Lehrer an der Königlichen Hochschule für Musik in Berlin ist, bürgt von Tomherein
dafür, dass diese Sammlung der wichtigsten Flötenstellen aus Opern, Symphonieen lud
anderen Orchesterwerken für Studienzwecke sehr zu empfehlen ist In dem Titel bitte
noch zum Ausdruck gebracht werden müssen, dass vorwiegend neuere Komponisten be-
rücksichtigt sind. Zum erstenmal in einer solchen Sammlung erscheinen die Symphonieen
von Brahms, Humperdincks Oper „Die Heirat wider Willen*, Sibelius' erste Symphonie^
Richard Strauss' Symphonia Domestica, Weingartners erste und zweite Symphonie und
«König Lear*. Vertreten sind ferner Berlioz, Heinr. Hofmann, Jadassohn, Joachim,
Friedr. E. Koch, Liszt recht ausgiebig, Nicod6, Ph. Scharwenka, Georg Schamann, Fritz
Volbach, R. Wagner («Lohengrin* und »Tristan*). Eine Fülle von Obangamaterial ist
jedenfalls in dieser Sammlung, deren Preis auch ein sehr massiger ist, niedergelegt
38. Tobias Matthay: Qu artet in one movement for Violin, Viola, Violoncello and
Pianoforte. op. 20. Verlag: Charles Avisen, London.
Dieses Quartett ist 1882 komponiert, 1905 revidiert worden, wie mitgeteilt wird.
Der Komponist hätte es lieber unterdrücken sollen, denn es ist gar zn simpel im Auf-
bau und in der Erfindung. Wilhelm Altmann
Aus deutschen Tageszeitungen
NEUE FREIE PRESSE (Wien) vom 16., 18., 22. August und 18. September 1907:
Am Anfang seines Aufsatzes ijosepb Joachim* (16. VIII.) sa(t Julius Korn-
gold: .Er hat am reinsten den Typus des modernen nachschaffenden Künstlers ver-
körpert, dessen Spiel ganz im Kunstwerke aufgeht . . . Schon in den fünfziger Jahren
wusste Moritz Hauptmann von dem jungen Manne zu berichten, dass bei ihm Tech-
nik, Ton zurücktrete, sich gar nicht bemerkbar mache, dass ,man eben nur Musik höre^
Wie anders der zweite grosse Künstler, den Ungarn dem Virtuosentum geschenkt,
Liszt, der Klavierkaiser! . . . Das Persönliche stellte sich neben das Kunstwerk . . .
Der Prophet, der Wundermann, vereinigte auf sich selbst den Hauptteil der An-
betung; bei Joachim vergass man nie über dem Priester die Andacht vor dem
verherrlichten schaffenden Geiste. Kein Zufall darum, dass Joachim so frühzeitig
neben den Konzertspieler den Quartettspieler treten Hess.* Joachim sei j^auch als
Konzertsolist immer eine Art Kammermusiker gewesen.* Korngold beschreibt
dann das Leben Joachims. Durch Joachims Wirken in Berlin habe sich der
Schwerpunkt im musikalischen Leben in Deutschland von Leipzig nach Berlin
verschoben. »Joachims Wiedergabe . . . trug, wenn man so sagen darf^ etwas
Ethisches in Technik, Ton, Ausdruck an sich. Keiner holte wie er aus dem
unvergänglichen Stücke den Charakter heraus neben der Schönheit*. Allerdings,
j^erflndungsreicher Instrumentaltechniker, absichtsvoller Entdecker auf dem Gebiete
des spezifisch Violinistischen* sei Joabchim nicht gewesen. — »Joachim ragte
nicht bloss als klassischer Geiger in unsere Zeit. Er war ihr der ,klassische
Musiker* überhaupt, der gewichtige Bekenner von ästhetischen Oberzeugungen,
die seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ins Wanken geraten waren . . .
Joachim ist vielleicht der einzige ältere Musiker von Gewicht geblieben, der
sich Wagner nicht unterworfen hat, und zugleich der einzige, dem man es nie
nachgetragen hat.* Er erkannte den hohen Gipfel in Wagner, den Bergriesen von
seltsamer Formation. Besah ihn aber gleichsam stets nur kühl bewundernd von
unten, stieg nie zu ihm empor . . . Die Zeit blickt vielfach über Joachims Ideale
hinaus, sie sucht die Klassiker der Zukunft. Aber es war eine Beruhigung, diesen
sicher wandelnden Mann am Leben zu wissen, wenn ,Salome' die Gemüter ver-
wirrte, die grossen, mehrstündigen Symphonieen gegen die Nerven anstürmten*. —
Eingehend spricht Korngold von Joachims Verhältnis zu Brahms. »Was später
Bfilow für Brahms' Orchestermusik, tat Joachim frühzeitig für dessen Kammer-
musik, für dessen Geigenkompositionen. Anderseits enthüllte sich in der vollen
Hingabe an Brahms Joachims vorwiegend reproduktive Künstlersnlage. Ver-
mochte er doch ohne merklichen Kampf der eigenen Produktion zu entsagen,
den Komponisten in sich zu verabschieden, der in einigen Ouvertüren, vor-
nehmlich aber in dem »Violinkonzert in ungarischer Weise* wie in den »Variationen
für Violine und Orchester* Ernst und Bildung, wenn auch wenig Persönlichkeit
gezeigt hatte.*
118
DIE MUSIK VII. 2.
Broniilaw Hubermtnn erzitalt in dem Aufeatz: »Meine ErinnerufSB tm
Joseph Joachim* (18. VIII.) von seinem ersten Zusammentreffen mit dem Meister, dea
er 1802 als neunjihriger Knabe vorgestellt wurde. Als Joachim hörte^ dass ihm wtedtr
ein geigendes Wunderkind vorspielen solle, wehrte er zuerst unwillig ab; als er aber
auf Bitten der Eltern des Knaben Spiel gehört hatte, schlosa er ihs ,jMtmmäaa
Auges in die Arme* und ebnete ihm dann mit grosser Gte den Weg in die
Öffentlichkeit Ober Joachims Spiel sagt Hubermann: .Mein g^tsea Leben laag
werde ich an den rfihrenden fiberwiltigenden Eindrficken der tettüa Joaebim-
Quartette zehren. Es war höchste Abgeklirtheit, dabei doch die Macheate Ge-
staltungskraft und die innigste Inbrunst, die ans seinen Tönen spraelk Nidita
Irdisches haftete mehr diesem Evangelisten an, ausser den Mitlala, fiber die er so
seinen Offönbarungen verfQgte. Und auch diese erschienen mir ananchmal wie
ein Wunder. Wenn ich, von meiner Andacht erwachend, zum PMUun anibchattte
und dieses ehrwürdige, ergraute Haupt erblickte, musste ich mieii mwülMrlich
fhigen, wie ist es möglich, dass sich dieser Greis einen solehaa Grad aneii rein
technischer Frische bewahrt hat. Ein geradezu anatomischee RUsel Mab mir Ms
an sein Lebensende seine Bogenffihrung, um die ihn alle jfingenm in der FfiUe
ihrer Kraft stehenden Geiger beneiden konnten. Am liebsten löigta ich Ihai in
jene höchsten Regionen der Musik, in deren Erschliessung eines seiner
liehen Verdienste liegt. Wo man bis dahin nur Eis und Iblalgea Oeateia
mutete, da pflQcicte er die schönsten Alpenrosen und Edelweiss und eröffbotn den
herrlichsten Femblick auf blaue, von linden Lfiften sanft bewegte Seen, umrahmt
von blnmengeschmfickten, im Sonnenschein erstrahlenden Fluren.*
In dem Aufeatz »Felix Weingartner* (22. Vlll.) spricht Jolioa Korngold
die Meinung aus, dass der neue Wiener Hofopem-Direktor in ninigsn B|gan
Schäften Ähnlichkeit mit seinem Vorginger Mahler habe. GMch diaaam sei
Weingartner eine „impulsive Kfinstlematur*, unberechenbar und 8prafli^hall(p «in
.rficksichtsloser Verfechter seiner Oberzeugungen*. Stets liabe er eich voa «CUqne
und Claqne . . . sorgsamst femgehalten*. Seine Art zn dirigleran, die in triharaa
Jahren von den .Schwichen des Pultvirtuosentums, dessen Anal^fifoeitt «od
Nfiancenjagd* nicht fM gewesen sei, zeige jetzt .eine immer wachaeade Naigmg
zu EinfMhheit und Natfirlichkeit*. Dass Weingartner auch Kompoaisl» aogiur Qpgni-
komponist ist, sei kein Grand, ihn f&r ungeeignet zu halten, daa Amt tiniä Opora-
direktors auszuüben. In den meisten in Wien bisher belcannt gewordeaea
Weingartnera sei .die Erfindung t>escheiden, nicht redit peraönlidl"; aia
aber «durchwegs ernste, gebildete Musik*, .rechtschaffene^ getad gewaehataa Ifai-
phonieen*. Komgold beapricht auch kurz die Schriften Welngvtnen, in daaaa er psa-
meist gesunde und natfirliche Ansichten* ausgesprochen findet Alleidiagpi fsba Wain-
gartner i,aach abgegriffene Mfinze, ohne sie auf ihre Bchthek sa prfilM, waüai*.
Intereaaant aei »die warme Anerkennung, die Weingartner dem Kompaalataa Mahlar
in aeiner Schrift ,Die Symphonie nach Beethoven* apendet*.
In dem Aufintz .Ignaz Brfill* (18. IX.) zeichnet Jnliaa Keragold eia BOd
des liebenswfirdigen Charaktera des Verstorbenen und bespricht seiae Warise.
Zur allgemeinen Charakteristik der Brfiirschen Kunst schreibe er a. a«: JBi iat
von seinen Anfingen bis zu seinem Ende derselbe geblieben, der gleidM
los, oft allzu ansprachslos, in einem begrenzten EmpfladaagslDaia ▼<
mit einfkchen Ideen und Mitteln einfticb schaltende, naive Maaiker • • • BriU var
von der Natur mit jener echten musikaliachen Begabimg bedacht^ die aiek ia 4$f
Mühelosigkeit und Natfirlichkeit der melodischen Brfiadaag laaeifft. Fast aas*
119
REVUE DER REVUEEN
schlietslich neigten aber diese auf das schlichteste zugeschnittenen Melodieen einer
gefilligen, gemfitlichen, zuweilen such ein wenig hausbackenen Lyrik zu . . .
Reichere Ausnfitzung der Krifte der Harmonik lag ihm fem, und Tongedanken
breiter zu entwickeln, sich ringend durchsetzen zu lassen, war seine Sache nicht.
Er schien in der besten aller Tonwelten zu leben, Dissonanz und Seelenkampf
nicht zu kennen . . .* Komgold nennt Brüll den einzigen Opemkomponisten, der
»sich ganz dem Banne Wagners zu entziehen vermochte*. Auch von Brabms sei
Brfills Schaffen nicht beeinflusst worden, trotzdem er mit diesem freundschaftlich
▼erkehrte.
AUGSBURGER ABENDZEITUNG (Beilage: Der Sammler) vom 10. August 1907. —
Paul Marsop widmet dem vor einigen Tagen gestorbenen Mfinchener Musik-
schriftsteller Theodor Goering einen warmen Nachruf (»Theodor Goering*).
TÄGLICHE RUNDSCHAU (Berlin) 1907, No. 172. — In dem Aufeatz: »Zum ersten
Mal in Bayreuth* erzählt Richard Stern feld von seiner Fahrt zur zweiten Auf-
fOhrung des .ParsiM« im Jahre 1882 und schildert die Eindrücke, die die Zuhörer
von dieser Aufführung empflngem. Ober das Erscheinen der Dichtung des .Parsifal*
im Jahre 1877 schreibt Stemfeld: »Welch ein Erstaunen der Leser, als sie dies
Mysterium zuerst auf sich wirken Hessen! • . . Wie manche — wir wissen es
von Nietzsche — wurden an ihm irre, weil sie, kurzsichtig und kleingläubig, nicht
erkannten, dass der Meister hier zu einem höheren Fluge die Schwingen seines
Genius entftütet habe. Sie hatten vielleicht im ,TristanS im ,Ring' eine Welt-
anschauung gefunden, die der ihrigen entsprach und die sie nun als die fOr Wagner
abschliessende ansahen. Sie verstanden es nicht, . dass der Meister nun, da sein
Leben sich neigte, den trostbedürftigen Blick zum Golgatha erhoben und, wie die
grössten der deutachen Dichter und Musiker am Schlüsse ihres Schaffens, ein
religiöses Werk vollendet hatte, das mit seiner erhabenen Weihe kein Abirren von
der Bahn, sondern das Erreichen des Zieles bedeutete.* Ober die Vorginge am
Schlüsse der Aufführung berichtet Stemfeld: .Da geht eine mächtige Bewegung
durch die enthusiastische Hörerschaft. Der Vorhang zieht sich noch einmal aus-
einander, und plötzlich steht er unter seiner Künstlerschar, der unscheinbare Mann
mit dem gewaltigen Haupte, der all dies Wunder schuf. Er beginnt zu reden in
einftichster Welse, mit herzbewegendem Ausdrucke der vibrierenden Stimme, mit
dem leuchtenden Blicke der wunderbaren Augen. Mancher mochte wohl gedacht
hallen, es würde wieder, wie 1870, zu einem ernsten und mahnenden Künstlerworte
kommen, das dann, viel erörtert und gröblich missverstanden, neuen Kampf er-
regen könnte; statt dessen nur die schmucklosen Worte des dankerfüllten Menschen,
der seinen Künstlern, dem Kapellmeister, den Orchestermitgliedem sagen will,
was er nach solchen Taten ihnen schuldet. So geht er von der Bühne, die er
mit diesem Werke für alle Zeiten geweiht hat, dem hehren Werke, das sein letztes
sein sollte und sein musste; die Blicke folgen ihm, als wollten sie sich noch
einmal einprägen, was sie nie mehr sehen würden; denn eine Ahnung sagte uns,
dass dies ein Abschied sei für Immerdar.*
VOSSISCHE ZEITUNG (Berlin) vom 14. September 1907. — Georg Gräners Auftotz
.Zum Kapitel: Richard Strauss* enthält eine scharfe Kritik der Schrift .Richard
Strauss als Mnsikdramatiker* von Eugen Schmitz und Angriffe gegen die moderne
»symphonische Dichtung* überhaupt.
KONIGSBERGER allgemeine ZEITUNG (Beilage: Blätter für Uteratnr und
Kttnsl) vom 9. August 1007. — Felix Welngartner schildert In dem Anftots
120
DIE MUSIK VII. 2.
»Die Solisten in den Orchesterkonzerten* den Verlauf eines Konzertes, In den
die meisten Zuhörer ihre Aufmerksamkeit mehr dem Aussehen der Solisten, ihrer
Toilette usw. als der Musik zuwenden, und schreibt dann: .. . • Der Solist
ist weder dazu da, im Rahmen eines Symphoniekonzertes sein Können
zu produzieren, noch auch die Kasse zu föllen, sondern dazu, diejenigen
Werke interpretieren zu helfen, die seiner Mitwirkung bedfirfen. Die oberste
Forderung scheint mir daher die zu sein, dass man in einem Symphonie-
konzert nur solche Werke auffuhrt, die in den Rahmen eines solchen Konzertes
passen. Damit wird die allgemeine Frage der Programmzusammenstellung berührt
HierQber hat Siegmund v. Hausegger in den ,SQddeutschen Monatsheften' zumeist
sehr treffende Grundsätze aufgestellt, deren Befolgung ich empfehle. Mich seinen
Äusserungen zum Teil anschliessend, finde ich, dass von Werken, die solistische
Mitwirkung erfordern, für Symphoniekonzerte nur wertvolle Instrumentalkompo-
sitionen mit eolistischer Behandlung des Klaviers oder eines andern Instrumentes,
sowie selbständige Gesangstücke mit Begleitung des Orchesters in Frage kommen
sollen. Das Orchesterlied könnte von Komponisten und Dirigenten liebevoller
gepflegt werden, als dies bisher geschieht. Auch gegen stilvoll instrumentierte
Klavierlieder, sofern nur ihr textlicher und musikalischer Gehalt, dem
orchestralen Gewände nicht widerstrebt, wird nichts einzuwenden sein. Schuberts
»Erlkönig*, von Berlioz instrumentiert, sollte endlich einmal aufgeführt werden.
Mottls sehr glückliche Versuche mit den Liedern von Wagner und einigen
von Schubert könnten verständnisvolle Nachahmung finden. Werke intimen
Charakters jedoch, Klavierstucke, kleine Instrumentalsätze und Lieder mit
Klavierbegleitung sollten aus dem Orchesterkonzert verbannt sein, ebenso irie
alle Virtuosenstücke, diese, weil sie nicht würdig sind, neben bedeutenden
symphonischen Schöpfungen gehört zu werden. Jene, weil sie im grossen
Räume nicht zur beabsichtigten intimen, sondern nur zu iusserlicher Wirkung
kommen können, gerade dadurch aber die Aufmerksamkeit des Publikums von
den Hauptwerken des Abends ablenken, durch beides aber zum künstlerisehen
Zweck des Orchesterkonzerts in Widerspruch stehen. Auch die Arie möchte ich
ausschalten, weil sie nur im Zusammenhang mit der Oper oder dem Oratorium^
in denen sie steht, Sinn hat. Sie mag geduldet werden, wenn ein Singer ein
eigenes Konzert gibt, obwohl es nach meinem Gefühl stets lächerlich wirkt, wenn
eine Dame in Abendtoilette »O zittre nicht, mein lieber Sohn* seufzt, oder ein
befrackter Herr sich über die »tobenden Heiden" aufregt. Was endlich die
Zugaben betrifft, so sollten sie einfach verboten werden. Hat ein Stück solchen
Erfolg, dass das Publikum seine Wiederholung stürmisch fordert, so möge ein
Dacapo ausnahmsweise gestattet sein, in der Voraussetzung, dass diese Ausnahme
nicht zur Regel wird. Dem Solisten darf es aber nicht erlaubt sein, durch will-
kürliche Hinzufügungen das Programm zu verändern, schon deshalb nicht, weil
die zugegebenen Stücke oft so ungeschickt wie möglich gewählt werden . . . Ver-
suchte man es nur einmal mit Einsicht und gutem Willen, wenn nicht mit einem
Schlag, so doch allmählich Wandel zu schaffen, . . . veranstaltete man auch öfters
ein Konzert ohne solistische Mitwirkung, aber mit möglichster Vollendung der
orchestralen Vorträge, so würde man sich bald überzeugen, dass das Publikum
nicht opponiert, sondern mit weit grösserer Hingabe, als es bisher möglich is^
den Darbietungen lauscht . . .*
LEIPZIGER VOLKSZEITUNG vom 21. September 1907. - In dem Anlhatz
»Beethovens MJssa solemnis und Neunte Symphonie* von » t • wird versneht^
Ü.
121
REVUE DER REVUEEN
den »philosophischen Kern* der beiden Werke dtrzulegen. In der »Miss»
solemnis* sei »ein Bekenntnis ausgesprochen, das Beethoven nie in Worten
ausdruckte: den »Friedens die Rettung vor der Naturkausalität, die kann ihm
[dem Menschen] auch Gott, die höhere Macht, nicht geben. Das ist ein Unmög-
liches. Der Mensch erbat sich von Gott etwas, was auch dieser ihm nicht geben
konnte. Und deshalb muss die Messe auch pessimistisch schliessen, Resignation
beschleicht den Menschen: er hat einzig die furchtbare Gewissheit erhalten, dass
der heisserflehte ,Frieden' dem Menschen nicht beschieden ist. Das ist alles:
das ist der Inhalt der Messe. Damit, mit dieser zitternden Gewissheit, bricht das
Werk ab . . . Auf den »Frieden' müssen wir verzichten, diesen Gedanken nach-
zusinnen, fuhrt uns in Verzweiflung oder in tatenloses Dahintriumen; die Vorsehung
gab uns aber statt dessen etwas andres, die Betätigung und zwar die durch die
Freude geadelte Betätigung. Und dies . . . fuhrt Beethoven in den . . . Bildern des
letzten Satzes [der Neunten Symphonie] aus; was er hier schildert, sind die durch
die Freude erlangten Zustände. Wer in diesem Sinne den letzten Satz versteht,
dem wird er nicht zu lang und auch nicht zu bunt vorkommen, denn er würde
damit eingestehen, dass er für die von der Freude geschaffenen höheren Zustände
kein Verständnis zeigt*.
BEILAGE ZUR ALLGEMEINEN ZEITUNG (München) vom 28. und
29. August 1907. — Der interessante Aufsatz »Melodie und Rhythmus in Sprache
und Musik" von Karl Meinhof handelt hauptsächlich von dem Rhythmus in der
Sprache und der Musik der Neger im Sudan. Die Sprachen dieser Völker »bestehen
aus einsilbigen Wurzeln, die man aneinanderfügt. Jede Wurzel hat ihre ihr eigen-
tümliche Tonhöhe, die sie mit grösserer oder geringerer Stetigkeit auch im Zu-
sammenhang des Satzes festhält. Auf diese Weise ergibt sich für die gesprochene
Rede eine Melodie, die von den Tonhöhen der einzelnen Wurzeln bestimmt wird.
Diese Melodie wird weder durch den Affekt, noch durch den Wechsel von Hauptsatz
und Nebensatz, auch nicht durch die Fragestellung irgendwie geändert — die
Melodie eines Satzes ist absolut feststehend.* . . . »Die Negersprache wird von der
Melodie beherrscht, der Rhythmus hat keine oder eine geringfügige Bedeutung.
Die europäische Sprache wird vom Rhythmus beherrscht, die Melodie tritt dagegen
zurück.* An der Musik dagegen «interessiert den Europäer zunächst die Melodie,
der Rhythmus kommt erst in zweiter Linie. Dem Afrikaner ist in der Musik der
Rhythmus alles, die Melodie tritt dagegen zurück. — Die Normen der Sprache
sind also den Normen der Musik entgegengesetzt.* »Da ein Satz bei ihnen [den
Sudan-Negern], auch wenn er gesprochen wird, eine feste Melodie hat, kann an
dieser Melodie beim Singen nichts geändert werden. Aber da man die Lieder in
der Regel bei der Arbeit und beim Tanz, also bei rhythmischen Bewegungen singt,
wird bei der Musik der bereits vorhandenen Melodie etwas Neues hinzugefügt,
das ist der Rhythmus .... Diesen Tatbestand bat der rühmlichst bekannte Sprach-
forscher Westermann für das Ewe nachgewiesen .... Wie nun der Europäer seine
Freude an der Melodie vermehrt, indem er den melodischen Kontrapunkt an
wendet, so sucht nun auch der Afrikaner Mannigfaltigkeit in die Musik zu bringen.
Er wendet dazu den ,rhythmischen Kontrapunkt* an. Es war das Verdienst von
E. V. Hornbostel und O. Abraham, dass sie den ,rhythmi8chen Kontrapunkt* in
indischer Musik nachwiesen. Neuerdings ist er nun von denselben auch in afrika-
nischer Musik gefunden, und wir haben gemeinsam festgestellt, dass man z. B*
in der Ewe-Musik bis zu sechs verschiedenen Rhythmen gleichzeitig anwenden
kann — eine Art der Musik, die uns Europäern zunächst gänzlich unverständlich
122
DIE MUSIK Vll. 2.
itt.* Die Völker Afrikas, deren Sprache Rbythmns und deren Musik Melodie hat,
sind nach Meinhohi Ansichten von ktuktsiscben und btmitischen Völkern beeinflotst
MÜNCHNER NEUESTE NACHRICHTEN vom 18. und 20. Sept und 2. Okt 1907.
— Der Attfettz »Igntz BrQll« (18. IX.) von Friedrich Möhl tothilt eine kurse Lebens-
beschreibung und eine Charakteristik der Werke des Veraterbenen. — Rommn
Woerner veröffentlicht einen ausführlichen Aufsatz über den gsrmnastischon
Unterricht von Emil Jaques-Dalcroze (aJaques-Dalcroze*) (20. IX). — Paai
Marsop veröffentlicht unter der Oberschrift »Von der Mfinchner Masikalisehen
Volksbibliothek* (3. X.) den 2. Jahresbericht dieser Bibliothek, dem wir die
folgenden Angaben entnehmen: »In der abgelaufenen Arbeitsperiode erfolgten
3747 Ausleihungen, gegen 2912 im Vorjahre — was ein Mehr von 833 In sich
begreift. Davon entftülen unter anderem auf die Abteilungen Klavierkompositionen
f&r zwei und für vier Hinde (Originalkompositionen und Obertragungen) zusammen
880, auf Werke fOr Violine, Viola, Violoncell 520, f&r Bissinstrumente 78. Die
Fieber ,Kammermu8ik in Stimmen' wurden 130 mal, ,Gesinge mit Klavier-
begleitnng* und ,Sammlungen von Volksliedern' 335 mal, die Bficherel 2S2nial in
Anspruch genommen. Klavierausziige von Opern und Oratorien gaben wir
1294 mal ab. Davon trugen 511 den Namen Richard Wagner auf dem Titelblatt.
Rechne ich 64 Ausleihungen der Arrangements einzelner Abschnitte aas den
Ring-Dramen, den «Meistersingern* usw. und 33, die Einzelbinde der »Gesammelten
Schriften' betrafen, hinzu, so behauptet sich der Bayreuther Meister mit der Zahl
^08 an erster Stelle in der Jahresstatistik. Haydn wurde 113mal, Mozart 234mal
begehrt (gegen 204 im Vorjahre), Beethoven 302 mal (gegen 226 im Vorjahre).
Weber trat diesmal gegen Schubert zurück. Schumann und Liszt standen mit
respektablen Ziffern im Vordergrunde, wogegen wir die Chopin-Hefte auch diesmal
verhiltnismissig selten aus den Regalen hervorzuziehen hatten. Hugo Wolf hielt
sich auf der im Vorjahre eingenommenen Höhe. — Unter den ffihrenden Musikern
der Gegenwart steht Richard Strauas mit 74 Nummern an der Spitze; ihm folgen
in kurzen Abstinden Thuille, Schillings, Pfltzner, Klose und Reger. — Italienische
Opemkomponisten waren 136 mal an der Reihe (gegen 122 im Vorjahre), fransösische
91 mal (gegen 62). Verhiltnismissig selten wurde nach Chormusik gefragt, wo-
gegen sich in letzter Zeit eine stirkere Sympathie fQr Orgelliteratnr kundgab.
Auch das vorhandene sehr reichhaltige Studienmaterial (ffir Gesang, Klavier und
alle Orchesterinstrumente) kam neuerdings mehr und mehr in UmlantL* Am
Schlüsse teilt Maraop mit, dass in Stuttgart und in Hamburg die Gründung ihn-
licher Bibliotheken beabsichtigt wird. In der pidagogischen Monatsschrift »Der
Siemann* veröffentlichte Paul Maraop ebenfalls einen ausführlichen Bericht über
die Musikalische Volksbibliothek, den wir in der »Revue* des 2. Septemberbeftea
besprochen haben.
PRAGER TAGBLATT vom 4. August, 10. September und 3. Oktober 1907. — In den
vier Kapiteln des Aufsatzes .Musikalische Apokryphen* (4. VIII.) teilt Richard Batka
mit: 1. dass das in dem »NotenbQchlein* der Anna Magdalena Bach stehende
Lied p Willst du dein Herz mir schenken?* wahracheinlich nicht von Johann
Sebastian Bach, sondern von dem Italiener Giovannini, der zur Zeit Bachs in
Leipzig lebte, verfasst und komponiert wurde; 2. dass die Mozart zugeechriebene
Komposition des Gotter'schen Liedes »Schlafe mein Prinzchen* von dem Berliner
Ant Dr. Bernhard Fliess um das Jahr 1796 geschaffen wurde; 3. dass das Ständ-
chen »Liebes Midchen, hör* mir zu* vielleicht nicht von Haydn, eoodern von
Itt
123
REVUE DER REVUEEN
Mozmrt stammt; 4. dass die ersten drei Verse des Liedes »Kein Hilmchen wichst
aar Erden", als dessen Verfasser man Tieirach Priedemann Bach betrachtet, wahr-
scheinlich von dem Romanschreiber Brachvogel, die letzten drei Verse von dem
Berliner Superintendenten Wilhelm Wegener gedichtet wurden, und dass das Lied
erst um das Jahr 1860 von einem Unbekannten komponiert wurde. — In dem
Aufsatz «Lärm* (10. IX.) klagt Richard Batka über das unnötige Lärmen auf der
Strasse und im Hause und verlangt, dass die Polizei ebenso das Ohr vor nerven-
zerrfittendem Lärm schütze, wie sie Lunge, Nase und Auge vor anderen -ge-
snndheitsschidlichen Einflüssen zu bewahren sucht Auch empfiehlt er Hiuser
mit Korkeinlagen in den Winden zu bauen, damit die Schallwellen so gedimpft
werden, dass man nicht das Klavierspielen und Spektakel machen der Nachbarn
anzuhören braucht — Unter der Oberschrift «Ein Besuch in Glucks Heimat*
(3. X.) beschreibt Richard Batka einen Ausflug nach Komotau, Johnsdorf und
Eisenberg. «Unsere suchenden Abschiedsblicke erspihten nirgends [in Komotau,
wo Gluck das Gymnasium besuchte] ein Zeichen der Erinnerung an den grossen
Tonkfinstler, der diese Stätten einst geweiht hat Nicht die kleinste Gedenkufel
mahnt den fremden Besucher daran, und bei der einheimischen Bevölkerung ist
sein Gedächtnis verklungen. Wäre es da nicht an der Zeit, dieses Versäumnis
nachzuholen und zu bekunden, dass wenigstens die gebildeten Kreise den kunst-
geschichtlichen Beziehungen ihrer Heimat nicht teilnahmslos gegenüberstehen?
Mit Vergnügen hörte ich, dass wenigstens die musikalischen Traditionen im
Komotauer Gymnasium fortleben. Es ist eine der wenigen österreichischen An-
stalten, die noch ein Schülerorchester haben, das in seinem Jahreskonzert sich an
Symphonieen von Mozart und Beethoven wagen kann. Diese Konzerte durch
Behörden und Gesellschaft zu fördern und als ,Gluckkonzerte' auszugestalten,
d. h. grundsätzlich (aber nicht ausschliesslich) der Pflege Gluckscher Musik zu
widmen, wäre ein lebendiges Denkmal und noch verdienstlicher als Tafeln, Büsten
und Statuen."
STETTINER TAGEBLATT vom 11. August 1907. - Erich Müller vcröffentiicht
den Aufsatz «C. Ad. Lorenz. Zum 70. Geburtstage des Meisters", der, wie der
in unserer Zeitschrift (1907, 1. Augustheft) erschienene Aufsatz desselben Verfassers,
eine Lebenst>etchreibusg des Komponisten und eine Besprechung seiner Haupt-
werke enthält
ZU JOSEPH JOACHIMS TODE verölfondichten fast alle grösseren deutschen
Tagesblätter ausführliche Aufiätze, in denen das Leben und das Wirken des Ver-
stof1>enen ausführlich beschrieben wurden. Wir können hier nur einige der
längeren dieser Nachrufe nennen: Berliner Tageblatt vom 16. August: «Joseph
Joachim f" von Leopold Schmidt — Nationalzeitung (Berlin) vom 15. August:
aJoseph Joachim" von Wilhelm Altmann. — Tftgliche Rundschau (Berlin) vom
16. August: vProfetsof Joseph Joachim" von Walter Paetow. — Vossische Zeitung
(Berlin) vom 15. und 16. August: ,Jose^ Joachim f " (anonym). — Breslauer
Zeitung vom 16. August: «Joseph Joachim. Ein Gedenkblatt" von Paul Mitt-
mann. — Erfurter Allgemeiner Anaelger vom 16. August: «Joseph Joachim f "
von Max Puttmann. — Frankfurter Zeitung vom 16. August: «Joseph Joachim.
Eine Wfirdigung* von Hermann Gehrmaan. — Neue Freie Presse (Wien) vom
16. und 18. August: «Joseph Joachim* von Julius Korngold und «Meine Erinne-
rungen an Joseph Joachim" von Bronislaw Hubermann (Inhaltsangabe siehe oben).
Magnus Schwantje
KRITIK
OPER
BERLIN: Das Opernbaas gab als erste
Novitit des Winters Puccini's «Madame
Butter riy". Trotz einer unleugbar guten Auf-
fObrung und des fiblicben Premierenbeiftlls ist
ein eigentlicber Erfolg nicbt zu konstatieren.
Das Hegt in der Natur des Werkes begründet.
Die Textdichter Illica und Giacosa haben mit
ihrer (nach englischer Vorlage verfassten) »japa-
nischen Tragödie" dem Komponisten keinen
glücklichen Stoff geboten, und Puccini ist als
Dramatiker nicht stark genug, um für sich allein
den Sieg zu erstreiten. In drei für ihren Inhalt
zu lang ausgesponnenen Akten erlahmt das
Interesse an dem Schicksal der zierlichen But-
terfly, und der theatralisch effektvolle Abschluss
vermag daran nichts mehr zu indem. Die rea-
listischen Akzente einer Selbstmordszene lassen
sogar das sentimentale Liebesidyll in schrillen
Dissonanzen enden, die dem künstlerischen Ein-
druck des Ganzen eher Abbruch tun, wie man
überhaupt gewisse Konzessionen an das Theater
in dem sonst lyrisch angelegten Werke unan-
genehm empfindet. Immerhin ist die Figur der
Titelheldin liebevoll herausgearbeitet. Der Hei-
ratsvermittler, der Konsul, die Dienerin sind
dagegen nichts als Verlegenheitsfiguren, während
der europäische Liebhaber Butterfiys dem Zu-
schauer menschlich unverständlich und deshalb
unsympathisch bleibt. Nur eine Szene wirkt
wahrhaft ergreifend. Auf die Kunde von der
Wiederkehr des englischen Schiffes eilt Butterfly
ans Fenster und starrt in die Nacht dem Liebsten
entgegen; bei Beginn des folgenden Aktes ist
es Morgen geworden, und noch immer harrt die
Verlassene unbeweglich auf ihrem Posten. Dies
rührende Bild hat auch den Komponisten inspi-
riert. Solche Momente, einige zarte Lyrismen
und der auch in der Musik gewahrte Reiz des
Exotischen können jedoch für den Mangel an
Handlung und geschickter Ausnutzung derGrund-
idee nicht entschädigen.
Haben wir es nun auch nicht mit einem
bühnenwirksamen Drama oder einer irgendwie
bedeutsamen Dichtung zu tun, so muss doch
die feine und geistreiche Partitur zum mindesten
den Musiker interessieren. Selbst in seinen
schwächeren Arbeiten verleugnet Puccini nicht
den Meister und bleibt der bedeutendste lebende
Tonsetzer Italiens. Ist auch in der »Butterfly*'
die Erflndung nicht sonderlich stark, hält sich
Puccini in seiner Eigenart nicht frei von Mani-
riertheit, gestattet er sich zuweilen triviale
Wendungen oder veristische Effekte, so über-
wiegt doch das Aparte, und eine Summe von
Kunst steckt in dieser Musik, die allein schon
Hochachtung abnötigt. Das Koloristische ist mit
besonderer Vorliebe behandelt, die Instrumen-
tation ebenso wohlklingend wie interessant. Frei-
lich für eine tiefergehende Wirkung sind all
diese Mittel zu kleinlich und raffiniert. Deshalb
bleibt ihnen auch die Macht über die Menge
versagt. Die Aufführung unter Leo Blech wurde
dem Charakter des Werkes in anerkennenswerter
Weise gerecht. Unterstützt wurde sie nicht un-
wesentlich durch eine äusserst malerische und
stilvolle Ausstattung der Szene. Für die tragende
Rolle brachte Frl. Farrar, die auch in Spiel
und Maske möglichst echt zu sein trachtete.
mancherlei mit: die biegsame ilerliche Gestalt,
eine lässige, gleichsam passive Sianlidikei^
etwas glaubhaft Unentwickeltes. Winne dfirta
wir freilich nicht von ihr verlaagen, asd wo das
Püppchen später die starken Empflndangeo des
Weibes zu geben hatte, merkte mmn wie immer
das Gemachte. Ihr Partner war der neageworbene
amerikanische Tenor Maclennas, dessen hüb-
sche Mittel noch der rechten Kultiviernng harren,
der sber in der Behsndlung der schnell erlernten
deutschen Sprache Intelligenz bewies. Sonst
waren noch Frl. Rothauser and die Herren
Hoffmann, Lieben, Philipp and Gries-
wold beschäftigt. Der Chor sang des Wenige,
aber nicht Leichte, das ihm zufiel, mit bemerkens-
werter Reinheit. Dr. Leopold Schmidt
KÖLN: Trotz der guten Aufllihrunf im Ojpem-
hause hat Puccini's »Toscs" in voriger Spiel-
zeit dss Publikum dersrtig abgestossen, dsstu
der jetzigen Wiederaufnahme in den Spielplan
nur ein ganz minimales Häuflein von Theste^
freunden erschien. Unter Otto Lohset fesseln-
der Leitung boten, ergänzt durch fein abgetöntes
Orchesterspiel, AliceöuszalewiczandClarence
Whitehill als Tosca und Scarpia VorzQgliches
und such sonst wsr für möglichst viel Sdmmong
in der diesmaligen Aufführung gesorgt, mber die
Liebesmühe ist vergeblich. Als Gounodscbe
Margarete und Elsa im »Lohengrin* hmt sich
die von Breslsu gekommene jugendlich-drama-
tische Sängerin Fina Widhalm trotz einUer
Schablone in Gessngsstil und Spidi verm^ie
ihrer hervorrsgend schönen stimmlichen Mittri
und einer sichern Glätte der ganzen Leistungen
unter lebhafter Zustimmung des Pablikams
bestens behauptet. Pmal Hiller
ä^OnCHEN: Die Münchener Richard
*^^ Wagner-Festspiele. — Was man im
Vorjahre noch nicht gewagt hatte, diesmal wnrde
es Ereignis. Man gab im Prinz-Regenten-
Theater dreimal den »Ring"; daza kamen
viermal „Tristsn*, und je zweimal die
»Meistersinger* und «Tannhiuaer*. Dass
das Experiment gelang, dazu mag des Fehlen
der Bayreuth er Festspiele beigetragen haben;
aber jedenfalls, es gelang vollkommen. Die
allermeisten Vorstellungen waren masverkanfl^
und das finanzielle Ergebnis soll infolgedessen
auch recht befriedigend sein. Dem anbestreit-
baren äusseren Erfolg entsprach im wesentlichen
auch der innere; trotz der Ausstellungen, die
msn in msnchen Punkten machen kenn, mnss
man bei einem überschauenden Rfickblick An-
erkennung und Lob, die sich die Festspielleitnng
errungen hst, im grossen und ganzen mlswohf
berechtigt bezeichnen. Uneingsschrinkte Be-
wunderung verdient die Orchesterleitang anter
Mottl, dessen geniale, unübertreffliche Inter-
pretation der «Ring*- und der «Tristan'-Partitar
über jede Kritik erhsben ist. Nicht minder gut
hielt sich das Orchester unter unserem altte
währten Wagnerdirigenten Fischer, der den
mittleren «Ring* und die beiden »Meisteraingfr*-
Aufführungen leitete, und anter Frenz Schalk
(Wien), der mit erstaunlicher Beherrschnng des
ihm bislsng fremden Orchesterkörpere and der
ihm ungewohnten Klsngverhiltniste den «Tanih
häuser* in vortrefflicher Weise heretuhnehleu
Ad vocem Klangverhältnisse möchte ieh einen
Vorschlsg, den meines Wissens Dr. Mareop gs-
125
KRITIK: OPER
macht hat, wieder aofgreifeD. Der verschieb-
bftre Schalldeckel unterhalb der Rampe gestattet
eine sehr gnte Klangregulierung. Allein es
sollte noch der Hauptschalldeckel in zwei
Schichten geteilt werden, deren eine durch Ver-
senkung entfembar wire, um an Stellen, wo man
die elementare ungebrochene Wucht des Or-
chesterklanges ungern vermisst (z. B. bei Tristans
Kommen, Akt I, Szene 5), ihm fessellosere
höchste Entfaltung zu ermöglichen. Nicht minder
Schönes leistete die Regie (Oberregisseur Fuchs
und Regisseur Wirk und Maschineriedirektor
Klein als Leiter des Dekorationswesens, der
Maschinerie usw.) BQbnenbilder von ausge-
suchtem Stilgefühl und meist absoluter Ober-
windung alles Theaterlich -AUzutbeaterlicben
bildeten die Regel. Hervorgehoben muss werden
die ganz musterhafte Inszenierung des „Rhein-
fold*, ebenso die des »Tannbäuser*. Bei
«Tristan* bedürfte die Dekoration des ersten
AlEtes einer Revision, desgleichen der Kampf
im dritten Akt. Verbesserungen wies der Wal-
kfirenfelsen (Darstellung des Feuers) auf, da-
gegen müsste der Kampf Siegfrieds mit dem
Drachen mehr im Dunkel der Höhle vor sich
gehen, und auch die Schlussdekoration der
»Götterdimmerung* ist ein immer noch unge-
löstes Problem ungeachtet mancher Fortschritte.
Auch ob es opportun ist, das Anreiten der Wal-
küren nur noch durch einen schwachen Blitz,
entgegen Wagners Vorschrift, zu markieren,
kann fraglich erscheinen. Nun zu den Solisten.
Eine Flut berühmter Namen! Feinhals
(München) sei an erster Stelle genannt; seine
Meisterleistungen als Hans Sachs und als
Wanderer im »Siegfried* werden unvergessen
bleiben; auch seine übrige Darstellung der
Wotmnpartie stand mit geringen Ausnahmen auf
seltener Höhe. Als Wotan sahen wir auch
Whitehill (Köln), der besonders in der «Wal-
küre*, vor allem mit der ausdruckvollst ge-
brachten Erzählung im zweiten Akt, befriedigte.
Unser Heinrich Knote sang Tristan, Tann häuser,
Siegfried und Walther Stoltzing; seine Stimme
strahlte in ungetrübtem Glänze, an der Aus-
arbeitung seiner Rollen im einzelnen (Tristan
3. Akt, Siegfried 1. und 3. Akt z. B.) wire nach
Seite von Spiel und rhythmischer Prägnanz noch
dies und jenes nachzuholen und zu korrigieren.
Als Tristan und Siegfried Hess sich auch Ernst
Kraus hören, der trotz gesanglicher Eigentüm-
lichkeiten insbesondere als Siegfried schönen
Erfolg hatte, als Tannhiuser und Stoltzing
Slezak (Wien), der mit guter Stimme und Er-
scheinung eminentes Vortragstalent vereinigt;
seine Romerzihlung gab dafür vollgültigen Be-
weis. Weiter muss mit hohem Lobe gedacht
werden des trotz einer nicht immer einwand-
freien Stimmbehandlung und Vokalisation über-
aus eindruckstiefen Siegmund Burgstallers,
des Hagen Gill manne, der sich nur hüten
sollte, sein michtiges Organ auch noch über
seine Grenzen zu forcieren, femer des muster-
haften dimonischen Alberich Zadors und
Breuers und Reiss' Mime. Als Fafner und
Fasolt bewährten sich ausgezeichnet Gill mann
und Bender; letzterer sang ebenso einwand-
trtü die Rollen des Hunding, des Landgrafen im
»Taiinhiuser* und des König Marke. Nenne
ich noch Brodersens Günther und Wolfram,
Baubergers Kurwenal, Reiss' David, der nur
in der ersten ^Meistersinger^-Auffübrung in der
Höhe stark versagte, Gillmanns Landgraf,
Geis' köstlichen Beckmesser und Briese-
me isters weitbekannten Loge, so mag diese
Aufzählung für die Güte des Ensembles sprechen.
Als Brünnhilde trat neben Frau Plaichinger
Frl. Fassbender in den Vordergrund mit einer
ganz prachtvollen Leistung, der sie eine nicht
weniger dramatisch empfundene und binreissende
Isolde und Venus zur Seite stellte. Ibre lang-
andauernde Stimmerkrankung scheint völlig be-
hoben, ebenso wie erfreulicherweise die von
Frl. Morena, welche die Elisabeth und Sieglinde
tiefpoetisch und ergreifend gestaltete. Nicht
minder entzückte Frl. Koboth als ganz reizendes
Evchen, als Freia und Gutrune die Hörer. Mit
der Brünnhilde von Frau Gulbranson konnte
ich mich nicht durchweg befreunden, ungeachtet
ihrer Bayreuther Schulung und ungeachtet vieler
grossgearteter Momente, die sie der Rolle ab-
gewinnt. Eine gewisse Derbheit in der ganzen
Auffassung verstimmt manchmal doch recht sehr.
Frau Wittich (Dresden) fehlt als Isolde bei aller
Grösse etwas die zwingende Poesie, die dieser
Rolle entströmen muss, und so konnte auch sie,
wie übrigens gleicherweise als Sieglinde, nur teil-
weise befriedigen. Wenig Glück hatte Frl. Fay bei
ihrem Auftreten als Gutrune, Evchen, Elisabeth
und Sieglinde; die Festspielleitung beging mit
ihrer andauernden Verwendung einen Fehler, da
schöne Stimme und guter Wille allein für die Fest-
aufführungen nicht ausreichen, und die geistige
Durchdringung dieser Rollen bei Frl. Fay noch
starke Fortschritte zu machen bitte. Untadelig
ist Frau Preuse-Matzenauers Brangine, wie
ihre Waltraute, Magdalene und Fricka. Frau
Burg-Zimmermann als Freia und Waldvogel,
Frau Burk-Berger als Venus, Frau Bosetti
als Hirte im «Tannhiuser" und Waldvogel (als
Waldvogel war sie übrigens ebenso unverstind-
lich wie meist Frau Burg-Zimmermann) und
Frau G meiner (Weimar) als Erda mögen hier
die Reihe guter Namen vervollstindigen. Und
doch — trotz aller glinzenden Namen, trotzdem
ihre Triger, wie die Vertreter der Nebenrollen
ihr Bestes taten, so dass, alles zusammen-
genommen, Aufführungen zustande kamen, die
weit über dem Niveau der Repertoireaufführungen
unserer grossen Bübnen stehen und so eben nur
in Bayreuth und im Prinz-Regenten-Theater mög-
lich sind, — trotzdem gibt gerade der solistische
Teil des Festspielmecbanismus zu einer ein-
schrinkenden Bemerkung Anlass. Ein Uhrwerk
mag noch so wundervoll im einzelnen gearbeitet
sein, — sind nicht alle Rider in sorgfiltigster
Weise aufs genaueste ineinandergefügt, so wird
es ungleichmissig funktionieren. Äbnlich ist es
auch hier. Einmal scheint die nötige Anzahl
von Proben gefehlt zu haben, sogar bei den ein-
heimischen Künstlern, um ein reines Zusammen-
arbeiten und Gelingen zu verbürgen. Und dann
vermag, insbesondere noch mit dem Repertoire-
betrieb das Jahr über belastet, auch der genialste
und arbeitskriftigste Dirigent nicht jeden einzelnen
selbst ganz nach seinen Absichten zu modeln
und damit bruchlos in das Ganze einzupassen.
Nur wenn, wie das in Bayreuth geschieht, durch
einen Vortragsmeister (den die hiesige Kritik
bereits des öfteren und auch jetzt wieder forderte)
126
DIE MUSIK VII. 2.
mSSa
alle schon ohne Ausnahane nach den Intentionen
des Dirigenten durchgebildet sind, und dann alle,
auch die »Grossen", in ausreichenden Proben
zu Yollkommener Einheitlichkeit zusammen-
geschmolzen werden können, ist es möglich,
Unstimmigkeiten und Unzulinglichkeiten in
Spiel, Auffassung, sprachlicher und gesanglicher
Ausgestaltung ganz zu vermeiden und auctarnach
dieser Richtung Vollkommenes zu bringen. Wie
schidlich eine Unterlassung und Geringacbtung
da wirkt, zeigte neben minder Empfindlichem
die erste MeistersingeraufTührung, die in ihren
ersten beiden Akten nicht auf dem für die Um-
stände wünschbaren Niveau stand. Im nächsten
Jahre werden ja unsere Pestspiele wohl wieder
mit Bayreuth um den Siegespreis zu ringen und
damit eine neue Peuerprobe zu bestehen haben.
Möchte diese Aussicht ein Ansporn sein, nicht
auf der heute schon erreichten Höhe stehen zu
bleiben, sondern die Pestspiele darüber hinaus
zu allseitiger absoluter Vollendung zu führen I
Dr. Eduard Wahl
KONZERT
BERLIN: Die Königliche Kapelle unter Wein-
gartner gab das erste Konzert grösseren
Stiles in der beginnenden Saison. Das Programm,
dem Andenken Joachims gewidmet, fing mit
derTragischen Ouvertüre von Brahms an, brachte
dann die Ouvertüre zu einem Gozzi'schen Lust-
spiele von Joachim und das Klavierkonzert
d-moU von Bach, dessen Solopart von Georg
Schumann gespielt wurde. Beethovens Eroika
schloss das Programm. Das Joachimsche Werk
mit seiner prickelnden Rhythmik, leichtfliessen-
den Bewegung und durchsichtigen Instrumen-
tation eignet sich wohl, den Hörer ffir eine
Gozzi'sche Komödie in die richtige Stimmung
zu versetzen; die musikalische Erfindung steht
stark unter Schumannschen Einflüssen.
E. E. Tmubert
Das Philharmonische Orchester hat
unter der Leitunc seines neuen Dirigenten,
Dr. Ernst Kunwald, seine populären Symphonie-
Konzerte wieder aufjgenommen; schon das erste
Konzert brachte im Rahmen dieser Konzerte
bisher nicht gehörte Werke von Haydn und
Händel. Dr. Kunwald, der als Dirigent
hier von einer zweimaligen Tätigkeit an der
Hofrat Koebkeschen Sommeroper in bestem
Andenken steht, will überhaupt in die Programme
mehr Abwechslung bringen und hat sich deshalb
kontraktlich auch Proben zusichern lassen. Dass
er in Scheveningen bereits mit dem Philharmo-
nischen Orchester die beste künstlerische Füh-
lung gewonnen hat, bewies gleich das erste von
ihm geleitete Konzert, das ihm rauschenden
Beifall einbrachte. — Der vortreffliche Violon-
cellist Anton Hekking hat nach seiner Rück-
kehr von Amerika wieder ein Trio gebildet, und
zwar mit zwei jungen Amerikanern, dem Pianisten
Clarence Adler und dem Geiger Louis Siegel.
Dieses neue Trio führte sich u.a. mit Brahms'
H-dur Trio recht glücklich ein. Anton Hekking,
der ein klangschönes, neues, nach Dr. Gross-
manns Prinzipien gebautes Instrument spielte,
wurde sehr gefeiert. Für vokale Abwechslung
sorgten Richard Koennecke und Claude Al-
bright, die über eine prächtige, umfangreiche
Altstimme verfügt. — Der Geiger Arthur Ar-
giewicz hat seit seinem letzten hiesigen A8^
treten unleugbare Fortschritte gemacht: sein Ton
ist grösser und edler, sein Vortrag teelenvoiler
geworden. Wilh. Altmann
Durch den Vortrag der o-moU Phantasie von
Mozart erbrachte Mark Günzburg nicht den Be-
weis künstlerischer Reife. Abgesehen von nach-
lässiger Behandlung von Rhythmat und Takt,
gibt es noch viel zu tadeln, z. B. das nn^eicta-
mässige Anschlagen der Hände, wodurch du
akkordische Spiel zur Unmöglichkeit wird, Ua-
sauberkeit der Technik usw. Die von Bosoni
arrangierte Bachsche Violin-Chaconne wurde
zum leeren Bravourstück. Die als NoTitIt g^
spielte Sonate No. 2 in Es-dur von E. Sauer
zeigte den Komponisten von keiner vort^lhaflen
Seite. Am meisten interessiert der erste Satz, am
effektvollsten ist das Scherzo, aber alles Ist müh-
sam zusammengesucht. — Da waren die Ueder
aus dem «Schi-King", op. 15, die Bemhsid
Sekles vorführte, doch etwas anderes. Man
hat es hier mit zweifellosem, aassergewdha^
liebem Talent zu tun. Wie der Tonsetzer anf
dem Programm bemerkt, hat er »die cblnesiseiie
Literatur benutzt, ohne die chineslseh-miisika-
lischen Elemente zu akzeptieren". Die Vertoniing
der von Rückert aus einer lateinlscheii Ube^
Setzung ins Deutsche übertragenen Gedichte ist
ihm fast durchgehende vorzüglich gelonfeii» wenn
auch die Deklamation des Textes manchnal wohl
zu melodisch ist, wo energisches RezitiereB mehr
am Platze wäre. Sehr treffend ist die exotische
Koloristik. Leider stehen mitunter neben stirkater
Originalität rechte Gemeinplätze. Die Wisdei^
gäbe der fesselnden Lieder durch die Sopraoistla
Anna Kaempfert, vom Komponisten aasge-
zeichnet begleitet, war hervorragend. — Der
Baritoniat Karl Götz könnte mit aeinen scfafoen
Mitteln eine schätzenswerte Kraft werden, wenn
er im Vortrage zu grösserer Freiheit fäangie.
Er denkt während des Singens angenscheinlicfa
noch zu viel an das rein Technische. Aach war
die Auffassung der «Lieder im Volkston* nicht
genügend dem Titel entsprechend. ^ Kart Lietz-
mann hat ebenfalls einen sehr ansprechenden,
metallischen Bariton, sollte sich aber vor allem
das lästige Tremolo abgewöhnen, wodurch die
Reinheit oftmals getrübt wird. Obgleich tem-
peramentvoll, fehlt seinem Vortrag doch jegliehe
Durchgeistigung, worunter besondera die Ueder
von Brahms litten. Arthur Laser
Den dieswinterlichen Konzertreigen eröffhete
Felix Lederer-Prina mit einem Liedersl>esd
eigener Kompositionen, unterstfitzt durch Snsanae
Dessoir. Ein ernstes und ehrliches Bemfihea
vermag hier doch nicht nach Form, Unle nnd
Inhalt die . . . Meistervorbilder zu erreichen, die
deutlich hier und da aus diesen Liedern hervs^
lugen. Es bleibt bei Anläufen und, so auch In
harmonischer Hinsicht, einem Hin und Her ohne
innere, überzeugende und eigene Kraft nnd Farbe.
Auch die Begleitungstechnik bevorzugt gar sehr
sattsam bekannte Allerweltsmittelchen, wie Trio*
lenarpeggien, Synkopen u. a. Das Beste gibt
Lederer-Prina in einfachen, volintfimllch gs*
haltenen Liedern. «Jane Grey* enthält sofsr
manches Aparte. Von all dem anderen Ballsstdes
Abends wogen einzig die Dante-Sonette schwer
genug, um zu verdienen, von ernsten LiebhebefS
127
KRITIK: KONZERT
8R
an Bord behalten zu werden. Der Baritonist Haas
Hielscher nennt eine volle, klaogreiche, nnr
in der H51ie etwas scharfe Stimme sein eigen
and weiss sie geschmackvoll zu behandeln. Ein
klein wenig flackert sie noch bei andauerndem
Piano. Würde der Singer die Textworte seelisch
noch mehr ausschöpfen — manches gerit etwas
al fresco, namentlich fehlen bisher die tieferen
dfisteren und »sentimentalen* Töne —, dann
könnte man ihn mit in die vordere Reihe seiner Be-
rufegenossen einstellen. Alfred Schattmann
In der Singakademie trat der russische Pianist
Wladimir Drosdoff mit einem fest ausschliess-
lich modernen Programm auf. Er besitzt eine
respektable, aber noch nicht glinzende Technik
und bringt auch nicht genug Empflndungsreich-
tam auf, um tiefer zu interessieren. So blieb
sein Spiel eine achtuogswerte Leistung. Sein
Programm, darunter eine Sonate von Glazounoff
in B, vermochte mich wenig zu erwärmen. — Der
Baritonist Gustav Franz sang neue Lieder von
Kmun, Bohlmann, Ertel, E. J. Wolff, Kursch,
teilweise aus dem Mannskript. Die Stimme
klingt im Forte metallisch und strahlend, an den
piano-Stellen dagegen heiser und tonlos. Ein
Mangel an Schulung macht sich in den nicht
stets rein gefirbten, bisweilen auch kehligen
Vokalen geltend. Im Vortrage zeigte der Künstler
betrichtliches FeingefühL Von den neuen Liedern
entdeckte ich in denen Hugo Kanns noch am
meisten Melodie. Hermann Wetzel
npSINGTAU: Wintersaison 1906/07. Auch
^ wihrend der jetzthinter uns liegenden Winter-
saison hatte die Kapelle des III. Seebataillons
unter der Leitung von O. K. Wille das grösste
Verdienst um das Musikleben unserer Kolonie.
Daneben entwickelte auch der neugegründete
Verein für Kunst und Wissenschaft eine rege
Titigkeit auf musikalischem Gebiet, indem er
die zahlreichen Dilettanten heranzog und zu
gemeinsamem Wirken verband. Es ist zu hoffen»
dass das Zusammengehen des Vereins und der
Kapelle in Zukunft auch die Aufführung von
Chorwerken ermöglicht. Von grösseren sym-
phonischen Werken hörten wir diesen Winter
die Schubertsche C-dur-Symphonie, die zweite
Brahmssche, die fünfte von Beethoven und die
in g-moll von Mozart. Es waren zum grössten
Teil sehr gute Leistungen. Das Beste bot aber
die Kapelle in der Wiedergabe modemer Werke,
verschiedener symphonischer Dichtungen von
Liszt, Berlioz, Saint-Saöns, Smetana, DvoMk,
Sibelius und besonders in Partieen aus Wagners
Musikdramen. Die vortrefflichen Leistungen der
Kapelle wurden nicht nur in der Kolonie gewürdigt,
sondern fanden auch auf Konzertreisen in
Shanghai, Hongkong, Tientsin und Peking be-
geisterte Anerkennung. — Von Solisten hörten
wir nur die Violinspielerin Anna Schifer aus
Frankfürt a. M., die bei ihrem mehrmaligen
Auftreten lebhaften und sich immer steigernden
Beifall fand. Herr Friedenthal (Klavier) bat
seinen Besuch für den Sommer in Aussicht ge-
stellt. Alles in allem: im Verhiltnis zu der Grösse
der Kolonie ein eifriges musikalisches Treiben.
Rosenberger
Unsere dem vorigea Heft belcegebenen uhlrdcliea Grleg-BUder <
im Anicblusg la die im vorlleiendeo Heft entbalteneit bocblnlereiuiiteii Briefe de«
nordltcben Meisters noch durch ivel weitere: Grleg euT dem Totenbett nnd Grleg
im Garten seiner Villa in TroIlbouKen.
Zum Auhati von Rudolf Bllke über Martin Plfiddemaan febBren die f
iwei Blllter; ein seltenes Bltd, du den Bslladenm eiste r In der Vollkraft ulnet S
darstellt, und seine von einem hervorragenden Kfinsiler abKenommene Tetenmaak«.
Daran reiht sich das Porträt des am 3. Oktober In Llbau an einem Hemchlag
Teralorbenen eminenten Pianisten Alfred Reisenauer (vgl. dun die Notii In der
„Totenschau* dieses Heftes).
Den Schluss bildet ein Bild von Gsetano Donlzettl (geb. am 29. November 1797)
nach einer wandervollen Lithographie von Kriehuber. Von den fiber 70 Open dea
frncblbsren Komponisten bsben sich .Die Tochter des Reglmenta" nnd .Lucia tob
Lammermoor' bis beute auf dem deutschen Spielplan erhalten.
Nichdrook niir mn ■uidrlickllcli«' Erliubnla d« Varlif« lailtlttl
Alle Scchn, lubeuiiden <Im der Oharmiuot. irorb«lMlM
I Zarfiekundiini uDrsrliniier oder olehi inicinddaiar MiauikHpia, Ula thaM akfel taal|*a<
rts bcUIi«t, ÜberDlmml die Redikrlan keine Gannlle. Scknr leaerlleke MaaukripM vttim UftpAII
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schnster
Berlin W. 57, Bfilovstrasse 107 >•
Jicobicni BerfCD, phoE.
EDVARD CRIEG AUF DEM TOTENBETT
EDVARD GRIEG
1 Ganen seiner Villa in Trollhougen
MARTIN PLO DDEMANN
f 8. Oktober 1897
MARTIN PLÜDDEMANNS TOTENMASKE
ALFRED REISENAUER
t 3. Oktober 1907
GAETANO DONIZETTI
■Jf 29. November 1797
DIE MUSIK
1 I '-
ZEIT- UND STREITFRAGEN: I
Diese Zeiten sind gewaltig.
Bringen Herz und Hirn in Not,
Karl Henckell
VII. JAHR 1907/1908 HEFT 3
Erstes Novemberhefl
Herausgegeben von Kapellmeister Bernhard Schusier
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin W. 57, Bülowstrasse 107
ANNUS CONFUSIONIS
EINE TRILOGIE
Professor Karl Schmalz-Bertin
Vorwort
^nnus confusionisl*) ,Mit der HolTauDg luf Besserung In der
Konfusion in der Musik* hat Max Reger den neuesten Jahrgang
I der .Masilc**) eröffnet. Es scheint wahrhaftig an der Zeit zu
I sein, die uns über den Kopf wachsende Musikkonfusion einmal
zusammenfassend zu behandeln. Zweckmißig, aber ein gewagtes Unter-
hngenl —
Um es dem Leser zu ermöglichen, die Gedanken, die unsere Zeit
bewegen, möglichst . unverniscbt kennen zu lernen und sich ein möglichst
sachliches Urteil zu bilden, bedienen wir uns des Mittels, einige wenige,
wie ans schien ausreichend viele, cbarakterisHscbe Proben als Grundlage
fQr unsere Schlußfolgerungen zusammenzustellen: Vir lassen Publikum,
Kritiker, Autoren tunlichst selber reden; Zusammenfassung und Schlnll
mögen als Versuch gellen und nachsichtige Beurteilung finden I
Uteratur.
No. I. Felix Draeaekfl; Die Konfualon In der Musik. Ein Mahnruf: C. GrÜDlnger,
Stnttfart 1006.
No. 2. Felix Weingartner: Mnalkallache Valpurgisnacbt. Ein Scbenaplel. B^ei^
köpf & Hlrtel, Lelpils 1007.
') So wird daa Jahr der Jullanischen Kalenderreform cenanat.
■) Jahr«. VII, Heh I, S. 14.
AnmerkuDf der Redaktion. Hiermit erSffaeo wir eine Artikelreihe .Zeit-
und Streitb^ceD', die In iwaofloaer Folge zu allerhand wichtigen und aktnellen Themen
Stellnng nehmen soll. Der geachleaaene Charakter der vorliegenden Abhandlung, die
einen Einblick in eine der brennendaten Zelt- und Streitfragen anaerea gegenwinfgen
Mnalklebeoa ml! Herantlebung elnacbllglger Literatur gewihrt, ließ eine Verteilung
auf mebrere Hefte nicbt lu. Da einzelne AuafDbrungea dea Verfaaiera vielleicht
nicht nn widere proeben bleiben werden, bebalten wir ani *or, eiwaige in ebenao sacb-
lichem Tone gehaltene Erwiderungen gelegenillch zum Abdruck zu bringen.
132
DIB MUSIK VII. 3.
mSBf
No. 3. Paul Zschorlich: Mozart-Heuchelei. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte des
20. Jahrhunderts. Fr. Rothbarth, Leipzig 1906.
No. 4. Georg Göhler: Richard Strauß. In: Die Zukunft. XV. 42. 1907. Berlin.
No. 5. Arthur Seidl: Ober Zschorlich. In: Allgemeine Musikzeitung, Charlottmi-
burg 1906. XXXIII. 40. 607-608.
No. 6. Paul Marsop: Zurück zu Mozart? In: Süddeutsche Monatshefte, Stattgart
1906. III. 5.
No. 7. Arno Kleffel: Ober Konftision in der Musik. In: Allgemeine Mosik-Zeituiig,
Charlottenburg 1907. XXXIV. 10, 11, 12.
I.
Zustände.
Abbild oder ZerrbUd?
Welch eine Konfusion in der Musik unserer Zeit! — »Am^) 27. 1. 1006
haben die Deutschen Mozarts 150. Geburtstag gefeiert. Man merkte das
besonders an dem Massenvertrieb von Ansichtspostkarten, die Mozarts
Kopf, sein Geburtshaus, seine Tabaksdose oder sonst etwas im Abbild
zeigten, von dem man sich eine Wirkung aufs deutsche Gemfit versprechen
durfte.* Im Berliner Königlichen Opernhaus ging an diesem denkwürdigen
Tage eine neue Oper .Der lange Kerl* von Victor von Woikowsky-Biedan
erstmalig in Szene, deren Musik .weder in der Form, noch in der Er-
findung, noch im Kolorit die mindeste Eigenart aufweist oder auch nur eine
geschickte Hand verrät*. Sie ist ohne Sang und Klang wieder verschwunden.
In demselben Jahre, am 5. 12. 1906, an Mozarts Todestage, fand in
demselben Berliner Königlichen Opernhaus die Berliner Premiere von
Richard Strauß' .Salome* statt. Die Oper ist an vielen Orten und fOr
lange Zeit das besuchteste Repertoirestück geworden, obwohl sie einen
.wenig edlen* Steif in „krauser, ja abstoßender Form, an die wir uns
schwer gewöhnen werden*, bietet.
Schon Konfusion genug! —
Das Wort .Konfusion* in der Musik hat Felix Draeseke geprigt,
.der nicht nur zu unseren bedeutendsten lebenden Musikern zählt, sondern
auch in den fünfziger Jahren einer der eifrigsten Vorkämpfer jener Partei
war, die erbitterte Fehde gegen die sogenannte klassische Richtung* fQhrte.
Jetzt hat Draeseke unter dem Titel: .Die Konfusion in der Musik* folgenden
.Mahnruf* veröffentlicht:
') No. 3, S. 5.
133
SCHMALZ: ANNUS CONFUSIONIS
9 Angesichts^) der sehr traurigen Zustände, in denen sich die heutige
Musik befindet, sind wir wohl berechtigt, von Konfusion zu reden. Denn
die Unklarheit und Verwirrung ist so hoch gestiegen, daß auch viele Künstler
sich nicht mehr in ihr zurechtfinden. Schauten frfihere Zeiten erbitterte
Kämpfe, die von feindlich gegenfiberstehenden Parteien ausgefochten wurden,
so erschreckt unsere Epoche durch einen erbarmungslosen Kampf aller
gegen alle, ohne daß man den künstlerischen Grund dieses Kampfes zu
entdecken vermöchte! Denn er entbrennt nicht wie die frfiheren für ein
Prinzip, — es müßte denn das der Selbsterhaltung sein, und die Kämpfer
würden in Verlegenheit geraten, wenn man sie über ihre Ziele befragte.
Gewachsen ist die Zerstörungslust gegenüber geheiligten Traditionen
und Schönheitsregeln und ebenso die Impietät gegenüber den gewaltigen
Leistungen einer großen Vergangenheit. Infolgedessen schwindet auch voll-
kommen die Erinnerung an das, was früher als Merkmal der Schönheit
bewundert ward und uns in vielen Meisterwerken entzückte. Verständnislos
wird man angeblickt, wenn wir die jugendlichen Hörer aufmerksam machen
auf eine edel gestaltete Melodik, ein fein gefügtes Harmoniengewebe, inter-
essant gegliederte Rhythmik, glatte und abgerundete Form, schön ver-
mittelte oder überraschende Wiedereinführung von Themen. All diese ehe-
maligen Schönheitsmepkmale erscheinen ihnen wie böhmische Dörfer, die
sie nie nennen gehört, und nur wenn von Instrumentation die Rede ist,
horchen sie auf, weil nach ihrer Meinung dies neu hinzugetretene Element
der Farbe die drei alten Hauptelemente der Musik weit überwiegt, und
gut instrumentieren mit gut komponieren für gleichbedeutend angesehen
wird. Darüber ist die Melodik fast versiegt, die Harmonik nach einer
übertriebenen Verfeinerung durch immerwährende Steigerungen schließlich
bei der absoluten Unmusik angelangt, während, wie dies leider in Deutsch-
land von jeher der Fall gewesen, die Rhythmik zu wenig gepflegt, ja
geradezu vernachlässigt erscheint. Instrumentieren alle jungen Künstler
meist vortrefflich, so übertreiben sie doch auch nicht selten die Farbgebung
und verletzen uns sogar manchmal durch schreiende und grelle Klänge.
Auch lieben sie in geradewegs unzulässiger Weise eine Häufung der Mittel,
die sich in dieser Zahl auch gut besetzte Orchester nicht leisten können,
und wirken mit ihren zahlreichen Hörnern, Trompeten, neuerfundenen
Holzblase- und den vielen Schlaginstrumenten dann insoweit recht un-
günstig auf das allgemeine Musikleben, als dieser außerordentliche Reich-
tum die Ohren der Zuhörer verwöhnt und für bescheidenere Orchester-
klänge abstumpft. Da gegenwärtig in der Programmmusik fast das alleinige
Heil gesucht wird, erscheint die Bevorzugung der Instrumentationskunst
') No. 1, S. 3-5.
S^g DIE MUSIK VII. 3. 9B
natürlich begreiflich, indem sie bei der Darstellung der verschiedensten
Objekte sich als unentbehrliches und sehr nützliches Hilfomittel erweist.
Ob aber die alleinige Herrschaft dieser Programmmuslk für die
instrumentale Kunst sich heilsam bewähren wird, möchten wir doch stark
bezweifeln. Denn eine so überzeugende Deutlichkeit, wie die bildenden
Künste oder die Poesie, die über eine allen VolksangehSrigen verstind-
liche Sprache gebietet, — besitzt die Tonkunst nicht, und ihre Bem&hnngen,
einen Vorgang musikalisch zu versinnbildlichen, werden stets auf den
guten Willen und die Mithilfe der Hörenden angewiesen sein. Anderseits
aber gebietet sie über eine Sprache, die die gewöhnliche Wortsprache
hinter sich lassend, das Unaussprechliche darzustellen bestimmt ist
und von vielen ihrer Verehrer, wie auch von uns, für ihren größten
Reichtum angesehen wird. Denn durch diese Fähigkeit löst sie sich vom
Wort und von der Dichtkunst, wird selbständig und kann erst hierdurch,
als fremder Hilfe entbehrend und allein durch sich' selbst wirkend, sich
ebenbürtig den Schwesterkünsten zugesellen. Mit der Programmmusik
begibt sie sich aber wieder in den Dienst des Wortes und versucht bei
Aufwendung der raffiniertesten Mittel und in mühsamster Weise eine
Darstellung zustande zu bringen, die mittelmäßige Dichter oder Maler mit
Leichtigkeit immer noch deutlicher gestalten würden.
Suchen wir Trost bei der Gesangskunst, so begegnen wir ebenfalls
den unerfreulichsten Erscheinungen. Eine einfache Liedweise ist kaum
noch anzutreffen, reizlose Deklamation für gewöhnlich und in der Oper
manchmal wüstes Herausschreien einzelner Akzente an ihre Stelle getreten.
Oberhaupt scheint in der heutigen Komposition die eigentliche Gemfits-
sprache, wenn nicht erstorben, doch sehr zurückgedämmt zu sein, was
vielleicht auf die Furcht der Tonsetzer, einer zu großen Weichheit oder
Sentimentalität beschuldigt zu werden, hinzudeuten scheint. Kalte Ver-
ständigkeit und Gleichgültigkeit entspricht so sehr dem ganzen Geiste und
Wesen der Zeit, daß man sich über diesen Mangel nicht weiter zu
wundem braucht.
Eher könnte uns das Fehlen jedes Kunstprinzipes in Erstannen
setzen; denn Richtungen mit ausgesprochenen Grundsätzen gibt es, ab-
gesehen von den Starr-Konservativen, kaum mehr in unserer Zeit. Ja,
man kann geradezu sagen, dass die meisten jetzt Lebenden in der Ton-
kunst rechts und links zu unterscheiden nicht mehr ganz fähig sind.* —
Dem einstigen Vorkämpfer für Liszt und die neudentsche Schule ist
bei den Konsequenzen jetzt bange geworden. Während hier eine IVLalinang
eines greisen Meisters reife, ernste Formulierung bekommen hat, ist im
Folgenden eine Darstellung zu witzigem, eindringlichem Ausdruck durch
einen jungen Meister gelangt. Ein nicht minder fortschrittlicher, g^wifi
135
SCHMALZ: ANNUS CONPUSIONIS
ü
moderner Musiker, Felix Weingartner nämlich, scheint auch absagen
zu wollen.
Weingartner hat ein Scherzspiel i^usikalische Walpurgisnacht' ge-
dichtet, dessen Inhalt in folgendem gipfelt. Es handelt sich um den:
«Gradus^) supra Pamassum.
Symphonosymbolohypothese für 300-stimmiges
Farben-Ton-Gemisch
ersonnen und vollendet von
Gutfried Nonsens
op 0 = 00
Winsel- Verlag, Berlin.''
Aus einem .disharmonischen *) Konzert*, in welchem diese .neue epoche-
machende Tondichtung des in einem Tage weltberühmt gewordenen Kom-
ponisten* aufgeführt wird, wird Professor Dr. Ranunkel mit zwei Schülern
auf den Parnaß versetzt .aus dem brandenden, faszinierenden Tongewoge
merkwürdigerweise gerade in dem Moment, wo ein Dreiklang ertönte."
Sie treffen dort Brückner, H. Wolf, Liszt, Berlioz, Schubert und Wagner
und erhalten überall Verweise; Wagner sagt^:
.Ei cha, ei cha, ihr guten Leite,
da hab ich nu egal geglaubt bis heite,
ich hätt* was gekonnt. — Aber nu,
Gott stärk' meine Beene,
bin ich geworden ganz bescheiden und kleene.
Und wißt'r, seit wann ich nich mehr tu prahlen? —
Seit ich gelesen hab' in eiren Journalen,
daß meine Opern wären pedantisch.
Einstmals, da hieß es, se wären bachantisch,
nur hätt' ich alle Formen und Regeln umgangen;
heite bin ich zu viel in Vorbildern befangen,
und auch in den Menschen hätt' ich mich sehr geirrt,
weil ich nich hab — de Berversitäd gomponiert.
No, jol — Einst hab' ich bekämpft de Philisterzumpft,
nu bin ich von eener neieo Zumpft —
so sagen se nämlich — übertrumpft.
(In ganz demütigem Too)
Einstweilen erbitt' ich mer halt e bißchen Geduld,
und daß ich e Weilchen mei Plätzchen behalt' mit Huld,
Sogar — Herrcheses — neben Richard Strauß,
(t>ei jedem Worte nickend)
im scheenen Berliner geeniglichen Opernhaus.'
») No. 2, S. 6. •) No. 2, S. a •) No. 2, S. 31—33.
136
DIE MUSIK VII. 3.
Kurz danach steht Ranunkel, zur Nonsens-Aufführung zurückgekehrt, wieder
„in^) der Loge eines großen Konzertsaales. Draußen hört man einen Drei-
klang, der jäh abbricht. 50 Tamtamschläge in wechselnder Stärke ver-
künden ein feierliches Ereignis. Dann setzen 12 Harfen mit Glissandi
ein, jede Harfe ist auf einen andern Akkord gestimmt. Aus der einen
Ecke der Galerie hört man die Stimme eines Sopranisten; er ist einer
der wenigen noch lebenden, die in dankbarer Anerkennung der vortreff-
lichen Beziehungen, die zurzeit noch immer zum Heiligen Stuhl herrschen,
direkt zur gegenwärtigen Gelegenheit von Rom nach Berlin gesandt worden
ist. Die Stimme intoniert das zur neuen deutschen Volkshymne erhobene
Lied .Es ist erreicht*. In den drei übrigen Ecken der Galerie ist je
ein 8 stimmiger Chor aufgestellt; jeder intoniert jetzt eine Fuge, der
eine über das Wort »Es*, der andere über »ist', der dritte über .erreicht*.
Den 3 Dirigenten ist es strenge verboten, sich etwa anzusehen, damit
das Auseinander-Hören nicht unwillkürlich beeinträchtigt werde. Während-
dessen müssen die Streicher ihre Instrumente einen Viertelton nach oben
stimmen. Die Orgel beginnt die neue Volkshymne in C-dnr, das Blech
»Deutschland, Deutschland über alles' in Des-dur; die Streicher figurieren
dazu auf ihren verstimmten Instrumenten, während die Holzbläser Fackel-
tänze und Festmärsche in verschiedenen Tonarten durcheinander spielen.
Das Podium, auf dem die 12 Harfen stehen, wird hydraulisch in die Höhe
gehoben, und die Harfenisten müssen ihre Arpeggien und Glissandi kniend
ausführen, um ihre Ehrfurcht vor dem endlich Erreichten auch iußeriich
zu bezeugen. Nach ungefähr einer Viertelstunde deutet eine ungeheure
Fermate an, daß das Ende eingetreten ist. — Wahnsinniges Beifalls-
klatschen. Der Komponist erscheint. Lorbeerkränze und Blumen von
allen Seiten. Ein eigens zu diesem Zweck bereit gehaltener Apparat
stäubt Wohlgerüche ins Publikum. Ein hoher Beamter in Uniform betritt
das Podium und überbringt dem Komponisten das Patent als General-
musikdirektor mit Hauptmannsrang.
Stimmen außerhalb der Loge: Unglaublich, nie dagewesen, beispiellos,
alles bisherige Dreck dagegen!"^ —
Noch mehr Konfusion I
Im Jahre 1906 erschien gelegentlich des Mozart-Jubiliums eine
Schrift: »Mozart- Heuchelei. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte des 20. Jahr-
hunderts* von Paul Zschorlich. Eine Kritik kann man diese »unmS^che
Broschüre, die sachlich und stilistisch gleich kläglich und von wahrhaft
*) No. 2, S. 37.
137
SCHMALZ: ANNUS CONFUSIONIS
titanischer Un-Kultur ist", nicht nennen; nennen wir sie eine, leider in
ihrer Art charakteristische, Stimme aus dem Publikum.
Im »Präludium' sagt^) der Verfasser:
.Ich hege die feste Oberzeugung, daß ich unendlich vielen aus dem
Herzen spreche. Woher sollte ich die Kraft gewinnen, das zu sagen, was
ich sagen werde, wenn nicht aus diesem Glauben?*
Und in der «Coda* faßt^ der Verfasser den Zweck seiner Schrift
folgendermaßen zusammen:
.Das Märchen vom Klapperstorch ist auf den Aussterbeetat gesetzt.
Man versucht es den Kindern gegenüber mit der Wahrheit. Aber die
Erwachsenen unter sich können sich nicht dazu verstehen, die konventionelle
Heuchelei aufzugeben. Sie schlafen fast ein, wenn sie um ihres gesell-
schaftlichen Rufes willen eine Bachsche Messe oder eine Mozartsche
Symphonie hören, aber sie versichern hinterdrein, es sei entzfickend ge-
wesen. Und nur, wenn sie sich innerhalb ihrer vier Wände befinden und
wenn sie zu einem sprechen, der ihnen in keiner Weise gefährlich werden
kann, dann bekennen sie, sich gelangweilt zu haben. Wozu diese Heuchelei?
Muß das so sein?'
Also der Heuchler ist das Publikum, und zwar ein Heuchler von
ziemlich niedriger Gesinnung.
Vor ganz kurzer Zeit erschien nun auch eine Strauß-Heuchelei, der
Aufsatz: «Richard Strauß" von Dr. Georg Göhler. Hier erleichtert
einer, dem .unser öffentliches Musikleben' über geworden ist, sein Herz.
.Die') Presse macht's, die Presse lobt's: Der Fortschritt hat gesiegt. Alles
ist herrlich. Eine Zeit der höchsten Kultur, der größten Ereignisse und
glänzendsten Triumphe. Oberall rege Kräfte und, allen Größten eben-
bürtig, ein Meister wie Richard Strauß an der Spitze. So hören wir's
täglich; und so laut, so aufdringlich laut, daß die Menge an Einstimmigkeit
des Urteils glaubt. Und doch sind die Musiker nicht dabei. Die schweigen.
Einzelne haben zu reden angefangen. Gegen die werden aber sofort Kessel-
treiben veranstaltet. Unser Musikleben muß herrlich bleiben und Richard
Strauß sein Haupt. So will's die Kritik. Also muß die Anti-Kritik
energischer einsetzen. Eine Anti-Kritik sei das Folgende. Sie beweise,
daß Strauß nicht der ist, zu dem ihn die Mode gemacht hat, nicht der
erste Musiker der Gegenwart, nicht Erbe oder gar Oberwinder Wagners,
überhaupt keiner von den Großen der Musikgeschichte; sie verweise ihn
zurück an den Platz, der ihm nach seiner Begabung gebührt. Was dabei
gesagt wird, ist zum größten Teil nicht Einzelmeinung, sondern latente
Oberzeugung sehr vieler Musiker und Musikfreunde.'
>) No. 3, S. 6. «) No. 3, S. 95—96. *) No. 4, S. 98.
138
DfE MUSIK VII. 3.
Ober Strauß als Eklektiker heiQt es: „Goethe') hu einmal gesagt:
Die Kunst ruht auf einer Art religiösem Sinn, auf einem tiefen, nn-
erschütterlichen Ernst. — Der witzige Techniker Strauß hat diesen Ernst
nicht. Versucht bat er's ja auch mit ihm. Aber es g^fickte nicht Jetzt,
wo nach Feuersnot und Salome auch seine Freunde mahnen, ktnn's ja
sein, daß er wieder neue Versuche unternimmt. Vielleicht Ist's In der
Kunst wie im Leben: Junge Lebeminner, alte Moralprediger.*
Ober dos kopflose Publikum heißt es: Die Menge .lockt*) der Stoff,
das riesige Aufgebot musikalischer Mittel, das sie blöd anstaunen kann,
und das Raffinement der Klinge, durch das man sich halb unbewußt anf-
kitzeln laßt." — .Zu") den Zehnlausenden, für die Salome kQnstlicbe
geschlechtliche Aufregung Ist, kommen die Hunderttausende, die aus Herden-
trieb, weil man's gesehen haben muß, aus Neugier und Dummheit in die
Aufführangen laufen. Die Reklame sorgt ja dafür, daß Immer neues
Verlangen entsteht. Gäste, die noch weniger anhaben, locken bei erhöhten
Preisen zur Besichtigung.' Und: ,Venn*) nur die Menge nicht immer
einen Goit brauchte! Ist's Strauß nicht mehr, so wlrd's ein anderer
werden; und gewiß auch ein falscher. Warum? Ginge es nicht auch
einmal so, wie sich's Goethe dachte, als er sagte: Es Ist nicht immer
nötig, daß das Wahre sich verkörpere; schon genug, wenn es geistig um-
herschwebt und Obereinstimmung bewirkt, wenn es wie Glockentoa emst-
freundtich durch die Lüfte wogt.'
Hier beuchein gar beide, und zwar aus Mode: das PubllkuiQ and
der Komponist.
Welch eine Konfusion in der Musik unserer ZeitI
>) No. 4, S. 104. ') No. 4, S. 108. •> No. 4, S. 109. *) No. 4, S. 112.
139
SCHMALZ: ANNUS CONFUSIONIS
mß
jSi^i
II.
Meinungen.
Ein Bilderbuch.
„Ich^) schweige zu vielem still, denn ich mag die Menschen nicht
irre machen und bin wohl zufrieden, wenn sie sich freuen, da, wo ich
mich ärgere. — Ein gutes Wort des alten Goethe. Aber nur der ganz
große schöpferische Mensch darPs. Für jeden andern ist solches laisser
aller, laisser faire eine Versfindigung an der Kultur-Entwicklung. Leider
eine sehr übliche, denn auf jedem Feld menschlicher Tätigkeit sind's
gerade die besten der mittleren Begabungen, die zu vielem stillschweigen
und gehen lassen, was sie nicht billigen. Alle ungesunden Zustände im
politischen, gesellschaftlichen, künstlerischen Leben einer Zeit sind meist
Folgen solcher Gleichgiltigkeit.* — Unser beunruhigtes Empfinden drängt,
in das Chaos Ordnung zu bringen, und lastend drückt uns das Bewußtsein,
daß es untunlich ist, im Strome schwimmend, seinen Lauf zu lenken. Doch
wagen wir den Versuch, festen Fuß zu fassen I
Wie erklären sich die geschilderten unbehaglichen, heillosen Zustände?
^Wie ist einmal zunächst der nehmende Teil: das Publikum und die Kritiker
beteiligt?
Wie man im Pubiil^um zur Musik steht, erfahren wir fast unlieb-
sam ausgiebig durch Paul Zschorlich, der sich zwar als Kritiker, An-
kläger und Anwalt des Publikums aufspielt, aber viel zu sehr als modemer
Mensch persönlich beteiligt auftritt, als daß seine Broschüre für mehr wie
eine Stimme aus dem Publikum gelten darf. Aber zu den Denkenden im
Publikum gehört er; und die große Masse des Publikums denkt nicht.
Diesen Vorwurf stellt Zschorlich als das Wesentliche in seiner Bro-
schüre hin, wenn er schreibt:
«Ich^ habe mir darin gefallen, den Anwalt des Publikums zu machen*.
Ich beschuldige es .der Heuchelei und nehme den Beschuldigten zu gleicher
Zeit in Schutz*. — Dieser Vorwurf „soll mehr die verantwortungslose
Lässigkeit und den Mangel an selbständigem Denken kennzeichnen als
die bewußte Täuschung betonen. Der Zweck meiner Philippika ist, das
Publikum, obwohl es heuchelt und heucheln zu müssen glaubt, zu ver-
teidigen*.
Der Vorwurf besteht zu Recht: Das große Publikum denkt nicht,
findet sich kaum mit der Mode ab. — Nun aber das denkende Publikum,
') No. 4, S. 98. ') No. 3, S. 95.
|S|^g DIE MUSIK VII. 3. 9B
der moderne junge Kunst-Enthusiast, wie er sich in Zschorlich's Broschüre
lebendig und ehrlich gebärdet: da ist nun alles charakteristisch, die Form
mindestens ebenso sehr wie der Inhalt.
Sehen wir uns zunächst die Form genauer an. Ein Zeichen unserer
schnell schreitenden Entwicklung ist die immer ausgeprägtere Diiferen-
ziierung, der immer rücksichtslosere Subjektivismus. Nicht nur, daß man
sich Kritik anmaßt und subjektiv färbt, nein, auch Persönlichstes wird
ohne Selbstkritik schamlos preisgegeben. Es dient wirklich der Charakteri-
sierung unserer Zeit, wenn einige der betreifenden Stellen aus Zschorlich's
seiner „tapfern Frau" gewidmeten Broschüre zusammengestellt werden.
Da lesen wir folgende Episode, in der Mozarts Name herhalten muß:
„Es^) war in der kleinen Universität Marburg, einem von allen guten
Geistern des Fortschritts prinzipiell verlassenen Städtchen, dessen Abderiten
sich wie Revolutionäre vorkommen, wenn sie Brahms oder Grieg einmal
zu Worte kommen lassen. In einer Abendgesellschaft, in der sich die
seichte Unschuld der höheren Tochter mit dem überlegenen Dünkel einiger
Universitätsdozenten paarte, kam die Rede auf Mozart. Ich wagte zu be-
merken, daß Mozarts Werke in den maßgebenden Musikstädten mehr und
mehr an Boden verlören, und daß ich persönlich Mozart veraltet finde.«
Ich hätte genau so gut sagen können, ich habe der Frau Geheimrat die
Röcke hochgehoben, die Wirkung dieser Worte wäre nicht größer gewesen.
Man verlachte, man bemitleidete, man verwünschte den jungen Mann, der
so ruchlose Ansichten vertrat. Man mied mich. Ich wurde den Leuten
physisch unbequem. Und ich empfahl mich bereits kurz nach 10 Uhr.
Möglich, daß man gleich danach die Fenster geöffnet hat, um zu lüften.
Ich ging auf die Kneipe und trank und trank. Eine Einladung in diese
Familie erhielt ich nicht mehr. Gott sei Dank."
Femer lesen wir, wie sich der Autor mit den Klassikern abfand:
.Zu') der Zeit, da ich das Gymnasium verlassen hatte, floß ich über vom
Lobe des Euripides und Äschylos. Weniger, weil ich die tiefe Schönheit
ihrer Werke begriffen, als vielmehr weil es mir ein Bedürfhis war, das
Bildungsgut zu verteidigen, das ich mir erworben, und das mich zum Be-
such der Universität befähigte. In dieser kritiklosen Nachbeterei verharrte
ich einige Zeit. Als Student von 19 Jahren, du lieber Himmel, da be-
schäftigt man sich mit anderen Dingen als mit den griechischen Klassikern.
Ich riß Zola usw. an mich und konnte von ähnlichen Schriftstellern nicht genug
zu lesen bekommen. Die Folge war, daß ich eines Tages Retau's Selbst-
bewahrung in meine Bibliothek stellte. Den Augiasstall meiner Phantasie
säuberte ich dann mit Goethe.*
') No. 3, S. 12. *) No. 3, S. 45-46.
141
SCHMALZ: ANNUS CONFUSIONIS
Zur Ergänzung und zum Abschluß folgende Stelle aus dem Abschnitt:
, Treibhauskunst*: »Wir»^) die wir den Fortschritt in der Kunst innig be-
lauschen, sind in den Kreisen derer, die von Vergangenem zehren, nicht
weniger verschrien als die Anarchisten bei den konservativen Politikern.
Wir gelten als gefährliche Revolutionäre, denen nichts heilig ist, die keine
Autorität anerkennen und keine Gesetze gelten lassen wollen. Und
man verbindet, indem man uns die Jungen nennt, flugs damit den
Begriff der Unreife. Man schmuggelt diesen gehässigen Nebenbegriff ein,
ohne zu bedenken, daß er in der Überreife sein Korrelat findet, die heute
oder morgen in Greisenhaftigkeit übergehen wird. So wie im bfirgerlichen
Leben jeder, der einen graumelierten Vollbart trägt, sich über einen allzu-
schneidigen Schnurrbart erhaben dünkt, so versucht auch auf künstlerischem
Gebiet der Altgewordene dem Jungbleibenden mit seiner Erfahrung und
der Zahl seiner Semester zu imponieren. — Nach solchen Grundsätzen
künstlerische Ansichten zu vertreten, erscheint mir naiv und brutal zu-
gleich. — Wir Jungen wählen uns unsere Autoritäten selber. Wir lassen
sie uns nicht aufschwatzen. Das ist der prinzipielle Unterschied zwischen
uns und den Alten. Wir sind keineswegs autoritätslos, aber wir verehren
jede Autorität nur bedingt, nur dann, wenn es uns gefällt, und nicht
dann, wenn andere uns zu ihr beugen wollen. Wir denken selbständig
und kämpfen für dieses Recht der geistigen Freiheit, solange es irgend
geht. Viele von uns zermürbt die harte Wirklichkeit. Und ich drücke
im Geiste allen denen fest und treu die Hand, die um ihrer geistigen
Selbständigkeit willen leiden. **
Ich denke, es ist genug der Proben — schülerhaft, burschikos,
cynisch: solch unfertiges Zeug wagt sich vor die Öffentlichkeit; ist es
nicht eine edle Dreistigkeit, mit so etwas andere zu behelligen — ja und
sogar auf Grund solcher Unreife über die Großen in der Musik Urteil
sprechen zu wollen I
Ist die Form geschmacklos und eingebildet, so ist der Inhalt unfein
und unklar. Sehen wir uns nun noch den Inhalt an.
Wieder ist es charakteristisch, daß selbst da, wo Zschorlich nicht
mehr von sich, sondern schon von anderen redet, immer noch ein per-
sönlicher Ton vorherrscht: mit Vorliebe verächtlich und verdächtigend.
Sind folgende Zusammenstellungen statthaft und anständig? — dabei ohne
jede Motivierung I
Über das Publikum in dem »Präludium**: »Ich^ täusche mich nicht
darüber, daß man meine Gedanken absichtlich oder unfreiwillig mißver-
stehen wird.« Und in der »Coda«: »Wer') den Zweck meiner Philippika
») No. 3, S. 21—22. «) No. 3, S. VI— VI!. ») No. 3, S 95.
s^
142
DIE MUSIK VII. a.
immer noch nicht gemerkt haben sollte» den kann ich nur bitten, mein
Gegner zu sein. Seine Anhängerschaft würde mich doch nur kompro-
mittieren.* Und dann in dem ironisierenden »Plaidoyer*: «Wir*) alle sind
darin einig» daß die gesellschaftliche Heuchelei ein ebenso kostbares Gut
der Nation darstellt wie der Alkohol und die Bordelle.*
Ober die Klassiker: Die Klassiker »ffihren') diesen Ehrentitel, wie
ein hoher Beamter den Titel Geheimrat ffihrt» auch wenn er ein notorischer
Schwätzer ist» oder wie ein Graf sich gern Hochgeboren nennt, auch
wenn er das Licht der Welt erblickte in dem Augenblick, da der PRndungs-
beamte die Siegel auf die Möbel drückte, oder wie ein König sich von
Gottes Gnaden dünkt» auch wenn ihm die Lustseuche den Verstand an-
gefressen*.
Dort» wo er mehr sachlich wird, wird der Inhalt der Broschüre
widersprechend und unklar.
Obwohl es einmal heisst: «Je^ gereizter der Ton war, in dem sie
zu mir sprachen» um so weniger maßgebend mußten sie mir erscheinen",
heißt es ein anderes Mal trotzdem: «Je^) toller der Mensch schmäht und
schimpft» um so mehr offenbart und verrät er sich*. —
Ein anderes Beispiel für Widerspruch. An der einen Stelle: «So
gut^) verschiedene Zeiten verschiedene politische und kulturelle Ideale
haben» so gut haben sie auch verschiedenartige Empfindungen*. An
mehreren anderen Stellen^: «Der Gefühlsinhalt der Musik der ver-
schiedenen Jahrhunderte ist im wesentlichen derselbe geblieben, und er
wird sich wohl niemals ändern*.
Ja» auf einer und derselben Seite ^) der Broschüre ist zu lesen: «Die
einfache Tatsache» daß solche Mittelchen (die Tätigkeit der Mozart-Ge-
meinden) für nötig erachtet werden» um Mozart dem Volke nahe zu
bringen» beweist schlagend» daß er im Volke nicht mehr lebendig ist
Wenn es wahr ist» daß Mozarts Werke im deutschen Volke lebendig sind,
was bedarf es denn dann noch der Mozart- Vereine, um sie lebendig zu
machen?* — Und: «Die Wagner- Vereine suchen der großen Masse Wagners
Kunst näher zu bringen.* Ja» ist denn dann die Behauptung wahr, dafi Wagners
Werke im deutschen Volke lebendig sind? — Übrigens, wie reimt sich denn
hiermit folgende Äußerung: »Für*) Wagner treten die Gebildeten melir
und mehr ein, während die Ungebildeten nur mühsam sich in seine Werke
hineinfinden. Für Mozart tritt das ungebildete Volk ein, während die Ge-
bildeten von ihm loszukommen suchen.* Und wer ist eigentlich das
deutsche Volk? ich denke: die Gebildeten und die Ungebildeten!
») No. 3, S. 92. «) No. 3, S. 42-43. •) No. 3, S. VI. *) No. 3, S. 23-24.
*) No. 3» S. 39. •) z. B. No. 3» S. 98. ') No. 3, S. 17. •) No. 3, S. 7.
143
SCHMALZ: ANNUS CONFUSIONIS
Wie unklar schwankt besonders der Kern-Begriff der ganzen Schrift,
der Begriff: Klassiker (in der Musik)!
Einerseits nimmt der Verfasser den Begriff: Klassiker richtig» wie
es sich wohl von selbst ergibt» historisch; er sagt: »Der^) Begriff des
Klassischen ist eine Schulweisheit» aber keine Lebenswahrheit*. «Es') gibt
keine Klassiker. Es gibt nur Meister und Muster*. «Wir') verehren den
Meister» weil wir in ihm den vollendeten Repräsentanten"» den Klassiker
seiner Zeit sehen. »Was^) wir heute klassisch nennen» war einmal das
Moderne.* «Ein jeder» der uns heute als Klassiker gilt» ist durch ein
Fegefeuer von Mißverständnis und Verleumdung hindurchgegangen.* Und
,ein^) Kunstwerk der Vergangenheit» das den Ideengehalt seiner Zeit er-
schöpft oder in hervorragendem Maße in sich birgt» büßt notwendigerweise
an Geltung und Einfluß ein in einer Zeit» deren Ideengehalt gewechselt hat*.
Andererseits aber nimmt der Verfasser den Begriff: Klassiker gleich-
zeitig absolut; ohne zu fragen» ob das möglich ist» definiert er: »Der')
Klassiker ist der Unübertreffliche» der schlechterdings Unerreichbare» der
Vollender*» und meint» daß »Klassiker^) Mumien sind» und daß der Ver-
such» eine Mumie zu beleben» in der Kunst ebensowenig Erfolg hat wie
im Leben*. Ohne zu fragen» ob das Sinn hat, behauptet er: »Ein')
Klassiker» der veraltet ist» kann doch unmöglich ein Klassiker sein.* Ohne
zu fragen» ob das zutrifft» sagt er: »Überall^ begegnen wir dem seltsamen
Mißverhältnis» daß ein Klassiker um so höher gepriesen wird» je weniger
er unser Leben beeinflußt.* — Diese Gedanken laufen nicht etwa nur so
mit unter» sie finden sich vielmehr an andern Stellen nicht viel anders
lautend wiederholt: »Bedenklich ^^) und unsinnig muß der Versuch erscheinen»
Lebloses für lebend» Unwirksames für wirksam» Einflußloses für allmächtig
zu erklären.* »Ein^^) Klassiker» der das Kunstleben nicht beeinflußt» ist
kein Klassiker*. »Unsere ^') Zeit verehrt die Klassiker mit dem Munde»
aber mit dem Herzen ist sie der Zukunft zugetan.* »Nicht ^') in der Ver-
gangenheit» sondern in der Zukunft liegen die Ideale.*
Beachtet man» daß beide Gedankenreihen dauernd neben- und durch-
einander laufen» daß der Begriff des Klassischen auf denselben Seiten der
Broschüre bald in dem einen» bald in dem andern Sinne gebraucht wird»
so erkennt man» wie voller Widersprüche die Schrift ist» deren Wert
doch wohl hiermit steht oder fällt.
Wie der Verfasser negiert» haben wir erfahren» was er positiv will»
erfahren wir aus folgender Stelle: »Die^^) Parole: Zurück zu Mozart! wird
ausgegeben. Indem man Mozart als einen Klassiker preist» verbindet man
') No. 3, S 42. *) No. a, S. 43. ') No. 3» S. 45. «) No. 3» S. 61. ») No. 3, S. 62.
•) No. 3, S. 43. ') No. 3, S. 45. •) No. 3, S. 47. •) No. 3. S. 57. ^«) No. 3, S. 60.
") No. 3, S. 57. ") No. 3, S. 44. >«) No. 3, S. Ö9. ^*) No. 3, S. 97.
144
DIE MUSIK VII. 3.
mit dieser Auszeichnung den Wunsch» daß seine kfinstlerischen Ideen
unser Musikleben von neuem beeinflussen möchten. Und dieser Wunsch
bedeutet eine Versündigung an Wagner und seinem Werk. Er bedeutet
eine unheilvolle Verkennung unserer künstlerischen Ziele und eine ge-
schichtliche Verdrehung obendrein.** — »Die') Bedeutung Wagners ist
heute schon so klar erkannt, sie ist ungeahnt schnell zum geschicht-
lichen Merkstein geworden, daß unsere Zeit jedem neuen Werk, sei es
im Konzertsaal oder in der Oper, mit der Frage gegenübertritt: Ist es
von Wagner beeinflußt oder nicht? Für Wagner sein oder nicht sein, das
ist hier die Frage.** Also, Wagner — und zwar speziell der letzte Wagner,
die Nibelungen — ist der Weisheit letzter Schluß; und: Wagner contra
Mozart! ist die Parole.
Die Art, wie Wagner gegen Mozart ausgespielt wird, ist wieder trivial
und konfus. Wie kann der Verfasser folgendes schreiben: «Die*) Be-
hauptung, Mozarts Opern vermöchten sich neben den Wagnerschen Musik-
dramen als lebendige Kraft zu behaupten, schieße ich mit der Kanone der
Statistik zuschanden.** Folgen Zahlenangaben. »Was^ diese Statistik
unwiderleglich feststellt, ist die Tatsache, daß die Gebildeten, nach deren
Wünschen das Repertoir eines jeden Theaters zusammengestellt wird, so
von Wagner erfüllt sind, daß sie für Mozart nur noch eine pietätvolle Ver-
ehrung hegen.** — Seit wann ist das wahr, daß das Repertoir eines jeden
Theaters nach den Wünschen der Gebildeten zusammengestellt wird?
Steckt der Verfasser das Bildungs-Niveau so sehr niedrig? Oder meint er
nicht, daß die vergnügungssüchtigen Massen Sensationen und Belustigungen
zu Kassenstücken bestimmen; und Kassenstücke brauchen alle Theater! —
Zudem ist, wie Zschorlich selbst sagt, Wagner doch schon historisch ge-
worden: nicht Wagner, sondern das: Los von Wagner! charakterisiert unsere
krankhaft unruhige Musik. Man wandelt nicht mehr die sicheren Phde
der Wagner-Nachahmung, man irrt, neuen Boden suchend, unsicher umher.
Vielleicht hat Wagner die Dekadenz in der Musik heraufbeschwören ge-
holfen, aber jedenfalls: von der heutigen dekadenten Musik, und nicht von
Wagner verlangt man zu Mozart zurück. In den Festspielzyklen, die, wenn
überhaupt etwas, in dem hehren Dienst der heiligen Kunst stehen, stehen
auffallend Wagner und Mozart beisammen. — Wie paßt dazu, was Zschorlich
wiederholt ausspricht: »Wagner^) hat die Harmonie entdeckt.* «Der*)
Hang zur Harmonie hat sich erst mit Wagners Erscheinen stark ausgeprigt
Und erst von da ab datiert die Abkehr von Mozart, der diesem Hang nun
nicht mehr Genüge leistet," wegen ^»harmonischer ^ Dürftigkeit und magerer
Instrumentation.**
^) No. 3. S. 7. ^) No. 3, S. 83. ») No. 3, S. 84. *) No. 3, S. 37. ») No. 3^ S. dB.
•) No. 3, S. 83.
145
SCHM4LZ: ANNUS CONFUSION^S
M
Anhangsweise folgende Notiz. Einmal heißt es in der oft nicht fehler-
freien BroschQre: »Kann es^) einen schrofferen» künstlerischen Kontrast
{eben als Richard Strauß und Mozart? Haben die beiden auch nur irgend
etwas miteinander gemein?* und dazu wird bemerkt, daß Strauß »bekannt-
lich*) Mozart so gut wie gar nicht* dirigiert. Trifft nicht zu: Kürzlich erst
in Paris hat Strauß sich gerade in entgegengesetztem Sinne geäußert und
oft, mit Vorliebe, hat er Mozart neu einstudiert. —
Zum Schluß nun auch Belege dafür, daß Zschorlich das denkende
Publikum vertritt und richtige Gedanken geschickt formuliert. Man ver-
gleiche z. B. die sehr richtige Charakteristik, die von umfassendem Kennen
zeugt: »Es gibt') Komponisten von auffallend kontrapunktischer (Bach,
R. Strauß, Reger), melodischer (Rossini, Verdi, J. Strauß) und harmonischer
«(Chopin, Grieg, A.Jensen) Begabung.*
Indem er, Hebbel zustimmend, die Kunstgeschichte als den Nieder-
schlag der wandelnden Zeit ansieht, folgert er treffend: »Erst^) wenn man
die Ausdrucksweise einer vergangenen Zeit begriffen hat, kann man ihr
Empfinden teilen*. Auf Mozarts Zeit angewendet: »Die^) Zeit des Rokoko
hat nicht viel gemein mit der des Dampfes und der Elektrizität.* Auf
"Wagners Zeit angewendet: »Wagners*) Musik spricht zu unserem Empfinden,
weil sie aus ihm heraus geboren ist.* »Ebenso^ wird Wagner an Einfluß
verlieren, sobald erst ein neuer Meister den Empfindungsgehalt einer neuen
Zeit in seinem Schaffen zum vollendeten Ausdruck bringt.* Auf unsere
Zeit angewendet: »Als*) berufener Erbe Richard Wagners erscheint in unseren
Tagen Richard Strauß (und Max Regerl). In ihm erschöpft sich der
Empfindungsgehalt unserer Zeit, in ihm inkarniert sich das Fühlen und
Denken des 20. Jahrhunderts.* Und: »Die*) drängende Hast des Lebens,
der aufs äußerste gespannte Erwerbssinn, die geistige und künstlerische
Zersplitterung, der Mangel an einer treibenden gemeinsamen Idee, das alles
hat aus uns Werktagsmenschen gemacht.* —
Und doch sollen wir nicht »Mozarts Geist heraufbeschwören und
unser: Zurück zur Natur! rufen*?! —
Fassen wir unser Urteil über das unnötig ärgerliche Buch und seinen
leider herausfordernden Autor zusammen, so erscheint er uns als ein
•urwüchsiger modemer Musik-Enthusiast, gefährlich durch flackerndes Halb-
wissen und blendendes Halburteilen. — Gewiß ist in der Kunst der Mensch
das Maß aller Dinge, aber nicht gerade der einzelne Mensch.
») No. 3, S. 18. «> No. 3, S. 19. •) No. 3. S. 38. *) No. 3, S. 09. *) No. 3, S. 70.
^ No. 3, S. 04. ') No. 3, S. 70. •> No. 3, S. 99-100. •) No. 3, S. 11.
VII 3 10
146
DIE MUSIK VIL a.
^iWlB
Weshalb wir Zschorlich so ausf&hrlich das Wort gelassen haben, war
nicht bloß, um das denkende Kunst-Publikum kennen zu lernen, sondern
auch zugleich, um ihn sich selbst beurteilen und verurteilen zu lassen»
Er ist kritisiert worden: ernst genommen und unverdient vornehm behandelt
worden, gerade von einem so gediegenen und fiberlegenen Kritiker wie
Arthur Seidl. Im Folgenden aber soll es sich nicht um den weiteren Ver>
folg dieses einzelnen Falles handeln, sondern, zu der allgemeinen An-
gelegenheit zurfickkebrend, darum, wie die Kritik sich in der Musik-
konfusion stellt. An den Ansichten einiger Musikschriftsteller, die in dieser
wichtigen und schwierigen Frage das Wort ergriffen haben, wollen wir uns
zu orientieren suchen, ob und wie eine Klärung der Konfusion zu denken
ist. Und da will es uns denn scheinen, als ob die Kritik den rechten Ton
nicht trifft, als ob die einen den zu entwirrenden Knoten zu zart, die
andern zu grob anfassen. Als Beispiele für die erste Art nennen wir
Arthur Seidl, Paul Marsop und Arno Kleffel, als solches f&r die zweite
Georg Göhler.
Auch Arthur Seidl sieht in Zschorlich's Broschüre eine «Natur-
geschichte^) des Publikums'' und tadelt »Defekt an ästhetischer Anschauung
und Manko in kritischer Beweisführung**. Trotzdem aber spricht er von
der einem , dunkeln ehrlich-echtem Drange** folgenden «temperamentvollen
Streitschrift** nicht ungünstig. «Ich muß freimütig bekennen, daß, ab*
gesehen von mancherlei enfant-terrible-Anwandlungen und nahezu ezhi-
bitionistischen Geschmacklosigkeiten, sowie abgerechnet ganz unverzeihliche
Flüchtigkeitsfehler einer allzugewandten Feder, mir doch ein guter und
richtiger Kern in diesem viel befehdeten Büchlein zu stecken scheint;* —
und er hält es für nicht unfruchtbar «sowohl dem kernigen Inhalte nach,
als auch insbesondere in seiner modern-anregenden und vieles zur Sache
Gehörige umsichtig anziehenden, neuartig literarischen Form*. — Ist das-
nicht viel zu gut geurteilt? Mag es in Seidl's gediegen-vornehmer Art
liegen, Streben gelten zu lassen, so darf er doch nicht vergessen, dalt-
das Publikum auf die Ansicht eines führenden Musik-Schriftstellers fBr
seine Belehrung angewiesen ist; und irre leiten will er es doch nicht!
«Freilich*, so schließt Seidl selbst, «Marsop hat das alles inzwischen
ungleich überzeugender, weil auch stilistisch vornehmer und gehaltvoll*
beschlagener wohl, ausgeführt, was Zschorlich in seiner scharfen Tonart
sagen wollte, nicht ohne streckenweise doch arg daneben zu greifen*.
In der Tat, viel tiefer, aber noch nicht tief genug, greifen JUmraop-
und Kleffel, die das gemeinsam haben, daß sie, gestützt auf gediegene
und maßvolle Grundideen, Einzelheiten klären wollen, also die Kranldieit
in ihren Symptomen zu kurieren suchen.
*) No. 5.
147
SCHMALZ: ANNUS CONFUSIONIS
PaulMarsop's Aufsatz spitzt sich allein dahin zu, daß er dem jfingsten
Element der Kompositions-Technik, dem Farbe-Geben: dem Instrumentieren
das Wort redet. Und es mutet uns in unserem Zusammenhange besonders
merkwürdig an, bei so viel Tadeln von Heuchelei auch einmal ein Preisen
von Ehrlichkeit anzutreffen. Er sagt: »Es^) ist ein grober Unfug, mit
Phrasen um sich zu werfen wie: Herr Quickendudel sucht durch blendende
Instrumentation über seine Erfindungsarmut hinweg zu täuschen. — Ach
nein: eine Absicht, das Publikum zu betrügen, ist hier ganz und gar
nicht vorhanden. Der arme Kerl ist fest davon überzeugt, seine Motive
seien eigenartig, und just, weil sie ihm eigenartig, wertvoll dünken, sucht
er aus ihnen zu machen, was er irgend vermag. — Bleibt die Frage offen,
ob Herr Quickendudel denn wirklich blendend instrumentiere. Ich fürchte,
nein. Wieder stoßen wir auf eine seichte Redensart: Gut instrumentieren
kann heutzutage jeder. — Falsch. Der Modernen, die wirklich gut
instrumentieren, sind verhältnismäßig wenige.* Diese Schlußsätze sind in
folgendem Zusammenhange zu verstehen: Naturgemäß hat sich nach
Rhythmus, Melodie, Harmonie, Form nun auch Farbe in der Musik
entwickelt: das farbige Instrumentieren ist das moderne Element in der
Musik, aber selbstverständlich wie die älteren Elemente nicht Maßstab für
Wert oder Unwert eines Musik- Werkes von heute; Maßstab ist nach wie
vor natürliches Auskristallisieren, das sich von selbst in allen
Musik-Elementen geltend machen wird. Gerade im Instrumentieren sich
von der Moderne abkehren und etwa zu Mozart zurückkehren, ist natürlich
eine inhaltleere Forderung.
Gewiß dient dieser Gedanke der Klärung, aber er behandelt ein
Symptom: das Auskurieren der Krankheit zu fordern, eignen sich dagegen,
wie wir sehen werden, die oft wundervoll formulierten allgemeinen Ge-
danken Marsop's.
Ganz ähnlich Arno Kleffel: Er wendet sich gegen Programm-
musik und Verismus mit einem sonderbar anmutenden Vorschlag. Seine
Darstellung der Übelstände lautet: Solange die Tonkunst «auf^ ihr eigenes
Gebiet beschränkt blieb und nicht gezwungen wurde, Handiangerdienste
für andere Künste zu verrichten, vermochte nichts ihre Reinheit zu trüben^
nur wo sie zur Mithilfe für szenisehe Vorgänge herangezogen oder ihr
auf Grund eines vorgeschriebenen Programms zugemutet wurde, etwas
ganz Bestimmtes verdeutlichen zu helfen**, wurde sie in den verderblichen
Strudel des Verismus hinabgezogen, jener Tendenz^, die darauf gerichtet
ist, das Natürliche in derb realistischer Treue, sei es auch bis zur wider-
wärtigsten Häßlichkeit darzustellen **. Jetzt sind wir «glücklich auf dem
') No. e, S. 522. «) No. 7, S. 193. ») No. 7, S. 175.
10^
148
DIE MUSIK VII. a.
DU
Punkte angelangt, daß die Zustände nicht mehr zu verschlechtern sind*. —
Merkwürdig lautet Kleffers Vorschlag zur Abhilfe: »Die^) erste Grund-
bedingung ist, daß unsere Kunst) Qnger zuvörderst die Kompositlons-
technik erlernen. Diese Technik wird nicht angeboren, wie das Er^
flndungstalent, sondern ist die Frucht jahrelanger Übung und eisernen
Fleißes. Viele unserer Kunstjünger aber, statt sich erst in der Technik
zu vervollkommnen und sich eine feste, sichere Grundlage zu schaffen,
brüten meist schon am Anfang ihrer Studien über tiefsinnige Werke und
großartige Probleme und sind gewöhnlich nicht imstande, den einfachsten
Quartettsatz folgerichtig und fehlerfrei zu konstruieren*. — Wie denn?!
Man hat sich die Technik angeeignet, wahrhaftig mehr denn zu viel!
Betätigt sie fieberhaft, will nicht mehr die alten verbrauchten, sondern
unerhörte neue Formen! Nicht Mangel an Technik, sondern Übermaß an
Technik! — Der Vorschlag trifft doch nicht die Wurzel des Übels! —
Obenein gestaltet sich dieser Vorschlag noch wunderlicher: Eine Gesundung
unserer musikalischen Zustände, heißt es weiter, kann nur «durch*) die
musikalische Erziehung von unten herauf* herbeigeführt werden. «Wie
wäre es nun, wenn der Musikpädagogische Verband seine Ziele weiter
stecken und auch auf das höhere Kunstgebiet ausdehnen würde? — Es
dürfte genügen, wenn allen musikalischen Unterrichtsanstalten und -Lehrern
ans Herz gelegt würde, in den ersten Jahren ausschließlich nach den Vor-
bildern unserer großen Klassiker zu unterrichten und immer wieder auf
den reichen Schatz unseres Volksgesanges hinzuweisen*. Hat doch unser
Kaiser, «im richtigen Erkennen, daß im Volkslied eine unversiegbare
Quelle immer wieder neuer Anregung und Lebenskraft fließt", eine
Sammlung der wertvollsten deutschen Volkslieder herstellen lassen. —
Ist Geschmack und ästhetisches Gefühl erzogen, «so werden die Kunst-
jünger sich bald von selbst unwürdiger Aufgaben schämen.* — Ja! wenn
das nur so wäre! —
Wertvoll sind, wie wir sehen werden, Kleffers beherzigenswerte
Mahnungen an die Kritiker.
Wenn die bisher herangezogene Kritik mehr besonnen und weniger
energisch, weniger dem Ganzen und mehr dem Einzelnen zugewendet er-
scheint, so zeigt sich große, wohl gar etwas zu heftige Energie jin der
von Göhler an Richard Strauß geübten Kritik, die zwar sich nur mit einer
bestimmten Persönlichkeit beschäftigt, aber ganz beschäftigt, und mit der^
jenigen Persönlichkeit, die die Konfusion in der Musik zuletzt auf die
Spitze getrieben hat. Während bisher Strauss als der Meister der Moderne
gepriesen wurde, läßt Georg Göhler an Strauß kaum einen Künstler fibrigi
1) No. 7, S. 194. •) No. 7, S. 195.
140
SCHMALZ: ANNUS CONFUSIONIS
M
Was er ihm zugesteht, ist zu allererst der «Instinkt ^), mit der Zeit zu
gehen und das, was ihr gemäß ist, sich aus ihr anzueignen.* Sodann:
«Seine *) außerordentliche musikalische Veranlagung ist unbestritten. Es
fällt ihm leicht, klingende, effektvolle Musik zu schreiben, zu verwerten,
was sich ihm bietet. Ohne lange Wahl. Ohne Originalität. - Die Erfindung
ist das Schwächste an dem Musiker Strauß. Das Beste der Sinn für Klang
und Farbe, die geschickte Verarbeitung des Materials, die Technik.*
Schließlich: «Strauß^ hat neben seiner Instrumentation zwei Spezialitäten:
musikalische Sinnlichkeit und musikalischen Witz.* »Der^) sinnlich wirk-
same Reißer, der auch Trivialitäten nicht verschmäht, ist eins seiner
Hauptwirkungsmittel,* und sein »Witz, nicht Humor,* ist «meist scharf,
in wenigen Fällen gesucht, öfter frech'. »Das^) Echteste und Beste, was
Strauß in diesem Genre schrieb, sind Till Eulenspiegels lustige Streiche.
Die Instrumentation ist glänzend und ungezwungen witzig. Vorwurf und
Ausfuhrung entsprechen einander, die Gedanken reichen aus, da Größe
nicht nötig ist. Mehr Werke dieser Art: und Strauß wäre als Spezialist
eines seiner Natur entsprechenden Gebietes eine erfreuliche Erscheinung
geworden.*
Alles andere, was Göhler sagt, ist ein stufenweises Verfolgen von
Strauß' Werdegang als konsequentem Niedergang von der Höhe. Die
Mode hatte Strauß zum Musikgott erhoben: man ließ sich verblenden.
«An^) dem Musikgott, der nun im Strahlenkranze thronte, waren die
Flecken schwer zu erkennen. Den Wandel hat Strauß selbst provoziert.
Er hielt nicht, was er versprach, er wurde Manierist, trieb Sport mit
farbiger Orchestertechnik, zeigte zu viele Schwächen als Künstler.* »Wer^
nach Feuersnot, Domestica, Salome und den jüngsten Liedern noch
wagt, Strauß als Nachfolger Wagners und Liszts hinzustellen, wer ihn über-
haupt noch unter die großen Künstler, eigentlich: wer ihn überhaupt unter
die Künstler rechnet — das Wort sollte heilig gehalten werden, wir haben
keinen höheren Titel in diesem Bereiche des Lebens zu vergeben! — der
beweist entweder, daß er persönlich voreingenommener Cliquenmensch ist,
oder daß er nie gefühlt hat, worin eigentlich der Wert der Neunten,
Zauberflöte, Meistersinger usw. besteht.* — Die Ausführung im
einzelnen nur andeutungsweise;
Zuerst über die Lieder: »Bestimmt*) künstlerischer Wert die Wahl
seiner Texte? Ist überhaupt Konsequenz in seinem Liederschreiben?*
Er komponiert die Modernen, er versucht sich an Goethe, für den «ihm
die Schlichtheit und innere Wärme fehlt*. »Er ist^ Gelegenheit- Arbeiter,
') No. 4, S. 96. •) No. 4, S. 09. *) No. 4, S. 90. «) No. 4, S. U». ^) No. 4,
S. 101. •) No. 4, S. 111. 7) No. 4, S. 112. <) No. 4, S. lOa •) No. 4, S. 101.
150
DIE MUSIK VII. a.
nicht spezifischer Lyriker. Ihm fehlt alle Konzentration, aller künstlerische
Zwang, aller Stil.'
Sodann über die symphonischen Dichtungen: Von Till Enlenspiegel
war die Rede; in derselben Richtung liegt noch Don Quizote, das «all-
gemein^) nicht als Kunstwerk* gilt, sondern eine «witzige Orchesteretflde*
ist. «Man muß sie anhören, wie man Instrumentalvirtuosen, die nur
Techniker sind, und andere Seiltänzer abtut.* Dann über Zarathustra:
«Wo*) ist Erfindung? Wo Stil, Größe, Wahrheit? Das Ganze bleibt ein
ohne fortlaufende Refiexion unverständliches Verstandesprodukt, das ver-
schiedene klanglich schön wirkende Einzeleindrücke verschafft, aber als
Ganzes auseinanderfällt. Das ist eine von den alten Sünden; sie meinen:
Rechnen, das sei Erfinden, oder auch: Denken, das sei Empfinden.* —
«Mit*) seinem Heldenleben scheint er sich den Größten gleichgestellt zu
haben. Scheint; denn die Großen redeten nicht von sich, nannten sich
nicht Helden, hatten die stolze Scheu und Scham adeliger Geister.* —
Über die Domestica: »Der*) Stoff ist intim, genrehaft, der Apparat
massig. Kindergeschrei und nächtliche Liebesszene, häuslicher Streit und
Versöhnung, Witzchen, temperamentvolle Sinnenmusik (die beiden Speziali-
täten auch hier wieder!): das Ganze heißt Symphonie. — Spielerische
Nichtigkeit stillos zu plumper Massenwirkung aufgetrieben!* — Summa
Summarum: Strauß als Symphoniker: «Die verschiedensten Nerven, von
oben bis unten, werden angetippt, das ganze Innenleben aber bleibt ohne
Kontakt mit dieser Musik.*
Schließlich über die Opern: Guntram: «Das^) typische Werk eines
Wagner-Nachschreibers.* Feuersnot: wieder «das persönliche und seinielle
Element in diesem Theatermach werk. Wie^ im Heldenleben, so zieht
in der Feuersnot Strauß sich selbst und seine Gegner und hier außerdem
noch Wagner hinein. Die Art, wie er das tut, scheidet ihn wieder scharf
von den eigentlichen Künstlernaturen. Daß er, vom Glück verwöhnt, wie
kaum ein Musiker der ganzen Musikgeschichte, sich mit Gegnern, die er
so niedrig wie möglich musikalisch karikiert, in Werken herumschlägt, die
er als Kunstwerke angesehen wissen will: das sollte eigentlich über die
Künstlernatur dieses , Meisters' den Deutschen die Augen ötfhen.* «Alle
Kunst ist nach außen projiciertes Innenleben, ist Bekenntnis.* «Alle
Meister schrieben das Innerste ihres Erlebens. Aber alle mit der ernsten
Scheu vor den heiligen Geheimnissen des Einzel- und des Gesamüebens,
mit der tiefen Keuschheit großer Naturen in allem, nicht nur geschlecht-
lichen Dingen.* «Man^ redet so gern von der modernen Kunst, der
') No. 4, S. 102. *) No. 4, S. 103. *) No. 4, S. 102. «) No. 4, S. 103. *) Ne. 4^
S. 104. •) No. 4, S. 104—105. ^ No. 4, S. 105.
151
SCHMALZ: ANNUS CONFUSIONIS
alles freistelle, die nichts Menschliches» nichts Natfirliches sich ver*
schlössen wisse. Verschlossen ist ihr nichts» aber sie verschließt sich
vor allem, was sich nicht vergeistigen läßt, was Tier bleiben will.* —
Diese Äußerungen passen fast noch genauer auf die Salome. Gleichviel,
ob vom ,heiß-jungMulichen Leib* oder vom »weißen Leib* die Rede ist,
in beiden Stficken handelt es sich »nicht') um irgendwelche höhere
geistige Liebe*, sondern um Geschlechtliches, begleitet mit einer Musik,
«die in etwas vergröberter Form doch die Ausdrucksmittel benutzt, die
zur Darstellung großer durchgeistigter Liebesszenen verwandt werden.*
«So nenne ich's Prostitution der Kunst.* »Freunde*) und Feuilletonisten
reden freilich von Vergeistigung. Der größte Unfug, der je mit einer
ästhetischen Redensart getrieben worden ist, ist wohl der mit dem
Geschwätz von der vergeistigenden Wirkung der Musik getriebene. Musik
vergeistigt nicht, sie versinnlicht. Alle Musik! Denn sie ist sinnlicher
Ausdruck eines Empfundenen.* — Resultat über Strauß als Opern-
komponist: Stofflich ist er angelangt beim Ȇberbrettl*') und bei Sujets,
über deren Zulässigkeit »nicht ^) mehr die Wurde der Menschheit und
der Kunst die Grenze zieht, sondern, wie beim Tingel-Tangel, die Polizei.*
Und musikalisch hat er sich, »um^) modemer zu werden, das Häufen
von Dissonanzen, eine unreinliche Harmonik, angewöhnt*; in der Salome
ist seine Musik »entweder^ verschwommen oder banal*; »diese ^ Art
kontrapunktischer Technik ist kinderleicht.*
»Um') den Fall Strauß richtig zu verstehen, ist noch die Frage zu
beantworten: Wie war ein solcher Reinfall überhaupt möglich? Bei Strauß
kam's so: Ein sehr begabter Musiker war er. Und Glück hatte er. Bülow,
Alexander Ritter, Bayreuth halfen ihm rasch in die Höhe. Die Kritik war
fortschrittlich, das Publikum wurde es aus Mode. Beide fürchteten nichts
so wie sich zu blamieren. Bei Wagner hatten sie sich blamiert. Das
durfte nicht wieder vorkommen. Man mußte fortschrittlich modern sein.
Was Fortschritt ist, wußte und weiß man nicht. Tut nichts. — Fast alle
Musiker haben im besten Glauben der Oberschätzung von Strauß Vorschub
geleistet. Keiner ist da schuldlos; die besten Dirigenten, Sänger und
Kritiker: alle halfen. Das ist verzeihlich.* —
Soweit der Inhalt bei Göhler! Richtig oder falsch? Schwer zu beant-
wortende Frage: Große Gegenstände, große Distanz für rechten Oberblick
erforderlich. Aber mag vieles treffen, alles in allem hat Göhler sicher
über das Ziel hinausgeschossen. Ich will die Begründung meiner Ansicht
an den Zarathustra anknüpfen, den ich nach wie vor füf Strauß' Haupt-
>) No. 4, S. 107. *; No. 4, S. 107-108. *) No. 4, S. 88. «) No. 4» S. 108.
») No. 4, S. 90. •) No. 4, S. 108. ^) No. 4, S. 100. •) No. 4, S. 110—111.
152
DIE MUSIK VII. a.
JS^
werk und ein Kardinalwerk der Musikgeschichte erkläre. Wer sich mit mir
davon überzeugt hat, wie im Zarathustra ein weltumfassender Inhalt, von inneo
heraus sich gliedernd, fast mathematisch knapp zu kristallklarer Form sich*
entwickelt, der kann unmöglich gelten lassen, was Göhler behauptet, dafi Zara»
thustra als Ganzes auseinanderföllt, daß ihm Größe und Wahrheit abgeht. Und
gar: ,Das^) ist das Entscheidende, was Strauß aus dem Reich der eigent»
liehen Kfinstlernaturen ausscheidet und unter die Artisten verweist: der
völlige Mangel an metaphysischer Veranlagung und all dessen, was damit
zusammenhängt, des inneren Blickes für die großen Geheimnisse des-
Lebens, der künstlerischen Scheu und Verehrung vor ihnen, kurz des
Transscendentalen in der Kunst.* Mag gerade Zarathustra Strauß besonders
gelegen haben, weniger ein „Gebild^ der Phantasie* als eine «berechnete
Konstruktion des Verstandes,* gleichviel: Inhalt und Form absolut adäquat,
riesig-dimensional und urelementar. Strauß hat das einmal gekonntf
warum nachher nicht mehr gekonnt, oder vielleicht gar nicht gewollt?
Sollte Göhler Recht haben? Nein! In dem Einen, Wesentlichsten sicher
nicht: Strauß' Kunst umfaßt die äußersten Höhen und Tiefen des Trans*
scendentalen I
Daß Göhler zu weit geht, läßt sich schon verstehen: Zum Abwälzen
einer großen Last bedarf es einer großen Kraftanstrengung: Man verliert
die Schätzung; aus dem Genug wird leicht ein Zuviel. Ich sehe leider
eine Bestätigung hierfür in der allzu schneidigen Form und darin, daß der
Verfasser an einigen Stellen unsachlich, verdächtigend und ausfallend wird.
Sind nicht folgende Stellen seiner und der Sache unwürdig? »Wo*)
Wilde's Phantasie einen nie darzustellenden, genial-gemeinen Exzeß der
schamlosesten sexuellen Überkultur schaute, schreibt der preußische König-
liche Kapellmeister, der doch Aufführungen seines rentabel sein sollenden
Werkes braucht, biedere Kompromißmusik. Schamlos gemein müßte in
solchem Fall die Musik sein, die von Strauß ist feig und zahm.* —
«Strauß^) bleibt immer auf dem Boden. Er hat schöne, teuer, sehr teuer
bezahlte Federn; aber fliegen kann er nicht!* — «Strauß*) ist eine Macht
geworden. Und vor Mächten fürchtet sich der Durchschnittsmensch. Strauß
ist als ,erster Musiker der Gegenwart^ Ehrenmitglied der angesehensten
musikalischen Gesellschaften, die Heidelberger Universität hat den Typus
von Unwissenschaftiichkeit und die vorübergehende Erscheinung von R. Strauß
zum Ehrendoktor gemacht, in der Tantiemen-Genossenschaft und im AU
gemeinen Deutschen Musikverein ist er der Erste Vorsitzende. Es ist leicht
möglich, daß die Mode noch so lange vorhält, bis irgend ein deutscher
>) No. 4, S. 104. ^ No. 4, S. 103. <) No. 4, S. 110. *) No.4, S. 104. ^ No.4^
S. 111.
.. ]
SCHMALZ: ANNUS CONFUSIONIS
Fürst auch noch mit der Verleihung des erblichen Adels dss nach der
Seite bin Erreichbare zum Erreichten macht.' — So gegen den Komponisten;
ähnlich selbst gegen die ausübenden Musiker: .Die') Dirigenten der
lelstungsRhigeren Kapellen haben die Eitelkeit, auch die Domestica als
getreue Domestiken der filTentlichen Meinung und des ersten Mnsikers
der Gegenwart ihrem Publikum vorzusetzen".
Geaugl — Überschauen wir, was wir an Publikum und Kritik
beobachtet haben, so flUlt gemeinsam folgendes auf: Beide nehmen sich
sachlich Übergriffe heraus und halten formell nicht Maß ein. Vir mußten
Zschorlich in das Publikum zurückverweisen und gegen Göhler Strauß zu
den Künstlern zurückstellen. Und: war es sehr tadelnswert, wie Zschorlich
grundlos verdachtigt, so ist es höchst bedauernswert, wie GShler übereifrig
verdächtigt. Schade, sehr schadet so schädigt man die Sache und sieb. —
Es mangelt ai^ sicherem Taktgefühl für Maß.
') No. 4, S. 112.
154
DIB MUSIK VII. a.
III.
Was nun?
Auch ein Kultur-Bild.
Der einzige Standpunkt, von dem aus wir glauben aus der Musik-
Konfusion und -Heuchelei herauskommen zu können, dfinkt uns der
historische zu sein: der Gesichtspunkt: nicht der Tatsachen, sondern des
Zusammenhanges; nicht des Seins, sondern des Werdens; nicht des Dogmas
oder der Partei, sondern der Entwicklungsgeschichte. Und da erscheint es
uns als ein hocherfreuliches Zeichen, daß die Kritik sich nunmehr auch
schon auf dieses Verstehen aus dem Zusammenhang besonnen hat. Ohne
weitere heranzuziehen, genügt es, dieselben Autoren sich lussem zu lassen.
Kleffel schreibt: «Es^) gibt heute Kritiker, denen keine Neuheit
modern genug erscheint, und die deren Wert eigentlich nur nach ihrem
Dissonanzengehalt abschätzen. — Dabei ist das Schlimme, daß das Publikum
dadurch irre geführt wird und allmählich den Glauben an sich und seine
UrteilskaafI verliert. — Zur Besserung der Zustände könnte vor allem
auch der Musikkritiker sein redliches Teil mit beitragen. Er müßte, bevor
er sein für die musikalische Volkserziehung so überaus wichtiges Amt
antritt, erst beweisen, daß er von der Musik auch wirklich etwas versteht.
Dann wird man die Könner und Nichtkönner, die Tüchtigen, ihres verantwort-
lichen Amtes sich Wohlbewußten und die ob ihrer musikalischen Hilf-
losigkeit meist auf persönliche Spitzen angewiesenen Untüchtigen nicht
mehr mit einander verwechseln, und der gesamte Kritikerstand wird ein
kultur fördernder und bildungverbreitender werden.*
Was Marsop schreibt, schließt an: »Die^ Kritik lebt in und von
einem argen Wahn. Sie abstrahiert Regeln aus Kunstwerken, die ein
Mann von eigenartigem Genie oder Talent — kein Genie oder Talent
gleich einem andern — , die also ein Unikum in einer bestimmten Kultur-
epoche, von einer bestimmten Umwelt beeinflußt, in der Ausmodelliemng
eines bestimmten Stoffes geschaffen hat. Und sie wendet diese R^^ln
auf Kunstwerke an, die ein grundverschiedenes produktives Temperament,
in einer mit der Lösung andersartiger sozialer Probleme beschäftigten Zeit,
in einer jeden Vergleich ausschließenden Entwickelungsperiode, in der
Durchdringung und Stilisierung völlig heterogener Stoffe vollendete.* —
»Die*) großen, auf dramatische Wahrheit abzielenden Gedanken sind
urewig. Und urewig ist wurzelechtes lyrisches Empfinden. Doch nichts
Wandelbareres unter der Sonne als die Formen, in denen sich jene
*) No. 7, S. 212—213. ") No. 6, S. 512. ») No. 6, S. 514.
155
SCHMALZ: ANNUS CONFUSIONIS
x\,-
Gedanken und dieses Empfinden aussprechen. — Die Form wird zugleich
mit dem, was wir mehr oder weniger ungenau die Idee des Kunstwerkes
nennen, von der Phantasie des Künstlers empfangen und geboren. Der
Vater ist die Natur.* »Jedes ^) Kunstwerk ist Abwandlung der Natur.
Ohne Ausnahme. In der homerischen Zeit, im Mittelalter, im Schaffens-
gebiet der Moderne.* — Der Schaffende ist »nur nachzubilden fähig, was
er gesehen und gehört, womit er sein Inneres erfüllt hat.* Es «organisiert
sich das, was durch die Berührung mit der Natur im Künstler auflebt und
aufwächst, nach einem eigenen, zugleich mit dem Embryo des Kunst-
werkes entstehenden Gesetz derart zu einem Formgebilde, wie ein fast
ohne menschliches Zutun ausreifendes Naturprodukt. Die Wissenschaft
vom Harmoniewesen, vom Kontrapunkt, die gesamte Kompositionslehre
verglüht in den Brennpunkten des künstlerischen Schaffens und verfiößt
sich auch in der langsamer sich vollziehenden Füllarbeit des Hervor-
bringens unmerklich wieder mit der Natur. Und die Natur wiederholt
sich niemals.* — Und das »Publikum,^) das den schaffenden Propheten
stets im bemessenen Abstand etlicher Jahrzehnte nachrückt*, kommt »den')
führenden Geistern am raschesten nach durch ein unausgesetzes liebevolles
Versenken in die Natur.* »Je williger, fleißiger wir uns in die Natur ein-
fühlen, um so intensiver, um so modemer werden wir in der Kunst sehen
und hören.*
Und Göhler schreibt: »AUes^) Künstlerische ruht auf zwei Grundlagen,
auf Persönlichkeit und spezifischer Begabung. Nach dem Verhältnis dieser
beiden Elemente bestimmt sich der geschichtliche Wert eines Kunstschöpfers.
Nur wo Gleichgewicht zwischen beiden herrscht, ist Größe möglich. Möglich
erst; vorhanden nur, wenn sichs um Gleichgewicht zwischen einer Persönlich-
keit außerordentlichen Kalibers und einer spezifischen Begabung höchster
Qualität handelt*. — Und »das Einzige,^) was sich in der Kunst nicht
lernen läßt, ist Größe und Ewigkeitwert der Persönlichkeit.* —
Wenden wir uns nun in geschichtlicher Auffassung der Beantwortung
der Frage zu, wie schließlich der gebende Teil: die KQnstler an der
Musik- Konfusion beteiligt sind! Wodurch haben sie sie verschuldet,
womit werden sie ihr abhelfen: sollten sie am Ende gar nicht anders
gekonnt haben und können? — Woher — wohin? Schwierig, weil es
nicht nur die Musik, sondern die ganze Kultur berührt!
Vergleicht man eine moderne Partitur mit einer Partitur aus der
klassischen und romantischen Zeit, so sieht sie ungleich unübersicht-
>) No. e, S. 512—514. <) No. 6, S. 518. *) No. 6, S. 520. ') No. 4, S. 98.
^ No. 4, S. 104.
iL
156
DIE MUSIK VII. 3.
lieber aus: viel bunter, weniger bestimmte LinienfShmog. Die Ansdmcks-
mittel erscheinen sehr kompliziert, die Form erscheint tnst ganz aufgelöst»
Wirklich sind das wohl die beiden Faktoren in der Musik der {Qngsten
Vergangenheit, die die Konfusion bewirkt haben. Sehen wir uns sie und
ihre Ursache etwas genauer anl —
Der heutzutage «in ^) jeder Kunst als notwendig empfundenen Diffbren*
ziierung des Ausdrucks" diente in der Musik vornehmlich die Klangftirbe»
«Was^ durch geschickte Verwertung der Klangfarbe erreicht wird, kommt
wirklich gelegentlich «in weitaus höherem Grade als qualitatives denn als
quantitatives Mehr in Betracht". Meist suchte man farbige Instrumen-
tierung durch Vermehrung der Stimmen zu erzielen. Die Vermehrung der
Stimmen konnte nach zwei Seiten hin geschehen: «Vergr5bening')auf der
öinen und DifPerenziierung auf der anderen Seite", d. h. indem man teils
neue Instrumente heranzog, teils die alten Instrumente teilte und ihnen
immer detailliertere und difficilere Kleinmalerei zumutete. Derart auf-
gesetzte Lichter ergeben ein Mißverhältnis im Gesamt-Gemilde. Viele
mühevolle Einzelheiten gehen in dem Massen-Orchester zwecklos unter:
Der Aufwand gestaltet sich zum Wirrwarr. Hieß man einst die einzelnen
Instrumenten-Gruppen klare Phrasen reden, so erpreßte man jetzt den ein-
zelnen Instrumenten gequälte Interjektionen. Nicht anders die Art, wie
,man^) die menschliche Stimme der Mitwirkung für wert hält": man
erniedrigt sie in Chorwerk und Oper «zur dienenden Magd", wenn man,
statt sie singen zu lassen, ihr rezitativische Treffubungen zumutet. — So
glaubte man dem neuen Bedürfnis zu genügen.
Und wozu der Apparat, wo die Triebkraft? — Auch hier lassen sich
zwei Gesichtspunkte geltend machen: ein allgemeinerer, tief begründet in
gesundem Menschen-Empfinden, und ein speziellerer, der die Neuentwick-
lung auslöste, — zuerst himmelstürmend, zuletzt versinkend in Erdenstanb.
Die Musik hat sich aus dem sonnigen lebensfreudigen Süden herfiber-
verlegt in die düsteren, ernsten nordischen Regionen. Außer den grfibeln»
den Deutschen traten, dem individualisierenden Zuge der Natur- und
Welt- Geschichte folgend, auch die urwüchsigen Slaven und Skandinavier In
die Musikgeschichte ein: in echten und neuen Tönen formen sie ihr
Wesen und Sehnen. Je stiefmütterlicher die Natur, umso sehnsflchtiter
die Kunst. «Aus*^) Frost und Dunkel heraus erträumen* die Nordlinder
«sich am liebsten ein Märchenreich von unzähligen Sonnen und Farben-
wundem", da wo der Südländer unter Sonnenglut mehr der einfachen monamen-
talen Linie achtet. — So erklärt sich, daß die jetzt überall ursprflnglich nnd
') No. 6, S. 519. <) No. 6, S. 518. >) No. 4, S. 99. «) No. 7, S. 173. >) New 0^
S. 515.
157
SCHMALZ: ANNUS CONFUSIONIS
M
üppig aufsprossende nationale Musik so auffällig farbig ist; und sie darf
man nicht vergessen, wenn man die » Bereicherung^) des Klanges" richtig
würdigen will.
Wenn hierin die gesunden Keime liegen, so liegen die ungesunden
Keime in dem, der Programmmusik entstammenden, Bestreben zu
charakterisieren. Welche Steigerung der Ausdrucksmittel erforderte die
Darstellung allgemeiner Probleme größten Stils wie Beethoven's Neunte
Symphonie, Liszt's Faust-Symphonie, Strauß' Also sprach Zarathustral —
Aber dabei blieb es nicht einmal: Man versuchte sich an immer neueren
und immer spezielleren Ideen; ja sogar konkrete Vorgänge sollten dar-
gestellt werden. Hatte man früher rauschende Bäche dargestellt (Beethoven),
so stellte man jetzt züngelnde Flammen dar (Wagner), stellte dar (R. Strauß),
wie sich die ausgehauchte Seele vom Körper löst. Mußte es da nicht zu
immer neuen und neuen Klang-Kombinationen treiben! — Aber auch dabei
blieb es nicht: Ist es schon abschreckend, zu vernehmen, wie der Tod
den siechen Körper packt und schüttelt, so ist es geradezu widerlich.
Stöhnen beim Enthaupten inmitten von Grabesstille zu vernehmen. Zu
welchen Mitteln dabei gegriffen werden muß, zeigt Strauß' Bemerkung zu
diesem Laut in der Partitur der Salome: , Dieser^ Ton, statt auf das
Griffbrett aufgedrückt zu werden, ist zwischen Daumen und Zeigefinger
fest zusammen zu klemmen; mit dem Bogen ein ganz kurzer scharfer
Strich, so daß ein Ton (1) erzeugt wird, der dem unterdrückten Stöhnen und
Ächzen eines Weibes ähnelt." Also dazu die Umstände! — Begann die
Entwicklung damit, großem Inhalt adäquate große Mittel und Form zu
schaffen, so endete sie damit. Mögliches und Unmögliches zu charakteri-
sieren: Die Musik wurde im Einzelnen immer charakteristischer bis zum
Häßlichen und Krankhaften (Strauß' Widersacher und Salome) — , und im
Ganzen immer charakterloser.
Fragt man schließlich, wie es hat kommen können, daß mit einer
geschichtlich verständlichen Folgerichtigkeit Musik bei Unmusik angelangt
ist, so ist die Antwort wohl in folgendem zu suchen und zu finden. Die
Musik ist in gewissem Sinne die einzige «ganz^ auf sich allein ange-
wiesene" Kunst. Hat der Architekt, der Bildhauer, der Maler Vorbild und
Anhalt an der Natur, so fehlt zunächst dem Ähnliches dem Musiker. Er »hört ^)
in der Natur wohl einzelne Töne, aber nie eine wirkliche Melodie, auch
hin und wieder Zusammenklänge, aber nie eine künstlerische Harmonie*.
Und doch beruht gerade geschichtlich die Kunstmusik auf der natürlichen
Grundlage des Entwickeins der Harmonie. Wenn wir längst gewisse Zu-
sammenklänge als besonders harmonisch unbewußt empfinden und uns
') No. 4, S. 99. <> Partitumammer 305. *) No. 7, S. 196. ') No. 7, S. 196.
158
DIE MUSIK VII. 3.
mSsB
nachträglich bewußt werden, daß sie besonders einfachen Verhältnissen
entsprechen, so ist das ein Anhalt, ein natfirliches, d. h. uns von der
Natur gegebenes. Maß. Mag die Entwicklung der Tonkunst diese »ver-
borgene^) Naturhannonie" vermannigfaltigt haben «durch Auffindung und
Verwertung neuer Dissonanzen", so heißt es schließlich doch jede ge-
schichtliche Abstammung und die Natur verleugnen, »ein Tonstück ans
Dissonanzen herzustellen". Gewiß gilt das Naturgesetz der Anpassung
auch hier für Komponist und Publikum: Mag der Komponist heutzutage
9 farbig^ hören", mag das Publikum »von^ Jugend auf mit neuartigen
Dissonanzen, rhythmischen Kombinationen, instrumentalen Mischungen ver-
traut, den Begriff des Angenehm- oder Erträglich-klingenden weiter fassen*,
immer sollte künstlerisches Taktgefühl unbewußt sich in den natürlichen
Grenzen halten. — Nur weil das natürliche Maß so tief verborgen liegt,
konnte der natürliche Grund so weit verloren gehen. —
Das Zusammensetzen der Farben ging zusammen mit einem Auflösen
der Form. Und Farbe ohne FormPI Vielleicht, daß gerade in dieser Un-
haltbarkeit der Keim des so jähen Verfalles liegt. Jedenfalls wurde es
der Keim des Verfalls, daß man sich unterfing, die auf sich gestellte
Musik ihrem ureigenen Wesen zu entfremden. Man stellte die Musik in
den Dienst anderer Künste: sie mußte nicht nur in das Musik-Drama ein-
gehen, — Gesamtkunstwerk — , sie mußte auch als Symphonische Dich-
tung heraustreten. Die immaterielle Musik sollte Vorgänge darstellen, sie
sollte durch äußeren Inhalt wesenhafter gestaltet werden; man mußte ihr
ihre wesentliche Form nehmen und ihr fremde Formen geben. Es konnte
nicht viel Gutes dabei herauskommen.
Ja, hatte denn die absolute Musik einen natürlichen Inhalt und eine
natürliche Form? Die Frage beantwortet wieder die geschichtliche Ent-
wicklung, und zwar, mit Einschränkung wenigstens, bejahend. In Kunst
wie in Leben ist das natürliche Agens der sich ausgleichende Gegensatz.
Aus Satz und Gegensatz, ihrer Durchführung usw., aus Tempo-Gegensätzen:
schnell und langsam, aus rhythmischem Gleichmaß: Tanz, Marsch usw.
formte zusammenfassend die klassische Epoche die Sonaten- und Symphonie-
Form. Daß damit nicht etwas absolut Unveränderliches geschaffen war,p.
zeigt die mannigfache Abwandlung im Einzelnen; daß damit aber etwa^
dem natürlich-Notwendigen sehr Nahestehendes geschaffen war, zeigt der*
Umstand, wie schwer eine wesentliche Umänderung im Ganzen zu schaffen,
war und ist. Eine Aufgabe für ein Genie, — vielleicht unlösbar. Die
wichtigste Wesens-Umwandlung, die die Sonaten- und Symphonieform bisher
erfahren hat, die symphonische Dichtung, bedeutet eine Auflösung ins Un-
^) No. 7, S. 211. 212. «) No. 6, S. 514. ») No.6, S. 519.
j
160
DIB MUSIK VII. 3.
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vielleicht noch riesiger als der Musiker. Das bestimmte seine Eatwicklmifi
80 ward er der, der den Menschen in die Kunst hinaufzog und die Kunst
zum Menschen hemiederzog. Sein Schaffen ist eine einzige aufeteigende Linie,
kulturgeschichtlich gipfelnd in dem: »Seid umschlungen Millionen!* der
Neunten Symphonie. Sprengte hier der Inhalt alle alte Form, so ist das
tief innerlich begründet in dem ungeheuren Problem: Neues Gleichmaß
zwischen Inhalt und Form macht die Neunte Symphonie wieder klassisch.
So wurde die Form aufgelöst, den Inhalt bildete nicht mehr Stimmung,
sondern Entwickelung: Programmmusik. — Einmal hier angelangt, konnte
Beethoven nicht wieder zurück. Der Inhalt hatte sich in der Form er-
schöpft; anderer gleichartiger Inhalt gestaltete sich in der Missa solemnis
in ähnlicher Form: aber sodann in dieser selben gelockerten Form ohne
ähnlichen zwingenden Inhalt — wie sollte sich auch trotz tastenden Sucbens
solch ein Inhalt so oft wiederfinden? — die letzten Sonaten, die letzten
Quartette: sind sie noch reife genießbare Kunstwerke? Wurde das Schaffen
Beethovens nicht senil? Begreiflich: Menschenschicksall
Wie man vom Stil des «letzten* Beethoven spricht, so ist in aller
Munde der Stil des letzten Wagner die ehemalige Zukunftsmusik. Ja, und
ist es Wagner nicht ebenso ergangen wie Beethoven? Ein wunderbares
Kunstwerk, klassisch durch Gleichmaß von Inhalt und Form: voll echten
gesunden Menschenlebens und auf breitem vaterländischem und kunst-
geschichtlichem Hintergrund, gefaßt in etwas archaisierender blühender
Melodik: die Meistersinger, bezeichnet den Höhepunkt von Wagners Kunst-
schaffen. Der neu erwachsene Kunst- und Musik-Stil wurde dann auch
bei Wagner zuletzt etwas senil. In den Nibelungen herrscht nicht fiberall
das gleiche leichte Gleichmaß wie in den Meistersingern. Man vei^gleiche
den rekapitulierenden ersten Akt im Siegfried mit dem von Ereignissen
sich überstürzenden Schluß der Götterdämmerung. Wagners gesunde
fließende Melodik wird in Nibelungen und Parsifal stockender, posenhafter,
pathetischer und kraftioser. — Wenn Wagner nicht in gleichem Malte der
Tragik, die auf der Höhe menschlichen Schaffens waltet, verBel, so liegt
das daran, daß er im Musik-Drama konkreter blieb, und bei ihm GleichmaB
im sinnlichen Musikmelos blieb — wie bei Mozart, gegen den gerade er
ausgespielt wird.
Wagners neuer Stil war eine so gewaltige Kunsttat, daß er in der
Musik auf ein Menschenalter hinaus bestimmend wurde; er erdrfickte, es
war eine physische Unmöglichkeit, von ihm freizukommen. Er beherrsdite
nicht nur die Bühne, er bezwang auch das Symphonie-Konzert; herkommend
von der dramatischen Musik und eingeführt in die absolute Musik, konnte
er die Musik-Konfusion nur vermehren helfen. Loszukommen von Wagner
war erst der allerjüngsten Zeit zugewiesen, und die Führung fiel Richard
161
SCHMALZ: ANNUS CONFUSIONIS
Strauß zu. Daß er die Musik von Wagners Einfluß unabhängig machte,
sichert ihm eine bedeutende Stellung in der Musikgeschichte.
Hastig und gewaltsam ist Richard Strauß' Entwicklung gewesen,
und es ist tragisch, daß er jung hat senil werden müssen, auf der Höhe
seiner Schaffenskraft zu fried- und freudloser Tätigkeit verurteilt ist. Ich
habe einmal der Ansicht Ausdruck gegeben, daß Strauß sich von: Also
sprach Zarathustra über: Ein Heldenleben zur: Symphonia domestica in
absteigender Linie bewegt hat. Was Strauß danach geschrieben hat, zeigt
nichts von Hochkommen, schwingt sich nicht aus Erdenleben himmelwärts.
War die Domestica ein modernes Produkt: formell mit allem Raffinement
ausgestattet und inhaltlich intim-wertlos: auch ein enfant terrible unserer
Zeit, so ist die Salome, die über das Subjektive hinaus sich mit dem
pervers- Krankhaften befaßt, ein noch weit moderneres Produkt. Es ist
bezeichnend, daß das Publikum diese Zumutung nicht einfach ablehnt.
Wie um alles in der Welt aber kann die Salome, — mit der Feuersnot war
es übrigens ebenso — , in Fachkreisen solche Beachtung und Wertschätzung
finden? Hat denn die Salome musikgeschichtliche Bedeutung? — Ich glaube,
ja; aber in negativem Sinne, nämlich so: Dem höchst nervösen, widerlichen
Inhalt ist eine entsprechend nervöse, häßliche Musik angepaßt oder entstammt.
Es ist zunächst eine künstlerische Konsequenz, auf das Milieu den Stil zu
stimmen: und Strauß war dazu Künstler genug. Nicht mit Unrecht ist
der Stil neu zu nennen: wir sind bei einem Stil angelangt, in welchem
es wegen Dissonanzen und rhythmischer Willkür kaum mehr möglich ist
herauszuempfinden, auch fast gleicbgiltig ist, ob richtig oder falsch gespielt
wird, in welchem es fast gleicbgiltig ist, ob gesungen oder gesprochen
wird. Sucht man in diesen geräusche-reichen Ton-Massen nach kon-
zentrierenden, charakterisierenden Themen, so findet man erschrecklich
wenige und befremdend dürftige. Ist dfese verblüffende Kompositions-
technik am Ende wirklich « kinderleicht*? — Jedenfalls nicht des so
neuen und doch so manirierten, vielleicht senilen Stiles wegen ist die
Salome von musik- oder kultur-geschichtlicher Bedeutung, sondern deshalb,
weil sie uns endlich auf den Kernpunkt der ganzen Angelegenheit auf-
merksam gemacht hat, nämlich, ob denn dies und solche Sujets überhaupt
noch künstlerisch sind. Sollten Strauß selbst Zweifel aufgestiegen sein?
Warum suchte er das Stück im voraus zu retten? Warum schickte er die
Mitteilung vorauf, dies Werk würde gut, so etwas läge ihm? Kann einem
Künstler ein Sujet liegen, das nur sinnlich Überreiztes, auch in allen Neben-
rollen, von Anfang bis zu Ende bietet? Das perverse Mädchen, das der
flatternden Angst des Fürsten ihren starren Eigensinn entgegensetzt: »Ich will
den Kopf des JochanaanI" — Nimmermehr! Aber hier liegt es: Wollen wir
uns aus der Konfusion in der Musik herausretten, so müssen wir aus dem
vn. 3. 11
162
DIE MUSIK VII. 3.
Gebiete der Musik, der Kunst überhaupt heraustreten und uns auf unsere Auf-
gaben als Menschen besinnen. Die Salome wird hoffentlich der Markstein
werden, für das: Bis hierher, und nicht weiter I Künstler und Kritiker werden
hoffentlich, wenn der erste Taumel vorüber ist, ernüchtert sich erheben
und auflehnen! — Ist es nicht Strauss in weit krasserer Weise erg^ng^
wie es Wagner, wie es Beethoven erging? Er überkam und übernahm
Riesen-Mittel und -Formen für Riesen-Inhalt; er strebte über seine Vor-
gänger und sich hinaus und endete mit Riesen-Mitteln und -Formen —
ohne Inhalt. Nachdem ihm der Zarathustra als letzter Stoff zugefallen
war, war der Stoff für ihn, für eine ganze Menschen-Generation erschöpft.
Versagte der Inhalt, so konnten alle Kunststücke nicht helfen, am
wenigsten gerade die kompliziertesten. Künstlerisches Maßhalten allein
konnte helfen; sollte Strauß' künstlerisches Urteil versagen? Znnichst,
glaube ich, ist Strauss in seinem Schaffen charakterlos, nicht, wie GShler
meint, weil er will, sondern, ich wiederhole meine Behauptung, weil er
muß: Er versucht alles, weil er das in seiner Richtung letzte erledigt hat
Er ist jung senil, ein Kind seiner Zeit. Vielleicht noch nicht ohne
Hoffnung; Hoffnung jedenfalls nur dann, wenn ein Halt und eine Umkehr,
wenn eine Erneuerung erfolgt I
Man mag einwenden: Wie alles Neue zuerst nicht verstanden oder
mißverstanden worden ist, so verstehst auch du hier und jetzt nicht oder
falsch I Gewiß: Kolossales ist von nahe schlecht zu überschauen. Und
viel Unbewußtes schlummert unter der Oberfläche I Aber gerade auf dem
mitgleitenden Boden der geschichtlichen Auffassung stehend, kann, wenn
überhaupt irgendwie, man der Wahrheit am ehesten nahe kommen, kann
ein nicht irrendes Urteil zustande kommen. — Sehen wir zu, ob wir von
diesem Standpunkt aus nunmehr nicht aus der Musik-Konfusion heraus-
kommen. Die Zeit scheint dafür reif zu sein.
Menschliches, Allzumenschliches erschien in seinen Konsequenzen
für die Musik nicht geeignet. Gehen wir dem nach, so treten wir ans
dem Spezifisch-Musikalischen heraus. Es rollen sich Fragen auf, die das
ganze Kultur-Leben der Gegenwart berühren. Fast will es scheinen, als
ob unsere Zeit, die willig Unmusik für Musik hinnimmt, der Musik, über-
haupt der Kunst, nicht günstig ist. Woran liegt das? Das Leben des
Menschen heutzutage faßt ein sich ergänzender Gegensatz ein: Mehr
denn je fühlt der Mensch sich als kleines Glied eines großen Ganzen,
als eine wesenlose Nummer, und mehr denn je, — vielleicht eine Art
Reaktion dagegen — , lebt er seiner Individualität, seinem Wesen.
Was unsere neueste Zeit in ihre das Diesseits ausgestaltende Rlcfatong
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CBBBmm
163
SCHMALZ: ANNUS CONFUSIONIS
gelenkt hat, ist die Wissenschaft, insonderheit Naturwissenschaft und
Technik. Die Technik hat das Leben verschonend und erweiternd um-
gestaltet: sie hat den Komfort geliefert, sie hat den Verkehr geschaffen.
Sie hat den Horizont unendlich vergrößert, immer neues Konkretes in den
Gesichtskreis gezogen und begreiflich in erster Linie den Intellekt ge-
fördert. Unsere Zeit ist mehr den Problemen des Denkens, weniger den
Problemen des Empfindens zugeneigt.
Die Technik wirkt veräußerlichend, zunächst indirekt: Das Zeitalter
der Maschinen und Fabriken ist das Zeitalter des Geschäftes. Der hastige
Geschäftsverkehr fordert Arbeitskraft psychisch und physisch: Der Intellekt
wird in Anspruch genommen, und, wer ermüdet nach Ruhe verlangt, ist
der Ablenkung und Unterhaltung, aber nicht der ernsten Kunst geneigt,
die doch wieder alle Geisteskräfte anspannt. Solch stetige Werktagsarbeit
läßt den Einzelnen in der Gesamtheit aufgehen und nicht zu sich selbst
kommen.
Dann aber auch direkt: Wie tief die Technik unter der Leitung der
Naturwissenschaft selbst in die Kunst eingegriffen hat, zeigen in den
bildenden Künsten die Photographie, in der Musik Apparate wie Grammophon
und Pianola. Sie bewahren auf, was einst vorübergehende Erscheinung
war, sie machen zum Gemeingut, was einst wenigen zugänglich war. Was
sie liefern, ist technisch von erstaunlicher Vollkommenheit: der Kunst
sehr nahe stehend, wenn auch nicht die Kunst, wie sie eine zusammen-
fassende Persönlichkeit lebendig übermittelt. Und doch, wie viel Können
und wie wenig Mühel Auch der Künstler lernt von der Technik; leicht
wird das Interesse mehr dem Können als der Kunst zugewendet.
Es ist nicht zufällig, daß solche äußere Einwirkungen auf eine innere
Disposition treffen, die gleichfalls mehr wissenschaftlich reflektierend als
künstlerisch intuitiv ist. Die Wissenschaft weist den Menschen immer
deutlicher auf große Zusammenhänge hin, die Geschichte der Natur noch
mehr als die Geschichte der Menschheit: sie lehrt ihn, wie der Einzelne
ein Glied im Ganzen ist, wie er in der Arbeit für die Gesamtheit sich
sein eigenes Glück erarbeitet. Und Betätigung verdrängt Stimmung, die
Vorbedingung für Kunst, bei dem nehmenden Publikum wie bei dem
gebenden Künstler. Im praktischen Nächstendienst betätigt sich heute,
was sich einst im Gottesdienst betätigte. Und, nahm nicht gerade in der
Kirchenmusik die Musik durch Jahrhunderte ihren höchsten Flugl —
Wer wollte es leugnen, daß heute mehr denn je Wissenschaft und
Kunst einander gegenübergetreten sind ! Und — es ist nun einmal so —
gerade darin liegt unabwendbar Steigerung des Wertes der Kunst. Je mehr
die Arbeit drückt und aufreibt, um so mehr regt sich Sehnsucht nach
Freiem, Hohem in Kunst und Natur.
iL
164
DIE MUSIK VII. 3.
Gerade so ist es mit dem Gegensatz: der Mensch als Nummer, und
der Mensch als Individuum. Je mehr die Geschichte den Einzelnen in die
Gesamtheit hineingewiesen hat, um so stärker regt sich eine bewußte oder
unbewußte Reaktion: Der Mensch lebt heute mehr denn je seiner
Individualität; und je schneller die maschinenmäßige Alltagsarbeit ihm das
Leben hinrinnen läßt, desto mehr lebt er dem Augenblick. Ruhe fehlt,
selbst zum Genießen; dauernde Aufregung schlägt um in Gleichmut oder
Gleichgiltigkeit: sehr zu Ungunsten der Kunst. In der Intensität des
flüchtigen Jetzt und des sich auslebenden Ich sucht heute der Mensch das
Gluck: die Menschheit lebt mehr intensiv, weniger extensiv: keine Samm-
lung, keine Kunst! Bedarf es einer konkreten Vorstellung, so denke man an
unsere zeitgenössische Dichtkunst. Aus diesem Zusammenhange heraus
verstehen wir nun auch unsere früheren Beobachtungen an Publikum und
Künstlern, ihren unausgereiften Subjektivismus und ihre maßlose Produktivität.
Augenblicks-EmpHndung ist aber keine Stimmung. Nicht jedes und
jeder hat für alle Wert, hat Kunstwert; nicht Vereinzeltes, nur Allgemein-
giltiges taugt für die Kunst. Und wie soll das in unserer Zeit ausreifen,
wo soll Sammlung und Ruhe herkommen, um die Spreu vom Korn za
scheiden, um auszulesen? Und doch ist das unabweisbare Forderung,
Vorbedingung der Kunst!
Für die Musik ist es vielleicht noch besonders ungünstig, daß sie
Jugend und volle Schaffenskraft voraussetzt und selbst bei den Besten
mit den Jahren senil wird. Die freudige Jugend ist empfindend, denkend
das grübelnde Alter. Die Jugend schwelgt in Problemen, dem Alter
genügt Betätigung. So beim Schaffen, ebenso beim Aufnehmen. Die
blühende Jugend öffnet sich enthusiastisch allen Eindrücken der Musik,
das ausgereifte Alter schließt sich ab; exklusiv, skeptisch. In jedem
Sinne stehen Jugend und Musik auf gleichem Boden zusammen. Und da
ist es der Musik nicht günstig, daß beute bei der Fülle des Aufzunehmenden
und zu Verarbeitenden das Ausreifen in ein späteres Lebensalter vorgeschoben
ist, wo Empfinden gegen Denken zurückzutreten beginnt: Reflektieren aber
ist der Musik nicht gut.
Vielleicht reichen solche Andeutungen hin, um begreiflich zu machen,
wie unsere Zeit der Musik nicht günstig, die Kultur unserer Zeit einem
Vertiefen der Musik nicht förderlich ist. — Keine Täuschung: sich fQgen ist
Naturnotwendigkeit!
Das Leben ist ernst genug, die Kunst mag ergötzen; .dem^) Ernst
und der Tiefe* in der Musik ist «die Zeit nicht hold*. Zudem hat sie
0 No. 4, S. 100.
J
165
SCHMALZ: ANNUS CONPUSIONIS
IHK
mit der Richtung auf Höhen und Tiefen des Menschenlebens gerade eben
fible Erfahrungen gemacht, die Programmmusik hat abgewirtschaftet Was
nun? — 9 Angesichts') unserer heutigen Zustände könnte man die Frage
aufwerfen, ob ein weiteres Fortschreiten unserer Kunst überhaupt noch
einen Zweck habe, und ob es nicht am Ende besser und unserer Kultur
dienlicher sei, wenn wir auf Fortschritte, die uns in eine so heillose
Verwirrung gefuhrt, in Zukunft lieber gänzlich yerzichten.^ Ja, wenn nur
nicht in des Menschen Brust zwei Seelen wohnten I Unverwüstlich ist
des Menschen Hang zum AuOersinnlichen, zum Idealen, seine Phantasie:
die auf Wirklichkeit angewiesene Seele sehnt sich nach Schönheit, schreit
nach Kunst. In demselben Maße, in welchem in unserer Zeit die Musik
schwieriger geworden ist, in demselben Maße ist sie auch gerade wieder
nötiger geworden. Unstillbar ist das Bedürfnis der Seele nach Lösung in
der Musik; freilich nun und nimmer mehr und wieder in der jüngsten
Musik, die ein Einarbeiten und Mitleiden ist und kein Genießen. Ernst
ist das Leben, heiter sei die Kunst: Freude, schöner Götterfunken I
Also, dahin weist uns die Entwickelung ? I Von der Real-Musik zur
Ideal-Musik, von der relativen zurück zur absoluten? Ja, warum denn nicht?
Stets vollzog sich die Entwickelung der Menschheit in kleineren Perioden, die
sich schlössen und ein Glied in einer größeren Epoche wurden. Wieder ein
versuchter Kreislauf: vom Menschen zum Übermenschen, von Beethoven zu
Strauß, wäre vollendet: wir müßten zurückgreifen bis vor Beethoven, also zu
— Mozart, um in die große Entwickelung wieder einzulenken I Es fällt uns
wie Schuppen von den Augen: In der Richtung der relativen Musik sind
wir am letzten Ende angelangt: es ist ein völliger Bankerott geworden:
in der Richtung gibt es weiter keine Musik mehr. Soll es überhaupt
noch Musik geben, so muß die absolute Musik, kerngesund auf natürlicher
Grundlage, wieder erstehen. Nicht mehr des Menschen tiefstes Inneres
soll aufgewühlt werden, erregt durch ein quälendes Abbild der Wirklichkeit,
sondern die von der Wirklichkeit erregte Seele soll abgelenkt werden,
durch Phantasiebilder beruhigt und ergötzt, — so wie einst.
Was muß denn dann also alles geschehen? Zunächst in Ordnung
gebracht werden, was nicht in Ordnung ist ! Niemand wird das gewordene
persönliche, subjektive Element aus unserm Leben beseitigen wollen und
können; aber es muß sich in selbst errichteten Schranken halten. Wie
die Musikgeschichte, — so schien es uns — , dem Individualisieren die
Grenze gezogen hat, und nach Erledigung der Probleme, — es gibt zu-
nächst keine weiter — , von selbst Schluß I gebot, so ziehe in Zukunft zu-
erst die Künstler-Individualität sich selbst ihre Grenze: der Künstler halte
>) No. 7, S. 193.
166
DIB MUSIK VII. 3.
^^iWft
an sich und halte im Kunstwerk Maßl Er scheide, was vereinzelt und
was allgemein gilt, schäme sich Interna darzustellen und stelle VoUwertigea
reserviert- vornehm dar; er gebe uns das Bild nicht planlos tobender Kräfte,
sondern zielbewußt verhaltener Energie! Das ist das Ausreifen im Werden,
eine absolute Reife gibt es nicht. —
Glückt solches Herausringen aus dem Subjektivismus, so glückt auch das
Hindurchdringen durch das veräußerlichende Technische unserer Zeit. Der
Künstler scheut zurück vor Kunststücken der Technik. Die Technik darf
ganz und gar nicht unterschätzt werden, am wenigsten heutzutage: ich meine
jetzt nicht allein die musikalische Technik, sondern auch die gesamte,
unsrer Zeit ihr Gepräge gebende Technik in folgendem Sinne. Die Kanst
kann durch die Technik lernen. Photographie und Grammophon repro-
duzieren mit, man könnte sagen, mathematischer Genauigkeit; künstlerisch
nicht, aus den angegebenen Gründen: es fehlt das Absehen vom Momen-
tanen, das Zusammenfassen zu einer lebendigen Idee durch die Person
des Künstlers. Das Pianola gibt kein Konzert, die Photographie ist kein
Gemälde, die Statue wird ein Kunstwerk erst dann, wenn man darüber das
Modell vergißt. So lernt von der Technik die Kunst mindestens das, daß im
Kunstwerk die Persönlichkeit des Künstlers lebt. Schreitet die Mensch-
heit fort, so schreitet auch der Künstler mit ihr fort, und wieder mit dem
Künstler das Kunstwerk. Also gemach und keine Sorge I Rückkehr auf den
gesunden Boden ist deshalb noch nicht Rückschritt, sondern sogar wieder
Fortschrittt deshalb, weil unbewußt das alte, nach vergeblichem Umweg
neu hergestellte Ideal sich mit neuem Wesen füllt und so erneut ersteht
Ideal? Ja, wann ist denn ein Kunstwerk ideal? Wenn es von
einem Inhalt handelt, geeignet, des Menschen Wesen zu fördern. Wenn
dann noch zwischen Inhalt und Form Gleichmaß besteht, so nennen wir
es klassisch. Der Inhalt wechselt, öfter wechselt die Form :. wenn einmal
wieder Inhalt und Form im Gleichmaß sind, so haben wir ein neues
klassisches Werk der Kunstgeschichte. Die Kunst hat im großen und
ganzen für ihre Ziele einen Anhalt an der Natur. Dem Menschen Ist es
mitgegeben zu irren; und, wenn Kunst und Kultur bald in dieser, bald in
jener Richtung abirrt: immer wird sie von der Natur wieder korrigiert,
auf den richtigen Weg zurückgebracht. Unsere heutige Kultur steht gewiß
hoch: und doch, auch der Kulturmensch von heute flüchtet sich aus der
Kultur in die Natur, sucht wieder Erneuerung seines Ich In einem
Gesundbad in der Natur. Die Kultur ist aufdringlich, die Natur keusch
verschlossen. Ist die Kultur kompliziert und gekünstelt, so ist die Natur
schlicht und einfältig. Welch Abstand zwischen dem parfümierten Salon
und der frischen Luft über Gebirge und Meer, zwischen einem Trunk
berauschenden Trankes und einem Trunk Quellwasser: Luft und Wasser,
167
SCHMALZ: ANNUS CONFUSIONIS
herb, unsere Sinne kaum reizend, und doch wie gesund, welch Labsall
Kunstprodukte entlehnen ihre Formen NaturkSrpern : Der von innen
heraus gewachsene Kristall, ein gesunder Organismus sind von monumen-
talem Gleichmaß, Form und Inhalt einander gemäß. Sie stehen in sich
selbst, und der Mensch muht sich nach solchen Modellen. Hat nicht
Kultur und Kunst ihre ungeschriebenen Gesetze aus der Natur heraus-
zulesen! —
Die Musik verirrte sich auch einmal aus ihrem naturlichen Eigen-
Gebiet in fremdes Gebiet (Programmmusik), es gab auch da zuerst noch
klassisch zu nennende Kunstwerke, solange Inhalt und Form noch adäquat
waren (zuletzt Zarathustra); nachher aber blieb Konfusion und Korrektur
nicht aus: die Musik muß in ihr eigenes Gebiet zurfickkehren zuvor, ehe
sie Neues versuchen kann. Und in diesem ihrem eigenen Gebiete stehen
denn auch Kunstwerke, geschlossene Organismen, wie NaturkSrper. Es gibt
gottbegnadete Künstler, deren Schaffen etwas von dem Schaffen der Natur
an sich hat: Solch strahlendes Gestirn ist in der Musik ein Mozart, ein
Goethe in der Dichtkunst. Wenige, sehr wenige sind esl — «Wie^)
vielen Musikern war es denn gegeben, Großmeister der bedeutenden
Linie und der sprechenden Farbe zugleich zu sein? Einem Mozart, einem
Schubert, — einem Wagner , hier stock' ich schon.* Gebilde wie
die Zauberflöte »treten gleich den Riesendiamanten nur ausnahmsweise
ans Licht. Schier unermeßliche Entwickelungszeiten sind vonnöten, damit
sich etwas derartiges kristallisiere.* —
Rückkehr hinter Beethoven, Rückkehr zu Mozart I Das ist schließlich
unser End-Ergebnis. Nicht einfaches Reproduzieren und Kopieren, sondern
Neu-Schaflfen in der Art Mozarts. Einschränkung des Inhalts, Verein-
fachung der Form, Wiederherstellung von Gleichmaß zwischen Inhalt
und Form. Wir sind an der Stelle angelangt, es ist Zeit dazu: ein
Naturzwang.
Um auch dieser Idee konkretere Fassung zu geben, nenne ich Mozarts
Zauberflöte als das Werk, das ich besonders im Sinne habe. Ja, herrscht
denn darin Gleichmaß von Inhalt und Form? Man hört den Inhalt häufig
als kindisch, ja albern bezeichnen! Kindisch, nun und nimmermehr;
meinetwegen: kindlich! Ein Goethe hat den Inhalt für der Beachtung
wert befunden und der Zauberflöte zweiten Teil entworfen. Die Zauber-
flöte ist ein heiterer Vorgang im Elysium, ein Märchen. Am Märchen
belustigen sich und lernen die Kinder; lächelnd liest es der Greis. In der
Zauberflöte entStrahlen dem Märchenhintergrund erleuchtend und er-
wärmend Priester-Weisheits-Lehren.
>) No. 6, S. 523.
168
DIE MUSIK VII. 3.
«Wen solche Lehren nicht erfreu'n,
Verdienet nicht ein Mensch zu sein.* —
„Sei standhaft, duldsam und verschwiegen.
Bedenke dies, kurz sei ein Mann,
Dann, Jüngling, wirst du männlich siegen. —
Die Weisheitslehre dieser Knaben
Sei ewig mir ins Herz gegraben."
Wie wunderbar stimmen diese naiven Verse zu unseren Erwägungen!
Nun, es fehlt denn auch heute nicht an Stimmen, die dem, was hier
besprochen ist, in Künstler-Stimmung Ausdruck geben ; und, war es einmal
unsere Art, andere reden zu lassen, so mögen sie auch zuletzt das Wort
erhalten. — Vollendet charakterisiert Grillparzer Mozarts Kunst:
«Nennt ihr ihn groß? Er war es durch die Grenze:
Was er getan, und was er sich versagt,
Wiegt gleich schwer in der Wage seines Ruhms;
Weil nie er mehr gewollt, als Menschen sollen,
Tönt auch ein Maß aus allem, was er schuf."
Felix Mottl hat gelegentlich eines Musikfestes in Salzburg in
spontaner Rede für Mozarts Wesen folgende Worte gefunden:
«Ich habe nie recht verstehen können, wenn man bei Mozart immer
nur von Heiterkeit spricht. Es schien mir, als glaube man, daß Mozart
nur die Oberfläche der Erscheinungen berührt habe. Mozart war aber der
tiefste und innigste Mensch, der je gelebt hat. Es gibt eine Wehmut in
der Heiterkeit, es gibt einen Schmerz in der Freude, der die Menschen
in Höhen führt, von denen herab nur die Göttlichsten zu uns armen
Menschen sprechen können. Auf dieser Höhe ist Mozart gestanden.* —
Ferruccio Busoni schrieb zu Mozarts 150. Geburtstage Gedanken zur
Charakteristik Mozarts, Kleinodien, die, in einer Tageszeitung^) veröifentlicht,
in einer Musikzeitung aufbewahrt zu werden, wertest sind. Unseren Be-
trachtungen mögen einige dieser Gedanken ein monumentales Ziel setzen:
Mozart «ist jung wie ein Jüngling und weise wie ein Greis — nie
veraltet und nie modern, zu Grabe getragen und immer lebendig. Sein
so menschliches Lächeln strahlt uns, verklärt, noch an . • .
Er ist nicht dämonisch und nicht übersinnlich; sein Reich ist von
dieser Erde.
Sein Gemüt ist nicht rein aus Unkenntnis.
Er ist nicht simpel geblieben und nicht raffiniert geworden.
Er ist temperamentvoll ohne jede Nervosität — Idealist ohne
immateriell zu werden, Realist ohne Häßlichkeit.
^) Berliner Lokal-Anzeiger, Jahrg. 24, No. 84.
SCHMALZ: ANNU5 CONFUSIONIS
Er wagt nichts ToUkQhnes.
Er gibt einem mit dem RJtlsei die Lösung.
Sein Formensinn ist fast soßennenscblicb.
Zu ibm blickt der reine Musiker beglückt auf und ebne Hoffnung,
ihn je lu erreichen.
Er steht so hoch, daß er weiter sieht als alle und darum alles etwas
verkleinert.' —
.Wer') dem Rad der Eniwiclclung in die Speichen fallen will, der
wird unbarmherzig zur Seite geschleudert, ganz gleich, ob er sich mit der
Partitur des Don Giovanni oder mit der der Walküre bewehrt hat." Nun,
ich habe mich mit der Partitur der Zauberflöte bewehrt. Ich denke ]a
gar nicht daran, dem Rade der Entwicklung In die Speieben zu fallen.
Vom Rade der Entwicklung sich mit drehen lassen und es mit drehen, so
vollendet sich der ewige Kreislauf des Lebens. Ich hoffe vielmehr, auf
dem Boden der Entwicklung stehend, zu einem richtigen Resultat gelangt
zu sein. Einmal habe ich wohl schon Recht behalten: Seit dem Zarathustra
gehl Strauß einen Abweg; bisher hat er leider die Behauptung beslitigt.
Vielleicht werde ich noch einmal Recht behalten mit der umfassenderen
Behauptung, daß die relative Musik wieder in absolute Musik umschlagen
muß, wenn es überhaupt noch Musik geben soll!
Draeseke's sMahnrnr' darf doch kein Klageruf bleiben. Man hat
schon versucht .Fingerzeige*) zu geben, auf einen Weg hinzuweisen, der
uns aus der Konfusion wieder heraushelfen kann." Auch die voniuf-
gehende Betrachtung mSge als Fingerzeig gelten 1
gDiese Zeiten sind gewaltig.
Bringen Herz und Hirn in Not.'
■j N«. 6, S. 519. *i Ho. 7, S. 173.
BÜCHER
39. Franz Brendel: Geicblcbte der Mualk in Italien, Deuuebland and Frank-
relcb. 25 Vorleiunfen. Durcb{eaeben nnd er^it von Robert IlS*ker.
Verlat: Gebr. Reinecke, Lelpilt.
In den 40 Jabren aell der letzten AuFlace dleaei Bucbes bat die Naehflraga nach
Ibm nie aufgebSri, ao daß die Neuberauagabe wohl berechnet iit Brendel bat den
Fortacbriltikampf ala Nachfolcer Schumanna in der Redaktion der «Nenni Zellscbrift
fSr Muaifc* aelt 1844 mltteklmpFi, diesen Zyklua ran Vorleannfeü Ig Dresden und
Leipii{ mebrmala (ehalten und dann nur auf dringenden TuDSch Schumanna fBr den
Druck bearbeitet. Diesem {roßen Voriug, mitten aus dem praktlscbeD Leben henns
entstanden zu sein, ateht der Nachteil cecenKber, daß Brendel eben nicht Mnaikblatoilker,
auch nicht In universalerem Sinn Musiker war, worsus lieh seine vielen bloßen Ve^
legenbeltsurtelle erkllren. Orlsndo die Lasso i. B. soll es .nicht beacbtedan ceveaea
sein. In dss Reich der scbSnen Kunst elniutreten.' Pergolesi'a BSerra padrons*, die
gerade im Zuiammentaall mit seiner Kirchenmusik seine doppelte Kspazitll und die
hohe Entwicklung seiner Schule beweist, Ist nicht erwibnt In endlosen Redenaarten
wird versucht, den apeilflschen Unterschied Mejrerbeers von anderen GrSIten der MrlSeen
Oper restiulegen, wobei man allzudeutllch die Unmöglichkeit iflr den Autor merkt, dntd
Anhcbla(en der Partituren oder wenlgaiens Klavierauaifige oder AnhBren der batraltaden
Opern sich selbst musikallich zu informieren. Ein .Auslaufen des Motartscben Stand-
punktes in Sinnlichkeit und Äußerlichkeit', der Tadel von Scbuberta BErlkfluli" sufunattn
des Loewescben und Ähnliches gebfiren auf dasselbe Blatt. Ebenso die Assfcbt, daD das
Mitsingen der Gemeinde die eTangellscbe Kirchenmusik künstlerisch fSrderte, wthrond
es doch (ende ein sußerhslb Jeder spezifisch kQnstleri sehen Bearteilnni itehendea
Moment ist. Msn muß rrelllch bedenken, daß die Vortrige für Nictatmuifksr betllnmt
sind. Der Ruf ihrer gewandten und fesaeladen Darstellung iat nun Aber oIb halbes
Jahrhundert alt. Dr. Msz Stelnltier
4a Wilhelm und Cnrr!« Eylau: DermusIksHsche Lehrbernt Vertag: R-Volgt-
llnder, Leipzig.
Ein durcbsus originelles Buch, dss ob seines inieraasanten Inhalts gnwIlUlGb elae
bedeutaame Erscheinung gensnnt werden kann. Tie sehr Leichttinn, UnnblgkM^
Schlendrian und Geichiftssuffsssung auf dem Gebiet des musikalischen Lahrbenh
bei uns Immer noch sich breit macben, ist ja allbekannt, — aowla ea auch andtranelts
gewiß Ist, dsß nur dort, wo in der PersSnllcbkeit des Lehrers der Pldatngn und der
KGnstler aich glGckllch mltelnsnder verbunden und vereinigt haben, tob etamm wirk-
lichen muslksltscbeo Unterricht die Rede sein kann. Von dem Standpunkt dafi der
Muslklebrer ein Künstler und ein gewissenhafter, tQctatIger ndsfoge nein mgats^ habn
die Verhsser ihr Thema behandelt. Sie liefern eine voUstindlge Anlehuni inr Ein-
ffibrung In die Technik wie zur Einführung In das Vesen mnsikaliacher Kunn, and w
ist ersiBunlich, welche Fiille von Erfshrungen In ihrer Arbeit niedergelegt wsrde^ aod
171
BESPRECHUNGEN (BOCHER)
wie nutzbringend diese Erfahrungen hierbei verarbeitet worden sind. Manche Teile des
technischen Abschnitts — wie etwa »Gedaniceniconzentration* oder »Kontrolle des Nerven-
systems* — imponieren durch ihre streng logische Durchführung; andere, wie »Vortrag
aus dem Gedichtnis*, sind von 'hohem praktischen Wert. Aber am schönsten ist das
isthetische Kapitel, das dem Wesen der Musik völlig gerecht wird und zahlreiche geist-
volle Bemerkungen und wertvolle Anregungen enthält Egon v. Komorzynski
41. Meyers Grosses Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allge-
meinen Wissens. Sechste, gänzlich neubearbeitete und vermehrte Auflage.
Band 16. Verlag: Bibliographisches Institut, Leipzig und Wien.
Heutzutage, wo wir bei allem rüstigen Vorwärtsschreiten mit unsrer schnellebigen
Zeit gern öfter Halt zu machen pflegen, um rückwärts schauend uns die großen Port-
schritte der Kultur zum Bewußtsein zu bringen, erscheint es uns wohl angebracht, auch
eines Jubiläums zu gedenken, das ein großes Unternehmen dieses Jahr in aller Stille
begeht. Sind es doch, wenn wir von Joseph Meyers großer, in 52 Bänden erschienener
Enzyklopädie absehen, gerade 50 Jahre her, seitdem die erste Auflage des jetzt schlecht-
hin unter dem Namen «Großer Meyer* bekannten Nachschlagewerks des allgemeinen
Wissens zu erscheinen begann. Erzielte schon damals das für die Verhältnisse vollendet
durchgeführte Unternehmen des genialen Verlegers, der zum ersten Male in umfassender
Weise zur wirksamen Unterstützung des Textes, aber stets im Zusammenhang mit dem
enzyklopädischen Charakter des Werkes die Illustration heranzog, die staunende, aber
gerechte Bewunderung seiner Zeit, so gilt dies Lob in noch weit höherem Malte der
neuen, sechsten Auflage in 20 Bänden, deren 16. Band uns soeben zugegangen ist. Wir
zählten in ihm 38 farbige und schwarze Tafeln in prächtiger Ausführung, 14 übersicht-
liche Karten und 10 selbständige Textbeilagen. Wie bei den vorsngegangenen Bänden,
so wollen wir auch hier wiederum einige Artikel herausgreifen, die uns beim Durch-
blättern der neuesten Portsetzung gefesselt haben. Aus Kunst und Literatur nennen wir
»Porzellanmalerei*, .Raffael*, »Rembrandt*, »Renaissance*, die monographischen Dar-
stellungen der polnischen, portugiesischen und provenzalischen Literatur und aus den
zahlreichen Biographieen z. B. die von Platen, Pocci, Edgar Allan Poe, Puschkin, Racine,
Reuter, Jean Paul Richter. Den Anspruch, nach Umfang und Inhalt am bedeutendsten
zu sein, darf wohl der 70 Spalten einnehmende Artikel »Preußen* erheben, der mit zahl-
reichen Karten- und andern Beilagen ausgestattet ist und Preußens Geschichte bis auf
die neueste Zeit in sachgemäßer Weise berücksichtigt. Ober das »Rettungswesen zur See*
finden wir unter diesem Stichwort eine sehr unterrichtende Darstellung, der zwei Tafeln
nebst einer Karte der Rettungsstationen an deutschen Küsten beigegeben sind.
42. Carl Reinecke: Aus dem Reich der Töne. Worte der Meister. Verlag:
E. A. Seemann, Leipzig.
Tausende von Aussprüchen über Musik und Musiker sind hier auf 204 Seiten zu
einem zierlichen Bande vereinigt, aus dem der Freund der Tonkunst vielflUtige An-
regung, Belehrung und Genuß schöpfen kann. Man wird bemerken, daß die Musik-
ästhetik ihre. Wandlungen hat, wie die der bildenden oder Dichtkunst. Die Aussprüche
stammen aus vier Jahrhunderten, von Luther bis auf die neueste Zeit. Der Inhalt ist in
18 Kapitel gegliedert: Vom Wesen der Musik an sich, von ihren Faktoren, Melodie,
Harmonie und Rhythmus, von der Pormschönheit und deren Schönheitsgesetz, von der
Instrumental- und von der Vokalmusik, vom Volkslied, Choral- und Kunstlied, über
Komponisten und ihre Werke, Selbstbekenntnisse der Komponisten, vom Schaffen,
Dirigieren, vom Vortrag, von der Kritik usw. In der Hauptsache ist den Berufomusikem
das Wort gegönnt, doch sind in einem Anhange auch Aussprüche über Musik von
Dichtem und Denkern zusammengestellt. Richard Wanderer
M
172
DIE MUSIK VII. 3.
MUSIKALIEN
43. Denkmäler Deutscher Tonkunst. Zweite Folge. Denkmiler der Ton-
kunst in Bayern. 4. Jahrgang. I. Band. Orgelkömpotidonen von Job.
Pacbelbel. Nebst beigef>en Stficken von Hier. Pacbelbel. Verlag:
Breltkopf & Hirtel, Leipzig.
Die Ausgabe der OrgelschSpfuogen der beiden Pacbelbel ist von Dr. Max Seiffert
mit der gewohnten kritischen Sicherheit hergestellt worden; der Band schließt sich der Aas-
gabe der Klavierwerke Johanns (e. 1. Bd. I Jahrg. II) und der der ii/iagnifikat-Bearbeitangen
(Denkm. d. T. i. Österreich VIII, 2) an. Auf die in Seifferts Einf&brung zum Bande da^
gelegten historischen Gesichtspunkte hier einzugehen, erscheint fiberflfisaig. Es genügOi
darauf aufmerksam zu machen, daß das vorliuflg erreichbare Material zur Kenntnis
Pachelbels in den angeführten Ausgaben vereint ist, daß aber die Tonsitze, to wichtig
ihre historische Stellung ist, fSr den modernen Gebrauch im ganzen wohl kaum mehr
anwendbar erscheinen. Als Obungsstficke oder in historischen Konzerten werden aber
vielleicht die im Anhange mitgeteilten sechs registrierten Stucke gute Verwendung finden
können. Wilibald Nagel
44. Carl Fuchs: Violoncell-Schule. Verlag: B. Schotts Söhne, Mainz.
Die Herausgabe eines umfangreichen Lehrbuches ist nicht jedermanns Sache. Sie
bedingt nicht nur „Können^ sondern in vielleicht höherem Grade ^Kennen*. Die be-
deutendsten Kunstler sind oft die schlechtesten Lehrer, wihrend viele vorzfigliche Lehrer
als ausfibende Virtuosen nicht einmal ihren eigenen Schfilem bekannt wurden. Bei Carl
Fuchs trifft das nicht zu. Wie in der Vorrede seiner Celloschule angegeben, ist er ein
Schüler von Robert Riedel, dem langjihrigen Solocellisten des Frankfurter Opernhauses,
dann von Bernhard Cossmann, dem das Werk gewidmet ist, und von Karl Davidoff; er
hat also seine Studien bei den ersten Meistern des Cellospiels gemacht und ist liiufig
selbst als Solist aufgetreten, so erst kürzlich in Darmstadt. Seit langen Jahren 1^
Fuchs als erster Vertreter seines Instruments in Manchester, ist der Cellist des dortigen
Streichquartetts, dessen Führer seit dem Weggange von Willy Hess der flrfihere Leipziger
Professor Adolf Brodsky ist, und bekleidet die Stellung des Solocellisten in den unter
Leitung Hans Richters stehenden Konzerten der Hall6-Gesellschafr. Einem Unterrichts-
werk, dss einen so vielseitigen und hervorragend tüchtigen Künstler zum Verfasser hat,
muss man daher mit besonders hohen Ansprüchen kritisch gegenfibertreten. Schon
iusserlich unterscheidet sich die Fuchssche Schule von den übrigen Lehrfofichem des
Cellospiels dadurch, dass zu jedem der sehr geschmackvoll ausgestatteten Teile ein Er-
ginzungsheft gehört, das die Klavierbegleitungen zu den in der Schule angeführten
Beispielen enthält. Für fast jede Strichart, fast jeden Lagenwechsel usw. Ist ein prak-
tisches Beispiel aus der Kammermusik-, Sinfonie- oder Opern-Literatur gegeben, wobei
Wagner gebührend gewürdigt ist. Als Neuheit darf wohl die Berücksichticnng eines
speziellen „Brahms-Striches* bezeichnet werden. Von grossem Wert für Stadletende
und Lehrer ist ein sehr ausführliches Inhalts- und Fremdwörter-Verzeichnis, dann die
zahlreichen ausgezeichneten Abbildungen. Zur Erlernung des Tenorschlfisaels finden
sich sehr praktische, verhiltnismissig leichte Obungen. Obgleich Felix Weingartnets
Vorschlag, den Tenorschlüssel überhaupt abzuschaffen, entschieden zu untentfitsen isl^
da er auch in Kompositionen für Cello durch den Bass- und ViolinsclilAsael erseCit
werden kann, ist seine Erlernung nicht zu umgehen, da er in der Mehrzahl alter lud
neuer Werke reichlich verzeichnet steht. Die Obungen für den Lagenwechaid sind aelir
instruktiv gewählt, wie auch die sogenannte »weite Lage*, einer der Kardinaipnnkte des
M
173
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
Cellospiels, mit austerordentlicher Steh- und Ftctakenntnis behandelt ist Sehr beachtens-
wert sind die f&r den SaitenObergang aufgestellten Regeln, ebenso die Bemerkung, bei
sich im Intervall der reinen Quinte folgenden Noten gleichzeitig beide Töne mit dem-
selben Pinger zu greifen. Wie der Verfasser im Vorwort richtig sagt, enthilt die Schule
reichliches, folgerichtig geordnetes Studienmaterial, ebenso behauptet er mit Recht, dass
die Erreichung des „grossen Tones* nicht Endzweck sein darf. Trotz der vielen auf-
fUligen Vorzüge der Fuchsschen Schule kann ich mich mit einigen Anweisungen und
Ratschligen doch nicht befreunden, so z. B. bezuglich der »Hand-Strich* genannten Spiel-
art. Meines Erachtens sollte die Armhaltung anders als von Fuchs vorgeschlagen sein,
gerade um die unschöne, von ihm »Pendelbewegung* benannte Manier zu vermeiden.
Man muss auch für das Auge, nicht allein für das Ohr spielen! Des weiteren bin ich
mit den Regeln für Ausführung des »Vorschlags* wie anderer Verzierungen nicht un-
bedingt einverstanden. Hinsichtlich dieser Punkte gehen die Ansichten der bedeutend-
sten Künstler so weit auseinander, dass der persönliche Geschmack darin wohl stets
ausschlaggebend bleiben wird. Auch die Erklärung von »Rubato* reizt zum Widerspruch.
Zweifellos bezieht sich diese Bezeichnung nicht nur auf die Dauer eines Taktes, wie
Fuchs angibt, sondern kann mehrere Takte, ja eine lingere Periode betreffen. Abgesehen
von noch einigen Ausstellungen geringfügiger Art, die hier aus Raummangel übergangen
werden müssen, halte ich die Celloschule von Fuchs für das beste und vollkommenste
aller einschligigen Werke. Es dürfte bald alle übrigen siegreich aus dem Felde schlagen.
Arthur Laser
45. Eugenio Pirani: Die Hochschule des Klavierspiels, op. 88. Zwei Teile.
Verlag: Schlesinger, Berlin.
Als Klavierschule, die »den Schüler von den bescheidensten Anfingen des Klavier-
spiels bis zu den höchsten Gipfeln modemer Virtuosität* führen könnte, ist das Werk
undenkbar. Dazu sind die einzelnen Kapitel viel zu kurz und summarisch abgefaßt,
alles Außertechnische ist zudem ausgeschieden. Es beginnt mit einer Etüde des
Schwierigkeitsgrades, wie sie etwa Czemys Etüden bieten, sehr bald soll der Schüler
aber auf der Höhe Chopins stehen. Verwendbar wire das Werk wohl für einen vor-
geschrittenen Spieler als Repetitionskursus, doch auch da würde ich jedem raten, oft Aus-
blicke über diesen Band hinweg zu tun. Besonders die Kardinalfrage: wie's gemacht
wird, erfihrt nur ganz obenhin in wenigen allgeliuflgen Worten eine unzureichende Be-
handlung. Zu loben ist die Bevorzugung der linken Hand, durch die sich die 15 Etüden
vorteilhaft von den meisten bekannten und berühmten Studien werken unterscheiden.
In Teil II, einer Sammlung von Passagen aus der klassischen Klavierliteratur und den
Werken des Autors, kann ich trotz seiner gegenteiligen Versicherung nicht mehr als eine
willkürliche Zusammenstellung technisch schwieriger Stellen erblicken.
46. Heinrich von Bocklet: Neue, populire Klavierschule. Verlag: Sbhmidl
& Co., Triest.
Das Werk ist für Anfinger gedacht. Wenn der Verfasser jedoch in dieser Tendenz,
oder in dem Bestreben, populir zu sein, eine Rechtfertigung 4afür erblickt, daß er (wie
die hundert Werke gleichen Schlages neben dem seinen) auf jede tiefere und begründete
Einführung in das Wesen der Musik durch Darlegung ihrer Wurzeln in Rhythmik und
Harmonik verzichtet, so muß ich auf das entschiedenste widersprechen. — Die sieben
Reihen, die über den Taktstrich handeln, zeigen bereits zur Genüge, daß der Autor
weder selber genügend über die Bedeutung dieses hochwichtigen Zeichens nachgedacht
hat, noch auch an den Stellen, wo darüber Aufklirung zu holen ist, solche eingeholt hat.
— Auch das Verfahren, wie hier die Technik gebildet wird, bewegt sich durchaus auf der
breiten ausgefahrenen Straße der landliuflgen Methoden/ die neben Gutem und Un-
174
DIE MUSIK VII. 3.
Ji
tnfechtbtrem eine Menge Ballast übermittelt Von einem neuen Werke darf man aber
wohl billig verlangen, daß es die neuen Errungenscbaften berücksichtigt
47. A. Kfiiek: Hand-Kultur für Klavier, Streichinstrumente, für jede Handknnst
Hundert psycho-physiologische Obungen. In Kommission bei Fr« Hof-
meister, Leipzig.
Der unleugbar überzeugende, bereits bekannte Gedanke, daß rein gymnastische,
planmißig gewählte Obungen der gesamten Oberextremititen die ausführenden Organe
bei Klavierspiel etc. günstig pridisponieren, verdient Beifall, wie auch die Art der Aus-
führung. Wer den vom Verfasser vorgeschriebenen Kursus gewissenhafk, regelmissig
und anhaltend durchmacht, wird zweifellos bemerken, wie wenig die natnrgefarmte
ungeübte Hand ein ideales Klavierspielinstrument Ist, und wie sehr sie sich dmsu um-
modeln lißt, ohne daß man nur die Tasten schiigt Aber wie beim Müllern, so wird es
hier den meisten gehen. Viele fangen es an, und nur wenige führen es durch.
48. Edmund Georgi: Der Führer des Pianisten. Literatur für den Klavier-
unterricht, progressiv zusammengestellt Zweite Auflage. Verlag: P. Pabst,
Leipzig 1905.
In Tabellenform bietet hier der Verfasser ein reiches Material aus der Klavier-
literatur der letzten drei Jahrhunderte, sowie kurze Hinweise auf wichtige literarische
Hilfsquellen. Die Einteilung geschieht in zehn Schwierigkeitsstufen, bei deren Bemessung
natürlich nie zwei Menschen der gleichen Ansicht sein werden; im allgemeinen ergaben
aber die Stichproben, daß dem Urteile des Verfassers zuzustimmen ist Bedenklich er-
scheint mir die Oberffille des gebotenen Stoffes, bei dessen Darbietung nicht aas«
schließlich künstlerische Gesichtspunkte maßgebend gewesen sind« Ein solches
Tabellenwerk, das vornehmlich doch für Musiker ohne eigene umfusende Literatnr-
kenntnis gedacht ist, sollte sich nur auf das allerwichtigste beschrinken. Die Oberf&Ile
von Namen dritten bis xten Ranges (hier nur einige ganz böse: Abesser, Chwatal, Asche^
die friedlich neben den Ersten stehen, stimmt bedenklich. Menschen mit isthetlsch
schlechten Neigungen können dadurch dauernden Schaden an ihrer Seele nehmen.
Hermann Wetzel
49. Gustav Lewin: Lieder für eine Singstimme mit Pianofortebegleitiing. Verlag:
Ernst Eulenburg, Leipzig.
Gustav Lewin wird, wenn er auf dem In seinen Liedern zu Texten von Falke,
Nietzsche, Winkelmann, Schellenberg und Arminius eingeschlagenen Wege fortschreitet,
die musikalische Welt nicht aus den Fugen bringen. Es sind harmlose Uedchen, die
kaum etwas von Erfindungskraft erkennen lassen, und Begleitungen, wie die zu dem
ersten Liede, |,Nachts in der triumenden Stille*, sind wirklich schon recht oft dsfeweaen.
Max Puttmann
50. Josef Schantl: Grosse theoretisch -praktische Hornschale. Heraos*
gegeben von Heinrich Schantl. Verlag: C. F. Schmidt, Heilbronn n. N.
Der Wert dieser umfangreichen Schule beruht weniger auf dem theoretieehen ab
dem praktischen Teil. Sie ist sowohl für das einfache Hom, Naturhom oder Jagdhorn,
als für das Ventilhorn, und zwar das in F berechnet Das Obungsmaterial, das teilweiae
den bewährten Etüden von Kopprasch und Gallay entnommen ist, Ist ein so reieh-
haltiges, vortrefflich ausgewihltes, wie man es nur wünschen ksnn. Wer diese Sehale
ordentlich durchmacht, muss ein vortrefflicher Hornist werden. Natürlich elad auch
praktische Transpositionsubellen in dieser Schule enthalten. Wilh. Altmann
Aus deutschen Tageszeitungen
NEUE FREIE PRESSE (Wien) vom 1. September 1907. — In einem langen Aufeatz
»Ober musikalische Formen* tritt Felix Weingartner haoptsicblich den Kunstan-
schauungen modemer »Programm-Musiker* entgegen. Zunichst wendet er sieb gegen
die Behauptung, Beethoven habe »in seiner Neunten Symphonie die Form zerbrochen*,
insbesondere gegen Wagners Ansichten, durch die Hinzuziehung des gesungenen
Wortes habe Beethoven selber erkennen lassen, daß er die Symphonie für eine Form
hielt, »in der es femer nichts mehr zu sagen gab*, und an die Stelle der Symphonie
mQsse das Wort-Ton-Drama treten. Die Entwicklung der Instramental-Musik seit
Beethoven beweise die Unrichtigkeit dieser Ansichten. Wagner habe aber, gleich
andem »großen Individualitäten, deren Lebensaufgabe sich stark in einer Richtung
bewegt*, die Leistungen der Anhänger anderer Richtungen nicht zu würdigen ver-
mocht. So habe er Schubert mit keinem Worte erwähnt, Mendelssohn und Schu-
mann »zum mindesten einseitig* beurteilt, und »gegen die beiden großen Meister
Berlioz und Brahma*, »die jeder in seiner, von der des andem grundverschiedenen
Weise bewiesen* hätten, daß »eine Weiterentwicklung der Symphonie nach Beet-
hoven sehr wohl möglich* war, »sich unverhohlen feindlich gestellt*. Wagners Kunst-
schaffen tuüt »viel mehr auf Weber und den Romantikem, als auf Beethoven und
Goethe*. Daß Beethoven im vierten Satz der Neunten Symphonie Singstimmen
hinzuzog, dfirfe ebensowenig als ein »Zerbrechen der Form* der Symphonie be-
zeichnet werden, wie z. B. die vor, während und nach Beethovens Zeit übliche
HinzufQgung neuer Instrumente zum Orchester, zumal da die Behandlung der
Singstimmen in der Neunten Symphonie unverkennbar eine instrumentale seL
Abweichungen von der Regel seien auch bei Beethovens Vorgängem nicht selten;
und bei Beethoven hätten sie »nie einen prinzipiellen Charakter*. Daher seien
diese Neuerangen nur »Erweiterungen*, nicht eine »Auflösung* der Form. Merk-
würdig sei auch, daß die »allermeisten der nach der Neunten Symphonie ge-
schriebenen Instrumentalsätze Beethovens das übliche formale Bild aufweisen,
sogar im allerft'eiesten dieser Werke, dem cis-moll Quartett. Wäre dies möglich,
und wäre es femer möglich, daß er eine zehnte Symphonie geplant und zu
skizzieren begonnen hätte, wenn ihn auch nur im entfemtesten die Ahnung hätte
beschleichen können, daß jene Form, in der er die höchsten Kunstwerke ge-
schaffen hatte, gerade infolge dieses Schaffens überlebt sei, daß sie also etwa der
Schale einer Fracht vergleichbar sei, die durch das Oberquellen des süßen Inhalts
gesprengt ist? Gewiß nicht, denn ist der Inhalt einer Frucht so vollsaftig, daß
die Schale platzt, so fault die Fracht. Aber nichts Pauliges, nichts Angekränkeltes
finden wir in Beethovens Schaffen . . .* Nicht von Beethoven, auch nicht von
Wagner sei die Form zerbrochen worden, sondern von denen, welche meinten,
daß nicht nur das Musikdrama, sondem »auch die symphonische, die wortlose
Musik aus dichterischen Intentionen aufgebaut* werden müsse, und »daß bei
einem Tonstück nicht der musikalische, sondem der poetische oder philosophische.
178
DIE MUSIK VII. 3.
jedeaftlls aber der begriffliche Gedanke der primire sein mfitte*. — Vein-
gtrtner beschreibt dann, in welcher Weise Liszt ▼ermutlich eine symphonische
Dichtung »Coriolsn* gestaltet bitte und vergleicht damit Beethovens Coriolsn-
Ouvertüre. Beethovens Weric sei rein musikalisch zu genießen; es bedfirCs gsr
keiner Erklirung durch die Lebensgeschichte des Coriolan. Eine Liszt*sche mos!-
kslische Schilderung sei aber nur dann verstindlich, wenn man von vornherein
wisse, welche Vorginge in ihr geschildert werden sollen. Sie könne »mögllcher-
weise ein volles Kunstwerk werden, wenn sie als Begleitung eines sich auf der
Szene tatsichlich abspielenden Vorganges entworfen* werde; aber als selbständiger
symphonischer Dichtung müsse ihr »der Charakter der . . . Halbheit anhaflren, in-
dem sie, selbst schon eine Art Erklirung, doch wieder der Erldirung bedürlUg
wire*. Trotzdem die jüngeren Programm-Musiker »mit mehr Geschick and mit
raffinierteren Mitteln* arbeiteten als Liszt, dessen Werke aber mehr melodische
Motive enthielten, »trotz der ungeheuersten Orchester, trotz der ausgesuchtesten
Klangmischungen* sei man dem Ziele, »die musikalische Sprache za solcher
Deutlichkeit zu steigern, daß man ihr die durch sie geschilderten Vorgioge an-
mittelbar abhören könne*, nicht einen Schritt niher gekommen. Im Gegenteil:
aus dem einfachen Programm Liszts sei ein ganzes »Programmbuch* geworden,
das den Hörer über die Bedeutung des »Tongeklingels* aufkliren solle. Wein-
gartner sucht dann eingebend zu zeigen, daß man der »Sinfonie domesticm* such
das Programm des »Heldenleben* von Richard Strauß unterlegen könnte und
umgekehrt. »Solange man es für nötig hilt, dem Zuhörer auf Irgend eine Art
zurechtzulegen, was er hören soll, gesteht man ein, mit der Musik selbst nichts
Vollwertiges sagen zu können.* Entweder solle man »rein musikalisch bleiben*
oder »zu einer wirklieben Vereinigung der KQnste im Lied, im Oratorinm, oder
in der Oper schreiten*. »Ein Mittelding gibt es nicht.* Richard Wagner habe
auch »zur Programm-Musik ein ersichtlich schiefes Gesicht gezogen* and In ihr
»wohl einen krankhaften Auswuchs seines eigenen Gesamtkunstwerkes* erkannt; seine
Freundschaft zu Liszt habe ihm aber eine »ziemlich gewundene Anerkennung*
abgezwungen. Auch Berlioz, den man den Vater der Programm-Musik nenne,
sei »viel zu sehr Musiker* gewesen, »um die Form der Symphonie, dem Programm
zulieb, abzuindern*. Die moderne Programmusik habe die Phantasie nicht be-
freit, sondern ihr Fesseln angelegt. Zugleich mit dem »formalen* Element habe
sie auch »das rhythmische und das tonische Element* aufgelöst und zugleich
»das Gefühl für Schönheit* getötet. »Ein Kultus des Hißlichen tritt nicht nur
in programmatischen, sondern auch in andern Kompositionen immer onverhohlener
zutage. Sehr wenige Komponisten scheuen sich noch, Takt und Tonart besinnungs-
los durcheinander zu werfen. Die Sucht nach immerwihrender Verschirfnng
der Dissonanzen bat einen solchen Grad angenommen, daß In sllemeuesten
Kompositionen bereits ein Mißklang den andern aufhebt, gerade die wasentliche
und künstlerische Wirkung der Dissonanz also nicht mehr zur Gtltnng kommt,
sondern nur ein auf- und absteigendes Tongeschwirr übrig bleibt» das vom
bloßen Geriusch nicht mehr weit entfernt ist.* Der Satz: »Der Inhalt achaft die
Form* dürfe »nur insoweit gelten, als es sich um den musikalischen» nicht
aber um einen von auswirts hergeholten Inhslt handelt*. Ein |»wirklicher FOit-
scbritt in der Musik* sei ..nur auf dem Boden der Form, nicht aber aofterhalb
dieser* möglich. Wie in der Natur, so bitten sich auch In der Knnnt typische
Formen entwickelt, die »mit zwingender Notwendigkeit aus dem Werdopfososs der
Kunst hervorgegangen* seien, und durch deren Zerstörung |»man an das Loben
177
REVUE DER REVUEEN
M
der Kunst greifen* würde, gleichwie man durcb die Zerstörung der Form eines
natürlicben Organismus dessen Leben gefibrdet Die Mannigfaltigkeit der Kunst-
werke werde durcb die Einfacbheit der Formen nicht verwischt Jfeder Baum
hat Wurzel, Stamm und Zweige, und doch gleicht keiner dem andern; jeder
Mensch hat Kopf, Rumpf und Glieder, und doch ist jeder ein Vesen für sich. So
ist auch jedes Kunstwerk verschieden, mag ihre Struktur auch die gleiche sein*.
Freilich sei es dem Künstler nicht verwehrt, neue Formen zu schaffen, gleichwie
die Natur neue Organismen hervorbringt. Aber die Entwicklung der Formen in
der Kunst müsse sich »organisch, nicht willkürlich vollziehen*. An einigen Bei-
spielen aus den Werken Beethovens, Schumanna, Brahma' und Berlioz' zeigt
Weingartner, wie »neue Formen aus Erweiterungen, vielleicht auch aus Zusammen-
ft»sung der alten sich all mihi ich bilden* können. Der Satz: »Dem Genie dürfen
keine Grenzen gezogen werden* sei »an und für sich nicht unrichtig*; es gehöre
aber »zu den Eigenschaften des Genies, daß es sich selbst Grenzen zieht, jene
nimlich, die im Wesen seiner Kunst liegen*.
AUGSBURGER ABENDZEITUNG (Beilage: Der Sammler) vom 17. September
1907. — In einem ausführlichen Bericht über ^Dm Ergebnis der Münchner Fest-
aufführungen* sagt Paul Marsop: »Mit dem Engagement der Isadora Duncan oder gar
mit der Angliederung ihrer ,Tanzschule' an unsere Hofbühne würde man sich nur Ver-
legenheiten bereiten. Gerade in Bayreuth hat die smarte, reklamegewandte Miß ge-
zeigt, daß sie nur an der Oberfliche des Kunstwerkes tastend hinstreift, daß sie Wagner
nicht versteht, daß sie, mit einem Worte, unmusikalisch ist Oberdies: wer
«Beethoven tanzt*, ist eo ipso unmusikalisch, also zur Reform des Tanzes ganz
unfihig. Und das Verpflanzen der halbwüchsigen Dimchen der Grunewald-Tanz-
schule auf den heißen Theaterboden würde vollends zu — Unzutriglichkeiten
fuhren, die ich hier eben nur andeuten kann.*
LEIPZIGER ZEITUNG vom 5. September 1907. — Der Aufsatz »Edvard Grieg f*
von Arthur Smolian enthält eine interessante Charakteristik der Grieg'schen Kunst
MÜNCHNER NEUESTE NACHRICHTEN vom 5. Oktober 1907. - Hermann
Gura bespricht Herman Zumpe's beinahe vollendete Oper »Sawitri*. »Mit Sawitri
ist Zumpe unbedingt in die Reihe der bedeutendsten Opemkomponisten auf-
zunehmen.* »Er arbeitete mit geradezu verzehrender Leidenschaft an dem Werke,
das er ,seine Erlösung', sein ,Lebenswerk' nannte.* »Die Oper ist von Zumpe
vollstindig fertig komponiert, zwei Drittel davon sind auch von ihm selbst in-
strumentiert* »Bei der Instrumentation ereilte ihn der Tod.* Hermann Gura
beschreibt auch die Entstehung des Werkes, dessen Text Graf Sporck verfaßte,
und erzihlt die Handlung des Dramas.
DIE ZEIT (Wien) vom 19. September 1907. — Wilhelm Bopp will in einem Aufsatz
über »Klassische und moderne Musik* zeigen, daß es nicht »so arg steht ... um
die heutige musikalische Kunst*, »wie die heute wieder einmal Mißvergnügten es
darstellen.* Er weist darauf hin, daß aus den Werken Bachs, Hindels, Haydns,
Mozarts und Beethovens noch manche bisher fast unbekannt gebliebene Schätze
zu heben sind, und spricht dann einige Ansichten über Schubert, Mendelssohn,
dessen Werke zu studieren er »vor allem der musikalischen Jugend* empfiehlt,
Schumann, den er für »keine der Jugend so leicht zu gewährende Kost* hält,
Berlioz, Chopin^ Wagner, Brahms, Goetz, Cornelius, Strauß, Brückner, Wolf,
Mahler, Reger, Pfitzner, Weingartner, d' Albert und Scheinpflug aus.
Magnus Schwantje
VII. 3. 12
KRITIK
OPER
BERLIN: Komische Oper. Mit der Er-
werbung von Eugen d' Albert's »Tiefland*
scheint Direktor Gregor einen glücklichen Griff
getan zu haben. Die Aufnahme bei der Premiere
(am Mittwoch, dem 9. Oktober) war von einer
Wärme, der Beifall von einer Einmfitigkeit, wie
man es lange in Berlin nicht erlebt hat, und der
Besuch der weiteren Vorstellungen soll andauernd
seih. Das verdient hervorgehoben zu werden,
da d' Albert mit seinen Bühnenwerken — von
der »Abreise* abgesehen — bisher nicht allzu-
viel Glück gehabt hat. Die Gründe liegen zu-
tage. Er vertritt kein bestimmtes musikalisches
Prinzip, das sich aus einer zwingenden Eigenart
der Erfindung ergäbe, er experimentiert mit dem
dramatischen Ausdruck und ist deshalb abhängig
von dem Wesen des Textes. Seine Texte aber waren
entweder nicht gut oder nicht bühnengerecht.
Auch dem von dem Wiener Schriftsteller Lothar
verfaßten Libretto von »Tiefland* ist mancherlei
vorzuwerfen. Die parsifalähnliche Reinheit des
Helden, des jungen Hirten Pedro, der von seinen
Bergeshöhen in das verderbte, sittenlose Tief-
land steigt, müssen wir dem Dichter so willig
glauben, wie die Zustände patriarchalischer Leib-
eigenschaft, aus denen die Konflikte der Hand-
lung erst möglich werden. Von beiden Motiven
werden wir nicht genügend überzeugt. Es läßt
sich aber nicht leugnen, daß, diese Voraus-
setzungen einmal zugegeben, die Vorgänge etwas
Spannendes haben und der wirksamen Momente
nicht entbehren. Darauf, wie auf der lebendigen
Ausdrucksfähigkeit der Musik beruht der Erfolg
des Werkes. D' Albert hat mit großer Frische
daran gearbeitet und für alle Situationen und
Gestalten durchaus Charakteristisches gegeben.
Wenn wir Musiker etwas bedauern, so ist es,
daß er auf Konzessionen an den Theatergeschmack
nicht ganz verzichtet und namentlich in rea-
listischen Szenen die Mittel der italienischen
Veristen gelegentlich nicht verschmähthat. Durch-
weg aber hören wir meisterhaft gearbeitete, wohl-
klingende und natürlich empfundene Musik. Be-
sonders das Orchester ist mit Geschmack ge-
setzt; hier stoßen wir am meisten auf Feinheiten
und individuelle Züge, während die Singstimmen
etwas stiefmütterlich behandelt sind. — Die
Aufführung trug zu dem gewinnenden Ein-
druck das Ihre bei, wenn auch die letzten Wünsche
in der Wiedergabe der Hauptrollen unerfüllt
blieben. Herr Merkel war als Pedro schau-
spielerisch überraschend gut, konnte aber die
fast für einen Heldentenor gedachte Partie stimm-
lich nicht ganz bewältigen. Frl. Labia (Marta)
enttäuschte die Erwartungen, die ihre Tosca rege
gemacht hatte. Ihr schöner Sopran entwickelt
sich nicht mit gleichmäßiger Freiheit des Tones,
und die deutsche Sprache hat in ihrem Munde
etwas Eingelerntes, worunter natürlich die Dar-
stellung leiden mußte. Herr Zador war mit
großem Eifer bei der Sache, hielt sich aber nicht
frei von Übertreibungen und machte aus dem
Sebastiano einen gar zu brutalen Bösewicht. Die
Vorstellung als Ganzes aber hatte ihre Vorzüge.
Das musikalische Ensemble unter Kapellmeister
Tango gelang tadellos, auf der Bühne wie im
Orchester, und die Regie Gregors bot dekorativ
wie im szenischen Arrangement Vortreffliches,
ohne durch Aufdringlichkeit oder Unterttreichong
von Äußerlichkeiten das kfinsdsriscta« Gleich-
gewicht zu stören. Von den kleineren Partieen
fiel sehr vorteilhaft die Nuri des Frl. Picken
auf. Seit der Uraufführung in Pmf (1909) bat
die Oper durch Zusammenzlehnnf der beiden
letzten Akte erheblich an dramattscher Schlag-
kraft gewonnen und sich in dieser neuen Gestall
an die 40 Bühnen eroberL . Auch der Beriiner
Erfolg darf als ein Beweis ihrer Lebenafibigkeit
gelten. Dr. Leopold Schmidt
Lortzing-Theater. Gegen alle Erwartnog
ist unsere Volksoper, daa »Lortzing-Theater*,
wieder zu neuem Leben erannden» nschdem
die ursprüngliche G. m. b. H. unter dem
Regime dreier sich rasch aufeinanderfolgen-
den Direktoren in der ▼örigen Saison eine
recht hübsche Somme verloren hatte, obwohl
es an Zuspruch durchaus nicht gefehlt hatte.
Nun hat der frühere erste Direktor nnd Be-
gründer dieser Volksoper Max Garriaon sie
auf eigene Rechnung übernommen und allem
Anschein nach ein tüchtiges Personal wieder
zusammen bekommen, aus dem ▼orlinflg der
Bsritonist Dr. Rudolf Pröll, der Tenorist Wil-
helm V. Haxthausen, die Basaiaten Hieber
und Wolter, der Buffötenor Adalbert Liehen,
die Soubrette Jos. Grfinwald nnd vor allem
der Kapellmeister Grimm hervorgehoben seien.
Die Vorführungen der »Undine*, der »Lnstigai
Weiber* und von »Zar und Zimmermann"
hinterließen einen guten Eindruck. Das Dameo-
personal scheint freilich noch sehr za wecbsebi;
mitunter treten andere Singerinnen aa( ab dsr
Zettel angab. Wenn es Herrn Garriaon geltngt,
die besten Krifte zu halten, wenn er darasf
verzichtet, große Opern aufkoffibren lud fich
hütet, neue Werke zu erwerben, die er auf der
kleinen Bühne und mit aeinen Mitteln docli
nicht aufführen kann, dann dfirfle dio Lortzlng-
Oper sich halten können, weil popullre Opera-
vorstellungen in Berlin ein dringendes BedSrf>
nis sind. Wilta. Altmann
BRAUNSCHWEIG: Die neue Spielzeit begans
am 1. September in besonders feierlicher
Weise, weil Hofmusikdirektor Max Clarns u
dem Tsge auf eine 25jihrige Titigkelt am Hof-
tbeater zuiückblickte; aeine Oper »Dos groflsa
Königs Rekrut* errang großen Erfelg^ der Kea-
ponist wurde in jeder Weise aosgezeicbnet. Der
neu einstudierte »Fliegende Hollinder* hat durch
die neuen Maschinerieen von Qaerfnrtb^aowie
die Dekorationen von Klippol und Rieger
sehr gewonnen. Die neue Soubrette Fri« Kort-
mann erweist sich in Gesang lud Spiel sli
tüchtige Künstlerin. Die Koloraturslng^rln PfL
Ruzek wird uns verlassen. Em et Stier
OROSSEL: Daa Th^ätre de la Monnale i«
" seit Anfang September wieder eröflaet INs
meisten der vorjährigen vortreffUcbon KilAs
sind geblieben, und die wenigen neuen, wie
die Koloratursängerin Tr6ville, die dramatische
Sopranistin Parary, der Heidontenor Verdier
haben sich bis jetzt durchaua bowltart. Aofkr
den beliebten Repertoireopem Ist eine Nonshh
studierung der seit 17 Jahren bior nicht mehr
gegebenen Oper |,Salammbo" von Royer la
erwähnen. Reyer ist ein solider Mnoikor, seias
dramatische Deklamation iat nach oolaen Ver-
bildern Gluck und Berlioz genau dorn Sinn der
179
KRITIK: OPER
M
Worte angepaßt, die Geaaogatimmen sind vor-
trefflich behandelt, das Libretto ist interessant
— aber der Musik fehlt es doch sehr an Er-
flndang und Geist: man kann sich des Ge-
f&hls der Langeweile nicht erwehren. — Volles
Interesse erweckten die Gastvorstellungen von
Mary Garden, der idealen Interpretin der
M61isande (Debussy). Sie sang mehrere Male
mit steigendem Erfolg, der sowohl der famosen
Singerin als auch der temperamentvollen origi-
nellen Darstellerin galt, die Manon, Margarete
and Traviata. — Die erste Novirät wird
^Ariane* von Massenet sein. Felix Welcker
BUDAPEST: Die vielerschütterte königlich
ungarische Oper steht abermals vor einer
neuen Phase künstlerischer Verwaltung, von
der es sich erst zeigen soll, ob sie auch zu
einer künstlerischen Entwicklung des Institutes
f&hren wird. Nachdem man den früheren ver-
dienstvollen Leiter des Theaters Raoul Mader
durch verschiedene Liebenswürdigkelten von
seinem Posten verdrängt bat, ist das Direktions-
szepter neuerdings auf Emerich M6szaros
übergegangen, der vor etwa fünf Jahren Herrn
Mader hatte weichen müssen. Der neue Direktor
ist ein ungemein energischer, fleißiger und ge-
wissenhafter Mann — ob er ein Künstler ist,
vermSgen wir nicht zu entscheiden, obscbon
ein Jahr seiner direktoralen Tätigkeit an uns
vorübergegangen war. Tatsächlich ist bisher
das einzige Resultat der neuen Ära, daß wir um
einen hohen Preis mit Karl Burrian Frieden
geschlossen haben. Die Direktion hat auf die
Geltendmachung des durch den seinerzeitigen
Kontraktbruch Burrians fällig gewordenen
Poenales verzichtet und den Künstler als Saison-
gast für 15—30 Abende im Spieljahr gegen ein
Spielhonorar von 1600 Kronen engagiert. Das
Kunsutück hätte jeder Agent — billiger zuwege
gebracht; Herr Burrian sang auch bereits den
Tristan und den Jos6 (in iulienischer Sprache)
und sah sich durch stürmischen Beifall belohnt.
Sein Erfolg war jedenfalls weit größer als jener
des vielgepriesenen Enrico Caruso, der hier
als Rhadames die Musikbanausen bitter ent-
täuschte. Zu Missbehagen war auch einiger
Grund vorhanden, denn man hatte eine zehn-
fache Erhöhung der Preise eintreten lassen
und um den Gast ein recht mittelmäßiges
Ensemble gestellt. Caruso selbst ist sicherlich
einer der vornehmsten, intelligentesten, best-
geschulten Künstler, die wir kennen, aber ein
Phänomen, nein, das ist er nur durch der
Reklame Gnaden. Dr. B 61a Diösy
DRESDEN: Die erste Gesamtaufführung des
»Ring* brachte ein Gastspiel Grünings,
der als Jung-Siegfried lebhaft zu interessieren
wußte, und in der «Götterdämmerung" die Neu-
t>esetzung des Siegfried mit Herrn v. Bary.
Der Künstler bot vor allem darstellerisch eine
grefUngelegte, auf einen ernsten Grundton ge-
stimmte Leistung und stsnd auch gesanglich auf
bedeutender Höhe. Als Retterin in der Not be-
währte sich zweimal Frau Bender-Schäfer,
indem sie sowohl als Fricka (Walküre) wie als
Waltraute (Götterdämmerung) schnell einsprang
und beide Partieen in ausgezeichneter Weise durch-
führte. Die Damen v. Falken und Boehm- van
Endert sowie Herr Sembach erfüllten in
neuen Rollen die auf sie gesetzten Erwartungen.
— Im Residenztheater kam unter Dellingers
Leitung die Operette »Künstlerblut* von Edmund
Eysler erstmalig heraps und erzielte einen sehr
freundlichen Erfolg. F. A. G^ißler:
FRANKFURT a. M.: Die letzte Neuheit im
Opernhaus, eine zweiaktige Oper „Ritter
Olaf* von R. Langer (Rittmeister v. Erlanger
in Wien), war ein Schlag ins Wasser. Weder
der Versuch, aus der gleichnamigen Heineseben
Romanze eine Bühnenhandlung herzuleiten, noch
die musikalische Komposition können mäßigen
Ansprüchen genügen, und die wohlgelungene
Wiedergabe wollte diesmal eher dazu beitragen,
die Blößen des Werkes noch mehr zu enthüllen,
statt sie schonend zuzudecken. Der künstlerisch
bedeutungsvollste Abend der bisherigen Saison
erscheint noch immer derjenige, da unsere neue
Heldinnensängerin Paula Dönges als Isolde
ihr Frankfurter Engagement antrat.
Hans Pfeilscbmidt
GRAZ: Als Neuheit erschien Puccini's musi-
kalisches Schauerdrama Tosca mit Clotilde
Wenger (Tosca), Helvoirt-Pel (Scarpia) und
Gustav Kai tan (Cavaradossi), drei vorzüglichen
Erfolghelfem. Kapellmeister W e i g m a n n leitete
die Musik, die die Leute trotz ihrer Schönheit
fast vergaßen, da ihnen vor dem Sehen das
Hören verging. . Dr. E. Decsey. ^
UALLE a. S.: Die Eröffnung der Opemsaison
^^ brachte allen Theaterfreunden eine ange-
nehme Überraschung. Der Taktstock ruht wieder
in den Händen eines ebenso feinsinnigen wie
energischen Kapellmeisters, der durch häufigere
Proben mit dem alten Schlendrian aufbäumt.
Eduard Mörike ist der Name des neuen Diri-
genten, und von Stettin kam er der Fahrt. Der
„Fliegende Holländer* wurde von ihm sicher in
den Hafen gesteuert. Die hier und da etwas zu
breiten Tempi wird Herr Mörike wohl bald
modifizieren. Was bei einem großen Orchester
noch in satten Farben erscheint, wird bei einem
verhältnismäßig kleinen, wie dem unseren, zu
dünn klingen. Nächst dem Dirigenten erweckte
lebhafteres Interesse der neue Heldenbariton,
Herr Frank. An Novitäten sind u. a. in Aus-
sicht gestellt: Puccini's „La Boh6me*, d*Albert'a
„Flaute solo*, „Abreise* und „Tiefland*.
Martin Frey
UAMBURG: Einen stolzen Anfang leistete
*^ unsere Oper sich am ersten Tage der neuen
Spielzeit: eine prächtige Aufführung von Wagners
„Tristan und Isolde*, die Gustav Brecher mit
surkem schöpferischen Geiste dirigierte, und
in der namentlich Edyth Walker als Isolde zu
monumentaler Bedeutung emporwuchs. Neu-
einstudiert gab man am folgenden Tage das zu-
verlässigste Kassenstück unseres Opernhauses,
Bizets „Carmen*, in einer mehr forzierten als
lebensechten Inszenierung und einer teilweise
ziemlich wenig befriedigenden musikalischen
Ausführung, deren Mängel vielleicht weniger
dem Dirigenten Herrn Stransky, als vielmehr
der nicht zureichenden Besetzung einiger Rollen
zur Last zu legen sind. Als neu engagiertes
Mitglied debütierte in der Partie der Micaela
ein Fräulein Petzl; an die Ansprüche, die wir
hier zu stellen haben, reichte ihre Leistting
nicht heran. Die Arbeiuzeit der ersten Wochen
wurde auf eine Neueinstudierung von Wagners
„Nibelungen* verwendet, und das Resultat dieser
12*
180
DIE MUSIK VII. 3.
m
M
Arbeit war durchtut erfreulich. Wenigttent to-
weit et ticb um den mutiktlitcben Teil htndelte.
In ihm bttte Brecher, der tlt Dirigent det
ipRinget* nicht nur ntch teinen rein mutilctli-
tchen Eigentchtften, tondem euch dtnic teiner
tiefgehenden intellektuellen Pihigiceiten prädetti-
niert ertcheint, vor tllem fQr Kltrbeit und drt-
mttitche Logik getorgt. Alle Striche wtren be-
teidgty dtt Orchetter wtr tutgezeichnet In den
Kern teiner Aufgtben eingefQhrt und tplelte mit
Verttindnit und treffendem Ausdruck, und unsere
Solisten, tn der Spitze die Damen Walker
und Pleitcher-Edel, die Herren Birren-
koven, Penntrini, Dtwiton und Hinkley
wtren mit erfolggekröntem Eifer bei der Stehe.
Szenitch haperte es leider nach wie vor; zwar
hatte mtn ticb alt Helferin aus den Nöten der
Regieprobleme Prau Reuß-Belce kommen
Ittten, die etwat Bayreuther Geitt mitteilen
tollte. Aber bei der Kürze der Zeit und den
fundtmenttlen Einrichtungsmängeln unteret
tlten Hautet konnte tuch tie eine entscheidende
und durchgreifende Verbesserung nicht bringen.
Einzelnet, wie die zweite Szene im «Rbeingold'*
und der Mtnnenauftritt in der «Götterdämme-
rung*, gelang auf die Anweitungen der geistvollen
Künstlerin hin überraschend gut. Aber wo alle
technischen Hilfsmittel versagten, da konnte sie
natürlich auch nichts von Eindruck erzielen.
Die Primitivität der ersten Rbeingoldszene war
nur unwesentlich gebessert, und ganz schlimm
war es wieder um die Rbeintöchterepisode in der
»Götterdämmerung* bestellt. Als Gast am Diri-
gentenpult hatten wir an zwei Abenden Arthur
Niki seh zu begrüßen. Eine wundervolle Auf-
führung des »Tannhäuser* ließ wiederum aufs
tiefste den Verlust bedauern, den die deutsche
Oper dadurch erlitten hat, daß ein Mann von
dem so warmen als natürlichen dramatischen
Empfinden Nikischs, von seiner Erfahrung und
seinem Wissen, sich von ihr zurückgezogen
htt. Zurückgezogen htt, weil, wie im Palle
Mahler, im richtigen Momente an der richtigen
Stelle die richtigen Männer fehlten, um ihn zu
halten. An Neuheiten verspricht die laufende
Spielzeit allerlei; darunter zwei bedeutende Ur-
aufführungen: diejenige von d'Alberts »Tra-
ge Idabas*, die der Komponist nach den guten
Erfahrungen, die er bei uns mit »Tiefland* ge-
macht hat, gern der Hamburger Oper überließ.
Und dann kommt die neue Oper von Siegfried
Wagner heraus, die den Titel »Sternengebot*
führt. Die Uraufführung von d'Alberts Werk
ist Ende November, diejenige des »Sternengebot*
imjanuar zu erwarten. Heinrich Chevalley
HANNOVER: An unserer kgl. Oper herrscht
seit Beginn dieser Spielzeit ein ungewohnt
frischer Zug. Während sonst in einer ganzen
Saison etwa eine Novität und 2—3 Neuein-
studierungen herausgebracht wurden, sind schon
jetzt, 7 Wochen nach Schluß der Ferien, 2 Neu-
einstudierungen und 1 Novität zu verzeichnen.
Diese letzte war d'Alberts Musikdrama
»Tiefland*. Von Kapellmeister Brück, dem
wir vor allem dieses rege Leben an unserer
Oper verdanken, äußerst gewissenhaft vor-
bereitet, ging das ebenso melodiös-dankbare wie
dramatisch-packende Werk am 10. Oktober erst-
malig in Szene und fand bei durchgehends
ganz vorzüglicher Aufführung eine für Hannover
unerhörte begeisterte Aofhmhme. Hmoptdertteller,
Kapellmeister, Oberregitteor und der anwesesde
Komponitt wurden unzählige Male herrer-
gejubelt Die Hauptrollen det Werkes lam in
den Händen der Damen Borctamrdt <Martt),
V. Abranyi (Nuri) und der Herren Bmttitti
(Pedro) und Bitchof (Sebattitno). An Nan-
einttudierungen gtb et mit völlig neuer, <ri>ento
Stil- wie glanzvoller Austtmttung Nicolais köt^
liebe Oper: »Die luttigea Weiber vea
Windtor* mit den Damen Rfitcbe-Badorf,
Htmmerttein und Bnrcbardt aowls den
Herren Moett, Bitchof und Btctitti In dea
Hauptrollen, und Kreutzers immer noch daak-
baret »Nachtlager*. Von sonstigen erwlbnent-
werten Aufführungen tind zu nennen: »Der
fliegende Holländer*, »Tannbäuser*, MLohenpin',
»Meistersinger* und »Trisnn* sowie »Fsust nad
Mtrgtrete*, »ATdt* »Ztuberflöte* utw. — Von
den neuengtgierten Kräften haben sich die
Dtmen Müller (Kolortturftch) und Burchtrdt
(jugendl. Drtmtt.) towie die Herren Rabotta
(seriöser Btß) und Wilhelmy (Baflbuffö) als sas-
nahmtlot vorzügliche Akquititionen ciwlatca.
Prl. Kappel (hochdrtmatitch) itt noch da^
ttelleritcb zu wenig frei, während Herr Vogl
(lyritch.Btriton) ein für unter grotaea Hana töI^
unzureichendea Organ betitzt. L. Wutbmaaa
KARLSRUHE: Die heurige Spielzeit hat mit
mehreren Neueinttudiemngen älterer Opera
verheißungtvoll eingetetzt und tchelnt IBr die
Dürftigkeit des letztjäbrigen Spielplant, derdorcfc
dat Zusammentreffen verschiedener UmtHade ^
die Erkrankung und daa Auttcheiden dea eratss
Ktpellmeistert, der Mangel einet Heldenteaefs
und einer daa g^nze Pach beherrachenden hoch-
dramatischen Sängerin, aowie daa mitten Im
Jahr erfolgte Preiwerden des Koloratarhteht ge-
hören dtzu — ungünttig 1>eeinflnßt worde, ehlige^
mtßen entschädigen zu wollen. In die Lehnag
der Oper teilt sich mit unterem bewährten He^
kapellmeitter Lorentz der f^here Dirigent des
Riedel-Vereins in Leipzig Dr. Göhler, der eich
mit Aufführungen von »Pidelio", »Lohengria*
und »Figtros Hochzeit* alt Mntiker von Ge-
schmtck, Gewandtheit und ticberer Behen^
schung des vielgestaltigen Apparate gut eia-
gefübrt htt In Mozartt »Pigaro* war die to-
genannte kleine Orcbetterl>etetznns gewäUt
worden, die aber der wenig günttigen rlamllcliea
und akustischen Verhälmisse dee Hauaaa wegea
die erhoffte intimere Wirkung ebenaowenig e^
zielte wie die szenische Teilung dea eraten AkU
im »Fidelio*. Mit Temperament, Schwung aai
Sicherheit leitete Alfred Lorentz Neneinanidie-
rungen des »Pra Diavolo*, »Lobetant* and sTeD*,
von denen namentlich die letztgenannte Opar
mit ihren vielen Pährlichkeiten die hervorrageadt
Leistungsfähigkeit det Leiten neu doknmemieni.
Neben den bewährten Opemmitgliedem dea Ve^
jährt tind neu tätig der Heldentenor Tinzler,
die bochdramatitcbe Sängerin ▼. Szekrenyetty
und alt Vertreterin det Koloratarfhcha LoM
Kornar. Franz Znrelch
l/'ÖLN: Im Opemhaute enielte Otto Lohaet
'^ faszinierende Dirigenteninitiative bei in
diesmaligen Aulführungen von Stranfi' nStlat^
und Wagnere »Walküre* wieder beeendtn
glänzende OrclMtterwirkungen. Ala Heredtib
den er eratmalig, und zwar In beatgeli
181
KRITIK: OPER
Cbarakterisierung gab, und alt Siegmund hielt
sich Priti R6mond recht gut, wihrend Alice
Guszalewicz als Salome und BrQnnhilde ex-
zellierte. Die als Sieglinde wie schon jüngst
als Elisabeth aufgetretene Marie Schrötter
kann vermöge ihrer wenig gewinnenden stimm-
lichen und noch unzulinglichen künstlerischen
Eigenschaften fQr hier nicht ernstlich in Präge
kommen. Paul Hill er
LEIPZIG: An der hiesigen Oper wird unter
dem neuen Oberregisseur v. Wym6tal in
sehr eifriger, zunächst allerdings vornehmlich
die Außenseite der Vorstellungen aufbessernder
Weise gearbeitet. Außer den nach längerer
Unterbrechung mit gutem Erfolge wieder auf-
genommenen Werken «Abasso porto" von Spinelli
and »Die Abreise* von d'Albert sind während
der ersten Saison monate bereits «Lohengrin*,
»Fidelio* (mit am Schluß gespielter sogenannter
dritter Leonoren-Ouverture — ein Nachwort im
Theater I)» »Carmen*, .Bajazzo*, »Pigaros Hoch-
zeit* und «Der Barbier von Sevilla* in teilweise
rühmenswerter Neueinstudierung vorgeführt
worden. Das Solopersonal der Oper, von dessen
hier bereiu eingebürgerten Kräften der stimm-
gesegnete Heldentenor Urlus, der kraftvolle
Baritonist Soom er, der tüchtige Bassist Rapp,
die stimmfrischen Sopranistinnen Prl. Marx
and Prl. Pranz, die temperamentreiche Soubrette
Frl. Pladnitzer, und die sich auf beste Art
weiterentwickelnde jugendlich-dramatische Prau
Osborne-Hannah mit Auszeichnung zu nennen
sind, hat durch den Hinzutritt der sehr tüchtigen
Mezzosopranistin Prl. Urbaczek und des fein-
singenden Baritonisten Herrn Käse wirklich
schätzenswerte Komplettierung erhalten, wogegen
die Pächer der hocbdramatischen Sopransängerin
und des Spieltenors immer noch in ziemlich
unzulänglicher Weise besetzt sind. Die Direktion
V 0 1 k n e r wird also immer noch eifrigst Umschau
halten und wohl auch tficbtig in den Beutel
greifen müssen, wenn Leipzig wieder eine der
sonstigen künstlerischen Bedeutung der alten
Musenstadt entsprechende Oper bekommen soll.
Arthur Smolian
LONDON: Unter dem Gesichtspunkt des
künstlerischen Erfolges war das Gastspiel
der Berliner Komischen Oper im Adelphi-
Theater ohne Zweifel das beträchtlichste Er-
eignis der abgelaufenen Saison. Daß der Erfolg
nur ein künstlerischer und nicht auch ein ge-
schäftlicher gewesen, ist leider ebenso zweifel-
los. Wenn man bedenkt, daß die absurdesten
und seichtesten Singspiele und Operetten dem
Textdichter, Komponisten und vor allem dem
Theaterleiter ungezählte Schätze hierzulande ein-
bringen, dann steht man freilich vor einem
Rätsel, denn Direktor Gregors Gesellschaft bot
mit der Darstellung von Offenbachs |,H o f f m a n n s
Erzählungen* etwas so durchaus über das ge-
wohnte Niveau sich hoch Erhebendes, daß selbst
der Kritiker der »Times*, der entsprechend der
mit unheimlicher Konsequenz durchgeführten
Parole, alles was deutsch ist und an Deutsch-
Isnd erinnert, herabzuzerren, in diesem beson-
deren Palle wie weiland Bileam segnen mußte,
obwohl er zu fluchen gekommen war. Die
Gründe, weshalb die Berliner Gesellschaft zu-
meist vor leeren Bänken spielte, sind mit flüch-
tigen Strichen nicht wohl darzulegen. Die eigen-
tümlichen Verhältnisse des künstlerischen Ge-
werbes in der britischen Hauptstadt» die ich
einmal vor Ihren Lesern eingehender zu erörtern
hoffe, sind in ihrer ganzen komplexen Natur
die Erklärung für jenes geschäftliche Piasko.
— Die große Oper in Covent Garden, die zu
der nämlichen Zeit ihre Hauptsaison hatte, bot
vom künstlerischen Standpunkt aus wenig Neues,
es kann uns aber zur Genugtuung gereichen,
daß auch hier der Höhepunkt in der ersten,
der deutschen Hälfte der Saison gipfelte, und
daß namentlich die «Nibelungen*- Aufführung,
die dreimal wiederholt wurde, und die Dar-
stellung anderer Werke Wagners in der glän-
zenden Verkörperung durch deutsche Künstler
den Schwerpunkt gebildet hatten. — In der
großen Reihe von Operetten, die natürlich die
Masse fortgesetzt anziehen, hat die «Lustige
Witwe* den Haupttreffer gezogen. Toutcomme
chez nous! In der anglisierten Perm ist der
Text womöglich noch läppischer als in dem so-
genannten Original, aber die mise en scene und
die ins Ohr fallenden Weisen sorgen dafür, daß
noch immer das Publikum, wie um Brot an
Bäckertüren, um ein Billet sich fast die Hälse
bricht. Der nächste größere Geschäftserfolg
wurde von «Miß Hook of Holland* erzielt. Der
Autor ist deutschen Ursprungs, Paul Rubens,
der Sohn eines Bankiers, der aus einer musi-
kalisch gut beanlagten Berliner Pamilie stammt
Georg Ebers erwähnt in seinen Lebenserinne-
rungen das Violinspiel eines jungen Verwandten,
namens Rubens, der der Vater des Komponisten
ist, und die Mutter war in den 70er Jahren ein
namhaftes Mitglied der ausübenden Kunstkreise
in Kassel. — Seit dem Beginn dieses Monats
ist wieder im Covent Garden Theater eine ita-
lienische Opemstagione, die sich jetzt zu
einer ständigen Erscheinung des Herbstkunst-
marktes zu entwickeln scheint. Es ist das land-
läuflge Programm, eine ziemlich routinierte
Handwerkerleistung. Als einzige verhältnis-
mäßige Neuheit «Madame Butterfly* von Puccini,
freilich auch in einer Art von zweiter Garnitur.
a. f.
ÄAAINZ: Infolge zahlreicher Neuengagements,
^^^ sowie der unverminderten Zugkraft der
«Lustigen Witwe* gestaltete sich das Repertoire
weniger abwechslungsreich und interessant wie
in früheren Jahren. Außer der Neueinstudierung
von Verdi's «Maskenball* und Rossini's «Teil*
sind von musikalisch bedeutenden Aufführungen
nur «Holländer*, «Lohengrin* und «Meistersinger*
zu nennen, in denen sich neben den älteren
Mitgliedern Prau Materna, den Herren Klar-
müller und Henzing besonders der neue
Bariton Bürstinghaus, sowie die Tenöre
Barron-Bertha4d und Rösner auszeich-
neten. Das musikalische Szepter führte bei den
erwähnten Vorstellungen ausnahmslos Hofriit
Steinbach; die kleineren Werke (Troubadour,
Pra Diavolo) leitete Herr Klausner; als Dirigent
der «Lustigen Witwe* fungiert Dr. Meinecke.
Pritz Keisor
RIGA: Das Stadttheater eröffnete die Saison
mit Goldmarka Oper «Die Königin von
Saba*, in der sich unser neu engagierter Helden-
tenor Pierre de Meyer als Assad vorstellte,
ohne einen nachhaltigen Eindruck mit der
Wiedergabe seiner Partie zu hinterlsssen« Un-
11
182
DIE MUSIK VII. 3.
fleicb vorteilhafter bewitarte ticb der Tenorist
bald darauf alt Siegmund in der » Walküre*.
Hier bot er eine anziehende, verstindnisvoH
durchdachte Leistung, zeigte sich als ein stimm-
begsbter Singer von tüchtiger musikalischer
Bildung, dem auch nach darstellerischer Seite
hin genügende Mittel zu Gebote sunden, um
eine angemessene Charakterisierung herbeizu-
führen. Als George Brown in Boieldieu's »Die
weiße Dame* ersang sich der lyrische Tenorist
Herr Plficker einen schönen Erfolg, den er
spiter bei seinem Auftreten in anspruchs-
volleren Rollen insofern erheblich abschwichte,
als sein Organ die nötige Ausgiebigkeit an Kraft
und Tonfülle vermissen ließ. Friulein Anger er,
ebenfalls neu im Ensemble, hat sich als begabte
und entwicklungsfihige, mit* frischen, unver-
brauchten Stimmitteln ausgerüstete Koloratur-
singerin recht gut eingeführt. Carl Waack
ST. PETERSBURG: Das kaiserliche Marien-
theater gibt seinem Publikum jetzt fast von
Jahr zu Jahr Gelegenheit, den großen Bassisten
Schaljapin in seinen Glanzrollen zu sehen.
In tadelloser Herrlichkeit kam wieder die er-
lesene Gesangs- und Darstellungskunst des un-
vergleichlichen Künstlers als »Holofemes* in
der Oper «Judith* von Sserow und i^Mefisto-
feie* von Boito zur Geltung. Schaljapin ver-
läßt mit Abbruch seines Gastspiels Rußland.
Er hat mit der Direktion der Gran Opera Company
in Newyork einen Vertrag abgeschlossen, der
ihn für ein Jahr unter fabelhaften Bedingungen
nach Amerika verpflichtet. Bernhard Wendel
STUTTGART: Neueinstudierungen und Neu-
besetzungen verraten, daß man aufs eifrigste
an der Arl>eit ist, und, was die Voraussetzung
bildet, daß es an neuen Kriften nicht mangelt.
Obwohl Stuttgart schon wegen der Enge des
Interimtheaters mit den allerersten Bühnen zur-
zeit noch nicht wetteifern kann, hat die Intendanz
in dankenswertester Weise eine Reihe von Doppel-
bosetzungen durchgeführt Neben den bekannten
Heldentenor Oskar Bolz tritt Karl Erb, der
mit aufhillend weicher, müheloser Höhe, wogegen
die tiefe Lage noch zurückbleibt, edle Aus-
sprache, durchdachte Auffassung und vornehmes
Spiel verbindet. In ihnlicher Weise läßt Frl.
Bartsch, die Frl. Wiborg entlastet, eine er-
freuliche Entwicklung hoffen; als Elsa besser
als in der Rolle der Elisabeth, muß sie sich vor
Süßigkeit in acht nehmen und die warme, frische
Stimme zu fester Tongebung und vollatmigem
Vortrag heraufbilden. Den ,lyriscben' Tenoristen
Peter Müller ersetzt in manchen Rollen Wolf-
gang Kanzow, dessen Stimme ungleich mehr
als das Spiel fesselt. Mit hübscbem Erfolg
konnte sich Hedwig Brück er neben der be-
liebten Anna Sutter behaupten. Ein fünftes
Paar wären etwa die Herren Holm und, in
Abstand, Islaub. Der hervorragende und all-
gemein hochgeschätzte Herr Weil wechselt
diesen Winter mit Herrn Neudörfferals Wotan.
Die Brünnhilde und Ortrud der Frau Senger-
Bettaque waren wieder herrliche Leistungen.
Die begabte und feingeschulte Koloratursängerin
Frau Bopp-Glaser gehört ebenfalls zu den
ersten Kriften unseres reichen Ensembles. Als
gute Stutzen nenne ich hier noch die Damen
Hieser und Schönberger und den Buffotenor
Herrn Decken. Neu einstudiert wurde bisher
»Lohengrin*, neu in den Spielplan aofgmioaimett
»Des Teufels Anteil* und «Die weiße Fn«",
von der Oberregiaaeur Löwen feld, der sich
um derartige Werke jedesmal ein groftes Ver^
dienst erwirbt, eine eigene Obemetiuof (M
Feuchtinger, Stuttgart) erscheinen ließ. Die
Spieloper bleibt Erich Band anvertmat; »Lohen-
grin* ließ unter seiner Leitung freilich eisen
Unterschied der seelischen Wirkung f&hlen. Ais
Nachfolger Pohligs übernimmt sein ffrfitaerar
Vorgänger, Dr. O brist aus Weimar, das Wieb-
tigste; die Vorstellung des »Tannhiuser* i. &.,
in der Frl. Wiborg eine fkst unvergleicbUd
vollendete Venus darbot, hat gezeigt, daß der
Dirigent nichts von der Beherrschung des Gasaen
eingebüßt und an seelischer Hingal>e eher noch
gewonnen hat Dr. K. Grnnsky
ZORICH: Die Sugione beginnt wie alljibriich
mit neuen Kriften. Soweit sich aas einseisen
glückverheissenden Zeichen die neugewonseses
Herren und Damen beurteilen lassen, ist mas
mitHerm Rot her(lyri8CherTenor), Herrn Poppe
(ernster Baß), mit den Anflbigerinnen Frl. Tes
Fangh (Alt) und Friulein von Fsrntaolz
(Soubrettenfach) neue Verpflichtungen einge-
gangen, die sich in jeder Weise mit den ahes
decken. Bei den zwei letstgenannten Damen
zeigen sich Ansitze von Talent mit darstelle-
rischer und gesanglicher Begabung^ wie PH.
Famholz besonders durch die gnte Pigor der
Nuri in d'Alberts „Tiefland« bewies Diese
Oper kam zur gleichen Zeit wie in Hsnnorer nsd
in Berlin hier zur ersten Anffübrnng and erfiihr
eine sorgsame Dsrstellung und in der Hsspi-
Sache erschöpfende musikaliache Wiedeigabe.
Ein geschmackvoller Könner aus der Wagse^
nachfolge spricht aus dem eindmcksTOllen Werke;
wir freuen uns darüber, daß man es kenses
lernte, und verzichten auf die billigen Redea
über die Schattenseiten der Wagnereplgeses,
nachdem das Ergebnis aus anderen Lstsm sad
die berühmte Rückkehr zur sltmelsierlicbeB
Einfachheit nicht gerade durchsehla^nde T8^
Sachen aufweisen kann. Muaiker mit se viel
Erfindung, Farbe und dramatiacbem Empflsdei
wie d' Albert gehören immer nocb za den Ass-
nabmen und sind eines würdigen EmpCanges weit
Um das Gelingen dieaer stattlichen Sebdptag
machte sich neben Frl. Zoder (Marts) besendeis
Herr Langefeld, unser ausgezeichneter BsrlM-
darsteller verdient. Nichst einer begrftssess-
werten Neueinstudierung des »Fliegenden Hol-
linder*, an die von der Theaterleitnng swi-
liche Mittel gewendet wurdenj waren es noeh
Aufführungen von Verdi's »Maskenbsll* vsisr
Mitwirkung unseres auf iialieniscbe HAnsik eis-
gestellten Heldentenora Bernardi als Ricside,
die dem Publikum wohl gefielen.
Dr. Hermann Kesser
KONZERT
BERLIN: Wie Weingartner, se bstte ssA
Nikisch durch den Pro^smmintaslt des
erste Konzert dieses Winters zu einer GedlÄsiB-
feier für Joseph Joachim gestaltet: ee frii ssr
Musik der drei Meister Bsch, Jostihia ssi
Brahms zu hören. Begonnen wurde mit efsaa
michtigen Orgelpriludium c-moU von Bseh» das
Bernhard Irrgang mit trefflieher Wiitneg is
m
183
KRITIK: KONZERT
der Refittrierung spielte. Darauf folgte die
Solokannte von Bach: »Ich will den Kreozstab
tragen*, von Johannes Messcbaert gesungen.
Ea war ein Meisterstück des Vortrags: gesangs-
tecbnisch namentlich in der Atemölconomie^ noch
mehr aber hinsichtlich des Ausdrucks. Wie
dieser Meistersinger die breitgespannte Bachsche
Kantilene kontrapnnktisch sicher in die Orchester-
begleitung hineinlegte, wie er die Stimmung der
Gottergebenheit durch suführen, gegen den Schluß
bin immer verklärter im Ausdruck zu werden
▼erstand — unvergeßlich wird mir dieser Ein-
druck bleiben. Alfred Wittenberg trug Joachims
Violinkonzert in ungarischer Weise mit glänzender
Brevour und siegreicher Oberwindung der ge-
waltigen technischen Schwierigkeiten vor. Ohne
Zweifel ist dieses Konzert Joachims bedeutend-
stes Werk; in seiner Weimarer Zeit wohl nicht
ohne Liszts Anregung entsnnden, erfordert es
einen Geiger ersten Ranges, wenn es, wie diesen
Abend, zu seinem vollen Rechte kommen soll.
Dann spendete Messcbaert noch drei der ernsten
Gesänge von Brahma, deren Begleitung Fritz
Lindemann am Bechstein ausführte, und mit
der dritten Symphonie von Brahma schloß das
Programm. E. E. Taubert
Die neugegründete Gesellschaft der Mu-
sikfreunde, die sich u. a. vorgenommen hat,
börenswerte zeitgenössische Werke, deren Auf-
führung außergewöhnliche Kosten verursachen,
zum Leben zu erwecken, brachte gleich in ihrem
ersten Konzert Jean Louis Nicod6s »Gloria*,
das seit seiner Urauffübtung auf dem Frankfurter
Tonkünstlerfest im Jahre 1W4 noch nicht wieder
vollständig Irgendwo zu Gehör gekommen war.
Dieses i^uloria* nennt der Komponist, der sein
Werk in der .Musik* seinerzeit selbst analysiert
bat, ein Sturm- und Sonnenlied, Sinfonie in einem
Satze für großes Orchester, Orgel und Schluss-
chor. Als Grundgedanken seines Werks, dem
er ein sorgfältig ausgearbeitetes Programm bei-
gegeben hat, bezeichnet der Komponist folgende:
Die Sinfonie stellt »das Lebensschicksal eines
Propheten dar, der im Kampf um seine höchsten
Ideale von der Macht der brutalen Wirklichkeit
zu Boden gerungen wird. Auf freiem Berge,
im Anblick der hehren Natur findet er wieder
sonnigen Frieden. Hier kann er seinem noch
weiter fortglühenden höchsten Trachten weiter-
]et>en, fem von dem weitertobenden Kampf im
Tal.* Inhaltlich berührt sich also dieses »Gloria**
in mancher Hinsicht mit Strauß' »Heldenleben*,
an das auch vieles, namentlich im dritten Teil
(das Hohnlachen der Gegner) erinnert. Wir
werden nicht fehlgehen, wenn wir in dem Pro-
pheten, dessen Lebensschicksal Nicod6 in Tönen
schildert, ihn selbst, an dessen Idealismus nicht
gezweifelt werden ksnn, erblicken. Ob er das
hohe, ihm vorschwebende Ziel erreicht bat? Ich
möchte diese Frage so gern bejahen, kann es
aber leider nicht unbedingt. Jedenfalls hat Nicod6
das Höchste gewollt, und dies sllein schon ver-
dient unsere volle Sympathie. Nicht notwendig
war meines Erachtens die riesige Ausdehnung
des über zwei Stunden in Anspruch nehmenden
Werkes, ziemlich überflüssig wohl auch die
längere Wiederholung von Teilen der dritten
Abteilung in der sechsten. Noch weniger halte
ich das ungeheure Aufgebot von Instrumenten
für notwendig, das allein schon die Aufführung
des Werkes nur bei außergewöhnlichen Ver-
anstaltungen möglich macht. Aus vier Haupt-
motiven (höchstes Trachten, sprießende Kraft,
das mahnende Fatum, des Hirten Lied) ist es
entwickelt. Zwei Zitate aus Beethovens »Missa
solemnis* und eins aus den »Meistersingern*
vermehren die Zahl der Motive. Auf der Ton-
sprache Wagners, insbesondere auf dessen Har-
monik, baut Nicod6 auf. Rätsel gibt er uns,
wenn wir sein Programm kennen, kaum zu
lösen, zumal seine Themen durchaus klar sind
und auch eine übersichtliche Verarbeitung
gefunden haben. Auch verschont er unser
Ohr fast völlig mit Kakophonieen, dagegen nicht
mit unnötigem, besonders durch die Triller^
pfeifen hervorgebrachtem Lärm. So gelungen er
auch die Ironie und Persiflage, namentlich in
der großen Virtuosenkadenz, anwendet, lieber
ist er mir doch, wenn er in heilige Begeisterung
gerät, wenn seine Tonsprache von tiefer Religiosi-
tät erfüllt ist. Die Instrumentation ist meist
in hohem Grade gelungen, herrliche Klang-
effekte sind reichlich vorhanden, die Stimm-
führung namentlich im Chorsatz ist meisterhaft.
Auch durch seinen ganzen Aufbau darf das Werk
eine hohe Wertschätzung beanspruchen: Hoffent-
lich hat diese Berliner Aufführung das Gute zur
Folge, dsß in den nächsten Jahren kein Musik-
fest stattfindet, auf dem Nicod6s »Gloria*
nicht aufgeführt wird. Oskar Fried hatte
sich in das Werk mit größter Liebe vertief^
brachte es aber etwas grobkörnig heraus; aus-
gezeichnet hielt sich das verstärkte Philhar-
monische Orchester, weniger war dies beim
Sternschen Gesangverein der Fall; trefflich
sang Bise Schünemann das kleine Altsolo. —
Das in in der vorigen Saison gegründete
Mozartsaal-Orchester (Dirigent Hofkapellmeister
Paul Prill) ist aufgelöst worden, dagegen haben
die Herren August Mendel und Gustav
Drechsel ein neues Mozart-Orchester ge-
gründet, das für Konzerte größeren Stils und
Solistenkonzerte sowohl im Mozart- wie in dem
neuen Blüthner-Saal zur Verfügung steht. So
notwendig ein zweites Konzertorchester zur Ent-
lastung des philharmonischen ist, so dürfte doch
noch geraume Zeit vergehen, ehe das Mozart-
Orcheater ein wichtiger Faktor im Berliner Musik-
leben geworden ist; vor allem muß es noch
sehr die Kunst des Begleitens lernen. Einen
verhältnismäßig günstigen Eindruck hinterließ
es in dem Eröffnungskonzert des Mozartsaals;
besonders Lalo's Rhapsodie und Wagners Sieg-
fried-Idyll kamen in wirklich künstlerischer
Weise zum Vortrag. Beide Kapellmeister geben
sich sichtlich die größte Mühe, scheinen aber
noch nicht allzu große Literaturkenntnis und
Routine besonders beim Begleiten zu besitzen.
Mit großem Pomp wurde der neue, akustisch
durchaus genügende Blüthner-Saal einge-
weiht; dem Mozart-Orchester war bei dieaer
Gelegenheit mit Tschaikowsky's pathetischer
Symphonie eine noch zu schwere Aufgabe ge-
stellt worden. Den Hauptbeifall heimsten der
Prologdichter- und -Sprecher Mar Grube sowie
die Solisten ein; es waren dies Julia Culp,
jetzt unstreitig eine unserer ersten Sängerinnen,
der Pianist Edouard Risler und die hier
noch unbekannte, etwa siebzehnjährige Geigerin
Kathleen Parlow, eine Schülerin Auers, die
184
DIE MUSIK VII. 3.
«
pich auch in einer Matinee vor geladenem
Publikum und in eigenen Konzerten als ein be-
merkenswerter Stern am Geigerbimmel glänzend
dokumentierte. Nocb verblüffender wirkte die
etwa zwSlQibrige Geigerin Vivien Cbartres,
die sicberlich einer groften Zukunft entgegen-
gebt. Dagegen erweckte der nicbt viel iltere
Geiger Hermann Seidel, der mit Begleitung
des Mozart-Orcbesters Brucbs erstes und Mendel-
sobns Konzert vortrug, trotz unleugbarer Be-
gabung starke Zweifel an der Berechtigung seines
Auftretens. Warum sich der Geiger Hermann
Dies schon an die Öffentlichkeit wagte, wird
wohl den meisten, die ihn gehört haben, uner-
findlich geblieben sein; ebenso bitte auch die
mitwirkende Sängerin Alice Rohde dem Kon«
zertsaal fernbleiben müssen. An Konzerten
von Geigern war auch sonst noch Oberfluß.
Von ersten Kräften konzertierten Fritz Kreis 1er
und Carl Flesch mit dem philharmonischen
Orchester, Arthur Hartmann mit dem Mozart-
orcbester, für das ersieh August Scharrer als
Dirigenten gewählt hatte. Während Kreisler
und Hartmann im wesentlichen bewährte Werke
vortrugen, spielte Flesch nicht nur, und zwar
vollendet, Regers erste Solosonate op. 42, son-
dern auch, und zwar Gberhaupt zum ersten
Male, das dritte Konzert op. 66 des ungarischen
Komponisten Emanuel Moor. Es enthält außer
den Gblicben drei Sätzen noch ein im Stile der
Zigeunermusik gehaltenes Scherzo und bietet
dem Solisten Gelegenheit zu glänzender Tech-
nik und seelenvollem Vortrag. Am meisten
lohnte der langsame Satz die große Hingabe,
die Flesch daran gewendet haben muß. Auch
der erste Satz wies sehr schöne Stellen auf,
war aber in seinem ganzen Aufbau etwas ver-
schwommen. Interessiert haben auch das
Scherzo und das Finale, gestört die meist zu
stark instrumentierten Tutti. Einige tüchtige
Striche wären dem viel zu ausgedehnten Werke
nur heilsam; ich fQrctate aber, daß auch dann
sich nicht viele Geiger an dieses immens schwere
Werk, das der KQnstler glänzend bewältigte,
machen werden. Auch Theodore Spiering gab
ein Konzert mit dem philharmonischen Orchester;
er ist zu nervös und hat einen zu kleinen Ton,
um sich neben den großen Geigern zu be-
haupten, auch scheint sein Repertoire nur klein zu
sein. FQr die Konzertlaufbahn nicht geeignet ist
der Geiger Ernst Breest, der in den Konzerten
von Dvorak und Beethoven vom Mozartorchester
mehr behindert als unterstfitzt wurde ; er wird gut
tun, beizeiten in ein Opernorcbester zu treten. —
Mit klassischer Kammermusik wurde der un-
gemein stimmungsvolle Klindworth-Schar-
wenka-Saal eingeweiht. Die Lehrer und das
Schfilerstreichorchester des Klindwcrth-Schar-
wenka-Konservatoriums waren die Ausffifarenden.
Zu Beethovens Kreutzersonate hatten sich Xaver
Scharwenka und Issay Barmas verbunden,
zu Beethovens Geistertrio Mayer-Mahr,
van Veen und van Lier, die den langsamen
Satz herrlich spielten; Anton Sistermans
sang Schubert. — Eine neue Klaviertriogesell-
scbaft haben Severin Eisenberg er, Ossip
Schnirlin und Fritz Becker gebildet; sie debü-
tierten glücklich mit einem Brahms-Abend;
Frau Grnmbacher-De Jong trug dabei sehr
reizvoll einige Lieder vor. — Karl Halir will
mit seinen Quartettgenotten Exnsr, Adolf
Müller und Dechert und Zatiehnng nndoitr
Künstleri vor allem des Pianisten Georg Sctae-
mann, an sechs Abenden simtltche Kanme^
mosikwerke von Brahms zur AnffQhniaf brinfea.
Am ersten Abend war die intereeeanteste Vor-
führung die des H-dor>Trio8 in der elteii, tos
den Konzertsälen so gut wie gani Tereehwn-
denen Fassung. Das den BeedioveiiMel vSlIig
füllende Publikum erwies sich l&r alle Da^
bietungen sehr dankbar und erfkvate sicft
namentlich an der von Brahms s|>lter ■Terwe^
fenen Coda des Scherzos des Trios. — Eduard
Behm hatte an seinem Kompositioneabend dea
meisten Erfolg mit Liedern, obwobl er in Maitht
Stapel feldt nicht gerade die bette Bvndes-
genossin sich erwählt hatte: »Setansaebt*,
^Stimme der Sehnsucht" lud namentlieli
»Marienbild* haben alle Aussicht» bald ^Id ge-
sungen zu werden* Ein ernstes and gebnltn^lei
Werk ist die zweite nocb ungedruckte VMia-
Sonate in d-moll, die Bebm mit Bernhard
Dessau spielte; die Erfindung, aamentUeh der
Gesangsthemen, ist von vornehmem Geedinad^
der langsame Satz wohl der wertvollste. Inda
beiden Ecksätzen fiberwiegt eine dfittere SU»
mung und die Freude an der technitctaen A^
beit; hübsche Klangwirkungen enthilt das Iate^
mezzo. Von dem gleichfialls nocb nngodmcktei
Quintett für Klarinette und Streichinitmmentc^
das von Osksr Schubert und dem Dessai-
Quartett vorgetragen wurde, konnte ich nv
den ersten Satz hören, der mir ziemlich arm ia
der Erfindung und gar nicht glficklich in dea
Durchführungsteil erschien. — Das hier selu»
vorteilhaft bekannte Hamburger Fraoen-
Quartett (Käte Neugebauer - Rmvoth , Lflif
Hadenf^ldt, Lucy Ingeborg Samaelstni, Aam
Hardt) brachte Quartette und Terzette alter and
neuer Meister sehr rein, tonschSn und mnalkaUsA
sicher zum Vortrag. Sehr gefiel Max Fiedlefi
noch ungedruckte «Mainacht". Der mitwirkeade
Pianist Bruno Hinze-Relnhold spielte a a.
die von ihm soeben herausgegebene Arie mh
Variationen von A. Poglietti (komp. 1677). — Unter
den mancherlei Feiern, die anläftlicb dea Hii-
scheidens von Joachim nachtri^i^ statifiadea,
war bemerkenswert diedesPhilbarmoniaehea
Orchesters, bei der unter Dr. Kanwalds
Leitung Joachims Hamlet-Onvertfire and dersfsis
Sstz seines Ungarischen Konzerts (gespidt vie
Gesterkamp) zur Aufführung int», ffmer die
Feier der Singakademie. Hier hielt Gcefg
Schumann eine Ansprache; die Quaneng^
oossen des Verblichenen (Halir, Karl Klingler,
Wirth und Hausmann) apielten den langsamci
Satz aus Beethovena letztem Quartett Daaa
wurde Brahma' Deutsches Requiem aa%allhft
unter Mitwirkung dea PhilbanBonlecben 0^
chesters; die Soli sangen Frau Grambacher
und der stimmlich nicht gerade beforieg^
Felix Lederer-Prina. wilb. Altmana
Das Klavier wird heuer etwaa weniger ve^
treten sein. D' Albert wird nicht spielen, sai
Alfred Reisenauer ist uns leider doreb dea
Tod entrissen. Trotzdem bl^bt nocb nsnegi
Edouard Rislers Programm war diesmaTwcih
aus bescheidener ala im vorigen Jebre. Um es
kurz zu sagen: er apielte teile miftl^ laila a^
gar schlecht. Ich meinerseita bebe die HeÄnvg
J
185
KRITIK: KONZERT
auf ibn aufgegeben. Er kommt mir vor wie
ein SohSnredner mit einem vollklingenden,
putosen Organ. Seele, Witz, echtes Tempera-
ment vermag ich nicht zu entdecken. Das mag
an mir liegen, ist aber nicht hinwegzuleugnen.
Nach diesem Abend wenigstens ist nichts anderes
zu erwidern, als daß seine innerste Natur —
wenigstens was Geist und Au Fassung anbetrifft —
nicht weiter entwicklungsfibig ist, weil ohne Re-
gang und Belebung, überdies war sein Spiel
nicht einmal technisch einwandsfrei. Sein »Cho-
pin* zum Teil einfach unmöglich (vgl. die
zweifelhafte Wiedergabe des b-moll Scherzos).
Schön gespielt aber langweilig Liszts »Heiliger
Franz von Assisi*. Der »Heilige Franziskus
9t>er den Wogen schreitend* nur mit äußer-
licher Kraft. Hißlich seine von der Schulter
aufgesetzten Akkorde. Ud künstlerisch die starre
Betonung der schweren Taktteile. Risler spielt
viel zu genau. Ich empfehle ihm, einen Auf-
aatz über »Das Ungenaue in der Musik*
von Ludwig Riemann in einem der Sommer-
befte des »Kunstwart* durchzulesen. — Wladi-
mir Papoff ist ein ganz tüchtiges Talent, aus
dem wohl etwas werden könnte, wenn er erstens
weniger nervös und zweitens mit größerer tech-
nischer Freiheit spielen wurde. Letzteres liegt
wohl an falscher Bildung; denn er versteift
Oberarm und Schulter. R. M. Breithaupt
Helene Staegemann war bei ihrem ersten
dieswinterlichen Auftreten bestens disponiert
und konnte daher einen vollen Erfolg verzeichnen,
besonders in den ihr liegenden Liedern leichterer
Gattung. Dem Andenken Griegs hatte sie leider
nur das bekannte »Im Kahne* gewidmet. —
Die Schwestern Kite und Marie Heumann,
die in Duetten sehr lobenswerte Leistungen
bieten, ließen sich in zu vielen Einzelgesingen
boren und verwischten daher den sonst günsti-
gen Eindruck ihrer Darbietungen. Beide Sänge-
rinnen schmälern den Genuß an ihren Einzel-
darbietungen durch ihre gepreßte und gequälte
Tongebung. — Der eherne Mezzo-Sopran und
der feurig belebte, jedoch auch gegebenenfalls
lyrische Vortrag von Iduna Wa Iter-Choinanus
läßt diese als sehr schätzenswerte Kraft* er-
acheinen. Aber etwas weniger kehlig sollte sie
singen. Bruno Hinze-Reinhold sorgte durch
eine mehr virtuose als poetische Wiedergabe
Lisztscher Stücke für Abwechslung im Programm.
— Robert Spörry gab die erste von sechs an-
gezeigten Schubert-Matineen.. Er sollte sich
vorläufig in bescheideneren Grenzen halten,
denn seine technische Ausbildung ist noch lange
nicht abgeschlossen. Im lyrischen Vortrage
zeigt er wohl Intelligenz, aber an dramatischer
Begabung fehlt es, auch beeinträchtigt der starre
Gesichtsausdruck die Wirkung. Der Bariton ist
bfibscb, die Sprache wird gut behandelt. —
Auch der Baritonist Heinrich Pestalozzi traut
sich mit Schuberts »Schöner Müllerin* zu viel
zu. Für die schnelleren Lieder ist das Legate
viel mehr zu pflegen. Sein Vortrag ist etwas
affektiert angehaucht, aber nicht unangenehm.
— Hingegen war der Liederabend von Julia
Calp im neuen Blüthner-Saal sehr genußreich.
Wenn ich sie zu den »Größen* auch nicht
zählen möchte, denn »Genies* sind bekanntlich
sehr dünn gesät, so nimmt sie doch eine ganz
hervorragende Stelle ein. — Auch die Sopranistin
Angelika Rummel ist mit Auszeichnung zo
nennen. Sie könnte außerordentlich erfolgreich
sein, wenn sie das starke Fla<$kern des Tones
zu unterdrücken lernte, was durchaus möglich
ist. Bei ihrem sonstigen Können müßte ihr die
Beseitigung störenden Beiwerks leicht fallen.
— Daß an talentvollen Sängerinnen kein Mangel
herrscht, bewies auch die Sopranistin Paula
Schick-Nauth. Ihr kräftiges, dabei weiches
Material, der temperamentvolle Vortrag, das dem
Textinhalt angepaßte Mienenspiel und die äußere
Erscheinung weisen die Dame auf die Opern-
bübne hin. Aber sie muß noch viel an ihrer
Vervollkommnung arbeiten, vor allem sich das
Tremolo abgewöhnen, dann die Töne direkt auf
den Kopf ansetzen, anstatt, wie sie es so oft
tut, von unten heraufzuziehen. Die Aussprache
ist, bis auf das absolut ungenügende R, vorzüg-
lich. — Bedeutende Fortschritte hat der Baritonist
Ricbsrd Koennecke gemacht Leider beein-
trächtigt er die Wirkung seines intelligenten Ge-
ssnges durch auffallendes »Quetschen* und
übertriebene Portamenti. Auch die Aussprache
müßte noch natürlicher werden. — Anna von
Gabain erhebt sich in ihren pianistischen Lei-
stungen nicht über solche für den Hausgebrauch.
Ihre Korrektheit empfiehlt sie wohl als Lehrerin.
— In Leocsdie Kaschperow hat man es mit
einem starken Talent zu tun. Die Dame spielt
Bach und Beethoven mit großem Verständnif.
Leider finden sich aber auch Momente, in denen
sie langweilig vorträgt. Ihre Spezialität ist
Grazie, besonders bei Chopin. Auch an Tem-
perament fehlt es gegebenenfalls nicht. Als
Komponistin debütierte sie mit einer Cello-
Sonate op. 6 in F-dur in Gemeinschaft mit Hein-
rich Grünfeld. Das Werk, wohl mehr eine
Suite, ist dankbar, aber musikalisch ziemlich
oberfiächlich. Der erste Satz ist sehr snstäodig,
das Scherzo prickelnd, im wenig originellen
Adagio sollen einige Modulationen die Trivialität
der Themen verdecken, der letzte Satz ist nicbt
schlechter als der der meisten Cello-Sonaten.
— Durch die Eröffnung des Choralion-Saales
ist Berlin um einen sehr hübschen, 400 Personen
Platz gewährenden Raum bereichert. Die
Akustik ist durch die weit überragende Gallerie
leider sehr gedämpft. Busoni's Klavierspiel
und der Gesang von Susanne Dessoir kamen
deshalb nicht genügend zur Geltung. Aber
vielleicht läßt sich das durch kleine Verände-
rungen noch bessern. Die großartige Orgel ist
bei vollem Spiel für den kleinen Saal zu macht-
voll. Herrlich klingen die Glocken- Imitationen.
Bernhard Irr gang schien das Werk noch etwas
fremd zu sein. Die Wahl der Register war bei
den Begleitungen nicht immer geschmackvoll.
— Die aus elf geschulten Sängern bestehende
Konzert-Vereinigung des Kaiser Wilhelm
Gedächtnis-Kirchenchors gab unter Alex
Kießlichs Leitung ein Konzert mit Gesängen
aus dem auf Veranlassung des Ksisers heraus-
gegebenen Volksliederbuche, deren Bearbeitungen
sich dnrchgehends als sehr wirksam erwiesen,
aber einen Maßstab für die Leistungsfähigkeit
einer Sängervereinigung nicht ergaben, da sie
in technischer Hinsicht kaum Schwierigkelten
bieten. Der Chor ist gut diszipliniert, jedoch
sollte bei schnellen Liedern auf die der deutschen
Sprache leider eigentümlichen zahllosen Kon-
IK
186
DIE MUSIK VII. 3.
tonanten und Zischlaute, die dem Gesänge so
tchidlicta sind, durch Unterdrfickung mehr
Rficksicht genommen werden, wenn auch zu-
ungunsten der Deutlichkeit der Aussprache.
Der mitwirkende Cellist Paul Treff zeigte keine
blendenden, aber immerhin künstlerische Quali-
titen. Arthur Laser
Arthur Perleberg, der einen eigenen Kom-
positionsabend veranstaltete, besitzt ein technisch
durchgebildetes Können, jedoch keine starke
selbstin dige — geschweige denn eigenartige —
Erfindung. Von der besten Seite zeigt er sich
in einfachen, vorwiegend melodischen Gesingen,
wie etwa »GlGck*, »Kinderreigen*, «»Schöne
Nacht*. Für Pathos und Humor, die er beide
sehr bevorzugt, findet er jedoch keine eigen-
kriftigen oder einheitlichen Töne. Eine Violin-
sonate (als die zweite bezeichnet), und Teile
einer kleinen Klaviersuite enthielten fiussige
Musik, die jedoch ebenfalls hervorstechender
Merkmale entbehrt. Nach allem erschien der
Tonsetzer als ein ernst Strebender, der, wenn
er sich in den Grenzen seiner Beanlagung hilt,
gute und gefillige, aber bisher keine bedeutende
Musik zu schreiben versteht. Susanne Dessoir
und ein wacker und klangschön seinen Part aus-
führender junger Geiger mit NamenJ. Mi tnitzky,
sowie Karl Kimpf (Harmonium) unterstfitzten
den Tonsetzer in der Ausführung seines Pro-
gramms. — Unter den Gesangsdarbietungen, die
ich zu hören Gelegenheit hatte, interessierte der
Lisztabend von Johanna Dietz — der mit etwas
scharfer, ganz augenscheinlich für dramatischen
Gesang pridestinierter Stimme und manchmal
zwar zu dunkler Vokalisation, aber doch herz-
haft und verstindnisvoll ihre Aufgabe anfassenden
Singerin — sowohl durch sein Programm, wie
auch durch die stilgemiße Begleitung Professor
Berthold Kellermanns, des bekannten Liszt-
jüngers. Trife man doch mehr solcher einheit-
lichen Programme an! — Weniger stilvoll war
die gemischte Schüssel von Agnes Fridricho-
wicz, die zwar von ernstlichem Wollen beseelt
erscheint und einen verstindigen Vortrag mit
Erfolg anstrebt, aber ihre nicht sehr starke
Stimme noch bedeutend mehr ausgleichen und
auf eine oflPenere, die Vokale heller, die S-Laute
weniger scharf hervorbringende Aussprache be-
dacht sein muß. — In der Person Emy und
Friedrich Schwabes traten zwei technisch
mit Überlegung singende Solisten und Duettisten
vor die Öffentlichkeit. Die Stimme der Singerin
ist die schönere von beiden; die minnliche taugt
weniger infolge nicht guter Resonanz. Sie klingt
mehr nach innen, als nach außen. Im Vortrage
Gbernimmt sich die Singerin oft so stark, daß
man statt des Konzertpodiums die Bühne vor
sich zu sehen meint. Ihr Partner verfehlt hin-
wieder manchmal den treffenden Ausdruck. So
kam bei allem guten Bemühen doch kein runder
künstlerischer Eindruck zustande. Beiderseits
abwechselnd vorgetragene Lieder von Hermann
Durra bewiesen teilweise ein ernstliches Streben,
gute, nicht Alltagswege zu wandeln («Winter*,
»Totenwacht*); teilweise („Liebeslied*, «Gegen
Abend*) versandete der freundliche Quell und
streifte manchmal nahezu die Grenze der Bana-
litit. Kraft und Erfindung reichen dem Ton-
setzer, hiemach zu urteilen, nicht sehr weit. —
Sympathisch mutete des Baritonisten Gustav
Ja
Thfimler-Walden Art zu singen an. Seine
nicht sehr ausgiebige, in der Höhe des esi^ bereits
schwer ansprechende, aber angenehm klingende
Stimme behandelt er nicht Abel. Im Vortrage
wandelt er ernste und gute PAule, ohne Jedoch
vorderhand über eine mittlere Linie talnanesii-
kommen oder schwungvollere Saiten mit ErlMg
erklingen lassen zu können. Die Klavierbogleitnng
Adolf Bolle 8 war unzureichend. — Greie
Steffens soll durch feinsinnige Teztbehandlnng,
trotz einer nicht großen und genfigend fest
sitzenden Stimme doch einen recht sympathiachea
Eindruck erweckt haben. — In der Person
Emmanuel Wads hörte ich einen Pianisten, der
ohne völlig genügende Sicherheit and immer
hinreichende Klarheit doch manchmal mit ScbmiB
und Verve zu spielen weiß. Aber das meiste
fillt zu grob aus. Feinere Töne und Lichter,
duftende oder satte Farben stehen ihm nicht n
Gebote. Das Philharmonische Orchester be-
gleitete an dieaem Abend zum enten Male nnier
seinem neuen stindigen Dirigenten, Dr. Ernst
Kunwald, der aeine Aufgabe ao mnsikfirieeh
und umsichtig anfeßte, daß das Orchester sn der
von ihm getroffenen Wahl nur beglflckwflnseht
werden kann. Alfred Schattmann
Emest Schelling steht technisch ganz asf
der Höhe modemer Virtuoaen. Zn bedanen
ist, daß sein beneidenswertes Rfistseug nicht
mehr höheren geistigen Zwecken zn dienen hst
Trotz aller Deliluitesse und nobler Empflsdusg
spielt er doch ohne Wirme nnd Größe. — Ab
Hermann La fönt weiß ich nur eine betfieht-
liche Spielfertigkeit hervorzuheben. Oberscioe
Vortragsgaben vermag ich bei Werken voo
Scriibine, Debussy, Ravel nicht sa urteiien. —
Der jugendliche iViiecio Horazowski ist teeb-
nisch — für sein Alter — weit TorgoschritM,
vermag aber großgrifflge, Kraft nnd Vacbt io
Anschlag fordernde Werke noch nicht bsIHs-
digend wiederzugeben. Rhythmisch ist er noch
recht unsicher. — Leocadie Kaschperew trst
als Komponistin und Pianiatln anH Zn Jessr
zeigt sie unleugbar Talent. Ihre Symphosis
und ihr Konzert vermögen jedoch die breiten
öflPentlichkeit nicht zu interessieren. Ane^
kennenswert ist es aber, daß die Kflnsüeris
wenigstens nicht nach Originalitit hssdit —
Theodor Prusse spielte Schuberts Soaste op.18
gesund in der Auflrassung, bisweilen aber, so !■
Trio des JMenuetts, ohne Poesie nnd auch isch-
nisch nicht einwandfrei. Weit tiefbr stand dis
gesangliche Leistung der mitwirkenden Magls
Lumnitzer. — Der iVlezzosopran wan Dh
Gm ein er ist ziemlich scharf, ihre Atemteduik
lißt rasche Ton- und Wortfolgen nur mfihssm n
(Loewe: Schwalbenmirchen). Ihr Vortrag ist
belebt, stützt sich aber zn viel auf B&hneneMas.
Hermann ▼etssi
BREMEN: Einen ungewöhnlich ürühen Dsglss
des musikalischen Winterfeldznges braebie
diesmal ein groß angelegtes Konzert nnssns
trefriichen Lehrergesangvereins, das gs-
wissermaßen als Generalprobe fSr die besbsirh
tigte Pariser Kunatrelse gelten konntsi Die
Handelskammer hatte zu diesem Zwwdn des
großen Börsensaal zur Verfügung gestellt^ dsssss
weiter Raum aich denn auch so siemlicb Ms
zum letzten Platze füllte. Der du€iisAls|snde
Erfolg der von Karl Panzner got^llMMi geheim
187
KRITIK: KONZERT
m
Tollen DtrbietuDgen, unter denen Hegart »Toten-
Tolk«, Backe »Wilde Jagd" und der Pilgerebor
ans .Tannhiuser* beaondera achwierige Glanz-
nummern bildeten, ist ja aucb den Vorföbrungen
ao der Seine in vollem Maße treu geblieben.
— Femer sind noch drei glGcklich angelegte
und verlaufene, aber nur mäßig beauchte Lieder-
abende zu erwihnen, mit denen una Valborg
Svlrdatröm- Verbeck, Lilly Hadenfeldt
and Helene Staegemann erfreuten. Die Erst-
genannte gab außerdem mit ihren drei jüngeren
Schweatern, unter ziemlich reger Beteiligung
ein geiatliches Konzert in der Rembertikirche. Im
übrigen lag biaher das musikalische Leben, wie
hier fiblich, noch im Sommerschlaf.
Gust. Kissling
BUENOS AIRES: Dem Hause Breyer ver-
danken wir wieder daa Auftreten einea be-
deutenden Pianisten. Vianna da Mottas plan-
ToU geatalteten Konzerten wohnten wir mit
steigender Teilnahme bei. Seine Technik »mag
zum Teil von der Moderne überholt sein*, doch
ist sie immer noch groß genug und vielseitig und
wird weiter fesseln, um so mehr als sie stets im
Diensteinesbedeutenden und geistreichen musika-
lischen Charakters steht. Die Genauigkeit und
das immergleichbleibende seines Spiels machen
es vor allem pädagogisch wertvoll. Besondere
Vorzüge seiner Technik sind ein anmutiges
Stakkato und daa Vermögen, aus einer Stimmen-
wildnia die melodische Ranke hervorblühen zu
lassen. Es betitigt sich aber auch in Ober-
treibung, und so streifte es z. B. dem Adagio
der Sonata quaai una Fantasie allen Duft ab.
Als Bachapieier bekamen wir von ihm wohl die
atirkaten Eindrücke. Bei Beethoven vermißte
man daa Graben und Erschließen der letzten
Tiefen und empfend alt atörend und atilwidrig
das häufige Abwandeln dea Zeitmaßea ina
2^gemde und Beachleunigende. Ich spreche
hier die Hoffnung aus, daß una von berufener
Hand bald der gesamte Sonatenkreis gelehrt
werde. Daa grösste Interesse wäre sicher.
Vor dem Namen Beethoven beugen auch die
Argentinier achon ihr Haupt, und die Sonaten
gehören zum Lehrplan ihrer Konservatorien.
Sctaumanna Eigenart ward auch nicht volle Ge-
nüge getan, er kam zu brillant weg. Es war
recht vergnüglich zu sehen, wie das Publikum
an den .Kreisleriana* würgte. Eine Neuausgabe
von Vebera »Aufforderung* und E-dur Polacca
war entzückend. Aua Chopins Etüden und
Prilndien schmiedete er funkelnde Schmuck-
stücke, und im Finale der h-moU Sonate wurde
er geradezu groß. Liszt: auch da bewunderns-
werte Leistungen, so die »Ann6es de Pdlerinage*
nach der Seite der Auffassung hin, die »Spanische
Rbapaodie* nach der technischen. Nachdem
uns im Vorjahre Ansorge die himmlische Schön-
heit des Klaviertones bei Liszt aufgezeigt hat,
wissen wir freilich, wo da Motte die Grenzpfähle
geateckt sind. — Ad6e Leander-Flodin gab
ein zweites Konzert. »Liederabend* stand auf
dem Programm; das sei hervorgehoben gegen-
über dem ängstlichen Obersetzungsbestreben,
das deutsche Künstler in ihren Ankündigungen
zeigen. Ein Schubert-, drei Schumann- und vier
Volflieder im eraten Teil; Inhalt und Form
gingen in reatloser Einheit auf. Wie leicht wogen
gegen dieae Schöpfungen deutachen Gemütes
eine ältere italieniache Konzertarie und drei
französische Lieder! Daa Gleichgewicht stellten
erst drei nordische Gesänge her, von denen der
eine, »Schnee* von J. Lie (durchweg mit halber
Stimme gesungen) ahnen ließ, bis zu welcher
Höhe moderne Stimmungskunst erheben kann.
— Zwei Heiaecke- Konzerte fallen in die
Berichtzeit. Daa atimmungavolle Klavierquartett
op. 47 von Schumann kam zu erfreulicher Aus-
führung und das op. 13 von R. Strauß ward
wiederholt und mit Ruhe und Größe geapielt.
In der prächtigen, charakteriatiachen Violinaonate
von E. Bossi zeigte sich der Geiger Maffioli
in vorteilhafterem Lichte ala beim Zusammen-
spiel. Das andere Konzert war ein »Russischer
Abend*: Trio op. 32 von Arensk3r, klar gearbeitet,
tonscbön, ohne tiefergehende Wirkung, Trio
op. 50 von Tschaikowsky, mit dem Rubinstein
ein überragendes Denkmal geaetzt wurde (die
Spieler wuchaen hier mit der Größe der Auf-
gabe) und noch die Celloaonate op. 18 von Rubin-
stein, die schlecht in die Nachbarschaft paßte
und mit ihren Themen daa Banale stark streift.
— Das siebente Konzert desDeutschen Musik-
verein s hörten wir nicht, doch mag aein Pro-
gramm aprechen. Der Chor sang »Deutsche
Tänze* von Schubert, »Der Spielmann ist da*
von Ullrich, »Der Pfeifer von Dundee* von
Weinwurm, »Die Mühle im Schwarzwald* von
Eilenberg! Daa Programm füllten noch ein
Tenoriat, ein Bariton und ein Cellist, dessen
drei kleine Stückchen daa Beate geweaen aein
sollen. Ich füge noch hinzu, daß der Verein
künstlerische Ansprüche erhebt
Hermann Kiealicb
DRESDEN: Daa erste Symphonie-Konzert der
Serie A im Königlichen Opernhauae
trug den Charakter einer Gedenkfeier für Joaeph
Joachim und Edvard Grieg. Seltsamerweiae
feierte man dea großen Geigera Andenken nicht
durch die Wiedergabe einea seiner Violinkonzerte,
sondern durch seine »Ouvertüre zu einem
Gozzi'schen Lustspiel*, eine Komposition, die
für das, was Joachim der musikalischen Welt
war, in keiner Weise kennzeichnend ist und
auch nicht geeignet erscheint, bei einem modernen
Publikum irgendwelchea Intereaae zu erwecken.
Dagegen fand die erste Suite aus der Musik zu
»Peer Cynt* von Grieg in trefflichster Aus-
führung unter Ernst v. Sc buch eine sehr leb-
hafte Aufnahme, aus der man entnehmen konnte,
daß Grieg mit seinen verhältnismäßig wenigen
Orchesterkompositionen doch einen eigenen und
weit nachhallenden Ton angeachlagen hat Neu
für Dreaden war Peter Tschaikowaky's Phantaaie-
Ouverture »Hamlet*, eine der bedeutendaten
Orchesterschöpfungen des russischen Meisters,
die einen starken Eindruck erzielte. — Die eraten
Solisten-Konzerte der neuen Saison waren ein
Klavierabend von Johanna Thamm, der jungen,
nun zur ernst zu nehmenden Virtuosin gewordenen
Künstlerin, die ein für ihre innere Reife vielleicht
zu anapruchsvoUes Programm mit großem Er-
folg erledigte und dabei eine staunenswerte
Kraft und Technik bewies, während das Geffihls-
moment etwaa zurücktrat Fritz Kreialer er-
wies sich in einem eignen Konzert wieder ala
der phänomenale Techniker auf der Geige und
bot ein intereaaantea historisches Programm.
Eine junge Violinistin Gertrud Matthaea er-
Hl
188
DIE MUSIK VII. 3.
warb sich, von der Altistin Elise Rebta u n bestens
unterstfitzt, viel Beifell, and auch Lotte K r e i s 1 e r ,
die stimmbegabte, sangesfreudige Sopranistin,
erzielte mit einem Liederabend einen schönen
Erfolg. In Bertrand Roths Musiksalon hörte
man eine lange Reihe Lieder von Bernhard
Sekles (gesungen von Anna Kaempfert),
unter denen sich zwar nichts wirklich Bedeutendes,
aber doch manches Ansprechende befand ; femer
kamen Klavierkompositionen von E.W. Degner
und Lieder von Otto Urbach und Karl Pem-
baur am selben Orte mit entschiedenem Erfolge
zu Gehör. P. A. Geißler
FRANKFURT a. M.: Von Jahr zu Jahr lißt
das Konzertleben im Herbst seine Vortruppen
früher ausschwärmen. Diesmal hatten wir die
ersten Tirailleurs schon Anfang September. Den
ersten großen Schlag führte aber, wie gewöhn-
lich, die Museumsgesellschaft am Beginn
des Oktobers, diesmal mit dem neuen Ober-
kommandierenden, W. Mengelberg, der beim
vorjährigen Gastdirigieren einen der stärksten
Erfolge davongetragen hatte und sich nun mit
Beethovens Fünfter Symphonie, Bachs h-moll
Suite für Flöte und Streichorchester, am folgen-
den Sonntag aber mit Liszts »Pr6]udes* und
Tschaikowsky's »Letzter Symphonie* die Posi-
tion befestigte. Das Kerngesunde und Natfir-
liche der Auffassung war es, was ihn neben
den vorzuglichen technischen Qualitäten seiner
Kapellmeisterschaft zum Sieg führte. »Im An-
fang war der Rhythmus* steht bei seinem
künstlerischen Credo fühlbar obenan; wie an-
ziehend man sein kann, wenn man diesen Grund-
satz wohlverstanden zur Geltung bringt und
die etwaigen »poetischen* Zfige eines Tonwerkes
als Dinge behandelt, die sich bei einem ge-
sunden musikalischen Empfinden und hellen
Blick in die Partitur eher von selbst einfinden
müssen, hat sich den Hörern des »Museums*
einmal wieder schlagend gezeigt und ist von
ihnen dankbar anerkannt worden. Dem unsag-
baren Gefühlsüberschwang des Tristanvorspiels
blieb freilich der Dirigent noch etwas schuldig;
übrigens zeigte sich auch eine so fertige Ge-
sangskünstlerin wie Frau Litvinne aus Paris
in dem an das Vorspiel angeschlossenen »Liebes-
tod* mit dem Wagner- und Tristanstil noch
nicht völlig vertraut. — In der Kammermusik
ward schon manches Bemerkenswerte geleistet.
So von Felix Berber und Alwin Schröder,
die an Stelle H. Heermanns und H. Beckers
ins Museumsquartett eintraten, für diesmal aber
mit dem Pianisten Willy Rehberg zu einem
Trioabend vereint waren, an dem namentlich
die Ausfuhrung des neubearbeiteten op. 8 von
Brahms beifällig zu vermerken war. Der Cellist
Schröder, der aus Amerika kommt und bei uns
eine neue Erscheinung bildet, ist sehr ver-
heißend; im Zusammenspiel haben die Herren
als Lehrkollegen am Hochschen Konservatorium
ja noch Gelegenheit zu profitieren. Auch ein
anderes neues Trio, gebildet aus den Damen
Lina Mayer (Klavier), Anna Hegner (Violine)
und Hermann K ei per (Cello), führte sich
günstig ein, wobei es freilich für eine Violin-
Klaviersuite von H. Huber nicht viel Be-
geisterung wecken konnte. Bernhard Sekles,
der auch hier durch Frau Kaempfert seinen
neuen Liederzyklus aus dem von Rückert ver-
m^Bo
deutschten Schi-KIng vortragen ließ, fuid damit
beiailige Anfkiahme, doch hat sein Taiaat wohl
noch höhere Chancen wenn et ans, wie taUhtr
mit Vorliebe, slawisch kommt» statt wie dissnal
chinesisch. Volkstümliche Mnsik natnrslistisch
nachzuahmen, das mag noch eine sngibB^Uclie
Aufgabe sein, sie zu stilisieren (in diesem Falle
blieb ja absolut nichts anderes filirlgX ^ ^^^
nur eine Sache für die genialsten Tonsehöplsr.
Hans Pfeilsehmidt
GRAZ: Die Steiermärkische Sparkasse
läßt den Stefaniensasl hener zn eioem
großen modernen Konzertsaal ambsnea, eins
gute Tat, deren Notwendigkeit schon darsns er-
hellt, daß während dieses Umbaues Kenasits
nur in sehr verminderter Zahl stattfinden kSnasi;
bis Mitte Oktober war noch gar keines.
Dr. E. Decsey
HANNOVER: Die Konzertsaison hat Udier
nur wenig bedeutendere Brscheinnnfen ge-
zeitigt. Das dem Andenken Joseph Jeaehi ms ge-
midmete erste Abonnementskonzert der Köai^
liehen Kapelle brachte unter Broeks Leitoag
Beethovens »Eroica*, Joachims i,Unfvlsdiei
Konzert* (Prof. Riller), die fedsnklleh sehr
öde g-moll Ouvertüre von Joachim, Hoiam
»Maurerische Trauermnsik* und mehrere la-
garische Tänze (Prof. Riller). Ober die Aas-
führung des reichlich langen Programms koaan
man sich im allgemeinen nur lobend anslassea.
— Beachtung verdienten dann zwei Festimazem^
vom hiesigen Konservatorium ans Aalsft
seines 10jährigen Bestehens veranataltet —
Zwei Klavierabende von Anton Peers ternad
Margarete Eussert seien noch fensnnt
L. Vnthmaaa
KÖLN: Die Konzertsaison eröffnete dsr
Leipziger Lehrer-Gesangverein wM
einem großen, zu wohltätigem Zwecke im Gfins-
nich veranstalteten Konzert. Der Abend dsr
in Stärke von 240 Stimmen erschienenen Sadses
nahm einen künstlerisch ausgeseiehneien ys^
lauf. Die Gäste selbst hatten nnr daa eiae is
beklagen, daß sie in ihrem Bestreben von hiasifv
sangesbrüderlicher Seite gar so wenig UalB^
Stützung fanden, und daß diejeaigeay die es is
erster Linie anging, den Leipzigern sn der taOs^
wo es darauf ankam, ein herzlich gwiiy»
Interesse entgegenbrachten. Trotzdem deaMii-
gliedern der vielen hiesigen Geeangirereiae eal*
gegenkommender Weise die Koazertkartea zaa
halben Preise zur Verfügung gesieUc varss^
machte nur eine Mindestzahi von dem llreaad-
liehen Anerbieten Gebrauch. Aof so
Dinge wie ein Konzert aind eben die
Kölner Sangesbrüder nicht neugierig — aab^
schadet aller schönen Reden inter pocala. Ds
auch die sonstige Anteilnahme, obfleldi mss
wußte, daß Hervorragendes zu eiwaitea wir,
sehr zu wünschen übrig ließ, was wieder eiaaMl
alle schönfärberischen Legenden von der kaisi-
begeisterten Musikstadt Kola Lflgen sirsii^
mußte noch in letzter Stunde der Saal kflasdich
gefüllt werden, um ihm ein hslbweas repBds^
liebes Aussehen zu geben, und die Giste ksmsa
nicht annähernd auf ihre Kosten. Ihren Isf
als eines der leistungsfähigstea Gcsaagveisias
Deutschlands rechtfertigten die LtipSmt is
vollstem Msße. Unter ihrem TonmUehsa
Dirigenten Hans Sitt botea sie in CMfia
189
KRITIK: KONZERT
ftchledenster Stilgattui i von Nicod6, Sin,
iraelioB, Scbnbeity Kremter, Schwartig Othe-
aTMi, Valentin nod GOttl, worunter Sitts
ckeade »Vergebliche Flacht*, absolnt Erat-
is^fea. Daa Stimmenmaterial entwickelte bei
»1 Priactae und edlem Wohllaut eine impoaante
raff, wihrend die mnatergfiltige Chordiaziplin
re Grundpfeiler in feinem Geachmack, großem
(hattierungareichtum und aicherem Beherrachen
^lieber dichteriachen Stimmung findet. Julius
lengel aua Leipzig erfreute ala Soliat durch
o glinzenden Vortrag der sehr hfibachen
tt'acben Celloatficke: Romante, Serenade und
herze, femer einea eigenen empfindungatiefen
>ctamoa und einea Stfickea von Piatti, wihrend
slene Staegemann eine Anzahl Schubert- und
>lkaUeder in bekannt reizvoller Weise aang.
n eraten Abend der Muaikaliachen Ge-
illactaaft hörte man Artur und Max Grobio
i Gaatro, Geige und Gello spielende jugend-
iht Brfider, von denen vorliufig der Gellist Max
T fertigere Künstler ist, während beide trotz
aetanlicber Reife der Technik, wie aonstiger
naikaliacher Eigenschafien, größere Vorzuge
a Klanglichen und des Temperaments nicht be-
achten ließen. Übrigens kamen uns die Spanier
a Duiaburg. Paul Hiller
EIPZIG: Schon vor Beginn der Saison haben
' aich zwei bislang bedeutsamste Musik-
eignisse abgespielt: das mit dem Abschiede
a an die Karlaruher Hofoper abgehenden
Dgjihrigen und aehr verdienstvollen Vereins-
rigenten Dr. Georg Göhler zusammenfellende
0. Konzert dea Riedel-Vereins, daa als
ßerordentliche, atarkbesuchte Beethoven-Feier
chtige und im Ghorischen und Instrumentalen
gar sehr wohlgelingende Aufführungen der
iaaa aolemnia und der Neunten Symphonie
oliaten: Johanna Dietz, Agnes Leydhecker,
cqnes Urlus und Hans Schätz) brachte und
«r alles Befremden ob mancher Tempowahl des
irigenten hinaus ein Herangereiftsein Dr.Göhlers
betrichtlicher Herrschaft über das Orchester
id die grosse Wirksamkeit der allerdings
>hl nur fiir beaondere Anlisse zu empfehlen-
T Nebeneinanderstellung der beiden Kolossal-
^rke Beethovens erweisen konnte, und ein
»nzert des von Hana Sitt geleiteten Leip-
ger Lehrergesangvereina, das, unter ao-
itiacher Mitwirkung von Helene Staegemann,
lina K lengel und deasen vielversprechender
:tafilerin Marie Hahn stattfindend, gleichsam
B prichtig gelingende, im meisterhaften Vor-
ige von Nicod6*a „Das ist das Meer* und
imelius' »Der alte Soldat* gipfelnde General-
obe zu den vom Lehrergeaangverein unmittel-
r darauf anläßlich einer aangesfrohen Rhein-
tirt in Köln und in Wiesbaden äußerst erfolg-
ich abgehaltenen Reisekonzerten repräaen-
trte. Weiterhin veranstaltete der rühmlichst
kannte, hübsch vortragende Schulgesangs-
dagoge Gustav Borchera im Verein mit
iner hfibscbstimmigen Tochter Hedwig und
sem anmutig singenden Frl. Hedwig Linke
oe ansprechende Grieg- Gedächtnis-Feier, gab
tri Götz mit sympathiacher aber nicht völlig
irchgebildeterBaritonatimme einen Volkalieder-
td Balladen-Abend, intereasierte der etwas hobl-
mmige Baritoniat Karl Spörry am eraten
n aeinen aecha(!) für Leipzig angekündigten
Schubert-Abenden ala kunatveratändiger, zum
Sentimentalen neigender Interpret dea Lieder-
zyklua »Die achöne Müllerin*, erfireuten die
kunatgewandten und aehr barmoniach einge-
stimmten Norwegerinnen Maja Gloeraen-
Huitfeldt und Magnhild Raamnaaen mit
dem Vortrage norwegiacher Liedkompoaitionen
und vorwiegend wertvoller Duette von Schu-
mann, Brahma, Tachaikowaky, Gounod, G6sar
Franck (»La Vierge ä la crdche*) und Kierulf, er-
zielte die Temperamentasängerin Ella Gm einer
trotz manchem an ihre Bühnenherkunft ge-
mahnenden Zuatarkauftragen mit bedeutenden
Interpretationen der Weingartneracben »Wall-
fehrt nach Kevlaar* und der Lisztschen »Loreley*
sowie mit einigen besondere feinainnig ge-
sungenen Brahms-Liedem (»Alte Liebe*, »Weit
über das Feld* und »In atiller Nacht*) tief-
greifende Wirkungen, und erwarb aich die bei
etwaa aeltaamer Stimmbehandlung doch recht
stimmfrisch singende Sopranistin Lotte Kreis 1er
mit ihrem beherzten Eintreten für die Dresdener
und Leipziger Liederkomponiaten Otto Urbach,
Hans Sitt, Richard Wetz und Woldemar Sacks
freundlichen Beifalladank. Die vom Wioderstein-
Orchester begleitete junge Violoncellistin Sara
G uro Witz erbrachte mit der tüchtigen und zu-
meist tonschönen Ausführung zweier Konzerte
von d' Albert und von Saint-SaSns einen starken
Talentbeweis, während die Rubinstein-Schülerin
Leocadie Kaachperow, freundlich unteratfitzt
von dem vorzüglichen Violoncelliaten Heinrich
Grünfeld, vornehmlich als Komponistin einer
in den ersten zwei Sätzen wirklich fesselnd ge-
ratenen F-dur Sonate op.«6 für Pianoforte und
Violoncello interessierte. Auf den 13jährigen
Miecio Horszowski, der mit seiner nun noch
geateigerten Technik und vertieften Auffaaaung
fast schon den Wunderknaben vergeaaen macht,
folgte der zu beträchtlicher Meisterschaft und
zum feinen Klangempfinden aeinea Lehrmeiatera
herangereifte Reisenauer-Schüler Arthur Rein-
hold mit einem in aehrachönen Reproduktionen
eines Mozartschen Variationenwerkes, der beiden
mittleren Sätze aus Beethovens op. 106 und
mehrerer Ghopinschen Stücke gipfelnden ersten
Klavierabend. Glücklich debütiert hat in einem
Wohltätigkeitskonzert daa hier neugegründete
Henning-Hamann-Hanaen-Trio, und Gnt-
Künstlerischea vollbrachte, abgeaehen von
einiger nervöaen Unsicherheit dea Primgeigera
und von dem noch etwaa materiellen Klange,
an Mozarts C-dur Quartett, Regere freundlichem
A-durTrio op. 77 b und Griegs op. 27 daa aua
den Herren Arno Hilf, Alfred Wille, Bernhard
Unkenstein und Georg Wille bestehende
Hilf-Quartett. Schließlich hat auch bereite
das erste Gewandhaus-Konzert stattgefun-
den und bei einigen Verschleppungen oder Ober-
hastungen einzelner Zeitmaße durch den aenai-
tiven Arthur Nikisch und bei anfange noch
nicht ganz festem Zusammengeachlossensein des
Orchesters im allgemeinen wohlanmutende Vor-
führungen der Egmont-Ouvertfire, der Brahma-
schen Variationen über ein Haydn-Ttaema und
der liebenawürdig friachzügigen zweiten Sym-
phonie von Brückner gebracht Solist dea Abenda
war Karl Sctaeidemantel, dem trotz wahr-
nehmbarer Stimmüdigkeit inaonderheit die
Wiedergabe der Agamemnon-Szene und Arie aua
M
190
DIE MUSIK Vll. 3.
Glucks »Ipbigente in Aulis* zu einer Meister-
leistung geriet. Arthur Smolian
LONDON: Wir sind hier noch in den Probe-
manövem der eigentlichen Konzertkampagne.
Die Promenadenkonzerte in Queen's Hall
unter Henry Wood 's tfichtiger Leitung bilden
das Hauptereignis der letzten zwei Monate. Es
ist erstaunlich, wie durch diese Veranstaltungen
der Sinn für gute Musik in den weiteren Schichten
des englischen Publikums genihrt und vorwärts
entwickelt worden ist. Noch vor wenigen Jahren
wire es unmöglich gewesen, ein volles tausend
oder noch mehr von Zuhörern, die wihrend des
Tages bei der Arbeit sich gemfiht haben, zwei
Stunden lang mit ernster künstlerischer Upter-
haltung zu fesseln. Dabei ist das Programm,
namentlich an den am meisten begfinstigten
Wagnerabenden, die Montags stattfinden, im
eigentlichen Sinne kein populires. Die Faust-
Ouvertüre, einige der Lieder und zwei größere
Tristan-Bruchstucke unter solchen Umstinden
vorzuführen, heißt an eine Disziplin des Publi-
kums appellieren, die gewiß nicht gewöhnlich ist.
Natürlich ist in den seltensten Pillen die Mög-
lichkeit, für diese Konzerte Solisten von vor-
nehmstem Kunstrange herbeizuschaffen. Man
darf nicht vergessen, daß der Eintrittspreis nur
1 Schilling beträgt, für Londoner Verhältnisse
außerordentlich niedrig. Aber Künstlerinnen
wie Susan Streng und die Gattin des Kapell-
meisters Wood kommen jedenfalls dem Geiste
Wagners nahe genug, um in dem nicht allzu-
skrupellosen Hörerkreise die Tiefe seiner Kunst
und die Größe seines Genius erkennbar zu
machen. — Von bekannten Solisten sind bisher
eingekehrt Wilhelm Backhaus, der wie immer
namentlich unter der weiblichen Jugend eine
sichere und enthusiastische Heeresfolge fand,
und Jan Kubelik, der vor seiner großen Tour
noch einmal seine Freunde um sich sah. Ganz
so stürmisch wie ehegestern bejubelt man den
böhmischen Geiger nicht mehr. Es scheint,
daß er über seinen Zenith hier hinaus ist, was
ja auch nicht Wunder nehmen kann, da der-
gleichen Modeströmungen genau so wechseln,
wie die Modelle der Hüte in Bond Street und
Piccadilly. Zwei Gedächtniskonzerte für Grieg
boten viel Pietät, aber nicht gar zu vieles für
den Kunstrichter. a. f.
MAINZ: Mit einem dem Andenken Joachims
gewidmeten Konzert des städtischen Or-
chesters unter Emil Steinbach wurde die dies-
jährige Konzertsaison in vielversprechenderWeise
eingeleitet. Solisten waren Julia Culp, deren
Gesangsvorträge (Astorga, Händel, Brahms) ver-
dienten Beifall fanden, und Carl Halir, der
mit gutem Gelingen Joachims »Ungarisches
Konzert* zum Vortrag brachte. Das Orchester
erwarb sich durch die künstlerische Wiedergabe
der Schubert'schen „Unvollendeten*, sowie des
Trauermarsches aus der Eroika und der tragischen
Ouvertüre von Brahms den Dank des Publikums.
— Von sonstigen Veranstaltungen verdient noch
ein Liederabend der Frau Doepper- Fischer
(Wiesbaden) Erwähnung, dem Fräulein Neitzel
aus Köln (Harfe) und Kapellmeister Irmer
(Violine) ihre Mitwirkung geliehen hatten. Die
Konzertgeberin wie die übrigen Mitwirkenden
wurden für ihre verdienstvollen Leistungen durch
lebhaften Beifall ausgezeichnet. Fritz Keiser
J^
einer
\M ONCHEN: Die Saison ▼ertpricht oeben ^
Iva neuen Oberlsst von Solistenkooiefisn
den bis jetzt vorhandenen Akademie- und Kalm-
Abonnementskonzerten noch eine weitere Serie
von Abenden mit dem Kalm-Orcbetter luter
Leitung von Hans Pfitzoer; Ihr ProframoB ent-
hält recht Interessante Nummern ebenso wie
das der Kaim-Konzerte. Bei den Akademie-
Konzerten dürfte zunächst neben einigen Novi-
täten von Klose, Brannfels und Boebe eine
Ouvertüre »Christoph Columbus" von Richard
Wagner hervorragendem Interease begefoen. —
Im Hauptteil der bisherigen Konzerte wirioe
das Kaim-Orchester unter dem gewandt, aber
ohne sonderliche Eigenart dirigierenden Herrn
Cor de Las mit. Im ersten Volka-Synaphonie-
Konzert erfreute eine hübsche AaffQhrang voa
C. Ph. Em. Bachs SInfdnia in D-dnr, Im zweiten
erwies sich Herr Hey de mit Mendelssohns
Violinkonzert wieder als schltzenswerter
Geiger. Auf minder gutem Nlvesn stand etai
»Modemer Abend* mit einem vom Kompe-
nisten selbst gespielten, ziemlich unbedeutendes
Klavierkonzert von Georg Liebling. Schöne
Eindrücke verdankte man dagegen einem Abend
des begabten Geigers Wilhelm Sieben nsd
vor allem einem Reger^Abend der AltistlB
A. Erler-Schnaudt; sie ssng mit pssioser
Stimme und wirkungsvollem Vortrag eine groBs
Reihe von Liedern, die Reger znm Teil ia
weiterem Fortschreiten zu größerer Klarheit nnd
Einheitlichkeit zeigen, wenn auch der Vertfteich
mit Wolfschen Gesängen zeigt, dafi Refer der
Musik oft wieder ein fibenus starkes Votrecbt
gegenüber der dichterischen Vorlsge elnrlnmL
Dr. Eduard Wahl
RIGA: Den Reigen der eben begonnenes
Konzertsaison führte die talentierte, fiber
eine respektable Summe auageseiehneten kflasi-
lerischen Könnens verfügende Geigerin Edhh
Waldhauer. Ihr folgte bald darauf Alfred
Reisenauer, der in drei Konserten all
einer der hervorragendsten Pianiaten grofiani|t
Triumphe feierte. Wer hätte ea gedseht^ daS
seine beglückende Kunst so schnell der Ve^
gangenheit angehören sollte? Kanm, daft er
unsere Stadt verlassen, da traf aus Libsn dis
erschütternde Nachricht von dem ilheo Hin-
scheiden des großen Künstlen ein. — Dss
• Böhmibche Streichquartett*, mit dem er
kurz zuvor noch ein mit allgemeiner SpsanaBf
erwartetes Kammermusikkonzert vereinberthstte,
ehrte an seinem ersten Abend das Andnakcs
Reisenauers durch den ergraiftaden Vertrag des
Andante funebre aus Tschaikowsky's Ee«ell-
Quartett, nach dessen Beendigung sieh dUe Zs-
hörer lautlos von ihren Sitzen erhoben.
Carl Waack
STUTTGART: Während Im vergangenen Jahr
das Hugo Wolf-Fest allgemeines Interesse e^
regte, ist es im Konzertleben bis jetsi neel
ziemlich still. Der Verein für klasslsehe Kirchen-
musik, unter Leitung S. de Langes, trat nh
dem Requiem von Brahma hervor. Robert
Kothe sang Volkslieder zur Lsate» und Ooe
Frey tag- Besser gab einen Liederabend aih
Gesängen von Wolf, Reger and R. Strasl
Etwas, das nicht leicht anderawo dargsboiM
wird, waren zwei Wolfkonzerte, In denen Hngs
Faißt und Karl Friedberg snssmmeiiwlrkisn;
191
KRITIK: KONZERT
denn der Eintritt war anentgeltlictay der Kreis der
Eingeladenen sehr weit. Man sieht, daß es immer
noch Erscbeinungen gibt, die nicht im geringsten
mn Geschiftlicbes erinnern. Dr. K. Grunslcy
TIT^IEN : Der Gedanlce einer Orchestergründung
^^ zur Vorf&hrung wertvoller symphonischer
Schöpfungen in vollcstfim liehen Konzerten hat
eine Unternehmung ins Leben gerufen, die ihren
ursprfinglichen Rahmen weit Gberschritten hat,
und der wahrscheinlicherweise eine wichtige
Rolle in unserem Musikwesen vorbehalten ist:
das Wiener Tonkunstlerorchester, das mit
einem großen Konzert die neue Saison eröffnet
bat. Mit außergewöhnlichem Erfolg; einem
Erfolg, der nicht allein in der wachsenden Vor«
Hebe des Publikums ffir Orchesterdarbietungen
— mit der freilich ein ebenso starkes Nachlassen
des Interesses für Solistenveranstaltungen ver-
bunden ist — zu suchen ist, sondern auch in
den Qualitäten der neuen Unternehmung. Oskar
Nedbal, der feurig energievolle, enthusiastische
•findige Dirigent des Orchesters, hat in ver-
bluflPend kurzer Zeit die einzelnen Instrumental-
Cruppen vorzfiglich geschult und schön aufein-
ander eingestimmt; die von dem Ysaye-Schfiler
Gexa von Kresz geführten Geigen klingen warm,
edel und voll, die Holzbläser — besonders die
Oboe — sind weich und ohne jede derbe Schärfe,
die Blechbläser von höchst respektablem Können.
Goldmarks »Sakuntala*, zu Anfang vielleicht
etwas schleppend, ist unter Nedbal zu glanz-
vollem Klang gebracht und mit impetuoser
Steigerung gespielt worden, und der »Marsch
der Zwerge* aus Griegs «lyrischer Suite* —
eine der allzugefälligen, fast seichten Pikanterie
des Werkes halber nicht sehr glückliche Wahl
— war eine beinahe einwandfreie orchestrale Vir-
tuosen 1 eistun g. Etwas nüchterner Liszts »Tasso*
anter Bernhard Stavenhagens Leitung; in
Einzelheiten wunderschön verträumt, aber im
Scherzo zu wenig »dörperhaft* und rustikan
und im ersten und letzten Satz arg verdehnt
Beethoven 8 »Pastorale* unter Hans Pfitzner.
Wie überhaupt, bei allem Rang und Ruf der
beiden Gastdirigenten und den mit solchem Ruf
verknüpften materiellen Vorteilen die Allein-
herrschaft des temperamentvollen, gleichsam
allea »unter Musik setzenden* Nedbal dem
Orcheater dringend zu empfehlen wäre, wenn
es zu einheitlicher unzersplitterter Leistung ge-
langen soll. Das Unternehmen selbst, dessen
geistiger Urheber und tätigster Förderer der
Wiener Musiker Friedrich Karbach ist, muß
um so freundlicher willkommen geheißen werden,
als es den bestehenden Veranstaltungen der
Philharmoniker und des Konzertvereins nicht als
Konkurrent gegenüberstehen, sondern ergänzend
zur Seite treten will. Ein gegenseitiges Fördern
derartiger Gesellschaften wäre freilich ein bei
uns noch nicht erlebtes Wunder; aber auch bei
einem gegenseitigen, mit reinen Mitteln geführten
künstlerischen Wettstreit der drei Orchester mag
sich der Vierte freuen: das Publikum.
Richard Specht
WIESBADEN: Sechs große Orchesterkonzerte
im neuerbauten Kurhaus in wenig mehr
als acht Tagen: »Orchestermusikfest*
nennt man das. Erster Abend: die Mün-
chener Hofkapelle unter Felix Mottl; das
Ensemble musterhaft, der Klangcharakter macht-
voll; mit unbedingter Hingabe wird den ener-
gischen Weisungen des Dirigenten Gefolgschaft
geleistet. Beethovens A-dur Symphonie von
dionysischem Schwung getragen! Siegfriedidyll
— ein Schwelgen in Wohlklang; Paust- und Tann-
häuser-Ouvertüre von zündender Wirkung.
Zweiter Abend: das Berliner Philhar-
monische Orchester unter Fritz Steinbach;
es bewährte seinen vorzüglichen Ruf, und
schwerlich bedürfte es der so oft ungestümen
Pantomimik Steinbachs, um solche Künstler zu
Wunsch und Willen zu zwingen. Brahma' o-moll
Symphonie war Steinbacha bedeutendste Tat;
die Dritte Leonoren-Ouvertüre aeine anfbcht-
barate; Strauß' »Don Juan* seine glänzendste.
Der anwesende Komponist wurde lebhaft akkla-
miert. Dritter Abend: Richard Strauß an
der Spitze unsres Kurorchesters, daa eine
treffliche Haltung bewahrte. Beethovena
»Eroica* in Straußscher Beleuchtung klang etwas
matt; aehr kräftig schlug die Sinfonia
Domeatica ein, deren trotz aller Barbariamen
so humorvolle Grundstimmung sich klar und
sicher ausprägte. Zwischen beiden Werken
hatte Frederic Lamond mit einigen Liazt- Vor-
trägen schweren Stand. Vierter Abend: als
Hauptstück gelangte die Neunte Symphonie mit
dem hieaigen Orchester und Gäcilienverein zu
höchst eindrucksreicher Wirkung unter Ugo
Afferni's Leitung. Arrigo Serato entzückte
allgemein durch den Vortrag dea Beethovenschen
Violinkonzerts. Fünfter Abend: daa Mün-
chener Kaimorcheater erfreute unter Leitung
des nur etwas gar zu stürmisch agierenden
Georg Schn6evoigt durch einige aehr eflPekt-
voll herausgearbeitete EflPektstücke, darunter
Liszts »Les Pr61udes*, den Höhepunkt bildeten.
Jugendliche Frische und Unverbrauchtheit,
scheinen mir die besonderen Kennzeichen des
Kaimorchesters, daa sich auch am aechaten
Abend auf bemerkenswerter Höhe hielt: hier
dirigierte Gustav Mab 1er, unter deaaen fkszi-
nierender Battuta einige Meisterwerke von
Beethoven und Wagner eindrucksvollste Ver-
lebendigung erfuhren; die Coriolan- Ouvertüre
unter Mahler muß man erlebt haben. Das
Publikum, daa mit Ausnahme der sehr teuren
ersten Plätze den Saal (er faßt ca. 1500 Personen)
zahlreich besetzt hatte, zeigte sich auch am
sechsten Abend noch keineswegs ermattet: der
Beiftill blieb bis zum Schluß enthusiastisch.
Prof. Otto Dorn
ZORICH: Das erste Abonnementskonzertstand
im Zeichen Mendelasohns und Carl Maria
von Webers: guter und stilvoller Zweiklang. Als
Solist war der stilstrenge Max Pauer aus Stutt-
gart erschienen; für daa f-moll Konzertstück
Webers, wie der feingeratene Vortrag zeigte, ein
treflPlicher Interpret. Das Verzeichnis der kom-
menden Konzerte zeigt, daß Volkmar Andreae,
der Leiter der Konzerte, in Sachen der Programm-
vereinheitlichung neuerdings einen entscheiden-
den Schritt getan hat: die Konzertprogramme aind
jetzt völlig den Anforderungen unserer künst-
lerischen Kultur angepaßt, nur weaensverwandte
Werke und Musiker sind zusammengestellt, und
die »in Stilen gemischten* Konzerte sind damit
abermals in einer großen Stadt mit Abonnementa-
musik offenbar endgültig von der Tagesordnung
abgesetzt. Dr. Hermann Keaser
Tlr beKinnea mit dem Bild «Ines der beirorrasesdiMii Klavlenpleler aller Zeltern:
Jobann Nepomnk Hummels (gest. am 17. Oktober 1837 in Telma^. 1T78 In Prefi-
burg geboree, erveckte er acben mit aleben Jabreti derart dai Isteresio Mezarta, difl
dfeier Ibn zvel Jabre lang unterricbtete. Splier atadlerie Hummel bei Albrechteberger
uad Salleri. 1804—1811 var er Kapellmeiiier des Pfiritea EalerbaiTi fiBK 18>6 ■!■ Hof-
kapellmelBter nacb StuttK*rt, 1819 In glelctaer Elgenacbaft nach Telmar. Daneben konzertierte
er mit auaserordentllcbem Erfolg Im In- nnd Ausland. Von aelnen xabireicbea Kom-
poaltlonen haben alcb vor allem aeln d-moU Sepiett op. 74, daa Klavierkonzert In »boU
und eine Rdhe meiai Unterrlctatatvecken dienender Sonaten und KIsTieratfl«^ eAalien.
Seine bedeutendsten SchOler sind Adolf Henielt und Ferdinand Htifer.
Daran schlle&en sieb iwel aeiteae Ponrits des jüngst reratorbenen IgnaiBrfill,
des Komponisten der reizenden Spieloper ^Xiu goldene Kreuz'.
Seit Beginn der dlesjibrigen Konzerttaltoo sind In Berlin nicht weniger als drei
neue Kooiensile eröffnet vorden, ds die bereits vorhandenen dem Bedürfbft offenbar nicbt
genügten. Zwei von ihnen, den Blüttaner-Saal und den Kllndwonta-Scharweaka-
Saal, führen wir unseren Lesern Im Bilde vor.
Von den Im Nach richten teil des letzten Heftes ausführlich angeieifton wartTeUen
Mnslksutogrspbea, die dsa Antiquarist Leo Uepmsnoiiohn In Berlin In den entn Tacen
des November zur Versteigerang bringt, kSnnen wir, dank dem EntgegenkommsB der
Firma, einige der seltensten heute in Fakalmlle verStfentllchen. Das erste Blatt Ist
daa Aaiograph des .Trinkliedes' sus dem bis heute (In der eigenen Bwrtoiiast
des MeJBlera) unverBITentlichten Klsvlersu sauge der »Musik zu einem RlttsrballM* VM
Beethoven, die er In den Jsbreo 1790—91 in Bonn schrieb. — Der »CsaaB n trC
von Schubert Ist ein Interesssntes Blstt aus sehr früher Zeit. Die ertts Streptaa Ist
einstimmig notiert, mit der Bezelcbnung, wo jede Stimme einsusetsen hat DI« Kon-
position Ist von der in der Kritischen Gesamtausgabe Serie 10 No. 23 TWBBtont-
lichten Fassung desselben Textes durcbsus verschieden. — Den Scblnfi bUdoi die rat-
ktelnerte Nachbildung der ersten Seite des Walzers In Es-dnr op. 18 von Cbepls mit
eharakieristiBchen Korrekturen In der linken Hand. Robert Schumann apriebt mliBnag
auf dieses Terk von ,Cbopfns kSrper- und geisterhebendem Walser, der tus lanar
tiefer einhüllt In seloe dunklen Fluten*.
;;i..-b<lruck nur mit aoidrilckllclier Erliubnli d« Veriicua ■«■llllst
Alle Rechte, Initcundcrt du der Oticn«iua(, Torbchilmi
Zurückiendung uiivcr]aii(tcr oder nicht inieineldelgr Minudiripte, hlla IhOM stDht ■•alfta'
10 bciliect, Dbcrnlmmi dl< Kedjliiion keine Canotle. Schwer le*erllche MuHikriptt wwdüs ■^Ulinfl
lurDckgtüindt
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schnttsr
Berlin W. 57, Bülowstrasse 107 >■
JOHANN NEPOMUK HUMMEL
t 17. Oktober 1S37
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DER KLINDWORTH-SCHARWENKA-SAAL IN BERLIN
DER BLÜTHNER-SAAL IN BERLIN
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ERSTE SEITE DES ES-DUR WALZERS OP. 18
VON FREDERIC CHOPIN
VII. 3
Welch' himmlischer Beruf die Kunst isil
Wenn alles andere (was einen abziehen
soll) so widerwärtig und schal erscheint,
so ergreift einen schon die kleinste, wlrli-
liehe Tätigkeit der Kunst gleich so Im
Innern, führt so weit, weit von der Stadt,
rom Lande, von der Erde weg, daß es
ein wahrer Gottessegen ist.
Fells Mendaltiohn-Bariholdy
VII. JAHR 1907/1908 HEFT 4
Zweites Novemberheft
Herausgegeben von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin W, 57, Bülowstrasse 107
ÄAKt>tR>.
^s war vor einigen Wintern in einer deutschen Großstadt Die
AaffühniDgen der Opern im Stadltheater hatten mich mehr als
l einmal gezwungen, in der Kriiilt unangenehme Worte über den
I Chor zu sagen: vornehmlich über seinen Gesang, sowohl über
das Musikalische als über den Klang, dann aber auch über sein Spiel und
über seine Erscheinung, namentlich auch über die Gewandung der Damen.
Wer den Chor der Provinzbübnen kennt, wird begreiflich finden, daß die
Rügen berechtigt waren.
Da lud der Lokalverband des Allgemeinen Deutschen Chorsinger-
Verbandes mich und meine Kollegen von der Kritik zu einer Versammlung
ein, in der die Bemingelungen besprochen werden sollten. Von den
Kollegen war keiner gekommen; mich aber hatte es gereizt, die Gründe
kennen zu lernen, die die ChorsXnger gegen eine künstlerisch wobl-
begrundete Kritik vorbringen würden.
Die Zusammenkunft ging in ruhig würdiger Welse vorüber.
Ich habe den Chor seitdem nur dann getadelt, wenn er unverant-
wortlich schlecht war, and habe immer mehr zu loben versucht, sofern
sich hierzu irgend ein Anlaß fand. Was mich zu dieser Einscbrinkung
der Kritik, die im ersten Augenblicke vielleicht als unkünstlerisch an-
mntet, gebracht hat, wird durchs Folgende hoffentlich ganz klar werden.
Im allgemeinen soll sich die Kritik nur mit der iuflem Erscheinung
der Dinge, so wie sie tataichllch vor sie hintreten, abgeben. Es ist für
sie geradezu Erfordernis, nicht zu viele Interna und rein persönliche Ver-
hältnisse za kennen, weil diese nur zu leicht zu außerkünstlerlschem Mit'
gefQhl verführen können, dessen Ausübung endlich die Kunst zugrunde
richten müßte. Wenn aber die iufiere Erscheinung durch die Folgen
inneren Krebses entstellt wird, so erwachsen der Kritik, die nicht nur
richten, sondern mitschalTen will, Recht und Pflicht, anstatt über ein hiß-
liches Gesicht zn schelten, an die Ausrottung des Geschwüres zu gehen
und hierfür ihr iHlesser zu schlrfen.
So steht es mit unserm Falle. Und darum glaube ich, für mein
106
DIB MUSIK VII. 4.
kritisches Verstummen gegenüber dem Chor gerechtfertigt zu sein, mag
auch der Beweggrund: die Erkenntnis der sozialen Unmoral im Chor-
sängerberufe, im Ethischen liegen. Im Sumpfe dieser sozialen Unmoral
lebt und nährt sich die Hydra ästhetischer Sünden. Um die Sfinden zn
beseitigen, müssen wir den Sumpf trocken legen; das Ausbrennen ein-
zelner Hydraköpfe nützt schon nicht mehr.
Wie immer, wenn man schweren ästhetischen Mißständen bis zur Wurzel
nachgräbt, findet man als Ursache die Verseuchung des Bodens der Kunst
mit geschäftlicher Gewinnsucht, die Schändung der Kunst durch Geldwocher.
Wer einen kurzen Blick in die Verhältnisse der Chorsänger wirft,
erkennt sofort mit Schrecken, daß sich dieser Stand in einer ähnlich ent-
setzlichen sozialen Lage befindet, wie der der deutschen Orchestermnsiker,
auf dessen zum Teil grauenvolle Zustände Paul Marsop durch seine auf
eingehende Untersuchungen gegründeten und in dieser Zeitschrift ver-
öffentlichten Schilderungen ^) mit Erfolg die Blicke gelenkt hat Der erkennt
auch, daß die Kritik diesem Teil der Künstlerschaft gegenüber Ihr Recht
verloren hat. Der sieht, daß eine Hebung der Kunstleistungen des Chores
nur durch eine Besserung seiner sozialen Lage möglich ist. Wie kanm
bei einem andern Berufe liegt hier das Mittel zur Erhöhung der
Leistungsfähigkeit im Materiellen verborgen.
Die Chorsänger selbst haben das auch wohl erkannt Sie bilden einen
Verein, den Allgemeinen Deutschen Chorsänger-Verband, dem etwas
über die Hälfte aller deutschen Chorsänger angehören. Der Zweck des
Verbandes ist die Hebung des Chorsängerstandes. Diese Selbsthilfe ist
moralisch wie künstlerisch sehr zu begrüßen. Zeigt sie doch, daB sich
das Standesbewußtsein der Chorsänger zu jenem Stolze durchgerungen hat,
der allein eine Gesundung der Verhältnisse herbeiführen kann. Sie IBhlen
sich mit vollem Rechte als eine wichtige künstlerische Kraft, die in der
Gesamtheit ihrer einzelnen Teile den übrigen in der Oper wirkenden
Kräften durchaus gleichwertig ist Solange die Chorsänger selbst auf ihren
Stand herabblickten, solange jeder sich für ein von der Welt verkanntes
Solistengenie hielt, das sich eigentlich etwas vergeben habe, als es zum
Chor ging, solange unterschätzten sie noch die Bedeutung ihres Bemhs.
Sobald sie stolz darauf wurden, nahmen sie ihm den größten Teil seines
untergeordneten Charakters. Und während sie sonst manchen stimm-
begabten Menschen, den seine Anlage mehr zu einem »dienenden Gliede
des Ganzen" als zu einem selbstherrlichen Künstler eignete, durch ihre
geringe Selbstachtung von seinem Eintritt in ihre Gemeinschaft abschrecken
^) »Die soziale Lage der deutschen Orchestermnsiker* von Paul Marsop fai
»Die Musik« IV, 13. 14. 17. Vergl. auch die Mitteilungen Dr. Marsops hl VI, 11. n. 22.
197
EHLERS: SOZIALE LAGE DER DEUTSCHEN CHORSÄNGER
und einer noch viel trübseligeren Solistenlaufbahn zutreiben mußten, ge-
wannen sie mit dem Augenblicke des Erwachens ihres Standesbewußtseins
eine erhöhte Anziehungskraft. Die Selbsthilfe aber fördert auch die Selbst-
zucht, weil jeder, der Rechte beansprucht, sehr bald begreift, daß ihrer
Erlangung die strengste Erfüllung von Pflichten gegenübersteht. Das —
an sich ganz berechtigte — Schirapfen über die elende Lebenslage wandelte
sich in ernste Kritik, die nach festen Gründen suchen mußte, und aus der
Kritik wieder erhob sich der geläuterte Wille, sein Los mit allen recht-
lichen Mitteln tatkräftig zu bessern.^)
Die Bewegung der Chorsänger, sich emporzuringen, verdient die
Unterstützung aller Einsichtigen. Verwunderlich genug, daß sich die
Öffentlichkeit so fem von einer Angelegenheit hält, deren Regelung doch
ihr unmittelbar zugute kommt. Die Zeitungen haben vereinzelt wohl spär-
liche Nachrichten über unsinnige Vertragsbestimmungen, über das einseitige
Kündigungsrecht der Bühnenleiter und ähnliche Einzelheiten gebracht, aber
kaum eine hat wirklich kräftigen Lärm geschlagen, der das Trommelfell
der Direktoren und der Allgemeinheit nachdrücklich hätte erzittern machen.
Die Bemühungen des Verbandes, seine Petitionen an den Reichstag, die
^) Hier sei eine Einschaltung erlaubt. Fraglos ist der selbstbewußte Stolz bei
vielen Chorslngern mit Überhebung gepaart, die mit einer llcherlich sich brüsten-
den Eitelkeit nun auf Solisten, Kapellmeister, Regisseure und Theaterleiter herab-
sehen zu dürfen glaubt. Zum Teil fließt diese komisch wirkende Eigenschaft sicher
ans der Oberzeugung vom hohen Werte des eigenen Selbsts, die jedem Bühnen-
künstler, der mit Wirkung vors Publikum treten will, ftist unentbehrlich ist. Soweit
die Überhebuog diesen eigentlich naiven Ursprnog hat, muß man sie als berechtigte
Eigentümlichkeit stillschweigend gelten und wird sich nicht dadurch stören lassen.
Wo sie indessen aus Anmaßung und Dummheit quillt, müssen die iotelligenten
und kOnstlerisch empflndenden Kreise der Chorsinger auf eine Ausmerzung der
fragwürdigen Elemente dringen. Gänzlich ausrotten läßt sich diese Sorte, die man
in allen Abwandlungen schließlich in jeder Berufsmasse flndet, freilich nicht; aber
das Ziel, ihren Stand auch moralisch zu heben, müssen die Chorsinger ernst-
lich verfolgen. Denn dauernd kann sich die Sympathie der Außenstehenden nur
dann den Chorslngern zuwenden, wenn sie die Verbesserung ihrer materiellen Um-
stände als Grundlage betrachten, sich auch künstlerisch zu vervollkommnen. Zur
Kunst ist nicht jeder berufen« und es ist nicht zu verlangen, daß man die gänzlich
Untalentierten und Isthetisch Rohen, deren es gegenwirtig nur allzu viele unter den
Chorslngern giebt, durch Erhöhung der Gagen in einem ihnen nicht zukommenden
Berufe festhalten solle. Der Honig ausreichender Lebensversorgung darf nicht
Drohnen zum Thespiskarren locken. Diese müssen ebenso unerbittlich hinaus ge-
trieben werden, wie untaugliche Musiker oder Solisten. Oder auch untaugliche
Direktoren. Ich glaube, wir dürfen die Zuversicht haben, daß der — weitaus größte -^
bessere Teil der Chorsinger die gleiche Anschauung hegt; wenn man die Ver-
sammlungsbericbte und die sonstigen Veröffentlichungen des Verbandes liest, stößt
man alle Augenblicke auf Beweise dafür, daß sie selbst auf die Abstoßung aller
schlechten und schldlichen Elemente bedacht sind.
198
DIE MUSIK VII. 4.
Stadtverwaltungen, den Bühnenverein, sind sozusagen unterm Ausscbluft
der Öffentlichkeit geschehen. Einzig eine sozialdemokratische Zeitung bat
es ein Mal gewagt, und zwar für ihren Ausgabeort erfolgreich, für die
Chorsänger einzutreten. Aber der Verband verschmäht vorliuflg, trotzdem
sich die Ungeduld einzelner junger Heißsporne dem modernen Beelzebub
verschreiben möchte, die groben Kampfmittel und maulaufreiSeriscben
Redeweisen der roten Helden zur Erreichung seiner Ziele zu gebrauchen.
Innerhalb des kleinen Staatswesens, deren zahlreichste Bfirger er bildet,
will er seine Menschen- und Künstlerrechte auf ruhige, gesetzliche Art
erringen. Das ist weise gedacht und gehandelt und sichert ihm die Zu-
neigung der Freunde der Ordnung. Aber es verpflichtet diese auch, ver-
pflichtet vor allem die Regierungen, sie aufs treulichste, tatkrlMg^te zu
unterstützen und ihren billigen Forderungen den Segen des Gesetzes zu
verschaCTen; wir dürfen uns sonst nicht wundem, wenn sich die Chor-
sänger, unzufrieden mit der Gleichgültigkeit des Bürgertums, in die Finge
einer Partei werfen, die ihre Lage doch nur wieder in wüstestem Sinne
politisch verwerten würde. Fürwahr, man muß Achtung haben vor den
Chorsängern, die von den Phantasmagorieen der Sozialdemokratie ihre ge-
sunde Vernunft nicht benebeln lassen; man muß sie, die so gern über
die Schultern angesehen werden, auch um ihrer Kunstfreude willen be-
wundern, die sie genügend begeistert, in einem Berufe auszuhalten, der
ihnen weder den Erwerb von Reichtümern, noch eine ausreichende Ver-
sorgung fürs Alter, noch ruhmreiche Anerkennung bringt. Ich salutiere
die wackere Schar, deren Genügsamkeit und Pflichttreue manchen der
sogenannten ersten Künstler beschämen könnte.
Der Verband hat so trefflich für seine Interessen bisher schon ge-
arbeitet, daß es mir im Grunde nur übrig bleibt, das Material, das er ge-
sammelt hat, der Öffentlichkeit in etwas anderer Form zu fibermitteln.
Mir stehen hierfür die folgenden Unterlagen zur Verfügung: der Bericht
über den ersten allgemeinen Chorsängertag vom S.Juli 1902; das Protokoll
der 15. Delegierten- Versammlung des Allgemeinen Deutschen Chorsinger-
Verbandes vom 25. und 26. Juli 1905; die Petition des Chorsinger- Ver-
bandes an den Reichstag vom 10. August 1902; die Petition des Chorsinger-
Verbandes an die Stadtbehörden um Gewährung von Sustentationsgsgen im
Sommer; der Bericht der Kommission des deutschen Bühnen-Vereins vom
Dezember 1905 an den Reichskanzler über die Petition der Chorsing^r; die
Berichtigung des Chorsänger- Verbandes an den Präsidenten des Bfihnea-
Vereins; die Statistik der Chormitglieder über Gagen, dienstliche and Srtlicke
Verhältnisse aus den Jahren 1904 und 1907. Hierin sind die Vertiiltnfa
der Chorsänger in Ziffern und aktenmäßigen Schilderungen niedergelegt.
100
EHLERS: SOZIALE LAGE DER DEUTSCHEN CHORSÄNGER
Bekanntlich sind die Spielzeiten der deutschen Bühnen außerordentlich
mannigfaltig. Wir haben Theater — Hof- und einige große Stadttheater
— die mit einer Ferienpause von 4 — 8 Wochen das ganze Jahr hindurch
spielen. Dies sind jedoch verhältnismäßig wenige. Die allermeisten unter
den über 260 Theatern, die der Almanach der Deutschen Bühnengenossen-
schaft anführt, spielen weniger als ein Jahr, und zwar finden wir Spiel-
zeiten in der Dauer von 0 — 10 Monaten bis herab zu 37« — 5
Monaten.
Nach der Spielzeit richtet sich natürlich auch die Dauer des Engagements
der Künstler. Während die Theater mit ganzjähriger Spielzeit ihren Mit-
gliedern eine Versorgung für das ganze Jahr bieten, haben die Künstler der
übrigen Bühnen nur für die Monate Verdienst, in denen das Theater spielt.
Und zwar trifft dies ebensowohl die Solomitglieder wie den Chor und das
Orchester, überhaupt alle, die an der Bühne zu tun haben. Die auf
mehrere Jahre lautenden Kontrakte der Theaterleitungen mit einzelnen
Künstlern bedeuten auch niemals eine Versorgung für alle zwölf Monate
eines Jahres, sondern immer nur für die Dauer der Spielzeit; sie bieten
dem Künstler bloß die Gewähr, daß er bei der Wiederkehr des Winters
seinen bestimmten Unterschlupf hat. Nun wird gewiß ein Künstler, der
im Gagenetat etwa mit 800 Mk. im Monat verzeichnet steht und somit
bei achtmonatiger Spielzeit 6400 Mk. einnimmt, von diesem Verdienste
auch bei den hohen Extraausgaben, die der Beruf des Bühnenkünstlers
verursacht — hiervon wird nachher zu sprechen sein — , genug für die
spielfreie Zeit ersparen können. Sofern er nicht ein Hans Leichtfuß ist.
Was aber fangen die kleinen Solisten, was der Chor, was das Orchester
mit ihren geringen Gagen an?
Die Zahl der an deutschen Bühnen beschäftigten Chorsänger betrug
im Jahre 1005/6 rund 3600 Personen. Von diesen war nur etwas über
ein Drittel, nämlich rund 1300, an Bühnen mit ganzjähriger Spielzeit. Die
übrigen zwei Drittel, also die bedeutend überwiegende Mehrzahl, waren
auf die ungewisse Einnahme einer kürzeren Spielzeit angewiesen! Die
Erwiderung des Chorsängerverbandes auf den Bericht des Bühnenvereins
gibt die genauen Zahlen der an nicht-ganzjährigen Bühnen verpflichteten
Choristen an; danach waren in Stellung:
250 Chorsinger an Theatern mit 0 —10 Monaten Spielzeit
273 . . . .8 -8Vt
200 ... . 7Vt
431 ... . 7
286 ... . ÖVi-ÖVt
710 ... . 6
67 ... . 5Vt-5«/4
» • » »3 /• — 5
202
DIE MUSIK VII. 4.
Zuschüsse hatten sie aber auch eine etwaige — manchmal recht lange
und kostspielige — Reise nach dem Orte, wo die SommerbQbne spielt,
zu zahlen.
Besehen wir uns die Zahlen genau. 172 von den 1721 Sängern,
also der zehnte Teil, bezogen das höchste Gehalt von durchschnittlich
1400 Mk. 314 Sänger nahmen 1100 Mk. ein. Und 035, das sind mehr
als die Hälfte, mussten sich gar mit 850 — 900 Mk. im Mittel begnfigen.
Für 300 erhöhte sich das Minimal-Einkommen um 100—130 Mk. aus dem
Verdienste der sogenannten Monatsoper. ^) Das ist — es muss immer
wieder betont werden — ihr Jahresverdienst!
Welch ein Bild des schlimmsten sozialen Elends entrollt sich aas
hier! Ein Bild, das um so teuflischer wirkt, als es sich vom bunten Hinter-
grunde der Freude abhebt. Niemals lügt die Welt des Scheines so sehr,
als wenn sie uns diese Menschen, die auf geringe oder schlechte Nahmng
und Kleidung angewiesen sind, als Lebenskünstler, als Grafen und
Baroninnen, Bankiers und Damen von Welt in schimmernden Gewindem
und bei üppigen Gelagen zeigt. Wer weiss? Vielleicht hilft diese Tiuschong
den Armen für Stunden über die Mis6re des Lebens hinweg; Phantasie-
menschen trinken ja Lebenskraft aus Quellen, die den Nfichtemen ewig
verschlossen bleiben. Aber sollte es auch so sein, so bildet es fBr die
Welt dennoch keine Entschuldigung, Menschen, die nur zu ihrem Genasse
wirken, in den armseligsten Umständen zu lassen. Und meist bat sie ja
nur Spott für die Edlen von Brabant oder die erlauchte Versammlung, die
Landgraf Herrmann auf die Wartburg lädt. Zum Lachen, meine Herren
und Damen, ist wirklich kein Grund : erheben Sie Ihre Stimme lieber laut
zur Klage gegen ein System, das dem dümmsten und arrogantesten
Menschen, wenn ihm zufällig die Stimmbänder kurz geraten sind, schar-
wenzelnd Ministergehälter in den Rachen wirft, während es Leute, die im
dramatischen Sinne ganz genau ebenso wichtig sind, hungern lisstl
Wir dürfen uns bei diesen Verhältnissen gar nicht mehr über die
wunderliche Tatsache erregen, daß es unter dem seßhaften Teil der Chor-
sänger nicht wenige gibt, die außer ihrem künstlerischen noch irgoul
einen sogenannten bürgerlichen Beruf ausüben, die Zigarren- nnd Schnaps-
läden führen und ähnliche Erwerbszweige ergreifen. Man kann hleniis,
solange der Betrieb dieser Nebenbeschäftigung sie nicht am Kunstdientte
behindert, den Chorsängern selbst kaum einen Vorwurf machen. Etwas
andres aber ist es, wenn man das herrschende System auf die ABkl^gs
bank setzt; dieses kann unmöglich von der schweren Verfehlom IM*
^) Monatsoper nennt man ein vier Wochen währendes FrübjahrsenfigiaMBt
an Theatern, die im Winter nur Schauspielvorttellungen und von Osttm ab ¥isr
Wochen lang OpemverttelluBgen geben.
203
EHLERS: SOZIALE LAGE DER DEUTSCHEN CHORSÄNGER
gesprochen werden , Menschen, die ihre Hauptzeit und ihre Hauptkraft
dem Theaterdienste opfern, in unerhört niedriger Weise zu entlohnen.
Noch schlimmer ist freilich der Unfug vieler Theaterdirektionen, daß sie
ihren Chor, von einzelnen Stimmführem abgesehen, aus den am Orte an-
sässigen, stimmbegabten Handwerkern, also doch wohl zu 99 Prozent
angeschulten Sängern, bilden; dies ist etwas an sich und in seinen
ästhetischen Folgen so Ungeheuerliches, daß man es gar nicht glauben
möchte. Und fragt man solch einen gewissenlosen Theaterleiter, was für
einen Beruf er habe, so wird er uns versichern, daß er der Kunst diene.
Wobei er nach berühmtem Muster womöglich noch ein «Mit Gott!" aus
tiefgerührter Heldenbrust hervorstößt. Aber nicht nur ästhetisch ist dieses
Gebahren eines — wie man hoffen darf, doch wohl nur kleinen — Teiles
unsrer Theaterleitungen verdammenswert, sondern auch sozialethisch;
denn es erniedrigt den Chorsängerstand, und es schädigt, weil die an-
sässigen Handwerker natürlich billiger zu haben sind als die Benifssänger,
ihn ganz erheblich am Erwerbe. Vom gewissenlosen Betrüge des Publikums
ganz zu schweigen.
Man wird entgegnen, daß viele Chorsänger verheiratet seien, daß also
zwei niedrige Gehälter zusammengeworfen werden. Gewiß erhöht dieser
Modus, den manche Leute — und oft auch bloß in der Abart der freien,
recht freien Ehe — eben auch nur aus materiellen Gründen wählen, ein
weniges das Einkommen der beiden. Aber ist es nicht ein ungeheuer-
liches Argument, jemand seine Arbeit unter der Voraussetzung niedrig zu
belohnen, daß er sich mit noch einem Elenden zu gemeinsamer Haus-
haltung zusammentun kann? Ist nicht jeder Arbeiter seines vollen Lohnes
wert? Und dann wolle man doch nicht übersehen, daß eben nicht alle
Chorsänger verheiratet sind; wie sollen nun die Ledigen auskommen?
Wie vor allem die Frauen, sofern sie noch die bürgerliche Moral in sich
hegen und für einen Kleider und Nahrung zahlenden Galan keine Neigung
fühlen? Endlich: es ist in rechtschaffenen deutschen Ehen der Brauch,
das im ersten Buche Mosis, Kapitel 1, Vers 28 gegebene Gebot mit oder
ohne Gottesfurcht zu befolgen; Kinder kommen und mit ihnen neue Sorgen,
neue Mühen, neue Pflichten, die alle Geld kosten; für Krankheiten, Schul-
besuch, Bücher und Kleider soll und muss der Hungerlohn auch noch
ausreichen. Man braucht nur Marsops Aufrechnung eines mehr als be-
scheidenen Musikerhaushaltes gegen das Einkommen zu verrechnen, um
zur Oberzeugung zu kommen, daß die meisten Chorsänger mehr von
Schulden als von der Gage leben müssen.
Wohlverstanden: ich gehöre nicht zu denen, die im Gelde das allein
glückselig machende Heilmittel sehen, halte es vielmehr für den gröbsten
und unentschnldbar leichtsinnigsten Fehler der Sozialdemokratie, daß sie
204
DIE MUSIK VII. 4.
fast ausschließlich den materialistischen Idealismus pfl^; ich meine sofar,*
daß man unter den entsprechenden Umständen selbst mit einer ganz
geringen Einnahme schließlich irgendwie leben könne, — aber der Chor-
singer soll ein gewisses Dekorum wahren, und er muß es, will er fBr
seinen Beruf nicht gänzlich untauglich werden; und hierf&r reicht sein
Honorar nicht aus. Eine gute, einen Anflug von Eleganz zeigende Kleidong
ist für ihn ebenso nötig, wie eine einigermaßen anständige Wohnung. Ein
Arbeiter, der tagaus tagein den Hammer an rußender Esse schwingt, kann
ruhig in wollenem, kragenlosem Hemde und schmutzigem Arbeitszeug fiber
die Straße gehen, kann auch seine Armut in ein Loch von Wohnung tngjsOf
ohne dadurch für seinen Beruf an Tüchtigkeit zu verlieren. Wollte ein
Chorsänger so leben, so wäre er nicht nur gesellschaftlich geächtet, sondern
würde auch in kurzer Zeit das Maß von Lebensart verlieren, dessen er
fürs Auftreten auf der Bühne bedarf« Warum sind uns denn heute schon
die Edlen von Brabant oft so komisch? Nur wegen des Widerspmches
zwischen ihrer tatsächlichen Erscheinung und dem von ihnen dargestellten
Charakter; und dieser Widerspruch ist darin zu begründen, daß sie ilir
Privatleben recht unadlig führen müssen, — der Fluch des Nichtgewöhnt*
seins verfolgt sie auf die Bühne. Die Lohengrine und Telramunde stammen
ursprünglich durchaus nicht immer aus einer gebildeteren Klasse, als die
verachteten Edlen; wenn sie dennoch meistens einen ritterlichen Eindrock
machen, so entspringt dies zum großen Teile ihrer besseren Lebensf&hntng^
einer sorgsameren Körperpflege bei ausreichender Ernährung. Es bedarf
schon einer bedeutenden natürlichen Gabe der Darstellung, wenn ein
Bettler einen König mit überzeugender Majestät spielen wilL Und nicht
nur das Äußere, auch die Stimme leidet unter den täglichen Entbehmogen
und Sorgen. Man weiß ja und redet viel davon, ein wie empBndliches
Instrument der menschliche Kehlkopf ist, wie ihn seelische Depressionen
schon so beeinflussen können, daß die Töne nicht mühelos quellen und
einen mageren oder häßlichen Klang bekommen.
Die Erwähnung der Stimme bringt mich auf die Tätigkeit der Chor»
Sänger.
Was hat der Chorsänger für seinen dürftigen Lohn zu leisten?
Wir brauchen nur an »Fidelio", die »Meistersinger*, «Tannhioser*,
»Lohengrin", den »Barbier von Bagdad* zu denken, um uns bewußt zu werden,
was für dramatischen, musikalischen und technischen Anforderungen der
Chor gerecht werden muß. Und die modernen Komponisten geben, fUIs sie
überhaupt Chor verwenden, den älteren Meistern nichts nach an Schwierig-
keiten; im Gegenteil! Man verlangt also ein nicht unbetrichtlichet MaS
M205 ^^Mfl
EHLERS: SOZIALE LAGE DER DEUTSCHEN CHORSÄNGER wR
von musikalischer Intelligenz und technischer Schulung von den Chor-
slngem, zu dem die Entlohnung, namentlich wenn man Heldentenors- und
Primadonnengagen dagegen hält, in keinem richtigen Verhältnisse steht.
Aber nicht das allein meine ich mit meiner Frage» sondern die tat-
sächliche tägliche Arbeitsleistung. Die meisten Opern enthalten Chöre;
so ist die Folge, daß die Chorsänger an den meisten Opemabenden auf-
treten müssen — ungleich den Solisten, von denen wegen der Unter-
scheidung nach Fächern jeweils ein Teil ausruhen kann. Aber die Chor-
sänger sind außerdem im Schauspiel beschäftigt, wo immer Volksszenen
vorkommen mögen: sie haben da oftmals beträchtlich zu schreien, was
wiederum für ihre Gesangsleistungen nicht günstig ist. Auch im Ballet
und in der Statisterie müssen sie vielfach mitwirken. Kurz, sie sind die
am meisten in Anspruch genommenen unterm Künstlerpersonal des
Theaters. Es ist klar, daß diese Doppelbeschäftigung die Leute ermüdet
und wenig geeignet macht, in der Oper ihre Pflicht wirklich zu erfüllen.
Rechnet man noch die täglichen Proben am Morgen, die sich oft bis über
Mittag ausdehnen, hinzu — auch die Sonn- und Feiertage sind nicht immer
frei von Proben — , so ergibt sich eine so starke, nebenbei auch jeden
freien künstlerischen Nebenverdienst vernichtende Verwendung dieses
Personals, daß man wahrhaftig kaum von ihm erwarten kann, für die
Durchführung seiner wichtigen Rolle noch Begeisterung aufzubringen.
Man soll nicht vergessen, daß die Ausübung der Kunst keine Arbeit wie
Stiefelputzen und Steineklopfen ist, die man auch bei gänzlichem Mangel
jeglicher seelischen Teilnahme tadellos verrichten könnte. Auch im Chor-
sänger muß das rein künstlerische Interesse genährt werden, wenn
seine Arbeit nicht — zum Schaden der Kunst — gänzlich handwerksmäßig
geschehen soll.
Ein ganz kurioses Sondervorrecht der Theater, wofür einem Laien
jedes Verständnis mangelt, ist die Einrichtung der «Vorproben". Vor-
proben sind jene Proben, die vor der Eröffnung der Spielzeit abgehalten
werden, um das Personal für die ersten Vorstellungen einigermaßen zu-
sammen zu stimmen. Sie sind notwendig, darüber besteht kein Zweifel.
Aber daß es nötig oder »nicht unbillig' sei, für diese Vorproben keine
Entschädigung zu zahlen — diese seltsame Anschauung dürfte doch
wohl außer den Theaterleitern niemand hegen. Ich zitiere nach dem Be-
richte des Deutschen Bfihnenvereins zur Petition der Chorsänger: »Die
Verpflichtung zu Proben vor Beginn der Spielzeit besteht bei 50 Theatern;
bei 13 Theatern ^) besteht sie nicht. Bezüglich der Anzahl von Tagen,
^) Hierzu sei bemerkt, daß eine ganze Reihe von Bühnen den Fragebogen des
Bfihnenvereins Qberbaupt nicht beantwortet bat. D. Verf.
204
DIE MUSIK VII. 4.
mJBBi
fast ausschließlich den materialistischen Idealismus pflegt; ich meine sogar,*
daß man unter den entsprechenden Umständen selbst mit einer gßoa
geringen Einnahme schließlich irgendwie leben könne, — aber der Chor-
sänger soll ein gewisses Dekorum wahren, und er muß es, will er für
seinen Beruf nicht gänzlich untauglich werden; und hierf&r reicht sein
Honorar nicht aus. Eine gute, einen Anflug von Eleganz zeigende Kleidung
ist für ihn ebenso nötig, wie eine einigermaßen anständige Wohnnng. Ein
Arbeiter, der tagaus tagein den Hammer an rußender Esse schwingt, kann
ruhig in wollenem, kragenlosem Hemde und schmutzigem Arbeitszeug fiber
die Straße gehen, kann auch seine Armut in ein Loch von Wohnung tragen,
ohne dadurch für seinen Beruf an Tüchtigkeit zu verlieren. Wollte ein
Chorsänger so leben, so wäre er nicht nur gesellschaftlich geächtet, sondern
würde auch in kurzer Zeit das Maß von Lebensart verlieren, dessen er
fürs Auftreten auf der Bühne bedarf. Warum sind uns denn heute schon
die Edlen von Brabant oft so komisch? Nur wegen des Widerspruches
zwischen ihrer tatsächlichen Erscheinung und dem von ihnen dargestellten
Charakter; und dieser Widerspruch ist darin zu begründen, daß sie ilir
Privatleben recht unadlig führen müssen, — der Fluch des Nichtgewöhnt-
seins verfolgt sie auf die Bühne. Die Lohengrine und Telramunde stammen
ursprünglich durchaus nicht immer aus einer gebildeteren Klasse, als die
verachteten Edlen; wenn sie dennoch meistens einen ritterlichen Eindmck
machen, so entspringt dies zum großen Teile ihrer besseren LebensfBhmng^
einer sorgsameren Körperpflege bei ausreichender Ernährung. Es bedarf
schon einer bedeutenden natürlichen Gabe der Darstellung, wenn ein
Bettler einen König mit überzeugender Majestät spielen will. Und nicht
nur das Äußere, auch die Stimme leidet unter den täglichen Entbehrungen
und Sorgen. Man weiß ja und redet viel davon, ein wie empflndliches
Instrument der menschliche Kehlkopf ist, wie ihn seelische Depressionen
schon so beeinflussen können, daß die Töne nicht mühelos quellen und
einen mageren oder häßlichen Klang bekommen.
Die Erwähnung der Stimme bringt mich auf die Tätigkeit der Chor-
sänger.
Was hat der Chorsänger für seinen dürftigen Lohn zu leisten?
Wir brauchen nur an „Fidelio*, die «Meistersinger', »Tannhänser*,
«Lohengrin*, den „Barbier von Bagdad* zu denken, um uns bewußt zu werdea,
was für dramatischen, musikalischen und technischen Anforderungen der
Chor gerecht werden muß. Und die modernen Komponisten geben, lUls sie
überhaupt Chor verwenden, den älteren Meistern nichts nach an Schwierig-
keiten; im Gegenteil! Man verlangt also ein nicht unbeträchtliches Mal
Ä205 ^UMil
EHLERS: SOZIALE LAGE DER DEUTSCHEN CHORSÄNGER SK
von musikalischer Intelligenz und technischer Schulung von den Chor-
sängern, zu dem die Entlohnung, namentlich wenn man Heldentenors- und
Primadonnengagen dagegen hält, in keinem richtigen Verhältnisse steht.
Aber nicht das allein meine ich mit meiner Frage, sondern die tat-
sächliche tägliche Arbeitsleistung. Die meisten Opern enthalten Chöre;
so ist die Folge, daß die Chorsänger an den meisten Opemabenden auf-
treten müssen — ungleich den Solisten, von denen wegen der Unter-
scheidung nach Fächern jeweils ein Teil ausruhen kann. Aber die Chor-
sänger sind außerdem im Schauspiel beschäftigt, wo immer Volksszenen
vorkommen mögen: sie haben da oftmals beträchtlich zu schreien, was
wiederum für ihre Gesangsleistungen nicht günstig ist. Auch im Ballet
und in der Statisterie müssen sie vielfach mitwirken. Kurz, sie sind die
am meisten in Anspruch genommenen unterm Künstlerpersonal des
Theaters. Es ist klar, daß diese Doppelbeschäftigung die Leute ermüdet
und wenig geeignet macht, in der Oper ihre Pflicht wirklich zu erfüllen.
Rechnet man noch die täglichen Proben am Morgen, die sich oft bis über
Mittag ausdehnen, hinzu — auch die Sonn- und Feiertage sind nicht immer
frei von Proben — , so ergibt sich eine so starke, nebenbei auch feden
freien künstlerischen Nebenverdienst vernichtende Verwendung dieses
Personals, daß man wahrhaftig kaum von ihm erwarten kann, für die
Durchführung seiner wichtigen Rolle noch Begeisterung aufzubringen.
Man soll nicht vergessen, daß die Ausübung der Kunst keine Arbeit wie
Stiefelputzen und Steineklopfen ist, die man auch bei gänzlichem Mangel
jeglicher seelischen Teilnahme tadellos verrichten könnte. Auch im Chor-
sänger muß das rein künstlerische Interesse genährt werden, wenn
seine Arbeit nicht — zum Schaden der Kunst — gänzlich handwerksmäßig
geschehen soll.
Ein ganz kurioses Sondervorrecht der Theater, wofür einem Laien
jedes Verständnis mangelt, ist die Einrichtung der «Vorproben*. Vor-
proben sind jene Proben, die vor der Eröffnung der Spielzeit abgehalten
werden, um das Personal für die ersten Vorstellungen einigermaßen zu-
sammen zu stimmen. Sie sind notwendig, darüber besteht kein Zweifel.
Aber daß es nötig oder «nicht unbillig* sei, für diese Vorproben keine
Entschädigung zu zahlen — diese seltsame Anschauung dürfte doch
wohl außer den Theaterleitern niemand hegen. Ich zitiere nach dem Be-
richte des Deutschen Bühnenvereins zur Petition der Chorsänger: «Die
Verpflichtung zu Proben vor Beginn der Spielzeit besteht bei 50 Theatern;
bei 13 Theatern ^) besteht sie nicht. Bezüglich der Anzahl von Tagen,
') Hierzu sei bemerkt, dtß eine gtnze Reihe von Bühnen den Fragebogen des
Bfihnenvereint überhaupt nicht beantwortet htt. D. Verf.
206
DIE MUSIK VII. 4.
an denen Chormitglieder vor Beginn der Spielzeit . Dienst tun mfissen,
ergab sich folgendes Resultat:
2 Tage verltogt 1 Theater
2-4
1
3
1
4
▼erlangen 28
4-7
▼erlangt 1
5
▼erlangen 4
6
8
8
6
Keine Entschädigung wird nach den Antworten des Fragebogens tob
56 Theatern geauihlt. Halbe Tagesgage zahlt das Berliner Thester ia
Berlin. Koblenz und Darmstadt fordern acht Tage und zahlen fBr Tier
Tage halbe Gage. Dessau und Heidelberg zahlen ffir vier Tage nichts»
aber für jeden weiteren Tag vorher halbe Tagesgage. Flensbnrs zahlt
Reiseentschädigung. Zürich zahlt für die verlangten vier Tage 10 Pres.
Lübeck zahlt nichts, aber entschädigt [? D. Verf.] durch bezahlte Statisterie
beim Schauspiel. Danzig verlangt 6 Tage und bezahlt davon die beiden
letzten mit je 2 Mk."
Dieses Verfahren ist meiner Meinung nach eine Ausbeutung des
wirtschaftlich Schwachen durch den Stärkeren. Woher in aller Welt nehmen
sich die Theater das Recht, für eine geleistete Arbeit nichts oder so gflt
wie nichts zu zahlen? Wo sonst ist eine solche Geschäftsprazls bekannt?
Wären die Chorsänger glänzend gestellte Menschen, die auch einmal
einige Tage auf eigene Kosten leben könnten, so möchte das Verfahren zur
Not noch hingehen; zu Recht bestände es auch dann nicht Aber sie sind
es, wie wir gesehen haben, nicht, und darum wirkt die Handlungsweise
der Theater geradezu frivol. Man komme doch nicht mit dem Einwände,
daß ja die Direktionen an den Vortagen auch nichts einnähmen. Wer
unsre Stadttheater kennt, von denen sich gar mancher Leiter nach 15 jähriger
Bewirtschaftung als kleiner Kapitalist ins Privatleben zurückzieht — nnr
die Apotheker machen ihnen darin Konkurrenz! — , der wird diesen Ein-
wand als einen sehr dünnen, fadenscheinigen Vorwand erkennen. Etwas
anders steht es mit jenen Fürsten oder Stadtverwaltungen, die ihren
Theatern höhere oder geringere Zuschüsse leisten; wir wissen ja von so
manchem opferwillig edlen Fürsten, daß er alljährlich für die Kunst mehrere
hunderttausend Mark aus seiner eigenen Tasche zahlt; aber die Entschädi-
gung einer gering honorierten Klasse von Künstlern für einige Tage wird
die Subvention nicht sonderlich, dafür aber die Lust zum Kunstdienste
wesentlich erhöhen.
n
207
EHLERS: SOZIALE LAGE DER DEUTSCHEN CHORSÄNGER
Das rosa Kleid — wer kennt es nicht? Die Edeldame im «Lohengrin*, der
Wartburggast im «Tannhäuser*, die Hofdame in den »Hugenotten*, Violettas
Freundin in der «Traviata* — wes Zeit, wes Stammes die Frau ist: sie trägt
das rosa Kleid. Man sieht es immer wieder, und schließlich vergißt man,
daß sein Schnitt, sein Ausputz in keinen Stil passen, man gewöhnt sich
an den rosa Fleck im unmöglichen Farbendurcheinander unsrer Bühnen-
bilder und gebraucht verwundert den Operngucker, wenn man ihn wirklich
einmal vermissen muß. Das ist das Kleid der armen, aber anständigen
Chorsängerin für Hof- und Staatsaktionen. Es ist aus gutem, haltbarem
Stoffe, der nach etwas ausschaut im grellen Bühnenlichte: seine Besitzerin
hat es sich in jüngeren Jahren mit etlichen Opfern machen lassen oder
von einer wirklichen Hofdame für alt gekauft. Dieses Kleid gibt es in
mehreren Exemplaren an jedem Stadt- und vielleicht auch an manchem
Hoftheater; die Farbe braucht nicht immer rosa zu sein, sie wechselt, ist
bald blau, bald grün, bald bordeauxrot, immer aber ist es ein Entoutcas-
Kleid, das, weil es für alles passen soll, nirgends hinpaßt.
Ich habe mich im Anfange oft über das rosa Kleid geärgert, dann
zuweilen darüber gelacht und es schließlich mit trübseligem Mitgefühle
betrachtet — als trauriges Symbol unsrer deutschen Theaterei.
Daß wir uns recht verstehen I Wäre das Komödiespielen für deutsche
Theaterdirektoren ein schlechtes Geschäft, das mehr Ernte im Kunstlerischen
als im Golde gewährte, so brauchte man sich über das rosa Kleid nicht
zu unterhalten. Ein phantasiebegabter Zuschauer vermag, ist nur Dar-
stellung und Gesang gut, aus Pappefetzen einen Palast, aus bunten Lumpen
einen Königsmantel vor sein geistig Auge zu zaubern; merkt er ein
tüchtiges Künstlertum bei einer notgedrungen ärmlichen Ausstattung, so
läßt er halt seine Phantasie etwas kräftiger mitarbeiten und ergötzt sich
derweil aufs redlichste an der freudigen Selbstentäußerung des Schau-
spielers. Aber es Hegt bei gut gehenden Theatern nicht der geringste
Grund für den Leiter vor, an der Ausstattung — die gewiß nicht prunk-
voll zu sein braucht — irgendwie zu knausern.
Man stelle sich vor, daß noch bis in die allemeueste Zeit hinein
die weiblichen Chormitglieder gezwungen waren, ihre sämtliche Ausstattung
selbst zu liefern! Den Herren wurde schon früher das historische
Kostüm geliefert; dagegen müssen auch sie in den allermeisten Fällen die
moderne Tracht, alle Kopf-, Hand- und Fußbekleidungen, Trikots, Perücken,
Schminke und Toiletterequisiten auf eigene Kosten anschaffen. Man blättere
ein paar Seiten zurück, wo die Gagensätze aufgereiht sind, um sich der
Härte dieser Kontraktbedingung bewußt zu werden. Von den 64 Theatern,
die auf den Fragebogen des Bühnenvereines Bescheid gegeben haben,
liefern bloß Coburg^Gotha, Darmstadt, Karlsruhe, Stuttgart und das Deutsche
208
DIE MUSIK VII. 4.
Volkstheater in Wien auch die modernen Kostfime; Köln nur, soweit
welche vorhanden sind; Braunschweig stellt die Gesellschaftsanzfife;
Berlin, Frankfurt, München zahlen für den Abend ein Garderobengeld als
Entschädigung; Kassel liefert Charakterkostüme und Bauemkleider.
Die unerhörte Härte der Bedingung, ihre Kostüme ohne Vei^tnng
selbst zu liefern, ist für die Chorsängerinnen jetzt insofern gemildert
worden, als der Deutsche Bühnenverein für seine Mitglieder bindend den
folgenden Antrag einstimmig beschlossen hat:
Das historische Kostüm wird den weiblichen Bfihnenange-
hörigen, die nachstehend verzeichnete Monatsgage beziehen, von den
Bühnen geliefert, welche den aus der folgenden Skala ersichtlichen
jährlichen Gagenetat haben:
Montttatge
Gagenetat
bis zu 80 Mk.
bis 50000 Mk
. • 100 .
50- 80000 »
• • 150 .
80-120000 ,
. . 200 .
120—150000 »
• . 300 .
über 150000 ,
Für die Hoftheater ist diese Bestimmung am !• September dieses
Jahres in Kraft getreten; die andern Theater sind zu ihrer Befolgung erst
von dem Tage an verpBichtet, wo sie von einem neuen Bühnenleiter fiber^
nommen werden oder ein neuer Kontrakt geschlossen wird.
Zweifellos ist dieser von der Bühnen-Genossenschaft dem Bfihnen-
vereine abgerungene Entschluß ein ungeheurer Fortschritt gegen früher.
Aber sein Segen für die Chorsängerinnen ist kaum so reichlich, wie es
einem auf den ersten Blick vorkommt. Für die beiden ersten Kat^gorieen
bleibt die Belastung der Chorsängerinnen bestehen: die Grenze der Monats-
gage ist absolut zu niedrig gegriffen, so gut sie relativ zum Gagenetat zu
stimmen scheint. Eine Monatsgage von 80 und selbst 100 Mk. befllhigt
die Sängerinnen nicht, die Auslagen für die historischen Kostfime ans
eigner Tasche zu bestreiten. Und wer hindert schlaue Direktoren, die
VerpBichtung zu umgehen, indem sie die Gagen auf 82 oder 105 Mk. er-
höhen? Nach dem Wortlaute des Vereinsgesetzes sind sie dann von der
PBicht, das Kostüm zu liefern, frei, und die Chorsängerinnen haben es
nicht besser als vorher. Die Gagen-Mindestgrenze für die Lieferung der
Kostüme durch die Leitung dürfte unter den gegenwärtigen teuren Lebens-
verhältnissen nicht unter ISO Mk. für alle Theater gehen; es ist schlechter-
dings nicht einzusehen, woher die Damen für künstlerisch befriedigende
historische Kostüme das Geld nehmen sollen, ohne zu stehlen oder anf
die Verehrerlaufbahn zu rutschen oder Schulden zu machen. Diese
drei Möglichkeiten sind aber nach bürgerlichen Begriffen, die nnn einmal
200
EHLERS: SOZIALE LAGE DER DEUTSCHEN CHORSÄNGER
in unsern modernen Staaten noch Herrscherrechte besitzen, unmoralisch,
und folglich ist das unzulängliche Kostümgesetz auch unmoralisch.
Der Sozialethiker, noch mehr jedoch der Kunstfreund, vermißt auch
die Regelung der Frage der andern als historischen Kostüme. Wer
erinnerte sich nicht schaudervoller Bauemkleider auf der Bühne, wie sie
die gesunde Phantasie des Volkes nie aushecken könnte? Wer nicht gänz-
lich unmöglicher Gesellschaftstoiletten? Von den armen Leuten verlangen,
daß sie sich gefällig und anmutig kleiden, wäre ungerecht. Es wäre
mindestens nötig, den Theaterleitungen die Pflicht aufzuerlegen, ein
Garderobengeld zu zahlen. Mit dieser Pflicht erwürben sie sich zugleich
das Recht, vom Personal eine Kleidung zu fordern, die dem Stil und
Charakter des Stückes entspricht. Ein großer Schritt vorwärts zu künst-
lerisch einheitlicher Inszenierung wäre damit getan.
Eine weitere Pflicht der Leitung im Interesse der Kunst wäre die
Lieferung der Perücken,^) des Schmuckes, der Kopf-, Hand- und Fuß-
bekleidung. Alle Bemühungen der Kritik um eine vernünftige Ausstattung
sind umsonst, wenn es jedem einzelnen Mitwirkenden überlassen bleibt,
sich anzuziehen, wie es ihm beliebt.
Einzig das Ballet, das viele Direktoren noch immer als Sinnenköder
für moralisch defekte Herren prostituieren, anstatt es rein kunstgemäß
zu verwenden, erfreut sich meistens der Gunst der Leitung. Es wird
unentgeltlich in Seide und Atlas gehüllt. Freilich sind die Kosten hier-
für verhältnismäßig gering, weil man mit den Stoffen nicht allzu ver-
schwenderisch umzugehen braucht. Dafür ist die Bekleidung des Ballets,
gleich seinen Bewegungen von einer «Einheitlichkeit*, die blöde und lang-
weilig wirkt.
Ein künstlerisches Auge ist ja dem «Theatermanne*, dem «routi-
nierten* Regisseur gewöhnlich nicht gegeben. Effekt ist sein Schlagwort.
Damit schlägt er alle Kunst tot. Drum gebe man ihm einen natürlich
empflndenden Maler als Schützer der Kunst an die. Seite. Dies nur nebenbei.
^) Die Perflckenfrage ist übrigens ein Ktpitel, das gegenüber der gottverlassenen
Kunst unsrer Thetterfriseure, Heldentenöre und Regisseure eine eigene Behandlung
verdiente; nirgends herrscht die Schablone ärger als bei der Perücke. Unsre greu-
lich belockten Opern-Siegfriede z. B. sind fürs Auge ein Widerspruch gegen das,
5irt8 das Ohr hört
Ein zweiter Artikel folgt
VII. 4. 14
|19tzlicb stand es stille, das kleine Musikutenberz. Mitten im
Leben, an einem Wendepunkte der Entvlckluog tat es sdnen
1 letzten Schlag, — den letzten Paukenscblag in der Symphoale
, seines reicben, bunten Lebens.
Was uns an diesem Ende so schmerzlich bewegt, ist die PIStzlich-
keit, das Jihe, Brüske, mit der es eintrat. GrQfiere, als er war, aind iflaftt
von uns gegangen: Joseph Joachim, Edvard Grieg, Ignaz Brfill. Aber es
ist ein Unterschied: sie hatten sich vollendet, ihre Kunst «ar «nsgereifL
Sie waren fast nicht mehr unser, da ihr Empfinden eher der Vergangen-
heit als der Gegenwart angehörte. Alfred Reisenauer stand jedoch mitten
in diesem Leben. Er gab uns noch Klänge, die wir mitfühlen, mitsingen
konnten. Sein Tod war keine necessitas necessitatis. Er war künstlerisch
kein Ende, kein Abschluß, — nur ein gransames Unterbrechen. Das tnt
weh. Wenn die Ernte vorüber, und der Sturm tobt über die Felder,.
alles vernichtend und zerstörend, was ihm in den Weg kommt, — es fleht
uns nicht an. Was wir scbafTfen konnten, ist ins Trockene gebracht, das-
übrige mag verderben. Aber wenn Rauhreif auf junge Blüte flUlt, oder
wenn ein Wetterschtag mit eins alles zu Boden scbllgt, was wir er-
hofften, was uns lieb und wert, — das schmerzt. Es gjbt keine grBDer»
Tragik im Leben des Künstlers als ein halbes Werk, als un unvollendet
Leben. Aber das Bitterste ist, wenn an der Schwelle der Reife, kurz tot
der Vollendung das getane Werk zusammensinkt. Das Bitterate? Nein,
das Schdnste, Süfiestel Denn die Macht des Persönlichea , Unmittel-
baren wirkt nach. Die Erhinerung an etwas, was uns nah war, waa luw
gehörte, Üflt uns das Ende nicht glauben. Ein Klang klingt In ans nach, —
ein schöner, reiner Klang. Der macht uns das Herbe vergessen, in seinem
Blühen geht das Schmerzliche unter. Bis er zur werbenden Erlnnemog
wird, — zu einem köstlichen Besitz, den wir nicht missen mSchteal —
Alfred Reisenauer war keiner von den ganz Großen. Aber er war kein
Gewöhnlicher. Seine Feinde und Neider nannten Ihn einen »HandweAer*.
Gott lobe solch' ein Handwerk I Es hatte goldenen Boden. Was <
M
211
BREITHAUPT: ALFRED REISENAUER f
«Handwerker* gab, war echt, aus gutem Holz, solide deutsche Arbeit, Da
war nichts geflnzelt, nichts gemogelt. Keine trügerische Politur, keine
verdeckende Übermalung, sondern alles Naturholz in teiner schöner
Maserung. Note für Note, Satz für Satz stand da, fest und sicher
gefügt: ein ehrlich Werk, von Meisterhand geschaffen mit Liebe und
Fleiß. Das machte uns sein Spiel so wert. Es hatte etwas von Hans
Sachsens Art an sich, — von jenem ehrlichen, biederen Mtister-
wert alter deutscher «Stücke*. Das machte die Liebe, — die Liebe
zum Werk, zu seinem Instrument. Reisenauer sagte nie: «Seht einmal,
was ich kann!* Man hatte nie das peinliche Gefühl: so wird's gemacht.
Dazu war er zu ehrlich, zu stolz. Dazu hatte er auch zu viel Achtung
vor der Kunst und ihrem Werk. Nein, — er gehörte zu den wenigen,
die noch zu musizieren wußten — , die uns da einluden zu sich, ein
wenig, Musik zu machen, — gute, schlichte Hausmusik, die unser Herz
tat ergötzen und die Seele wieder froh machen kunnt nach des Tages
Müh' und Not. Seine Liebe zum «Stück*, an der Arbeit selbst ging auch
auf uns über. Wenn er spielte, sagte sie uns: «Seht, ist das nicht
herrlich! Ist der Schubert nicht ein Prachtmensch, — klingt nicht der
Schumann wie Traum und Stemenflimmem?!*
Dies war seine Kunst. Die konnte kein anderer. Sie ist uns
unwiderbringlich verloren. Sie atmete noch schlichte Größe, Ruhe und
Einfachheit. Und war ein Damm gegen die Fluten des Modemismus,
gegen die Jagd und die Hetz, — eine wahre Erholung inmitten der Sinn-
losigkeiten der Zeitmusik, der nervenruinierenden Rekordrasereien. Reisen-
auer paukte nicht. Das machte ihn uns zu einem rechten Beglücker, —
sein Spiel oft zu einem wahren Genuß. Er hatte noch Spielseligkeit im
Herzen, — hatte noch Lust und Freude am Ton, — hatte noch «An-
schlag*, — «Anschlag* nicht im Sinne von «Schlag*, «Stoß*, «Wurf* oder
«Fall*, sondern im Sinne von Tongefühl, von Klangvorstellung.
Wenn er seine dicken, weichen, lappigen Hände auf die Tasten legte,
dann fingen sie an zu singen und zu klingen. Es quoll ein Blühen und
Schwellen aus dem Instrument, wie wenn ein weicher Pinsel darüber
hinstrich. Das war nicht der häßliche «Drachen mit schwarzen und
weißen Zähnen* in der Vorstellung jenes klugen Chinesen, sondern ein
herrlicher Klangkörper, aus dem Zauberhände allerlei wundersame Töne her-
vorlockten. Tiefe Qrgeltöne, Bassi und Posaunen, Homer und Celli, lieb-
liche Flöten und Schalmeien wußte er aus ihm herauszuholen und nach-
zubilden. Reisenauers Anschlag hatte das, was man im Gesang «Timbre*
nennt, — jenen Klangzauber im Ton, der nicht zu lehren und nicht zu lernen
ist, sondern der angeboren sein muß. Dieser natürliche Timbre war seine
Macht. In ihm lag das Geheimnis, daß er uns alles Materielle, Mechanische
14»
212
DIE MUSIK VII. 4.
^Wtm
vergessen Heß. Er hatte noch jene Zärtlichkeit, jene liebevolle Vorsicht im
Bilden, die uns durch ihren Klangzauber gefangen nahm und ans die Tore der
Kunst erschloß. So hatte man seine herzliche Freude an diesem vollen, sinn-
lichen Gestalten, an diesem großen Atem, diesen satten, üppigen NaturtSnen.
Er war unser erster und einziger Kolorist, — ein Landschaftsmaler
großen Stiles. Daneben liebte er das genrehafte, humorvolle Porträt. Wenn
er alte Bilder hervorzauberte, einen «Haydn*, einen »Schubert' spielte,
wurde eine ganze Zeit wieder lebendig. Sein Ton hatte eben Bildkraft, die
Zaubermacht der Phantasie. Einmal bei einer Sonate von Schubert (^n
D-dur) «sah* man förmlich ganze Szenen, — ein echtes unverflUschtes
Stück Schubertschen Biedermeiertums. Reisenauers ganze Art hatte über-
haupt etwas Schubertsches an sich, etwas von Sonnen freiheit, Spiel- nnd
Sangeslust, kurz etwas, das längst entschwunden ist und nur noch als
Duft in unserem KulturempBnden lebt. Reisenauer war ein lastiger
Musikant, der letzte Spielmann von der Art des sagenhaften Rattenflhigers
von Hameln. Wenn er anhub, zu spielen, fingen sie alle im Herzen an
zu tanzen und zu singen, Männlein und Weiblein, alt und jung. Mit ihm
geht der beste Schumannspieler zu Grabe. Er wußte uns das Märchen
i»Schumann* noch vorzuerzählen, glaubhaft zu machen. Richter und
Schwind wurden lebendig. Die Poesie des deutschen Waldes tat sich uns
auf: Mondesnacht und Liebesgeflüster, Spuk und Traumeswirren, — der
ganze »Camaval* einer bunten Welt, voll Lust und Freude zog an uns
vorüber. Die »Kreisleriana* werden wohl auf lange Zeit hinaus ans nicht
mehr in gleicher Vollkommenheit und gleicher Phantasiekraft ertönen,
Reisenauer war wohl auch der letzte vom Stamme dieses putzigen phanta-
stischen Kapellmeisters E. T. A. Hotfmannscher Zeichnung.
Wir verlieren in Reisenauer auch einen der besten Lisztspieler.
Sein A-dur Konzert steht wohl noch in aller Erinnerung. Sein Klang
hatte eben Glanz, jenen königlichen Pomp, der Augen und Ohren blendet
und alles berauscht. Er war in Wahrheit ein Lisztschüler, — kein Virtuos,
sondern ein Diener seiner Kunst, ein Gläubiger, kein heidnischer Tech-
niker, — ein Meister und Poet dazu. Er spielte freilich mit dem Herzen,
mit den Ohren, — nicht allein mit den Händen und den Fingern. Er
wußte, was Pedalkunst war, was man mit richtiger Ausnutzung der Ober-
tonwirkung aus dem Instrument herausholen konnte. Denn er gehörte zu
denen, die noch hinhorchten, was da klang, die noch auf den Nachhall
lauschten, auf das Echo im eigenen Innern. Er war auch ein trelflicher
Begleiter. Seine größte Kunst aber zeigte er nur wenigen Intimen: die
Kunst der freien Phantasie, der kühnen Improvisation. Wenn ihm in
heiterem Kreise verschiedene Themen zugeworfen wurden, so war die
Sicherheit und Kühnheit, mit der er die Motive variierte, verarbeitete and
213
BREITHAUPT: ALFRED REISENAUER f
vcfknüpfte, schier ersUunlJcb. Das war just meisterlich. Dafi Reisenaner
nicht frei war von Schwachen, ist leicht begreiflich. Sie waren jedoch eher
menschlicher als künstlerischer Natur. Das kiang auch in seinem Spielen
durch. Er war zu massig oft. Er entbehrte der feineren Lebensart, der
leichten graziösen Eleganz. Er war halt eine derbe Natur, el^n Drauf-
gänger, der nichts gemein hatte mit den schwichlichen, schmalbrüstigen,
klimpernden Klavierjünglingen und Virtuosen. Eigentliche Inspiration besall
er nicht, auch kein besonders feuriges Temperament. Es gebrach ihm
eben am letzten: an großen Gedanken, an der genialen Auffassung, an
Höhenblick und Tiefenforschung. Seine etwas phlegmatische Natur
wurzelte eher im Diesseits als im Jenseits. Sie liebte die stille Beschaulichkeit,
den kleinen Humor, der von Welt und Jftenscfaenkindem viel Merkwürdiges
und Absonderliches zu erzählen weiß. Hierin: im Geschichieneizählen
war er ein wirklicher Meister. Wenn er so alte Dinge auspackte: ein
.Frühlingslied*, ein ^Rondo capriccioso" von Mendelssohn, oder die .Auf-
forderung zum Tanz", das .Rondo brilUnt* von Weber und dergleichen
spielte, so saß man da wie zur Zeit, als uns GroBmütterchen noch von
Wundem und Mirchen erzählte. Manch einer Konservatoristin ging wohl
dabei das Herz über, und mancher Klavierschüler fragte sich seufzend:
.Ist das dasselbe Stück, das ich — ach so oft — geübt habe-? Und sie
mußten gestehen: .Das klingt so ganz anders'I Ja, ja — am .Oben*
liegt es nicht. Erzählen und Singen, — das ist eine Kunst, sogar eine
große Kunst. Wer sie besaß, war ein Glücklicher. Sie ist uns auch ein
Lebensbedürfnis. Hätten wir sie nicht, ich glaube, wir verzichteten gern
auf alle sogenannten Genial- und Idealitäten.
Auch als Mensch war Alfred Reisenaner gerade und schlicht, eine
ehrliche Haut und ein braver Kamerad. Im Fühlen und E>enken, Handeln
und Wirken, Sorgen und Helfen ein Edelmann durch und durch. Auch
hierin ein wahrer Schüler Liszts.'eine jener großen und seltenen Ausnahmen
im menschlichen Leben. Das soll ihm nicht vergessen bleiben.
Seine Hände ruhen aus vom großen Spiel. Aber der Klang, den
er hervorzauberte, wird weiter blühen und singen, — ein heimliches
Glück für uns und ein Trost zugleich. . . .
. ist eine bekannte Tatsache, daß unter praktischen Mntlkern
' sich die zfinftige Kritik eines recht geringen Ansebeos eifreat.
\ Gewöhnlich hilft man sieb mit der Erklirung, daß der ■!»•
I übende Künstler, namentlich aber der scbdpreriach titige, fBr
eine schliche Beurteilung seiner Leistungen überhaupt wenig empHngllch
sei. Viel mehr wie eine Ausrede Ist das nicht. Jeder ernste Künstler —
er sei denn ein Genie: für dieses allein ist mit der Bearbeitung eines
Stoffes dessen völlige V e r arbeitung schon selbstverständlich gegeben —
wird auf irgend einem Vege sich zu der Erkenntnis durchringen müssen,
dafi selbst innerhalb der Grenzen seiner natürlichen Begabung ein restloses
Gelingen lediglich auf Grund der Selbstbeurteilnng ihm nur selten erreich-
bar, daß er vor allem in Enlwickeluogsstadien auf die Aufmunterung
und den Tadel Einsichtiger geradezu angewiesen ist. Wirksam werden
allerdings beide nur sein können, wenn sie sich auf der Grundlage eines
starken, persönlichen Anteils erheben, der, je nach der Bedeutung des
Gegenstandes der Kritik, von vorurteilslosem Wohlwollen bis zur tm-
erzwungenen Anerkennung eines in allem wesentlichen überlegenen Geistes
variiert. Dementsprechend wird die wirksamste Kritik für einen Künstler
immer die sein, die im Kreise seiner aufrichtigen Freunde — dem
Widerspiel jeder blindlings oder gewinnsfichtig ergebenen Clique — m,
ihm geübt wird. Dadurch wird selbstverständlich die öffentliche Kritik,
besonders die des Tages, beim Künstler bis zu einem hohen Grade ant-
geschaltet; allein sie braucht deswegen nicht so gut wie ganz außer DIentt
gesetzt zu sein. Ist sie das heute tatsächlich, so liegt der Grund dafür
nach dem Vorangegangenen auf der Hand: es mangelt ihr am Entgegen-
kommen, an einem nur einigermaßen liebevollen Eingehen auf den
Einzelfall. — Das hat verschiedene Ursachen.
Zunächst die gewerbsmäßige Oberhastung des Betriebes. Man wird
mir einwerfen, daß diese das unausbleibliche Ergebnis der Überproduktion
im Konzertsaal sei, die man neuerdings nicht bloß In den JHusikzentrea,
sondern auch draußen in der Provinz beobachten könne. Gewiß! allein
zur Abstellung dieses Übelstandes kann eine vernünftige Krldk du
ROTH: MUSIKALISCHE KUNSTKRITIK ^HK
ihrige beitragen: ich werde darauf zurückkommen. Auf alle Fälle ist es
unmöglich, eine Schriftstellerei ernst zu nehmen, die unter Umständen
hochbedeutende künstlerische Taten vom Vorabend für das Morgenblatt
mit einem Durchschnittsquantum von Federstrichen genau ebenso «er-
ledigt*, wie die Stümpereien eines unternehmungslustigen Dilettanten.
Die Geschwindigkeitsfexerei und nächtliche Kaffeehausarbeit führt besten-
falls dahin, daß an Stelle ernsthafter Verarbeitung und aus ihr organisch
sich entwickelnder Wiedergabe der gehabten Eindrücke eine routinierte,
womöglich pointensüchtige Paraphrase tritt. Natürlich ertönt auch aus
den Reihen derer, die den Betrieb mitmachen, manche Klage, solange die
Gewohnheit das gesunde Gefühl noch nicht abgestumpft hat. Doch ge-
rade diese Klage erweist am sichersten die Abhängigkeit vom Publikum,
das sich eine ,» Meinung* zu bilden wünscht und dabei der Hilfe des eil-
fertigen Kritikers nicht entraten mag, — der gelegentlich vielleicht auch
bangen muß, selbst für meinungslos gehalten zu werden, falls er nicht
als erster auf dem Plan erscheint.
Doch ist diese Art von Abhängigkeit noch ziemlich unschuldig. Ich
denke hier nicht an das Eingeschworensein auf eine bestimmte »Richtung*,
das häufig die Voraussetzung zur Mitarbeiterschaft an einem Fachblatt
bildet. (Schließlich wird jeder schriftstellemde Musiker von nicht gerade
außergewöhnlicher Eigenart irgendwo Anschluß finden, ohne seiner Über-
zeugung Gewalt anzutun.) Ich meine die Nötigung, da, wo derbes Zu-
greifen, zumindest ruhige Ablehnung am Platze wäre, aus Rücksicht auf die
Wünsche eines Leserkreises zu schonen, wenn nicht gar zu schmeicheln; —
eine Nötigung, die nicht nur in Tagesblättem , sondern auch in Fach-
zeitschriften mit örtlich beschränkter Verbreitung auftritt. Das Beispiel
von dem Konzertuntemehmen, dessen Garanten und Abonnenten sich —
sei's absichtlich, sei's ungewollt — eines Teils der Presse bemächtigen, findet
überall seine Anwendung.
Hemmnisse, wie die Geschäftsmäßigkeit des Betriebes und materielle
Unfreiheit — denn um die handelt sich's doch — , werden dort nach
Möglichkeit überwunden, wo der Kritiker als Charakter seinen Mann
stellt. Anders steht es mit einem dritten Punkte: ich meine die
Objektivitätsstreberei, das übertrieben bewußte Zurückdrängen des (natur-
gemäß stets persönlich orientierten) Empfindens selbst da, wo es den
einzig möglichen Gradmesser abgibt. Musik ist keine Wissenschaft, —
auch Musikkritik ist es nicht. Es mag bei einer erkenntniskritischen oder
mathematischen Untersuchung^) denkbar und wünschenswert sein, das
') Die Spezitlwitsenschtft, besonders die Historie, verltngt zu offenkundig die
Mitvirkung der Phanttsie, wenigstens bei der Dirstellung.
216
DIE MUSIK VII. 4.
m'^Sof
Gefühl in hohem Maße auszuschalten, obgleich auch hier die Ablösung
der intellektuellen Kräfte vom Hintergrunde blutwarmen, persönlichen
Lebens nicht unbedingtes Ideal sein kann und^darf, da jede Objektivität
nur dann Durchschlagskraft besitzt, wenn sie Ausdruck höchster Subjek-
tivität ist, — und umgekehrt. Allein das Kunstwerk verlangt die Aufl^abe
eines «Interesses* bei der Aufnahme und Beurteilung trotzdem in voll»
kommen anderem Sinne. Der Künstler als Schöpfer des Kunstwerks und
als Darsteller pointiert bei der andauernd fortschreitenden Differenzierung
seine Persönlichkeit immer auffälliger; es ist eine förmliche Unter-
scheidungssucht eingerissen, die sich zum Teil allerdings ohne weiteres'
selbst erledigt; darum ist der Beobachter in immer höherem Grade
dazu gezwungen, sich einzufühlen, da zum wenigsten jede bedentsame
Erscheinung darauf Anspruch hat, nach den ihr innewohnenden Gesetzen
Lob und Tadel zu empfangen. Das heißt, der Kritiker ist nicht bloß ge-
halten, sich gründliche Fachkenntnisse zu erwerben; er hat, was ofl genug
tut Hauptsache wird, auch Menschenkenner und -beurteiler zu sein»
Nur als solcher vermag er das Gesamtbild einer künstlerischen
Erscheinung divinatorisch in sich aufzunehmen, aus dessen Erkenntnis sich
die richtige Einschätzung persönlicher Kunstauffassung und Technik ergibt,
während diese als Wirkungen des Gesamtorganismus ihrerseits wiederum
jenen erläutern.
Nur als solcher vermag er femer die — allein auf treffender
Persönlichkeitsdiagnose sicher basierende — relative Kritik zn üben,
die zunächst die ethische Seite künstlerischer Betätigung betont. Es
handelt sich dabei wesentlich um drei Verhältnisse:
erstens, das von Leistung und persönlicher Reife,
zweitens, das von Leistung und Anspruch, und
drittens, das von Leistung und Begabung.
Am häuBgsten wird das erste Verhältnis berücksichtigt. Wo man
fertige Gebilde nicht erwarten darf, begnügt man sich mit einer bald
mehr, bald minder sicheren Anweisung auf die Zukunft. — Seltener be-
sinnt man sich schon auf das Verhältnis von Leistung und Ansprach,
meist nur dann, wenn aufdringliches, äußeres Gebahren den gering-'
fügigen oder gar unreifen Eindruck einer Darbietung verdoppelt« In diesem
Zusammenhange erledigen sich auch alle diejenigen Fälle, bei denen an»
künstlerische Nebenabsichten in Erscheinung treten. — Am wenigsten ofl
und richtig aber wird das Verhältnis von Leistung und Begabung beurteilt,'
da hier der Augenschein ganz im Stiche läßt; und doch ist die Frage nach
diesem Verhältnis die Fundamental frage relativer Kritik überhaupt. Woher
schriebe sich sonst die merkwürdige Beobachtung, daß ein Schaffen, das
die beschränkten Möglichkeiten eines engen Talentes durch zähe Arbeit
M.
217
ROTH: MUSIKALISCHE KUNSTKRITIK
erschöpft, in vielen Fällen die mühe- und wahllos hingeworfenen Er-
zeugnisse einer ungleich reicheren Begabung, der aber die feste innere
Fassung fehlt, an dauernder Wirkung weit hinter sich läßt? Wie erklärte
sich sonst die Tatsache, daß die Wucht eines fast abstrakt gewordenen
Willens eine Fälle der blühendsten Einfälle aus dem Felde zu schlagen
vermag? Es bedeutet das nichts anderes, als daß zur Erfüllung des künst-
lerischen Ideals als Äquivalent einer Naturkraft stets eine sittlich bestimmte
Energie verlangt wird, die beide im einzelnen empirischen Falle selbst-
verständlich gleicherweise — nicht notwendig im selben Maße — Anlage,
wie Ergebnis von Erziehung und Selbstzucht sein werden. Wir berühren
damit das Grenzgebiet, auf dem ethische Forderung und ästhetisches
Bedürfnis sich begegnen. Denn die zunächst scheinbar ausgesprochen
ethische Forderung, die mit der ideellen Aufstellung der in Frage stehenden
Relationen die entsprechende Reihe faktischer Mißverhältnisse behauptet,
wird bei näherem Zusehen identisch mit dem ästhetischen Bedürfnis nach
Harmonie und Insichbeschlossensein. Das heißt: es ist — rein^ psycholo-
gisch ausgedrückt — zum restlosen Gelingen eines Kunstwerkes die völlige
Korrespondenz von Phantasiebegabung und Charakter in der Psyche des
Künstlers erforderlich. Dazu bemerke ich ausdrücklich, daß den künst-
lerischen Eindruck eine Überspannung des Willensmoments (und die daraus
resultierende Erschlaffung) genau ebenso empfindlich schädigt, wie ein
Überschuß unzulänglich konzentrierter Phantasiekräfte.
Alles bisher über die Beziehungen von Künstler und Kritik, über
Mängel der Kritik und Anforderungen an sie Vorgebrachte gilt mit gering-
fügigen Änderungen auf jedem Gebiet künstlerischen Schaffens, da von
den speziellen Mitteln musikalischen Ausdrucks noch nicht die Rede
war. Daß gründliche und ausgedehnte Fachkenntnisse in dieser Richtung
die absolut selbstverständliche Voraussetzung musikschriftstellerischer Arbeit
sind, muß bedauerlicherweise ausdrücklich gesagt werden, da ein verhältnis-
mäßig sehr großer Prozentsatz der Vertreter der Kritik es sich unverant-
wortlich bequem macht; die Rückwirkung sind natürlich unbillige An-
forderungen seitens der Künstler. Hier eine beschreitbare Mittelstraße
zu entdecken, ist nicht ganz leicht.
Daß es für den Kritiker unmöglich ist, die Technik aller der Instrumente
zu beherrschen, deren Vorführung er beurteilen soll, liegt auf der Hand.
Er hat das nicht nötig, falls nur sein Ton sinn entwickelt genug ist, um
den Wert der technischen Leistung aus dem rein klanglichen Effekt zu
erschließen. Ein entwickelter Tonsinn ist allerdings unerläßlich; er-
worben wird er — mit dem «Besitz* kann unter unserm Himmelsstrich
nur in den seltensten Fällen gerechnet werden -^ durch die eindringliche
Vertiefung in mindestens eine Technik. Den Vorzug verdient die Technik
M218 IMS
DIE MUSIK VII. 4. SR
des Gesanges oder eines Streichinstruments, weil hier von einer .Ton-
bildung* im eigentlichsten Sinne des Wortes weit eher geredet werden
kann als bei dem Universalinstrument Klavier, dessen Struktur und ein-
seitig virtuose Behandlung zum großen Teil an der fortschreitenden Vor-
bildung unseres Ohres die Schuld trägt. Natürlich darf die Beschäftigang
mit der Stimme oder einem Instrument eine einigermaßen ausreichende
Orientierung über die übrigen äußeren Mittel musikalischen Ausdrucks
nicht unterbinden. Im Gegenteil, die Verständigung darüber kann durch
das ernsthafte Eindringen in eine Technik nur erleichtert werden, da die
Fundamentalforderungen, Lockerheit des Organismus und denkbar geringer
Kräfteverbrauch, überall dieselben sind.
Neben die Entwicklung des Tonsinns, die es mit der Qualität des
Tones zu tun hat, hat eine Gehörbildung zu treten, die eine Kontrolle über
Quantität, relative Höhe, Bewegung und Kombination von Tönen, die
gleichsam eine Projektion des Gehörten aus der Zeit in den Raum
ermöglicht. ^)
Ferner ist unbedingtes Erfordernis gründliche Informierung über alle
wesentlichen Fragen der Kompositionstechnik, womöglich selbständiges
positives Können. Ich sage absichtlich nicht: theoretisches Wissen.
Denn abgesehen von den überall, aber mit sehr wechselnder Intelligenz
betriebenen Übungen im harmonischen Satz, in Kontrapunkt und FugCf
ist die ernsthafte moderne Musiktheorie viel zu sehr Wissenschaft, um
für die Praxis der Komposition und ihre Beurteilung entscheidende Be-
deutung gewinnen zu können, ja — man kann beinahe sagen — zu dürfen:
weil die allzu deutliche, verstandesmäßige Einsicht in die abstrahierten
Gesetze harmonischen Geschehens und melodischen Satzbaues die Un-
befangenheit rein künstlerisch orientierter Aufnahme nicht nur neuartigen
Gebilden gegenüber zeitweise bedenklich stört, ganz zu schweigen von
dem unheilvollen Einfluß, den übel angebrachte Bewußtheit gelegentlich
auf die Produktion selbst ausübt.
Fruchtbare Belehrung über kompositionstechnische Fragen spendet
allein das Studium der Geschichte der Musik, in der Hauptsache seit Bach,
selbstverständlich jedoch nur insofern, als sie ein Arsenal wenigstens
relativ zeitloser Werte und Ereignisse darstellt. Diese Einschränkung ist
notwendig, da sonst kein Unterschied bestehen bliebe zwischen dem prak-
tischen Musiker und seinem Beurteiler einerseits und dem Musikwissen-
schaftler andrerseits, der die Historie als solche pflegt, für den prinzipiell
jedes Stück musikalischer Überlieferung methodisch dasselbe Interesse
^) Eine Gehörbildung dieser Art htt Riemtnn m. W. als Erster durch seine
Sungen im Musikdikttt — resp. -ntchschreiben zu erreichen versucht
219
ROTH: MUSIKALISCHE KUNSTKRITIK
wmmmmammmm
M
besitzt. Diesen Unterschied hat die in letzter Zeit häufig auftretende
Personalunion zwischen Musikwissenschaftler und Kritiker bisweilen ver-
wischen und die Wissenschaft sich Befugnisse anmaßen lassen, die ihr
nicht zukommen. Darob Entrüstung in praktischen Musikerkreisen gegen
die Musikwissenschaft als solche, billiges Gespött über die umfangreichen,
philologisch-exakten Editionen alter und ältester Meister, verdächtigende
Seitenblicke auf naturwissenschaftlich-akustische und systematisch-philo-
sophische Behandlung musikalischer Gegenstände. Alles natürlich ohne,
faktische Berechtigung! Die Musikwissenschaft füllt durchaus zwingend
mit ihren verschiedenen Disziplinen klaffende Lücken im System der
Wissenschaften aus: sie darf nur nicht irgendwie organisierend in die
Praxis eingreifen wollen, wo sich die theoretische Erkenntnis nicht mit
vollwichtigen künstlerischen Postulaten verbfindet, wie beispielsweise in
der Bearbeitungsfrage. ^)
Um zum Ausgang unsrer musikwissenschaftlichen Abschweifung zu-
rückzukommen: dem praktischen Musiker, wie seinem Beurteiler wird
das Studium der Geschichte nie Selbstzweck im eigentlichsten Sinne,
sondern immer nur Mittel zum Zweck sein. Doch dürfen natürlich die
Grenzen hier nicht allzuenge gezogen werden; auf alle Fälle reicht eine
Kenntnis der Geschichte, die sich im Wesentlichen mit dem deckt, was
der Kreislauf der Durchschnittsprogramme mit ertötender Regelmäßigkeit
wiederbringt, nicht aus. Es ist eben leider Tatsache, daß auch im Kampfe
^) Ich erinnere an die seinerzeit so hochgepriesenen Pranzschen Bearbeitungen
Bachscher Partituren, in denen die Linienführung der Erginzungen — abgesehen von
einzelnen Oberladenheiten — zumeist einwandsfrei, die — alle kräftigen Kontraste
hinwegnivellierende — instrumentale Ausgestaltung hingegen unmöglich ist Größere
Pietät gegen die Oberlieferung, möglichster Röckgang auf die ursprünglichen Aus-
drucksmittel kann in diesen und ihnlichen Fällen zu künstlerisch feinerem Erftissen
hindurchfuhren. Deshalb haben auch Versuche wie die der ^^Deutschen Vereinigung
für alte Musik" und der französischen »Sociötd d'instruments aociens" weit mehr als
nur historisches Interesse. So entsinne ich mich, um gleich ein recht aufAlliges
Beispiel zu zitieren, von der ersten eine Triosonate Buxtehudes auf Geige, Gambe
und Cembalo mit einer gegenseitigen Abgewogenheit der beteiligten Instrumente und
einem spezifischen Wohllaut gebort zu haben, die mit dem modernen Flügel
und dem Cello beim besten Willen nicht zu erreichen sind. Der Erfolg
einer Aufführung mit ungeeigneten modernen Mitteln ist aber der, daß Werke, die
auch für uns noch Lebenswerte bedeuten können, ja es eigentlich müßten, der
Vergessenheit oder ziemlich irriger Einscbitzung anheimfallen — wobei ich natürlich
nicht in Abrede stellen will, daß eine große Anzahl von Kunstwerken der Ver-
gangenheit unter einer taktvollen Bearbeitung für die in gewisser Hinsicht
reicheren modernen Mittel nicht nur nicht leidet, sondern sogar gewinnen kann.
Denn es stehen in einer Zeit, oft genug bei ein und demselben Meister, Werke, deren
Struktur mit den Mitteln der Zeit engstens verwachsen ist, dicht neben solchen, die
sichtlich darüber hinausdringen.
220
DIE MUSIK VII. 4.
— ^^*^
um das musikalische Dasein durchaus nicht immer das Wertvollste fiber-
lebt, daß Werke eines Geschmacks die als documents humalns wie als
künstlerische Leistungen keineswegs minder bedeutenden Werke einer vor-
angegangenen Epoche verdrängen. — Außerdem mfißte, sobald das rein
technische Interesse von dem Bedürfnis nach persönlichem Verständnis
eines Kunstwerkes und seines Schöpfers abgelöst wird, für die Erweitemng
und Vertiefung der Erkenntnisse m. E. noch der Gesichtspunkt maß-
gebend sein» daß an unbekannteren, wenn auch vielleicht weniger voll-
kommenen Leistungen eines Meisters persönliche Züge seiner Kunst in
frischerer, intensiverer Beleuchtung dastehen, weil hier die Neuheit des
Eindrucks es verhindert, die Musik in dem Maße als .tönende Form* zn
empfinden, wie dort, wo die Gewohnheit des Hörens den Gehalt mehr
und mehr verfiüchtigt. Dazu kommt, — eine Wirkung des historischen
Geistes, den die Romantik hinterließ, — daß stellenweise zur Pest-
stellung von Anregungen, die ein produzierender Künstler empfing, Kennt-
nisse vonnöten sind, die musikalische Erzeugnisse der Vergangenheit
betreffen, die für uns nicht unmittelbaren Gegenwartswert mehr besitzen
können. Was ich meine, wird klar, sobald ich Namen nenne, wie Uszt
einer-, Brahms und Robert Franz andererseits. Wie sehr Liszts bewußt
religiös orientierte Kunst unter dem Banne des altkirchlichen Chorals steht,
wie entschieden Brahms und Franz, vor allem der erste, vom deutschen
Volksliede seit Beginn des 16. Jahrhunderts sich befruchten ließen, ist
bekannt. Von bedeutenden Modernen vertritt den Gedanken der An-
knüpfung an das , Gestern* am deutlichsten Max Reger; er hat ihn
kürzlich gegenüber der von bekannter Seite einseitig und gedankenlos ans-
geschrieenen Losung, daß nur das , Morgen* Anspruch auf Beachtung habe,
wenngleich nicht in besonders glücklicher Form, auch öffentlich ausgesprochen.
Soweit die Geschichte! Doch auch die Gegenwart gibt zu lernen
und zu begreifen die Fülle. Freilich häufen sich hier die Schwierigkeiten.
Denn während im Bereich der für uns in Betracht kommenden Historie — ab-
gesehen von einigen bald da, bald dort mit wechselndem Erfolge inszenierten
Rettungen und Verdammungen — über die Einrangierung einer Hnst-
lerischen Erscheinung schwerlich mehr Zweifel bestehen können, ist, hier
sich auszukennen, eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Die Situation ist
— das lehrt die Erfahrung — fast immer und fiberall die, daß in der
vordersten Reihe der geschickte Macher, der mit dem augenblicklichen
Bedürfnis des Zeitgeistes virtuos zu rechnen versteht, unmittelbar neben
den ernsten Künstler von dauernder Bedeutung tritt, ähnlich umstritten,
gehaßt und bejubelt, wie dieser. Oft genug wird von der Mehrzahl seiner
Zeitgenossen der Lorbeer, den die Nachwelt einem andern zuerkennt, ihm
um die Stirn gewunden — und nicht so ganz mit Unrecht! Denn nach
221
ROTH: MUSIKALISCHE KUNSTKRITIK
M
zu seiner Rolle, die für das öffentliche Leben in gewisser Weise
sogar einen Kulturfaktor darzustellen vermag, gehörten großes Können
und jener unabweisbare, wenn auch zuweilen etwas aufdringliche Elan,
den anfangs mit der Wucht einer wirklich durchschlagenden Persönlichkeit
zu verwechseln selbst ernsthaften Leuten geschehen kann. Das Empfinden
muß schon sehr fein und sicher reagieren, wenn angesichts einer Schöpfung,
die vorwiegend mit neuen, ungewohnten Merkmalen ausgestattet ist, ent-
schieden werden soll, wo quellfrischer innerer Reichtum und selbstver-
ständliche Eigenart sich gegen dilettantische Maßlosigkeit und grüblerische
Neuerungssucht abgrenzen, besonders wenn eine gesunde, ursprüngliche
Begabung ohne ausgesprochene Kultur äußerlich ihr wesensfremden Ein-
flüssen unterliegt. Solchen strittigen Erscheinungen gegenüber — für
Künstler zweiten und dritten Ranges liefert die bei ihnen zumeist deut-
licher feststellbare Abhängigkeit von anderen einen sichereren kritischen
Maßstab — ist vor allen Dingen ernstliches, immer neu den Gegenstand
durchfühlendes und durchtastendes Studium, Vorsicht, unter Umständen
sogar der seltene Mut geboten, auf ein irgendwie erschöpfendes Urteil
einstweilen zu verzichten. Ich betone den Urteilsverzicht. Denn die
alte Lehre, daß dem Großen zunächst ein beinahe allgemeines Mißverständnis
begegnet, hat leider heute bei besonders fortschrittlich sich gerierenden
Musikschriftstellem die Neigung zu voreiligem Lobe gezeitigt. Ich huldige
der vielleicht rückständigen Meinung, daß für den ernsten, bedeutsamen
Zielen zusteuernden Künstler ein solches Lob, bei dem tatsächliches Ver-
ständnis vorläufig ausgeschlossen ist, etwas viel Beleidigenderes haben
muß, als philiströse Ablehnung; denn die prätendiert wenigstens nicht
intime Vertrautheit mit seinem innerlichsten Ringen und Streben! Gerade
den Kritiker zieren achtungsvolles Schweigen und Bescheidenheit, da sein
Beruf ihn nur zu leicht dazu verführt, großmäulig und arrogant zu werden.
Die Reihe der Forderungen ist geschlossen. Erfüllung wird ihnen in
der kritischen Praxis nur an sehr wenigen Stellen, kann ihnen nicht überall
werden. Auf der einen Seite stehen dem, wie ich im Lauf der Erörterung
schon deutlich ausgesprochen zu haben glaube, Unßhigkeit der Kritiker,
Mangel an Können und Wissen, also subjektive Hemmnisse entgegen, auf
der anderen Seite die eingangs dargelegten äußeren Hinderungen. Denen
gegenüber gibt es nur ein Abhilfsmittel: Entlastung. Die Möglichkeit
einer solchen Entlastung wird wohl ernstlich nur bei dem als Hauptursache
des allzu geschäftsmäßigen Betriebes erwähnten Punkte angezweifelt werden:
der allseitigen Überproduktion. Hier heißt es einfach durchgreifen
und alle Leistungen, deren Reiz nicht überdurchschnittlich ist, ignorieren,
zum mindesten ganz kurz abtun. Die Betroffenen sind entweder
Schmarotzer der Kunst, die nicht innerer Trieb, sondern mißleiteter Ehr-
222
DIE MUSIK VII. 4.
geiz aufs Podium geführt hst — In solchen FiUeo ist es sb und u
natürlich nötig, schonungslos ein Ezempel zu statuieren — oder re-
produktiv unbegabte, wean auch ernste Musiker, die der Kritik als B«-
nbigungsauswelses für eine LebrtXtigkeit zn bedfirften meiaea — gua
irrtümlicherweise: die Erfahrung, daß das Talent, in der ölfentlicbkeit sieb
hervorzutun, als solches pädagogische Beanlagung einschl&sse, muB ent
noch gemacht werden. Die neuerdings immer energisctaer auftretenden
Bemühungen nm Regullernng des Musikunterrichts, Einrichtung von Seml-
narien, deren Absolvierung ein detailliertes Zeugnis dokumentiert, wird
sicherlich mit dazu beitragen, die Konzertsile von Elementen za reinigen,
die nichts darin za suchen haben.
Es erübrigt noch die ausdrückliche Beantwortung der Frage: «n wen
richtet sieb die Kritik? Ich habe von vornherein über meine Meinung
keinen Zweifel gelassen: vor allem und in erster Linie an den
Künstler. Jede Kritik sei in gewisser Weise offener Brief, geschrieben
ohne Voreingenommenheit für und wider, aber mit jenem persSnlicben An-
teil, der allein einen Künstler dazu veranlassen kann, ein Urteil auf slck
wirken zu lassen. Gegen den Verdacht, Personenkultus treiben zu wollen,
brauche ich mich in diesem Zusammenhange wohl kaum zn verwahren.
Seibstverstindiich wird das Interesse, im Publikum für emstlicbes Kunst-
verständnis zu werben, nebenher gehen. Vordrangen darf es sieb nicht,
wesentlich deswegen, weil fast alle Versuche, .popnlXr" zn sein, Ihres
Zweck verfehlen, insofern sie über die bktische Schwierigkeit eines Pro-
blems hinwegtäuschen, nicht den Kampf um das Verständnis zumuten,
der nun einmal unerläßlich ist, wo etwas Nennenswertes erreicht werden soll.
Es gilt hier, wie überhaupt für das Kunsturteil, der Grundsatz, der
bei jeder, auch der mittelbar künstlerischen Betätigung den Ausschlag
geben sollte:
Die Bedeutsamkeit einer Leistung steht und fällt mit den Werten, die
sie nicht bloß für die Kunst als solche, sondern durch sie f&r die Be-
reicherung und Verinnerlichung unsrer gesamten Lebensinhalte za schaffsB
imstande isil
DIE PROPORTIONEN
DER BEETHOVENSCHEN
INSTRUMENTALSÄTZE
von Gustav Ernest-London
'm Jahre 1854 veröffentlichte Adolf Zeising seine .Neue Lehre
von den Proportionen des menschlichen Körpers". Dieser
Lehre nach muss, wenn die Teilung eines Gegenstandes In
zwei ungleiche Teile wohlproportioniert erscheinen soll, der
kleinere Teil im selben Verhältnis zum grösseren stehen, wie der letztere
zum Ganzen. Auf den menschlichen Körper angewandt, bedeutet das, dass
der kleinere, d. b. obere Teil desselben bis zur Taille im selben Verhältnis
zum grösseren, unteren, stehen muss, als dieser zum ganzen Körper.
Wir haben hier natürlich nur eine neue Anwendung des alten Gesetzes
vom Goldenen Schnitt, das sich am einfachsten, wenn auch nicht mit
absoluter Genauigkeit mittels der Zahl 13 nachweisen lässt. Zerlegt man
diese nämlich in 5-)-8, so findet man, dass 5 annähernd im selben Ver-
hältnis zu 8 steht, wie 8 zu 13, ^ = '^^^ 64 «=65; der Unterschied von ^^j
ist so gering, dass er für unsere Zwecke ganz ausser acht gelassen werden
kann. Die beste Methode für die Benutzung des Gesetzes ist also die,
den ganzen Gegenstand in 13 gleiche Einheiten zu zerlegen und 5 davon
auf den kleineren, 8 auf den grösseren Teil zu rechnen. Bei einem
menschlichen Körper z. B., der 65 Zoll hoch ist, würden wir diese uns
als 13 Teile von je 5 Zoll denken und so finden, dass der Oberkörper
5X5, d. h 25, der Unterkörper 8X5, d. h. 40 Zoll gross sein müsste.
Die bedeutende Anzahl von Versuchen, die Zeising angestellt hat. Versuche,
die jeder mit Leichtigkeit nachmachen kann, beweisen ganz zweifellos,
dass, wenn diese Zahlen mit den tatsächlichen Verhältnissen überein-
stimmen, der betreffende Körper uns den Eindruck des Wohlproportionierten
macht, dass aber die entgegengesetzte Wirkung eintritt, wenn diese Über-
einstimmung nicht vorhanden ist. Eins dürfen wir dabei allerdings nicht
übersehen: beim Vergleichen der Proportionen, wie sie sich auf mathe-
matischem Wege ergeben, mit dem Eindruck, den unsere Sinne davon
empfangen, müssen wir, mit Rücksicht auf die (mathematische) Unzuver-
lässigkeit der letzteren, einen gewissen Spielraum gestatten. Wenn ich
meine Hand mit Korn fülle, so macht es für mein Auge gar keinen
Unterschied, ob zwei, drei und selbst acht oder zehn Kömer hinzugefügt
werden. Gleicherweise kann das Auge unmöglich einen Gegenstand nach
aBg DIE MUSIK VII. 4. MK
^*^^- ■ _ - - - ^mmf^
Zentimetern abschätzen, der gross genug ist, um nach Metern gemessen so
werden, und wenn die Proportionen eines menschlichen Körpers mit denen
des Goldenen Schnittes um 1 — 2 Zoll differieren, so wfirden wir doch
noch den Eindruck vollkommener Proportioniertheit davon emphngen.
Auf dieses wichtige Gesetz hin nun untersuchte Zeising auch eine
grosse Anzahl verschiedenartigster Kunstschöpfungen, und zwar mit fiber»
raschenden Resultaten. Indem er einen Spielraum von ^^ des Ganzen
annahm, fand er, dass die Proportionen griechischer Tempel und gothiscber
Kathedralen häufig damit übereinstimmten. Auch auf die Musik wandte
er es an; aber anstatt sich an die eigentlichen Kunstwerke zu halten, wie
er es bei der Architektur und Skulptur getan, begnügte er sieb damit, die
Tonschwingungen daraufhin zu prüfen. Erst Emil Naumann in seinem
Buch: »Die Tonkunst in der Kulturgeschichte* machte die Versuche an
den Werken selbst, mit Resultaten, die ihm höchst befHedigend erschienen,
die aber für den Fernerstehenden wenig Beweiskraft haben. In fast allen
der von ihm herangezogenen Fälle nämlich ist der Unterschied zwischen
den tatsächlichen und den berechneten Verhältnissen ein ganz bedeutender;
Naumann hilft sich darüber hinweg, indem er sagt, dass, wenn wir den
anderen Künsten einen Spielraum von ^ zugestehen, wir der Musik
als der am wenigsten greifbaren, subtilsten von allen, einen solchen
von gut ^ gestatten müssten. Zweifellos ist es dieser unverhältnismissig
grosse Spielraum, der die Wenigen, die das Buch lasen, stutzig machte
und es dahin brachte, dass man Naumanns Entdeckung nie so recht
ernst genommen hat. Auf mich machte sie, als ich mit ihr vor Jahren
zuerst bekannt wurde, sofort einen nachhaltigen Eindruck, und je klarer
ich mir im Laufe der Zeit über das eigenste Wesen unserer Kunst,
über ihren Zusammenhang mit den übrigen Künsten und vor allem Ober
die Ähnlichkeit der sie alle beherrschenden Gesetze wurde, um so mehr
regte sich in mir der Wunsch, der Frage einmal gründlicher nachzugeben.
Bei Gelegenheit spezieller Untersuchungen nun, die ich vor einiger Zeit
mit den Beethovenschen Instrumentalwerken vornahm, prüfte ich diese
auch sämtlich auf das Zeisingsche Gesetz hin, und die geradezu ver-
blüffenden Resultate meiner Arbeit möchte ich hiermit den Lesern vor-
legen« Dabei muss ich auf folgende vier Punkte im voraus aufmerksam
machen: Erstens, dass mir eine derartige Untersuchung nur bei der
Sonatenform, als der kompliziertesten, angebracht erscheint, da die anderen,
wie die Lied- und Rondoform, ihre eigene streng symmetrische Anordnung
haben. Zweitens, dass die Teilung des Sonatensatzes in zwei ungleich
grosse Abschnitte sich entweder so bewerkstelligen lässt, dass man den
ersten Teil als den kleineren und alles übrige (Durchführung, Rekapitulation
und Coda) zusammen als den grösseren betrachtet, oder aber den ersten
225
ERNEST: PROPORTIONEN BEETHOV. INSTRÜMENTALSÄTZE ♦:
Teil plus Durchführung als den grösseren und Rekapitulation plus Coda
als den kleineren. Drittens, dass in einzelnen Fällen die Proportionen sich
korrekter herausstellen, wenn man den ersten Teil wiederholt, also doppelt
rechnet, in anderen, wenn man das nicht tut; woraus sich ganz logisch
die Frage ergibt, ob nicht Beethoven bisweilen das Wiederholungszeichen
nur ganz mechanisch, alter Tradition gemäss, hinsetzte, während er in
anderen Fällen, beim Entwurf des Satzes, die Wiederholung als organisch
bedingt in vorherige Anrechnung brachte und den anderen Abteilungen
dementsprechend grössere Verhältnisse gab; vielleicht gibt sich uns hier
ein Mittel an die Hand festzustellen, wo man die Wiederholungen machen
soll und wo nicht! Viertens, dass der Satz, als ein sich in der Zeit Ent-
wickelndes, auch nur mittels einer Zeiteinheit gemessen werden kann, und
dass sich hier der Takt — als ein sich durchweg Gleichbleibendes — als
nächstliegendes Medium darstellt. Und noch einen Punkt möchte ich
dem Leser in Erinnerung bringen, bevor ich zu den Berechnungen selbst
übergehe: dass nämlich das Zeisingsche Gesetz erst vor wenig über 50,
seine Anwendbarkeit auf die praktische Musik gar erst vor etwa 30 Jahren
entdeckt wurde, Beethoven also von ihm keine Ahnung haben konnte.
Gerade hierin liegt die Bedeutung der Angelegenheit — denn es ist ein
ganz anderes, ob man richtige Proportionen erzielt, indem man seine Takte
auszählt und hier ein paar abnimmt, dort ein paar zusetzt oder unbewusst
zu ihnen kommt, während man frei dem Zuge seiner Phantasie folgt.
Und nun zu den praktischen Demonstrationen! Ich will zunächst
einige ganz besonders überraschende Beispiele vorführen:
Der erste Satz des dritten Trios op. 1 hat einen ersten Teil von
138 eine Durchführung von 76 und eine Rekapitulation und Coda von
zusammen 146 Takten, d. h. der kleinere (erste) Teil hat 138, der grössere
(zweite) Teil 222 Takte. Das ergibt zusammen 360 Takte, die, nach der
oben angedeuteten Methode in 13 Teile geteilt, Gruppen von je 27^ Takten
ergeben; mit 5 multipliziert ergibt das 138, mit 8 multipliziert 222 Takte,
d. h. die tatsächlichen Verhältnisse stimmen genau mit den sich aus dem
Zeisingschen Gesetz ergebenden überein.
Im ersten Satz des vierten Trios hat der erste Teil 105, die
Durchführung 51, das übrige 98 Takte; 254 Takte ergeben 13 Gruppen
von je 19jV Takten; nun ist 8X19|\=156 (d. h. = 105-f 51) und
5X 19jV = 98.
Der Kürze wegen will ich hiernach nur die Zahlen angeben, von
denen die erste den ersten Teil, die zweite die Durchführung, die dritte
die Rekapitulation plus Coda vorstellt: Der erste Satz der Pathetischen
122 — 62 — 115
Sonate (nach der Einleitung) setzt sich wie folgt zusammen:
VII. 4.
226
DIE MUSIK VII. 4.
= 209. 200 Takte bedeuten 13 Gruppen zu je 23 Takten; 5X23=115,
8X23=184.
Bis jetzt haben wir des Spielraums, der, wie ich oben ausgeffibrt,
ohne Frage zugestanden werden kann, noch nicht bedurft. Naumann hatte
ihn, wie erwähnt, auf ^ des Ganzen normiert, so dass er also bei
einem 170 Takte langen Satze die Proportionen noch korrekt nennt, wenn
sie um zehn Takte von den mathematischen abweichen; auf diese
Weise wäre es nicht schwer, fast sämtliche Beethovenschen Instmmental-
(Sonaten-) Sätze dem Gesetz anzupassen. Ich hoffe jedoch, auch ohne
einen so unverhältnismässig grossen Spielraum die volle Gültigkeit des
Gesetzes beweisen zu können: tatsächlich ist er in keinem der folgen-
den Beispiele grösser als ^^^ der ganzen Taktsumme, so dass er also
bei einem Satz von 170 Takten nur etwa drei statt der Naumannschen
zehn betragen würde; wo ein grösserer sich als notwendig erwies, habe
ich das betreffende Beispiel ohne weiteres zu den unzutreffenden gerechnet
Untersuchen wir nun zunächst noch einige der Klavier-Sonaten (es
handelt sich, wo nichts anderes bemerkt ist, immer um die ersten Sitze)i
r.- -7 ui ' A 17.. e . : j 137 — 52—174 = 363
Die Zahlen in der Vierten Sonate sind: ^ — ^ — '
226
Zeisings Gesetz ergibt 139 — 224.
n- r* c ♦ 105 — 61 — 117 — 283
Fünfte Sonate: > ^
178
Zeisings Gesetz: 108—175.
Im dritten Satz derselben Sonate, der in kondensierter Sonatenform gehalten
02 — 1 1 — flu = Ifift
ist, sind dieZahlen, wenn wirden ersten Teil wiederholen: >— ^v — '
103
Zeisings Gesetz: 103 — 65.
xi * c * 60 — 30 — 72=162
Neunte Sonate: .
102
Zeisings Gesetz: 62 — 100.
Im dritten Satz derselben Sonate: . ^*
83
Zeisings Gesetz: 81 — 50.
7- , e . 63 — 61—76 = 200
Zehnte Sonate: .
124
Zeisings Gesetz: 123 — 77.
In der Elften Sonate ergibt sich im ersten Satz ein Unterschied von ^»
• . ., , . 30—17-30 = 77
dagegen im zweiten gar keiner: .
47
Zeising: 30 — 47.
227
ERNEST: PROPORTIONEN BEETHOV. INSTRUMENTALSATZE
Doch ich will den Leser nicht mit weiteren Details ermfiden und nur
als endgültiges Resultat der ganzen Untersuchung feststellen, dass in den
Klavier-Sonaten von 33 Sätzen 23 fast genau in Übereinstimmung mit dem
Zeisingschen Gesetz sind; in den Vi ol in -Sonaten sämtliche zehn ersten
Sätze, wobei seltsamerweise sich in zwei Fällen der »kleinere* Teil aus
Durchführung plus Coda zusammensetzt; in den Cello- Sonaten vier von
fünf Sätzen, in den Trios sechs von sieben und in den Streich-Quar-
tetten (op. 18 u. op. 59) sechs von neun Sätzen.
Wahrscheinlich geht es in diesem Augenblick vielen meiner Leser
genau so, wie mir selbst, als ich das Resultat meiner Berechnungen über-
blickte; der Gedanke wird sich ihnen aufdrängen: sind die Sätze, bei denen
das Gesetz nicht zutriflFt, weniger vollkommen proportioniert als die andern ?
Die Antwort ist mit Bezug auf fast alle ein unbedingtes Nein! Damit
aber scheint das Gesetz seine ganze Bedeutung zu verlieren! .Scheint* —
mehr nicht .... denn bei nochmaligem Studium der betreffenden Sätze
ergab sich bald des Rätsels Lösung; sie sind nämlich fast ausnahmslos
dem Zeisingschen Gesetz deshalb nicht unterworfen, weil bei ihnen ein
anderes eintritt, ein Gesetz, das sich aus den genauen Grössenüberein-
stimmungen ihrer einzelnen Abteilungen leicht ableiten lässt.
Wir fanden oben, dass von 64 Sätzen 16 nicht unter das Zeisingsche
Gesetz fallen. Prüfen wir diese daraufhin, so ergibt sich folgendes:
1. 1. Sonate: 48 — 52 — 52, d. h. die Durchführung ist genau so lang
wie Rekapitulation plus Coda.
2. 2. Sonate: 116—110—110.
3. 3. Sonate: Erster Teil 90, Durchführung 49, Rekapitulation 80 —
demnach eine ungewöhnlich kurze Durchführung; nun aber fügt Beethoven
eine Coda von 41 Takten hinzu, so dass Durchführung plus Coda nun ge-
nau die Länge des ersten Teiles haben.
Ganz ähnlich verhält sich's mit der
4. 18. Sonate, wo der erste Teil 88, Durchführung plus Coda 83, Re-
kapitulation 81 Takte hat.
Ebenfalls in der
5. 31. Sonate op. 110, wo der erste Teil 37, Durchführung plus Coda
ebenfalls 37 Takte hat.
Ebenfalls im
6. 1. Trio, in dem der erste Teil 104, Durchführung plus Coda
101 Takte hat.
7. In der 27. Klavier-Sonate (e-moll) hat der erste Teil 82,"^ der
zweite mit 164 Takten genau die doppelte Länge.
8. Ebenso in der 24. Sonate (Fis-dur) hat der erste Teil 34,* der
zweite 67 Takte.
15»
228
DIE MUSIK VII. 4.
Ji
9. In der 3. Cello-Sonate (in A) hat der erste Teil mit Wiedertiolaog
188, der zweite 186 Takte.
10. In der sechsten Klaviersonate in F hat der erste Teil mit Wieder-
holung 130, der zweite 135 Takte.
11. Im siebenten Trio haben die beiden Teile genau dieselbe Takt-
zahl, nämlich 192.
12. Im sechsten Streichquartett hat der erste Teil Ol, Rekapitulation
plus Coda 90 Takte.
Danach bleiben nur vier Sätze übrig, die als die Ausnahme gelten
mögen, die die Regel bestätigen, obwohl es nicht schwer wäre, auch bei
ihnen eigentümliche Übereinstimmungen nachzuweisen. JedenMls glaube
ich den Beweis dafür erbracht zu haben, dass der Meister beim Eotwerfen
seiner Sätze ganz unbewusst ihnen Proportioneii gab, die sich fast in allen
Fällen dem einen oder anderen Gesetz der Symmetrie unterordnen.
Wenden wir uns jetzt noch einmal der Zeising-Naumannschen Ent-
deckung zu, so möchte ich vor allem davor warnen, ihr irgendwelche prak-
tische Bedeutung zuzuschreiben; für Lehrzwecke zumal wäre sie giuz unan-
wendbar. Schliesslich sind es der Elemente gar viele, die in ihrer Vereinignag
das 9 Schöne* ergeben; Vollkommenheit der Proportionen ist nur eines da-
von, und würde sie durch willkürliches Abschneiden oder Hinzusetzen her-
gestellt, so könnte es leicht auf Kosten anderer, nicht minder wichtiger gy
schehen. Andererseits bringt uns diese Entdeckung doch vielleicht um einen,
wenn auch nur geringen Schritt vorwärts auf dem Wege, dessen Endziel die
Erkenntnis des Wesens der Schönheit ist. Und hierin scheint mir die wahre
Bedeutung der Entdeckung zu liegen, hierin und in dem weiten Ausblick,
der sich uns eröffnet, wenn wir sehen, wie dasselbe Gesetz zu den ver-
schiedensten Zeiten und in den verschiedensten Künsten waltet Unge-
bunden, selbstherrlich glaubt der Künstler allein dem Zuge seines Genim
zu folgen und ist doch nur ein Werkzeug, das einem höheren Gesetz
willenlos sich fügt.
Vielleicht tut es unserer Zeit, die mit so selbstgefällige Gering-
schätzung auf die überkommenen Formen blickt und in ihnen nur eine
willkürlich geschaffene, freiwillig übernommene Fessel sieht, gut, hier
wieder einmal energisch bestätigt zu finden, was tiefer Blickende llngM
erkannt haben: dass nämlich diese Formen ein organisch unabwendbar
Entwickeltes, die letzte Erfüllung eines langen Werdeprozesses sind. Das
besagt natürlich nicht, dass nicht neue allmählich neben sie treten dfirfba;
aber ob auch sie auf eine künstlerische Ahnenreihe wie jene znrfiek-
blicken können, ob auch sie ein unbedingt Notwendiges — man mSdile
fast sagen. Naturnotwendiges sind, das ist eine andere Frage, und erst
künftige Geschlechter werden sie unbefangen beantworten können«
Iir dem M]no September d. J. dalilDte(aD(eDeD IfOkt Brfill bat die Muilk>
ttadt Tien einen Kfioitler verloren, der zwar keintawega durcb (enlale
Abaonderl leb keil sich anaielcbnete, der aber irotidem In aelner Be-
deutung nicht tinteracbltit «erden darf. Einen «Melaier* kann man Ibn
frellicb nicbt nennen; er liebte es nicbt, die HSben zu erklimmen — aber
iai nIcbt auch die velie Selbitbeicbrinkunt, die ein nicht übermiHlKea Talent frei-
wlllfg die afoldene Mittelatraße* wifalen Heß, aU eine der beaten Elfen acbalten einea
Künatlera anxuerkennen?
Brüllt Lebenafanc iat leicht und raacb eriihlt Geboren am 7. November 1846
la dem mihrlichea Sildictaen ProflnKx, kam er ala dreljihrlger Knabe mit telaen
Ellern nach TIen, wo er aeine eigentliche kfinailerlsche Heimal finden aollte. Dnrcb
(edlecene Lebrer aiiaceblldet (Deaaoff, RaHnatacha, Juliua Epateln), machte er achon Im
Jfingllnfaaller ala Pianiat und ala Komponlat Anheben. Aur eine erate Relae nacb
Stutttart rollten lahlrelcbe Konzertrelaen nacb Berlin, Brealan, Leipzig, Frankfurt a. M^
nnd Brüll holte ilch 1881 In London im Verein mit Joachim Mache Lorbeeren.
GlOcklicb zuaammenKetroffene Umitinde mactaten et Ihm mO(llch, in Rahe nnd f)ut
aofregunftloa in dauerndem Aufenthalt In Tlen ganz der Kunai und der Freundachaft
zu leben, bla sich actaoo vor Jabren die eraten Anzelctaen der Ificklactaen Krankheit
zeigten, der er nunmehr in ao traglacher Teiae erlegen iaL
Brüll war einer unterer betten Klavieraplelar; ftat mScbtt Ich tagen, diet tei
aelne atlrkate Seite ala KQntller geweten. In der Tiedergabe der klaaalacben nnd
romantiachen Planofortekom Petitionen gab ea nietat viele, die man Itam taitte an die
Seite tielicD kSnnen. Daber muß teiner tunicbat alt einet der tiichtigtten ant-
obenden Künailer gedacht Verden, Auch ala Komponlat Iat er dem Klavier Immer
beaondert treu geblieben. Sein op. 1 Itt ein recht einfacher Talzer fQr Planoforte (In
Dea-dnr), op. 2 ein aSpaDiscber Tanz', und noch die apiteaten Opuazablen beziehen tlcta
anf Klavierwerke, wie zum Beispiel sein Duo fSr zwei Klaviere zu vier Hinden (op. 6S)
oder die tnmnilgen TanitiGcke, die In op. 89 miteinander vereinigt tind. Alle dieae
Kompotlilonen sind durch Eleganz, Grazie und Melodik ausgezeichnet; und wenn-
gleich manche von Ihnen hart an dat Tesen des .SaionatQckt' taeranatrelfi, to muB
ihnen allen künttlcrltcber Wert zugesprochen werden. Brllll hat unt nlctat immer
Neaea geaagt, aber aua seinen Verken spricht telne tympathiacbe PertSnlichkell und
gewinnt unt.
Der anderen Gebiete, auf denen alch BrQli alt KomponlK betitigte, aind ziemlich
viele. Er bat z. B. eine .Tarantella- für Geige nnd Klavier («p..90) getctarleben;
eine Suite (op. 42), und Sonaten (op. 97) fQr dieaelben Intlrumente. Unter ttloen
Liedern ond ChSren findet alcb ao mancbe Perle, die nicht In Vergetaenhell geraten
aollte; Ich nenne da nur ein paar: Hebbela aNacbtlled" (op. S2 .Quellende, t
230
DIB MUSIK VII. 4.
Nicht"), die zahlreichen Fraueochöre» den Chor »Sfißet Begribnli* (von Rflcfeait
op. 23) und den prichtigen .Cylclas toskanischer Lieder* (fiberaetit Ton Gm»i0yhw^
op. 22) fGr Chor, Tenor- and Sopranaolo. In jungen und auch in alten Tafia kM
flieh Brüll mit Erfolg aU Liederkomponist verflucht, und die hfibflcbea Vertoamcei
Heineflcher Gedichte in op. 5, die freilich viele romantiache Anklinge seigni, tiad
ebenso flingene- und hörenewert wie auch die apitere Behandlung Goethaaeher
Texte (op. 87).
Trotz alledem glaube ich, daß in Br&ll viel von einem Symphoniker geateekt
hat. Dafl lißt sich aus seiner Behandlung dea Orcheetere achließen. Sein berfibmta«
Violinkonzert op. 41 gehört ebenso hierher wie zum Beispiel die Rhapaodie fOr Klavier
und Orchester op. 65 oder die »Ouvertüre pathetique* für Orchester op. 96. Fallen
in der letztgenannten besonders die prichtig gelungenen Blecbblifleratellen aa( flo
zeigt sich in der ganzen Rhapsodie die achönste Vertrautheit dea Klavieriaten mit der
Orchesterverwertung. Manches mutet hier sogar atark »modern* an (waa man bei
Brfill nicht oft sagen kann), wie schon der Anfang mit seiner spannenden Gegen-
fuhrung der Bliser und der Streicher oder daa sGße Andante cantabile mit der Klari-
nette, der Flöte, der Oboe, dem Violoncello und der Pauke ala Sololnatmmenten.
Am populirsten aber ist Brfill als Opernkomponist geworden« Und zwar
durch ein einziges Werk, die bekannte Spieloper »Das goldene Krens*, die am
22. Dezember 1875 in Berlin zum erstenmal aufgeffihrt wurde. Daa ao einfache und an-
spruchslose Werkchen ist bis heute allgemein beliebt geblieben — vieUelebt auch des-
wegen, weil Brüll es mit seiner persönlichen liebenswQrdigen Bescheidenheit zu erlBIlan
gewußt hat. Mit allen andern Buhnenwerken hatte Brfill wenig Glfick. Seine erste Oper
.Der Bettler von Samarkand* war 1864 vom Stuttgarter Theater angenommen vordei,
doch kam es nicht zur Auffuhrung, und auch die spiteren Opern .Der LandtHede" {IKI%
„Birma« (1879), «Königin Mariette« (1883), «Das steinerne Herz* (1888) und »Grlnfolre"
(1802) hatten gegenfiber dem siegreichen «Goldenen Kreuz" nicht genug Lebenakraft la
sich. Trotzdem zeigt z. B. auch der als op. 66 erschienene einaktige i^Gringoln*, wie
tfichtig Brfill in der Behandlung des Orchesters, dem hier schon in der Onvertfire eine
wichtige Aufgabe zufillt, war — es fehlt nur der eigentliche dramatiache Zog in der
Oper. Dagegen wurde eine kleine komische Oper, «Der Husar* (op. 7% vielleleht
zu dauerndem Leben zu erwecken sein. Frisches Leben zeichnet die lindliche Handlang
aus, die sich in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts in einem nngariachen
Dorf abspielt. Insbesondere wirkt hier ein gewisser volkstfimlicher Ton und die ge-
schickte Verwertung ungarischer Nationalmelodieen belebend und erquickend.
Wie schon gesagt: mit Brfill ist kein Meister von uns gegangen. Aber er war
ein echter Kfinatler; waa er uns geben konnte, hat er una ala Auafibender wie als
Schaffender gegeben, und als einen der liebenswQrdigsten und beacheldensten nnaerer
zeitgenössischen Musiker können wir ihn für alle Zeiten in treuem Gedenken behahsal
BÜCHER
51. Georg Capellen: Ein netter exoiiicber Muslkitll, an Notenbeliplelen nMh-
gewlescQ. VerUf: Carl Crfiolnger, Stuti(art.
TIbrend blataer die Aniicbt die faemchende war, dafl wirklich Crofiea alcta
nur dnrcta echt nationale Gealnnung erreichen laaae und also anch ein bedeatendea
mnalkaliacbes Tcrk nur dem narionalen Boden enttprleSen kBanc, wie dies }a «ucb da«
ScbalTeD des croßen Barrentber Meistere beweist, will Capellen, dem auf andern Ge-
bieten sich geltend roacbenden koiroopolltlsclien Zug folgend, nicbts weniger ala uns
eine — .Veltmusik" acbaffen. Dleae aTeitmuaik" wird aber, wie der Verhsser selbst
sagt, je nacb der nationalen und iDdlrldaellen Beanlagnng dos Scbaffeadea in den
Terecbledeniten Nfiancen scblllem, das beiflt also, luletit wird docb wieder eine
nationale Mualk lom Durcbbrucb gelangen, nod wir bitten uns somit wieder einmal um
uns selbst gedrebt. Und wie denkt ticb Capellen die Entstehung der „Teltmusik?"
Die Antwort tut diese Frage Boden wir auf Seite 46 der rorliegenden Schrift: »Durch
eine Vermiblnng von Orient und Okildent gelaagen wir lu dem neaen exotlscbra
Mnalkatil, zur ,Te1tmus{k**. Um eine aolcbe Vermihlnog anzubahnen, sucht nan
Capellen lunlchst nacbinwelseo, wie nngerecbtfenigt die Gerlngscbltanng der Exotik Ist.
Unsere beutige Musik, so f&brt der Verfasser aus, fBtarl In gerader Linie auf die
griecfalacbe zurück. Die Griechen aber haben Ihre Kunst von den Ägyptern Obemommen,
und Ppthagoras ist direkt aua den Schulen der sltigyptiacben Prieater hervorgegangen.
Teiter steht aber seil den Untersncbuogen von Dr. G. Vagner bat, daaa ein uralch-
llcher Zusammenhang zwlscbCD dem cbioeslacben Muslkayaiem und dem dea Pythagons
vorhanden Ist. PGr den Historiker Ist dss slles hier Angedeutete von hohem Interesse,
rar die moderne musikallacbe Produkiloo aber doch ohne jeden Belang. TIe in allen
in letzter Zeit erschieoencn BQcbern, die sich mit der au ßereuro pilseben Muaik be>
scbifligen, so wird auch in dem vorllegeodon der Pentstonik ein breiter Rsnm gewidmet.
Der Verhsser gibt auf Seite 43 für das Bearbeiten nod Schaffen pentatonischer Melodleen
folgende Direktiven: .Die Melodie muß die fehlenden TSne möglichst vermelden und
die cbarakteria tischen Sprünge [?] nicht nur von koosonanteo, Bondem such von disso-
nanten Akkorden aus machen; die Akkorde selbst dBrIen sich auch der fehlenden
SkalatSne bcmichtigen, da dleaelben harmonlacb achwer zu entbehren alnd.* Hierauf
sei folgendes erwidert. Die peniatonlscbe Tooleiter besteht, wie bekannt, ans nur fBnf
Stnfop, von dem Gmndlon c aua gebildet aus den fQnf TAnen c d e | a, und e« kann
alao bd der Bildung einer pontatonlachen Melodie, der die ffinfitnflge Tonleiter zugrunde
liegt, von einem Vermelden der fehlenden TJIoo gar nicht die Rede aeln; denn waa
gar nlcbt vorhanden iat, braucht auch nicht vormieden in werden. Und ebenso kftnnon
auch die Akkorde sich der fehlenden SkalstOne nicht bemlchtigen, ds manalcb doaaen,
waa nlcbt verbanden iat, doch anch nicht bemlchtigen kann. Legen vir bei der Harmoni-
sierung einer penlatonisoben Melodtt die Heptatonlk zugrunde, so nebmen wir damit ior
Melodie ihren pentaloniseben Charakter, und wenn Capellen aebr rtehbi bemerkt, daS
232
DIE MUSIK VII. 4.
die »fehlenden SkaUtöne" harmonisch schwer zu enthehren sind, to tat dies
ein Beweis, dass die Vereinigung der auf der Heptatonilc beruhenden okzldentaleo Mnslk
mit der Orientalen, soweit dieser die Pentatonilc zugrunde liegt, zu einer .WeltmusOc"
doch wohl nicht ganz so leicht ist, wie es sich der Verfasser denkt. Capellen spricht dann
weiter von den in Japan gebriuchlichen Mischskalen und gelangt Ton ihnen unmittelbar
zu den Skalen der Zigeuner, zur europäischen Chromatik und der chinesischen Gana-
tonleiter; alle diese Tonleitern, die die Grundlagen der Melodik sind, »geben uns
eine ungeheure Perspektive für melodische Ausdrucksmöglichkeiten, die noch gar nicht
genfigend gewürdigt sind." Der Autor kommt dann auf die Frage zu sprechen, welche
unserer verschiedenen Stimmungen sich wohl am besten f&r die Harmonlalemng der
exotischen Skalen eignen wurde; er gibt aber keine endgültige Antwort darauf aondem
sagt, dass sich darüber unsere Nachkommen in der bevorstehenden Epoche der Ezodk,
der Weltmusik, werden zu entscheiden haben. Und nun gibt Capellen auf den Seiten 23
bis 48 eine Anzahl von Beispielen zur Harmonisierung exotischer Skalen, SchluB-
Wendungen usw., wie sie in der »Weltmusik" gang und gibe sein werden, in die wir ans
aber erst »hineingewöhnen* müssen. NIher auf das hier Gesagte einzugeben, würde
zu weit führen, da es zunichst einmal nötig wlre, sich über die aufrauchenden termlnl
technici (Linksklang, Mittelklang, Rechtsklang; Großdur, Nonendur, Klelndnr, Baslsdur;
Kleinmoll, Großmoll, extremes Großmoll usw.) klar zu werden. Capellen stellt hier
auch ein neues »Kadenzquintengesetz* auf, das da lautet: »Der Quint- (oder Qoait^
Sprung im Basse ist kadenzierend stets zulissig, mag nun der springende Ton Gmndten
sein oder nicht". Der Rhythmus, der doch gerade in der orientalischen Musik dne
grosse Rolle spielt, findet leider eine wenig ausführliche Behandlung. Capellen spricht
endlich auch noch über die Quintenparallelen, deren Verbot »naturgesetslich* nicht i«
begründen ist. Nun, die moderne Musik trägt Ja diesen Zopf auch schon lange nieht
mehr mit sich herum ; ich erinnere, um hierfür gleich einen drastischen Beweis zu liefbm.
an die Trompetenfanfare in Strauß' »Salome*: A^- J ~l ^ T Wenn der Ver^
ftisser auf Seite 55 sagt: »Oberhaupt können alle meine Ausführungen nur als Anregungen
gelten, welche die Phantasie europlischer Komponisten zu befruchten vermögan*, so
söhnt uns das mit manchem, was uns beim Lesen der Schrift zum Widerspruch reiste,
wieder aus, und man kann nur den einen Wunsch hegen, daß namentlich unsere Kunst-
jünger diesen Ausspruch des Verfassers beherzigen und nicht von dem Wahne l>eflangen
sein mögen, daß bereits der Tag der »Weltmusik" zu dimmem beginne; sonst dfirften
in nichster Zeit gar wunderliche Klinge unsere Konzertsile erfüllen.
Max Puttmann
52. Otto Klauwell: Studien und Erinnerungen. Gesammelte Auhitze über
Musik. Verlag: Hermann Beyer & Söhne, Langensalza 1906.
Es ist seit einigen Jahren besonders hiufig Sitte, daß Autoren ihre Im Laufe der
Jahre in verschiedenen Zeitschriften oder anderswo erschienenen AuMtze schließlich
sammeln und in Buchform herausgeben. Diesem Beispiel ist auch Klauwell gefUgt
Sein Buch enthält sechzehn teils kürzere, teils Iftogere »Studien" und vier »Worte der
Erinnerung*. Die Themata sind teils isthetiscber, teils pidsgogischer Art Sechs handeln
sllein vom Klavierspiel und sind sehr beschtenswert, insbesondere der Aufiatz über »das
Klavierspiel — ein hervorragendes Mittel allgemeiner Geistesbildung", woliei es sldi
nstüriich nicht um die endemische Klsvierpaukerei, sondern um ordentliches und KBns^
lerisches Klsvierspiel hsodelt. Von den Isthetischen Studien möchten' wir snnlelist
die über »Beethoven und die Vsriationenform" herausgreifen, in der eine kdna,
II
233
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
aber beachtenswerte Geffchictate der Variation und ilirer Entwicklung von bloßer Form
zum mutikalitchen Ausdruclfiimittel zu finden ist. Ein weiterer Artikel vProgrammusik"
richtet sich gegen Richard Strauß. — In einem Aufsatz „Reminiszenzen" stellt er Be-
hauptungen aufy die vielfach Widerspruch finden dfirften. So sagt er, rhythmische
Reminiszenzen wirkten am stärksten; Ähnlichkeit von Tonmotiven bestehe meist in
Gleichheit der Rhythmen; die melodischen Motive im engsten Sinne seien llngst wohl
erschöpft; bei Betrachtung einer Melodie sei ein Abstrabieren des Rhythmus undenkbar;
auch abstrakte Harmonieen seien unmöglich. Nun, wir bestreiten alle diese Ausspräche
ganz entschieden! Sehr gut sind dagegen wieder die Ausführungen über «Die Isthetische
Bedeutung der Sonatenform*, die Klauwell als «die komplizierteste, organischste und
beziehungsvollste" bezeichnet. Treffend ist daselbst die Bemerkung, die Entwicklung der
musikalischen Instrumentalformen seit dem 16. Jahrhundert habe die musikalische Logik
Immer mehr der begrifflichen genihert; ebenso die, daß ein Spielen mit Kunstmitteln
noch kein Kunstwerk ergebe. Auf alle Aufsitze kann indessen hier nicht eingegangen
werden. Die «Worte der Erinnerung" bezieben sich auf Ferdinand Hiller, Otto von Königslöw,
Franz Wüllner und Isidor Seiß. Kurt Mey
MUSIKALIEN
53. W. A. Mozart: Balletmusik aus der Pantomime «Les petits riens".
Für den Konzertgebrauch eingerichtet von Georg Göhler. Verlag: Breit-
kopf & Hftrtel, Leipzig.
Diese ungemein reizvolle Musik schrieb der 22jlhrige Mozart im Jahre 1T78 in
Paris für den berühmten Balletmeister Noverre. Das kleine Werk, aus Ouvertüre und
einer Reihe kleiner Tanzstücke bestehend, war bekanntlich ein Jahrhundert lang ver-
schollen, ist dann von Viktor Wilder in der Bibliothek der Großen Oper in Paris wieder
aufgefunden und seinerzeit in die Gesamtausgabe von Mozarts Werken aufgenommen
worden (Serie XXIV, No. 16). Das Stimmenmaterial nebst Partitur ist nun vor kurzem
in einer besonderen Einrichtung für den Konzertgebrauch von Georg Göhler bei
Breitkopf & Hirtel erschienen, die dem Werke nunmehr den Weg in die große Öffent-
lichkeit geebnet hat. So wird es u. a. im laufenden Winter von der Hofkapelle in Dresden
gespielt werden. Der Bearbeiter ließ die ursprüngliche Instrumentation natürlich völlig
unberührt, setzte auch keine weiteren Blasinstrumente zu, sondern begnügte sich mit
einigen neuen Pizzikato- und Soloeffekten, die man nicht beanstanden wird. Außerdem
hat er genaue Tempo- und vor allem Vortragszeichen angemerkt und schließlich die
Reihenfolge der einzelnen Sitze etwas geindert, so daß jetzt die so überaus frische,
hochoriginelle F-dur Gavotte den Beschluß macht. Auch sind zwei kleine, weniger
wichtige Sitze gestrichen worden, so daß die Spieldauer der ganzen Suite einschließlich
Ouvertüre — diese ist von Mozart selbst schon für das volle Orchester (ohne Posaunen)
gesetzt — etwa 25 Minuten betragen dürfte.
54. W.A. Mozart: Siebentes Konzert für Violine und Orchester (K.V. IL Aufl.
271a). Zum ersten Male (1907) herausgegeben von Albert Kopfermann.
Ausgabe für Violine und Klavier. Solostimme bezeichnet von Hans Sitt,
Klavierauszug bearbeitet von Otto Taubmann. Verlag: Breitkopf & Hirtel,
Leipzig.
Vor etwa zwei Jahren erschien L. v. Köcheis großer Mozartkatalog in zweiter
Auflage, die der 1906 verstorbene Paul Graf Waldersee bearbeitet hatte. Unter den
darin neu aufgenommenen Werken interessierte nichst der vervollstindigten großen
c-moll Messe (K. 427) am meisten die Bekanntgabe des Vorhandenseins eines voll-
234
DIE MUSIK VII. 4.
stindigen noch ungedrackten Violinkonzerts/) du im Juli 1777 in Saltbarg ent-
standen ist, also gerade zu einer Zeit, die nach der ersten Auflage des »KSchel* als
▼511ig unfruchtbar an Werken sich erweist, da hiemach vom Januar bis Augatt keine
einzige Komposition zustande gekommen wire. Diese LQcke wird also durch das neue
Konzert einigermaßen ausgefQllt. Seine Originalhandschrift gilt alt Terschollen and die
einzige Abschrift sollte nach Waldersees Mitteilung im Besitze von J. Sauzay io Paris
sein. Da wiederholte Versuche, diesen zu einer Veröffentlichung dea Werket an bewegen,
fehlschlugen, machte ich im Dresdner Anzeiger am 16. Juni d. J. die breitere öffentUchkeH
auf das Werk aufmerksam und teilte dabei einige nicht uninteressante Ton Samay mir
brieflich überlieferte Tatsachen über die Entstehung der Pariser Abscbrifk mit, am auch
anderweitige Bemühungen für die Herausgabe anzuregen. Kurze Zeit darauf — die
betr. Zeitungsnotiz war inzwischen nachgedruckt worden — erhielt Ich Ton Prot
Dr. Kopfermann (Berlin) die erfreuliche Nachricht, daß die Berliner Bibliothek ebenblls
eine Abschrift des gleichen Werkes aus dem Nachlaß des berühmten Moiart-Smmmlefs
Alois Fuchs (1799—1853) besitze und zwar schon seit lingeren Jahren. Mangels eines
glaubwürdigen Ausweises über die Herkunft der Fuchsschen Abschrift, insbesondere über
ihre Abkunft von Mozarts Original hatte man das Konzert als »unbeglanbigt* beiseite
liegen lassen und erst die von mir mitgeteilten Tatsachen (a. a. O.) Teranlassten Kopier*
mann, aus der Reserve herauszutreten und nunmehr die Berliner Partitnr, die io den
Themaannngen mit denen von No. 271a im neuen »KSchel* genau filMrelnatimmt^
unabhingig von ihrem Pariser DoppelgSnger bei Breitkopf & Hirtel su TerSIfentlicheo.
Dem Mozartverein zu Dresden wurde das Erstaufführungsrecht (gleichzeitig mit Berlin)
ausgewirkt und die Aufführung für den 4. Nov. d. J. geplant (mit Petri als Solisten)^
Dieses Konzert erweist sich als echter und vollweniger Mozart und wird twelfelloe
rasch seinen Siegeszug durch die Konzertsile machen. Es geht Io maneben Ponkten,
namentlich nach der technischen Seite hin, weit über seine fünf ilteren Sehwestem
vom Jahre 1775 hinaus und stellt auch für heutige Verhiltnisse noch tfiehtige An-
forderungen an den Spieler. Das Orchester ist symphonischer wie früher febahen,
obwohl die Blasinstrumente noch auf das übliche Quartett der Oboen und Homer 0*
zwei) bescbrinkt sind, die jedoch sehr wirksam und oft selbstindig behandelt sind. Es
herrscht im ganzen Werk jener warmherzige und dabei frischkriftige Ton, wie wir Ihn
z. B. in der ein Jahr vorher geschriebenen berühmten Haffner-Serenade (K. 250)^ an-
treffen. Es finden sich in allen drei Sitzen eine Fülle origineller Melodleen und fsns
besonders der geistsprühende Schlußsatz mit seinem großen romantischen Minoieteil
birgt küstliche Einfille und reizvolle Soloeffekte. Die am Schluß des Sätzen nochmals In
hoher Lage wiederkehrende volkstümliche, schalkhafte Melodie ist, was noch nlebt be>
kannt sein dürfte, von Mozart ein Jahr später in Paris zur F-dur Gavotte (Allegro) der
Balletmusik »Les petits riens" verwendet worden, die auch Gübler In seiner aenen Ein-
richtung (vgl. die vorstehende Besprechung) mit Recht als Scbloßsata benntit hat. Es
dringt sich hierbei die Frage auf, ob diese volksliedmißige Tanzmelodie efwn |i
„Straßburger" sein könnte, den Leopold Mozart und Wolfgang in Ihren Briefen
6. resp. 23. Oktober 1777, also im Entstehungsjahr unseres Konsertea, meineii,
sie von dem Konzert „mit dem Straßburger* oder kurz vom aStraßborger Kouerf*
sprechen, das Wolfgang in Augsburg «auf die Nacht beim Souper* spielte. Mna mflflis
in Straßburg nach Volksmelodieen aus dem 18. Jahrhundert suchen, am diene Fng^
zu beantworten. Otto Jahn, der das vorliegende Konzert nicht gekannt hat, teimnlst
bekanntlich den ,,Straßburger* in einem der früheren Konzerte (K. 216 oder 218)
^) Vgl. erstes Januarheft 1906 dieser Zeitschrift unter »BOcbefbeepredinafen*.
^
235
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
iwar ia den eincefiochtenen ▼olksliedaiticen Aodantesltzen der Schlußrondos. Dm
«große* D-dur Konzert, wie man das neue zum Unterschied von den beiden früheren
nennen könnte, hat in Zukunft als das Hauptstfick Mozarttcher ViolinTirtnositit zu gelten
und wird sich zweifellos bald einen Platz in der vordersten Reihe der lebenden Violin-
konzertliteratur erobern. Daran wird es auch von dem jetzt viel gespielten sechsten
Konzert (Es-dur K. 268) nicht gehindert werden, dessen Echtheit als Ganzes bekanntlich
▼on der Fachkritik mit Recht angezweifelt wird.^) Der neue Klavierauszug des D-dnr
Konzerts, dessen Vorlage, wie der Herausgeber im Vorwort der Partiturausgabe bemerkt,
manche Fehler enthilt, ist im ganzen sehr korrekt ausgefallen, doch sind, wie mir
Prof. Kopfermann selbst mitteilt, auch hier noch ein paar Stellen Terbesserungsfihig.
Manches bitte sich vielleicht klaviermäßiger setzen lassen und wire dann bequemer
tpielbar. In der Solostimme sind mehrere p-Zeichen angemerkt, die offenbar nur der
Begleitung gelten. Das berühmte Verlagshaus hat mit der ungemein raschen Publizierung
des Konzenes in Partitur, Stimmen und Klavierauszug wieder eine glänzende Probe
seiner Leistungsfähigkeit abgelegt. Ernst Lewicki
55. H. Vieuxtemps: 6 Etudes (Oeuvre posthume) pour le Violon, revues par H.
Becker. Verlag: Max Brockhaus, Leipzig.
No. 1 eine Legato-Etude. No. 2 eine Trillerstudie. No. 3 Verbindung von Le^ato
and Staccato. No. 4 Arpeggienstudie, Obergang von einer Saite zur andern. No. 5
Doppelgriffstudie (Gesang mit Begleitung) mit Passagen auf der G-Saite als Zwischensatz.
No. 6 Tripeigriffe. Natürliches, nicht langweiliges Studienwerk.
56. Louis Delune: Sonate fQr Violine und Klavier (d-moll). Verlag: Breitkopf &
Härtel, Leipzig.
Keine Dutzendware, vielmehr durchweg anregend, oft geistvoll, glQcklich in der
Melodik. Am wertvollsten ist der sich mitunter in der Form einer freien Phantasie
nähernde erste Satz, der einen gewissen Einfluß Schumanns zeigt. Auch in dem ersten
Intermezzo, einem zanen Lied ohne Worte, möchte ich diesen Einfluß erkennen. Pikant ist
das zweite scherzoartige Intermezzo. Das Finale ist nicht bloß in der Harmonik unruhig;
der ganze Satz, der fOr den Klavierspieler nicht leicht ist, ist noch gar zu gärender Most.
57. Carl Reinecke: Trio für Piaooforte, Klarinette (oder Violine) und Hom (oder
Viola), op. 274. Verlag: Breitkopf & Härtel, Leipzig.
Wieder ein erfreuliches Zeichen von der geistigen Frische des greisen Kompo-
nisten, der seine Sätze trefflich aufbaut und der Eigenart jedes Instrumentes gerecht zu
werden versteht. Voller poetischer Feinheit ist der langsame Satz, sehr ansprechend das
Scherzo mit seinen beiden Trios. Der schwungvolle Schlußsatz bringt als Coda noch-
mals das Hauptthema des ersten Satzes. Der Klaviersatz in diesem ist brabmsisch.
58. Fr. Hinze: Orchesterstudien fQr Klarinette. Zwei Bände. Verlag: Breitkopf
& Härtel, Leipzig.
Eine geradezu unentbehrliche, jedenfalls einem wirklichen Bedürfnis entsprechende
Sammlung. Aus dem ersten Bande seien hervorgehoben die gef&rchteten Stellen aus
Adams «Postillon von Lonjumeau", Goldmarks »Heimchen am Herd*, aus Mozarts »Titos*
(auch das Bassethom-Solo hieraus ist aufgenommen), Rezniceks «Donna Diana", Richard
Strauß' »Guntram", Thomas' »Mignon", Wagners »Tristan*. Im zweiten Bande sind nicht
weniger als 72 Werke berficksichtigt, a. a. Conradische Potpourris, Dukas' »Zauberlehrling*,
die Lisztscben Rhapsodieen und sinfonischen Dichtungen, Nicod^s sinfonische Variationen,
Raffs Waldsinfonie, Rimsky-Kor8sakows'»Scbeherazade*, Richard Strauß' »Ealenspiegel*,
Tscbaikowsky, Weingartner. Wilhelm Altmann
>) Vgl. den Revisionsbericht von Rudorff zu Serie XXIV No. 19 der Gesamt-Aasgube.
Aus Literatur- und Kunstzeitschriften
SÜDDEUTSCHE MONATSHEFTE (München) 1907, Jull-NoTcmbcr. — In diesen
Heften werden die „Memoiren* von Robert von Hörn stein abgedruckt Hom-
stein berichtet darin in fesselnder Weise such von seinem Verkehr mit ssU-
reichen Musikern. Besonders viel weiß er von Wsgner und Schopenhauer su
erzählen. Die Mitteilungen über Schopenhsuer, mit dem er such viel Ober Musik
sprach, sind wohl das Interessanteste sn den Memoiren. Schindler, der nach
Hornsteins Meinung gsr nicht so ein unbedeutender Mensch war, als der er von
vielen Biographen Beethovens hingestellt wird, „behsuptete immer, Schopenliaaer
habe große Ähnlichkeit mit Beethoven; besonders suffsUend sei das, wenn er die
Straße daher käme". Ober Ludwig B5hner, der von vielen als das Urbild des
Schumannschen Kreisler sngesehen wird, schreibt Homstein: »Der alte Lonis
B5hner wsr auf seinen Wanderungen nach Leipzig gekommen, ich sog acht Tage
mit ihm herum. Ich arrangierte Abende, an denen er uns vorspielte und ans
seinem abenteuerlichen Leben erzählte. Aus seinem Munde hörte ich die Ge-
schichte, wie er Weber in Dresden aufsuchte, natfirlich su Fuß, von Thfiringen
aus, um ihm Grobheiten zu machen, weil er ihm ein Motiv aus einem Klavier-
konzert gestohlen und im Freischütz verwendet hebe* ,Bei mir war ea nur ein
rasch vorübergehendes Motiv, Weber hat den ganzen Freischütz daraus gemacblf,
setzte er hinzu. Weber warf ihn schließlich zum Hause hinaus ... Er plegle
sich morgens von Kopf bis zu Füßen kslt zu waschen. Als ich ihn einmal In
dieser Situstion sah, schrie er suf: ,Hsben Sie schon solch einen Körper gesehen?
Gab es ein Weib, dss wert gewesen wäre, von diesen Armen umfangen zu werden ?*
Er hatte längst kein Domizil mehr. Er zog von Land zu Land, ohne Je einen
Wagen oder gar die Eisenbahn zu benützen. Meist trieb er sich in seiner Heimst
Thüringen umher, wo er in den Pfarrhäusern übemschtete. DsfQr spielte er die
Orgel; den Wirten spielte er auch zum Tanze suf, wofür er dann von ihnen gut
gehalten ward. Jedes Kind in Thüringen kennte den alten Böbner. In seiner
Jugend wurden ihm von den Studenten nach seinen Konzerten die Pferde ans-
gespsnnt, und eine Musikzeitung hstte einst geschrieben, er werde als Tondichter
Mozart und Beethoven in den Schatten stellen. Llszt, den er regelmäßig in Weimer
aufsuchte, ließ ihm beim Weggehen durch den Bedienten zwei Taler geben.
Später nur noch einen, als er gehört hatte, daß er dem Bedienten Jedesmar einen
zurückgab mit der Bemerkung: ,Er brauche bloß einen.' Gepäck hatte er keines.
Seine Wäsche trug er auf dem Leibe, bis sie fest verfault wsr, dann warf er sie
weg und kaufte sich neue. Er war von der fixen Idee besessen, der Krankheils-
stoff übertrsge sich beim Waschen auf die übrige Wäsche, und so gab er den
Wäscherinnen nichts zu verdienen. Bei einer Konzerttoumd logierte er 1>ei einem
reichen Hamburger. In seinem Zimmer stand ein kostbsrer Flügel, den acblag
er einmal nachts zusammen. Es wäre ein Geist darin gewesen, der ihn beliatigl
hebe.* Ähnliche Anekdoten über Musiker, Dichter und sndere Leute ersihlt
- - *-i
M
237
REVUE DER REVUEEN
Robert von Horastein zu Hunderten. — Ernst Holzer bedauert in dem Aufsatz
i,Zur wQrttembergischen Musikgeschichte" (September-Heft), daß die Geschichte
der Mnsik in Württemberg bisher wenig erforscht wurde, insbesondere, daß Her-
mann Aberts musikgeschichtlicher Beitrag zu dem von dem Württembergischen
Altertums verein herausgegebenen Sammelwerke über Herzog Carl Eugen und seine
Zeit nur die dramatische Musik behandelt, und daß in Rudolf Krauß' Theater-
geschichte in demselben Sammelwerke manche musikgeschichtlich interessante
Tatsachen nicht erwähnt werden. Auch spricht der Verfasser den Wunsch aus,
daß das Leben und das Schaffen Jommelli's, der nach Holzers Ansicht zu wenig ge-
schätzt wird, bald in einer Monographie dargestellt werden. Aus Junkers musi-
kalischen Almanachen für 1783 und 1784 druckt Holzer interessante Abschnitte
über C. F. D. Schubart ab. Am Schlüsse begründet Holzer die Ansicht, daß in
einer Geschichte der Musik in Württemberg auch der Einfluß der Lehrer auf die
Musikpflege dargestellt werden müsse. — Carl Georg von Maaßen veröffentlicht
einen interessanten Aufsatz über »E. T. A. Hoffmanns Bamberger Wohnung*
(Oktober- Heft).
KUNSTWART (Dresden), Jahrgang XX, Hefe 23 und 24; XXI, 1 und 2.— Karl Soehle
schildert in dem »Schwärmerbrief" «Warum ich den ,Fidelio* liebe" («Die Werke
und wir", VL — Heft 23), wie er in Wien und Wiens Umgebung den Fußstapfen
Beethovens nachgeht und, erfüllt von den dort empfangenen Eindrücken, den
»Fidelio* hört. Die Wiener Aufführung hat ihn davon fiberzeugt, daß die «geruh-
samen ersten Szenen* der Oper, trotzdem sie der dramatischen Entwicklung
schaden, «gerade so recht sind". «Man tritt so gewissermaßen aus der Ebene mit
ihren idyllischen Feldern und Wiesen plötzlich an das brandende, unendliche Meer
und steht geblendet und ganz fassungslos da." — In dem Aufsatz «Vom Wechsel
der Stimmung" (Heft 24) spricht Richard Batka die Meinung aus, daß es ein Be-
dürftiis der menschlichen Natur sei, von starken Schmerzgefühlen sich durch eine
«zunächst vielleicht etwas krampfhafte Lustigkeit" zu befielen. Dadurch seien
z« B. die Sitte des Leichenschmauses und der Brauch der Militärkapellen, von
einem Begräbnis mit lustigem Spiel heimzukehren, zu erklären. Daher sei bei
den Griechen auf die Tragödie das Satyrspiel gefolgt, und in unsem Symphonieen
folge auf das Adagio das Scherzo. Erst beim modernen Menschen trete «an Stelle
der raschen Krisis ein langsamer Heilungs- oder Berubigungsvorgang". Das zeige
sich auch an den Sonaten und der symphonischen Dichtung. Auch die «Be-
wegung zur Reform der Konzertprogramme" ziele «letzten Endes darauf ab, unsrer
gesteigerten Empfindlichkeit gegen willkürliche Obergänge Rechnung zu tragen". ^
In dem Aufsatz «Zurück zur Melodie?" (Heft 1) weist Richard Batka darauf hin,
daß seit der Zeit der Minnesinger die «Stellung der Melodie im Satzgewebe" sich
oft geändert hat, und daß es verschiedene Arten von Melodieen gibt. «Vom Kinder-
lied, das innerhalb der Tonart sich bewegt, bis zu den reich modulierenden Melodieen
der Moderne ist ein weiter Weg." «Je weniger Urgefüble, je mehr fein differenzierte
Empfindungen die Musik ausdrücken will, desto weiter muß sie sich von der ein-
fachen, geschlossenen Melodik zur freien entwickeln." Die moderne Musik sei
«nicht so arm an Melodie, . . . wie man insgemein vorgibt . . . Der melodische Ein-
ftll wird nicht mehr verschwenderisch ausgestreut, sondern kostbar gefißt" Da-
durch werde bewiesen, daß die modernen Komponisten «den besonderen Wert des
melodischen Gedankens sehr gut zu schätzen wissen". Nicht zu leugnen sei aber,
daß heute «die Schreibweise der Komponisten und die Auftiabmekraft des Publikums
in keinem natürlichen Verhältnisse mehr stehen". Batka schlägt daher vor, be-
238
DIE MUSIK VIl. 4.
sonders in den Volkskonzerten mehr, als es Jetxt fiblich ist^ die Motlk des volks-
tümlichen Stiles zu pflegen. i^Dies würde auch das Schaffen im volkstftmlichM
Stile wieder beleben helfen.* »Der großen* Konzerte haben wir ohnehin mohrals
cenug; denn die Hilfte ist nur Eitelkeit und HencheleL Es werden viel an viel
Menschen zum Anhören von Musik herangelockt, die weit über ihren Ohreahorlaent
hinausgeht, von der sie bestenfells den iuileren Sums begreifen.* — Gerhard
Schjelderup veröffentlicht den Aufsatz .Edvsrd Grieg" (Hefk 2), in dem er den
Verstorbenen hauptsichlich als »einen der bedeutendsten Tonlyriker, die |o ge-
lebt haben", feiert.
BAYREUTHER BLÄTTER igo7, 10.-12. Stück. — In den unter der Oberschrift
«Richard Wagner an Ministerialdirektor Ludwig von Bürkel* verüffentUchtaa vier
Briefen spricht Wagner die HofToong aua, daß Ludwig IL einer AnffOhrang des
«Parsifel* in Bayreuth beiwohnen werde, und bedauert dann, daß der KAolg
dieses Werk durch eine Separat- Aufführung kennen lernen wolle; durch eine
solche Vorstellung könne er nicht denselben Eindruck empfkngen wie dnrdi eine
Bsyreuther Aufführung. — Unter der Oberschrift »Briefb an Richard WagMr.
Nachtrag aus der Züricher Zeit* werden Briefe von Joachim, von Raymond^ Olle
Wesendonk, Chlodwig Fürst Hohenlohe, Anton Pusinelli und KUndwenh ab-
gedruckt. Dem Brief Joachims vom 6. April 1854, der die Nachricht entihilf; daß
der «Tannhiuser*, aber nicht, wie Joachim gehofft hatte, auch der »Loheogrln* In
Hannover aufgeführt werde, ist ein AufMtz vorangeatellt, in dem bedaaert wild,
daß in den meisten Nachrufen auf Joachim dieser nur ala der Gegner der ,aeosn
Richtung*, der den Mut gehabt habe, sich von den »Weimaranem* an trennen,
betrachtet wurde, und man nicht „auch deaaen gedachte, waa Joaehim einet vor
Jenem Wandel gewesen, wem er es gewesen, und waa andererselta Weinur ihm
geweaen ist". Es werden dann mehrere Stellen aua Briefen Joachime miigelsiH
die zeigen, daß Joachim, wenigstens bis zum Jahre 1857, Uszt nnd Wagner
viel höher schitzte und gegen Liszt viel dankbarer gesinnt war, ala ee naeh den
meisten Aufsätzen über Joschim den Anschein hat. — Femer entfallt des Heft
mehrere ausführliche Bücherbesprechungen und die folgenden aelbetindigsn
Aufeitze: „Versuch einer vollstindigen philosophischen Dentimg von
Ringmythos. I: Die Gestalt Logos im Ring" von Felix Groß. — «Ober
Melodik und Harmonik" (Fonsetzung) von Emil Ergo. — «Henry Thode als
Redner" von Alfred Peltzer. — „Aufruf an alle Verehrer Richard Wagneis* (aiahe
Beilage zu „Die Musik" Vll, 1).
DIE HILFE (Berlin) 1007, No. 37. — In dem Aufsatz .Edvard Grieg f« hebt PMl
Zschorlich den Verstorbenen besonders hervor, dsß in Griegs Mnalk nich^ wie
z. B. in der Gade's und Rubinstein's, der Nationalcharakter bloß pangedenlst",
sondern „vorherrschend und bestimmend" war. Durch seine „raffinierte^, vertnckte
und tolle" Harmonik habe Grieg aber „sich doch wieder ganz gewaltig von
allem Volkstümlichen entfernt." Magnua Schwaatje
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KRITIK
OPER
BERLIN: Köniclicbes Opernhaus. Das
Gaatapiel Enrico Caraso's an der Hof-
oper sollte sich f&r Berlin su einem gesell-
schaftlichen Ereignis gestalten, sollte den An*
strich des Sensationellen haben. Die unge-
wöhnlich hohen Eintrittspreise, die Teilnahtne
des Hofes, der Ruf des Singers als größten
Tenors Italiens, das alles wirkte in dieser Rich-
tung. Die i^Gesellschaft* erschien denn auch
— aber die Sensation blieb aus. FQr sein
teures Geld wollte man offenbar recht viel
laute und hohe T5ne haben und war im ganzen
einigermaßen enttiuscht. Mit Unrecht Denn
Caruso war nie, in Berlin wenigstens (in Italien
und Amerika mag er sich frQher anders gegeben
haben), ein Blender in diesem Sinne; nicht, als
er suerst im Theater des Westens vor uns trat
(obwohl dort die Stimme naturgemSß mehr
Glanz entwickelte), und noch weniger vor einem
Jahre in dem akustisch ungGnstigen Opernhaus.
Aber den Freunden feineren Kunstgenusses bat
er zugleich Wertvolleres geboten: Caruso ist
ein wirklich guter Singer, einer der wenigen,
die wirklich zu singen verstehen, und der mit
seinem großen Können auch Geschmack und
Intelligenz verbindet Nie wird er sich aus dem
Ensemble hervordringen, nie durch grobe
Effekte oder kfinstlerische Mitzchen den Erfolg
herausfordern. Nur einmal, am Aschiedsabend,
ließ er sich zu einigen Kraftiußerungen hin-
reißen, als wollte er gleichsam sagen: »glaubt
nur nicht, daß ich das nicht auch kann!* Und
leider waren es gerade solche Stelleui denen
frenetischer Jubel folgte. Was es mit dem ver-
feinerten Geschmacke und der fortgeschrittenen
Kultur des Publikums auf sich hat, das zeigt
sich fiberhaupt bei diesen Gelegenheiten recht
drastisch. Da wird plötzlich die mühsam an-
Selemte Vornehmtuerei beiseite gesetzt, und
er rücksichtslos mitten in die Musik ein-
schneidende Beifall enthüllt das wahre Ver-
hiltnis der Menge zur Kunst «Also doch*
sagt man sich wieder einmal. Trotz Wagners
und alles modernen Äsihetentums! So wird es
auch immer bleiben; tiuschen wir uns nur
nicht darüber. Mit Nachdruck muß festgestellt
werden, daß Caruso in «Rigoletto* (etwas
indisponiert) und »Lucia* (im Vollbesitz seiner
Mittel) sich als Meister des bei canto betitigt
hat Wir wollen nicht das Pbinomenale, son-
dern das Natürliche sn ihm bewundern. Hitten
wir nur in Deutschland Singer, die so den
Atem zu führen, so den Ton zu bilden ver-
stehen und so mübelos und sicher das Tech-
niscbe der Tonverbindung und der Sprach-
behandlung beherrschen! In der «ATda*" kam
noch etwas anderes hinzu. Csruso zeigte, dsß
ihm auch Stil und Pathos sogenannter Helden-
partieen, ja diese vielleicht ganz besonders,
liegen. So wurde sein Rsdames die hervor-
ragendste Leistung. Nicht nur im Gesänge ent-
wickelte er große Energie des Ausdrucks; auch
im Spiel hatte er gerade durch seine Einfachheit
ergreifende Momente. In die Ehren dieser Vor-
stellung teilte sich mit ihm Emmy Destinn,
deren Aida, was künstlerische Ausführung und
klangliche Schönheit des Gesanges betriff^ das
höchste Lob verdient. In den beiden lyrischen
Opern hatte Caruso Frl. Hempel snr Partnerin, .
die sowohl die Gilda wie die Luda technisch
einwandsfrei gestsltete und damit verdienten
Beifall erntete. Auf dem ersten Abend lastete
der arg verzeichnete Rigoletto des Herrn
Hoff mann. Die «ATda*- Vorstellung nahm noch
nach einer anderen Seite das Interesse in An-
spruch, denasie bot eine völlig neue Inszenierung.
Hier konnte man wirklich von Enttiuschung
sprechen. Der glinzende Aufwand an neuen
Dekorationen und Kostümen und die verinderten
szenischen Arrsngements sind dem Werke leider
nicht zustatten gekommen. In ihrer malerischen
Wirkung von unruhiger Buntheit, blieben sie hinter
der ilteren Einrichtung erheblich zurück. Die
Prinzipien der neueren Regiekunst waren dabei
miiUcbtet zugunsten einer iußerlichen Pompent-
faltung, die oft das Wesentliche der Handlung
nicht klar genug hervortreten ließ. Ganz besonders
ist die Aufstellung zu tadeln, die dem Chore die
volle Wucht des Klanges und die Deutlichkeit
des Wonvortrags raubte. Kapellmeister Blech
dirigierte die Oper mehr flott als poetisch und
ließ durch eine sehr anfechtbare Temponahme
die stilistischen Eigentümlichkeiten des Werkes
nicht recht zur Geltung kommen.
Dr. Leopold Schmidt
Lortzing-Oper. Eine annehmbare Vor*
Stellung von Marscbners auch heute noch
sehr wirkungsvollem, teilweise geradezu ge-
nialem ;Hans Helling", der uns vom König-
lichen Opembsus leider seit Jahren vorenthalten
wird, bot Direktor Garrison. Kapellmeister
M. Grimm bewihrte sich in hohem Grade, das
Orchester wsr gar nicht übel, wihrend der
Chor leider zu wünschen ließ. Eine künst-
lerische, die Gestalt Hellings durchaus er-
schöpfende Leistung bot Dr. Rudolf Pröll. Zu
loben sind auch William von Hazibausen
(Konrad) und Emmy Schwabe (Königin).
Josepbine Grünwaid (Änncben) erschien über-
angestrengt. Auf das Publikum bat diese Aus-
grabung des |»Heiling* große Anziehung aus*
aeübt, so dsß die Oper sehr oft in der Lortzing-
Oper angeseut wird. Wilh. Alt mann
BRESLAU: Die bisher absolvierten, sehr ar-
beitsreichen Wochen der Spielzeit galten der
Wiederaufnahme bekannter Repertoire-Werke..
Die Anziehungskraft der StraußiCben »Salome*
scheint in ihrem dritten Breslauer Winter ein
wenig nachgelassen zu haben, dagegen feiert
Offenbacbs i^Hoffmanns Erzihlungen* mit
Frau Verhunc und den Herren Sie wert und
Schauer in den Hauptrollen eine Neuauflage-
früherer Erfolge. Das Solopersonal der Oper
ist in diesem Winter wirklich hervorragend Das
ausgezeichnete Tenoristen -Terzett Trostorff,.
Günther-Braun, Siewert ist uns erbalten
geblieben und wir haben eine interessante Hoch-
dramatiscbe an Hermine Rabl von Kriesten,
eine elegante Koloratursingerin sn Rose Mac
Grew, einen prachtvollen Bassisten an Rudolf
Wittekopf und einen famosen Heldenbariton
an Josef Höpfl neu gewonnen. Eine Bübnen-
novize mit pbinomenaler Höbe ist in Friulein
Allen (gleich Frau Mac Grew Amerikanerin),
die als Leonore im »Troubadour* debfitiene,
verpflichtet worden. Mit diesen und den anderen
trefflichen Kriften — nur das Fach det ■Jugend-
lich-Dramatischen" zeigt eine Lücke — lassen.
240
DIE MUSIK VII. 4.
J^B
Bich scbon Siege erfechten, wenn auch das mu-
•ikalisctae Ensemble bei der notgedrungenen
Hast mancher «Neustudierung* nicht immer
dem hoben Niveau einzelner Solo-Leistungen
entspricht. Als erster Kapellmeister fungiert
wieder der treffliche PrQwer, neben ihm die
Herren Schmiede! und Tissor. Als Regisseur
zeichnet nach wie vor Herr Kirchner. Von
Wagner erschienen bisher nur »Lohengrin* und
yTannhäuser*. Aber eine sehr gut besetzte
Auff&hrung von »Tristan und Isolde« steht dicht
bevor. Auch ein paar Gastspiele sind bereits
zu verzeichnen. Sie hatten uns nicht Neues zu
sagen. Die Mignon Eva vonderOstens, die
sich leider nicht mehr ihrer vollen, schönen Ur-
sprünglichkeit erfreut, sondern Anlagen zur
«Star*-Koketterie verrit, gehört nun scbon zu
unserm eisernsten Repenoire-Bestand, und Si-
grid Arnoldson hat sowohl ihre vinuose
Lakm6, wie ihre poetisch zane Julia hier bereits
des öfteren hören lassen. Als Partner der rei-
zenden Schwedin (Gerald und Romeo) verdient
Herr Sie wert wegen seiner ffir einen deutschen
Tenor ungewöhnlich stilgerechten Gesangs-
leistungen besondere Erwähnung.
Dr. Erich Freund
T\ARMSTADT: Die neue Opemsaison brachte
M zu Beginn eine Reihe künstlerisch treinicb
abgerundeter Auffuhrungen, von denen die
neu einstudierten Werke: „Der Templer
und die Jfidin«, „Das Nachtlager in Granada«,
Puccini's »La Boh6me« und d'Albens «Tief-
land« besonders hervorgehoben sein mögen.
Ganz vortrefflich wurde auch (mit unserm
stimmgewaltigen Heinrich Spemann in der
Titelrolle) «Tannhäuser« gegeben, in dem Lisbeth
Seil in vom Frankfurter Opembause mit leb-
haftem Erfolge die Elisabeth sang. Ein Gastspiel
Eugen Guths von Graz fQr das Fach des ersten
Bassisten, das bei uns durch Alfred Stephani
eben hervorragend vertreten ist, verlief ergebnis-
los. Durch die getroffenen Neuengagements:
Lina Morny (Primadonna), Gustav D ramsch
(Heldenbariton) und Ernst Raven (zweiter
Bariton) hat das Ensemble eine erwünschte
Auffrischung erfahren, so daß unsre Hofoper
zurzeit in der Qualität des Stimmaterials alle
früheren Jahre fibenrifft. H. Sonne
FvOSSELDORF: Die ersten Opemwochen am
^ Stadttheater brachten mancherlei angenehme
Überraschungen. Zunächst bewies Robert
Leffler an einer Reihe vorzüglicher Neu-
einstudierungen seine ungewöhnliche Begabung
für den ihm anvertrauten Posten als Regieleiter
der Oper. Neben der «Afrikanerin« und stän-
digen Werken, wie «Tannhäuser«, «Lohengrin«,
«Fidelio«, gelangten beispielsweise «Die ver-
kaufte Braut« von Smetana, «Othello« von
Verdi in ganz hervorragend guter Inszenierung
zur Aufführung. Beide Opern dirigiene Fröh-
lich. In der ersteren taten Anna Kettner,
Hermine Förster, Robert Hutt als Kathinka,
Marie und Hans ihr Bestes und das Beste, im
«Othello« zeichneten sich Neubauer, ein
temperamentvoller Mohr, Waschow, ein dämo-
nischer Jago, Hedwig Weingarten, eine be-
strickende Desdemona, besonders aus. Berthold
Filiere Verdienst ist es, den Chor auch für
die schwierigsten Aufgaben gut vorzubereiten.
Dies kam auch dem Othello zusutten. Als
Kapellmeister führte sich fisnier Bmiio Hart!
vorteilhaft ein. Wenifer vielvenprechend idgleD
sich hingegen Carlotta Roeder, die nmai^ gnt
beanlagte, aber wenig zurerlisaife Koloraturdiva,
und Anna Fenz als BewerlMrin am das tao^
dramatische Fach. Interessante Gastspiele gab
es auch schon. Andreas Moers, der fHlhefe
Tenor Leipzigs, sang, zum Bsritonfkche über-
tretend, den Telramund, Margarete Kahler aas
Elberfeld die Ortmd; Kort Strickredt des
Don Pedro in der .Afrikanerin*, Angdle Vldren
die Leonore In «Stradella«. Benerkenswert Ist
ferner die emsige Pflege auch der heiteren KensL
Wurde Loruing von Jeher lieberoU behsadeh^
so widmete man sich nun der reizenden, stil-
vollen Neueinstudierung von Webers »Abe
Hsssan«, der «Schönen Ungarin*, des »Bmdar
Straubinger« und versuchte, sllerdingn ▼orilnflg
mit nur halbem Erfolgs, dem Meistef^Bsllsl
«Coppelia* die Gunst der Zuhörersciisft ss
gewinnen. A. Eccarlns-Sieber
ELBERFELD: Mit Wagners «Lohengrin" in
neuer dekorativer Ansststtong^ von FM-
herrn von der Heydt gestiftet, ist die ness
Spielzeit würdig eröffhet worden« Neben des
bereits bewihnen Kräften führten sieli nen Vali
von der Osten als Jagendllch-dramatlscks
Sängerin, Claudia von Rad kle wies eis AltisilB
und Julius Kiefer sls Heldenbsriton girt eis.
Die hier seit langem nicht gegebene JSiämmtF
hatte In Klara Gabler (Dresden) nnd denn
Schwester, Frau Gibler-Rnhbeck, an»-
gezeichnete Vertreterinnen. Aloys Bnrgstsller
bot in der «Walküre* einen nnverglelchWchse
Siegmund. Maud Roosevelt, die eis Ji
lich-dramatlscbe Sängerin dem Verband
Buhne angehört und In der Rolle der ipBMssbsth*
(Tannhäuser) auftrat. Interessiert vorlinil^
am meisten mls Nichte des popnliran
ksnischen Präsidenten. Als talentvolle heimisfhs
Novizen hatten bei Ihrem ersten DeUt sswehl
Elly P r e I r fe r (Micsüla) sls Elfriede Do rp(Migpon)
aulierordentlichen Erfolg. Ejrslofs ipKfinslIsr-
blut* hst bei trefflicher Inssenlemnt nnd ite*
Stellung such hier ausnehmend fefallen. His
Strauss' «Salome", hie Lobärs »Lnstifs WÜns^,
die in prächtiger Ausstattung aneb in unssism
Stadttheater ihre Zugkraft bewahrt.
Ferdinand Sehemenakv
FRANKFURT a. M.: «Die rote Gred>, M
Akte von Julius BIttner, hotten wfr aa
26. Oktober als Neuheit Die TiteihelAn, sls
Mädel vom «fohrenden Volk* den
Zeitalters, bezaubert den Jungen
sobn einer Kleinstadt, der sie beiai
unterbringt. Der Vollnklatseh stempelt sls nr
«Hexe", nach einer von eltorsBehtifer Hsnd g^
legten Feuersbrunst wird sie gefonten fsneaasoi
aber von ihrem Liebhaber beftvit Anf dsr
Flucht tritt dem Paare der StadtiuuiptHann Is
den Weg, der es schon Im vortaercebendsn AkM
der roten Gred angetan hatte^ nun wnlB rieht
recht warum und erfährt's aneb nie, denn dss
Libretto, bis dahin Im iltem tomsntlscbsn 84
schlicht und nicht ohne poetiscbe Mschs^ Bh
den plützlicb eine Art von ,SeelonpffsblsM*a»
tage, das sich l»el nicht inrsiebonder
und Motivierung sehr scbleierbnil
Genug, der Stadthauptmsnn will
das ganz In den Bann seiiMS T~
1^-*
241
KRITIK: OPER
und sich am ihren Liebhaber wenig mehr
kfimmert, nichts wissen und ISßt sie laufen;
sie gerit in ihrer Desperation unter eine Bande
▼on Landsknechten und zieht mit ihnen fort.
Das alles wird mit einer Musilc vorgetragen,
deren beste Seite noch in der geschickten, oft
knifflichen Instrumentation zu suchen ist, deren
Erfindung aber nichts Eigenes verrät, bald an
Richard Strauß, bald an Wagner, auch an De-
bussy anklingt, hier durch dissonante Quälereien
▼erstimmt, dort durch überflüssigen Tutti-Lirm
abstößt, mehrfach auch ganz ehrlich langweilt.
Ffir das Lokalkolorit sorgt im Text oberöster-
reichischer Dialekt, der sich mit so modemer
Begleitung im Stil des «musikalischen Dramas*
recht wunderlich ausnimmt, und im Eingang des
zweiten Aktes eine Lindlerweise. Hierdurch,
Tielleicht auch durch Mithilfe von etwas Clique,
ließ sich das Publikum, das nach der mit fol-
ternden Vorhalten gewürzten Ouvertüre keine
Hand rührte, am zweiten Aktschluß zu starkem
Applaus und mehreren Hervorrufen des Autors
begeistern. In die Wagschale dieses äußeren
Erfolges fiel auch die Tüchtigkeit der Wiedergabe
anter Dr. Rottenbergs Leitung und mit Frl.
Schröder, unserer neuen Altistin, die die rote
Gred ausdrucksvoll spielte und im Gesang mit
ihrer sonst so schönen Stimme nur vereinzelt
QDedel, gequetscht klingende Noten hören ließ.
Außer ihren beiden Hauptpartnern, den Herren
Gentner und Braun, waren noch eine ganze
Anzahl erster hiesiger Opernkräfte in den meist
onr episodischen Rollen beteiligt.
Hans Pfeilschmidt
UAMBURG: Unsere Oper stand im Zeichen
^^ Caruso's. Auf seine drei Gastrollen kon-
zentrierte sich für zwei Wochen das ganze
Interesse. Am größten war die Begeisterung
▼orher. Als man «ihn* dann endlich sah und
hörte, flaute die Stimmung erheblich ab. Denn
einmal war er indisponiert und sang tatsächlich
nicht mit der Mühelosigkeit, wie im Vorjahre.
Aber das hätte weiter nicht gestört. Unan-
genehmer war die Entdeckung, daß man für
25 Mk. nur einen Künstler, einen richtig
gehenden Künstler von deutschem Ernst fand;
keinen Virtuosen und Kulissenreißer, keinen
Brüller und Effekthascher, keinen typischen
Tenoristen. Dafür 25 Mk. und die neuen Hand-
tchohl I gittl Heinrich Chevalley
KÖLN: Amilcare Ponchielli's im textlichen
wie musikalischen Wesen einigermaßen
▼eraltet anmutende Oper „Gioconda* brachte
es im Opemhause vermöge ausgezeichneter
Aufführung als Novität zu lebhaftem äußern
Erfolge. Dessen wirklicher Hauptträger war
Otto Lohse, der als Vollblutdirigent und
glänzender Theatraliker Künstler und Publikum
faszinierte. Paul Hiller
KÖNIGSBERG i. Pr.: An der Stätte, wo einst
Richard Wagner einen Winter lang dirigierte,
in der Stadt, wo er den folgenschweren Bund
mit Minna Planer schloß — hier in Königsberg
bat man nun während des letzten Sommers in
gründlicher Restaurierung des Orchester-
raumes eine der wichtigsten materiellen Be-
dingungen des Wagnerschen Gesamtkunstwerks
zn erfüllen getrachtet Das Podium ist versenkt,
nach Ionen unter die Rampe hin Terbreitert
Vit A
worden, und ein Schalldeckel entzieht Diri-
gent und Spieler den Blicken des Publikums.
Die akustische Wirkung ist frappant: aus dem
Klangschwall des früheren offenen Orchesters
ist jetzt ein klares Tongewebe mit subtiler Dy-
namik geworden. Das Kolorit Mozarts kommt
ebenso zu seinem Recht, wie die gewaltigen
Exklamationen der Wagnerschen Tonsprache,
ja diese feiern ihr eigentliches Auferstehen.
Auch die kleinste motivische Figur ist im erregten
Chaos hörbar, die Polyphonie einzelner Sätze
klanglich vollständig destilliert, die Lyrik der
Holzbläser kann sich ausschwelgen, der Edelton
der Harfe ist kristallisiert, und gleich Tautropfen
perlen ihre Arpeggien koloristisch über die an-
deren Gruppen hinweg. Der Segen dieser Or-
chesteranlage erwies sich in überzeugender Weise
gelegentlich der.Tristan'-Aufführung. Übrigens
nach mehreren Jahren die erste. Unter des vor-
trefflichen Frommer Leitung wurden die unge-
heuren Anforderungen der Partitur überraschend
künstlerisch gelöst; diese ausgezeichnete Or-
chester-Leistung kennzeichnete so recht den
Ernst, mit dem unsere Oper ihre Mission erfüllt
Anton Bürger ist nun mit Abel alternierender
Heldentenor und gestaltete den Tristan im ersten
und letzten Akt darstellerisch und gesanglich
packend; in der Nachtszene konnte er die her-
vorragenden gesangstechniscben Qualitäten der
auch gedanklich tiefen Isolde des Fräulein
Valentin nicht annähernd erreichen.
Rudolf Kastner
T EIPZIG: Auch hier hat ein Gastspiel des
^ italienischen Feinsängers Enrico Caruso
als Radames allen Opernfreunden Gelegenheit
geboten, sich begeisterungsvoll am seltenen und
darum auch kostspieligen Genüsse vornehmer
Bei canto-Kunst zu erfreuen. Unter den mehreren
Baritonisten, die an Stelle des an die Wiesbadener
Hofoper berufenen Hans Schütz aushelfender-
weise oder auf Engagement gastiert haben, ist
der Kölner Sänger Willy Lüppertz als eine
stimmlich und darstellerisch hervorragend be-
anlagte junge Bühnenkraft aufgefallen. Seine
durch kernigen Stimmklang, deutliche Aus-
sprache und intelligentes Spiel fesselnden Lei-
stungen als Tonio und Heerrufer fanden sehr
lebhaften Beifall und berechtigen zu außer-
ordentlichen Erwartungen von der Weiterent-
wickelung dieses Künstlers. Am 25. Oktober
gelangte hier — von Direktor Volkner luxuriös
ausgestattet, von Oberregisseur von Wym^tal
treffiich inszeniert und von Kapellmeister Hagel
schwungvoll geleitet — die vieraktige große
Oper «Messali na* von Isidore de Lara erst-
malig zur Aufführung und hat bei geringer Be-
deutsamkeit der lediglich illustrativen Musik mit
ihrer effektreichen Zurschaustellung spätrö-
mischen Lasterlebens das Publikum lebhaft
interessieren und dem anwesenden Komponisten,
sowie allen wesentlichsten Mitwirkenden viele
Hervorrufe einbringen können. Frau von Flo-
rentin- Weber wurde als Messalina vornehm-
lich dem schauspielerischen Teile der Aufgabe
gerecht, Herr Urlus bot als Gladii r Heiion
eine in jeder Hinsicht vollwertige 1 luna. und
neben diesen beiden meistbetei i-
mischen Kräften erregte «**•* als « - r
Hares gastierende Kölner lUvk^a.!
durch seine, selbst ein gewisse« i i ffenseln
242
DIE MUSIK VII. 4.
der sonoren Stimme vergessen machende, wahr-
hafk bedeutende Künstlerscbaft Aufsehen.
Arthur Smolian
MANNHEIM: Punktlich mit dem 1. September
begann die neue Spielzeit, die mit dem
neu einstudierten .Tan nb aus er* ihren Anfang
nahm. Leopold Reich wein, der nun als
Kapellmeister sich mit Hermann Kutzsch-
bach in die Arbeit teilt, ffibrte sich als Dirigent
und Wagner-Interpret vielversprechend ein. Was
er bis heute geboten, ISßt das Beste von seinem
kunstverständigen Schaffen erhoffen. Neu ein-
studiert erschienen bis jetzt ferner «Die Fleder-
maus*, vom Intendanten Dr. Hagemann in
vornehmem Stil und als musikalisches Lust-
spiel inszeniert, und «Die Königin von Saba*
von Goldmark. Als erste Novität wurde eine
Operette hiesiger Autoren herausgebracht: «Die
Inselbraut* von Eckelmann, Musik von
Geliert. Das seit der Frankfurter Uraufführung
umgearbeitete Werk ist auch in der neuen Ge-
stalt im Werte nicht gestiegen, das Libretto
bietet bei schleppender Handlung viel zu viel
unnötiges Beiwerk und eine beängstigende Zahl
von fast ungenießbaren Witzen. Viel höher
steht die Musik, die manches hQbsche Walzer-
lied, ein famoses Tanzduett und eine sehr ge-
schickte Instrumentation aufzuweisen hat. Aus-
stattung und Aufführung waren vortrefflich.
K. Eschmann
MOSKAU : Vier Opernhäuser haben ihre Tore
aufgetan und ihre Täiigkeit begonnen. Die
Kaiserliche Oper, die infolge der auto-
kratischen Beamtenverwaltung sich immer weiter
vom kfinstlerischen Ideal entfernt hatte, scheint
nunmehr wieder in andere Bahnen einlenken
zu wollen. Neben den Stars Neschdanowa
und Ssobinoff sind als bedeutend Drous-
jakina, Jermoleoko, Baklanoff u. a. zu
nennen. Der Dirigent Fedoroff legt Ge-
wicht auf die Details; Suck dagegen hat
mehr Schwung und erfaßt den Geist des Werks.
Glinka's «Das Leben für den Zar* wurde
traditionell zur Eröffnung der Opernsaison ge-
wählt. Die Privatoper Zimin hat die schönen
Räume des «Neuen Theaters* für die kommende
Saison gepachtet und mit Tschaikowsky's «Jung-
frau von Orleans* begonnen, einer Oper von
Meyerbeerschem Stil. Viele Jahre von der Szene
verbannt, ist sie jetzt in neuer Inszenierung
glanzvoll von Zimin zur Aufführung gebracht
worden. Der feinfühlende Dirigent Palitzin
versteht es das Orchester straff zu halten. Von
den Künstlern zeichnen sich aus Petrowa,
Zwetkowa, Wiekoff, Piekol. — Die
Künstlervereinigung im Solodownikoff-
Theater bleibt ebenfalls nicht zurück : Arensky's
«Traum auf der Wolga* ist neu inszeniert sehr
wirkungsvoll zur Aufführung gelangt. Die Oper
hat zur Unterlage ein Drama von Ostrowsky,
das dem lyrischen Geist des Tondichters wenig
entspricht; jedoch enthält das Werk herrlich
ausgearbeitete Szenen mit Chören und Solo-
partieen. Kuper ist ein junger befähigter
Dirigent, der dem Orchester Farbe und Schat-
tierungen verleiht. — Opern von verschiedenen
Stilarten, ältere sowie moderne, russische und
ausländische, kommen in den vier Theatern bei
gefüllten Häusern zur Aufführung. An Sonn-
tagen werden noch Eztravorstellungen in den
Vormittagsstunden bei emUUgtea Frelsai (s-
geben, die von der SchuljotMid stark beto^
werden. — Die OpemvorsteHnogea im Volkt-
theater haben massenhafiten Zndnng.
E. Ton Tidtböhl
PARIS: Von den swei neuen Opern hinseri»
die Paris diesen Winter erhalten soll, ist
das eine bereits provisoriseh eröffnet voidea.
Die Brüder Isola haben den Tennin des ersisa
Januar nicht abgewartet, wo sie ihrem Kontrskt
nach die Kräfte der Grollen Oper und der Ko-
mischen Oper leihweise in Anspruch nehmen
können, weil sie die einst so beliebte Altisiia
Marie Del na zu einem längeren Gasisptel be-
stimmen konnten und ihnen die Komisehe Oper
schon jetzt den Tenoristen Devrifts und die
Sängerin Vauthier abmtreten bereit wsr. Se
wurde nun in der »Gattö* den gsnsen Okiober
jeden Abend die alte Oper Benjamin Godards
«La Vivandidre* gegeben, in deren TttelparHe
Frau Del na seinerzeit in der Komischen Oper
ihren größten Triumph feierte. Die Rollo aad
die nicht sehr gewählte Musik kommen ihrem
derben Talent nnd ihrem krafkrollen Of|ia,
das nichts eingebüßt hat, sehr ontfOfen. Der
Komponist hat bekanntlich die Autiflhnmg dimcs
letzten Werkes nicht mehr erlebt and dio Puti-
tur offenbar mit einiger Nschllssigkeit so Ende
geführt. Aber für den popnllren Stoff ans der
Revolutionszelt war dieses nnfekfinsteito Hia-
werfen zügiger Melodleen gerade das Richtl|e^
und daher fand und findet anch Jetst wisdsr
die »Vivandiöre* mehr Erfolg sla ajoeeljn* aad
andere Werke, in denen sich Godard nur lOfiil
Mühe gegeben hatte, bedeutend so aeia.
Poliz Vogt
PRAG: Das tschechische Nationalthealire^
öffnete den Novitätenreigen mit »PI am Otts",
einer Oper, die mehr durch daa jtalisaiSftB
Renaissancemllleu wirkt als dnreh die dmchaas
eklektische Musik von Lerouac Die Anfllhraeg
war, wie zumeist an dieser Stätte^ mit giate
künstlerischer Sorgfalt vorbereitet. Aber dm
Publikum klagt über die Eintönigkeit dee Spiai-
plans, und die neue, von dem iMwlhrtea Dinbsr
Schüben demnächst su eröflhendo Konfcnrmt-
oper in den Königlichen WeinbergffK die rieh
schon jetzt zahlreiche zogkrifUce werke |^
sichert hat, wird mit großen SympatUeen b»
grüßt. Im Deutschen Theater hat DirekiBr
Angelo Neumann, von seiner Isnnn
genesen, wieder die Zfigel oi^piffen, aad
spürte sogleich seine frische Initiative.
neuer Kapellmeister, Bodanzky, erwiei
als ein großer Gewinn« Pnccini'a «Bntterfly*
errang zwei Tage nach der Beiilner Ptemit
einen vollen und auch sndanemdea ErlMg aaitf
Otten heimers Taktstock. Margarete SIsai
und A. Boruttau l>oten getanriich hum
ragende Leistungen. Die weitere TUgM' ^
Instituts wurde durch den inswiachen gUcMIck
beigelegten Orchesterstreik unterbandaa.
Dr. Richard Batks
STRASSBURG: Nachdem naaer, fibi^ns 0
den besten deutschen Opsretteahihaia |»
hörendes, Sommertheater mit der MMb Ai^
fübrung der i^Lustigen Witwe* — sin It
Straßburg unerhörter Rekordl — eaiae PM*
geschlossen, setzte am 15. September wMaiM
die Spielzeit der stidtischea Oporahlhst
M
243
KRITIK: KONZERT
(Direktion Willi elmi) ein. DaB Ensemble ist
im wesentlichen das gleiche geblieben, wie im
Vorjahr, und seine im ganzen trefflichen Quali-
täten werden nach wie war danicbar gewürdigt
— mögen auch der Helden- und der lyrische
Tenor an sinnlichem Stimmreiz nicht alle
Wunsche befriedigen. Neu sind zugetreten der
sehr schitzenswerte Tenorbuffo Dornbusch,
die prachtvolle (nur etwas zum Detonieren
neigende) dramatische SSngerin Lauer-Kottlar
und die firme «komische Alte* Arlow. Auch
die Kapellmeister Fried und G orter walten
wie früher ihres Amtes. Das Repertoire be-
wegte sich bisher im altgewohnten, jedoch nicht
fiblen Rahmen, und brachte an Neueinstu-
dierungen, nichst der Wiederaufnahme des
im Vorjahr so erfolgreichen „Tiefland* und
der i^Bohöme* (Puccini), bisher Smetana's
stets aufs neue entzückende «Verkaufte Braut*
und I. Brüll's «Goldenes Kreuz* sowie ein
kleines Ballet «D er Heimweg* des elsässischen
Komponisten Erb, das, bis auf den verun-
glückten, etwas derben Schluß musikalisch sehr
hübsche Partieen enthält, und, bei Abänderung
Jenes, auch anderwärts lebensfähig erscheinen
dürfte, zumal da das Gebiet der Pantomime
nicht allzuviel brauchbare Neuheiten aufweist.
Dr. G. Altmann
WARSCHAU: Die diesjährige Saison steht
«sub auspiciis* der Warschauer Phil-
harmonie, an die von dem bisherigen
Theater-Präsidium die Oper verpachtet wurde.
Die schlechten ökonomischen Zustände haben
dazu geführt, daß die großen Schulden der
Opemverwaltung nicht mehr gedeckt werden
konnten, und man beschloß — wenigstens auf
einige Zeit — die Oper loszuwerden und sie
durch ein privates Unternehmen leiten zu lassen.
Die Idee der Vereinigung der Oper und der
Philharmonie könnte sich sehr günstig erweisen,
wenn die Alleinleitung der beiden der Kunst
gewidmeten Institutionen sich nicht leider in den
an künstlerischen Händen des Herrn Alexander
Rajchman befände. Die Saisoneröffnung fand
statt am 15. Oktober mit Richard Strauß'
^Salome* und erwies gleich am Anfang
die Kompetenz des Herrn Direktors, der ein
deraniges Werk in 15 Tsgen vorbereiten ließ.
Kspellmeister Reznicek tat sein möglichstes,
nm eine glstte Aufführung zustande zu bringen ;
es wäre sber doch zu wünschen gewesen, daß
er mehr Zeit zur Einstudierung des schwierigen
Werkes gehabt hätte. Die singenden Kräfte
waren mit Ausnahme der ausgezeichneten
Venreter des Herodes (A. v. Bandrowski)
und Jochanaan (Dr. K. Zawilowski) ziemlich
unbedeutend. Als ein Wagnis ohnegleichen
mußte der Versuch des Frl. Szipanek, als
Salome zum erstenmal überhaupt auf die Bühne
an treten, angesehen werden; daß die Künstlerin
(sonst talentvolle Harfenistin) die Partie zu Ende
brachte, und zu einer gewissen Ausdrucksfähig-
keit dabei gelangte, muß als ein Zeichen echter
Begabung angesehen werden. Die bisherigen
fünf Aufführungen wsren ziemlich gut besucht
(die beiden ersten susverksuft). — Die zweite
Opern-Novität war die seit vielen Jahren nicht
gespielte polnische Oper aus dem Jshre 1814
aJadwigs* von Kurpinski. Der geschickt
angewandte Mozartstil und der vortreffliche Text
des bekannten Dichters Niemcewicz geben
ein schönes Beispiel sus den Anfsngszeiten der
polnischen Opernliteratur. Die ziemlich reich
ausgestattete Aufführung leitete Z. Noskowski.
Heinrich Opienski
WIESBADEN: Unser Hoftheater hat die neue
^ Saison unter erschwerenden Umständen
angetreten. Der erste Tenor Kali seh ist er-
krankt und auf Monate hinaus beurlaubt; der
erste Baßbariton Adam (auch in Bayreuth 1906
als Klingsor aufgetreten) schied in jugendlichem
Mannesalter aus dem Leben; ihm folgte im Tode
nach: der erste Bariton, Kammersänger Müll er,
der vornehmste Künstler unserer Oper, der jede
Vorstellung adelte, in der er mitwirkte, und allen
jüngeren Talenten zu leuchtendem Vorbild diente.
An seine Stelle trat vorläufig Schütz (aus Leipzig),
ein tüchtig routinierter Bühnensänger. Als Bassist
fungiert Reh köpf, der sich namentlich in Buffo-
Partieen hervortut. Da noch weitere Neu-En-
gagements stattfanden (die Damen Denera,
Schröter, Engeil usw.), so hat die Oper mit
dem Zusammenhalten des gewohnten Reper-
toires vollauf zu tun. Ein apartes Interesse be-
anspruchte nur die (als Mimi und Traviata)
gastierende Gemma Bellincioni, die schau-
spielerisch einbrachte, was sie stimmlich ein-
gebüßt hst. Otto Dorn
KONZERT
OERLIN: Felix Weingsrtner begann den
^ zweiten Symphonie-Abend der KönigL Ka-
pelle mit Liszts Dante-Symphonie, ließ darauf
Schumanns erste in B-dur folgen und schloß
mit Webers Euryanthe-Ouvertüre. Das Lisztsche
Werk, in allen Einzelheiten aufs feinste aus-
gearbeitet, dabei durchaus großzügig aufgefaßt,
hat, wie die Faust-Symphonie, in diesen Kon-
zerten festen Fuß gefaßt, weil der Dirigent beide
Tondichtungen wiederholt mit besonderer Liebe
zur Sache seinen Hörern vorgeführt hat. Wunder-
voll klang die rührende Episode im «Inferno*,
wo aus dem geheimnisvollen Harfenrauschen
die Gestalten Franzeskas und Paolos vorüber-
schweben ; wahrhaft erlösend wirkte zum Schluß
der Eintritt der Menschenstimmen mit den ver-
klärenden Harmoniefolgen. Weingartner diri«
gierte diese letzten Abende — diesmal sind es
ja voraussichtlich leider wirklich die letzten -z-
mit besonderer geistiger Energie; vielleicht wird
ihm der Abschied von der Königlichen Kapelle
doch schwerer, als er es sich eingestehen mag;
mit ihr, an ihrer Spitze hat er sich doch erst
zu dem hochbedeutenden Dirigenten herauf-
gearbeitet, als der er zurzeit mit Recht gilt.
— Siegfried Ochs an der Spitze des Philhar-
monischenChores hat die erste Hälfte seines
ersten Vereins-Konzerts ebenfalls zu einer Ge-
dächtnisfeier für Joachim gestaltet: er begann
mit dem «Schicksalslied" von Brahma und den
«Sylvesterglocken* von Bernhard Scholz — zählten
doch beide Tonsetzer zu den intimsten Freunden
des verstorbenen Meisters. Das Werk von Scholz,
nach einem Gedicht von Max Kalbeck für ge-
mischten Chor und Orchester komponiert, be-
ginnt mit feierlichen Klängen religiöser Stimmung
und greift zum Schluß darauf zurück. Es kommt
indessen in der Musik nicht recht zu einer Ent-
wicklung oder Vertiefung der Stimmung; für den
244
DIE MUSIK VII. 4.
gedanklieben Inhalt ist das Werk za gedehnt,
zumal et auch an Gegensätzen fehlt. Oberall
klingt es sehr ordentlich und feierlich, aber nicht
interessant genug; das Dur-Motiv hat sogar in
der melodischen Linie einen süßlich-trivialen
Beigeschmack. Ein höchst interessantes, merk-
würdiges Stuck ist das Werk von Arnold Men-
delssohn «Der Paria* nach der Goetheschen
Dichtung. Durchaus originell in der Erfindung
wie in der Ausarbeitung mit der krausen Kontra-
punktik, fesselt diese Musik, die aufs liebevollste
in die Detailmalerei der Erzählung eingeht, dabei
aber im architektonischen Aufbau doch fiir ganz
bedeutsame Steigerung in der Klangwirkung
Sorge trägt, so daß das Interesse des Hörers
rege erhalten wird. Vielfach wendet Arnold
Mendelssohn herbe Kakophonieen, groteske Ak-
kordfolgen an, um dem grausen Hergang der
indischen Legende in der musikalischen Illustra-
tion gerecht zu werden. Glänzend wirkt zum
Schluß die Entfaltung aller materiellen Klang-
mittel der Cborstimmen, des Orchesters und der
Orgel. Die Wirkung ist indessen nicht etwa nur
äußerlich, die Musik nimmt hier geistig einen
hohen Flug, hebt den Hörer gerade wie das
Goethesche Gedicht über die Schrecknisse des
ganzen Hergangs hinauf in höhere Sphären.
Um die Aufführung machten sich Julia Gulp
sowie die Herren Ludwig Heß und Georg Stahl-
berg wohlverdient; sie repräsentierten die Ge-
stalten der Dichtung, sobald diese redend auf-
traten. Chor und Orchester, denen bei der
eigenartigen Satzweise des Komponisten eine
überaus schwierige Aufgabe zunilt, leisteten
unter der sicheren, geistig lebendigen Führung
des Dirigenten Vortreffliches und verhalfen dem
Werke zu einer warm interessierten Aufnahme.
Zuletzt kam noch Hugo Wolf zu Worte: Julia
Gulp sang vier Lieder mit Orchesterbegleitung,
und dann schloß «Der Feuerreiter* den Abend,
der wie bei der ersten Aufführung wieder zün-
dend, fortreißend wirkte. — Im zweiten Niki seh -
Konzert begann das Programm mit der Ouver-
türe zu «Richard III.* von Volk mann; dann
spielte Franz vonVeesey ein ihm gewidmetes
Violinkonzert von Hubay. Der Wunderknabe
reift zu einem wahren Künstler heran. Die un-
geheuerlichen Schwierigkeiten des, bei allem
äußeren Glänze doch gedankenarmen, Virtuosen-
stückes wurden mit souveräner Sicherheit sieg-
reich bewältigt. Der junge Geiger steht jetzt
schon unter seinen zahlreichen Kollegen in der
ersten Reihe. Eine Variationenreihe über eine
altnordische Romanze von Edvard Grieg ent-
hält reizvolle Klangbilder. Das Werk entbehrt
aber des großzügigen Aufbaues, was sich bei
seiner Länge nicht zum Vorteil der Wirkung
bemerkbar macht. Es fehlt an der Steigerung,
an Gegensätzen, an der Vertiefung des Themas.
Zum Schluß stand Brückners Symphonie
No. 2 in c-moll, vielleicht die wenigst bedeutende
unter ihren Schwestern, aber doch fesselnd durch
die reiche Erfindung im ersten Satz. Nur das
Motiv mit dem Doppelschlag erinnert fatal an
die Wagnersche Melodiebildung; es steht auch
im Schluß des ersten Teils und der Wieder-
holung gegen Ende fast unvermittelt in seiner
Umgebung und wirkt geradezu vordringlich durch
die vielen Wiederholungen. Ein reizendes Sätz-
chen ist das Scherzo mit der Ländlermelodie im
Mittelstfick. Von allen Symphonleen Bradoitn
ist diese zweite in c-mol! die ielcbtestventiad-
liche.— Im Blfittanersaal spielte Ancast Schmid-
Lindner mit Begleitung de« von Max Schil-
lings dirigierten Mozartorcheetert ein nevei
Klavierkonzert von Frederik Delins nod eis
schon bekanntes yon Felix vom Ratta, außerdca
Variationen, Zwischenspiel und Pinsle fiber eis
Rameausches Thema von Paul Dnkss. Eis
kühner, mit allen Künsten des Anschlsgs wtthl-
vertrauter Pianist, der mit Vorliebe fttr nsne
Musik Propaganda macht Ffir das Klafle^
konzert von Delius wird er, rürchte icb, kdne
Freunde gewonnen haben; es ist fsr sn ge-
dankenarm, dazu so schwernilif, so fiberisdss
instrumentiert, daß man große Strecken Ub-
durch den Pianisten mit aller Kraft auf dsa
Tasten arbeiten sieht, aber vor dem schweres
Blech des Orchesters nichts b5rt — ein Kes-
zert gegen das Klavier. Msz ScbiUingp diri-
gierte außerdem zwei Vorspiele aus setner
„Ingwelde" und dem »Pfeifertsg*; er ffibit des
Taktstock mit eleganter, ▼omehmer Haltusg,
aber wenig lebendig. — Max Vogrich Ifibitt
eine indische Legende »Die KImedowine*,
außerdem größere Bruchstücke aus seltter Opsr
«Der Buddha" an der Spitze der Pbütasnse-
niker auf. Die Legende konnte ich nicht h6rs%
nur die größere Hälfte der OpemfrsgSMaia
Gut, zum Teil sogar mit feinem Klsngsin In-
strumentiert, melodisch für die GesanfsHsnss
gesetzt erschien mir slles; der Zuschaiil dsi
Ganzen etwa wie Wagner in seiner »Lohef^pta^
Periode. Ob das Werk von der Bfibne wirk-
sam ist, dürfte schwer so beurteilen sein, fcfc
zweifle aber daran. Es fehlen die Schl^gir,
wenigstens in dem, was ich gehört habe. iU
der Ausführung beteiligten sich Paula Ueks
und Heinrich Zell er too der Hofoper n Wd-
mar, außsrdem Johanna Kiß und der Frauen»
Chor Margaretbe Toeppes. ^ Alesander Z. Bim-
bäum dirigierte die Manfred-Symphonie TsÄal-
kowsky's, die Coriolan-OuTortfire und dss
«Zauberlehrling* von Paul Dukas; er hat
aber nicht überzeugt, daß er als Kapeilmt
über eine mittelmäßige Routine hlnansni^
Jedes der Werke habe Ich unter anderer Lstaag
wirksamer gefunden. Der Wunsch sich als
Dirigent zu zeigen, ließ ihn auch daa Pnmaui
so überlang ausdehnen. Nach der Tschal-
kowsky'schen Symphonie, die eine volle
dauerte, betrat Francis Alda ron der
Hofoper das Podium und trag vier
Opernarien vor. Eine nervös vibrierende hebe
Sopranstimme, deren Koloratur oft recht v»
wischt klang; in der Mittellage liegt ein dicfeiv
Schleier über dem Organ. Am beaten jsism
der Dame die bekannte Arie ans Qucki
„Alceste", in der die Stimme am wea||MH
herumflackerte, der Ausdruck sogar ahnen IM^
daß die Sängerin vornehm an enin|lnde% ss
gestalten vermag. E. E. Taubert
Eine besonders in der ersten Hilfie nickt
einwandfreie Aufführung von Bach8| hier vsa
Philharmonischen Chor schon öfters pnACfsO
gesungener, h-moll Mease veranstaltsie dis
Singakademie, die im Sanctoa Ihr Dssiss g^
Dem Dirigenten Prof. Schnmann §duig ss
nicht immer, den nötigen Kentakt
Chor nod Orchester hersnstellett. Die Seüi
245
KRITIK: KONZERT
Anna Kappel-Stronck, IduoaWalter-Cboi-
nanus und George Walter befriedigten in
hohem Grade, während die Besetzung der Baß-
partie mit dem lyrischen Bariton Hermann
Weißenborn unzureichend war. — Daß ein
noch undiszipliniertes Orchester unter einem
erstklassigen Dirigenten Erfreuliches leisten
kann, zeigte sieb in dem von Karl Panzner
geleiteten ersten großen Konzert des Mozart-
Orchesters. Selbst das rhythmisch schwierige
Scherzo der durchaus nicht uninteressanten
Jugend-Symphonie von Richard Strauß in f-moll
gelang überraschend gut. Sonst enthielt das
Programm nur Liszts sattsam bekannte «Les
Pr6iudes* und wunderbarerweise die beiden
Erzählungen aus »Lohengrin* und «Tannhiuser*,
die statt des erkrankten Karl Burrian Karl Jörn
(▼om Berliner Opernhaus) vortrug. — Die von
Adalbert Gülzow begründete Kammermusik-
▼ereinigung der Königlichen Kapelle
(Klavier: Arthur Egidi) brachte in ihrem ersten,
sehr gut besuchten Konzert außer Mozarts KU-
Tierquintett mit Blasinstrumenten und Beet-
hovens Trio-Serenade op. 25 in ausgezeichneter
Ausfuhrung die Serenade für elf Soloinstrumente
Ton Bernhard S ekles zu Gehör, die fast all-
gemein als die wertvollste durch das Dresdener
Tonkünstlerfest vermittelte Bekanntschaft mit
Recht angesehen worden ist. — Das sogenannte
SevÖik-Quartett (die Herren: Lhotsky, Pro-
chazka, Moravec, Waska) steht jetzt dem
Böhmischen Streichquartett in keiner Weise nach :
Smetana's e-moll und Schuberts d-moll Quartett
fanden eine in jeder Hinsicht ausgezeichnete
Wiedergabe; von dem Wert des Saint-SaSnsschen
a^moU Klavierquintetts konnten aber die Sevcik-
Schuler, die in Artur Schnabel einen eben-
bürtigen Pianisten hatten, doch nicht recht über-
zeugen. — Das sich bereits großer Beliebtheit
erfreuende Quartett der Herren Karl Klingler,
Jos. Rywkind, Fridolin Klingler und Arthur
Williams beschränkte sich in seinem ersten
Konzert auf Haydn, Mozart, Beethoven. — Das
Quartett Dessau, Gehwald, Könecke und
Espenhahn hatte das Unglück, daß Wilhelm
Berger, der in seinem prächtigen Klavierquintett
op. 95 selbst mitwirken wollte, im letzten Moment
krankheitshalber absagen mußte. Sehr viel An-
klang fand das hier erstmalig gebotene dritte
Streichquartett op. 7 von Tanejew, auf dessen
großen Wert in dem russischen Heft der »Musik*
hingewiesen worden ist. — Geradezu hingerissen
hat mich diesmal das Böhmische Quartett
(Hoffmann, Suk, Herold, Wihan) durch den
fein abgetönten Vortrag des reizvollen DvoMk-
schen Quartetts op. 61; eine außerordentliche
Leistung war auch die klare Wiedergabe der
doch nur stellenweise wirklich erfreulichen
großen Fuge von Beethoven. — Sehr beliebt
waren Aufführungen von Sonaten für Violine
und Klavier. Verbunden hatten sich der Geiger
Friedrich Walter Porges und der Pianist Karl
Hasse (Sonaten von Corelli, Abaco, Händel,
Buxtehude, Bach mit Verstärkung des Basses
durch den Violoncellisten Schrattenholz), die
Geigerin Helene Fürst und die Pianistin Helene
Schaul (Bach, Haydn, Mozart, Schubert),
Henri Mar teau mit der hervorragenden Pianistin
Ellen Saatweber-Schlieper (beide trugen
ganz exquisit Mozart, Beethoven und Thuilles
wertvolle Sonate op. 30 vor), endlich Bernhard^
Dessau und Fi6d6ric Lamond. Diese absol-
vierten den ersten ihrer drei Beethoven ge-
widmeten Abende sehr erfolgreich. — Eine
Sonate für Klavier und Violine spielte auch
Karl Fl e seh an seinem Violinabend; mit Georges
Enesco spielte er dessen zweite Sonate op. 6,
ein interessantes, vornehm gehaltenes Werk,
dessen langsamer Satz eigenartige Klangwirkun-
gen aufwies. — Auch Willy Burmester, der
mit kleinen von ihm bearbeiteten Stücken wieder
ganz besonderen Erfolg hatte, leitete seinen
Violinabend mit einer Sonate und zwar Beet-
hovens Es-dur ein; am Klavier unterstützte ihn
dabei Emerich Stefaniai vortrefflich. -- Nach
längerer Pause ließ sich wieder einmal Emile
Sauret, der ausgezeichnete Geiger, hören; vom
Mozart-Orchester, das August Scbarrers ge-
schickter Leitung anvertraut war, begleitet,
spielte er u. a. auf seinem herrlichen Instrument
Dvoi^äks Konzert vortrefflich. — Sehr großen
Erfolg hatte auch Jacques Thibaud besonders
mit Lalos spanischer Symphonie; er unterzog
sich auch der nicht gerade sehr dankbaren Auf-
gabe, für Em. Moors uogleichwertiges zweites
Konzert Propaganda zu machen; begleitet wurde
er vom Philharmonischen Orchester unter
Kunwald. — Martha D r e w s vertauschte
diesmal die Geige mit der Bratsche, um
für diese erfolgreich als Soloinstrument ein-
zutreten. Ihrer Konzertpartnerin Hildegard
Hummel dürften Erfolge noch am ersten als
Bühnensängerin beschieden sein; beide Damen
mußten Dr. Kunwald für seine Leitung des
Philharmonischen Orchesters verpflichtet sein.
— Eine junge Geigerin, Nicoline Zedeler, muß
vor allem mehr Innerlichkeit im Vortrag ent-
wickeln ; auch technisch bleibt ihr noch manches
zu lernen. — Musikalisch gut beanlagt und ent-
schieden sehr begabt Ist der junge Geiger
Court Gross. — Die kleine Wundergeigerin
Vivien Chart res konnte man nochmals be-
wundem; erstaunlich reif, aber ihr nicht völlig
ebenbürtig, ist auch der Klavier spielende Knabe
Miecio Horszowski, der mit ihr zusammen
konzertierte. — Eine begabte Pianistin ist auch
Elisabeth Bokemeyer, doch hätte sie noch
nicht mit Begleitung des Philharmonischen
Orchesters so schwere Werke wie Volkmanns
Konzertstück und Liszts Es-dur Konzert spielen
dürfen. — Erstaunliches leistete wieder der
Kontrabassist Sergei Kussewitzky u. a.ln der
Sonate für Baß und Viola d'amour von Borghi,
in der er von Henri Ca sadesus ausgezeichnet
unterstützt wurde. Nicolaus Medtner, der mit-
wirkte, geflel mir besser als Pianist denn als
Komponist. — Leonore Wallner, eine sehr
strebsame Sängerin, die selbst Brahms' ernste
Gesänge völlig erschöpft, sollte mit ihren nament-
lich in der Mittellage schönen Stimmmitteln
mehr haushalten. Es wäre schade, wenn sie
durch Oberanstrengung sich um eine aussichts-
reiche Karriere brächte. Wilh. Alt mann
Wieder ward uns ein Feierabend bescheert,
eine Stunde ungetrübten Genusses, reiner musi-
kalischer Herzensfreude. JobannesMesschaert,
der Meisteriänger, trug sein Bestes vor: Loewe-
sche Balladen, einige Schuberts, Sachen von
SInding und Grieg. Das alles war so treu und
schlicht, so echt und wahrhaftig empfunden.
246
DIE MUSrK VII. 4.
— 4IW6
"daß es eine Lust war zu leben und solcber
i^Hausmusik" zu lauschen. Zu den Erlebnissen,
um nicht zu sagen Ereignissen, gehörte auch
^er Ansorge- Abend. Es war wohl eine seiner
besten Leistungen überhaupt. So hinreißend
und feurig, so elegant und sicher, so fiberlegen
in Auffassung und Technik hat Conrad Ansorge
meines Wissens seit langem nicht gespielt.
Beethovens Es-dur Konzert, besonders aber Liszts
A-dur Konzert und die „Wanderer- Phantasie*
waren unerhört. Dazu Brahma' d-moll Konzert,
ebenfalls prachtvoll im ganzen Wurf, wenn auch
nicht so souverän wie seine alten Meisterwerke.
Das lag fedoch wohl mehr an dem ungenfigenden
Mozart-Orchester und seinem Dirigenten. — Das
Konzert «Sorga* erwähne ich wegen der treff-
lichen Leistung Alice Rippers, die Liszts Es-
dur Konzert mit wundervoller Naturtechnik und
großer Bravour leicht und sicher zum Siege
führte. — Ober Emil Sauers Technik noch ein
Wort verlieren, hieße tausend Rosenkränze
beten. Der brillante Zug, die sichere und ruhige
Führung des Armes, die Silberklarheit des Tones
— 's sind allbekannte Dinge. Die Technik gleißt
wie FunkelKeschmeid. Aber der GHtzerglanz
läßt kalt. Es fehlt dem Klang die Wärme, das
rote Blut aus warmem Herzen — , wohl auch
der zuckende Nerv, der einmal über die Stränge
schlägt. Die 6galit6 in die ewige Präcision ge-
zogen. Man hat das peinliche Gefühl: der Mann
spielt keinen falschen Ton. Alles ist korrekt,
sehr korrekt, vollkommen korrekt. Aber ob
poetisch, frei, künstlerisch? A bisserl Zufall,
a bisserl Laune, dächt' ich, war* bei echter
Kunst auch dabei! Jedenfalls lassen sich die
symphonischen Etüden von Schumann auch
anders spielen. R. M. Breithaupt
In Paul G. Thiele stellte sich ein solider,
tüchtiger Musiker vor, dessen interessante Ge-
staltung der Weberschen As-dur Sonate Aner-
kennung verdient. Das Gegenteil triffc bei Käthe
Heinemann zu. Nichts als ein Zurschau-
stellen ziemlich großer Fingerfertigkeit. Der
taktlichen und rhythmischen Sünden sind un-
zählige. Obgleich geistig ganz unreif, wagte sie
sich an Beethovens 32 Variationen, Schuberts
Sonate op. 78, usw. — Ausgesprochenes Talent
bewies die noch im Kindesalter stehende Su-
sanne Morvay. Wenn nicht alles täuscht, und
wenn sie nicht zuviel durch Konzertieren an-
gestrengt wird, dürfte sie bei ernsten Studien
dereinst von sich reden machen. Sie spielte
drei große Klavierkonzerte (Liszt, Mozart, Tschai-
kowsky) mit staunenswerter technischer Leichtig-
keit und Ausdauer. In der Auffassung gelang
ihr Liszt am wenigsten, aber bei Mozart trat
selbständiges Miterleben deutlich hervor, während
für Tschaikowsky's gewaltiges Werk die physische
Kraft, wie natürlich, dem gewollten großzügigen
Vortrage nicht genügte. Ihr untffektiertes, be-
scheidenes Auftreten sollte sich eine andere
kleine Pianistin, Mens Töpfer, zum Vorbilde
nehmen, die trotz gewisser Geläufigkeit nichts
mitbringt, das sie zum öffentlichen Auftreten
berechtigte. Sie müßte erst mal durch guten
Unterricht die rhythmische Ungenauigkeit über-
winden und musikalische Leistung an Stelle
von raffinierter Koketterie setzen lernen. Louise
Clemens legt es augenscheinlich auf höchste
Kraftentfaltung an mit Benachteiligung wirklich
künstlerischer Element». Aber •ieknan etwas«
wenn es auch an Feinheit des Gaschmackat nad
besonders an Charakter (Rnpsodie Ton LIast)
fehlt. Am glücklichsten war sie in einer Fefs
von Bach. — Der Tonoritt Paul Reimers ist
ein sympathischer Singer, ohne höchatan An-
sprüchen zu genfigen. Sein Vortrag iat hfibeeh
pointiert, Aussprache an lot>en, die Stimaie
etwas blaß. — Die Jugendliche Sopraniitia
Mientie L a m m e n hat mehr Talent ffir paaaeadea
Ausdruck als Gesangamaterial asd Scboluag.
Reizend trug sie Schamanna »Kartenieteria*
vor, in getragenen Liedern jedoch atörtea ihic
zahlreichen Mängel au sehr. Sie mnß eich viele
Ungehörigkeiten abgewöhnen, vor aliem die
viel zu hiuflgen «Glissandi*, daa filieratarke
Tremolo usw. Ihr Fach wäre vielleicht das der
Opemsoubrette. Das schreckliche Treneüem
ist der Kardinalfehler der meisten SÜinfer. Nar
der feststehende, absolut sichere Ton hat masi-
kalische Berechtigung und kommt ffir kfinstle-
rische Leistungen einzig und allein in Betracht
Dieser Tatsache schenken die meiaten, hialg
sogar «berühmte" Sänger leider in wenig Be>
achtung. Auch Dora Mo ran aoUte ihrer be-
wußt sein, um infolge mancher Vonfige grUcre
Erfolge erringen zu können. Besondere necUachs
Lieder liegen ihr trefflich. Ober Berthe vea
Türckheim kann ich trotz mehrmaligen HBrsas
zu keinem besseren Urteil gelangen, ala du sie
eine starke, aber ungenügend kultivierte Ab-
stimme besitzt. Die sie unteratfitsende ViöliBiMia
Mary Dickenson hinterließ einen rechtgttaadgsa
Eindruck. Bezüglich der Sopraniatin Gatda
Rom bell ist im Hinblick auf die fihefgreSe
Nervosität und das noch gänzlich ananacjAildett,
wenn auch nicht üble Material der Rat wM
angebracht, lieber einem der öifientlicÄilceit feiasr
liegenden Berufe sich zu widmen. Einen iha-
lichen Rat könnte man Gertmde S ei ff er t e^
teilen, wenn auch aus anderen Grfinden. TMi
der schönen Altstimme ist irgend ein ErM||
nicht absehbar. Dem Anschein nach trägt
mangelhaftes Gehör die Schnld daran, daB aar
hin und wieder, vielleicht nur dnrch Zufd^
reine Intervalle vernehmbar aiad. AoA Elsi
Miehling blieb Beweise für besondere Kiastfer-
Schaft schuldig. Ihr Sopran iat oben acharii
unten sehr schwach. Allerdinga verhindert dii
zweifelhafte Akustik des betreifeBden Saales sta
positives Urteil in klanglicher Hinaicht Die
Tongebung ist sehr unfrei and gesiert, dard
unangenehmes, möglicherweiaenerWteee Tramals
noch verschlechtert. Der Vortrag iat fibarlegi;
aber, wie im »Waldesgesprich*, unmotiviert fte*
trieben und gesucht Bei beaaerer Malhodt
wäre die Stimme kaum schon ao abfaanlA —
Ein äußerst begabter Künstler tat MaiiK
Loevensohn, der das Cello xnm Oesaa^
Instrument macht, Jedoch dnrch nnBalB^
brochenes Glissando die Phraaienmg a^
günstig beeinträchtigt. Unkorrekiea Taiaat iil
immerhin der korrekten Talentleaig|Deit^ diaridl
so breit macht, vorzuziehen. Daa von Ihai aaiv
Leitung des Komponisten xnn erManaul tf^
spielte Konzert von Gernaheim iac dam
seinen schönen, langsamen Mittelaata daakisr.
Zu loben ist, daß die Oreheaterlie^eitnig ala d»
Solo-Instrument verdeckt. — Die Barthacht
Madrigal-Vereinigung trigt
I
8K
247
KRITIK: KONZERT
lebhafteren Cbarakters recht hübsch vor. In
den getragenen Werken macht sich die kaum
mittelmäßige Stimmqualitit, besonders der
TenSre, zu sehr bemerkbar. Das Gegenteil trifft
bei dem Charlotten burger Lehr er-Gesan g-
▼erein zu. Gutes Material, natürliches Singen
ohne Künstelei, deutliche Aussprache, gut abge-
stHfceSchattierungen. — Das Mo zart- Orchester
brachte unter Kapellmeister August Mendel die
Vierte Symphonie in e-moll von Brahma zu sehr
anerkennenswerter Auffuhrung. Für eine neu
taaammengesetzte Organisation ist das eine
schwere Aufgabe, deren glückliche Lösung um
so mehr Lob verdient, als die einzelnen Kräfte
des Orchesters vorläufig mehr «Können* als
»Routine* zu besitzen scheinen. Wenn letztere
dem erateren ebenbürtig sein wird, was bei dem
hohen, ehrgeizigen Streben des äußerst tüchtigen,
saf dem Konzertpodium vielleicht noch nicht
völlig heimischen Dirigenten zweifellos ein-
treten muß, kann sich Berlin dazu gratulieren,
ael)en dem berühmten Philharmonischen ein
zweites Künstter*Orchester zu besitzen. Nach
meiner Oberzeugung sind die Vorbedingungen
dazu vorhanden. Den meist jugendlichen
Künstlern merkt man so recht das Bemühen
SD, auch ihrerseits zum guten Gelingen beizu-
tragen. Solisten des Konzerts waren die Sopra-
nistin May Seh ei der und der Violinist Ludwig
Feinland. Arthur Laser
Vielerlei gab es für mich in der zweiten
Hilfte des Oktober zu hören, aber nur ein
Itroßer künstlerischer Eindruck war darunter.
Von Alice Ripper ging er nicht aus. Sie
spielte sich auf die Virtuosin großen Stiles hin-
aus, trat das Pedal für den Blüthnersaal viel zu
ansubtil und maßlos und ließ in dem Hörer
den Wunsch aufkommen, ihre großen tech-
siscben und guten musikalischen Fähigkeiten,
mit blühenderem Anschlage gepaart, echteren,
tieferen Zwecken dienstbar gemacht zu sehen.
— Germaine Schnitzer ist eine sicherlich
schon jetzt sehr tüchtige, sorgfältige und sichere
Pianistin. Sie disponiert klar und gut ökonomisch.
Aber ihrer Jugend ist das Letzte, Innerste der
Musik — einer Faustsonate zumal — noch ver-
schlossen, und ihr Anschlag ist noch nicht elas-
tisch genug; der schöne Ibach hätte wohl sonst
mehr hergegeben. Daher ist sie vorerst mehr eine
sehr holfhungsreiche Blüte, die zu wahrer künst-
lerischer Frucht erst noch heranreifen muß. —
Aach der fertige Klaviermeister Leopold Go-
dowsky blieb den tieferen Gefühlswerten der
As-dur Sonate op. 26 von Beethoven meines
Empfindens manches schuldig. Der erste und
dritte Satz — der Trauermarsch — kamen zu
grob, fast holzschnittmäßig heraus. Der zweite
and letzte geriet dagegen meisterhaft. Von
seinen anderen Partnern der „Elitekonzert* be-
nannten Vorführung bedeutender Namen ließ
Gemma Bellincioni eigentlich nur noch Reste
ihres früheren Glanzes erkennen, während Arthur
van Eweyk zwar trefflich sang, aber seinen
Vortrag doch etwas zu sehr auf eine al fresco-
Wirkung dieses Konzerts zugeschnitten hatte. ^
Der große künstlerische Eindruck, von dem ich
sprach, ging für mich von keinem Meister im
rein mnsikslischen Sinne aus, aber von einem
Vortragsmeister erster Ordnung: von Ludwig
Wfillner. Es Ist immer wieder erstaanlich.
wie hier ein hoher Intellekt und ein echtes
warmblütiges Künstlenum die Sprödigkeit des
Materials und die Schlacken der Gesangstechnik
über der elementaren Wirkung dieser Verleben-
digung des letzten Inhalts der vorgetragenen
Lieder vergessen läßt. Diesmal waren es die
Müllerlieder, die den Hörern zum Erlebnis
wurden, und dann auch einige Humoresken von
Hugo Wolf, vor allem die »Heiligen drei Könige*.
— Hugo Wolf galt auch der erste Tondichter-
abend der neuen «Gesellschaft der Musik-
freunde*. Propaganda braucht der unglückliche
Meister heute eigentlich nicht mehr; so war das
Konzert, das Hjalmar Ar 1 borg und Hertha
Dehmlow mit Alexander Neumann am Kla-
vier feinsinnig ausführten, wohl mehr eine Be-
tätigung des sozialen Gesellschafisprogrammes.
— Gemischte Freuden bereitete der Baritonist
Hermann Weißenborn, der die Magelonelieder
zu Clemens Seh mal Stichs subtiler Begleitung
zwar musikalisch, sber mit noch immer unzurei-
chend kultiviertem Pisno, dazu wiederum merk-
lich schärfer gewordener Stimme und zu grobem,
nicht genug differenziertem Vortrage zu keiner
besonders tiefen Wirkung brachte. Der Sänger
müßte noch sehrsn sich arbeiten. — Weit freund-
licher wirkte, was man von dem Bratschisten
Lionel Tertia und seinem Klavierpartner York
Bowen zu hören bekam. Ein sauber geschlif-
fenes, tüchtiges Miteinandermusizleren, hier und
da zwar noch nicht schwungvoll und plastisch
genug, aber stets fein - abgetönt und besonders
von selten des Pisnisten sußsrordentlich fein-
ädrig susgesponnen. Eine Suite von B. J. Dale
interessierte durch geistreiche Harmonik und,
bei nicht gerade großer Tiefe, ausgesprochene
Vornehmheit des Gewendes und Inhsltes. York
Bowen selbst fiel dagegen mit einer noch nicht
genug einheitlichen und noch nicht immer
selbständigen Sonate einigermaßen ab.
Alfred Schattmann
Klara Erler entfaltet innerhalb der Grenzen
ihres Talentes, das sie suf leichte zierliche
Musik hinweist, unleugbsre große Vorzüge. Ihr
Soprsn ist wohllautend und gut geschult. Der
mitwirkende Carl Halir erntete mit zwei Violin-
stücken reichen Beifall. — Ober die mangelhafte
Tonbildung des Tenors Felix Senius dsrf msn
sich nicht täuschen. Die Vortragsweise des Sängers
erschien mir stsrk übertrieben und weichlich.
— Das Können und die Begabung des Bassisten
Max Wever sind für den öffentlichen Vortrsg
unzulänglich. Die mitwirkende Geigerin Laura
Helbling-Lafont spielte Vieuxtemps' Violin-
konzert (d-moll) technisch nicht ganz einwand-
frei, aber doch mit belebtem Vortrag. — Johanna
Kiß vermag ihre Altstimme noch wenig zu
meistern. Solange aber das technische Können
aller Orten versagt, verhilft auch kein Tempera-
ment zu einem ungetrübten Eindruck. — Mary
Münchhoff zeigte sich trotz einer Indisposition,
die die Höhe ihrer Stimme trübte, als vollendete
Meisterin. Auch musikalisch weiß sie viel tu
geben. Prächtig gelsng Schuberts «Hirt suf dem
Felsen*, unter der Assistenz von Oscar Schubert
(Clarinette) und Eduard Behm am Klavier. —
Max Pauer hat sich In den letzten Jahren za
einem unserer ersten Pianisten entwickelt. Doch
such bei ihm beginnt msn zu bemerken, daß
die aufs höchste gesteigerte Virtuosität zur Un-
248
DIE MUSIK VII. 4.
klarheit fubre, indem die übermSßige Schnellig-
keit der Tonfolgen nicbt selten nur noch als
wirres Geräusch wirkt, aus dem allein der
Wissende die Absichten des Komponisten her-
auszuhören vermag. Auch manche Eigenwillig-
keit in der Auffassung muß man hinnehmen. —
Paul Goldschmidt spielte je ein Konzert von
Rubinstein, Brahma (d-moll) und Liszt (Es) mit
kühnem Schwünge absoluter technischer Be-
herrschung und hinreißendem, intelligentem
Vortrag. Er muß zu den besten Klavierspielern
der jüngsten Generation gerechnet werden. —
Eine achtbare Leistung bot Artur Reinhold.
Er faßt jedoch den Flügel noch zu derb an.
Das fiel besonders bei Mozart auf. — Madeleine
Cocorescu besitzt eine solide Technik. Beet-
hovens Variationen aus der Appassionata sind
aber keine Fingerübungen. — Harold Bauer
zeigt starkes Talent und eigene Auffassung.
Diese Vorzüge trübt aber vorerst noch ein
Haschen nach bizarren Wirkungen, das sich in
überhetzten Tempi, maßlosen rubati und starkem
Nachklappen äussert. Einiges aus Schumanns
«Kreisleriana" gelang ihm aber vorzüglich.
Hermann Wetzel
Bei Berta Stahlberger-Stockert Vereitelte
die stark halsige Tongebung trotz einer gewissen
vortraglichen Begabung den Versuch, dem
angeblichen Alt Geltung zu verschaffen. Mit-
wirkender war der talentvolle Geiger Ossip
Schnirlin. — Mit schönen, zum Teil schon
nett entwickelten Anlagen versehen, muß Elsa
Berny besonderen Fleiß auf die Ausbildung
der Brustmuskulatur verwenden, um das Zurück-
greifen auf die Rachenwand als Tonstütze zu
vermeiden. — Valerie Thomän wird kraft ihrer
starken Persönlichkeit eines Erfolges meist sicher
sein. Es wäre zu bedauern, wenn sie sich nicht
der Arbeit unterzöge, aus ihrer Stimme das
herauszuholen, was jetzt nur ab und zu durch-
leuchtet, einen prächtigen dramatischen Sopran.
— Gleichfalls einen sympathischen Eindruck
machte Amalie Waibel, die bei fleißigem tech-
nischen Studium bald Vortreffliches leisten
könnte. — Nicht erfreulich dagegen wirkte
Hermann Gura; seine Unkultur ist, im Kon-
zensaal wenigstens, fehl am Ort. — Bedeutend
Besseres leistete Marie Bl an ck-Peters, trotz-
dem sie den Anforderungen ihres schönen,
aber schweren Programmes bei gelungenen
Einzelheiten nicht völlig zu entsprechen ver-
mochte, was auch von Ellen Sarsen gilt, die
sich im übrigen der Mitwirkung Heinrich
Grünfelds erfreute. Richard Hahn
Tilly Koenen sang Lieder von Schubert,
Brahma, Weingartner und Strauß mit großem
Beifall. Diesen weckte wieder vor allem der
sympathische, höchst intelligente Vortrag, der
nur selten, wie im «Lied der Ghawaze", zu sehr
pointiert war. Die Künstlerin hat anscheinend
mehr klassizistische Lieder von Schubert ge-
wählt, um den modernen mehr Licht zu ver-
leihen. Am schönsten sang sie «Die junge
Nonne* von Schubert und das meiner Auffassung
nach bedeutendste der dargebotenen neueren
Lieder: «Geduld* von R. Strauß. Arno Nadel
Der Berliner Tonkünstler-Verein hatte
gelegentlich seines ersten Vortragsabends dem
gerade in Berlin anwesenden Komponisten
Arnold Mendelssohn das Wort gegeben, der
zusammen mit Agnes Leydhecker eine
größere Anzahl seiner Lieder zum Vortrag
brachte. Wirken derartige KomponittenabeDde
auf die Dauer gewöhnlich eintönig, so kann
man von diesem Konzert das Gegenteil be-
haupten. Allerdings ist Mendelssohn nicht
allein ein Künstler, der viel zu sagen hat, son-
dern er hatte auch das Programm, das ihn als
Vertoner der verschiedensten Phasen des Em-
pflndungslebens zeigte, sehr geschiciLt zusammen-
gestellt. Da achließlich die AusfBbruDg, an der
sich auch noch die Geigerin Erna Schulz be-
teiligte, keinen Wunsch unhefdedigc lieB, so
war der lebhafte Beifall, den der sympathische
Komponist mit seinen Gesingen fand, ein
durchaus berechtigter. G. W.
BRAUNSGHWEIG: Gertrud Rößler ist, wie
die Wiedergabe der Werke Ton Schubert
(Impromptu Bdur), Liazt (|,Liebe8traum*) Chopin
u. a. beweiaen, eine vorzfigliche Pianistin ge-
worden; in E. Direnberger, einer Schfilerin
Joachims, hatte sie eine ebenbürtige Partnerin.
Zwei junge Sängerinnen, G. Mönkemeyer nad
E. Dahlgrün, berechtigen zu schönen Hoff-
nungen. In einem Verlagskonzert von Fr. Bartels
erzielten die Lieder von Hans Don ecke, Toni
Hoff und Las z ky den größten Erfolg; un ihre
Wiedergabe machten sich die Damen Maria
Schoepffer, Fr. Kleucker, sowio dio Hef-
Opernsänger Spiea und Grahl verdient.
Ernst Stlor
BRESLAU: Beethoven und Tscbaikovskf
kamen ala Symphoniker in den ersten Kon-
zerten des Orchester-Vereins zu Wons.
Von jenem wurde die Siebente, tou diesem die
Vierte Symphonie auflgefuhrt. Von TsAai-
kowsky's Symphonie, die für Breslau ein No-
vum war, gefielen am besten dio lioiden Mltttl-
Sätze: daa Andante und das esprlcroile Plnl"
cato-Scherzo. Einen Schuß ins Schwarze tai
Dr. Dohrn mit drei Stücken der lUoInknnst:
einer Gavotte tou Mozart, einem Monnett ?on
Brahma und dem Sommemachtstmum-Scheno
von Mendelssohn. Als Solisten der ersm
Abonnementskonzerte erschienen Julis Cnlp
und Leopold Godowsky. In Liedern von
Schumann und Schubert entzOckte dio Slngefis
wieder besonders mit ihren zsrten and urtesMi
Tönen, und in dem f-moll Konzert Ton Chopta
produzierte Godowsky, der in letzter Stande llr
Henri Marteau eingetreten war, wieder sDs
musikalischen Qualiiiten aeines AascUntes und
seiner Auffossung. In der Wahl der Solesticfcs
(fis-moll Novellette von Schumsnn, i^Msseepa*
und »Irrlichter" von Liszt) war er weniger End-
lich. Außer Godowsky haben wir im Otaebsr
noch drei große Pianiaten gehört: F^edeiie
Lamond, der namentlich mit DwUietani
Appassionata einen Riesenerfolg errang^ Arttr
Schnabel, der in den Chopin-Polonlsea
moll und As-dur unfibertreflliche
leistungen bot und Dr. Georg Dohrn, der
durch sein letztes Konzert einen Platz
den besten Pianiaten der Zeit erobert
Mit Schnabel zuaammen konzertierte setae fnm
Therese Schnabel-Behr, die sicil iL
für die Komponisten Erich J. Wolff nnd
Kamienski ins Zeug legte. Mit den
Wolffs, die auf originelle Begshong aehliilw
lassen, hatte sie Erfolg. Die .Kinderlicdsi*
i
j
249
KRITIK: KONZERT
nienski's dagegen leiden tn gesuchter Kind-
ikeit und wirken darum nicht echt. Einen
ßen Erfolg hatte wieder die mit erquicken-
Natfirlichkeit singende Susanne Desssoir.
J. Schink
HICAGO: Mit dem Eröffnungskonzert am
11. Oktober bat das Thomas-Orchester
ae 15. Saison begonnen. Mag man über die
twendigkeit eines zweiten Orchesters hier
iken, wie man will, jedenfalls befinden wir
I hier in einem musikalischen Werdeprozeß,
dem durch Hinzufugung eines zweiten Or-
ssters nur Gutes entsprießen könnte. Sollte
> ein solches zustande kommen, so würde
nur einem lingst gefühlten Bedürfnis der
:hsenden Weltstadt Rechnung tragen. Was
übrigen die Thomas-Organisation betrifft,
hat sie keine Konkurrenz zu fürchten, sö-
ge das Orchester in seiner fast tadellosen
rfassung verbleibt und die musikalische Lei-
g eine so befriedigende ist, als es unter
edrich Stock der Fall ist. Das Eröffnungs-
izert, dem Andenken des Gründers der
pmisation gewidmet, brachte einige seitens
I verstorbenen Leiters sehr verständnisvoll
tngierte Werke, so «Träume** von Wagner,
onaise von Chopin, und enthielt im ersten
1 eine Suite von Bach (No. 3, D-dur), Beet-
rens Zweite Symphonie und Liszts »Ma-
ipa". Das Programm des nächsten Konzertes
chte die vierte Symphonie f-moll von Tschai-
rsky, »Jour d*€i6 ä la montagne* von d'Indy,
Lyrische Suite von Grieg (op. 54). — Im
nzertwesen bringt der Impresario F. Wight
umann, wie alljährlich, eine Fülle von Welt-
ühmtheiten her; freilich sind es immer
selben Amertkareisenden, die man zu hören
:ommt. Da die heurige Opernsaison für
icago wenigstens sehr unsicher erscheint —
in das «Auditorium' ist für Vaudeville und
ima auf lange Zeit hin vermietet, — so müssen
' uns mit der Hoffnung auf ein eigenes großes
emhaus der Zukunft begnügen, das uns
kmr Hammerstein aus Newyork in Aussicht
llt. Mit der Zeit also dürften wir in den
oßstädten dieses Landes ganz europäische
stände haben mit eigenem selbständigen
isikleben. Der Anfang dazu ist mit der Bil-
Qg vieler lokaler Symphonieorchester ge-
icht — Der Apollo-Klub (300 Stimmen,
rektion Harrison Wild) kündigt eine Wieder-
lung der Matthäus-Passion an nebst einer Auf-
irung von dem «Kreuzzug der Kinder* von
$m6, sowie der üblichen Messias-Aufführung
25. Dezember. Eugen Käu ff er
kARMSTADT: Von guter Vorbedeutung für
^ die kommende Konzertsaison mag es sein,
\ an ihrem Eingang diesmal hier nur Kunst-
^ßen ersten Ranges standen: Edouard Risler,
r im Richard Wagnerverein seinen dritten
ivierabend gab, Willy Burmester, der jüngst
ler Mitbürger geworden und sich bei uns
er fabelhaften Popularität erfreut, und das
üsseler Streichquartett, das auf Veran-
sung des Richard Wagner- Vereins zum ersten
ie nach Darmstadt gekommen war und durch
ne ideal schöne Künstlerleistungen (in Quar-
ten von Glazounow, Beethoven und Schu-
jin) alles zur Bewunderung hinriß. Das erste
niert des Musikvereins, das zum Gedächt-
nis seines im Sommer hingeschiedenen, um das
Darmstädter Kunstleben hochverdienten Prä-
sidenten Otto Wolfskehl mit Brahma' «Nänie*
eingeleitet wurde, brachte u. a. eine bemerkens-
werte Novität: unseres einheimischen Tondichters
Arnold Mendelssohns «Paria**, für Solo-
stimmen, Chor, Orchester und Orgel. Das
Werk erzielte unter des Komponisten schwung-
voller Leitung einen ehrlichen, großen Erfolg,
der ihm den Weg durch die deutschen Konzert-
säle allenthalben ebnen dürfte. Die spontane
Unmittelbarkeit, mit der die Mendelssohnsche
Tonsprache auf unser sonst recht sprödes und
zurückhaltendes Publikum wirkte, war um so
höher anzuschlagen, als der Text des Werkes
(eine an sich recht schwer verständliche Ballade
aus der letzten Epoche Goethes) sich für die Wir-
kung nichts weniger als förderlich erweist. Die
künstlerische Wahrheit und Aufrichtigkeit, die
alle Mendelssohnschen Kompositionen aus-
zeichnet, tritt uns im «Paria*' in besonders
zwingender Weise entgegen. Es ist ein eminent
geistvolles, im besten Sinne «modernes** Werk,
das eine seltene kontrapunktische Meisterschaft
offenbart. Die kunstvoll verwebten musikalischen
Partieen, die Personen und Situationen so präg-
nant charakterisieren, werden selbst für das
Ohr des Laien nie unklar oder verworren, und
die logische Durchdringung aller tonalen Ge-
danken hat für den Kenner etwas geradezu Er-
quickendes. Die Plastik des dramatischen Aus-
drucks und die an harmonischen Schönheiten
reiche Instrumentation sind weitere Vorzüge des
Werkes, das Mendelssohn auf der Höhe seiner
frischen Schaffenskraft zeigt. H. Sonne
pvRESDEN: Das erste Sympboniekonzert der
'^ Serie B im Königlichen Opernhause brachte
als Neuheit die Ouvertüre zu Karl Goldmarks
Oper «Götz von Berlichingen". Warum man
gerade dieses durchaus belanglose Stück gewählt
hatte, während hunderte von bedeutsamen Ar-
beiten aufstrebender Tonsetzer vergebens einer
Aufführung an so vornehmer Stelle harren, ist
aus künstlerischen Gründen kaum zu erklären.
Solist war Emil Sauer, der mit der Ausführung
des Schumannschen Klavierkonzerts a-moll be-
wies, daß er seine einst so wild dahinstürmende
Kraft gebändigt hat und zarteren, romantischen
Regungen zugänglich geworden ist. Das erste
Philharmonische Konzert wurde solistiscb (In-
strumentalneuheiten gibts in diesen Konzerten
leider nicht) durch Fritz Feinhals (München)
und Frederik Lamond bestritten. Erster ersang
sich durch die blühende Frische und Kraft
seines gesunden Baritons einen schönen Erfolg,
wenn er auch als Liedersänger etwas mehr per-
sönliche Eigenart hätte zeigen können; Lamond
dagegen, der an dem Abend nur Liszt spielte,
hatte keinen guten Tag und schien diesen Auf-
gaben innerlich weit fremder gegenüberzustehen,
als z. B. den Beethovenschen Werken, als deren
verständnisvoller Interpret er sich einen Namen
gemacht hat. In einer Gedächtnisfeier des
Mozartvereins für Joseph Joachim spielte
Henri Petri des Altmeisters G-dur Konzert,
während Andreas Moser (Berlin) die Ansprache
hielt, in der er auch des zweiten unlängst ab-
geschiedenen Vereins- Ehrenmitgliedes Alfired
Reisenauer gedachte. In der von ihm seit
Jahren mit erstaunlichem Erfolge geleiteten
250
DIE MUSIK VII. 4.
Volkssinstktdeinie brachte Job. Reicbert
seine Rbtpsodie für Biritonsolo, Chor und Or-
chester »Die Tonkunst* (Dichtung von Herder)
erstmalig zur AufTGhrungy ein Werk, das sich
durch einen großen, begeisterten Schwung der
Gesamtaniage und zahlreiche Einzelschönheiten
auszeichnet und einen starken Eindruck hinter-
ließ. An Kammermusik war kein Mangel. Das
Petriscbe Quartett ließ an seinem ersten Abend
die drei Klassiker zu Wort kommen, das Le-
win ger- Quartett spielte Mozart, Dvorak und
Brahms, unter Mitwirkung des Pianisten Severin
Eisenberger, und das Bachmann-Trio er-
öffnete die Reibe seiner Kammermusikabende
mit Raff, Volkmann und Schumann. Alle diese
Abende waren gewiß sehr genußreich, aber man
vermißte eine Neuheit in ihnen, und ich bleibe
dabei, daß es eine Ehrenpflicht aller Kammer-
musikvereinigungen ist, das zeitgenössische
Schaffen ausgiebiger zu berücksichtigen als das
leider heute meist noch geschieht. Einen ganz
vortrefflichen Eindruck hinterließ der Abend des
Fl onzaley- Quartetts, das besonders durch sein
tonscbönes und im Ensemble außerordentlich
feines Spiel wirkte, wibrend man über die Auf-
fassung des Scbubertscben Streichquartetts a-moll
wesentlich anderer Meinung sein mußte als die
vier Künstler. Sehr befriedigend verlief ein
Klavierabend von Miecio Horszowski, der auf
dem besten Wege zu sein scheint, aus einem
Wunderkinde ein echter, großer Künster zu
werden. Nur der ununterbrochene Pedalgebrauch
ist zu rügen, denn er bringt den technisch her-
vorragenden und sehr intelligenten Pianisten um
alle feinen, intimen Wirkungen. Eine freund-
liche Aufnahme fand auch Mark Günzburg,
ein Sauer-Schuler, der in einem eigenen Kla-
vierabend mancherlei Vorzüge technischer Art
zur Geltung brachte und auch eine musikalisch
leider nicht besonders wertvolle Sonate seines
Meisters aus der Taufe hob. Ein Liederabend
Ludwig Wüllners hatte den gewohnten Publi-
kumserfolg, obwohl die gesangliche Leistung
des als Vortragskünstler unbestritten anerkannten
Konzertgebers noch weit geringwertiger war als
früher, undAnnaSchöningh, eine einheimische
Sopranistin, durfte sich bei ihrem Konzert einer
sehr günstigen Aufnahme erfreuen.
F. A. Geißler
DÜSSELDORF: Der städt. Musikverein
unter Julius Buths begann seine Konzert-
tltigkeit mit einer allerdings temperamentvollen,
aber weniger stilreinen oder überzeugenden
Wiedergabe der «Missa solemnis* von Beethoven.
Als Solisten wirkten in verdienstvoller Weise
Anna Stronck-Kappel, Maria Philippi, Georg
A. Walter, Franz Fitzau, an der Orgel Prof.
F. W. Franke. Unter zahlreichen privaten Ver-
anstaltungen verdienen ein Klavierabend von
Risler,ein Sonatenabend von Ellen Saatwebe r-
Scblieper mit Henri Marteau, der Regers
Soloviolinsonate (in D) erstmals hervorragend
schön auslegte, ferner das erste der drei Abonne-
mentskonzerte von Anna Haasters-Zinkeisen
(Klavier) mit Alexander Petschniko ff (Violine)
erwihnt zu werden. A. Eccarius-Sieber
ELBERFELD: Mit einem starken Erfolg haben
die diesjihrigen Künstlerabende der Konzert-
direktion M. Tb. de Sauset eingesetzt. Es war
ein Richard Wagner-Abend, bei dem das Barm er
Orchester unter der rubigen ond ticbern Lettsttf
von Dr. Neitzel namentlich Ins ,MeU^e^■lnge^
Vorspiel* eine Leistung voll Kraft und Leben
bot. Karl B u rrian riß mit den Schmiedelieden
Siegfrieds durch Stimme und Vortrag zu stilnd-
sehen Beifallskundgebungen bin. Hafdot ewig
lunge »Schöpfung*, mit der die Elberfelder
Konzertgesellscbaft ibr Vinicrprogram«
eröffnete, fand unter Leitung von Dr. Hut Htja
eine im Chor und Orchester vortreffliche Wiede^
gäbe. Unter den Solisten gebftbrt die erste
Stelle Emma Rfickbeü-Hiller, die in der
Sopranpartie glinzende Proben ihrer •cböoei
Stimme und reifbn Gesangstecbnik liot. Darck
klangvollen, umfangreichen Baß zeichnete sid
Thomas Denys, durch getcbmackvollen Vor
trag Felix Senius ans.
Ferdinand Schemeoaky
FRANKFURT a. iVK.: Zu drei Viert^lea ne»
gebildet, hat sich das KansmerDinsik-
quartett der Musen msgesellsehaft wieder vor
gestellt. Dem bisherigen Bratschentpieler Praf.
Bassermann gesellten sich Felix Berber sb
erster Violinist, Willem Meyer und der CeUit
Alwin Schröder zu. Ihres Znaanmenspieb
erste Probe fiel günstig aus. Alierdings: die
faszinierenden Reize, die Heermanna und Hifi
Beckers kfinstlerische Erscbeinungen euch in dsi
Ensemble hineintrugen, werden, soweit aio ttsr
haupt ersetzlich sind (scblieiUich ist anch db
schlichteste Individualitit ala solche nneraetiM
erst von der Zukunft zu erboffen sein« Dm
wichtigste, der treue, musiludiscbe SoUdariOii*
sinn, ist aber gewiß schon Jetzt zu spBm; «
offenbarte sich in Scbumanna Quartett a-BSll,
Beethovens op. 18 B-dnr und noch besser is
Max Schillings' fOr hier neueiD Qnaitsitis
e-moll, das sehr ansprechend wiricte. Der
Violoncellist erzielte auch im folgenden Ofcbesi»
konzert des Museums warmen BeifSül nit elssr
Solosuite C-dur von J. S. Bach und einoB Kon-
zert mit Orchester von Cb. M. Loeffler (Bosaasl.
Die letztere Komposition begegnete fireüick
wenig Wohlgefallen; ihre Zerflossenbeit aal
willkQrliche Formgebung wird durch des TM
«Concert fantastique* noch keineswegs snts^si-
digt. Mengelberg dirigierte an dieaeni Abcsi
wieder unter berechtigtem BeifUl. Sein KoOv
Dr. Rottenberg führte im ereten Opernbans-
konzert u. a. Hans Pfitzners »CbriiteliMs
Ouvertüre* zum Vergnfigen der Hörer sin, db
freilich bei Fritz Kreislers blendenden lal
auch poesievollen Violinvortrlgeo noch Isbballv
engeregt wurden. Anch Willy Bnrneaters
Geigenspiel ward jüngst wieder mit Frendss bs-
grOßt, desgleichen zwei so snerfcannte Mdaiv
am Klavier wie Frederic Lamond and Mn
Pauer, und Susanne Deaaoirs spsrtes nal
stilvoll vorgetragenes Volks- und Kiaderlisisr
Programm. Hana Pfeilachaiidt
HALLE a. S.: Im Konzertssal lirach dsa Bsss
der »Saison morte« der Pianist Telsumsi
Lambrino mit Brahms* f-moil- und Cbspisi
b-moll-Sonate als Hauptwerken. Brftwnlid iH
es, daß sich unser Ttaeaterorcbnster aoNl dli
Kapelle des 36. Inf.-Regt. zu grefisn Kousiisa
vereinigt haben, um auch Stmofik üsblsr,
Brückner usw. zum Vortrag tu brtagsn. Dai
erste Konzert bot unter Mörikes
Anton Brückners Es-dur Synphonte;
i^-*
251
KRITIK: KONZERT
Petschnikoff spielte Mendelssohns Konzert.
Die neue Singakademie veranstaltete unter W.
Varfschmidt eine Brahmsfeier mit »Nänie*
und dem «Scbicksalslied*, wihrend das mit-
wirkende Philharmonische Orchester aus Leipzig
aoter Hans Winderstein die c-moll Symphonie
in anerkennenswerter Weise ausführte. Klarer
und noch durchsichtiger hitten die Haydn-
Variationen op. 56 gespielt werden können.
Martin Frey
HAMBURG: Das erste große Konzert der
Saison veranstalteten die Berliner Phil-
harmoniker unter Nikisch. Mit einem ganz
bescheidenen und doch stolzen Programm, das
nur drei Namen und nur drei Werke enthielt:
Haydn, Mozart und Beethoven, von denen fe
eine Symphonie zur Aufführung gelangte. Wie
Nikisch sich auf Haydn versteht, den er keines-
wegs von oben herab mit gönnerhafter Ober-
legenheit behandelt, wie das sonst wohl die
großen Dirigenten zu tun pflegen, ist bekannt.
Viel seltener befaßt sich Nikisch mit Mozart.
Und ist doch der besten Mozartinterpreten einer.
Einer jedenfalls, der nichts von Mozartscher Sinn-
lichkeit und Klangfreudigkeit unterschligt, einer,
der nicht die Naivität des Einzigen durch TQftelei
ontergribt. Beethovens Symphonie in c-moll
beschloß den gar nicht auf Sensation gestellten
und darum so genußreichen Abend. In der
gificklichen Lage, auf den Solisten und damit
zugleich auf die unvermeidlichen Stillosigkeiten
im Programm verzichten zu können, ist man in
den Abonnementskonzerten der Hamburger
Philharmonie noch nicht. Leider, dreimal
leiderl Die Schuld liegt dabei wahrlich nicht
an der Persönlichkeit des energievollen Diri-
gmiten Max Fiedler, noch daran, daß er es
etwa weniger verstände, Programme zu machen,
sie liegt beim Publikum, ganz allein beim Publi-
kum, das es in diesen, allerdings auf ein weniger
glänzendes Orchester angewiesenen Konzerten
ohne einen mehr oder minder leuchtenden Star
nun einmal nicht tut. Und es setzt seinen
Willen durch, indem es einfach streikt, wenn
man ihm den Solisten vorenthilt. Im ersten
Konzert spielte Lamond. Er spielte Beethovens
Es-dur-Konzert bei offenbar wenig günstiger Dis-
position, denn er verwechselte Größe mitTrocken-
heit, Stil mit Nüchternheit. Manche finden Beet-
hoven so besonders grol^ wenn man ihn nach
Kriften mit Langeweile vermischt, und die sind
vielleicht auf ihre Kosten gekommen. Andere
fanden Lamond diesmal bloß langweilig und
ganz und gar nicht vom Geiste Beethovens in-
spiriert So wollte es auch mir scheinen. Als
Novitit brachte Fiedler ein Stijck von Sibelius
mit dem vielversprechenden Titel «Fi nl and ia*.
Ich weiß nicht warum, aber ich hatte mir davon
etwas Besonderes versprochen. Nicht aus geo-
graphischen, eher schon aus politischen Grün-
den. Vielleicht auch weil der Boden musi-
kalisch noch nicht so ausgesaugt ist, wie etwa
Italien, das kaum ein Fleckchen besitzt, auf dem
nicht die Phantasie irgend eines Herrn X. eine
symphonische Dichtung verfaßt hat. Oder hatte
leb an die schönen kulturellen Kontraste im
9Finlandia'*-Stoff gedacht? Einerlei — es war
eine dicke Enttiuschung. Ein kurzes, lautes,
schlecht instrumentiertes MusikstQck mit nichts-
sagenden Motiven und den allerbilligsten Gegen-
sitzen von rustikaler Derbheit und einer unper-
sönlichen Frömmigkeit. Weder im Kolorit noch
in der Rhythmik mit Notwendigkeit auf Finnland
hinweisend und genau so gut etwa als musi-
kalischer Prolog zur Einweihung beim Leipziger
Völkerschlachtdenkmal zu verwenden. Im zwei-
ten Konzert, in dem Julia Culp als lebhaft ge-
feierte Solistin mitwirkte, brachte Fiedler als
Hauptwerk die von Nikisch im vorigen Jahre
so außerordentlich erfolgreich hier eingef&hrte
»Achte* von Brückner. Man wird es Fiedler
besonders danken müssen, daß er fQr dies Werk
nun auch in seinen Konzerten eingetreten ist
und daß er sich nicht etwa durch Rücksicht-
nahme auf Vergleiche mit der vorhergegangenen
Auffuhrung abhalten ließ, Brückner zu seinem
Rechte zu verhelfen.
Heinrich Chevalley
KÖLN: Im ersten Gürzenich-Konzert
wurde pietitvoll Joseph Joachims gedacht
Nach dem Brahmsschen Begribnisgesang be-
trat Carl Halir das Podium, um ein Stück
Joachimschen Geistes zu reprisentieren und
den entschlafenen Meister in seinen eigenen
Klängen zu ehren, indem er das ungarische
Violinkonzert in einzig schöner Weise vortrug.
Daß Fritz Steinbach und das Orchester Joachim
in eindrucksvollster Weise zur Geltung brachten,
bedarf nicht sonderlicher Versicherung. Es
folgte die Marfa-Szene aus »Demetrius* für
Mezzosopran und Orchester, der ja nicht viel
dramatisches Leben innewohnt, die aber doch
ganz anders wirken könnte, als durch Anna
Erler-Schnaudt aus München, deren Stimme
hinsichtlich der Schulung zu wünschen lißt
und die das Wesen des Gesangsstücks keineswegs
erschöpfte. Die in Gegenwart des Komponisten
erstmalig gehörtenOrch es tervariationen Max
Regers über ein Thema von Joh. Adam
Hill er bieten den Fachleuten viel Interessantes,
vermochten aber im allgemeinen wenig zu
erwirmen. Es ist ein im Verbiltnis zu der
eigentlichen Erfindung viel zu ausgedehntes,
ungemein redseliges Werk mit biufigen Wieder-
holungen, ein auf dem kleinen heiteren Thema auf-
gebautes mächtiges Gebäude der verschiedensten
Formationen orchestraler Technik, die uns in
weitausholendem Pathos nicht viel sagen und
den Hauptzweck zu verfolgen scheinen. Regers
vielseitig bewundernswertes Können, seinen
blendend virtuosen Orchestersatz in glänzendem
Lichte zu zeigen. Das gelungenste ist die eine
straffe Einheitlichkeit erfolgreich anstrebende
Schlußfuge, die denn auch in kluger Erwägung
dessen, was ersprießlich und nützlich ist, dem
Ohre etwas bringt. Noch sei bemerkt, daß die
Instrumentation vielfach gesucht bizarr und un-
durchdringlich ist. Steinbacb gab seine ganze
Kunst an Reger hin. Die oben genannte Sängerin
bewährte sich besser bei einigen von Regers
poetischen Liederscböpfungen, denen der Kompo-
nist selbst am Ibach-Flügel ein Ausdeuter von er-
staunlicher Beredsamkeit war. Im zweiten Gürze-
nich-Konzert, bei dem Friedrich Wilhelm Franke
ein ausgezeichneter Interpret des Händeischen
Orgelkonzerts g-moll war und in Bachs Motette
•Singet dem Herrn* der Chor a cappella unter
Fritz Steinbach sich glänzend bewährte, fand
Dvofäks fünfte Symphonie eine fesselnde Wieder-
gabe. Dann holte sich Elly Ney mit Mozarts
252
DIE MUSIK VII. 4.
Kitvierkonzert B-dur und Strtuß' Burleske einen
schönen Erfolg. — In der Musikalischen
Gesellschift erweckte Elisabeth Bokemeyer
hellen Jubel mit Liszts Es-dur Konzert und Volk-
manns Konzertstuck. — Das Gfirzenich-
Quartett brachte beim ersten Kammermusik-
abend Mozarts C-dur- und Haydn's Es-dur Quartett,
dann Brahm&' Klarinettenquintett (mit Richard
Friede) in abgeklirtester Ausfuhrung.
Paul Hiller
KÖNIGSBERG i. Pr.: Die Konzerthyine streckt
auch hier schon ihre Pranken breit aus. Was
uns die bisherigen Veranstaltungen brachten,
geht allerdings mehr in die Breite als in die
Tiefe. Auch wir hatten unsere Joachim-
Feier, die (unter Brode) ganz mißverständlicher-
weise mit der im Lisztstil gehaltenen und
gedankenarmen Hamlet-Ouvertüre des großen
Geigers begann, den Fehler aber durch eine
zugvolle Auffuhrung der Brahmsschen c-moll
Symphonie gutzumachen suchte. In den so-
genannten Künstlerkonzerten interessierte neben
Lula Mysz-Gmeiners mehr technisch-raffi-
nierter Kunst und Edouard Rislers glänzendem
Spiel Karl Fl e seh als uns neue und wohl
den allerbedeutendsten zuzuzählende Geiger-
persönlichkeit. Sein hoher musikalischer Ernst,
die Plastik seines Spiels gemahnen an Fleschs
Landsmann Kreisler, mit dem er den Verzicht
auf alles Virtuose gemein hat. Aufsehen und
Bewunderung erregte seine Wiedergabe der
ersten Solosonate (d-moll) von Reger, dem
durch dieses lapidare Stück wahrer Musik viele
neue Freunde geworben wurden. — Dem hiesigen
Konzertleben wurde durch Einweihung des
restaurierten Domes der jahrelang ver-
schlossene Raum für ernste Kirchenmusik-
pfiege wieder zugeführt. An dem ersten Konzert
beteiligten sich alle in Frage kommenden
musikalischen Institutionen Königsbergs: bei
der bedauerlichen Spaltung der hiesigen Ele-
mente ein Kunststück, das nur der musikalische
Sinn des als Geiger und weitherziger Musik-
verständiger in hohem Ansehen stehenden
Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen zu-
wege brachte. Ernst Wendel, der eigentliche
Inspirator und glänzendste Vertreter unserer
Musiker, begann seinen Quartettzyklus mit
Schubert, Brahms, Dvoi^ak im Gedenken an
seinen Lehrer Joachim. Rudolf Kastner
LEIPZIG: Festgegliederte, klang- und stim-
mungsschöne Reproduktionen der Ouvertüre
zum „Wasserträger** von Cherubini und zu
»Dame Kobold** von Carl Reinecke und der
Symphonieen in B-dur von Beethoven und in
C-dur von Schumann umrahmten im zweiten
und dritten Gewandhauskonzert Erst-
aufführungen zweier modernen Variationenwerke
für Orchester: das eine Mal wurde zum An-
gedenken an den unlängst verstorbenen nor-
wegischen Tonlyriker Edvard Grieg dessen
op.51 «Altnorwegische Romanze mit Variationen*,
ein klangptkantes, aber durch Kurzgliedrigkeit
unbefriedigend wirkendes Werk vorgeführt, das
andere Mal war es das erstmalige Begegnen mit
Max Regers kurz zuvor in Köln aus der Taufe
gehobenem op. 100 «Variationen und Fuge
Ober ein lustiges Thema von Joh. Adam
H liier**, das allgemeinhin Staunen und bei
Tiefereindringenden auch bereits freudige Be-
wunderung wachrief. In meiaterhaflnr laisr«
pretierung durch Arthur Nikltcta and das Ge-
wandhausorchester stellte sich dieses aeaesie
Regersche Werk als ein in Jedem Detail
interessanter, durch geistvolle Kühnheiten and
intime Schönheiten fesselnder nnd mit seiner
Gipfelung zu einer gans ungemein großartitea
Fuge geradezu überwältigend wirlcender Koloasal-
bau in Klängen dar, als ein tönendes Sieges*
monument der selbstherrlich Formen nnd
Stimmungen schaffenden Masik so sich. Die
gestaltungskräftige Energie, mit der Reger bei
freiem Waltenlassen übermfidger Frohlsane und
sinniger Schwärmerei hier seine eminente Tee*
setzkunst an elf charakteristisch differendertea
Variierungen einer altvaterischen Weise md ai
einer gewaltigen Fugentfirmiug l>eiltigt hai;
konnte und mußte überzeagen und sa be-
geisterungsvoller Anerkennung zwingen, da den
Komponisten nicht nur eine slnnfiUif klan^
sondern auch eine klanglich reisTOlle^ Instra-
mentativ wirksame Darlegung seines hoch-
gemuten Kunstwollens geglückt ist. Man könnte
eines der Straußschen Variationen werke fSr Of*
ehester — am zutreffendsten wohl .Till Enlen-
spiegel** — und das Regersche op. 100 gleich-
sam als die großen Gegenpole der neaesies
Musikwelt bezeichnen und nebeneinander for-
führen. Solisten des zweiten und dritten G^
wandhauskonzertes waren die spielgewsndte, sber
noch nicht ganz abgeklärte Londoner PianiMia
Irene Scharrer und die stimmkrlfkige Kuisi-
sängerin Julia Merten-Culp. Das erste
Philharmonische Konzert, in dem Cail
Jörn als stimmbegnadeter Interpret Wagne^
scher Opernfragmente und Emanuel Vsd sls
technisch vorgeschrittener, aber sasdruckssmer
Klavierspieler solistisch mitwirkten, hat nnisr
Hans Winderstein bei wesentlich ▼erbesscnsr
Bläserbesetzung tüchtige Reprodaktionen dsr
c-moll Symphonie von Brahms and des Sme-
tanaschen Tongedichtes »Vltsvs* gebrschL loi
Gebiete der Kammermusik lieflien sich fc^
nehmen: das Gewsndhausqasrtett nnd die
Böhmen, die beide ihr Bestes an Schnberts
nachgelaßenem d-moll Quartette leisteten umi
durch schöne Vorführungen einerseits der
Grieg'schen a-moU Sonate für Klavier nai
Violoncello (mit Leonid Kreutzer) und andem>-
seits des a-moll Klavierquintettes op. 14 ves
Saint-SaSns (mit Artur Schnabel) erfream,
sowie erstmalig das Flonzaley-Qnsrtett,
dessen äußerst subtiles, klangfbines Sfriiel Be-
wunderung erregte, zugleich sber auch sls etwas
zu süßlich für die Interpretiernng Beethofens
erfunden wurde. Reinsten Genuß beieiieis
neuerdings Willy Burmester, der mit Merils
Mayer-Mahr als tüchtigem Begleiter und Ple-
grammausfüller erschien und diesmal nicht nsr
vollen Erfolg, sondern such einen Tollai Saal
erzielte. Mit Solo-Violinapiel ließ sich sensi
nur noch der einheimische Konzertmeister Edgir
Wollgandt vernehmen, der inmitten eins
Liederabends mit der technisch und tenlich
schönen Wiedergabe des e-moU Konzertes Ho»l
dem alten Spohr in würdiger Weise bnUigpe.
Am Klavier saßen ala begabte Vlrtnoshlm^Aspi-
ranten die herzhafte Margarethe Enssert, die
noch sehr unentschlossene Anna von Gahsin
und der noch allzu fibermfltige Wladimir Dres-
253
KRITIK: KONZERT
dorff, alles Erscbeinungeo, die mta und bei
denen man sich selbst auf die Zukunft zu ver-
trösten hatte. Auch unter den vielen Singenden,
die mit Lieder-Abenden aufwarteten, haben neben
der stets willlcommen geheißenen feinen Volles-,
Kinder- und Handwerkerlieder-Diseuse Susanne
Dessoir und dem allzeit sieghaften Ausdrucks-
kfinstler Dr. Ludwig WQllner einige, so der
noch nicht zu voller Stimmentfaltung gelangte
Tenorist Anton Schlosser, die noch unfreie
Koloratursopranistin Wanda Szklarska, die
gesangstecbnisch unfertige Melanie Bull er, die
noch etwas gesangswtlde Christa Scriba, die
noch etwas gewalttitig singende Altistin Maria
Heu mann und die bereits mit einigem Fein-
gefChl singende und vortragende Amerikanerin
Maria E. Orthec von ihrer Weiterentwickelung
Gutes erhoffen machen können, wogegen Ele-
onora von Wawnikiewicz um der Kleinheit
ihres sympaihischen, wohlgebildeten Stimm-
chens willen in den Salon — Kite Heumann,
Karoline Doepper-Fischer und Frieda H oll-
st ein aber mit ihrer ganz dilettantischen Singerei
in die hiuslicbe Verborgenheit zu verweisen
sind. Zu erwähnen ist schließlich noch, daß
im Konzert der Schwestern Heumann der
Meisterklarinettist Prof. Oskar Schubert durch
•eine assistierende Mitwirkung entzückt hat,
daß Josef Fem bau r, der öfters als feinsinniger
Liederbegleiter amtierte, in einem Konzerte mit
seiner klavierspielkundigen Gattin die Beet-
hoven-Variationen von Saint-Ssens wirksam auf
zwei Flijgeln vorgeführt hat, und daß Friedrich
Wild an einem Kompositions-Abend mit der
Vorführung von einigen dreißig vorwiegend wie
stimmungsreiche Improvisationen anmutenden
eigenen Liedern allerhand Begabtsein für Kom-
position, Gesang und Klavierspiel offenbaren
konnre. Arthur Smolian
MANCHESTER: DasHall6-Orchester unter
Hans Richter eröffnete die Jubillums-
satson (SOjlhriges Bestehen der Konzerte)
am 17. Oktober mit der ersten Symphonie von
Beethoven, der Ouvertüre zum »Fliegenden Hol-
under*, mit Bruchstücken aus Berlioz' »Faust*,
»Till Eulenspiegel* und dem «Walkürenritt*. Im
zweiten Konzert wirkte als Solistin die vielgeprie-
sene Marie Hall mit (Bruch g>moll und das Rondo
Capriccioso von Saint-SaSns), die jedoch infolge
Ihres farblosen, dünnen Tones und recht wenig
Interessanten Spieles den musikalischen Teil des
Publikums enttluschte. Die Reihe der Beet-
hovenschen Symphonieen wurde in diesem Kon-
zert fortgesetzt mit No. 2, deren Aufführung die
der ersten in mancher Hinsicht übertraf. Diri-
gent und Orchester glinzten in den »Meister-
singer*- und »Lohengrin'-Vorspielen. — Auf
ihrer Abschiedstoumee durch die Provinzen be-
griffen, trat Adelina Patti im ersten Harrison-
Konzert angeblich zum letzten Male hier auf.
In einem anderen Ballad- Konzert (Brand Lane)
spielten Kubelik und Borwick. Die zum
großen Teil seichten Programme derartiger
Veranstaltungen lassen es überflüssig er-
scheinen, näher auf sie einzugehen. — Der
Cellist Richard son gab, wie alljährlich, einen
Kammermusik- Abend. — Die wöchentlichen
Orgelkonzerte Im Rathaus haben wieder be-
gonnen. — Sieben Opemvorstellungen der
Royal Carl Rosa Opera Co. überstiegen
in keiner Weise das gewohnte Niveau dieser
Provinzialaufführungen. K. U. Seige
|M[ANNHEIM: Das Hofcheaterorchester er-
*^^ öffnete mit den Akademieen die Saison.
Dirigent ist wieder Hermann Kutzschbach.
Das erste dieser Konzerte stand ganz im Zeichen
der klassischen Musik. Beethovens Pastorale
und Mozarts Es-dur Symphonie ragten als die
Eckpfeiler empor, zwischen denen der Franzose
Alberto Geloso stand, um das Mozartsche
Violinkonzert in Es-dur und einige Stücke von
Bach für die Violine allein zu spielen. Nicht
alles glückte dem Künstler, der keinen guten
Tag zu haben schien, manches dagegen, wie
z. B. den langsamen Satz des Konzerts, vor-
trefflich spielte. Die zweite Akademie brachte
neue Musik, Smetana und Strauß, dazu als
Novität die Serenade für elf Soloinstrumente
von Bernhard Sekles. Das Werk hat hier
nicht den unbestrittenen Beifall wie in Dresden
beim Tonkünstlerfeste gefunden. Man bewun-
dert wohl die gediegene Arbeit, vermißt dagegen
die andauernde Frische der Erflndung. Amy
Castles, eine australische Sängerin, versuchte
mit ihrem Koloratursopran vergebens, der Beet-
hovenschen »Ah perfldo*-Arie gerecht zu werden,
die sie auch stilistisch nicht zu meistern ver-
mochte. Mehr Glück hatte sie mit einer Arie
aus der Thomasschen Oper »Hamlet*, wiewohl
auch deren Wiedergabe keine virtuose Leistung
war. Der letzte Schliff fehlt noch, sogar bei
der Tonbildung in der hohen Lage; die Stimme
verspricht viel. Das Münchener Kai mor ehester,
das unter Schneevoigt acht Konzerte in diesem
Winter ankündigte, spielte im ersten die F-dur
Symphonie von Brahma vorzüglich und brachte
als Novität Georg Schumanns »Variationen
über ein lustiges Thema*. Der Humor liegt
vorwiegend im Thema, weniger in den Varia-
tionen, die übrigens ein technisches Brillant-
feuerwerk darstellen, das Funken sprüht, glänzt
und kracht, aber nicht zündet. Herrlich spielte
Jacques Thibaud. K. Eschmann
PARIS: Der Bremer Lehrergesangverein
kam in den ersten Oktobertagen, »sang* und
siegte! Er hatte freilich in Paris insofern leichtes
Spiel, als hier der Chorgesang im allgemeinen
und der vierstimmige Männergesang im beson-
deren sehr wenig hervortreten. Die einzige Er-
innerung, die der deutsche Verein hier zu be-
kämpfen hatte, sind die Berufschöre, die jeweils
bei Colonne die Männerchöre in Berlioz' »Faust*
singen. Diese machen ihre Sache ja ganz gut,
aber sie sind sowohl dem stimmlichen Material,
als der Ausbildung nach bei weitem nicht mit
einem deutschen Musterchor zu vergleichen,
wie er uns hier geboten wurde. Am ersten
Abend traten die Bremer Gäste gemeinsam mit
dem tüchtigen, aber quantitativ unbedeutenden
Deutschen Quartettverein Im Saale des Hotel
Continental auf. Hier war das Publikum aus-
schließlich deutsch und daher der Jubel selbst-
verständlich. Zwei Tage später konzertierten
dagegen die Fremdlinge allein mit der wackeren
Geigerin Carlotta Stubenrauch im großen
Saale Gaveau zum Besten des französischen
Lehrersanatoriums, und hier war auch das fran-
zösische Publikum und die Pariser Kritik, wenn
auch nicht sehr zahlreich, vertreten. Die Wir-
. kung war dieselbe. Schuberts »Nacht*, die mit
254
DIE MUSIK VIL 4.
unglaublicher Zirtheit vorgetngen wurde, wurde
rtuBChend beklatscht; der auch den Franzosen
durchaus geliufige Pilgerchor aus »Tannbluser*
hatte eine Wucht, von der sich die Choristen
der Großen Oper nichts triumen lassen. Die
ungemein zierlichen und neckischen »Minne-
Singer* von Schumann mußten wiederholt wer-
den. Höchstes Staunen erregten endlich die
schwierigen Virtuosenstücke für Minnerchor,
die »Wilde Jagd** von Bück und Hegars »Toten-
volk*, in denen der Chor sich gewissermaßen zum
Orchester erweitert, indem er die gewagtesten
Tonmalereien ausfuhrt. Prof. Panzner hielt
seine Leute stramm zusammen. Nicht der min-
deste kleine Verstoß kam vor. Es klang alles
wie aus einem Munde. Außer der Schönheit
und Reinheit des Tones verdient auch die immer
deutliche Textaussprache aelobt zu werden. —
Der Wiederbeginn der großen Sonntagskonzerte
wurde von dem Namen Saint-SaSns' be-
herrscht. Bei Colon ne dirigierte dieser selbst
seine a-moll Symphonie und einige andere
Werke von Berlioz und Liszt und spielte mit
Die m er zusammen sein Scherzo fGr zwei Kla-
viere. Außerdem erfuhr sein Septett mit Trom-
pete eine nicht gerade sehr willkommene Ver-
mehrung der Saiteninstrumente, um es aus einem
Klaviermusikwerk zu einem Orchesterwerk zu
machen. Chevillard-Lamoureux benutzte
seinerseits sofort die Gelegenheit der Orgel, die
ihm in seinem neuen Lokal des Saales Gaveau
zu Gebote steht, um die dritte Symphonie mit
Orgel und Klavier in c-moll zur Auffuhrung zu
bringen. Der Erfolg war groß genug, um eine
Wiederholung des bedeutenden Werkes im
zweiten Konzert zu rechtfertigen. Es muß frei-
lich hinzugefugt werden, daß der Saal Gaveau
eigentlich viel zu klein ist für große Orchester-
konzerte, und daß daher Chevillard bereits daran
gedacht hat, jedes Programm an zwei Sonntagen
zu spielen, wie das die alte »Soci6t6 des Con-
certs** in dem noch kleineren Saal des Konser-
vatoriums von jeher getan hat und mit bleiben-
dem Erfolg weitertut. Der leitende Ausschuß
der Orchestermitglieder, den Chevillard nicht
genug zu beherrschen versteht, fürchtet aber
bei diesem System eine Verminderung der Ein-
nahmen, und so wird der Obelstand des kleinen
Lokales in jeder Hinsicht sehr fühlbar bleiben.
Eine andere Gefahr besteht darin, daß Chevil-
lard, da er nun bei einem Klavierfabrikanten zu
Gaste ist, genötigt sein wird, nur dessen Kla-
viere spielen zu lassen, die zwar in den letzten
Jahren an Kraft und Wohlklang gewonnen haben,
aber immer noch nicht ersten Ranges sind.
Immerhin ist zuzugestehen, daß Die m er im
ersten der drei bisherigen Konzerte mit einem
der anmutigsten Klavierkonzerte Mozarts (No. 17
B-dur) einen großen und berechtigten Erfolg fand.
Den Gesang vertrat im gleichen Konzert die
ehemalige Darmstädter Primadonna Frau Ka-
schowska, die in Paris bereits einen großen
Ruf als Konzertsängerin besitzt. Auch zwei
Neuheiten kamen am 27. Oktober zu Gehör.
Bei Colonne bestätigte Gabriel Dupont die
Hoffnungen, die seine kleine Mailänder Preis-
oper »La Cabrera* und seine Orchesterstücke
»Les Heures dolentes** erweckt hatten, mit
einem neuen tieftragisch gehaltenen Orchester-
gemälde »Le Chant de la Destin6e*, denn
die trfibe Gesamtfirboog wird durch die Instn-
mentation genügend variiert^ um das Intersm
wachzuhalten. In der Anwendung schroff dis-
sonierender Trompeten scheint freilich der junfi
Tonsetzer nur den einen Zweck ▼erfolgt n
haben, das »Heldenleben* Ton Richard SttsoB
zu fiberbieten, was ihm leider gelungen Ist
Jedenfalls fehlt es aber dem Werke nicht u
Leidenschaftlichkeit und persönlichem Chsrskter.
Chevillard fiberraschte dagegen durch eine merk-
würdig unfertige »dramatische Ouvertfire* des
allerjungsten zweiten Rompreises Jules Mazel-
lier, der im nächsten Jahre den ersten Rompreii
zu erwerben hoffe und daher schfUerhsft ko^
rekt schreibt, um bei den konservatlTcn Herrn
der Kunstakademie nicht anzustoften. Vor du
große Publikum gehört aber ein solches Obungs-
stuck nicht, und Chevillard scheint es blofi ss-
genommen zu haben, um den Unsinn der oB-
ziellen Kunstpflege darzutun, die Colonne nad
ihm je 15000 Franken Subvention g|ht^ damit
sie in jedem Jahr drei Stunden Ihrer Fro-
gTamme neuen Werken französischer Tonsstscr
widmen. Chevillard hatte seinem unerMn-
liehen Komitee den edlen Versieht auf dieses
Sfindenlohn vorgeschlagen, war aber such
in diesem Punkte unterlegen. Es ist leider n
furchten, daß auch diese SubFontion nicht g^
nügen wird, um das berfihmto Konierinniw-
nehmen Lamoureuz', das nun schon snm slebca-
tenmal innerhalb 26 Jahren sein Lokal hat wcc^
sein mfissen, dauernd fiber Vasser so halten. —
Der Herbstsalon setzte die gute Sitte Isit,
neben den bildenden Kfinsten auch der Mi^
zu dienen. Er veranstaltete sieben Nachmlti^
konzerte für Kammermusik, deren erstes ■■
3. Oktober stattfand. Es wurde sehr giflckllch t^
öffnet durch ein Klaviertrio von Albert Roussslt
der auf den Spuren von Cössr Franck wasdek
und namentlich melancholische Motive eindrisi*
lieh durchzufuhren versteht. Die holden le^
haften Sätze sind dagegen zu sprunghaft gerates.
Ein junger spanischer Komponist JoequinTirisa
führte dann mit dem ausgezeichneten Streich-
quartett Parent zusammen zum erstenmal ds
Quintett vor, das an ftirchtbaren Llngen leidsi»
aber im Andante und Scherso ansprecheadcs
Talent verrät. Zwei Konzerte wurden ausschlief
lieh belgischen Tonsetzem gewidmet, nanr
denen der verstorbene Lekeu, Vreuls und Joflgts
hervorragten. Im übrigen dominierten die NaoMS
C6sar Franck, Vincent d'lndy, Claude Debnssy
und Chausson. Die Schwäche bildete der TOkala
Teil, sowohl was die Wahl der Torgeffiknea
Lieder kompositionen, als was ihren Vortrsg bs-
triffr. Felix Vogt
DRAG: Unser Konzertleben regt sich im Ol-
^ tober noch kaum. Das erste «Phllharmonischi^
wurde bei voller Streikstimmung des OrchcsMt
absolviert. M es seh aert langweilte das PubUksai
mit Mahlers Kindertotenliedem. — Im Dflra^
bund setzte Boruttau seine Virme tmd g^
schmsckvolle Gesangskunst für Beethoven sli
Liedei komponisten erfolgreich ein, und der Piasiit
Bergmann interessierte mit einem prachtvolles
Konzert von Wilhelm Friedemann lisch. SooH
war Ruhe über allen Klavieren und Geigsn.
Dr. Richard Batka
CTRASSBURG: »Habemus pspaa", verläalg
^ allerdings nur als unverantwortUchea Gai^
.j
255
KRITIK: KONZERT
[e das sehr onpersönliche Programm des
Abonoementskonzertes erwies: Hinz Pfitzner
it als Konservatoriums- und Konzertdirektor
Straßborg nunmehr hoffentlich den sicheren
afen gefunden, woselbst er sich, uns und vor
lern der Kunst zum Heile, eine gesegnete
irksamkelt entfalten möge! Sein Debüt mit
T ,Freischutz*-Ouvertüre und Beethovens
Lchter* gestaltete sich iußerst verheißungs-
»il, mag auch gewissen Kreisen hier vor der
enialitit grauen. Sonst bot die Konzertsaison
>n Bemerkenswertem bisher einen Abend
islers mit etwas fadem Programm, aber aus-
zelchnetem Spiel (bis auf etliche «Holzeffekte*
r linken Hand!), ein Auftreten des vor-
sfflichen Flonzaley- Quartetts im Ton-
Instlerverein, an dem besonders ein Opus
Klur) von Sinigaglia, namentlich in seinen
kamen und feingearbeiteten Allegri, inter-
sierte, einen Trioabend der Herren Walter,
:tamidt und Stennebruggen (Klavier), so-
e ein Orgelkonzert des Organisten Rupp.
le Australierin Amy Castles erwies sich im
stgenannten Konzert als glänzender Koloratur-
'pran. Dr. G. Altmann
i^lEN: Madeleine Cocorescu, eine Schülerin
^ Therns und Sauers, hat den Pianistenreigen
m Jahres eröffhet: eine graziöse Begabung, in
T Atmosphäre des Gefälligen und Eleganten
B heimischesten, von allem Biosiegen wirk-
:ber musikalischer Mysterien meilenfern. Von
Der Art, über die Brahma das entzückende
on hatte: .Es spielt immer eine besser als
e andere und manche spielen sogar noch
blechter*. Manche zum Glück freilich auch
^h besser : Thea Leischner zum Bei-
ilel, der nur noch das Podiumfieber vieles
rstört, die aber, wenn ihre Nerven ihr
cht rhythmische Streiche spielen, verträumt
>etisches mit ernstlicher Innigkeit zu inter-
etieren vermag. Von Paul Weingarten gilt
mliches: seltsam aber, wie anämisch und
istet sein noch vor zwei Jahren so freudiges
aturell und seine plastische Fähigkeit geworden
t. Einzelnes ist wirklich vollendet, vornehm,
irchaus empfunden; anderes wieder merk-
firdig ruhelos, hysterisch verschleiert, ge-
ssentlich schattenhaft: einseitiges Missver-
ehen Godowskyscher Einseitigkeit. — Zwei
Treuliche Geiger: Joachims Nichte und
;hülerin Adila von Aräny, die durch Breite
id Fülle des Tons, gefestigte und unvordring-
:he Technik und durch die beseelte Wärme
rer musikalischen Noblesse gefesselt hat und
ii weniger strenger Zurückhaltung ihres zweifei-
sen Temperaments noch stärker wirken könnte,
id Cesare Barrisson, dessen liebenswürdig-
;hwungvolle Bravour nicht nur in edlen Werken
• er hat Bach sehr schön gespielt — sondern
ich in Virtuosenstücken immer die Grenzen
is Künstlerischen respektiert. — Der Sänger
lan Hall: angenehme, wenn auch schwache
ittel; ein etwas gutturaler Tenorbariton, stark
ir Manier neigend mit einem Obermaß an
I
verkünsteltem Falsett und einem Untermaß
an echter Empfindung. — Schliesslich zwei
Aufführungen des jungen Tonkünstler-
Orchesters. Die eine, in der man — In
Brahma' Alt-Rhapsodie — die herrlichen Mittel
der durch arge Befangenheit und Abhängigkeit
vom Dirigenten unfreien Münchnerin Francis
Thiecke noch nicht nach ihrem Wert einzu-
schätzen vermochte, hat wieder gezeigt, wie
verfehlt die einen neu zu schulenden Orchester-
körper unbedingt verwirrende Dirigentenmehr-
zahl wirkt: unter Stavenhagens kühl-tüchtiger
Leitung schien all der Glanz, die Tonpracht,
der Elan verschwunden, der unter Nedbals
feurigem Impetus verblüffte. Auch das zweite-
mal: bei der Feier für die verstorbenen Meister
Ignaz Brüll und Edvard Grieg. Des Nord-
länders Klavierkonzert kann nicht* sprühender
und schmiegsamer begleitet, die »Herbst-
ouvenüre** nicht klangedler gespielt, des viel-
geliebten und von Herzen betrauerten Ignaz
Brüll feines und stilles Musikantentum nicht
reizvoller und in zarterer Lebendigkeit zu
tönender Erfüllung gebracht werden, als es
durch das Tonkünstler Orchester unter Nedbal
mit dem Vortrag seiner «Ouvertüre pathetique*,
seiner von volksliedmäßiger Heiterkeit erfüllten
P-dur Serenade und seine Klavier-Rhapsodie (mit
Orchesterbegleitung) geschehen ist. Letztere,
sowie das Griegsche Konzert, mit Wera Scha-
pira am Klavier. Eine Oberraschung. Der
jungen Künstlerin frenetische Gesundheit und
ihr früher manchmal fast zum Derben neigendes
Brio ist jetzt so schön gebändigt, all ihre
Frische und Unbefangenheit so durchaus ver-
innerlicht und emotioniert, dass sie sich durch
diese — nicht nur äusserlich — blendende und
dabei von starkem Gefühl aufs feinste diffe-
renzierte' Leistung in die erste Reihe lebender
Klavierinterpretinnen gerückt hat.
Richard Specht
WIESBADEN: Im Künstler- Verein gastierte
^ das Brüsseler Streichquartett, das mit
seinem Schumann- und Beethoven-Vortrag nicht
recht durchzudringen vermochte, dagegen ein
äußerst pikant geschriebenes Quartett — eigent-
lich wohl mehr eine Suite — von Debussy zu
brillanter Wiedergabe brachte. Im Kurhaus:
eine Joachim-Feier mit Aufführung einer der
in klassischem Stil sich bewegenden Ouvertüren
des dahingeschiedenen Meisters. Ebenso eine
Grieg- Feier, bei der namentlich einige noch
weniger bekannte Lieder des norwegischen Ton-
poeten lebhaft ansprachen. Auch das erste
Konzert im Hofibeater (unter Mannstädt)
brachte einen Grieg: die «Herbst-Ouvertüre*,
die aber kaum tiefere Wirkung auslöste. Sehr
schön spielte Sauret das temperamentvolle
Dvofäk'scbe Violinkonzert; noch schöner viel-
leicht Eugdne Ysaye im Kurhaus ein Violin-
konzert (£-dur) von E. Moor, das freilich einer
so kräftigen Unterstützung bedurfte, um nach-
haltiger zu wirken. Otto Dorn
Sm
E!
Aus AnUß ibIum 60. Todeitaget widmen wir den (Mtmtni Blldertell dn rot-
Hegenden Heftet Felix Mendelseohn-Bariboldy. Vie to oft In dar Kuait-
gesctafchif, wir aucb lo der Beurteilun{ dieses Meisters nach der enttansUstischeii
Verebrnag, deren er slcta bei seinen Zellgenossen In so aufierfewSbnllcbein Mafte zn
erfreuen baite, nlcbt zuletzt durcb die Schuld seiner einseitigen Nacbabmer allmiblich
eine Unterscbitzung seiner tonieiierlscben Bedeutung und rnnsllcgescblcbtliGbeii Stellnng
eingetreten, die erst in neuerer Zelt wieder einer gerechteren Tfirdignog Plati zu
machen beginnt. In seiner auigezelchneten Mendelssohn-lHonographie <in der rerdleast-
Tollen Sammlung .Berühmte Musiker*, Verlagsgesellschaft Harmonie la Berlin) sagt
Ernst Toltr mit Recht; «Daß dem Menseben Mendelssobn der barte Kampf mit der
Not des Lebens erspart blieb, bat zweifellos seinen SchSpfongen du oigmtflmllche
Geprige bsrmoniscber Abgeklirtbelt und inneren Friedens gegeben. Seine Natnr war
zu aufrichtig, sich ein schmerzliches Paiboa anzuquUen, das nicht innerlich erlebt war,
und fGr den Kummer, der auch ihm nicht erspart blieb, fand seine KnnM mebr den
Ton elegischer Sanftmut als wild aufbiumendcr LcidenschafL Aber fortde diese naier
Trinen liebelnde Anmut, dieser volle, innige GefDblsKin, der sich nur ta eetnen
scbwlcheren Verken gelegentlich zur Sentfmemalitit rerdfinnt, geben Im Verein mit
dem keck sprudelnden Humor der Kunst Mendelssohns die unnscbabmlictae perstaliehe
Note, und die kristsllene DurchsichiiglEelt und das wundervolle Ehenmsfl selaer mn^
kaliscben Form sichern Ihm für Immer einen Ehrenplatz unter den klasaisebni Meisten
der Tonkunst.* Und vom B^aulus* z. B. urteilt Hermsnn Kretzscbmtri bDIo Zelt, we
über dieses Terk einfach zur Tagesordnung übergegangen werden kSnote, Ist noch sehr
fbm.* — Tir beginnen mit dem Portrit Mendelasohni nach dem im Besitz des Hem
Gebelmrsts Ernst von Mendelssohn-Bartholdr beflndlichen Oigemllde von TUbelm
Heasel, dem wir ein Jugendbild folgen iaasen, gemalt 1821 voa C. Begaa, Kopie von
Cb. Horshll (Im Besitz von Filuleln Dora Vach In Leipzig). Hieran eeblleSl alcb ein
Portrit nach dem Original im Besitz des Herrn Paul Joscblm la Berlin. Es fbtgen:
die Tledergsbe der Mendelssohn- Büste von Hermann Knsur und Meadelasoba
auf dem Totenbett nsch der Zeichnung von Bendemann (Im Besitz dea Herrn
Gebeimrats Vacb In Leipzig). Den Schluß bildet die Analcht des Studierzimmers
des Meisters In seiner letzten Leipziger Tohnnng (KSnlgsiraße 5>, letzt No. 12), nach
einem von M. Vach kopierten Aquarell von Felix Moachelea. Fflr die I leben awfirdige
Überlaaaung der Bilder aind wir den Berliner Verlagsblusem B. Betar (Gemllde von
Hensel) und Gesellschaft Harmonie (die übrigen Blitter mit Ausnahme der B8tM tob
Knaur) zu besonderem Dank verpflichtet.
:rLaubn[B dn VcrlifCB (cilftttlt
:r ObenetiDDf, nrfacliiltca
Für die ZurOckicnduni untcrlinjcter oder nicht ■ni;emc1deier MinuiliripK, MI« Ihnei akbt (eil
Pono bclllefi, übcmimmi die Redakilon keine Garsntle. Sebver loerilclic Munakrlpta wardaa ■■fepil
Veranivortllcher Scbriftlelter: Kapellmeister Bernhard Scfaatter
Berlin W. 57, Bülowstrasse 107 ■•
FELIX MENDELSSOHN-BARTHOLDY
N«cb dem Gemltde von Tithelm Hensel
■ den Mcltierbricftn tür* dcunctae Hiui Bd. II
endeliiobn-Binhald]' Briefe) biII Geaclimitiinf
a B. Bcbr'* Verlii, Berlin, hltr verafftnillttii.
JUGENDBILDNIS VON
FELIX MENDELSSOHN-BARTHOLDY
Nacb dem Gemllde von C. Begu
I' ..
JUGENDBILDNIS VON
FELIX MENDELSSOHN-BARTHOLDY
Nach dem Gemilde von C. Begas
FELIX MENDELSSOHN-BARTHOLDY
'^nW
\Ä.J#'_
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FELIX MENDELSSOHN-BARTHOLDY
von Herminn Knaur
> . '.
.-t
FELIX MENDELSSOHN-BARTHOLDY
AUF DEM TOTENBETT
Nach einer Zeichnung von Bendemann
FELIX MENDELSSOHN-BARTHOLDYS STUDIERZIMMER
IN SEINER LETZTEN WOHNUNG IN LEIPZIG
DIE MUSIK
MODERNE TONSETZER: HEFT 2
Die Tonkunst hätte gar keine Berechtigung
zu existieren, wenn man dfts, was sie aus*
spricht, ins klare Wort übersetzen oder in
Öl malen könnte.
Ferdioand Hiller
VII. JAHR 1907/1908 HEFT 5
Erstes Dezeraberheft
Herausgegeben von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & LoeFFler
Berlin W. 57, Bülowstrasse 107
.C^r-(C)E.t^.
^s gibt wohl kaum unter den zeltgenSssischen deutschen Tod-
selzern einen, der mit so starken Anfeindungen zu kämpfen
\ gehabt hat und noch hat wie August Bangert. Das wird aus
i seiner eigenartigen Persönlichkeit und aus seinem ganzen
Schaffen vielleicht begreiflich, aber doch kann der Allgemeinheit, die sich
ja sonst so dicht um allerlei Tageagrößen schaart, der Vorwurf nicht er-
spart bleiben, daß sie diesem Tonsetzer gegenüber noch eine große Schuld
einzulSsen hat. Aus tausendflltigem Irrtum, den sich die Veit schon In
so vielen FXlIen Künstlern gegenüber hat zu Schulden kommen lassen,
hat sie eben nach immer nicht die richtige Lehre gezogen; vielmehr maß
auch heute noch jeder SchaiTende, der abseits von dem vielhetretenen
Pfade nach eigener Weise wirkt, darauf gefaOt sein, durch Unverstand und
geringe Einsicht In das Wesen der künstlerischen Tätigkeit gehindert, ja
vielleicht sogar lahmgelegt zu werden. Eine solche bittere Erfahrung bat
der Tondichter machen müssen, von dem im folgenden die Rede sein
soll. Gegen ihn und seine Schöpfungen ist mit Waffen gekämpft worden,
wie man sie seit dem .Fall Wagner* nicht mehr bitte für möglich halten
sollen. Die mächtige Gegnerschaft einflußreicher Persönlichkeiten bat
es zuwege gebracht, dafi Bungerts Name in den letzten zehn Jahren bei
weitem nicht so oft auf den Konzertzetteln zu finden war, wie dies —
ganz abgesehen von seinen Musikdramen — seine Lieder und Kammer-
muslkwerke verdient bitten. Ich begrüße darum die vom Herausgeber
der aMusik* an mich ergangene Aufforderung, einen Essay über Hungert
zu schreiben, als hocherfreuliches Anzeichen dafßr, daß sich die Er-
kenntnis seiner Eigenart und seines Wertes als schaffender Künstler
in den maßgebenden Kreisen einzaatellen beginnt. Möchten die nach-
stehenden Zeilen, in denen jede vielleicht bei diesem Falle besonders
naheliegende Polemik vermieden werden soll, das ihrige dazu beitragen,
um einer großen Leserschar einen Begriff von dem zu geben, was die
Kunst des so vielgeschmähten Tonsetzers bedeutet, and sie darauf hinzu-
weisen, dafi in bezug auf Hungert, der sein großes Werk nach dem Wort«
17»
260
DIE MUSIK VII. 5.
^MKk
Wagners »Deutsch ist, die Sache, die man treibt, um ihrer selbst nnd der
Freude an ihr willen treiben** geschaffen hat, gerade deshalb auch die
Mahnung des Hans Sachs gelten muß: »Verachtet mir die Meister nichtl*
Lebensgang
Bungert ist am 14. März 1846 in Mfilheim a. d. Ruhr geboren nnd
hat sich der Tonkunst schon frfihzeitig in die Arme geworfen. Gegen
den Willen des Vaters, der bestimmt hatte, daß sein Sohn Kaufmann oder
Arzt werden solle, zog er als 14 jähriger Knabe heimlich nach Köln, wo
Hiller in einer ernsthaften Prüfung seine außerordentliche Begabung fest-
stellte. Zwei Jahre genoß er in Köln einen gründlichen Unterricht, den
er von 1862 bis 1868 am Pariser Konservatorium fortsetzte. Dort war
besonders der Chopinschüler Mathias sein Lehrer. Diese Pariser Zeit war
für den Kunstjünger reich an Entbehrungen und Sorgen und lehrte ihn,
in ernsten Tagen sich selbst zu finden. Obwohl er einige Male als Pianist
mit großem Erfolge auftrat, entschloß er sich doch nicht zu der Virtuosen-
laufbahn, da das Wirken als schaffender Tonsetzer die Krone seiner
Wünsche war. Er überließ sich diesem Drange um so bereitwilliger, als
er auch an seiner beträchtlichen dichterischen Begiibung nicht mehr za
zweifeln brauchte, und ihm so die Möglichkeit winkte, die* beiden redenden
Künste in seinem Schaffen nach Wagners großem Vorbilde zu vereinigea.
Denn, gleich hier sei das ausgesprochen, Bungert ist von Anfang an ein
begeisterter Verehrer Wagners gewesen und kennt die Werke des Bay-
reuther Meisters aus dem Grunde. Nur böswillige Leute konnten ihn
später Aussprüche zuschreiben, die geringschätzige Wendungen fiber
Wagner enthalten; Bungert ist viel zu sehr Musiker und allgemaiii ge-
bildeter Künstler, als daß er so törichte Äußerungen je getan haben
könnte. Nachdem er in Kreuznach einige Zeit einen Chorverein geleitet
und dadurch die Praxis kennen gelernt hatte, begab er sich nach Beriin,
um bei Friedrich Kiel seine abschließenden kontrapunktischen Studien zn
treiben. Auch zu Franz Liszt trat er in Beziehungen. Da seine ioBeres
Umstände sich mit der Zeit günstig gestalteten, durchzog er die Welt nnd
verbrachte besonders schöne Jahre in Italien, wo er noch heute in Pe^
bei Genua ein Landhaus besitzt. Sein deutsches Heim liegt am Rhein, in
Leutesdorf. Epochemachend im Leben des Künstlers war die Bekannt-
schaft mit Carmen Sylva, der gekrönten Dichterin, *in deren Geaellachaft
er sowohl im fürstlichen Schlosse zu Neuwied als auch anf den könig-
lichen Besitzungen in Rumänien Zeiten des künstlerisch anregendsten Ver-
kehrs genoß. So ist der Lebensgang Bungerts einfach, aber dodi inner-
lich so reich gewesen, wie er sein mußte, um ihn die ungeheure kfinade-
rische Arbeit vollbringen zu lassen, die er geleistet hat.
J^^r ■ «i'jj jJ
261
GEISSLER: AUGUST BUNGERT
Instrumentalkompositioneii
Eine der ersten öffentlichen Anerkennungen, die Bnngert zuteil
geworden sind, war die Znerkennung des Florentiner Kammermusikpreises,
den er für sein Klavierquartett Es-dur (op. 18) erhielt. Diese Aus-
zeichnung wiegt um so schwerer, als sie durch zwei Meister, wie Johannes
Brahms und Robert Volkmann, zuerkannt wurde, deren Richterspruch denn
auch seine volle Bestätigung durch die Praxis fand. Denn das Quartett,
das durch edle Schönheit der Themen und klare durchsichtige Anlage
und Ausführung nicht minder hervorragt wie durch reichen Stimmungs-
gehalt und einen großen, oft geradezu dramatischen Zug, hat in vielen
Aufführungen seine Lebenskraft dargetan und gehört unstreitig zu den
wenigen neuzeitlichen Kammermusikwerken, die von bleibendem Werte
sind. Man kann angesichts dieses schönen Werkes nur lebhaft bedauern,
daß Bungert auf dem Gebiete der Kammermusik nicht mehr geschaffen
hat. Gerade er wäre vermöge seiner reichen, frischen und edel-volkt-
tfimlichen Melodik, die sich mit reifstem technischen Können und der
Fähigkeit aparten Ausdrucks paart, vielleicht der Mann gewesen, den die
Kammermusik gebraucht hätte, um nicht in den Zustand der Vernach-
lässigung zu verfallen, in den sie leider seit geraumer Zeit versunken ist.
Von Klavierkompositionen sind die Albumblätter »Aus jungen
Tagen* (op. 9) zu erwähnen, zwölf Klavierstücke von wechselnder Empfindung,
aber stets gleichbleibender Vornehmheit des Ausdrucks und einer Feinheit
der Komposition, die um so wertvoller ist, je natürlicher sie sich gibt.
Einige Stücke aus dieser Sammlung hat der Komponist in das Heft »Aus
meinem Wanderbuche* (op. 53) übernommen. Die bedeutendste Klavier-
komposition Bungerts ist unstreitig sein op. 13: » Variationen und Fuge
über ein eigenes Thema*. Ein wie aus Stein gemeißeltes, kraftvolles
Thema wird hier mit so vollendeter Meisterschaft variiert, daß man den
unerschöpflichen Reichtum der Phantasie ebenso anstaunen muß wie die
glänzende technische Ausführung, die in der prachtvollen Fuge ihre Krönung
erfährt. Franz Liszt, dem Bungert diese Variationen vorspielen durfte,
äußerte sich darüber voll rückhaltloser Anerkennung, und seitdem ist diese
Komposition mit vollem Recht oft den monumentalen Händel- Variationen
von Brahms an die Seite gestellt worden.
Auch Orchesterwerke größeren Umfangs hat Bungert, da ihn
seine ganze Beanlagung zum Lied und zum Musikdrama drängte, nur
wenige geschaffen. Das bedeutendste ist die symphonische Ouvertüre
.Torquato Tasso*, mit der er sich als ein Tonsetzer von ausgesprochener
Eigenart bewährt. Die Ouvertüre ist gleichsam eine musikalische Schilderung
der psychologischen Vorgänge in dem Qoetbescben Drama, an dessen
SB^ DIE MUSIK VII. 5. «BK
Verlauf sie sich im Aufbau eng anschließt. Die Art der Themenbildung
und -Verarbeitung weist bereits in diesem op. 14 auf die grofien Musik-
dramen der späteren Zeit hin, und auch in der Instrumentation findet aich
schon jener eigentümliche Gesamtklang, der mit seiner oft herben Neben-
einanderstellung der gegensätzlichen Orchesterfarben ebenso aufHIlt wie
durch die häufige Hervorhebung eines Themas durch neuartige Instmmental-
kombinationen, die in den Musiktragödien des Kfinstlers später so manchem
»fremd vorm Ohr' klangen. Man hat im Laufe des hitzigen KampfieSi
der gegen Bungert geführt wurde, ihm u. a. auch den Vorwurf gemacht,
daß er die moderne Polyphonie nicht beherrsche. Wie unbegründet dieser
Tadel ist, kann jedermann schon aus dem geradezu meisterhaften Durch-
führungsteile der Tasso-Ouvertüre ersehen, in dem die vier Haupt-
themen (Tasso, Leonore, der Herzog und Antonio) in glänzendster Weise
miteinander verwebt sind. Das andere große Orchesterwerk Bungerts ist
das symphonische Gedicht «Auf der Wartburg*, ein Tongemälde, in dem
die Schatten einer ehrwürdigen Vergangenheit sich beleben und endlich
das Lutherlied «Ein' feste Burg ist unser Gott** siegesgewaltig erklingt als
Kennzeichen der unvergänglichen Kulturtat, die mit Luthers Bibelflber»
Setzung auf der Burg der heiligen Elisabeth vollbracht wurde. Die beldeii
genannten Orchesterwerke liefern übrigens den Beweis dafür, daß Bongert
sich die von Liszt geschaffene Weiterbildung des orchestralen Stils durch-
aus zu eigen gemacht hat, also auch in dieser Hinsicht ein modemer
Musiker im wahrsten Sinne des Wortes ist.
Da es nötig sein wird, die Musikdramen der »Homerischen Welt*
in einem besonderen Abschnitt zu behandeln, so sei gleich hier die Mnsik
zu Goethes «Faust* genannt, die der Meister vor einigen Jahren anf Ein-
ladung des Rheinischen Goethe- Vereins für dessen erstes Goethe-Festtpiel
in Düsseldorf geschrieben hat. Mit Begeisterung ging der Tondichter an
die Arbeit, die ihm allerdings dermaßen unter den Händen wncbt» daß
sie die Verteilung des ganzen «Faust* auf vier Abende nötig macht Man
kann selbstverständlich darüber sehr verschiedener Meinung sein, ob eine
so breite Ausgestaltung des musikalischen Elements dem rein dicfateriichen
Eindruck des «Faust* dienlich ist. Aber das bleibt eine PrinzlpienCrace,
die jeder nach seinem persönlichen Empfinden entscheiden mag. Tatsache
ist, daß die «Faust*-Musik, die Bungert geschaffen, auf die Mehrzahl der
Festspielbesucher einen sehr bedeutenden Eindruck gemacht hat, was am
besten daraus hervorgeht, daß man den «Faust* mit Bungerts Mnsik IBr
das nächste Jahr wieder viermal auf das Düsseldorfer Festspielprognunin
gesetzt hat. Während die meisten früheren Faust-Musiken nachi alter
Weise teils den Text unmittelbar in Liedform umwandelten, teils melo-
dramatischer Art waren, hat Bungert im modernen Sinne eine Mnsik zii
--»a^
^
263
GEISSLER: AUGUST BUNGERT
JSi
schreiben versacht, die den Stil des Masikdramas, soweit dies ohne
fortlaufende Singstimmen möglich ist, auf das Goethesche Werk fiberträgt,
so daß die Tonkunst nicht nur als gelegentliche Helferin, sondern als eben-
bürtige Schwester neben die Dichtkunst tritt. Naturlich wird dadurch der
musikalische Teil ziemlich umfangreich, und es ist kein Wunder, daß alle,
die den «Faust* lediglich als rezitierendes Drama betrachtet wissen wollen,
das Bungertsche Prinzip für unrichtig halten. Jedenfalls hat Bungert auch
mit seiner »Faust'-Musik einen neuen Weg gefunden, und das sollte ihm
doch gerade in unseren Tagen, in denen Selbständigkeit der Gedanken
so selten ist, hoch angerechnet werden.
Lieder
Wenn Bungerts sonstiges Schaffen oft auf starken Widerspruch ge-
stoßen ist, so hat man ihn auf dem Gebiete des Liedes rückhaltlos ala
Meister anerkannt, ja, in vielen Fällen ist sogar der Liederkomponist Bungert
gegen den Musikdramatiker gleichen Namens ausgespielt worden. Bei ge*
nauerer Betrachtung . aber wird man finden, daß gerade aus der Klavier-
begleitung seiner Lieder, in der der Kfinstler mit Vorliebe das ganze Milieu
des vertonten Textes zeichnet, so manche Brücke zu den Musikdramen
hinüberführt. Wie Bungerts erste Veröffentlichung . die »Jungen Lieder*
(op. 1 — 7). waren, so ist er dieser Kunstform sein ganzes Leben hindurch
treu geblieben und hat hier eine Fruchtbarkeit des Schaffens bekundet, die
allein schon eine Lebensarbeit für so manchen Musiker darstellen wurde.
Enthalten doch z. B. die drei Hefte der «Volks- und Handwerkerlieder*
nicht weniger als neunzig Kompositionen.
Die Lieder Bungerts, die im einzelnen hier zu charakterisieren aus
Grfinden des Raumes unmöglich ist, haben bei all ihrer individuellen Ver-
schiedenheit doch eine gemeinsame Eigenschaft: die Einfachheit der Melodik.
Während die Entwicklung des modernen Liedes sonst eine Richtung ein-
geschlagen hat, die sich von der schlichten Gesangsweise immer mehr ent-
fernt, die Singstimme meist bloß deklamierend verwendet und den Schwer-
punkt der ganzen musikalischen Konzeption in die Begleitung verlegt, ging
Bungert auch hier insofern eigne Wege, als er die kurze, knappe, volkstümlich-
einfache Melodie in seinen Liedern als grundlegendes Element beibehält
und in vielen Fällen für alle Strophen der Dichtung gleichmäßig unterlegt,
also dem durchkomponierten Gesangsstück mit vollem Bewußtsein das
Strophenlied gegenüberstellt. Dazu gehört natürlich eine Plastik der Melodie^
die es ermöglicht, dasselbe Thema nur durch den Vortrag oder durch
kleine Schattierungen in der Begleitung zur verschiedenartigsten Wirkung
zu bringen. In diesem Punkte liegt auch zum großen Teile der Grund
für die volkstümliche Wirkung der Bungertschen Lieder. Wer diesem
264
DIE MUSIK VII. 5w
Prinzip gegenüber etwa den Vorwurf der kunstlosen EinfBmii^eit erbeben
wollte, der sei nur an Carl Loewe erinnert, in dessen unsterblichen Balladen
ja auch die Beibehaltung einer durchgehenden und immer aub neue wieder-
kehrenden Melodie so hlufig zu bemerken ist
Übrigens hat Bungert bei diesen seinen Strophenliedem sich in den
Vor- und Zwischenspielen glänzende Mittel zur Stimmungsmalerei geschaffen.
Mit wenigen aparten Akkorden zeichnet er zwingend das Milien oder die
Situation, und die Nachspiele, die das Lied ausklingen lassen, enthalten
oft überraschende Schönheiten und Feinheiten.
Wie modern dabei Bungert in seinen Liedern ist, das erkennt man
aus seiner Harmonik, seiner Rhythmik und besonders aus der ruhigen
Sicherheit, mit der er für jedes Lied die Grundstimmung festzuhalten
weiß. Im Gegensatze zu denjenigen Liederkomponisten, die jedes Wort
des Textes musikalisch zu illustrieren sich bemühen und deshalb vor lauter
feiner Kleinarbeit nur schwer zu einer großen Linie, zu einem Ganzen
gelangen, legt Bungert den Hauptwert auf die musikalische Totalitit }edes
Liedes und läßt sie durch die Einzelheiten der Begleitung nur ver-
stärken. Wie das gemeint ist, ersieht man am deutlichsten ans den
«Handwerkerliedern**, in denen jedes Lied von dem Geräusche begleitet wird,
das für das betreffende Handwerk charakteristisch ist Der Schuster wird
durch kurze, pochende Schläge charakterisiert; der Töpfer durch dn
Summen, das uns die rasch umlaufende Drehscheibe fut sichtbar vor
Augen führt; den Schmied erkennen wir an den wuchtigen Schiigen and
dem metallischen Klingen, und den Seiler an einem eigenartigen Schwirren —
alle diese überraschend naturgetreuen Wirkungen werden mit den ein»
fachsten Mitteln hervorgebracht. Diese musikalische Nachahmung von
Naturklängen gibt überhaupt den Bungertschen Liedern eine eigenartig
lebendige Färbung und tritt auch in den großangelegten Balladen und
Hymnen nicht ganz zurück, in denen der Tonsetzer seiner Neigung zum
Pathetischen, stark Bewegten freien Lauf läßt. Femer gelingt es dem
Komponisten meist ganz überraschend, die Lokalfärbung der von ihn
komponierten Gedichte zu treffen. Wie in den »Italienischen Liedern*
der Charakter des Landes unverkennbar gezeichnet ist, so auch in den
«Serbischen Liedern* (op. 56), unter denen besonders «Mädchen und
Pferdchen* als Perle gerühmt werden darf. Da es unmöglich ist, dem
verschwenderisch reichen Liederschatze Bungerts hier auch nur annähernd
gerecht zu werden, so seien im folgenden nur einige dieser SchOpftanfen
genannt, die geeignet sind, dem Femstehenden einen Begriff von der Viel-
seitigkeit Bungerts als Liederkomponisten und seiner Bedeutung als soldien
zu geben: «Liebesbriefe in Liedern* (op. 26) sind Lieder von ganz neo-
artiger Färbung, das «Vaterunser*, das Karl Scheidemantel oft geanngen
265
GEISSLER: AUGUST BUNGERT
hat, zeugt von der Gemütstiefe und dem Empfindungsreichtum seines
Schöpfers ebenso wie „Maria an der Wiege", der vielgesungene, er-
greifende „Sandträger" oder die „Bettlerliebe" aus den „Gestalten und
Erinnerungen". Sehr bekannt sind ferner „Die Scheuerfrau am Christ-
abend", „Sein Weib" aus den „Dramen in Liedern", „Über die Haide"
und „Schwanengesang" aus dem Zyklus „Verlorene Liebe, verlorenes
Leben", „Trunkene Hände* und „Holdes Wissen" aus den „Liedern aus
der Verschollenheit" <op. 55), sowie die Lieder des „Carmen Sylva-Albums".
Als Liederkomponist bat Bungert früh allgemeine Anerkennung ge-
funden. Äußerte doch schon der in seinem Urteil so scharfe Hans v. Bulow:
„Von den lebenden Komponisten hat außer Johannes Brahms keiner eine
solche Visitenkarte abzugeben wie August Bungert" und gestand doch
Richard Pohl, der bekannte „älteste Wagnerianer", ein, daß er seit Wagner
und Liszt keinen so tiefgehenden Eindruck gehabt habe als durch die
Bungertschen Gesänge. Doch trotz dieser günstigen Beurteilung der Fach-
leute drangen die Lieder erst dann in das große Publikum, als Meisterinnen
des Liedergesanges wie Lilli Lehmann und Lillian Sanderson sich für sie
einsetzten und ganze Abende ausschließlich mit Bungertschen Liedern
veranstalteten. Seitdem stand der Name Bungert oft auf dem Programm
eines Liederabends, bis die leidenschaftliche Gegnerschaft, die sich der
Tonsetzer durch seine Musikdramen erwarb, auch auf seine übrigen
Schöpfungen übergriff. Die Sänger und Sängerinnen befürchteten wohl, irgend
einen einflußreichen Bungertgegner zu verstimmen, wenn sie dessen Lieder
sängen — und so ist es gekommen, daß gerade in den letzten Jahren eine
Vernachlässigung der Bungertlieder zu verzeichnen war, die angesichts
ihres künstlerischen Wertes ebenso unbegreiflich wie bedauerlich er-
scheint. Doch wird sich auch das sicherlich wieder ändern; seine
Rheinlieder klingen im Rheinland fast allerorten, ja das Lied „Bonn" ist
beinahe so volkstümlich geworden wie „Alt-Heidelberg, du feine", und
jenseits des Weltmeers ist sein „Chorlied der Deutschen in Amerika"
(Text von Rittershaus) zum stolzen Bekennerliede unseres Volkstums ge-
worden, während sein Chor „Erinnerung" aus den „Mondscheinliedem"
beim Deutschen Sängerfeste in New York als Preislied gesungen wurde
und dem Tondichter die Ehrenmitgliedschaft des Deutschen Männergesang-
vereins Philadelphia eintrug.
Wenn man die Lieder Bungerts in ihrer Gesamtheit betrachtet, so
wird man erkennen, daß die darin zum Ausdruck kommende unbeschränkte
Wandlungsfähigkeit und Vielseitigkeit des Komponisten einerseits zwar
Zeugnis von seiner bewundernswerten Schaffenskraft ablegt, andererseits
aber auch bewirkt, daß man von einem einheitlichen Bungertschen Lieder-
stil nicht sprechen kann. Die Proteusnatur des Komponisten, die sich
»266 ^^M
DIE MUSIK VII. S. wSk
iedes Stoffes in anderer Art zu bemächtigen weiß, scheut naturgemiß vor
einer bestimmten Formel zurück. Es gibt Leute genug, die darin einen
Mangel sehen; ich aber glaube, daß sich diesen Verzicht auf eine fest-
stehende ^Schreibart ein Künstler wohl gestatten kann, der aus einer Über-
fülle von Gedanken das Recht auf unbedingte Freiheit des Ausdrucks
herzuleiten vermag.
Musikdramen
Bungert hat nie einen Zweifel darüber aufkommen lassen» daß er in
den Musiktragödien (die Bezeichnung stammt von ihm) der »HomerLschen
Welt* seine Lebensarbeit gesucht und gefunden hat. Darum muß diesen
Werken im Rahmen der vorliegenden Studie auch eine ausführlichere Be-
trachtung zuteil werden. Dabei sei gleich im voraus betoat, daß den
Schreiber dieser Zeilen nur die vier Dramen der Odyssee («Kirke* mit dem
Vorspiel ^Polyphemos*, ^Nausikaa", „Odysseus' Heimkehr* und
«Odysseus' Tod**) bekannt sind, während er in die beiden Ilias-Dramen
„Achilleus* und »Klytämnestra* noch keinen Einblick hat nehmen kdonen«
Darüber, daß in den Gesängen des Homer Stoffe ruhen, die sich zur
Bühnendarstellung vorzüglich eignen, und daß die Gewinnung dieser
Stoffe für die Bühne eine gewaltige Bereicherung bedeutet, sind, die
Meinungen wohl kaum mehr geteilt. Die Homerischen Epen $ind . Mv
künstlerisches Weltgut, dessen Umwertung in musikdramatiscbe Fonn
schon so manchen großen Geist beschäftigt hat. Die gewaltige Schjvierig-
keit lag nur darin, die breite epische Erzählung dramatisch zusammen-
zufassen und psychologisch dermaßen zu vertiefen, daß die Musik, ent-
sprechend den modernen Anschauungen, nicht als eine äußere Zutat, son-
dern als das Bindemittel erscheint, durch das die einzelnen Teile zu einem
organischen Ganzen zusammengefügt werden.
Schon die Tatsache, daß Bungert sich dem so lange unbenutzt ge-
lassenen Stoffe zuwandte und ihn mit starker Hand in sechs großen Dramen
zu gestalten vermochte, bedeutet ein Verdienst, das man ihm angesichts
der nach Wagner eingetretenen Stagnation nicht abstreiten sollte. Denn
er hat dadurch fast ein künstlerisches Neuland entdeckt, da doch schon
die einfachste Betrachtung seiner Dichtungen lehrt, wie innig er, im G^en-
satz zu den Dichtungen der Gluckschen klassischen Opern, den antiken
Stoff mit modernem Geist und Empfinden zu durchdringen gewußt bat.
Während die Wagnerepigonen in der nordischen Sagenwelt umher suchten,
aber trotz aller Bemühungen dort nichts Großes und Lohnendes mehr
fanden, wandte Bungert diesem Schauplatz kühn den Rücken und zog in
das Land, in dem Homers Sonne lächelt. Als ein genauer Kenner nidit
nur Homers, sondern auch aller sogenannten «Zykliker", io deren
267
GEISSLER: AUGUST BUNGERT
Dichtungen sich die Ergänzung oder Fortführung der Homerischen Epen
findet, . arbeitete er seine Texte unter sorgfältigster Verwendung aller ver-
tiefenden Motive aus. Ja, so mancher klassische Philologe der sich über
.Willkürlichkeiten* in den Bungertschen Bühnendichtungen entrüstet,
würde beschämt verstummen, wenn er aus den mit Randbemerkungen und
Vergleichsstellen bedeckten Handexemplaren des Künstlers ersehen könnte,
wie dieser die eindringendsten Studien gemacht und dazu antike Schrift
steller herangezogen hat, die tausend Gebildeten kaum dem Namen nach
bekannt sind.
Nun finden sich unzweifelhaft in den Textbüchern der «Homerischen
Welt* zahlreiche Stellen, die sprachlich oder dichterisch nicht einwandfrei
sind; aber ihnen gegenüber stehen auch wieder Partieen, deren dichterische
Schönheit anerkannt werden muß. Einige Proben mögen das beweisen.
So zeichnet die einsam in Sehnsucht des ihr verheißenen Helden
wartende Kirke ihren Seelenzustand mit folgenden Versen:
Einsam Leuchten ist Verzehren!
Urkraft heil'ger Gottesgaben
Will ich liebend, schaffend mehren,
Heldenliebe soll mich laben.
Was gilt mir die Kraft
Der Sonne im Blut,
Wenn jubelnd ein Held
Mir im Arme nicht ruht?
Und als Odysseus an das goldene Gitter der Zauberin pocht, tut er
es mit dem markigen Spruch:
Schwertesknauf, Schwertesknauf
Sprenget alle Tore auf.
Den Anblick des Sonnenreiches der Kirke begrüßt der Held
Worten :
Sonne, Sonne blendet mein Auge,
Urquell des Lebens strömt auf mich ein I
Lachende Ströme heiligen Lichtes
Scbüttem und rütteln durch Mark und Bein.
Lacht mir das Licht in melodischen Tönen?
Strahlen die Töne klingenden Schein?
Auch der Widerstrebende wird zugeben m
Worten nur eine Dichtung redet, die weit über
Wagner an Opembüchem geboten worden ist
wie Bungert seine Gestalten seelisch vertieft,
Mythos das allgemein Menschliche heraus:
Gemüts zu gestalten bestrebt ist, sei la
268
DIE MUSIK VII. 5.
gesang angeführt, den Kirke und Odysseus anstimmen, ala sie einander in
Liebe gefunden haben. Aber es ist nicht die wilde, sinnlicb-bogehrende
Liebe, sondern jene edlere, die im geliebten Gegenstande die Erginznng
des eigenen Wesens sucht. Den Menschen zieht es hinauf in reinere Höhen,
die Göttin aber muß sich zum Menschentume herabneigen, um gificklich
zu sein. Odysseus singt:
Was ist Menschsein, als das Sehnen,
Sich zur Gottheit aufzuschwingen
Und im Arme höh'rer Wesen
Menschenleides zu genesen,
Hdb'res Dasein zu erringen.
Reinem, höbern Tons zu klingen
Und im Kampf auf dunkler Erden
Sel'ger Ober mensch zu werden?
Und Kirke antwortet dem himmelsturmenden Helden mit dem tiefen
Bekenntnis:
Was ist Gottsein als das Brennen,
Sich im Menschen zu ergründen
Und im holden Mensch-Erkennen
Eignes Ebenbild zu finden,
Tief aus treuen Menschenaugen
Erdenlust und Schmerzen saugen
Und in seligem Vereinen
Weinen können, wie Menschen weinen?
Wenn ich weiter nur an die Einffihung der rührenden Figur des
Hyperion in der , Heimkehr", an des Odysseus großen Monolog im selben
Werke: «Ist das Ithaka, ist das mein Herd?", sowie an den ganzen pracht-
vollen Aufbau des Schlußakts der «Heimkehr* erinnere, über dessen
Wucht und innerer Größe man vollkommen das Gemetzel vergißt, das der
Held unter den Freiern anrichtet; wenn ich die schönen Worte anlEhre,
mit denen Telegonos, der Sohn des Odysseus und der Kirke, zu Antuig
des Vorspiels zu «Odysseus' Tod" nach seinem unbekannten Erzeuger Kragt:
Sind Viter stets
Von ihren Söhnen fem?
Muß ich allein den Speer,
Die LAnze werfen
Und schwingen das Schwert
Nur mir zur Lust?
und wenn ich den kurzen Rachegesang der Despoina noch anlEhre:
O Meere und Erde,
O Vater und Mutter!
Laßt mir's gelingen, ihn mir zu fesseln.
Gönnt mir die Rache an seinem Sohn!
269
GEISSLBR: AUGUST BUNGERT
Laßt ihn mich fingen
Den milchbirtigen Helden,
Zu meinem Sklaven
Zwing* ich ihn mir;
Mitleid, Mitleid scbfirzt mir das Netz -~
so glaube ich durch diese kurzen Proben schon dargetan zu haben, daß
die Textdichtungen Bungerts Anspruch auf hohe Bewertung erheben dürfen.
Allerdings sind die Beziehungen der einzelnen Personen und Szenen zu-
einander oft recht dunkel und mystisch, der Dichter hat, in dem Bestreben,
fiberall innere Verknüpfungen zu schaffen, vielleicht etwas zu viel in seine
Bficher „hineingeheimnist* — aber das kann ihren dichterischen Wert
an sich nicht beeinträchtigen, sondern zwingt nur jeden, der in die
innersten Fäden der vielfach verschlungenen Handlung Einblick gewinnen
will, zu eingehenden Studien und liebevollem Sichversenken — eine
Forderung, die ja schließlich jedes Kunstwerk stellt, das nicht für die
Vielzuvielen geschaffen ist.
Es leuchtet jedem Unbefangenen ein, daß die Musik zu einem unter
südlichem Himmel in griechischer Heroenzeit sich abspielenden Dramen-
zyklus ganz anders in Melodik und Klangfarbe geartet sein muß als die
zu einem nordisch-mythologischen Bühnenwerke. Das ist eigentlich eine
Binsenwahrheit, und doch wird sie anscheinend von vielen Leuten nicht
begriffen. Man hätte es sonst Bungert nicht zum schwersten Vorwurfe
machen können, daß seine musikalische Ausdrucksweise von der Wagners
beträchtlich abweicht, wenn sie auch im Prinzip, d. h. in der Verwendung
von Leitmotiven, die in verschiedenartigsten Umbildungen das Werk
beherrschen, ganz auf dem Grunde Wagnerscher Anschauungen aufgebaut
ist. Wenn der Komponist der „Homerischen Welt* seine Leitmotive nicht
mit der eisernsten Konsequenz durch sein ganzes Werk führt, sondern sie
oft durch neue Themen ersetzt oder ergänzt, wenn er der Polyphonie nicht
die ausschließliche Herrschaft in seinen Partituren einräumt, sondern
oft genug seine Motive nur unter Begleitung eines Tremolos erklingen
läßt, so hat er dafür ebenso seine guten Gründe gehabt, wie dafür, daß er
auf die Pracht großer Ensemblesätze nicht verzichtete und die theoretisch
verpönte «Melodietrompete*, von der übrigens selbst Wagner häufig
Gebrauch macht, in ausgedehntem Maße verwendet. Um bei letztgenanntem
Umstände gleich ein wenig zu verweilen, so möchte ich sagen, daß der
metallisch bebende Trompetenton vielleicht sogar eine Notwendigkeit war,
denn Bungert stand vor der schweren Aufgabe, seinem Orchester einen
bestimmten, eigenartigen Klang zu verleihen, der dem Wesen seines
Stoffes entsprach. Und die eiserne Zeit, in der seine Dramen spielen,
glaubte er eben durch den bebenden Erzton der Trompeten am sichersten
270
DIE MUSIK VII. S.
pJBB
zu charakterisieren. Daß er des polyphonen Stils Meister ist und als
Kontrapunktiker es mit jedem anderen aufnimmt, dafür zeugen die
glänzenden Ensemhlesätze, z. B. das Finale des ersten Aktes der »Heim-
kehr*, das sich als eins der bedeutendsten Stficke erweist, die seit
Wagner für die Opernbahne geschrieben worden sind. Und welche Kraft
der musikalischen Milieuschilderung ihm zu Gebote steht, das lehrt die
Hadesszene in der «Kirke* jeden, der Ohren hat, zu hören.
Was die an Wagners Musik gewöhnten Ohren wohl am meisten
befremdet und deshalb vielleicht den Anlaß zu dem Vorwurfe gegeben
hat, Bungerts Motive seien nicht tief genug empfunden und nicht
psychologisch fein genug erdacht, dürfte der Umstand sein, daß die Themen
Bungerts meist auf diatonischer Grundlage beruhen, während sie bei
Wagner meist chromatischer Art sind. Aber auch dieser Unterschied liegt
in der verschiedenen Art der Stoffgebiete begründet. Keinesfalls Ist der
oft geäußerte Tadel berechtigt, daß die Bungertschen Motive der Plastik,
Klarheit und charakteristischen Eindringlichkeit entbehrten. Zum Beweise
des Gegenteils seien im folgenden einige der wichtigsten Themen angeführt
Vater Haydn hat einmal gesagt, den rechten Wert einer Melodie eiiLenne
er daran, daß sie ganz für sich allein, ohne jede Begleitung ihre Wirknng
tue; darum seien die folgenden Motive auch nur in dieser Form hier
wiedergegeben, damit jeder Leser ohne weiteres die Probe machen kann.
So wird man dem durch das ganze Werk gehenden Hauptmotiv des
kämpfenden und siegenden Odysseus:
Energico
r/rs I — n I
S§
¥n
'^^.
q
Kraft, Wucht und höchst charakteristischen Ausdruck nicht absprachen
können. Und das Sehnsuchtsmotiv:
ist in seiner Kürze und Eindringlichkeit ebensowenig zu verkennen, wie
das Motiv des edelgesinnten Freiers Hyperion, den tiefste Liebe zn
Penelopeia erfüllt:
Appassionato
271
GEISSLER: AUGUST ßUNGERT
Und wie schlicht und edel ist die .Heimatsweise":
^fa-Q^
aus der sich, in Verbindung mit anderen Motiven, in grandioser Steige-
rung das schon erwähnte erste Finale der «Heimkehr** entwickelt.
Die Art, in der Bungert ganz nach dem großen Vorbilde Wagners
einen szenischen Vorgang durch motivische Arbeit innerlich zu verstärken
und musikalisch zu erläutern weiß, sei an einem kurzen Beispiele aus der
großen Szene im letzten Akte der , Heimkehr" dargetan, die den Bogen-
schuß des Odysseus auf die Bühne bringt. Der als Bettler verkleidete
Held erhebt sich und schilt die Freier, daß sie auf seltsame Art ein Weib
umwerben. Dazu grollt tief in den Bässen sein Heldenmotiv, mit dem
sich das Sehnsuchtsmotiv verwebt, als der vermeintliche Bettler der Trauer
Penelopeias gedenkt. Und als er den alten Bogen wieder in der Hand
hält, bricht das Bogenmotiv jubelnd durch:
Während ein neues Thema, das »Bogengrußmotiv", auftritt, herrscht
doch im ganzen Orchester das Kampfmotiv, das in hellem Dur im
Fortissimo erdröhnt, nachdem der Pfeil, durch ein Harfenglissando über-
raschend in seinem Schwirren gezeichnet, durch die Äxte hindurch-
geflogen ist.
Von dem reichen thematischen Material der « Odyssee" sei weiter
als Beweis für die Plastik und edle Schönheit der Erfindung das Zeus-
motiv angeführt, das meinem Empfinden nach Erhabenheit mit Milde in
glücklichster Weise verbindet:
Maestoso
f=f— I — r r M-i 11
m
t
I I I
T
T=t
VP
Pos.
Als sehr charakteristisch sei hier weiter das Bettlermotiv des Odysseus
angeführt:
g^
X
Iß*
^m
V^sr.
r=n
fc»=i=l
und ferner das Mißtrauensmotiv des Helden, das in der «Heimkehr* eine
80 große, für die Charakteristik des Odysseus ausschlaggebende Wichtig-
keit hat:
Auch das Motiv Polyphems:
t
j^
^
ist zweifellos ebenso knapp und bezeichnend wie das der »Vatenebnsocht*,
mit dem in »Odysseus' Tod" der Held des Sohnes gedenkti den Ihm Kirke
geschenkt :
i^
J^=Hl^.^fa!E
Und wie innig die Verwebung aller Motive mit der Handlang ist,
das beweist die Sterbeszene des Helden, in der sämtliche Themen, die sein
Leben und seine Taten, sowie sein Verhältnis zu Kirke kennzeichneten,
erklingen und dadurch gleichsam sein ganzes Leben an dem Sterbenden
vorüberziehen lassen, bis sein Auge bricht.
Ich muß hier mit der Wiedergabe der Motive abbrechen, sonst w&rde
des Aufzählens kein Ende werden. Wer sich mit den dramatischen Themen
Bungerts eingehend beschäftigt, der wird erkennen, daß sie aufierordentllch
verwandlungsfähig sind und daß der Komponist von der Möglichkeit,
durch sie den inneren Zusammenhang der Situationen klarzulegen und die
Charaktere psychologisch zu analysieren, den ausgiebigsten Gebrauch im
Sinne der Wagnerschen Grundsätze macht.
Jeder Künstler ist «nach seiner Art" und darf nicht mit dem
Maße anderer gemessen werden. Gerade daran aber hat man es
bisher Bungert gegenüber fehlen lassen. Und doch hat dieser In sedis-
zehn langen Lebensjahren eine künstlerische Arbeit geleistet, mit der
er bis zum letzten Takte der von ihm einmal gewählten Art, also sich
selbst, treu geblieben ist. Einem solchen großen Werke gegenfiber Ist es
mit schnellem Aburteilen nicht getan, ja, man darf sagen, daß die oft an
Gehässigkeit streifende Art des Kampfes gegen Bangert als Mnslk-
dramatiker nur ein Beweis für den inneren Wert seiner Werke Ist. Denn
etwas Belangloses hat noch niemals so heftigen Widerstand benrorgeraten.
Und auch die Tatsache, daß das Publikum überall für die »Homerische
Welt" Partei genommen hat, wo eines der Werke zur Aufführung kam,
müßte den Gegnern, an deren künstlerischem Ernste nicht gezwdlUt
werden darf, zu denken geben. Man halte doch einmal Umschan anter
den unzähligen Musikdramen und Opern der neueren 2Mt: Bongerts
„Homerische Welt" stellt sich dem suchenden Blicke in der Tat als das
in Anlage und Ausführung Größte und Bedeutendste dar, was seit Wiigyier
geschaffen wurde. »Sucht davon erst die Regeln auf!* möchte man
darum allen den Widersachern zurufen, die vergessen, daß dne Z«ltp die
273
GEIS<5LER: AUGUST BUNGERT
Weingartners Opern, Siegfried Wagners Buhnenwerke und Schillings'
Musikdramen mit dem Respekt aufnimmt, der jeder künstlerischen Arbeit
gebührt, kein Recht hat, diesen Respekt der Bungert'schen Riesenarbelt
zu versagen, in der — man sage dagegen, was man wolle — ein ge-
waltiges Wollen durch ehrliches deutsches Schaffen seinen Ausdruck fand.
Die Dresdener Hofoper wird es sich künftig gewiß als großes Ver-
dienst anrechnen, als erste Bühne die vier Odysseusdramen herausgebracht
zu haben. Leider hat sie dieses Verdienst dadurch bereits wieder wett
gemacht, daß sie nicht Charakterstärke genug besaß, um, allen Gegen-
einflüssen zum Trotz, an Bungert und seinem Werke festzuhalten.
Wenn also August Bungert auch noch längst nicht an dem Ziele ist,
das sich jedes Künstlers Wunsch in der allgemeinsten Anerkennung seiner
Hauptwerke steckt, so darf er doch voll Befriedigung auf sein Leben und
Wirken zurückschauen, denn er hat nach eigenem Sinne schaffen dürfen,
was ihm am Herzen lag, und mag alles weitere der Zeit überlassen, der
mächtigen Verbündeten alles dessen, was in der Kunst ehrlich und groß ist.
VlL l 18
WARUM? — WOHER? — WOHIN?
EIN MYSTERIUM IN DREI TEILEN, NACH VORTEN
DtR BIBEL, fOR CHOR, SOLI UND ORCHESTER
Ieine Absicht war, in der Form eines Chorwerkes für die Dauer
eines Konzertabends ein Werk zu schaffen, in dem die ewigen
Fragen, soweit es überhaupt möglich, erörtert und beantwortet
werden, und zwar lediglich in Aussprüchen und mit Worten
der Bibel.
Denn welche Philosophieen auch herrschten, welche auch kommen
mSgen, sie werden die alten Urfragen nicht lösen, das , Woher" und das
.Wohin" 1 Sie werden keine Antwort Hoden auf das .Warum".
Wenn der Mensch, der die Verwesung seinen Vater und die Würmer
seine Mutter und seine Schwestern nennen muß — dahingeht: — Es wird einer
wie der andere zu der .Erkenntnis' kommen müssen — er wird sich zn
Füßen der Mutter Natur wiederfinden, als Geschöpf dessen, der die Erde hUt.
Diese Erhaltung der Well, der Weltordnung: die Kraft, ist du
Sichtbare im Unsichtbaren, das Unsichtbare im Sichtbaren.
Der das Sichtbare einsieht, muß nicht bloß glauben an das Unsldit-
bare, sondern er muß die menschliche ErkeoDtals erfahren: Gestützt
auf das Sichtbare, das Unsichtbare einsehen, — sehen — erkennenl —
Erkennen wie HiobI
In dieser Erkenntnis ruht der Gnindzng des uralten Gedichtes.
Hieb ist der ewig revoltierende Charakter, — der die Natur In ihrer
ewig unerklärlichen Macht und Lenkung nicht ergründende — arme, arm-
selige Mensch, der sich gegen Gott in Verzweiflung aufwirFt — doch onr
an seinem Schleier zupft — und dann resignierend niedersinkt vor dem
Naturgesetz] —
.Zupft er heute am göttlichen Schleier,
ScblSgt er morgen verzweifelnd die Brustl")
>) Siebe .OdyMee-TctnlocIe', 1. Teil: .Kirke".
AameikuDg der RedikMon. Vir brlngcD blermlt als Eratabdruck die Vo^
rede eines {roB.-o Cborweilcea von August Bungen, dai lieh surialt im Dntk
befindet und In kunem ericbelnen wird. Du Terk wird TorauailchiMch nm so artr
interessleren, als Bungert bisher la diesem Sille noch olcbti ver&ffentllchi baL
275
BUNGFRT: TARUM? — WOHER? — WOHIN?
Diese seelische Entwicklung, die mehr oder weniger in jedem
Menschenleben vorgeht, sei es nun, daß sie nach Verlust irdischer Güter
oder bei Todesfall im menschlichen Gemüte sich erhebt, oder daß sie
in einem nach Wahrheit ringenden, forschenden Geiste sich gestaltet — :
diese seelische Entwicklung wird bis ans Ende der Welt und aller Philo-
sophieen Ende sich in immer ähnlicher Weise vollziehen, wie der
Autor des vorliegenden Werkes durch Zusammenfügung von Stellen der
Bibel, in wohlüberlegter Anreihung sie geformt hat, meistens aus dem
Alten Testament, vielfach mit Zugrundelegung des .Hiob^-Textes.
Es ist also, seitens des Leidtragenden, durchaus kein Bejahen jener
obenerwähnten Fragen, sondern es soll die dramatische Entwicklung der
inneren Empfindungen des Leidgetroffenen zu den großen Fragen gegeben
werden und zwar so, daß dieser in seinem Leid fragt — seinem leiden-
schaftlichen Charakter gemäß in seiner Verzweiflung sich empört; während
der ruhig bejahende und wohl noch nicht persönlich geprüfte Mensch
auch seiner Naturanlage gemäß weniger Kampfnatur, ihm Gegenrede führt.
Wo nun wären in irgend einem anderen Gedichte oder Werke diese
Gegensätze glänzender und herrlicher, breiter und gewaltiger, in gleich
lapidarer Sprache je ausgeführt als im «Hiob"?
Wenn die neue Zeit eine Reihe der. im Gedicht vorkommenden
Bilder durch die Wissenschaft klar gestellt hat, so daß die Tatsachen
dieser Bilder uns kein Geheimnis mehr erscheinen, so ist dies neben-
sächlich — denn bei jeder neuen Entdeckung rücken neue Geheimnisse
in den Vordergrund — die Geheimnisse verschwinden — das Ge-
heimnis bleibt — das Unsichtbare wird uns durch das Sichtbare
immer gewaltiger.
Und daß „Gott" den ringenden, nach Wahrheit dürstenden und
suchenden Geist dem müßigen Menschengeist vorzieht, gebt aus dem
Schlüsse des Gedichtes klar hervor.
Hiob verlor nicht bloß sein irdisches Gut, sondern auch seine Ge-
sundheit, seine Kinder. Er ist also gewissermaßen der ewige Repräsentant
des nach allen Seiten hin leidgetroffenen Menschen dieser Welt.
Und er war „fromm**, „gottesfürchtig** — so lobt ihn Gott seinen
Freunden gegenüber er lobt den nach Erkenntnis Ringenden!
Es läßt sich leicht durchschauen, wie, abgetrennt von dem Besitz der
irdischen Güter, bei dem Verscheiden eines geliebten Menschen, dem
leidtragenden, gegen Gott aufschreienden Menschenkind die Frage
„Warum?** kommen muß — denn er sieht in seiner Nichtigkeit nicht den
letzten Weg, nicht die Ursache, und steht in seiner ganzen Erbärmlichkeit
der ewig schaffenden, ihm nicht sich offenbarenden Kraft gegenüber.^)
^) «Du Liebhaber des Lebens!** «Es ist seine Lust, wo er etwas verderbe!*
18*
:278
DIE MUSIK VII. 5.
Indes ewig für alle Zeiten wird und muß die Erkenntolt kommen,
die Hiob am Schluß des großen Lehrgedichtes ausspricht, In welcher Form
der aGolt" bei aller Meoschbeit, in welchem Lande, auf welchem Planeten
er auch angebetet, verachtet, belächelt wird.
Der Mensch beugt sich dem ewigen Naturgesetz und kniet im
Staube. Er ist von Erde und muß wieder zu Erde werden, und wenn
Arbeit sein Teil ist, um nicht beim Grübeln über diese Fragen .Varnm?'
— .Woher?" — und gWohin?* zugrunde zu gehen, so muß er angesichts
der erhabenen, geheimnisvollen Weltordnung zu dem Ergebnis kommen,
wie es in der Bhagavad-Gita heißt — : .Denn außer dem Sichtbaren gibt's
ein unsichtbares ewiges Sein, das, wenn auch alle Wesen untergehen, nicht -
untergebt, — das Unsichtbare, Einfache genannt; das heißt der hfichtte
Weg."
In diesem Sinne ist das vorliegende Werk: Das .Mysterium* .Vanun?
— Woher? — Wohin?" ein Drama, ein dramatisches, ein tragisches
Requiem, insofern als es uns darstellt die Entwicklung dea Zweifels lo
einem Menschen an die Aliweisheit und Gerechtigkeit einer bestehenden
gdttlichen Kraft, dann ein harmonisches Sichabflnden desselben — durch
die Erkenntnis .des letzten Weges", der Kraft, — die nns durch das
Wissen, trotz aller fortschreitenden Wissenschaft, verschlossen bleiben
wird, und der wir, wenn auch noch so sehr aller Wunder banr, wenn wir
sie nicht verehren und glauben mögen, so doch unbedln^ nns beugen
müssen.
Es ist ein deutsches Requiem nur, weil es in deutscher Sprache
erscheint.
Es ist eine Totenfeier In dem Sinne, wie jeder echte, strebende,
nach harmonischer Weltanschauung ringende Mensch ein Hiob sein wird.
Der einzige Trost des Leidtragenden und seine Freude wird ndn:
Der Herrlichkeiten dieser Welt sich freuen, sie zu besingen — und neiae
einiige schönste Hoffnung wird sein, indem er das Unaichtbara im
Sichtbaren .erkennt", daß .das Verwesliche muß anziehen du Unver-
wesliche, und das Sterbliche muß anziehen die Uniterb-
lichkeitl"
,J
Neiiiit fnan die beiten N«meit,
So vird >UGh der seine geninnt.
(Necta Heine)
Fjuweilen machen wir die Erhhrung, daß wir ein teures Gut,
dessen Besitz uns immer mit besonderem Stolz erffillte, Im
Drang der Tagesereignisse eine Zeitlang unbeachtet lassen,
bis irgend eine Veranlassung es uns wieder vor Augen führt,
und wir, die wir in unserem Urteil seitdem reiFer und erfahrener geworden,
erst jetzt seinen Wert und seine volle Bedeutung erkennen. So ungeRhr
erging es dem Publikum, als es im zweiten Konzert des Philharmonischen
Chors in Berlin im verflossenen Winter drei Messensätze .Kyrie, Saoctus
und Agnus Del" von Max Bruch hörte und dem Komponisten nach jedem
Satze mit demonstrativem Beifall zujubelte. Galt dieser Beihll zuerst
dem aufgeführten Werke, so klang doch noch ein anderes, mächtigeres Moment
in diesen Jubel mit hinein: es war die Freude, daß der Meister, der dem
deutschen Volk eine so stolze Reihe blühender und formvollendeter Werke
geschaffen, noch unter uns weilt und zugleich die Erinnerung an die vielen
erhebenden Stunden, die wir seiner Muse bisher schon zu verdanken
haben. Bruchs Bedeutung als Volkshomponisl im besten, edelsten Sinne
muß man in heutiger Zeit doppelt schätzen, weil der Sinn für gute Volksmusik
in weiten Kreisen Im Schwinden begriffen Ist. Zum großen Teil ist dieser
Niedergang durch die gänzlich veränderten Lebensverhältnisse zu erklären.
Seitdem wir nicht mehr die trauten Posthomklänge, nicht mehr die fröh-
lichen Wanderlieder auf den Straßen hören, seitdem die heiteren Gesänge
der Schnitter auf dem Felde, der Mägde am Brunnen, der Frauen in der
Spinnstube dem Pfauchen der Dampfmaschinen, dero Gerassel der Räder
und dem nerven- und ohrenbetäubenden Getöse der Automobile weichen
mußten, sucht das Volk sein musikalisches Bedürfnis auf andere Weise
zu befriedigen. Früher entstanden die Volkslieder beim fröhlichen
Hantieren während der täglichen Arbeit wie von selbst und hnden in der
gemütvollen und melodischen Musik der damaligen Komponisten ihre reiche
278
DIP. MUSIK VII 5.
M
Nahrung. Heute ist dies alles anders geworden. Die Unrast unsrer
Zeit hat allmählich auch die Kunst in ihre Kreise gezogen. Klagt man
auf anderen Kunstgebieten über die hereinbrechende Disziplinlosigkeit, so
macht sich in der Musik schon eine völlige Anarchie bemerkbar. Wir
laufen Gefahr, das Richtmaß für das Gn ße und Ideale in der Kunst
gänzlich zu verlieren und sind d.n goldnen Worten Schillers, daß der
Künstler nur durch das Morgentor des Schönen in der Erkenntnis Land
zu dringen vermöge, längst untreu ge^& Orden. Daß aber dieses Schöne
in der Kunst auch heute noch seine unverminderte Kraft auf das Publikum
auszuüben imstande ist, bewies die Aufnahme des Bruchschen Werks
an jenem Abend und der Jubel, den es entfachte.
Bruch gehört zu den glücklichen Komponisten, die nicht jahrelang
um Anerkennung zu ringen brauchten. Gleich sein Op. 1, die komische
Oper «Scherz, List und Rache** (nach dem bekannten Goetheseben Text,
der seinerzeit mehrfach, u. a. auch von E. T. A. Hoffmann in Musik
gesetzt worden war), erregte in der Musik weit allgemeine Aufmerksamkeit
Wenn man bedenkt, daß Bruch kaum 18 Jahre zählte, als er dies Erstlings-
werk komponierte, so muß man nicht nur darüber staunen, mit welcher Sicher-
heit er damals den Stil und die Kompositionstechnik beherrschte, sondern auch
darüber, wie das volkstümliche Element und der Stimmungsreichtum seiner
Melodik sich damals schon in jeder Nummer auf das Deutlichste ausprägten.
Diesen volkstümlichen Zug hat er nun als wertvolles Angebinde von seiner
rheinischen Heimat empfangen. Wer Gelegenheit hatte, das rheinische
Volksleben in seinen verschiedenen Abstufungen kennen zu lernen, wer
beobachten konnte, wie dort auch die unbedeutendsten Vorgänge durch die
Musik Leben und Bedeutung erhalten, wird leicht begreifen, wie lebhalt
diese buntbewegten Bilder auf Bruchs jugendliche Phantasie einwirken
mußten, und wie gerade die Frohnatur der Rheinländer so recht geeignet
war, der Bruchschen Melodik jene frische Natürlichkeit, jene sinnliche
Blutwärme zu verleihen, die seine Musik so lebendig und eindrucksvoll
gestaltet.
2.
Max Bruch wurde am 6. Januar, dem heiligen Dreikönigstag, 1838
in Köln a. Rh. geboren und stammt aus einer alten protestantischen
Familie, in der das Studium der protestantischen Theologie seit mebrerea
Jahrhunderten eiblich war. Sein Vater war Jurist, und seine Mutter, ge-
borene Almenräder, ging aus einer Musikerfamilie hervor, ihre drei
Brüder waren Musiker und sie selbst eine so ausgezeichnete Singerin,
daß sie dem Sohne den ersten musikalischen Unterricht erteilen konnte.
Mit besonderer Vorliebe beschäftigte sich Bruch in seinen Jugoidiabres
:^^^
270
KLBFFEL: MAX BRUCH
mit Zeichnen, und bis zu seinem zehnten Jahre war es noch zweifelhaft,
ob er sich der Malerei oder der Musik widmen sollte. Als er aber von
Ferdinand Hiller Unterricht in der Komposition und im Kontrapunkt
erhielt, entwickelte sich sein musikalisches Talent so schnell, daß er 1852,
mit 14 Jahren, das Stipendium der Frankfurter Mozart Stiftung erhielt.
Jetzt erst wurde die Wahl der Musik zu seinem Lebensberuf definitiv
beschlossen.
Einen Wendepunkt seines Lebens bildete eine größere Reise, die ihm
1861 nach dem Tode seines Vaters durch die Unterstfitzung des mit der
Bruchschen Familie verwandten Großindustriellen Alfred Krupp in Essen
ermöglicht wurde. Auf dieser Reise lernte er in Manchen u. a. auch
Emanuel Geibel kennen, der zu dem jungen Künstler ein so großes Ver-
trauen faßte, daß er ihm die Komposition der von Mendelssohn unvollendet
gebliebenen Oper «Die Loreley*" übertrug. Der glückliche Komponist
unterzog sich dieser ehrenvollen Aufgabe mit solchem Feuereifer, daß die
Oper bereits Ende nächsten Jahres vollendet war und am 14. Juni 1803
in Mannheim unter Vincenz Lachners Leitung zur ersten Aufführung ge-
langte. Schnell machte sie die Runde über alle größeren Bühnen Deutsch-
lands und Hollands und erlebte allein in Köln im Lauf des ersten Winters
16 Auffuhrungen vor ausverkauften Häusern. Während der Jahre 1802
bis 1864, die Bruch teils in Mannheim, teils in Heidelberg verlebte, ent-
standen u. a. »Die Flucht der heiligen Familie", »Der Gesang der
heiligen drei Könige**, die ersten Männerchöre mit Orchester, von denen
besonders «Der römische Triumphgesang* (Dichtung von H. Lingg)
durch die gedrungene Kraft und die volle Ausnützung der chorischen
Massen zu imposanter Wirkung gelangt, und endlich die Szenen aus der
,Frithjof*sage von Tegn6r. Mit letzterem Werk hat sich Bruch sofort eine
internationale Position geschaffen. Zuerst am 20. November 1864 in Aachen
von zehn Vereinen mit nahezu 400 Sängern aufgeführt, fand es allenthalben,
wo deutsche Weisen ertönen, begeisterte Aufnahme und bildet noch heute
ein Lieblingsstück der Männergesangvereine. Im Jahre 1865 finden wir
Bruch in Hannover, wo er mit Joachim befreundet wurde und in der
reichhaltigen Bibliothek von Hermann Kestner, einem Enkel von Goethes
Lotte (Buff), Gelegenheit fand, die Volksliederschätze der verschiedenen
Kulturvölker kennen zu lernen und sich in ihr Studium zu vertiefen. Auf
einer größeren Reise durch Deutschland und Frankreich erhielt er in
Paris den Ruf als städtischer Musikdirektor in Koblenz, eine Stellung, die
er von 1865 — 67 bekleidete. Hier schrieb er zwei seiner populärsten Werke:
sein berühmtes Violinkonzert in g-moll und das Chorstück «Schön
Ellen". In beiden Werken werden Töne von bezwingender Anmut und
Innigkeit angeschlagen, und mit dem Violinkonzert stellte sich Bruch nun
280
DIE MUSIK VII. 5.
auch auf instrumentalem Gebiet in die Reihe der ersten Meister. Das
Werk beginnt mit einem träumerischen, von nordischem Anhauch durch-
wehten Motiv:
y
m
'-j^=^^i
«:
dessen melodischer Flexion wir noch mehrmals in Bruchschen Werken
begegnen. Die Violine setzt mit einem kräftigen Rezitativ-Introitus ein
und scheint ihre fessellose Freiheit auch weiter behaupten zu wollen,
als plötzlich durch die Pizzicati der Bässe:
^^=?F^^^7^ t^^
t
die Bewegung ein scharf prononziertes Gepräge erhält und von nun an
diese pochenden Schläge durch die Art, wie sie von anderen Instrumenten
aufgenommen und dynamisch gesteigert werden, dem ganzen Vorspiel
Charakter und rhythmische Geschlossenheit verleihen. Auch das Adagio
(Es-dur) weicht gleich am Anfang von der üblichen Form ab, indem das
zweite Thema:
i
p^^
^
^^9:
::*--
r^3-
nicht in der Dominante erscheint, sondern unmittelbar in der Haapttonart
sich dem ersten Thema anschließt Die Solo-Violine erhilt onerwartet in
dem festgeprägten JVlotiv:
r^virnj«— *. iL p. ' '
I
in dem der Hörer unschwer eine Abwandlung des rhythmischen Motives
aus dem Vorspiel erkennt, eine wertvolle Stütze. Nachdem nun beide
Themen sich eine Zeitlang um die Herrschaft gestritten, tritt allmihlich
Beruhigung ein, aber in ihrer Vereinigung hatten sie zuletzt ihre Krifte
so erstarken gefühlt, daß sie sich mit schwerem Herzen trennen und nun
zum Schluß wehmütig von einander Abschied nehmen:
8vo.
^^^
jf?gi,j,J5iil_i
h^^^'=^^^'j^T^ä^
cresc.
..ji
281
KLEFFEL: MAX BRUCH
Dieses Adagio ist in seiner meisterhaften Faktur und seiner förmlich in
Wohllaut getauchten Innigkeit von so zauberischer Wirkung, daß es allein
schon hinreichen würde, dem ganzen Konzert, das von Joachim 1868 auf
dem Niederrheinischen Musikfest in Köln mit glänzendstem Erfolg aus
der Taufe gehoben wurde, eine bleibende Stätte im Spielplan der Violin-
spieler zu sichern. Ein weiteres Beispiel, wie eigenartig und zielbewußt
Bruch seine Themen zu gestalten weiß, liefert das Chorstück «Schön
Ellen*. Aus dem Kriegsmarschthema der Campbeils:
g^
t-XJCg^
entwickelt sich wie von selbst, Note für Note, nur mit Verlängerung der
Zeitwerte Ellens Siegeshymnus:
.1
Nun bat uns er - ret - tet die al • - - te Treu',
Es gewährt einen eigentümlichen Reiz, im Entwickelungsgang unserer Ton-
meister die Grenze zu verfolgen, wo sich die Jugend zur Meisterschaft
erhebt. Wagners »Tannhäuser*, Nicolais » Lustige Weiber*, Lortzings »Zarund
Zimmermann*, Mendelssohns »Sommernachtstraum-Ouvertüre*, Goldmarks
«Königin von Saba* u. a. bezeichnen solche Entwickelungsetappen. Sind
auch meist die späteren Werke dieser Meister tiefer und gehaltvoller an-
gelegt, so enthalten sie doch nicht den entzückenden Duft, der wie Morgen-
tau auf jeder Note der ersteren ruht. Zu diesen in Jugendschönheit
strahlenden Werken gehören auch Bruchs «Frithjof*, «Schön Ellen* und
das g-moll Konzert.
Eine Art pragmatischer Übungszeit im Dirigentenberuf bildeten für
Bruch die Jahre 1867 — 70, die er als Hofkapellmeister in Sondershausen
verlebte. Hier bot sich ihm täglich Gelegenheit, mit einem tüchtigen und
gut disziplinierten Orchester zu verkehren und auf instrumentalem Gebiet
die reichsten Erfahrungen zu sammeln, und hier fand er auch in der musik-
liebenden Prinzessin Elisabeth von Schwarzburg-Sondershausen eine liebens-
würdige und geistvolle Förderin seiner künstlerischen Intentionen. Das
Resultat dieser anregenden Kapellmeistertätigkeit in Sondersbausen bildeten
die beiden Symphonieen in Es-dur und f-moll und die Vollendung der
bereits erwähnten drei Messensätze. Wie er in den Symphonieen nunmehr
mit voller Sicherheit die weite Skala der Orchesterfarben und ihrer Ausdrucks-
nuancen beherrscht, so zeigt sich in den Messensätzen seine kunstgeübte Hand
auch in der vollkommenen Beherrschung des strengsten polyphonen Stils.
Besonders der Des-dur Mittelsatz des «Sanctus* mit seinem ausdrucksver-
282
DIE MUSIK VII. 5.
klärten, zuerst von zwei Sopran-Soli kanonisch gefOhrten, darauf vom acht-
stimmigen Chor ebenfalls meist kanonisch beantworteten Thema ist in seinem
Aufbau bei aller kunstvollen Arbeit von tieferschüttemder Wirkung. Außer
dem «Normannenzug*, der insofern in der Musikliteratur ein Unikum bildeti
als er für Bariton-Solo und e i n stimmigen Männerchor mit Orchester komponiert
ist, entstand in der Sondershausener Zeit noch die große Oper «Hermione*
(nach Shakespeare's «Wintermärchen*), die eine Zeitlang an größeren Bahnen,
u. a. auch 1872 am Königlichen Opernhaus in Berlin, gegeben wurde. Nach
Ausbruch des 70er Kriegs siedelte Bruch nach Berlin fiber und privatisierte
hier bis 1873, um die Berliner Musikverhältnisse kennen zu lernen. Die
Sommermonate verlebte er regelmäßig bei Freunden im Bergischen Lande
und vollendete hier sein erstes großes Werk für gemischten Chor:
«Odysseus*. Mit diesem Werk und dem 12 Jahre später (1885) erschienenen
«Achilleus* betrat Bruch ein Stoffgebiet, das seiner poetischen Anschaunng^-
welt und seinem ästhetischen Gefühl am bereitwilligsten entgegen kam und
auf dem er zugleich seine Meisterschaft in der Behandlung der Chomassen
wie seine immer mehr herangereifte Instrumentierungskunst aufs höchste
entfalten konnte. Erwiesen sich bisher alle Versuche, die althellenisdie
Götter- und Sagenwelt für die reale Bühne dramatisch zu verwerten, als
undurchführbar, so mußten sich einzelne Szenen des hoctapoetischen
und großartigen Stoffes in ihren mannigfaltigen Stimmungsphasen
doch für ein großes Tonwerk als außerordentlich geeignet erweisen.
Und so ist in der Tat die Homerische Welt durch die Bruchsche Musik
nicht nur unserem modernen Empfinden wieder näher gefQhrt worden,
sondern wir stehen oft unter dem Eindruck, daß wir jetzt erst die Poesie
verschiedener Szenen durch ihre musikalische Einkleidung in ihrer ganzen
Tiefe und Reinheit zu erkennen und nachzufühlen imstande sind. Von
den vielen Schönheiten, die sich in der Partitur des «Odysseus* in jeder
Nummer vorfinden, sei nur auf zwei Szenen besonders hingewiesen. Die
erste betrifft Odysseus' Aufenthalt in der Unterwelt Die tiefien Lagen
der Singstimmen mit den wie von bleierner Schwere niederg^rflckien
Akkorden der Blasinstrumente lassen uns Odysseus' Grauen vor den
lemurenhaften Erscheinungen des düstem Totenreichs aufs tiefste mit-
empfinden, und in der Darstellung des Seesturms zeigt sich Bmch ebenso
als Meister der Instrumentationstechnik auf voller Höhe. Während nnsere
Ultra- Modernen zum Ausmalen des Sturms ohne Zweifel ganze Batterieen
von Schlag- und Lärminstrumenten ins Feld geführt hätten, hat Bmch auf
die kleinste Erweiterung der üblichen Orchesterbesetzung verzichtet und
ohne einen einzigen großen Trommel-, oder Beckenschlag uns die Schreck-
nisse des Seesturms in ihrem ganzen Umfang mit realistischer Treoe
geschildert Tritt uns Odysseus durch seine Leiden und Sohi^aab*
283
KLEFFHL: MAX BRUCH
Prüfungen menschlich näher, so wird uns im »Achilleus" mit leuchtenden
Farben die Gestalt des größten Helden des griechischen Altertums vor
Augen geführt. Alles ist hier markiger, sieghafter, wie in eherne Form
gegossen. Wenn Achilleus in den Kampf zieht, um den Tod seines
Freundes Patroklus zu rächen, fühlen wir den Erdboden unter seinen
Füßen erbeben. Sein Wettlauf mit Hektor, der Aufschrei der Trojanischen
Frauen über Hektors Tod und die unmittelbar darauffolgenden Jubelrufe
der Griechen sind in ihrer Gegensätzlichkeit und in ihrer hinreißenden
Melodik von überwältigender Steigerung. Aber diese Steigerung erzielt
der Komponist auch hier wieder mit den einfachsten Mitteln.
Das Thema:
Aüegro
C-L ^
^
-^ w I 1
4- I * J
! h ! i
Tra - get die Kun - de, ihr wal - - len*den Wo • gen
bringt zuerst der Männerchor in H-dur, darauf übernimmt es der Alt in G,
bis dann der Sopran auf dem Quartsextakkord das nunmehr von vollsten
Harmonieen getragene Thema in der Haupttonart wieder aufnimmt. Als
alle Mittel erschöpft scheinen, setzt der Sopran plötzlich eine Terz höher
ein und führt so in abermaliger Steigerung den Satz in dithyrambischem
Jubel zu Ende. Beide Werke, die sich in kurzer Zeit in verschiedenen
Übersetzungen über die ganze Welt verbreiteten, bezeichnen nicht nur den
Höhepunkt in Bruchs Schaffen, sondern bilden einen Markstein in der
Chorliteratur überhaupt. Wurde der Chor bisher in den Oratorien und
Kantaten als kompakter, in sich abgeschlossener Teil verwandt, so wird
er jetzt von Bruch mitten in die Aktion hineingestellt, er bleibt auf diese
Weise nicht nur Zuschauer oder Erklärer, sondern beteiligt sich unmittelbar
an der Handlung selbst. Dadurch bat sich sein Ausdrucksgebiet erweitert,
und seine Verwendung ist mannigfaltiger und interessanter geworden.
«Odysseus" wurde 1873 zuerst in Barmen, das damals in dem von Musik-
direktor A. Krause geleiteten Verein einen der sangesfreudigsten und
bestgeschulten Chöre der Rheinprovinz besaß, und » Achilleus" 1885 zuerst
bei Gelegenheit eines Musikfestes in Bonn unter Leitung des Komponisten
aufgeführt.
3.
Nachdem Bruch mit dem «Odysseus* den Boden betreten, der sich
zur Entfaltung und Potenzierung seiner Begabung als der günstigste und
fruchtbarste erwies, schuf er außer «Achilleus" im Laufe der nächsten Jahre
noch folgende Chorwerke: «Arm in ins" (1875), Schillers «Lied von der
Glocke" (1878), «Das Feuerkreuz" (1888), das Oratorium »Moses" (1804)
284
DTE MUSIK VII. 5.
mf
und .Gustav Adolf (1898). Besonders .Das Lied von der Glocke' ist
schnell in die weitesten Volkskreise gedrungen und gelangte bei Gelegenheit
der Gedächtnisfeier von Schillers hundertstem Todestag in nahezu 100 Städten
des In- und Auslandes zur Aufführung. Von kleineren Chorwerken,
deren Entstehung zum größten Teil einer früheren Zeit angehört, seien der
Reihe nach angeführt: ,Jubi1ate, Amen" (op. 3), .Die Birken und die Erlen'
(op. 8), .Frithjof auf seines Vaters Grabbügel«, Szene für Bariton-Solo und
Frauenchor (op. 27)« «Rorate coeli« (op. 29), .Die Flucht nach Egypten* und
.Morgenstunde", für Sopran-Solo und Frauenchor (op. 30), .Römische Leichen-
feier" (op. 34), .Das Lied vom Deutschen Kaiser« (op. 37), .Dithyrambe' von
Schiller (op. 39), .Gruß an die Heilige Nacht« (op. 72), und .Damajanti«,
Szenen aus der indischen Sage, für Sopran-Solo und gemischten Chor (op. 78).
Auch zwei Konzertarien mit Orchester: .Die Priesterin der Isis in
Rom« (für Frau Joachim geschrieben) und .Szene der Marfa« aus Schillers
.Demetrius«, Bruchs neueste Komposition, mögen hier Erwähnung finden.
Nach einem dreimaligen Winteraufenthalt in Berlin kehrte Bruch
1873 nach dem Rhein zurück, wo er in Bonn bis 1878 privatisierte. In
diese Zeit fallen zwei große Reisen nach England. Die erste unternahm
er 1877 mit Sarasate, der sein zweites, in Bonn entstandenes Violin-
konzert (op. 44) zuerst in London und später in verschiedenen deutschen
Städten einführte, während Bruch selbst die Aufführung des .Odysseus' in
Liverpool dirigierte. Auf seiner zweiten Reise (1878) veranstaltete er
mehrere große Konzerte mit eigenen Kompositionen. In demselben Jahre
übernahm er die Leitung des Sternschen Gesangvereins in Berlin, folgte
aber bereits im Herbst 1880 einem Rufe als Direktor der Philhannonischen
Gesellschaft in Liverpool. Das Jahr 1881 bildete für ihn einen wichtigen
Lebensabschnitt, indem er sich am 3. Januar mit Fräulein Klara Tuczek,
einer Nichte der ausgezeichneten, zu ihrer Zeit hochgeschätzten preußischen
Kammersängerin Leopoldine Herrenburg-Tuczek verheiratete. Von Liverpool
aus unternahm er 1883 auf Einladung mehrerer deutsch-amerikanischen
Vereine eine Reise nach Amerika und leitete in Boston, New York und
Cleveland eine Anzahl seiner großen Instrumental- und Chorwerke.
Dasselbe Jahr führte ihn auch zum erstenmal nach Rußland, wo tu a.
Sarasate in Petersburg unter seiner Leitung das g-moU Konzert spielte.
(Eingeschaltet sei hier, daß Bruch 1890 zum zweitenmal den russischen
Boden betrat und als Gast verschiedener deutscher Vereine in Riga und
Reval den .Frithjof* und das .Feuerkreuz" dirigierte.) Im Jahre 1883 kehrte
er definitiv nach Deutschland zurück und trat im September die Direktor-
stelle des Orchestervereins in Breslau an, die er bis 1890 bekleidete.
In demselben Jahr siedelte er nach Berlin über, wo er 1891 Vorsteher
der Meisterschule für musikalische Komposition bei der Akademie der
285
KLEPPEL: MAX BRUCH
Künste, 1899 Mitglied des Direlctoriums der Königlichen Hochschule, 1907
erster Vorsitzender des Senats der Königlichen Akademie der Künste
(Sektion für Musik) und am 4. Oktober 1907 Nachfolger Joachims
als Vizepräsident der Akademie wurde. Wenn ich noch erwähne, daß
Bruch auch Mitglied der Akademieen in Paris und Stockholm, korre-
spondierendes Mitglied der Niederländischen Gesellschaft zur Beförderung
der Tonkunst, Ehrenmitglied der großen Schweizer Musikgesellschaft, der
Philharmonischen Gesellschaft in London und einer ganzen Anzahl deutscher
Vereine ist, und daß er 1893 von der Universität Cambridge in England
(nicht, wie die meisten Konversationslexika irrtümlich melden, von der
Breslauer Universität) zum Dr. honoris causa ernannt wurde, so glaube
ich, die wichtigsten der Bruch zuteil gewordenen öffentlichen Ehrungen
genannt zu haben.
4.
Auf dem Gebiet der Bruchschen Instrumentalmusik ist noch nach-
zutragen, daß im Jahre 1886 seine dritte Symphonie in E-dur erschien,
in der hauptsächlich das Adagio (G-dur) in seinem breit dahinströmenden
Melos und seiner Abweichung vom konventionellen Satzbau besondere
Beachtung in Anspruch nimmt. Von einem Choral eingeleitet, dem sich
scheinbar das Hauptmotiv des Satzes anschließt, beginnt seine eigentliche
Entwicklung erst, wenn mit der Ausweichung nach Es-dur das Hom mit
einem neuen, ausdrucksvollen Thema einsetzt, das von den Holzbläsern
entweder weitergeführt oder kontrapunktisch verwoben wird. Nachdem
auch die Violinen an diesem Wechselspiel teilgenommen, wendet sich der
Satz wieder zur Haupttonart, aber nicht, um, wie man erwartet, das erste
Thema wieder in seine Rechte einzusetzen, sondern es trvtt der seltene
Fall ein, daß das Seitenthema (j^^zt in G-dur) plötzlich in glänzender
orchestraler Rüstung die Führung an sich reißt und siegreich bis zum
Schluß behauptet. Wie mit einem Nachklang aus ferner Zeit tönt der
Satz mit dem, jetzt verkürzten, Anfangschoral aus. Von größeren In-
strumentalwerken sind außer dem meisterhaft geformten dritten Violin-
konzert (op. 58) und dem bekannten, von breiter Kantilene getragenen
Adagio für Violoncell «Kol Nidrei** (op. 47) noch folgende, aus seiner
Jugendzeit stammende, zum Teil interessante und wichtige Zwischenstationen
in Bruchs künstlerischem Entwicklungsgang darstellende Kompositionen
zu nennen: ein Klaviertrio (op. 5), zwei Streichquartette op. 0
(c-moll) und op. 10 (E-dur), eine Phantasie für 2 Klaviere (op. i\\
sowie eine Anzahl kleinerer Klavierstücke.
Es bleibt noch übrig, auf eine Reihe wertvoller a cappella-Chöre,
sowohl für Männerstimmen wie für gemischten Chor gesetzt,
286
DIE MUSIK VII. 5.
Besonders mehrere Hefte Schottischer und Wallisischer Lieder, die Bruch
unter dem Titel «Denkmale des Volksgesangs* bearbeitet hat, dfirfen,
was Reinheit des Stils und Mustergiltigkeit der Stimmfährung betrifft,
als Perlen edlen Volksgesangs bezeichnet werden.
Überblicken wir das weite Gebiet der musikalischen Schöpfertitigkeit
Bruchs, so erhalten wir das Bild einer Frühzeitig in sich gefestigfen und
abgeschlossenen Persönlichkeit und empfinden schon vom ersten Werke
an das Walten eines nach idealen Zielen ringenden Geistes. Zwei Eigen-
schaften geben seinen Schöpfungen besondere Bedeutung und individuelles
Gepräge: Ebenmaß der Form und Klarheit und Einpräglichkeit der Melodik.
Während , unsere jungen Ultramodernen in erster Linie darauf bedacht
sind, mit neuerfundenen Instrumenten, mit immer neu ausgeklfigelteo
Klangeffekten, womöglich mit etwas noch nie Dagewesenem auf das Publikum
zu wirken, begnügt sich Bruch, wie ich schon beim .Odysseus' hervorhob,
mit den einfachsten Mitteln. So schildert er in «Moses', um noch zwei
Beispiele anzuführen, durch leise, 20 Takte lang andauernde Pauken-
triolen die pochende Angst der Israeliten in überzeugendster Weise, und
so werden wir vom Tode des Glaubenshelden, der nur von Unisonobissen
im Flüsterton erzählt und von Posaunen und Orgel leise begleitet wird,
aufs tiefste ergriffen. Das sind kleine Züge, die aber nur ein mit allen
Geheimnissen der Orchestrierungskunst völlig vertrauter Meister zu er-
zielen imstande ist. Wie eigenartig und doch harmonisch abgeklärt
Bruch auch die Form zu behandeln weiß, habe ich 'an verschiedenen
Notenbeispielen gezeigt. Wenn er im Finale des dritten Violinkonzerts
das Thema:
Allegro
^*^^^^
plötzlich als Kontrapunkt für die Kantilene der Solo- Violine verwendet, so
erhält durch dieses scheinbar unerhebliche Moment der Satz sofort rhyth-
mische Schärfe, größere Lebendigkeit und daher größere Bedeutung. Es
ist dieselbe Freiheit in der Formbehandlung, deren sich alle großen Meister
von Bach bis Wagner und Brahms bedienten, und die auf dem ersten aller
Kunstgesetze beruht: Einheit in der Mannigfaltigkeit, und Mannigfaltigkeit
in der Einheit. Die Formen also wechseln tausendfältig im Wandel der
Zeiten, an die Form selbst aber ist die Lebenskraft des Kunstwerks ge-
bunden.
Seit Jahrzehnten wogt nun der Kampf, der die Musikfreunde in zwei
feindliche Lager spaltet. Heute gilt es aber keinen Kampf mehr, wie zu
Schumanns Zeiten zwischen Fortschritt und Philistertum, sondern zwischen
u
287
KLEPPEL: MAX BRUCH
Fortschritt und Anarchie. Kein vemünftiEer Musiker wird sich heutigen-
tags mehr gegen den Fortschritt aunehnen« im Gegenteil, er wird ihn mit aller
Macht herbeisehnen. Denn Fortschritt bedeutet Leben, und in der Kunst
fortschreiten, heißt an der Kunst weiterbauen, aber nicht sie zerstören.
So dürfen wir auch in Max Bruch einen Mehrer der deutschen Kunst er-
blicken, nicht allein, weil er der deutschen Musik neue Gebiete zu bleibendem
Besitz erschlossen, sondern auch weil die heranwachsende Jugend an den
Vorbildern, die er gegeben, das Wesen guter und edler Volksmusik erkennen
lernen kann. Sie wird dann Bnden, daß nie eine Bruchsche Melodie von
trivialen Anwandlungen getrübt, nie eine Bruchsche Harmonie von häß-
lichen, unlogischen Dissonanzen entstellt wird, vielmehr jede melodische
Linie ihre plastische Abrundung und dadurch ihre unmittelbare Zfindkraft
erhält, sie wird mit einem Worte inne werden, daß nur eine dem natfir-
lichen Boden entsprossene und aus innen schöpfende Musik imstande ist,
Eingang in der Menschen Herzen zu finden.
So wird der 6. Januar 1 908, an dem Bruch das Fest seines 70. Ge-
burtstags begeht, nicht nur in deutschen Landen, sondern fiberall, wo
Deutsche wohnen und deutsche Lieder erklingen, als ein Ehren- und
Freudentag gefeiert werden.
.Vfe (era bine Ich meiaer gdirigen
EnivickeluiiK bia In der l«iiteii Zdt
einen Auidruck In TSnen (eben mfigenl
K5rper)lche Leiden waren tiafibeniat(-
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'iese webmutjgen, kurz vor seinem Tode geschriebeoen \Porte
beslätigen sich bei der Betrachtung der musikalischen Skizzen
fim und Entwürfe Edvard Grieg's, die er in drei Meppen uf-
. bewahrt hat und denen die folgenden Zeilen gewidmet sind.
Er führte diese Mappen stets auf seinen Reisen mit sich, nnd die
Skizzen zeigen deutlich, daß er sich oft und aufs neue damit beschXftigt hat
Sie umfassen den Zeitraum von 1864 bis 1907 — geben also ein
vollständiges Bild der künstlerischen Entwickelung des Tondichters.
Ein reicher Schatz liegt hier unverwertet da, für immer der miui-
kaliscben Welt verloren. Wieviel Angefangenes, das den vollen Stempd
von Grieg's Persönlichkeit trägt, hat vergebens auf Vollendung varten
müssen, wieviel Blüten, die keine Früchte werden solltenl
.Wir sind Lieder, du solltest sie singen' — so klingt es, wie die
aStimmen in der Luft' am Schluß von .Peer Cynt", aach aus dieaes
Blättern. Das reichste Material war vorhanden, aber — akBrperliche
Leiden waren unübersteigbare Hindernisse'.
Nur wenig ganz Vollendetes, das zur Herausgabe geeignet iat, findet
sich vor. Und wenn die Versuchung auch groß ist, von den nicht voll-
endeten Werken verschiedenes zu veröffentlichen, an gebietet doch die
Pietät gegen den Meister, der selbst von größter Selbstkritik erfililt var,
nicht weniger streng zu sein, als er selbst. Wieviel Mißbrauch ist schon
getrieben worden mit dem Nachlaß berühmter Männerl Brahma hatte
einen wahren Abscheu gegen das Herausgeben von aOecbgelassenen Werken'
und sagte bei einem derartigen Fall: .von mir soll man einmal nicht viel
finden I" —
*) Aus einem Brief Edrard Grieg't. Siebe iweltei Oktobtrbeft dar ,
289
RÖNTGEN: GRIEG'S MUSIKALISCHER NACHLASS
Er hat auch alles vernichtet, was er nicht für die Öffentlichkeit be-
stimmt hat.
So geschieht es gewiß auch im Sinne Edvard Grieg's, wenn viele
seiner unvollendeten Werke und Skizzen nicht durch den Druck bekannt
gemacht werden.
Als Material für eine Biographie hingegen sind die Skizzen von
größtem Werte, und vieles kann dort einmal seinen geeigneten Platz
finden.
Der Inhalt der drei Mappen besteht zum Teil aus Entwarfen zu
Kompositionen, die durch den Druck bekannt geworden sind, zum größeren
Teil aber aus nicht vollendeten Skizzen. Oft sind nur wenige Takte
notiert. Grieg's Eigenart spricht sich aber auch in der kleinsten Skizze
auf frappante Weise aus. Auch ohne zu wissen, von wem diese Noten
herrühren, würde man überall den Autor mit unfehlbarer Sicherheit er-
kennen.
Nur weniges findet sich in Reinschrift vor. Darunter eine Reihe
Lieder aus den Jahren 1865 — 1905, deren Herausgabe Grieg selbst be-
absichtigt hat. Sie liegen druckfertig vor und werden in zwei Heften
erscheinen. Das erste Heft enthält Lieder aus den Jahren 1865 und 1867,
das zweite Heft bringt eine Auswahl aus den Jahren 1880 — 1905.
Ferner ist in Reinschrift vorhanden ein Andante für Klavier,
Violine und Violoncell in c-moll, datiert 17. Juni 1878. Ob Grieg
dieses Triofragment herausgegeben haben würde, ist zweifelhaft — der
musikalische Wert des Satzes berechtigt jedenfalls dazu.
Anders verhält es sich mit einem unvollendeten Streichquartett aus
dem Jahre 1891, von dem die beiden ersten Sätze — ein AUegro vivace
e graziöse und ein Allegro scherzando — in Reinschrift vorliegen. Zum
Andante und Finale finden sich nur Skizzen.
Aus den vielen Korrekturen in den beiden ersten Sätzen ist deut-
lich zu erkennen, daß die Arbeit als nicht abgeschlossen betrachtet wurde.
Aus diesem Grunde würde eine Herausgabe bedenklich sein, obgleich die
beiden Sätze — auch so wie sie jetzt vorliegen — zu dem Reizvollsten
gehören, das Grieg geschrieben hat.
Das Quartett bildet einen vollkommenen Gegensatz zu dem bekannten
g-moll Quartett (op. 27), sowohl dem Inhalt, wie der Form nach. Der
erste Satz ist ganz im klassischen Quartettstil geschrieben und macht in
dieser Beziehung — formell! — fast einen tendenziösen Eindruck. Von
der phantastisch-leidenschaftlichen, vom gewöhnlichen Quartettstil so weit
entfernten Art des ersten «norwegischen* Quartetts keine Spur. Alles
durchaus klar, heiter und anmutig, mehr dänisch als norwegisch.
Der Satz beginnt mit einer kurzen Einleitung:
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DIE MUSIK VII. 5.
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RÖNTGEN: GRIEG'S MUSIKALISCHER NACHLASS
Ein Übergangsthema in a-moll:
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DIB MUSIK VII. 5.
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RÖNTGEN: GRIEG'S MUSIKALISCHER NACHLASS
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Mit einem kräftigen Motiv schließt der erste Teil ab:
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294
DIE MUSIK VII. 5.
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Eine sehr motivisch bearbeitete, interessante «Durchführung' folgd
darauf Wiederholung in der bekannten Form und eine kurze Coda, aus
dem Hauptthema gebildet. Der zweite Satz — | Takt d-moU — ist wieder
mehr norwegisch, in der Weise eines »Springdans', besonders im Trio,
mit dem echten Heimatsmotiv:
Viel. I
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Bratsche.
• • •
Von Entwürfen zu größeren Werken Bnden sich Skizzen zu einem
Klavierkonzert in h-moll und zu einem Klavierquintett in B-dor.
In beiden eine Fülle der interessantesten Motive!
Das Klavierkonzert fängt mit einer Introduktion für Orchester an,
das Klavier fällt kadenzartig ein und leitet über in ein Allegro:
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Orchester
Dann bricht die Skizze ab.
Vom Finale ist nur das Thema skizziert. Es ist wieder echtester
Grieg:
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295
RÖNTGEN: GRIEG'S MUSIKALISCHER NACHLASS
Das Quintett ist nur bis zum Teilschluß des ersten Satzes ent-
worfen.
Der Anfang lautet:
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RÖNTGEN: GRIEG'S MUSIKALISCHER NACHLASS
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DIE MUSIK VII. S.
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RÖNTGEN: GRIEG'S MUSIKALISCHER NACHLASS
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Bei der verhältnismäßig geringen Anzahl der Grieg'schen Kammer-
musikwerke ist es um so mehr zu beklagen, daß dieses — nach dem
ersten Satz zu urteilen — im großen Stile konzipierte Werk nicht über
den Anfang hinausgekommen ist.
Grieg hatte auch die Komposition eines größeren Oratoriums ge-
plant. Björnstjerne Björnson schrieb auf seinen Wunsch den Text Es
heißt «Fred** (Friede). Der Tondichter hat aber nur ein Stück daraus
komponiert, das einen Platz unter den oben genannten Liedern finden
wird. Wie aus einem Brief Griegs an den Dichter Otto Benzon hervor-
geht \ verlor Grieg die Lust zur weiteren Arbeit an dem Oratorium, weil
Björnson sein Manuskript gedruckt haben wollte, ehe die Musik geschrieben
war. In dem Briefe heißt es: «... und eine solche Mimose bin ich, daß
damit der Duft verschwand, obschon er [Björnson] auf meine Aufforderung
das Gedicht schrieb.*
Das bedeutendste Werk, das Edvard Grieg nachgelassen hat und
eines seiner hervorragendsten überhaupt, ist die Musik zu Ibsens dra-
matischem Gedicht »Peer Gynt*, von der allein die beiden Orchestersuiten
und die zwei Solveiglieder veröffentlicht worden sind.
Über das ganze Werk gibt Grieg eine genaue Mitteilung in dem
ersten der Briefe, die in dem zweiten Oktoberheft der »Musik* stehen.
Aus diesem Brief geht auch hervor, daß Grieg eine Veröffentlichung der
ganzen Partitur und eine Bearbeitung des Werkes zu Konzertaufführungen
M Veröfrentlicht in Gtdt Dantke Mtgatin Oktober 1907.
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300
DIE MUSIK VII. 5.
gewünscht hat und auch sicherlich seihst veranlaßt haben wQrde. Hier
ist es also geradezu eine Pflicht, das zu tun, was der Tod des M«sters
verbindert hat.
Es kann nicht genug darauf hingewiesen werden, daß die .Peer Gynt'-
Musik erst in Verbindung mit dem Gedicht ihre volle Wirkung aoi-
üben kann.
Die große Popularität, die gerade die ,Peer Gynt'-Suiten genieOen,
wird gewiß dazu beitragen, daß eine Konzertanffühning des ganzen Werket,
mit verbindendem Text — am liebsten nur mit den Ibsen'schen Original-
worten — überall mit dem größten Interesse aufgenommen werden würde.
Und wieviel tiefer werden Stücke, wie Asses Tod und der herrliche
Schlußgesang .Solvelgs Wiegenlied' wirken, wenn der ZuhSrer sie im
Rahmen des Gedichtes hört und dann erst ihre wahre Bedeutung ver-
stehen kann, Stand doch „Solvelgs Lied" einmal als gSolfege Lied* auf
einem Konzertprogramm vermeldet!
Solveigs Wiegenlied wird gewöhnlich als eine Art .Berceuse" auF-
gehßt; man denkt dabei an die JHutter, die ihr Kind In den Schlaf längt
und ahm nicht, daß es den Tod Peer Gynts bedeutet, den er am Ende
seines abenteuerlichen Lebens in den Armen der Jugendgeliebten findet,
die ihm treu geblieben ist und durch die er — wie Faust durch Gretchen —
endlich erlöst wird.
Dies drückt aSolvelgs Wiegenlied' auf wunderbare Weise aus,
ZunBchst muß die nicht leichte Aufgabe gelSst werden, zwischen
den einzelnen Musikstücken einen Zusammenhang herzustellen.
Die Teile der Dichtung, zu denen keine Musik geschrieben Ist,
müssen natürlich weggelassen oder nur soweit angedeutet werden, als es
zum Verständnis des Ganzen notwendig ist. Es ist zu hoffen, daß das
Werk bald in dieser Gestalt vorliegen wird: die ersten Schritte dazu sind
bereits getan.
Damit wäre ein Lieblingswunsch des verstorbenen Meisters erfOlltl
BÜCHER
SO. Felix HendelMohn Bartholdy: Briefe, ■UBgewihll und erliulen tod Ernst
Toltf. (Meiner- Briefe, faerauBgegeben unler Mitwirkung ron Max Fried-
lieader.) VerUg: B. Betar, Berlin.
In muilkallicber Hlnslebt bietet dat vorliegende Buch, dai mit Tier Portrita am-
gestattet ist, so gut wie gar keine Ausbeute, dagegen apiegelt ea die sctaOnen Ctaarakter-
eigenscbaften, da« freundllcbe und liebenawflrdlge Tesen des viel tu wenig gesebltzten
Tondlcbtera ungelrfibl wieder. Gerade so, wie er In seinen Briehn uns gegenfibertritt,
denkt man fleh den Komponisten der .Lieder obne Torte*. Da findet ilcb kein
krinkendei Wort über Kunst- Rivalen. Erwibnt er eines solehen Qberbanpt, so geacbletal
es in zarter und scbonender Telse. Der bekennte Musikhistoriker und Theoretiker
Prani Magnus BOhme tat einst den Ausspruch, daß Mendelssohn, bevor er zum Kompo-
nieren sich an den Schreibtisch seilte, wohl Immer erst Glac^faandschnhe angesogen
babel So glatt und alle Unebenheiten vermeldend, zeigt er sich auch In seinen Briefen.
Die Borgfiliige AnswshI enthilt Briete an Zeller, Goethe, Ignaz und Cbarlotle Moscheies,
Julius Schubring, Tllhelm Scblrmer, F. Hiller, F. David, E. H. Verkenins und drei
Familienbriefe. Das Buch wird viele Freunde Bndon. Arthur Laaer
60. Axel Sandberg: Empiriache Oessngscbule in Dlalogform fQr Lernende
und Lehrende. Pop ollr-wlssen schädliche Untersuchungen über die Natur-
gesetze rSr die Funktion der Stimme. Stuttgart, 1006.
Im Jabre 1896 erschien unter dem Titel «Eine natürliche und vemflnfHge Ton-
blldungslebre' eine kleine, anregend geschriebene Gessngtheorie, die Axel Sandtterg
nach dem schwedischen Original seines Lehrers Fritz Arlberg übersetzt und bearbeitet
hatte. Diesem theoretischen Scfariftcben bat Sandberg nun eine ausgefQbrtere praktische
Getangschule, zunichst fflr Frauenstimmen, folgen lassen, die auf denselben Grund-
anichsDungen beruht Tie schon der alte Kontnpunktlker Fux in seinem .Gradua td
parasasum', bedient sich Sandberg der Dialogfbrm und erxielt dadurch neben einer
gewissen behaglichen Breite auch eine grSÜere Lebendigkell des Vortrags. Da indefi
der Unteriltel auch popullr-wlasenschafillche Untersuchungen verheiQt, und diese sich
gelegentlich einmal bis In das Gebiet der Differentialrechnung versteigen, so trigt natfir-
lich der .Lefarer" die Hauptkosten der Unterbsltang, wlbrend in der Schülerin mehr
ader Frauen Sinn, gar unbelehrf, in diesem Fall alao der gesangliche Instinkt, zu Worte
kommt. Sandberg huldigt der von den meisten Gessnglehrem fbstgehaltenen Drelreglster-
iheorie und erklirt die Register wie üblich durch die Vertchledenartlgkeit der Stimm-
bandhinkilonen: die Bruststimme durch totale Schwingungen, das Falsett durch Ver^
dünnung, die Kopbtimme durch Verkürzung der Stimmbinder. Zwischen Bruststimme
und Falsett nimmt er ein Grenzgebiet an, das er »verdünnte Brottstlmme' nennt und
stufenweise durch allmiblicbe Verdünnung des schwingenden Teils der Stimmbinder
entstehen lillt. In der Festsetzung der oberen Registergrenien ist der Verfsaser sehr
vorsichtig und nimmt sie etwas tietfer an als wohl die Mebrrahl seiner FaebgenoaeeB;
302
DIE MUSIK VII. 5.
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so findet er die obere Grenze des Ftlsetts bei t^ oder b^ Den Retonuzrertalltniitea,
tuf denen bekanntlich der Voktlismus und die kfinsterische Tonbildunf benitaen, widmet
Stndberg feinsinnige und eindringende Untersuchungen. Sehr vemflnfUgerweite sieht
er im Rachen und in der Mundhöhle die Hsuptresonsnzriume und hilt sich frei von
der heute so beliebten Oberschitzung der Kopfresonsnz, die er durchaus treffend als
Fortpflanzung der Tonschwingungen in der Mundhöhle nach den Nasenriumen erUirt
Auch der Brustresonanz mißt er nur eine untergeordnete Bedeutung bei (S. 107).
Besonderen Wert legt er tuf eine energische Mitwirkung der Lippen bei der Tonbildung;
sie sollen ihm nicht nur zur Erzeugung der eigentlichen LippeuTOkale (o, o, 6, Q)» tondem
überhaupt als wesentliches Werkzeug der Firbung des Tones dienen. Neben dieser
sind ihm Weichheit, Fülle und Schirfe die Haupteigenschaften des Getangtons, die
durch das Tonbildungsstudium zu einer harmonischen Gesamtwirkung gebracht weiden
sollen; den Weichheitstpptrat der Stimme findet er im Gaumengewölbe, die Ffille Hfit
er durch Schlunderweiterung (wie im ersten Stadium des Gihnens) erzielen und die
Schirfe erklirt ef durch den Anprall des Tons an die freigelegten Zibne. Der
Ausdruck »Schirfe*, der im Deutschen von Stimmen zumeist in tadelndem Sinne gebraucht
wird, wire besser durch: Metall, Glanz, Intensitit oder ein ibniiches Synonym zu
ersetzen. Die einzelnen Vokale werden genau auf ihre Beziehungen * zu den vier
oben genannten Tonqualititen untersucht und bieten so den Stoff fQr die individnelle
Behandlung und Erziehung des zu bildenden Gesangorgans. Im allgemeinen beginnt
Sandberg die Tonstudien mit dem Lippenvokal u und lißt dann 5, ö, a tind 6 folgen.
Der mißverstindlichen Bezeichnung »kurze* und »lange* Vokale (S. 21) würde ich die
üblichen Ausdrücke »offen* und »geschlossen* vorziehen, da ja in der Musik Kfirze md
Linge von der Geltung der Noten abhingt. Schon bei der elementaren TonbUdnng
berücksichtigt Sandberg den isthetiscben Eindruck der Lippen- und Mundstellnng aaf
den Zuhörer und das psychologische Moment im Gesichtsausdruck, und in einem fort-
geschritteneren Stadium widmet er der Mitwirkung der Mimik zugunsten des Vortrags
und der spannungsbefreienden Wirkung, die dramatische Posen auf die Stimmbinder
ausüben, hübsche Betrachtungen. Vor den Gefahren des einseitigen piano-Knltnt wird
mit Recht ebenso gewarnt wie vor eigentlichen Trainierungsversuchen mit den Longen,
um einen »langen Atem* zu erzielen, da ein solcher ebensosehr von energischer Stimm-
bandschließung wie von der Kapazitit der Lungen abhinge. Das schwierige Kapitel der
Stimmbandfunktionen und des Verhiltnisses von Spannung und Triebkraft ist mit Sach-
kunde und eindringendem Nachdenken behandelt; die komplizierten Vorwöge bei einer
»messe di voce* (Scbwellton), die sich aus dem Zusammenwirken und Ineiaandergrellbn
der Stimmbandfunktionen und der Resonanzfaktoren ergeben, finden eine klare, dofcih
dachte Darstellung. — Im allgemeinen wird man dem Verfasser zugestehen mfitsen, dafi
er seinem Grundsatz: »der Gipfel der Kunst ist die Natürlichkeit*, dem wir am AnCug
und am Schluß seines Buches begegnen, treu geblieben ist. Er entwickelt den Gesang
aus der Sprache und erklirt den Gesangton als »eine Summation gleich hoher Sprech-
töne*, den Ansatz beim Sprechen und Singen als identisch und warnt davor, änttk
Künsteleien in die wunderbaren automatischen Leistungen des menschlichen StimmoffSBSy
wie es die Natur vorgebildet bat, einzugreifen; die Gesangschule soll nur da naehheilBn,
wo die Natur versagt, und das »Prinzip des geringsten Kraftverbrauchs*, das In der
Natur gilt, soll auch den Kunstgesang beherrschen. So wird sich also wohl {eder finssii
lehrer, der nicht geradezu auf irgendeine verzwickte »Methode* eingeschworen isl^ mit
Sandbergs Grundanscbauungen einverstanden erkliren können. Anfbchtbare Einzeihellani
wie etwa in der Verzierungslehre (S. 97), bei der Besprechung der AtemeintailoDg (S. 90^
des Trillers und der schnellen Koloratur, die beide als angeboren bezeichnet
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303
BESPRECHUNGEN (BÜCHER)
(S. 161 (F.), können den günstigen Gestmteindruck des Werkes nicht beeintrichtigen.
Gewiß bandelt es sieb bei dem Triller weniger dtrum, durcb andtuemdes, sportsmäßiges
Oben eine scbwierige Fertigkeit zu erwerben, als ibn «herauszulocken^ d. b. experimentell
den richtigen Kunstgriff dafür zu finden; aber das »Vorspielen^ und »Vorpfeifen* des
Lehrers (warum nicht Vorsingen?) und der »intensive Wunsch* und die »unwiderstehliche
Lust* der Schülerin können doch eine methodische Anleitung nicht ersetzen. Und bei der
Koloratur, auch bei der schnellsten, muß doch jeder einzelne Ton der Kontrolle des Ohres
unterworfen und somit das Ergebnis eines bestimmten, wenn auch blitzschnellen Willensaktes
sein. Schwerere Bedenken lassen sich dagegen geltend machen, daß Sandberg von der Ver-
schiedenheit der weiblichen Stimmgattungen fast ganz absieht und nur auf S. 143 dieses
Problem flüchtig streift. Während er an dieser Stelle innerhalb der Region des Kopfregisters
bei Sopran, Mezzosopran und Alt geringfügige Höhenunterschiede des Klangepräges (»offen*
oder »geschlossen*) feststellt, nimmt er im übrigen bei allen Frauenstimmen die Register-
grenzen als übereinstimmend an, womit er bei der Mehrzahl der Fachgenossen auf Wider-
stand stoßen dürfte. Im ganzen aber darf sein Werk als wertvolle Bereicherung der gesangs-
pädagogischen und stimmtheoretischen Literatur begrüßt werden. Ernst Wolff
61. Ernst Kreowski und Eduard Fuchs: Richard Wagner in der Karikatur.
Verlag: B. Behr, Berlin.
Es war wichtig, die Karikaturen von Wagner einmal in einem Bande zu vereinigen.
Zwar existiert schon eine frühere Zusammenstellung, 1891 in Paris erschienen, und heraus-
gegeben von John Grand-Carteret. Das französische Buch ist mäßig gedruckt, erschien in
kleinem Format und bot literarisch wenig Bemerkenswertes. Der deutsche Band ist da-
gegen ein Muster guter Ausstattung, erfreut uns durch ein wohlgetrofTenes Format und
präsentiert sich in würdigem Gewände. Ernst Kreowski und Eduard Fuchs haben sich zu
gemeinsamer Arbeit vereinigt. Dem ersteren fiel der Textteil zu, Fuchs beschaffte das
Bildermaterial, sorgte für das druckerische Arrangement und erläuterte die Karikaturen, von
denen 230 Stück sich vorfinden. Natürlich deckt sich der größte Teil der Abbildungen
mit denen in jenem französischen Buch, doch ist die Fuchssche Auswahl nicht nur um
ICX) Stück reicher, sondern die Bilder haben eine sicherere Wirkung durch den guten Druck
und die angenehmen Größenverhältnisse. Kreowski gibt eine kurz gehißte, sehr würdige
Darstellung von Wagners Lebensgang in trefTlichem Deutsch, und überrascht durch eine
wirksame Anordnung seines Stoffes. Natürlich ist seine Arbeit so angelegt, daß sie die
Momente in Wagners romantischem Leben besonders betont, die besondere Angriflhpunkte
für den Karikaturisten bieten konnten. Die Dresdener Revolution, der Pariser Tannhäuser-
Skandal, die Wiener Notzeit, des Meisters Stellung zu König Ludwig, die Freundschafts-
verhältnisse mit Liszt und Bülow, die Bayreuther Festspiele und viele andere exponierte
Momente in Wagners äußerem Leben boten dem spottsüchtigen Stift des Zeichners will-
kommene Gelegenheit, satirisch zu verfahren. Die rein künstlerische Ausbeute ist eigentlich
nicht groß: heute sind wir durch glänzende Karikaturenzeichner verwöhnt. Die alten Bilder
des »Kladderadatsch*, des »Charivari*, des Münchener »Punsch*, des »Kikeriki*, der
»Wespen*, des »Ulk* schmecken uns heute nicht mehr recht. Die Karikaturen im englischen
»Punch*, im Züricher »Nebelspalter* bleiben matt. Amüsanter sind einige Blätter aus dem
Wiener »Floh* und aus der »Bombe*, weit geistreicher der Franzose Blass in »Le Triboulet*;
Vilette, Jossot und Beardsiey, dann besonders aber Gaul und Oberländer und endlich die
Jungen: Wilke, Bruno Paul, Gulbranson und Schmidhammer schießen den Vogel ab. Die
Karikatur ist in den letzten fünfzig Jahren auf eine ganz andere Stufe gerückt! Menzel mit
seinen famosen Chargen fehlt leider. Jedenfalls ist das Buch — einer Idee des B. Behrschen
Verlages entsprungen — ein wichtiger Beitrag zur Kulturgeschichte, das in einer lückenlosen
Wagner-Bücherei auf keinen Fall fehlen darf. Richard Wanderer
304
DIE MUSIK VII. 5.
MUSIKALIEN
62. Walter CourvoMer: Das Schltcbtschiff T6in£raire. Für Minnerchor
und großes Orchester, op. 12. Verlag: Ries & Erler, Berlin.
Der von Detlev von Liliencron frei nach Henry Newbolt geschaffene dramadscbe
Sang »Das Schlachtschiff T6m6raire* bat durch Walter Coarvoisler eine Vertoniing
gefunden, die mit außerordentlichem Glück den Schwung und die Kraft dieses
Lobliedes auf die englischen Seehelden von 1796 musikalisch unterstreicht und sa
einer ihnlichen vaterländischen Hymne macht, wie wir sie in Cartis «Die Toten vom
Iltis* bereits besitzen. Wenn wir den einzigen Vorwurf, den man eventuell dem Kompo-
nisten machen kann, schon jetzt nennen sollen, so ist es der etwas große instramontaie
Aufwand, der mit der LInge des Opus nicht in normalem Verhiltnis steht und der
Verbreitung des Werkes im Wege sein dürfte. Und das ist bedauerlich. Mag sein, daß
Courvoisier den Vokalsatz vielleicht zu anspruchsvoll und schwer behandelt und manehss
in ihm auf eine Wirkung abstimmt, die eigentlich schon der orchestralen Programmusik
angehört, mag auch sein, daß der Instrumentalsatz manchmal fil>erladen erscheiiit, das
muß ihm doch freudig zugestanden werden, daß er in der vorliegenden Komposition efai
Werk geschaffen hat, dem in der Minnerchorliteratur ein bemerkenswerter Platz im
Vordergrunde gebührt. Die Gründe dafür sind schnell aufgezihlt. Coarvoisler Ist bd
aller programmusikalischen Neigung ein Melodiker von Originalitit und kraftvollem Avs^
druck, er weiß dem Chorklange überall sein altangestammtes Recht zu wahren, wenn er
auch — wie oben bereits angedeutet — manchmal die Macht seines hnndercstimmig ge-
dachten Chores nur als einen instrumentalen Wert in das Ttitti-Klangblld elastsUt
Er kennt schließlich nicht nur eine durch die Rhetorik wirkungsvoll gemschto, sebarf
rhythmisierte Sprache, sondern ist von Haus aus der geborene Dramatiker, und das lIAt
ihn mit einer Wucht deldamieren und Steigerungen anlegen, die auf den KnlminatlOBS-
punkten dem Hörer Feuer aus der Seele schlagen müssen. Auch die rein instmmentals
Seite des Chorwerkes ist höchst interessant. Courvoisier weiß gelstreich die Farben la
mischen und zu schildern, wo dem Orchester das Feld ganz allein fll>erlassao Is^ er
versteht dann weiter die Gesangstimmen instrumental zu stützen, ohne deren vokale B^
deutung aufzuheben oder lahmzulegen, und vermag schließlich mit einem Tlrtoosea
Rafllnement sondergleichen zwischen dem Vokalsatze und dem Orchester Kontraste ss
schaffen, deren nachdruckliche Wirkung ebenso auf dem Kolorit, wie auf der Dynamik
beruht Diese Künste erzielen im Verein mit den rein musiluülschen Qualltlten der
Courvoisierschen Eigenart denn auch in lyrischen, wie in dramatischen Momeatan eine
ungemein tiefgehende Wirkung. Das .Schiachtschiff T6m6raire" sei deshalb allen groBsa
Minnergesangvereinen dringend zur Aufführung empfohlen, nur sei von einer
gäbe dieser Chorballade mit Klavierbegleitung abgeraten, da das Bild In einer mit ach^
und weiß bestrittenen verkleinerten Reproduktion nicht so wirken kann, wie von der
Orchesterpalette koloriert. Paul Mittmann
63. Rudolf Dost: Sonate f-moll für Orgel, op. 21. Verlag: Rieter-Bledermaaay
Leipzig.
Wir haben hier ein ernst zu nehmendes tüchtiges Werk vor nnai daa mk
bemerkenswertem Können hinsichtlich Formenbeherrschung und Kontrapnnktik vor allem
orgelmäßig geschrieben ist Es verschlägt nichts, wenn wir hier nnd da ftsmiais
zenzen aus der voraufgegangenen Literatur begegnen. OffSsnbar Ist dss arstn Thsom
im ersten Satz, sowie der ganze zweite Satz eine Huldigung für J. Rhelnbargar, und das
wohlbekannte »Pedalmotiv^, im ersten Satze öfters auftauchend and dann Im
305
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
Themt der Doppelfuge mit benutzt, für J. S. Bach (siehe Fuge d-moll, Peters IV).
Weniger zustgen will uns das »Gestngsthemt* im ersten Satz, wohingegen die kleine
Coda wieder sehr ansprechend ist. Der Modulationsgang im ersten Satz und in der
Fuge hält sich durchaus nicht an herkömmliche Regeln, wir treffen öfters auf über-
raschende Ausweichungen, die allerdings zuweilen willkürlich erscheinen, wie z. B. im
dritten Teil der Fuge, deren Kontrapunkt im übrigen fast durchweg sehr gewandt und
glatt geschrieben ist. Die Sonate, von nur mittlerer Schwierigkeit, verdient die Beachtung
der Konzertspieler.
64. OrgeUKompositionen zum Konzert« und gotteBdienstlichen Gebrauche.
Herausgegeben von Willy Herrmann. Zwei Bände. Verlag: Breitkopf &
Härtel, Leipzig.
Der erste Band enthält 1 1 größere, in erster Linie für Konzertzwecke geschriebene
Stücke, die teilweise schon anderweits veröffentlicht sind, der zweite 31 fast durchweg
festlich gehaltene größere Nachspiele für den gottesdienstlichen Gebrauch. Für den
Wert der beiden Bände sprechen die bewährten Namen eines Albert Becker, A. Egidi, N.
W. Gade, V. Gluth, A. Guilmant, J. G. Herzog, Edmund Kretschmer, Liszt, Matthison-
Hansen, Robert Radecke, M. Reger, E. Tinel u. a. Wir haben vor uns Proben der Orgel-
komposition der letzten Jahrzehnte, vereinzelt steht in Band II No. 2 eine sehr an-
sprechende frischgeschriebene Fuge von M. G. Fischer (1773—1829), in der noch Bachsche
Tradition (Kittel) lebendig ist. Vereinzelt steht auch auf der andern Seite Max Regers
Präludium zu «O Haupt voll Blut und Wunden", das durch seinen tiefen Gehalt alle
übrigen bedeutend überragt, womit Regers nahe Verwandtschaft mit Bach aufs neue dar-
^etan wird. Als vortrefTüche Nummern seien unter den übrigen hervorgehoben im
ersten Band: No. 8 bis 11, unter denen wieder Franz Wagners Phantasie »Trionfo della
Tita* als schwungvolles Konzertstück sich bemerkbar macht — übrigens das einzige
Stück der Sammlung, an dem der Einfluß von Max Regers Orgelkunst ofTenkundig nach-
zuweisen ist. Unter den Nummern des zweiten Bandes zeichnen sich aus: No. 1 von
Victor Gluth durch lebendige Frische, in der Harmonik etwas Rheinbergerisch ; femer
Kretscbmers festlich-glanzvolles Nachspiel No. 6; Albert Beckers energisches »Ein fette
Burg*; Egidis kunstvolles Nachspiel »Es ist das Heil*. Der Wert der Sammlung wird
durch einige mehr akademisch korrekte als musikalisch ansprechende Kompositionen
kaum beeinträchtigt.
65. Hermann Stephan!: Große Fuge in c-moU für Orgel, op. 12. Verlag
C. F. W. Siegel, Leipzig.
Eine Fuge mit deutlich fühlbarem Programm, ein eigentümliches Werk, das ein
persönliches Gepräge trägt und deshalb trotz zahlreicher Härten, ja selbst einiger
musikalischer Unverständlichkeiten unser Interesse in Anspruch nimmt. Alle Fugen-
künste werden aufgeboten; das Thema führt einen harten Kampf gegen immer neue
Gegenmotive. Die Fuge bringt zwei Durchführungen, die durch lange Zwischensitze
getrennt sind. Die zweite schließt auf der Dominante. Der folgende, lang ausgedehnte
Schluß ist ungewöhnlich: das Thema tritt in Verkürzung und Umkehrung zugleich auf, die
Form der Fuge ist völlig durchbrochen. Ausgelassener Humor und Ironie greifen Platz
in tollem Jagen — wir glauben hist, ein wenig Richard Strauß zu hören. Das Thema in
Verkürzung und Umkehrung erscheint jetzt basiert auf einer Skala aus Ganztönen; es
türmen sich Engführungen auf einem ostinato in Achteln; noch einmal bringt das Pedal
fortissimo das so eigentümlich entstellte Thema, bis das Ganze einlenkt und schnell
normal diatonisch dem Schluße zueilt. Die Fuge bringt Schwierigkeiten namentlich für
eine entsprechende Registrierung wegen der öfters sehr tiefen Lage der Manualstimmen
und Oberkreuzung mit dem Pedal. Dr. Ernst Schnorr v. Carolsfeld
VII. 5. 20
KRITIK
OPER
ANTWERPEN: Was dem größten flämischen
Tonsetzer Benoit vor mehr tls zwanzig
Jahren ein Traum, eine Idee war, an deren Ver-
wirklichung seine Jfinger seit 15 Jahren tat-
kräftig arbeiteten, ist zur Tatsache geworden:
vor einigen Tagen wurde hier das neue Flä-
mische Operntheater eröffnet. Am Nach-
mittag des 17. Oktober wurde das Haus in
Gegenwart aller Notabilitäten der Stadt von der
Behörde abgenommen und feierlichst der
Direktion übergeben, bei welcher Gelegenheit
der Konservator der hiesigen Museen Pol de
Mont eine begeisterte Festrede hielt, einige
ältere Mitglieder der Truppe Solovorträge und
der Theaterchor Benoit's «Hymne an die Schön-
heit* vortrugen. Am Abend kam als Fest Vor-
stellung unter Leitung des Komponisten Blockx'
»Heibergsprinzessin*' zur Darstellung, jenes Werk
der neuern flämischen Schule, das in den letzten
Jahren nicht nur einen ausgesprochen lokalen
Erfolg hatte, sondern auch an vielen Buhnen
des Auslandes mit großem Erfolg zur Auf-
führung kam. Da alle Darsteller, in erster Linie
Frau Judeis und der Tenor Swolfs, die mit
frischen Stimmen verjüngten Chöre, das ver-
stärkte Orchester und die Regie Engelens
ihr bestes Können einsetzten, so fand die Vor-
stellung eine begeisterte Aufnahme und brachte
dem Komponisten viele erneute Ehren ein.
Das neue Theater präsentiert sich nach außen
wie im Innern auf das vorteilhafteste und stellt
dem Erbauer, Stadtbaumeister van Mechelen,
das günstigste Zeugnis aus. Die Bühne ist
nach den neuesten Errungenschaften eingerichtet
und bietet durch ihre Breite, Höhe und nament-
lich Tiefe Gelegenheit zur Entfaltung präch-
tigster dekorativer Kunst. Eine spezielle Be-
merkung verdient das hiesige Haus Seh äffer,
das die Einrichtung für die elektrische Be-
leuchtung in geradezu idealer Weise gelöst hat.
Der Zuschauerraum, nicht übermäßig groß —
er hat 1490 Sitzplätze — ist ebenso praktisch
eingerichtet, wie reich, ohne überladen zu sein,
ausgestattet. Der tiefliegende Orchesterraum
bedarf noch einer Verbesserung; die Streich-
instrumente klingen nicht genügend und werden
durch das Blech gedeckt. Auch die Auf-
führungen der folgenden nationalen Opern:
Wambach's «^Quinten Massys*, Blockx' ,,See-
braut*, Schrey's «Adlerhorst* — alle bei früheren
Anlässen von mir besprochen — bestätigten
vollkommen den am ersten Abend gewonnenen
günstigen Eindruck. Die Direktoren Judeis
und Tokkie, die viel versprechen, u. a. Wag-
ners «Siegfried* und Zöllners «Faust* unter
Leitung des als Kapellmeister engagierten
Komponisten, sind ganz die Leute, ihr Wort
einzulösen und die Saison äußerst glänzend zu
gestalten. — Im neuen Flämischen Theater wird
fleißig gearbeitet. Nachdem in den ersten
Wochen nur Werke nationaler Komponisten,
so auch mit erneutem Erfolge Raylaendt's
«Cecilia*, zur Aufführung kamen, bereitete die
erste deutsche Oper, Lortzings köstlicher
«Wildschütz*, in vorzüglicher Darstellung
dem Publikum eine ganz besondere Freude.
In rascher Reihenfolge werden wir u. a. «Wal-
küre*, «Lohengrin*, «Freischütz* erhalten.
also für hiesige Verhältnisse ein interestsotct
Repertoire. A. Honifsbelm
BERLIN: Königlichea Opernhaus. DieHof-
oper sucht, nachdem Frl. Destinn mehr oad
mehr in das «hochdramstische* Fach anfterSA
ist, und Frl. Ekeblad zu den unbeschiftigMi Mh-
gliedem gehört, nach einer Vertreterin der Jngsnd-
lich- dramatischen Partieen. Unter diesem Ge-
sichtspunkt war auch das Gastspiel einer Inaf«
Künstlerin aufzufassen» die neulich die Elss im
«Lohengrin* und die Agsthe im .Freischfiti*
sang. FrL Fabry kommt vom Stadttheater ia
Augsburg und ist dort gewiß ein sehr nfltziiches
Mitglied; für dss Opemhaua ist sie nodi nicht
reif. Ihr hübsch klingender und siemlich sni-
giebiger Sopran ist technisch nicht so dnrcbge>
bildet, um den dramatischen and mtisikaliscliai
Gehalt einer Rolle einwandfrei wiedergeben n
können. Namentlich in der Mittellag^ drSckt
die Sängerin auf den Ton, der infolge sdaes
zu weit rückwärts gebildeten Anaatsea leicht
tremoliert und unrein wird. Auch in der D8^
Stellung ist noch nicht die Freiheit gevennea,
die eine nennenswerte Geataltnngagalie soa
Durchbruch kommen Helle. Immerhin ist st
nicht susgeschlosseo, daß Frl. Fabry, daran Er-
scheinung und Wesen sympathisch berUirca,
weitere Entwickelungsmöglichkelten fai sich
trägt. — Die Komische Oper hatte mit ihrer
Erstaufführung der «Verksuften Braut* vsa
Smetsns einen unbestrittenen und in fcvisMr
Hinsicht such verdienten Erfolg so ▼eraeidnea.
Ein Vergleich mit den AuffSbrnnfen der Hsf-
oper und eines österreichischen EnsemUea» das
uns einst die Bekanntschsft des liel>enswAfdiita
Werkes vermittelte, liegt nahe. Er flllt ngnnsiea
Gregors sus, soweit die Inaxeniemag und die
Hersussrbeitung wirkssmer Pointen in Ftsgi
kommen. In sehr hübschen dekoratlTen Bilden
spielte sich die lustige Komödie flott nnd aa-
gezwungen sb. Wo es sich al>er am iniimcfs
Stimmungen und feinmnaikaliaiAe ▼Unagn
handelte, erschien slles vergröbert tind aeiacr
eigentümlichaten Reize einigermaßen entUdict
Nur sb und zu gsb Nsval, der natfifllch aoch
schauspielerisch der Figur des Haaa nichli
schuldig blieb, in aeinen Soloatellen etwas vsa
dem poetischen Hauch dieser llasih m va^
spüren, während dss sonst ao aympalWifht
Frl. Artöt als Alarie gsr in lubedsnttai
blieb. Schließlich spielt die Hnadlmg dsch
unter derben Bsuem und bedingt eine geviiis
Gesundheit der tonlichen Grundlage. GsiaJi
daran aber haperte es tu bedenklich in dm
wichtigsten Ensemblesitsen, ao In dem acMna
Sextett des letzten Aktes. Die tragende üBs
des Heiratsvermittlers kam bei Hern M antler
auch mehr schauspielerisch als geanng|ici
die bebMl
Geltung. Seiner Stimme fehlt
Tiefe und der üppige Wohllan^ anfdlederKemys
nist als Kontrast su derHumoriatik den Anadrads
gerechnet hat. Mit dem atottenden IMHl
des Herrn Kreuder konnte man nehrsalHsdm
sein, während die übrigen Pertieea aiAr sd«
minder zu wünschen Heften, nfidaasrilcb li^
daß ein so entzückendes StflA vie daa Tm-
duettchen mit der Eameralda In
rakter so gsnz verkannt nnd aeine
Grazie zu derbem Ulk entaMlt
es hier dem Dirigenten an ^Hirtrit
307
KRITIK: OPER
Macht der Regie gegenüber? Franz Rumpel
dirigierte im übrigen (namentlich die Ouvertüre)
nicht ohne Geschmadc, konnte aber natürlich
dem vokalen Klangkörper keine Fülle und An-
mut einhauchen, noch die Auffassung des Ganzen
auf einen wohligeren Ton herabdämpfen. Das
Publikum amüsierte sich ausgezeichnet, rief alle
Beteiligten wiederholt an die Rampe, und
namentlich nach dem prachtvollen und famos
vorgetragenen Buifoduett des zweiten Aktes
herrschte eine animierte Stimmung, wie man
sie in der Komischen Oper kaum jemals erlebt
hatte. Dr. Leopold Schmidt
Lortzing-Oper. Verhältnismäßig gut gelang
der Versuch, Mozarts »Entführung aus dem
Serail^ dem Repertoire einzufügen; für die Kon-
•tanze mußte freilich eine geeignete Kraft in
Frau Boer-Gruselli vom Hallenser Stadt-
theater verschrieben werden. Ein prächtiger
Pedrillo war der junge stimmbegabte Tenorbuifo
Max Kuttner. — Völlig überflüssig und unzu-
länglich war die Aufführung von Verdi's »Rigo-
letto*. Mit solch fragwürdiger Aufführung kann
das Publikum doch nur verscheucht werden.
Wilh. Altmann
BUDAPEST: Die erhoffte, trompetenhaft ver-
sprochene Besserung in der artistischen Ver-
waltung der Königlichen Oper will sich nicht
einstellen. Man durfte erwarten, daß mit der
Oberweisung des Institutes an das Unterrichts-
ministerium nunmehr wirklich ehrliche künst-
lerische Prinzipien zur Geltung kommen, ernste,
zielbewußte Arbeit inauguriert werde. Statt
dessen erschöpft sich die vielgerühmte Energie
des neuen Direktors M6szäro8 in zwecklosen
Reprisen und in zum Teil ganz verfehlten Neu-
besetzungen. So war es sein Erstes, um die ein
wenig fadenscheinig gewordene Toilette der von
der Oper soutenierten Muse zu ergänzen, ihr
einen neuen Luxushut zu kaufen. Unser klas-
tisches Repertoire zeigt Lücken an allen Ecken
und Enden, und nun verwendet man zwei Mo-
nate, um — die Pariser Bearbeitung des »Tann-
häuser* zur Aufführung zu bringen, auf die man
an den meisten namhaften Bühnen wieder ver-
zichtet hat. Die Vorstellung, um die sich nament-
lich Frau Vasquez (Elisabeth) und die Herren
Anthes (Tannhäuser) uad Takäts (Wolfram)
verdient machten, stand übrigens auf demselben
vornehmen Niveau, wie die bisherigen »ver-
alteten* Reprisen des Werkes. Eine zweite
geniale Tat des neuen Kunstverwesers war die
Umbesetzung der »Walküre*, in der Herr
M68zäros zu dem einzigen Siegmund (Anthes),
dem einzigen Wotan (Beck) unserer Bühne die
fkst durchwegs unzulänglichen Gestaltungen je
einer vierten Brünnhilde und Sieglinde und einer
fünften Fricka fügte. Durch diese und ähnliche
Arbeitsverschwendung ist die Direktion mit all
ihren Novitäten und sonstigen Versprechungen
im Rückstand und freut sich einstweilen, daß
die Gunst des Publikums, die sein Vorgänger
erworben, dem Theater noch treu bleibt.
Dr. B61a Diösy
DORTMUND: Nach dreijährigem Bestehen
hat sich die Theatervereinigung Dortmund-
Essen wieder gelösf? Alois Hof mann hat die
hiesige Direktion übernommen und führt die
Oper einer erfreulichen Entwicklung entgegen.
Die fast gänzlich neuen Kräfte sind durchweg
musikalisch intelligent, zum Teil vorzüglich.
Daher waren »Tannhäuser" und »Lohengrin*
mit Schirmer in der Titelrolle, Frl. Daniela
als Elisabeth, Frl. Wehrenfennig als Ortrud,
und Stury als Wolfram und Telramund, ebenso
»ATda*, »Troubadour*, »Hoffmanns Erzählungen"
gute Vorstellungen. Strauß' «Salome* erlebte
mit obigen Kräften eine hervorragende Aufführung
und fand beifällige, nicht begeisterte Aufnahme.
Der Direktor ist ein feinsinniger Regiekünstler.
Als erster Kapellmeister fungiert Wolfram,
dem Becker und Goldschmidt zur Seite
stehen. Das Orchester stellen Hüttners Phil-
harmoniker. Heinrich Bulle
DRESDEN: Die Hofoper hat sich zu einer
neuen Tat noch nicht aufgeraffr. Das einzig
bemerkenswerte Ereignis der Berichtszeit war
das Gastspiel von Sigrid Arnoldson, die alt
Violetta, Mignon und Carmen auftrat. Als
Herodes in »Salome* gastierte Gurt Sommer
von der Berliner Hofoper, ohne jedoch in Spiel
und Gesang unsem heimischen Vertreter ent-
fernt zu erreichen. An diesem Abend erkannte
man übrigens mit Erstaunen, wie rasch das
seinerzeit von mir vorausgesagte Verblassen der
»Salome*-Wirkung eingetreten ist. Man bleibt
jetzt, nach kaum zwei Jahren, dem Werke
gegenüber schon vollständig kühl, da ihm die
inneren Werte doch allzusehr mangeln.
F. A. Geißler
FRANKFURT a. M.: Caruso's Gastspiel war
diesmal das große Ereignis. Die Billetbe-
stellungen für die beiden Abende, die ihn als
Rhadames und als Herzog im »Rigoletto* zeigten,
waren etwa zehnfach ȟberzeichnet*; dies und der
weitere Umstand, daß der Künstler pro Abend
lOCXX) Mark erhielt, hat schon manchen im
voraus mit Hochschätzung für seine Kunst er-
füllt. Beifallsstürme lohnten die dankbarsten
Nummern seiner Rollen, und auch die kritischer
beanlagten Zeugen seines Auftretens rühmen
ihm ungewöhnlichen Wohllaut der Stimme und
deren weise Behandlung, besonders die gute
Atemtechnik, nach, außerdem auch Temperament
und gewisse individuelle Züge in der schau-
spielerischen Behandlung der Aufgaben. Un-
genügsame Hörer bemängeln aber sehr die
Qualität der »Rigoletto*-Aufführung, soweit sie
nicht von dem Gast allein besorgt wurde.
Hans Pfeilschmidt
HAMBURG: Nun hat Richard Strauß' »Sa-
lome* auch bei uns ihren verspäteten Ein-
zug gehalten. Grund der Verzögerung war wohl
weniger eine künstlerische Abneigung der Theater-
leitung gegen das spekulative, aus Mitteln der Sen-
sation seine Wirkung schöpfende Werk, als viel-
mehr der Umstand, daß der Einstudierung und
Aufführung dieser musikalischen Excentrizitlt
der Umbau unseres Orchesterraumes vorangehen
mußte. Für diesen so notwendigen Umbau, dessen
Vorteile wir noch genießen werden, wenn längst
die Schmerzen der Salome verwunden sein werden,
war aber unsere sparsame Stadttheater-Gesell-
schaft nur langsam und schwer zu gewinnen;
ihn durchzusetzen bedurfte es der ganzen Ober-
redungskünste von Direktion, Kapellmeister und
sonstigen Persönlichkeiten und einiger mehr
energievoller als freundlicher Nachhilfe in der
lokalen Kritik. Da es sich dabei in unterer
Millionen- und Millionärstadt im Grande um ein
20*
./i^
308
DIE MUSIK VII. 5.
Objekt von ein pttr ttusend Mtrk handelte, steht
mtn also wieder einmal vor einem hübschen
Exempel hanseatischen Kunstgeistes. Daßschlieii-
lich das größte deutsche Stadttheater die erfolg-
reiche Oper nicht dauernd ignorieren durfte, be-
darf keiner weiteren Ausfuhrungen. Zu neuen
Schlüssen in der Einschätzung der »Salome*
konnte man freilich auch angesichts der wirklich
vortreCriichen Aufführung, die ihr hier zuteil wurde,
nicht gelangen: indem er sich bewußt von der
Wagnemach folge im Musikdrama und zugleich
von Wagner selbst entfernte, geriet Strauß in
die noch viel bedenklichere Nihe Meyerbeers.
Mit ihrem sensationell sich gebärdenden Amerika-
nismus, mit all ihren unbegrenzten Möglichkeiten
präsentiert sich die »Salome'musik zuletzt doch
nur als die moderne Meyerbeeriade insofern,
als sie in ihrem innersten Wesen eine einzige
große Konzession bedeutet. Und Konzession
war eben auch das entscheidende Merkmal der
Oper Meyerbeers. Daß nach der »Salome*, so
geistvoll sie auch erdacht und mit so sicherem
Instinkte sie auch geschrieben sein mag, die
Musiker — und nicht die schlechtesten unter
ihnen — von Strauß abgefallen sind und weiter
abfallen, darf bei der nur schlecht verhüllten
effekthaschrigen Art des Werkes nicht in Er-
staunen setzen. Unser Premierenpublikum, das
der «Salome* zunächst unter allen Anzeichen be-
gegnete, die auf das bewußte Mühlrad im Kopf
hinweisen,bereitete8Chließlich der Erstaufführung
einen Triumph. Aber es ist nicht ausgemacht,
ob er nicht in erster Linie der phänomenalen
gesanglichen und darstellerischen Leistung der
genialen Edyth Walker galt. Daß neben ihr
und dem ausgezeichneten Herodes des Herrn
Birrenkoven Gustav Brecher, der superiore
Dirigent, mit Enthusiasmus gefeiert wurde, war
nicht mehr als recht und billig. Wie »Salome^
bei einer weniger faszinierenden Wiedergabe auf
unser Publikum wirken wird, das zu erleben
haben wir — leider! — begründete Aussicht.
Heinrich Chevalley
KÖLN: Zwei Hauptmomente ergaben in den
jüngsten Wochen des Opernhauses M6hul
und Weingartner. Des erstem nunmehr
hundertjähriger »Joseph^ erstand unter Otto
Lohses vielvermögender Hand in denkbar ab-
geklärtester Interpretierung unserer Oper als
neugewonnener, wertvoller Besitz (mit Fritz
R6mond, Julius vom Scheidt und Clarence
Whitehill als Joseph, Simon und Jakob). Felix
Weingartner leitete eine der trefflichen Auf-
fuhrungen seines ,»Genesius* und wurde herz-
lich gefeiert. Paul Hiller
LON DON : Die Herbstsaison der italienischen
Oper in Covent Garden wird verlängert
werden müssen. Ein neuer Stern auf dem Lon-
doner Opernhimmel ist nämlich in Signora Te-
trazzini aufgegangen, die von der ganzen Presse
als zweite Patti gepriesen wird. Die Dame trat
zum ersten Male am 2. November als Violetta
in «La Traviata* auf. Ihr Name erregte kein
Interesse; das Haus war schwach besucht. Ihre
Leistungen aber waren nicht nur als Sängerin,
sondern auch als Darstellerin so außerordent-
lich, daß alles enthusiasmiert war. Die Folge
war, daß zwei Tage später, bei Wiederholung
derselben Oper, nicht nur das Haus voll-
ständig ausverkauft war, sondern auch, daß
Hunderte, die Zutritt tuchton, iqrfickgpwtom
werden mußten. Dasselbe wiederholt tidi icii-
dem bei jedem Auftreten der Kfiostleriii. Alk
Plätze sind bis tum Ende der Seison ntf•^
kauft. Was im übrigen das Repertoire lietiiA^
so ist Wagner von ihm gani eosfeedileiesi.
Mozart ist mit »Don GioTanni* nnd Veidi
mit 9 ATda" vertreten. Der Reet geUrt dn
Italienern und Franzosen. Eine etnrko Konknnees
hat übrigens Covent Garden in Daiy'e Theetert
wo sich »Die lustige Witwe" eines anfewdhilkh
langen Daseins erfireut. A. Z.
]\/|0NCHEN: Außer ein ptar TonSiUctei
*^^ Repertoirevorstelltincen, änrnntor »PldeHi*
mit Knote (Florestan), Morena (Pldelio) md
Fein hals (Pizarro), und einer »Snlome^-Aef-
führung (unter Kapellmeister CortoloiisP to-
feuernder und umsichtiger Leitnnf)^ bei der die
Salome an Stelle von Frl. Lersen nmunehr
Frau Burk-Berger mit gutem Erfeig Us^
nommen hat, gab es bis Jetst nichts BenetlDsn^
wertes als eine Neueinstudierong von Veidfs
»ATda*. Den musikalischen Teil dieoer Hen-
einstudierung hatte Hofkapellmolstor B5hr
übernommen und führte ihn sehr grflndlkb ud
mit vollem Gelingen durch. Auch die Beaelnig
mit FrL U Ihr ig (ATda)» Walter (Radames),
Frau Preuse (Amneris) nnd Peinhals (Am^
nasro) stand auf schöner Höhe). Besondsrer
Wert jedoch war auf die Ausstattung nnd In-
szenierung gelegt worden; ffir die letitere n^
dient Wirk hohes Lob; die Ansststtnsg aber
ist geradezu eine Sehenswfirdigkeit an Fncfel
und Echtheit. Kunstmaler Buachbeck ssd
Maschineriedirektor Klein halxnn da geiadsii
Großartiges geleistet Dr. Ednnrd wähl
ST. PETERSBURG: Die rosaiacbo Privatoper
im großen Saale des Konserystorimns fest
sich ein großes Verdienst erwortien, indem sis
Moussorgsky's Oper »Chowantchina' ssd
Wagners »Holländer* gegeben hat. DersHW-
länder" wurde vor mehreren Jabren In dsr
Kaiserlichen Moslnuer Oper mit groBea ErWg
aufgeführt, im hiesigen Ksiserlidien Mailsa-
theater ist er bis jetzt noch nicbt zur Aufllhrasg
gelangt. — Der Direktion der Kaiseriidisn Opsr
kann es zum Vorwurf nicht gemacht
daß eine nationale Oper wie »Der
im Kaukasus* von Cesar Gut bei fest
Hause vor sich ging» eine für das MsilsnibsaMr
sehr seltene Erscheinung. Bernhnrd Wendsi
CCHWERIN: Wie kurs die bsurian Opislisii
^ auch ist, so zeigt sie doch (snit mus 8^
tember) des Segens eine Ffille, cud es
sich, aus dem erledigten reicbhalticea
die trefflichen Leistungen zu nennen.
der klassischen Oper find die hellere Mnss ftr
Feld. Für Frids Hempel, die als Gast li
vTraviata" und «Locia' ihre bei uae oll bsssa
derte Kunst darbot, ist Friuleia Strnuch ak
Koloratursängerin gewonnen, die mit IhrsmD^
büt als »Königin der Nacht" ihren enlea Büns^
versuch nicht übel ausführte. Bncen fJUbsfft
»Tiefland", das im Terflossenen Jahn usg^
wohnlichen Anklang fend, erscheint aafe nsas
als Zugstück. — »Siwitri, dte KtalgpiechM'
Oper in drei Aufkügen Ton Herman ZnasM
Uraufführung. Ferdinand Graf Sporck m
für das Textbuch die IdylUeAn * "'
von der treuen SiwitrIaua
309
KRITIK: OPER
Srnrnmel-Epos »Mtbtbh&rttt" verwertet. Der
Schluß^ettng der Himmelsmidchen: ,,De8 Todes
Allmtcbt ist fiberwunden in todestrotzender
Liebestreu* gibt dts etbiscbe Motiv der sebr
einftcben Handlung, der es tn bewegtem, drama-
tiacbem Leben feblt. In der Diktion sucht die
Dichtung mit wortreichen Reden und alter-
tfimelnden Wendungen ihre Sprache dem antilcen
Stoffe anzupassen, legt aber durch Längen auch
die Musik lahm. Die exotische Stimmung hat
der Tondichter klar getroffen, diese Charakteristik
ist sein Eigenes. Hiuflg erinnert Zumpes Musik
an Wagner, aber er schlägt in reizvoller Melodik
auch eine eigene Note an; darfiber können ein-
zelne Wendungen, die wie ein Echo aus anderer
Gegend klingen, nicht täuschen. Von den Leit-
motiven macht er nur mäßigen Gebrauch; das
distere Todesmotiv zeigt eine scharf ausgeprägte
Physiognomie. An Stelle der Ouvertüre führt
eine kurze Orchestereinleituog mit Berechnung
fremdartiger Klangeffekte zu den rituellen Opfer-
gesängen, während vor dem dritten Akt ein
längeres Vorspiel die Bedeutung des mystischen
Todesgottes illustriert. Das Orchester bringt
den eigentlich musikalischen Stoff, es bietet dem
Gesänge eine breite Unterlage. Eine Fülle poly-
phoner Arbeit wird hier geboten, deren knappe
Formen mit modemer Harmonik und einer
charakteristischen, häufig sehr klangschönen
Instrumentation uberkleidet sind. Die vorkom-
menden Längen haben im redseligen Text ihren
Grund. Bei den an sich wirkungsvollen Chören
ist durch Oberanstrengung der Soprane die Saqg-
barkeit geopfert, mehrstimmige Ensemblesätze
der Solisten sind kaum vorhanden. Zu einem
musikalischen Höhepunkt der Oper wurde das
große Liebesduett des zweiten Aktes durch Frl.
Hummels temperamentvolle Wiedergabe der
sympathischen Titelrolle; von hochdramatischer
Wirkung war ihre Szene mit dem Todesgott im
Schlußakt. Hofkapellmeister Kaehler erfaßte
mit kiinstlerischem Verständnis den Stil des
allerdings nicht in allen Teilen gleichwertigen
Werkes. Hermann Guras Regie bewährte sich
in ihrer Initiative und Großzügigkeit. In der
Pracht der szenischen Dekoration und der
Kostüme wurde vor dem Auge des Zuschauers
das Wunderland Indien lebendig; ein entzuckendes
Schlußbild bietet Säwitri inmitten des Blfiten-
knospenregens. Die Vorstellung fand in dem
festlich erleuchteten Theater eine sehr beifällige
Aufnahme. Sie bot für die Stunde des Zuhörens
und Zuschauens starke und schöne Reize, mochte
auch dem Werke der im Geiste nachwirkende
Totaleindruck mangeln. Fr. Sothmann
STOCKHOLM: Wenn die vorige Saison etwas
flau gewesen ist, was teils durch die inneren
üblen Verhältnisse des Königlichen Theaters,
teils durch die Vorarbeiten zur ersten hiesigen
AufrQhrungder»Götterdämmerung*(Premiere
am 28. Februar) bedingt war — im übrigen wurden
mehr als 40 Opern während der Spielzeit ge-
geben — , so scheint man diesmal um so ener-
gischer ans Werk gehen zu wollen. Schon am
7. Oktober hatten wir die erste Novität hinter
uns: das zweiaktige Drama »Daria* von Georges
Marty. Obgleich die französische Opemkunst
seit alters hier immer eine verständnisvolle
Aufnahme gefunden hat und es wohl nirgends
einen französischeren Spielplan gibt, kann man
die letzte Neuheit nicht als eine Bereicherung
des Repertoires bezeichnen. Die Personen dieses
lyrischen Dramas waren uns zu unsympathisch;
die Musik, wenn auch fein und sogar warm
empfunden, zu wenig individuell. Am meisten
fesselten die eigenartigen kleinrussischen Volks-
lieder und -tanze. Die Herren Forsell und
Nyblom boten ihr Bestes, die Daria war (auch
hier) einer Debütantin anvertraut, Frl. Wallen i,
die ihrer von gesanglichen Schwierigkeiten
strotzenden Partie nicht gewachsen war. Dirigent
war Armas Järnefelt, nach dem Weggang
Hennebergs jetzt als Hofkapellmeister engagiert.
— Eine Reprise der »Neugierigen Frauen"
von Wolf-Ferrari (am 15. Mai d. J. hier zum
ersten Male gegeben) erweckte nur geringes
Interesse. Enthusiastisch wurde dagegen dem
«Rigoletto* zugejubelt, der nach langjähriger
Vergessenheit aus dem Theaterarchiv hervor-
geholt worden war. Vor kurzem ist auch Peter-
sen-Bergers »Ran*, ein Drama nach schwe-
dischem Text und schwedischen Motiven, wiedef
auf dem Spielplan erschienen. Ansgar Roth
STUTTGART: Kloses »Ilsebill« wird dank der
ausgezeichneten Interpretation der Frau
Senger-Bettaque auf dem Spielplan erhalten.
Ebenso verdienstlich ist, daß jährlich zwei bis
vier Auffuhrungen der »Heiligen Elisabeth* von
Liszt stattflnden; FrLWiborg ist eine muster-
gQltige Darstellerin der Elisabeth. Schmerzlich
vermißt man die KQnstlerin im »Lohengrin*
und »Tannhäuser*, in denen sie Elsa und Elisa-
beth sang; bei aller Anerkennung für Frl.
Bartsch muß doch auch gesagt werden, daß
sie weder in der Auffassung noch im Gesang
(kein Legate!) Fortschritte zu machen scheint.
In Max Marschalks neuem Liederspiel »Au-
cassin und Nicolete* hatten Frl. Bartsch
und Herr Kanzow die Titelrollen. Das niedliche
und anmutige Werk, schon unter Pohlig zur Auf-
fiihrung angesetzt, wurde von Pitteroff diri-
giert, von Löwenfeld sehr hübsch und stim-
mungsvoll ausgestattet. Niemand versah sich
einer zischenden Ablehnung, die leider beiden
Aufführungen zuteil wurde. Wenn auch das
einfache Liederspiel keine großen Spannungen
auslöst, so vermittelt es doch Stimmungen, die
besonders im ersten, zweiten und sechsten Bild
wirken. Ausserdem handelte es sich um eine
Stilprobe: Marschalk bedient sich neben dem
Lied sowohl des melodramatischen, als des musik-
dramatischen Fortgangs, und flicht noch Dialog
dazwischen. Zum mindesten war dieser Ver-
such, selbst wenn er mißglückte, interessant
und lehrreich. Auch sollten, denken wir, Werke
ohne nervöse Aufregung willkommen sein. Auf
jeden Fall aber wäre Seiner Majestät dem Groß-
stadtpublikum zu empfehlen, Ablehnungen huld-
voller und vornehmer zu vollziehen, oder alles,
was nicht Meisterwerk ist, vielleicht weit unter
»Aucassin und Nicolete* steht, folgerichtig
mit Strenge abzuweisen. Dr. Karl Grunsky
WEIMAR: Die beschränkten räumlichen Ver-
hältnisse unseres kleinen Interimstheatera
erschweren in jeder Weise die Aufführung
größerer Werke, so daß bis jetzt nur, einige
Ausnahmen abgerechnet, Duodezöperchen zur
Aufführung kamen. Im Vordergrund des Inter-
esses stand der neu engagierte Hofkapellmeister
Peter Raabe. Als Debüt wählte er Donizetti's
WL
310
DIE MUSIK VIL 5.
»Don Pasquale* (in der Neubearbeitung Klee-
felds und Bierbaums) und fObrte sieb damit als
zielbewußter, energiscber Dirigent ein. Unge-
mein sympatbisch berfibrte, daß er der Neuein-
studierung der folgenden kleinen Werke die
denkbar größte Sorgfalt widmete: Adam's »Nürn-
berger Puppe*, Götzls »Zierpuppen*, Paladilbe's
»Im Vorfibergeben*, Gounod's „Pbilemon und
Baucis*. Unter Krzyzanowski's routinierter
überlegener Leitung kam Lortzings »Wildscbfitz*
und Strauß' «Fledermaus* beraus. Auch eine
kleine Urauffubrung batten wir zu verzeichnen :
„Der Muller von Sanssouci*, ein Singspiel
in einem Aufzug von C. Berg, Musik von
K. Goepfart. Der lose zusammengesetzte In-
halt des anspruchslosen Werkchens besteht aus
einer Reihe der bekanntesten Episoden aus dem
Leben des alten Fritz und erreicht seinen Höhe-
punkt mit dem Erscheinen des großen Preußen-
königs. Goepfart hat dazu eine ansprechende,
dem Stile der Zeit gemäße Musik geschaffen
und begnügte sich mit ganz kleinem Orchester
(einfache Holzbläser). Das unterhaltende Werk-
chen erfreute sich dank seiner vorzfiglichen
Wiedergabe eines vollen Erfolgs. Die fibrigen
Abende brachten noch: Offenbachs »Verlobung
bei der Laterne* und »Fortunios Lied*, sowie
den »Teufelsbanner* unter Chordirekter Saals
Leitung. Carl Rorich
WIEN: In derHofoper: Puccini's»Madame
Butterfly". Ein neuer Beleg für die Seltsam-
keit der Puccini'schen Begabung, die keine dra-
matische ist und sich doch einzig im Dramatischen
auszusprechen vermag, weil es ihm an Ge-
staltungsfähigkeit fehlt, um seine melodisieren-
den — nicht melodischen — verschwimmenden
Einfälle in geschlossene, gleichviel ob kleine
oder große, Form zu drängen. So ist er aufs
Theater angewiesen: aber daß er für die Man-
sardenstimmung der »Bohdme*, die Foltern der
»Tosca*, den japanischen Blumen- und Liebes-
rausch der »Butterfly* dieselben Töne anwendet
— so verwandt, daß man ganze Stucke der drei
stofflich so wenig ähnlichen Opern unter-
einander vertauschen könnte, ohne daß es als
stilstörend aufzufallen vermöchte — ist ein Be-
weis für das spezifisch Undramatische seines
Wesens. Man tröstet sich mit dem schimmern-
den Glanz des immer anregenden und geist-
reichen Orchesters, mit einigen lieblichen Wen-
dungen, deren rein musikalischer Gehalt
strengerer Untersuchung freilich kaum stand-
hält, und mit ein paar Stimmungstonbildern
von erlesener, fast raffinierter Delikatesse: am
schönsten mit dem schmerzlich boffaungsvollen,
verhaltenen Schluß des zweiten Aktes. Und er-
freut sich an den wundervollen japanischen
Bildern, die Roller mit subtilem Geschmack,
leuchtender Farbensattheit und außerordent-
lich zarter Abtönung auf die Bühne gestellt
hat. Weniger an der Aufführung: das herrliche
Organ von Selma Kurz ist für ihre seelische
Teilnahmlosigkeit und für die..Undeutlichkeit
ihres Wortes kein genügendes Äquivalent, und
die andern alle — Frl. Kittel, Herr Maikl,
Herr Weidemann — sind zur Statisterie ver-
dammt. Kapellmeister Spetrino dirigierte mit
schöner Verve und gewissenhafter Detaillistik.
— In der Volksoper: Neuaufführungen des
»Fidelio* und des «Lohengrin*. Beides
ehrenvollste Zeugnisse fQr den rMdoten neil^
mit dem der Spielplmn des Inititnts anacebm
wird, und der die Teilnahme bisher mntlk-
und opemfremder Pabliknmtsctaictaten an wert-
vollen Werken in edelster Weise gefördert hat
Beide Aufführungen auf sehr tfichtigem Niteaa;
besonders die des »Fidelio*, in der — neben
zwei dekorativen Neuerungen von gificididiateB
Einfall — Frau Stagl dnrcli die innige, das
Weibliche nicht geflisaentlicta taeroiach ?e^
meidende JünglingshafUgkeit eine rfitarende
Leonore gestaltet hat. zu der die marlcantei
Gestalten Pizarro-Hofbaner — Tlellei^t sa
sehr Reptil und zu wenig Raubtier — vad
Rocco-Lordmann gute Kontraste gpbea.
Matter in dieser Beziehung ist der neue »Lohea*
grin*. Oberans gewiaaenbafk atudiert. aber ia
den Hauptpartieen durch AnÜnger TerkBpei^
deren Begabung noch lange au reifistt liat^ Ms
sie derartigen Aufjgaben gewachaen sein maii
Dazu eine bedenkliche UnverstindliehkeÜ te
Deklamation und oftmala ein azeniacliea Ober
nuancieren, das besondere an Stellen IrgerliA
wird, wo des Meistere Vorschrift nnbeacfelM
oder mißverstanden geblieben iat Zn nennen:
der König des Herrn Lordmann, die geaaa^
lieh vorzügliche, aber in der Haftung nnver-
nehme Ortrud der Frau Drill-Orridge nnd
der besonnene und geschmackvolle musikalische
Leiter, Kapellmeister Gille. Ffir daa Dekan-
tive zeichnet auf dem Zettel Profeaaor Lefler.
Es wire hinzuzusetzen: sehr unfrei nach KaOcr«
dessen Lohengrin -Szenenbilder mit adir g^
ringen und durchaus nicht Yerl>eaaemdcn Ab-
änderungen einfach fQr die kleinere Bihae
«nachempfunden* worden sind«
Richard Specht
KONZERT
BERLIN: Florenz Werner^ der an der Spilsa
unserer Philharmoniker die Neunte ^fm-
phonie (d-moll) von Brückner und die ErM ia
c-moll von Brahma dirigierte, zeigte eich als
temperamentvoller Führer; waa an KlangsdiAa-
heit in einer Partitur steckt, weiß er hersaasa-
holen, wie auch den thematischen Gedaakea-
gang klar zu legen. — Venu Karl Panzaar
das Mozartorchester dirigiert, klingfa ganz In-
ders, als unter den andern Jüngeren Dlrigpatsa.
Sein zweites Konzert war ein BeetboTcn-Abead:
Coriolan-Ouvertüre, c-moll Symphonie, Schü
tische Lieder gesungen vonLulaMyas- Gm einer,
deren Begleitung von dem rnaa lachen Trie
(Wera Maurina-Preß, Michael und Joeeff Pnf)
feinsinnig ausgeführt wurde. Diese Kflnada^
Vereinigung spielte auch die Solopartieea 4«
selten gehörten Beethovenachen Tripdkeassftm.
Frau Mysz-Gmeiner sang aufierdem noch vier
Lieder mit Klavierbegleitung» — Unter Oikar
Frieds Leitung veranstaltete der Sternaehs
Gesangverein eine Mendelaaohnfeier:
„Lobgesang* ohne die ersten rein inntrnmentdsn
Sätze und die ,» Walpurgisnacht* fielen nnf den An-
teil des musikalisch sicheren Choree; als SeUHn
lauter bedeutende Künstler wie Jehanaw
Messchaert, Felix Senins, Klara Brier,
Else Schünemann, Emmy Mohr. Mm
stärksten wirkte auch diesen Abend die JW^
purgisnacht*, die Fried In der Tat gpns
. -t. ."«u
311
KRITIK: KONZERT
wm
taeraasbracbte, während Willy Burmester mit
dem durchweg überhasteten Violinkonzert
weniger gut abschnitt. — Den letzten Symphonie-
abend der Königlichen Kapelle dirigierte
statt des erkrankten Weingartner Leo Blech.
Das Programm war aus vielen Kleinigkeiten
zusammengestellt. Grieg's »Peer Cynt* -Suite
No. 2 mit drei kurzen, nicht inhaltschweren,
aber wohlklingenden Sätzen, deren letzter in
ein vielgesungenes Lied ausmundet, dann drei
einfache Stficke für kleines Orchester: «Fröh-
liches Wandern*, «Elegie* und Scherzo op. 76
von Hugo Kann, Liszts „Pr^ludes* und
Beethovens Erste Symphonie in C-dur. Das
Lisztsche Werk mit seinem glänzenden Or-
chestersatz nahm sich in dieser Umgebung
besonders stattlich aus. Leo Blech ist, wie ich
meine, besser als Operndirigent an seiner
Stelle: für das Konzert fehlt ihm die feinere
Empfindung, das richtige Verhältnis zu der
reinen Instrumentalmusik. — Von der Paul
Kuczyn Ski- Stiftung wurden zum Andenken an
den zehnjährigen Todestag des feinsinnigen
Musikers eine Reihe seiner Werke aufgeführt,
unter denen sich die «Seligpreisungen* wieder
als besonders gelungen bewährten. Traugott
Ochs dirigierte noch eine symphonische
Dichtung «Die Fahrt zum Licht*, zwei ernste
Lieder für Bariton (Albert Fischer) und ein
OpernbruchstGck aus der unvollendeten „Mar-
grita*. Der Mengeweinsche Oratorien-Ver-
ein hatte die Chorpartie fibernommen. — Der
Lehrergesangverein (Chormeister Felix
Schmidt) trug eine längere Reihe Chorlieder
aus dem Volksliederbuch vor, das auf Anregung
unseres Kaisers jungst herausgegeben worden
ist. Meist sind es ja ältere deutsche Volks-
weisen aus dem späteren Mittelalter und der
nachfolgenden Zeit, die von den verschiedensten
lebenden Tonsetzern mit mehr oder weniger
Geschmack für den Gebrauch der Männer-
gesangvereine bearbeitet worden sind. Mit
Intelligenz hatte Felix Schmidt das Programm
aus Liedern ernsteren und launigen Inhalts
geordnet, so daß die Monotonie vermieden
wurde. Der Verein sang vieles vollendet schön
in der Stimmung, in der Klangwirkung. Deut-
lichere Aussprache bei solcher Cbormasse ist
kaum zu denken, selbst bei flottestem Tempo.
— Lnla Mysz-Gmeiner sang ihrem zahlreich
erschienenen Publikum Liedergruppen von
Schubert, Hugo Wolf, Eduard Behm uad
Brahms vor. Behm begleitete und hatte die
Freude, daß fast jedes einzelne seiner Lieder da
capo begehrt wurde. Es waren in der Tat Schlager,
die von der Sängerin mit ersichtlicher Liebe, in
der dynamischen Schattierung und im Stimmungs-
gehalt aufs feinste ausgearbeitet, dargeboten
wurden. — Im letzten N i k i s c h konzert feierte die
Faustsymphonie Liszts einen glänzenden Triumph.
Nikisch hat das Werk wirklich hinreißend schön
dirigiert; die Philharmoniker, der Männerchor
und Felix Senius als Vertreter des wichtigen
Tenorsolos gaben ihr Bestes unter des Dirigenten
genialer Leitung. Ich hatte diesen Abend
stets das Gefühl des Bedauerns, daß wohl der
Schöpfer des Werkes zu Lebzeiten seine Musik
niemals in so wunderbarer Vollendung, bis ins
kleinste poetisch ausgedeutet, gehört hat. Merk-
würdig, wie gerade Felix Senius den Ton für
das Tenorsolo trifft, um das Werk zu krönen.
Der Lisztschen Tondichtung voraufgegangen
war das Brahms'sche Klavierkonzert d-moll, mit
dessen Solopartie indessen der kurze, spindel-
dürre Ton Galstons nichts anzufangen wußte.
Die feierlichen Klänge der Gluckschen «Alceste*-
Ouvertüre in der Bearbeitung von Weingartner
hatten das Programm eingeleitet.
E. E. Taubert
Die neue Gesellschaft der Musik-
freunde konnte an ihrem ersten Kammermusik-
Abend gar nichts Besseres bieten als das
rühmlichst bekannte Brüsseler Streich-
quartett, das Beethovens F-dur Quartett
op. 59 und das in a-moll vollendet zum Vortrag
brachte. — Solide Leistungen bot das englische,
von Nora Clench, Lucy Stone, Cecilia Gates
und May Mukle gebildete Damenstreich-
quartett. Besondern Dank verdient es für die
Vorführung des geistvollen, sehr eigenartigen
Quartetts von Debussy op. 10; gern hörte man
auch wieder einmal die Serenade für Streichtrio
von Ernst von Dohnanyi. — Das Petersburger
Streichquartett, das sich hier bereits einen
großen Kreis von Verehrern erworben hat,
wußte wieder lebhaft mit Glazounow's op. 64
(A-dur) und dem erstaunlich reifen e-moll Quartett
von Max Schillings, das dieser als Unterprimaner
geschrieben hat, zu interessieren. — Florian
Zajic und Heinrich Grfinfeld brachten unter
Zuziehung von Mitgliedern der Königlichen
Kapelle Tschaikowsky's prächtiges Sextett
«Souvenir de Florence* und Mendelssohns immer
noch wirkungsvolles Oktett zur Aufführung;
wer sich dabei langweilte, wird sicherlich bei
den Liedervorträgen Mary Münchhoffs auf
seine Rechnung gekommen sein. — Bietet die
Soci6t6 de Concerts d'instruments
anciens in der Hauptsache auch nur bessere
Unterhaltungsmusik, wozu ich jedoch das ganz
prächtige Quartett Nr. 2 des alten Hasse keines-
wegs rechnen möchte, so lassen die Meisterschaft,
mit der Henri Casadesus (Viola d'amour),
Alfred Casella (Clavecin), £douard Celli
(Quinton), Marzel Casadesus (Gambe) und
Maurice D e v i 1 1 i e r s (Basse) die alten Instrumente
spielen, und das wundervolle Ensemble jedes
kritische Bedenken verstummen; nicht vergessen
seien auch die geschmackvollen Chansonvor-
träge von Marie Buisson. — Der unermüdliche
Vorkämpfer für Blaskammermusik Gustav
Bumcke brachte Reineckes frisches Oktett
op. 216, das reizende Rondino von Beethoven
und die Oktett-Serenade Nr. 11 von Mozart mit
tüchtigen Kräften zur Aufführung und ließ da-
zwischen Susanne Dessoir einige Lieder
singen. — Das Steinmann-Trio, bestehend
ausdem 13jährigen Kurt(Violine), dem 12jährigen
Helmut (Violoncell) und dem 10jährigen, wohl
am meisten begabten, Wolfram (Klavier) bot
recht Befriedigendes mit dem E-dur Trio von
Mozart und Ed. Schutts Trio- Walzer-Märchen. Die
Solovorträge des Geigers und des Cellisten über-
schritten aber noch die Kräfte der talentvollen
Kinder, die hoffentlich nicht von Konzert zn
Konzert geschleppt werden. — Henri M arte au
und Ernst von Dohnanyi, iwei ebenbürtige
Künstler, absolvierten in vortrefflicher Welse
den ersten der drei Abende, an denen sie
Beethovens sämtliche Sonaten für Violine and
312
DIE MUSIK VII. 5.
Klavier zum Vortrag bringen wollen. — Der
reichbegabte junge Geiger J. Mitnitzlcy spielte
mit Begleitung des Mozart-Orcbeaters Lalo'a
apaniacbe Symphonie, Mozarts Es-dur- und
Tachaikowsky's Konzert. Die Bevorzugung der
weichlichen Kantilene erklärt sich durch seine
Jagend und seine Nation. Wird sich zu seinen Vor-
zögen nun noch innere Vertiefung gesellen, so
dürfen wir höchste Leistungen von ihm er-
warten. — Ganz hervorragend spielt der 18 jährige
Geiger Efrem Zim baiist, ein Schuler Auers;
merkwürdig langsam nahm er aber das Zeitmass
des ersten Satzes des Brahmskonzerts. Er konzer-
tierte mit dem Philharmonischen Orchester,
ebenso wie Franz von Vecsey, der, soweit ich
es nach der als Zugabe gespielten Berceuse
von Juon und Vieuxtemps' d-moll Konzert
beurteilen kann, gehalten bat, was er als Knabe
versprach, d. b. unseren besten Geigern beizu-
zählen ist. — Solides bot der junae Geiger Fritz
Hirt, der mit dem begabten Pianisten Emil
Frey und dem hoffnungsvollen Baritonisten
Rudolf Jung in der Hauptsache Werke Baseler
Komponisten zu Gehör brachte. — Mit seiner
langjährigen Partnerin Berthe Marx-Gold-
schmidt konzertierte wieder einmal Pablo de
Sarasate; außer Solosachen eigener Kompo-
sition spielte er die von ihm bevorzugte Suite
op. 44 von Ed. Schfitt. Sein Bestes gab er in
Zugaben. — Martin Leeser vermag darGber
nicht hinwegzutäuschen, daß ihm die Stimme
nicht mehr gehorchen will. Er wurde von Kle-
mens Schmalstich am Klavier trefflich unter-
stützt, während die Geigerin Irene v. Brenn er-
borg besonders in einer Mozartseben Sonate
manches schuldig blieb. — Eine rassige Pianistin
und vortreffliche Chopinspielerin ist die Eng-
länderin Ethel Leginska. Wilh. Altmann
Nicht zu leugnen ist's: Leopold Godowsky
arbeitet stark an sich. Er schreitet vorwärts,
auch in geistiger Beziehung. Seine Musik ist
durchaus einwandfrei und anständig. Die Ton-
gebung bescheiden und ruhig, nobel und im
piano von großer Zartheit. Schumanns No-
velletten op. 21, No. 8 und 2 zeigten sogar eine
gewisse Kraftentwicklung, so etwas wie Tempe-
rament. Jedoch: wir vermögen zu dieser Art
«Kunst* nach wie vor keine engere Fühlung zu
gewinnen. Sie ist zu sehr das Produkt reinen
Fleißes. Was erarbeitet werden kann, wird Go-
dowsky erarbeiten. Was angeboren sein, was per-
sönlich und menschlich empfunden und erlebt
sein muß, wird er schwerlich gewinnen Dazu
„übt*; er viel zu viel. Kunst ist aber keine
„Obung*, sondern im letzten und höchsten Sinne:
Emanation . einer von der Technik befreiten
Phantasie,^ — ^eine Schöpfung oder Improvisation.
Was konstruktiv erreichbar, was diesseits der
Technik liegt, wird sein Obungsgenie vollenden,
— was dagegen jenseits menschlicher Be-
rechnung liegt, wird ihm, furcht' ich. dauernd
versagt bleiben. „Die Kunst liegt im Auge des
Betrachtenden." Wer op. 109 von Beethoven
und Chopin's b-moll Sonate s o betrachtet, sieht
und hört eben zu wenig. Instrumenteil war vieles
schön. Aber auch Photographen machen gute
„Bilder*, und dennoch werden es keine „Gemälde*.
Das Spaßigste an deriSache bleibt, daß es Leute
gibt,' die sich krampfhaft bemühen, uns diese
Dreifarbendrucke als j echte Gemälde aufzu-
schwatzen und ihr Machwerk mit Hilfe tob
Presse, Reklame und Agoitentum UnttUch In
die Höhe zu schrauben. Als ob aus Herrn
Galston je ein Liszt, aus Herrn Godowaky je ein
d' Albert werden könnte! R. M. Brelthanpt
In Otto Weinrelch, der mit dem CelHalBn
JuliusKlengel einen NIcod^Abend TennstaheiB^
lernte man einen ganz ausgezeichnetmi Pisnlusn
kennen, vor allem einen anrecenden Kammer-
musikspieler. Das Programm enthielt aoBer
der sehr dankbaren Cellosonate op. 23 in h-moU
(besonders der zweite Satz fibt surlce Wliknig
aus) noch eine zweite Cellosonate 0|k 25 In
G-dur und Variationen für Klavier op. 18 In
Des-dur. Die technischen Schwierigkeiten in
letzten Satz des ersten Werkes worden sdlcas
des Cellisten leider nicht einwandfrei bewiltigt;
die Kantilenen hätten durch wlrmere Tongeboag
sicherlich gewonnen. — Einen sehr erfrenlichea
Kontrast dazu bildete das Debfit der noch s^
jungen Cellistin Sara Gnrowitsch, die sehen
jetzt zu den vollendetsten Vertretern ihres ia-
struments gezählt werden mully obgleich IhiBB
Ton vorläufig noch die PQlle abgeht Doch
scheint daran das sehr kleine Format ibrss
Cellos schuld zn sein. Der Ton ist wohlgep8c0
und feinster Nuancierungen Abig. Sie ist gaas
entschieden eine fertige Kfinstlerin. Klelas
Unebenheiten in der Auffassung und Phrasienng,
die sie fibrigens mit vielen ihrer berühmteüen
Kollegen geraein bat, dfirfke sich bei ihnm
fraglos bedeutenden Mosiksinn noch feilieisa.
Der Vortrag iat im allgemeinen sehr TonMiadHIg
und geschmackvoll, die Technik alMolnt hhls^
frei, das Staccato im An^ und Abstridi, die
Triller usw. sind geradezu mnstergfiltig. Eiaeglta-
zende Zukunft ist diesem Talente eicher. Gesfg
Schumann dirigierte die Begleitungen an Kea>
Positionen von d'Aibert, Tschalkowsky, Brach
und Saint-Saöns hervorragend mhig; er hüie
jedoch das Orchester In seiner Kraftentfehnag
etwas mäßigen können. — Die nngenehae
Pflicht, aus vollem Herzen loben an diifea,
möchte ich auch auf das Konsert des Dort*
munder Philharmonischen Orchesters
ausdehnen. Das aus sehr tfiehtlgen Krlftsa
bestehende Orchester hat In seinem Dirigpnim
G. HQttner einen erstlüassigen Klknetier, der
durch sein stark ausgeprigtes subjektives Ea-
pflnden die vierte Symphonie in e-mell vea
Brahma im herrlichsten Lichte eretrahlen IIA
Er lieferte den Beweis, daß die oft bemiegal»
Brahmssche Instrumentation dem
durchaus angepaßt ist. Eine bravonrdse
leistung war die Wiedergabe von Richard
unübertrefflicher Orchesterhumoreske «Hü
Eulenspiegel*. Nicht nnerwlhnt aoli bMmb
daß das Orchester einen vorsfigUchen Paahsn
virtuosen besitzt, der Im «Buienepiegei' fett
alle Schlaginstrumente allein bewUtig^ A■l•^
ordentlich schön wurde die JMelodio des iwelHa
Brahmsschen Satzes vorgetragen* 81ndla|j^
wenig originelles A-dnr Violinkoniert ifWli
Henri Marteau mit seiner achon
rühmten vollendeten KfinsilerechnfL ^
Loening brachte mit ziemlich dflaner,
geschulter Sopranstimme Volkslieder
Gesänge ansprechend zum Vortrag. — Ansh
Gertraut Langbein ließ man^e Voffilgs s^
kennen, in erster Linie den, daft nie ohne d«
313
KRITIK: KONZERT
seriosite Tremolo singt. Diese Tugend allein
wfirde sie über das Gros der Sängerinnen er-
heben, wenn die Auffassung ungezwungener
wire. Es klingt alles zu einstudiert. Das
Portamento müßte mehr gepflegt werden. Sie
hat einen bellen, angenebmen Sopran. — Einen
seltenen Genuß durcb ausgezeichnete Ausfübrung
gewährte die von Oscar Schubert und Eduard
Behm gespielte Sonate für Klarinette und
Klavier op. 120 No. 1 in f-moU von Brahms.
Das Werk ist knapp in der Form, gehört nicht
zu den inspirierten und erinnert eigentlich nur
im Adagio an die Größe des Meisters. Ob es
Brahms mit dieser Sonate gelungen ist, der
Klarinette einen der Violine oder dem Cello
ebenbürtigen Rang zu versebaffen, ist mehr als
zweifelhaft. Selbst in so vorzüglicher Ausfübrung
haben die hohen Töne einen peinlich scharfen
Klang, der im Orchester oder in Kammermusik-
werken mit mehreren anderen Instrumenten sich
nicht so unangenehm bemerkbar macht. — Der
Kotzoltsche Gesangverein unter Leitung
von Leo Zellner bewies seine techniscbe
Leistungsfäbigkeit in dem sehr scbwierigen,
aber uninteressanten und nicht klangschönen
„Hochzeitslied* von Gustav Schreck, dessen
Wirkung durch häufiges Detonieren der Soprane
noch abgeschwächt wurde. Dem Chor ist deut-
liche Aussprache und Präzision nachzusagen.
Gute Mitwirkende hatte der Verein in der
Sopranistin Susanne Dessoir und dem Pia-
nisten Wladimir Cernikoff. — Lucio Harden-
C ervin i ist eine tüchtige Klavierspielerin mit
sympathiscbem Anschlag, aber etwas schwer-
fälliger Technik. Der Heldentenor Max Gieß-
wein verfugt zwar über eine kräftige und klang-
volle Stimme, eignet sich aber infolge seiner
rein theatralischen Vortragsart ganz und gar
nicht fürs Konzert. Arthur Laser
Mit der Anwendung alterierter Harmonik
allein ist es noch nicht getan, das bewies Nico-
laus Medtner in seinem Kompositionsabend.
Schreibt er auch nicht die heute «moderne*
Dnrcbscbnitts-Allerwelts-Harmonik, die schließ-
lich bereits Gemeingut geworden ist, sondern
fällt ihm hier und da manches Aparte ein, so
versagt er doch zumeist nach der rein musi-
kalischen Seite hin. Seine Gedanken sind an
sich nicht kräftig, seine Pbantasie gebt häufig
in die Irre (Drei . . . „Dithyramben* I), und er
findet am ehesten etwa in ganz schlicbter Aus-
dmcksmusik (»Zwei Märchen*) den rechten Ton.
Im übrigen, besonders in seinen Goetheliedern,
bleibt es bei geschraubtem, innerlicb unfrucbt-
barem Musizieren. — Die Sängerin Hedwig
Marck täte besser, nicht öffentlich zu singen.
Denn sie bildet nur auf sehr gequälte Art Töne,
aber Ausdruck, Empfindung und Aussprache
gleichen bei ihr einer tabula rasa. — Dagegen ver-
spricbt Ilona K. Durigo, wohl eine Ungarin,
eine Größe zu werden. Ibre Stimme, einen
prachtvollen, vorwiegend lyrischen Mezzosopran,
behandelt sie ausgezeichnet, und weiß bereits
jetzt im Ausdruck und Vortrag beträchtliche
Tiefen aufzuspüren. Das E und die S-laute gibt
sie mit etwas fremdem Akzent, aber Ihr Ita-
lienisch ist tadellos. Ich glaube, diese Sängerin
hat eine Zukunft. Dr. Jenö Kerntier spielte
in ihrem Konzert viel zu feinfüblig, fast „neu-
rasthenisch* anmutend, obwohl er keines-
wegs danach aussieht, Brahms und Beethoven.
Letzteren (Es-dur Sonate) rhythmisch zu locker.
Technisch wurde er ihnen eher gerecht.
Alfred Scbattmann
Von den Klavierspielern, die ich jüngst hörte,
steht Anton Foerster als Techniker weitaus an
erster Stelle. Er ist ein Virtuos ersten Ranges und
fiberragt durch Präzision und die Geläufigkeit,
mit der er den technischen Apparat handhabt,
bekanntere und berühmte Spieler. Aber nur
die Blitzesschnelle und Zielsicherheit, mit der
die mechanischen Antriebe erfolgen, sind be-
wunderungswert, die Psyche gibt nichts dazu,
nur der Verstand beteiligt sich noch, erzielt
aber ohne den inneren Drang warmen Em-
pfindens nur nüchtern kalte und gewollte Wir-
kungen. Raffinierte Details interessieren wohl
und ärgern je nachdem, aber um diesen Er-
folg höre ich nicht gern Musik. — Weit ärger
noch steht es in dieser Hinsicht mit Desider
Szäntö. An Technik mangelt es kaum — aber
die Art, wie er Beethoven und Schubert be-
handelt, kann nur lieblos genannt werden. Sein
Hauptmanko ist rhythmische Zügellosigkeit. —
Auf einer soliden Grundlage steht Gisela
Springer. Sie spielte Mozart und Volkmann
und bekundete allein schon durch diese Wahl
einen feinen Sinn. Die Darstellung dieser
Musik gelang ihr recht angemessen, etwas
trocken zwar und unplastisch, aber doch ge-
sund und natürlich. Größere Akkordmassen
bleiben aus technischen Gründen vorweg noch
ziemlich ungeformt. — Marie Bergweins
sympathische Spielkunst ruht auf einem soliden
technischen Können und zarter, graziöser Auf-
fassungsgabe. Diese kam ihr bei einigen Par-
tieen der Schumannschen fis-moll Sonate gut
zustatten. Das Stürmische des Werkes blieb
freilich unausgesprochen. Beethoven klang
etwas müde. Und für die Bebandlung der
weiblichen Motivendungen schien der Künstlerin
das rechte Verständnis zu fehlen. — Im
Blüthnersaale sang Leo GoUanin. Bedenkt
man, daß sein Baritontenor nicht sebr ergiebig
und wohllautend ist, in der Höhe öfter versagt,
und daß die Schulung dieses Organs manche
ernstlicben Mängel aufweist, so muß man den
Grund für den lebhaften Beifall, den der
Sänger fand, in seinem Vortragstalente suchen,
das der Künstler auf Wüllnerschen Pfaden
recht ansprechend vorzuführen versteht.
Hermann Wetzel
Franz Navals Liederabend war eine Er-
frischung. Seine Behandlung der Mittellage,
zumal des Vokales a, ist wundervoll und seine
Wiedergabe der »Porelle* z. B .ein künstlerisches,
ungetrübtes Erlebnis. — Auch Irene Abend roth
verfügt über eine höchst achtbare Technik, die
sie im großen und ganzen sehr geschmackvoll
zu verwenden versteht. Nur nicht zu viel Piano! —
Mit ihrem Material, ihrem Ernst und ihrer Vor-
tragsbegabung müßte Hetta von Schmidt sehr
Schönes leisten, wenn ibr die Kopftonführung
nicbr zu sehr fehlte. Bei der mitwirkenden
Pianistin Elisabeth Lange vereitelt vorläufig
Mangel an Auffassung oder Befangenheit noch
jeden Erfolg der Arbeit. — Paula Wein bau ms
Technik befähigt sie vielleicht zum Sprachgesang,
aber nie zum Kunstgesang und also nie zu
einem Brahmsabend. — Auch Antonia Dolores*
314
DIE MUSIK Vll. 5.
Leistung Ist nicht viel bfiber id twwerteo, denn
wea >te an Tecbnlk vorausbatte, das fehlte Ibr
reichlich an Poeale. — Tenn Elena Gerhardt
alcb der Mühe unteriSge, ginzlich umzuarbeiten,
kfinnte sie eine erste Stellung leicht einnehmen.
So geht sie einem schnellen Verfall entgegen. —
Julia Culp ist eine große Vortragskünstlerln,
Ton der eine suggestive Kraft susgebt, die alle
technischen Bedenken lunichte maehi. — Suaanne
Deasoir dagegen geUag es trotz schönen Vor-
trags nicht, überzeugend zu wirken, mochte ea
nun an dem sehr elnfSrmigen Programm oder
an den schlechten, nie mildernden Resonanz-
verbllinissen des Moiansaales liegen, denen die
arg verbildete Stimme der Siugerln in keiner
Telse gewachsen war. Richard Hihn
Hjalmar Frey, Kaiserlicher Hofoperndnger
aus St. Petersburg, ein Ba&bsritoa mit pricbiiger
Tiefe, sang russische und deutsche Lieder. Zum
deutschen Llederslager eignet er sich keines-
wegs, da ihm eine Feinere Auffassung fehlt; auch
detoniert er, wenn er nicht direkt von der Be-
gleitung — HerrTeldcnbrfick begleitete vor-
Ireffllch — untersifilzt wird, oder wenn er mit
halber Stimme singt, was leider ott der Fall ist.
Von den vier zum ersten Male gesungenen Liedern
(SlbelluB und H. Hermanu) ragt kelnos über das
MltlelmzD hinaus. — Anna Laidlaw aus Paris
gab einen Klavierabend. Sie bringt so gut wie
nichts mit, wss sie berechtigte, hier aufzutreten.
Die cis-moll Sonate von Beethoven, die sie außer
vielen Effektstückenund-stückctaen.auch'spielte,
war ihre größte Sünde. — Albert Hufeid Ist
ein Pianist von guten Qualitiien. Die Prizlslon
seines Spiels (bei Bach und Hlßler), sein guter
Vorirsg (der Variationen F-dur von Beethoven
und der d-moll Ballsde von Brahms), die Selb-
Btlndigkeit der Hinde(in derschSnen, wirksamen
Ballade op. 3 von C. Ansorge) und in allem seine
gediegene Technik erweckten die volle Sympathie
der Hörer. Nur die .Appassionata", die für einen
guten Pianisten jedesmal ein Fest bedeuten sollte,
fißie er mühelos nüchtern an und verdarb so
für eine Veile die gute Meinung. — Lissi Kurz
sang mit sympstfaiscber Stimme (Mezzoscpran)
und sauberer Intonation mehrere Lieder von
Llsit und einige neue von C. Schmalsiicb. Ibr
Vottrag ist noch unfrei, doch würde sie eine
viel anhaltendere Wirkung erzielen, wenn sie die
SchluQtskie der Lieder besser zur Geltung
bticbte. Die Lieder von Schmalaiich sind zwar
zumeist auf den ElTekt berechnet, aber sauber
gearbeitet. Eleganz und ein guter Klaviersatz
sind auch seinen Variationen für zwei Klaviere
nachzurühmen. G. Enders. sekundierte" diskret
brav. Arno Nadel
Im populiren Mittwochs-Konzert (6. No-
vember) des Philharmonischen Orchesters
erlebte daa kürzlich von dem hochverdienten
Vorsteher der Musikabteiluog der KSniglichen
Bibliothek, Professor Dr. Albert Kopfermann,
herausgegebene siebente Violinkonzert von
Mozart seine erste Berliner Aufführung. Ober
die Interessante Geschichte der Viederauf-
fiodung der 130 Jahre alten .Neuheit" wie über
die nunmehr beglaubigte Urheberschaft Mozarts
hat Ernst Lewicki in seiner ausführlichen An-
zeige der Wichligen Kopfermannschen Ersi-
herausgsbe im vorigen Heft der .Mnsik*
S. 2330.) alles Tisaenswerte mitgeteilt. Daa
neue D-dur Konzert stollt sich la d«r Tat eben-
bfittlg Beinen fünf GescbwlBtera tnr Seits, |a, n
übertrifft sie sogar hinsichtlich der reicherei
Gliederung und dea breiteren ihcmatlscha
Aufbaues. Mag auch der erste Sitz, ein fc»
lieh- prunkendes Allegro maestoso, Im elniclnci
manches Zugestindnla an den ZeltcescbBMk,
manches Konventionelle anftrelsen, der est
zückende Uebrels des Andante, der Ucbeu-
würdige Humor des In Graaie nnd FrShllckMl
getauchten Rondo-Finale mDsaen annerM El-
achtens Im Hfirer Jeden etwa noch Torbiadea«
Zweifel an der Echtheit dee Vetkee tilgen: «n
unser Ohr da schmetcbeind nmwlrbt, lit on-
vernischter Mouri, Ist Geist von eelf
Geiste. Die Ausffibrong den Soloperts dmch
Anton Titek ließ leider davon olclit «lisavM
verspüren. Mll Ausnahme der Kadenzea t^dls
er das Ganze mit bei einer solchen JJtall-
fübruog* durchana nicht uifebnclrter, b^
merkenswerter Gleichgültigkeit, dniMl tedttdad
nicht einmal einwandfrei. Tonn ee, wie wir
zur Entschuldigung annehmen vollen, en Zdt
fehlte, das Verk grflndllcta Toranberclien, M
hltte man die Erslagrfflhmiig lieber tatoa»-
schieben sollen. Tilly Bent
BRÜSSEL: Zwei engllscke Streich qonrtetie: die
Quatuor Grimson nnd du Nora Clencb-
Qu anett eröffneten die TIntersniMa. Beide
michten durch gutes Zutamesenapiel, icInt
Intonation und sorgRUtlge Nuandemng daH
vortreffllcben Eindruck. — Das KSttigllcfe«
Konservatorium beging am 10. Vttwtmibuti»
Feier seines 75]ihrlgen Bettebene T — "
ein Konzert, In dem nur belgiacbe 8
zu Torte kamen. Der MInliier der I
Künste, Baron Deacamps, hielt eine acli<
Rede, in der er der großen Kfinsiler |
die sich um das EmporblQhen der Anei
dienste erworben. Insbesondere feierte er im
jetzigen, 7811brlgen Direktor GcTnert, dCTMÜ
1871, als Nacbfnlger von Fitla, Seinen GskI
und seine Energie In den Dienst des Km■c^
vatorlums gestellt und es zu einer Mattsm-
siili erhoben hat. Felix Telcker
DRESDEN: Die KAnigliche Kapelle aadt
es sich diea Jabr In Ihren Syinphisii
konzerten der Serie A etwas an leleht^ 4an
sie brachte im zweiten als Nenbeitdle recht
belanglose Ouvenüre an Hana Pfltsnats
Mlrchenspiel .Christeltlein' beraas, die ■■
überdies berclia rom Tonfcflnetlerrerela h«
kannte. Haydns Symphonie .La Midi" ol
Schumanns Es-dur Symphonie sind (ewiB hSAM
genußreiche Darbietungen, aber etwas aBkr
Vagemut und Neuheliatust mofl 6mA Mr dk
Zukunft dringend gefordert Verden, bbbH knfel
die Hoftheaterkonzerte, deren aa |a afcaMa
nur 12 gibt (Im Gcgenaatie n das 3B G^
wandbauskonzerten Leipilgat Geiikr, ^ ftiHt
lerlscher Bedeutung einaabttflea.— Dar Maaarfr
Verein fübne in adnem eraAn.:lbMaMfSH
Henri Petrl als Sollaten das neu beraosgegsbcae
Moiartsche Violinkonzert D-dur vor, dss (iMa
sehr starken Eindruck binteriicß. Die Slageria
Elisabeth Ohlhoff <•■•» -"'t ihren Lledcrva^
trigen einen sehr si tfolg, wibrced Üir
eine Arie ana aldoi«' reniger gnt gelasi.
Haydna aelten gehS Sympboale, die üb
Todeaiahrs Motariai M irnfwa^mmiauk
ltV«^
315
KRITIK: KONZERT
unter desseo Einfluß steht, bereitete in der
vorzfiglichen Wiedergabe unter Herrn v. Haken
den Hörern einen besonderen Genuß. — Das
Konzert von Sarasate und Berthe Marx-
Goldschmidt brachte als bemerkenswerteste
Neuheit das KonzertstQck «Afrika* für Klavier
und Orchester von Saint-SaSns. Das ist ein
seltsames Werk, wie es wohl nur ein französischer
Musiker schreiben kann, ohne musikalische
Tiefe, mit raffinierten harmonischen und
orchestralen Effekten iußerlicbster Art, und
manchmal fast banal in der Erfindung. Aber
dabei ruht darin doch ein eigner Reiz, eine
bunte, lärmende, glühendheiße Farbenpracht.
Sarasate erzielte mit der «Rhapsodie asturienne*
von Rieh. Villa und zwei eignen neuen Kom-
positionen (Nocturne -Serenade und Jota de
Pablo) den gewohnten stürmischen Erfolg,
wihrend das Mozartsche Violinkonzert A-dur
seiner Eigenart doch viel zu fern liegt, als daß
er es befriedigend hätte wiedergeben können. —
In einem Konzert des Königlichen Konser-
vatoriums wirkten Hedwig Meyer (Köln)
und Frl. Perak (Koloratursopran) unter lauter
Anerkennung mit; das Anstaltsorchester unter
Kurt Striegler verdiente für seine Wieder-
gabe von Liszts „Hunnenschlacht* aufrichtiges
Lob. — In einem eignen Konzert bewährte sich
die Geigerin Carlotta Stubenrauch als
temperamentvolle, technisch hervorragende
Vertreterin ihres Instruments; sehr genußreich
war ein Nicod6- Abend der Herren Julius
Klengel und Otto Weinreich, die zusammen
zwei Cellosonaten des Dresdner Meisters vor-
trefflich zu Gehör brachten. Herr Weinreich
erzielte mit der glänzenden Interpretation der
Variationen über ein Originalthema (op. 18)
noch einen Sondererfolg. — Die Pe tri' sehe
Kammermusik-Vereinigung leitete ihren zweiten
Abend mit Felix Draesekes bedeutendem Streich-
quartett cis-moll ein und brachte sodann als
Neuheit ein Streichquartett F-dur (op. 14) von
Julius Weis mann heraus, ein klangschönes,
gut gearbeitetes Werk, das anfangs Mendelssohn-
sche Glätte in Melodik und Schreibweise zeigt,
bald aber in slawisch-nationale Eigenart verfällt
und diese bis zum Schlüsse immer stärker her-
vortreten, läßt. Befreiend schön wirkte nach
alledem Brahms' herrliches Streichquartett B-dur
op. 67, dessen Andante als eine der Perlen
nachklassischer Kammermusik zu bezeichnen
ist. — Ein Klavierabend von Emil Sauer und
ein Liederabend von Marie Alberti verdienen
noch ernsthafte Erwähnung. Dagegen kann man
das Konzert, in dem sich Max Vogrich als
höchst mittelmäßiger Tonsetzer und als völlig
unfähiger Klavierspieler zeigte, höchstens als
eine Kuriosität des Musiklebens bezeichnen.
F. A. Geißler
FRANKFURT a. M.: Eine gediegene Auf-
^ fuhrung des Verdi'schen „Requiem*
durch den Rühlschen Gesangverein, als
Volkskonzert mit teilweise anderen Solisten
wiederholt, darf in unserer heutigen Rundschau an
erster Stelle genannt werden. Der Vereinsdirigent
Siegfried Ochs ward diesmal durch unseren
Opernkapellmeister Dr. Rotten berg vertreten,
und da das Werk opernhafter Zuge nicht ent-
behrt und — cum grano salls — auch opern-
hafte Behandlung verträgt, so war der Behelf
ganz angebracht. Unter den Solisten der ersten
Wiedergabe zeichnete sich neben FrauMetzger-
Froitzheim auch der Bassist W. Soomer
aus. — Von den jüngsten Unternehmungen des
Museums beanspruchte die Einführung von Max
Regers op. 100, Orchestervariationen Qber
ein Thema des alten Singspielkomponisten Job.
Ad. Hill er, vorwiegendes Interesse, nicht eben
weil es allenthalben so erbaulich und anmutend
geraten wäre, wohl aber weil es sich bestrebt,
das alte Genre aus seiner etwas spielerischen, ge-
nügsamen Art auf ein höheres Niveau zu heben.
Doch dieses Streben finden wir auch schon bei
Brahma, und schließlich zeigen uns schon
unsere Klassiker, wie hold und geistreich sich's
musikalisch „mit dem Spiele spielen* läßt.
Regers freie Bebandlungsweise erweist wieder
ein eminentes Können, vor allem in der Schluß-
fuge, strahlt aber dabei wenig Licht und Wärme
aus und umschreibt so das bisherige künst-
lerische Charakterbild des Mannes, dessen Mu-
sik imponiert und dabei doch nicht so recht
bezwingen und beglücken will, mit umständlichen
aber nicht gerade neuen Zügen. Zum Andenken
an Joseph Joachim spielte man an diesem Abend
seine Gozzi-Lustspielouvertüre, ein Kabinett-
stückchen von graziöser Munterkeit, das sehr
ansprach. Henri Marteau spielte Beethovens
Violinkonzert mit vollendeter Eleganz und Fein-
heit, die freilich nicht in alle Tiefen hinabreichte.
— Kammermusik- Veranstaltungen haben wir jetzt
in Fülle. Zu den einheimischen, unter denen eine
neue Triovereinigung (FrL L.Mayerhofer, und
die Herren A. Böhm und E. Peters) auftrat,
kamen zwei auswärtige, von denen das schon
früher gehörte Fl onzaley- Quartett wieder gut
bestand, während von Nora Clencb und ihren
drei Londoner Genossinnen nur die erstere
höheren Ansprüchen genügte. — Eine andere
musizierende Engländerin, Amy Castles von
Melbourne, ließ sich im zweiten Opernhaus-
konzert als kehlfertige Koloratursängerin hören.
Noch wertvollere Gaben bot das Orchester unter
HugoReichenberger mit dem zweiten Teil von
Berlioz' ,,Romeo und Julia*. — Als Neuheit von
vielleicht symptomatischer Bedeutung verzeichne
ich noch einen von dem jetzt hier wirkenden
Klavierspieler und -pädagogen Willy Reh berg
veranstalteten Abend, dessen Programm aus drei
großen Konzerten mit Orchesterbegleitung
(Brahms' d-moll, Mozarts D-dur, Liszts Es-dur)
bestand. Übrigens ein Unternehmen, dem es
weder an Zuspruch noch an Beifall gefehlt hat,
obschon die Assistenz der Palmengartenkapelle
nicht über jeden Zweifel erhaben war.
Hans Pfeilschmidt
GENF: Das erste Abonnements -Konzert des
Städiscben Theaterorchesters fand
unter Leitung von Ed. Risler statt. Beethovens
A-dur Symphonie No. 7 wurde in sehr
gediegener Ausführung geboten. Als Solist
erschien der Pariser Pianist Diemer und
stand mit seinen Vorträgen (u. s. Saint -Saöns'
Konzert in c-moll) ganz auf der Höhe. Den
Schluß des Konzertes bildete Wagners Vorspiel
zu den »Meistersingern* in temperamentvoller,
farbensprühender Wiedergabe. — Die jüngste
Genfer Quartettvereinigung der Herren Eugdne
Reymond, Maurice Darier, W. Pahnke
und Ad. Reh berg brachte an ihrem ersten
316
DIE MUSIK VII. 5.
Kammermusik- Abend ein Quartett von Haydo,
eine Sonate für Violine und Piano von Paul
Jaon, sowie ein Klavierquintett von Giuseppe
Martucci zum Vortrag. In Max Behrens, der
als Begleiter brillant fungierte, haben die
Herren einen ebenbfirtigen Partner gefunden. —
Das treffliche Lausanner Smpbonie-Or-
chester unter Leitung von Alex. Z. Birnbaum
hat bis jetzt schon vier große Konzerte gegeben.
Im ersten trat Ignaz Paderewski auf und
wurde von der zahlreichen, beifallsfreudigen
Zuhörerschaft nach dem Vortrag des Beethoven-
schen Es-dur Konzerts mit Enthusiasmus
applaudiert. Auch als Komponist erntete
Paderewski mit Bruchstucken aus seiner
Oper «Manru* vielen Beifall. Das zweite
Konzert verlief sehr gut. Im dritten Konzert
hörten wir Carl Fl e seh, der in dem Brahms-
schen Violinkonzert eine verbluffende Technik
entwickelte. — Anläßlich der Reformationsfeier
gab Domorganist Otto Barblan in der Cathedral-
kirche ein geistliches Konzert. Als Solist
fungierte der Pariser Baritonist Cruz-Froeh-
licb. Das reichhaltige Programm brachte Werke
von Bach, Handel, C6sar Franck, Beethoven,
sowie eine Chaconne über den Namen Bach
für Orgel von Barblan. Lobende Erwähnung
verdienen auch die interessanten zehn Orgel-
konzerte von Otto Wend, dem Organisten an
der Magdalenakirche, die sich einer großen
Beliebtheit erfreuen. Prof. H. Kling
l^ÖLN: Charakteristisch für die sogenannte
'^ Musikmetropole am Rhein, deren Konzert-
freunde sich allmihlich auf eine immer kleinere
Zahl zusammenziehen, und vor deren Besuch
man ehrlicherweise alle auf eigenes Risiko
reisenden Kiinstler warnen muß, war auch wieder
der pekuniäre Ausfall des vom Flonzaley-
Quartettim Hotel Disch veranstalteten Kammer-
musik-Abends. Um diese Streicher zu hören, die
doch eine erstklassige Vereinigung bilden, haben
in Köln drei Leute Je ein Billet gekauft! Im
übrigen boten die Herren vor in letzter Stunde
zusammengetrommelten Freischaren in Werken
von Mozart, Chausson, Reger und DvoHk aus-
gezeichnete Proben ihrer Kunst. — Hans
Pfitzner, von dem hier noch nichts gehört
wurde, war gekommen, um 20 seiner Lieder
von Rudolf Mo est singen zu lassen und diesen
am Flügel zu begleiten. Kein einziges Billet
wurde gekauft, und die Kunstler konnten mit
ihrer Spesenrechnung und einer wertvollen Er-
fahrung unverrichteter Dinge von dannen ziehen.
— In der Musikalischen Gesellschaft
erzielte der Elberfelder Cellist Henri Son mit
dem Konzert von Haydn und kleinen Stucken
einen mehr in Eigenschaften weitreichender
Technik als in sonstigen Qualitäten begründeten
lebhaften Erfolg. Weit weniger vorteilhaft schnitt
die Altistin Clara Lion aus Frankfurt ab, deren
gesangliches Können nicht recht auf der Höhe
der Situation stand. An gleicher Stelle wurden
Marianne Geyers Lieder zur Laute und zum
Klavier (Das Volkslied bei den Nationen) als
sehr reizvolle und anregende, mit Gemüt
und Laune gespendete Vorträge mit warmem
Beifall aufgenommen. — Das Gürzenich-
Quartett brachte bei seinem zweiten Abend das
Schubertsche a-moll Quartett, das Beethovensche
Es-dur Quartett und im Verein mit Lazzaro
Uzielii als autgezdelineleiii Pkmittn das
Klavierquartett Es-dur von Iwaa Kaorr, tlae
mehr durch Form und Aatgesttltmig ab Ui-
sichtlich der Erfindung berromfuido AiW^
zu Gehör und erzielte namentiicli nait den hMm
ersten Werken prachtvolle Wirkangen. — Du
dritte Gfirzenich Koniert nntam Beng anf
das funfzigilbrige Bestehen der Kemarts
im GQrzenichy in dessen nenerbentem grsiei
Saale am 17. November 1857 die eme Anl^
fuhrung der Gesellschaft stattfand. Wie dsasla,
so bildete auch Jetzt Beethovens Pfinfte Symphonie
das erhabene Hauptwerk. Fritz Steinbsch«
der zu Anfang die Ouvertüre ^or Weihs
des Hauses* eindrucksvollst dsrfeeteUt haus»
dirigierte die Symphonie atiewendig nnd echef
mit dem so recht pietitvoll spielenden Ofchansr
eine wunderschöne Ansfuhning des hsrflichsn
Werks. Seiner Amtsvor^nger fedacbie Stein-
bach, indem er Ferdinand Hillere Ss-omII
Konzert für Klavier und Orchetser — mit Pania
Stebel als sehr feinfQblig und Tomebm-YiitNS
spielender Solistin am Ibncb-Plfifel — und
Franz Wfillners Tedeum sufffthrte und bsidsn
Tonsetzern hingehendste kflnstlerische Sei||Bdt
angedeihen ließ. Paul Hiller
LEIPZIG: Das mit Nicolais Ooveniira 8her
»Ein feste Burg* eingeleitete vierte Gewssd-
h a u s k o n z e rt brachte zwischen Schoberls pfieh-
tig interpretierter h-moll und Mendelnehas
glei chgQl tig abgespielter s-moll Symphonie ein vsa
Jacques Thibsud wohltieineisterte% mdhr dnvA
pikante Details sls durch wirklidio Gestsiinfi-
größe interessierendes G-dnr ViolinkmuMrtep.tt
von Emanuel Moor, wibrend des gpns mal den
Namen Bachs eingestellte ffinfle Gewandhaas-
konzert, abgesehen von der wenigstens Uae^
kernigen Einleitung mit dem AnlhngaAer sas
der Reformationskantate» von dem achönea Er
klingen des «Air* aus der sonst an grobectaHg
ausgeführten D-dur Orchestersuite und ven dea
schönen, echt Bschischen Vortrage dee sMi-
klavierigeo c-moll Konzertea dnreb Max Reger
und Philipp Wolfrum« an den aliordinis sach
durch Indisposition einzelner Soliatea — es
wirkten mit Mets Geyer, Maria Philippi»
Ludwig Hess und Arthur vao^ Eweyk ^ he*
hinderten Reproduktionen der
und der teilweise atisurden Gelegenliali
«Der zufriedengestellte Aeolns* keinerlei
liebes Vertrautsein mit dem Geiste Badis wahi^
nehmen ließ. — Im zweitenPhilharmonischsn
Konzert, in dem solistisch Erilca Wedakind
mit der Thomas'schen Ophelienaxane nnd Fit*
rizel von Reuter mit der fbin-vtrtaoaon WlBda^
gäbe eines Vieuztemps*Konzertoe gWnMi^
stellte sich der von Sondenliaiiaen nach iriv
verzogene Carl Schroeder mit Vntt
Bergsymphonie und einem bröddlg-hinfisa
i^Scherzo fantastique* von Josef Snk nie
routinierter, energischer Orcbeaterleitar
im dritten Philharmoniacbon
neben dem Schumanns s-moU
mehrere Solostficke klangschta wiftnea aas-
fuhrenden Solisten EmU Saner aneb Hsm
Winderstein sein Publikum mitTadiaifciiwslkl^
»Path6tique* und der Bmaainhin^i vn
Pfitzners liebenswfirdig-romantiaclMr^ChfiM-
elflein-OuvertQre* gar wohl su iatafossisnn» —
Einen recht anregenden Verianf nahm dm
«■^,
317
KRITIK: KONZERT
der von Haos Winderstein erstmalig unter-
nommenen Orchester- Kammerkonzerte,
in dem neben dem zumeist interessierenden
B-dur Orcbestertrlo op. 1 No. 5 ?on Joh. Stamitz
(bearbeitet von Hugo Riemann) das eben erst
aufgefundene siebente Violinkonzert von Mozart
(Solopart: Katharina Bosch), Beethovens Oktett-
Rondo für Blasinstrumente und «Elf Wiener
nnze* (erstmalig herausgegeben von Hugo Rie-
mann) sowie schließlich Handels Streichkonzert
in F-dur vorgeführt wurden. — In Qberrascbend
tüchtiger stimmungsfeiner Weise hat die von
Gustav Wohlgemuth geleitete Leipziger
Singakademie unter Mitwirkung dreier treff-
licher Solisten (Emma Tester, Anna Härtung
und Emil Pinks), der sich bestens bewährenden
Kapelle des 107. Infanterie-Regiments
und eines Monate hindurch vorbereiteten zwei-
hnndertstimmigen Kinderchores die besonders
in den ersten zwei Teilen eigenartig schöne
Legende »Der Kinderkreuzzug* von Gabriel
Pi er n 6 zur Aufführung gebracht. Der in der Tho-
maskirche stattgehabten ersten Aufführung haben
sich zwei Wiederholungen — eine davon ledig-
lich für Schulen — anreihen können. — Der mit
seinem trefflichen Dirigenten Hans Sitt von
der herbstlichen Rheinfahrt sieghaft heimge-
kehrte Leipziger Lehrergesangverein er-
freute im ersten Winterkonzert mit besonders
schönen Darbietungen des «Altdeutschen Hym-
nus* von Volkmann; des «Spielmannsliedes* von
Henberger und des tonmalerischen «Im Herbst*
von Schwartz, und führte die zartstimmige Lieder-
singerin Maria Seret und den gediegenen
Pianisten Willy Rehberg mit ins Treffen. — Zu
einer in Wahrheit Bachs würdigen, durchaus
stilgerechten und liebedurchseelten Bachfeier
geriet unter Karl Straube das erste Kirchen-
konzert des Bach-Vereins, das nach einem
einleitenden schönen Orgelvortrag von M. G.
Fest und nach der nur in ihren Chorsitzen
bleibend wertvollen Rathswahlkantate «Preise,
Jerusalem, den Herrn* mit den wunderbar leid-
und freudedurchklungenen Kantaten «Sehet, wir
gehn hinauf gen Jerusalem* und «Wie schön
leuchtet der Morgenstern* und mit dem in
einzelnen Teilen gleichfalls ganz herrlichen
«Magniflcat* zu den Ewigkeitshöhen Bachscher
Kunst emporführte. Als rühmenswerte Gesangs-
solisten wirkten dabei mit: Meta Geyer, Maria
Philippi,GeorgeA.Walterund A. van Eweyk.
— Das Brüsseler Streichquartett, an dessen
Abende die lediglich gut dilettierenden Duett-
tlngerinnen Martha Beinesund Elisabeth Dier-
gart beteiligt waren, erspielte sich seinen
schönsten Erfolg mit Borodin's A-dur Quartett — ,
dasNoraClench-Streichquartettdebütierte
in hochachtunggebietender Weise mit sehr
sauber-herzhaftem Zusammenspiel — , das H i 1 f -
Quartett trat erfolgreich für ein interessierendes
A-dnr Quartett op. 17 von Stephan Krehl ein
und bewihrte an Beethovens cis-moll Quartett
betriebliche Auffassungs- und Spielreife, und
das in dem kleinen Gewandhaussaal eingekehrte
St. Petersburger Streichquartett ließ nicht
nur Werke von Beethoven und Schumann, sondern
auch das e-moll Quartett von Max Schillings
in reicher Klangschönheit erschimmem. — An
Flügeln salton der mehr durch sein Gebaren
als durch sein Spiel an Wladimir von Fachmann
erinnernde Josef Weiß, der immer noch etwas
stürmische Anton Foerster, die gleichfalls
mehr durch gesunde Spielkraft und Tempera-
ment als durch Interpretationsreife fesselnde
Alice Ripper und der in manchen Lisztiana
und Chopiniana wahrhaft vornehm virtuose
Klavierspielkunst betitigende Arthur Fried-
heim, wihrend Frederic Horace Clark, am
erhöhten Flügel stehend, wohl den Beweis er-
brachte, daß seine Methode des Klavierspieles
mit ausschließlich rotierenden Muskel- und Ge-
lenkbewegungen praktisch durchführbar ist,
nicht aber selbt als musikalisch und pianistisch
vollwertiger Reprisentant seiner Methode er-
scheinen konnte. — Von Klara Erle rs hübschem
Sopransingen und ihres Partners, des Barito-
nisten Hjalmar Arlberg, noch allzu unausge-
glichener Stimmbehandlung, von Dr. Otto
Briesemeisters verspitetem Debütieren als
Konzertsinger, von einem zweiten Schubert-
Abende Robert S p ö r r y s , von einem Lieder-
abende des allem Anschein nach gerade etwas
indisponierten Tenoristen Glenn Hall und von
neuerdings wieder sehr beifillig aufgenommenen
Volkslieder- und Balladen vortrigen des Lauten-
barden Robert Kothe sei hier nur kurz Notiz ge-
nommen, und ebenso auch von einem neuerlichen
Konzert Joan Man6ns, der die Zuhörer mit sei-
nem Geigenspiel entzückte, mit einer selbstge-
machten spanischen Konzertsymphonie für Vio-
line und Orchester aber schauem und lachen
machte, von einem sehr erfreulichen Wiederbegeg-
nen mit dem nach Chemnitz übergesiedelten vor-
trefflichen blinden Orgelspieler Bernhard Pf ann-
stiehl und von Ernst von Possarts durch
Cornelia Rider begleiteten tiefergreifenden
Rezitationen der Melodramen «Enoch Arden*
und »Mozart*. — Alfred Reisenaue r, dem eine
offizielle Gedenkfeier in Leipzig versagt ge-
blieben ist, galt eine vom Hofmusikverleger
Ernst Eulenburg offiziös vor eingeladenen
Freunden und Verehrern des verstorbenen
Klavierpoeten veranstaltete Matinee, bei der
zwischen dem von Anatol von Roessel, Edgar
Wollgandt und Julius Kiengel stimmungsvoll
gespielten Pezzo elegiaco aus Tschaikowsky's
a-moll Trio und Schuberts vom Gewandhaus-
quartett sehr schön gespielten Variationen
über «Der Tod und das Midchen* Emil Pinks
und Anna Härtung mehrere Lieder und die
beiden Reisenauerschüler Arthur Rein hold und
Anatol von Roessel zwei vierhindige Reise-
bilder Alfred Reisenauers zum Vortrsg brachten.
Arthur Smolian
LONDON: Die so beliebten Promenaden-
konzerte in der Queens Hall sind zu Ende
und haben nun den Symphoniekonzerten sowohl
des Queens Hall-Orchesters, als auch des
London Symphony-Orchesters Platz ge-
macht. Ein Rückblick auf die Promenadenkonzerte
mit ihrem reichhaltigen Programm, das dem Ge-
schmack aller Teile des musikliebenden Pu-
blikums gerecht wird, ist in Beziehung auf
Geschmacksbiidung und Durchführung erfreu-
lich. Gelobt muß auch werden, dsß der Leiter
des Orchesters, Henry Wood, auf die jungen
britischen Komponisten Bedacht nimmt und
ihnen Gelegenheit bietet, ihre Werke dem Pu-
blikum vorzuführen. Keine Woche verging,
ohne daß zwei oder drei dieser Kompositionen
318
DIE MUSIK VII. 5.
zur Aufführung gelangten. So reich aber die
Quantität war, so muß leider doch gesagt werden,
daß die Qualität hinter der Menge des Ge-
schaffenen weit zurückstand und daß auch kein
einziges der vorgeführten neuen Werke die
Grenzen der Mittelmäßigkeit überschritt. (Das so
beliebte Queens Hall-Orchester, beziehungs-
weise dessen Promenadenkonzerte, werden
übrigens von der nächsten Saison ab bei der
Eröffnung der neuen St. James' Hall eine Kon-
kurrenz erhalten und zwar in Gestalt eines aus
60 Mitgliedern bestehenden Damenorchesters
unter der Leitung von Lyell Taylor, für das
hervorragende Kräfte im ganzen Lande an-
geworben wurden und das Jetzt schon in London
versammelt ist und täglich Proben abhält, ob-
gleich diese Promenadenkonzerte erst zu Anfang
März ihren Anfang nehmen werden.) Das Haupt-
ereignis auf dem Konzertboden war jedenfalls
das zweite Konzert des London Symphony-
Orchesters unter der Leitung von Dr. Hans
Richter, der übrigens jetzt schon mit den in
der nächsten Saison stattfindenden Aufführungen
des Nibelungenrings in englischer Sprache so
stark beschäftigt ist, daß er die Leitung der
Manchester Hal]6- Konzerte zeitweilig nieder-
legen mußte. — Ferner hörten wir Jan Kubelik
und Fritz Kreisler, der in einem Konzert
vor seiner Abreise nach den Vereinigten Staaten
vom Publikum Abschied nahm und einen
wahren Triumph feierte. Julia Culp, die sich
im vorigen Jahre beim Londoner Publikum sehr
vorteilhaft einführte, ist wiedergekehrt und im
ersten Symphoniekonzert des Queens Hall-
Orchesters mit solchem Beifall aufgetreten, daß
sie alsbald auch für ein Sonntagskonzert in der
Albert Hall gewonnen wurde und auch noch ein
eigenes Konzert in der Bechstein Hall geben
mußte, um den Wünschen des Publikums zu
entsprechen. A. Z.
MÖNCHEN: Wenig Erfreuliches, viel Mittel-
mäßiges, dessen Nennung nicht vonnöten —
das ist bis heute die Signatur der Saison. Zum
Erfreulichen gehört ein Liederabend von Frau
Schnabel-Behr (mit dem genialen Artur
Schnabel als unübertrefflichem Begleiter), der
durch das bewundernswerte Zusammenwirken
der beiden Künstler in seltenem Maße hin-
reißende Eindrücke vermittelte, ebenso ein
Klavierabend Artur Schnabels mit sehr inter-
essantem Programm (Weber-Schumann- Brahms),
ein Beethovenabend der Brüsseler, der Er-
öffnungsabend des Münchener Streich-
quartetts mit Haydn, Beethoven und Mozart,
ferner Liederabende der noch immer großen
Lilli Lehmann und der hervorragenden Wolf-
Sängerin Hedwig Schmitz-Schweicker.— Mit
Auszeichnung ist ferner zu nennen Helene
Staegemann, die wie alljährlich die Hörer
durch ihren anmutigen Vortrag entzückte, und
Dr. Hassler, der mit seinem schönen gut-
gebildeten Organ besonders Loewesche Balladen
ausgezeichnet zu gestalten versteht. — Beethoven-
abende scheinen Mode zu werden. Der der
Brüsseler wurde schon erwähnt; jener der
Pianistin Anna Hirzel-Langenhan zeigte
wieder all ihre Vorzüge, eminente Technik und
sehr feinfühliges Erfassen der Eigenart jedes
Kunstwerkes. Die Violinistin Marie StubQU-
rauch und Prof. Schwartz (Klavier) haben sich
in gleicher Weise wie der Geiger Hecedfia nai
die Pianistin Lilli Henkel znsammengetaii, em
Beethovens Violinsonaten an Je drei Abenden
zu interpretieren. Beide Vereinigangen Meten
achtenswerte Leistungen. — Zwei recht gnic
Geiger hatte man in den Herren Edelmann
und Sieben Gelegenheit zu hören. Von ivei
Wunderkindern, die auftraten, iet der »ivW-
jährige Wunderaänger* Moeet MIreki nnter
allen Umständen abzulehnen, wihread Miede
Horszowski (Klavier) in einem nait dem Kita-
Orchester gegebenen Konzert wohl m inle^
essieren vermochte; seine Glansleietnng war
Chopins Nocturne op. 27 No. 2. — Uneer fiel-
gefeierter Heldentenor Heinrich Knote nb sna
Abschied vor seiner amerilnniachen Tdnmce
einen Liederabend und erranc vor noiTerlunllefli
Saale hauptsächlich mit Liedern von StmnA einen
vollen Erfolg; gerade diese bnehto er nneh nüt
seinem glänzenden Organ und tempemmen^
vollen Vortrag sehr gut zur Ösltanc wihrend
anderes naturgemäß weniger befriedifen koontti
~- Hervorzuheben ist ferner ^ne Aniniimng
der »Schöpfung* von Haydn dnrcb die Mnti-
kaiische Akademie nnter Felix Mettl,
mit Frau Bosetti und den Herren Mb
von Kraus und Dr. Walter nin Solialan
und dem vereinigten Lehrergeenncvereia
und Lehrerinnen-Singchor nIn eehen an
Zahl imposantem Chor. JMan wird eelien die
«Schöpfung* so wundervoll xn hören bekommen,
wie dieses Mal; Orchester (des Königliclie Hef-
orchester) und Chor leisteten beide Unfiber-
treffliches, und Mottl verstand mit diesem Hatetial
ebenso die feinsten wie die gewnlUgstan
Wirkungen herauszubringen. Unter den OeHüiB
ragte Felix v. Kraus durch seine benlichs
Stimme und seinen durchgeistigten Voitng
hervor; nicht minder Erftmiliehos botsn aber
auch Frau Bosetti und — in den Grensen seiner
Stimmittel — Dr. Walter. — Felix ▼• Krsns fA
bald darauf, mit Mottl sm Klnvier, einsn
Schubertabend, der trotz einer leiehlen Indii-
position des Sängers tief|gebeDde Geniws
brachte. — Von guten Liederabenden vire Ibmcr
zu nennen der von Elaa Flith, deren
Programm interessante Stficke enthielt
anderen von Schillings, Strsnil, Knrl ▼•
und Pfltzner; letzterer hatte die Begleitiing eelbai
übernommen. Schönen Erfolg enlelte wiedar
Julius Schweitzer <Bsriton), nicht mlndsr
Else Widen und Josef Lorits mit einem weU-
gelungenen Duettenabend; TiUy Keenes
erwies sich von neuem ihree flestgegiQndeiie
Ruhmes würdig. — Unter den Piuiisten gebihit
hohes Lob Wassily Sapellnikow, der mk
eminenter Technik vorzfigiiehe geistige QnslMIlBn
vereint. Lamonda Beetbovensbende sind is
ihrer Eigenart allbekannt, nnd such Msz Psner
zeigte sich wieder aia Beethorenepleler
Ranges, während Schumann seiner
herben, verschlossenen Natur femer liegt — 1
vielversprechenden jungen Geiger lernte smn is
einem SchGIer Martean*a, Dr. W. BQlsn,ksnnen;
weit fortgeschrittene Technik pssrt sich bei iha
mit temperamentvoller Dnrebdfingnng eeincr
Aufgaben. Georg Knaner ist hier beksnnt als
gediegener und vortrefllidior Violinfiftnees»
Sarasate, der mit Berthe Merz anchlingmr
Pause wieder erschien, ist teehnlsdi
319
KRITIK: KONZERT
nicht mehr so unfehlbar; aber er versteht immer
noch seine Zuhörer zu enthusiasmieren. — Von
den Volks-Symphonie-Konzerten, die
dieses Jahr unter der abwechselnden Leitung
zweier hoffnungsreicher junger Dirigenten, Ernst
Boehe und Dr. Walter Courvoisier, stehen,
soll später eine größere Reihe gemeinsam be-
sprochen werden, ebenso von den Kaim-
Abonnementskonzerten. Dr. Eduard Wahl
STUTTGART: Im ersten Abonnementskonzert
der Hofkapelle dirigierte Dr. Obrist (als
Gast) drei Symphonieen, deren Reihenfolge
höchst interessant war: von Stamitz die in D-dur,
die auf dem Mannheimer Musikfest zum ersten-
mal aufleuchtete; von Haydn die selten gehörte
C-dur »U Midi« (1761 Eisenstadt); als dritte
Beethovens A-dur Symphonie. Alle drei Werke
erschienen in feiner Ausarbeitung. Diesem
Abend werden in geschichtlichem Zusammen-
hang (Entwicklung der deutschen Symphonie!)
ein zweiter mit Brahma und Brückner, ein dritter
mit Liszt und Strauß folgen. Brückners erste
Symphonie in c-moll (von Obrist dirigiert) ist
inzwischen in Tübingen von einem erlesenen
Publikum schon mit freudigster Zustimmung
begrfißt worden; die dortige Museums-Gesell-
scbaft gewinnt seit einigen Jahren die Hofkapelle
für reine Orchesterabende. Prof. Dr. Kauff-
mann, jetzt in den Ruhestand getreten, hat den
Boden für Brückner vorbereitet. — Das Kaim-
orchester besucht Stuttgart diesen Winter nur
ein einziges Mal; Schneevoigt bot die dritte
Symphonie von Brahms, Wolfs Italienische
Serenade, Vorspiele von Wagner und eine »Drein-
gabe* (solche ist sonst nur in Solistenkonzerten
fiblichl), Georg Schumanns neue Variationen
Ober ein lustiges Thema— ein herzlich schwaches
Werk! — Das Cannstatter Kurorchester unter
Rückbeil veranstaltete einen Grieg-Abend,
an dem außer Orchesterwerken auch das
Chorwerk «Landerkennung* aufgeführt wurde;
letztere dirigierte Prof. Schwab. Das erste
Konzert des von Rückbeil geleiteten Orchester-
vereins brachte u.a. die Ouvertüre zu ^^Paris
und Helena* von Gluck. — Zwei Kammermusik-
Abende von Waghalter (mit Künzel, Presuhn
und Seitz) waren Bach, Mozart, Haydn, Beet-
hoven, Brahms gewidmet; mit Bachs Solo-
sonate in g-moll führte sich Waghalter erfolg-
reich als Violinisten ein. Obrigens ist es auf-
fallend, daß trotz des Mangels reiner Quartett-
abende so wenig Quartettvereinigungen nach
Stuttgart kommen. Ein neues gutes Gesang-
quartett hat sich aufgetan: Frau Rückbeil-
Hiller, Frl. Diestel, die Herren Sattler und
Freytag-Besser; sie sollten nur auch un-
begleiteten Gesang pflegen ! — Unter den vielen
Solistenkonzerten ragt Pauers Unternehmen
hervor, der an fünf Abenden, wie schon einmal,
Beethovens Klaviersonaten spielt.
Dr. K. Grunsky
W^IEN: Ober die »Wiederkehr alles Gleichen«
^ zu berichten, auch wenn dies Gleiche be-
deutend ist, wäre zwecklose Wiederholung. Es
hat keinen Sinn, bei Lamond, Ansorge oder
Burmesterdie gleichen Vorzüge und Schwächen
alljährlich neu zu konstatieren. Auch bei'Lilli
Lehmannn nicht, die jüngst ihren Liederabend
zelebriert hat und deren Würde und Höhe bei
aller Größe schon lange jene schöne Vertrau-
lichkeit verscheucht hat, die der eigentlichste
und persönlichste Genuß bei lyrischer Inter-
pretation ist. — Als neu anzumerken: Mark
Günzburg, dessen schattenhaftes, ohne jeg-
liches innerliche Mitschwingen fast mecha-
nisch anmutendes Spiel, unter dem die stolzen
Herrlichkeiten der Chopin'schen h-moll Sonate
zu belanglos langweiligen Arabesken wurden,
niemals auf einen Sauerschüler schließen ließe;
dann, weit erfreulicher, Otty Reiniger, eines
der frischesten und geradest gewachsenen
Geigentalente der jüngsten Zeit: unvergrfibelt
das Rechte treffend, gesund ohne Derbheit, mit
ruhiger Bogentechnik und klarem, warmem
Ton, rhythmisch fest und — trotz aller Jugend
— mit reifer Vornehmheit vortragend. Wogegen
ich lieber von Vivien Chartres nicht mehr
sprechen möchte, bis die außerordentliche Be-
gabung des Kindes wieder auf musikalische
Wege geleitet und nicht mehr von wenig ge-
wissenhaften Führern den nichtssagenden Eitel-
keiten der Virtuosität ausgeliefert werden wird. —
Zu erwähnen : eine mit ehrfürchtiger Liebe vor-
bereitete Aufführung von Bachs h-moll Messe
unter Franz Schalk im Gesellschaftskonzert»
mit dem unvergleichlichen Felix Senius als
führendem Interpreten der Tenorsoli; ein Kam-
merkonzert des Wien er Ton künstle rvere ins»
in dem Anna von Mildenburg mit stärkster
Ergriffenheit Mahlers »Kindertotenlieder* sang»
vom Wiener Tonkünstlerorchester unter Bruno
Walters feuriger Leitung vorzüglich begleitet;
daneben ein Mozartsches Bläserquartett mit
Streichorchester, ein Notturno von Dvofik und
eine amüsante Suite von Gounod, von Herrn
Karbach mit Liebe dirigiert. Schließlich Auf-
führungen der Philharmoniker und de»
Konzertvereins. Beide auf festlicher Höhe
wiedergebender Kunst. Aber verdrießlich durch
die Programme, die allzu geschäftige und wenig
erfreuliche Konkurrenz beweisen. Das Ton-
künstlerorchester bringt Schuberts »Unvollen-
dete*; flugs spielt sie der Konzertverein nach»
Der Konzertverein beginnt mit einem Branden-
burgischen Konzert und Beethovens c-moli
Symphonie, worauf die Philharmoniker ein
Brandenburgisches Konzert und die c-moll auf
ihr erstes Programm setzen. Es ist wohl nicht
nötig, sich über solches Wett- und Besserspiel
weitläufig auszulassen. Aber es verstimmt, weit
es kleinlich und schon deshalb unfruchtbar Ist.
Richard Specht
7< »>S
Vir beginnen mü einem Pomit August BunfcrU nach einer PbotocraphiK an
i^ngtler Zelt. Von den beiden Bildern des nicbsten Blitl» lelKt naa du eine QltlU)
den Künstler Im Aller von 29, das andere (rechts) Im Alter Ton 32Jabr«n. AU Prabi
von Bungerts Notenschriri bringen wir in Faksimile eine Partlmra eile ans den entcn
Akt des Musikdramas »Kirke*.
Von den Portrita Max Brucbs stammt das erste ans neuerer Zeit (1903). Dem
interessanten, aeltenen Jugendbild des ZwSiqihrfgen reihen wir nocb ein Bild an, das
den Tonsetier Im Alter von 35 Jahren darstellt. Daran schnellen sich in Faksimile
die ersten zwanzig Takte dea eweilen Satiea aus dem vielges pleiten eraten Viollakonsert
in g-moU von Bruch.
Den Beschluß bildet die Ansicht der am 17. Oktober eingeweihten Denen Pil-
mischen Oper In Antwerpen, einer SchfipfUng des StadilMuroeUtera van Mechelei.
NIhere Elnielheiien fiber das Hans findet der Leser In dem Antwerpener Opomberlcto
aar S. 306 dieses Heftes.
Als Musikbeilage bieten wir ein Ued von Angnst Bnagcrt .Den H«
sebwenkend: Avaotil" ans dem Uederayklns „Unter der BInme", Lieder vom Rhein von
Carmen Sylva, ein treffliches Beispiel fQr den volkstfi milch- ein fachen SHl des Lrrikers
Bungert, Von Mai Bruch konnten wir leider kein ungedrucktes Ued oder Klsvlerstficfc
verfiffeDiHchcn, da der KBosIler, wie er uns mitteilt, keine Mannakrlpte dieser Art besitit
Macbdruck aar all ■uidrückllctier Erliobnli dM VcriiiH tKlatlat
Alle RecbM, InbrioadcR du der Dbemuiiiiii, TorfeabilKB
ZurflektendoDi uavcrltnKier oder aiehi ■nfemcIdBiar MniMkripn, fklli Oam wmn laal
lo bclller, fliMreliDmi die Rcdikiian kelDC Carantle. Schvcr lewrilelM (Uaixkripw «vdn n^ßfH
VeranlwortUcher Schrirtleiter: Knpellmeister Berabard Sctautar
Berlin W. 57, BQIowstrasse 107 ■•
(••■ st
EINE PARTITURSEITE AUS DEM ERSTEN AKT DES
MUSIKDRAMAS .KIRKE' VON AUGUST BUNGERT
AUGUST BUNGERT
AUGUST BUNGERT
AUGUST BUNGERT
MAX BRUCH
fr-Üi
JUCENDBILD VON MAX BRUCH
i VII. 5
«■-■l
VII. 5
AUTOGRAPH DER ERSTEN ZWANZIG TAKTE DES ZWEITEN SATZES
AUS DEM VIOLINKONZERT IN G-MOLL VON MAX BRUCH
DIE NEUE FLÄMISCHE OPER IN ANTWERPEN
SingstimiiiB
Pianofortc
te
Marschtempo
I¥is€h umdkri/i^
T? ^ f }' Ji p' p I
ICfeiii Frennd, das ist der Wan-dcr-
t
p
^m
stabl
cresc.
'( iii' .1
Mein Glück das ist die 8on - nel
0T6$0m
Mein Ru-hebett,da8 Ist das Grab,
mein Ablass ist die Toa - imI
^^
^#jp^
8
frü. .s
jl^h> p '^^hf r '*r r »
Da muss ein Gold- schätz lie - gen!
i >'■!,> "^i Ji p p. Ji ^^
Schlag ich den Stab ans Fels-ge-stein:
da qoillts in star-ken Lie - dernl
und ruf Ich nur den Sonnen-sdtein,
musser den Qrvaa er
iifi" rii|
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IUI I) r f f '1 ' r
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Mein Freund das ist der Wan-der-stab|
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der iiat mich nie be . tro - gen! Durch Wald und Flur, berg-anfibergabi
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rt/. oo/itf voce
f.
Da strömen des Le-bens Wo - gen!
^y j-^-4
stich u. Drack: Btrllner Musikalien Droekerti flLflk
DIE MUSIK
Wie ist doch die Musik so etwas höchst
Wunderbares, wie wenig vermag docli der
Mensch ibre tiefen Geheimnisse zu ergrün-
den! Aber wohnt sie nicht in der Brust
des Menschen selbst und erfüllt sein
Inneres so mit ihren holdseligen Erschei-
nungen, daß sein ganzer Sinn sich ihnen zu-
wendet und ein neues, vcrldärtes Leben ihn
schon hienieden dem Drange der nieder-
drückenden Qual des Irdischen entreißt?
E. T. A. Horfm
Vn. JAHR 1907/1908 HEFT 6
Zweites Dezemberheft
Herausgegeben von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin W. 57, BUlowstrasse 107
«AM&tW..
MAJOR EINBECK
DER ORGANISATOR DFR WILnÄR-KIRCHENCHÖRE
UNTFR FRIEDRICH TILHFIM III.
UND DES KÖNIGLICHEM HOF- UND DOMCHORES ZU BERLIN ^
von A. Richard Scheumaiin-Dresden
■enden wir «us dem gegenwirtlgen Jahre 1907 den Blick «uf
musikalische Ereignisse In der Zeit vor 100 Jahren, also Im Jahre
1807, zurück, so begegnen wir einem Vorgang, der — anschei-
I nend geringfü^ger Natur — wenig Beachtang gefunden hat.
Und doch hat gerade er durch seine Folgen eine anßergevSbnIicbe
Bedeutung erlangt.
Es bandelt sich um folgende Begebenheit.')
Nach den für PreuHen unglücklichen KImpfen des Jahres 1 807
(Schlacbien bei Eylau und Priedland) zog sich der KSnig Friedrieb Vil-
beim 111. mit seinem Hofe nach Memel znrOck. Nach Abschluß des
Tilsiter Friedens erhielt der Dichter Wilhelm Bornemann, der seinen Wohn-
sitz in Berlin batle, vom König die Weisung, sich ebenfalls nach Memel
zu begeben. An schönen Tagen wurde nach der Tafel in der Regel eine
kleine Landpartie nach dem Dorfe Taucriaken an der russischen Grenze
unternommen, wo der Tee eingenommen wurde. So auch an einem schönen
Nachmittage. Noch saß man beim Tee, als von fernher der Gesang eines
Mannerchores hörbar wurde. Sofort erhob sich der König und befahl in
seiner kurzen Weise dem Dichter: . Mitgehen I Russische SXnger boren I*
ihr Ziel war das Ufer der Dange. Auf dem Hinwege beklagte der König,
dafi in der preußischen Armee der gemeine Mann statt an schönem Gesänge
nur an unsauberen Worten mit ungezügeltem Abschreien Gefallen habe.
Als der Fluß erreicht war, sahen sie auf dessen Mitte eine Gondel, besetzt
mit russischen Soldaten. Sie salutierten. Der König dankte zuwinkend.
Augenblicklich ordnete sieb der Chor, stimmte ein Lied an, das in Moll-
tönen gehalten war, und führte es vierstimmig takt- und tonfest durch.
Ein zweites und drittes folgten. Darauf winkte der König den Singem
dankend zu und zog sieb zurück. Da er genau wußte, daß Bornemann seit
längerer Zeit der Singakademie in Berlin angehörte und mit deren Direktor
Zelter in freundschafiiicher Verbindung stand, befahl er dem Dichter, sich
über das, was er eben vernommen, offen auszusprechen. Dieser hielt mit
seiner Ansicht nicht zurück und meinte: Bei der Umgestaltung der Armee
'> Als Quelle diente hierzu das Buch: .Die Zeltersche Liedertafel" von
Bememann, Berlin 1851.
324
DIB MUSIK VIL 0.
bedürfe es nnr der Mitein fühning des Gesanges. Das preußische Militär
wfirde dann bald im Gesang und im Besitze anständiger Lieder dem
russischen gleichstehen, womöglich dieses übertreffen.
»Russen nach Berlin kommen lassen f" — so lautete des Königs
Befehl. Und in der Tat — wenn auch infolge der politischen Wirrea erst
einige Jahre später, nämlich 1812 — trafen russische Sänger in Potsdam
ein, die den Stamm der russischen Kolonie Alexandrowska bildeten. In
ihnen haben wir das Vorbild und den Anfang der Militärkirchenchöre im
preußischen Heere zu sehen, aus denen in merkwürdiger Verkettung der
Umstände der weltberühmte Königliche Hof- und Domchor zu Berlin in
seiner jetzigen Gestalt hervorgegangen ist, dessen künstlerische Leistungen
noch jetzt Tausende und Abertausende allsonntäglich erquicken nnd erheben.
Wenn wir hier jenem Vorgang an der russischen Grenze vor hundert
Jahren ein Erinnerungsblatt gewidmet haben, ist das wohl gerechtfertigt
angesichts seiner für die Geschichte der Kirchenmusik hochbedeutsamen
Folgen.
Diese darzustellen, ist der Zweck des vorliegenden Aufsatzes.
Es geschieht am besten im Anschluß an die Biographie eines Mannes,
der sich bei der Einrichtung der Militärkirchenchöre und des Königlichen
Hof- und Domchores in hervorragender Weise verdient gemacht hat: des
Majors Einbeck.
Die folgenden Ausführungen über das eigenartige Leben und Wirken
dieses Offiziers gründen sich auf die Akten über den Hof- nnd Domchor
in der General -Intendantur der Königlichen Schauspiele und Königlichen
Hofmusik, sowie auf die Domchorakten im Archiv des Königlichen Dom-
kirchenkollegiums in Berlin. Die verdienstvolle Schrift «Kurze Geschichte
des Königlichen Domchors*, die der ehemalige Domchorsänger Paul Opitz
zum 50jährigen Jubiläum dieses Institutes herausgegeben hat (Berlin,
Hermann Blanke 1893, 18 Seiten), gedenkt ehrenvoll des Majors Einbeck; hier-
zu verfaßte Hauptmann Paul Einbeck (der Sohn des Genannten) als Ergänzung
die Schrift: »Zur Geschichte des Königlichen Domchores* (Berlin, Stern
& Ollendocf 1893), der wir manche wertvolle Einzelheit aus Einblicks Lel)en
und Wirken verdanken. Als erste spezielle und erschöpfende Arbeit
über Major Einbeck aber — erschöpfend, soweit es die Akten ermög-
lichen — dürfte die vorliegende aufzufassen sein.
J. D. C. Einbeck ist geboren am 21. März 1785 zu Schönebeck.
Sein Geburtsort kam später zu dem von Napoleon neu gegründeten König-
reich Westfalen. In dieser Zeit wurde Einbeck zum Militär ausgehoben.
Er mußte in die französische Armee eintreten und am Feldzng io Portugal
teilnehmen, doch nicht mit der Waffe in der Hand, sondern im Hoboisten-
Chor als Fagottist. Nach dem Ausbruch des Krieges 1813 trat er ia die
325
SCHEUMANN: MAJOR EINBECK
preußische Armee ein, focht mit ihr gegen Frankreich und avancierte
zum Offizierp Aus dem Kriege znrfickgekehrt, diente er beim 24. Infanterie-
Regiment in Nen-Rnppin als Premierleutnant
König Friedrich Wilhelm IIL von Preußen benutzte die nun endlich
gesicherte Friedenszeit, um die Liturgie in der evangelischen Kirche seines
Landes neu zu beleben. Die Liturgie, wie sie Luther ausgestaltet hatte,
war während des 18. Jahrhunderts, im Zeitalter des Rationalismus, immer
mehr verwässert und schließlich ganz zerfallen. Den Anfang der Reorgani-
sation machten die Kirchenagenden für die Hof- und Domkirche in Berlin
1819 und 1822, in denen die Bedeutung der Liturgie hervorgehoben wird.
Zu deren voller Ausgestaltung hielt der König die Gründung von« Kirchen-
cbören für unbedingt notwendig. Nun offenbarte sich mit aller Klarheit,
welch großen Einfluß die Wirksamkeit der russischen Militärsänger in der*
Residenz Potsdam auf die Entschließung des Königs ausgeübt hatte. Mit
sicherem Blick suchte er seinen Willen zunächst dort erfüllt zu sehen,
wo ihm die Macht unmittelbar zur Verfügung stand: im preußischen Heere.
Anfang der zwanziger Jahre — wahrscheinlich Ende 1822 — erließ
er einen Armeebefehl, wonach bei den sämtlichen Regimentern Sänger-
chöre gebildet werden sollten, deren Pflicht es sei, während des Kirch-
ganges der Truppen die liturgischen Gesänge auszuführen. In Neu-
Ruppin übertrug das Regiment die Ausbildung des Sängerchores dem
Premierleutnant Einbeck. Vier Jahre hindurch hat dieser Offizier das
Amt verwaltet. Er suchte die besten Stimmen aus den Mannschaften
heraus und übte sie so vortrefflich ein, daß die Leistungen des Chores
die Aufmerksamkeit der vorgesetzten Behörde, insbesondere des kunstver-
ständigen Generals von Witzleben, erregten. Der König wurde durch einen
Vorfall persönlich auf Einbeck aufmerksam. Dessen Sohn erzählt in seiner
eingangs erwähnten Schrift wie folgt:
»Als der König infolge eines Beinbruches damiederlag, richtete er sich eine
Hauskapelle ein. Die Liturgie sollte von Waisenknaben gesungen werden, aber nie-
mand wollte es unternehmen, sie in 14 Tagen Tollsiindig einzuschulen. Da erinnerte
sich der General von Witzleben an Einbecks Talent, beauftragte ihn, und schon nach
14 Tagen sangen die Waisenknaben in Gemeinschaft von einigen Grenadieren die
Liturgie zur vollkommenen Zufriedenheit des Königs, der in seiner lakonischen Weise
sagte: ,Mich sehr gefreut, sehr gefreut/ Dem General von Wiuleben jedoch trug
er auf, noch weiter für seinen Schützling zu sorgen.*
Dieser Vorfall mag die Veranlassung gewesen sein, daß Einbeck im
Jahre 1827 als Hauptmann dem zweiten Garderegiment zu Fuß in Berlin
Affii'cgiert wurde. Zugleich übertrug ihm der König die obere technische
Aufsicht über sämtliche Sängerchöre des Gardekorps.
Die Einrichtung der Privatgottesdienste behielt der König auch nach
326
DIB MUSIK VII. 6.
msSSs
seiner Gesundung bei. Zu einer würdigen und schönen AusfQhrung der
Liturgie ließ er aus dem Gamisonkirchenchore zu Berlin einen Elitechor
bilden, der aus drei Sopranisten, drei Altisten, drei Tenoristen und drei
Bassisten bestehen und zugleich als Normalchor ffir den Kirchen-
gesang in der preußischen evangelischen Landeskirche galten
sollte. Die Minnerstimmen wurden aus den Grenadieren, die Knaben-
stimmen aus den Berliner Volksschulen ausgewählt. Durch Heranziehung
der Aspiranten konnte der Königliche Kapellen-Chor, wie er nun
genannt wurde, auf 16, ja auch 20 Stimmen vergrößert werden. Ende 1829
begann er seine Wirksamkeit teils in der Gamisonkirche zu Berlin, teils
— so oft es der König befahl — im Königlichen Palais, was vorzugs-
weise zur Winterszeit geschah. Mit dem Unterricht des Chores wurde
auf Zelters Vorschlag sein Schüler Eduard Grell betraut, der nachmalige
berühmte Schöpfer der 16stimmigen Messe und Direktor der Singakademie
zu Berlin. Der Vorgesetzte war Einbeck, der in den ersten Jahren —
nach einem Berichte Grolls — meist selbst die liturgischen Gesänge beim
Gottesdienste leitete und die Gehaltsbezüge der im Chor Angestellten regelte.
Treffend charakterisiert Heinrich Bellermann das Verhältnis der beiden
Männer zueinander und speziell die musikalischen Eigenschaften Einbecks
in seiner Grell-Biographie (Berlin, Weidmann 1899):
»Grell hat stets das feine Ohr Einbecks, sowie sein pädagogisches Geschick
gelobt und bewundert. Er verstand es, aus den ihm untergebenen Soldaten mit
der größten Sicherheit die musikalisch begabten heranzuziehen und Ihnen, wenn sie
auch keine Noten kannten« drei- und vierstimmige einfache Choräle und knrse, litn^
gische Sätze nur nach dem Gehör einzuüben, und zwar so, daß sie dieselben nicht
nur rein, sondern auch mit angemessenem Ausdruck vorzutragen verstanden. Zwischen
Einbeck und Grell bestand unter solchen Umständen von vornherein ein frenndschaft-
liebes Verhältnis; denn Einbeck hatte hinreichend musikalische Einsicht, Grolls hohe
Bedeutung für die Kunst zu würdigen.*
Um den Leitern und Lehrern der Militär-Kirchenchöre eine Hilfe zu
bieten, gab Einbeck seine Erfahrungen auf diesem Gebiete in Buchform
heraus unter dem Titel: i,Kurze Methode, wie im Militär die Liturgiesinger
organisiert und unterrichtet werden sollen." Das Werk erschien 1820 bei
Gustav Kühn in Neu-Ruppin, ist aber jetzt vergriffen. Es trägt keinen
Verfassernamen.
In das Jahr 1829 fällt auch eine Reise Einbecks nach Peters-
burg, um die Organisation und die Leistungen des berfihmten kaiser-
lichen Hofkirchenchores kennen zu lernen. Die Reise geschah auf Be-
fehl und auf Kosten des Königs. Die Hinfahrt dauerte vom 5. bis 14. Angost
Am 15. meldete sich der Hauptmann in Peterhof beim russischen Kaiser.
Am 20. August wurde er vom Geheimen Rat von Lwoif, dem Direktor
327
SCHEUMANN: MAJOR EINBECK
des Kaiserlichen Hofkirchenchores, durch ein Schreiben benachrichtigt,
daß die erforderiichen Befehle dem Institute gegeben seien, ihn bei seinen
Besuchen nnd Informationen zu unterstützen. Am 9. Oktober reiste Ein-
beck zunick und erstattete dem König einen längeren Bericht, der so viel
des Interessanten enthält, daß es angebracht ist, einige Sätze daraus hier
wiederzugeben, umsomehr, als dieser Bericht ausschlaggebend geworden
ist für den Plan, an der Domkirche zu Berlin ein großes, leistungsfähiges
Gesangsinstitut ersten Ranges zu schaffen:
»Der Kaiserliche Hof-Kircheochor in Petersburg besteht gegenwärtig aus 90 Per-
sonen: 50 Knaben und 40 Männern. Die Stimmen Verteilung ist die folgende: Sopran 25,
Alt 25 Knaben, Tenor 18, Baß 22 Minner. Die Knaben werden in einem der Krone
gehörenden und zu diesem Zwecke ganz passenden Gebäude erzogen. Sie werden
nicht allein in der Musik, sondern auch in allen anderen Wissenschaften mit großer
Sorgfalt von drei Musik- t^nd zwei anderen Lehrern unterrichtet Nahrung und
Kleidung (was beides sehr gut ist), sowie die gesamte Unterhaltung eines Knaben
im Institute kostet der Krone nicht mehr als 150 Rubel jährlich. Ihre Abstammung
ist verschieden, ein großer Teil besteht aus Kindern der älteren Sänger, ein kleiner
Teil stammt aus Klein-Roßland, und nur der dritte Teil besteht aus Kindern von
Offizieren und Offizianten aus Petersburg und anderen Provinzen.
Die Besoldung der Knaben richtet sich nach ihren Fortschritten, doch sind die
Grenzen hierfQr auf 50 bis 400 Rubel festgesetzt Dieses Geld wird ihnen jedoch
bis zu ihrer Mannbarkeit aufbewahrt; und dann erst, wenn sie zum männlichen Per-
sonal übertreten oder ganz aus dem Chore ausscheiden, wird ihnen der ganze Betrag
des Ersparten (was bei talentvollen Knaben oft ein kleines Vermögen ist) gewissen-
haft ausgezahlt.
Die männlichen Sänger wohnen teils im Institute und in Gebäuden, die der
Krone gehören, teils auch in eigenen Wohnungen. Der größte Teil derselben trat
schon im Knabenalter in die Anstalt ein, und nur einige der Kontra-Bassisten sind
wegen der außerordentlichen Tiefe ihrer Stimmen beim Chor angestellt, ohne daß
sie vorher im Institute ihre Ausbildung erhalten haben. Die Besoldung der Männer
richtet sich nach Maßgabe ihrer musikalischen Ausbildung. Die Grenzen, die hier-
fQr besteben, liegen zwischen 750—1600 Rubel jährlich.
Der Direktor des Hofkirchencbores ist der Geheime Rat von LwofT. Nächst
diesem bat ein Inspektor die spezielle Oberaufsicht Qber das Institut, der auch die
gesamte Rechnungslegung unter sich hat. Zu seiner Unterstfitzung stehen ihm zur
Seite mehrere invalide Unteroffiziere, die mit ihren Familien in der Anstalt wohnen
und allea, was Reinlichkeit und Ordnung betrifft, zu fiberwachen haben. Die sämtlichen
Unkosten, welche die Erhaltung des Chores verursachen, belaufen sich auf jährlich
60000 Rubel.«
Im weiteren spricht sich Einbeck Qber die eigenartige, erhebende
Wirkung des Gesanges aus, der eine gewissermaßen dunkle Farbe erhält
durch die volle und ausgiebige Stimmkraft der abgrundtiefen Bässe. Der
Bericht schließt mit folgenden Worten:
«Freimfitig muß ich gestehen, daß ich mich außersunde ffihle, meine Beob-
achtungen ganz in Worten auszudrficken, in dem ein Teil derselben gleichsam im
328
DIE MUSIK VII. 0.
msSSs
Bilde In mir lebt, allein dies gertde ermutigt mich, mit fetter Zarertlclit hier aoe-
zuaprecben, daß ich mir zutraue» hier einen ihnllchen Chor an orsaalsiefmi, sobald
die Mittel vorhanden sind, die die Einrichtung eines derartigen Inatitates erfordera.*
Der König ließ dem Verfasser des Berichtes folgendes Kabinetts-
schreiben zugehen:
»Ich habe mit Ihrem Schreiben vom 2. d. M. den Bericht Ihrer Sendung nach
Petersburg erhalten und bezeuge Ihnen Meine völlige Zufriedenheit mit der ErfBUung
Ihres Auftrages, indem ich Ihnen zum Beweise derselben das Gehalt von 800 Talern
habe anweisen lassen.
Potzdam, den 8. Nov. 1829.
An den Kapitin Einbeck,
aggr. dem 2. Garderegiment zu Fuß.
(gez.) Friedrich Wilhelm'
Der König wandte nun sein Augenmerk auf den liturgischen
Chor der Domkirche in Berlin, dessen Leistungen ihm nicht gefielen.
Dieser Chor war für das Königliche Domkirchenkollegium, oder, wie die
Behörde damals hieß: das Königliche Dom-Ministerium, unter dem er stand,
ein wahres Schmerzenskind. Seit dem Jahre 1817 waren die Hofprediger
unablässig bemüht, durch die verschiedensten Einrichtungen und JMittel die
Leistungen des Chores auf die Höhe zu bringen, wie man sie in der
ersten Kirche der Residenzstadt erwarten durfte. Es würde hier zu weit
führen, auf die Mängel und deren Grund einzugehen. Nach huit zwei
Jahrzehnten steter Bemühungen waren die Leistungen immer noch so,
daß der König im Jahre 1835 an den Minister der geistlichen Angelten*
heiten, von Altenstein, ein Kabinettsschreiben richtete, in dem er sein
Mißfallen über die in dieser Kirche während des Gottesdienstes aus-
geführten liturgischen Gesänge ausdrückte.
Auf Anraten des Ministers stellte das Dom-Minitterium 1836 den
Musiklehrer am Seminar für Stadtschullehrer in Berlin, Ludwig Erk, als
Dirigenten an. Dieser bildete einen neuen Chor von 20 Seminaristen —
für Tenor und Baß — und 20 Knaben der Domschule — für Sopran nnd Alt
Obgleich in den Akten des Domkirchen-Kollegiums vom Jahre }837 sich
das Zeugnis eines Hofpredigers befindet, daß nun der Gesang in der Dom-
kirche besser geworden sei, hat anscheinend das Resultat den Erwartungen
des Königs doch nicht entsprochen; denn er sah sich 1838 veranlaßt, an
den Hauptmann Einbeck folgende Kabinetts-Order zu erlassen:
,,Die bisherigen Bemühungen, den liturgischen Gesang In der DomUrcke an
verbessern, haben kein befriedigendes Resultat gewibrt Da ea aber mein Wille ia^
daß eine Singerscbar im Dom gebildet werde, welche den an dieae Kirche an
machenden Ansprüchen vollkommen genüge, so trage Ich Ihnen hiermit anf, eich der
Bildung dieses Chores zu unterziehen, und werde Ich, wenn die blataeriieo MUM
nicht zureichend gefunden sein sollten, auf Ihre Anzeige daa NMfS dasn
320
SCHEUMANN: Mi^JOR EINBECK
Dm Dom-Ministerium ist von dem Ilinen cemachten Auftrage in Kenntnis gesetzt
worden, um Ihnen mit der Bereitwilliglceit entgegensulLommen, welclie zur iNÜdigen
Erledigung Itires Auftrages erforderlicli ist
Berlin, den 19. August 1838.
An den Hauptmann Einbeck.
(gez.) Friedrich Wilhelm«
Am 22. August meldete sich der Beauftragte beim Kirchen-Kollegium,
orientierte sich in der folgenden Zeit über die Verhältnisse des Gesangs-
chores und die vorhandenen Mittel und trat mit Erk in Verbindung. Über
diesen hatte Einbeck eine hohe Meinung. Das bezeugt eine Stelle in einem
Berichte an das Kirchenkollegium 1838:
». . . daß Herr Erk mit den jetzigen Mitteln und unter so vielen hinderlichen
Umständen in der Handhabung der Disziplin betreffs der Proben und des Unterrichts
viel leiste.*
Es ist bezeichnend, daß der König, um die Chorangelegenheit im
Dome in Fluß zu bringen, einen Offizier mit der Organisation beauftragte.
Durch Einbeck trat ein neues, zunächst befremdendes Element in die Ver-
hältnisse hinein, nämlich der militärische Geist, die straffe Disziplin und
die unbedingte Unterordnung unter einen höheren Willen. Einbeck
kannte nur ein Ziel, das war die Erfüllung des Willens seines Königs.
Unter diesem Gesichtspunkte ist sein Denken und Handeln zu beurteilen.
Wie so häufig bei vollständiger Umwandlung von Verhältnissen blieben
auch hier Konflikte nicht aus. Es kam zu einem Gegensatze zwischen
Einbeck und Erk, der sich beinahe dramatisch zuspitzte. Beide waren
Männer von festem Charakter und starkem Selbstgefühl. Einbeck mußte
eine gewisse, wenn auch indirekte Unterordnung verlangen. Er besaß die
Macht und hatte die Verantwortung; denn hinter ihm stand der königliche
Befehl. Erk wollte und konnte nicht gut — von seinem Standpunkte aus
gewiß gerechtfertigt — in eine Unterordnung unter Einbeck willigen. Er
glaubte das erstens seiner Stellung in der Musikwelt schuldig zu sein —
er war schon damals hochgeachtet und weit bekannt als Musikpädagoge
und Herausgeber von Volksliedersammlungen, die bis auf den heutigen
Tag ihren grundlegenden Wert behalten haben ^ — und zweitens seiner
Stellung den ihm untergebenen Seminaristen gegenüber. Darüber äußerte
er sich in einem Schreiben an Einbeck:
». . • würden es meine Verhältnisse zum Seminar nicht wohl zulassen, darauf
einzugehen, weil ich als Lehrer dieser Anstalt unmöglich gestatten könnte, daß mir
jemand in Gegenwart der Seminaristen auch nur die geringste Einrede machte.*
Jedenfalls infolge dieses Konfliktes fand am 25. September 1838 eine
Konferenz des Domkirchenkollegiums statt, zu der Einbeck hinzugezogen
wurde. Aus dem Protokoll über diese Sitzung ist zu entnehmen, daß sich
330
DIE MUSIK VII. 0.
der Hauptmann über die Gründe aussprach, weshalb der liturgische Chor
nicht die gewünschten Leistungen aufweise. Unter anderem heißt es da:
». . . daß eine sorgfiltige Einübung des Chores nur eintreten kann, wenn bei
ihr die Seminaristen und Knaben zusammentreten [bisher worden sie Im Gesänge
getrennt unterrichtet. Anm. d. Verf.]; und soll der Gesang von seiner [Einbecks.
Anm. d. Verf] Organisation ausgehen und unter seiner Verantwortlichkeit exekutiert
worden« so verstehe es sich von selbst, daß ihm bei diesen Obnngen nicht die Mit-
wirkung abgeschnitten werden dürfe. Er habe nur die Absicht gehabt, dieselbe mög-
lichst indirekt durch den Seminarlehrer Erk, welchen zu verdringen nicht in
seiner Idee gelegen, eintreten zu lassen . • . Die neue Ordnung, die zur Erreichung
des Zweckes unumginglich nötig sei, könne des Lehrers Autorltit schon deshalb
nicht schaden, weil es in Beziehung auf seine Teilnahme an der Leitung des Ganzen
sich gar nicht um Einmischung in den Gesangsunterricht überhaupt handle, sondern
nur darauf ankomme, in praktischer Anwendung des Erlernten bestimmte Stücke im
Gesamtchor miteinander einzuüben und durchzuprobieren.*
Erk blieb in einem Schreiben an Einbeck dabei, daß er lieber seine
Stellung als Chordirigent aufgeben wolle, als sich in die neue Ordnung
fügen, zumal das Amt von Anfang an mit so großen Verdriefilich-
Reiten verbunden gewesen sei, daß ihm seine Tätigkeit im Dome schon
seit langem verleidet gewesen wäre. Er wurde hierauf vom Domkirchen-
kollegium unter ehrenvoller Anerkennung seiner dem Chor geleisteten
Dienste entlassen. Aus den Dirigenten der verschiedenen Regimentschöre,
die seit langen Jahren unter Einbecks Leitung standen, wihlte dieser mit
klarem Blick für den vakanten Posten den Mann aus, der es am besten
verstand, auf seine Ideen einzugehen: August Neldhardt, den Kom-
ponisten des bekannten Liedes: «Ich bin ein Preuße*. Zur Zeit der Be-
rufung amtierte er als Musikmeister im Kaiser Franz-Gardegrenadier-
Regiment. In militärischer Zucht aufgewachsen, von dem altpreußischen
Geiste durchdrungen, sah er in der Erfüllung der ihm auferlegten Pflichten
seine Bestimmung und das Glück seines Lebens. Einbeck hat sich durch
diese Wahl das Verdienst erworben, den richtigen Mann an die rechte
Stelle gesetzt zu haben; denn Neidhardt war es beschieden, den später
— 1843 — auf anderer Grundlage gebildeten Domchor auf eine nie ge-
ahnte künstlerische Höhe zu führen und durch seine Art des Einatudierens
einen a cappella -Stil zu schaffen, der mustergültig wirkte und die
Leistungen des Chores zu weltberühmten erhob. Dieser Stil, Neidhardts
Erbe, ist im Hof- und Domchor bis auf den heutigen Tag g^hfitet
worden und erhält dem herrlichen Kunstinstitut seinen altbewährten Rahm.
Mit Feuereifer ging der neue Lehrer und Dirigent an sein Werk.
Die Stimmen wählte Einbeck, wie es bisher unter Erk bereits der
Fall gewesen war, auch weiterhin aus dem Seminar für Stadtschnllehfer
und aus der Domschule. Den Unterricht erteilte Neidhardt, die tedi^
331
SCHEUMANN: MAJOR EINBECK
nische Leitung behielt Einbeck, dem also von nun an die Oberaufsicht
über ein großes Gebiet zustand: die Oberaufsicht über die sämtlichen Chöre
des Gardekorps, über den kleinen Königlichen Kapellenchor, den nun
Grell nicht nur unterrichtete, sondern auch in der Regel dirigierte, und
über den , Liturgischen Gesangschor an der Königlichen Hof- und Dom-
kirche*, wie der amtliche Titel lautete.
Am 25. November 1838 sang der Domchor zum ersten Male unter
der Direktion Neidhardts im Gottesdienste, «ohne daß Fehler vorgekommen
seien"*, wie in den Berichten konstatiert wird*
Der König hatte die Gnade, dem Hauptmann im Jahre 1839 folgendes
Kabinettsschreiben zu übersenden:
„Sie haben den Chorgesang in der Domkirche in kurzer Zeit durch Ihre Leitung
in einem solchen Grade verbessert, das Ich demselben nunmehr Meinen vollen Bei-
fall nicht mehr vertagen kann. Es gereicht Mir daher zum Vergnügen, Ihnen für
den auch bei diesem Auftrage t>eteiligten Eifer Meine volle Anerkennung und Zu-
friedenheit auszusprechen.
Berlin, den 26. Mai 1839.
An den Hauptmann Einbeck,
aggr. dem 2. Garderegiment z. F.
(gez.) Friedrich Wilhelm«
Es läßt sich denken, welche Freude Einbeck empfand in dem schönen
Bewußtsein, so schnell erreicht zu haben, was vor ihm niemandem zu des
Königs Zufriedenheit gelingen wollte.
In einem Schreiben vom 1. Juli 1839 an das Königliche Domkirchen-
kollegium kommt die Freude zum Ausdruck:
9 . . . noch bemerken, wie unaussprechlich glücklich mich die ausgesprochene
Allerhöchste Zufriedenheit des Königs MajestSt Qber die Leistungen der liturgischen
Singer im Dome macht Der Standpunkt, der mir vorschwebt, auf welchen die Aus-
bildung des liturgischen Gesangs-Chores im Dom gebracht werden kann, ist der
eines Gesangs-Instituts, aus dem nicht allein gute SSnger, sondern auch Gesang-
lehrer, welche die eigentQmliche Lehrart des Gesanges a cappella fOr Knaben und
Minner vollkommen aufgefaßt und begriffen haben, hervorgehen müßten.*
Man erkennt aus diesen Worten das ideale Streben Einbecks, der
Kunst auch für die Zukunft und in ihrer Allgemeinheit zu nutzen.
Noch eine größere Aufgabe sollte ihm zufallen, als der kunst-
sinnige König Friedrich Wilhelm IV. im Jahre 1840 den Thron be-
stieg. Dieser hatte auf seinen Reisen als Kronprinz die bedeutenden
Chöre an der Kreuzkirche zu Dresden, der Hofkirche zu München und
der Sixtinischen Kapelle im Vatikan gehört. Sein Wunsch war, daß
an der Hof- und Domkirche zu Berlin ein Institut gegründet werde, das,
gehörig ausgebildet, sich zu einer »Pflanz- und Musterschule ffir alle
Provinzen" entwickeln solle. Der Wunsch wurde zur Notwendigkeit, als
332
DIE MUSIK VIL 0.
sich mehrere Mängel am bestehenden Domchor zeigten, die seine Est-
Wickelung und Wirksamkeit direkt hemmten. An den hohen Festen —
Weihnachten, Ostern und Pfingsten — hatten die Seminaristen Ferien; einen
Zwang, zu dieser Zeit in Berlin bleiben zu müssen, konnte Einbeck nicht
ausfiben. So mußte der Chor gerade an den Tagen, an denen er seine
schönsten Leistungen entfalten sollte, seine Wirksamkeit durch Ein-
stellung von ungeübten Hilfskriften in den Männerstimmen aufrecht er-
halten. Ein weiterer Mangel war die Unmöglichkeit einer straffen Dis-
ziplin, die nun einmal in einer solchen Körperschaft unentbehrlich ist.
Die Seminaristen standen unter der Seminardirektion, bezw. unter dem
Kultusministerium. Eine Bestrafung von Saumseligen oder Widerspenstigen
stand nur dieser Behörde zu. Wohl versuchten Einbeck und Neidhardt
als Disziplinarmittel den Abzug vom Honorar oder gar dessen zeit-
weilige Entziehung. Doch war häufig die üble Folge: die Singer traten
lieber aus dem Chore aus, statt sich einer solchen Bestrafung zu unterziehen.
Man muß dabei bedenken, daß die Honorare niedrig waren. Auch als
Einbeck aus königlichen Mitteln einen Zuschuß zum Sängerhonorar er-
reichte, besserten sich die Verhältnisse nur wenig. Dann kam noch
dazu, daß durch die alljährlichen Abgänge der Seminaristen kein fester
Stamm erhalten werden konnte; denn an jedem Ostern wurde ein Teil
nach Ablegung der Reifeprüfung als Lehrer aus der Anstalt entlassen.
Alle diese Schwierigkeiten und Mängel, die in Einbecks (und Neid-
hardts) Berichten an das Königliche Domkirchenkollegium immer und
immer wieder als beklagenswert geschildert werden, machten eine neue
Organisierung des Domchores auf anderen Grundlagen notwendig.
Als auch Felix Mendelssohn-Bartholdy sich für diese Angelegenheit
interessierte, ernannte der König eine Kommission, der der Wirkliche
Geheime Rat von Massow, der Wirkliche Geheime, Rat General-Intendant
der Hofmusik Graf von Redern, Mendelssohn und Einbeck angehörten.
Dieser war inzwischen zum Major ernannt worden. Er meldete
sich im Auftrage des Königs am 18. Dezember 1842 bei der General-
Intendanz zur Dienstleistung und übernahm die Arbeiten, die eine Neu-
gestaltung des Chores erforderten. Er stellte zunächst einen Kosten-
anschlag auf, der sich auf jährlich gegen 10000 Taler belief. Dann
machte er unter anderem folgende Vorschläge: Die Knabenstimmen sind
aus allen Schulen Berlins zu wählen, nicht nur aus der Domschale. Ihre
Zahl soll 36 betragen. Im Tenor und Baß sind 24 musikalische Minner
mit schönen und gut ausgebildeten Stimmen gegen feste Gehälter einzustellen.
Auf Grund der Vorarbeiten Einbecks erstatteten Graf Redem and
von Massow am 2. März 1843 an den König einen ausführlichen Bericht»
den dieser unter folgendem Wortlaut genehmigte:
333
SCHEUMANN: MAJOR EINBECK
«Ich bin mit den in Ihrem Bericht vom 2.. d. M. enthaltenen Vorschligen zur
Einrichtung des Musikinstituts fQr die hiesige Hof- und DomlcirchCy sowie mit dem
eingereichten Entwurf eines Etats für dasselbe im allgemeinen einverstanden und
will dem Empfang des noch voUstSndig auszuarbeitenden Etats entgegensehen.
Charlottenburgy den 21. MSrz 1843.
(gez.) Friedrich Wilhelm«
Diese an die Wirklichen Geheimen Räte Graf von Redem und von
Massow gerichtete Kabinettsorder ist gleichsam die Geburtsurkunde des
Königlichen Hof- und Domchores in seiner jetzigen Gestalt. Damals hieß
er ^Königliches Musikinstitut an der Hof- und Domkirche«.
Zum Unterschied gegen Trüher wurde nun die General-Intendanz der
Hofmusik die Behörde des Chores. Graf Redem war der Chef. Als
«Technischer Direktor* fungierte Einbeck. Er wies als Lehrer des Dom-
chores die Musikdirektoren Neidhardt und Grell ein. Jener hatte den
ganzen Chor beim Gottesdienst im Dome zu leiten, dieser den kleinen,
den sogenannten Elitechor, ȟberall und in der Art, wo und wie der Chor
auf Allerhöchsten Befehl fungieren soll." Hierbei ist zu erwähnen, daß
der frühere Kapellenchor nun aufgelöst wurde. An seine Stelle trat der
eben genannte, aus dem Domchor ausgewählte Elitechor. Die oberste
künstlerische Leitung sollte Mendelssohn übernehmen, den der König
unter Verleihung des Titels und Amtes eines Generalmusikdirektors der
Kirchenmusik an Berlin zu fesseln suchte. Mendelssohn schätzte Einbeck
hoch und war überrascht von dessen Zusicherung, den neuen Chor schon
in einem Jahre so weit zu fördern, daß Mendelssohn mit ihm „Musik
machen könne." Der Meister sprach das in einem Briefe an Redem vom
31. März 1843 aus:
9 . . . Er [nimlich Einbeck. Anm. d. Verf.] wollte die Liturgie in Zeit von
einem halben Jahre einstudieren, aber um den Chor nach Noten singen zu lehren,
dazu brauche er ein Jahr. Ew. Exzellenz erinnern sich auch, wie kurz mir dieser
Termin vorkam, wie ich zweifelte, daß dergleichen in einem Jahre zu vollbringen sei,
— er versicherte, er sei es imstande. . . .*
Und Einbeck war es auch imstande. Er entließ die Seminaristen
und Knaben, die bisher den Domchor gebildet hatten, und schon am
1. Mai 1843, einem Sonntage, trat der neue Chor im Dom in Tätigkeit,
und im Winter 1844/45 konnte Mendelssohn mit ihm in Verbindung
mit einem Teile der Königlichen Hofkapelle Musikaufffihrangen ver-
anstalten.
Aus des Majors fernerer Tätigkeit für den Domchor ist noch mancherlei
zu berichten, so die Reise mit Neidhardt und Grell nach Leipzig, um
die Einrichtungen des dortigen Thomanerchores unter Hauptmann kennen
zu lemen. Diese Reise geschah ebenfalls wie die frühere nach Petersburg
334
DIE MUSIK VII. e.
im Auftrag und auf Kosten des Königs. Die Berichte sind in der Generml-
Intendantur zu Berlin niedergelegt. Nach ihnen zu urteilen, ist Einbeck
nicht voll befriedigt gewesen. Er stellte ein ungünstiges Zeugnis aus Aber
manche Leistungen und verschiedene Einrichtungen.
Für die Chorknaben erwirkte Einbeck durch Vermittelung des Graf<en
von Redem die Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligendienst. Auf die
von ihm geschaffene Chorordnung hin wurden die Knaben tiglich von
5 — 7 Uhr im Gesänge unterrichtet, zweimal in der Woche fknden Gesamt-
proben der Männer- und Knabenstimmen statt, außer etwaigen EztraprobeiL
Weiter stellte er Disziplinarbestimmungen auf, die allerdings einen streng-
militärischen Geist verraten, die aber äußerst' heilsam wirkten und die
künstlerische Entwickelung des Institutes wesentlich erleichterten.
An der Gründung des weltberühmten und in seiner Art
einzig dastehenden Königlichen Hof- und Domchores zu Berlin
tatkräftig mitgearbeitet zu haben, war Major Einbecks letztes
und größtes Werk. Auf den Grundpfeilern seiner Organisation ruht
das — jetzt allerdings bedeutend vergrößerte — Institut heute noch.
Mochte seine Tätigkeit in Anbetracht seiner Stellung als Offizier in
den beteiligten Kirchen- und Musikerkreisen zunächst befremdend erscheinen,
so war sie doch von unbestrittenem Erfolg begleitet. Sein ausgesprochenes
Organisationstalent, die hohen musikalischen Kenntnisse und Fähigkeiten,
der kirchliche Sinn und nicht zuletzt sein soldatisch-gerades Wesen er-
warben ihm die Achtung aller Personen, die mit ihm in Berührung kamen,
und im reichsten Maße die Anerkennung seines Königs und Herrn.
Krankheit suchte den Major in den Jahren 1844 und 1845 oft heim.
Doch hinderte ihn dies nicht, seinen Pflichten in der Oberaubicht über
sämtliche Sängerchöre des Gardekorps und des Domchores — so gut es
ging — nachzukommen, bis am 5. August 1845 der Tod seinem Wirken
ein Ende bereitete.
Er konnte die Zuversicht mit ins Grab nehmen, daß die Ziele, die
ihm bei der Leitung des Domchores maßgebend gewesen waren, durch seinen
langjährigen Mitarbeiter erfüllt werden würden. Seine Zuversicht ist zur
Wirklichkeit geworden; denn dieser, der nachmalige «Direktor* des Chores»
Neidhardt, hat den a cappella-Stil geschaffen, der dem Major Einbeck als
Ideal vorgeschwebt hat.
Auf dem Gamisonkirchhof zu Berlin ist ihm ein Grabdenkmal errichtet
worden. Sein Name nimmt einen Ehrenplatz ein nicht nur in der Geschichte
des Königlichen Hof- und Domchores zu Berlin, sondern fiberiiaupt in der
Geschichte der evangelischen Kirchenmusik des 19. Jahriiunderts.
s StSdtlscbe Museum in Erfurt hat vor kurzem ein aus der ersten
I Hllfte des 18. Jahrhunderts stammendes, auf Leinwand gemaltes
' Bildnis erworben, auf dessen Rückseite sich die der gleichen
i Zeit angehörende Inschrift befindet: Job. Sebast. Bach geb. d.
21. Mart. 1685 zu Eisenacb.
Das Porträt ist 0,60 m hoch und 0,44 m breit und zeigt das ein
wenig nach links gewandte Brustbild eines etwa 35 — 40jäfarigen Mannes
mit ausdrucksvollem, von einer halblangen natürlichen Perücke eingerahmtem
Antlitz, an dem besonders die Augen Sympathie erwecken. Die Kleidung
besteht aus einem einfarbig graublauen, bequem geöfheten Rock, unter
dem an beiden Seiten die schmalen Streifen einer orangefarbenen, weiß-
bestickten Weste hervorschauen, einem hellen Batisthalstuch, dessen ver-
schlungene Enden lang auf das geRIltelte Hemd herabfallen, und einem roten
Mantel, der von der linken Schulter fast berabgeglitten ist und vorne über
dem linken Arm sich zusammenbauscht, so daß ein Stück des blauen
Futters sichtbar wird.
Das Bild ist, wie Abbildung I (unrestaurierter Zustand) zeigt, ') zwar
nicht unbeschädigt, aber gerade die Gesichtspartie Ist so gut erhalten, daß
nichts in diesen Zügen unklar bleibt oder der ergänzenden Phantasie bedürfte.
Es entsteht natürlich sofort die Frage: Haben wir es hier mit einem
Originalbildnis des Meisters zu tun? Liegt vielleicht gar das verschollene,
lang gesuchte Erfurter Bildnis Bachs hier vor, dessen Verlust stets so
außerordentlich beklagt worden Ist?
Die bisher bekannten Bachporträts, von denen das Hausmannsche in
der Thomasschule in Leipzig in erster Linie zu nennen Ist, sowie der im
Jahre 1895 gefundene ScbSdel des Meisters weisen, so verschieden sie
auch vielfach erscheinen mSgen, doch mehrere gemeinsame Züge auf:
die untere Gesichtspartie mit dem stark vorspringenden Unterkiefer ist
breiter und wuchtiger als die obere, die Stirn weicht stark zurück, Ist eine
sogenannte afliehende Stirn', die Nase Ist am unteren Ende knollig ver-
■) Siehe die Bellifen dleae« Heftet.
336
DIE MUSIK Vli. 6.
dickt, endlich zeigt sich über der Nasenwurzel eine wulstartige ErhShnog,
die von zwei starken Falten flankiert und hervorgehoben wird.
Von diesen charakteristischen Merkmalen ist nun freilich auf den
neuen Erfurter Porträt zunächst wenig zu sehen. Die untere Gesichts-
partie tritt keineswegs beherrschend hervor, ist vielmehr fast zart ge-
bildet, die Nasenspitze zeigt keine Verdickung und von einem Wulst
zwischen den Augenbrauen ist nichts zu sehen. Auch die fliehende Stirn
scheint zu fehlen, aber dieser Eindruck ist wohl zunächst auf die Be-
schädigungen zurückzuführen, die gerade die Stimpartie des Bildes auf-
weist. Bei dem restaurierten Gemälde (Abbildung 2) erscheint die Steilheit
der Stirn schon ganz bedeutend gemäßigt. Zieht man dazu in Betracht,
daß die Perücke und die Stellung en face den Eindruck des Zurflck-
weichens der Stirne auf dem Bilde schwer darstellbar machen — wie
denn auch das Hausmannsche Porträt diese an Bachs Schädel so charak-
teristische Eigentümlichkeit kaum sichtbar werden läßt — so wfirde auf
diese scheinbare Abweichung wenig Gewicht zu legen sein. Die obere
und mittlere Partie der stark gebogenen Nase und die Augen, deren
schwarze Pupille von einer hellerfarbenen Iris umgeben ist, würden sich
gleichfalls ohne Schwierigkeit mit entsprechenden Gesichtsteilen der übrigen
Bildnisse vereinigen lassen. Bedenklicher ist die Abweichung im geistigen
Ausdruck. Das Erfurter Porträt hat nicht das Kraftvolle, Derbe, Wuchtige,
das uns von Bachs Persönlichkeit untrennbar erscheint, sondern zeigt einen
mehr sensitiven, nach Innen gewandten Mann von vornehmer Passivität.
Das Erfurter Porträt besitzt also wesentliche Merkmale, die sich mit
den anderweitig überlieferten Zügen des Meisters kaum vereinigen lassen.
Aber ist es darum überhaupt zu verwerfen? Ich glaube, daß sich ein
derartiger Schluß nicht rechtfertigen ließe, es sei denn, daß man die obea
erwähnte Inschrift, die das Bild auf der Rückseite trägt, gänzlich ignorierte.
Diese Inschrift ist, wie das Bild selbst, unzweifelhaft etwa um die Mitte
des 18. Jahrhunderts angefertigt, also alt und echt,^) sie sagt unzwei-
deutig, daß der auf dem Bilde Dargestellte Johann Sebastian Bach sei,
und fugt noch Geburtstag und Geburtsort des Meisters richtig hinzu*
Es ist meines Erachtens unmöglich, dieser Inschrift die Beachtung za
versagen. Aus ihr geht mit Sicherheit hervor, daß um die Mitte des
18. Jahrhunderts, vielleicht noch zu Lebzeiten Bachs — denn warum fehlt
das Datum seines Todes (1750)? — dieses Bildnis als Porträt des Meisters
angesehen worden ist; denn daß hier eine wissentlich falsche Angabe
vorliege, wird doch wohl niemand annehmen können. Diesem Zeugnis
') Eine Fälschung ist susgeschlossen, auch Obermalnagen haben al^t stan^
gefunden.
337
OVERMANN: UNBEKANNTES BILDNIS BACHS?
eines Zeitgenossen müssen wir die gleiche, wenn nicht eine stärkere Be-
weiskraft zuerkennen als den obengenannten Abweichungen unseres Porträts
von den übrigen Bachbildnissen. Zeigen doch auch diese unter sich große
Verschiedenheiten, und wer wüßte nicht, daß gerade im 18. Jahrhundert
die subjektive Willkür der Maler besonders stark gewesen ist?
Ich glaube also, daß wir in dem Erfurter Porträt ein Bachbildnis
sehen müssen, ein Bildnis freilich, über dessen Wert für die Beurteilung
des Äußeren unseres Meisters man verschiedener Meinung sein kann.
Wer über die starken Abweichungen von den übrigen Bildnissen nicht
hinwegkommen kann, mag einen Ausweg in der Erklärung finden, da&
Porträt sei, ähnlich dem Bachbild des Joachimsthalschen Gymnasiums in
Berlin, ein nicht nach dem Leben gemaltes Bild, das sich irgendein
Bachverehrer damals hat anfertigen lassen. Dagegen muß die Frage, ob
wir es hier mit dem Bachporträt zu tun haben, das sich, wie wir be-
stimmt wissen, im Besitz des 1809 verstorbenen Bachschfilers Kittel, des
Organisten an der Predigerkirche in Erfurt, befunden hat, wohl verneint
werden. Zwar stammt unser Bild aus Erfurt — es wurde von dem bis-
herigen Eigentümer vor 40 Jahren auf dem Dachboden eines Hauses in
der Michaelisstraße gefunden — aber wir wissen aus literarischer Über-
lieferung, daß das Kitteische Porträt den Meister in höherem Lebensalter
und im Staatskleide darstellte. Beides trifft aber hier nicht zu.
Immerhin wird man an dem Erfurter Bilde, dessen leider unbekannter
Maler übrigens auch gute künstlerische Qualitäten zeigt, nicht vorbeigehen
dürfen. Die Bachforschung auf dieses neue Porträt aufmerksam zu machen,
war der Hauptzweck meiner Ausführungen.
VII. e. 22
fhx HofTmanns acbtzigstem Todeslage, dem 25. Jaai 1002, schrieb
ich an dieser Stelle, In unseren Tagen sei es endlich verandit
worden, den Dichter nach seinen eigenen Gesetzen zu be-
werten: im November 1899 von Ricarda Huch (seitdem wieder-
holt in dem Buche .Ausbreitung und Verfall der RonuntilE") und Im Juni
1900 von Franz Blei (wiederholt im „Prinzen Hypollt'). Dagegen habe
es mit der Würdigung des Musikscbriftstellers und Komponisten
HofFmann noch gute Wege: es fehle noch an der ersten VonnsKtznng
dazu, nämlich an einer Publikation des Materials.
Meinem Aufsatze lag eine Probe von Pfitzners KUvieranszng
der HUndine' bei, der bekanntlich Inzwischen bei C. F. Peters in
Leipzig erschienen ist und nun endlich Hoffmann den Komponisten
wenigstens in seinem Hauptwerke vorstellt. Femer sind in der Zwischen-
zeit drei neue Partituren Hoifmanns entdeckt: die Oper des Jahres 1804,
Srentano's .Lustige Musikanten', im Pariser Konsenratoriam durch
Hoffmanns besten franzSsischen Freund Henri de Curzon; nnd die
beiden Opern des Jalires 1811, Holbeins .Aurora" und SeyMeds .Sani*
(deren Texte bisher unter Südens Namen gingen), im Wfirzbnrser Theater-
archiv durcb Herrn Max Voigt.
So gut wie nichts geschehen ist dagegen für Hoffmann den Musik>
Schriftsteller.
Seine TItigkett als solcher scheidet sich scharf In zwei Perioden: in
der ersten, 1809 — 1814, ist Hoffmann Musiker von Beruf in Bamberg,
Dresden und Leipzig, und sein Hauptorgan ist die Leipziger »All-
gemeine Musikalische Zeitung"; in der zweiten, 1815—1821, Ist er
am preußischen Kammergericht tätig und schreibt In der Regel fBr
Berliner Blätter. Ein Programm zu deren Durchsicht habe ich hier
1902 aufgestellt; leider scheint bisher niemand derartige Vorarbeiten auch
nur in Angriff genommen zu haben. Es liegt auf der Hand, dafl bei
keinem Künstler, den einzigen Goethe ausgenommen, eine Arbeltstellnng
unter den Forschern nötiger wäre; aber jeder, der die inOere MScIIcbkelt
dazu hat, gibt auf eigene Faust .Hoffmanns rousikaliscbe Schriften* oder
339
MOLLER: HOFPMANN CONTRA SPONTINl
Pi^SD
gar «Hoffmanns sämtliche Werke** heraus und will ernten, ehe überhaupt
an eine Aussaat gedacht ist.
Ober das, was zur Feststellung von HofFmanns Mitarbeit an der
»Allgemeinen Musikalischen Zeitung" bisher(1813 — 1907) gelegent-
lich unternommen ist, werde ich demnächst an anderem Orte berichten.
Heute teile ich den Lesern der «Musik* das Schlußstück dieser ersten
Periode von Hoffmanns Musikschriftstellerei mit, das nach dem Orte der
Abfassung schon in die zweite Periode gehört: seinen ersten Berliner
Musikaufsatz, der zugleich der letzte theoretische Aufsatz für die »All-
gemeine Musikalische Zeitung** bleiben sollte.
Die Redaktion hatte Hoffmann bald nach seiner Ankunft in Berlin
(27. September 1814) aufgefordert, von Zeit zu Zeit über wichtige Musik-
ereignisse in der preußischen Hauptstadt zu schreiben, und er sandte am
10. Dezember 1814^) den ersten [und leider einzigen] derartigen Be-
richt. Er zerfällt den besprochenen Gegenständen nach in vier völlig
gesonderte Teile, die nur äußerlich durch rein stilistische Überleitungen
verbunden sind; um die Erläuterung übersichtlicher zu gestalten, habe
ich mir erlaubt, die vier Teile zu trennen und bin auch sonst in der
Einführung von Absätzen frei verfahren.^)
Der Aufsatz erschien im zweiten Stück des XVII. Jahrgangs, vom
11. Januar 1815 (Spalte 17—27) und lautet:
Briefe über Tonkunst in Berlin.
Erster Brief.
Du kannst denken, daß ich jezt, da manches Geschäft jener Art,
welche man die „ernstere'' zu nennen pflegt, auf mir lastet, eben so wenig
als sonst, da meine innere Stimmung mich davon zurückhielt, in den reich-
haltigen musikalischen Genüssen schwelge, die sich hier darbieten. Nur
die Musik, von der ich sicher voraussetzen kann, daß sie entweder mein
Inneres wahrhaft aufregen, oder wenigstens ganz eigentlich meine Kunst-
erfahrung bereichern wird, spare ich mir auf, und lasse mich weder im
Theater noch im Conzertsaal zu oft finden. —
[I. Berliner Musik 1808 und 1814.]
Nach meiner langen Abwesenheit von B[erlin')] trat ich zum ersten-
') Die interessanten Begleitbriefe an Verlag und Redaktion der »Allg. Mus. Ztg.*
erscheinen etwa gleichzeitig hiermit in den »Süddeutschen Monatsheften".
*) Hoffmann rückt nie ein bei Beginn eines Absatzet; wenn also In seinem
Manuskript eine Zeile mit einem Punkte schloß, blieb es dem Setzer überlassen, ob
er danach einen neuen Absatz beginnen wollte oder nicht.
^ Seit August 1808.
22*
342
DIE MUSIK VII. 6.
danken kommen, als der herrliche Meister, den ich, nachdem er so lang^
abwesend war, hier wieder traf zu meiner innigsten Freude? Du weißt es
längst, daß Bernhard Romberg seit geraumer Zeit hier ist. Ich wußte
es auch, und dennoch war es mir erst recht deutlich, daß er in der Tbat
wieder unser sey, als ich die Ankündigung seines Conzerts las. Er bat
mit wahrer Liberalität, wie sie dem echten Künstler ziemt, auch in manchem
andern Conzert gespielt: doch mochte ich ihn nur in dem seinigen, wo der
Brennpunkt des Ganzen er selbst war, sehen und hören. Ich sage mit
Bedacht: sehen und hören. Die allgemeine Begierde, Im Conzert nicht
allein zu hören, sondern auch zu sehen, das Drängen nach Plätzen im Saal,
wo dies möglich ist, entsteht gewiß nicht aus bloßer, müßiger Sdiaulust:
man hört besser, wenn man sieht; die geheime Verwandtschaft von Lidit
und Ton offenbart sich deutlich; beydes, Licht und Ton, gestaltet sich in
individueller Form, und so wird der Solospieler, die Sängerin, selbst die
ertönende Melodie! — Das klingt sonderbar, ich gestehe es: aber sieh und
höre unsem herrlichen Bernhard, dann wirst Du erst recht verstehen, was
ich meine, und mir exzentrische Unverständlichkeit gewiß nicht vorwerffen.
Die völlige Freyheit des Spiels, die unbedingte Herrschaft über das In-
strument, so daß es keinen Kampf mit dem mechanischen Mittel des Aus-
drucks mehr giebt, sondern das Instrument zum unmittelbaren, zwanglosen
Organ des Geistes wird: das ist ja doch wol das höchste Ziel, womach
der ausübende Künstler strebt; und wer hat dies Ziel mehr erreicht, als
Romberg! Er gebietet über sein Instrument, oder vielmehr dies ist mit
aller seiner Stärke und Anmuth, mit seinem ganzen, seltenen Reichtum
der Töne, so zum Organ des Künstlers geworden, daß es, wie ohne allen
Aufwand mechanischer Kraft, wie von selbst alles ertönen läßt, was der
Geist empfunden. Nicht gleichgültig ist es in dieser Hinsicht, daß Rombeig
niemals Noten vor sich hat, sondern alles, frey vor den Zuhörern sitzend,
auswendig spielt. Du kannst es nicht glauben, welchen eignen Eindruck
dies auf mich machte. Die Soli seines Conzerts wurden mir zur freyen
Fantasie, im Augenblick der höchsten Anregung empfangen; all die wunder-
baren, oft von der dunkeln Tiefe zur lichtesten Höhe aufblitzenden Figuren
brachen wie aus dem vom Moment erhobenen Gemfithe hervor, und nur
der sich so mächtig verkündende Geist schien die Töne zu wecken, die,
sich ihm fügend und ihm in allen Verschlingungen folgend, im Orchester
erklangen. — Deshalb meinte ich vorhin, man müsse den herrlicben
Meister nicht allein spielen hören, sondern auch spielen sehen; denn
noch mehr vermag man es dann zu fassen, auf welcher Höhe der Kfinttler
steht, und wie sein Spiel mit dem Spiel von der größten Freyheit und
unbedingtesten Herrschaft über die Mittel des Ausdrucks zeugt — Nur
diesen ganz besonderen Charakter von Rombergs Spiel habe ich er-
343
MOLLER: hoffmann CONTRA SPONTINI
wähnen mögen, weil Du übrigens schon weißt, daß, wie jener Charakter
des Spiels es auch schon voraussezt, Romberg alle die Eigenschaften,
welche man sonst an Violoncellspielern zu rühmen pflegt, in so hohem Grade
besizt, daß er wenigstens für jezt von keinem übertrofPen wird. — In dem
Conzert wurde, wie es recht und billig war, auch eine Sinfonie von des
Künstlers Composition aufgeführt, die mir von neuem bewies, wie der
Geist seines Spiels auch in seinen Compositionen vorherrscht. Beyden,
seinem Spiel und seinen Compositionen, ist eine ganz besondere Klarheit,
Anmuth und Zierlichkeit (Eleganz) eigen, und so war auch wieder die
Sinfonie, sich in manchen melodiösen Sätzen und geschmeidigen Modula-
tionen bewegend, von der angenehmsten Wirkung. Freylich war von jenen
tieferen, recht das Innerste ergreifenden Anregungen, wie sie Mozartsche
und Beethovensche Sinfonien bewirken, nicht die Rede, und mich ließ
vorzüglich der Schlußsatz recht kalt und nüchtern: indessen giebt es ja
wohl gar viele, die eben nicht gern in schauerliche Tiefen hinabsteigen,
sondern lieber auf lichter Fläche bleibet}; und diese hören in solcher
Musik, wie die Sinfonie war, doch noch immer viel Besseres, als das, was
sie für gut halten; der gewohnten Kost ist manches seltnere Gewürz
hinzugefügt, und so mag sich der verschwächlichte Magen nach und
nach stärken. — Romberg hatte das Conzert, welches er vortrug, ein
mil itairisch es genannt. Du weißt, wie ich über diese Sachen denke:
ich sah mich gleich nach der großen Trommel um, und erblickte wirklich
dieses, für mich wenigstens, im Conzertsaal feindliche Prinzip richtig in
einer Ecke des Orchesters. Doch war des Lärms nicht zu viel; der
Meister hatte nur wenig Tumult im Sinne gehabt, und das Ganze, in seiner
Anmuth und Heiterkeit, deutete mehr auf ein frohes, ritterliches Soldaten-
leben, etwa in einem Lustlager, als auf Kampf und Schlacht. Soll nun
einmal die Musik sich um solch einen Ausdruck des Individuellen
kümmern: so ist es allerdings richtig, daß die schärfer gehaltenen Rhythmen
das Militairische bezeichnen können, denn, außer an das Marschiren, er-
innert dies auch an den schärferen Rhythmus, mit dem der Soldat über-
haupt im Leben auftritt. Das erste Allegro dieses Conzerts gefiel mir
besonders wohl. Unwillkürlich dachte ich an Fouqu6's Erzählung: die
beyden Hauptleute; ich sah in dem glühenden Glanz der südlichen
Sonne die spanischen Regimenter mit fliegenden Fahnen und frohem,
muthigen Jubel daher ziehen; Du weißt, daß solche Bilder mir nicht anders
aufsteigen können, als in wahrer Anregung, und daher wurde mir das
militairische Conzert, wider das ich in der That einiges Vorurtheil hegte,
gar lieb und werth, so daß ich das ganz allerliebste, heitre, und doch in
allerley wunderlichen Irrgängen schweifende Rondoletto, das der Künstler
noch vortrug, weniger genießen konnte. Die Spanier lagen mir noch im
WL
344
DIE MUSIK VII. 6.
Sinn, ihre Fahnen wehten mir noch vor Augen. Den Liebhabern masika-
lischer Raritäten zollte der Künstler zulezt endlich seinen Tribut, indem
er sogar noch einen niedlichen, kleinen Dudelsack hervorlangte.^) Ge-
sungen wurde auch im Conzert, und zwar recht gut: jedoch schienen mir
die Sachen nicht sonderlich gewählt. Während des Gesangs dachte ich,
ehrlich gesagt, an etwas Anderes, wiewohl Verwandtes, nämlich an die
Oper, und nahm mir fest vor, mich von nun an um die Anschlagezettel
zu bekümmern.
[III. Sacchinis «Oedipus auf Kolonos"^
am 9. November im Schauspielhaus.]
Hoffmann hatte im Sommer 1814 an einen Ausspruch Sacchinis einen
wichtigen Aufsatz angeknüpft, der am 20. Juli in der Allg. Mus. Ztg. erschien.
Sacchini soll gesagt haben. In der Kirchenmusik könne man modulieren, in
der Oper müsse man einfach sein. Hoffmann führt nun aus, daß gerade das
Umgekehrte richtig sei; in der Tat habe aber Sacchini bezfiglich der Kirchen«
musik jedenfalls nur an ein Modulieren in Art der älteren Italiener gedacht and
bezfiglich der Oper scheine ihn Gluck bekehrt zu haben, »denn sonst wfirde
er, dem von ihm selbst aufgestellten Prinzip zuwider, nicht die staike, hefUg
ergreifende Fluchscene im Oedipe ä Colone gesezt haben.* Jetzt hörte Hoff-
mann diese Oper wiederc
So erfuhr ich denn einmal, daß Sacchini's Oedip im Schauspielhause
gegeben würde, und Du stellst Dir vor, daß selbst eine dringende Arbeit
mich nicht abhalten konnte, die Oper zu hören. Erinnerst Du Dich wohl
noch, wie wir sonst über den alten Meister zu urtheilen ; wie wir, Gluck's
gar nicht einmal zu erwähnen, ihm selbst Piccini vorzuziehen pflegten?
Wir nannten damals seine Musik weichlich, geziert, und was weiß ich
sonst noch! Aber wie fühlte ich jezt, als ich nach so langen Jahren die
Oper wieder hörte, so tief, daß Rücksichts des hohen, wahrhaft tragischen
Ausdrucks, der edlen Einfachheit Sacchini in der That jenen Meistern an
die Seite zu stellen ist! Ganz herrlich und von eindringender Wirkung
sind die Chöre des ersten Akts, so wie die Szenen Oedips and der
Antigene. Unerachtet ich die Schick vermißte, unerachtet die Rolle des
^) Das ist bildlich zu verstehen. In dem Berichte der Spenerschen Zeiiaag
vom 25. Oktober heißt es: „Das Capriccio über einige Themata von sehvediachen
Volksliedern [also No. 6 des Programms] endet als musikalischer Spafi mit dem
täuschend und originell nachgeahmten Anklingen des Dndelaaeks und be*
lustigte ungemein." Ebenso sagt der Berliner Referent der »Allg. Mus. Ztg.* (28» DesJ,
das Capriccio ende »mit dem tSuschend nachgeahmten Dndelsaek'.
^) Antonio Maria Caspare Sacchini, geb. Pozzuoli bei Neapel 1734^ idrkt»
in Rom, Venedig, London, Paris und starb hier 1786. Seine Oper »Oedipua aoff
Kolonos* wurde erst drei Monate nach seinem Tode 1787 zu Paris auiJiefUrt; in
Berlin ist sie 1797—1824 47 mal gegeben worden.
'^ % »•
345
MOLLER: hoffmann CONTRA SPONTINI
Oedip, dem Sinn und der Weise des Ganzen zuwider, mit Manier und
Prätension vorgetragen wurde: so war doch durch die sonst gelungene
Darstellung, zu der das Orchester wohl das meiste beytrug, mein Innerstes
angeregt, und mir schwebten die mächtigen Klänge noch lange in Sinn
und Gedanken. —
«
[IV. Spontinis »Ferdinand Cortez*
am 13. November im Opernhaus.]^)
In dem Aufsatz vom 20. Juli hatte Hoffmann weiter ausgeführt, daß Glucks
Art von seinen Nachfolgern — zweifellos meint er damit in erster Linie Spon-
tini — ebenso verballhornt sei, wie der »Götz* in den Ritter- und Rluberromanen
und der »Werther* im »Siegwart*: man habe rein äußerlich auf Effect hin drauf
los moduliert und instrumentiert. Diesem Unfug gegenüber sei folgendes fest-
zustellen über den Effect guter Musik:
1. Die Hauptsache in jeder Musikgattung ist singbare Melodie.
2. Modulationen sind nur statthaft, wo die Situation sie fordert und nur so,
wie sie sie fordert: »Der ächte Genius sinnt nicht darauf, zu frappiren durch
erkünstelte Künstlichkeit, die zur argen Unkunst wird.* Die Tonanen müssen
aber in Beziehung zu einander stehen: »Es ist, als ob ein geheimes sym-
pathetisches Band oft manche entfernt Hegende Tonarten verbände und [als]
ob unter gewissen Umständen eine unbezwingbare Idiosynkrasie selbst die
nächstverwandten Tonarten trenne. Die gewöhnlichste, häufigste Modulation,
nehmlich aus der Tonica in die Dominante und umgekehrt, erscheint ... oft. . .
widrig und unausstehlich.*
3. Die Instrumentirung ist sehr wichtig, theoretisch aber schwer faßbar. Im
allgemeinen ist zu bemerken: »Jedes Instrument trägt, RCcksichts der Verschie-
denheit seiner Wirkung in einzelnen Fällen, hundert andere in sich, und es ist
z. B. ein thörichter Wahn, daß nur ihr Zusammenwirken unbedingt das
Starke, das Mächtige auszudrücken im Stande seyn sollte.* Insbesondere
müssen
4. die Figuren der Begleitung aus dem Innern des Werkes organisch hervor-
blühen, nicht mechanisch aufgeklebt sein, und
5. ebenso wenig darf die Wahl der Tonart willkürlich sein.
Hoffmann hatte einen Abzug dieses Aufsatzes behalten, um ihn für die
»Fantasiestücke* zu verwerthen. Er wendet nunmehr an der Hand der älteren
Arbeit deren fünf Thesen in gleicher Reihenfolge auf Spontinis
» Corte z* an (im dritten Absatz der hier folgenden Krhik; wir haben die fünf
Stichworte gesperrt).
[1. Das Werk.]
Wenige Tage darauf hörte ich im Opernhause Spontini's Cortez.
Wie soll ich Dir denn die wunderliche Musik recht nach ihrem wahren
Charakter bezeichnen? Man sagt hier und so ziemlich überall: Spontini
^) Dritte Aufführung; die erste hatte am Geburtstage des Kronprinzen, dem
15. Oktober stattgefunden, die zweite am 28.
346
DIE MUSIK VII. a
komponirt im großen» tragischen Styl; er tritt in Gluck's FaBtapfen: nnr
instrumentirt er viel reicher, oft zu reich, und ist gar zu kfinstlich in der
harmonischen Struktur, vorzüglich hinsichtlich der Modulationen. Mir
scheint dies Urtheil gar nicht recht in die Sache einzugreifen. KSnnte
man überhaupt annehmen, daß Spontini in einem wahrhaften, gehaltenen
Styl komponire, so würde ich diesen Styl nicht sowohl groß and tragisch,
als gewaltsam nennen; indessen bekenne ich, daß es mir vorkommt, als
könne man eben den Mangel jenes gehaltenen Styls dem Meister mit Recht
vorwerfen, ja sogar behaupten, daß ihm überhaupt mehr Manier als Styl
eigen sey.
Glaubst Du nicht, daß der eigentliche Styl in der Musik aus der
lebendigsten Erkenntniß einer bestimmt eingegränzten Region und ihrer
Gestalten hervorgehe? Jene Erkenntniß ist dem wahren Meister eigen;
mit tiefen, klaren Geistesaugen schaut er jene Gestalten und hSrt, wie
nur in Einer Sprache ihrer Heimath Liebe und Haß, Entzücken und Ver-
zweiflung ertönen. Aus dem Innersten des Meisters heraus formt sich
das Objektive, in sich Abgerundete: aber eine vage, nur von Afißem an-
geregte Fantasie schwärmt umher im ungemessenen Raum, wo bnntscheckige
Figuren, den verschiedensten Kreisen entronnen, in wüster Sprachver-
wirrung durcheinander toben. Es ist wohl Schwäche oder Unbehülflichkeit
des innem Geistes, wenn er vergebens darnach ringt, ans sich heraus zu
formen, so daß die Gestalt, wie die Maler sagen, sich los macht und 1^
erscheint. Der wahrhaft objektive Charakter bleibt unerreichbar: Ihn toll
der subjektive, individuelle ersetzen, der überall sich anhängt; das Farblose
wird eintönig angetüncht, und bleibt farblos. Hieraus entsteht ja doch das,
was wir Manier nennen, die, wie ich glaube, nichts anderes ist, als der
Ausdruck einer stereotypischen Subjektivität des Künstlers. — Von Styl
und Manier, höher genommen, als dem Meister inwohnende Geistetkraft,
könnte man wohl behaupten, daß der Styl Gedanken, die Manier dagegen
Einfälle gebäre. So wie jene in wunderbarer Wechselwirkung sich ant
den objektiven Gestalten, die das Innere des Künstlers erzeugte, entzfinden,
so sind diese bunte Capriccios, die der Laune des Individuums in tubfek-
tiver, augenblicklicher Anregung entsprießen, und nichts deuten und tagen,
als eben jene bey entflohenem Moment unverständliche Anregung telbtt —
Besteht nun, wie es mich dünkt, der wahre Styl in der Musik in den
reinen, unverfälschten Wiedergeben der objektiven Sprache einer be-
stimmten Region: so kommt, um ihn zu behaupten, es wohl invörderst
und hauptsächlich auf die Erfindung der Melodie an, die bey dem Aus-
druck der verschiedensten Leidenschaften und Situationen eben jene Sprache
in ihrer eigensten Eigenthümlichkeit seyn und bleiben toll. Nor das
wahre, tiefe Genie löst diese wunderbare Aufgabe giflcklicta, und eben to
347
MOlLER: hoffmann CONTRA SPONTINI
wenig kommt es dann wieder auf äußere, positive Bedingnisse und Formen
an, als diese, ist jene Aufgabe nicht gelöset worden, dem lockern Gewebe
Haltung und Einheit geben können. Um der bestimmten Region musi-
kalischer Darstellungen, von der hier die Rede, nämlich der großen,
tragischen Oper, näher zu treten, gedenke ich nur Glucks, dessen ein-
fachste, kunstloseste Lieder voll in das Innerste dringenden, tragischen
Pathos sind; und gerade in dieser Hinsicht steht ihm Spontini weit nach,
oder vielmehr gerade in den verfehlten oder vielmehr nicht im Ganzen
zusammengreifenden Melodien dieses Meisters entdecke ich den ihm vor-
geworfenen Mangel des wahrhaften Styls. — Du wirst mir eingestehen,
daß ich mit aufgeschlagener Partitur Dir jede Melodie nachweisen müßte,
um meine Meinung ganz auszuführen; da dies aber nicht möglich, magst
Du künftig, wenn Du den Meister kennen gelernt, die Richtigkeit der
Resultate wohl erwägen, die sich mir aus der genauesten Beachtung seiner
Musik ergeben haben. Ich finde nehmlich, daß Spontini Rücksichts der
Melodie meistens dem Tiefernsten, Hochtragischen das Barocke, Zerrissene,
dem Anmuthigen das französirend Hüpfende, dem Einfachen das Leere
substituirt; daß aber vorzüglich die Melodien selbst oft aus den ver-
schiedensten Elementen gewebt sind, und so nicht aus dem innersten Geist
geformt und gestaltet hervorgegangen, sondern nach aüßem Anregungen
künstlich zusammen gebaut zu seyn scheinen. — Was nun zunächst den
harmonischen Stoff Spontinischer Musik betrifft, so kommt der mir so
unbehülflich, so steif und starr vor, daß es mich dünkt, der Meister
herrsche keinesweges nach freyer Willkür in dem wunderbaren Reiche der
Harmonie. Nur zu deutlich entdeckt man überall das beynahe ängstliche
Streben nach dem frappantesten Effekt: aber schon durch das sichtliche
Hervortreten jenes Strebens wird dieser vernichtet. Spontini's Uebergänge
sind beynahe immer gewaltsam, oder vielmehr nicht Uebergänge zu nennen.
Erst ein peinliches Hin- und Herwogen in Tonica und Dominante, dann
plötzlich Fall und Sturz in die entfernteste Tonart, die in der Musik
immer die zunächstliegende ist. Rastlos wird der Zuhörer hin- und her-
gestoßen, und kein Moment der Handlung kann ihn wahrhaft ergreifen. —
Wer ist nicht überzeugt, daß in dem Reichthum der Instramente, in
ihrem Zusammenwirken, ein mächtiger, unwiderstehlicher Zauber liegt,
und daß keiner Gattung der Musik djsr Schmuck jenes glänzenden
Reichthums besser ansteht als eben der tragischen Heldenoper! Dies
bewog ja den unsterblichen Gluck, dem Orchester Instrumente hinzuzu-
fügen, die «man damals im Theater noch nie gehört hatte. Aber eben
dieses Meisters . Musik beweiset auch, daß die stärkere Instrumentining
nur dann zu wirken vermag, wenn sie die wahrhaft energische, innere
harmonische Struktur kräftiger heraushebt, and wenn aus den tiefsten
Mf
348
DIE MUSIK VII. 6.
Motiven der Handlung selbst auch der Gebrauch der verschiedenen In-
strumente nach ihrem individuellen Charakter hervorgeht. So ist es also
nicht die vermehrte Stärke des Tons, ohne weitere Beziehung, sondern
das mächtigere Ertönen des kräftigen, festen, harmonischen Ganges, den
keine seltsamen Sprünge unterbrechen, welches den Zuhörer erschfittert.
Aber nur auf den starken Ton scheint es Spontini abzusehen; denn bey-
nahe immerwährend ertönen sämmtliche gewöhnliche Blasinstrumente, und
noch überdem Posaunen, kleine Flöten, Triangel und Becken, bis zur Be*
taübung des Ohrs. Überall, wo nur irgend ein erhöhter Ausdmck des
Moments denkbar, strömen alle äußere Mittel zusammen, und so wird
jeder Klimax unmöglich. Das Undeutliche, ja Verwirrte und Verwirrende
mancher Sätze Spontinischer Musik liegt in den nur zu oft wiederkehrenden
rhythmischen Rückungen, so wie auch großentheils in den seltsamen, ans
hundert dissonirenden Noten und Nötchen bestehenden Figuren, womit
die Violinen gequält werden. Zumal im großen Hause hört man oft ein
übelklingendes Schwirren, in dem sich die Grundharmonie verliert. —
Endlich sucht der Meister durch die Wahl ungewöhnlicher Ton«
arten, in denen er ganze Sätze schreibt, auch den ungewöhnlichen Effekt
hervorzubringen. Verwerflich mag ich das nicht nennen, aber mißlich
bleibt es, den Ausdruck des Moments darauf zu stellen, schon der be-
währten, praktischen Erfahrung wegen, daß in fremden Tonarten, Cis dur,
Fis dur. Des moll etc. die Bläser ohne ihre Schuld distoniren und von
vierundzwanzig Violinen vielleicht sechs bis acht nicht alles rein greifen«
Nach allem diesem scheint es mir, daß es der Spontinischen Musik
gänzlich an innerer Wahrheit mangle, und daß hieraus es sich dann von
selbst erkläre, warum sie nicht tief in das Gemfith des Zuhörers ein-
dringen könne. Glaube aber ja nicht, daß, so ungünstig Dir mein Urtheil
über den Cortez erscheinen mag, ich dem Meister Genie und Talent ab*
spreche: vielmehr halte ich ihn für viel besser, als er sich bis jezt g^
zeigt hat. Selbst im Cortez giebt es oftmals Anklänge (vorzüglich im
zweyten Akt), die, wie aus einem fremden Gebiet herübergekommen, anf
die eigentliche Heimath des Meisters deuten, die er nur hartnicUg ver-
leugnet. Hier und da (wie z. B. in einem Terzett des zweyten Akts)
schimmert gefügiger, ja italiänischfließender Gesang durch; aber er wird
gleich gewaltsam zerrissen. Sollte Spontini's Genius nicht ganz etwas
anderes schaffen können, das, war' es vielleicht auch nicht tragisch groB
zu nennen, schon darum viel besser seyn möchte, weil es wahrhaft ans
seinem Innern hervorgegangen wäre, und so, zum Leben erglfiht, andi
den Funken in die Brust des Zuhörers werfen würde, statt daß jezt dne
Oper wie Cortez trotz alles Aufwandes aller Mittel, Glnth und Leben
hineinzubringen, todt und starr bleibt? Sollte die Umgebung, die Bfibne,
HL
349
MULLER: HOFFMANN CONTRA SPONTINI
für welche er zunächst schrieb, nicht auf den Meister gewirkt haben?
Diese trunkne Nüchternheit, diese kalte Gluth, dieser klanglose Lärm, wie
er leider in so vieler moderner Musik jezt zu finden, ging ja von dort
aus! Posaunenklänge, dumpfe Schläge der großen Trommel, öfteres Ge-
quieke der kleinen I:löte, und vor allen Dingen — Tänze, Tänze und
wieder Tänze: was bedarf es mehr, um zu locken, damit sie glauben
sollen? und sie glauben wirklich! —
[2. Die Aufführung.]
Was äußerer Pomp, was sinnige Anordnung der Szenerie vermag,
um die innere Dürftigkeit zu verstecken, war hier geschehen, trotz jener
Bühne, von der ich vorhin sprach. Du weißt, daß schöne Dekorationen
und geschmackvolle Anzüge mich auch recht sehr interressiren, und so
gab ich mich gern, mir nur einige Taubheit wünschend, der Augenlust
hin und sah die bunten Mexikaner und ihre noch bunteren Weiber in den
wunderlichen, fantastischen Säulenhallen ' gar munter herumhfipfen und
springen. — Eine solche, in sich zerrissene Musik, wie die des Cortez,
ist, wie Du mir zugeben wirst, für die Sänger und für das Orchester eine
nur zu schwere Aufgabe: aber die Präzision, der ganze Schwung der Dar-
stellung bewies eben so den seltenen Fleiß, mit dem die Musik einstudirt
worden, als der Umstand, daß dessenungeachtet mancher kleine Fehler
vorfiel, lediglich den unnöthig herbeygeführten Schwierigkeiten, keinesweges
aber dem Orchester zuzuschreiben war. — Mit der Sängerin, die die Haupt-
rollen übernommen, ^) würde Spontini, in dessen Adern doch italiänisches
Blut fließt, keinesweges zufrieden gewesen seyn. Es ist nicht zu leugnen,
daß diese Frau viel natürliche Anlagen und eine ziemlich tonreiche Stimme
hat: dagegen glaube ich aber, daß es ihr ganz an einer deutlichen Idee
fehlt, was singen heißt, sonst würde sie, eben bey jenen guten Anlagen,
mit aller Mühe, mit aller ihr inwohnenden Kraft darnach trachten, wirklich
zu singen aus der Brust und nicht aus zusammengedrückter Kehle zu
ächzen und zu lamentiren, welches vielleicht für Ausdruck gelten solL
Ganz unausstehlich ist vorzüglich in mehrstimmigen Sachen das beständige
Hinauf- und Hinunterziehen der Töne, welches die Italiäner cercar la
nota nennen, und welches nur zu oft in ein schmerzliches Heulen aus-
artet. Dagegen wurden die anderen Parthien, vorzüglich der Cortez, sehr
brav gesungen,^ und ich habe Dir, mein theurer Freund, das alles so
ausführlich gesagt, damit Du, kommst Du wirklich nach B[erlin], wie Du
willens bist, ja nicht saümen mögest, sofort nach dem Opernhause zu wandeln.
') Mftd. Schulz (1813—1831 am Theater).
') Cortex von Ennike, Teluco von Blume, Alvarex von Stfimer uaw.
aBK
350
DIE MUSIK VIL 6.
wenn Cortez angekündigt ist. Höchst merkwürdig in vieler Hinsicht bleibt
die Darstellung, und auch höchst erfreulich mag sie seyn» wenn man noch so
kindlichen, unbefangnen Sinnes ist, wie eine hübsche junge Frau, die
hinter mir im Parket saß, und beynahe aufgejauchzt hätte vor Freude, als
der mexikanische Götze in dem Tempel umgestürzt wurde. Sie hielt das
nehmlich für eine sinnreiche Anspielung auf den Sturz der Statue Napoleons
in Paris, wie das bekanntlich erzählt wurde pp.
Der vorstehende vierte und Haupt-Theil des Aufsatzes wird vielen eine
Ueberraschung sein. Zunächst in seiner allgemeinen Tendenz. Im zweiten
Absatz wird aufs schärfste der Gegensatz zwischen objectiv-classischer Kunst
und subjectiv-capriciöser formulirt: der objective Künstler bilde Gestalten, die
„in sich abgerundet", gewissermaßen körperlich sind und sich daher vom
Bildner »losmachen und frei erscheinen können"; der Subjective vermöge
nur für den Moment seltsam »buntscheckige Figuren" mit der Zauber-
laterne an die Wand zu werfen. Stärker kann kein Classicist seine Abneigung
gegen alle romantische Willkür in Dichtung, Malerei und Musik aus-
sprechen.
Und dann die Nutzanwendung auf Spontini, der für unseren Kritiker
nicht etwa zu viel, sondern zu wenig Stil hat. Der Gelehrte, der bis heute
bei weitem das Hauptverdienst an der Würdigung von HolTmanns Mnsik-
schriftstellerei hat, meint, es habe bei Hoffmaims musikalischer Richtung
„gar nicht anders sein können", als daß er .die größte Verehrung vor
Spontini als Componisten" hegte. Wie wir sehen, ist dem mindestens die
Einschränkung hinzuzufügen: »sobald er Spontinis eigenthfimliche Größe
begriffen hatte".
Ende 1814 war das noch nicht der Fall; damals that sich Hoffmann
(brieflich) etwas darauf zu gute, »jenen Tumultuanten" zu brandmarken,
und damals hätte er Wort für Wort unterschrieben, was z. B. 1893 (in
der Allg. D. Biographie) der gemäßigte Wagnerianer Robert Eitner von der
,Vestalin' sagt: «Große Chormassen traten dem Sologesangs gegenüber,
und die Hauptsache: dem schaulustigen Publicum wurde durch Decorationen
und brillante Aufzüge Genüge gethan. Spontini's Erfindungskraft hielt
zwar den großen Aufgaben nicht das Gleichgewicht, doch verstand er die
Unbedeutendheit durch Orchester- und Chorlärmen zu übertünchen. Die
Schlag- und Lärminstrumente, die einst nur die Militärmusik kannte» fanden
jezt Eingang in das Opernorchester, und die Zusammenwirkung so vieler
fremdartiger Elemente wirkte in so fesselnder Weise, daß sich Kunst-
kritiker wie Laie[n] davon bestechen ließen und einer Kunstgsttnng zu-
jubelten, die doch den Keim des Verderbens jedes Kunstideals in sidi
K
351
MÜLLER: HOFFMANN CONTRA SPONTINI
^. W
trug.* Oder vom ,Cortez^* Spontini hasche darin .immer mehr in
äußerem Glanz und lärmender Instrumentation nach EfFecten*.
Wie aber Ellinger nachgewiesen, hat Hoffmann sechstehalb Jahre
darauf dem selben Meister öffentlich (in der Vossischen Zeitung) gehuldigt
wie einem einziehenden Könige. Es heißt in dieser Begrüßung u. a.:
«deinen Werken entstralt in vollem Himmelsglanz das Wahrhaftige, wie
den Werken unseres Händel, Hasse, Gluck, Mozart und aller der Meister,
die in Wort und Ton nur achtes, edles Metall ausprägen und nicht prahlen
dürfen') mit flimmerndem Rauschgold". Ein Jahr darauf schreibt Hoffmann
in der Anzeige der ,01ympia^ (in der Theaterbeilage des ,Freimüthigen^;
dieser sein wichtigster Berliner Musikaufsatz ist zuerst von Ledebur nach-
gewiesen): .Die der Olympia vorhergegangenen Opein, die Vestalin und
Cortez, haben schon auf das überzeugendste [!] dargethan, daß Spontinis
Compositionen nichts wollen, nichts beabsichtigen als den dramatischen
Ausdruck in seiner höchsten Stärke und Vollendung ... Da nun aber
die wahre Kunst billig verlangt, daß das Drama, möge es sich gestalten
wie es wolle, wirklich dramatisch sich ausspreche, so sei der Meister
hoch gepriesen, der in einer Zeit, wo ein üppiger Modegeschmack sich allem
Bedeutenden, Ernsten, aus dem Innersten heraus empfundenen entgegen-
stemmt, festhält an dem Wahrhaftigen '. Zur Würdigung Spontinis wird nun
auf seinen Vorgänger Gluck verwiesen; es heißt von diesem: «alle Kraft
der Harmonie, der Instrumentirung, alle Mittel, wie sie dem Meister nur
damals zu Gebote standen, nahm er in Anspruch, um den höchsten
dramatischen Ausdruck, von dem seine reiche, feurige Ein-
bildungskraft angeregt, aus sich heraus lu erzeugen. So kam es,
daß Gesang und Instrumentirung unerhört schienen, daß er
sich mit dem, was das gewöhnliche Orchester ihm darbot, nicht be-
gnügte, daß er, außer dem ganz fremden Gebrauch der Blasinstrumente,
noch Instrumente ins Orchester einführte, die sonst an der Stelle gar nicht
üblich, wie z. B. die Posaunen pp. Und doch ahnte sein Geist, was die In-
strumentirung betrifft, noch ganz andere Dinge." Diese Ahnungen hat nun
Spontini [zu Eitners Verdruß: s. o.] in die That umgesetzt und so
Glucks Werk vollendet. Auch «Seine Melodien, seine Rhythmen sind
nur durch den dramatischen Ausdruck bedingt, und diesen Ausdruck
soll die Instrumentirung in der Art fördern, daß jedes Instrument nach
seinem besonderen Charakter einwirkt auf das Ganze . . . Hieraus folgt
denn nun aber wieder, daß Rücksichts der Melodie niemals das gelten
kann, was der Modegeschmack, ein verwöhntes Ohr [18141] oder der eitle
Sänger will, und daß in der Instrumentirung oft die verschiedensten
>) « nicht zu prahlen brauchen.
352
DIE MUSIK VH. 6.
Figuren in den abgesonderten Stimmen hinwirken müssen zu Einem
Zweck, so daß der, der das ganze nicht zu erfassen im stände ist [1814!],
die Partitur oft bunt und kraus nennen wird." Bezüglich dieses Vor-
wurfs wird Mozart als Spontinis Leidensgefährte angeführt.
Man sieht, Spontini wird uns hier nur in bester Gesellschaft gezeigt
Das mag nicht im Sinne der Wagnerianer sein, für die — soweit ich
sehe — Spontini eine peinliche, zum Glück aber völlig erledigte Kuriositit
ist; eher hätte Wagner selbst diesen Ausführungen zugestimmt Er hatte
in Berlin mit 23 Jahren einen „besonders lebhaften* Eindruck empbrngen
von einer Aufführung des „Cortez* unter Spontinis Leitung. Als acht
Jahre darauf unter Friedrich Wilhelm IV. der alternde Meister von
Mendelssohn und Meyerbeer verdrängt worden war, trat Wagner in
Dresden demonstrativ für ihn ein. Und als er wieder sieben Jahre
später in Zürich die Kunde von Spontinis Tode erhielt, schrieb er in die
dortige „Eidgenössische Zeitung": »Spontini war das letzte Glied einer
Reihe von Komponisten, deren erstes Glied in Gluck zu finden ist; was
Gluck wollte und zuerst grundsätzlich unternahm, die möglichst voll-
ständige Dramatisirung der Opernkantate, das führte Spontini — so
weit es in der musikalischen Opernform zu erreichen war — aus.* Er
nennt den Verstorbenen, der von Publikum und Kritik wie ein todter Hnnd
behandelt wurde, dann weiterhin »den letzten der dramatischen Tonsetzer»
die mit ernster Begeisterung und edlem Wollen ihr Streben einer kfinst-
lerischen Idee zugewandt hatten" und schließt mit den Worten: »Verneigai
wir uns tief und ehrfurchtsvoll vor dem Grabe des Schöpfers der Vestalin,
des Cortez und der Olympia!" An anderer Stelle (Schriften III 296) sagt
Wagner sogar, in (Cherubinis, M6huls und) Spontinis Opern sei ein für
alle Mal das erreicht, was auf der ursprünglichen Grundlage der Oper
sich Natürliches entwickeln konnte. — In der Tat hat Spontinis Vorbild
mächtig auf Wagners ältere Opern eingewirkt Der .Rienzi* geht in der
Conception sowohl wie in der formellen Ausführung von Spontinis
heroischer Oper aus; besonders auffallend ist die Verwandtschaft des
Siegesmarsches mit dem in der »Olympia". Ebenso stammt der SchluB-
chor im ersten Akt des .Lohengrin'' viel mehr von Spontini als von
Weber. Beides hat der Meister noch Ende der siebziger Jahre seinen
Jüngern Glasenapp und Wolzogen dankbar bekannt
Es wird eine Hauptaufgabe jeder künftigen Darstellung von Hoffmanns
Musikästhetik sein, diese vollständige Wandlung seines Unheils über
Spontini zu erklären; als ein der Musik unkundiger muß ich mich daranf
beschränken, das Problem zu formuliren, und muß warten auf den, der
es löst.
■ir haben das niedrige, weder zum Leben noch zum Sterben aus-
reichende Einkommen der Chorsänger kennen gelernt. Eine
«eitere Nachforschung wird uns belehren, daß die Fürsorge für
1 Krankheit, Alter und Todesfälle, kurz, die Sicherung der Zukunft
über die magere Gegenwart hinaus gleichfalls aufs schlechteste bestellt ist.
Aber wir brauchen noch nicht einmal gleich in die Zeitenferne zu
schweifen; «sieh, das Böse liegt so nah'. Man wird sich aus dem ersten
Artikel ') her erinnern, daß das Honorar nur für die Wintermonate gezahlt
wird. Wer aber gibt den stellunglosen Chorsängern im Sommer Brot zu
essen? Erwartet man etwa, daß sie sich vom kargen Wintersolde so viel
erübrigen sollen, um auch im Sommer standesgemSQ zu leben? Das an-
nehmen, hieße bei ihnen eine übermenschliche Entsagungflhigkeii und
Charakterstarke voraussetzen, die um so heroischer wire, als die Chor-
sänger gleich allen Künstlernaturen zu einer leichtherzigen Lebensauffassung
neigen und dem Auf- und Abwogen des Temperamentes mehr als die ge-
ruhsamen Bürger ausgesetzt sind. Diese Leichtherzigkett muß man ihnen
zudem zuerkennen, will man anders ihre theatralischen Leistungen nicht
noch mehr ins Philiströse hinabstoflen; jeder Kundige wird auf der Bühne
den begabten Temperamentsmenschen, sollte er auch hier und da dem
Leichtsinn auf rauchenden Altären opfern, dem ledernen, moralisch recht-
eckigen Handwerker vorziehen. Ersparungen soll man von den Chor>
Sängern also nicht fordern. Dagegen wäre vielleicht der Ausweg, den
einige Hofiheater mit kurzer Spielzeit einschlagen, von allen Theatern zu
beschreiten: der nämlich, die Gage ganzjährig einzuteilen, das Honorar
für die Spielzeit also in zwölf Monatsraten, anstatt in sieben oder acht,
auszuzahlen. Dieses Mittel wäre auch deswegen gut, weil dann die
Direktionen, die sich etwa berühmen, ihren Chorsängern sagen wir:
140 Mk. monatlich zu zahlen, erkennen würden, daß ihre Rechnung falsch
ist, und sie eigentlich (bei T'/i monatiger Spielzeit) nur Mk. 87.50 im Monat
vergüten; es wäre immerhin möglich, daß der eine oder andere beim An-
') Vgl. 2. Noremberbeft S. I95ir.
VII. 6. 23
354
DIE MUSIK VII. 6.
blicke dieser niedrigen Zahl stutzig würde und von selbst auf den senti-
mentalen Gedanken geriete, das Gehalt zu erhöhen. Inzwischen hat nnn
der Chorsängerverband zur Selbsthilfe insofern gegriffen, als er dnrch
seine Lokalverbände die städtischen Behörden um Sostentations*
Gagen ^) im Sommer bitten läßt. Ich kann nicht leugnen, daß mir das
Mittel allzusehr nach Almosen riecht, als daß ich es uneingeschrinkt gut-
heißen möchte. Indessen: in der Not frißt der Teufel, der doch ein groB-
mächtiger Fürst sein soll, Fliegen; wieviel mehr müssen die armen Teufel von
Chorsängern ihren Stolz um des lieben täglichen Brotes willen fahren lassen!
Einigen Zweck hat es aber nur dort, wo wirkliche, nicht nur sogenannte
Stadttheater bestehen, wo also die Stadtbehörden tatsächlich Verpflichtungen
gegenüber dem Theaterbetriebe haben. Bei Privatdirektionen» die gimz
gewiß durchaus nicht immer von verhärteten Geschäftsmachem verwaltet
werden, hängt die Gewährung der Unterstützung-Gage nur vom Wohl-
wollen des Theaterallmächtigen ab; und damit erhält die Sache einen
leichten Hauch des Unmoralischen. Die Chorsänger brauchen sich nicht
zu Almosenempfängern zu erniedrigen; ihren Pflichten sind ebensoviele
Rechte gepaart, und für ihre Leistungen brauchen sie nicht eine ent-
sprechende Entlohnung zu erbitten, sondern können sie fordern. Muß der
Chorsängerverband notgedrungen vorläufig noch beim Modus der Bitte
um ausreichende Versorgung im Sommer bleiben, so darf er aich doch
nicht, wenn er nun satt zu essen hat, bei der fakultativen, ins Beliebea
der Direktoren gestellten Bewilligung der Sommer-Gage beruhigen, sondern
muß so lange kämpfen, bis entweder die Zahlung der Versorgung-Gagen
als tatsächliches oder Gewohnheitsrecht allgemein obligatorisch geworden
oder durchgängig die Erhöhung der Honorare und ihre Verteilung über
das ganze Jahr erreicht ist.
Bis dahin müssen auch wir als Vertreter der öffentlicben
Meinung die Erfüllung der Bitte des Chorsängerverbsndes um
Unterstützung-Gagen im Sommer als moralische Pflicht der
Stadtbehörden und der Theaterdirektionen erklären und ganz
energisch unterstützen.
Von mancherlei Sonderbarkeiten, die dem Laien vollstindig fremd
sind, ja, die ihm in ihrer Unglaublichkeit trotz des furchtbaren Ernstes last
lächerlich vorkommen, erfährt man, wenn man im statistischen Material
des Chorsängerverbandes blättert. Wer möchte den verruchten Gedankm
hegen, daß es noch eine Reihe von Theatern gibt, die sich nicht enthlSdea».
^) Ein häßlich Wort für eine wohltätige Sache ! Warum nicht anf gnt DetttNh.UMsr-^
Stützung*- oder ^Versorgung-Gage"? Man verabschiede doch solche GespreisthelMu
355
EHLERS: SOZIALE LAGE DER DEUTSCHEN CHORSÄNGER
in der Karwoche den Chorsängern für drei und mehr spielfreie Tage
das Honorar zu streichen?^) Es verschlägt wenig, daß diese unerhörte Maß-
regel nur an einzelnen und untergeordneten Theatern geübt wird; könnte
man auch nur einem Theater diese Sünde vorwerfen, so wäre Grund da, sie
zu bekämpfen. Denn ihr Dasein verrät die Gesetzlosigkeit, unter der das ganze
deutsche Theaterwesen leidet. Und diese Gesetzlosigkeit bedeutet meistens
zugleich die Rechtlosigkeit der Künstler, insbesondere der Chorsänger.
So steht es auch allein beim Theaterleiter, die Länge der täg-
lichen Dienstzeit zu bestimmen; die Künstler sind durch ihren Kontrakt
einfach gezwungen, zu gehorchen. Nun ist es sicher schwierig, bei einem
Kunstberufe die Dienstzeit gesetzlich genau festzulegen. Wenn, wie es die
Chorsänger jetzt aus einem nur allzu begreiflichen Gefühle der Auflehnung
gegen die rücksichtslose Ausnützung ihrer Kraft heraus verlangen, die
Dienstzeit auf acht Stunden am Tage beschränkt würde, so könnte dem
Theaterleiter recht bald der ärgste Widerstreit zwischen der künstlerischen
und der gesetzlichen Pflicht erwachsen. Grade bei den Bühnen mit be-
grenzter Spielzeit, also bei der großen Mehrzahl der deutschen Theater,
würde ohne bösen Willen der Leitung alle Augenblicke ein solcher Konflikt
ausbrechen. Sie haben nicht die Zeit, neue oder neu einzustudierende
Werke mit aller Gemächlichkeit vorzubereiten; für sie heißt es, wollen sie
nicht im Sumpfe des Repertoireabspielens untergehen, die Augenblicke aus-
nützen. Da kann es wohl geschehen, daß der Kapellmeister oder der Re-
gisseur die Uhr vergißt, wenn die Probe recht im Zuge ist. Jeder vernünftige
Künstler, der seinen Beruf nicht nur des Gelderwerbes wegen ausübt, wird
in solchem Falle mit Freuden einige Zeit opfern und nicht murren und
quängeln, wenn er zur Ausnahme einmal eine halbe oder auch eine ganze
Stunde länger auf oder hinter der Bühne stehen muß. Hätte man es nur
mit vernünftigen Künstlern zu tun, so dürfte man ruhig jene Gesetzes-
klausel vom Achtstundentag befürworten. Aber es gibt leider auch eine
ansehnliche Zahl von aufsässigen Künstlern, die, hätten sie den Kontrakt
mit der Achtstundenklausel in der Tasche, kaltblütig mitten aus der Probe
hinauslaufen würden, nur um den Kapellmeister zu ärgern, unbekümmert
darum, ob das Kunstwerk unter ihrer Kontraktfestigkeit leiden könnte.
Diese Möglichkeit muß man also mit aller gebührenden Aufmerksam-
keit bei einer gesetzlichen Regelung der Dienstzeit bedenken. * Doch steht
es über allem Zweifel, daß den Angestellten ein Recht über die Bestim-
^) Daß sich Theaterdirektioneo nicht entblöden, noch krassere Dinge xu be-
gehen, lehrt du Vertragsformular einer Bühne, die die Gage an den spielfreien
Tagen der Karwoche zurfickhilf und dazu bemerkt: Die angesetzten Proben an diesen
Tagen müssen unentgeltlich abgehalten werden, (cf. Allgem. Deutsche Chorverbands-
zeitung, No. 405, 1. April 1907.)
23*
356
DIE MUSIK VII. 6.
8K
mSSS
mung der Dienstzeit gesetzlich eingeräumt werden muß, daß nicht mehr
der Theaterleiter selbstherrlich die engagierten Kfinstler wie Sklaven ins
Joch einspannen darf. Letzten Endes wird es nur auf die kluge und
richtige Fassung des Dienstzeit- Paragraphen ankommen» etwa in der Form,
daß der Achtstundentag als Norm, nicht als starres Gesetz festgelegt und
nur der Mißbrauch mit Strafe belegt wird.
Eine schärfere Fassung dürfte dagegen der Paragraph der Sonntags-
proben finden. Die Sonntagsprobe widerspricht dem Sinne des Gesetzes
von der Sonntagsruhe; sie hindert auch die Kunstler mit religiösem Ver-
langen, ihre gottesdienstlichen Pflichten zu erfüllen. Der Sonntagvormittag
muß nach einfacher deutscher Rechtsempfindung proben frei bleiben;
nur in den dringendsten Fällen, wenn wegen Erkrankung eines Solisten
am Sonntag selbst ein andres Werk für den Abend angesetzt werden muß,
kann man eine Sonntagsprobe für zulässig erklären, aber auch dann bloß,
wenn das neu angesetzte Werk seit längerer Zeit nicht gegeben worden
ist. Es ist betrübend, daß, wie der Chorverbands - Zeitung zu ent-
nehmen ist, in mehreren Streitfällen deutsche Gerichte diesen eigentlich selbst-
verständlichen Standpunkt nicht eingenommen haben. Die Nachmittags-
proben an Werktagen bedürfen — im Rahmen des Normal-Arbeits-
tages — ebenfalls der gesetzlichen Regelung auf der Grundlage, daß nur
dann nachmittags geprobt werden darf, wenn der Abend spielfrei ist
Beides — Sonntags- sowohl als Nachmittagsproben — ist noch vielerwirts
im Schwange; obgleich eine gute Zahl bedeutender Theater ohne diese
Proben auskommt, glauben andre, und selbst Hofbfihnen, sie beibehalten
zu müssen. Namentlich die Sonntagsproben bedeuten aber eine Adsche
Berechnung der Belastungsmöglichkeit der Kräfte; denn indem man die
Sänger unnötig plagtj macht man sie unlustig und nützt außerdem vorzeitig ihre
Singorgane ab. Eine weise Verteilung von Arbeit und Ruhe würde andh
in diesem Falle die Leistungsfähigkeit nur steigern. Ein Chor, der Chem-
nitzer, hat, nach der Statistik des Chorverbandes, übrigens erkULrt, die
Sonntagsproben nicht und die Nachmittagsproben nnr dann zu besuchen,
wenn er am Abend frei ist. Dieser friedliche Streik dürfte auch anderswo
wohl erfolgreich zu gebrauchen sein, sofern nur alle Chonni|g|ieder hat
zusammenstehen. Freilich setzen sie sich der Möglichkeit voo Prozeaten
aus, die nach den bisher ergangenen Urteilen diesen wirtschaftlich Schwicheren
nicht immer den Schutz des Rechtes gewähren. Die Mannigftdtigkeit der
Usancen, die an deutschen Theatern in diesen Dingen blüht, die Willkür,
denen die Künstler knechtisch unterworfen sind, fordern, daS ein Reichs»
gesetz diese Frage einheitlich löse, indem es den Chorsing^m die Wold-
tat angedeihen läßt, die jeder Mensch beanspruchen darf. Traurig genog,
daß wir immer nach Gesetzen schreien müssen! Traurig, daS die.
•*■* ^'•-.ii. «J.'kU «jLi '^J
357
EHLERS: SOZIALE LAGE DER DEUTSCHEN CHORSÄNGER
die Macht anvertraut ist, nicht den Edelmut des wahrhaft Starken haben,
von selbst den Menschen ihr Recht zu geben! Daß es Direktionen und
Intendanzen gibt, die human sind und in dieser Humanität nicht nur ihre
sittliche Überlegenheit, sondern auch ihre höhere Geschäftsklugheit beweisen,
macht das Gesetz nicht überflüssig, ebensowenig wie die Tatsache, daß sich
der Bühnenverein nach und nach die notwendigsten Zugeständnisse ab-
ringen läßt und auch wohl einzelne der Forderungen der Buhnenangestellten
unterstützt. Nicht für die Gutwilligen werden Gesetze gemacht, sondern
für die Böswilligen. Und dem Bühnenvereine gehören nun einmal nicht
alle Theater an, so daß selbst seine Verfügungen nicht jeden Direktor binden.
Und solange es unter den Theaterleitern auch nur fünf Sünder gibt, die die
Menschenrechte im Chorsänger nicht achten, müssen wir die Gesetze
fordern.
Noch andre Seltsamkeiten im Chorsängerleben sind die Beschäftigung
der Künstler in Dienstleistungen, die mit ihrem eigentlichen Berufe nichts
zu tun haben, und ihre unentgeltliche Verwendung in Nachmittagsvor-
stellungen. Wir finden die Chorsänger im Ballet und in der Statisterie
wieder. Jeder Nicht-Direktor wird meinen, daß diese Extra-Arbeit, die der
Theaterleitung das Engagement eines besondem Personals erspart, auch
extra honoriert werden müsse. Diese Meinung ist irrig. Auch hierin tut
jeder Direktor wie's ihm paßt. Kein Vernünftiger wird verlangen, daß
irgend ein paar Walzertakte, die etwa der Chor zu tanzen hätte, als
Ballet angesehen und bezahlt werden sollten, aber wir finden an den
mittleren Bühnen so gar manchen braven Choristen im Venusberge und
im Walde bei Windsor wieder; selbstverständlich verlangt dieses Auftreten
vom Sänger eine besondere Leistung, die besonders vergütet werden müßte.
Die Mehrzahl der Theater gewährt auch für die Mitwirkung im Ballet
ein Honorar von verschiedener Höhe; immerhin führt die Statistik als voll*
ständig »honorarfreie'' Theater noch an: Beuthen, Kölner Metropoltheater,
Dresdner Residenztheater, Hamburger Neues Operettentheater, Kreuznach,
Lodz, Lübeck, Reichenberg i. B., Regensburg, Saarbrücken, Straßburger
Edentheater, Wiener Orpheum, Würzburg, und wahrscheinlich ist ihre Zahl
noch höher, denn die Statistik erzählt nur die Verhältnisse von 84 Theatern.
Einige Bühnen zahlen mit gewissen Einschränkungen: so gibt das König*
liehe Theater in Hannover für Balletstatisterie nichts, für Tanzrollen 1 bis
3 Mark, ebenso Riga für Statisterie nichts, für Tanz 50 Kopeken;
in den Hoftheatem zu Dresden und München wird die Mitwirkung
nur honoriert, wenn das Ballet den Abend füllt! Die Statisterie
im Schauspiel wird in den seltensten Fällen honoriert; nur die Hoftheater
von Berlin, Braunschweig, Cassel, Darmstadt, Dresden, Hannover, Karls-
ruhe, Mannheim, München, Stuttgart, Weimar und Wien machen eine
358
DIE MUSIK VII. 6.
rühmliche Ausnahme.^) Die Nachmittags- und Doppel-Vorstellungen
werden bei den meisten Theatern in der Weise besoldet, daß nur dann
ein Auftrittshonorar gezahlt wird, wenn der Chor in beiden Vorstellungen zu
tun hat, — ein Modus, der gerecht erscheint, solange nicht die Nach-
mittagsvorstellungen allzu häufig sind, und deshalb eine schnelle Abnutzung
fördern; einzelne Bühnen vergüten jede Nachmittagsvorstellung extra.
Man könnte also über diese Sache hinweggehen, wären nicht doch noch
mehrere Theater vorhanden, die auch hierin ganz rücksichtslos gegen ihre
Mitglieder verfahren. Die Statistik des Chorverbandes weiß von mehr
als einer Bühne zu berichten, die keine Entschädigung zahlt. Und beim
Straßburger Edentheater findet man die erbauliche Eintragung: .Um Ent-
schädigung für Doppelvorstellung (jeden Sonn- und Feiertag zwei Operetten)
zu erzielen, mußte Klage beim Kaiserlichen Amtsgericht eingereicht werden,
worauf dann unter der Bedingung, die Klage zurückzuziehen, pro Person
10 Mk. für die Saison [I D. Verf.] als Entschädigung für Doppel Vorstellungen
seitens der Direktion bewilligt wurden."
Ein staatliches Theatergesetz muß kommen. Ein Gesetz, das die
Fassung der Kontrakte genau festlegt und auch jede Sonderklausel, wie sie viel-
leicht einem übermütigen Theaterleiter einfallen könnte, für recht- und wirkungs-
los erklärt, sobald sie gegen die Gesetze oder gegen die guten Sitten verstößt.
Erst dann wird der Mißbrauch der Gewalt durch Theaterdirektoren ein Ende
haben. Schlimm — es sei wiederholt — ist es, daß wir die Kunat, die in
der Freiheit am besten gedeiht, in solcher Weise mit stachlichen Gesetzen
umhegen müssen! Aber jeder Tag lehrt uns, daß wir diesen Zaun znr
Abwehr unlauterer Elemente, die die Kunst prostituieren, errichten mQssen.
Ein Paragraph der Kontrakte verdient vor allen andern eine reichs-
gesetzliche klare und unwiderrufliche Bestimmung. Es ist der Kfindigungs-
Paragraph. Seine gerechte Fassung ist das erste Mittel zur Gesondnng
der ganzen Chorsäogerfrage. Denn sein bisheriger Wortlaut and Inhalt
knebelt die Künstler in dem Maaße, daß alle ihre Bestrebungen um Ver-
besserung der Lebensverhältnisse und der Dienstpflichten schwach und
spröde wie Glas sind. Durch ihn sind sie völlig in den Willen des Theater^
leiters gegeben, der sie ohne weiteres entlassen kann, ohne daß dem Mit-
gliede kontraktlich irgend welches Gegenrecht zustände. Der Kontrakt anf
^) Diese Hofcheater, ausgenommen Braunschweig, zahlen auch f&r Jeden Chor-
gesang Spielhonorar, schwankend zwischen 25 Pfg. nnd2.50Mk. Elgentfimlich isi es,
daß Wiesbaden für Statisterie nichts vergütet, obwohl es gleich den fibrigen "H'tP'*^fc
preußischen Hofcheatern für Chorgesang ein ansehnliches Spielhonorar
^|M^ 359 ^^MM
^SB^ EHLERS: SOZIALE LAGE DER DEUTSCHEN CHORSÄNGeR Sw
solcher Grundlage ist zwar schon vor einigen Jahren beim Prozesse eines
Künstlers gegen einen Direktor von deutschen Gerichten als gegen die
guten Sitten verstoßend gebrandmarkt worden, — aber dieses Urteil scheint
den «geschäftskundigen* Theaterleiter wenig zu kümmern! Er fühlt sich
in seinem orientalischen Paschagewissen frei, mit den „Untergebenen" zu
schalten und zu walten, wie ihn die Laune treibt; seine Seele fürchtet
nur das Gesetz. Vor aufbegehrerischen Gelüsten der „ Untergebenen **
ist er ziemlich sicher; denn welcher von ihnen wird gern eine halbwegs
gewisse, ob auch noch so kärgliche Versorgung aufs Spiel setzen,
um sich von heute auf morgen auf die Straße befördert zu sehen? Dieses
schnöde Bewußtsein der Überlegenheit ist es, das bisher eine allgemeine
Einführung des beiderseitigen Kündigungsrechtes an die Stelle des dem
Direktor zustehenden einseitigen Rechtes verhindert hat. Im Berichte
des Bühnen-Vereines (also der Arbeitgeber), der die Verhältnisse an rund
60 Theatern behandelt, heißt es: „Einseitiges Kündigungsrecht des
Bühnenleiters besteht bei 44 Bühnen, gegenseitiges bei 1 1 Bühnen (9 hiervon
sind Hoftheater ^)), nur einjährige Vertragsdauer ohne Kündigung haben
5 Bühnen (kleine Theater und die Frankfurter Oper)."
Vor mir liegt der Kontrakt einer Sommerbühne aus dem Jahre 1906.
Sein Formular führt die Klausel: „Femer behält sich die Bühnenleitung
das Recht vor, diesen Vertrag, falls er auf längere Zeit geschlossen, nach
Ablauf jedes Jahres durch vorausgegangene dreimonatliche [soll heißen: drei-
monatige] Kündigung einseitig wieder aufzulösen.** Dem darin engagierten
Mitgliede wird für Kontraktbruch, bei einem Monatsgehalt von 75 Mk., eine
Konventionalstrafe von 300 Mk. auferlegt, „während [bei Kontraktbruch des
Mitgliedes] die Bühnenleitung berechtigt ist, diesen Vertrag sofort zu lösen
und ihrerseits aus demselben keine Verpflichtung mehr hat.* Das im Rechts-
sinne Unmoralische dieses Vertrages springt in die Augen: während dasMitglied
durch die Androhung einer für ihn fast unerschwinglichen Konventional-
strafe gezwungen wird, sein Engagement unter allen Umständen inne-
zuhalten, und während es ihm bei einem vielleicht unterm Drucke der
Not abgeschlossenen Vertrage unmöglich gemacht ist, ein etwa auftauchendes
besseres Engagement vor Ablauf des Vertrages anzunehmen, während ihm
also die Hände gebunden sind — denn auch „die Zahlung der Konventional-
strafe hebt die Verpflichtung des Mitgliedes gegen die Bühnenleitung nicht
auf" — , ist der Direktor in seinen Maßnahmen vollkommen frei, trägt er
keine Verpflichtung, bei vorzeitiger Auflösung des Vertrages das auf-
gekündigte Mitglied durch die Zahlung der Restgage zu unterstützen. Man
<) Die Hofthearer handeln also auch hierin rechtlich and vornehm, wie denn
ut>erhaupt die allermeisten von ihnen den Chorsingem, wenn nicht glänzende, so
doch menschenwürdige Bedingungen bieten.
i^
360
DIE MUSIK VII. e.
wird dem Direktor naturlich das Recht zobilligen, sich durch
Konventionalstrafen vor ungerechtfertigtem Kontraktbruche zu schätzen»
aber er müßte auch seinerseits dem Mitgliede eine vollkommen ent-
sprechende Garantie bieten. Was ist, ethisch genommen, sein einseitiges
Kündigungsrecht andres als ein Recht zum Kontraktbruche? Er nennt
die vorzeitige Kündigung zwar »Auflösung*, aber im Grunde ist und bleibt
sie Bruch. Das Recht der Kündigung muß dem Mitgliede in genau
dem selben Umfange zustehen wie dem Theaterleiter. Oder aber
die Klausel von der Konventionalstrafe und der fortlaufenden Verpflichtung
muß auch für den Theaterleiter bindend gemacht werden, vielleicht mit
der Einschränkung, daß er bei vorzeitiger Kündigung von seiner Seite von
der Fortzahlung der Gage entbunden werde, sobald das entlassene Mitglied eine
der bisherigen Einnahme mindestens gleichwertige Versorgung gefänden hat.
Das selbe Vertragsformular enthält auch sonst noch einige kuriose
Bestimmungen zum Besten des Theaterleiters. So verrät ein Pftragraph:
9 Sollte die Direktion vor Beendigung dieses Vertrages von der Leitung
zurücktreten, so steht ihr das Recht zu, denselben alsdann auhuISsen.*
Von einer Verpflichtung gegenüber dem Mitgliede wird mit keinem Worte
gesprochen. In den »Allgemeinen Bestimmungen* wird dem Mitgliede das
Recht zu sofortiger Auflösung des Vertrages in den Fällen eingerinmt,
wenn die Leitung ihre Zahlungspflichten nicht erfüllt, oder wenn das Mit-
glied nachweist, daß es ohne Gefährdung seines Lebens oder seiner Ge-
sundheit seinen Dienst nicht fortsetzen kann; diese Kündigung zieht aber
offenbar, wie der Einschiebsatz „ vorbehaltlich seiner bereits erworbenen
Ansprüche auf Gage"* verrät, keine Rechte auf Weiterzahlung der Gage nach
sich; das Mitglied kann also zwar unbehelligt nach Hause gehen» aber mit
leerer Tasche. Dagegen behält sich die Theaterleitung in sieben FiUen das
Recht zu sofortiger Lösung des Vertrages vor, ohne daß das Mitglied
weitern Anspruch erheben dürfe, „als auf Zahlung der Gage und des
wirklich verdienten Spielgeldes bis zum Tage der Entlassung*. Die
Entlassung kann von der Leitung jedoch in fünf Fällen in Geldstrafe
bis zum Betrage des Einkommens von einem Monat (I) umgewandelt
werden. Auch hierbei wird man dem Theaterleiter das Recht auf Disziplinar*
strafen einräumen, nur muß man eine schärfere Umgrenzung der Fille
und namentlich die Aufhebung eines so dehnbaren Abschnittes verlangen
wie des folgenden: „wenn das Mitglied in Widersetzlichkeit gegen An-
ordnungen der Bühnenleitung oder der von ihr zum Erlaß der An-
ordnungen Beauftragten beharrt, insbesondere die Übernahme resp. Aus-
führung einer ihm vertragsmäßig obliegenden Verpflichtung beziehentlich
einer ihm zugeteilten Rolle oder Partie verweigert." Das ist last ein
Kautschuk-Paragraph von der Art des Paragraphen vom groben Unfiig.
361
EHLERS: SOZIALE LAGE DER DEUTSCHEN CHORSÄNGER
Zwei weitere Bedingungen des Vertrages, die einiges vorhin Gesagte be-
legen können, lauten: ^edes engagierte Mitglied ist verpflichtet, in Nach-
mittagsvorstellungen ohne Anspruch auf jedes Extrahonorar mit*-
zuwirken** und «das Mitglied verpflichtet sich zur Mitwirkung in allen von
der Bühnenleitung angeordneten Proben, Vorstellungen, Festspielen,
Konzerten, lebenden Bildern und zur Komparserie.*
Ich habe dieses aus einem tatsächlich vollzogenen Vertrag wörtlich
angeführt, um zu zeigen, wie sehr berechtigt die Forderung der Bühnen-
künstler (vertreten durch die Bühnengenossenschaft und den Chorsänger-
verband) nach einem staatlichen Theatergesetze ist. Mag es bei vielen Thea-
tern mit den Kontrakten besser bestellt sein, so sind die meisten doch mit einer
gerechten Abwägung der Rechte und der Pflichten arg im Rückstande. Die Tat-
sache allein, daO der Bähnenverein bei 44 von etwa 60 befragten Theatern
das einseitige Kündigungsrecht hat feststellen müssen, sagt genug. Und was
sind schließlich die sechzig Theater gegen die Zahl der sonst noch bestehenden!
Wieviel mehr Willkür erhebt da noch im Schatten keck ihr Haupt!
Schauen wir uns nun noch die Fürsorgeeinrichtungen für Krank-
heit, Invalidität und Tod der Chorsänger an!
Zunächst muß festgestellt werden, daß bisher die Chorsänger — ob^vohl
zu den Privatangestellten zählend — von der staatlichen Invaliditäts- und
Altersversicherung ausgeschlossen waren. Der Grund hierfür? Keiner be-
greift ihn. Jeder selbständige Gesangs-, Geigen- oder Klavierlehrer, der
von Haus zu Haus geht und das versicherungsfreie Einkommen nicht
erreicht, muß seine Marken kleben. Bei dieser kuriosen Einrichtung
hat man die Chorsänger, die tatsächlich ein viel weniger gesichertes Ein-
kommen haben, vollständig vergessen; und obgleich sie schon im Jahre 1902
an den Reichstag petitioniert haben, daß sie dem Invaliden- und Alters-
versorgungsgesetz und dem Unfall- und Krankenversicherungsgesetz unter-
stellt werden möchten, sind sie soweit noch vogelfrei. Indessen darf man
wohl hoffen, daß diesem Zustande bald ein Ende bereitet werden wird.
Man bedenke doch nur, daß der ganze Sängerberuf unter den
Schrecken des Alters mehr als die meisten andern Berufe leidet. Wenn
die Stimme rostig wird oder der Leib die Formen der Jugend verliert, ist
eigentlich die Zeit für den Bühnensänger gekommen, aus der Öffentlichkeit zu
verschwinden. Ist er ein Heldentenor gewesen, so kann er sich von seinem
Einkommen genügend fürs Alter erspart haben; hat er etwas Tüchtiges gelernt,
so gibt ihm vielleicht der Gesangunterricht Gelegenheit, sein Brot weiter
zu verdienen. Daß die Chorsänger keine Heldentenors-Gagen eintaschen,
wissen wir; daß die wenigsten von ihnen soweit geschult sind, daß sie
362
DIE MUSIK VII. 6.
JBb
andere unterrichten könnten, kann uns jede Bühne an jedem Tage lehren.
Was ist die Folge? Sie sind gezwungen, über ihre Zeit hinaus im Buhnen-
dienste auszuharren; die Direktoren behalten sie teils aus Gutmütigkeit,
teils aus Gewinnsucht, weil sie die abgenutzten Leute erfolgreich in ihren
Gagenansprüchen hinunterdrücken können. Schneller als bei den aus-
reichend versorgten Solisten schwindet bei dem ärmlich besoldeten Chor*
Sänger Schönheit der Stimme und des Leibes. Daran denke, du nur mit
den Ohren, nicht mit dem Herzen horchendes Publikum, wenn dich ein
rauher Klang aus alter Chorsängerkehle entrüstet! Und wenn es schließlich
garnicht mehr angeht, sie als Sänger oder Statisten zu verwenden» so stehen die
allermeisten der Chorsänger brotlos auf der Straße — weil weder der Staat,
noch die Arbeitgeber daran denken, ihnen eine Altersrente zn sichern.
Nun hat zwar der Chorsängerverband eine Pensions- und Sterbe-
kasse für seine Mitglieder eingerichtet. Indessen, kärglich wie bei dem
geringen Einkommen die Beiträge sein müssen, so kärglich fallen» zumal
bei der stetig wachsenden Zahl von Pensionären, die Renten schließlich ans.
Bei einer Reihe von Theatern bestehen örtliche Pensionskassen mit
Versicherungszwang für die Leitung und die Mitglieder. Diese Einrichtung
ist zweifellos ein großer sozialer Fortschritt, leidet indessen unter aller-
hand schwer zu beseitigenden versicherungstechnischen SchwerflUligkeitea,
die seine Wohltaten mindern. Vor allem hindern sie die Freizfiglgkeit
ff
der Künstler, da sie vom Angestellten eine gewisse, und zwar ziemlidi
lang bemessene, Wartezeit fordern, ehe sie die Nutznießung gewähren;
die Freizügigkeit ist aber ein Mittel zur Verbesserung ihrer Leg^ das
man den Chorsängern bei den jetzigen Honorarverhältnisseo so weit wie
möglich unverkürzt erhalten muß. Außerdem aber sind, bei dem abaolnt
zu niedrigen Einkommen, die Beiträgeabzüge von der Gage im Ver-
hältnisse viel zu hoch. Ist nun ein Mitglied aus irgend einem Grande
gezwungen, das pensionsberechtigte Engagement vorm Ablauf der Wartezeit
zu verlassen, so verfallen entweder die eingezahlten Beiträge der Kasse
oder sie werden nur in ihrer tatsächlichen Höhe, ohne Zins und ohne
Zuschuß der Leitung, dem scheidenden Mitgliede zurückgezahlt; in jedem
Falle verfallen die Ansprüche auf die Invalidität- oder AltersversorgnnA
also das, um dessentwillen der Sänger die ihn drückende Last des monat-
lichen Beitragsabzuges getragen hat, und er muß an einem andern Theater
mit den Beiträgen von vorn anfangen. Will's das UngfOck — und es will
es sehr häufig — so zieht solch ein Pechvogel von Bühne zu Bfihne» zahlt
seine Kassenbeiträge und sitzt am Ende ohne Pension auf dem Trocknen«
So sehr man geneigt sein mag, das Bestehen von örtlichen Pensions-
kassen gegenüber der überwiegenden Zahl vollständig pensionsloser Theater
als gut und edel zu preisen, so kann man ihm doch leider nicht zn-
363
EHLERS: SOZIALE LAGE DER DEUTSCHEN CHORSÄNGER
erkennen, das Ideal einer Versicherung zu bilden. Und wieviele Theater
sind es denn auch, die die Vergünstigung der Pension bieten? Von den
84 Theatern, die in der Statistik der Chorsänger aufgeführt werden,^)
haben nur 27 Theater Pensionsberechtigung. Hiervon sind 16 Hoftheater.
Die übrigen elf sind die Theater zu Bremen, Brunn, Frankfurt a. M.,
Freiburg i. B., Halle a. S., Hamburg (Stadttheater), Köln a. Rh., Leipzig,
Prag (Deutsches Landestheater), Riga und Straßburg i. E. (Stadttheater).
Wie verschieden der Modus der Versicherung bei den einzelnen Bühnen
ist, kann man schon aus dem Berichte des Bühnenvereines über die
Verhältnisse an 60 Theatern ein wenig erkennen, der über das Kapitel
«Pensionen'' die folgende Mitteilung enthält:
«25 Theater besitzen eine Pensionskasse für die Cbormitglieder, 35 Theater
nicht. Die Höbe der Pensionen ist natürlich bei den einzelnen Theatern ganz ver-
schieden. Eine Statistik Ußt sich hier kaum aufstellen. Auch die Beitrage, die die
Cbormitglieder an die Pensionskasse zu leisten haben, sind für jedes Theater in
einer besonderen Art festgesetzt. Keinerlei Beitrage verlangen Berlin, Hannover,
Stuttgart. Dresden verlangt bei einem Gebalt von 900 Mk. an 24 Mk. jabrlicb, Brunn
20 Mk. jährlich, die beiden Frankfurter Stadttheater 18 Mk. jährlich, zahlreiche andere
Theater nehmen 1—4% der Gage oder des Gesaroteinkommens. Je nach dem
Lebensalter beim Eintritt verlangt Köln 1—2% Wien (Deutsches Volkstheater)
5— 7V>% München 10— 12 Mk. (durchschnittlich 12 Mk.) monatlich, Weimar l^/o
bei 300-600 Mk., 2^U bei 601—1000 Mk., 2Vt''/o von 1001-2000 Mk.«
m
Auch diese Zahlen sind geschwätzig, wie die der Einkommen. Die
Masse der Theater hat überhaupt keine Versorgungskasse für seine
alternden Mitglieder, und die sie führen, fordern fast alle — mit der
glänzend rühmlichen Ausnahme der Hoftheater in Berlin, Hannover und
Stuttgart — erschreckend hohe Beiträge von den Mitgliedern. Beim
Münchner Hoftheater glaubt man zuerst an einen Druckfehler im Bühnen-
vereins-Berichte, aber die Chorsängerstatistik bestätigt den enormen
Abzug von monatlichen 12 Mk., das sind also im Jahre 144 Mk.! Hält
man zu diesen Zahlen noch die Buntscheckigkeit in der Höhe der Pen-
sionen, so kommt man unweigerlich zum Schlüsse, daß die Invaliditäts-
und Altersversorgung einer einheitlichen Regelung durchs Reichsgesetz
bedarf. In welcher Weise dies geschehen wird, läßt sich natürlich nicht
voraussagen; im allgemeinen wird man sich wohl den Ausführungen
Max Pateggs in No. 14 der , Deutschen Bühnen-Genossenschaft* vom
5. April 1907 anschließen, in denen die Hoffnung ausgedrückt wird, daß sich
das Reich mit der Einführung des Versicherungszwanges begnügen, nicht
aber die staatliche Zwangs- Versicherung fordern werde. Dies wäre auch
deshalb zu wünschen, weil in der Pensionsanstalt der Genossenschaft Deutscher
^) Man erinnere sich jedoch, daß wir 263 deutsche Bühnen haben.
364
DIE MUSIK VII. 8.
Bühnen-Angehöriger ein vortreffliches Institut besteht, das die allgemeine ob-
ligatorische Versicherung der Bühnenmitglieder übernehmen könnte. Das
würde nicht nur dieses segensreiche Institut großartig erweitern, sondern
auch für alle Theater die schwierige Frage aufs einheitlich Einfachste lösen.
Ebenso wie die Altersversicherung muß die Behandlung der Krank*
heitsfrage reichsgesetzlich geregelt werden. Der Bfihnenvereins-Bericht
verrät, daß von 60 Theatern nur 25 während der Dauer der Krankheit
dem Mitgliede die volle Gage weiterzahlen.
Im übrigen zahlen die volle Gage nur für 14 Tage 12 Theater, nach Bfilinea-
vereins-Kontrakt 7 Tbeater, für 3 Monate Stuttgart, über 5 Monate Bremen, für
3 Wochen Plauen, für 4 Wochen das Wiener Raimundtbeater, während der Daner
des Vertrages Lübeck, bis Ende der Spielzeit Altenburg. Genauere Angaben darüber,
in welcher Weise die Reduktion erfolgt, machen nur wenige Theaten Es sahlea
die HXlfte der Gage
nach 8 Tagen Kolmar,
, 14 , Elberfeld, Halle, Kiel, Mainz, Stralsund,
0 3 Wochen Augsburg, Plauen,
0 4 9 Wien (Raimundtbeater),
9 2 Monaten Kassel,
M 3 0 Karlsruhe.
Stuttgart zahlt nach 3 Monaten (bis 6 Monate) zwei Drittel der Gsge. Hambuff sahlt
nach 14 Tagen halbe Gage, nach 28 Tagen ein Drittel.
Welche Willkür, welche Härte auch hier! Und auch hier laaert das
Gespenst der Kündigung am Bette des Kranken. Wie gewissenlos —
anders kann man die Sache nicht nennen! — so ein vom Gesetze nicUt
gezügelter Theaterleiter handeln kann, sieht man aus den Vertiigen eines
süddeutschen Direktors, aus deren Bestimmungen die Chorverbnndszeitnng
u. a. den folgenden Absatz veröffentlicht hat: »Bei Erkrankungen oder
sonstigen Dienstunfähigkeiten behält sic6 die Direktion das Recht Tor,
nach Ablauf des dritten Tages die Bezüge teilweise oder gins*
lieh zu sistieren.'
Elend in der besten Lebenszeit, größeres Elend im Alter: das ist
das Los der deutschen Chorsänger, wie es uns aus diesen trocknen
Zahlenreihen und Erzählungen angrinst. Fürwahr, bat nicht die gpnze
Allgemeinheit nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, eine Bessemng
dieses Loses zu verlangen, unnachsichtlich zu verlangen? Mfissen nicht
die gesetzgebenden Körperschaften, Bundesrat und Volksvertretnogt den
mißachteten Bringern der Freude ein menschliches Los zu bereiten suchen?
Gewiß, die Verbesserung der Einkommen und die obligatorische Ver-
sicherung legen den Theatern neue Lasten auf. Aber wird nicht sfindhafi
auf der einen Seite das Geld hinausgeworfen, das auf der andern Seite
ethischen und ästhetischen Segen verbreiten könnte? An grenlich
365
EHLERS: SOZIALE LAGE DER DEUTSCHEN CHORSANGER
schmacklose Ausstattung unsrer nach dein üblen italienischen Rangtheater
gebauten deutschen Theater, an überflüssigen, unkünstlerischen Prunk,
der aller Geschmackskultur höhnt, verschwendet man das Geld, das Tür
die .Handlanger* der Bühne verwendet werden müßte. An Theater-
direkteren, die man «m Gewinne leilnehmen läßt, verschwendet man das
Geld, anstatt überall Staats- und Stadttbeater einzurichten mit Intendanten,
die einen festen Sold von meinetwegen 10 — 15000 Mk. zu beziehen hätten.
An sinnlose Dekorationen verschwendet man Geld. An ein Ballet, das
seiner Aufgabe schon lange nicht mehr gerecht wird, verschwendet man
Geld. Und vor allem verschwendet man es an Heldeatenöre und ahnliche
Solisten, denen der Obermut mit der Höhe der Stimme wichst.
Rechnet einmal zusammen, was an allen diesen Posten eingespart
werden könnte, und setzt das billige Verlangen der Cborsinger dagegen,
ob nicht, wenn dieses erfüllt ist, noch ein glänzender Saldo bleibt 1
Was namentlich die unerhörten Forderungen der Tenöre angeht, so
erinnert sich wohl jeder noch des bereits typisch anmutenden Falles, daß
ein Künstler das Engagement an einer der ersten Kunststlilen Europas
ausschlug, obgleich ihm 60000 Mk. bei vier vollen Monaten Urlaub an-
getragen wurden. Amerikas Dollarsonne blendet diese Berückten. Der
Mann, der uns ein deutsches Kunstwerk gegen alles Gewissensrecht ge-
raubt hat, ist es auch, der die deutschen Bühnen von ihren Künstlern
entvölkert. Hier müssen sich die deutschen Bühnealeiter selbst helfen.
Was die Vemunß nicht ausrichtet, muß der Zwang erreichen. Wie wäre es
mit einem Kartell der deutschen Theater, jedem Ansiandfahrer das Engagement
2u verweigern? Und welter, die Gagensatze zu stlpulleren? Mit ihrer
wahnwitzigen Konkurrenz hetzen die Theaterleiter die Kunst selbst zu Tode.
Könnte man doch die Gewissen wach rütteln, vermöchten doch Worte
die Gedankentragen, mit dem ewigen Kreislaufe des Schlendrians Zufriedenen
aus ihrem sinnlosen Schlafe zu erwecken ! Am Elend der Cborsinger zeigt
sich das Übel, das an der deutschen Bühnenkunst nagt und endlich die
Wurzel des stolzen Baumes ganz zerfressen wird: das Streben nach
Gewinn, das die Kunst verdrängt. Darum reicht auch die soziale Frage
der Chorsängerverhältnisse weit über die engen Grenzen der Interessen
eines einzelnen Standes hinaus und geht die Allgemeine an. Denn sie
ist nur ein Symptom der Krankheit, die das deutsche Theater nicht bloß
bedroht, sondern bereits schleichend erhßt hat.
364
DIB MUSIK VIL a
Bfihnen- Angehöriger ein vortreffliches Institut besteht, das die allgemeine ob-
ligatorische Versicherung der Bfihnenmitglieder übernehmen könnte. Das
wfirde nicht nur dieses segensreiche Institut großartig erweitem, sondern
auch für alle Theater die schwierige Frage aufs einheitlich Einftichste lösen.
Ebenso wie die Altersversicherung muß die Behandlung der Krank-
heitsfrage reichsgesetzlich geregelt werden. Der Buhnenvereins-Bericht
verrftt, daß von 60 Theatern nur 25 wfthrend der Dauer der Krankheit
dem Mitgliede die volle Gage weiterzahlen.
Im fibrigen zahlen die volle Gage nur ffir 14 Tage 12 Theater, nach Bfihnen«
Vereins-Kontrakt 7 Theater, ffir 3 Monate Stuttgart^ fiber 5 Monate Bremen, ffir
3 Wochen Plauen, fGr 4 Wochen das Wiener Raimundtbeater, wibrend der Daner
des Vertrages Lfibeck, bis Ende der Spielzeit Altenburg. Genauere Angaben darfiber,
in welcher Weise die Reduktion erfolgt, machen nur wenige Theater. Es zahlen
die Hilfte der Gage
nach 8 Tagen Kolmar,
» 14 I, Elberfeld, Halle, Kiel, Mafaiz, Stralsund,
9 3 Wochen Augsburg, Plauen,
» 4 I, Wien (Raimandtheater),
9 2 Monaten Kassel,
9 3 I, Karlsruhe.
Stuttgart zahlt nach 3 Monaten (bis 6 Monate) zwei Drittel der Gage. Hambuig zahlt
nach 14 Tagen halbe Gage, nach 28 Tagen ein Drittel.
Welche Willkür, welche Hftrte auch hier! Und auch hier lauert das
Gespenst der Kfindigung am Bette des Kranken. Wie gewissenlos —
anders kann man die Sache nicht nennen! — - so ein vom Gesetze nicht
gezügelter Theaterleiter handeln kann, sieht man aus den Vertrigen eines
süddeutschen Direktors, aus deren Bestimmungen die Chorverbandszeitung
u. a. den folgenden Absatz veröffentlicht hat: »Bei Erkrankungen oder
sonstigen Dienstunflhigkeiten behftlt sicfi die Direktion das Recht vor,
nach Ablauf des dritten Tages die Bezüge teilweise oder gftnz«
lieh zu sistieren.'
Elend in der besten Lebenszeit, größeres Elend im Alter: das ist
das Los der deutschen Chorsänger, wie es uns aus diesen trocknen
Zahlenreihen und Erzählungen angrinst. Fürwahr, hat nicht die ganze
Allgemeinheit nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, eine Besserung
dieses Loses zu verlangen, unnachsichtlich zu verlangen? Müssen nicht
die gesetzgebenden Körperschaften, Bundesrat und Volksvertretung, den
mißachteten Bringern der Freude ein menschliches Los zu bereiten suchen?
Gewiß, die Verbesserung der Einkommen und die obligatorische Ver^
Sicherung legen den Theatern neue Lasten auf. Aber wird nicht sündhaft
auf der einen Seite das Geld hinausgeworfen, das auf der andern Seite
ethischen und ästhetischen Segen verbreiten könnte? An greulich ge-
367
BESPRECHUNGEN (BÜCHER)
erübrigen konnte. Die Menge der Korrespondenzen aus den drei Jahren 1816, 1817,
1818 ist so groß, daß sie allein den vorliegenden, 300 Seiten starken, dritten Band von
Kaliscbers Gesamtausgabe füllt. Mehr als in frQherer Zeit modifiziert Beethoven in
dieser Epoche seine briefliche Redeweise nach der geistigen und gesellschaftlichen
Stellung der Empfänger seiner Briefe. Erhaben spricht der Priester der Kunst zu den
Kfiostlern und zum Geistesadel. Sein sprQbender, derber Humor zieht sich mehr in
die Schreiben an seine intimsten Freunde zurück. Der im Herzen demokratisch gesinnte
Mann des Fortschritts muß sich — der Not gehorchend — zu glatten Höflingsworten
gegen seinen hochgeborenen Schuler Erzherzog Rudolf verstehen. Ängstlich und mit
fast mütterlicher Teilnahme verfolgt Beethoven als Vormund seines geliebten Neffen
Karl in den Briefen an dessen Pensionsvater Giannatasio del Rio Wohl und Wehe des
Knaben. Im Schiffbruch seines Hauswesens, namentlich in dem furchtbaren Dienst-
botenjahre 1817, ruft der ratlose alte Junggesell immer von neuem ^in Eil* und Ver-
zweiflung die gütige Frau Nanette Streicher um Rat und Hilfe an: ein bunter Reigen
von Großem und Kleinem, von Erhabenem und Alltäglichem, — aber alles überstrahlt
vom Seelenadel des reinen Menschen, dessen Muster, wie er selbst gesagt, Sokrates und
Jesus waren. — Der Herausgeber, Dr. Alfr. Chr. Kalischer, bietet auch in dem vor-
liegenden Bande außer dem bekannten Briefmaterial eine Anzahl bisher unveröffentlichter
Briefe. Unter letzteren sind die an die Familie Brentano wohl am interessantesten.
Eine auf innigstem gegenseitigen Verständnis beruhende Freundschaft verknüpfte Beethoven
mit dieser Familie. Das spricht sich in allen seinen Schreiben an sie aus, besonders aber
in jenem, in dem er ihren Wegzug von Wien nach Frankfurt a. M. beklagt, der ihn des
liebsten Umganges beraubt habe (No. 627). An der Ausgabe der Briefe durch Kalischer
ist wieder die schon oft gerühmte peinliche Genauigkeit hervorzuheben, mit der ein
möglichst reiner, der Originalfassung der Briefe entsprechender Text hergestellt worden
ist. Das Zurückgehen auf die handschriftlichen Quellen erwies sich besonders bei den
Briefen an Frau Nanette Streicher als angebracht. Hatte doch Ludwig Nohl, wie sich
dabei herausstellte, diese Briefe in der willkürlichsten Weise für seine Ausgabe redigiert
Mit großen Auslassungen, in Bruchstücke zerpflückt und zum Teil anders zusammen-
gestellt, wurden sie von ihm in »heilloser Verwirrung* dargeboten. Diese ist in
Kaliscbers Ausgabe beseitigt. Hier finden sich die Briefe getreu nach den handschrift-
lichen Vorlagen in ihrer ursprünglichen Fassung abgedruckt. Kaliscbers Erläuterungen
sind stofflich sehr reichhaltig. Mancherlei wird darin beigebracht, was den Brieftext
gleichsam illustriert. So das amüsante .Promemoria zur Einrichtung einer eigenen Haus-
haltung Beethovens.* Wie sich darin der Meister willig über seine Pfiichten als Dienst-
herr belehren läßt, das gibt ein tragikomisches Seitenstück zu der Dienstbotenmisere,
die in dem voraufgehenden Briefe zur Sprache kommt (No. 518). Nützlich ist die Bei-
fügung einzelner an Beethoven gerichteter Briefe. So liefert das unter No. 534 ab-
gedruckte Schreiben von Neate bemerkenswerte Aufschlüsse über Beethovens Be-
ziehungen zu seinen englischen Verlegern und Freunden. Auch das bisher nur in der
vSophienausgabe* veröffentlichte Antwortschreiben Goethes auf Beethovens bekannten
Huldigungsbrief an den Dichterfürsten ist mit Recht in Kaliscbers Erläuterungen auf-
genommen worden (No. 615). Interessant ist femer die Mitteilung eines Passus aus
dem sogen. Fischhoffschen Manuskript über die Reise nach London, die Beethoven sein
Leben lang projektierte (No. 655). Danach kam die Reise nicht zustande, weil Beethoven
die „mindestens* dazu erforderlichen drei Reisebegleiter: einen Arzt, einen Freund und einen
Diener, nicht finden konnte. Das mag einer der Gründe für das Unterbleiben der Reise
gewesen sein. Ein anderer, wohl noch triftigerer Grund war aber gewiß seine Vormund-
schaft für Karl, die den übergewissenhaften Meister nicht von Wien abkommen ließ.
BÜCHER
66. Bayreuther Briefe von Richard Wagner (1871—1883). Heniu|egebea too
C. Fr. Glasenapp. VerUg: Schuster & Loeffler, Berlin und Lalpitg IMn,
Die Bayreutber Briefe sind an die hervomcenden Mlttaelfer bei Becrfladani
der Bühnen feitiplele gerichtet, an Feustel, Heckel, Mnncker, Brandt und an elalt« anden
dabei beieiligie Minner, wie Friedrich SchSn, den Vervalter dea Eayrentker Sdpendlea-
Tonds, und an die Maler J. Hoffmaan und Doepler. Feuatel und Munckar Taren die
beiden Hauptstützen des Verwaltunfsratea der Bübnenfestapiele, Heckel der Be(rBndar
des ersten Tagner Vereins, Brandt der fSrdemde Mitarbeiter bei der MaaeblaeDclnriehtaag
im besonderen und beim Tbeaterbau im ganzen. Somil kommen hat alle mit den FeM-
spielen zusammen hingen den Fragen in den Briefen lur Sprache. Man bevaadatt Wagaeii
allum fassenden Bück, seinen vnn den schllmmBten Erhhrungen wohl verflberietaead b^
drückten, aber nimmermehr eebeugten Mut, seinen uneracbflnerllcben kBaatletlaGben
Hocbflug, der ihn aus den NStcn des Festspieles von 1S76 doch wieder ta aaaar Ta^
zur SchSpfung dea .Parslfal', emporhob. Die Bayreutber Briefe sind die wlcbütatea
Quellen für die beiden letzten Binde von GlaaenappH Biographie. Tlr ba(rflßaa n toK
beaeaderer Freude, daß wir die Urkunden aelbat neben der darauf begrUadMea Dai^
Stellung besitien. — Die meisten Briefe waren bereits bekannt; die an Peaitd bbI
Muncker waren in den .Bayreuiher Blinern" 1888, 1900 und 1903 ersclilenea, dia an
Heckel 1890 In Buchform. Neu sind die an Brandt Aber die Briefb wirken In dar
jetzigen lusammenhlngenden und bequemen, durch Anmerkungen erllaierten E
form noch viel eindringlicher. Glasenapp acbreibt mit Kecbt: .Es iat nnter s
vorhandenen Sammlungen von Briefen des Meisters nicht leicbt eine wietatigers, gt-
scbicbilicb bedeutungsvollere denkbar als diese, in der wir aela persSaUehea DaMll,
Ringen, Klmpfen und Leiden in so unmittelbarer Verbindung mit aelaem rafbmatoiiachaa
Lebenswerke verknüpft antreffen; aus der wir andererseits die ernate, Bberiafaae^ daaa
wieder triutlch bumorvolle, feurige und anfeuernde, Immer aber von herzllcliatcr Dant
batkelt für alle ihm geleisteten Dienste erfClhe und getragene Art aalau Varkabn arit
diesen treuen Helfern und Mitarbeitern aus unmittelbarem Miterleben kennaa leraen.'
Die Heranziehung von Tagners Briefen an die mitwirkenden Kflaatler, aa dl« DIrffantM
und Singer, unterblieb absicbilich und grundaltzücb, weil dadurch die Auftaerkaamkalt eam
Bayreuiher Festspiel im allgemeinen auf die Dramen aelber, auf aRlBc" aad .ParallU',
abgelenkt worden wire. VIelleicbt folgt noch einmal ein iweiter Band ron Bnyiwntbar
Briefen, der dleae bocbwlcbtlge Seite bebandelt. Die Anaataitnng des Bacfaaa IM •Aln
und veraebm, nur weicht das Format von dem bisher für die giaSen WacacncbM
Brieharomluogen Qbllcben ab. Prof. Dr. ▼. Goithar
67. Aifr. Chr. Kalischer: BeeihoveaaSImtliche Briefe. Kritlacha Au|abe nk
Erlluterungen. 111. Band. Vertag: Scbuster&Loel!ner,Bei11niUMiL«lpdglBin.
Mit dem Ruhme Beethovens mebrten sich auch aelne KorrespondeaaBa. Man
staunt, wieviel Zeit und Mühe der viel beachlh Igte Melaier nocb fBr du I
367
BESPRECHUNGEN (BÜCHER)
erGbrigen konnte. Die Menge der Korrespondenzen aus den drei Jahren 1816, 1817,
1818 ist so groß, daß sie allein den vorliegenden, 300 Seiten starken, dritten Band von
Kaliscbers Gesamtausgabe fQllt. Mebr als in frQherer Zeit modifiziert Beethoven in
dieser Epoche seine briefliche Redeweise nach der geistigen und gesellschaftlichen
Stellung der Empfänger seiner Briefe. Erhaben spricht der Priester der Kunst zu den
Kfinstlern und zum Geistesadel. Sein sprühender, derber Humor zieht sich mehr in
die Schreiben an seine intimsten Freunde zurück. Der im Herzen demokratisch gesinnte
Mann des Fortschritts muß sich — der Not gehorchend — zu glatten Höflingsworten
gegen seinen hochgeborenen Schuler Erzherzog Rudolf verstehen. Ängstlich und mit
fast mutterlicher Teilnahme verfolgt Beethoven als Vormund seines geliebten Neffen
Karl in den Briefen an dessen Pensionsvater Giannatasio del Rio Wohl und Wehe des
Knaben. Im Schiffbruch seines Hauswesens, namentlich in dem furchtbaren Dienst*
botenjahre 1817, ruft der ratlose alte Junggesell immer von neuem ^in Eil' und Ver-
zweiflung die gütige Frau Nanette Streicher um Rat und Hilfe an: ein bunter Reigen
von Großem und Kleinem, von Erhabenem und Alltäglichem, — aber alles überstrahlt
vom Seelenadel des reinen Menschen, dessen Muster, wie er selbst gesagt, Sokrates und
Jesus waren. — Der Herausgeber, Dr. Alfr. Chr. Kalischer, bietet auch in dem vor-
liegenden Bande außer dem bekannten Briefmaterial eine Anzahl bisher unveröffentlichter
Briefe. Unter letzteren sind die an die Familie Brentano wohl am interessantesten.
Eine auf innigstem gegenseitigen Verständnis beruhende Freundschaft verknüpfte Beethoven
mit dieser Familie. Das spricht sich in allen seinen Schreiben an sie aus, besonders aber
in jenem, in dem er ihren Wegzug von Wien nach Frankfurt a. M. beklagt, der ihn des
liebsten Umganges beraubt habe (No. 627). An der Ausgabe der Briefe durch Kalischer
ist wieder die schon oft gerühmte peinliche Genauigkeit hervorzuheben, mit der ein
möglichst reiner, der Originalfassung der Briefe entsprechender Text hergestellt worden
ist. Das Zurückgehen auf die handschriftlichen Quellen erwies sich besonders bei den
Briefen an Frau Nanette Streicher als angebracht. Hatte doch Ludwig Nohl, wie sich
dabei herausstellte, diese Briefe in der willkürlichsten Weise für seine Ausgabe redigiert
Mit großen Auslassungen, in Bruchstücke zerpflückt und zum Teil anders zusammen-
gestellt, wurden sie von ihm in »heilloser Verwirrung* dargeboten. Diese ist in
Kaliscbers Ausgabe beseitigt. Hier finden sich die Briefe getreu nach den handschrift-
lichen Vorlagen in ihrer ursprünglichen Fassung abgedruckt Kaliscbers Erläuterungen
sind stofflich sehr reichhaltig. Mancherlei wird darin beigebracht, was den Brieftext
gleichsam illustriert. So das amüsante ^Promemoria zur Einrichtung einer eigenen Haus-
haltung Beethovens.* Wie sich darin der Meister willig über seine Pflichten als Dienst-
herr belehren läßt, das gibt ein tragikomisches Seitenstück zu der Dienstbotenmisere,
die in dem voraufgehenden Briefe zur Sprache kommt (No. 518). Nützlich ist die Bei-
fügung einzelner an Beethoven gerichteter Briefe. So liefert das unter No. 534 ab-
gedruckte Schreiben von Neate bemerkenswerte Aufschlüsse über Beethovens Be-
ziehungen zu seinen englischen Verlegern und Freunden. Auch das bisher nur in der
vSophienausgabe* veröffentlichte Antwortschreiben Goethes auf Beethovens bekannten
Huldigungsbrief an den Dichterfürsten ist mit Recht in Kaliscbers Erläuterungen auf-
genommen worden (No. 615). Interessant ist femer die Mitteilung eines Passus aus
dem sogen. Fischhoffschen Manuskript über die Reise nach London, die Beethoven sein
Leben lang projektierte (No. 655). Danach kam die Reise nicht zustande, weil Beethoven
die „mindestens* dazu erforderlichen drei Reisebegleiter: einen Arzt, einen Freund und einen
Diener, nicht finden konnte. Das mag einer der Gründe für das Unterbleiben der Reise
gewesen sein. Ein anderer, wohl noch triftigerer Grund war aber gewiß seine Vormund-
schaft für Karl, die den übergewisienhaften Meister nicht von Wien abkommen ließ.
368
DIE MUSIK VII. 6.
msSs
es. Dr. Gerhard von Breuning: Aus dem Schwarztpanierhaute. Neodnick
mit ErgXnzungen und Erläuterungen von Dr. Alfr. Chr. Kalischer. Ver»
lag: Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig 1007.
Von den 1874 erschienenen Beethoven- Erinnerungen von Breunfngt, die neben
Wegeler-Ries' , Biographischen Notizen* und Schindlers Biographie eine der Hauptqaellea
aller Beethovenwissenschaft bilden, war seit langem eine Neuauflage nötig. Der Verliuscr
selbst bereitete eine solche vor, doch verhinderte sein Tod (1802) ihr ZustandekooiiDeB.
Nun hat die Verlagshandlung Schuster & Loeffler das Unternehmen zur Aaafntamng ge-
bracht. Die von ihr veranstaltete Neuaufgabe des Buches wurde von dem rfihmiietaat
bekannten Beethoven forscher Dr. Alfr. Chr. Kalischer besorgt. Dieser hat dabei alle
Verbesserungen und Ergänzungen, die sich Gerhard von Breuning zu diesem Zwecke
aufgezeichnet, in gewissenhafter Weise benutzt. Der Neudruck ist mithin als antken*
tische zweite Auflage des Werkes zu betrachten, als die sie auch von den Hinter-
bliebenen des Verfassers, den ^Geschwistern von Breuning*, in einem Vorwort sankdonisrt
wird. Der Herausgeber, Dr. Kalischer, hat noch ein fibriges getan, indem er dem Teit
zahlreiche Erläuterungen und Exkurse beigab und mancherlei Hinweise auf neaere Er*
gebnisse der Beethovenforschung hinzufugte. Im Anhang brachte er zwei ▼61lig In Ver*
gessenheit geratene Beethoven betreffende Aufsitze von Breuninga zum Abdruck. Der
erste fuhrt den Titel: „Aus Beethovens Konversationsheften*, der zweite bandelt Iber
«Die Schädel Beethovens und Schuberts*. Die Wiedergabe und Verwertung der In dem
ersten Artikel enthaltenen Gespräche Beethovens mit Grillparzer und mit Kuffner ist
freilich heute durch die umfassenden, die gleichen Stoffe behandelnden Studien Kalisdiots
fiberholt. Dagegen enthält der zweite Aufsatz, über die Schädel der beiden Tondidtsr»
interessante Beobachtungen und noch jetzt beherzigenswerte Anregungen. — Wibrend
der ersten Auflage des Werkes nur zwei bescheidene Pbotographieen beigegeben waren,
schmücken die zweite zehn vorzügliche Bildniablätter. Alle wichtigen Glieder der Famllis
von Breuning, die uns aus der Geschichte Beethovens teuer geworden sind, tremn Im
Bilde vor uns hin. Der prächtige Charakterkopf Gerhards beschliefit die Reihe. Anefe
die Aufnahme der Porträts der Gräfinnen GuicciardI und Erdüdy ist mit Dank sn b^
grüften. Spielen diese edlen Frauen auch in den Erinnerungen von Breuaings keine RoDsb
da sie in viel früherer Zeit mit Beethoven in Berührung kamen als der Varfiasstr, ss
erwecken ihre Bilder doch auch an diesem Orte Teilnahme, zumal aie nach wenig hth
kannten, wundervollen Originalen hergestellt sind. — Die Auaatattung des Bnehss ist
vornehm. Im ganzen stellt sich der Neudruck ala vollwertiges Seltenstfick sn dem dsf
«Biographischen Notizen* von Wegeler-Ries dar, der vor Jahresfrist von der tfei^es
Verlagsanstalt herausgegeben wurde. Dr. Hans Vollqmann
MUSIKALIEN
69. Wilhelm Klenzl: In Knecht Ruprechts Werkstatt, op. 75. Ein Velhnachls*
märcbenspiel in einem Akt für Schule, Haus und Bühne. Diebtug vsn
Hildegard Voigt. Verlag der Musik weil, GrofiLichtetfelde.
Wilhelm Kienzl betrat mit diesem Opus keinen ttnl>ebauteo, JnogfHlttlichen Bnden.
Eine ganze Anzahl zum Teil nicht unbekannter Musiker hat bereits auf diesem
Gebiete des «Kinderspiels* eine Literatur geschaffen. Humperdinck, Reinecke, Brdmanns-
^örfer, Pfitzner sind nur einige klangvolle Namen* Aber noch keiner von Ihnen hat wirküA
gezeigt, daß ein künstlerisches Bedürfnis vorhanden war, dem mit solchen Verken s^
geholfen werden mußte. Aber davon abgesehen ist die Hauptfrage dls^ eb der
■-■ ■■» -. ^^».i
369
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
Musiker feinfühlig und taktvoll genug war, eine sorgfältige Grenze zwischen einfach und
einfältig, zwischen naiv und platt zu ziehen. Einen verlaßlichen, alle Zeit gültigen Maßstab
dafür hat uns Schumann gegeben. Nicht nur in seinen Kinderszenen. Mehr noch in
seinen anderen Stücken für kleine und große Kinder. Wie vornehm und zurückhaltend,
wie gewählt ist hier seine Ausdrucksweise! Und mit diesem Maßstab gemessen, kann
Kienzl mit seiner Musik nicht ganz gut wegkommen. Jedenfalls aber immer noch besser
als Hildegard Voigt mit ihrem Textbuch, in dem Knecht Ruprecht, weiße Mäuse, der
Weihnachtsengel, Brieftauben, acht kleine Sonnen- und acht kleine Mondstrahlen nebst
anderen Zutaten ein paar Szenen zusammenreimen. Natürlich fehlt auch das nötige
kirchlich-christliche Pigment mit dem bekannten „Ehre sei Gott" usw. nicht. Kienzl
gibt mit seiner Musik selten mehr als alltägliche Scheidemünze. Wer daran seine Freude
hat, dem wollen wir sie nicht nehmen. Aber ernste, ehrliche Kunstfreunde können sich
von einer solchen Art, Musik zu machen, doch wohl kaum angezogen fühlen. Im
kleinsten Rahmen etwas Neues zu geben, in der engsten Form eine eigene persönliche
Note anklingen zu lassen — das ist jene Beschränkung, in der sich der Meister zeigt.
Und da versagt eben Kienzl. Nur ganz selten erhebt er sich über das Alltägliche, das
Ewiggestrige. Und gerade heutzutage besteht doch der Satz zu vollstem Rechte, daß für
die Jugend nur das Beste gut genug ist. Dr. Hugo Daffner
70. Karl Thiel: Vier größere Motetten für gemischten Chor a cappella,
op. 9. Verlag: W. Sulzbach, Berlin.
Die vokalen Vorzüge, die den bedeutenden Wert des Thielschen „Bußpsalm* be-
stimmen, bieten auch den Maßstab zur kritischen Einschätzung seiner vier größeren
Motetten für gemischten Chor a cappella: „Jauchzet dem Herrn alle Welt' (sechsstimmig),
„Wer da glaubet und getaufet ist*, „Erbarm' dich mein, o Gott* und „Befestige, o Gott,
was du in uns gewirkt hast* (die drei letztgenannten Chöre sämtlich fünfstimmig). Im
ersten und im vierten Chore prägt der Komponist eigene, originelle Melodieen und Rhythmen
zu ausdrucksvollen Themen, mit denen er die in den Anfangsworten der vertonten Texte
bereits angedeuteten Stimmungsgebiete allzeit meisterhaft, und zwar in satten Klängen
schildert, während er in der zweiten und der dritten Motette die motivische Grundlage zur
Linienführung und Harmonik zwei Weisen des gregorianischen Chorals entlehnt: der
kirchlichen Credo-Intonation „Credo in unum Deum* und dem ersten Psalmtone. Haftet
der Melodie des gesungenen Credo-Anfanges eine ganz eigenartige Festigkeit an, die das
laut angestimmte Glaubensbekenntnis geradezu in festlicher Größe erscheinen läßt, so
wird man dem an zweiter Stelle genannten Psalmtone zweifellos eine ganz seltsame
dramatische Entschlossenheit in der Deklamation zugestehen müssen, und diesen grund-
verschiedenen, überaus eigenartig markigen Zuschnitt der vom römischen Choralbuche
gebotenen Themen hat sich Thiel in echt künstlerischer Art für seine Zwecke dienstbar
gemacht. Genau so, wie der Künstler den aus eigenem Bronnen geschöpften Motiven
während des Aufbaues der Kompositionen unbedingt nach Form und Inhalt treu bleibt,
indem er den melodischen Grundstoff für ein bestimmtes Werk stets auch nur ganz
bestimmten, die äußere und poetische Einheitlichkeit des Opus garantierenden Klang-
materialien entnimmt, genau so fein weiß Karl Thiel auch bei seinen „über ein fremdes
Motiv komponierten* Arbeiten die Fäden des kontrapunktisch reichen Gespinstes im
Sinne des fremden, antiken Melodikers stilgetreu und doch nicht steif, echt in der Farbe,
und trotzdem nicht gekünstelt antiquiert fortzuspinnen, und das schuf auch in diesem
Falle wieder vier scharf von einander sich abhebende, ganz In sich abgeschlossene,
warmblütige Stimmungsbilder. Als besonderes Verdienst sei dem Komponisten auch
hier wieder die glückliche Verwendung herzhafter homophoner Sätze neben der breit
ausgeführten Polyphonie angerechnet, da damit nicht nur für eine selbst in Andacht-
VII. 6 24
370
DIE MUSIK VII. 6.
stunden schwer zu entbehrende Abwechslung gesorgt ist, sondern auch den vielen Sati-
und Wortwiederbolungen der Anschein rein mechanisch hergesagter Gebetssprfiche ge-
nommen wird. Nur für bessere Chöre! Paul Mittmann
71. Carl Loewe: 44 Präludien für die Orgel, aus »Muailcallscher Gotteadionst".
Ausgewählt und bearbeitet von G. Zanger. Verlag: Braiflacb, Prmnicftirta.0.
Wie Dr. Hirsch berg im Vorwort dieser kleinen Sammlung mitteilt, sind diese
Präludien (24 allgemeine in den meist gebräuchlichen Tonarten, sowie 20 spezielle Choral-
vorspiele) in erster Linie für Loewes Schuler geschrieben. Und in der Tat kann man
sie als Ergänzung zu jeder Orgelschule wärmstens empfehlen, als Mnsterbeiapiele ffir
guten Satz und klaren Aufbau; sodann als wohltuenden Ersatz für Jenes plan- and taict-
lose Herumphantasieren so vieler .freispielender* Organisten. Schlicht und einfaeh aind
sie alle, kurz gefasst, ohne überflüssiges Beiwerk. Als Konzertnammem ktante oua
das kanonische, dem gleichnamigen Bachschen entfernt verwandte Vorspiel aEracUenen
ist der herrlich Tag'' (No. 6), sodann .Msch's mit mir, Gott* (No. 12) und JWmä mein
Gott will* (No. 19) verwenden, die die übrigen an musikalischem Gehalt flbemcen.
72. Carl Loewe: Geistliche Gesänge für mittlere Singatimme. Verlag:
Bratflscb, Frankfurt a. O.
»Eine Auswahl des Besten zum Gebrauch für Kirche und Haue* nennt der Heraos-
geber Dr. Hirscbberg diese Sammlung, und mit vollstem Rechte. Diese 25 Lieder,
die mit wenigen Ausnahmen keine erheblichen Schwierigkeiten enthalten, tiilden eine
köstliche Bereicherung unserer Programme, und seien allen Veranstaltern gelatficher,
insonderheit volkstümlicher Konzerte, sowie für den evangelischen Gotteadlenat vlrm-
stens empfohlen. Aus der Reibe der mehr choralmäßig behandelten achlictat-innlien
Lieder ragen als besonders wertvolle Schöpfungen hervor die Nummern 2, 3 (Traanngs-
gesang), 6—9, 14 als ergreifendes Bußlied im phrygischen Ton, 15 ala Pasaionalied» 23
und 24 als bedeutsame Proben aus Loewe'schen, ziemlich unbekannten Oratorien. IMaee
Liedersammlung ist im vollsten Maße geeignet, das Bild des Balladenmeiatera in will*
kommenster Weise zu ergänzen, und ein Zeugnis dafür, wie hoch Loewe die klrchlKhe
Musik einschätzte. Noch sei hingewiesen auf Dr. Hirschbergs Aufliati: .C« Loewe ala
Kirchenkomponist* («Die Musik* 1905, Heft 12). Dr. Ernst Schnorr von Carelafeld
73. Hugo Kaun: Drittes Quartett für zwei Violinen, Viola und VioloneelL
op. 74. Verlag: F. E. C. Leuckart, Leipzig.
Dieses dem Böhmischen Streichquartett gewidmete Werk gilit wieder beredlea
Zeugnis dafür, daß Kaun zu den besten Komponisten ernster Richtung der Gegenwart n
zählen ist. Der Aufbau seiner Sätze und die Verarbeitung der Themen aind bewnndenmgp-
wert. Der geistige Inhalt des Werks fesselt durchweg. Der erste Satz iat aehr dramntiach
gehalten; er würde auch in einer Symphonie seinen Platz gut auafQlIen. Br Torlangl
sehr tüchtige Ensemblespieler. Der langsame Satz hat ein sehr innigea Haaptthema, das
durch eine Art Trauermarsch abgelöst wird. Bei der Wiederholung des Haaptthemaa
hätte die Begleitung wohl weniger unruhig sein sollen. Eine kune Koda lillt den Saia
versöhnend und verklärend austönen. Ein langsames Menuett vereinigt aehr ^ftcldkb
alte Formen mit modernem Geist. Das Finale bringt Variationen, die Kanne kunatvoDa
Arbeit besonders klar erkennen lassen. Das einfach gehaltene Thema iat von grofiorlnniglalL
Nähere Beschäftigung mit diesem Werke ist sehr lohnend. Wilhelm Altmnnn
74. Sigurd Lie: Zwei Lieder. Für Streichorchester geaetit von Johan
Halvorsen. Verlag: Gebrüder Hals, Ghriatiania.
Die beiden einfachen, um nicht zu sagen harmloaen, Lieder aind, wie von
routinierten Kenner des Streichorchesters wie Halvoraen nicht andere an
wohlklingend gesetzt. Sie bieten eine angenehme UnterhaltungsmnailE. Adolf Gdttmann
KRITIK
OPER
BERLIN: Königliches Opernbaus. Die
Hofoper IXßt sich Zeit bei der Vorbereitung
von Novitäten. Seit Puccini's «Butterfly* und der
Neustudiening der «ATda* hat das Repertoire
des ersten Quartals nur Mozarts «Figaro* in
teilweise neuer Besetzung und ein Gastspiel des
Kopenhagener Tenors Herold gebracht. Erst
für Mitte Dezember ist Massenet's «Therese* in
Aussiebt genommen. Herr Herold ist uns kein
Unbekannter mehr. In »Carmen* Uos6), «Bajazzi*
(Canio) und «Cavalleria* (Turiddu) erschien er
vor zwei Jahren als Gast jm Opembause und
erwarb sich, mehr noch als durch seinen Gesang,
durch sein vornehmes und durchdachtes Spiel
Sympathieen. Sein Tenor steht nicht mehr in
voller Blüte; nur die Höhe entwickelt noch
Kraft und Glanz, während die tieferen Register
etwas matt und belegt klingen. Das zeigte sich
auch diesmal, wo er, überdies unter dem Druck
einer leisen Indisposition, zunächst in Gounod's
»Romeo und Julia" auftrat. Aber Herr Herold
singt immer geschmackvoll, und wenn sein
Romeo auch gerade nicht von südlichem Tem-
peramente belebt wurde, so ist er doch eine
sympathische und eindrucksfähige Bühnengestalt.
Der Gewinn der neuen Figaro-Aufführung lag in
der Susanne des Frl. Hempel. Die junge
Sängerin, die für die Julia weder die geeignete
Persönlichkeit noch die völlige technische Be-
herrschung der Rolle mitbrachte, zeigte in dem
Mozartschen Werke ihre Begabung von der
besten und einer zum Teil neuen Seite. Die
Wiedergabe der Partie war gesanglich wie
musikalisch einwandsfrei, die Stimme klang
jugendlich und gleichmäßig schön, und es gelang
ihr, die ihrem Fach als ausgesprochener Koloratur-
sängerin fern liegende Soubrettenrolle glaub-
haft zu machen. Weniger Glück hatte diesmal
Frau Herzog mit der Gräfin. Wir haben ihr
gerade als Mozartsängerin so vieles zu ver-
danken, daß wir berechtigt sind, den höchsten
Maßstab an ihre gesangliche Leistung zu legen,
wenn man auch über die schauspielerische
Repräsentation der Rolle hinwegsehen könnte.
Vielleicht, daß die Meisterin keinen günstigen
Abend hatte und später dieser schwierigsten aller
Partieen doch etwas Besseres abzugewinnen weiß.
Dr. Leopold Schmidt
BRAUNSCHWEIG: Das Hofcheater frischte
einige ältere Opern mit wenig Erfolg auf.
Namenilich «Zampa* konnte ebensowenig wie
die darin vorkommende Marmorbraut zu neuem
Leben erweckt werden. Mehr Glück hatte die
Uraufführung des großen Ballets .Im Münchner
Bräu" von unserem Balletmeister F. Golinelli,
Musik vom Hofmusikdirektor M. Clarus. —
Ein interessantes Wagnis unternahm Margarete
Preuse-Matzenauer-München. Sie trat hier
zum erstenmal als Brünnhilde (»Walküre") auf.
Nur wenige Altistinnen können ihr dies nach-
machen, weil sie in dem Werke die Rolle der
Fricka übernehmen müssen, außerdem nicht
über das hohe C verfügen. Wenn auch den
ersten Jauchzern der bestechende Glanz der
Höhe fehlte, so gewann doch das übrige, nament-
lich die Todesverkündigung, durch den tiefen,
dunkeln, vollen Mezzosopran ganz bedeutend.
Als Carmen erlitt die Künstlerin leider einen
Unfall. Am Schluß des dritten Aktes, als sie
Don Jos6 mit dem Dolch nacheilte, stürzte sie
hin und zog sich, wie Direktor Frederigk nach
dem Zwischenakte mitteilte, eine Sehnenzerrung
mit Bluterguß ins rechte Kniegelenk zu, was
sie aber nicht hinderte, die Partie zu Ende zu
singen. Sie ließ sich, auf Escamillo'a Arm ge-
stützt, hereinführen und sang — Achtung vor
solcher Willenskraft! — ohne sich zubewegen, mit
schmerzverzerrtem Gesicht die Rolle bis zum
Schluß. Bei genauer Prüfung ergab sich später,
daß die Sehnen zerrissen waren; die Künstlerin
mußte also ihre Abreise aufschieben und hier
ihre Heilung erwarten. Ernst Kraus- Berlin
sang den Titelhelden in «Siegfried" trotz anfäng-
licher stimmlicher Indisposition mit dem ge-
wohnten Erfolg. Ernst Stier
BREMEN: Die ersten Monate der Opernsaison
brachten das alte Repertoire im alten ein-
tönigen Kreislauf: „Lohengrin", „Carmen",
«Mignon", .Martha", .Tannhäuser" (das eine Mal
mit Burrian und das andere Mal mit Penna-
r i n i ) , «Troubadour", .Bajazzo", «Lohengrin" usw.
wieder von vorne an; alles in den alten ausge-
fahrenen Gleisen. Dazwischen fiel ein nicht
gut gelungener Wiederbelebungsversuch mit der
„Norma", eine Aufführung des Nibelungenringes
(Kapellmeister Po Hak), die noch vom Schluß
der vorigen Saison her «stand**. Frau Svärd-
ström (Hamburg), die eine echte lyrisch-
dramatische Sängerin und ein originales Talent
für fein-musikalische Seelentragödien ist, brachte
uns die überlyrische, in mystische Romantik
haltlos zerfließende «Jolanthe" Tschaikowsky's.
Und dann kam das Unheil: mit dem Freimarkt,
dem bremischen Herbstkameval oder der Ok-
tobermesse, kam es in Gestalt des musikalisch
grobgezimmerten und erflndungsarmen und des-
halb in der plumpen Witzlosigkeit seines Textes
ästhetisch ungenießbaren «Walzertraum" von
Oskar Straus. Dieser Walzertraum ist dann der
Albdruck geworden, der mit seinen vielen
Wiederholungen — die zehnte verherrlichte ge-
schmackvoll am 10. November Schillers und
Luthers Geburtstag — das Niveau des Reper-
toires unter alle Kritik hinabdrückte und den
künstlerischen Ehrgeiz unserer scheidenden
Direktion als auf dem Nullpunkt der Gleich-
gültigkeit angekommen charakterisiert.
Dr. Gerb. Hellmers
ORESLAU: Die erste Novität dieses Wintert
" war zugleich eine Uraufführung, nämlich
der dreiaktigen Oper «Die Liebenden von
Kandahar", Text von Otto Nowack, Musik
von Leopold Reich wein. Beide Autoren stehen
von früher her in Beziehungen zu unserem
Stadttheater. Nowack, jetzt Opernregisseur in
Köln, war vor Jahren bei uns Tenorbuffo;
Reichwein, jetzt Kapellmeister in Mannheim,
lernte hier den Taktstock führen. Das Buch,
das Nowack seinem ehemaligen Kollegen zur
Verfügung stellte, beruht auf einer der «Asia-
tischen Novellen" des Grafen Gobineau. Dieser
erzählt breit und weitschweifig eine ganz dünne
Begebenheit, die Geschichte von dem Afghanen-
jüngling Mohsen, der seine geliebte Base
Djemileh entführt, um mit ihr, gehetzt von den
Verwandten und den von ihnen angerufenen Be-
hörden, elendiglich zugrunde zu geben An der
Novelle des normannischen Dichterphilosophen
24*
ist die Sittenscbilderung das Beste. Nowack
konnte aber nur die Handlung brauchen und
die ist, bei aller scheinbaren Einfachheit, von
einer höchst gefihrlichen Kompliziertheit. Die
Motive, die Gobineau für die einer Erklärung
ungemein bedürftigen Vorginge gibt, werden
bei Nowack kaum angedeutet. Kopfschüttelnd
und verständnislos sieht darum das Publikum
der von Haus zu Haus, von Szene zu Szene
sich fortsetzenden Treibjagd auf die Liebenden
zu, deren gegenseitige Neigung ihr einziges
Verbrechen ist. Da aber das Paar sich völlig
willenlos seinem Schicksal überläßt, so wendet
sich den beiden nicht einmal das Mitleid zu.
Der .Held*" Mohsen, der ständig auf der Flucht
ist, und seine schöne Cousine lassen uns völlig
gleichgültig, ihre edlen Beschützer und rasen-
den Verfolger nicht minder. Für seine orien-
talische Tragödie hat Nowack nun eine Vers-
sprache gefunden, die zwar gelegentlich den
Koran zitiert, meist aber als verwässerte Tristan-
Imitation erscheint. Und von dieser Stillosig-
keit des Librettisten hat sich der Komponist
anstecken lassen. Auch er schwankt zwischen
dem Orient und Occident hilflos hin und her.
Bald versucht er morgenländische Stimmungs-
bilder zu malen, bald ergibt er sich mit Leib
und Seele der Empfindungswelt von .Tristan
und Isolde*. Es kommt ihm gar nicht darauf
an, diese beiden härtesten musikalischen Kon-
traste ganz unvermittelt gegeneinander zu stellen.
Das ist der Hauptfehler der Partitur, der die
Erfindungsgabe Reichweins völlig gelähmt zu
haben scheint. Rein technisch ist alles sehr
gut geraten. Das Orchester schillert von aller-
lei Klangreizen, und jeder dramatische oder
lyrische Accent wird mit virtuosem Nachdruck
gegeben. Aber an der Zwiespältigkeit und Un-
persönlichkeit ihrer künstlerischen Physiog-
nomie siecht die Reichweinsche Oper unrettbar
dahin. Selbst eine so vortreffliche Auffilhrung,
wie die hiesige, konnte an diesem Schicksal der
.Liebenden von Kandahar* nichts ändern.
Kapellmeister Prüwer setzte sich mit rühmens-
werter Hingabe für das Werk des Freundes ein,
Frau Verhunc und Herr Trostorf f sangen
die Titelpartieen mit hinreißendem Elan, und
die Herren Dörwald, Beeg, Oster, Wald-
mann, Günther-Braun nahmen sich der
wichtigeren Nebenrollen mit schönem Eifer an.
Der Liebe Müh war umsonst. Ober einen
Achtungserfolg gelangte die orientalische Wagner-
oper nicht hinaus. Dr. Erich Freund
tSrESDEN: Sigrid Arnoldson setzte im
^^ Königlichen Opernhause ihr Gastspiel als
.Carmen", .Regimentstochter' und .Nedda* fort
und erzielte in allen diesen Rollen starke Erfolge.
In der erstgenannten Aufführung sang Elisabeth
Boehm-van Endert erstmalig die Micaela
und bewies damit gesanglich und darstellerisch
aufs neue, daß sie zu den jungen, hoffnungs-
vollen Kräften gehört, auf deren Entwickelung
man mit Zuversicht blicken darf. Als Figaro
in Mozarts Meisterwerk und als Baculus in
Lortzings .Wildschütz" gastierte Herr Ermold
vom Zürcher Stadttheater auf Engagement und
führte sich damit lo vorteilhaft ein, daß man
einer Verpflichtung dieses jungen, reichbegabten
und stimmlich wohlgeschulten Sängers für die
Hofoper das Wort reden möchte. Der sechszigste
Geburtstag Ernttt von Scbucta, der nun ichoB
ein Menschenalter hindurch der matikalische
Leiter der Königlichen Oper ist, gab Gelegen-
heit, abermals aller Verdienite zu i^enken, die
sich dieser große Künstler um unier gesamtei
Musikleben erworben bat. Möge er noch recht
lange der Unsere bleiben! F. A. Geiftler
ESSEN: Seit Beginn dieser Spielzeit steht nnscr
Theater, nach Trennung der Union mit Dor^
mund, wieder auf eigenen FQf&en, und Geoig
Hart mann hat seine Leitung. Allzu leicht ist
sie ihm durch den Vertrag nicht censcht wordco,
und auf routinierte teure Kräfte mußte er Ver-
zicht leisten. Doch, bst er, da er selbst sdmfl^
kundiger Singer, sehr schöne und frische Stimmen
zu finden gewußt, fQr deren glflcUicben Inhsber
zahlungsfähige Intendsnten schon bsld ver-
lockende Verträge mitbrachten. Den riumlldiea
Verhältnissen der Bühne und den besonden
des Personals entsprechend, stunden die Anf-
führungen Wagnerscher Werke gegenfiber denea
anderer Komponisten zurück. Auch gröfisiM
Thestem als dem unsrigen aber bitte die kösHi^
und von rauschendem Erfolg begleitete Wieder
gäbe des Gomeliusschen »Barbier* Ehre genieß
Max Hebensnn
HALLE a. S.: Anläßlich des 25iUirigen Jubi-
läums unseres Tbesterdirekton, HelM
Richards, erschien als Festrorstelluag der
»Tannhäuser* in wahrhaft giinsender Insseaie-
rung. Kapellmeister Eduard Mörike sotg^
dafür, daß auch der musikslische Teil nicht n
kurz ksm. Ein mirchenbsftes Bfihnenblld bat
auch das »Rheingold* mit der neuen Schwlmsh
Vorrichtung. Herrn Franke Votan, GogU
Loge und Ravens Alberich seien besondsn
rühmend erwähnt. Als ente Novitlt erschiaa
Puccini's »Bohdme*, deren Orcheaterpsit as
vielen Stellen ungemein ISeaselte, aber dedh
keine tiefgehenden IFirkungen hervorbrschic
Nächst dem Orchester unter Mörlkes espri^
voller Leitung verdienen Herr Bergmann sb
Maler, Herr Gruselli als Poet nnd M.
Wolf als Mimi hohes Lob. Einer anlMleades
Berücksichtigung resp. Wertscbltsung scüni
der Direktion erfreut sich Mozart, von dem vir
»Figaros Hochzeit*, »Die Zauberflöte* tmd sdt
jahrelanger Pause such wieder den »Donjoss*
zu hören bekamen. Martin Frey
HANNOVER: An unserer Könltf leben Opff
herrscht, dank der Wirkaamkeit unsswi
neuen Kapellmeisters Brück, In dieser Ssims
ein ft-isch pulsierendes Leben, wie seit Jsfe^
zehnten nicht. Nachdem Mitte Oktober d'AIbsrA
.Tiefland* mit durchschlagendem ErlUg enl-
malig aufgeführt wurde, folgte am 14. Nofembtr
die zweite, mit fieberhafter Spannung aivaiüit
Novität, Straufi' »Salome*, ebenfalls von Brück,
unterstützt vom Oberregisseur Dnrichs,mHSlH^
gültig vorbereitet. Den Herodes g|ib Herr
Gröbke, die schwere Rolle darstelleriseh oai
deklamatorisch — gesanglich kann men wohl
kaum sagen — wahrhaft erschöpimd. Ali
Salome traf FrL Kappel, unsere neae drama-
tische Sängerin, durchaus den riehtigea Ten ür
diese übersinnlich-sinnliche Katiennafr, wsas
ihr auch die letzte große Steigemng tai der haff-
lichen Szene mit Jochanaan noch akhl fpi
gelang. In den Rollen deajoehanaaa, NMM
und des Herodias waren die Hema Blschefff
j
373
KRITIK: OPER
Baitfsti uDd Frau Hammerstein mit bestem
Geliageo tiiic, und auch alle kleineren Rollen
war mit Solekriften beBe»t. Pracbtroll ipleiie
das TOn eSauf 84 Musiker versiSrkte KSnigllche
Orcbester; Ausstattung und Regie standen auf
kfinstlerjscher VollbShe. Nur der Vechsel
zviacbea Siagerin und Tlnierln bei dem Tani
machte einen etvas gezwungenen Eindruck. Die
Aufnahme des bis Ende November viermal vor
ausTerkaufiem Hause wlederhoIteD Verkes war
seiner Eigenart entsprechend. Zuerst einige
Augenblicke starrer Verblüffung ob des krassen
Schluaaes, dann aber jubelnde Begeisterung ob
der genossenen musikalischen Schönheiten, die
die HSrer geradezu berauscht bauen.
L. Tuthmann
KARLSRUHE: An der Hofoper konzentrierte
aich das Hauptinteresse auf den seit
langen Jabren nicht mehr aufgeführten
„Rlenii", dessen Lebensnhigkelt und starke
\Firkung die gelungene Aufführung unter Dr.
G Sh 1 er fiberzeugend dartat. Sinn und Ver-
siindais tür den Gesamtaufbau des Werkes und
eine gewisse Feinfühligkeit, aus der Su&erilchen,
rauschenden Orchestersprache mit der aus-
giebigen Vervendung des Blechs den musika-
lischen Kern hersuszuschilen, sind für die gute
Wiedergabe ebenso uncrlißlich wie Singerinnen
und SSnger, die sich den anspruchsvollen Par-
tleen gewachsen zeigen. In den Hauptrollen
waren Hans TInzler, Rosa Ethofer und Ada!
von Westhoveo mit Erfolg titig. Bei der
ersten Wiederholung verkörperte Frau ReuD-
Belce darstellerisch in hervorragender und auch
geaanglich-dramaiiscb In wirksamer Weise den
aAdrlano". Neu einstudiert erschien ferner Aubers ,
taellere Oper .Des Teufels Anteil", die Alfred
Lorentz mit Lotte Kornar als trefTlichem
.Carlo Broschi* pikant und graziös heraus-
brachte. Franz Zurelcb ^
KÖLN: Wenn auch unser Opernbaus all-
winterlicfa Wagners Nibelungen-Tetralogie
bringt, so bedeutet doch die erste geschlossene '
Aufführung des Zyklus in jeder Spielzeit ein
allseitig freudig begrüßtes künstlerisches Er-
eignis, seil Otto Lohses geniale Interpretierung
des Gesamtwerkes die Vorführung der einzelnen
Teile durch eindringllchsie Veranschaulichung
des aus Ihnen sprechenden musikdramatischen
Geistes zu wahren Festabenden gestempelt hat.
Sollstiicta wirkten jetzt besonders hervorragend:
Alice Guszalewlcz, Louis Bauer, Fritz
Rfcmond und Clarence Wbitehill. Bei der
jQngsien .Trisian''-Aufführung stand neben dem '
Dirigenten Lohse als Tristan Ernest van Dyck
ala ungeschwichi markante künstlerische Indl-
viduslltlt Im Mitcelpunkt des Iniereases.
Paul Hiller
I EIPZIG: Dreimal wlhrend der letzten zwei
^ Wochen bat man sich im hiesigen Opern-
theater an AuQcrordenilichem erfreuen können:
Franceschins Prevosti, die immer noch frisch-
stimmige Meisterin des Gesanges und der Dar-
stellungskunst, gastierte als Violetta und als
Carmen, und leistete das eine Mal vollkommen
Scbönes, das andere Mal aber Hochinteressantes.
Am 26. November — nahezu vier Jahre nach
den ersten hiesigen Aufführungen des Werkes —
ist Eugen d'Albert's veriitisches Musikdrama
j, Tiefland*, nach der in daa Vorspiel und zwei
Akte zusammengedricgien späteren Faaauog,
vortrefflich neu einstudiert von den Herren
I Kapellmeister Hagel und Oberreglaseur
jv. Wym6tal, in Szene gegangen und In An-
j Wesenheit des lebhaft gefeierten Komponisten
I und der tatsichllch Vorzügliches leistenden
Mitwirkenden (Pedro-Herr Urlus; Marta«Fri.
Marx; Sebastlano < Herr Soomer; Tommaso«
Herr Rapp; Nurl-Fil. Fladnltzer; Moruccio,
Nando und die Migde <• die Herren Stichling
und Grunow und die Damen Franz, Schllger
und Stadtegger) mit ganz ungewöhnlichem
Enthusiasmus aufgenommen worden. Und einer
solchen Aufnahme ist d'Albert's .Tiefland* aucb
durchaus würdig; denn es hat bei aller etwas
fremdlindlschen TbemensiiliEieiung vor den
meisten jungdeutschen musikaliscben Biifanen-
werken den liefwahrhafilgen Stimmungszug und
warm lebendigen Pulsschlag des Dramas und
der Musik voraus. Arthur Smoiian
KAAGDEBURG: Unsere Oper steht Im Zeichen
"' der Ära der Erben des veratotbenen Hof-
rats und Stadttbeaterdirekrors Arno Cabialus,
die noch für diese Saison für die Darbietungen
verantwortlich zeichnen. Zwei Neuheiten er-
schienen bis jetzt auf dem Spielplan: ,Hana
Jürge", eine einakiige Oper von H. Berner,
nach dem gleichnamigen vergessenen Theater-
stücke Holtelfl, und der von Waldemar von
BauQnern nach den vom Unterzeichneten
herausgegebenen Gunlödfragmenten des Peter
Cornelius erglnzte und instrumentierte
.GunlSd' des Dichterkomponisten. Die Auf-
führung von .Hans Jürge* war ein sehr gut ge-
meinter, aber kaum gelungener Versuch, das
Holteiicbe Stfick, in dem ein verachteter Krüppel
sich aus Liebe zu einer wenig sympathischen
Bauerntocbter opfert. In Opernform zu retten.
Das Textbuch ist ganz mißlungen, sein Stil
allerilteste Thealrallk, die Mualk eine zu ab>
sicbtlicbe Betonung der einfachen Linie, mit
zahmen Italienisch -veristlscben Einscbligen.
Mehr Inneren und iußeren Erfolg dürfte dem
Verfasser ein Textbuch bringen, das ein lebens-
volleres Motiv natQrlich-lebensvoller verarbeitet.
Die Aufführung der .Gunlöd* — Magdeburg
folgte dem Kölner Siadttheater in der Annahme
des Werkes — wurde am 28. November unter
dem temperamentvoll feurigen Dirigenten Stabe
J. GöUrlcbs zur vollendeten Tat für dai
blühende Opernwerk, dessen Stil, wie leb
glaube, Wagner zum ersten Male — vor Wagner
Qberwindet. Denn diese Musik Ist, obwohl vor
einem Mentcbenalter entstanden, so neu und
modern, als sei sie gestern geschaffen. Waldemar
von Baußnern bat sich mit seiner Erglniung
und Instrumentierung der vorhandenen ausfuhr*
liehen Klavierskizzen (etwa dreiviertel des
Werkes war vorbanden), die ihm in bewundema-
wener Welae gelungen Ist, ein großes Verdienst
um die Rettung dieses blühenden Werkes ge-
schaffen. In Einzelheiten kann man anderer
Meinung sein, die Instrumentation da und dort
nicht elnfscb genug, die Erglnzungsarbeit seibat
In manchen Einzelheiten nicht wirksam genug
Hoden — dieae Einzelbellen ilblen aber dem
gelungenen Ganzen gegenüber nicht mit. Ver-
dient um den Abend machten aich Dr. Bannascb
ala Odin, Frau Elb als GunISd und Albin
374
DIE MUSIK VII. 6.
Günther als Suttung. Die auch szenisch sehr
gut gelungene Aufführung fand den lebhaften
Beifall des Hauses; besonders zündend -schlug
der erste Akt mit seiner großen Schlußsteigerung
ein, nach der die Darsteller fünfmal hervor-
gerufen wurden. Hoffentlich folgen größere
Theater bald in »Gunlöd'-Aufführungen nach:
hier ist in der Tat ein Vermächtnis, das reiche
Früchte tragen wird. Max Hasse
MAILAND: Die Uraufführung der .Mar-
cella* von Umberto Giordano sollte der
große Abend des «Lirico* werden, es kam jedoch
anders. Im Taumel eines Pariser Nachtcaf^s
der Halbwelt erscheint Marcella, sich gegen die
brutale Verfolgung junger Männer wehrend.
Georg, ein unter fremdem Namen als Maler in
Paris weilender Prinz, wird ihr Beschützer. Sie
erzählt ihm ihre Misere als Schneidermädchen,
die sie hierher zwang, um ihren Körper zu ver-
kaufen, wovor sie aber, als der Moment kam,
zurückschrak. Er wird von ihrem Schmerz und
ihrer Schönheit ergriffen und verliebt sich in
sie. Im zweiten Akt, während das glückliche
1 Lande weilt, kommt ein Freund
des Prinzen, um ihn als Retter gegen die in
seiner Heimat ausgebrochenen Unruhen ab-
zuberufen. Marcella hört das Gespräch, erfährt
wer ihr Liebster ist und beschließt, ihrem Glücke
zu entsagen. Der dritte Akt ist der Abschied
und die Trennung, nach der Marcella zusammen-
bricht. Man sieht, diese seichte «moderne Idylle*,
nach H. Cain und E. Adenis, in glatten Versen
von L. Stecchetti, ist die Pariser Variante von
»Alt-Heidelberg*. Giordano's Musik ist dem
Text ebenbürtig. Er hatte nicht die Kraft, die
hohlen Figuren zu vertiefen, sie zu Menschen
zu gestalten. Seine Tonsprache ist dürftig, ohne
Plastik, nicht einmal «italienisch* melodisch.
Der Instrumentierung mangelt Saft und Schmelz.
Das Ganze ist langweilig flach und flel, aus-
genommen einige Stellen im zweiten Akt, in
Anbetracht des Namen .Giordano* achtungsvoll
durch. Gemma Bellincioni sang und spielte
meisterhaft. Der ausgesungene Tenor de Lucia
gab den Prinzen, und E. Perosio dirigierte
leidlich. — Pietro Mascagni leitete mit Erfolg
seine .Maschere* und .Amica*. — Titta Ruffo
war ein prächtiger Hamlet, L. Grenville eine
sympathische Ophelia und E. Perea ein guter
Wilhelm Meister. Johann Binenbaum
MAINZ: Unsere Oper fristet in dieser Saison
^ein recht kümmerliches Dasein. Schuld
daran trägt die ungenügende Besetzung einiger
besonders wichtiger Fächer, die die Direktion
nötigt, durch Gastspiele dem im allgemeinen
ziemlich eintönigen Repertoire wenigstens einigen
Reiz zu verleihen. In erster Reihe war es
Otto Goritz aus New York, der als Hans Sachs
und Rigoletto große und berechtigte Erfolge auf-
zuweisen hatte. Dann folgten die Herren Braun
(Wiesbaden), Becker (Altenburg), Wolf (Darm-
stadt) und zuletzt die Damen Sutter (Stuttgart)
und E. Wedekind, deren treffliche Leistungen
als Carmen bezw. Gilda begeisterte Aufnahme
fanden. — Als Novität erschien Puccini*s .Ma-
dame Butterfly*. Die glänzende Ausstattung
und die treffliche Wiedergabe der Titelrolle
durch Fräulein Lemon vom MetropoHtan-Theater
in New York verhalfen dem von Emil Stein-
bach aufs subtilste einstudierten Werke zu
einem Erfolg, wie er ihm an anderen BahBCB
bisher kaum betchieden war. Frits Kelter
MANNHEIM: Im Hof- und Nationaltheater ge-
langte am 23. November Riefaard Dehmels
Traumspiel »Fitzebutze*, in Mnaik g^tetitvea
Hermann Zilcher, zur Uraufffitarnng. Die
Idee der Dichtung iit poetiecb, die Veree der
Lieder und Gesinge, sowie die ganse Dnrch-
fuhrung der Idee verraten den feineinnifeB
Poeten, der nur etwai mehr Hnmor und BUbaea-
realistik hätte geben müiaen, nm daa Traan-
spiel bühnenwirksamer so geatalten. Zwei
Kinder und ihr Splelgenoaae Pitzebntiey efai
Hampelmann, werden von dem TrannfeiMe,
Freund Husch, zur Reiae dnrch die Mlichea-
und Zauberwelt »erweckt*» bexv. aerlöat*, dean
mit einem Mal ist aus dem kleinen Hampel*
mann ein langer and arfHatlger Geselle
geworden. Per Luftballon releen die Kinder
zum Zauberwalde, wo sie mit den BlanenellBa
singen und tanzen, vom Weibnachtamanne relA
beschenkt werden, wo der veracblagene Fitie-
butze von Schneemännern mit Sehneebitlea
bombardiert wird, aber eine Zanberiilanie ge-
winnt, die ihm grofie Macht verleiht. Er eat-
führt die Kinder nach Mexiko, zeigt ihnen eine
merkwürdige Karawane, siliert aelne Ptoetatte-
garde und läßt einen Vulkan Funken regnen.
Nun geht die Reiae zum Mlrchengarten, zvb
blühenden Reiche dea Elfen-MaikOnIga und der
Maikönigin. Pitzebutze Torliert hier aefaie Zanbt^
blume, er wird durch den Weihnactatanana nad
seine Soldaten gefangen geaetzt und ectammpik
nach und nach zum kleinen lebloaen Hampel-
mann zusammen. In der Kindentnbe g^ht der
schöne Traum zu Ende, die Kinder aiBgen abM^
mals den Abendaegen und aeblafen weiter. Die
Musik Zilchers ist eine sorgsame und geiebfclBff
Arbeit, deren Harmonik und Kontrapnaktik dea
begabten und durchgebildeten JMntlte verralca.
Vor allem ist die Musik eebr cbarakteriatiidi
für die Bfihnenvorgänge und aofierordentücb
rhythmisch. Alles, was auf der Bfibne vefftbi^
ist dem Rhythmus dea Orcbeetem uaterwerfca.
Die Vorspiele sind atimmnngsvoll, aber mltnatcr
zu lange ausgesponnen, die Reigen und Ucdcr
sind melodiös, besondere glOeklich eihuidea
sind im dritten Bilde ein arablaiAer Tanz nad
ein Walzer. Humperdinck und deaaen «Hiaad
und Gretel* recken oft genug die K6^ bc^
vor, Zilchers Musik aber reblten der reehie FlaB
und wirkliche Volkatfimlicbkeli^ ea Ibblen die
Lichter, sie ist zu akademiacb korrekt und ter«
nehm kühl, daher läßt sie auch kflhi. Hemaaa
Kutzschbach brachte das Verk Tor^gMcb
heraus, Regisseur Gebratb hatte ea glinifH
ausgestatter, so anaprucbsvoU ea auch laL Der
große technische Apparat funktionierte efcae
Tadel, und die Massen auf der Bftbne bewMjsa
sich flott. Margarete Bell ng-Sehiforndne
Tuschkau gaben die beiden Kinder ala Headta
matze reizend, Gedeck war ein *»«mrttr Ftae-
butze in seinen ohnmächtigen VntMiebffichca
und automatenhaften Bewegungen. Cepeay
und Fönß vertraten den Traumteiet und dea
Weihnachtsmann aehr gut^ DieNenbehbradliai
nur zu einem freundlichen Acbtongvetfoig wai
einigen Hervorrufen nach den Aktaehllaeen; ta-
letzt durften auch die beiden AniMea cWlp
Male erscheinen. K. Eaehmana
i
i
375
KRITIK: OPER
liilÜNCHEN: Mit No?itaten werden wir hier
^^^ bekanntlich nicht allzuoft und allzurasch
beglückt; dafür mfisaen uns Elitevorstellungen
ilterer Werke entschädigen. Die letzte Zeit
brachte als wirkliche Großtat die beiden Teile
der «Trojaner* von Berlioz, und eine ganz
entzuckende Auffuhrung des .Barbier von
Sevilla* (mit den Original-Secco-Rezitativen)
von Rossini. Beide Neueinstudierungen leitete
Mottl; beide sind vorzüglich gelungen. Rossini's
«Barbier* erfihrt eine Wiedergabe voll Schwung
und sprudelnder Laune, an der so ziemlich allen
Mitwirkenden gleiches Verdienst zukommt, an
erster Stelle aber Frau Bosetti (Rosine), Bender
(Basilio) und Geis (Doktor Bartolo). Brodersen
alt Figaro hat sich mit bestem Erfolg auch in
das seinem Wesen eben einmal ferner liegende
Rollengebier, zu dem der Figaro gehört, ein-
gearbeitet; doch müßte seine Lustigkeit noch
&eier und fiberzeugender werden. Buyssons
Almaviva stand stimmlich nicht auf der Höhe,
die der Sänger sonst schon erreicht hat — Die
beiden Teile von Berlioz' Meisterwerk, das ja
Mottl von je besonders ins Herz geschlossen
hatte, legten in der Art ihrer Ausführung ein
neues Zeugnis, falls es dessen bedürfte, für die
überragende Leistungsfähigkeit unserer Hof-
bühne ab. Eine Dido, wie Frl. Faßbender sie
mit grandioser Steigerung bis zur Todesszene
hinstellt, wird nicht leicht anderwärts gefunden
werden. Und Frau Preuse-Matzenauer als
Kassandra und auch als Schwester Didos stand
ihr an Größe in der Erfassung ihrer Aufgaben
nicht nach. Herr Buysson flndet sich mit dem
Aeneas, obwohl er nichts weniger als Helden-
tenor ist, recht gut ab, und durch die Herren
Brodersen (Choroebus), Gillmann (Narbal),
Walter (Sänger), und Frl. v. Fladung (Askanio)
wird das Ensemble sehr glücklich abgerundet.
Auch die Inszenierung läßt nichts zu wünschen
übrig, und so übte Berlioz' großgeartete Schöpfung
trotz des vielerlei durchaus Undramatischen, das
sie enthält, auf die Hörer tiefsten Eindruck aus.
Dr. Eduard Wahl
NEW YORK: Man beneidet uns in Europa,
weil wir fünf Monate lang jede Woche
Caruso zwei oder gar dreimal hören können.
Die Sache hat aber auch ihre Nachteile: Caruso
singt nur italienische Rollen, und ihm zuliebe muß
man sich manche langweilige Oper gefallen
lassen. Solch ein Werk ist Cilöa's „Adriana
Lecouvreur*, mit der Conrieddie Metropoli-
tan-Saison eröffnete. Vielleicht noch nie ist dem
populären Tenor so wenig applaudiert worden.
Auch die schöne Cavalieri konnte die Oper
nicht retten. Die anderen Opern der ersten
Woche waren Boito's .Meflstofele* mit Farrar
und Chaliapine; »ATda* mit Gadsky und
Caruso; «Rigoletto* mit Sembrich und Bonci;
,,Meistersinger* mit Knote, Gadski, van
Rooy, Reiss, Goritz. Später, wenn Mahler
kommt, wird die deutsche Oper eine wichtigere
Rolle spielen. Man muß abwarten, wie dieser
gestrenge Herr sich in die hiesigen Verhältnisse,
die so wenig Zeit für Proben übrig lasten, finden
wird. In bezug auf Wagner kann er uns, die
wir solange Seidl und die betten deutschen
Sänger hatten, nichts Neues bringen; aber Mozart
ä la Mahler zu hören, darauf freut man sich
hier. Die große Masse freilich wird sich nach
wie vor an Caruso halten. — Bekanntlich hat
Conried seinem Rivalen den Singer Bonci weg-
geschnappt. Dafür hat aber Hammerstein
einen andern Tenor, Zenatelli, der, wenigstens
in den hohen Lagen, ganz ä la Caruso singt.
Mit der Nordica hat er in ^LtL Gioconda* und
,,ATda* Furore gemacht. Die Manhattan Oper
fing zwei Wochen früher als die andere an.
Als erste Novität hatten wir hier Offenbachs
«Hoffmanns Erzählungen*, mit Dalmores
und Ren au d. Allerdings war diese Oper schon
vor 25 Jahren viermal hier gesungen worden.
Die zweite Novität war Massencfs »Thais*, mit
Mary Garden, der Amerikanerin von der
Pariser Op6ra Comique. Henry T. Finck
NÜRNBERG: Am Dirigenten pulte sitzt jetzt
Bernhard Tittel, dem musikalischer Ge-
schmack, Energie und Routine nachzurühmen
sind. Die bewährten Kräfte des Vorjahres nennen
wir noch unser eigen: die Herren Kronen,
Costa, Giesen und Hansen. Von den Damen
sind besonders zu nennen die sehr begabte,
temperament- und gefühlvolle Jula Bielfeld-
Hofmann und Frau Costa. Das Repertoire
brachte die späten Neuheiten: Massenet's
»Manon* und Saint-SaSns' „Samson und
Dalila*. Beide haben nicht besonders zu er-
wärmen vermocht. Die Vorbereitungen eines
groß angelegten Wagnerzyklus scheinen der
Ausbauung einet reichhaltigeren Opemrepertoires
hinderlich zu sein. Dr. Fla tau
PARIS: Unter den jüngeren Komponisten
Frankreichs ist Xavier Leroux wohl einer
der fruchtbarsten. Erst kürzlich wurde in Monaco
seine große, etwas hohle historische Oper
«Th^odora* gegeben und von dort durch das
Ensemble der Oper von Monte Carlo nach Berlin
exportiert. Und heute erscheint er mit einem
großen vieraktigen Werk «Le Chemineau* in
der KomischenOper. Dieser »Landstreicher*
ist das erfolgreichste Versdrama des Dichters
Richepin, denn es ist vor zehn Jahren im
Od^on über 150 Mal gespielt worden. Für die
musikalische Behandlung eignet es sich besser,
als die byzantinische »Theodors* Sardou's oder
das gekünstelte Renaitsancedrama von Mendds
«La Reine Fiametta*, bis jetzt Leroux' beste
Leistung, denn dieses moderne Bauemdrama
enthält mehr natürliche Gefühle, die durch die
Musik eine willkommene Steigerung des Aus-
druckes erfahren können. Dennoch erhebt sich
das neue Werk Leroux' nicht zur gleichen Höhe,
wie seine »Königin Fiametta*, weil sich der Ton-
setzer die Arbeit hier denn doch zu leicht ge-
macht hat. Er ist mehr als musikalischer An-
streicher, denn als Maler, zu Werke gegangen.
Er hat namentlich eine bequeme Art, mit Leit-
motiven umzugehen, entwickelt, die geeignet ist,
dem Leitmotivsystem überhaupt einen derben
Stoß zu versetzen. Ohne jede Umformung
wiederholt er nämlich das gleiche Motiv hundert-
mal, indem er es bald dem einen, bald dem
andern Instrument anvertraut, und setzt dazu
die Singstimmen aufo Geratewohl, fast ohne
Sorge für richtige Deklamation und Sangbarkeit.
Die Partitur des »Chemineau* ist daher weder
der älteren noch der jüngeren Richtung zuzu-
zählen. Sie ist, von beiden Standpunkten aus
gesehen, ein nachlässiges Werk von brutaler
Mache. Die weibliche Hauptpartie der Toinette
376
DIE MUSIK VII. 6.
ist so absurd geschrieben, daß sie zuerst von
der Sopranistin Br^^al und dann von der Altistin
Mari6 de l'Isle abgelehnt wurde. Ciaire Fr ich 6,
deren Mezzosopran sehr ausgedehnt und kräftig,
aber weniger schön ist, führte sie endlich mit
wahrer Todesverachtung durch, aber es ging
auch bei ihr nicht ohne falsche Noten in der
Höhe ab. In der Titelpartie des Landstreichers
bewährte sich der beliebte Bariton Du f ranne
trotz des unwillkommenen Falsettes als Sänger,
aber noch mehr als Schauspieler. Richepin
hatte sich selbst herabgelassen, aus seinem
Drama ein Opernbuch zurechtzuschneiden, war
aber dabei ebenso grausam verfahren, wie die
gewöhnlichen Textfabrikanten. Die Handlung
des Stückes besteht vor allem darin, daß der
nach dreiundzwanzig Jahren zurückkehrende
Landstreicher, nachdem er in dem Sohne der
Toinette sein eigenes Kind erkannt hat, den
reichen Pächter dazu zwingt, seine Tochter mit
dem jungen Manne zu verheiraten. Das geschah
im vierten Akte des Dramas, und gerade dieser
Akt ist in der Oper spurlos verschwunden.
Vom Jammer der Liebenden wird man sofort
in die Heilige Nacht hinubergeführt, in der das
junge Paar schon seit Wochen vereinigt ist, und
der Landstreicher, den man zurückhalten will,
seinem alten Wandertriebe treu, in die Winter-
nacht hinauspilgert. Gerade dieser winterliche
Schlußakt ist musikalisch recht stimmungsvoll
geraten, aber in dramatischer Beziehung ist er
ein nutzloser Epilog geworden, wie der dreiund-
zwanzig Jahre früher spielende erste Akt ein
leichtentbehrlicher Prolog war. Felix Vogt
ORAG: Das Deutsche Theater hat seit dem
^ Orchesterstreik gleichsam gelähmte FlugeL
Nach dem »Ring** keine Tat mehr; der »Walzer-
traum* ist oberster Trumpf. Daneben hält sich
»Butterfly* gut im Repertoire, während »Salomes*
Zugkraft stark gesunken ist. Höchstens, daß
noch der Obergang des lyrischen Tenors
Boruttau ins Heldenfach zu buchen wäre. Der
hochintelligente Künstler hat als Siegmund die
Zweifler entwaffnet, als Tannhäuser den hiesigen
Ansprüchen an Scbreieffekte in dieser Rolle
freilich weniger entsprochen. — Im National-
theater gab es ein erfolgreiches Gastspiel des
dänischen Tenors Herold. — Inzwischen ist das
neue Stadttheater in den Weinbergen mit
dem „Polnischen Juden" von Karl Weis
festlich eröffnet worden. Chor und Orchester
(unter Celansky) sind vortrefflich. Die Sänger
sind meist junge Kräfte, mit frischen Stimm-
mitteln. Für das tschechische Tbeaterleben be-
deutet das neue intime Haus, in dem Oper und
Operette gepflegt werden sollen, jedenfalls ein
bedeutsames Ereignis. Dr. Richard Batka
DIGA: Mit der Wiedergabe von d' Albert's »Tief-
'^ land** hat unser Stadttheater jüngst die erste
Opernnovität herausgebracht. Der einer ab-
stoßenden, veristischen Richtung huldigende
Inhalt des Librettos, dessen Dramatisierung bei
näherer Beobachtung auf schwachen, gebrech-
lichen Pfeilern ruht, bietet dem Komponisten
wesentliche Hindernisse. Die Musik d'Albert's
ist stimmungsvoll und glänzend koloriert und
sucht die Brutalität des Stoffes nach Möglichkeit
zu mildern und abzudämpfen. Ihre Hauptmängel
bestehen in der einförmigen rezitativischen Be-
handlung, sowie in einer kurzatmigen, ungleichen
Struktur der musikalischeii Satxveite» die das
stilistische Ebenmaß oft fefihrdeL Die voi
Kapellmeister Ohnesorg geleitete AuRhraig
war vorzüglich; die Hauptpmrtieen wardes vn
Vilma Schildörfer (Marta), Pierre de Meyer
(Pedro) und Aibert Herrn annt (Sebattiaie)
trefflich verkörpert. Carl Weael[
RIO GRANDE: Eine der Sfidemerilce alliäkr-
lieh durchstreifenden italienischen Open-
truppen gab hier in zwei Wochen lehn (^len,
u. a. »Tosca*, ^Lticia di Lammermoor*, «Tn-
viata*, M^Uolctto" usw., sowie eine zveiakUgs
Oper „Carmela" des hiesigen Komponlstn
Aranjo Vi an na, eine hier und da glficUiehe
Nachahmung der »Cavallerla*. Eratldasaite Aef-
fuhrungen waren es zwar nicht, immerhin warn
die Hauptkräfte, besonders die Koloratnr-Sopn-
nistin und der lyrische Tenor, besser als nun
sie hier gewohnt ist. Dekorationen nnd ChSn
bleiben jahrelang dieselben nnd bilden das e^
heitemde Moment. Das stindige Orchester, sns
einer ersten und zweiten Violine, Bratsche^
Flöte, Cello und Baß bestehend, wird In Jeder
Stadt komplettiert. Hier hatte man es anf 18 Spieler
gebracht; in Anbetracht dieses Umstandes «area
die Leistungen anerkennenswert. Sie sehen,
wie bescheiden man im Auslände wird; selbtt
in Rio de Janeiro ist es nicht viel besser. Dort
baut man freilich einen prachtvollen Opempalssl^
will aber den ev. Pächter zwingen, den National-
dänkel zu pflegen, indem er |ährlich wenifUSM
zehn Opern einheimischer Komponisten fitai
soll. Es f^gt sich nur, woher diese nehmen?
Fr. Köhling
7ÜRICH: Unter den Nenelnstndiemnten ist
^^ vor allen Giordano's »Sibirien* sn nennca,
ein musikalisches Drama, zn dem Lnigi lUa
den Text geschrieben hat. Der Komponist wt^f
sich nicht als mittelmäßiger Msnn und ersehstat
als begabtes Mitglied des nenitalienischen Ten-
setzerkreises, aber das Libretto Ist aa sehr ait
den Eigentümlichkeiten der lUicaschen aktaaO-
sensationellen Schreibweise behaftet^ als dafi sU
mehr wie eine aktuelle Mnsik dasn schreibsB
ließe, eine Musik, die man bald wiCMler verfessen
wird. Stellenweise ist das WeA reines Md^
drama. Das hinderte nicht, daß man es in der
sorgfältigen Wiedergsbe, die das Mndkdnaa
mit Frl. Pricken als Stephane am ZIrAsr
Stadttheater erfuhr, gern einmal kennen lemlSL
Belanglosere Reprisen waren Gabriel PfmA
»Zauberbecher* und A. Grlsnr's komtahe
Oper »Gute Nacht, Herr Pantalon*, ildIdM,
aber noch nicht ganz veraltete Verheben, flir
unser heutiges musikalisches Empfinden etvM
langweilig geworden, aber nicht frei von eInsH
musikalischen Geiste, bei dem den GraMttn
wohl war. Als ein neues Talent Torseichne ick
einen tüchtigen jungen Baritonlaten Namens
Klinghammer, als einen xweifStlhaltoa Gast
eine alte amerikanische TingeltnnidkllnsilefiB,
die auch in Zürich singen konnte, ohne daß
jemand gegen ihren Gesangshnmbug proteetieni!
Thea Dor6 als Carmen. Dr. HermanaKesssr
KONZERT
BERLIN: Je öfter man Karl Pen saer hiil^
desto höher muß man selnea
Einfluß auf das Mozartorcheeter
377
KRITIK: KONZERT
ist erstaunlich, wie dieses unter seiner Fuhrung
spielt. Im dritten Konzert brachte Panzner die
unverdient selten gespielte B-dur Symphonie von
Robert Volkmann, den »Donjuan** von Richard
Strauß und Webers »Oberon'-OuvertQre; im
vierten Glucks »Iphigenien*-Ouverture mit dem
Wagnerschen Schluß und die c-moll Symphonie
von Brahms, deren Finale zu wahrhaft glänzen-
der Wirkung kam. Am ersten Abend spielte
Busoni Webers Konzertstäck in f-moll und die
beiden Legenden von Liszt, am zweiten Mischa
El man Beethovens Violinkonzert. Der Besuch
dieser Konzerte hat sich bedeutend gehoben. —
Siegfried Ochs an der Spitze des Philhar-
monischen Chores führte das Requiem von
Hektor Berlioz auf; Chor und Orchester waren
ein fach meisterhaft. Felix S e n i u s traf im Sanctus
Wunderbarden mystischen Ton. —Die Berliner
Liedertafel (Chormeister Franz Wagner)
brachte mit Begleitung des Philharmonischen
Orchesters drei größere Werke : „Landerkennung''
von Grieg, ,, Barden gesang" aus Klopstocks
Hermannsschlacht von Richard Strauß und das
»Herz von Douglas** von Friedrich Hegar zur
Auffuhrung. Die Soli waren zwei Mitgliedern
des Vereins, den Herren Kai weit (Tenor) und
Teichmann (Bariton) anvertraut. Dem Strauß-
schen Werke (dreichörig) kann man Gedanken-
reichtum nicht gerade nachrühmen; der musi-
kalische Gehalt entsprach keineswegs dem Auf-
gebot der materiellen Mittel. Nachdem das
Ohr genügend durch ziemlich rohe Klangeffekte
im Chor wie im Orchester gepeinigt worden
ist, wirkt der harmonisch einfach breit aus-
klingende Schluß beruhigend auf die überreizten
Gehörnerven; die melodische Erfindung erhebt
sich aber gerade hier durchaus nicht über das
Niveau des recht Alltäglichen. Zur Schluß-
Dummer bestieg Friedrich Hegar, der Meister
des modernen Männerchorgesangs, das Podium
und dirigierte sein Werk »Das Herz von Douglas*
selbst. Stürmisch vom vollen Saal empfangen
erntete er zum Schluß reiche Ovationen; ge-
wiß wird er mit der Leistung unserer Lieder-
tafel zufrieden gewesen sein, die Kraft und
Geschmeidigkeit in allen Nuancen des Vortrages,
musikalische Sicherheit, deutlich artikulierte
Teztaussprache, kurz, alles was man von einem
wohldisziplinierten Chor verlangen kann, in
reichem Maße betätigte. — Zum Totenfest gab
es in der Singakademie eine achtstimmige
Motette »Selig sind die Toten* von Martin
Blumner zu hören, ein kunstvoll gesetztes,
mit Wohlklang gesättigtes Musikstück voll milder
Trauer&timmung, und das Requiem von Verdi.
Soll dieses hochbedeutende Werk zu seinem ihm
gebührenden Recht kommen, müssen vier große,
italienisch geschulte Solostimmen dafür ge-
wonnen werden, Solostimmen, die energisch im
dramatisch belebten Ausdruck ihre Partieen
durchzuführen imstande sind. Dies kann man
von den Damen Meta Geyer-Dierich, de
Haan-Manifarges, den Herren Pink« und
van £weyk beim besten Willen nicht behaupten;
der letztere war sogar stark indisponiert, dazu
musikalisch unsicher. Auch dem Dirigenten
Georg Schumann fehlte es an der Energie,
dem Schwung bei der Führung, so daß das
interessante Werk nicht zu seinem vollen Rechte
kam. Lediglich das Orchester und der Chor
taten ihre Schuldigkeit, nur tXllt auf den letzteren
kein Ausschlag gebender Anteil, da er im Ver-
gleich zu den stark in Anspruch genommenen
Solostimmen erst in zweiter Reihe in Betracht
kommt. — In der Philharmonie dirigierte Bern-
hard Stavenhagen im Konzert der Wagner-
vereine die neunte Symphonie von Brückner;
als Finale war dem Werke diesmal das Tedeum
angehängt worden, unbegreiflicherweise ohne
die vorhandene, doch so nötige Orgel in An-
wendung zu bringen. Das Soloquartett war durch
Frau Grumbacher-de Jong, Julia Culp,
Paul Reimers und Arthur van Eweyk ver-
treten, der Chor durch die Gesangsklassen des
Brandenburgischen Konservatoriums (Bruno
Kittel). Die Brucknersche Symphonie machte
diesmal einen etwas leeren Eindruck. Die
Leitung schien mir zu matt. Das Vorspiel und
die Gralsfeier aus »Parsifal** mit Rudolf
Berger als Amfortas beschloß den Abend. —
Zum vierten Symphonieabend der Königlichen
Kapelle hatte Weingartner zwei umfang-
reiche Novitäten einstudiert: Variationen und
Fuge über ein lustiges Thema von Job. Adam
Hiller für Orchester von Max Reger op. 100
und »Das Leben ein Traum*, Phantatie nach
Calderon's Drama für eine Solovioline und
Orchester von Otto Neitzel op. 33. Reger
entfernt sich gleich in der ersten Variation und
mehr noch in den folgenden weit von dem
einfachen Thema, so daß man dieses kaum noch
wieder erkennt und höchstens einmal ein Bruch-
stück von ihm mit dem Ohr erwischt. Es sind
mehr Phantasiegebilde aus einzelnen Motiven,
als wirkliche Veränderungen, einzelne Sätze, die
zwar aufeinander folgen, aber keine innere
logische Beziehung zueinander haben. Orchestral
interessant hinsichtlich der Klangwirkung ist
keiner der Sätze; am wohlklingendsten ist der lang-
same, der dem Finale voraufgeht. Dieses, eine
mit allen Künsten der Kontrapunktik breit aus-
gearbeitete Fuge, ist sehr amüsant in der Ent-
wicklung des flott auftretenden Themas. Wenn
zum Schluß im schweren Blech das Hillersche
Thema vergrößert mitten in die rastlos dahin
eilenden Orchesterstimmen eintritt, ist's von
grotesk komischer Wirkung. Neitzels Phantasie
versucht etwas, was meines Erachtens unmöglich
ist zu erreichen: er möchte den Inhalt des
Calderonschen Dramas mit den Mitteln reiner
Instrumentalmusik ausdrücken. Die Solovioline
repräsentiert den Prinzen Sigismund, wie etwa
die Solobratsche den Harold in dem Werke von
Hektor Berlioz. Wir sollen des Prinzen Ge-
fangenschaft, seine Befreiung, seinen Sieg über
den Vater, seine innere Läuterung erleben —
aber ich muß gestehen, daß es mir nicht gelang,
meine nachdichtende Einbildungskraft an dem
Faden der Neitzelschen Musik in Trab zu setzen.
Bernhard Dessau gab sich redliche Mühe mit
dem Solopart, und Weingartner ebenso mit dem
Orchestersatz, aber ich glaube, daß es kaum
einem der Hörer gelungen ist, das Calderon'sche
Stück mit dieser Musik irgendwie in Beziehung
zu setzen. Nach Reger und Neitzel gab es
Zischen und Beifallsklatschen im Publikum ; die
Brahmssche Symphonie in c-moll, die das Finale
des Abends bildete, hat dann die Gemüter
beruhigt. — Nikisch hatte für das vierte phil-
harmonische Konzert Schumanns B-dur Sym-
378
DIE MUSIK VII. 6.
phonie und die »Domestica* von Strauß an-
gesetzt; dazwischen spielte Arrigo Serrato
Dvoräks Violinkonzert in a-moll mit voller Herr-
schaft über alle technischen Schwierigkeiten,
mit blühendem, süßem Ton, mit elastischer
rhythmischer Verve. Das Werk selbst bietet
namentlich im Adagio und Finale wirklich wert-
volle Musik. — Liederabende gaben Lilli Leh-
mann, die Schuberts Mullerlieder sang, ferner
Alexander Heinemann, der Liedergruppen von
Beethoven, Schubert, Schumann, Hans Hermann
(nur neue Kompositionen) und Hugo Wolf
mit der ihm eigenen Wirme des Ausdrucks und
bewundernswerter Gestaltungskraft vortrug, end-
lich Francesco d'Andrade. Mit unserer deut-
schen Lyrik sollte sich der Sänger nicht befassen,
denn sie liegt seinem Empfinden doch gar zu
fern, aber als er ein paar italienische und fran-
zösische Romanzen, und dann auch aus Mozarts
Oper eine Figaro-Arie sang, hat ihm mit vollem
Recht das Publikum sturmisch zugejubelt.
E. E. Taubert
Gustav Lazarus gab einen Kompositions-
abend, an dem er KlavierstQcke, sein Liederspiel
,,Von Don und Wolga*, op. 95, und drei Szenen
aus seiner volkstumlichen Oper »Das Nest der
Zaunkönige*" aufführte, und zwar unter Mit-
wirkung von Eva Leßmann, Margarete
B'rieger-Palm, Eugen Brieger sowie des er-
heblich gegen die genannten zurückstehenden
Tenoristen Leo Gollanin. Alle diese Kom-
positionen sind gut und fiussig gearbeitet, hQbsch
melodisch, aber ohne Eigenart; den Opern-
fragmenten fehlt dramatisches Blut. — Seit
fast zehn Jahren läßt Sanitätsrat Dr. Max Groß-
mann durch den Instrumenten mach er Ernst
Seifert Geigen, Bratschen und Violoncelle
bauen, die auf Grund der von ihm entdeckten
und geheim gehaltenen harmonischen Ab-
stimmung der Resonanzplatten nach dem Urteil
von Fachleuten die guten Eigenschaften der
altitalienischen Instrumente in verblüffender
Weise besitzen. Die zur Ausnutzung des
Dr. Großmannschen Verfahrens kürzlich ge-
gründete Gesellschaft Neu-Cremona ließ
durch Alexander Sebald, Richard Hartzer,
Fridolin Klingler und Anton Hekking zwei
solcher Violinen und je eine Bratsche und ein
Violoncell einzeln und im Zusammenspiel mit
bestem Erfolge vorführen. Ich hatte übrigens
auch sonst Gelegenheit, einige Großmannsche
Instrumente kennen zu lernen, und war davon
sehr entzückt; ich bedaure nur, daß die Preise
dieser Instrumente schon verbältnismißig in
die Höhe gegangen sind. — Noch einmal ließ
sich die von Henri Casadesus gegründete vor-
treffliche „Soci6t6 de Concerts d'instru-
ments anciens* aus Paris wieder unter Mit-
wirkung der geschmackvollen Sängerin Marie
Buisson sehr erfolgreich hören; das schon
früher hier aufgeführte, höchst beachtenswerte
Concerto pour les Violes von Ph. Em. Bach ist
leider noch immer nicht veröffentlicht. — Die
Geigerin Adila von Aranyi, die mit dem Phil-
harmonischen Orchester konzertierte, hat sich
in musikalischer Hinsicht vervollkommnet,
war aber dem Beetbovenscben Konzert und den
Variationen ihres Onkels Joachim noch nicht
ganz gewachsen. — Talentvoll ist die ISjährige
Edith von Voigtländer; das Adagio von Bachs
E-dur Konzert spielte sie überraschend gut, sie
täte aber besser, das Konzertieren noch zn lassen.
Das Mozart-Orchester, an dessen Spitze aus-
nahmsweise August Scharrer stand, begleitete
besser als sonst. — Völlig konzertreif, auch
nach der rein musikalischen Seite bin, ist die
16jährige Geigerin Antonietta Chialcbia; sie
verdient größte Förderung; Mozarts Es-dnr- und
der erste Satz des Brucbschen zweiten Konzertt
gerieten ihr unter Mitwirkung des Philbarmool-
schen Orchestera vortrefflich. — Nocb einmal
ließ sich der junge Geiger Efrem Zimbalist
hören: Tschaikowsky's Konzert und namentlich
drei Sätze aus Lalo's Symphonie Espagnole ge-
langen Ihm ausgezeichnet. Das Philbamionische
Orchester wurde dabei von Landen Ronald
(London) geleitet, der mit Stanfords enter irischer
Rhapsodie und der eraten »Peer Gynt*-SalteGriegs
seine Dirigentenbefähigung noch des weiteren
nachwies. — Talentvoll Ist der junge Gelger
Albany Ritchie; die Technik der linken Hand
und des Bogens ist aber bei ihm noch nicht
unbedingt zuverlässig. — Mit kleinem, aber sehr
wohlklingendem Ton spielte wieder einmal
Alberto Gurci; seine Technik ist nicht immer
ganz sauber; sein Vortrag zwar warmblütig, aber
nicht großzügig. Leider spielte auch er Bruchs
g-moll Konzert mit Klavierbegleitnng. Wann
wird endlich solche Geschmtcklosigkeit aus der
Mode kommen? Konzerte sollten nur mit
Orchester öffentlich gespielt werden. — Der
zehnjährige Geiger Mitja Itkia ist unstreitig
hochbegabt, gehört aber noch nicht in den
Konzertsaal. — Willy Burmester, der von dem
tüchtigen Pianisten Willy Kl äsen unterstützt
wurde, brach wieder einmal eine Lanze fSr Raffk
zweites Konzert und begeisterte sein zahlreiches
Publikum durch eine Reihe kleiner, von ihm
bearbeiteter Stücke. — Einen guten Eindruck
binteriieß wieder die Geigerin Palma von Pasz-
tbory; ihre Partnerin Anna Reichner-Festen
besitzt einen sympathischen wohlgebildeten
Mezzosopran und singt mit schönem Ausdruck
und gut musikalischem Veratändnis. — Letzteres
gilt auch von Helene Wolff, einer Altistin mit
besonders schönen Kopftönen, In deren Konzert
Alexander Sebald Vitali's Glaconna vortrug. —
Der im Vorjahre gegründete Friedrich Kiel-
Bund gab ein Konzert, das dem leider viel zu
wenig in die Öffentlichkeit gedrungenen Kom-
ponisten manchen neuen Freund gewonnen
haben dürfte. Das großartige c-moll Klavier-
quintett fand eine treffliche Interpretation durch
Georg Gundlach, Karl Klingler, Rywkind,
Fridolin Klingler und Arthur Williams. Eine
ganze Reihe wertvoller Klavierstücke trug Her-
mann Wetzel vor. Die schöne Violinsonate
op. 16 war bei Frieda Schaeffer und Margarete
Rhode-Schaeffer gut aufgehoben. — Das
Böhmische Streichquartett brachte Hugo
Kauns drittes Streichquartett, über das ich an
anderer Stelle dieses Heftes mich geäußert habe,
zur ersten Aufführung und erzielte damit einen
schönen Erfolg. Eine herrliche Wiedergabe
fand auch Schuberts sog. Forellenquintett, dessen
Klavierpart Artur Schnabel aufs schönste
spielte; der Kontrabaß war mit Max Polke vor-
trefflich besetzt. Wilh. Altmann
Der schlecht ausgeglichene, helle Sopran von
Leonie Born klingt überangestrengt, besonders
379
KRITIK: KONZERT
bei 80 schwerer Aufgabe, wie es die ^.Lucia'*-
Aiie ist. Auch an Schubert und Brabms dürfen
8ich offenbare Anfänger nicht heranwagen. Das
einzig Annehmbare des Konzertes waren die
Cello vortrage von Fritz Becker, obgleich auch
an ihnen mancherlei auszusetzen war, so z. B. die
überaus unbeholfene Bogenführung und die
Intonation. Er ist jedoch ein gediegener Mu-
siker, der an guten Vorbildern sich ein Beispiel
nehmen sollte. So an Joseph Malkin, der mit
dem Sänger Juan Luria konzertierte. Die C-dur
Suite von Bach fQr Cello allein spielte er in
jeder Hinsicht mit höchster Vollendung. Das
war echte Kunst. Wenige Cellisten können mit
ihm darin konkurrieren. Der metallische und
dennoch weiche Bariton Luria's ist fQr den
kleinen Bechstein-Saal zu mächtig. Die Atem-
technik ist vorzuglich, wie auch die Kolo-
raturen. In der Wiedergabe italienischer Lieder
ist er bei weitem glücklicher als sein Lands-
mann Ettore Gandolfi, dessen ewig tremo-
lierender Baß-Bariton für edle Zwecke zu roh
verwandt wird. Jegliche Feinheit des Vortrages
glänzt durch Abwesenheit. Im selben Konzert
(Tondichter-Abend der Gesellschaft der Musik-
freunde) spielte der Geiger Alessandro Certani
eine unveröffentlichte Sonate von Locatelli mit
hübschem, gesangreichem Ton und viel Fertig-
keit. Das Werk erhebt sich nicht über andere
seinesgleichen aus damaliger Zeit. ~ Recht
gute Eigenschaften ließ die Mezzosopranistin
Annemarie Mencke erkennen. In der Mittel-
lage ist ihre Stimme außerordentlich schön. Sie
müßte mehr aus sich herausgehen, es fehlt an
Akzenten, der Gesang klingt zu einförmig. Will-
kommene Abwechselung bot das Violinspiel von
Irene von B renn erbe rg.~ Über die Leistungen
des Pianisten Josef Weiß in seinem ersten
Konzert kann ich nicht berichten. Ein Berliner
Kritiker ist bekanntlich genötigt, am selben
Abend mehrere Konzerte zu besuchen, will er
nur einigermaßen auf dem Laufenden bleiben.
Die Künstler, die ihre Konzerte (wenigstens in
Berlin) ja fast ausschließlich der Kritik wegen
veranstalten, sind daher froh, wenn deren über-
aus stark in Anspruch genommene Vertreter
es ermöglichen, auch ihrer Veranstaltung bei-
zuwohnen. Daher lassen sie sich sehr gern
die (das sei zugestanden) kleine Störung ge-
fallen, wenn ein Kritiker während des Vortrages
den Saal betritt. Nicht so Herr Weiß. Er hatte
den Befehl erteilt, auch die Kritiker anti-
chambrieren zu lassen. Da bei meiner Ankunft
Herr Weiß gerade die unendlich lange Sonate
von Karg-Ehlert begonnen hatte, die er, wie mir
berichtet wurde, aus Überschätzung ihres Wertes
und seiner Leistung dem enttäuschten Publikum
sogar zweimal vorgespielt hat, zog ich es vor,
sofort umzukehren und einen gastfreundlicheren
Konzertgeber zu besuchen. Übrigens muß hier
konstatiert werden, daß die erwähnte Sonate
op. 50 von Karg-Ehlert nicht bei dieser Gelegen-
heit, wie Herr Weiß auf dem Programm be-
hauptete, ihre Uraufführung erlebte, sondern be-
reits in voriger Saison durch den Komponisten
selbst in der Singakademie gespielt wurde.
Nach meiner damaligen Erfahrung muß ich
allerdings den Mut des Herrn Weiß bewundern,
ein so nichtssagendes, von Schwierigkeiten zwar
strotzendes, aber musikalisch im höchsten
Grade abstoßendes Werk zur Auffuhrung zu
bringen. — Der Kaiser Wilhelm Gedächt*
nis-Kirchenchor begann seine Bußtags- Auf-
führung mit einer Orgelphantasie von Müller-
hartung, die augenscheinlich nicht einmal das
Interesse des Organisten Walter Fischer er-
regte; vielleicht hätte das Werk in besserer
Wiedergabe nicht gar so ermüdend gewirkt.
Der Chor zeichnete sich unter W. Freuden-
berg vielfach aus. — Sehr genußreich war der
Liederabend von Hertha Dehmlow. Die vor-
zügliche Altistin scheint jedoch noch mehr
leisten, den Textinhalt noch tiefer erschöpfen
zu können, als sie hier tat. Gelingt es ihr,
dann steht sie obenan. — Max Vogrich ist in
der Liedkomposition weit glücklicher als in
Werken großen Stiles. Überraschend gut ist
der Volkston in den Gedichten von Klaus
Groth getroffen. Die empflndungsvollen, reizen-
den Lieder sind ihrer Wirkung sicher, sogar
wenn sie weniger trefflich gesungen werden,
als es durch die sympathische Sopranistin
Paula Ucko geschah. Die Klavierstücke stehen
in der Inspiration zurück und beweisen mehr
das theoretische Können Vogrichs, dessen Spiel
etwas ungehobelt klang. — Marie Dubois ge-
fiel mir als Mozartspielerin. Ihr Anschlag ist
voll ohne Härte, der Vortrag musikalisch und
korrekt ohne Pedanterie. — Das Waldemar
Meyer-Quartett brachte ein Streichquartett
in B-dur, op. 18, von Richard Stern fei d zur
ersten Aufführung. Der Komponist ist Professor
an der Berliner Universität und hat sich be-
sonders durch seine Schriften und Vorträge
über Wagner einen sehr bekannten und ge-
achteten Namen gemacht. In diesem Werke
läßt er nirgends durchblicken, daß er ein so
energischer Verfechter moderner Kunst ist, im
Gegenteil: er hält sich strikt an die herge-
brachten Formen; melodisch und harmonisch
wandelt er die geheiligten Bahnen des Klassi-
zismus. Sternfeld arbeitet mit einfachem Ma-
terial; hübsche und liebliche Themen weiß er
geschickt zu verschlingen und die Klangschön-
heit durchgehends zu wahren. Stileinheit läßt
sich leider nicht genügend erkennen. Während
der erste Satz in seiner launigen Frische etwas
an Haydn gemahnt, zeigt das Andante kontra-
punktische Fertigkeit; das etwas mendelssohnisch
gefärbte Scherzo mit seinen gefälligen Tanz-
rhythmen und dem passend kontrastierenden
melancholischen Trio bildet den Höhepunkt des
Werkes. Der letzte, modemer angehauchte Satz
steht dagegen zurück. — Einen hervorragend
guten Eindruck empfing ich von einer Symphonie
in f-moll des Amerikaners Maurice Arnold, die
unter persönlicher, inspirierender Leitung des
Komponisten durch das Mozart-Orchester, ab-
gesehen von einigen kleinen Unglücksfällen, zu
geradezu glänzender erster Aufführung gelangte.
Das Werk ist durchgehends modern, ohne be-
stimmten Vorbildern zu folgen, obgleich sich
seines Autors augenscheinliche Verehrung Wag-
ners nicht völlig verbergen kann. Die Themen
an sich sind nicht gerade bedeutend, doch
finden sich hin und wieder Anläufe zu nationaler
Charakteristik, bekanntlich hinsichtlich ameri-
kanischer Musik ein undankbares, weil fast un-
mögliches Unterfangen. Anzuerkennen ist, daß
Arnold manchmal sich bemerkbar machende
380
DIE MUSIK VII. 6.
Anfinge von Trivialität immer gleich sehr ge-
schickt zurückzudrängen versteht. Die sehr
dicke, wenn auch klangvolle Instrumentation
beeinträchtigt leider die Deutlichkeit der Stimmen-
fQhrung. Als Dirigent leistete Arnold VorzGg-
liches. Seine zielbewußte, elastische und aus-
drucksvolle Art des Taktierens animierte das
treffliche Orchester zu künstlerischen Äuße-
rungen, nach denen ich bei der vorangehenden
a-moll Symphonie Mendelssohns unter Leitung
von Gustav D rech sei vergeblich ausgespäht
hatte. Keinesfalls ist dieser Herr seiner Auf-
gabe gewachsen. Man verlangt jetzt von einem
Dirigenten mehr als bloßes Taktschlagen. Auf
das Orchester übte er nicht den geringsten
Einfluß aus. Daß daher von Auffassung, von
Individualität keine Rede sein kann, versteht
sich von selbst. — Die Mezzosopranistin Othilia
Ejler-Jensen zeigte nur Reste einer wohl
früher hübschen Stimme. Der Vortrag hält sich
in bescheidenen Grenzen, die Koloratur ist gut.
Absolut ungenügend, sogar für bescheidenste
Ansprüche, sind die Klavierleistungen von Karl
Reiche 1: weder Talent noch Können. — Im
ersten Konzert zum Besten der Pensionskasse
des Tonkünstler-Vereins trat Eva Leß-
mann für die erkrankte Lolo Barnay ein. Die
Künstlerin bot mir eine Überraschung durch
ihren vollendeten Vortrag einiger Schubertscher
Lieder. Der jugendfrische Sopran ist aus-
gezeichnet geschult, und die Auffassung zeugt
von durchdachtem Studium. Als zweiter Solist
ließ sich Alexander Petschnikoff hören, der
eine Sonate von Locatelli mit künstlerischem
Ernst tonschön spielte. Das Pianisten paar Hans
und Marie Hermanns-Stibbe eröffnete das
Konzert recht gut durch eine Sonate für zwei
Klaviere von Mozart und schloß es mit den
symphonischen Variationen op. 14 von Emil
Kronke. — Eine sehr beachtenswerte Erscheinung
ist der Pianist Hans Solty. Er bewältigte ein
umfangreiches Liszt- Programm nicht nur mit
technischer Leichtigkeit, resp. der dazu nötigen
Kraft, sondern wußte, im Gegensatz zu so vielen
anderen Lisztspielern, seine Vortage poesievoll
auszugestalten. Man kann ihm mit Genuß zu-
hören. Arthur Laser
Conrad An sorge erscheint immer mehr als
großer Künstler, nicht eigentlicher Klavier-
spieler. Es ist schlechterdings nichts Genaues
zu hören, wenn er mit der linken Hand so
recht loslegt, und die rechte dominiert über-
haupt nicht immer souverän sicher und, rein
klavieristisch genommen, großzügig. Aber seine
musikalische Art zu spielen ist eminent
großzügig, echt künstlerisch, die Emanation eines
wahren Poeten. Wie lebte die h-moll Sonate
unter seinen Händen auf! Sie allein genügt
uns vollkommen, dem Meister zu huldigen.
Sein Schumann-, Schubert-, Beethoven- und
Chopinspiel, das er in einem Riesenprogramm
vorführte, hatte viele prachtvolle Einzelzüge; so
ganz aus dem Vollen schöpfte Ansorge aber
erst in Liszts Menschheitsgesang . . . Schade,
daß der Mozartsaal, für dessen Akustik doch
eigentlich wirklich etwas geschehen müßte, nicht
wenigstens verdunkelt war! — Nächst diesem
Großen möchte ich Hermann Klum als durch-
aus und in sehr erfreulichem Maße bemerkens-
wert nennen. Bei ihm ist alles ökonomisch
voll abgewogen, und die Grenzen, die dem
Klaviere gezogen sind, werden klug respektiert
Sein Spiel ist sehr sauber, äußerlich und inner-
lich schön und richtig. Nur sollte auch er die
Rechte noch großzügiger zu gebrauchen streben
und seine aktiven Körperteilgruppen darsafbin
einstellen. — Gleichermaßen wäre dies Moritz
Mayer-Mahr zu wünschen. «O, Jessas, die
Angst, daß er danebenhauen tätl* Das tut er
nun freilich nicht, aber zum Schaden des
Ganzen. Im übrigen half er aber Griegs kleinen
sympathischen Genius ebenso trefflich feiern,
wie Sistermans und der Geiger Hsrtmann«
Aber des letzteren Ton ist doch gar zu klein
und blutleer. Himmel, wie spielte da Burmester
dagegen (doch von diesem möge der Herr
Kollege erzählen). — Sergei von Bortkiewiez
ist seit vorigem Winter innerlicher geworden,
doch noch nicht genug. Auch er vermag infolge
falscher Applikation des gewaltigen Maschinen-
kunstwerkes Körper nicht das letzte zn er-
reichen. Sein Ton ist nicht elastisch imd
blühend genug; seine Rechte... immer wieder
dasselbe Lied ! Aber im übrigen ist er ein
feiner und guter Spieler. — Ninon Romaine
dagegen wird, fürchte ich, über die erste Zone
nicht hinauskommen. Sie spielt recht »wohl-
gelemt habend*, aber eine Spur von Könstler-
blut ist in ihrem Spiel kaum zu entdecken.
Auch ist ihr Anschlag zu steif und hastig.
Ihre Partnerin Emeline Kienen wußte mit
ihren Liedern keine Herzen zu rühren. Sie
trägt zu lehrhaft vor. Ihr Ton geht an, aber er
ist nicht stetig, und der Atem langt nicht immer
richtig. Wie kann man nur so trocken und
energieschwach begleiten, wie Dr. Rudolf Bode
hier tat! — Nun noch eine Perspektive: aas
Evelyn S u a r t könnte wohl etwas werden. Sie
spielt recht tüchtig und rhythmisch energievoll.
Bleibt noch abzuwarten, ob sie einmal reden
wird. Vorerst taten es nur die gewählten Werke:
das köstliche Es-dur Konzert von Weber, Tschai-
kowsky's b-moll Konzert und sein anderes in
Es-dur, das allerdings, ich möchte sagen, eine
negative Sprache redet. Es ist zu dürr und
kantig, aber sicher recht interessant.
Alfred Schattmann
Ella Müll er- Rastatts Liederabend hinterließ
keinen günstigen Eindruck. Ich glaube aber, daß
an der permanenten unreinen Intonation der
Sängerin viel die akustischen Mißverhältnisse
des Choralion-Saales Schuld trugen. Polster
und Decken ersticken die Töne in dem kleinen
Raum. — Bruno Eisner führte sich mit seinem
ersten Klavierabend vielversprechend ein. Man
hat von seinem Spiele in Zukunft zweifellos
etwas zu erwarten, vorausgesetzt, daß der junge
Künstler sich rechtzeitig darauf besinnt, daß es
bei ihm außer Bewegungs Virtuosität noch anderes
und wichtigeres zu erziehen gilt. Eine bedenk-
liche Neigung zu brutalen Krafteffekten läßt be-
fürchten, daß Eisner nur die Reihe der starken
Männer am Klavier um einen Vertreter ver-
mehren wird. — Michael von Zadora ist ein
technisch ausgereifter Spieler. Was er gibt,
gibt er vornehm und geschmackvoH. Viel war
es für mein Empfinden nicht, schon infolge des
Programms. Für die Wiederbelebung eines
prächtigen Orgelkonzerts von W. F. Bach ist
man ihm zu Dank verpflichtet. — Ober Artur
SS
381
KRITIK: KONZERT
m
Schnabels Spiel ist sehr viel zu sagen. Ich
beschränke naich darauf, daß er nach wie vor
einer unserer temperamentvollsten, empfindungs-
reichsten und virtuosesten Spieler ist. Der
Jugendglanz, der einst, als er ein eben auf-
gehender Stern war, alle entzGcken mußte,
scheint mir aber dahin zu sein, er ist einer
mehr konzertmißigen Art gewichen. Im Ver-
hältnis zu unseren typischen Virtuosen spielt
Schnabel aber erlösend rein und leicht. Seine
Frau, Therese Schnabel, steht ihm an Ernst in
der Auffassung nicht nach. Man mag manches
an ihrer Stimme und Art zu singen mißbilligen,
der Gesamteindruck ihrer Leistungen bleibt doch
immer ein schöner. — Leo Schrattenholz
dirigierte Brahms' Zweite Symphonie und brachte
sie zu guter Wirkung. Auch begleitete er Bruno
Hinze-Reinhold, der ein bisher unbekanntes
Konzert von Ph. E. Bach spielte und damit zeigte,
wieviel stimmungskräftige Musik es noch zu
heben und wieder zu beleben gibt. Schumanns
a-moU Konzert beschloß den Abend. Hinze-
Reinholds noble, jedem Äußerlichen abholde,
von Grund aus solide Spielkunst machte einen
sehr wohltuenden Eindruck. Auch in seinem
Streben, alte Werke möglichst stilecht zu geben,
zeichnet er sich aus. Hierin unterstutzte ihn
Max Seiffert, der im Bachschen Konzert das
begleitende Klavier Gbemommen hatte.
Hermann Wetzel
Der Sopranistin Willi Kewitsch und der
mitwirkenden energischen Geigerin Juanita
Norden ist der liebenswQrdige Beifall hoffent-
lich ein Ansporn zu fleißiger Arbeit. — Der
Liederabend^ Leontine de Ahnas gibt zu er-
freulichen Äußerungen keinen Anlaß. — Elsa
Schülers Kopfton spricht in der Höhe gut an,
im fibrigen müßte sie wohl zunächst sich einer
Ausbildung unterziehen. Amalie Schultz' an
sich nicht unschönes Forte ließ im Verein mit
dem ewigen Pedalgebrauch Spuren von Vortrags-
vermögen nicht erkennen. — Elyda Rüssel
sang in fünf verschiedenen Sprachen, womit es
eigentlich aber doch nicht allein getan ist. —
Eine Durchbildung ihres prächtigen Organs gäbe
Maria S er et die Sicherheit einer hervorragenden
Laufbahn. — Fanny Opfer hat viel gesangliche
Beanlagung, aber die mangelnde Verschmelzung
des Kopf- und Brustregisters beeinträchtigt den
Wert der Darbietungen sehr. — Die unverdorben
frische Stimme Anna Gaertners macht einen
wohltuenden Eindruck, den angesichts des un-
gekünstelten Vortrages die unsichere Tonführung
in der Mittellage nicht zu schwächen vermochte.
Die mitwirkende Geigerin Amalie Birnbaum
konnte nicht erwärmen. Richard Hahn
Anna Stephan bot hohe Kunst in einem
auserlesenen Programm. Diese Sängerin hat
so viel innere Glut und überhaupt so viel Seele,
daß ihre dunkle Stimmfärbung ihrer Individualität
angemessen und der Mangel an von Anfang an
einnehmender Sinnlichkeit des Tones bei ihr
natürlich erscheint. Eduard Behm begleitete
großzügig-schön; er war der rechte Partner
für diese Künstlerin. — Grete Hentschel-
Schesmer sang zwanzig leichtere Lieder,
die ihrem etwas kleinen Alt nicht schlecht
liegen. Ihr Bestes ist ihr Material; doch ist es
ihrer Schulung und Mühe bisher nicht ge-
langen, eine feste Tongebung und — was damit
in mancherlei Beziehung zusammenhängt —
eine sichere Intonation zu erzielen. Die An-
spruchslosigkeit der Lieder war mehr Notgabe
als Geschenk. Daß das Fehlende die Zukunft
noch bringen dürfte, bewies der Vortrag der
Lieder »Volkslied** von Schumann und »Will-
kommen mein Wald** von Franz. — Lolo Barnay.
Auch diese Sängerin wählte Lieder aus »ihrem**
Bereich. Dieses ist das des liebenswürdigen
»Vortragsliedes". Ihre Stimme (hoher Mezzo-
sopran) ist zwar nicht groß, aber von köstlichem
Timbre und im Piano ätherisch schön; die Ton-
behandlung ist in der Höhe nicht so gut wie in
der Mittellage; in der Atemführung merkt man
noch zuviel von Bemühung. Die wenigen
ernsteren Lieder glaubte man ihr, die im An-
mutigen alle entzückte, nicht recht. — Laura
Titze-Krone (Klavier) und G6za v. Kresz
(Geige) produzierten sich in einem überlangen
kunterbunten Programm, v. Kresz verfügt über
einen schönen, breiten Ton und eine solide,
wenn auch nicht tadellose (unschöne Bogen-
führung, Ungleichmäßigkeit bei Läufen) Technik,
doch versteht er es nicht, was er spielt, schmack-
haft zu machen. Sein verhaltenes Temperament
läßt gänzlich kalt. Erfreulicher ist der Vortrag
der Pianistin; namentlich Lyrisches gelingt ihr
nicht übel. Zu C6sar Franck aber fehlt beiden
die nötige künstlerische Kultur. -- Ella Jonas
zeigte an ihrem letzten Klavierabend, daß sie
zu den vornehmsten Erscheinungen der letzten
Jahre zu zählen ist. Wollte man ihr Eigenstes
kennzeichnen, dann könnte man von einem Kult
mit dem einzelnen Tone und von einer gesunden
Sentimentalität bei ihr sprechen, doch würde
das nicht genügen angesichts ihrer anderen,
durchaus positiven Eigenschaften. — Meta Zlot-
nicka brachte mit gequälter Stimme und ge-
machtem, an Lächerlichkeit streifendem Gefühl
alte und neue Lieder zum Vortrag. Ganz ratlos
aber stand man der Selbstbeurteilung des
Cellisten W. Deckert gegenüber; dies gelte
als Kritik. Arno Nadel
BUDAPEST: Viel früher als sonst hat heuer
die Konzertsaison eingesetzt, und in Dutzen-
den locken oder drohen schon jetzt buntftirbige
Plakate mit den Namen bekannter und un-
bekannter Größen. Ein Beweis für die stets zu-
nehmende Musikfreude des Publikums ist es —
oder sollte es eher der kategorische Imperativ
des Modezwanges sein ? — daß für das Abonne-
ment der »Philharmonischen Konzerte* allein
an sechzigtausend Kronen eingeflossen, daß die
Quartettsoireen der Herren Kem6ny-Schiffer,
die volkstümlichen Kammermusik-Abende der
Herren Grünfeld-Bürger nahezu ausverkauft
sind. Im ersten philharmonischen Konzert hörte
man neben Beethovens zweiter Symphonie, Gold-
marks symphonischer Dichtung »Zrinyi* und der
ersten »Peer Gynt*-Suite (mit der man sich der
Pietätspflicht Grieg gegenüber recht billig ent-
ledigte) den zwölfjährigen Pianisten Ernst von
Lengyel, der nichts geringeres als Liszts Es-dur-
Konzert meisterte. Ein Wunderkind, aber ein echtes
Wunder. Mehr als alle Kritik spricht für die Ge-
nialität des Knaben der Umstand, daß ein so ernster
Künstler wie Hans Richter ihn zur Mitwirkung
in London und Manchester eingeladen hat. —
Die beiden Kammermusikvereinigungen debü-
tierten mit je einer Novität. Grünfeld vermittelte
382
DIE MUSIK VII. 6.
uns die angenebme Bekanntscbafc mit dem
jugendlichen Klavierquartett des noch vOllig un-
angekrXnkelten Richard Strauß, bei Kem6ny
lernten wir Dohnänyis jQngstes Streichquartett
in Des kennen: ein Meisterwerk geistvoller for-
maler Konstruktion, aber weniger bedeutend an
Gedanken und Stimmung, zudem durch einen
bei Dohnänyi kaum noch bemerkten modernen
Zug bestimmt, der in harmonischen und sonsti-
gen Eigensinnigkeiten überraschend, fast be-
fremdend hervortrat. — Von solistischen Lei-
stungen eab es bisher ]e ein anregendes Violin-
konzert Willy Burmesters und Stefl Geyers,
Liederabende Alexander Heinemanns und
Valborg Svärdströms, die abermals in stürmi-
scher Weise gefeiert wurden, ein Konzert des
dreizehn]Xbrigen Sängers Moses Mirsky, dessen
seltene musikalische Begabung Aufsehen erregte,
endlich eine Produktion der angeblich indischen
Prinzessin Mme. Sorga, einer sehr mittelmäßi-
gen Sängerin, die zwischen Händeischen Arien
und französischen Kabaretkuplets ein eigen-
artiges, doch im Grunde langweilendes Talent
oscillieren ließ. Dr. B6ia Diösy
DORTMUND: Die Hü ttn ersehe Saison wurde
eingeleitet durch eine erhebende Joachim-
feier, bei der Walter Schulze-Priska Beet-
hovens Violinkonzert korrekt und mit Wärme
spielte. Hervorragend war die Ausfuhrung des
Brahmsschen d-moll Konzertes durch Ellen Saat-
weber-Scblieper. Die stimmbegabte Sopra-
nistin Amy Castles sang »Ah, perfldo* und die
Wahnsinnsarie von Thomas. Lebenswahr und
schwungvoll war seitens des philharmonischen
Orchesters die «Eroica* und Tschaikowsky's pa-
thetische Symphonie, witzig und raffiniert Strauß'
„Till Eulenspiegel*, gediegen eine neue Serenade
von Leo W e i n e r. — Sorgfliltig vorbereitet brachte
Janssen im Musikverein Bruchs ,,Odysseus*
mit den Damen Philippi und Gräfe und den
Herren Lederer-Prina und Göpel als Solisten.
-— Holtschneider bewies von neuem seine
Kunst in der Cborschulung durch Vorträge von
Gesängen alter und neuer Meister. Stimmungs-
voll sang Frau Cabnbley-Hinken acht Lieder
mit Quartettbegleitung von Marteau, der auch
sein zu lang geratenes Klarinettenquintett vor-
führte. Der Verlag der »Dortmunder Zeitung*
und des »General-Anzeigers*, C. L. Krüger, hat
mit Volks-Künstler-Konzerten, mit einer Mark
Eintritt für die Abonnenten, ein neues, zug-
kräftiges Unternehmen gescha£Pen. In einem
Wagner- Abend unter Hauseggers anfeuernder
Leitung kamen der erste Akt der »Walküre*,
Siegfrieds Rbeinfahrt, Erzählung und Tod mit
Trauermusik, und Brünnhildens Schlußgesang aus
der »Walküre* und der »Götterdämmerung* durch
die Philharmoniker zu überwältigender Wieder-
gabe. Frau Fleischer-Edel und Pennarini
(Hamburg) waren glanzvolle Solisten.
Heinrich Bulle
DRESDEN: Das zweite Symphoniekonzert
der Serie B brachte als Neuheit die mit
Spannung erwarteten »Variationen über ein
lustiges Thema* von Max Reger. Varia-
tionen im altgewohnten Sinne sind das freilich
nicht, sondern symphonische Paraphrasen eines
reizenden, dem Singspiel »Der Erntekranz* von
Job. Adam Hiller entnommenen Themas, das
aufgefunden zu haben allein schon ein glück-
mm
lieber Griff Regera war. Wmt der Komponist
daraus zu machen weiß, ist in dor Tot erataaa-
lich. Eine blühende Phantasio ▼oreinigt sich in
dem Werke mit der Frischo doo nolv oehaffnieB
Künstlers und der vollendeten MeiotendMft
eines KontrapunktikerSy dor gegenwirtig wohl
seinesgleichen kanm unter der JQngeren Gcoc*
ration hat. Gans besondere erfreulicli war es
mir, zu erkennen, daß Reger nun ench in der
Instrumentation seine eigne Art geftinden hat
Möge er nach diesem umlingrelchen VeriaHonei-
werke, das bei aller Schönheit im einzelneB ato
Ganzes doch kaum auf weite Kreise wirken
dürfte, nunmehr recht bald mit seiner emea
Symphonie benrortreten; auf diesem GcMeie
darf man von Reger, gerade weii er die abeolsit
Musik in unsem Tagen wieder zu Ehren gebraA
hat, das Höchste erwarten. Die Wiedergsbe war
unter v. Schuchs Leitung genz wwü^fiidk
und der Erfolg sehr herzlich. Solist des
Abends war der hollindische Cellist Anten
Hekking, der trotx seines sctaSnen edles
Tones und blendender Techniiß nidbt hinm-
reißen vermochte, was yielleicht an der geringes
Bedeutung des von ihm gespielten d'AlliertsciMB
Cellokonzerts, aber sicherlich snch sn sdner
eignen Kühle lag. — Von betrichtlicbem Knst-
wert war eine Aufführung des HindeischeB
Oratoriums »Israel in Ägypten" durch die in lelzier
Zeit zu hohem Rang emporgestiegene Robert
Schumannsche Singakademie unter Albert
Fuchs. Die Chorleistungen wsren Tortrefflldh;
solistisch taten sich die Damen Dehmlow od
V. d. Osten sowie die Herren Mann, Piehier
und Werner hervor. Besonders g^ficUldi wsr
die Wirkung eines alten TalblklsTiers, mf des
die Cembalostimme durch Herrn Leng gsspieü
wurde.— Das zweite Philharmonische Koucrt
ließ uns die sehr angenehme Bekanntschaft mh
der kaum dem Kindesalter entwachsenen GelgBa-
künstlerin Stefl Geyer machen, die sich leider
nur als Besitzerin einer i^insenden Tedudk
zeigen, von Gefühl und Empfindung aber IhMgi
ungünstiger Wahl Ihrer Vortragestficke nichts
o£Penbaren konnte. Singerin des Abends wsr
Amy Castles, deren Macher, gut geschnlisr
Koloratursopran Wirme und Innigkeit Termlssea
ließ. — Aus der Feder des durch Mdne Orchester*
Variationen »Kaleidoskop" beim letzten Tsi-
künstlerfeste bekannt gewordenen Heinrich G.
Noren brachte das Bachmann-Trie da
Manuskript-Klaviertrio d-moll erstmalif nüt be-
deutendem Erfolge zu Gehör. Der erstem sehr
lang ausgedehnte Satz ist der bedeutendste des
Werkes, das in allen seinen Teilen durch mtt»
lose Erfindung, feine Arbeit und spurte Kiss^
Wirkungen erfteut, aber durch einen stark aä-
wischen Einschlag für uns etvss FremdsrilgH
bat. — Ein Konzert des »Dresdner Minner-
gesangverein*, in dem Marnrate Neisch
(Gesang) und Walter Schilling (C^lo) eolistiseh
mitwirkten, sowie daa Konzert der ^Lieder-
tafel* unter hinreißendem Beistände Ten TDIy
Koenen aeien noch erwihnt. Bbsnss dis
Klavierabende von Frederie Lnmoad WDfä Msz
Pauer. — Ein besonderes Von sei noch der
hundertsten Aufführung in Betttnad Roths
Musiksalon gewidmet, die sieh zu
den besten musikalischen Krtlsoa
freudig gefeierten Jubilinm
n
383
KRITIK: KONZERT
doch diese Auffühningen zeitgeoössischer Ton-
werke im Rothschen Salon geradezu ein Faktor
der künstlerischen Kultur Dresdens geworden,
da einerseits zahlreiche unbekannte Komposi-
tionen hier vor einem kunstverständigen Publi-
kum zu Gehör gekommen sind und andrerseits
die namhaftesten Künstler den Bestrebungen
Roths ihre Unterstützung verliehen haben. —
Der Liederabend von Julia Culp endlich war
ein Ereignis für jeden, der vollendete Gesangs-
kunst und innigste Beseelung der Menschen-
stimme zu, würdigen weiß, p ^ Geißler
FRANKFURT a. M.: Den .Saul" von Händel
hatte unser Cäcilienverein für sein Buß-
tagskonzert einstudiert, und zwar in der vom
letzten Mainzer Händelfest her bekannten Be-
arbeitung Chrysanders, die wohl nur in ein
paar nebensächlichen Punkten anfechtbar er-
scheint, sonst aber jedem, der den alten leidigen
Hader zwischen Robert Franz und Chrysander
überwunden hat, einen ungetrübten Genuß im
Geiste Händeis gewähren wird. Auch die Wieder-
gabe unter August Grüters wirkte im wesent-
lichen nach dieser Richtung; nur hin und
wieder war das Gepräge etwas verschwommen.
Von den solistischen Mitarbeitern machten
sich namentlich Friedrich Broders en, Maria
Philippi und Emma Tester verdient; das
Cembalo behandelte A. Klein paul, und für
den Knabenchor hatte unser Goethegym-
nasium brauchbare Kräfte aufgeboten. —
Das Böhmische Streichquartett bereitete
der Kammermusik-Gemeinde des Museums
wieder einmal einen kostbaren Abend mit
Beethovens op. 18 A-dur, Dvoi^k op. 61 und
dem fesselnden Quintett op. 14 von TanSieff,
wofür man J. Burian als zweiten Cellisten
kooptiert hatte. — Auch einer so namhaften
Gesangskünstlerin wie Erika Wedekind be-
gegnete man wieder, diesmal im Rahmen des
vom Neeb sehen Männerchor alljährlich ge-
gebenen Konzertes, das mit seinem abwechslungs-
reichen Programm stets zahlreiches und dank-
bares Publikum findet. Und noch zweier anderer
Sängerinnen sei hier gedacht, von denen die
eine, Leonore Wal In er, ausschließlich Lieder
aus »Des Knaben Wunderhorn* sang und dabei
die Hörer mit einigen beachtenswerten Kom-
positionen von Mahler und Streicher bekannt
machte, während sich in der anderen, Dora
Mo ran, eine begabte und sorgfältig ausgebildete
Tocbter Fanny Moran-Oldens vorstellte. — Ein von
Max Vogrich aus eigenen Klavier- und Lieder-
kompositionen bestrittener Abend ward wohl von
80 manchem Hörer hauptsächlich als ein Kuri-
osum empfunden, da sich hier ein gewiß an-
erkennenswertes Talent in einer Tonsprache
äußerte, der man wohl noch volle Empfänglich-
keit entgegenbringen kann, wenn man ihr bei
ihren verflossenen Meistern, z. B. Mendelssohn,
begegnet, die sich aber aus dem Munde eines
noch Lebenden doch schon recht antiquiert aus-
nimmt. Hans Pfeilschmidt
KASSEL: Reichlich flössen bereits die Quellen
musikalischer Genüsse. Besonders ein-
drucksvoll gestalteten sich die ersten Gaben
unserer heimischen Kräfte, so die der König-
lichen Kapelle, die unter Dr. Bei er Schuberts
C-dur Symphonie und Grieg's erste »Peer Gynt*-
Suite fein ausgearbeitet bot. Recht beifällig
wurden an jenem Abend das neue von Frau
Kwast-Hodapp trefflichst gespielte Klavier-
konzert in c-moll des Grafen von Hochberg
und die dramatische Szene »Die Nonne* von
F. Mayerhofer aufgenommen. Sehr genußreich
waren auch die ersten Spenden der Kammer-
musik-Vereinigung (Hoppen, Kruse, Keller
und Monhaupt), aus denen besonders hervor-
gehoben seien Beethovens Harfenquartett und
Schuberts Oktett. Der Oratorienverein unter
Hall wachs brachte eine recht gelungene
Wiederholung von Tinel's »Franziskus*. Von den
Solisten ragte femer hervor L. Heß, während
Eva Uhlmann und M. Oberdörffer ihre
Aufgaben zur Zufriedenheit lösten. Lebhaftes
Interesse erweckte ein Liederabend, in dem
uns Carl Hallwachs im Verein mit seiner
Gattin, der Konzertsängerin L. Becker
und L. Heß nur Lieder eigner Komposition
vorführte, und von neuem vollgültige Beweise
einer schönen Begabung als Liederkomponist
brachte. Wahren Beifallsjubel erregte das vir-
tuose Violinspiel von Edith vonVoigtlaender,
ebenso wie das Auftreten von Lula Mysz-Gmei-
ner und Emil Sauer. Auch der Lauten-Künstler
R. Kothe fand wieder ein dankbares Publikum.
Erwähnt sei zum Schluß das gut besuchte
Konzert des bekannten Leipziger Solo-
quartetts für Kirchengesang. Dr. Brede
KÖLN: Das Gürzenich-Quartett erfreute
an seinem dritten Abend zunächst unter
Mitwirkung des Bratschisten Foco Klimmer-
boom durch eine hervorragend schöne Wieder-
gabe von Mozarts C-dur Quintett, dem sich das
Brahmssche G-dur Quintett anschloß. Schuberts
nachgelassenes c-moll Quartett ist eine bewährte
Glanznummer der Vereinigung und wurde auch
diesmal in abgeklärtester Weise zu Gehör ge-
bracht. — Die Musikalische Gesellschaft
widmete Grieg einen Abend. Die Altnorwegische
Romanze mit Variationen für großes Orchester
sprach im allgemeinen in ihren einfachen Teilen
entschieden lebhafter an als da, wo des Ton-
setzers Erfindung sich breit ausladend in ver-
tiefter und komplizierterer Instrumentalsprache
ergeht. Vollen Erfolg fond Germaine Schnitzer
mit der virtuos glänzenden und feiner Auffassung
nicht entbehrenden Ausführung des a-moll
Konzerts. Weiter hörte man mit vielem Be-
hagen die erste »Peer Gynt^-Suite. Fritz Stein-
bachs Führung begeisterte das Orchester der
Gesellschaft zu besonderen Leistungen. — Wie
alljährlich, veranstaltete am Bußtage Friedrich
Wilhelm Franke ein Kirchenkonzert in der
Christuskirche. Frankes hohe Meisterschaft im
Orgelspiel erzielte in Bachs c-moll Passacaglia,
C^sar Francks Phantasie h-moll und Liszts Prä-
ludium und Fuge über den Namen Bach Ein-
drücke erhebendster Art. Wertvolle Unter-
stützung bot Friedrich Grützmacher dem
Konzertgeber durch seine ausgezeichneten Cello-
Vorträge. Dann wirkten verdienstiich Emma
Lindenberg mit Mezzosoprangesängen und
H. Allekotte mit der Harfenpartie in Brachs
Kol Nidrei. — Therese Pott brachte sich mit
einem eigenen Abend in Erinnerung. Die
Pianistin wußte in Bachs Chromatischer Phan-
tasie und Fuge d-moU eine so imposante Bered-
samkeit zu entfalten und weiter in Schumanns
384
DIE MUSIK VII. 6.
M
Sonate Werk 22 sowie der Brabmsschen Sonate
Werk 5 so gut musikalisch zu wirken, daß der
starke Beifall durchaus berechtigt erschien. —
Der Kölner Lehrer- und Lehrerinnen-
Gesangverein bot zumal in Chören von
Beethoven, Loewe, Sen£P und Orlando di Lasso
recht Gutes. Der Geiger Walter Schulze-
Prisca bewährte auch hier seine sehr großen
Vorzfige der Technik und des innigen Verständ-
nisses für das Sonderwesen seines Instroments
hauptsichlich in dem neuaufgefundenen, als
siebentes Mozartisches gerühmten Violinkonzert,
das doch für die Annahme so erlesener Pro-
venienz gar wenig Anhalt bietet. Paul Hiller
LEIPZIG: Im sechsten Gewandhauskonzert
ist nach lediglich tüchtiger Vorführung des
Hindelscken Concerto grosso in d-moll mit
wunderbar-schönen, wahrhaft empfundenen Dar-
stellungen der Symphonieen in e-moll von
Brahms und in c-moll von Beethoven durch
Arthur Nikisch und das Gewandhausorchester
den Hörenden ein wirkliches, mächtig ergreifen-
des Kunsterleben ermöglicht worden, wogegen
über dem vierten P h i 1 h a r m o n i s c h e n Konzerte,
das zwischen Volkmanns mangelhaft ausgeführter
d-moll Symphonie und zwei neueren Stücken
von Sibelius (dem pikanten Tanz-Intermezzo
»Pan und Echo** und der von Hans Winderstein
bei verdunkeltem Saale vorgeführten und dennoch
nicht außerordentlich wirkenden »Valse triste*)
stimm- und stimmungsdunkle Gesangsvortrige
des Künstlerpaares Dr. Felix von Kraus und
Adrienne v. Kraus - Osborne brachte, die
Schatten des voraufgegangenen Totensonntages
lagerten. — Geisteserhebung und Herzbeglückung
hatte man neuerdings dem Böhmischen
Streichquartett zu danken, das seinen zweiten
Abend mit Regers Streichtrio op. 77 b und
Beethovens a - moll Quartett eröffnete und
unter rühmenswerter Klavier- und Kontrabaß-
Assistenz von VeraMaurina-Press und Albert
Walschke mit einer prächtigen Reproduktion
des Schubertschen Forellenquintettes beschloß;
lebhaftem Interesse begegnete aber auch das
frischmütige, der Reife nahegekommene Sevöik-
Quartett, dem man diesmal für einen (»Haydn'',
für das im Verein mit dem tüchtigen Klavier-
partner Vil^m Kurz vorgeführte kunstreich
schöne a-moll Quintett op. 12 von Vitezslav Noväk
und für Beethovens Harfen quartett zu danken
hatte. — Beim Bußtagskonzerte des Riedel-
Vereins, in dem unter tüchtiger Mitwirkung
dreier Dresdener Solisten (Elisabeth Boehm-
van Endert, Franziska Bender-Schäfer und
Georg Hummel] und unter vorzüglicher Be-
teiligung des für Burrian eingetretenen Jacques
Urlus das „Requiem** von Mozart und der
9 13. Psalm** von Liszt zu wirksamer Wiedergabe
gelangten, hat dem allerdings wohl noch einiger
Eingewöhnung in das Kunstwirken mit Massen
bedürftigen neuen Vereinsdirigenten Joseph
Pembaurjr. Gelegenheit geboten, sein Befähigt-
sein für eine derartige Stellung zu erweisen. —
Kantor Wilhelm Häussel hat mitdemKirchen-
gesangverein Leipzig-Lindenau und mit
Anna Härtung und Jacques Urlus als Haupt-
solisten Tinels „Franziskus** zur Aufführung ge-
bracht, und seitens vieler hiesiger Kirchenchöre
ist unter liebenswürdiger Mitbeteiligung ein-
heimischer Solosingenden und Instrumentalisten !
das Totenfest mit feierlichen Vorabends- oder
Nachmittagskonzerten begangen worden. — Ehi
sehr wohlgelungenes Konzert des von Gustav
Wohlgemuth geleiteten »Leipziger Männer-
chor* lief in eine pietätvolle, warmherzig auf-
genommene Aufführung von Emil Bfichnera für
Soli, Chor und Orchester komponiertem i» Witte-
kind* aus. — Sehr verschiedenartig wirkten zwei
Tonsetzer, die mit eigenen Komponisten- Abenden
hervortraten: Max Vogrich, den man mit seiner
reminiszenzenreichen, vielfach lärmenden und
nur im Aufstellen von exotischen (indischen)
Klanggebilden einigermaßen eigenartigen Musik
der Vergangenheit zuweisen mußte, und Nicolaos
Medtner, dem man um der vielfach reizvollen
Modernität seines Musikempflndens, seiner nn-
ruhevoUen Harmonik und Jcomplizierten Rhyth-
mik willen eine Anweisung auf die Zukunft
geben konnte. — Von Liedersängerinnen war dies-
mal nicht allzuviel zu spüren: Elena Gerhardt
erfreute wieder einmal mit fein stilisierten Ge-
sangsvorträgen, Ilse Doli US sang ziemlich
konzertgerecht und Else Marburg ganz haas-
gerecht. — Die lange Reihe Klavierspieler führte
von dem etwas derb zugreifenden Chopin-
Spieler T616maque Lambrino über drei nicht
ganz konzertreife Damen: die zur Virtuosität
neigende Gisela Springer, die gediegen musi-
kalische Martha Küntzel und die etwas allzu-
kühne Clara Birgfeld zu Max Psuer, der nach
fahrlässiger Behandlung Bachs und Beethovens
in Schumanns Davidsbündlertänzen einen höheren
Aufflug nahm und mit einer wahrhaft schönen,
improvisatorisch fHschzügigen Wiedergabe der
Lisztschen h-moll Sonate begeistern konnte,
und zu Leonid Kreutzer, der die Konzerte in
d-moll von Brahms und in a-moll von Grieg
auf hochrespektable Art interpretierte und sich
dazwischen den Spaß machte, die Burleske von
Richard Strauß zu spielen. — Dem in Spiel und
Figur gewachsenen kleinen Mischa El man,
dessen Alberthallenkonzert Emil Pinks einige
erfreuende Liedergaben beisteuerte, folgten zwei
in jeder Hinsicht ausgewachsene Violinspieler:
Alfred Wittenberg, der sich nach unrnhevoUem
Vortrage des Beethovenschen Konzertes io
Beethovens F-dur Romanze und Brahma' D-dur
Konzert zu voller, beruhigt schöner Meisterschaft
aufraflPte, und Felix Berber, den man zwischen
markig schön durchgeführten Darbietungen des
Brahms'schen Konzertes und der Laloschen
Symphonie espagnole auch eine nur in ihrem
mittelsten Teile erfanden, sonst aber un-
angenehm konstruiert wirkende «Deutsche
Rhapsodie* op. 31 von Friedrich E. Koch vor-
tragen hörte. Arthur Smolian
MÜNCHEN: Die Abonnementskonzerte der
Musikalischen Akademie unter Mottls
Meisterdirektion florieren dieses Jahr mehr wie
seit langer Zeit. Trotz des grassierenden Konzert-
wahnsinns sind sie ausverkauft und behaupten
auch nach ihren Leistungen weitaus den höchsten
Rang vor allen rivalisierenden Veranstaltungen.
Im ersten gab es eine kleine musikalische Sen-
sation. Richard Wagners 1835 zu Theodor
Apels gleichnamigem Drama entstandene «Ko-
lumbus**-Ouvertüre, die nach zwei Auf-
führungen in Paris 1841 wohl nur noch 1905
in London gespielt worden war, lockte die Hörer.
Sie erwies sich als technisch sehr geschickt ge-
385
KRITIK: KONZERT
macht, bietet aber thematisch kaum etwas Be-
deutendes, dagegen manche Vorahnung späterer
,Ring*-Motive. Ein hubscher Effekt ist die mehr-
mals wiederkehrende Vision des fernaufcauchen-
den Landes, mit Holzbläsern und flirrenden Strei-
chern im pianissimo, von denen sich die Trompeten
wirkungsvoll abheben. Die im gleichen Konzert
vorgeführte D-dur Ouvertüre von Bach litt unter
der, gegen die Forschungsergebnisse der Musik-
wissenschaftverstoßenden, unrichtigen Besetzung
(zn schwacher Bläserchor, Orgel als Kontinuo-
Instrument). Desto herrlicher gelang Beet-
hovens vierte Symphonie, ebenso wie im zweiten
Konzert seine »Siebente* und Liszts »Orpheus*.
Außerdem hörte man zwei Novitäten, ein Prä-
ludium mit Doppelfuge für Orgel (am Schluß
mit Zuziehung von Posaunen und Trompeten)
von Klose und eine Ouvertüre zu .Prinzessin
Brambilla<* von Walter B raun fei s. Beide
Werke vermochten nicht voll zu befriedigen.
Braunfels' Instrumentation ist etwas dickflüssig,
der in der Ouvertüre zutage tretende Gedanken-
gehalt nicht allzu groß. Kloses Fuge kam nicht
durchweg ganz klar zu Gehör und wirkt auch
im Aufbau trotz ihrer schönen Themen und der
gewaltigen Scblußsteigerung zerrissen. — Durch
interessante Programme zeichnen sich auch die
Abende des überaus tüchtigen Ahn er- Quar-
tetts aus. Ein prächtiges, leider unvollendetes
Quartett von Zumpe und ein ziemlich unbe-
deutendes von O. Noväcek (op. 10) fanden sich
darunter. Des Flonzaley-Quartetts muß
gedacht werden wegen seines wirklich guten
Zusammenspiels. Die Konzerte der »IVlün-
chener* und der »Böhmen* bedürfen keines
Lobes mehr; ihr Ruf steht fest. Bei den »Böhmen*
fiel mir dieses Mal mehr auf, daß die im Vor-
jahr erfolgte Neubesetzung der Viola hier und
da das Gleichmaß des Ensembles ein wenig
stört; dem Bratschisten wäre an mancher Stelle
größere Zurückhaltung zu empfehlen. Bei den
„Münchenern* ist, lebhaft und mit Recht be-
grüßt, Theodor Kilian an das Pult der ersten
Geige zurückgekehrt. — Klavier-, Violin- und
Liederabende regnet es nach wie vor. R.
Koczalski, das ehemals maßlos gefeierte
Wunderkind, ist als ausgewachsener Virtuose
wiedergekommen — aber so ziemlich auch nur
als das. Nach der Seite der Auffassung höchst
Erfreuliches gab Walter Braun f eis, und auch
Professor Roesger, Frau Sundgr^n-Schn^e-
voigt, und noch manche anderen hatten schönen
Erfolg. Begreifliche Begeisterung erweckte
Ysaye mit Mendelssohns Violinkonzert, nicht
minder der berühmte Pianist Sauer mit seiner
Chopin-Interpretation, und Henri Marteau und
Ernst V. Dohnänyi mit einem ganz wunder-
vollen Sonatenabend. — Unter den Liedersängem
nimmt Ludwig Hess eine Sonderstellung ein durch
die Schönheit seiner Stimmittel und seinen durch-
geistigten Vortrag. Zwei hier wohlbekannte
Bühnenkünstler, unser Tenorist Raoul Walter
und unsere frühere Vertreterin des Koloratur-
faches, Irene Abendroth, erwiesen vor dank-
barem Publikum von neuem ihre Kunst. —
In einem Abend des Philharmonischen
Orchesters endlich unter Jan Ingenhovens
sicherer Leitung kam das neuaufgefundene
siebente Violinkonzert von Mozart durch den treff-
lichen Geiger Heinrich Edelmann zur Wieder-
VII. 6.
gäbe. Was das Werk selbst betrifft, so muß ich
mich vorläufig, solange nicht stärkere Beweise
gefunden werden, auf die Seite derer schlagen,
die die Echtheit dieses* Konzertes nicht für un-
widerleglich bewiesen halten. Manches spricht
da, rein musikalisch betrachtet, für die Autor-
schaft Mozarts, manches aber scheint ihr doch
auch stark zu widerstreiten.
Dr. Eduard Wahl
ST. PETERSBURG: Die Abonnementskonzerte
unter Leitung von Alexander Siloti haben
ihre bisherige Stätte, den akustisch so günstigen
Großen Adelssaal, verlassen müssen und sind
nach dem kaiserlichen Marientheater fiber-
gesiedelt. Einen schönen Akt der Pietät hat
Siloti dem Andenken Grieg's dargebracht, in-
dem er seinen Konzertzyklus mit einigen
Orchesterwerken des unlängst heimgegangenen
Meisters erö£Pnete. Das Solistische der beiden
ersten Konzerte ruhte in Händen des schönen
Geschlechts. Im ersten war es die gefeierte
Wagnersängerin Paula Doenges, die es ver-
mochte, geradezu Begeisterung hervorzurufen;
im zweiten war es die bekannte Clavecinvirtuosin
Wanda Landowska, die mit einem Mozart-
Konzert ihre pianistischen Trümpfe ausspielte.
— Gustav M a h 1 e r gab den ersten zwei Symphonie-
konzerten der Klavierfirma K. M. Schroeder
eine Art musikfestlichen Anstrich. Wir haben
Beethoven und Wagner von unserem Hofopem-
orchester selten hingebender spielen hören, als
unter Leitung des genialen Dirigenten. Der
Tonsetzer Mahler erschien uns hingegen in
einem weit weniger vorteilhaften Lichte, seine
Fünfte Symphonie konnte das Auditorium nicht be-
friedigen. Wie es dem großen Wiener Dirigenten
nicht an lebhaften Ovationen fehlte; so trugen
auch die mitwirkenden Solisten Tilly Koenen
und Raoul Pugno reiche Beifallsehren davon.
Letzterer spielte das Es-dur Klavierkonzert von
Mozart und das ihm noch unverständliche zweite
Konzert von Rachmanninow.
Bernhard Wendel
SCHWERIN: Das erste Orchester konzert im
Hoftheater brachte in pietätvoller Rück-
sicht auf Joachims Hinscheiden Beethovens
Eroica. Diese Trauermusik wurde mit beson-
derer Eindringlichkeit hervorgehoben. Brahms'
»Tragische Ouvertüre* schloß sinnig das Kon-
zert. Als eine würdige Schülerin des ver-
blichenen Meisters erwies sich Erika Besserer,
die mit kleinem, aber schönem Ton, vir-
tuoser Technik und edler Vortragsweise das
»Ungarische Konzert* und die »Variationen für
Violine mit Orchester* spielte. — In der Kammer-
musik hörte man als interessante Neuheit das
anmutige Streichquartett e-moU op. 112 von
Camille Saint-Saöns; Grieg's Andenken war
dessen g-moll Quartett op. 27 geweiht Tilly
Cahnbley-Hinken sang außer vier Grieg-
schen Liedern Schubert, Schumann und Brahms
mit weicher, silberheller Stimme, mit zarter
Empfindung, aber auch Gelassenheit des Tem-
peraments. — Künstlerischer Ernst und geistige
Vertiefung verliehen dem Gesang des Dr. Felix
vonKraus in seinem Liederabend einen hohen
Wert. Fr. Sothmann
STETTIN: Das musikalische Interesse der bis-
herigen Spielzeit konzentrierte sich auf die
jüngste Oratorienschöpfung des hier seit mehr
25
386
DIE MUSIK VII. 6.
m
als vier Jahrzehnten wirkenden Komponisten und
Dirigenten C. Ad. Lorenz. Die Stirke des
Lorenzseben Scha£Pens ruht bekanntlich in seinen,
weltlich-historische Sto£Pe behandelnden Ora-
torien. Mit ihrem vornehm-populiren Inhalt und
ihrer reichen, jedoch nie die Grenzen des Mög-
lichen fiberschreitenden Entfaltung der Mittel
kommen sie einem Bedürfnis der Zeit entgegen,
was die ihnen bereitete Aufnahme bestätigt.
Nachdem sich Lorenz inzwischen durch seine
Passionskantate »Golgatha* auch auf geistlichem
Gebiet erfolgreich betätigt hatte, wandte er sich
in seinem neuesten Chorwerk wieder der frfiher
beschrittenen Richtung zu, befaßte sich aber
diesmal nicht mit dem Schicksal einzelner großer
Menschen und VOlker, sondern umspannte mit
einem kQhnen Gri£P die Menschheitsgeschichte
in ihrer Gesamtheit. Das Werk, das nunmehr
seine aufsehenmachende Uraufffihrung erlebt
hat, trägt den vielsagenden Titel »Das Licht*.
Die Schillerausgabe von 1823 bringt eine Notiz,
nach der sich der Dichter in den Jahren 1790—94
mit der Idee einer Hymne an das Licht getragen
haben soll. Diese Idee gri£P Lorenz auf und
fand auch bald in der Person des hiesigen
Literaten H. Plötz eine dichterisch gestaltende
Kraft, die an die allumfassende Bedeutung des
Lichtgedankens heranreichte. Völlig erschöpfe
ist der fiberreiche Stoff nun freilich nicht, konnte
es auch in dem verffigbaren knappen Rahmen
nicht werden, um so weniger, als die Anlage
keinen eigentlich geschlossenen, einheitlichen
Gedankengang, sondern mehrere bald parallel
laufende, bald sich ineinander verwickelnde und
noch dazu nicht immer mit logischer Schärfe
zu Ende geführte Gedankenlinien bietet. Ich
zögere indessen nicht, diese hochpoetische
Dichtung als einen der gedankenreichsten der
mir bekannten Oratorientexte zu bezeichnen.
Im Mittelpunkt der Dichtung steht die Ent-
wicklung der Menschheit zur Höhe befreiender
Wahrheit und Sittlichkeit. Diesen Kulturweg
versinnbildlicht das wachsende Licht in seinen
vier Phasen: Nacht (Urzeit), Dämmerung (ger-
manisches Heidentum), Morgen (Griechentum)
und Tag (Christentum). Der durch und durch
gedankliche Inhalt des »Licht*-Textes hätte dem
Werke die Wirkung auf die große Masse, wie
sie die Oratorlengattung erstrebt, erschweren
können, wäre dem reflektierenden Stoff eine
entsprechend spekulativ gehaltene Vertonung
zur Seite getreten. Das ist aber zum Gluck für
das Schicksal der Neuheit nicht der Fall gewesen.
Lorenz ist vielmehr in so hohem Grade absoluter
Musiker, so ausgesprochen mehr Formenbildner,
Satzkunstler und Melodiker als Tondenker, daß
er die Macht der gedanklichen Reflektion durch
diejenige der absolut musikalischen Schönheit
zu fiberbieten vermocht hat. Durch diese Macht
der schönen Tongestalt und des schönen Klanges,
die in erster Linie zu entfalten ihm künstlerische
Oberzeugungssache ist, hat er auch diesmal
wieder die verschiedenartigsten Elemente des
Publikums zu einmfitig großem und starkem
Beifall entflammt. Das »Licht* ist das stilistisch
einheitlichste der Lorenzschen Chorwerke. Von
seinen sonstigen Vorzügen nenne ich nur die
wundervolle Symmetrie in der Anordnung des
Ganzen sowie der einzelnen Gruppenbildungen,
ferner eine stets in dem Bereich des guten
Geschmacks bleibende, klarsten Periodenban
mit geistreich modemer Harmonik verbindende
Tonsprache, farbenprächtige Instromentiernng,
endlich einen geradezu glänzenden, namendich
im Schlußteil einen prachtvollen Höheponkt
zeitigenden Chorsatz. Auch als feinsinniger
Charakteristiker kommt Lorenz in den bilder-
reichen Schilderungen der Nachterscheinongen
zu Worte. Die Uraufffihrung als solche trug
alle Merkmale eines großen Ereignisaes. Der
fiberaus wichtigen Mezzosopranpartie hatte sich
Maria Bender, eine stimmlich hervorragende
Amateurtängerin, unterzogen. Das Sopransolo
war durch Hedwig Kaufmann mit mehr
Temperament als Geschmack, das Baritonsolo
durch Josef Loritz vollwertig vertreten. Der
fiber 400 Mitglieder starke Musikvereinachor
und das entsprechend besetzte Orchester leisteten
unter dem mit reichen Ehrungen t>edachten
Komponisten durchweg Vortreffliches.
Ulrich Hildebrandt
STOCKHOLM: Die soeben begonnene Konzert-
saison ist schon in die Hochflut eingetreten.
Zum Gedächtnis Edvard Grieg'agab das König-
liche Theater drei Konzerte unter begeistertem
Beifall der Zuhörer. Dem ersten Symphonie-
konzert des Theaters (Dirigent: Annas Järne-
felt) war ein skandinavisch-russisches Programm
zugrunde gelegt mit Tschaikowsky's »Pathdtique*
als Hauptnummer. — Auch »Konsertförenin-
gen* (Tor Aul in) erledigte ihr erstes Symphonie-
progrsmm mit der «Eroica* in prägnantester
Fassung. Solist des Abends war de Greefim
A-dur Konzert von Liszt. — Die Qoartett-
genossenschsft Aulin 's gab einen Kammer-
musiksbend (Beethoven), die junge Triover-
einigung Marta Ohlson-Runnqoist-Lindhe
deren zwei unter dem Banner Brahma*, Franck's
und Beethovens. — Drei französische Violinso
naten spielte uns Paul Viardot vor, der auch im
Operohause ein etwas mißlungenes französisches
Orchesterkonzert dirigierte. — Beim ersten Be-
such in Stockholm feierte Ludwig Wfillner mit
seiner einzig dastehenden Kunst in sechs völlig
ausverkauften Konzerten außerordentliche Tri-
umphe. Ansgar Roth
WTEIMAR: Im Vordergrunde der Konzert-
^ Veranstaltungen standen bis jetzt die
Kammermusik- Abende. Das Brfi sseler Streich-
quartett bot in einem Beethoven- Abend bei ans-
verkaufcem Hause und begeisterten Kund-
gebungen seitens des Publikums höchste Konst.
— Einen außerordentlichen Erfolg hatte auch
das Flonzaley- Quartett, eine Vereinigung von
Kfinstlern, die der edlen Liebhaberei des
Amerikaners Flonzaley zufolge sorgenlos stu-
dieren und reisen können. — Unser heimisches
K r a s s e 1 1 - Qusrtett spielte in abgeklärter Weise
Mendelssohns Es-dur Quartett op. 12 (die Can-
zonetta mußte wiederholt werden) und unter
der Mitwirkung Hinze-Reinholds Schuberts
Klaviertrio op. 99; dazwischen sang Ella
Gm ein er eine Reihe Schubertscher Lieder
mit warmem Empfinden. — Vor fiberffiUtem
Saale konzertierte Willy Burmester, schien
aber an diesem Abend nicht so ganz disponiert
gewesen zu sein. Unterstfitzt wurde er in treff-
licher Weise durch einen jungen feinffihligen
Pianisten Emeric Stefaniai. — Auch die kleine
Edith V 0 n V 0 i g 1 1 a e n d e r, die die geschmacklos^
387
KRITIK: KONZERT
vorherige Reklame gar nicht nötig bat, entzückte
ihre Freunde und Bewunderer durch ihr sauberes
Geigenspiel. — Dr. Briesemeister, der Loge
Bayreuths, gab einen Wagner-Loewe-Abend, der
leider nicht gut besucht war. — Der jedes Jahr
wiederkehrende Hinze-Reinhold erfreute
auch diesmal seine zahlreichen Verehrer durch
sein sauberes Klavierspiel. — Eine Schfilerin
Stavenhagens, HedwigSchöll, gab unter Mit-
wirkung ihres Lehrers einen Klavierabend und
hinterließ gute Eindrücke. — Der Liederabend
von Irmgard Krauß litt zu sehr unter der Be-
ftingenheit der Konzertgeberio. Carl Rorich
WTIEN: Ein paar Neuheiten, die erwähnt wer-
^ den müssen. Zunächst Leo Weine rs Or-
chesterserenade, vom Wiener Tonkünstler-Or-
chester mit schwungvoller Frische gespielt: ein
Werk voll wirklicher, lebendiger Jugend, nicht
aber durch frappierende Erfindung überraschend
und in seinen Slawismen an Dvorak mahnend,
aber ein recht musiziertes Stück, ohne quälende
Mühseligkeit, weder atemlos noch stockend in
seinem lebhaften Fluß und seiner liebenswerten
Wirme. Dabei ein tüchtiges Probestück artisti-
schen Könnens sowohl in kontrapunktischer als
auch in instrumentaler Beziehung. Bloßen Re-
spekt vor solchem Können, aber ganz ohne jene
Wirme, nötigt Regers »Suite in altem Styl*
für Geige und Klavier ab, die von Arnold Ros6
und Franz Schmidt meisterlich interpretiert
worden ist: ein rein formalistisches Stilkunst-
stück ohne jeglichen Zwang und Trieb inner-
lichen Entstehenmüssens. Am selben Abend
Ros6s ist ein junger Wiener zum erstenmal zu
Wort — oder besser: zu Ton — gekommen:
Karl Weigl mit einem Streichsextett in einem
Satz. Aus dem Werk des auch in seiner künst-
lerischen Art o£Penbar zur Schön berg-Gruppe
gehörigen Komponisten spricht ein viel zu o£Pen-
barer Ernst, als daß es mit wenigen Schlag-
worten beiseite geschoben werden dürfte. Aber
der unplastische Eindruck des Ganzen, dies
monotone Hinschleppen des einmal angepackten
Rhythmus, die beständigen Imitationen jedes
Motivs in allen sechs Instrumenten und das fort-
währende Arbeiten mit thematischen Füllstim-
men, das den Zwang künstlich dazu kontrapunk-
tierter und nicht als Eingebung herausgeborener
neuer Hauptthemen mit sich bringt, all dies
nötigt zu dem rein subjektiven Bekenntnis einer
ermüdenden und wenig klaren Wirkung, die
vielleicht — aber angesichts der etwas dürftigen,
wenn auch klanglich schönen und in einem
Adagioteil auch etwas reicher aufblühenden
Erfindung wirklich nur vielleicht — bei ganz
vertrauter Bekanntschaft mit dem Werk eine
Änderung zu erfahren vermöchte. — Ein Gri£P
aufs Geratewohl in die Fülle der Solisten konzerte.
Ein paar ernst zu nehmende Pianistinnen: Jo-
landa Merö, eine Begabung von etwas graziösem
Temperament und oft ein wenig gar zu willkür-
lich in ihrer prickelnden rhythmischen Koketterie;
die durch unbedingte Ehrlichkeit und ernstliche
Empfindung immer wieder erfreuende Hedwig
von Andrassfy; die o£Penbar, wenn auch viel-
leicht nicht genial, begabte kleine Mena Töpfer,
und endlich ein wirkliches Wunderkind: die 13jäh-
rige Helene Patby, die wieder einmal das selt-
same Rätsel eines reifen Musikgeistes in einem
kindlichen Körper in beunruhigend ergreifender
Weise verkörpert. — Unter den Sängerinnen
haben die Schwestern Svärdström — mit Val-
borg, der graziös raffinierten Soubrette an der
Spitze — durch die köstliche Sangesfreudigkeit
und ihr vehementes, dabei aber reiflich durch-
gebildetes Vortragstemperament eine wirkliche
Gemeinde erobert: wenn auch vielleicht keine
so verläßliche, als sie die reizend hausmütter-
liche, still vornehme Agnes Bricht-Pyllemann
schon lange ihr eigen nennt. — Mischa Elman
hat wieder gespielt. Nicht sehr erfreulich. Er
ist sicher nicht vorwärts gekommen; neben
wundervoll Beseeltem kommt unvermittelt etwas
flackernd Unstetes in sein Spiel, manchmal sogar
etwas kalt Verdrossenes. Was hofPentlich nur
eine der in jeder solchen Entwickelung unver-
meidlichen Phasen gestörten künstlerischen
Gleichgewichts bedeutet, und nicht das traurige
Ende eines herrlichen Anfangs. Nur daß in
solchen Zeiten die ÖfPentlichkeit als Zeuge der«
artiger Schwankungen ausgeschlossen sein sollte.
•— All dies aber — auch das Interesse für Go-
dowsky und Dohnanyi, über den nach seinem
zweiten Konzert gesprochen werden soll — ver-
schwindet vor dem Ereignis der letzten Tage:
vor Mahlers Abschied, den er mit der Auf-
führung seiner c-moll- Symphonie genommen
hat. Tragikomisch, wie sich jetzt dieselben
Menschen, die — zum mindesten durch ihre
Anteillosigkeit — den großen Künstler von hier
vertrieben haben, jetzt in taumelnder Begeiste-
rung nicht genug tun konnten. Nach dem Schluß
des grandiosen Werkes ging, nach einer be-
deutungsvollen Pause ergriffenen Schweigens,
ein Sturm ohne Gleichen durch den Saal: man
sah weinende Männer und Frauen wie im Fieber
Tücher schwenken und dem Tondichter zurufen.
Freilich war die Aufführung durch die Phil-
harmoniker, den Singverein, die Damen Kittel
(besonders innig und vornehm) und Forstet
von einer ans Unbegreifliche streifenden Voll-
endung: es glich fast einer Improvisation jedes
einzelnen Instrumentalisten, so frei und un-
materiell, innerlich gebunden und dabei einem
spontanen Phantasieren gleichend, worden diese
— in ihrer absolut symphonischen Form noch
immer verkannten — Sätze in ihrer herben
Größe und Geschlossenheit interpretiert. Über
das Werk selbst ist kaum mehr neoes zu sagen.
Es wird wenige unter denen geben, die es jetzt
ohne die Empfindung gehört haben, daß es ein
representative work unserer Zeit sei —eins der
wenigen, für die es eine Nachwelt geben wird.
Richard Specht
fättS
Die llDtertucbuDg Dr. OTCTmaanB Gber du Im Beilti det
Museuroa befladllcfae Bildnis Johann Sebaatlan Bactaa
die TJedergabe dea Portilia Im uriprüngl leben und li
Am 28. Dezember beEebi Frau Coalma Vacaer itareD TOi
bringen Baa dleaem AnlaU ein aus früherer Zell atammendei Portrit dir
treuen Hüterin dea Bayreuther Erbea und der Bayreulber Tradition.
Dem Aufiatz A. Riebard Scheumanai fS|en wir ein Bild dea um dia
der MlHilr-KlrchenchOre unter Friedrich Wilhelm III. und det Berlliwr
und Domcborea so bocb verdienten Majors Einbeck bei. Die Vfalagß
UebensvQrdlxen Entgegenkommen seines Sohnes, des Hanptmsnu ■■ D. Pul
In Bernaa.
Daran acbllefli sieb ein PoHrlt der auagezelcbneten
(Marie LIpsiua), die am 30. Dezember Ihren 70. Gebunstaf feiert Voa
vollen Arbeiten seien u. a. genannt aMualkallacbe SludlenkSpb", .1
Jahrhunderten', ^Klaaalsebea und Romantisches aus der ToBTolf, JUm
sEtlete hervorragender Zeitgenossen an Franz Llszt', «Briefvechsel svlsAia
und Hans von BÜlow", aBrletC von Hector Berünz an die FflnÜa KltoUa*
Tittgenaieln'.
Es folgt ein Bild des am 24. November unter so tragiscben Umstladaa la
ans dem Leben geacbledenoD Ksmmeraingers Theodor Bertram, Am 4an
einer seiner Glanzrollen, als Tanderer Im .Siegfried', daratellL Als
Stnllgarler Hofoperniingera und Profeasora sm Konaervatorinm dor
Bertram und der ISS2 verstorbenen drsmaiischen Singerin Marl«
12. Februar 1869 In Stuttgart geboren, erhielt der gehlerte
Anablldung durch den Vater. 1880 trat Theodor Bertram snm oratoa Mals
(beater In Ulm suf. Dann folgten Engagements nach Hamburg, Bntlat
In ifingster Zell «leder Berlin. Autgedehnte Gaataplelrelaen IBbrtM Iba
Amerika. Ein großes, anagleblges und wohllautendes Organ von seltanv
keit In der Tonbildung, eine Imposante BQbnenerscbelnnng und tempinu
zeichneten den Singer In seiner Blütezeit aus. In Bayrentb bat
Totan gesungen, daneben noch den Amfortas und den Holllndor. In dra
führte der Singer ein unstetes Leben, und seine Kunst zeigte sebon seit
mehr den Glanz und die CrADe von einst. Dem Zusammenbrneb islaM
der seiner Kunst vorangegangen.
Den SchluD bildet das Exlibris sum 26. Quartslsbaad der MUSIK.
Nicbdruck nur mii luidrackHchcr Erlaubata ic» Veriatet ■•■(■Hat
Alle Rechie, Inbecandcre du der Dbentant. m^htltm
ic ZurDck«nduD( anvcrlinfier oder nicht ■ngcmeldiiiiir Mutukrlpia, tiilt IbKa aMl |«nl
jnu bcllkp, fibernlmnir die Redikilon keine Ginntie. Schwer leurilebc MuoAiff« VM^M ^pprf
ID rückte »ndl.
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schnattr
Bertin W. 57, Bfilowstrasse 107 ■•
JOHANN SEBASTIAN BACH
nacb dem Bild im Stidtlschen Museum i
(ursprünglicher Zustind)
JOHANN SEBASTIAN BACH
nicta dem Bild im Stidtischen Museum zu Erfurt
<resrauriert)
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COSIMA WAGNER
» 28. Dezember 1837
MAJOR EINBECK
(1785-1845)
Müller & Pilgnm. Leipilj. phol.
LA MARA
(Mirie Lipsius)
'. Hoffen, Berlin, phol.
THEODOR BERTRAM ALS „WANDERER"
f 24. November 1007
EXLIBRIS
für den 2. Quartalsbind des VII, Jatargangs
Band 26 der MUSIK
Breitkopf &HärtcI
BERUN > i?TD7Tr LONDON
BRÜSSEL i-^*'^*'*'^ NEW YORK
Handbücher der Musiklehre.
aod (Cr den Priv«runicrn.^ht tirrauii.-nrt! -n von
Xaver SchÄrw'' ••
flMiUitMi», Wr M»"tk»fi^--'- ■■■ ■■■"■
! .f«MSwl, i. l->p|««.
B»n<J 1 BELOWi L«Uta<l«a der Pädagogik, «nlhallvnif Psyoliologl« und L«f(kf
Crzinhun^fttehr«, AMuemFrna Unlnrrictilatvltre. l-tL'!- ^i-hntn'- M 2-n, (..
7 .RtMmmHii««U(f4WAo«hlM««c>l»rU«<<'
Bm4 11- HUGO RIEMAHNt BIciHCB HBMdbuoh «cp ■UBikgeachlcM». l-r«H |)«b<rf(«
M. 4.~ ; ecttun>Ien in 5cbull>iaJ h\. iJC. Kdiunden ia Lclnuand At £ — .
BanJ IlL XAVER SCHARWENKA, Mathodlfe «•• Kla«i«r>apt«ls. SvamMtUet'c nit«
ttcitoni dtc icclinliutiMi " < i^ii . i> i ti. n < r',.. itiu^c rQr docn xUlonoiloii L«lir|Mn|
UBter Mitwirkuax voa An i i* gebtrut M. ZS); ||«bunilefi In
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^Konzert-Bureau Emil Gutmann
MÜNCHEN
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Siimphonle-Orcliester des tflencr Konzert-Berelns.
(Oeulirbn l'Hurni^a frillijalir 111^^ >
Blener TonKanslIef-Orchester.
(Dfnlich-IhterrtlcliUi'lic Touro«« Mdii-ipril m)H)
Deulsdic Vcrclniflunc rßr alte Musik - Sevcifc-Quarteü
- SoIdal'Ra-gcr-Quartctl - Felix Berber — Fril/
Fdnhals IgOM Friedman Ludulg Hess — BerUm
Kalzmayr - Heinrich Kiefer — Tilly Katnen Jotii)nne:s
Me»sduert - Frani Ondricek — Hin» Pfitjtner — Klarn
Rahn Emile Sauret — Mo.« 5i:htllin|!s - Georg
Schnccvolgt - Marie Soldat- Ra-gcr — Bernhard
Stavenhagen - Sigrid Sundgrcn-ScImCevolgt — Francis
Tiecke — Dr. Raoul Waller uxw. usw.
Arroni^örriRnt von KOnstler-Konzi'ften in allen S3li;;i M(ini:!ii'i;.
m-
S. Liapounow
^^ ETUDES
im Im memoire de Traii^oiB Lisxl)
d'exäcution transcenüente pour ie Piano,
op. M.
Rando Mec fanl&mea, llii-><ii>>ll ...
'Curillon, >1 Jur <
-.Hf( ii,.",,,", K'/.(4' .-••A'" '"" /""" VlHiina ilit ^hillwi
ir. SiilJelliilLalT, RirJtrißf V(W- "' ' "•
T«rek, ..(■... II. ,M I
Nuit d'«le, F i-ii: i
Tcmp«tv, <"|..,„,.ii
Idylle, \'>i>ir
Ch«nl äpique, )'i^-ni<ir'
tlarpe* «otienne», t'i.t.i
L«*!|ltinka, H tiihU
RondTi d«» nylph«», 'Jon
EJAgi« «n mAmolr« de FrMnvols Llact* I- oiuJI
Koiilptcd t|i 2 lUiiilctT I
Uiuctb I.
Rtude II.
Etudt ITL
ftiude IV.
Eludc V.
Emde VI.
Emdi: VI).
EiudtVUI
Hiuje IX.
Eiuili: X.
Etudc M,
Eindc Xn.
RtwarU du »air, oji. J. Alk, 1J3J
Polofial««, op. m . . . . Mit. 2.—
3>''" Muourha, op. 17 . Mk. 2.—
■||«v«IUtle, op, i» . . . MK 2.S0
*'•'" MMOMPkjl, np. I» . Mk. 2.30
Vala« psnslif*, op 20 . Mk. 2.-
'HfinMrttHlfX im: JTn.Y 2*«l[or.
In Votbcitiiunj IwfinJn nlch-.
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ChMil du ariBU»aul«,
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Cliant d'aulomnci
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S. Liapounow
Rba)]Sod!e sur des thimee de l'Oukralne Tür Klavier n. Ün:
Paridur • Orrhc-.icr.5iini"i-n Kiuvcr-AinmK 'ßr - Kl*' irr.'
Verlag von Jul. Heinr. Zimmermann in Leipzig.
St. Petersbups - Moskau Riga London.
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NACHRICHTEN und ANZEIGEN zur „MUSIK" VII|6
NEUE OPERN ~
Eduard KOniiecke; .Die Marmorfrau".
eine ptaanrutiscbe Oper von Pordes-Mllo^
ist vom Deutscben Landeatbeater in Prag zur
UraufTObrung erworben worden.
Armando SepplUI: ^La nave rossi", ein
dreiaktiges Erstlingswerk, erlebte im Teatro
Lirico in Mailand seine UraufTübrung.
ErinBnno Wolf'Fcrrarii .Der Scbmuck
derMadonna", eine drei aktige lyrische Oper,
Text von GoÜscianl, Übertragung von Max
Kalbeck, soll im Frütajabr 1008 ibre Urauf-
fBbrung erleben.
OPERN REPERTOIRE
BologDa: Tscbaikowslcy's Oper „Yolantbe*
wurde bei Ibrer ErsiaufTübrung beinilig auf-
genommen.
LoDdon: Die Direktion der Covent-Garden-
Oper kündigt für Ende Januar und Anfang
Februar nie bsten Jahres die erste Aufführung
des .King des Nibelungen" in englischer
Spracbe unter Hans Richters Leitung an. Die
Obertragung rübrt von Frederic Jameson ber.
HallaDd: Die Scala bat folgende Terke in
Anasiebt genommen: Wagner (GStterdImme-
rung), Puccini (Tosca), Verdi (La ror» del
destino), Francbett i (Columbus), Boito
(Meflstofele),Charpen tier (Louise), Debussy
(Pelleas et Mälissnde).
Paria: Im April 1908 sollen an der Großen
Oper russische Opernvorstellungen
stattfinden. Vorläufig sind .S a d k o" von Rimsky-
Korssakow und .Boris Godounow" von
Moussorgsky in Aussicht genommen.
Hom: Im Teatro Adriane wurde die um-
gearbeitete Oper „Padeite" von Rossi mit
starkem Beihll aufgeführt.
KONZERTE
Berlin: Am 4. Januar wird im Becb stein -Saal
eiti Konzert stattfinden, in dem nur Kompo-
sitionen <Lieder, Quartette, Duette) von Con-
stanz Berneker (t ß-Juni 1906 zu Königs-
berg 1. Pr.) zur Aulführung kommen. Mit-
wirkende sind: Felix Senius, Fr. Fitzau,
Gertrud Fischer-Maretzki undderToeppe-
scbe Prauenchor.
Boebum: Das dritte Konzert des Musikver-
elus brachte unter Leitung von ArnoSchütze
folgende Werke: Mendelssohn (Die erste
Walpurgisnacht), Schumann (Spanisches
Liederspiel),Brucb(DasPeuerkreuz>. Solisten:
M. Veiten, Cl. Laslus, M. Lipmann, A.
GSpel, M. Rothenbücber.
Bremerhaveu: Im zweiten Konzert des Mu<
sikvereins und Minnergesangvereins
kam unter Leitung von Fritz Hartmann das
Requiem von Verdi zur AufTubrung. Als
Solisten wirkten mit: Tberese Müller-
Reicbel, Lilly Hadenfeldi, Emil Pinks,
Max Rotbenbücher.
Burtscheld: Am BuH- und Bettag fand unter
Leitung von Ferdinand Rls eine Aufführung
des .Paulus" statt. Als Solisten wirkten mit:
Gerta Schön, Carl Bochenek, Max Rothen-
bücber.
Th. Mannborg
Lelpill-Undtini, Angemrasse 38
Carl Thiel
Zwei GesSage fOr geinlsehleo Chor
1 uppclla op, S,
No. 1. TluaakUBii .Wohl um de»
Jihn* MiiKniacbi- (t- Rinke) Pinliur
und StlmmeB (80 Ptg-t M. 1.40
Na. 2. AbaNdlladi.Scbillen<]«Hlin-
DiEni lief unt« Im TU- (Minln Greif)
Purtltur UDd StlmmeD (60 Pfi.) . ... 1. 10
Zwei lelstllehe Gesinfe
für eine ilekrc Slaiiilamc mii Of««!. oder
HiRDODiiimbeileliuiif. «fk 21.
Na. 1. PaMioaaiaMan .Herrjeiu,
wihnr Meucti und C*II- . . ■ . . M. IM
No. 3. LaMsatatlaaiuidtinXiiic-
tledcJerenilu:.ElauiiiiiU(tdlsSudf,
tBr eine liefere SlntitJRine mli vleni.
XlMbei- b». Fnuenihor td libllHm
und Rill Ortet- oder HirmoBlBaibctl.
Klivlenmiuc IM
I. u. 1. K»beaiilnime n. . -.10
3. u. 4. KnibeBiIImme n. . -.10
Das Uni it\
MelodraoiirlKbe EeJiode :
oder mit drei«. Fnueo- biw. KaiibeD-
Chor »ad Klivlerbetl. nuh Friedrich
Helme (leicbDamlRr Dlchiunt •■■ S,
Klevlenuimx M, ZSO
Jede Chomlmme —.IS
lirhimW.SglzMIiaMoliliidO
BM-Ila « S7, BOlo-itnOc 10.
1
Cotibui: Der MuilkTereia i
Totenaonnug unter LeltUDC Ton C. F. Gran«r
und soUatischer Mitwirkung tod Heleae
TrScer, Georg Funk, Max RotbenbQcber
und Carl Rachä ein gelatiicbes Koniert, in
dem zur Auffübrung kamen: Bach (Actua
tragicua; O Ewigkeit, du Donaerwort), Tagner
(Verwand lungimuaik und Scblufiaiene det
1. Aktes aus .ParsiFal'.
Dreaden: In der Gesellscbaft Neustldter
Kasino brachte Adrian Rappoldl das
-moll Violfnkoniert von Emile Mlynarski
jm erstenmal in Dresden lur Aufführung.
Elaleben: Der Bachverein veranstaltete am
23. November in der St. Andreaskircfae unter
Leitung von Dr. Hermann Stephan! ein
geistlicbea Konzert, bei dem u. a. zur Aur-
führung gelangten; Bach (O Ewigkeit, du
Donnerwort; Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit),
Brabms (Es ist das Heil).
t'lenshuru: Der Bach verein brachte in seinem
Kirchenkonzert am Totensonntag in der St.
Marienkirche unter Leitung von Organist E.
Magnus u. a. das Requiem in c-moll von
Cherubini zur AuFfühning.
Fulda: Der Oraiorienverein CaecHIa rep
anstaltete zur Feier seines TOi Stlflungsfcstes
eine Aufführung des .Franziskus' von Ed*
garTinel unter Leitung von Gottfried Leber
und solistischer Mitwirkung von Emmy Kücb-
ler, Ejnar Forchbammer, August Leimer
und Walter Huber.
Stendnl: Im Oraiorienverein gelangte mit
den Solisten R. V. Werner, Max Rotben-
bücher, Clara Erdmaan und Gustav Rein-
both die dramatische Kantate für vier Solo-
stimmen, Chor und Orcheater .Oediput auf
KolonoB" von Tb. Gouvy zur Aufrühmag.
Zwlcknii: Am Totensonntag veransialfete hui
Gerhardt in der Marienkirche ein Oigel*
konzert, das zum Gedichtnis an ~' '
Buxtehude (gestamQ. Mai 17071 d
Kompositionen dieses Meisters brachte.
TAGESCHRONIK.
Das Britische Museum ist, wie der .B. B. C
mitteilt, durch ein Legat der klirzlicfa verstoibenea
Miß Harriet Plowden In den Besits einiger IMM*
barer Musikautogramme gelangt Es sind
das die Originalmanuskripte der ersten Senate
von Beethoven für Klavier und Violine und
von zehn Quartetten Mozarts. Sechs dieser
Quanette sind in denjabren 1782—85 Itompoaien
und 1785 in Wien mit der Italienischen DedJkaiiaa
.AI mio csroamlco Haydn'verSIfentlicbIwocdea;
die drei letzten Quartette, 1780 und 90 konpo-
nien, sind KSnig Friedrich Wilhelm II. von
Preußen gewidmet. Die lehn Quartette betkoden
sich ursprünglich Im Besitze der Witwe Mozarts,
die sie 1799 mit der ganzen Sammlung der von
itirem Gatten binieriassenen Manuskripte einen
Musikverleger Andrt verkaufte, der im |
10,000 Mk. dafür bezahlte. Andr« v '
zehn Quartette und noch drei and
Londoner Instrumentenmacher J.
nach dessen Tode im Jahre 1847 die c
Manuskripte wieder verkauft wurden. Dm ku
ersten Quartette erwarb damals Plowdtn t&t
200 Mk., die drei letitea - - -
I guuea
Bufte die
Hamilton Für noch nicht 100 Mk. Nach den
Preisen, die Manuskripte Beethovens und Mozarts
bei den letzten großen Auktionen erzielt haben,
reprlsemieren die elf dem Britischen Museum
vermachten Manuskripte einen \fert von min-
destens 120,000 Mk.
In der Loggia des Prager alten Deutschen
Landestheaiers, dort, wo einst die denkwürdige
■Uraufrührung des „Don Juan" stattgerunden hat,
soll, wie aus Prag geschrieben wird, nunmehr
das Denkmal für Wolfgang Amadeus
Mozart Aufstellung finden, und am Jahrestage
jener Aufführung, am 29. Oktober I9(», wird es
enthüllt werden. Der Entwurf des Denkmals,
ein Werk des Bildhauers Professorv. Metzner,
ist in Auftrag gegeben von dem Prager Mozart-
Verern. der auch fast zwei Drinel der im ganzen
30000 Kronen betragenden Denkmalskoslen auf-
brachte, und der Kunstableilung der Gesellschaft
zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst
und Literatur in Böhmen. In dunkler Bronze
gegossen, zeigt uns das Denkmal den .GSttlichen"
als schlichten Spaziergänger, das Haupt leicht
auf die Brust geneigt, wie wenn er horchen
wollte, ob neue süße Melodieen seiner Brust
entströmten.
Wie uns von unserem Korrespondenten in
Stuttgart mitgeteilt wird, ist Max Schillings
vom Herbst 1908 an als endgültiger Nachfolger
Pohligs für die Stuttgarter Hofbühne ge-
wonnen worden. Er übernimmt die Konzerte
der Hofkapelle, eine Reihe klassischer und
modemer Opern und wird namentlich auch als
musikalischer Beirat der Intendanz wirken.
Wie der „Frkf. Zig." berichtet wird, ist
in Beuron zur Ausbildung von Chor-
dirigenten und Organisten eine Musik-
schule gegründet worden. Es ist dies das
einzige Institut in Württemberg, wo auch Nicht-
lehrer zur Versehung obiger Kirchendienste
herangebildet werden. Als Lehrer wirken der
frühere Münsterchordirektor E. v. Werra aus
Konstanz, Herr Nater-Zürich und Pater Gregor
Molitor.
Der bisherige provisorische Leiter des Prager
Konservatoriums, Professor Heinrich Kdan, ist
zum Direktor dieser Anstalt ernannt worden.
Prancois Auguste Gevaert, der langjBhrige,
weit über die Grenzen seiner belgischen Heimat
hinaus bekannte Direktor des Konservatoriums
in Brüssel, ist in Anerkennung seiner Verdienste
auf künstlerischem und musikalischem Gebiete
in den Adelsstand erhoben worden.
Dem Komponisten Paul Lincke In Berlin
wurde das Reußische Verdienstkreuz für Kunst
und Wissenschaft verliehen.
Preisausschreiben. Im Anschluß an das
von dem Verlag der „Essener Volkszeitung" er-
lassene Preisausschreiben tür Gedichte und Lieder
auf Essen wird jetzt ein neuer Wettbewerb für
die beste Venonung eines Liedes auf Essen oder
die Eisen- und Kohlen-Industrie des Ruhrbezirks
ausgeschrieben. Als Liedertexte stehen den
Komponisten die aus dem ersten Preisaus-
schreiben hervorgegangenen Gedichte, die in
dem ersten Teil der Sammlung „Essen in der
Poesie- (Verlag von Fredebeul & Koenen, Essen.
Franko gegen Einsendung von 35 Pfg.) abgedruckt
sind, zur beliebigen Auswahl zur Verfügung.
Jnstitnt ni
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M
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Tiefland
Musikdrama in einem Vorspiel und
zwei Aufzügen nach A. Guimera
von Rud. Lothar. Musik von
Eugen d'Albert.
Klavierpart, m. Text v.Otto Singer . no. Mk. 20.—
Klavierall.m.Textv.F.H.Schneider. no. » 12.—
Einzelne Gesangsnummem:
Pedros Erzählungen Mk. 2.—
Nuris Morgenlied » 1.—
Sebastianos Tanzlied « 1.50
Ballade der Martha » 2.—
Duett (Martha und Pedro) » 2.—
Potpourri für Klavier m 3.—
Phantasie für Klavier zu 2 Händen . . « 3.—
Phantasie für Klavier zu 4 Händen . . » 3.—
Textbuch no. » —.80
Melodische Szenen aus „Tiefland''
für Klavier frei übertragen von
— — Alfredo Cairati. — —
No. 1. Pedros Eintritt in die Mühle. —
No. 2. Gang zur Kirche. —
No. 3. Duett: Martha und Pedro.
— No. 4. Nuris Gesang. —
No. 5. Spanisches Tanzlied . . je Mk. 1.50
=-^ Mit glänzendem Erfolge aufgeführt in ==
Antwerpen — Augsburg — Berlin — Bremen —
Cassel — Kolmar — Darmstadt — Dresden —
Frankfurt a. M. — Freiburg i. Br. — Hamburg —
Hannover — Köln — Leipzig — Magdeburg —
Mannheim — Mülhausen i. E. — München —
Prag — Riga — Rostock i. M. — Schwerin i. M.
— Stettin — Strassburg i. E. — Stuttgart —
Wiesbaden — Würzburg — Zürich usw. usw.
Krilw k Wmx, Bff Htt W.. Potsdammtr. 122.
Neu ausgestellt:
J apan .nd I ndien
Sonderausstellung des
Budapester Malers
Gyula Tornai
Eintritt M. !•— • a Jahreskarte M. 3. — .
Außerdem steht es dem Komponisten frei, selbst
ein anderes Lied zu dichten oder von anderer
Seite dichten zu lassen. Das Lied kann als
einstimmige Weise mit KlaTierl>egleitung oder
als mehrstimmiges Kunstlied IGr JMinnercbor
oder gemischten Chor, mit oder ohne Begleitung,
eingereicht werden. Hiert>ei kommen namendicta
Kunstchöre in Betracht, wie sie bei den Kaiser-
preissingen zur Aufführung kommen. Von Jedem
Liede sind zwei Partituren ohne Beifügung des
Namens, dagegen mit einem Kennwort, auszu-
fertigen und mit einem den Namen und die
Adresse des Komponisten enthaltenden, Ter-
schlossenen Briefumschlag einzureichen. Die
Kompositionen, die den Vorschriften eines guten
musikalischen Satzes entsprechen, werden zur
engeren Wahl zugelassen und dem Preisrichter^
kollegium vorgelegt Es kommen folgende Preise
zur Verteilung: 1. Preis 500 Mk. 2. Preis
300 Mk. 3. Preis 200 Mk. Die preisgekrönten
Kompositionen gehen mit allen Rechten ein-
schließlich der etwa neugedichteten Texte in das
Eigentum des Verlast der «Essener Volks-
zeitung^ über. Der Verlag behilt sich vor,
etwaige weitere brauchbare Kompositionen anf
Vorschlag des Preisgerichts zu erwert^en. Das
Preisrichteramt haben Qbemommen die Herren:
Königlicher Musikdirektor J.Janfien(Dortmnnd),
Städtischer Musikdirektor R. Laugs (Hsgen),
Justizrat H. Niemeyer tEssen), Dirigent und
Musikschriftsteller Riemann (Essenj^ König-
licher Musikdirektor Professor Josef Schwartz
(Köln), Königlicher Musikdirektor Proflessor
E. Schwickerath (Aachen), Königlicher Musik-
direktor Professor Witte (Essen). Die Teil-
nahme an dem Preisausschreiben steht iedem
in- und auslindischen Komponisten fireL Alle
Einsendungen müssen spätestens am 1. Fe^
bruar 1908 bei dem Verlag der »Essener Volks-
zeitung^ eingegangen sein. Das Urteil des
Preisgerichts wird am 1. April lOOB bekannt-
gegeben.
TOTENSCHAU
In Mailand f am 21. NoTomber im Alter voa
78 Jahren der Cellist Gaetano Brago, ein ia-
timer Freund Rossini's und Verdl's.
Am 22. November f in Dstos, 31 Jahre ah,
die Wiener Hofopemsingerin Josle Ton Petra.
Am 24. November f in Bayreuth im 30. Lebens-
jahre Kammersinger Theodor Bertram (vgl.
die „Anmerkungen* dieses Heftes).
Am 24. November f in Leipzig der Verisgi-
buchhändler Max Hesse, der Begründer des
bekannten Musikverisgs, im Alter von 50 Jahren.
Im Augusta-Hospital zu Beriin f am 27. No-
vember, 62 Jahre alt, der Königliche Schanspieler
HansLortzing,das]fingsteKind Albert Loilsinti-
In Wien f am 29. November Im Aher von
79 Jahren das Ehrenmitglied der ihener Hof-
oper, Kammersinger Louis von Bignio.
In Bologna f im Alter von 80 Jahren die
Komponistin Carlotta Ferrari, Vcrlhnerin der
Oper «Eleonora d'Arborea".
Am 1. Dezember f in Dessnn Kammer
Sänger Max M i ko re y , der frfihere lytische Tenor
der Münchener Hoföper.
IV
EINGESANDT
Vir werden um Aufnabme des Nicb stehen de it
gebeten : Im zweiten Oktoberbeft Ihrergucbltzten
HslbmonitschriFt findet sieb efne Besprechung
von Aug. Ennas Legende .Mutterliebe", deren
günstige Beurteilung des \Cerkes sehr erfreuHcb
ist Nur ist es nicht zutreffend, wenn meine^
Übersetzung an einer Stelle mingelhafte De^
klamation vorgeworfen wird. Die Abweichung
vom Originaltext, die Ihren Kritiker hier stSrt,
wurde von mir absicbtlich, im Einverstindnifi
mit dem Verlag, vorgenommen, um die Worte
der Musik anzupassen. Sojnit könnte ich mich
zu der vorgeschlagenen Änderung nicht ent'
schnellen. München, 1. Dezember 1907.
Emma Klngenfeld
AUS DEM VERLAG
Soeben erscheint bei Breitkopf & Hirtel die
deutsche Ausgabe von Albert Scbweitzers
J.S. Bach" mit einer Vorrede des franzSsIschen
Orgelmeisters Vidor. Es Ist nicht eine Über-
setzung, sondern eine ganz neue Bearbeitung
des bekannten Französischen Buches. Schweitzer
schreibt als praktischer Musiker für den Musiker.
Sein Hauptinteresse konzentriert steh auf die
Fragen der \Ciedergabe der Bachschen Werke,
denen drei große Kapitel — .Die Tiedergabe
der Orgelwerke", ^Die Wiedergabe der Klavler-
werke", „Die Wiedergabe der Kantaten und
Passionen" ~ gewidmet sind. In der Vorrede
bemerkt er, daß sein Hauptbestreben darauf ge-
richtet war, so einfach und allgemeinverstindlicb
wie möglich zu schreiben, um jedem Musiklieb-
haber und Laien Bach nahezubringen. Wir
zweifeln nicht daran, daß dem Buche unseres
gescbatzten Mitarbeiters in den Deutsch redenden
Landen derselbe Erfolg beschieden sein wird
wie in den romanischen.
Die Edition Peters In Leipzig hat die Her-
ausgabe der vollstindigen Peer Gynt-Musik Ed-
vard Grieg's Für spiter In Aussicht genommen.
Der Normal-Harmonlum-Noien-Verlag Paul
Koeppen, Berlin SW 48 (Vertrieb Breitkopf &
Hirtel,Leipzig),gibt soeben sein neuestesVerzelcb-
nis heraus, das wieder um ca, 100 Nummern ver-
vollstindigt wurde. Es finden sich Namen wie
Dr. Kienzl, ProF. Kahn, Prof. Hubay, Kimpt, Bird,
Riner usw. darunter, ein Zeichen, welchen Auf-
schwung die moderne Harmoniummusik nimmt.
KONZERTE
Jean Louis Nicod«'s „Gloria"-Sym-
pbonie, die Anfang Oktober in Berlin nach-
haltigem Interesse begegnete und starken ErFolg
hane, gelangt nun auch mit dem Concertgebouw-
Orchester in Amsterdam am 12. Dezember
zur AuFFührung. Der Komponist ist eingeladen
worden, sein Werk selbst zu dirigieren.
Karl Klingler hat ein neues Violinkonzert
vollendet. Es wird in dem zweiten Orchester-
konzert der Gesellschaft der Musikfreunde In
Berlin, Dirigent Oskar Fried, zur ersten Auf-
fQhrung gelangen.
tili
OB
§ 3. ^ 1 5: a ■* ä?
■ . ? !r 3 ? §■ ^' S
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CEFES-EDITIOM
Uioline.
h
t den LagenwAl auf dei G-Saiti
IM
op. II.
Hlk. 1.20 netto.
Ihre Studien, für deren Zusendung ich
Ihnen sehr danke, flnde ich zweckenisprechend
und, in dieser gedrSngien Form, als Anhang
zur Violiniechnik von groDem Nutzen, ich
werde dieselben meinen SchDIern empfehlen
als Radikalmittel gegen schwache Finger.
St. Petersburg, 25. 10. 07.
L. V. Auer.
Die Treundliche Zuscndun; Ihrer Spezial-
Studien rar die G-Salte hat mir graDe Freude
bereitet, bin Ich doch fest davon Überzeugt,
daß meine Schüler, sowie die Ihrigen reiches
Material hier wieder gefunden haben, um sich
weiter (m Studium der Unken Hand zu ent-
wickeln.
Henri Marteaii.
Ich
r. 25. 10. 07.
hre Studien mit großen
und mich vor allem Ql
ing in geigerischen i
igelegcn-
tieiten sehr getreui. Man kann dem Schalet
gar nicht genug Stoff bieten zur Aneignung
sclSstandieer Funktionen der Finger der liniten
Hand und zur Erzieiung eines glatten Lagen-
wechsels, ich kant) Ihre Studien deshalb nui
warm empFchlen.
Berlin, 2. 10. 07. Andr. Hoser.
Lf.smiiiidt,
HMaJ
in Vtrit« CiH ikRiard, Strutburg i. I
iHOIIer-BrunoOi
V[ Eine Kritik der StlmmbilduDK auf Crondliee da {
W .crlmircn* Ton«, luititieh elo Bcilr« ur Ltbrc vom J
\ .Stiuprin>!p- von QEORSE ARHIH. Pralt 2 Mk. J
Wi Zu bBiialiin dureb jada Bwb- and llaiikdlaal»a«Ba|. j
L \B. Die II.Auni
(3 Stinimbildua»- v.
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Nachdem der Komponist das auf dem Ton künstlerfest in Essen als Manuskript zuerst
aufgeführte Werk einer teilweisen Umarbeitung unterzogen hat, steht dasselbe auf den dies-
jährigen Programmen folgender Konzertgesellschaften: Berlin (NIkIsoh), Boston (Mook), DIsseldorf
(Baths), Gotenburg (Hammer), Leipzig (Gewandhans), München (KHIn-Gf ehester), Wien (PhNhamonlker),
Wiesbaden (AlTernl).
. . . Ein Orchesterkomponist von surker Begabung und natürlich urwQckalger Friacbe ist Hermann Bischof, dessen
E-dur Sinfonie grossen Erfolg hatte. DrtsdiMr Anztiger vom 29. Mal 1906 (Friedrich Brandes).
. . . Das Beste am Abend war jedoch die E-dur Sinfonie von Bischoff, die viel schöne, ungeklQgelte, frische Musik
enthalt, eine aparte, durchaus zeltgeroasse Instrumentation aufweist und die Übersichtlichkeit und GemeInversÄndlichkeic
des Inhaltes ihrer Wirkung auf den Hörer immer sicher sein darf. Ltipzlgtr NMitttt Naehriehten vom 28. Mal 1906.
Hugo Kauili Drittes Quartett in C-moll
Für zwei Violinen, Viola und Violoncell.
op. 74. Kleine Partitur-Ausgabe in Oktav netto Mk. 1.20. Die vier Stimmen Mk. 10.--
Dem „Böhmischen Streichquartett gewidmet.
Die durch .spontanen* Beifall ausgezeichnete UraufTührung fand am 27. November 1907 in Berlin durch das Böhmische
Streichquartett sutt . . . Das in den Qblichen vier Sitzen geschriebene Werk bekundet von neuem das ernste Streben des
Komponisten nach hohen Zielen und sein meisterliches Können. Allgtineiiit MntHc-ZtHiMig 1907 Nt. 49.
. . . Der langsame Mittelsatz mit dem tristanisch (Nachtgesang) angehauchten Anfang und Ende, ebenso das mit
graziöser Beweglichkeit aufgebaute Menuett sind schlechtbin Kabinettstücke feinen Kammermusikstils und schlagen Töne an,
die doch auch in ihrer Wirkung tief gehen und zum Miterleben zwingen.
Musikalisehts Woehtnblatt - Ntut Zttttebrift fOr Musik 1907 Nt. 49.
. . . Das Scherzo Im Minuett-Rhythmus Ist ein kunstvolles und wohlgelungenes StOck Arbeit, die das Publikum
gleichfalls mit frischem Beifall entgegennahm. Slflnale 1907 No. 05.
. . . Die vier Sitze sind mit völliger Beherrschung des Stilistischen geschrieben, kontrapunktisch sorgfiltlg und sehr
wohlklingend gearbeitet. Btrlintr TageMan 1907 Nt. 014.
Joha WagcnaaPy Ouvertüre „Cyrano de Bergerac^'
für Orchester.
op. 23. Partitur netto Mk. 12.—, Orchesterstimmen netto Mk. 24.—. Das Werk wurde bisher in
Essen, München, Cincinnati, Utrecht, Haag, Groningen, Amsterdam, Gotenburg, Amheim, Rotter-
dam, Dortmund, Dresden, Mannheim und Magdeburg aufgeführt.
. . . Am meisten interessierte sber eine glinzende, chsrakterlstische Ouvertüre zu Rostands «Cyrsno de Benersc* von
Joh. Wagenaar. AHftiii. flusIk-Ztltaiiif 1900 No. 99.
. . . Diese Partitur bietet recht Erfreuliches, namentlich die heldenhaften, ritterlichea Themen sind friacb erftinden
und wirkungsvoll durchgeführt. Signalt 1907 Nt. 60.
Felix WoyrSChi Totentanz
Ein Mysterium für Solostimmen, Chor und Orchester.
op. 51. Vollständige Partitur netto Mk. 101.—, Orchesterstimmen netto Mk. 100.—, Klavier-Par-
titur in gr. 8^ geheftet netto Mk. 10.—. Jede der vier Chorstimmen netto Mk. 2.— Textbuch
netto 30 Pfg. ErlSuterungsschrift von Paul Hielscher netto 20 Pfg.
Anlässlich der Uraufführung unter Generalmusikdirektor Steinbach im Gürzenich in Köln (Rh),
schrieb Dr. Otto Neitzel in No. 15/16 der Signale vom 21. Februar 1906:
...Und so werden denn alle Chorvereine von einiger Leistungsfihigkelt, zum mindesten alle, die Klughardts »ZcrstOning
lerusalems* und Tinels «Frsnciscus* bewiltlgt hshen, wohl tun, ihre Hindt nath dtm Ttttnttnt aMtiittrttktn, dtnn ditttr
sttht an kflnstltrlsthem Wtrtgehalt Qhor boldtn.
Seitdem gelangte das Mysterium zur Aufführung in Altona, Brieg, Dortmund, Frankfurt a. M.,
Hagen, Halle (wiederholt), Hannover (wiederholt), M -Gladbach, Rotterdam (wiederholt), Stuttgart;
und ist in Vorbereitung in Breslau, Bremerhaven, Düsseldorf, Essen, Liegnitz, Neustadt («. d. H.).
Für kommende Saison geplant in Brunn, Chemnitz, Darmstadt, Dresden, Freiburg i. Br., Hamburg,
Innsbruck, Kiel, Lübeck, Magdeburg, Leipzig, Milwaukee, Oldenburg, Posen, Luzem, St. Gallen, Zürich.
IX
3. i&ofmiflcr, ffr. ^tautttann, '
^CTaudfieeeben von '^p. 92. Coffmann
Soeben eri((>ieiicn in unfrein ^ucftDcrlag:
aRemoiven
9t0l^crt tion j^ovnftein.
„i5te {tnb, n>ie fd)on ftü^et eriDätjnt, allem nx^eti bev
naiftn ^Bcäieljungen beg 93erfaffet^ ju Sc^o^jcn^auec
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begehrten bcö bieöjö^ngen literarift^en "iBSeiijnoc^t^
marfte« madjen. I£in nod) nic^t reprobujierteS 'Porträt
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Bfifar, Profeaaor B. B. Taabart, WUbolm Elatto, P. Bayar, Arthur WUlaor (Harmoalelehro, Komposition);
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So ertönte in den letzten Jahren der Ruf in zahllosen Artikeln der Taget- und Fadi-
presse, in Vorträgen und Schriften, die ein künstlerisches Thema behandelten. Der Ruf
ist nicht vergeblich erklungen, denn das Interesse und das Verstindnis für Kunst und
künstlerische Fragen ist in den weitesten Kreisen Deutschlands stetig feewachten. An
die Stelle des Lesens über Kunst und Künstler ist jetzt mehr und mehr dtt Be-
trachten der Kunstwerke selbst getreten, und viele der in den letzten Jahren er-
schienenen künstlerischen Publikationen haben diese Freude am Sehen und Genießen
bildender Kunst ganz wesentlich gefördert. Namentlich aber ist dies durch die Sammlung
Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben
geschehen, von der bis Weihnachten 1907 nachstehende II Binde voriiegen:
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3. Tizian. 274 Abbildungen. Geb. M.7.—
4. Dflrer. 471 Abbildungen. Geb. M. 10.—
5. Rubens. 551 Abbild. Geb. M. 12.—
6. Velazquez. 146 Abbild. Geb. M. 6.—
7. Michelangelo. 166 Abbild. Geb. M. 6.—
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402 Abbildungen. Geb. M. 8.—
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die uns Blatt für Blatt begleitet bis zum Schlüsse. Zu diesem Eindrn^ie tilgt
nicht wenig bei, daß ein begleitender Text, abgesehen von der kursen Elnleham^
nicht dazwischengeschaltet ist. Ein Blatt folgt auf das andere» und jedes isC
eine vorzugliche Leistung der Reproduktionstechnik. Ver dieses Buch selasr
Hausbücherei einverleibt, der darf sich getrost sagen, daß er einen Mrinm
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besitzt, der alt und jung immer wieder erfreuen und nicht nur erfreuen, sondsni sock
fördern wird in dem Verständnisse und dem Genüsse echter deutscher KnnsL Der
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Der Yollstlndige Yerlagskatalog
enthilt
Reproduktionen oon GemUden
und Skulpturen
(in Silber- und Kohlepliotognphie, Pigmentdrucli,
Pliotogravare, Aquarelldruck, AquarellgravOre,
Faksimile- und Handaquarell)
Praoht-, Mappenwerke n. Albmi»
I. Teil: Moderne Meister
Ober 750 Abbildungen
Prala poctfral: Inland M. 2.—, Ausland M. 2.70
II. Teil: Galerie - Publikationen
(Alte ■•IsUr)
143 Abbildungen
Frei« poatfrei: Inland M. 2.-, Aualand M. 2.S0
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FRANZ HANFSTAENGL, Kunstverlag, MÜNCHEN
NEUE REVUE
HALBMONATSCHRIFT FÜR DAS ÖFFENT-
LICHE LEBEN HERAUSGEGEBEN VON
JOSEF AD. BONDY UND FRITZ WOLFF
Preis des einzelnen Heftes
n. i.ee
Abonnement von 1908 an vierteljährlich (6 Hefte) ■■ 5.M
Die „NEUE REVUE" ist eine völlig unabhängige Zeitschrift, die
allen Kulturinteressen u. einem kräftigen politischen Aufschwung
des deutschen Volkes im Innern wie nach aussen dienen will.
Inhalt des dritten Heftes:
Generaiintjor t. D. C. von Zeppelin, Aus dem Leben
des Grafen Ferdinand von Zeppelin.
General Bonnal-Paris, Die deutsche Armee.
Georg Göhler, Richard Strauss, der Bekenner und der
Schriftsteller.
Vizeadmiral z. D. v. Valtlt, Das Erstarken Japans und
die Stellung Deutschlands im fernen Osten.
Vioior Fuoks, Kolonialpolitik.
Friedrioh KtytsJer, Notizen eines Schauspielers.
Fritz Wolfl, Akademie.
Cbrittlan Mergonttera, Monte Testacdo.
Jetof AdoK Beady, Drei Theaterabeode.
Georg Hermann, Henriette Jaeoby. (Jenehen Gcberta
EbeKcscblchte. Roman. Fortaetiuag.)
Rundschan : Pluta, FInanipolldtche Rnadaehaa. — I
Blockpolitik In Oaterreleh. — IgatlH, »^«l
Schnellzfige in österrelcli. — „Maa kapUallart**.
Ein gesucbtea Misaverstiadaia. — Rc vaai'
Der Umschlag nach einem Entwurf von Prof. Bruno Panl.
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BCßthOVBD'SOOll 27. Dezbr.: Noorf IMIof (Dir.) Komp. m. Orch. 28. Dezbr.: Max Iroblo
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6. Jan.: Maikkl Jiroofolt (Ges.). 7. Jan.: Floriiol von Rootor (Viol.) II. 8. Jan.: Ttaroso u. Artir
tetaatal. 9.Jan.: Diailtri AchscbaniBioff (Dir. m. Orch.). 11. Jan.: M. Malüooto (Klav.) m. Orch.
SlnSOkOdCnilB! 28. Dezbr.: Jotamoo Moooctaort 30. Dezbr.: Coorfo Aroiii (Rec). — 2. Jan.:
Dosidor Josof Vocsol (Klav.) m. Orch. 3. )an.: Dr. Fori üilok (Ges.). 4. Jan.: Loo Kastoitarf
(Klav.) m. Orch. 6. Jan.: Morfarotta Cillo (Klav.) u. Nlldoflord ttollo (Geo.). 7. Jan.: WaMofliar
Mo|or-9Mrtott IV. 8. Jan.: Coorf Bortra« (Klav.). 9. Jan.: Cn|onlo ttoltz (Vcllo.). 11. Jan.:
Zajio-Qrinfoid II.
PhllhOnnOnlB! 29. Dezbr.: PkUtara. Früoo-Voroin (m. Orch.).
Kllndworth-Scliiirvenka-Sool: 7. jan.: ciora io^po (Komp.).
TheOterSOOl der HOCiUCkOlB: n. Jan.: Or. W. v. Sriforowltsdi-Carskf (Klav.).
XIX
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BEntna iujbstAt des KOniaa von wDBTrEaiHmo
l KÖNIOL. nOH£IT DSU KBOBT^BtnBESaiH VOR BCHWEDSa OTTO nOBWBOSS
tHSEn KÖNtGL HOHEIT DER FRlNZESSm PRIEOHICH KABL VON PREUSSEN
SEINER KÖNIOU HOHEIT DES PRINZEN LUOVIG FERDINAND VON DATEKN
SEINER KONIGL. HOHEIT DES HERZOGS VON SACH5EN-C0DUBC-C0THA
IHRER KÖNIQL. HOHEIT DER PRINZESSIN LÜUISE VON ENGLAND (DUCHESS QP ARatUj.
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