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Full text of "Die Natugeschichte des Cajus Plinius Secundus : ins Deutsche übersetzt und mit Anmerkungen versehen"

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THIS  BOOK  IS  DUE  ON  THE  DATE 
INDICATED  BELOW  AND  IS  SUB- 
JECT  TO  AN  OVERDUE  FINE  AS 
POSTED  AT  THE  CIRCULATION 
DESK. 


DIE 

NATURGESCHICHTE 


DES 


CAJÜS  PLIMUS  SECÜNDÜS. 


INS  DEUTSCHE   ÜBERSETZT 
UND   MIT   ANMERKUNGEN    VERSEHEN 


Prof.  Dr.  G.  C.  WITTSTEIN 

in  München. 


ERSTER  BAND: 

(I-VL  Buch) 

Dedication,  Inhaltsverzeichniss,  Kosmographie  und  Geographie. 


LEIPZIG. 


Druck  und   Verlag  von  Gressner  &  Schramm. 
1881. 


Vorrede. 


Cajus  Plinius  Secundus  wurde  im  Jahre  23  nach  Christi 
Geburt  (im  Jahre  Rom's  775,  im  neunten  Jahre  der  Regierung 
des  Kaisers  Tiberius)  zu  Como  geboren,  und  starb  unter 
Titus,  im  Jahre  79  nach  Christo,  dem  sechsundfünfzigsten 
Jahre  seines  Alters  bei  einem  Ausbruche  des  Vesuvs,  dem- 
selben, der  auch  die  beiden  Städte  Pompeji  und  Herculanum 
verschüttete.  Sein  Vater  hiess  Celer,  seine  Mutter  Marcella, 
durch  welche  er  mit  Pomponius  Secundus  verwandt  war,  und 
von  deren  Familie  er  den  Namen  „Secundus"  erhielt.  Er 
that  zuerst  Kriegsdienste  in  Deutschland  unter  der  Regierung 
des  Kaisers  Claudius,  verwaltete  nachher  mehrere  bedeutende 
Civil-  und  Militairämter  unter  Nero  und  Titus  Vespasian, 
und  commandirte  zuletzt  die  Flotte  zu  Misenum. 

Was  wir  ausserdem  noch  Näheres  von  dem  Leben, 
Wirken  und  dem  Tode  unsers  Plinius  wissen,  enthalten 
zwei  Briefe  seines  Neffen,  die  daher  hier  folgen  sollen. 

C.  Plinius  Caecilius  x)  an  seinen  Freund  Macer2) 

(III.  Buch.  5.  Brief.) 
„Es  ist  mir  sehr  angenehm,  dass  Du  die  Werke  meines 
Oheims  so  fleissig  liesest,  da^s  Du  wünschest,  sie  alle  zu 


*)  C.  Plinius  Caecilius  Secundus,  wurde  62  n.  Chr.  zu  Como  geboren, 
erwarb  sich  als  gerichtlicher  Redner  viel  Beifall  in  Rom,  war  unter 
Doniitian  Prätor,  unter  Nero  und  Trajan  Consul,  dann  Augur  und  zu- 
letzt Statthalter  in  Bithynien.  Seine  Mutter  hiess  Plinia  und  war 
des  Plinius  Secundus  Schwester;  sein  Vater,  der  aber  früh  starb,  hiess 
C.  Csecilius. 

2)  Btebius  Macer,  ein  angesehener  Römer,  bekleidete  101  n.  Chr. 
die  Würde  eines  Consul  suftectus  (der  beim  Todesfall  eines  Consuls 

1 


D.  H.  HILL  LIBRARY 
North  Carolina  State  College 


2  Vorrede. 

besitzen  und  zu  wissen,  welche  es  sind.  Ich  will  daher  die 
Rolle  eines  Anzeigers  übernehmen,  und  Dir  zugleich  be- 
merken, in  welcher  Ordnung  er  sie  geschrieben  hat,  denn 
auch  diess  erfährt  der  Studierende  gern. 

Ein  Buch  Ueber  das  Spiesswerfen  der  Reiterei. 
Dieses  verfasste  er  als  Befehlshaber  eines  Flügels1)  mit 
ebenso  viel  Scharfsinn  als  Sorgfalt. 

Zwei  Bücher  Lebensbeschreibung  desPomponius 
Secundus,2)  der  ihn  zärtlich  liebte,  und  dem  er,  gleichsam 
als  schuldigen  Tribut,  darin  die  Erinnerungen  an  seinen 
Freund  darbrachte. 

Zwanzig  Bücher  Ueber  die  Kriege  in  Deutsch- 
land, worin  er  alle  von  den  Römern  mit  den  Deutschen 
geführten  Kriege  beschreibt.  Ein  Traum  veranlasste  ihn 
dazu,  als  er  in  Deutschland  diente.  Ihm  erschien  nämlich 
die  Gestalt  des  Drusus  Nero3),  der  in  Deutschland  grosse 
Siege  erfochten  hatte  und  daselbst  gestorben  war;  er  empfahl 
sich  seinem  Andenken  und  bat,  er  möge  ihn  der  Vergessen- 
heit entziehen. 

Drei  Bücher  betitelt  Der  Zögling,  wegen  ihrer  Stärke 
in  sechs  Bände  vertheilt,  in  welchen  er  den  Redner  von 
den  ersten  Elementen  an  behandelt  und  endlich  vollendet 
darstellt. 


während  der  Amtsführung  für  die  noch  übrige  Zeit  des  Jahres  ge- 
wählt wurde  und  weniger  Ansehen  hatte  als  der,  welcher  das  Jahr 
begonnen  [Consul  Ordinarius].) 
*)  ala,  300—500  Reiter. 

2)  Lucius  Pomponius  Secundus,  aus  Verona  gebürtig,  war  zweimal, 
in  den  Jahren  29  und  36  n.  Chr.  Consul  und  im  J.  41  Oberfeldherr 
über  die  Legionen  in  Deutschland. 

3)  Drusus  Nero  Claudius,  Sohn  des  Claudius  Tiberius  Nero  und  der 
Livia  Drusilla  (welche,  als  sie  noch  mit  ihm  schwanger  ging,  von 
ihrem  Gatten  dem  Augustus  abgetreten  wurde),  Bruder  des  Tiberius,. 
Gemahl  der  jüngeren  Antonia,  des  Antonius  und  der  Octavia  Tochter 
focht  11—9  v.  Chr.  erfolgreich  gegen  die  Germanen,  starb  zu  Main& 
in  Folge  eines  Sturzes  vom  Pferde,  mit  Hinterlassung  von  3  Kindern, 
des  Drusus  Germanicus,  der  Livilla  und  des  nachmaligen  Kaiser» 
Claudius. 


Vorrede.  3 

Acht  Bücher  Ueber  zweifelhafte  Fälle  im  Aus- 
druck. Diese  schrieb  er  in  den  letzten  Jahren  der  Regierung 
des  Nero1),  wo  die  Tyrannei  jede  freiere  und  erhabenere 
Art  von  Studien  gefährlich  machte. 

Einunddreissig  Bücher  einer  Fortsetzung  der  von 
Aufidius  Bassus  begonnenen  Geschichte2). 

Siebenunddreissig  Bücher  einer  Naturgeschichte, 
ein  umfassendes,  gelehrtes  Werk  und  so  mannigfaltig,  als 
die  Natur  selbst3). 

Wirst  Du  nicht  erstaunen,  dass  ein  mit  Geschäften 
überhäufter  Mann  so  viele  Bücher  schreiben  und  in  manchen 
derselben  so  schwierige  Gegenstände  behandeln  konnte? 
Dein  Erstaunen  wird  sich  noch  vermehren,  wenn  ich  hinzu- 
füge, dass  er  eine  Zeitlang  Rechtsgeschäfte  trieb,  dass  er 
im  sechsundfünfzigsten  Jahre  starb,  und  dass  ihm  die 
Zwischenzeit  theils  durch  die  wichtigsten  Aemter,  theils 
durch  die  Freundschaft  der  Fürsten  zerstreut  und  in  An- 
spruch genommen  wurde.  Aber  er  besass  einen  lebhaften 
Geist,  unglaublichen  Fleiss  und  seine  Wachsamkeit  war 
von  grösster  Ausdauer.  Mit  den  Vulcanalien4)  fing  er  bei 
Einbruch  der  Nacht  an  zu  arbeiten,  nicht  des  Herkommens 
wegen,  sondern  aus  Eifer,  im  Winter  aber  von  der  siebenten, 
spätestens  achten,  oft  aber  schon  von  der  sechsten  Stunde 


')  Claudius  Caesar  Domitianus  Drusus  Germanicus  Nero,  Sohn  des 
Doniitius  Ahenobarbus  und  der  jüngeren  Agrippina,  geb.  36  n.  Chr. 
ward  mit  Octavia,  des  Kaisers  Claudius  Tochter,  vermählt,  und  nach 
des  letzteren  Ermordung  54  n.  Chr.  Kaiser,  Hess  sich  68  n.  Chr.  von 
einem  Freigelassenen,  Epaphroditus ,  erstechen. 

2)  Aufidius  Bassus  lebte  unter  den  Kaisern  Augustus  und  Tiberius 
und  schrieb  eine  Geschichte  seiner  Zeiten,  die  wir  aber  nicht  mehr 
besitzen. 

3)  Von  allen  diesen  Schriften  ist  nur  noch  die  Naturgeschichte 
vorhanden. 

')  Am  23.  August.  Man  opferte  bei  diesem  Feste  dem  Vulkan 
ein  röthliches  Kalb  und  ein  wildes  Schwein,  damit  er  alle  Feuers- 
brünste abhalten  möge. 

1* 


4  Vorrede. 

an.1)  Er  war  sehr  sparsam  mit  dem  Schlafe,  der  ihn  daher 
auch  zuweilen  beim  Arbeiten  überfiel,  doch  auch  wieder 
verliess.  Vor  Anbruch  des  Tages  ging  er  zum  Kaiser 
Vespasian2),  der  ebenfalls  bei  Nacht  arbeitete,  dann  zu  den 
ihm  obliegenden  Geschäften.  Nach  Hause  zurückgekehrt, 
widmete  er  die  übrige  Zeit  den  Studien.  Nach  dem  Mit- 
tagsmahl, das,  wie  bei  den  Alten,  aus  leichten  Speisen 
bestand,  legte  er  sich  oft  im  Sommer  zur  Erholung  in  die 
Sonne,  las  in  einem  Buche,  notirte  und  excerpirte,  denn 
aus  allem,  was  er  las,  machte  er  Auszüge.  Auch  pflegte 
er  zu  sagen,  es  sei  kein  Buch  so  schlecht,  dass  es  nicht 
etwas  nützen  könne.  Nach  dem  Sonnen  nahm  er  meistens 
ein  kaltes  Bad,  ass  etwas  und  schlief  ein  wenig.  Dann 
studirte  er,  als  ob  ein  neuer  Tag  angebrochen  sei,  bis  zur 
Zeit  des  Abendessens.3)  Während  der  Tischzeit  las  er  in 
einem  Buche  und  machte  Bemerkungen,  jedoch  nur  flüchtig. 
Ich  erinnere  mich,  dass,  als  einst  der  Vorleser  etwas  un- 
richtig ausgesprochen  hatte  und  ein  gleichzeitig  anwesender 
Freund  den  Satz  wiederholen  liess,  mein  Oheim  fragte: 
„Du  hattest  es  doch  verstanden"?  und,  als  jener  diess 
bejahete,  fortfuhr:  „warum  liessest  Du  es  denn  wiederholen? 
Durch  Dein  Zwischenreden  haben  wir  nun  schon  zehn  Zeilen 
verloren".    So  karg  war  er  mit  seiner  Zeit. 

Im  Sommer  erhob  er  sich  noch  bei  Tage  von  der  Abend- 
tafel, im  Winter  bei  einbrechender  Nacht,  und  diese  Ord- 
nung beobachtete  er  wie  ein  Gesetz.  So  hielt  er  es  mitten 
unter  Geschäften  und  im  Geräusche  der  Stadt.  Auf  dem 
Lande  war  bloss  die  Badezeit  von  gelehrter  Thätigkeit  frei; 
doch  meine  ich  damit  nur  die  Zeit,  wo  er  sich  im  Bade 
selbst  befand,  denn  während  des  Entkleidens  und  Ab- 
trocknens  liess  er  sich  vorlesen  oder  dictirte  etwas.     Auf 

')  Also  nach  unserer  Zeitrechnung  um  ein,  zwei  oder  zwölf  Uhr 
Mittags. 

2)  Titus  Flaviuc  Vespasianus,  Sohn  des  Vespasianus,  geh.  40  n. 
Chr.,  wurde  nach  des  letzteren  Tode  79  Kaiser,  starb  aher  schon  81, 
wie  man   glaubt  an  Vergiftung  durch  seinen  Bruder  Domitian. 

3)  Ccena,  die  Hauptmahlzeit  der  Römer. 


Vorrede.  5 

Reisen,  gleichsam  von  jeder  Sorge  entbunden,  war  diess 
seine  einzige  Beschäftigung.  Zur  Seite  sass  ihm  dann  ein 
Schreiber  mit  Buch  und  Schreibtafel,  der  im  Winter  Hand- 
schuhe trug,  damit  selbst  die  Rauhigkeit  der  Witterung  ihm 
keine  Zeit  zur  Thätigkeit  rauben  möchte.  Aus  diesem 
Grunde  Hess  er  sich  auch  zu  Rom  in  einem  Stuhlwagen 
fahren.  Als  ich  einmal  spazieren  ging,  tadelte  er  mich  mit 
den  Worten:  „Du  solltest  diese  Stunden  besser  anwenden." 
Er  hielt  nämlich  alle  Zeit,  die  nicht  zur  Thätigkeit  ver- 
wendet würde,  für  verloren.  Auf  solche  Weise  war  es  ihm 
möglich,  jene  Anzahl  von  Schriften  zu  vollenden;  mir  hinter- 
liess  er  noch  160  Erläuterungen  auserlesener  Bücher,  welche 
auch  auf  der  Rückseite  des  Papiers  und  sehr  klein  ge- 
schrieben waren,  so  dass  sich  ihre  Zahl  eigentlich  ver- 
doppelt. Er  selbst  sagte,  er  habe  als  Procurator  in  Spanien 
diese  Erläuterungen  dem  Largius  Licinius1)  für  400,000 
Sesterzen  verkaufen  können,  und  damals  waren  ihrer  doch 
weit  weniger. 

Dünkt  Dich  nicht,  wenn  Du  bedenkst,  wie  viel  er  ge- 
lesen und  geschrieben  hat,  er  könne  weder  öffentliche 
Aemter  bekleidet,  noch  der  Kaiser  Freundschaft  genossen 
haben?  Ferner,  wenn  Du  hörst,  welchen  Fleiss  er  auf 
Amtsarbeiten  verwendet,  er  könne  weder  zum  Schreiben 
noch  zum  Lesen  die  nöthige  Zeit  gehabt  haben?  Denn,  was 
kann  nicht  durch  jene  Abhaltungen  vereitelt,  was  hingegen 
durch  solche  Beharrlichkeit  ermöglicht  weiden?  Ich  pflege 
daher  zu  lachen,  wenn  man  mich  fleissig  nennt,  denn  mit 
ihm  verglichen  gehöre  ich  zu  den  unthätigsten.  Thue  ich 
aber  nur  so  viel,  als  theils  meine  öffentlichen,  theils  meine 
Pflichten  gögen  die  Freunde  mir  erlauben?  Wer  von  denen, 
welche  ihr  ganzes  Leben  den  Wissenschaften  weihen, 
möchte  nicht,  ihm  zur  Seite  gestellt,  als  ein  dem  Schlafe 
und  dem  Müssiggange  Ergebener  erröthen? 


*)  War  Praetor  und  wurde  dann  Legat  in  Kleinafrika,  wo  er  beim 
Genuss  einer  Trüffel  auf  einen  Denar  biss  und  die  Vorderzähne  ein- 
büsste. 


6  Vorrede. 

Ich  habe  diesen  Brief  sehr  ausgedehnt,  obgleich  ich 
nur,  Deinem  Wunsche  gemäss,  schreiben  wollte,  welche 
Werke  mein  Oheim  hinterlassen  hat.  Ich  glaube  jedoch,  dass 
Dir  die  übrigen  Nachrichten  von  ihm  nicht  weniger  ange- 
nehm sein  werden,  als  die  Bücher  selbst,  weil  sie  Dich 
nicht  nur  zum  Lesen  derselben  sondern  auch  zu  ähnlichen 
Ausarbeitungen  anregen  können.    Lebe  wohl." 


C.  Plinius  Caecilius  an  seinen  Freund  Tacitus.1) 
(VI.  Buch.   16.  Brief.) 

„Du  wünschest,  dass  ich  Dir  über  den  Tod  meines 
Oheims  schreibe,  damit  Du  ihn  der  Nachwelt  um  so  ge- 
treuer berichten  kannst.  Ich  danke  Dir  dafür,  weil  ich 
sehe,  dass  seinem  Tode,  wenn  er  von  Dir  verherrlicht  wird, 
ein  unsterblicher  Ruhm  bevorsteht.  Denn,  obgleich  er  bei 
dem  Untergange  der  schönsten  Gegenden,  gleichwie  Städte 
und  Völker  durch  einen  denkwürdigen  Umstand  als  ewiger 
Sieger  gestorben  ist;  obgleich  er  sehr  viele  und  eine  feste 
Dauer  versprechende  Werke  geschaffen  hat,  so  wird  doch 
die  Unsterblichkeit  Deiner  Schriften  seinem  steten  Andenken 
das  grösste  Gewicht  geben.  Zwar  halte  ich  diejenigen  für 
glückselig,  denen  die  Götter  verliehen  haben,  entweder  so 
zu  handeln,  dass  es  schreibenswerth,  oder  so  zu  schreiben, 
dass  es  lesenswerth  ist;  jedoch  scheinen  mir  diejenigen  die 
glückseligsten  zu  sein,  denen  beides  zu  Theil  wurde.  Unter 
die  Zahl  der  letzteren  wird  mein  Oheim  durch  seine  und 
Deine  Schriften  gehören;  um  so  freudiger  empfange,  ja 
fordere  ich  Deinen  Auftrag. 

Er  befand  sich  zu  Misenum2)  und  befehligte  die  kaiser- 
liche Flotte.  Am  24.  August  um  1  Uhr  Mittags  meldete 
ihm  meine  Mutter,   es  zeige  sich   eine  Wolke   von    unge- 


')  C.  Cornelius  Tacitus,  berühmter  römischer  Geschichtsschreiber, 
Jurist  und  Redner,  geb.  60  n.  Chr. 

2)  Stadt  und  Vorgebirge  bei  Cuma;  in  Campanien;  jetzt  findet 
man  noch  Trümmer  der  Stadt. 


Vorrede.  7 

■wohnlicher  Grösse  und  Gestalt.  Er  hatte  kurz  zuvor  ein 
kaltes  Bad  genommen,  kaltes  Wasser  getrunken,  lag  wie 
gewöhnlich  in  der  Sonne  und  studirte,  forderte  aber  sogleich 
seine  Schuhe  und  bestieg  eine  Anhöhe,  von  wo  aus  er  jene 
merkwürdige  Erscheinung  am  besten  beobachten  konnte. 
Eine  Wolke  (es  war  nicht  genau  zu  unterscheiden,  von 
welchem  Berge  sie  kam;  erst  später  erfuhr  man,  dass  es 
der  Vesuv  war),  welche  einem  Baume  und  zwar  einer  Fichte 
nicht  unähnlich  schien  (denn  sie  zeigte  gleichsam  einen 
hohen  Stamm,  der  sich  in  mehrere  Aeste  ausbreitete),  stieg 
auf.  Wie  mir  schien,  wurde  sie  durch  einen  starken  Wind 
herbeigeführt,  dann  zertheilte  sie  sich,  als  dieser  schwächer 
werdend  sie  verliess,  in  Folge  ihres  eigenen  Gewichts  in 
die  Breite,  an  einigen  Stellen  weiss  von  Farbe,  an  andern 
schmutzig  und  fleckig,  je  nachdem  sie  Erde  und  Asche  mit 
sich  führte.  Dem  gelehrten  Manne*  schien  es  der  Mühe 
werth,  sie  näher  kennen  zu  lernen.  Er  Hess  ein  leichtes 
Schiff1)  in  Bereitschaft  setzen;  mir  stellte  er  es  frei,  ihn  zu 
begleiten.  Ich  erwiederte,  ich  wolle  lieber  studiren,  und 
zufälliger  Weise  hatte  er  mir  gerade  etwas  zu  schreiben 
gegeben.  Als  er  aus  dem  Hause  trat,  empfing  er  einen 
Brief  von  den  Marinesoldaten  zu  Retina,  welche  durch  die 
drohende  Gefahr  erschreckt  (denn  dieses  Landgut  lag  am 
Fusse  des  Berges2)  und  bloss  zu  Schiffe  war  die  Flucht 
möglich)  ihn  dringend  ersuchten,  sie  dem  herannahenden 
Unglücke  zu  entreissen.  Er  änderte  daher  seinen  Entschluss, 
und  unterzog  sich  nun  dem,  was  er  mit  dem  Eifer  eines 
Gelehrten  begonnen  hatte,  mit  dem  grössten  Muthe.  Er 
liess  die  Vierruderer  in  See  bringen  und  bestieg  sie  selbst 
mit,  um  nicht  nur  Jenen  sondern  auch  vielen  Andern  (denn 
die  Küste  war  wegen  ihrer  angenehmen  Lage  stark  be- 
völkert) zu  Hülfe  zu  kommen.  Er  eilt  dahin,  von  wo  andere 
fliehen,  steuert  geraden  Laufs  auf  die  Gefahr  los  und  so 


')  Libumica,  hatte  seinen  Namen  von  den  Liburnern,  einem  illy- 
xischen  Volke,  die  sich  derer  bei  ihren  Seeräubereien  bedienten. 
2)  Vesuv. 


8  Vorrede. 

unerschrocken,  dass  er  alle  Bewegungen  und  Gestalten 
jener  furchtbaren  Erscheinung  dictirte  und  aufzeichnen  Hess. 
Schon  fiel  die  Asche,  je  mehr  er  sich  näherte,  desto 
heisser  und  dichter  in  die  Schiffe;  schon  stürzten  selbst 
Bimssteine,  schwarze,  verbrannte  und  durch  die  Hitze  ge- 
borstene Steinmassen  herab;  schon  machte  ihm  das  plötzlich 
seicht  gewordene  Wasser  und  ein  Einsturz  des  Berges  die 
Küste  unzugänglich.  Da  war  er  einige  Augenblicke  un- 
schlüssig, ob  er  umkehren  sollte,  sprach  aber  bald  darauf 
zu  dem  zur  Rückkehr  rathenden  Steuermanne:  „Den  Kühnen 
begünstigt  das  Glück;  fahre  zu  Pomponianus!"  Dieser  war 
zu  Stabiae1)  und  durch  einen  dazwischen  liegenden  Meer- 
busen getrennt,  denn  das  Meer  dringt  hier  durch  eine  all- 
mälige  Schwenkung  und  Krümmung  der  Küste  ins  Land. 
Jener2)  hatte,  obgleich  noch  keine  Gefahr  herannahete,  die- 
selbe aber  doch  vor  Augen  lag  und  wahrscheinlich  gross 
werden  würde,  sein  Gepäck,  in  die  Schiffe  bringen  lassen, 
entschlossen  zu  fliehen,  sobald  der  widrige  Wind  sich  ge- 
legt haben  würde.  Als  mein  Oheim,  den  dieser  Wind  ge- 
rade begünstigt,  dort  ankommt,  umarmte  er  den  Zagenden, 
tröstet  ihn,  lässt  sich,  um  dessen  Furcht  durch  eigene 
Sorglosigkeit  zu  beseitigen,  in  ein  Bad  bringen,  setzt  sich 
sodann  zu  Tische  und  speist  völlig  heitern  Gemüths,  oder, 
was  gleiche  Seelenstärke  beweist,  scheinbar  heiter.  In- 
zwischen leuchteten  aus  dem  Vesuv  an  mehreren  Stellen 
grosse  Flammen  hervor,  deren  Glanz  und  Reinheit  durch 
die  nächtliche  Finsterniss  noch  erhöht  wurde.  Um  die  Furcht 
seiner  Umgebung  zu  verscheuchen,  sagte  mein  Oheim,  die 
Flammen  seien  nichts  als  brennende  Häuser,  welche  von 
den  Landleuten  aus  Angst  verlassen  wären;  dann  begab  er 
sich  zur  Ruhe  und  schlief  auch  wirklich  ein,  denn  die  vor 


')  An  der  Stelle  des  jetzigen  Castellamare. 

-)  Pomponianus ;  ist  wahrscheinlich  eine  Person  mit  Martius  Pom- 
ponianus, welchen  Vespasian  mit  der  Consulwürde  beehrte,  und  Do- 
mitian  nach  Corsica  verbannte,  wo  er  auf  kaiserlichen  Befehl  hin- 
gerichtet wurde. 


Vorrede.  9 

dem  Gemache  wachenden  Diener  vernahmen  sein  Athem- 
holen,  welches  wegen  seiner  Corpulenz  etwas  stark  und 
laut  war.  Aber  schon  hatte  sich  der  Hof,  welcher  zu  dem 
Zimmer  führte,  mit  Asche  und  Steinen  so  sehr  angefüllt, 
dass  bei  längerem  Aufenthalte  darin  der  Ausgang  nicht 
mehr  möglich  gewesen  wäre.  Er  wurde  daher  geweckt, 
ging  heraus  und  begab  sich  zu  Pomponianus  und  den 
Uebrigen,  welche  gewacht  hatten.  Man  berathschlagte  nun, 
ob  man  im  Hause  bleiben  oder  ins  Freie  gehen  sollte, 
denn  das  Gebäude  zitterte  bereits  von  den  häufigen  und 
starken  Stössen,  und  schien,  gleichsam  aus  seinen  Fugen 
gehoben,  bald  hier-  bald  dorthin  zu  wanken;  andererseits 
aber  fürchtete  man  im  Freien  das  Herabfallen  wenn  auch 
leichter  und  ausgebrannter  Bimssteine.  Indessen  wählte 
man  bei  Vergleichung  der  Gefahren  das  letzte,  da  bei  ihm 
ein  Grund  den  andern,  bei  den  Andern  eine  Furcht  die 
andere  besiegte.  Man  legte  zum  Schutz  gegen  die  herab- 
fallenden Steine  Kissen  um  den  Kopf  und  band  sie  mit 
Tüchern  fest.  Schon  war  es  anderwärts  heller  Tag,  hier 
aber  noch  dichte  schwarze  Nacht,  jedoch  verbreitete  man 
durch  zahlreiche  Fackeln  und  Lichter  hinreichende  Helle. 
Man  beschloss  an  die  Küste  zu  gehen  und  nachzusehen, 
ob  das  Meer  schon  fahrbar  sei;  allein  dieses  war  immer 
noch  sehr  ungestüm.  Hier  legte  sich  mein  Oheim  auf  ein 
hingebreitetes  Tuch,  verlangte  einige  Male  kaltes  Wasser 
und  trank  davon,  bis  Flammen  und  ein  demselben  voraus- 
gehender Schwefelgeruch,  welche  die  Andern  zur  Flucht 
trieben,  auch  ihn  aufschreckten.  Durch  zwei  Diener  unter- 
stützt, erhob  er  sich,  sank  aber  sogleich  todt  nieder,  indem 
ihm,  wie  ich  vermuthe,  durch  den  dicken  Dampf  der  Athem 
benommen  und  die  Luftröhre,  welche  bei  ihm  von  Natur 
schwach,  enge  und  entzündet  war,  geschlossen  wurde.  Als 
es  wieder  Tag  geworden  war  (und  diess  geschah  erst  am 
dritten  Tage  darnach),  fand  man  ihn  unverletzt  und  noch 
in  seiner  Kleidung;  sein  Ansehn  glich  mehr  dem  eines 
Schlafenden,  als  eines  Todten. 

Während  dieser  Katastrophe  befand  ich  mich  mit  der 


10  Vorrede. 

Mutter  zu  Misenum.  Doch  das  gehört  nicht  zu  meiner  Er- 
zählung, und  da  Du  nur  einen  Bericht  über  seinen  Tod 
haben  willst,  so  eile  ich  zum  Schlüsse.  Nur  eins  füge  ich 
noch  hinzu,  nämlich,  dass  ich  alles,  wovon  ich  selbst  Augen- 
zeuge war  und  was  ich  gleich  anfangs  als  authentisch  ver- 
nommen, treu  wiedergegeben  habe.  Du  wirst  nun  das 
Wesentlichste  daraus  entnehmen,  denn  es  ist  ein  Unter- 
schied zwischen  einem  Briefe  und  einer  Geschichte;  für  einen 
Freund  schreibt  man  anders  als  für  das  Publikum.  Lebe 
wohl."1) 


Wie  schon  erwähnt,  besitzen  wir  von  den  Schriften  des 
C.  Plinius  Secundus  nur  noch  die  Naturgeschichte,  welche 
aus  XXXVII  Büchern  besteht.  Das  I.  enthält  die  Dedication 
an  den  Kaiser  Titus  nebst  dem  Inhaltsverzeichnisse  der 
folgenden.  IL  Kosmographie.  III.  bis  VI.  Geographie. 
VII.  handelt  vom  Menschen.  VIII.  bis  XL  Naturgeschichte 
der  Thiere.  XII.  bis  XIX.  Naturgeschichte  der  Pflanzen. 
XX.  bis  XXVII.  Arzneimittel  von  den  Pflanzen.  XXVIII.  bis 
XXXII.  Arzneimittel  vom  Menschen,  vom  Wasser  und  von 
den  Thieren.  XXXIII.  bis  XXXVII.  Von  den  Metallen, 
Steinen  und  den  bildenden  Künsten  in  Verbindung  mit  der 
Geschichte  der  vorzüglichsten  Künstler  und  Kunstwerke. 

Deutsche  Bearbeitungen  dieses  Werkes  sind  schon 
mehrere  Male  unternommen  worden.  Die  älteste  erschien 
zu  Strassburg  in  Folio,  aber  nur  theilweise,  und  zwar  vom 
I.  bis  V.  Buche  im  Jahre  1509  und  vom  VII.  bis  XL  Buche 
im  Jahre  1542  von  Heinrich  Eppendorf.  —  Bald  darauf 
gab  Johann  Heyden  Bruchstücke  einer  Uebersetzung  des 
Plinius  heraus.  Von  dieser  sagt  Grosse  in  der  Vorrede 
zum  neunten  Bande  seiner  Uebersetzung  des  Plinius:  „Ich 
habe    die   Heyden'sche  Uebersetzung,   erschienen    1580   zu 


l)  Weitere  Nachrichten  über  jene  furchtbare,  mit  Erdbeben  be- 
gleitete Eruption  des  Vesuvs,  theilt  der  jüngere  Plinius  in  einem 
späteren  Briefe  an  Tacitus  (VI.  Buch.  20.  Brief)  mit. 


Vorrede.  11 

Frankfurt  a.  M.  in  Folio  mit  Holzschnitten,  an  mich  ge- 
bracht, die  aber  kaum  des  Titels  einer  Uebersetzung  werth 
ist.  Der  Verfasser  nennt  sich  Johannes  Heyden  von  Dhann. 
Trotz  eines  langen  vielversprechenden  Titels  begreift  diese 
Uebersetzung  doch  nur  das  VII.,  VIIL,  IX.,  X.  und  XI.  Buch 
des  Plinius,  und  bei  weitem  nicht  vollständig,  sondern  nur 
stellenweise;  aus  einigen  der  übrigen  Bücher  sind  nur 
wenige  Data  genommen.  Der  Uebersetzer  hat  den  Plinius 
zum  Grunde  gelegt  und  sein  Werk  aus  mehreren  Schrift- 
stellern zusammengeschrieben.  Es  ist  also  ein  Irrthum, 
diese  Compilation  von  etwa  1  Zoll  dick  für  eine  Ueber- 
setzung der  Historia  naturalis  Plinii  auszugeben  oder  zu 
halten." 

Die  erste  vollständige  Uebersetzung  besitzen  wir  von 
Johann  Daniel  Denso,  erschienen  in  den  Jahren  1764  bis 
65  zu  Rostock  und  Greifswald  in  2  Bänden  in  Quart.  Denso 
benutzte  vorzüglich  die  lateinische  Ausgabe,  welche  1561 
in  4  Bänden  zu  Lyon  erschienen  ist,  indem  er  sie  mit  der 
Basel'schen  Ausgabe  des  Sigismund  Gelenius  vom  Jahre 
1549  verglich.  —  Darauf  erschien  eine  vollständige  Ueber- 
setzung der  Harduin'schen  Ausgabe  (die  sich  von  der  oben- 
genannten Lyoner  wesentlich  nur  durch  die  abweichende 
Anzahl  und  Länge  der  Capitel  in  den  einzelnen  Büchern 
unterscheidet)  von  Gottfried  Grosse  1781  bis  88  zu  Frank- 
furt a.  M.  in  12  Bänden  in  Octav.  —  Im  gegenwärtigen 
Jahrhunderte  hat  zuerst  M.  Fritsch  eine  Uebersetzung  (der 
Harduin'schen  Ausgabe)  begonnen,  von  der  die  ersten  XI 
Bücher  in  8  Bändchen  1828  bis  30  zu  Prenzlau  in  Duodez 
herausgekommen  sind.  Aber  seitdem  ist  nichts  mehr  davon 
erschienen.  Ihm  folgte  P.  H.  Külb  unter  Zugrundelegung 
der  ersten  Sillig'schen  Ausgabe  (Leipzig  1831  bis  36),  seine 
Uebersetzung  begreift  jedoch  nur  VII  Bücher  (erschienen  in 
7  Bändchen  zu  Stuttgart  1840  bis  43  in  Duodez). 

Unter  diesen  Umständen,  vorzüglich  aber,  weil  die  so- 
eben angeführten  vollständigen  Uebersetzungen  von  Denso 
und  Grosse  dem  dermaligen  Grade  der  Ausbildung  unserer 
Muttersprache    nicht    mehr    genügend    entsprechen,    und 


12  Vorrede. 

namentlich  die  erstere  oft  mangelhaft,  unrichtig  und  unver- 
ständlich ist,  hielt  ich  es  für  ein  ganz  zeitgemässes  Unter- 
nehmen, eine  neue  Uebersetzung  zu  verfassen.  Ich  habe 
mich  dabei  wesentlich  der  zweiten  Sillig'schen  Ausgabe 
(Hamburg  und  Gotha  1851—58)  bedient.  —  Doch  auch  noch 
andere,  wichtigere  Beweggründe  waren  es,  welche  mich  zur 
Herausgabe  einer  deutschen  Bearbeitung  des  Plinius  ver- 
anlassten. Der  bescheidene  Autor  nennt  sein  Werk  eine 
Naturgeschichte1);  ich  glaube  aber  nicht  zu  viel  zu  sagen, 
wenn  ich  dasselbe  als  eine  Encyclopädie  des  damaligen 
Wissens  oder  des  damaligen  Standes  der  Wissen- 
schaften, Künste  und  Gewerbe  betrachte.  Es  verdient 
daher,  ungeachtet  des  vielen  darin  enthaltenen  Unrichtigen, 
Lächerlichen,  Abenteuerlichen,  von  einem  Jeden,  der  nur 
einiges  Interesse  an  der  Entwicklungsgeschichte  der  mensch- 
lichen Kenntnisse  nimmt  —  und  diess  sollte  man  von  jedem 
Gebildeten  erwarten  —  gelesen  zn  werden.  Plinius  war, 
wie  aus  unzähligen  Stellen  seines  Werkes  hervorgeht,  über 
den  Aberglauben  seiner  Zeit  weit  erhaben,  und  wenn  er 
alles,  was  sich  darauf  bezieht,  mittheilte,  so  zeugt  diess 
nur  von  seiner  Wahrheitsliebe  und  seiner  schriftstellerischen 
Genauigkeit.  Im  Uebrigen  müssen  wir  wohl  bedenken, 
dass  seine  eigenen  Ansichten  das  Ergebniss  der  damaligen 
Culturstufe  sind,  und  insofern  haben  sie,  wenn  auch  jetzt 
als  irrig  erkannt,  immerhin  geschichtlichen  Werth.  Endlich 
darf  nicht  vergessen  werden,  dass  sehr,  sehr  Vieles  in 
seinem  Werke  auch  noch  jetzt  Wahrheiten  sind  und  bleiben 
werden.     Unser  Zeitalter,  so  sehr  hochgebildet  es  auch  zu 


')  Naturalis  historia.  Es  ist  mir  allerdings  wohl  bekannt,  dass 
das  Wort  historia  ("otOQia)  mehr  bedeutet  als  unser  deutsches  „Ge- 
schichte" oder  „Beschreibung",  indem  es  mehr  den  Sinn  von  „Be- 
schauung", „Erforschung"  in  sich  schliesst.  Aber  selbst  diese  Bedeu- 
tungen des  "Wortes  historia  genügen  nicht,  den  Inhalt  des  "Werkes 
vollständig  zu  bezeichnen.  Ich  hielt  es  daher  für  das  Passendste,  die 
einmal  gebräuchliche  Uebersetzung  „Naturgeschichte"  nicht  zu  ver- 
ändern, um  nicht  in  weitläufige,  dem  Sinne  des  Original-Titels  fremde 
Definitionen  zu  verfallen. 


Vorrede.  13 

sein  wähnt,  wird  dereinst  von  einer  spätem  Epoche  in  eben 
demselben  Grade  bekrittelt  und  verspottet  werden,  wie  wir 
von  dem  Zeitalter  des  Plinius  zu  thun  uns  berechtigt 
glauben.  Es  erfordert  daher  nicht  bloss  die  gebührende 
Nachsicht  gegen  alles  menschliche  Machwerk,  sondern  auch 
die  Gerechtigkeit,  nicht  den  Maassstab  unserer  Civilisation 
an  ein  fast  2000  Jahre  altes  Werk  zu  legen.  Vielmehr 
liegt  es  uns  ob,  das  darin  enthaltene  Nutzbare  auch  nutzen- 
bringend zu  machen,  wozu  das  Material  im  Ueberflusse  vor- 
handen ist.4) 

Bei  der  Uebersetzung  selbst  machte  ich  es  mir  zum 
Gesetz,  den  lateinischen  Text  möglichst  treu  im  Deutschen 
wieder  zu  geben;  um  aber  nicht  bloss  eine  kahle  Ueber- 
setzung zu  liefern,  fügte  ich,  wo  es  mir  nöthig  schien,  er- 
läuternde Anmerkungen  hinzu.  Auf  die  nähere  Erklärung 
der  naturhistorischen  und  anderer  fremdartiger  Namen  habe 
ich  mich  in  dem  Inhaltsverzeichnisse  nicht  eingelassen;  sie 
findet  zweckmässiger  im  Texte  selbst  statt.  In  Fällen,  wo 
ich  den  lateinischen  Namen  nicht  mit  einem  passenden 
deutschen  bezeichnen  konnte,  behielt  ich  lieber  den  erstem 
bei,  und  hoffe  desshalb  nicht  getadelt  zu  werden.     Ob  es 


J)  Alexander  v.  Humboldt's  Urtheil  über  dieses  Werk  möge  hier 
noch  Platz  finden.  „Dem  grossen  encyclopädischen  Werke  des  älte- 
ren Plinius  kommt  an  Reichthum  des  Inhalts  kein  anderes  Werk  des 
Alterthums  gleich.  Es  ist,  wie  der  Neffe  (der  jüngere  Plinius)  sich 
schön  ausdrückt,  „mannigfach  wie  die  Natur".  Ein  Erzeugniss  des 
unwiderstehlichen  Hanges  zu  allumfassendem,  oft  unfleissigem  Sam- 
meln, im  Style  ungenau,  bald  einfach  und  aufzählend,  bald  gedan- 
kenreich, lebendig  und  rhetorisch  geschmückt,  ist  die  Naturgeschichte 
des  älteren  Plinius  schon  ihrer  Form  wegen,  an  individuellen  Natur- 
schilderungen arm;  aber  überall,  wo  die  Anschauung  auf  ein  gross- 
artiges Zusammenwirken  der  Kräfte  im  Weltall,  auf  den  wohlgeord- 
neten Kosmos  (Natura^  majestas)  gerichtet  ist,  kann  eine  wahre,  aus 
dem  Innern  quellende  Begeisterung  nicht  verkannt  werden.  Das 
Werk  hat  auf  das  ganze  Mittelalter  mächtig  nachgewirkt."  (Kos- 
mos II,  23.)  Auf  die  nähere  Besprechung  des  Plinius'schen  Werkes 
von  unserem  grossen  Zeitgenossen  (Kosmos  II,  230 — 234)  können  wir 
nur  verweisen. 


14  Vorrede. 

mir  grösstenteils  —  immer,  wage  ich  nicht  zu  sagen  — 
gelungen  ist,  die  Individuen  der  drei  Naturreiche  richtig  zu 
deuten,  d.  h.  nach  der  jetzigen  systematischen  Bezeichnungs- 
weise richtig  zu  nennen,  ist  eine  Frage,  deren  Beantwortung 
mir  am  wenigsten  zusteht;  über  manche  derselben  sind  wir 
ohnehin  noch  sehr  im  Zweifel,  und  werden  es  vielleicht  für 
immer  bleiben. 

Zur  leichtern  Vergleichung  der  oft  vorkommenden 
Münzen,  Maasse  und  Gewichte  sowohl  untereinander 
als  auch  mit  den  unsrigen,  habe  ich  dieselben  dem  Texte 
vorausgeschickt.  Die  dazu  nöthigen  Data  stützen  sich 
grösstenteils  auf  die  eigenen  Angaben  des  Plinius. 

Die  am  Schlüsse  des  Werks  befindlichen  Anhänge 
dürften  ebenfalls  als  eine  willkommene  Zugabe  aufgenommen 
werden. 

München,  1880. 

ö.  0.  Wittstein. 


15- 


Tafel  I. 
Längenmaasse. 


Iter 

unius  diei 

navale 

Iter 
unius  diei 
terrestre 

00 

8 

*  o 
w. 

S1^ 

Stadium 
olympic. 

Passus 
Cubitus 

03 

CO 

Oh 

00 
0 

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3 

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co 

3 
0 

M 

CO 
CD 

1 

3V2 

21% 

87»/» 

700 

87500 

2916662/3 

437500 

— 

— 

129,25 

1 

»V« 

25 

200 

25000 

83333'/3 

125000 

— 

~ 

36,93 

1 

4 

32 

4000 

133337s 

20000 

80000 

320000 

5  »98 

1 

8 

1000 

3333  V3 

5000 

20000 

80000 

1)50 

1 

125 

4162/3 

625 

2500 

10000 

187,» 

1 

»Vi 

5 

20 

80 

1»50 

1 

IV2 

6 

24 

0,45. 

1 

4 

16 

0,30 

1 

4 

0,075 

1  Parasanga  ist  =  5  Kilometer.  1,4806  Parasanga  des  Herodot  =  1  geogr* 
Meile  =  7,4  Kilometer.  Der  römische  Fuss  (Pes)  verhielt  sich  zum  griechisch- 
olympischen  wie  24 :  25.  Eratosthenes  rechnet  den  Schcenus  zu  40  Stadien  (=  7 ,47 
Kilometer).    Vergl.  Plin.  XII,  14. 


Tafel  II. 
Flächenmaasse. 


IS 

3 

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3 

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3 

3 

CO 

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3 

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Actus 
quadrat. 
(Acnua) 

00 

3 

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S-. 
CO 

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1 

0 

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5  3 

^1 

3  _, 

^3 

'3s 

0Q 

Römische 
Quadrat- 

Fuss 

Quadrat- 
Meter 

1 

4 

400 

800 

1600 

2400 

6400 

48000 

230400 

23,040000 

2,205972 

1 

100 

200 

400 

600 

1600 

12000 

57600 

5,760000 

551493 

1 

2 

4 

6 

16 

120 

576 

57600 

5514 

1 

2 

3 

8 

60 

288 

28800 

2757 

1 

IV« 

4 

30 

144 

14400 

1378 

1 

22/3 
1 

20 

7Va 

1 

96 
36 

44/5 
1 

9600 

3600 

480 

100 

1 

919 

344 

46 

9,6 
0,09G 

16 


Tafel  III. 
Maasse  für  Getreide  und  andere  trockne  Waaren. 


c3     . 

CO 

p 

O 

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S.S 

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13 

Kubik- 
Meter 
oder 

Ster 

-4-3 

1 

3 

48 

96 

192 

384 

576 

2304 

0,025608 

25,608 

1 

16 

32 

64 

128 

192 

768 

8,536 

1 

2 

4 

8 

12 

48 

0,534 

1 

2 

4 

6 

24 

0)267 

1 

2 
1 

3 

IV« 
1 

12 
6 
4 
1 

0,138 
0.069 
0,046 
0,011 

Tafel  IV. 
Maasse  für  Flüssigkeiten. 


CO 

P 

O 

CO 

p 

cS 

O 

Amphora 

(Quadran- 
tal) 

c3 

a 

00 

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p 

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1 

Quarta- 
rius 

( Quadrans) 

-s.3 

CO 

-*3 

cä 

ü 

Ligula 

3 

1 

18V« 

20 

40 

160 

960 

1920 

3840 

7680 

11520 

46080 

512,16 

1 

IV« 

3 

12 

72 

144 

288 

576 

864 

3456 

38,4i2 

1 

2 

8 

48 

96 

192 

384 

576 

2304 

25,co8 

1 

4 

24 

48 

96 

192 

288 

1152 

12,804 

1 

6 

12 

24 

48 

72 

288 

3,201 

1 

2 

4 

8 

12 

48 

0-533 

1 

2 

1 

4 
2 

1 

6 
3 

IV« 
1 

24 

12 

6 

4 

1 

0,266 
0,133 
0,066 
0,044 
0,011 

17 


Tafel   V. 

Gewichte. 


c8 

°o 

ö 

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Ol 

3 
o 

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3 

CO 

2 
2 

C5 

1 

12 

36 

48 

72 

96 

288 

576 

1728 

2304 

345 

1 

3 

4 

6 

8 

24 

48 

144 

192 

28,75 

l 

l'/a 

2 

22/s 

8 

16 

48 

64 

9,58 

1 

IV« 

2 

6 

12 

36 

48 

7„85 

1 

IV« 

4 

8 

24 

32 

4,79 

1 

3 

1 

6 
2 

1 

18 
6 
3 

1 

24 
8 
4 

IV« 
1 

3,5'.) 
1,20 

0,C0 

0,20 

o,15 

Folgende  Unterabtheilungen  des  römischen  Pfundes  wurden  mit 
einem  bestimmten  Namen  bezeichnet: 


As  =     7  Unzen. 


Sextans     =  *  6  As  =  2  Unzen  Septunx 

Quadrans  =  '  4  —   =  3      —  Bes 

Triens       =  »/,  —  =  4      —  Dodrans  =  3/4     —  =      9      — 

Quincunx=  5/i2—  =5      —  Dextans  =  5/6     —  =  10       — 

Sextunx    =  »/2  —  =  6      —  Deunx      =  »/i2  —  ==  n       _ 

Semisis 

Yictoriatus  als  Gewicht  hatte  die  Schwere  eines  halben  Denars. 


Tafel    VI. 
Münzen. 

Das  Geld  der  Alten  ist  von  ihrem  Gewichte  abhängig.  Die  Römer 
hatten  Gold-,  Silber-  und  Kupfermünzen;  aber  das  Verhältniss  des 
Werthes  dieser  Metalle  gegen  einander  war  nicht  immer  das  näm- 
liche, wiewohl  die  Haupteintheilung  des  Pfundes  (in  Silber  und  Gold) 

2 


18 

in  seinen  kleineren  Theilen  fast  durchaus  unverändert  blieb.  Unter 
den  römischen  Kupfermünzen  war  die  Einheit  der  Ass  (As),  dessen 
Multipla  folgende  sind:  a)  Dupondius  —  2  Assibus.  b)  Sestertius  = 
21  2-  c)  Tripondius  seu  Tressis  =  3.  d)  Quinquessis  =  5.  e)  Sexis- 
=*  6.  f)  Septussis  =  7.  g)  Vigesis  =  20.  Bis  h)  Centussis  seu  Cen- 
tum  pondium =100  Assibus.  —  Der  römische  Ass  war  anfänglich  l  Pfund 
Kupfer,  und  würde  etwa  1,2  Mark  betragen  haben.  Bei  den  Römern 
war  aber  der  Werth  des  Kupfers  anfänglich  viel  geringer  und  ver- 
hielt sich  zum  Werthe  des  Silbers  nur  wie  1  :  960.  Doch  hob  sich 
der  Werth  des  Kupfers  in  der  Folge  als  man  den  Ass  nach  und  nach 
bis  auf  1  Unze  reducirte.  —  In  den  alten  Zeiten  der  römischen  Re- 
publik, wo  der  Ass  1  Pfund  wog,  galt  der  Silberdenar  10  Ass  oder 
10  Pf.  Kupfer,  der  Quinar  5  Ass,  die  Sesterze  2V2  Ass.  Die  Li- 
belle, eine  andere  kleine  Silbermünze,  galt  einen  pfundigen  Kupfer- 
ass;  die  Sembelle  oder  Selibelle  '/2  Ass;  derTerunzius  1  Quad- 
rans  von  3  Unzen.  Aber  nach  Verringerung  des  Asses  (zuerst  auf 
ein  Sechstel  seiner  früheren  Grösse,  wobei  der  Ass  noch  12  Unzen 
hatte  und  wobei  man  den  Triens  =  l/a  Ass  oder  4  Unzen  und  den 
Quadrans  =  xjt  Ass  oder  3  Unzen  [dieser  daher  auch  Teruncius  ge- 
nannt] unterschied  —  dann)  bis  auf  1  Unze  Kupfer  wurde  beschlossen, 
dass  der  Denar  16  solche  Ass  (16  Unzen  Kupfer),  der  Quinar  8,  und  die 
Sesterze  deren  4  gelten  solle,  daher  die  letztere  auch  den  Namen 
Quadrans  führt1).  Uebrigens  ist  zu  merken,  dass  man  in  allen  Sum- 
men, wo  S esterzen  oder  Denare  vorkommen,  jederzeit  nach  altem  Ge- 
brauche die  Sesterze  zu  2V2  Ass,  oder  den  Denar  zu  10  Ass  zu  ver- 
stehen habe,  wenn  nicht  die  Schriftsteller  ausdrücklich  das  Gegen- 
theil  sagen.  Der  Silberdenar,  welcher  unter  den  Kaisern  der  tägliche 
Sold  eines  Soldaten  war,  hatte  für  diesen  allein  den  Werth  von  10 
Ass,  auch  nach  der  Reduction.  —  Die  grosse  Sesterze  (Sester- 
tium)  war  keine  wirkliche,  sondern  nur  eine  Rechnungsmünze,  und 
galt  1000  kleine  Sesterzen.  Man  bezeichnete  die  grosse  Sesterze 
durch  die  Buchstaben  HS,  z.  B.  C  H— S  =  100  grosse  =  100000 
kleine  Sesterzen.  Wenn  die  Zahl  über  100000  steigt,  so  werden  die 
Worte :  Centena  millia  von  den  Römern  gewöhnlich  ausgelassen,  und 
es  stehen  dann  bloss  die  Adverbia  numeralia  mit  Nummüm  oder  Se- 
stertiüra,  z.  B.  Quinquagies  Nummüm  =  5000000  kleine  =  5000  grosse 
Sesterzen. 


*)  Einmal  wurden  sogar  auch  halbunzenschwere  Asse  geprägt. 


19 
Zur  bequemen  Uebersicht  der  Münzen  dient  die  folgende  Tabelle : 


a 

Aureus 

Argenteus 

Sestertius 
(Nummus) 
Quadrans 

^  3 

c3 

03 

S 

CO 

CD 

.2 

3 
3 
Sh 
O 

H 

3 

OD 

CS 

CO 

CO 

3 

1 

PI 
» 

Quinarius 

(Victoria- 

tus) 

CO 

3 

1 

3 

Quinarius 

(Victoria- 

tus) 

u 

li 

1 

10 

20 

250 

500 

1000 

2500 

5000 

10000 

171,4 

1 

2 

25 

50 

100 

250 

500 

1000 

17)14 

1 

12»/2 

25 

50 

125 

250 

500 

8,57 

1 

2 

4 

10 

20 

40 

0,68 

1 

2 

5 

10 

20 

0,34 

1 

2»/« 

5 

10 

0,17 

1 

2 

1 

4 

2 

0,07 
0,04 

1 

0,02 

Das  griechische  Geld  hatte  mit  dem  Gewichte  einerlei  Einthei- 
lung.    Für  unsern  Zweck  theilen  wir  nur  Folgendes  davon  mit: 


Attisch: 

Tä).avxov 

Mvä 

AQ*xm 

'Oßoloq 

Xakxovq 

Mark 

1 

60 

6000 

i 

36000 

360000 

4380 

1 

100 

600* 

6000 

73 

1 

6 
1 

60 

10 

1 

0,73 
0,12 
0,012 

1  Drachme  =  1  Denar  am  Gewichte. 
10         „  =1  Cyathus  „  „ 

15         „  =1  Acetabulum        _ 


Erstes  Euch. 


C.  Plinius  Secundus  au  den  Kaiser  Titus  Vespasianus. 

Die  Bücher  der  Naturgeschichte,  ein  unter  den 
Schriften1)  Deiner  Römer2)  noch  neues  Werk,  erst  jüngst 
von  mir  vollendet,  habe  ich  beschlossen,  Dir,  geliebtester 
Kaiser  (dieser  Titel,  an  den  wir  durch  Deinen  erhabenen 
Vater 3)  schon  lange  gewöhnt  sind,  sei  auch  der  Deiner 
würdigste),  in  einer  freimüthigen  Zuschrift  vorzutragen.  Du 
pflegtest  ja  meinen  unbedeutenden  Arbeiten  einigen  Werth 
beizulegen4)  —  dass  ich  den  Catull,  meinen  Landsmann, 
(Du  kennst  auch  dieses  militärische  Wort)  anzuführen  wage; 
denn   derselbe   bediente   sich,    wie   Du   weisst,    nicht   der 


')  Camoenae,  Musen,  gelehrte  Arbeiten. 

"-)  Quirites  war  eine  ehrenvolle  Benennung  der  Bürger  in  der 
Stadt  Rom.  Der  Ursprung  dieses  Namens  ist  folgender:  Nachdem 
unter  Romulus  zwischen  den  Sabinern  und  Römern  Friede  geschlos- 
sen, beide  Reiche  mit  einander  vereinigt  und  Rom  als  Sitz  des  ge- 
meinschaftlichen Regiments  bestimmt  war,  wurde  man  eins,  um  den 
Sabinern  doch  auch  einen  Vorzug  einzuräumen,  dass  für  die  Folge 
die  sihmntlichen  Römer  nach  der  sabinischen  Stadt  Cures:  Quinten 
heissen  sollten.  Der  Ort,  wo  dieser  Vertrag  geschlossen  wurde,  hiess 
Comitium.     S.  Livius  I.  13.     Plutarch  im  Leben  des  Romulus. 

3)  Tit.  Flav.  Vespasianus,  geb.  im  Jahre  9  nach  Chr.  und  gestorb. 
im  Jahre  79  nach  Chr.  Sein  Sohn  Titus  wurde  im  Jahre  40  geboren 
und  starb  im  Jahre  81. 

Eine  Stelle  aus  einem  Gedichte  Catull's  an  C.  Nepos.  — 
Q.  Valeriua  Catullus,  einer  der  besten  römischen  Dichter,  gebor,  zu 
Sirmio  im  Veronesischen,  lebte  86—48  v.  Chr.  zu  Rom. 


Erstes  Buch.  21 

feinsten  Ausdrücke,  als  ihm  seine  setabischen  Tücher1)  ver- 
tauscht waren,  weil  er  sie  als  Geschenk  von  seinen  Freunden 
Veraniolus  und  Fabullus  sehr  in  Ehren  hielt.  Zugleich  soll 
aber  durch  diese  meine  Kühnheit  das  in  Erfüllung  gehen, 
über  dessen  Unterlassung  Du  Dich  auf  ein  früheres  ehrer- 
bietiges Schreiben  von  mir  beklagt  hast,  damit  einige  Deiner 
Thaten  an's  Licht  treten  und  Jedermann  erfahre,  wie  würdig 
Du  der  Beherrschung  des  römischen  Reiches  bist.  Du  hast 
Triumphe  gehalten,  wärest  Censor,  sechsmal  Consul  und 
Dir  wurde  die  Macht  eines  Tribuns  zu  theil;  aber  gross 
und  edel  hast  Du  gehandelt,  da  Du,  als  Befehlshaber  der 
Leibwache,  Deinem  Vater  und  dem  Ritterstande  Deine 
Dienste  widmetest,  und  das  alles  thust  Du  für  den  Staat, 
mir  aber  bist  Du  ebenderselbe  im  Feldlager.  Bei  Dir  hat 
die  Grösse  des  Glücks  nichts  geändert,  als,  mehr  und  mehr 
nützlich  zu  sein.  Wenn  daher  den  Uebrigen  alle  jene 
Mittel  zu  Gebote  stehen,  Dir  Verehrung  zu  erweisen,  so 
bleibt  mir,  um  Dir  auf  eine  vertrauliche  Weise  zu  huldigen, 
nur  die  Kühnheit  übrig.  Diese  magst  Du  Dir  selbst  an- 
rechnen, und,  wenn  ich  schuldig  bin,  verzeihen.  Ich  wollte 
aller  Blödigkeit  entsagen,  kann  sie  aber  dennoch  nicht  ganz 
ablegen,  denn  Du  trittst  mir  auf  anderm  Wege  zu  mächtig 
entgegen,  und  bestimmst  mich  durch  Deine  grosse  Gelehr- 
samkeit, noch  weiter  zurückzuweichen.  Noch  bei  Keinem 
glänzte  so  sehr  die  wahre  rednerische  Kraft,  die  Beredsam- 
keit der  tribunitischen  Gewalt.  Wie  donnerst  Du  das  Lob 
des  Vaters!  Wie  lieblich  bist  Du  beim  Lobe  des  Bruders! 
Wie  gross  ist  Dein  Dichtertalent!  Oh,  welche  Fruchtbarkeit 
des  Geistes!  Du  wusstest  auch  dem  Bruder2)  nachzuahmen. 
Aber  wer   kann   diess   alles  wohl   ohne  Furcht   würdigen, 


')  Setaba,  zu  Setabis  (jetzt  Xativa  in  Valencia)  in  Spanien  ver- 
fertigt.    Siehe  auch  III.  B.  4.  Cap.  und  XIX.  B.  1.  Cap. 

2)  Domitian,  der,  im  Jahre  51  geboren,  seinem  Bruder  in  der 
Regierung  folgte,  der  sich  als  einen  der  scheusslichsten  Tyrannen 
bewies,  und  auf  Anstiften  seiner  Gemahlin  Domitia  im  Jahre  96  ermor- 
det wurde.  In  seinen  Jünglingsjahren  mag  wohl  sein  Charakter  eine 
bessere  Aussenseite  gezeigt  haben. 


22  Erstes  Buch.  » 

wenn  er  sich  dem  überdiess  noch  erbetenen  Urtheile  Deines 
Geistes  unterwerfen  will?  Denn  die  Lage  Derer,  welche 
etwas  öffentlich  herausgeben,  ist  verschieden  von  Denen, 
welche  Dir  speciell  etwas  widmen.  In  jenem  Falle  könnte 
ich  sagen,  warum  liest  Du  diess,  mein  Kaiser?  Es  ist  für 
das  niedere  Volk,  die  Bauern,  Handwerker,  zum  Ausfüllen 
müssiger  Stunden  geschrieben;  wer  hat  Dich  zum  Kichter 
bestellt?  Als  ich  dieses  Werk  schrieb,  wärest  Du  nicht 
mit  auf  jener  Liste.  Ich  hielt  Dich  für  zu  erhaben,  als 
dass  ich  glauben  sollte,  Du  würdest  Dich  soweit  herab- 
lassen. Ueberdiess  giebt  es  ja  auch  eine  öffentliche  Zurück- 
weisung bei  den  Gelehrten.  Ihrer  bediente  sich  M.  Tullius1), 
der  doch  über  alle  Geistesarmuth  erhaben  ist,  und  Hess 
sich,  was  mich  wundert,  durch  einen  Sachwalter  ver- 
theidigen.  „Es  ist  nicht  für  die  gelehrtesten  Männer  be- 
stimmt; ich  will  nicht,  dass  Manius  Persius,  ich  will,  dass 
Junius  Congus  mich  lese".  Wenn  diess  Lucilius2),  der  zu- 
erst eine  satyrische  Schreibart  einführte,  von  sich  sagen 
zu  müssen  glaubte,  wenn  Cicero  solches  von  ihm  entlehnte, 
namentlich  als  er  über  den  Staat  schrieb,  um  wie  viel  eher 
habe  ich  Ursache,  mich  vor  irgend  einem  Richter  zu  ver- 
wahren! Aber  dieses  Schutzmittels  habe  ich  mich  durch 
meine  Zuschrift  selbst  begeben;  denn  es  ist  ein  grosser 
Unterschied,  ob  Jemand  einen  Richter  durchs  Loos  erhält 
oder  ihn  wählt;  ferner  sind  die  Zurüstungen  bei  einem  ge- 
ladenen Gaste  verschieden  von  denen  bei  einem  unver- 
mutheten. 

Wenn  bei  Cato,  jenem  Feinde  von  zudringlichen  Amts- 
bewerbungen, der  sich  über  versagte  Anstellungen,  gleich- 
sam als  wären  sie  unveräusserbar,  freuete,  die  Bewerber 
in  den  hitzigsten  Versammlungen  ihr  Geld  niederlegten,  so 

')  Marcus  Tullius  Cicero,  der  bekannte  römische  Staatsmann, 
Redner  und  Philosoph,  geb.  106  v.  Chr.  bei  Arpinum,  53  auf  seinem 
fonnianischeu  Landgute  ermordet. 

5)  C.  Lucilius  aus  Suessa  in  Capanien  um  150  v.  Chr.,  röm. 
Ritter,  Grossoheim  des  grossen  Pompejus.  der  Schöpfer  der  eigentl 
römischen  Satyre. 


Erstes  Buch.  23 

gaben  sie  vor,  sie  thäten  diess  ihrer  Unschuld  wegen,  die 
sie  für  das  beste  aller  menschlichen  Güter  hielten.  Dahin 
zielt  jener  edle  Ausruf  des  M.  Cicero;  „Du  glücklicher 
M.  Porcius,  von  dem  Niemand  eine  Ungerechtigkeit  zu  be- 
gehren wagte"!  Als  L. Scipio  Asiaticus  sich  an  die  Tribunen, 
unter  denen  auch  Gracchus  war,  um  Hülfe  wandte,  lieferte 
er  dadurch  den  Beweis,  dass  er  sich  auch  dem  Urtheile 
eines  feindlichen  Richters  unterwerfen  könne.  So  ernennt 
ein  Jeder  irgend  einen  zum  höchsten  Richter  seiner  Ange- 
legenheit, wenn  er  wählt,  und  daher  kommt  auch  der  Aus- 
druck „Aufruf." 

Dass  Du  auf  den  höchsten  Gipfel  des  menschlichen 
Geschlechts  gestellt,  mit  grösster  Beredsamkeit  und  Gelehr- 
samkeit begabt  bist,  ja  selbst  von  den  Dich  Grüssenden 
ehrfurchtsvoll  begegnet  wirst,  ist  mir  bekannt.  Daher  be- 
sorge ich,  dass  das,  was  Dir  gewidmet  wird,  auch  Deiner 
würdig  sei.  Aber  es  opfern  ja  die  Landleute  und  viele 
Völker  den  Göttern  mit  Milch,  und  spenden  mit  Salz  ver- 
mischtes Mehl,  weil  sie  keinen  Weihrauch  haben;  und  nie- 
mals wurde  es  für  ein  Laster  gehalten,  die  Götter  so  zu 
verehren,  wie  man  es  vermochte.  Meine  Kühnheit  wird 
indessen  noch  dadurch  vermehrt,  dass  ich  Dir  diese  Bücher 
von  leichterer  Arbeit  gewidmet  habe;  in  ihnen  vermisst  man 
einen  erhabenen  Geist,  der  mir  überdiess  nur  in  sehr 
massigem  Grade  zu  Theil  ward;  auch  fehlen  darin,  wegen 
Trockenheit  der  Materie,  Abschweifungen,  Reden,  Ge- 
spräche, merkwürdige  Ereignisse,  verschiedene  Vorfälle, 
oder  Gegenstände,  welche  angenehm  zu  nennen  und  in- 
teressant zu  lesen  wären. 

Das  Wesen  der  Dinge,  d.  h.  ihr  Leben  wird  darin  be- 
schrieben, und  zwar  von  seiner  schmutzigsten  Seite,  so  dass 
vieles  mit  gemeinen  oder  auswärtigen,  ja  sogar  barbarischen 
und  von  einem  anständigen  Vorworte  begleiteten  Namen 
bezeichnet  werden  musste.  Ueberdem  ist  diess  bis  jetzt 
nur  erst  ein  Pfad,  keineswegs  eine  von  Schriftstellern  schon 
betretene  Strasse,  oder  eine  solche,  auf  welche  der  Geist 
gern  wandeln  möchte.     Niemand  unter  uns   hat  ihn  noch 


/ 


24  Erstes  Buch. 

benutzt;  Niemand  unter  den  Griechen,  der  alle  diese  Gegen- 
stände allein  behandelt  hat.  Viele  suchen  nur  die  ange- 
nehme Seite  der  Studien  auf.  Was  aber  von  Andern  mit 
ausserordentlichem  Scharfsinn  bearbeitet  sein  soll,  das  liegt 
noch  in  tiefem  Dunkel.  Ich  beabsichtigte  nun  alles  das  zu 
berühren,  was,  nach  dem  Ausdrucke  der  Griechen,  in  eine 
„Encyclopädie"  gehört,  was  entweder  noch  unbekannt  oder 
noch  nicht  sicher  erforscht  ist.  Andere  Materien  sind  aber 
von  vielen  Autoren  bereits  zum  Ueberdrusse  besprochen 
worden.  Es  ist  eine  schwierige  Sache,  alte  Dinge  in  ein 
neues  Gewand  zu  kleiden,  neuen  Dingen  Ansehn,  abge- 
nutzten Glanz,  dunkeln  Licht,  faden  ein  gefälliges  Gewand, 
zweifelhaften  Glauben,  allen  aber  ihr  Wesen  und  dem  Wesen 
alles,  was  ihm  gehört,  zu  geben.  Daher  erscheint  schon 
der  Wille  löblich  und  schön,  wenn  auch  das  Ziel  nicht  ganz 
erreicht  wird.  Ich  bin  wenigstens  der  Ansicht,  dass  ein 
besonderer  Umstand  in  dem  Bestreben  Derer  liegt,  welche 
nach  überwundenen  Schwierigkeiten,  den  Nutzen  zu  helfen 
der  Sucht  zu  gefallen  vorzogen,  und  diess  Princip  habe  ich 
auch  in  andern  Schriften  befolgt.  Daher  gestehe  ich  meine 
Verwunderung  über  den  berühmten  Schriftsteller  T.  Livius1), 
welcher  einen  Band  seiner  vom  Ursprünge  Rom's  beginnen- 
den Geschichte  also  eröffnet:  „er  habe  sich  schon  Ruhm 
genug  erworben  und  hätte  seine  Thätigkeit  einstellen 
können,  wenn  nicht  sein  rastloser  Geist  an  dem  Werke 
selbst  Nahrung  fände."  Denn  ihm  ziemte  es  wahrlich,  zum 
Ruhme  der  Völker  besiegenden  Nation  und  des  römischen 
Namens  und  nicht  für  seinen  eigenen  jenes  Werk  zu  ^er- 
fassen. Es  wäre  verdienstvoller  gewesen,  wenn  er  aus 
Liebe  zur  Sache,  nicht  seines  Geistes  wegen,  und  für  das 
römische  Volk,  nicht  aber  für  sich  so  beharrlich  gear- 
beitet hätte. 

Zwanzigtausend  merkwürdige  Gegenstände  (sie  sollten 
daher,  wie  Domitius  Piso  sagt,  eher  Schatzkammern  und 


')  Aus  Padua,  der  vornehmste  römische  Geschichtsschreiber,  lebte 
lange  am  Hofe  des  Augustus  und  starb  19  n.  Chr.  in  seiner  Vaterstadt. 


Erstes  Buch.  25 

nicht  Bücher  heissen),  gesammelt  durch  das  Lesen  von  etwa 
zweitausend  Büchern,  unter  welchen  erst  wenige  ihres 
schwierigen  Inhalts  wegen  von  den  Gelehrten  benutzt  sind, 
von  Hundert  der  besten  Schriftsteller1),  habe  ich  in  XXXVI 
Bänden  zusammengefasst,  dazu  aber  noch  vieles  gefügt, 
wovon  entweder  unsere  Vorfahren  nichts  wussten,  oder 
was  das  Leben  erst  später  ermittelt  hat.  Ich  zweifle  in- 
dessen nicht,  dass  auch  mir  manches  entgangen  ist;  ich 
bin  ja  Mensch,  mit  Geschäften  überhäuft,  arbeitete  an  dem 
Werke  nur  in  meinen  Nebenstunden,  d.  h.  des  Nachts,  um 
der  Meinung  nicht  Kaum  zu  geben,  als  habe  ich  von  den 
für  Dich  bestimmten  Stunden  etwas  entzogen.  Die  Tages- 
zeit widme  ich  Dir,  ich  schlafe  nach  Maassgabe  meiner 
Gesundheit,  bin  sogar  mit  dieser  einzigen  Belohnung  zu- 
frieden, weil  ich  (wie  M.  Varro  sagt)  im  Dienste  der  Musen 
so  viele  Stunden  mehr  lebe.  Denn  nur  das  Wachen  ist 
Leben.  Dieser  Ursachen  und  Schwierigkeiten  wegen  wage 
ich  nichts  zu  versprechen;  Du  bist  mir  selbst  Bürge  dafür, 
weil  ich  an  Dich  schreibe.  Diess  ist  kein  Vertrauen  auf 
mein  Werk,  sondern  nur  eine  Empfehlung  für  dasselbe. 
Viele  Dinge  scheinen  nur  darum  sehr  werthvoll,  weil  sie 
den  Tempeln  geweihet  sind.  Ich  habe  Alle,  Deinen  Vater, 
Dich  und  Deinen  Bruder  in  einem  andern  Werke  geschildert, 
welches  in  der  Geschichte  unserer  Zeiten  da  beginnt,  wo 
Aufidius  Bassus  aufhört.  Du  wirst  fragen,  wo  es  sei? 
Längst  vollendet,  wird  es  noch  ausgebessert  und  überdiess 


')  Nach  einer  von  mir  unternommenen  genauen  Zählung  hat  Pli- 
nius  in  diesem  Werke  505  Schriftsteller  benutzt.  Von  diesen  sind 
nur  447  in  den  Inhaltsverzeichnissen  des  ersten  Buches,  58  dagegen 
nur  im  Texte  genannt  worden.  Ausserdem  finden  sich  noch  8  Schrift- 
stellerinnen (7,  nämlich :  Agrippina,  Elephantis,  Lais,  Olympias,  Phe- 
monoe,  Salpe  und  Sotira  in  den  Inhaltsverzeichnissen,  1  nämlich:  Erinna 
nur  im  Texte)  und  3  öffentliche  Urkunden  (Acta  und  Acta  triumpho- 
rum  in  den  Inhaltsverzeichnissen,  Annales  nur  im  Texte).  Die  totale 
Summe  aller  von  PI.  benutzten  Schriftsteller,  Schriftstellerinnen  und 
öffentlichen  Urkunden  beträgt  also  516.  Ein  alphabetisches  Verzeich- 
niss  derselben  folgt  am  Schlüsse  des  Werks. 


26  Erstes  Buch. 

ist  es  zur  Uebergabe  an  einen  Erben  bestimmt,  um  selbst 
den  Schein  zu  vermeiden,  als  habe  mein  Leben  nach  Ehr- 
geiz gestrebt.  Ich  räume  Denen  den  Platz  gern  ein,  welche 
ihn  zuvor  schon  inne  hatten,  aber  auch  den  Nachfolgern, 
von  Denen  ich  weiss,  dass  sie  mit  mir  ebenso,  wie  ich  mit 
den  vorigen,  wetteifern  werden. 

Den  Beweis  meiner  Denkungsart  magst  Du  daraus  er- 
sehen, dass  ich  die  Namen  der  Schriftsteller  diesen  Büchern 
vorgesetzt  habe.  Es  ist  nämlich,  wie  ich  glaube,  billig  und 
zeugt  von  edler  Schaam,  zu  bekennen,  wem  man  sein 
Wissen  verdankt,  und  es  nicht  zu  machen,  wie  die  meisten 
der  von  mir  angeführten.  Denn  wisse,  dass  ich  bei  Ver- 
gleichung  der  Schriftsteller  gerade  unter  den  sich  für  originell 
ausgebenden  und  neuesten  solche  fand,  welche  die  Alten 
wörtlich  abgeschrieben  und  nicht  genannt  haben;  nicht  mit 
jenem  Edelmuthe  des  Virgil,  um  zu  wetteifern;  nicht  mit 
der  Anspruchslosigkeit  des  Cicero,  der  in  den  Büchern 
„über  die  Republik"  dem  Plato  gefolgt  zu  sein  gesteht, 
der  in  der  „Tröstung  über  den  Tod  seiner  Tochter"  sagt: 
ich  folge  dem  Crantor;  der  in  dem  Werke  „über  die 
Pflichten"  den  Pansetius x)  zum  Muster  nahm;  —  Du  kennst 
ja  diese  Werke,  welche  studirt  und  nicht  bloss  täglich  in 
die  Hand  genommen  werden  sollten.  Es  verräth  sicherlich 
einen  schwachen  und  unglücklichen  Geist,  lieber  auf  dem 
Diebstahle  ertappt  zu  werden,  als  das  Empfangene  wieder 
zu  geben,  da  ja  aus  den  Zinsen  wieder  ein  Capital  wird. 

Hinsichtlich  des  Titels  eines  Buches  herrscht  bei  den 
Griechen  eine  wunderbare  Fruchtbarkeit.  Einige  über- 
schreiben KtjqIov,  was  sie  Honigscheibe  genannt  wissen 
wollen;  Andere:  Kegag  afiaX^siag  oder  Hörn  des  Ueber- 
flusses,  so  dass  man  aus  einem  solchen  Buche  Hühnermilch 
zu  schöpfen  hoffen   könnte.     Andere  Titel   sind:  3Icovid2), 


1)  Von  Rhodus,    stoischer    Philosoph    aus  dem  2.  Jahrh.  v.  Chr., 
von  dessen  Werken  wir  keins  mehr  besitzen. 

2)  Veilchenbeet. 


Erstes  Buch.  27 

Moväcti1),  IlavdsxTai2),  EyxsiQidiaz),  steifioov*),  Ilivc%  5), 
I%sdiov6)1  —  Namen,  wegen  denen  man  wirklich  einen 
Gerichtstermin  versäumen  könnte!  Allein,  liest  man  erst 
solche  Bücher,  ihr  Götter  und  Göttinnen,  welch'  ein  Nichts 
enthalten  sie!  Die  Ernstern  unter  uns  Römern  bedienen 
sich  der  Worte:  Antiquitates7),  Exempla8),  Artes9);  die 
Scherzhaften  sagen:  Lucubrationes10),  wie  denn  auch  einer 
von  ihnen  ein  Säufer  war  und  so  genannt  wurde.  Weniger 
ernst  ist  M.  Varro,  der  seine  Satyren  mit  Sesculysses11)  und 
Flexibula12)  überschrieb.  Unter  den  Griechen  hörte  Diodorus13) 
zuerst  auf  zu  scherzen  und  gab  seiner  Geschichte  den  Namen 
Bißho^xtj.  Zwar  schrieb  der  Grammatiker  Apion14),  der- 
selbe, welcher  den  Kaiser  Tiberius  die  Cymbel  der  Welt 
nannte,  während  dieser  doch  eher  als  die  Pauke  des  öffent- 
lichen Gerichts  angesehen  werden  könnte,  dass  diejenigen 
mit  der  Unsterblichkeit  von  ihm  beschenkt  werden  sollten, 
denen  er  etwas  widmen  würde.  Mich  reuet  es  nicht,  keinen 
pomphaften  Titel  ausgedacht  zu  haben.  Damit  es  aber  nicht 
scheine,  als  verspotte  ich  die  Griechen  in  jeder  Beziehung, 
so  möchte  ich  wohl  nach  jenen  Gründern  der  Malerei  und 
Plastik  beurtheilt  werden,  welche  Du  in  diesen  Büchern 
findest,  und  die  ihre  vollendeten  Werke  sowie  auch  die- 
jenigen, welche  wir  nicht  genug  bewundern  können,  mit 
einer  schwankenden  Inschrift  versahen,  wie  z.  B.:  „Apelles 
arbeitete  daran"15),  oder  „Polycletus";  gleichsam  als  ob  die 
Kunst  stets  nur  eine  angefangene,  keine  vollendete  wäre, 
so  dass  dem  Künstler  den  verschiedenen  Urtheilen  gegen- 


*)  Von  Herodot.  2)  Pandekten.  3)  Handbücher,  ein  "Werk  von 
Epictet.  4)  Wiese,  von  Gellius.  5)  Gemälde,  von  Cebes.  6)  Skizze,  von. 
Himerius.  7)  Alterthümer,  wie  Varro.  8)  Beispiele,  wie  Valerius  Ma- 
ximus.    9)  Künste.      10)  Nachtarbeiten.     u)  Anderthalbfacher  Ulysses. 

I2)  Krümmungen. 

,3)  Von  Agyrion  in  Sicilien,  daher  auch  D.  Siculus  genannt,  Hi- 
storiker zur  Zeit  J.  Caesar's  und  Augustus  in  Rom. 

u)  Ein  Aegypter  und  bei'ühmter  Schriftsteller  aus  der  Zeit  des 
Tiberius. 

,5)  faciebat. 


28  Erstes  Buch. 

über  noch  eine  Ausflucht  zur  Entschuldigung  übrig  blieb, 
in  der  Absicht,  das  was  noch  fehle  zu  verbessern,  wenn  er 
nicht  unterbrochen  wäre.  Es  zeugt  daher  von  grosser  Be- 
scheidenheit, dass  sie  alle  ihre  Werke  wie  als  ihre  neuesten 
bezeichneten,  denen  sie  durch  das  Schicksal  entrissen  wären. 
Nur  drei  glaub'  ich,  sind,  laut  der  Inschrift:  „Der  und  Der 
machte  sie"1),  als  vollendete  bezeichnet  und  auf  diese  werde 
ich  gehörigen  Orts2)  zurückkommen.  Wir  ersehen  aus 
diesen  Worten,  dass  der  Verfertiger  seiner  Kunst  völlig 
sicher  zu  sein  glaubte,  uud  darum  tragen  alle  dergleichen 
Kunstwerke  das  Gepräge  der  Prahlerei. 

Ich  gestehe,  dass  ich  meinem  Werke  noch  vieles  hätte 
hinzufügen  können,  und  nicht  bloss  diesem  allein,  sondern 
allen,  welche  ich  verfasst  habe,  um  mich  vor  jenen  Homers- 
geisslern3)  (wie  ich  sie  mit  Recht  nennen  möchte)  zu  hüten, 
weil  ich  vernehme,  dass  auch  die  Stoiker,  Dialektiker  und 
Epikuräer  (denn  von  den  Grammatikern  habe  ich  das  immer 
erwartet)  gegen  meine  Schriften  über  die  Grammatik  zu 
Felde  ziehen,  und  seit  zehn  Jahren  nichts  als  unzeitige 
Geburten  zur  Welt  bringen,  während  selbst  die  Elephanten 
schneller  gebären.  Aber  ich  müsste  ja  nicht  wissen,  dass 
gegen  Theophrastus,  einen  Mann,  der  sich  wegen  seiner 
ausgezeichneten  Beredsamkeit  einen  göttlichen  Namen  er- 
warb4), sogar  ein  Weib  geschrieben  hat,  und  dass  sich 
daher  das  Sprichwort  datirt:  man  solle  sich  einen  Baum 
zum  Erhängen  aussuchen.  Ich  kann  mich  nicht  enthalten, 
wenigstens  die  hieher  passenden  Worte  des  Censors 
Cato5)  anzuführen,  damit  man  daraus  entnehme,  wie  sogar 
gegen  ihn  (der   unter   dem    Africanus,  ja   unter   Hannibal 


')  fecit.  2)  Im  XXXV.  Buche.  3)  Honieroniastigae,  ungerechte 
Tadler. 

4)  Er  hiess  ursprünglich  T  yrtamus,  nannte  sich  dann  Euphrastus 
(der  Wohlredner)  und  endlich  sogar  Theophrastus  (der  göttliche  Red- 
ner).   Er  stammte  aus  Eresus  auf  Lesbos  und  lebte  392—286  v.  Chr. 

5)  Marcus  Porcius  Cato,  der  ältere,  berühmter  römischer  Staats- 
mann, Redner  und  Schriftsteller,  lebte  232—147  v.  Chr.  Von  seinen 
zahlreichen  Schriften  besitzen  wir  nur  noch  das  Buch  über  den  Landbau. 


Erstes  Buch.  29 

die  Kriegskunst  erlernt  hatte,  der  nicht  einmal  den  als 
Feldherrn  im  Triumph  eingezogenen  Africanus  leiden 
konnte),  als  er  über  das  Kriegswesen  schrieb,  Leute  bereit 
waren,  durch  Schmähung  einer  ihnen  fremden  Wissenschaft 
sich  selbst  einen  Ruhm  zu  erwerben.  Denn  was  sagt  er 
in  jenem  Buche?  „Ich  weiss,  dass  Viele  die  Schriften, 
sobald  sie  der  Oeffentlichkeit  übergeben  sind,  verspotten 
werden;  jene  sind  aber  meistens  von  der  Art,  dass  sie  des 
wahren  Lobes  ermangeln;  ich  lasse  daher  ihre  Reden  un- 
beachtet vorüber  gehen."  Ebenso  passend  drückte  sich 
Plancus  aus,  als  es  hiess,  Asinius  Pollio1)  verfasste  Reden 
gegen  ihn,  welche  von  ihm  oder  seinen  Kindern  erst  nach 
Plancus  Tode  herausgegeben  werden  sollten,  damit  er  nichts 
dagegen  erwiedern  könne:  „Nur  Gespenster  stritten  mit 
Todten".  Durch  diese  Worte  entkräftete  er  sie  so,  dass 
sie  bei  den  Gelehrten  für  ein  unverschämtes  Machwerk  ge- 
halten wurden.  Ich  werde  daher,  unbekümmert  um  die 
Fehlerankläger1)  wie  sie  Cato  treffend  bezeichnet  (denn  was 
thuen  sie  anders  als  anklagen  oder  Streit  suchen?),  das  be- 
gonnene Werk  vollenden. 

In  Berücksichtigung  Deiner  Geschäfte,  die  ich  als  ein 
öffentliches  Gut  schonen  muss,  habe  ich  den  Inhalt  der 
einzelnen  Bücher  diesem  Schreiben  beigefügt,  und  die  grösste 
Sorgfalt  darauf  verwendet,  um  Dir  das  Durchlesen  der 
Bücher  zu  ersparen.  Durch  Dich3)  werden  also  auch  Andere 
des  Durchlesens  enthoben;  wer  aber  über  irgend  etwas 
nähere  Auskunft  zu  haben  wünscht,  braucht  bloss  in  jenem 
Inhaltsverzeichnisse  nachzusehen,  um  sogleich  zu  erfahren, 
an  welcher  Stelle  es  zu  finden  ist.  Vor  mir  verfuhr  in 
unserer  Literatur  ValeriusSoranus4)  schon  auf  ähnliche  Weise 
in  den  Büchern,  welche  er  unter  dem  Titel  'Enomidcaf) 
herausgegeben  hat. 


*)  Berühmter  Redner  und  Historiker  aus  der  Zeit  des  Augustus, 
dessen  Werke  sämmtlich  verloren  sind.  2)  Vitelitigatores.  3)  D.  h. 
wegen  der  eigentlich  nur  für  dich  gemachten  Bequemlichkeit. 

4)  Arzt  und  Zeitgenosse  Cicero's.     5)  Uebersichten. 


Kurzer   Inbegriff 

der  Naturgeschichte  des  C.  Plinius  Secundus. 


Zweites  Buch. 

Von  der  Welt  und  den  Elementen. 

1.  Ob  die  Welt  Grenzen  hat  und  ob  sie  einzig  ist. 

2.  Von  ihrer  Gestalt. 

3.  Von  ihrer  Bewegung.    Warum  sie  Mundus  genannt  wird. 

4.  Von  den  Elementen  und  den  Planeten. 

5.  Von  Gott. 

6.  Von  den  Gestirnen.     Von  dem  Laufe  der  Planeten. 

7.  Von  den  Mond-  und  Sonnenfinsternissen.     Von  der  Nacht. 

8.  Von  der  Grösse  der  Gestirne. 

9.  Wer  alle  diese  Entdeckungen  am  Himmel  zuerst  gemacht  hat. 

10.  Wann  die  Sonnen-  und  Mondfinsternisse  wiederkehren. 

11.  Von  dem  Laufe  des  Mondes. 

12.  Der  Lauf  der  Planeten  und  die  Gesetze  ihres  Leuchtens. 

13.  Warum  sie  zuweilen  entfernter,  zuweilen  näher  erscheinen. 

14.  Warum  ihre  Bahnen  ungleich  sind. 

15.  Allgemeine  Bemerkungen  über  die  Planeten. 

16.  Woher  es  kommt,  dass  sie  ihre  Farben  ändern. 

17.  Der  Lauf  der  Sonne,  und  die  Ursache  der  Ungleichheit  der  Tage. 

18.  Warum  dem  Jupiter  die  Blitze  zugeschrieben  werden. 

19.  Abstände  der  Gestirne  von  einander. 

20.  Musikalische  Raumesverhältnisse  zwischen  den  Gestirnen. 

21.  Geometrische  Raumesverhältnisse  der  Welt. 

22.  Von  den  plötzlich  entstehenden  Gestirnen  oder  den  Kometen. 

23.  Ihre  Beschaffenheit,  Lage  und  Arten. 

24.  Hipparch's  Ansichten  von  den  Gestirnen. 

25.  Wunderbare   Erscheinungen   am   Himmel,    durch    geschichtliche 

Beispiele  beglaubigt:    Fackeln,  Lampen,  Spiesse. 


Erstes  Buch.  31 

26.  Feurige  Balken  und  vom  geöffneten  Himmel. 

27.  Von  den  Farben  des  Himmels  und  dem  flammenden  Himmel. 

28.  Von  himmlischen  Kränzen. 

29.  Von  plötzlich  entstehenden  Ringen. 

30.  Längere  Verfinsterungen  der  Sonne. 

31.  Mehrere  Sonnen. 

32.  Mehrere  Monde. 

33.  Tageshelle  in  der  Nacht. 

34.  Feurige  Schilde. 

35.  Ein  nur  einmal  am  Himmel  bemerktes  Zeichen. 

36.  Vom  Hin-  und  Hergehen  der  Sterne. 

37.  Von  den  Sternen,  welche  auf  der  Erde  und  im  Meere  vorkommen. 

38.  Von  der  Luft,  und  woher  der  Steinregen  kommt. 

39.  Von  den  bestimmten  Witterungen. 

40.  Vom  Aufgange  des  Hundssterns. 

41.  Bestimmter  Einfluss  der  Jahreszeiten. 

42.  Von  den  unbestimmten  Witterungen,  vom  Platzregen. 

43.  Vom  Donner  und  Blitz. 

44.  Entstehung  der  Winde. 

45.  Verschiedene  Bemerkungen  über  die  Winde. 

46.  Arten  der  Winde. 

47.  Zeiten,  wann  Winde  entstehen. 

48.  Beschaffenheit  der  Winde. 

49.  Der  Ecnephias  und  Typhon. 

50.  Wirbel,  feurige  Wirbelwinde,  Drehwinde  und  andere  merkwürdige 

Sturmarten. 

51.  Von  den  Blitzen;  in  welchen  Ländern  es  nicht  blitzt  und  warum. 

52.  Arten  der  Blitze  und  ihre  wunderbaren  Eigenschaften. 

53.  Beobachtungen  der  Etruscer  und  Römer  über  dieselben. 

54.  Von  der  Beschwörung  der  Blitze. 

55.  Allgemeine  Bemerkungen  über  die  Blitze. 

56.  Was  der  Blitz  niemals  trifft. 

57.  Von  Milch-,  Blut-,  Fleisch-,  Eisen-,  Wolle-  und  Ziegelstein-Regen 

58.  WafFengeklirr  und  Hörnerschall  vom  Himmel  her  gehört. 

59.  Steine  die  vom  Himmel  fallen.  Ansichten  desAnaxagoras  darüber. 

60.  Der  Regenbogen. 

61.  Beschaffenheit  des  Hagels,  Schnees,  Reifes,  Nebels,  Thaues,  der 

Wolken.     Bilder  in  den  Wolken. 

62.  Beschaffenheit  des  Himmels  an  verschiedenen  Orten. 

63.  Beschaffenheit  der  Erde. 

64.  Von  ihrer  Gestalt. 

65.  Ob  es  Gegenfüssler  giebt. 

66.  Wie  dag  Wasser  mit  der  Erde  verbunden  ist. 

67.  Ob  der  Ocean  die  Erde  rings  umgiebt. 


32  Erstes  Buch. 

68.  Welcher  Theil  der  Erde  bewohnt  ist. 

69.  Dass  die  Erde  der  Mittelpunkt  der  Welt  ist. 

70.  Von  der  schrägen  Lage  der  Erdgürtel. 

71.  Von  der  Ungleichheit  der  Klimata. 

72.  Wo  die  Sonnen-  und  Mondfinsternisse  nicht  gesehen  werden,  und 

warum. 

73.  Welche  ßewandtniss   es  mit  dem  Tageslichte  auf  der  Erde  hat. 

74.  Darauf  bezügliche  Bemerkungen  über  die  Sonnenuhren. 

75.  Wo  und  wann  kein  Schatten  entsteht. 

76.  Wo  zweimal  im  Jahre  Schatten  und  wo  das  Gegentheil  ist. 

77.  Wo  die  Tage  am  längsten  und  wo  sie  am  kürzesten  sind. 

78.  Von  der  ersten  Stundenuhr. 

79.  Von  der  Bestimmung  der  Tagesdauer. 

80.  Verschiedenheit  der  Völker  nach  ihrem  Wohnsitze. 

81.  Vom  Erdbeben. 

82.  Von  Erdfällen. 

83.  Merkmale  eines  bevorstehenden  Erdbebens. 

84.  Hülfsmittel  gegen  bevorstehende  Erdbeben. 

85.  Wunder  auf  Erden,  die  nur  einmal  geschehen  sind. 

86.  Wunderbare  Erscheinungen  beim  Erdbeben. 

87.  In  welchen  Gegenden  das  Meer  zurückgetreten  ist, 

88.  Wie  Inseln  entstanden  sind. 

89.  Welche  und  zu  welchen  Zeiten  sie  entstanden  sind. 

90.  Welche  Länder  durch  das  Meer  abgerissen  sind. 

91.  Welche  Inseln  an  das  feste  Land  gesetzt  sind. 

92.  Welche  Länder  vom  Meere  verschlungen  sind. 

93.  Welche  Länder  von  selbst  untergegangen  sind. 

94.  Städte,  die  das  Meer  verschlungen  hat 

95.  Von  den  Luftlöchern  der  Erde. 

96.  Länder,  welche  immer  zittern;  schwimmende  Inseln. 

97.  An  welchen  Orten  es  nicht  regnet- 

98.  Eine  Menge  Wunder  von  Ländern. 

99.  Von  der  Natur  der  Ebbe  und  Fluth. 

100.  Wo  Ebbe  und  Fluth  von  der  Regel  abweichen. 

101.  Wunder  des  Meeres. 

102.  Welchen  Einfluss  der  Mond  auf  Land-  und  Meer-Geschöpfe  hat. 

103.  Einfluss  der  Sonne  auf  dieselben. 

104.  Warum  das  Meer  salzig  ist. 

105.  Wo  das  Meer'  am  tiefsten  ist. 

106.  Wunder  der  Quellen  und  Flüsse. 

107.  Vereinigte  Wunder  des  Feuers  und  Wassers.  * 

108.  Von  der  Maltha. 

109.  Von  der  Naphtha. 

110.  Welche  Orte  stets  brennen. 


Erstes  Buch.  33 

111.  Wunder  des- Feuers  an  sich. 

112.  Bestimmung  der  Grösse  der  ganzen  Erde. 

113.  Hannonische  Berechnung  der  ganzen  Welt. 

Zusammen:  417  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
M.  Varro,  Sulpicius  Gallus,  der  Kaiser  Titus,  Q.  Tubero,  Tullius 
Tiro,  L.  Piso,  T.  Livius,  C.  Nepos,  Sebosus,  Cselius  Antipater,  Fabia- 
nus,  Antias,  Mucianus,  Caecina  der  über  etruskische  Einrichtungen 
geschrieben  hat,  Tarquitius  desgleichen,  Julius  Aquila  desgleichen, 
Sergius,  Paulus. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Plato,  Hipparchus,  Timaeus,  Sosigenes,  Petosiris,  Nechepsus,  die 
Pythagoraeer,  Posidonius,  Anaximander,  Epigenes,  Gnomonicus,  Eu- 
clides,  der  Philosoph  Coeranus,  Eudoxus,  Democritus,  Critodemus, 
Thrasyllus,  Serapion,  Dicaearchus,  Archimedes,  Onesicritus,  Eratosthe- 
nes,  Pytheas,  Herodotus,  Aristoteles,  Ctesias,  Artemidorus  von  Ephe- 
sus,  Isidorus  von  Charax,  Theopompus. 


Drittes  Buch. 


Von  der  Lage  und  Grösse  der  Länder,  Meere,  Städte,  Häfen, 

Berge,    Flüsse    und    den    Völkern,    welche    noch    da    sind 

oder  da  waren. 

1.  Europa' s  Grenzen  und  Lage  im  Allgemeinen. 

2.  Von  Spanien  überhaupt. 

3.  Die  baltische  Provinz. 

4.  Das  diesseitige  Spanien. 

5.  Die  narbonensische  Provinz. 

6.  Itaüen. 

7.  Der  neunte  Bezirk  von  Italien. 

8.  Der  siebente  Bezirk  von  Italien. 

9.  Der  erste  Bezirk  von  Italien.    Die  Tiber,  Rom. 

10.  Der  dritte  Bezirk  von  Italien. 

11.  64  Inseln,  unter  ihnen  die  Balearen. 

12.  Corsica. 

13.  Sardinien. 

14.  Sicilien. 

15.  Gross- Griechenland;  von  Locri  an. 

16.  Der  zweite  Bezirk  von  Italien. 

17.  Der  vierte  Bezirk  von  Italien. 

18.  Der  fünfte  Bezirk  von  Italien. 

3 


o.  Erstes  Buch. 

19.  Der  sechste  Bezirk  von  Italien. 
20    Der  achte  Bezirk  von  Italien. 

21.  Der  elfte  Bezirk  von  Italien;  Italien  jenseits  des  Po. 

22.  Der  zehnte  Bezirk  von  Italien. 

23.  lstrien  und  dessen  Bewohner. 

24.  Die  Alpen  und  ihre  Bewohner. 

25.  Liburnien  und  Illyrien. 

26.  Dalmatien. 

27.  Noricum. 

28.  Pannonien. 

29.  Moesien. 

30.  Die  Inseln  des  ionischen  und  adriatischen  Meeres. 

Zusammen:   Städte  und  Völker.  ] 

Berühmte  Flüsse.  Die  Zahlen 

Berühmte  Berge.  \  fehlen  in  allen 

Inseln.  Handschriften. 

Untergegangene  Städte  und  Völker,  j 
316  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
Turranius  Gracilis,  Com.  Nepos,  T.  Livius,  der  Censor  Cato,  M.. 
Agrippa,  M.  Varro,  der  Kaiser  Augustus,  Varro  von  Atace,  Hyginus, 
L  Vetus  MelaPomponius,  Curio  der  Vater,  Caelius,  Arruntius,  Sebo- 
sus,  Licinius  Mucianus,  Fabricius  Tuscus,  L.  Attejus  Capito,  Vemus 
Fla'ccus,  L.  Piso,  Gellianus,  Valerianus. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Artemidorus,  Alexander  Polyhistor,    Thucydides,   Theophrastus, 
Isidorus,  Theopompus,  Metrodorus  von  Scepsis,  Calhcrates,  Xenephon 
von  Lampsacus,  Diodorus  von  Syracus,  Calliphanes,  Timagenes. 


Viertes  Buch. 


Von  der  Lage  und  Grösse  der  Länder,  Meere,  Städte, 

Häfen,  Berge,  Flüsse  und  den  Völkern,  welche  noch 

da  sind  oder  da  waren. 

1.  Epirus. 

2.  Acarnanien. 

3.  Aetolien. 

4.  Locris  und  Phocis. 

5.  Der  Peloponnes. 

6.  Achaja. 

7.  Messenien. 


Erstes  Buch.  35 

8.  Laconien. 

9.  Argolis. 

10.  Arcadien. 

11.  Attica,  Griechenland. 

12.  Böotien. 
18.  Doris. 

14.  Phthiotis. 

15.  Thessalien. 

16.  Magnesien. 

17.  Macedonien. 

18.  Thracien,  das  ägeische  Meer. 

19.  Die  Inseln,  welche  vor  diesen  Ländern  liegen,  darunter: 

20.  Creta. 

21.  Euböa. 

22.  Die  Cycladen. 

23.  Die  Sporaden. 

24.  Der  Hellespont.  Der  Maeotis. 

25.  Dacien,  Sarmatien. 

26.  Scythien. 

27.  Die  Inseln  im  Pontus.     Die  Inseln  im  nördlichen  Ocean. 

28.  Germanien. 

29.  96  Inseln  im  gallischen  Ocean,  unter  diesen: 

30.  Britannien. 

31.  Das  belgische  Gallien. 

32.  Das  lugdunensische  Gallien. 

33.  Das  aquitanische  Gallien. 

34.  Das  diesseitige  Spanien  vom  gallischen  Ocean  an. 

35.  Lusitanien. 

36.  Die  Inseln  im  atlantischen  Meere. 

37.  Bestimmung  der  Grösse  von  ganz  Europa. 

Zusammen:  Städte  und  Völker. 

Berühmte  Flüsse.  Die  Zahlen 

Berühmte  Berge.  \  fehlen  in  allen 

Inseln.  Handschriften. 

Untergegangene  Städte  und  Völker. 
Gegenstände,  Erzählungen  !und  Bemerkungen.  . 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
M.  Varro,  der  Censor  Cato,  M.  Agrippa,  der  Kaiser  Augustus, 
Varro  von  Atace,  Com.  Nepos,  Hyginus,  L.  Vetus,  Pomponius  Mela, 
Licinius  Mucianus,  Fabricius   Tuscus,  Attejus  Capito,   der  Philolog 
Attejus. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Polybius,  Hecatseus,  Hellanicus,  Damastes,  Eudoxus,  Dicsearchus, 
Timosthenes,  Eratosthenes,  Ephorus,  der  Grammatiker  Cratetes,  Se- 

3* 


36  Erstes  Buch. 

rapion  von  Antiochien,  Callimachus,  Artemidorus,  Apollodorus,  Aga- 
thocles,  Euuiachus,  Timseus  aus  Sicüien,  Myrsilus,  Alexander  Poly- 
histor, Thucydides,  Dosiades,  Anaximander ,  Philistides  von  Mallus, 
Dionysius,  Aristides,  Callidemus,  Mensechmus,  Aglaosthenes,  Anticlides, 
Heraclides,  Philemon,  Xenophon,  Pytheas,  Isidorus,  Pliilonides,  Xena- 
goras,  Astynomus,  Staphylus.  Aristocriton,  Metrodorus,  Cleobulus, 
Posidonius. 


Fünftes  Buch. 

Von  der  Lage  und  Grösse  der  Länder,  Meere,  Städte, 

Häfen,  Berge,  Flüsse,  und  den  Völkern,  welche 

noch  da  sind  oder  da  waren. 

1.  Mauritanien. 

2.  Numidien. 

3.  Afrika  (im  engern  Sinne). 

4.  Die  Syrten. 

5.  Cyrenaica. 

6.  Das  libysche  Mareotis. 

7.  Die  Inseln  um  Afrika. 

8.  Das  innere  Afrika. 

9.  Asien.  Aegypten  und  Thebais. 

10.  Der  Nil. 

11.  Die  Städte  in  Aegypten. 

12.  Arabien,  welches  am  ägyptischen  Meere  liegt. 

13.  Syrien. 

14.  ldumäa,  Palästina,  Samaria. 

15.  Judäa. 

16.  Decapolis. 

17.  Phönicien. 

18.  Das  antiochische  Syrien. 

19.  Das  übrige  Syrien. 

20.  Der  Euphrat. 

21.  Syrien  am  Euphrat. 

22.  Cilicien  und  die  anwohnenden  Völker. 

23.  Die  Isaurer  und  die  Homonader. 

24.  Pisidien. 

25.  Lycaonien. 

26.  Pamphylien. 

27.  Der  Berg  Taurus. 

28.  Lycien. 

29.  Carien. 

30.  Lydien. 


Erstes  Buch.  37 

31.  Ionien. 

32.  Aeolien. 

33.  Troas  und  die  anwohnenden  Völker. 

34.  212  Inseln  vor  Asien,  darunter: 

35.  Cypem. 

36.  Rhodus. 

37.  Samos. 

38.  Chios. 

39.  Lesbos. 

40.  Das  Hellespont  und  Mysien. 

41.  Phrygien. 

42.  Galatien  und  die  anwohnenden  Völker. 

43.  Bithynien. 

44.  Die  Inseln  im  Propontis. 

Zusammen:  Städte  und  Völker. 
Berühmte  Flüsse. 
Berühmte  Berge. 
318  (?)  Inseln. 
Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
Agripppa,  Suetonius,  Paulinus,  M.  Varro,  Varro  von  Atace,  Com. 
Nepos,  Hyginus,  L.  Vetus,  Mela,  Domitius  Corbulo,  Licinius  Mucianus, 
der  Kaiser  Claudius,   Arruntius,  Livius  der  Sohn,  Sebosus,  die  Acten 
über  die  gehaltenen  Triumphe. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Der  König  Juba,  Hecata^us,  Hellanicus,  Damastes,  Dicsearchus, 
Baeton,  Timosthenes,  Philonides,  Xenagoras,  Astynomus,  Staphylus, 
Aristoteles,  Dionysius,  Aristocritus,  Ephorus,  Eratosthenes,  Hippar- 
chus,  Pansetius,  Serapion  von  Antiochia,  Callimachus,  Agathocles, 
Polybius,  der  Mathematiker  Tima^us,  Herodotus,  Myrsilus,  Alexander 
Polyhistor,  Metrodorus,  Posidonius,  welcher  2  Bücher  „die  Erdum- 
schiffung" und  die  „Erdumwanderung"  geschrieben  hat,  Sotades,  Pe- 
riander, Aristarchus  von  Sicyon,  Eudoxus,  Antigenes,  Callicrates, 
Xenophon  von  Lampsacus,  Diodorus  von  Syracus,  Hanno,  Himilco, 
Nymphodorus,  Calliphanes,  Artemidorus,  Megasthenes,  Isidorus,  Cle- 
obulus,  Aristocreon. 


Die  Zahlen  fehlen 
in  allen  Hand- 
schriften. 


Sechstes  Bach. 

Von  der  Lage  und  Grösse  der  Länder,  Meere,  Städte, 

Häfen,  Berge,  Flüsse,  und  den  Völkern,  welche 

noch  da  sind  oder  da  waren. 

1.  Der  Pontus  und  die  Mariandyner. 

2.  Die  Paphlagonier. 


38  Erstes  Buch. 

3.  Die  Cappadocier. 

4.  Das  theniiscyrenische  Land  und  seine  Völker.    Die  Heniocher. 

5.  Das  colische  Land,  die  Achaeer  und  die  übrigen  dort  wohnenden 

Völker. 

6.  Der  cimmersche  Bosporus. 

7.  Mseotis  und  die  um  ihn  wohnenden  Völker. 

8.  Cappadocien. 

9.  Gross-  und  Klein-Armenien. 

10.  Die  Flüsse  Cyrus  und  Araxes. 

11.  Albanien,  Iberien  und  die  anwohnenden  Völker. 

12.  Die  caucasischen  Pässe. 

13.  Die  Inseln  im  Pontus. 

14.  Die  Völker  vom  scythischen  Ocean  an. 

15.  Das  caspische  und  hyrcanische  Meer. 

16.  Adjabene. 

17.  Medien  und  der  caspische  Pass. 

18.  Die  Völker  am  hyrcanischen  Meere. 

19.  Die  scythischen  Völker  und  die  Länder  vom  östlichen  Ocean  an. 

20.  Die  Serer. 

21.  Die  Indier. 

22.  Der  Ganges. 

23.  Der  Indus. 

24.  Taprobane. 

25.  Die  Gedroser  und  die  angrenzenden  Provinzen.    Die  Arianer. 

26.  Schifffahrten  nach  Indien. 

27.  Carmanien. 

28.  Der  persische  und  der  arabische  Meerbusen. 

29.  Die  Länder  der  Parther. 

30.  Mesopotamien. 

31.  Der  Tigris. 

32.  Arabien. 

33.  Der  Busen  des  rothen  Meeres. 

34.  Troglodytice. 

35.  Aethiopien. 

36.  Die  Inseln  des  äthiopischen  Meeres. 

37.  Von  den  glückseligen  Inseln. 

38.  Vergleichung  der  Länder  miteinander  nach  ihrem  Flächeninhalte . 

39.  Vertheilung  der  Länder  in  Parallelen  und  gleiche  Schatten. 

Zusammen:  1195  Städte. 
576  Völker. 
115  berühmte  Flüsse. 
18  berühmte  Berge. 
108  Inseln. 

95  untergegangene  Städte  und  Völker. 
2214  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 


Erstes  Buch.  39 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
M.  Agrippa,   M.  Varro,   Varro  von  Atace,  C.  Nepos,  Hyginus, 
L.   Vetus,  Mela  Pomponius,  Domitius  Corbulo,   Licinius  Mucianus, 
der  Kaiser  Claudius,  Arruntius,  Sebosus,  Fabricius  Tuscus,  T.  Livius, 
Seneca,  Nigidius. 

Von  fremden  Schriftsteilem: 
König  Juba,  Hecatseus,  Hellanicus,  Damastes,  Eudoxos,  Dicsear- 
chus,  B«ton,  Timosthenes,  Patrocles,  Demodamas,  Clitarchus,  Era- 
tosthenes,  Alexander  der  Grosse,  Ephorus,  Hipparchus,  Pansetius,  Calli- 
machus,  Artemidorus,  Apollodorus,  Agathocles,  Polybius,  Eumachus, 
Timaeus  von  Sicilien,  Alexander  Polyhistor,  Isidorus,  Amometus, 
Metrodorus,  Posidonius,  Onesicritus,  Nearchus,  Megasthenes,  Diogne- 
tus,  Aristocreon,  Bion,  Dalion,  Simonides  der  Jüngere,  Basilis,  Xeno- 
phon  von  Lampsacus. 


Siebentes  Buch. 

Von  der  Entstehung  und  Beschaffenheit  des  Menschen 
und  von  der  Erfindung  der  Künste. 

1.  Vom  Menschen. 

2.  Wunderbare  Gestalten  der  Völker. 

3.  Seltsame  Geburten. 

4.  Von  der  Erzeugung  des  Menschen;   merkwürdige  Beispiele  der 

Schwangerschaft  von  sieben  bis  zu  dreizehn  Monaten. 

5.  Anzeigen  bei  Schwange»  in  Bezug  auf  die  Erkennung  des  Ge- 

schlechtes der  Leibesfrucht. 
<>.  Monströse  Geburten. 

7.  Kinder,  die  aus  der  Mutter  Leibe  geschnitten  sind. 

8.  Welche  Menschen  Vopiscer  heissen. 

9.  "Von  der  Empfängniss  und  Zeugung. 

10.  Beispiele  von  Aehnlichkeiten. 

11.  Von  der  Zeit  der  Pubertät.    Beispiele  zahlreicher  Empfängniss. 

12.  Bis  zu  welchem  Alter  der  Mensch  zeugungsfähig  ist. 

13.  Wunderbare  Bemerkungen  über  den  Monatsfluss  der  Weiber. 

14.  Von  der  Zeugungsfähigkeit. 

15.  Geschichtliche  Bemerkungen  von  den  Zähnen,  desgleichen  von 

den  Kindern. 

16.  Beispiele  auffallender  Grösse. 

17.  Frühreife  Kinder. 

18.  Ausgezeichnete  Merkmale  am  menschlichen  Körper. 

19.  Ausserordentliche  Kräfte. 

20.  Ausserordentliche  Schnelligkeit. 

21.  Sehr  scharfes  Gesicht. 


40  Erstes  Buch. 

22.  Sehr  feines  Gehör. 

23.  Beispiele  von  Ausdauer. 

24.  Beispiele  von  starkem  Gedächtniss. 

25.  Beispiele  von  Geisteskraft. 

26.  Beispiele  von  Milde  und  Grossmuth. 

27.  Von  hoher  Berühmtheit  in  der  Leitung  ausserordentlicher  Ange- 

legenheiten. 

28.  Von  den  drei  grössten  Tugenden  und  von  der  grössten  Unschuld 

eines  Menschen. 

29.  Von  der  grössten  Tapferkeit. 

30.  Beispiele  von  ausgezeichneten  Genie's. 

31.  Dessgleichen  von  grosser  Weisheit. 

32.  Sehr  nützliche  Lebensregeln. 

33.  Von  der  Kraft  des  Weisssagens. 

34.  Wer  für  den  rechtschaffensten  Mann  gehalten  worden  ist. 

35.  Welche  Frauen  die  keuschesten  gewesen  sind. 

36.  Beispiele  höchster  kindlicher  Liebe. 

37.  Ausgezeichnete  Männer  in  den  Künsten,  der  Sterndeutekunst, 

Sprachkunde  und  Medicin; 

38.  Der  Geometrie,  Architectur; 

39.  Der  Malerei,  Bildhauerei,  der  Kunst  in  Elfenbein  zu  arbeiten  und 

getriebene  Arbeit  zu  verfertigen. 

40.  Sehr  hohe  Preise  für  Menschen. 

41.  Von  der  höchsten  Glückseligkeit. 

42.  Seltene  Beispiele  von  dauerndem  Glücke  in  Familien. 

43.  Merkwürdige  Beispiele  von  Glückswechsel.    Ein  zweimal  Ver- 

bannter. 

44.  Merkwürdige  Beispiele  von  Ehrenbezeugungen. 

45.  Die  zehn  höchsten  Güter  bei  einem  Manne. 

46.  Widerwärtige  Schicksale  des  Kaisers  Augustus. 

47.  Welche  Menschen  von  den  Göttern  für  die  glücklichsten  er- 

klärt sind. 

48.  Wen  man  schon  bei  seinen  Lebzeiten  als  einen  Gott  zu  ver- 

ehren befohlen  hat.     Ein  merkwürdiger  Blitz. 

49.  Von  der  längsten  Lebensdauer. 

50.  Von  der  verschiedenen  Geburtszeit. 

51.  Verschiedene  Beispiele  von  Krankheiten. 

52.  Vom  Tode. 

53.  Welche  Menschen  schon  zu  Grabe  getragen  und  wieder  auf- 

gelebt sind. 

54.  Beispiele  von  plötzlich  erfolgtem  Tode. 

55.  Vom  Begräbniss. 

56.  Von  den  Geistern  der  Verstorbenen;  von  der  Seele. 

57.  Was  ein  Jeder  im  Leben  erfunden  hat. 


Erstes  Buch.  41 

58.  Worin  die  erste  Uebereinkunft  der  Völker  besteht. 

59.  Wann  zuerst  Barbiere  gewesen  sind. 

60.  Wann  die  erste  Uhr  existirt  hat. 

Zusammen:  747  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 
Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 

Verrius  Flaccus,  Cn.  Gellius,  Licinius  Mucianus,  Massurius  Sabi- 
nus,  Agrippina  des  Claudius  Gemahlin,  M.  Cicero,  Asinius  Pollio, 
M.  Varro,  Messala,  Rufus,  C.  Nepos,  Virgilius,  Livius,  Cordus,  Melis- 
sus,  Sebosus,  Com.  Celsus,  Valerius  Maximus,  Trogus,  Nigidius  Figu- 
lus,  Pomponius  Atticus,  Pedianus  Asconius,  Fabianus,  der  Censor  Cato, 
Fabius  Vestalis,  die  Acten. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Herodotus,  Aristeas,  Bseton,  Isigonus,  Crates,  Agatharchides, 
Calliphanes,  Aristoteles,  Nymphodorus,  Apollonides,  Phylarchus,  Dä- 
mon, Megesthenes,  Ctesias,  Tauron,  Eudoxus,  Onesicritus,  Clitarchus, 
Duris,  Artemidorus,  der  Arzt  Hippocrates,  der  Arzt  Asclepiades,  He- 
siodus,  Anacreon,  Theopompus,  Hellanicus,  Damastes,  Ephorus,  Epi- 
genes,  Berosus,  Petosiris,  Nechepsus,  Alexander  Polyhistor,  Xenophon, 
Callimachus,  Democritus,  der  Geschichtsschreiber  Diyllus,  Strato  der 
gegen  die  „Erfindungen"  des  Ephorus  schrieb,  Heraclides  von  Pontus, 
Asclepiades  welcher  tragische  Begebenheiten  schrieb,  Philostephanus, 
Hegesias,  Archimachus,  Thucydides,  Mnesigiton,  Xenagoras,  Metrodo- 
rus  von  Scepsis,  Anticlides,  Critodemus. 


Achtes  Buch. 

Von  den  Landthieren. 

1.  Von  den  Elephanten,  von  ihrem  Verstände. 

2.  Wann  sie  zuerst  zum  Ziehen  gebraucht  sind. 

3.  Von  ihrer  Gelehrigkeit. 

4.  Wunderbare  Dinge  in  Bezug  auf  ihre  Handlungen. 

5.  Dass  die  wilden  Thiere  wissen,  was  ihnen  Gefahr  bringt. 

6.  Wann  in  Italien  zuerst  Elephanten  gewesen  sind. 

7.  Ihre  Kämpfe. 

8.  Wie  sie  gefangen  werden. 

9.  Wie  sie  gezähmt  werden. 

10.  Von  ihrer  Geburt  und  von  ihrer  übrigen  Beschaffenheit. 

11.  Wo  sie  geboren  werden.    Von  ihrer  Feindschaft  mit  den  Schlangen. 

12.  Von  der  Schlauheit  der  Thiere. 

13.  Von  den  Schlangen. 


42  Erstes  Buch. 

14.  Schlangen  von  ausserordentlicher  Grösse. 

15.  Von  den  scythischen  Thieren.     Von  den  Bisons. 

16.  Von  den  nordischen  Thieren;  vom  Elenthiere,  dem  Bonasus. 

17.  Von  den  Löwen  und  ihrer  Geburt. 

18.  Ihre  verschiedenen  Arten. 

19.  Ihre  sonstige  Beschaffenheit. 

20.  Wer  zuerst  zu  Rom  einen  Löwenkampf  veranstaltet  hat.   Wer  die 

meisten  Löwen  dazu  geliefert  hat. 

21.  Wunderbare  Begebenheiten  von  den  Löwen. 

22.  Wer  von  einer  Schlange  erkannt  und  gerettet  worden  ist. 

23.  Von  den  Panthern. 

24.  Senatsbeschluss  und  Gesetze  in  Bezug  auf  die  afrikanischen  Pan- 

ther.   Wer  die  afrikanischen  zuerst,  und  wer  die  meisten  nach 
Rom  gebracht  hat. 

25.  Von  den  Tigern.    Wann  der  erste  in  Rom  gesehen  worden.    Be- 

schreibung derselben. 

26.  Von  den  Kameelen  und  ihren  Arten. 

27.  Von  der  Giraffe.    Wann  die  erste  in  Rom  gesehen  worden. 

28.  Von  dem  Thiere  Chama  und  dem  Cephus. 

29.  Vom  Rhinoceros. 

30.  Vom  Luchs,  den  Sphingen,  Crocotten  und  Meerkatzen. 

31.  Die  Landthiere  Indiens. 

32.  Die  Landthiere  Aethiopiens.    Ein  Thier,  welches  durch  seinen  An- 

blick tödtet. 

33.  Von  den  Basilisken. 

34.  Von  den  Wölfen.    Woher  die  Sage  von  Verwandlung  in  Wölfe 

kommt. 

35.  Die  Arten  der  Schlangen. 

36.  Vom  Ichneunion. 

37.  Vom  Krokodil. 

38.  Vom  Scincus. 

39.  Vom  Flusspferde. 

40.  Wer  zuerst  ein  Flusspferd  und  ein  Krokodil  zu  Rom  gezeigt  hat. 

41.  Arzneimittel,  welche  von  Thieren  entdeckt  sind. 

42.  Anzeigen  von  Gefahren  an  Thieren  beobachtet. 

43.  Völker,  die  von  Thieren  vertilgt  sind. 

44.  Von  den  Hyänen. 

45.  Von  den  Crocuten  und  Mantichoren. 

46.  Von  den  wilden  Eseln. 

47.  Vom  Castoreum.    Von  Thieren,  welche  im  Wasser  und  auf  dem 

Lande  leben.    Von  der  Fischotter. 

48.  Von  den  Laubfröschen. 

49.  Vom  Seekalbe.    Vom  Biber.    Von  den  Stellionen. 

50.  Von  den  Hirschen. 


Erstes  Buch.  43 

51.  Vom  Chamaeleon. 

52.  Von  den  übrigen  Thieren,    welche  ihre  Farbe  verändern.     Vom 

Rennthiere,  dem  Lycaon,  dem  Thos. 

53.  Vom  Stachelschweine. 

54.  Von  den  Bären  und  ihren  Jungen. 

55.  Von  den  pontischen  Mäusen  und  den  Alpenmäusen. 

56.  Von  den  Igeln. 

57.  Vom  Löwentödter  und  Luchse. 

58.  Von  dem  Dachse,  dem  Eichhörnchen. 

59.  Von  den  Vipern  und  Schnecken. 

60.  Von  den  Eidechsen. 

61.  Von  den  Hunden;  Beispiele  von  Treue  gegen  ihre  Herren.  Welche 

sich  Hunde  zum  Kriege  gehalten  haben. 

62.  Von  ihrer  Fortpflanzung. 

63.  Mittel  gegen  die  Hundswuth. 

64.  Von  den  Pferden. 

65.  Von   ihrem   Verstände.    Merkwürdige  Begebenheiten   von  einem 

Gespann  aus  vier  Pferden. 

66.  Von  ihrer  Fortpflanzung. 

67.  Welche  durch  den  Wind  empfangen. 

68.  Von  den  Eseln  und  ihrer  Fortpflanzung. 

69.  Von  den  Mauleseln,  dem  übrigen  Zugvieh  und  ihrer  Fortpflanzung. 

70.  Von  den  Ochsen  und  ihrer  Fortpflanzung. 

71.  Vom  ägyptischen  Apis. 

72.  Von  dem  Schafe  überhaupt  und  seiner  Fortpflanzung. 

73.  Von  den  Arten  der  Wolle  und  ihrer  Farbe. 

74.  Von  den  verschiedenen  Kleidern. 

75.  Von  den  äussern  Merkmalen  des  Schafs;  vom  Musimon. 

76.  Von  den  Ziegen  und  ihrer  Fortpflanzung. 

77.  Von  den  Schweinen. 

78.  Von  den  wilden  Schweinen.    Wer  zuerst  Thiergärten  angelegt  hat. 

79.  Von  den  halbwilden  Thieren. 

80.  Von  den  Affen. 

81.  Von  den  Hasen-Arten. 

82.  Von  den  Thieren,  welche  weder  zahm  noch  wild  zu  nennen  sind. 

83.  Welche  Thiere  in  manchen  Gegenden  nicht  sind. 

84.  Welche  Thiere  nur  den  Ankömmlingen,  und  welche  nur  den  Ein- 

heimischen schädlich  sind,  und  wo  diess  der  Fall  ist. 
Zusammen:  787  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
Mucianus,  Procilius,  Verrius  Flaccus,  L.  Piso,  Cornelius  Valeria- 
nus,  der  Censor  Cato,  Fenestella,  Trogus,  die  Acten,  Columella,  Vir- 
gilius,  Varro,  Lucilius,  Metellus,  Scipio,  Com.  Celsus,  Nigidius,  Tre- 
bius  Niger,  Pomponius  Mela,  Mamilius  Sura. 


44  Erstes  Buch. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
König  Juba,  Polybius,  Herodotus,  Antipater,  Aristoteles,  der  Phy- 
siker Demetrius,  Democritus,  Theophrastus,  Euanthes,  Agrippa  der 
die  olympischen  Siege  beschrieben  hat,  König  Hiero,  König  Attalus 
Philometor,  Ctesias,  Duris,  Philistus,  Archytas,  Phylarchus,  Amphilo- 
chus  von  Athen,  Anaxipolis  von  Thasus,  Apollodorus  von  Lemnos, 
Aristophanes  von  Milet,  Antigonus  von  Cymse,  Agathocles  von  Chios, 
Apollonius  von  Pergamus,  Aristander  von  Athen,  Bacchius  von  Milet, 
Bion  von  Solis,  Chsereas  von  Athen,  Diodorus  von  Priene,  Dion  von 
Colophon,  Epigenes  von  Rhodus,  Euagon  von  Thasus,  Euphronius 
von  Athen,  Hegesias  von  Maronea,  Menander  von  Priene,  Menander 
von  Heraclea,  der  Dichter  Menecrates,  Androtion  der  über  den  Acker- 
bau geschrieben  hat,  Aeschrion  desgleichen,  Lysimachus  desgleichen, 
Dionysius  der  den  Mago  übersetzt,  Diophanes  der  aus  dem  Dionysius 
einen  Auszug  gemacht  hat,  König  Archelaus,  Nicander. 


Neuntes  Buch. 

Von  den  Wasserthieren. 

1.  Warum  die  grössten  Thiere  im  Meere  sind. 

2.  Die  Thiere  des  indischen  Meeres. 

3.  Welche  im  Weltmeere  überhaupt  die  grössten  sind. 

4.  Von  der  Gestalt  der  Tritonen,  Nereiden  und  Seeelephanten. 

5.  Von  den  Wallfischen  und  Orken. 

6.  Ob  die  Fische  athmen  und  ob  sie  schlafen. 

7.  Von  den  Delphinen. 

8.  Wen  sie  lieb  gehabt  haben. 

9.  Wo  sie  gemeinschaftlich  mit  den  Menschen  Fische  fangen. 

10.  Andere  merkwürdige  Erzählungen  von  ihnen. 

11.  Von  den  Tursionen. 

12.  Von  den  Schildkröten.    Die  Arten   der  Wasser-Schildkröten  und 

wie  sie  gefangen  werden. 

13.  Wer  zuerst  Schildkrötenschalen  geschnitten  hat. 

14.  Eintheilung  der  Wasserthiere  nach  ihren  Arten. 

15.  Welche  behaart  und  welche  nicht  behaart  sind;  wie  sie  gebären. 

Von  den  Seekälbern  und  Robben. 

16.  Wie  viele  Arten  von  Fischen  es  giebt. 

17.  Welche  Fische  am  grössten  sind. 

18.  Von  den  Thunfischen,  Cordylen  und  Pelamiden,  welche,  wenn  sie 

in  Stücke  geschnitten  und  eingesalzen  sind,   Melandrya,  Apo- 
lecti  und  Cybia  heissen. 

19.  Von  den  Amien  und  Scombern. 


Erstes  Buch.  45 

■20.  Welche   Fische  es  im  Pontus  nicht  giebt;    welche  an  der  einen 
Seite  hinein-  und  an  der  andern  wieder  heraus  schwimmen. 

21.  Warum  die  Fische  aus  dem  Wasser  hervorspringen.  Vom  Schwerdt- 

fisch. 

22.  Von  Wahrsagungen  aus  Fischen. 

23.  Welche  Fischart  keine  Männchen  hat. 

24.  Welche  einen  Stein  im  Kopfe  haben;    welche  im  Winter  verbor- 

gen liegen,   und  welche  im  Winter  nur  an  bestimmten  Tagen 
gefangen  werden. 

25.  Welche  im  Sommer  verborgen  liegen;    welche  Fische  von  einer 

Erstarrung  befallen  werden. 

26.  Von  dem  Mugil. 

27.  Vom  Stör. 

28.  Vom  Seewolf;  vom  Kabliau. 

29.  Vom  Scarus;  von  der  Mustela. 

30.  Arten  der  Meer-Barbe;  von  dem  Gesellschafter  Sargus. 

31.  Ausserordentliche  Preise  für  Fische. 

32.  Dass  ein  und  dieselben  Fische   nicht  überall  beliebt  sind.    Vom 

Coracinus. 

33.  Von  den  Kiemen  und  Schuppen. 

34.  Fische,  welche  eine  Stimme  haben  und  ohne  Kiemen  sind. 

35.  Welche  auf  das  Land  kommen.     Zeiten  ihres  Fanges. 

36.  Eintheilung  der  Fische  nach  der  Gestalt.    Unterschied  zwischen 

den  Rhomben  und  Passeres.    Von  langen  Fischen. 

37.  Von  den  Flossen  und  der  Art  und  Weise  des  Schwimmens  der 

Fische. 

38.  Von  den  Aalen. 

39.  Von  den  Muraenen. 

40.  Arten  der  Plattfische. 

41.  Vom  Echeneis  und  seiner  zauberischen  Kraft. 

42.  Welche  Fische  die  Farbe  wechseln. 

43.  Welche  über  dem  Wasser  hinfliegen;  von  der  Meerschwalbe ;  von 

dem  Fische  der  bei  Nacht  leuchtet;  vom  Hornfische;  vom  See- 
drachen. 

44.  Von   den   Fischen   die   kein   Blut   haben;    von  den  sogenannten 

Weichfischen. 

45.  Von  der  Sepia,  der  Loligo,  den  kleinen  Kammmuscheln. 

46.  Von  den  Polypen. 

47.  Von  dem  Polyp  „der  Segler"  genannt. 

48.  Arten  der  Polypen;  ihre  Schlauheit. 

49.  Von  dem  Segler  Nauplium. 

50.  Von  den  Schalenthieren;  von  den  Krabben. 

51.  Arten    der   Krebse;    von    dem    Pinnotheres,    dem     Seeigel,    den 

Schnecken  und  Kammmuscheln. 


46  Erstes  Buch. 

52.  Arten  der  Muscheln. 

53.  Dass  im  Meere  die  Ursache  grosser  Verschwendung  liegt. 

54.  Von  den  Perlmuscheln;  wie  und  wo  sie  entstehen. 

55.  Wie  sie  aufgefunden  werden. 

56.  Wie  viele  Arten  von  Perlen  es  giebt. 

57.  Was  dabei  zu  beobachten,  und  welches  ihre  Natur  ist. 

58.  Geschichtliche  Bemerkungen  über  die  Perlen. 

59.  Wann  sie  zuerst  in  Rom  in  Gebrauch  gekommen  sind. 

60.  Von  den  Stachelschnecken  und  Purpurschnecken. 

61.  Von  den  Arten  der  Purpurschnecken. 

62.  Wie  die  Wolle  damit  gefärbt  wird. 

63.  Wann  der  Gebrauch  des  Purpurs  in  Rom  aufgekommen  ist;  wann 

die  breiten  Purpurs treifen  und  mit  Purpnr  verbrämten  Ober- 
kleider dort  zuerst  getragen  sind. 

64.  Von  den  conchylienfarbigen  Kleidern. 

65.  Von   dem  Färben   in   Amethyst;    vom  tyrischen  Farbstoff,    dem 

Dunkelroth  und  Scharlachroth. 

66.  Vom  Pinna  und  dem  Pinnotheres. 

67.  Von  den  Empfindungen  der  Wasserthiere;  vom  Zitterfische,  dem 

Stachelrochen,    dem  Scolopender  und  Wels;   von  dem  Fische- 
Aries. 

68.  Von  den  Wasserthieren,  welche  eine  dritte  Natur  haben,  d.  h.  die 

der  Thiere  und  Pflanzen  zugleich;  von  den  Seenesseln. 

69.  Von  den  Schwämmen,  ihren  Arten,  ihrem  Wohnorte  und  dass  sie 

Thiere  sind. 

70.  Von  den  Hundsfischen. 

71.  Von  den  Wasserthieren,  die  in  eine  steinige  Schale  eingeschlos- 

sen sind;  -welche  ohne  Empfindung  sind,  und  von  den  übrigen 
unbedeutenderen  Thieren. 

72.  Von  den  giftigen  Seethieren. 

73.  Von  den  Krankheiten  der  Fische. 

74.  Von   ihrer   Fortpflanzung.    Merkwürdige    Nachrichten   über  Zeu- 

gungen. 

75.  Bei  welchen  sich  Eier  und  Junge  zugleich  erzeugen. 

76.  Welchen  beim  Abgange  der  Leibesfrucht  der  Uterus  platzt  und 

dann  wieder  zusammenwächst. 

77.  Welche  eine  Schaam  haben;  welche  sich  selbst  begatten. 

78.  Wie  lange  die  Fische  leben. 

79.  Wer  zuerst  Austernteiche  angelegt  hat. 

80.  Wer  zuerst  Teiche  für  die  übrigen  Wasserthiere  angelegt  hat. 

81.  Wer   zuerst    Teiche   für   Murinen    angelegt   hat.      Merkwürdige 

Nachrichten  über  Fischteiche. 

82.  Wer  zuerst  Teiche  für  Schnecken  angelegt  hat. 

83.  Fische  die  auf  dem  Lande  leben. 


Erstes  Buch.  47 

84.  Von  den  Mäusen  im  Nil. 

85.  Von  dem  Fange  der  Anthien-Fisehe. 

86.  Von  den  Seesternen. 

87.  Wunderbare  Dinge  von  den  Fingermuscheln. 

88.  Von  der  Feindschaft  und  Freundschaft  der  Wasserthiere  unter  sich. 
Zusammen:  650  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
Turrianus  Gracilis,  Trogus,  Msecenas,  Alfius  Flavius,  C.  Nepos, 
der  Mimenschreiber  Laberius,  Fabianus,  Fenestella,  Mucianus,  Aelius 
Stilo,  Statius  Sebosus,    Melissus,    Seneca,    Cicero,  Aemilius   Macer, 
Messala  Corvinus,  Trebius  Niger,  Nigidius. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Aristoteles,   König  Archelaus,    Callimachus,   Democritus,    Theo- 
phrastus,  Thrasyllus,  Hegesidemus  von  Cythnos,  Alexander  Polyhistor. 


Zehntes  Buch. 

Von  den  Vögeln. 

1.  Vom  Strausse. 

2.  Vom  Phoenix. 

3.  Arten  des  Adlers. 

4.  Ihre  nähere  Beschreibung. 

5.  Wann  sie  Feldzeichen  der  Legionen  wurden. 

6.  Von  einem  Adler,    der  sich  auf  den  Scheiterhaufen  einer  Jung- 

frau setzte. 

7.  Vom  Geier. 

8.  Vom  Sanqualis  und  Immussulus. 

9.  Vom  Buteo. 

10.  Wo  die  Habichte  und  Menschen  gemeinschaftlich  Vögel  fangen. 

11.  Welcher  Vogel  allein  von  seinem  eigenen  Geschlechte  umgebracht 

wird;  welcher  Vogel  nur  ein  Ei  legt. 

12.  Von  den  Milanen. 

13.  Eintheilung  der  Vögel  in  Gattungen. 

14.  Von  den  Krähen,   den  Unglück  bringenden  Vögeln.    In  welchen 

Monaten  sie  nicht  zu  sehen  sind. 

15.  "Von  den  Raben. 

16.  Vom  Uhu. 

17.  Vögel,  welche  nicht  mehr  existiren  oder  nicht  genau  bekannt  sind. 

18.  Welche  mit  dem  Schwänze  zuerst  aus  dem  Eie  kommen. 

19.  Von  den  Nachteulen. 

20.  Vom  Picus  Martius. 

21.  Von  den  Vögeln  mit  krummen  Krallen. 


48  Erstes  Buch. 

22.  Von  den  Pfauen. 

23.  Wer  zuerst  Pfauen  zum  Essen  geschlachtet,    wer  sie  zuerst  ge- 

mästet hat. 

24.  Von  den  Hühnervögeln. 

25.  Wie  sie  verschnitten  werden.    Von  einem  sprechenden  Hahn. 

26.  Von  der  Gans. 

27.  Wer  zuerst  Gänselebern  zubereitet  hat. 

28.  Von  dem  Commagenum. 

29.  Von   den   Chenalopeces    und  Chenerotes,    den  Auerhähnen   und 

Trappen. 

30.  Von  den  Kranichen. 

31.  Von  den  Störchen. 

32.  Von  den  Schwänen. 

33.  Von  den  fremden  Vögeln  die  zu  uns  kommen;  von  den  Wachteln, 

dem  Glottis,  Cychranius  und  der  Ohreule. 

34.  Von  den  Schwalben. 

35.  Von  unsem  einheimischen  Vögeln,  welche  fortziehen  und  wohin ; 

von  den  Amseln,  Kranmietsvögelu,  Staaren.  Von  den  Vögeln, 
welche  sich  während  der  Mauserzeit  verbergen;  von  der  Tur- 
teltaube und  der  Holztaube.  Vom  Fluge  der  Staare  u.  Schwalben. 

36.  Welche  Vögel  ein  ganzes,  welche  ein  halbes  und  welche  ein  viertel 

Jahr  bei  uns  bleiben.    Vom  Galgulus,  Wiedehopf. 

37.  Von  den  Memnons-Vögeln. 

38.  Von  den  Meleagris-Vögeln. 

39.  Von  den  Seleucis-Vögeln. 

40.  Vom  Ibis. 

41.  Welche  Vögel  an  gewissen  Orten  nicht  sind. 

42.  Von  den  Arten  der  Singvögel  und  denen,  welche  ihre  Farbe  und 

Stimme  verändern. 

43.  Von  den  Nachtigallen. 

44.  Von  den  Schwarzköpfen,  den  Rothkehlchen  und  Rothschwänzen. 

45.  Vom  Oenanthe,  dem  Grünlinge,  der  gemeinen  Amsel,  dem  Ibis. 

46.  Die  Heckezeit  der  Vögel. 

47.  Von   den  Eisvögeln  und  den  nach  ihnen  benannten  Tagen,    an 

welchen  das  Meer  schiffbar  ist. 

48.  Von  den  übrigen  Wasservögeln. 

49.  Von  der  Geschicklichkeit  der  Vögel  im  Baue  der  Nester.    Wun- 

derbareErzählungen  von  denSchwalben.  Von  den  Uferschwalben. 

50.  Vom  Acanthyllis. 

51.  Vom  Merops  und  den  Rebhühnern. 

52.  Von  den  Tauben. 

53.  Ihre  wunderbaren  Verrichtungen  und  ihre  Preise. 

54.  'Von  dem  verschiedenen  Fluge  und  Gange  der  Vögel. 

55.  Von  den  fusslosen  oder  Höhlen-Schwalben. 


Erstes  Buch.  49 

•56.  Von  der  Nahrung  der  Vögel.     Vom  Ziegenmelker,  dem  Platea. 

57.  Von  dem  Verstände  der  Vögel.   Vom  Carduelis,  Taurus  u.  Anthus. 

58.  Von  den  sprechenden  Vögeln;  von  den  Papageien. 

59.  Von  den  Eichel-Elstern. 

60.  Ein  Aufstand   des   römischen   Volkes   wegen    eines   sprechenden 

Raben. 

61.  Die  Vögel  des  Diomedes. 

62.  Welche  Vögel  nichts  lernen. 

63.  Vom  Trinken  der  Vögel.     Vom  Purpurhuhn. 

64.  Von  den  Himantopoden. 

65.  Von  der  Nahrung  der  Vögel. 

66.  Von  der  Kropfgans. 

67.  Von  den  fremden  Vögeln;    von  den  Phaleriden,  Fasanen  und  nu- 

midischen  Vögeln. 

68.  Von  den  Flamingo's,  Attagenen,  Scharben,  Rcthraben,  Lagopoden. 

69.  Von  neuen  Vögeln;  von  den  Vipionen. 

70.  Von  fabelhaften  Vögeln. 

71.  Wer  zuerst  Hühner  gemästet  hat;   welche  Censoren  diess  zuerst 

verboten  haben. 

72.  Wer  zuerst  Vogelhäuser  angelegt  hat.  Von  der  Schüssel  des  Aesop. 

73.  Von  der  Fortpflanzung   der  Vögel.     Welche   Thiere,    ausser  den 

Vögeln,  Eier  legen. 

74.  Arten  und  Beschaffenheit  der  Eier. 

75.  Von  den  Fehlern  und  Hülfsmitteln  beim  Brüten. 

76.  Vom  Wahrsagen  aus  Eiern. 

77.  Welche  Hühner  die  besten  sind. 

78.  Ihre  Krankheiten  und  die  Mittel  dagegen. 

79.  Wann  die  Vögel  Eier  legen  und  wie  viel. 

80.  Welche  Eier  Windeier  und  welche   Cynosuren  genannt  werden; 

wie  man  die  Eier  am  besten  aufbewahrt. 

81.  Welches  geflügelte  Thier  das  einzige  ist,  das  lebendige  Junge  ge- 

bärt und  säugt. 

82.  Welche  Landthiere  Eier  legen.    Begattung  der  Schlangen. 
£3.  Von  der  Fortpflanzung  aller  Landthiere. 

84.  Wie  die  Thiere  in  der  Gebärmutter  liegen. 

85.  Bei  welchen  Thieren  die  Abkunft  noch  ungewiss  ist. 

86.  Von  den  Salamandern. 

87.  Welche  Thiere   aus  nicht  geborenen  entstehen,   und  welche  ge- 

boren sind  und  sich  nicht  fortpflanzen.  Welche  geschlechts- 
los sind. 

•88.  Von  den  Sinnen  der  Thiere.  Bei  welchen  das  Gesicht,  bei  wel- 
chen das  Gehör,  bei  welchen  der  Geruch  ausgezeichnet  ist. 
Von  den  Maulwürfen.     Ob  die  Austern  ein  Gehör  haben. 

S9.  Welche  Fische  am  besten  hören. 


50  Erstes  Buch. 

90.  Welche  Fische  den  schärfsten  Geruch  besitzen. 

91.  Verschiedenheit  der  Thiere  hinsichtlich  der  Nahrungsmittel. 

92.  Welche  von  Gift  leben. 

93.  Welche  von  Erde  leben.     Welche  durch  Hunger  und  Durst  nicht 

sterben. 

94.  Von  der  Verschiedenheit  des  Saufens  bei  den  Thieren. 

95.  Welche  unter  sich  in  Feindschaft  leben.    Von  der  Freundschaft. 

und  den  Abneigungen  der  Thiere. 

96.  Beispiele  davon  bei  den  Schlangen. 

97.  Vom  Schlafe  der  Thiere. 

98.  Welche  Thiere  träumen. 

Zusammen:  794  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 
Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 

Manilius,  Corn.  Valerianus,  die  Acten,  Umbricius  Melior,  Massu- 

rius  Sabinus,  Antistius  Labeo,  Trogus,  Cremutius,  M.  Varro,  Aenrilius- 

Macer,  Melissus,  Mucianus,  Nepos,  Fabius  Pictor,  T.  Lucretius,  Com.. 

Celsus,  Horatius,  Deculo,  Hyginus,  Säsernus,  Nigidius,  Mamilius  Sura*. 

Von  fremden  Schriftstellern: 

Homerus,  Phemonoe,  Philemon,  Boeus  der  über  die  Zeugung  der 
Vögel,  Hylas  der  über  die  Augurien  geschrieben  hat,  Aristoteles,. 
Theophrastus,  Callimachus,  Aeschylus,  König  Hiero,  König  Philome- 
tor,  Archytas  von  Tarent,  Amphilochus  von  Athen,  Anaxipolis  von 
Thasus,  Apollodorus  von  Lemnos,  Aristophanes  von  Milet,  Antigonus 
von  Cymse,  Agathocles  von  Chios,  Apollonius  von  Pergamus,  Aristan- 
der  von  Athen,  Bacchius  von  Milet,  Bion  von  Solis,  Chrereas  von  Athen,. 
Diodorus  von  Priene,  Dion  von  Colophon,  Democritus,  Diophanes  von 
Nic«a,  Epigenes  von  Rhodus,  Euagones  von  Thasus,  Euphronius  von 
AtLen,  Juba,  Androtion  welcher  über  den  Ackerbau  geschrieben  hatr 
Aeschrion  desgleichen,  Lysimachus  desgleichen,  Dionysius  der  den 
Mago  übersetzt,  Diophanes  der  einen  Auszug  aus  dem  Dionysius  ge- 
macht hat,  Nicander,  Onesicritus,  Phylarchus,  Hesiodus. 


Elftes  Buch. 

Von  den  Insekten. 

1.  Von  ihrer  zarten  Beschaffenheit. 

2.  Ob  sie  athmen  und  ob  sie  Blut  haben. 

3.  Von  ihrem  Körper. 

4.  Von  den  Bienen. 

5.  Von  der  Ordnung  in  ihren  Verrichtungen. 

6.  Von  dem  Commosis,  Pissoceros  und  Propolis. 

7.  Von  dem  Erithace  oder  Sandarace  oder  Cerinthos. 


Erstes  Buch.  51 

8.  Aus  welchen  Blumen  sie  den  Stoff  zu  ihren  Arbeiten  nehmen. 

9.  Welche  Personen  sich  mit  Bienenzucht  beschäftigt  haben. 

10.  Wie  die  Bienen  ihre  Arbeit  verrichten. 

11.  Von  den  Drohnen. 

12.  Von  der  Beschaffenheit  des  Honigs. 

13.  Welcher  Honig  der  beste  ist. 

14.  Vqn  den  Arten  des  Honigs  in  jeder  Gegend. 

15.  Woran  man  sie  erkennt.  Von  der  Erice  oder  Tetralice  oder  Sisara. 

16.  Von  der  Fortpflanzung  der  Bienen. 

17.  Von  der  Beschaffenheit  eines  Bienenstaats. 

18.  Dass  sie  in  Haufen  versammelt  zuweilen  eine  glückliche  Vorbe- 

deutung sind. 

19.  Arten  der  Bienen. 

20.  Von  ihren  Krankheiten. 

21.  Von  ihren  Feinden. 

22.  Von  ihrer  Erhaltung. 

23.  Von  ihrer  Wiederherstellung. 

24.  Von   den   Wespen   und   Hornissen.    Welche  Thiere    aus    einem 

fremden  Geschlechte  ihr  eigenes  fortpflanzen. 

25.  Vom  assyrischen  Seidenspinner. 

26.  Von  den  Seidenraupen  und  den  Seidenpuppen.    Welches  Frauen- 

zimmer das  erste  seidene  Kleid  gemacht  hat. 

27.  Vom  coischen  Seidenspinner.    Wie  ein  Kleid  von  coischer  Seide 

gemacht  wird. 

28.  Von   den  Spinnen;   welche  von  ihnen  weben   und  von  welcher 

Natur  ihr  Webestoff  ist. 

29.  Fortpflanzung  der  Spinnen. 

30.  Von  den  Scorpionen. 

31.  Von  den  Stellionen. 

32.  Von  den  Cicaden;  dass  ihnen  Mund  und  After  fehlt. 

33.  Von  den  Flügeln  der  Insekten. 

34.  Von  den  Käfern.    Von  den  Leuchtkäfern  und  den  übrigen  Arten- 

35.  Von  den  Heuschrecken. 

36.  Von  den  Ameisen. 

37.  Von  den  Puppen  der  Schmetterlinge. 

38.  Thiere,  welche  in  oder  aus  dem  Holze  entstehen. 

39.  Vom  Ungeziefer  am  Menschen.    Welches  Thier  das  kleinste  ist- 

Im  Wachse  enstandene  Thiere. 

40.  Ein  Thier  ohne  After. 

41.  Von  den  Motten,  Canthariden,  Mücken.    Ein  Thier  im  Schnee. 

42.  Vom  Pyralis  oder  Pyrausta.    • 

43.  Von  dem  Thiere,  welches  nur  einen  Tag  lebt. 

44.  Beschreibung  der  Thiere  nach  den  einzelnen  Gliedern.    Welche 

Hauben  und  welche  Kämme  haben. 

4* 


52  Erstes  Buch. 

45.  Von  den  Hörnern;  welche  bewegliche  Hörner  haben. 

46.  Von  dem  Kopfe;  welche  Thiere  keinen  haben. 

47.  Vom  Haupthaare. 

48.  Von  den  Knochen  des  Kopfes. 

49.  Vom  Gehirn. 

50.  Von  den  Ohren;  welche  Thiere  keine  Ohren  oder  derartige  Oeff- 

nung  haben  und  doch  hören. 

51.  Vom  Gesichte,  der  Stirn,  den  Augenbrauen. 

52.  Von  den  Augen.  Von  denThieren,  die  keine  od.  nur  ein  Auge  haben. 

53.  Von  der  Verschiedenheit  der  Augen. 

54.  Vom  Sehen.    Welche  Thiere  des  Nachts  sehen. 

55.  Von    der   Pupille.     Welche    Thiere   die  Augen  nicht   schliessen. 

Welchen  Thieren  die  Augen  wieder  wachsen,    wenn    man    sie 
ihnen  ausgerissen  hat. 

56.  Von  den  Augenwimpern;    welchen  Thieren  sie  ganz  fehlen  und 

welche  nur  eine  haben. 

57.  Welche  keine  Augenlider  haben. 

58.  Von  den  Wangen. 

59.  Von  der  Nase. 

60.  Von  den  Backen,  den  Lippen,  dem  Kinn  und  den  Kinnladen. 

61.  Von  den  Zähnen  und  ihren  Arten;  welche  nicht  in  beiden  Kinn- 

laden Zähne  und  welche  hohle  Zähne  haben. 

62.  Von  den  Zähnen  der  Schlangen  und  ihrem  Gifte.     Welcher  Vo- 

gel Zähne  hat. 

63.  Wunderbare  Erzählungen  von  Zähnen. 

64.  Dass  man  an  ihnen  das  Lebensalter  erkennt. 

65.  Von  der  Zunge  und  den  Thieren  welche  keine  haben.    Von  der 

Stimme  der  Frösche.     Vom  Gaumen. 

66.  Von  den  Mandeln  am  Halse,  dem  Zapfen,  dem  Deckel,  der  Luft- 

röhre, der  Speiseröhre,  der  Kehle. 

67.  Vom  Nacken,  dem  Halse,  dem  Rückgrate. 

68.  Von  der  Kehle,  dem  Schlünde  und  Magen. 

69.  Vom  Herzen,  dem  Blute  und  der  Seele. 

70.  Welche  Thiere  das  grösste  Herz,  welche  das  kleinste,  und  welche 

Thiere  zwei  Herzen  haben. 

71.  Wann  man  angefangen  hat,  das  Herz  zu  den  weissagenden  Ein- 

geweiden zu  rechnen. 

72.  Von  der  Lunge;  welche  Thiere  die  grösste,  welche  die  kleinste, 

welche   nichts    als    eine  Lunge    haben  und  worin  die  Ursache 
der  Schnelligkeit  der  Thiere  besteht. 

73.  Von  der  Leber;  Bemerkungen  der  Wahrsager  über  den  Kopf  der 

Eingeweide;   welche  Thiere  in  gewissen  Ländern  zwei  Lebern 
haben. 


Erstes  Buch.  53 

74.  Von  der  Galle;  welche  Thiere  in  gewissen  Ländern  zwei  Gallen, 

welche  keine  haben,  und  bei  welchen  sie  nicht  mit  der  Leber 
in  Verbindung  steht. 

75.  Von  der  Kraft  der  Galle. 

76.  Bei  welchen  Thieren  die  Leber  mit  dem  Monde  wächst  und  ab- 

nimmt.   Beobachtungen  der  Vogeldeuter  und  andere  seltsame 
Nachrichten  über  dieselbe. 

77.  Vom  Zwerchfell.    Vom  Lachen. 

78.  Vom  Bauche  und  welchen  Thieren  er  fehlt.  Welche  sich  erbrechen. 

79.  Von  den  Dünndärmen,    den  Kleindärmen,    dem  Unterleibe  und 

dem  Grimmdarme.     Warum  manche  Thiere  unersättlich  sind. 

80.  Von  dem  Netze,  der  Milz,  und  den  Thieren,   welche  keine  Milz 

haben. 

81.  Von  den  Nieren;  welche  Thiere  vier  und  welche  keine  haben. 

82.  Von  der  Brust,  den  Rippen. 

83.  Von  der  Blase;  welche  Thiere  keine  haben.    Die  Ilia. 

84.  Von  der  Gebärmutter;  von  der  Gebärmutter  und  dem  Euter  der 

Schweine. 

85.  Welche  Thiere  Talg,   welche  Schmalz  haben  und  welche  nicht 

fett  werden. 

86.  Vom  Marke;  welchen  Thieren  es  fehlt. 

87.  Von  den  Knochen  und  Gräten.    Welchen  Thieren  beides  fehlt. 

Vom  Knorpel. 

88.  Von  den  Nerven.    Von  den  Thieren  ohne  Nerven. 

89.  Von  den  Arterien  und  Venen.      Von    den  Thieren   die   beides 

nicht  haben.    Von  dem  Blute  und  Schweisse. 

90.  Von  welchen  Thieren  das  Blut  sehr  schnell  stockt  und  von  wel- 

chen nicht;  welche  sehr  dickes,  welche  sehr  dünnes  und  welche 
gar  kein  Blut  haben. 

91.  Welche  zu  bestimmten  Jahreszeiten  kein  Blut  haben. 

92.  Ob  das  Blut  der  wichtigste  Theil  des  Körpers  ist. 

93.  Von  der  Haut. 

94.  Von  den  Haaren  und  der  Hautbedeckung. 

95.  Von   den  Brüsten;   welche  Vögel  Brüste  haben;    welche  Thiere 

ihrer  Euter  wegen  merkwürdig  sind.     Welches  Thier  im  Fort- 
schreiten an  sich  saugen  lässt. 

96.  Von  der  Milch,  dem  Colostrum,  den  Käsen;  welche  Milch  keinen 

Käse  giebt;  vom  Coagulum.    Verschiedene  Nahrungsmittel  aus 
der  Milch. 

97.  Von  den  verschiedenen  Käsen. 

98.  Unterschied  der  menschlichen  Gliedinaassen  von  den  thierischen. 

99.  Von  den  Fingern  und  Armen. 

100.  Von  der  Aehnlichkeit  der  Affen  mit  dem  Menschen. 

101.  Von  den  Nägeln. 


54  Erstes  Buch. 

102.  Von  den  Knieen  und  Kniekehlen. 

103.  Welche   Glieder  des  menschlichen  Körpers  für  heilig  gehalten 

werden. 

104.  Von  den  Krampfadern. 

105.  Vom  Gehen;  von  den  Füssen  und  Schienbeinen. 

106.  Von  den  Klauen. 

107.  Von  den  Füssen  der  "Vögel. 

108.  Von  den  Füssen  der  Thiere,  von  2 — 100.    Von  den  Zwergen. 

109.  Von  den  Geschlechtstheilen;  von  den  Zwittern. 

110.  Von  den  Hoden.    Drei  Arten  von  Halbmännern. 

111.  Von  den  Schwänzen. 

112.  "Von  der  Stimme  der  Thiere. 

113.  Von  den  nachgewachsenen  Gliedern. 

114.  Zeichen  der  Lebensdauer  und  des  Charakters,  menschlichen  Glie- 

dern entnommen. 

115.  Von  dem  Athem  und  der  Nahrung. 

116.  Welche  Thiere  durch  den  Genuss  von  Gift  nicht  sterben. 

117.  Warum   der  Mensch    seine  Speisen   nicht   künstlich    zusammen 

setzen  soll.    Von  den  Mitteln  gegen  unverdauete  Speisen. 

118.  Wie  der  Körper  zu-  und  wie  er  abnimmt. 

119.  Was  schon  in  geringer  Menge  Hunger  und  Durst  stillt. 
Zusammen:  2270  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
M.  Varro,  Hyginus,  Scropha,  Saserna,  Com.  Celsus,  Aemilius  Ma- 
cer, "Virgilius,  Columella,  Julius  Aquila  der  über  etruskische  Einrich- 
tungen geschrieben  hat,  Tarquitius  desgleichen,  Umbricius  desgleichen, 
der  Censor  Cato,  Domitius  Calvinus,  Trogus,  Melissus,  Fabianus,  Mu- 
cianus,  Nigidius,  Manilius,  Oppius. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Aristoteles,  Democritus,  Neoptolemus  der  über  die  Bienenzucht 
geschrieben  hat,  Aristomachus  desgleichen,  Philistus  desgleichen, 
Nicander,  Menecrates,  Dionysius  der  den  Mago  übersetzt  hat,  Empe- 
docles,  Callimachus ,  König  Attalus,  Apollodorus  der  giftige  Thiere 
beschrieben  hat,  Hippocrates,  Herophilus,  Erasistratus",  Asclepiades, 
Themison,  der  Stoiker  Posidonius,  Menander  von  Priene,  Menander 
von  Heraclea,  Euphronius  von  Athen,  Theophrastus,  Hesiodus,  König 
Philometor. 


Zwölftes  Buch. 

Von  den  Bäumen. 
1.  u.  2.     Von  ihrem  Ansehn  und  Werthe. 

3.  Von  den  fremden  Bäumen.    Wann  und  woher  die  Platane  zuerst 
nach  Italien  gekommen  ist. 


Erstes  Buch.  55 

4.  Beschreibung  der  Platanen. 

5.  Wunderbare  Dinge  von  ihnen. 

<6.  Von  den  Zwergplatanen.    Wer  zuerst  die  Bäume  beschnitten  hat. 

7.  Wie  der  assyrische  Apfelbaum  gepflanzt  wird. 

8.  Von  den  indischen  Bäumen. 

9.  Wann  der  Ebenbaum  zuerst  nach  Italien  gekommen  ist;    seine 

Arten. 

10.  Von  dem  indischen  Dorngewächse. 

11.  Vom  indischen  Feigenbaume. 

12.  Vom  Palabaume  und  dem  arienischen  Apfel. 

13.  Von  den  indischen  Bäumen,    welche  keinen  Namen  haben,   und 

denen  woraus  Leinwand  verfertigt  wird. 

14.  Von  den  Pfefferbäumen;  von  den  Pfefferarten,  dem  Brechma  und 

Zingiber  oder  Zimpiber. 

15.  Vom  Caryophyllon;  dem  Lycium  und  chironischen  Buxdorn. 

16.  Vom  Macir. 

17.  Vom  Zucker. 

18.  Von  den  Bäumen  des  arianischen,  gedrosischen  und  hyrcanischen 

Volks. 

19.  Von  den  Bäumen  in  Bactrien;  vom  Bdellium  oder  Brochon  oder 

Malacham  oder  Malodacon.    Scordastum.   Verfälschungen,  Prü- 
fungen und  Preise  von  Parfümerieen  und  Gewürzen. 
■20.  Von  den  Bäumen  in  Persien. 

21.  Von  den  Bäumen  auf  den  Inseln  des  persischen  Meeres.     Von 

dem  Wolle  tragenden  Baume. 

22.  Vom  Chynas-Baume.    Von  welchen  Bäumen  im  Oriente  Leinwand 

gemacht  wird. 

23.  Wo  die  Bäume  ihre  Blätter  nicht  verlieren. 

24.  Von  den  Erzeugnissen  der  Bäume. 
■25.  Vom  Costus. 

26.  Zwölf  Arten  der  Narde. 

27.  Vom  Asarum. 

28.  Vom  Amomum  und  Amomis. 

29.  Vom  Cardamomum. 

30.  Vom  Vaterlande  des  Weihrauchs. 

31.  Welche  Bäume  Weihranch  tragen. 

32.  Beschreibung  des  Weihrauchs  und  seiner  Arten. 
83.  Von  der  Myrrhe. 

34.  Von  den  Myrrhe  liefernden  Bäumen. 

35.  Beschreibung  und  Arten  der  Myrrhe. 
86.  Vom  Mastix. 

37.  Von  dem  Ladanum  und  Strobos. 

38.  Von  der  blutstillenden  Arznei. 

39.  Vom  Baume  Bratus. 


56  Erstes  Buch. 

40.  Vom  Baume  Stobrus. 

41.  Von  der  Glückseligkeit  Arabiens. 

42.  Vom  Zimmt  und  Holzzimmt. 

43.  Von  der  Cassia. 

44.  Vom  Cancamum  und  Taron. 

45.  Vom  Sericbatum  und  Gabalium. 

46.  Vom  Myrobalanenbaume. 

47.  Vom  Phoenicobalanus. 

48.  Vom  wohlriechenden  Calmus  und  Juncus. 

49.  Vom  Hammoniacum. 

50.  Vom  Sphagnus. 

51.  Vom  Cyprus. 

52.  Vom  Aspalathus  oder  Erysisceptrmn. 

53.  "Vom  Maron. 

54.  Vom  Balsambaume,  Opobalsamum  und  Xylobalsamum. 

55.  Vom  Styrax. 

56.  Vom  Galbanum. 

57.  Vom  Panax. 

58.  Vom  Spondylion. 

59.  Vom  Malobathrum. 

60.  Vom  Omphacium. 

61.  Vom  Bryum,  der  Oenanthe  und  dem  Massaris. 

62.  Von  der  Elathe  oder  Spathe. 

63.  Vom  Cinnamum  und  Camacum. 

Zusammen:  974  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
M.  Varro,    Mucianus,   Virgilius,    Fabianus,  Sebosus,  Pomponius 
Mela,   Flavius,   Procilius,    Trogus,  Hyginus,  Kaiser  Claudius,  Com. 
Nepos,    Sextius  Niger  der  in  griechischer  Sprache  über  die  Arznei- 
kunde geschrieben  hat,  Cassius  Heniina,  L.  Piso,  Tuditanus,  Antias. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Theophrastus,  Perodotus,  Callisthenes,  Isigonus,  Clitarchus,  Anaxi- 
menes,  Duris,  Nearchus,  Onesicritus,  Polycritus,  Olympiodorus,  Diog- 
netus,  Nicobulus,  Anticlides,  Chares  von  Mitylene,  Mensechmus,  Do- 
rotheus  von  Athen,  Lycus,  Antaeus,  Ephippus,  Dion,  Democles,  Pto- 
lomteus  Lagi,  die  Macedonier  Marsyas  und  Zoilus,  Democritus,  Ani- 
philochus,  Aristomachus ,  Alexander  Polyhistor,  Juba,  Apollodorus 
der  über  die  Rauchwerke  geschrieben  hat,  die  Aerzte  Heraclides, 
Archimedes,  Dionysius,  Democlides,  Euphron,  Mnesis,  Diagoras  und 
Jollas,  Heraclides  von  Tarent,  Xenocrates  von  Ephesus,  Eratosthenes. 


Erstes  Buch.  57 

Dreizehntes  Buch. 

Von  den  fremden  Bäumen,  den  Salben  und  Balsamen. 

1.  Wann  zuerst  Balsame  bereitet  sind. 

2.  Zwölf  Arten  und  Zusammensetzungen  davon. 

3.  Von  den  Räucherspecies,  dem  Magma;  von  der  Aechtheit  der 

Salben. 

4.  Von  dem  grossen  Luxus  mit  Balsamen. 

5.  Wann  sie  zu  Rom  in  Gebrauch  gekommen  sind. 

6.  Von  den  Palmen. 

7.  Beschreibung  derselben. 

8.  Ihre  Anpflanzung. 

9.  Ihre  Arten  und  Kennzeichen. 

10.  Von  den  Bäumen  in  Syrien;    von  den  Pistacien,  Cottanen,  Da- 

mascener  Pflaumen  und  Sebesten. 

11.  Vom    Cedernbaume.      Welche    Bäume    eine    dreijährige    Frucht 

haben. 

12.  Von  der  Terebinthe. 

13.  Vom  Rhus. 

14.  Von  den  Bäumen  Aegyptens;  von  dem  alexandrinischen  Feigen- 

baume. 

15.  Vom  cyprischen  Feigenbaume. 

16.  Vom  Johannesbrotbaume. 

17.  Vom  Pfirsichbaume;  an  welchen  Bäumen  die  Früchte  stets  nach- 

wachsen. 

18.  Vom  Kokosbaum. 

19.  Vom  ägyptischen  Dombaum. 

20.  Acht  Arten  Gummi;  von  der  Sarcocolle. 

21.  Von  der  Papierstaude;  wann  das  Papier  in  Gebrauch  gekom- 

men ist. 

22.  Wie  und  wo  die  Pflanze  wächst. 

23.  Neun  Sorten  Papier. 

24.  Von  der  Güte  des  Papiers. 

25.  Von  den  Fehlern  des  Papiers. 

26.  Vom  Leimen  des  Papiers. 

27.  Von  den  Büchern  des  Numa. 

28.  Von  den  Bäumen  Aethiopiens. 

29.  Von  den  Bäumen  des  Atlas.    Vom  Citrus  und  den  daraus  ver- 

fertigten Tischen. 

30.  Welche  von  diesen  Tischen  gelobt,  welche  getadelt  werden. 

31.  Von  einem  andern  Citrusbaume. 

32.  Von  den  Lotus-Pflanzen. 

33.  Von  den  Bäumen  in  Cyrene,  vom  Paliurus. 

34.  Neun  Sorten  Granatäpfel.    Von  der  Granatbliithe. 


58 


Erstes  Buch. 


35.  Von  den  Bäumen  in  Asien  und  Griechenland;  von  der  Epipactis. 

Erice,  Granum  gnidium  oder  Thymelaea  oder  Chamelaea  oder 
Pyrosachne  oder  Cnestrum  oder  Cneorum. 

36.  Vom  Tragion  und  Traganth. 

37.  ^om  Tragus  oder  Scorpio;  Myrice  oder  Brya,  Ostrys. 

38.  Vom  Evonymus. 

39.  Vom  Baume  Eon. 

40.  Vom  Adrachne. 

41.  Von  dem  Coccygia,  Apharce. 

42.  Von  der  Ferula. 

43.  Von  der  Thapsia. 

44.  Von  der  Capparis  oder  dem  Cynosbatos  oder  Opheostaphylos. 

45.  Von  dem  Sari. 

46.  Vom  königlichen  Dornbaume. 

47.  Vom  Cytisus. 

48.  Von  den  Bäumen  und  Sträuchem  unseres  Meeres;  vom  Phycos 

oder  Prason  oder  Zoster. 

49.  Vom  Seemoose. 

50.  Von  den  Gewächsen  im  rothen  Meere; 

51.  Im  indischen  Meere; 

52.  Im  troglodytischen  Meere;  vom  Isis-Haare,  vom  Liebesauge. 
Zusammen:  468  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
M.  Varro,  Mucianus,  Virgilius,   Fabianus,  Sebosus,  Pomponius 
Mela,    Fabius,    Hyginus,    Trogus,   Procilius,    Kaiser   Claudius,    Com. 
Nepos,  Sextius  Niger  der  in  griechischer  Sprache  über  die  Arzneikunde 
geschrieben  hat;  Cassius  Hemina,  L.  Piso,  Tuditanus,  Antias. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Theophrastus,  Herodotus,  Callisthenes,  Isigonus,  Clitarchus,  Anaxi- 
menes,  Duris,  Nearchus,  Onesicritus,  Polycritus,  Olympiodorus,  Diog- 
netus,  Cleobulus,  Anticlides,  Chares  von  Mitylene,  Mensechmus,  Do- 
rotheus  von  Athen,  Lycus,  Antaeus,  Ephippus,  Dion,  Adimantus,  Pto- 
lemseus  Lagi,  Marsyas  von  Macedonien,  Zoilus  ebendaher,  Democritus, 
Amphilochus,  Alexander  Polyhistor,  Aristomachus,  König  Juba,  Apollo- 
dorus  der  über  die  Rauchwerke  geschrieben  hat,  die  Aerzte  Hera- 
cUdes,  Botrys,  Archidemus,  Dionysius,  Democedes,  Euphronius,  Mne- 
sis,  Diagoras  und  Jollas,  Heraclides  vonTarent,  Xenocrates  vonEphesus. 


Vierzehntes  Buch. 

Von  dem  Weinstocke  und  dem  Weine. 
1.  und  2.    Von  der  Beschaffenheit  der  Weinstöcke;  wie  sie  tragen. 
3.  Von  den  Trauben  und  der  Sorge  für  die  Weinstöcke. 


Erstes  Buch.  59 

4.  91  Sorten  Weinstöcke. 

5.  Regeln  für  die  Anlage  von  Weinbergen. 

6.  Von  den  ältesten  Weinen. 

7.  Von  der  Beschaffenheit  des  Weines. 

8.  50  edle  Weinsorten. 

9.  38  überseeische  Weine. 

10.  7  gesalzene  Weine. 

11.  17  süsse  Weine.    Vom  Rosinenweine  und  dem  eingekochten 

Moste. 

12.  3  Sorten  Weine  zweiter  Qualität. 

13.  Dass  die  edlen  Weine  in  Italien  erst  seit  Kurzem  bekannt  sind. 

14.  Von  der  Achtung,  welche  Romulus  dem  Weine  bezeigte. 

15.  Von  den  Weinen  der  Alten. 

16.  Bemerkungen  über  die  Weinkeller;  vom  opimianischen  Weine. 

17.  Wann  zuerst  4  Sorten  Wein  auf  die  Tafel  gesetzt  worden  sind. 

18.  Vom  Gebrauche  der  Labrusca;  welcher  Saft  von  Natur  der 

kälteste  ist. 

19.  66  Sorten  gekünstelte  Weine. 

20.  Vom  Meth  oder  Melicraton. 

21.  Vom  Sauerhonig. 

22.  12  seltsame  Sorten  Wein. 

23.  Welche  Weine  bei  Opfern  nicht  gebraucht  werden  sollen. 

24.  Auf  welche  verschiedene  Arten  man  den  Most  behandelt. 

25.  Von  Pech  und  Harzen. 

26.  Von  Essig  und  Hefen. 

27.  Von  den  Gefässen  für  den  Wein;  von  den  Kellern. 

28.  Von  der  Trunkenheit. 

29.  Dass  man  aus  Wasser  und  andern  Früchten  weinähnliche  Ge- 

tränke bereitet. 

Zusammen:  510  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 
Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 

Com.  Valerianus,  Virgilius,  Celsus,  der  Censor  Cato,  Saserna 
Vater  und  Sohn,  Scropha,  Varro,  D.  Silanus,  Fabius  Pictor,  Trogus, 
Hyginus,  Flaccus  Verrius,  Graecinus,  Julius  Atticus,  Columella,  Massu- 
rius  Sabinus,  Fenestella,  Tergilla,  Maccius  Plautus,  Flavius,  Dos- 
sennus,  Scsevola,  Aelius,  Attejus  Capito,  Cotta  Messalinus,  L.  Piso, 
Pompejus  Lenseus,  Fabianus,  Sextius  Niger,  Vibius  Rufus. 
Von  fremden  Schriftstellern: 

Hesiodus,  Theophrastus ,  Aristoteles,  Democritus,  König  Attalus 
Philometor,  König  Hiero,  Archytas,  Xenophon,  Amphilochus  von 
Athen,  Anaxipolis  von  Thasus,  Apollodorus  von  Lemnos,  Aristo- 
phanes  von  Milet,  Antigonus  von  Cymse,  Agathocles  von  Chios, 
Apollonius  von  Pergamus,  Aristander  von  Athen,  Botrys  von  Athen, 
Bacchius  von  Milet,  Bion  von  Solis,  Chsereas  von  Athen,   Chseristus 


60  Erstes  Buch. 

von  Athen,  Diodorus  von  Priene,  Dion  von  Colophon,  Epigenes  von 
Rhodus,  Euagon  von  Thasus,  Euphronius  von  Athen,  Androtion 
der  üher  den  Ackerbau  geschrieben  hat,  Aeschrion  desgleichen, 
Dionysius  der  den  Mago  übersetzt,  Diophanes  der  einen  Auszug  aus 
dem  Dionysius  gemacht  hat,  der  Arzt  Asclepiades,  Onesicritus, 
König  Juba. 

Fünfzehntes  Buch. 

Von  den  obsttragenden  Bäumen. 

1.  Von  dem  Oelbaume;  wie  lange  ihn  die  Griechen  kennen,  wann 

er  nach  Italien,  Spanien  und  Afrika  gekommen  ist. 

2.  Von  der  Beschaffenheit  der  Oliven  und  ihrem  Wachsthume. 

3.  Vom  Oele,  Arten  und  Kennzeichen  derselben. 

4.  15  Sorten  Oliven. 

5.  Von  der  Natur  des  Oeles. 

6.  Von  der  Cultur  der  Oelbaume;  von  der  Aufbewahrung  der  Oliven; 

wie  das  Oel  daraus  bereitet  wird. 

7.  48  Sorten  gekünstelte  Oele.     Vom  Cici  oder  Croton  oder  Seseli 

oder  Sesamum. 

8.  Von  der  Amurca. 

9.  Arten  der  Baumfrüchte  und  ihre  Beschaffenheit.   Vier  Arten  von 

Piniennüssen. 

10.  Vier  Arten  Quitten;  vier  Arten  Sperlingsäpfel. 

11.  Sieben  Arten  Pfirsiche. 

12.  12  Arten  Pflaumen. 

13.  Von  der  Persea. 

14.  30  Arten  Aepfel.    Wann  und  woher  die  fremden  Aepfel  zuerst 

nach  Italien  gekommen  sind. 

15.  Welche  in  neuester  Zeit  erst  dahin  gekommen  sind. 

16.  41  Arten  Birnen. 

17.  Von  dem  Unterschiede  der  gepropften,  und  von  der  Abwendung 

des  Blitzes. 

18.  Von  der  Aufbewahrung  der  Aepfel  und  Weintrauben. 

19.  29  Arten  Feigen. 

20.  Geschichtliche  Bemerkungen  von  den  Feigen. 

21.  Von  der  Caprification. 

22.  3  Sorten  Mispeln. 

23.  4  Arten  Speierlinge  (Ariesbeeren). 

24.  11  Arten  Nüsse. 

25.  18  Arten  Kastanien. 

26.  Vom  Johannisbrote. 

27.  Von  dem  fleischigen  Obste;  von  den  Maulbeeren. 

28.  Von  dem  Unnedo. 


Erstes  Buch.  61 

29.  Von  den  Beeren. 

30.  9  Arten  Kirschen. 

31.  Von  der  Kornelkirsche  und  dem  Mastixbaume. 

32.  14  Arten  des  Geschmacks  bei  den  Säften. 

33.  Von  der  Farbe  und  dem  Gerüche  der  Säfte. 

34.  Von  der  Verschiedenartigkeit  des  Obstes. 

35.  Von  der  Myrte. 

36.  Geschichtliche  Bemerkungen  von  der  Myrte. 

37.  11  Arten  der  Myrte. 

38.  Ihr  Gebrauch  zu  Rom  bei  den  kleinen  Triumphen. 

39.  13  Arten  des  Lorbeers. 

40.  Geschichtliche  Bemerkungen  vom  Lorbeerbaume. 
Zusammen:  520  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
Fenestella,  Fabianus,  Virgilius,  Com.  Valerianus,  Celsus,  der 
Censor  Cato,  Saserna  Vater  und  Sohn,  Scropha,  M.  Varro,  D.  Sila- 
nus,  Fabius  Pictor,  Trogus,  Hyginus,  Flaccus  Verrius,  Grscinus,  Atticus 
Julius,  Massurius  Sabinus,  Tergilla,  Cotta  Messalinus,  Columella,  L. 
Piso,  Pompejus  Lenseus,  Maccius  Plautus,  Flavius  Dossennus,  Scse- 
vola,  Aelius,  Attejus  Capito,  Sextius  Niger,  Vibius  Rufus. 
Von  fremden  Schriftstellern: 
Hesiodus,  Aristoteles,  Democritus,  König  Hiero,  Archytas,  König 
Attalus  Philometor,  Xenophon ,  Amphilochus  von  Athen,  Anaxipolis 
von  Thasus,  Appollodorus  von  Lemnos,  Aristophanes  von  Milet,  An- 
tigonus  von  Cymae,  Agathocles  von  Chios,  Apollonius  von  Pergamus, 
Aristander  von  Athen,  Bacchius  von  Milet,  Bion  von  Solis,  Cha^reas 
von  Athen,  Chseristus  von  Athen,  Diodorus  von  Priene,  Dion  von 
Colophon,  Epigenes  von  Rhodus,  Euagon  von  Thasus,  Euphronius 
von  Athen,  Androtion  der  über  den  Ackerbau  geschrieben  hat, 
Aeschrion  desgleichen,  Lysimachus  desgleichen,  Dionysius  der  den 
Mago  übersetzt,  Diophanes  der  einen  Auszug  aus  dem  Dionysius 
gemacht  hat,  der  Arzt  Asclepiades,  der  Arzt  Erasistratus ,  Commias 
der  über  den  "VVein  geschrieben  hat,  Aristomachus  desgleichen,  Hi- 
cesius  desgleichen,  der  Arzt  Themiso,  Onesicritus,  König  Juba. 


Sechszehntes  Buch. 

Von  den  wilden  Bäumen. 

1.  Von  den  Völkern,  welche  keine  Bäume  haben. 

2.  Wunderbare  Dinge  von  Bäumen  in  den  nördlichen  Ländern. 

3.  Von  den  eicheltragenden  Bäumen ;  von  der  Bürgerkrone. 

4.  Vom  Ursprünge  der  Kränze. 


ß2  Erstes  Buch. 

5.  Welche  Personen  mit  einem  Laubkranze  beschenkt  sind. 

6.  13  Arten  Eicheln. 

7.  Von  der  Buche. 

8.  Von  den  übrigen  Eicheln;  von  den  Kohlen. 

9.  Von  den  Galläpfeln. 

10.  Was  diese  Bäume  ausser  den  Eicheln  noch  tragen. 

11.  Von  der  Cachrys. 

12.  Vom  Coccus. 

13.  Vom  Agaricus. 

14.  Von  welchen  Bäumen  die  Rinden  gebraucht  werden. 

15.  Von  den  Schindeln. 

16.  Von  der  Fichte. 

17.  Vom  Pinaster. 

18.  Von  der  rothen  und  weissen  Tanne. 

19.  Vom  Lärchenbaume  und  der  Taeda-Fichte. 

20.  Vom  Taxus. 

21.  Wie  der  Theer  und  das  Cedrium  gemacht  werden. 

22.  Wie  der  Theer  eingedeckt  wird. 

23.  Von  dem  Harze  Zopissa. 

24.  Von  welchen  das  Holz  besonders  geschätzt  wird. 

25.  2  Arten  der  Linde. 

26.  10  Arten  des  Ahorns. 

27.  Vom  Bruscum,  Molluscum,  Staphylodendron. 

28.  3  Arten  des  Buxus. 

29.  4  Arten  der  Ulme. 

30.  Von  der  Beschaffenheit  der  Bäume  nach  ihrem  Stande;  welche 

auf  Bergen  und  welche  in  Ebenen  wachsen. 

31.  Welche  gern  trocken,  welche  im  Wasser  stehen  und  welche  das 

Mittel  davon  halten. 

32.  Eintheilung  der  Arten. 

33.  Welche  Bäume  das  Laub  nicht  verlieren.     Vom  Rhododendron. 

Welche  nicht  alle  Blätter  verHeren,   und  von  welchen  Arten 
kein  Baum  das  Laub  verliert. 

34.  Von  der  Verschiedenheit  des  Abfallens  der  Blätter. 

35.  Von  ihrer  verschiedenen  Farbe;  welche  Blätter  ihre  Gestalt  ver- 

ändern.   3  Arten  Pappeln. 

36.  Welche  Blätter  sich  alljährig  umdrehen. 

37.  Von   der  auf  die  Palmenblätter  zu  verwendenden  Sorgfalt   und 

ihrem  Gebrauche. 

38.  Wichtige  Bemerkungen  von  den  Blättern. 

39.  Von  der  Ordnung  der  Natur  in  den  Aussaaten. 

40.  Welche  Bäume  niemals  blühen.     Vom  Wachholder. 

41.  Von  der  Empfängniss  der  Bäume;   von    dem  Ausschlagen;    der 

Fruchtreife. 


Erstes  Buch.  63 

42.  In  welcher  Ordnung  sie  blühen. 

43.  Wann  sie  Früchte  tragen.    Von  der  Comelkirsche. 

44.  Welche  ein  Jahr  und  welche  drei  Jahre  lang  ihre  Früchte  tragen. 

45.  Welche  keine  Früchte  tragen ,    und  welche  für  unglückbringend 

gehalten  werden. 

46.  Welche  die  Frucht  oder  Blüthe  sehr  leicht  verlieren. 

47.  Welche  Bäume  in  gewissen  Gegenden  nicht  tragen. 

48.  Wie  die  Früchte  auf  den  Bäumen  sitzen. 

49.  An  welchen  die  Früchte  eher  kommen  als  die  Blätter. 

50.  Bäume,  welche  zweimal  und  welche  dreimal  im  Jahre  tragen. 

51.  Welche  sehr  schnell  und  welche  sehr  langsam  altera.   Frühe  und 

späte  Früchte. 

52.  Welche  Bäume  Verschiedenes  tragen.    Vom  Crataegus. 

53.  Von  dem  Unterschiede  der  Bäume  nach  Stamm  und  Aesten.  Der 

Lotos  oder  die  griechische  Bohne. 

54.  Von  den  Aesten. 

55.  Von  der  Rinde. 

56.  Von  der  Wurzel. 

57.  Bäume,  welche  von  selbst  wieder  lebend  geworden  sind. 

58.  Wie  die  Bäume  ohne  Wartung  heranwachsen.   Dass  nicht  allent- 

halben alles  gedeihet. 

59.  Welche  Bäume  nicht  überall  gedeihen. 

60.  Von  den  Cypressen. 

61.  Dass  oft  etwas  aus  der  Erde  wächst,    wovon  vorher  keine  Spur 

da  war. 

62.  20  Arten  des  Epheu. 

63.  Vom  Smilax. 

64.  Von  den  Wassergewächsen;  28  Rohr-Arten. 

65.  Von  den  Pfeilrohren  und  Schreibrohren. 

66.  Von  den  Pfeifenrohren;  vom  orchomenischen  Rohre,  dem  Rohre 

zum  Vogelstellen  und  zum  Fischfange. 

67.  Vom  Winzerrohre.    Von  den  Erlen. 

68.  7  Arten  der  Weide. 

69.  Was  ausser  der  Weide  zum  Binden  dient. 

70.  Von  den  Binsen,    welche  zu  Lichtern,    Fahrzeugen  und  Decken 

dienen. 

71.  Von  den  Hollunder-  und  Brombeersträuchen. 

72.  Von  den  Säften  der  Bäume. 

73.  Von  den  Adern  und  dem  Fleische  der  Bäume. 

74.  Von  dem  Fällen  der  Bäume. 

75.  Cato's  Ansichten  darüber. 

76.  Von  der  Grösse  der  Bäume.    Von  den  Holzarten. 

77.  Feuerzeuge  aus  Holz. 

78.  Welche  Bäume  nicht  faul  und  welche  nicht  rissig  werden. 


£4  Erstes  Buch. 

79.  Geschichtliche  Bemerkungen  über  die  Dauer  der  Hölzer. 

80.  Von  den  Holzwürmern. 

81.  Von  dem  Bauholze. 

82.  Von  dem  Holze  für  Künstler. 

83.  Vom  Leimen  des  Holzes. 

84.  Von  den  Brettern. 

85.  Von  dem  Alter  der  Bäume.     Bäume,  die  von  dem  altem  Africanus 

gepflanzt  sind.     Ein  fünfhundert] ähriger  Baum  in  Rom. 

86.  Bäume  von  der  Zeit  der  Gründung  Rom's  her. 

87.  Bäume  um  Rom,  die  älter  als  die  Stadt  sind. 

88.  Bäume,  die  von  Agamemnon  gepflanzt  sind;    Bäume  vom  ersten 

Jahre  des  trojanischen  Krieges;  von  dem  Ursprünge  des  Namens 
Ilium;  Bäume  bei  Troja,  die  älter  als  der  trojanische  Krieg  sind. 

89.  Bäume  zu  Argos,    die   von  Hercules   gepflanzt  sind;   von  Apollo 

gepflanzte  Bäume;  ein  Baum  älter  als  Athen. 

90.  Welche  Bäume  bald  absterben. 

91.  Bäume  d.  durch  besondere  Begebenheiten  in  Ehren  gehalten  werden. 

92.  Welche  Bäume  keinen  eigenen  Wohnsitz  haben;    welche  auf  an- 

dern Bäumen  leben  und  in  der  Erde  nicht  fortkommen;  9  Ar- 
ten davon.  Vom  Cadytas,  Polypodium,  Phaunus  und  Hippo- 
pha^stum. 

93.  Drei  Arten  des  Viscum;  Stelis,  Hyphear.   Von  der  Beschaffenheit 

des  Viscum  und  ähnlicher  Gewächse. 

94.  Von  der  Bereitung  des  Vogelleims. 

95.  Geschichtliche  Bemerkungen  vom  Viscum. 

Zusammen:  1135  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
M.  Varro,  Fetialis,  Nigidius,  C.  Nepos,  Hyginus,  Massurius,  Cato, 
Mucianus,  L.  Piso,  Trogus,  Calpurnius  Bassus,  Cremutius,  Sextius  Ni- 
ger, Com.  Bocchus,  Vitruvius,  Grsecinus. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Alexander  Polyhistor,  Hesiodus,  Theophrastus ,  Democritus,  Ho- 
merus,  der  Mathematiker  Tinneus. 


Siefoenzehntes  Buch. 

Von  den  angepflanzten  Bäumen. 

1.  Ausserordentliche  Preise  für  Bäume. 

2.  Von   der   Einwirkung   der   Luft   auf   die   Bäume.    Nach  welcher 

Himmelsgegend  die  Weinberge  liegen  müssen. 

3.  Welches  Erdreich  das  beste  ist. 

4.  Von  den  Erden,  welche  man  in  Griechenland  und  Gallien  rühmt; 

8  Arten  davon. 


Erstes  Buch.  65 

5.  Vom  Gebrauche  der  Asche. 

6.  Von  dem  Miste. 

7.  Welche  Saaten  das  Land  fruchtbarer  machen  und  welche  es  aus- 

saugen. 

8.  Wie  der  Mist  anzuwenden  ist. 

9.  Wie  die  Bäume  gepflanzt  werden. 

10.  Was  aus  Samen  entsteht. 

11.  Was  niemals  ausartet. 

12.  Was  aus  Schösslingen  wächst. 

13.  Was  aus  Abreissern  und  was  aus  Schnittlingen  wächst. 

14.  Von  den  Baumschulen.    Vom  Versetzen  der  Baumschulen. 

15.  Vom  Anpflanzen  der  Ulmen. 

16.  Von  den  Pflanzgruben. 

17.  Von  dem  Abstände  der  Bäume  von  einander. 

18.  Vom  Schatten. 

19.  Von  den  Traufen. 

20.  Welche  Bäume  langsam  und  welche  schnell  wachsen. 

21.  Von  der  Fortpflanzung  durch  Ableger. 

22.  Von  der  Versetzung  durch  Samen  und  wie  sie  erfunden  ist. 

23.  Von  der  Versetzung  durch  Augen. 

24.  Von  den  verschiedenen  Methoden  des  Pfropfens. 

25.  Von  der  Pfropfung  des  Weinstocks. 

26.  Von  dem  Rindenpflaster. 

27.  Von  der  Fortpflanzung  durch  Zweige. 

28.  Welche  Bäume  durch  Schnittlinge  fortgepflanzt  werden  und  wie 

diess  geschieht. 

29.  Von  der  Cultur  des  Oelbaumes. 

30.  Wann  die  verschiedenen  Pfropfarbeiten  etc.  vorgenommen  werden 

müssen. 

31.  Von  dem  Grabenziehen  um  die  Bäume  und  von  dem  Behäufeln. 

32.  Von  den  Weidenpflanzungen. 

33.  Von  den  Rohrpflanzungen. 

34.  Von  den  übrigen  Materialien  zu  Stöcken  und  Pfählen. 

35.  Von  Anlegung   der  Weinberge   und   der  Bäume   zur  Befestigung 

der  Weinstöcke. 

36.  Mittel  um  die  Trauben  vor  den  Thieren  zu  schützen. 

37.  Von  den  Krankheiten  der  Bäume. 

38.  Wunder  und  Zeichen  von  Bäumen. 

39.  Mittel  gegen  die  Krankheiten  der  Bäume. 

40.  Von  dem  Bewässern. 

41.  Merkwürdige  Dinge  von  bewässerten  Gegenden. 

42.  Von  dem  Schröpfen  der  Bäume. 

43.  Andere  Heilmittel  für  die  Bäume. 

44.  Von  der  Caprification  der  Feigen. 

5 


$Q  Erstes  Buch. 

45.  Von  den  Nachtheilen  des  Beschneidens. 

46.  Von  der  Düngung. 

47.  Verschiedene  Heilmittel  für  die  Bäume. 

Zusammen:  1380  Gegenstände  Erzählungen  und  Bemerkungen. 
Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 

C.  Nepos,  der  Censor  Cato,  M.  Varro,  Celsus,  Virgilius,  Hyginus,. 
Saserna  Vater  und  Sohn,  Scropha,  Calpurnius,  Bassus,  Trogus,  Aemi- 
lius  Macer,  Grsecinus,  Columella,  Atticus  Julius,  Fabianus,  Sura  Ma- 
milius,  Dossennus  Mundus,  C.  Epidius,  L.  Piso. 
Von  fremden  Schriftstellern: 

Hesiodus,  Theophrastus ,  Aristoteles,  Democritus,  Theopompus,. 
König  Hiero,  König  Attalus  Philometor,  König  Archelaus,  Archytas, 
Xenophon,  Amphilochus  von  Athen,  Anaxipolis  von  Thasus,  Apollo- 
dorus  von  Lemnos,  Aristophanes  von  Milet,  Antigonus  von  Cymse, 
Agathocles  von  Chios,  Apollonius  von  Pergamus,  Bacchius  von  Milet, 
Bion  von  Solis,  Chsereas  von  Athen,  Chaeristus  von  Athen,  Diodorus 
von  Priene,  Dion  von  Colophon,  Epigenes  von  Rhodus,  Euagon  von 
Thasus,  Euphronius  von  Athen,  Androtion  der  über  den  Ackerbau 
geschrieben  hat,  Aeschryon  desgleichen,  Lysimachus  desgleichen, 
Dionysius  der  den  Mago  übersetzt,  Diophanes  der  einen  Auszug  au  s 
dem  Dionysius  gemacht  hat,  Aristander  der  über  Wunderzeichen  ge- 
schrieben hat. 


Achtzehntes  Buch. 

Von  den  Feldfrüchten. 

1.  Vom  fleissigen  Betriebe  des  Ackerbaues  bei  den  Alten. 

2.  Von  dem  ersten  Aehrenkranze  in  Rom. 

3.  Von  dem  Jugerum. 

4.  Wie  oft  und  zu  welchen  Zeiten  die  Getreidepreise  am  niedrigsten 

gewesen  sind. 

5.  Welche  Männer  am  besten  über  den  Ackerbau  geschrieben  haben. 

6.  Was  beim  Baue  eines  Ackers  zu  beobachten  ist. 

7.  Von  der  Lage  der  Landgüter. 

8.  Vorschriften  der  Alten  über  die  Bebauung  des  Ackers.  > 

9.  Arten  der  Feldfrüchte. 

10.  Ihre  Beschaffenheit  nach  den  einzelnen  Arten;  vom  Getreide. 

11.  Vom  Far. 

12.  Vom  Weizen. 

13.  Von  der  Gerste  und  dem  Reise. 

14.  Von  der  Polenta. 

15.  Von  der  Ptisana. 

16.  Vom  Tragum. 


Erstes  Buch.  67 

17.  Vom  Stärkmehl. 

18.  Von  der  Beschaffenheit  der  Gerste. 

19.  Von  der  Arinca,  Olyra,  Zea.    Von  den  übrigen  Arten  im  Orient. 

20.  Vom  Siligo  und  Similago. 

21.  Von  der  Fruchtbarkeit  des  Weizens  in  Afrika. 

22.  Vom  Sesamum,  Erysimum  oder  Irio,  Horminum. 

23.  Vom  Mahlen  des  Getreides. 

24.  Von  der  Hirse. 
25^ Vom  Panicum. 

26.  Vom  Sauerteige. 

27.  Vom  Brotbacken  und  dessen  Ursprünge. 

28.  Wann  in  Rom  zuerst  Bäcker  gewesen  sind. 

29.  Von  der  Alica. 

30.  Von  den  Hülsenfrüchten;  von  der  grossen  Bohne. 

31.  Von  den  Linsen  und  Erbsen. 

32.  Von  den  verschiedenen  Kichererbsen. 

33.  Von  den  Schwertbohnen. 

34.  Von  den  weissen  Rüben. 

35.  Von  den  Steckrüben. 

36.  Von  der  Wolfsbohne. 

37.  Von  der  Wicke. 

38.  Von  der  Erve. 

39.  Von  der  Silicia. 

40.  Vom  Seeale  oder  Asia. 

41.  Vom  Farrago;  Cracca. 

42.  Vom  Ocymum;  Ervilia. 

43.  Von  der  Medica. 

44.  Von  den  Krankheiten  der  Feldfrüchte;  vom  Hafer. 

45.  Mittel  dagegen. 

46.  Was  in  jede  Bodenart  zu  säen  ist. 

47.  Wie  man  bei  den  verschiedenen  Völkern  säet. 

48.  Von  den  verschiedenen  Pflugscharen. 

49.  Vom  Pflügen. 

50.  Vom  Eggen,    Gäten,    Behacken   nach   den   einzelnen  Arten   der 

Feldfrüchte;  vom  Nacheggen. 

51.  Von  der  höchsten  Fruchtbarkeit  des  Bodens. 

52.  Vom  mehrmaligen  Säen  in  einem  Jahre. 

53.  Von  der  Düngung. 

54.  Von  der  Güte  des  Samens. 

55.  Wie  viel  von  jeder  Getreideart  auf  ein  Jugerum  zu  säen  ist. 

56.  Von  der  rechten  Säezeit. 

57.  Eintheilung  der  Gestirne  in  irdische  Tage  und  Nächte. 

58.  Aufgang  und  Untergang  der  Gestirne. 
59.  Von  den  Cardinalzeiten. 


ßg  Erstes  Buch. 

60.  Von  der  rechten  Zeit  zum  Säen  der  Winterfrüchte. 

61.  Wann  die  Hülsenfrüchte  und  der  Mohn  zu  säen  sind. 

62.  Von  den  Feldarbeiten,  und  was  in  jedem  Monate  auf  dem  Acker 

geschehen  soll. 

63.  Was  im  Winter  geschehen  soll. 

64.  Was  vom  kürzesten  Tage  an  bis  zum  ersten  Frühlingswinde, 

65.  Was  von  da  an  bis  zur  Frühlings-Tag-  und  Nachtgleiche, 

66.  Was  von  da  an,  und 

67.  Was  vom  Aufgange  des  Siebengestirns  an  geschehen  soll.  Vom  Äeu. 

68.  Von  der  Zeit  der  Sommer-Sonnenwinde. 

69.  Ursachen  der  Unfruchtbarkeit. 

70.  Hülfsmittel  dagegen. 

71.  Was  von  der  Sommer-Sonnenwende  an  geschehen  soll. 

72.  Von  der  Erndte. 

73.  Von  der  Aufbewahrung  des  Getreides. 

74.  Von  der  Weinlese  und  den  Arbeiten  im  Herbste. 

75.  Von  der  Berücksichtigung  und  dem  Einflüsse  des  Mondes  und 

76.  des  Windes. 

77.  Von  der  Begrenzung  der  Felder. 

78.  Voranzeigen  der  Witterung:  von  der  Sonne. 

79.  dem  Monde, 

80.  den  Sternen, 

81.  dem  Donner, 

82.  den  Wolken, 

83.  dem  Nebel, 

84.  irdischen  Feuern, 

85.  dem  Wasser, 

86.  den  Stürmen, 

87.  den  Wasserthieren,  Vögeln, 

88.  vierfüssigen  Thieren, 

89.  Kräutern  und 

90.  Speisen. 

Zusammen:  2060  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 
Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 

Massurius  Sabinus,  Cassius  Hemina,  Verrius  Flaccus,  L.  Piso, 
Com.  Celsus,  Turrianus  Gracilis,  D.  Silanus,  M.  Varro,  der  Censor 
Cato,  Scropha,  Saserna  Vater  und  Sohn,  Domitius  Calvinus,  Hyginus, 
Virgilius,  Trogus,  Ovidius,  Grsecinus,  Columella,  Tubero,  L.  Tarutius 
der  in  griechischer  Sprache  über  die  Gestirne  geschrieben  hat,  der 
Dictator  Caesar  desgleichen,  Sergius  Paulus,  Sabinus  Fabianus,  M. 
Cicero,  Calpurnius  Bassus,  Attejus  Capito ,  Mamilius  Sura,  Accius 
welcher  praktische  Bemerkungen  verfasst  hat. 

Von  fremden  Schriftstellern: 

Hesiodus,  Theophrastus,  Aristoteles,  Democritus,   König  Hiero, 


Erstes  Buch.  69 

König  Attalus  Philometor,  König  Archelaus,  Archytas,  Xenophon, 
Amphilochus  von  Athen,  Anaxipolis  von  Thasus,  Aristophanes  von 
Milet,  Apollodorus  von  Lemnos,  Antigonus  von  Cyinae,  Agathocles 
von  Chios,  Apollonius  von  Pergamus,  Aristander  von  Athen,  Bacchius 
von  Milet,  Bion  von  Solis,  Chanreas  von  Athen,  Cha^ristus  von  Athen, 
Diodorus  von  Priene,  Dion  von  Colophon,  Epigenes  von  Rhodus,  Euagon 
von  Thasus,  Euphronius  von  Athen,  Androtion  der  über  den  Acker- 
bau geschrieben  hat,  Aeschrion  desgleichen,  Lysimachus  desgleichen, 
Diönysius  der  den  Mago  übersetzt,  Diophanes  der  einen  Auszug  aus 
den  Diönysius  gemacht  hat,  Thaies,  Eudoxus,  Philippus,  Callippus, 
Dositheus,  Parmeniscus,  Meton,  Criton,  Oenopides,  Zeno,  Euctemon, 
Harpalus,  Hecatseus,  Anaximander,  Sosigenes,  Hipparchus,  Aratus, 
Zoroaster,  Archibius. 


Neunzehntes  Buch. 

Von  dem  Leine  und  der  Cultur  der  Gartengewächse. 

1.  Von  der  Beschaffenheit  und  dem  "Wunderbaren  des  Leins. 

2.  Wie  er  gesäet  wird;  27  verschiedene  Arten  desselben. 

3.  Von  der  Zubereitung  des  Flachses. 

4.  Von  dem  unverbrennlichen  Flachse. 

5.  Wann  man  angefangen  hat,  den  Flachs  zu  färben. 

6.  Wann  zuerst  Vorhänge  in  den  Schauspielhäusern  gewesen  sind. 

7.  Von  dem  Spartum. 

8.  Von  dessen  Zubereitung. 

9.  Wann  es  in  Gebrauch  gekommen  ist. 

10.  Von  dem  Wolle  tragenden  Zwiebelgewächse. 

11.  Was  ohne  Wurzel  entsteht  und  gedeihet;  was  entsteht  und  nicht 

gesäet  werden  kann. 

12.  Vom  Misy,  Iton,  Geranion. 

13.  Von  den  Trüffeln. 

14.  Von  den  Peziken. 

15.  Vom  Laserpitium,  Laser  und  Maspetum. 

16.  Vom  Magydaris. 

17.  Von  der  Färberröthe. 

18.  Von  der  Pflanze  Radicula. 

19.  Von  dem  Ansehn  der  Gärten. 

20.  Abtheilung  des  Landes. 

21.  Eintheilung  der  Gartengewächse,   ausgenommen  Feldfrüchte  und 

Sträucher. 

22.  Die  Beschaffenheit  und  das  Geschichtliche  von  20  Arten  Garten- 

gewächsen.   Wie  sie  gebauet  werden. 

23.  Was  von  knorpeliger  Beschaffenheit   ist,   von    den   Gurken   und 

Peponen. 


70  Erstes  Buch. 

24.  Von  dem  Krbiüs. 

25.  Von  den  weissen  Rüben  und  Steckrüben . 

26.  Vom  Rettig. 

27.  Vom  Pastinak. 

28.  Vom  Siser. 

29.  Von  der  Inula. 

30.  Von  den  Zwiebeln,  der  Meerzwiebel,  dem  Amin. 

31.  Von  den  Wurzeln,    Blüthen  und  Blättern  aller  Gartengewächse. 

Welche  die  Blätter  verlieren. 

32.  Von  den  Arten  der  Zip  ollen. 

33.  Vom  Porrum. 

34.  Vom  Knoblauch. 

35.  Am  wievielsten  Tage  ein  Jedes  hervorkommt. 

36.  Von  den  Samen. 

37.  Welche  Gewächse  nur  eine  Art  und  welche  mehrere  haben. 

38.  Beschaffenheit   und   Geschichtliches    von   23    Arten    Gewächsen, 

welche  im  Garten  gebauet  werden.    Von  den  Latticharten. 

39.  Arten  des  Intubus. 

40.  4  Arten  der  Beta. 

41.  Arten  des  Kohls. 

42.  Vom  Spargel;  von  der  Corruda. 
43-  Von  den  Disteln. 

44.  Von  den  übrigen  Gartengewächsen.  Ocymum,  Eruca,  Nasturtium. 

45.  Von  der  Raute. 

46.  Vom  Eppich. 

47.  Von  der  Minze. 

48.  Vom  Olusatrum. 

49.  Vom  Feldkümmel. 

50.  Vom  Ligusticum. 

51.  Vom  Lepidium. 

52.  Vom  Gith. 

53.  Vom  Mohn. 

54.  Von  den  übrigen,    die  in  der  Herbst-Tag-  und  Nachtgleiche  ge- 

säet werden. 

55.  Vom  Serpyllum  und  Sisymbrium. 

56.  4  ruthenartige  Gewächse.    Vom  Hanfe. 

57.  Von  den  Krankheiten  der  Gartengewächse. 

58.  Hülfsmittel   dagegen.     Wie   man    die   Ameisen   vertilgt.     Mittel 

gegen  die  Kohlraupen  und  Mücken. 

59.  Welchen  das  Salzwasser  nützt. 

60.  Von  der  Bewässerung  der  Gärten. 

61.  Von  den  Säften  und  dem  verschiedenen  Geschmacke  der  Garten- 

gewächse. 

62.  Von  der  Piperitis,  Libanotis  und  dem  Smyrniurn. 
Zusammen:  1144  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 


Erstes  Buch.  71 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
Maccius  Plautus,  M.  Varro,  D.  Silanus,  der  Censor  Cato,  Hyginus, 
Virgilius,  Mucianus,  Celsus,  Columella,  Calpurnius  Bassus,  Maniilius 
Sura,  Sabinus  Tiro,  Licinius  Macer,  Q.  Hirtius,  Vibius  Rufus,  Caesen- 
nius  der  über  den  Gartenbau  geschrieben  hat,  Castritius  desgleichen, 
Firmus  desgleichen,  Petrichus  desgleichen. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Herodotus,   Theophrastus ,  Democritus,  Aristomachus ,  Menander 
der  nützliche  Bemerkungen  für  das  Leben  geschrieben  hat,  Anaxilaus. 


Zwanzigstes  Buch. 

Arzneimittel  von  den  Gartengewächsen. 
1.  und  2.  Von  der  wilden  Gurke,  26  Arzneien. 

3.  Von  dem  Elaterium,  27. 

4.  Von  der  Schlangengurke,  5. 

5.  Von  der  Gartengurke,  9. 

6.  Von  der  Pepo,  11. 

7.  Vom  Kürbis,  17.  Spongos,  1. 

8.  Von  der  Coloquinte,  9. 

9.  Von  den  weissen  Rüben,  9. 

10.  Von  der  wilden  Rübe,  1. 

11.  Von  der  Steckrübe,  dem  Bunium  oder  Bunias,  5. 

12.  Vom  wilden  Rettig,  43  und  vom  Meerrettig,  1. 

13.  Vom  Gartenrettig. 

14.  "Vom  Pastinak,  5.    Vom  Hibiscus  oder  der  wilden  Malache  oder 

Plistolochia. 

15.  Vom  Staphylius  oder  wilden  Pastinak,  32. 

16.  Vom  Gingidium. 

17.  Vom  Siser,  11. 

18.  Vom  Sili,  12. 

19.  Von  der  Inula,  11. 

20.  Von  den  Zipollen,  27. 

21.  Vom  Schnittlauch,  32. 

22.  Vom  Kopflauch,  39. 

23.  Vom  Knoblauch,  61. 

24.  Vom  Lattich,  42;  vom  Ziegenlattich,  4. 

25.  Vom  Csesapum,  1;  vom  Waid,  1;  vom  wilden  Lattich,  7. 

26.  Von  der  Hieracia,  17. 

27.  Von  der  Beta,  14. 

28.  Von  dem  Limonium  oder  Neuroides,  3. 

29.  Von  dem  Intubus,  8. 


72  Erstes  Buch. 

30.  Vom  Cichorium  oder  Chrestum  oder  Fancratium  oder  Ambula,  12. 

31.  Von  der  Hedypnois,  4. 

32.  Von  drei  Arten  Salat,  8. 

33.  Vom  Kohl,  87.    Cato's  Verordnungen  darüber. 

34.  Verordnungen  der  Griechen  darüber. 

35.  Von  den  jungen  Kohlsprossen. 

36.  Vom  wilden  Kohl,  37. 

37.  Von  der  Lapsana,  1. 

38.  Vom  Meerkohl,  1. 

39.  Von  der  Meerzwiebel,  23. 

40.  Von  den  Zwiebeln,  30. 

41.  Von  der  Bulbine,  1;  von  der  Brechzwiebel. 

42.  Vom  Spargel. 

43.  Von  der  Corruda  oder  Lybicum  oder  Horminum,  24. 

44.  Vom  Eppich,  17. 

45.  Vom  Apiastrum  oder  Melissophyllum. 

46.  Vom  Olusatrum  oder  Hipposelinum,    11;   vom  Oreoselinum,    11; 

vom  Heleoselinum,  1. 

47.  Von  der  Petersilie,  1;  vom  Buselinum,  1. 

48.  Vom  Ocymum,  35. 

49.  Von  der  Eruca,  12. 

50.  Vom  Nasturtium,  42. 

51.  Von  der  Raute,  84. 

52.  Von  der  wilden  Minze,  20. 

53.  Von  der  gemeinen  Minze,  41. 

54.  Vom  Polei,  25. 

55.  Vom  wilden  Polei,  17. 

56.  Von  der  Nepeta,  9. 

57.  Vom  Cuminum,  48;  vom  Cuminum  sylvestre,  26. 

58.  Vom  Ammi,  10. 

59.  Vom  Capperstrauche,  18. 

60.  Vom  Ligusticum  oder  Panax,  4. 

61.  Von  der  Ochsen-Cunila,  5. 

62.  Von  der  Hühner- Cunila,  5. 

63.  Von  der  Cunilago,  8. 

64.  Von  der  weichen  Cunila,  3;  von  der  Weihrauch-Cunila,  3. 

65.  Von  der  Garten-Cunila,  3;  von  der  Berg-Cunila,  7. 

66.  Von  dem  Pfefferkraute  oder  Siliquastrum,  5. 

67.  Vom  Origanum  onite  oder  Prasium,  6. 

68.  Vom  Tragoriganum,  9. 

69.  Von  drei  Arten  des  Origanum  heracleum,  30. 

70.  Von  der  Kresse,  3. 

71  Vom  Gith  oder  Melanthium,  23. 
72.  Vom  Anis  oder  Anicetum,  61. 


Erstes  Buch.  73 

73.  Wo  der  Anis  am  besten  ist  und  von  den  übrigen  aus  ihm  be- 

reiteten Arzneien. 

74.  Vom  Anethum,  9. 

75.  Vom  Sacopenium  oder  Sagapenum,  13. 

76.  Vom  weissen  Mohn,  3;    vom    schwarzen  Mohn,    8;    von    seiner 

Schlaf  machenden  Kraft;  vom  Opium.  Man  soll  es  den  Trän- 
ken gegen  Fieber,  Mangel  an  Verdauung  und  gegen  Ver- 
stopfung nicht  zusetzen.     Vom  Meconium,  1. 

77.  Vom  Rhoeas-Mohn,  2. 

78.  Von  dem  wilden  gehörnten  Mohn  oder  Glaucium  oder  Paraliurn,  6. 

79.  Vom  wilden  heraclischen  Mohn  oder  Aphrum,  4.    Vom  Diacodion. 

80.  Vom  tithymalischen  Mohn  oder  Paraliurn,  3. 

81.  Von  der  Porcilaca  oder  Peplis,  25. 

82.  Vom  Coriander,  21. 

83.  Von  der  Atriplex,  14. 

84.  Von  der  Malva  malope,  13;  von  der  Malva  malache,   1;  von  der 

Malva  althaaa  oder  Plistolochia,  59. 

85.  Vom  wilden  Lapathum  oder  Oxalis   oder  Lapathum  cantherinum 

oder  Rumex,  1;  vom  Hydrolapathuni,  2;  Hippolapathum,  6; 
Oxylapathum,  4. 

86.  Vom  zahmen  Lapathum,  21;  Bulapathum,  1. 

87.  Von  drei  Arten  des  Senfs,  44. 

88.  Von  der  Adarca,  48. 

89.  Vom  Marrubium  oder  Prasium  oder  Linostrophum  oder  Philopaes 

oder  Philochares,  29. 

90.  Vom  Serpyllum,  18. 

91.  Vom  Sisymbrium  oder  Thymbraeum,  23. 

92.  Vom  Leinsamen,  30. 

93.  Vom  Blitum,  6. 

94.  Vom  Meum  athamanticum,  7. 

95.  Vom  Fenchel,  22. 

96.  Vom  Hippomarathrum  oder  Myrsineum,  5. 

97.  Vom  Hanfe,  9. 

98.  Von  der  Ferula,  8. 

99.  Vom  Carduus  oder  Scolymus,  6, 

100.  Zusammensetzung  des  Theriaks. 

Zusammen:  1606  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
Der  Censor  Cato,  M.  Varro,  Pompejus  Lenaeus,  C.  Valgius,  Hy- 
ginus,  Sextius  Niger    der   in   griechischer   Sprache   geschrieben  hat, 
Julius  Bassus  desgleichen,  Celsus,  Antonius  Castor. 
Von  fremden  Schriftstellern: 
Democritus,  Theophrastus,  Orpheus,  Menander  der  nützliche  Be- 
merkungen für  das  Leben  geschrieben  hat,  Pythagoras,  Nicander. 


74  Erstes  Buch. 

Ton  Aerzten: 
Hippocrates,  Chrysippus,  Diocles,  Ophelion,  Heraclides,  Hicesius, 
Dionysius,  Apollodorus  von  Tarent,  Apollodorus  von  Citiuni,  Praxa- 
goras,  Plistonicus,  Medius,  Dieuches,  Cleophantus,  Philistion,  Ascle- 
piades,  Cratevas,  Petronius,  Diodotus,  Jollas,  Erasistratus,  Diagoras, 
Andreas,  Mnesides,  Epicharmus,  Damion,  Dalion,  Sosimenes,  Tlepo- 
lernus,  Metrodorus,  Solon,  Lycus,  die  Olyinpias  von  Theben,  Philinus, 
Petrichus,  Micton,  Glaucias,  Xenocrates. 


Einundzwanzigstes  Buch. 

Von  den  Blumen  und  Kränzen. 
1  und  2.  Von  den  Kränzchen  und  Blumenguirlanden. 

3.  Wer    zuerst  verschiedene  Blumen    zu   Kränzen   geflochten   hat, 

•wann  und  warum  sie  zuerst  Corollen  genannt  sind. 

4.  Wer  zuerst  einen  Kranz  mit  goldenen  und  silbernen  Blättern  ge- 

geben hat;  dass  sie  aus  diesem  Anlass  Kranzgeschenke  genannt 
wurden.  Von  den  Bändern  an  den  Kränzen;  wer  diese  zuerst 
von  getriebener  Arbeit  hat  machen  lassen. 

5.  Wie  gross  die  Ehre,  einen  Kranz  zu  tragen,  bei  den  Alten  war. 

6.  Strenge  der  Alten  hinsichtlich  des  Tragens  der  Kränze. 

7.  Wen  das  römische  Volk  mit  Blumen  bekränzt  hat. 

8.  Von  den  Friedenskronen;   von  den  zusammengebundenen,    den 

aus  Narden  und  mit  Seide  gefertigten  Kränzen. 

9.  Welche  Personen  über  Blumen  geschrieben  haben.    Eine  Hand- 

lung der  Königin  Cleopatra  mit  Kränzen. 

10.  12  Arten  der  Rose.    32  Arzneien  daraus. 

11.  3  Arten  der  Lilie.     21  Arzneien  daraus. 

12.  3  Arten  der  Narcisse.     16  Arzneien  daraus. 

13.  Wie  der  Same  gefärbt  wird,    dass  daraus  gefärbte  Blumen  ent- 

stehen. 

14.  Wie  alles  wächst,  gesäet  und  behandelt  wird,  nach  den  einzelnen 
.    Arten.    Drei  Farben  der  Viole,  17  Arzneien  daraus.    Fünf  Ar- 
ten der  gelben  Viole,  10  Arzneien  daraus. 

15.  Von  der  Caltha  und  dem  königlichen  Zweige. 

16.  Von  der  Baccharis,  17  Arzneien.   Von  dem  Combretum,  1.  Von 

dem  Asarum. 

17.  Vom  Safran,  20  Arzneien.    Wo  die  besten  Blüthen  vorkommen. 

Von  den  Blumen  zur  Zeit  des  trojanischen  Kriegs. 

18.  Von  den  Gerüchen. 

19.  Von  der  Iris,  41. 

20.  Von  der  Saliunca,  2. 


Erstes  Buch.  75 

21.  Vom  Poliuin  oder  Teuthriuin,  18  Arzneien.     5  Arten. 

22.  Nachahmung  der  Blumen  in  den  Kleidern. 

23.  Vom  Amarant. 

24.  Vom  Cyanus  2,  vom  Holochrysus  3. 

25.  Vom  PetiHum,  Bellio. 

26.  Von  der  Chrysocoine  oder  Chrysitis,  6. 

27.  Von  welchen  Sträuchern  die  Blumen  z.  Kränzen  genommen  werden. 

28.  Von  welchen  die  Blätter  genommen  werden. 

29.  Vom  Melothron,    der  Spirsea,    dem  Origanum;    zwei  Arten  des 

Cneorum  oder  Casia;  vom  Melissophyllum  oder  Melittoena,  21 
Arzneien.    Von  den  Meliloten  in  Campanien. 

30.  3  Arten  des  Trifolium.     Vom  Myophonum. 

31.  3  Arten  Thymian;  28  Arzneien.    Was  aus  einer  Blume  und  nicht 

aus  Samen  entsteht. 

32.  Von  der  Conyza;  4  Arzneien. 

33.  Von  der  Jupitersblume;    der  Hemer ocallis,  4;  dem  Helenium,  5; 

der  Phlox.    Pflanzen  deren  Aeste  und  Blätter  riechen. 

34.  Vom  Abrotanum,  22;  2  Arten  der  Adonis.     Was  sich  von  selbst 

fortpflanzt.    Vom  Leucanthemum,  1. 

35.  2  Arten  des  Amaracus.     60  Arzneien. 

36.  Von  dem  Nyctegretum  oder  Chenamyche  oder  Nyctalops. 

37.  Von  den  Meliloten. 

38.  In  welcher  Zeitordnung  die  Blüthen  hervorkommen.    Frühlings- 

blumen: Viole,  Kranz-Anemone,  10;  Oenanthe,  6;  Melianthum, 
11;  Heliochrysuru,  11;  Gladiolus,  Hyacinthe,  7  Arzneien. 

39.  Sonunerblumen:  Lychnis,  7  Arzneien;  Tiphyon,  phrygischer  Ama- 

racus, 2  Arten  des  Pothus,  Vincapervinca  oder  Chamsedaphne, 
4  Arzneien.    Welches  Kraut  stets  grün  ist. 

40.  Von  der  Lebensdauer  der  Blüthen. 

41.  Welche    Blumen   der    Bienen   wegen   gezogen   werden  müssen. 

Von  der  Cerinthe. 

42.  Von  den  Krankheiten  der  Bienen  und  den  Hülfsmitteln  dagegen* 

43.  Von  der  Ernährung  der  Bienen. 

44.  Von  giftigem  Honig  und  den  Mitteln  dagegen. 

45.  Honig,  welcher  Raserei  bewirkt. 

46.  Honig,  den  die  Fliegen  nicht  anrühren. 

47.  Von  den  Bienenstöcken  und  ihrer  Wartung. 

48.  Wann  die  Bienen  Hunger  leiden. 

49.  Von  der  Bereitung  des  Wachses;  welches  Wachs  das  beste  ist, 

vom  punischen  Wachse. 

50.  Vom  Gebrauche   der  wildwachsenden  Kräuter  bei  den  Völkern, 

ihrer  Beschaffenheit  und  ihren  Wundern.  Von  den  Erdbeeren, 
dem  Tamnus,  Ruscus,  4;  von  zwei  Arten  des  Batis,  4  Arzneien. 
Vom  Wiesen-Pastinak  und  dem  Weidenhopfen. 


76  Erstes  Buch. 

51.  Von  der  Colocasia,  2  Arzneien. 

52.  Vom  Cichorium,  Anthaliurn,  Oetum,  Arachidna,  Aracos,  Condrilla, 

Hypochseris,  Caucalis,  Anthriscus,  Scandix  oder  Tragopogon, 
Parthenium,  Strychnum,  Corchorus,  Aphace,  Acinos,  Epipetron. 
Was  niemals  und  was  immer  blühet. 

53.  4  Arten  des  Cnicus. 

54.  Stachelige  Kräuter.     Eryngium,     Glycyrrhiza,   Tribulus,  Ononis, 

Phleos  oder  Stoebe,  Hippophaes. 

55.  4  Arten  der  Urtica.     Lamium,  Scorpionkraut. 

56.  Carduus,  Acoma  oder  Phonos,   Leucacanthos,  Chalceus,  Cnicus, 

Polyacanthus,  Onopyxus,  Helxine,  Scolymus,  Chamadeon,  Tetralix, 
Mastiche  acanthice. 

57.  Cactus,  Ptemix,  Paprjus,  Ascalia. 

58.  Tribulus,  Ononis. 

59.  Arten    der   Kräuter   nach    den    Stängeln.     Coronopus,  Anchusa, 

Anthemis,  Phyllanthes,  Crepis,  Lotus. 

60.  Unterscheidung  der  Kräuter  nach  den  Blättern.    Welche  theil- 

weise  blühen;  welche  che  Blätter  nicht  verlieren;  vom  Helio- 
tropium,  Adiantum,  Polium. 

61.  Arten  der  Aehren  tragenden  Kräuter.    Cynops,  Alopecurus,  Ste- 

lephurus,  oder  Ortyx  oder  Plantago,  Tryallis. 

62.  Perdicium,  Ornithogale. 

63.  Welche  erst  nach  einem  Jahre  zum  Vorschein  kommen.   Welche 

von  der  Spitze,  und  welche  von  unten  an  blühen. 

64.  Das  Kraut  Lappa,  an  welcher  die  Blume  eingeschlossen  wächst. 

Die  Opuntia,  aus  deren  Blatte  eine  Wurzel  wird. 

65.  Jasione,  Chondrylla,  Picris,  welche  das  ganze  Jahr  hindurch  blühet. 

66.  An  welchen  die  Blume  vor  dem  Stängel,   und  an  welchen  der 

Stengel  vor  der  Blume  erscheint;  welche  dreimal  blühen. 

67.  Von  den  Cypirus-Arten,  8  Arzneien.  Vom  Thesium. 

68.  Vom  Asphodelus  oder  Königsspiess;  Anthericus  oder  Albucus. 

69.  Von  6  Arten  der  Binse,  4  Arzneien. 

70.  Vom  Cyperus,  14.  Cyperis,  Cypira. 

71.  Vom  Hoioschcenus. 

72.  Von  der  wohlriechenden  Binse  oder  Teuchites,  10. 

73.  Arzneien  von  den  oben  genannten  Blumen;  von  der  Rose,  22. 

74.  Von  der  Lilie,  16. 

75.  Von  der  Narcisse,  28. 

76.  Von  den  Violen,  28.  ' 

77.  Von  der  Baccharis,  17.    Vom  Combretum. 

78.  Vom  Asarum,  8. 

79.  Vom  gallischen  Nardus,  8. 

80.  Vom  Phu,  4. 

81.  Vom  Safran,  20. 


Erstes  Buch.  77 

82.  Von  der  syrischen  Safransalbe,  2. 

83.  Von  der  Iris,  41;  von  der  Saliunca,  3. 

84.  Vom  Poliuni,  19. 

85.  Vom  Holochrysum,  3;  von  der  Chrysocome,   6. 

86.  Vom  Melissophyllum,  13. 

87.  Vom  Melilotus,  13. 

88.  Vom  Trifolium,  4. 

89.  Vom  Thymian,  29. 

90.  Von  der  Hemerocallis,  4. 

91.  Vom  Helenium,  5. 

92.  Vom  Abrotanum,  22. 

93.  Vom  Leucanthemum,  1;  vom  Majoran,  9. 
04.  Von  der  Anemone  oder  dem  Phrenion,  10. 

95.  Von  der  Oenanthe,  6. 

96.  Vom  Heliochrysum,  11. 

97.  Von  der  Hyacinthe,  8. 

98.  Von  der  Lychnis,  7. 

99.  Von  der  Vincapervinca,  4. 

100.  Vom  Ruscmn,  3. 

101.  Von  der  Batis,  2.     Acinos. 

102.  Von  der  Colocasia,  2. 

103.  Vom  AnthylHum  oder  Anthylluni,  6. 

104.  Vom  Parthenium  oder  Leucanthes  oder  Amnacum,  8. 

105.  Vom  Trychnon  oder  Stiychnon  oder  Halicacabuni  oder  Callion 

oder  Dorycnium  oder  Manicon  oder  Perisson  oder  Neuras  oder 
Morion  oder  Moly,  8. 

106.  Vom  Corchorus,  6. 

107.  Von  der  Persoluta,  1. 

108.  Erklärung  der  griechischen  Namen  der  Gewichte  und  Maasse. 
Zusammen:  730  Arzneimittel,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
Der  Censor  Cato,  M.  Varro,  Massurius,  Antias,  C«pio,  Vestinus, 
Vibius  Rufinus,  Hyginus,  Pomponius  Mela,  Pomponius  Lenseus,  Corn. 
Celsus,  Calpurnius  Bassus,  C.  Valgius,  Licinius  Macer,  Sextius  Niger 
der  in  griechischer  Sprache  geschrieben  hat,  Julius  Bassus  desgleichen, 
Antonius  Castor. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Theophrastus,  Democritus,  Orpheus,  Pythagoras,  Mago,  Menander 
welcher  nützliche  Bemerkungen  für  das  Leben  geschrieben  hat,   Ni- 
cander,  Homerus,  Hesiodus,  Musaeus,  Sophocles,  Anaxilaus. 

Von  Aerzten: 
Mnesitheus  der  über  die    Kränze  geschrieben  hat,    Calliniachus 
desgleichen,  der  Physiker  Phanias,  Simus,  Timaristus,  Hippocrates, 
Chrysippus,  Diocles,  Ophelion,  Heraclides,  Hicesius,  Dionysius,  Apol- 


78  Erstes  Buch. 

lodorus  von  Citium,  Apollodorus  von  Tarent,  Praxagoras,  Plistonicus, 
Medius,  Dieuches,  Cleophantus,  Philistion,  Asclepiades,  Cratevas,  Pe- 
tronius,  Diodotus,  Jollas,  Erasistratus,  Diagoras,  Andreas,  Mnesis,  Da- 
mion,  Dalion,  Sosrmenes,  Tlepolemus,  Metrodorus,  Solon,  Lycus,  die 
Olympiasvon  Theben,  Philinus,  Petrichus,  Micton,  61aucias,Xenocrates. 


Zweiimdzwanzigstes  Buch. 

Von  dem  Ansehn  undWerthe  der  Kräuter  und  Feldfrüchte. 
1  u.  2.  Völker,  welche  sich  der  Kräuter  ihrer  Gestalt  wegen  bedienen. 

3.  Vom  Färben  der  Kleider  mit  Kräutern;  vom  Sagmen,  der  Verbena 

und  Clarigatio. 

4.  "Von  dem  Kranze  aus  Gras  und  seiner  Seltenheit. 

5.  Welche  Personen  allein  damit  beschenkt  sind. 

6.  Wer  allein  als  Centurio  damit  bekränzt  ist. 

7.  Arzneien  von  den  übrigen  Kranzblumen. 

8.  Vom  Erynge  oder  Eryngium. 

9.  Vom  Hundertkopf,  30. 

10.  Vom  Acanum,  1. 

11.  Von  der  Glycyrrhiza  oder  Adipsus,  15. 

12.  Von  2  Arten  des  Tribulus,  12. 

13.  Von  der  Stcebe  oder  Pheos. 

14.  Von  2  Arten  der  Hippophye,  2. 

15.  Von  der  Urtica,  61. 

16.  Vom  Lamium,  7. 

17.  Von  2  Arten  des  Scorpionkrauts,  1. 

18.  Von  der  Leucacantha  oder  Phyllon  oder  Ischias  oder  Polygonatos,  4 

19.  Von  der  Helxine,  12. 

20.  Vom  Perdicium  oder  Parthenium  oder  Urceolaris  oder  Astericum,ll. 

21.  Von  2  Arten  des  Chamseleon  oder  Ixia  oder  Ulophonon  oder  Cy- 

nozolon,  12. 

22.  Vom  Coronopus. 

23.  Von  der  Anchusa,  14. 

24.  Von  der  Pseudoanchusa  oder  Echis  oder  Doris,  3. 

25.  Vom  Onochiles   oder  Arcebion  oder  Onochelis  oder  Rhexia  oder 

Enchusa,  30. 

26.  Von  3  Arten  der  Anthemis  oder  Leucanthemis  oder  Chamasmelum 

oder  Melanthium,  11. 

27.  Vom  Kraute  Lotus,  4. 

28.  Von  der  Lotometra,  2. 

29.  Von  2  Arten  des  Heliotropium  oder  Helioscopiurn  oder  Verrucaria, 

12.     Vom  Tricoccum  oder  Scorpiurum,  14. 

30.  Von  2  Arten  des  Callitrichum  oder  Adiantum  oder  Trichomanes 

oder  Polytrichum  oder  Saxifraga,  28. 


Erstes  Buch.  79 

31.  Von  der  Picris,  1;  vom  Thesium,  1. 

32.  Vom  Asphodelus,  51. 

33.  Vom  Alimum,  14. 

34.  Vom  Acanthus  oder  Psederos  oder  Melamphyllum,  5. 

35.  Vom  Bupleurum,  5. 

36.  Vom  Buprestis,  1. 

37.  Vom  Elaphoboscum,  9. 

38.  Vom  Scandix,  9.     Anthriscus. 

39.  Von  der  Jasione,  4. 

40.  Von  der  Caucalis,  12. 

41.  Vom  Sium,  11. 

42.  Vom  Silybum. 

43.  Vom  Scolymum  oder  Limonium,  5. 

44.  Von  2  Arten  des  Sonchus,  15. 

45.  Vom  Condrillum  oder  der  Condrille,  6. 

46.  Von  den  Boleten  und  ihrer  eigenthümlichen  Entstehungsweise. 

47.  Von  den  Pilzen;   Kennzeichen  der  giftigen  und  9   Arzneien  aus 

diesen. 

48.  Vom  Silphium,  7. 

49.  Vom  Laser,  39. 

50.  Vom  Stopfwachs,  5;  vom  Honig,  16. 

51.  Durch  welche  Speisen  auch  die  Sitten  sich  ändern. 

52.  Vom  Wassermeth,  18. 

53.  Vom  Weinmeth,  6. 

54.  Vom  Honigtranke,  3. 

55.  Vom  Wachse,  8. 

56.  Wider  die  Compositionen  der  Aerzte. 

57.  Arzneien  von  den  Feldfrüchten.    Vom  Siligo,   1;    vom    Triticum, 

1;  von  der  Spreu,  2;  vom  Far,  1;  von  der  Olyra  und  Arinca. 

58.  Von  den  Mehlarten,  28. 

59.  Von  der  Polenta,  8. 

60.  Vom  Staubmehle,  5;  vom  Mehlbrei,  1;  von  den  Papiermehl,  1. 

61.  Von  der  Alica,  6. 

62.  Von  der  Hirse,  6. 

63.  Vom  Panicum,  4. 

64.  Vom  Sesamum,  7;  Sesamoides,  3;  Anticyricum,  3. 

65.  Von  der  Gerste,  9;    von  der  Mauergerste,    die  bei  den  Griechen 

phönizisches  Kraut  heisst,  1. 

66.  Von  der  Ptisane,  4. 

67.  Vom  Stärkmehl,  8;  vom  Hafer,  1. 
68   Vom  Brote,  21. 

69.  Von  der  Bohne,  16. 

70.  Von  der  Linse,  17;  von  der  Sumpflinse,  3. 

71.  Von  dem  Elelisphacus  oder  Sphacus  oder  Salvia,  13. 


£0  Erstes  Buch. 

72.  Von  der  Kichererbse,  23. 

73.  Von  der  Erve,  20. 

74.  Von  der  Wolfsbohne,  35. 

75.  Vom  Irio  oder  Erysimum,  welches  die  Gallier  Vela  nennen,  15. 

76.  Vom  Horminum,  6. 

77.  Vom  Lolium,  5. 

78.  Vom  Hirsetod,  1. 

79.  Vom  Bromus,  1. 

80.  Von  der  Orobanche  oder  Cynomorium,   1. 

81.  Von   den  Thierchen    auf  den  Hülsenfrüchten,   und    den   Mitteln 

dagegen. 

82.  Von  dem  Getränke  Zythus  und  von  dem  Biere. 

Zusammen:  906  Arzneien,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  Schriftstellern  sind  benutzt: 
Dieselben  wie  im  vorigen  Buche  und  ausserdem  noch:  Chrysermus, 
Eratosthenes  und  Alcseus. 


Dreiundzwanzigstes  Buch. 

Arzneimittel  von  den  cultivirten  Bäumen. 
1  und  2.  Von  den  Weinstöcken,  30. 

3.  Von  den  Weinblättern  und  Weinranken,  7. 

4.  Vom  Omphacium  aus  Trauben,  14. 

5.  Von  der  Oenanthe,  21. 

6.  Von  den  reifen  und  frischen  Trauben. 

7.  Von  3  Arten  eingemachter  Trauben,  14. 

8.  Von  den  Traubenstielen,  1. 

9.  Von  den  Traubenkernen,  6. 

10.  Von  den  Weinbeerhülsen,  8. 

11.  Von  der  Theriaktraube,  4. 

12.  Von  den  Rosinen  oder  Astaphides,  14. 

13.  Von  der  wilden  Astaphis  oder  Staphis  oder  Taminia  oder  Pitui- 

taria.  12. 

14.  Von  der  Labrusca  oder  wilden  Rebe,  12. 

15.  Vom  Sahcastrum,  12. 

16.  Von  der  Vitis  alba  oder  Ampeloleuke  oder  Ophiostaphylos  oder 

Melothros    oder    Psilothros,    Archezostis   oder   Cedrostis    oder 
Mados,  35. 

17.  Von  der  Vitis  nigra  oder  Bryonia  oder  Chironia  oder  Gynajcanthe 

oder  Apronia,  35. 

18.  Vom  Moste.  15. 

19.  Vom  Weine. 


Erstes  Buch.  81 

20.  Vom  surrentinischen  Weine,  3;  vom  albanischen,    2;  vom  faler- 

nischen,  6  Arzneien. 

21.  Vom .  setinischen,  1;  vom  statanischen,  1;  vom  siguinischen,  1. 

22.  Von  den  übrigen  Weinen,  64. 

23.  Wiederum  von  Weinen,  61. 

24.  Welchen  Kranken,  wann  und 

25.  Wie  er  gereicht  werden  soll,  91.    Bemerkungen  dazu. 

26.  Von  den  gekünstelten  Weinen. 

27.  Vom  Essig,  28. 

28.  Vom  Meerzwiebelessig,  17. 

29.  Vom  Sauerhonig,  7. 

30.  Vom  gekochten  Moste,  12. 

31.  Von  der  Weinhefe,  12. 

32.  Von  der  Essighefe,  17. 

33.  Von  der  Hefe  des  gekochten  Mostes,  4. 

34.  Von  den  Blättern  des  Oelbaumes,  23. 

35.  Von  der  Blüthe  desselben,  4;  vom  Baume  selbst,  6. 

36.  Von  den  weissen  Oliven,  4;  von  den  schwarzen,  3. 

37.  Von  der  Amurca,  21. 

38.  Von  den  Blättern  des  wilden  Oelbaums,  23. 

39.  Von  dem  Omphacium  aus  Oliven,  3. 

4°.  Von  dem  Oele  aus  den  Trauben  des  wilden  Weinstocks  und  von 
allen  Oelen,  28. 

41.  Vom  Oele  des  Cici-Baumes,  16. 

42.  Vom  Mandelöle,  16. 

43.  Vom  Lorbeeröle,  6. 

44.  Vom  Myrtenöle,  20. 

45.  Vom  Zwerg-  oder  Spitzmyrtenöle,  Cypressenöle,  Citronenöle,  Nuss- 

öle,  Gnideröle,  Mastixöle  und  Dattelöle. 

46.  Vom  Cyprusöle,  16;  vom  Gleucinusöle,  1. 

47.  Vom  Balsamöle,  15. 

48.  Vom  Oele  des  Malobathrum,  8. 

49.  Vom  Bilsenöle,  2;  Wolfsbohnenöle,   l;  Narcissenöle ,   1;  Rettig- 

öle,   5;    Sesamöle,   3,  Lilienöle,   3;  selgitischen  Oele,    1;  igu- 
vischen  Oele,  1. 

50.  Vom  Honigöle,  2;  vom  Pechöle,  2. 

51.  Von  den  Palmen,  9. 

52.  Von  der  Myrobalane,  3. 

53.  Von  der  Palme  Elate,  16. 

54.  Arzneien  aus  den  Blüthen,   Blättern,  Früchten,  Aesten,  Rinden, 

Säften,  Hölzern,  Wurzeln  und  der  Asche  der  einzelnen  Arten. 
Von  den  Aepfeln,  6;  den  Quitten,  22;  den  Sperlingsäpfeln,  1. 

55.  Von  den  süssen  Aepfeln,  6;  den  sauren,  5. 
55.  Von  den  Citronen,  5. 


g2  Erstes  Buch. 

57.  Von  den  Granatäpfeln,  26. 

58.  14  Mundarzneien. 

59.  Vom  Cytinus,  8. 

60.  Von  der  Granatblüthe,  12. 

61.  Vom  wilden  Granatbaum. 

62.  Von  den  Birnen,  13. 

63.  Von  den  Feigen,  111. 

64.  Von  den  wilden  Feigen,  42. 

65.  Vom  Kraute  Erineus,  3. 

66.  Von  den  Pflaumen,  4. 

67.  Von  den  Pfirsichen,  2. 

68.  Von  der  wilden  Pflaume,  2. 

69.  Von  der  Baumflechte  oder  dem  Limus,  2. 

70.  Von  den  Maulbeeren,  39. 

71.  4  Mundarzneien. 

72.  Von  den  Kirschen,  5. 

73.  Von  den  Mispeln,  2;  den  Ariesbeeren,  2. 

74.  Von  den  Piniennüssen,  13. 

75.  Von  den  bittern  Mandeln,  29. 

76.  Von  den  süssen  Mandeln,  1. 

77.  Von  den  welschen  Nüssen,  24. 

78.  Von  den  Haselnüssen,  3;  von  den  Pistacien,  8;  Kastanien  5. 

79.  Vom  Johannisbrote,  5;  von  der  Kornelkirsche,  1;  vom  Unedo.. 

80.  Von  den  Lorbeeren,  69. 

81.  Von  der  Myrte,  60. 

82.  Von  dem  Myrtidanum,  13. 

83.  Von  der  wilden  Myrte,  6. 

Zusammen:  1418  Arzneien,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
C.  Valgius,  Pompejus  Lenseus,  Sextius  Niger  der  in  griechischer- 
Sprache  geschrieben  hat,  Julius  Bassus  desgleichen,  Antonius  Castor, 
M.  Varro,  Com.  Celsus,  Fabianus. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Theophrastus,  Democritus,  Orpheus,  Pythagoras,  Magon,  Menan- 
der  welcher  nützliche  Bemerkungen  für  das  Leben  geschrieben  hat, 
Nicander,  Homer,  Hesiodus,  Musseus,  Sophocles,  Anaxilaus. 

Von  Aerzten: 
Mnesitheus,  Callimachus,  Phanias,  Timaristus,  Simus,  Hippocra- 
tes,  Chrysippus,  Diocles,  Ophelion,  Heraclides,  Hicesius,  Dionysius, 
Apollodorus  von  Citium,  Apollodorus  von  Tarent,  Plistonicus,  Medius, 
Dieuches,  Cleophantus,  Philistion,  Asclepiades,  Cratevas,  Petronius 
Diodotus,  Jollas,  Erasistratus,  Diagoras,  Andreas,  Mnesis,  Epicharmus,. 


Erstes  Buch.  83 

Damion,  Dalion,  Sosimenes,  Tlepolemus,  Metrodorus,  Solon,  Lycus, 
die  Olympias  von  Theben,  Philinus,  Petrichus,  Micton,  Glaucias, 
Xenocrates. 


Yierundzwanzigstes  Buch. 

Arzneimittel  von  den  wilden  Bäumen. 

1.  Von  der  Feindschaft  und  Freundschaft  zwischen  den  Bäumen  und 

Kräutern. 

2.  Vom  italischen  Lotus,  6  Arzneien. 

3.  Von  der  Eiche,  13. 

4.  Von  der  Kermesbeere,  3. 

5.  Von  den  Galläpfeln,  23. 

6.  Von  der  Mistel,  11. 

7.  Von  den  Kügelchen,  1  und  der  Cerr-Eiche,  8. 

8.  Von  der  Korkeiche,  2. 

9.  Von  der  Buche,  4. 

10.  Von  der  Cypresse,  23. 

11.  Von  der  Ceder,  13. 

12.  Von  der  Cederfrucht,  10. 

13.  Vom  Galbanum,  23. 

14.  Vom  Ammoniakum,  24. 

15.  Vom  Styrax,  10. 

16.  Vom  Spondylium,  17. 

17.  Vom  Sphagnum,  5. 

18.  Von  der  Terebinthe,  6. 

19.  Von  der  Rothtanne  und  dem  Lärchenbaume,  8. 

20.  Von  der  Feldcypresse,  10. 

21.  Von  der  Pityusa,  6. 

22.  Von  den  Harzen,  22. 

23.  Vom  Pech  (und  Theer),  34. 

24.  Vom  (Theer -und)  Theeröl,  16. 

25.  Vom  Asphaltpech,  2. 

26.  Von  der  Zopissa,  1. 

27.  Vom  Tsedabaume,  1. 

28.  Vom  Matixbaume,  22. 

29.  Von  der  Platane,  25. 

30.  Von  der  Esche,  5. 

31.  Vom  Ahorn,  1. 

32.  Von  der  Pappel,  8. 

33.  Von  der  Ulme,  16. 

34.  Von  der  Linde,  5;  vom  wilden  Oelbaume,  1. 

35.  Vom  Hollunder,  15. 

36.  Vom  Wachholder,  21. 

6* 


84 


Erstes  Buch. 


37.  Von  der  Weide,  14;  von  der  amerinischen  Weide,  1. 

38.  Vom  Keuschbaurne,  33. 

39.  Von  der  Erica,  1. 

40.  Von  der  Genista,  5. 

41.  Von  der  Myrica  oder  Tamariske,  3. 

42.  Von  der  Brya,  29. 

43.  Von  der  Blutruthe,  1. 

44.  Vom  Siler,  3. 

45.  Vom  Ligustrum,  8. 

46.  Von  der  Erle,  1. 

47.  Vom  Epheu,  39. 

48.  Vom  Cissus,  5. 

49.  Vom  rothen  Cissus,   2;"vom  Zwergcissus,  2;  der  Smilax,   3;   der 

Clematis,  18. 

50.  Vom  Schilfe,  1. 

51.  Von  der  Papierstaude,  2. 

52.  Vom  Ebenbaume,  5. 

53.  Vom  Rhododendron,  1. 

54.  Vom  Rhus,  8  Arzneien  und  1  Mundarznei. 

55.  Vom  rothen  Rhus,  9. 

56.  Von  der  Färberröthe,  11. 

57.  Von  dem  Alyssum,  2. 

58.  Von  dem  Struthion  oder  der  Radicula,  13 ;  vom  Apocynum,  2. 

59.  Vom  Rosmarin,  18. 

60.  Von  der  Cachrys. 
.61.  Von  der  Sabina,  7. 

62.  Von  der  Selago,  2. 

63.  Vom  Samolus,  2. 

64.  Vom  Gummi,  11. 

65.  Vom  ägyptischen  oder  arabischen  Dorngewächs,  4. 

66.  Von  dem  weissen  Dorngewächs,  2;  vom  Acanthium,  1. 

67.  Von  der  Acacie.  18. 

68.  Vom  Aspalathus,  1. 

69.  Erysisceptrum  oder  Adipsatheum  oder  Diachetum,  8. 

70.  Vom  Hängedom,  2;  vom  Pyracantha,  1. 

71.  Vom  Paliurus,   10. 

72.  Vom  Aquifolium,  1;  vom  Taxus,  1. 

73.  Von  den  Rubusarten,  51. 

74.  Vom  Cynosbatus,  3, 

75.  Vom  Rubus  idieus. 

76.  Von  2  Arten  des  Rhamnus,  5. 

77.  Vom  Lycium,  18. 

78.  Von  der  Sarcocolla,  2. 

79.  Von  der  Oporice,  2. 


Erstes  Buch.  85 

80.  Von  derTrixago  oder  Chamsedrys  oder  Chamserops  od.Teucrium,16. 

81.  Von  der  Chamsedaphne,  5. 

82.  Von  der  Chamselea,  6. 

83.  Von  der  Chamsesyce,  8. 

84.  Vom  Chamsecissus,  1. 

85.  Von  der  Chamaeleuce,  1. 

86.  Von  der  Chamarpeuce ,  5;    Chamsecyparissus,  2;  Ampeloprasum, 

6;  Stachys,  1. 

87.  Vom  Clinopodium,  3. 

88.  Vom  Centunculus,  3. 

89.  Von  der  Clematis  oder  Echite  oder  Scammonia  oder  Lago. 

90.  Von  der  ägyptischen  Clematis  oder  Daphnoides  od.Polygonoides,2. 

91.  Vom  Dracontium;  widersprechende  Ansichten  in  Bezug  auf  das 

Arum. 

92.  Vom  Arum,  13. 

93.  Vom  Dracunculus,  2. 

94.  Vom  Aris,  3. 

95.  Vom  Millefolium  oder  Myriophyllum,  7. 

96.  Vom  Pseudobunium,  4. 

97.  Von  der  Myrrhis  oder  Myrrha  oder  Myrrhiza,  7. 

98.  Von  der  Onobrychis,  3. 

99.  Von  den  Zauberkräutern.     Coracesia  und  Callicia. 

100.  Von  der  Minyas  oder  Corysidia,  1. 

101.  Von  der  Aproxis,  6. 

102.  Von  den  fabelhaften  Gewächsen,  welche  Democrit  beschrieben 

hat.  Aglaophotis  oder  Marmaritis ;  Achsemenis  oder  Hippopho- 
bas;  Theombrotium  oder  Semnium;  Adamantis;  Arianis;  The- 
rionarca;  Aethiopis  oder  Merois;  Ophiusa;  Thalassegle  oder 
Potamacys;  Theangelis;  Gelotophyllis;  Hestiatoris  oder  Proto- 
media; Casignete  oder  Dionysonymphas;  Helianthes  oder  Helio- 
caUis;  Hermesias;  Aeschynomene;  Crocis;  Oenotheris;  Anacamp- 
seros. 

103.  Von  der  Eriphia. 

104.  Von  dem  wolligen  Kraute,  1;  von  der  Lactoris,  1;  der  Mihtaris,  1. 

105.  Von  der  Stratiotes,  5. 

106.  Von  dem  Kraute  auf  dem  Haupte  einer  Bildsäule,  1. 

107.  Von  dem  Kraute  in  Flüssen,  1. 

108.  Von  dem  Zungenkraute,  1. 

109.  Von  dem  Siebkraute,  1. 

110.  Von  dem  Kraute  auf  Misthaufen,  1. 

111.  Von  dem  Kraute,  neben  welches  die  Hunde  pissen,  1. 

112.  Von  dem  Rodarum,  3. 

113.  Von  der  Impia. 

114.  Vom  Venuskamme,  1. 


gg  Erstes  Buch. 

115.  Vom  Exedum  oder  der  Nodia,  2. 

116.  Von  dem  Philanthropus,  1. 

117.  Vom  Tordylum  oder  Syreum,  3. 

118.  Von  dem  Grase,  17. 

119.  Vom  Dactylus,  5. 

120.  Vom  Fcenum  grsecum  oder  Silicia,  31. 

Zusammen:  1176  Arzneien,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 
Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 

C.  Valgius,  Pompejus  Lenseus,  Sextius  Niger  welcher  in  griechi- 
scher Sprache  geschrieben  hat,  Julius  Bassus  desgleichen,  Antonius 
Castor,  Cornelius  Celsus. 

Von  fremden  Schriftstellern: 

Theophrastus ,  Apollodorus,  Democritus,  Orpheus,  Pythagoras, 
Magon,  Menander  der  nützliche  Bemerkungen  für  das  Leben  geschrie- 
ben hat,  Nicancler,  Homer,  Hesiodus,  Musseus,  Sophocles,  Anaxilaus. 

Von  Aerzten: 

Mnesitheus,  Callimachus,  Phanias,  Timaristus,  Simus,  Hippocrates, 
Chrysippus,  Diocles,  Ophehon,  HeracUdes,  Hicesius,  Dionysius,  Appol- 
lodorus  von  Citium,  Apollodorus  von  Tarent,  Praxagoras,  Plistonicus, 
Medius,  Dieuches,  Cleophantus,  PhiHstion,  Asclepiades,  Cratevas,  Pe- 
tronius  Diodotus,  Jollas,  Erasistratus,  Diagoras,  Andreas,  Mnesis,  Epi- 
charmus,  Damion,  Sosimenes,  Tlepolemus,  Metrodorus,  Solon,  Lycus, 
die  Olympias  von  Theben,  Philinus,  Petrichus,  Micton,  Glaucias,  Xe- 
nocrates. 


Fiinfuiidzwanzigstes  Buch. 

Von  der  Beschaffenheit,  dem  Ansehn  und  Werthe   der  wild- 
wachsenden Kräuter. 

1.  Von  dem  Ursprünge  ihres  Gebrauchs. 

2.  Welche  Personen  über  ihren  Gebrauch    in   lateinischer  Sprache 

geschrieben  haben. 

3.  Wann  die  Kenntniss  davon  zu  den  Römern  gelangt  ist. 

4.  Von  den  griechischen  Schriftstellern,  welche  Kräuter  abgebildet 

haben. 

5.  Welche  Griechen  zuerst  über  Kräuter  geschrieben  haben. 

6.  Kräuter,  welche  auf  wunderbare  Weise  entdeckt  sind;  warum  ihre 

Heilkräfte  wenig  benutzt  werden.    Von  der  Hundsrose,  2  Arz- 
neien; vom  Dracunculus-Stängel,  1;  von  d.  Kraute  Britannica,  5. 

7.  Welche  die  edlen  Kräuter  entdeckt  haben. 

8.  Von  dem  Moly,  3. 

9.  Vom  Dodecatheon,  1. 

10.  Von  der  Pieonia  oder  Pentorobus  oder  Glycysis,  1. 


Erstes  Buch.  87 

11.  Vom  Panax  oder  Asclepius,  2. 

12.  Vom  heraclischen  Panax,  3. 

13.  Vom  chironischen  Panax,  4. 

14.  Vom  centaurischen  oder  pharnacischen  Panax,  3. 

15.  Vom  siderischen  Heracleum,  4. 

16.  Vom  chironischen  Weinstocke,  1. 

17.  Von  2  Arten  des  Hyoscyamus  oder  Apollinaris  oder  Altercum,  3. 

18.  Von  2  Arten  des  Linozostis  oder  Parthenium  oder  Hermupoa  oder 

Mercurialis,  22. 

19.  Vom  achilleischen  Kraute  oder  Sideritis    oder  Millefolium    oder 

Panax  oder  Heracleus  oder  Scopa  regia,  6;  3  Arzneien. 

20.  Vom  Teucrium  oder  Hemionium  oder  Splenium,  2. 

21.  Drei    Arten    des    Melampodium    oder   Elleborus    oder  Veratrum. 

Wann  es  gesammelt  wird  und  welches  die  Kennzeichen  seiner 
Güte  sind. 
.22.  Von  dem  schwarzen,  24.    Von  seiner  Anwendungsweise. 

23.  Von  dem  weissen,  23. 

24.  88  Bemerkungen  über  beide  Arten. 

-25.  In  welchen  Fällen  der  Elleborus  nicht  gegeben  werden  soll. 

26.  Vom  Mithridatkraute,  2. 

27.  Vom  Scordotis  oder  Scordium,  4. 

28.  Von  der  Polemonia  oder  Philetseria  oder  Chiliodynama,  6. 

29.  Von  der  Eupatoria,  1. 

30.  Vom  Centaurium  oder  Chironium,  20. 

31.  Von   dem  Centaurium  leptum  oder  Libadium  oder  Erdgalle  oder 

Exacum,  22. 

32.  Von  dem  dreihodigen  Centaurium,  2. 

33.  Von  dem  Clymenus,  1. 

34.  Von  der  Gentiana,  13. 

35.  Von  der  Lysimachia,  8. 

36.  Von  der  Artemisia  oder  Parthenis  oder  Botrys  oder  Ambrosia,  5. 
-37.  Von  zwei  Arten  der  Nyinphsea  oder  Heracleum  oder  Rhopalum 

oder  Madium,  14. 

38.  Von  zwei  Arten  der  Euphorbia,  4. 

39.  Von  zwei  Arten  der  Plantago,  46. 

40.  Von  der  Buglossus  oder  Euphrosine,  2. 

41.  Von  der  Cynoglossus,  3. 

42.  Von  dem  Buphthalmus  oder  Cachla,  1. 

43.  Kräuter,  die  von  Völkern  entdeckt  sind;  vom  scythischen  Kraute,  3. 

44.  Von  der  Hippace,  3. 
.45.  Von  der  Ischa^mone,  2. 

46.  Von   der  Vettonica   oder   Serratula   oder   Cestrus    oder  Psycho- 

trophum,  48. 
-47.  "V' on  dem  cantahrischen  Kraute,  2. 


$g  Erstes  Buch. 

48.  Von  der  Consiligo,  1. 

49.  Von  der  Iberis,  7. 

50.  Kräuter,  welche  von  Thieren  aufgefunden  sind;  von  derCheIidonia,6. 

51.  Von  der  Canaria,  1. 

52.  Vom  Elaphoboscum  oder  Seseli. 

53.  Vom  Dictamnus,  8;  vom  falschen  Dictamnus  oder  Chondris.    An 

welchen  Orten  die  kräftigsten  Kräuter  wachsen.  Dass  man  in 
Arcadien  der  Kräuter  wegen,  welche  die  Thiere  fressen,  deren 
Milch  trinkt. 

54.  Von  der  Aristolochia  oder  Clematitis  oder  Cretica  oder  Plistolochia 

oder  vielwurzeligen  Lochia  oder  Erdapfel,  22. 

55.  Von  dem  Gebrauch  der  Kräuter  gegen  den  Biss  der  Schlangen. 

56.  Von  der  Argemonia,  4. 

57.  Vom  Agaricus,  33. 

58.  Von  3  Arten  des  Echius,  2. 

59.  Von  2  Arten  der  Hierabotane  oder  Peristereum  oder  Verbenaca,  10. 

60.  Von  der  Blattaria,  1. 

61.  Vom  Lemonium,  1. 

62.  Vom  Pentapetes  oder  Pentaphyllum  oder  Chamsezelum  oder  Quin- 

quefolium,  33. 

63.  Vom  Sparganium,  1. 

64.  Von  4  Arten  des  Daucus,  18. 

65.  Von  der  Therionarce,  2. 

66.  Von  der  Persolata  oder  Arciuni  8. 

67.  Vom  Cyclamen  oder  Erdknollen,  12. 

68.  Vom  epheuartigen  Cyclamen,  4. 

69.  Vom  niedrigen  epheuartigen  Cyclamen,  3. 

70.  Vom  Peucedanum,  28. 

71.  Vom  Ebulus,  6. 

72.  Von  der  Polemonia,  1. 

73.  Vom  Verbascum  oder  Phlomus,  15. 

74.  Von  der  Phlomis,  2.     Von  der  Lychnitis  oder  Thryallis. 

75.  Vom  Thelyphonum,  1. 

76.  Vom  Phrynium  oder  Neuras  oder  Poterium,  1. 

77.  Vom  Alisma  oder  Damasonium  oder  Lyrum,  17. 

78.  Vom  Peristereus,  6. 

79.  Mittel  gegen  Gifte. 

80.  Vom  Antirrhinum  oder  Anarrhinum  oder  Lychnis  agria,  3. 

81.  Von  der  Euplea,  1. 

82.  Von  2  Arten  des  Pericarpum,  2. 

83.  Mittel  gegen  Kopfkrankheiten;  von  der  heraclischen  Nymphsea,  2. 

Vom  Kraute  Polythrix. 

84.  Von  der  Lingulaca,  1. 

85.  Von  der  Cacalia  oder  Leontice,  3. 


Erstes  Buch.  8$ 

86.  Von  der  Callitrix,  1. 

87.  Vom  Hyssopus,  10. 

88.  Von  der  Lonchitis,  4. 

89.  Vom  Xiphium  oder  Phasganium,  4. 

90.  Vom  Psyllium    oder  Cynoides    oder  Crystallium  oder  Sicelicum 

oder  Cynomyia,  1;  Thysselinum,  16. 

91.  Augenmittel. 

92.  Von  zwei  Arten  der  Anagallis  oder  Corchorus  oder  Wildauge,  6. 

93.  Von  der  Aegilops,  2. 

94.  Von  2  Arten  der   Mandragora   oder   Circsea  oder  Morium    oder 

Hippophlomus,  24. 

95.  Von  der  Cicuta,  13. 

96.  Vom  wilden  Crethnius,  1. 

97.  Von  der  Molybdsena  oder  Plumbago,  1. 

98.  Von  der  ersten  Capnus  oder  Hühnerfuss,  1. 

99.  Von  der  strauchigen  Capnus,  3. 

100.  Vom  Acorum  und  wilden  Acorum,  14. 

101.  Von  2  Arten  des  Cotyledon,  61. 

102.  Vom    grossen    Aizoon    oder  Buphthalmum    oder  Zoophthalmum 

oder  Stergethrum  oder  Hypogesum  oder  Ambrosia  oder  Ame- 
rimnum  oder  grossen  Sedum  oder  Auge  oder  Fingerchen,  31; 
vom  kleinen  Aizoon  oder  Erithales  oder  Trithales  oder  Chryso- 
thales  oder  Isoetes,  32. 

103.  Von  der  wilden  Andrachne  oder  lllecebra,  32. 

104.  Mittel  gegen  Krankheiten  der  Nase. 

105.  Mittel  gegen  Zahnschmerzen. 

106.  Vom  Erigeron  oder  Pappus  oder  Acanthis  oder  Senecio,  8. 

107.  Vom  Ephemerum,  2. 

108.  Vom  Labrum  Venereum,  1. 

109.  Von  4  Arten   des  Batrachium    oder  Ranunculus  oder  Strumea. 

oder  Strumus,  14. 

110.  2  Mittel  gegen  übelriechenden  Athem. 

Zusammen:  1292  Arzneien,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
C.  Valgius,  Pompejus  Lenseus,  Sextius  Niger  welcher  in  griechi- 
scher Sprache  geschrieben  hat,   Julius  Bassus  desgleichen,  Antonius 
Castor,  Cornelius  Celsus,  Fabianus. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Theophrastus,  Apollodorus,  Democritus,  Juba,  Orpheus,  Pythago- 
ras,  Magon,  Menander  welcher  nützliche  Bemerkungen  für  das  Leben 
geschrieben  hat,  Nicander,  Homerus,  Hesiodus,  Musseus,  Sophocles, 
Xanthus,  Anaxilaus. 

Von  Aerzten: 
Mnesitheus,  Callimachus,  Phanias,  Timaristus,  Simus,  Hippocra- 


<90  Erstes  Buch. 

tes,  Chrysippus,  Diocles,  Ophelion,  Heraclides,  Hicesius,  Dionysius, 
Apollodorus  von  Citium,  Apollodorus  von  Tarent,  Praxagoras,  Plisto- 
nicus,  Medius,  Dieuches,  Cleophantus,  Philistion,  Asclepiades,  Crate- 
vas,  Petronius  Diodotus,  Jollas,  Erasistratus,  Diagoras,  Andreas,  Mnesis, 
.Epicharmus,  Daniion,  Sosimenes,  Tlepolenrus,  Metrodorus,  Solon,  Ly- 
cus,  die  Olympias  aus  Theben,  Philinus,  Petrichus,  Micton,  Glaucias, 
Xenocrates. 

Seclisimdzwaiizigstes  Buch. 

Ton    den    übrigen  Arzneimitteln    aus  Kräutern,    nach  den 
verschiedenen  Krankheiten  zusammengestellt. 

1.  Von  neuen  Krankheiten. 

2.  Was  man  unter  Flechten  versteht. 

3.  Wann  man  sie  zuerst  in  Italien  kennen  gelernt  hat. 

4.  Vom  Karbunkel. 

5.  Von  der  Elephantiasis. 

6.  Von  der  Kolik. 

7.  Von  der  neuern  Arzneikunde.     Vom  Arzte  Asclepiades. 
-8.  Wie  er  die  alte  Arzneikunde  umschuf. 

9.  Einige  Worte  wider  die  Magier. 
.10.  Mittel  gegen  die  Flechte;  vom  Flechtenkraute,  5  Arzneien. 

11.  Wider  die  Bräune.    Von  der  Proseqiinaca,  1. 

12.  Wider  den  Kropf. 

13.  Von  der  Bellis,  2. 

14.  Vom  Condurdum,  1. 

15.  Wider  den  Husten. 

16.  Vom  Bechium  oder  Tussilago  oder  Chamseleuce,  3. 

17.  Von  der  Salvia,  4. 

18.  Wider  Schmerzen  der  Seite,  Brust  und  des  Magens. 

19.  Vom  Molum  oder  Syrum;  Amomum,  3. 

20.  Von  der  Ephedra  oder  Anabasis,  3. 

21.  Vom  Geuin,  3. 

22.  Für  die  Leber,  Nieren,  gegen  Erbrechen.     Vom  Tripoliuin,  3. 

23.  Von  der  Grompha^na, 
"24.  Vom  Malundrum,  2. 

25.  Vom  Chalcetum,  2;  vom  Molemonium,  1. 

26.  Vom  Halus  oder  Colonea,  5. 

•27.  Von  der  Chaxna?rops,  1;  von  der  Stoechas,  1. 

28.  Mittel  für  den  Unterleib. 

29.  Vom  Astragalus,  6. 

30.  Vom  Ladanum,  18. 

-31.  Von  der  Chondris  oder  dem  falschen  Dictamnus,  1;  von  2  Arten 
Hypocist  oder  Orobethrum,  8  Arzneien. 


Erstes  Buch.  91 

32.  Vom  Laver  oder  Sion,  2. 

33.  Vom  Potamogeton,  8.     Von  der  Statice,  3. 

34.  Von    der  Ceratia,  2;  vom  Leontopodium  oder  Leuceorum   oder 

Doripetrum  oder  Thoribetrum,  3;  Lagopus. 

35.  Vom  Epithymum  oder  Hippopheos,  8. 

36.  Vom  Pycnocomum,  4. 

37.  Vom  Polypodium,  3. 

38.  Vom  Scammonium,  8. 

39.  Vom  Tithymalus  cbaracias. 

40.  Vom  Tithymalus  myrsinites  oder  curyites,  21. 

41.  Vom  Tithymalus  paralius,  4. 

42.  Vom  Tithymalus  helioscopius,  18. 

43.  Vom  Tithymalus  cyparissias,  18. 

44.  Vom  Tithymalus  platyphyllus  oder  corymbites  oder  amygdalites,  3. 

45.  Vom  Tithymalus  dendroides  oder  cobius  oder  leptophyllus,  18. 

46.  Von  der  Apios  ischas  oder  dem  wilden  Rettig,  2. 

47.  Gegen  Bauchgrimmen. 

48.  Von  der  Heilung  der  Milz. 

49.  Gegen  Blasensteine  und  andere  Blasenübel. 

50.  Vom  Crethmum,  11;  und  dessen  Frucht  Cachrys. 

51.  Vom  Anthyllium,  2;  von  der  Anthyllis,  2. 

52.  Von  der  Cepsea,  1. 

53.  Vom  Hypericum  oder  Chamsepitys  oder  Corium,  9. 

54.  Von  dem  Coris  oder  Hypericum,  10. 

55.  Von  der  Callithrix,  1;  der  Perpressa,  1;  dem  Chrysanthemum,   1; 

der  Anthemis,  1. 

56.  Vom  Silaus. 

57.  Vom  Fulvischen  Kraute. 

58.  Krankheiten  der  Hoden  und  Lenden. 

59.  Vom  Schaamkraute  oder  Argemone. 

60.  Mittel  gegen  Geschwulste;  von  der  Chrysippea,  1. 

61.  Mittel  gegen  die  Begierde  zum  Beischlaf. 

62.  Von  der  Orchis  oder  Serapias,  5. 

63.  Vom  Satyrium,  3.     Vom  Satyrium  Erythraicum,  4. 

64.  Mittel  gegen  Podagra  und  andere  Fusskrankheiten. 

65.  Von  der  Lappago  oder  Mollugo,  1;  von  der  Asperugo,  1. 

66.  3  Arten  des  Seetangs;  von  der  Ochsenklette. 

67.  Mittel  gegen  Leiden  des  ganzen  Körpers. 

68.  Von  3  Arten  des  Geranium   oder  Myrrhis  oder  Myrtis,  6. 

69.  Von  der  Oenothera  oder  Onuris,  3. 

70.  Mittel  gegen  Epilepsie. 

71.  Mittel  gegen  Fieber. 

72.  Mittel  gegen  Wahnsinn,  Schlafsucht  und  Karbunkeln. 

73.  Für  Wassersüchtige.     Von  der  Acte  oder  Ebulus.     Chamaeacte. 


92  Erstes  Buch. 

74.  Gegen  die  Rose. 

75.  Zur  Heilung  von  Verrenkungen. 

76.  Gegen  Gelbsucht. 

77.  Gegen  Furunkeln. 

78.  Gegen  Fistelschäden. 

79.  Gegen  Saftanhäufungen  und  Verhärtungen. 

80.  Gegen  Brandschäden. 

81.  Für  die  Sehnen  und  Gelenke. 

82.  Gegen  Blutfluss. 

83.  Von  3  Arten    der   Hippuris    oder    Ephedra   oder  Anabasis   oder 

Equisetuni,  18. 

84.  Vom  Stephanomelis. 

85.  Gegen  Bruch  und  Verrenkungen. 

86.  Gegen  die  Läusekrankheit. 

87.  Gegen  Geschwüre  und  Wunden. 

88.  Vom  Polycnemum,  1. 

89.  Zur  Vertreibung  der  Warzen  und  Heilung  von  Narben. 

90.  Mittel  gegen  weibliche  Krankheiten. 

91.  Vom  Arsenogonum,  1;  vom  Thelygonum,  1. 

92.  Vom  Mastus,  1. 

93.  Für  die  Kopfhaare.    Von  der  Lysiniachia;  von  der  Ophrys,  1. 

Zusammen:  1019  Arzneien,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
M.  Varro,    C.  Valgius,   Pompejus  Lenseus,    Sextius  Niger  der  in 
griechischer  Sprache  geschrieben  hat,  Julius  Bassus  desgleichen,  An- 
tonius Castor,  Cornelius  Celsus. 

Von  fremden  Schriftstellern: 

Theophrastus ,  Apollodorus,  Democritus,  Juba,  Orpheus,  Pytba- 
goras,  Magon,  Menander  der  nützliche  Bemerkungen  für  das  Leben 
geschrieben  hat,  Nicander,  Homerus,  Hesiodus,  Musseus,  Sophocles, 
Xanthus,  Anaxilaus. 

Von  Aerzten: 

Mnesitheus,  Callimachus,  Phanias,  Timaristus,  Simus,  Hippocrates, 
Chrysippus,  Diocles,  Ophelion,  Heraclides,  Hicesius,  Dionysius,  Apol- 
lodorus von  Citium,  Apollodorus  von  Tarent,  Praxagoras,  Plistonicus, 
Medius,  Dieuches,  Cleophantus,  Philistion,  Asclepiades,  Cratevas,  Pe- 
tronius  Diodotus,  Jollas,  Erasistratus,  Diagoras,  Andreas,  Mnesis, 
Epicharmus,  Damion,  Tlepolemus,  Metrodorus,  Solon,  Lycus,  die 
Olympias  von  Theben,  Philinus,  Petrichus,  Micton,  Glaucias,  Xeno- 
crates. 


Erstes  Buch.  93 

Siebenundzwanzigstes  Buch. 

Von  den  übrigen  Kräutern  und  ihrer  arzneilichen  An- 
wendung. 

1.  Vom  Fleisse  der  Alten  in  dieser  Beziehung. 

2.  Vom  Aconitum  oder  Thelyphonum  oder  Myoctonum  oder  Cam- 

marum. 

3.  Vom  äthiopischen  Kraute,  4. 

4.  Vom  Ageratum,  4. 

5.  Von  der  Aloe,  29. 

6.  Von  der  Alcea,  29. 

7.  Vom  Alypum,  1. 

8.  Von  der  Alsine  oder  Myosotus,  oder  Helxine,  5. 

9.  Von  der  Androsace,  6. 

10.  Vom  Androssemum  oder  Ascyrum, 

11.  Von  der  Ambrosia  oder  Botrys  oder  Artemisia,  3. 

12.  Von  der  Anonis  oder  Ononis,  5. 

13.  Vom  Anagyrus  oder  Atopus,  3. 

14.  Von  dem  Kraute  ohne  Namen,  2. 

15.  Von  der  Aparine  oder  Omphacocarpus  oder  Philantropus  3. 
IG.  Von  dem  Arctium  oder  Arcturum,  5. 

17.  Vom  Asplenium  oder  Hemionium,  2. 

18.  Von  der  Asclepias,  5. 

19.  Vom  Aster  oder  Bubonium,  3. 

20.  Vom  Ascyrum  oder  Ascyroides  oder  Androssemum,  3. 

21.  Von  der  Aphaca,  3. 

22.  Vom  Alcibium,  1. 

23.  Vom  Alectorolophus  oder  Christa,  2. 

24.  Vom  Alum  oder  Symphytum  petrseum,  14. 

25.  Von  der  rothen  Alge,  1. 

26.  Von  der  Actsea,  1. 

27.  Vom  wilden  Weinstock,  11. 

28.  Von  4  Arten  des  Absinthium,  48. 

29.  Vom  Meer-Absinthium  oder  Seriphium. 

30.  Von  der  Ballota  oder  dem  schwarzen  Porrum,  3. 

31.  Von  der  Botrys  oder  Ambrosia  oder  Artemisia,  1. 

32.  Von  der  Brabyla,  1. 

33.  Vom  Bryum  marinum,  5. 

34.  Vom  Bupleurum,  1. 

35.  Von  der  Catanance,  1 ;  vom  Cemus,  1. 

36.  Von  der  Calyx,  1. 

37.  Von  der  andern  Calyx  oder  Anchusa  oder  Onoclea,  2. 

38.  Von  der  Circaea,  3. 

39.  Vom  Cirsiura,   1. 


94  Erstes  Buch. 

40.  Von  2  Arten  des  Cratseogonum,  8. 

41.  Vom  Crocodilium  2. 

42.  Von  der  Cynosorchis  oder  Orchis,  4. 

43.  Von  2  Arten  des  Chrysolachanum,  3;  vom  Coagulum  terra?,  2„ 

44.  Von  dem  Culicus  oder  Strumus  oder  Strychnos,  6. 

45.  Von  der  Conferva,  2. 

46.  Vom  Coccum  Gnidium,  2. 

47.  Vom  Dipsacus,  3. 

48.  Vom  Dryopteris,  2. 

49.  Vom  Dryophonum,  1. 

50.  Von  der  Elatine,  2. 

51.  Vom  Empetrus  oder  Calcifraga,  4. 

52.  Von  der  Epipactis  oder  Elleborine,  2. 

53.  Vom  Epimedium,  3. 

54.  Vom  Enneaphylluni,  3. 

55.  2  Arten  der  Filix,  Pteris,  Blechnos,  Thelypteris  oder  Pteris  nym- 

pha?a,  11. 

56.  Vom  Femur  bubulum, 

57.  Von  der  Galeopsis  oder  Galeobdolon  oder  Galium,  6. 

58.  Von  der  Glaux,  1. 

59.  Vom  Glaucium,  3;  vom  Collyrium,  2. 

60.  Von  der  Glycysis  oder  Pseonia  oder  Pentorobum,  20. 

61.  Vom  GnaphaKum  oder  Chameezelum,  6. 

62.  Von  der  Gallidraga,  1. 

63.  Vom  Holcus  oder  Aristis. 

64.  Von  der  Hyoseris,  1. 

65.  Vom  Holosteum,  3. 

66.  Vom  Hippophsestum,  8. 

67.  Von  der  Hypoglossa,  1. 

68.  Vom  Hypecoum. 

69.  Von  der  Idsea,  4. 

70.  Vom  Isopyrum  oder  Phaseolus,  2. 

71.  Von  der  Lathyris,  2. 

72.  Vom  Leontopetalum  oder  Rhapeion,  2. 

73.  Vom  Lycapsus,  1. 

74.  Vom  Litbospermum  oder  Exonychum',  oder  Diospyrus  oder  He- 

racleum,  2. 

75.  Vom  Steinmoos,  1. 

76.  Vom  Limeum,  1. 

77.  Von  der  Leuce  oder  Mesoleuce  oder  Leucas,  3. 

78.  Von  der  Leucographis,  5. 

79.  Vom  Medium,  3. 

80.  Von  der  Myosota  oder  Myosotis,  3. 

81.  Vom  Myagrus,  1. 


Erstes  Buch.  9J> 

82.  Von  der  Nyma,  1. 

83.  Von  der  Natrix,  1. 

84.  Von  der  Odontites,  1. 

85.  Von  der  Othonna  oder  Anemone,  1. 

86.  Von  der  Onosma,  1. 

87.  Vom  Onopordon,  5. 

88.  Von  der  Osyris,  4. 

89.  Von  der  Oxys,  2. 

90.  Vom  Polyanthemum  oder  Batrachium,  3. 

91.  Von  4  Arten  des  Polygonum  oder  Thalassias  oder  Calligonum 

oder   Polygonatum   oder    Teuthalis    oder    Carcinethrum    oder 
Clema  oder  Myrtopetalum  oder  Sanguinaria  oder  Oreum,  40. 

92.  Vom  Pancratium,  12. 

93.  Von  der  Peplis  oder  Syce  oder  Meconium  aphrodes,  3. 

94.  Vom  Periclymenus,  5. 

95.  Vom  Pelicinum,  1. 

96.  Von  der  Polygala,  1. 

97.  Vom  Poterium  oder  Phryniuin  oder  Neuras,  4. 

98.  Vom  Phalangites  oder  Phalangiuni  oder  Leucantheinum  oder  Leu- 

cacantha,  4. 

99.  Vom  Phyteuma,  1. 

100.  Vom  Phyllum,  1. 

101.  Vom  Phellandrium,  2. 

102.  Von  der  Phalaris,  2. 

103.  Vom  Polyrrhizum  5. 

104.  Von  der  Proserpinaca,  5. 

105.  Von  der  Rheucyma,  36. 

106.  Von  der  Reseda,  2. 

107.  Von  der  Stcechas,  3. 

108.  Vom  Solanum  oder  Strychnos,  2. 

109.  Vom  Smyrnium,  32;  vom  Sinum,  2. 

110.  Vom  Telephium,  4. 

111.  Von  der  Trichoinanes,  5. 

112.  Vom  Thalictrum,  1. 

113.  Vom  Thlaspi  oder  persischen  Senf,  4. 

114.  Von  der  Traehinia,  1. 

115.  Von  der  Tragonis  oder  Tragium,  1. 

116.  Vom  Tragus  oder  Scorpio,  4. 

117.  Vom  Tragopogon  oder  Coma,  1. 

118.  Von  der  Dauer  der  Wirksamkeit  der  Kräuter. 

119.  Unter  welchen  Umständen  sie  am  wirksamsten  sind. 

120.  Von  den  verschiedenen  Krankheiten  der  Völker. 
Zusammen:  602  Arzneien,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 


9g  Erstes  Buch. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
C.  Valgius,  Pompejus  Lenseus,  Sextius  Niger  der  in  griechischer 
Sprache  geschrieben  hat,  Julius  Bassus  desgleichen,  Antonius  Castor, 
Cornelius  Celsus. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Theophrastus ,   Apollodorus,   Democritus,  Aristogiton,    Orpheus, 
Pythagoras,   Mago,  Menander  welcher  über  nützliche  Gegenstände 
für  das  Leben  geschrieben  hat,  Nicander. 

Von  Aerzten: 
Mnesitheus,  Callimachus,  Timaristus,  Simus,  Hippocrates,  Chry- 
sippus,  Diocles,  Ophelion,  Heraclides,  Hicesius,  Dionysius,  Apollo- 
dorus von  Citium,  Apollodorus  von  Tarent,  Praxagoras,  Plistonicus. 
Medius,  Dieuches,  Cleophantus,  Philistion,  Asclepiades,  Cratevas, 
Petronius  Diodotus,  Jollas,  Erasistratus ,  Diagoras,  Andreas,  Mnesis, 
Epicharmus,  Damion,  Tlepolemus,  Metrodorus,  Solon,  Lycus,  die 
Olympias  von  Theben,  Philinus,  Petrichus,  Micton,  Glaucias,  Xeno- 
crates. 


Achtundzwanzigstes  Buch. 

Arzneimittel  von  den  Thieren. 
1  und  2.  Arzneien  vom  Menschen. 

3.  Ob  bei  der  Heilung  die  Worte  irgend  eine  Kraft  haben. 

4.  Dass  Wunderzeichen  als  Heilmittel  verordnet  und  dadurch    die 

Uebel  vertrieben  werden. 

5.  Von  ihrer  verschiedenen  Anwendungsweise. 

6.  226  Arzneien  und  Bemerkungen  von  Männern. 

7.  Vom  Speichel. 

8.  Vom  Ohrenschmalze. 

9.  Vom  Haupthaare,  den  Zähnen  etc. 

10.  Vom  Blute,  vom  Beischlafe  etc. 

11.  Arzneien  von  Todten. 

12.  Verschiedene  Erdichtungen  der  Magier. 

13.  Vom  Unrathe  des  Menschen. 

14.  Arzneimittel,    welche  vom  menschlichen  Geiste   ausgehen  (nicht 

materiell  sind). 

15.  Vom  Niesen. 

16.  Vom  Beischlafe. 

17.  Verschiedene  Arzneien. 

18.  Vom  Harne. 

19.  Anzeigen  des  Befindens  aus  der  Besichtigung  des  Harns. 

20.  41  Arzneien  von  weiblichen  Personen. 

21.  Von  der  Frauenmilch. 

22.  Von  dem  weiblichen  Speichel. 


Erstes  Buch.  97 

23.  Von  dem  Monatsflusse. 

24.  Von  fremden  Thieren;  vom  Elephanten,  8. 

25.  Vom  Löwen,  10. 

26.  Vom  Kameel,  10. 

27.  Von  der  Hyäne,  79. 

28.  Vom  Krokodil,  19;  vom  Krokodilkothe,  11. 

29.  Vom  Chamaeleon,  15. 

30.  Vom  Scincus,  4. 

81.  Vom  Flusspferde,  7. 

32.  Vom  Luchs,  5. 

33.  Allgemeine  Arzneien  von  wilden  Thieren  oder  von  zahmen  der- 

selben Art.     Vom  Gebrauche  der  Milch  nebst  54  Bemerkungen. 

34.  Von  den  Käsen,  12. 

35.  Von  der  Butter,  25. 

36.  Von  der  sauren  Milch. 

37.  Vom  Gebrauche  des  Schmalzes  nebst  52  Bemerkungen. 

38.  Vom  Talge. 

39.  Vom  Marke. 

40.  Von  der  Galle. 

41.  Vom  Blute. 

42.  Besondere  Arzneien  von  Thieren,    nach  den  Krankheiten  einge- 

theüt.  Gegen  die  Schlangen.  Von  den  Hirschen,  3;  von  den 
jungen  Hirschen;  vom  Ophion;  vom  wilden  Schweine,  12;  von 
den  Ziegen  und  Böcken,  46;  vom  Esel,  76. 

43.  Gegen  den  Biss  der  tollen  Hunde.     Vom  Kalbe,  58. 

44.  Gegen  Hexereien. 

45.  Gegen  Gifte. 

46.  Gegen  Kopfübel;  gegen  Glatzen. 

47.  Gegen  Augenübel. 

48.  Gegen  Ohrenübel. 

49.  Gegen  Zahnübel. 

50.  Gegen  Fehler  des  Gesichts. 

51.  Gegen  geschwollene  Mandeln  und  Kröpfe.     Von  der  Seife. 

52.  Gegen  Schmerzen  im  Genick. 

53.  Gegen  Husten  und  Blutauswurf. 

54.  Gegen  Magenschmerzen. 

55.  Gegen  Schmerzen  der  Leber  und  gegen  schweres  Athemholen. 

56.  Gegen  Schmerzen  der  Lenden. 

57.  Für  die  Milz. 

58.  Für  den  Unterleib. 

59.  Gegen  Stuhlzwang,  Würmer  und  Kolik. 

60.  Bei  Blasenleiden  und  Blasensteinen. 

61.  Bei  Fehlern  an  den  Geschlechtstheilen  und  am  Hintern. 

62.  Beim  Podagra  und  andern  Fussübeln. 

7 


98  Erstes  Buch. 

63.  Gegen  Epilepsie. 

64.  Gegen  Gelbsucht. 

65.  Bei  Knochenbrüchen. 

66.  Gegen  Fieber. 

67.  Bei  Melancholie,  Schlafsucht,  Schwindsucht. 

68.  Bei  "Wassersucht. 

69.  Gegen  die  Rose  und  gegen  Schleimergüsse. 

70.  Bei  Verrenkungen,  Verhärtungen  und  Furunkeln. 

71.  Bei  Brandschäden.    Von  dem  Ochsenleime  und  7  Arzneien  daraus. 

72.  Bei  Schmerzen  der  Sehnen  und  bei  Contusionen. 

73.  Zum  Stillen  des  Blutes. 

74.  Bei  Geschwüren  und  Krebsschäden. 

75.  Gegen  Krätze. 

76.  Zum  Ausziehen  dessen,  was  im  Körper  steckt  und  für  Narben. 

77.  Bei  weiblichen  Krankheiten. 

78.  Bei  Kinderkrankheiten. 

79.  Bei  Träumen  und  Schweiss. 

80.  Mittel  bei  Liebeswerken  und  gegen  die  Trunkenheit. 

81.  Wunderbare  Dinge  von  Thieren.    Vom  wilden  Schweine,  12  Arz- 

neien; vom  zahmen,  9;  vom  Hirsche,  3;  vom  Wolfe,  27;  vom 
Bären,  24;  vom  wilden  Esel,  12;  vom  zahmen,  76;  vom  Esels- 
füllenkothe,  3;  vom  wilden  Pferde,  11;  vom  Füllen,  1;  vom 
zahmen  Pferde,  42;  vom  Pferdekäse,  1;  vom  wilden  Ochsen,  2; 
vom  zahmen,  81;  von  der  Kuh,  53;  vom  Kalbe,  59;  vom  Hasen, 
64;  vom  Fuchse,  20;  vom  Dachse,  2;  von  der  Katze,  5;  von  der 
Ziege,  46;  vom  Bocke,  31;  vom  jungen  Bocke,  21. 
Zusammen:  1682  Arzneien,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
M.  Varro,   L.  Piso,    Fabianus,  Valerius  Antias,  Verrius  Flaccus, 
der  Censor  Cato,  Servius  Sulpicius,  Licinius  Macer,  Celsus,  Massurius, 
Sextius  Niger  der  in  griechischer  Sprache  geschrieben  hat,   Bythus 
von  Dyrrachium,  der  Arzt  Opilius,  der  Arzt  Granius. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Democritus,  Apollonius  der  über  die  Salben  geschrieben  hat, 
Miletus,  Artemon,  Sextilius,  Antaeus,  Homerus,  Theophrastus,  Lysi- 
machus,  Attalus,  Xenocrates,  Orpheus  der  über  besondere  Natur- 
bildungen geschrieben  hat,  Archelaus  desgleichen,  Demetrius,  Sotiras, 
die  Lais,  die  Elephantis,  die  Salpe,  die  Olympias  aus  Theben,  Dio- 
timus  aus  Theben,  Jollas,  Andreas,  Marcion  von  Smyrna,  der  Arzt 
Aeschines,  Hippocrates,  Aristoteles,  Metrodorus  Scepsius,  der  Arzt 
Icetidas,  der  Arzt  Apelles,  Hesiodus,  Dalion,  Csecilius  Bion  der  über 
die  Kräfte  geschrieben  hat,  Anaxilaus,  König  Juba. 


Erstes  Buch.  99 

Neunundz wanzigstes  Buch. 

Arzneimittel  von  den  übrigen  Thieren,  welche  entweder 
zu  den  nicht  zahmen  oder  zu  den  wilden  gehören. 

1.  Vom  Ursprünge  der  Heilkunst. 

2.  Von  Hippocrates,  wann  die  Klinik  und  wann  die  Salbenheilkunst 

zuerst  betrieben  ist. 

3.  Von  Chrysippus  und  Erasistratus. 

4.  Von  der  empirischen  Arzneikunst. 

5.  Von  Herophilus    und    den    übrigen  berühmten  Ärzten.     Wie   oft 

das  Prinzip  der  Arzneikunst  geändert  ist. 

6.  Wer  und  wann  der  erste  Arzt  in  Rom  war. 

7.  Urtheil  der  Römer  über  die  alten  Ärzte. 

8.  Schattenseiten  der  Arzneikunst. 

9.  Von  der  Wolle,  35  Arzneien. 

10.  Von  dem  Oesipum,  32. 

11.  Von  den  Eiern,  22. 

12.  Von  den  Eiern  der  Schlangen. 

13.  Von  der  Bereitung  des  Commagenum,  4  Arzneien  daraus. 

14.  Arzneien  vom  Hunde. 

15.  Arzneien  nach  den  Krankheiten  eingetheilt.     Gegen  den  Biss  der 

Schlangen.     Von  der  Maus. 

16.  Vom  Wiesel. 

17.  Von  den  Wanzen. 

18.  Von  den  kleinen  Giftschlangen. 

19.  Vom  Basilisk. 

20.  Vom  Drachen. 

21.  Von  der  Viper. 

22.  Von  den  übrigen  Schlangen. 

23.  Vom  Salamander. 

24.  Mittel  von  Vögeln  gegen  die  Schlangen.    Vom  Geier. 

25.  Von  den  Hühnervögeln. 

26.  Von  den  übrigen  Vögeln. 

27.  Von  den  giftigen  und  übrigen  Spinnen. 

28.  Von  den  Stellionen. 

29.  Von  verschiedenen  Insecten. 

30.  Von  den  Canthariden. 

31.  Wider  einige  Gifte. 

32.  Wider  den  Biss  der  tollen  Hunde. 

33.  Wider  die  übrigen  Gifte. 

34.  Wider  die  Glatzen. 

35.  Wider  Nisse  und  Grind. 

36.  Wider  Schmerzen  und  Wunden  des  Kopfes. 

37.  Für  die  Augenbrauen. 


100  Erstes  Buch. 

38.  Wider  Fehler  der  Augen. 

39.  Wider  Schmerzen  und  Fehler  der  Ohren. 

40.  Wider  Ohrengeschwüre. 

Zusammen:  621  Arzneien,  Erzählungen  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
M.  Varro,    L.  Piso,    Verrius  Flaccus,    Antias,   Nigidius,    Cassius 
Hemina,   Cicero,  Plautus,   Celsus,   Sextius  Niger  der  in  griechischer 
Sprache    geschrieben   hat,   der  Arzt   Ca3cilius,   Scipio  Metellus,    der 
Dichter  Ovidius,  Licinius  Macer. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Homerus,  Aristoteles,  Orpheus,  Democritus,  Anaxilaus,Palaephatus. 

Von  Aerzten: 
Botrys,  Apollodorus,  Archidemus,  Aristogenes,  Xenocrates,  Dio- 
dorus,    Democrates,    der    Philosoph   Chrysippus,    Horus,    Nicander, 
Apollonius  von  Pitanaea. 


Dreissigstes  Buch. 

Die  übrigen  Arzneimittel  von  diesen  Thieren. 

1.  Vom  Ursprünge  der  Magie. 

2.  Wann  und  von  wem  sie  gegründet   ist;    welche   Personen   sich 

vorzüglich  mit  ihr  befasst  haben. 

3.  Ob  sie  in  Italien  geübt  worden  ist;  wann  zuerst  der  Senat  ver- 

boten hat,  Menschen  zu  opfern. 

4.  Von  den  Druiden  der  Gallier. 

5.  Von  den  Arten  der  Magie. 

6.  Von  den  Ausflüchten  der  Magier. 

7.  Urtheil  der  Magier  über  die  Maulwürfe;  5  Arzneien  von  letztern. 

8.  Gegen  Zahnschmerzen. 

9.  Gegen  den  Geruch  aus  dem  Munde  und  gegen  Mundgeschwüre. 

10.  Gegen  Flecken  im  Gesichte. 

11.  Gegen  Krankheiten  des  Schlundes. 

12.  Gegen  Bräune  und  Kröpfe. 

13.  Gegen  Schmerzen  der  Schultern. 

14.  Gegen  Schmerzen  in  den  Praecordiis. 

15.  Gegen  Magenschmerzen. 

16.  Gegen  Leberschmerzen  und  Blutspeien. 

17.  Für  die  Milz. 

18.  Gegen  Schmerzen  der  Seite  und  Lenden. 

19.  Gegen  Dysenterie. 

20.  Gegen  Darmgicht  und  sonstige  Unterleibsübel. 

21.  liegen  Blasensteine. 


Erstes  Buch.  101 

22.  Gegen  Uebel  des  Afters  und  der  Schaam. 

23.  Gegen  Podagra  und  andere  Fusskrankheiten. 

24.  Gegen  Krankheiten  des  ganzen  Körpers. 

25.  Gegen  Erkältungen. 

26.  Gegen  Lähmungen. 

27.  Gegen  Epilepsie. 

28.  Gegen  Gelbsucht. 

29.  Gegen  Wahnwitz. 

30.  Gegen  Fieber. 

31.  Gegen  Wassersucht. 

32.  Gegen  die  Rose. 

33.  Gegen  Karfunkeln. 

34.  Gegen  Furunkeln. 

35.  Gegen  Brandschäden. 

36.  Gegen  Nervenleiden. 

37.  Gegen  Fehler  der  Nägel  und  Finger. 

38.  Zum  Blutstillen. 

39.  Gegen  Geschwüre  und  Wunden. 

40.  Gegen  Knochenbrüche. 

41.  Gegen  Narben  und  Leberflecke. 

42.  Zum  Ausziehen  dessen,  was  im  Körper  steckt. 

43.  Gegen  weibliche  Krankheiten. 

44.  Zur  Beförderung  der  Entbindung. 

45.  Zur  Erhaltung  der  Brüste. 

46.  Zur  Vertreibung  der  Haare. 

47.  Gegen  Kinderkrankheiten. 

48.  Gegen  Träume. 

49.  Gegen  die  Sucht  des  Beischlafs. 

50.  Gegen  die  Läusesucht  nebst  andern  vermischten  Arzneien. 

51.  Gegen  Trunkenheit. 

52.  Merkwürdige  Dinge  von  Tbieren. 

53.  Sonstige  Wunder. 

Zusammen:  854  Arzneien,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
M.  Varro,  Nigidius,  M.  Cicero,  Sextius  Niger  der  in  griechischer 
Sprache  geschrieben  hat,  Licinius  Macer. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Eudoxus,  Aristoteles,  Hermippus,  Homerus,  Apion,  Orpheus,  De- 
mocritus,  Anaxilaus. 

Von  Aerzten: 
Botrys,  Horus,  Apollodorus,  Menander,  Archidemus,  Aristogenes, 
Xenocrates,  Diodorus,  Chrysippus,  Nicander,  Apollonius  von  Pitansea. 


102  Erstes  Buch. 

Einunddrei  ssigstes  Buch. 

Arzneimittel  von  dem  Wasser. 

1.  Wunderbare  Dinge  vom  Wasser.    | 

2.  Verschiedenheiten  des  Wassers.     I  266  Bemerkungen. 

3.  Arzneien  davon. 

4.  Welches  Fruchtbarkeit  hervorbringt  und  Raserei  heilt. 

5.  Welches  bei  Steinbeschwerden  gut  ist. 

6.  Welches  Wunden  heilt. 

7.  Welches  die  Leibesfrucht  anhält. 

8.  Welches  Leberflecken  vertreibt. 

9.  Welches  Einfluss  auf  die  Farbe  der  Wolle  hat. 

10.  Was  es  bei  den  Menschen  bewirkt. 

11.  Welches  Wasser  das  Gedächtniss  stärkt  und  welches  Vergessen- 

heit macht. 

12.  Welches  die  Sinne  schärft,    welches  Stumpfheit  und  welches  die 

Stimme  zum  Singen  geschickt  macht. 

13.  Welches  Ekel  vor  Wein  erzeugt  und  welches  betrunken  macht. 

14.  Welches  die  Stelle  des  Oels  vertritt. 

15.  Welches  salzig  und  bitter  schmeckt. 

16.  Welches  Felsen  fortgeschleudert  hat;  welches  Lachen  und  Weinen 

bewirkt;  welches  die  Liebeswuth  heilen  soll. 

17.  Wasser,  das  nach  dem  Schöpfen  die  Wärme  3  Tage  lang  behält. 

18.  Wunderbare  Erzählungen  vom  Wasser;  in  welchem  alles  und  in 

welchem  nichts  untergeht. 

19.  Wasser,  das  tödtlich  wirkt-,  von  giftigen  Fischen. 

20.  Welches  zu  Stein  wird  oder  Steine  erzeugt. 

21.  Von  der  Heilsamkeit  des  Wassers. 

22.  Von  seinen  Verunreinigungen. 

23.  Von  der  Güte  des  Wassers. 

24.  Von  der  Aqua  Marcia. 

25.  Von  der  Aqua  Virgo. 

26.  Wo  man  Wasser  vermuthen  kann. 

27.  Merkmale,  dass  sich  irgendwo  Wasser  befindet. 

28.  Unterschied  des  Wassers  nach  dem  Erdreiche. 

29.  Beschaffenheit  des  Wassers  nach  den  Jahreszeiten. 

30.  Geschichtliche  Bemerkungen  über  Wasser,   was  plötzlich  hervor- 

gekommen und  wieder  verschwunden  ist. 

31.  Von  der  Leitung  des  Wassers. 

32.  Wie  man  die  Mineralwässer  gebrauchen  soll. 

33.  Vom  Gebrauche  des  Meerwassers.   Was  uns  die  Schifffahrt  nützt. 

34.  Wie  man  sich  Meerwasser  mitten  im  Lande  machen  kann. 

35.  Bereitung  des  Meerwassermeths. 
56.  Bereitung  des  Wassermeths. 


Erstes  Buch.  103 

37.  Mittel,  sich  auf  Seereisen  trinkbares  Wasser  zu  verschaffen. 

38.  6  Arzneien  vorn  Wassermoose.    Arzneien  vom  Sande. 

39.  204  Bemerkungen  von  den  Salzarten,   ihren  Zubereitungen   und 

Arzneien. 

40.  Von  der  Salzsoole. 

41.  120    geschichtliche   Bemerkungen   von   der    Vortrefflichkeit    des 

Salzes. 

42.  Von  der  Salzblüthe,  20  Arzneien;  von  der  Salsugo,  2. 

43.  Vom  Garum,  15. 

44.  Von  der  Alex,  8. 

45.  Von  der  Natur  des  Salzes;  vom  Salzschaume. 

46.  221  Bemerkungen  von  den  Nitruui- Arten,    ihren   Zubereitungen 

und  Arzneien. 

47.  92  Arzneien  und  Bemerkungen  von  den  Schwämmen. 

Zusammen:  924  Arzneien,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 

M.  Varro,  Cassius  von  Parma,  Cicero,  Mucianus,  Cselius,  Celsus, 
Trogus,  Ovidius,  Polybius,  Somatius. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Callimachus,  Ctesias,  Eudicus,  Theophrastus,  Eudoxus,  Theopom- 
pus,  Polycritus,  Juba,  Lycus,  Apion,  Epigenes,  Pelops,  Apelles,  Demo- 
critus,  Thrasyllus,  Nicander,  der  Schauspieler  Menander,  Attalus,  Sal- 
lustius  Dionysius,  Andreas,  Niceratus,  Hippocrates,  Anaxilaus. 


Zweiunddreissigstes  Buch. 

Arzneimittel  von  den  Wasserthieren. 

1.  Grösste  Kraft  der  Natur  in  der  Antipathie.    Vom  Schiffshalter. 

2.  Vom  Zitterfische,  7  Arzneien. 

3.  Vom  Seehasen,  5. 

4.  Wunderbare  Erzählungen  vom  rothen  Meere. 

5.  Von  der  Schlauheit  und  dem  Verstände  der  Fische. 

6.  Merkwürdige  Eigenthümlichkeiten  der  Fische. 
"  7.  Wo  sie  aus  der  Hand  fressen. 

8.  Wo  sie  auf  den  Ruf  erscheinen  und  wo  man  von  Fischen  weis- 

sagende Antworten  ertheilt. 

9.  Wo  die  Fische  bitter,   wo  sie  salzig,   wo  sie  süss  sind,   und  wo 

sie  einen  Laut  von  sich  geben. 

10.  Wann  zuerst  Seefische  gebraucht  worden  sind.   Eine  Verordnung 

des  Königs  Numa  über  die  Fische. 

11.  43  Arzneien  und  Bemerkungen  von  den  Corallen. 


104  Erstes  Buch. 

12.  Von  der  Sympathie,  Antipathie  und  der  Feindschaft  der  Seethiere 

unter  einander.    Vom  Galeas,    15;    vom  Mullus,    15  und  vom 
Pastinak,  8. 

13.  Von  den  Thieren,  welche  auf  dem  Lande  und  im  Wasser  leben. 

66  Arzneien  und  Bemerkungen  von  dem  Castoreum. 

14.  Von  der  Schildkröte,  66  Arzneien  und  Bemerkungen. 

15.  Mittel  von  Wasserthieren,  nach  den  Krankheiten  eingetheilt. 

16.  Wider  Gift  und  Giftmischerei.   Vom  Goldfisch,  4;  vom  Seesteme,  7. 

17.  Gegen   den  Biss    der  Schlangen   und  Hunde  und  gegen  andere 

giftige  Thiere.    Vom   Seedrachen,  3;    von    den   eingesalzenen 
Fischen,  15;  von  den  Sarden,  |;  vom  Cybium. 

18.  Vom  Seefrosch,  6;  vom  Flussfrosch,  52;  vom  Laubfrosch;  32  Be- 

merkungen darüber. 

19.  Von    der    Wasserschlange,  6.    Vom    Flusskrebse,    14.    Von    den 

Flussschnecken,  7.    Von  den  rabenschwarzen  Fischen,  4.   Von 
dem  Meerschweine,  2. 

20.  Vom  Seekalbe,    10;    der  Mursene   1;    dem  Seepferdchen  1;    dem 

Seeigel  11. 

21.  Von  den  Arten  der  Auster,  59  Bemerkungen  und  Arzneien. 

22.  Von  dem  Seetange,  2. 

23.  Gegen  Glatzen,    zum  Färben  der  Kopfhaare  und  gegen  Kopfge- 

schwüre dienen:  das  Seepferd,  die  Seemaus,   der  Seescorpion, 
die  Blutsauger  etc. 

24.  Für  die  Augen  und  Augenlider:  Fischfett,    der  CaUionymus,    die 

Galle  des  Coracinus,  die  Sepien,  Ichthyocolla  etc. 

25.  Bei  Fehlern  der  Ohren:    die  Batia,  der  Bacchus  oder  Myxon,  die 

Seeläuse. 

26.  Bei  Zahnschmerzen:  der  Hai  etc. 

27.  Bei  Flechten  und  Flecken  im  Gesichte:  der  Delphin,  die  Coluthia 

oder  Corythia,  das  Halcyoneum,  der  Thunfisch  etc. 

28.  Bei  Kröpfen,  Geschwüren  hinter  den  Ohren,   Bräune  und  Krank- 

heiten  des  Schlundes:     der  Mama,    Scolopender,    Saurus,    die 
Muscheln,  der  Silurus  etc. 

29.  Gegen  Husten  und  Brustübel. 

30.  Bei  Schmerzen  der  Leber  und  Seite :  der  Strombus  oder  die  lange 

Muschel,  die  Tethea  etc. 

31.  Gegen  Unterleibsbeschwerden:  der  Meerkohl,  Myax,  Mitulus,  Pe- 

loris,  Seriphium,  Maena,  Erythinus  etc. 

32.  Gegen  Milz-,  Stein-  und  Blasenschmerzen:    der  Solea,  Rhombus, 

Blendea,  Seenessel,  Seelunge,  Onyx  etc. 

33.  Bei  Darmbruch  und  Leiden  des  Afters:  die  Wasserschlange,  der 

Mugil,  Pelamis  etc. 

34.  Gegen  Fettbeulen  und  gegen  Fehler  an  der  Schaam:  der  Scisena, 

Perca,  Squatina,  Smaris  etc. 


Erstes  Buch.  105 

35.  Bei  Unenthaltsamkeit  des  Hams:  das  Ophidion  etc. 

36.  Bei  Podagra  und  andern  Fussleiden:  der  Biber,  das  Bryon  etc. 

37.  Gegen  Epilepsie. 

38.  Gegen  Fieber:  der  Asellus,  Phagrus,  Wallfisch  etc. 

39.  Gegen  Schlafsucht,  Schwindsucht  und  Wassersucht. 

40.  Gegen  Brandschäden  und  die  Rose. 

41.  Gegen  Fehler  der  Nerven. 

42.  Zum  Stillen  und  Ausziehen  des  Blutes:  der  Polyp,  Blutigel  etc. 

43.  Zum  Ausziehen  dessen  was  im  Körper  steckt. 

44.  Bei  Geschwüren,  Krebsschäden  und  Karbunkeln. 

45.  Gegen  Warzen  und  rauhe  Nägel:  der  Glanus  etc. 

46.  Gegen  weibliche  Krankheiten:  der  Glauciscus  etc. 

47.  Zum  Wegbeitzen  der  Haare. 

48.  Gegen  Kinderkrankheiten. 

49.  Gegen  Trunkenheit:  der  Rubellio,  Aal,  die  Seetraube. 

50.  Zur  Verhinderung  sowie   zur  Erregung  der  Lust  des  Beischlafs: 

das  Flusspferd,  das  Krokodil  etc. 

51.  Gegen  Krankheiten  der  Thiere. 

52.  Von  den  übrigen  Wassergeschöpfen.    Adarca  oder  Calamochnus, 

Calamus,  Sepientinte  etc. 

53.  176  Namen  aller  im  Meere  lebenden  Thiere. 

54.  Die  im  Ovid  befindlichen  Namen. 

55.  Fische,  die  von  keinem  Schriftsteller  genannt  sind. 
Zusammen:  990  Arzneien,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
Licinius  Macer,  Trebius  Niger,  Sextius  Niger  der  in  griechischer 
Sprache  geschrieben  hat,  der  Dichter  Ovidius,  Cassius  Hemina,  Mse- 
cenas,  Jacchus,  Sornatius. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Juba,   Andreas,    die  Salpe,    Apion,   Pelops,  Apelles,  Thrasyllus, 
Nicander. 


Dreiunddreissigstes  Buch. 

Von  den  Metallen. 

1.  Von  den  Metallen. 

2.  Vom  Golde. 

3.  Welches  seine  erste  Empfehlung  ist. 

4.  Vom  Ursprünge  der  goldenen  Ringe. 

5.  Von  der  Goldmenge  bei  den  Alten. 

6.  Von  dem  Rechte  goldene  Ringe  zu  tragen. 

7.  Von  den  Decurien  der  Richter. 

8.  Vom  Ritterstande. 

9.  Wie  oft  der  Name  des  Ritterstandes  geändert  ist. 


106  Erstes  Buch. 

10.  Von  goldenen  und  silbernen  Kriegsgeschenken. 

11.  Von  den  ersten  goldenen  Kränzen. 

12.  Von  dem  übrigen  Gebrauche  des  Goldes  bei  den  Frauen. 

13.  Von  den  Goldmünzen.    Wann  zuerst  Gold  und  Silber  geprägt  ist; 

wie  man  vorher  das  Kupfer  gebrauchte  und  welche  Geldsumme 
bei  der  ersten  Vermögensschätzung  die  grösste  gewesen  ist. 
Wie  oft  und  zu  welchen  Zeiten  sich  der  Werth  der  geprägten 
Kupfermünzen  geändert  hat. 

14.  Ueber  die  Sucht  nach  Gold. 

15.  Welche  Personen  am  meisten  Gold  und  Silber  besessen  haben. 

16.  Wann  zuerst  silberne   Geräthschaften  auf  dem  Kampfplatze   er- 

schienen.   Wann  Silber  auf  das  Theater  kam. 

17.  Zu  welchen  Zeiten  das  meiste  Gold  und  Silber  in  der  Schatzkam- 

mer des  römischen  Volkes  gewesen  ist. 

18.  Wann  die  vergoldeten  Zimmerdecken  aufgekommen  sind. 

19.  Warum  das  Gold  den  Vorzug  von  allen  andern  Metallen  hat. 

20.  Vom  Vergolden. 

21.  Vom  Auffinden  und  Fördern  des  Goldes. 

22.  Vom  Auripigment. 

23.  Vom  Electrum. 

24.  Von  den  ersten  goldenen  Statuen. 

25.  8  Arzneien  vom  Golde. 

26.  Von  der  Chrysocolla. 

27.  Ihre  Anwendung  in  der  Malerei. 

28.  7  Arzneien  von  der  Chrysocolla. 

29.  Von  der  Chrysocolla  der  Goldarbeiter  oder  der  Saterna  (Santerna). 

30.  Von  der  wunderbaren  Eigenschaft,  Metalle  unter  sich  zu  verbin- 

den und  zu  verarbeiten. 

31.  Vom  Silber. 

32.  Vom  lebendigen  Silber  (natürlichen  Quecksilber). 

33.  Vom  Stimmi  oder  Stibium  oder  Alabastrum  oder  Larbasum  oder 

Platyophthalmum. 

34.  7  Arzneien  davon. 

35.  Von  dem  Silberschaume.     6  Arzneien  davon. 

36.  Vom  Minium;  wie  heilig  es  bei  den  Alten  gehalten  wurde. 

37.  Von  seiner  Auffindung  und  seinem  Ursprünge. 

38.  Vom  Cinnabaris. 

39.  Vom  Gebrauche  des  Cinnabaris  und  Miniums  in  der  Malerei. 

40.  Arten  des  Miniums,  und  seine  Anwendung  in  der  Malerei. 

41.  Vom  (künstlich  bereiteten)  Quecksilber. 

42.  Von  der  Vergoldung  des  Silbers. 

43.  Von  den  Probirsteinen. 

44.  Arten  des  Silbers  und  Versuche  damit. 

45.  Von  den  Spiegeln. 


Erstes  Buch.  107 

46.  Vom  ägyptischen  Silber. 

47.  Von  übermässigen  Geldsummen.    Welche  Personen  die  grössten 

Schätze  gehabt  haben. 

48.  Wann  das  römische  Volk  zuerst  Geldgeschenke  ausgetheilt  hat. 

49.  Von  der  Verschwendung  in  silbernen  Gefässen. 

50.  Beispiele  von  Sparsamkeit  der  Alten  im  Silber. 

51.  Wann  zuerst  Silber  an  Betten  angebracht  ist. 

52.  Wann  zuerst  übermässig  grosse  Schüsseln,    wann  zuerst  Gestelle 

von  Silber,  wann  zuerst  Pauken  gemacht  sind. 

53.  Von  übermässig  theuren  Silbersachen. 

54.  Von  silbernen  Statuen. 

55.  Berühmte  Werke  und  Künstler  in  Silber. 

56.  Von  dem  Sil;  welche  Personen  zuerst  damit  malten  und  wie. 

57.  Vom  Bergblau 

58.  2  Arzneien  daraus. 

Zusammen:  1125  Arzneien,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 
Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 

Kaiser  Domitian,  Corvinus,  L.  Piso,  Verrius,  M.  Varro,  C.  Nepos, 
Messala,  Junius  Gracchanus,  Atticus  Pomponius,  Mucianus,  Calvus 
Licinius,  Bocchus,  Fetialis,  Fenestella,  Valerius  Maximus,  Julius  Bas- 
sus  der  in  griechischer  Sprache  über  die  Arzneikunst  geschrieben  hat, 
Sextius  Niger  desgleichen. 

Von  fremden  Schriftstellern: 

Democritus,  Theophrastus,  Juba,  der  Historiker  Tiimeus  welcher 
über  die  metallischen  Arzneien  geschrieben  hat,  Heraclides,  Andreas, 
Diagoras,  Botrys,  Archidemus,  Dionysius,  Aristogenes,  Democles, 
Mnesides,  der  Arzt  Attalus,  Xenocrates  des  Zeno  Sohn,  Theomnestus, 
Nymphodorus,  Jollas,  Apollodorus,  Pasiteles  der  wunderbare  Arbeiten 
beschrieben  hat,  Antigonus  der  über  die  Kunst,  erhabene  und  ge- 
gossene Arbeiten  zu  machen,  geschrieben,  Mensechmus  desgleichen, 
Xenocrates  desgleichen,  Duris  desgleichen,  Menander  der  über  die 
Verfertiger  solcher  Arbeiten  geschrieben,  Heliodorus  der  über  die 
Tempelgeschenke  der  Atheniensergeschrieben,  Metrodorus  vonScepsis. 


Vierunddreissigstes  Buch. 

Von  den  Metallen  des  Erzes. 

1.  Von  den  Metallen  des  Erzes. 

2.  Arten  des  Erzes. 

3.  Vom  corinthischen  Erze. 

4.  Vom  delischen  Erze. 

5.  Vom  äginetischen  Erze. 


108  Erstes  Buch. 

6.  Von  den  Leuchtern. 

7.  Von  den  Zierrathen  der  Tempel  aus  Erz. 

8.  Von  den  erzenen  Tischen. 

9.  Welches   Götterbild  in   Rom  zuerst  aus  Erz   gemacht  ist.     Vom 

.Ursprünge  der  Bildsäulen  und  ihrem  Ansehn. 

10.  Arten  und  Gestalten  der  Bildsäulen.    Welche  Bildsäulen  zu  Rom 

mit  einem  Panzer  versehen  sind.     Welche  Bildsäulen  zu  Rom 
die  ersten  waren. 

11.  Welchen  Männern  zuerst  Bildsäulen  gesetzt,   welchen  sie  zuerst 

auf  einer  Säule  gesetzt  sind;  wann  man  die  Schiffsschnäbel  auf 
die  Rednerbühne  gebracht  hat. 

12.  Welchen  Fremden  zu  Rom  Bildsäulen  öffentlich  gesetzt  sind. 

13.  Welche  Reiterstatue  zuerst  zu  Rom  öffentlich  aufgestellt  ist,  und 

welchen  Frauen  in  Rom  dergleichen  öffentlich  gesetzt  sind. 

14.  Wann  alle  von  Privaten  und  Behörden  aufgestellten  Bildsäulen 

von  öffentlichen  Orten  weggeschafft  sind. 

15.  Welche  Bildsäule  zuerst  von  Fremden  öffentlich  gesetzt  ist. 

16.  Dass  schon  vor  langer  Zeit  Bilclgiesser  in  Italien  gewesen  sind. 

17.  Von  ungeheurem  Werthe  der  Bildnisse. 

18.  Von  den  berühmtesten  Riesenstatuen  in  Rom  etc. 

19.  366  berühmte  Arbeiten  und  Künstler  in  Erz. 

20.  Der  Unterschied    des  Erzes   und   seine  Mischung.     Vom  Pyrop 

und  dem  campanischen  Erze. 

21.  Von  der  Erhaltung  des  Erzes. 

22.  Von  der  Cadmia. 

23.  15  Arzneien  daraus. 

24.  Von  den  Erzschlacken,  der  Erzblüthe  und  den  Erzschuppen. 

25.  Von  dem  Stomoma;  47  Arzneien  aus  diesen  vieren. 

26.  Vom  Grünspan,  18. 

27.  Vom  Hieracium. 

28.  Von  der  Scolecia,  18. 

29.  Vom  Chalcitis,  7. 

30.  Vom  Sory,  3. 

31.  Vom  Misy,  13. 

32.  Vom  Chalcanthum  oder  der  Schusterschwärze,  16. 

33.  Vom  Pompholyx. 

34.  Vom  Spodos  oder  Spodium,  6. 

35.  Vom  Antispodos  oder  Antispodium,  15. 

36.  Vom  Spegma. 

37.  Vom  Diphryges. 

38.  Vom  servilischen  Drittelass. 

39.  Vom  Eisen. 

40.  Statuen  und  getriebene  Arbeit  aus  Eisen. 

41.  Der  Unterschied  des  Eisens  und  seine  Mischung. 


Erstes  Buch.  109 

42.  Von  dem  sogenannten  lebendigen  (magnetis  ch  gemachten)  Eisen. 

43.  Schutzmittel  gegen  das  Rosten  des  Eisens. 

44.  7  Arzneien  vom  Eisen. 

45.  14  Arzneien  vom  Eisenroste. 

46.  Vom  Eisenhammerschlage,   17.    Von  dem  flüssigen  Pflaster. 

4>7.  Von  den  Bleimetallen;   vom  weissen  Blei;   von  dem  doppelten 
Ursprünge  des  schwarzen  Bleies. 

48.  Vom  Stannum;  vom  Silberblei. 

49.  Vom  schwarzen  Blei. 

50.  15  Arzneien  vom  Blei. 

51.  Von  der  Bleischlacke,  15. 

52.  Spodium  vom  Blei. 

53.  Von  der  Molybdaena,  15. 

54.  Vom  Bleiweiss,  6. 

55.  Vom  Sandarak, 

56.  Vom  Arsenicum,  11. 

Zusammen:  915  Arzneien,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 
Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 

L.  Piso,  Antias,  Verrius,  M.  Varro,  Corn.  Nepos,  Messala,  Rufus, 
der  Dichter  Marsus,  Bocchus ,  Julius  Bassus  der  in  griechischer 
Sprache  über  Arzneikunst  geschrieben  hat,  Sextius  Niger  desgleichen, 
Fabius  Vestalis. 

Von  fremden  Schriftstellern : 

Democritus,  Metrodorus  von  Scepsis,  Mensechmus  der  über  die 
Kunst,  erhabene  und  gegossene  Arbeiten  zu  machen,  geschrieben 
hat,  Xenocrates  desgleichen,  Antigonus  desgleichen,  Duris  desglei- 
chen, Heliodorus  der  über  die  Tempelgeschenke  der  Athenienser  ge- 
schrieben, Pasiteles  der  wunderbare  Arbeiten  beschrieben,  Timseus 
der  über  die  metallischen  Arzneien  geschrieben,  Nymphodorus,  Jollas, 
Apollodorus,  Andreas,  Heraclides,  Diagoras,  Botrys,  Archidemus, 
Dionysius,  Aristogenes,  Democles,  Mnesides,  Xenocrates  des  Zeno 
Sohn,  Theomnestus. 


Fünfunddreissigstes  Buch. 

Von  der  Malerei  und  den  Farben. 

1.  Ehre  der  Malerei. 

2.  Ehre  der  Gemälde. 

3.  Wann  zuerst  Brustbilder  gemacht  und  öffentlich  ausgestellt  sind. 

4.  Wann  sie  in  Häusern  eingeführt  sind. 

5.  Vom  Ursprünge  der  Malerei;  von  dem  Malen  mit  einer  Farbe; 

von  den  ersten  Malern. 


HO  Erstes  Buch. 

6.  Alter  der  Malerei  in  Italien. 

7.  Von  den  römischen  Malern. 

8.  Wann  die  fremde  Malerei  zuerst  in  Rom  gewürdigt  ist. 

9.  Wann   und   durch   welche  Männer   die    Malerei   zuerst   in    Rom 

öffentlich  gewürdigt  ist. 

10.  Welche  Personen  ihre  Siege  in  Gemälden  aufgestellt  haben. 

11.  Von  der  Art  zu  malen. 

12.  Von   den  natürlichen  und  künstlichen  Farben  und  den  Farben 

zur  Malerei,  ausser  den  metallischen. 

13.  Von  der  sinopischen  Erde,  11  Arzneien  daraus. 

14.  Vom  Röthel  und  der  lemnischen  Erde,  4  Arzneien  aus  letzterer. 

15.  Von  der  ägyptischen  Erde. 

16.  Vom  Ocher.     3  Arzneien  vom  Röthel. 

17.  Vom  Leucophorum. 

18.  Von  der  paratonischen  Erde. 

19.  Von  der  melischen  Erde. 

20.  Von  dem  gebrannten  Bleiweiss. 

21.  Von  der  eretrischen  Erde.  6. 

22.  Vom  Sandarak. 

23.  Vom  Sandys. 

24.  Von  der  syrischen  Erde. 

25.  Von  dem  Atrament. 

26.  Von  der  Purpurfarbe. 

27.  Von  dem  Indigo,  3. 

28.  Von  der  armenischen  Farbe,  1. 

29.  Vom  appischen  Grün. 

30.  Von  der  Ringfarbe. 

31.  Welche  Farben  nicht  nass  aufgetragen  werden. 

32.  Mit  welchen  Farben  die  Alten  gemalt  haben. 

33.  Wann  zuerst  die  Kämpfe   der  Fechter  bildlich  dargestellt  sind. 

34.  Von  dem  Alter  der  Malerei.     405  berühmte  Gemälde   und  Maler. 

35.  Erster  Wettstreit  in  der  Malerei. 

36.  Welche  mit   dem   Pinsel  gemalt   haben,    was   ein  Ieder   in    der 

Malerei  erfunden  hat,  und  was  das   Schwierigste  in  der  Ma- 
lerei ist. 

37.  Von  den  Arten  der  Malerei. 

38.  Von  der  Beschwichtigung  des  Gesanges  der  Vögel. 

39.  Welche  enkaustisch  und  mit  dem  Pinsel  gemalt  haben. 

40.  Wer  zuerst  Zimmerdecken   gemalt  hat;    wann   zuerst  gewölbte 

Decken  gemalt  sind.    Ausserordentliche  Preise  für  Gemälde. 

41.  Von  der  enkaustischen  Malerei. 

42.  Von  bemalten  Kleidern. 

43.  Die  Erfinder  der  Plastik. 

44.  Wer  zuerst  Gesichter  und  andere  Bilder  abgenommen  hat. 


Erstes  Buch.  Hl 

45.  14  berühmteste  Künstler  der  Plastik. 
-46.  Arbeiten  aus  Thon. 

47.  Von  den  verschiedenen  Erden;  vom  puteolanischen  Staube  und 

anderen  Erdarten,  welche  zu  Stein  erhärten. 

48.  Von  den  geformten  Wänden. 

49.  Von  den  Ziegelsteinen. 

50.  Von  den  Arten  des  Schwefels;  14  Arzneien  daraus. 
,51.  Von  den  Arten  des  Erdpechs,  27. 

52.  Von  den  Arten  des  Alauns,  38. 

53.  Von  der  samischen  Erde,  3. 

54.  Arten  der  eretrischen  Erde. 

55.  Von  dem  Waschen  der  Erde  zum  medicinischen  Gebrauche. 

56.  Von  der  chiotischen  Erde,  3;  von  der  selirrasischen,  3;   von   der 

Pnigitis,  9;  von  der  Ampelitis,  4. 

57.  Vom  Gebrauche  der  Kreide  zu  Kleidern;  von  der  eimolischen,  8; 

von  der  sardischen,  der  umbrischen  und  von  der  Steinkreide. 

58.  Von  der  Silberkreide.     Mit   welcher  die  übermächtigen  Freige- 

lassenen bezeichnet  wurden. 

59.  Von  der  galatischen,  clupeischen,  balearischen  und  ebusitanischen 

Erde,  4. 
Zusammen:  956  Arzneien,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
Der  Redner  Messala,  der  alte  Messala,  Fenestella,  Atticus,   Ver- 
rius,  M.  Varro,  Corn.  Nepos,  Deculio,  Mucianus,  Melissus,  Vitruvius, 
Cassius,  Severus  Longulanus,   Fabius  Vestalis  der  über  die  Malerei 
geschrieben  hat. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Pasiteles,  Apelles,  Melanthius,  Asclepiodorus,  Euphranor,  Helio- 
dorus  welcher  die  Tempelgeschenke  zu  Athen  beschrieben  hat,  Me- 
trodorus  welcher  über  die  Baukunst  geschrieben  hat,  Democritus, 
Theophrastus ,  der  Grammatiker  Apion  welcher  über  die  Kenntniss 
der  Metalle  geschrieben  hat,  Nymphodorus,  Andreas,  Heraclides, 
Jollas,  Apollodorus,  Diagoras,  Botrys,  Archidemus,  Dionysius,  Aristo- 
genes,  Democles,  Mnesides,  Xenocrates,  Zeno,  Theomnestus. 


Sechsunddreissigstes  Buch. 

Von  den  Steinen. 

1.  Von  der  Verschwendung  in  Marmor. 

2.  Wer  zuerst  in  öffentlichen  Gebäuden  Marmor  angebracht  hat. 

3.  Wer  zuerst  in  Rom  Säulen  aus  fremdem  Marmor  gehabt  hat. 


112  Erstes  Buch. 

4.  Welche  Personen  zuerst  in  Bearbeitung   des  Marmors  berühmt 

waren  und  wann.     225  berühmte  Werke  und  Künstler  in  Mar- 
mor.   Das  carische  Mausoleum. 

5.  Wann   zuerst   der   Marmor    in   Gebäuden   in   Gebrauch    gekom- 

men ist. 

6.  Welche  zuerst  Marmor  geschnitten  haben  und  wann. 

7.  Wer  zuerst  in  Rom  die  Wände  damit  überdeckt  hat. 

8.  Wann  die  verschiedenen  Marmorarten  zu  Rom  in  Gebrauch  ge- 

kommen sind. 

9.  Wie  man  Mamior  schneidet;  von  dem  Sande,  mit  welchem  man 

ihn  schneidet. 

10.  Von  dem  naxischen  und  armenischen  Steine. 

11.  Vom  alexandrinischen  Marmor. 

12.  Vom  Onyx  und  dem  Alabastrites,  6  Arzneien  davon. 

13.  Vom  lygdinischen,  corallitischen,  alabandischen,  thebischen  und 

syenitischen  Steine. 

14.  Von  den  Obelisken. 

15.  Von  dem,  welcher  als  Sonnenzeiger  auf  dem  Marsfelde  steht. 

16.  Andere  wunderbare  Werke.    Von  den  Pyramiden. 

17.  Von  der  ägyptischen  Sphinx. 

18.  Vom  Pharus. 

19.  Von  den  Labyrinthen. 

20.  Von  den  hängenden  Garten  und  einer  hängenden  Stadt. 

21.  Von  dem  Tempel  der  Diana  zu  Ephesus. 

22.  Andere  merkwürdige  Tempel. 

23.  Von  dem   flüchtigen   Steine.     Von    dem   siebenfachen  Echo    zu 

Cyzicum.     Von  Gebäuden  ohne  Nägel,  auch  zu  Rom. 

24.  18  bewunderungswürdige  Werke  in  Rom. 

25.  Vom  Magnetsteine,  3  Arzneien. 

26.  Vom  scyrischen  Steine. 

27.  Vom  sarkophagischen  Steine  zu  Assus,  10. 

28.  Von  dem  Chernites  und  Porus. 

29.  Von  knochenartigen  und  handförmigen  Steinen;  von  dem   täna- 

rischen  und  caranischen  Steine;  vom  schwarzen  Marmor. 

30.  Von  den  Mühlsteinen.    Von  den  Feuersteinen,  7. 

31.  Vom  Ostracites,  4. 

32.  Vom  Gaeodes,  3. 

33.  Vom  Melitites,  6. 

34.  Vom  Gagates,  6. 

35.  Vom  Schwammsteine,  6. 

36.  Vom  phrygischen  Steine. 

37.  Vom  Blutsteine,  5;  vom  Schiefer,  7. 


Erstes  Buch.  113 

38.  Vom  äthiopischen  Steine;  dem  Androdamas,  2;  dem  arabischen; 

dem  Miltites  oder  Hepatites,  dem  Anthracites. 

39.  Vom  Adlersteine;  vom  taphiusischen  Steine  und  dem  Callimus. 

40.  Vom  samischen  Steine,  8. 

41.  Vom  arabischen  Steine,  6. 

42.  Vom  Bimssteine,  9. 

43.  Von  den  Mörsern  zu  Arzneien  und  anderen  Dingen.     Von  etesi- 

sischen,  thebaischen  und  hagelartigen  Steinen. 

44.  Vom  siphnischen  und  den  weichen  Steinen. 

45.  Vom  Spiegelsteine. 

46.  Vom  Leuchtsteine. 

47.  "Von  den  Wetzsteinen. 

48.  Von  den  Tofsteinen. 

49.  Von  den  Kieselsteinen. 

50.  Von  den  übrigen  Bausteinen. 

51.  Von  der  Zusammenfügung  der  Steine. 

52.  Von  den  Cisternen. 

53.  Vom  Kalke. 

54.  Von  den  Arten  des  Sandes.    Von  der  Mischung  des   Sandes  mit 

Kalk. 

55.  Von  den  Fehlern  im  Bauen.    Von  den  Tünchwerken. 

56.  Von  den  Säulen  und  ihren  Arten. 

57.  5  Arzneien  vom  Kalke. 

58.  Von  der  Maltha. 
*9.  "Vom  Gypse. 

£0.  Von  den  Aestrichen.    Von  dem  sogenannten  ungefegten  Hause. 

61.  Wann  in  Rom  der  erste  Aestrich  gemacht  ist. 

62.  Von  den  Aestrichen  unter  freiem  Himmel. 

63.  Von  den  griechischen  Aestrichen. 

■64.  Wann    zuerst  Musivarbeit   und    wann    zuerst  gläserne    gewölbte 
Decken  gemacht  sind. 

65.  Ursprung  des  Glases. 

66.  Seine  Arten  und  wie  sie  dargestellt  werden. 

67.  Von  dem  obsidianischen  Glase.     Hsematinon. 

68.  Wunderbare  Dinge  vom  Feuer. 

69.  3  Arzneien  von  dem  Feuer  und  der  Asche. 

70.  Wunderzeichen  auf  einem  Heerde. 

Zusammen:  434  Arzneien,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
M.  Varro,  Cselius,  Galba,  Cincius,  Mucianus,  Com.  Nepos,  L.  Piso, 
Q.  Tubero,   Seneca,  Fabius  Vestalis,  Annius  Fetialis,  Fabianus,  der 
Censor  Cato,  Vitruvius. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
Theophrastus,  Pasiteles,  König  Juba,  Nicander,  Sotacus,  Sudines, 

8 


114  Erstes  Buch. 

Alexander  Polyhistor,  Apion,  Plistonicus,  Durides,  Herodotus,  Euhe- 
merus,  Aristagoras,  Dionysius,  Artemidorus,  Butoridas,  Antisthenes,. 
Demetrius,  Demoteles,  Lyceas. 


Siefoenunddreissigstes  Buch. 

Von  den  Edelsteinen. 

1.  Ursprung  der  Edelsteine. 

2.  Von  dem  Edelsteine  des  Tyrannen  Polycrates. 

3.  Von  den  Edelsteinen  des  Pyrrhus. 

4.  Von  den  berühmtesten  Steinschneidern. 

5.  Von  der  ersten  Edelsteinsammlung  in  Rom. 

6.  Von  den  Edelsteinen,  welche  in  dem  Triumphe  des  M.  Pompejus- 

mitgebracht  sind. 

7.  Wann  zuerst  die  mun-hinischen  Geschirre  gemacht  sind,  und  von 

der  Verschwendung  damit. 

8.  Von  der  Beschaffenheit  der  murrhinischen  Geschirre. 

9.  Von  dem  Krystall  und  den  Arzneien  daraus. 

10.  Von  der  Verschwendung  in  Krystall. 

11.  Vom  Bernsteine;  was  die  Schriftsteller  Falsches  von  ihm  berichtet 

haben. 

12.  Arten  des  Bernsteins  und  6  Arzneien  daraus. 

13.  Vom  Luchssteine,  2. 

14.  Von  den  Edelsteinen  nach  ihren  Hauptfarben. 

15.  6  Arten  des  Diamants;  2  Arzneien  daraus. 

16.  Von  den  Smaragden. 

17.  12  Arten  derselben. 

18.  Ihre  Fehler. 

19.  Vom  Tanus  und  Kupfersmaragd. 

20.  8  Arten  des  Berylls  und  ihre  Fehler. 

21.  7  Arten  des  Opals. 

22.  Bare  Fehler  und  Prüfung  auf  ihre  Ächtheit. 

23.  Vom  Sardonyx,  seinen  Arten  und  Fehlern. 

24.  Von  den  Arten  des  Onyx. 

25.  12  Arten  des  Karbunkels. 

26.  Ihre  Fehler  und  Prüfung  auf  ihre  Ächtheit. 

27.  Vom  Anthracitis. 

28.  Vom  Sandastrus  oder  Sandaresus. 

29.  4  Arten  des  Lampensteins. 

30.  Vom  carchedonischen  Karbunkel. 

31.  5  Arten  des  Sarda. 

32.  2  Arten  des  Topas. 


Erstes  Buch.  115 

33.  Vom  Callais. 

34.  3  Arten  des  Prasius. 

35.  Vom  Nilius. 

36.  Vom  Molochites. 

37.  14  Arten  des  Jaspis  und  ihre  Fehler. 

38.  Von  den  Arten  des  Blausteins. 

39.  Von  den  Sapphiren. 

40.  4  Arten  des  Amethysts. 

41.  Vom  Hyacinth. 

42.  7  Arten  des  Chrysoliths. 

43.  Vom  Chryselectrum. 

44.  4  Arten  des  Leucochrysus. 

45.  Vom  Melichrysus  und  Xuthus. 

46.  Vom  Psederus  oder  Sangenos  oder  Tenites. 

47.  Vom  Asteria. 

48.  Vom  Astrius. 

49.  Vom  Astroites. 

50.  Vom  Astrobolus. 

51.  4  Arten  des  Ceraunia;  von  dem  Ba^tylos. 

52.  2  Arten  des  Iris. 

53.  Vom  Leros. 

54.  Die  übrigen  Edelsteine  in  alphabetischer  Ordnung.     1.  Achates. 

2.  Acopos  und  Arzneien  davon.  3.  Alabastrites  und  Arzneien 
davon.  4.  Alectoria?.  5.  Androdamas.  Argyrodamas.  6.  Anti- 
pathes.  7.  Arabica.  8.  Aromatites.  9.  Asbestos.  10.  Aspi- 
sates.  11.  Atizce.  12.  Augites.  13.  Amphidanes  oder  Chry- 
socolla.     14.  Aphrodisiaca.     15.  Apsyctos.     16.  Aegyptilla. 

55.  1.  Balanitae.     2.  Batrachita?.    3.  Baptes.   4.  Oculus  Beli.    5.  Belus. 

6.  Baroptenus  oder  Barippe.  7.  Botryites.  8.  Bostrychites. 
9.  Bucardia.     10.  Bronte.     11.  Bolce. 

56.  1.  Cadmitis.     2.  Callais.    3.  Capnitis.   4.  Cappadocia.    5.  Callaina. 

6.  Catochitis.  7.  Catoptritis.  8.  Cepitis  oder  Cepolatitis. 
9.  Ceramites.  10.  Cina?dia?.  11.  Ceritis.  12.  Circos.  13.  Corsio- 
des.  14.  Coralloachates.  15.  Corallis.  16.  Craterites.  17.  Cro- 
callis.  18.  Cytis.  19.  Chalcophonos.  20.  Chelidoniae.  21.  Che- 
lonia.  22.  Chelonitis.  23.  Chloritis.  24.  Choaspitis.  25.  Chry- 
solampis.     26.  Chrysopis.     27.  Ceponides. 

57.  1.  Daphnia.     2.  Diadochos.     3.  Diphyes.     4.  Dionysias.     5.  Dra- 

contites. 

58.  1.  Encardia  oder  Ariste.    2.  Enorchis.   3.  Exebenus.   4.  Erythallis. 

5.  Erotylos  oder  Amphicome  oder  Hieromnemon.    6.  Eumeces. 

7.  Eumithres.  8.  Eupetalos.  9.  Eureus.  10.  Eurotias.  11.  Eu- 
sebes.    12.  Epimelas. 

8* 


11(5  Erstes  Buch. 

59.  1.  Galaxias.     2.  Galactites  oder  Leucogaeas   oder  Leucographitis 

oder  Synnephitis.    3.  Gallaica.    4.   Gassinnade.    5.  Glossopetra. 

6.  Gorgonia.     7.  Gonisea. 

60.  1.  Hiliotropion.     2.  Hephsestitis.    3.  Herrnusedseon.    4.  Hexeconta- 

lithos.     5.    Hieracitis.     6.    Hammitis.     7.    Hörn    des    Hammon. 

8.  Hormesion.     9.  Hysenise.     10.  Haamatites. 

61.  1.  Ideei  dactyli.     2.  Icterias.    3.  Jupiters  Stein.    4.  Indica.    5.  Ion 

62.  1.  Lepidotis.     2.  Lesbias.     3.  Leucophthalmos.     4.  Leucopsecilos. 

5.    Libanochrus.     6.    Limoniatis.      7.    Lipare.      8.    Lysimacbos. 

9.  Leucochrysos. 

63.  1.  Memnonia.     2.  Medea.     3.  Meconites.     4.  Mithrax.     5.  Morochi- 

tes.  6.  Morion  oder  Pramnium  oder  Alexandrinum.  7.  Myr- 
rbites.  8.  Myrmecias.  9.  Myrsinitis.  10.  Mesoleucos.  11.  Me- 
somelas. 

64.  1.  Nasamonitis.     2.  Nebritis.     3.  Ninparena. 

65.  1.  Oica.    2.  Ombria  oder  Notia.    3.  Oritio  oder  Sideritis.    4.  Ostra- 

cias  oder  Ostracitis.  5.  Ophicardelos.  6.  Obsidiana.  7.  Ono- 
cardia. 

66.  1.  Panchrus.     2.  Pangonius.    3.  Paneros  oder  Panerastus.    4.  Vier 

Arten  des  Pontica.     5.  Phloginos  oder  Cbrysitis.     6.  Phcenicitis. 

7.  Phycitis.     8.  Perireucos.     9.  Pseantides  oder  Gseanides. 

67.  1.  Sonnenstein.    2.  Sagda.     3.  Samothracia.     4.  Sauritis.     5.   Sar- 

citis.    6.  Selenitis.    7.  Sideritis.    8.  Sideropoecilos.    9.  Spongitis. 

10.  Synodontitis.     11.  Syrtides.     12.  Syringitis. 

68.  1.  Trichrus.    2.  Thelyrrhizos.     3.Thelycardios  oder  Mulc.    4.  Tra- 

cia,  drei  Arten.     5.  Tephritis.     6.  Tecolithos. 

69.  1.  Venushaar.     2.  Vejentana. 

70.  1.  Zathene.     2.  Zmilampis.     3.  Zoraniscsea. 

71.  Edelsteine,  welche  nach  Gliedern  des  Körpers  benannt  sind.  He- 

patitis, Steatitis,  Adadunephros,  Adaduophthahnos,  Adadudac- 
tylos,  Triophthalmos. 

72.  Edelsteine,    welche  ihren  Namen  von  Thieren  haben.    Carcinias, 

Echitis,  Scorpitis,  Scaritis,  Triglitis,  Aegophthalmos ,  Hyoph- 
thalmos,  Geranitis,  Hieracitis,  Aetitis,  Myrraecitis,  Cantharias 
Lycophthalmos,  Taos,  Chehdonias. 

73.  Von   den   übrigen    Steinen.    Ammochrysos,    Cenchritis,    Dryitis, 

Cissitis,  Narcissitis,  Cyamea,  Pyren,  Phönicitis,  Chalazias,  Py- 
ritis,  Polyzonos,  Astrapias,  Phlogitis,  Anthracitis,  Enygros. 
Polytrichos,  Leontios,  Pardalios,  Drosolithos,  Melichrus,  Melich- 
loros,  Polias,  Spartopolias,  Rhoditis,  Chalcitis,  Sycitis,  Bostry- 
chitis,  Gernitis,  Ananchitis,  Synochitis,  Dendritis  etc. 

74.  Von  plötzlich  entstandenen  neuen  Edelsteinen  und  solchen,   die 

keinen  Namen  haben.    Von  den  Cochliden. 

75.  Von  der  Gestalt  der  Edelsteine. 


Erstes  Buch.  117 

76.  Von  der  Prüfung  der  Edelsteine. 

77.  Vergleichung   der   Natur   nach    den  Ländern;    Vergleichung  der 

Naturdinge  nach  ihrem  Werthe. 
Zusammen:  1300  Gegenstände,  Erzählungen  und  Bemerkungen. 

Von  römischen  Schriftstellern  sind  benutzt: 
M.Varro,  die  Triumph- Akten,  Mascenas,  Jacchus,  Cornelius Bocchus. 

Von  fremden  Schriftstellern: 
König  Juba,  Xenocrates  des  Zeno  Sohn,  Sudines,  Aeschylus,  Phi- 
loxenus,  Euripides,  Nicander,  Satyrus,  Theophrastus,  Chares,  Phile- 
mon,  Demostratus,  Zenothemis,  Metrodorus,  Sotacus,  Pytheas,  Timseus 
aus  Sicilien,  Theochrestus,  Asarubas,  Mnaseas,  Theomenes,  Ctesias, 
Mithridates,  Sophocles,  König  Archelaus,  Callistratus,  Democritus, 
Ismenias,  Olympicus,  Alexander  Polyhistor,  Apion,  Horus,  Zoroaster, 
Zachalias. 


Zweites  Euch. 


Von  der  Welt  und  den  Elementen. 
1. 

Wir  haben  Ursache  zu  glauben,  dass  die  Welt  und 
das,  was  wir  mit  einem  andern  Namen  Himmel  nennen, 
dessen  Wölbung  alles  bedeckt,  etwas  Göttliches,  Ewiges, 
Unermessliches  sei,  welches  weder  erzeugt  ist,  noch  unter- 
gehen wird.  Ueber  dieses  hinaus  zu  forscheu,  nützt  weder 
dem  Menschen,  noch  vermag  sein  Geist  es  deutend  zu  er- 
fassen. Sie  ist  heilig,  ewig,  unermesslich,  ganz  in  dem 
Ganzen,  ja  sie  ist  selbst  das  Ganze;  begrenzt  und  doch 
scheinbar  unendlich,  sicher  in  allen  ihren  Theilen  und  doch 
scheinbar  unsicher;  sie  umfasst  alle  Dinge  in  sich;  sie  ist 
zugleich  ein  Werk  der  Natur  und  die  Natur  selbst. 

Es  war  thöricht,  dass  Einige  über  ihre  Grösse  nach- 
dachten und  dieselbe  auszusprechen  wagten;  Andere  wie- 
derum, diess  benutzend,  von  unzähligen  Welten  redeten, 
so  dass  man  eben  so  viele  Naturen,  oder,  wenn  Eine  alle 
jene  belebte,  doch  ebensoviele  Sonnen,  ebensoviele  Monde 
und  die  übrigen  unermesslichen  und  unzähligen  Gestirne 
in  einer  annehmen  müsste;  als  wenn  nicht,  bei  dem  Wunsche 
nach  einem  Ziele,  am  Ende  des  Nachdenkens  dieselbe  Frage 
immer  wieder  kehrte,  oder,  weun  diese  Unendlichkeit  der 
Natur  dem  Urheber  aller  Dinge  zugeschrieben  werden 
könnte,  sich  jenes  nicht  leichter  an  eiuem  einzigen,  so 
grossen  Werke  erkennen  Hesse.  Unsinn,  wahrer  Unsinn 
ist  es,  noch  weiter  zu  gehen  und  nach  Dingen  zu  forschen, 


Zweites  Buch.  119 

welche  ausser  ihr  liegen,  als  wäre  ihr  ganzer  Inhalt  schon 
völlig  bekannt,  gerade  wie  wenn  Jemand  das  Maass  von 
einem  Gegenstande,  den  er  noch  nicht  kennt,  ausmitteln, 
oder,  der  menschliche  Geist  etwas  erspähen  wollte,  was 
die  Welt  selbst  nicht  umfasst. 

2. 

Dass  ihre  Gestalt  die  einer  vollkommenen  Kugel  sei, 
lehrt  besonders  ihr  Name  und  die  Uebereinstimmung  aller 
Völker  darin,  dass  sie  sie  Orbis x)  nennen,  dann  aber  auch 
die  in  ihr  selbst  liegenden  Beweise.  Denn  eine  solche 
Figur  neigt  sich  in  allen  ihren  Theilen  zu  sich  selbst,  muss 
sich  selbst  tragen,  schliesst  sich  ein  und  hält  sich  ohne 
Beihülfe  von  Banden,  hat  kein  Ende  und  keinen  Anfang 
in  allen  ihren  Theilen;  sie  ist  ferner  für  die  Bewegung, 
worin  sie  sich,  wie  wir  bald  zeigen  werden,  beständig 
drehen  muss,  die  schicklichste  Form.  Endlich  lehrt  es  auch 
der  Augenschein,  weil  sie  gewölbt  ist,  und  man  überall  in 
der  Mitte  sich  befindet,  was  bei  einer  anderen  Figur  nicht 
möglich  wäre. 

3. 

Der  Auf-  und  Untergang  der  Sonne  setzen  es  ausser 
Zweifel,  dass  die  so  gestaltete  Welt  im  ewigen  ununterbro- 
chenen Umlaufe  mit  unbeschreiblicher  Schnelligkeit,  ihre 
Bahn  in  24  Stunden  vollendet.  Ob  durch  den  beständigen 
Umschwung  einer  solchen  Last  ein  ausserordentliches  und 
über  unsere  Hörkraft  hinausgehendes  Geräusch  entsteht, 
kann  ich  eben  so  wenig  behaupten,  als  dass  das  Getön 
der  umeinander  wandelnden  und  im  Kreise  sich  drehenden 
Gestirne  eine  liebliche  und  von  unglaublicher  Anmuth  be- 
gleitete Harmonie  sei.  Für  uns,  die  wir  mitten  darin  leben, 
verfolgt  die  Welt  Tag  und  Nacht  ihren  Lauf  ruhig.  Dass 
ihr  unzählige  Gestalten  von  Thieren  und  Gegenständen 
aller  Art  aufgedrückt  sind,  und  dass  sie  nicht,  wie  wir 
von  den  Eiern  der  Vögel  wahrnehmen,  ein  völlig  glatter 
Körper  ist,  wie  doch  sehr  berühmte  Schriftsteller  behauptet 

')  Hier  in  der  Bedeutung  von  Himmel,  Himmelsgewölbe,  Weltall. 


120  Zweites  Buch. 

haben,1)  geht  aus  vielen  Gründen  hervor;  denn  aus  den 
von  dort  herabgefallenen  und  meistens  vermischten  Samen 
aller  Dinge  entstehen  besonders  im  Meere  unzählige  wunder- 
bare Gestalten.  Ausserdem  erblicken  wir  mitten  in  einem 
helleren  Kreise2)  über  uns,  hier  die  Gestalt  eines  Wagens, 
dort  eines  Bären,  dort  eines  Stieres,  dort  eines  Buchstaben.3) 
Ich  werde  hier  noch  an  die  einstimmige  Meinung  der  Völker 
erinnert.  Denn,  was  die  Griechen  xoafiog  oder  Schmuck 
nennen,  das  nennen  auch  wir  wegen  ihrer  vollkommenen 
Schönheit  Mundus.  Den  Himmel  aber  hat  man  nach  der 
Erklärung  M.  Varro's4)  von  der  getriebenen  Arbeit  caelum 
genannt.  Diess  beweist  noch  die  Ordnung  der  Gegenstände 
an  dem  sogenannten  Thierkreise,  welcher  in  12  Thierbilder 
getheilt  ist,  und  die  so  viele  Jahrhunderte  lang  durch  jene 
Bilder  gleichmässig  gehende  Bahn  der  Sonne. 

4. 
Auch  über  die  Existenz  von  vier  Elementen5)  scheint 
kein  Zweifel  zu  obwalten.  Das  höchste  ist  das  Feuer;  da- 
von entstand  jene  gleich  Augen  schimmernde  Menge  vor* 
Sternen.  Demnächst  kommt  die  Luft,  welche  die  Griechen 
und  wir  mit  ein  und  demselben  Worte  A'er  (dtjg)  nennen. 
Sie  ist  das  belebende,  alles  durchdringende,  und  mit  allem 
in  Verbindung  stehende;  durch  ihre  Kraft  getragen  schwebt 
die  Erde  in  der  Mitte  der  Welt,  mit  dem  vierten  Elemente, 
dem  Wasser.  So  wird  durch  wechselseitige  Verbindung 
Verschiedenartiges  verknüpft,  das  Leichtere  durch  Gewichte 
verhindert  zu  entfliehen  und  das  Schwere,  damit  es  nicht 
herabstürze,  in  leichter  Spannung  in  der  Luft  gehalten. 
Ein  gleichmässiges  Streben  nach  verschiedenen  Richtungen 


')  Wahrscheinlich  Plato  im  Timäus  und  Cic.  de  nat.  Deor.  II.  18. 

2)  Die  Milchstrasse. 

3)  Das  in  Form  des  griechischen  Delta  aus  3  Sternen  bestehende 
hell  leuchtende  Sternbild  in  der  Cassiopeja. 

4)  De  lingua  latina  IV.  3.  —  M.  Terentius  Varro,  der  gelehrteste 
Römer  seiner  Zeit,  wurde  116  v.  Chr.  geb.  und  starb  27  v.  Chr. 

5)  Nach   der  Lehre    des    sicilianischen  Philosophen  Empedokles 
(zu  Agrigent  um  440  v.  Chr.) 


Zweites  Buch.  121 

bewirkt,  dass  jedes  der  4  Elemente  durch  seine  eigene  Kraft 
besteht  und  durch  den  ununterbrochenen  Umschwung  der  Welt 
selbst  zusammengehalten  wird.  Während  diese  nun  beständig 
um  sich  schwingt,  bildet  die  Erde  den  innersten  und  mit- 
telsten Theil  in  dem  Weltall,  in  dessen  Axe  sie  schwebt, 
und  dem  Medium,  welches  sie  trägt,  das  Gleichgewicht 
haltend.  Sie  allein  ist  unbeweglich,1)  während  die  übrigen 
Himmelskörper  sich  um  sie  wälzen,  sie  umschlingen  und 
sich  zu  ihr  neigen.  Zwischen  der  Erde  und  dem  Himmel 
schweben  in  derselben  Luft,  und  durch  bestimmte  Räume 
getrennt,  7  Gestirne,2)  welche  wir  wegen  ihres  Laufes  Irr- 
sterne (Planeten)  nennen,  obgleich  sie  doch  nichts  weniger 
als  irren.  Von  ihnen  befindet  sich  die  Sonne,  ein  Gestirn 
umfassendster  Grösse  und  Macht,  in  der  Mitte,  unter  deren 
Einfluss  nicht  nur  die  Zeiten  und  Länder,  sondern  auch 
die  Sterne  und  der  Himmel  selbst  stehen.  Wohl  ziemt  es 
uns  daher,  in  Anerkennung  ihrer  Wirkungen,  sie  für  die 
Seele  der  ganzen  Welt  zu  halten,  ihr  die  höchste  Herrschaft 
der  Natur  und  göttliche  Kraft  beizulegen.  Sie  giebt  den 
Gegenständen  das  Licht  und  verscheucht  die  Finsterniss; 
sie  verdunkelt  durch  ihren  Schimmer  die  übrigen  Gestirne; 
sie  bestimmt  den  Wechsel  der  Jahreszeiten  und  das  nach 
Naturgesetzen  sich  immer  wieder  erneuernde  Jahr;  sie 
zerstreuet  die  Düsterheit  des  Himmels,  und  erheitert  selbst 
das  traurige   Gemüth   des  Menschen;   sie   giebt   auch    den 


')  Eine  im  Alterthum  oft  vorkommende,  aber  auch  ebenso  oft 
bestrittene  Behauptung.  Plato,  Aristoteles  und  Ptolemseus  stellten 
sich  die  Erde  weder  als  rotirend  noch  fortschreitend,  sondern  als 
unbeweglich  im  Mittelpunkte  stehend,  vor.  Nach  dem  Berichte  des 
Philolaus  aus  Croton  lehrten  die  Pythagoräer  die  fortschreitende  Be- 
wegung der  nicht  rotirenden  Erde,  ihren  Kreislauf  um  den  Weltheerd 
(das  Centralfeuer,  Hestia).  Hicetes  aus  Syrakus,  der  mindestens  älter 
als  Theophrast  ist,  Heraclides  aus  Pontus  und  Ecphantus  kannten 
die  Axendrehung  der  Erde;  aber  nur  Aristarchus  von  Samos  und  be- 
sonders Seleucus  der  Babylonier,  anderthalb  Jahrh.  nach  Alexander, 
wussten,  dass  die  Erde  nicht  bloss  rotire,  sondern  sich  zugleich  auch 
um  die  Sonne,  als  das  Centrum  des  ganzen  Planetensystems,  bewege. 

2)  Saturn,  Jupiter,  Mars,  Sonne,  Venus,  Merkur  und  Mond. 


122  Zweites  Buch. 

übrigen  Sternen  ihr  Licht.  Sie  ist  herrlich,  über  alles  er- 
haben, allsehend  und  allhörend,  wie  Homer,1)  der  Vater  der 
Gelehrsamkeit,  an  einer  Stelle2)  so  schön  sagt. 

5. 

Ich  halte  es  daher  für  ein  Zeichen  menschlicher  Schwäche, 
das  Bild  und  die  Gestalt  Gottes  zu  erforschen.  Wer  auch 
Gott  ist,  wenn  es  noch  einen  giebt  und  wo  er  sich  befin- 
det, so  ist  er  ganz  Sinn,  Gesicht,  Gehör,  Seele,  Geist  und 
ganz  er  selbst.  Aber  an  unzählige  Götter  glauben  und  so- 
gar nach  den  Tugenden  und  Lastern  der  Menschen  an 
einen  Gott  der  Schaamhaftigkeit,  Eintracht,  Klugheit,  Hoff- 
nung, Ehre,  Milde,  Treue,  oder  (wie  Democrit3)  sagt)  an 
zwei,  ein  Wesen  der  Bestrafung  und  Belohnung,  zeugt  von 
einem  noch  grösseren  Unverstände.  Die  gebrechlichen  und 
mühseligen  Menschen  haben,  ihrer  Schwachheit  eingedenk, 
die  Gottheit  in  Theile  getheilt,  damit  ein  Jeder  den  Theil 
verehre,  dessen  er  am  meisten  bedarf.  Daher  finden  wir 
bei  andern  Völkern  andere  Namen  von  zahllosen  Göttern; 
auch  sind  unterirdische  Dinge,  Krankheiten  und  viele  böse 
Seuchen  in  Gattungen  getheilt,  weil  wir  sie  in  zagender 
Furcht  besänftigt  wissen  möchten. 

So  hat  man  auf  dem  palatinischen  Berge  einen  Tempel 
des  Fiebers,  einen  Tempel  der  Laren4),  einen  Altar  für  die 
Orbona5)  und  für  das  böse  Geschick  einen  auf  dem  exqui- 
linischen  Hügel  eingeweiht.  Die  Zahl  der  Götter  muss 
grösser  als  die  der  Menschen  ausfallen,  weil  ein  Jeder  für 
sich  so  viele  Götter  macht,  indem  er  sich  eine  Juno6)  oder 
einen  Genius7)  wählt.  Gewisse  Völker  aber  halten  Thiere 
und  sogar  schmutzige,  desgleichen  viele  Dinge,  die  ich  mich 


')  Der  allbekannte  griechische  Dichter,  über  dessen  Lebensver- 
hältnisse wir  nichts  Näheres  wissen. 

2)  Iliade  III.  277. 

3)  Von  Abdera,  lebte  469—361  v.  Chr. 

4)  Hausgötter,  sie  wurden  aber  auch  öffentlich  verehrt. 

5)  Göttin  der  Eltern,  die  ihrer  Kinder  beraubt  sind. 

6)  Junonen  hiessen  die  Schutzgeister  des  weiblichen  Geschlechts. 

7)  Genien  waren  die  Schutzgeister  des  männlichen  Geschlechts. 


Zweites  Buch.  123 

zu  nennen  schäme,  für  Götter,  und  schwören  bei  stinkenden 
Speisen  und  ähnlichen  Sachen.  Dass  man  aber  glaubt, 
unter  den  Göttern  fänden  Ehen  statt,  aus  welchen  in  langer 
Zeit  keine  Kinder  geboren  würden;  ferner,  einige  von  ihnen 
wären  sehr  alt  und  immer  Greise,  andere  Jünglinge  und 
Knaben,  von  schwarzer  Farbe,  geflügelt,  lahm,  aus  einem 
Eie  gekommen,  abwechselnd  einen  Tag  lebendig  und  todt, 
das  grenzt  an  kindischen  Wahnsinn.  Allein  alle  Unver- 
schämtheit übersteigt  es,  wenn  man  Ehebruch,  Zank,  Hass 
unter  ihnen,  ja  sogar  Gottheiten  des  Diebstahls  und  der 
Verbrechen  annimmt. 

Wer  dem  Sterblichen  hilft,  der  ist  ihm  ein  Gott  und 
das  ist  der  Weg  zum  ewigen  Ruhme.  Ihn  gingen  die  be- 
rühmtesten Römer,  ihn  wandelt  jetzt  im  himmlischen 
Schritte  mit  seinen  Kindern  der  grösste  Herrscher  unsers 
Zeitalters,  Vespasianus  Augustus,  als  ein  Retter  in  der 
Noth.  Das  ist  die  älteste  Sitte,  dass  man  sehr  verdiente 
Männer,  um  sich  ihnen  dankbar  zu  erweisen,  unter  die 
Götter  versetzt.  So  sind  auch  die  Namen  aller  übrigen 
Götter  und  der  oben  genannten  Gestirne  von  verdienstvollen 
Männern  entstanden.  Wer  sollte  es  nicht  natürlich  finden, 
dass  es  einen  Jupiter  oder  Merkur  oder  Andere  anders 
benannte  gegeben  habe,  und  dass  ein  himmlisches  Namens- 
verzeichniss  existire?  Lächerlich  aber  ist  die  Behauptung, 
dass  ein  höchstes  Wesen  sich  um  die  Angelegenheiten  der 
Menschen  kümmere.  Sollen  wir  nicht  glauben,  dass  es 
durch  ein  so  trauriges  und  vielseitiges  Amt  entehrt  werde?1) 
Es  ist  in  der  That  zu  bezweifeln  und  kaum  zu  entscheiden, 
ob  es  dem  menschlichen  Geschlechte  dienlicher  sein  würde, 
wenn  Einige  den  Göttern  keine,  oder  Andere  ihnen  nur 
eine  Verehrung  erzeigen,  die  ihnen  zur  Schande  gereicht. 
Diese  dienen  auswärtigen  heiligen  Gebräuchen,  tragen 
Götter  an  den  Fingern,  verdammen  wohl  gar  die  Unge- 
heuer,  welche  verehrt   werden,   ersinnen  Speiseopfer  und 


')  Dies  war  die  Meinung  Epikurs,  zu  dessen  Lehren  sich  Plinius 
bekannte. 


124  Zweites  Buch. 

behandeln  sie  tyrannisch,  indem  sie  ihnen  nicht  einmal 
ruhigen  Schlaf  gönnen.  Keine  Ehen  werden  eingegangen, 
keine  Kinder  gewählt  und  überhaupt  nichts  ohne  heilige 
Gebräuche  unternommen.  Andere  betrügen  auf  dem  Kapi- 
tolio,  und  schwören  Meineide  beim  donnernden  Zeus;  und 
ihnen  nützen  die  Schlechtigkeiten,  jenen  aber  bringt  ihr 
heiliges  Wesen  Strafe. 

Zwischen  diesen  beiden  Meinungen  erdachten  sich 
jedoch  die  Sterblichen  eine  mittlere  Gottheit,  damit  ja  die 
Verwirrung  recht  vollständig  wäre.  In  der  ganzen  Welt, 
an  jedem  Orte  und  zu  jeder  Stunde  wird  nämlich  von 
allen  Stimmen  die  Fortuna  allein  angerufen  und  genannt; 
sie  allein  wird  angeklagt,  beschuldigt,  nur  an  sie  gedacht, 
nur  sie  gelobt  und  getadelt  und  mit  Schimpfen  verehrt. 
Man  hält  sie  für  veränderlich,  grösstenteils  aber  für  blind, 
für  unstet,  unbeständig,  unsicher,  wankelhaft  und  für  eine 
Gönnerin  Unwürdiger.  Ihr  werden  alle  Ausgaben,  ihr 
alle  Einnahmen  zugeschrieben,  und  in  dem  Rechnungsbuche 
der  Sterblichen  füllt  sie  allein  beide  Seiten  aus.  So  sehr 
sind  wir  also  dem  Zufall  unterworfen,  dass  dieser  selbst 
für  einen  Gott  gilt,  und  dieser  Gott  daher  für  unzuverlässig 
gehalten  wird. 

Andere  verwerfen  auch  diese  Ansicht,  und  schreiben 
alle  Begebenheiten  ihrem  Gestirne  und  dessen  Stande  bei 
der  Geburt  zu;  sie  glauben,  alles  Zukünftige  sei  von  Gott 
ein  für  allemal  beschlossen,  um  das  Uebrige  kümmere  er 
sich  nicht.  Diese  Meinung  fängt  an,  Eingang  zu  gewinnen, 
und  die  gelehrte  sowie  die  rohe  Menge  läuft  ihr  zu.  Daher 
entstanden  die  Warnungen  durch  Blitze,  die  Prophezeihun- 
gen  der  Orakel,  die  Weissagungen  der  Haruspices,  und  um 
auch  das  Geringste  zu  nennen,  die  Bedeutung  des  Niesens 
bei  den  Auguren  und  des  Anstossens  mit  den  Füssen.  Der 
göttliche  Augustus  t)  erzählt,  dass  ihm  an  dem  Tage,  wo  ihm 


')  Der  bekannte  römische  Kaiser,  Sohn  des  C.  Octavius  und  der 
Atia,  Grossneffe  von  mütterlicher  Seite  des  Jul.  Caesar,  geb.  63  v.  Chr., 
starb  13  n.  Chr. 


Zweites  Buch.  125 

ein  militärischer  Aufstand  gefährlich  zu  werden  drohte,  der 
linke  Schuh  verkehrt  angezogen  worden  sei. *)  Alles  diess 
beweist,  dass  die  Menschen  nichts  vorher  wissen;  nur  so 
viel  ist  gewiss,  dass  es  nichts  Gewisses  giebt,  und  dass 
nichts  ehuder  und  stolzer  ist  als  der  Mensch.  Denn  die 
übrigen  lebenden  Geschöpfe  sorgen  nur  für  ihre  Nahrung, 
welche  ihnen  die  gütige  Natur  freiwillig  in  reichlicher 
Menge  spendet;  schon  das  eine  ist  allen  Gütern  vorzuziehen, 
dass  sie  über  Ruhm,  Geld,  Ehrfurcht  und  den  Tod  nicht 
nachdenken. 

Allein  bei  alledem  dürfen  wir  aus  dem  täglichen  Leben 
schliessen,  dass  die  Götter  sich  der  menschlichen  Angele- 
genheiten annehmen,  dass  die  Strafen  für  die  Verbrechen 
von  der  so  sehr  beschäftigten  Gottheit  zwar  etwas  aufge- 
schoben, nie  aber  unterbleiben  werden,  und  dass  der  Mensch 
darum  ihm  am  nächsten  stehend  geschaffen  sei,  um  sich 
mit  den  Thieren  nicht  auf  einer  und  derselben  Stufe  der 
Niedrigkeit  zu  befinden.  Für  die  unvollkommene  Natur  des 
Menschen  ist  es  hingegen  der  grösste  Trost,  dass  selbst 
Gott  nicht  allmächtig  ist,  denn  er  kann  sich  weder  den 
Tod  anthun,  wenn  er  auch  will,  was  er  dem  Menschen  als 
das  beste  Mittel  bei  den  grossen  Mühseligkeiten  des  Le- 
bens verliehen  hat;  noch  kann  er  den  Sterblichen  die  Un- 
sterblichkeitverschaffen oder  Todte  ins  Leben  zurückrufen; 
noch  machen,  dass  wer  gelebt  hat,  nicht  gelebt  habe,  wer 
Ehrenstellen  bekleidet  hat,  sie  nicht  bekleidet  habe;  noch 
hat  er  ein  anderes  Recht  über  die  Vergangenheit,  als  sie 
zu  vergessen.  Endlich,  damit  wir  auch  durch  scherzhafte 
Beweise  die  Unvollkommenheit  Gottes  zeigen,  kann  er  nicht 
machen,  dass  2  mal  10  nicht  20  sind,  und  noch  viele  ähn- 
liche Dinge.  Hieraus  geht  unleugbar  die  Macht  der  Na- 
tur hervor,  und  dass  sie  das  sei,  was  wir  Gott  nennen. 
Diese  Abschweifung  hielt  ich  für  nicht  unpassend,  da  die 
unaufhörliche  Frage  über  Gott  so  allgemein  verbreitet  ist. 


')  Man  vergleiche  das  Leben  des  Augustus  bei  Suetonius.  XIV.92. 


126  Zweites  Buch. 

6. 
Wir  wollen  nun  zu  den  übrigen  Gegenständen  der 
Natur  zurückkehren.  Die  Gestirne,  welche  wir  angeheftete *) 
genannt  haben,  sind  nicht,  wie  der  gemeine  Haufe  glaubt, 
den  einzelnen  Menschen  zugetheilt,  die  hellen  den  Reichen, 
die  kleinen  den  Armen,  die  dunkeln  den  Gebrechlichenr 
und  leuchten  nicht  nach  dem  Schicksal  eines  Jeden;  denn 
sie  entstehen  und  vergehen  nicht  mit  dem  Menschen,  noch 
bedeutet  ihr  Fall,  dass  Jemand  sterbe.  Wir  haben  keine 
so  grosse  Gemeinschaft  mit  dem  Himmel,  dass  dort  der 
Glanz  der  Gestirne  mit  uns  sterblich  ist.  Jene  geben, 
wenn  sie  zu  viel  Nahrung  an  Feuchtigkeit  mit  feuriger 
Kraft  an  sich  gezogen  haben,  den  Ueberfluss  wieder  von 
sich,  und  dann  glaubt  man,  sie  fallen;  etwas  Aehnliches 
nehmen  wir  an  unsern  brennenden  Oel-Lampen  wahr.  Ue- 
brigens  haben  die  himmlischen  Körper  eine  einzige  Dauer, 
denn  sie  halten  die  Welt  zusammen,  und  bilden  durch  die- 
ses Zusammenhalten  ein  Ganzes.  Ihre  Gewalt  erstrekt  sich 
vorzüglich  auf  die  Erde,  und  wir  kennen  sie  wegen  ihrer 
Wirkungen,  Klarheit  und  Grösse  sehr  genau,  wie  ich  an 
seinem  Orte  zeigen  werde.2)  Auch  die  Lehre  von  den 
Himmelskreisen  werde  ich  schicklicher  bei  der  Erde 3)  vor- 
tragen, da  sie  ganz  dahin  passt;  nur  von  der  Erfindung 
des  Thierkreises  muss  hier  das  Nöthige  gesagt  werden. 
Der  Erste  welcher  seine  Schiefe4)  erkannt  und  mithin  die 
Thore  dieses  Gegenstandes  geöffnet  hat,  soll  Anaximander 
von  Milet  gewesen  sein,  zur  Zeit  der  58sten  Olympiade. 5) 
Die  Zeichen  desselben,  und  zwar  zuerst  die  des  Widders 


')  Fixsterne. 

2)  Im  XVII.  und  XVIII.  Buche,  welche  von  der  Landwirthschaft 
handeln. 

3)  Im  VI.  B.  39.  C. 

4)  Richtiger  die  Schiefe  der  Ekliptik. 

5)  Die  Olympiade  war  bei  den  Griechen  ein  Zeitraum  von  4  Jah- 
ren, und  die  allgemeinste  Zeitrechnung  in  Griechenland,  welche  776 
v.  Chr.  anfing.  Die  58.  Olympiade  ist  also  gleich  548—544  Jahre 
v.  Chr.  G. 


Zweites  Buch.  127 

und  des  Schützen  hat  Kleostratus *)  entdeckt.  Den  Kreis 
selbst  aber  erkannte  Atlas  lange  vorher.  Nun  verlassen 
wir  den  Himmelskörper  selbst,  und  wollen  von  den  übrigen 
Erscheinungen  zwischen  Himmel  und  Erde  handeln. 

Dass  das  Gestirn,  welches  Saturnus  heisst,  am  höch- 
sten2) steht,  und  daher  am  kleinsten  erscheint,  auch  den 
grössten  Kreis  beschreibt  und  in  30  Jahren3)  seine  Bahn 
vollendet,  ist  gewiss.  Aber  der  Lauf  aller  Planeten,  und 
unter  ihnen  der  der  Sonne  und  des  Mondes  hat  eine  dem 
Umlaufe  der  Welt  entgegengesetzte  Kichtung,  das  heisst, 
diese  geht  nach  links,  während  jene  immer  der  Rechten 
zueilen.  Obgleich  sie  durch  die  beständige  Drehung  in  un- 
geheuerer Geschwindigkeit  von  der  Welt  emporgehalten 
und  gegen  Abend  hingerissen  werden,  so  behauptet  doch 
ein  jeder  in  entgegengesetzter  Richtung  seine  Bahn,  Da- 
her geschieht  es,  dass  die  durch  die  ewige  Drehung  der 
Welt  an  eine  Stelle  zusammengedrängte  Luft,  nicht  zu  ei- 
nem trägen  Balle  erstarrt,  sondern  durch  den  Gegenstoss 
der  Gestirne  zertheilt  wird.  Der  Saturn  ist  von  kalter  und 
starrer  Natur;  weit  tiefer  liegt  die  Bahn  des  Jupiter,  wel- 
cher daher  auch  in  schnellerer  Bewegung  innerhalb  12 
Jahren  seinen  Lauf  vollendet.4)  Das  dritte  Gestirn,  der 
Mars,  auch  Herkules  genannt,  ist  feurig  und  brennend  we- 
gen der  Nähe  der  Sonne,  und  bedarf  beinahe  2  Jahre  zu 
seinem    Laufe. 5)     Durch    dessen   allzu   grosse   Hitze    und 


>)  Aus  Tenedos,  um  536  v.  Chr. 

2)  Bis  zum  Jahre  1781,  wo  Herschel  den  Uranus  entdeckte,  war 
dieser  der  entfernteste  Planet;  seine  mittlere  Entfernung  von  der 
Sonne  beträgt  384  Millionen  Meilen  und  er  durchläuft  seine  Bahn  in 
fast  84  Jahren.  1846  beobachtete  aber  Galle  einen  noch  weit  ent- 
fernteren, den  er  Neptun  nannte,  und  dessen  Existenz  von  Leverrier 
schon  vorausgesagt  war;  derselbe  ist  von  der  Sonne  über  600  Mill. 
Meilen  entfernt. 

3)  Vielmehr  in  29  Jahren  und  154  Tagen  Von  der  Sonne  ist  er 
191  Millionen  Meilen  entfernt. 

4)  Er  vollendet  seine  Bahn  in  11  Jahren  und  312  Tagen  und  ist 
104  Millionen  Meilen  von  der  Sonne  entfernt. 

5)  Er  vollendet  seinen  Lauf  in  1  Jahre  322  Tagen  und  ist  30,5  Mil- 


128  Zweites  Buch. 

durch  die  Kälte  des  Saturnus  erhält  der  zvvischen  beiden 
liegende  Jupiter  eine  gewisse  Mässigung,  die  ihm  wohl- 
thätig  ist.  Dann  folgt  die  in  360  Theile  getheilte  Sonnen- 
bahn; damit  aber  die  durch  sie  bewirkten  Schatten  bei 
ihrer  Rückkehr  dieselben  bleiben,  wurden  noch  5V4  Tage 
hinzugesetzt.  Aus  diesem  Grunde  bekommt  jedesmal  das 
5.  Jahr  noch  einen  eingeschalteten  Tag,  um  die  Zeitrech- 
nung mit  dem  Laufe  der  Sonne  in  Uebereinstimmung  zu 
bringen. 

Unterhalb  der  Sonne  läuft  ein  grosser  Stern,  die  Ve- 
nus,1) mit  abwechselnder  Bahn,2)  und  wetteifert  durch  ihre 
Beinamen  mit  der  Sonne  und  dem  Monde.  Erscheint  sie 
nämlich  vor  Tagesanbruch,  so  heisst  sie  Lucifer,  weil  sie 
als  eine  zweite  Sonne  den  Tag  früher  bringt;  leuchtet  sie 
aber  vom  Sonnenuntergänge  an,  so  heisst  sie  Vesper,  weil 
sie  den  Tag  verlängert  und  die  Stelle  des  Mondes  vertritt. 
Pythagoras  3)  von  Samos  erkannte  zuerst  das  Verhältniss, 
ohngefähr  um  die  32.  Olympiade,  das  ist  im  113.  Jahre  der 
Stadt  Rom.  Schon  an  Grösse  tibertrifft  sie  alle  anderen 
Gestirne,4)  und  ihre  Helligkeit  ist  so  bedeutend,  dass 
durch  ihre  Strahlen  Schatten  entstehen.  Daher  hat  sie  auch 
viele  Namen.  Einige  haben  sie  Juno,  andere  Isis,  an- 
dere die  Mutter  der  Götter  genannt.  Durch  sie  wird 
alles  auf  der  Erde  erzeugt;  denn  indem  sie  bei  ihrem  zwei- 
fachen Aufgange  einen  belebenden  Thau  spendet,  befruch- 
tet sie  nicht  nur  die  Erde,  sondern  reizt  auch  alle  lebenden 


lionen  Meilen  von  der  Sonne  entfernt.  Zwischen  dem  Jupiter  und 
dem  Mars  entdeckte  man  1801—1807  4  kleine  Planeten,  Ceres  (1801), 
Pallas  (1802),  Juno  (1804),  Vesta  (1807),  denen  man  den  gemeinschaft- 
lichen Namen  Asteroiden  gab.  Seit  1845  haben  sich  die  Entdeckun- 
gen von  Asteroiden  so  vermehrt,  dass  deren  Anzahl  bereits  auf  200 
gestiegen  ist. 

*)  Sie  ist  etwa  der  Erde   an  Grösse  gleich;  der  grösste  Planet 
ist  der  Jupiter. 

2)  d.  h.  sie  geht  bald  vor  der  Sonne,  bald  folgt  sie  ihr  nach. 

3)  Schüler  des  Pherecydes,   Sohn  des  Mnesarchus,   geb.   um  584 
v.  Chr.,  starb  79 — 80  Jahr  alt  zu  Metapontum. 

4)  Was  natürlich  ganz  irrig  ist;  siehe  Anmerkung,  1. 


Zweites  Buch.  12? 

Wesen  in  gleicher  Weise  an.  Sie  vollendet  ihren  Lauf 
in  348  Tagen,  und  ist  nach  Timseus  l)  nie  weiter  als  46  Grade 
von  der  Sonne  entfernt. 2) 

Auf  ähnliche  Weise,  aber  von  weit  geringerer  Grösse 
und  Kraft,  befindet  sich  ihr  zunächst  das  Gestirn  des  Mer- 
kurs, der  von  Einigen  auch  Apollo  genannt  wird.  Er  voll- 
endet seine  niedrigere  Bahn  in  einem  um  9  Tage  kürzeren 
Zeiträume,  leuchtet  bald  vor  Sonnenaufgange  bald  nach 
Sonnenuntergänge,  und  ist  niemals  weiter  als  22  Grade3) 
von  der  Sonne  entfernt,  nach  dem  Zeugnisse  Ebendesselben*) 
und  des  Sosigenes. 5)  Daher  haben  auch  diese  Gestirne 
eine  eigenthümliche,  von  den  oben  genannten  Gestirnen 
verschiedene  Beschaffenheit;  denn  sie  sind  um  den  vierten 
-und  den  dritten  Tbeil  des  Himmels  von  der  Sonne  entfernt, 
stehen  ihr  oft  gegenüber,  und  beschreiben  sämmtlich  an- 
dere Bahnen  bei  vollkommner  Umdrehung,  von  denen  wir 
bei  Betrachtung  des  grossen  Jahres  reden  wollen. 

Aber  alle  Bewunderung  übertrifft  das  letzte  Gestirn,  wel- 
ches auf  der  Erde  am  bekanntesten  ist,  und  das  die  Natur 
.zur  Verscheuchung  der  Finsterniss  erfand,  der  Mond.  Durch 
seinen  vielartigen  Lauf  setzte  er  den  Geist  der  Beobachter, 
und  derjenigen,  welche  es  unter  ihrer  Würde  hielten,  das 
nächste  Gestirn  nicht  zu  kennen  auf  die  Probe,  indem  er 
beständig  zu-  oder  abnimmt.  Denn  bald  ist  er  in  zwei 
Hörner  gekrümmt,  bald  gleich  getheilt,  bald  ein  ganzer 
Kreis;  einmal  fleckig  und  plötzlich  wieder  glänzend,  bald 
bildet  er  eine  ausserordentlich  grosse  Scheibe,  bald  ist  er 
unsichtbar;  zuweilen  scheint  er  die  ganze  Nacht  hindurch 


')  Pythagoräer  aus  Locri  um  400  v.   Chr.,   schrieb    über  Physik 
und  Mathematik. 

2)  Die  Entfernung  beträgt  14,5  Millionen  Meilen  von  der  Sonne, 
und  sie  vollendet  ihren  Umlauf  in  224  Tagen  16  Stunden. 

3)  7,8  Millionen  Meilen  beträgt  sein  Abstand  von  der  Sonne  und 
seine  Umlaufszeit  88  Tage. 

4)  Tima^us. 

5)  Er  lebte    in  Alexandrien   und  berichtigte   auf  Ctesars  Veran- 
lassung den  Kalender. 

9 


130  Zweites  Buch. 

zuweilen  nur  Abends  spät  und  unterstützt  einen  Theil  des 
Tages  das  Licht  der  Sonne;  bald  ist  er  verfinstert  und 
bleibt  doch  während  der  Verfinsterung  sichtbar;  gegen  Ende 
des  Monats  ist  er  Verborgen  und  doch  glaubt  man  nicht, 
dass  er  fehlt.  Er  ist  bald  hoch  und  bald  niedrig,  und  diess 
nicht  einmal  immer  auf  dieselbe  Weise,  sondern  ein  mal 
nähert  er  sich  dem  Himmel,  ein  ander  mal  den  Bergen, 
bald  steigt  er  gegen  Norden  empor,  bald  senkt  er  sich 
gegen  Süden.  Endynnion1)  war  von  allen  Menschen  der 
erste,  welcher  diese  Erscheinungen  einsah,  und  deshalb, 
sagt  man,  soll  er  sich  in  den  Mond  verliebt  haben.  Wir 
sind  wahrlich  nicht  dankbar  gegen  die,  welche  sich  bemüh- 
ten, uns  über  dieses  Licht  aufzuklären;  und  eine  wunder- 
bare Krankheit  des  menschlichen  Geistes  ist  es,  dass  wir 
lieber  Blut  und  Kriege  in  den  Jahrbüchern  aufbewahren, 
damit  die  Schlechtigkeiten  der  Menschen  denen,  welche 
von  der  Welt  nichts  wissen,  bekannt  werden. 

Der  Mond  ist  also  dem  Mittelpunkte  der  Welt2)  am 
nächsten,  daher  vom  geringsten  Umlaufe,  und  durchläuft  in 
211J3  Tagen  denselben  Raum,  wozu  das  höchste  Gestirn, 
der  Saturn,  wie  gesagt,  30  Jahre  gebraucht.  Darauf  ver- 
weilt er  2  Tage  lang  in  Zusammenkunft3)  mit  der  Sonne, 
und  fängt  spätestens  am  30.  Tage  seinen  Lauf  wieder  eben- 
so an.  Ich  weiss  nicht,  ob  er  nicht  der  Leiter  für  alles,  was 
wir  am  Himmel  erkennen  konnten,  war,  und  veranlasste, 
dass  das  Jahr  in  12  Monate  getheilt  wurde,  da  er  selbst 
ebensoviel  mal  die  zu  dem  Anfangspunkte  ihres  Laufes 
zurückkehrende  Sonne  erreicht.  Von  dem  Schimmer  der 
Sonne  werden  der  Mond  sowie  alle  übrigen  Gestirne  re- 
giert, sie  leuchten  mit  dem  von  ihr  entlehnten  Lichte  ganz 
auf  eben  die  Weise,  wie  wir  ein  Licht  aus  dem  Wasser 
zurückspiegeln  sehen;  daher  er  mit  seiner  mildern  und 
schwächern  Kraft  die  Feuchtigkeit  nur  auflöst,  ja  wohl  gar 


')  Sohn  des  Aethlios  und  der  Kalyke,   war  Hirt  und    kam  aus 
Thessalien  mit  einer  Colonie  nach  JElis. 

2)  Worunter  bekanntlich  PI.  die  Erde  versteht. 

3)  coitus,  jetzt  gewöhnlich  Conjunction  genannt. 


Zweites  Buch.  131 

vermehrt,  welche  die  Sonnenstrahlen  verzehren.  Er  hat  ein 
ungleiches  Licht,  weil  er  nur  in  der  der  Sonne  entgegen- 
gesetzten Stellung  voll  ist,  an  den  übrigen  Tagen  aber  nur 
soviel  von  sich  sehen  lässt,  als  er  selbst  von  der  Sonne 
erhält.  Bei  der  Zusammenkunft1)  sieht  man  ihn  nicht, 
weil  er  alles  auf  der  entgegengesetzten  Seite  empfangene 
Licht  dahin  zurück  schickt,  woher  er  es  bekommen  hat. 
Die  Gestirne  werden  ohne  Zweifel  von  der  irdischen  Feuch- 
tigkeit ernährt;  bei  halber  Scheibe  erscheint  er  zuweilen 
fleckig,  weil  dann  seine  Kraft  nicht  hinreichend  ist  um  alles 
aufzunehmen,  denn  die  Flecken  sind  nichts  anderes,  als 
Unreinigkeiten,  die  er  mit  Hülfe  der  Feuchtigkeit  von  der 
Erde  aufgenommen  hat.  Seine  Verfinsterungen  und 
diejenigen  der  Sonne,  eine  der  bewunderungswürdigsten 
und  wunderbarsten  Erscheinungen  in  der  Natur,  zeigen 
durch  die  entstehenden  Schatten  die  Grösse  dieser  Welt- 
körper an. 

7. 
Es  ist  nämlich  klar,  dass  die  Sonne  durch  dieZwischen- 
kunft  des  Mondes  und  der  Mond  durch  die  Zwischenkunft 
der  Erde  uns  unsichtbar  wird,  sodass  dort  die  Sonnen- 
strahlen durch  den  Mond  der  Erde,  hier  aber  durch  die 
Erde  dem  Monde  entzogen  werden.  Tritt  letzterer  vor  die 
Sonne,  so  entsteht  plötzlich  Dunkelheit,  und  wiederum  wird 
durch  den  Schatten  der  Erde  jenes  Gestirn  verfinstert. 
Auch  ist  die  Nacht  nichts  anderes,  als  der  Schatten  der 
Erde.  Die  Gestalt  dieses  Schattens  ist  wie  die  Meta2)  oder 
ein  umgekehrter  Kreisel  beschaffen;  nur  sein  oberster  Theil 
trifft  ir>  den  Mond  und  geht  nicht  darüber  hinaus,  weil  kein 
anderes  Gestirn  dadurch3)  verdunkelt  wird,  und  eine  solche 
Figur  keine  Spitze  hat.  Die  höchsten  Flüge  der  Vögel 
bezeugen  nämlich,  dass  der  Schatten  durch  die  Entfernung 


*)  d.  h.  bei  Neumond  oder  Conjunction. 

2)  Die    am  Ende    des   römischen    Circus    befindliche    Spitzsäule, 
um  welche  die  Wettfahrenden  herumfuhren. 

3)  Durch  die  Zwischenkunft  der  Erde. 

9* 


132  Zweites  Buch. 

abnimmt  und  endlich  ganz  aufhört.  Daher  ist  die  Grenze 
des  Schattens  auch  die  der  Luft  und  der  Anfang  des 
Aethers.  Ueber  den  Mond  hinaus  herrscht  durchaus  reines 
und  beständiges  Licht.1)  Wir  sehen  des  Nachts  die  Ge- 
stirne, gleichwie  Lichter  aus  der  Finsternis?,  und  ebendes- 
halb wird  der  Mond  nur  des  Nachts  verfinstert.  Beide  Arten 
von  Finsternissen  treten  aber,  wegen  der  schiefen  Lage 
des  Thierkreises,  wegen  der  schon  besprochenen,  sehr  ab- 
weichenden Bahn  des  Mondes  und  der  nicht  immer  auf 
die  kleinsten  Theilchen  zusammentreffenden  Bewegung  der 
Gestirne,  nicht  zu  bestimmten  Zeiten  und  Monaten  ein. 

8. 
Diese  Betrachtung  erhebt  die  sterblichen  Seelen  in  den 
Himmel,  und  offenbart  ihnen  von  da  aus  die  Grösse  der 
drei  grössten  Naturkörper.  Es  könnte  nämlich  die  Sonne 
nicht  ganz  der  Erde  entzogen  werden  durch  den  Zwischen- 
tritt des  Mondes,  wenn  die  Erde  grösser  wäre  als  der  Mond. 
Der  ungeheuere,  die  Erde  sowohl  als  den  Mond  übertreffende 
Umfang  der  Sonne,  ergiebt  sich  von  selbst,  und  es  ist  da- 
her unnöthig,  ihre  Grösse  durch  den  Augenschein  und 
durch  Vermuthungen  zu  erforschen.  Sie  ist  unermesslich 
gross,  denn  sie  wirft  die  Schatten  der  an  den  Wegen  auf 
mehrere  1000  Schritte  hin  stehenden  Bäume  immer  in 
gleichen  Entfernungen  von  einander,  als  wenn  sie  überall 
im  Mittelpunkte  wäre;  ferner  bei  der  Tag-  und  Nachtgleiche 
allen  Bewohnern  der  heissen  Zone  zugleich  über  dem 
Scheitel,  und  die  Schatten  der  um  die  Wendekreise  Woh- 
nenden fallen  Mittags  gegen  Norden,  und  Morgens  gegen 
Westen.  Alles  diess  könnte  nicht  eintreten,  wenn  die  Sonne 
nicht  weit  grösser  wäre,  als  die  Erde;  auch  würde  sie  bei 
ihrem  Aufgange  den  Berg  Ida  nicht  an  Breite  übertreffen, 
während  sie  bei  so  ungeheuerer  Entfernung  doch  die  rechte 
und  linke  Seite  desselben  bescheint. 


')  Man  weiss  jetzt,  dass  auch  andere  Planeten,  z.  B.  Jupiter  und 
Saturn,  durch  den  Durchgang  ihrer  Trabanten  zwischen  ihnen  und 
der  Sonne  verdunkelt  werden. 


Zweites  Buch.  133 

Die  Mondfinsterniss  ist  ein  unzweideutiger  Beweis  ihrer 
Grösse,  so  wie  sich  aus  der  Verfinsterung  der  Sonne  die 
Kleinheit  der  Erde  ergiebt.  Denn  da  3  verschiedene  Ge- 
stalten des  Schattens  entstehen  können,  und  es  gewiss  ist, 
dass,  wenn  der  Körper,  welcher  den  Schatten  wirft,  dem 
Lichte  an  Grösse  gleicht,  ein  säulenförmiger  Schatten  ohne 
Ende  entsteht;  dass  aber,  wenn  der  Körper  grösser  als  das 
Licht  ist,  der  Schatten  die  Gestalt  eines  Kreisels  hat,  dessen 
unterster  Theil  am  schmälsten,  dessen  Länge  aber  eben- 
falls unendlich;  und,  ist  der  Körper  kleiner  als  das  Licht, 
der  Schatten  sich  als  eine,  nach  der  Spitze  zu  abnehmende 
Säule  zeigt,  wie  z.  B.  bei  der  Mondfinsterniss,  so  erhellt 
auf  unzweideutige  Weise,  dass  die  Erde  von  der  Sonne  an 
Grösse  übertroffen  wird.  Auch  in  der  Natur  finden  wir 
schweigende  Beweise  dafür;  denn  warum  entfernt  sich  im 
Winter  die  Sonne  von  der  Erde?  Um  durch  das  Dunkel 
der  Nächte  die  Erde  zu  erquicken,  welche  sie  sonst  ohn- 
fehlbar  verbrennen  würde,  was  auch  in  gewissen  Theilen 
der  Erde  geschieht.     So  bedeutend  ist  ihre  Grösse. 

9. 
Die  Ursache  beider  Verfinsterungen  hat  unter  den  Rö- 
mern zuerst  Sulpicius  Gallus,  der  mit  Marcellus  Consul  war, 
bekannt  gemacht1);  er  war  damals  noch  Kriegstribun,  und 
befreiete,  als  ihn  der  Feldherr  den  Tag  vor  dem  Siege  des 
Paullus  über  den  König  Perseus  zur  Vorhersagung  der 
Finsterniss  öffentlich  aufforderte,  das  Heer  von  der  Furcht; 
nachher  hat  er  ein  Werk  darüber  geschrieben.  Unter  den 
Griechen  erforschte  Thaies2)  von  Milet  jenen  Gegenstand 
zuerst;  er  sagte  im  4.  Jahre  der  48.  Olympiade  eine 
Sonnenfinsterniss  vorher,  welche  unter  dem  König  Alyattes,3) 
im  170.  Jahre  Roms  erfolgte.  Nachher  hat  Hipparchus4)  den 
Lauf  beider  Gestirne  auf  600  Jahre  vorausgesagt,  wobei  er 

')  Im  Jahre  Roms  584  (166  v.  Chr.  G.)     Vergl.  Livius  44,  37. 

2)  Einer    der    sieben   Weisen    Griechenlands,    geb.    648   v.    Chr.; 
starb  568. 

3)  Vater  des  Krösus,  König  von  Lydien. 

4)  Aus  Nicsea  in  Bithynien,  starb  um  125  v.  Chr. 


134  Zweites  Buch. 

zugleich  die  Zeitrechnung,  Tage,  Stunden,  die  Lage  der 
Orte  und  die  Art,  wie  den  verschiedenen  Völkern  diess 
alles  erscheinen  würde,  mit  berücksichtigte.  Nach  der 
Meinung  seines  Zeitalters  bewerkstelligte  er  sein  Vorhaben 
dadurch,  dass  er  an  den  Rathschlüssen  der  Natur  Theil 
nahm.  Gross  und  über  die  Natur  erhaben  waren  diese 
Männer,  welche  den  schwachen  Geist  der  Menschen,  der 
bei  den  Finsternissen  schwere  Unglücksfälle  oder  den 
Untergang  der  Gestirne  fürchtete,  von  diesem  Wahne  be- 
freieten.  Dass  aber  die  Menschen  sich  bei  Sonnenfinster- 
nissen gefürchtet  haben,  beweisen  die  erhabenen  Gesänge 
der  Dichter  Stesichorus  *)  und  Pindar;2)  man  beschuldigte 
den  Mond  der  Zauberei,  und  wollte  durch  heftiges  Geräusch 
die  Gefahr  abwenden.  Aus  gleicher  Furcht  und  unbekannt 
mit  der  wahren  Ursache  wagte  es  der  atheniensische  Feld- 
herr Nicias*)  nicht,  die  Flotte  aus  dem  Hafen  zu  führen, 
und  veranlasste  dadurch  die  Niederlage  seiner  Truppen. 
Dank  daher  eurem  Scharfsinn,  ihr  Deuter  des  Himmels,  die 
ihr  die  Natur  der  Dinge  erfasst,  die  Gründe  erforscht  und 
dadurch  Götter  und  Menschen  besiegt  habt!  Denn  sollte 
der,  welcher  alles  dieses  und  die  sogenannten  beständigen 
Arbeiten  der  Gestirne4)  erkennt,  nicht  die  Notwendigkeit 
seiner  Sterblichkeit  einsehen? 

Jetzt  will  ich  die  Ansichten  über  alle  diese  Er- 
scheinungen in  einzelnen  Abschnitten  kurz  berühren,  und 
an  den  Orten,  wo  es  nöthig  erscheint,  die  Gründe  bündig 
hinzufügen;  denn  erstens  liegt  eine  solche  Beweisführung 
nicht  in  dem  Plane  meines  Werkes,  und  zweitens  ist  es 
weniger  zu  verwundern,  dass  wir  nicht  die  Ursachen  von 
allen  Dingen  angeben  können,  als  dass  wir  es  bei  einigen 
im  Staude  sind. 


')  Aus  Himera  in  Sicilien,  lebte  5—600  v.  Chr. 

2)  Aus  Theben  in  Griechenland,  lebte  von  520—442  v.  Chr. 

3)  Er  versäumte  von  Syrakus  abzufahren  und  wurde  von  den  Sy- 
rakusanern  gänzlich  geschlagon.  S.  Plutarch  33.  34.  Thucydides  VII.  50. 

")  Yirgils  Aeneide  I.  746. 


Zweites  Buch.  135 

10. 

Es  ist  ausgemacht,  dass  die  Verfinsterungen  nach  223 
Monaten  wiederkehren,  dass  eine  Sonnenfinsterniss  nur  im 
Neumonde,  was  man  die  Zusammenkunft1)  nennt,  eine 
Mondfinsterniss  aber  nur  bei  Vollmond  und  zwar  immer 
wenn  er  beinahe  voll  ist,  entsteht.  Alljährig  treten  diese 
Verfinsterungen  beider  Gestirne  an  bestimmten  Tagen  und 
Stunden  auf  der  Erde  ein.  Da  sie  aber  über  uns  entstehen, 
so  können  sie  theils  wegen  den  Wolken,  theils,  weil  wegen 
der  Kugelgestalt  der  Erde  das  Gewölbe  des  Himmels  nur 
stellenweise  zu  sehen  ist,  nicht  allenthalben  beobachtet 
werden.  Hipparchus  hat,  von  200jährigen  Erfahrungen 
unterstützt,  auf  eine  scharfsinnige  Weise  dargethan,  dass 
eine  Mondfinsterniss  gewöhnlich  im  5.  Monate,  eine  Sonnen- 
finsterniss im  7.  Monate  nach  der  vorigen  erfolgt;  ferner, 
dass  diese  Verfinsterung  zwei  mal  in  30  Tagen  auf  der  Erde 
entsteht,  aber  bald  hier  bald  dort  gesehen  wird.  Das 
Wunderbarste  dabei  ist,  dass  der  Mond  durch  den  Schatten 
der  Erde  bald  auf  seiner  westlichen  und  bald  auf  seiner 
östlichen  Seite  verdunkelt  wird.  Und  wie  wird  die  einmal 
vorgekommene  Erscheinung,  dass  der  Mond  beim  Untergange 
der  Sonne  sich  verfinsterte,  während  beide  Gestirne  noch 
über  dem  Horizonte  standen,  zu  erklären  sein,  da  doch 
jener  verdunkelnde  Schatten  beim  Aufgange  der  Sonne 
unter  die  Erde  hätte  fallen  müssen?  Denn,  dass  beide 
Gestirne  innerhalb  15  Tagen  am  Himmel  vermisst  wurden, 
hat  sich  in  unserer  Zeit,  als  der  Kaiser  Vespasian  zum 
dritten  und  sein  Sohn  zum  zweiten  Male  Consul  war, 
zugetragen.2) 

11. 

Dass  der  Mond  stets  seine  Spitzen  von  der  Sonne  ab 
und  gegen  Osten  wendet,  wenn  er  zunimmt,  nach  Westen 
aber,   wenn   er  abnimmt,   ist  ausser  Zweifel.    Bis  er  voll 


J)  Mit  der  Sonne. 

2)  Im  Jahre  Roms  825  (71  n.  Chr.),  wo  am  8.  Febr.  eine  Sonnen- 
und  am  22.  Febr.  eine  Mondfinsterniss  statt  fand. 


136  Zweites  Buch. 

wird,  scheint  er  täglich  um  mehr  als  3/4  Stunden1)  länger,, 
wenn  er  abnimmt,  um  so  viel  kürzer.  Innerhalb  14  Graden 
der  Sonne  ist  er  stets  unsichtbar.  Hierin  haben  wir  den 
Beweis,  dass  die  übrigen  Planeten  grösser  sind  als  der 
Mond,  da  jene  auch  bei  7  Graden  sich  zeigen.  Nur  ihre 
Höhe  macht,  dass  sie  kleiner  erscheinen.  Ebenso  verhindert 
der  Sonnenschein,  dass  wir  die  Fixsterne  am  Tage  sehen, 
obgleich  sie  bei  Tag  und  Nacht  leuchten,  was  sich  aus 
den  Beobachtungen  während  der  Sonnenfinsternisse  und  in 
tiefen  Brunnen  ergiebt. 

12. 

Die  drei  Planeten,  welche,  wie  oben  gesagt  wurde, 
über  der  Sonne  stehen,  sind  unsichtbar,  wenn  sie  mit  ihr 
zusammen  kommen.  Sie  erscheinen  aber  früh  Morgens 
wieder,  sobald  sie  nur  um  11  Grade  wieder  entfernt  sind. 
Darauf  werden  sie  von  den  Sonnenstrahlen  bedeckt,  und 
halten  im  Gedrittstein,  nämlich  120  Grade  von  der  Sonne 
entfernt,  ihren  Frühstand,  welchen  man  auch  den  ersten 
nennt;  auf  der  entgegengesetzten  Seite  erfolgt  in  einer 
Entfernung  von  180  Graden  ihr  Abendaufgang.  Nähern  sie 
sich  aber  wieder  auf  120  Grade  von  der  anderen  Seite,, 
so  halten  sie  ihren  Abendstand,  oder  den  zweiten;  bis  die 
Sonne  sie  in  einer  Nähe  von  12  Graden  verdunkelt,  was 
dann  der  Abenduntergang  heisst. 

Der  Mars,  welcher  der  Sonne  näher  ist,  empfindet  auch 
im  Geviertscheine,  d.  i.  in  einem  Abstände  von  90  Graden 
ihre  Strahlen,  daher  hat  seine  Bewegung  den  Namen  „erste 
und  zweite  Neunziger-Bewegung",  von  beiden  Aufgängen 
an  gerechnet,  bekommen.  Wenn  er  seinen  Stillstand  hält, 
verweilt  er  6  Monate  in  den  Zeichen,  ausserdem  nur  2 
Monate,  während  bei  den  übrigen  Planeten  beide  Stillstände 
nicht  volle  4  Monate  dauern. 

Die  beiden  unteren  Planeten2)  werden  in  der  Abend- 
Zusammenkunft  auf  gleiche  Weise  verdunkelt,  und  halten. 


!)  47  »  2  Minuten. 

2)  Venus  und  Merkur. 


Zweites  Buch.  137 

nachdem  sie  die  Sonne  verlassen,  in  gleichen  Graden  ihren 
Frtihaufgang.  Von  den  entferntesten  Punkten  ihres  Ab- 
standes  an  folgen  sie  der  Sonne,  werden,  wenn  sie  sie  er- 
reicht, beim  Frühuntergange  verdeckt  und  gehen  vorbei. 
Bald  darauf  gehen  sie  in  derselben  Entfernung  bis  zu  den 
von  uns  angegebenen  Grenzen  am  Abend  auf,  kehren  von 
diesen  zur  Sonne  zurück  und  verschwinden  beim  Abend- 
untergange. Die  Venus  hält  auch  von  beiden  Aufgängen 
an  2  Stillstände,  einen  früh  Morgens,  den  andern  Abends, 
und  zwar  in  den  entferntesten  Grenzen  ihres  Abstandes; 
die  Stillstände  des  Merkur  sind  von  zu  kurzer  Dauer,  als 
dass  sie  wahrgenommen  werden  können. 

13. 

So  verhält  es  sich  mit  dem  Leuchten  und  den  Verfinster- 
ungen der  Planeten,  Erscheinungen,  welche  wegen  der  Art 
der  Bewegung  sehr  verwickelt  und  von  vielen  Wundern 
begleitet  sind,  denn  sie  verändern  ihre  Grösse  und  Farbe, 
gehen  nach  Norden  und  entfernen  sich  nach  Süden,  bald 
sieht  man  sie  der  Erde,  bald  dem  Himmel  näher.  Wenn 
wir  bei  diesen  Gegenständen  vieles  anders,  als  unsere  Vor- 
fahren erklären,  so  räumen  wir  doch  auch  jenen,  welche 
zuerst  den  Weg  zu  weiterer  Forschung  gezeigt  haben,  ein 
Verdienst  ein.  Möge  daher  Niemand  zweifeln,  dass  mit 
den  Zeiten  die  Kenntnisse  zunehmen.  —  Alle  diese  Er- 
scheinungen beruhen  auf  mehreren  Ursachen. 

Die  erste  Ursache  liegt  in  den,  von  den  Griechen 
Apsiden  x)  genannten  Punkten  der  Planeten-Bahnen,  (denn 
wir  werden  uns  hier  der  griechischen  Worte  bedienen 
müssen).  Eine  jede  Planetenbahn  hat  aber  ihre  eigenen 
Apsiden,  die  von  denen  der  Welt  verschieden  sind;  denn 
die  Erde  ist  von  den  beiden  Scheitelpunkten  aus,  welche 
man  Pole  nennt,  der  Mittelpunkt  des  Himmels  und  des 
Thierkreises,  der  schief  dazwischen  liegt.    Alles  dieses  er- 


*)  Apsiden  heissen  die  beiden  Endpunkte  der  grössten  Axe  in 
der  Ellipse,  wo  der  eine  von  der  Sonne  am  weitesten  entfernt,  der 
andere  ihr  am  nächsten  ist. 


138  Zweites  Buch. 

hellt  aus  der  stets  unzweifelhaften  Beschaffenheit  des  Zir- 
kels. Daher  entstehen  zwei  Apsiden  von  jedem  der  beiden 
Brennpunkte  der  Planetenbahn;  aus  dieser  Ursache  haben 
sie  auch  verschiedene  Kreise  und  ungleiche  Bewegungen, 
weil  die  innern  Apsiden  nothwendig  kürzer  sein  müssen. 
Von  dem  Mittelpunkte  der  Erde  liegt  die  entfernteste  Ap- 
side des  Saturn  im  Skorpion,  des  Jupiter  in  der  Jungfrau, 
des  Mars  im  Löwen,  der  Sonne  in  den  Zwillingen,  der  Ve- 
nus im  Schützen,  des  Merkur  im  Steinbock,  und  zwar  alle 
mitten  in  diesen  Zeichen.  Auf  der  entgegengesetzten  Seite 
liegen  die  tiefsten  und  dem  Mittelpunkte  der  Erde  näch- 
sten Apsiden.1)  So  geschieht  es,  dass  die  Planeten  sich 
langsamer  zu  bewegen  scheinen,  wenn  sie  die  entfernteste 
Bahn  durchlaufen;  nicht,  weil  sie  etwa  ihre  natürliche  Be- 
wegung, welche  für  sie  bestimmt  und  jedem  eigentümlich 
ist,  beschleunigten  oder  verzögerten,  sondern,  weil  die  von 
den  höchsten  Apsiden  aus  gezogenen  Linien  sich  nothwendig 
zusammendrängen  müssen,  wie  die  Speichen  an  den  Rädern. 
Ein  und  dieselbe  Bewegung  erscheint  also  je  nach  der  Nähe 
des  Mittelpunkts  bald  grösser  bald  geringer. 

Eine  zweite  Ursache  der  Höhe  der  Planeten  ist,  dass 
sie  ihre  von  ihrem  eigenen  Brennpunkte  entferntesten 
Apsiden  in  andern  Zeichen  haben,  nämlich  Saturn  im  20. 
Grade  der  Wage,  Jupiter  im  15.  des  Krebses,  Mars  im 
28.  des  Steinbocks,  die  Sonne  im  20.  des  Widders,  Venus 
im  17.  der  Fische,  Merkur  im  15.  der  Jungfrau,  der  Mond 
im  4.  des  Stiers. 

Ein  dritter  Grund  ihrer  Höhe  ergiebt  sich  aus  der 
Grösse  des  Himmels,  nicht  der  Kreisbahn,  indem  sie  unsern 
Augen  in  dem  unermesslichen  Räume  der  Luft  auf-  und 
abzusteigen  scheinen. 

Mit  diesem  Grunde  hängt  die  der  Breite  und  schiefen 
Lage  des  Thierkreises  zusammen.    Durch  ihn  wandern  die 


l)  Also  die  des  Saturn  irn  Stier,  des  Jupiter  in  den  Fischen,  des 
Mars  im  Wassermann,  der  Sonne  im  Schützen,  der  Venus  in  den 
Zwillingen,  des  Merkur  im  Krebs. 


Zweites  Buch.  139 

genannten  Planeten.  Auch  wird  kein  anderer  Theil  der 
Erde  als  der  unter  ihm  liegende  bewohnt;  die  übrigen 
Theile  nach  den  Polen  hin  sind  wüste.  Nur  die  Venus 
überschreitet  ihn  um  zwei  Grade,  und  diess  mag  die  Ursache 
sein,  dass  einige  Thiere  selbst  in  öden  Gegenden  vorkommen. 
Auch  der  Mond  geht  durch  seine  ganze  Breite,  überschreitet 
dieselbe  aber  nirgends.  Demnächst  geht  der  Merkur  am 
weitesten,  doch  so,  dass  er  von  den  zwölf  Graden,  welche 
die  Breite  des  Thierkreises  ausmachen,  nur  8  durchläuft, 
aber  auch  diese  nicht  gleichmässig,  sondern  2  mittlere, 
4  obere  und  2  untere.  Die  Sonne  bewegt  sich  in  der  Mitte 
innerhalb  2  Graden  mit  gebogenem  schlangenähnlichem 
Laufe;  Mars  in  den  4  mittelsten;  Jupiter  in  dem  mittelsten 
und  den  2  darüber  befindlichen;  Saturn  in  den  beiden  mit- 
telsten, wie  die  Sonne.  So  Verhaltes  sich  mit  den  Breiten 
der  nach  Süden  herablaufenden,  oder  nach  Norden  aufstei- 
genden Planeten.  Viele  sind  der  irrigen  Meinung,  dass 
hierauf  auch  die  dritte  Ursache  der  Höhe  der  von  der  Erde 
zum  Himmel  aufsteigenden  Planeten  beruhe,  und  dass  auf 
gleiche  Weise  auch  die  Erde  emporsteige;  um  diese  zu 
widerlegen,  müssen  wir  den  höchsten  und  alle  Gründe 
umfassenden  Scharfsinn  anwenden. 

Es  ist  die  übereinstimmende  Meinung,  dass  die  Plaueten 
beim  Abenduntergange,  sowohl  der  Breite  als  Höhe  nach, 
der  Erde  am  nächsten  stehen;  dass  ihr  Morgenaufgang  beim 
Anfange  einer  jeden  Breite  und  Höhe,  und  ihre  Stillstände 
in  der  Mitte  ihrer  Breiten,  welche  Ekliptik  genannt  wird, 
stattfinden.  Ferner  hat  man  zugestanden,  dass  die  Bewe- 
gung zunimmt,  so  lange  sie  der  Erde  nahe  sind,  und  ab- 
nimmt, wenn  sie  sich  von  ihr  entfernen,  was  sich  am  meisten 
aus  den  Entfernungen  des  Mondes  erweist.  Auch  waltet 
kein  Zweifel  mehr  ob,  dass  ihre  Bewegung  schneller  bei 
den  Morgenaufgängen,  und  dass  die  der  obersten  Planeten 
vom  ersten  Stillstande  bis  zum  zweiten  geringer  ist.  Unter 
solchen  Umständen  ist  ihr  Steigen  in  die  Breite  vom  Mor- 
genaufgange an  offenbar,  weil  sie  in  dieser  Stellung  zuerst 
eine  langsam  zunehmende  Bewegung  anfangen;  sie  werden 


140  Zweites  Buch. 

aber  in  den  ersten  Stillständen  in  die  Höhe  gehen,  weil 
dann  zuerst  die  Zahl  abzunehmen  beginnt  und  die  Sterne 
zurückgehen.  Den  Grund  hiervon  muss  ich  noch  besonders 
angeben.  Getroffen  in  dem  bereits  erwähnten1)  Grade, 
werden  sie  durch  den  Gedrittschein  der  Sonne  an  ihrem 
geraden  Laufe  verhindert,  und  durch  die  feurige  Kraft  in 
die  Höhe  gezogen.  Dies  können  wir  mit  unsern  Augen 
nicht  geradezu  wahrnehmen,  sie  scheinen  also  still  zu  ste- 
hen, und  daher  kam  der  Name:  Stillstand.  Dann  geht  die 
Macht  jener  Strahlen  noch  weiter,  und  die  zurückprallende 
Hitze  nöthigt  sie  zurückzugehen.  Noch  weit  mehr  ist 
solches  der  Fall  bei  ihrem  Abenduntergange,  wenn  die 
Sonne  sich  hinter  ihnen  befindet,  denn  sie  werden  zu  ihren 
höchsten  Apsiden  getrieben  und  am  wenigsten  gesehen, 
weil  sie  am  höchsten  stehen  und  die  geringste  Bewegung 
haben,  die  um  so  geringer  sein  muss,  wenn  sie  in  den  höch- 
sten Zeichen  der  Apsiden  erfolgt.  Vom  Abendaufgange 
an  geschieht  die  Bewegung  in  die  Breite  herunter,  jetzt 
aber  in  weniger  abnehmender  Weise,  nimmt  jedoch  nicht 
vor  dem  zweiten  Stillstande  wieder  zu,  da  auch  die  Höhe 
sich  vermindert,  indem  der  Strahl  von  der  andern  Seite 
hinzukommt  und  sie  mit  derselben  Kraft  zur  Erde  hinab- 
drückt, welche  sie  beim  ersten  Gedrittschein  gegen  den 
Himmel  hintrieb.  So  gross  ist  der  Unterschied,  wenn  die 
Strahlen  von  unten  oder  von  oben  kommen.  Weit  öfter 
ereignet  sich  diess  beim  Abenduntergange.  So  verhält  es 
sich  mit  den  obern  Gestirnen;  schwieriger  ist  die  Beschaf- 
fenheit der  übrigen  zu  ergründen,  und  noch  Niemand  hat 
vor  mir  davon  gehandelt. 

14. 
Zuerst  will  ich  erklären,  warum  die  Venus  nie  weiter 
als  46  und  Merkur  nie  weiter  als  20  Grade  von  der  Sonne 
entfernt  sind,  oft  aber  noch  unter  diesen  Graden  nach  der 
Sonne  zurückkehren.  Beide  haben,  da  sie  unterhalb  der 
Sonne   liegen,    entgegengesetzte    Apsiden,    und   von   ihren 

')  120sten. 


Zweites  Buch.  141 

Bahnen  liegt  so  viel  unterhalb  der  Erde,  als  hei  den  vor- 
erwähnten Planeten  oberhalb  derselben.  Sie  können  also 
nicht  weiter  entfernt  sein,  weil  der  Bogen  der  daselbst  be- 
findlichen Apsiden  keine  grössere  Ausdehnung  hat.  Daher 
bestimmt  bei  beiden  auf  ähnliche  Weise  die  Peripherie 
ihrer  Apsiden  die  Grösse  der  Bahn,  und  was  ihnen  an  Länge 
abgeht,  wird  durch  die  Ausdehnung  in  die  Breite  ersetzt. 
Aber  warum  gelangen  sie  nicht  stets  zum  46.  und  23.  Gra- 
de? Sie  thun  es  allerdings,  nur  die  gewöhnliche  Berech- 
nung betrügt  uns;  denn  es  erhellet,  dass  sich  ihre  Apsiden 
auch  bewegen,  weil  sie  niemals  über  die  Sonne  kommen. 
Wenn  daher  die  Grenzen  der  Apsiden  auf  der  einen  oder 
andern  Seite  theilweise  in  die  Sonne  fallen,  so  werden 
auch  die  Planeten  ihren  grössten  Abstand  erreicht  haben; 
wenn  die  Grenzen  und  eben  so  viele  Grade  diesseits,  so 
glaubt  man,  dass  sie  schneller  zurückkehren,  da  jener  Punkt 
für  beide  immer  der  höchste  ist.  Hieraus  ergiebt  sich  nun 
ihre  entgegengesetzte  Bewegung;  denn  die  obern  Planeten 
gehen  beim  Abenduntergange  am  schnellsten,  diese  am  lang- 
samsten; jene  sind  von  der  Erde  am  weitesten  entfernt, 
wenn  sie  sich  am  langsamsten  bewegen,  diese,  bei  ihrer 
schnellsten  Bewegung. 

Sowie  bei  jenen  die  Nähe  des  Centrums  (Brennpunktes) 
den  Lauf  beschleunigt,  so  thut  es  hier  die  Entfernung 
ihrer  Bahn.  Jene  fangen  vom  Morgen  auf  gange  an  lang- 
samer, diese  schneller  zu  gehen,  jene  halten  ihren  Rücklauf 
von  ihrem  Morgenstillstande  an  bis  zu  ihrem  Abendstill- 
stande; die  Venus  aber  vom  Abendstillstande  bis  zum  Mor- 
genstillstande. Sie  fängt  von  ihrem  Morgenaufgange  an  in 
der  Breite  zu  steigen,  steigt  aber  in  die  Höhe  und  folgt 
der  Sonne  vom  Morgenstillstande  an,  und  am  schnellsten 
und  höchsten  läuft  sie  beim  Morgenuntergange.  Dann  geht 
sie  in  der  Breite  herab  und  vermindert  ihre  Bewegung 
vom  Abendaufgange  an,  kehrt  aber  wieder  zurück  und 
geht  nieder  vom  Abendstillstande  au. 

Merkur   steigt  auf  beiderlei  Weise1)  vom  Morgenauf- 


')  In  Höhe  und  Breite. 


142  Zweites  Buch. 

gange  aD,  nimmt  aber  in  der  Breite  vom  Abendaufgange 
an  ab;  nachdem  er  sich  der  Sonne  bis  auf  15  Grad  genä- 
hert, bleibt  er  fast  4  Tage  lang  unbeweglich  stehen;1)  dann 
steigt  er  von  der  Höhe  herab  und  geht  rückwärts  vom 
Abenduntergange  an  bis  zum  Morgenaufgange.  Nur  er  und 
der  Mond  steigen  in  eben  so  vielen  Tagen  aufwärts,  wie 
abwärts.  Venus  bedarf  15  Tage  mehr  zum  Aufsteigen; 
Saturn  und  Jupiter  haben  doppelt,  und  Mars  viermal  so 
viel  Zeit  nöthig.  So  viel  Mannigfaltigkeit  liegt  in  der  Na- 
tur. Aber  der  Grund  davon  ist  klar;  denn  die  Sterne, 
welche  zur  Glüht  der  Sonne  hinstreben,  entfernen  sich  un- 
gern wieder  von  ihr. 

15. 
Es  können  bei  dieser  Gelegenheit  noch  manche  Ge- 
heimnisse der  Natur,  und  Gesetze,  denen  sie  selbst  unter- 
worfen ist,  angeführt  werden;  z.  JB.,  dass  der  Mars,  dessen 
Lauf  am  schwierigsten  zu  beobachten  ist,  wenn  der  Jupiter 
im  Gedrittschein  steht,  niemals  einen  Stillstand  macht,  und 
nur  sehr  selten,  wenn  er  60  Grade  von  ihm  entfernt  ist; 
diese  Zahl  theilt  den  Weltkreis  in  ein  Sechseck.  Auch 
geht  er  nur  in  zwei  Zeichen,  dem  Krebse  und  dem  Löwen, 
mit  ihm  zugleich  auf.  Merkur  aber  hält  seinen  Abendauf- 
gang selten  in  den  Fischen,  am  häufigsten  in  der  Jungfrau, 
seinen  Morgenaufgang  aber  in  der  Wage  und  im  Wasser- 
mann, sehr  selten  im  Löwen.  Sein  Rückgang  geschieht 
nie  im  Stiere  und  in  den  Zwillingen,  im  Krebse  aber  nicht 
unter  dem  25.  Grade.  Der  Mond  kommt  in  keinem  andern 
Zeichen  als  den  Zwillingen  zweimal  mit  der  Sonne  zusam- 
men, und  nur  im  Schützen  zuweilen  gar  nicht.  Man  sieht 
ihn  an  dem  ersten  Tage  oder  in  der  ersten  Nacht,  wo  er 
neu  wird,  nur  im  Widder,  und  auch  diess  haben  nur  wenige 
wahrgenommen.     Daher  wurde  auch  Lynceus2)  wegen  sei- 


»)  Nach  neueren  Erfahrungen  dauert  dieser  scheinbare  Stillstand 
etwa  zwei  Tage. 

2)  Sohn  des  Aphareus  und  der  Arene,  der  so  scharf  sah,  dass 
sein  Blick  nach  Pindar  (Nem.  X.  114)  Eichen,  und  nach  Orpheus  (Ar- 
gonaut.  179)    sogar  Himmel,    Erde    und   Unterwelt    durchdrang.     Er 


Zweites  Buch.  143 

ner  Sehkraft  berühmt.  Saturn  und  Mars  sind  meistens  170 
Tage  lang  nicht  sichtbar  am  Himmel;  Jupiter  36,  oder 
mindestens  26;  Venus  69,  oder  mindestens  52,  Merkur  13s 
oder  höchstens  18  Tage. 

16. 
Die  Farbe  der  Planeten  ist  nach  ihrer  Höhe  verschie- 
den; denn  sie  werden  denjenigen  Sternen  ähnlich,  in  deren 
Dunstkreis  sie  beim  Aufsteigen  kommen,  und  die  Kreisbahn 
eines  anderen,  der  sie  sich  von  einer  oder  der  andern  Seite 
nähern,  färbt  sie.  Ein  kalter  Stern  macht  sie  blass,  ein 
heisser  roth,  ein  windiger  giebt  ihnen  ein  furchtbares  An- 
sehn; die  Sonne^aber,  die  Vereinigungspunkte  der  Apsiden 
und  ihre  weiteste  Bahn  machen  sie  dunkelschwarz.  Jeder 
hat  seine  eigenthüraliche  Farbe;  so  ist  der  Saturn  weiss, 
Jupiter  hell,  Mars  feurig,  Lucifer  glänzend  hell,  Vesperus 
leuchtend,  Merkur  strahlend,  der  Mond  milde,  die  Sonne 
beim  Aufgange  brennend,  nachher  aber  strahlend.  Mit  die- 
sen Ursachen  muss  man  auch  die  Erscheinungen  der  übrigen 
am  Himmel  befindlichen  Sterne  verbinden;  denn  bald  sind 
viele  Sterne  um  die  halbe  Mondscheibe  versammelt  und 
erleuchten  sie  massig  in  heiterer  Nacht,  bald  nur  sehr 
wenige,  so  dass  wir  voll  Verwunderung  glauben  sollten,  sie 
wären  entflohen,  während  sie  doch  der  Vollmond  nur  ver- 
birgt, oder  die  Strahlen  der  Sonne  oder  der  eben  genann- 
ten Gestirne  unsere  Augen  blenden.  Ohne  Zweifel  haben 
die  Sonnenstrahlen  selbst  durch  ihren  verschiedenen  Einfall 
Theil  an  dem  ungleichen  Lichte  des  Mondes,  indem  die 
Convexität  der  Welt  ihre  Beugung  schwächt,  ausgenommen, 
wenn  sie  im  rechten  Winkel  auf  ihn  fallen.  Daher  ist  er 
beim  Geviertscheine  der  Sonne  hell,  beim  Gedrittscheine 
beinahe  voll,  im  Gegenscheine  aber  ganz  voll,  und  wieder- 
um beim  Abnehmen  zeigt  er  dieselben  Erscheinungen  in 
gleichen  Zwischenräumen  auf  ähnliche  Weise,  wie  die  drei 
Gestirne  oberhalb  der  Sonne. 


nahm  Theil  an  der  kalydonischen  Jagd  und  am  Argonautenzuge. 
Endlich  wurde  er  nebst  seinem  Bruder  vom  Pollux  und  Jupiter  er- 
schlagen. 


144  Zweites  Buch. 

17. 
Die  Sonne  selbst  aber  bietet  4  Verschiedenheiten  dar: 
zwei  in  der  Tag-  und  Nachtgleiche,  im  Frühling  und 
und  Herbste,  wenn  sie  senkrecht  über  der  Erde  im  8.  Grade 
des  Widders  und  der  Wage  steht ;  zwei  in  sehr  verschie- 
denen Tageslängen,  nämlich  im  Winter,  wenn  die  Tage 
zunehmen,  im  8.  Grade  des  Steinbocks,  und  im  Sommer, 
wenn  sie  abnehmen,  im  8.  Grade  des  Krebses.  Die  Ur- 
sache dieser  Ungleichheiten  ist  die  schiefe  Lage  des  Thier- 
kreises,  da  die  eine  Hälfte  der  Welt  stets  unter  der  Erde, 
und  die  andere  Hälfte  über  derselben  sich  befindet.  Die- 
jenigen Zeichen,  welche  bei  ihrem  Aufgange  sich  senkrecht 
erheben,1)  leuchten  länger,  aber  die  schief  aufsteigenden 
ziehen  schneller  vorüber. 

18. 
Die  meisten  Menschen  wissen  noch  nicht,  was  die  ge- 
lehrtesten Männer  durch  ihre  grossen  Bemühungen  und  die 
Himmels-Erscheinungen  entdeckt  haben,  dass  nämlich  das- 
jenige, was  wir  Blitz  nennen,  Feuer  ist,  welches  vou  den 
3  obern  Planeten  und  vorzugsweise  dem  mittleren  (Jupiter) 
auf  die  Erde  herabfällt;  vielleicht,  weil  er  den  zu  grossen 
Andrang  von  Eeuchtigkeit  aus  der  obern,  und  von  Hitze 
aus  der  untern  Kreisbahn,  auf  diese  Weise  fortschafft. 
Daher  ist  das  Sprichwort  entstanden,  dass  Jupiter  Blitze 
schleudere.  So  wie  sich  aber  von  brennendem  Holze  eine 
Kohle  mit  Geräusch  ablöst,  ebenso  von  dem  Gestirne  das 
himmlische  Feuer,  und  dieses  ist  dann  bedeutungsvoll,  da- 
mit auch  nicht  einmal  der  abgelöste  Theil  in  seinem  gött- 
lichen Wirken  aufhöre.  Meistentheils  ereignet  sich  der- 
gleichen bei  trüber  Luft,  weil  die  gesammelte  Feuchtigkeit 
jenen  Ueberfluss  zur  Entladung  reizt,  oder  weil  die  Luft 
durch  die  Geburt  des  gleichsam  schwangeren  Gestirnes 
getrübt  wird. 

19. 
Auch  den  Abstand  der  Planeten  von  der  Erde  haben 


')  Krebe,  Löwe,  Jungfrau,  Wage,  Scorpion  und  Schütze. 


Zweites  Buch.  145 

Viele  zu  ergründen  gesucht  und  gesagt,  die  Sonne  sei  von 
dem  Monde  19  mal  so  weit  entfernt,  als  der  Mond  von  der 
Erde.  Pythagoras  aber,  ein  sehr  scharfsinniger  Mann, 
gibt  die  Entfernung  der  Erde  vom  Monde  zu  126,000  Sta- 
dien, des  Mondes  von  der  Sonne  zum  Doppelten  und  der 
Sonne  von  den  12  Zeichen  zum  Dreifachen  an.  Dieser 
Meinung  ist  auch  unser  Gallus  Sulpicius  l)  zugethan. 

20. 

Aber  Pythagoras  bestimmte  diese  Weiten  zuweilen 
auch  nach  musikalischen  Gesetzen,  und  nannte  die  Entfer- 
nung von  der  Erde  zum  Monde  einen  Ton,  vom  Monde  bis 
zum  Mars  einen  halben,  vom  Mars  bis  zur  Venus  beinahe 
einen  halben,  von  der  Venus  zur  Sonne  anderthalb,  von 
der  Sonne  zum  Mars,  gleich  wie  von  der  Erde  zum  Monde, 
einen,  vom  Mars  zum  Jupiter  einen  halben,  vom  Jupiter 
zum  Saturn  einen  halben  und  vom  Saturn  zum  Thierkreise 
anderthalb.  So  entstehen  7  Töne,  welche  man  die  voll- 
ständige Harmonie,  d.  h.  den  Inbegriff  aller  Tonverhältnisse 
nennt.  Saturn  soll  sich  nun  in  der  dorischen,  Jupiter  in 
der  phrygischen  Tonart  bewegen,  und  von  den  übrigen 
Planeten  handelt  er  in  ähnlichem  Sinne  mit  mehr  unterhal- 
tender als  praktischer  Genauigkeit. 

21. 

Ein  Stadium  beträgt  125  Schritte,  oder  625  Fuss.  Po- 
sidonius2)  sagt,  die  Höhe,  in  welcher  Nebel,  Wind  und 
Wolken  sich  befinden,  sei  von  der  Erde  weniger  als  40  Sta- 
dien entfernt;  von  da  an  sei  die  Luft  rein,  klar  und  von 
ungetrübter  Helle.  Von  der  Region  der  Wolken  soll  der 
Mond  2,000,000,  und  von  da  die  Sonne  5,000,000  Stadien 
weit  sein.  Dieser  ungeheuere  Zwischenraum  sei  die  Ur- 
sache, dass  die  Erde  nicht  verbrenne.  Viele  Wolken  sollen 
jedoch  bis  zu  900  Stadien  hinaufsteigen.  Diese  Behauptun- 
gen sind  zwar  ungewiss  und  unerweisbar,   allein  ich  muss 

')  Ueber  denselben  s.  d.  9.  Kapitel. 

2)  Von  Apamea  in  Syrien,  geb.  135  v.  Chr.,  machte  grosse  Rei- 
sen, kam  100  nach  Gallien,  86  nach  Rom,  wo  er  Cicero's  und  Pom- 
pejus'  Freund  war,  und  lebte  nachher  zu  Rhodus;  starb  51  v.  Chr. 

10 


146  Zweites  Buch. 

sie  so  vortragen,  wie  man  sie  uns  überliefert  hat.  Dennoch 
ist  hiebei  eine  auf  untrüglichen  Grundsätzen  der  Geometrie 
ruhende  Berechnung  nicht  zu  verwerfen,  wenn  man  jene 
Dinge  weiter  verfolgen  will.  Nur  sollte  man  damit  niemals 
das  Maass  ergründen  wollen,  (denn  das  wäre  ein  unsinniger 
Zeitvertreib),  sondern  dem  forschenden  Geiste  nur  eine 
ohngefähre  Schätzung  darbieten. 

Da  nämlich  die  Sonnenbahn  aus  fast  366  Theilen  von 
dem  Umfange  der  Sonuenscheibe  besteht,  und  der  Durch- 
messer stets  den  dritten  Theil,  weniger  beinahe  einem  Sie- 
bentel eines  Drittels,  vom  Umfange1)  ausmacht;  so  erhellt, 
dass,  wenn  man  die  Hälfte  davon  nimmt  (weil  die  Erde 
mitten  in  der  Bahn  liegt),  beinahe  der  sechste  Theil  dieses 
unermesslichen  Baumes,  den  man  sich  als  die  Bahn  der 
Sonne  um  die  Erde  denkt,  der  Entfernung  der  Sonne  von 
der  Erde  gleich  sei;  die  Entfernung  des  Mondes  aber  den 
zwölften  Theil  betrage,  weil  er  in  so  viel  kürzerer  Zeit  als 
die  Sonne  seinen  Umlauf  hält.  Der  Mond  schwebt  daher 
mitten  zwischen  der  Sonne  und  der  Erde. 

Man  muss  sich  wundern,  wie  weit  die  Verwegenheit 
des  menschlichen  Geistes  geht;  durch  einen  kleinen  Erfolg, 
wie  wir  ihn  oben  mitgetheilt  haben,  angereizt,  übersteigt 
seine  Unverschämtheit  alle  Grenzen.  Die  da  wagten,  die 
Entfernung  der  Sonne  von  der  Erde  zu  errathen,  wollten 
diess  auch  auf  den  Himmel  anwenden,  weil  die  Sonne  sich 
in  der  Mitte  befinde;  ja  es  scheint  fast,  dass  man  die  Grösse 
der  Welt  nach  Zollen  berechnen  will.  Als  wenn  man  das 
Maass  des  Himmels  durch  das  Bleiloth  bestimmen  könnte, 
weil  der  Durchmesser  eines  Kreises  7,  und  der  Umfang  22 
solche  Theile  hat!  Nach  einer  ägyptischen  Berechnung 
von  Petosiris  und  Nechepsus  2)  beträgt  ein  einzelner  Grad 
in  der  Mondbahn  (die,  wie  wir  gesagt  haben,  die  klein- 
ste ist)    etwas   mehr   als    33   Stadien;  in  der  des  Saturn, 


')  Der  Durchmesser  des  Kreises  verhält  sich  zur  Peripherie  wie 
7  :  22,  oder  wie  1  :  3,  14. 

2)  Sie  lebten  im  6.  Jahrhundert  v.  Chr.;  der  letztere  war  König 
in  Aegypten. 


Zweites  Buch.  147 

welche  am  grössten  ist,  doppelt  soviel;  in  derjenigen  der 
Sonne,  welche  wir  als  die  mittelste  bezeichnet  haben,  die 
Hälfte  von  der  Summe  beider  Grössen.  Dieses  Rai- 
sonnement  ist  noch  das  bescheidenste,  weil,  wenn  man  zur 
Bahn  des  Saturn  die  Entfernung  des  Thierkreises  fügt, 
eine  unzählige  Vervielfältigung  entsteht. 

22. 

Von  der  Welt  bleibt  jetzt  nur  noch  etwas  Weniges 
zu  sagen  übrig.  Am  Himmel  entstehen  nämlich  plötzlich 
Sterne  und  zwar  verschiedener  Art.  Die  Griechen  nennen 
sie  Kometen,  wir  Haarsterne  *),  denn  sie  haben  einen 
furchtbar  blutrothen  Schweif,  und  auf  dem  Scheitel  gleich- 
sam rauhe  Haare.  Auch  nennen  die  Griechen  dieselben 
Bartsterne2),,  weil  unten  an  ihnen  eine,  einem  langen  Barte 
ähnliche  Mähne  herabhängt.  Pfeilsterne3)  heissen  sie,  weil 
sie  gleich  einem  Geschosse  dahineilen,  und  ihre  Vorbe- 
deutungen sehr  schnell  eintreffen.  Ein  solcher  war  der, 
welchen  der  Kaiser  Titas  während  seines  5.  Consulats4) 
in  einem  herrlichen  Gedichte  beschrieb,  und  der  bis  auf 
diesen  Tag  der  letzterschienene  ist.  Sind  sie  kürzer  und 
endigen  sie  in  eine  Spitze,  so  heissen  sie  Schwertsterne.5) 
Diese  sind  unter  allen  Sternen  die  blassesten,  glänzen  wie 
ein  Schwert  und  werfen  keine  Strahlen.  Die  Scheiben- 
sterne 6),  welche,  wie  der  Name  schon  sagt,  scheibenförmig 
sind,  haben  eine  hellgelbe  Farbe,  und  werfen  nur  wenige 
Strahlen.  Der  Fassstern7)  hat  die  Gestalt  eines  Fasses 
und  in  der  Höhlung  ein  rauchiges  Licht.  Der  Homstern8) 
gleicht  einem  Hörne;  ein  solcher  stand  am  Himmel,  als 
die  Griechen  bei  Salamis  den  Sieg  erfochten. 

Der  Fackelstein9)  sieht  brennenden  Fackeln  ähnlich; 
der  Rossstern  10)  Pferdemähnen,  die  sich  in  schnellster  Be- 
wegung im  Kreise  um  ihn  drehen.  Es  giebt  auch  einen 
weissen  Komet,  mit  silberfarbigem  Schweife,  und  so  glän- 


')  Crinita?.  2)  Pogonia?.  3)  Acontiae.  '')  Im  Jahre  76  n.  Chr. 
5)  Xiphise.  6)  Disceus.  7)  Pitheus.  8)  Ceratias.  9)  Lampadias. 
10)  Hippeus. 

10* 


148  Zweites  Buch. 

zend,  dass  man  ihn  kaum  ansehen  kann;  dabei  zeigt  sich 
in  ihm  ein  Bild  der  Gottheit  in  menschlicher  Gestalt.  An- 
dere sind  rauh  wie  Wolle  und  mit  einer  Wolke  umgeben. 
Einmal  nur  verwandelte  sich  eine  Mähne  in  einen  Spiess, 
in  der  109.  Olympiade,  dem  398.  Jahre  der  Stadt.1)  Der 
kürzeste  Zeitraum  ihrer  Sichtbarkeit  wird  zu  7,  der  längste 
zu  80  Tagen  angegeben. 

23. 

Einige  Kometen  bewegen  sich  nach  Art  der  Planeten, 
andere  sind  unbeweglich.  Gewiss  ist,  dass  sie  alle  im  Nor- 
den erscheinen,  zwar  nicht  immer  in  einer  bestimmten 
Region,  meist  aber  doch  in  dem  weissen  Streife,  welcher 
den  Namen  Milchstrasse  erhalten  hat.  Aristoteles2)  er- 
zählt, es  würden  wohl  auch  mehrere  zugleich  gesehen; 
diess  hat  jedoch,  soviel  ich  weiss,  Niemand  weiter  bemerkt. 
Sie  zeigen  starke  Winde  und  Hitze  an.  Auch  in  den  Win- 
termonaten, sowie  am  Südpole  sind  sie  sichtbar,  dann  aber 
ohne  Mähne.  Ein  fürchterlicher  Komet  zeigte  sich  den 
Bewohnern  Aethiopiens  und  Aegyptens,  der  von  dem  da- 
maligen Könige  Typhon  genannt  wurde;  er  hatte  einen 
feurigen  Schein,  war  wie  eine  Spirale  gewunden,  von  gräss- 
lichem  Ansehn,  und  eher  ein  feuriger  Klumpen  als  ein 
Stern.  Zuweilen  sieht  man  auch  an  den  Planeten  und 
übrigen  Sternen  Haare.  Niemals  zeigt  sich  ein  Komet  am 
westlichen  Theile  des  Himmels. 

Meistentheils  ist  der  Komet  ein  schreckenerregendes 
und  nicht  leicht  zu  versöhnendes  Gestirn,  wie  der  Bürger- 
aufstand unter  dem  Consul  Octavius 3)  und  der  Krieg 
zwischen  Pompejus  und  Caesar 4)  beweisen.  Auch  in 
unserer  Zeit  sah  man,  als  der  Kaiser  Claudius  vergiftet 
wurde5),    ferner   unter   der   Regierung   seines   Nachfolgers 


»)  Dieses  Jahr  fällt  aber  in  die  106.  Olympiade. 

2)  Der  berühmteste  Schüler    des  Plato,  geb.    384  zu  Stagira  in 
Macedonie»,  starb  322  zu  Chalkis. 

3)  76  v.  Chr. 
A)  49  v.  Chr. 

5)  Seine  Gemahlin  Agrippina  vergiftete  ihn  54  n.  Chr.  Er  hiess  mit 


Zweites  Buch.  149 

Domitius  Nero *)  lange  Zeit  einen  schrecklichen  Kometen. 
Man  glaubt,  ihr  Einfluss  hänge  davon  ab,  nach  welcher 
Gegend  sie  hineilen,  welches  Sternes  Kräfte  sie  annehmen, 
welchen  Dingen  sie  ähnlich  sehen  und  an  welchen  Orten 
sie  sich  zeigen.  Haben  sie  die  Gestalt  von  Flöten,  so  sol- 
len sie  auf  Tonkunst  deuten;  auf  unzüchtige  Sitten  aber, 
wenn  sie  in  den  Schaamtheilen  der  Thierbilder  stehen;  auf 
Verstand  und  Gelehrsamkeit,  wenn  sie  eine  3-  oder  4sei- 
tige  gleichwinklige  Figur  mit  den  naheliegenden  Fixsternen 
bilden;  auf  Giftmischerei,  wenn  sie  im  Kopfe  der  nördlichen 
oder  südlichen  Schlange  stehen. 

Nur  an  einem  einzigen  Orte  auf  der  Erde,  nämlich  zu 
Rom,  wird  ein  Komet  in  einem  Tempel  verehrt,  weil  ihn 
der  göttliche  Augustus  als  ein  sehr  günstiges  Zeichen  für 
sich  ansah.  Dieser  erschien  nämlich  zu  Anfang  seiner 
Regierung,  während  der  Spiele,  die  er  zu  Ehren  der  Venus 
Genetrix2),  kurz  nach  dem  Tode  seines  Vaters  Caesar, 
in  dem  von  letzterem  gestifteten  Collegium 3)  hielt.  Mit 
folgenden  Worten  bezeugte  er  seine  Freude  darüber:  „In 
den  Tagen  meiner  Spiele  wurde  ein  Haarstern  7  Tage  lang 
am  nördlichen  Theile  des  Himmels  gesehen.  Er  entstand 
um  die  elfte  Tagesstunde,  war  klar  und  in  allen  Ländern 
sichtbar.  Das  Volk  glaubte,  er  bedeute  die  Aufnahme  der 
Seele  Caesars  unter  die  unsterblichen  Götter,  und  aus  dieser 
Veranlassung  habe  ich  jenes  Zeichen  an  dem  Kopfe  des 
Standbildes,  welches  ich  bald  nachher  auf  dem  Forum  ein- 
weihete,  angebracht."  So  legte  er  es  öffentlich  aus,  aber 
im  Herzen  freuete   er   sich   und   nahm   an,   der  Stern   sei 

seinem  vollständigen  Namen  Tiberius  Claudius  Drusus  Caesar,  war 
der  jüngste  Sohn  des  Cl.  Drusus  Nero  des  Aelteren  und  der  Schwester- 
tochter des  August,  der  jüngeren  Antonia,  Bruder  des  Germanicus 
Caligula's  Vatersbruders,  geb.  9  v.  Chr.  zu  Lyon,  und  wurde  41  n.  Chr. 
nach  Caligula's  Ermordung,  Kaiser. 
»)  64  n.  Chr. 

2)  Unter  diesem  Beinamen  verehrte  man  die  Venus  als  Stamm- 
mutter des  Julischen  Geschlechts.  Ihr  Fest  fiel  in  den  Anfang  des 
Octobers. 

3)  Ein  Priester-Collegium  zur  Feier  jener  Tage. 


150  Zweites  Buch. 

seinetwegen  erschienen  und  bedeute  seine  wachsende  Grösse; 
und,  wenn  wir  die  Wahrheit  gestehen  sollen,  so  war  diess 
auch  wirklich  eine  der  Erde  heilsame  Vorbedeutung. 

Einige  halten  die  Kometen  für  beständig  dauernde  Ge- 
stirne, die  ihren  Umlauf  haben,  aber  nur,  wenn  sie  von  der 
Sonne  entfernt  sind,  gesehen  werden  können.  Andere  mei- 
nen, sie  seien  zufällige  Erzeugnisse  von  Feuchtigkeit  und 
einer  feurigen  Kraft,  und  lösten  sich  von  selbst  wieder  auf 1). 

24. 

Eben  jener  Hipparchus,  der  nie  genug  gelobt  werden 
kann,  da  Niemand  besser  als  er  die  Verwandtschaft  der 
Gestirne  mit  dem  Menschen,  und  dass  unsere  Seele  ein 
Theil  des  Himmels  sei,  erwiesen  hat,  entdeckte  einen  neuen 
Stern  von  anderer  Beschaffenheit,  der  zu  seiner  Zeit  ent- 
standen war.  Durch  dessen  Bewegung  an  dem  Tage,  wo 
er  leuchtete,  kam  er  auf  die  Vermuthung,  dass  diess  öfter 
geschehe,  und  dass  sich  auch  diejenigen  bewegten,  welche 
wir  für  feststehend  halten.  Er  wagte  auch  —  ein  frevel- 
haftes Unternehmen  —  den  Nachkommen  Sterne  zuzuzählen, 
und  sie  nach  ihren  Namen  zu  ordnen.  Er  erdachte  Instru- 
mente, vermittelst  welcher  er  den  Standort  und  die  Grösse 
eines  jeden  bezeichnete,  damit  man  hiedurch  nicht  nur  ihr 
Verschwinden  und  Entstehen,  sondern  auch  überhaupt,  ob 
sie  vorüberziehen  und  sich  bewegen,  ob  sie  grösser  oder 
kleiner  werden,  leicht  unterscheiden  könnte.  So  hinterliess 
er  der  Nachwelt  den  Himmel  als  eine  Erbschaft,  wenn  Je- 
mand sich  fände,  der  seine  Berechnung  begreifen  würde. 

25. 

Es  leuchten  auch  Fackeln  am  Himmel,  können  aber 
nur  gesehen  werden,  wenn  sie  herabfallen.  Eine  solche 
flog,    während  eines  von  Germanicus  Caesar2)  gegebenen 


')  Tyge  Brahe  und  Mtestlin,  Keplers  Lehrer,  scheinen  zuerst 
die  Kometen  als  Himmelskörper  erkannt  zu  haben;  Kepler  wies  ihnen 
geradlinige  Bahnen  an.  Der  Danziger  Astronom  Hevelius  nahm 
parabolische  Bahnen  an,  ebenso  Newton,  dessen  Methode  von  Halley 
ausgebildet  wurde. 

'-)  Neffe  des  Tiberius,  Gemahl  der  älteren  Agrippina,  Vater  des 


Zweites  Buch.  151 

Fechterspiels  vor  den  Augen  des  Volkes  am  Mittage  vor- 
über. Man  unterscheidet  zwei  Arten  davon;  die  einen  nennt 
man  schlechthin  Fackeln  *),  die  andern  heissen  Wurf- 
spiesse2); eine  solche  erschien  zur  Zeit  des  Mutinensischen 
Krieges. 3)  Sie  unterscheiden  sieb  dadurch  von  einander, 
dass  die  Fackeln  eine  lange  Spur  hinterlassen,  während 
ihr  vorderer  Theil  brennt;  die  Spiessfackel  aber  brennt  ganz 
und  nimmt  einen  grösseren  Raum  ein. 

26. 

Auf  ähnliche  Weise  entstehen  aueb  feurige  Balken, 
welche  die  Griechen  doxoi  nennen;  ein  solcher  zeigte  sich,  als 
die  Lacedämonier,  zur  See  besiegt4),  die  Herrschaft  über 
Griechenland  verloren.  Bisweilen  spaltet  sich  auch  der 
Himmel,  was  man  Chasma  nennt. 

27. 

Auch  erscheint  zuweilen  ein  blutrothes  Feuer  (eine  der 
schrecklichsten  Erscheinungen  für  den  furchtsamen  Men- 
schen), das  dann  vom  Himmel  zur  Erde  fällt;  z.  B.  im  drit- 
ten Jahre  der  107.  Olympiade 5),  als  der  König  Philippus 6) 
Griechenland  bedrängte.  Ich  glaube,  dass  diese,  sowie  die 
übrigen  Naturerscheinungen,  zu  bestimmten  Zeiten  eintreten, 
und  nicht,  wie  die  meisten  annehmen,  aus  verschiedenen, 
von  ihnen  erst  ergrübelten  Ursachen  entstehen.  Zwar  sind 
sie  immer  Vorboten  grosser  Unglücksfälle  gewesen,  allein 
mich  dünkt,  dass  letztere  nicht  eintrafen,  weil  jene  ge- 
schehen waren;  sondern  dass  diese  vorausgingen,  weil  jene 
eintreffen  sollten.     Bei  ihrer  Seltenheit  ist  uns  ihre  nähere 


Caligula  und  der  jüngeren  Agrippina,  Nero's  Grossvater,  geb.  15  v. 
Chr.,  starb  19  n.  Chr.  im  Oriente. 
')  Lampades. 

2)  Bolides. 

3)  Mutina,  jetzt  Modena,.  Brutus  wurde  darin  (44  v.  Chr.)  von 
Antonius  belagert. 

4)  Durch  Conon,   den  Befehlshaber  der  Athenienser,  395  v.  Chr. 

5)  350  v.  Chr. 

6)  Der  II.  oder  der  Grosse  von  Macedonien,  Vater  Alexanders 
des  Grossen,  war  der  jüngste  Sohn  des  Königs  Amyntas  IL,  regierte 
bis  336  v.  Chr.  mit  grossem  Ruhme;  wurde  von  Pausanias  ermordet. 


152  Zweites  Bück 

Beschaffenheit  noch  verborgen;  daher  kennen  wir  sie  nicht 
so  genau  wie  die  oben  beschriebenen  Aufgänge,  Finsternisse 
und  viele  andere  Erscheinungen. 

28. 

Man  sieht  auch  Sterne  bei  der  Sonne  ganze  Tage  lang,, 
welche  meistens  die  Sonnenscheibe  wie  einen  aus  Ähren 
geflochtenen  Kranz  umgeben.  Ferner  buntfarbige  Kreise 
bemerkte  man;  ein  solcher  erschien,  als  der  Kaiser  Au- 
gustus  in  früher  Jugend  nach  Eom  kam,  um  nach  dem 
Tode  seines  Vaters  dessen  grossen  Namen  auf  sich  über- 
zutragen. Auch  um  den  Mond  und  andere  vorzügliche 
Sterne,  sogar  um  die  Fixsterne,  zeigen  sich  Kränze. 

29. 

Um  die  Sonne  erschien  ein  Bogen  unter  den  Consuln 
L.  Opimius  und  Q.  Fabius1);  eine  Scheibe  unter  L.  Por- 
cius  und  M.  Acilius2);  ein  Ring  von  rother  Farbe  unter 
L.  Julius  und  P.  Rutilius. 3) 

30. 

Auch  ereignen  sich  wunderbare  und  länger  dauernde 
Sonnenfinsternisse,  wie  bei  der  Ermordung  des  Dicta- 
tors  Caesar4),  und  im  Antonianischen  Kriege5),  wo  die 
Sonne  fast  das  ganze  Jahr  hindurch  blass  war. 

31. 

Auch  sieht  man  zuweilen  mehrere  Sonnen  auf  ein- 
mal, aber  weder  oberhalb  noch  unterhalb  von  ihr,  sondern 
in  schräger  Richtung;  niemals  neben  ihr,  noch  zur  Erde 
gekehrt,  noch  des  Nachts;  sondern  entweder  beim  Auf-  oder 
Untergange  der  Sonne.  Einmal  sollen  auch  solche  Sonnen 
Mittags  am  Bosporus  gesehen  worden  sein,  und  vom  Morgen 


')  683  nach  Roms  Erbauung  oder  121  v.  Chr. 
2)  640      »  „  „      114   „       „ 

3)664      ,  „  „  £0    ,       „ 

4)  710  „  ,  „  44  ,  „  C.  Julius  Caesar, 
Sohn  des  Prätors  gleichen  Namens  und  der  Aurelia,  Cotta's  Toch- 
ter, geb.  den  6.  Juli  100  v.  Chr.  Seine  Ermordung  fiel  auf  den 
15.  März  des  genannten  Jahres. 

5)  Krieg  des  Antonius  gegen  Octavianus  Augustus;  er  endigte 
mit  der  Seeschlacht  bei  Actium,     721  nach  R.  E.  oder  29  v.  Chr. 


Zweites  Buch.  153 

bis  zum  Abend  gedauert  haben.  Drei  Sonnen  haben  die 
Alten  öfters  gesehen,  so  unter  Sp.  Postumius  und  Q.  Mu- 
cius  *);  Q.  Martius  und  M.  Porcius2);  M.  Antonius  und 
P.  Dolabella 3);  M.  Lepidus  und  L.  Plancus 4).  In  un- 
serer Zeit  sah  man  dergleichen  unter  der  Regierung  des 
vergötterten  Claudius,  da  derselbe  mit  Cornelius  Or- 
fitus5)  das  Consulat  bekleidete.  Mehr  als  drei  sollen  bis 
jetzt  noch  nicht  gesehen  worden  sein. 

32. 

Auch  3  Monde  sind  zugleich  sichtbar  geworden,  und 
zwar  unter  den  Consuln  Cn.  Domitius  und  C.  Fannius6). 
Viele  nennen  diese  nächtliche  Sonnen. 

33. 

Unter  C.  Csecilius  und  Cn.  Papirius7)  und  auch 
ausserdem  noch  oft  sah  man  des  Nachts  am  Himmel  ein 
Licht,  welches  die  Nacht  gleichwie  einen  Tag  erhellte. 

34. 

Ein  brennender  Schild  fuhr,  Funken  sprühend,  bei 
Sonnenuntergang  von  Abend  nach  Morgen  hin  unter  den 
Consuln  L.  Valerius  und  0  Marius8). 

35. 

Nur  einmal  und  zwar  unter  den  Consuln  Cn.  Octavius 
und  C.  Scribonius 9),  soll  ein  Funken  aus  einem  Sterne 
gefallen,  jemehr  er  sich  der  Erde  genähert  immer  grösser 
geworden  sein  und  nachdem  er  die  Grösse  des  Mondes 
erreicht,  eine  Helligkeit  gleichwie  die  eines  nebligen  Tages 
verbreitet  haben;  darauf  wieder  zum  Himmel  zurückgekehrt 
und  zu  einer  Fackel  geworden  sein.  Diese  Erscheinung 
sah  der  Proconsul  Silanus  und  sein  Gefolge. 


')  580  nach  R.  E.  oder  174  v.  Chr. 

2)  636   „   „  .  „   118  „  . 

3)  710   .   ,  .  ,    44  .  „ 

4)  712   „   »  ,  ,    42  „  „ 

5)  51  n.  Chr. 

6)  632  nach  R.  E.  oder  122  v.  Chr. 

7)  641   „   .  „  ,   113  .  . 

8)  654   ,   *  ,  ,   100  „  „ 

9)  678   .   ,  ,  ,    76  „  . 


154  Zweites  Buch. 

36. 

Auch  scheinen  die  Sterne  hin  und  her  zu  fahren, 
jedoch  nicht  ohne  Grund,  denn  die  Entstehung  heftiger 
Winde  von  derselben  Seite  her  hängt  damit  zusammen. 

37. 

Auch  im  Meere  und  auf  der  Erde  giebt  e  s  Sterne. 
Ich  selbst  habe  bei  den  nächtlichen  Feldwachen  einen 
leuchtenden  Schein  von  derartiger  Gestalt  auf  den  Spiessen 
der  vor  dem  Walle  stehenden  Soldaten  gesehen.  Sie  lassen 
sich  auch  auf  die  Segelstangen  und  andere  Schiffstheile 
nieder,  mit  einem  vernehmbaren  Geräusch,  wie  wenn  Vögel 
von  einem  Sitze  zum  andern  fliegen.  Wenn  sie  einzeln  er- 
scheinen, bringen  sie  Unheil,  denn  sie  versenken  dann  die 
Schiffe  und  wenn  sie  unten  in  den  Kiel  fallen,  so  ver- 
brennen sie  dieselben;  zu  zweien  aber  sind  sie  ein  günstiges 
Zeichen  und  verkünden  eine  glückliche  Fahrt.  Durch  ihre 
Ankunft  soll  jene  schreckliche  und  Unglückdrohende  so- 
genannte Helena *)  verjagt  werden.  Deshalb  schreibt  man 
auch  diese  Kraft  dem  Castor  und  Pollux  2)  zu,  und  ruft 
sie  auf  dem  Meere  als  Götter  an.  Auch  die  Häupter  der 
Menschen  leuchten  rings  um  in  den  Abendstunden,  was  von 
grosser  Vorbedeutung  ist.  Die  Ursachen  aller  dieser  Er- 
scheinungen kennt  man  nicht  genau;  sie  sind  in  der  Hoheit 
der  Natur  verborgen. 

38. 

So  viel  von  der  Welt  selbst  und  den  Gestirnen.  Nun 
wollen  wir  zu  den  übrigen  Merkwürdigkeiten  des  Himmels 
übergehen;  denn  auch  das  nannten  die  Alten  Himmel,  was 
wir  jetzt  mit  einem  anderen  Namen  Luft  nennen.  Dieser 
Lebenshauch  nimmt  allen  scheinbar  leeren  Raum  ein.  Un- 
terhalb des  Mondes  ist  ihr  Sitz,  und  noch  viel  tiefer  (wie 
ich  allgemein  angenommen  finde)  wird  sie,  indem  sich  eine 
unendliche  Menge   der   obern  Luft   mit   einer  unendlichen 

*)  Nach  Euripides  wurde  die  spartanische  Helena  nach  ihrer  Er- 
mordung von  der  Juno  in  den  Himmel  versetzt,  wo  ihr  Gestirn  aber 
den  Schiffern  Gefahr  drohete. 

2)  Die  Zwillinge  im  Thierkreise. 


Zweites  Buch.  155 

Menge  irdischer  Ausdünstungen  mischt,  mit  beiden  Antheilen 
erfüllt.  Daraus  entstehen  Wolken,  Donner  und  Blitz,  Ha- 
gel, Reif,  Regen,  Stürme  und  Wirbel.  Von  da  herab  kommen 
die  meisten  Uebel  der  Menschen,  und  dort  ist  der  Schau- 
platz des  Kampfes  der  Naturkräfte  unter  sich.  Die  Macht 
der  Gestirne  drückt  die  irdischen,  zum  Himmel  strebenden 
Theile  nieder,  und  zieht  die,  welche  nicht  von  selbst  auf- 
steigen, zu  sich  empor.  Regen  fällt  herab,  Nebel  steigen 
auf,  Flüsse  trocknen  aus,  Hagel  stürzt  nieder,  die  Sonnen- 
strahlen dörren  die  Erde  aus,  drängen  sie  von  allen  Seiten 
nach  der  Mitte  hin,  prallen  ungeschwächt  zurück,  und  neh- 
men mit  sich,  was  sie  können.  Die  Hitze  kommt  von  oben 
und  steigt  wieder  dahin  zurück.  Leer  stürzen  die  Winde 
herbei  und  kehren  mit  Raub  beladen  wieder  zurück.  Viele 
Thiere  ziehen  die  Luft  von  der  Höhe  ein;  allein  diese 
strebt  wieder  empor  und  die  Erde  ergiesst  ihren  Hauch  in 
die  Leere  des  Himmels.  So  wird,  indem  alles  in  der  Na- 
tur wie  in  einem  Triebwerke  hier  und  dort  hin  strebt,  die 
Zwietracht  durch  die  schnelle  Bewegung  der  Welt  genährt. 
Der  Kampf  kann  nicht  ruhen,  sondern  dauert  bei  dem 
reissend  schnellen  Umschwünge  fort,  und  zeigt,  indem  er 
mittelst  der  Wolken  plötzlich  den  Himmel  anders  überdeckt, 
die  Ursachen  der  Erscheinungen  in  der  die  Erde  umgeben- 
den unermesslichen  Runde.  Diess  ist  auch  das  Reich  der 
Winde.  Daher  hat  die  Natur  die  vorzüglichsten  Erschei- 
nungen, und  fast  alle  übrigen  Ursachen  derselben  dort 
vereinigt;  denn  die  Meisten  schreiben  auch  den  Donner  und 
Blitz  der  Gewalt  der  Winde  zu.  Ja  es  hat  sogar  zuweilen 
Steine  geregnet,  die  vom  Winde  emporgerissen  waren,  und 
vieles  andere.  Wir  müssen  daher  ausführlicher  über  diesen 
Gegenstand  sprechen. 

39. 
Es  ist  gewiss,  dass  die  Ursachen  der  Witterung  und 
andere  Erscheinungen  zum  Theil  fest  bestimmt,  zum  Theil 
zufällig  oder  noch  unerforscht  sind;  denn  wer  möchte  zwei- 
feln, dass  Sommer  und  Winter,  und  was  sonst  im  Laufe 
der  Zeit  einem  jährlichen  Wechsel  unterliegt  von  dem  Laufe 


156  Zweites  Buch. 

der  Gestirne  abhänge?  Sowie  daher  die  Natur  der  Sonne 
an  der  Anordnung  des  Jahres  erkannt  wird,  so  haben  auch 
alle  übrigen  Gestirne  ihre  eigenthümlichen  und  ihrer  be- 
sondern Natur  nach  in  ihren  Wirkungen  fruchtbaren  Kräfte. 
Einige  sind  ergiebig  an  Feuchtigkeit,  die  sich  in  Regen 
verwandelt,  andere  an  solcher,  die  zu  Reif  oder  zu  Schnee 
oder  zu  Hagel  wird;  einige  bringen  Sturm,  andere  laue 
Luft,  andere  Hitze,  andere  Thau  und  andere  Kälte.  Man 
darf  aber  ja  nicht  glauben,  dass  sie  nur  so  gross  sind  wie 
wir  sie  sehen;  denn  die  Berechnung  einer  so  ungeheuren 
Höhe  beweist,  dass  keiner  von  ihnen  kleiner  ist  als  der 
Mond.  Ein  jeder  wirkt  daher  bei  seiner  Bewegung  nach 
der  ihm  innewohnenden  Kraft;  wie  bekanntlich  das  Vor- 
überziehen des  Saturns  sich  durch  Regen  ankündigt.  Diese 
Kraft  ist  nicht  nur  den  wandelnden  Gestirnen  eigen,  son- 
dern auch  vielen  am  Himmel  fest  sitzenden,  so  oft  sie  durch 
die  Annäherung  der  Planeten  angetrieben  oder  durch  die 
auf  sie  fallenden  Strahlen  gereizt  werden.  Diess  nehmen 
wir  am  Regengestirn *)  wahr,  welches  die  Griechen  des- 
halb nach  ihrer  Bezeichnung  des  Regens  „Hyaden"  nennen» 
Ja,  einige  bringen  von  selbst  und  zu  bestimmten  Zeiten 
Regen,  wie  die  Böcke2)  bei  ihrem  Aufgange;  aber  der  Stern 
des  Arcturus3)  geht  fast  niemals  ohne  stürmisches  Hagel- 
wetter auf. 

40. 
Wem  ist  nicht  bekannt,  dass  beim  Aufgange  des 
Hundsgestirns4)  die  Hitze  der  Sonne  zunimmt?  Die  Wir- 
kungen dieses  Gestirns  werden  weit  und  breit  auf  Erden 
empfunden.  Bei  seinem  Aufgange  schäumt  das  Meer,  braust 
der  Wein  in  den  Kellern  und  bewegen  sich  die  Sümpfe. 
Eine  wilde  Ziege,  in  Aegypten  Oryx5)  genannt,  soll  sich 
bei  seinem  Aufgange  ihm  entgegen  stellen,  es  ansehen  und 


')  Suculae.     Sie  stehen  im  Kopfe  des  Stiers. 

2)  Haedi,  neben  und  in  der  linken  Schulter  des  Fuhrmannes. 

3)  Oberhalb  des  linken  Knies  des  Bärenhüters  (Bootes). 

4)  oder  Sirius  in  des  Schnauze  des  grossen  Hundes. 
*)  Vielleicht  die  Spiessgemse,  Antilope  Oryx. 


Zweites  Buch.  157 

durch  Niesen  gleichsam  anbeten.  Auch  ist  kein  Zweifel, 
dass  die  Hunde  in  der  ganzen  Zeit  am  leichtesten  toll 
werden. 

41. 
Sogar  einzelne  Theile  einiger  Thierzeichen  haben  be- 
sondere Kraft,  denn  im  Herbst  -  Aequinoctium  und  im 
Winter-Solstitium  sehen  wir  das  Gestirn  durch  stürmisches 
Wetter  getrübt.  Allein  diess  lässt  sich  nicht  bloss  an 
Regengüssen  und  Stürmen  wahrnehmen,  sondern  wird  auch 
durch  viele  Erfahrungen  an  unserm  Körper  und  auf  dem 
Felde  bestätigt.  Einige  Menschen  werden  davon  angehaucht, 
andere  spüren  zu  gewissen  Zeiten  eine  Bewegung  im  Un- 
terleibe, den  Nerven,  dem  Kopfe  und  Geiste.  Der  Oelbaum, 
die  weisse  Pappel  und  die  Weiden  rollen  im  Sommersol- 
stitium  ihre  Blätter  zusammen.  Selbst  am  kürzesten  Tage 
blühet  das  an  Häusern  aufgehangene,  trockne  Poleikraut, 
und  mit  Luft  gefüllte  Blasen  springen.  Wundern  wird  sich 
der,  welcher  die  tägliche  Erfahrung  nicht  beachtet,  dass 
ein  Kraut,  Heliotropium  genannt,  die  Sonne  stets  ansieht, 
und  zu  allen  Stunden  sich  mit  ihr  drehet,  selbst  wenn  jene 
mit  Nebel  bedeckt  ist.  So  wachsen  und  schwinden  selbst 
durch  den  Einfluss  des  Mondes  die  Körper  aller  Austern, 
Schnecken  und  Muscheln.  Fleissige  Beobachter  haben  auch 
gefunden,  dass  die  Fibern  der  Spitzmäuse  der  Tagezahl 
des  Mondes  entsprechen,  und  dass  das  so  kleine  Thier,  die 
Ameise,  die  Gewalt  des  Gestirns  empfindet  und  stets  im 
Neumonde  ruhet.  Dem  Menschen  gereicht  seine  Unwissen- 
heit hierin  um  so  mehr  zur  Schande,  da  er  sieht,  dass  die 
Augenkrankheiten,  besonders  einiger  Lastthiere,  mit  dem 
Monde  zu-  und  abnehmen.  Alles  steht  unter  dem  Schutze 
des  weiten  Himmels,  dessen  unermesslicher  Umfang  in  72 
Zeichen  getheilt  ist.  Diese  Zeichen  sind  Bilder  von  Ge- 
genständen und  lebenden  Wesen,  in  welche  die  Gelehrten 
den  Himmel  geschieden  haben.  In  ihnen  haben  sie  noch 
1600,  durch  Glanz  und  Grösse  ausgezeichnete  Sterne  be- 
stimmt; z.  B.  im  Schweife  des  Stiers  7,  welche  das  Sieben- 


158  Zweites  Buch. 

gestirn J)  heissen,  an  der  Stirn  desselben  die  Suculae  und 
den  Bootes,  welcher  dem  grossen  Bären  folgt. 

42. 

Dass,  abgesehen  von  den  angeführten  Ursachen,  auch 
auf  andere  Weise  Regen  und  Winde  entstehen,  will  ich 
nicht  in  Abrede  stellen;  denn  so  viel  ist  gewiss,  die  Erde 
haucht  einen  feuchten,  sonst  aber  durch  Einflüsse  der  Hitze 
rauchigen  Dunst  aus.  Auch  die  Wolken  erzeugen  sich  aus 
der  in  die. Höhe  gestiegenen  Feuchtigkeit  oder  aus  den 
zu  Feuchtigkeit  verdichteten  Dünsten.  Dass  sie  eine  ge- 
wisse Dichtigkeit  haben  und  etwas  Körperliches  sind,  geht 
unbezweifelt  daraus  hervor,  dass  sie  die  Sonne  verdecken, 
welche  doch  sonst  den  Tauchern  in  jeder  Tiefe  unter  dem 
Wasser  sichtbar  bleibt. 

43. 

Auch  ist  nicht  zu  leugnen,  dass  oben  aus  den  Sternen 
ein  solches  Feuer  (wie  wir  es  oft  bei  heiterem  Himmel 
sehen),  in  die  Wolken  fallen  kann,  durch  dessen  Schlag 
die  Luft  erschüttert  wird,  da  ja  auch  abgeschossene  Pfeile 
ein  Geräusch  machen.  Sobald  nun  das  Feuer  in  die  Wolke 
gelangt  ist,  entwickelt  sich  ein  zischender  Dampf,  wie 
wenn  glühendes  Eisen  ins  Wasser  getaucht  wird,  und  ein 
Rauchwirbel  steigt  empor.  Auf  solche  Weise  entstehen 
die  Sturmwinde.  Kämpfen  in  den  Wolken  Wind  oder  Dampf 
sich  drängend,  so  haben  wir  den  Donner;  durchbricht  die 
Glüht  die  Wolken,  den  Blitz;  nimmt  sie  aber  einen  län- 
geren Gang,  das  Wetterleuchten;  dieses  zertheilt  die  Wol- 
ken, jener  durchbricht  sie.  Die  Donner  sind  also  Stösse 
des  andringenden  Feuers,  daher  gleich  darauf  feurige  Risse 
in  den  Wolken  schimmern. 

Auch  die  von  der  Erde  aufgestiegene,  aber  durch  den 
Gegenstoss  der  Sterne  niedergepresste  und  von  einer  Wolke 
aufgehaltene  Luft  kann  Donner  erzeugen.  So  lange  die 
Luft  kämpft,  erstickt  die  Natur  jeden  Laut;  bricht  sie  sich 
aber  Bahn,   so  entsteht  ein   Knall,  wie  beim  Zerspringen 

')  Vergilise. 


Zweites  Buch.  159 

einer  mit  Luft  gefällten  Blase.  Ferner  kann  sich  die  Luft, 
von  welcher  Beschaffenheit  sie  auch  sein  mag,  beim  Herab- 
stürzen durch  Reibung  entzünden.  Gleichfalls  kann  beim 
Zusammentreffen  von  Wolken,  ähnlich  wie  aus  zwei  an- 
einander geriebenen  Steinen  Feuer  entsteht,  woher  das 
Funkeln  der  Blitze  kommt.  Aber  alles  diess  gehört  zu 
den  zufälligen  Erscheinungen;  solche  Blitze  sind  meist  wild 
und  unbedeutend,  und  weichen  von  dem  natürlichen  Gange 
der  Natur  ab.  Sie  fahren  in  Berge  und  Meere;  alle  ihre 
anderen  Schläge  sind  wirkungslos.  Jene  andern  aber  kom- 
men nach  festbestimmten  Ursachen  als  Verkünder  des 
Schicksals  von  oben  herab  aus  ihren  Gestirnen. 

44. 

Dass  auf  ähnliche  Weise  Winde  oder  vielmehr  Luft- 
ströme aus  der  dünnen  und  trocknen  Ausdünstung  der 
Erde  entstehen  können,  möchte  ich  nicht  leugnen;  auch 
aus  der  von  den  Gewässern  ausgehauchten  weder  zu  Nebel 
verdichteten  noch  zu  Wolken  verdickten  Luft;  sowie  durch 
den  Trieb  der  Sonne  (denn  der  Wind  wird  für  nichts 
anderes  gehalten  als  für  ein  Strömen  der  Luft),  endlich 
noch  auf  verschiedene  andere  Weise  bilden  sie  sich.  Denn 
auch  aus  Flüssen,  und  aus  dem  selbst  ruhigen  Meere  ent- 
wickeln sich  Winde;  andere,  Atlanen  genannt,  steigen  aus 
der  Erde.  Wenn  diese  vom  Meere  zurückkehren,  nennt 
man  sie  Tropäen,  und  wenn  sie  über  das  Meer  hinziehen, 
Apogeen. 

Die  Bergzüge  aber,  ihre  zahlreichen  Gipfel,  ihre  wie  Ell- 
bogen gekrümmten  oder  wie  Schultern  gebrochenen  Rücken, 
die  Aushöhlungen  der  Thäler,  welche  durch  ihre  Ungleich- 
heit die  aus  ihnen  emporgestiegene  Luft  durchschneiden 
(daher  auch  die  Stimme  darin  widerhallt),  erzeugen  fort- 
während Winde.  Ja  selbst  in  Höhlen  entstehen  Winde; 
so  befindet  sich  an  der  Küste  von  Dalmatien  eine  weite 
jähe  Schlucht,  in  welcher  durch  Hineinwerfen  eines  leich- 
ten Körpers  selbst  an  ruhigen  Tagen  ein,  einem  Wirbel- 
winde ähnliches  Brausen  erfolgt.  Der  Ort  führt  den  Na- 
men Senta.    So  soll  auch   in  der   Landschaft   Cyrene   ein 


160  Zweites  Buch. 

dem  Südwinde  geheiligter  Fels  liegen,  welchen  keine 
menschliche  Hand  berühren  darf,  ohne  dass  der  Südwind 
sogleich  den  Sand  aufwirbelt.  Sogar  in  manchen  Häusern 
haben  viele  durch  Abhaltung  des  Lichts  feucht  gewordene 
Gemächer  ihren  Wind;  an  einer  Ursache  fehlt  es  daher 
niemals. 

45. 
Zwischen  dem  Luftstrome  und  dem  Winde  findet  ein 
bedeutender  Unterschied  statt.  Jener  wehet  beständig  und 
fühlbar,  und  zieht  sich  nicht  bloss  über  einzelne  Striche, 
sondern  über  ganze  Länder  hin.  Er  ist  weder  eine  milde 
Luft,  noch  ein  Sturmwind,  sondern  wie  schon  der  Name  x) 
anzeigt,  der  männliche  Wind.  Er  wird  entweder  durch  den 
beständigen  Lauf  der  Welt  und  den  Gegenlauf  der  Sterne 
erzeugt;  oder  er  ist  jener,  allen  Naturwesen  gemeinsame, 
bald  hier  bald  dorthin  wie  in  einem  Schlauche  herum- 
schweifende Hauch;  oder  er  ist  die,  durch  den  ungleichen 
Stoss  der  Planeten  und  den  vielfältigen  Wurf  der  Strahlen 
gepeitschte  Luft;  oder  er  entsteht  aus  besondern,  den  Son- 
nenstrahlen näheren  Sternen,  oder  aber  aus  den  Fixsternen. 
So  viel  ist  gewiss,  dass  jenem  Strome  ein  nicht  unbekanntes, 
wenn  auch  noch  nicht  genugsam  erforschtes  Naturgesetz 
zum  Grunde  liegt.  Mehr  als  20  alte  griechische  Schrift- 
steller haben  ihre  Beobachtungen  darüber  mitgetheilt.  Es 
ist  in  der  That  sehr  zu  bewundern,  dass  auf  der  uneinigen 
und  in  kleine  Staaten  getheilten  Erde,  unter  fortwährenden 
Kriegen,  wo  die  Gastfreundschaft  verletzt  ward,  und  sogar 
Seeräuber,  die  Feinde  aller  Menschen,  die  Uebergänge  be- 
setzt hielten,  so  viele  Männer  mit  so  schwierigen  Sachen 
beschäftigt  gewesen  sind;  so  dass  heutzutage  ein  Jeder  in 
seinem  Lande  aus  den  Werken  jener  Forscher,  welche 
doch  nie  dahin  gekommen  waren,  über  jene  Gegenstände 
besser  unterrichtet  ist,  als  durch  die  Kunde  der  Eingebornen. 
Jetzt  aber,  bei  dem  beglückenden  Frieden,  unter  einem 
Künste  und  Wissenschaften  befördernden  Fürsten,   erwei- 

•)  Flatus. 


Zweites  Buch.  161 

tern  wir  unser  Wissen  nicht  nur  nicht,  sondern  machen 
uns  auch  nicht  einmal  mit  den  Erfindungen  der  Alten  be- 
kannt. Die  damaligen  Belohnungen  waren  nicht  gross, 
denn  die  Glücksgüter  theilten  sich  unter  viele;  und  die 
meisten  fanden  keinen  anderen  Preis  für  ihre  Bemühungen 
als  das  Bewusstsein,  der  Nachwelt  genützt  zu  haben.  Die 
Sitten  der  Menschen  sind  gealtert,  nicht  ihre  Werke.  Eine 
zahllose  Menge  schifft  allenthalben  auf  dem  offnen  Meere 
umher,  und  nimmt  die  Gastfreundschaft  aller  Küsten  in 
Anspruch,  nicht  der  Wissenschaft,  sondern  des  Gewinnes 
wegen.  Der  blinde,  von  Habsucht  so  erfüllte  Geist  bedenkt 
nicht,  dass  er  seinen  Endzweck  durch  die  Wissenschaft 
weit  sicherer  erreichen  kann.  Ich  werde  daher  von  den 
Winden  genauer,  als  es  vielleicht  für  den  Plan  dieses  Wer- 
kes passt,  handeln,  weil  ich  auf  so  viele  Tausend  Seefahrer 
Kücksicht  nehme. 

46. 
Die  Alten  nahmen  überhaupt  vier  Winde,  nach  den 
vier  Weltgegenden  an  (daher  auch  Homer  nicht  mehrere 
nennt);  allein  diese  Eintheilung  war,  wie  man  bald  einsah, 
mangelhaft.  Das  folgende  Zeitalter  fügte  mit  allzugrosser 
Genauigkeit  und  Zersplitterung,  noch  acht  hinzu.  Die  fol- 
genden wählten  das  Mittel  zwischen  beiden,  indem  sie  zu 
der  kleinern  Eintheilung  noch  vier  von  der  grössern  setz- 
ten. Dadurch  kommen  also  je  zwei  auf  die  vier  Himmels- 
gegenden. Vom  Aequinoctial-Aufgange  (der  Sonne)  kommt 
der  Ostwind  *),  vom  Winteraufgange  der  Südostwind 2); 
jenen  nennen  die  Griechen  Apeliotes,  diesen  Eurus.  Vom 
Mittag  kommt  der  Südwind8),  vom  Winteruntergange  der 
Südwest4);  bei  den  Griechen  Notus  und  Liba.  Vom  Aequi- 
noctial-Untergange  der  Westwind5),  vom  Solstitial-Unter- 
gange  der  Nordwest6);  bei  den  Griechen  Zephyrus  und 
Argestes.  Von  Mitternacht  der  Nordwind7),  zwischen  ihm 
und  dem  Solstitial-Aufgange  der  Nordost8);   bei  den  Grie- 


')  Subsolanus.    2)  Vultumus.   3)  Auster.    4)  Africus.    5)  Favonius. 
«)  Corus.    7)  Septentrio.    8)  Aquilo. 

11 


1(32  Zweites  Buch. 

eben  Aparktias  und  Boreas.  Nach  der  grössern  Eintheilung 
kommen  noch  vier  Winde  dazwischen,  nämlich:  der  Nord- 
nordwest1), mitten  zwischen  Nord  und  dem  Solstitial-Unter- 
gange;  der  Ostnordost2)  mitten  zwischen  dem  Nordost  und 
dem  Aequinoctial- Aufgange,  vom  Solstitial-Punkte  an;  der 
Südsüdost 3),  mitten  zwischen  dem  Winteraufgange  und 
Mittag;  der  Südsüdwest 4)  mitten  zwischen  Mittag  und  dem 
Winteruntergange,  d.  h.  zwischen  Süd  und  Südwest 5)  und  da- 
her aus  beiden  (Namen)  zusammengesetzt.  Aber  das  ge- 
nügte noch  nicht!  Einige  setzten  nämlich  zwischen  dem 
Boreas  und  Csecias  den  Nordostnord6),  und  zwischen  den 
Eurus  und  Notus  den  Südostsüd.7) 

Einige  Winde  sind  nur  gewissen  Ländern  eigenthüm- 
lich,  und  gehen  nicht  über  einen  bestimmten  Strich  hinaus; 
wie  z.  B.  bei  den  Atheniensern  der  Sciron,  der  wenig  vom 
Argestes  abweicht  und  dem  übrigen  Griechenland  unbekannt 
ist.  An  andern  Orten,  wo  er  etwas  mehr  von  Norden  weht, 
heisst  er  Olympias;  allein  gewöhnlich  ist  mit  allen  diesen 
Namen  der  Argestes  gemeint.  Auch  den  Csecias  nennen 
Einige  Hellespontias.  Ueberhaupt  haben  dieselben  Winde 
an  verschiedenen  Orten  verschiedene  Namen.  In  der  Nar- 
bonensischen  Provinz  ist  der  Circius  der  bedeutendste  aller 
Winde,  denn  er  steht  keinem  an  Heftigkeit  nach,  und  weht 
meistens  über  das  ligurische  Meer  nach  Ostia  hin.  Der- 
selbe ist  nicht  nur  in  den  übrigen  Theilen  der  Erde  unbe- 
kannt, sondern  er  berührt  auch  nicht  einmal  Vienna,  die 
Hanptstadt  jener  Provinz,  weil  er,  ungeachtet  seiner  Heftig- 
keit, nahe  vor  der  Stadt  durch  einen  nicht  sehr  bedeuten- 
den Bergrücken  aufgehalten  wird.  Auch  Fabianus  leugnet, 
dass  der  Südwind  in  Aegypten  wehe.  Hieraus  geht  ein 
Naturgesetz  hervor,  wonach  auch  den  Winden  Zeit  und 
Grenzen  gesetzt  sind. 

47. 

Der  Frühling  eröffnet  den  Schiffern  die  Meere;  bei  sei- 


•)  Thrascias.    2)  Csecias.    3)  Phoenix.    4)  Libanotus.     5)  Notus  und 
Liba.    6)  Meses.    7)  Euronotus. 


Zweites  Buch.  163 

nem  Anfange,  nämlich  wenn  die  Sonne  im  25.  Grade  des 
Wassermanns  steht,  erreicht  der  Westwind  den  winterlichen 
Himmel.  Der  Tag,  an  welchem  diess  geschieht,  ist  der 
sechste  vor  den  Iden  des  Februars.1)  Dasselbe  gilt  fast 
von  allen  Winden,  die  ich  später  besprechen  werde;  nur 
in  den  Schaltjahren  kommen  sie  um  einen  Tag  früher,  in 
dem  folgenden  Lustrum2)  aber  befolgen  sie  wieder  die 
alte  Ordnung.  Der  Westwind  heisst  bei  Einigen  vom  ach- 
ten Tage  vor  den  Kaienden  des  März3)  an  Chelidonias 
wegen  der  Ankunft  der  Schwalben,  bei  Anderen  Ornithias, 
weil  er  vom  71.  Tage  nach  dem  Wintersolstitium,  das  ist 
von  der  Ankunft  der  Vögel  an,  neun  Tage  lang  wehet. 
Der  dem  Westwinde  entgegengesetzte  heisst  Ostwind.  Der 
Sommer  tritt  mit  dem  Aufgange  des  Siebengestirns  in  dem- 
selben Grade4)  des  Stieres,  am  neunten  Mai,  ein;  diess  ist 
die  Zeit  des  Südwindes,  welcher  dem  Nordwinde  entgegen 
steht.  In  der  heissesten  Periode  des  Sommers  geht  der 
Hundsstern  auf,  beim  Eintritt  der  Sonne  in  den  ersten 
Grad  des  Löwen,  oder  am  16.  Juli.  Ohngefähr  8  Tage 
vor  seinem  Aufgange  wehet  der  Nordost,  der  daher  auch 
Vorläufer 5)  heisst.  Aber  zwei  Tage  nach  seinem  Aufgange 
wehet  derselbe  Wind  in  den  Hundstagen  beständig  fort, 
und  heisst  Passatwind. 6)  Man  glaubt,  die  Hitze  der  Sonne 
verbunden  mit  der  des  Hundssterns  mildere  diesen  Wind, 
welcher  beständiger  als  alle  andern  Winde  ist.  Darauf 
folgt  wieder  häufiger  Südwind  bis  zum  Aufgange  des  Arc- 
turus,   elf  Tage   vor   dem   Herbst-Aequinoctium.     Mit   dem 


')  Der  7.  Februar.  Mus  war  der  15.  Tag  im  März,  Mai,  Juli  und 
October,  in  den  übrigen  Monaten  der  13. 

2)  Hier  ein  Zeitraum  von  4  Jahren.  Ursprünglich  aber  verstand 
man  darunter  das  Sühnopfer,  welches  alle  5  Jahre  vorgenommen 
wurde. 

3)  Am  22.  Februar.  Kalendse  war  der  erste  Tag  eines  jeden 
Monats. 

4)  Dem  25. 

5)  Prodromus. 

6)  Etesias. 

11* 


164  Zweites  Buch. 

Herbst- Aequinoctium  beginnt  als  Herbstwind  der  Nordwest; 
ihm  ist  der  Südostwind  entgegen.  Etwa  44  Tage  nachher 
tritt  mit  dem  Untergange  des  Siebengestirns  der  Winter 
ein,  welcher  Zeitpunkt  auf  den  10.  November  zu  fallen 
pflegt.  Mit  ihm  beginnt  auch  der  winterliche  Nordost,  wel- 
cher von  dem  im  Sommer  wehenden  sehr  verschieden  ist; 
sein  Gegner  ist  der  Südwest.  Sieben  Tage  vor  und.  nach 
dem  kürzesten  Tage  ist  das  Meer  mit  der  Brut  der  Eis- 
vögel bedeckt,  woher  auch  diese  Tage  ihren  Namen1)  er- 
halten haben;  die  übrige  Zeit  ist  es  Winter.  Allein  selbst 
durch  die  Rauheit  des  Wetters  wird  das  Meer  nicht  ver- 
schlossen. Anfangs  sah  man  sich  nur  aus  Furcht,  den 
Seeräubern  zur  Beute  zu  werden,  mit  Todesgefahr  genö- 
thigt,  im  Winter  das  Meer  zu  beschiffen;  allein  jetzt  ist 
die  Habsucht  die  Triebfeder  dazu. 

48. 

Am  kältesten  siud  die  Winde,  welche,  wie  wir  an- 
gegeben, vom  Norden  her  wehen,  uud  der  ihnen  benach- 
barte Nordwest.  Diese  herrschen  auch  über  die  andern  und 
vertreiben  die  Wolken.  Feuchte  Winde  sind  der  Südwest, 
und  vorzüglich  für  Italien  der  Südwind.  Auch  im  Pontus 
soll  der  Ostnordost  die  Wolken  an  sich  ziehen.  Trockne 
Winde  sind  der  Nordwest  und  Südost,  ausgenommen  wenn 
sie  ruhig  wehen.  Der  Nordost  und  Nord  bringen  Schnee, 
der  Nord  und  Nordwest  Hagel,  der  Südwind  ist  heiss,  der 
Südost  und  West  lau,  beide  aber  trockner  als  der  Ostwind, 
und  im  Allgemeinen  sind  die  von  Norden  und  Westen 
kommenden  trockner  als  die,  welche  von  Süd  und  Ost. 
Der  gesundeste  unter  allen  ist  der  Nordost;  der  Südwind 
nachtheilig  und  mehr  trocken,  vielleicht,  weil  er  feucht, 
und  darum  kälter  ist.  Während  er  wehet,  sollen  die  Thiere 
weniger  Hunger  empfinden. 

Die  Passatwinde  hören  fast  immer  bei  Einbruch  der 
Nacht  auf  und  erheben  sich  um  die  dritte  Tagesstunde2) 


•)  Halcyonides, 

2)  9  Uhr  Morgens.     Der  Tag  fing  bei  den  Römern  nach  unserer 
Zeitrechnung  um  G  Uhr  Morgens  an. 


Zweites  Buch.  165 

wieder.  In  Spanien  und  Asien  wehen  sie  von  Osten  her, 
im  Pontus  von  Nordost,  in  den  übrigen  Ländern  von  Mittag. 
Sie  wehen  auch  vom  kürzesten  Tage  au,  wo  sie  dann 
Ornithiä  heissen,  aber  milder  sind  und  nur  wenige  Tage 
dauern.  Zwei  Winde  verändern  auch  ihre  Natur  mit  der 
Ortlage;  der  Südwind  bringt  Afrika  heitern,  der  Nordost 
trüben  Himmel. 

Alle  Winde  wehen  grösstenteils  abwechselnd,  oder  so, 
dass,  wenn  einer  aufhört,  der  entgegengesetzte  anfängt. 
Erhebt  sich  aber  der  zunächst  liegende,  so  geschieht  diess, 
gleich  dem  Laufe  der  Sonne,  von  der  linken  Seite  zur 
rechten.  Ihre  Beschaffenheit  während  eines  Monats  hängt 
von  dem  4.  Tage  nach  dem  Neumonde  ab.  Mit  ein  und 
demselben  Winde  kann  man  in  entgegengesetzter  Richtung 
schiffen,  wenn  man  die  Segeltaue  nachlässt,  weshalb  auch 
häufig  des  Nachts  von  entgegengesetzten  Seiten  kom- 
mende Fahrzeuge  zusammenstossen.  —  Der  Südwind  schlägt 
grössere  Wellen  als  der  Nordost,  denn  jener  weht  von  dem 
untersten  Ende  des  Meeres  her,  dieser  dagegen  vom  ober- 
sten. *)  Daher  treten  nach  dem  Südwinde  besonders  häufig 
gefährliche  Erdbeben  ein.  Des  Nachts  ist  der  Südwind, 
am  Tage  der  Nordostwind  heftiger.  Die  Ostwinde  halten 
länger  au  als  die  Westwinde.  Die  Nordwinde  hören 
meistens  an  ungeraden  Tagen  auf,  was  auch  für  viele 
andere  Naturgegenstände  gilt,  daher  hält  man  die  ungerade 
Zahl  für  die  männliche.  Die  Sonne  vermehrt  und  unter- 
drückt die  Winde;  die  Vermehrung  findet  bei  ihrem  Auf- 
gange und  Untergange,  die  Verminderung  zur  Sommerzeit 
um  Mittag  statt.  Daher  ruhen  sie  grösstenteils  in  der 
Mitte  des  Tages  oder  der  Nacht,  indem  sie  durch  die  all- 
zugrosse  Kälte  oder  Hitze  vertrieben  werden.  Auch  durch 
Regen  werden  die  Winde  beschwichtigt.  Aber  fast  immer 
sind  wir  ihrer  gewärtig,  wenn  zerrissene  Wolken  den  Him- 


')  Dieser  Satz  wird  verständlich,  wenn  man  sich,  im  Sinne  der 
Alten,   die  nördliche  Weltgegend  weit  höher  denkt  als  die  südliche. 


166  Zweites  Buch. 

mel  durchblicken  lassen.  Eudoxus  x)  glaubt,  dass  (wenn 
man  die  geringsten  Nebenumstände  beachten  würde)  alle 
vier  Jahre  dieselben  Wind-  und  Witterungswechsel  wieder- 
kehren. Der  Anfang  dieser  vierjährigen  Periode  ist  im 
Schaltjahre,  beim  Aufgange  des  Hundssternes.  Soviel  von 
den  allgemeinen  Winden. 

49. 
Nun  gehen  wir  zu  den  plötzlich  entstehenden  Winden 
über,  welche  sich,  wie  gesagt 2),  aus  den  Dünsten  der  Erde 
erzeugen,  dann  aber,  mit  einer  Wolkenhülle  umgeben,  nie- 
derstürzen und  in  vielfacher  Gestalt  erscheinen.  Umher- 
schweifend und  gleich  reissenden  Strömen  fortstürzend  er- 
zeugen sie  (nach  der  oben  angeführten  Meinung  Einiger) 3) 
Donner  und  Blitz.  Wenn  sie  mit  grösserer  Kraft  und 
schnellerem  Anlaufe  eine  trockne  Wolke  durchbrechen,  so 
entsteht  der  Sturmwind,  den  die  Griechen  Eknephias 
nennen.  Haben  sie  aber,  enger  zusammengerollt,  die  Wolke 
in  einem  flachen  Bogen  durchbrochen,  jedoch  ohne  Feuer, 
d.  h.  ohne  Blitz,  dann  bilden  sie  einen  Wirbel,  welcher 
Typhon  oder  gewirbelter  Eknephias  heisst.  Dieser  nimmt 
ein  abgerissenes  Stück  von  der  kalten  Wolke  mit  sich,  und, 
indem  er  es  wälzt  und  drehet  und  seine  Zerstörung  durch 
jenes  Gewicht  noch  beschleunigt  wird,  zieht  er  in  reissendem 
Wirbel  von  Ort  zu  Ort.  Besonders  den  Seefahrern  ist  er 
ein  gefährliches  Uebel,  denn  er  zerbricht  nicht  nur  die 
Segelstangen,  sondern  die  Fahrzeuge  selbst.  Mit  einem 
sehr  billigen  Mittel  kann  man  sich  gegen  ihn  schützen; 
man  giesst  ihm  nämlich  Essig,  dessen  Natur  sehr  kühlend 
ist,  entgegen.  Wird  er  nach  heftigem  Anprallen  zurück- 
gestossen,  so  reisst  er  das  Ergriffene  saugend  mit  sich  in 
die  Höhe. 

50. 
Wenn   er  die  gepresste  Wolke  in  einer  grössern  Höh- 


')  Aus  Knidos,  ein  Schüler  des  Plato,  war  Arzt  und  Geometer 
und  starb  348  v.  Chr. 

2)  Im  42.  Cap. 

3)  Im  43.  Cap. 


Zweites  Buch.  167 

lung,  die  aber  nicht  so  weit  ist  als  beim  Sturmwinde,  mit 
Krachen  durchbricht,  so  heisst  er  Wirbelwind1),  und  reisst 
dann  alles  nieder,  was  ihm  nahe  steht.  Ist  er  aber  heiss 
und  zündet  er  während  seines  Tobens,  so  nennt  man  ihn 
feurigen  Wirbelwind2);  er  verbrennt  und  vernichtet 
alles,  was  er  berührt.  Niemals  entsteht  aber  bei  Nordost- 
winde der  Typhon,  noch  im  Winter  oder  wenn  Schnee 
liegt,  der  Eknephias.  Wenn  letzterer  beim  Durchbruch  der 
Wolke  sich  entzündet,  das  Feuer  aber  schon  bei  sich  ge- 
habt und  nicht  erst  empfangen  hat,  so  wird  er  zum  Blitze. 
Er  unterscheidet  sich  vom  Prester,  wie  die  Flamme  vom 
Feuer.  Dieser  verbreitet  sich  durch  sein  Blasen  weit  und 
breit,  jener  wird  durch  seine  Heftigkeit  zusammengeballt. 
Der  Dreh  wind3)  unterscheidet  sich  vom  Wirbelwinde  durch 
sein  Wiederkehren,  gleich  wie  ein  prasselndes  Geräusch 
vom  Knalle.  Von  beiden  aber  ist  der  Sturmwind4)  durch 
seine  Breite  verschieden;  er  treibt  die  Wolken  mehr  aus 
einander  als  er  sie  durchbricht.  Es  giebt  auch  schwarze, 
ungeheuren  Thieren  ähnliche  Wolken,  welche  für  den 
Schiffer  Unheil  drohend  sind.  Man  nennt  sie  Säulen,  wenn 
die  verdickte  und  starre  Feuchtigkeit  sich  selbst  aufrecht 
hält.  Zu  derselben  Gattung  gehört  ferner  die  Wolke,  welche 
gleich  einer  Röhre  das  Wasser  an  sich  zieht. 

51. 
Im  Winter  und  Sommer  sind,  aus  entgegengesetzten 
Ursachen,  die  Blitze  selten,  denn  im  Winter  wird  die 
ohnehin  dichte  Luft  durch  die  dickere  Wolkenhülle  noch 
mehr  verdichtet;  alle  Ausdünstung  der  Erde  ist  starr  und 
eisig,  und  was  sie  an  Feuerstoff  empfängt,  erlöscht.  Aus 
diesem  Grunde  ist  Scythien  sammt  den  umliegenden  kalten 
Ländern  frei  von  Blitzen;  dagegen  hat  in  Aegypten  die 
allzugrosse  Hitze  dieselben  Folgen,  denn  die  heissen  und 
trocknen  Dünste  der  Erde  verdichten  sich  nur  selten,  und 

')  Turbo. 

2)  Prester. 

3)  Vortex. 

4)  Procella. 


168  Zweites  Buch. 

dann  nur  zu  dünnen,  lockern  Wolken.  Allein  im  Frühlinge 
und  im  Herbste  entstehen  häufiger  Blitze,  weil  die  Ur- 
sachen, welche  ihrem  Entstehen  im  Winter  und  Sommer 
hinderlich  sind,  in  jenen  beiden  Jahreszeiten  wegfallen. 
Daher  wird  Italien  oft  von  Blitzen  heimgesucht,  denn  die 
bewegliche  Luft  des  mildern  Winters  und  feuchten  Sommers 
gleicht  gewissermaassen  derjenigen  im  Frühlinge  und  Herbste. 
Auch  in  den  mehr  südlich  gelegenen  Gegenden  Italiens, 
wie  um  Rom  und  in  Companien,  blitzt  es  im  Sommer  sowohl 
wie  im  Winter,  was  in  andern  Ländern  nicht  geschieht. 

52. 

Man  giebt  von  den  Blitzen  selbst  mehrere  Arten  an. 
Die  trocknen  zünden  nicht,  sondern  zerschmettern  nur;  die 
feuchten  brennen  nicht,  sondern  sengen  nur.  Eine  dritte 
Art,  der  helle  Blitz  genannt,  ist  von  wunderbarer  Beschaf- 
fenheit; er  leert  die  Fässer  aus,  ohne  sie  im  geringsten  zu 
beschädigen  oder  sonst  eine  Spur  zu  hinterlassen.  Er 
schmelzt  Gold,  Silber  und  Kupfer  in  den  Beuteln,  ohne  die 
letztern  zu  verbrennen,  und  nicht  einmal  das  wächserne 
Siegel  wird  dadurch  verletzt.  Marcia,  eine  vornehme  Rö- 
merin, wurde  während  ihrer  Schwangerschaft  vom  Blitze 
getroffen,  und  blieb  selbst  ohne  ander  weiten  Unfall  am 
Leben,  während  ihre  Leibesfrucht  getödtet  ward.  Unter 
andern  Wunderzeichen  während  der  Catilinarischen  Ver- 
schwörung ereignete  es  sich  auch,  dass  der  Dekurio1) 
M.  Herennius  aus  der  Pompejanischen  Pflanzstadt 2)  an 
einem  heitern  Tage  vom  Blitze  erschlagen  wurde. 

53. 

In  den  Schriften  der  Thuscer3)  wird  angegeben, 
dass  neun  Götter  die  Blitze  entsenden,  und  dass  es  elf 
Arten  derselben  gebe;  Jupiter  allein  schleudere  drei  davon. 
Die  Römer  haben  nur  zwei  behalten,  und  schreiben  die 
am  Tage  erfolgenden  dem  Jupiter,  die  des  Nachts  entste- 


')  Rathsherr  in  einer  Pflanzstadt  (municipium). 

*)  Pompeji. 

3)  Etruscer  oder  Hetrurier. 


Zweites  Buch.  169 

henden  dem  Summanus  a)  zu.  Die  letzteren  sind  wegen 
des  kältein  Himmels  seltener.  In  Etrurien  glaubt  man,  es 
brächen  auch  Blitze  aus  der  Erde  hervor  und  nennt  sie 
unterirdische.  Sie  erfolgen  im  Winter  und  sind  äusserst 
wüthend  und  schrecklich,  denn  sie  haben  alle  einen  irdi- 
schen Ursprung  und  gehören  nicht  zu  den  allgemeinen, 
welche  von  den  Gestirnen  herabkommen,  sondern  erzeugen 
sich  aus  den  nächsten  und  unreinem  Stoffen  der  Natur. 
Der  auffallende  Unterschied  beider  Arten  liegt  darin,  dass 
alle  vom  Himmel  kommenden  Blitze  schräg,  die  sogenann- 
ten irdischen  aber  gerade  einschlagen.  Da  sie  aber  aus 
einem  uns  nähern  Stoffe  fallen,  so  glaubt  man,  sie  kommen 
aus  der  Erde,  weil  sie  keine  Spur  ihres  Zurückprallens 
zeigen;  allein  dieses  Verhalten  spricht  nicht  für  einen  von 
unten  kommenden  Schlag,  sondern  für  einen  diesem  gerade 
entgegengesetzten.  Diejenigen,  welche  die  Sache  genauer 
untersucht  haben,  glauben,  sie  kämen  vom  Saturn  herab, 
sowie  die  zündenden  vom  Mars.  Durch  einen  solchen  Blitz 
ward  Volsinii2),  die  reichste  Stadt  der  Thuscser,  ganz  ver- 
brannt. 

Familienblitze  nennt  man  die  für  das  ganze  Leben 
bedeutungsvollen,  welche  dem,  welcher  eine  Familie  be- 
gründet, zum  ersten  Male  erscheinen.  Uebrigens  glaubt 
man,  dass  die  Vorbedeutungen  der  Blitze  in  Privatange- 
legenheiten sich  nicht  über  zehn  Jahre  hinaus  erstrecken, 
ausgenommen  diejenigen,  welche  am  Geburtstage  und  bei 
der  ersten  Heirath  erscheinen;  in  öffentlichen  Angelegen- 
heiten weissagen  sie  nicht  über  30  JaJire,  ausgenommen 
bei  der  Anlegung  neuer  Städte. 

54. 

In  den  Jahrbüchern3)  findet  man,  dass  durch  gewisse 
Opfer  und  Gebete  die  Blitze  weggebannt  und  herbei- 


*)  Gott  der  Unterwelt  (Summus  manium). 

2)  Volsena. 

3)  Annales,  waren  von  den  Priestern  geführte  Bücher,  über  die 
Hauptereignisse  eines  jeden  Jahres,  aus  welchen  die  spätem  Histo- 
riker ihren  Stoff  schöpften. 


170  Zweites  Buch. 

gerufen  werden  können.  Eine  alte  Sage  in  Etrurien  er- 
zählt, man  habe,  als  einst  ein  Ungeheuer,  Volta  genannt, 
die  Aecker  verwüstete  und  die  Stadt  Volsinii  bedrohete, 
Blitze  herbeigerufen.  Auch  Porsenna1),  der  dortige  Kö- 
nig, erflehete  Blitze;  und  dass  vor  ihm  Numa2)  dasselbe 
gethan,  berichtet  L.  Piso3),  ein  glaubwürdiger  Schriftsteller 
im  ersten  Buche  seiner  Annalen;  T.  Hostilius4)  habe  ihm 
darin,  aber  weniger  glücklich  nachgeahmt,  denn  er  sei 
vom  Blitze  erschlagen.  Wir  haben  zu  diesem  Behufe  Haine, 
Altäre  und  heilige  Gebräuche;  und  neben  dem  Jupiter 
Stator5),  Tonans6)  und  Feretrius7)  haben  wir  auch  einen 
Jupiter  Elicius8)  angenommen.  Im  gemeinen  Leben  hegt 
man  hierüber  verschiedene  Meinungen,  die  sich  nach  den 
Ansichten  eines  Jeden  richten.  Es  ist  ein  kecker  Gedanke, 
die  Natur  beherrschen  zu  wollen,  und  nur  ein  schwacher 
Verstand  wird  behaupten,  dass  man  Naturkräften  durch 
Opfer  ihren  Einfluss  benehmen  könne;  ja  die  Kenntniss  in 
der  Erklärung  der  Blitze  ist  schon  so  weit  gekommen,  dass 
man  durch  Hülfe  ihrer  zukünftige  Blitze  auf  den  Tag  be- 
stimmt vorhersagt,   und   wie   aus   unzähligen  Erfahrungen 


')  König  von  Clusium  in  Etrurien,  im  6.  Jahrh.  v.  Chr.,  zu  dem 
der  aus  Rom  vertriebene  Tarquinius  flüchtete,  Vergl.  XXXIV.  B. 
14.  Cap. 

2)  Numa  Pompilius,  der  zweite  römische  König,  715 — 670  v.  Chr. 

3)  L.  Calpurnius  Piso,  ein  verdienter  Staatsmann,  der  133 
v.  Chr.  das  Consulat  bekleidete. 

4)  Enkel  des  Hostus  Hostilius,  dritter  römischer  König,  670 — 638 
v.  Chr.    Vergleiche  XVIII.  B.  2.  Cap. 

5)  Romulus  gelobte  dem  Jupiter  einen  Tempel,  wenn  er  die 
vor  den  Sabinern  fliehenden  Römer  zum  Stehen  bewegen  würde. 
Liv.  I.  12. 

6)  Der  Donnerer. 

7)  Romulus  weihete  dem  Jupiter  einen  Tempel  und  brachte 
ihm  die  dem  Könige  der  Cänimenser  abgenommene  Beute  dar,  welche 
auf  einer  Bahre  (feretrum)  getragen  wurde. 

8)  Der  herabgelockte.  Numa  soll  nämlich  die  Kunst  verstanden 
haben,  durch  zauberische  Gebräuche  den  Jupiter  vom  Olymp  zu  sich 
herabzulocken. 


Zweites  Buch.  171 

•des  öffentlichen  und  Privatlebens  hervorgeht,  bestimmt,  ob 
sie  das  Schicksal  ändern,  oder  das  Kommen  neuer  Ereig- 
nisse andeuten.  Mögen  diese  Dinge  nun,  wie  es  ihre  Na- 
tur mit  sich  bringt,  Einigen  als  gewiss,  Andern  als  zweifel- 
haft, Andern  als  erwiesen,  Andern  als  verwerflich  erschei- 
nen; wir  wollen  die  übrigen  Erscheinungen,  welche  hiebei 
noch  bemerkenswerth  sind,  nicht  übergehen. 

55. 
Dass  der  Blitz  eher  gesehen  als  der  Donner  gehört 
wird,  obgleich  beide  zu  gleicher  Zeit  entstehen,  ist  gewiss, 
aber  auch  kein  Wunder,  denn  das  Licht  pflanzt  sich  weit 
schneller  fort  als  der  Schall.  Die  Natur  hat  es  zwar  so 
eingerichtet,  dass  Schlag  und  Schall  in  demselben  Momente 
zusammenfallen;  aber  der  Schall  ist  die  Wirkung  des  aus- 
fahrenden, nicht  des  einschlagenden  Blitzes.  Noch  schneller 
als  der  Blitz  ist  die  Luft,  daher  wird  alles  eher  erschüttert 
und  ange wehet  als  vom  Strahle  getroffen,  auch  Niemand 
vom  Blitze  erschlagen,  der  ihn  zuvor  gesehen  oder  den 
Donner  gehört  hat.  Die  Blitze,  welche  von  der  linken  Seite 
herkommen,  werden  für  glücklich  gehalten,  weil  der  Sonnen- 
aufgang uns  zur  Linken  Seite  der  Welt  liegt.  Jedoch  wird 
dabei  nicht  sowohl  auf  seine  Ankunft  als  vielmehr  auf  seine 
Rückkehr  Rücksicht  genommen;  ob  nämlich  sogleich  nach 
dem  Schlage  Feuer  abspringt ,  oder  ob  nach  vollendetem 
Schlage  oder  nach  verlöschtem  Feuer  die  Luft  sogleich  wie- 
derkehrt. Die  Thuscer  haben  zu  diesem  Behufe  den  Him- 
mel in  16  Theile  getheilt.  Der  erste  Theil  erstreckt  sich 
vom  Norden  bis  zum  Aequinoctial- Aufgange;  der  zweite 
von  da  bis  Mittag;  der  dritte  von  hier  bis  zum  Aequinoc- 
tial-Untergange;  der  vierte  enthält  den  übrigen  Raum  von 
da  bis  zum  Norden.  Jeder  dieser  Theile  zerfällt  wiederum 
in  vier,  von  denen  acht  die  dem  Sonnenaufgange  links, 
und  acht  die  demselben  rechts  liegenden  genannt  werden. 
Von  allen  Blitzen  haben  nun  diejenigen  die  schrecklichste 
Bedeutung,  welche  von  West  nach  Nord  sich  zeigen.  Es 
kommt  also  sehr  viel  darauf  an,  von  woher  sie  ziehen  und 
wohin  sie  sich  wenden.    Am   besten  ist  es,  wenn  sie  da, 


172  Zweites  Buch. 

wo  sie  entstanden  sind,  wieder  hineilen.  Kommen  sie  da- 
her vom  ersten  Theile  des  Himmels  her  und  kehren  wie- 
der dahin  zurück,  so  verkünden  sie  das  grösste  Glück,  wie 
dergleichen  dem  Dictator  Sulla *)  widerfahren  sein  soll.  Die 
Blitze,  welche  von  den  übrigen  Theilen  kommen,  sind  we- 
niger Glück  bringend  oder  Unheil  verkündend.  Manche 
Blitze  soll  man  weder  nennen,  noch  nennen  hören  dürfen, 
es  sei  denn,  dass  mau  einem  Gastfreunde  oder  Verwandten 
davon  erzählte.  Wie  unsicher  diese  Beobachtung  ist,  hat 
sich  in  Rom  erwiesen,  als  unter  dem  Konsul  Scaurus2), 
welcher  bald  darauf  der  erste  unter  seinen  Amtsgenossen 
wurde,  der  Blitz  in  den  Tempel  der  Juno  einschlug. 

Blitz  ohne  Donner  bemerkt  man  mehr  bei  Nacht  »als 
bei  Tage.  Das  einzige  lebende  Wesen,  welches  er  nicht 
immer  tödtet,  ist  der  Mensch,  die  übrigen  sterben  auf  der 
Stelle.  Die  Natur  scheint  ihm  diesen  Vorzug  deshalb  ge- 
geben zu  haben,  weil  ihn  so  viele  Thiere  an  Stärke  über- 
treffen. Alle  Thiere  liegen  auf  der  dem  Schlage  entgegen- 
gesetzten Seite;  der  Mensch  stirbt  nicht,  wenn  er  nicht  auf 
die  getroffene  Stelle  geworfen  wird;  die  von  oben  Getrof- 
fenen werden  sitzend,  die  wachend  Getroffenen  mit  geschlos- 
senen Augen,  und  die  schlafend  Getroffenen  mit  offenen 
Augen  gefunden.  Nach  religiösen  Vorschriften  soll  ein  vom 
Blitz  erschlagener  Mensch  nicht  verbrannt,  sondern  beerdigt 
werden.  Kein  Thier  wird,  wenn  es  nicht  schon  todt  war, 
vom  Blitz  angezündet.  Die  vom  Blitze  herrührenden  Wun- 
den sind  kälter  als   der  übrige  Körper. 

56. 

Von  allem,  was  die  Erde  hervorbringt,  wird  der  Lorbeer- 
baum nicht  vom  Blitze  getroffen,  und  nie  dringt  er  über 
fünf  Fuss  tief  in  die  Erde.  Daher  halten  Furchtsame  sich 
in  tiefen  Höhlen,  oder  auch  in  Zelten  aus  den  Fellen  der 
Seekälber  für  sicher,  denn  diess  Thier  ist  das  einzige  unter 
den  Seegeschöpfen,  welches  der  Blitz  nicht  verletzt,  sowie 


')  Geboren  147,  gestorben  78.  v.  Chr. 
2)  115  v.  Chr. 


Zweites  Buch.  173 

unter  den  Vögeln  der  Adler,  daher  derselbe  als  Träger  die- 
ses Geschosses  abgebildet  wird.  In  Italien  zwischen  Ter- 
racina  und  dem  Tempel  der  Feronia1)  werden  in  Kriegs- 
zeiten keine  Thtirme  mehr  erbauet,  weil  keiner  derselben 
vom  Blitze  verschont  blieb. 

57. 

Ausserdem  finden  sich,  was  die  untere  Region  des 
Himmels  betrifft,  Nachrichten,  dass  es  unter  den  Konsuln 
M.  Acilius  und  C.  Porcius2)  und  auch  sonst  noch  Milch 
und  Blut  geregnet  habe;  ferner  Fleisch,  unter  den  Kon- 
suln P.  Volumnius  und  Servius  Sulpitius 3),  und  die  Stücke, 
welche  die  Vögel  nicht  weggeholt  hätten,  sollen  nicht  ver- 
fault sein.  Auch  Eisen  regnete  es  in  Lukanien  ein  Jahr 
zuvor,  ehe  M.  Crassus  nebst  allen  lukauiscben  Soldaten, 
von  denen  sich  eine  grosse  Anzahl  bei  seinem  Heere  be- 
fand, von  den  Parthern  niedergemacht  wurde. 4)  Im  Aeussern 
glich  das  herabgefallene  Eisen  Schwämmen;  die  Harus- 
pices  hatten  auch  schon  vorher  vor  Wunden,  welche  von 
oben  kämen,  gewarnt.  Unter  den  Konsuln  L.  Paulus  und 
E.  Marcellus5)  regnete  es  in  der  Nähe  des  compsanischen 
Kastells6)  Wolle;  ein  Jahr  darnach  wurde  dort  T.  Annius 
Milo  getödtet.  Die  öffentlichen  Urkunden 7)  berichten  auch, 
dass  es,  als  jener  seine  Rechtssache  vertheidigte,  Ziegel- 
steine geregnet  habe. 

58. 

Man  erzählt,  dass  während  des  cimbrischen  Krieges s), 
und  auch   häufig   früher   und   später  Waffengeklirr  und 


')  Göttin  der  Freiheit  und  Beschützerin  der  Wälder  und  Haine. 
Der  Tempel  lag  an  der  Stelle  des  heutigen  Lago  di  Ferona. 
-)  640  n.  R.  E.  114  v.  Chr. 
3)  293  n.  R.  E.  461  v.  Chr. 
«)  701  n.  R.  E.  53  v.  Chr. 

5)  704  n.  R.  E.  50  v.  Chr. 

6)  bei  Compsa  (Conza). 

7)  Acta,  eine    Art   Zeitungen,    welche    unter  Julius    Caesar    auf- 
kamen. 

8)  101  v.  Chr. 


174  Zweites  Buch. 

Hörn  erschall  vom  Himmel  herab  gehört  worden  sei.  Aber 
unter  dem  3.  Konsulate  des  Marius *)  sahen  die  Ameriner 
und  Tuderter  Waffen  am  Himmel,  die  von  Morgen  und  Abend 
her  gekommen  so  lange  mit  einander  kämpfteu,'  bis  die 
letztern  zurückgedrängt  waren.  Dass  selbst  der  ganze  Him- 
mel brennt,  ist  keineswegs  wunderbar  und  schon  oft  ge- 
sehen, wenn  die  Wolken  von  einem  grossen  Feuer  ergriffen 
wurden. 

59. 
Die  Griechen  rühmen  von  Anaxagoras 2)  aus  Klazomenä,. 
dass  derselbe  im  2.  Jahre  der  78.  Olympiade3)  vermöge 
seiner  Kenntniss  in  der  Astronomie  vorhergesagt  habe,  an 
welchem  Tage  ein  Stein  aus  der  Sonne  fallen  würde,  und 
dass  diess  wirklich  in  einer  Gegend  von  Thracien,  am 
Flusse  Aegos4)  bei  Tage  geschehen  sei.  Dieser  Stein,  von 
der  Grösse  eines  beladenen  Wagens  und  von  brandiger 
Farbe,  wird  noch  jetzt  gezeigt.  Um  jene  Zeit  stand  auch 
ein  feuriger  Komet  am  Himmel.  Wer  aber  an  eine  solche 
Vorhersagung  glaubt,  der  muss  noth  wendig  auch  zugeben, 
dass  die  Weissagungskraft  des  Anaxagoras  ein  noch  grös- 
seres Wunder  war;  und  unsere  Einsicht  in  das  Wesen  der 
Dinge  würde  in  Nichts  zerfallen,  und  in  gänzliche  Verwir- 
rung gerathen,  wenn  entweder  die  Sonne  selbst  ein  Stein 
wäre,  oder  man  glaubte,  dass  jemals  ein  Stein  auf  ihr  ge- 
wesen sei.  Dass  aber  dennoch  häufig  Steine  herabfallen, 
wird  darum  keinen  Zweifel  erleiden.  In  der  Fechtschule 
zu  Abydus5)  wird  noch  heutzutage  ein  Stein,  der  zwar  nur 
klein  ist,  dessen  Herabfallen  mitten  auf  das  Land  aber 
Anaxagoras.  ebenfalls  voraus  gesagt  haben  soll,  heilig  ver- 
wahrt.   Auch  zu  Cassandria,  welches  jetzt  Potidäa6)  heisst, 


')  103  v.  Chr. 

-)  Geboren  500  v.  Chr.,  starb  428  zu  Lampsacus. 

3)  4G7  y.  Chr. 

4)  An  der  Strasse  der  Dardanellen. 

5)  Es  gab  mehrere  Orte  dieses  Namens,   einen  in   Troas,   einen 
in  Thebais  und  einen  in  Japygia. 

6)  Auf  der  Landspitze  Pallene  in  Macedonien;  jetzt  heissen  ihre 
Ruinen  Porte  di  Cassandro. 


Zweites  Buch.  175 

wird  ein  solcher  Stein  aus  derselben  Veranlassung  verehrt 
Ich  selbst  habe  im  Gebiete  der  Vocontier x)  einen  gesehen, 
der  erst  kurz  vorher  herabgefallen  war. 

60. 

Was  wir  Kegenbogen  nennen,  ist  eine  häufige,  weder 
mit  Wundern  noch  Deutungen  begleitete  Erscheinung;  denn 
nicht  einmal  Hegen  oder  heiteres  Wetter  zeigt  er  mit  Sicher- 
heit an.  Es  ist  offenbar,  dass  der  in  eine  hohle  Wolke 
einfallende  Sonnenstrahl,  an  der  Spitze  gebrochen  und  ge- 
gen die  Sonne  zurückgeworfen  wird;  und  dass  die  Ver- 
schiedenheit der  Farben  aus  der  Mischung  der  Wolken, 
der  Luft  und  des  Feuers  hervorgeht.  Er  entsteht  in  der 
That  auch  nur  auf  der  der  Sonne  entgegengesetzten  Seite, 
und  niemals  anders,  als  in  der  Gestalt  eines  Halbkreises; 
auch  erscheint  er  nie  des  Nachts,  obgleich  Aristoteles  an- 
giebt,  dass  man  um  diese  Zeit  einst  einen  solchen  gesehen 
habe,  zugleich  gesteht  er  aber,  dass  diess  nur  am  14.  Tage 
nach  dem  Neumonde  möglich  sei.  Die  meisten  Regenbogen 
bilden  sich  im  Winter,  vom  Herbst-Aequinoctium  an,  wenn 
die  Tage  abnehmen.  Wenn  diese  wieder  zunehmen,  also 
vom  Frühlings-Aequinoctium  an,  erscheinen  sie  eben  so 
wenig  wie  zur  Zeit  des  Sommer-Solstitiums,  in  den  läng- 
sten Tagen.  Im  Winter-Solstitium,  an  den  kürzesten  Ta- 
gen, sind  sie  sehr  häufig.  Sie  stehen  hoch,  wenn  die  Sonne 
tief,  und  tief,  wenn  die  Sonne  hoch  steht;  sie  sind  Morgens 
und  Abends  kleiner,  aber  breiter,  Mittags  schmäler,  aber 
von  grösserem  Umfange.  Im  Sommer  sieht  man  sie  des 
Mittags  nicht,  jedoch  nach  dem  Herbst-Aequinoctium  zu 
jeder  Stunde.    Nie  erscheinen  auf  einmal  mehr  als  zwei. 

61. 

Die  übrigen  hieher  gehörigen  Naturerscheinungen  dürf- 
ten wohl  den  Meisten  klar  sein.  Der  Hagel  entsteht  aus 
gefrorenem  Regen,  der  Schnee  aus  derselben,  nur  lockerer 
vereinigten  Feuchtigkeit,  der  Reif  aber  aus  erstarrtem  Thau. 
Im  Winter  fällt  Schnee,  aber  kein  Hagel,  dieser  selbst  am 


')  Jetzt  Vaison  im  südlichen  Frankreich. 


176  Zweites  Buch. 

Tage  öfter  als  in  der  Nacht  und  zergeht  schneller  als  der 
Schnee.  Nebel  entstehen  weder  im  Sommer  noch  bei 
strenger  Kälte;  Thau  fällt  weder  bei  Kälte,  noch  bei  Hitze, 
noch  beim  Winde,  sondern  in  heitern  Nächten.  Durch  den 
Frost  wird  die  Wassermasse  verringert  und  wenn  das  Eis 
aufthauet,  dieselbe  Quantität  nicht  wiedergefunden.  In  den 
Wolken  nimmt  man  verschiedene  Farben  und  Gestalten 
wahr,  je  nachdem  das  beigemischte  Feuer  die  Oberhand 
hat  oder  untergeordnet  ist. 

62. 

Ausserdem  zeigen  einige  Orte  gewisse  Eigenthümlich- 
keiten.  So  hat  man  in  Afrika  im  Sommer  thauige  Nächte. 
In  Italien  zu  Locri1)  und  am  velinischen  See2)  erscheinen 
jeden  Tag  Kegenbögen.  Zu  Rhodus  und  Syrakus  ist  der 
Himmel  nie  so  sehr  mit  Wolken  bedeckt,  dass  man  nicht 
"wenigstens  zu  einer  Stunde  des  Tages  die  Sonne  sehen 
kann.  Alles  dies  werde  ich  jedoch  passender  bei  den  be- 
treffenden Orten  vortragen.    So  viel  von  der  Luft. 

63. 

Nun  folgt  die  Erde,  welcher  wir,  wegen  ihrer  grossen 
Verdienste,  allein  von  allen  Theilen  der  Welt  den  Namen 
und  die  Verehrung  einer  Mutter  verliehen  haben.  Sie  ist 
dem  Menschen  das,  was  der  Gottheit  der  Himmel  ist;  sie 
nimmt  uns  bei  der  Geburt  auf,  ernährt  und  erhält  uns 
fortwährend,  und  zuletzt,  wenn  die  übrige  Natur  sich  von 
uns  lossagt,  empfängt  sie  uns  in  ihrem  Schoos  und  bedeckt 
uns  als  eine  liebende  Mutter.  Durch  kein  Verdienst  ist 
sie  uns  heiliger,  als  dass  sie  uns  selbt  heilig  macht;  auch 
trägt  sie  unsere  Monumente  und  Inschriften,  und  pflanzt  so 
unsere  Namen  und  unser  Andenken  weit  über  das  kurze 
Leben  hinaus  fort.  Im  Zorne  rufen  wir  sogar  ihre  Gottheit 
gegen  die  Todten  an,  als  wenn  wir  nicht  wüssten,  dass  sie 
es  allein  ist,  welehe  nie  einem  Menschen  zürnt. 

Die    Wasser   werden   zu   Regen,    erstarren   zu   Hagel, 


f)  Jetzt  Motta  di  Burzano. 

2)  Jetzt  Rio  de  Luco  oder  Lagodella  Mann. 


Zweites  Buch.  177 

schwellen  zu  Fluthen  an,  und  stürzen  als  reissende  Ströme 
daher;  die  Luft  verdichtet  sich  zu  Wolken  und  wüthet  in 
Stürmen.  Aber  diese  gütige,  milde,  geduldige,  und  dem 
Sterblichen  stete  Dienerin,  was  bringt  sie  nicht  durch  An- 
bau hervor!  Was  spendet  sie  nicht  schon  freiwillig!  Welche 
Gerüche,  Speisen,  Säfte,  dem  Gefühle  angenehme  Dinge, 
welche  Farben!  Mit  welcher  Treue  giebt  sie  das  ihr  an- 
vertraute Gut  verzinst  zurück,  und  was  ernährt  sie  nicht 
um  unsertwillen!  Denn  die  giftigen  Thiere,  an  deren  Da- 
sein ihr  belebender  Geist  schuld  ist,  muss  sie,  durch  diesen 
befruchtet,  aufnehmen  und  nach  der  Geburt  erhalten.  Aber 
die  Schuld  liegt  an  denen,  welche  das  Uebel  erzeugen. 
Sie  nimmt  die  Schlange,  welche  einen  Menschen  tödtete,  nicht 
wieder  auf1),  und  vollführt  die  Strafen  im  Namen  der  Trä- 
gen; sie  spendet  heilsame  Kräuter  und  zeuget  nur  immer 
für  den  Menschen.  Ja  es  ist  wahrscheinlich,  dass  sie  auch 
die  Gifte  aus  Erbarmen  mit  uns  hervorgebracht  hat,  damit 
nicht,  beim  Ueberdruss  des  Lebens,  der  Hunger,  eine  den 
Verdiensten  der  Erde  ganz  fremde  Todesart,  uns  langsam 
verzehrend  aufreibe;  oder  Felsen  den  zerrissenen  Körper 
zerstreuen;  ferner,  damit  nicht  der  Strick  uns  auf  unnatürliche 
Weise  martere  und  den  Geist  einschliesse,  der  einen  Aus- 
weg sucht;  damit  nicht,  wenn  wir  im  Wasser  den  Tod 
suchen,  unsere  Leiche  zum  Frasse  werde;  damit  endlich 
nicht  das  Eisen  unsern  Körper  zertheile.  So  erzeugte  sie 
aus  Erbarmen  etwas,  durch  dessen  leichten  Genuss  wir  mit 
unverletztem  Körper  und  vollem  Blute,  ohne  Mühe,  gleich 
Dürstenden  das  Leben  aushauchen,  damit  die  so  Gestorbe- 
nen kein  Vogel  oder  wildes  Thier  berühre,  und  der  in  der 
Erde  bewahrt  werde,  welcher  sich  selbst  den  Tod  gab. 
Um  die  Wahrheit  zu  gestehen,  so  gab  uns  die  Erde  das 
Mittel  wider  die  Uebel,  wir  machen  es  aber  zum  Gifte  für 
das  Leben.  Denn  bedienen  wir  uns  nicht  des  Eisens,  wel- 
ches wir  nicht  entbehren  können,  auf  ähnliche  Weise?  Und 
dennoch  haben  wir  Unrecht  zu  klagen,  wenn  sie  auch  die 


»)  Siehe  XXIX.  Buch,  23.  Capitel. 

12 


178  Zweites  Buch. 

Ursache  irgend  eines  Uebels  wäre,  und  nur  gegen  diese 
eine  Seite  der  Natur  sind  wir  undankbar.  Zu  welchem 
Vergnügen  und  zu  welchen  Schandthaten  ist  sie  nicht  dem 
Menschen  behilflich?  Sie  wird  ins  Meer  geworfen,  oder, 
um  Kanäle  zu  bauen,  aus  dem  Wasser  hervorgegraben ; 
mit  Eisen,  Holz,  Feuer,  Steinen  und  Früchten  wird  sie  stets 
gequält,  mehr  um  des  Vergnügens  als  der  Nahrung  willen. 
Das  würde  noch  erträglich  erscheinen,  was  man  an  ihrer 
Oberfläche  vornimmt.  Allein  wir  dringen  auch  in  ihr  Inne- 
res, graben  nach  Gold  und  Silber,  Erz  und  Blei;  sogar  edle 
und  andere  kleine  Steine  suchen  wir  in  tief  angelegten 
Schächten.  Wir  reissen  ihre  Eingeweide  heraus,  um  den 
Stein,  welchen  wir  suchen,  am  Finger  zu  tragen.  Wie  viele 
Hände  sind  bemüht,  damit  nur  ein  Glied  glänzen  kann! 
Wenn  es  unterirdische  Menschen  gäbe,  wahrhaftig  durch 
jene  habgierigen  und  schwelgerischen  Gräber  wären  sie 
längst  herausgescharrt.  Sollen  wir  uns  nun  noch  wundern, 
wenn  sie  etwas  zu  unserm  Nachtheil  hervorgebracht  hat! 
Denn  die  wilden  Thiere,  glaube  ich,  schützen  sie  noch  und 
halten  die  räuberischen  Hände  ab.  Graben  wir  nicht  mitten 
unter  Schlangen,  und  suchen  die.  Goldadern  bei  giftigen 
Wurzeln?  Allein  die  Göttin  ist  deshalb  versöhnt,  weil  alle 
diese  Quellen  des  Reickthums  zu  Verbrechen,  Mord  und 
Krieg  führen,  weil  wir  sie  mit  unserm  Blute  benetzen  und 
mit  unsern  unbegrabenen  Gebeinen  bedecken.  Jedoch,  nach- 
dem sie  uns  gleichsam  unsere  Wuth  vorgeworfen  hat,  be- 
deckt sie  endlich  selbst  jene  Gebeine,  und  verbirgt  so  die 
Schlechtigkeiten  der  Menschen.  Unter  die  Verbrechen  der 
Undankbarkeit  möchte  ich  auch  noch  das  zählen,  dass  wir 
mit  ihrer  Natur  noch  nicht  gehörig  vertraut  sind. 

64. 
Ihre  Gestalt  aber  ist  das  erste,  worüber  man  einerlei 
Meinung  hat.  Mit  Recht  nennen  wir  sie  Erdkreis,  und 
geben  zu,  dass  ihre  Kugelform  von  Spitzen  umschlossen  sei. 
Denn  bei  der  ungeheuren  Höhe  der  Berge  und  Fläche  der 
Felder  kann  sie  keine  vollkommene  Kugel  darstellen;  aber, 


Zweites  Buch.  179 

wenn  man  die  äussersten  Endpunkte  durch  eine  Umfangs- 
linie  verbindet,  dann  entsteht  ein  vollkommener  Kreis.  Die 
ganze  Anordnung  der  Natur  erheischt  diess  schon,  nur 
nicht  aus  denselben  Ursachen,  welche  wir  bei  dem  Himmel 
angegeben  haben.  Denn  dieser  bildet  eine  in  sich  selbst 
geneigte  Hohlkugel,  die  allenthalben  in  ihrer  Angel,  d.  i. 
der  Erde  ruht.  Diese  dagegen,  fest  und  voll,  erhebt  sich 
gleichsam  aufschwellend  und  strebt  nach  aussen.  Die  Welt 
neigt  sich  zum  Mittelpunkte,  allein  die  Erde  geht  vom 
Centrum  aus,  indem  ihre  ungeheure  Masse  durch  den  be- 
ständigen Umschwung  der  Welt  um  sie  in  der  Kugelform 
erhalten  wird. 

65. 
Bei  den  Gelehrten  und  dem  gemeinen  Volke  herrscht 
ein  grosser  Streit  darüber,  ob  die  Erde  allenthalben  von 
Menschen  bewohnt  sei,  die  einander  die  Füsse  entgegen- 
kehren, ob  sie  alle  denselben  Scheitelpunkt  am  Himmel 
haben,  und  auf  gleiche  Weise  an  jedem  Orte  in  der  Mitte 
stehen.  Die  Letzteren  dagegen  werfen  die  Frage  auf,  wo- 
Jier  es  denn  käme,  dass  die  Gegenfüssler  nicht  fielen? 
als  ob  die  Gegenfüssler  sich  nicht  eben  so  gut  darüber  wun- 
dern könnten,  dass  wir  nicht  fallen.  Dazu  gesellt  sich  noch 
eine  andere,  wenngleich  nur  dem  dummen  Volke  wahr- 
scheinliche Meinung,  dass  die  Erde,  da  sie  nur  eine  unvoll- 
kommne  Kugel,  etwa  wie  eine  Pinienfrucht  gestaltet  sei, 
doch  allenthalben  bewohnt  werde.  Doch  was  bedeutet  diess 
gegen  ein  anderes  Wunder,  was  sich  uns  darbietet?  Sie 
schwebt  sogar  frei  und  fällt  nicht  mit  uns  herab.  Allein, 
lässt  sich  die  Kraft  der  Luft,  die  ausserdem  noch  von  der 
Welt  eingeschlossen  ist,  bezweifeln;  und  kann  die  Erde 
fallen,  da  die  Natur  ihr  widerstrebt,  und  ihr  keinen  Raum 
lässt,  wohin  sie  falle?  Denn  sowie  der  Sitz  des  Feuers 
nur  im  Feuer,  der  des  Wassers  nur  im  Wasser  und  der 
Luft  nur  in  der  Luft  selbst  ist,  so  hat  die  Erde,  allent- 
halben eingeschlossen,  nur  in  sich  selbst  Platz.  Wunder- 
bar erscheint  es  aber  doch,  dass  sie  bei  der  ungeheuren 
Fläche  des  Meeres  und  der  Ebene  noch  eine  Kugel  bildet. 

12* 


Ig0  Zweites  Buch. 

Dieser  Meinung  pflichtet  auch  Dicsearchus l),  ein  sehr  ge- 
lehrter Mann  bei,  der  auf  Befehl  der  Könige2)  die  Berge 
ausmaass,  unter  denen  er  den  Pelion  3)  als  den  höchsten  zu 
1250  Schritten  nach  der  senkrechten  Höhe  angab  und  sagte, 
dass  diese  Höhe  im  Vergleich  zu  dem  ganzen  Umfange  der 
Erde  ganz  verschwinde.  Mir  scheint  diese  Behauptung  unzu- 
verlässig, denn  ich  kenne  Alpenspitzen,  die  sich  in  langem 
Zuge  bis  zu  50,000  Schritten4)  erheben.  Aber  am  meisten 
widerstreitet  der  Pöbel,  wenn  er  sich  die  , Oberfläche  des 
Meeres  auch  als  gerundet  denken  soll.  Und  doch  giebt  es  iu 
der  ganzen  Natur  nichts,  was  durch  den  blossen  Anblick  be- 
greiflicher wäre;  denn  auch  herabhängende  Tropfen  bilden 
Kugeln,  und  bringt  man  sie  auf  Staub  oder  wollige  Blätter, 
so  erscheinen  sie  ebenfalls  in  vollkommener  Kugelgestalt, 
und  in  gefüllten  Bechern  steht  der  mittlere  Theil  am  höch- 
sten. Alles  diess  lässt  sich  wegen  der  Zartheit  und  Weich- 
heit des  Wassers  leichter  durch  Vernunftsschlüsse  als  durch 
den  blossen  Anblick  einsehen.  Noch  wunderbarer  ist  die 
Erscheinung,  dass,  wenn  man  in  einen  gefüllten  Becher 
nur  das  Geringste  von  Flüssigkeit  noch  hinzugiebt,  der* 
selbe  sogleich  überläuft,  was  hingegen  nicht  geschieht, 
wenn  man  Gewichte,  selbst  bis  zu  20  Denarien  schwer, 
hineinlegt.  Der  Grund  davon  beruht  darauf,  dass  alles, 
was  ins  Innere  der  Flüssigkeit  gelangt,  diese  in  die  Höhe 
treibt,  aber,  was  auf  die  schon  convexe  Fläche  gegossen 
wird,  herabläuft.  Darum  sieht  man  auch  von  den  Schiffen 
aus  das  Land  nicht,  was  man  von  Mastbäumen  aus  er- 
blickt, und  darum  scheint  bei  einem  wegsegelnden  Schiffe 
etwas  Glänzendes,  was  an  der  Spitze  des  Mastbaumes 
befestigt  ist,  allmählig  hinabzusteigen,  und  verschwindet 
zuletzt  ganz.  Unter  welcher  anderen  Gestalt  würde 
endlich  der  Ocean,  den  wir  für  das  Aeusserste  hal- 
ten, zusammen   halten  und   nicht  herabfallen,  da  ihn   kein 


')  Von  Messina  um  330  v.  Chr.;  Schüler  des  Aristoteles. 

a)  Die  Nachfolger  Alexanders  des  Grossen. 

3)  Jetzt  Petras  in  Thessalien. 

*)  Eine  viel  zu   hohe,   offenbar  durch  Abschreiber  entstellte  Zahl. 


Zweites  Buch.  181 

Ufer  einschliesst?  Gleichwohl  bleibt  es  bei  der  Kugelform 
wunderbar,  dass  der  äusserste  Theil  des  Meeres  nicht  ab- 
fliesst.  Dass  diess  aber  nicht  stattfinden  könne,  wenn  auch  das 
Meer  so  flach  wäre,  wie  es  uns  scheint,  beweisen  mehrere 
griechische  Forscher  mit  vieler  Selbstgefälligkeit  und  Ruhm- 
rederei durch  folgende  geometrische  Spitzfindigkeit:  „Da 
nach  der  einstimmigen  Meinung  das  Wasser  von  der  Höhe 
zur  Tiefe  hinabgezogen  würde,  auch  Niemand  daran  zweifle, 
dass  dasselbe  so  weit  sich  zum  Ufer  erstrecke,  als  seine 
Abschüssigkeit  es  nur  immerhin  zugiebt;  da  es  ferner  be- 
kannt sei,  dass,  je  tiefer  etwas  liege,  es  dem  Mittelpunkte 
der  Erde  um  so  näher  sei,  und  alle  Linien,  welche  von 
diesem  Mittelpunkte  aus  zum  nächstliegenden  Wasser  ge- 
zogen würden,  kürzer  wären,  als  diejenigen,  welche  von  da 
bis  zur  äussersten  Wasserfläche  gehen;  also  strebe  die 
ganze  Wassermasse  nach  dem  Mittelpunkte,  und  könne 
nicht  herabfallen,  weil  sie  nach  Innen  drücke." 

66. 
Man  muss  annehmen,  dass  die  kunstreiche  Natur  des- 
halb diese  Einrichtung  getroffen  hat,  damit,  weil  die  trockne 
und  dürre  Erde  für  sich  nicht  ohne  Wasser,  und  wiederum 
das  Wasser  nicht  ohne  die  Stütze  der  Erde  sich  halten 
kann,  beide  Elemente  durch  gegenseitige  Verschlingung 
verbunden  würden.  Die  Erde  breitet  ihren  Schooss  aus, 
das  Wasser  durchströmt  sie  von  innen,  aussen  und  oben, 
und  seine  Adern  kreuzen  sich  wie  Bande  durcheinander, 
ja  selbst  auf  den  höchsten  Bergen  bricht  es  hervor.  Durch 
Dünste  getrieben  und  durch  die  Last  der  Erde  gepresst, 
springt  es  wie  aus  Röhren  hervor,  und  ist  so  weit  entfernt 
von  der  Gefahr  des  Herabfallens,  dass  es  sogar  sehr  weit 
in  die  Höhe  treibt.  Daraus  erklärt  es  sich  denn,  warum 
das  Meer  durch  den  täglichen  Zufluss  so  vieler  Ströme 
nicht  grösser  wird.  Die  Erdkugel  ist  daher  in  ihrem  mitt- 
leren Umfange  ganz  vom  Meere  umgürtet,  Diess  braucht 
nicht  erst  durch  Beweisgründe  erforscht  zu  werden,  sondern 
ist  längst  durch  die  Erfahrung  bekannt. 


182  Zweites  Buch. 

67. 
Von  Gades1)  und  den  Säulen  des  Herkules2)  au  wird 
längs  der  Küste  von  Spanien  und  Gallien  heutzutage  der 
ganze  westliche  Theil  der  Erde  befahren.  Auch  das  Nord- 
meer ist  grösstentheils  beschifft,  denn  unter  der  Regierung 
des  vergötterten  Augustus  fuhr  eine  Flotte  um  Germanien 
herum  bis  zum  cimbrischen  Vorgebirge3);  von  da  gelangte 
man,  nachdem  man  ein  unermessliches  Meer  gesehen  oder 
wenigstens  davon  gehört  hatte,  zum  scythischen  Lande  und 
zu  wasserreichen,  von  Eis  starrenden  Gegenden.  Es  ist  da- 
her gar  nicht  wahrscheinlich,  dass  da,  wo  ein  Ueberfluss 
an  Feuchtigkeit  ist,  das  Meer  fehle.  Ebenso  ist  im  Osten 
vom  indischen  Meere  aus  unter  demselben  Sternbilde  der 
ganze  gegen  das  kaspische  Meer  liegende  Theil  4j  durch 
die  macedonische  Flotte  unter  der  Regierung  des  Seleukus 
und  Antiochus5),  welche  diese  Gewässer  auch  nach  ihren 
Namen  benannt  wissen  wollten,  durchschifft  worden.  Un- 
weit von  dem  kaspischen  Meere  sind  auch  viele  Küsten 
des  Oceans  untersucht,  und  das  ganze  Nordmeer  ist  von 
dieser  sowohl  als  von  jener  Seite  bis  auf  eine  Strecke 
durchrudert.  Dass  aber  dennoch  den  blossen  Vermuthungen 
noch  kein  Ziel  gesteckt  ist,  beweist  der  Mäotische  See6) 
aufs  deutlichste,  von  dem  man  immer  noch  nicht  weiss, 
ob  er,  wie  viele  geglaubt  haben,  einen  Busen  jenes  Oceans, 
oder  ein  stehendes,  nur  durch  eine  Landenge  von  ihm  ge- 
trenntes Gewässer  bildet. 


')  Cadix  in  Spanien. 

2)  So  hiessen  die  beiden  Berge  Abyla  und  Calpe  auf  den  Küsten 
von  Gibraltar,  welche  Herkules  auf  jeder  Seite  der  Meerenge  errich- 
tet haben  soll,  um  dem  Mittelmeere  einen  Durchgang  zu  verschaffen 
und  ein  Denkmal  zu  setzen,  wie  weit  er  auf  seinen  Reisen  gekommen  sei. 

3)  Das  Scagencap  in  Jütland.  Die  hier  gemeinte  Fahrt  unternahm 
Drusus;  s.  Tacitus  Annal.  IL  8. 

4)  Nach  der  damaligen  Ansicht  bildete  das  Caspische  Meer  einen 
Busen  des  nördlichen  Oceans;  s.  im  VI.  Buch  15  und  17  Capitel. 

5)  Zu  Ende  des  dritten  und  zu  Anfang  des  zweiten  Jahrhunderts 
v.  Chr. 

°)  Das  asowische  Meer. 


Zweites  Buch.  183 

Auf  der  andern  Seite  von  Gades  wird  heutzutage  von 
dem  westlichen  Ocean  her  ein  grosser  Theil  des  Südens 
längs  Mauritanien x)  befahren.  Ein  noch  grösserer  Theil 
davon,  sowie  des  Ostmeeres  bis  an  den  arabischen  Meer- 
busen ist  durch  die  Siege  Alexanders  des  Grossen2)  be- 
kannt geworden.  Als  auf  letzterm  C.  Caesar,  der  Sohn  des 
Augustus  Krieg  führte,  soll  man  Ueberbleibsel  von  früher 
daselbst  gestrandeten  spanischen  Schiffen  gefunden  haben. 
Auch  Hanno3)  schiffte,  als  Carthago's  Macht  noch  blühete, 
von  Gades  bis  zur  arabischen  Küste,  und  gab  darüber  eine 
Schrift  heraus.  Zu  derselben  Zeit  wurde  Himilco4)  aus- 
gesandt, um  die  äussersten  Grenzen  Europa's  kennen  zu 
lernen.  Ausserdem  erzählt  Cornelius  Nepos,  dass  zu  seiner 
Zeit  ein  gewisser  Eudoxus  auf  seiner  Flucht  vor  dem  Kö- 
nige Lathurus 5)  vom  arabischen  Meerbusen  aus  nach  Gades 
gesegelt  sei;  und  lange  vor  ihm  berichtet  Caelius  Antipater6), 
er  habe  Einen  gekannt,  welcher  von  Spanien  nach  Aethio- 
pien  in  Handelsangelegenheiten  geschifft  sei.  Derselbe 
Nepos  sagt  von  den  nördlichen  Küsten,  dass  Quintus  Me- 
tellus  Celer,  der  Mitkonsul  des  L.  Africanus,  aber  damals 
noch7)  Prokonsul  in  Gallien,  von  dem  Könige  der  Sueven 
einige  Indier  zum  Geschenk  erhalten  habe,  die  des  Handels 
wegen  von  Indien  gesegelt  und  durch  Stürme  nach  Ger- 
manien verschlagen  worden  wären.  So  entziehen  uns  die 
den  Erdball  allenthalben  umfliessenden  Meere  einen  Theil 
desselben,  zu  dem  es  weder  von  uns,  noch  zu  uns  von  ihm 
her  eine  wegsame  Bahn  giebt.  Diese  Betrachtung,  welche 
besonders   die   Eitelkeit   der    Menschen   ans   Licht   stellen 


')  Fez  und  Marokko. 

2)  Sohn  Philipps  II.  von  Macedonien,  und  der  Olympias,  ge- 
boren zu  Pella  den  6.  August  356  v.  Chr.,  starb  323. 

3)  Karthagischer  Feldherr  aus  dem  6.  Jahrhundert  v.  Chr. 

4)  Ebenfalls  ein  Karthager. 

s)  Diess  war  der  Beiname  des  ägyptischen  Königs  Ptolemaeus  VIII., 
der  von  117 — 81  v.  Chr.  regierte. 

6)  L.  Cselius  Antipater  aus  Kotyseum,  geboren  20  v.  Chr.,  beschrieb 
unter  den  Römern  zuerst  den  2.  punischen  Krieg. 

')  63  v.  Chr. 


184  Zweites  Buch. 

kann,  veranlasst  mich,  den  ganzen  bekannten  Erdkreis,  auf 
welchem  Niemand  seiner  Habsucht  Schranken  setzt,  gleich- 
sam vor  Augen  zu  stellen,  und  zu  zeigen,  wie  gross  er  ist. 

68. 

Schon  frühe  scheint  man  das  feste  Land  als  die  Hälfte 
der  Erde  betrachtet  zu  haben,  als  wenn  dadurch  der  Ocean 
nicht  zu  kurz  käme,  da  er  doch  das  Ganze  rings  umgiebt, 
alle  andern  Gewässer  ausströmt  und  wiederum  in  sich  auf- 
nimmt, indem  alles,  was  in  die  Wolken  steigt,  von  ihm 
ausgeht  und  er  selbst  so  viele  Gestirne  ernährt;  welchen 
ungeheuren  Raum  muss  er  also  einnehmen?  Uebermässig 
und  unendlich  muss  der  Umfang  dieser  ungeheuren  Masse 
sein.  Nun  denke  man  hinzu,  was  von  dem  übriggebliebe- 
nen Theile  der  Himmel  weggenommen  hat.  Die  Erde  wird 
nämlich  in  5  Theile  getheilt,  welche  Zonen  heissen.  Alles 
was  an  den  beiden  äussersten  liegt,  wird  von  heftiger  Kälte 
und  ewigem  Eise  eingeschlossen,  und  grenzt  an  die  bei- 
den Pole,  von  denen  der  eine  Nordpol  und  der  andere  ihm 
entgegengesetzte  Südpol  heisst.  In  beiden  herrscht  ewige 
Finsterniss,  der  Anblick  der  milden  Gestirne  ist  ihnen  fremd, 
und  nur  ein  kärgliches,  durch  den  Reif  weissliches  Licht 
ihnen  verliehen.  Der  mittlere  Erdgürtel  aber,  den  die  Sonne 
umkreist,  ist  von  der  Hitze  verbrannt  und  gänzlich  ausge- 
dörrt. Nur  die  beiden  Zonen,  zwischen  der  heissen  und 
kalten,  sind  gemässigt,  stehen  aber  wegen  des  Brandes  der 
Sonne  nicht  miteinander  in  Verbindung.  So  hat  also  der 
Himmel  der  Erde  drei  Theile  entrissen;  was  der  Ocean 
weggenommen,  ist  unbestimmt. 

Aber  ich  weiss  nicht,  ob  der  uns  noch  übrig  gebliebene 
Theil  sich  nicht  in  grösserer  Gefahr  befindet;  denn  der 
Ocean,  welcher,  (wie  ich  noch  zeigen  werde)  so  viele  Bu- 
sen bildet,  tobt  mit  solcher  Wuth  auf  die  benachbarten 
innern  Meere  ein,  dass  z.  B.  der  arabische  Meerbusen  nur 
noch  115,000  Schritte  vom  ägyptischen,  und  der  kaspische 
See  nur  noch  375,000  Schritte  vom  pontischen  Meere  ent- 
fernt ist.  Ferner  dringt  er  in  so  viele  Meere,  durch  welche 
er  Afrika,  Europa  und  Asien  von  einander  trennt;  wie  viel 


Zweites  Buch.  185 

Land  nimmt  er  also  ein?  Hiezu  rechne  man  die  Grösse 
so  vieler  Flüsse,  so  grosser  Seen,  Sümpfe  und  stehenden 
Gewässer,  und  ziehe  noch  ab  die  zum  Himmel  emporstre- 
benden, steilen  Bergrücken,  jähe  Wälder  und  Schluchten, 
einsame  und  aus  tausend  Ursachen  wüste  Gegenden!  Die- 
ser Theil  der  Erde,  dieser,  wie  Einige  sie  genannt  haben, 
Punkt  der  Welt  (denn  im  Vergleich  mit  dem  Weltall  ist 
die  Erde  nichts  anderes)  ist  der  Gegenstand  und  Sitz  un- 
seres Ruhmes.  Hier  bekleiden  wir  Ehrenstellen,  beherr- 
schen Länder,  streben  nach  Schätzen,  beunruhigen  das 
menschliche  Geschlecht,  erregen  sogar  Bürgerkriege,  und 
machen  uns  durch  gegenseitigen  Mord  die  Erde  geräumi- 
ger. Und,  um  die  öffentlichen  Volksaufstände  zu  übergehen, 
hier  ist  es,  wo  wir  unsere  Grenznachbarn  vertreiben,  ihre 
Raine  stehlen  und  zu  unserm  Acker  pflügen;  allein,  den 
wievielsten  Theil  der  Erde  hat  der  wohl,  welcher  die  Gren- 
zen seiner  Felder  erweiterte,  und  seine  Nachbarn  vertrieb? 
Oder  wenn  er  auch  sein  Besitzthum  nach  Maassgabe  seiner 
Habsucht  vergrössert  hat,  wie  viel  wird  er  bei  seinem  Tode 
davon  behalten? 

69. 

Dass  die  Erde  in  der  Mitte  der  Welt  liegt,  ergiebt 
sich  aus  mehreren  unbezweifelten  Gründen,  am  deutlichsten 
aber  aus  der  Gleichheit  der  Stunden  im  Aequinoctium. 
Denn  dass,  wäre  sie  nicht  in  der  Mitte,  auch  keine  gleichen 
Tage  und  Nächte  stattfinden  könnten,  beweisen  schon  die 
Dioptern *),  nach  welchen  zur  Aequinoctialzeit  Aufgang  und 
Untergang  in  ein  und  derselben  Linie,  sowie  der  Solstitial- 
Aufgang  und  Brumal-Untergang  in  einer  Linie  liegen.  Al- 
les diess  könnte  auf  keine  Weise  stattfinden,  wenn  di& 
Erde  nicht  in  der  Mitte  läge. 

70. 

Drei  über  den  oben  genannten  Zonen  liegende  Kreise 
bestimmen  die  Ungleichheit  der  Zeiten.     Der  Solstitialkreis, 


')  Wörtlich:  Durchsichten,  auch  Sonnenquartanten  genannt,  ein 
Instrument,  an  welchem  die  Sonne  durch  eine  Oefthung  auf  eine 
fläche  fällt,  und  die  Zeit  angiebt. 


186  Zweites  Buch. 

welcher  sich  an  dem  für  uns  höchsten  Theile  des  Thier- 
kreises  befindet,  liegt  nach  Norden;  der  Brumalkreis  nach 
dem  andern  Pole  hin,  mitten  aber  durch  den  Thierkreis 
zieht  sich  der  Aequinoctialkreis. 

71. 

Die  Ursache  der  übrigen  von  uns  bewunderten  Er- 
scheinungen liegt  in  der  Gestalt  der  Erde  selbst;  sowie 
ihre  und  mit  ihr  der  Gewässer  kugelrunde  Form  aus  den- 
selben Gründen  hervorgeht.  Daher  kommt  es  denn  ohne 
Zweifel,  dass  uns  die  Gestirne  am  nördlichen  Himmel  nie- 
mals untergehen,  hingegen  die  südlichen  niemals  aufgehen; 
ferner  werden  unsere  Sterne  von  den  Bewohnern  der  süd- 
lichen Länder  nicht  gesehen,  weil  die  Erdkugel  den  Blicken 
in  den  Weg  tritt.  Im  Lande  der  Troglodyten *)  und  dem 
benachbarten  Aegypten  sieht  man  den  Nordstern  nicht;  den 
Canopus2),  das  sogenannte  Haar  der  Berenice,  sowie  das 
Gestirn,  welches  unter  dem  vergötterten  Augustus  der  Thron 
des  Kaisers  genannt  wurde,  welche  doch  alle  dort  wahr- 
zunehmen sind,  sieht  man  in  Italien  nicht.  Ja  die  Krüm- 
mung der  Erdkugel  ist  so  merklich,  dass  der  Canopus  etwa 
nur  um  den  vierten  Theil  eines  Zeichens  für  Alexandrien 
über  den  Horizont  hervorzuragen  scheint,  während  er  zu 
Rhodus  scheinbar  die  Erde  streift;  im  Pontus,  wo  der  Nord- 
stern am  höchsten  steht,  sieht  man  jenen  gar  nicht.  Da- 
gegen ist  der  Nordstern  auf  Rhodus  und  noch  mehr  in 
Alexandrien  unsichtbar;  im  November  bleibt  er  während 
der  drei  ersten  Nachtstunden3)  verborgen,  in  den  drei  fol- 
genden erscheint  er;  zu  Meroe  erscheint  er  imSolstitium  eine 
kurze  Zeit  des  Abends,  und  wenige  Tage  vor  dem  Aufgange 
des  Bären4)  sieht  man  ihn  gleichfalls  bei  Tagesanbruch. 

Dergleichen  Erscheinungen  bieten  sich  am  häufigsten 


1)  Nubien  und  Abessinien. 

2)  Ein  Stern  erster  Grösse  im  südlichen  Ruder  des  Schiffes  Argo. 

3)  Prima  vigilia.  Die  Römer  theilten  die  Nacht  in  vier  Vigilien, 
jede  von  drei  Stunden;  die  Griechen  aber  hatten  bloss  drei  Vigilien, 
jede  von  vier  Stunden. 

4)  Am  21.  Februar. 


Zweites  Buch.  187 

den  Seefahrern  da,  indem  das  Meer  auf  der  einen  Seite  in 
die  Höhe  steigt,  und  auf  der  andern  sich  wieder  herabsenkt, 
wodurch  dann  die  Sterne,  welche  erst  hinter  dem  Erdballe 
verborgen  waren,  plötzlich  sichtbar  werden,  indem  sie  gleich- 
sam aus  dem  Meere  hervortauchen.  Denn  keineswegs  er- 
hebt sich  (wie  Einige  behaupten)  die  Welt  an  diesem 
(nördlichen)  Pole  so  hoch,  dass  diese  Sterne  allenthalben 
gesehen  werden  könnten,  sondern  sie  scheinen  denjenigen, 
welche  dem  Pole  näher  wohnen,  höher,  den  Entferntem 
dagegen  tiefer  zu  stehen.  Sowie  nun  den  am  üussersten 
Punkte  wohnenden  jener  Pol  sehr  hoch  vorkommt,  so  er- 
heben sich  denen,  welche  noch  darüber  hinaus  gehen,  die 
tiefer  liegenden  Sterne,  und  diejenigen  senken  sich,  welche 
dort  am  höchsten  standen;  was  alles  nicht  stattfinden  könnte, 
wenn  die  Erde  nicht  die  Gestalt  eines  Balls  hätte. 

72. 
Daher  können  die  Bewohner  des  Ostens  die  am  Abend 
«ich  zeigenden  Sonnen-  und  Mondfinsternisse  ebenso- 
wenig, wie  die  Bewohner  des  Westens  die  am  Morgen  ent- 
stehenden, sehen;  öfter  aber  erscheinen  beiden  die  mittägigen 
Finsternisse.  Als  Alexander  der  Grosse  die  grosse  Schlacht 
bei  Arbela1)  gewann,  soll  daselbst  in  der  zweiten  Stunde 
der  Nacht  eine  Mondfinsterniss  stattgefunden  haben,  wäh- 
rend sie  in  Sicilien  zur  selbigen  Zeit  beim  Aufgange  des 
Mondes  eintrat.  Vor  einigen  Jahren,  unter  den  Konsuln 
Vipstanus  und  Fontejus2)  sah  man  in  Kampanien  am  30. 
April  zwischen  der  7.  und  8.  Tagesstunde  eine  Sonnenfinster- 
niss,  welche  Corbulo,  der  damalige  Feldherr  in  Armenien, 
zwischen  der  10.  und  11.  Tagesstunde  bemerkt  haben 
will.  So  zeigt  und  verdeckt  die  Erde  durch  ihre  Ku- 
gelform dem  Ein&n  diess,  dem  Andern  jenes.  Wäre  die 
Erde  flach,  so  würden  alle  Menschen  solche  Erscheinungen 
zugleich  sehen,  auch  würden  die  Nächte  nicht  von  unglei- 
cher Dauer  sein;  denn  sowohl  diejenigen,  welche  in  der 


')  Am  21.  Sept.  331  v.  Chr.  gegen  Darius. 
2)  59  n.  Chr.  unter  Nero. 


188  Zweites  Buch. 

Mitte    wohnten,   als   auch  alle  Andern   würden  Tage   und 
Nächte  von  zwölf  gleichen  Stunden  haben. 

73. 
Deshalb  ist  es  auch  nie  auf  der  ganzen  Erde  zugleich 
Tag  und  Nacht,  denn  auf  der  der  Sonne  entgegengesetzten 
Hälfte  der  Kugel  entsteht  Nacht,  und  durch  ihren  Um- 
schwung bringt  sie  dieser  Hälfte  den  Tag  wieder.  Diess 
beweisen  viele  Erfahrungen.  In  Afrika  und  Spanien  wurden 
von  Hannibal  Thürme,  und  in  Asien  ähnliche  Warten  ge- 
gen die  Ueberfälle  der  Seeräuber  erbauet;  wenn  man  nun 
auf  denselben  das  Signalfeuer  um  die  6.  Tagesstunde  an- 
zündete, so  sahen  es,  wie  mehrere  Fälle  beweisen,  die  dort 
absegelnden  Schiffe  bloss  bis  zur  dritten  Stunde  der  Nacht. 
Philonides,  der  Läufer  Alexanders  des  Grossen,  legte  den 
1200  Stadien  langen  Weg  von  Sicyon  nach  Elis  in  neun 
Stunden  am  Tage  zurück;  von  da  aber,  kehrte  er,  unge- 
achtet es  bergab  ging,  erst  in  der  3.  Stunde  der  Nacht  zu- 
rück. Die  Ursache  war,  dass  er  hinwärts  mit  der  Sonne 
ging,  auf  dem  Eückwege  aber  ihm  die  Sonne  entgegen  kam. 
Aus  gleichen  Gründen  haben  die  nach  Westen  Segelnden, 
selbst  am  kürzesten  Tage,  länger  Tag  als  Nacht,  weil  sie 
gleichsam  die  Sonne  begleiten. 

74. 
Nicht  überall  kann  man  dieselben  Stundenuhren  ge- 
brauchen, weil  sie  sich  alle  300  bis  500  Stadien  mit  dem 
Schatten  der  Sonne  verändern.  So  beträgt  die  Schatten- 
länge des  Zeigers  (welchen  man  Gnomon  nennt)  in  Aegyp- 
ten  am  Tage  des  Aequinoctii  zur  Mittagszeit  etwas  mehr 
als  die  halbe  Länge  des  Zeigers.  Zu  Rom  fehlt  dem  Schat- 
ten Vs  der  Länge  des  Zeigers;  in  Ankona  ist  er  um  V35 
länger;  in  dem  Theile  von  Italien,  welcher  Venetia  heisst, 
gleicht  zu  derselben  Stunde  die  Länge  des  Schattens  der 
des  Zeigers. 

75. 
Auch  erzählt  man,  dass  zu  Syene  *),  einer  Stadt,  welche 


')  Jetzt  Assuan. 


Zweites  Buch.  189 

5000  Stadien  jenseits  Alexandrien  liegt,  die  Sonne  am 
Tage  des  Solstitiums  zu  Mittag  keinen  Schatten  werfe, 
und  dass  sie  einen  Brunnen,  den  man  zu  diesem  Behufe 
gegraben  habe,  erleuchte.  Daraus  geht  hervor,  dass  um 
jene  Zeit  die  Sonne  dort  gerade  im  Scheitelpunkte  steht, 
was  nach  Onesikritus l)  auch  in  Indien  über  dem  Flusse 
Hypasis2)  um  dieselbe  Zeit  der  Fall  sein  soll.  Dasselbe 
erfolgt  zu  Berenice 3),  einer  Stadt  der  Troglodyten,  und  dem 
4820  Stadien  von  da  entfernten,  demselben  Volke  gehören- 
den Ptolemäis4),  welches  an  der  Küste  des  rothen  Meeres 
zum  Behufe  der  ersten  Elephantenjagden  erbauet  wurde; 
hier  zeigt  sich  die  erwähnte  Erscheinung  45  Tage  vor  und 
nach  dem  Solstitium,  und  diese  neunzig  Tage  hindurch  fällt 
der  Schatten  nach  Mittag.  Auch  zu  Meroe5)  (einer  Insel 
und  Hauptstadt  der  Aethiopier,  die  5000  Stadien  von  Syene 
entfernt  im  Nil  liegt)  hat  man  zwei  mal  im  Jahre  keinen 
Schatten,  wenn  nämlich  die  Sonne  im  18.  Grade  des  Stiers, 
und  im  14.  Grade  des  Löwen  steht.  In  Indien,  im  Lande 
der  Oreten,  befindet  sich  ein  Berg  Maleus  genannt  bei 
welchem  die  Schatten  im  Sommer  nach  Mittag  und  im 
Winter  nach  Mitternacht  geworfen  werden.  Dort  ist  der 
grosse  Bär  auch  nur  15  Nächte  lang  sichtbar.  In  dem  be- 
rühmten indischen  Hafen  Patalis  geht  die  So  nne  zur  Rechten 
auf,  und  der  Schatten  fällt  nach  Mittag.  Als  Alexander 
sich  dort  aufhielt,  wurde  der  grosse  Bär  nur  in  den  ersten 
drei  Stunden  der  Nacht  gesehen.  Sein  Feldherr  Onesikri- 
tus berichtet,  dass  an  den  Orten  in  Indien,  wo  es  keinen 
Schatten  gäbe,  der  grosse  Bär  niemals  sichtbar  sei,  dass 
diese  Orte  „schattenlose"  hiessen,  und  dass  man  dort  die 
Stunden  nicht  zähle. 

')  Aus  Aegina,  Schüler  des  Diogenes  von  Sinope,  und  einer  der 
Begleiter  Alexanders  auf  seinen  Zügen. 

-)  Bis  zu  diesem  Flusse  gelangte  Alexander  der  Grosse.  Er  heisst 
jetzt  Beyah. 

3)  Jetzt  Salaca. 

4)  Jetzt  Ras-Ahehas. 

5)  Jetzt  Haschur. 


190  Zweites  Buch. 

76. 

Im  ganzen  Troglody  tenlande  sollen,  nach  Eratosthenes *), 
die  Schatten  zweimal  im  Jahre  45  Tage  hindurch  auf 
die  entgegengesetzte  Seite  fallen. 

77. 

So  kommt  es  auch,  dass  durch  diess  Ab-  und  Zunehmen 
des  Lichts,  in  Meroe  der  längste  Tag  zwölf  Aequinoctial- 
stunden  und  noch  acht  Theile  einer  Stunde2)  beträgt,  in 
Alexandrien  aber  14  Stunden,  in  Italien  15  und  in  Britan- 
nien 17  Stunden,  wo  auch  die  hellen  Nächte  im  Sommer 
das,  was  die  Vernunft  uns  schon  glaublich  macht,  bekräftigen. 
Nämlich  zur  Zeit  des  Sommersolstitiums,  wo  die  Sonne 
dem  Pole  näher  steht  und  der  Umkreis  ihres  Leuchtens 
enger  ist,  haben  jene  Polarländer  sechs  Monate  lang  be- 
ständig Tag,  und,  wenn  sie  sich  zum  Wintersolstitium  hin 
entfernt  hat,  ebenso  lange  Nacht.  Dasselbe  soll,  wie  Py- 
theas  von  Massilien3)  berichtet,  auf  der  Insel  Thule4), 
welche  sechs  Schiflstagereisen  nördlich  von  Britannien  ent- 
fernt ist,  der  Fall  sein;  Einige  behaupten  diess  auch  von 
der  Insel  Mona5),  welche  von  der  britischen  Stadt  Ca- 
maldunum6)  200,000  Schritte  weit  liegt. 

78. 

Diese  Lehre  von  den  Schatten  und  die  sogenannte 
Gnomonik  erfand  Anaximenes  von  Milet7),  ein  Schüler  des 
schon  erwähnten  Anaximander;  er  zeigte  auch  zuerst  zu 
Lacedämon    eine   Stundenuhr,    Sciotherikum 8)    genannt. 


')  Von  Cyrene,  lebte  277—196  v.  Chr. 

2)  Die  Alten  theilten  die  Stunde  in  12  Theile. 

3)  Pytheas  von  Marseille  lebte  im  4.  Jahrh.  v.  Chr. 

4)  Thule  scheint  das  heutige  Island  zu  sein.  Nur  Plinius  und 
Strabo  lassen  den  Pytheas  obige  Behauptung  aufstellen.  In  den  eig- 
nen Worten  des  Pytheas,  die  Geminus  anführt,  ist  nur  von  einem 
22  stündigen  längsten  Tage  die  Rede. 

5)  Das  heutige  Anglesea. 

6)  Jetzt  Colchester. 

:)  Lebte  von  550—500  v.  Chr. 
B)  Scjhattenfänger. 


Zweites  Buch.  191 

79. 

Die  Dauer  des  Tages  selbst  findet  man  von  Einigen 
so,  von  Andern  so  fest  gesetzt.  Die  Babylonier  rechnen  von 
einem  Sonnenaufgange  bis  zum  Andern,  die  Athenienser 
von  einem  Untergange  bis  zum  andern,  die  Umbrier  von 
einem  Mittage  zum  andern,  alle  gemeinen  Leute  von  An- 
bruch des  Tageslichts  bis  zum  Dunkelwerden;  die  römischen 
Priester  und  diejenigen,  welche  den  bürgerlichen  Tag  ein- 
führten, desgleichen  die  Aegypter  und  Hipparchus  rechnen 
von  Mitternacht  zu  Mitternacht.  Es  leuchtet  aber  ein,  dass 
die  Abwesenheit  des  Tageslichts  von  einem  Sonnenaufgange 
zum  andern  zur  Zeit  des  Sommer-Solstitiums  kleiner  sein 
müsse,  als  in  den  Aequinoctien,  denn  die  Lage  des  Thier- 
kreises  ist  in  den  Aequinoctien  schräger,  beim  Solstitium 
aber  senkrechter. 

80. 

Mit  den  bisherigen  Ursachen  der  himmlischen  Erschei- 
nungen wollen  wir  nun  noch  die  davon  abhängigen  ver- 
knüpfen; denn  es  ist  keinem  Zweifel  unterworfen,  dass  die 
Aethiopier  durch  die  Hitze  der  nahen  Sonne  geschwärzt, 
und  Verbrannten  gleich,  mit  krausem  Bart  und  Haupthaar 
geboren  werden.  Dagegen  haben  die  Völker  der  entgegen- 
gesetzten, kalten  Himmelsstriche  eine  weisse  Haut  und 
blondes  herabhängendes  Haar;  diese  macht  die  Keilte  rauh, 
jener  aber  die  Milde  des  Himmels  schlaff.  Selbst  an  den 
Beinen  kann  man  den  Unterschied  wahrnehmen;  denn  bei 
jenen  werden  die  Säfte  durch  die  Hitze  in  die  obern  Theile 
des  Körpers  gezogen,  bei  diesen  senkt  sich  die  Feuchtig- 
keit nach  den  untern  Gliedmaassen  herab.  Hier  bringt  das 
Klima  grosse  wilde  Thiere,  dort  sehr  mannigfache  Thier- 
bildungen,  besonders  unter  den  Vögeln  hervor.  Aber  in 
beiden  Zonen  werden  die  Körper  gross,  dort  durch  die 
Kraft  der  Hitze,  hier  durch  die  nährende  Feuchtigkeit. 
Allein  mitten  zwischen  diesen  Zonen  findet  eine  wohlthätige, 
in  jeder  Hinsicht  fruchtbare  Mischung  aus  beiden  Statt. 
Alles  trägt  hier  das  Gepräge  der  gehörigen  Gleichmässig- 
keit,  selbst  in  den  Farben,  der  Körper  hat  eine  massige 


192  Zweites  Buch. 

Grösse,  die  Sitten  sind  sanft,  die  Sinne  scharf,  der  Geist 
fruchtbar  und  fähig,  die  ganze  Natur  zu  erfassen.  Hier 
giebt  es  auch  Staatseinrichtungen,  die  unter  den  entfern- 
tem Völkern  unbekannt  sind,  daher  diese  wegen  ihrer  Ent- 
fernung, und  ihrer,  durch  die  Strenge  des  Klimas  bedingten 
abgeschiedenen  Lebensweise  jenen  nie  gehorcht  haben. 

81. 
Die  Babylonier  glauben,  dass  Erdbeben,  Erdfälle 
und  alle  übrigen  derartigen  Erscheinungen,  vom  Einflüsse 
der  Gestirne,  und  namentlich  jenen  drei,  denen  man  die 
Erzeugung  der  Blitze  zuschreibt x)  herrühren.  Besonders 
sollen  dergleichen  eintreffen,  wenn  sie  mit  der  Sonne  laufen 
oder  mit  ihr  zusammenkommen,  hauptsächlich  aber,  wenn 
sie  im  Geviertscheine  stehen.  Eine  ausgezeichnete  und, 
wenn  man  es  glauben  will,  göttliche  prophetische  Kraft  in 
Dingen  der  Art  besass  der  Physiker  Anaximander  von 
Milet. 2)  Er  soll  die  Lacedämonier  im  Voraus  gewarnt 
haben,  auf  ihre  Stadt  und  Häuser  Acht  zu  geben,  denn  es 
stehe  ein  Erdbeben  bevor,  und  in  der  That  fiel  auch  die 
ganze  Stadt  in  Trümmer,  wobei  noch  ein  grosser  Theil  des 
Berges  Taygetus3)  in  Gestalt  eines  Schiffshintertheils  ab- 
gerissen wurde,  und  auf  die  zerstörte  Stadt  herabstürzte. 
Auch  Pherecydes4),  dem  Lehrer  des  Pythagoras  schreibt 
man  eine  nicht  minder  göttliche  Weissagung  zu;  er  soll 
nämlich  durch  einen  Trunk  Wasser  aus  einem  Brunnen  ein 
Erdbeben  daselbst5)  vorhergesagt  haben.  Sind  solche  Er- 
zählungen wahr,  wie  wenig  mögen  diese  Männer  schon  bei 
ihren  Lebzeiten  von  den  Göttern  unterschieden  gewesen 
sein!  Ich  überlasse  den  Glauben  an  dergleichen  dem  Er- 
messen eines  Jeden;  dass  aber  die  Winde  Ursache  von 
Erdbeben  sind,  möchte  ich  nicht  bezweifeln,  denn  die  Erde 
wankt  nur  dann,  wenn  das  Meer  still  und  die  Atmosphäre 


')  Saturn,  Jupiter  und  Mars. 

2)  Schüler  des  Thaies,  lebte  im  6.  Jahre,  v.  Chr. 

3)  Monte  di  Maina. 

4)  Von  Scyros  im  6.  Jahrb..  v.  Chr. 

5)  Zu  Samos. 


Zweites  Buch.  193 

so  ruhig  ist,  dass  selbst  die  Vögel  nicht  fliegen  können, 
weil  der  sie  tragende  Luftzug  gänzlich  fehlt;  und  nur  dann, 
wenn  nach  einem  Sturme  der  Wind  sich  in  die  Adern  und 
Höhlen  der  Erde  versteckt  hat.  Das  Beben  der  Erde  ist 
das,  was  der  Donner  in  den  Wolken;  ein  Erdriss  gleicht 
dem  durchbrechenden  Blitze,  indem  die  eingeschlossene 
Luft,  sich  gewaltsam  zu  befreien  sucht. 

82. 

Die  Erde  wird  auf  mannigfaltige  Weise  erschüttert 
und  wunderbar  sind  die  daraus  folgenden  Wirkungen.  Hier 
werden  Mauern  umgestürzt,  dort  verschlungen,  hier  brecheu 
gewaltige  Wasser  hervor,  dort  ganze  Ströme,  zuweilen  auch 
Feuer  und  heisse  Quellen,  dort  wird  der  Lauf  der  Flüsse 
verändert.  Vor  und  während  des  Erdbebens  hört  man  ein 
furchtbares  Getöse,  das  bald  einem  dumpfen  Brüllen,  bald 
einem  menschlichen  Hülferufe,  bald  einem  Waffengeklirre 
gleicht,  je  nach  der  Beschaffenheit  der  die  Luft  einschliessen- 
den  Stoffe,  der  Gestalt  der  Höhlen  oder  Gänge,  durch  den 
sie  geht.  Das  Toben  ist  heller  in  engen  Bäumen,  dumpfer 
in  Krümmungen,  wiederhallend  in  hartem  Gestein,  brausend 
in  feuchten,  wogend  in  sumpfigen  Schluchten,  und  krachend, 
wenn  es  an  harte  Körper  stösst.  Doch  wird  auch  oft  ein 
Getöse  ohne  Erdbeben  vernommen.  —  Die  Erde  wird  nie 
auf  einfache  Weise  erschüttert,  sondern  sie  zittert  und 
schwankt.  Zuweilen  bleibt  der  Kiss  offen,  und  lässt  das, 
was  er  verschlungen  hat,  sehen,  zuweilen  schliesst  er  sich 
und  verbirgt  so  das  Verschlungene,  und  hiebei  ist  der 
Boden  oft  wiederum  so  geebnet,  dass  er  keine  Spuren 
z.  B.  von  versunkenen  Städten  oder  Aeckern  hinterlässt. 

Die  Küstenländer  sind  dem  Erdbeben  am  meisten 
ausgesetzt;  doch  auch  bergige  Gegenden  bleiben  nicht  da- 
von befreiet.  So  ist  mir  unter  andern  bekannt,  dass  die 
Alpen  und  Apenninen  oft  erschüttert  werden.  Im  Herbste 
und  Frühlinge  finden  sie,  gleich  den  Blitzen,  öfter  statt. 
Daher  spüren  sie  Gallien  und  Aegypten  am  wenigsten, 
denn  hier  steht  ihnen  die  Hitze,  dort  die  Kälte  entgegen. 
Häufiger   ereignen   sie   sich   bei  Nacht   als   am   Tage,  am 

13 


194  Zweites  Buch. 

heftigsten  aber  Morgens  und  Abends;  meistentheils  aber 
vor  Tagesanbruch,  und  am  Tage  um  die  Mittagszeit ;  auch 
bei  Sonnen-  und  Mondfinsternissen,  weil  dann  keine  Stürme 
sind;  vorzüglich  aber  dann,  wenn  auf  Kegen  Hitze,  oder 
auf  Hitze  Regen  folgt. 

83. 

Auch  die  Schiffer  können  sicher  auf  ein  bevorstehen- 
des Erdbeben  schliessen,  wenn  die  Wogen  ohne  Wind  an- 
schwellen und  sie  von  der  Erschütterung  Stösse  verspüren. 
Alles,  was  sich  auf  den  Schiffen  befindet,  wankt  ebenso  wie 
in  Gebäuden,  und  verkündet  durch  das  dadurch  entstehende 
Geräusch  das  Erdbeben.  Sogar  die  Vögel  bleiben  furcht- 
sam sitzen.  Es  giebt  auch  am  Himmel  ein  Zeichen,  was 
einem  nahen  Erdbeben  vorhergeht;  dasselbe  erscheint,  ent- 
weder am  Tage  oder  kurz  nach  Sonnenuntergänge  bei 
heiterm  Wetter,  als  ein  langer  schmaler  Wolkenstreif.  Das 
Wasser  in  den  Brunnen  ist  dann  trübe  und  von  widerlichem 
Gerüche. 

84. 

Die  Brunnen  können  aber  ebenso  wie  zahlreiche  Höhlen 
als  Hüifsmittel  gegen  Erdbeben  dienen,  weil  sie  die  auf- 
genommene Luft  wiederum  aushauchen.  Diess  zeigt  sich 
bei  einigen  Städten,  welche,  weil  sie  mit  vielen  unterir- 
dischen Kanälen  zur  Ableitung  der  Unreinigkeiten  versehen 
sind,  weniger  von  Erdbeben  leiden.  Noch  sicherer  sind 
die  Gebäude,  welche  einen  hohlen  Grund  haben,  wovon 
Neapel  in  Italien  den  Beweis  liefert,  dessen  auf  festem 
Grunde  erbaueter  Stadttheil  jenen  Unfällen  weit  mehr  unter- 
worfen ist.  Das  sicherste  Schutzmittel  bieten  die  Gewölbe 
der  Gebäude,  auch  die  Winkel  der  Wände  und  die  Pfosten 
dar,  weil  diese  durch  den  gegenseitigen  Druck  zusammen- 
gehalten werden.  Auch  auf  Wände  von  Backsteinen  wirkt 
die  Erschütterung  weniger  schädlich. 

Ein  grosser  Unterschied  findet  selbst  in  der  Art  der 
Erschütterung  der  Erde  statt,  denn  diese  erfolgt  auf  mehr- 
fache Weise.  Am  besten  ist  es,  wenn  sie  schwingend  auf- 
tritt, wobei  die  Gebäude  ein  wirbelndes  Getöse  von  sich 


Zweites  Buch.  195 

geben;  so  auch  wenn  die  Erde  bei  einem  Stosse  aufschwillt 
und  sich  wieder  senkt.  Auch  dann  ist  noch  keine  Gefahr 
zu  befürchten,  wenn  die  Häuser  gegeneinander  stossen,  weil 
ein  Stoss  die  Wirkung  des  andern  bricht.  Unglück  drohend 
ist  dagegen  ein  wellenförmiges  Neigen  und  Schwanken, 
oder  auch,  wenn  die  ganze  Erschütterung  sich  nach  einer 
Richtung  hindrängt.  Die  Stösse  hören  auf,  sobald  sich  der 
Wind  erhebt,  dauern  sie  aber  dennoch  fort,  so  legen  sie 
sich  nicht  unter  40  Tagen,  währen  aber  häufig  noch  länger, 
so  wie  denn  manche  Erdbeben  ein  bis  zwei  Jahre  lang 
angehalten  haben. 

85. 
Einmal  hat  sich,  wie  ich  in  den  etruskischen  gelehrten 
Werken  gefunden,  unter  den  Consuln  L.  Marcius  und  Sext. 
Julius1)  in  dem  mutinensichen  Gebiete2)  ein  ausserordent- 
liches Erdwunder  ereignet.  Es  liefen  nämlich  zwei  Berge 
mit  ungeheurem  Getöse  gegeneinander  und  wichen  wieder 
zurück,  während  zwischen  ihnen  am  hellen  Tage  Flamme 
und  Rauch  emporstiegen.  Eine  grosse  Anzahl  von  römi- 
schen Rittern,  Familien  und  Reisenden  haben  diess  von  der 
ämilianischen  Strasse 3)  aus  mit  angesehen.  Diess  Ereigniss, 
wodurch  alle  Landhäuser  zerstört  und  die  darin  befindlichen 
Thiere  getödtet  wurden,  geschah  ein  Jahr  vor  dem  Bundes- 
genossenkriege4),  von  dem  ich  nicht  entscheiden  will,  ob 
er  nicht  traurigere  Folgen,  als  die  Bürgerkriege,  für  Italien 
nach  sich  zog.  Eine  nicht  minder  wunderbare  Begebenheit 
hat  sich  zu  unsern  Zeiten,  im  letzten  Jahre  der  Regierung 
Nero's5),  wie  ich  in  dessen  Geschichte  erzählt  habe,  zuge- 


»)  Im  Jahre  Roms  663,  91  v.  Chr. 
-)  bei  Modena. 

3)  Es  gab  zwei  Strassen,  die  den  Namen  via  Aemilia  führten; 
beide  gingen  von  der  via  Flaminia  ab,  die  erste  führte  nach  Arirni- 
num  und  Aquileja,  die  zweite  nach  Pisa  und  Luna.  Die  hier  ge- 
meinte war  die  erste,  von  dem  Konsul  M.  Aemilius  Lepidus  187  v.  Chr. 
angelegt. 

4)  91  v.  Chr. 

5)  68  n.   Chr. 

13* 


196  Zweites  Buch. 

tragen;  im  marrucinischen  Gebiete1),  auf  den  Gütern  des 
römischen  Ritters  Vectius  Marcellus,  der  Nero's  Sachwalter 
war,  wurden  nämlich  Wiesen  und  Oelgärten,  welche  durch 
eine  Landstrasse  getrennt  waren,  auf  die  entgegengesetzten 
Seiten  versetzt. 

86. 

Zugleich  mit  den  Erdbeben  erfolgen  auch  Ueberschwem- 
mungen  des  Meeres,  wenn  dieses  nämlich  durch  dieselbe 
Luft  hereingetrieben  und  von  dem  Schlünde  der  sich  sen- 
kenden Erde  aufgenommen  wird.  Das  stärkste  Erdbeben 
seit  Menschen  Gedenken  ereignete  sich  unter  der  Regierung 
des  Kaisers  Tiberius,  wodurch  zwölf  asiatische  Städte  in 
einer  Nacht  zerstört  wurden. 2)  Die  häufigsten  erfolgten 
im  punischen  Kriege3),  wo  man  in  einem  Jahre  57  der- 
selben nach  Rom  meldete.  In  demselben  Jahre4)  war  die 
Schlacht  am  trasymenischen  See 5),  allein  weder  die  Punier 
noch  die  Römer  merkten  während  des  Kampfes  die  Erd- 
erschütterung. —  Das  Erdbeben  ist  aber  kein  einfaches 
Unglück0),  und  seine  Gefahr  liegt  nicht  bloss  in  der  Er- 
schütterung, sondern  ein  gleich  grosses  und  noch  grösseres 
Uebel  wird  durch  dasselbe  angedeutet.  In  Rom  fand  nie- 
mals ein  Erdbeben  statt,  was  nicht  der  Vorbote  irgend 
eines  Ereignisses  gewesen  wäre. 

87. 

Erdbeben  sind  auch  die  Ursache  neuentstehenden  Landes, 
da  eben  jene  Luft  wohl  fähig  ist,  den  Boden  zu  heben, 
aber  nicht  ihn  zu  durchbrechen.  Denn  neues  Land  ent- 
steht nicht  bloss  durch  das  Anschwemmen  der  Flüsse,  wie 
z.  B.  die  echinadischen  Inseln 7)  durch  den  Fluss  Achelaus 8), 


')  Am  Flusse  Pescara,  in  der  Gegend  von  Chieti. 

2)  18  n.  Chr. 

3j  Im  zweiten  punischen  Kriege. 

4)  217  v.  Chr. 

5)  Jetzt  Lago  di  Perugia. 

ö)  d.  h.  es  kommt  nie  allein. 

7)  Im  ionischen  Meere,  jetzt  Curzolari  genannt. 

8)  Jetzt  Aspro  Potamo. 


Zweites  Buch.  197 

und  ein  grosser  Theil  von  Aegypten  durch  den  Nil,  (der 
nach  Homer1)  eine  Nacht-  und  Tagereise  von  der  Insel 
Pharus  entfernt  war)  entstanden  sind;  wie  auch  nicht  bloss 
durch  den  Rücktritt  des  Meeres,  wie,  ebenfalls  nach 
Homers  Berichte 2),  die  circeischen  Inseln 3)  beweisen.  Letz- 
trer  Fall  soll  sich  auch  im  Hafen  von  Ambracia4)  ereignet 
haben,  wo  das  Meer  10,000  Schritte  zurückwich;  desgleichen 
im  atheniensischen  Hafen  Piräus  auf  eine  Strecke  von  5O0O 
Schritten,  sowie  zu  Ephesus,  wo  es  ehemals  den  Tempel 
der  Diana  bespühlte.  Wenn  wir  dem  Herodot5)  glauben 
wollen,  so  reichte  das  Meer  früher  oberhalb  Memphis  bis 
an  die  äthiopischen  Gebirge,  und  die  Ebenen  Arabiens. 
Auch  die  Gegend  um  Ilium  war  sonst  Meer,  sowie  das 
ganze  Teuthranien 6),  wo  der  Mäander7)  das  ganze  Land 
angeschwemmt  haben  mag. 

88. 

Es  entsteht  auch  noch  auf  andere  Weise  Land,  indem 
es  sich  plötzlich  aus  dem  Meere  erhebt,  gleichsam  als  ob 
die  Natur  sich  wieder  ins  Gleichgewicht  setzen  wollte,  da 
sie  das,  was  hier  ein  Abgrund  verschlang,  dort  wiedergiebt, 

89. 

Die  schon  lange  berühmten  Inseln,  Delos  und  Rho- 
dus,  sollen  auf  eben  diese  Art  entstanden  sein.  Später  ka- 
men noch  kleinere  zum  Vorschein,  wie  Anaphe 8)  hinter  Me- 
los,  Neä 9)  zwischen  Lemnos 10)  und  dem  Hellesponte,  Halone 
zwischen  Lebedus  und  Teos, u)  Thera12)  und  Theräsia13), 
zwei  Cykladen,  im  4.  Jahre  der  135.  Olympiade;  130  Jahre 


*)  Odyssee  IV.  354. 

2)  Odyssee  X.  194. 

3)  Eigentlich  ein  vom  tuskischen  Meere  und  den  pontinischen 
Sümpfen  umgebener  Berg,  wegen  der  Niederungen  rings  umher  einer 
Insel  ähnlich;  jetzt  Circello. 

4)  Jetzt  Arta  in  Epirus. 

5)  Von  Halikarnassus,  berühmter  griechischer  Geschichtsschrei- 
ber, lebte  484—408  v.  Chr. 

6)  Eine  Landschaft  in  Asien  am  Flusse  Caicus  (Girmasti). 

7)  Bojuk  Minder.  8)  Nanfi.  9)  Agiostrati.  ,0)  Stalimene.  »)  Pusor. 
,2)  Santorin.     ,3)  Aspronisi. 


198  Zweites  Buch. 

später  Hiera1)  oder  Automate2),  ebenfalls  Cykladen,  und 
zwei  Stadien  davon  entfernt  entstand  110  Jahre  später, 
noch  zu  unserer  Zeit  unter  den  Konsuln  M.  Junius  Silanus 
und  L.  Baibus 3),  am  8.  Juli  die  Insel  Thia. 4)  Vor  unserer 
Zeit  tauchte  neben  Italien  unter  den  äolischen  Inseln 5)  eine, 
desgleichen  eine  von  2500  Schritten  Länge  und  mit  darauf 
befindlichen  warmen  Quellen  neben  Kreta  aus  dem  Meere 
hervor;  noch  eine  andere,  welche  mit  heftigem  Winde  be- 
gleitet brannte,  zeigte  sich  im  3.  Jahre  der  163.  Olympiade 
im  tuscischen6)  Meerbusen.  Man  erzählt  auch,  alle  Men- 
schen, welche  von  den  um  dieselbe  in  grosser  Anzahl 
schwimmenden  Fischen  gegessen  hätten,  wären  sogleich 
gestorben.  Ferner  sollen  die  pithekusischen  Inseln7)  im 
campanischen  Meerbusen  auf  ähnliche  Art  entstanden  sein. 
Der  Berg  Epopus  auf  einer  dieser  Inseln8)  wurde  bald 
darauf,  nachdem  eine  Flamme  aus  ihm  hervorgebrochen 
war,  der  Ebene  gleich.  Ebendaselbst  wurde  auch  eine  Stadt 
vom  Meere  verschlungen,  durch  ein  anderes  Erdbeben  ent- 
stand ein  See,  und  bei  einem  dritten  durch  zusammenge- 
stürzte Berge  die  Insel  Prochyta. 

90. 

Denn  auch  auf  diese  Weise  hat  die  Natur  Inseln  ge- 
schaffen; sie  riss  Sicilien  von  Italien,  Cypern  von  Syrien, 
Euböa 9)  von  Böotien  10j,  Atalante  u)  und  Makris 12)  von  Eu- 
böa,  Besbykus 13)  von  Bithynien,  Leukosia  u)  vom  Vorgebirge 
der  Sirenen15)  los. 

91. 

Dann  nahm  sie  auch  dem  Meere  wieder  Inseln,  und 


1)  Die  grosse  Kammeni. 

2)  d.  h.  die  von  selbt  entstandene. 

3)  770  nach  Roms  Erbauung,  26  n.  Chr. 
")  Die  kleine  Kammeni. 

5)  Liparische  Inseln. 

6)  toskanischen. 

7)  Aenaria  (Ischia)  und  Prochyta  (Prochila). 

8j  Aenaria.    9)  Negroponte.    10)  Livadien.     ")  Talanda.    l-)  Elena. 
")  Kalolymno.     ,4)  Piana.     ,5)  Licoso. 


Zweites  Buch.  199 

verband  sie  mit  dem  Festlande,  als:  Antissa  mit  Lesbos1), 
Zephyrium2)  mit  Halikarnassus 3),  Aetliusa  mit  Myndus4), 
Dromiskus  und  Perne  mit  Milet5),  Narthekusa  mit  dem 
Vorgebirge  Parthenium. 6)  Die  ebmalige  Insel  Hybanda 
welche  jetzt  200  Stadien  vom  Meere  entfernt  ist,  mit  Jonien. 
Mitten  im  Gebiete  von  Epbesus  liegt  jetzt  Syrie,  sowie  die 
Derasiden  und  Sophonia  in  dem  benachbarten  Magnesia. 
Epidaurus  und  Oricum7)  haben  aufgehört  Inseln  zu   sein. 

92. 

Gänzlich  aber  verschwanden,  wenn  wir  dem  Plato  8) 
glauben,  die  Länder,  da  wo  jetzt  das  erste  aller  Meere, 
das  atlantische,  sich  in  einem  ungeheuren  Räume  erstreckt. 
Im  mittelländischen  Meere  ist,  wie  wir  jetzt  sehen,  ein  Theil 
von  Akarnanien  im  ambracischen  9),  ein  Theil  von  Achaja 
im  corinthischen  Meerbusen,  ferner  ein  Theil  von  Europa 
und  Asien  im  Propontis 10)  und  Pontus n)  versunken.  Zu 
diesem  gelangte  das  Meer,  indem  es  Leukas 12),  Antirrhinum 13), 
den  Hellespont  und  die  beiden  Bosporen  durchbrach. 

93. 

Doch  nicht  zu  reden  von  den  Meerbusen  und  Land- 
seen, muss  man  gestehen,  dass  die  Erde  sich  selbst  verzehrt. 
Sie  verschlang  den  hohen  Berg  Cybotus  mit  der  Stadt 
Kuris,  Sypilus  in  Magnesia,  und  vorher  schon  in  derselben 
Gegend  die  berühmte  Stadt  Tantalis;  ferner  Galenes  und 
Galames,  zwei  Städte  in  Phönicien  mit  ihren  Gebieten; 
endlich  den  Phegius,  den  höchsten  Bergrücken  in  Aethiopien, 
als  wenn  nicht  schon  die  treulosen  Ufer  genug  Schaden 
anrichteten. 

94. 

Pyrrha  und  Antissa,  am  mäotischen  See  belegen,  hat 


')  Metelino.     2)  Zefre.     3)   Bodru.     A)  Mentesche.     5)  Palatschia. 
6)  Eski-Burun.    7)  Orso. 

8)  Im  Timteus.  —  Plato  (dessen  ursprünglicher  Namen  Aristokles 
war),  wurde  zu  Athen  430  v.  Chr.  geboren  und  starb  daselbst  348. 

9)  Golf  von  Arta.    ,0)  Das  Meer  von  Marmora.     ")  Das  schwarze 
Meer.    12)  Santa  Maura.    13)  Castello  di  Romelia. 


200  Zweites  Buch. 

der  Pontus  verschlungen,  Elice  und  Bura  gingen  im  corin- 
thischen  Meerbusen  unter,  und  Spuren  davon  erblickt  man 
noch  auf  der  hohen  See.  Von  der  Insel  Cea  versank  plötz- 
lich ein  abgerissenes  Stück  von  mehr  als  30,000  Schritten 
nebst  vielen  Menschen.  In  Sicilien  ging  die  halbe  Stadt 
Tyndaris  und  das  Stück  Land,  was  Italien  mit  Sicilien 
verband  unter.  Auf  gleiche  Weise  ging  Eleusis  in  Böotien 
zu  Grunde. 

95. 

Doch  genug  von  Erdbeben  und  von  Ereignissen,  welche 
nur  verbrannte  Trümmer  von  Städten  übrig  lassen.  Reden 
wir  lieber  von  den  Wundern  der  Erde,  als  von  den  Gräueln 
der  Natur.  Und  wahrlich,  die  Erscheinungen  des  Himmels 
darzustellen  war  keine  so  schwierige  Aufgabe  als  dieses. 

Der  Schatz  an  Metallen  ist  so  mannigfaltig,  so  reich, 
so  ergiebig,  und  wächst  so  viele  Jahrhunderte  hindurch 
nach,  obgleich  täglich  auf  dem  ganzen  Erdboden  Feuer, 
Zerstörung,  Schiffbruch,  Krieg,  Betrug  so  viel  davon  raubt 
und  die  Ueppigkeit  der  Menschen  so  viel  davon  vernichtet. 
Die  Edelsteine  sind  in  ihrer  Zeichnung  so  verschieden, 
andere  Gesteine  so  bunt,  und  viele  derselben  von  dem 
reinsten  Wasser!  Dazu  noch:  die  Kraft  der  Mineralquellen, 
die  so  viele  Jahrhunderte  hindurch  fortwährend  an  mehreren 
Orten  hervorleuchtenden  Flammen.  Anderwärts  dringen  aus 
Gruben  oder  verpesteten  Gegenden  tödtliche  Dämpfe  hervor, 
die  hier  nur  für  die  Vögel,  wie  Sorakte1)  bei  Rom,  dort 
für  die  übrigen  lebenden  Geschöpfe  ausser  dem  Menschen, 
zuweilen  aber  auch  diesem,  wie  im  sinuessanischen 2)  und 
puteolanischen 3)  Gebiete,  gefährlich  sind.  Man  nennt  die- 
selben Dunsthöhlen,  oder  auch  Charons-Grotten,  weil  sie 
einen  verderblichen  Rauch  aushauchen.  So  giebt  es  ferner 
im   hirpinischen  Gebiete   zu  Amsanktus   beim  Tempel  der 


')  Jetzt  Monte  San  Oreste.' 

2)  Sinuessa,  eine  Kolonie  an  der  Grenze  von  Kaiupanien. 

3)  Puteoli,  jetzt  Puzzuoli  in  Kampanien. 


Zweites  Buch.  201 

Mephitis  *)  einem  Ort,  wo  ein  Jeder,  der  ihn  betritt,  stirbt. 
Ein  ähnlicher  Platz  befindet  sich  zu  Hierapolis2)  in  Asien, 
der  nur  der  Priesterin  der  grossen  Mutter  der  Götter3) 
unschädlich  ist.  An  andern  Orten  hat  man  auch  Wahr- 
sagerhöhlen, aus  deren  betäubendem  Dunste  zukünftige 
Dinge  vorhergesagt  werden,  wie  z.  B.  zu  Delphi,  wo  das 
berühmteste  Orakel  ist.  Welche  andere  Ursache  von  alledem 
vermag  nun  wohl  irgend  ein  Sterblicher  anzugeben,  als 
dass  sich  die  göttliche  Kraft  der  Natur  bald  so  und  bald 
anders  offenbart? 

96. 

Einige  Gegenden  gerathen,  wenn  man  sie  betritt,  in 
eine  zitternde  Bewegung,  wie  z.  B.  auf  dem  gabinischen 
Gebiete,  nahe  bei  Rom,  fast  200  Morgen  Landes  erbeben, 
wenn  man  darüber  reitet;  desgleichen  im  reatinischen 
Gebiete. 

Einige  Inseln  schwimmen  beständig;  solche  giebt 
es  im  cäcubischen,  reatinischen,  mutinensischen  und  stato- 
niensischen  Gebiete.  Im  See  Vadimon4)  und  in  den  cu- 
tilischen  Gewässern5)  befindet  sich  ein  dunkler  Wald, 
welcher  niemals,  weder  bei  Tage  noch  bei  der  Nacht,  an 
einem  und  demselben  Orte  gesehen  wird.  Die  sogenannten 
calaminischen  Inseln  in  Lydien  werden  nicht  nur  vom  Winde 
bewegt,  sondern  können  auch  mittelst  Stangen  nach  Belieben 
fortgetrieben  werden;  sie  dienten  im  mithridatischen  Kriege 
vielen  Bürgern  zum  Zufluchtsorte.  Auch  im  nymphäischen 
Meere  sind  kleine  Inseln,  die  sogenannten  Tänzer,  denn 
sie  bewegen  sich  beim  Absingen  eines  Musikstücks  nach 
dem  mit  dem  Fusse  der  Singenden  getretenen  Taktschlage. 
Auf  dem  grossen  tarquiniensischen  See  e)  in  Italien  schwimmen 


')  Eine  römische  Göttin,   die  gegen   schädliche  Ausdünstungen 
schützte. 

2)  Pampuk  Kalesi. 

3)  Cybele. 

')  See  in  Etrurien,  jetzt  Lago  di  Bassano. 
*)  Vergl.  III.  B.  17.  Cap. 
6)  Lago  di  Bracciano. 


202  Zweites  Buch. 

zwei  Wälder  herum,  welche  vom  Winde  getrieben,  bald 
eine  dreieckige,  bald  eine  runde,  niemals  aber  eine  vier- 
eckige Gestalt  annehmen. 

97. 

Paphos  hat  ein  berühmtes  Heiligthum  der  Venus,  auf 
dessen  einen  Altar  nie  Regen  fällt.  Ebenso  regnet  es 
nicht  zu  Nea1),  einer  Stadt  in  Troas,  um  eine  Bildsäule 
der  Minerva  herum.  Ebendaselbst  verfaulen  auch  die  Ueber- 
bleibsel  der  Opferthiere  nicht. 

98. 

Bei  der  Stadt  Harpasa 2)  in  Asien  steht  ein  ungeheurer 
Felsen,  den  man  mit  einem  Finger  berühren  kann;  stösst 
man  aber  mit  dem  ganzen  Körper  daran,  so  rührt  er  sich 
nicht.  Auf  der  taurischen  Halbinsel3),  in  der  Stadt  Para- 
sinum  gibt  es  eine  Erde,  welche  alle  Wunden  heilt.  Um 
Assus 4)  in  Troas  wächst  ein  Stein,  der  alle  Körper  ver- 
zehrt und  daher  Sarkophagus 5)  genannt  wird.  Am  Flusse 
Indus  stehen  zwei  Berge;  der  eine  hat  die  Eigenschaft, 
alles  Eisen  festzuhalten,  der  andere  aber  stösst  es  ab.  Wer 
daher  Nägel  in  den  Sohlen  hat,  kann  auf  jenem  den 
Fuss  nicht  erheben,  auf  letztern  aber  nicht  auftreten.  Man 
findet  aufgezeichnet,  dass  zu  Locri6)  und  Croton  nie  eine 
ansteckende  Krankheit  oder  ein  Erdbeben  gewesen  sei. 
In  Lycien  folgen  stets  auf  ein  Erdbeben  40  heitere  Tage. 
Im  arpanischen  Gebiete  geht  das  gesäete  Getreide  nicht 
auf.  In  der  Nähe  der  mucischen  Altäre  im  Vejentinischen, 
ferner  bei  Tusculanum7)  und  im  ciminischen  Walde8)  gibt  es 
Plätze,  wo  das,  was  in  die  Erde  gesteckt  ist,  nicht  wieder 


*)  Jenischeer. 

2)  Arpas  Kalesi. 

3)  Die  jetzige  Krimm. 

4)  Bagtsche  Köi. 

5)  Fleischfresser.  Aus  diesem  Steine  wurden  Särge  verfertigt, 
daher  dieses  Wort  später  von  jedem  Sarge  überhaupt  gebraucht 
wurde.     S.  auch  im  XXXVI.  B.  27.  Cap. 

6)  Bruzzano. 

7)  Frascati. 

8)  Monte  Fogliano. 


Zweites  Buch.  203 

herausgezogen  werden  kann.  Heu,  welches  im  Crustu- 
minischen 2)  gewachsen,  ist  dort  schädlich,  anderwärts 
gesund. 

99. 
Auch  über  die  Beschaffenheit  des  Wassers  ist  bereits 
mehreres  gesagt  worden,  aber  das  Wunderbarste  dabei  bleibt, 
dass  die  Fluthen  des  Meeres  anschwellen  und  wie- 
der zurücktreten,  und  zwar  auf  mehrfache  Weise.  Die 
Ursache  davon  liegt  in  der  Sonne  und  dem  Monde.  Zwi- 
schen zwei  Mondaufgängen  oder  innerhalb  24  Stunden 
schwillt  das  Meer  zweimal  an,  und  tritt  zweimal  wieder 
zurück.  Sowie  nämlich  der  Mond  am  Himmel  aufsteigt, 
tritt  die  erste  Fluth  ein,  senkt  er  sich  aber  vom  höchsten 
Mittagspunkte  nieder  nach  dem  Untergange  hin,  so  fällt 
auch  das  Wasser  wieder;  von  seinem  Untergange  an  bis 
zum  tiefsten  Punkte  unter  dem  Horizonte,  dem  Mittags- 
punkte gerade  entgegen,  schwillt  das  Meer  abermals  an, 
und  von  da  an  bis  zu  seinem  Aufgange  ist  wieder  Ebbe. 
Niemals  tritt  zu  derselben  Zeit,  wie  am  Tage  zuvor,  die 
Fluth  ein,  weil  das  sie  beherrschende  und  das  Meer  be- 
gierig nach  sich  ziehende  Gestirn,  stets  an  einem  andern 
Orte  wie  Tags  zuvor  aufgeht;  jedoch  wiederholt  sich  diese 
Erscheinung  in  gleichen  Zeiträumen,  und  zwar  alle  sechs 
Stunden,  unter  welchen  letztern  aber  nicht  die  Stunden  eines 
jeden  Tages  oder  jeder  Nacht  oder  jeden  Ortes,  sondern 
die  Aequinoctialstunden  zu  verstehen  sind.  Daher  wer- 
den nach  der  gewöhnlichen  Stundeneintheilung  diese  Zeit- 
räume ungleich,  weil  nach  derselben  die  Tage  oder  Nächte 
bald  kürzer  bald  länger,  und  nur  im  Aequinoctium  allent- 
halben von  gleicher  Dauer  sind.  Diess  ist  ein  ungemein 
klarer  und  täglich  sprechender  Beweis  von  der  Stumpfheit 
aller  derer,  welche  leugnen,  dass  Gestirne  unter  unserem 
Horizonte  weggehen  und  wieder  aufsteigen,  und  dass,  bei 
demselben  Vor  gange  des  Auf-  und  Untergangs  auf  beiden 
Seiten  die  Erde,  ja  sogar  die  ganze  Welt,  dort  wie  bei  uns 


l)  Monte  Rotondo. 


204  Zweites  Buch. 

die  nämliche  Gestalt  zeige,  da  doch  der  Mond  unter  der 
Erde  offenbar  keinen  andern  Lauf  und  keine  andere 
Wirkung  hat,  als  wenn  er  vor  unsern  Augen  hinläuft. 

Mannigfach  ist  ausserdem  auch  noch  der  Mondwechsel 
und  zwar  hauptsächlich  von  7  zu  7  Tagen.  Vom  Neumonde 
nämlich  bis  zum  ersten  Viertel  ist  die  Fluth  massig,  von 
da  an  nimmt  sie  zu  und  beim  Vollmonde  steigt  sie  am  höch- 
sten. Dann  wird  sie  wieder  schwächer,  am  7.  Tage  gleicht 
sie  der  ersten  wieder,  und  im  letzten  Viertel  wird  sie  aber- 
mals stärker.  Beim  Zusammentritt  des  Mondes  mit  der 
Sonne  ist  sie  ebenso  stark  wie  beim  Vollmonde.  Wenn  er 
im  Nordost  und  von  der  Erde  weiter  entfernt  steht,  ist  die 
Fluth  schwächer,  als  wenn  er  nach  Süden  gewandt  mit 
grösserer  Kraft  auf  die  dann  nähere  Erde  einwirkt.  Nach 
Verlauf  von  acht  Jahren  kehrt  mit  dem  hundertsten  Um- 
laufe des  Mondes,  der  jene  Anschwellung  veranlasst,  die 
anfängliche  Bewegung  und  gleiches  Steigen  des  Meeres 
wieder.  Der  jährliche  Umlauf  der  Sonne  ist  auch  nicht 
ohne  Wirkung  auf  die  Fluth,  denn  diese  nimmt  in  den 
Aequinoctien  bedeutend  zu,  und  zwar  mehr  im  Herbst-  als 
im  Frühlings -Aequinoctium;  am  kürzesten  Tage  ist  sie 
schwach,  und  noch  schwächer  im  Sommer-Solstitium.  Je- 
doch treten  diese  Veränderungen  nicht  genau  in  den  genann- 
ten Zeitpunkten  ein,  sondern  wenige  Tage  später.  Die 
beim  Monde  erwähnten  Veränderungen  erfolgen  auch  nicht 
gerade  beim  Voll-  oder  Neumonde,  sondern  kurz  danach; 
ferner  nicht  sogleich,  beim  Aufgange  oder  Untergange  des 
Mondes  oder,  wenn  er  sich  von  seiner  mittleren  Bahn  ab- 
wärts neigt,  sondern  fast  um  zwei  Aequinoctialstunden 
später.  Ueberhaupt  zeigt  sich  die  Wirkung  eines  jeden 
Ereignisses  am  Himmel  auf  der  Erde  immer  später,  als  wir 
es  erblicken,  wie  z.  B.  Donner  und  Blitz  erweisen. 

Vom  Ocean  gehen  aber  alle  Fluthen  weiter  ins  Land, 
als  von  den  übrigen  Meeren;  sei  es  nun,  weil  ein  grosses 
Ganzes  mächtiger  ist,  als  ein  Theil  davon,  oder  weil  die 
Kraft  des  weit  um  sich  greifenden  Gestirnes  auf  jene  grosse 
Fläche  stärker  einwirkt  als  auf  einen  engen  Raum.    Daher 


Zweites  Buch.  205 

werden  auch  weder  Seen  noch  Flüsse  auf  ähnliche  Art  be- 
wegt. Pytheas  von  Massilien  sagt,  oberhalb  Britannien  steige 
die  Fluth  bis  zu  acht  Ellen  empor.  Die  inneren  Meere  aber 
werden  wie  Häfen  vom  Lande  eingeschlossen.  An  einigen 
Orten  jedoch,  wo  die  Ufer  mehr  von  einander  entfernt  sind, 
gehorcht  das  Meer  doch  dem  Einflüsse  des  Mondes.  So 
gibt  es  mehrere  Beispiele,  dass  Schiffer  ohne  Hülfe  der 
Segel  bei  starker  Fluth  in  drei  Tagen  von  Italien  nach 
Utika *)  übersetzten.  An  den  Küsten  wird  diese  Bewegung 
des  Meeres  mehr  als  auf  hoher  See  wahrgenommen,  gleich- 
wie wir  an  den  äussersten  Theilen  unseres  Körpers  den 
Schlag  der  Adern,  d.  i.  der  Luft  mehr  empfinden.  2)  In 
den  meisten  Buchten  sind  aber  wegen  des  für  jede  Lage 
ungleichen  Aufganges  der  Gestirne  die  Fluthen  der  Zeit, 
nicht  aber  ihrer  Natur  nach  verschieden;  dasselbe  ist  auf 
den  Syrten3)  der  Fall. 

100. 
Einige  Orte  haben  jedoch  hierin  ihre  Eigenthümlich- 
keiten,  wie  z.  B.  im  tauromenitanischen  Strudel4)  die  Fluth 
öfter,  und  in  Euböa  siebenmal  innerhalb  24  Stunden  wie- 
derkehrt. Auch  bleibt  die  Fluth  dreimal  in  jedem  Monate, 
am  7.,  8.  und  9.  Tage  nach  dem  Vollmonde  unverändert 
dieselbe.  Zu  Gades,  nahe  bei  dem  Tempel  des  Hercules, 
befindet  sich  eine,  wie  ein  Brunnen  eingeschlossene  Quelle, 
welche  bald  gleichzeitig  mit  dem  Ocean,  bald  aber  zur  ent- 
gegengesetzten Zeit  steigt  und  fällt.  Eine  zweite  dortige 
Quelle  richtet  sich  nach  den  Bewegungen  des  Oceans.  An 
den  Ufern  des  Bätis5)  liegt  eine  Stadt,  deren  Brunnen  bei 
der  Fluth  fallen,  bei  der  Ebbe  steigen,  in  der  Zwischenzeit 
aber  keine  Veränderung  zeigen.    Von  derselben  Beschaffen- 


l)  Stadt  in  Afrika. 

'-)  Die  Alten  hatten  die  sonderbare  Meinung,  dass  die  Pulsadern 
mit  Luft  erfüllt  wären. 

3)  Die  Buchten  von  Sydra  und  Cabes   an  der  nordafrikanischen 
Küste. 

4)  Bei  Taormina. 

5)  Guadalquivir  in  Spanien. 


206  Zweites  Buch. 

heit  ist  ein  Brunnen  in  der  Stadt  Hispalis1),  während  die 
übrigen  nichts  Ungewöhnliches  haben.  Der  Pontus  fliesst 
beständig  in  den  Propontis,  aber  nie  geht  Wasser  aus 
diesem  in  den  Pontus  zurück. 

101. 
Fast  alle  Meere  reinigen  sich  beim  Vollmonde,  nur 
einige  zu  einer  andern  bestimmten  Zeit.  Bei  Messana  und 
Mylä  wirft  das  Meer  einen  mistähnlichen  Unrath  ans  Ufer, 
woher  die  Sage  entstanden  ist,  die  Rinder  der  Sonne  hät- 
ten daselbst  ihre  Ställe.  Hiezu  fügt  noch  Aristoteles  (da- 
mit ich  nichts,  was  mir  bekannt  ist,  übersehe),  dass  kein 
Thier  zu  einer  andern  Zeit,  als  während  der  Ebbe  sterbe. 
Am  gallischen  Ocean  hat  man  diess  vielfach  beobachtet  und 
wenigstens  am  Menschen  bestätigt  gefunden» 

102. 
Hieraus  geht  die  Wahrscheinlichkeit  hervor,  dass  der 
Mond  nicht  ohne  Grund  für  das  Gestirn  des  Lebens  zu 
halten  sei.  Er  sättigt  die  Erde,  erfüllt  den  Körper  bei 
seinem  Erscheinen,  und  entleert  ihn  bei  seiner  Entfernung. 
Daher  wachsen  auch,  wenn  er  zunimmt,  die  Conchylien, 
und  vornehmlich  empfinden  alle  blutlosen  Thiere  seine  be- 
lebende Kraft.  Aber  auch  sogar  das  Blut  der  Menschen 
mehrt  und  vermindert  sich  mit  dem  Monde,  und  selbst 
Sträucher  und  Kräuter  fühlen  (wie  ich  an  ihrem  Orte  noch 
sagen  werde)  seine  alles  durchdringende  Kraft. 

103. 
Durch  die  Glüht  der  Sonne  aber  wird  die  Feuchtigkeit 
hinweggenommen,  und  da  sie  alles  ausdörrt  und  verzehrt, 
halten  wir  sie  für  ein  männliches  Gestirn. 

104. 
So  wird  dem  weiten  Meere  der  Salzgeschmack 
gleichsam  eingekocht,  oder,  indem  sie  ihm  die  süssen  und 
zarten  Theile,  welche  gerade  die  feurige  Kraft  am  leichte- 
sten an  sich  zieht,  benimmt,  lässt  sie  alle  grobem  und 
dichtem  Stoffe  zurück.    Daher  ist  auch  das  Meerwasser  in 

»)  Sevüla. 


Zweites  Buch.  207 

der  Tiefe  süsser  als  auf  der  Oberfläche.  Diese  Ursache 
des  unangenehmen  Geschmacks  des  Meerwassers  dürfte 
wohl  der  Wahrheit  näher  kommen,  als  die  Behauptung, 
dass  das  Meer  der  beständige  Erdschweiss  sei 1),  oder,  dass 
sich  der  grösste  Theil  der  trocknen  Ausdünstung  mit  ihm 
vermische,  oder  aber,  dass  die  Natur  der  Erde  ihm  gleich- 
wie den  Heilquellen,  den  fremden  Geschmack  ertheile. 
Unter  den  wunderbaren  Ereignissen  verdient  Erwähnung, 
dass,  nach  der  Vertreibung  des  Tyrannen  Dionysius  in 
Sicilien2),  das  Meer  im  Hafen  einen  ganzen  Tag  hindurch 
süss  war. 

Dahingegen  wird  der  Mond  für  ein  weibliches,  mildes 
Gestirn  gehalten,  welches  die  nächtliche  Feuchtigkeit  zwar 
auflöst  und  anzieht,  nicht  aber  wegführt.  Diess  ergibt  sich 
daraus,  dass  er  die  todten  Körper  der  wilden  Thiere  durch 
seinen  Schein  zu  einer  fauligen  Masse  auflöst,  dass  er  den 
eingeschlafenen  die  Mattigkeit  in  dem  Kopfe  zusammen- 
zieht, dass  er  Eis  schmelzt,  und  alles  durch  seinen  befruch- 
tenden Hauch  erweicht.  So  erhält  sich  die  Natur  gegen- 
seitig im  Gleichgewicht,  ohne  einen  Mangel  zu  fühlen,  da 
einige  Gestirne  die  Elemente  verbinden,  andere  sie  ver- 
teilen. Der  Mond  ernährt  sich  also  aus  süssem,  die  Sonne 
aus  Seewasser. 

105. 

Die  grösste  Tiefe  des  Meeres  beträgt  nach  Fabianus8) 
15  Stadien.  Andere  dagegen  sagen,  es  sei  im  Pontus,  dem 
Lande  der  Koraxer 4)  gegenüber,  ungefähr  300  Stadien  vom 
Festlande  entfernt,  so  unermesslich  tief,  dass  man  daselbst 
niemals  Grund  gefunden  habe.  Diese  Stelle  im  Pontus 
heisst  daher:  die  Tiefe.5) 

106. 

Noch  wunderbarer  sind  die  Eigenschaften  des  süssen 


J)  Nach  der  Ansicht  des  Empedocles. 

2)  Im  Jahre  357  v.  Chr. 

3)  Lebte  unter  Tiberius. 

4)  In  Colchis. 

5)  Ba&va. 


208  Zweites  Buch. 

Wassers,  welches  in  der  Nabe  des  Meeres  wie  aus  Röhren 
hervorsprudelt;  denn  auch  dem  Wasser  fehlt  es  nicht  an 
Wundern.  Das  süsse  Wasser  schwimmt  auf  dem  Meere, 
ohne  Zweifel,  weil  es  leichter  ist;  daher  trägt  auch  das 
schwerere  Seewasser  alles,  was  hinein  kommt,  besser. 
Sogar  süsse  Wasser  schwimmen  an  manchen  Orten  auf 
einander,  wie  z.  B.  der  Fluss1),  welcher  sich  in  den  fuci- 
irischen2),  die  Addua,  welche  sich  in  den  larischen3),  der 
Ticinus,  der  sich  in  der  verbanischen4),  der  Mincius,  der 
sich  in  den  benacischen5),  der  Ollius,  der  sich  in  den  sevi- 
nischen6),  derßhodanus7),  der  sich  in  den  lemanischen8)  See 
ergiesst.  Der  letztere  liegt  jenseits  der  Alpen,  die  übrigen 
aber  in  Italien;  sie  alle  strömen  auf  viele  tausend  Schritte 
weit  freundnachbarlich  durch  jene  Seen  hin,  und  nehmen 
nur  ihr  eigenes,  und  nicht  mehr  Wasser,  als  sie  hinein- 
gebracht haben,  wieder  mit  sich  hinaus.  Ein  Gleiches  soll 
auch  beim  Orontes 9),  einem  Flusse  in  Syrien  und  bei  noch 
vielen  andern  stattfinden. 

Einige  Flüsse  verlieren  sich  gleichsam,  als  hassten  sie 
das  Meer,  in  die  Erde,  wie  z.  B.  die  Quelle  Arethusa  bei 
Syrakus;  was  man  in  diese  hineinwirft,  kommt  im  Alpheus10), 
welcher  durch  Olympien  fliesst  und  sich  an  der  peloponne- 
sischen  Küste  ins  Meer  ergiesst,  wieder  zum  Vorschein. 
Der  Lycus  u)  in  Asien,  der  Erasinus 12)  in  Argolis,  der  Tigris 
in  Mesopotamien  gehen  in  die  Erde  und  kommen  wieder 
hervor.  Was  man  in  die  Quelle  des  Aesculaps  bei  Athen 
wirft,  kommt  im  Hafen  Phalerus  wieder  zum  Vorschein. 
In  der  atinatischen  Gegend13)  kommt  ein  in  die  Erde  ge- 
gangener Fluss  u)  erst  20,000  Schritte  weiter  wieder  her- 
vor; dasselbe  ist  der  Fall  mit  dem  Timavus  im  Gebiete 
von  Aquileja. 

In  dem  Asphaltsee15)  inJudäa,  welcher  Erdpech  erzeugt, 


')  Jetzt  Giovenculo.  2)  Lago  di  Celano.  3)  Lago  cli  Conio.  4)  Lago 
maggiore.  5)  Lago  di  Guarda.  6)  Lago  d'Ises.  7)  Der  Rhone.  8)  Der 
Genfer  See.  '')  Asi.  10)  Rufia.  ")  Kulhissar.  12)  Kephalari.  ,3)  Atino 
im  Neapolitanischen.     M)  Der  Tanager  (Negro).     I5)  Das  todte  Meer. 


Zweites  Buch.  209 

sinkt  nichts  unter,  ebenso  im  See  Arethusa1)  in  Gross- Arme- 
nien, in  welchem,  ungeachtet  er  Nitrum  2)  enthält,  doch 
Fische  leben.  Im  Salentinischen,  unweit  der  Stadt  Man- 
duria3),  liegt  ein  bis  zum  Rande  seiner  Ufer  voller  See, 
welcher  weder  durch  Herausschöpfen  vermindert  wird,  noch 
durch  Eingiessen  steigt.  In  dem  Flusse  der  Ciconer4)  und 
im  See  Velinus  in  Picenum  wird  hineingelegtes  Holz  mit 
einer  Steinkruste  überzogen;  dasselbe  geschieht  auch  im 
Sirius,  einem  Flusse  in  Kolchis,  und  zwar  hier  in  dem 
Grade,  dass  noch  eine  den  Stein  härtende  Rinde  sich  dar- 
über legt.  Auf  ähnliche  Weise  versteinern  im  Flusse  Sila- 
rus,  unterhalb  Surrentum,  nicht  nur  eingetauchte  Ruthen, 
sondern  auch  Blätter,  übrigens  ist  sein  Wasser  gesund  zu 
trinken.  Am  Ausflusse  des  reatinischen 5)  Sumpfes  setzt 
sich  ein  Felsen  an,  und  im  rothen  Meere  wachsen  Oel- 
bäume  und  grüne  Sträucher  hervor. 

Viele  Quellen  sind  wegen  ihrer  Hitze  merkwürdig; 
man  findet  deren  sogar  auf  den  höchsten  Alpen,  ja  selbst 
in  dem  Meere,  zwischen  Italien  und  Aenaria6),  sowie  im 
bajanischen  Meerbusen,  im  Flusse  Liris 7)  und  vielen  andern. 
Auch  trifft  man  im  Meere  an  vielen  Stellen  süsses  Wasser, 
wie  bei  den  Chelidonischen  Inseln 8),  bei  Aradus  9)  und  im 
gaditanischen  Meere.  In  den  warmen  Quellen  der  Pata- 
viner 10)  wachsen  grüne  Kräuter,  in  denen  der  Pisaner  leben 
Frösche,  in  denen  der  Vetulonier  in  Etrurien,  unweit  des 
Meeres,  Fische.  Im  casinatischen  Gebiete  fliesst  ein  Strom, 
Scatebra  genannt,  welcher  im  Sommer  kalt  ist  und  das 
meiste  Wasser  hat;  in  ihm  sowie  im  See  Stymphalis u)  in 

')  Nasik.     2)  Soda.     3)  Mandula  in   Apulien.     4)  Ein  thracischer 
'Volksstamni. 

5)  Reate,  jetzt  Rieti,  Stadt  am  See  Velinus  (jetzt  Lago  di  Rieti). 
')  Vergl.  d.  89.  Cap.  dieses  Buches. 

7)  Garigliano  in  Latium. 

8)  Zwei  kleine  Eilande  zwischen  Rhodus  und  Cypern,  jetzt  Kali- 
<loni  genannt. 

9)  Ruad  an  der  phönizischen  Küste. 
,0)  Paduaner. 

u)  Jetzt  See  von  Zaraka. 

14 


210  Zweites  Buch. 

Arkadien,  giebt  es  Wassermäuse.  Die  kalte  Quelle  des 
Jupiter  zu  Dodona  x)  löscht  zwar  hineingetauchte  Fackeln 
aus,  nähert  man  ihr  aber  die  ausgelöschten  wieder,  so  ent- 
zünden sie  sich.  Mittags  bleibt  sie  stets  aus,  daher  heisst 
sie  auch:  die  Aufhörende.2)  Später  fängt  sie  an  zu  wach- 
sen, ist  um  Mitternacht  ganz  voll  und  nimmt  dann  allmählig 
wieder  ab.  In  Illyrien  ist  eine  kalte  Quelle,  welche  dar- 
über ausgebreitete  Kleider  entzündet.  Der  See  des  Jupiter 
Hammon3)  ist  am  Tage  kalt,  bei  Nacht  heiss.  Die  so- 
genannte Sonnenquelle  im  Lande  der  Troglodxten  ist  um 
Mittag  süss  und  sehr  kalt,  dann  fängt  sie  an  warm  zu 
werden  und  ist  um  Mitternacht  heiss  und  bitter. 

Die  Quelle  des  Padus4)  ist  im  Sommer  des  Mittags 
stets  trocken,  gleichsam  als  wenn  sie  unterdessen  Ruhe 
hielte.  Eine  Quelle  auf  der  Insel  Tenedos  tritt  vom  Som- 
mersolstitium  an  stets  von  der  3.  bis  zur  6.  Stunde  der 
Nacht  aus.  Die  Quelle  Inopus  auf  der  Insel  Delos  steigt 
und  fällt  gleichzeitig  mit  dem  Nile.  Dem  Flusse  Timavus 
gegenüber  liegt  im  Meere  eine  kleine  Insel  mit  warmen 
Quellen,  welche  mit  der  Fluth  steigen  und  mit  der  Ebbe 
fallen.  Der  Fluss  Novanus  im  pitinatischen  Gebiete,  jen- 
seits der  Alpen,  wird  jedesmal  im  Solstitium  reissend,  am 
kürzesten  Tage  dagegen  trocknet  er  aus. 

Im  faliscischen  Gebiete  macht  alles  Trinkwasser  die 
Ochsen  weiss,  in  Böotien  der  Fluss  Melas  die  Schafe 
schwarz,  der  Cephissus,  welcher  aus  demselben  See5)  her- 
vorfliesst,  weiss,  derPeneus6)  wiederum  schwarz,  der  Xan- 
thus  bei  Ilium  röthlich,   woher  dieser   Fluss  auch  seinen 


»)  Bonila. 

2)  ÄvaTtavopBvoq. 

3)  In  Afrika. 

4)  Po. 

5)  Diess  ist  der  See  Copais  in  Böotien;  allein  der  Cephissus  ent- 
springt nicht  aus  demselben,  sondern  bildet  ihn  erst,  desshalb  heisst 
der  Copais  auch  bei  Homer  der  cephissische  See  (jetzt  der  See  von 
Livadia).  Der  Melas  aber  verliert  sich  südlich  vom  See  Copais  in 
Sümpfen. 

6)  Jetzt  Salambria  in  Thessalien. 


Zweites  Buch.  211 

Namen  hat.  Der  Astaces  im  Pontus  macht,  dass  die  auf 
den  von  ihm  bewässerten  Fluren  weidenden  Stuten  den 
dortigen  Bewohnern  zu  ihrer  Nahrung  schwarze  Milch  geben. 
Im  Reatinischen  giebt  es  eine  Quelle,  Neminie  genannt, 
die  bald  hier  bald  da  aus  der  Erde  kommt,  und  dadurch 
die  Veränderung  der  Fruchtbarkeit  anzeigt.  Eine  Quelle 
im  Hafen  von  Brundisium  versorgt  die  Seefahrer  mit  gutem 
Wasser.  Das  Wasser  des  Lyncestes1),  welches  Sauerwas- 
ser genannt  wird,  berauscht  wie  Wein.  Aehnliches  Wasser 
findet  sich  in  Paphlagonien  und  im  calenischen  Gebiete. 
Auf  der  Insel  Andrus  soll,  nach  Mucianus,  der  dreimal 
Konsul  war2),  im  Tempel  des  Bacchus  eine  Quelle  hervor- 
sprudeln, die  jedesmal  am  5.  Januar  einen  Weingeschmack 
hat;  sie  führt  den  Namen  Göttergeschenk.3)  Der  Styx4) 
bei  Nonakris  5)  in  Arkadien,  dessen  Wasser  sich  weder 
durch  Geruch  noch  durch  Farbe  besonders  auszeichnet, 
tödtet  sogleich,  wenn  man  davon  trinkt.  Desgleichen  befin- 
den sich  auf  dem  Hügel  Librosus  in  Taurien  drei  Quellen, 
die  ohne  Rettung,  aber  ohne  Schmerzen  tödten.  Im  car- 
ninensischen  Gebiete  von  Spanien  fliessen  zwei  Quellen 
nebeneinander,  von  denen  die  eine  alles  auswirft,  die  andere 
aber  alles  verschlingt,  Ebendaselbst  ist  eine  andere,  in 
welcher  alle  Fische  goldfarbig  erscheinen,  während  sie 
ausserhalb  derselben  nicht  von  den  übrigen  Fischen  ver- 
schieden sind.  Eine  starke  "Quelle  im  comensischen  Ge- 
biete in  der  Nähe  des  Sees  Larius6)  schwillt  alle  Stunden 
an  und  tritt  wieder  zurück.  Eine  warme  Quelle  auf  der 
Insel  Cydonea  vor  Lesbos  fliesst  nur  im  Frühlinge.  Der 
See  Sannaus  in  Asien  hat  den  Geschmack  des  um  ihn 
wachsenden  Wermuths.     Zu   Colophon,   in   der  Höhle  des 


')  Fluss  in  Macedonien. 

'-)  In  den  Jahren  52,  70  und  76  n.  Chr.;  starb  im  J.  77  n.  Chr. 

3)  Jidg  Oeodooia. 

'•)  Mauronero. 

5)  Naukria. 

°)  Lage-  di  Como. 

14* 


212  Zweites  Buch. 

Apollo  Clarius1)  ist  ein  Teich,  dessen  Wasser  den  daraus 
Trinkenden  die  Wahrsagekunst  verleiht,  zugleich  aber  auch 
ihr  Leben  verkürzt  Dass  Flüsse  zuweilen  einen  rück- 
gängigen Lauf  nehmen,  hat  man  auch  zu  unseren  Zeiten, 
in  den  letzten  Jahren  der  Kegierung  Nero's  gesehen,  wie 
ich  in  dessen  Lebensbeschreibung  angeführt  habe. 

Wem  ist  es  wohl  unbekannt,  dass  alle  Quellen  im 
Sommer  kälter  sind  als  im  Winter?  Nicht  minder  wun- 
derbar erscheint  es,  dass  Erz  und  Blei  in  Klumpen  unter- 
sinken, aber  in  dünnen  Platten  schwimmen;  ferner,  dass 
einige  Körper  von  gleichem  Gewicht  theils  sinken,  theils 
schwimmen,  dass  sich  Lasten  im  Wasser  viel  leichter  be- 
wegen lassen.  Der  Stein  Scyrius 2)  schwimmt  in  grossen 
Stücken,  zerkleinert  sinkt  er  aber  unter.  Frische  Leich- 
name sinken  unter,  sobald  sie  aber  angeschwollen  sind, 
kommen  sie  in  die  Höhe.  Leere  Gefässe  lassen  sich  nicht 
leichter  aus  dem  Wasser  ziehen  als  volle.  Eegenwasser 
ist  in  den  Salzgruben  besser  als  anderes;  es  bildet  sich 
auch  kein  Salz,  wenn  kein  süsses  Wasser  hinzukommt. 
Meerwasser  friert  langsamer  als  jedes  andere,  erhitzt  sich 
aber  schneller.  Im  Winter  ist  das  Meer  wärmer,  im  Herbste 
salziger.  Alles  Wasser  wird  durch  hineingegossenes  Oel 
ruhig.  Die  Taucher  spritzen  Oel  aus  dem  Munde,  weil 
dasselbe  die  Schärfe  des  Wassers  mildert  und  ihnen  Hellig- 
keit verschafft.  Auf  hoher  See  fällt  kein  Schnee.  Obgleich 
alles  Wasser  abwärts  fällt,  so  springen  doch  die  Quellen 
von  unten  herauf,  und  diess  geschieht  sogar  am  Fusse  des 
brennenden  Aetna  mit  solcher  Gewalt,  dass  der  Sand  auf 
150,000  Schritte  weit  von  der  Feuermasse  fortgeschleudert 
wird. 

107. 

Nun  müssen  wir  auch  vom  Feuer,  dem  vierten  Ele- 
mente, einige  wunderbare  Eigenschaften  berichten,  und 
zwar  zuerst  von  den  flüssigen  Körpern  mit  feuriger  Natur. 


*)  Von  der  Stadt  Claras  in  Kleinasien,   wo   Apollo  einen  Tem- 
pel und  vier  Orakel  hatte. 
*)  S.  XXXVI.  B.,  26.  Cap. 


Zweites  Buch.  213 

108. 
In  der  Stadt  Samosata  in  Commägene  l)  ist  ein  Sumpf, 
der  einen  brennenden  Schlamm,  Maltha  genannt,  auswirft. 
Wenn  er  an  einen  festen  Körper  kommt,  so  hängt  er  sich 
daran  fest;  berührt  man  ihn,  so  folgt  er  nach,  auch  wenn 
man  flieht.  So  vertheidigten  die  dortigen  Einwohner  ihre 
Stadt,  welche  von  Lucullus  belagert  wurde2),  und  die  Sol- 
daten verbrannten  mit  ihren  Waffen.  Auch  im  Wasser 
brennt  er  fort;  nur  durch  Erde  kann  man  ihn  löschen,  wie 
die  Erfahrung  gelehrt  hat. 

109. 
Von  ähnlicher  Beschaffenheit  ist  die  Naphtha;  so 
heisst  nämlich  eine  bei  Babylon,  im  astacenischen  Gebiete 
in  Partkien  aus  der  Erde  wie  flüssiges  Harz  hervorquel- 
lende Materie.  Sie  hat  grosse  Verwandtschaft  zum  Feuer, 
denn  diess  springt  ihr,  sobald  es  sich  nur  irgendwo  blicken 
lässt,  zu.  So  soll  Medea  ihre  Nebenbuhlerin3),  als  diese, 
um  zu  opfern,  vor  den  Altar  trat,  verbrannt  haben,  indem 
das  Feuer  ihren  Kranz  ergriff. 

110. 
Aber  auch  die  Berge  zeigen  wunderbare  Erscheinungen. 
Der  Aetna  brennt  immer  des  Nachts,  und  sein  Feuerstoff 
reicht  nach  so  unendlicher  Zeit  noch  aus.  Im  Winter  ist 
er  mit  Schnee  bedeckt,  und  seine  ausgeworfene  Asche 
überzieht  sich  mit  Reif.  Aber  nicht  in  ihm  allein  wtithet 
die  Natur,  und  bedroht  die  Erde  mit  Verbrennung.  Auch 
in  Phaseiis4)  brennt  der  Berg  Chimära  Tag  und  Nacht  be- 
ständig fort.  Ctesias  von  Gnidus5)  erzählt,  dass  sein  Feuer 
auch  im  Wasser  fortbrenne,  durch  Erde  oder  Heu  aber 
gelöscht  werden  könne.    In  demselben  Lycien  brennen  die 


')  Eine  an  Cilicien  grenzende  Provinz  von  Syrien. 
»)  68  v.  Chr. 

3)  Kreusa,  die  Tochter  Kreons  von  Korinth,   mit   der  Jason  sich 
vermählen  wollte. 

4)  Eine  Hafenstadt  in  Lycien,  jetzt  Igeder. 

5)  Lehte  im  4.  Jahrh.  v.  Chr.  war  Leibarzt  des  jungem  Cyrus, 
und  dann,  bei  Kunaxa  gefangen,  des  Artaxerxes  Mnemon. 


214  Zweites  Buch. 

vulkanischen  Berge,  wenn  man  sich  ihnen  mit  einer  brennen- 
den Fackel  nähert,  so  heftig,  dass  selbst  Steine  und  Sand  im 
Wasser  glühen;  dieses  Feuer  wird  auch  durch  Regenwasser 
unterhalten.  Wenn  Jemand  einen  Stock  an  diesem  Feuer 
anzündet  und  damit  Furchen  zieht,  so  sollen  ihm  Feuer- 
ströme folgen.  In  Baktrien  brennt  die  Spitze  des  Kophan- 
tus  alle  Nächte,  in  Medien  und  Sittacene,  an  der  Grenze 
von  Persien,  giebt  es  ebenfalls  brennende  Berge.  Zu  Susa, 
beim  weissen  Thurme,  brennen  des  Nachts  15  Krater,  von 
denen  der  grösste  auch  am  Tage  Feuer  speit.  Bei  Babylon 
brennt  eine  Strecke  Landes  von  der  Grösse  eines  Fisch- 
teichs. Auch  in  Aethiopien  in  der  Nähe  des  Berges  Hes- 
perius,  glänzen  die  Felder  des  Nachts  wie  Sterne,  ebenso 
im  megalopolitanischen  Gebiete,  wo  der  leuchtende  Platz 
in  einem  angenehmen  Walde,  dessen  überhängende  Zweige 
jedoch  nicht  entzündet  werden,  verborgen  liegt.  Auch  neben 
einer  kalten  Quelle  brennt  unaufhörlich  der  Krater  des 
Nymphäus,  welcher,  wie  Theopompus x)  berichtet,  den 
Apolloniaten  schreckliche  Ereignisse  vorher  anzeigt.  2) 
Durch  Regen  wird  seine  Glüht  vermehrt,  und  er  wirft  da- 
bei ein  Erdharz  aus,  welches  nur  durch  jene  untrinkbare 
Quelle  gelöscht  werden  kann;  übrigens  ist  es  flüssiger  als 
alles  andere  Harz.  Doch  wen  kann  diess  alles  noch  in 
Verwunderung  setzen?  Brannte  doch  mitten  im  Meere  die 
Insel  Hiera  3)  in  der  Nähe  von  Italien  sammt  dem  Meere 
mehrere  Tage  hindurch  zur  Zeit  des  Bundesgenossenkrie- 
ges 4),  bis  eine  Gesandtschaft  des  Senats  es  versöhnte.  Mit 
der  grössten  Flamme  jedoch  brennt  ein  Bergrücken  in 
Aethiopien,  der  Götterwagen  genannt,  und  speiet  während 


')  Aus  Chios  um  360  v.  Chr. 

-)  Es  gab  im  Alterthume  9  verschiedene  Orte,  die  den  Namen 
Apollonia  führten.  Der,  welchen  PI.  hier  meint,  ist  derselhe,  den  er 
im  III.  B.  26.  Cap.  anführt,  nämlich  eine  Kolonie  der  Korinther  (oder 
Cörcyräer)  am  strymonischen  Meerbusen. 

3)  Vulcano. 

'')  Der  91  v.  Chr.  begann. 


Zweites  Buch.  215 

der  Sonnenhitze  ganze  Ströme  von  Feuer  aus.    An  so  vielen 
Orten  und  mit  so  vielen  Flammen  brennt  die  Erde? 

111. 
Da  nun  dieses  Element  allein  die  Eigenschaft  hat,  sich 
von  selbst  zu  erzeugen  und  zu  vermehren,  indem  es  aus 
dem  kleinsten  Funken  erwächst,  was  wird  am  Ende  bei 
so  vielen  Scheiterhaufen  auf  der  Erde  zu  erwarten  sein? 
Was  ist  die  Natur,  welche  in  der  ganzen  Welt  die  hab- 
gierigste Gehässigkeit  nährt,  ohne  selbst  Schaden  zu  lei- 
den? Hiezu  denke  man  sich  noch  die  unzähligen  Sterne 
und  die  grosse  Sonne;  ferner  das  Feuer,  dessen  sich  die 
Menschen  bedienen,  das  in  den  Steinen  ruht,  das  durch  an- 
einander geriebenes  Holz  erzeugt  wird,  das  aus  den  Wol- 
ken als  Blitze  hervorbricht!  Es  übersteigt  wahrlich  alle 
Wunder,  dass  nur  ein  Tag  vergehen  kann,  an  dem  nicht 
alles  verbrennt,  da  noch  überdiess  Hohlspiegel,  welche  man 
den  Strahlen  der  Sonne  entgegen  hält,  leichter  zünden,  als 
jedes  andere  Feuer.  Und  welche  unzählige  kleine,  aber 
natürliche  Arten  von  Feuer  sind  nicht  überall?  In  Nym- 
phäum  bricht  aus  dem  Felsen  eine  Flamme  hervor,  die 
sich  durch  Regen  entzündet.  Dieses  geschieht  auch  bei 
den  scomtischen  Gewässern1);  allein  letztere  Flamme  ver- 
liert ihre  Kraft,  wenn  sie  auf  andere  Gegenstände  über- 
geht, und  hält  in  einem  anderen  Stoffe  nicht  lange  an. 
Seit  undenklichen  Zeiten  beschattet  eine  lebende  Esche 
diese  feurige  Quelle.  Im  mutinenischen  Gebiete  bricht  an 
bestimmten,  dem  Vulkan  geheiligten  Tagen2)  Feuer  hervor. 
Man  findet  bei  den  Schriftstellern  angeführt,  dass  auf  den 
aricischen 3)  Feldern  die  Erde  in  Brand  gerathe,  wenn  eine 
Kohle  darauf  fällt.  Im  Lande  der  Sabiner  und  Sicidiner4) 
giebt  es  einen  Stein,   der  mit  Fett  bestrichen  zu   brennen 


')  In  Kampanien. 

2)  Im  August. 

3)  Aricia,  eine  alte  Stadt  in  Latium,  vier  Meilen  von  Rom  an  der 
Via  Appia  am  albanischen  Berge. 

4)  Ein  Volk  in  Kampanien;  ihre  Hauptstadt  hiess  Trauma,  jetzt 
Tiano. 


21(5  Zweites  Buch. 

beginnt.  In  der  salentiniscben  Stadt  Egnatia  entsteht,  wenn 
man  Holz  auf  einen  daselbst  für  heilig  gehaltenen  Felsen 
legt,  sogleich  eine  Flamme.  Auf  einem  unter  freiem  Him- 
mel befindlichen  Altare  der  Juno  Lacinia1)  soll  die  Asche 
selbst  durch  die  heftigsten  Stürme  nicht  weggeführt  werden. 

Sogar  im  Wasser  und  am  menschlichen  Körper  ent- 
stehen plötzlich  Flammen.  So  soll  einmal  der  ganze  trasi- 
menische  See  in  Feuer  gestanden  haben.  Dem  Servius 
Tullius  2)  brach  in  seiner  Kindheit  während  des  Schlafes 
eine  Flamme  aus  dem  Kopfe  hervor.  Valerius  Antias 3) 
erzählt  dasselbe  von  L.  Marcius,  als  dieser  nach  dem  Tode 
der  Scipionen 4)  eine  Rede  hielt  und  die  Soldaten  zur  Rache 
aufforderte.  Bald  werde  ich  mehr  und  ausführlicher  davon 
handeln;  gegenwärtig  können  diese  Wunder  nur  vermischt 
mit  den  übrigen  Gegenständen  der  Natur  erwähnt  werden. 
Da  ich  nun  aber  die  Erklärung  der  Natur  beendigt  habe, 
so  beeile  ich  mich,  den  Geist  der  Leser  gleichsam  an  der 
Hand  über  den  ganzen  Erdkreis  zu  führen. 

112. 

Unser  Erdtheil,  von  dem  ich  jetzt  rede,  und  der  (wie 
schon  gesagt)  auf  dem  ihn  umgebenden  Ocean  gleichsam 
schwimmt,  hat  seine  grösste  Ausdehnung  von  Morgen  nach 
Abend,  d.  h.  von  Indien  bis  zu  den  von  den  Gaditanern 
verehrten  Säulen  des  Hercules,  welche  Entfernung  nach 
Artemidorus 5)  8,568,000,  nach  Isidorus 6)  aber  9,818,000 
Schritte  beträgt.  Artemidorus  fügt  noch  891,000  Schritte 
hinzu,   nämlich,  von  Gades   um   das  heilige  Vorgebirge7) 


1)  Unter  diesem  Beinamen  wurde  Juno  in  einem  Tempel  unweit 
Crotona  in  Italien  verehrt.  Dieser  Tempel  soll  vom  König  Lacinus, 
oder  vom  Herkules,  der  den  Strassenräuber  Lacinius  in  dieser  Ge- 
gend erlegte,  erbauet  sein. 

2)  Sechster  röm.  König,  regierte  576 — £34  v.  Chr. 

3)  Lebte  im  letzten  Jahrh.  v.  Chr. 

4)  Im  2.  punischen  Kriege.    Vergl.  Linius  XXV.  B.  32.-36.  Cap. 

6)  Von  Ephesus  im  2.  Jahrh.  v.  Chr. 
°)  Von  Charax  im  1.  Jahrh.  n.  Chr. 

7)  Cap  St.  Vincent. 


Zweites  Buch.  217 

herum  bis  an  das  Vorgebirge  Artabrum  *),  welches  der 
äusserste  Punkt  der  vordem  Seite  von  Spanien  ist.  Dieses 
Maass  erhält  man  auf  doppeltem  Wege.  Die  Entfernung 
vom  Flusse  Ganges  und  seiner  Mündung  im  östlichen 
Ocean,  über  Indien  und  Parthyene  bis  zur  Stadt  Myrian- 
drus  in  Syrien,  am  issischen  Meerbusen 2),  beträgt  nämlich 
5,215,000  Schritte;  von  da,  auf  dem  kürzesten  Seewege, 
über  Cypern,  Patara  in  Lycien,  Rhodus,  Astypaläa3),  die 
Inseln  im  carpathischen  Meere 4),  Tänarum 5)  in  Lakonien 6), 
Lilybäum  7)  in  Sicilien,  Kalaris  8)  in  Sardinien:  2,103,000 
Schritte;  von  hier  bis  Gades  1,250,000  Schritte.  Das  Ge- 
sammtmaass  vom  östlichen  Meere  an  beträgt  also  8,568,000 
Schritte. 

Die  andere,  zuverlässigere  Bestimmung  giebt  der  Land- 
weg, und  zwar  beträgt  die  Entfernung: 

Vom  Ganges  bis  zum  Euphrat       5,169,000  Schritte, 
von  da  bis  Mazaka9)  in  Kappadocien      319,000        „ 
„      „    durch  Phrygien,  Karien  und 

Ephesus 415,000 

„      „    durchs  ägeische  Meer  bis  Delos     200,000        „ 
„      „    bis  zum  Isthmus10)!    ....     212,500 
„      „    erst  zu  Lande,  dann  durchs  le- 
chäische  Meer  u)  und  den  ko- 
rinthischen  Meerbusen    nach 
Patras  im  Peloponnes   .     .     .      90,000        „ 
„      „    bis  Leukas12) 87,500 


')  Cap  Finisterre. 

2)  Scanderum. 

3)  Stampalia. 

4)  Von  der  Insel  Carpathus,  jetzt  Sarpento  benannt. 

5)  Kaino. 

6)  Maina. 

7)  Marsala. 
*)  Cagliari. 
9)  Kaisarie. 

">)  Von  Korinth. 

")  Der  bei  Korinth  liegende  Theil  des  Golfs  von  Lepanto. 

12)  Hauptstadt  der  Insel  Leukadia,  jetzt  St.  Maura. 


218  Zweites  Buch. 

von  da  bis  Korcyra1) 87,500  Schritte 

.,      „     „     Akroceraunia 2)      ....     132,500         „ 

„      „     „     Brundisium 87,500         r 

..      „     „     Korn 360,000 

.,      „    über  die  Alpen  bis  zum  Dorfe 

Scingomagus 3) 519,000 

„      „    durch  Gallien  an  die  Pyrenäen 

bis  Illiberis 4) 927,000 

„      „    bis  zum  Ocean  und  der  Küste 

Spaniens 331,000         „ 

„      „    bis  zur  Ueberfabrt  nach  Gades        7,500         „ 

Alle    diese   Entfernungen    betragen   nach    Artemidorus 
Berechnung  zusammen:  8,945,000  Schritte. 

Die  Breite  der  Erde  von  Mittag  zu  Mitternacht  wird 
etwa  um  die  Hälfte  geringer  angenommen,  oder  zu  4,490,000 
Schritten.  Hieraus  ergiebt  sich  deutlich,  wie  viel  uns  auf 
der  einen  Seite  die  Hitze  und  auf  der  andern  die  Kälte 
entrissen  hat.  Allein  ich  glaube  nicht,  dass  diess  der  Erde 
geradezu  fehlt,  oder  dass  sie  desshalb  keine  Kugelgestalt 
hat,  sondern  nehme  bloss  an,  dass  beide  Theile  unbewohnt 
und  uns  noch  unbekannt  sind.  Die  Entfernung  der  süd- 
lichen Grenze  von  der  nördlichen  beträgt: 
von  der  Küste  des  äthiopischen  Meeres,  soweit  sie  bewohnt 

ist,  bis  Meroe 1,000,000  Schritte 

von  da  bis  Alexandrien 1,250,000         „ 

„      „     n     Rhodus 563,000 

„      „     „     Gnidus5) 87,500 

„      „     „     Kos6) 25,000 

„      „     „     Sainos 100,000 

„      „     „     Chios 94,000 


»)  Corfu. 
2)  Chimera. 


3)  Am  Fusse  der  Alpen  an  der  ital.  Grenze,  jetzt  Sezanne. 

«)  Eine. 

r>)  Messi  am  Cap  Krio. 

6)  Stancho. 


Zweites  Buch.  219 

von  da  bis  Mitylene 65,000  Schritte 

„      „     „     Tenedos 44,000 

„  „  „  zum  Vorgebirge  Sigeum  .  12,500  ,. 
„  r  r  „  Ausfluss  des  Pontus  .  312,500  „ 
„  r  ,,  „  Vorgebirge  Karambis1)  350,000  „ 
„      „     r        „     Ausfluss  des  mäotischen 

Sees2) 312,000 

„      „     „        „     Ausfluss  des  Tanais 3)  .     275,000 

Dieser  letztere  Weg  kann  aber  zu  Wasser  um  89,000 
Schritte  abgekürzt  werden. 

Von  den  Ländern,  welche  über  die  Mündung  des  Ta- 
nais hinaus  liegen,  haben  selbst  die  genauesten  Schriftstel- 
ler nichts  Zuverlässiges  aufgezeichnet.  Artemidorus  hält 
jene  entlegenen  Gegenden  für  unbekannt,  doch  sagt  er,  dass 
am  Tanais  gegen  Norden  die  sarmatischen  Völker  wohnen. 
Isidorus  fügt  zu  dem  angegebenen  Maasse  noch  1,250,000 
Schritte  bis  nach  der  Insel  Thule  hinzu:  doch  diese  Angabe 
gehört  zu  den  Ausgeburten  der  Phantasie.  Ich  wenigstens 
weiss,  dass  die  Grenzen  der  Sarmaten  nicht  weniger  weit, 
als  der  eben  angegebene  Raum  beträgt,  bekannt  sind.  Und 
wie  gross  muss  nicht  das  Land  sein,  welches  so  unzählige 
Völker,  die  noch  obendrein  ihren  Wohnsitz  oft  verändern, 
bewohnen?  Daher  glaube  ich,  dass  jene  unbewohnten 
Länder  einen  viel  grösseren  Raum  einnehmen.  Auch  habe 
ich  erfahren,  dass  unlängst  hinter  Germanien  sehr  viele 
Inseln  entdeckt  worden  sind. 

Diess  ist  es,  was  ich  von  der  Länge  und  Breite  zu 
erwähnen  für  werth  halte.  Den  ganzen  Umfang  der  Erde 
aber  hat  Eratosthenes,  ein  Mann,  der  in  allen  Wissen- 
schaften und  namentlich  in  dieser  alle  andern  an  Scharf- 
sinn und  Kenntniss  übertrifft,  dessen  Meinungen  auch  fast 
von  Allen  angenommen  sind,  zu  252,000  Stadien,  welche 
31,500,000    römischen    Schritten    gleich    sind,    angegeben. 


')  Kerempe. 

*)  Asowsches  Meer. 

3)  Don. 


220  Zweites  Buch. 

Diess  ist  eine  kühne,  aber  so  genau  begründete  Be- 
hauptung, dass  man  sich  schämen  mtisste,  ihr  keinen  Glau- 
ben zu  schenken.  Hipparchus,  der  sowohl  wegen  seiner 
gründlichen  Beurtheilung  des  Eratosthenes,  als  auch  wegen 
seines  übrigen  Fleisses  Bewunderung  verdient,  fügt  noch 
etwas  weniger  als  26,000  Stadien  hinzu.  Anders  verhält 
es  sich  mit  der  Glaubwürdigkeit  des  Dionysiodorus,  und 
ich  will  diess  auffallende  Beispiel  griechischer  Eitelkeit 
dem  Leser  nicht  vorenthalten.  Er  war  aus  Melus x)  und 
zeichnete  sich  in  der  Geometrie  sehr  aus.  Er  starb  als 
Greis  in  seinem  Vaterlande,  und  diejenigen  Verwandten? 
denen  seine  Erbschaft  zufiel,  besorgten  sein  Begräbniss. 
Als  diese  am  folgenden  Tage  die  herkömmlichen  Gebräuche 
verrichteten,  sollen  sie  in  seinem  Grabe  einen  Brief,  von 
Dionysiodorus  an  die  Oberwelt  geschrieben,  gefunden  haben, 
worin  es  heisst:  „er  sei  von  seinem  Grabe  aus  in  das 
Innerste  der  Erde  gelangt,  und  die  Entfernung  bis  dahin 
betrage  42,000  Stadien."  Es  fehlte  nicht  an  Geometern, 
welche  erklärten,  der  Brief  sei  vom  Mittelpunkte  der  Erde 
aus  geschickt,  bis  dahin  sei  von  der  äussersten  Oberfläche 
die  weiteste  Strecke,  und  letztere  also  die  Hälfte  des  Erd- 
durchmessers. Hieraus  hat  man  nun  berechnet,  dass  der 
Umfang  der  Erde  252,000  Stadien  betrage. 

113. 
Eine  harmonische  Berechnung,  welche  eine  gleich- 
förmige Uebereinstimmung   der  Natur  voraussetzt,  fügt  zu 
obengenanntem   Maasse    noch    12,000  Stadien    hinzu,   und 
hiernach  ist  somit  die  Erde  der  96.  Theil  der  ganzen  Welt. 

»)  Milo. 


Drittes  Euch. 


Von  der  Lage  und  Grösse  der  Länder,  Meere,  Städte,  Häfen, 

Berge,  Flüsse  und  den  Völkern,  welche  noch  da  sind 

oder  da  waren. 

Bisher  haben  wir  von  der  Lage  und  den  Wundern  der 
Erde,  Gewässer  und  Gestirne,  sowie  von  der  Beschaffenheit 
und  Grösse  des  ganzen  Weltalls  gehandelt.  Nun  wollen  wir 
ihre  einzelnen  Theile  in  Betracht  ziehen,  wenngleich  ein 
solches  Unternehmen  für  unendlich  gehalten,  und  nicht 
leicht  ohne  einigen  Tadel  durchgeführt  werden  kann.  In 
keiner  andern  Sache  verdient  man  wohl  mit  mehr  Recht 
Kachsicht;  denn  es  ist  begreiflich,  wenn  ein  Mensch  nicht 
alles,  was  ihn  überhaupt  betrifft,  weiss.  Ich  werde  daher 
keinem  Schriftsteller  ausschliesslich  folgen,  sondern  in  jedem 
Abschnitte  stets  dem,  welchen  ich  für  den  glaubwürdigsten 
halte;  denn  fast  alle  haben  das  mit  einander  gemein,  dass 
ein  Jeder  von  ihnen  die  Gegend,  wo  er  seine  Schrift  ver- 
fasste,  am  genauesten  beschrieben  hat;  und  desshalb  will 
ich  keinen  tadeln  oder  widerlegen.  Die  blossen  Namen 
der  Orte  sollen  in  möglichster  Kürze  angegeben,  ihre  Merk- 
würdigkeiten und  sonstige  Nachrichten  von  ihnen  aber  für 
eigene  dazu  bestimmte  Kapitel  verspart  werden;  denn  jetzt 
rede  ich  noch  immer  von  dem  Ganzen.  Ich  möchte  daher 
mich  in  der  Weise  verstanden  wissen,  als  wenn  hier  ihre 
Namen,  so  ruhmlos  wie  sie  zur  Zeit  ihrer  Entstehung  und 


222  Drittes  Buch. 

vor  dem  Beginn  ihrer  Geschichte  waren,  aufgezählt  wür- 
den; sie  sollen  also  nur  ein  Namenverzeichniss  von  der 
Welt  und  der  Natur  sein. 

Der  ganze  Erdkreis  wird  in  drei  Theile  getheilt:  Eu- 
ropa, Asien  und  Afrika.  Wir  fangen  im  Westen  bei  der 
Meerenge  von  Gades1)  an,  wo  der  atlantische  Ocean  ein- 
bricht und  sich  in  die  innern  Meere  ergiesst.  Kommt  man 
hier  herein,  so  liegt  Afrika  zur  Rechten,  Europa  zur  Lin- 
ken, und  Asien  zwischen  beiden;  die  Grenzen  zwischen 
diesen  drei  Erdtheilen  bilden  der  Tanais2)  und  Nil.  Die 
oben  genannte  Meerenge  ist  15,000  Schritte  lang,  und  vom 
Flecken  Mellaria 3)  in  Spanien  bis  zum  weissen  Vorge- 
birge4) in  Afrika  5000  Schritte  breit,  wie  Turranius  Graci- 
lis  5),  der  daher  gebürtig  ist,  angiebt.  Nach  T.  Livius  und 
Com.  Nepos  beträgt  die  Breite  an  der  schmälsten  Stelle 
7000  und  an  der  breitesten  10,000  Schritte.  Durch  eine  so 
unbedeutende  Mündung  ergiesst  sich  eine  so  ungeheure 
Wassermasse,  und  keineswegs  erklärt  sich  dieses  Wunder 
durch  eine  sehr  grosse  Tiefe  des  Meeres,  denn  zahlreiche 
weiss  schimmernde  Sandbänke  machen  daselbst  die  Fahrt 
gefährlich.  Daher  haben  Viele  diesen  Ort  die  Schwelle 
des  mittelländischen  Meeres  genannt.  Da,  wo  der  Pass  am 
engsten  ist,  schliessen  ihn  von  beiden  Seiten  Berge  ein, 
nämlich  derAbila6)  in  Afrika  und  derCalpe7)  in  Europa,  die 
letzten  Werke  des  Herkules.  Daher  nennen  die  Eingebor- 
nen  diese  Berge  auch  die  Säulen  dieses  Gottes,  und  glau- 
ben, dass  er  durch  die  Durchstechüng  derselben  dem  vorher 
ausgeschlossenen  Ocean  einen  Zugang  verschafft  und  da- 
durch der  ganzen  Natur  ein  anderes  Ansehn  gegeben  habe. 


*)  Jetzt  Meerenge  von  Gibraltar  genannt. 

2)  Don. 

3)  Fuente  Ovejuna. 

4)  Cap  Spartel,  auch  Ampelusia. 

5)  Ein  nicht  näher  bekannter  Schriftsteller. 
'•)  Dschibbel  el  Zatute. 

7)  Gibraltar. 


Drittes  Buch.  223 

1. 

Wir  wollen  also  zuerst  von  Europa,  der  Ernährerin  des 
alle  Völker  besiegenden  Volkes,  und  dem  schönsten  der 
Erdtheile  reden,  welchen  die  Meisten  mit  Recht  zur  Hälfte 
der  ganzen  Erde  gemacht  haben,  indem  sie  dieselbe  durch 
eine  vom  Flusse  Tanais  an  bis  zur  gaditanischen  Meer- 
enge gezogene  Linie  in  zwei  Theile  theilen.  Der  Ocean, 
welcher  durch  den  genannten  Pass  das  atlantische  Meer 
ergiesst,  und  die  Länder,  welche  seinem  Andringen  furcht- 
sam wichen,  gierig  verschlang,  bespühlte  auch  die  in  viel- 
fachen Krümmungen  ihm  widerstrebenden  Ufer  und  hat  so 
an  Europas  Küsten  viele  Aushöhlungen,  namentlich  vier 
Hauptmeerbusen  gebildet.  Der  erste  derselben  zieht  sich 
von  dem  schon  erwähnten  äussersten  Berge  Calpe  in  Spa- 
nien bis  nach  Locri1)  und  dem  brutischen  Vorgebirge2)  in 
einem  sehr  grossen  Bogen  herum. 

2. 

Das  erste  Land  an  diesem  Busen  ist  das  jenseitige 
Spanien  oder  Bätica.  Daran  grenzt  das  tarraconensische 
oder  diesseitige  Spanien,  welches  von  der  urgitanischen 
Grenze 3)  bis  an  die  Pyrenäen  reicht.  Das  jenseitige  Spa- 
nien wird  der  Länge  nach  in  zwei  Provinzen  getheilt.  An 
der  Nordseite  von  Bätica  breitet  sich  das  durch  den  Fluss 
Anas 4)  getrennte  Lusitanien  aus.  Dieser  entspringt  im 
laminitanischen 5)  Gebiete  des  diesseitigen  Spaniens,  fliesst 
bald  durch  Sümpfe,  bald  durch  enge  Schluchten,  oder  ver- 
birgt sich  gänzlich  in  Höhlen,  als  freue  es  ihn,  öfter  zu 


')  Stadt  im  Lande  der  Brutier  in  Unter-Italien.  Die  Bewohner 
hiessen  vom  benachbarten  Vorgebirge  Zephyrium,  die  epizephyrischen 
Locrer.  Wenige  Ruinen  dieser  Stadt  finden  sich  noch  beim  Torre 
di  Pagliapoli. 

2)  Heisst  im  10.  Cap.  dieses  Buches  Leucopetra;  jetzt  Capo 
deH'Armi. 

3)  Urgi  oder  Urci,  eine  Hafenstadt  am  mittelländischen  Meere, 
jetzt  Abrucena. 

A)  Guadiana. 

5)  Von  der  Stadt  Laminium,  jetzt  Alhambra. 


224  Drittes  Buch. 

entspringen,  und  ergiesst  sich  endlich  in  das  atlantische 
Meer.  Das  hier  angrenzende  tarraconensische  Spanien  zieht 
sich  an  der  ganzen  Seite  der  Pyrenäen  hin,  breitet  sich 
vom  iberischen  Meere1)  ab  bis  zum  gallischen  Ocean2)  aus, 
und  wird  durch  den  Berg  Solorius3)  sowie  durch  die  ore- 
tanischen 4),  carpetanischen 5)  und  asturischen 6)  Gebirge  von 
Bätica  uud  Lusitanien  getrennt. 

3. 
Bätica7),  welches  nach  dem  ihn  mitten  durchschnei- 
denden Flusse8)  benannt  ist,  übertrifft  alle  anderen  Pro- 
vinzen durch  seine  reiche  Kultur,  Fruchtbarkeit  und  beson- 
dere Schönheit.  Es  enthält  vier  Gerichtskreise,  den  gadi- 
tanischen,  cordubensischen ,  astigitanischen  und  hispalen- 
sischen.  9)  Die  Gesammtzahl  seiner  Städte  beträgt  175; 
darunter  befinden  sich  9  Kolonien  10) ,  8  Munieipien  n),  29 
mit  lateinischem  Bürgerrechte12),  6  freie,  3  Bundesstädte 
und  120  zinsbare.  Von  diesen  sind  erwähnenswerth  oder 
wenigstens  im  Lateinischen  leicht  auszusprechen:  Oroba13), 
mit  dem  Beinamen  Aestuaria  an  der  Mündung  des  Anas; 
ferner  die  Zwischenflüsse14)  Luxia  und  Urium15),  die  Maria- 


')  Der  Theil  des  mittelländischen  Meeres,  in  den  sich  der  Ebro 
ergiesst. 

2)  Meerbusen  von  Gascogne. 

3)  Sierra  de  los  Vertientes. 

4)  Sierra  Morena. 

5)  Monte  de  Toledo. 

6)  Sierra  de  las  Asturias. 

7)  Umfasste  Andalusien,  den  grössten  Theil  von  Granada.  Estre- 
madura  und  den  westlichen  Theil  von  la  Mancha. 

8)  Baetis,  jetzt  Guadalquivir. 

9)  Diese  Namen  kommen  noch  weiter  unten  vor. 

,0)  Die  Rechte  der  Colonien  waren  verschieden  nach  den  Rech- 
ten der  Mutterstädte. 

u)  Fremde  Städte,  die  das  römische  Bürgerrecht  hatten. 

,2)  Dieses  gestattete  den  Besitzern  den  Dienst  in  den  Römischen 
Legionen  und  die  Bewerbung  um  alle  militärischen  Aemter  und 
Ehrenstellen. 

I3)  Huelva.    14)  Zwischen  dem  Anas  u.  Baetis.    ,5)  Odiel  u.  Tinto. 


Drittes  Buch.  225 

nischen  Berge;  der  Bätis;  die  corensische  Küste  mit  einem 
Meerbusen,  diesem  gegenüber  Gades,  von  dem  noch  bei  den 
Inseln  die  Rede  sein  wird;  das  Vorgebirge  der  Juno1),  der 
Hafen  Bäsippo2);  die  Städte:  Belon3),  Mellaria4);  die  Meer- 
enge des  atlantischen  Oceans;  Carteja,  von  den  Griechen 
Tartessos  genannt;  der  Berg  Calpe. 5)  Weiter  an  der  innern 
Küste  die  Stadt  Barbesula  am  gleichnamigen  Flusse 6),  dess- 
gleichen  Salduba7),  die  Stadt  Suel8),  Malaca9)  an  dem 
Flusse  gleichen  Namens10),  eine  der  Bundesstädte.  Dann 
folgt  Mänoba  n)  am  gleichnamigen  Flusse 12) ;  Sexi  Firmum 13) 
mit  dem  Beinamen  Julium;  Seiambina14),  Abdara15)  und 
Murgi 16),  welches  an  der  Grenze  von  Bätica  liegt.  M. 
Agrippa17)  glaubt,  die  Bevölkerung  dieser  ganzen  Küste  sei 
punischen  Ursprungs. 

Die  Küste  des  atlantischen  Meeres  vom  Anas  an  be- 
wohnen die  Bastuler  und  Turduler.  M.  Varro  berichtet, 
die  Iberier,  Perser,  Phönizier,  Celten  und  Punier  hätten 
sich  über  ganz  Spanien  verbreitet.  Lusitanien  soll  seinen 
Kamen  von  einem  Spiele  (lusus)  zu  Ehren  des  Vater  Bacchus 
oder  von  Lysas,  seinem  Begleiter,  erhalten  haben,  und  Pan 
soll  der  Schutzgott  des  ganzen  Landes  sein.  Was  aber 
vom  Herkules  und  der  Pyrene  18),  oder  vom  Saturn  erzählt 
wird,  halte  ich  für  eine  Fabel. 

Der  Bätis  entspringt  in  der  tarraconensischen  Provinz 
auf  dem  tugiensischen  Waldgebirge 19)  und  nicht,  wie  Einige 
behauptet  haben,  bei  der  Stadt  Mentisa20);  neben  ihm  fliesst 


*)  Cap  Trafalgar.  2)  Porto  Barbato.  3)  Bolonia.  4)  Fuente 
Ovejuna.  5)  Gibraltar.  6)  Guadiaro,  an  der  Grenze  von  Granada, 
')  Marbella.  8)  Fuengirolo.  9)  Malaga.  ,0)  Jetzt  Guadalmedina. 
")  Velez  Malaga.    '-)  Velez.    ,3)  Almunecar.    M)  Salobrena.    15)  Adra. 

16)  Muxagar. 

")  Verwandter  u.  Freund  des  Augustus,  u.  verdienter  Geograph, 
starb  12  n.  Chr. 

18)  Pyrene,  Tochter  des  Bebryx  und  Geliebte  des  Herkules.  Die 
Pyrenäen  haben  von  ihrem  daselbst  befindlichen  Grabe  den  Namen. 

,9)  Sierra  de  Cazorla. 

2°)  Baeza. 

15 


226  Drittes  Buch. 

der  Tader1),  der  die  Gegend  von  Carthago2)  bewässert; 
jener  entfernt  sich  wieder  von  diesem  beim  Grabmale  des 
Scipio  zu  Ilorcum 3),  wendet  sich  gegen  Abend,  und  ergiesst 
sich,  nachdem  er  der  Provinz  seinen  Namen  gegeben,  in 
den  atlantischen  Ocean.  Anfangs  ist  er  nur  klein,  doch 
bald  wird  er  durch  viele  Flüsse  verstärkt,  denen  er  Namen 
und  Wasser  entzieht.  Aus  dem  Ossigitanischen 4)  Gebiete 
kommt  er  nach  Baetika,  und  seine  reizenden  Ufer  sind  zu 
beiden  Seiten  mit  zahlreichen  Städten  besetzt. 

Die  berühmtesten  Städte  zwischen  dem  Bätis  und  der 
Meeresküste  im  Innern  des  Landes  sind:  Segeda  5),  mit  dem 
Beinamen  Augurina,  Julia  oder  Fidentia  6),  Urgao  oder 
Alba  7),  Ebura  oder  Cerealis  8),  Iliberi  oder  Liberini 9),  III- 
pula10)  oder  Laus,  Astigi11)  oder  Julienses;  Vesci12)  oder 
Faventia,  Singili13),  Attegua14),  Arialdunum,  Klein- Agla15), 
Bäbro,  Castra  vinaria16),  Cisimbrium17),  Neu-Hippo,  Illurco18), 
Osca  19),  Escua20),  Succubo,  Nuditanum,  Tuati  vetus;  alle 
diese  nach  dem  Meere  zu  in  Bastetanien  und  gehören  zum 
cordubensischen  Kreise.  Am  Flusse  Baetis  selbst  liegen: 
Ossigi,  mit  dem  Beinamen  Laconicum,  Illiturgi21)  oder  Fo- 


')  Segura.    2)  Carthagena.    3)  Lorca. 

4)  Von  der  Stadt  Ossigi  der  Turduler  an  der  Grenze  vom  tarra- 
conensischen  Spanien,  jetzt  Maquiz. 

5)  S.  Jago  de  IIa  Higuera. 

6)  Fuente  del  Rey. 

7)  Purchena. 

8)  Alcala  la  Real. 

9)  Ruinen  bei  Granada,  auf  der  Sierra  de  Elvira. 

10)  Loxa. 

11 )  Alameda. 

12)  Archidona. 

13)  Mira  Xenil. 

,4)  Die  wenigen  Ruinen  dieser  Stadt  führen  den  Namen  Teva  veja. 

,5)  Aguilar. 

»)  Castro  el  Rio. 

")  Espeja. 

,8)  Illora. 

19)  Huescar. 

M)  Escuzar.    2I)  Ubeda  la  vieja. 


Drittes  Buch.  227 

rum  Julium,  Ipasturgi  oder  Triumphale,  Setia  und  14,000 
Schritte  weit  im  Lande,  Obulco  *),  oder  Pontificense. 
Nicht  weit  davon  liegt  die  Bundesstadt  Epora2),  Sacili 
Martialium  3),  Onoba  und  zur  Rechten  Corduba  4),  eine 
Pflanzstadt  mit  dem  Beinamen  Patricia,  von  wo  aus  der 
Baetis  schiffbar  wird;  Carbula5),  Detunda;  der  Fluss  Sin- 
gulis 6),  welcher  auf  derselben  Seite  in  den  Bätis  fällt. 

Die  Städte  des  Hispalensischen  Kreises  sind:  Celti 7), 
Arua8),  Camana,  Evia,  Ilipa  9)  oder  lila,  Italica10);  zur  Lin- 
ken die  Pflanzstadt  Hispalis11)  oder  Romulensis.  Gegenüber 
liegt  die  Stadt  Osset 12)  oder  Julia  Konstantia,  Vergentum 13) 
oder  Julii  Genus,  Orippo14),  Caura65),  Siarum16)  und  der 
Fluss  Menoba17),  der  von  der  rechten  Seite  in  den  Bätis 
fällt.  Bei  der  Mündung  des  Bätis  liegt:  Nebrussa18)  oder 
Veneria,  und  Colobona19).  Pflanzstädte  sind:  Asta10),  auch 
Regia  genannt,  und  im  Innern  des  Landes  Asido21)  oder 
Caesariana. 

Der  Fluss  Singulis,  welcher  sich  an  der  oben  bezeich- 


')  Porcuria,  nach  Andern  Bujalance. 

2)  Riopar. 

3)  Alcurruca. 

4)  Cordova. 

5)  Corbul. 

6)  Xenil. 

7)  Guadalkanal. 

8)  Alcolea. 

9)  Niebla. 

,0)  Santiponte. 
»)  Sevilla. 

12)  Castello  de  la  Cuestra. 

13)  Gelves. 

u)  Villa  de  los  Hermannas. 

15)  Coria, 

lü)  Sarrakatin. 

")  Guadalimar. 

,8)  Lebrixa. 

,9)  Tribuxena. 

20)  Xeres  della  Front  era. 

21)  Medina  Sidonia. 

15* 


228  Drittes  Buch. 

neten  Stelle  in  den  Bätis  ergiesst,  fliesst  an  der  astigita- 
nischen  Pflanzstadt  Augusta  Firma  *)  vorbei,  und  wird  von 
da  an  schiffbar.  Zu  diesem  Kreise  gehören  die  übrigen 
von  Abgaben  freien  Pflanzstädte:  Tucci 2)  oder  Augusta 
Gemella,  Itucci  oder  Virtus  Julia,  Attubi 3)  oder  Ciaritas 
Julia,  Urso 4)  oder  Genua  Urbanorum;  zu  diesen  gehörte 
auch  Munda  5),  bei  deren  Einnahme  der  Sohn  des  Pompejus 
gefangen  genommen  wurde.  Freie  Städte  sind:  Astigi  ve- 
tus  6),  Ostippo  7);  zinsbar  sind:  Callet,  Calecula 8),  Castra 
gemina  9),  Uipula  minor10),  Merucra11),  Sacrana,  Obulcula12), 
Oningis.  Unweit  der  Küste  an  dem  ebenfalls  schiffbaren 
Flusse  Menoba  wohnen  die  Alontigiceler  und  Alostiger. 

Der  übrige  noch  nicht  erwähnte  Landstrich  zwischen 
dem  Bätis  und  Anas  heisst  Baeturia,  wird  in  zwei  Theile 
getheilt  und  von  eben  so  vielen  Völkerschaften  bewohnt; 
nämlich  den  Celtikern13),  welche  bis  nach  Lusitanien  reichen, 
und  im  Hispalensischen  Kreise  wohnen,  und  den  Turdulern, 
welche  an  der  lusitanischen  und  terraconensischen  Grenze 
wohnen  und  zum  Gerichtsbezirk  Corduba  gehören.  Dass 
die  Celtiker  von  den  Celtiberiern  in  Lusitanien  abstammen, 
ergiebt  sich  deutlich  aus  ihrer  Religion,  Sprache  und  ihren 
Städtenamen,  welche  man  in  Bätica,  zur  Unterscheidung 
(von  den  gleichnamigen  in  Celtiberien)  mit  besonderen  Bei- 
namen bezeichnet.  So  heisst  Seria14)  auch  Fama  Julia, 
Nertobriga15) :  Concordia  Julia,  Segida:  Restituta  Julia,  Con- 
tributa16):  Julia  Ucultuniacum,  welche  auch  jetzt  Turiga  ge- 
nannt wird,  Laconimurgis17):  Constantia  Julia,  Tereses18): 
Fortunales,  Callenses19):  Emanici.   Ausserdem  liegen  im  Ge- 


')  Eceja.     -)  Martos.     3)  Espejo.     4)  Villa  Ossune. 

5)  Berühmt  durch  eine  Niederlage  der  Karthager  im  pun.  Kriege 
(Liv.  24,  42)  und  durch  die  entscheidende  Schlacht  zwischen  Caesar 
und  den  Söhnen  des  Pompejus  (Caesar  sp.  Kr.  51);  jetzt  steht  ein 
schlechtes  Dorf  Monda  in  Granada  an  der  Stelle  von  Munda. 

«)  Alhameda.  7)  Estepa.  8)  Calabra.  ;')  Campillo.  10)  Olvera. 
")  Mairena.  12)  Monclon.  13)  Ein  Stamm  der  Celten.  ")  Xeres  de 
Cavalleros.  16)  Valera  la  Veja.  ,6)  Medina  de  los  Torres.  ")  Con- 
stantina  in  Andalusien     ,8)  Nicolo  del  Puerto.    I9)  Cacalla, 


Drittes  Buch.  229 

biete  der  Celtiker:  Acinippo,  Arunda  *),  Arunci2),  Turo- 
brica  3),  Lastigi 4),  Salpesa  5),  Saepona  6),  Serippo.  Der  an- 
dere Theil  Bäturiens,  welchen,  wie  wir  gesagt  haben,  die 
Turduler  bewohnen,  und  der  mit  zum  Cordubensischen 
Kreise  gehört,  hat  folgende  nicht  unbedeutende  Städte: 
Arsa  7),  Mellaria  8),  Mirobrica  9)  und,  im  osintiadischen  Land- 
striche, Sisapo.10) 

Im  gaditanischen  Kreise  liegen:  Regina11),  mit  römi- 
schem Bürgerrechte;  mit  lateinischem  Bürgerrechte  Laepia 
Ulia,  Carissa12)  auch  Aurelia  genannt;  Urgia13)  oder  Cast- 
rum  Julium  oder  Cäsaris  Salubai  iensis.  Zinsbare  Städte 
sind:  Besaro,  Belippo,  Barbesula14),  Lacippo15),  Bäsippo16), 
Callet,  Cappagum,  Oleastro  17),  Itucci,  Beana18),  Lacibi,  Sa- 
guntia19),  Andorisä. 

Die  ganze  Länge  dieses  Landes  beträgt  nach  M.  Agrippa 
465,000  Sehritte,  die  Breite  257,000  Schritte;  allein  damals 
erstreckten  sich  dessen  Grenzen  bis  nach  Carthago. 20)  In 
den  Maassbestimmungen  entstehen  überhaupt  dadurch 
grosse  Fehler,  dass  bald  die  Grösse  der  Provinzen  sich 
ändert,  bald  die  Wege  nach  grösseren  oder  kleineren  Schrit- 
ten gemessen  werden.  Dazu  kommt  noch,  dass  das  Meer 
nach  und  nach  an  dieser  Stelle  Land  wegspühlt,  an  jener 
ansetzt,  und  dass  Flüsse  oft  einen  andern  Lauf  nehmen. 
Der  Eine  fängt  seine  Messung  an  diesem,  der  Andere  an 
jenem  Orte  an,  und  jeder  beobachtet  dabei  seinen  besonde- 
ren Gang.  Daher  kommt  es  denn,  dass  niemals  zwei  An- 
gaben übereinstimmen.  Die  jetzige  Länge  von  Bätica  be- 
trägt von  der  Grenzstadt  Castulo21)  bis  nach  Gades 
250,000  Schritte,  und  von  Murci22)  bis  au  die  Meeresküste 
ist  die  Entfernung  um  25,000  Schritte  weiter.  Die  Breite 
beträgt  von  der  Cartejanischen  Küste  an  234,000  Schritte. 

')  Ronda.  2)  Aronches.  3)  Torre  Mexia.  4)  Zahara.  5)  Elvas. 
6)  Ruinen  im  Forste  bei  Ronda.  7)  Aracena.  8)  Fuente  Ovejuna. 
9)  Capilla,  10)  Ahnaden.  ")  Puebla  de  la  Reyna.  «)  Carixa.  >3)  Las 
Cabecas.  14)  Torre  di  Guadiara.  ,5)  Alecippe.  ,6)  Vejer  de  la  Fron- 
tera  oder  Porto  Barbato.  ")  Osmia.  ,8)  Santillana.  iy)  Xigonza. 
2°)  Carthagena.    *')  Cazorle.    22)  Almeria. 


230  Drittes  Buch. 

Wer  sollte  nun  wohl  glauben,  dass  Agrippa  bei  seinem 
grossen  Fleisse  und  der  besonderen  Sorgfalt,  die  er  einer 
Arbeit  widmete,  durch  welche  er  den  ganzen  Erdkreis  der 
Stadt  Rom  zur  Uebersicht  vorzulegen  gesonnen  war,  und  mit 
ihm  der  göttliche  Augustus  sich  geirrt  habe?  Denn  dieser 
vollendete  den  nach  dem  Plane  und  den  Schriften  des  M. 
Agrippa  von  dessen  Schwester  begonnenen  Bau  des  Por- 
ticus,  der  eben  jene  Angaben  enthält. 

4. 

Die  ehemalige  Gestalt  des  diesseitigen  Spaniens1) 
hat  sich,  wie  die  mehrerer  Provinzen,  etwas  verändert; 
denn  Pompejus  der  Grosse  bemerkte  auf  den  Trophäen,  die 
er  in  den  Pyrenäen  errichten  liess,  er  habe  vou  den  Alpen 
an  bis  zu  den  Grenzen  des  jenseitigen  Spaniens  877  Städte 
unter  die  römische  Botmässigkeit  gebracht.  Jetzt  wird  die 
ganze  Provinz  in  7  Kreise  eingetheilt:  in  den  carthaginien- 
sischen,  tarraconensischen,  cäsaraugustinischen,  clunien- 
sischen,  asturischen,  lucensischen  und  bracarischen.  Dazu 
kommen  noch  die  Inseln;  ohne  diese,  welche  besonders  er- 
wähnt werden  sollen,  und  ausser  den  294,  andern  Orten 
zugezählten  Gemeinden  enthält  die  Provinz  179  Städte. 
Von  diesen  sind  12  Colonien,  13  mit  römischem  Bürger- 
rechte, 18  mit  altlateinischem  Bürgerrechte,  1  Bundesstadt 
uud  135  zinsbare. 

Unmittelbar  an  der  Küste  wohnen  die  Bastuler. 2)  Dann 
folgen  der  Reihe  nach,  in  das  Land  hinein  die  Mentesa- 
ner  3),  Oretaner  4)  und  am  Tagus  die  Carpetaner  5);  daneben: 

')  Es  begriff  mit  Ausnahme  der  Bätischen  und  Lusitanischen 
Provinzen  das  ganze  jetzige  Spanien  in  sich. 

2)  PI.  nennt  sie  auch  Bastetaner.  Sie  waren  kein  eigenthümlicher 
Volksstamm,  sondern  bestanden  aus  einer  Mischung  von  Phöniciem, 
Carthagern,  Griechen  und  Römern.  Sie  wohnten  vom  Junovorgebirge 
an  der  Küste  hin  bis  Murgis  in  Granada. 

3)  Eigentlich  bloss  der  südliche  Theil  der  Oretaner,  in  dem  Be- 
zirk von  Chinchilla. 

4)  Diese  bewohnten  einen  Theil  vom  westl.  Toledo,  den  mittleren 
Theil  von  la  Mancha,  die  Ostspitze  von  Jaen  und  die  Nordspitze  von 
Granada.    Ihr  Land  war  der  Hauptschauplatz   im  punischen  Kriege. 

5)  Ein  iberischer  Stamm,  der  den  grössten  Theil  von  Toledo,  die 


Drittes  Buch.  231 

die  Vaccäer  *),  die  Veetoner  2)  und  die  arevacischen  Celti- 
berier. 3)  An  der  Küste  liegen  folgende  Städte :  Urci 4)  und 
Barea  5),  das  auch  zu  Bätica  gerechnet  wird;  das  mavita- 
nische,  deitanische  und  contestanische  Gebiet,  die  Pflanzstadt 
Neu-Carthago  6);  von  dem  dabei  liegenden  Vorgebirge  des 
Saturn  7)  beträgt  die  Ueberfahrt  nach  Cäsarea  8)  in  Mauri- 
tanien  187,000  Schritte.  .  Ausserdem  sind  noch  an  der  Küste 
zu  nennen:  Der  Fluss  Tader  9),  die  freie  Pflanzstadt  Illici10), 
von  welcher  der  dabei  liegende  Meerbusen11)  seinen  Namen 
hat;  ihr  sind  die  Icositaner  untergeordnet.  Dann  folgt  Lu- 
centum12)  mit  lateinischem  Bürgerrechte,  das  zinsbare  Dia- 
nium13),  der  Fluss  Sucro14)  und  früher  eine  Stadt  gleichen 
Namens15),  die  Grenze  von  Contestanien;  das  edetanische16) 
Gebiet  mit  dem  sich  daran  hinziehenden  schönen  See17), 
bis  zu  den  Celtiberiern;  die  3000  Schritte  vom  Meere  ent- 
fernte Pflanzstadt  Valentia,  der  Fluss  Turium18),  und,  in 
gleicher  Entfernung  vom  Meere  Saguntum19)  mit  römischem 


Provinz  Segovia,  Avüa,  und  Guadalaxara  inne  hatte ;  sie  hiessen  auch 
Carpesier  oder  Caracitaner. 

')  In  Zamora  und  Salamanca. 

'-)  In  Estreinadura  und  Leon. 

3)  In  Valladolid. 

4)  Abrucenna. 

5)  Vera. 

6)  Carthagena. 

7)  Capo  di  Palos. 

8)  Vermuthlich  das  heutige  Algier  oder  Tenez. 

9)  Segura. 

10)  Elche. 

»)  Golfo  di  Alikante. 
,2)  Aükante. 
,3)  Denja. 
,4)  Xucar. 
,5)  Sueca. 

16)  Ein  iberischer  Stamm,  woluite  längs  der  Küste  von  Valencia 
an  bis  über  Pennisocola.  Ihr  Gebiet  umfasste  also  den  nördl.  Theil 
von  Valencia  und  die  Südostspitze  Arragoniens. 

17)  Albufera.     ,8)  Guadalaviar. 

t9)  Eine  Colonie  der  Zakynthier  und  Rutuler,    die  reichste  Stadt 


232  Drittes  Buch. 

Bürgerrechte  und  berühmt  durch  ihre  Treue;  der  Fluss 
Uduba  *);  das  Gebiet  der  Uergaonier.  2)  Der  Iberus  3),  ein 
von  vielen  Handelsschiffen  befahrener  Fluss,  entspringt  in 
Cantabrien,  unweit  der  Stadt  Juliobrica  4)  und  durchströmt 
eine  Strecke  von  450,000  Schritten;  260,000  Schritte  lang, 
nämlich  von  der  Stadt  Varia5)  an,  ist  er  schiffbar;  nach  ihm 
haben  die  Griechen  ganz  Spanien  Iberien  genannt.  Das 
cossetanische  Land6),  der  Fluss  Subi7);  die  Pflanzstadt 
Tarraco  8),  von  den  Scipionen  angelegt,  sowie  Carthago  von 
den  Puniern.  Das  Gebiet  der  Ilergeter  9),  die  Stadt  Subur10); 
der  Fluss  Rubricatum11),  jenseits  desselben  die  Laletaner12) 
und  Indigeter.13)  Dann  folgen  der  Reihe  nach,  gegen  das 
Innere  des  Landes  am  Fusse  der  Pyrenäen,  die  Ause- 
taner14),  die  Lacetaner15),  in  den  Pyrenäen  die  Cerretaner16) 
und  die  Vasconer17);  an  der  Küste  aber  liegt  die  Pflanz- 
stadt Barcino18),  mit  dem  Beinamen  Faventia.  Städte  mit 
römischem  Bürgerrechte  sind:  Bätulo19)  und  Iluro20);  der 
Fluss  Lanum21);  Blandä22),  der  Fluss  Alba23),  die  Doppel- 


jenseits   des  Iberus.     Mit  ihrer  Eroberung  durch  Hannibal    begann 
der  zweite  punische  Krieg.    Sie  heisst  jetzt  Murviedro. 
J)  Mijares. 

2)  Zwischen  dem  Mijares  und  Ebro. 

3)  Ebro. 
')  Frias. 

5)  Logrono. 

li)  Die  Vegerias  de  Tarragona  und  de  Tortosa. 

7)  Francoli. 

8)  Tarragona. 

a)  Der  Küstenstrich  zwischen  Tarragona  und  Barcelona. 

10)  Villa  nova. 

")  Llobregat. 

,2)  Vegerias  de  Barcelona  und  de  Mataro. 

,3)  Vegeria  de  Gerono. 

M)  Mit  der  Stadt  Ausa,  jetzt  Vique. 

,5)  Vegerias  de  Cervera  und  de  Manresa. 

,6)  Vegerias  de  Puigcerda. 

")  Provinz  Guipuscoa. 

,8)  Barcelona. 

ly)  Badalona  an  der  catal.  Küste. 

*>)  Pineda.    21)  Tordera.    22)  Blanas.     *>)  Ter. 


Drittes  Buch.  233 

Stadt  Emporiä  *),  von  alten  Eingebornen  und  Griechen, 
Nachkommen  der  Phocäer,  bewohnt;  der  Fluss  Ticher  2); 
von  hier  bis  nach  Venus  Pyrenäa3),  auf  der  andern  Seite 
des  Vorgebirges,  beträgt  die  Entfernung  40,000  Schritte. 

Nun  wollen  wir  von  jedem  Kreise  das  Wichtigste 
ausser  dem  bereits  Mitgetheilten  vorführen: 

Zu  Tarraco  werden  die  Rechtssachen  von  43  Völker- 
schaften entschieden,  unter  denen  folgende  die  berühmtesten 
sind:  die  Dersutaner  4)  und  Bisgargitaner  5)  mit  römischem 
Bürgerrechte;  die  Ausetaner  und  Cerretaner  mit  lateinischem 
Bürgerrechte,  welche  auch  Julianer  oder  Augustaner  heissen; 
die  Edetaner,  Gerundenser  6),  Gessorienser,  die  Tearer  oder 
Julienser.  Unter  den  zinsbaren  verdienen  erwähnt  zu  wer- 
den: die  Aquicaldenser  7),  Onenser  und  Bäculonenser.  8) 

Caesaraugusta  9)  ist  eine  steuerfreie  Colonie  am  Iberus, 
wo  ehemals  die  Stadt  Salduba  stand;  sie  liegt  in  der  ede- 
tanischen  Landschaft  und  umfasst  55  Völkerschaften.  Unter 
diesen  sind  die  vorzüglichsten  mit  römischem  Bürgerrechte: 
die  Balitaner10)  und  Celsenser11);  von  Colonien:  die  Cala- 
guritaner12)  oder  Nassiker,  die  Ilerdenser13),  welche  von 
den  Surdaonen  abstammen  und  am  Flusse  Sicoris14)  woh- 
nen, die  Oscenser15)  in  der  Landschaft  Vescitania,  die 
Turiasonenser16);  mit  lateinischem  Bürgerrechte:  die  Cas- 
cantenser17),  Ergavicenser18),  Graccuritaner19),  Leonicenser20) 
und  Ossicerdenser.21)  Unter  den  Bundesvölkern:  die  Tarra- 
genser22);  unter  den  zinsbaren:  die  Acrobrigenser23),  Ando- 
logenser2*),  Arocelitaner25),  Bursaonenser16),  Calaguritaner27) 


2)  Sie  bestand  aus  zwei  durch  eine  Mauer  getrennten  Theilen,  in 
dem  einen  wohnten  Griechen,  in  dem  andern  Eingeborne.  Zu  Stra- 
bo's  Zeiten  waren  sie  aber  zu  einem  Volke  verschmolzen.  (Jetzt  Ca- 
stello  da  Empurias.) 

-)  Fluvia.  3)  Capo  di  Cruz.  4)  Tortosa,  5)  Berrus.  6)  Girona. 
7)  Caldes.  8)  Baylen.  9)  Saragossa.  ,0)  Belchite.  ")  Xalsa.  >2)  Lo- 
harra.  ,3)  Lerida.  I4)  Segra.  ,5)  Hueskar.  ,6)  Tarracona  jenseits  des 
Ebro.  17)  Cascanta  in  Navarra.  18)  Oreja.  ,9)  Agreda.  -°)  Villar 
Luengo.  21)  Ixar.  22)  Tarrega  in  Catalonien.  23)  Arcos.  24)  Andosilla. 
25)  Miranda.    26)  Burgos.    -1)  Calahorra. 


234  Drittes  Buch. 

oder  Fibularenser,  die  Complutenser  *),  Carenser  2),  Cincen- 
ser  3),  Cartonenser  4),  Damanitaner  5),  Larnenser  6),  Lursen- 
ser  7),  Lumberitaner  8) ,  Lacetaner9),  Lubienser10),  Pompe- 
lonenser11)  und  Segienser.12) 

Zu  Carthago  gehören  65  Völkerschaften,  mit  Ausnahme 
der  Inselbewohner.  Unter  diesen  nennen  wir  die  Gemellen- 
ser  von  der  accitanischen  Colonie 13)  und  Libisosona u) 
oder  Foroaugustana,  welche  beide  das  italische  Bürgerrecht 
erhalten  haben;  von  der  salariensischen  Colonte15)  mit  altlatei- 
nischen Rechten:  die  Castulonenser  oder  Cäsari  Venales16), 
die  Setabitaner17)  oder  Augustaner,  und  die  Valerienser.18) 
Unter  den  zinsbaren  sind  am  berühmtesten:  die  Alabanen- 
ser19),  Bastitaner20),  Consaburenser21),  Dianenser22),  Egele- 
staner23),  Ilorcitaner24),  Laminitaner25),  Mantesaner26)  oder 
Oritaner,  Mentesaner27)  oder  Bastuler,  Oretaner28)  oder  Ger- 
maner;  Segobriga29),  die  Hauptstadt  Celtiberiens,  Toletum30) 
am  Tago,  die  Hauptstadt  von  Carpetanien;  endlich  die 
Viatienser31)  und  Virgilienser.32) 

Zum  cluniensischen33)  Kreise  gehören  14  Völkerschaften 
der  Varduler,  von  denen  ich  nur  die  Albanenser34)  nennen 


')  Alcala  de  Henarez.  -)  Carascosa.  3)  Cisuentes.  4)  Cordona. 
5)  Mediana.  G)  Larna.  7)  Luezas.  8)  Lumberitta.  9)  S.  oben.  10)  Lubia. 
n)  Pampeluna.     12)  Sesnia. 

,3)  Der  vollständige  Name  der  Colonie  war:  Col.  Julia  Genieila 
Accitana,  jetzt  Guadix  in  Granada. 

u)  Deren  Ruinen  liegen  bei  dem  Dorfe  Laguri  unweit  Cuenca. 

15)  Cazorle. 

,6)  Weil  sie  ihr  Gebiet  an  Caesar  verkauft  hatten. 

17)  Daher  die  sudaria  Setaba.  Vergl.  die  Dedication  an  Titus 
Vespasianus;  jetzt  Xativa  in  Valencia. 

18)  Valeria  la  Viega.       ,9)  Abeloda. 

20)  Baza  in  Granada. 

21)  Consunara  in  Neu-Kastilien. 

22)  Denia.  **)  Uniesta.  2i)  Lorca.  25)  Alhambra.  26)  Betanaez. 
™)  Baeza.    2»)  Oreto.    29)  Priego.    30)  Toledo.     3l)  Bae'9a.    32)  Murcia. 

33)  Corunna. 

34)  Alvana  bei  Vittoria.  Die  Varduler  bewohnten  das  mittlere 
Guipuskoa.  die  Ostspitze  von  Alava  und  den  westlichen  Theil  von 
Navarra. 


Drittes  Buch.  235 

will.  4  der  Turmodiger  *),  unter  denen  die  Segisamonen- 
ser  2)  und  Segisamejulienser. 3)  Zu  demselben  Kreise  ge- 
hören auch  die  Carieter  und  Veunenser  4)  mit  5  Stadtge- 
meinden, unter  denen  die  Velienser.  Ferner  die  Pelendo- 
ner  5),  ein  eeltiberiseher  Stamm,  mit  4  Völkerschaften,  unter 
denen  die  Numantiner  6)  berühmt  waren;  sowie  von  den 
18  Stadtgemeinden  der  Vaccäer 7),  die  Intercatienser 8), 
Pallantiner  !1),  Lacobricenser10),  Caucenser.11)  Von  den  7  Völ- 
kerschaften der  Cantabrier  bemerken  wir  nur  die  Julobri- 
censer12),  von  den  10  Städten  der  Autrigoner13),  Tritium14) 
und  Virovesca.15)  Die  Arevacer16),  welche  ihren  Namen 
vom  Flusse  Areva17)  bekommen  haben,  besitzen  6  Städte: 
Saguntia18)  und  Uxama19),  welche  Namen  auch  andere  Orte 
irrigerweise  führen,  ferner  Segovia,  Neu-Augusta20),  Tir- 
mes21)  und  Clunia22)  an  der  Grenze  von  Celtiberien.  Die 
übrigen  hierher  gehörenden  Gemeinden,  sowie  die  bereits 


')  Auch  Murbogier  genannt,  im  nördlichen  Theil  von  Burgos. 

2)  Sasanion. 

3)  Palencia. 
A)  Viana. 

5)  Soria. 

6)  Puente  Garray. 

7)  Sie  bewohnten  den  grössten  Theil  von  Valladolid,  die  Nord- 
spitze von  Salamanca,  die  Südostspitze  von  Leon,  Südpalencia  und 
die  Hälfte  von  Toro. 

8)  Villa  nueva  de  Azuague. 

9)  Ebenfalls  zu  Palencia. 
io)  Lobera. 

»)  Coca. 

12)  Frias. 

i3)  Sie  bewohnten  zu  beiden  Seiten  des  Ebro  die  östliche  Spitze 
von  la  Montana,  die  westliche  von  Biscaya  und  Alava,  und  die 
nördlichen  Theile  von  Burgos. 

'<)  Tricio. 

lä)  Briviesca. 

16)  Sie  wohnten  von  Valladolid  bis  an  die  Quellen  des  Duero 
hinaus. 

")  Arlanzo.  18)  Siguen9a.  19)  El  Borgo  d'Osma.  »)  Muro.  «)  Tier- 
mes.    —)  Corunna  del  Conda,  ein  Dorf. 


236  Drittes  Buch. 

genannten  Vavduler  und  Cantabrier,  liegen  nach  dem 
Meere  hin. 

Hieran  grenzt  der  asturische  Kreis  mit  der  prachtvollen 
Stadt  Asturica  x)  und  22  Völkerschaften,  welche  in  die  Au- 
gustaner  und  Transmontaner  zerfallen.  Unter  ihnen  sind 
zu  erwähnen:  die  Cigurrer  2),  Päsiker  3),  Lancienser  4)  und 
Zöler. 5)  Die  Zahl  sämnitlicher  Bewohner  wird  auf  240,000 
freie  Köpfe  geschätzt. 

Der  lucensische  6)  Kreis  hat  16  Völkerschaften,  die  mit 
Ausnahme  der  Celtiker  und  Lebuner,  unbedeutend  sind  und 
barbarische  Namen  führen;  er  enthält  aber  160,000  freier 
Köpfe. 

Die  24  Gemeinden  des  beakarischen7)  Kreises  enthalten 
175,000  freie  Köpfe;  unter  ihnen  lassen  sich,  ausser  den 
Brakariern,  nur  die  Biballer,  Cölerner,  Galläker;  Hequäsen, 
Limiker,  Querquerner,  ohne  Widerwillen  nennen. 

Die  Länge  des  diesseitigen  Spaniens  beträgt,  von  den 
Pyrenäen  bis  zur  Grenzstadt  Castulo 8)  607,000  Schritte 
und  bis  an  die  Küste  noch  etwas  weiter;  die  Breite  von 
Tarraco  bis  zu  der  Küste  bei  Olarso  9)  307,000  Schritte. 
Vom  Fusse  der  Pyrenäen  an,  wo  es  zwischen  zwei  Meeren 
eingeengt,  spitzig  zuläuft,  breitet  es  sich  allmälig  aus,  und 
wo  es  mit  dem  jenseitigen  Spanien  zusammentrifft,  wird  es 
mehr  als  noch  einmal  so  breit.  An  Metallen,  namentlich 
Blei,  Eisen,  Kupfer,  Silber,  Gold  hat  fast  ganz  Spanien 
Ueberfluss;  im  diesseitigen  giebt  es  auch  Frauenglas,  in 
Bätica  Zinnober. 10)     Auch  Marmorbrüche   sind  dort.     Der 


')  Astorza. 

2)  Cigurri. 

*)  Am  Capo  de  Penas. 

4)  Sollanca.    5)  Vivero. 

*'•)  Die  Hauptstadt  hiess  Lucus  Asturum,  jetzt  Lugo  in  Gallicien. 

7)  Die  Hauptstadt  hiess  Bracaria  Augusta,  jetzt  Braga. 

8)  Cazorla. 

")  Auch  Oeaso,  Eason,  Jarsoni,  ein  Vorgebirge  zwischen  Gallien 
und  Spanien  auf  der  Nordküste,  jetzt  Sierra  de  Jasquivel.  Etwas 
tiefer  lag  auch  eine  Stadt  gleichen  Namens,  jetzt  Ojarko. 

">)  minium,  siehe  XXXIII.  B.,  36.  Cap. 


Drittes  Buch.  237 

Kaiser  Vespasianus  Augustus  verlieh,  während  der  Drang- 
sale des  Staates  *),  ganz  Spanien  das  lateinische  Bürger- 
recht. Die  Pyrenäen  trennen  Spanien  von  Gallien,  denn 
ihre  Vorgebirge  erstrecken  sich  in  zwei  verschiedene  Meere. 

5. 
Die  narbonensische  Provinz  2)  wird  derjenige  Theil 
von  Gallien  genannt,  welcher  das  mittelländische  Meer  be- 
spiihlt,  und  früher  Braccata  3)  hiess.  Sie  wird  durch  den 
Fluss  Varus  4)  und  die  der  römischen  Macht  so  heilsame 
Kette  der  Alpen  von  Italien,  sowie  auf  der  Nordseite  durch 
das  Gebenna- 5)  und  Jura-Gebirge  von  dem  übrigen  Gallien 
geschieden.  Sie  steht  am  Ertrag  der  Aecker,  Bildung  der 
Männer  und  Sitten  und  Hülfsquellen  aller  Art  keiner  Pro- 
vinz nach,  und  verdient  daher  mehr  ein  Italien,  als  eine 
Provinz  genannt  zu  werden.  An  der  Küste  liegt  das  Ge- 
biet der  Sordoner  6)  und  im  Innern  das  der  Consuaraner. 7) 
Flüsse  sind:  der  Tecum  9),  und  Vernodubrum. 9)  Städte:  Illi- 
beris10),  ein  geringer  TIeberrest  einer  ehemals  bedeutenden 
Stadt;  Ruscino11)  mit  lateinischem  Bürgerrechte.  Der  Fluss 
Atax12),  welcher  auf  den  Pyrenäen  entspringt  und  durch 
den  rubrensischen13)  See  geht;  Narbo  Martius14),  eine  Co- 
lonie  der  zehnten  Legion,  12,000  Schritte  vom  Meere.    Die 


»)  Der  Krieg  mit  .seinem  Vorgänger  Vitellius  69  n.  Chr. 

2)  V.  d.  Hauptstadt  Narbo  (Narbonne).  Sie  umfasste  d.  jetz.  Depts. 
Arriege,  Pyrenees-Orientales,  Haute- Gar onne,  Tarn,  Aude,  Herault, 
Gard,  Ardeche,  Ain,  Isere,  Drome,  Hautes- Alpes ,  Vaucluse,  Basses- 
Alpes,  Bouches  du  Rhone,   Var,  ferner  Savoyen,  Genf  und  Wallis. 

3)  Gallia  braccata  wurde  diese  Provinz  wegen  der  Beinkleider 
(Braccae)  genannt,  deren  sich  die  Einwohner  bedienten. 

4)  Var. 

5)  Die  Sevennen. 

6)  Am  Vorgebirge  der  Venus,  jetzt  die  Gegend  von  Roussillon; 
Departement  Pyrenees-Orientales. 

')  Dep.  Arriege.    8)  Tee.    9)  la  Gly.     10)  Eine. 

n)  Ein  Schloss,  eine  Meile  von  Perpignan,  la  tour  de  Roussillon. 

'-)  Aude  in  Languedoc. 

,3)  Etang  de  Sigean,  n.  And.  Etang  de  la  Rubine. 

M)  Narbonne. 


238  Drittes  Buch. 

Flüsse:  Arauris  *)  und  Liria. 2)  Städte  giebt  es  übrigens 
wegen  der  grossen  stehenden  Gewässer,  nur  wenige;  zu  be- 
merken sind  Agatha  3),  das  früher  den  Massiliensern  ge- 
hörte, die  Landschaft  der  Volcae  Tectosages  4),  und  die 
Stelle,  wo  einst  das  von  den  Rhodiern  erbaute  Rhoda 5) 
stand;  von  letzterer  hat  der  ergiebigste  Fluss  Galliens,  der 
Rhodanus6),  seinen  Namen.  Dieser  stürzt  sich  von  den 
Alpen  herab,  fliesst  durch  den  Lemanischen  See  7),  nimmt 
den  trägen  Arar  8),  und  die  ihm  an  Wildheit  gleichenden 
Ströme  Isara  9)  und  Druentia10)  auf.  Zwei  seiner  Mündun- 
gen sind  von  massiger  Breite  und  heissen  die  lybischen, 
und  von  diesen  wieder  die  eine  die  spanische,  die  andere 
die  metapinische;  die  dritte  und  weiteste  heisst  die  massa- 
liotische.  Einige  Schriftsteller  geben  an,  an  der  Mündung 
des  Rhodanus  habe  ehemals  eine  Stadt  Heraclea  gelegen. 

Jenseits  befinden  sich  die  vom  Rhodanus  ausgehenden 
Kanäle  des  C.  Marius11),  gleich  berühmt  durch  ihre  Aus- 
führung und  durch  ihren  Namen;  der  Sumpf  Mastramela12), 
die  Stadt  Maritima  Avaticorum13),  darüber  die  Steinfelder14), 
ein  Denkmal  der  Kämpfe  des  Herkules,  das  Land  der  Arna- 
tilier15),  und  im  Innern  das  der  Desuviater16)  und  Cavarer17). 
Wiederum   vom  Meere   an   liegt   das   Gebiet   der  Tricorer, 


J)  Herault.    2)  Lez.     3)  Agde. 

4)  Dep.  Arriege,  Haute-Garonne,  Aude,  Tarn  und  Herault, 

5)  Soll  das  spätere  Arelate  sein. 

6)  Rhone.    7)  Genfer  See.     8)  Saone.     9)  Isere.     10)  Durence. 

")  Im  Clmbrischen  Kriege  (102  v.  Chr.)  angelegt;  wahrscheinlich 
der  jetzige  Canal  de  navigation  d'Arles  au  port  de  Bouc. 

12)  Etang  de  Berre  ou  de  Martiguez. 

13)  Martigues. 

14)  La  Grau.  Herkules  soll  hier  mit  den  Albion  und  Geryon,  Söh- 
nen des  Neptun,  gekämpft  haben,  and  als  ihm  keine  Pfeile  mehr  zu 
Gebote  standen,  von  Jupiter  durch  einen  Steinregen  unterstützt  wor- 
den sein.    Pompon.  Mela  II.  5. 

15  Arles. 

16)  Tarascon. 

")  Zwischen  Isere  und  Durance. 


Drittes  Buch.  2391 

und  im  Innern  das  der  Tricoller  *),  Vocontier  2)  und  Sego- 
vellauner3),  dann  der  Allobroger. 4)  An  der  Küste  folgt 
die  von  den  phocäensischen  Griechen  gegründete  Bun- 
desstadt Massilia  5);  das  Vorgebirge  Zao  e),  der  Hafen  Ci- 
tharista  7),  das  Gebiet  der  Camatulliker  8j;  dann  folgen  die 
Suelterer 9)  und  weiter  oben  die  Verruciner.10)  An  der 
Küste:  Athenopolis11),  den  Massiliern  gehörig,  Forum  Julii12), 
eine  Colonie  der  achten  Legion,  auch  Pacensis  und  Classi- 
ca  genannt;  dabei  der  Fluss  Argenteus13);  das  Gebiet 
der  Axubier14)  und  Ligauner15),  dahinter  die  Suetrer16),  Ona- 
riater17)  und  Adunicater. 18)  An  der  Küste  liegt  die  Stadt 
Antipolis19)  mit  lateinischem  Bürgerrechte,  das  Gebiet  der 
Deciater20),  der  Fluss  Varus,  welcher  in  den  Alpen  auf 
dem  Berge  Cema21)  entspringt. 

Mitten  im  Lande  befinden  sich  folgende  Colonien:  Are- 
late22)  von  der  sechsten,  Beterrä23)  von  der  siebenten  und 
Arausio24)  von  der  zweiten  Legion.  Im  Gebiete  der  Ca- 
varer  liegt  Valentia25)  und  in  dem  der  Allobroger  Vienna.26) 


')  Sisteron. 

-)  Ihre  Städte  waren  Dea  (jetzt  Die)  und  Vasio  (jetzt  Vaison). 

3)  Le  Valentinois. 

4)  Zwischen  dem  Isara  und  Rhodanus. 

5)  Marseille. 

6)  Cap  de  la  Croisette. 

7)  Port  de  la  Ciotat. 

8)  Das  Gebiet  von  Toulon. 
)  Brignole. 

°)  Verignon  und  Baryol. 
*)  Grimaud  oder  Napoule. 

2)  Frejus. 

3)  Argens. 

4)  Deren  Hauptstadt  Forum  Julii  war. 

5)  Beide  im  südöstlichen  Theile  des  Dep.  Var. 

6)  Scillaus  im  Dep.  Basses-Alpes. 

7)  Denez  im  Dep.  Hautes-Alpes. 

B)  Im  Dep.  Basses-Alpes.     ,9)  Antibes. 
w)  Im  nordöstlichen  Theile  des  Dep.  Var. 

2»)  Cemelione.    22)  Arles.     23)  Bessiers.    **)  Orange.    25)  Valence. 
26)  Vienne. 


240  Drittes  Buch. 

Städte  von  lateinischem  Bürgerrechte  sind:  Aqua  Sextiä  l) 
der  Salmvier,  Avenio  2)  der  Cavarer,  Apta  Julia  3)  der  Vul- 
gientier,  Alebaca  4)  der  apollinarischen  Rejer,  Alba5)  der 
Helver,  Augusta 6)  der  Tricastiner,  Anatilia7),  Aeria  8), 
die  Bormanner  9),  Comacina,  Cabellio  10),  Carcasum  der  Vol- 
cischen  Tectosagen11),  Cessero,  Carpentoracte12)  der  Me- 
miner;  die  Cenicenser13),  Cambolectrer14),  welche  auch 
Atlantiker  genannt  werden,  Forum  Voconii15),  Glanum 
Livii16),  die  Lutevaner 17),  welche  auch  ForoDeronienser 
heissen;  Nemausum18)  der  Arecomiker,  Piscenä1-'),  Ruteni20), 
die  Samnagenser21),  die  zu  den  Tectosagen  gehörenden  To- 
losaner22),  welche  an  Aquitanien  grenzen;  die  Tasconer23), 
Tarusconienser24),  Umbrauiker25),  zwei  Hauptstädte  des  mit 
Rom  verbündeten  Staats  der  Vocontier,  Vasio26)  und  Lu- 
cus  Augusti.27)  Ausserdem  giebt  es  noch  19  unwichtige, 
sowie  24  den  Nemausiensern  gehörige  Städte.  Der  Kaiser 
Galba28)  hat  noch  von  den  Alpenbewolmern  die  Avantiker29) 
und  Bodiontiker,  deren  Stadt  Dinia30)  heisst,  in  das  Ver- 
zeichniss  eintragen  lassen.  Die  Länge  der  narbonensischen 
Provinz  giebt  M.  Agrippa  zu  370,000,  und  die  Breite  zu 
248,000  Schritten  an. 

6. 
Von  hier  kommen  wir  nach  Italien,  und  zwar  zuerst 
nach  Ligurien;  dann  folgt  Etrurien,  Umbrien,  Latium,  wo 
die  Mündungen  der  Tiber  sind,  und  Rom,  die  Hauptstadt 
der  Erde,  16,000  Schritte  vom  Meere  entfernt.  Darauf:  die 
Küste  der  Volscer  und  Campaniens,  der  Picentiner,  Lucaner 
und  Bruter,  wohin  sich  Italien  von  den  mondförmigen  Ge- 


')  Aix.  2)  Avignon.  3)  Apt.  4)  Riez  in  der  Provence.  5)  Alps, 
Dorf  am  Scontay.  6)  St.  Paul  de  trois  chateaux,  nach  Andern  Aouste. 
7)  Atais.  8)  Mont  Ventoux.  9)  Um  Bormes.  t0)  Cavaillon.  »')  Car- 
cassonne.  I2)  Cai-pentras.  13)  Am  Flusse  Ai-c.  u)  Cambo-Haut  und 
Cambo-Bas  de  Clarence.  15)  Le  Canet.  I6)  St.  Remy.  ,7)  Lodeve. 
,8)  Nismes.  ,9)  Pezenas.  20)  Rhodez.  •il)  Senez.  «^  Toulouse.  23)  Mon- 
tauban.     24)  Tarascon  an  der  Rhone.    25)  Lombes.    26)  Vaison. 

51 )  Luc  in  der  Dauphine.  28)  Regierte  kaum  ein  Jahr  und  ward 
69  n.  Chr.  ermordet.    29)  Avancon.     30)  Digne. 


Drittes  Buch.  241 

birgsriicken  der  Alpen  an  am  weitesten  nach  Mittag  ins 
Meer  erstreckt.  Auf  diese  folgt  die  Küste  von  Gross-Grie- 
chenland, dann  die  Küste  der  Salentiner,  Pediculer,  Apuler, 
Peligner,  Frentaner,  Marruciner,  Vestiner,  Sabiner,  Picenter, 
Galler,  Umbrer,  Etrusker,  Veneter,  Carner,  Japider,  Istrier 
und  Liburner. l) 

Ich  weiss  wohl,  dass  man  es  leicht  für  ein  Zeichen 
eines  undankbaren  und  trägen  Geistes  halten  könne, 
wenn  ich  nur  kurz  und  wie  bisher  im  Vorbeigehen  von 
einem  Lande  spräche,  das  die  Ernährerin  und  Beherrscherin 
aller  übrigen  ist,  das  von  den  Göttern  ausersehen,  selbst 
den  Himmel  berühmter  zu  machen  2),  zerstreuete  Reiche  zu 
vereinigen,  Sitten  zu  mildern,  die  verschiedenen  rauhen 
Zungen  so  vieler  Völker  durch  seine  Sprache  zu  verbinden, 
Geselligkeit  und  Humanität  unter  den  Menschen  zu  ver- 
breiten, kurz,  das  einzige  Vaterland  aller  Völker  der  Erde 
zu  werden.  Aber  wie  soll  ich  es  anfangen,  da  der  Ruhm 
aller  Orte,  auf  welche  man  trifft,  und  der  Glanz  aller  ein- 
zelnen Gegenstände  und  Völker  so  gross  ist?  Schon  die 
Stadt  Rom  allein,  dieses  würdige  Antlitz  auf  so  prächtigem 
Haupte,  in  welcher  Weise  soll  man  sie  schildern?  Wie  soll  man 
Campaniens  Küste,  jene  glückselige  und  anmuthige  Gegend, 
preisen,  um  Jedem  klar  zu  machen,  sie  sei  ein  Werk,  das 
die  Natur  nur  zu  ihrer  Freude  geschaffen  hat?  Welch  eine 
belebende  und  heilsame  Temperatur  ist  dort,  welche  frucht- 
baren Gefilde,  sonnigen  Hügel,  sanften  Abhänge,  schattigen 
Haine  und  herrlichen  Waldungen!  wie  wohlthuend  die  Berg- 
luft, wie  gross  die  Ergiebigkeit  an  Feldfrüchten,  Wein  und 
Oel!  welche  edle  Wolle,  welche  fetten  Stiere  werden  da 
erzeugt!  wie  viele  Seen,  Flüsse  und  Quellen  bewässern 
und  durchströmen  das  Land!  wie  viele  Meere  und  Häfen 
stehen  dort,  gleich  wie  der  Schooss  der  Erde,  allenthalben 
dem  Handel  offen,  indem  es,  gleichsam  zum  Nutzen  der 
Menschen,   sich   tief  ins  Meer  hinein  erstreckt!     Ich  will 


')  Das  Nähere  darüber  folgt  weiter  unten. 

-)  Durch  die  unter  die  Götter  versetzten  Kaiser. 

16 


242  Drittes  Buch. 

hier  nicht  einmal  die  geistigen  Fähigkeiten,  die  Sitten,  die 
Menschen,  noch  die  durch  Wort  und  That  von  ihm  über- 
wundenen Völker  erwähnen.  Selbst  die  Griechen,  dieses 
im  Selbstlobe  unerschöpfliche  Volk,  haben  ihr  Urtheil  dar- 
über ausgesprochen,  und  wie  gross  ist  denn  der  Theil  von 
Italien,  den  sie  Grossgriechenland  nennen?  Wir  müssen 
daher  denselben  Grundsatz,  den  wir  bei  der  Betrachtung 
des  Himmels  befolgten,  auch  hier  anwenden,  und  sowie 
dort  nur  einige  Gestirne,  hier  nur  einige  Merkmale  anfüh- 
ren. Die  Leser  aber  bitte  ich  zu  bedenken,  dass  wir,  um 
alle  einzelnen  Gegenstände  der  Erde  berühren  zu  können, 
uns  beeilen  müssen. 

Italiens  Gestalt  hat  grosse  Aehnlichkeit  mit  einem 
Eichenblatt,  denn  es  ist  viel  länger  als  breit;  auf  der  linken 
Seite  macht  es  eine  hervorspringende  Biegung x),  und  endigt 
dann  in  der  Form  eines  Amazonenschildes 2),  indem  es  von 
dem  mittlem  Vorsprunge  aus,  welcher  Cocinthus3)  heisst, 
zwei  mondförmige  Busen  bildet  und  zwei  Spitzen,  deren 
rechte  Leucopetra 4),  deren  linke  aber  Lacinium  5)  heisst, 
hervorstreckt.  Von  der  Grenze  der  Alpen,  bei  Prätoria  Au- 
gusta6)  an,  über  Rom  und  Capua  bis  Rhegium7),  wel- 
ches gleichsam  auf  der  Schulter  von  Italien  ruht,  und 
von  wo  dann  die  Biegung  des  Nackens  beginnt,  beträgt 
1,020,000  Schritte.  Viel  grösser  würde  diess  Maass  seinr 
wenn  man  Lacinium  als  äussersten  Punkt  annähme,  allein 
die  Richtung  dieser  Linie  wird  zu  schief  und  scheint  zu 
sehr  in  die  Breite  auszuweichen.  Die  Breite  Italiens  ist 
verschieden;  sie  beträgt  zwischen  dem  untern8)  und  obern9) 
Meere  und  den  Flüssen  Varus10)  und  Arsia11)  410,000 
Schritte.  In  der  Mitte  des  Landes,  etwa  da  wo  Rom  liegt, 
misst  die  Breite  von  der  Mündung  des  Flusses  Aternus12), 
der  sich  in  das  adriatische  Meer  ergiesst,  bis  zum  Ausfluss 
des  Tiber  136,000  Schritte,  und  etwas  weniger  von  Castrum 


*)  Provinz  Otranto.  2)  Dem  Halbmonde  ähnlich.  3)  Capo  di 
Stilo.  4)  Capo  deir  Armi.  B)  Capo  della  Colonne.  6)  Aosta.  7)  Reggio. 
8)  Tyrrhenischen.     9)  Adriatischen.     10)  Var.     ")  Arsa.    I2)  Pescara. 


Drittes  Buch.  243 

novum *)  am  adriatischen  Meere  an  bis  nach  Alsium 2)  am 
tuscischen  Meere,  und  von  da  überschreitet  sie  nirgends 
300,000  Schritte.  Der  Umfang  des  ganzen  Landes  vom 
Varus  bis  zum  Arsia  beträgt  3,059,000  Schritte. 

Unter  den  umliegenden  Ländern  ist  Italien  von  Istrien 
und  Liburnien  an  einigen  Punkten  100,000,  von  Epirus  und 
Illyricum  50,000,  von  Afrika,  nach  M.  Varro,  etwas  weniger 
als  200,000,  von  Sardinien  120,000,  von  Sicilien  1500,  von 
Corsika  fast  30,000,  von  Issa 8)  50,000  Schritte  entfernt.  Es 
zieht  sich  zwar,  rücksichtlich  der  Himmelsgegend  gegen 
Mittag  durch  das  Meer  hin,  allein  bei  genauerer  Unter- 
suchung ergiebt  sich,  dass  es  zwischen  der  sechsten  und 
ersten  Wintersolstitialstunde  liegt.4)  Nun  wollen  wir  seinen 
Umfang  und  seine  Städte  aufführen,  müssen  aber  zum  vor- 
aus erinnern,  dass  wir  dabei  dem  göttlichen  Augustus  und 
seiner  Eintheilung  von  ganz  Italien  in  11  Bezirke  folgen 
werden,  jedoch  in  der  Ordnung,  wie  sie  die  Lage  der 
Küsten  darbietet.  Wir  können  aber  bei  unserer  so  eiligen 
Behandlung  nicht  berücksichtigen,  wie  sich  die  Städte  an- 
einander reihen,  müssen  daher  im  Innern  des  Landes  Au- 
gustus' alphabetische  Eintheilung  festhalten,  und  die  Colo- 
nien,  welche  er  bei  dieser  Aufzählung  namhaft  macht,  gleich- 
falls mit  anführen.  Auch  lässt  sich  ihre  Lage  und  ihr  Ur- 
sprung nicht  leicht  angeben;  denn  nur  allein  den  ingonu- 
nischen  Liguriern5),  der  andern  gar  nicht  zu  gedenken, 
wurden  dreissigmal  neue  Ländereien  angewiesen. 

7.     ' 

Vom  Flusse  Varus  an  folgen  also:  die  von  den  Mas- 
siliern  erbaute  Stadt  Nicäa6),  der  Fluss  Paulo7),  die  Alpen  mit 
ihren  Bewohnern,  welche  viele  Namen  führen,  grösstentheils 
aber  Capillater8)  heissen,  die  zum  Gebiete  der  Vediantiner 
gehörige  Stadt  Cemelion9),  der  Hafen  des  Herkules  Monö- 


')  Giulia  Nova.    2)  Palo.    3)  Lissa,     ')  D.  h.   zwischen  Süd  und 
Südost.     5)  Um  Albenga.    c)  Nizza.    7)  Poglion. 

8)  Mit  langem  über  die  Schultern  fallendem  Haupthaar. 

9)  Cimiez. 

16* 


244  Drittes  Buch. 

cus1),  die  ligustische2)  Küste.    Unter  den  Liguriern,  welche 

jenseit  der  Alpen  wohnen,  sind  am  berühmtesten:  die  Sal- 

tuvier,  Deciater,  Oxubier;  diesseits  der  Alpen:  die  Venener3), 

die    von    den  Caturigern  abstammenden  Vagienner 4),    die 

Statieller5),  die  Vibeller6),  Mageller,  Euburiater,  Casmona- 

ter,   Veliater  und  andere,   deren  Städte  bei   der  zunächst 

liegenden  Küste  genannt  werden  sollen.   Der  Fluss  Retuba7), 

die   Stadt  Albium  Intemelium  8),   der  Fluss  Merula9),   die 

Stadt  Albium  Ingaunum10),  der  Hafen  Vadum  Sabatium11), 

der  Fluss  Porcifera12),  die  Stadt  Genua,  der  Fluss  Feritor13), 

der  Hafen  Delphini14),  Tigullia15),  im  Innern  des  Landes: 

Segesta  Tigulliorum  16),  der  Fluss  Macra 17),  die  Grenze  von 

Ligurien.    Im  Rücken  aller  dieser  genannten  Städte  liegt 

der  Apenninus,  das  grösste  Gebirge  Italiens,  welches  sich 

von  den  Alpen  ununterbrochen  bis  zur  Meerenge  von  Sici- 

lien   hinzieht.     Auf  der   andern  Seite   desselben   bis   zum 

Padus 18),  dem  wichtigsten  Strome  Italiens,  prangen  überall 

die  herrlichsten  Städte:   Libarna19),  die  Coloniestadt  Der- 

lona20),  Jria21),  Barderate 22),  Industria 23),  Pollentia24),  Car- 

rea 25)  oder  Potentia,  Forofulvi  oder  Valentinum  2,;),  Augusta 

Vagiennorum 27),  Alba  Pompeja 28),  Asta 29),  Aquis  Statiello- 

rum. 30)     Diess  ist  nach  August's  Eintheilung  der  neunte 

Bezirk.     Die   ligurische  Küste  dehnt    sich   zwischen    den 

Flüssen  Varus  und  Macra  211,000  Schritte  lang  aus. 

8. 
An  diesen  Bezirk  grenzt  der  siebente,  welcher  Etru- 
rien  umfasst  und  vom  Flusse  Macra  anfängt.  Er  hat  oft 
seinen  Namen  gewechselt.  Vor  langer  Zeit  wurden  daraus 
die  Umbrer  von  den  Pelasgern  vertrieben,  diese  aber  wie- 
derum von   den  Lydiern,  welche  nach  ihrem   Könige  den 


*)  Monaco.  2)  Genuesiche.  3)  Um  Vinadio.  "')  Im  westl.  Theile 
der  Provinz  Saluzzo.  5)  In  der  Provinz  Acqui.  B)  In  d.  Prov.  Biella. 
7)  Roya.  8)  "Vintimiglia.  9)  Arocia.  ,0)  Albenga.  »)  Vado.  ,2)  Pol- 
covera.  ,3)  Bisagno.  ,4)  Porto  Fino.  ,5)  Trigoso.  16)  Sestri  di  Le- 
vante. ")  Magra.  18)  Po.  19)  Monte  Chiaro.  20)  Tortona.  S1)  Vog- 
hiera.  --)  Barde.  23)  Verrua.  **)  Polenza.  -5)  Carro.  26)  Valenza. 
27)  Vasco.    28)  Alba,     29)  Asti.    *»)  Acqui. 


Drittes  Buch.  245 

Namen  Tyrrhener,  und  bald  nachher  von  ihren  heiligen 
Opfergebräuchen  den  griechischen  Namen  Thuscer  *)  erhiel- 
ten. Die  erste  Stadt  Etruriens  ist  Luna2),  berühmt  durch 
ihren  Hafen;  die  Colonie  Luca3)  etwas  vom  Meere  entfernt; 
die  näher  daran  liegende  Colonie  Pisae,  zwischen  den  Flüs- 
sen Auser4)  und  Arnus5),  welche  von  Pelops  und  den  Pi- 
sern 6)  oder  von  den  Teutanen 7),  einem  griechischen  Volke, 
angelegt  ist.  Dann  folgt:  Vada  Volaterrana8),  der  Fluss 
Cecinna 9),  Populonium  10),  einst  die  einzige  Stadt  der  Etrus- 
ker  an  dieser  Küste.  Der  Fluss  Prille  n),  nicht  weit  da- 
von der  schiffbare  Umbro  12),  und  der  nach  ihm  benannte 
Landstrich  Umbrien,  der  Hafen  Telamon  18),  Cossa  Volcien- 
tiurn14),  von  den  Römern  angelegt,  Graviscä15),  Castrum  no- 
vum16),  Pyrgi17);  der  Fluss  Cäretanus18)  und  die  Stadt 
Cäre 19),  4000  Schritte  weit  im  Lande  und  von  ihren  Grün- 
dern, den  Pelasgern,  Agylla  genannt;  Alsium20),  Fregenä21), 
der  Tiber  284,000  Schritte  vom  Macra  entfernt.  Im  Innern 
des  Landes  liegen  die  Colonien:  Faliska22),  nach  Cato  von 
den  Argivern  angelegt,  mit  dem  Beinamen  die  etrurische, 
Lucus  Feroniä23),  Rusellana24),  Senensis25),  Sutrina.26)  Ausser- 
dem noch  die  Aretini  veteres27),  A.  Fidentes28),  A.  Julien- 
ses29),  Amitinenser,  taurinischen  Aquenser30),  Boleraner 31), 
Cortonenser32),  Capenater33),  die  alten  und  neuen  Clusiner34), 
die  Fluentiner 35)  am  Arnus,  Fesulä36),  Ferentini 37),  Fescen- 


')  Ovoxrj  Opfergefäss. 

2)  Die  Ruinen  dieser  Stadt  liegen  am  Macra;  die  Gegend  führt 
den  Namen  il  Lunegiano. 

3)  Lucca.    4)  Serchio.    5)  Arno.    G)  Bürger  der  Stadt  Pisa  in  Elis. 

7)  Ein  griechischer  Stamm,  der  in  der  Gegend  von  Sicyon  im 
Peloponnes  wohnte. 

8)  Vadi  im  Pisanischen. 

9)  Cecina.  10)  Piombino.  u)  Briunna.  yi)  Ombrone.  ,3)  Tala- 
mona.  u)  Ruinen  bei  Orbitello.  ,5)  Nördlich  von  Civita  vecchia.  ,6)  St 
Marinello.  ")  St.  Severa.  I8)  Vaccina.  ,9j  Cerveteri.  *>)  Palo.  21)  Torre. 
Macarese,  22)  Falari.  23)  SerofanO.  24)  Rosello.  25)  Siena.  26)  Sutri. 
27)  Giovi.  28)  Castiglione  d'Aretino.  29)  Arezzo.  *)  Bagni  di  Vica- 
rello.  31)  Bieda.  32j  Cortona.  33)  Morluppo.  3i)  Chiusi.  35j  Florenz. 
3f>)  Fiesole.    37)  Zwischen  Viterbo  und  Montefiascone. 


246  Drittes  Buch. 

nia1),  Hortanum2),  Herbarium3),  Nepeta4),  Novem  Pagi5), 
die  claudische  Präfectur  Foroclodium6),  Pistorium7),  Peru- 
*sia8),  die  Suanenser9),  Saturniner  10j  früher  Aurininer  ge- 
nannt, Subertaner  n),  Statoner,  Tarquinienser 12),  Tuscanien- 
ser13),  Vetulanienser 14),  Vejentaner 15),  Vesentiner le),  Vola- 
terraner17),  etruscischen  Volcentiner 18)  und  die  Volsinien- 
ser. 19)  In  diesem  Bezirke  haben  einige  Strecken  den  Na- 
men der  vormals  daselbst  befindlichen  Städte  behalten,  so 
das  Crustuminiscbe  und  das  Caletranische  Gebiet. 

9. 
Der  Tiberis  sonst  Tybris,  und  noch  früher  Albula 
genannt,  entspringt  ungefähr  in  der  Mitte  des  Apenninus 
an  der  Grenze  der  Aretiner.  Anfangs  ist  er  unbedeutend, 
und  kann  nur,  gleichwie  die  in  ihn  mündenden  Flüsse  Tinia 
und  Glanis20),  dadurch  schiffbar  gemacht  werden,  dass  man 
sein  Wasser  in  Teichen  sammelt  und  dann  wieder  auslässt, 
zu  welchem  Einsammeln,  wenn  nicht  Regengüsse  kommen, 
neun  Tage  erforderlich  sind.  Allein  kann  der  Tiber  wegen 
seines  unebenen  und  felsigen  Bettes  nur  mit  Flössen  oder 
richtiger  gesagt,  nur  mit  einzelnen  Balken  befahren  werden. 
Er  durchfliesst  in  grossen  Umwegen  eine  Strecke  von  150,000 
Schritten  bei  Tifernum 21),  Perusia  22),  und  Ocriculum 23)  vor- 
bei und  trennt  Etrurien  von  den  Umbriern  und  Sabinern. 
Dann  scheidet  er  nicht  ganz  16,000  Schritte  oberhalb  Rom 
das  vejentinische  Gebiet  von  den  crustuminischen  und  da- 
rauf das  fidenatische  und  lateinische  vom  vaticanischen. 
Aber  unterhalb  des  aretinischen  Glanis  nimmt  er  42  Flüsse 
auf,  worunter  der  Nar24)  und  Anien25),  die  bedeutendsten 
sind;  der  letztere  ist  selbst  schiffbar  und  schliesst  Latium 
von  hinten  ein.     Da  er  nun  durch  die  vielen   in  die  Stadt 


')  Galese.  '-)  Orta.  3)  Viterbo.  4)  Nepi.  5)  Bracciano.  6)  Orio- 
lo.  7)  Pistqja.  8)  Perugia.  9)  Soano.  10)  Sitergua.  ")  Sovretto. 
,2)  Deren  Ruinen  b.  Dorfe  Tarquinia  im  ehem.  Kirchenstaate.  u)  Tos- 
conella.  I4)  Vetuüa.  I5)  Valentano.  16)  Bisontia.  ,7)  Volterra. 
18)  Grosseto.  19)  Bolsena.  20)  Timia  und  Chiana;  letzterer  scheidet 
Etrurien  vom  Kirchenstaate.  21)  Tifi.  *•)  Perugia.  M)  Ostricolo.  '-4)  Nera. 
-6)  Teverone. 


Drittes  Buch.  247 

Rom  selbst  geleiteten  Gewässer  und  Quellen  keinen  ge- 
ringern Zufluss  erhält,  so  wird  er  fähig  jedes  grosse  Schiff 
aus  dem  Italischen  Meere  zu  tragen  und  wie  ein  emsiger 
Kaufmann  alle  Erzeugnisse  der  Erde  herbeizuschaffen. 
Seine  Ufer  sind  mehr  bewohnt  und  mit  Landhäusern  be- 
setzt, als  die  der  übrigen  Flüsse  aller  Länder.  Keinem 
andern  Flusse  wird  weniger  Freiheit  gestattet,  denn  er  ist 
von  beiden  Seiten  eingedämmt;  und  obgleich  er  oft  und 
plötzlich  anschwillt,  und  nirgends  mehr  als  in  Rom  austritt1), 
so  tobt  er  doch  nicht.  Ja,  man  kann  ihn  eher  als  einen 
Propheten  und  Warner  betrachten,  da  er  durch  sein  An- 
wachsen mehr  der  Religion  aushilft2)  als  Zerstörungen  an- 
richtet. 

Das  alte  Latium  hat  seine  Grenzen  behalten ;  es  reicht 
von  dem  Tiber  bis  nach  Circeji 3)  und  ist  50,000  Schritte 
lang.  So  schwach  war  anfangs  die  Macht  des  römischen 
Reiches.  Die  Besitzer  des  Landes  haben  oft  gewechselt 
und  zu  verschiedenen  Zeiten  wohnten  darin  die  Aboriginer4), 
Pelasger  5),  Arcadier6),  Siculer7),  Aurunker8),  Rutuler9); 
jenseits  Circeji  wohnten  die  Volscer10),  Oscer11),  Ausoner12), 

')  189  v.  Chr.  wurden  das  Marsfeld  und  die  untern  Theile  der 
Stadt  zwölfmal  von  dem  Tiber  überschwemmt. 

2)  Man  betrachtete  das  Anschwellen  des  Tiber  als  eine  Mah- 
nung, den  erzürnten  Göttern  Sühnopfer  zu  bringen.  Siehe  Horat. 
Oden.  I.  2. 

3)  Eine  der  ältesten  Städte  Italiens,  stand  auf  dem  Monte  Cir- 
cello  an  der  Küste  von  Latium;  jetzt  St,  Felicita,  ein  Dorf. 

*)  Ein  allgemeiner  Name  der  ursprünglichen  Bewohner  von  Italien, 
im  Gegensatz  der  späteren  Einwandrer. 

5)  Sie  kamen  aus  Griechenland  nach  Italien,  unter  Oenotrius  uud 
Peucetius  ums  J.  1570  v.  Chr. 

6)  Auch  ein  griechischer  Stamm. 

7)  Wurden  später  nach  Sicilien  gedrängt  und  gaben  der  Insel  ihren 
Namen. 

8)  Ursprünglich  in  Campanien,  wurden  von  dem  Pelasgern  nach 
Latium  getrieben. 

9)  In  der  Gegend  von  Ardia. 

,0)  Am  Garigliano.  »)  In  Samnium  und  Campanien.  ,2)  In  Cam- 
panien. 


248  Drittes  Buch. 

wesshalb  sich  der  Name  Latium  bis  an  den  Fluss  Liris1) 
erstreckte.  An  der  Grenze  liegt  Ostia,  eine  von  einem  rö- 
mischen Könige 2)  gegründete  Colonie;  dann  kommt  die 
Stadt  Laurentum3),  der  Hain  des  Jupiter  Indiges4),  der 
Fluss  Numicius  5),  Ardea,  welches  von  Danae,  der  Mutter 
des  Perseus  erbaut  ist.  Ferner:  das  ehemalige  Aphrodi- 
sium  6),  die  Colonie  Antium  7),  der  Fluss  und  die  Insel  Astura, 
der  Fluss  Nymphäus 8),  Clostra  romana 9).  Circeji  war 
nach  Homer10)  ehemals  eine  von  einem  unermesslichen  Meere 
umgebene  Insel,  liegt  aber  jetzt  in  einer  Ebene11).  Hier- 
über können  wir  aus  altern  Angaben  noch  etwas  sehr  Merk- 
würdiges mittheilen.  Theophrastus  nämlich,  der  erste  unter 
den  Ausländern,  welcher  über  die  Römer  schrieb,  (denn 
Theopompus,  vor  welchem  Niemand  ihrer  erwähnte,  sagt 
bloss,  dass  Rom  von  den  Galliern  eingenommen  sei,  und 
Clitarchus12)  zunächst  nach  ihm  nur,  dass  sie  eine  Gesandt- 
schaft zu  Alexander  geschickt  habe)  giebt  in  dem  Buche13), 
welches  er  im  Jahre  440  unserer  Stadt  (314  v.  Chr.)  dem 
Nicodorus,  einer  atheniensischen  Magistratsperson,  widmete, 
mit  mehr  Sicherheit  als  ein  blosses  Gerücht  darbietet,  die 
Grösse  der  Insel  Circeji  zu  80  Stadien  an.  Alles  Land 
also,  was  sich  über  diese  fast  10,000  Schritte  Umfang  hal- 
tende Insel  ansetzte,  hat  sich  nachher  mit  Italien  vereinigt. 
Eine  andere  Merkwürdigkeit  ist  folgende:  Bei   Circeji 


')  Garigliano. 

2)  Ancus  Martius,  der  vierte  König  von  Rom,  regierte  638—618 
v.  Chr. 

3)  Torre  Vajanico. 

4)  Aeneas.  Dii  indigetes  waren  die  vergötterten  Vorfahren,  die 
als  Schutzheilige  des  Landes  verehrt  wurden. 

5)  Wahrscheinlich  der  Rivo  di  Nemi.  In  ihm  kam  Aeneas  im 
Kampfe  mit  den  Rutulern  ums  Leben.  Daher  wurde  ihm  der  eben 
erwähnte  Hain  am  Ufer  dieses  Flusses  geweihet. 

6)  Ein  Tempel  der  Venus.  7)  Antio.  8)  la  Nympa.  9)  Torre  di 
Fogliano.     ,0)   Odyssee  X.  194     ")  Siehe   oben. 

12)  Aus  Aeolis,  begleitete  Alexander  den  grossen  auf  seinen  Feld- 
zügen und  beschrieb  dessen  Thaten. 

13)  Historia  plant.  V.  B.,  9  C. 


Drittes  Buch.  249 

befindet  sich  der  pontinische  Sumpf,  an  dessen  Stelle1)  nach 
Mucianus  der  drei  mal  Consul  war,  einst  33  Städte  gestan- 
den haben.  Nun  folgt  der  Fluss  Ufens2),  dahinter  die  Stadt 
Terracina,  in  der  Sprache  der  Volscer  Anxur  genannt;  hier 
lag  auch  Amyclä3),  welches  von  Schlangen  verödet  wurde. 
Dann:  die  Stelle  einer  Höhle,  der  See  Fundanus4),  der 
Hafen  Cateja5),  die  Stadt  Formiä6),  früher  Hormiä  genannt, 
und,  wie  man  glaubt,  der  alte  Sitz  der  Lästrygoner.7)  Weiter 
die  ehemalige  Stadt  Pyrä,  die  Colonie  Minturnä8),  durch 
welche  der  Fluss  Liris,  auch  Glanis  genannt,  fliesst;  die 
Stadt  Sinuessa9)  am  äussersten  Punkte  des  neuen  Latii, 
die  früher  Sinope  geheissen  haben  soll. 

Nun  folgt  das  glückliche  Campanien.  An  diesem  Busen 
erheben  sich  die  rebentragenden  Hügel,  hier  beginnt  durch 
den  in  allen  Ländern  berühmten  Saft  die  edle  Trunkenheit, 
und,  wie  die  Alten  sagten,  der  mächtigste  Streit  des  Vaters 
Liber  mit  der  Ceres.  Von  hier  breiten  sich  die  setinischen10) 
und  cäcubischen11)  Aecker  aus,  an  sie  schliessen  sich  die 
falernischen 12)  und  calenischen13),  dann  erheben  sich  die 
massischen14),  gauranischen15)  und  surrentinischen 16)  Berge. 
Hier  liegen  die  labormischen17)  Felder,  welche  zum  Genüsse 
der  Graupen  gemähet  werden18).  Diese  Küsten  sind  reich 
an  warmen  Quellen,  und  das  Meer  liefert  zu  den  übrigen 
Erzeugnissen  vortreffliche  Muscheln   und  Fische.    Nirgends 


')  Mit  dem  Worte  locus  bezeichnet  PI.  in  der  Regel  einen  wüsten 
Ort,  wo  ehemals  eine  Stadt  stand. 

2)  Utfente. 

3)  Oder  Amuclä,  früher  Hauptstadt  der  Ausonier,  war  anfänglich 
eine  griechische  Colonie.  Sie  lag  am  Meere  bei  der  heutigen  Stadt 
Gaeta. 

4)  Lago  di  Fondi.  5)  Gaeta.  c)  Mola.  7)  Ein  wildes  Volk  an 
der  Küste  von  Italien  oder  Sicilien.    Vgl.  Homers  Odyssee  X.  B.  82.  V. 

8)  Von  ihr  sind  noch  prachtvolle  Ruinen  bei  Scaftä  am  Liris, 
(Garigliano)  vorhanden. 

9)  Ihre  Ruinen  sind  in  der  Nähe  von  Rocca  del  Mondragone. 

10)  Sezza.  n)  Castro  vetere.  ,2)  Von  Ceppano  bis  Alil'e.  ,3)  Bei 
Calvi.  ")  Massico.  ,5)  Gauro.  16)  Sorrento.  «)  Lavoro.  18)  XVIII  B., 
29  Cap. 


250  Drittes  Buch 

findet  man  besseres  Oel.  Auch  diesen  Tummelplatz  mensch- 
licher Wollust  besassen  die  Oscer,  Griechen,  Umbrier,  Thus- 
cer,  und  Campaner. 

An  der  Küste  ist  der  Fluss  Savo  I),  die  Stadt  und  der 
Fluss  Vulturnum  2),  Liternum  3),  Cumä  4)  der  Chalcidenser  5), 
Misenum  6),  der  Hafen  Bajä  "),  Bauli 8)  der  See  Lucrinus  9) 
und  Averaus10),  dabei  die  vormalige  Stadt  Cimmerinum11). 
Dann  folgt:  Puteoli12),  die  dicäarchische  Coionie  genannt; 
die  phlegräischen  Gefilde13),  der  Sumpf  Acherusia14)  in  der 
Nähe  von  Cumä.  An  der  Küste  liegt  das  ebenfalls  von  den 
Chalcidensern  gegründete  Neapolis,  von  dem  daselbst  be- 
findlichen Grabe  einer  Sirene  Parthenope  benannt,  Hercu- 
lanum,  Pompeji,  unweit  des  Vesuvs  am  Flusse  Sarnus15); 
das  nucerinische  Gebiet,  und  9000  Schritte  vom  Meere  Nu- 
ceria16)  selbst;  Surrentum17)  mit  dem  Vorgebirge  der  Mi- 
nerva18), der  frühere  Sitz  der  Sirenen19).  Der  Weg  von 
Circeji  bis  hierher  beträgt  zu  Wasser  78,000  Schritte.  Dieser 
ganze  Landstrich  von  dem  Tiber  an,  bildet  nach  Augustus 
Eintheilung  den  ersten  Bezirk  Italiens. 

Im  Innern  des  Landes  liegen  folgende  Colonien:  Ca- 
pua,  von  dem  Worte  Campus20)  so  genannt,  Aquinum21), 
Suessa22),    Venafrum 23),   Sora,   Teanum    der    Sidiciner  24), 


l)  Saona.     2)  Voltorno. 

3)  Torre  di  Patria.      4)  Bei  Baja. 

5)  Von  Chalcis  auf  Euböa. 

6)  Capo  di  Miseno.     7)  Castel  di  Baja.    8)  Bacolo. 

9)  Wurde  im  Jahre  1638  durch  ein  Erdbeben  in  einen  stinkenden 
Sumpf  verwandelt. 

10)  Averno.     n)  Vergleiche  Homers  Odyssee,  XL  B.,  1.  4.  V. 
12)  Puzzuolo. 

,3)  Campo  Quarto;  hier  fiel  der  Kampf  der  Giganten  mit  den 
Göttern  vor. 

")  Fusaro.  15)  Sarno.  16)  Nocera.  n)  Sorrento.  ,8)  Capo  della  cam- 
panella.     ,9)  Homers  Odyssee  XIV.  B.,  44.  V. 

'-20)  Nach  Andern  hatte  es  seinen  Namen  von  Capys,  dem  Gründer 
dieser  Stadt.    Jetzt  S.  Maria  Maggiore.    M)  Aquino. 

22)  Zum  Unterschiede  vom  volscischen  Suessa  Pometia.  Suessa 
Aurunca  genannt;  jetzt  Sessa.    23)  Venafro. 

24)  Teano.     Ein  anderes  Teanum  lag  in  Apulien. 


Drittes  Buch.  251 

Nola.  Städte:  Abellinum  *),  Aricia  2),  Alba  longa  3),  die  Acer- 
raner  4),  Allifaner  5),  Atinater,  Aletrinater  6),  Anagniner  7), 
Atellaner  8),  Affilaner  9),  Arpinater10),  Auxiinater,  Avella- 
ner11),  Alfaterner;  ferner  die  von  dem  lateinischen,  herni- 
cischen  und  labikanischen  Gebiete  benannten  Völker;  Bo- 
villa12),  Calatiä13),  Casinum14),  Calenum15),  Capitulum  her- 
nicum16),  die  Cereatiner  oder  Marianer,  die  vom  Trojaner 
Dardanus  abstammenden  Coraner17),  die  Cubulteriner18), 
Castrimonienser19),  Cingulaner20),  Fabienser  auf  dem  Berge 
Albanus,  die  Foropopulienser21)  im  falernischen  Gebiete, 
die  Frusinater22),  Ferentinater,  Freginater,  die  alten  und 
neuen  Fabraterner23),  Ficolenser,  Foroappier24),  Forentaner, 
Gabiner,  die  succasinischen  Interamnater25),  auch  Lirinater 
genannt,  die  Ilionenser26),  Lavinier27),  Norbaner28),  Nomen- 
taner29),  Pränestiner30)  mit  der  frtiherhin  Stephane  genann- 
ten Stadt,  die  Privernater31),  Setiner32),  Signiner33),  Suessu- 
laner34),  Teliner,  Trebulaner  oder  Balinienser,  Trebaner85), 
Tusculaner36),  Verulaner37),  Veliterner38),  Ulubrenser,  Ul- 
vernater39),  und  endlich  Rom  selbst,  dessen  andern  Namen 
man  gewisser  geheimnissvoller  Religionsgebräuche  wegen 
nicht  nennen  darf.40)     Valerius  Soranus  sprach  einst  diesen 


')  Avellino.    Ein  anderes  A.  lag  in  Hirpinischen.  Vergleiche  16  C. 

2)  Riccia.  3)  Albano.  4)  Acerra.  ■"•)  Allifi.  6)  Alatri.  7)  Anagni. 
8)  Aversa.  9)  Affile.  I0)  Arpino.  ")  Avella.  12)  Bei  Fratochio  u.  Capo 
di  Leva.  ,3)  Cajasso.  »)  Monte  Casino.  15)  Calri.  ,6)  Caspoli.  ")  Core. 
,8)  S.  Marie  di  Covultere.  19)  Castro  Pignano.  20)  Cicoli.  2I)  Rocca 
di  Papa.     -1)  Frosinone.     23)  Falvaten-a.     24)  Casarillo  di  S.  Maria. 

25)     Torre  di  Termino. 

**)  Magliano.  27)  Civita  Lavinia.  28)  Norma  rovinata.  29)  La  Men- 
tana.  3°)  Palestrina.  3t)  Piperno.  31)  Sezza.  33)  Segni.  34)  Castel  di  Ses- 
sola.    35)  Tervi.     36)  Frascati.    37)  Veroli.    38)  Velletri.    39)  Tulivema. 

40)  Nach  der  gewöhnlichen  Meinung  erhielt  die  Stadt  Rom  ihren 
Namen  von  ihrem  Erbauer;  allein  nach  der  richtigem  Ansicht  erhielt 
vielmehr  Romulus  den  seinigen  erst  von  der  Stadt,  die  nach  einem 
alten  Namen  des  Tiber  „Rumon"  benannt  wurde.  In  der  Folge  lei- 
tete man  Roma  aus  dem  Griechischen  her,  wo  Qatfxr]  Stärke,  Gewalt 
bedeutet.  Diess  gab  man  im  Lateinischen  durch  das  Wort  Valentia 
Wvieder,  und  das  soll  jener  heilige,  geheime  Name  gewesen  sein. 


252  Drittes  Buch. 

in  der  besten  und  heilsamsten  Absicht  abgeschafften  Na- 
men aus  und  musste  bald  dafür  büssen  l).  Es  scheint  mir 
nicht  unpassend,  hier  eines  alten  religiösen  Gebrauchs  zu 
erwähnen,  der  hauptsächlich  wegen  dieses  Verschweigens 
eingeführt  ist.  Die  Göttin  Angerona,  deren  Fest  am  19. 
Decbr.  gefeiert  wird,  hat  nämlich  an  ihrem  Standbilde  einen 
verbundenen  und  versiegelten  Mund. 

Bei  Romulus  Tode  hatte  die  Stadt  drei  oder  (nach  an- 
deren Angaben)  vier  Thore  2).  Ihre  Mauern  maassen,  zur 
Zeit  als  die  Vespasianen  die  Kaiser-  und  Censorwürde  be- 
kleideten, im  Jahre  der  Stadt  826  (74  u.  Chr.)  13,200  Schritte 
im  Umfange.  Sie  liegt  auf  7  Hügeln  3),  ist  in  14  Districte 
eingetheilt,  und  enthält  265  D  urchkreuzuugspunkte  der 
Strassen. 4)  Die  geraden  Entfernungen  von  dem  auf  dem 
höchsten  Punkte  des  Forum  stehenden  Meilenzeiger  5)  bis 
zu  den  einzelnen  Thoren,  deren  jetzt  37  sind,  betragen  zu- 
sammen 20,765  Schritte,  wobei  jedoch  12  nur  einmal  ge- 
rechnet, und  7,  welche  nicht  mehr  benutzt  werden,  über- 
gangen sind.  Das  Gesammtmaass  aber  aller  Wege  von 
jenem  Meilenzeiger  an  durch  die  Strassen  bis  zu  den  letz- 
ten Häusern  und  dem  Lager  der,  Prätorianer  6)  beträgt 
etwas  mehr  als  70,000  Schritte.  Bringt  man  nun  noch  die 
Höhe  der  Häuser  dabei  in  Anschlag,  so  wird  man  ein  wahr- 
haft würdiges  Bild  der  Stadt  bekommen  und  eingestehen 
müssen,  dass  ihr  keine  andere  auf  der  ganzen  Erde  gleich- 
gestellt werden  kann.     Im  Osten  wird  sie  durch  den  Wall 


'•)  Seine  Unvorsichtigkeit  hatte  den  Tod  zur  Folge. 

2)  Nämlich  das  carmentalische ,  pandanische  (saturnische)  roma- 
nische und  muganische;  nur  letzteres  erhielt  sich. 

3)  Der  Palatinus,  Capitolinus,  Cälius,  (Querquetulanus,  wo  jetzt  der 
Lateran  steht),  der  Esquilinus  mit  dem  Viminaüs  (jetzt  S.  Maria  und 
Nives),  der  Quirinalis  (jetzt  Monte  Cavallo),  der  Aventinus  und  über 
den  Tiber  der  Janiculus. 

4)  Compita  Larium.     5)  Milliarium. 

e)  Die  befestigten  Kasernen  der  prätorianischen  Cohorten  wur- 
den von  Tiberius  angelegt,  und  befanden  sich  am  viminalischen 
Thore. 


Drittes  Buch.  253 

des  Tarquinius Superbus  x)  geschlossen;  dieses  ist  ein  höchst 
wunderbares  Werk,  denn  er  liess  ihn  auf  der  Seite,  wo 
der  Zugang  zur  Stadt  von  der  Ebene  aus  am  meisten  offen 
stand,  bis  zur  Höhe  der  Mauern  aufführen.  An  allen  übrigen 
Punkten  war  sie  durch  sehr  hohe  Mauern  oder  steile  Berge 
geschützt,  bis  durch  den  fortwährenden  Anbau  neuer  Häu- 
ser noch  mehrere  Vorstädte  um  sie  entstanden. 

In  dem  ersten  Bezirke  lagen  vormals  in  Latium  noch 
folgende  berühmte  Städte:  Satricum  2),  Pometia  3),  Scaptia, 
Pitulum,  Politorium 4),  Tellene,  Tifata,  Cänina5),  Ficana, 
Crustumerium  6),  Ameriola  7),  Medullia  8),  Comiculum,  Sa- 
turnia,  an  deren  Stelle  jetzt  Rom  liegt;  Antipolis,  bildet 
jetzt  unter  dem  Namen  Janiculum  einen  Theil  von  Rom, 
Antemnä  fl),  Camerium,  Collatia,  Amitinum,  Norbe,  Sulmo, 
und  die  albensischen  Völker,  welche  mit  diesen  auf  dem 
albanischen  Berge  Fleisch  zu  bekommen  pflegten;  die  Al- 
baner, Aesolaner10),  Acienser,  Abolaner11),  Bubetaner,  Bo- 
laner12),  Cusuntaner,  Coriolaner13),  Fidenater,  Foretier,  Hor- 
tenser,  Latinienser,  Longulaner,  Manater,  Macraler,  Mutu- 
cumenser,  Munienser,  Numinienser,  Olliculaner,  Octulaner, 
Pedaner,  Pollusciner,  Querquetulaner,  Sicaner,  Sisolenser, 
Tolerienser,  Tutienser,  Vimitellarier,  Velienser,  Venetulaner, 
Vitellenser.  So  sind  aus  dem  alten  Latium  53  Völker  spur- 
los verschwunden.  Im  campanischen  Gebiete  war  vormals 
eine  Stadt,  Stabiä14)  bis  zum  30.  April,  zur  Zeit  der  Con- 
suln  Cn.  Pompejus15)  und  L.  Cato,  an  welchem  Tage  sie 
der  Legat  L.  Sulla  im  Bundesgenossenkriege  so  zerstörte16), 
dass  nur  noch  ein  Meierhof  vorhanden  ist.     Eben  daselbst 


')  Der  letzte  römische  König,  regierte  von  534 — 509  und  starb 
497  zu  Cumae:  der  erwähnte  Wall  lag  zwischen  dem  esquilinischen 
und  collinischen  Thore. 

2)  Pratica.  3)  Torre  Petrara.  4)  Pocigliano.  5)  Monte  Gentile. 
6)  Monte  Rotondo.     7)  Marigliano.     8)  S.  Giubileo. 

°)  Am  Zusammenfluss  des  Tiber  und  Teverone. 

'»)  Quarto  della  Fajola.  »)  Aula  antica.   I2)  Poli.   ••')  Carocello. 
u)  Casteir  a  mare  di  Stabia. 

,5)  Der  Vater  des  grossen  Pompejus.     ,fi)  89  v.  Chr. 


254  Drittes  Buch. 

ist  auch  Taurania  1)  verschwunden.  Dort  liegen  auch  die 
Ueberreste  des  verfallenen  Casilinum 2).  Ferner  erzählt 
Antias,  der  König  L.  Tarqunius  habe  die  lateinische  Stadt 
Apiolae 3)  eingenommen,  und  von  der  dabei  gemachten 
Beute  den  Bau  des  Capitols  begonnen.  Vom  Surrmatum 
bis  zum  Flusse  Silarus 4)  erstreckte  sich  30,000  Schritte 
weit  das  den  Tuscern  gehörige  picentinische  Gebiet,  be- 
rühmt durch  den  von  Jason  erbaueten  Tempel  der  Juno 
Argiva  5).  Im  Innern  des  Landes  liegen  die  Städte  Salerni 
und  Picentia. 

10. 
Vom  Silarus  an  beginnt  der  dritte  Bezirk,  und  mit 
ihm  das  lucanische  und  brutische  Gebiet.  Auch  hier  haben 
die  Bewohner  oft  gewechselt.  Dieses  Land  besassen  die 
Pelasger,  Oenotrier  6),  Italer,  Morgeter  7),  Siculer,  meist 
griechische  Völker;  zuletzt  liessen  sich  die  Lucaner,  ein 
samnitischer  Stamm  unter  ihrem  Anführer  Lucius  dort  nie- 
der. Die  Stadt  Pästum 8),  von  den  Griechen  Posidonia 
genannt,  der  pästonische  Meerbusen  9),  die  Stadt  Helia,  jetzt 
Velia10),  das  Vorgebirge  Palinurum11);  hier  weicht  der  Meer- 
busen 12)  mehr  zurück  und  die  Ueberfahrt  nach  Columna 
Ehegia13)  beträgt  100,000  Schritte.  Ihm  zunächst  folgen: 
der  Fluss  Melpes14),  die  Stadt  Buxentum15),  von  den  Grie- 
chen Pyxus  genannt,  der  Fluss  Lais16);  früher  gab  es  auch 
eine  Stadt  dieses  Namens. 17)  Nun  kommt  die  brutische 
Küste,  die  Stadt  Blanda18),   der  Fluss  Batuni19),    der  den 


1)     Toretto.     2)  Capua.    3)  Apelosa.    4)  Silaro. 

5)  Derselbe  lag  bei  dem  heutigen  Dorfe  St.  Varra,  etwas  süd- 
lich vom  Silaro. 

6)  Ebenfalls  ein  pelasgischer  Stamm,,  der  unter  Oenotrius  nach 
Italien  kam. 

~)  So  genannt  nach  dem  König  Morges,  welcher  vor  uralten  Zei- 
ten in  Calabrien  herrschte.     8)  Pesti.    9)  Golfo  di  Salemo. 

10)  Castel'  a  mare  della  Brucca. 

")  Panta  della  Spartimento. 

12)  Golfo  di  Policastro.  '3)  Calanna.  *♦)  Melpa.  15)  Policastro 
»6)  Lao.  »)  Laghino.   18)  St.  Biasio.  ">)  Della  Noce. 


Drittes  Buch.  255 

Phocensern  gehörige  Hafen  Parthenius J),  der  vibonensische 
Meerbusen  2),  die  Stelle,  wo  Clampetia  3)  stand,  die  Stadt 
Temsa4),  von  den  Griechen  Temese  genannt,  die  von  den 
Crotaniensern  gegründete  Stadt  Terina  5)  und  der  grosse 
Terinaische  Meerbusen  6);  im  Innern  liegt  die  Stadt  Con- 
fentia. 7)  Auf  der  Halbinsel 8)  befindet  sich  der  Fluss  Ache- 
ron  9),  von  welchem  die  dortigen  Bewohner  Acherontiner10) 
heissen;  Hippo,  jetzt  Vibo  Valentia11)  genannt,  der  Hafen  des 
Herkules12),  der  Fluss  Metaurus13),  die  Stadt  Tauroentum14), 
der  Hafen  des  Orestes15),  und  Medina.16)  Die  Stadt  Scyl- 
läum  17),  der  Fluss  Cratäis18),  wie  man  sagt,  die  Mutter  der 
Scylla.19)  Dann  kommt:  Columna  Rhegia,  die  sicilische 
Meerenge  und  zwei  einander  gegenüber  liegende  Vorgebirge, 
in  Italien  Cänys20),  in  Sicilien  Pelorum21),  12  Stadien  von 
einander  entfernt.  Von  hier  bis  Rhegium22)  beträgt  die 
Entfernung  12,500  Schritte.  Ferner:  der  Wald  Sila23)  auf 
dem  Apenninus,  15,000  Schritte  weiter  das  Vorgebirge  Leu- 
copetra.21)  Die  dann  folgenden,  von  dem  Vorgebirge  Ze- 
phyrium25)  benannten  Locrer26),  sind  vom  Silarus  303,000 
Schritte  entfernt. 

So  wird  der  erste  Busen  von  Europa  begrenzt  und  die 
Meere,  welche  ihn  bilden,  haben  folgende  Namen.  Das 
Meer,  aus  welchem  die  Gewässer  herausströmen,  heisst  das 
atlantische  oder  auch  das  grosse;  die  Stelle,  wo  dieses  ein- 
tritt, nennen  die  Griechen  Porthmos,  wir  aber  die  gadi- 
tanische  Meerenge;  nach  dem  Eintritte  heisst  es,  soweit  es 
Spaniens  Küste  bespühlt,  das  spanische  oder  iberische,  oder 
balearische  Meer;  dann  an  der  narbonensischen  Provinz  das 


>)  Cetraro.   2)  Golfo  di  St,  Eufemia.   3)  Torre  di  Mezzo.    4)  Torre 
di  Lupo.    5)  Terrati.    6)  Ebenfalls  Golfo  di  S.   Eufemia.     7)  Cosenza.. 
8  Der  unterste  Theil  von  Calabrien. 
9)  Mucone.     ,0)  In  Acri.     «>)  Vibona.     12)  Briatico.     ,3)  Marro. 

14)  Ruinen  davon  findet  man  in  der  Nähe  des  Fleckens  Palma. 

15)  Gioja.  I6)  Melia.  ")  Scilla.  ,8)  Fallace.  ,9)  Siehe  Homers  Odysee- 
XII  B.,  124.  V.  2°)  Cenide.  2l)  Capo  di  Faro.  22)  Reggio.  23)  Monte- 
delle  Pece.    24)  Pellara.    25)  Capo  di  Brussano. 

M)  Die  epizephyrischen  Locrer. 


256  Drittes  Buch. 

gallische  und  weiterhin  das  ligustische  Meer;  von  diesem 
bis  zur  Insel  Sicilien:  das  tuscische,  welches  einige  Grie- 
chen das  notische,  andere  das  tyrrhenische,  die  meisten 
von  uns  aber  das  untere  Meer  nennen.  Von  Sicilien  an 
bis  zu  den  Solentinern  nennt  es  Polybius  *)  das  ausonische, 
dagegen  bezeichnet  Eratosthenes  den  zwischen  der  Mündung 
des  Oceans  und  Sardinien  belegenen  Theil  mit  dem  Namen 
des  sardoischen,  den  Theil  aber  von  Sardinien  bis  Sicilien 
nennt  er  das  tyrrhenische,  von  Sicilien  bis  Creta  das  sici- 
lische,  und  von  da  an  das  cretische  Meer. 

11. 
Die  ersten  Inseln  in  diesen  Meeren  führen  bei  den 
Griechen,  von  einem  fichtenartigen  Strauche  den  Namen 
Pityusen,  jetzt  heissen  sie  beide  Ebusus  2),  bilden  einen 
mit  uns  verbündeten  Staat  und  sind  nur  durch  eine  schmale 
Meerenge  von  einander  getrennt.  Ihre  Länge  beträgt  46,000 
Schritte.  Von  Dianium 3)  sind  sie  700  Stadien  entfernt,  und 
ebenso  weit  liegt  Dianium  auf  dem  Festlande  von  Neu- 
Carthago.  In  gleicher  Entfernung  von  den  Pityusen  liegen 
in  hohem  Meere  die  beiden  Balearen,  und  gegen  Sucro4) 
hin  Colubraria. 5)  Die  Balearen,  deren  Bewohner  sich 
durch  die  Schleuder  im  Kriege  auszeichnen,  nennen  die 
Griechen  auch  die  gymnasiscben  Inseln. 6)  Die  grössere  7) 
hat  eine  Länge  von  100,000  Schritten  und  einen  Umfang 
von  475,000  Schritten.  Die  darauf  befindlichen  Städte  mit 
römischem  Bürgerrechte  sind:  Palma8)  und  Pollentia;  mit 
lateinischem:  Cinium  9)  und  Cunici10);  Bocchorum  ist  eine 
Bundesstadt.  30,000  Schritte  davon  entfernt  liegt  die  klei- 
nere Insel11),  deren  Länge  40,000  und  Umfang  150,000 
Schritte  beträgt,  Sie  enthält  die  Stadtgemeinden  Jamno12), 
Sanisera13)  und  Mago.14)  Von  der  grössern  liegt  Capra- 
ria15),  in  deren  Nähe  die  Schiffe  häufig  scheitern,  12,000 


l)  Von  Megalopolis  in  Arcadien,  lebte  205—122  v.  Chr.  " 
-)  Ivica  und  Forcnentera.    3)  Denia  in  Spanien.    4)  Xucur  in  Spa- 
nien.   5)  Columbretes.    6)  Weil  die  Bewohner  nackt  {yvfivoq)  gingen. 
7)  Mallorka.     8)  Palma.    9)  Sineu.     ,0)  Alcudia.     ")  Minorka.     '-)  Ciu- 
dadela.     13)  Fornells.     14)  Mahon.     '•"')  Cabrera. 


Drittes  Buch.  257 

Schritte  über  dem  Meere  hin  entfernt;  der  Stadt  Palma 
gegenüber  liegen  die  Maenarien x),  Tiquadra 2)  und  die 
kleine  Insel  des  Hannibal. 3)  Die  Erde  auf  Ebusus  vertreibt 
die  Schlangen,  die  von  Colubraria  erzeugt  sie,  daher  diese 
Insel  Allen  gefährlich  ist,  welche  keine  Erde  von  Ebusus 
mitbringen;  die  Griechen  gaben  ihr  den  Namen  Ophiusa. 
Auf  Ebusus  kommen  auch  keine  Kaninchen  vor,  welche 
auf  den  Balearen  die  Saaten  verwüsten.  Ausserdem  giebt 
es  noch  gegen  20  kleinere  Inseln  in  diesem  seichten  Meere. 

An  der  gallischen  Küste,  bei  der  Mündung  des  Rhoda- 
nus  liegt  Metina4),  unweit  davon  Blascon5);  ferner  drei 
Inseln,  welche  von  den  benachbarten  Massiliensern  wegen 
ihrer  Lage  in  einer  Reihe  die  Stöchaden6)  genannt  sind,  die 
eine  heisst  Prote7),  die  zweite  Mese8)  oder  Pomponiaua 
und  die  dritte  Hypäa.9)  Dann  folgen:  Sturium10),  Phönice11) 
Phila12),  Antipolis13)  gegenüber  Lero14)  und  Lerina15),  wo 
sich  noch  das  Andenken  an  die  früher  vorhandene  Stadt 
Vergoanum  erhalten  hat. 

12. 

Im  ligustischen  Meere,  jedoch  näher  nach  dem  tus- 
cischen  hin  liegt  Corsica,  welches  die  Griechen  Cyrnos 
genannt  haben.  Ihre  Länge  von  Norden  nach  Süden  be- 
trägt 150,000  Schritte,  ihre  Breite  an  den  meisten  Stellen 
50,000  und  ihr  Umfang  325,000.  Sie  ist  von  den  volaterra- 
nischen  Untiefen  62,000  Schritte  entfernt,  hat  32  Stadt- 
gemeinden und  die  Colonien  Mariana16)  von  C.  Marius,  und 
Aleria17)  vom  Dictator  Sulla  angelegt.  Diesseits  liegt  Ogla- 
sa18),  und  nicht  ganz  60,000  Schritte  von  Corsica:  Plana- 
ria19),  so  genannt  von  ihrem  ebenem  Boden,  wodurch  sie 
dem  Meere  ähnlich   sieht   und  daher   die  Schiffer  täuscht. 


')  Malgrates.  2)  Dragonera.  3)  Toro.  4)  Jamatan.  5)  Brescou. 
«)  Hyeren.  7)  Poquerolles.  «)  Port  Cros.  9)  Levant  oder  Titan.  ,0)  Ri- 
bauclas.  ")  Langaustier.  ,2)  Bagneau.  13)  Antibes  in  Frankreich. 
,4)  St.  Marguerite.  I5)  St.  Honore  de  Lerin.  ,6)  und  ")  Von  beiden 
finden  sich  noch  Ruinen  auf  der  nach  Italien  zu  gerichteten  Seite 
der  Insel.  Aleria  wurde  erst  1730  zerstört,  ,8)  Monte  Christo. 
w)  Formicole. 

17 


258  Drittes  Buch. 

Von  grösserem  Umfange  sind  Urgo  *)  und  Capraria2),  von 
den  Griechen  Aegilon  genannt;  ferner  Aegilium3),  Dianium4) 
oder  Artemisia,  beide  der  cosanischen  Küste5)  gegenüber; 
Barpana 6),  Manaria 7),  Columbaria 8)  und  Venaria. 9)  Uya  e) 
bei  den  Griechen  Aethalia,  mit  Eisengruben,  hat  im  Umfange 
100,000  und  ist  von  Popularium  n)  10,000  Schritte  entfernt; 
Planasia 12)  liegt  28,000  Schritte  davon.  Nach  diesen  liegen 
enseits  der  Mündung  des  Tiber  im  antianischen  Meere 
Astura13),  dann  Palmaria14),  Sinonia15)  und  Formiä16)  gegen- 
über Pontiä.17)  Im  puteolanischen  Busen  liegt  Pandataria18) 
und  Prochy ta 19),  die  nicht  von  der  Amme  des  Aeneas,  son- 
dern weil  sie  von  der  Insel  Aenaria  fortgeschleudert  sein 
soll,  diesen  Namen  hat.  Aenaria20)  führt  ihren  Namen  vom 
Aeneas,  der  hier  mit  seinen  Schiffen  landete.  Homer21)  nennt 
sie  Inarime,  die  Griechen  Pithecusa,  aber  nicht  von  einer 
Menge  dort  befindlicher  Affen,  wie  Einige  geglaubt  haben, 
sondern  von  den  daselbst  verfertigten  fassförmigen 2'2)  Töpfer- 
waaren.  Zwischen  Pausilipus 23)  und  Neapel  liegt  Mega- 
ris 24);  ferner  8000  Schritte  von  Surrentum  entfernt,  die 
durch  das  Schloss  des  Tiberius  berühmte  Insel  Capreä25)r 
welche  11,000  Schritte  im  Umfange  hat. 

13. 
Nicht  weit  davon  liegt  Leucothea26),  und  ausser  dem 
Gesichtskreise  an  der  Grenze  des  afrikanischen  Meeres: 
Sardinien,  kaum  8000  Schritte  von  den  äussersten Punkten 
Corsica's  entfernt,  und  dieser  enge  Kaum  wird  noch  durch 
einige  kleine  Inseln,  welche  Cuniculariae  oder  Hundsinseln27) 
heissen,  ferner  durch  die  Inseln  Phintoni28)  und  Fossä29), 


')  Gorgona.  2)  Caprara.  3)  Giglio.  4)  Gianuti.  5)  Halbinsel  Argen- 
taro. fi)  Forniiche  di  Grosseto.  7)  Meleora.  8)  Palmajola.  9)  Cervoli. 
10)  Elba.  >')  Piombino.  ,2)  Pianosa.  ,3)  Noch  jetzt  Astura.  M)  Pal- 
maruola.  ,5)  Sennone.  16)  Mola.  ")  Ponza.  ,8)  Ventotiene.  19)  Pro- 
eida.  20)  Ischia.  21)  Iliade  IL,  290.  22)  Tti&oq:  Fass.  23)  Posilippo. 
2<i)  Castello  dell'Ovo.     25)  Capri.     26)  Lungo. 

27)  Sind  eigentlich  blosse  Klippen,  10  an  der  Zahl  und  heissen 
jetzt  die  Bucinarischen  Inseln. 

28)  Figo.    --9)  Lovossi. 


Drittes  Buch.  25i* 

von  welcherietzteren  die  Meerenge  selbst  den  Namen  Taphros1), 
bekommen  hat,  beschränkt.  Sardinien  misst  an  der  Ostseite 
188,000,  an  der  Westseite  175,000,  gegen  Mittag  77,000, 
gegen  Mitternacht  125,000  Schritte;  der  Umfang  beläuft  sich 
also  auf  565,000  Schritte.  Vom  caralitanischen2)  Vorgebirge 
aus  beträgt  ihre  Entfernung  von  Afrika  200,000  und  von 
Gades  1,400,000  Schritte.  Auch  auf  der  Seite  des  gordi- 
tanischen  3)  Vorgebirges  liegen  zwei  Inseln,  welche  Herku  - 
lesinseln  4)  genannt  werden;  ferner  Enosis  5)  beim  sulcen- 
sischen 6)  und  Ficaria  7)  beim  caralitanischen  Vorgebirge. 
Einige  setzen  auch  in  ihre  Nähe  die  Bereliden  8),  Collodes  9) 
und  die  sogenannte  Heras  Lutra. 10)  Die  berühmtesten  Völ- 
ker Sardiniens  sind:  die  Ilienser,  Balarer  und  Corsen. 
Unter  den  18  Städten  haben  folgende  das  römische  Bür- 
gerrecht: die  Sulcitaner11),  Valentiner12),  Neapolitaner13), 
Bosenser14),  Caralitaner 15)  und  Norenser16);  ihre  einzige 
Colonie  heisst  „Zum  Thurme  des  Libyso". 17)  Timäus  18) 
nennt  Sardinien  wegen  ihrer  Aehnlichkeit  mit  einer  Fuss- 
sohle  Sandaliotis,  Myrsilus19)  wegen  ihrer  Aehnlichkeit  mit 
einem  Fussstapfen  Ichnusa.  Dem  pästanischen  Meerbusen 
gegenüber  liegt  Leucasia20)  von  einer  daselbst  begrabenen 
Sirene  so  genannt.  Gegen  Velia 21)  hin  liegen  Pontia 22)  und 
Iscia  23),  die  auch  den  gemeinsamen  Namen  Oenotriden  füh- 
ren, ein  Beweis,  dass  die  Oenotrier  einst  Italien  im  Besitz 


')  Tu<fQoc  =  fossa,  Graben. 

2)  Capo  Ferrato  und  Capo  di  Carbonara. 

3)  Capo  di  monte  Falcone  und  Capo  di  Argentera. 
')  Asinaro  (Zavara)  und  Piana. 

5)  S.  Antioco.  6)  Punta  dell'Ulga.  ~)  Cortelazo.  8)  Toro,  Vacca 
und  Vitello.  9)  Maldivente.  ,0)  S.  Pietro.  »)  Palma  di  Solo.  12)  Igle- 
sias.    ,3)  Oristano.    M)  Bosa. 

,s)  Calaris,  jetzt  Cagliari,  die  Hauptstadt  der  Insel. 

,,!)  Fanura.     1T)  Porto  di  Torre. 

,8)  Von  Tauromeniurn  in  Sicilien,  um  260  v.  Chr.,  lebte,  von  sei- 
nem Vaterlande  verbannt,  in  Athen. 

,9)  Oder  Myrtdias,  ein  griechischer  Schriftsteller  aus  Lesbos,  über 
dessen  Lebensverhältnisse  aber  nichts  weiter  bekannt  ist. 

20)  Piana.     2I)  Castell'amare.     22)  IJonza.     -3)  Isca. 

17* 


2(50  Drittes  Buch. 

hatten.  Vibo  l)  gegenüber  liegen  einige  kleine  Inseln, 
welche  von  der  auf  ihr  befindlichen  Warte  des  Ulysses  die 
ithacesischen  -)  genannt  werden. 

14. 
Alle  andern  Inseln  aber  übertrifft  Sicilien  an  Ruhm; 
sie  wird  von  Thucydides  3)  Sicania,  von  Mehreren  wegen 
ihrer  dreieckigen  Gestalt  Trinacria  oder  Triquetra  genannt. 
Ihr  Umfang  beträgt  618,000  Schritte.  Früher  hing  sie  mit 
dem  brutischen  Gebiete  zusammen,  später  aber  riss  sie  das 
zwischenströmende  Meer  von  ihm  los  und  bildete  eine 
15,000  Schritte  lange  und  bei  der  Columna  Rhegia  1500 
Schritte  breite  Meerenge.  Wegen  dieses  Abreissens  gaben 
die  Griechen  der  an  dem  Endpunkte  Italiens  belegenen 
Stadt  den  Namen  Rhegium. 4)  In  dieser  Meerenge  befindet 
sich  die  Klippe  Scylla  und  der  Meerstrudel  Charybdis,  beide 
durch  ihre  Verheerungen  berüchtigt.  Das  Vorgebirge  dieser 
dreieckigen  Insel,  welches  der  Scylla  gegenüber  nach  Italien 
zu  liegt,  heisst  Pelorum  5),  das  nach  Griechenland  zu  lie- 
gende Pachynum  6)  und  ist  440,000  Schritte  vom  Pelopon- 
nes,  gegen  Afrika  hin  das  lilybaische 7)  180,000  Schritte 
vom  Vorgebirge  des  Merkur 8)  und  190,000  Schritte  vom 
caralitanischen  in  Sardinien  entfernt.  Unter  sich  aber  sind 
diese  Vorgebirge  und  Seiten  durch  folgende  Zwischenräume 
von  einander  geschieden  Der  Landweg  vom  Pelorum  zum 
Pachynum  beträgt  191,000  Schritte,  von  da  zum  Lilybäum 
200,000  und  von  da  zum  Pelorum  170,000  Schritte.  Colo- 
nien    sind    5,    Städte    und    Stadtgemeinden    63   vorhanden. 

Beim  Pelorum   an   der  Küste   des  jonischen  Meeres  liegt 

> 

')  Bibona. 

2)  Toricella,  Brace,  Praca  und  andere  Klippen  ohne  Namen. 

3)  Der  grösste  griech.  Geschichtsschreiber,  Sohn  des  Oloros  und 
der  Hegesipyle,  geb.  zu  Athen  471  v.  Chr.,  403  auf  einer  Reise  nach 
Thracien  von  Räubern  ermordet. 

*)  Von  (jTjyvifii:  reisseil. 

5)  Capo  di  Faro. 

6)  Capo  di  Passaro. 

7)  Capo  di  Boco.     x)  Cap  Ron. 


Drittes  Buch.  261 

Messana  1),  deren  Bewohner  das  römische  Bürgerrecht  haben 
und  Mamertiner  genannt  werden.  Das  Vorgebirge  Drepa- 
num  2),  die  Colonie  Tauromenium  3),  früher  Naxos  genannt, 
der  Fluss  Asines 4),  der  Berg  Aetna,  merkwürdig  wegen 
seiner  nächtlichen  Flammenausbrüche.  Sein  Krater  hat  26 
Stadien  im  Umfange,  die  heisse  Asche  fliegt  bis  nach  Tau- 
romenium und  Catina 5),  das  Getöse  aber  hört  man  bis 
nach  Maro  6)  und  den  Zwillingshügeln. 7)  Die  drei  Klippen 
der  Cyclopen  8),  der  Hafen  des  Ulysses9),  die  Colonie  Ca- 
tina 10),  die  Flüsse  Symäthum  n)  und  Terias. 12)  Im  Innern 
liegen  die  lästryganischen  Gefilde,  die  Städte  Leontini 13), 
Megaris14),  der  Fluss  Pantagies 15),  die  Colonie  Syrakusä 
mit  der  Quelle  Arethusa.  Ausserdem  trinkt  man  im  syra- 
kusanischen  Gebiete  auch  aus  den  Quellen  Temenitis 16), 
Archidemia17),  Magäa18),  Cyane 19)  und  Milichie.20)  Der 
Hafen  Naustathmus21),  der  Fluss  Elorum22),  das  Vor- 
gebirge Pachynum,  ihm  zur  Seite  der  Fluss  Hirminium 23), 
die  Stadt  Caramina24),  der  Fluss  Gelas25),  die  Stadt  Acra- 
gas 26),  bei  uns  Agrigentum  genannt,  die  Colonie  Thermä 27), 
die  Flüsse  Achates28),  Mazara29)  und  Hypsa30),  die  Stadt 
Selinus 31),  dann  das  Vorgebirge  Lilybäum,  Drepana 32),  der 
Berg  Eryx33),  die  Städte  Panchornum  u),  Solus35),  Himera  36) 
mit  dem  Flusse  gleichen  Namens37),  Cephalödis38),  Alun- 
tium39),  Agathyrnum 40),  die  Colonie  Tyndaris41),  die  Stadt 
Mylä 42),  und  endlich  das  Vorgebirge  Pelorum,  von  wo  wir 
ausgingen. 


l)  Messina.  2)  Grosso.  3)  Taormina  4)  Cantara.  5)  Catania. 
')  Maretto.  7)  Monte  cli  Mele.  8)  GH  Farigliom.  9)  S.  Alessio.  ,0)  Ca- 
bauia.  ")  Giaretta.  ,'-)  Guaralunga.  ,3)  Lentini.  y>)  Ruinen  bei  Mili- 
tello.  15)  Porcaro.  ,6)  Fontedi  Canali.  17)  Cefalino.  ,8)  Fönte  dellaMa- 
•lalena.  ,9)  Fönte  Ciane.  20)  Lampismotta.  iX)  Asparanetto.  '--;  Abisso. 
-3)  Fiume  di  Ragusa.  2i)  Camerina.  25)  Fiume  di  terra  nova.  26)  Gir- 
genti.  27)  Termini.  -*)  Dirillo.  29J  Fiume  di  Mazzara.  i0)  Beiice 
sinistre.  3M  Ruinen  bei  Castelvetrano.  32)  Trapani.  3aj  Monte  St. 
Giuliano.  3i)  Palermo.  3S)  Solanto.  3C)  Trümmer  davon  bei  Termini. 
;;T)  Fiume  Salso.  38)  Cefalu.  39)  AJonzo.  /,0j  S.  Agata.  4I)  Tindaro. 
'-)  Milazzo. 


262  Drittes  Buch. 

Im  Innern  der  Insel  wohnen  folgende  Völker  mit  latei- 
nischen Hechten:  die  Centuripiner  *) ,  Netiner  2)  und  Sege- 
staner.  Zinsbar  sind:  die  Assoriner  3),  Aetnenser 4),  Agy- 
riner  5),  Acestäer  6),  Acrenser  7),  Bidiner  8),  Cetariner  9),  Ca- 
cyriner10),  Drepanitaner11),  Ergetiner12),  Echetlienser13),  Ery- 
ciner14),  Entelliner15),  Eniner16),  Enguiner17),  Gelomer1-), 
Galatiner19),  Halesiner20),  Hennenser21),  Hyblenser22),  Herbi- 
tenser  23);  Herbessenser 24),  Herbulenser,  Halicyenser25),  Ha- 
dranitaner26),  Imacarenser27),  Ipauenser28),  Ietenser29)/ Myti- 
stratiner  30),  Magelliner31)  Murgentiner32),  Mutycenser  33), 
Menaniner34),  Naxier35),  Noäer36),  Petriner37),  Paropiner 38), 
Phtinthienser,  Semellitaner,  Scheriner39),  Selinuntier,  Syniü- 
thier,  Talarenser 40),  Tissinenser41),  Triocaliner42),  Tiracinen- 
ser43)  und  die  messenischen  Zancläer44)  an  der  sicilischen 
Meerenge. 

Gegen  Afrika  zu  liegen  folgende  Inseln:  Gaulos45), 
Melita46),  von  Camerina47)  87,000,  von  Lilybäum  113,000 
Schritte  entfernt,  Cosyra48),  Hieronesos49),  Cäne50),  Galata51), 


*)  Centorbi.  -)  Noto.  3)  Asano.  4)  Nicolosi.  5)  San  Filippo 
d'Argyrone.  6)  Agosta.  7)  Palazzuola.  8)  S.  Giovanni  di  Bidini. 
9)  Catarra.  10)  Cassaro.  n)  Trapani.  ,2)  Artesina.  ,3)  Granmichele. 
14)  Trapano  del  Monte.  15)  Enteila.  16)  Aidone.  1T)  Gangi  vetere. 
18)  Torre  nova.  19)  Galati.  20)  Torre  di  Petineo.  21)  Castro  Giovanni. 
«)  Paterno.  23)  Erba.  24)  Li  Grutti.  -5)  Rocalcale.  26)  Aderno.  27)  Mac- 
cara.  -8)  Icana.  29)  Jato.  30)  Mistretta.  31)  Macellaro.  32)  Mandri 
Bianchi,  33)  Modica.  3i)  Mineo.  35)  Schisso.  36)  Noara,  37)  Petralia 
Soprana.  38)  Parco.  39)  Calogero.  A0)  Tatria.  41)  Randa/.za.  -12)  Co- 
lotrasi  Castello.    43)  Torcisi. 

44)  Zankle  wurde  lange  vor  dem  Anfange  der  Olympiaden  (77H 
v.  Chr.)  von  ausgewanderten  Cumanern  gegründet.  Nach  der  Ein- 
nahme von  Ira  zog  ein  Theil  der  Messenier  unter  Gorgus  dahin,  und 
der  Name  Zankle  wurde  nach  und  nach  mit  „Messene"  vertauscht, 
bis  letzterer  allgemein  wurde,  und  der  Tyrann  von  Rhegium,  Anaxe- 
las  (von  messenischer  Abkunft),  sich  um  die  Zeit  der  marathonischen 
Schlacht  (990  v.  Chr.)  derselben  bemächtigte.  Späterhin  wurde 
Messena  von  den  Mamertinern  (Miethstruppen  des  Agatkocles  von 
Syrakus)  erobert.  Diese  ermordeten  alle  männlichen  Einwohnei 
Diess  war  die  nächste  Veranlassung  des  ersten  punischen  Krieges. 

45)  Gozzo.  46)  Malta.  '")  Auf  Sicilien.  48)  Pantalaria.  49)  Mare- 
timo.    ™)  Limosa.     *•)  Galita. 


Drittes  Buch.  263 

Lopadusa1),  Aethusa2),  auch  Aegusa  geschrieben,  Buci- 
ma  3),  Osteodes  4) ,  75,000  Schritte  vom  Solus  5)  entfernt, 
und  Ustica,  Paropini  e)  gegenüber.  Diesseits  Sicilien  aber, 
dem  Flusse  Metaurus  7 )  gegenüber,  liegen  in  einer  Entfernung 
von  beinahe  25,000  Schritten  von  Italien  die  äolischen 
Inseln,  sie  heissen  auch  die  liparäischen,  bei  den  Griechen 
die  hephästiadischen ,  bei  uns  die  vulkanischen.  Die  äoli- 
schen heissen  sie  deshalb,  weil  Aeolus  zur  Zeit  des  tro- 
janischen Krieges  dort  regierte.  Lipara  8),  mit  der  gleich- 
namigen Stadt  welche  das  römische  Bürgerrecht  hat,  ver- 
dankt ihren  Kamen  dem  Könige  Liparus,  dem  Nachfolger 
des  Aeolus;  sie  hiess  früher  Melogonis  oder  Meligunis,  ist  von 
Italien  25,000  Schritte  entfernt,  und  hat  einen  fast  eben  so 
grossen  Umfang.  Zwischen  ihr  und  Sicilien  liegt  eine  an- 
dere Insel,  welche  ehemals  Therasia  hiess,  jetzt  aber  den 
Namen  Hiera  9)  hat,  weil  sich  auf  ihr  ein  alle  Nächte  Feuer- 
speiender Hügel  befindet,  der  dem  Vulkan  geweihet  ist. 
Die  dritte,  Strongyle 10),  liegt  von  Lipara  1000  Schritte  ent- 
fernt gegen  Osten;  auf  ihr  regierte  Aeolus;  sie  unterschei- 
det sich  von  Lipara  nur  durch  die  hellere  Flamme  des 
Berges,  aus  dessen  Rauche  die  Einwohner  schon  auf  drei 
Tage  im  Voraus  sollen  bestimmen  können,  welche  Winde 
wehen  werden;  daher  hat  man  geglaubt,  die  Winde  gehorch- 
ten dem  Aeolus.  Die  vierte  Insel  heisst  Didyme11)  und  ist 
kleiner  als  Lipara;  die  fünfte  Ericusa12);  die  sechste  Phö- 
nicusa13),  dient  den  zunächst  liegenden  nur  als  Weide;  die 
letzte  und  kleinste  heisst  Evonymos. 14)  So  viel  von  dem 
•ersten  Hauptbusen  Europa's. 

15. 
Von  Locri  fängt  die  Seite  Italiens  an,  welche  Gross- 
Griechenland   genannt   wird   und  drei  Busen   des  auso- 
nischen  Meees  bildet;  dieses  Meer  hat  den  Namen  von  den 
Ausoniern,   welche   zuerst   seine  Küste   bewohnten.     Nach 


')  Larnpedosa.  2)  Favignana.  3)  Levanzo.  4)  Alicur.  5)  Solanto. 
6)  Parco.  7)  Marro.  8)  Lipari.  9)  Volcano.  10)  Stromboli.  »)  Sa- 
line.    12)  Alicudi.     13)  Felicudi.     14)  Eisca  Bianca. 


264  Drittes  Buch. 

Vai-ro  x)  dehnt  es  sich  auf  86,000  Schritte  aus ,  nach  Än- 
dern nur  auf  75,000.  Unzählige  Flüsse  befinden  sich  an 
seiner  Küste';  aber  besonders  merkwürdig  sind,  bei  Locri: 
(die)  Sagra2),  Spuren  der  Stadt  Caulo3),  Mystia4),  Castrum 
Consilinum 5),  Cocinthum 6),  welches  Einige  für  das  längste 
Vorgebirge  Italiens  halten;  dann  der  scylacische  7)  Meer- 
busen mit  der  Stadt  Scylacium,  welche  von  ihren  Gründern, 
den  Atheniensern,  Scylletium  genannt  ist.  Die  diesem  Orte 
gegenüberliegende  terinäische 8)  Bucht  bildet  eine  HalbinseL 
auf  welcher  ein  Hafen,  Castra  Hannibalis9)  genannt,  liegt. 
Nirgends  ist  Italien  schmäler  als  hier,  denn  seine  Breite  be- 
trägt nur  20,000  Schritte.  Deshalb  wollte  der  ältere  Dio- 
nisius  an  diesem  Orte  Italien  durchschneiden  lassen,  und 
das  getrennte  Stück  mit  Sicilien  vereinigen.  Schiffbare 
Flüsse  dieses  Landes  sind:  der  Carcines10),  Crotalus n), 
Seminus 12),  Aroas 13)  und  Targines. 14)  Im  Innern  liegt  die 
Stadt  Petilia15),  der  Berg  Clibanus,  das  Vorgebirge  Laci- 
nium 16),  vor  welchem  in  einer  Entfernung  von  10,000  Schrit- 
ten die  Insel  Dioscoron  liegt,  eine  andere  heisst  Calypsus, 
welche  für  die  Ogygia  des  Homer17)  gehalten  wird;  ferner 
Tiris,  Eranusa  und  Meloessa. 18)  Das  Vorgebirge19)  selbst 
ist  nach  Agrippa  70,000  Schritte  von  Caulo  entfernt. 

An  dem  Vorgebirge  Lacinium  fängt  der  zweite  Haupt- 
busen von  Europa  an;  er  macht  einen  sehr  grossen  Bogen  und 
endigt  mit  dem  in  Epirus  belegenen  Vorgebirge  Acrocerau- 
nium20),  welches  von  jenem  75,000  Schritte  entfernt  ist. 
Hier  liegen:  die  Stadt  Croto21),  der  Fluss  Neathus22),  die 


')  Von  Atace  im  narbonensischen  Gallien,  ein  röm.  Dichter  aus 
dem  1.  Jahr.  v.  Chr. 

2)  Sagriano.  3)  Bei  Pietra  Percia.  4)  Maida.  a)  Consignano. 
fc)  Stilo.  ')  Golfo  di  Squillace.  8)  Golfo  di  S.  Eufemia.  9)  Torre  di 
Cuntazaro.  10)  Corace.  n)  Alli.  •*)  Simmari.  13)  Crocha.  u)  Tacina. 
15)  Strongoli.     1G)  Capo  della  Colonne. 

«)  Odyssee  VII.  244.    XII.  245. 

18)  Fast  keine  dieser  Inseln  existirt  jetzt  mehr. 

10)  Lacinium.     ao)  Capo  Linguetta. 

2l)  Crotone,  an  der  Mündung  des  Flusses  Essaro.    -)  Nieto. 


Drittes  Buch.  265 

Stadt  Thurii  zwischen  den  beiden  Flüssen  Crathis1)  und 
Sybaris2),  wo  ehemals  eine  Stadt  gleichen  Namens3)  war. 
Auf  gleiche  Weise  liegt  zwischen  dem  Siris 4)  und  Aciris 5) 
Heraclea6),  früher  Siris  genannt.  Die  Flüsse  Acalandrum  7), 
Casuentum8),  die  Stadt  Metapontum9),  mit  der  sich  der 
dritte  Bezirk  von  Italien  endigt.  Von  den  Brutiern  wohnen 
nur  die  Aprustaner 10)  mitten  im  Lande,  von  den  Lucanern 
aber  die  Atenater11),  Bantiner12),  Eburiner13),  Grumentiner14), 
Potentiner15),  Sontiner16),  Siriner,  Tergilaner17),  Ursentiner18) 
und  Volcentaner 19) ,  an  welche  sich  die  Numestraner 20) 
schliessen.  Ausserdem  ist  nach  Cato  die  lucanische  Stadt 
Thebä  untergegangen,  und  nach  Theopompus  auch  Pando- 
sia,  ebenfalls  eine  Stadt  der  Lucaner,  in  welcher  Alexander 
von  Epirus21)  starb. 

16. 
Hieran  schliesst  sich  der  zweite  Bezirk  von  Italien, 
welcher  die  Hirpiner,  Calabrien,  Apulien  und  die  Salentiner 
umfasst.  Er  liegt  an  dem  250,000  Schritte  grossen  Meer- 
busen, welcher  von  der  an  seiner  innersten  Seite  liegenden 
laconischen  Stadt  Tarentum,  zu  der  auch  eine  früher  dort 
befindliche  See-Colonie  gehört,  seinen  Namen  hat.  Tarent 
ist  von  dem  Vorgebirge  Lacinium  136,000  Schritte  entfernt, 
und  von  hier  an  geht  Calabrien  in  eine  Halbinsel  aus.    Die 


')  Crati.     2)  Misofato. 

3)  Diess  war  eine  ungefähr  720  v.  Chr.  von  Achäern  und  Tröze- 
nern  gegründete  Colonie,  und  um  die  Zeit  der  50.  Olympiade  eine 
der  reichsten  und  üppigsten  Städte  Italiens.  510  v.  Chr.  wurde  sie 
aber  von  den  Crotoniaten  gänzlich  zerstört.  Die  entflohenen  Syba- 
riten  legten  am  Flusse  Laus  ein  neues  Sybaris  an,  wurden  aber 
nach  6  Jahren  wiederum  von  den  Crotoniaten  vertrieben,  die  nun 
Thurii  daselbst  erbauten. 

')  Sinno.  5)  Agri.  6)  Torre  di  S.  Basilio.  7)  Scanzana.  8)  Basiento. 
9)  Torre  dimare.  ,0)  Castrovillari.  ")  Atena.  12)  S.  Maria  di  Vanze. 
lJ)  Eboli.  ")  Agromento.  15)  Potenza.  ™)  Sanza.  17)  La  Terza. 
18)  Tursi.     19)  Buccino.     20)  Nusco. 

-')  König  von  Epirus,  Bruder  der  Olympias,  der  Mutter  Alexan- 
ders des  Grossen.  Er  blieb  in  Italien,  als  er  den  Tarentinern  gegen 
die  Lucaner  und  Brutier  beistand,  326  v.  Chr. 


2(56  Drittes  Buch. 

Griechen  nannten  diess  Land  nach  ihrem  Feldherrn  Messa- 
pia,  vorher  nach  Peucetius,  dem  Bruder  des  Onotrius,  im 
salentini sehen  Gebiete ,  Peucetia.  Die  beiden  Vorgebirge 
sind  100000  Schritte  von  einander  entfernt.  Die  Breite  der 
Halbinsel  beträgt  von  Tarent  bis  Brundisium  zu  Lande 
35,000  Schritte,  viel  weniger  aber  vom  Hafen  Sasina1)  aus 
gemessen.  Städte  im  Lande,  von  Tarent  an,  sind:  Varia2) 
mit  dem  Beinamen  Apula,  Messopia3)  und  Alatium4);  an 
der  Küste:  Senum,  Callipolis 5),  jetzt  Anxa,  75,000  Schritte 
von  Tarent.  32,000  Schritte  weiter  liegt  das  Vorgebirge 
Acra  Japygia6),  woselbst  Italien  sich  am  weitesten  ins 
Meer  erstreckt.  Dann  folgt  10,000  Schritte  weiter  die  Stadt 
Basta7)  und  noch  9000  Schritte  weiter  Hydruntum.8)  Hier 
scheidet  sich  das  adriatische  Meer  von  dem  jonischen;  auch 
ist  hier  die  kürzeste  Ueberfahrt  nach  Griechenland  zu  dem 
gegenüberliegenden  Apollonia9),  da  die  Breite  der  dazwischen 
befindlichen  Meerenge  nicht  über  50,000  Schritte  beträgt.10) 
Pyrrhus,  König  von  Epirus,  fasste  zuerst  den  Plan,  auf 
Schiffbrücken  den  Fussmarsch  über  diese  Meerenge  fortzu- 
setzen, und  nach  ihm  hatte  M.  Varro,  der  im  Kriege  mit 
den  Seeräubern  die  Flotte  des  Pompejus  befehligte,  dieselbe 
Absicht.  Beide  wurden  aber  durch  andere  Umstände  an 
ihrem  Vorhaben  verhindert.  Von  Hydruutum  gelangt  man 
zu  dem  jetzt  wüsten  Soletum  n),  dann  folgt  Fratuertium  12), 
der  tarentinische  Hafen,  die  Schiffsstation  Miltopä,  Lupia13), 
Balesium14),  Cölia15),  das  von  Hydruntum  50,000  Schritte 
entfernte  Brundisium16),  mit  einem  der  besten  Häfen  Italiens, 
von  wo  aus  die  sicherste,  wenngleich  längste  Ueberfahrt 
nach  der  225,000  Schritte  entfernten  illyrischen  Stadt  Dyr- 
rhachium 17)  stattfindet.     An  Brundisium  grenzt  das  Gebiet 


I)  Porto  Ce.sareo.  2)  S.  |Maria  di  Varietto.  3)  Misagna.  4)  Latiana. 
s)  Gallipoli.    6)   Capo   di  S.   Maria  di  Leuca.    7)  Vaste.     8)  Otranto. 

9)  Pelina. 

,0)  Diese  Meerenge  scheint  also  in  jener  Zeit  nicht  so  breit  ge- 
wesen zu  sein,  wie  jetzt. 

II)  Solito.     ,2)    Copertino.      ,3)    Lecce.     u)  S.  Maria   delle  Lizza 
1S)  Ceglia.     lG)  Brindisi.     I7)  Durazza. 


Drittes  Buch.  267 

der  Pediculer.  Neun  Jünglinge  und  ebenso  viele  Jung- 
frauen von  illyrischer  Abkunft  sind  die  Stammeltern  von 
16  Völkerschaften.  Die  Städte  der  Pediculer  heissen:  Ru- 
diä1),  Egnatia2)  und  Barium3);  die  Flüsse:  Japyx,  welcher 
seinen  Namen  von  einem  Könige,  dem  Sohne  des  Dädalus 
hat,  nach  welchem  auch  Japygia  benannt  ist;  Pactius4)  und 
der  Aufidus5),  welcher  auf  den  hirpiuischen  Bergen  ent- 
springt und  bei  Canusium6)  vorbeifliesst. 

Hierauf  folgt  Apulien 7),  auch  das  Land  der  Daunier 8) 
genannt,  von  ihrem  Heerführer,  dem  Schwiegervater  des 
Diomedes.  In  demselben  liegen  die  Städte:  Salapia9),  be- 
kannt durch  Hannibal's  Ausschweifungen,  Sipontum10),  Uria11); 
der  Fluss  Cerbalus 12),  an  der  Grenze  der  Daunier,  der  Ha- 
fen Agasus13),  das  Vorgebirge14)  des  Berges  Garganus,  des- 
sen Entfernung  vom  salentinischen  oder  japygischen  Ge- 
biete, um  den  Garganus  herum  234,000  Schritte  beträgt; 
der  Hafen  Garnä15),  der  See  Pantanus16),  der  hafenreiche 
Fluss  Frento17),  das  apulische  Teanum18),  ferner  das  lari- 
nische  Cliternia19),  der  Fluss  Tifernus20),  dann  das  fren- 
tanische  Gebiet.21)  Es  giebt  also  3  Stämme  der  Apulier: 
nämlich  die  Teaner,  so  genannt  von  einem  Feldherrn  der 
Griechen;  die  Lucaner,  welche  von  Calchas  überwunden 
sind,  und  deren  Wohnsitze  jetzt  die  Atinater  inne  haben; 
die  Daunier,   wozu  ausser  den  oben  angeführten,  noch  die 


')  Rotigliano.  2)  Torre  di  Anazzo.  3)  Bari  4)  Patrica.  5)  Ofanto. 
<■)  Canosa    7)  Capitanata. 

8)  Daunus,  ein  angesehener  Illyrier,  der  wegen  Unruhen  aus  seinem 
Vaterlande  wanderte  und  sich  hier  niederliess.  Diomedes  flüchtete 
zu  ihm,  als  er  nach  seiner  Rückkehr  von  Troja  Argos  verlassen  musste. 
Ein  anderer  Daunus  war  ein  Sohn  des  Lycaon  von  Arkadien,  der 
mit  seinen  Brüdern  Japyx  und  Peucetius  nach  Italien  ging  und  sich 
in  dem  nach  ihm  benannten  Daunien  niederliess.  Plinius  scheint 
hier  beide  als  eine  Person  zu  betrachten. 

9)  Salpe.  ,0)  Manfredonia.  ll)  Ururi.  **)  Cervaro.  13)  Porto  greco. 
**)  Capo  Viestice.  ,D)  Rodi.  ,6)  Capo  di  Lesina.  ")  Fortore.  li)  Chiati 
Vecchio.     ,9)  Antica  Cliternia.     20)  Biferno. 

21)  Provinz  Abruzzo  citeriore. 


268  Drittes  Buch. 

Colonien  Luceria  *)  und  Venusia 2) ;  die  Städte:  Canu- 
sium  8),  Arpi  4),  welches  früher  von  seinem  Gründer,  dem 
Diomedes,  Argos  Hippium  genannt  wurde,  nachher  aber 
Argyrippa  hiess.  Diomedes  vertilgte  daselbst  die  Monader 
und  Darder,  sowie  zwei  Städte,  Apina  und  Trica5),  deren 
Namen  zum  scherzhaften  Sprichworte  geworden  sind. 

Im  Innern  des  zweiten  Bezirkes  liegen  ausser  der  ein- 
zigen Colonie  der  Hirpiner,  welche  ihren  frühem  Namen 
Maleventum,  mit  einem  von  besserer  Vorbedeutung,  nämlich 
Beneventum6)  gewechselt  hat,  die  Aeculaner7),  Aquilaner8), 
Abellinater 9)  mit  dem  Beinamen  Protroper,  Campsaner 10), 
Caudiner11),  Ligurer12),  mit  dem  Beinamen  Cornelianer,  oder 
auch  Bebianer,  die  Vescellaner,  Aeclaner,  Aletriner 13), 
Abellinater14)  mit  dem  Beinamen  Marser,  Atraner15),  Aca- 
ner16),  Alfellaner17),  Attinater 18),  Arpaner19),  Borcaner20), 
Collatiner21),  Corinenser22),  Cannenser23),  bekannt  durch 
die  bei  ihrer  Stadt  erfolgte  Niederlage  der  Römer,  Dinner, 
Focentaner24),  Genusiner25),  Herdonienser26),  Hyriner27) 
Larinater 28)  mit  dem  Beinamen  Frentaner,  Merinater 29)  am 


')  Luccra. 

-)  Venosa,  der  Geburtsort  des  Dichters  Horaz.  Vergl.  Horaz 
Satyr.  Bd.  II.  Sat.  1.  v.  34. 

3)  Canosa.     4)  Arpino. 

•"')  Ganz  unbedeutende,  nichtige  Dinge  nannten  die  Römer  Tricas 
et  Apinas. 

°)  Benevento.  7)  Ruinen  bei  Mirabella.  8)  Monte  Chilone.  9)  Avig- 
liano.     ,0)  Conza. 

u)  Forchia.  In  der  Nähe  von  Gaudium  befinden  sich  die  cau- 
dinischen  Engpässe  (furculae  Caudinae),  wo  einst  die  ganze  römische 
Armee  unter  den  Consuln  T.  Veturius  Calvinus  und  Spurius  Postu- 
mius  Albanus  von  den  Samnitern  gefangen  und  gezwungen  wurde, 
durch  das  Joch  zu  gehen.     Vergl.  Livius  IX.  2. 

'"-)  Taurasia.  ,3)  Alatri.  M)  Marsico  vetere.  15)  Atripella.  lü)  Troja. 
,7)  Guarda  Alfiera.     ,8)  Atena.     >9)  Arpaja.     20)   Citta    Borella. 

2I)  Coglionisi.     22)  Cornito  vecchio. 

23)  Canne.  Im  zweiten  punischen  Kriege  siegte  Hannibal  liier 
über  die  Römer,  216  v.  Chr. 

M)  Forenza.  w)  Ginosa.  26)  Ordona.  27)  Oria.  2S)  Larina.  29)  Vieste. 


Drittes  Buch.  269 

Garganus,  Mateolaner 1),  Netiner2),  Rubustiner 3),  Silvi- 
ner  4),  Strabelliner  5),  Turnientiner  6),  Vibinater7);  Venu- 
siner 8),  Ulurtiner. 9)  Mitten  im  Lande  wohnen  folgende 
calabrische  Völker:  die  Agetiner10),  Apamestiner  n),  Argen- 
tiner,  Butuntinenser 12),  Decianer,  Grumbestiner,  Norbanen- 
ser,  Palionenser13),  Sturniner 14),  Tutiner. 15)  Salentinische 
Völker  sind:  die  Aletiner16),  Basterbiner H),  Neretiner 18), 
Uxentiner19)  und  Veretiner. 20) 

17. 
Nun  folgt  der  vierte  Bezirk,  den  die  tapfersten  Völker 
Italiens  bewohnen.  An  der  Küste  liegt  vom  Tifernus21)  an 
das  Gebiet  der  Frentaner22),  der  hafenreiche  Fluss  Trinium23), 
die  Städte  Histonium24) ,  Buca25)  und  Ortona26),  der  Fluss 
Aternus.27)  Im  Innern  wohnen  die  frentanischen  Anxaner28), 
die  obern  Carentiner29),  die  untern  Carentiner 30) ,  und  La- 
nuenser;im  Marrucinischen  die  Teatiner31);  im  Pelignischen32) 
die  Corfinienser33),  Superäquaner34),  Sulmanenser35);  im  Mar- 
sischen36) die  Anxantiner37),  Atinater38),  Fucenter,  Lucen- 
ser 39),  Maruviner,  das  den  Albensern  gehörende  Alba 40)  am 
See  Fucinus41);  die  äquiculanischen  Cliterniner  und  Carseo- 
laner42);  die  vestinischen  Augulaner43),  jPinnenser44),  Pel- 
tuinater45),  an  welche  die  cismontanischen 46)  Aufinater47) 
grenzen;  im  Gebiete  der  Sommiter,  welche  die  Römer  Sabel- 
ler,  die  Griechen  Sauniter  nennen:  die  Colonien  Alt-Bovia- 

-  ')  Motta  della  Regina.  "-)  Noja.  3)  Ruvo.  4)  Savigliano.  5)  Ra- 
polla.  ß)  Due  Torre.  7)  Bovino.  8)  Venosa.  9)  Gurigliano.  10)  Ajeta, 
'•)  Vieste.  12)  Bitonto.  «)  Palo.  M)  Torchiarolo.  15)  Tutiano.  ,G)  Alez- 
zano.  ,7)  Paravita.  ,8)  Nardo.  10)  ügento.  20)  Verato.  2l)  Biferno. 
-2)  Abruzzo  citeriore.  23)  Trigno.  -*)  Guasto  d'Ammone.  -5)  Termoli. 
26)  Ortona  a  niare.  27)  Pescara.  28)  Loniciana.  29)  Civita  Burella. 
3°)  Carlentino.    31)  Chieti.    32)  Campi  di  S.  Pelino.     33)  Pentinia. 

M)  Castel  vecchio  Subegno. 

33)  Sulmona,  die  Vaterstadt  des  Dichters  Ovid.  Vergl.  Ovids 
Tristi  B.  IV.  Eleg.  9. 

36)  Ducato  di  Marsi.  87)  Avezzana.  38)  Civita  dAntino.  w)  Luco. 
")  Albi,  41)  Lago  di  Celano.  42)  Carsoli.  *3)  Civita  S.  Angelo.  ■»)  Ci- 
vita di  Penna.     45)  Monte  bello.     K)  Diesseits  des  Apennin. 

•")  Ofena  la  Pagliana. 


270  Drittes  Buch. 

nuni  *)  und  Bovianum  Undecumanorum. 2)  Die  Aufidena- 
ter  3),  Eseminer  4),  Fagifulaner  5) ,  Ficolenser,  Säpinater  6), 
Tereventinater  7);  im  Lande  der  Sabiner  die  Amiterniner  8), 
Curenser9),  Forum  Decii10)  Forum  novum11),  die  Fidena- 
ter12),  Interamnater13),  Nursiner14),  Nomentaner 15),  Reati- 
ner16),  Trebulaner  mit  dem  Beinamen  Mutuscer17)  und  Suffe- 
nater18),  Tiburter 19) ,  Tarinater. 20)  In  diesem  Lande  sind 
von  den  Aequiculern  untergegangen:  die  Cominer,  Tadiater, 
Cädicer  und  Alfaterner.  Gellianus21)  berichtet,  dass  die  mar- 
sische Stadt  Archippa,  welche  von  Marsyas,  einem  Anfüh- 
rer der  Lydier  erbauet  war,  vom  See  Fucinus  Verseilungen 
sei22);  desgleichen  schreibt  Valerianus 23),  dass  die  Kömer 
die  Stadt  der  Viticiner  im  Picenischen  zerstört  hätten.  Die 
Sabiner,  welche,  wie  Einige  glauben,  wegen  ihrer  Frömmig- 
keit und  ihrer  heiligen  Gebräuche  Seviner u)  heissen,  woh- 
nen an  den  velinischen  Seen25)  auf  thauigen  Hügeln.  Der 
Fluss  Nar  verdirbt  durch  seinen  Schwefelgehalt  ihr  Wasser; 
er  kommt  vom  Berge  Fiscellus 26),  stürzt  sich  bei  den  Hai- 
nen der   Vacuna 27)    und  neben  Reate  in  jene   Seen,   und 


')  Bojano. 

-)  Von  der  11.  Legion,  aus  welcher  Soldaten  hieher  zur  Gründung 
der  Colonie  geschickt  wurden. 

3)  Alfidena.  4)  Isemia.  5)  Tojana.  6)  Sepino.  '•)  Trivento.  8)  Ama- 
trice.  9)  Correze.  10)  Fara.  ")  Fornano.  12)  Castel  Giubileo.  !3)  Te- 
ramo.     14)  Norcia.     ,5)  La  Mentana.     16)  Rieti. 

1T)  Monte  Leone  della  Sabina. 

»»)  Trivigliano.  19)  Tivoli.  20)  Tarano.  21)  Ein  nicht  weiter  be- 
kannter Schriftsteller.  « 

22)  Spuren  dieser  Stadt  finden  sich  noch  in  der  Nähe  des  Ufers 
des  Sees  bei  Trasacco.  Man  bemerkt  sie  bei  niedrigem  Wasserstande. 

23)  Ebenfalls  unbekannt. 

-A)  Von  GsßtG&ai:  verehren. 

25)  Es  gab  deren  zwei;  der  eine  im  Herzogthum  Spoleto  heisst 
jetzt  Lago  di  Pie  de  Lugo,  der  andere  im  Reatinischen  Lago  di  S. 
Susanna. 

26)  Monte  Fiscello  bei  der  Stadt  Civita  reale.  Der  Fluss  Nar 
heisst  jetzt  Velino  bis  nach  Rieti,  von  da  aber,  wo  er  über  den  Seen 
hinaus  ist,  Nera. 

-7)  Die  Göttin  der  Ruhe  nach  der  Ernte;   daher  feierten   ihr  die 


Drittes  Buch.  271 

führt,  nach  dem  er  sie  verlassen  hat,  sein  Wasser  dem 
Tiber  zu.  Von  der  andern  Seite  her  leitet  der  Anio  *),  wel- 
cher auf  dem  trebanischen  Berge2)  entspringt,  drei  reizende 
Seen,  von  denen  Sublaqueum8)  den  Namen  hat,  in  den  Tiber. 
M.  Varro  sagt,  dass  der  cutilische  See4)  im  reatinischen 
Gebiete,  auf  welchem  eine  Insel  schwimmt,  die  Mitte  von 
Italien  sei.  Unterhalb  dem  Lande  der  Sabiner  liegt  Latium, 
zur  Seite  Picenum  und  im  Rücken  Umbrien,  indem  die 
Bergrücken  des  Apenninus  das  Sabinerland  auf  beiden  Sei- 
ten einschliessen. 

18. 
Der  fünfte  Besirk  ist  Picenum5),  einst  ein  sehr  volk- 
reiches Land,  denn  360,000  Picentiner  schlössen  mit  den  Rö- 
mern ein  Bündniss. 6)  Sie  stammen  von  den  Sabinern,  in 
Folge  eines  angelobten  heiligen  Frühlings7)  ab.  Sie  wohnten 
am  Flusse  Aternus8),  da  wo  jetzt  das  adrianische  Gebiet 
und  die  6000  Schritte  vom  Meere  entfernte  Colonie  Adria  9) 
liegt.  Zu  bemerken  sind:  der  Fluss  Vomanum10),  das  prä- 
tutianische  u)  und  palmensische  Gebiet;  ferner  Castrum  no- 
vum  12j,  der  Fluss  Batinum 13),  Truentum  w)  mit  dem  Flusse 
gleichen  Namens15),  der  einzige  Ort  der  Liburner,  welcher 
in  Italien  noch  übrig  geblieben  ist.     Der  Fluss  Albula16), 


Landleute  im  December  ein  Fest ,  das  Vacunalia  hiess.  Sie  hatte 
auch  zu  Rom  einen  Tempel.  Die  Römer  erhielten  ihren  Dienst  von 
den  Sabinern.    Ovids  Fast.  IV.  307. 

•)  Teverone. 

2)  Die  Berge  bei  Trevi. 

-)  Subiaco. 

'•)  Lago  di  Contigliano. 

5)  Abruzzo  ulteriore  und  ein  Theil  der  Mark  Ancona. 

6)  Nach  ihrer  Niederlage  durch  den  Consul  Publ.  Sempronius 
268  v.  Chr. 

7)  Ein  solches  Gelübde  gebot  nicht  nur,  alle  Erzeugnisse  des 
Frühlings  den  Göttern  zu  weihen,  sondern  auch  die  mannbare  Jugend, 
welche  das  Mutterland  nicht  ernähren  konnte,  zur  Anlegung  einer 
Colonie  fortzuschicken. 

8)  Pescara.     9)  Atri.     ,0)  Vomano.     u)  Teramo.     n)  Giulia  nova. 
13)  Salinello.     14)  Civitella  del  Tronto.     ,s)  Tronto.     16)  Aso. 


272  Drittes  Buch. 

Tervium 1),  mit  dem  das  prätutianische  Gebiet  sich  schliesst, 
und  das  picentische  beginnt.  Weiterhin  folgt:  die  Stadt 
Cupra2),  Castellum  Firmanorum3)  und  darüber  die  Colonie 
Asculum  4),  die  berühmteste  in  Picenum.  Im  Innern  des 
Landes  liegt  Novana5);  an  der  Küste  Cluana6),  Potantia7), 
Numanas),  welches  von  den  Siculern  erbauet  ist.  Eben- 
dieselben legten  auch  die  Colonie  Ancona  an,  die  am  Vor- 
gebirge Cunerum9)  da  liegt,  wo  die  Küste  einen  Ellbogen 
bildet,  183,000  Schritte  vom  Garganus  entfernt.  Im  Innern 
des  Landes  wohnen  die  Auximater 10),  Beregraner n),  Cin- 
gulaner12),  Cuprenser13)  mit  dem  Beinamen  Montaner,  Fa- 
larienser14),  Pausulaner16),  Planinenser16),  Ricinenser17),  Sep- 
tempedaner 1S),  Tollentinater 19),  Trejenser20),  Urbesalvier21) 
und  Pollentiner. 

19. 
Hieran  schliesst  sich  der  sechste  Bezirk,  welcher 
Umbrien,  nebst  dem  'um  Ariminum  22)  belegenen  gallischen 
Gebiete  umfasst.  Bei  Ancona  beginnt  die  gallische  Küste, 
auch  Gallia  togata23)  genannt.  Die  Siculer  und  Liburner 
hatten  den  grössten  Theil  dieses  Landstriches  im  Besitz, 
namentlich  das  palmensische,  prätutianische  und  adrianische 
Gebiet.  Sie  wurden  aber  von  den  Umbrern,  diese  von  den 
Etruriern  und  letztere  wieder  von  den  Galliern  vertrieben. 
Die  Umbrer  werden  für  das  älteste  Volk  Italiens  gehal- 
ten, und  man  glaubt,  dass  sie  deshalb  von  den  Griechen 
Ombrier  genannt  sein,  weil  sie  eine  durch  Regengüsse  ver- 
ursachte Ueberschwemmung  der  Erde  erlebt  hätten.  Die 
Thuscer  sollen   300   ihrer  Städte    erobert  haben.     An  der 


')  Grotte  a  inare. 

2)  Ruinen  bei  dem  Dorfe  Marano. 

3)  Fermo.    4)  Ascoli.    5)  Monte  di  Nove. 

G)  An  der  Mündung  des  Chiento,  wo  jetzt  Piano  di  S.  Giacomo. 
7)  Monte  Santo.  8)  Umana  distrutta.  9)  Monte  Comero.  I0)  Osimo. 
u)  Monte  Filatrano.  ,2J  Cingoli.  ,3)  Ripatransone.  14)  Falleroni. 
,ä)  Grotta  Azzolino.  i6)  S.  Ginesio.  ,7)  Ruinen  bei  Recanati.  ,8)  S. 
Severino.  ,9)  Tollentino.  20)  Treja.  -')  Urbisaglia.  2-)  Rimini.  23)  Oder 
cisalpina. 


Drittes  Buch.  273 

Küste  befindet  sich  der  Fluss  Aesis1),  Senagallia 2) ,  der 
Fluss  Metaurus3),  die  Colonien  Fanum  Fortuna4),  und  Pi- 
saurum5)  mit  einem  Flusse6)  gleichen  Namens.  Im  Innern 
liegen  Hispellum7)  und  Tuder.8)  Ausserdem  wohnen  dort: 
die  Ameriner9),  Attidiater 10) ,  Asisinater  n),  Arnater12),  Ar- 
sinater 1S),  Camerter  14),  Casuentillaner 15),  Carsulaner 16),  Do- 
later  mit  dem  Beinamen  Salentiner,  Fulginater17),  Foro- 
flaminienser18),  Forojulienser 19)  mit  dem  Beinamen  Concu- 
bienser,  Forobrentaner20),  Forosompronienser 21),  Iguviner22), 
Interamnater  oder  Narter23),  Mevanater24),  Mevanionenser25), 
Matilicater 26),  Narnienser 27) ,  deren  Stadt  früher  Nequinum 
hiess,  Nuceriner 28)  oder  Favonienser  oder  Camelaner,  Ocri- 
culaner 2!)),  Ostraner 30),  Pitulaner 31),  die  zum  Theil  Pisuer- 
ter,  zum  Theil  Mergantiner  heissen,  Pelestiner32),  Sentina- 
ter33),  Sarsinater34),  Spoletiner35),  Suasaner,  Sestinater 36), 
Suillater37),  Tadinater 38),  Trebiater 39),  Tuficaner40),  Tifer- 
nater,  welche  in  die  Tiberiner41)  und  Metaurenser 42)  zer- 
fallen, Vessinicater43),  Urbinater,  welche  theils  Metauren- 
ser44), theils  Hortenser45)  heissen,  Vettonenser46),  Vindina- 
ter 47),  Viventaner. 4S) 

In  dieser  Gegend  sind  untergegangen:  die  Feliginater 
und  die  Völker,  welche  Clusiolum  oberhalb  Interamma  inne 
hatten;  auch  die  Sarranater  mit  den  Städten  Acerrä 49)  oder 
Vafriä  und  Turocalum  oder  Vettiolum.  Ferner  die  Solina- 
ter,  Curiater,  Fallienater  und  Apiennater.  Auch  die  Arie- 
nater  mit  Crinovolum,  die  Usidicaner,  Plangenser,  Pisinater 


')  Esio.  2)  Sinigaglia.  3)  Metaro  oder  Mitro.  *)  Fano.  5)  Pesaro. 
*)  Foglia.  7)  Ispello  oder  Spello.  »)  Todi.  9)  Amelia  in  Spoleto. 
,0)  Attigio.  ")  Assisi.  ,!i>  Civitella  d'Arno.  13)  Jesi.  !i)  Camerino. 
,5)  Valle  Casentino.  ,6)  Monte  Castrilli.  ,7)  Foligno.  18)  Forfiamma,. 
,9)  Zugliano.  *»)  Formigine.  2!)  Fossombrone.  22)  Gubbio.  23)  Terni. 
24)  Bevagna.  25)  Galeata.  26)  Matelica.  21)  Narni.  28)  Nocera.  29)  Otri- 
colo.  30)  Orziano.  3»)  Pitigliano.  32)  Piobbico.  33)  Beim  heutigen 
Sasso  Ferrato.  3i)  Sarcina.  35)  Spoleto.  36)  Sestino.  37)  Sigello. 
3*)  Gualdo.  39)  Trevi.  *>)  Ficano.  ")  Tifi.  42)  S.  Angelo  in  Vado. 
a)  Badia  del  Vescova.  4i)  Urbaria.  «)  Urbino.  4i)  Bettona.  47)  S. 
Venzano.    48)  Cattolico. 

49)  Lag  an  der  Stelle  des  heutigen  Anzola. 

18 


274  Drittes  Buch. 

und  Cälestiner.  Nach  Cato's  Bericht  ist  das  oben  erwähnte 
Ameria  964   Jahre  vor  dem  Kriege  mit  Perseus1)  erbauet. 

20. 

Der  achte  Bezirk  wird  von  dem  Ariminus2),  dem 
Padus  und  dem  Apenninus  begrenzt.  An  der  Küste  befin- 
det sich  der  Fluss  Crustumium3),  die  Colonie  Ariminum4) 
nebst  den  Flüssen  Ariminus  und  Aprusa. 5)  Hier  ist  auch 
der  Fluss  Rubico6),  der  einst  die  Grenze  von  Italien  bil- 
dete. Auf  ihn  folgen  der  Sapis7),  Vitis8)  und  Anemo9); 
Ravenna,  eine  Stadt  der  Sabiner,  mit  dem  Flusse  Bedesis10) 
105,000  Schritte  von  Ancona  entfernt.  Unweit  des  Meeres 
liegt  die  umbrische  Stadt  Brutium. n)  Im  Innern  liegen  die 
Colonien  Bononia12),  Felsina  genannt  als  sie  noch  Haupt- 
stadt von  Etrurien  war,  Brixillum 13),  Mutina14),  Parma, 
Placentia15);  die  Städte  Cäsena16),  Claterna17),  Farum  Clo- 
dii18),  Forum  Livii19),  Forum  Popilii20),  Forum  Truentinorum21), 
Forum  Cornelii s2) ;  die  Faventiner23),  Fidentiner 24) ,  Otesi- 
ner,  Padinater  2'°),  Regienser26)  von  Lepidus  gegründet,  So- 
lonater27)  und  die  gallianischen  Salter,  welche  auch  Aqui- 
nater  heissen,  die  Tanetaner28),  Veleiater29)  oder  alten  Re- 
giater30)  und  die  Urbanater. 31)  In  diesem  Lande  sind  die 
Bojer,  welche  nach  Cato  aus  112  Stämmen  bestanden,  und 
die  Senoner,  welche  Rom  erobert  hatten32),  untergegangen. 

Der  Padus 33)  fliesst  aus  dem  Schoosse  des  Berges  Ve- 
sulus  34),  einem  der  höchsten  Gipfel  der  Alpen,  an  der 
Grenze  der  vagiennischen  Ligurer,  aus  einer  sehenswerthen 
Quelle 35)  hervor,  verbirgt  sich  dann  in  einem  unterirdischen 


!)  Der  Krieg  mit  Perseus  begann  171  v.  Chr.;  er  wurde  168  bei 
Pyclna  geschlagen. 

2)  Marcachia.  3)  Conca.  4)  Riniini.  5)  Ausa.  6)  Luso,  nach  An- 
dern der  Pisatello.  7)  Savio,  auch  Rio  di  Cesena  genannt.  8)  Mon- 
tone.  9)  Lamone.  10)  Renco.  ")  Bei  Palazzuolo?  I2)  Bologna.  13)  Bre- 
telo.  w)  Modena.  ,5)  Piacenza.  ,6)  Cesena.  n)  Maggio.  18)  Fornochia. 
,9)  Forli.  20)  Forlimpopoli.  21)  Bertinoro  oder  Brittonoro.  -2)  Imola. 
23)  Farenza,  24)  Borgo  S.  Domino.  25)  Schloss  Bohdeno.  26)  Reggio 
in  Modena.  27)  Citta  del  Sole.  28)  Taneto.  «•)  Monte  Veglio.  »)  Reg- 
giola.  31)  Sapigno.  32)  390  v.  Chr.  33)  Po.  34)  Viso.  35)  Sie  heisst 
"Visenda.    8.  auch  II.  B.  106.  Cap. 


Drittes  Buch.  275 

Gange,  und  kommt  im  forovibiensischen  Gebiete *)  wiederum 
zum  Vorschein.  Er  steht  keinem  andern  Flusse  an  Be- 
rühmtheit nach.  Bei  den  Griechen  heisst  er  Eridanus  und 
ist  durch  die  Strafe  des  Phaeton 2)  bekannt.  Beim  Aufgange 
des  Hundssternes  schwillt  er  vom  Schneewasser  an,  allein7 
obgleich  er  dann  für  Schiffe  zu  reissend  ist,  so  nimmt  er 
doch  von  den  Aeckern  nichts  mit  sich  fort,  sondern  be- 
wässert sie  nur  und  macht  sie  dadurch  fruchtbarer.  Er 
durchfliesst  eine  Strecke  von  388,000  Schritten,  nimmt 
nicht  nur  schiffbare  Apennin-  und  Alpenflüsse,  sondern 
auch  ungeheure  Seen  in  sich  auf,  und  führt  überhaupt  30 
Flüsse  ins  adriatische  Meer.  Die  berühmtesten  von  diesen 
sind,  auf  der  Seite  des  Apenninus:  der  Tanarus3),  Trebia4) 
im  Placentinischen,  Tarus5),  Incias6),  Gabellus7),  Sculten- 
na8)  und  Rhenus9);  von  den  Alpen  her:  der  Stura,  Orgus10), 
die  beiden  Duria11),  der  Sessites12),  Ticinus13),  Lambrus14), 
Addua15),  Ollius 16)  und  Mincius. 17)  Kein  anderer  Fluss 
erhält  auf  so  kurzer  Strecke  einen  grössern  Zuwachs.  Da- 
her presst  sich  seine  Wassermasse  stets  vorwärts,  wühlt  in 
die  Tiefe  und  wird  dem  Lande  furchtbar,  denn  obgleich  er 
zwischen  Ravenna  und  Altinum18)  in  mehrere  Kanäle  und 
Gräben  auf  eine  Strecke  von  120,000  Schritten  abgeleitet 
ist,  so  soll  er  doch,  wo  er  am  weitesten  austritt,  7  Meere19) 
bilden. 

Ein  schmaler  Arm  von  ihm  zieht  sich  nach  Ravenna 
hin,  der  Padusa20)  heisst,  früher  aber  Messanikus  genannt 
wurde.    Die  nächste  Mündung  von  da  an  bildet  einen  ge- 


')  Pignerolo. 

-)  Vergl.  Ovid's  Metamorph.  II.  Bd.  304. 
3)  Tanaro. 

■)  Trebbia.     Hier  fiel    die   berühmte   Schlacht,    218  v.  Chr.,  im 
zweiten  punischen  Kriege  vor. 

5)  Taro.    °)  Lenza.    7)  Gavecello.     8)  Panaro.    9)  Reno.    ,0)  Orco. 

n)  Dora  Baltea  und  Dora  Ripera. 

,2)  Sesia.    !3)  Tesino.    M)  Lambro.  ,5)  Adda.   ,ß)  Oglio.    I7)  Mincio 

,8)  Altino.     I9)  Septem  maria;  siehe  weiter  unten. 

,2°)  Portp  nuovo  della  Bajona. 

18* 


276  Drittes  Buch. 

räumigen  Hafen  l),  der  Vatreni 2)  heisst,  aus  dem  der  Kai- 
ser Claudius,  als  er  siegreich  aus  Britannien  zurückkehrte 3), 
in  einem  sehr  grossen  Schiffe,  das  mehr  einem  Hause 
glich,  ins  adriatische  Meer  auslief.  Ehemals  hiess  sie  die 
eridanische  Mündung,  nach  Andern  die  spinetische  von  der 
Stadt  Spina,  welche  daneben  lag,  von  Diomedes  erbauet 
war,  und,  wie  man  aus  den  zu  Delphi  befindlichen  Schätzen4) 
schliesst,  viel  Keichthum  besass.  Hier  erhält  der  Padus 
durch  den  Fluss  Vatrenus,  welcher  aus  dem  forocornelien- 
sischen  Gebiete5)  kommt,  neuen  Zuwachs. 

Die  dann  kommende  Mündung  heisst  Caprasiä6),  die 
folgende  Sagis,  und  endlich  Volane 7),  früher  Olane  genannt. 
Alle  diese  Kanäle  und  Gräben  haben,  von  Sagis  aus,  die 
Thuscer  zuerst  gemacht,  indem  sie  den  heftigeu  Strom  quer 
durch  die  atrianischen  Sümpfe,  welche  die  7  Meere  genannt 
werden,  nach  dem  berühmten  Hafen  der  thuscischen  Stadt 
Atria8)  leiteten.  Von  dieser  Stadt  hiess  das  Meer,  welches 
wir  jetzt  das  adriatische  nennen,  vormals  das  atriatische. 

Nun  folgen9)  die  wasserreichen  Mündungen  Carbo- 
naria10)  und  die  philistinischen  Teiche11),  die  auch  der 
Tartarus  genannt  werden.  Sie  entstehen  sämmtlich  durch 
den  Austritt  des  philistinischen  Kanals12),  wozu  noch  die 
Flüsse  Athesus 13)  von  den  trideutinischen  Alpen  und  Togi- 
sonus 14)  aus  dem  patavinischen  Gebiete  kommen.  Ein  Theil 
dieser  Gewässer  bildet   den  nächsten  Hafen  Brundulum15), 


')  Porto  di  Primaro. 

"-)  Vom  Flusse  Vatrenus  (Santerno),  welcher  in  diesen  Arm  des 
Po  fallt. 

3)  44  v.  Chr. 

4)  Die  von  den  Spinetern  dorthin  geschenkt  waren. 

5)  Imola. 

6)  Die  Stelle  von  dieser  und  der  jetzigen  Mündung  nehmen  jetzt 
die  stagni  di  Comachio  ein.  Nur  eine  Mündung  findet  sich  noch  da- 
selbst, welche  Porto  di  magnavacca  heisst,  die  andere  ist  versandet. 

7)  Porto  di  Volano.     8)  Adria.    »)  Nördlich. 

,0)  Bocca  detta  la  Maestra.  »)  Porto  di  Pozzatini.  '*-)  Polosella. 
»»)  Et  seh.    •<)  Concone  Togna.     ,s)  Brondolo. 


Drittes  Buch.  277 

sowie  die  beiden  Medoacischen  Flüsse  *)  und  der  clodiscbe 
Kanal  den  Edro2)  bilden.  Mit  diesem  vereinigt  sieb  der 
Padus  und  dureb  diese  Mündungen  ergiesst  er  sich.  Die 
Meisten  glauben,  er  bilde,  gleichwie  der  Nil  in  Egypten 
das  Delta,  ein  Dreieck  von  2000  Stadien  im  Umfange.  So 
sehr  ich  mich  schäme,  bei  der  Beschreibung  Italiens  von 
den  Griechen  etwas  zu  entlehnen,  so  muss  ich  doch  anfüh- 
ren, dass  Metrodorus  von  Scepsis3)  behauptet,  der  Padus 
habe  seinen  Namen  von  den  Fichten,  welche  in  grosser 
Menge  an  seiner  Quelle  wachsen,  und  in  der  gallischen 
Sprache  Padi  heissen,  erhalten.  In  der  Sprache  der  Li- 
gurer  heisst  er  Bodincus,  was  seine  fast  grundlose  Tiefe 
andeutet.  Diess  erweist  sich  durch  die  dort  liegende  Stadt 
Industria4),  welche  vormals  Bodincomagum  hiess,  und  in 
deren  Nähe  der  Padus  sehr  tief  zu  werden  beginnt. 

21. 
Der  jetzt  folgende  elfte  Bezirk  heisst  der  transpa- 
d an i sehe5);  er  liegt  ganz  im  Innern  des  Landes  und  vom 
Meere  wird  ihm  alles  durch  diesen  fruchtbaren  Strom  zu- 
geführt. Städte  darin  sind:  Vibi  Forum6)  und  Segusio.7)  Co- 
lonien  am  Fusse  der  Alpen:  Augusta  Taurinorum8),  von 
einem  alten  Stamme  der  Ligurer  gegründet;  hier  wird  der 
Po  schiffbar.  Dann  Augusta  Prätoria9)  im  Lande  der  Sa- 
lasser,  neben  den  Alpenpässen  Grejä10)  und  Peniä.11)  Durch 
letztern  sollen  die  Carthaginienser,  durch  erstem  aber  Her- 
kules gegangen  sein.  Die  Stadt  Eporedia12),  vom  römischen 
Volke  durch  einen  Befehl  der  sibyllinischen  Bücher  erbauet. 
Die  Gallier  halten  die  Eporedier  für  gute  Reiter.  Vercella 
Libicorum13)  ist  von  den  Salluviern  erbauet,  Novaria14) 
von  den  Vertacanacoren  und  gehört  jetzt  zum  Distrikte  der 

*)   Die  Brenta  und  Bacchiglione.     -)  Porto  di  Chioggia. 
:1)  Lebte  im  zweiten  Jahrh.  v.  Ohr. 

Yerrua.    5)  Jenseits  des  Po.    8)  Castel  Fiori.   ")  Suse. 
8)  Turin.     9)  Aosta. 

,0)  Zwischen  dem  Mont  Iseran  und  Mont  Blanc. 
n)  Zwischen  dem  Mont  Blanc  und  dem  grossen  St.  Bernhard. 
vi)  Ivrea.     I3)  Vercelli.     14)  Novara. 


278  Drittes  Buch. 

Vocontier,  nicht,  wie  Cato  glaubt,  zu  dem  der  Ligurer. 
Die  Lavier  und  Maricier  aus  dem  Stamme  der  Ligurier 
haben  in  der  Nähe  des  Padus  Ticinum1)  erbauet,  sowie 
die  Bojer,  welche  über  die  Alpen  gereist  waren,  Laus  Pom- 
peja2),  und  die  Insubrer  Mediolanum 3)  baueten.  Cato  giebt 
an,  dass  die  Bewohner  vonComum4),  Bergamum5)  und  Li- 
ciniforum  6)  und  andere  Völker  jener  Gegend  von  den 
Orobiern  herstammten,  gesteht  aber,  dass  er  den  Ursprung 
dieses  Volkes  nicht  kenne,  wogegen  Cornelius  Alexander7) 
sie  aus  Griechenland  abstammen  lässt,  weil  ihr  Name  so- 
viel als  Bergbewohner  bedeute. 

In  dieser  Gegend  sind  verschwunden:  Die  orobische 
Stadt  Barra,  woher  nach  Cato  die  Bergomater  abstammen, 
doch  soll  nach  ihm  Barra  eine  höhere  und  glücklichere 
Lage  gehabt  haben;  ferner  die  Caturiger,  ein  verbannter 
Stamm  der  Insubrier,  das  oben  genannte  Spina,  auch  das 
reiche  Melpum,  welches  nach  Cornelius  Nepos  von  den 
Insubriern,  Bojern  und  Senonen  an  demselben  Tage  zerstört 
ist,  an  welchem  Camillus8)  Veji  einnahm. 

22. 

Nun  folgt  der  zehnte,  am  adriatischen  Meere  belegene 
Bezirk.  Zu  ihm  gehört:  Venetia,  der  von  dentarvisonischen9) 
Bergen  kommende  Fluss  Silis 10),  die  Stadt  Altinum,  der  auf 
den  opiterginischen  Bergen  entspringende  Fluss  Liquentia11), 
mit  einem  Hafen  desselben  Namens,  die  Colonie   Concor- 


!)  Pavia.  8)  Lodi.   3)  Mailand.  '')  Como. 
B)  Bergamo.    6)  Barlasina. 

7)  Von  Kotyaeum  in  Phrygien  oder  (nach  Suidas)  von  Milet, 
griechischer  Schriftsteller  um  84  v.  Chr.,  war  Sclave  des  Cornelius 
Leutulus,  der  ihm  die  Freiheit  schenkte.  Er  nannte  sich  deshalb 
auch  Cornelius,  und  seiner  ausgebreiteten  Kenntnisse  wegen  hiess  er 
Polyhistor.     Kam  im  Brande  seines  Hauses  um. 

8)  395  v.  Chr.  S.  Livius  V.  19.  Die  Stadt  wurde  später  wieder 
aufgebauet  und  heisst  jetzt  Melzo. 

»)  Bei  Treviso. 

,0)  Sile,  an  dessen  Ufern  die  Ruinen  von  Altinum  liegen. 

")  Liven/.a. 


Drittes  Buch.  279 

dia  *),  die  Flüsse  und  der  Hafen  Romatinum  2),  die  Flüsse 
Tilaventum  majus  3)  und  minus4),  Anaxum  5),  in  welchen 
der  Varranus6)  fliesst,  der  Alsa7),  Natiso8),  der  nebst 
dem  Turms9)  vor  der  15,000  Sehritte  vom  Meere  entfern- 
ten Colonie  Aquileja  vorbeifliesst.  Diesen  Landstrich  be- 
wohnen die  Carner,  und  den  angrenzenden  die  Japyder; 
hier  ist  zu  bemerken :  der  Fluss  Timavus 10),  das  durch  sei- 
nen Wein  berühmte  Castell  Pucinum11),  der  tergistinische 
Busen 12),  die  Colonie  Tergeste  13),  23,000  Schritte  von  Aqui- 
leja entfernt.  Ueber  6000  Schritte  weiter  und  189,000 
Schritte  von  Ravenna  fiiesst  der  Formio u),  die  ehemalige15) 
Grenze  des  vergrösserten  Italiens,  jetzt  aber  die  von  Istrien. 
Istrien  hat  seinen  Namen  von  dem  Flusse  Ister16),  von 
welchem  Mehrere,  unter  andern  auch  Nepos,  der  doch  am 
Padus  wohnte,  behaupten,  dass  er  aus  dem  Danubius,  der 
auch  Ister  heisst,  den  Mündungen  des  Padus  gegenüber,  ins 
adriatische  Meer  fliesse,  und  dass  durch  den  von  beiden 
entgegengesetzten  Seiten  kommenden  Andrang  dieser  Flüsse 
das  dazwischen  liegende  Meer  süss  sei;  allein  sie  irren 
hierin,  denn  kein  Arm  ergiesst  sich  aus  dem  Danubius  ins 
adriatische  Meer.  Ich  glaube,  sie  haben  sich  dadurch  täu- 
schen lassen,  dass  das  Schiff  Argo  auf  einem  Flusse  unweit 
Tergeste,  dessen  Namen  man  aber  nicht  weiss,  ins  adria- 
tische Meer  fuhr.  Genaueren  Nachrichten  zufolge  wurde  es 
auf  den  Schultern  über  die  Alpen  getragen,  dann  auf  dem 
Ister,  dem  Savus17)  und  Nauportus18),  der  davon  seinen 
Namen  hat  und  zwischen  Aemona19)  und  den  Alpen  ent- 
springt, weiter  gefahren. 


1)  Oderzo  am  Livenza. 

2)  Die  Flüsse  heissen  jetzt:    Lemene  und  Regene.     Der  Hafen: 
Oruaro. 

3)  Taglianiento.     4)  Tajamento.    5)  Stella.    6)  Muzonela.    7)  Ansa. 
«)  Natisone.    9)  Torre.     10)  Timuvo.     »)  Duina,     ,2)  Golfo   de  Trieste. 

,3)  Triest.     M)  Risano. 
a)  Vor  Augusts  Eintheilung. 

,G)  Ister    war    der   griechische.    Danubius    der   römische    Name 
der  Donau. 

'7)  Die  Sau.     '»)  Laybach.     ,9)  Laybach. 


280  Drittes  Buch. 

■       23. 

Istrien  läuft  in  eine  Halbinsel  aus.  Seine  Breite  beträgt 
40,000,  sein  Umfang  aber,  wie  Einige  angeben,  125,000  Schritte. 
Ebenso  verhält  es  sich  mit  dem  angrenzenden  liburnischen 
und  dem  flanatischen  Meerbusen1),  während  Andere  deren 
Grösse  zu  225,000  Schritten  angeben.  Nach  Einigen  soll  die 
Grösse  Liburniens  180,000  Schritte  betragen;  noch  Andere 
sagen,  Japydien  ziehe  sich  hinter  Istrien  bis  zum  flanatischen 
Meerbusen  auf  130,000  Schritte  hin.  Tuditanus2),  der  die 
Istrier  unterjochte,  schrieb  aufseine  dort  aufgestellte  Bildsule: 
„Von  Aquileja  bis  zum  Flusse  Titius3)  siud  1000  Stadien." 
Istrische  Städte  mit  römischem  Bürgerrechte  sind  Aegida4) 
und  Parentium5);  die  Colonie  Pola6),  welche  jetzt  Pietas 
Julia  heisst,  wurde  von  den  Colchiern  gegründet;  von  Ter- 
geste  ist  sie  100,000  Schritte  entfernt.  Nicht  weit  davon 
liegt  die  Stadt  Nesautium 7),  und  dann  folgt  als  Grenze  von 
Italien  der  Fluss  Arsia. 8)  Der  Seeweg  von  Ancona  nach 
Pola  beträgt  120,000  Schritte. 

Im  Innern  des  zehnten  Bezirkes  liegen  die  Colonien: 
Cremona  und  Brixia9)  im  Gebiete  der  Cenomaner;  in  dem 
der  Venetier  aber  Ataste 10)  und  die  Städte  Acelum  n),  Pa- 
tavium12),  Opitergium 13),  Belunum14)  und  Vicetia. 15)  Man- 
tua  ist  noch  die  einzige  den  Thuscern  gebliebene  Stadt  jen- 
seits des  Padus.  Nach  Cato  stammen  die  Veneter  von 
einem  trojanischen  Stamme,  ferner  haben,  nach  ihm,  die 
Cenomaner  früher  bei  Massilien  im  Volcischen  gewohnt. 
Nun  folgen  die  Fertiner16),  Tridentiner 17)  und  Beruenser, 
welche  in  rhätischen  Städten  wohnen.  Verona  gehört  den 
Rhätiern  und  Euganeern,  sowie  die  Julienser  zu  den  Carnern. 
Andere  Völker,  von  denen  wir  indessen  keine  nähere  Be- 


')  Golfo  di  Quarnero. 

2)  Sempronius  Tuditanus,  ein  römischer  Feldherr  im  zweiten  pu- 
nischen  Kriege,  triumphirte  im  Jahre  228  v.  Chr.  über  die  Istrier. 

3)  Kerka.  4)  Capo  d'Istria.  5)  Parenzo.  6)  Pola.  7)  Refonzi.  8)  Arsa. 
»)  Brescia.  10)  Este.  ")  Asolo.  12)  Padua.  13)  Oderzo.  ")  Belluno. 
,s)  Vicenza,     ,6)  Feltre.    »)  Triente. 


Drittes  Buch.  281 

Schreibung  beizufügen  brauchen,  sind:  die  Alutenser1),  Asse- 
riater  8),  Flamonienser,  von  denen  ein  Theil  Vanienser 3),  ein 
anderer  Culicer4)  heisst,  die  Forojulienser5)  mit  dem  Bei- 
namen Transpadaner,  die  Foretaner6),  Nedinater7),  Quar- 
quener8),  Taurisamer,  Togienser  und  Vervarer.  Unterge- 
gangen sind  in  diesem  Distrikte  längs  der  Küste:  Iramina, 
Pellaon,  Palsatium;  bei  den  Venetern  Atina  und  Cälina, 
bei  den  Carnern  Segeste9)  und  Ocra,  und  bei  den  Tauris- 
cern  Noreja. 10)  12  Meilen11)  von  Aquileja  ist,  wie  L.  Piso 
berichtet,  eine  Stadt  von  Claudius  Marcellus,  wider  den 
Willen  des  Senats,  zerstört  worden.  Es  giebt  hier  auch  11 
berühmte  Seen,  aus  denen  entweder  Flüsse  entspringen, 
oder  die  von  Flüssen  durchströmt  werden,  wie  der  See 
Larius  12)  von  der  Addua13),  der  Verbanus14)  von  dem  Tici- 
nus15),  der  Benacus16)  von  dem  Mincius17),  der  Sebinus18) 
von  dem  Ollius  19),  der  Eupilis 20)  von  dem  Lambrus21);  alle 
diese  Flüsse  aber  ergiessen  sich  in  den  Padus. 

Die  Alpen  sollen  sich,  nach  Cälius,22),  der  Länge  nach 
vom  obern23)  bis  zum  untern24)  Meere  auf  eine  Million  Schritte 
erstrecken.  Timagenes25)  nimmt  22,000  Schritte  weniger 
an;  ihre  Breite  beträgt  nach  Cornelius  Nepos  100,000 
Schritte,  nach  T.  Livius  3000  Stadien.     Beide  gehen  aber 


')  Lodrone.     -i  Ruinen  bei  Benkovac.     3)  Venzona. 

4)  Flagogna.     5)  Friaul.    6)  Fortino. 

7)  Nadin.    8)  Görz. 

9)  An  dessen  Stelle  jetzt  Alt-Sissek. 

,0)  An  dessen  Stelle  jetzt  Friesach. 

n)  lapides.     I2)  Lago  di  Como. 

I3)  Adda.     M)  Lago  maggiore.     ,5)  Tessin.     16)  Lago  di  Garda. 

")  Mincio.     I8)  Lago  d'Iseo.     ,9)  Oglio. 

M)  Lago  di  Pusiano.    -')  Lambro. 

-2)  L.  Caelius  Antipater,  gegen  20  v.  Chr.,  beschrieb  unter  den 
Römern  zuerst  den  zweiten  punischen  Krieg. 

w)  Adriatischen.     M)  Etrurischen. 

")  Von  Alexandrien,  verlor  bei  der  Eroberung  seiner  Vaterstadt 
durch  die  Römer  (55  v.  Chr.)  seine  Freiheit,  und  kam  durch  Kauf  an 
Faustus,  Sulla's  Sohn,  der  ihn  freigab.  Seine  Schriften  sind  nicht 
mehr  vorhanden. 


282  Drittes  Buch. 

von  verschiedenen  Orten  aus;  denn  da,  wo  die  Alpen 
Deutsehland  von  Italien  trennen,  übersteigt  ihre  Breite  mit- 
unter 100,000  Schritte,  während  sie  an  ihren  schmalen 
Stellen,  gleichsam  durch  eine  Vorsorge  der  Natur,  niemals 
70,000  Schritte  breit  sind.  Die  Breite  Italiens  am  Fusse 
der  Alpen  vom  Varus  an  über  Vada  Sabatia,  Taurinum, 
Comum,  Brixia,  Verona,  Vicetia,  Opitergium,  Aquileja,  Ter- 
geste  und  Pola  bis  zur  Arsia  beträgt  745,000  Schritte. 

.  24. 
In  den  Alpen  wohnen  viele  Völker,  die  berühmtesten 
aber  von  Pola  bis  zum  Gebiete  von  Teigeste  sind :  die  Se- 
cusser x),  Subocriner,  Cataler,  Merocalener,  und  in  der  Nähe 
der  Carner  die  Noricer2),  welche  früher  Tauriscer  hiesseu. 
An  diese  grenzen  die  Rhätier3)  und  Vindelicier4),  welche 
alle  in  viele  Gemeinden  getheilt  sind.  Man  hält  die  Rhä- 
tier für  Abkömmlinge  der  Thuscer,  welche  mit  ihrem  An- 
führer Rhätus  von  den  Galliern  vertrieben  sind.  Auf  der 
andern  gegen  Italien  gerichteten  Seite  der  Alpen  wohnen 
die  euganeischen  Völker  mit  lateinischen  Rechten,  deren 
Städte  Cato  zu  34  angiebt.  Darunter:  die  Triumpiliner 5), 
welche  sich  sammt  ihrem  Gebiete  (an  die  Römer)  verkauft 
haben,  die  Camuner 6),  die  nebst  mehreren  ähnlichen  Stäm- 
men zu  den  angrenzenden  Municipal-Städten  gehören.  Cato 
hält  die  Lepontier7)  und  Salasser8)  für  tauriscischen  Ur- 
sprungs. Die  übrigen  Schriftsteller  halten,  in  Folge  ihres 
griechischen  Namens9),  die  Lepontier  für  Begleiter  des 
Herkules,  welche  beim  Uebergange  über  die  Alpen  die  Glie- 
der erfroren  hätten  und  zurückgeblieben  wären;  bei  dem- 
selben Zuge  sollen  auch  die  Grajer  gewesen  sein,  welche 
die  grajischen  Alpen  bewohnen,  und  die  Euganeer,  welche 
wegen  ihrer  edlen  Abkunft  diesen  Namen 10)  erhielten.  Ihr 
Hauptort  heisst  Stoenos. n)    Von  den  Rhätiern  wohnen  die 


*)  Auf  dem  Berge  Cocusso.    -)  S.  im  27.  Cap.  3)  In  Graubündten. 
4)  Vom  Bodensee  bis   zum  Inn.     5)  Val  Trompio.    6)  Val  Camo- 
nico.    7)  Val  Leventina.     8)  La  Sala.     9)  Von  ksineiv :  zurücklassen. 
,0)  Evyfvsig;  Wohlgeboren.     ")  Storo. 


Drittes  Buch.  283 

Vennoneter  und  Saruneter  an  den  Quellen  des  Rheines, 
und  diejenigen  von  den  Lepontiern,  welche  Viberer  heissen, 
auf  demselben  Alpenzuge  an  der  Quelle  des  Rhodanus. 
Ausserdem  haben  noch  folgende  Völker  lateinische  Rechte: 
die  Octodurenser  *),  die  benachbarten  Centronen2),  die 
cottianischen  3)  Gemeinden,  die  Caturiger  4)  und  deren  Ab- 
kömmlinge die  ligurischen  Vagienner5)  die  auch  Montaner 
heissen;  ferner  mehrere  Stämme  der  Capillater,  welche  am 
ligustischen  Meere  wohnen. 

Es  scheint  mir  nicht  unpassend  zu  sein,  hier  eine  In- 
schrift beizufügen,  welches  auf  einem  Siegesdenkmal  in  den 
Alpen  steht;  sie  lautet  folgendermaassen : 

Dem  Imperator  Caesar,  dem  Sohne  des  gött- 
lichen Augustus,  dem  Pontifex  maximus,  dem 
vierzehnmaligen  Tribun]  der  Senat  und  das  rö- 
mische Volk,  weil  unter  seiner  Anführung  alle 
Alpenvölker  vom  obern  bis  zum  untern  Meere 
unter  die  Herrschaft  des  römischeu  Volkes  ge- 
bracht sind.  Die  besiegten  Alpenvölker  sind: 
die  Triumpiliner  6),  Camuner  7),  Vennonenser8), 
Venoster9),  Isarcer10),  Breuner11),  Genauner12),  Fo- 
runater13),  4  Stämme  der  Vindelicier,  die  Con- 
suaneter14),  Rucinater16),  Licater  16),  Catenater 17), 
Ambisonter18),  Ruguscer19),  Suaneter20),  Caluco- 
ner21),  Brixenter22),  Lepontier23),  Viberer24),  Nan- 


')  Martinacli.    '-)  Centron. 

3)  Sie  hatten  ihren  Namen  vom  König  Cottus,  einem  Freunde 
August's,  und  wohnten  an  den  Quellen  des  Var  und  der  Stura  bis 
zum  Mont  Iseran. 

4)  Um  Chorges. 

5)  An  der  Ostseite  der  Alpen,  am  ersten  Laufe  des  Po. 

6)  Val  Trompio.     7)  Val  Camonico. 
8)  Wangen.    9)  Vinstgau. 

,0)  An  der  Eisach.      ")  Brunecken.      12)  Val   Non.     ,3)  Vocogna. 
")  Venzingen.     ,5)  Rusi.     16)  Am  Lech.     n)  Kettenacker. 
,8)  Sontrio.     19)  Rüsseck.    *»)  Sanen.    2l)  Catankathal.    *2)  Brixen. 
23)  Val  Laventina.    -4)  Vispach. 


284  Drittes  Buch. 

tuater  x),  Seduner2),  Varagrer3),  Salasser4),  Aci- 
tavoner5),  Meduller  6),  Ucener  7),  Caturiger  8),  Bri- 
gianer  9),  Sagiontier10),  Brodiontier,  Nemaloner11), 
Edenater12),  Esubianer 13),  Veaminer  u),  Galliter15), 
Triulatter  16),  Ectiner17),  Vergunner  18),  Eguitu- 
rer19),  Nementurer,  Orateller20),  Neruser21),  Ve- 
launer22),  Suetrer23). 

Die  zwölf  cottianisclien  Gemeinden,  welche  nicht  fried- 
lich gesinnt  waren,  sind  darin  nicht  aufgeführt,  ebensowenig 
die,  welche  nach  dem  pompejischen  Gesetze 24)  zu  den  Muni- 
cipial-Städten  gerechnet  werden. 

Diess  ist  das  den  Göttern  heilige  Italien.  Diess  sind 
seine  Völker  und  Städte!  Und  eben  diess  Italien  hat,  als 
unter  den  Consuln  L.  Aemilius  Paulus  und  C.  Attilius  Re- 
gulus 25),  die  Kunde  von  einem  Aufstande  der  Gallier  an- 
langte, ohne  alle  auswärtigen  Mittel,  ja  sogar  ohne  die 
transpadanischen,  80,000  Reiter  und  700000  Mann  zu  Fuss 
bewaffnet.  An  Reichthum  von  Metallen  aller  Art  steht  es 
keinem  andern  Lande  nach;  allein  durch  einen  alten  Se- 
natsbeschluss  ist  befohlen,  Italiens  in  dieser  Beziehung  zu 
schonen. 

25. 
Von  der  Arsia  bis  zum  Titius86)  wohnt  das  Volk  der 
Liburnier.    Ein  Theil  desselben  waren  die  Mentoren,  Hy- 
maner,  Encheleer,  Bunier  und  die,  welche  Callimachus27)  Peu- 

')  Am  obern  Laufe  des  Rheins. 

2)  Sitten.     3)  Vernayes.     4)  La  Sala.     5)  St.  Jean  de  Maurienne. 

6)  Die   ehemalige    Baronie  Menouillon ,   in  dem   jetzigen  Bezirk 
Montelimart. 

7)  Bourgs  d'Oisans.     8)  Um  Charges.     9)  Briancon.     ,0)  Sauze. 
")  Meolan.     ,2)  Ville  de  Seyne.     ,3)  Ubaye.     14)  Senez. 

15)  Guillitres.    ,6)  Alloz.    ,7)  Estene.    ,8)  Vergons.    ,9)  Guillaumes. 
-°)  Le  Puget  de  Thenieres.     2t)  Vence. 
*«)  Valdahon.     23)  Serres. 

24)  Vom  Jahre  89  v.  Chr.;   es  ertheilte  den  Italiern  und  cispada- 
nisehen  Galliern  das  römische  Bürgerrecht. 

25)  225  v.  Chr.     26)  Kerka. 

27)  Battiades    aus    Cyrene,    um    280    v.    Chr.,    Grammatiker    zu 
Alexandrien. 


Drittes  Buch.  285 

ceter  nennt;  jetzt  fasst  man  das  Ganze  mit  dem  Namen 
Illyrien  zusammen,  von  deren  Völkern  nur  wenig  bemer- 
kenswerthes  zu  sagen  ist,  oder  deren  Namen  nicht  leicht 
auszusprechen  sind.  In  dem  scardonitanischen  Kreise  woh- 
nen die  Japyder  und  14  Gemeinden  der  Liburner,  unter 
denen  man  allenfalls  die  Lacinienser  *),  Stulpiner2),  Bur- 
nister 3)  und  Olbanenser  anführen  kann.  Zu  demselben 
Kreise  gehören  auch  die  Aluter4)  und  Flanater5),  mit  ita- 
lischem Bürgerrechte,  nach  denen  auch  der  Meerbusen 6) 
benannt  ist;  dieLopser7),  Varvariner 8) ,  und  die  abgaben- 
freien Assesiater  9),  und  auf  den  Inseln  die  Fertinater  10) 
und  Curicter.11) 

Ausserdem  liegen  längs  der  Küste  von  Nesactium 12) 
an:  Alvona13),  Fianona14),  Tarsatica 15),  Senia16),  Lopsica17), 
Ortopula18),  Vegium19),  Argyruntum 20),  Corinium  21),  Aeno- 
na22),  Pasinum,  der  Fluss  Tedanium23),  an  der  Grenze  von 
Japydien.  Inseln  in  diesem  Busen  mit  ihren  Städten  sind 
ausser  den  obengenannten24):  Absyrtium25),  Arba26),  Crexa27), 
Gissa28),  Portunata. 29)  Wiederum  auf  dem  Festlande:  die 
Colonie  Jadera30),  von  Pola  160,000  Schritte  weit;  von  da 
bis  zur  Insel  Colantum  31)  sind  30,000,  und  bis  zur  Mündung 
des  Titius  18,000  Schritte  weiter. 

26. 

An  der  Stelle,  wo  Liburnien  aufhört  und  Dalmatien 
beginnt,  liegt  12,000  Schritte  vom  Meere  entfernt  an  dem- 
selben Flusse32)  Scardona.  Dann  folgen:  das  alte  Gebiet 
der  Autarieter  und  das  Castell  Tariona33);  das  Vorgebirge 


')  Lakza.     -)  Sluin. 

3)  Ruinen  in  der  Nähe  des  Eerka. 

*)  Um  Albona.  5)  Fianona.  6)  Golfo  di  Quarnero.  7)  Um  Gospich. 

8)  Verbovsko.     9)  Ruinen  bei  Benkovacz.     10)  Parwich. 

»)  Karek.     >2)  Refonzi.     »)  All>ona.     ■*)  Fianona.     ,5)  Tersact. 

,6)  Zengg.     17)  Gospich.     I8)  Stangrad.     19)  Vezzo. 

-°)  Ruinen  bei  Obrivacz.     2l)  Karin.     --)  Nona.     23)  Zermanja. 

24)  Fertinater  und  Curicter.    25)  Osero.     2G)  Arbe.     -')  Grossa. 

'28)  Gisto.    29)  Puntadura.     30j  Zara  vecchia.     3t)  Mortera. 

32)  Titius.    33)  Alt-Sebenico. 


286  Drittes  Buch. 

des  Diomedes1),  oder,  wie  andere  wollen,  die  Halbinsel 
Hyllis  genannt,  100,000  Schritte  im  Umfange;  Tragurium  2), 
mit  römischem  Bürgerrechte,  berühmt  durch  seinen  Marmor ; 
Sicum  3),  wohin  der  Kaiser  Claudius  die  Veteranen  schickte; 
die  Colonie  Salona  4),  112,000  Schritte  von  Jadera  entfernt. 
Zu  ihrem  Gerichtsbezirke  gehören  die  Dalmatier  mit  342 
Decurien,  die  Deuricer  mit  32,  die  Ditioner  mit  239,  die 
Mazäer  mit  69  und  die  Sardiater  mit  82  Decurien.  Auch 
liegen  in  diesem  Landstriche:  Burnum,  Andetrium  und  Tri- 
bulum,  drei  durch  die  Schlachten  des  römischen  Volkes  5) 
berühmt  gewordene  Castelle.  Von  den  Inselbewohnern  ge- 
hören die  Issäer6),  Colentiner 7),  Separer  und  Epetiner 
ebenfalls  zu  diesem  Gerichtshofe.  Dann  folgen  die  Castelle 
Piguntiä  8)  und  Rataneum. 9)  Die  Colonie  Naroua10)  gehört 
zum  dritten  Gerichtsbezirke  und  liegt  an  dem  gleichnamigen 
Flusse11),  32,000  Schritte  von  Salona  und  20,000  Schritte 
vom  Meere  entfernt.  Nach  M.  Varro  haben  früher  89  Ge- 
meinden dort  ihre  Rechtssachen  verhandelt.  Jetzt  kennt 
man  fast  nur  noch  die  Ceraunier  mit  24,  die  Daorizer 12) 
mit  17,  die  Däsitiater  mit  103,  die  Docleater 13)  mit  33,  die 
die  Deratiner  mit  14,  die  Deremister14)  mit  30,  die  Dinda- 
rer  mit  33,  die  Glinditioner 15)  mit  44,  die  Malcomaner  mit 
24,  die  Naresier16)  mit  102,  die  Scirtarer  mit  72,  die  Sicu- 
loter  mit  24  und  die  Vardäer17),  die  ehemaligen  Verwüster 
Italiens,  mit  nicht  mehr  als  20  Decurien.  Ausser  diesen 
wohnten  noch  in  demselben  Landstriche:  die  Ozuäer,  Par- 
thener,  Hemasiner,  Arthiter  uud  Armister.  Die  Colonie 
Epidaurus  18)  liegt  100,000  Schritte  vom  Flusse  Naro 19)  ent- 
fernt.    Von  Epidaurus  an  folgen  die  Städte  mit  römischem 


')  Trau  Vecchio.    2)  Trau.    3)  Sebenigo.    *)  Spalatro. 

5)  In  dem  Kriege  gegen  die  Dalmatier  und  Pannonier  unter  Au- 
gust's  Regierung,  7  n.  Chr.  Die  römischen  Feldherrn  waren  Tiberius 
und  Germanikus. 

6)  Lissa.     7)  Mortera.     8)  Pogosnitza.     °)  Rudunich. 

'°)  Ruinen  bei  Vido.     n)  Narenta.     ,2)  Dobor.     13)  Dognidalaz. 

14)  Dernich.     15)  Glinbigne.     1C)  Narentoa. 

,:  I  Am  Berge  Verdovacz.     18)  Ragusi  vecchio.     ,9)  Narenta. 


Drittes  Buch.  287 

Bürgerrechte:  Rhizinium1),  Ascrivium2),  Butua1),  Olchinium4), 
welches  von  den  Colchern  erbauet  ist  und  früher  Colchi- 
nium  hiess;  der  Fluss  Drilo  5)  und  an  ihm  die  Stadt  Scodra6) 
mit  römischem  Bürgerrechte,  17,000  Schritte  vom  Meere. 
Von  vielen  griechischen  Städten  und  mächtigen  Ortschaften 
ist  kaum  das  Andenken  noch  vorhanden;  denn  hier  wohn- 
ten meist  die  Labrater7),  Enderoduner8),  Sassäer9),  Gra- 
bäer10),  die  eigentlichen  Illyrier11),  die  Taulantier 12)  und 
Pyräer.  Das  an  der  Küste  belegene  Vorgebirge  Nym- 
phäum 13)  hat  seinen  Namen  behalten.  Die  Stadt  Lästus  14) 
mit  römischem  Bürgerrechte  liegt  von  Epidaurus  100,000 
Schritte  entfernt. 

Bei  Lissus  beginnt  die  Provinz  Macedonien,  worin:  die 
parthinischen  Völker 15),  und  hinter  diesen  die  Dassareter  16) ; 
die  candavischen  Berge  17),  78,000  Schritte  von  Dyrrachium. 
An  der  Küste  aber  liegt  Denda  mit  römischem  Bürgerrechte, 
die  Colonie  Epidamnum 18),  wegen  ihres  unglücklichen  Na- 
mens19) von  den  Römern  Dyrrachium  genannt;  der  Fluss 
Aous 20),  von  Einigen  Aeas  genannt,  Apollonia 21),  eine  ehe- 
malige Colonie  der  Corinther,  4000  Schritte  vom  Meere. 
Den  berühmten  Berg  Nymphäum  22)  an  der  Grenze  des  Ge- 
biets bewohnen  die  rohen  Amanter 23)  und  Bulioner. 24)  An 
der  Küste  liegt  noch  die  von  den  Colchern  erbauete  Stadt 
Oricum.25)  Hier  fängt  Epirus  an  und  die  acroceraunischen 
Berge26),  welche  wir  als  die  Grenze    dieses  Hauptbusens 

')  Pisano.    2)  Andricz.    3)  Buclua.     4)  Dulcigno. 
5)  Drino.     6)  Skutari. 

7)  Uiu  Scodra.    Einen  König  dieses  Stammes,   Namens  Gentiusr 
erwähnt  Livius  im  XLIII.  B.  20.  Cap. 

8)  Um  C.  Roduni.     9)  Um  Vassoewitz.     10)  Um  Grabovo. 
n)  Zwischen  den  Flüssen  Narenta  und  Drino. 

'*)  Diesen  gehörten  die  Städte  Apollonia  und  Dyrrachium. 

13)  Nimfio.     u)  Alessio,  die  Residenz  des  Gentius. 

1J)  Im  Sandshak  Ochri.     ,6)  Am  See  von  Ochri. 

17)  Im  Sandshak  Ilbessan.     18)  Durazzo. 

I0)  Abgeleitet  von  damnum:  Schaden.    20)  Vojuza.    21)  Polina. 

--)  Im  Sandshak  Avlona.    S.  auch  II.  B.  110.  Cap.    23)  Avostma.- 

21)  Boklin.    25)  Ericho.    26)  Monte  Chimaera, 


288  Drittes  Buch. 

von  Europa  bezeichnet  haben.   Oricum  ist  vom  salentinischen 
Vorgebirge1)  in  Italien  80,000  Schritte  entfernt. 

27. 
Hinter  den  Carnern  und  Japyden,  da,  wo  der  grosse 
Ister  fliesst,  grenzen  an  die  Rhätier  die  Noricer. 2)  Die 
Städte  der  letzteren  sind:  Virunum3),  Celeja4),  Teurnia5), 
Aguntum  6),  Vianiomina 7) ,  Claudia8)  und  Flaviuni  Sol- 
vense 9)  An  Noricum  grenzt  der  See  Peiso 10)  und  die 
Wüste  der  Bojer,  die  jedoch  jetzt  durch  die  Colonie  Saba- 
ria11)  des  Kaisers  Claudius,  und  die  Stadt  Scarabantia 
Julia12)  bevölkert  ist. 

28. 
Nun  folgt  das  Eicheln  erzeugende  Pannonien13),  wo  die 
wilder  werdenden  Zweige  der  Alpen,  welche  Illyrien  von 
Norden  nach  Süden  mitten  durchschneiden,  sich  links  und 
rechts  sanft  abdachend  in  die  Ebene  übergehen.  Der  nach 
dem  adriatischen  Meere  zu  liegende  Theil  bildet  Dalmatien 
und  das  oben  beschriebene  Illyrien.  Nach  Norden  zu  liegt 
Pannonien  und  wird  daselbst  vom  Danubius  begrenzt.  Die 
darin  befindlichen  Colonien  heissen  Aemonia14)  und  Siscia.15) 
Berühmte  schiffbare  Flüsse,  welche  in  den  Danubius  fallen, 
sind:  der  wilde  Dravus16)  aus  Noricum  und  der  sanfte 
Savus 17),  von  den  carnischen  Alpen  kommend,  beide  120,000 
Schritte  von  einander  entfernt.  Der  Dravus  fliesst  durch 
die  Länder  der  Serreter18),  Serrapiller 19) ,  Iaser20),  Andi- 
zeter21),  der  Savus  durch  die  der  Colapianer22)  und  Breucer.25) 


')  Capo  di  Leuca. 

'-)  In  Kärnthen  und  Steiermark.    3)  Klagenfurt.     4)  Cilly. 

5)  Lurnfeld.    6)  Iniching.    7)  Wien.     8)  Klana.     9)  Lavamünde. 

,0)  Neusidlersee.     n)  Stein  am  Anger.     12)  Oedenburg. 

,3)  Es  umfasste  das  auf  der  rechten  Seite  der  Donau  liegende 
Ungarn,  einen  östlichen  Strich  von  Oesterreich  und  Steiermark,  den 
grössten  Theil  von  Krain,  den  nördlich  von  der  Sau  liegenden  Theil 
von  Kroatien,  Slavonien  und  einen  schmalen  Streifen  von  Bosnien 
an  der  Sau. 

u)  Laybach.     ,5)  Siszek.     M)  Drau.     ,7)  Sau.     ,8)  Veröcze. 

I9)  Um  Pilisch.    2°)  Um  Jascza.    21)  Sauritsch. 

-)  Am  Flusse  Kulpa.     23)  In  Slavonien. 


Drittes  Buch.  289 

Diess  sind  die  Hauptvölker.  Ausserdem  wohnen  daselbst: 
die  Arivater1),  Azaler2),  Amanter3),  Belgiter4),  Catarer5), 
Cornacater6),  Eraviscer7),  Hercuniater 8) ,  Latovicer9),  Ose- 
riaten0),  Varcianer11).  Der  Berg  Claudius 12),  vor  welchem 
die  Scordiscer  und  hinter  welchem  die  Tauriscer  wohnen. 
Im  Savus  liegt  Metubarris,  die  grösste  aller  Flussinseln. 
Von  Flüssen  sind  noch  zu  erwähnen:  der  Colapis13),  wel- 
cher sich  bei  Siscia  in  den  Savus  ergiesst  und  durch  seine 
Theilung  die  Insel  Segestica,  bildet;  der  Bacuntius  14)  fliesst 
bei  der  Stadt  Sirmium 15)  in  den  Savus,  daselbst  wohnen  die 
Sirmienser  und  Ammatiner.  Von  da  sind  es  45,000  Schritte 
bis  nach  Taurunum 16),  wo  die  Donau  den  Savus  aufnimmt. 
Weiter  oben  fliessen  die  ebenfalls  nicht  unbedeutenden 
Flüsse  Valdasus17)  und  Urpanus18)  in  die  Donau. 

29. 
An  Pannonien  grenzt  eine  Provinz,  welche  Mösien19) 
heisst  und  längs  der  Donau  bis  an  den  Pontus  sich  erstreckt. 
Sie  fängt  bei  dem  oben  erwähnten  Zusammenflusse  ^  an. 
In  ihr  wohnen  die  Dardaner 21),  Celegerer,  Triballer 22), 
Timacher,  Mösier,  Thracier  und  die  an  den  Pontus  gren- 
zenden Scythen.  Bemerkenswerthe  Flüsse  sind:  im  Ge- 
biete der  Dardaner  der  Margis23),  Pingus24)  undTimachus25); 
vom  Berge  Rhodope 26)  kommt  der  Oescus 27)  und  vom  Ha- 
naus28) der  Utus29),  Asamus30)  und  Jeterus. 31) 

Die  grösste  Breite  von  Illyrien  beträgt  325,000  Schritte. 
Die  Länge  vom  Flusse  Arsia  bis  zum  Drinius  530,000 
Schritte.  Der  Drinius  liegt  vom  Vorgebirge  Acroceraunium 
175,000  Schritte  entfernt.    M.  Agrippa  giebt  den  Gesammt- 


*)  Ariaviza.    2)  Ozaly.    3)  Mancluszebes.    4)  Bellecz.    5)  Kottori. 
6)  Vulkovar.    7)  Agrara.     8)  Kersko.    9)  Litay.     ,0)  Ostercz. 
")  Varasdin.     ,2)  Bacher  Gebirge.     '3)  Kulpa.     ")  Bossuth. 
,5)  Ruinen  bei  Mitrowitz.     ,6)  Semlin.     ")  Bosna.     ,8)  Verbasz. 
,9)  Servien  und  Bulgarien.     -°)  Der  Donau  und  Sau. 
-')  Im  südlichsten  Theile  von  Servien. 

22)  Im  westlichen  Bulgarien.    23)  Morawa.    M)  Ipek.     25)  Timok. 
26)  Rhodope.    27)  Isker.    28)  Balkan.    29)  Vid. 
3°)  Osme.     31)  Jantra. 

19 


290  Drittes  Buch. 

umfang  des  Meerbusens  von  Italien  und  Illyrien  zu  1,700,000 
Schritten  an.  Darin  befinden  sich,  wie  schon  früher  er- 
wähnt, zwei  Meere,  vorn  beim  Anfange  des  Busens  das 
jonische,  und  im  Innern  des  Busens  das  adriatische,  auch 
das  obere  genannt. 

30. 

Ausser  den  schon  genannten  Inseln  giebt  es  im  au- 
sonischen  Meer  weiter  keine  bemerkenswerthen  mehr,  im 
Jonischen  nur  wenige;  an  der  calabrischen  Küste  vor  Brun- 
dusium  liegen  einige,  welche  den  Hafen  bilden.  Der  apu- 
lischen  Küste  gegenüber  liegt  die  Insel  Diomedea  x),  be- 
rühmt durch  das  Denkmal  des  Diomedes,  eine  andere  des- 
selben Namens  nennen  Einige  Teutria. 2) 

An  der  Küste  von  Illyrien  liegen  über  1000  Inseln, 
weil  das  Meer  dort  seicht  und  das  Wasser  in  flache  Betten 
vertheilt  ist.  Zu  bemerken  sind:  vor  der  Mündung  des 
Timavus  die,  deren  warme  Quellen  mit  der  Fluth  des  Mee- 
res anwachsen3);  neben  dem  istrischen  Gebiete  Lissa  und 
Pullaria,  von  den  Griechen  auch  die  Absyrtiden  genannt, 
weil  dort  Absyrtus,  der  Bruder  der  Medea  getödtet  wurde. 
Neben  diesen  liegen  die  sogenannten  Electriden,  auf  wel- 
chen Bernstein  vorkommen  soll,  den  die  Griechen  Electrum 
nennen  —  ein  klarer  Beweis  griechischer  Lügenhaftigkeit, 
denn  Niemand  hat  noch  ausmitteln  können,  welche  Inseln 
diess  sind.  Jader4)  gegenüber  liegt  Lissa5)  und  einige 
schon  genannte;  Liburnien  gegenüber  die  crateischen 6),  die 
ebenso  zahlreichen  liburnischen  und  die  celadussischen 7) 
Inseln;  Surium8)  gegenüber  Bavo9),  die  durch  ihre  Ziegen 
berühmte  Insel  Brattia10);  Issa11)  mit  römischem  Bürger- 
rechte und  der  Stadt  Pharia.12)     Von  Issa  ist  Corcyra13), 


')  S.  Domenico.    2)  Pianosa. 

3)  Vergl.  im  II.  B.  106.  Cap. 

4)  Zara  vecchia.    5)  Uglian. 

6)  Dervenich,  Zirona,  Oratch,  Krato,  Kludi. 

7)  Kakagne,  Kapri,  Esat,  Provichio. 

8)  Zuri.     9)  Bua.      ,0)  Brazza.     ")  Lesina.     I2)  Citta  vecchia. 

,3)  Curzola.    Auch  Korfu  hiess  früher  Corcyra;  siehe  IV.  B.  19.  C. 


Drittes  Buch.  291 

genannt  Melana1),  mit  einer  Stadt  der  Gnidier2),  25,000 
Schritte  entfernt;  zwischen  ihr  und  Illyrien  liegt  Melite3), 
woher,  nach  Callimachus,  die  melitäischen  Hündchen  ihren 
Namen  haben;  von  da  bis  zu  den  drei  Elaphiten4)  sind 
15,000  Schritte  Im  jonischen  Meere,  12,000  Schritte  von 
Oricum  liegt  Sasonis5),  bekannt  als  Aufenthaltsort  der 
Seeräuber. 


!)  Die  schwarze.    2)  Curzola.    3)  Meleda. 

4)  Giupana,  di  Mezzo  und  Kalamata;  ihren  gemeinschaftlichen 
Namen  hatten  sie  von  den  vielen  daselbst  vorkommenden  Hirschen 
(§Xa<poi).    5)  Saseno. 


19* 


Viertes  Buch. 


Von  der  Lage  und  Grösse  der  Länder,  Meere,  Städte,  Häfen, 

Berge,  Flüsse  und  den  Völkern,  welche  noch  da  sind 

oder  da  waren. 

1. 

Der  dritte  Hauptbusen  von  Europa  beginnt  beim  Vor- 
gebirge Acroceraunium1),  endigt  am  Hellesponte,  und  hat, 
19  kleinere  Buchten  abgerechnet,  eine  Weite  von  2,500,000 
Schritten.  Er  begreift  in  sich:  Epirus,  Acarnanien,  Aetolien, 
Phöeis,  Locris,  Achaja,  Messenien,  Laconien,  Argolis,  Mega- 
ris,  Attica,  Böotien;  an  dem  andern  2)  Meere  liegen,  ausser 
^hocis  und  Locris,  noch:  Dori  Phthiotis,  Thessalien,  Mag- 
nesien, Macedonien  und  Thracien.  Alle  Fabelhaftigkeit 
Griechenlands,  sowie  alle  Künste  und  Wissenschaften  sind 
von  diesem  Busen  zuerst  ausgegangen.  Wir  wollen  uns 
daher  ein  wenig  bei  demselben  aufhalten. 

Epirus3)  im  weitem  Sinne  oder  Epiros,  fängt  bei  den 
acroceraunischen  Bergen  an.    Die  ersten  Völker  darin  sind 


')  Monti  clella  Chiniera. 

*)  Ägeischen. 

3)  Jetzt  das  von  den  Arnauten  bewohnte  Paschalik  von  Janina. 
Früher  hatte  es  seine  eigenen  Könige,  unter  denen  Pyrrhus  der  be- 
rühmteste war,  der  278  v.  Chr.  Rom  bekriegte.  Aemilius  Paullus  machte 
es  167  zur  röm.  Provinz  und  1432  kam  es  durch  Amurat  II.  unter 
türkische  Botmässiffkeit. 


Viertes  Buch.  293 

die  Chaoner1),  von  welchen  der  Name  Chaonien  herrührt, 
dann  folgen  die  Thesproter2)  und  Antigonenser3);  der  Ort, 
wo  sonst  Aornos4)  lag,  mit  seiner  den  Vögeln  tödtlichen 
Ausdünstung;  die  Cestriner5),  Perrhäber,  in  deren  Gebiete 
der  BergPindus6)  liegt;  die  Cassiopäer7),  Dryoper8),  Seiler9)» 
Helloper10),  Molosser11),  mit  einem  durch  sein  Orakel  be- 
rühmten Tempel  des  Jupiter  Dodonaeus,  der  Berg  Tomarus, 
an  dessen  Fusse,  wie  Theopompus  erzählt,  hundert  Quellen 
entspringen. 

Das  eigentliche  Epirus  zieht  sich  nach  Magnesien  und 
Macedonien  hin.  In  seinem  Rücken  wohnen  die  schon  oben 
genannten  Dassareter,  ein  freies  Volk,  und  die  wilden  Dar- 
daner.  Den  Dardanern  zur  Linken12),  wohnen  die  Triballer 
und  mösischen  Völkerschaften;  an  der  vordem  Seite  grenzen 
die  Meder13)  und  Denselater14)  daran,  und  an  diese  die 
Thracier,  welche  bis  zum  Pontus  hin  wohnen.  So  sind 
die  hohen  Berge  Rhodope 15)  und  Hämus 16)  von  diesen 
Völkern  wie  mit  einem  Walle  umgürtet. 

An  der  Küste  von  Epirus,  am  acroceiaunischen  Gebirge, 
liegt  das  Kastell  Chimera17),  unter  welchem  sich  die  Quelle 
Aquae  regiae18)  befindet.  Feiner  sind  zu  bemerken:  die 
Städte  Mäandria  und  Cestria19),  der  thesprotische  Fluss 
Thyamis20),  die   Colonie  Buthrotum21);  der  sehr  berühmte 


')  Sie  bewohnten  den  schmalen  Küstenstrich  vom  Vorgebirge 
Chimera  bis  zur  Meerenge,  welche  den  nördlichen  Theil  ,der  Insel 
Corfu  vom  Festlande  trennt. 

2)  Sie  reichten  von  den  Chaonem  bis  zum  Meerbusen  von  Arta. 

3)  Im  Paschalik  Avlona  südlich  von  Depedelen.     4)  Aorna. 
5)  Am  nördlichen  Ufer  des  Kalamas. 

(1)  Mezzovo.  7)  Um  Agio  Saranta.  8)  Auf  der  Corfu  gegenüber- 
liegenden Küste.    9)  Sulioten.     10)  In  Saracovizas. 

")  Vom  nördlichen  Ufer  des  Sees  von  Janina  bis  nach  Arta. 

,2)  Gegen  Osten.  Bei  solchen  Bestimmungen  dachten  sich  die 
Alten  stets  den  Blick  nach  Süden  gerichtet. 

,3)  Oder  Mäder,  zum  Unterschiede  von  den  Medern  in  Asien. 

,4)  Wohnten,  gleichwie  die  Meder,  westlich  vom  Flusse  Karäsu. 

1S)  Despoto.  ,6)  Balkan.  17)  Kimara.  ")  Existirt  nicht  mehr. 
,9)  Palaeo-Kistes.    20)  Kalamas.    2»)  Butrinto. 


294  Viertes  Buch. 

ambracische  Meerbusen  *),  welcher  durch  einen  500  Schritte 
weiten  Raum  das  Meer  aufnimmt,  37,000  Schritte  lang  und 
15,000  Schritte  breit  ist.  In  ihn  ergiesst  sich  der  Fluss 
Acheron  2),  der  36,000  Schritte  von  seiner  Mündung  entfernt, 
aus  dem  See  Acherusia  3)  in  Thesprotien  kommt,  und  den 
Griechen,  welche  alles,  was  ihnen  angehört,  bewundern, 
wegen  seiner  1000  Fuss  langen  Brücke  merkwürdig  er- 
scheint. In  dem  Busen  selbst  liegt  die  Stadt  Ambracia.  4) 
Im  Lande  der  Molosser  findet  man  die  Flüsse  Aphas  5)  und 
Arathus  6),  die  Gemeinde  Anactoria  7)  und  die  Stelle,  wo 
ehedem  Pandosia  8)  stand. 

2. 
In  Acarnanien,  das  früher  Curetis  hiess,  liegen  die 
Städte  Heraclia  9),  Echinus 10),  an  der  Küste  August's 
Colonie  Actium11)  mit  dem  berühmten  Tempel  des  Apollo 
und  der  freien  Gemeinde  Nicopolis.12)  Wenn  man  aus  dem 
ambracischen  Busen  ins  jonische  Meer  fährt,  so  gelangt 
man  zur  leukadischen  Küste  und  an  das  Vorgebirge  Leu- 
kates.13)  Dann  folgt  der  Busen  und  die  Halbinsel  Leu- 
cadia14),  früher  Neritis  genannt.  Die  Einwohner  trennten 
sie  vom  Festlande,  allein  der  Wind  trieb  so  viel  Sand  zu- 
sammen, dass  sie  wieder  damit  vereinigt  wurde;  die  Stelle 
wo  diess  geschah,  heisst  Dioryctos15),  und  ist  3  Stadien 
lang.  Auf  dieser  Halbinsel  liegt  die  Stadt  Leucas16),  einst 
Neritum  genannt,  die  übrigen  acarnanischen  Städte  sind: 
Alyzea17),  Stratos18),  Argos19),  mit  dem  Beinamen  Aniphi- 
lochicum.     Der  Fluss  Achelous20),  kommt  vom  Pindus,  schei- 


!)  Golf  von  Arta.  2)  Fauar.  3)  Janina.  *)  Arta.  5)  Lurkha. 
«)  Arta.  7)  Vunidscha.  8)  Ruinen  bei  Turko-Palaki.  9)  Lutraki. 
w)  Kokino  Vuni. 

n)  Hier  wurde  30  v.  Chr.  die  berühmte  Seeschlacht  zwischen  Au- 
gustus  und  Antonius  geliefert. 

Vi)  Prevesa.  ,3)  Capo  Ducato.  M)  Die  Insel  St.  Maura.  ,5)  Durch- 
stich. w)  Trümmer  davon  findet  man  noch  bei  dem  Flecken  Ama- 
xihi.  ")  Candili.  ,8)  Ruinen  bei  Lepenon.  19)  Vlicha.  w)  Aspro 
Potamo. 


Viertes  Buch.  295 

det  Acarnanien  von  Aetolien,  und  verbindet  die  Insel  Ar- 
temita  x)  durch  beständiges  Anschwemmen  von  Erde  mit 
dem  festen  Lande. 

3. 
Die  ätolischen  2)  Völker  sind:  die  Athamonier,  Tym- 
pbäer,  Ephyrer,  Aenienser,  Perrhäber,  Doloper,  Maracer 
und  Atracer,  aus  deren  Lande  der  ins  jonische  Meer  sich 
ergiessende  Fluss  Atrax  3)  kommt.  Die  ätolische  Stadt 
Calydon  4)  ist  7500  Schritte  vom  Meere  entfernt  und 
liegt  am  Flusse  Evenus.  5)  Dann  folgt  Macynia  6),  Moly- 
cria  und  dahinter  der  Berg  Chalcis  7)  und  Taphiassus.  8) 
An  der  Küste  liegt  das  Vorgebirge  Antirrhium,  da  wo  der 
corinthische  Meerbusen  in  einer  Breite  von  weniger  als 
1000  Schritten  ausmündet,  und  Aetolien  vom  Peloponnes 
trennt.  Das  gegenüberliegende  Vorgebirge  heisst  Rhion  9). 
Am  corinthischen  Meerbusen10)  liegen  die  ätolischen  Städte 
Naupactum11)  und  Pylene12)  und  mitten  im  Lande  Pleuron 
und  Halicyrna.13)  Bemerkens werthe  Berge  sind:  in  Dodona 
der  Tomarus,  in  Ambracia  der  Crania14),  in  Acarnanien 
der  Aracynthus15),  in  Aetolien  der  Acanthon16),  Panätolium17) 
und  Macynium.18) 


')  Existirt  jetzt  nicht  mehr. 

2)  Diese  waren  meistens  nicht  griechischen  Ursprungs.  Sie  bil- 
deten einen  Bund;  ihre  Abgeordneten  versammelten  sich  alljährlich 
zu  Thernum.    Uebrigens  waren  sie  treulos  und  räuberisch. 

3)  Janninah?  dieser  ergiesst  sich  aber  nicht  unmittelbar  ins  jonische 
Meer,  sondern  bei  der  Stadt  Janninah  (sonst  Atrax)  in  den  Peneus. 

*)  Ruinen  beim  Doife  Mauromati. 

5)  Früher  Lycormas  genannt;  jetzt  Fidaris.  6)  Am  Berge  Vara- 
sova.    7)  Clocovo.    8)  Varasova. 

9)  Diese  beiden  Vorgebirge  sind  jetzt  mit  festen  Schlössern  ver- 
sehen, welche  die  Dardanellen  von  Lepanto,  oder  Rumeli  Kavak  und 
Morah  Kavak  heissen. 

,0)  Meerbusen  von  Lepanto.  ")  Lepanto.  12)  Kukio  Kastro. 
,3)  Kavuro  Limni.     ")  Gribovo. 

15)  Dieser  Name  findet  sich  in  vielen  Gegenden,  da  die  Alten 
durch  dieses  Wort  überhaupt  einen  Berg  bezeichneten. 

")  Dsjumarka.     ")  Kuduni.     ,8)  Rhigani. 


296  Viertes  Buch. 

4. 
Zunächst  den  Aetoliern  wohnen  die  Locrer,  x)  welche 
den  Beinamen  Ozoler  führen,  und  frei  von  Abgaben  sind. 
Darin:  die  Stadt  Oeanthe  2),  der  Hafen  des  Apollo  Phä- 
stius 3) ,  der  crissäische  Busen.  4)  Im  Innern  liegen  die 
Städte  Argyna,  Eupalia,  Phästum,  Calamissus.  Weiterhin 
folgen:  das  zu  Phocis  gehörige  cirrhäische  Gebiet,  die 
Stadt  Cirrha  5),  der  Hafen  Chaläon  6),  und  von  diesem  7000 
Schritte  landeinwärts  die  Stadt  Delphi  7)  am  Fusse  des 
Berges  Parnassus,  mit  dem  weltberühmten  Orakel  des 
Apollo.  Die  castalische  Quelle,  der  bei  Delphi  vorbeiflies- 
sende  Cephissus  8),  welcher  bei  der  ehemaligen  Stadt  Li- 
läa  seinen  Ursprung  nimmt.  Ferner:  die  Stadt  Crissa  9), 
die  Bulenser 10),  Anticyra11),  Naulochum12),  Pyrrha,  das  steuer- 
freie Amphissa,  Tithrone13),  Tritea14),  Ambrysus15),  das  dry- 
mäische  Gebiet,  welches  Daulis16)  genannt  wird.  Ganz  am 
Ende  des  Meerbusens  wird  eine  Spitze  Böotiens  vom  Meere 
bespült,  worauf  sich  die  Städte  Siphä17)  und  Theben18)  be- 
finden; letztere  heisst  auch  das  corsische  Theben,  beide 
liegen  aber  in  der  Nähe  des  Helicon.19)  Die  dritte  Stadt 
in  Böotien  von  diesem  Meere  an  ist  Pagä20);  von  wo  aus 
der  Nacken  des  Peloponnes  hervorspringt. 

5. 
Der  Peloponnes21),  früher  Apia,  auch  Pelasgia,  ge- 
nannt, bildet  eine  Halbinsel,  die  keinem  Lande  der  Erde 
an  Berühmtheit  nachsteht.  Er  liegt  zwischen  zwei  Meeren, 
dem  ägeischen  und  jonischen,  gleicht  wegen  der  eckigen 
Buchten   einem  Platanenblatte,   und   misst,    nach  Isidorus, 


')  Die  Locrer,  ein  altes  griechisches  Volk,  theilten  sich  in  3  Haupt- 
stämme, in  die  epicnemidischen,  opuntischen  nnd  ozolischen  Locrer. 

2)  Galaxidi.  3)  Golf  von  Janaki.  4)  Golf  von  Salona.  5)  Salona. 
6)  Anemokampi.    7)  Kastri.    8)  Mauropotamo. 

9)  Salona,  das  ebengenannte  Cirrha,  war  eigentlich  bloss  der  Ha- 
fen von  Crissa  (Krisso). 

,0)  Beim  Kloster  Dobo.  ")  Aspro  Spiti.  >*)  Agio  Sideri.  ,3)  Mul- 
chi.  u)  Turcochori.  15)  Distomo.  ,6)  Daulia.  n)  Bathy.  ,s)  Agiani. 
19)     Palaeovuni.    20)    Psato.    21)     Morea. 


Viertes  Buch.  297 

563,000  Schritte  im  Umfange.  Rechnet  man  aber  alle  Buch- 
ten hinzu,  so  kommt  fast  noch  einmal  soviel  heraus.  Die 
Landenge,  wo  er  ausgeht,  beisst  der  Isthmus.  An  dieser 
Stelle  verschlangen  die  beiden  genannten,  aus  verschiedenen 
Richtungen,  von  Norden  und  Osten  einbrechenden  Meere 
seine  ganze  Breite,  bis  durch  den  entgegengesetzten  Andrang 
so  grosser  Wassermassen  beide  Seiten  auf  einen  Zwischen- 
raum von  5000  Schritten  ausgespült  waren,  so  dass  Hellas 
mit  dem  Peloponnes  wie  durch  einen  schmalen  Hals  zu- 
sammenhängt. Der  eine  Busen  heisst  der  corinthische,  der 
andere  der  saronische  *);  auf  der  einen  Seite  ist  Lecheä  2), 
auf  der  andern  Cenchreä  3)  die  Grenze  der  Landenge.  Die 
Schiffe,  welche  wegen  ihrer  Grösse  nicht  auf  Wägen  hin- 
übergeschafft werden  können,  haben  von  einem  Orte  zum 
andern  einen  langen  und  gefährlichen  Umweg  zu  machen. 
Deshalb  versuchten  der  König  Demetrius  4),  der  Dictator 
Cäsar  3),  der  Kaiser  Cajus  6),  und  Domitius  Nero  7)  auf 
der  Landenge  einen  schiffbaren  Kanal  anzulegen,  doch 
brachte  diess  Unternehmen  (wie  das  Ende  Aller  bewies) 
kein  Glück.  8) 

Mitten  auf  diesem  Isthmus  liegt  die  auf  einen  Hügel 
gebauete  Colonie  Corinth  9),  früher  Ephyra  genannt,  60 
Stadien  von  jedem  der  beiden  Ufer  entfernt.  Von  ihrer 
hochgelegenen  Burg  Acrocorinth,  in  welcher  die  Quelle  Pi- 
rene  entspringt,  kann  man  beide  Meere  sehen.  Der  Seeweg 
von  Leucas10)  bis  Paträ11)  am  corinthischen  Meerbusen  be- 
trägt 88,000  Schritte.  Paträ  ist  eine  an  dem  äussersten 
Vorgebirge  des  Peloponnes  angelegte  Colonie,  Aetolien   und 


')  Meerbusen  von  Engia.  2)  Lecheo.  3)  Kenkri.  4)  Demetrius 
Polyorcetes.  5)  Vergl.  Suetons  Jul.  Cäsar  Cap.  44.  6)  Vergl. 
Suetons  Caligula.  Cap.  21.    7)  Vergl.  Suetons  Nero  Cap.  10. 

8)  Sie  starben  nämlich  keines  guten  Todes. 

9)  Sie  wurde  146  v.  Chr.  G.  durch  den  Consul  Mummius  erobert 
und  verbrannt,  von  Cäsar  aber  wieder  aufgebauet,  und  sie  hatte  an 
jedem  der  zwei  Meere  einen  Hafen,  Lecheä  und  Cenchreä. 

10)  Auf  der  Insel  Santa  Maura.     n)  Patras. 


298  Viertes  Buch. 

dem  Flusse  Evenus  gegenüber;  der  Raum  dazwischen  ist, 
wie  schon  bemerkt,  nicht  ganz  1000  Schritte  breit,  die  Länge 
des  corinthischen  Meerbusens  aber  von  hier  bis  zum  Isthmus 
beträgt  85000  Schritte. 

6. 

Die  Provinz  Achaja  *)  nimmt  beim  Isthmus  ihren  An- 
fang; früher  hiess  sie,  wegen  der  an  der  Küste  in  einer 
Reihe  liegenden  Städte,  Aegialos.  2)  Die  erste  Stadt  ist 
das  bereits  genannte  Lecheä,  ein  Hafen  der  Corinther;  dann 
folgt  Olyros  3),  ein  Castell  der  Pellenäer;  die  Städte  Heii- 
ce; Bura  4),  wohin  die  Bewohner  flohen,  als  die  erstere 
untergegangen  war  5),  ferner  Sicyon  6),  Aegira  7),  Aegion  8), 
Erineos.  9)  Im  Innern  liegen  Cleonä10),  Hysiä11);  der  Hafen 
Panhormus12)  und  das  schon  angezeigte  Rhium.  Von  letzte- 
rem Vorgebirge  liegt  Paträ  5000  Schritte  entfernt;  die  Ruinen 
von  Pherä.13).  In  Achaja  ist  unter  9  Bergen  der  Scioessa 
der  bekannteste;  die  Quelle  Cymothoe.  Hinter  Paträ  die 
Stadt  Olenum,  die  Colonie  Dyme,  die  Stellen,  wo  Bupra- 
sium14)  und  Hyrmine15)  standen,  das  Vorgebirge  Araxum16), 
der  Busen  von  Cyllene17),  das  Vorgebirge  Chelonates18), 
von  wo  aus  man  nach  Cyllene  5000  Schritte  hat;  das 
Schloss  Phlius.  Dieser  Bezirk  ist  von  Homer19)  Aräthyrea, 
später  aber  Asopis  genannt  worden. 

Darauf  folgt  das  Land  der  Elier,  welche  früher  Epeer 


')  Die  nördlichste  Landschaft  des  Peloponnes  am  corinthischen 
Meerbusen.  Sie  war  in  12  Districte  getheilt,  deren  jeder  eine  beson- 
dere Stadt  hatte.  Nach  der  Unterjochung  Griechenlands  durch  die 
Römer  erhielt  der  Name  Achaja  einen  viel  weitern  Sinn,  denn  die 
Römer  theilten  ganz  Griechenland  in  2  Provinzen,  Macedonien  und 
Achaja,  welches  letztere  den  ganzen  Peloponnes  und  Hellas  umfasste. 

2)  Küstenland.    3)  Ulogoca.    4)  Perritza. 

5)  Durch  ein  Erdbeben  373  v.  Chr. 

e)  Basilico.    7)  Paläo-Castron. 

8)   Vostiza.     9)  Artotina.     10)  Klenje.     ll)  Bromo-Limni.     ,2)  Teket. 

,a)  Bei  Kato-Achaja.     14)  Am  Flusse  Verga. 

,D)  Beim  Cap  Clarentza. 

,a)  Cap  Papas.     ")  Cap  Clarenza. 

18)  Cap  Tornesa.     «»)  lliade  IL  78. 


Viertes  Buch.  299 

hiessen;  Elis  *)  selbst  liegt  mitten  im  Lande,  und  von  Pylus 
12,000  Schritte  nach  dem  Innern  zu  befindet  sich  das  Hei- 
ligthum  des  olympischen  Jupiters,  nach  dessen  berühmten 
Spielen  die  griechische  Zeitrechnung  bestimmt  wurde. 2) 
Ferner:  Die  ehemalige  Stadt  der  Pisäer,  am  Flusse  Alpheus. 3) 
An  der  Küste  aber  liegt  das  Vorgebirge  Ichthys. 4)  Der 
Alpheus  wird  6000  Schritte  aufwärts  bei  den  Städten  Aulon5) 
und  Leprion 6)  schiffbar.  Weiterhin  kommt  das  Vorgebirge 
Platanodes. 7)    Alle  diese  Orte  liegen  gegen  Abend. 

7. 
Gegen  Mittag  aber  liegt  der  cyparissische  Meerbusen8) 
mit  der  Stadt  Cyparissu 9);  sein  Umfang  beträgt  72,000 
Schritte.  Fernere  Städte  sind  Pylos10),  Methone11);  die 
Stelle,  wo  Helos  stand,  das  Vorgebirge  Acritas12),  der  von 
der  Stadt  Asine13)  benannte  asinäische14),  und  von  der  Stadt 
Corone15)  benannte  covonäische16)  Meerbusen.  Das  Vorge- 
birge Tänarum17)  bildet  die  Grenze.  Das  alles  gehört  zu 
der  Landschaft  Messenien,  in  welcher  18  Berge  liegen. 
Ferner  der  Fluss  Pamisus18).    Im  Innern  liegen:  Messene19), 


')  Palaeopoli. 

*)  Die  Zeit  der  ersten  Einführung  dieser  Spiele  verliert  sich  ins 
graue  Alterthum.  Sie  wurden  mehre  Male  unterbrochen  und  zuletzt 
von  Iphitus,  dem  König  von  Elis,  im  Jahre  776  v.  Ghr.  G.  wieder  her- 
gestellt, von  welchem  Jahre  auch  die  bekannte  Zeitrechnung  ihren 
Anfang  nimmt.  Sie  wurden  alle  4  Jahre,  oder  bestimmter,  stets  im 
zweiten  Monate  des  fünften  Jahres,  also  abwechselnd  nach  49  und 
51  Monaten  gefeiert.  Ueber  das  endliche  Erlöschen  derselben  findet 
sich  keine  genaue  Nachweisung,  jedoch  dauerten  sie  in  den  ersten 
Jahrhunderten  nach  Chr.  noch  fort. 

3)  Ryfo.     4)  Catacolo.    5)  Avlon. 

u)  Ruinen  beim  Städtchen  Strobitza.    7)  Konello. 

8)  Busen  von  Arcadia. 

9)  Arcadia.     ,0)  Alt  Navarino.     ll)  Modon. 

'-)  Gallo  —  Ein  anderes  Vorgebirge  Acritas  lag  in  Bithynien  am 
Propontis.     13)  Jaratcha. 

")  Golf  von  Modon.    ,5)  Koron. 

16)  Busen  von  Koron. 

")  Cap  Matapan.     ,8)  Pimazza.     ,9)  Mauromatia. 


300  Viertes  Buch. 

Ithome  *),  Oechalia,  Arene  2),  Pteleon,  Thryon,  Dorion  3), 
Zancle,  die  zu  verschiedenen  Zeiten  berühmt  waren.  Der 
Umfang  dieses  Busens  4)  beträgt  80,000,  die  Ueberfahrt 
aber  30,000  Schritte. 

8. 

Bei  Tänarum  beginnt  das  Gebiet  der  Laconier  5), 
eines  freien  Volkes;  der  daselbst  befindliche  Meerbusen  6) 
hat  106,000  Schritte  im  Umfange  und  38,000  Schritte  im 
Durchmesser.  Die  Städte  heissen:  Tänarum  7),  Amyclä  8), 
Pherä  9),  Leuctra10),  im  Innern  des  Landes  Sparta11),  The- 
ramne;  die  Stellen,  wo  Cardamyle,  Pithane  und  Anthane 
lagen,  die  Ruinen  von  Thyrea  und  Gerania;  der  Berg  Tay- 
getus12);  der  Fluss  Eurotas13),  der  Busen  Egilodes14),  die 
Stadt  Psammathus15);  der  nach  der  Stadt  Gytheum16)  be- 
nannte gytheische  Busen,  von  wo  aus  die  sicherste  Ueber- 
fahrt nach  der  Insel  Creta17)  ist.  Diese  ganze  Gegend 
wird  von  dem  Vorgebirge  Malea18)  eingeschlossen. 

9. 

Der  nun  folgende  Meerbusen  bis  zum  scylläischen  Vor- 
gebirge19) hin  heisst  der  argolische,  dessen  Breite  50,000, 
dessen  Umfang  aber  162,000  Schritte  beträgt.     Städte  da- 


')  Burkano. 

2)  Es  gab  zwei  Städte  dieses  Namens  im  Peloponnes.  Diese 
war  die  Residenz  der  alten  mythischen  Könige  von  Messene  und 
heisst  jetzt  Sareni,  die  andere  lag  in  Triphylia. 

3)  Lag  nach  Homer  und  Pausanias  in  Argolis  nördlich  von  Elec- 
tra.     '')  Von  Koron. 

5)  Wahrscheinlich  sind  die  jetzigen  Mainoten  die  Abkömmlinge 
der  alten  Lacedämonier. 

6)  Bai  von  Kolokythia.    7)  Maina. 
8)  Sklavochorion.     9)  Chidri. 

,0)  Istechia.     Ist  wohl  zu  unterscheiden  von  Leuctra  in  Böotien, 
wo  die  Spartaner  von  Epaminondas  geschlagen  wurden. 
H)  Paläochori,  in  der  Gegend  von  Misita. 
,2)  Pentadactylon.    ,3)  Basilipotamo. 
M)  Pulithra.     ,B)  Porto  delle  Quaglie. 
,6)  Kolochina.     17)  Candia.     18)  Spathi.     »»)  Capo  Scyllo. 


Viertes  Buch.  301 

rin  sind:  Böa  1),  Epidaurus  2)  mit  dem  Beinamen  Limera, 
Zarax3),  der  Hafen  Cyphanta. 4)  Flüsse:  der  Inachus 5) 
und  Erasinus6),  zwischen  denen  Argos  mit  dem  Beinamen 
Hippium  7),  oberhalb  der  Ruinen  von  Lerne,  2000 Schritte  vom 
Meere  entfernt  liegt;  9000  Schritte  weiter  liegt  Mycenä8); 
dann  die  Gegend,  wo  Tiryetha  gelegen  haben  soll,  und  das 
ehemalige  Mantinea.9)  Berge:  der  Artemius  10),  Apesantes, 
Asterion,  Parparus  und  11  andere.  Quellen:  Niobe,  Amy- 
mone  und  Psamathe.  Vom  Vorgebirge  Scylläum  bis  zum 
Isthmus  beträgt  die  Entfernung  177,000  Schritte.  Hier  die 
Städte:  Hermione11),  Trözen12),  Coryphasium13),  und  das 
bald  Inachium,  bald  Dipsium  genannte  Argos.  u)  Der  Ha- 
fen Schönitas15),  der  saronische  Busen16),  der  einst  mit  einem 
Eichenwalde  umgeben  war,  und  daher  seinen  Namen  hat, 
denn  so17)  hiess  im  alten  Griechenland  die  Eiche.  An  demsel- 
ben liegt  die  Stadt  Epidaurus18)  mit  einem  berühmten  Tempel 
des  Aesculap;  das  Vorgebirge  Spiräum19),  der  Hafen  An- 
thedus  und  Bucephalus,  endlich  das  obengenannte  Cenchreä, 
die  andere  Hälfte  des  Isthmus  mit  dem  durch  die  fünfjäh- 
rigen Spiele20)  berühmten  Tempel  des  Neptun.  So  viele 
Busen  bildet  die  Küste  des  Peloponnes,  so  viele  Meere  be- 
spülen dieselbe;  denn  von  Norden  her  stürmt  das  jonische 
Meer  an,  von  Westen  das  sicilische,  von  Süden  das  cretische, 
von  Nordosten  das  ägeische,  und  von  Südosten  her  das 
myrthoische,  welches  am  megarischen  Meerbusen  beginnt 
und  ganz  Attica  umgiebt. 


*)  Paleo  Castron.    2)  Paleo  Malvasia. 

3)  Porto  Kari.     4)  Stilo.     5)  Planitza. 

6)  Kephalari.    7)  Argos  oder  Arpi. 

*)  Karia.    9)  Goridsja. 

,0)  Megavuni.     »)  Kastri.     12)  Terfidsje.     ,3)  Karvathi. 

M)  Siehe  ohen,  der  vorbeiflies  sende  Inachus  trocknete  im  Som- 
mer ein.     15)  Porto  Estremo.    16)  Golf  von  Egina. 

")  ouQOiviq.     ,8)  Pidavri. 

,9)  Capo  Franco. 

'•*>)  Nach  Pindar  wurden  diese  Spiele  allemal  zu  Anfang  des 
dritten  Jahres  gefeiert. 


302  Viertes  Buch 

10. 

Arcadien  nimmt  hauptsächlich  den  mittleren  Theil 
des  Peloponnes  ein,  und  wird  daher  auf  keiner  Seite  vom 
Meere  berührt;  anfänglich  hiess  dasselbe  Drymodes,  nach- 
her aber  Pelasgis.  Städte  in  demselben  sind:  Psophis  *), 
Mantinea  2),  Stymphalum  3),  Tegea,  Antigonea  4),  Orchome- 
num5),  Pheneum 6),  Palantium 7),  von  welcher  Stadt  das 
Palatium  in  Rom  seinen  Namen  hat8),  Megalopolis 9), 
Gortyna10),  Bucolium11),  Carnion,  Parrhasie12),  Thelpusa13), 
Melänä14),  Heräa15)  Pyle,  Pallene,  Agrä,  Epium,  Cyrätha  6), 
das  arcadische  Lepreon,  Partheniam,  Alea17),  Methydrium18), 
Enispe,  Macistum,  Lampe,  Clitorium19),  Cleonä20);  zwischen 
letztern  beiden  Städten  liegt  die  nemeische21)  oder  bembi- 
nadische  Gegend.  Berge  in  Arcadien  sind  der  Pholoe22), 
mit  einer  Stadt  gleichen  Namens,  ferner  der  Cyllene23), 
Lycäus 24)  mit  einem  Tempel  des  Jupiter  Lycäus,  der 
Mänalus,  Artemisius25),  Parthenius26),  Lampeus27),  Nouacris28) 
und  ausserdem  noch  acht  minder  wichtige.  Flüsse  sind: 
der  Ladon29),  der  aus  den  Sümpfen  um  Pheneum30),  und 
der  Erymanthus31),  welcher  aus  dem  Berge32)  gleichen  Na- 
mens entspringt;  beide  ergiessen  sich  in  den  Alpheus33) 

Die  noch  übrigen  Gemeinden  in  Achaja  sind  folgende: 
die   Aliphiräer34),   Abeater35),   Pyrgenser36j,   Paroreater37); 


*)  Jakovo.    2)  Goridsja.    3)  Sarke. 

4)  Ruinen  dieser  beiden  Städte  bei  Tripolizza.     5)  Kalpaki. 

6)  Phonje.    7)  Thana. 

8)  Evander  soll  nämlich  aus  Palantium  herstammen,  weshalb  die 
alte  Stadt,  die  er  auf  dem  palatinischen  Berge  (wo  später  Rom  ge- 
gründet wurde)  anlegte,  Palatium  genannt  worden  sei. 

9)  Sinano.     ,0)  Kartine.     »*)  Trupiais.     12)  Firina.     ,3)  Telfusa. 
,4)  Rhavli.     15)  Iri.     *6)  Kerpeni.     ")  Lavea.     ,8)  Methaga. 

>9)  Gardiki.    20)  Klenje. 

21)  Ebene  um  Tristena.  Herkules  erwürgte  hier  den  nemeischen 
Löwen;  alle  drei  Jahre  im  Herbste  wurden  daselbst  die  nemeischen 
Spiele  gefeiert. 

22)  Vodi.    23)  Chelmos.     24)  Tetragi.    25)  Gymnovuni. 

26)  Megavuni.    27)  Zambi.    28)  Bei  Naukria.    29)  Landona. 
»)  Phonje.    3I)  Azikol.     32)  Xiria.    33)  Karbon.    34)  Palatia. 
36)  Zarnata.    36)  Bei  Derwisch-Aga.     37)  Pararia. 


Viertes  Buch.  303 

Parageniter,  Tortuner,  Typaneer,  Thriusier,  Trilienser. 
Domitius  Nero  schenkte  ganz  Achaja  die  Freiheit.  Die 
Breite  des  ganzen  Peloponnes  vom  Vorgebirge  Malea  bis 
zur  Stadt  Aegium  am  corinthischen  Meerbusen  beträgt 
190,000  Schritte;  allein  quer  hindurch  von  Elis  nach  Epi- 
daurus  125,000,  und  von  Olympia  nach  Argos  durch  Arca- 
dien  68,000  Schritte.  Von  eben  diesem  Orte  bis  nach 
Phlius  haben  wir  die  Entfernung  schon  angegeben. r)  Auf 
der  ganzen  Halbinsel  erheben  sich  76  Berge,  und  hierdurch 
ersetzt  die  Natur  gleichsam  dasjenige  wieder,  was  durch 
das  Meer  entrissen  wurde. 

11. 
An  der  Landenge  des  Isthmus  fängt  Hellas  2)  an,  was 
die  Römer  Gräcia  nennen.  Das  erste  Gebiet  darin  ist 
Attica,  vormals  Acte  genannt.  Es  hängt  mit  dem  Isthmus 
durch  einen  Landstrich  zusammen,  welcher  von  der  Pagä 3) 
gegenüber  liegenden  Colonie  Megara,  Megaris  genannt  wird. 
Diese  beiden  Städte  liegen  da,  wo  der  Peloponnes  ausgeht, 
zu  beiden  Seiten  gleichsam  auf  den  Schultern  von  Hellas. 
Die  Pagäer  und  die  Aegosthenienser 4)  gehören  noch  zu 
den  Megarensern.  An  der  Küste  aber  liegt  der  Hafen 
Schönus. 5)  Städte  sind:  Sidus 6)  Cremmyon  7),  die  6000 
Schritte  langen  scironischen  8)  Felsen,  Gerania  9),  Megara 
und  Eleusis.10)  Früher  lagen  hier  Oenoa11)  und  Probalin- 
thos12),  jetzt  aber  sind  sie  vom  Isthmus  55,000  Schritte 
entfernt;  die  Häfen  Piräus  und  Phalera,  welche  durch  eine 
5000  Schritte  lange  Mauer  mit  Athen  verbunden  sind.  Diese 
Stadt  ist  frei,  und  bedarf  keiner  Lobrede,  so  gross  ist  ihr 
Ruhm.  Quellen  in  Attica  sind:  Cephissia,  Larine,  Callirrhoe, 
Enneacrunos.  Berge:  der  Brilessus,  Aegialeus,  Icarius,  Hy- 
mettus,  Lycabettus;  die  Ruinen  von  Ilisos.  45,000  Schritte 
vom  Piräus  liegt  das  Vorgebirge  Sunium13)  und  Thoricos.14) 


«)  Im  6.  Cap.    2)  Livadien.    3)  Psato.     *)  S.  Basilio. 

5)  Porto  Cocosi.    6)  Kassidi.    T)  Kenella.     8)  Derveni  Bouno. 

9)  Porto  Germano.     I0)  Lefsina.     ")  Bei  Oenoe. 

,2)  Bei  Vasileopyrgos.     l3)  Colonna.     I4)  Mandri. 


304  Viertes  Buch. 

Potamos  *),  Steria  2)  und  Beauron  3)  waren  vormals  Städte. 
Der  Flecken  Rhamnus4),  die  Ruinen  von  Marathon5),  die 
thriasische  Ebene  6),  die  Stadt  Melita  und  Oropus  7)  an  der 
Grenze  von  Böotien. 

12. 
In  Böotien8)  liegen  Anthedon9),  Onchestos 10),  die  freie 
Stadt  Thespiä  u),  Lebadea 12),  und  das  Athen  an  Ruhm  nicht 
nachstehende  böotische  Theben  13),  angeblich  die  Vaterstadt 
zweier  Götter,  des  Bacchus  und  Herkules.  Auch  die  Musen 
sollen  in  einem  Haine  des  Helicon  geboren  sein.  Zu  The- 
ben rechnet  man  noch  das  Waldgebirge  Cithäron  14)  und  den 
Fluss  Ismenus.  Ausserdem  hat  Böotien  folgende  Quellen: 
Oedipodia,  Psamathe,  Dirce,  Epicrane,  Arethusa,  Hippocrene, 
Aganippe,  Gargaphia.  Ausser  den  schon  genannten  Bergen 
sind  noch  zu  erwähnen:  der  Mycalessus,  Hadylius  und  Acon- 
tius.  Die  übrigen  Städte  zwischen  Megara  und  Theben 
sind:  Eleutherä 15),  Haliartus 16),  Platää17),  Pherä18),  Asple- 
don19),  Hyle20),  Thisbe21),  Erythrä,  Glissas,  Copä;  Larym- 
na22)  und  Anchoa23)  am  Flusse  Cephissus24);  Medeon,  Phly- 
gone25),  Acräphia26),  Coronea27),  Chäronea.28)  An  der  Küste 
aber,  unterhalb  Theben,  liegen:  Ocolee,  Heieon29),  Scolos30), 
Schönos,  Peteon,  Hyrie,  Mycalessus,  Iresion,  Pteleon,  Oly- 


')  Porto  de  Rafti.    -)  Siteri.    3)  Braona. 

4)  Taurocastro  oder  Abriocastro. 

5)  Hier  schlug  Miltiades  die  Perser,  490  y.  Chr. 

6)  Zwischen  Athen  und  Eleusis.    7)  Ropo. 
8)  Stramaüpa.     9)  Luchisi. 

w)  Ruinen  von  San  Topoglia  (Copais). 

")  Ruinen  bei  Rirnacastro.     ,2)  Livadia.     ,3)  Thiva.     ")  Elatea. 

,5)  Contura.     16)  Ruinen  bei  Maci. 

")  Kokla.  Hier  wurde  Mardonius,  der  Feldherr  des  Xerxes,  von 
Pausanias  479  v.  Chi\  geschlagen. 

,8)  Bei  Skimitari.     19)  Bei  Scripu.     20)  Bei  Senjena.    2l)  Cacosi. 

22)  Lamas.    M)  Putzomadi.     24)  Mauronero.     25)  Bei  Dadi. 

26)  Kartitza.     ^  Korunies. 

28)  Capourna.  Hier  siegte  Philipp  von  Macedonien  über  die 
Griechen,  333  v.  Chr. 

2i>)  Ela.    *»)  Sialesi. 


Viertes  Buch.  305 

ros,  Tanagra  *),  deren  Bewohner  frei  sind,  und  am  Eingange 
der  Bai  Euripus2),  welche  durch  die  vorliegende  Insel 
Euböa 3)  entsteht,  das  durch  seinen  geräumigen  Hafen 
berühmte  Aulis. 4)  Die  Böotier  hiessen  in  alten  Zeiten 
Hyanter. 

Nun  folgen  die  epicnemidischen  Locrer5),  welche  früher 
Leleger  hiessen;  durch  ihr  Gebiet  ergiesst  sich  der  Cephis- 
sus  ins  Meer.  Städte  sind:  Opus6),  woher  der  opuntische 
Meerbusen  seinen  Namen  hat,  Cynos. 7)  An  der  Küste  von 
Phocis  liegt  die  einzige  Stadt  Daphnus.8)  Im  Innern  von 
Locris  liegt  Elatea9),  und  am  Ufer  des  Cephissus  (wie  be- 
reits gesagt  wurde)10)  Liläa;  gegen  Delphi  hin:  Cnemis  und 
Hyampolis. n)  Wiederum  an  der  locrischen  Küste  Larym- 
na 12)  und  Thronium 13)  bei  welcher  der  Fluss  Boagrius  sich 
ins  Meer  ergiesst.  Die  Städte  Narycion u),  Alope,  Scarphia. 
Dann  folgt  der  von  den  Einwohnern  sogenannte  maliacische15) 
Meerbusen,  an  welchem  die  Städte  Halcyone,  Econia  und 
Phalara  liegen. 

13. 

Hierauf  folgt  Doris  mit  den  Städten  Spanthos,  Eri- 
neon  16),  Bojon 1T),  Pindus  und  Cytinum.  Hinter  Doris  liegt 
der  Berg  Oeta. u) 

14. 

An  Doris  grenzt  Aemonien,  welches  seinen  Namen  oft 
geändert  hat,  denn  es  hiess  Argos  pelasgicum,  Hellas, 
Thessalien  und  Drypis,  und  zwar  immer  nach  seinen  Kö- 
nigen.    Ein  eingeborner  König  dieses  Landes  hiess  Gräcus; 


')  Skimitari.    2)  Euripo.    3)  Negroponte. 

4)  In  diesem  Hafen  versammelte  Agamemnon  die  Flotte  der 
Griechen  zum  Zuge  nach  Troja.  Der  Hafen  heisst  jetzt  Bathy.  Von 
Aulis  existirt  keine  Spur  mehr. 

5)  So  genannt,  weil  sie  am  Berge  Cnemis  (Talento)  wohnten. 

6)  Talante.     7)  Ruinen  beim  Dorfe  Livanitis. 

8)  Ruinen  bei  Neschorio.    9)  Levta.     ,0)  Im  4.  Cap.     ")  Bogdana. 

,2)  Das  untere  nämUch;  Ruinen  bei  Putzomadi. 

13)  Chilikous.     M)  Ruinen  bei  Tornitza.     15j  Golf  Isdin. 

16)  Erinei.     17)  Bralo.    ,8)  Kumayta. 

20 


306  Viertes  Buch. 

von  ihm  erhielt  Griechenland  seinen  Namen;  vom  Hellen 
bekamen  die  Griechen  den  Namen  Hellenen.  Homer1)  be- 
zeichnet eben  diese  Völker  mit  drei  Namen,  Myrmidonen, 
Hellenen  und  Achäer. 

Von  ihnen  heissen  diejenigen,  welche  an  Doris  gren- 
zen, Phthioten.  Ihre  Städte  sind:  Echinus2)  am  Ausflüsse 
des  Flusses  Sperchius3),  der  Engpass  von  Thermopylä 4), 
von  dem  das  4000  Schritte  davon  gelegene  Heraclea5)  den 
Namen  Trachys6)  führt.  Daselbst  befindet  sich  auch  der 
Berg  Callidranus  7);  berühmte  Städte  sind:  Hellas,  Halos, 
Lamia. 8),  Phthia,  Arne. 

15. 

In  Thessalien  aber  liegen:  Orchomenus 9),  früher  Mi- 
nyeus  genannt,  die  Stadt  Almon  oder  Salmon,  Atrax  10),  Pe- 
linna11);  die  Quelle  Hyperia;  die  Städte:  Pherä13),  hinter 
welcher  sich  der  Pieria13)  bis  nach  Macedonien  hinzieht, 
Larissa14),  Gomphi15),  das  thessalische  Theben,  der  Wald 
Pteleon,  der  pagasische  Meerbusen. 16)  Die  Stadt  Pagasa 17), 
welche  nachher  Demetrias  genannt  wurde/  Tricca18),  die 
pharsalischen  Gefilde  mit  einer  freien  Stadt 19),  Crannon, 
Iletia.  Berge  in  Phthiotis  sind:  der  Nymphäus,  ehedem 
sehenswerth  wegen  seiner  natürlichen  Gartenanlagen.  Der 
Buzygäus,  Donacesa,  Bromius,  Daphusa,  Chimerion,  Atha- 

')  Iliade  II.  191.     -)  Echina.     3)  Ellada. 

')  Pass  Elafu;  bekannt  durch  die  heldenmüthige  Verteidigung 
der  300  Spartaner  unter  Leonidas  gegen  Xerxes.  —  Der  Pass  wird 
gebildet  durch  die  Felsenwand  des  Öta  und  den  malischen  Meerbusen. 

5)  Ruinen  am  Asopo.     6)  Von  tqu^vq  rauh,  unwegsam. 

■>)  Ein  Theil  des  Öta.     8)  Zeitun.    9)  Scripu.     ,0)  Zarko. 

»»)  Balaklen.     ,2)  Velsin. 

13)  Ein  Seitenast  des  Lacha,  der  sich  bis  an  den  Golf  von  Volo 
herabzieht. 

14)  Larisse  bei  den  Neu-Griechen,  Jenischehr  bei  den  Türken. 
,:')  Klinovo. 

16)  Golf  von  Volo,  wo  sich  die  Argonauten  einschifften. 
")  Volo.     ,8)  Tricala. 

19)  Pale  Farselus.  Hier  wurde  45  v.  Chr.  Pompejus  von  Cäsar 
geschlagen. 


Viertes  Buch.  307 

raas,  Stephane.  In  Thessalien  giebt  es  überhaupt  34  Berge, 
von  denen  die  merkwürdigsten  sind:  der  Cercetii x),  Olym- 
pus 2),  Pierus,  Ossa.  3)  Diesem  gegenüber  liegen  der  Pin- 
dus 4)  und  Othrys5),  die  Wohnsitze  der  Lapithen;  diese 
Berge  liegen  gegen  Abend.  Gegen  Morgen  der  Pelios6); 
alle  aber  bilden  einen  theaterförmigen  Bogen,  in  welchem 
sich  75  Städte  befinden.  Flüsse  Thessaliens  sind:  der  Api- 
danus 7),  Phönix,  Epineus 8),  Onochonus  9),  Pamisus;  die 
Quelle  Messa'is;  der  See  Böbr'is. 10)  Am  berühmtesten  aber 
ist  der  Peneus11),  welcher  in  der  Nähe  von  Gomphi  ent- 
springt, zwischen  dem  Ossa  und  Olympus  in  einem  wal- 
digen Thale  von  500  Stadien  hinabfliesst,  und  von  der 
Hälfte  dieser  Strecke  an  schiffbar  ist.  Ein  Theil  dieses 
Thaies,  welcher  Tempe 12)  heisst,  ist  5000  Schritte  lang 
und  beinahe  anderthalb  Joch  Landes  breit;  links  und  rechts 
erheben  sich,  soweit  das  menschliche  Auge  reicht,  sanfte 
Bergrücken.  Mitten  hindurch  zieht  sich  der  wegen  seines 
grünen  Sandes  ins  grünlich  spielende  Peneus,  seine  Ufer 
sind  mit  dem  schönsten  Grase  bedeckt  und  vom  Gesänge  der 
Vögel  erfüllt.  Er  nimmt  den  Orcos  auf,  vereinigt  sich  aber 
nicht  mit  ihm,  sondern  stösst  ihn,  nachdem  er  ihn  (wie 
Homer  sagt) 13)  gleich  wie  aufschwimmendes  Oel  eine  kurze 
Strecke  getragen,  wieder  von  sich,  und  verschmähet  es, 
seine  silbernen  Wogen  mit  einem  verdammten,  von  Ver- 
wünschungen erzeugten  Wasser14)  zu  vermischen. 

16. 
An  Thessalien  grenzt  Magnesien15),  mit  der  Quelle 
Libethra. 16)     Städte   darin   sind:   Jolcus17),   Hormenium 18), 
Pyrrha19),  Methone20),  Olizoa21);  das  Vorgebirge  Sepias22): 


^)  Ein  Zweig  des  Pindus.    -)  Lacha.     3)  Kissavo,     4)  Mezzovo. 
5)  Veloutzi.    6)  Petras.    7)  Epideno.     8j  Vlachojanni.     9)  Rejani. 
10)  Carlas.     ")  Salambria.     12)  Bogazo.     ,3)  llliade  II.  262. 
")  Die.  Götter  pflegten  nämlich  beim  Orcos  zu  schwören. 
*6)  Die  jetzigen  Landschaften  Zagora  und  Macrinizza. 
16)  Bei  Goritza.     17)  Goritza.     t8)  Milias.     ,9)  Korakai  Pyrgo*. 
20)  Neochori.     21)  Kortos  bei  Argalasti.    22)  Giorgio. 

20* 


308  Viertes  Buch. 

die  Städte  Castfeanäa  *),  Sphalatra  2);  das  Vorgebirge  Aean- 
tium3);  die  Städte  Meliböa4),  Rhizus 5),  Erymnä6);  die 
Mündung  des  Peneus  7);  die  Städte  Homolion,  Orthe,  Thes- 
piä,  Pbalanna  8),  Tbaumacia  9),  Gyrton 10),  Cranon  n),  Acharne, 
Dotion,  Melitäa,  Phylace,  Potniae.  Die  Länge  von  Epirus, 
Achaja,  Attica  und  Thessalien  in  einer  Richtung  soll 
480,000  und  die  Breite  287,000  Schritte  betragen. 

17. 
Hierauf  folgt  Macedonien  mit  150  Völkerschaften,  be- 
rühmt durch  zwei  Könige 12)  und  seine  ehemalige  Weltherr- 
schaft; vormals  hiess  es  Emathia.  Es  zieht  sich  hinter 
Magnesien  und  Thessalien  westlich  bis  zu  den  epirotischen 
Völkern  hin,  und  wird  von  den  Dardanern  oft  beunruhigt. 
Päonien  und  Pelagonien  schützen  den  nördlichen  Theil 
gegen  die  Triballer.  Städte:  Aegiä,  wo  man  die  Könige 
begräbt,  Beröa13),  und  in  dem  Gebiete,  welches  von  einem 
Walde  den  Namen  Pieria  führt,  Aeginium. 14)  An  der  Küste 
liegt  Heraclea 15)  und  der  Fluss  Apilas. 16)  Die  Städte  Pyd- 
na  17j,  Aloros,  der  Fluss  Aliacmon. 18)  Im  Innern  des  Lan- 
des wohnen  die  Aloriter,  Valläer,  Phylacäer,  Cyrrhester11') 
Tyrissäer.  Die  Colonie  Pella20);  die  Stadt  Stobi 21)  mit 
römischem   Bürgerrechte.     Dann   folgt  Antigonea22),   Euro- 


*)  Bei  Tzankarada.    -)  Hagia  Eutimia.    3)  Monastir. 
A)  Bei  Mintzeles.     5)  Bei  Pesi-Dendra.     fi)  Bei  Conomio. 
7)  In  den  thermaischen  Busen.     8)  Baba.     •')  Taimak. 
10)  Kirsali.     ")  Crania. 
,2)  Philipp  und  Alexander  der  (.{rosse. 

13)  Wurde   nach  ihrer  Zerstörung  von  der  Kaiserin  Irene  wieder 
autgebaut  und.  erhielt  den  Namen  Irenopolis.    Jetzt  Beria. 
,4)  Ainovo.     ,5)  Monastir.     ,r>)  Sphetili. 

17)  Chitro  oder  Kitro.  In  der  Nähe  dieser  Stadt  wurde  der  letzte 
König  von  Macedonien,  Perses,  von  Aemilius  Paullus  168  v.  Chr.  ge- 
schlagen. 

18)  Indsche-Karasu.     ,9)  Kastranitza. 

-°)  Palatitza.  Sie  war  der  Geburtsort  Alexanders  und  die  Residenz 
seiner  Nachfolger  bis  auf  Perses. 
-')  Istib.     --)  Nigothenio. 


Viertes  Buch.  309 

pus  *)  am  Flusse  Axius  2)  und  noch  eine  Stadt  gleichen 
Namens  3),  durch  welche  der  Rhödias  fliesst.  Eordeä  4), 
Scydra  5),  Mieza,  Gordyniä.  An  der  Küste:  Ichnä,  der  Fluss 
Axius.  An  dieser  Grenze  von  Macedonien  wohnen  die  Dar- 
daner,  Trerer  und  Pierer.  Am  Flusse  Axius  wohnen  die  päo- 
nischen  Völker  6),  als:  die  Paroräer,  Eordenser,  Almopier, 
Pelagoner,  Mygdoner.  Berge  sind:  der  Rhodope  7):  Scopius 
und  Orbelus.  8)  In  der  davor  liegenden  Ebene  wohnen  die 
Arethusier,  Antiochienser,  Idomenenser  9),  Doberer10),  Ae- 
sträenser11),  Allantenser,  Audaristenser,  Moryller,  Garescer, 
Lyncester,  Othryoneer,  die  freien  Amantiner12)  und  Orester; 
die  bullidensische13)  und  diensische14)  Colonie;  die  Xylopo- 
liter,  die  freien  Scotussäer,  Heraclea  Sintica15),  die  Tym- 
phäer  und  Toronäer. 

Vorn  am  macedonischen  Meerbusen16)  liegt  die  Stadt 
Chalastra17),  an  seiner  innersten  Seite  Pileros  und  Lete18), 
und  an  der  mittleren  Einbiegung  des  Ufers  Thessalonica19), 
eine  freie  Stadt.  Von  Dyrrachium  bis  hierher  beträgt  die 
Entfernung  240,000  Schritte.  Nun  folgt  Therme20),  und  im 
thermaischen21)  Meerbusen  die  Städte  Dicäa22)  Pydna,  Der- 
rha,  Scione.  Das  Vorgebirge  Canasträum23);  die  Städte 
Phallene  und  Phlegra.  In  dieser  Gegend  befinden  sich  die 
Berge  Hypsizorus,  Epitus,  Halcyone  und  Levomne;  die  Städ- 
te: Nyssos,  Phryxelon,  Mendä  und  auf  dem  pallanensischen 
Isthmus24)  das  ehemalige  Potidäa,  jetzt  die  Colonie  Cassan- 
dria;  Anthemus,   Olophyxus;  der   mecybernische  Busen25); 


')  Köprili.     2)  Vardar.     3)  Orhissar.     4)  Filorina. 

'')  Sidero-Kapsa.     °)  Die  jetzigen  Bulgaren.    7)  Despoto. 

8)  Argentaro.     9)  Kuuili-Kiöi.     10)  Avrethissar.     n)  Tikwesch. 

'-)  Avostina.     ,3)  Poklin.     «)  Platamona.     ,5)  Rasluk. 

,6)  Golfo  di  Salonichi. 

")  Wurde  von  Cassander  zerstört,  um  die  Einwohner  nach  Thes- 
salonich zu  versetzen. 

18)  Litta.     ,9)  Salonichi. 

-°)  Thenna  ist  keine  eigentliche  Stadt,  sondern  bloss  der  alte 
Name  von  Thessalonica. 

'-')  d.  i.  macedonischen.    22)  Buraiu.     23)  Piajuri. 

M)  Calandro.     ")  Golf  Kassandra, 


310  Viertes  Buch. 

die  Städte  Miscella,  Ampelos  l),  Torone,  Singos. 2)  Die 
1500  Schritte  lange  Meerenge,  welche  dadurch  entstand, 
dass  der  persische  König  Xerxes  den  Berg  Athos 3)  vom 
Festlande  trennte.  Der  Berg  selbst  läuft  von  der  Ebene 
an  75,000  Schritte  weit  ins  Meer,  und  sein  Umfang  beträgt 
am  Fusse  150,000  Schritte.  Auf  seinem  Gipfel  lag  vormals 
die  Stadt  Acroathon;  jetzt  findet  man  daselbst  Uranopolis, 
Paläorium,  Thyssus,  Cleonä,  Apollonia  4),  deren  Einwohner 
den  Beinamen  Macrobier  führen.  Die  Stadt  Cassera  5), 
der  Busen  auf  der  andern  Seite  des  Isthmus  6),  Acanthus  7), 
Stagira  8),  Sithone,  Heraclea  und  die  darunter  liegende  Land- 
schaft Mygdonien,  in  welcher  in  einiger  Entfernung  vom 
Meere  Apollonia  9)  und  Arethusa  liegen.  Wiederum  an  der 
Küste  Posidium,  der  Meerbusen10)  und  die  Stadt  Cermorum, 
das  freie  Amphipolis11),  und  die  Bisalter.  Dann  folgt  an 
der  Grenze  von  Macedonien  der  Fluss  Strymo12),  welcher 
auf  dem  Hämus  entspringt  und  —  was  bemerkenswerth  ist 
—  erst  durch  7  Seen  geht,  bevor  er  eine  bestimmte  Rich- 
tung nimmt. 

Diess  ist  das  Macedonien,  das  sich  einst  der  Weltherr- 
schaft bemächtigt  hatte,  das  sich  über  Asien,  Armenien, 
Iberien,  Albanien,  Cappadocien,  Syrien,  Aegypten,  den  Tau- 
rus  und  Caucasus  ausdehnte,  Bactrien,  Medien  und  Persien 
beherrschte,  also  den  ganzen  Orient  besass,  sogar  Indien 
besiegte  und  in  die  Fusstapfen  des  Bacchus  und  Herkules 
trat;  diess  ist  dasselbe  Macedonien,  von  dem  unser  Feld- 


')  Am  Ausflusse  des  Axius  lag  auch  ein  Vorgebirge  dieses 
Namens. 

2)  Der  Busen  bei  dieser  8tadt  heisst  jetzt  Golf  Kontessa. 

3)  Monte  Santo  oder  Agios  oros.    A)  Pollina. 
5)  Kareis.    6)  Golf  Kontessa.     7)  Hierisos. 

8)  Libanova  oder  Stauros,  der  Geburtsort  des  Aristoteles. 

9)  Beschik.     10)  Golf  Kontessa. 

u)  Emboli.  Von  den  Atheniensern  unter  Cimon  gegründet;  Phi- 
lipp nahm  sie  ein.  Sie  war  der  Geburtsort  des  berüchtigten  Kri- 
tikers Zoilos. 

12)  Struma.    Er  ergiesst  sich  in  den  Meerbusen  von  Kontessa. 


Viertes  Buch.  311 

lierr  Paulus  Aemilius1)  an  einem  Tage  72  eroberte  Städte 
verkaufte.  Solch  eine  Verschiedenheit  des  Schicksals  ging 
von  2  Menschen2)  aus. 

18. 
Wir  kommen  nun  nach  Thracien  3),  dessen  Bewohner 
unter  die  kräftigsten  Völker  Europas  gehören.  Es  wird  in 
50  Strategien  4)  eingetheilt.  Von  den  nennenswerthen  Völ- 
kern wohnen  auf  dem  rechten  Ufer  5)  des  Strymon  die  Den- 
selater  und  Meder,  bis  zu  den  obengenannten  Bisaltern; 
auf  dem  linken  Ufer  die  Digerer  und  viele  Stämme  der 
Besser  bis  zum  Flusse  Nestus  6)  hin,  welcher  am  Fusse 
des  Berges  Pangäus  7)  herum  durch  die  Wohnsitze  der  Ele- 
ther,  Diobesser,  Carbileser,  Bryser,  Sapäer  und  Odomanter 
fliesst.  Aus  dem  Gebiete  der  Odryser  kommt  der  Hebrus  8), 
an  welchem  die  Cabyleter,  Py rogerer,  Drugerer,  Cänicer, 
Hypsalter,  Bener,  Corpiller,  Edoner  wohnen.  In  demselben 
Distrikte  wohnen  auch  die  Selleter,  Prianter,  Doloncer, 
Thyner,  die  altern  Cöleter  am  Hämus  und  die  jüngeren 
am  Rhodope.  Auch  ihre  Gebiete  durchfliesst  der  He- 
brus. Die  am  Fusse  des  Ehodope  liegende  Stadt  hiess 
früher  Poneropolis,  bald  darauf  nach  ihrem  Erbauer  Phi- 
lippopolis  9),  und  wird  jetzt  ihrer  Lage  (auf  drei  Bergen) 
wegen  Trimontium  genannt.  Die  Höhe  des  Hämus  beträgt 
6000  Schritte.  Auf  seiner  hintern  Seite,  die  sich  gegen 
den  Ister  hin  abdacht,  wohnen  die  Mösier,  Geter,  Aorser, 


*)  Der  Besieger  des  Königs  Perses ;  nach  der  Schlacht  bei  Pydna, 
168  v.  Chr. 

2)  Paulus  Aemilius  und  Alexander  der  Grosse. 

3)  Romanien,  Rumili.     4)  Militärbezirke. 
5)  D.  i.  gegen  Westen.    6)  Karasu. 

7)  Castagnatz;  eigenthch  nur  ein  Theil  des  Gebirges  Rhodope. 
Er  war  berühmt  durch  seine  Gold-  und  Silberbergwerke. 

8)  Maritza.  Er  ergiesst  sich  der  Insel  Samothrace  gegenüber  in<s 
ägeische  Meer. 

9)  Philippopoli  oder  Phelibe.  Poneropolis,  die  Stadt  der  Ver- 
brecher, hiess  sie,  weil  von  ihrem  Erbauer,  dem  König  Philipp,  Ver- 
brecher als  Kolonisten  dahin  geführt  wurden. 


312  Viertes  Buch. 

Gauder,  Ciavier;  weiter  hin  die  arräischen  Sarmater,  auch 
Areater  genannt,  und  die  Scythen,  und  an  den  Küsten  des 
Pontus  die  Morisener  und  Sithonier,  von  denen  der  Dichter 
Orpheus  abstammte. 

Der  Ister  begrenzt  also  Thracien  im  Norden,  der  Pon- 
tus und  Propontis  im  Osten,  und  das  ägeische  Meer  im  Sü- 
den, an  dessen  Küste  vom  Strymon  an  Apollonia  l),  Oesy- 
ma,  Neapolis  2)  und  Datos  3)  liegen.  Im  Innern  des  Landes 
liegt  die  Colonie  Philippi,  325,000  Schritte  von  Dyrrachium 
entfernt.  Scotusa,  die  Gemeinde  Topiris4),  die  Mündung 
des  Flusses  Mestus,  der  Berg  Pangäus,  Heraclea  5),  Olyn- 
thos6);  die  freie  Stadt  Abdera 7)  der  See8)  und  das  Volk 
der  Bistoner.  Hier  lag  die  Stadt  Tirida,  berüchtigt  durch 
die  Pferdeställe  des  Diomedes9);  jetzt  steht  daselbst  Di- 
cäa10)  und  Ismaron. u)  Die  Ruinen  von  Parthenion,  Pha- 
sina und  Maronea  12),  welches  früher  Ortagurea  hiess.  Der 
Berg  Serrium  13)  und  Zone.  Der  Ort  Doriscus 14),  der  gerade 
10,000  Menschen  fasst,  wesshalb  Xerxes  ihn  zur  Zählung 
seines  Heeres  benutzte.  Die  Mündung  des  Hebrus;  der 
Hafen  des  Stentor15);  die  freie  Stadt  Aenos  mit  dem  Grabe 


')  Später  hiess  sie  Sozopolis,  woraus  ihr  jetziger  Namen  Size- 
poli  verstanden  ist.    2)  Kavela. 

3)  Eine  durch  die  Goldbergwerke  in  ihrer  Nähe  sehr  reiche  Stadt, 
früher  Crenides  genannt.  Später  gab  ihr  Philipp  von  Macedonien  den 
Namen  Philippi.  In  ihrer  Umgebung  wurden  Brutus  und  Cassius  von 
Octavian  und  Antonius  geschlagen.  Ihr  jetziger  Name  ist  Philippi- 
Ghi  (4>i\i7Ctcov  yr\). 

4)  Cavalla.     r')  Rasluk.    °)  Agio  Mama. 

7)  Der  Geburtsort  des  Democrit  und  Protagoras.  Noch  jetzt  fin- 
det man  Ruinen  von  ihr  bei  Jenidsche-Karasu,  am  Karasu. 

8)  Lago  di  Bistogna. 

9)  Ein  thracischer  König,  der  nach  der  Fabel  alle  Fremde  seinen 
teuerschnaubenden  Rossen  zum  Futter  vorwarf.  Hercules  besiegte  ihn 
und  Hess  ihn  zur  Strafe  für  seine  Grausamkeit  von  seinen  eigenen 
Pferden  fressen. 

,0)  Burun.     n)  Imahan.     12)  Marogna.     ,3)  Cap  Makri. 
l4)  Ebene  von  Rumigick;  Xerxes  füllte  den  Ort  hundertundsie- 
benzigmal,  sein  Heer  war  also  1,700,000  Mann  stark.    HerodotVH.  59. 
,B)  Bojis  Korfusi. 


Viertes  Buch.  313 

des  Polydorus  *),  ehemals  das  Gebiet  der  Ciconer.  Von  Do- 
riscus  an  macht  die  Küste  eine  Krümmung  von  122,000 
Schritten  bis  nach  Macron  Tichos.  Bei  letzterm  Orte  mün- 
det der  Fluss  Melas 2),  von  dem  der  Meerbusen  seinen  Na- 
men hat.  Hier  die  Städte:  Cypsella  3),  Bisanthe  4)  und 
Macron  Tichos5),  so  genannt,  weil  vom  Propontis  bis  zum 
melanischen  Meerbusen  sich  eine  Mauer  zwischen  den  bei- 
den Meeren  hinzieht  und  den  vorlaufenden  Chersones  absperrt. 
Thracien  hat  aber  auf  der  andern  Seite,  da  wo  es  an 
der  pontischen  Küste,  in  der  Nähe  der  Mündung  des  Ister 
seinen  Anfang  nimmt,  die  schönsten  Städte,  als:  Istropo- 
lis 6),  von  den  Milesiern  erbauet,  Tomi 7)  und  Calatis  8), 
welches  früher  Acervetis  hiess.  Hier  lag  auch  Heraclea 
und  Bizone,  was  von  der  Erde  verschlungen  wurde;  jetzt 
steht  daselbst  Dionysopolis9),  früher  Cruni  genannt,  und 
der  Fluss  Ziras  fliesst  an  ihr  vorbei.  Diesen  ganzen  Land- 
strich haben  die  sogenannten  aroterischen  Scythen  inne  ge- 
habt. Ihre  Städte  waren:  Aphrodisias,  Libistos l0),  Zigene, 
Rocobe11),  Eumenia12),  Parthenopolis 13),  Gerania14),  wo  die 
Pygmäer  gewohnt  haben  sollen;  die  Barbaren  nennen  diese 
Cattuzer  und  glauben,  sie  seien  von  den  Kranichen  ver- 
jagt worden.  An  der  Küste  bei  Dionysopolis  liegt  das  von 
den  Milesiern  gegründete  Odessus15);  der  Fluss  Panysus16); 
die  Stadt  Tetranaulochus 17);  das  Gebirge  Hämus18),  wel- 
ches mit  seinem  breiten  Rücken19)  in  den  Pontus  reicht, 
und  auf  dessen  Gipfel  früher  die  Stadt  Aristäum  lag.  Jetzt 
befinden  sich  an  der  Küste:  Mesembria  20),  Anchialum  21),  wo 


')  Sohn  des  Priamus,  Königs  von  Troja. 

*)  Salduti.    Er  entspringt  bei  Adrianopel;  der  Meerbusen,  in  den 
er  sich  ergiesst,  heisst  jetzt  der  Meerbusen  von  Saros. 
3)  Ipsala.    4)  Rodosto.     °)  Magar. 
,;)  Karahirman. 

7)  Tomismar  oder  Baba,  der  Verbannungsort  Ovids. 

8)  Schablefer.    9)  Baltschik.     ,0)  Oliben.     «)  Takfurgköl. 
,2)  Gojemlik.     13)  Hadsji-Oglu-Bazardsjik.     u)  Karaagatsch. 

15)  Varna.     I6)  Varna.     ,7)  Emineh.    '*)  Balkan.     ,9)  Cap  Emineh. 
20)  Misevira.    2l)  Ahioli. 


314  Viertes  Buch. 

früher  Messa  stand.  In  der  Landschaft  Astico  lag  sonst 
die  Stadt  Anthium,  jetzt  Apollonia. x)  Flüsse  sind:  der  Pa- 
nisus,  Rira  2),  Teams3)  und  Orosines.  Städte:  Thynias  4), 
Halmydessos  5) ,  Develton  6)  mit  einem  See,  jetzt  Deultum 
genannt  und  von  den  Veteranen  angelegt;  Phinopolis  7)  am 
Bosporus.  Vom  Ausflusse  des  Ister  bis  zur  Mündung  des 
Pontus  rechnen  Einige  555,000  Schritte;  Agrippa  fügt 
noch  60,000  hinzu.  Von  hier  aus  bis  zu  der  oben  erwähn- 
ten Mauer  beträgt  die  Entfernung  150,000  und  von  der 
Mauer  bis  zum  Chersones  126,000  Schritte. 

Am  Bosporus  liegen:  der  Meerbusen  Casthenes  8),  der 
Hafen  der  Greise  9),  und  noch  ein  anderer,  welcher  Weiber- 
hafen10) heisst.  Das  Vorgebirge  Chrysoceras,  an  welchem 
die  freie,  früher  Lygos  genannte  Stadt  Byzanz  n)  liegt.  Von 
Dyrrachium  ist  sie  711,000  Schritte  entfernt;  eine  solche 
Ausdehnung  hat  das  feste  Land  zwischen  dem  adriatischen 
Meere  und  dem  Propontis.  12j  Flüsse:  der  Bathynias,  Py- 
daras  oder  Athyras.  Städte:  Selymbria13),  Perinthus 14), 
welches  durch  eine  200  Fuss  breite  Landenge  mit  dem 
Festlande  zusammenhängt.  Im  Innern  liegt  Bizya15),  ein 
Schloss  der  thracischen  Könige,  welches  seit  dem  schänd- 
lichen  Verbrechen   des  Tereus16)  von  den  Schwalben  ge- 


')  Sizepoli.     -)  Kamczik. 

3)  Deare  =  Dere.    4)  Inada.     5)  Midje.    6)  Zagora. 

7)  Iniinahaie.     8)  Bujukdere.     9)  Stenia.     I0)  Balta  Liman. 

n)  Konstantinopel.     12)  Meer  von  Mannora. 

13)  Selivria.     ")  Erekli.     15)  Visaolla. 

16)  Tereus,  ein  Sohn  des  Mars  und  der  Nymphe  Bistonis  König 
in  Thracien,  schändete  Philomele,  die  Schwester  seiner  Gemahlin 
Procne,  schnitt  ihr,  um  nicht  verrathen  zu  werden,  die  Zunge  aus, 
sperrte  sie  ein  und  gab  sie  für  todt  aus.  Allein  Philomele  fand  Ge- 
legenheit, die  Geschichte  ihres  Unglücks  in  ein  Tuch  zu  sticken, 
und  dieses  der  Procne  zu  senden,  die  dann  aus  Rache  ihren  eigenen 
Sohn  Itys  schlachtete,  ihrem  Gemale  zum  Essen  vorsetzte,  und  als 
dieser  nach  seinem  Sohne  fragte,  ihm  es  entdeckte,  worauf  in  dem- 
selben Augenblicke  die  hereintretende  Philomele  ihm  das  Haupt  ins 
Gesicht  schleuderte.  Tereus  wollte  beide  mit  dem  Schwerte  ermor- 
den, allein  in  dem  Augenblicke  wurde  Procne  in  eine  Schwalbe,  Phi- 
lomele in  eine  Nachtigall  und  Tereus  in  einen  Wiedehopf  verwandelt. 


Viertes  Buch.  315 

mieden  wird.  Der  cänische  District,  die  Colonie  Flavio- 
polis,  wo  früher  die  Stadt  Zela  stand.  50,000  Schritte  von 
Bizya  entfernt  liegt  die  Colonie  Apros  x),  welche  von  Phi- 
lippi  189,000  Schritte  entfernt  ist.  An  der  Küste  fliesst 
der  Erginus;  früher  lag  hier  die  Stadt  Ganos;  auch  Lysi- 
machia  2)  auf  dem  Chersones  wird  immer  öder.  Es  giebt 
hier  noch  eine  andere  Landenge,  die  mit  jener  (der  corin- 
thischen)  den  Namen  Isthmus  führt,  und  ihr  auch  an  Breite 
gleich  kommt.  Auch  steht  auf  jedem  der  beiden  Ufer  eine 
berühmte  Stadt,  welche  die  Landenge  auf  ähnliche  Weise  3) 
begrenzen,  nämlich  Pactye  am  Propontis  und  Cardia  am 
melanischen  Meerbusen;  letztere  Stadt  hat  den  Namen  von 
der  Gestalt  des  Terrains  erhalten.  4)  Beide  wurden  nach- 
her mit  dem  5000  Schritte  von  der  langen  Mauer  entfernten 
Lysimachia  vereinigt.  Vormals  lagen  auf  der  dem  Propon- 
tis zugekehrten  Seite  des  Chersonesos  die  Städte:  Tiristasis, 
Chrithote  und  Cista  am  Flusse  Aegos  5);  jetzt  befindet  sich 
daselbst  nur  noch  Resistos,  22,000  Schritte  von  der  Colonie 
Apros  entfernt  und  der  parianischen  6)  Colonie  gegenüber. 
Auch  am  Hellesponte  7),  der,  wie  wir  gesagt  haben  8), 
Asien  von  Europa  durch  einen  Zwischenraum  von  7  Sta- 
dien trennt,  liegen  4  Städte  einander  gegenüber,  nämlich 
in  Europa  Callipolis  9)  und  Sestos 10),  und  in  Asien  Lamp- 
sacus u)  und  Abydos . 12)  Dann  folgt  auf  dem  Chersones 
das  Vorgebirge  Mastusia13)  dem  Vorgebirge  Sigeum14)  ge- 
genüber, auf  dessen  schräger  Vorderseite  Cynossama,  oder 
das   Grabmal  der  Hecuba15),  ein  Ankerplatz   der  Achäer. 


l)  Arhun.     -)  Esemü. 

3)  Wie  Lecheae  und  Cenchreae.     4)  "Von  xagöiu  Herz. 

5)  Argos  Potamos,  d.  i.  Ziegenfluss ,  Jugdir  Hinan.  Hier  besiegte 
Lysander,  der  Feldherr  der  Spartaner,  406  v.  Chr.,  die  Athenienser, 
und  machte  ihrer  Freiheit  und  dem  peloponnesischen  Kriege  ein  Ende. 

6)  Kemares.    7)  Strasse  der  Dardanellen. 

8)  II.  B.  92.  C.    9)  Gallipoli.    10)  Jalova.    »)  Lapsak.     «)  Nagara  . 
13)  Cap  Greco.     ")  Jenischehr. 

15)  Gemalin  des  Priamus,  die  nach  ihrem  Tode  in  eine  Hündin 
verwandelt  wurde,  daher  xvvoq  oijfiv.. 


316  Viertes  Buch. 

Dev  Thurm  und  Tempel  des  Protesilaus  l);  und  auf  der 
äussersten  Spitze  des  Chersones,  welche  Aeolium  heisst, 
die  Stadt  Eläus. 2)  Am  melanischen  Meerbusen  liegen  die 
Häfen  Cölos  3),  Panhormus  und  das  oben  genannte  Cardin. 
Hiermit  scbliesst  sich  der  dritte  Hauptbusen  von  Europa. 
Ausser  den  schon  genannten  Bergen  4)  sind  noch  folgende 
in  Thracien  zu  bemerken:  der  Edonus,  Gigemoros,  Meritus, 
Melamphyllos.  Flüsse,  welche  sich  in  den  Hebrus  ergiessen, 
sind:  der  Bargus  und  Syrmus. 5)  Die  Länge  von  Macedo- 
nien, Thracien  und  dem  Hellespont  ist  schon  oben  angege- 
ben. Andere  berechnen  sie  auf  720,000  Schritte.  Die 
Breite  beträgt  384,000  Schritte. 

Das  ägeische  Meer6)  hat  seinen  Namen  von  Aex  7), 
einem  zwischen  Teuus 8)  und  Chios  f»)  gelegenen  Stück 
Landes,  welches  aber  eher  ein  Felsen  als  eine  Insel  ge- 
nannt zu  werden  verdient;  es  springt  steil  aus  dem  Meere 
hervor  und  ist  nach  seiner  ziegenähnlichen  Gestalt  (all; 
heisst  im  Griechischen  die  Ziege)  benannt.  Die  Schiffer, 
welche  von  Achaja  nach  Andros 10)  zusegeln,  haben  ihn 
zur  Rechten,  und  halten  ihn  für  gefährlich  und  Unheil  brin- 
gend. Ein  Theil  des  ägeischen  Meeres  heisst  das  myr- 
toische,  nach  einer  kleinen  Insel,  die  denen,  welche  von 
Gerästus n)  nach  Macedonien  fahren,  unweit  Carystus  in 
Euböa  zu  Gesicht  kommt.  Die  Römer  bezeichnen  alle  die- 
se Meere  mit  nur  2  Namen;  sie  nennen  nämlich  das,  was 
Macedonien  und  Thracien  berührt,  das  macedonische,  und 
das,  was  an  Grichenland  grenzt,  das  griechische  Meer. 
Die  Griechen  theilten  auch  das  jonische  Meer  nach  den 
darin  liegenden  Inseln  in  das  sicilische  und  cretische,  das 
icarische   nennen  sie   das   zwischen   Samos    und  Myconus. 


')  War  der  erste,  welcher  bei  der  Landung  der  Griechen  vor 
Troja  ans  Land  sprang.  (Homers  Iliade  II.  695.)  Er  wurde  von  den 
Griechen  göttlich  verehrt. 

2)  Von  ihr  sind  noch  Ruinen  vorhanden. 

3)  Kilidbahr.     4)  Hämus,  Pangäus  und  Rhodope.     "')  Usunuv.a. 
«)  Archipel.    7)  Calviero.    ,8)  Tino.    9)  Skio.     10)  Andro. 

")  Karysto. 


Viertes  Buch.  317 

Die  übrigen  Namen  sind  von  den  Meerbusen  entlehnt,  welche 
wir  angeführt  haben.  —  So  verhält  es  sich  mit  den  Meeren 
und  Völkern  des  dritten  Hauptbusens  von  Europa. 

19. 

Es  folgen  nun  die  Inseln,  und  zwar  zuerst  Thespro  - 
tien  gegenüber,  12,000  Schritte  von  Buthrotum  und  50,000 
Schritte  von  den  acroceraunischen  Gebirge,  Corcyra  J)  mit 
einer  freien  Stadt  gleichen  Namens,  der  Stadt  Casslope  2) 
und  einem  Tempel  des  Jupiter  Cassius.  Ihre  Länge  be- 
trägt 97,000  Schritte;  bei  Homer3)  heisst  sie  Scheria  und 
Phäacia,  bei  Callimachus  auch  Drepane.  Um  sie  herum 
liegen  noch  einige  andere  Inseln ,  als  Thoronos 4)  gegen 
Italien,  die  beiden  Paxoe  B)  gegen  Leucadien  zu  und  5000 
Schritte  von  Corcyra.  Nicht  weit  von  diesen  liegen  vor 
Corcyra:  Ericusa6),  Marathe,  Elaphusa,  Malthace,  Trachie, 
Pythionia,  Ptychia  7),  Tarachie.  Bei  dem  auf  Corcyra  be- 
findlichen Vorgebirge  Phalacrum8)  befindet  sich  eine  Klippe, 
die  einem  Schiffe  ähnlich  sieht,  woher  die  Fabel  entstand, 
dass  das  Schiff  des  Ulysses  in  sie  verwandelt  worden  sei. 
Vor  Leucimena  9)  liegt  Sibota. 10)  Zwischen  Leucadien  u) 
und  Achaja  aber  liegen  noch  sehr  viele  Inseln,  unter  ihnen 
die  Teleboiden  oder  von  ihren  Bewohnern  die  taphischen 
genannt,  als:  Taphias12),  Axiä13)  und  Prinoessa;  und  vor 
Aetolien  dieEchiuaden:  Aegialia,  Cotonis,  Thyatira,  Geoaris, 
Dionysia,  Cyrnus,  Chalcis,  Pinara,  Mystus. 

Vor  diesen  auf  dem  hohen  Meere  liegen  Cephalania  u), 
Zacynthus  15),  beide  frei,  Ithaka16),  Dulichium17),  Same18), 


»)  Korfu.     2)  Cassopo.     ;i;  Odyssee  IV.  34.  XIII.  160. 

*)  Fano.     5)  Paxo  und  Antipaxo.     6)  Varcusa.    7)  Scoglio  di  Vido. 

8)  Cap  Sidari,  auf  dem  nördlichen  Theile  von  Korfu. 

'•')  Cap  Lechino.     10)  S.  Nicolo.     ")  Santa  Maura. 

a)  Meganisi.     ,a)  Cursolari.     14)  Cefälonia.     ,5)  Zante. 

")  Thiaki  —  das  Vaterland  des  Ulysses. 

17)  Jetzt  mit  dem  festen  Lande  vereinigt. 

18)  So  nennt  Homer  (IV.  671.  845)  die  Insel  Cephalonia.  was  PI. 
übersehen  zu  haben  scheint,  weil  er  Same  als  besondere  Insel  anführt 
Auch  eine  Stadt  auf  Cephalonia  hiess  Same. 


318  Viertes  Buch. 

Crocylea. x)  Von  Paxos  ist  Cephalania,  welches  früher 
Meläna  hiess,  103,000  Schritte  entfernt,  ihr  Umfang  beträgt 
44,000.  Same  ist  von  den  Römern  2)  verwüstet,  hat  aber 
doch  noch  3  Städte.  Zwischen  Cephalania  und  Achaja  liegt, 
berühmt  durch  eine  prächtige  Stadt  und  grosse  Fruchtbarkeit, 
^acyuthus,  ehemals  Hyrie  genannt,  von  der  südlichen  Küste 
Cephalaniens  25,000  Schritte  entfernt.  Auf  ihr  befindet 
sich  der  bekannte  Berg  Elatus.  3)  Ihr  Umfang  misst 
36,000  Schritte.  Ithaka  mit  dem  Berge  Neritus  liegt  15,000 
Schritte  weit  von  ihr,  und  hat  im  Umfange  25,000  Schritte. 
Von  Ithaka  bis  zum  Vorgebirge  Araxus  4)  auf  dem  Pelo- 
ponnes  sind  12,000  Schritte.  Vor  Ithaka  liegen  auf  dem 
hohen  Meere  Asteris  5)  und  Prote  6);  vor  Zacynthus,  35,000 
Schritte  weit  gegen  Südost  die  beiden  Strophaden  7),  von 
andern  Plotae  genannt.  Vor  Cephalania  liegt  Letoia8); 
vor  Pylus  die  3  sphagischen 9)  und  vor  Messene  die  3 
önussischen10)  Inseln. 

Im  asinäischen  Meerbusen n)  liegen  die  3  Thyriden 12), 
im  lacedämonischen  Teganusa13),  Cothon,  Cythera14),  früher 
Porphyris  genannt,  mit  einer  Stadt.  Sie  liegt  5000  Schritte 
vom  Vorgebirge  Malea  entfernt,  der  Zwischenraum  ist  aber 
wegen  einiger  engen  Stellen  für  die  Schiffe  gefährlich.  Im 
argolischen  Busen  liegen  Pityusa15),  Irine16),  Ephyre17); 
dem  hermionischen  Gebiete  gegenüber:  Tiparenus18),  Ape- 
ropia19),  Colonis20)  und  Aristera21);  Trözenium  gegenüber 
in  einer  Entfernung  von  500  Schritten:  Calauria22),  ferner 
Plateis,  Belbina,  Lasia,   Baucidias.    Epidaurus  gegenüber 


»)  Calamota.    -)  189  v.  Chr.    3)  Scopo.    4)  Papas. 

5)  Diesen  Namen  führten  in   der  ältesten  Zeit   auch  die  Inseln 
Delos,  Rhodos  und  Creta. 

6)  Prodano.     7)  Strofadi  und  Strivali.     8)  Guardiani. 
9)  Sphagia.     10)  Sapienza,  Santa  Maria  und  Caprera. 
»)  Golf  von  Modon. 

,2)  Sie  heissen  alle  drei  Venetico. 

,3)  Cervi.     u)  Cerigo.     15)  Falconefa.     16)  Kavuri.     ")  Hypsili. 

18)  Spezia.    19)  Doko.    *>)  Spezia  Pulo. 

21)  Hydron.     22)  Porös. 


Viertes  Buch.  319 

liegen:  Cecryphalos  *)  und  Pityonesos  2),  6000  Schritte  vom 
Festlande.  15,000  Schritte  von  dieser  liegt  Aegina  3),  eine 
freie  Insel;  die  Fahrt  längs  derselben  beträgt  18,000  Schritte ; 
von  dem  athenieDsischen  Hafen  Piräus  ist  sie  20,000  Schritte 
entfernt,  und  ihr  früherer  Name  war  Oenone.  Dem  Vorge- 
birge Spiräus 4)  gegenüber  liegen:  Eleusa,  Dendros,  die 
beiden  Craugiä,  die  beiden  Caeciä,  Seiachusa,  Cenchreis  und 
Aspis.  Im  megarischen  Meerbusen  sind  die  4  Mathuriden. 5) 
Aegila  6)  aber  ist  von  Cythera  15,000,  und  von  Phalasarna, 
einer  Stadt  auf  Creta,  25,000  Schritte  entfernt. 

20. 
Die  Insel  Creta  7),  welche  mit  der  einen  Seite  gegen 
Süden,  mit  der  andern  gegen  Norden  liegt,  also  ihre  läng- 
ste Ausdehnung  von  Osten  nach  Westen  hat,  ist  durch  100 
Städte  berühmt.  Dosiades  8)  leitet  ihren  Namen  von  der 
Nymphe  Creta,  Anaximander 9)  von  einer  Tochter  der 
Hesperis,  Philistides  aus  Mallos  von  einem  Könige  der 
Cureten  ab.  Nach  Crates10)  hiess  sie  anfangs  Aeria,  dann 
Curetis,  und  Macaron11)  soll  sie,  nach  der  Meinung  Einiger, 
wegen  ihres  Klimas  genannt  worden  sein.  Sie  ist  nirgends 
über  50,000  Schritte  breit,  in  der  Mitte  am  breitesten,  ihre 
Länge  beträgt  270,000  und  ihr  Umfang  589,000  Schritte. 
Sie  wendet  sich  in  das  nach  ihr  benannte  cretische  Meer 
und  streckt  da,  wo  sie  am  längsten  ist,  gegen  Morgen  das 
Vorgebirge  Sammonium1'2)  nach  Rhodus,  gegen  Abend  aber 
das  Vorgebirge  Criumetopon13)  nach  Cyrenae  aus.  Ihre 
bemerkenswerthesten  Städte  sind:  Phalasarne,  Elaea,  Cisa- 
mum14),  Pergamum,  Cydon15),  Minoum16),  Apteron17),  Pan- 
tomatrium 18),  Amphimalla 19),  Rhithymna  20),  Panhormum 21), 

')  Kerates.     -)  Anchistri.     3)  Engia  oder  Egina.     4)  Capo  Franco. 
•"')  Revitiuza.    6)  Cerigotto.    7)  Candia. 

8)  Ein  griechischer  Dichter  aus  Rhodos  im  3.  oder  4.  Jahrh.  v.  Chr. 

9)  Von  Milet,  geb.  610  v.  Chr.,  t  548. 

,0)  Von  Mallos,  lebte  im  2.  Jahrh.  v.  Chr. 
n)  Nämlich  vTjooq  xäiv  /xaxaQatv,  Insel  der  Glückseligen. 
'-)  Cap  Salomon.     ,3)  Cap  Crio.     M)  Kissamo.     ,5)  Kanea. 
,6)  Gnim.     ,7)  Paleocastro.     18)  Porpatumeno.    ,9)  Suda. 
*°)  Retimo.     -')  Panormo. 


320  Viertes  Buch. 

Cytäum1),  Apollonia,  Matium,  Heraclea  2),  Miletos  3),  Am- 
pelos4),  Hierapytna 5),  Lebena6),  Hierapolis. 7)  Mitten 
auf  der  Insel:  Gortyna  8),  Phästum,  Gnossus  9),  Polyrrhe- 
num10),  Myrina,  Lycastus,  Rhammus,  Lyctus11),  Dium12), 
Asum,  Pyloros,  Rhytion,  Elatos,  Pharä,  Holopyxos,  Lasos, 
Eleuthernä 13),  Therapnä,  Marathusa,  Cylissos,  und  noch  etwa 
60  andere.  Berge:  der  Cadistus14),  Idäus  15),  Dictynnäus  16) 
und  Corycus. 17)  Von  ihrem  Vorgebirge  Criumetopon  bis 
zum  eyrenischen  Vorgebirge  Phycus 18)  beträgt  die  Ent- 
fernung nach  Agrippa  125,000  Schritte.  Ebensoweit  ist  es 
vom  Cadistus  an;  von  dem  peloponnesischen  Vorgebirge 
Malea  80,000  Schritte;  von  der  Insel  Carpathus 19)  bis  zum 
Vorgebirge Sammonium,  in  westlicher  Richtung60,000 Schritte. 
Letztere  Insel  liegt  zwischen  Creta  und  Rhodus. 

Die  übrigen  um  Creta  liegenden  Inseln  sind:  vor  dem 
Peloponnes  die  beiden  Corcyrae  und  die  beiden  Mylae;  nörd- 
lich, also  der  Insel  Creta  zur  Rechten,  gegen  Cydonia  hin 
liegt  Leuce20)  und  die  beiden  Budroä. 21)  Gegen  Matium: 
Dia22);  gegen  das  Vorgebirge  Itanum23):  Onisia24)  und 
Leuce;  gegen  Hierapytna:  Chrysa25)  und  Gaudos26),  ferner 
Ophiussa,  Buton  und  Aradus,  und  wenn  man  Criumetopon 
umsegelt  hat,  gelangt  man  zu  den  drei  Musagoren.  Vor 
dem  Vorgebirge  Sammonium  liegen:  Phoce,  Platiä,  Sirnidis, 
Naulochos,  Armedon,  Zephyre. 27) 

Im  helladischen  und  ägeischen  Meere  liegen  die  Licha- 
den,  Scarphia,  Coresa,  Phocaria,  und  noch  mehrere  andere 


')  Sittia.    2)  Candia.     3)  Milipotamo.     ')  Ambellas.    5)  Girapetni. 

6)  Lionda.     ')  Xacro.     8)  Ajusdeka.     9)  Ginosa.     19)  Versanachia. 

")  Ligortino. 

,2)  Nach  Ptolemäus  lag  auf  Creta  auch  ein  Vorgebirge  dieses 
Namens.     ,3)  Televerna.     ,4)  Lemi. 

,5)  Der  Ida,  jetzt  Psilorito.     '6)  Lassiti.     ")  Cap  Buso. 

!8)  Ras-al-Sem.     »)  Scarpanto.     20)  S.  Teodoro.     21)  Turluru. 

22)  Standia.     23)  Cap  Sacro.     24)  Kufonisi.     25)  Gaidurognissa. 

-6)  Gadelonis.  Plinius  scheint  hier  Ciaudos  mit  Gaudos  verwech- 
selt zu  haben.  Jenes  lag  allerdings  Hierapytna  gegenüber;  Gaudos 
aber,  jetzt  Gozzo,  liegt  nach  dem  Vorgebirge  Criumetopon  hin. 

27)  Alle  diese  sind  mehr  Klippen. 


Viertes  Buch.  321 

im  Angesicht  von  Attica,  aber  ohne  Städte  und  daher  un- 
bedeutend. Allein  gegen  Eleusis  hin  liegen  das  berühmte 
Salamis1),  vor  dieser  Psytalia2);  ferner  Helene3),  welche 
von  Sunium  5000  Schritte  entfernt  ist.  Ceos4)  oder  Hy- 
drussa  von  den  Griechen,  Cea  von  den  Römern  genannt, 
liegt  ebensoweit  davon  entfernt;  sie  ist  von  Euböa  abge- 
rissen und  war  früher  500  Stadien  lang;  später  wurden  fast 
vier  Fünftheile  davon  auf  der  nach  Böotien  zugekehrten 
Seite  vom  Meere  verschlungen.  Die  auf  ihr  noch  übrig 
gebliebenen  Städte  sind  Julis  und  Carthäa 5),  untergegangen 
sind:  Coresus  und  Pöeessa.  Auf  dieser  Insel  wurden  nach 
M.  Varro  zuerst  feinere  Frauengewänder  verfertigt. 

21. 
Euböa6)  ist  von  Böotien  losgerissen;  der  dazwischen 
fliessende  Kanal  Euripus 7)  ist  aber  so  schmal,  dass  sie  mit 
dem  Festlande  durch  eine  Brücke  zusammenhängt.  Im 
Süden  hat  sie  zwei  Vorgebirge,  Gerästum8)  gegen  Attica 
und  Caphereum9)  gegen  den  Hellespont  zu;  im  Norden  liegt 
Cenäum10).  Nirgends  ist  sie  breiter  als  40,000  und  nir- 
gends schmäler  als  2000  Schritte.  In  der  Länge  aber  er- 
streckt sie  sich  ganz  an  Böotien,  von  Attica  bis  nach  Thes- 
salien, in  einer  Ausdehnung  von  150,000  Schritten  hin;  ihr 
Umfang  beträgt  365,000  Schritte.  Ihr  Vorgebirge  Caphereum 
ist  vom  Hellesponte  225,000  Schritte  entfernt.  Ehemals 
hatte  sie  folgende  berühmte  Städte:  Pyrrha,  Porthmus,  Ne- 
sus11),  Cerinthus,  Oreum  12),  Dium 13),  Ardepsus  u),  Ocha15), 
Orchalia16).  Jetzt  sind  noch  bemerkenswerth:  Chalcis17), 
welcher  Aulis  auf  dem  Festlande  gegenüber  liegt,  Ge- 
rästum18), Eretria19),  Carystus20),  Oritanum,  Artemisium; 

')  Coluri;  berühmt  durch  den  Sieg  der  Griechen  unter  Themi- 
socles  über  die  persische  Flotte,  480  v.  Chr.  Auf  ihr  wurde  Euri- 
pides  am  Tage  jenes  Sieges  geboren. 

2)  Lipso  Contaüa.    3)  Macranisi.     4)  Zea.     5)  Zea. 

6)  Negroponte.    7)  Euripo.    8)  Karysto.     9)  Doro. 

»o)  Cap  Heüenico.     ")  Neso.     ,2)  Orio.     ,3)  Litada.     u)  Dipso. 

I5)  Auf  Euböa  lag  auch  ein  Berg  dieses  Namens.     ,6)  Kapo. 

")  Negroponte.     ,8)  Karysto.     ,9)  Trocco.     -°)  Castell  Rosso. 

21 


322  Viertes  Buch. 

ferner  die  Quelle  Arethusa,  der  Fluss  Lelauthus  und  die 
warmen  Quellen,  Ellopia  genannt.  Noch  berühmter  aber 
ist  die  Insel  durch  den  carystischen  Marmor.  Ehemals  hiess 
sie  Chalcodontis  oder  Macris,  wie  Dionysius  *)  und  Epho- 
rus  2)  berichten;  Macra  nach  Aristides 3);  Chalcis  wegen 
des  dort  zuerst  gefundenen  Erzes,  nach  Callidemus  4),  Aban- 
tias  nach  Menächmus  5);  Asopis  aber  heisst  sie  gewöhnlich 
bei  den  Dichtern. 

22. 
Ausser  Euböa  liegen  noch  viele  Inseln  im  myrtoischen 
Meere,  von  denen  Glauconesos  6)  und  Aegila  7)  die  bemer- 
kenswert!] esten  sind.  Beim  Vorgebirge  Gerästum  liegen  um 
Delos  in  einem  Kreise  herum,  die  daher  so  benannten  Cy- 
c  laden8).  Die  erste  derselben  ist  Andros 9)  mit  einer 
Stadt 10),  10,000  Schritte  von  Gerästum  und  39,000  von  Ceos 
entfernt.  Nach  Myrsilus  Berichte  soll  sie  zuerst  den  Bei- 
namen Cauros,  dann  Antandros  erhalten  haben.  Callima- 
chus  n)  nennt  sie  Lasia,  Andere  nennen  sie  Nonagriä,  Hy- 
drussa,  Epagris ;  ihr  Umfang  beträgt  93,000  Schritte.  Von  die- 
ser Insel  Andros  sind  es  1000,  und  von  Delos  15,000  Schritte 
bis  nach  Tenos12),  auf  welcher  sich  eine  Stadt u)  befindet. 
Tenos,  welche  15,000  Schritte  lang  ist,  wird  nach  Aristo- 
teles wegen  ihres  Reichthums  au  Wasser  Hydrussa,  von 
Andern  aber  Ophiussa  genannt.  Die  übrigen  sind:  Myco- 
nos14)  mit  dem  Berge  Dimastus,  15,000  Schritte  von  Delos 


')  Von  Byzanz? 

2)  Von  Cumae  in  Kleinasien,  lebte  im  4.  Jahrb..  v.  Chr. 

3)  Von  Milet.    4)  Unbekannt. 

5)  Von  Sicyon,  Bildhauer  und  Schriftsteller. 

6)  Pondico.     7)  Spitilus. 

8)  Der  Zahl  nach  waren  es  ausser  Delos  22,  die  man  unter  die- 
ser Benennung  begriff;  nämlich:  Rhenäa,  Myconos,  Tenos,  Andro  s, 
Gyarus,  Ceos,  Syrus,  Cythnus,  Seriphos,  Siphnos,  Cimolis ,  Melos 
Anaphe,  Astopaläa,  Amorgos,  Lebinthus,  los,  Naxos,  Paros,  Oliarus, 
Prepesinthus. 

9)  Andro.     ,0)  Arna.     ")  Von  Cyrene,  um  280  v.  Chr. 
'-)  Tino.     13j  S.  Nikolo.     u)  Myconi. 


Viertes  Buch.  323 

entfernt;  Siphnue x),  früher  Meropia,  auch  Acis  genannt, 
28,000  Schritte  im  Umfange;  Seriphus  2)  12,000  Schritte  im 
Umfange,  Prepeshithus  3)  und  Cythnus  4).  Die  berühmteste 
von  allen  aber  ist  Delos5),  welche  in  der  Mitte  liegt,  we- 
gen des  Tempels  des  Apollo  und  ihres  Handels;  sie  schwamm, 
wie  man  erzählt,  lange  auf  dem  Meere  umher  und  wurde 
nie  von  einem  Erdbeben  betroffen.  Bis  zum  Zeitalter  des 
M.  Varro  ist  sie  jedoch,  wie  Mucian  berichtet,  zweimal  er- 
schüttert wurden.  Nach  Aristoteles  soll  sie  ihren  Namen 
daher  erhalten  haben,  weil  sie  plötzlich  aus  dem  Meere  em- 
por stieg  6).  Aeglosthenes  7)  nennt  sie  Cynthia,  Andere  ge- 
ben ihr  die  Namen  Ortygia,  Asteria,  Lagia,  Chlamydia, 
Cynthus,  Pyrpile  aber,  weil  daselbst  das  Feuer  zuerst  erfun- 
den sein  soll.  Ihr  Umfang  beträgt  5000  Schritte;  auf  ihr 
erhebt  sich  der  Berg  Cynthus  8).  Ihr  zunächst  liegt  Rhene  9), 
welche  Anticlides 10)  Celadussa,  Callidomus n)  aber  Arte- 
mis nennt.  Syros12)  soll  nach  dem  Berichte  der  Alten 
20,000,  nach  Mucian  aber  160,000  Schritte  im  Umfange 
haben.  Olearos13);  Paros14)  mit  einer  Stadt15),  38,000 
Schritte  von  Delos  entfernt  und  berühmt  durch  seinen  Mar- 
mor, hiess  zuerst  Platea,  dann  Minois.  7500  Schritte  da- 
von liegt  Naxos16)  mit  einer  Stadt17),  18,000  Schritte  von 
Delos;  sie  hiess  erst  Strongyle,  dann  Dia,  nachher  Diony- 
sias  wegen  ihres  reichen  Ertrages  an  Wein;  Andere  nann- 
ten sie  Kleinsicilien  oder  Callipolis.  Ihr  Umfang  beträgt 
45,000  Schritte,  sie  ist  also  um  die  Hälfte  grösser  als  Paros. 

23. 
Soviel   von   den  Cycladen;   die  nun   folgenden  Inseln 
heissen  Sporaden.    Es  sind:  Helene18),  Phacussa19),  Nica- 


•)  Sifanto;  sie  war  wegen  ihrer  Gold-  und  Silberbergwerke  be- 
rühmt.   -)  Serfo.    3)  Strongylo.    4)  Thermia.     5)  Delo. 
6)  Von  ÖTJkog  sichtbar,  offenbar.    7)  Unbekannt. 
8)  Cintio.    9)  Sdili  oder  Gross-Delo.    I0)  Unbekannt. 
M)  Gleichfalls  unbekannt.     M)  Syra.     ,3)  Antiparo.     ")  Paro. 
15)  Parichia.     16)  Nakscha.     ")  Nakscha. 
»•)  Pira.     '»)  Gofinissa. 

21* 


324  Viertes  Buch. 

sia  *),  Scbinussa 2),  Pholegandros 3)  und  die  von  Naxos 
38,000  Schritte  entfernte  Icaros  4),  von  welcher  das 
Meer  den  Namen  hat;  sie  ist  ebenso  lang  und  hat  zwei 
Städte,  eine  dritte  ist  untergegangen.  Früher  führte 
sie  den  Namen  Doliche,  Macris,  Ichthyoessa.  Von  Delos 
liegt  sie  50,000  Schritte  weit  gegen  Morgen  zu,  von  Samos 
35,000.  Zwischen  Euböa  und  Andros  befindet  sich  eine 
10,000  Schritte  breite  Meerenge.  Von  Icaros  nach  Gerästum 
sind  es  112,500  Schritte.  Bei  den  übrigen  Inseln  können 
wir  uns  an  keine  bestimmte  Ordnung  halten,  wir  wollen 
sie  daher  gruppenweise  vornehmen.  Scyros5) ;  J  o  s6)  von  Naxos 
18,000  Schritte  entfernt  und  durch  das  Grabmal  Homer's 
verehrungswürdig,  hiess  ehedem  Phönice  und  hat  eine  Länge 
von  25,000  Schritten.  Odia,  Oletandros  7),  Gyaros  8)  mit 
einer  Stadt;  letztere  hat  12,000  Schritte  im  Umfange  und 
ist  von  Andros  62,000  Schritte  entfernt,  von  Scyros  aber 
80,000  Schritte.  Cynäthus,  Telos9),  berühmt  durch  seine 
Salben,  heisst  bei  Callimachus  Agathussa.  Donusa10), 
Patmos n)  mit  einem  Umfange  von  30,000  Schritten;  Co- 
rasiä12),  Leblnthus13),  Leros  14),  Cinara,  Sicinus15),  früher 
Oenoe,  Hieraca  oder  Onus,  Casus 16)  oder  Astraba,  Cimo- 
lus17)  oder  Echinussa;  Melos18)  mit  einer  Stadt,  bei  Aristi- 
des  Memblis,  bei  Aristoteles  Zephyria,  bei  Callimachus 
Mimallis  und  bei  Heraclides 19)  Siphis  und  Acytos.  Sie  ist 
die  rundeste  von  allen  Inseln.  Dann  folgt  Machia20),  Hy- 
pere,  welche  früher  Patage  oder  nach  Andern  Piatage,  jetzt 
aber  Amorgos21)  heisst;  Palyägos22),  Phyle23),  Thera24),  die, 


')  Rachia.    2)  Skinossa. 

3)  Policandro.    4)  Nicaria. 

5)  S.  Georgio  cli  Skyro.     6)  Nio.     7)  Acariez. 

8)  Jura;  ein  unwirthbarer  Felsen,    wohin    unter    den  römischen 
Kaisern  die  Missethäter  verwiesen  wurden. 

9)  Piscopia.    10)  Stenosa.    ")  Palmosa.    ,2)  Dragonisi.   13)  Levitho. 
u)  Lero.     ,5)  Sicino.     16)  Casso.     ")  Cimolo.     18)  Milo. 

,9)  Welcher?  ist  nicht  zu  bestimmen. 
20)  Paximadi.  ";  Amorgo.  —)  Polino. 
a3)  Antimilo.     24)  Santorin. 


Viertes  Buch.  325 

als  sie  eben  aus  dem  Meere  hervorgetreten  war,  Calliste 
hiess.  Von  dieser  wurde  nachher  Therasia  J)  abgerissen; 
später  entstieg  zwischen  diesen  beiden  Automate,  auch 
Hiera  2)  genannt,  und  neben  diesen  ist  zu  unsern  Zeiten 
noch  die  Insel  Thia 3)  entstanden.  los  liegt  von  Thera 
25,000  Schritte  entfernt. 

Nun  folgen:  Lea  4),  Ascama  5),  Anaphe  6),  Hippuris;  die 
freie  Insel  Astypaläa 7)  mit  einem  Umfange  von  88,000 
Schritten  ist  von  Cadistus  auf  Creta  125,000  Schritte  ent- 
fernt. Platea  liegt  60,000  von  ihr  und  von  da  Caminia 
38,000  Schritte  weit.  Azibintha,  Lanise,  Tragäa,  Pharma- 
cussa  8),  Techedia,  Chalcia  9),  Calydna  mit  der  Stadt  Coos, 
Calymna10),  welche  von  Carpathus,  von  der  das  carpathische 
Meer  seinen  Namen  hat,  25,000  Schritte  entfernt  ist.  Von 
da  beträgt  in  südlicher  Richtung  bis  Rhodus  die  Entfernung 
50,000  Schritte;  von  Carpathus  nach  Casos  7000,  von  Casos 
nach  dem  Vorgebirge  Samoninm  auf  Creta  30,000  Schritte. 
Im  euböischen  Euripus,  fast  am  Eingange,  liegen  die  vier 
petalischen  Inseln11),  und  beim  Ausflusse  Atalante 12).  Die 
Cycladen  und  Sporaden  sind  gegen  Osten  von  den  icarischen 
Küsten  in  Asien,  gegen  Abend  von  den  myrtoischen  i» 
Attica,  gegen  Norden  vom  ägeischen  und  gegen  Süden  vom 
cretischen  und  carpathischen  Meere  eingeschlossen.  Sie 
dehnen  sich  in  einer  Länge  von  700,000  und  in  einer  Breite 
von  200,000  Schritten  aus. 

Vor  dem  pagasischen  Meerbusen  13)  liegen  Euthia w), 
Cicynethus 15)  und  die  oben  erwähnte  Scyrus,  die  äusserste 
der  Cycladen  und  Sporaden;  Gerontia16),  Scandila17),  vor 
dem  thermäischen18):  Irrhesia,  Solimnia,  Eudemia19),  Nea20), 


')  Tiresia.    2)  Aspronisi. 

3)  Nea  -  Kaimeni.     4)  Piana,  auch  Pianoso.    5)  Christiana. 

6)  Nanfi.    7)  Stampalia. 

»)  Fernaco.    9)  Charki  (bei  Rhodus).    10)  Calamine. 

'»)  Spili.     '2)  Talanta.     13)  Golf  von  Volo. 

,4)  Agios  Nicolaos.     ,5)   Trikeri.     ,6)  Jura. 

")  Skangero.     ,8)  Golf  von  Salonichi. 

'»)  Sarakin.     »)  Agio  Strati. 


326  Viertes  Buch. 

welche  der  Minerva  geweihet  ist.  Vor  dem  Berge  Athos 
liegen  vier:  Peparathus  *)  mit  einer  Stadt,  früher  Evoenus 
genannt,  9000  Schritte  gross;  Sciathus  2),  15,000  Schritte 
gross;  Imbrus  3)  mit  einer  Stadt,  88,000  Schritte  gross,  von 
Mastusia  auf  dem  Chersones  25,000  Schritte  entfernt,  hat 
einen  Umfang  von  62,000  Schritten  und  wird  vom  Flusse 
Ilissus  durchströmt.  Lemnos  4)  ist  von  ihr  22,000  und  vom 
Athus  87,000  Schritte  entfernt,  hat  einen  Umfang  von 
112,500  Schritten,  und  die  Städte  Hephästia 5)  und  My- 
rina 6),  auf  deren  Forum  der  Athos  zur  Zeit  der  Sonnen- 
wende seinen  Schatten  wirft.  Von  Lemnos  liegt  Thasos  7) 
eine  freie  Insel,  welche  ehemals  Aeria  oder  Aethria  genannt 
wurde,  6000  Schritte  entfernt;  von  da  bis  Abdera  auf  dem 
Festlande  sind  22,000  Schritte,  nach  dem  Athos  62,900, 
und  ebenso  weit  bis  zur  freien  Insel  Samothrace  8),  die  vor 
dem  Hebrus  liegt,  32,000  vom  Imbrus,  22,500  von  Lemnos, 
38,000  von  der  thracischen  Küste  entfernt  ist,  und  einen 
Umfang  von  32,000  Schritten  hat.  Auf  ihr  erhebt  sich  der 
Berg  Saoce  9)  bis  zu  einer  Höhe  von  10,000  Schritten;  sie  hat 
unter  allen  die  wenigsten  Landungsplätze.  Callimachus 
giebt  ihr  den  alten  Namen  Dardania.  Zwischen  dem  Cher- 
sones und  Samothrace,  und  zwar  von  beiden  beinahe  15,000 
Schritte  entfernt,  liegt  Halonesos  10),  weiterhin  Gethone,  Lam- 
ponia,  Alopeconnesus11),  nicht  weit  von  Cölus12),  einem 
Hafen  des  Chersones,  und  noch  einige  andere  unbedeutende. 


'■)  Piperi.     -)  Skiatho.    3)  Imbro  oder  Lambro. 
4)  Stalimene.    5)  Kochino.    6)  Lernno.    7)  Thaso. 

8)  Samotraki;  berühmt  im  Alterthume  wegen  der  Mysterien. 

9)  Nettuno. 

,0)  Diese,  vermuthlich  ein  unbedeutender  Felsen,  darf  nicht  mit 
der  zwischen  Scopelos  und  Peparethos  (Piperi),  dem  toranäischen 
Meerbusen  gegenüber  liegenden  Insel  Halonesos  (jetzt  Dromi)  ver- 
wechselt worden,  welche  die  Veranlassung  zu  einem  Kriege  zwischen 
Philipp  und  den  Atheniensern  gab,  und  von  der  Strabo  im  IX.  Buche 
spricht. 

n)  Jetzt  Kalafatli;  es  giebt  auch  eine  Stadt  an  der  Westküste 
des  thracischen  Chersones,  welche  so  hiess. 

,2)  Kilidbahr. 


Viertes  Buch.  327 

Die  übrigen  unbewohnten  Inseln  in  diesem  Meerbusen,  von 
denen  die  Namen  zu  ermitteln  waren,  sind:  Desticos,  Lar- 
nos,  Cystirus,  Carbrusa,  Calathusa,  Scylla,  Draconon,  Ar- 
conesus,  Dirthusa,  Scapos,  Capheris,  Mesate,  Aeantion,  Pa- 
teroünesos,  Pateria,  Calate,  Neriphus,  Polendos. 

24. 
Der  vierte  unter  den  grossen  Meerbusen  Europas  geht 
vom  Helles pont  bis  zur  Mündung  des  Mao tis  1).  Wir  wollen 
aber  zuerst  die  Gestalt  des  gauzen  Pontus  anschaulich 
machen,  damit  man  dann  die  einzelnen  Theile  leichter  zu 
erkennen  vermöge.  Das  grosse,  vor  Asien  liegende  und 
durch  die  von  Europa  her  sich  vorlehnende  Küste  des 
Chersones  zurückgedrängte  Meer  bricht,  wie  schon  erwähnt, 
durch  einen  engen  Pass  in  das  Land  und  scheidet  Europa 
von  Asien  durch  einen  7  Stadien  breiten  Zwischenraum. 
Die  erste  Meerenge  heisst  der  Hellespont.  Der  persische 
König  Xerxes  führte  auf  einer  darüber  geschlagenen  Schiff- 
brücke sein  Heer  hinüber.  Von  da  zieht  sich  der  schmale 
Euripus  in  einer  Länge  von  86,000  Schritten  bis  zur  asia- 
tischen Stadt  Priapus2),  woselbst  Alexander  der  Grosse 
übersetzte.  Dann  breitet  sich  das  Meer  aus  und  zieht  sich 
wiederum  eng  zusammen.  Die  Erweiterung  wird  Propon- 
tis  3)  genannt,  die  enge  Strecke  aber  der  thracische 
Bosporus4),  der  500  Schritte  breit  ist  und  den  Darius, 
der  Vater  des  Xerxes,  und  sein  Heer  auf  einer  Brücke 
passirte.  Die  ganze  Länge  vom  Hellesponte  an  beträgt 
239,000  Schritte.  Dann  folgt  ein  grosses  Meer,  der  Pontus 
Euxinus  5),  früher  Axenus  genannt,  der  weit  entlegene  Länder 
berührt  und,  nachdem  seine  Ufer  einen  grossen  Bogen  ge- 
macht haben,  sich  rückwärts  gekrümmt  in  zwei  Hörner  zu 
beiden  Seiten  fortzieht,  so  dass  er  dadurch  die  Gestalt  eines 
scythischen  Bogens  erhält.  An  seiner  mittleren  Krümmung 
vereinigt  er  sich  mit  der  Mündung  des  Mäotis.    Diese  Mün- 


»)  Das  asowische  Meer.    -)  Kara  Burga.     3)  Meer  von  Marmora. 
4)  Meerenge  von  Constantinopel.     5)  Das  schwarze  Meer. 


328  Viertes  Buch. 

dung    heisst    der    cimmersche    Bosporus *)    und    ist    2500 
Schritte  breit. 

Zwischen  dem  thracischen  und  cimmerschen  Bosporus 
beträgt  nach  Polybius  2)  die  Entfernung  in  gerader  Linie 
500,000  Schritte.  Den  Umfang  des  ganzen  Pontus  aber 
geben  M.  Varro  und  fast  alle  älteren  Schriftsteller  zu 
2,150,000  Schritten  an.  Cornelius  Nepos  fügt  noch  300,050 
hinzu.  Nach  Artemidorus  beträgt  der  Umfang  2,919,000r 
nach  Agrippa  2,360,000,  nach  Mucianus  2,425,000  Schritte. 
Ebenso  diiferiren  die  Angaben  der  Länge  auf  der  euro- 
päischen Seite,  welche  Einige  zu  1,478,500,  Andere  zu 
1,172,000  Schritten  annehmen.  M.  Varro  bestimmt  das 
Maass  auf  folgende  Weise: 

Von  der  Mündung  des  Pontus  bis  Apollonia3)  187,500  Schritte 
von  da  bis  Calatis 4)  ebenso  viel      .    .     .  187,500       „ 
„      „     „    zur  Mündung  des  Ister  .     .     .  125,000       „ 
„       „      „    zum  Borysthenes 5)      ....  250,000 
„      „      „    Chersonesus 6),  einer  Stadt  der 

Heracleoten 375,000 

„  „  „  Panticapäum 7),  das  Einige  Bos- 
porus nennen,  dem  äusser- 
sten  Punkte  an  der  euro- 
päischen Küste 212,500       „ 

Zusammen  1,337,500  Schritte. 

Agrippa  giebt  die  Entfernung  von  Byzanz  bis  an  den  Ister 

zu  560,000  und  von  da  bis  Panticapäum  zu  635,000  Schritten  an. 

Der  Mäotis  selbst,  welcher  den  von  den  riphäischen  Bergen 

kommenden  und  die  äusserste  Grenze  zwischen  Europa  und 


')  Die  Meerenge  von  Kaffa  und  Theodosia. 

2)  Aus  Megalopolis  in  Arkadien,  f  122  v.  Chr. 

3)  Sizeboli  in  Thracien. 

*)  Schablefer,  in  Niedermösien  an  der  Westküste  des  schwarzen 
Meeres,  südlich  von  der  Mündung  der  Donau.    5)  Dnieper. 

6)  Cherson,  auf  dem  westlichen  Theile  des  taurischen  Chersones 
(Krim). 

7)  Kertsch,  lag  auf  der  Halbinsel  Krim    an    der  Meerenge    von 
Kafl'a  und  war,  wie  Calatis,  eine  Colonie  der  Milesier. 


Viertes  Buch.  329 

AsieD  bildenden  Fluss  Tanais *)  aufnimmt,  soll  1,406,000 
Schritte  im  Umfang  haben;  nach  Andern  aber  nur  1,125,000. 
Von  seiner  Mündung  bis  zum  Ausfluss  des  Tanais  soll  die 
gerade  Entfernung  375,000  Schritte  betragen.  —  Die  Be- 
wohner an  diesem  Busen  bis  nach  Istropolis 2)  hin  sind 
schon  bei  Thracien  genannt  worden. 

Wir  kommen  nun  zur  Mündung  des  Ister.  Dieser  Fluss 
entspringt  auf  dem  Rücken  des  Berges  Abnoba  3)  in  Ger- 
manien, der  gallischen  Stadt  Rauricum  4)  gegenüber,  viele 
tausend  Schritte  hinter  den  Alpen,  fliesst  unter  dem  Namen 
Danubius  durch  viele  Länder  und  nimmt  ausserordentlich 
an  Wassermasse  zu.  Bei  seinem  Eintritte  in  Illyrien  heisst 
er  Ister.  Nachdem  er  60  Flüsse,  von  denen  fast  die  Hälfte 
schiffbar  ist,  aufgenommen,  ergiesst  er  sich  in  6  Armen  in 
den  Pontus.  Die  erste5)  Mündung,  Peuces6),  welche  von 
der  naheliegenden  Insel  Peuce  7)  ihren  Namen  erhalten  hat, 
wird  von  einem  19,000  Schritte  grossen  Sumpfe  verschlungen. 
In  demselben  Bette  bildet  sich  oberhalb  Istropolis  ein  See 
von  63,000  Schritten  Umfang ,  Halmyris 8)  genannt.  Die 
zweite  heisst  Naracustoma  9);  die  dritte  Calonstoma10)  in 
der  Nähe  der  Insel  Sarmatica;  die  vierte  Pseudostomon n), 
auf  der  von  ihr  gebildeten  Insel  ist  der  Conopon  Diabasis12); 
dann  folgt  Boreostoma 13)  und  Psilonstoma14).  Diese  ein- 
zelnen Arme  sind  aber  so  gross,  dass  das  Meer  auf  eine 
Weite  von  40,000  Schritte  von  ihnen  zurückgedrängt  werden 
und  einen  süssen  Geschmack  annehmen  soll. 

25. 
Vom  Ister  an  gehören  zwar  alle  Völker   zu  den  Sey- 
then;  jedoch  haben  verschiedene  die  Küstenländer  bewohnt; 


')  Don.    2)  Kara-Kerman. 

3)  Die  rauhe  Alp  in  Schwaben  und  ein  Theil  des  Schwarzwaldes. 

4)  Augusta  Rauracorum,  jetzt  Äugst,  2  Stunden  oberhalb  Basel. 
Noch  jetzt  finden  sich  Trümmer  der  alten  Stadt. 

5)  Die  südlichste.    6)  Portescza.    7)  Piczina.     8)  Ramsin. 

9)  Kutschuk.     10)  Kedrille.    ")  Salvoa.    12)  D.  h.  Mückenübergang. 
,3)  Suline.     ,4)  Kili. 


330  Viertes  Buch. 

bald  waren  es  die  Geter1),  bei  den  Römern  Dacier  ge- 
nannt; bald  die  Sarmater,  bei  den  Griechen  Sauromater, 
und  die  dazugehörigen  Hamaxobier  2)  oder  Aorser  3);  bald 
die  unechten  und  von  Sclaven  abstammenden  Scythen  oder 
Troglody  teil ;  bald  darauf  die  Alaner  und  Rhoxalaner,  die 
sich  dort  niederliessen.  Die  obern  zwischen  dem  Danubius 
und  dem  hercynischen  Waldgebirge  4)  belegenen  Länder  bis 
zu  den  panuonischen  Winterquartieren  haben  die  Carnun- 
ter,  die  daselbst  an  Germanien  grenzenden  Felder  und 
Ebenen  die  jazygischen  Sarmater,  die  Berge  und  Wälder 
aber  bis  zum  Flusse  Pathissus  5)  die  von  letztern  vertriebe- 
nen Dacier  inne.  Die  dem  Marus 6)  oder  dem  Duria 7), 
welcher  diese  Völker  von  den  Sueven  und  dem  vannia- 
nischen  Reiche  s)  trennt,  gegenüber  liegenden  Distrikte  wer- 
den von  den  Basternen  und  weiter  hin  von  andern  germa- 
nischen Stämmen  bewohnt.  Agrippa  giebt  die  Länge  aller 
dieser  Länder  vom  Ister  bis  zum  Ocean  auf  1,200,000  und 
die  Breite  von  den  sarmatischen  Wüsten  bis  zum  Flusse 
Vistula  9)  auf  440,000  Schritte  an.  Der  Käme  Scythen  ist 
durchgängig  auf  die  Sarmaten  und  Germanen  übergegangen, 
und  nur  diejenigen  Völker  haben  ihren  alten  Namen  be- 
halten ,  welche  am  entferntesten  wohnen  und  der  übrigen 
Menschheit  fast  ganz  unbekannt  sind. 


*)  Ein  thracisches  Volk,  das  anfangs  zwischen  dem  Hämus  und 
Ister  wohnte.  Sie  hatten  mit  den  Daciern  Sprache  und  Verfassung 
gemein.  Ihr  Gesetzgeber  hiess  Zamolxis.  Erst  unter  Trajan  kamen 
sie  unter  römische  Botmässigkeit. 

2)  Wagenbewohner. 

3)  Ein  allgemeiner  Name  aller  im  europäischen  Sarrn'atien  (von 
der  Weichsel  bis  nach  Dacien)  wohnenden  Völker. 

4)  Unter  dieser  Benennung  begreift  Plinius  die  ganze  Strecke 
von  Wäldern  und  Gebirgen  vom  Thüringer  Walde  bis  an  die  Car- 
pathen  in  Ungarn. 

5)  Der  Theis;  er  hiess  auch  Tibissus,  Tisianus,  Parthissus. 

6)  Morava.     7)  Tyrna. 

8)  Das  Reich  des  Vannius,  eines  von  den  Römern  vertriebenen 
Fürsten  (Tacit.  Annal.  II.  63  XII.  29),  begriff  das  heutige  Mähren  in  sich. 

9)  Auch  Visula.  Vistillus ;  jetzt  Weichsel. 


Viertes  Buch.  331 

26. 
Vom  Ister  an  folgen  nun  die  Städte  Creminscos  x)  und 
Aepolium;  die  macrocremnischen  Berge,  der  berühmte  Fluss 
Tyra  2),  mit  einer  Stadt  gleichen  Namens,  die  früher  Ophiusa  3) 
hiess.  Eine  bedeutend  grosse  Insel  auf  dem  letztern  be- 
wohnen die  Tyrageter,  sie  ist  von  der  Ister-Mündung  Pseudo- 
stomon  130,000  Schritte  entfernt.  Dann  folgen  die  nach  dem 
Flusse4)  benannten  Axiacer,  dahinter  die  Crobyzer;  der 
Fluss  Rhode  5),  der  Busen  Sagjarius  6),  der  Hafen  Ordesus  7). 
Vom  Tyra  ist  der  Fluss  Borysthenes 8)  120,000  Schritte 
weit;  dann  folgt  ein  gleichnamiger  See  und  Volk,  sowie 
eine  15,000  Schritte  vom  Meere  entfernte  Stadt.  Die  alten 
Namen  dieser  Stadt  sind  Olbiopolis  und  Miletopolis  9).  Wie- 
derum an  der  Küste  liegt  ein  Hafen  der  Achäer.  Die  Insel 
des  Achilles10),  berühmt  durch  das  Grab  dieses  Mannes. 
125,000  Schritte  davon  liegt  eine  in  Form  eines  Schwerdtes 
quer  vorlaufende  Halbinsel,  welche  wegen  der  daselbst  statt- 
gehabten Uebungen  Dromos  Achilleos  genannt  wird.  Agrippa 
giebt  ihre  Länge  zu  80,000  Schritten  an.  Diesen  ganzen 
Landstrich  bewohnen  die  taurischen  und  siracischen  Scythen. 
Von  der  angrenzenden  waldigen  Gegend u)  hat  das  daran- 
stossende  Meer  den  Namen  des  hyläischen  erhalten;  die 
Einwohner  derselben  hiessen  Enäcadloer.  Weiterhin  fliesst 
der  Panticapes 12) ,  der  die  Nomaden  von  den  Georgen 
trennt.  Dann  kommt  der  Acesinus13).  Einige  geben  an, 
der  Panticapes  flösse  unterhalb  Olbia  mit  dem  Borysthenes 


')  Lag  auf  der  Norctwestküste  des  schwarzen  Meeres,  6  Meilen 
südlich  von  der  Mündung  des  Dniester  im  Busen  bei  Islama. 
2)  Dniester.    3)  Ovidiopel.    4)  Janlaltrak?    5)  Deligiol. 
6)  Golf  Deligiol.    7)  Okzakow.    8)  Dnieper. 
9)  Kasi  Kirman  oberhalb  der  Mündung  des  Dnieper.     10)  Tendra. 

11)  Diese  Gegend,  Hyläa,  reichte  vom  heutigen  Kinburn  bis  an 
den  Hals  der  taurischen  Halbinsel.  Nördlich  davon  wohnten  die 
ackerbautreibenden  Scythen. 

12)  Samara. 

,3)  Jetzt  fliessen  dort  nur  einige  im  Sande  sich  verlaufende 
Waldbäche. 


332  Viertes  Buch. 

zusammen,  allein  genauere  Schriftsteller  sagen  diess  von 
dem  Hypanis1);  in  noch  grösserem  Irrthume  befinden  sich 
diejenigen,  welche  ihn  nach  Asien  versetzen. 

Das  Meer  tritt  nun  weit  zurück  und  umfliesst,  bis  es 
nur  noch  durch  einen  Zwischenraum  von  5000  Schritten  vom 
Mäotis  getrennt  ist,  weite  Strecken  Landes  mit  vielen  Völ- 
kern. Dieser  Busen  heisst  Carcinites  2) ,  der  Fluss  Paey- 
mis  3).  Städte  sind:  Naubarum,  Carcine,  in  deren  Rücken 
sich  ein  durch  einen  Kanal  ins  Meer  ergiessender  See  be- 
findet. Er  heisst  Buges4),  wird  vom  Coretus 5) ,  einem 
Busen  des  Mäotis,  durch  eine  Felsenwand6)  getrennt  und 
nimmt  die  Flüsse  Buges  7),  Gerrhus  8)  und  Hypacaris,  die 
aus  verschiedenen  Gegenden  kommen,  auf.  Denn  der  Ger- 
rhus bildet  die  Grenze  zwischen  den  Basiliden  und  Noma- 
den; der  Hypacaris  fliesst  durch  das  Gebiet  der  Nomaden 
und  Hyläer  und  ergiesst  sich  in  einem  künstlichen  Bette 
in  den  Buges,  in  dem  natürlichen  aber  in  den  Busen  Core- 
tus.   Dieser  Landstrich  heisst  das  sendische  Scythien. 

Bei  dem  Busen  Carcinites  beginnt  Taurien  9),  welches 
vormals  allenthalben,  wo  jetzt  Land  liegt,  vom  Meere  um- 
flossen wurde.  Weiterhin  erheben  sich  breite  Bergrücken. 
Das  Land  wird  von  30  Völkern  bewohnt,  von  denen  23  den 
mittlem  Theil  inne  haben ,  und  hat  6  Städte ,  deren  Ein- 
wohner Orgocyner,   Characener,   Lagyraner10),   Traetarer, 


')  Der  Bug.  Dieser  ist  von  einem  anderen  Hypanis,  auch  Bar- 
danias  (jetzt  Kuban)  genannt,  wohl  zu  unterscheiden.  Letzterer 
fliesst  im  asiatischen  Sarmatien  und  ergiesst  sich  in  mehreren  Mün- 
dungen in  den  cimmerschen  Bosporus.  Ein  dritter  Fluss  dieses 
Namens  fliesst  in  Indien. 

2)  Golf  von  Perekop. 

3)  Kanikschack.  Er  heisst  bei  Ptolemäus  Carcinis,  weil  er 
sich  bei   der  Stadt  Carcine  in  den  carcinischen  Meerbusen  ergiesst. 

!)  Siwasch.    Bei  Ptolemäus  heisst  er  Byce. 
5)  Gulloe  More,  der  westliche  Theil  des  asowischen  Meeres. 
,;)  Landzunge  von  Arabat.     7)  Salgir.    8)  Karasu. 
9)  Die  Halbinsel  Krim. 

,0)  Lagyra,  jetzt  Belbek,  nordöstlich  vom  Vorgebirge  Charax 
(Cara  Caja). 


Viertes  Buch.  333 

0 

Arsilachiter  und  Caliorder  heissen.  Im  hohen  Gebirge 
halten  sich  die  Scythotaurier  auf;  sie  werden  im  Westen 
von  dem  Chersones,  im  Osten  von  den  satarchischen  Scythen 
begrenzt.  An  der  Küste  vom  Carcinites  an  liegen  die  Städte 
Taphrä  *),  auf  der  Landenge  der  Halbinsel,  und  Heraclea 
Chersonesos ,  welcher  die  Römer  die  Freiheit  schenkten. 
Sie  hiess  früher  Megarice  und  zeichnet  sich  im  ganzen 
Lande  dadurch  aus,  dass  sie  den  griechischen  Sitten  treu 
geblieben  ist;  die  sie  umgebende  Mauer  ist  5000  Schritte 
lang.  Dann  folgt  das  Vorgebirge  Parthenium 2) ,  Piacia, 
eine  Stadt  der  Taillier ,  der  Hafen  Symbolon  3) ,  das  Vor- 
gebirge Criumetopon  4) ,  das  dem  Vorgebirge  Carambis  5) 
#  in  Asien  gegenüberliegt  und  170,000  Schritte  weit  in  den 
Pontus  hinausläuft,  wodurch  die  grosse  Aehnlichkeit  mit 
der  Gestalt  eines  scythischen  Bogens  entsteht.  Von  da  an  kom- 
men viele  taurische  Häfen  und  Seen.  Die  Stadt  Theodosia  6) 
ist  vom  Criumetopon  125,000  und  vom  Chersones  165,000 
Schritte  entfernt.  Weiterhin  lagen  die  Städte:  Cytä,  Ze- 
phyrium,  Acrä,  Nymphäum  und  Dia.  Eine  sehr  mächtige 
Stadt  am  Eingange  in  den  Bosporus  selbst  ist  das  von  den 
Milesiern  gegründete  Panticapäum  7),  welches  von  Theodo- 
sia 87,500,  von  der  jenseits  der  Meerenge  belegenen  Stadt 
Cimmerium 8)  2500  Schritte  (wie  bereits  erwähnt  wurde) 
weit  liegt.  Sowenig  beträgt  die  Breite,  welche  Asien  von 
Europa  an  dieser  Stelle  trennt,  und  wenn  die  Meerenge 
zugefroren  ist,  so  kann  man  meistens  zu  Fuss  hinüber- 
gehen. Die  Breite  des  cimmerschen  Bosporus  beträgt 
12,500  Schritte.  Die  daselbst  liegenden  Städte  heissen 
Hermisium  und  Myrmecium  9),  und  in  ihm  selbst  die  Insel 
Alopece.     Vom  äussersten  Punkte  des  Isthmus  an,  welcher 


»)  Perekop. 

2)  Die    südwestlichste  Landspitze    der   Krim,    auf  der  jetzt  das 
Kloster  St.  Georgii  liegt. 

3)  Balaclava.    *)  Ajadagh.    5)  Karempe.    •)  Kaft'a.    7)  Kertsch. 

*)  Eski  Koiru,  nordwestlich    von  Theodosia.     Man    findet   noch 
Trümmer  der  alten  Stadt. 

9)  Etwas  westlich  von  der  Festung  Jenikale. 


334  Viertes  Buch. 

Taphrä  heisst,  über  den  Mäotis  hin  bis  zur  Mündung  des 
Bosporus  wird  die  Entfernung  auf  260,000  Schritte  an- 
gegeben. 

Von  Taphrä  an  wohnen  nach  dem  Innern  zu  die  Au- 
cheter  *),  in  deren  Gebiete  der  Hypanis,  die  Neurer  2),  wo 
der  Borysthenes  entspringt,  ferner  die  Geloner  3),  Thussa- 
geter,  Budiner,  Basilider  und  die  von  ihren  bläulichen  Haa- 
ren sogenannten  Agathyrser.  Weiterhin  sind  die  Nomaden 
und  Anthropopbagen.  Vom  Buges  an  ober  dem  Mäotis  die 
Sauromater  und  Essedoner.  Aber  an  der  Küste  bis  zum 
Tanais  hin  wohnen  die  Mäoter,  von  welchen  der  See  seinen 
Namen  erhalten  hat;  hinter  diesen  folgen  zuletzt  die  Ari- 
masper.  Dann  gelangt  man  zu  den  riphäischen  Bergen  4) 
und  in  die  wegen  des  beständig  herabfallenden  federähn- 
lichen Schnees  Pterophoros  genannte  Gegend.  Dieser  Theil 
der  Welt  ist  von  der  Natur  verflucht  und  in  dichte  Finsterniss 
gehüllt;  er  dient  zur  Erzeugung  der  Kälte  und  zu  den 
eisigen  Behältern  des  Aquilo. 

Neben  diesen  Gebirgen  und  zwar  jenseits  des  Aquilo 
wohnt  (wenn  wir  es  glauben  wollen)  seit  undenklichen  Zei- 
ten ein  glückliches,  durch  viele  an  das  Fabelhafte  gren- 
zende Wunderdinge  berühmtes  Volk,  die  Hyperboräer. 
Dort  sollen  sich  die  Angeln  der  Welt  befinden,  die  Gestirne 
ihren  äussersten  Umlauf  halten,  dort  soll  die  Sonne  ein 
halbes  Jahr  lang  scheinen  und  nur  einen  Tag  verborgen 
sein,  aber  nicht,  wie  Unwissende  behauptet  haben,  vom 
Frühlings-Aequinoctium  bis  zum  Herbste.  Einmal  im  Jahre, 
am  Sommer-Solstitium  geht  ihnen  die  Sonne  auf,  und  ein- 
mal, am  Winter-Solstitium,  unter.  Es  ist  ein  sonniges 
Land,  hat  ein  glückliches  Klima  und  ist  frei  von  allen 
schädlichen  Winden.  Wälder  und  Haine  sind  ihre  Woh- 
nungen;  sie  verehren  die   Gottheit  einzeln  und  in  Gesell- 


1)  Die  Ukräne. 

2)  In  der  Gegend  von  Lemberg  nach  der  Weichsel  hin. 

3)  Zwischen  dem  Don  und  der  Wolga. 

4)  Das  uralische  und  werechoturische  Gebirge. 


Viertes  Buch.  335 

schaft,  alle  Zwietracht  und  Bekümrnerniss  ist  ihnen  unbe- 
kannt. Sie  sterben  nur,  wenn  sie  des  Lebens  müde  sind, 
und  die  Alten  stürzen  sich,  wenn  sie  geschmaust  und  in 
Luxus  geschwelgt  haben,  von  einem  Felsen  vergnügt  in 
das  Meer.  Diess  ist  wohl  die  glücklichste  Art  des  Begräb- 
nisses. Einige  haben  dieses  Volk  an  den  äussersten  Theil 
der  Küste  von  Asien  und  nicht  nach  Europa  versetzt,  weil 
dort  die  ihnen  an  Sitten  und  Lage  ähnlichen  Attacer  woh- 
nen. Andere  setzen  sie  in  die  Mitte  zwischen  beide  Son- 
nen, nämlich  die  untergehende  der  Gegenfüssler  und  unsere 
aufgehende,  was  aber  nicht  sein  kann,  da  der  Ocean  da- 
zwischen liegt.  Diejenigen,  welche  ihre  Wohnplätze  da  be- 
zeichnen, wo  die  Sonne  ein  halbes  Jahr  lang  scheint,  erzäh- 
len, dass  sie  des  Morgens  säen,  Mittags  ernten,  Abends 
die  Früchte  der  Bäume  abpflücken  und  die  Nacht  in  Höh- 
len zubringen.  Die  Existenz  dieses  Volkes  ist  nicht  zu 
bezweifeln,  da  so  viele  Schriftsteller  berichten,  dass  es  die 
Erstlinge  der  Früchte  dem  Apollo,  den  sie  vorzüglich  ver- 
ehren, nach  Delos  zu  schicken  pflegt.  Zuerst  brachten 
Jungfrauen  dieselben  und  wurden  mehrere  Jahre  hindurch 
durch  die  Gastfreundschaft  der  Völker  ehrerbietig  aufge- 
nommen. Als  man  ihnen  aber  einst  die  Gasttreue  gebrochen 
hatte,  Hessen  sie  ihre  Opfergaben  an  den  Grenzen  des 
ihnen  zunächst  wohnenden  Volkes  niederlegen,  dieses  schaffte 
sie  weiter  zu  seinen  Grenznachbarn,  und  so  gelangten  sie 
nach  Delos.     Nachmals  hörte  auch  dieser  Gebrauch  auf. 

Die  Länge  von  Sarmatien,  Scythien,  Taurien  und  dem 
ganzen  Länderstriche  vom  Flusse  Borysthenes  an  wird  von 
Agrippa  auf  980,000,  die  Breite  aber  auf  717,000  Schritte 
angegeben.  Ich  halte  jedoch  die  Maassbestimmung  in  die- 
sem Theile  der  Erde  für  unzuverlässig. 

27. 

Wir  wollen  nun  der  einmal  angenommenen  Ordnung 
gemäss  das,  was  von  diesem  Busen  noch  zu  sagen  übrig 
ist,  berichten;  die  dazu  gehörigen  Meere  haben  wir  bereits 
genannt.  Im  Hellesponte  befinden  sich  keine  Inseln,  die 
sich  bei  Europa  anführen  Hessen.     Im  Pontus  liegen  die 


336  Viertes  Buch. 

beiden,  von  Europa  1500,  von  der  Mündung  des  Pontus 
aber  14,000  Schritte  entfernten  cyaneisehen  Inseln  1),  von 
Andern  die  Symplegaden  2)  genannt,  denn  sie  sollen,  nach 
der  Sage,  zusammen  gelaufen  sein;  sie  sind  nämlich  nur 
durch  einen  kleinen  Zwischenraum  geschieden  und  erschei- 
nen denen,  welche  quer  zu  ihnen  hinfahren,  als  zwei,  wen- 
det man  aber  das  Gesicht  ein  wenig,  so  glaubt  man,  sie 
nähern  sich  einander.  Diesseits  der  Ister  liegt  eine  Insel 
der  Apolloniater  3),  80,000  Schritte  vom  thracischen  Bospo- 
rus entfernt,  von  welcher  M.  Lucullus  den  capitolinischen  4) 
Apollo  gebracht  hat.  s)  Die,  welche  zwischen  den  Mündun- 
gen des  Ister  liegen,  haben  wir  bereits  angeführt.  Vor  dem 
Borysthenes  liegt  die  oben  genannte  Achillea,  welche  auch 
Leuce  und  Macaron  6)  heisst.  Nach  einer  zu  unsern  Zeiten 
angestellten  Messung  ist  sie  vom  Borysthenes  140,000,  von 
Tyras  120,000,  von  der  Insel  Peuce  50,000  Schritte  entfernt. 
Ihr  Umfang  beträgt  gegen  10,000  Schritte.  Die  übrigen  im 
Busen  Carcinites  befindlichen  Inseln  sind:  Cephalonneses  7), 
Rhosphodusa  und  Macra.  Bevor  wir  den  Pontus  verlassen, 
dürfen  wir  auch  die  von  Vielen  angenommene  Meinung 
nicht  übergehen,  dass  alle  innern  Meere  im  Pontus  selbst 
ihren  Ursprung  haben  und  nicht  von  der  gaditanischen 
Meerenge  ausgeheD,  und  zwar  aus  dem  nicht  unwahrschein- 
lichen Grunde,  weil  die  Strömung  stets  vom  Pontus  her- 
kommt, niemals  aber  dahin  zurückkehrt. 

Wir  wollen  jetzt  die  äussern  Theile  von  Europa  ken- 
nen lernen,  und  wenden  uns,  nachdem  wir  die  riphäischen 
Gebirge  überstiegen  haben,  zu  der  Küste  des  nördlichen 
Oceans  links  herum,  bis  wir  wieder  nach  Gades  gelangen. 
Auf  dieser  Strecke  werden  mehrere  Inseln  ohne  Namen  an- 


')  Zwei   Klippen  am   Ausgange    des    thracischen    Bosporus   ins 
schwarze  Meer. 

2)  Zusammenschlagenden.    3)  Beschik  Adasi. 

4)  D.  h.  den  auf  dem  Capitale  zu  Rom  aufgestellten. 

5)  Vergl.  Plin.  XXXIV.  B.  18  C. 

6)  D.  h.  Insel  der  Seligen,  weil  man  glaubte,  sie  sei  der  Aufent- 
halt der  Seelen  der  Heroen.     7)  Tenczel. 


Viertes  Buch.  337 

geführt.  Unter  ihnen  liegt  eine  vor  Scythien,  welche  auch 
Raunonia  heisst,  eine  Tagereise  von  der  Küste  entfernt, 
a,uf  welche,  nach  Timäus  Berichte,  die  Fluthen  zur  Früh- 
lingszeit Bernstein  auswerfen  1).  Die  übrigen  Küsten  kennt 
man  nur  aus  zweifelhaften  Gerüchten.  Hier  befindet  sich 
der  nördliche  Ocean;  Hecatäus  2)  nennt  ihn  von  dem  Flusse 
Paropamisus  3)  an,  soweit  er  Scythien  bespühlt,  den  amal- 
«hischen,  welches  Wort  in  der  dortigen  Volkssprache  „zu- 
gefroren" bedeutet.  Philemon  4)  sagt,  es  werde  bis  zum 
Vorgebirge  Rubeas  5)  von  den  Cimbern  6)  Morimarusa,  d.  h. 
todtes  Meer,  genannt;  weiterhin  heisse  es  Cronium.  Nach 
Xenophon  von  Lampsacus  liegt  in  einer  Entfernung 
dreier  Seetagereisen  von  der  scythischen  Küste  eine  Insel 
Baltia  7),  von  ungeheurer  Grösse;  Pytheas  nennt  sie  Basilia. 
Auch  ist  von  oonischen  Inseln  die  Rede,  deren  Bewohner 
von  Vogeleiern  und  Hafer  leben.  Andere,  auf  denen  die 
Menschen  mit  Pferdefüssen  geboren  werden  sollen,  heissen 
die  Hippopoden;  noch  andere,  die  panotischen  Inseln8),  wo 
die  Menschen  nackend  geheu  und  ihren  Körper  mit  ihren 
eigenen  sehr  grossen  Ohren  ganz  bedecken. 

Bestimmtere  Nachrichten  haben  wir  von  den  Ingävo- 
nen  9),  dem  ersten  Volke  in  diesem  Theile  von  Germanien. 
Hier  erhebt  sich  das  ungeheuere  Gebirge  Sevo  10),  das  den 


*)  Wohl  nichts  anderes,  als  die  Nehrungen  des  frischen  und 
curischen  Haffs  an  den  Küsten  von  Preussen. 

2)  Von  Müet  im  6.  Jahrh.  v.  Chr.    3j  Die  Oder? 
4)  Welcher?  lässt  sich  nicht  bestimmen. 

8)  Nach  Einigen  die  nördliche  Spitze  von  Curland,  wahrschein- 
licher ein  Vorgebirge  ein  Schweden. 

6)  Sie  bewohnten  Jütland,  Schleswig  und  Holstein. 

7)  Skandinavien.     8)  Soll  Wollin  an  der  Mündung  der  Oder  sein. 

9)  Dieser  Name  begreift  fast  alle  in  Norddeutschland  von  den 
Rheinmündungen  bis  nach  Preussen  hin,  und  zum  Theil  in  Skandi- 
navien wohnenden  Völker,  als :  die  Friesen,  Sturier,  Marsacier  zwischen 
der  Scheide  und  Eider;  die  Cauchen,  Angivarier  an  der  Nordsee, 
die  Saxen  mit  den  Nord-Albingern  (oder  Dänen),  die  Esthen  und 
Wenden  in  Preussen,  die  Schweden  und  Finnen  etc. 

,0)  Höchst  wahrscheinlich  der  Kjölen   zwischen  Norwegen  und 

22 


338  Viertes  Buch. 

Riphäen  nichts  nachgiebt  und  bis  zum  cimbrischen  Vorge- 
birge *)  bin  einen  inselreichen  Busen,  Codanus 2)  bildet. 
Die  berühmteste  dieser  Inseln  ist  Scandinavien  3),  deren 
Grösse  man  nicht  kennt;  nur  einen  Theil  davon  bewohnt, 
soviel  man  weiss,  in  500  Gauen  das  Volk  der  Hillevionen, 
welche  ihr  Land  den  andern  Erdkreis  nennen.  Für  nicht 
kleiner  hält  man  Eningia4),  welches  Land  nach  der  Be- 
hauptung Mancher  bis  zum  Flusse  Vistula  5)  von  den  Sar- 
maten,  Venedern,  Sciren  und  Hirren  bewohnt  wird.  Dieser 
Busen  heisst  Cylipenus  6)  und  die  an  seiner  Mündung  lie- 
gende Insel  Latris. 7)  Nicht  weit  davon  ist  ein  zweiter 
Busen,  Lagnus  8),  der  an  Cimbrien  grenzt.  Das  weit  ins 
Meer  auslaufende  cimbrische  Vorgebirge  bildet  die  Halb- 
insel Cartris  9).  Dann  folgen  23  Inseln,  welche  durch  die 
Kriege  der  Römer  bekannt  geworden  sind.  Unter  diesen  ver- 
dienen bemerkt  zu  werden:  Burchana10),  wegen  einer  daselbst 
wildwachsenden  bohnenartigen  Frucht  von  den  Römern  Fa- 
baria  genannt;  ferner  Glessaria n),  welchen  Namen  ihr  die 
Soldaten  wegen  des  Bernsteins  (Glessum)  gaben;  bei  den 
Barbaren  heisst  sie  Austrantia,  ausserdem  auch  Actania. 

28. 
An  diesem  ganzen  Meere  hin  aber  bis  zum  Flusse 
Scaldis12)  wohnen  die  germanischen  Völker.  Die  Grösse 
dieser  Länder  lässt  sich  jedoch,  wegen  der  so  ausserordent- 
lich widersprechenden  Angaben,  nicht  wohl  feststellen.  Die 
Griechen  und  einige  Römer  bestimmen  die  Länge  der  ger- 


Schweden.    Plinius  scheint  also  zu  irren,  wenn  er  dieses  Gebirge  an 
die  Grenzen  Germaniens  versetzt. 

*)  Cap  Skagen  in  Jütland.    *)  Die  Südwestseite  der  Ostsee. 

3)  Das  südliche  Schweden. 

A)  Auch  Epigia,  wahrscheinlich  Finnland.     5)  Weichsel. 

6)  Die  ganze  Südseite  der  Ostsee. 

7)  Wahrscheinlich  Seeland.     Andere   halten  den  Meerbusen  Cy- 
ipenus  für  den  rigaischen  und  Latris  für  die  Insel  Oesel. 

*)  Vermuthlich  das  Cattegat.     9)  Jütland. 

,0)  Borkum  am  Ausflusse  der  Ems. 

")  Ameland  über  Westfriesland.     12)  Scheide. 


Viertes  Buch.  339 

manischen  Küste  zu  2,500,000  Schritten.  Agrippa  giebt 
die  Länge  mit  Rhätien  und  Noricum  zu  686,000,  die  Breite 
zu  148,000  Schritten  an.  Aber  die  Breite  von  Rhätien  allein 
betrug  schon  mehr,  als  es  um  die  Zeit  seines  Todes  x)  unter- 
jocht wurde,  und  Germanien  wurde  erst  viele  Jahre  später 
und  da  noch  nicht  völlig  bekannt.  Wenn  hier  eine  Ver- 
muthung  erlaubt  ist,  so  dürfte  die  Küste  nicht  viel  kürzer 
sein,  als  die  Griechen  sie  annehmen,  und  nicht  viel  länger, 
als  Agrippa  angiebt.  Die  Germanen  bilden  5  Hauptstämme : 
Die  Vandiler  2),  zu  denen  die  Burgundionen  3),  die  Variner  4), 
Cariner  5)  und  Guttoner  6)  gehören.  Einen  andern  Haupt- 
stamm bilden  die  Ingävonen  7),  deren  Zweige  die  Cimbern  8)r 
Teutonen9)    und   Chaucer10)   sind.      Zunächst   am    Rheine 


»)  12  Jahre  n.  Chr. 

2)  Vandalen,  der  Name  mehrerer  engverbundener  Völker,  die 
anfänglich  zwischen  der  Elbe,  Oder  und  Weichsel  wohnten,  sich  dann 
nach  Böhmen,  Dacien,  Pannonien,  und  endlich  zur  Zeit  der  Völker- 
wanderung nach  Frankreich,  Spanien  und  Afrika  wandten. 

3)  Ihr  erster  Wohnsitz  war  an  der  Weichsel.  Um  275  n.  Chr. 
kamen  sie  nach  Frankreich,  wo  sie  sich  aber  erst  im  5.  Jahrhunderte 
festsetzten  und  ein  grosses  Reich  stifteten. 

A)  An  der  Warne. 

5)  Am  rechten  Oderufer. 

6)  Gutä,  Gythones,  Gothones.  Sie  scheinen  scythischen  Ursprungs 
und  mit  den  Geten  verwandt  zu  sein.  Sie  wohnten  anfänglich  an 
der  Weichsel,  gingen  im  4.  Jahrh.  nach  Dacien,  wo  sie  von  der 
Theis  bis  zur  Donau  ein  Reich  stifteten.  Sie  theilten  sich  in  2  grosse 
Abtheilungen,  die  Ostgothen  am  schwarzen  Meere  und  die  West- 
gothen  in  Dacien.  Jene  wurden  den  Hunnen  unterwürfig,  diese 
drangen  ins  römische  Reich  und  setzten  sich  in  Thracien  und  Mösien 
fest.  Unter  Alarich  und  Athaulf  zogen  sie  durch  Griechenland  nach 
Italien  und  Spanien.  Nach  Attila's  Tode  drangen  die  Ostgothen 
unter  Theodorich  in  Italien  ein  und  stifteten  ein  mächtiges  Reich, 
das  unter  Justinian  zerstört  wurde. 

7)  und  8)    Siehe  das  vorige  Kapitel. 

9)  Eigentlich  der  gemeinsame  Name  aller  deutschen  Stämme ; 
hier  besonders  die  in  Lauenburg  und  Mecklenburg. 

10)  Am  Meere  von  der  Ems  bis  zur  Elbe,  also  in  Ostfriesland, 
Oldenburg  und  Bremen. 

22* 


340  Viertes  Buch. 

wohnen  die  Istävoner  x),  wozu  die  Cimbern  2);  ferner  die 
mitten  im  Lande  wohnenden  Hermionen  3),  wozu  die  Sue- 
ven  4) ,  Hermundurer 5),  Chatter 6)  und  Cherusker  7).  Der 
fünfte  Hauptstamm  endlich  enthält  die  Peuciner  und  Bas- 
teiner 8),  welche  an  die  oben  9)  genannten  Dacier  grenzen. 
Bedeutende,  in  den  Ocean  sich  ergiessende  Flüsse  sind: 
der  Guttalus 10),  Vistillus  oder  Vistula,  Albis ll),  Visurgis 12), 
Amisius  13),  Rhenus  u)  und  Mosa 15).  Im  Innern  des  Landes 
aber  breitet  sich  das,  keinem  andern  an  Grösse  nachstehende 
hercynische  Gebirge16)  aus. 

29. 
Im  Rheine  selbst  liegt  die  fast  100,000  Schritte  lange 
hochberühmte  Insel  der  Bataver17)  und  Commenefatier 18), 
sowie  die  übrigen  Inseln  der  Frisen,  Chaucer,  Frisiaboner, 
Sturier  und  Marsacier,  welche  zwischen  demHelius19)  und 
Flevus20)  zerstreut  sind.  So  heissen  nämlich  die  Mündungen, 
durch  welche  sich  der  Rhein  nördlich  in  Seen21)  und  öst- 
lich in  die  Mosa  ergiesst,  indem  nur  ein  massiger  Arm 
zwischen  diesen  beiden  seinen  Namen  behält. 


')  Von  der  östl.  Mündung  des  Rheins  rückwärts  bis  zum  Main. 

*2)  In  den  Provinzen  Cleve,  Berg  und  Niederrhein. 

3)  Einer  der  5  Hauptstämme,  die  zwischen  der  Weichsel  und 
Elbe  wohnten.  Nach  Mannert  waren  sie  das  eigentliche  Stammvolk 
der  Deutschen,  von  dem  alle  übrigen  auswanderten. 

'•)  Anfangs  an  der  Elbe,  zuletzt  in  Schwaben,  nördlich  vom 
Schwarzwalde. 

5)  Im  Meissnerlande  bis  an  die  Quellen  der  Elbe;  später  breite- 
ten sie  sich  vom  Main  bis  zur  Donau  aus. 

6)  Gatten,  von  der  Vereinigung  der  Werra  und  Fulda  bis  zum 
Spessart,  westlich  bis  zur  fränkischen  Saale. 

7)  Im  jetzigen  Lüneburg,  Braunschweig,  Magdeburg,  Halberstadt 
und  Thüringen.  Sie  standen  lange  Zeit  an  der  Spitze  eines  mäch- 
tigen Völkerbundes. 

8)  Sie  wohnten  im  östlichen  Theile  der  Karpathen,  in  Galizien 
und  Podolien.     Die  Peuciner  waren  nur  ein  Theil  von  ihnen. 

9)  Cap.  25.     10)  Pregel.     ")  Elbe.     ,2)  Weser.     ,3)  Ems.    •'•)  Rhein. 
15)  Maas.      I6j  Vom  Thüringer  Walde  bis  nach  Ungarn. 

17)  Ein  Theil  von  Holland.     '■;  In  Westfriesland.     ,9)  Waal. 
20)  Flie.    21)  Zuydersee. 


Viertes  Buch.  341 

30. 
Dieser  Gegend  gegenüber  liegt  zwischen  Norden  und 
Westen  die  durch  die  Werke  der  Griechen  und  Römer  be- 
rühmte Insel  Britannien,  welche  von  Germanien,  Gallien 
und  Spanien ,  den  grössten  Ländern  Europas,  durch  einen 
grossen  Zwischenraum  getrennt  ist.  Sie  selbst  hiess  sonst 
Albion,  denn  unter  dem  Namen  Britannien  begriff  man  alle 
übrigen  Inseln,  von  denen  wir  bald  sprechen  werden.  Von 
Gessoriacus  *),  an  der  Küste  der  Moriner  bis  zu  ihr  beträgt 
die  kürzeste  Entfernung  50,000  Schritte,  und  ihren  Umfang 
geben  Pytheas  und  Isidorus  auf  4,875,000  Schritte  an. 
Innerhalb  30  Jahren  ist  sie  durch  die  römischen  Waffen 
noch  nicht  bis  über  den  caledonischen  Wald  2)  bekannt  ge- 
worden. Agrippa  schätzt  ihre  Länge  auf  800,000,  ihre  Breite 
aber  auf  300,000  Schritte.  Dieselbe  Breite  soll  Hibernien  3) 
haben,  aber  dessen  Länge  um  200,000  Schritte  weniger  be- 
tragen. Letztere  Insel  liegt  über  jener,  und  zwar  auf  dem 
kürzesten  Wege  von  dem  Distrikte  der  Silurer 4)  an ,  in 
einer  Entfernung  von  30,000  Schritten.  Keine  der  übrigen 
Inseln  soll  mehr  als  125,000  Schritte  im  Umfange  haben. 
Es  giebt  40  orcadische  5),  in  massiger  Entfernung  von  ein- 
ander liegende  Inseln;  7  Acmoden 6)  und  30  Häbuden  7). 
Zwischen  Hibernien  und  Britannien  liegen:  Mona  8),  Mona- 
pia9), Ricina,  Vectis10),  Limnus11)  und  Andros12);  unter- 
halb derselben  aber:  Samnis  und  Axantos.  Gegenüber 
nach  dem  germanischen  Meere  hin  sind  die  glessarischen 
Inseln  13)  zerstreut,  welche  von  den  neueren  Griechen  Elec- 


')  Boulogne-sur-mer. 

2)  Grampiangebirge  in  Schottland.    3)  Irland. 

4)  Diese  wohnten  im  südlichen  Theile  von  Wales,  in  Herford - 
shire  und  Worcestershire. 

5)  Die  Orkney-Inseln;   es  sind   ihrer  67,  aber  bloss  29   davon  be- 
wohnt. 

c)  Die    Shetlandsinseln ,  86   an  der  Zahl,  aber  nur   17   bewohnt. 

7)  Die  Hebriden,  über  200,  aber  nur  87  bewohnt. 

*)  Anglesea.     »)  Man.     ,0)  Wight.     ")  Dalkey.     12j  Arran. 

,3)  Siehe  im  27.  Cap. 


342  "Viertes  Buch. 

triden  genannt  werden,  weil  auf  ihnen  Bernstein  vorkommen 
soll.  Die  letzte  aller  bekannten  Inseln  heisst  Thule  *),  auf 
welcher,  wie  schon  erwähnt  wurde  2),  zur  Zeit  des  Sommer- 
solstitii,  wenn  die  Sonne  in  das  Zeichen  des  Krebses  tritt, 
keine  Nacht,  dagegen  im  Wintersolstitium  kein  Tag  ist, 
und  zwar  soll  diess  abwechselnd  6  Monate  lang  dauern. 
Der  Geschichtschreiber  Timäus  sagt,  dass  man  innerhalb 
6  Seetagereisen  von  Britannien  nach  der  Insel  Mictis  3)  ge- 
lange, auf  welcher  sich  weisses  Blei  vorfinde,  und  dass  die 
Britannier  in  aus  Ruthen  geflochtenen  und  mit  Leder  be- 
schlagenen Schiffen  dahin  führen.  Einige  Schriftsteller  er- 
wähnen noch  andere  Inseln,  als:  Scandia  4),  Dumna  5), 
Bergi 6)  und  Nerigos7),  die  grösste  unter  ihnen,  von  wo 
aus  man  nach  Thule  schifft.  Eine  Seetagereise  von  Thule 
liegt  ein  starres  Meer,  welches  von  Einigen  Cronium  ge- 
nannt wird. 

Ol. 

Ganz  Gallien,  das  man  unter  dem  Namen  Comata  8) 
begreift,  wird  in  drei  Hauptvölkerschaften  eingetheilt,  welche 
vorzüglich  durch  Flüsse  von  einander  geschieden  sind.  Vom 
Scaldis  bis  zur  Sequana  9)  reicht  das  belgische,  von  da 
bis  zur  Garunna10)  das  celtische  oder  lugdunensische  und 
von  da  bis  zum  Ausgange  der  Pyrenäen  das  aquitanische, 
vormals  aremorische  genannt.  Die  gesammte  Küste  ist 
nach  Agrippa  1,800,000  Schritte  lang.     Die  Länge  von  Gal- 


>)  Island?    2)  Vergl.  II.  B.,  77.  Cap. 

3)  Ist  bisher  nicht  ermittelt  worden. 

4)  Vermuthlich  ein  Theil  der  scandinavischen  Küste. 

5)  Hay;  sie  gehört  zu  den  shetlandischen  Inseln. 

6)  Wahrscheinlich  ein  Theil  der  norwegischen  Küste,  etwa  da, 
wo  Bergen  liegt? 

7)  Norwegen.  Man  sieht  aus  diesen  und  anderen  Angaben,  dass 
Plinius  manche  Länder  für  Inseln  ausgiebt,  welche  entweder  nur 
Halbinseln  oder  auch  diess  nicht  einmal  sind. 

8)  Oder  Celtica;  es  hatte  jenen  Namen  daher,  weil  seine  Be- 
wohner lange  Haare  trugen. 

9)  Seine.     10)  Garonne. 


Viertes  Buch.  343 

lien  zwischen  dem  Rhenus,  den  Pyrenäen,  dem  Ocean,  dem 
■Cebenna- l)  und  Juragebirge,  durch  welche  es  von  dem  nar- 
bonensischen  Gallien  geschieden  ist,  giebt  er  auf  420,000, 
die  Breite  auf  318,000  Schritte  an.  Die  äussersten  Di- 
strikte vom  Scaldis  an  bewohnen  die  unter  mehreren  Namen 
vorkommenden  Taxandrer  2).  Dann  folgen  die  Menapier  8), 
Moriner 4),  die  Oromarsacer,  welche  an  einen  Ort,  Namens 
Gessoriacus,  grenzen,  die  Britannier  5),  Ambianer  6),  Bello- 
vacer  7)  und  Hasser.  Im  Innern  wohnen  die  Castologer  8), 
Atrebater  9) ,  die  freien  Neivier10),  Veromanduer  u) ,  Sue- 
coner12),  die  freien  Suessioner13),  die  freien  Ulraaneter 14), 
Tungrer15),  Sunucer16),  Frisiaboner17),  Betaser18),  die  freien 
Leucer  19) ,  die  vormals  freien  Treverer 20),  die  verbündeten 
Lingoner 21)  und  Remer 22) ,  Mediomatricer 23) ,  Sequaner 24), 
Rauricer 25)  und  Helvetier26).  Die  Colonien  Equestris 27)  und 
Rauriaca.  Von  den  germanischen  Völkern,  welche  an  den 
Rhein  grenzen,  wohnen  in  dieser  Provinz:  die  Nemeter28), 
Tribocer29),  Vangioner 30),  dann  die  Ubier,  dabei  die  Colo- 
nie  der  Agrippina 31),  die  Cugerner 32),  Bataver  und  die  bei 
den  Rhein-Inseln  genannten33). 

32. 
Im  lugdunensischen Gallien  wohnen:  die  Lexovier34) 
Vellocasser35),  Galleter36),  Veneter37),  Abrincatuer38)  und  Osis- 
mer.39)  Daselbst  ist  der  berühmte  Fluss  Ligeris40).  Aber 
eine  bedeutende  Halbinsel  läuft  in  den  Ocean  hinaus,  deren 
Umfang   von  der  Grenze  der  Osismer  an  625,000  Schritte, 


')  Die  Cevennen.    2)  Tessenderloo. 

3)  Gemappe.    4)  Dept.  Pas  de  Calais.     5)  Ebendaselbst. 

6)  Amiens.    7)  Beauvais.     8)  Le  Chatelet.     9)  Arras.     I0)  Bavay. 

ll)  Vermandois.     ,2)  Chauny.     ,3)  Soissons.     ,4)  Senlis. 

,5)  Tongres,  sonst  Aduaca.     ,6)  Luxemburg.     ")  Limburg. 

18)  Bethunes.     19)  Lüttich.     20)  Trier.    21)  Langres.    22)  Rheims. 

M)  Metz.    **)  Besancon.    26)  Im  Dept.  Haut-Rhin. 

26)  Westliche  Schweiz.    27)  Nyon.    2«)  Speier.    29)  Strassburg. 

x)  Worms.    31)  Köln.    32)  Goch.    33)  Im  29.  Cap.    3i)  Lisieux. 

35)  Rouen.    x)  L'Iskebonne.    37)  Vannes.    38)  Avranches. 

39)  St.  Pol  de  Lion.    40)  Loire. 


344  Viertes  Buch. 

deren  Breite  da,  wo  sie  mit  dem  Festlande  verbunden  ist, 
125,000  Schritte  beträgt.  Jenseits  derselben  wohnen  die 
Namneter  ');  im  Innern  aber  die  verbündeten  Aeduer  2)  und 
Carnuter  3),  die  Bojer  4),  Senoner  5),  Aulercer  mit  dem  Bei- 
namen Eburovicer6)  oder  Cenomanner7),  die  freien  Melder8), 
Parisier  9),  Tricasser 10),  Andegaver11),  Viducasser 12),  Bodio- 
casser13),  Veneller14),  Cariosveliter15),  Diablinder16),  Rhe- 
doner17),  Turoner18),  Atesuer19)  und  die  freien  Secusianer, 
in  deren  Gebiete  die  Colonie  Lugdunum20)  liegt. 

33. 
Im  aquitanischen  Gallien  wohnen  die  Ambilatrer21), 
Anagnuter22) ,  Pictoner23),  die  freien  Santoner24),  die  freien 
Bituriger25)  mit  dem  Beinamen  Viviscer,  die  Aquitaner26), 
von  denen  die  Provinz  ihren  Namen  hat,  und  die  Sedibo- 
viater.  Dann  folgen  die  in  eine  Stadt  vereinigten  Con- 
vener27),  die  Begerrer28),  quatuorsignanischen  (4  Feldzeichen 
führenden)  Tarbeller29),  sexsignanischen  Cocossater30),  Ve- 
namer31),  Onobrisater 32) ,  Belender33)  und  das  pyrenäische 
Gebirge.  Weiter  unten:  die  Moneser34),  Berg-Oscidater &), 
Sibyllater 36) ,  Camponer 37) ,  Bercorcater 38) ,  Pindedunner, 
Lassunner 39) ,  Vellater 40) ,  Tornater 41) ,  Consoranner  42) ,  Aus- 
cer 43),  Elusater 44),  Sottiater 45),  Oscidater  in  den  Ebenen 46), 


J)  Nantes.    2)  Autin. 

3)  Chartres.    4)  Moulins.     5)  Sens.    6)  Evreux.    '•)  Le  Mans. 

8)  Meaux.     9)  Lutetia  (Paris).     ,0)  Troyes.     ")  Angers. 

12)  Vieux.     ,3)  Vez.     M)  Im  Dept.  Manche.     15)  Corseuil. 

,6)  Mayenne.     ,7)  Rennes.     ,8)  Tours.     ,9)  Issoudun.    20)  Lyon. 

21)  Ambialet.    22)  St.  Aignan.    »)  Poitiers.    24)  Saintes. 

25)  Bordeaux.  26)  Aire.  27)  St.  Bertrand  de  Cominges.  Sie  hat- 
ten ihren  Namen  von  convenire  (zusammenkommen);  früher  hielten 
sie  sich  nämlich  in  Wäldern  auf  und  machten  die  Umgegend  un- 
sicher, auf  Befehl  des  Pompejus  mussten  sie  sich  aber  in  einer  Stadt- 
vereinigen. 

28)  Tarbes.    29)  Dax.     30)  Marensin.     31)  Veynes.     32)  Lebret. 

33)  Belin.    3i)  Monein.    3&)  Houcilles.    36)  Sobusse.    37)    Campon. 

38)  Biscarosse.    39)  Im  Dept.  Dordogne.     40)  Rieumes. 

4I)  Tournay.     ,8)  Couserones.    43)  Auch.    44)  Ense. 

45)  Soz.    46)  Ossun. 


Viertes  Buch.  345 

Succasser  J),  Tarusater  2),  Basabocater  3),  Vasseer,  Sennater, 
Cambolectrer  4),  Agesinater  5);  an  die  Pictoner  grenzen  die 
freien  Bituriger  6)  oder  Cuber ;  ferner,  die  Lemovicer  7),  die 
freien  Arverner  8)  und  Gabaler  9).  Wiederum  an  die  nar- 
bonensische  Provinz  grenzen  die  Rutener10),  Cadurcer11), 
Nitiobriger 12)  und  die  von  den  Tolosanern 13)  durch  den 
Fluss  Tarnos14)  getrennten  Petrocorer 15).  Die  Meere  an 
den  Küsten  sind:  an  der  Mündung  des  Rhenus  der  nörd- 
liche Ocean,  zwischen  dem  Rhein  und  der  Sequana  der  bri- 
tannische und  zwischen  diesem  und  den  Pyrenäen  der  gal- 
lische. Ferner  sind  noch  sehr  viele  den  Venetern  gehörende 
Inseln,  welche  daher  auch  die  venetischen16)  heissen,  sowie 
Uliarus17)  im  aquitanischen  Meerbusen18)  anzuführen. 

34. 
An  dem  Vorgebirge  der  Pyrenäen19)  beginnt  Spanien, 
welches  nicht  nur  schmäler  als  Gallien,  sondern  auch  als 
es  selbst20)  ist,  indem,  wie  wir  bereits  gesagt  haben21),  von 
der  einen  Seite  der  Ocean  und  von  der  andern  das  iberische 
Meer  die  ungeheuere  Ländermasse  zusammen  drücken. 
Selbst  die  Kette  der  Pyrenäen ,  welche  sich  vom  Aequi- 
noctialaufgange  bis  zum  Brumaluntergange22)  ausdehnt,  macht 
Spanien  an  der  Nordseite  kürzer  als  an  der  Südseite.  Die 
nächste  Küste23)  ist  die  des  diesseitigen  Spaniens  oder 
der  tarraconensischen  Provinz24).  Von  den  Pyrenäen 
an   liegen   längs  dem  Ocean:   das   vasconische25)   Gebirge, 


')  Cestas.    2)  le  Tursan.    3)  Bazas. 

4)  Cambo-bas-de-Clarence.     5)  Lusignan.     6)  Bourges. 

7)  Limoges.    8)  Clermont.    9)  Javoulx.     19)  Rhodez.     n)  Cahors. 

I2)  Agen.     13)  Toulouse.     u)  Tarn.     ,5)  Perigueux. 

,6)  Die  grösste  derselben  heisst  Belle-Isle.     n)  Oleron. 

18)  Busen  von  Gascogne.     ,9)  Cabo  de  la  Higuera. 

20)  Nämlich  an  andern  Stellen,  weiter  nach  Süden  zu. 

21)  III.  B.  4.  Cap.     22)  Von  Ost  nach  Südwest. 

23)  Nämlich  von  Aquitanien  aus. 

24)  Umfasste  Navarra,    Arragonien,  Catalonien  und   einen  Theil 
von  Castilien  und  Valencia. 

25)  Guipuzcoa. 


^$46  Viertes  Buch. 

Olarso  x),  die  Städte  der  Varduler  als:  Morisgi 2),  Menosca  3), 
Vesperies4),  der  Hafen  der  Amanen,  wo  jetzt  die  Colonie 
Flaviobriga  5)  liegt.  Das  Gebiet  der  Cantabrer  6)  mit  9  Ge- 
meinden ,  der  Fluss  Sauga 7) ,  der  Hafen  Victoria  Julio- 
brigensium  8).  40,000  Schritte  davon  entspringt  der  Iberus  9). 
Der  Hafen  Blendium10).  Die  Orgenomescer,  ein  Stamm  der 
Cantabrer,  mit  ihrem  Hafen  Vereasueca. n)  Das  Gebiet  der 
Asturer12),  die  Stadt  Noega13);  auf  einer  Halbinsel  die  Pä- 
sicer  u).  Dann  folgt  der  Lucensische  15)  Kreis  vom  Flusse 
Navibulio 16)  an ,  worin  die  Cibarcer 17) ,  Egovarrer 18)  mit 
dem  Beinamen  Nonnariner,  die  Jadoner,  Arrotreber,  das 
celtische  Vorgebirge19).  Die  Flüsse  Florius20)  undNelo21). 
Die  Celticer  mit  dem  Beinamen  Nerier22)  und  über  diesen 
die  Tamaricer 23),  auf  deren  Halbinsel 24)  die  drei  von  Sestius 
dem  Augustus  geweihten  Altäre  sich  befinden25).  Die  Co- 
porer26),  die  Stadt  Noela27);  die  präsonnarcischen  Celticer 
und  Cilener 28).  Von  den  Inseln  verdienen  Corticata 29)  und 
Aunios30)  genannt  zu  werden.  An  die  Cilener  grenzt  der 
Kreis  der  Bracarer31),  die  Helener32),  Gravier,  das  Schloss 
Tyde33),  sämmtlich  griechischen  Ursprungs.  Die  Inseln 
Cicä34),  die  berühmte  Stadt  Abobrica 35),  der  Fluss  Minius36), 
welcher  bei  seiner  Mündung  4000  Schritte  breit  ist.  Die 
Leuner  und  Seurber37),   die   bracarische  Stadt  Augusta38), 


')  Ojarsun.     -)  Motrico.     3)  St.  Sebastian? 

4)  Bermes.     5)  Bilbao.    6)  Asturias  de  Santillana.     7)  Saja. 

8)  Santander.     9)  Ebro.     ,0)  Blencia.     »>)  Laredo. 

B)  Asturias  de  Oviedo.     ,3)  Navia. 

,4)  Am  Cabo  de  Pennas  in  Asturien.     ,6)  Lugo  in  Gallicien. 

,6)  Nalon.     17)  Luarca.     ,8)  Alvare.     19)  Cap  Finisterre. 

»)  De  Oro.    21)  Allonos.     22)  Am  Cap  Finisterre. 

23)  Trestamara.    24)  Cabo  Villano. 

25)  Diese  Altäre  wurden  nach  dem  Feldzuge  gegen  die  Cantabrer 
(24—18  vor  Chr.)  errichtet. 

26)  Compostella.    2T)  Noalla.    28)  Caldas  de  Rey.    29)  Salvora. 
30)  Ons.     3l)  Braga.    32)  Pontevedra.    M)  Tuy.    34)  Cies. 

35)  Bayona.    36)  Minho. 

37)  In  der  Provinz  Entre  Duecro  y  Minho.    38)  Braga. 


Viertes  Buch.  347 

ttber  welcher  Galläcia *)  liegt  Der  Fluss  Limia 2) :  der 
Fluss  Durius  3) ,  einer  der  grössten  Spaniens ,  der  im  Pe- 
lendonischen  4)  entspringt,  bei  Numantia 5)  vorüber  fliesst, 
dann  seinen  Lauf  durch  die  Länder  der  Arevacer  und  Vac- 
cäer  nimmt,  Asturien  von  den  Vettonen,  Lusitanien  von  den 
Galläcern,  und  die  Turduler  von  den  Bracaren  trennt  Dieser 
ganze  von  den  Pyrenäen  beginnende  Länderstrich  ist  reich 
an  Gold-,  Silber-,  Eisen-,  weissem  und  schwarzem  Blei- 
Bergwerken. 

35. 
Am  Durius  beginnt  Lusitanien6);  darin:  die  alten 
Turduler  7),  die  Päsurer  8),  der  Fluss  Vagä  9),  die  Stadt  Ta- 
labrica10),  die  Stadt  und  der  Fluss  Aeminium11),  die  Städte 
Conimbrica12),  Collippo13),  Eburobritium.14)  Von  hier  aus  läuft, 
gleich  einem  grossen  Home,  ein  Vorgebirge15)  ins  hohe 
Meer,  welches  Einige  das  artabrische,  Andere  das  grosse, 
Viele  aber  nach  einer  Stadt 16)  das  olisiponensische  nennen, 
und  das  die  Länder,  Meere  und  die  Klimate  trennt;  denn 
hier  endigt  sich  eine  Seite  Spaniens  und  bei  ihm  nimmt 
der  vordere  Theil  seinen  Anfang.  Auf  dieser  Seite  ist  Nor- 
den und  der  gallische  Ocean,  auf  der  anderen  Westen 
und  der  atlantische  Ocean.  Nach  Einigen  beträgt  der 
Vorsprung  dieses  Vorgebirges  60,000,  nach  Andern  90,000 
Schritte.  Die  Entfernung  von  hier  bis  zu  den  Pyrenäen 
geben  nicht  Wenige  auf  1,250,000  Schritte  an,  und  ver- 
setzen durch  einen  offenbaren  Irrthum  das  Volk  der  Ar- 
tabrer,   welches  nie  hier  wohnte,   dahin;   denn  durch  eine 


')  Dieses  Land  begriff,  mit  Ausnahme  einiger  kleiner  Küsten- 
striche, Galizien,  Asturien,  Theile  von  Leon  und  Valladolid  und  die 
portugiesischen  Provinzen  Entre  Duero  y  Minho  und  Tras  los  Mon- 
tes  in  sich. 

2)  Lima.    3)  Duero.    4)  Provinz  Burgos. 

s)  Siehe  über  diesen  und  die  folgenden  Namen  in  diesem  Cap. 
das  III.  B.  3.  und  4.  Cap. 

6)  Portugal.    7)  Auf  der  Südseite  des  Duero. 

8)  L.  Joao  de  Pesqueira.    9)  Vouga.     ,0)  Talavera  de  la  Reyna. 

")  Dorf  Minho  und  Fluss  Quadalete.     I2)  Coimbra.     ,3)  Covilho. 

M)  Aveiro.     ,5)  Ortegal.     16)  Olisipo  (Lissabon^. 


348  Viertes  Buch. 

Verwechselung  der  Buchstaben  lassen  sie  die  Arrotreber, 
von  denen  wir  schon  sagten  *),  dass  sie  vor  dem  celtischen 
Vorgebirge  wohnen,  an  diesem  Orte  leben. 

Auch  selbst  bei  bedeutenden  Flüssen  hat  man  sich  ge- 
irrt, Von  dem  bereits  erwähnten  Minius  ist,  wie  Varro 
berichtet,  der  Aeminius  200,000  Schritte  entfernt;  letztern 
verlegen  aber  Einige  wo  anders  hin  und  nennen  ihn  Limäa; 
bei  den  Alten  hiess  er  der  Fluss  der  Vergessenheit,  und 
viel  wurde  über  ihn  gefabelt 2).  Vom  Durius  liegt  der  Ta- 
gus  3)  200,000  Sehritte  entfernt,  und  zwischen  ihnen  fliesst 
der  Munda4).  Der  Tagus  ist  durch  seinen  Goldsand  be- 
kannt. 160,000  Schritte  von  ihm  springt  das  heilige  Vor- 
gebirge 5)  fast  in  der  Mitte  von  Spaniens  Vorderseite  her- 
vor. Nach  Varro  beträgt  die  Entfernung  bis  zur  Mitte  der 
Pyrenäen  1,400,000  Schritte;  bis  zum  Anas6),  den  wir  als 
Grenze  zwischen  Lusitanien  und  Bätica  bezeichnet  haben, 
126,000  Schritte,  und  bis  nach  Gades  noch  102,000  Schritte 
mehr.  Dortige  Völker  sind:  die  Celticer,  Turduler  und 
am  Tagus  die  Vettoner.  Vom  Anas  bis  zum  heiligen  Vor- 
gebirge wohnen  die  Lusitaner  7).  Bemerkenswerthe  Städte 
an  der  Mündung  des  Tagus  sind:  Olisipo8),  berühmt  da- 
durch ,  dass  dort  die  Stuten  durch  den  Westwind  trächtig 
werden;  Salacia  9)  mit  dem  Beinamen  die  Kaiserstadt,  Me- 
robrica10),  Ossonoba11),  Balso12)  und  Myrtili13);  das  heilige 
Vorgebirge  und  ein  anderes  Cuneus u)  genannt. 

Die  ganze  Provinz  wird  in  drei  Kreisbezirke  einge- 
theilt,  in  den  emeritensischen,  pacensischen  und  scalabita- 


■)  Im  34.  Cap. 

*)  Nach  der  Sage  vergassen  die  Turduler  und  Celten,  welche 
auf  einem  Zuge  begriffen  waren,  an  seinen  Ufern  ihr  Vorhaben  und 
die  Heimkehr.  Man  schrieb  es  der  Wirkung  des  Flusses  zu,  und 
Brutus  hatte  grosse  Mühe,  seine  Soldaten  zum  Uebergange  über  den- 
selben zu  bewegen.    S.  Florus  II.  17. 

3)  Tago.    4)  Mondego.     5)  Cap  St,  Vincent.     6)  Guadiana. 

7)  In  Algarvien.     8)  Lissabon.    9)  Alcacer  do  Sal. 

,0)  Santjago  de  Cacem.    Il)  Estomba.    ,2)  Apalhao.     ,3)  Mertola. 

u)  Cap  S.  Maria. 


Viertes  Buch.  349 

nischen.  Im  Ganzen  enthält  sie  46  Völkerschaften,  worun- 
ter 5  Colonien,  1  Municipalstadt  mit  römischem  Bürger- 
rechte, 3  mit  alt  lateinischen  Rechten  und  36  zinsbare.  Die 
Colonien  heissen:  Augusta  Emerita  *)  am  Flusse  Anas,  Me- 
tallinensis  2),  Pacensis  3),  Norbensis  4)  mit  dem  Beinamen 
Cäsariana.  Zu  letzterer  gehören  Castra  Servilia  5)  und  Cas- 
tra  Cäcilia  6).  Die  fünfte  Colonie,  Sealabis  7),  heisst  auch 
Präsidium  Julium.  Die  Municipalstadt  mit  römischem  Bürger- 
rechte heisst  Olisipo  mit  dem  Beinamen  Felicitas  Julia. 
Die  Städte  mit  altlateinischen  Rechten  sind:  Ebora  8)  oder 
Liberalitas  Julia,  Myrtili  und  Salacia,  die  bereits  genannt 
sind.  Von  den  zinsbaren  Völkern  verdienen,  ausser  den 
unter  den  Beinamen  bei  Bätica  schon  erwähnten,  noch  an- 
geführt zu  werden:  die  Augustobrigenser  9),  Ammienser 10), 
Aranditaner11),  Arabricenser 12),  Balsenser 13),  Cäsarobricen- 
ser14),  Caperenser 13),  Caurenser 16),  Colarner17),  Cibilitaner, 
Concordienser 18),  Elbocorier19),  Interamnienser,  Lancienser20), 
die  celtischen  Mirobrigenser 21) ,  Medubrigenser  oder  Plum- 
barier,  Ocelenser 22)  oder  Lancienser,  Turduler 23)  oder  Bar- 
duler  oder  auch  Taporer24).  Agrippa  giebt  die  Länge  Lu- 
sitaniens  nebst  Asturien  und  Galläcien  auf  540,000 ,  die 
Breite  auf  536,000  Schritte  an.  Der  Umfaug  der  ganzen 
Seeküste  Spaniens  aber  von  einem  pyrenäischen  Vorgebirge 
bis  zum  andern  beträgt  nach  Einigen  3,922,000,  nach  An- 
dern 2,600,000  Schritte. 

36. 
Celtiberien   gegenüber   liegen    mehrere  Inseln,   unter 


J)  Merida.    '-)  Medellin.     3)  Beja. 

*)  Alcantara.    5)  Truxillo.    6)  Caceres. 

7)  Santarem.     8)  Evora. 

°)  Muro.     ,0)  Almeida.     •»)  Abrantes.     ,2)  Brega. 

'3)  Apalhao.     ,4)  Ciudad  Rodrigo. 

,5)  Las  Ventas  de  Capara. 

,6)  Coria.     ")  Villa  Cova  a  Coelheira.     I8)  La  Guarda. 

I9)  Celorico.    20)  Sollahco.    2I)  Miranda.    22)  Fermoselle. 

'a)  Bei  Badajoz.    2<)  Tavova. 


350  Viertes  Buch. 

denen  die  von  Griechen  sogenannten  Cassiteriden  x)  ihren 
Namen  wegen  ihrer  Ergiebigkeit  an  Blei  haben.  In  der 
Gegend  des  arrotrebarischen  Vorgebirges 2)  liegen  die  6 
Götterinseln  3),  von  Einigen  auch  die  glücklichen  genannt. 
An  der  Spitze  von  Bätica  aber,  25,000  Schritte  von  der 
Mündung  der  Meerenge,  liegt  Gadis  4),  nach  Polybius  12,000 
Schritte  lang  und  3000  breit,  Ihre  Entfernung  vom  näch- 
sten Theile  des  Festlandes  beträgt  nicht  ganz  700  Fuss, 
an  den  übrigen  Stellen  aber  mehr  als  7000  Schritte.  Ihr 
Flächenraum  beläuft  sich  auf  15,000  Schritte;  auch  hat  sie 
eine  Stadt  mit  römischem  Bürgerrechte,  welche  Augusta 
Julia  Gaditana  5)  heisst.  Nach  Spanien  zu  liegt  in  einer 
Entfernung  von  100  Schritten  noch  eine  andere  Insel 6), 
1000  Schritte  lang  uud  breit,  auf  der  vormals  eine  Stadt 
Gades  stand.  Ephorus  und  Philistides  nennen  diese  Insel 
Erythia,  Timäus  und  Silenus  7)  Aphrodisias,  die  Eingebo- 
renen aber  Junoinsel.  Nach  Timäus  heisst  die  grössere  8) 
Potimusa;  die  Kömer  nennen  sie  Tartessos,  die  Punier  Gadir, 
was  in  ihrer  Sprache  einen  Zaun  bedeutet.  Erythia  heisst 
sie  9)  deshalb,  weil  die  Tyrier,  die  Stammeltern  der  Punier, 
vom  erythräischen 10)  Meere  gekommen  sein  sollen.  Einige 
sind  der  Meinung,  die  Geryonen  u),  deren  Rinder  Herkules 
weg  führte,  hätten  daselbst  gewohnt;  Andere  aber  glauben, 
diess  sei  eine  andere  Insel  gleichen  Namens  gewesen,  die 
nach  Lusitanien  zu  läge. 

37. 
Nachdem  wir  nun  Europa  in  seinem  ganzen  Umfange 
abgehandelt  haben,   wollen  wir  der  Vollständigkeit  wegen 
den  Wissbegierigen  eine  kurze  Berechnung  des  Ganzen 


l)  Dies  sind  die  sorlingischen  oder  Scilly-Inseln,  die  aber  nicht 
bei  Spanien,  sondern  an  der  Südküste  Englands,  unweit  des  Cap 
Landsend  (der  Spitze  von  Cornwallis)  liegen.  Die  Phönicier  waren  die 
ersten  Entdecker  derselben  und  bezogen  viel  Zinn  (weisses  Blei)  daher. 

8)  Finisterre.     3)  Die  Azoren.    4)  Leon.     5)  Cadiz.    c)  S.  Petri. 

7)  Unbekannt.     8)  Leon.    9)  Die  kleinere.     ,0)  rothen. 

u)  Es  waren  nämlich  3  Brüder,  welche  diesen  Namen  führten, 
woraus  die  Sage  den  dreiköpfigen  Geryon  machte. 


Viertes  Buch.  351 

vorlegen.  Artemidorus  und  Isidorus  geben  die  Länge  dieses 
Erdtheils  vom  Tanais  bis  nach  Gades  auf  8,214,000  Schritte 
an.  Nach  Polybius  beträgt  die  Breite  von  Italien  bis  zum 
Ocean  1,150,000  Schritte;  allein  damals  war  die  wahre 
Grösse  von  Europa  noch  unbekannt,  denn  Italien  allein  ist 
bis  zu  den  Alpen,  wie  bereits  angezeigt,  1,120,000  Schritte 
lang.  Von  da  aber  über  Lugdunum  bis  zum  britannischen 
Hafen  der  Moriner  x)  sind  es  1,169,000  Schritte,  und  hier- 
auf mag  sich  Polybius'  Angabe  beziehen.  Ein  sichereres 
und  längeres  Maass  giebt  jedoch  eine  von  den  Alpen  gegen 
den  Sommersonnenuntergang  2)  und  die  Rheinmündung  hin 
über  das  Lager  der  deutschen  Legionen  gezogene  Linier 
welche  1,543,000  Schritte  lang  ist. 

Jetzt    gehen    wir    zur   Beschreibung  von   Afrika    und 
Asien  über. 


')  Das  schon  erwähnte  Gessoriacus  (Boulogne). 
2)  Nordwesten. 


Fünftes  Euch. 


Von  der  Lage  und  Grösse  der  Länder,  Meere,  Städte,  Häfen, 

Berge,  Flüsse  und  den  Völkern,  welche  noch  da  sind 

oder  da  waren. 

Die  Griechen  nannten  Afrika  Libyen  und  das  vor 
ihm  liegende  Meer  das  libysche.  Dieser  Erdtbeil  endigt 
mit  Aegypten,  und  kein  anderer  hat  weniger  Busen,  denn 
seine  Küste  zieht  sich  von  Westen  her  in  einer  schiefen 
Linie  hin.  Die  Namen  seiner  Völker  und  Städte  sind 
grösstentheils  nur  in  den  dortigen  Sprachen  auszudrücken 
und  jene  wohnen  fast  nur  in  festen  Burgen. 

1. 

Das  erste  unter  den  Ländern  Afrikas  heisst  Mauri- 
tanien  *);  es  war  bis  zum  Kaiser  Cajus,  dem  Sohne  des 
Germanicus,  ein  eigenes  Reich ,  wurde  aber  unter  dessen 
grausamer  Regierung  in  2  (römische)  Provinzen  getbeilt 2). 
Das  äusserste  am  Ocean  gelegene  Vorgebirge   nennen   die 


1)  Es  umfasste  Fez  und  Marocco  und  den  grössten  Theil  von 
Algier. 

2)  Nicht  unter  Cajus  (Caligula),  der  41  nach  Chr.  starb,  sondern 
im  folgenden  Jahre  unter  Claudius  wurde  Mauritanien  römische 
Provinz.  Jedoch  bahnte  Caligula  durch  die  Ermordung  des  letzten 
Prinzen  dieses  Reiches,  Ptolemäus,  dazu  den  Weg.  —  Die  westlich 
gelegene  Provinz  hiess  M.  Tingitana,  die  östliche  M.  Cäsariensis. 


Fünftes  Buch.  353 

Griechen  Anipelusia.  v)     Vormalige  Städte  waren  Lissa  und 
€otta  jenseits  der   Säulen   des   Hercules;  jetzt  heisst   die 
dort   befindliche  Stadt  Tingi 2).    Sie   wurde  von  Antäus  3) 
gebauet,  Kaiser  Claudius  aber  machte  sie  hernach  zur  Co- 
lonie   und   nannte  sie  Traducta  Julia.    Von  Belo  4) ,   einer 
Stadt  in  Bätica,   ist   sie  auf  dem  kürzesten  Wege  30,000 
Schritte  entfernt.     25,000  Schritte  davon  liegt  an  der  Küste 
des  Oceans  die  Colonie  des  Augustus,  Julia  Constantia  Zu- 
lil 5),  welche  der  Herrschaft  der  Könige  entnommen  ist  und 
unter  der  Gerichtsbarkeit  von  Bätica  steht.    Von  ihr  liegt 
Lixos  6) ,   eine  Colonie  des  Kaiser  Claudius ,   von  der  viele 
alte   Sagen   erzählt   werden,   32,000  Schritte   entfernt.    In 
dieser  Gegend  lag  die  Burg  des  Antäus,  hier  kämpfte   er 
mit  dem  Hercules,   hier  waren  die  Gärten  der  Hesperiden. 
Aus  dem  Meere  tritt  hier  das  Wasser  in  gewundnem  Gange 
ins  Laud,  wodurch,  nach  jetziger  Auslegung,  das  Bild  eines 
wachehaltenden  Drachen  entstanden  ist.   Jenes  eindringende 
Wasser  umschiiesst  eine  Insel,   welche  in  der  ganzen  be- 
nachbarten und  noch  höher  liegenden  Gegend  der  einzige 
Punkt   ist,  der  nicht  überfluthet  wird.    Auf  ihr  steht  auch 
noch    ein  Altar   des  Hercules,   allein  von  jenem,   goldene 
Früchte   tragenden  Haine   ist   ausser   einigeu    wilden  Oel- 
bäumen  nichts  mehr  vorhanden.     Man  wird  sich  über  die 
abenteuerlichen   Lügen   der   Griechen   rücksichtlich  dieser 
Gegenden   und   des  Flusses  Lixus  7)   weniger  verwundern, 
wenn  man  bedenkt,   dass  selbst  einige  von  unsern  Schrift- 
stellern noch  neuerlich  fast  ebenso  wunderliche  Dinge  da- 
von erzählt  haben.    Es  soll  nämlich  dort  eine  sehr  mäch- 
tige Stadt  und  grösser  als  Gross-Carthago  sein,  dieser  gegen- 


')  Cap    Spartel.    -)   Tanger. 

3)  Ein  Riese,  der  von  Hercules  erdrückt  wurde. 

1)  Bolonia.    5)  Arzilla  in  Fez. 

6)  In  Marocco,  jetzt  Larais  oder  El-Araisch.      Sie  war  ursprüng- 
lich eine  Colonie  der  Phönicier. 

7)  Lucos,   Linx,  Lix;  er  ergiesst  sich  bei  einer  Stadt  gleichen 
Namens  ins  Meer. 

•23 


354  Fünftes  Buch. 

über  liegen  und  von  Tingi  ausserordentlich  weit  entfernt 
sein.  Dergleichen  und  noch  andere  Märchen  hat  Corne- 
lius Nepos  mit  der  grössten  Leichtgläubigkeit  aufgegriffen. 

40,000  Schritte  von  Lixus  liegt  im  Innern  eine  zweite 
Colonie  des  Augustus,  Babba  1),  auch  Julia  Campestris  ge- 
nannt, und  75,000  Schritte  weiter  eine  dritte,  Banasa  2),  mit 
dem  Beinamen  Valentia.  35,000  Schritte  davon,  und  ebenso 
weit  von  beiden  Meeren  entfernt,  liegt  die  Stadt  Volubile  3). 
50,000  Schritte  von  Lixus  fliesst  an  der  Küste  der  Subur  4),. 
ein  stattlicher  und  schiffbarer  Strom,  neben  der  Colonie  Ba- 
nasa hin.  Ebenso  viele  tausend  Schritte  von  ihm  und  schon 
in  der  Nähe  der  Wüsten  liegt  die  Stadt  Sala  5),  am  gleich- 
namigen Flusse  6);  sie  wird  von  ganzen  Heerden  Elephanten, 
noch  weit  mehr  aber  von  den  Autololern  7) ,  durch  deren 
Land  der  Weg  zum  Atlas,  dem  fabelreichsten  Berge  Afrikas,, 
geht,  beunruhigt. 

Dieser  Berg  soll  sich  mitten  aus  den  Sandwüsten  zum 
Himmel  erheben,  auf  der  nach  der  Küste  des  von  ihm  be- 
nannten Oceans  gerichteten  Seite  rauh  und  unwirthlich,  hin- 
gegen nach  der  Landseite  zu  schattig,  waldig  und  von 
Quellen  bewässert  sein,  und  Früchte  aller  Art  von  selbst 
in  solcher  Menge  hervorbringen,  dass  es  jeder  Begierde  nie 
an  Befriedigung  fehlt.  Am  Tage  sehe  man  keinen  von  den 
Einwohnern,  überall  herrsche  tiefe  Ruhe  und  schauerliche 
Einsamkeit;  stille  Ehrfurcht  bemächtige  sich  der  Ge- 
müther der  Näherkommenden,  und  ein  Schauder  überfalle 
sie  beim  Anblick  des  über  die  Wolken  sich  erhebenden 
und  die  Sphäre  des  Mondes  fast  berührenden  Berges.  Des 
Nachts  glänze  er  von  zahlreichen  Feuern,  die  Aegipane  und 
Satyren  trieben  dort  ihre  muthwilligen  Scherze,  und  von 
dem  Klange  ihrer  Flöten  und  Pfeifen,  sowie  vom  Schalle 
ihrer  Pauken  und  Cymbeln  halle  er  wieder.  Alles  diess 
und  ausserdem  noch  die  daselbst  von  Hercules  und  Perseus 


')  Naranja  in  Marocco. 

2)  Alt-Mamore  am  Flusse  Subur  (jetzt  Seboun). 

3)  Gualili.     4)  Seboun.     5)  Salle.    6)  Buregreg.    7)  Bei  Fez. 


Fünftes  Buch.  355 

vollbrachten  Thaten  erzählen  berühmte  Schriftsteller.  Die 
Entfernung  bis  dahin  ist  ungeheuer  gross  und  noch  nicht 
sicher  bekannt. 

Es  existirten  auch  schriftliche  Notizen  des  carthagi- 
niensischen  Feldherrn  Hanno  J),  welcher  zur  Zeit  der  Blüthe 
des  punischen  Reichs  beauftragt  war,  den  Umfang  von 
Afrika  zu  ermitteln.  Diesem  sind  viele  griechische  nnd  rö- 
mische Schriftsteller  gefolgt;  sie  erzählen  aber  auch  manches 
Fabelhafte  und  sprechen  von  vielen  von  Hanno  dort  ange- 
legten Städten,  welche  weder  in  der  Erinnerung  noch  in 
der  Wirklichkeit  mehr  vorhanden  sind. 

Als  Scipio  Aemilianus  in  Afrika  den  Oberbefehl  hatte, 
tibergab  er  dem  Polybius,  dem  Verfasser  der  Annalen,  eine 
Flotte,  um  damit  diesen  Erdtheil  untersuchend  zu  um- 
schiffen 2).  Dieser  berichtete  nun,  dass  die  Entfernung  von 
jenem  Gebirge  3)  an  westlich,  wo  sich  Walduügen  voll  wil- 
der Thiere,  wie  sie  Afrika  erzeugt,  befänden,  bis  zum  Flusse 
Anatis  4)  485,000  Schritte  betrage.  Von  da  bis  nach  Lixus 
seien  es  205,000,  und  Lixus  sei  von  der  gaditanischen  Meer- 
enge 112,000  Schritte  entfernt.  Sodann  gelange  man  zu 
einem  Meerbusen,  Saguti 5)  genannt.  Weiterhin  folge  die 
Stadt  Mulelacha  6)  auf  einem  Vorgebirge ;  die  Flüsse :  Su- 
bur  und  Sala.  Der  Hafen  Rutubis  7),  213,000  Schritte  von 
Lixus  entfernt.  Hierauf  das  Vorgebirge  der  Sonne  8),  der 
Hafen  Risardir9),   die    gätulischen  Autololer 10),   der   Fluss 


')  Er  scheint  auf  dieser  Reise,  wie  sich  aus  seinen  Berichten 
ergiebt,  bis  Guinea  gekommen  zu  sein.  Die  Zeit,  wann  er  lebte, 
lässt  sich  nicht  mit  Gewissheit  angeben;  wahrscheinlich  fällt  sie  in 
das  sechste  Jahrhundert  vor  Chr.  G.  Nach  Heeren  war  der  Periplus 
(oder  Reisebericht,  der  sehr  früh  aus  dem  Punischen  ins  Griechische 
übersetzt  wurde)  eine  Inschrift,  die  Hanno  als  Denkmal  seiner  Reise, 
nach  der  Sitte  der  carthaginiensischen  Feldherren  und  Admirale,  im 
Tempel  des  Saturnus  zu  Carthago  aufstellte.  Ein  Fragment  dieses 
Periplus  besitzen  wir  noch  jetzt. 

*)  Im  Jahre  146  v.  Chi-. 

3)  Atlas.    4)  Ommirabih  in  Marocco.    6)  Alcassar.    G)  Malebata. 

")  Mazagan.     8)  Cap   Cantin. 

9)  Safty.     l0)  Zwischen  Risardir  und  dem  Sala. 

23* 


356  Fünftes  Buch. 

Cosenus  *),  die  Scelatiter  und  Masater2),  der  Fluss  Masa- 
tat3),  der  Fluss  Darat  4) ,  in  welchem  Krokodile  leben. 
Dann  komme  man  an  einen  Meerbusen,  der  eine  Ausdeh- 
nung von  616,000  Schritten  habe  und  von  einem  gegen 
Westen  auslaufenden  Vorgebirge  des  Berges  Barce  5) ,  Na- 
mens Surrentium 6) ,  eingeschlossen  werde.  Sodann  der 
Fluss   Salsus 7) ,   hinter    diesem    die    äthiopischen  Perorser, 

und  noch  weiter  hin  die  Pharusier  8) ,  an  welche  letztere, 
^egen  das  Innere  des  Landes  zu  die  darischen  Gätuler  9) 
grenzen.  An  der  Küste  aber  die  äthiopischen  Daratiter 10). 
der  mit  Krokodilen  und  Flusspferden  augefüllte  Bam- 
botus  u).  Von  hier  an  zögen  sich  die  Berge  ununterbrochen 
bis  zu  demjenigen  fort,  welchen  wir  später  unter  dem  Na- 
men Theon  ochema12)  (Götterwagen)  beschreiben  werden13). 
Von  da  soll  man  in  10  Tagen  und  Nächten  zum  hespe- 
rischen  Vorgebirge14)  hinüberschiffen;  mitten  in  diesen 
District  versetzte  er  den  Atlas,  der  nach  allen  andern  Schrift- 
stellern an  der  Grenze  von  Mauritanien  liegt. 

Zuerst  haben  die  Römer  unter  dem  Kaiser  Claudius  in 
Mauritanien  gekämpft,  als  der  freigelassene  Aedemon  den 
Tod  des  vom  Kaiser  Cajus  ermordeten  Königs  Ptolemäus 15) 
rächen  wollte;  da  aber  die  Barbaren  flohen,  gelangte  man 
bekanntlich  bis  zum  Berge  Atlas.  Und  nicht  allein  die  aus 
den  Consularen  und  dem  Senate  gewählten  Feldherren,  welche 
damals  dort  Krieg  führten,  sondern  auch  die  römischen 
Ritter,  welche  daselbst  im  Dienste  waren,  hatten  den  Ruhm, 
bis  zum  Atlas  vorgedrungen  zu  sein.  Fünf  römische  Colo- 
nien  befinden  sich,  wie  wir  bereits  gesagt  haben,  in  dieser 
Provinz,   und   es  möchte   daher  scheinen,   dass  wir  leicht 

')  Tensift.     2)  In  den  Ebenen  von  Akkeermute. 

:1)  Mogador.     4)  Suse.     5)  Daran.    6)  Geer.     7)  Messa. 

8)  Beide   Völker  wohnten   zwischen   dem    Cap    Geer    und    dem 
•Cap  Nun. 

9)  Vielleicht  in  der  marokkanischen  Provinz  Draha. 
,0)  Um  das  Cap  Nun.     ")  Nun. 

'-)  Ist  wohl  das  weisse  Vorgebirge.     ,:t)  VI.  B.  35.  Cap. 
M)  Cap  Bojador.     ,r,j  Der  letzte  König  von  Mauritanien. 


Fünftes  Buch.  357 

Nachrichten  von  dort  her  bekommen  könnten.  Allein  darin 
täuscht  man  sich,  wie  die  Erfahrung  lehrt,  oft  gar  sehr; 
denn  vornehme  Personen,  welche  gewöhnlich  zu  bequem 
sind,  um  die  Wahrheit  zu  erforschen,  entblöden  sich  aus 
Schaam  der  Unwissenheit  nicht,  zu  lügen,  und  man  lässt 
sich  nie  leichter  irre  führen,  als  wenn  ein  bewährter  Schrift- 
steller eine  Unwahrheit  behauptet.  Doch  darüber,  dass  so 
Manches  von  den  Rittern  und  selbst  von  denen,  welche  aus 
diesem  Stande  in  den  Senat  getreten  sind,  unerforscht  ge- 
blieben ist,  wundere  ich  mich  weit  weniger,  als  dass  es 
selbst  dem  Luxus  nicht  bekannt  wurde ,  dessen  Allgewalt 
sich  dadurch  schon  deutlich  erweist,  dass  die  Wälder  nach 
Elfenbein  und  Citrus  *),  alle  gätulischen  Felsen  aber  nach 
Muscheln  und  Purpurschnecken  durchsucht  werden. 

Nach  dem  Berichte  der  Eingeborenen  fliesst  in  der 
Nähe  der  Küste,  150,000  Schritte  vom  Sala  entfernt,  der 
Fluss  Asana  2),  welcher  salzig  schmecke,  aber  einen  ansehn- 
lichen Hafen  habe;  dann  folge  der  Fluss  Fut 3);  von  diesem 
bis  zum  Dyris  (denn  so  heisst  in  ihrer  Sprache  der  Atlas) 
sei  es  200,000  Schritte  und  dazwischen  liege  der  Fluss 
Vior  4).  Hier  sollen  sich  auch  noch  Spuren  eines  früherhin 
bewohnten  Landes  und  Ueberreste  von  Weinbergen  und 
Palmwäldern  befinden. 

Suetonius  Paulinus 5)  (den  wir  als  Consul  gesehen 
haben)  ist  der  erste  römische  Feldherr,  welcher  sogar  um 
einige  tausend  Schritte  über  den  Atlas  hinauskam;  seine 
Angabe  rücksichtlich  der  Höhe  dieses  Gebirges  stimmt  mit 
denen  der  Uebrigen  überein.  Den  Fuss  desselben  fand  er 
bedeckt  mit  dichten,  hohen  Wäldern,  die  aus  unbekannten 
Bäumen  bestanden;  sie  zeichneten  sich  aus  durch  hohe, 
glatte  und  glänzende  Stämme,  hatten  den  Cypressen  ähn- 
liche Blätter,  welche  einen  starken  Geruch  besassen  und 
mit  dünner  Wolle  bedeckt  waren,  aus  der  sich,  wie  aus  der 


')  S.  XIII.  B.  29.  C.    a)  Ommirabih?    3)  Tensift?    4)  Sus. 
5)  Er   war   Consul  mit  L.  Pontius   Telesinus    im   12.   Jahre  der 
Regierung  des  Nero,  66  n.  Chr. 


358  Fünftes  Buch. 

Baumwolle,  durch  künstliche  Behandlung  Kleider  anfertigen 
Hessen.  Der  Gipfel  des  Berges  war  selbst  im  Sommer  mit 
Schnee  bedeckt.  Nach  10  Tagemärschen  war  er  dahin  ge- 
gelangt, und  nachdem  er  durch  Wüsten  voll  schwarzen  San- 
des, aus  denen  sich  hie  Und  da  gleichsam  ausgebrannte 
Felsen  erhoben  und  durch  Gegenden,  die  der  Hitze  wegen 
unbewohnt  waren,  obgleich  er  zur  Zeit  des  Winters  dort 
eintraf,  gezogen  war,  kam  er  an  einen  Fluss  Namens  Ger  *). 
Die  Bewohner  der  benachbarten,  mit  Elephanten,  wilden 
Thieren  und  Schlangen  aller  Art  erfüllten  Bergwälder  wür- 
den Canarier  genannt;  ihre  gewöhnlichen  Nahrungsmittel  seien 
nämlich  die  Eingeweide  der  Hunde  und  anderer  wilder  Thiere. 
Dass  an  diese  ein  äthiopisches  Volk,  die  Perorser,  grenzt, 
ist  bekannt.  Juba2),  der  Vater  des  Ptolemäus,  der  zuerst  über 
beide  Mauritanien  herrschte,  durch  seinen  wissenschaftlichen 
Ruhm  aber  noch  merkwürdiger  war  als  durch  seine  Regie- 
rung, hat  ähnliches  vom  Atlas  berichtet  und  sagt  ausser- 
dem noch,  es  wachse  dort  ein  Kraut,  das  nach  seinem  Arzte, 
der  es  zuerst  fand,  Euphorbia  3)  genannt  werde.  Den  milch- 
artigen  Saft  desselben  rühmt  er  in  einem  eigenen  Buche 
wegen  der  vortrefflichen  Wirkung  auf  die  Sehkraft,  gegen 
Schlangen  und  alle  Gifte.  Doch  hiermit  sei  es  mehr  als 
genug  vom  Atlas. 

Die  Länge  der  tingitanischen  Provinz4)  beträgt 
170,000  Schritte.  Das  Hauptvolk  darin  war  vormals  das  der 
Mauren,  welche  meistens  Maurusier  genannt  werden  und 
wovon  auch  das  Land  seinen  Namen  hat.  Durch  Kriege 
geschwächt,  ist  es  bis  auf  einige  Familien  verschwunden. 


')  Sifelmel. 

2)  Sohn  des  von  Csesar  47  v.  Chr.  besiegten  Königs  Juba  von 
Numidien,  wurde  nach  Rom  gebracht  und  erhielt  daselbst  eine  so 
sorgfältige  wissenschaftliche  Ausbildung,  dass  man  ihn  als  einen 
der  gelehrtesten  Männer  seiner  Zeit  betrachtet.  Augustus  gab  ihm, 
nachdem  er  sich  mit  Cleopatra  Selene,  einer  Tochter  der  Cleopatra 
und  des  Antonius,  vermählt  hatte,  das  väterliche  Reich  zurück. 

3)  XXV.  B.  38.  Cap. 

4)  Sie  erstreckte  sich  vom  atlantischen  Meere  bis  zum  Flusse 
Molochhah. 


Fünftes  Buch.  359 

Ihnen  zunächst  wohnten  die  Massäsyler ,  welche  aber 
-auch  vertilgt  sind.  Jetzt  wohnen  daselbst  die  Gätuler,  Ban- 
jurer  und  die  sehr  mächtigen  Äutololer;  ein  Stamm  der 
Letztern,  die  Vesuner,  riss  sich  einst  von  ihnen  los,  bildete 
ein  eignes  Volk  und  siedelte  sich  an  den  Grenzen  der 
Aethiopier  an.  Der  östliche  Theil  der  Provinz  ist  gebirgig 
und  wird  von  Elephänten  bewohnt.  Diese  finden  sich  auch 
auf  dem  Abila *)  und  den  Bergen ,  welche  wegen  ihrer 
gleichen  Höhe  die  sieben  Brüder2)  heissen;  sie  sind  mit 
dem  Abila  verbunden  und  erstrecken  sich  bis  zu  der  Meer- 
enge 3).  Bei  ihnen  fängt  die  Küste  des  inneren  4)  Meeres 
an.  Es  folgt  nun  der  schiffbare  Fluss  Tamuda  5)  und  ehe- 
mals eine  Stadt  gleichen  Namens;  der  Fluss  Laud6),  der 
selbst  Seeschiffe  trägt.  Die  Stadt  und  der  Hafen  Ryhadir  7) ; 
der  schiffbare  Fluss  Malvana 8).  Die  Stadt  Siga 9) ,  Ma- 
laca 10)  in  Spanien  gegenüber,  der  Königssitz  des  Svphax  u) 
liegt  schon  im  andern 12)  Mauretanien.  Diese  Länder  haben 
lange  die  Namen  ihrer  Könige  geführt;  so  hiess  das  äusser- 
ste  (tingitanische)  Mauritanien  das  Bogudische  und  das 
cäsariensische  das  Land  des  Bocchus 13).  Dann  folgt  ein 
Hafen,  der  von  seinem  Umfange  der  Grosse14)  genannt 
wird,  und  eine  Stadt  mit  römischem  Bürgerrechte.  Der 
Fluss  Mulucha15),  welcher  das  Land  des  Bocchus  von  dem 
der  Massäsyler  scheidet.  Quiza  Xenitana16),  eine  Stadt 
der  Fremden;  Arsennaria 17)  mit  lateinischen  Rechten  und 
3600  Schritte  vom  Meere.  Cartenna18),  eine  Colonie  des 
Augustus,  von  der  zweiten  Legion  angelegt;  Gunugum19) 
eine  andere  Colonie  des  Augustus,  von  der  prätorianischen 


»)  Jibbel  el  Zatute.     -)  Sebat  Jibbel.    3)  Von  Gibraltar. 

4)  mittelländischen.     5)  Busega.    6)  Gomera.    7)  Melilla. 

8)  Mulvia.    9)  Nad-Ronia.     I0)  Malaga. 

")  König  der  Massäsyler  zur  Zeit  des  zweiten  punischen  Krieges. 

12)  Cäsariensischen,  grösstentheils  Algier. 

13)  Der  Schwiegervater  des  Jugurtha. 
,4)  Heisst  noch  jetzt  so:  Mersel  Kibir. 

,5)  Mulvia.     ,6)  Giza  bei  Oran.     ")  Arzew.     I8)  Tenez. 
t9)  Mostagan. 


360  Fünftes  Buch. 

Cohorte  gegründet.  Das  Vorgebirge  des  Apollo  x);  daselbst 
die  überaus  berühmte  Stadt  Cäsarea  2),  früher  Jol  genannt, 
die  Residenz  des  Juba,  vom  Kaiser  Claudius  mit  den  Rech- 
ten einer  Colonie  beschenkt;  Oppidum  novum  3),  auf  Befehl 
desselben  Kaisers  von  Veteranen  erbauet,  und  Tipasa 4) 
mit  lateinischem  Bürgerrecht.  Icosion  5)  wurde  vom  Kaiser 
Vespasianus  mit  demselben  Rechte  beschenkt.  Rusconiä  6), 
eine  Colonie  des  Augustus;  desgleichen  Rusazus  7),  Saide  8) 
und  Igilgili 9) ,  das  von  Claudius  mit  dem  Bürgerrechte 
belohnte  Rusucurium  10);  die  am  Meere  und  am  Flusse 
Ampsaga u)  belegene  Stadt  Tucca.  Im  Innern  des  Landes 
liegen  die  Colonien  des  Augustus.  Succabar12)  und  Tubu- 
suptus13).  Die  Städte  Timici  und  Tigavä14),  die  Flüsse 
Sardabal 15),  Aves 16),  Nabar 17)  und  Usar 18) ;  die  Macureber 
und  Nabader.  Der  Fluss  Ampsaga  ist  von  Cäsarea  322,000 
Schritte  entfernt.  Die  Länge  beider  Mauritanien  beträgt 
1,038,000,  die  Breite  467,000  Schritte. 

2. 
Am  Ampsaga  beginnt  Numidien19),  welches  durch  den 
Namen  des  Massinissa  berühmt  geworden  ist.  Die  Griechen 
nennen  es  das  Land  Metagonites,  die  Numidier  aber  heissen 
bei  ihnen  Nomaden,  von  der  Veränderung  ihrer  Weideplätze, 
wobei  sie  ihre  Zelte,  welche  die  Stelle  ihrer  Häuser  ver- 
treten, auf  Wagen  mit  sich  führen.  Städte  darin  sind: 
Cullu 20)  Rusicade 21),  und  48,000  Schritte  weit  davon  nach 
dem  Innern  des  Landes  zu  die  Colonie  Cirta22),  oder  der 


>)  Cap  Mostagan. 

2)  Scherschell,  nach  Andern:  Daraus,  Tenez  oder  Algier. 

3)  El  Cadara.    4)  Bei  Damus.    5)  Algier?    6)  Tadeies. 

7)  Acor.     8)  Dellys.     9)  Gigil.     ,0)  Coleah.     ")  Wad-el-Kibir. 

,2)  Zuckar.    ,3)  Burgh  am  Fusse  des  Berges  Jurgura.   ,4)  Lezzoute_ 

,5)  Shellif.     16)  Hasham.     ")  Teft'ert.     18)  Ajebbi. 

19)  Das  östliche  Algier.  Zur  Zeit  des  zweiten  punischen  Krieges 
war  es  in  2  Reiche  getheilt,  welche  Massinissa  202  v.  Chr.  vereinigte ; 
47  aber  machte  es  Cäsar  zu  einer  römischen  Provinz.  Siehe  die  An- 
merkung über  Juba  im  vorigen  Cap. 

«0  Cullo.    ")  Stora.    ö)  Constantine. 


Fünftes  Buch.  361 

Sittianer  1),  die  Colonie  Sicca  2)  und  die  freie  Stadt  Bulla 
Regia  3).  An  der  Küste  liegen  Tacatua  4),  Hippo  Regius  5), 
der  Fluss  Armua  6).  Die  Stadt  Tabraca  7)  mit  römischem 
Bürgerrechte;  der  Fluss  Tusca  8)  an  der  Grenze  von  Nu- 
midien.  Ausser  dem  numidischen  Marmor  und  wilden  Thie- 
ren  bringt  dieses  Land  nichts  ausgezeichnetes  hervor. 

3. 
Vom  Tusca  geht  das  zeugitanische  Gebiet 9),  welches 
auch  Afrika  im  engem  Sinne  genannt  wird,  an.  Drei 
ins  Meer  laufende  Vorgebirge,  das  weisse 10),  das  des  Apol- 
lo n),  Sardinien  gegenüber,  und  das  des  Mercur 12),  Sicilien 
gegenüber,  bilden  2  Meerbusen;  der  eine  ist  der  Hipponen- 
sische 13),  zunächst  der  Stadt,  welche  das  zerstörte  Hippo14), 
bei  den  Griechen  aber  wegen  des  durchströmenden  Was- 
sers Diarrhytus  heisst.  Ihm  zunächst,  nur  etwas  weiter 
von  der  Küste  entfernt,  liegt  die  steuerfreie  Stadt  Theuda- 
lis.  Dann  folgt  das  Vorgebirge  des  Apollo,  und  an  dem 
andern  Busen15)  die  Stadt  Utica16)  mit  römischem  Bürger- 
rechte, berühmt  durch  Cato's  Tod,  der  Fluss  Bagrada17). 
Die  Ruinen  von  Castra  Cornelia18),  die  Colonie  Carthago, 
auf  den  Trümmern  des  grossen  Carthago19);  die  Colonie 
Maxulla20).  Die  Städte  Carpi21),  Misua22)  und  das  freie 
Clupea23)  am  Vorgebirge  des  Mercur.  Ferner  das  freie 
Curubis 24)  und  Neapolis 25).    Nun  folgt  ein  anderer  Theil 


')  Von  Caesar  dem  römischen  Feldherrn  Sittius  geschenkt. 

2)  Kaff.    3)  Badja.     4)  Tamseh.     5)  Bona.    6)  Mafragg. 

7)  Tabarca.    8)  Zaine.    9)  Tnnis  und    Tripolis.  10)  Bas-el-Abeadh. 

,J)  Cap  Farina.     I2)  Cap  Bon.     >3)  Golf  von  Ben-Zert  (Biserta). 

")  Ben-Zert.     ,5)  Golf  von  Tunis.     16)  Booshatter. 

")  Megarada.     18)  Porto  Farina. 

19)  Schon  30  Jahre  nach  Carthago's  Zerstörung  schickte  Gracchus 
eine  Colonie  dorthin.  Augustus  befolgte  Caesar's  Plan  und  erbaute 
sie  wieder,  und  bald  ward  sie  eine  der  blühendsten  Städte  in  Afrika. 
439  n.  Chr.  wurde  sie  durch  die  Vandalen,  100  Jahre  nachher  aber 
durch  Belisar  eingenommen,  bis  endlich  697  die  Araber  sie  zerstör- 
ten.    Aus  ihren  Trümmern  stieg  Junis  hervor. 

20)  Rhades.    2«)  Gurta.    22)  Sidi  Doude.    23)  Calibia. 
24)  Hamman  Gurbos.    26)  Nobal. 


362  Fünftes  Buch. 

vom  engein  Afrika,  Byziacum,  dessen  Bewohner  Libyphö- 
nicier  heissen.  Byzacium  heisst  ein  Gebiet  von  250,000 
Schritten  im  Umfange,  von  so  ausserordentlicher  Frucht- 
barkeit, dass  der  Boden  den  Landleuten  hundertfältigen 
Ertrag  giebt.  Hier  liegen  die  freien  Städte  Leptis  x)  Ad- 
rumetum  2),  Ruspina  3),  Thapsus  4);  Thenä  5),  Macomades  6) 
und  Täcape 7).  Sabrata 8)  grenzt  an  die  kleinere  Syrte, 
bis  zu  welcher  die  Länge  Numidiens  und  Afrika's  vom 
Ampsaga  an  580,000  und  die  Breite,  soweit  sie  ermittelt 
ist,  200,000  Schritte  beträgt.  Dieser  Landstrich,  welchen 
wir  Afrika  (im  engern  Sinne)  genannt  haben,  wird  in  2 
Provinzen  eingetheilt,  in  das  neue  und  alte;  beide  sind 
durch  einen  Canal  geschieden,  der  nach  der  Uebereinkunft 
zwischen  dem  zweiten  Afrikanus 9)  und  den  Königen 10) 
bis  zur  Stadt  Thenä,  welche  216,000  Schritte  von  Carthago 
entfernt  ist,  geführt  wurde. 

4. 
Der  dritte  Busen  theilt  sich  wieder  in  zwei,  die  an 
den  beiden  Sy  rten11)  wegen  des  seichten  und  minder  über- 
fluthenden  Meeres  gefährlich  zu  befahren  sind.  Bis  zur 
nächsten  Syrte12),  welche  die  kleinere  ist,  beträgt  nach 
Polybius  die  Entfernung  von  Carthago  300,000  Schritte. 
Der  Seeweg  zu  ihr  selbst  ist  100,000  Schritte  lang,  und  im 
Umfange  hat  sie  300,000  Schritte.  Der  Landweg  zu  ihr 
aber,  den  man  nur  durch  Beobachtung  der  Gestirne  finden 
kann,  führt  durch  wüste  Gegenden  voll  Sandes  und  Schlan- 
gen. Nächstdem  folgen  waldige  Berge13)  voll  wilder  Thiere, 
weiter  nach  dem  Innern    öde  Gegenden,  welche  von   Ele- 


')  Leptisparva,  jetzt  Lempta ,  eine  phönicische  Colonie;  nicht 
weit  davon  lag  Leptisniagna,  jetzt  Lebda. 

2)  Mahometa.    3)  Bei  Monastiho.    4)  Damoss.     5)  Thainae. 

6)  Maharass.    7)  Cabes.     8)  Alttripolis.    9)  Der  jüngere  Scipio. 

,0)  Plinius  meint  hier  die  Söhne  des  Massinissa,  unter  welche 
Scipio  Africanus  das  väterliche  Reich  theilte. 

n)  Sandbänke  im  Meere. 

,2)  Meerbusen  von  Cabes. 

u)  Der  nördliche  Theil  von  Biledulgerid  (Dattelland). 


Fünftes  Buch.  363 

phanten  bewohnt  sind,  dann  ungeheuere  Wüsten  *);  und 
noch  weiter  hin  die  Garamanter  2),  welche  von  den  Augy- 
lern  3)  12  Tagereisen  entfernt  sind.  Hinter  jenen  wohnten 
vormals  die  Psyller,  an  welche  der  von  Wüsten  umgebene 
See  Lycomedes  grenzt.  Die  Augyler  wohnen  fast  in  der  Mitte 
und  sind  von  dem  nach  Westen  gelegenen  Theile  Aethio- 
piens  und  dem  zwischen  beiden  Syrten  liegenden  Land- 
striche 4)  gleichweit  entfernt.  Die  Küste  zwischen  den  bei- 
den Syrten  ist  250,000  Schritte  lang.  Hier  befindet  sich 
die  Stadt  Oea  5),  der  Fluss  und  das  Gebiet  Cinyps  6) ;  die 
Städte  Neapolis  7),  Graphara 8),  Abrotonum  9),  das  andere 
oder  sogenannte  grosse  Leptis.  Dann  folgt  die  grosse 
Syrte10),  mit  einem  Umfange  von  625,000  Schritten;  von  der 
Küste  ist  sie  312,000  Schritte  entfernt.  An  derselben  woh- 
nen die  Cisipader.  Die  Küste  am  innersten  Theile  des 
Meerbusens  hiess  Lotophagon u),  auch  Alachroas,  und  ging 
bis  zu  den  aus  Sand  bestehenden  Altären  der  Philäner12). 
Nicht  weit  davon  auf  dem  Festlande  befindet  sich  ein  grosser 
Sumpf13),  der  den  Fluss  Triton14)  aufnimmt  und  auch  nach 
ihm  benannt  wird;  Callimachus  nennt  ihn  Pallantias  und 
setzt  ihn  diesseits  der  kleinern  Syrte;  nach  Andern  liegt 
er  zwischen  beiden  Syrten.  Das  Vorgebirge,  welches  die 
grössern  einschliesst,  heisst  Borion15).  Weiterhin  folgt  die 
cyrenaische  Provinz 16). 

Bis  hierher  zählt  Afrika  vom  Flusse  Ampsaga  an  516 


')  Die  Wüste  Sahara. 

2)  Diese  scheinen  demnach  zwischen  dem  Nil  und  Niger  im  süd- 
-östlichen  Theile  von  Libyen  gewohnt  zu  haben. 

3)  Oase  Augila  (Udschila).    4)  Staat  von  Tripolis. 

5)  Tripoli  vecchia.     6)  Wadi-Quaam.    7)  Tripolis?    8)  Tezura. 
9)  Identisch  mit  Sabrata.     ,0)  Busen  von  Sidra. 

11)  Das  Gebiet  der  Lotusesser,  welche  sich  vorzüglich  von  der 
Frucht  des  Rhamnus  Lotus  nährten. 

12)  Zwei  Brüder  aus  Carthago,  die  durch  ihre  heldenmüthige 
Aufopferung  die  Grenzen  ihres  Vaterlandes  bedeutend  erweiterten. 
Vergl.  Sallust  im  jugurth.  Kriege  C.  79.  Valer.  Max.  V.  6  und  Pom- 
pon.  Mela  I  7. 

,3)  Ludeah.     M)  El-Hamniah.     15)  Tajuni.     ,6)  Wüste  Barca. 


364  Fünftes  Buch. 

Völker,  welche  den  Römern  unterthan  sind.  Darunter  be- 
finden sich  6  Colonien,  Dämlich,  ausser  den  schon  genannten  *), 
Uthina 2)  und  Tuburbis3);  15  Gemeinden  mit  römischem 
Bürgerrechte,  von  denen  folgende,  im  Innern  belegen,  zu 
merken  sind:  die  assuritanische  4) ,  abutucensische ,  aberi- 
nasische,  canopische  5),  chilmanensische  6),  simittuensische  7), 
thunusidensische,  tuburnicensische,  tynidrumensische,  tibig- 
mesische ,  gross-  und  klein-ucitanische  und  vagensische. 
Eine  lateinische  Stadt:  Uzalitanum.  Eine  zinsbare  Stadt: 
Castra  Cornelia.  30  freie  Gemeinden,  von  denen  folgende 
nach  dem  Innern  zu  liegende  zu  nennen  sind:  die  acholi- 
tanische  8),  aggaritanische ,  arinensische,  abziritanische,  ca- 
nopitanische ,  melizitanische,  materensische,  salaphita- 
nische,  tusdritanische  9),  tiphicensische,  tunicensische, 
theudensische,  tagastensische,  tigensische,  ulusubritanische, 
andere  vagensische,  visensische  und  zamensische 10).  Von 
den  übrigen  sind  die  meisten  nicht  bloss  Stadtgemeinden, 
sondern  sie  können  mit  Recht  Völker  genannt  werden,  als: 
die  Natabuder,  Capsitaner n),  Musulamer,  Sabarbarer,  Mas- 
syler,  Nisiver,  Vamacurer,  Cinither,  Mussuner,  Marchubier 
und  ganz  Gätulien  bis  an  den  Fluss  Nigris12),  der  Afrika 
von  Aethiopien  scheidet. 

5. 
Die  cy renaische  oder  pentapolitanische13)  Landschaft 
ist  durch  das  Orakel  des  Hammon14),  welches  von  Cyrene 
400,000   Schritte   entfernt   liegt,   ferner   durch  die  Sonnen- 


')  Cirta,  Sicca,  Carthago  und  Maxulla.     -)  Udine.     3)  Tuburbo. 

4)  Keff.     5)  Zwischen  Tabarca  und  dem  Fluss  Medsjerda. 

°)  Südlich  von  Rhades.    7)  Oestlich  von  Bugia. 

8)  Ruinen  von  Acholla  beim  tunesischen  Flecken  Elalia. 

M)  Jemma. 

10)  Zama,  jetzt  Zowarin,  lag  5  Tagereisen  von  Carthago  im  innern 
Lande,  und  ist  bemerkenwerth  durch  die  Niederlage,  welche  Hanni- 
bal  hier  von  Scipio  erlitt. 

")  Gafia.    12)  Niger. 

,3)  Barka,  der  zweite  Name  deutet  auf  ihre  5  Hauptstädte. 

,4)  In  der  Oase  Siwah. 


Fünftes  Buch.  365 

Quelle  x),  vorzüglich  aber  durch  die  fünf  Städte,  Berenice  2), 
Arsinoe  3),  Ptolemais  4),  Apollonia  5)  und  Cyrene  6)  berühmt. 
Berenice,  an  der  äussersten  Spitze  der  Syrte,  hiess  früher, 
nach  den  fabelhaften  griechischen  Berichten,  die  Stadt  der 
(obengenannten)  Hesperiden.  Nahe  bei  der  Stadt  ist  der 
Fluss  Lethon  7),  auch  ein  heiliger  Hain,  wo  die  Gärten  der 
Hesperiden  gewesen  sein  sollen.  Sie  ist  von  Leptis  375,000 
Schritte  entfernt,  von  Arsinoe,  das  auch  Teuchira  genannt 
wird,  43,000  Schritte.  Dann  folgt  in  einer  Entfernung  von 
22,000  Schritten  Ptolemais,  vormals  Barce.  Nicht  weit,  da- 
von läuft  das  Vorgebirge  Phycus 8)  40,000  Schritte  weit 
ins  cretische  Meer  hinein;  von  dem  lacedämonischen  Vor- 
gebirge Tänarum 9)  ist  es  350,000  Schritte ,  von  Creta 
selbst  aber  225,000  Schritte  entfernt.  Hinter  ihm  liegt 
Cyrene,  11,000  Schritte  vom  Meere.  Vom  Vorgebirge  Phy- 
cus Apollonia  sind  24,000,  bis  zum  Cherronesus 10)  88,000 
und  von  da  bis  Catabathmus u)  216,000  Schritte.  In  der 
Nähe  wohnen  die  Marmariden,  welche  das  Land  vom  pa- 
rätanischen  Gebiete12)  bis  zur  grössern  Syrte  inne  haben. 
Dann  folgen  die  Ararauceler  und  an  der  Küste  der  Syrte 
selbst  die  Nasamoner,  welche,  wegen  ihrer  mitten  im  Sande 
belegenen  Wohnsitze,  von  den  Griechen  Mesammoner  ge- 
nannt worden  sind.  Das  cyrenaische  Gebiet  soll  in  einer 
Breite  von  15,000  Schritten  von  der  Küste  an  fruchtbar  an 
Bäumen  sein,  in  einer  gleichen  Breite  weiter  nach  dem 
Innern  zu  bloss  Feldfrüchte,  und  auf  dem  folgenden  30,000 
Schritte  breiten  und  250,000  Schritte  langen  Landstriche 
nichts  als  Laser13)  hervorbringen. 

Hinter    den   Nasamonen   wohnen   die   Asbister14)   und 
Macer15)   und   noch   weiter   die  Ammanter,   11  Tagereisen 



»)  Om-el-Abid.    -)  Bengaz.    3)  Teukna. 

')  Tolometa.     5)  Marza  Suza.     6)  Grenne  oder  Kurin. 

7)  Der  schmale  Kanal,  durch  welchen  ein  bei  Bengasi  liegender 
See  mit  dem  Meere  in  Verbindung  steht. 

8)  Ras  Sem.    '■>)  Matapan.     10)  Cap  Razat.     ")  Luccu. 
'-i  El  Baretoun.     13)  Vergl.  XIX.  B.  15.  Cap. 

M)  Südlich  von  Cyrene.     15j  Am  Wadi-Quaam. 


366  Fünftes  Buch. 

von  der  grösseren  Syrte  gegen  Westen  hin  und  ganz  von 
Sandwüsten  umgeben.  Sie  finden  jedoch  schon  leicht  in 
einer  Tiefe  von  etwa  2  Ellen  Wasser,  weil  die  maurita- 
nischen  Gewässer  sich  hier  sammeln.  Zum  Bau  ihrer 
Häuser  bedienen  sie  sich  statt  der  Steine  des  Salzes,  wel- 
ches sie  aus  ihren  Bergen  hauen.  7  Tagereisen  von  ihnen 
südwestlich  wohnen  die  Troglodyten,  mit  welchen  sie  nur 
wegen  des  Handels  mit  einem  Edelsteine,  dem  sogenannten 
Carbunkel *),  welcher  aus  Aethiopien  kommt,  in  Verbindung 
stehen.  Dazwischen  liegt,  nach  den  bei  der  kleinen  Syrte 
genannten  Wüsten  Afrika's  hin ,  Phazania  2) ,  wo  wir  das 
Volk  der  Phazanier  und  die  Städte  Alele  3)  und  Cilliba  4) 
unterworfen  haben;  ebenso  Cydamus 5)  in  der  Richtung 
von  Sabrata.  Von  hier  aus  zieht  sich  ein  langes  Gebirge 
von  Osten  nach  Westen,  welches  von  unsern  Schriftstellern 
das  schwarze  6)  genannt  wird,  entweder  weil  es  von  Natur 
wie  verbrannt  aussieht,  oder  weil  es  durch  die  Glüht  der 
Sonne  ausgebrannt  ist*  Dahinter  liegt  eine  Wüste;  dann 
Talgae,  eine  Stadt  der  Garamanter,  desgleichen  Debris,  an 
einer  Quelle,  deren  Wasser  von  Mittag  bis  Mitternacht  heiss 
und  von  Mitternacht  bis  Mittag  kalt  ist;  ferner  die  weltbe- 
rühmte Hauptstadt  der  Garamanter  Garama  7).  Ueber  alle 
diese  Städte  und  Länder  siegten  die  Römer  und  triumphirte 
Carnelius  Baibus  8) ,  der  einzige  Ausländer,  welchem  man 
einen  Triumph  halten  Hess  und  mit  den  Rechten  der  Qui- 
nten beschenkte;  er  war  nämlich  aus  Gades  gebürtig  und 
erhielt  mit  dem  älteren  Baibus,  seines  Vaters  Bruder,  das 
römische  Bürgerrecht.  Ein  merkwürdiger  Umstand,  den 
unsere  Schriftsteller,  neben  den  oben  genannten  von  ihm 
eroberten  Städten,  noch  berichtet  haben,  ist,  dass  er  die 
Namen  und  Bilder  aller  Völker  und  Städte,  ausser  Cida- 
mus  und  Garama,   in  folgender  Ordnung  im  Triumph  auf- 


')  Vergl.  XXXVII.  B.  25.  Cap.    2)  Fezzan.    3)  Mellulen. 

4)  Zuila.     5)  Gadamez. 

6)  Es  heisst  noch  jetzt  das  schwarze  (Soudah). 

7)  Gherma,  zu  Fez  gehörig.     8)  44  v.  Chr. 


Fünftes  Buch.  3(57 

führte:  die  Stadt  Tabudium  l),  das  Volk  Niteris,  die  Stadt 
Negligamella ,  das  Volk  oder  die  Stadt  der  Bubejer,  das 
Volk  der  Eniper,  die  Stadt  Thuba,  der  Berg  Niger,  die 
Städte  Nitibrum  und  Rapsa,  das  Volk  Discera,  die  Stadt 
Debris,  den  Fluss  Nathabur,  die  Stadt  Thapsagum,  das  Volk 
der  Nanniger,  die  Stadt  Bois  und  Pege,  den  Fluss  Dasi- 
bari 2).  Dann  folgten  ohne  Unterbrechung  die  Städte  Ba- 
racum,  Buluba,  Alasi,  Balla,  Galia,  Maxala  3),  Zizama  und 
endlich  der  Berg  Gyri 4),  in  welchem  der  vorangetragenen 
Aufschrift  zufolge  Edelsteine  vorkommen  sollen.  Den  Weg 
zu  den  Garamanten  hat  man  bis  jetzt  noch  nicht  ermitteln 
können,  da  räuberische  Züge  dieses  Volkes  die  Brunnen 
(nach  denen  man  nicht  tief  zu  graben  braucht,  wenn  man 
die  rechten  Stellen  weiss)  mit  Sand  verschütteten.  In  dem 
letzten  Kriege,  welchen  die  Römer  im  Anfange  der  Regie- 
rung des  Kaisers  Vespasian  mit  den  Orensern  führten,  ist 
ein  kurzer,  bloss  viertägiger  Weg  entdeckt  worden,  welcher 
„der  Weg  an  der  Felsenspitze  vorbei"  heisst.  Die  Grenze 
des  cyrenaischen  Gebietes  führt  den  Namen  Catabathmos  5); 
hier  liegt  eine  Stadt  gleichen  Namens  und  ein  von  steilen 
Höhen  umschlossenes  Thal.  Bis  hierher  misst  das  eyre- 
naische  Afrika  von  der  kleinen  Syrte  an  1,060,000  Schritte 
in  der  Länge  und,  so  viel  man  weiss,  800,000  Schritte  in 
der  Breite. 

6. 
Das  nun  folgende  Gebiet  heisst  das  libysche  Mareo- 
tis  6)  und  grenzt  an  Aegypten.  Darin  wohnen  die  Marma- 
riden,  Adyrmachiden  und  Mareoten.  Von  Catabathmos  bis 
Parätonium  7)  beträgt  die  Entfernung  86,000  Schritte.  Auch 
diese  Strecke  liegt  im  Innern  Apis  8),  wegen  der  Religions- 


»)  Tibesty.     2)  Azawan. 

3)  Missolat.     ')  Goriano.     5)  Lucco. 

6)  Die  ganze  Küstenstrecke  von  Lucco  bis  Alexandrien. 

7)  Al-Baretum. 

8)  Ist  mit  der  Stadt  Apis  auf  einer  Insel  im  See  Mareotis  nicht 
zu  verwechseln. 


368  Fünftes  Buch. 

Gebräuche  der  Aegypter  von  Interesse.  Von  da  ist  Parä- 
tonium  62,000  und  von  hier  Alexandrien  200,000  Schritte 
entfernt,  die  Breite  x)  beträgt  169,000  Schritte.  Eratosthenes 
giebt  den  Landweg  von  Cyrene  nach  Alexandrien  auf 
525,000  Schritte  an.  Nach  Agrippa  ist  ganz  Afrika  mit 
Einschluss  von  Unter-Aegypten,  vom  atlantischen  Meere  an 
3,040,000  Schritte  lang.  Polybius  und  Eratosthenes,  deren 
Angaben  man  für  die  richtigsten  hält,  bestimmen  die  Länge 
vom  Ocean  bis  Gross-Carthago  auf  1,100,000  Schritte,  von 
da  bis  Canopicunn,  der  nächsten  Mündung  des  Nils,  auf 
1,628,000  Schritte.  Isidorus  sagt,  von  Tingis  bis  Canopus 
sei  es  3,599,000  Schritte;  Artemidorus  nimmt  40,000  weniger 
als  Isidorus  an. 

7. 
Inseln  liegen  in  diesem  Meere  nicht  sehr  viele.  Die 
berühmteste  ist  Meninx  2),  25,000  Schritte  lang  und  12,000 
breit  und  von  Eratosthenes  Lotophagitis  genannt.  Sie  hat 
2  Städte,  Meninx  auf  der  afrikanischen  und  Troar  auf  der 
andern  Seite;  von  dem  rechts  liegenden  Vorgebirge 3)  der 
kleinen  Syrte  ist  sie  150,000  Schritte  entfernt.  100,000 
Schritte  von  ihr  zur  Linken  liegt  Cercina  4),  mit  einer  freien 
Stadt  gleichen  Namens;  sie  ist  25,000  Schritte  lang,  an  der 
breitesten  Stelle  halb  so ,  aber  am  äussersten  Ende  nicht 
über  5000  Schritte  breit.  Mit  ihr  steht  auf  der  nach  Car- 
thago  gerichteten  Seite  die  kleine  Insel  Ceremibis  5)  mit- 
telst einer  Brücke  in  Verbindung.  Lopadusa  G) ,  eine  6000 
Schritte  lange  Insel,  liegt  beinahe  50,000  Schritte  von  ihnen 
entfernt.  Dann  folgt  Gaulos  7)  und  Galata 8) ,  deren  Erde 
den  Scorpion,  ein  für  Afrika  gefährliches  Thier,  tödtet. 
Sie  sollen  auch  auf  Clypea  9),  welcher  Cosyra10)  mit  einer 
Stadt  gegenüber  liegt,  umkommen.  Dem  Busen  von  Car- 
thago  gegenüber,  zwischen  Sicilien  und  Sardinien,  liegen 
die  beiden  Altäre  des  Aegimuron n),  welche  aber  eher  den 


')  Nämlich  des  libyschen  Mareotis.     '-)  Dsjerbi.     3)  Cap  Dsjerbi. 
')  Kcrkeni.    5)  Oeto.    6)  Lampadosa.    7)  Gozzo.     8)  Galita. 
9)  Calibia.     ,0)  Pantalaria.     »)  Vergl.  Virgils  Aeneide  I.  113. 


Fünftes  Buch.  369 

Namen  Felsen  als  Inseln  verdienen.  Einige  Schriftsteller 
berichten,  sie  wären  vormals  bewohnte  Inseln  gewesen, 
aber  grösstenteils  versunken. 

8. 
Im  Innern  von  Afrika,  gegen  Süden,  nach  den  Gä- 
tulern  hin  und  hinter  denselben,  wohnen,  durch  Wüsten  ab- 
geschieden, zuerst  die  Libyägypter  *)  und  dann  die  Leuc- 
äthiopier 2).  Hinter  diesen  die  Nigritier,  Stämme  der 
Aethiopier,  an  dem  oben  genannten  Flusse3);  ferner  die 
nackten  Pharusier  4),  welche  bis  an  den  Ocean  reichen,  und 
die  schon  bei  den  Grenzen  von  Mauritanien  erwähnten  Pe- 
rorser.  Von  allen  diesen  Völkern  an  ziehen  sich  nach 
Osten  unermessliche  Wüsten  bis  zu  den  Garamanten,  Au- 
gylen  und  Troglodyten  hin.  Sehr  wahr  ist  die  Meinung 
derer ,  welche  zwei  Aethiopien  hinter  den  afrikanischen 
Wüsten  annehmen,  und  vor  allen  hat  Homer  5)  Recht,  der 
die  Aethiopier  in  die  östlichen  und  westlichen  theilt.  Der 
Fluss  Tigris  hat  dieselbe  Beschaffenheit  wie  der  Nil,  denn 
in  ihm  kommen  dasselbe  Schilf,  Papyrus  und  dieselben 
Thiere  vor,  und  er  schwillt  zu  derselben  Zeit  an.  Er  ent- 
springt zwischen  den  Gebieten  der  tareleischen  und  oeca- 
lischen  Aethiopier.  Die  Stadt  der  letztern,  Magium,  haben 
Einige  in  die  Wüsten  versetzt  und  sagen,  daneben  wohn- 
ten die  Atlauter,  die  halbwilden  Aegypaner,  die  Blemmyer, 
Ganphasanter,  Satyrer  und  Himantopoder.  Wenn  wir  ihnen 
glauben  wollen,  so  sind  die  Atlanter  den  menschlichen 
Sitten  und  Gebräuchen  fremd,  denn  unter  ihnen  findet 
keine  Namens-Bezeichnung  statt,  sie  sehen  die  auf-  und 
untergehende  Sonne  als  ein  ihnen  und  ihren  Aeckern  ver- 
derbliches Wesen  unter  schrecklichen  Verwünschungen  an; 
auch  träumen  sie  nicht  wie  andere  Menschen.  Die  Troglo- 
dyten graben  sich  Höhlen  ß),  welche  zu  ihren  Wohnungen 


')  Westlich  von  Thebais,  wo  jetzt  die  libysche  Wüste  ist. 

2)  In  der  Wüste  Sahara.     3)  Niger. 

4)  In  der  Gegend  das  Cap  Nun.     5)  Odyssee  I.  23. 

6)  Daher  ihr  Name,  von  TQOjy'/.r]  Höhle. 

24 


370  Fünftes  Buch. 

dienen,  nähren  sich  vom  Fleische  der  Schlangen,  ihre 
Stimme  ist  nur  ein  Schnarren,  und  desshalb  können  sie 
keine  ordentliche  Unterredung  halten.  Die  Garamanten 
haben  keine  Ehen,  sondern  vermischen  sich  mit  den 
Weibern  ohne  Unterschied.  Die  Augyler  verehren  nur 
die  Götter  der  Unterwelt.  Die  Gamphasanter  gehen  nacktr 
verstehen  nichts  von  Kriegführung  und  haben  keine  Ge- 
meinschaft mit  andern  Völkern.  Den  BlemmyerD  sollen  die 
Köpfe  fehlen,  Mund  und  Augen  aber  auf  der  Brust  stehen. 
Die  Satyren  haben  ausser  ihrer  Gestalt  nichts  Menschliches 
an  sich;  die  Aegipanen  sind  so  gestaltet,  wie  man  sie  ge- 
wöhnlich abbildet l).  Die  Himantopoden  haben  krumme 
Füsse  und  können  sich  nur  durch  Kriechen  fortbewegen. 
Die  Pharusier,  ehemals  Perser,  sollen  den  Herkules,  als  er 
zu  den  Hesperiden  reiste,  begleitet  haben.  Weiter  finde 
ich  von  Afrika  nichts,  was  erwähnenswerth  wäre. 

9. 

Mit  Afrika  hängt  Asien  zusammen,  welches  sich  nach 
Timosthenes  2)  von  der  eanopischen  Nilmündung  bis  zu  der 
Mündung  des  Pontus  2,639,000  Schritte,  und  nach  Eratho- 
sthenes  von  der  Mündung  des  Pontus  bis  zur  Mündung  des 
Mäotis  1,645,000  Schritte  weit  ausdehnt.  Die  Grösse  von 
ganz  Asien  mit  Aegypten  bis  zum  Tanais  geben  Artemidorus 
und  Isidorus  auf  5,375,000  Schritte  an.  Die  es  umspülenden 
Meere  haben  von  den  umwohnenden  Völkern  verschiedene 
Namen  erhalten,  weshalb  sie  zugleich  mit  diesen  genannt 
werden  sollen. 

Afrika  zunächst  liegt  Aegypten,  das  sich  in  südlicher 
Richtung  nach  dem  Innern  zurückzieht  und  bis  zu  den 
Aethiopiern,  welche  dahinter  wohnen,  reicht.  Den  unteren 
Theil  desselben  umschliesst  und  begrenzt  der  in  einen 
linken  und  rechten  Arm  getheilte  Nil,  dessen  canopische 
Mündung  auf  der  afrikanischen  Seite  von  der  pelusiacischen 
auf  der  asiatischen  Seite  170,000  Schritte  entfernt  ist.  Dieser- 


')  Nämlich  mit  rauhen  Bocksbeinen. 

a)  Admiral  der  Flotte  von  Ptolemäus  II.  Philadelphus. 


Fünftes  Buch.  371 

halb  haben  Einige  Aegypten  zu  den  Inseln  gerechnet,  und 
da  der  Nil  sich  so  theilt,  dass  er  dem  Lande  eine  dreieckige 
Gestalt  giebt,  so  haben  Viele  dasselbe  mit  dem  Namen  des 
griechischen  Buchstaben  Delta  bezeichnet.  Die  Länge  von 
dem  Punkte,  wo  der  Nil  sich  zuerst  theilt,  bis  zur  cano- 
pischen  Mündung  beträgt  146,000,  bis  zur  pelusiacischen 
aber  166,000  Schritte.  Der  oberste,  an  Aethiopien  grenzende 
Theil  heisst  Thebais.  Er  wird  in  Stadtbezirke  eingetheilt, 
welche  Nomen  heissen ;  sie  sind :  der  ombitische  x),  apollo- 
politische 2),  hermonthitische  3),  thinitische  4),  phaturitische5), 
coptitische  6),  ten tyri tische  7),  diospolitische  8),  antäopoli- 
tische  9),  aphroditopolitische10)  und  lycopolitische n).  Der 
an  Pelusium  grenzende  Distrikt  hat  folgende  Nomen:  den 
pharbatischen 12),  bubastitischen 13),  sethratischen  u)  und  tani- 
tischen15).  Das  übrige  Aegypten  aber  enthält  den  ara- 
bischen16), den  hammoniacischen,  welcher  sich  bis  zum 
Orakel  des  Jupiter  Hammon17)  ausdehnt,  den  oxyrynchi- 
tischen18),  leontopoli tischen 19),  athribitischen 20),  cynopoliti- 
schen21),  hermopolitischen 22),  xoitischen 23),  mendesischen 24), 
sebenny tischen25),  cabasitischen 26),  latopolitischen 27),  helio- 
politischen28),  prosopolitischen 29),  paropolitischen 30),  busiri- 
tischen31),  onuphitischen 32),  saitischen33),  ptenethuischen34), 


»)  Koum-Omboe.    2)  Edfu.    3)  Ermend. 

4)  Nach  dem  Städtchen  This    in   der  Nähe   von   Scheik-Abadu, 
dem  alten  Abydus. 

5)  Wahrscheinlich  der  von  Thebae.    6)  Kuft.    7)  Dendera. 
8)  How.    9)  Qua-ou-el-Kharab.     10)  Ed  Sof.     ")  Siut. 

12)  Belbeis.    ,3)  Basta. 

14)  An  der  Stelle  von  Heracleum,  dem  Hauptorte  dieses  Nomos, 
findet  man  jetzt  den  See  Menzaleh.     ,5)  Aschmun-Tanah. 
16)  Zwischen  dem  Delta  und  dem  arabischen  Meerbusen. 
,7)  Oase  Siwah.     18)  Beneseh.     ,9)  Tel-Essabe.     '■»)  Trieb. 
21)  Samalout.    22)  Aschmunein.     23)  Mehallet-el-Kebir. 
w)  Menzaleh.  25)  Semenhud.   26)  Dsjabas.  2T)  Esneh.    28)  Matareh. 

29)  Nach  der  Insel  Prosopitis,  welche  durch  2  Nilarme  (den  ca- 
nopischen  und  sebennytischen)  und  den  Kanal  Farauni  gebildet  wird. 

30)  Akmin.     31)  Abusir.     32)  Banub.    M)  Sah-el-Hadschar. 
M)  Bembeaw. 

24* 


372  Fünftes  Buch. 

phthempuischen  *),  naucratitischen  2),  inetelitischen  3) ,  gy- 
näcopolitischen 4)  und  nienelaitischen  in  der  Gegend  von 
Alexandrien.  In  Libyen  liegt  der  mareotische  Nomos  5)  und 
der  heracleopolitische  auf  einer  50,000  Schritte  langen  Nil- 
insel, auf  der  man  auch  die  Stadt  des  Herkules  6)  findet. 
Es  giebt  auch  zwei  arsinoitische  Nomen  7),  welche,  nebst 
dem  memphitischen  8),  den  obersten  Theil  des  Delta  bilden. 
An  diesen  grenzen  auf  der  Seite  nach  Afrika  hin  die  beiden 
oasitischeu  Nomen 9).  Einige  verändern  manche  dieser 
Nomen  und  führen  noch  andre  Nomen  an,  wie  den  heroo- 
politischen 10)  und  crocodilopolitischen u).  Zwischen  dem 
arsinoitischen  und  dem  memphitischen  Nomus  lag  ein  künst- 
licher See,  der  250,000  oder,  wie  Mucianus  berichtet, 
450,000  Schritte  im  Umfange  hatte  und  50  Schritte  tief 
war,  und  nach  dem  Könige,  welcher  ihn  angelegt,  der  See 
des  Moeiis12)  genannt  wurde.  62,000  Schritte  davon  liegt 
Memphis13),  die  ehemalige  Residenz  der  ägyptischen  Könige, 
von  welcher  der  Weg  bis  zum  Orakel  des  Hammou  12  Tage- 
reisen beträgt.  Bis  zur  Theilung  des  Nils  aber,  die  wir 
Delta  genannt  haben,  sind  es  15,000  Schritte. 

10. 
Der  Nil,  dessen  Quellen  man  noch  nicht  genau  anzu- 
geben weiss,  fliesst  zuerst  durch  wüste  und  brennend  heisse 
Gegenden,  und  ist  auf  dieser  Ungeheuern  Strecke  seiner 
Länge  nur  durch  Gerüchte  und  friedliche  Forschung,  nicht 
aber  durch  Kriege,  welche  die  Entdeckung  aller  übrigen 
Länder  veranlasst  haben,  bekannt,  Er  entspringt  (in  so 
weit  diess  der  König  Juba  hat  ermitteln  können)  auf  einem 
Berge  des  unteren  Mauritaniens,  nicht  weit  vom  Ocean,  und 


»)  Tafa. 

2)  Neucratis  lag  3  St.  südlich  vom  heutigen  Orte  Schabur. 

3)  Mentubes.    4)  Auf  der  Westseite  des  canopischen  Armes. 
s)  Mairiut.     6)  Anas- el-Wodj out.     7)  Adsjerut  und  Fejum. 

s)  Minieh.     9)  El  Wah  und  Charje. 

10)  Entspricht  dem  arabischen. 

n)  Entspricht  dem  einen  arsinoitischen  (Pejturi). 

n)  Birket-Kerum.     Ia)  Minieh. 


Fünftes  Buch.  373 

bildet  bald  darauf  einen  See,  welcher  Nilis  beisst.  In  dem- 
selben leben  die  Fiscbgattungen  Alabetä1),  Coracini2)  und 
Siluri3),  auch  Crocodile,  und  zum  Beweise  davon  hat  er 
einen  solchen  zu  Cäsarea4)  in  den  Tempel  der  Isis  ge- 
weihet, welcher  noch  heutzutage  daselbst  gezeigt  wird. 
Ausserdem  hat  man  beobachtet,  dass  das  Wasser  des  Nils 
sich  nach  der  Menge  des  in  Mauretanien  fallenden  Schnees 
und  Regens  richtet.  Aus  jenem  See  getreten  verbirgt  er 
sich,  als  verschmähe  er  es,  durch  sandige  und  schmutzige 
Gegenden  zu  fliessen,  auf  eine  Strecke  von  mehreren  Tage- 
reisen unter  der  Erde.  Hierauf  bricht  er  im  cäsariensischen 
Mauritanien,  da  wo  die  Massäsyler  wohnen,  unter  Bildung 
eines  andern,  noch  grössern  See's  hervor  (dessen  gleiche 
Fischarten  beweisen,  dass  es  der  Nil  ist),  gleichsam  als  ob 
er  sich  nach  den  Menschen  umsähe.  Wiederum  rinnt  er  in 
den  Sand  ein  und  versteckt  sich  20  Tagereisen  weit  bis 
an  die  Grenze  der  Aethiopier,  springt  aber,  sobald  er  die 
Nähe  von  Menschen  merkt,  wahrscheinlich  in  derjenigen 
Quelle,  welche  wir  Nigris  genannt  haben,  hervor.  Von  hier 
an  scheidet  er  Afrika  von  Aethiopien,  wird,  wenn  auch 
nicht  sogleich  von  Völkern,  doch  von  wilden  und  ungeheuren 
Thieren  umwohnt,  bringt  Wälder  hervor  und  zieht  sich 
unter  dem  Namen  Astapus5),  welches  in  der  Sprache  jener 
Völker  ein  aus  der  Finsterniss  kommendes  Wasser  bedeutet, 
mitten  durch  Aethiopien.  Er  bildet  unzählige  Inseln,  und 
einige  von  solcher  Grösse,  dass  er,  trotz  seiner  reissenden 
Schnelligkeit,  doch  nicht  weniger  als  fünf  Tagereisen  braucht, 
um  an  ihnen  vorbei  zu  fliessen.  Da,  wo  er  die  berühmteste 
derselben,  Meroe6),  umfliesst,  heisst  sein  linker  Arm  Asto- 
bores,  d.  h.  der  Arm  des  aus  der  Finsterniss  kommenden 
Wassers;   der   rechte   aber  Astosapes,   was   ihm  noch  die 


')  Gadus  Lota  L.  oder  Petromyzon  fluviatilis  L. 

2)  Labrus  nüoticas  L.     3)  Silurus  anguillaris  L. 

A)  Tenez.    5)  Der  Nilarm  Bahar-el-Azreck  (blauer  Strom). 

6)  Es  ist  eigentlich  eine  Halbinsel  (im  Innern  Aethiopiens),  die 
durch  den  Zusammenfluss  des  Astobores  (jetzt  Tagazze)  mit  dem 
Astosapes  (jetzt  Rahad)  entsteht. 


374  Fünftes  Buch. 

Bedeutung  des  verborgenen  giebt.  Den  Namen  Nil  erhält 
er  nicht  eher,  bis  sich  alle  seine  Gewässer  wieder  in  einem 
Bette  vereinigt  haben ;  doch  auch  dann  heisst  er  noch  einige 
Meilen  weit,  wie  auch  etwas  stromaufwärts,  Siris;  Homer1) 
nennt  ihn  auf  seinem  ganzen  Laufe  nicht  anders  als  Aegyp- 
tus,  Andere  nennen  ihn  Triton.  Weiterhin  stösst  er  auf 
Inseln  und  wird  durch  eben  diese  Hindernisse  angetrieben; 
zuletzt  eilt  er,  von  Bergen  eingeschlossen,  reissender  als 
irgendwo  anders,  einer  Gegend  Aethiopiens,  wo  die  Cata- 
puder  wohnen,  zu,  und  scheint  bei  seinem  letzten  Wasser- 
falle, zwischen  den  entgegenstrebenden  Felsen  mit  unge- 
heurem Getöse  eher  herabzustürzen  als  zu  fliessen.  Dann 
ergiesst  er  sich,  nachdem  seine  Wogen  gebrochen,  seine 
Heftigkeit  gezähmt  und  er  durch  den  langen  Weg  ermüdet 
ist,  obgleich  in  vielen  Mündungen,  doch  sanft  ins  ägyptische 
Meer.  Zu  gewissen  Zeiten  jedoch  schwillt  er  sehr  an,  über- 
schwemmt ganz  Aegypten  und  befruchtet  dadurch  das  Land. 
Man  giebt  verschiedene  Ursachen  dieses  Anwachsens 
an,  die  wahrscheinlichsten  aber  sind  folgende:  Entweder 
wird  er  durch  die  um  jene  Zeit  gerade  entgegenwehenden 
Passatwinde  2),  die  das  Meer  in  seine  Mündungen  drängen, 
zurückgetrieben,  oder,  es  sind  die  Sommerregen  Aethiopiens, 
indem  durch  dieselben  Winde  die  Wolken  aus  allen  Theilen 
der  Welt  dorthin  getrieben  werden.  Der  Mathematiker 
Timäus  hat  einen  etwas  dunkeln  Grund  angegeben ;  er 
sagt  nämlich:  der  Nil,  dessen  Quelle  Phiala  heisse,  ver- 
sinke in  unterirdische  Gänge  und  dampfe  zwischen  den 
rauchenden  Felsen,  welche  ihn  verbergen,  vor  Hitze.  Wenn 
nun  die  Sonne  um  jene  Zeit3)  in  seine  Nähe  komme,  so 
werde  er  durch  die  Gewalt  ihrer  Glüht  emporgehoben  und 
fliesse  über,  verberge  sich  dann  aber  wieder,  damit  er  nicht 
ganz  verzehrt  werde.  Diess  erfolge  beim  Aufgange  des 
Hundssternes,  wenn  die  Sonne  in  das  Zeichen  des  Löwen 
tritt,  also  senkrecht  über  der  Quelle  stehe,  wo  dann  in  jener 


>)  Odyssee  IV.  477.    2)  Etesiae. 
3)  Wo  nämlich  der  Nil  anschwillt. 


Fünftes  Buch.  375 

hegend  kein  Schatten  stattfindet.  Dagegen  sind  die  Meisten 
der  Meinung,  dass  der  Fluss  anschwelle,  wenn  die  Sonne 
nach  Norden  abweiche,  was  im  Zeichen  des  Krebses  und 
Löwen  geschieht,  und  daher  sei  er  dann  weniger  arm  an 
Wasser.  Sobald  aber  die  Sonne  wieder  in  das  Zeichen  des 
Steinbocks  und  nach  dem  Südpole  zurückkehrt,  werde  er 
aufgezehrt  und  fliesse  daher  wieder  spärlicher.  Wer  aber 
dem  Timäus  glaubt,  der  Fluss  könne  in  die  Höhe  gezogen 
werden,  der  bedeuke,  dass  daselbst  um  jene  Zeit  nirgends 
Schatten  ist 1 ). 

Der  Nil  beginnt  mit  dem  ersten  Neumonde  nach  dem 
Sommer-Solstitium  zu  wachsen  2),  jedoch  nur  laugsam  und 
massig,  wenn  die  Sonne  durch  das  Zeichen  des  Krebses, 
sehr  rasch  aber,  wenn  sie  durch  das  Zeichen  des  Löwen 
geht,  und  fällt  wieder  in  der  Jungfrau  auf  dieselbe  Weise, 
wie  er  gewachsen  ist.  In  seine  Ufer  tritt  er  zurück  in  der 
Waage,  und  zwar,  wie  Herodot  angiebt,  am  hundertsten 
Tage  3).  Während  seines  Wachsens  dürfen  die  Könige 
und  Präfecten  ihn  nicht  befahren.  Den  Grad  des  Wachs- 
thums  beobachtet  man  an  Zeichen,  die  in  den  Brunnen 
angebracht  sind.  Die  rechte  Höhe  ist  16  Ellen;  bei  niedri- 
gerem Stande  bewässert  er  nicht  alle  Gegenden,  bei  höherem 
bleibt  er  zu  lange  stehen,  weil  sein  Abfluss  mehr  Zeit  erfor- 
dert. In  letzterem  Falle  wird  wegen  des  feuchten  Bodens 
die  Saatzeit  verzögert,  in  jenem  fehlt  es  an  hinreichender 
Feuchtigkeit.  Beides  ist  von  bedeutendem  Einflüsse  für  das 
ganze  Land.  Bei  12  Ellen  Wasserstand  entsteht  Hungers- 
noth,  bei  13  Ellen  ist  noch  Mangel,  14  Ellen  verschaffen 
Heiterkeit,  15  Wohlstand,  16  Ueberfluss.  Der  höchste  Stand 
bis  auf  die  jetzige  Zeit  fand  unter  dem  Kaiser  Claudius 
statt  und  betrug  18  Ellen,  der  niedrigste  von  5  Ellen  wäh- 


')  Dass  also  der  Nil,  so  lange  die  Sonne  in  dieser  Gegend  ihre 
Strahlen  senkrecht  herabsendet,  wachsen  müsste,  was  doch  nicht 
der  Fall  ist. 

2)  Diess  wäre  im  Julius ,  allein  er  fängt  schon  Ende  April  zu 
steigen  an. 

3)  Nämlich  vom  Anfange  seines  Steigens  an  gerechnet. 


376  Fünftes  Buch. 

rend  des  pharsalischen  Krieges,  als  habe  der  Fluss  durch 
ein  Wunderzeichen  seinen  Abscheu  vor  dem  Morde  des 
grossen  Mannes  *)  darthun  wollen.  Wenn  das  Wasser  seinen 
höchsten  Standpunkt  erreicht  hat,  wird  es  durch  geöffnete 
Dämme  auf  das  Land  gelassen,  und  sobald  eine  Strecke 
vom  Wasser  wieder  frei  ist,  wird  sie  besäet.  Dieser  Fluss 
ist  auch  der  einzige,  welcher  keinen  Nebel  erzeugt. 

An  der  Grenze  von  Aethiopien,  bei  Syene, 2)  tritt  der 
Nil  in  Aegypten  ein.  Syene  heisst  eine  Halbinsel  von 
10C0  Schritten  im  Umfange,  auf  welcher  sich  nach  Arabien 
zu  ein  befestigtes  Lager,  an  der  entgegengesetzten  Seite 
aber  die  vier  philäischen  Inseln  befinden,  und  von  wo  die 
Theilung  des  Nils,  von  der,  wie  wir  gesagt  haben,  das  Land 
den  Namen  Delta  hat,  bOO,000  Schritte  entfernt  ist.  Dies 
Maass  hat  Artemidorus  angegeben,  und  bemerkt,  dass  auf 
dieser  Strecke  250  Städte  gelegen  hätten.  Juba  nimmt 
400,000  Schritte  an.  Aristcocreon  3)  bestimmt  die  Entfernung 
der  Insel  Elephantis 4)  vom  Meere  zu  750,000  Schritten. 
Diese  Insel  liegt  4000  Schritte  unter  dem  letzten  Nilfalle 
und  16,000  Schritte  über  Syene,  und  bis  dahin,  oder 
585,000  Schritte  von  Alexancliien  geht  die  Schifffahrt  der 
Aegypter.  So  sehr  haben  sich  die  eben  genannten  Schrift- 
steller geirrt.  Dort  sammeln  sich  die  äthiopischen  Fahr- 
zeuge, denn  diese  können  zusammengelegt  werden,  und  man 
trägt  sie  auf  den  Schultern  weiter,  so  oft  man  an  einen 
Wasserfall  kommt. 

11. 

Aegypten  rühmt  sich,  ausser  seiner  im  hohen  Alter- 
thume  erlangten  Celebrität,  zur  Zeit  der  Herrschaft  des 
Amasis  5)  20,000  Städte  gehabt  zu  haben,  und  auch  jetzt 
ist  es  noch  reich  daran,  wenngleich  sie  meist  unbedeutend 
sind.  Bemerkenswertli  sind  indessen:  die  Stadt  des  Apollo6),. 


')  Des  Pompejus,   der  nach  der   pharsalischen  Schlacht  bei  Pe- 
lusium  705  n.  R.  E.  oder  49  v.  Chr.  ermordet  wurde. 
2)  Assuan.     3)  Unbekannter  Schriftsteller. 
4)  Dsjesiret-el-Sag.     5)  Von  563—515  v.  Chr.    6)  Edfou. 


Fünftes  Buch.  377 

dann  die  der  Leucothea  *),  Gross-Diospolis  oder  Theben2), 
bekannt  wegen  seiner  100  Thore;  Coptos  3),  nahe  am  Nil, 
der  Stapelplatz  der  indischen  und  arabischen  Waaren.  Dann 
die  Stadt  der  Venus4),  noch  eine  des  Jupiter5)  und  Tentyris6) ; 
unterhalb  derselben  Abydus  7),  7500  Schritte  nach  Libyen 
zu  vom  Nil  entfernt  und  berühmt  als  die  Residenz  des 
Memnon  und  durch  den  Osiristempel.  Ferner  Ptolemais  8), 
Panopolis 9)  und  eine  zweite  Stadt  der  Venus10).  Nach 
Libyen  zu,  wo  die  Gebirge  die  Provinz  Thebais  begrenzen, 
liegt  Lycon11).  Bei  diesem  Gebirge  die  Stadt  des  Mer- 
cur1'2),  Alabastron,  die  Stadt  der  Hunde13)  und  die  schon14) 
genannte  des  Hercules.  Arsinoe  15)  und .  das  obengenannte 
Memphis;  zwischen  letzterer  Stadt  und  dem  arsinoitischen 
Nomos  liegen  auf  der  libyschen  Seite  die  Thiirme,  welche 
Pyramiden16)  genannt  werden,  das  Labyrinth17)  am  See 
Moeris  18),  welches  ohne  alles  Holz  erbauet  ist,  und  die 
Stadt  Crialon19).  Ausserdem  liegt  noch  im  Innern  auf  der 
arabischen  Seite  eine  sehr  berühmte  Stadt,  nämlich  die  der 
Sonne20.) 

Aber  mit  Recht  ist  das  an  der  Küste  des  ägyptischen 
Meeres,  auf  der  afrikanischen  Seile  liegende,  von  Alexander 
dem  Grossen  erbauete  Alexandrien  zu  rühmen.  Es  liegt 
12,000  Schritte  von  der  canopischen  Mündung  (des  Nils) 
entfernt  am  See  Mareotis21)  und  zwar  da,  wo  früher  Rha- 
cotes   stand.    Den  Plan   dazu  entwarf  der  Baumeister  Di- 


')  Wahrscheinlich  Ele-Kab. 

2)  Prachtvolle  Ruinen  bei  den  Dörfern  Luxor,  Carnak,   Medinet- 
Abu  und  Gurnu. 

3)  Kuft.     «)  Ed-Soph.     5)  How.    6)  Denderah. 

7)  Scheik-Abadu. 

8)  Trümmer  dieser  von  Ptolemäus  Philadelphus  erbaueten  Stadt 
finden  sich  bei  Menschieh. 

9)  Akmim.     ,0)  Atfieh.     ,l)  Syouth.     12)  Aschmunein. 
13)  El-Gis.     m)  Im  9.  Cap.     ,5)  Adsjerut. 

>6)  Beim  Dorfe  Gizeh.     l7)  S.  XXXVI.  B.  19.  Cap. 

I8)  Birket-Kerun.     19)  Soll  wohl  Crocodilopolis  heissen. 

*>)  Mattarieh.    21)  Birket  Mariut. 


378  Fünftes  Buch. 

nochares,  dessen  ausgezeichnetes  Talent  sich  dabei  auf 
mehrfache  Weise  zeigte;  er  gab  ihr  15000  Schritte  im  Durch- 
messer und  die  Gestalt  eines  macedonischen ,  am  Rande 
mit  Zipfeln  versehenen  Kleides  x) ,  indem  zur  rechten  und 
linken  Seite  Spitzen  ausliefen.  Schon  damals  wurde  der 
fünfte  Theil  ihrer  ganzen  Grösse  zur  königlichen  Residenz 
bestimmt. 

Der  See  Mareotis  auf  der  südlichen  Seite  der  Stadt  er- 
hält sein  Wasser  durch  einen  Kanal  aus  der  canopischen 
Mündung,  dient  zur  Beförderung  des  Handels  mit  dem  In- 
nern des  Landes  und  fasst  mehrere  Inseln  in  sich.  Die 
Ueberfahrt  über  denselben  beträgt  nach  Kaiser  Claudius 
30,000  und  sein  Umfang  150,000  Schritte.  Nach  Andern  ist 
er  40  Schönus,  den  Schönus  zu  30  Stadien  gerechnet,  lang, 
mithin  macht  die  Länge  150,000  Schritte  und  die  Breite 
ebensoviel  aus. 

Auch  zwischen  den  Ausflüssen  des  Nils  liegen  viele 
bedeutende  Städte,  besonders  die,  welche  den  Mündungen 
ihre  Namen  gegeben  haben,  jedoch  gilt  diess  nicht  von  allen 
(denn  es  sind  ihrer  12  und  ausserdem  noch  4,  welche 
falsche  Mündungen  heissen),  sondern  nur  von  den  7  wich- 
tigsten, nämlich  von  der  in  der  Nähe  von  Alerandrien  lie- 
genden canopischen  2) ,  dann  von  der  bolbitinischen  3),  se- 
bennytischen  4) ,  phatnitischen  5) ,  mendesischen  6) ,  taniti- 
schen  7)  und  endlich  der  pelusiacischen  8).  Ausserdem 
nenne  ich  noch  die  Städte:  Butos9),  Pharbäthos10),  Leon- 
topolis11),  Athribis12),  die  Stadt  des  Isis13),  Busiris14),  Cy- 
nopolis15),  Aphrodites16),  Sais17)  und  Nauceatis,  von  der 
Einige  eine  Mündung  die  naucratische  nennen,  welche  bei 
Andern  die  heracleotische  heisst  und  die  sie  der  ihr  zu- 
nächst liegenden  canopischen  vorziehen. 


»)  Chlamys.    2)  Bei  Abukir. 

3)  Bei  Rosette.     4)  Bei  Semenhud.     5)  Bei  Damiette. 
°)  Bei  Menzaleh.    7)  Bei  Aschrnun-Tanah.     8)  Bei  Tineh. 
9)  Bembeaw.    10)  Belbeis.    »)  Tel-Essabe.     ,2)  Trieb. 
•3)  Zaöygeh.     14)  Abusir.     >5)  El-Gis.     16)  Ed-Soph. 
")  Ssa-al-Hadjar. 


Fünftes  Buch.  379 

12. 

Jenseits  der  pelusiacischen  Mündimg  liegt  Arabien, 
•welches  an  das  rothe  Meer  und  an  jenes  gewürzerzeugende, 
reiche  und  unter  dem  Beinamen  des  glücklichen x)  be- 
kannte Land  grenzt.  Das  in  Rede  stehende  Arabien  aber, 
•welches  auch  das  Land  der  catabanischen ,  esbonitischen 
und  scenitischen  Araber 2)  heisst ,  ist  ausser  dem  Theile, 
welcher  an  Syrien  grenzt,  unfruchtbar  und  enthält  ausser 
dem  Berge  Casius  3)  nichts  Merkwürdiges.  Hieran  grenzen 
gegen  Osten  die  canchleischen,  gegen  Süden  die  oedrai- 
schen  Araber  und  an  diese  beiden  die  Nabatäer.  Der  eine 
nach  Aegypten  hin  liegende  Busen  des  rothen  Meeres  heisst 
der  heroopolitische  4),  der  andere  der  aelanitische  5).  Die 
beiden  Städte  Aelana  6)  und  Gaza  7) ,  welches  an  unserm  8) 
Meere  liegt,  sind  150,000  Schritte  von  einander  entfernt. 
Agrippa  giebt  die  Entfernung  von  Pelusium  bis  Arsinoe  9), 
einer  Stadt  am  rothen  Meere,  welche  beide  durch  Wüsten 
von  einander  getrennt  sind,  auf  125,000  Schritte  an.  Eine 
so  geringe  Entfernung  trennt  dort  so  verschiedene  Distrikte. 

13. 

Syrien,  vormals  ein  sehr  ausgedehntes  und  durch  viele 
Namen  unterschiedenes  Land,  nimmt  die  nun  folgende  Küste 
ein.  Da,  wo  es  an  Arabien  grenzt,  hiess  es  Palästina,  auch 
Judäa  und  Coele10),  dann  Phönicien,  der  nach  dem  Innern 
liegende  Theil  Damascena  und  weiter  südlich  Babylonien. 
Ferner  Mesopotamien  zwischen  dem  Euphrat  und  Tigris, 
Sophene  jenseits  des  Taurus,  Commagene  diesseits  desselben. 
Hinter  Armenien  liegt  das  früher  Assyrien  genannte  Adia- 
bene  und  der  an  Cilicien  grenzende  Theil  ist  Antiochien. 
Die  Länge  Syriens  zwischen  Cilicien  und  Arabien  beträgt 


')  Der  südliche  zwischen  dem  arabischen  und  persischen  Meer- 
busen liegende  Theil. 

2)  Die  Beduinen.    3)  Dsjebbl  Okrab.    4)  Busen  von  Suez. 

5)  Busen  von  Akaba.     6)  Akaba.    7)  Gazeh.     8)  mittelländischen. 

9)  Suez. 

t0)  Eigentlich  Svgia  xotkr/,  das  hohle  Syrien;  so  hiess  das  Thal 
zwischen  dem  Libanon  und  dem  Antilibanon. 


380  Fünftes  Buch. 

470,000 ,  die  Breite  aber  von  Pieria  l)  in  Seleucis  bis  zur 
Stadt  Zeugma  2)  am  Eupbrat  175,000  Schritte.  Diejenigen, 
welche  noch  genauer  eintbeilen,  sagen,  Phönicien  werde 
von  Syrien  eingeschlossen  und  die  syrische  Seeküste  be- 
greife Idumäa,  Judäa,  Phönicien  und  das  eigentliche  Syrien 
in  sich.  Das  ganze  davor  liegende  Meer  wird  das  phöni- 
cische  genannt.  Das  Volk  der  Phönicier  hat  sich  durch  die 
Erfindung  der  Buchstaben ,  Sternknnde ,  Schifffahrt  und 
Kriegskunst  grossen  Ruhm  erworben. 

14. 
Von  Pelusium  an  liegen:  das  Lager  des  Chabrias  3)r 
der  Berg  Casius  4) ,  der  Tempel  des  Jupiter  Casius ,  das 
Grabmal  des  grossen  Pompejus 5).  Ostracine 6) ,  65,000 
Schritte  von  Pelusium  entfernt,  grenzt  an  Arabien.  Unweit 
davon  fängt  Idumäa  an,  ferner  Palästina,  da  wo  der 
See  Sirbon  7)  hervorbricht,  dessen  Umfang  Einige  auf  150,000 
Schritte  angegeben  haben.  Herodot  sagt,  er  liege  am  Berge 
Casius,  und  gegenwärtig  ist  es  nur  ein  massiger  Sumpf. 
Von  Städten  sind  anzuführen:  Rhinocolura  8)  und  im  Innern 
Rhaphäa9),  Gaza10)  und  im  Innern  Anthedon11),  der  Berg 
Argaris12).  Der  Küstenstrich  Sa maria;  die  freie  Stadt  As- 
calo  13),  Azotus14),  die  beiden  Städte  Janneia15),  von  denen 
eine  im  Innern  des  Landes  liegt.  Joppe16),  eine  Stadt  der 
Phönicier,  die  älter  als  die  grosse  Erdüberschwemnmng  sein 
soll.  Sie  liegt  auf  einem  Hügel,  vor  welchem  sich  ein 
Felsen  befindet,  an  dem  man  noch  Spuren  der  Fesseln  der 


')  Kapse.    2)  Tscheschme. 

3)  Welches  dieser  atheniensische  Feldherr  gegen  den  vordrin- 
genden Artaxerxes  an  den  östlich  von  Pelusium  hinziehenden  Mo- 
rästen angelegt  hatte. 

/')  El-Katieh.    5)  Am  Berge  Casius,  wo  er  ermordet  wurde. 

6)  Steaki  in  Unterägypten.    ~)   Sebaket-Bardonil.     8)  El-Arisch. 

9)  Refa.     ,0)  Ghase.     ")  Daran.     12)  Garizin.     13)  Ascalan. 

,4)  Ezdud.  Sie  wurde  von  Psammetich ,  König  von  Aegyptem 
nach  einer  Belagerung  von  29  Jahren  erobert. 

15)  Nämlich  die  eigentliche  Stadt  und  die  Hafenstadt;  jetzt  Ibne. 

,6)  Jaffa. 


Fünftes  Buch.  381 

Andromeda  x)  zeigt.  Hier  wird  auch  die  fabelhafte  Ceto  2) 
verehrt.  Nun  folgt  Apolloma 3) ,  der  vom  Köuig  Herodes 
erbauete  Thurm  des  Strato,  auch  Cäsarea  4)  genannt;  ferner 
die  erste  flavische ,  vom  Kaiser  Vespasian  angelegte  Colo- 
nie.  Die  Grenze  Palästina's  ist  von  der  arabischen  189,000 
Schritte  entfernt;  dann  kommt  Phönicien.  Im  Innern  liegen 
die  samarischen  Städte  Neapolis5),  früher  Mamortha  ge- 
nannt ,  Sebaste 6)  auf  einem  Berge  und  Gamala 7)  auf 
einem  noch  höheren  Berge. 

15. 

Hinter  Idumäa  und  Samaria  breitet  sich  Judäa  der 
Länge  und  Breite  nach  aus.  Der  an  Syrien  grenzende 
Theil  desselben  heisst  Galiläa,  der  Arabien  und  Aegypten 
zunächst  liegende  aber  Peräa;  dieser  ist  von  rauhen  Ge- 
birgen durchschnitten  und  vom  übrigen  Judäa  durch  den 
Jordan  getrennt.  Das  übrige  Judäa  wird  in  10  Toparchien 
eingetheilt,  welche  wir  der  Keine  nach  nennen  wollen:  die 
an  Palmen  und  Quellen  reiche  hiericuntische 8) ,  die  em- 
maische 9),  lyddische10),  joppische11),  acrabatenische12),  goph- 
nitische13),  thamnitische14),  bethleptephenische ,  orineische, 
in  welcher  Hierosolyma 15) ,  eine  der  berühmtesten  Städte 
nicht  bloss  Judäa's ,  sondern  des  ganzen  Orients  lag ,  und 
endlich  die  herodische  mit  einer  bedeutenden  Stadt  gleiches 
Samens. 

Der  Jordan  entspringt  aus  einer  Quelle  des  Paneas16), 
die   der  Stadt  Cäsarea,   von   der  wir  noch  reden  werden, 


1)  Sie  wurde  von  ihrer  Mutter  einem  Seeungeheuer  ausgesetzt, 
aber  durch  Perseus  befreiet.     (Ovid-Metam  IV.  670.) 

2)  Oder  Derceto ,  eine  Göttin ,  die  man  halb  als  Weib  und  halb 
als  Fisch  abbildete,  und  der  man  besonders  goldene  und  silberne 
Fische  opferte.     (Herodot  I.  105). 

3)  Arsuf.    4)  Kaisarieh.     5)  Nablos.     6)  Schemrun. 

7)  Santorri. 

8)  Jericho.     9)  Kubeib.     ,0)  Ludd.     ")  Jaffa. 

12)  Von  Nablos  nach  Südost  bis  Jericho  und  zum  Jordan. 

13)  Gofna.     ")  Oestlich  von  Antipatris  nach  Lydda. 

,r>)  Jerusalem.     16)  Der  höchste  Rücken  des  Antilibanon. 


382  Fünftes  Buch. 

den  Beinamen  *)  gegeben  hat.  Es  ist  ein  anmuthiger  Fluss, 
der,  soweit  es  die  Beschaffenheit  der  Gegend  gestattet ,  in 
schlängelndem  Laufe  zum  Nutzen  der  anwohnenden  Völker 
sich  fortbewegt,  gleichsam  als  nahe  er  sich  nur  mit  Wider- 
willen dem  verderblichen  Asphaltsee  2) ,  welcher  ihn  end- 
lich verschlingt  und  sein  vortreffliches  Wasser  durch  die 
Vermischung  mit  dem  stinkenden  des  Sees  verdirbt.  Da 
wo  die  Lage  des  Thaies  es  zuerst  möglich  macht,  ergiesst 
er  sieb  in  einen  See ,  den  Mehrere  Genesara 3)  nennen. 
Dieser  ist  16,000  Schritte  lang,  6000  Schritte  breit  und  von 
freundlichen  Städten  umgeben;  östlich  davon  Julias4)  und 
Hippo,  südlich  Tarichea,  mit  welchem  Namen  Einige  auch 
den  See  bezeichnen,  und  westlich  Tiberias  5)  mit  warmen 
Heilquellen. 

Der  Asphaltsee  enthält  nichts  als  Erdpech ,  wovon  er 
auch  seinen  Namen  hat.  Er  nimmt  keinen  thierischen  Körper 
auf,  selbst  Stiere  und  Kameele  schwimmen  auf  ihm.  Dabei- 
ist die  Sage  entstanden ,  dass  nichts  in  ihm  untersinke. 
Seine  Länge  beträgt  über  100,000  Schritte,  die  grösste 
Breite  25,000,  die  geringste  6000.  Oestlich  von  ihm  liegt 
der  von  Nomaden  bewohnte  Theil  Arabiens,  südlich  Machä- 
rus  6),  ehemals  nächst  Jerusalem  die  zweite  Hauptstadt  von 
Judäa.  Auf  derselben  Seite  befindet  sich  die  warme  Heil- 
quelle Callirhoe,  deren  Name  schon  den  Ruhm  ihres  Was- 
sers anzeigt.  Westlich  wohnen,  so  nahe  die  Ausdünstungen 
des  Sees  es  gestatten,  die  Essener,  ein  einsames  und  vor 
allen  übrigen  Bewohnern  der  Erde  wunderliches  Volk 7), 
das  ohne  Weiber,  überhaupt  ohne  alle  Gemeinschaft  mit 
dem  weiblichen  Geschlechte,  ohne  Geld,  und  nur  in  Ge- 
sellschaft seiner  Palmen  lebt.  Ihre  Anzahl  erneuert  sich 
immer  wieder  durch  Ankömmlinge,  denn  viele  wandern  da- 


')  Caesarea  Paneas,  jetzt  Banias.    2)  Das  todte  Meer. 
3)  See  Tiberias  (Taberia).    4)  Kassr  el  Bedauih.    5)  Taberia. 
e)  Mkaur. 

7)  Eine  jüdische  Secte,  über  welche  man  mehr  findet  in  Jose- 
phus'  Geschichte  des  jüdischen  Krieges,  B.  II.  Cap.  7. 


Fünftes  Buch.  333 

hin,  welche  lebensmüde  sind  und  von  den  Wogen  des  Schick- 
sals sich  zur  Annahme  ihrer  Sitten  gedrungen  fühlen.  So 
besteht  (was  unglaublich  scheint)  ein  Volk,  bei  dem  Nie- 
mand geboren  wird,  tausende  von  Jahrhunderten  fort.  So 
fruchtbar  ist  für  sie  der  Lebensüberdruss  Anderer!  Unter- 
halb ihres  Gebiets  lag  früher  die  Stadt  Engadda  *),  welche 
nach  Hierosolyma  wegen  ihres  fruchtbaren  Bodens  und  ihrer 
Palmenwälder  den  zweiten  Rang  behauptete;  jetzt  ist  sie 
gleichfalls  ein  Schutthaufen.  Hierauf  folgt  Masada,  ein 
Schloss  mit  einem  Felsen,  nicht  weit  vom  Asphaltsee.  So- 
weit reicht  Judäa. 

16. 

An  dasselbe  stösst  auf  der  syrischen  Seite  das  deca- 
politanische  Gebiet,  so  genannt  von  der  Zahl  seiner 
Städte,  in  deren  Angabe  aber  nicht  alle  übereinstimmen. 
Die  Meisten  nennen  jedoch  Damascus,  welches  durch  die  Be- 
wässerung ,  die  mit  dem  Flusse  Chrysorrhoas  2)  hergeleitet 
wird  und  diesen  fast  ganz  erschöpft,  sehr  fruchtbar  ist; 
Philadelphia  3),  Rhaphana,  welche  Städte  alle  nach  Arabien 
hin  liegen.  Ferner  Scythopolis  4),  welches  seinen  Namen 
von  einer  dahin  geführten  scythischen  Colanie  erhielt  und 
früher  nach  dem  Bachus,  dessen  Amme  hier  begraben  liegt? 
Nysa  hiess.  Gadara  5)  am  Flusse  Hieromiax  6);  das  schon 
genannte  Hippos,  Dion,  das  wasserreiche  Pella  7),  Galasa  8) 
und  Canatha  9).  Zwischen  und  um  diese  Städte  ziehen  sich 
die  Tetrarchien  hin,  welche  gleichsam  für  sich  einzelne  Be- 
zirke bilden  und  als  Reiche  gelten,  nämlich:  Trachonitis, 
Paneas,  in  welcher  Cäsarea10)  mit  der  obenerwähnten  Quelle 
liegt,  Abila11),  Area12)  Ampeloessa  und  Gabe. 

17. 

Nun  müssen  wir  wieder  zur  Küste  und  zwar  nach 
Phönicien  zurückkehren.    Hier  war  die  Stadt  Crocodilon, 


*)  Aiu-Dsjiddy.    2)  Barradi.    3)  Amman.     4)  El  Bissan. 
5)  Mkesi.    6)  Scherriat-Mandur.    7)  Bellue. 
8)  Eigentlich  Gerasa  (Dsjerrasch).    9)  Khaunat.     ,0)  Banias. 
")  Abil.     12)  Geburtsort  des  Kaisers  Alexander  Severus. 


384  Fünftes  Buch. 

jetzt  führt  nur  noch  ein  Fluss  x)  diesen  Namen.  Im' blossen 
Andenken  stehen  noch  die  Städte  Dorum 2)  und  Sycami- 
num  3),  das  Vorgebirge  Carmelum  und  auf  dem  Berge  selbst 
eine  Stadt  gleiches  Namens ,  welche  vormals  Ecbatana 4) 
hiess.  In  der  Nähe  liegen  Getta  und  Jebba;  der  Bach  Pa- 
gida oder  Belus  5) ,  an  dessen  kleinem  Ufer  sich  Sand  fin- 
det, der  zur  Bereitung  des  Glases  tauglich  ist.  Er  selbst 
kommt  aus  dem  See  Cendevia  am  Fusse  des  Carmel.  Nicht 
weit  davon  die  Colonie  des  Kaiser  Claudius,  Ptolemais, 
früher  Ace e)  genannt.  Die  Stadt  Ecdippa 7) ,  das  weisse 
Vorbebirge  8).  Tyrus 9),  vormals  eine  700  Schritte  weit 
im  Meere  liegende  Insel,  hängt  jetzt  durch  die  Belagerungs- 
werke Alexanders  mit  dem  Festlande  zusammen.  Sie  war 
einst  berühmt  als  Gründerinn  anderer  Städte ,  wie  Leptis, 
Utica  und  jene  nach  der  Weltherrschaft  strebende  Neben- 
buhlerin des  römischen  Reichs,  Carthago;  auch  Gades, 
ausserhalb  dieses  Erdkreises ,  ist  durch  sie  entstanden. 
Jetzt  besteht  noch  ihr  ganzer  Ruhm  in  Muscheln  und  Pur- 
pur. Diese  Insel,  auf  welcher  die  Stadt  Palätyrus  liegt, 
hält  19,000  Schritte  im  Umfange;  die  Stadt  selbst  nimmt 
einen  Raum  v©n  22  Stadien  ein.  Nun  folgen  die  Städte 
Sarepta 10),  Ornithon  ")  und  Sidon 12),  deren  Bewohner  Glas 
machen ,  und  welche  die  Mutterstadt  von  Theben  in 
Böotien  ist.  Hinter  ihr  liegt  das  Gebirge  Libanüs,  das  sich 
1500  Stadien  weit  bis  Simyra13)  erstreckt,  wo  Syrien  den 
Namen  Coele  bekommt.  Ihm  gegenüber,  durch  ein  Thal 
getrennt,  vormals  aber  durch  eine  Mauer  verbunden,  liegt 
der  gleich  grosse  Antilibanus.  Hinter  demselben  die  deca- 
politanische  Landschaft  mit  den  bereits  angeführten 
Tetrarchien,  und  die  ganze  Breite  von  Palästina."  An  der 
Küste,  unter  dem  Libanus  der  Fluss  Magoras14),  die  Colo- 


»)  Zirka.     2)  Tartuva.     3)  Keisa. 

4)  Kaiffa.    Hier    starb   nach  Herodot  Cambyses,  König  von  Per- 
sien, auf  der  Rückkehr  aus  Aegypten. 

5)  Nähr  Abu.    c)  St.  Jean  d'Acre.    7)  Zib.     8)  C.  Blanco. 

9)  Tsor.     10)  Sarphond.     »)  El  Urbi.     v-)  Saida,     13)  Sumre. 
u)  Nahr-el-Damur. 


Fünftes  Buch.  385 

nie  Berytus  x),  auch  Felix  Julia  genannt,  die  Stadt  Leon- 
tos ,  der  Fluss  Lycos  2) ,  Paläbyblos ,  der  Fluss  Adonis  3), 
die  Städte  Byblos  4) ,  Botrys  5) ,  Gigarta  6) ,  Trieris ,  Cala- 
mos  7),  Tripolis  8),  welche  letztere  die  Tyrier,  Sidonier  und 
Araber  bewohnen ,  Orthosia 9) ,  der  Fluss  Eleutheros  10), 
die  Städte  Sinigra,  Marathos11)  und  dieser  gegenüber  Ara- 
dus12),  eine  Stadt  und  Insel  von  7  Stadien  Länge  und  200 
Schritte  vom  Festlande  entfernt.  Sodann  der  Distrikt,  in 
welchen  sich  die  obengenannten  Gebirge  abdachen  und  der 
durch  zwischen  liegende  Ebenen  davon  getrennte  Berg  Bar- 
bylus  anfängt. 

18. 
Hier  verlassen  wir  Phönicien  und  kehren  wieder  nach 
Syrien  zurück.  Darin  die  Städte:  Garne13),  Balanea14), 
Paltos15) ,'  Gabale10);  das  Vorgebirge  auf  welchem  das  freie 
Laodicea17)  liegt,  Diospolis,  Heraclea,  Charodrus,  Posi- 
diune18);  dann  folgt  das  Vorgebirge  des  antiochischen 
Syriens.  Im  Innern  die  freie  Stadt  Antiochia19)  selbst, 
mit  dem  Beinamen  Epidaphnes20);  sie  wird  vom 
Flusse  Orontes21)  durchschnitten.  Auf  dem  Vorgebirge  das 
freie  Seleucia 22) ,  Pieria  genannt.  Hinter  derselben  liegt 
ein  Berg,  der,  wie  der  oben23)  erwähnte,  auch  den  Namen 
Casius2,1)  führt.  Seine  Höhe  ist  so  bedeutend,  dass  schon 
um  die  vierte  Nachtwache 25)  die  aufgehende  Sonne  ihn  be- 
scheint, so  dass  man  durch  eine  geringe  Wendung  des  Kör- 
pers Tag  und  Nacht  zugleich  sehen  kann.  Der  Weg  von 
seinem  Fusse  bis  zum  Gipfel  beträgt  19,000,  die  senkrechte 
Höhe  4000  Schritte.  An  der  Küste  fliesst  der  Orontes, 
welcher  zwischen  dem  Libanus  und  Antilibanus  in  der  Nähe 


l)  Beirut.    2)  Bahr-el-Kelp. 

3)  Nahr-el-lbrahim.    4)  Dsjebail.    5)  Patrone.    6)  Gazir. 

7)  Kallemon.    8)  Trablo.    9)  Ortosa.     I0)  Nahr-el-Quibir. 

u)  Rhede  von  Tortosa.     12)  Ruad.     ,3)  Tortosa.     ,4)  Baneas. 

15)  Boldo.     16)  Dsjebail.     t7)  Latakia.    18)  Posseda.     19)  Antakia. 

20)  Neben  dem  Lorbeerhaine.    21)  Asi.    22)  Kebse.   23)  Im  14.  Cap. 

24)  Dsjebbl  Okrab.    25)  Früh  um  3  Uhr. 

25 


386  Fünftes  Buch. 

von  Heliopolis *)  entspringt.  Die  Stadt  Rhosos  und  da- 
hinter die  sogenannten  syrischen  Thore 2)  zwischen  den 
rhosischen  Gebirgen  und  dem  Taurus.  An  der  Küste  die 
Stadt  Myriandros ,  der  Berg  Amanus  3)  mit  der  Stadt  Bo- 
mytä,  welcher  Cilicien  von  Syrien  trennt. 

19. 

Jetzt  wollen  wir  von  dem  Innern  Syriens  reden.  In 
Coele  liegt  Apamia  4),  das  durch  den  Fluss  Marsyas  5)  von 
der  Tetrarchie  der  Nazeriner  6)  geschieden  ist;  ferner  Bam- 
byce  7),  welches  auch  Hierapolis,  bei  den  Syrern  aber  Ma- 
bog  heisst,  und  wo  man  die  abenteuerliche  Ataropatis,  von 
den  Griechen  Derceto  8)  genannt ,  verehrt.  Chalcis  9) ,  mit 
dem  Beinamen  „am  Belus"10),  von  der  Chalcidine,  die  frucht- 
barste Gegend  Syriens,  ihren  Namen  hat.  Dann  folgen: 
das  cyrrhestische  Cyrrhus11),  die  Gazater,  Gindarener12), 
Gabener;  die  beiden  granucomatischen  Tetrarchien,  die  Eme- 
sener,  Hylater,  Ituräer  und  ein  Stamm  derselben,  die  Bä- 
tarrener;  die  Mariammitaner ,  die  Tetrarchie  Mammisea; 
Parodisus,  Pagrä13),  die  Pinariter,  ausser  den  schon  ge- 
nannten noch  2  Städte  Namens  Seleucia,  von  denen  die 
eine  am  Eupbrat14),  die  andere  am  Belus15)  liegt,  und  die 
Cardytenser.  Im  übrigen  Syrien  wohnen  (mit  Ausnahme 
derer,  welche  beim  Euphrat  genannt  werden  solleu)  die 
Arethusier 16),  Beröenser 17),  Epiphaneenser18);  gegen  Osten 
die  Laodicener,  mit  dem  Beinamen  „am  Libanus",  die  Leu- 
cadier,  Larissäer 19)  und  ausserdem  noch  17  in  Regierungs- 
bezirke getheilte  Tetrarchien  mit  barbarischen  Namen. 

20. 

Bei   dieser  Gelegenheit  wird  es  am  passendsten  sein, 
auch   vom  Euphrat   zu  reden.    Er  entspringt    nach   dem 


»)  Balbek.    2)  Sakal-Doutan.     3)  Alma-Dagh. 

4)  Heisst  jetzt  Famirh.     5)  Ochiense,     6)  Nosairis. 

7)  Boinbädsch.     8)  S.  im  14.  Cap.     9)  Kimisrini. 

10)  Dschebel-el-Semraak.     ")  Korus.     **)  Daina.     13)  Bagras. 

u)  Bachadmosal.     ,5)  Schoghr.     ,ü)  Restun.     ")  Halep  (Aleppo). 

,8)  Hama.    ,9)  Dsjesar. 


Fünftes  Buch.  387 

Berichte  derer,  welche  selbst  dort  waren,  in  der  Statthalter- 
schaft Carantis  *)  in  Gross-Armenien ,  nach  Domitius  Cor- 
bulo  2)  auf  dem  Berge  Aba  3) ,  nach  Licinius  Mucianus  am 
Fusse  des  Berges  Capotes4),  12,000  Schritte  oberhalb  Zi- 
mara,  und  heisst  anfangs  Pyxurates.  Er  fliesst  zuerst  durch 
Derxene  5) ,  dann  durch  Anaitica  6)  und  trennt  Armenien 
von  Cappadocien.  Dascusa  7)  ist  von  Zimara  75,000  Schritte 
entfernt.  Von  da  beträgt  die  Reise  zu  Schiffe  bis  Sartona  8) 
50,000  Schritte,  bis  Militene  9)  in  Cappadocien  74,000,  bis 
Elegia10)  in  Armenien  10,000.  Auf  dieser  Strecke  nimmt 
er  die  Flüsse  Lycus  n),  Arsanias 13)  und  Arsanus 13)  auf.  Bei 
Elegia  tritt  ihm  der  Berg  Taurus  entgegen,  vermag  ihn 
aber  trotz  seiner  Breite  von  12,000  Schritten  nicht  aufzu- 
halten. Da  wo  er  an  das  Gebirge  stösst,  heisst  er  Omma, 
nachdem  er  es  durchbrochen  Euphrat,  und  auch  dann  noch 
ist  er  voll  Felsen  und  reissend.  Weiterhin  liegt  ihm  Ara- 
bien, und  zwar  das  3  Schönus  breite  Gebiet  Oreon  zur 
Linken,  zur  Rechten  grenzt  er  an  Commagene14),  doch  dul- 
det er,  selbst  da  wo  er  den  Taurus  durchbricht,  eine  Brücke 
über  sich.  Bei  Claudiopolis 15)  in  Cappadocien  lenkt  er 
seinen  Lauf  gegen  Westen;  hier  aber  tritt  ihm  der  Taurus 
abermals  entgegen,  siegt,  früher  von  ihm  überwunden  und 
durh schnitten,  jetzt  auf  andere  Weise  über  ihn  und  treibt 
ihn  nach  Süden.  So  gleicht  sich  dieser  Streit  der  Natur 
aus,  indem  der  Fluss  geht,  wohin  er  will,  und  der  Berg  ihn 
in  seinem  willkürlichen  Laufe  hindert16).  Von  den  Wasser- 
fällen an  wird  er  wieder  schiffbar,  und  40,000  Schritte  wei- 
ter liegt  Samosata17),  die  Hauptstadt  von  Commagene. 


«)  Erzerum.     2)  War  39  n.  Chr.  Consul. 
3)  Alatagh.     4)  Bingöltagh.     5)  Tordsjan.     6)  Momacottom. 
')  Dengizlu.    8)  Pastek.    9)  Malatya.     10)  Ilidsje.     ")  Bingöl. 
12)  Murad.     13)  Arslan. 

u)  Die  Paschaliks  Merasch,  Aintab  und  Simasat. 
,5)  Ra-Claudie. 

16)  D.  h.  der  Euphrat  kommt  zum  Meere,   wohin  er  will,  aber 
durch  den  Widerstand  des  Taurus  nicht  in  das  mittelländische. 
")  Simasat. 

25* 


388  Fünftes  Buch. 

21. 

In  dem  oben  genannten  Arabien  liegen  folgende  Städte  : 
Edessa  l),  vormals  Antiochia  genannt,  das  nach  einer  Quelle 
benannte  Callirrhon,  Carrhä2),  bekannt  durch  die  Nieder- 
lage des  Crassus 3).  Hieran  grenzt  die  Statthalterschaft 
Mesopotamien  4) ,  welche  von  den  Assyriern  gegründet  ist 
und  die  Städte  Anthemusia  und  Nicephorium  5)  enthält.  Nun 
folgen  die  prätavischen  Araber  mit  der  Hauptstadt  Singara  6). 
Hinter  Samosata  auf  der  syrischen  Seite  fällt  der  Marsyas 
in  den  Euphrat.  Cingilla  7)  liegt  an  der  Grenze  von  Com- 
magene  und  dann  beginnt  der  Bezirk  der  Immeer  8).  Die 
Städte  Epiphania  und  Antiochia,  „am  Euphrat"  benannt; 
desgleichen  Zeugma9),  72,000  Schritte  von  Samosata,  be- 
rühmt durch  den  Uebergang  über  den  Euphrat.  Das  gegen- 
über liegende  Apamea10)  hat  Seleucus,  der  Gründer  beider 
Städte,  durch  eine  Brücke  mit  jener  verbunden.  Die  Grenz- 
nachbaren  von  Mesopotamien  sind  die  Rhoaler.  Aber  in 
Syrien  liegen 11)  die  Städte  Europum 12)  und  das  vormalige 
Thapsacum,  jetzt  Amphipolis 13) ;  endlich  die  scenitischen 
Araber  u).  So  fliesst  er  bis  zu  dem  ehemaligen  Ura 15),  wo 
er  sich  gegen  Osten  wendet  und  die  palmyrenischen  Wüsten 
Syriens,  welche  sich  bis  zur  Stadt  Petra 16)  und  dem  glück- 
lichen Arabien  erstrecken,  verlässt. 

Die  Stadt  Palmyra17)  ist  berühmt  durch  ihre  Lage, 
durch  die  Ergiebigkeit  des  Bodens  und  anmuthige  Wässer; 
im  weiten  Umkreise  sind  ihre  Aecker  von  Sandwüsten  um- 
schlossen; durch  die  Natur  gleichsam  von  allen  übrigen 
Ländern  abgeschieden,  liegt  sie  unabhängig  zwischen  zwei 
mächtigen  Reichen,   dem  römischen  und  parthischen,    und 


J)  Orfa  im  nördlichen  Mesopotamien.     In  der  spätem  Zeit  nahm 
sie  den  Namen  Justinopolis  an. 

-)  Harran.     3)  53  v.  Chr.     4)  Diarbekr. 

5)  Von  Alexander  dem  Grossen  erbauet,  jetzt  Racca. 

,!)  Sindrjar.     7)  Kuph.     8)  Armana.     9)  Tscheschme. 

,0)  Rum.     u)  Nämlich  längs  des  Euphrat.     12)  Jerabolos. 

u)  El-Der.     w)  In  der  Nähe  der  palmyrensischen  Wüste. 

,s)  Gorur.     lfi)  Ar-Rakim.     17)  Tadinor. 


Fünftes  Buch.  389 

wird  bei  jedem  Zwiste  auf  beiden  Seiten  zu  gewinnen  ge- 
sucht. Von  der  parthischen  Stadt  Seleucia  x)  am  Tigris  ist 
sie  337,000  Schritte  entfernt,  von  der  nächsten  Küste  Sy- 
riens aber  203,000;  Damascus  liegt  27,000  Schritte  näher. 

Vor  den  Wüsten  Palmyra's  liegt  der  stelendenische  Be- 
zirk und  die  schon  2)  genannten  Städte  Hierapolis ,  Beröa 
und  Chalcis.  Hinter  Palmyra  in  derselben  Wüste  Emesa  3), 
ferner  Elatium,  welches  der  Stadt  Petra  am  die  Hälfte  näher 
ist  als  Damascus.  Von  Sura  4)  aus  kommt  man  zunächst 
nach  Philiscum 5) ,  einer  parthischen  Stadt  am  Euphrat. 
Von  da  schifft  man  in  10  Tagen  nach  Seleucia  und  fast  in 
derselben  Zeit  nach  Babylon.  94,000  Schritte  von  Zeugma, 
beim  Flecken  Massice  theilt  sich  der  Euphrat;  sein  linker 
Arm  geht  nach  Mesopotamien  durch  Seleucia  selbst  und  er- 
giesst  sich  hier  in  den  vorüberfliessenden  Tigris.  Der  rechte 
Arm  aber  fliesst  nach  Babylon,  der  ehemaligen  Hauptstadt 
von  Chaldäa,  die  er,  sowie  die  Stadt  Otris  mitten  durch- 
strömt und  verliert  sich  in  Sümpfe.  Er  schwillt  auch  gleich 
wie  der  Nilstrom  an  bestimmten  Tagen,  die  aber  mit  denen 
beim  Nil  nicht  ganz  zusammentreffen,  an  und  überschwemmt 
Mesopotamien.  Dies  geschieht,  wenn  die  Sonne  im  20.  Grade 
des  Krebses  steht;  er  fängt  wieder  an  zu  fallen,  wenn  die 
Sonne  aus  dem  Löwen  in  die  Jungfrau  übergeht  und  tritt 
ganz  in  sein  Bett  zurück,  wenn  sie  im  29.  Grade  der  Jung- 
frau steht. 

22. 

Wir  kehren  zu  derjenigen  Küste  von  Syrien  zurück, 
an  die  zunächst  Cilicien6)  grenzt.  Darin:  der  Fluss  Dia- 
phanes,  der  Berg  Crocodilus  7),  die  Pässe  des  Berges  Ama- 
nus  8),  die  Flüsse  Androcus  9),  Pinarus10),  Lycus,  der  Busen 
von  Issos11).    Die  Stadt  Issos12),  Alexandria13),  der  Fluss 


»)  AI  Modain.     2)  Im  19.  Cap. 

3)  Hems.    *)  Beled-Surieh.    5)  Blis. 

6)  Ejalet  Itschil.     7)  Ein  Vorsprung  des  Taurus. 

8)  Thor  von  Beilan.    9)  Kermes.     ,0)  Deli-Su. 

")  Golf  von  Ayas.     ,2)  Oeseler.     '*)  Eskiendrun. 


390  Fünftes  Buch. 

Chlorus,  die  freie  Stadt  Aegä  *),  der  Fluss  Pyramus  2),  die 
cilicischen  Engpässe3);  die  Städte  Mellos  4),  Magarsos  und 
im  Innern  Tarsos  5J.  die  alejische  Ebene,  die  Städte  Cas- 
sipolis ,  das  freie  Mopsos  G)  am  Pyramus ,  Thynos ,  Zephy- 
rium ,  Anchiale.  Die  Flüsse  Saros  7) ,  Cydnus  8) ,  der  die 
unweit  vom  Meere  gelegene  freie  Stadt  Tarsus  durch- 
schneidet. Der  celenderitische  Bezirk  mit  einer  Stadt9); 
das  ehemalige  Nymphäum ,  Solo  Cilicii 10) ,  jetzt  Pompejo- 
polis,  Adana11),  Cibyra12),  Pinara,  Pedalie,  Ale,  Selinus13), 
Arsinoe,  Jotape,  Doron.  Am  Muere  liegt  Corycos  u),  welchen 
Namen  die  Stadt,  ihr  Hafen  und  eine  Höhle  führen.  Dann 
folgt  der  Fluss  Calycadnus 15),  das  Vorgebirge  Sarpedon16), 
die  Städte  Holmö,  Myle;  das  Vorgebirge  und  die  Stadt  der 
Venus17),  welche  der  Insel  Cypern  am  nächsten  liegt.  Auf 
dem  Festlande  ferner  die  Städte  Myanda,  Anemurium 18), 
Coracesium 19)  und  der  Fluss  Melas 20),  die  alte  Grenze  von 
Cilicien.  Im  Innern  des  Landes  aber  sind  zu  nennen  Ana- 
zarbus21), welches  jetzt  Cäsarea  heisst,  Augusta,  Casta- 
bala22),  Epiphania  vormals  Oeniandos,  Eleusa23),  Iconium, 
Seleucia24)  oberhalb  des  Flusses  Calycadnus,  welche  den 
Beinamen  Tracheotis  hat;  sie  lag  früher  näher  am  Meere 
und  hiess  Lolmia.  Ausserdem  sind  im  Innern  des  Landes 
die  Flüsse  Liparis,  Bombos  und  Paradisus,  sowie  das  Ge- 
birge Jmbarus25). 

23. 
Alle  Schriftsteller  lassen  Pamphylien  an  Cilicien  gren- 
zen, wobei  sie  das  Volk  der  Isaurer26)  nicht  berücksich- 
tigen.    Die  Städte  desselben  im  Innern  sind:  Isaura27),  Cli- 
banus,  Lelasis.    Das  Land  dacht  sich  in  der  Richtung  der 


')  Ajascala.     2)  Dsjihhan. 

3)  Thor  von  Sakaltutan.    4)  Malo.    5)  Tarso. 

«■)  Mysis.    7)  Seihhan.     8)  Karasu.    9)  TscheHndre. 

,0)  Mezetlu.     »)  Adene.     12)  Iburar.     ,3)  Selenti.     14)  Burku. 

15)  Selefkieh.     16)  Cap  Cavaliere.     17)  Port  Pinus.     18)  Anemur. 

19)  Alajah.    20)  Manavgat.    21)  Ainzarbeh.    22)  Dsjakel. 

23)  Ajasch.    24)  Selefkeh.    25)  Ein  Zweig  des  Ararat. 

2C)  Paschalik  Begscheer.    21)  Serki-Seroj. 


Fünftes  Buch.  391 

oben  genannten  Gegend  von  Anemurium  nach  dem  Meere 
zu  ab.  Ebenso  ist  allen,  die  über  diese  Länder  geschrieben 
haben,  das  an  jenes  grenzende  Volk  der  Homanader  un- 
bekannt, in  deren  innern  Gebiete  die  Stadt  Homana  *)  liegt. 
Ausserdem  sind  noch  44  Burgen  in  rauhen  Thälern  ver- 
borgen. 

24. 

Das  Hochland  bewohnen  die  Pisider2),  welche  vor- 
mals Solymer  Messen.  Ihre  Colonie  Cäsarea  3)  hat  auch 
den  Namen  Antiochia.  Ihre  Städte  sind  Oroanda4)  und 
Sagalessos  5). 

25. 

Die  Pisider  werden  von  Lycaonien6)  eingeschlossen, 
welches  nebst  den  Philomeliensern  7),  Tymbrianern,  Leuco- 
lithern ,  Peltenern  und  Tyriensern 8)  zum  asiatischen  Ge- 
richtsbezirk gehören.  Der  Theil  von  Lycaonien,  der  an 
Galatia  grenzt  und  aus  14  Gemeinden  mit  der  sehr  berühm- 
ten Stadt  Iconium  9)  besteht ,  bildet  eine  Tetrarchie.  Im 
eigentlichen  Lycaonien  sind  berühmt:  Thebasa  am  Taurus, 
Hyde  an  der  Grenze  von  Galatien  und  Cappadocien.  Zur 
Seite  aber  hinter  Pamphylien  wohnen  die  Milyer,  Nach- 
kommen der  Thracier,  deren  Stadt  Arycanda  heisst. 

26. 

Pamphylien10)  hiess  sonst  Mopsopia11).  Das  pam- 
phylische  Meer  grenzt  an  das  cilicische.  Städte  sind:  Side1'2), 
Aspendum 13)  auf  einem  Berge ,  Pletemissum  und  Perga 14). 
Das  Vorgebirge  Leucolla;  der  Berg  Sardemisus.  Flüsse: 
der  Eurymedon15),  der  an  Aspendum  vorbeifliesst,  der  Catar- 


')  Erminak.    2)  Paschalik  Hamid. 

3)  Akscheer.    4)  lgricli.    5)  Aglason-Bey.    6)  Paschalik  Konia. 

7)  Bulawadin.     8)  Altyn-Khan.     9)  Konia. 

10)  Paschalik  Tekke  z.  Th. 

")  Von  Mopsus,  welcher  nach  dem  trojanischen  Kriege  diese 
Küste  beherrschte. 

12)  Side.     13)  Minugat.     ")  Karahissar. 

15)  Zacuth;  berühmt  durch  den  Doppelsieg  des  Cimon  über  die 
Perser. 


392  Fünftes  Buch 

ractes  *) ,   an  welchem  Lyrnessus  und  Olbia  2)  liegen.     Die 
letzte  Stadt  an  dieser  Küste  heisst  Phaseiis  3). 

27. 
Hieran  stösst  das  lycische  Meer,  an  dem  die  Lycier 
wohnen.  Von  da  an  beschreibt  der  von  den  östlichen  Küsten 
sich  herabziehende  Taurus  durch  das  chelidonische  Vor- 
gebirge 4)  einen  bedeutenden  Meerbusen  5).  Er 6)  ist  un- 
ermesslich  gross  und  beherbergt  zahlreiche  Völker;  mit  der 
rechten  Seite,  wo  er  vom  indischen  Meere  aufsteigt,  ist  er 
nach  Norden,  mit  der  linken  nach  Süden  gerichtet,  wendet 
sich  dann  nach  Westen  und  würde  ganz  Asien  durchschnei- 
den, wenn  diesem  Unterdrücker  der  Länder  nicht  die  Meere 
Widerstand  leisteten.  Er  springt  also  nach  Norden  ab  und 
sucht  bei  seiner  Wendung  einen  unermesslichen  Weg  ein- 
zuschlagen; da  setzt  ihm  aber  die  Natur  gleichsam  mit 
Fleiss  plötzlich  die  Meere  entgegen,  hier  das  phönicische, 
dort  das  pontische,  da  das  caspische  und  hyrcanische  und 
gegenüber  den  mäotischen  See.  So  windet  er  sich  zwischen 
diese  hemmenden  Elemente  gepresst  dennoch  siegend  durch, 
gelangt  in  Krümmungen  zu  der  ihm  verwandten  riphäischen 
Bergkette  und  hat  sich  auf  seinem  Wege  durch  viele  und 
neue  Namen  berühmt  gemacht.  Zuerst  heisst  er  Imaus  7), 
dann  Emodus  s) ,  Paropamisus  9) ,  Circius ,  Chambades ,  Pa- 
ryadres  10),  Choatras11),  Oreges,  Oroandes,  Niphates12),  Tau- 


2)  Duden.    2)  Antalia. 

3)  Fianda.  Die  Einwohner  waren  Erfinder  gewisser  schnell- 
segelnder Schifte,  die  daher  den  Namen  Phaseli  hatten. 

4)  Cap  Kalidoni.     5)  Den  pamphylischen  Golf  von  Atalia. 

6)  Nämlich  der  Taurus.     7)  Erhebt  sich  7°  östlich  vom   Ganges, 
geht  durch  Tibet  und  die  Wüste  nach  Norden  hin. 

8)  Bildet  mit  dem  Imaus  das  Himalayahgebirge. 

9)  Hendu-Khos  in  Candahar. 

10)  In  Armenien;  ein  Arm  des  Antitaurus. 

n)  Auch  Zagros  genannt,  jetzt  Tag-Riaghi,  an  der  Grenze  von 
Medien  und  Assyrien. 

12)  Im  südlichen  Armenien,  wo  der  Tigris  entspringt;  heisst 
jetzt  Tschudy. 


Fünftes  Buch.  393 

rus  l);  da  wo  er  am  höchsten  ist  Caucasus2);  wo  er  sich 
in  Arme  theilt,  als  ob  er  die  Meere  angreifen  wollte,  Sar- 
pedon3),  Caracesius  4) ,  Cragus  5)  und  wiederum  Taurus; 
und  selbst  wo  er  sich  öffnet  und  den  Völkern  den  Zutritt 
verschafft,  behauptet  er  dennoch  seine  Einheit,  denn  diese 
Zugänge  führen  bloss  den  Namen  Pforten  (Engpässe)  und 
heissen  auf  einer  Seite  die  armenischen,  auf  einer  andern 
die  caspischen,  auf  einer  dritten  die  cilicischen.  Sogar  da, 
wo  er  gebrochen  den  Meeren  ausweicht,  wird  er  noch  nach 
den  anwohnenden  Völkern  mit  vielen  Namen  belegt;  so 
heisst  er  rechts  der  hyrcanische,  caspische,  links  der  par- 
yedrische  6) ,  moschische  7) ,  amazonische ,  coraxische  und 
scythische.  Das  ganze  Gebirge  nennen  aber  die  Griechen 
das  ceraunische. 

28. 
In  Lycien8)  liegen  vom  Vorgebirge  des  Taurus  an 
die  Stadt  Simena,  der  des  Nachts  feuerspeiende  Berg  Chi- 
inära,  die  Gemeinde  Hephästium,  in  deren  Bezirke  sich  eben- 
falls Berge  befinden,  die  oft  brennen.  Früher  lag  daselbst 
die  Stadt  Olympus,  jetzt  aber  die  Bergstädte  Gagä,  Cary- 
dalla  und  Rhodiopolis.  In  der  Nähe  des  Meeres:  Limyra  mit 
einem  gleichnamigen  Flusse  9) ,  in  welchen  sich  der  Ary- 
candus  ergiesst,  der  Berg  Massycites,  die  Gemeinde  An- 
driaca10)  und  Myra11).  Die  Städte  Apyre12),  Antiphellos13), 
welche  vormals  Habessus  hiess,  und  weiter  im  Lande: 
Phellus.  Sodann  Pyrrha  und  Xanthus14),  beide  15,000 
Schritte  vom  Meere  entfernt  und  der  Fluss  Xanthus.  Pa- 
tara15),  früher  Pataros,  Sidyma  auf  einem  Berge;  das  Vor- 
gebirge Cragus16).    Weiterhin   ein   dem  vorigen17)  gleicher 


1)  Die  Kette  im  Norden  von  Pamphylien  und  Cilicien. 

2)  Zwischen  dem  schwarzen  und  caspischen  Meere. 

3)  Cap  Cavaliere.    4)  Kurko.    5)  Monte  di  Goronte. 
8)  Agatsch-Baschi.    7)  Bingol. 

8)  Theile  der  Paschaliks  Muntescha  und  Tekke. 

9)  Arakli.     «>)  Sevedo.     »)  Mira.     ,2)  Fineka.     ,3)  Antifello. 
M)  Essenide.     15)  Patira.     ,6)  Cap  Serdeni? 

»)  Golf  von  Chelidoni. 


394  Fünftes  Buch. 

Busen  x),  an  welchem  Pinara  und  Telmessus  2),  die  Grenz- 
stadt von  Lycien,  liegen.  Lycien  hatte  einst  70  Städte, 
jetzt  hat  es  nur  noch  36.  Von  diesen  sind,  ausser  den  oben 
genannten,  noch  bemerkenswerth:  Canas,  Condyba,  berühmt 
durch  den  önischen  Wald,  Podalia,  Choma  am  Flusse 
Adesa,  Cyaneä,  Ascandalis,  Amelas,  Noscopium,  Tlos  und 
Telandrus.  In  der  Mitte  des  Landes  liegt  Cabalia  mit  den 
3  Städten  Oenoanda,  Balbura  und  Bubon.  Bei  Telmessus 
fängt  das  asiatische  oder  carpathische  Meer,  sowie  Asien 
im  engern  Sinne  3)  an.  Letzteres  hat  Agrippa  in  2  Theile 
getheilt.  Den  einen  Theil  schliesst  im  Osten  Phrygien  und 
Lycaonien,  im  Westen  das  ägeischeMeer,  im  Süden  Aegypten 
und  im  Norden  Paphlagonien  ein.  Seine  Länge  beträgt 
470,000,  seine  Breite  320,000  Schritte.  Die  Grenzen  des 
andern  Theiles  bestimmt  er  folgendermaassen:  gegen  Osten 
Klein-Armenien ,  gegen  Westen  Phrygien ,  Lycaonien  und 
Paniplfylien,  gegen  Norden  die  pontische  Provinz  und  gegen 
Süden  das  pamphylische  Meer.  Er  ist  575,000  Schritte 
lang  und  325,000  Schritte  breit. 

29. 
Das  nächste  Küstenland  ist  Carien,  dann  folgt  Jonien 
und  hinter  diesen  Aeolien.  Carien4)  schliesst  das  in  der 
Mitte  liegende  Doris  ein  und  stösst  zu  beiden  Seiten  bis 
ans  Meer.  In  ihm  sind  zu  merken:  das  Vorgebirge  Peda- 
lium  5),  der  Fluss  Glaucus,  der  nach  Telmedium  führt;  die 
Städte  Dädala  6)  und  Crya7),  von  Flüchtlingen  gegründet. 
Der  Fluss  Axon ,  die  Stadt  Calynda.  Der  Fluss  Indus  8) 
entspringt  auf  den  cibyratischen  Gebirgen  9),  nimmt  60  be- 
ständig strömende  Flüsse  und  noch  100  Giessbäche  auf 
Die  freie  Stadt  Caunos10),  dann  Pyrnos,  der  Hafen  Cressa11), 
20,000   Schritte   von   der   Insel   Rhodus.     Die   Ruinen   von 


')  Golf  von  Magri.     -)  Magri. 

3)  Anatoli  oder  Natolien. 

4)  Mit  Doris  das  Paschalik  Muntescha  z.  Th.     5)  Ginakri. 
6)  Doleman.    ')  Messi.     8)  Kabbeh.    9)  Horssulu. 

lü)  Kaiguez.     ")  Krissa. 


Fünftes  Buch.  395 

Lorynia1);  die  Städte  Tisanusa,  Paridion  und  Larymna. 
Der  Busen  Thymnias;  das  Vorgebirge  Aphrodisias;  die 
Stadt  Hyda;  der  Busen  Schönus;  der  Bezirk  Bubassus.  Auf 
dem  Vorgebirge  liegt  die  freie  Stadt  Gnidos  2),  welche  erst 
Triopia,  dann  Pegusa  und  Stadia  hiess.  Hier  fängt  Doris  an. 
Vorher  aber  müssen  wir  die  hintern  Länder  und  die  in 
der  Mitte  liegenden  Gerichtskreise  anführen.  Der  eine  von 
ihnen  heisst  der  cibyratische.  Die  Stadt  Cibyra 3)  selbst 
gehört  zu  Phrygien.  25  Gemeinden  und  die  berühmte  Stadt 
Laodicea  4)  sind  ihr  einverleibt.  Letztere  liegt  am  Flusse 
Lycus  5),  und  der  Asopus  und  Caprus  bespülen  sie  zu  bei 
den  Seiten.  Sie  hiess  erst  Diospolis,  dann  Rhoas.  Die 
übrigen  nennenswerthen  Gemeinden  in  diesem  Kreise  sind 
die  Hydreliter,  Themisoner  6)  und  Hierapoliter  7).  Der  an- 
dere Gerichtskreis  hat  seinen  Namen  von  der  Stadt  Synnas  8) 
bekommen.  Zu  ihm  gehören  die  Lycaoner,  Appianer,  Eu- 
carponer,  Doryläer  9),  Midäer,  Julienser  und  noch  15  unbe- 
deutende Völker.  Der  Hauptort  des  dritten  Kreises  ist 
Apamea10),  welches  früher  Celänä,  dann  Cibotos  hiess.  Es 
liegt  am  Fusse  des  Berges  Signiä11),  und  wird  von  den 
Flüssen  Marsyas,  Obrimas  und  Orgas 12),  welche  sich  in  den 
Mäander13)  ergiessen,  umflossen.  Hier  kommt  der  Marsyas 
wieder  zum  Vorschein,  denn  unweit  seines  Ursprunges  ver- 
birgt er  sich  an  der  Stelle,  wo  des  Marsyas  Wettstreit  auf 
der  Flöte  mit  dem  Apollo  vorgefallen  war14),  nämlich  zu 
Aulocrenä 15) ,  einem  10,000  Schritte  von  Apamea,  nach 
Phrygien  zu  liegenden  Thale.  Aus  diesem  Kreise  verdienen 
genannt  zu  werden:  die  Metvopoliter16),  Dionysopoliter,  Eu- 
phorbener,  Acmonenser,  Peltener17)  und  Silbianer.  Die 
übrigen  9  Völker  sind  unbedeutend. 

Am  Busen  von  Doris18)  liegen  Leucopolis,  Hamaxitos, 

')  Cap  Volno.    2)  Guido.    3)  Burun. 

<)  Eski-Hissar.     5)  Diokbunar.    6)  Denislei.    7)  Bambuk-Kalesi. 

8)  Said-Gazelle.     9)  Eskischeher.     10)  Afiuni-Karahissar. 

»)  Kaldes  Tagh.     12)  Burbascha.     I3)  Bojuk-Minder. 

,4)  Ovids  Metam.  VI.  383.     ,5)  Flötenbrunnen. 

•6)  Surmina.     ,7)  Peletis.     18)  Golf  von  Simie.     • 


396  Fünftes  Buch. 

Elans  und  Eutbeue.  Dann  folgen  die  carischen  Städte  Pi- 
taium,  Eutane  und  Halicarnassus  1).  Letzterer  sind  folgende 
6  Städte  von  Alexander  dem  Grossen  einverleibt:  Thean- 
gela  2) ,  Sibde ,  Medmassa ,  Euralium ,  Pedasus  3)  und  Tel- 
messus.  Sie  liegt  zwischen  zwei  Meerbusen ,  dem  cera- 
mischen  4)  und  dem  jasischen  5).  Dann  folgt  Myndos  6),  die 
Trümmer  von  Palämyndus,  Nariendus,  Neapolis,  Caryanda  7), 
das  freie  Termera,  Bargyla  8)  und  Jasus  9),  von  der  der  ja- 
sisclie  Busen  seinen  Namen  hat. 

Carien  steht  noch  sehr  im  Rufe  seiner  vormaligen  im 
Innern  belegenen  Städte;  denn  wo  jetzt  das  freie  Mylasa10) 
und  Antiochia11)  liegen,  da  standen  früher  Symmäthos  und 
Cranaos;  jetzt  wird  diese  Gegend  vom  Mäander12)  und  Or- 
sinus 13)  umflossen.  Daselbst  lag  auch  ehemals  Mäandro- 
polis  14).  Jetzt  findet  man  Eumenia,  am  Flusse  Cludrus; 
der  Fluss  Glaucus,  die  Stadt  Lysias,  Orthosia,  die  berecyn- 
tische  Gegend,  Nysa15);  Trallis16),  welches  auch  Evanthia, 
Seleucia  und  Antiochia  heisst,  liegt  am  Flusse  Eudon  und 
wird  vom  Thebais  durchschnitten.  Nach  Einigen  sollen  da- 
selbst die  Pygmäer  gewohnt  haben.  Ausserdem  liegen  hier: 
Thydonos,  Pyrrha,  Eurane,  Heraclea 17),  Amyzon 1S),  das  freie 
Alabanda 19),  von  dem  der  Kreis  seinen  Namen  hat,  das  freie 
Stratonicea 20) ,  Hynidos ,  Ceramus 21) ,  Trözene ,  Phorontis. 
Entlegenere  Völker,  welche  zu  diesem  Gerichtsbezirke  ge- 
hören, sind:  die  Orthronienser,  Halydienser  oder  Hippiner, 
die  Xystianer,  Hydissenser,  Apolloniater,  Trapezopoliter22) 
und  die  freien  Aphrodisienser 23).  Noch  sind  zu  merken: 
Coscinus,  Harpasa24)  am  Flusse  Harpasus25),  der  auch  bei 
der  ehemaligen  Stadt  Trallicon  vorbeifloss. 


')  Budru;  Vaterstadt  des  Herodot  und  Dionysius. 

"-)  Karabaglar.   3)  Paitschin.    4)  Golf  Stanka.    5)  Askeni-Kalesi 

6)  Mentesche.     7)  Karracion.     8)  Barghili.    9)  Askem-Kalesi. 

,0)  Myllesch.     »)  Jenischeer.     12)  Bujuk-Minder.     ,3)  Jenscher. 

M)  Guzel-Hissar.     15)  Nasli.     16)  Sultanhissar. 

,7)  Am  Berge  Latmos.     18)  Ruinen  bei  Baffo.     ,9)  Karpusoli. 

-°)  Eskihissar.     21)  Keramo.    22)  Karads-je-su.    23)  Dsjera. 

'■")  Arpas-Kalesi.     25)  Tschina. 


Fünftes  Buch.  397 

30. 

Lydien1),  welches  der  vielfach  gewundene  Mäander 
durchfliesst  und  das  früher  Mäonien  hiess,  geht  über  Jonien 
hinaus,  grenzt  gegen  Osten  an  Phrygien,  gegen  Norden  an 
Mysien  und  gegen  Mittag  an  Carien.  Seinen  grössten  Ruhm 
verdankt  es  Sardes 2) ,  einer  Stadt  am  Berge  Tmolus 3), 
welcher  früher  Tinolus  hiess,  mit  Weinreben  bepflanzt  ist 
und  auf  dem  der  Pactolus,  Chrysorrhoas  und  die  Quelle 
Tarne  entspringen.  Von  den  Mäoniern  ist  die  Stadt  selbst 
Hyde  genannt  und  bemerkenswerth  durch  den  gygäischen  4) 
See.  Jetzt  heisst  dieser  Gerichtsbezirk  der  sardianische. 
Ausser  den  schon  genannten  gehören  dazu:  die  macedo- 
nischen  Caduener ,  die  Lorener ,  die  Philadelphener  5) ,  die 
die  am  Fusse  des  Tmolus,  am  Flusse  Cogamus  wohnenden 
Mäonier,  die  Tripolitaner,  welche,  sowie  die  Antoniopoliter 
am  Mäander  wohnen,  die  Apollonoshieriter ,  Mesotimoliter 
und  noch  einige  unbedeutende. 

31. 

Jonien  6)  fängt  am  jasischen  Meerbusen  an  und  dehnt 
sich  einer  noch  buchtenreichem  Küste  entlang  aus.  Ihr 
erster  Busen  heisst  der  basilische  7);  dann  folgt  das  Vor- 
gebirge Posideum  8)  nebst  einer  Stadt 9)  gleichen  Namens, 
das  Orakel,  welches  früher  das  der  Brauchiden10),  jetzt  aber 
das  des  Apollo  Didymäus  heisst  und  20  Stadien  von  der 
Küste  entfernt  ist.  180  Stadien  weiter  liegt  Milet11),  die 
Hauptstadt  von  Jonien,  vormals  Lelege'is,  Pityusa  und  Anac- 
toria genannt,  die  Gründerin  von  mehr  als  90  an  allen 
Meeren  gelegenen  Städten;  auch  dürfen  wir  ihren  Bürger 
Cadmus  nicht  übergehen,  der  zuerst  eine  prosaische  Rede 
aufzusetzen  lehrte.   Der  Fluss  Mäander  entspringt  aus  einem 


*)  Paschalik  Szarnkhan.     -)  Sart.     3)  Bergi. 

4)  Innlighol;  in  dessen  Nähe  befanden  sich  die  Gräber  der  alten 
Könige  von  Lydien. 

5)  Allascheher.     6)  Paschalik  Sighla. 

7)  Meerbusen  von  Melasso.    8)  Cap  Melasso.    »)  Melasso. 
10)  Die  Nachfolger  des  Branchos,  eines  Priesters  des  Apollo. 
")  Palatschia. 


398  Fünftes  Buch. 

See  am  Berge  Aulocrene,  fliesst  an  mehreren  Städten  vor- 
bei, nimmt  viele  Flüsse  auf  und  macht  so  viele  Krüm- 
mungen, dass  man  oft  glauben  könnte,  er  kehre  wieder  um. 
Zuerst  durchzieht  er  die  apamenische  Gegend,  dann  die 
eumenetische,  hierauf  die  bargyletischen  Ebenen  und  zuletzt 
fliesst  er  sanft  durch  Carien,  düngt  deren  Aecker  mit  frucht- 
barem Schlamme  und  ergiesst  sich  10  Stadien  von  Milet 
ruhig  ins  Meer.  Nun  folgt  der  Berg  Latmos,  die  Stadt 
Heraclea  1),  welche  von  diesem  Berge  einen  Beinamen  führt, 
Caryca,  Myus  2),  was  die  von  Athen  zuerst  eingewanderten 
Jonier  gegründet  haben  sollen,  Naulochum,  Priene  3);  der 
Fluss  Gessus  an  der  sogenannten  trogilischen  Küste  4);  die 
allen  Joniern  heilige  Gegend,  welche  daher  auch  Panjonia  5) 
heisst.  Daneben  lag  die  (wie  schon  der  Name  sagt)  von 
Flüchtlingen  gebauete  Stadt  Phygela  6),  sowie  Marathesium. 
Dahinter  Magnesia7),  bekannt  durch  ihren  vom  Mäander 
entlehnten  Beinamen  und  Tochterstadt  des  thessalischen 
Magnesia.  Ihre  Entfernung  von  Ephesus  beträgt  15,000 
Schritte,  von  Tralles  noch  3000  mehr.  Früher  hiess  sie 
Thessalocce  und  Androlitia,  und  da  sie  dicht  au  der  Küste 
liegt,  so  hat  sie  die  derasidischen  Inseln  mit  sich  vereinigt 
und  dem  Meere  entzogen.  Im  Innern  des  Landes  liegt  am 
Lycus  8)  Thyatira  9),  früher  unter  den  Namen  Pelopia  und 
Euhippia. 

An  der  Küste  aber  folgen:  Mantium,  Ephesus10),  ein 
Werk  der  Amazonen.  Diese  Stadt  hat  oft  ihren  Namen 
gewechselt.  Zur  Zeit  des  trojanischen  Krieges  hiess  sie 
Alopes,  dann  Ortygia,  Morges,  Smyrna  mit  dem  Beinamen 


')  Jotan.  2)  Wurde  schon  früh  zerstört  und  die  Einwohner 
nach   Milet  versetzt. 

3)  Samsun-Kalessi.     4)  Cap  St.  Maria. 

5)  Tshängli.  Hier  versammelten  sich  alljährlich  die  Abgeordneten 
der  12  jonischen  verbündeten  Städte. 

6)  Figela.    7)  Guzelhissar.     8)  Kodos.    9)  Akhissar. 

10)  Aja-Saluk;  sonst  eine  der  prächtigsten  Städte  in  Asien,  be- 
rühmt durch  den  Tempel  der  Diana  und  als  die  Geburtsstadt  des 
Heraclit  und  des  Malers  Parrhasias. 


Fünftes  Buch.  399 

Trachea,  Samornion  und  Ptelea.  Sie  erliebt  sich  am  Berge 
Pion  und  wird  vom  Cayster  J)  bespült,  der  auf  dem  cil- 
bianischen  Gebirge  entspringt  und  viele  Flüsse  nebst  dem 
pegaseischen  Sumpfe,  den  der  Fluss  Phyrites  zum  Abfluss 
nöthigt,  aufnimmt.  Diese  Flüsse  führen  viel  Schlamm  mit 
sich,  wodurch  sich  in  dem  Maasse  Land  ansetzt,  dass  die 
Insel  Syrie  bereits  mitten  in  den  Feldern  liegt.  In  der 
Stadt  befindet  sich  die  Quelle  Callipia  und  die  beiden  Seen 
Selinus,  welche  von  verschiedenen  Seiten  den  Tempel  der 
Diana  einschliessen.  Von  Ephesus  gelangt  man  zu  einem 
zweiten  Mantium,  im  Gebiete  der  Colophonier  und  im  Innern, 
am  Flusse  Heiasus,  liegt  Colophon  2)  selbst.  Dann  folgt 
der  Tempel  des  clarischen  Apollo  3),  ferner  Lebedos  4) ;  auch 
die  Stadt  Notium  lag  hier.  Das  Vorgebirge  Coryceon  5), 
der  150,000  Schritte  weit  ins  Meer  auslaufende  und  nach 
dem  festen  Lande  hin  in  eine  weite  Ebene  sich  verlierende 
Berg  Mimas  6).  An  dieser  Stelle  liess  Alexander  der  Grosse 
eine  7500  Schritte  lange  Strecke  durchstechen,  um  zwei 
Busen  7)  mit  einander  zu  verbinden  und  Erythrä  8)  nebst 
dem  Mimas  mit  Wasser  zu  umgeben.  Nicht  weit  davon 
lagen  die  Städte  Pteleon,  Helos  und  Dorion;  jetzt  fliesst 
daselbst  der  Aleon.  Corynäum,  das  Vorgebirge  des  Mimas, 
Clazomenä  9),  Parthenie  und  Hippi,  Chytrophoria  genannt, 
als  sie  noch  Inseln  waren,  und  die  Alexander  durch  einen 
2  Stadien  langen  Damm  mit  dem  Festlande  vereinigt  hat. 
Im  Innern  sind  untergegangen:  Daphnus,  Hermesia  und  das 
früher  Tantalis  genannte  Sipylum,  die  ehemalige  Haupt- 
stadt von  Mäonien;  jetzt  befindet  sich  der  See  Säle  an 
ihrer  Stelle.  Auch  Archäopolis,  welches  Sipylum  im  Range 
folgte,  ist  nicht  mehr,  dann  folgte  Colpe  und  nach  dieser 
Lebade. 

Kehrt  man  von  da  wieder  zurück,  so  erreicht  man  nach 
einem  Wege  von  12,000  Schritten   an   der  Küste  die  von 


»)  Kutschuk-Minder  oder  der  kleine  Mäander.    2)  Dsjili. 

3)  Zille.     4)  Lebedizi  Hissar.    5)  Kurku.    6)  Karaburun. 

7)  Den  von  Ephesus  und  von  Snryrna.     8)  Ritre.     9)  Kelismen. 


400  Fünftes  Buch. 

Amazonen  erbaute  und  von  Alexander  wiederhergestellte 
Stadt  Smyrna  1),  an  dem  nicht  weit  davon  entspringenden 
Flusse  Meles.  In  dieser  Gegend  breiten  sich  die  vorzüg- 
lichsten Berge  Asiens  aus,  wie  der  Mastusia  im  Rücken 
von  Smyrna  und  der  Termitis,  welcher  bis  zu  dem  Fusse 
des  Olympus  2)  reicht.  Dieser  stösst  an  den  Draco ,  der 
Draco  an  den  Tmolus,  der  Tmolus  an  den  Cadmus  3)  und 
dieser  an  den  Taurus.  Bei  Smyrna  schwemmt  der  Her- 
mus 4)  Land  heran  und  giebt  ihm  seinen  Namen.  Er  ent- 
springt bei  Doryleum  5),  einer  Stadt  in  Phrygien,  und  nimmt 
viele  Flüsse  auf,  unter  andern  auch  den  Phryx,  der  dem 
anwohnenden  Volke  den  Namen  gegeben  hat  und  dessen 
Gebiet  von  Carien  scheidet;  ferner  den  Hyllus  und  Cryos, 
die  selbst  durch  andere  Flüsse  Phrygiens,  Mysiens  und  In- 
diens verstärkt  werden.  An  der  Mündung  des  Hermus  lag 
vormals  die  Stadt  Temnos  6);  jetzt  sieht  man  am  äussersten 
Ende  des  7)  Meerbusens  die  myrmecischen  Felsen;  die  Stadt 
Leuce,  an  einem  Vorgebirge,  welches  früher  eine  Insel  war, 
und  Pbocäa  s)  bilden  den  Grenzpunkt  von  Jonien. 

Zum  smyrnaischen  Gerichtsbezirke  gehört  ein  grosser 
Theil  Aeoliens,  von  dem  bald  die  Rede  sein  wird,  ausser- 
dem noch  die  hyrcanischen  Macedonier  und  die  Magneter  9) 
am  Sipylus.  Nach  Ephesus  aber,  dem  andern  berühmten 
Gerichtsbezirke  Asiens,  gehören  die  entfernten  Cäsarienser, 
Metropoliter 10) ,  untern  und  obern  Cilbianer  u) ,  Mysomace- 
donier,  Mastaurenser,  Briulliter,  Hypäpener12)  und  Dios- 
hieriter. 

32. 

Nun  folgt  zunächst  Aeolien13),  welches  früher  Mysien 
hiess,  und  das  am  Hellesponte  liegende  Troas.  Von  Pbocäa 
ab  gelangt  man  zuerst  zum  Hafen  Ascanius.  Weiterhin  lag 
ehemals   Larissa14),  jetzt  sind  dort   Cyme15)   und  Myrina, 


»)  Ismir.    -)  Keschisch-Dagh.    3)  Baba-Dagh.     '')  Sarabat. 
5)  Eskischeber.     6)  Memmen.     7)  smyrnaischen.     8)  Fokia. 
»)  Manissa.     >°)  Tireh.     »)  Durgut.     l2)  Tappui. 
,3)  Paschalik  Aidin.     ")  Larusar.     ,5)  Nemourt. 


Fünftes  Buch.  401 

welche  letztere  sich  auch  Sebastopolis  nennt.  Im  Innern: 
Aegä  *),  Attalia  2),  Posidea,  Neontichos,  Temnos  3).  An  der 
Küste  ist  der  Fluss  Titanus  und  ein  nach  ihm  benanntes 
Städtchen.  Statt  der  frühem  Stadt  Grynia  sind  nur  noch 
zwei  Häfen  auf  einer  mit  dem  Festlande  verbundenen  Insel 
vorhanden.  Die  Stadt  Eläa 4)  und  der  aus  Mysien  kom- 
mende Fluss  Caicus  5).  Die  Stadt  Pitane  6)  und  der  Fluss 
Ganaius.  Nicht  mehr  vorhanden  sind:  Canä  7),  Lysimachia, 
Atarnea8),  Carene,  Cisthene  9),  Cilla10),  Cocylium,  Thebe, 
Astyre,  Chrysa,  Paläscepsis,  Gergithos,  Neandros;  jetzt  liegt 
daselbst  der  Flecken  Pefperene,  die  Landschaft  Heracleot.es, 
die  Stadt  Coryphas.  Die  Flüsse  Geylios  und  Ollius;  der 
Bezirk  Aphrodisias,  der  früher  Politice  Orgas  hiess,  der  Be- 
zirk Scepsis;  der  Fluss  Evenus,  an  dessen  Ufern  die  jetzt 
verschwundenen  Städte  Lyrnessos  und  Miletos  lagen.  Hier 
erhebt  sich  auch  der  Berg  Ida.  An  der  Küste  liegt  die 
ehemals  Pedasus  genannte  Stadt  Adramytteos11),  nach  (lei- 
der Busen  und  Kreis  benannt  ist.  Flüsse:  der  Astron,  Cor- 
nialos,  Criamos,  Alabastros  und  der  vom  Ida  kommende 
Hieros.  Im  Innern  liegt  der  Berg  Gargara  und  eine  Stadt 
gleichen  Namens.  Wiederum  an  der  Küste:  Antandros 12), 
früher  Edonis ,  dann  Cimmeris  genannt  und  Asses 13)  oder 
Apollonia.  Hier  lag  auch  die  Stadt  Palamedium.  Das  Vor- 
gebirge Lecton  M),  welches  Aeolis  von  Troas  scheidet.  Auch 
der  Flecken  Polymediä,  Chrysa  und  noch  ein  anderes  La- 
rissa  standen  hier.  Der  smintheische  Tempel 15)  ist  noch 
vorhanden.  Colone  im  Innern  ist  untergegangen.  Zu  Adra- 
mytteos führen  ihre  Rechtshändel:  die  am  Flusse  Rhynda- 
cus16)  wohnenden  Apolloniater 17),  dieErizier,  Miletopoliter13), 
Pämaneuer,  asculacischen  Macedonier,  Polichnäer,  Piouiter, 


*)  Guzel-Hissar.     2)  Italieh.    3)  Menimen.    4)  Jalea. 

3)  Girmaki.     «)  Sanclarlik.    7)  Kanot-Köi.     *)  Dikeli-Köi. 

»)  Kidonia.     ,0)  Zeizeli-Küi.     ")  Adramiti. 

n)  Antandro.     13)  Asso.     '*)  Cap  Baba. 

,5)  Des  Apollo.     ,6)  Lubad. 

")  Abellionte.     ,8)  Bali-Kesri. 

26 


402 


Fünftes  Buch. 


mandacadenischen  Cilicier  und  in  Mysien  die  Abrettiner, 
die  auch  Hellespontier  heissen,  und  andere  unbedeutende 
Völker. 

33. 
Der  erste  Ort  in  Troas  *)  heisst  Hamaxitos  2) ,  dann 
folgt  Cebrenia,  Troas  3)  selbst,  das  Antigonia  genannt  wurde, 
jetzt  aber  unter  dem  Namen  Alexandria  eine  römische  Co- 
lonie  ist.  Die  Stadt  Nee.  Der  schiffbare  Fluss  Scaman- 
der 4) ,  und  an  einem  Vorgebirge 5)  die  ehemalige  Stadt 
Sigeum.  Dann  der  Hafen  der  Achäer,  in  den  sich  der  mit 
dem  Simois 6)  vereinigte  Xanthus  7)  ergiesst ,  sowie  auch 
der  Paläscamander ,  der  vorher  einen  See8)  bildet.  Von 
den  übrigen  von  Homer  9)  angeführten  Städten  Rhesus,  Hep- 
taporus,  Caresus  und  Rhodius  ist  keine  Spur  mehr  vorhan- 
den. Der  Granicus 10)  fliesst  in  einer  andern  Richtung  in 
den  Propontis.  Doch  besteht  noch  jetzt  der  kleine  Flecken 
Scamandria  und  1500  Schritte  vom  Hafen  entfernt  das  steuer- 
freie Ilium n) ,  von  dem  der  ganze  Ruhm  jener  Begeben- 
heiten ausging.  Ausserhalb  des  Busens  liegt  die  rhöteische 
Küste  mit  den  Städten  Rböteum,  Dardanium12)  und  Arisbe. 
Auch  existirte  eine  Stadt  Achilleon,  welche  neben  dem  Grabe 
des  Achilles  von  den  Mityleniern  und  nachmals  von  den 
Atheniensern  am  Vorgebirge  Sigeum 13),  wo  Achill's  Flotte 
gestanden  hatte,  erbauet  war.  Aeantium,  von  den  Rhodiern 
erbauet,  lag  auf  der  andern  Landspitze,  beim  Grabmale 
des  Ajax,  30  Stadien  von  Sigeum,  da  wo  dessen  Flotte  vor 
Anker  lag. 


»)  PaschaUk  Bigha.    2)  Messi.    3)  Eski  Stambul. 

4)  Skamandro.     5)  Cap  Jenischeher.     6)  Mendre-Su. 

')  Ist  mit  dem  Scamander  ein  und  derselbe  Fluss. 

8)  Stomalimne.     9)  Iliade  XII.  20. 

10)  Uetwola,  berühmt  durch  Alexanders  ersten  Sieg  über  die 
Perser. 

")  Wurde  1184  v.  Chr.  von  den  Griechen  zerstört.  Die  bei  dem 
Dorie  Bunar-Baschi  liegenden  Ruinen  sind  von  dem  spätem,  von 
Alexander  dem  Grossen  erbaueten  llium. 

'-)  Gallipoli.     13)  Cap  Jenischeher. 


Fünftes  Buch.  4Q3 

Ueber  Aeolieu  und  Troas,  mitten  im  Lande,  liegt  der 
Bezirk  Teutbrania,  welchen  die  Mysier  vormals  in  Besitz 
hatten.  Dort  entspringt  der  schon  genannte  Fluss  Caicus. 
Das  dortige  Volk  war  schon  sehr  mächtig,  als  noch  das 
ganze  Land  Mysien  genannt  wurde;  und  ich  bemerke  da- 
von: Pioniä,  Andera,  Cale,  Stabulum,  Conisium,  Tegium, 
Balcea,  Tiare,  Teuthranie,  Sarnaca,  Haliserne,  Lycide,  Par- 
thenium,  Thymbre,  Oxyopum,  Lygdamum,  Apollonia  l)  und 
Pergamum  2) ,  eine  der  berühmtesten  Städte  Asiens ,  durch 
welche  der  Selinus  fliesst,  und  wo  der  vom  Berge  Pinda- 
sus  kommende  Cetius  vorbeifliesst.  Nicht  weit  davon  liegt 
Eläa,  die  wir  bereits  bei  der  Küste  genannt  haben.  Der 
Gerichtsbezirk  dieser  Gegend  heisst  der  pergamenische  und 
zu  ihm  gehören:  die  Thyatirener,  Mygdoner,  Mosyner,  Breg- 
menter,  Hieracometer,  Perperener,  Tiarener,  Hierolophienser, 
Hermocapeliter ,  Attalenser,  Pantänser,  Apollonidienser 3) 
und  andere  unbedeutende.  Von  Rhoeteum  liegt  die  kleine 
Stadt  Dardanium  70  Stadien  entfernt.  Von  hier  bis  zum 
Vorgebirge  Trapeza,  wo  der  Hellespont  anfängt,  sind  es 
18,000  Schritte. 

Nach  Eratosthenes  sind  folgende  Völker  untergegangen; 
die  Solymer,  Leleger,  Bebrycer,  Colycantie\  Tripseder: 
nach  Isidorus  die  Arimer  und  Capreter,  welche  da  wohnten, 
wo  Apamea  4)  vom  König  Seleucus  zwischen  Cilicien,  Cappa- 
docien,  Cataonien  und  Armenien  erbauet  ist,  und  diese  Stadt 
soll,  weil  sie  die  wildesten  Völker  bezwungen  hatte,  anfangs 
Damea  genannt  worden  sein. 

34. 

Die  erste  unter  den  Inseln  vor  Asien  liegt  in  der 
canopischen  Mündung  des  Nils  und  hat  (wie  man  sagt)  ihren 
Namen  vom  Canopus,  dem  Steuermanne  des  Menelaus.  Eine 
andere,  durch  eine  Brücke  mit  Alexandrien  verbunden,  ist 


')  Bairam.     2)  Bergainah.     s)  Balamonte.. 

4)  Fanrieh,  auf  einer  Insel  des  Orontes  (Nähr  el  Asi)   13  Meilen 
südlich  von  Antiochia. 

26* 


404 


Fünftes  Buch. 


eine  Colonie  des  Dictators  Cäsar  und  heisst  Pharos 1). 
Früher  war  sie  eine  Seetagereise  von  Aegypten  entfernt; 
jetzt  befindet  sich  auf  ihr  ein  Leuchtturm,  der  des  Nachts 
die  Fahrt  der  Schiffe  leitet,  denn  wegen  der  gefährlichen 
Untiefen  kann  man  überhaupt  nur  auf  3  Wegen,  dem  stega- 
nischen,  posideischen  und  taurischen,  nach  Alexandrien  ge- 
langen. 

Dann  folgt  im  phönicischen  Meere  vor  Joppe  die  Insel 
Paria,  die  eigentlich  nur  eine  Stadt  bildet  und  auf  welcher 
Andromeda  dem  Seeungeheuer  vorgeworfen  sein  soll 2). 
Ferner  die  schon 3)  genannte  Insel  Arados ,  zwischen  der 
und  dem  Festlande,  aus  einer  Tiefe  von  50  Ellen  (wie 
Mucian  erzählt)  süsses  Wasser  aus  einer  Quelle  "mittelst 
einer  ledernen  Röhre  heraufgezogen  wird4). 

35. 

Das  pamphylische  Meer  enthält  nur  unbedeutende  In- 
seln. Im  cilicischen  liegt  Cyprus5),  eine  der  5  grössten 
Inseln6);  sie  ist  mit  ihrer  Ost-  und  Westseite  nach  Cilicien 
und  Syrien  gerichtet  und  war  einst  der  Sitz  von  9  König- 
reichen. Ihr  Umfang  beträgt  nach  Timosthenes  427,500, 
nach  Isidorus  375,000  Schritte.  Die  Länge  zwischen  den 
beiden  Vorgebirgen  Dinä  7)  und  Acamas  8),  welches  letztere 
das  westliche  ist,  giebt  Artemidorus  auf  162,500,  Timosthe- 
auf  200,000  Schritte  an.  Nach  Philonides  9)  hiess  sie  früher 
Acamantis;  nach  Xenagoras  Cerastis10),  Aspelia,  Ainathusia 
und  Macaria11);  nach  Astynomus12)  Cryptos  und  Colinia. 
Folgende  15  Städte  liegen  auf  ihr:   Nea  Paphos13),   Palä- 


*)  Die    Inseln    Canopus  und    Pharus   sind  jetzt   mit    dem  festen 
Lande  verbunden. 

2)  S.  im  14.  Cap.     3)  Im  19.  Cap. 

4)  Darüber  im  XXXI.  B.  37.  Cap.    5)  Cypern. 

6)  Im  mittelländischen  Meere.     8)  S.  Andreas.     8)  S.  Epiphani. 

9)  Unbekannter  Schriftsteller. 

,0)  D.  h.  die  Gehörnte,  wegen  der  vielen  Landspitzen. 

")  Wegen  ihrer  Fr  achtbarkeit:   Die  Gesegnete. 

'-)  Unbekannt.    '»)  Baffa. 


Fünftes  Buch.  405 

paphos  x) ,  Curias  8) ,  Citium  3) ,  Corineum  4) ,  Salamis  5), 
Amathos6),  Lapethos7),  Solo8),  Tamaseus,  Epidarum 9), 
Chytri10),  Arsinoe11),  Carpasium 12)  und  Golgi.  Cinyria, 
Marium  und  Idaliuni  existiren  nicht  mehr.  Von  Anemurium 
in  Cilicien  ist  sie  50,000  Schritte  entfernt  uud  das  dazwischen 
liegende  Meer  heisst  Aulon  cilicium13).  Hier  befindet  sich 
auch  die  Insel  Eleusa  und  vor  dem  Syrien  gegenüber  lie- 
genden Vorgebirge14)  die  4  clidischen  Inseln;  vor  der  andern 
Landspitze15)  aber  Stiria;  Neapaphos  gegenüber  Hierocepia 
und  nach  Salamis  hin  die  salaminischen  Inseln. 

Im  lycischen  Meere  liegen:  Illyris,  Telendos ,  Attele- 
bussa,  die  3  unfruchtbaren  cyprischen  und  Dionysia,  welche 
früher  Caretha  hiess.  Dann  folgen,  dem  Vorgebirge  16)  des 
Taurus  gegenüber,  die  den  Seefahrern  gefährlichen  3  che- 
lidonischen 17).  Hierauf:  Leucolla  mit  einer  Stadt,  die  Pac- 
tyen,  Lasia,  Nymphais,  Macris,  Megista18),  deren  Stadt 
untergegangen  ist  und  noch  viele  unbedeutende.  Chimäia 
gegenüber  liegen  Dolichiste19),  Chirogylium,  Crambussa 20), 
Rhoge21),  Enagora,  8000  Schritte  gross,  die  beiden  däda- 
lischen,  die  3  crye'ischen,  Strongyle,  Sidyma22)  gegenüber 
die  Insel  des  Antiochus,  dem  Flusse  Glaucus  gegenüber 
Lagussa,  Macris,  die  Didymen,  Helbo,  Scope,  Aspis  und  Te- 


J)  Eski-Baffa.    2)  Piscopia.    3)  Chiti.    4)  Cerines. 

5)  Porto  Constanza.  Sie  wurde  von  Teucer  erbauet,  als  ihn  nach 
der  Rückkehr  von  Troja  der  Schwur  seines  Vaters  aus  dem  Vater- 
lande verbannte. 

6)  Limesol.    7)  Lapta. 

8)  SoHa.  Hier  hatten  sich  viele  Athener  angesiedelt,  deren 
Sprache  durch  den  Umgang  mit  den  Eingebornen  verdorben  wurde; 
daher  heisst  jeder  schlechte,  verdorbene  Dialect  Solöcismus. 

9)  Pitarenü.     ,0)  Cherkes. 

n)  Mehrere  Städte  auf  Cypern  führten  diesen  Namen;  an  der 
Stelle  der  einen  steht  jetzt  Alessandretta,  und  an  der  einer  andern 
Aryes. 

12)  Karpas.     I3)  Die  cilicische  Strasse.     I4)  Dinaretum. 

,s)  Acamas.     ,6)  Cap  Chehdoni.     ")  Icole  Correnti. 

'*)  Kastelorizo.     ,9)  Kakava.     20)  Grambusa.    21)  Kastei  Rosso. 

22)  In  Lycien. 


406  Fünftes  Buch. 

landria,   deren  Stadt  untergegangen  ist.     Dem  Caunus  zu- 
nächst liegt  Rbodussa. 

36. 

Aber  am  schönsten  ist  die  freie  Insel  Rhodus,  welche 
125,000,  oder  wenn  wir  lieber  dem  Isidorus  Glauben  schenken 
wollen,  103,000  Schritte  im  Umfange  hat.  Auf  ihr  liegen 
die  Städte  Lindus  *),  Camirus  2)  und  Jalysus,  die  jetzt  Rho- 
dus 3)  heisst.  Nach  Isidorus  beträgt  ihre  Entfernung  von 
Alexandrien  in  Aegypten  583,000  Schritte,  nach  Eratosthe- 
nes  469,000,  nach  Mucianus  500,000,  von  Cypern  aber 
166,000.  Vormals  hiess  sie  Ophiusa,  Asteria,  Aethräa,  Tri- 
nacria,  Corymbia,  Pöressa,  Atabyria  nach  einem  Könige, 
Macaria  und  Aloessa.  Inseln,  die  dem  Rhodern  gehören, 
sind:  Carpathus  4),  von  der  das  Meer  den  Namen  hat,  Ca- 
sos  5)  ehemals  Achne,  Nisyros  6),  welche  von  Gnidus  12,500 
Schritte  entfernt  ist  und  früher  Porphyris  hiess.  Mitten 
zwischen  Rhodus  und  Gnidus  liegt  Syme  7),  mit  einem  Um- 
fange von  37,500  Schritten  und  8  bequemen  Häfen.  Ausser- 
dem liegen  um  Rhodus:  Cyclopis,  Steganos,  Cordylussa  8), 
die  4  Diabeten,  Hymos ,  Chalce  9)  mit  einer  Stadt,  Seut- 
lussa,  Narthecussa,  Dimastos,  Progne;  hinter  Gnidus:  Cisse- 
russa,  Therionarce,  Calydne10)  mit  den  3  Städten  Notium, 
Nisyrum  und  Mendeterum ,  und  auf  Arconnesus  die  Stadt 
Ceramus.  An  der  Küste  von  Carien  liegen  die  sogenannten 
argischen  Inseln,  20  an  der  Zahl,  ferner  Hyrtussa,  Lepsia11) 
und  Leros12). 

Die  berühmteste  in  diesem  Meerbusen  ist  Cos 13)  15,000 
Schritte  von  Halicarnassus  entfernt  und  100,000  Schritte 
im  Umfange.  Wie  die  Meisten  glauben,  hat  sie  früher  Me- 
rope  geheissen,  nach  Staphylus 14)  aber  Cea,  nach  Dionysius 
Meropis,  später  Nymphäa.  Auf  ihr  liegt  der  Berg  Prion. 
Nisyros ,    die   vorhin    auch    unter    dem    Namen    Porphyris 


')  Lindo.     2)  Camiro.     3)  Rhodes.     4)  Scarpanto.     5)  Caso. 
6)  Nisari.     Sie  wurde  mit  zu  den  Sporaden  gezählt.     7)  Synii. 
8)  S.  Catharina.     9j  Chalki.     I0)  Calamine.     ")  Lipso. 
'*)  Lero.     I3)  Ko,    auch    Stanko.     M)  Arzt    aus    Naucratis,    über 
dessen  Lebensverhältnisse   nichts  weiter  bekannt  ist. 


Fünftes  Buch.  407 

aufgeführt  ist,  soll  von  Cos  abgerissen  sein.  Dann  folgt 
Caryanda  *)  mit  einer  Stadt,  Pidosus,  nicht  weit  von  Hali- 
carnassus.  Im  ceramisehen  Busen 2)  aber:  Priaponnesos, 
Hipponnesos,  Psyra3),  Mya,  Lampsa,  Aemindus,  Passala, 
Crusa,  Pyrrhe,  Sepiussa,  Melano  und  in  geringer  Entfer- 
nung vom  Festlande:  Cinädopolis  4),  weil  der  König  Alexan- 
der dergleichen  lasterhafte  Menschen  hier  zurückliess. 

37. 

An  der  jonischen  Küste  liegen  Tragiä,  die  Corseen  und 
Icaros,  von  der  schon  die  Rede  war5),  Lade,  früher  Late 
genannt,  und  unter  den  unbedeutendem  die  beiden  Came- 
liden  nahe  bei  Milet;  bei  Mycale  die  3  trogilischen  Inseln 
Philion,  Argennos  und  Sandalios;  die  freie  Insel  Samos  6) 
87,000  Schritte,  oder  nach  Isidorus  100,000  im  Umfange. 
Nach  Aristoteles  hiess  sie  zuerst  Parthenia,  dann  Dryussa 
und  darauf  Anthemussa.  Aristocritus  7)  fügt  noch  die  Na- 
men Melamphyllus  und  Cyparissia  hinzu;  Andere  nennen 
sie  Parthenoarussa  und  Stephane.  Die  Flüsse  auf  derselben 
sind  Imbrasus,  Chesius,  Ibettes;  Quellen:  Gigartho  und  Leu- 
cothea.  Der  Berg  Cercetius  8).  In  der  Nähe  liegen  die  In- 
seln Rhypara,  Nymphäa  und  Achilläa. 

38. 

Gleiche  Berühmtheit  mit  Samos  hat  die  94,000  Schritte 
davon  entfernte  freie  Insel  Chios  9)  mit  einer  Stadt.  Ephö- 
rus  nennt  sie  mit  ihrem  alten  Namen  Aethalia;  nach  Me- 
trod  orusund  Cleobulus10)  heisst  sie  Chia,  entweder  von  der 
Nymphe  Chione  oder  vom  Schnee,  sonst  auch  Macris  und 
Pityusa.  Der  auf  ihr  befindliche  Berg  Pellinäus  liefert  den 
bekannten  chiischen  Marmor.  Nach  den  älteren  Schrift- 
stellern hat  sie  einen  Umfang  von  125,000  Schritten,  nach 
Isidorus  noch  9000  mehr.  Sie  liegt  zwischen  Samos  und 
Lesbos,  Erythrä  gerade  gegenüber. 


*)  Coracöion.    2)  Golf  von  Castel  Marniora.    3)  Ipsera. 

4)  Knabenschänderstadt.     5)  Im  IV.  B.  23.  Cap. 

6)  Susam-Adasi.    7)  Unbekannt.     8)  Kertlis.    9)  Skio. 

10)  Einer  der  7  Weisen,  aus  Lindus  auf  Rhodus,  st.  um  560  v.  Chr. 


Fünftes  Buch. 


Ganz  in  der  Nähe  liegen:  Thaliusa,  welche  Eiuige  auch 
Daphnusa  schreiben ,  Oenussa  x) ,  Elaphitis ,  Euryanassa, 
Arginusa  mit  einer  Stadt;  diese  und  die  sogenannten  Pisi- 
straten  Antbinä,  Myonnesos  2)  Diarrheusa  liegen  um  Ephe- 
sus;  auf  den  beiden  letztern  sind  keine  Städte  mehr  vor- 
handen. Peroselene  mit  einer  Stadt,  Cerciä,  Halone  3),  Com- 
moue,  Illetia;  Lepria,  Rbesperia,  die  Procusä,  Balbulä,  Phanä, 
Priapos ,  Syce,  Melane,  Aenare,  Sidusa,  Pela,  Drymusa, 
Anhydros,  Scopelos,  Sycussa,  Marathussa,  Psile,  Perirrheusa 
und  viele  andere  unbedeutende.  Berühmt  aber  ist  die  im 
hohen  Meere  liegende  Insel  Teos  4)  mit  einer  Stadt,  71,500 
Schritte  von  Chios  und  ebensoweit  von  Erythrä  entfernt. 

Bei  Smyrna  liegen  die  Peristeriden:  Carteria,  Alopece, 
Eliiusa,  Bachina,  Pystira,  Crommyonesos,  Megale.  Vor  Troas 
die  ascanisclien  und  die  3  plateischen  Inseln;  feiner  die 
Lamien,  die  2  plitanischen,  Plate,  Scopelos,  Getone,  Artlie- 
don,  die  Cola,  Lagussä  und  Didymä. 

39. 

Sehr  berühmt  ist  ferner  die  65,000  Schritte  von  Chios 
entfernte  Insel  Lesbos5),  früher  Himerte,  Lasia,  Pelasgia, 
Aegira,  Aethiope,  Macaria  genannt.  Sie  hatte  9  berühmte 
Städte,  von  denen  aber  Pyrrha  6)  vom  Meere  verschlungen, 
Arisbe  durch  ein  Erdbeben  zerstört  und  Antissa  mit  Me- 
thymna  7)  vereinigt  ist;  letztere  liegt  von  9  Städten  Asiens 
37,000  Schritte  entfernt.  Auch  Agamede  und  Hiera  sind 
nicht  mehr.  Nur  Eresos  8) ,  Pyrrha  9)  und  das  freie  Myti- 
lene10),  was  bereits  1500  Jahre  lang  blühet,  existiren  noch. 
Die  ganze  Insel  hat  nach  Isidorus  einen  Umfang  von  168,000, 
nach  altern  Schriftstellern  aber  von  195,000  Schritten.  Die 
auf  ihr  befindlichen  Berge  heissen:  Lepethymnus11),  Ordym- 
nus  ,   Macistus ,   Creon  und  Olympus.    Vom  nächsten  Fest- 

')  Spalmadori.     s)  Jalanghi-Liman.     3)  Aloni. 
')  Diese  giebt  Strabo    als  Halbinsel  an.     Jetst  hängt  sie   auch 
i.i it  dem  Festlande  zusammen.    Die  Stadt  heisst  Bodrun. 
')  Metelino.    ,;)  Cop,  bei  dem  jetzigen  Hafen  Caloni. 
~\  Molivo. 
8)  Eresso.    »)  Kaloni.     ><>)  Castros.     1!)  Leptimo. 


Fünftes  Buch.  409 

lande  ist  sie  7500  Schritte  entfernt.  In  der  Nähe  liegen 
die  Inseln  Sandaleon  und  die  5  leucischen,  von  denen 
Cydonea  warme  Quellen  hat.  Die  Argenussen  liegen  von 
Aege  4000  Schritte  weit.  Dann  Phellusa  und  Pedna.  Noch 
ausserhalb  des  Hellespontes,  dem  sigeischen  Ufer  gegen- 
über, liegt  Tenedus  x),  auch  Leucophrys,  Phönice  und  Lyr- 
nessos  genannt.  Ihre  Entfernung  von  Lesbos  beträgt  56,000, 
von  Sigeum  12,500  Schritte. 

40. 
Nun  nimmt  der  Hellespont  seinen  Anfang,  das  Meer 
stemmt  sich  gegen  das  Land,  wühlt  mit  seinen  Wogen  einen 
Weg  aus,  und  trennt  so  Asien  von  Europa.  Das  hier  lie- 
gende Vorgebirge  haben  wir  Trapeza 2)  genannt;  10,000 
Schritte  davon  liegt  die  Stadt  Abydus  3),  wo  die  Meerenge 
7  Stadien  breit  ist.  Dann  folgt  die  Stadt  Percote  4)  und 
Lampsacus  5) ,  vormals  Pityusa  genannt.  Die  Colonie  Pa- 
rium  6),  welche  Homer  7)  Adrastia  nennt.  Die  Stadt  Pria- 
pus  8),  der  Fluss  Aesopus  9),  Zelia 10),  Propontis  n)  (nämlich 
die  Gegend,  wo  sich  das  Meer  wieder  erweitert);  der  Fluss 
Granicus 12),  der  Hafen  Artace 13),  wo  früher  eine  Stadt  war. 
Weiterhin  eine  Insel,  die  Alexander  mit  dem  Festlande  ver- 
bunden hat,  und  auf  welcher  die  milesiche  Stadt  Cyzicum14) 
liegt;  vormals  hiess  die  Insel  Arctonnesos,  Dolionis  und  von 
ihrer  höchsten  Bergspitze  Dindymus  auch  Dindymis.  Dann 
kommen  die  Städte:  Piacia15),  Ariace,  Scylace16),  in  deren 
Rücken  der  Berg  Olympus17),  genannt  der  mysische,  sich 
erhebt;  das  Städtchen  Olympena,  die  Flüsse  Horisius18) 
und    der   vormals   Lycus    geuannte    Rhyndacus 19).     Dieser 


')  Bokdsja-Adasi.    2)  Ras-Abydos. 

3)  Bei  Nagara,  an  der  Stelle  der  asiatischen  Dardanellen. 
*)  Bergas.     5)  Lanipsak.     6)  Kemares.     7)  Illiade  II.  335. 
*)  Karaboa.     9)  Sataldere.     ,0)  Kileh.     ")  Mannora-Meer. 
12)  Ustwola.     13)  Artaköi. 

")  War  eine  der  schönsten  Städte  Asiens,  Ruinen  davon  findet 
man  in  der  Nähe  von  Artaki. 

1S)  Panerino.     ,6)  Siki.     I7)  Kesahisch-Dagh. 
18)  Lartacho.     19)  Lubad. 


4X0  Fünftes  Bucb. 

entspringt  aus  dem  See  Artynia  bei  Miletopolis  1),  nimmt 
den  Macestos  2)  und  mehrere  andere  Flüsse  auf  und  schei- 
det (Klein-)  Asien  von  Bithynien.  Letzteres  Land  hatte 
auch  die  Namen  Cronia,  dann  Thessalis,  Maliande  und  Stry- 
monis.  Die  Bewohner  dieses  Küstenlandes  nennt  Homer  3) 
Halizonä,  weil  sie  vom  Meere  umgürtet  sind.  Auch  eine 
sehr  bedeutende  Stadt  Namens  Attusa  lag  hier;  jetzt  trifft 
man  12  Flecken,  von  denen  Gordiucome  4)  oder  Juliopolis, 
und  Dascylos  5)  an  der  Küste  zu  bemerken  sind.  Sodann 
der  Fluss  Gelbes  und  im  Innern  die  Stadt  Helgas,  die  auch 
Germanicopolis  und  Booscoete  heisst;  Apamea  heisst  jetzt 
das  colophanische  Myriea6);  der  Fluss  Etheleus,  die  alte 
Grenze  zwischen  Troas  und  Mysien.  Hierauf  ein  Busen, 
in  den  der  Fluss  Ascanius  fällt;  die  Stadt  Bryllion;  die 
Flüsse  Hylas  und  Cios  mit  einer  Stadt  gleichen  Namens  7), 
welche  einen  Stapelplatz  des  nahen  Phrygiens  bildete.  Sie 
wurde  zwar  von  Milesiern  angelegt,  allein  in  einer  Gegend, 
welche  das  phrygische  Ascanien  hiess;  daher  konnte  sie 
nicht  wohl  anderswo  aufgeführt  werden. 

41. 
Phrygien8)  liegt  hinter  Troas  und  den  vom  Vorge- 
birge Lectum 9)  an  bis  zum  Flusse  Etheleus  vorher  ge- 
nannten Völkern,  und  wird  nördlich  von  Galatien,  südlich 
von  Lycaonien,  Pisidien  und  Mygdonien  und  östlich  von 
Cappadocien  begrenzt,  Ausser  den  schon 10)  genannten 
Städten  befinden  sich  darin  noch  folgende  bemerkenswerthe: 
Ancyra11),  Andria,  Celänä12),  Colossä13),  Carina,  Cotya'ion14), 
Ceranä15),  Conium16),  Midaion.  Nach  einigen  Schriftstellern 
sollen  die  Moser,  Bryger  und  Thyner  aus  Europa  hier  ein- 
gewandert sein,  und  die  Veranlassung  zu  den  Namen  Mysier, 
Phrygier  und  Bithynier  gegeben  haben. 


')  Bali  Kessri.    2)  Susugherli.     3)  Iliade  II.  856. 

4)  Kiostebe.    5)  Eskil.    6)  Mundania.    7)  Dscheinlok. 

8)  Die  Paschaliks  Kutahia  und  Sultan  Oegm.     9)  Baba. 

,0)  Im  29.  und  30.  Cap.     1J)  Enghir.     12)  Ischekleh.     ,3)  Konus. 

")  Kiuta'i'e.     •*)  Sandakleb.     16)  Chonas. 


Fünftes  Buch.  411 

42. 

Es  wird  passend  sein,  hier  gleich  auch  Galatien1) 
abzuhandeln,  welches  oberhalb  Phrygien  liegt,  und  den 
grössten  Theil  des  flachen  Landes  von  Phrygien  ausmacht. 
Gordium 2)  war  einst  die  Hauptstadt  darin.  Die  Gallier, 
welche  sich  einst  hier  niedergelassen  hatten,  wurden  Tolisto- 
boger,  Voturer  und  Ambituer,  die  aber  in  Mäonien  und  Pa- 
phlagonien  wohnten,  Trocmer  genannt.  Gegen  Norden  und 
Osten  breitet  sich  Cappadocien  aus,  dessen  fruchtbarsten 
Theil  die  Tectosager  und  Teutobodiacer  inne  haben.  Diess 
sind  die  Völkerstämme;  die  Zahl  aller  Gemeinden  und  Te- 
trarchien  beläuft  sich  auf  195.  Städte:  der  Tectosagen, 
Ancyra  3);  der  Trocmer,  Tavium  4);  der  Tolistoboger,  Pesi- 
nus  5).  Ausserdem  verdienen  noch  genannt  zu  werden:  die 
Attalenser,  Arasenser,  Comenser,  Didienser,  Hierorenser, 
Lysterner,  Neapolitaner,  Oeandenser,  Seleucenser,  Sebaste- 
ner,  Timoniacenser,  Thebasener.  Galatien  grenzt  auch  an 
Cabalien  in  Pamphylien,  sowie  an  die  um  Baris  6)  wohnen- 
den Milyer,  ferner  an  den  cy  Nautischen  und  oroandischen 
Distrikt  in  Pisidien;  und  an  Obizene,  einen  Theil  von  Ly- 
caonien.  Flüsse  dieses  Landes  sind  ausser  den  schon  ge- 
nannten 7):  der  Sangarius  8)  und  Gallus  9),  von  welchem  die 
Priester  der  Mutter  der  Götter10)  ihren  Namen  haben. 

43. 

Nun  wollen  wir  den  Rest  der  Küstenstrecke  besprechen. 
Vom  Cius  an  folgt  im  Innern  Bithyniens  Prusa u)  am 
Fusse  des  Olympus,  von  Hannibal  erbauet.  Von  da  bis 
Nicäa12)  sind  25,000  Schritte,  und  dazwischen  liegt  der  See 
Ascanius 13).  Dann  folgt  Nicäa  am  äussersten  Endedes  asca- 
nischen  Busens,  früher  Olbia  genannt;   hierauf  ein  zweites 


')  Die  Paschaliks  Anguri  und  Kanghri. 

2)  Hier  löste  Alexander  den  bekannten  gordischen  Knoten. 

3)  Anguri.     4)  Gukurthoi.     5)  Bosan.    6)  Is  Barteh. 

7)  Caystrus,  Rhyndacus,  Cios  etc.    8)  Sacarja.    9)  Gatipo. 
,0)  Cybele,  die  besonders  in  Phrygien  verehrt  wurde. 
»)  Bursa.     12)  Isnik.     ,3)  Isnik. 


412 


Fünftes  Buch. 


Prusa  *)  am  Fusse  des  Berges  Hypius.  Untergegangen  sind: 
Pythopolis,  Parthenopolis  und  Coryphanta.  An  der  Küste 
die  Flüsse:  Aesius,  Bryazon,  Plataneus,  Areus,  Aesyros  und 
Geodos  oder  Cbrysorrhoas.  Das  Vorgebirge  2),  auf  welchem 
die  Stadt  Megarice  lag;  der  dann  folgende  Busen  wurde 
Craspeditos  3)  genannt,  weil  jene  Stadt  gleichsam  an  seinem 
Saume  lag.  Auch  lag  hier  Astacum  4),  wovon  dieser  Busen 
auch  der  astacenische  heisst.  Da  wo  die  Stadt  Libyssa 
stand,  befindet  sich  jetzt  nur  noch  das  Grabmal  Hannibals. 
An  der  innersten  Seite  des  Busens  liegt  die  berühmte  bi- 
thynische  Stadt  Nicomedia  5).  Das  Vorgebirge  Leucatas  c), 
welches  den  astacenischen  Busen  einschliesst ,  ist  37,500 
Schritte  von  Nicomedia  entfernt.  Nun  nähern  sich  die 
Küsten  wieder  einander  und  bilden  bis  zum  thracischen 
Bosporus  eine  Meerenge.  An  ihr  liegen:  das  freie  Chal- 
cedon  7),  62,500  Schritte  von  Nicomedien,  vormals  Proce- 
rastis  genannt;  sodann  Colpusa,  ferner  die  Stadt  der  Blin- 
den, weil  ihre  Einwohner  einen  so  schlechten  Platz  wählten, 
denn  Byzanz,  welches  doch  eine  in  jeder  Hinsicht  glück- 
liche Lage  hat,  ist  nur  7  Stadien  davon  entfernt.  Ausser- 
dem liegen  im  Innern  von  Bithynien:  die  Colonie  Apamena, 
das  Gebiet  der  Agrippenser  und  Juliopoliter,  Bithynion  8); 
die  Flüsse  Syrium,  Lophias,  Pharnacias,  Alces,  Serinis,  Sco- 
pius  und  Hieras,  der  Bithynien  von  Galatien  scheidet.  Hin- 
ter Chalcedon  lag  Chrysopolis  9)  und  Nicopolis,  von  welcher 
der  Busen  noch  den  Namen  behalten  hat.  In  dem  Busen 
ist  der  Hafen  Amyci;  hierauf  kommt  das  Vorgebirge  Nau- 
lochum,  der  Tempel  des  Neptun  zu  Estia10).  Der  Bospo- 
rus, welcher  hier  wieder  Asien  von  Europa  durch  einen 
500  Schritte  breiten  Zwischenraum  trennt,  ist  12,500  Schritte 
von  Chalcedon  entfernt.  Dann  folgt  die  erste  8750  Schritte 
breite  Enge,  wo  die  Stadt  Spiropolis  war.  Die  ganze  Küste 
bewohnen  die  Thyner,  das  innere  Land  die  Bithyner.    Hier 


')  Uskubi.    2)  Capo  Fagona. 

3)  xQuonaöov,  der  Saum.    4)  Olvadsjik.     *)  Isnikmid. 

')  Akrita.    7)  Kadiköi.    8)  Boli.    3)  Scutari.     ,0)  Algiro. 


Fünftes  Buch.  413 

ist  die  Grenze  von  Asien,  und  vom  lycischen  Meerbusen  an 
bis  hierher  zählt  man  282  Völker.  Die  Länge  des  Hel- 
lespontes und  des  Propontis  bis  zum  thracischen  Bosporus 
haben  wir *)  auf  239,000  Fuss  angegeben.  Sigeum  ist  von 
Chalcedon  nach  Isidorus  322,500  Schritte  entfernt. 

44. 
Die  Inseln  im  Propontis  sind:  vor  Cyzicus  Elaphon- 
nesus  2) ,  woher  der  cyzicanische  Marmor  kommt ,  und  die 
auchNeuris  und  Proconnesus  heisst.  Dann  folgen:  Ophiusa3) 
Acanthus,  Phöbe,  Scopelos,  Porphyrione,  Halone  4)  mit  einer 
Stadt,  Desphacie,  Polydora  und  Artacäon  mit  einer  Stadt. 
Nicomedia  gegenüber  liegt|  Demonnesos  5),  ferner  hinter  He- 
raclea  nach  Bithynien  zu  Thynias  6) ,  welche  die  Barbaren 
Bithynia  nennen.  Ferner:  Antiochia,  Bosbicos7),  der  Mün- 
dung des  Rhyndacus  gegenüber  und  18,000  Schritte  im  Um- 
fange; Eläa,  die  beiden  Rhodussen,  die  Erebinthus,  Megale, 
Chalcitis  8)  und  Pityodes. 


»)  Im  IV.  B.  24.  Cap. 

2)  Mannora.  Früher  waren  Elaphonnesos  und  Proconnesos  zwei 
einander  nahe  liegende  Inseln.  Später  wurde  der  sie  trennende 
Kanal  verstopft. 

3)  Aphsia.    4)  Aloni.     5)  Papas  Adasi  (Prinzeninseln). 
6)  Kirpe.     7)  Kalolymno.     8)  Barki. 


Sechstes  Buch. 


Von  der  Lage  und  Grösse  der  Länder,  Meere,  Städte,  Häfen, 

Berge,  Flüsse  und  den  Völkern,  welche  noch  da  sind 

oder  da  waren. 

1. 
Auch  der  Pontus  Euxinus1),  der  früher  wegen  sei- 
ner unwirthlichen  Rauheit  Axenos  genannt  wurde,  ergiesst 
sich,  weil  die  Natur  aus  besonderm  Hasse  dem  raubgierigen 
Wasser  unaufhörlich  nachgab,  zwischen  Europa  und  Asien 
hindurch.  Es  war  dem  Ocean  nicht  genug,  die  Länder 
umflossen  und  einen  Theil  derselben  ausgehöhlt  und  ent- 
rissen zu  haben;  nicht  genug,  durch  zerrissene  Berge  ein- 
gedrungen zu  sein,  Calpe2)  von  Afrika  getrennt,  und  da- 
durch einen  noch  grössern  Raum,  als  er  unberührt  gelassen, 
verschlungen  zu  haben;  nicht  genug,  sich  durch  den  Hel- 
lespont  gedrängt  und  nach  abermaliger  Wegnahme  von 
Ländern  in  den  Propontis  ergossen  zu  haben;  selbst  am 
Bosporus  dehnt  er  sich  wieder  zu  einer  ungeheuren  Fläche 
aus  und  wird  nicht  eher  gesättigt,  bis  der  mäotische  See 
ihm  auch  seinen  Raub  zubringt.  Dass  die  Erde  alles  diess 
nicht  gern  hergab,  beweisen  die  vielen  Meerengen  und  die 
wegen  des  natürlichen  Widerstandes  so  schmalen  Zwischen- 
räume; so  ist  der  Hellespont  nur  815  Schritte,  die  beiden 


')  Das  schwarze  Meer.    -)  Gibraltar. 


Sechstes  Buch.  415 

Bosporus  aber  nur  so  breit,  dass  Ochsen  hintiberschwiinmen 
können,  woher  sie  denn  auch  ihre  Namen1)  haben.  Und 
selbst  bei  dieser  Trennung  findet  noch  eine  gewisse  Ver- 
bindung statt,  denn  man  hört  auf  jedem  der  beiden  Ufer 
den  Gesang  der  Vögel  und  das  Bellen  der  Hunde  vom  ent- 
gegengesetzten her;  auch  können  die  Bewohner  beider  Welt- 
theile  Unterredungen  mit  einander  halten,  wenn  der  Wind 
nicht  hinderlich  ist. 

Die  Länge  des  Pontus  vom  Bosporus  bis  zum  Mäotis 
haben  Einige  auf  1,438,000  Schritte  angegeben;  Eratosthe- 
nes  nimmt  100,000  weniger  an.  Nach  Agrippa  beträgt  die 
Entfernung  von  Chalcedon  2)  nach  Phasis  3)  1,000,000,  und 
von  hier  bis  zum  cimmerschen  Bosporus  4)  360,000  Schritte. 
Wir  wollen  im  Allgemeinen  die  Entfernungen  angeben, 
welche  zu  unserer  Zeit,  wo  selbst  an  der  cimmerschen  Mün- 
dung Krieg  geführt  wurde  5) ,  ermittelt  worden  sind.  Am 
Ausfluss  des  Bosporus  befindet  sich  der  Fluss  Khebas 6), 
den  Einige  Rhesus  genannt  haben.  Dann  folgt  Psillis  und 
der  Hafen  Calpas  7).  Der  Fluss  Songaris  8),  einer  von  den 
bedeutendem,  entspringt  in  Phrygien  und  nimmt  mehrere 
grosse  Flüsse ,  unter  andern  den  Tembrogius  9)  und  Gal- 
lus10)  auf.  Meistenteils  wird  er  Sangarius  genannt.  An 
seiner  Mündung  beginnt  der  mariandynische  Busen11). 
Die  Stadt  Heraclea12)  am  Flusse  Lycus,  200,000  Schritte 
von  der  Mündung  des  Pontus  entfernt;  der  Hafen  Acone, 
berüchtigt  durch  das  Gift  Aconitum13),  die  Höhle  Ache- 
rusia14).  Die  Flüsse:  Pädopides,  Callichorus,  Sonautes  und 
Billis 15).    Die  Stadt  Tium 16),  38,000  Schritte  von  Heraclea. 


*)  Von  ßovg  Ochse  und  noQoq  Uebergang.     2)  Kadiköi. 
3)  Fax  in  Georgien.    4)  Strasse  von  Kaffa. 

5)  In  Folge  des    Krieges    gegen  Mithridates   kam    das   bosporo- 
nische  Reich  unter  die  Herrschaft  der  Römer.     6)  Rheba. 

7)  Kerbeh  oder  Busadsche;    hier  sollen  die  Argonauten    gelan- 
det sein. 

8)  Sakarja.     9)  Ko'ismir.     10)  Gatipo.     ")  Golf  von  Sakarja. 
«)  Erekli.     13)  XXVII.  B.  2.  Cap. 

,4)  Auf  dem  Vorgebirge  bei  Heraclea;  der  Eingang  zur  Unterwelt 
,5)  Falios.    16)  Tilios. 


Ä-tß  Sechstes  Buch. 

2. 
Hinter  dem  Flusse  Billis  wohnen  die  Paphlagonier  l), 
von  Einigen  auch  Pylämenier  genannt;  ihr  Gebiet  ist  im 
Rücken  von  Galatien  eingeschlossen.  Darin  die  Stadt  Mas- 
tya,  von  den  Milesiern  erbauet,  dann  Cromna.  In  dieser 
Gegend  lässt  Cornelius  Nepos  die  Heneter  wohnen,  von 
denen  nach  seiner  Behauptung  die  namensverwandten  Ve- 
neter  in  Italien  abstammen  sollen.  Weiterhin  die  Stadt  Se- 
samum,  jetzt  Amastris  2);  der  Berg  Cytorus  3),  63,000  Schritte 
von  Tium;  die  Städte  Cimolis  4)  und  Stephane  5);  der  Fluss 
Prathenius  6).  Das  weit  auslaufende  Vorgebirge  Carambis  7), 
325,000,  oder  nach  Andern  {350,000  Schritte  von  der  Mün- 
dung des  Pontus,  von  dem  cimmerschen  Bosporus  aber 
ebensoviele  oder  312,500  Schritte  entfernt.  Auch  lag  da- 
selbst eine  Stadt  desselben  Namens,  und  etwas  weiter  eine 
andere,  Armene;  jetzt  befindet  sich  dort  die  Colonie  Si- 
nope 8),  164,000  Schritte  vom  Berge  Cytorus.  Der  Fluss 
Evarchum,  die  Cappadocier,  die  Städte  Gaziura  9)  und  Ga- 
zelum10);  der  Fluss  Halys11),  der  vom  Fusse  des  Taurus 
durch  Cataonien  und  Cappadocien  herabkommt.  Die  Städte: 
Gangre12),  Carusa,  das  freie  Amisum13),  130,000  Schritte 
von  Sinope.  Ein  Meerbusen  gleichen  Namens  (der  amisi- 
sche)14)  zieht  sich  soweit  ins  Land,  dass  er  (Klein-)  Asien 
fast  zur  Insel  macht,  denn  von  hier  aus  beträgt  der  Weg 
über  das  Festland  bis  zum  issischen  Meerbusen15)  in  Cili- 
cien  nicht  mehr  als  200,000  Schritte.  Auf  diesem  ganzen 
Landstriche  sollen  nur  3  ursprünglich  griechische  Völker 
wohnen,  nämlich  die  Dorier,  Jonier  und  Aeolier;  die  übrigen 
aber  sollen  Barbaren  sein.  Mit  Amisum  stand  die  von  Mi- 
thridates  erbauete  Stadt  Eupatoria  in  Verbindung;  nach 
dessen  Besiegung  wurden  beide  Städte  Pompejopolis  genannt. 


')  In  den  Paschaliks  Kastamuni  und  Boli.     '-)  Amassru. 
8)  Kydros.     4)  Kinoli.     5)  Istifani.     6)  Partine.     7)  Kerempe. 
8)  Sinob.    9)  Turkal.     l0)  Assin.     »)  Kizil  Irmak.     ,2)  Kjankri. 
13)  Sainsun.     M)  Golf  von  Samsun.     15)  Golf  von  Skanderun. 


Sechstes  Buch.  417 

3. 
Im  Innern  von  Cappadocien  liegt  die  Colonie  des 
Kaisers  Claudius,  Archelais  x) ,  bei  der  der  Halys  vorbei- 
^fliesst.  Städte  sind:  Comana  2)  am  Sarus8),  Neocäsarea4) 
am  Lycus  und  Amasia  5)  am  Iris  6)  in  dem  gazacenischen 
Bezirke.  In  Calopena  liegen  Sebastia  7)  und  Sebastopolis  8), 
kleine,  aber  docb  den  vorigen  gleichkommende  Städte.  In 
dem  übrigen  Theile  dieses  Landes:  Melita  9)  von  Semiramis 
erbauet,  und  nicht  weit  vom  Euphrat,  Diocäsarea,  Tyana 10), 
Castabala n) ,  Magnopolis w) ,  Zela13),  und  am  Fusse  des 
Berges  Argäus14),  Mazaca,  das  jetzt  Cäsarea15)  heisst.  Der 
Theil  Cappadociens,  welcher  sich  vor  Gross-Armenien  aus- 
dehnt, wird  Melitene  genannt,  der  an  Commagene  liegende 
Cataonien,  der  an  Phrygien  grenzende  Garsauritis,  Sarga- 
rausene  und  Cammanene,  der  bei  Galatien  Morimene;  hier 
macht  der  Fluss  Cappadox,  von  dem  die  vormals  Leuca- 
syrer  genannten  Bewohner  den  Namen  erhalten  haben,  die 
Grenze.  Von  dem  oben  genannten  Neocäsarea  scheidet  der 
Fluss  Lycus  Klein- Armenien.  Im  Innern  ist  auch  noch  der 
Ceraunus  bemerkenswerth.  An  der  Küste  aber  liegt  von 
Amisum  an  die  Stadt  Chadisia  mit  einem  Flusse  gleichen 
Namens  und  Lycastum,  von  wo  das  themiscyrenische  Ge- 
biet16) beginnt. 

4. 

Im   themiscyrenischen   Gebiete   nimmt  der  Fluss 

Iris  den  Lycus  auf.     Im  Innern  liegt  der  Flecken  Ziela  ll), 

berühmt  durch  die  Niederlage  des  Triarius18)  und  den  Sieg 

des  C.  Cäsar19).    An   der  Küste   fliesst   der  Thermodon20), 


•)  Akserai.    2)  El  Bostan.    3)  Seihhan.    4)  Niksara. 

5)  Amasia.    6)  Kasalmak.    7)  Siwas.     8)  Kisildsjik. 

9)  Malatya.     10)  Nikdeh.     »)  DsjakeL     ")  Schekineh.     »J  Ziel. 

M)  Ardsjisch.     15)  Kaisarieh.     16)  Dsjanik.     »)  Kileh. 

18)  Ein  römischer  Unterfeldherr  im  Kriege  des  Lucullus  gegen 
Mithridates,  67  v.  Chr. 

19)  Des  Dictators,  der  hier  den  Pharnaces,  den  Sohn  des  Mithri- 
dates, schlug  und  seinen  Sieg  mit  den  bekannten  veni,  vidi,  vici  nach 
Rom  meldete,  47  v.  Chr.    20)  Termah. 

27 


418  Sechstes  Buch. 

welcher  bei  dem  Castell  Phanaröa  entspringt  und  am  Fusse 
des  Berges  Amazonius  vorbeiströmt.  Es  gab  hier  auch  eine 
Stadt  desselben  Namens,  sowie  noch  5  andere,  als:  Ama- 
zonium,  Themiscyra,  Sotira,  Amasia  und  Comana1);  jetzt 
existirt  nur  noch  Mantejum.  Dann  folgen  die  Geneter  und 
Cbalyber;  die  Stadt  Cotyorum  2).  Die  Tibarener,  die  Mos- 
syner,  die  ihren  Körper  mit  Zeicben  bemalen,  die  Macro- 
cepbaler;  die  Stadt  Cerasus  3).  Der  Hafen  Chordule  4).  Die 
Bechirer,  Luzerer.  Der  Fluss  Melas;  die  Macroner;  Sidene 
und  der  Fluss  Sidenum,  an  welchem  die  120,000  Schritte 
von  Amisum  entfernte  Stadt  Polemonium  5)  liegt,  Dann  die 
Flüsse  Jasonium  und  Melanthium;  die  Stadt  Pharnacea, 
80,000  Schritte  von  Amisum;  das  Schloss  und  der  Fluss 
Tripolis6);  das  Schloss  und  der  Fluss  Philacalea 7)  und 
das  Schloss  Liviopolis;  das  freie  Trapezus8),  von  einem 
weiten  Berge  eingeschlossen  und  100,000  Schritte  von  Phar- 
nacea entfernt.  Dahinter  wohnt,  in  einer  Entfernung  von 
30,000  Schritten  von  Gross-Armenien,  das  Volk  der  Ar- 
menochalyber.  An  der  Küste  vor  Trapezus  fliesst  der 
Pyxites,  jenseits  aber  wohnen  die  heniochischen  Sanner. 
Der  Fluss  Absarum,  und  an  dessen  Mündung,  140,000 
Schritte  von  Trapezus,  ein  gleichnamiges  Schloss9).  Im 
Rücken  der  Gebirge  in  dieser  Gegend  liegt  Iberien10),  an 
der  Küste  aber  wohnen  die  Heniocher,  Amprauter  und  Lazer. 
Flüsse:  der  Acampsis11),  Isis,  Magrus,  Bathys12).  Die  Col- 
chier.  Die  Stadt  Matium;  der  Fluss  Heracleum,  ein  gleich- 
namiges Vorgebirge ,  und  der  Phasis 13) ,  der  bedeutendste 
Fluss  in  Pontus.  Er  entspringt  im  Gebiete  der  Moscher14) 
und  kann  auf  eine  Strecke  von  38,500  Schritte  mit  sehr 
grossen  Schiffen,  noch  viel  weiter  hinauf  aber  mit  kleinern 


')  Gumenih.     2)  Ordu. 

:,i  Karesum  oder  Chirisonda;  von  hier  verpflanzte  Lucullus  de- 
ersten  Kirschbaum  nach  Rom. 

4)  Bojuk-Liman.    5)  Fatsa.    6)  Tereboli.    7)  Ewloi. 

8)  Trabesun  oder  Trebisonde.    9)  Gunieh.     ,0)  Grusien. 

")  Fscharuk.     «)  Batumi.     ,3)  Fax.     >4)  Imerethi. 


Sechstes  Buch.  419 

befahren  weiden;  120  Brücken  führen  über  denselben.  An 
seinen  Ufern  waren  vormals  sehr  viele  Städte,  unter  denen 
vorzüglich  Tyndaris ,  Circäum  *) ,  Cygnum  und  an  seiner 
Mündung  Phasis2)  genannt  zu  werden  verdienen.  Am 
meisten  aber  glänzte  die  Stadt  Aea3),  15,000  Schritte  vom 
Meere,  wo  die  bedeutenden  Flüsse  Hippos4)  und  Cyaneos 
von  verschiedenen  Seiten  her  sich  in  denselben  ergiessen. 
Jetzt  liegt  bloss  noch  Surium 5)  an  ihm,  welches  nach  einem 
in  ihn  fallenden  Flusse,  bis  zu  welchem  er  (der  Phasis), 
wie  wir  gesagt  haben,  für  grosse  Schiffe  befahrbar  ist,  be- 
nannt wurde.  Auch  noch  viele  andere  grosse  Flüsse,  z.  B. 
den  Glaucus 6),  nimmt  er  auf.  An  der  Mündung  des  letztern 
liegen  70,000  Schritte  von  Absarus  mehrere  Inseln  ohne 
Namen7).  Nun  folgt  ein  anderer  Fluss,  der  Chanen 8). 
Die  Saler,  von  den  Alten  Phthirophagen 9)  genannt,  und  die 
Suaner,  durch  deren  Gebiet  der  vom  Caucasus  kommende 
Chobum 10)  fliesst.  Dann  der  Rhoas,  die  Landschaft  Ecrec- 
tice  n).  Die  Flüsse  Singames 12),  Tarsuras 13),  Astelephus  u), 
Chrysorrhoas.  Die  Absiler,  das  Schloss  Sebastopolis 15) , 
100,000  Schritte  vom  Phasis  entfernt.  Die  Sanniger,  die 
Stadt  Cygnus,  der  Fluss  und  die  Stadt  Penius.  Sodann 
die  heniochischen  Völker  mit  vielen  Namen. 

5. 
Hier  stösst  an  den  Pontus  das  colische  Gebiet,  in 
welchem  sich  die  Kette  des  Caucasus  nach  dem  riphäischen 
Gebirge  wendet,  indem  sie  sich,  wie  bereits  bemerkt  ist, 


J)  Irke.     2)  Poti. 

3)  Diese  Stadt  war  der  Sage  nach  von  Sesostris,  König  von 
Aegypten,  erbauet  worden.  Auch  soll  das  goldne  Vliess  in  einem 
benachbarten  Haine  an  einem  Baume  gehangen  haben,  sowie  über- 
haupt der  Schauplatz  der  Abenteuer  der  Meder  und  der  Argo- 
nauten hierher  verlegt  wird.  ■■- 

4)  Tzchenistzquali.     5)  Asmuleti.     6)  Rioni. 
7)  Fasaneninseln  genannt.    8)  Mecu-Enguri. 

9)  Läusefresser.     ,0)  Tschani.     n)  Letschgumi.     ,2)  Langur. 
l3)  Ozeils.     tA)  Mokoi.     ,5)  Soghumkala. 

27* 


420 


Sechstes  Buch. 


mit  der  einen  Seite  nach  dem  Pontus  Euxinus  und  dem 
Mäotis,  mit  der  andern  aber  nach  dem  caspischen  und 
hyrcanischen  Meere  hin  abdacht.  Die  übrigen  Küsten  be- 
wohnen wilde  Völker,  als  die  Melanchläner,  die  Coraxer 
in  der  jetzt  verödeten  colchischen  Stadt  Dioscurias  l)  am 
Flusse  Anthemus  2);  sie  war  einst  so  berühmt,  dass,  wie 
Timosthenes  erzählt,  300  Nationen  mit  verschiedenen  Spra- 
chen in  ihr  zusammenkamen;  und  später  wurden  durch 
130  römische  Dolmetscher  daselbst  Geschäfte  gemacht. 
Einige  glauben,  sie  wäre  von  Amphitus  und  Telchius,  den 
Wagenlenkern  des  Castor  und  Pollux,  von  denen  ohne 
Zweifel  die  wilden  Heniocher  3)  abstammen,  erbauet.  Nach 
Dioscurias  folgt  die  von  Sebastopolis  70,000  Schritte  ent- 
fernte Stadt  Heracleum.  Die  Achäer  4),  Marder,  Cerceter  5), 
Serrer  und  Caphalotomer  ß).  Die  im  innersten  Theile  dieser 
Gegend  gelegene  sehr  reiche  Stadt  Pityus  7)  ist  von  den 
Heniochern  zerstört;  hinter  derselben  wohnen  die  Epageriter, 
ein  sarmatischer  Stamm  auf  dem  Rücken  des  Caucasus; 
dann8)  folgen  die  Sauromater.  Zu  diesen  floh,  unter  der 
Regierung  des  Kaisers  Claudius,  Mithridates,  und  erzählte, 
dass  sie  an  die  Thaller  9)  grenzten,  deren  Gebiet  im  Osten 
die  Mündung  des  caspischen  Meeres 10)  berührte,  und  dass 
diese  letztere  bei  der  Ebbe  trocken  wäre.  An  der  Küste, 
neben  den  Cerceten,  ist  der  Fluss  Icarusa11),  die  Stadt12) 
und  der  Fluss 13)  Hierum,  130,000  Schritte  von  Heracleum. 
Dann  das  Vorgebirge  Crunoe,  dessen  steilen  Ausgangspunkt 
die  Toreter  bewohnen.  Der  Flecken  Sindica,  67,000  Schritte 
von  Hierum.  Der  Fluss  Setheries.  Von  ihm  bis  an  den 
Eingang  des  cimmerschen  Bosporus  beträgt  die  Ent- 
fernung 88,500  Schritte. 


I)  Iskuriah  oder  Isgaur.     -)  Marmari.     5)  Wagenlenker. 
4)  Awchasen.    s)  Tscherkessen.    6)  Kopfabschneider. 

7)  Pitschinda.     8)  Im  Nordosten  von  Grusien. 

")  Im  Astrachanischen. 

,0)  Siehe  die  Berichtigung  S.  427,  Anmerkung  5. 

II )  I  krach.     '-)  Sudschukkale.     «)  Zemes. 


Sechstes  Buch.  421 

6. 

Die  Länge  der  zwischen  dem  Pontus  und  dem  Mäotis 
auslaufenden  Halbinsel  beläuft  sich  nicht  über  67,000  Schritte, 
die  Breite  beträgt  aber  nirgends  weniger  als  zwei  Jugera. 
Sie  heisst  Ejon *).  Die  Küste  des  Bosporus  selbst  krümmt 
sich  auf  der  asiatischen  und  europäischen  Seite  nach  dem 
Mäotis  hin.  Städte  sind:  vorn  am  Eingange  des  Bosporus 
Hermonassa,  dann  Cepi,  von  den  Milesiern  erbauet.  Fer- 
ner Stratoelia,  Phanagoria2),  das  fast  ganz  verödete  Apa- 
turos,  und  am  Ende  der  Meerenge  das  früher  Cerberion 
genannte  Cimmerium.  Darauf  folgt  der  Mäotis,  von  dem 
bei  Europa  schon  die  Rede  war. 

7. 

Um  Cimmerium  wohnen  die  Mäotiker,  Valer,  Serber, 
Arrecher,  Zinger,  Psesser.  An  dem  durch  zwei  Mündungen 
sich  ergiessenden  Tanais  wohnen  die  Sarmater,  welche  von 
den  Mederu  abstammen  sollen  und  selbst  in  viele  Völker- 
schaften getheilt  sind.  Zunächst  die  gynäcoeratumenischen 
Sauromater,  die  ihren  Beinamen  daher  haben,  weil  die 
Amazonen  sie  zur  Begattung  zwangen;  dann  die  Evazer, 
Coiter,  Cicimener,  Messenianer,  Castoboccer,  Choatrer,  Zi- 
ger,  Dandarer,  Tyssageter,  Jyrcer,  bis  an  die  durch  wal- 
dige Thäler  rauhen  Einöden,  hinter  denen  die  Arimphäer 
sich  bis  an  das  riphäische  Gebirge  erstrecken.  Den  Tanais 
nennen  die  Scythen  Silis  und  den  Mäotis  Temerunda,  was 
so  viel  heisst  als  die  Mutter  des  Meeres.  Auch  an  der 
Mündung  des  Tanais  lag  eine  Stadt.  Die  angrenzenden 
Districte  hatten  zuerst  die  Carer  inne,  dann  die  Clazome- 
nier  und  Mäoner,  und  darauf  die  Panticapanser. 

Einige  Schriftsteller  führen  folgende  Völker  an,  welche 
um  den  Mäotis  herum  bis  an  die  ceraunischen  Berge  woh- 
nen :  An  der  Küste  die  Napiter,  dahinter  die  an  die  Colcher 
grenzenden  Essedoner,  oben  auf  den  Bergen.  Sodann  die 
Carmacer,  Oraner,  Autacer,  Mazacaser,  Cantiocer,  Agamather, 


')  Tunitarakan.     2)  Taman. 


422  Sechstes  Buch. 

Picer,  Rhymosoler,  Acascomarcer,  und  auf  dem  Rücken  des 
Caucasus  die  Itacaler,  Imaducher,  Ramer,  Anclacer,  Tyaier, 
Carastaseer,  Authiander.  An  dem  von  dem  catheischen  Ge- 
birge kommenden  Flusse  Lagous,  in  welchen  der  Opharus 
fliesst:  die  Cauthader  und  Ophariter.  Die  Flüsse  Menotha- 
rus  und  Imitys  von  dem  cissischen  Gebirge,  zwischen  dem 
die  Acdeer,  Carner,  Oscardeer,  Accisser,  Gabrer  und.  Goga- 
rer  wohnen.  An  der  Quelle  des  Imitys  die  Imityer  und 
Apaträer.  Nach  Andern  fliesst  er  durch  die  Länder  der 
auchetischen  Scythen,  Atarneer  und  Asampater;  von  diesen 
sind  die  Tanaiter  und  Inapäer  Mann  für  Mann  vertilgt  wor- 
den. Einige  lassen  den  Fluss  Ocharius  durch  die  Wohn- 
sitze der  Canticer  und  Sapeer  fliessen,  den  Tana'is  aber 
durch  die  der  Sarcharceer,  Herticrer,  Spondolicer,  Synchieter, 
Anaser,  Isser,  Cateter,  Tagorer,  Caroner,  Neriper,  Agandeer, 
Mandareer,  Satarcheer  und  Spaleer. 

8. 
Mit  der  Beschreibung  der  innern  Küsten  und  aller 
anwohnenden  Völker  sind  wir  nun  fertig,  und  wenden  uns 
daher  jetzt  zu  dem  grossen  mitten  in  das  Land  gehenden 
Busen.  Hierbei  wird  man  nicht  verkennen,  dass  ich  vieles 
anders,  als  die  altern  Schriftsteller  vortrage;  ich  habe 
nämlich  alles  mit  der  grössten  Sorgfalt  untersucht,  und 
diess  wurde  mir  dadurch  möglich,  dass  vor  einigen  Jahren 
Domitius  Corbulo  x)  in  jener  Gegend  die  Staatsangelegen- 
heiten leitete,  und  mehrere  unterworfene  Könige  oder  Kinder 
derselben  als  Geiseln  von  dorther  sandte.  Wir  wollen  mit 
dem  Volke  der  Cappadocier2)  beginnen.  Unter  allen  pon- 
tischen  Völkern  wohnt  dieses  am  weitesten  nach  dem  Innern 
zu,  und  dehnt  sich  auf  der  linken  Seite  über  Klein-  und 
Gross- Armenien  und  Commagene,  auf  der  rechten  Seite 
aber  über  alle  schon  genannten  asiatischen  und  die  meisten 
dahinter  wohnenden  Völkerschaften  aus.    Ihr  Gebiet  steigt 


')  Den  Nero  zum  Schutze  Armeniens  dorthin  gesandt  hatte. 

2)  Die  Paschaliks  Akserai,  Nikde,  Kirkscheer,  Kaisarieh  und  Bosuk. 


Sechstes  Buch.  423 

in  einer  grossen  Ausdehnung  gegen  Morgen  und  den  Tau- 
ras hinauf,  zieht  sich  über  Lycaonien,  Pisidien  und  Cilicien, 
durch  Antiochien,  und  reicht  mit  dem  Theile,  welcher  Ca- 
taonien  genannt  wird,  bis  zu  dem  cyrrhestischen  Gebiete 
in  Antiochien.  Hier  beträgt  also  die  Länge  von  Asien 
1,250,000  und  die  Breite  640,000  Schritte. 

9. 

Gross-Armenien1)  aber  nimmt  seinen  Anfang  von 
dem  paryadrischen  Gebirge  2)  und  wird,  wie  schon  gesagt 3), 
durch  den  Fluss  Euphrat  von  Cappadocien,  und  da,  wo  der 
Euphrat  eine  andere  Richtung  nimmt,  durch  den  nicht 
minder  berühmten  Tigris  von  Mesopotamien  getrennt.  Beide 
Flüsse  lässt  es  entströmen,  und  bildet  so  den  Anfang  von 
Mesopotamien,  welches  zwischen  ihnen  fortläuft.  Was 
dazwischen  liegt,  bewohnen  die  oreischen  Araber 4).  So 
zieht  sich  die  Grenze  des  Landes  bis  nach  Adiabene. 
Hier  wird  es  durch  querliegende  Gebirge  5)  abgeschlossen, 
dehnt  sich  in  der  Breite  links  über  den  Araxes 6)  hin 
bis  an  den  Fluss  Cyrus 7),'  in  der  Länge  aber  bis  nach 
Klein-Armenien  aus,  von  dem  es  durch  den  in  den  Pontus 
sich  ergiessenden  Fluss  Absarus  und  durch  das  paryadrische 
Gebirge,  auf  dem  der  Absarus  entspringt,  geschieden  wird. 

10. 

Der  Cyrus8)  entspringt  auf  dem  heniochischen  Ge- 
birge9), welches  Andere  das  coraxische  nennen;  der 
Araxes10)  auf  demselben  Berge11),  wo  der  Euphrat  ent- 
springt, nur  6000  Schritte  davon,  verstärkt  sich  noch  durch 


*)  Die  jetzigen  Tschaldir,  Kars,  Erzerum ,  Wan  und  Diarbekr, 
ein  Theil  Grusiens  und  der  persischen  Provinz  Irak  Adschemi. 

2)  Ein  Arm  des  Antitaurus,  jetzt  Agatsch-Baschi. 

3)  Im  V.  B.  20.  Cap.     4)  V.  B.  20.  Cap.    5)  Nimroddagh. 
6)  Arrasch.     7)  Khur.     8)  Khur.     9)  Auhileh. 

,0)  Arrasch.  Ausser  diesem  gab  es  noch  2  bedeutende  Flüsse  in 
Asien,  die  vorzugsweise  den  Namen  Araxes  führten;  der  eine  jetzt 
Bend  Emir  in  Persien,  der  andere  Sihon  oder  Sirr  in  Turkestan 
(Sagdiana).    ")  Bingöl. 


424  Sechstes  Buch. 

den    Usis  l)   und   fällt,   wie   die  Meisten   glauben,   in   den 
Cyrus  und  mit  diesem  ins  caspische  Meer. 

Berühmte  Städte  in  Klein- Armenien  2)  sind:  Cäsa- 
rea  3),  A  za  4),  Nicopolis  5) ;  in  G  r  o  s  s  -  A  r  m  e  n  i  e  n :  Armosata  6) 
am  Euphrat,  Carcathiocerta 7)  am  Tigris,  Tigranocerta 8) 
auf  einer  Anhöhe  und  Artaxata  9)  in  der  Ebene  am  Araxes. 
Die  Grösse  des  ganzen  Landes  giebt  Aufidius  auf  5,000,000 
Schritte  an.  Nach  Kaiser  Claudius  beträgt  die  Länge  von 
Dascusa10)  bis  zur  Grenze  am  caspischen  Meere  1,300,000 
Schritte,  die  Breite  aber  von  Tigranocerta  bis  Iberien  halb 
so  viel.  Es  wird,  nach  zuverlässigen  Kachrichten,  in  Prä- 
fecturen,  welche  Strategien  genannt  werden,  eingetheiltT 
von  denen  einige  früherhin  sogar  eigene  Reiche  bildeten; 
sie  haben  alle  barbarische  Namen  und  ihre  Anzahl  beläuft 
sich  auf  120.  Auf  der  Ostseite  schliessen  es,  jedoch  nicht 
unmittelbar,  die  ceraunischen  Berge  u)  und  die  Landschaft 
Adiabene 12)  ein.  Den  dazwischen  liegenden  Raum  bewohnen 
die  Sophener13);  an  diese  stossen  die  Berge  und  dahinter 
leben  die  Adiabener.  In  den  Thälern  aber  sind  die  Meno- 
barder  und  Moschener  den  Armeniern  am  nächsten.  Adia- 
bene wird  vom  Tigris  und  unwegsamen  Gebirgen  umgeben. 
Links  davon  ist  das  Gebiet  der  Meder  und  die  Aussicht 
auf  das  caspische  Meer.  Dieses  erhält  (wie  wir  später 
noch  sagen  werden)  seinen  Zufluss  vom  Ocean,  und  ist 
rings  von  dem  caucasischen  Gebirge  eingeschlossen.  Nun 
gehen  wir  zu  den  Grenzvölkern  Armeniens  über. 

11. 

Die  ganze  Ebene  vom  Cyrus  an  hat  das  Volk  der 
Albaner  inne;  dann  folgen  die  Iberer,  welche  von  jenen 


')  Karassu.    2)  Aladulieh. 
3)  Kalat  el  Nedsjur.    <)  Ezaz. 

5)  Diese  zum  Andenken  an  den  Sieg  des  Pompejus  über  Mithri- 
dates  so  genannte  Stadt  hiess  auch  Tephrice,  daher  ihr  neuerer 
Name  Divriki. 

6)  Schemisat.    7)  Kartpurt.     8)  Schikaran.     9)  Ardesthie. 
10)  Dengiglu.     ")  Zagros.     '*)  Kurdistan.     »3)  In  Diarbekr. 


Sechstes  Buch.  425 

durch  den  Fluss  Alazon  x),  der  von  dem  caucasischen  Ge- 
birge herab  sich  in  den  Cyrus  ergiesst,  getrennt  werden. 
Bedeutende  Städte  sind:  in  Albanien2)  Cabalaca  3),  in  Ibe- 
rien  4)  Harmastis  5)  an  einem  Flusse  und  Neoris.  Das  Ge- 
biet Thasie  und  Triare,  das  bis  an  das  paryadrische  Gebirge 
reicht.  Weiter  hin  liegen  die  colchischen  Einöden 6),  und 
diesen  zur  Seite  nach  dem  ceraunischen  Gebirge  zu  wohnen 
die  Armenochalyber  und  Moscher,  deren  Gebiet  an  dem  in 
den  Cyrus  sich  ergiessenden  Flusse  Iberus  7)  herläuft;  unter 
diesen  wohnen  die  Sacassaner  und  hierauf  die  Macroner 
am  Flusse  Absarus.  So  sind  diese  Ebenen  und  Anhöhen  8) 
bevölkert.  Wiederum  an  der  albanischen  Grenze,  an  der 
ganzen  Vorderseite  des  Gebirges  wohnen  die  wilden  Stämme 
der  Silver,  darunter  die  Lubiener,  und  weiter  die  Didurer 
und  Sodier. 

12. 
Auf  diese  folgt  der  caucasische  Pass9),  von  Vielen 
irrigerweise  der  caspische  genannt,  ein  ungeheures,  durch 
plötzliche  Unterbrechung  dieser  Berge  entstandenes  Werk 
der  Natur.  Hier  sind  Thore  mit  eisenbeschlagenen  Balken 
angebracht,  unter  denen  ein  übelriechender  Strom10)  hin- 
fliesst,  und  diesseits  liegt  auf  einem  Felsen  ein  festes 
Schloss,  Cumania11)  genannt,  welches  unzähligen  Völkern 
den  Durchgang  streitig  macht;  an  dieser  Stelle  also,  welche 
der  iberischen  Stadt  Harmastes  gerade  gegenüber  liegt, 
ist  der  Erdkreiss  durch  Thore  verschlossen.  Hinter  dem 
caucasischen  Passe  wohnen  in  dem  gordyäischen  Gebirge12) 
die  Valier13)  und  Suaner,  2  wilde  Völker,  die  jedoch  Gold- 


')  Alasani.    2)  Schirvan  und  Daghestan.    3)  Kablasvar. 
A)  Dieses   Land   begriff    Karduel,    ein    Stück    von    Kacheti   und 
Imerethi. 

5)  Westlich  von  Tiflis  in  der  Gegend  von  Tzcheti. 

6)  Imerethi.    7)  Dsama. 

8)  Zwischen  dem  schwarzen  und  kaspischen  Meere. 

9)  Vladi-Caucas  oder  Khewis-Kari.     ,0)  Terek.     ")  Dariel. 
12)  Das  Hochgebirge  des  Caucasus.     ")  Osseten. 


426 


Sechstes  Buch. 


erze  graben.  Hinter  diesen  bis  an  den  Pontus  wohnen 
mehrere  Stämme  der  Heniocher  und  dann  die  Achäer.  So 
verhält  es  sich  mit  diesem  Landstriche  r)  im  Innern,  wel- 
cher zu  den  berühmtesten  gehört. 

Einige  geben  die  Entfernung  vom  Pontus  bis  zum  cas- 
pischen  Meere  auf  nicht  mehr  als  375,000,  Cornelius  Nepos 
nur  auf  250,000  Schritte  an.  Bei  einer  solchen  Landenge 
ist  Asien  wiederum  in  Gefahr  2).  Kaiser  Claudius  bestimmt 
die  Entfernung  vom  cimmerschen  Bosporus  bis  zum  cas- 
pischen  Meere  auf  150,000  Schritte,  und  erzählt,  dass  Se- 
leucus  Nicator  den  Plan  gehabt  habe,  die  Landenge  zu 
durchstechen;  er  wurde  aber  um  diese  Zeit  von  Ptolemäus 
Ceraunus  getödtet 3).  Die  Entfernung  vom  caucasischen 
Passe  bis  zum  Pontus  kann  man  mit  ziemlicher  Gewissheit 
zu  200,000  Schritten  annehmen. 

13. 

Im  Pontus  liegen  die  planktischen,  oder  cyaneischen 
auch  Symplegaden  genannten  Inseln  4).  Ferner  Apollonia, 
zum  Unterschiede  von  der  zu  Europa  gehörenden  5)  auch 
Thynias6)  genannt.  Vom  Festlande  ist  sie  1000  Schritte 
entfernt  und  ihr  Umfang  beträgt  4000.  Pharnacea  gegen- 
über liegt  Chalceritis,  welche  bei  den  Griechen  Aria  heisst ; 
sie  ist  dem  Mars  geheiligt,  und  auf  ihr  sollen  Vögel  mit 
ihren  Flügeln  gegen  fremde  Ankömmlinge  gekämpft  haben. 

14. 

Nachdem  wir  nun  alle  Theile  im  Innern  von  Asien 
"beschrieben  haben,  wollen  wir  im  Geiste  das  riphäische 
Gebirge  übersteigen  uud  an  die  rechte  Küste  des  Oceans 
gehen.  Dieser  bespült  Asien  von  3  Himmelsgegenden 
her,  im  Norden  heisst  er  der  scythische,  im  Osten  der 
esoische;  im  Süden  der  indische,  und  dann  führt  er  nach 
seinen    Busen    und    Küstenbewohnern    noch    verschiedene 


M  Zwischen  dem  schwarzen  und  caspischen  Meere. 

2)  Von  Europa  abgeschnitten  zu  werden. 

3)  Im  Jahre  282  v.  Chr.    4)  IV.  B.  27.  Cap. 
5)  IV.  B.  27.  Cap.    «)  V.  B.  44.  Cap. 


Sechstes  Buch.  427 

Namen.  Aber  auch  ein  grosser  Theil  Asiens,  welcher  nach 
Norden  hin  liegt,  enthält  wegen  seines  kalten  Klima's  un- 
geheuere Wüsteneien.  Vom  äussersten  Nordosten  bis  nach 
Ostnordost  wohnen  die  Scythen.  Ueber  diese  hinaus  und 
noch  jenseits  des  Nordens  setzen  Einige  die  bei  Europa 
schon  mehrerwähnten  Hyperboräer  *).  Von  da  an  kommt 
man  zuerst  an  das  celtische  Vorgebirge  Lytarmis 2)  und 
den  Fluss  Carambucis  3),  wo  durch  die  schwache  Kraft  des 
Himmels  die  riphäische  Bergkette  abnimmt.  Hier  sitzen, 
wie  wir  erfahren  haben,  einige  Arimphäer  4),  ein  den  Hy- 
perboräern  nicht  unähnliches  Volk.  Sie  wohnen  in  Wäldern, 
leben  von  Beeren;  das  Haupthaar  zu  tragen,  halten  die 
Männer  und  Weiber  für  schimflich;  ihre  Sitten  sind  milde; 
sie  werden  daher,  wie  man  erzählt,  für  heilig  gehalten, 
und  sogar  von  den  wilden  Grenznachbarn  nicht  beleidigt, 
und  zwar  nicht  allein  sie  selbst,  sondern  auch  alle  die- 
jenigen, welche  zu  ihnen  geflohen  sind.  Hinter  ihnen 
wohnen  wieder  Scythen,  die  Cimmerier,  Cissianther,  Geor- 
gier und  Amazonen.  Letztere  breiten  sich  bis  an  das  cas- 
pische  und  hyrcanische  Meer  hin  aus. 

15. 
Das  Meer  bricht  nämlich  aus  dem  scythischen  Ocean 
im  hintern  Asien  ein,  und  erhält  von  den  Anwohnern  meh- 
rere Namen,  von  denen  die  zwei  des  caspischen  und 
hyrcanischen  die  verbreitetsten  sind5).  Clitarchus  meint, 
es  sei  nicht  kleiner  als  der  Pontus  Euxinus.  Eratosthenes 
giebt  auch  eine  Maassbestimmung  an,  er  sagt  nämlich, 
seine  Ausdehnung  von  Süden  nach  Osten,  längs  den  Küsten 
von  Cadusien  6)  und  Albanien,  betrage  5400  Stadien;  von 


»)  IV.  B.  26.  Cap. 

-)  Vielleicht  Kanine-Noss  am  weissen  Meere. 

3)  Vielleicht  die  Dwina. 

4)  Die  Argippaer  des  Herodot  (IV.  23)? 

5)  Plinius  hält,  wie  die  meisten  seiner  Zeitgenossen,  imger  Weise 
das  caspische  Meer  für  einen  Busen  des  Oceans.  Aber  schon  Herodot 
beschreibt  dasselbe  richtig  als  ein  Binnenmeer.    I.  202. 

6)  Ungefähr  die  heutige  persische  Provinz  Ghilon. 


428 


Sechstes  Buch. 


da  an  den  Ländern  der  Anariacer,  Amarder  und  Hyrcaner  *) 
vorbei,  bis  an  die  Mündung  des  Flusses  Zonus 2)  4800 
Stadien;  weiter  bis  zur  Mündung  des  Jaxartes  3)  2400  Sta- 
dien. Diess  macht  zusammen  1,575,000  Schritte.  Artemi- 
dorus  nimmt  25,000  Schritte  weniger  an.  Agrippa  sagt 
bei  der  Grenzbestimmung  des  caspischen  Meeres  und  der 
umwohnenden  Völker  nebst  Armenien,  dasselbe  grenze 
gegen  Osten  an  den  serischen  Ocean  4),  gegen  Westen  an 
den  Caucasus,  gegen  Süden  an  den  Taurus  und  gegen 
Norden  an  den  scythischen  Ocean,  seine  Länge  betrage,  so 
weit  sie  bekannt  sei,  480,000  und  seine  Breite  290,000 
Sehritte.  Andere  Schriftsteller  geben  aber  den  ganzen 
Umfang  des  Meeres  von  der  Meerenge  an  auf  2,500,000 
Schritte  an. 

Der  Einbruch  erfolgt  durch  einen  engen,  aber  sehr 
langen  Schlund  5);  doch  wo  er  breiter  zu  werden  beginnt, 
da  krümmt  er  sich  mondföimig,  und  zieht  sich  von  der 
Mündung  an  (um  mit  M.  Varro  zu  reden)  in  Form  einer 
Sichel  nach  dem  mäotischen  See  hin.  Der  erste  Busen 
heisst  der  scythische,  demi  auf  beiden  Seiten  desselben 
wohnen  die  Scythen,  welche  über  die  Meerenge  eine  stete 
Verbindung  miteinander  unterhalten,  und  zwar  diesseits  die 
Nomaden  und  Sauromaten  unter  mehrern  Namen  und  jen- 
seits die  Abzoer  unter  nicht  wenigem.  Rechts  vom  Ein- 
gange, an  der  Spitze  der  Mündung  selbst  ist  das  Gebiet 
der  Udiner,  eines  scythischen  Stammes.  Weiterhin  längs 
der  Küste:  die  (wie  man  sagt)  von  Jason  abstammenden 
Albaner,  nach  denen  das  davor  liegende  Meer  das  albanische 
genannt  wird.  Dieses  Volk  verbreitet  sich  über  das  cau- 
casische  Gebirge  bis  an  den  Fluss  Cyrus,  der,  wie  schon 
gesagt 6),  die  Grenze  zwischen  Armenien  und  Iberien  bildet. 


•)  In  der  jetzigen  persischen  Provinz  Masenderan. 
2)  Gihon  oder  Amu  (?)    3j  Szyr. 

4)  Dieser  würde,  wenn  die  Angabe  richtig  wäre,  das  chinesische- 
Meer  sein. 

5)  Hier  ist  die  Wolga  gemeint.    «;  Im  11.  Cap. 


Sechstes  Buch.  429 

Oberhalb  dieses  Seedistrikts  und  der  Udiner  wohnen  die 
Sarmater,  Utidorser  und  Aroterer  und  im  Rücken  derselben 
die  schon  angeführten  sauromatischen  Amazonen.  Flüsse 
die  durch  Albanien  ins  l)  Meer  strömen,  sind:  der  Casius  2) 
und  Albanus  3);  ferner  der  auf  dem  caucasischen  Gebirge 
entspringende  Cambyses  4),  dann  der,  wie  schon  erwähnt 5), 
von  dem  coraxischen  Gebirge  kommende  Cyrus.  Die  ganze 
Küste,  welche  vom  Casius  an  wegen  der  hohen  Felsen  un- 
zugänglich ist,  hat  nach  Agrippa  eine  Länge  von  425,000 
Schritten.  Vom  Cyrus  an  erhält  das  Meer  den  Namen 
des  caspischen;  an  ihm  wohnen  die  Caspier. 

Bei  dieser  Gelegenheit  müssen  wir  einen  Irrthum  vieler 
Schriftsteller  6)  und  selbst  solcher,  welche  an  dem  Feldzuge 
des  Corbulo  in  Armenien  mit  Theil  genommen  haben,  be- 
richtigen. Diese  haben  nämlich  den  Pass  in  Iberien,  von 
welchem  wir  gesagt  haben,  dass  er  der  caucasische  heisse, 
den  caspischen  genannt,  auch  auf  die  entworfenen  und  von 
dort  her  gesandten  Karten  diesen  Namen  geschrieben. 
Ferner  wurde  die  Drohung  des  Kaisers  Nero  7)  auf  den 
caspischen  Pass  bezogen,  da  er  doch  den  meinte,  welcher 
durch  Iberien  zu  den  Sarmaten  führt,  und  wegen  der  da- 
vorliegenden  Berge  ein  anderer  Zugang  zum  caspischen 
Meere  nicht  wohl  möglich  ist.  Es  giebt  zwar  noch  einen 
anderen  zu  den  caspischen  Völkern  führenden  Pass,  den 
man  aber  nur  aus  dem  Berichte  der  Begleiter  Alexander's 
des  Grossen  kennen  lernen  kann. 

16. 
Das   Reich   der   Perser,    welches   bekanntlich  jetzt 
den  Parthern  gehört,  erhebt  sich  an  dem  caucasischen  Ge- 
birge zwischen  zwei  Meeren,  dem  persischen  und  hyrcani- 
schen.    Auf  beiden  Seiten,  längs  der  Abdachungen,  stösst 


')  caspische. 

-)  Sanm.    3)  Terek.     4)  Sumarga.    5)  Im  10.  Cap. 
°)  Auch  Strabo. 

')  Er  wollte  nämlich,    gleich  Alexander,    einen  Feldzug   gegen 
die  asiatischen  Fürsten  unternehmen.     S.  Sueton's  Nero.  Cap.  19. 


430 


Sechstes  Buch. 


Sophene,  wie  wir  bemerkt  haben  l),  mit  der  nach  Comma- 
gene  gerichteten  Vorderseite  von  Gross-Armenien  zusammen, 
undan  Sophene  grenzt  Adiabene  2),  der  Anfang  des  Landes 
der  Assyrier.  Ein  Tb  eil  des  letzteren  heisst  Arbelitis  3), 
an  der  Grenze  von  Syrien,  wo  Alexander  den  Darius  be- 
siegte 4).  Dieses  ganze  Land  nannten  die  Macedonier 
wegen  der  Aehnlichkeit 5)  Mygdouien.  Städte  sind  Alexan- 
drien  und  Antiochia,  die  auch  Nisibis  6)  heisst,  und  von 
Artaxata 7)  750,000  Schritte  entfernt  ist.  Am  westlichen 
Ufer  des  Tigris  lag  auch  die  einst  sehr  berühmte  Stadt 
Ninus  8).  Der  übrige  Landstrich  aber,  welcher  vorn  nach 
dem  caspischen  Meere  zu  liegt,  und  von  dem  armenischen 
Gebiete  Otene  durch  den  Araxes  getrennt  ist,  heisst  Atro- 
patene  9)  mit  der  Stadt  Gaza 10),  welche  450,000  Schritte 
von  Artaxata,  und  ebenso  weit  von  Ekbatana  im  Lande 
der  Meder,  von  denen  die  Uropatener  nur  ein  Theil  sind, 
entfernt  liegt. 

17. 
Ecbatana11),  die  Hauptstadt  Mediens,  vom  König  Se- 
leucus  erbauet,  ist  von  Gross-Seleucia 12)  750,000,  vom  cas- 
pischen Passe  aber  2,000,000  Schritte  entfernt.  Die  übrigen 
Städte  der  Meder  sind:  Phinganzaga,  Apamia  mit  dem 
Beinamen  Rhagiane.  Die  Ursache  des  Namens  „Pass" 
ist  dieselbe  wie  oben,  denn  die  Bergkette  ist  durch  einen 


')  Im  10.  Cap.    2)  Das  Ejalet  Schehrsor. 

3)  Mit  der  Hauptstadt  Arbela,  jetzt  Erbil  in  Kurdistan. 

4)  Diess  war  die  letzte  entscheidende  Schlacht  zwischen  Alexan- 
der und  den  Persern,  im  Jahre  331  v.  Chr.  Sie  ist  auch  unter  dem 
Namen  der  Schlacht  von  Gaugamela  (Enkewat,  einem  Flecken,  10 
Meilen  von  Arbela)  bekannt. 

5)  Mit  dem  mygdonischen  Gebiete  in  Macedonien. 

6)  Nisibin.     ")  Ardschat. 

8)  Oder  Niniveh,  die  Stadt  des  Ninus,  jetzt  ein  Dorf  Nunia. 

9)  Aserbidschan.     ,ü)  Zwischen  Tauris  und  Miana. 

")  Hamadan.      Ihre    erste    Gründung   wird    von  Herodot    (I.  98) 
dem  ersten  König  Mediens,  Dejoces,  zugeschrieben. 
yl)  Madain,  südöstlich  von  Bagdad. 


Sechstes  Buch.  431 

so  engen  Durchgang  unterbrochen,  dass  kaum  einzelne 
Wagen  ihn  passiren  können;  er  ist  ganz  durch  Menschen- 
hände gemacht,  und  hat  eine  Länge  von  8000  Schritten. 
Rechts  und  links  hängen  Klippen  herab,  die  wie  verbrannt 
aussehen,  und  auf  einer  Strecke  von  28,000  Schritten  ist 
kein  trinkbares  Wasser  zu  finden.  Das  von  dem  Felsen 
herabtröpfelnde  und  zusammenfliessende  Salzwasser  er- 
schwert die  Passage,  welche  wegen  der  Menge  von  Schlangen 
auch  nur  im  Winter  möglich  ist 1). 

An  die  Andiabener  grenzen  die  sonst  Carducher  genann- 
ten Corduener  2)  am  Flusse  Tigris;  an  diese  die  Pratiter 
oder  Parodoner  3),  welche  den  caspischenPass  inne  haben. 
An  das  Land  der  letztern  stossen  auf  der  andern  Seite 
die  parteiischen  Wüsten 4)  und  das  cithenische  Gebirge 5). 
Dann  folgt  der  höchst  anmuthige  parthische  Busen  Choara  6). 
Hier  lagen  sonst  zwei,  zum  Schutze  gegen  die  Meder  er- 
bauete  Städte,  Calliope  und  Issatis,  auf  einem  Felsen. 
Aber  Hecatonpylos,  die  Hauptstadt  von  Parthien  selbst,  ist 
133,000  Schritte  vom  Passe  entfernt.  So  wird  auch  das 
Reich  der  Parther  durch  ein  Thor  abgeschlossen.  Beim 
Austritt  aus  dem  Passe  kommt  man  zunächst  zum  caspischen 
Volke,  welches  sich  bis  zur  Küste  erstreckt,  und  dem  Passe 
sowohl,  wie  dem  Meere  den  Namen  gegeben  hat.  Der  Theil 
zur  Linken  ist  bergig 7).  Vom  Gebiete  der  Caspier  an 
rückwärts  bis  zum  Flusse  Cyrus  wird  die  Entfernung  auf 
220,000,  und  von  diesem  Flusse  an  bis  zu  dem  Passe  auf 
700,000  Schritte  angegeben.  Diese  Berechnungen  vom  Passe 
als  Ausgangspunkt  aus  sind  durch  die  Märsche  Alexander's 
des  Grossen  bestimmt;  von  ihm  bis  zur  Grenze  von  Indien 


')  Dieser  Pass  heisst  jetzt  Kharwar,  und  führt  über  den  Dema- 
vend,  eine  Schneekuppe  der  Bergkette  Alburs  in  der  persischen 
Provinz  Taberistan. 

2)  Im  Ejalet  Wan,  um  den  See  Ardisch. 

3I  rtag   böov:  die  am  Wege. 

4)  Die  Wüste  Naubendan  in  der  Provinz  Irak. 

s)  Die  Berge  von  Luristan.    6)  In  der  Provinz  Khusistan. 

7)  Die  Bergkette  Alburs. 


432 


Sechstes  Buch. 


sollen  es  15,680  Stadien,  bis  zur  Stadt  Bactra  *)  oder  Za- 
riaspa  3700  und  von  da  bis  zum  Flusse  Jaxartes  5000 
Stadien  sein. 

18. 
Oestlich  von  den  Caspiern  liegt  die  Landschaft  Apa- 
vortene  2),  und  in  derselben  der  durch  seine  Fruchtbarkeit 
berühmte  Ort  Darejum  3).  Dann  folgen  die  Tapyrer,  Ana- 
riacer,  Staurer,  Hyrcaner  4),  an  deren  Küste,  nämlich  vom 
Flusse  Sideris 5)  an,  das  caspische  Meer  den  Namen  des 
hyrcanischen  erhält.  Diesseits  des  Sideris  sind  die  vom 
Caucasus  kommenden  Flüsse  Maxeras 6)  und  Stratos 7). 
Dann  folgt  die  Landschaft  Margiane8),  reich  an  sonnigen 
Anhöhen,  und  unter  allen  diesen  Ländern  die  einzige,  worin 
Weinbau  getrieben  wird.  Sie  ist  ringsum  von  anmuthigen 
Bergen  eingeschlossen,  hat  1500  Stadien  im  Umfange,  und 
ist  wegen  der  120,000  Schritte  langen  Sandwüsten  schwer 
zugänglich.  Sie  liegt  gegen  Parthien  hin  und  Alexander 
der  Grosse  erbauete  daselbst  Alexandria.  Nachdem  diese 
von  den  Barbaren  zerstört  war,  stellte  sie  Antiochus,  der 
Sohn  des  Seleucus,  auf  derselben  Stelle  unter  einem  an 
Syrien  erinnernden  Namen  wieder  her,  denn  da  der  Mar- 
gus9),  dessen  Zweige  sich  in  dem  Distrikte  von  Zotale 
vereinigen,  sie  durchströmt,  so  zog  er  es  vor,  sie  Antiochia 
zu  nennen10).  Die  Stadt  hat  70  Stadien  im  Umfange. 
Hierher  führte  Orodos  n)  die  bei  der  Niederlage  des  Crassus 
gefangenen  Römer.  Von  den  Höhen  dieser  Gegend  an  über 
den  Caucasus  hin  bis  zu  den  Bactrern  wohnen  die  wilden 
und    freien    Marder12).     Hierauf    die    Ochaner,    Chomarer, 


')  Balkih.    2)  In  der  Begierbergschaft  Masenderan.    3)  Sari. 

4)  In  den  Beglerbergschaften  Masenderan  und  Astrabad. 

5)  Kurkan.     6)  Masenderan.    7)  Sefidrud. 

8)  Das  Land  Mawer  und  die  Provinz  Khorassan.     9)  Murghal. 

,0)  Jetzt  heisst  sie  Meru  Schah  Jehan. 

")  Ein  parthischer  König.  Die  Geschichte  jener  Niederlage 
(53  v.  Chr.)  beschreibt  Plutarch  in  der  Biographie  des  Crassus ,  Cap.  39. 

n)  In  dem  zur  afghanischen  Landschaft  Balkh  gehörenden 
Distrikte  Meimunna  am  Kassarigebirsre. 


Sechstes  Buch.  433 

Berdrigeer,  Harmatotropher,  Bomareer,  Comaner,  Marucäer, 
JMandruaner,  Jatier.  Die  Flüsse  Man  drum  und  Chindrum. 
Weiterhin  die  Chorasmier,  Candarer,  Attasiner,  Paricaner, 
Saranger,  Parrhasiner,  Maratianer,  Nasotianer,  Aorser,  Geler, 
von  den  Griechen  Cadusier  genannt,  und  die  Matianer. 
Die  von  Alexander  erbauete  Stadt  Heraclea,  die  später 
zerstört  aber  von  Antiochus  wieder  hergestellt  und  Acha'is 
genannt  wurde.  Die  Derbicer,  deren  Grenze  der  Oxus  x), 
welcher  aus  dem  See  Oxus  entspringt 2),  mitten  durchschnei- 
det; die  Syrmater,  Oxydracer,  Heniocher,  Batener,  Saraparer, 
Bactrer,  deren  Stadt  Zariaspe  (später  Bactrum) 3)  nach 
einem  Flusse 4)  benannt  ist.  Die  Bactrer  bewohnen  die 
Gegend  hinter  dem  Berge  Paropamisus  5),  auf  dessen  vor- 
derer Seite  die  Quellen  des  Indus  sind,  und  werden  von 
dem  Flusse  Ochus  6)  eingeschlossen.  Weiterhin  folgen  die 
Sogdianer 7),  ihre  Stadt  Panda8),  und  an  der  äussersten 
Grenze  Alexandria  9),  von  Alexander  dem  Grossen  erbauet. 
Hier  befinden  sich  Altäre,  welche  Hercules  und  Bacchus, 
ferner  Cyrus,  Semiramis  und  Alexander  errichtet  haben; 
denn  alle  diese  Personen  setzten  in  dieser  Gegend,  welche 
der  Fluss  Jaxartes 10) ,  den  die  Scythen  Silis  nennen,  und 
den  Alexander  und  seine  Soldaten  für  den  Tana'is  hielten, 
begrenzt,  ihren  Feldzügen  ein  Ziel.  Demodamas,  der  Feld- 
«  herr  der  Könige  Seleucus  und  Antiochus,  dem  wir  vor- 
züglich bei  Beschreibung  dieser  Länder  folgen,  überschritt 
ihn  und  errichtete  dem  Apollo  Didymäus  Altäre. 

19. 
Weiter  hinaus11)   wohnen   scythische   Völker.    Die 
Perser  nennen  sie,  von  dem  zunächst  wohnenden  Stamme, 


')  Gihon  oder  Amu  genannt. 

2)  Er  entspringt  in  Afghanistan  am  Hindu-Kuhs,   aber  nicht  aus 
«inem  See.    3)  Balkh. 

4)  Zariaspes,  jetzt  Dehasch.     5)  Hindu-Kusch.    6)  Tedsen. 

7)  Im    Thale   al   Sogdh    in    dein    zum    Dschagatai    gehörenden 
Lande  Mawarelnahar. 

8)  Samarkand?    9)  Koschend  am  Szyr?     t0)  Szyr. 
u)  Jenseits  des  Jaxartes. 

28 


434 


Sechstes  Buch. 


insgesammt  Sacer;  bei  den  Alten  hiessen  sie  Aramäer.  Die  Scy- 
then  aber  nennen  die  Perser  Chorsarer,  und  den  Caucasus  Grau- 
casis,  d.  h.  schneeweiss.  Die  Menge  dieser  Völkerschaften, 
welche  mit  den  Persern  gleiche  Lebensweise  haben,  ist 
unzählig,  die  berühmtesten  unter  ihnen  sind  die  Sacer, 
Massageter,  Daher,  Essedoner,  Ariacer,  Rhymmicer,  Pasicer, 
Amarder,  Hister,  Edoner,  Camer,  Camacer,  Euchater,  Cotierer, 
Anthusianer,  Psacer,  Arimasper,  Antacater,  Chroasäer  und 
Oeteer.  Die  Napäer  sollen  durch  die  Paläer  untergegangen 
sein.  Bedeutende  Flüsse  daselbst  sind  der  Mandragäus 
und  Caspasius  :).  Ueber  kein  Land  sind  die  Angaben  der 
Schriftsteller  so  schwankend,  was,  wie  ich  glaube,  von  den 
vielen  herumziehenden  Völkern  herrührt.  Das  Wasser  des 
(caspischen)  Meeres  soll,  nach  x41exanders  des  Grossen  Be- 
richte, süss  sein,  und  Marcus  Varro  erzählt,  dass  Pompejus, 
der  im  Mithridatischen  Kriege  dort  commandirte,  dasselbe 
gehört  habe;  ohne  Zweifel  wird  der  Salzgehalt  des  Wassers 
durch  die  vielen  in  dasselbe  strömenden  Flüsse  unterdrückt. 
Varro  fügt  noch  hinzu,  man  habe  durch  des  Pompejus 
Feldzüge  erfahren,  dass  man  in  7  Tagen  von  Indien  zu  den 
Bactrern  am  Flusse  Icarus  2),  welcher  in  den  Oxus  fliesst, 
gelangen,  uud  die  aus  demselben  durchs  caspische  Meer 
in  den  Cyrus  gebrachten  indischen  Waaren  auf  einem  nur 
fünftägigen  Landwege  bis  zum  Phasis  am  Pontus  schaffen 
könne.  In  diesem  ganzen  Meere  liegen  viele  Inseln,  doch 
ist  nur  eine,  Tazata  3),  genauer  bekannt. 

20. 
Vom  caspischen  Meere  und  dem  scythischen  Oceau 
wenden  wir  uns  zum  östlichen  Meere,  dessen  Küste  mit 
der  Vorderseite  gegen  Osten  gerichtet  ist.  Der  vorderste 
Theil  derselben,  vom  scythischen  Vorgebirge  an,  ist  wegen 
des  Schnees  unbewohnt,  der  nächstfolgende  wegen  der 
Wildheit  seiner  Bewohner  unangebauet.  Hier  hausen  die 
anthropophagischen  Scythen,  welche  Menschenfleisch  essen;, 


*)  "Vielleicht  die  Steppenflüsse  Sarasu  und  Tzui. 
8)  Koktscha  (Badaktschan)?    3)  Nephtenoi. 


Sechstes  Buch.  435 

daher  besteht  das  angrenzende  Land  aus  weiten  Einöden 
voll  wilder  Thiere,  welche  die  ihnen  an  Grausamkeit  nicht 
unähnlichen  Menschen  umlagern.  Dann  folgen  wiederum 
Scythen;  hierauf  Wüsten  mit  reissenden  Thieren,  bis  auf 
den  ins  Meer  reichenden  Bergrücken  Tabis  ').  Etwa  erst 
von  der  Mitte  dieser  nach  Südost  gerichteten  Küste  an 
wird  jene  Gegend  bewohnt.  Die  äussersten  bekannten 
Menschen  daselbst  sind  die  Serer,  berühmt  durch  die  in 
ihren  Wäldern  wachsende  Wolle  2),  die  sie  durch  Wasser 
gezogen  von  den  Pflanzen  abkämmen;  hierdurch  erwächst 
unsern  Frauen  die  doppelte  Arbeit,  die  Fäden  wieder  auf- 
zudrehen und  wieder  zu  weben.  So  viele  Mühe  ist  nöthig 
und  soweit  muss  der  Stoff  herbeigeholt  werden,  wenn  eine 
Dame  in  der  Gesellschaft  mit  Glanz  auftreten  soll.  Die 
Serer  sind  zwar  gutmüthig,  aber  darin  den  Wilden  ähnlich, 
dass  sie  den  Umgang  mit  Menschen  fliehen  und  warten, 
dass  man  des  Handels  wegen  zu  ihnen  kommt.  Der  nächste 
bekannte  Fluss  in  ihrem  Gebiete  ist  der  Psitaras,  dann  der 
Combari  und  der  Lanos,  an  welchem  das  Vorgebirge 
Chryse  3)  liegt;  der  Busen  Cyrnaba,  der  Fluss  Atianos,  der 
Busen  und  das  Volk  der  Attacorer,  welches  durch  sonnige 
Hügel  gegen  alle  schädlichen  Winde  geschützt  ist,  und 
dasselbe  Klima  hat  wie  die  Hyperboräer.  Amometus  4)  hat 
über  sie,  sowie  Hecatäus  5)  über  die  Hyperboräer  ein  be- 
sonderes Werk  geschrieben.  An  die  Attacorer  grenzen  die 
Phrurer  und  Tocharer,  und  an  diese  schon  ein  indischer 
Stamm,  die  Casirer,  die  nach  dem  Innern  zu  an  die  Scythen 
stossen  und  Menschenfleisch  essen.  Auch  ziehen  in  Indien 
Nomaden  umher.  Einige  Schriftsteller  geben  an,  dass 
nordöstlich  davon  die  Ciconer  und  Brysarer  wohnen. 


')   Am    Ende     des     Sinus    Gangeticus    (jetzt    Meerbusen     von 
Bengalen). 

2)  Nämlich  die  Seide. 

3)  Vielleicht  das  Cap  Negrais  an  der  Ostküste  des  bengalischen 
Meerbusens. 

4)  Unbekannt.   ■"')  Von  Abdera,  begleitete  Alexander  nach  Persien. 

28* 


436 


Sechstes  Buch. 


21. 

Aber  da  wo  das  emodische  Gebirge x)  sich  erhebt, 
sind  alle  Völker  bekannt.  Den  Anfang  machen  die  Indier, 
deren  Gebiet  nicht  nur  am  östlichen  Meere,  sondern  auch 
an  dem  südlichen,  welches  wir  das  indische  genannt  haben  2), 
liegt,  und  deren  östlicher  Landtheil 3)  sich  in  gerader  Linie 
bis  an  die  Biegung  und  den  Anfang  des  indischen  Meeres 
in  einer  Länge  von  1,875,000  Schritten  erstreckt;  von  der 
Biegung  an  nach  Süden  bis  zum  Flusse  Indus,  der  die 
westliche  Grenze  Indiens  4)  bildet,  beträgt  die  Entfernung 
nach  Eratosthenes  2,475,000  Schritte.  Mehrere  haben  aber 
diese  ganze  Länge  auf  40  Tage-  und  Nachtreisen  eines 
Segelschiffes  berechnet,  und  von  Norden  bis  Süden  2,850,000 
Schritte  angegeben.  Agrippa  nimmt  die  Länge  zu  3,300,000, 
die  Breite  zu  2,3000,000  Schritten  an.  Posidonius  bestimmte 
das  Maass  von  Südost  nach  Nordost,  indem  er  annahm, 
Indien  läge  Gallien  gegenüber,  welches  er  von  Südwest 
nach  Nordost  ausmaass.  Er  bewies  daher  mit  nicht  zu 
bezweifelnden  Gründen,  dass  Indien  dem  Favonius  entgegen 
liege,  durch  den  Hauch  dieses  Windes  erfrischt  werde  und 
dadurch  gesund  sei.  Anders  verhält  es  sich  dort  mit  dem 
Klima,  anders  mit  dem  Aufgehen  der  Gestirne;  jedes  Jahr 
hat  2  Sommer  und.  2  Erndten,  zwischen  welche  während 
des  Wehens  der  Passatwinde  der  Winter  fällt;  zur  Zeit 
unsres  kürzesten  Tages  aber  wehen  dort  milde  Lüfte  und 
das  Meer  ist  schiffbar.  Wollte  Jemand  alle  dortigen  Völker 
und  Städte  namhaft  machen,  so  würde  er  sie  unzählig 
finden.  Wir  verdanken  die  nähere  Bekanntschaft  mit  Indien 
nicht  nur  den  Waffen  Alexanders  des  Grossen  und  der 
ihm  nachfolgenden  Könige,  nicht  nur  dem  Seleucus  und 
Antiochus  und  ihrem  Flottenführer  Patrocles,  welche  um 
dasselbe  bis  in  das  hyrcanische  und  caspische  Meer  fuhren, 
sondern   auch  andern  griechischen  Schriftstellern,  die  sich 


*)  Der  Himalaya.     '-)  Im  14.  Cap. 

3)  Die  Westküste  des  bengalischen  Busens. 

')  Die  Westküste  Vorderindiens. 


Sechstes  Buch.  437 

(wie  Megasthenes  *)  und  Dionysius,  der  von  Philadelphia 
zu  diesem  Endzwecke  dahin  gesandt  war)  längere  Zeit  bei 
den  indischen  Königen  aufhielten  und  auch  Nachrichten 
über  die  Macht  dieser  Völker  geben.  Jedoch  sind  die 
Mittheilungen  so  widersprechend  und  unglaublich,  dass  es 
nicht  möglich  ist,  das  Wahre  zu  sondern.  Die  Begleiter 
Alexanders  des  Grossen  schreiben,  dass  in  demjenigen  Di- 
strikte Indiens,  welchen  sie  unterjocht  hätten,  5000  Städte, 
keine  kleiner  als  (die  Insel)  Cos  und  9000  Völker  gewesen 
wären;  ferner,  dass  Indien  wahrscheinlich  der  dritte  Theil 
der  Erde,  und  die  Volksmenge  darin  unzählig  sei.  Denn 
die  Indier  sind  fast  die  einzige  Nation,  die  nie  über  ihre 
Grenzen  gewandert  ist.  Vom  Bacchus  bis  auf  Alexander 
den  Grossen  zählt  man  153  Könige,  die  in  einem  Zeitraum 
von  6451  Jahren  3  Monaten  daselbst  geherrscht  haben. 
Die  Flüsse  sind  unermesslich  gross.  Alexander,  welcher 
den  Indus  befuhr,  soll  täglich  nicht  unter  600  Stadien  zu- 
rückgelegt haben  und  doch  erst  nach  5  Monaten  und 
einigen  Tagen  bis  an  sein  Ende  gekommen  sein.  Der 
Ganges  wird  für  noch  grösser  gehalten.  Seneca 2),  der 
unter  uns  einen  Versuch  einer  Beschreibung  von  Indien 
gemacht  hat,  giebt  die  Anzahl  der  Flüsse  auf  60  und  die 
der  Völker  auf  118  an.  Gleiche  Mühe  würde  es  machen, 
alle  Berge  aufzuzählen.  Der  Irnaus,  Emodus,  Paropa- 
misus  und  Caucasus,  von  denen  das  ganze  Land  in  eine 
Aegypten  ähnliche,  unermessliche  Ebene  ausläuft,  hängen 
miteinander  zusammen. 

Damit  man  aber  dieses  Land  einigermaassen  kennen 
lerne,  wollen  wir  Alexander  dem  Grossen  Schritt  vor  Schritt 
folgen.    Diognetus  und  Bäston,  welche  die  Märsche  desselben 


')  Um  300  v.  Chi-.,  Gesandter  des  Königs  Seleucus  Nicator  von 
Syrien  nach  Palibothra ,  der  Hauptstadt  des  persischen  Königs 
Androkottas,  zum  Abschluss  eines  Bündnisses. 

a)  L.  Annaeus  Seneca,  Sohn  des  M.  A.  Seneca,  geb.  2  n.  Chr., 
wurde,  dem  Nero  als  Theilnehmer  an  der  Verschwörung  des  Piso 
verdächtigt,  65  zum  Tode  verurtheilt,  Hess  sich  die  Adern  öffnen 
und  trank  dann  Gift. 


438  Sechstes  Buch. 

gemessen  haben,  schreiben,  dass  es  vom  caspiscben  Passe 
bis  nach  Hecatonpylos  in  Parthien  ebenso  viel  Tausend 
Schritte  seien,  wie  wir  oben  x)  angaben;  von  da  bis  Ale- 
xandria Arios 2),  welche  Stadt  derselbe  König  bauete, 
565,000  Schritte;  von  da  bis  Prophthasia 3),  einer  Stadt 
der  Dranyer  199,000;  von  da  bis  zur  Stadt  der  Aracbosier 
565,000;  bis  Ortospanum  4)  250,000;  bis  zur  Stadt  Alexan- 
ders 5)  50,000  Schritte.  In  einigen  Exemplaren  sind  die 
Zahlen  verschieden,  auch  soll  letztere  Stadt  am  Fusse  des 
Caucasus  liegerj.  Von  da  bis  zum  Flusse  Cophes 6)  und 
der  indischen  Stadt  Peucolaitis  7)  beträgt  die  Entfernung 
237,000;  von  da  bis  zum  Flusse  Indus  und  der  Stadt  Ta- 
xila 8)  60,000,  bis  an  den  berühmten  Hydaspes  9)  120,000, 
und  bis  an  den  Dicht  weniger  berühmten  Hypasis 10)  29,390 
Schritte.  Bis  hierher  drang  Alexander  vor,  jedoch  setzte 
er  noch  über  den  Fluss  und  errichtete  am  jenseitigen  Ufer 
Altäre.  Die  Briefe  des  Königs  stimmen  mit  diesen  Angaben 
überein.  Den  übrigen  Theil  des  Landes  von  hier  an  hat 
Seleucus  Nicator  durchzogen.  Bis  an  den  Sydrus11)  sind 
es  168,000  Schritte  und  bis  zum  Jomanes12)  ebenso  viele. 
Einige  Exemplare  geben  5000  Schritte  mehr  an.  Von  da 
bis  zum  Ganges  112,000,  bis  Rhodapha13)  569,000.  Andere 
geben  diese  Entfernung  auf  325,000  an.  Bis  zur  Stadt 
Calinipaxa 14)  167,500,  nach  Andern  265,000;  von  da  bis 
an  den  Zusammenfluss  des  Iomanes  und  Ganges  625,000, 


')  Im  17.  Cap. 

2)  In  der  Nähe  der  heutigen  Stadt  Dorra.  Sie  war  für  den 
Handel  der  alten  Welt  wichtig,  denn  sie  lag  am  Wege  der  indischen 
"Karavanen. 

3)  Zarang  in  Segestan,  am  Flusse  Hind-Mend  (sonst  Etymandur). 

4)  Kandahar.     5)  S.  25.  Cap. 

6)  Kurrum.     ?)  Bunnu.     8)  Attook.     '•>)  Schelum. 
,0)  Auch  Hyphasis  und  Hypanis  genannt;  jetzt  Begah. 
")  Suteledi. 

,2)  Jumnah  oder  Zemna.  Bei  Ptolemäus  heisst  dieser  Fluss  Dia- 
raura;  Andere  halten  ihn  für  den  Palibothros. 

,3)  Ramgat.     u)  Auch  Pazalä  genannt;  jetzt  Canoge  oder  Canoz. 


Sechstes  Buch.  439 

wozu  die  Meisten  noch  13,000  hinzufügen;  bis  zur  Stadt 
Palibothva  *)  425,000,  und  bis  zur  Mündung  des  Ganges 
637,500  Schritte. 

Folgende  Völker  von  dem  emodischen  Gebirge  an, 
dessen  Vorgebirge  Imaus  heisst  2),  was  in  der  dortigen 
Landessprache  „schneebedeckt"  bedeutet,  verdienen  genannt 
zu  werden:  die  Isarer,  Cosyrer,  Izger  und  auf  dem  Gebirge 
selbst  die  Chisiotosager;  ferner  viele  Völker  unter  dem 
Beinamen  Brachmanen,  zu  denen  die  Maccocalinger  3)  ge- 
hören. Die  schiffbaren  Flüsse  Prinas  4)  und  Cainas  5), 
welcher  letztere  sich  in  den  Ganges  ergiesst.  Die  Calinger 
am  Meere,  hinter  diesen  die  Mandeer  und  Maller,  in  deren 
Gebiete  der  Berg  Mallus  liegt.  Die  Grenze  des  Landes 
bildet  der  Ganges. 

22. 

Nach  Einigen  entsteht  der  Ganges,  wie  der  Nil,  aus 
noch  unbekannten  Quellen  und  bewässert  das  benachbarte 
Land  auf  gleiche  Weise,  nach  Andern  entspringt  er  auf 
den  scythischen  Bergen.  In  ihn  ergiessen  sich  19  Flüsse, 
von  welchen,  ausser  den  schon  genannten,  schiffbar:  der 
Condocbates6),  Erannoboas7),  Cosoagus8)  und  Sonus9)  seien. 
Andere  erzählen,  er  breche  sogleich  mit  grossem  Getöse 
aus  seinen  Quellen  hervor,  stürze  über  Felsen  und  Abhänge 
und  gelange  von  da  zuerst  in  einer  schönen  Ebene  in  einen 
See;  dann  fliesse  er  langsam,  seine  geringste  Breite  betrage 
8000  Schritte,  seine  mittlere  100  Stadien,  seine  Tiefe  nie 
weniger  als  20  Schritte.  Das  letzte  Volk  an  seinen  Ufern 
sollen   die   gangaridischen    Calinger   sein.     Die   königliche 


')  Patelputer;  bei  Allahabad  befinden  sich  noch  Ruinen  von  ihr. 
Sie  war  einst  die  grösste  und  reichste  Stadt  in  Indien,  und  die  Haupt- 
stadt der  Prasier,  die  daher,  sowie  oft  auch  alle  zwischen  dem  Ganges 
und  Indus  wohnende  Stämme  Palibothrer  hiessen. 

2)  Der  östliche  Theil  des  Himalaya. 

3)  Auf  der  Ostseite  des  Ganges  nach  der  Mündung  zu. 

4)  Rinde. 

5)  Keane.  Er  fliesst  in  die  Jumna  und  durch  diese  in  den  Ganges. 

6)  Gunduk.    7)  Ramgonga.     8)  Kosa.     9)  Sone. 


440  Sechstes  Buch. 

Residenz  derselben  heisst  Protalis  *).  Für  den  König  stehen 
60,000  Fussgänger,  1000  Reiter  und  700  Elephanten  stets 
kriegsgerüstet  bereit. 

Die  gesittetem  Völker  Indiens  führen  eine  sehr  ver- 
schiedene Lebensweise.  Einige  bauen  das  Land,  Andere 
thun  Kriegsdienste  und  noch  Andere  führen  ihre  Waaren 
aus  und  fremde  ein.  Die  Besten  und  Reichsten  leiten  die 
öffentlichen  Angelegenheiten,  üben  die  Rechtspflege  und 
sind  die  Räthe  der  Könige.  Eine  fünfte  Klasse  hat  sich 
der  dort  hoch  gefeierten  und  beinahe  zur  Religion  gewor- 
denen Weisheit  ergeben,  und  endigt  ihr  Leben  durch  frei- 
willigen Tod  auf  dem  Scheiterhaufen.  Noch  eine  Klasse 
ausser  dieser  ist  halbwild  und  mit  den  schwersten  Arbeiten, 
nämlich  dem  Einfangen  und  Zähmen  der  Elephanten,  be- 
lastet. Dieser  Thiere  bedienen  sie  sich  zum  Pflügeu  und 
zum  Ziehen,  und  darin  besteht  grösstenteils  ihre  Vieh- 
zucht; sie  brauchen  sie  im  Kriege  und  vertheidigen  damit 
ihre  Grenzen.  Für  den  Kriegsdienst  wählen  sie  sie  nach 
der  Stärke,  dem  Alter  und  der  Grösse. 

Im  Ganges  liegt  eine  Insel  von  grossem  Umfange,  auf 
der  die  Modogalinger  wohnen.  Jenseits  des  Flusses  folgen 
die  Moduber,  Molinder,  Uberer  in  einer  prachtvollen  Stadt 
gleichen  Namens,  die  Modröser,  Preter,  Caloser,  Sasurer, 
Passaler,  Coluber,  Oruncoler,  Abaler,  Taluter.  Der  König 
derselben  hat  50,000  Fussgänger,  4000  Reiter  und  400  Ele- 
phanten unter  den  Waffen.  Dann  folgt  das  noch  mächtigere 
Volk  der  Andarer  in  vielen  Flecken  und  30  Städten,  die 
mit  Mauern  und  Thürmen  versehen  sind;  dem  Könige  stellen 
sie  100,000  Fussgänger,  2000  Reiter  und  1000  Elephanten. 
Die  Darder  haben  viel  Gold  und  die  Seter  viel  Silber. 

Aber  fast  unter  allen  Völkern  Indiens  und  nicht  bloss 
dieses  Landstriches,  stehen  die  Prasier  durch  Macht  und 
Ruhm  oben  an.  Ihnen  gehört  die  grosse  und  reiche  Stadt 
Palibothra  2),  nach  welcher  Einige  das  Volk  selbst  Palibro- 
ther,  ja  sogar  das  ganze  Land  am  Ganges  danach  benannt 


')  Cutlo  (Cooloo)  am  Mahanudyflusse.    2)  Patelputer. 


Sechstes  Buch.  441 

haben.  Für  den  König  wird  stets  ein  Heer  von  600,000 
Fussgängern,  30,000  Reitern  und  9000  Elephanten  unter- 
halten, woraus  man  auf  ihre  bedeutende  Macht  schliessen 
kann.  Auf  diese  folgen  im  Innern  des  Landes  die  Moneder 
und  Suarer,  in  derem  Gebiete  der  Berg  Maleus  x)  liegt,  an 
welchem  der  Schatten  im  Winter  nach  Norden,  und  im 
Sommer  6  Monate  lang  nach  Süden  fällt.  Bäton  berichtet, 
der  grosse  Bär  erscheine  in  dieser  Gegend  nur  einmal,  und 
zwar  nur  15  Tage  lang  im  Jahre;  nach  Megasthenes  soll 
diess  in  mehreren  Gegenden  Indiens  der  Fall  sein.  Den 
Südpol  nennen  die  Indier  Diamasa.  Der  Fluss  Jomanes  2) 
fliesst  durch  das  Gebiet  der  Palibrother,  und  zwischen  den 
Städten  Methora  und  Chrysobora  3)  in  den  Ganges.  In  dem 
südlich  vom  Ganges  liegenden  Distrikte  sind  die  Bewohnev 
von  der  Sonne  gefärbt,  aber  nur  etwas,  und  nicht  ver- 
brannt wie  die  Aethiopier;  je  mehr  sie  sich  dem  Indus 
nähern,  desto  mehr  verräth  ihre  Farbe  die  Kraft  der  Sonne. 
Der  Indus  fliesst  dicht  am  Gebiete  der  Prasier  hin;  in  den 
Berggegenden  sollen  die  Pygmäer  wohnen.  Nach  Artemi- 
dorus  beträgt  die  Entfernung  zwischen  beiden  Flüssen 
2,100,000  Schritte. 

23. 
Der  Indus,  von  den  Eingebornen  Sindus 4)  genannt, 
entspringt  auf  dem  Paropamisus  5),  einem  Bergrücken  des 
Caucasus,  fliesst  gegen  Osten  und  nimmt  ebenfalls  19 
Flüsse  in  sich  auf.  Unter  diesen  sind  die  bedeutendsten 
der  Hydaspes6),  in  welchen  noch  4  andere,  und  der  Can- 
tabras  7),  in  welchen  noch  3  andere  fallen,  ferner  die  an 
sich  schon  schiffbaren  Acesines 8)  und  Hypasis 9).  Und 
doch  ist  seine  Wassermenge  nur  massig,  nirgends  ist  er 
über  50  Stadien  breit,  oder  über  15  Schritte  tief;  er  bildet 


')  Vindhya.     2)  Junina. 

3)  Eine  von  diesen  Städten  ist  das  heutige  Allahabad. 

4)  Sind.     5)  Hindu  Kusch.    6)  Schelum. 

7)  Vielleicht  identisch  mit  dem  Hydrostes,  jetzt  Rawi. 

»)  Khenab.    9)  Bejah. 


442  Sechstes  Buch. 

eine  sehr  ausgedehnte  Insel,  Namens  Prasiane  *),  und  eine 
andere  kleinere,  Patale2)  genannt.  Nach  den  Angaben 
derjenigen  Schriftsteller,  welche  am  wenigsten  übertreiben, 
kann  er  auf  einer  Strecke  von  1,250,000  Schritten  befahren 
werden,  wendet  sich,  gleichsam  von  der  Sonne  begleitet, 
nach  Westen  und  ergiesst  sich  in  den  Ocean.  Die  Maass- 
bestimmungen längs  dem  Ufer  bis  zu  seiner  Mündung  gebe 
ich,  wie  ich  sie  finde,  im  Allgemeinen,  obgleich  die  An- 
gaben unter  sich  gar  nicht  übereinstimmen.  Von  der  Mün- 
dung des  Ganges  bis  zum  Vorgebirge  Calingon  3)  und  zur 
Stadt  Dandaguda  4)  625,000  Schritte;  bis  Tropina  5)  1,225,000; 
bis  zum  Vorgebirge  Perimulä  6),  wo  der  berühmteste  Sta- 
pelplatz Indiens  liegt  750,000;  bis  zu  der  Stadt 7)  auf  der 
oben  angeführten  Insel  Patale  620,000  Schritte. 

Die  zwischen  dem  Indus  und  dem  Jomanes  wohnenden 
Bergvölker  sind  die  Ceser  und  die  in  Wäldern  wohnenden 
Cetriboner;  dann  die  Megaller,  deren  König  500  Elephan- 
ten  hat;  die  Anzahl  seiner  Fussgänger  und  Reiter  ist  un- 
gewiss. Die  Chryseer,  Parasanger,  Asanger,  in  deren  Ge- 
biete es  viele  Tiger  giebt;  sie  bewaffnen  30,000  Fussgänger, 
300  Elephanten  und  800  Reiter.  Diese  Völker  schliesst  der 
Indus  ein,  und  ein  Kranz  von  Bergen  und  Einöden  umgiebt 
sie  in  einer  Ausdehnung  von  625,000  Schritten.  Hinter  diesen 
Einöden  wohnen  die  Darer  und  Surer,  dann  folgen  wieder 
187,000  Schritte  weit  Einöden,  welche  jene  Distrikte 
meistens  mit  Sand,  gleichwie  das  Meer  die  Inseln,  um- 
geben. Hiernächst  folgen  die  Maltecorer,  Singer,  Maroher, 
Rarunger  und  Moronter.  Diese  bewohnen  die  Berge,  welche 
sich  ununterbrochen  längs  der  Küste  des  Oceans  hinziehen; 
sie  sind  frei,  haben   keine  Könige,  aber  viele  Städte  auf 


')  Das  von  Flüssen  eingeschlossene  Pendschab'? 

-)  Der  zwischen  den  Mündungen  des  Indus  liegende  Theil  von  Sind. 

3)  Segogora  oder  Ponta  de  Palmeiras ;  Andere   halten  es  für  das 
Cap  Godaverg. 

4)  Coringa.     s)  Cochin? 

°)  Die  Landspitze  südlich  von  der  Insel  Bombay.    7)  Tatta. 


Sechstes  Buch.  443 

ihren  Anhöhen.  Dann  folgen  die  Nareer,  welche  der  höchste 
Berg  Indiens,  der  Capitalia  1),  einschliesst.  Die  Bewohner 
desselhen  auf  der  andern  Seite  graben  weit  und  breit  Gold  und 
Silbererze.  An  diese  grenzen  die  Orater,  deren  König  zwar 
nur  10  Elephanten,  aber  eine  bedeutende  Anzahl  Fussvolk 
hat;  die  Suaratarater,  welche  unter  einem  Könige  stehen, 
aber  keine  Elephanten  halten,  sondern  sich  bloss  auf  ihre 
Beiterei  und  das  Fussvolk  verlassen.  Die  Odanbeorer  und 
Arabastrer.  Die  Horacer  in  einer  schönen,  durch  sumpfige 
Gräben  geschützten  Stadt;  über  dieselben  kann  man  nur  durch 
Hilfe  einer  Brücke  gelangen,  denn  die  darin  befindlichen 
nach  Menschenfleisch  begierigen  Krocodile  versperren  jeden 
andern  Zugang.  Man  rühmt  noch  eine  andere  Stadt  dieses 
Volkes,  Automula  2),  welche  an  der  Küste  liegt,  und,  da  hier 
5  Flüsse  sich  zu  einem  vereinigen,  ein  berühmter  Handels- 
platz ist.  Ihr  König  hat  1600  Elephanten,  150,000  Fuss- 
gänger  und  5000  Reiter.  Aermer  ist  der  König  der  Char- 
mer,  welcher  nur  60  Elephanten  und  übrigens  nur  schwache 
Streitkräfte  hat.  An  diese  grenzen  die  Pander,  das  einzige 
Volk  in  Indien,  welches  von  Frauen  beherrscht  wird.  Man 
erzählt,  dem  Herkules  sei  nur  eine  Tochter  geboren,  die 
ihm  aber  desshalb  um  so  lieber  geworden  und  mit  einem 
Königreiche  beschenkt  sei.  Die  Nachkommen  derselben 
herrschen  über  300  Städte,  150,000  Mann  Fussvolk  und 
500  Elephanten.  Auf  diese  Reiche  von  300  Städten  folgen 
die  Daranger,  Posinger,  Buter,  Gogareer,  Umbrer,  Nereer, 
Brancoser,  Nobunder,  Coconder,  Neseer,  Palatider,  Solobri- 
aser,  und  die  an  die  Insel  Patale,  von  deren  äussersten  Küste 
bis  zum  caspischen  Passe  die  Entfernung  1,925,000  Schritte 
betragen  soll,  grenzenden  Olostrer. 

Hierauf  folgen  aufwärts  am  Indus,  wie  mit  Bestimmt- 
heit ermittelt  ist,  die  Athoer,  Bolinger,  Gallitaluter,  Dimu- 
rer,  Megarer,  Ardaber,  Meser;  hiernach  die  Urer  und  Siler. 
Dann   kommen  Wüsten  in  einer  Ausdehnung  von  250,000 


»)  Ein  Gipfel  der  Gats  (Ghauts).    2)  Nach  Einigen  Cochin. 


444 


Sechstes  Buch. 


Schrittten.  Sodann  die  Organager,  Abortei-,  Bassuerter,  hier- 
auf wieder  Einöden,  die  den  vorigen  gleichen.  Weiter  die 
Sorophager,  Arber,  Marogomatrer  undUmbritter,  welche  letz- 
tere 12  Stämme,  jeder  mit  2  Städten  bilden.  Die  Asiner  woh- 
nen in  3  Städten;  ihre  Hauptstadt  Bucephala  *)  wurde  zu 
Ehren  des  Pferdes  Alexanders  des  Grossen,  welches  diesen 
Namen  führte  und  dort  begraben  liegt,  erbauet.  Hinter 
diesen  wohnen  am  Cau casus  die  Soseader  und  Sondier  2), 
und  jenseits  des  Indus  längs  dem  Ufer  hinunter  die  Saina- 
rabrier,  Sambracener,  Bisambriter,  Orser,  Antixener,  Taxil- 
ler  mit  einer  berühmten  Stadt,  die  da  liegt,  wo  sich  die 
Gegend  schon  wieder  zur  Ebene  abdacht  und  den  Namen 
Amenda  3)  führt.  Vier  Völkerschaften:  die  Peucolaiter,  Ar- 
sagaliter,  Gereter  und  Assoer  4). 

Die  meisten  Schriftsteller  nehmen  aber  den  Indus  nicht 
als  westliche  Grenze  5)  an,  sondern  fügen  noch  4  Satrapien 
hinzu,  die  Gedroser,  Arachoter,  Arier  und  Paropamisader, 
und  bestimmen  den  Fluss  Cophes  6)  als  äusserste  Grenze. 
Andere  sagen,  dieser  ganze  Distrikt  gehöre  den  Ariern. 
Auch  die  Stadt  Nysa 7)  rechnen  viele  zu  Indien,  ferner 
den  Berg  Merus,  der  dem  Bacchus  geheiligt  ist,  und  zu  der 
Fabel  Veranlassung  gegeben  hat,  Bacchus  sei  aus  einem 
Schenkel  Jupiters  geboren  8).  Ebenso  werden  die  Astacaner 
zu  den  indischen  Völkern  gezählt,  deren  Land  reich  an 
Wein,  Lorbeeren,  Buxus  und  allen  in  Griechenland  wach- 
senden Obste  ist.  Was  sonst  noch  Merkwürdiges  und  fast 
Fabelhaftes  von  der  Fruchtbarkeit  dieses  Landes,  den  Arten 
der  Früchte  und  Bäume,  den  wilden  Thieren,  Vögeln  und 
andern  Geschöpfen  erzählt  wird,  soll  in  einem  spätem 
T heile  dieses  Werkes  an  seinem  Orte  angegeben  werden. 
Von  den  4  Satrapien  weiter  unten;  jetzt  eilen  wir  im  Geiste 
nach  der  Insel  Taprobane. 

Vorher  jedoch  berühren   wir  noch  einige  Inseln,   als 


>)  Ziemlich  an  der  Stelle  des  heutigen  Multan.    2)  In  Kabul. 
3)  Attok.    4)  In  Lahore.     5)  Indiens.     6)  Kurrum.     7)  Nughz. 
8)  MQoq  heisst  nämlich  der  Schenkel. 


Sechstes  Buch.  445 

Patale,  von  der  wir  gesagt  haben,  dass  sie  an  der  Mündung 
des  Indus  liege.  Sie  hat  eine  dreieckige  Gestalt  und 
220,000  Schritte  in  der  Breite.  Ausserhalb  derselben  liegt 
Chryse  und  Argyre,  beide,  wie  ich  glaube,  ergiebig  an 
Metallen;  denn  was  Andere  erzählen,  dass  ihr  Boden  ganz 
aus  Gold  und  Silber  bestehe,  möchte  ich  bezweifeln. 
20,000  Schritte  davon  liegt  Crocala;  12,000  Schritte  davon 
Bibaga  *),  reich  an  Austern  und  Muscheln.  Dann  Toralliba 
3000  Schritte  von  der  obengenannten  und  noch  viele  un- 
bedeutende. 

24. 
Man  hat  lange  geglaubt,  Taprobane2)  sei  die  andere 
Hälfte  des  Erdkreises,  und  sie  daher  das  Land  der  Antich- 
thonen  (Gegenfüssler)  genannt.  Erst  im  Zeitalter  Alexan- 
ders des  Grossen  und  durch  dessen  Unternehmungen  hat 
es  sich  erwiesen,  dass  sie  eine  Insel  ist.  Onesicritus,  sein 
Befehlshaber  der  Flotte,  schreibt,  dass  die  Elephanten  dort 
grösser  und  zum  Kriege  tauglicher  seien,  als  in  Indien. 
Nach  Megasthenes  wird  die  Insel  von  einem  Flusse  durch- 
schnitten, ihre  Einwohner  hiessen  Paläogoner,  und  man 
fände  dort  mehr  Gold  und  grössere  Perlen  als  in  Indien. 
Eratosthenes  bestimmt  ihre  Länge  auf  7000,  ihre  Breite  auf 
5000  Stadien,  und  sagt,  Städte  gäbe  es  nicht  auf  ihr,  wohl 
aber  700  Dörfer.  Sie  nimmt  ihren  Anfang  im  eoischen 
Meere,  zieht  sich  von  Osten  nach  Westen  vor  Indien  hin, 
und  soll,  nach  einer  früheren  Meinung,  20  Seetagereisen 
vom  Gebiete  der  Prasier  entfernt  sein;  später  aber,  als 
man  mit  Schiffen  aus  Papyrus,  die  auch  nur  mit  dem  auf 
dem  Nile  gebräuchlichen  Takelwerke  versehen  waren,  dorthin 
fuhr,  berechnete  man  die  Entfernung,  nach  dem  Laufe  unserer 
Schiffe,  auf  sieben  Tagereisen.  Das  dazwischen  liegende  Meer 
ist  seicht  und  im  Ganzen  nicht  über  6  Schritte  tief,  aber  auf  ge- 
wissen Strecken  so  tief,  dass  die  Anker  keinen  Grund  finden, 
wesshalb  man  den  Schiffen  an  beiden  Enden  Vordertheile 


')  Oder  Bibacta  an  der  Küste  von  Gedrosien. 
-)  Ceylon. 


446 


Sechstes  Buch. 


giebt,  damit  man  nicht  nöthig  hat,  sie  in  diesen  engen 
Fahrgassen  umzuwenden.  Die  Ladungsfähigkeit  dieser 
Schiffe  beläuft  sich  auf  3000  Amphoren.  Auf  die  Gestirne 
nimmt  man  bei  diesen  Fahrten  keine  Rücksicht,  und  der 
grosse  Bär  ist  dort  unsichtbar.  Die  Schiffer  nehmen  aber 
Vögel  mit,  lassen  sie  oft  ausfliegen  und  folgen  dem  Wege, 
den  diese  nach  dem  Lande  zu  nehmen.  Die  Schifffahrt 
dauert  dort  nur  4  Monate  lang;  besonders  vermeidet  man 
sie  100  Tage  nach  dem  Sommer-Solstitium,  weil  dann  auf 
jenem  Meere  der  Winter  herrscht. 

So  weit  reichen  die  Nachrichten  der  Alten;  wir  haben 
aber  unter  der  Regierung  des  Claudius  genauere  Kennt- 
niss  erhalten,  wo  sogar  Gesandte  von  jener  Insel  zu  uns 
kamen.  Die  Veranlassung  dazu  war  folgende:  Ein  Frei- 
gelassener des  Annius  Plocamus,  der  den  Zoll  am  rothen 
Meere  vom  Fiscus  gepachtet  hatte,  wurde  auf  einer  Fahrt 
an  der  arabischen  Küste  vom  Nordostwinde  über  Carmanien  *) 
hinaus  verschlagen,  und  gelangte  am  15ten  Tage  in  den 
Hafen  Hippuris  auf  jener  Insel.  Der  König  behandelte 
ihn  mit  gastfreundlicher  Milde;  nach  6  Monaten  hatte  er 
die  Landessprache  so  weit  gelernt,  dass  er  jenem  auf  sein 
Befragen  von  den  Römern  und  ihren  Kaisern  erzählen 
konnte.  Unter  allem,  was  der  König  vernahm,  wunderte  er 
sich  nicht  wenig  über  die  Gerechtigkeit  der  Römer,  denn 
die  unter  dem  erbeuteten  Gelde  befindlichen  Denare  waren 
alle  von  gleichem  Gewichte,  da  doch  die  verschiedenen 
Bilder  auf  ihnen  anzeigten,  dass  Mehrere  sie  hatten  prägen 
lassen.  Diess  bestimmte  ihn  am  meisten  zur  Freundschaft, 
und  er  schickte  4  Gesandte  nach  Rom,  von  denen  der 
vornehmste  Rachia  2)  hiess.  Von  diesen  erfuhr  man ,  die 
Insel  habe  500  Städte,  und  an  der  Südküste  einen  Hafen 
mit  der  Stadt  Paläsimundum  3),  welche  von  allen  die  be- 
deutendste, zugleich  die  königliche  Residenz  sei  und  200,000 
Einwohner  habe.  Im  Innern  liege  der  See  Megisba,  der 
375,000  Schritte  im  Umfange  habe  und  mehrere  Inseln  ent- 


')  Afghanistan.    *)  Radscha.     3)   Coloniho. 


Sechstes  Buch.  447 

halte,  auf  welchen  nur  Viehfutter  wachse.     Aus  demselben 
ergössen  sich  2  Flüsse,  der  Paläsimundus  *),  welcher  sich 
bei  der  Stadt  gleichen  Namens  in  3  Armen  in  den  Hafen 
ergösse,  von  denen  der  schmälste  5,   der  breiteste  aber  15 
Stadien  breit  sei;  der  andere  Fluss,  welcher  gegen  Norden 
und   Indien  seine  Richtung  nehme,  heisse  Cydara 2).    Das 
nächste  Vorgebirge  Indiens  sei  Coliacum  3),  seine  Entfernung 
betrage  4  Tagereisen,  und  auf  der  Mitte  des  Weges  läge 
die  Sonneninsel 4).    Das  Meer   sei  dort  von  dunkelgrüner 
Farbe  und  voll  baumartigen  Gesträuchs,  deren  kammartige 
Zweige  die  Ruder  durchschnitten.    Die  Gesandten  wunder- 
ten   sich    über  den   grossen  Bären   und   das   Siebengestirn 
bei  uns,  gleichsam    wie   über   einen   neuen    Himmel.     Sie 
erzählten,   dass  der  Mond  bei  ihnen   nur  vom  achten  bis 
sechszehnten  Tage   sichtbar  sei;   des  Nachts   leuchte   der 
Canopus,  ein  sehr  grosses  und  helles  Gestirn.     Ganz  wun- 
derbar kam  es  ihnen  vor,  dass  ihre  Schatten  nach  unserer 
Himmelsgegend    hin    fielen    und    nicht   nach    der    ihrigen, 
ferner,   dass   die   Sonne   hier   zur   Linken 5)   auf-  und   zur 
Rechten  unterginge,   während,   bei   ihnen   das   Umgekehrte 
stattfände.    Nach   ihrer   Aussage   ist   die  nach  Indien   ge- 
wandte Seite  ihrer  Insel  10,000  Stadien  lang  und  hat  eine 
südöstliche  Richtung.    Auch  sähen  sie  das  hinter  dem  emo- 
dischen  Gebirge  liegende  Gebiet  der  Serer,  die  ihnen  durch 
den  Handel  gleichfalls  bekannt  wären;  der  Vater  des  Rachia 
sei  dort  gewesen,  und  die  Serer  kamen  ihnen  unterwegs 
entgegen.    Sie  überträfen  an  Grösse  die  andern  Menschen, 
hätten  rothe  Haare,  bläuliche  Augen,  und  gäben  bloss  rauhe 
Töne,  keineswegs  aber  verständliche  Worte  von  sich.     Was 
sie  ausserdem  noch  von  ihnen  sagten,  haben  uns  unsere 
Handelsleute    ebenfalls    berichtet.      Sie    nähmen    nämlich, 
wenn  ihnen  der  Tausch  gefiele,  die  Waaren,  welche  von  jenen 
an  das  jenseitige  Ufer  des  Flusses  neben  die,  welche  sie  ver- 


l)  Muliwaddy.    2)  Malivagunga.    3)  Cap  Comorin. 

4)  Ramanancur. 

5)  Nämlich  das  Gesicht  nach  Süden  gewandt. 


iio  Sechstes  Buch. 

kaufen  wollten,  gelegt  worden  wären,  mit  sich  fort;  denn 
der  Luxus  verdient  schon  desshalb  den  grössten  Hass,  weil 
das  von  ihm  verführte  Geniüth  nur  daran  denkt,  was  und 
woher  und  warum  es  etwas  verlangen  soll. 

Doch  selbst  Taprobane,  wenn  gleich  von  der  Natur 
aus  unserer  Erdhälfte  verwiesen,  ist  nicht  von  unseren 
Lastern  frei.  Gold  und  Silber  haben  auch  dort  Werth;  der 
schildkrötenartig  gezeichnete  Marmor,  die  Edelsteine  und 
Perlen  werden  noch  weit  höher  geschätzt,  dazu  die  ganze 
Masse  der  Luxusartikel.  Sie  sagten,  ihre  Sehätze  wären 
grösser,  aber  wir  machten  von  unserm  Reichthume  mehr 
Gebrauch.  Niemand  habe  einen  Sclaven;  man  schlafe  nicht 
bis  in  den  Tag  hinein  oder  während  des  Tages,  die  Ge- 
bäude wären  nicht  sehr  hoch,  die  Getreidepreise  würden 
nicht  erhöhet,  von  Gerichtshöfen  und  Processen  wisse  man 
nichts;  Hercules  würde  bei  ihnen  verehrt.  Zum  Könige 
würde  einer  aus  dem  Volke  erwählt,  der  schon  alt  und 
von  milden  Gesinnungen  sei;  er  dürfe  auch  keine  Kinder 
haben,  und,  wenn  er  später  welche  zeuge,  so  müsse  er  ab- 
danken, damit  die  Regierung  nicht  erblich  werde.  Es 
würden  ihm  vom  Volke  30  Räthe  gegeben  uud  ohne  Zu- 
stimmung der  Mehrzahl  derselben  könne  Niemand  zum 
Tode  verurtheilt  werden.  Aber  auch  dann  stände  noch  die 
Appellation  ans  Volk  offen;  man  ernenne  dann  70  Richter, 
und  wenn  diese  den  Angeklagten  freisprächen,  so  verlören 
jene  30  alles  Ansehen  und  wären  der  grössten  Verachtung 
ausgesetzt.  Der  König  kleide  sich  wie  Bacchus,  das  Volk 
aber  wie  die  Araber.  Wenn  der  König  sich  ein  Vergehen 
zu  Schulden  kommen  Hesse,  so  würde  er  zum  Tode  ver- 
urtheilt, allein  Niemand  tödte  ihn,  sondern  Alle  wendeten 
sich  von  ihm  weg  und  vermieden  sogar  mit  ihm  zu  sprechen. 
Ihre  Feste  beständen  in  der  Jagd,  und  die  angenehmste 
wäre  die  auf  Tiger  und  Elephanten.  Die  Aecker  würden 
fleissig  bebauet;  den  Gebrauch  des  Weinstocks  kenne  man 
nicht,  aber  Obst  sei  im  Ueberfluss  vorhanden.  Auch  die 
Fischerei  mache  ihnen  Vergnügen,  besonders  der  Fang  der 
Schildkröten,  die  mitunter  so  gross  wären,  dass  in  ihren 


Sechstes  Buch.  449 

Schaalen  ganze  Familien  Platz  hätten.  Ein  massiges  Men- 
schenalter betrage  dort  100  Jahre.  —  Diess  ist  alles,  was 
wir  über  Taprobane  erfahren  haben. 

25. 

Ueber  die  4  Satrapien1),  deren  Beschreibung  wir  bis 
jetzt  verschoben  haben,  ist  folgendes  zu  sagen.  Von  den 
zunächst 2)  am  Indus  wohnenden  Völkern  an  ist  die  Gegend 
bergig.  In  Capissene  lag  die  Stadt  Capissa 3),  welche  Cyrus 
zerstörte.  Arachosia  mit  einer  Stadt 4)  und  einem  Flusse  5) 
gleichen  Namens;  die  Stadt,  welche  Einige  auch  Caphe 
nennen,  ist  von  Semiramis  erbauet.  Der  am  Parabesta  in 
Arachosia  vorbeifliessende  Erymanthus.  Hierauf  folgen  von 
Arachosia  südlich  die  Dexendruser  6)  und  nördlich  die  Pa- 
ropamisader  7).  Cartana  8),  eine  Stadt  am  Caucasus,  welche 
später  den  Namen  Tetragonis  bekommen  hat.  Dieser 
Landstrich  liegt  dem  vorigen  gegenüber.  Dann  kommt  das 
Gebiet  der  Bactriauer,  mit  der  Stadt  Alexandria,  von 
Alexander  erbauet.  Die  Syndracer,  Dangaler,  Parapiner, 
Contucer,  Macer9).  Am  Caucasus  die  Cadruser,  deren 
Stadt  von  Alexander  erbauet  ist. 

Unterhalb  aller  dieser  Länder  liegt  vom  Indus  an  die 
Küste.  In  dem  durch  die  Hitze  verbrannten  und  von  Wüsten 
umgebenen,  jedoch  von  Wäldern  durchschnittenen  a irani- 
schen Gebiete10)  wohnt  die  Bevölkerung  grösstenteils 
zwischen  den  beiden  Flüssen  Tonderos  und  Arosape.  Die 
Stadt  Artacoana u).  Der  Fluss  Arius1*),  an  welchem  das 
von  Alexander  erbauete  Alexandrien 13)  liegt.  Diese  Stadt 
nimmt  einen  Raum  von  30  Stadien  ein;  allein  viel  schöner 
und  älter  ist  Artacabane,  das  Antiochus  vom  Neuem  befe- 
stigt hat  und  dessen  Grösse  50  Stadien  beträgt.  Nun  folgen 
die  Dorisdorsiger.  Die  Flüsse  Pharnacotis 14)  und  Ophradus 15). 


')  23.  Cap.    2)  Nämlich  bei  seinem  Ursprünge  am  Paropamisus. 

3)  Kandahar?    4)  Lhiri.    5)  Nari.    6)  In  Beludschiotan. 

7)  In  Kabul.    8)  Kabul?    9)  Provinz  Furrah.     10)  Khorasaan. 

")  Fuschensch.     «)  Tedsen.     >3)  Herat.     >«)  Urghendab. 

,5)  Kaschrud. 

29 


450 


Sechstes  Buch. 


Praphthasia  l),  eine  Stadt  der  Zaraspater;  die  Dranger, 
Evergater,  Zaranger,  Gedruser.  Die  Städte  Peucolis  und 
Lyphorta  2),  die  Wüste  Methorgon  3);  der  Fluss  Manais; 
die  Acutrer;  der  Fluss  Forum;  die  Orber;  der  schiffbare 
Fluss  Pomanus  an  der  Grenze  der  Pandarer;  desgleichen 
der  Apirus  an  der  Grenze  der  Suarer,  dessen  Mündung 
einen  Hafen  bildet.  Die  Stadt  Condigramma;  der  Fluss 
Cophes,  in  den  sich  die  schiffbaren  Flüsse  Saddams,  Pa- 
rospus  und  Sodanus  ergiessen. 

Nach  einigen  Schriftstellern  bildet  Daritis  4)  einen 
Theil  von  Ariana,  und  diese  geben  die  Länge  beider  auf 
1,900,000  Schritte,  und  die  Breite  zur  Hälfte  derjenigen  von 
Indien  an.  Andere  sagen,  die  Gedruser  und  Pasirer  be- 
wohnten einen  Distrikt  von  188,000  Schritten.  Dann  folgten 
die  oritischen  Ichthyophagen  5),  die  nicht  die  indische 
sondern  eine  eigene  Sprache  reden,  auf  200,000  Schritte 
weit.  Auf  diese  lassen  sie  die  Arbier  6)  in  einer  Ausdeh- 
nung von  200,000  Schritten  folgen.  Allen  Ichthyophagen 
verbot  Alexander,  ferner  Fische  zu  essen.  Weiter  hin  liegen 
Wüsten,  dann  Carmania,  Persien  und  Arabien. 

26. 

Bevor  wir  zur  weitern  Beschreibung  dieser  Länder 
übergehen,  wollen  wir  den  Bericht  des  Onesicritus,  der  mit 
der  Flotte  Alexanders  von  Indien  aus  im  persischen  Meer- 
busen herumfuhr,  sowie  ihn  Juba  vor  nicht  langer  Zeit 
mittheilte,  anführen,  und  dann  von  dem  Fahrwege  sprechen, 
den  man  in  den  letzten  Jahren  entdeckte  und  der  bis  jetzt 
eingehalten  wird.  Onesicritus  und  Nearchus  geben  in  ihrem 
Tagebuche  weder  die  Namen  der  Stationen,  noch  die  Ent- 
fernungen an,   und  schon  von  vornherein  ist  es  nicht  recht 


')  Dschellalabad. 

2)  Vielleicht  Rodbar  und  Kykobad  am  Hahnend. 

3)  Wüste  von  Beludschistan. 

*)  Der  westliche  Theil  von  Beludschistan  und  der  östliche   von 
Iran.    6)  Fischesser,  in  der  Provinz  Makran. 
•    e)  An  den  Ufern  des  Purally. 


Sechstes  Buch.  451 

klar,  an  welchem  Flusse  oder  wo  überhaupt  das  von 
Alexander  erbauete  Xylenepolis  *),  von  wo  die  Flotte  aus- 
lief, liegt.  Der  Bericht  enthält  jedoch  folgende  bemerkens- 
werthe  Einzelnheiten.  Nearchus  gründete  auf  dieser  Fahrt 
die  Stadt  Arbis  2).  Dann  folgt  der  Fluss  Nabrum,  welcher 
Schiffe  trägt.  Einer  Insel 3)  gegenüber,  in  einer  Entfernung 
von  70  Stadien,  liegt  Alexandrien  4),  welches  auf  Alexanders 
Befehl  von  Leonnatus  an  den  Grenzen  dieses  Volkes  er- 
bauet wurde  und  einen  guten  Hafen,  Argenus  5)  genannt, 
hat.  Der  schiffbare  Fluss  Tonberum  6),  an  dem  die  Pasirer 
wohnen.  Dann  kommen  die  Ichthyophagen  auf  einer  so 
langen  Strecke,  dass  man  30  Tage  nöthig  hatte,  um  vor- 
beizufahren. Die  Insel,  welche  Sonneninsel  oder  Nymphen- 
lager heisst,  ist  röthlich  und  auf  ihr  kommt,  aus  noch  un- 
bekannten Ursachen  jedes  Thier  um.  Ferner  das  Volk 
der  Orer;  der  hafenreiche  und  goldführende  Fluss  Hyctanis 
in  Carmanien.  Von  hier  an  sahen  die  Reisenden  zuerst 
den  grossen  Bären.  Der  Arcturus  soll  nicht  jede  Nacht 
und  auch  nicht  die  ganze  Nacht  hindurch  sichtbar  sein. 
Bis  zu  dem  genannten  Flusse  sollen  die  Achämeniden 7) 
geherrscht  haben.  Hier  sind  Kupfer-,  Eisen-,  Arsen-  und 
Zinnober-Bergwerke.  Nun  folgt  das  Vorgebirge  8)  Carma- 
niens,  von  welchem  die  Ueberfahrt  zu  der  gegenüber  liegen- 
den, von  dem  arabischen  Volke  der  Macer  bewohnten  Küste 
50,000  Schritte  beträgt.  Drei  Inseln,  von  denen  nur  Oracla  9) 
Wasser  hat  und  bewohnt  wird,  sind  vom  Festlande  25,000 
Schritte  entfernt.  Vier  andere  Inseln  liegen  schon  im  per- 
sischen Meerbusen.  In  ihrer  Nähe  setzten  heranschwim- 
mende Wasserschlangen  von  20  Ellen  Länge  die  Flotte  in 
Schrecken.    Die   Insel  Athothadrus 10) ;  die  Gauraten,    auf 


*)  Lahara-Bunder. 

2)  Menhaber  an  der  Küste  von  Makran  (Gedrusia).     3)  Khurna. 

4)  Kuratschi. 

5)  Vielleicht  Sonmeany  an  der  Mündung  des  Purally.    6)  HubV 

7)  So  heissen  die  Perserkönige  bis   auf  Darius   als  Abkömmlinge 
des  persischen  Königs  Achaemenes  (Herodot  I.  125.  VIII.  11.) 

8)  Harmozon,  jetzt  lask.    9)  Kischmisch.     ,0)  Schech  Surde? 

9* 


452 


Sechstes  Buch. 


welchen  die  Chianer  wohnen.  Der  Fluss  Hyperis  *)  mitten 
am  persischen  Meerbusen,  der  Lastschiffe  trägt;  der  Fluss 
Sitiogagus  2),  auf  dem  man  in  7  Tagen  nach  Pasargadä  3) 
fährt.  Der  schiffbare  Pristimus  4);  eine  Insel  ohne  Namen. 
Der  nur  für  mittlere  Schiffe  sieh  eignende  Fluss  Granis  5) 
fliesst  durch  Susiane;  an  seinem  rechten  Ufer  wohnen  die 
Deximontaner,  welche  Pech  verfertigen.  Der  Fluss  Zarotis  6), 
dessen  Mündung  für  die,  welche  sein  Bett  nicht  kennen, 
gefährlich  ist;  2  kleine  Inseln  7).  Von  hier  an  wird  das 
Meer  seicht  und  sumpfartig,  ist  jedoch  der  verschiedenen 
Strömungen  wegen  noch  fahrbar.  Die  Mündung  desEuphrat. 
Ein  See,  den  der  Euläus  8)  und  Tigris  in  der  Nähe  von 
Charax  9)  bilden.  Dann  Susa10)  am  Tigris.  Hier  trafen 
sie  Alexander  bei  festlichen  Gelagen11),  im  siebenten  Mo- 
nate nach  ihrer  Trennung  zu  Patale  und  im  dritten  ihrer 
Seefahrt.  Diess  war  der  Weg,  welchen  die  Flotte  Alexan- 
ders machte.  Später  hielt  man  es  für  das  Sicherste,  von 
dem  arabischen  Vorgebirge  Syagrum12)  mit  dem  Favonius, 
den  man  dort  Hippalus  nennt,  nach  Patale  zu  fahren,  welche 
Strecke  auf  1,435,000  Schritte  geschätzt  wird. 

In  der  Folge  gab  man  einen  nähern  und  sicherern  Weg 
an,  nämlich  von  demselben  Vorgebirge  nach  dem  indischen 
Hafen  Sigerus13).  Lange  Zeit  hielt  man  diesen  ein,  bis 
der  Kaufmann  einen  noch  kürzern  ausmittelte,  und  so 
Indien  der  Gewinnsucht  näher  brachte;  denn  man  fährt 
seitdem  jedes  Jahr  dahin,  und  besetzt  die  Fahrzeuge  mit 
ganzen  Schaaren  von  Bogenschützen,  weil  der  Weg  durch 
Seeräuber  sehr  unsicher  gemacht  ward.  Es  wird  nicht  un- 
interessant sein,  die  ganze  Tour  von  Aegypten  an,  von  der 
wir  erst  jetzt  genauere  Kenntniss  haben,  näher  zu  beschrei- 
ben. Die  Sache  verdient  Beachtung,  denn  Indien  zieht  in 
keinem  Jahre  weniger  als  50,000,000  Sesterzen  aus  unserm 

')  Darabin.     2)  Sitaregan.     3)  Garabscherd.     4)  Khisch. 

■)  Righ.    6)  Tab.    7)  Wahrscheinlich  Kharetsch  und  Kargu. 

•)  Karun.     »)  S.  31.  Cap.     >°j  Schuster. 

'*)  Er  feierte  seine  Hochzeit.    I2)  Fartasch. 

,3)  An  der  Mündung  des  Tndus. 


Sechstes  Buch.  453 

Reiche  und  sendet  uns  Waaren  dafür,  welche  um  den 
100  fachen  Preis  verkauft  werden.  2000  Schritte  von 
Alexandrien  liegt  die  Stadt  Juliopolis x).  Von  da  fährt 
man  308,000  Schritte  weit  auf  dem  Ml  nach  Coptos 2), 
wohin  man  zur  Zeit  der  Etesien  in  12  Tagen  gelangt. 
Von  Coptos  wird  die  Reise  auf  Kameelen  fortgesetzt,  und 
zwar  in  gewissen,  nach  den  Wasserplätzen  sich  richtenden 
Stationen.  Die  erste  Station  heisst  Hydreuma  3)  und  -ist 
22,000  Schritte  von  Coptos  entfernt;  die  zweite  eine  Tage- 
reise weiter  auf  einem  Berge;  die  dritte  an  einem  andern 
Hydreuma,  95,000  Schritte  von  Coptos;  die  folgende  wieder 
auf  einem  Berge;  dann  kommt  Hydreuma  Apollinis,  184,000 
Schritte  von  Coptos;  abermals  eine  auf  einem  Berge;  dann 
Hydreuma  novum,  230,000  Schritte  von  Coptos.  Es  giebt 
auch  ein  Hydreuma  vetus,  welches  das  troglodytische  heisst, 
wo  eine  Schutzwache  von  2000  Mann  einquartirt  ist,  und 
das  von  Hydreuma  novum  7000  Schritte  entfernt  liegt.  Dann 
kommt  die  Stadt  Berenice  4),  mit  einem  Hafen  am  rothen 
Meere,  258,000  Schritte  von  Coptos.  Da  man  aber  den 
grössten  Theil  der  Reise  der  Hitze  wegen  bei  Nacht  macht 
und  den  Tag  über  ausruht,  so  dauert  die  ganze  Reise  von 
Coptos  nach  Berenice  12  Tage. 

Die  Seereise  beginnt  mitten  im  Sommer  vor  oder  so- 
gleich beim  Anfange  des  Aufganges  des  Hundssternes,  und 
man  gelangt  etwa  am  30  sten  Tage  nach  Ocelis  5)  in  Arabien, 
oder  nach  Cane  6)  in  der  weihrauchreichen  Gegend.  Ein 
dritter  Hafen  heisst  Muza7),  welcher  aber  auf  der  Reise 
nach  Indien  nicht  berührt,  sondern  nur  von  den  Kaufleuten 
des  Weihrauchs  und  anderer  arabischer  Parfümerien  wegen 
besucht  wird.  Mehr  nach  den  Innern  dieses  Landes  liegt 
die  Residenzstadt  Saphar 8),  und  noch  eine  andere  Stadt 
Save  9).    Die  nach  Indien  Reisenden  thun  am  besten,  wenn 


')  Vermuthlich  Nicopolis  in  Unterägypten. 

-)  Kuft  in  Oberägypten.    3)  Wasserplatz. 

A)  Ruinen  Haboo  Gray.    5)  Ghela. 

6)  Keschim  im  glücklichen  Arabien.     7)  Mauschid.     8)  Safär. 

9)  Lag  in  Jemen,  auf  dem  Berge  Szabber. 


454  Sechstes  Buch. 

sie  von  Ocelis  ausfahren.  Von  hier  kommt  man  mit  dem 
Winde  Hippalus  *)  in  40  Tagen  nach  dem  ersten  indischen 
Handelsplatze  Muzins  2),  dessen  Besuch  aber  wegen  der 
Seeräuber,  welche  in  dem  benachbarten  Orte  Nitriä  3)  woh- 
nen, nicht  rathsam  ist;  auch  findet  man  dort  nicht  viele 
Waaren.  Ueberdiess  liegt  auch  der  Ankerplatz  für  die 
Schiffe  zu  weit  vom  Lande,  und  die  Waaren  müssen  daher 
auf  Booten  hin-  und  zurückgebracht  werden.  Hier  herrschte, 
als  ich  diess  schrieb,  Celebothras.  Ein  anderer  bequemerer 
Hafen,  der  den  Neacinden  gehört,  heisst  Barace  4).  Hier 
regierte  Pandion  in  einer  weit  von  dem  Stapelplatze  ent- 
fernten Stadt,  Namens  Modura  5).  Die  Gegend  aber,  aus 
der  man  den  Pfeffer  in  Kähnen,  die  aus  Einem  Stamme 
gezimmert  sind,  bringt,  wird  Cottonara  6)  genannt;  alle 
diese  Namen  der  Völker,  Häfen  und  Städte  finden  sich  bei 
keinem  der  früheren  Schriftsteller  angeführt;  es  muss  sich 
also  wohl  der  Zustand  jener  Orte  geändert  haben.  Die 
Rückfahrt  von  Indien  tritt  man  zu  Anfang  des  ägyptischen 
Monats  Tybis,  unsers  Decembers  an,  oder  doch  vor  dem 
sechsten  Tage  des  ägyptischen  Mechiris,  d.  i.  vor  unserm 
dreizehnten  Januar;  man  begiebt  sich  also  noch  in  demselben 
Jahre  wieder  dort  hinweg.  Von  Indien  aber  segelt  man 
mit  dem  Ostsüdostwinde,  und  wenn  man  ins  rothe  Meer 
gekommen  ist,  mit  dem  Südwest-  oder  Südwinde.  Kehren 
wir  jetzt  wieder  zum  eigentlichen  Thema  zurück. 

27. 
Die  Küste  von  Carmanien  7)  ist  nachNearchus  1,250,000 
Schritte  lang.  Vom  Anfange  derselben  bis  zum  Flusse 
Sabis  beträgt  die  Entfernung  100,000  Schritte.  Von  da 
an  bauet  man  Wein  und  Feldfrüchte  25,000  Schritte  weit 
bis  zum  Flusse  Ananis  8).  Diese  Gegend  heisst  Armuzia  9). 
Zethis  10)  und  Alexandrien  sind  Städte  in  Carmanien. 


')  Westwind.     2)  Mangalore.    3)  Carwar.     '')  Viziadroog. 
5)  Madura.     G)  Canara.     ")  Kerman.     8)  Nehr  Ibrahim. 
9)  Wahrscheinlich  das  heutige  Ormus. 
i0)  Auch  Salmunti  genannt. 


Sechstes  Buch.  455 

28. 
Weiterhin  bricht  das  Meer  auch  in  diesem  Theile 
Asiens  an  2  Stellen  ins  Land.  Unsere  Schriftsteller  nennen 
es  das  rothe,  die  Griechen  aber  das  erythräische  vom 
Könige  Erythras,  oder  weil  es,  wie  Andere  annehmen, 
durch  den  Kiickprall  der  Sonnenstrahlen  eine  solche  Farbe 
erhält;  Andere  leiten  seine  Farbe  von  dem  Sande  und  der 
Erdart  ab,  und  noch  Andere  schreiben  dem  Wasser  selbst 
diese  Beschaffenheit  zu.  Es  bildet  2  Busen;  der  östliche 
heisst  der  persische,  und  dessen  Umfang  beträgt  nach 
Eratosthenes  2,500,000  Schritte.  Ihm  gegenüber  liegt  Ara- 
bien, das  1,500,000  Schritte  lang  ist,  und  auf  seiner  andern 
Seite  von  dem  zweiten  Busen,  dem  arabischen,  umflossen 
wird.  Der  Ocean,  welcher  sich  in  beide  ergiesst,  heisst 
der  azanische.  Der  persische  Busen  ist  bei  seinem  Ein- 
gange l)  5000,  oder  nach  Andern  4000  Schritte  breit.  Von 
da  bis  an  den  innersten  Punkt  der  Küste  beträgt  die  Ent- 
fernung in  gerader  Linie  etwa  1,125,000  Schritte,  und  in 
seinem  Umrisse  gleicht  er  einem  Menschenkopfe.  Onesi- 
critus  und  Nearchus  sagen,  die  Entfernung  vom  Flusse  Indus 
bis  an  den  persischen  Meerbusen  und  von  da  weiter  nach 
Babylon  an  den  Sümpfen  des  Euphrat  betrage  1,700,000 
Schritte. 

In  einem  Winkel  von  Carmanien  findet  man  die  Che- 
lonophagen 2),  welche  ihre  Hütten  mit  den  Schalen  der 
Schildkröten  decken  und  das  Fleisch  derselben  essen.  Sie 
bewohnen  vom  Flusse  Arabis  3)  an  das  Vorgebirge  4)  selbst, 
sind  mit  Ausnahme  des  Gesichts  am  ganzen  Leibe  behaart 
und  mit  Fischhäuten  bekleidet.  Von  ihrem  Gebiete  aus 
gegen  Indien  zu  liegt  im  Ocean  die  wüste  Insel  Caican- 
drus  5),  welche  50,000  Schritte  gross  ist,  und  neben  ihr,  nur 
durch  eine  Meerenge  getrennt,  Stoidis  6),  wq  man  starken 
Handel  mit  Perlen  treibt.    Beim  Vorgebirge  grenzen  an  die 


')  Strasse  von  Ormus. 

2)  Schildkrötenesser.     3)  Sudschi.    *)  Jask.     5)  Laredsch. 

6)  Hormus. 


456  Sechstes  Buch. 

Carmauer  die  Armozeer.  Einige  setzen  die  Arbier  da- 
zwischen, welche  einen  Küstenstrich  von  421,000  Schritten 
Länge  bewohnen.  Hier  ist  ein  Hafen  der  Macedonier  x)  und 
auf  einem  Vorgebirge  2)  befinden  sich  Altäre  Alexander's. 
Flüsse  sind  der  Saganos  3J,  dann  der  Daras  4)  und  Salsos  5). 
Neben  letzterem  das  Vorgebirge  Themisteas  6),  dann  die 
bewohnte  Insel  Aphrodisias  r).  Hier  fängt  Persien  an  und 
reicht  bis  zum  Flusse  Oratis  8),  durch  den  es  von  Ely- 
mais  9)  geschieden  wird.  Vor  Persien  liegen  die  Inseln 
Psilos10),  Casandra11)  und  das  dem  Neptun  geheiligte  Ara- 
cia12)  mit  einem  sehr  hohen  Berge.  Persien  selbst  liegt 
gegen  Westen  und  nimmt  auf  550,000  Schritte  die  Küste 
ein;  es  ist  ein  überaus  reiches  Land,  das  aber  schon  lange 
in  dem  Namen  des  Reiches  der  Parther  mit  inbegriffen 
wird.  Von  der  Herrschaft  der  letztern  müssen  wir  hier 
Einiges  sagen. 

29. 
Der  parteiischen  Reiche  sind  in  allen  18;  so  be- 
zeichnet man  nämlich  die  zwischen  den  beiden  genannten 
Meeren,  dem  rothen  im  Süden  und  dem  hyrcanischen  im 
Norden  gelegenen  Provinzen.  Elf  davon,  welche  die  obern 
heissen,  beginnen  an  der  Grenze  Armeniens  und  der  Küste 
des  v^aspischen  Meeres,  und  reichen  bis  zu  den  Scythen, 
mit  denen  sie  gleiche  Lebensweise  haben.  Die  andern 
sieben  werden  die  unteren  Reiche  genannt.  Was  das  eigent- 
liche Parthien  anlangt,  so  lag  dasselbe  stets  am  Fusse  der 
oft  genannten  Berge13),  welche  alle  diese  Völker  umgeben. 
Oestlich  davon  wohnen  die  Arier,  gegen  Süden  die  Carma- 
nier  und  Arianer,  gegen  Westen  die  pratitischen  Meder, 
gegen  Norden  die  Hyrcaner.  Allenthalben  ist  es  von  Wü- 
sten umgeben14).    Die  weiterhin  wohnenden  Parther  heissen 


')  Jask.     2)  MubaruK.     3)  Diwrud.     4)  Darabin. 
s)  Litaregan.     6)  Kenn.     7)  Kischm.     8)  Tab.     9)  Khusistan. 
,0)  Buscheab.    »)  Schittuar.    ,2)  Kinderabi. 
13)  Der  caucasischen,  im  16.  Cap. 

M)  Das  eigentliche  Parthien   umfasste   also   den  östlichen  Theil 
\"n   Irak  und  den  westlichen  von  Chorassan. 


Sechstes  Buch.  457 

Nomaden;  diesseits  liegen  Wüsten.  Gegen  Westen  sind 
ihre,  schon  A)  von  uns  genannten  Städte  Issatis  und  Calliope, 
gegen  Süd-Ost  Europum,  gegen  Nord-Ost  Maria,  mitten  im 
Lande  Hecatonpylos  2),  die  Residenz  des  Arsaces;  die  be- 
rühmte Stadt  Nisäa  Parthyenes 3),  und  die  nach  seinem 
Gründer  benannte  Alexandropolis. 

Bei  dieserGelegenheit  müssen  wir  auch  die  Lage  des  medi- 
sch  en  Reich  esunddie  Vordergrenze  der  Länder  bis  zum  per- 
sischen Meere  in  Betracht  ziehen,  damit  das  Folgende  leichter 
übersehenwerden  kann.  Medien  4)  grenzt  westlich  an  Parthien,. 
liegtschräg  vor  ihm,  und  schliesst  dessen  beide  Haupttheile  ein. 
Oestlich  davon  wohnen  also  die  Caspier  und  Parther,  süd- 
lich liegt  Sittacene,  Susiane  und  Persien,  westlich  Adiabene, 
und  nördlich  Armenien.  Die  Perser  haben  stets  am  rothen 
Meere  gewohnt,  und  darum  heisst  auch  der  Busen  der 
persische.  Das  Küstenland  selbst  heisst  Ciribo,  der  Ort 
aber,  wo  es  sich  nach  Medien  hin  erhebt,  Cliraax,  Megale  5), 
denn  hier  gelangt  man  auf  Stufen  durch  einen  engen  Ein- 
gang 6)  auf  einen  steilen  Berg  nach  Persepolis  7),  der  Haupt- 
stadt des  Reiches,  die  Alexander  zerstörte.  Ausserdem 
befindet  sich  an  der  äussersten  Grenze  das  von  Antiochus  8) 
erbauete  Laodicea.  Weiterhin  gegen  Osten  haben  die 
Mager  das  Kastell  Passagardä  9),  wo  sich  das  Grabmal  des 
Cyrus  befindet,  inne.  Ihre  Stadt  Ecbatana  hat  Darius  an 
das  Gebirge  verlegt.     Zwischen  den  Parthern  und  Arianern 


')  Im  17.  Cap.    2)  Dainaghan. 

3)  Nesa.      Sie  war  der  gewöhnliche  Begräbnissort  der  parthischen 
Könige. 

4)  Irak,  Abserbidschan,    Ghilan  und    die    westliche    Hälfte    von 
Mazanderan. 

5)  D.  h.  die  grosse  Treppe. 

6)  Engpass  Sukrab  beim  Schlosse  Kalai  Sefid. 

7)  Istakhar  in  Farsistan,   eine    Tagereise    nördlich    von  Schiras. 
Noch  jetzt  verkünden  prachtvolle  Ruinen  die  ehemalige  Grösse. 

9)  Dem  ersten   dieses   Namens  (-282—262    v.   Chr.),    dem    Sohne 
des  Seleucus  Nicator. 
9)  Darabscherd. 


458 


Sechstes  Buch. 


ziehen  sich  die  Parätacener  hervor.  Durch  diese  Völker 
und  den  Euphrat  werden  die  untern  Reiche  eingeschlossen. 
Auf  die  übrigen  werden  wir,  sobald  wir  Mesopotamien  (je- 
doch mit  Ausnahme  der  Spitze  desselben  und  der  arabischen 
Völker,  die  bereits  im  vorigen  Buche  *)  angeführt  sind) 
beschrieben  haben,  zurückkommen  2). 

30. 
Ganz  Mesopotamien3)  war  im  Besitze  der  Assyrier, 
und  bestand,  ausser  Babylon4)  und  Ninus5),  nur  aus  zer- 
streueten  Dörfern;  die  Macedonier  theilten  jedoch  das  Land, 
wegen  seiner  Fruchtbarkeit,  in  Stadtbezirke.  Städte  sind, 
ausser  den  schon  genannten,  Seleucia  6),  Laodicea,  Arte- 
mita7);  feiner  im  Gebiete  derjenigen  Araber,  welche  Oreer 
und  Mardaner  heissen:  Antiochia8),  welche  von  Mcanor, 
einem  Statthalter  Mesopotamiens,  erbauet  und  Arabis  ge- 
nannt wurde.  Hieran  grenzen  nach  dem  Innern  zu  die 
eldamanischen  Araber.  Oberhalb  dieser,  am  Flusse  Pal- 
laconta  9)  liegt  die  Stadt  Bura,  dann  folgen  die  salmanischen 
und  maseischen  Araber.  An  die  Gordyäer  stossen  die 
Aloner,  durch  deren  Gebiet  der  Fluss  Zerbis10)  in  den 
Tigris  fällt,  die  Berg-Silicier  und  Oronter,  deren  Stadt 
Gaugamela11)  gegen  Westen  liegt;  eine  andere  Stadt  ist 
Sue,  auf  Felsen  erbauet.  Darüber  die  classitischen  Silicier, 
durch  deren  Gebiet  der  aus  Armenien  kommende  Lycus 12) 
fliesst;  der  Absidris13)  gegen  Südost,  und  die  Stadt  Acochis. 
Sodann  in  der  Ebene  die  Städte  Diospage,  Polytelia,  Stra- 
tonice  und  Anthemus u).     In  der  Nähe  des  Euphrat  Nice- 


')  V.  B.  21.  Cap.     2)  Im  81.  Cap. 

3)  Mossul,  Diarbekr  und  Rakka. 

4)  Ruinen  nördlich  von  Hille  am  Euphrat. 

5)  Nunia   auf  der  Ostseite    des  Tigris,   jetzt   ein  Dorf,    Mossul 
gegenüber. 

°)  AI  Modain.    7)  Destagerd.     8)  Estetlat.    9)  Nehr  Kutal. 
,0)  Auch  Zabatus,  Anzabas  und  Lycus  genannt,  jetzt  der  grosse 
Zarb  oder  Zab. 

")  Enkewat.     '-)  Der  kurz  vorher  genannte  Zerbis. 
")  Altunsa.     u)  Dscharmely. 


Sechstes  Buch.  459 

pborion  a),  welches,  wie  wir  bereits  gesagt  haben  2),  auf 
Befehl  Alexanders  wegen  der  günstigen  Lage  erbauet 
wurde.  Von  Apamia  war  schon  bei  Zeugma  die  Rede  8). 
Reist  man  von  hier  nach  Osten,  so  kommt  man  zu  der 
befestigten  Stadt  Caphrena,  die  sonst  70  Stadien  im  Um- 
fange hatte  und  die  Residenz  der  Satrapen  hiess.  In  ihr 
wurden  die  Steuern  zusammengebracht.  Jetzt  ist  sie  bis 
auf  eine  Burg  herabgekommen.  Noch  befinden  sich  aber 
in  dem  früheren  Zustande:  Thebata  und  Oruros  4),  die  von 
dem  grossen  Pompejus  bestimmte  Grenzstadt  des  römischen 
Reiches,  250,000  Schritte  von  Zeugma.  Einige  berichten, 
der  Eu ph rat  sei  da,  wo  wir  sagten,  dass  er  sich  theile,  auf 
Veranstaltung  des  Statthalters  Gobares  abgeleitet,  damit 
er  nicht  durch  seinen  reissenden  Lauf  für  Babylon  gefähr- 
lich werde;  in  ganz  Assyrien  heisst  er  Armalchar,  was  so 
viel  bedeutet  als  königlicher  Fluss.  An  der  Ableitungsstelle 
lag  sonst  Agranis,  eine  der  grössten  Städte,  die  aber  die 
Perser  zerstört  haben. 

Babylon,  die  Hauptstadt  der  chaldäischen  Völker,  be- 
hauptete lange  Zeit  den  höchsten  Ruhm  auf  dem  ganzen 
Erdkreise.  Von  ihr  erhielt  das  übrige  Mesopotamien  und 
Assyrien  den  Namen  Babylonien.  Sie  hatte  60,000  Schritte 
im  Umfange,  ihre  Mauern  waren  200  Fuss  hoch,  50  Fuss 
breit,  und  jeder  solcher  Fuss  ist  noch  3  Finger  breit  länger 
als  bei  uns;  der  Euphrat  durchschnitt  sie  —  beides  ein 
bewundernwerthes  Werk.  Noch  steht  dort  jetzt  der  Tem- 
pel des  Jupiter  Belus,  welcher  der  Erfinder  der  Stern- 
kunde ist.  Ausserdem  ist  dort  wieder  alles  öde,  denn  die 
Nähe  von  Seleucia  richtete  es  zu  Grunde.  Letztere  Stadt 
wurde  nämlich  zu  diesem  Endzwecke  von  Nicator  5)  bei- 
nahe 90  Meilen  6)  davon  am  Zusammenfluss  des  Euphrat- 
canals  mit  dem  Tigris  erbaut.  Was  jedoch  gegenwärtig 
noch  Babylonien  heisst,  ist  frei,  hat  seine  eigene  Verfassung 


')  Rakka.    -)  V.  B.  21.  Cap. 

3)  V.  B.  21.  Cap.    4)  Gorur.     5)  Regierte  von  312—282  v.  Chr. 

6    Lapides,  90  römische  Meilen  sind  18  geographische. 


4tj0  Sechstes  Buch. 

und  inacedonische  Sitten.  Die  Stadt  soll  600,000  Einwoh- 
ner, die  Mauern  sollen  die  Gestalt  eines  die  Flügel  aus- 
breitenden Adlers  haben,  und  der  dortige  Boden  soll  der 
fruchtbarste  im  ganzen  Orient  sein.  Um  sie  von  Neuem 
auszusaugen,  erbaueten  die  Parther  3  Meilen  davon  in  Cha- 
lonitis  die  Stadt  Ctesiphon  l),  welche  jetzt  die  Hauptstadt 
ihrer  Reiche  ist,  Da  man  aber  hierdurch  nichts  ausrichtete, 
so  legte  kürzlich  der  König  Vologesus  eine  andere  Stadt, 
Vologesocerta  2)  in  der  Nähe  an.  Noch  liegen  in  Mesopo- 
tamien die  Städte:  Hipparenum  3),  durch  die  Gelehrsamkeit 
der  Chaldäer  eben  so  berühmt,  wie  Babylon,  an  einem 
Flusse,  der  in  den  Narraga  4)  mündet  und  von  dem  eine 
Gemeinde  ihren  Namen  hat.  Die  Mauern  von  Hippare- 
num haben  die  Perser  zerstört.  Die  Orchener,  ein  drittes 
Volk,  welches  chaldäische  Wissenschaften  treibt,  wohnen 
in  derselben  Gegend  gegen  Mittag;  diesen  zunächst  die 
N otiter,   Orthophaniter  und  Gräciocharter. 

Nach  Nearchus  und  Onesicritus  beträgt  der  Weg  aus 
dem  persischen  Meerbusen  auf  dem  Euphrat  nach  Babylon 
412,000  Schritte.  Die  spätem  Schriftsteller  bestimmen  die 
Entfernung  von  Seleucia  auf  440,000,  Juba  von  Babylon 
nach  Charax  auf  175,000  Schritte.  Einige  sagen,  der  Eu- 
phrat habe  noch  oberhalb  Babylon,  bis  zu  dem  Punkte, 
wo  er  sich  aus  mehreren  Bächen  bildet,  in  ununterbrochenem 
Strome  eine  Länge  von  87,000  Schritten;  seine  ganze  Bahn 
aber  betrage  1,200,000  Schritte.  Diese  verschiedenen  An- 
gaben der  Schriftsteller  rühren  von  den  ungleichen  Maassen 
her,  denn  die  Perser  rechnen  auch  nach  Schönen  und  Pa- 
rasangen,  Andere  wieder  nach  andern  Maassen.  Da  wo 
er  aufhört,  das  Land  durch  sein  Bett  zu  schützen,  nämlich 
in  dem  an  Charax  grenzenden  Landstriche,  machen  die 
Attaler,  ein  arabisches  Räubervolk,  die  Gegend  unsicher. 
Hinter  diesen  wohnen  die  Sceniter.     Am  Euphrat  aber  bis 


')  Ruinen    am     östlichen    Ufer    des    Tigris,     denen     Seleucia's 
gegenüber. 

2)  Ruinen  bei  Mesched  Ali.    3)  Naharda.     ')  Nehr  Sarijet. 


Sechstes  Buch.  461 

zu  den  syrischen  Wüsten,  wo  er  sich,  wie  wir  gesagt  haben  *), 
gegen  Mittag  wendet  und  die  palmyrenischen  Einöden  ver- 
lässt,  wohnen  arabische  Nomadenvölker2).  Seleucia  ist 
von  der  Hauptstadt  Mesopotamiens  für  die,  welche  die 
Reise  auf  dem  Euphrat  machen,  1,125,000  Schritte  entfernt; 
vom  rothen  Meere 3),  wenn  man  auf  dem  Tigris  fährt, 
220,000  und  von  Zeugma  724,000  Schritte.  Zeugma  liegt 
vom  syrischen  Seleucia  4)  an  unserer  Küste  175,000  Schritte 
entfernt.  Diess  ist  hier  die  Breite  der  Länder  zwischen 
den  beiden  Meeren  5);  die  des  parthischen  Reiches  aber  be- 
trägt 918,000  Schritte. 

31. 
Es  liegt  auch  noch  eine  Stadt  in  Mesopotamien  am 
Ufer  des  Tigris  da,  wo  sich  beide  Flüsse  vereinigen,  welche 
Digba 6)  heisst.  Aber  es  wird  passend  sein,  auch  vom 
Tigris  selbst  zu  reden.  Er  entspringt  in  einem  Theile 
Gross- Armeniens ,  aus  einer  ansehnlichen  Quelle  in  der 
Ebene.  Der  Ort  heisst  Elegosine  7).  Da  wo  er  noch  lang- 
sam fliesst,  heisst  er  Diglito  8);  von  wo  er  aber  anfängt 
seinen  Lauf  zu  beschleunigen,  hat  man  ihm  den  Namen 
Tigris  gegeben,  was  in  der  Sprache  der  Meder  Pfeil  be- 
deutet. Er  fliesst  in  den  See  Arethusa  9),  der  jede  hinein- 
geworfene Last  trägt  und  Nitrum  in  Dämpfen  aushaucht. 
Nur  eine  Gattung  von  Fischen  lebt  darin,  und  diese  ver- 
meidet das  Wasser  des  hindurchfliessenden  Stromes;  ebenso 
schwimmen  auch  keine  Fische  aus  dem  Tigris  in  den  See. 
Durch  seinen  Lauf  und  seine  Farbe  unterscheidet  sich  der 
Tigris  von  dem  See,  und  nachdem  er  ihn  verlassen  hat, 
verbirgt  er  sich  da,  wo  ihm  der  Berg  Taurus  entgegentritt, 
in  einer  Höhle,  drängt  sich  unter  dem  Berge  hindurch  und 


»)  V.  B.  21.  Cap.     2)  Im  Lande  der  Wachabiten. 
3)  Dem   persischen  Meerbusen,   den  Plinius  als  einen  Theil   des 
rothen  Meeres  betrachtet. 
*)  Kebse. 

5)  Dem  mittelländischen  Meere  und  dem  persischen  Meerbusen. 

6)  Bei  Ptolemäus  Didigua,  jetzt  Korma.    7)  Pali.    8)  Dischlett. 
fl)  Nasik. 


462 


Sechstes  Buch. 


bricht  auf  der  andern  Seite  wieder  hervor,  und  zwar  bei 
dem  Orte  Zoroanda 1).  Dass  er  es  ist,  erweist  sich  da- 
durch, dass  er  das,  was  man  auf  der  entgegengesetzten 
Seite  in  ihn  geworfen  hat,  hier  wieder  mit  sich  führt.  Da- 
rauf durchströmt  er  einen  andern  See,  dem  Thospites 2), 
verbirgt  sich  nochmals  in  Höhlen  und  kommt  nach  einer 
Strecke  von  22,000  Schritten  bei  Nymphaeum  wieder  zum 
Vorschein.  Nach  dem  Berichte  des  Kaisers  Claudius  kommt 
er  in  der  Gegend  von  Arrhene  3)  so  nahe  am  Arsanias  4) 
vorbei,  dass  beide  Flüsse,  wenn  sie  anschwellen,  zusammen- 
fliessen,  sich  aber  nicht  vermischen,  sondern  der  leichtere 
Arsanias  schwimmt  fast  4000  Schritte  weit  auf  jenem,  trennt 
sich  dann  wieder  und  ergiesst  sich  in  den  Euphrat.  Der 
Tigris  aber  macht,  nachdem  er  Armenien  verlassen  und 
die  bedeutenden  Flüsse  Parthenia* 5)  und  Nicephorion 6) 
aufgenommen  hat,  die  Grenze  zwischen  den  oreischen 
Arabern  und  Adiabenern,  bildet  dann  das  schon  erwähnte 
Mesopotamien,  berührt  die  gordyäischen  Gebirge  bei  der 
mesenischen  Stadt  Apamia,  und  theilt  sich  125,000  Schritte 
oberhalb  des  babylonischen  Seleucia  in  2  Arme,  von  denen 
der  eine  südlich  durch  Mesene  nach  Seleucia  geht,  der  an- 
dere aber  sich  nach  Norden  wendet  und  im  Rücken  der 
Mesener  die  cauchischen  Felder  durchschneidet.  Da  wo 
sich  seine  Wässer  wieder  vereinigen,  wird  er  Pasitigris 
genannt.  Nachher  nimmt  er  den  aus  Medien  kommenden 
Choaspes  7)  auf,  fliesst,  wie  wir  gesagt  haben8),  zwischen 
Seleucia  und  Ctesiphon  durch,  ergiesst  sich  in  die  chaldäi- 
schen  Seen  und  füllt  sie  in  einer  Weite  von  70,000  Schritten 
an.  Hierauf  strömt  er  in  einem  weiten  Bette  heraus,  und 
fällt  zur  Rechten  der  Stadt  Charax  in  einer  10,000  Schritte 
breiten   Mündung   in   das   persische   Meer.    Zwischen   den 


')  Betlis.     '-)  Bulaniköi.    3)  Erzerum. 
*)  V.  B.  20.  Cap.     5)  Murad.    6)  Khabur. 

7)  Kerrah  oder  Kara  Su.     Er  hatte  seinen  Namen  von   der  Berg- 
kette Choaapes  erhalten,  die  noch  jetzt  Khor  Asp  heisst. 
«)  Im  26.  Cap. 


Sechstes  Buch.  463 

Mündungen  beider  Flüsse  *)  betrug  früher  die  Entfernung 
25,000,  oder  nach  Andern  7000  Schritte  und  beide  waren 
schiffbar.  Allein  schon  seit  langer  Zeit  haben  die  Orehener 
und  die  übrigen  anwohnenden  Völker  den  Euphrat  abge- 
dämmt, um  ihre  Felder  zu  bewässern;  daher  ergiesst  er 
sich  nur  durch  den  Tigris  ins  Meer. 

Der  dem  Tigris  zunächst  liegende  Distrikt  heisst  Pa- 
rapotamia,  wozu  das  schon  erwähnte  Mesene  gehört.  Eine 
Stadt  darin  heisst  Dabitac  2).  Hieran  grenzt  Chalonitis  mit 
der  Stadt  Ctesiphon  3),  welche  nicht  nur  durch  ihre  Pal- 
menwälder, sondern  auch  durch  Obst-  und  andere  Wälder 
berühmt  ist.  Bis  an  diese  Landschaft  erstreckt  sich  der 
Berg  Zagrus  4),  der  sich  oberhalb  Parätacene  5)  und  Persis 
von  Armenien  her  zwischen  Medien  und  Adiabene  herab- 
zieht. Chalonitis  ist  von  Persis  380,000  Schritte  entfernt. 
Ebensoviel  soll  auch,  nach  Einigen,  der  kürzeste  Weg  vom 
caspischen  Meere  bis  Assyrien  betragen. 

Zwischen  diesen  Völkern  und  Mesene  liegt  Sittacene  6), 
auch  Arbelitis  und  Palästine  genannt.  Städte  darin  sind: 
östlich  Sittace,  von  den  Griechen  angelegt  und  Sabdata; 
westlich  aber  Antiochia  zwischen  den  beiden  Flüssen  Tigris 
und  Tornadotus  7).  Ferner  Apamia,  welche  Antiochus  8) 
nach  seiner  Mutter  9)  benannte;  sie  wird  vom  Tigris  um- 
flossen, und  vom  Archous  durchschnitten. 

Weiter  unten  liegt  Susiane le),  worin  der  von  Darius  u), 
dem  Sohne  des  Hystaspis,  erbauete  alte  Sitz  der  persischen 
Könige,  Susa 12),  450,000  Schritte  vom  babylonischen  Seleu- 
cia  und  ebenso  weit  von  Ecbatana  in  Medien  über  den 
Berg  Charbantus 13)  entfernt.  Am  nördlichen  Bette  des 
Tigris  liegt  die  Stadt  Babytace;  sie  ist  von  Susa  135,000 
Schritte  entfernt,  und  der  einzige  Ort  in  der  Welt,  dessen 


*)  Euphrat  und  Tigris.     2)  Degel. 

3)  Im  30.  Cap.    4)  Tak.    5)  Beglerbegschaft  Ispahan. 

6)  Zwischen  Bagdad  und  Khusistan.    7J  Odorneh. 

8)  Der  erste,  282—262  v.  Chr.    9)  Apame.     10)  Khusistan. 

»)  522—486  v.  Chr.     ,2)  Schuster. 

13)  Demawend,  ein  Zweig  des  Zagrus. 


4ß4.  Sechstes  Buch. 

Bewohner  aus  Hass  Gold  zusammen  tragen  und  es  ver- 
graben, damit  es  Niemand  gebrauche.  An  die  Susianer 
grenzen  gegen  Osten  die  räuberischen  Oxier,  und  40  Stämme 
der  freien  und  wilden  Mizäer  x).  Ueber  ihnen  wohnen  die 
Partheser,  Marder,  Saiter  und  Jer  2),  welche  letztere  sich 
oberhalb  Elymais,  das,  wie  schon  erwähnt 3),  an  die  Küste 
an  Persien  stösst,  ausbreiten.  Die  Entfernung  vom  per- 
sischen Meere  nach  Susa  beträgt  250,000  Schritte.  Da 
wo  Alexanders  Flotte  auf  dem  Pasitigris  nach  dieser  Stadt 
segelte,  liegt  am  chaldäischen  See  das  Dorf  Aple4),  von 
dem  Susa  zu  Wasser  60,000  Schritte  entfernt  ist.  Oestlich 
von  den  Susianern  wohnen  zunächst  die  Cossiäer5);  ober- 
halb der  Cossiäer  nördlich  liegt  am  Fusse  des  Gebirges 
Cambalidus 6),  der  ein  Zweig  des  Caucasus  ist,  Mesaba- 
tene  7).     Hier  ist  der  bequemste  Weg  zu  den  Bactriern. 

Susiane  wird  von  Elymais  durch  den  Fluss  Euläus  8) 
getrennt.  Letzteren  entspringt  in  Medien,  verbirgt  sich  auf 
eine  kurze  Strecke  unter  der  Erde,  fliesst  nach  seinem 
Wiedererscheinen  durch  Mesabatene,  umspült  die  Burg 
von  Susa  und  den  von  jenen  Völkern  hoch  verehrten  Tempel 
der  Diana,  und  steht  selbst  in  grossen  Ehren,  denn  die 
Könige  trinken  aus  keinem  andern  Flusse,  und  führen  sein 
Wasser  deshalb  auf  weiten  Reisen  mit  sich.  Er  nimmt 
den  Fluss  Hedypnus  9),  der  bei  dem  persischen  Asylus  vor- 
beiströmt, und  den  aus  Susiane  kommenden  Aduna10)  auf. 
An  seinem  Ufer  liegt  die  Stadt  Magoa,  15,000  Schritte  von 
Charax  entfernt,  Einige  Schriftsteller  versetzen  diese  Stadt 
an  die  äusserste  Grenze  von  Susiane,  nahe  an  die  Wüsten.' 

Unterhalb  des  Euläus  liegt  Elymais11),  das  an  der 
Küste  mit  Persien  zusammenhängt;  es  erstreckt  sich  auf 
240,000    Schritte    weit    vom   Flusse    Oroates 12)    bis    nach 


')  In  Luristan. 

-)  In  Kurdistan.     3)  Im  28.  Cap.     '•)  Daurak.     5)  In  Khusistan. 

8)  Ein  Zweig  des  Deinawend.     7)  Ein  Theil  von  Luristan. 

*)  Ist  der  oben  erwähnte  Choaspes.     9)  Dscherahi. 

I0)  Absal.     »)  Der  südliche  Theil  von  Khusitan.     ,2)  Tab. 


Sechstes  Buch.  «^  465 

€harax.  Ihre  Städte,  Seleucia  l)  und  Sosirate  a),  liegen  am 
Berge  Chasyrus.  Wir  haben  schon  angeführt 3) ,  dass  die 
vorliegende  Küste  wegen  des  Morastes,  gleichwie  die  klei- 
nern Sandbänke,  unzugänglich  sei,  denn  die  Flüsse  Brixas 
und  Ortaceas  führen  sehr  viel  Schlamm  mit  sich  herab, 
und  Elyma'is  selbst  ist  so  sumpfig,  dass  man,  um  nach 
Persis  zu  kommen,  dasselbe  umgehen  muss.  Auch  wird 
es  von  Schlangen,  welche  die  Flüsse  herunterbringen,  heim- 
gesucht. Der  unwegsamste  Theil  desselben  heisst  nach 
der  Stadt:  Characene  und  schliesst  die  arabischen  Reiche 
ab;  wir  werden  darauf  zurückkommen,  nachdem  wir  zuvor 
die  Meinung  Marcus  Agrippa's  angeführt  haben.  Derselbe 
giebt  nämlich  an,  dass  Medien,  Parthien  und  Persien  im 
Osten  vom  Indus,  im  Westen  vom  Tigris,  im  Norden  vom 
Taurus  und  Caucasus,  und  im  Süden  vom  rothen  Meere 
begrenzt  würden,  1,320,000  Schritte  lang  und  840,000 
Schritte  breit  seien.  Ausserdem  grenze  Mesopotamien  für 
sich  allein  östlich  an  den  Tigris,  westlich  an  den  Euphrat, 
nördlich  an  den  Taurus  und  südlich  an  das  persische 
Meer;  seine  Länge  betrage  800,000  und  seine  Breite  360,000 
Schritte. 

Die  Stadt  Charax  liegt  am  innersten  Theile  des  per- 
sischen Meerbusens,  da  wo  das  mit  dem  Beinamen  Eudä- 
mon  4)  bezeichnete  Arabien  ausläuft,  ist  auf  einer  künstlichen 
Anhöhe  zwischen  den  sich  hier  vereinigenden  Flüssen 
Tigris  und  Euläus,  von  denen  ersterer  rechts,  der  andere 
links  kommt,  erbauet  und  nimmt  einen  Flächenraum  von 
3000  Schritten  ein.  Alexander  war  ihr  erster  Gründer; 
er  führte  Colonisten  aus  der  damals  zerstörten  Königsstadt 
Durina,  liess  die  unbrauchbaren  Soldaten  dort  zurück,  und 
befahl,  die  Stadt  Alexandria,  den  Bezirk  aber,  den  er  den 
Macedoniern  eigenthümlich  überliess,  nach  seinem  Vater- 
lande den  pelläischen  zu  nennen.  Die  Flüsse  richteten 
jedoch  die  Stadt  zu  Grunde;   später  stellte  sie  Antiochus, 


*)  Hawisa.    -j  Dorak.    3)  Im  29.  Cap.     4)  Das  glückliche. 

30 


ji-u  Sechstes  Buch. 

der  fünfte  König  '),  wieder  her,  und  benannte  sie  nach 
seinem  Namen.  Nach  einer  nochmaligen  Zerstörung  stellte 
sie  Pasines,  der  Sohn  des  Aogdonacus ,  König  der  benach- 
barten Araber,  den  Juba  irrigerweise  für  einen  Statthalter 
des  Antiochus  hält,  durch  Errichtung  von  Dämmen  wieder 
her,  gab  ihr  seinen  Namen  und  brachte  in  der  Umgebung 
derselben  auf  eine  Länge  von  3000  Schritten  und  eine 
etwas  geringere  Breite  Schutzmittel  (gegen  das  Wasser) 
an.  Früher  lag  sie  nur  10  Stadien  von  der  Küste  und 
jetzt  hat  sie  einen  Seehafen,  Vipsanda;  Juba  giebt  aber 
schon  ihre  Entfernung  vom  Meere  auf  50,000  Schritte  an, 
und  jetzt  liegt  sie  nach  den  Berichten  der  arabischen 
Gesandten  und  unserer  Kaufleute,  welche  dort  gewesen 
sind,  120,000  Schritte  davon.  Nirgends  auf  der  Erde  hat 
wohl  das  Land  mehr  und  schneller  durch  das  Anschwemmen 
der  Flüsse  gewonnen  wie  hier.  Noch  wunderbarer  ist  es 
aber,  dass  es  durch  die  weit  über  die  Stadt  gehende  Fluth 
nicht  wieder  weggerissen  wird.  Diese  Stadt  ist  auch  be- 
kanntlich der  Geburtsort  des  Dionysius,  des  neuesten  geo- 
graphischen Schriftstellers,  den  der  Kaiser  Augustus  seinem 
nach  Armenien  zur  Führung  der  parthischen  und  arabischen 
Angelegenheiten  gehenden  altern  Sohne 2)  in  den  Orient 
vorausschickte,  um  sich  von  Allem  Kunde  zu  verschaffen. 
Ich  weiss  allerdings  und  habe  es  nicht  vergessen,  dass  ich 
im  Eingange  dieses  Werkes  erklärte,  immer  denjenigen 
Schriftsteller,  der  sein  eigenes  Vaterland  beschrieb,  als  den 
zuverlässigsten  benutzen  zu  wollen;  bei  diesem  Abschnitte 
jedoch  ziehe  ich  es  vor,  den  römischen  Waffen  und  dem 
König  Juba,  welcher  mehrere  Bücher  über  jenen  arabischen 
Feldzug  für  ebendenselben  Kaiser  Cajus  schrieb,  zu  folgen. 

32. 
Arabien,  das  keinem  andern  Lande  nachgesetzt  werden 
darf,  hat  einen  sehr  bedeutenden  Umfang   und   zieht  sich 

')  Auch  der  Grosse  genannt,  regierte  von  224 — 187  v.  Chr. 
2)  Sein  Adoptivsohn  Cajus,   Sohn  des  Marcus    Agrippa  und    der 
Julia,  der  Tochter  des  Augustus. 


Sechstes  Buch.  4^7 

(wie  schon  erwähnt)  l)  von  dem  Berge  Amanus  2),  von  Ci- 
lioien  und  Commagene  herab,  indem  Tigranes  der  Grosse  3) 
von  dorther  viele  Völker  hereinführte,  andere  aber,  wie 
ebenfalls  berichtet 4),  sich  an  unserem  Meere 5)  und  der 
ägyptischen  Küste  freiwillig  niederliessen,  und  die  Nubeer, 
an  welche  die  Ramiser  greuzen,  sogar  in  die  Mitte  von 
Syrien  bis  an  den  Berg  Libanus  vorgedrungen  sind.  Auf 
die  Ramiser  folgen  die  Taraneer  und  die  Pataneer  6).  Die 
Halbinsel  Arabien  selbst  aber,  welche  zwischen  dem  rothen 
und  persischen  Meere  ausläuft,  ist  durch  eine  gewisse 
künstliche  Anordnung  der  Natur  Italien  an  Gestalt  und 
Grösse  ähnlich,  wie  dieses  vom  Meere  umflossen,  und  liegt 
auch  genau  in  derselben  Richtung  der  Himmelsgegend. 
Auch  dieses  Land  ist  durch  solche  Lage  glücklich.  Die 
Völker  desselben,  welche  von  unserm  Meere  an  bis  an  die 
palmyrenischen  Wüsten  wohnen,  haben  wir  bereits  genannt 7) ; 
jetzt  wollen  wir  die  noch  übrigen  durchgehen.  An  die 
von  da  ab8)  wohnenden  Nomaden,  die  mit  den  Chaldäern 
in  Feindschaft  leben,  schliessen  sich  (wie  gesagt) 9)  die 
Sceniter;  auch  diese  sind  ein  umherziehendes  Volk  und 
haben  ihren  Namen  von  den  aus  Ziegenhaaren  verfertigten 
Zelten10),  die  sie  aufschlagen,  wo  es  ihnen  gutdüukt.  Die 
dann  folgenden  Nabatäer  um  wohnen  die  Stadt  Petra11),  die 
in  einem  Thale  liegt,  das  beinahe  2000  Schritte  im  Durch- 
messer hat,  von  unzugänglichen  Bergen  eingeschlossen  und 
von  einem  Flusse  durchschnitten  ist.  Sie  ist  von  der  Stadt 
Gaza  an  unserer  Küste  600,000,  vom  persischen  Meerbusen 
135,000  Schritte  entfernt.    Hier  kommen  2  Strassen  zusam- 


')  Im  V,  B.  20.  und  21  Cap.     2)  Almadagh. 

a)  König  von  Syrien,    84 — 66  v.  Chr.,  der  von  Pompejus  besiegt 
wurde. 

4)  Im  V.  B.  12.  Cap.    5)  Dem  mittelländischen. 

6)  Alle    diese    Volksstämme    wohnten   in    dem    wüsten   Arabien 
(Nadsched). 

7)  Im  V.  B.  12.  und  21.  Cap. 

8)  Von  den  palmyrenischen  Einöden  an.    9)  Im  30.  Cap. 
,0)  Griech:  axijvcti.     ")  Wady  Musa. 

30* 


4(J8 


Sechstes  Buch. 


men;  die  eine  gehen  die,  welche  von  Syrien  nach  Palmyra 
reisen,  die  andere  aber  die,  welche  von  Gaza  kommen. 
Von  Petra  bis  Charax  l)  wohnten  einst  die  Omaner,  in  den 
ehemals  berühmten,  von  der  Semiramis  gegründeten  Städten 
Bessanisa  und  Soractia.  Jetzt  sind  es  Einöden.  Dann 
folgt  am  Ufer  des  Pasitigris  eine  dem  Könige  der  Chara- 
cener  unterworfene  Stadt,  Namens  Fora  2),  wo  die  von  Petra 
herkommenden  Reisenden  sich  versammeln  und  dann  den 
12,000  Schritte  langen  Weg  nach  Charax  mit  der  Fluth 
fahren.  Denjenigen  aber,  die  zu  Schiffe  aus  dem  parthischen 
Reiche  kommen,  dient  das  Dorf  Teredon  unterhalb  des 
Zusammenflusses  des  Euphrat  und  Tigris  zum  Sammelplatze. 
Zur  Linken  des  Flusses  wohnen  die  Chaldäer  und  zur 
Rechten  die  scenitischen  Nomaden.  Einige  führen  noch  2 
andere  weit  von  einander  entfernte  Städte,  bei  welchen 
man  auf  dem  Tigris  vorbeiscbiffe,  an:  Barbatia  und  Thu- 
mata;  letztere  soll,  nach  Angabe  unserer  Kaufleute,  von 
Petra  10  Schiffstagereisen  entfernt  und  dem  Könige  der 
Characener  unterthan  sein;  und  Apamia  soll  da  liegen,  wo 
der  gedämmte  Euphrat  mit  dem  Tigris  sich  vereinigt. 
Wenn  daher  die  Parther  einen  Einfall  unternehmen  wollen, 
so  werden  sie  durch  eine,  mittelst  aufgeführten  Dämmen 
bewirkte  Ueberschwemmung  zurückgehalten. 

Nun  wollen  wir  von  der  Küste  bei  Charax,  welche 
zuerst  von  Epiphanes 3)  näher  erforscht  wurde,  reden. 
Hier  ist  zu  bemerken:  die  Stelle,  wo  früher  die  Mündung 
des  Euphrat  war,  der  Fluss  Salsus,  das  Vorgebirge  Chal- 
done  4) ,  eine  50,000  Schritte  lange  Strecke  an  der  Küste, 
welche  mehr  einem  Strudel  als  einem  Meere  gleicht;  der 
Fluss  Achenum,  100,000  Schritte  lange  Wüsten  bis  zur 
Insel  Ichara 6).     Der   capeische  Meerbusen  6),  an  dem   die 


'•     ')  In    dem   Theile   der    Wüste,    welcher  jetzt    Bahia    oder   auch 
Barr  Arab  heisst. 
*)  Basra. 

3)  Antiochus  Epiphanes,  König  von  Syrien  176—164  v.  Chr. 
*)  Maacati  SaYf.    B)  Phelesched.    ?)  Golf  von  Grän. 


Sechstes  Buch.  469 

Gauloper  und  Chatener  wohnen.  Der  gerraische  Busen  x). 
Die  5000  Schritte  weite  Stadt  Gerra  2),  deren  Thürme  aus 
Quadern  von  Salzstein  erbauet  sind.  50,000  Schritte  von 
der  Küste  die  Landschaft  Attene;  dieser  gegenüber  die 
Insel  Tylos  3),  50,000  Schritte  von  der  Küste,  weitberühmt 
wegen  der  vielen  Perlen,  mit  einer  Stadt  gleichen  Namens  4). 
Daneben  liegt  eine  andere  kleinere,  12,500  Schritte  vom 
Vorgebirge  der  andern  entfernt.  Weiterhin  soll  man  noch 
mehrere  grosse  Inseln  erblicken,  zu  denen  man  aber  noch 
nicht  gelangt  ist.  Die  letztgenannte  soll  112,5000  Schritte 
im  Umfange  haben,  von  Persien  noch  weiter  entfernt  sein, 
und  nur  durch  eine  einzige  enge  Fahrstrasse  soll  man  zu 
ihr  gelangen  können.  Die  Insel  Asclie 5).  Die  Nocheter, 
Zuracer,  Borgoder,  Cataräer,  Nomaden.  Der  Fluss  Cynos  6). 
Weiterhin  ist,  nach  Juba's  Bericht,  die  Schifffahrt  auf  dieser 
Seite  wegen  der  Felsen  noch  nicht  versucht  worden,  doch 
lässt  er  die  Omaner  und  ihre  Stadt  Batrasaves  unerwähnt, 
welche  letztere  von  frühern  Schriftstellein  als  berühmter 
Hafen  Carmaniens  geschildert  wird;  desgleichen  auch  Omnä 
und  Athanä,  welche  unsere  Kaufleute  zu  den  bedeutendsten 
Städten  am  persischen  Meerbusen  zählen.  Auf  den  Fluss 
Canis  folgt,  nach  Juba,  ein  Berg,  der  wie  verbrannt  aus- 
sieht. Die  Epimaraniter;  dann  die  Ichthyophagen;  eine 
wüste  Insel;  die  Bathymer.  Die  eblitäischen  Berge  7);  die 
Insel  Omönus  8);  der  Hafen  Mochorbe9);  die  Inseln  Etaxalos 
und  Jnchobrice;  die  Cadäer.  Viele  Inseln  ohne  Namen; 
die  berühmten  Inseln  Isura,  Rhinnea  und  die  nächste,  auf 
welcher  sich  steinerne  Säulen  mit  unbekannten  Buchstaben 
befinden.  Der  Hafen  Gobäa,  die  wüsten  bragischen  Inseln. 
Die  Thaludäer.  Die  Landschaft  Dabanegoris,  der  Berg 
Orsa  mit  einem  Hafen.  Der  Meerbusen  Duatus;  viele  Inseln. 
Der  Berg  Tricoryphos.  Die  Landschaft  Cardaleon;  die 
Inseln  Solanades,  Cachina;  die  Inseln  der  Ichthyophagen. 


«)  Golf  von  El  Katif.    2)  El  Katif.     3)  Bahrein.    4)  Menaina. 
5)  Gussor  Sahwi.     6)  Falg?    7)  In  der  Landschaft  Oman. 
»)  Fahhal.     »)  Mascate. 


470  Sechstes  Buch. 

Sodann  die  Glarer.  Die  Küste  Hamniäum,  wo  Gold  vor- 
kommt. Die  Landschaft  Canauna;  die  Apitamer  und  Ga- 
saner.  Die  Insel  Devade;  die  Quelle  Gorolis,  die  Carphater. 
Die  Insel  Caläu  und  Amnametbu.  Die  Darrer.  Die  Insel 
Cbelonitis;  mehrere  der  Ichthyophagen;  Odanda,  wüste; 
Basa  und  viele  der  Sabäer.  Die  Flüsse  Thanar  und  Amnon; 
die  Dorischen  Inseln.  Die  Quellen  Daulotes  und  Dora. 
Die  Inseln  Pteros.  Labatanis,  Coboris,  Sambracbate,  und 
eine  Stadt  gleichen  Namens  auf  dem  Festlaude.  Gegen 
Mittag  mehrere  Inseln,  unter  denen  Camari  die  grösste 
ist.  Der  Fluss  Musecros;  der  Hafen  Laupas.  Die  sabäi- 
sehen  Sceniter.  Mehrere  Inseln;  der  Stapelplatz  derselben 
Acila,  von  wo  aus  man  nach  Indien  schifft.  Die  Landschaft 
Amithoscuta;  Damnia.  Die  grossen  und  kleinen  Mizer:  die 
Drimater.  Das  Vorgebirge  der  Naumacbäer  l)  liegt  Carnia- 
nien  gegenüber  und  ist  50,000  Schritte  davon  entfernt.  Von 
dieser  Gegend  erzählt  man  eine  merkwürdige  Geschichte: 
Nuruenius,  der  vom  Könige  Antioehus  zum  Statthalter  in 
Mesene  eingesetzt  war,  soll  daselbst  au  ein  und  demselben 
Tage  eine  Flotte  besiegt,  nach  Rückkehr  der  Fluth  wie- 
derum mit  der  Reiterei  gegen  die  Perser  gekämpft  und 
an  demselben  Orte  2  Trophäen  dem  Jupiter  und  dem 
Neptun  errichtet  haben. 

Gegenüber  im  hohen  Meere  liegt  die  Insel  Ogyris  -), 
bemerkenswert!)  wegen  des  Grabmals  des  Königs  Erythras. 
Sie  ist  vom  Festlande  120.000  Schritte  entfernt  uud  hat 
112,000  Schritte  im  Umfange.  Nicht  weniger  berühmt  ist 
Dioscoridu3)imazanischen  Meere,  welche  vonSyagrum4),  dem 
äussersten  Vorgebirge,  280,000  Schritte  davon  entfernt  liegt. 

Ausserdem  wohnen  auf  dem  Festlande  gegen  Süden 
noch  die  Ausariter,  von  wo  man  in  7  Tagen  in  das  Gebirge 
gelangt.  Die  Larendaner,  Catabaner,  Gebaniter  in  mehre- 
ren Städten,  von  denen  Nagia  und  Thomna5)  mit  65 
Tempeln,  nach  deren  Anzahl  man  den  Umfang  der  Städte 
schätzt,  die  grössten  sind.     Ein  Vorgebirge  6),  welches  vom 

')  Cap  Mussendom.     -)  Hormus.     3)  Socotora. 

*)  Fartasch.     5)  Szanna  in  Jemen?     6)  Cap  Bogashua. 


Sechstes  Buch.  471 

Festlande  der  Troglodyten  50,000  Schritte  entfernt  ist.  Die 
Toaner,  Actäer,  Chatramotiter,  Tomabeer,  Antidaleer,  Le- 
xianer,  Agräer,  Cerbaner,  arabischen  Sabäer,  die  den  besten 
Weihrauch  liefern,  und  deren  Stämme  sich  bis  zu  beiden 
Meeren  hin  erstrecken.  Städte  derselben  am  rotben  Meere 
sind:  Marane,  Marma,  Corolia,  Sabatha1);  im  Innern  aber: 
Nascus,  Cardava,  Carnus,  und  Tomala  2),  wohin  die  Räucher- 
waaren  gebracht  werden.  Eine  Abtheilung  derselben  sind 
die  Atramiter  3),  deren  Hauptstadt  Sabota  4)  60  Tempel  in 
ihren  Mauern  einschliesst.  Die  königliche  Residenz  von 
allen  ist  jedoch  Mariaba  ■').  Ihr  Gebiet  erstreckt  sich 
94,000  Schritte  weit  am  Meerbusen,  der  mit  gewürztragen- 
den Inseln  erfüllt  ist.  An  die  Atramiter  grenzen  im  Innern 
des  Landes  die  Minäer6);  am  Meere  wohnen  die  Elamiter, 
beide  mit  Städten  gleichen  Namens.  Daran  grenzen  die 
Chaculater.  Die  Stadt  Sibi,  die  von  den  Griechen  Apate 
genannt  wird.  Die  Arser,  Codaner,  Vadeer  mit  einer  grossen 
Stadt;  die  Barasasäer,  Lechiener,  die  Insel  Sygaros  7),  auf 
die  keine  Hunde  gehen,  und  wenn  sie  dort  ausgesetzt 
werden,  so  irren  sie  so  lange  am  Ufer  herum,  bis  sie  sterben. 
Der  innerste  Busen  8),  an  welchem  die  Leaniter,  von  denen 
er  den  Namen  erhalten  hat,  wohnen.  Der  Königssitz  der- 
selben ist  Agra  9j.  Ferner  liegt  an  dem  Busen:  Läana, 
oder,  nach  Andern,  Aelana10);  denn  selbst  den  Busen  nennen 
unsere  Schriftsteller  den  älanitischen,  Andere  den  älenitischen, 
auch  Artemidorus  den  alenitischenund  Juba  den  läanitischen. 
Der  Umfang  Arabiens  von  Charax  bis  Läana  soll  4,666,000 
Schritte  betragen;  Juba  nimmt  ihn  etwas  geringer,  nämlich 
zu  4,000,000  an.  Am  breitesten  ist  es  im  Norden  zwischen 
den  Städten  Heroum  n)  und  Charax. 

Nun   wollen   wir  auch  zu  dem  Innern  übergehen.     An 
die   Nabateer    lassen    ältere   Schriftsteller    die   Thimaneer 


»)  Schiwan.    2)  Tajef.    3)  Landschaft  Hadramant. 
4)  Sabbea.    5)  Mareb.    6)  In  der  Gegend  von  Mekka. 
7)  Kubbet  Dschambo.     8)  Golf  von  Akaba    9)  Akaba. 
w)  Ailah.     M)  Abukescheid. 


472  Sechstes  Buch. 

grenzen;  jetzt  aber  sind  es  die  Tavener,  Suellener,  Arra- 
cener.  Eine  Stadt,  wo  alle  Handeltreibenden  zusammen- 
kommen, Namens  Areni.  Die  Hemnater  und  Aualiter  mit 
den  Städten  Domatha  und  Hegra;  die  Thamudäer  mit  der 
Stadt  Badanatha;  die  Carreer  mit  der  Stadt  Carriati1): 
die  Achoaler  mit  der  Stadt  Foth ;  die  Minäer,  die,  wie  man 
glaubt,  von  dem  kretischen  Könige  Minos  abstammen  solleu: 
die  Charmäer,  ein  Stamm  der  letztern.  Die  14,000  Schritte 
grosse  Stadt  Marippa  Palmalacum  ist  auch  werth  angeführt 
zu  werden,  desgleichen  Carnon.  Die  Rhadamäer,  für  deren 
Stammvater  Rhadamanthus,  Minos  Bruder,  gehalten  wird. 
Die  Homeriten  mit  der  Stadt  Massala,  die  Hamireer,  Ged- 
raniter,  Amphryer,  Jlisaniter,  Bachiliter,  Samneer,  Amitheer 
mit  den  Städten  Nessa  und  Cennesseris.  Die  Zamarener 
mit  den  Städten  Sagiatta,  Canthace  und  Bacascamis.  Die 
Stadt  Riphearma,  mit  welchem  Worte  man  dort  die  Gerste 
bezeichnet.  Die  Auteer,  Raver,  Cyreer,  Mathatäer,  Helmo- 
dener  mit  der  Stadt  Ebode.  Die  Agacturer  in  den  Bergen 
mit  einer  20,000  Schritte  grossen  Stadt,  in  der  die  Quelle 
Aenuscabales  sich  hefindet,  welcher  Name  „Stadt  der  Ka- 
meele"  bedeutet.  Die  milesische  Colonie  Ampelane,  die 
Stadt  Athrida;  die  Calingier,  deren  Stadtname  Mariva  so 
viel  als  „Herren  über  Alle"  bezeichnet.  Die  Städte  Palon, 
Murannimal  an  einem  Flusse,  durch  den  der  Euphrat  wieder 
aus  der  Erde  hervorkommen  soll.  Die  Agreer  und  Ammo- 
nier;  die  Stadt  Athene,  die  Caunaraver,  deren  Name  „die 
Reichsten  an  Rindvieh"  bedeutet.  Die  Coraniter,  Osaner, 
Cianer.  Auch  lagen  hier  die  griechischen  Städte  Arethusa, 
Larissa  und  Chalcis,  sie  sind  aber  in  mehreren  Kriegen 
zerstört  worden. 

Der  Einzige,  welcher  bis  jetzt  die  römischen  Waffen 
bis  in  dieses  Land  trug,  war  der  Ritter  Aelius  Gallus: 
denn  Cajus  Caesar,  der  Sohn  des  Augustus,  sah  bloss  Ara- 
bien, ohne  hineinzukommen.  Gallus  zerstörte  die  von 
frühern  Schriftstellern  gar  nicht  genannten  Städte  Negrana. 

l)  Karjothain? 


Sechstes  Buch.  47$ 

Nestus,  Nesca,  Masugum,  Caminacum,  Labecia  und  da» 
obengenannte  Mariva,  dessen  Umfang  6000  Schritte  betrug; 
endlich  Caripeta,  welche  der  entfernteste  Punkt  seines  Vor- 
dringens war.  Uebrigens  brachte  er  folgende  Nachrichten 
mit:  Die  Nomaden  leben  von  Milch  und  dem  Fleische  wilder 
Thiere;  die  übrigen  Völker  pressen,  wie  die  Indier,  Wein 
aus  Palmen  und  Oel  aus  Sesam.  Am  zahlreichsten  sollen 
die  Homeriter  sein;  die  Minäer  haben  fruchtbares  Land  mit 
Palmen-  und  andern  Wäldern  und  viel  Vieh.  Die  Cerbaner 
und  Agräer,  vorzüglich  aber  die  Chatramotiter  sind  sehr 
kriegerisch.  Die  Carreer  besitzen  die  grössten  und  frucht- 
barsten Aecker.  Die  Sabäer  haben  die  an  Räucherwerk 
reichste  Waldungen,  das  meiste  Gold,  gutbewässerte  Aecker,. 
viel  Wachs  und  Honig.  Von  den  Räucherwerken  wollen 
wir  in  einem  andern  Buche  *)  reden.  Die  Araber  tragen 
Mützen  oder  lassen  das  Haupthaar  nicht  scheeren;  der 
Bart  wird  abgenommen,  nur  nicht  auf  der  Oberlippe;  An- 
dere lassen  auch  den  ganzen  Bart  stehen.  Es  ist  merk- 
würdig, dass  die  Hälfte  dieser  unzähligen  Völker  vom 
Handel,  die  andere  Hälfte  dagegen  vom  Raube  lebt.  Im 
Allgemeinen  sind  sie  sehr  reich,  denn  bei  ihnen  bleiben 
die  grössten  Schätze  der  Römer  und  Panther,  da  sie  Alles, 
was  ihnen  das  Meer  und  die  Wälder  verschafft,  verkaufen 
und  dagegen  nichts  wieder  einhandeln. 

33. 
Jetzt  wollen  wir  die  übrige  Arabien  gegenüberliegende 
Küste  durchnehmen.  Timosthenes  schätzte  den  ganzen 
Busen2)  zu  4  Seetagereisen  in  der  Länge  und  zu  2  in  der 
Breite,  die  Meerenge  aber  auf  7500  Schritte.  Eratosthenea 
sagt,  die  Länge  einer  jeden  Küste  von  der  Mündung  an 
betrage  1,300,000  Schritte.  Nach  Artemidorus  beträgt  die 
Länge  der  arabischen  Seite  1,750,000  und  die  der  troglo- 
dy  tischen  bis  Ptolemais  1,137,000  Schritte;  nach  Agrippa 
1,722,000,  ohne  Unterschied  der  beiden  Seiten.  Die  Breite 
geben  die  Meisten  zu  475,000  an,  und  die  Mündung  gegen 

>)  Im  XII.    2)  Des  rothen  Meeres. 


474  Sechstes  Buch. 

Südost  ist  nach  Einigen  12,000,  nach  Andern  15,000  Schritte 
breit. 

Die  Lage  selbst  ist  aber  folgende.  Auf  den  aelani- 
tischen  Busen  *)  folgt  ein  anderer  2),  den  die  Araber  Soean 
nennen,  und  an  welchem  die  Stadt  Heroum  3)  liegt.  Auch 
lag  dort  zwischen  den  Nelern  und  Marchadern  Cambysu, 
welches  von  den  dahiugefiihrten  Kranken  der  Armee  ge- 
gründet war.  Die  Tyrer  und  der  Hafen  Daneon.  Sesostris, 
König  von  Aegypten,  war  der  erste,  welcher  den  Plan  hatte, 
von  hier  aus  einen  schiffbaren  Kanal  bis  zu  der  Stelle  des 
Nils,  wo  er  das  erwähnte  Delta  bildet,  in  einer  Länge  von 
620,500  Schritten  (welches  die  Entfernung  des  Flusses  vom 
rothen  Meere  ist)  zu  ziehen;  dann  folgte  Darius,  der  König 
der  Perser  und  endlich  der  zweite  Ptolemäus 4).  Dieser 
führte  auch  wirklich  einen  100  Fuss  breiten  und  40  Fuss 
tiefen  Graben  auf  einer  Strecke  von  37,500  Schritten  bis 
zu  den  bittern  Quellen 5)  fort.  Weiter  fortzuschreiten 
schreckte  ihn  jedoch  die  Furcht  vor  einer  Ueberschwem- 
mung  ab,  denn  man  hatte  die  Erfahrung  gemacht,  dass 
das  rothe  Meer  3  Ellen  höher  sei  als  das  Land  von  Ae- 
gypten 6).  Andere  führen  nicht  diesen  Grund  an,  sondern 
sagen,  man  habe  gefürchtet,  das  Nilwasser,  welches  einzig 
und  allein  zum  Trinken  diene,  durch  das  Meerwasser 
zu  verderben.  Nichtsdestoweniger  wird  die  Reise  vom 
ägyptischen  Meere  aus  häufig  zu  Fuss  gemacht  und  zwar 
auf  dreifachem  Wege.  Der  eine  geht  von  Pelusium  durch 
Sandwüsten,  den  man  aber,  da  der  Wind  gleich  jede  Spur 
verwehet,  nicht  verfolgen  könnte,  wenn  nicht  eingesteckte 
Rohre  ihn  bezeichneten.  Ein  zweiter  läuft  2000  Schritte 
hinter    dem   Berge   Casius   weg,   kommt   aber  nach   einer 


')  Golf  von  Akaba.    2)  Golf  von  Bahr  el  Kolsum. 

3)  Abukacheid. 

4)  Ptolemäus  Philaclelphus  285—246  v.  Chr. 

5)  Oder  vielmehr  bittern  Seen.  Sie  liegen  nördlich  von  der 
Spitze  des  rothen  Meeres  und  sind  von  demselben  nur  durch  Sand- 
nügel  getrennt. 

•)  Es  ist  diess  der  in  neuester  Zeit  vollendete  Suezkanal. 


Sechstes  Buch.  475 

Strecke  von  60,000  Schritten  mit  dem  pelusischen  Wege 
zusammen.  An  ihm  wohnen  die  autäischen  Araber.  Der 
dritte  führt  von  Gerrhum  *),  welches  auch  Adipson  2)  heisst, 
aus  durch  das  Gebiet  derselben  Araber  und  60,000  Schritte 
näher,  aber  über  rauhe  Berge  und  hat  Mangel  an  Wasser. 
Alle  diese  Wege  führen  nach  Arsinoe  3),  welches  Ptolemäus 
Philadelphus  am  Busen  Charandra  erbauete  und  nach 
seiner  Schwester  benannte;  derselbe  brachte  auch  die  ersten 
Nachrichten  über  das  Land  der  Troglodyten  und  gab  dem 
bei  Arsinoe  vorbeifliessenden  Flusse  den  Namen  Ptolemäus. 
Dann  kommt  die  kleine  Stadt  Aennum,  die  Andere  Philo - 
tera  nennen;  darauf  die  aus  der  Vermischung  mit  den 
Troglodyten  entsprungenen  Abasäer  und  die  wilden  Araber. 
Die  Inseln  Sopirene  und  Scytala4);  die  Wüsten  bis  Myos- 
hormos  5),  wo  die  Quelle  Tadnos  6)  ist.  Der  Berg  Aeas  7). 
Die  Insel  Jambe8);  viele  Häfen.  Berenice,  eine  nach  der 
Mutter  des  Philadelphus  benannte  Stadt,  zu  der,  wie  wir 
gesagt  haben  9),  ein  Weg  von  Coptos  führt.  Die  autäischen 
Araber  und  die  Zebadeer. 

34. 
Dann  folgt  Troglodytice10),  welches  die  Alten  Michoe, 
Andere  Midoe  nannten.  Hier  liegen  der  Berg  Pentedactylos11); 
einige  Inseln,  Stenä  Deirä  genannt,  eine  andere  nicht  we- 
niger zahlreiche  Gruppe,  die  Halonnesen;  Cardamine,  To- 
pazos12),  von  der  ein  Edelstein  seinen  Namen  hat.  Ein 
mit  Inseln  erfüllter  Busen,  von  denen  die,  welche  Mareu 
heissen,  wasserreich,  die  aber  Eranos  heissen,  arm  an 
Wasser  sind.  Dort  herrschten  königliche  Statthalter.  Im 
Innern  wohnen  die  Candeer,  die  Ophiophagen  heissen,  weil 
sie  Schlangen  essen,  an  denen  kein  Gebiet  fruchtbarer  ist 
als  dieses. 


*)  Anderthalb  Meilen  östlich  von  Pelusium. 

2)  Das  Durststillende;  spottweise,weil  es  kein  Trinkwasser  hatte. 

3)  Adsjerud.    4)  Vielleicht  Jubal  und  Jaflatine. 

s)  Altcosseir.    b)  Derfani.    7)  Gebel  Amahr.    8)  Babuto. 
9)  Im  26.  Cap.     10)  Die  Küste  von  Habesch  und  Nubien. 
»»)  Rasel  Enf.     ,J)  Zemorgete. 


476 


Sechstes  Buch. 


Juba,  der  diese  Gegenden  am  sorgfältigsten  behandelt 
zu  haben  scheint,  hat  jedoch  (wenn  es  nicht  ein  Fehler 
der  Abschriften  ist)  ein  zweites  Berenice,  mit  dem  Beina- 
men Panchrysos  J),  und  ein  drittes,  mit  dem  Beinamen 
Epidires 2),  welches  sich  durch  seine  Lage  auszeichnet, 
vergessen.  Letzteres  steht  nämlich  auf  einer  weit  vorlau- 
fenden Anhöhe,  da  wo  die  Mündung  des  rothen  Meeres 
7500  Schritte  breit  ist.  Dort  liegt  auch  die  Insel  Cytis  % 
auf  der  ebenfalls  Topas  gefunden  wird. 

Weiterhin  liegen  die  Waldungen,  wo  Philadelphus  die 
Stadt  Ptolemais  4)  am  See  Monoleus  wegen  der  Elephanten- 
jagden  anlegte,  weshalb  dieselbe  auch  den  Beinamen  Epi- 
theras 5)  erhielt.  Dies  ist  die  bereits  im  2.  Buche  6)  von 
uns  erwähnte  Gegend,  in  welcher  45  Tage  vor  und  eben- 
so lange  nach  dem  Sommer-Solstitium  die  Schatten  allemal 
um  die  6.  Stunde  verschwinden,  in  den  übrigen  Stunden 
dieser  Tage  aber  nach  Mittag  und  an  den  übrigen  Tagen 
nach  Mitternacht  fallen,  während  in  dem  zuerst  erwähnten 
Berenice  nur  am  Tage  des  Solstitii  um  die  sechste  Stunde 
kein  Schatten  stattfindet.  Wir  wollen  von  dieser  Stadt 
weiter  nichts  Neues  anmerken,  als  dass  sie  602,000  Schritte 
von  Ptolemais  entfernt  ist  —  ein  Gegenstand  von  der 
grössten  Wichtigkeit,  und  eine  Gelegenheit  zu  Anwendung 
des  feinsten  Scharfsinnes,  weil  man  dadurch  in  das  Innere 
der  Welt  eindringt,  denn  Eratosthenes  begann  aus  dem 
unbezweifelten  Verhältniss  des  Schattens  die  Grösse  der 
Erde  zu  bestimmen.  Nun  folgt  das  azanische  Meer7);  ein 
Vorgebirge,  das  Einige  Hispalum  nennen;  der  SeeMandalum; 
die  Insel  Colocasitis 8),  und  noch  viele  andere  auf  dem 
hohen  Meere,  wo  sich  sehr  viele  Schildkröten  aufhalten. 
Die  Stadt  Suche  9),  die  Insel  Daphnis10),  die  Stadt  Aduliton11): 


')  Salaca.     -)  Minet-Bellad-el-habest.     3)  Cytis  Mehum. 
4)  Ras-Ahehas.     5)  Jagdstadt.     6)  75.  Cap. 

7)  So  hiess  dev  Theil  des   indischen  Oceans,   der  Azania,   d.  h. 
die  heutige  Küste  Ajan  bespühlt. 

•)  Massauah.    9)  Artiko.     ">)  Dhalak.     ll)  Thulla. 


Sechstes  Buch.  477 

letztere  wurde  von  ägyptischen  Sclaven,  die  ihren  Herren 
entlaufen  waren,  erbauet,  sie  ist  der  grösste  Handelsplatz 
der  Troglodyten  und  Aethiopier,  und  ihre  Entfernung  von 
Ptolema'is  beträgt  5  Seetagereisen.  Man  bringt  dort  sehr 
viel  Elfenbein,  Rhinoceroshörner,  Flusspferdhäute,  Schild- 
krötenschalen, Affen  und  Sclaven  zum  Verkauf.  Weiter 
hinauf  wohnen  die  aroterischen  r)  Aethiopier;  die  Inseln, 
welche  Aliäuheissen,  dessgleichen  Bacchias,  Antibacchias  und 
Stratioton.  Ferner  an  der  Küste  von  Aethiopien  ein  unbe- 
kannter Meerbusen,  was  mich  wundert,  da  doch  die  Kauf- 
leute die  noch  darüber  hinaus  liegenden  Gegenden  besuchen. 
Ein  Vorgebirge  mit  der  Quelle  Cucios;  welche  die  Schiffer 
benutzen.  Weiterhin  der  Hafen  der  Isis,  zu  dem  man  auf 
Ruderschiffen  in  10  Tagen  von  der  Stadt  der  Aduliter  aus 
gelangt.  Hierher  wird  von  den  Troglodyten  Myrrhe  gebracht. 
Die  2  vor  dem  Hafen  liegenden  Inseln  heissen  Pseudopylä; 
im  Hafen  selbst  sind  2  unter  dem  Namen  Pylä,  auf  einer 
derselben  befinden  sich  steinerne  Säulen  mit  unbekannten 
Inschriften.  Der  Busen  Abalites;  die  Insel  des  Diodorus  2) 
und  noch  mehrere  andere  wüste.  Auch  auf  dem  Festlande 
kommen  Wüsten  vor.  Die  Stadt  Gaza  3),  das  Vorgebirge  4) 
und  der  Hafen  5)  der  Mossyliter,  wohin  der  Zimmt  gebracht 
wird.     Bis  hierher  führte  Sesostris  sein  Heer. 

Einige  setzen  noch  eine  äthiopische  Stadt  weiter  hinaus 
an  die  Küste  von  Baricaza.  Bei  dem  mossylischen  Vor- 
gebirge soll  nach  Juba  das  atlantische  Meer  anfangen,  auf 
dem  man  vor  seinem  Mauritanien  vorüber  mit  dem  Corus 
nach  Gades  segeln  könne.  Wir  dürfen  hierbei  seine  ganze 
Ansicht  dem  Leser  nicht  vorenthalten.  Von  dem  Vorge- 
der  luder  6)  an,  das  Lepteacra,  von  Andern  auch  Drepa- 
nuni  7)  genannt  wird,  giebt  er  die  Entfernung,  bei  Exusta 
vorüber,   bis   zur   Insel  Malichu   in   gerader  Richtung   auf 


')  Ackerbauenden.    2)  Permi,  auch  Mehum  genannt. 

3)  Zeyla?    *)  Cap  Felis?    5)  Bunder  Cassini. 

c)  So  nennt  Juba  hier  die  Aethiopier. 

7)  Der  Berg  Ghareb.  an  der  Mündung  des  Meerbusens  von  Suez. 


478  Sechstes  Buch. 

1,500,000  Schritte  an;  von  da  bis  zu  dem  Orte,  der  Sceneoa 
heisst  225,000,  und  von  da  bis  zur  Insel  Adanu  150,000 
Schritte.  Demnach  betrüge  die  Entfernung  bis  zum  offnen 
Meere  1,875,000  Schritte.  Alle  andern  Schriftsteller  be- 
zweifeln, dass  man  wegen  der  Sonnenhitze  dort  schiffen 
könne.  Auch  beunruhigen  die  ascitischen  Araber  *)  von 
den  Inseln  aus  den  dortigen  Handel,  indem  sie  über  zwei 
lederne  Schläuche  eine  Brücke  legen  und  mit  vergifteten 
Pfeilen  bewaffnet  Seeräuberei  treiben.  Juba  erzählt  ferner, 
die  Troglodyten  würden  von  der  Jagd,  die  sie  treiben, 
Therothoer  2)  genannt  und  wären  ausserordentlich  gewandt 
und  schnell;  die  Ichthyophagen  könnten  wie  Seethiere 
schwimmen;  ferner  nennt  er  die  .Bangener,  Gangorer,  Cha- 
lyber,  Xoxiner,  Syrecher,  Daremer  und  Domazamer.  Nach 
ihm  sind  die  am  Nil  wohnenden  Völker  von  Syene  bis 
Meroe  keine  Aethiopier  sondern  Araber;  auch  sollen  die 
Araber  die  Sonnenstadt,  welche,  wie  wir  schon  bei  der 
Beschreibung  Aegyptens  gesagt  haben  3),  nicht  weit  von 
Memphis  liegt,  erbauet  haben.  Einige  trennen  auch  das 
jenseitige  Ufer  von  Aethiopien  und  rechnen  es  zu  Afrika; 
die  Ufer  aber  würden  nur  des  Wassers  wegen  bewohnt. 
Wir  überlassen  einem  Jeden  sein  Urtheil  darüber,  und 
führen  die  Namen  der  Städte  auf  beiden  Seiten  in  der 
Ordnung,  wie  sie  uns  überliefert  sind,  an. 

35. 
In  Aethiopien  folgen  von  Syene  an  zunächst  auf  der 
arabischen  Seite  die  Catapuder  4),  dann  die  Syeniter.  Die 
Städte:  Tacompson 5),  auch  Thathice  genannt,  Aramasos, 
Sesamos,  Sanduma,  Masindomacum,  Arabeta,  Boggia,  Leu- 
pithoiga,  Tantarene,  Moecindira,  Noa,  Gloploa,  Gystate, 
Megada,  Lea,  Rhenni,  Nupsa,  Direa,  Patiga,  Bagada,  Du- 
mana,  Rhadata,   wo   eine   goldene  Katze   als  Gott   verehrt 


')  Schlaucharaber,  wohnten  um  das  Vorgebirge  Fartasch  an  der 
SüdkÜBte  Arabiens. 

2)  Schakaljäger.     »)  V.  B.  9.  Cap.    <)  S.  V.  B.  10.  Cap. 
s)  Kobban. 


Sechstes  Buch.  479 

wird.    Bovon,  mitten  im  Lande,  Mallos,    nahe    bei   Meroe. 
So  berichtet  Bion. 

Nach  Juba  folgen  sie  also:  die  Stadt  Megatichos  auf 
einem  Berge,  zwischen  Aegypten  und  Aethiopien,  von  den 
Arabern  Myrsos  genannt,  dann  Tacompsos,  Arannum,  Sesa- 
nmm,  Pide,  Mamuda,  Orambis,  in  deren  Nähe  Erdpech 
quillt,  Amodita.  Prosda,  Parenta,  Mama,  Tessatta,  Gallasr 
Zotos,  Graucome,  Emeum,  Pidibotä,  Endondacometas,  in 
Zelten  lebende  Nomaden,  Cyste,  Macadagale,  Proaprimis, 
Palois,  Primis,  Nups,  Detrelis,  Patis,  Ganibreves,  Magasneos, 
SegasmaTa,  Cromdala,  Demna,  Cadeuma,  Thena,  Batha,  Alana, 
Mascoa,  Scamni,  Gora  auf  einer  Insel,  Abala,  Andropalis, 
Sesere,  Mallos  und  Agole. 

Auf  der  afrikanischen  Seite  werden  genannt:  eine  zweite 
Stadt  Tacompsos,  oder  auch  wohl  nur  ein  Theil  der 
ersteren  *),  Mogore,  Sea,  Edos,  Plenaria,  Pinnis,  Magassa, 
Buma,  Lintuma,  Spintum,  Sydop,  Censoe,  Pindicitora,  Actig, 
Orsum,  Sausa,  Maumarum,  Urbim,  Molum,  von  den  Griechen 
Hypaton  genannt,  Pagoarca,  Zmanes,  wo  man  die  ersten 
Elephanten  trifft,  Mambli,  Berresa,  Acetuma.  Auch  lag 
Meroe  gegenüber  der  Stadt  Epis,  welche  aber  schon  vor 
Bion's  Zeiten  zerstört  war. 

Dies  sind  die  Städte,  welche  man  bis  Meroe  angegeben 
findet,  von  denen  aber  gegenwärtig  auf  beiden  Seiten  fast 
keine  einzige  mehr  vorhanden  ist.  Der  Kaiser  Nero, 
welcher  ausser  andern*Kriegen  auch  einen  mit  den  Aethio- 
piern  im  Sinn  hatte,  sandte  eine  Abtheilung  seiner  Leib- 
wache mit  einem  Tribun  zur  Auskundschaftung  jener  Ge- 
genden dorthin,  diese  brachten  aber  die  bestimmte  Nach- 
richt, dass  dort  lauter  Wüsten  wären.  Uebrigens  sind  doch 
auch  bis  hierher  die  römischen  Waffen  zur  Zeit  des  Kaisers 
Augustus  unter  Anführung  des  P.  Petronius,  welcher  Pütter 


')  Die  letztere  Ansicht  ist  die  richtige;  dieser  Theil  lag  auf 
dem  westlichen  Ufer  des  Nils  und  jetzt  findet  man  an  dieser  Stelle 
Dakke,  Kobban  gegenüber. 


480  Sechstes  Buch. 

und  Statthalter  von  Aegypten  war,  vorgedrungen  1).  Dieser 
eroberte  alle  Städte,  welche  er  dort  noch  vorfand,  in  fol- 
gender Ordnung:  Pselcis  2),  Primis  3),  Abuncis  4),  Phthuris  5), 
€ambusis  6),  Atteva  7),  Stadasis  8),  wo  der  herabstürzende 
Nil  durch  sein  Getöse  den  in  der  Nähe  Wohnenden  das 
Gehör  benimmt;  er  plünderte  auch  Napata  9)  und  kam  auf 
seinem  Zuge  970,000  Schritte  über  Syene  hinaus.  Aber 
durch  die  römischen  Waffen  ist  jene  Gegend  nicht  zur 
Wüste  geworden,  sondern  Aethiopien  hat  seinen  Ruiu  den 
Kriegen  mit  Aegypten  zu  danken lü),  indem  es  abwechselnd 
herrschte  und  gehorchte.  Bis  zum  trojanischen  Kriege 
unter  der  Regierung  Memnon's  war  es  berühmt  und  mächtig, 
und  dass  es  zur  Zeit  des  Königs  Cepheus  selbst  Syrien 
und  unsere  Küste  besessen  habe,  beweist  die  Fabel  von 
der  Andromeda ll). 

Ebenso  verschieden  sind  die  Angaben  über  die  Grösse 
dieses  Landes.  Der  erste,  welcher  weit  über  Meroe  hinaus- 
ging, war  Dalion12);  bald  darauf  Aristocreon13),  Basilis14) 
und  der  jüngere  Simonides,  welcher  sich  während  der 
Ausarbeitung  seines  Werkes  über  Aethiopien  sogar  5  Jahre 
lang  in  Meroe  aufhielt.  AuchTimosthenes,  der  Befehlshaber 
der  Flotte  des  Philadelphus,  war  dort  und  sagt,  ohne  jedoch 
die  Entfernungen   im  Einzelnen   anzugeben,   man   brauche 


')  Dieser  Kriegszug  fällt  in  das  Jahr  22  v.  Chr.  (Cassius  Dio, 
LIV.  5). 

2)  Ist  das  zweite  Tacompsos. 

3)  Kastell  Ibrim  in  Wady-Nuba?    4)  Handieh  in  Dongola? 

5)  Bei  Sasef  im  Wady  Mahass?    6)  Bei  Hettan  in  Dongola? 

7)  Bei  Soleb  im  Wady  Mahass. 

»)  Im  Wady  Dal,  Distrikt  Sukkot? 

9)  Am  Berge  Berkel,  nördlich  von  Merave? 

,0)  Hauptsächlich  durch  den  ägyptischen  König  Sesostris,  welcher 
Aethiopien  verwüstete.    Herodet  II.  116. 

")  Sie  war  des  Cepheus  Tochter  und  wurde  nach  der  Sage  an 
der  syrischen  Küste  bei  Joppe  an  einen  Fels  gefesselt,  um  von 
einem  Seeungeheuer  gefressen  zu  werden. 

,2)  Unbekannt.     13)  Seine  Lebenszeit  ist  ungewiss. 

u)  Unbekannt. 


Sechstes  Buch.  481 

60  Tage,  um  von  Syene  nach  Meroe'  zu  kommen.  Erato- 
sthenes  bestimmt  die  Entfernung  auf  625,000,  Artemidorus 
auf  600,000  Schritte,  Sebosus  *)  aber  von  der  äussersten 
Grenze  Aegyptens  an  auf  1,675,000,  von  wo  aus  sie  die 
eben  genannten  Schriftsteller  nur  auf  1,250,000  angeben. 
Aber  dieser  ganze  Streit  ist  neuerlich  beendigt  worden, 
da  die  Kundschafter  des  Nero  den  Weg  von  Syene  an  zu 
871,000  Schritten  und  zwar  in  folgender  Weise  bestimmten: 
Von  Syene  nach  Hierasycaminos  2)  54,000;  von  da  nach 
Tama  72,000;  von  da  bis  Evonymibos  3),  dem  ersten  District 
in  Aethiopien,  120,000;  bis  Acina  54,000;  bis  Pitara  25,000; 
bis  Tergedum  106,000  Schritte.  Mitten  in  dieser  Gegend 
soll  die  Insel  Gagaudes  4)  liegen.  Dort  erblickte  man  die 
ersten  Papageyen,  und  auf  einer  andern  Insel,  welche 
Artigula  5)  heisst,  das  Thier  Sphingion  6),  hinter  Tergedum 
den  Cynocephalos  7).  Weiter  bis  Napata  80,000  Schritte; 
diese  kleine  Stadt  ist  die  einzige  von  den  vorgenannten, 
welche  noch  existirt.  Von  da  bis  zur  Insel  Meroe  360,000 
Schritte.  Die  Kräuter  um  Meroe  fand  man  grüner,  auch 
sah  man  einige  Waldungen  und  Spuren  von  Rhinocerossen 
und  Elephanten.  Die  Stadt  Meroe  8)  selbst  soll  vom  Anfange 
der  Insel  70,000  Schritte  entfernt  sein,  und  wenn  man  auf 
dem  rechten  Arme  des  Nils  führe,  so  soll  man  in  der  Nähe 
noch  eine  andere  Insel  Tadu  9)  antreffen,  wo  sich  ein 
Hafen  befände.  Die  Stadt  soll  wenig  Häuser  haben.  Eine 
Frau,  Candace,  führe  die  Regierung;  ihr  Name  sei  schon 
seit  vielen  Jahren  bei  den  Königinnen  erblich.  Auch 
hier  sei  dem  Hammon   ein  Tempel  geweihet  und  in  dem 


*)  Geograph  in  der  Mitte  des  1.  Jahrh.  v.  Chr. 

2)  Ruinen  bei  Meharraca  (Nucharrage)  im  Wady  el  Kenous. 

3)  Im  jetzigen  Distrikte  Sukkot. 

4)  Wahrscheinlich  Argo  in  Dongola. 

5)  Vielleicht  Gartaoni  ebendaselbst. 

6)  Affenart  s.  im  VIII.  B.  80.  Cap. 

7)  Hundskopf,  gleichfalls  eine  Affenart. 

•)  Ruinen,  eine  Tagereise  nördlich  bei  Shendy. 
s)  Kurgos. 

31 


482  Sechstes  Buch. 

ganzen  Lande  ihm  Capellen  errichtet.  Uebrigens  war  die 
Insel,  als  die  Aethiopier  dort  Herren  wurden,  sehr  berühmt. 
Man  erzählt,  sie  habe  250,000  Soldaten  gestellt  und  400,000 
Künstler  gehabt.  Noch  heutzutage  soll  es  45  äthiopische 
Könige  geben.  Das  ganze  Volk  aber  hiess  erst  das  äthe- 
rische, dann  das  atlantische,  endlich,  nach  Aethiops,  dem 
Sohne  des  Vulkan,  das  äthiopische. 

Dass  an  den  äussersten  Grenzen  dieses  Landes 
monströse  Thier-  und  Menschengestalten  vorkommen,  ist 
kein  Wunder,  da  die  bewegliche  Kraft  des  Feuers  *)  sich 
so  wirksam  bei  der  Bildung  der  Körper  beweist.  Man  er- 
zählt für  gewiss,  dass  die  dort  am  weitesten  gegen  Osten 
wohnenden  Menschen  keine  Nasen  und  ein  ganz  glattes 
Gesicht  hätten.  Andere  sollen  keine  Oberlippen,  andere 
keine  Zunge  haben.  Bei  Andern  soll  sogar  der  Mund  ver- 
schlossen sein  und  die  Nase  fehlen,  so  dass  sie  nur  durch 
Eine  Oeffnung  Athem  holen;  sie  trinken  mittels  eines  Hafer- 
halms, und  leben  von  den  Körnern  eben  dieses  wildwach- 
senden Hafers.  Einige  nicken  nur  und  bewegen  die  Glieder 
statt  zu  sprechen.  Andere  kannten  vor  der  Zeit  des  ägyp- 
tischen Königs  Ptolemäus  Lathyrus 2)  den  Gebrauch  des 
Feuers  nicht.  Manche  Schriftsteller  sagen,  die  Pygmäer 
wohnten  zwischen  den  Sümpfen,  aus  denen  der  Nil  seinen 
Ursprung  nimmt. 

An  der  Küste  3)  aber  folgt  eine  ununterbrochene  Reihe 
von  Bergen,  welche  ein  brennend  rothes  Ansehen  haben. 
Das  ganze  Land  von  Meroe  an  wird  von  den  Troglodyten 
und  dem  rothen  Meere  begrenzt.  Auf  dem  Wege  von 
Napata  nach  der  Küste  des  rothen  Meeres,  welcher  3  Tage- 
reisen beträgt,  bewahrt  man  an  mehreren  Stellen  das  Regen- 
wasser zum  Gebrauche  auf.  Der  zwischenliegende  District 
ist  sehr  ergiebig  an  Gold.  Das  weiterhin  liegende  Land 
haben  die  Atabuler,  ein  äthiopischer  Stamm,  inne.  Dann 
kommen  Meroe  gegenüber  die  Megabarer,  von  Einigen  auch 
Adiabarer   genannt;   sie   wohnen   in   der  Apollostadt.     Ein 


»)  Des  heissen  Klimas.     2)  116—106  v.  Chr.    3)  Aethiopiens. 


Sechstes  Buch.  483 

Theil  davon  lebt  nomadisch  und  isst  Elephantenfleisch. 
Gegenüber  auf  der  afrikanischen  Seite  die  Maceobier. 
Wiederum  bei  den  Megabaren  die  Memnoner  und  Dabeller, 
und  20  Tagereisen  weiter  die  Oitenser.  Hinter  diesen  die 
Docher  und  darauf  die  Gymneter,  welche  stets  nackt  gehen. 
Ferner  die  Andeter,  Mothiter,  Mesager,  Ipsodorer,  die  eine 
schwarze  Hautfarbe  haben  und  den  ganzen  Körper  roth 
bemalen.  Auf  der  afrikanischen  Seite  die  Medimner.  Dann 
die  von  der  Milch  der  Cynocephalen  lebenden  Nomaden, 
die  Alader  und  Syrboter,  welche  8  Cubiti  hoch  sein  sollen. 

Nach  Aristocreon  beträgt  die  Entfernung  von  Meroe 
bis  zur  Stadt  Tolle  auf  der  libyschen  Seite  5  Tagereisen; 
von  da  12  Tagereisen  bis  zur  Stadt  Esar,  welche  dieAegypter, 
die  vor  Psammetich  *)  flohen,  gegründet  haben,  und  in  der 
sie  300  Jahre  gewohnt  haben  sollen.  Gegenüber  auf  der 
arabischen  Seite  soll  die  ihnen  gleichfalls  gehörende  Stadt 
Daron  liegen.  Die  Stadt  Esar  nennt  Bion  Sape,  und  sagt, 
dieser  Name  bedeute:  Ankömmlinge.  Ihre  Hauptstadt 
Sembobitis  liegt  auf  einer  Insel  und  eine  dritte  Stadt  derselben 
ist  Sinat  in  Arabien.  Zwischen  den  Bergen  aber  und  dem 
Nil  wohnen  die  Symbarer  und  Palugger  und  in  den  Bergen 
selbst  viele  Stämme  der  Asacher.  Sie  leben  von  der  Jagd 
der  Elephanten  und  sollen  5  Tagereisen  vom  Meere  ent- 
fernt sein.  Eine  Insel  der  Semberriten  im  Nil  wird  von 
einer  Königin  beherrscht.  Von  da  8  Tagereisen  entfernt 
wohnen  die  nubischen  Aethiopier,  deren  Stadt  Tenupsis 
am  Nile  liegt.  Die  Sambrer,  bei  denen  alle  vierfüssigen 
Thiere,  sogar  die  Elephanten,  keine  Ohren  haben.  Auf  der 
afrikanischen  Seite  die  Tonobarer  und  Ptoempher,  welche 
einen  Hund  zum  Könige  haben,  aus  dessen  Bewegungen 
sie  seine  Befehle  errathen.  Die  Aurusper  in  einer  weit 
vom  Nile  entlegenen  Stadt;  hierauf  die  Achisarmer,  Phaliger, 
Marigerer,  Casmarrer. 

Bion  führt  noch  andere  Städte  auf  den  Inseln  an  und 
schätzt   den   ganzen  Weg  von  Sembobitis   bis  Meroe  auf 


*)  Regierte  670—616  vor  Chr. 


484  Sechstes  Buch. 

20  Tagereisen.  Auf  der  x)  nächsten  Insel  liegt  die  unter 
einer  Königin  stehende  Stadt  der  Semberriter,  und  noch 
ein  anderes  Asara;  auf  einer  anderen  Insel  liegt  Darde. 
Eine  dritte  Insel  heisst  Medoe,  mit  der  Stadt  Asel;  eine 
vierte  Garode,  mit  einer  Stadt  gleichen  Namens.  Von  hier 
an  liegen  an  den  Ufern  folgende  Städte:  Navos,  Modunda, 
Andatis,  Secundum,  Colligat,  Seconde,  Navectabe,  Cumi, 
Agrospi,  Aegipa,  Condrogari,  Araba  und  Summara. 

Die  oberhalb  Sirbituni  befindliche  Gegend,  wo  die  Berge 
aufhören,  wird  von  Einigen  als  der  Wohnsitz  der  Küsten- 
Aetliiopier,  nämlich  der  Nisacäther  und  Nisiten  bezeichnet; 
diese  beiden  Namen  bedeuten  „Männer  mit  3  und  4  Augen u, 
nicht,  weil  sie  wirklich  so  viele  Augen  haben,  sondern  weil 
sie  gute  Pfeilschützen  sind.  An  dem  Theile  des  Nils  aber, 
welcher  oberhalb  der  grössern  Syrten  sich  nach  dem  süd- 
lichen Ocean  hin  erstreckt,  sollen,  wie  Dalion  berichtet,  die 
Cisoren,  welche  nur  Regenwasser  gebrauchen  und  die 
Longoporer  wohnen.  Von  den  Oecalicern  gelangt  man 
in  5  Tagen  zu  den  Usibalcern,  Isbelern,  Perusiern,  Wallern 
und  Cispiern.  Das  Uebrige  sind  Wüsten  und  weiterhin 
ist  Alles  fabelhaft. 

Gegen  Abend  wohnen  die  Nigroer,  deren  König  nur 
ein  Auge  und  zwar  auf  der  Stirn  hat.  Die  Agriophagen, 
welche  grösstentheils  vom  Fleische  der  Panther  und  Löwen 
leben;  die  Pamphagen,  welche  alles  essen;  die  Anthropo- 
phagen  leben  von  Menschenfleisch;  die  Cynomolgen  ver- 
zehren Hundsköpfe.  Die  Artabatiter  laufen  wie  wilde  vier- 
füssige  Thiere  umher.  Hierauf  folgen  die  Hesperier  und 
Perorser,  welche  schon  bei  der  Grenze  Mauritaniens  ge- 
nannt sind  2).  Ein  gewisser  Theil  der  Aethiopier  lebt  nur 
von  Heuschrecken,  welche  sie  gesalzen  und  geräuchert  ein 
Jahr  lang  aufheben;  diese  werden  nicht  älter  als  40  Jahre. 

M.  Agrippa  hat  angegeben,  die  Länge  von  ganz  Ae- 
thiopien  mit  dem  rothen  Meere  betrage  2,170,000  Schritte, 
und   die  Breite,   Oberägypten    mit   eingerechnet,    1,297,000. 


»)  Bei  Meroe.     2)  V.  B.  1.  und  S.  Gap. 


Sechstes  Buch.  485 

Einige  haben  die  Länge  so  bestimmt:  Von  Meroe  bis  Sir- 
bitum  11  Schiffstagereisen,  von  da  bis  zu  den  Dabellern 
15,  und  von  diesen  bis  zum  äthiopischen  Ocean  6  Land- 
tagereisen. Im  Ganzen  stimmen  fast  alle  Schriftsteller 
darin  tiberein,  dass  die  Entfernung  vom  Ocean  bis  nach 
Meroe  625,000  Schritte  betrage;  wie  weit  es  von  da  nach 
Syene  ist,  haben  wir  bereits  angegeben.  Aethiopien  liegt 
von  Südost  nach  Südwest.  Im  südlichen  Theile  desselben 
befinden  sich  ganze  Wälder  von  Ebenholz;  in  der  Mitte, 
nahe  am  Meere,  erhebt  sich  ein  hoher  Berg,  der  beständig 
brennt,  und  bei  den  Griechen  Theon  ochema  x)  heisst.  Von 
ihm  gelangt  man  zu  Schiffe  in  4  Tagen  zu  dem  Vorgebirge 
Hesperion  ceras 2),  welches  an  der  Grenze  von  Afrika 
neben  dem  Gebiete  der  hesperischen  Aethiopier  liegt. 
Nach  Einigen  sind  in  dieser  Gegend  auch  sanfte  Hügel 
mit  schönen  schattigen  Wäldern,  wo  die  Aegipanen  und 
Satyren  wohnen. 

36. 
Sowohl  Ephorus  als  Eudoxus  und  Timosthenes  führen 
mehrere  Inseln  in  diesem  Meere  an;  Clitarchus  aber  hat 
dem  Könige  Alexander  von  einer  berichtet,  die  so  reich 
sei,  dass  ihre  Bewohner  die  Pferde  mit  Goldtalenten  be- 
zahlen, und  einer  andern,  auf  welcher  man  einen  heiligen, 
von  Hainen  beschatteten  Berg  gefunden  habe,  wo  aus  den 
Bäumen  ein  äusserst  duftender  Balsam  tröpfele.  Dem  per- 
sischen Meerbusen  gegenüber  liegt  vor  Aethiopien  die  Insel 
Cerne  3),  deren  Grösse  und  Entfernung  vom  Festlande  un- 
bekannt ist;  sie  soll  nur  von  äthiopischen  Völkern  bewohnt 
sein.  Ephorus  sagt,  die  vom  rothen  Meere  aus  dahin  Segeln- 
den könnten  wegen  der  grossen  Hitze,  die  jenseits  gewisser 
Säulen  (so  heissen  mehrere  kleine  Inseln)  herrsche,  nicht 
zu  ihr  gelaugen.  Nach  Polybius  liegt  Cerne  am  äussersten 
Ende  von   Mauritanien  dem  Berge  Atlas    gegenüber  und 


')  Götterwagen.     -)  Westhorn. 

3)  Fehdal;  Andere  wollen  fälschlich  Porto  Santo,  Madera,   Ar- 
guin  und  selbst  Madagascar  darin  erkennen. 


486  Sechstes  Buch. 

8  Stadien  vom  Festlande;  nach  Com.  Nepos  liegt  sie  Car- 
thago  gerade  gegenüber,  und  dieser  giebt  ihre  Entfernung 
vom  Festlande  auf  1000,  ihren  Umfang  auf  nicht  mehr  als 
2000  Schritte  an.  Noch  einer  anderen,  dem  Atlas  gegen- 
über liegenden  Insel  wird  erwähnt,  welche  selbst  Atlas- 
insel *)  heisst.  Von  dieser  aus  erreicht  man  nach  5  See- 
tagereisen die  zu  den  hesperischen  Aethiopiern  führenden 
Einöden,  und  zu  dem  Vorgebirge,  welches  wir  Hesperion 
ceras  genannt  haben,  von  wo  an  sich  die  Vorderseite  des 
Landes  zuerst  gegen  Westen  und  das  atlantische  Meer 
wendet.  Diesem  Vorgebirge  gegenüber  sollen  die  gorga- 
dischen  Inseln  2)  liegen,  der  frühere  Wohnsitz  der  Gorgonen; 
nach  Xenophon  von  Lampsacus  sind  sie  2  Seetagereisen 
vom  Festlande  entfernt.  Der  punische  Feldherr  Hanno., 
welcher  bis  zu  ihnen  vordrang,  erzählt,  die  dortigen  Weiber 
seien  am  ganzen  Körper  rauh,  die  Männer  aber  wären 
eiligst  vor  ihm  geflohen.  Zum  Beweise  und  der  Merkwür- 
digkeit wegen  legte  er  die  Häute  von  2  Gorgonen  im  Tempel 
der  Juno  nieder,  wo  sie  bis  zur  Einnahme  von  Carthago 
zu  sehen  waren  3).  Weiterhin  werden  noch  2  hesperische 
Inseln  4)  angeführt.  Alle  Nachrichten  über  diese  Gegenden 
sind  so  unsicher,  dass  Statius  Sebosus  angiebt,  von  den 
Inseln  der  Gorgonen  schiffe  man  bei  der  Atlasinsel  vorbei 
in  40  Tagen  zu  den  hesperischen  Inseln,  und  von  diesen 
in  einem  Tage  zum  Vorgebirge  Hesperion  ceras.  Ebenso  wenig 
Bestimmtes  weiss  man  von  den  mauritanischen  Inseln.  Nur 
so  viel  ist  gewiss,  dass  einige  dem  Gebiete  der  Autololer 
gegenüber  liegen,  die  Juba  entdeckt  hat  und  auf  denen  er 
das  Färben  mit  gätulischem  Purpur  lehrte  5). 


*)  "Vermuthlich  eine  jetzt  vom  Meere  grösstentheils  verschlun- 
gene Insel,  deren  Ueberbleibsel  man  vielleicht  in  den  capverdischen 
Inseln  erkennen  dürfte.    2)  Soll  die  Inselgruppe  Arguin  sein. 

3)  Offenbar  waren  diess  Gorilla-Felle. 

A)  Dies  sind  die  bald  folgenden  glückseligen,  jetzt  canarischen 
Inseln. 

5)  Hier  ist  wohl  das  Rothfärben  mit  Orseille  (Liehen  Roccella) 
gemeint,  was  noch  jetzt  auf  den  canarischen  Inseln  betrieben  wird 


Sechstes  Buch.  437 

37. 

Nach  Angabe  einiger  Schriftsteller  liegen  hinter  diesen 
die  glückseligen  Inseln1)  und  noch  mehrere  andere, 
deren  Zahl  und  Entfernung  derselbe  Sebosus  ebenfalls  an- 
giebt.  Nach  ihm  beträgt  die  Entfernung  der  Insel  Junonia  2J 
von  Gades  750,000  Schritte;  ebensoweit  sei  es  von  dieser 
Insel  westlich  bis  Pluvialia  3)  und  Capraria  4J.  Auf  Pluvialia 
soll  kein  anderes  Wasser  sein,  als  was  der  Regen  bringt- 
250,000  Schritte  von  derselben  liegend,  der  linken  Seite 
Mauritaniens  gegenüber,  nach  der  achten  Tagesstunde 5) 
hin  die  glückseligen  Inseln,  von  denen  die  eine  wegen  ihrer 
convexen  Gestalt  Invallis  6),  die  andere  wegen  ihrer  ebenen 
Gestalt  Planaria  7)  heisst.  Invallis  hat  einen  Umfang  von 
300,000  Schritten  und  die  Bäume  auf  ihr  sollen  eine  Höhe 
von  114  Fuss  erreichen. 

Juba  hat  über  die  glückseligen  Inseln  folgende  Nach- 
richten eingezogen:  sie  liegen  ebenfalls  zwischen  Süden 
und  Westen,  625,000  Schritte  von  den  Purpurinseln,  so  dass 
man  250,000  Schritte  gegen  Westen  und  dann  375,000  Schritte 
östlich  schiffen  müsste.  Die  erste  hiesse  Ombrios  8);  auf  ihr 
träfe  man  keine  Spur  von  Gebäuden  an,  im  Gebirge  befinde 
sich  ein  Sumpf,  die  Bäume  wären  dünn,  und  aus  ihnen  würde 
ein  Wasser  gepresst,  welches  von  den  schwarzen  Bäumen 
bitter,  von  den  weissen  aber  angenehm  schmecke.  Eine 
zweite  Insel  hiesse  Junonia,  auf  der  nur  ein  kleiner  stei- 
nerner Tempel  stände.  In  ihrer  Nähe  läge  noch  eine 
kleinere  mit  demselben  Namen 9).  Dann  folge  Capraria^ 
welche  von  grossen  Eidechsen  wimmele.  Im  Gesichtskreise 
dieser  Inseln  liege  Nivaria 10),  die  diesen  Namen  von  ihrem 
beständigen  Schnee  und  Nebel  habe.  Dieser  zunächst 
Canaria  u),  so  genannt  von  den  vielen  grossen  Hunden,  von 


')  Die  canarischen  Inseln.    2)  Wahrscheinlich  Graciosa. 

3)  Wahrscheinlich  Ferro.     4)  Wahrscheinlich  Gomera. 

5)  Südwest.    6)  Teneriffa.    7)  Canaria. 

8)  Das  griechische  Wort  für  Pluvialia.     9)  Soll  Lobos  sein. 

,0)  Ist  die  obige  Invallis  (Teneriffa^ 

n)  Führt  noch  jetzt  diesen  Namen. 


488  Sechstes  Buch. 

denen  dem  Juba  2  überbracht  wurden;  hier  findet  man 
noch  Spuren  von  Gebäuden.  Alle  aber  hätten  Ueberfluss 
an  Obst  und  Vögeln  aller  Art,  und  letztere  wäre  überdiess 
reich  an  Palmfrüchten  und  Piniennüssen.  Auch  gäbe  es 
dort  viel  Honig;  in  den  Flüssen  kämen  Papyrus  und 
Siluri  *)  vor;  man  würde  aber  durch  die  faulenden,  vom 
Meere  ausgeworfenen  Thiere  sehr  belästigt. 

38. 
Nachdem  wir  nun  den  Erdkreis  nach  seinen  äussern 
und  innern  Theilen  ausführlich  beschrieben  haben,  scheint 
auch  eine  kurze  Angabe  seines  Flächeninhaltes  nicht 
überflüssig  zu  sein.  Polybius  giebt  die  Strecke  von  der 
gaditanischen  Meerenge  bis  zur  Mündung  des  Mäotis  in 
gerader  Linie  auf  3,437,500  Schritte  an;  von  demselben 
Anfangspunkte  in  gerader  Linie  östlich  bis  Sicilien  auf 
1,250,500,  von  da  bis  Creta  auf  375,000,  bis  Rhodus  auf 
187,500,  bis  zu  den  chelidonischen  Inseln  ebensoweit,  bis 
Cypern  auf  225,000  und  von  da  bis  Seleucia  Pieria  in 
Syrien  auf  115,500  Schritte,  was  zusammen  2,340,000 
Schritte 2)  ausmacht.  Agrippa  schätz  die  gerade  Länge 
von  der  gaditanischen  Meerenge  bis  zum  issischen  Meer- 
busen auf  3,440,000  Schritte;  ich  weiss  aber  nicht,  ob  nicht 
in  dieser  Zahl  ein  Fehler  steckt,  denn  derselbe  Schriftsteller 
giebt  die  Entfernung  von  der  sicilischen  Meerenge  bis  nach 
Alexandrien  auf  1,300,0000  Schritte  an.  Der  ganze  Umfang 
durch  die  genannten  Busen  von  eben  demselben  Punkte  an 
bis  zum  Mäotis  beträgt  10,058,000  Schritte.  Artemidorus 
fügt  noch  755,000  hinzu.  Derselbe  giebt  den  Umfang  mit 
Einschluss  des  Mäotis  auf  17,390,000  Schritte  an.  Diess  ist 
die  Maassbestimmung  wehrloser,  in  ruhiger  Kühnheit  dem 
Schicksale  trotzender  Menschen 3).  Nun  wollen  wir  noch 
die  Grösse  der  einzelnen  Erdtheile  miteinander  vergleichen, 
so  viele  Schwierigkeiten  auch  die  verschiedenen  Angaben 
der  Schriftsteller  herbeiführen.    Jedoch  wird  man  die  beste 

»)  Eine  Fischart,  s.  IX.  B.  17.  Cap. 

2)  Einige  dieser  Zahlen  sind  jedenfalls  falsch,   denn  die  Summe 
beträgt  2,153,500.     3)  Der  Seefahrer  nämlich. 


Sechstes  Buch.  489 

Uebersicht  haben,  wenn  man  zu  der  Länge  die  Breite  hin- 
zu rechnet.  Nach  diesem  Verfahren  beträgt  die  Grösse  von 
Europa  8,294,000  Schritte.  Von  Afrika  die  Länge  (im 
Mittel  aus  den  verschiedenen  Angaben)  3,794,000;  die 
Breite,  soweit  es  bewohnt  wird,  nirgends  über  250,000 
Schritte.  Da  aber  Agrippa  die  Grösse  desselben  schon 
von  Cyrenaica,  einem  Theile  Afrika's,  mit  Einschluss  der 
Wüsten  dieses  Landes  bis  zu  den  Garamanten,  soweit  sie 
bekannt  sind,  auf  910,000  bestimmt,  so  erhält  man  für  die 
gesammte  Grösse  4,608,000  Schritte.  Die  Länge  Asiens 
wird  allgemein  zu  6,375,000  Schritten  angenommen.  Die 
Breite,  welche  man  wohl  am  passendsten  vom  äthiopischen 
Meere  an  bis  nach  Alexandiien  am  Nil  nimmt,  so  dass  die 
Linie  durch  Meroe*  und  Syene  geht,  beträgt  1,875,000  Schritte. 
Daraus  erhellt  also,  dass  Europa  um  etwas  weniger  als 
die  Hälfte  Asiens  grösser  als  letzteres,  und  dass  Asien 
gleich  1  Vg  von  Afrika  sei.  Wenn  man  alle  Summen  zu- 
sammen rechnet,  so  ergiebt  sich  deutlich,  dass  Europa 
V3  und  etwas  mehr  als  Vs?  Asien  1/i  und  Vu,  Afrika  l/s 
und  Veo  der  ganzen  Erde  ausmacht. 

39. 

Damit  bei  der  Betrachtung  der  Länder  nichts  fehle, 
fügen  wir  hier  noch  eine  höchst  scharfsinnige  Idee  bei, 
welche  wir  den  Griechen  verdanken,  wodurch  wir  erfahren, 
mit  welcher  jede  der  angezeigten  Gegenden  in  Verbindung 
stehe,  und  rücksichtlich  der  Tage  und  Nächte  verwandt 
sei;  endlich,  welche  derselben  gleiche  Schatten  und 
gleiche  Himmelswölbung  miteinander  gemein  haben.  Wir 
wollen  daher  auch  hiervon  Rechenschaft  geben  und  die 
ganze  Erde  in  Himmelsstriche  theilen.  Es  giebt  aber  viele 
solcher  Abschnitte,  welche  von  uns  Kreise,  von  den  Griechen 
Parallelen  genannt  werden. 

Den  Anfang  macht  der  südliche  Theil  von  Indien. 
Dieser  Kreis  reicht  bis  nach  Arabien  und  den  Völkern  am 
rothen  Meere,  und  fasst  in  sich:  die  Gedroser,  Perser,  Car- 
mauer,  Elymäer,  Parthyene,  Aria,  Susiane,  Mesopotamien, 
das  babylonische  Seleucien,  Arabien  bis  Petra,  Syria  Coele, 


490  Sechstes  Buch. 

Pelusium,  den  untern  Theil  Aegyptens,  welcher  der  Bezirk 
von  Alexandrien  heisst,  die  Küstenländer  von  Afrika,  alle 
cyrenäischen  Städte,  Thapsus,  Adrumetum,  Clupea,  Carthago, 
Utica,  beide  Hippo,  Numidien,  beide  Mauritanien,  das  atlan- 
tische Meer  und  die  Säulen  des  Herkules.  In  diesem  Himmels- 
striche wirft  am  Tage  des  Aequinoctii  Mittags  ein  Sonnenzeiger 
(Gnomon)  von  7  Fuss  Länge  einen  nicht  mehr  als  4  Fnss  langen 
Schatten.  Der  längste  Tag  sowie  die  längste  Nacht  dauert 
14,  die  kürzesten  hingegen  10  Aequinoctial-Stunden. 

Der  folgende  Kreis  beginnt  vom  westlichen  Indien, 
geht  mitten  durch  Parthien,  Persepolis,  den  zunächst  liegen- 
den Theil  von  Persien,  das  diesseitige  Arabien,  Judäa,  die 
Gegend  um  den  Libanus.  Er  ümfasst  Babylon,  Idumäa, 
Samaria,  Hierosolyma,  Ascalon,  Joppe,  Cäsarea  in  Phönicien, 
Ptolema'is,  Sidon,  Tyrus,  Berytus,  Botrys,  Tripolis,  Byblus, 
Antiochia,  Laodicea,  Seleucia,  die  Küste  von  Cilicien,  den 
südlichen  Theil  von  Cypern,  Creta,  Lilybäum  in  Sicilien, 
die  nördlichen  Theile  von  Afrika  und  Numidien.  Im  Ae- 
quinoctium  wirft  ein  35  Fuss  langer  Sonnenzeiger  einen 
24  Fuss  langen  Schatten.  Der  längste  Tag  und  die  längste 
Nacht  dauert  14l/5  Aequinoctial-Stunden. 

Der  dritte  Kreis  nimmt  im  Gebiete  der  am  Imaus 
wohnenden  Indier  seinen  Anfang.  Er  zieht  sich  über  den 
caspisehen  Pass  nahe  bei  Medien  über  Cataonien,  Cappa- 
docien,  den  Taurus,  Amanus,  Issis,  den  cilicischen  Pass, 
Soli,  Tarsus,  Cyprus,  Pisidia,  Side  in  Pamphilien,  Lycaonien, 
Patara  in  Lycien,  den  Xanthus,  Caunus,  Rhodus,  Cos,  Hali- 
carnassus,  Gnidus,  Doris,  Chios,  Delos,  mitten  durch  die 
Cycladen,  Gythius,  Malea,  Argos,  Laconien,  Elis,  Olympia, 
Messenia  im  Peloponnes,  Syracus,  Catina,  mitten  durch  Sici- 
lien,  das  südliche  Sardinien,  Carteja  und  Gades.  Ein  Sonnen- 
zeiger von  100  Theilen  wirft  einen  solcher  77  Theile  langen 
Schatten;  der  längste  Tag  hat  148/i5  Aequinoctial-Stunden. 

In  dem  vierten  Kreise  liegen  die  Länder  auf  der  andern 
Seite  des  Imaus,  das  südliche  Coppadocien,  Galatien,  Mysien. 
Sardes,  Smyrna,  Sipylus,  der  Berg  Tmolus,  Lydien,  Carien, 
Ionien,   Trallis,   Colophon,   Ephesus,   Milet,   Samos,   Chios 


Sechstes  Buch.  4c^ 

das  icarische  Meer,  die  nördlichen  Cycladeri,  Athen,  Megara, 
Corinth,  Sicyon,  Achaga,  Paträ,  der  Isthmus,  Epirus,  das 
nördliche  Sicilien,  der  östliche  Theil  des  narbonnensischen 
Galliens  und  die  Seeküste  Spaniens  von  Neu-Carthago  an 
nach  Westen.  Ein  Sonnenzeiger  von  21  Fuss  wirft  einen 
16  Fuss  langen  Schatten;  der  längste  Tag  hat  142/3  Aequi- 
noctial-Stunden. 

Im  fünften  Kreise  liegen  von  der  x)  Mündung  des  cas- 
pischen  Meeres  an:  Bactra,  Iberia,  Armenien,  Mysien, 
Phrygien,  der  Hellespomt,  Troas,  Tenedus,  Äbydus,  Scepsis, 
Ilium,  der  Berg  Ida,  Cyzicum,  Lampsacus,  Sinope,  Amisus, 
Heraclea  im  Pontus,  Paphlagonien,  Lemnus,  Imbrus,  Thasus, 
Cassandria,  Thessalien,  Macedonien,  Larissa,  Amphipolis, 
Thessalonice,  Pella,  Edessa,  Beröa,  Pharsalia,  Carystum, 
Euböa  der  Böotiev,  Chalcis,  Delphi,  Acarnanien,  Aetolien, 
Apollonia,  Beundisium,  Tarentum,  die  Thurier,  die  Lokrer, 
Rhegium,  die  Lucaner,  Neapel,  Puteoli,  das  thuscische  Meer, 
Corsica,  die  Balearischen  Inseln,  das  mittlere  Spanien. 
Ein  Sonnenzeiger  von  7  Fuss  giebt  einen  6  Fuss  langen 
Schatten.  Die  grösste  Anzahl  von  Stunden  am  Tage  zur 
Zeit  des  Aequinoctii  ist  15. 

Im  sechsten  Kreise,  in  welchem  die  Stadt  Rom  liegt, 
sind  enthalten:  die  caspischen  Völker,  der  Caucasus,  das 
nördliche  Armenten,  Apollonia  jenseits  Rhyndacus,  Nicome- 
dien, Nicäa,  Chalcedon,  Byzanz,  Lysimachia,  der  Chersonesus, 
der  Busen  Melane,  Abdera,  Samothracien,  Maronea,  Aenuru, 
Bessica,  Thracien,  Mädica,  Päonia,  Illyrien,  Dyrrachium, 
Canusium,  die  äusserste  Grenze  von  Apulien,  Campanien, 
Etrurien,  Pisa,  Lima ,  Luca,  Gruna,  Ligurien,  Antipolis, 
Massilien,  Narbone,  Taracone,  der  mittlere  Theil  vom 
tarraconensischen  Spanien  und  endlich  Lusitanien.  Ein 
Sonnenzeiger  von  9  Fuss  wirft  einen  8  Fuss  langen  Schatten. 
Der  längste  Tag  hat  15V9  oder  nach  Nigidius  2)  15Vö  Ae- 
quinoctial-Stunden. 

')  Angeblichen.  2)  Publius  Nigidius  Figulus,  Freund  Cicero's. 
Astrolog,  Erneuerer  derPythagoräischen  Schule,  nahm  im  Bürgerkriege 
Pompejus  Partei  und  starb  45  v.  Chr.  im  Exil. 


492  Sechstes  Buch. 

Der  siebente  fängt  von  der  andern  Küste  des  caspischen 
Meeres  an  und  geht  über  Callatis,  den  Bosporus,  Borysthenes, 
Tomi,  den  jenseitigen  Theil  von  Thracien,  die  Triballer, 
den  übrigen  Theil  von  Illyrien,  das  adriatische  Meer, 
Aquileja,  Altinum,  Venetia,  Vicetia,  Patavium,  Verona,  Cre- 
mona,  Ravenna,  Ancona,  Picenum,  die  Marser,  Peligner, 
Sabiner,  Umbria,  Ariminum,  Bononia,  Placentia,  Mediolanum, 
und  alles  Uebrige  vom  Apenninus  an,  jenseits  der  Alpen 
das  aquitanische  Gallien,  Vienna,  die  Pyrenäen  und  Celti- 
berien.  Ein  Sonnenzeiger  von  35  Fuss  wirft  einen  36  Fuss 
langen  Schatten,  jedoch  ist  in  Venetia  der  Schatten  nicht 
länger  als  der  Zeiger.  Der  längste  Tag  hat  153/4  Aequi- 
noctial-Stunden. 

Bis  hierher  haben  wir  die  Arbeiten  der  Alten  mitge- 
theilt.  Unter  den  spätem  Schriftstellern  bringen  die  ge- 
nauesten die  noch  übrigen  Länder  unter  3  Abschnitte. 

In  dem  einen  vom  Tanais  an  über  den  Mäotis  und 
das  Land  der  Sarmaten  bis  zum  Borysthenes  und  so  weiter 
durch  Dacien,  einen  Theil  von  Germanien,  Gallien  nebst 
der  Küste   des   angrenzenden  Oceans  hat  der  längste  Tag 

16  Stunden.  Der  zweite  geht  über  das  Land  der  Hyper- 
boräer   und  Britannien,   und  hier   dauert   der   längste   Tag 

17  Stunden.  Der  letzte  ist  der  scythische;  er  geht  von 
dem  riphäischen  Gebirge  bis  Thule,  wo,  wie  wir  gesagt 
haben,  nur  einmal  im  Jahre  Tag  und  wiederum  ebenso- 
lange Nacht  ist.  Dieselben  Schriftsteller  setzen  auch  vor 
den  von  uns  zuerst  genannten  Abschnitt  noch  zwei:  der 
erste  davon  geht  über  die  Insel  Meroe  und  Ptolema'is, 
welches  am  rothen  Meere  liegt  und  wegen  der  Elephanten- 
jagd  erbauet  wurde;  hier  soll  der  längste  Tag  12^2  Stunde 
dauern.  Der  zweite  geht  über  Syene  in  Aegypten  und 
die  grösste  Tageslänge  beträgt  13  Stunden.  Ebendieselben 
haben  jedem  der  folgenden  Kreise  bis  zu  dem  letzten  noch 
V2  Stunde   an  Tageslänge    hinzugefügt. 

So  viel  von  den  Ländern. 


DIE 

NATURGESCHICHTE 


DES 


CAJÜS  PLI1ÜS  SECUNDÜS. 


INS   DEUTSCHE   ÜBERSETZT 
UND   MIT   ANMERKUNGEN    VERSEHEN 


Prof.  Dr.  G.  C.  WITTSTEIN 

in   München. 


ZWEITER  BAND: 

(VII— XL  Buch) 

Naturgeschichte  des  Menschen  und  der  Thiere. 


LEIPZIG. 

Druck  und  Verlag  von  Gressner  &  Schramm. 
1881. 


Siebentes  Euch. 


Von  der  Entstehung  und  Beschaffenheit  des  Menschen,  und 
von  der  Erfindung  der  Künste. 

1. 
So  verhält  es  sich  mit  der  Welt  und  mit  den  Ländern, 
Völkern,  Meeren,  Städten  u.  s.  w.  in  derselben.  Die  auf 
ihr  lebenden  Geschöpfe  sind  aber  nicht  weniger  der  Be- 
trachtung werth,  als  irgend  ein  anderer  Theil  derselben, 
wenn  nur  der  menschliche  Geist  alles  erfassen  könnte.  Mit 
Recht  müssen  wir  mit  dem  Menschen  den  Anfang  machen, 
um  desswillen  die  Natur  alles  Andere  erschaffen  zu  haben 
scheint,  wenn  sie  gleich  für  ihre  grossen  Gaben  einen  so 
hohen  und  strengen  Preis  setzt,  dass  man  nicht  genau  ent- 
scheiden kann,  ob  sie  gegen  den  Mensehen  eine  gute 
Mutter  oder  eine  böse  Stiefmutter  gewesen  sei.  Von  allen 
lebenden  Wesen  ist  er  das  einzige,  das  sie  mit  fremder 
Hülfe  bekleidet;  den  übrigen  hat  sie  mancherlei  Bedeckungen 
verliehen,  als:  Schalen,  Rinden,  Häute,  Stacheln,  Zotten, 
Borsten,  Haare,  Federn,  Flaum,  Schuppen  und  Wolle.  So- 
gar die  Stämme  der  Bäume  bat  sie  mit  einer  zuweilen 
doppelten  Rinde  vor  Kälte  und  Hitze  verwahrt.  Nur  den 
Menschen  wirft  sie  bei  der  Geburt  sogleich  zum  Jammern 
und  Klagen  nackt  auf  "die  blosse  Erde,  und  kein  anderes 
Thier  sonst  zum  Vergiessen  von  Thränen,  und  zwar  gleich 
von  der  Geburt  an.    Aber  wahrlich!  des  Lachens,  jenes  vor- 

Wittstein:  Plinius.     II.  Bd.  1 


2  Siebentes  Buch. 

eiligen,  zu  schnellen  Lachens  ist  er  vor  dem  40.  Tage 
nicht  fähig.  Von  diesem  ersten  Anfange  des  Lebens  an 
kommt  er,  was  nicht  einmal  mit  den  bei  uns  erzeugten 
wilden  Thieren  geschieht,  an  allen  Gliedern  in  Fesseln  und 
Bande,  und  so  liegt  der  glücklich  geborene  da  mit  gebun- 
denen Händen  und  Füssen,  als  ein  weinendes  Geschöpf, 
welches  die  übrigen  beherrschen  soll,  und  beginnt  sein 
Leben  mit  Strafen  für  die  einzige  Schuld,  dass  er  geboren 
ward.  Oh  über  den  Unsinn  derer,  welche  nach  einem 
solchen   Anfange   glauben,   sie   seien   zum  Stolze    geboren! 

Die  erste  Ahnung  von  Kraft,  das  erste  Geschenk  der 
Zeit,  macht  ihn  zu  einem  vierfüssigen  Thiere.  Wann  aber 
lernt  der  Mensch  gehen?  Wann  sprechen?  Wann  ist  sein 
Mund  fest  genug,  um  Speisen  zu  geniessen?  Wie  lange 
klopft  sein  Scheitel,  ein  Beweis,  dass  er  das  schwächste 
aller  Geschöpfe  ist?  Nun  kommen  Krankheiten  und  eben- 
so viele  dagegen  ersonnene  Heilmittel,  und  auch  diese 
werden  oft  durch  neue  Zufälle  zu  Schanden.  Die  übrigen 
Thiere  erlangen  bald  ihre  Ausbildung;  einige  machen  Ge- 
brauch von  der  Schnelligkeit  ihrer  Füsse,  andere  von  ihrem 
schnellen  Fluge,  andere  vom  Schwimmen.  Aber  der  Mensch 
kann  nichts,  ohne  dass  es  ihm  gelehrt  wird,  weder  sprechen, 
noch  gehen,  noch  essen;  kurz,  er  kann  von  Natur  nichts 
als  weinen.  Daher  hat  es  Viele  gegeben,  welche  für  das 
beste  hielten,  nicht  geboren  zu  sein,  oder  doch  bald  wieder 
zu  sterben. 

Unter  allen  lebenden  Wesen  ist  nur  ihm  allein  der 
Kummer,  der  Luxus,  und  zwar  in  unzähliger  Weise  und  in 
Bezug  auf  jedes  einzelne  Glied,  ihm  allein  die  Ehrsucht, 
der  Geiz,  die  unbegrenzteste  Lebenssucht,  der  Aberglaube, 
die  Sorge  für  das  Begräbniss,  ja  sogar  für  die  Zukunft 
nach  seinem  Tode  eigen.  Kein  Geschöpf  hat  ein  hinfälligeres 
Leben,  eine  grössere  Begierde  nach  Allem,  eine  verwirrtere 
Furcht  und  eine  heftigere  Wuth.  Endlich  leben  die  übrigen 
Thiere  mit  ihrer  Art  friedlich  zusammen;  wir  sehen  sie 
schaarenweise  vereinigt  und  nur  gegen  fremde  Arten  feind- 
selig  auftreten.     Die   wilden  Löwen   kämpfen   nicht   unter 


Siebentes  Buch.  3 

sich;  der  Biss  der  Schlangen  ist  nicht  auf  Schlangen  ge- 
richtet; nicht  einmal  die  Ungeheuer  des  Meeres  und  die 
Fische  wtithen  anders,  als  gegen  ihnen  verschiedene 
Gattungen.  Aber  wahrlich!  der  Mensch  verdankt  seine 
meisten  Uebel  den  Menschen  selbst. 

Von  dem  menschlichen  Geschlechte  im  Allgemeinen 
haben  wir  bereits  grösstentheils  bei  Aufzählung  der  Völker- 
schaften gesprochen.  Auch  wollen  wir  jetzt  nicht  die  un- 
zähligen Sitten  und  Gebräuche,  deren  es  fast  ebenso  viele 
als  Gesellschaften  unter  den  Menschen  giebt,  abhandeln; 
Einiges  glaul  e  ich  jedoch  nicht  ganz  übergehen  zu  dürfen, 
besonders  w  "\s  die  weiter  vom  Meere  entfernten  Völker 
betrifft,  wöbe  manches  so  Wunderbare  vorkommt,  dass  es 
ohne  Zweifel  Vielen  unglaublich  erscheinen  wird.  Denn 
wer  hat  wohl  an  die  Aethiopier  *)  geglaubt,  bevor  er  sie 
sah?  Oder  was  kommt  einem  nicht  wunderbar  vor,  was 
man  zum  ersten  Male  erfährt?  Wie  Vieles  hält  man  nicht 
für  unmöglich,  bevor  es  geschehen  ist?  Aber  die  Macht  und 
Erhabenheit  der  Dinge  in  der  Natur  wird  stets  unsern 
Glauben  übersteigen,  wenn  man  sie  auch  nur  theilweise, 
nicht  einmal  in  ihrer  Ganzheit,  im  Geiste  erfasst.  Um 
nicht  von  den  Pfauen,  den  Flecken  der  Tiger  oder  Panther 
und  dem  zahlreichen  Farbenschmuck  der  Thiere  zu  reden, 
so  ist  es  leicht  gesagt,  aber  bei  gehörigem  Nachdenken 
etwas  unendlich  Grosses,  dass  unter  den  Völkern  so  viele 
Dialecte  und  Sprachen,  so  grosse  Verschiedenheiten  im  Aus- 
drucke stattfinden,  dass  ein  Fremder  einem  andern  kaum 
als  Mensch  erscheint.  Schon  hinsichtlich  des  Aeusseru 
und  des  Gesichts,  welches  doch  nur  aus  10  oder  einigen 
Gliedern  mehr  besteht,  giebt  es  unter  so  vielen  Tausend 
Menschen  nicht  zwei  vollkommen  gleiche  Bildungen,  was 
keine  Kunst  bei  einer  noch  weit  geringern  Anzahl  nachzu- 
ahmen im  Stande  sein  möchte.  Jedoch  will  ich  bei  den 
meisten  der  folgenden  Erzählungen  die  Wahrheit  nicht  ver- 
bürgen,  sondern   ich   werde  vielmehr  auf  die  Schriftsteller 


»)  D.  h.  die  Mohren. 


4  Siebentes  Buch. 

verweisen  und  sie  bei  allen  zweifelhaften  Umständen  an. 
führen;  nur  muss  man  es  nicht  verschmähen,  den  Griechen 
zu  folgen,  da  ihr  Fleiss  in  dieser  Beziehung  sehr  gross  und 
ihre  Ueberlieferungen  die  ältesten  sind. 

•2. 

Dass  es  scytische  Stämme,  und  zwar  viele  giebt,  die 
Menschenfleisch  essen,  haben  wir  bereits  angeführt.  Diess 
würde  uns  vielleicht  selbst  unglaublich  dünken,  wenn  wir 
nicht  bedächten,  dass  es  mitten  auf  dem  Erdkreise,  sogar 
in  Sicilien  und  Italien,  solche  Ungeheuer  von  Menschen, 
nämlich  die  Cyclopen  und  Lästrygoner  gegeben,  und  dass 
noch  kürzlich  bei  den  jenseits  der  Alpen  wohnenden  Völkern  x) 
die  Sitte  geherrscht  habe,  Menschen  zu  opfern,  was  sich 
nicht  viel  vom  Fressen  derselben  unterscheidet.  Neben 
den  Scythen,  welche  gegen  Norden  wohnen,  nicht  weit  von 
dem  Ausgangspunkte  und  der  sogenannten  Höhle  des  Aquilo, 
welcher  Ort  Erdschloss  (yiicxXei&Qov)  heisst,  sollen  die 
Arimasper  wohnen,  welche,  wie  wir  gesagt  haben  2),  sich 
durch  ein  Auge  mittenauf  der  Stirn  auszeichnen.  Diese 
sollen  wegen  der  Erze  in  beständigem  Kriege  mit 
den  Greifen ,  der  Sage  nach  einer  Art  wilden  Vögel, 
sein,  welche  mit  einer  ausserordentlichen  Gier  das  Gold 
in  Gruben  scharren  und  bewahren,  die  Arimasper  es 
ihnen  aber  wieder  rauben.  So  berichten  viele  und  selbst 
berühmte  Schriftsteller  wie  Herodot 3)  und  Aristeas  4)  von 
Proconnesus. 

Hinter  andern  menschenfressenden  Scythen  liegt  in 
einem  grossen  Thale  des  Berges  Imaus  eine  Gegend, 
Namens  Abarimon,  in  der  wilde  Menschen  wohnen,  deren 
Fusssohlen  nach  hinten  gekehrt  sind;  sie  besitzen  aber  eine 
ausserordentliche  Schnelligkeit  und  ziehen  mit  den  wilden 

»)  Die  Druiden   der  Gallier,   s.  XXX.  B.  4.  Cap. 
IV.  B.  26.  Cap.     VI.  B.  11».  Cap. 

a)  111.  B.    106.   Cap;   er   erzählt    es   aber   als  Sage,   der   er   selbst 
keinen  Glauben  beimisst. 

*)  Lebte  im  6.  Jahrb.  v.  Chr.  Aus  einem  epischen  Gedichte 
von  ihm  schöpfte  Herodot  obiges  Märchen. 


Siebentes  Buch.  5 

Thicren  umher.  Sie  sollen  in  einem  andern  Himmels- 
striche nicht  leben,  daher  auch  zu  den  benachbarten  Königen 
nicht  gebracht  werden  können,  und  aus  derselben  Ursache 
nicht  vor  Alexander  den  Grossen  geführt  worden  sein,  wie 
Bäton,  dessen  Wegevermesser,  erzählt. 

Die  zuerst  erwähnten  Menschenfresser,  welche,  wie 
wir  gesagt  haben  *),  gegen  Norden,  10  Tagereisen  jenseits 
des  Flusses  Borysthenes  2)  wohnen,  trinken  aus  Menschen- 
schädeln und  binden  sich  haarige  Felle  statt  Servietten  vor 
die  Brust,  wie  Isigonus  3)  von  Nicäa  berichtet.  Eben  der- 
selbe sagt,  in  Albanien  4)  würden  Menschen  mit  meergrünen 
Augäpfeln  geboren,  die  schon  in  der  Kindheit  graue  Haare 
hätten  und  bei  Nacht  besser  als  bei  Tage  sehen  könnten. 
Nach  ihm  nehmen  die  10  Tagereisen  hinter  dem  Bory- 
sthenes wohnenden  Sauromater  nur  alle  3  Tage  Nahrung 
zu  sich. 

Crates  5)  aus  Pergamus  erzählt,  bei  Parium  6)  am  Helles  - 
pont  habe  es  eine  Gattung  von  Menschen  gegeben,  die  er 
Ophiogenen  7)  nennt,  welche  Schlangenbisse  durch  blosse 
Berührung  zu  heilen  und  durch  Auflegen  der  Hand  das 
Gift  aus  dem  Körper  herauszuziehen  pflegten.  Auch 
Varro  giebt  an,  es  gebe  dort  noch  einige  Menschen,  deren 
Speichel  den  Schlangenbiss  heilt.  InjAfrika  lebte,  nach 
Agatharchides  8),  ein  ähnliches  Volk,  die  Psyller,  so  genannt 
von  ihrem  Könige  Psyllus ,  dessen  Grabmal  sich  an  der 
Seite  der  grössern  Syrte  befindet.  Ihr  Körper  enthielt  ein 
für  die  Schlangen  tödtliches  Gift,  durch  dessen  Geruch 
diese  in  Schlaf  versetzt  würden.  Bei  ihnen  herrschte  die 
Sitte,  die  neugeborenen  Kinder  den  gefährlichsten  Schlangen 
vorzuwerfen  und  auf  diese  Weise  die  Keuschheit  ihrer 
Gattinnen  zu  prüfen;  wenn  nämlich  die  Schlangen  nicht  vor 


»)  IV.  B.  26.  Cap.     2)  Dniepr.     3)  Unbekannt. 

4)  Einem  Theile  des  heutigen  Georgien.    S.  VI.  B.  10.  Cap. 

»)  Nicht  näher  bekannter  Schriftsteller.     6)  Kemares. 

7)  Von  Schlangen  Abstammende. 

»)  Von  Knidos,  Geograph  des  2.  Jahrh.  v.  Chr. 


fi  Siebentes  Buch. 

den  Kindern  flohen,  so  waren  diese  im  Ehebruche  erzeugt. 
Diess  Volk  ist  aber  von  den  Nasamonen,  welche  jetzt  ihre 
Wohnsitze  inne  haben,  fast  gänzlich  vertilgt  worden,  jedoch 
hat  sich  noch  ein  geringer  Theil  derselben  von  denen 
welche  entflohen  oder  während  des  Kampfes  abwesend 
waren,  bis  jetzt  erhalten.  Ein  ähnliches  Volk  sind  die 
Marser  in  Italien,  welche  von  einem  Sohne  *)  der  Circe 
abzustammen  behaupten  und  denen  von  Natur  jene  Kraft 
innewohnen  soll.  Allein  alle  Menschen  haben  ein  Gift  gegen 
Schlangen  in  sich,  und  man  sagt,  dass  diese  Thiere  vom 
Speichel  getroffen  eben  so  fliehen,  wie  vor  dem  Uebergiessen 
mit  kochendem  Wasser.  Wenn  ihnen  der  Speichel  in  den 
Rachen  dringt,  sollen  sie  sogar  sterben  und  besonders  wenn 
er  aus  dem  Munde  eines  nüchternen  Menschen  kommt 2). 

Hinter  den  Nasamonen 3)  und  ihren  Nachbarn  den 
Machlyern  wohnen,  wie  Calliphanes  4)  erzählt,  die  Andro- 
gynen,  Menschen  beiderlei  Geschlechts,  die  sich  wechsels- 
weise untereinander  begatten.  Aristoteles  fügt  noch  hinzu, 
ihre  rechte  Brust  sei  von  männlicher,  ihre  linke  von  weib- 
licher Bildung. 

In  demselben  Afrika  soll  es,  nach  Isigonus  und  Nyin- 
phodorus  5),  gewisse  Familien  von  Beschreiern  geben,  durch 
deren  Lobsprüche  alles  verdirbt,  Bäume  vertrocknen  und 
Kinder  sterben.  Derartige  Menschen  sollen  sich  nach  Isi- 
gonus auch  unter  den  Triballern  und  Illyriern  finden,  welche 
sogar  durch  den  Blick  bezaubern,  und  diejenigen  tödten, 
welche  sie,  besonders  mit  zornigen  Augen,  längere  Zeit  an- 
sehen; ihre  Beschwörungen  hätten  namentlich  auf  Erwachsene 
Einfluss.  Noch  merkwürdiger  ist  es,  dass  sie  in  jedem 
Auge  2  Pupillen  haben.     Dass  Weiber   dieser  Art  auch  in 


f)  Telegonus,  welchen  die   Zauberin  dem  Ulysses   auf  der  Insel 
Aca  gebar. 

2)  Weiteres  darüber  im  XXVIII.  B.  7.  Cap. 

3)  Im  heutigen  Tripolis. 

*)  Nicht  näher  bekannter  Schriftsteller. 

*)  Von  Syrakus,  dessen  Zeitalter  ungewiss  ist. 


Siebentes  Buch.  7 

Scythien  leben,  welche  Bithyer  heissen,  erzählt  Appollonides  1). 
Nach  Phylarchus 2)  soll  es  auch  am  Pontus  ein  Stamm, 
welche  Thibier  heissen  und  noch  viele  andere  der  Art 
geben;  diese  hätten  in  dem  einen  Auge  2  Pupillen  und  in 
dem  andern  das  Bild  eines  Pferdes,  auch  könnten  sie  nicht 
untersinken,  selbst  wenn  sie  mit  Kleidern  beschwert  wären. 
Ein  ihnen  nicht  unähnliches  Geschlecht  sind,  nach  Dämon  3), 
die  Pharnacer  in  Aethiopien,  durch  deren  Schweiss  alle 
damit  berührten  Körper  die  Abzehrung  bekommen. 

Dass  aber  alle  Weiber,  welche  doppelte  Pupillen  haben, 
durch  ihren  Blick  schaden  können,  hat  bei  uns  selbst 
Cicero  behauptet.  So  gefiel  es  also  der  Natur,  als  sie  in 
dem  Menschen,  nach  Art  der  wilden  Thiere,  den  Trieb 
menschliche  Eingeweide  zu  verzehren  gelegt  hatte,  auch  in 
dem  ganzen  Körper  und  selbst  in  den  Augen  Mancher  Gift 
zu  erzeugen,  damit  es  ja  nichts  Uebles  gäbe,  was  nicht 
auch  im  Menschen  wäre. 

Nicht  weit  von  der  Stadt  Rom,  im  Gebiete  der  Faliscer, 
leben  einige  Familien,  welche  Hirper  heissen;  diese  gehen 
bei  dem  jährlichen  Opfer,  welches  am  Berge  Soracte  4)  dem 
Apollo  dargebracht  wird,  über  einen  angezündeten  Haufen 
Holz  ohne  sich  zu  verbrennen;  und  deshalb  sind  sie  durch 
einen  unwiderruflichen  Senatsbeschluss  vom  Kriegsdienst 
und  allen  andern  bürgerlichen  Lasten  frei. 

Am  Körper  mancher  Personen  sind  gewisse  Theile  mit 
besonderer  Wunderkraft  begabt;  so  heilte  der  König 
Pyrrhus  durch  blosse  Berührung  der  grossen  Zehe  seines 
rechten  Fusses  die  Milzsüchtigen.  Auch  soll  dieselbe  mit 
dem  übrigen  Körper  nicht  haben  verbrannt  werden  können, 
und  sei  deshalb  in  einem  Kästchen  im  Tempel  aufbewahrt 
worden. 


')  Von  Nicaea,    lebte  wahrscheinlich  in   der  ersten  Hälfte   dea 
1.  Jahrh.  n.  Chr. 

2)  Aus  Athen  oder  Naucratis,  Historiker  um  190  v.  Chr. 
s)  Von  Cyrene,  nicht  näher  bekannt. 
4)  St.  Oreste. 


£  Siebentes  Buch. 

Namentlich  ist  Indien  und  das  Land  der  Aethiopier 
voll  von  wunderbaren  Begebenheiten.  In  Indien  leben  die 
grössten  Thiere,  so  z.  B.  sind  die  Hunde  dort  weit  grösser 
als  anderswo  *).  Auch  die  Bäume  sollen  von  solcher  Höhe 
sein,  dass  die  Pfeile  nicht  über  sie  hinaus  fliegen.  Die 
Fruchtbarkeit  des  Bodens,  das  milde  Klima  und  der  Ueber- 
fluss  an  Wasser  wirken  so  bedeutend  ein,  dass,  wenn  man 
es  glauben  will,  ganze  Reiterabtheilungen  sich  unter  einem 
einzigen  Feigenbaume  2)  verbergen  können.  Das  Rohr  aber 
erreicht  eine  solche  Höhe,  dass  ein  Schuss  zwischen 
2  Knoten  einen  Kahn  abgiebt,  der  3  Menschen  tragen  kann. 

Viele  Menschen  weiden  dort  über  5  Cubitus  gross, 
spucken  nicht  aus,  leiden  weder  an  Kopf-,  Zahnweh,  noch 
an  Augeniibeln  und  fühlen  selten  Schmerzen  an  den  übrigen 
Theilen  des  Körpers;  sie  erlangen  diese  Dauerhaftigkeit 
durch  die  so  milde  Wärme  der  Sonne.  Ihre  Philosophen, 
welche  Gymnosophisten  heissen,  schauen  vom  frühen  Morgen 
bis  zum  Abend  unverwandten  Blicks  die  Sonne  an,  und 
stehen  den  ganzen  Tag  über  in  dem  heissen  Sande  ab- 
wechselnd auf  einem  Fusse.  Auf  einem  Berge,  der  Nulo 
heisst,  soll  es,  nach  Megasthenes,  Menschen  mit  verkehrten 
Fusssohlen  und  8  Zehen  an  jedem  Fusse  geben. 

Auf  vielen  Bergen  aber  soll  ein  Stamm  von  Menschen 
wohnen,  welche  Hundsköpfe  haben,  sich  in  Felle  wilder 
Thiere  hüllen ,  deren  Stimme  ein  Bellen  ist ,  die  mit 
Klauen  bewaffnet  sind  und  von  der  Jagd  und  dem  Vogel- 
fange leben.  Ctesias  schreibt,  dass  zu  seiner  Zeit  ihre  Zahl 
über  120,000  betragen  habe;  ferner,  dass  bei  einem  ge- 
wissen indischen  Volke  die  Frauen  nur  einmal  in  ihrem 
Leben  gebären  und  die  Neugebornen  sogleich  grau  würden. 
Auch  soll  eine  Art  Menschen  unter  dem  Namen  Monocoler 


')  S.  VIII.  B.  61.  Cap. 

*)  Ficus  religiosa  ist  hier  genannt;  die  Aeste  senken  sich  näm- 
lich zur  Erde,  wurzeln,  treiben  neue  Bäume,  die  alle  zusammenhängen, 
sich  auf  diese  Weise  immer  weiter  fortpflanzen  und  einen  kleinen 
Wald  bilden. 


Siebentes  Buch.  9 

existiren,  welche  nur  1  Bein  haben,  aber  eine  ausserordent- 
liche Gewandheit  im  Springen  besitzen;  sie  sollen  auch 
Sciapoden  heissen,  weil  sie  bei  grosser  Hitze  rückwärts 
auf  der  Erde  liegen  und  sich  durch  den  Schatten  des 
Fusses  schützen;  sie  sollen  nicht  weit  von  den  Troglodyten 
entfernt  wohnen  und  wiederum  westlich  von  diesen  Andere, 
die  keinen  Kopf  und  die  Augen  auf  den  Schultern 
hätten,  leben. 

Auch  Satyrn  giebt  es  auf  den  subsolanischen  (östlichen) 
Bergen  Indiens  (die  Gegend  heisst  die  catharcludische) ; 
sie  sind  äusserst  schnelle  Geschöpfe,  gehen  sowohl  auf 
allen  Vieren  als  aufrecht,  haben  menschliche  Gestalt,  und 
können,  wegen  ihrer  Behändigkeit  nur  dann,  wenn  sie  alt 
oder  krank  sind,  gefangen  werden.  Tauron  l)  erwähnt  der 
Choromander,  eines  Volkes,  welches  in  Wäldern  lebt,  keine 
ordentliche  Stimme,  sondern  nur  ein  grässliches  Gekreisch 
hören  lässt,  rauh  am  Körper  ist,  meergrüne  Augen  und 
Hundszähne  hat.  Nach  Eudoxus  wohnen  in  den  südlichen 
Theilen  Indiens  Männer,  deren  Füsse  1  Cubitus  lang 
und  Weiber,  bei  denen  sie  so  klein  sind,  dass  sie  Strutho- 
poden  2)  genannt  werden. 

Nach  Megasthenus  haben  die  Scyriten,  ein  indisches 
Nomadenvolk,  statt  der  Nase  nur  Löcher  und  schlangen- 
artig gewundene  Füsse.  An  der  äussersten  östlichen  Grenze 
von  Indien  um  die  Quelle  des  Ganges  wohnen  die 
Astomer,  welche  keinen  Mund  haben,  am  ganzen  Körper 
rauh  sind,  sich  in  Seide  kleiden  und  nur  vom  Athmen  und 
dem  Dufte,  welchen  sie  mit  der  Nase  einziehen,  leben. 
Sie  gemessen  weder  Speise  noch  Trank,  sondern  nähren 
sich  bloss  von  den  verschiedenen  Gerüchen  der  Wurzeln 
Blumen  und  wilden  Früchte,  die  sie  auf  grössern  Reisen 
bei  sich  führen,  damit  sie  immer  etwas  zu  riechen  haben; 
ein  etwas  starker  Geruch  soll  sie  aber  leicht  tödten. 

Hinter  diesen,  am  äussersten  Ende  der  Berge,  sollen 
die  Trispithamer   und   Pygmäer,   welche   nicht   länger   als 


')  Unbekannter  Schriftsteller.     2)  Sperlingsfüssige. 


10  Siebentes  Buch. 

3  Spannen,  d.  h.  21  4  Fuss  gross  werden,  in  einer  sehr  ge- 
sunden, stets  grünenden  und  durch  Berge  gegen  Norden 
geschützten  Gegend  wohnen.  Nach  Homer  *)  leben  sie  mit 
den  Kranichen  fortwährend  im  Kriege.  Man  sagt,  sie  ritten 
auf  Widdern  und  Ziegen,  zögen  im  Frühlinge  in  grosser 
Anzahl  mit  Pfeilen  bewaffnet  ans  Meer,  und  vertilgten  die 
Eier  und  Jungen  dieser  Vögel;  diesen  Feldzug  vollbrächten 
sie  in  3  Monaten,  und  im  Unterlassungsfalle  würden  sie 
den  daraus  entstehenden  Vögelschaaren  auf  keine  andere 
Weise  Widerstand  leisten  können.  Ihre  Wohnungen  be- 
reiten sie  aus  Lehm,  Federn  und  Eierschalen.  Nach  Ari- 
stoteles leben  die  Pygmäer  in  Höhlen;  im  Uebrigen  stimmt 
seine  Erzählung  mit  denen  der  andern  Schriftsteller  überein. 

Die  Cyrner,  ein  indischer  Stamm,  werden  nach  Isigonus 
140  Jahre  alt.  Dasselbe  behauptet  er  von  den  äthiopischen 
Macrobiern,  Serern  und  den  Bewohnern  des  Berges  Athos, 
von  letzteren  aus  dem  Grunde,  weil  sie  das  Fleisch  der 
Vipern  essen,  wesshalb  sie  auch  weder  auf  ihrem  Kopfe 
noch  in  ihren  Kleidern  Ungeziefer  haben  sollen. 

Onesicritus  erzählt,  an  den  Orten  Indiens,  wo  kein 
Schatten  ist 2) ,  gäbe  es  Menschen  von  5  Cubitus  und 
2  Palmen  Länge,  welche  130  Jahre  lebten,  aber  keine 
Greise  würden,  sondern  in  ihren  besten  Jahren  stürben. 
Crates  von  Pergamus  nennt  diejenigen  Indier,  welche  über 
100  Jahre  alt  werden,  Gymneter,  Andere  nennen  sie  Macro- 
bier.  Nach  Ctesias  lebt  unter  diesen  ein  Stamm,  der  Pau- 
darä  heisst,  in  einem  Thale,  deren  Glieder  200  Jahre  lang 
leben,  in  der  Jugend  weisse  und  im  Alter  schwarze  Haare 
haben.  Dahingegen  sollen  andere ,  die  an  die  Macrobier 
grenzen,  das  vierzigste  Jahr  nicht  überschreiten,  und  deren 
Frauen  nur  einmal  gebären;  dasselbe  erzählt  auch  Agathar- 
chides.  Uebrigens  leben  sie  von  Heuschrecken  und  sind 
sehr  behende.  Clitarchus  und  Megasthenes  nennen  sie 
Mander,  und  letzterer  giebt  die  Anzahl  ihrer  Dörfer  auf 
300  an.  Die  Weiber  gebären  im  siebenten  Jahre  und 
treten  mit  dem  40.  ins  Greisenalter. 

')  lliade  III.  3.     J)  II.  B.  75.  Cap. 


Siebentes  Buch.  11 

Artemidorus  erzählt,  dass  die  Bewohner  der  Insel 
Taprobane  ohne  irgend  eine  Schwäche  des  Körpers  sehr 
lange  lebten.  Nach  Duris  x)  begatten  sich  einige  Indier  mit 
wilden  Thieren  und  die  aus  dieser  Vermischung  Erzeugten 
wären  halbwild.  Unter  den  Calingern,  ebenfalls  einem  in- 
dischen Volke,  empfingen  die  Weiber  schon  im  5.  Jahre 
und  würden  nicht  über  8  Jahre  alt.  An  andern  Orten  gäbe 
es  Menschen  mit  haarigen  Schwänzen  und  von  ausserordent- 
licher Schnelligkeit;  Andere  könnten  sich  mit  ihren  Ohren 
ganz  bedecken.  Der  Fluss  Arbis  trennt  die  Oriten  von  den 
Indiern.  Diese  kennen  keine  andere  Speise  als  Fische, 
welche  sie  mit  den  Nägeln  zerreissen  und  an  der  Sonne 
trocknen;  nach  Cütarchus  sollen  sie  auch  eine  Art  Brod 
aus  denselben  machen.  Crates  aus  Pergamus  schreibt,  die 
Troglodyten  hinter  Aethiopien  wären  schneller  als  die 
Pferde;  ferner,  die  Aethiopier  würden  über  8  Cubitus  gross, 
und  dieses  Volk  hiesse  die  Syrboten. 

Unter  den  äthiopischen  Nomaden,  die  am  Flusse 
Astragus  gegeu  Norden  hin  woLnen,  heisst  ein  Stamm  die 
Menisminer,  diese  wohnen  20  Tagereisen  vom  Meere  ent- 
fernt und  leben  von  der  Milch  der  Thiere,  welche  wir 
Cynocephalen  genannt  haben,  von  denen  sie  ganze  Heerden 
haben,  die  männlichen  aber,  mit  Ausnahme  der  zur  Fort- 
pflanzung nöthigen,  tödten.  In  den  Einöden  Afrika's  sieht 
man  zuweilen  Menschengestalten  vor  sich,  die  augenblick- 
lich wieder  verschwinden.  Diese  und  ähnliche  Gestalten  von 
Menschen  erschuf  die  erfinderische  Natur  sich  zum  Scherze, 
uns  aber  zum  Wunder.  Und  wer  vermöchte  wohl  alles  das, 
was  sie  täglich,  ja  stündlich  hervorbringt,  einzeln  aufzu- 
zählen? Um  ihre  Macht  zu  zeigen,  mag  es  genügen,  ganze 
Völker  unter  den  wunderbaren  Erscheinungen  angeführt 
zu  haben.  Wir  gehen  nun  zu  dem  wenigen  Zuverlässigen, 
was  wir  über  den  Menschen  wissen,  über. 

3. 

Dass  es  Drillingsgeburten  giebt,   ist   durch  das  Bei- 

')  Aus  Samos,  Historiker,  lebte  im  3.  Jahrh.  v.  Chr. 


22  Siebentes  Buch. 

spiel  der  Horatier  und  Curiatier  *)  erwiesen;  eine  grössere 
Anzahl  wird  für  ein  Wunderzeichen  gehalten,  ausser  in 
Aegypten,  wo  das  Trinken  des  Nilwassers  fruchtbar  macht. 
In  der  neuesten  Zeit,  gegen  Ende  der  Regierung  des  Kaisers 
Augustus,  gebar  Fausta,  eine  Plebejerin  zu  Ostia,  2  Knaben 
und  2  Mädchen  auf  einmal,  was  ohne  Zweifel  die  darauf 
folgende  Hungersnoth  bedeutete.  Im  Peloponnes  ist  sogar 
eine  Frau  4  mal  mit  Fünflingen  niedergekommen,  von  denen 
der  grössere  Theil  am  Leben  blieb;  und  nach  Trogus  2) 
sollen  in  Aegypten  7  Kinder  von  einer  Mutter  auf  ein 
Mal  zur  Welt  gekommen  sein.  Es  werden  auch  Menschen 
beiderlei  Geschlechts  geboren,  welche  wir  Hermaphroditen 
(Zwitter)  nennen;  sonst  hiessen  sie  Androgynen  und  wurden 
für  Wunder  gehalten,  jetzt  aber  dienen  sie  zum  Vergnügen. 
Pompejus  der  Grosse  vermehrte  die  Verzierung  des 
Theaters  durch  Bilder  berühmt  gewordener  Personen,  die 
zu  diesem  Behufe  von  ausgezeichneten  Künstlern  sorg- 
fältig ausgeführt  waren.  Unter  diesen  befindet  sich  auch 
Eutychis,  die  von  20  K;:üern  auf  den  Scheiterhaufen  ge- 
legt wurde,  und  zu  Tralles  30mal  geboren  hatte.  Ferner 
Alcippe,  die  einen  Elephanten  gebar,  was  jedoch  mehr  unter 
die  Wunder  gehört.  Auch  zu  Anfange  des  marsischen 
Krieges  3)  kam  eine  Magd  mit  einer  Schlange  nieder.  Unter 
den  Missgeburten  kommen  mannigfaltige  Bildungen  vor. 
Der  Kaiser  Claudius  schreibt,  dass  in  Thessalien  ein  Hippo- 
centaur  4)  geboren,  an  demselben  Tage  jedoch  wieder  ge- 
storben sei.  Wir  selbst  haben  einen  solchen  gesehen,  der 
ihm  während  seiner  Regierung  aus  Aegypten  in  Honig 
gebracht  wurde.  Man  kennt  ein  Beispiel,  dass  ein  neuge- 
bornes  Kind  zu  Sagunt  sogleich  wieder  in  den  Mutterleib 
zurückkehrte,  und  zwar  in  demselben  Jahre,  wo  diese  Stadt 
von  Hannibal  zerstört  wurde  5). 

')  S.  Livius  1.  24.     2)  Trogus  Pompejus,  lebte  zur  Zeit  August's. 

3)  Die  Marser  waren  ein  beträchtliches  Volk  in  Mittelitalien. 
Im  Bundesgenossenkriege  standen  sie  an  der  Spitze  der  feindlichen 
Partei,  daher  dieser  Krieg  91  v.  Chr.  begonnen,  auch,  wie  hier 
der  marsische  genannt  wurde. 

A)  Halb  Pferd  und  halb  Mensch.     *)  219  vor  Chr. 


Siebentes  Buch.  13 

Dass  Weiber  in  Männer  verwandelt  werden,  ist  keine 
Fabel.  Wir  finden  in  den  Annalen,  dass  unter  den  Consuln 
P.  Licinius  Crassus  und  C.  Cassius  Longinus  l)  aus  einem 
Mädchen  zu  Casinum  2)  im  Beisein  der  Eltern  ein  Knabe 
geworden,  und  auf  Befehl  der  Wahrsager  auf  eine  wüste 
Insel  gebracht  ist.  Licinius  Mucianus  erzählt,  er  habe  zu 
Argos  einen  gewissen  Arescon  gesehen,  der  früher  Ares- 
eusa  geheissen  und  als  solche  sogar  geheirathet  hätte; 
bald  darauf  sei  bei  ihr  der  Bart  und  die  Mannheit  zum 
Vorschein  gekommen  und  sie  habe  nun  eine  Frau  genommen. 
Einen  Knaben  ähnlicher  Art  will  er  in  Smyrna  gesehen 
haben.  Ich  selbst  sah  in  Afrika  den  L.  Cossicius,  einen 
thysdritanischen 3)  Bürger,  der  an  seinem  Hochzeitstage 
in  einen  Mann  verwandelt  worden  war. 

Bei  Zwillingsgeburten  geschieht  es  selten,  dass  ent- 
weder die  Mutter,  oder  beide  Kinder  am  Leben  bleiben. 
Sind  aber  die  Zwillinge  verschiedenen  Geschlechts,  so  ist 
die  Rettung  beider,  der  Mutter  und  der  Kinder,  noch  seltener. 
Uie  Geburt  der  Mädchen  geht  schneller  von  statten  als  die 
der  Knaben;  auch  altern  jene  schneller.  Die  Knaben  regen 
sich  öfter  im  Mutterleibe  und  liegen  bekanntlich  mehr  auf 
der  rechten,  die  Mädchen  mehr  auf  der  linken  Seite. 

4. 

Die  übrigen  lebenden  Geschöpfe  haben  eine  bestimmte 
Zeit  des  Gebarens  und  der  Schwangerschaft;  der  Mensch 
aber  wird  zu  allen  Zeiten  des  Jahres  und  nach  einem  un- 
bestimmten Zeiträume  der  Empfängniss,  der  eine  im  7.,  der 
andere  im  8W  ja  bis  zu  Anfang  des  10.  und  11.  Monats  ge- 
boren. Vor  dem  7.  Monate  ist  kein  Kind  lebensfähig. 
Im  7.  Monate  findet  eine  Geburt  nicht  anders  als  am  Tage 
vor  oder  nach  dem  Vollmonde,  oder  auch  im  Neumonde 
statt.  Bekanntlich  erfolgen  in  Aegypten  die  Geburten  im 
8.  Monate,  und  selbst  in  Italien  sind  solche  Kinder  lebens- 
fähig ,  obgleich  die  Alten  das  Gegentheil  behaupteten. 
Uebrigens  gestalten  sich  dergleichen  Ereignisse  auf  mannig- 


')  171  v.  Chr.    -)  Casino.    s)  El  Dschemme. 


24  Siebentes  Buch. 

fache  Weise.  Vestilia,  die  Gattin  des  C.  Herdicius,  nachher 
des  Pomponius  und  dann  des  Orfitus,  dreier  berühmter 
Bürger,  kam  von  diesen  4 mal  im  7.  Monate  nieder;  darauf 
gebar  sie  im  elften  den  Suilius  Rufus,  im  siebenten  den 
Corbulo,  welche  beide  Consuln  waren,  später  im  achten 
Caesonia,  die  Gemahlin  des  Kaisers  Cajus.  Alle  in  einem 
dieser  Zeiträume  Geborene  schweben  bis  zum  40.  Tage  in 
der  grössten  Gefahr ,  die  Schwangern  aber  im  4.  und 
8.  Monate,  in  welchen  unzeitige  Geburten  tödtlich  sind. 
Masurius 1)  erzählt,  der  Prätor  C.  Papirius  habe,  als  ein 
Erbe  zweiten  Grades  seine  Forderung  geltend  macheu 
wollte,  den  Besitz  der  Güter  dennoch  einem  Andern,  mit 
welchem  die  Mutter  13  Monate  lang  schwanger  gewesen 
zu  sein  behauptete,  zugesprochen,  weil  ihm  keine  bestimmte 
Zeit  der  Niederkunft  festzustehen  schien. 

5. 
Am  zehnten  Tage  nach  der  Empfängniss  sind  Kopf- 
schmerzen, Schwindel,  Dunkelheit  vor  den  Augen,  Ekel  vor 
Speisen  und  Aufstossen  aus  dem  Magen,  Anzeigen  vom 
Entstehen  eines  Menschen.  Die  mit  einem  Knaben 
Schwangere  hat  eine  bessere  Gesichtsfarbe  und  gebärt 
leichter.  Am  40.  Tage  fängt  das  Kind  an  sich  zu  rühren. 
Das  Gegentheil  von  allem  findet  statt,  wenn  das  Kind 
weiblichen  Geschlechts  ist;  dann  ist  die  Bürde  unerträglich, 
an  den  Schenkeln  und  Schamtheilen  zeigt  sich  eine  leichte 
Geschwulst,  die  erste  Bewegung  aber  erfolgt  erst  am 
90.  Tage.  Allein  die  grösste  Mattigkeit  fühlt  die  Schwangere 
bei  beiden  Geschlechtern,  wenn  dem  Kinde  das  Haar  wächst 
und  zur  Zeit  des  Vollmondes,  der  auch  auf  bereits  Ge- 
borene einen  nachtheiligen  Einnuss  ausübt.  Ja  sogar  das 
Gehen  und  alles,  was  man  nur  nennen  kann,  wirkt  auf 
Schwangere;  wenn  sie  z.  B.  zu  stark  gesalzene  Speisen  essen, 
so  gebären  sie  Kinder  ohne  Nägel,  und  wenn  sie  Athem 
geholt   haben,    so   gebären   sie   schwieriger.     Das  Gähnen 


')  Masurius    oder   Masurius    Sabinus,   Rechtsgelehrter    aus    der 
Zeit  des  Kaisers  Tiberius. 


Siebentes  Buch.  j  5 

während   der  Geburt   ist   tödtlich,   sowie   das  Niesen   nach 
dem  Beischlafe  einen  Abortus  bewirkt. 

Man  wird  mit  Bedauern  und  Scham  erfüllt,  wenn  man 
bedenkt,  von  welch'  unbedeutenden  Zufällen  die  Entstehung 
des  stolzesten  unter  den  Geschöpfen  abhängt,  da  sehr  oft 
schon  der  Geruch  ausgelöschter  Lampen  die  Ursache  un- 
zeitiger Geburten  ist.  Einen  solchen  Anfang  hat  der  Ty- 
rann, einen  solchen  das  blutdürstige  Gemüth.  Du,  der  du 
auf  die  Kräfte  deines  Körpers  pochst,  der  du  nach  den 
Gaben  des  Glücks  haschest  und  dich  nicht  einmal  für  den 
Pflegling  sondern  für  das  Kind  desselben  halst;  du,  dessen 
Geist  stets  mit  Siegen  umgeht,  der  du,  aufgeblasen  durch 
irgend  ein  glückliches  Ereigniss,  dich  für  einen  Gott  halst, 
dich  konnte  ein  so  unbedeutender  Umstand  umbringen ! 
Ja  noch  jetzt  kann  diess  ein  noch  geringerer,  denn  wie 
klein  ist  der  Biss  vom  Zahne  einer  Schlange!  Starb  doch 
schon  der  Dichter  Anacreon  *)  an  dem  Kerne  einer  Wein- 
beere; erstickte  schon  der  Senator  und  Prätor  Fabius  an 
einem  Haar,  welches  er  beim  Trinken  der  Milch  mit  ver- 
schluckte! Der  nur  wird  das  Leben  seinem  wahren  Werthe 
nach  schätzen,  welcher  der  menschlichen  Hinfälligkeit  stets 
eingedenk  ist. 

6. 

Dass  bei  der  Geburt  die  Füsse  zuerst  kommen,  ist 
wider  die  Natur,  und  daher  hat  man  solche  Kinder  Agrippen, 
d.  h.  Schwergeborene 2)  genannt.  Auf  diese  Weise  soll 
M.  Agrippa  3)  zur  Welt  gekommen,  und  er  fast  das  einzige 
Beispiel  einer  solchen  glücklich  abgelaufenen  Geburt  sein. 
Allein   auch   er   hatte   kranke  Füsse,   eine  elende  Jugend, 

')  Geb.  559  v.  Chr.  zu  Teos  in  Jonien,  starb  474.    -)  Aegre  parti. 

3)  Der  berühmte  Schwiegersohn  des  Kaisers  Augustus.  Mit 
seiner  Gattin  Julia,  der  ausschweifenden  Tochter  des  Kaiser  Augustus. 
zeugte  er  3  Söhne  und  2  Töchter,  nämlich:  C.  Caesar,  L.  Caesar, 
Agr.  Postumus,  Julia  und  die  ältere  Agrippina,  die  nacbherige  Ge- 
mahn des  Germanicus  und  Mutter  des  Cajus  (Caligula)  und  der 
jüngeren  Agrippina,  die  sich  mit  dem  Senator  Cn.  Domitius  Aheno- 
barbus  verheirathete ,  diesem  den  Domitius  Nero  gebar  und  später 
die  vierte  Gemahn  des  Kaisers  Claudius  wurde.    Er  starb  12  n.  Chr. 


Itf  Siebentes  Buch. 

brachte  sein  Leben  in  Kifcieg  und  Todesgefahren  hin,  alle 
seine  Handlungen  waren  ihm  schädlich,  sein  Stamm  gereichte 
der  Welt  zum  Unheil,  vorzüglich  durch  die  beiden  Agrippinen, 
welche  den  Cajus  und  Domitius  Nero,  diese  zwei  Geissein 
des  menschlichen  Geschlechts,  gebaren.  Uebrigens  lebte 
er  nicht  lange,  denn  schon  im  51.  Jahre  starb  er,  und 
durch  die  Betrübniss,  welche  ihm  die  Untreue  seiner  Ge- 
mahn, sowie  das  sclavische  Verhältniss  zu  seinem  Schwieger- 
vater bereitete ,  hat  er  die  Bedeutung  seiner  verkehrten 
Geburt  büssen  müssen.  Dass  auch  selbst  Nero,  der  noch 
vor  Kurzem  Kaiser  und  während  seiner  ganzen  Herrschaft 
ein  Feind  des  menschlichen  Geschlechts  war,  mit  den 
Füssen  zuerst  geboren  wurde,  giebt  seine  Mutter  Agrippina 
an.  Naturgemäss  ist,  dass  der  Mensch  mit  dem  Kopfe  zu- 
erst auf  die  Welt  kommt,  und  mit  den  Füssen  voran  aus 
derselben  zu  Grabe  getragen  wird. 

7. 

Glücklicher  kommen  die  zur  Welt,  deren  Mutter  bei 
der  Geburt  stirbt,  wie  Scipio  Africanus  der  ältere,  und 
der  erste  der  Cäsaren,  der  diesen  Namen  erhielt,  weil  er 
aus  dem  aufgeschnittenen  Leibe  der  Mutter  kam;  da- 
her auch  solche  Kinder  Cäsonen  r)  heissen.  Auf  ähnliche 
Weise  wurde  auch  Manilius  geboren,  der  mit  einem  Kriegs- 
heere nach  Carthago  ging. 

8. 

Vopiscus  heisst  derjenige  unter  Zwillingen,  welcher 
erst  dann  geboren  wird,  wenn  der  eine  durch  eine  Fehlge- 
burt todt  abgegangen  ist.  Es  sind  in  dieser  Beziehung 
sehr  merkwürdige,   wenn  gleich  seltene  Beispiele  bekannt, 

"  9. 

Ausser  dem  Weibe  dulden  nur  wenige  Thiere,  während 
sie  trächtig  siuJ,  die  Begattung.  Eins  oder  das  andere 
wird  höchstens  überfruchtet.  Man  rindet  in  den  Schriften 
der  Aerzte  und  Anderer,  die  sich  die  Erforschung  solcher 
Dinge  angelegen  sein  Hessen,   dass  durch  eine  Fehlgeburt 

')  Z.  B.  der  Consul  Caeso  Pabius  im  J.  481  vor  Chr. 


Siebentes  Buch.  17 

schon  12  Leibesfrüchte  abgingen.  Wenn  aber  zwischen 
Ä\vei  Empfängnissen  einige  Zeit  verflossen  ist,  daun  kommen 
sie  beide  zur  Reife,  wie  diess  beim  Hercules  und  seinem 
Bruder  fphicles  der  Fall  war;  desgleichen  bei  einer  Frau, 
die  Zwillinge  gebar,  von  denen  der  eine  ihrem  Manne,  der 
andere  aber  dem  Ehebrecher  ähnlich  sah.  Dasselbe  ge- 
schah mit  einer  proconnesischen  Magd,  die  nach  einem 
doppelten  Beischlafe  an  ein  jund  demselben  Tage  mit 
einem  Kinde,  was  ihrem  Herrn,  und  mit  einem  zweiten, 
was  dessen  Verwalter  ähnlich  sah,  niederkam.  Eine  An- 
dere gebar  ein  rechtzeitiges  Kind  und  ein  5  Monate  altes 
zugleich;  noch  eine  Andere  gebar  nach  7  Monaten  und  be- 
kam 2  Monate  nachher  noch  Zwillinge. 

10. 

Es  ist  allgemein  bekannt,  dass  gesunde  Eltern  gebrech- 
liche Kinder,  kranke  Eltern  gesunde  Kinder  erzeugen; 
ferner  dass  die  Gebrechen  an  denselben  Theilen  wieder 
vorkommen,  ja,  das  sogar  Zeichen,  Maale  und  Narben  sich 
fortpflanzen  können.  Bei  den  Daciern  zeigte  sich  am  Arme 
das  Merkmal  der  Geburt  bis  ins  vierte  Glied.  Unter  den 
Lepidern  wurden,  wie  ich  erfahren  habe,  3  in  ununter- 
brochener Ordnung  geboren,  deren  Auge  mit  einer  Haut 
überzogen  war.  Manche  Kinder  sehen  dem  Grossvater 
ähnlich;  von  Zwillingen  oft  der  eine  dem  Vater,  der  an- 
dere der  Mutter,  und  Geschwister,  von  denen  eins  ein  Jahr 
später  geboren  ist  als  das  andere,  gleichen  sich  zuweilen 
wie  Zwillinge.  Einige  Frauen  gebären  stets  Kinder,  die 
nur  ihnen,  manche  hingegen  nur  solche,  die  dem  Manne, 
manche  solche,  die  keinem  von  beiden  ähnlich  sind,  endlich 
sind  manche  Mädchen  dem  Vater,  manche  Knaben  der 
Mutter  ähnlich.  Einen  unbezweifelten  Beweis  davon  liefert 
Nicäus,  ein  berühmter  Faustkämpfer  in  Byzanz,  dessen 
Mutter  im  Ehebruche  mit  einem  Mohren  erzeugt  worden 
war  und  sich  hinsichtlich  der  Hautfarbe  von  andern 
Menschen  nicht  unterschied;  er  aber  repräsentirte  durch 
seine  Hautfarbe  seinen  Grossvater,  den  Aethiopier. 

Bei  den  Aehnlichkeiten   kommt   es   vorzüglich  auf  die 

Wittstein:  Pliuins.     II.  Bd.  9 


lg  Siebentes  Buch. 

Beschäftigung  des  Geistes  an,  und  hierbei  sollen  viele  zu- 
fällige Dinge  als  Gesicht,  Gehör,  Gedächtniss,  und  selbst 
die  während  des  Beischlafs  geschöpften  Bilder  wirksam 
sein.  Sogar  ein  Gedanke,  der  vor  der  Seele  des  Einen 
oder  Andern  schnell  vorübergeht,  soll  eine  Aehnlichkeit 
hervorbringen  oder  doch  Theil  an  der  Mischung  haben. 
Deshalb  findet  eine  weit  grössere  Verschiedenheit  unter 
den  Menschen  als  unter  allen  übrigen  Thieren  statt,  denn 
die  Schnelligkeit  des  Geistes  und  der  Gedanken  und  die 
Mannigfaltigkeit  der  Fähigkeiten  hinterlässt  die  verschie- 
densten Eindrücke;  die  Thiere  aber  haben  einen  unbeweg- 
lichen Geist  und  sind  darum  allen  sowie  jedem  einzelnem 
ihrer  Gattung  ähnlicher. 

Dem  Könige  Antiochus  von  Syrien  glich  ein  Mann  aus 
der  gemeinen  Klasse,  Namens  Artemon,  so  sehr,  dass 
Laodice,  die  königliche  Gemalin,  nach  der  Ermordung  des 
Antiochus1),  durch  ihn  den  Betrug,  sich  dem  Volke  zu 
empfehlen  und  sich  die  Nachfolge  in  der  Regierung  zu 
sichern,  ausführen  konnte.  Dem  grossen  Pompejus  waren 
ein  gewisser  Vibius,  ein  Plebejer,  und  Publicius,  ein  freige- 
lassener Sclave,  täuschend  ähnlich;  sie  hatten  auch  dasselbe 
ehrfurchtgebietende  Gesicht  und  denselben  Adel  auf  der 
hohen  Stirn.  Aus  gleicher  Ursache  wurde  seinem  Vater 
der  Beiname  seines  Kochs  Menogenes,  Strabo2),  beigelegt, 
den  dieser  wegen  seinen^ Augen  hatte,  um  die  Aehnlichkeit 
dieses  Fehlers  anzudeuten,  und  Scipio  erhielt  den  Namen 
Serapio  von  dem  elenden  Sclaven  eines  Schweinehändlers. 
Ein  späterer  Scipio  aus  derselben  Familie  wurde  nach 
einem  Schauspieler  Salvitto  benannt.  Ferner  bekamen 
die  gleichzeitigen  Consuln  Lentulus  und  Metellus 3),  der 
eine    den    Beinamen    Spinther,    nach    einem   Schauspieler 


')  187  vor  Chr.  Sie  legte  nämlich  den  Artemon  in  das  Bett  des 
von  ihr  ermordeten  Königs,  als  sei  dieser  schwer  erkrankt,  und  Hess 
sich  von  jenem  dem  herbeigerufenen  Volke  empfehlen.  Valer.  Maxim . 
IX.  14. 

2)  Strabo  heisst  ein  Schielender.     3)  57  vor  Chr. 


Siebentes  Buch.  19 

zweiten,  der  andere  den  Beinamen  Pamphilus  nach  einem 
Schauspieles  dritten  Ranges,  weil  sich  der  unangenehme 
Zufall  ereignete,  dass  man  die  Ebenbilder  beider  Consuln 
auf  der  Bühne  zugleich  erblickte.  Auf  umgekehrte  Art  gab 
der  Redner  L.  Plancus  dem  Schauspieler  Rubrius  einen 
Beinamen.  Wiederum  wurden  Curie-  der  Vater  und  der 
Censor  Messala  nach  Schauspielern,  ersterer  Burbulejus, 
der  andere  Menogenes  genannt.  Auch  war  ein  gewisser 
Fischer  in  Sicilien  dem  Proconsul  Sura  nicht  nur  an  Ge- 
stalt, sondern  auch  an  dem  Aufreissen  des  Mundes  beim 
Reden,  Einziehen  der  Zunge  und  der  lärmenden  Aussprache 
ähnlich.  Dem  berühmten  Redner  Cassius  Severus  *)  warf 
man  die  Aehnlichkeit  mit  einem  Viehhirten  Mirmillo  vor. 
Toranius,  ein  Sclavenhändler,  verkaufte  dem  Antonius,  als 
er  schon  Triumvir  war,  2  sehr  schöne  Knaben,  von  denen 
der  eine  in  Asien,  der  andere  jenseits  der  Alpen  geboren 
war,  als  Zwillinge,  so  gross  war  ihre  Aehnlichkeit.  Als 
sich  nachher  aus  der  Sprache  der  Knaben  der  Betrug  er- 
gab, wurde  jener  vom  Antonius  wüthend  angefahren,  und 
da  dieser  sich  unter  andern  über  den  hohen  Preis  be- 
schwerte (denn  er  hatte  sie  für  200,000  Sestertien  gekauft), 
so  entgegnete  der  schlaue  Händler,  ebendeshalb  habe  er 
sie  so  theuer  verkauft,  denn  bei  solchen,  die  von  Einer 
Mutter  geboren  wären,  sei  die  Aehnlichkeit  nichts  unge- 
wöhnliches, dass  man  aber  von  ganz  verschiedenen  Völkern 
Kinder  von  solcher  Aehnlichkeit  fände,  sei  eine  unschätz- 
bare Seltenheit.  Dadurch  erregte  er  gerade  zur  rechten 
Zeit  eine  solche  Bewunderung,  dass  jener,  der  eben  noch 
über  den  ihm  angethanen  Schimpf  empört  war,  nun  kein 
grösseres  Glück  zu  haben  glaubte  als  die  beiden  Knaben. 

11. 
Es  giebt  eine  gewisse  ganz  besondere  Antipathie  unter 
den  menschlichen  Körpern,  und  die,  welche  unter  sich  un- 
fruchtbar sind,   zeugen  Kinder,  wenn  sie  sich  mit  andern 


')  Lebte  unter  Augustus  und  Tiberius. 

2* 


20  Siebentes  Buch. 

verbunden  haben ,  wie  z.  B.  Augustus  uud  Livia  x).  Des- 
gleichen erzeugen  manche  Männer  und  Frauen  nur  Mädchen 
oder  nur  Knaben;  gewöhnlich  aber  wechseln  sie  ab ,  wie 
die  Mutter  der  Gracchen  2)  zwölfmal,  und  Agrippina  3),  die 
Gemahlin  des  Germanicus,  neunmal.  Einige  sind  in  der 
Jugend  unfruchtbar,  Andere  gebären  nur  einmal  in  ihrem 
Leben.  Einige  tragen  die  Frucht  nie  aus,  und  bringen, 
wenn  Arzneimittel  und  gehörige  Sorgfalt  dem  Uebel  ab- 
helfen, fast  immer  Mädchen  zur  Welt.  Der  Kaiser  Augu- 
stus sah,  unter  andern  seltenen  Fällen  seines  Lebens,  auch 
einen  Enkel  seiner  Enkelin,  der  in  demselben  Jahre,  wo 
er  starb,  geboren  war,  den  M.  Silanus  nämlich,  welcher, 
als  er  nach  geführtem  Consulate  Asien  erhielt,  von  seinem 
Nachfolger,  dem  Kaiser  Nero,  durch  Gift  getödtet  wurde  4). 
Q.  Metellus  Macedonicus  5)  hinterliess  6  Kinder  und  11  En- 
kel, mit  den  Schwiegertöchtern  und  Schwiegersöhnen  aber, 
und  überhaupt  allen,  welche  ihn  mit  dem  Vaternamen  be- 
grüssten,  27.  In  den  Jahrbüchern  aus  den  Zeiten  des 
Kaisers  Augustus  findet  man,  dass  während  seines  12.  mit 
dem  Lucius  Sulla  geführten  Consulates 6)  am  11.  April 
C.  Crispinus  Hilarus  aus  der  freigebornen  fesulanischen  7) 
Plebejerfamilie  mit  8  Kindern  (unter  denen  2  Töchter  waren), 
28  Enkeln,  19  Urenkeln  und  8  Enkelinnen  in  feierlichem 
Zuge  auf  dem  Capitole  erschienen  sei  und  daselbst  ge- 
opfert habe. 

12. 
Das  Weib  gebärt  nach  dem  50.  Jahre  nicht  mehr,  und 
bei   den    meisten    hört    die  Menstruation   schon  im  40.  auf. 


')  Sie  zeugten  keine  Kinder  miteinander,  während  doch  Augustus 
mit  seiner  ersten  Gemahn  Scribonia  die  Julia,  und  Livia  mit  ihrem 
ersten  Gemal  Tiberius  Nero  den  Tiberius  und  Drusus  hatte. 

-)  Cornelia.     3)  Die  Tochter  des  M.  Agrippa. 

4)  Tacitus  bürdet  diess  Verbrechen  der  Agrippina,  Mutter  des 
Nero,  auf.     Annal.  XIII.  1. 

•'•)  Erhielt  diesen  Namen  nach  glücklicher  Beendigung  des  drit- 
ten  rnacedonischen  Krieges,  146  v.  Chr.     Florus  II.  14. 

6)   Im  J.  5  n.  Chr.     »)  FiesOla, 


Siebentes  Buch.  21 

Was  die  Männer  betrifft,  so  ist  bekannt ,  dass  der  König 
Massinissa  nach  seinem  86.  Lebensjahre  noch  einen  Sohn 
erzeugte,  den  er  Methymanus  nannte,  und  der  Censor  Cato  *) 
im  80.  Jahre  mit  der  Tochter  seines  Clienten  Salonius. 
Daher  heisst  der  Zweig  seiner  andern  Kinder  der  der  Lici- 
nianer,  der  seines  letzten  Sohnes  aber  der  der  Salonianer, 
und  zu  letztern  gehört  der  uticensische  2).  Kürzlich  wurde 
sogar  dem  L.  Volusius  Saturninus,  der  als  Präfect  von  Rom 
starb,  nach  seinem  62.  Jahre  von  der  Cornelia,  aus  der 
Familie  der  Scipionen,  Volusius  Saturninus,  welcher  später 
Consul  wurde  3),  geboren.  Und  man  hat  Beispiele  von  ge- 
ringen Leuten,  die  bis  zum  75.  Jahre  zeugungsfähig  blieben. 

13. 
Das  einzige  Geschöpf,  welches  einen  monatlichen 
Blutabgang  hat,  ist  das  Weib;  daher  kommen  nur  in 
ihrer  Gebärmutter  die  sogenannten  Mondkälber 4)  vor. 
Diess  ist  ein  unförmliches  Stück  Fleisch,  ohne  Leben,  das 
dem  Stiche  und  Schnitte  des  Eisens  widersteht.  Es  bewegt 
sich  und  hemmt  den  Monatsfluss,  gleich  wie  eine  Leibes- 
frucht; bisweilen  wird  es  den  Weibern  tödtlich,  bisweilen 
behalten  sie  es  bis  in  ihr  Alter,  oder  es  geht  bei  schneller 
Eröffnung  des  Leibes  ab.  Etwas  Aehnliches  erzeugt  sich 
auch  im  Leibe  der  Männer,  und  diess  nennt  man  Blutge- 
schwulst 5),  wie  beim  Prätor  Oppius  Capito  der  Fall  war. 
Aber  nicht  leicht  wird  man  etwas  finden,  was  wunderbarere 
Wirkungen  hervorbringt  als  der  Blutfluss  der  Weiber. 
Kommen  sie  in  diesem  Zustande  in  die  Nähe  von  Most,  so 
wird  er  sauer,  die  Feldfrüchte  werden  durch  ihre  Berührung 
unfruchtbar,  Pfropfreiser  sterben  ab,  die  Keime  in  den 
Gärten  verdorren,  und  die  Früchte  der  Bäume,  unter  denen 
sie  gesessen  haben,  fallen  ab.  Der  Glanz  der  Spiegel 
wird  durch  ihren  blossen  Blick  matt,  die  Schneide  eiserner 


»)  Lebte  214—148  vor  Chr. 

2)  Cato,  der  sich  46  vor  Chr.  zu  Utica  in  Afrika  tödtete. 

3)  56  nach  Chr. 

')  Molae.     5)  Scirrhus. 


22  Siebentes  Buch. 

Geräthe  wird  stumpf,  das  Elfenbein  verliert  seinen  Glanz, 
ja  sogar  Erz  und  Eisen  rosten  und  bekommen  einen  üblen 
Geruch;  Hunde,  die  davon  lecken,  werden  wüthend,  und 
ihr  Biss  wird  dadurch  zum  unheilbaren  Gifte.  Selbst  das 
sonst  so  zähe  und  klebrige  Harz,  welches  zu  einer  gewissen 
Zeit  auf  dem  Asphaltsee  in  Judäa  herumschwimmt,  das 
sich  nicht  ablösen  lässt  und  an  alles,  was  damit  in  Be- 
rührung kommt,  sich  fest  anhängt,  haftet  nicht  an  einem 
Faden,  der  mit  diesem  Gifte  benetzt  ist.  Sogar  die  Ameise, 
dieses  so  kleine  Thier,  soll  eine  Empfindung  davon  haben, 
denn  sie  wirft  die  zusammengetragenen  Körner,  welche 
davon  berührt  sind,  weg  und  sucht  sie  niemals  wieder  auf. 
Und  diese  grosse  Beschwerde  tritt  bei  den  Weibern  alle 
30  Tage,  und  jedesmal  nach  3  Monaten  noch  stärker  ein, 
bei  einigen  öfter  als  jeden  Monat,  bei  andern  niemals. 
Allein  letztere  gebären  auch  nicht,  denn  diess  ist  der  Stoff 
zur  Erzeugung  des  Menschen,  mit  welchem  sich  der  Same 
des  Mannes  wie  eine  geronnene  Masse  vereinigt  und  mit 
der  Zeit  Leben  und  Form  bekommt.  Wenn  daher  Schwangere 
diesen  Fluss  noch  haben,  so  kommen  schwache,  nicht  le- 
bensfähige oder  eiterige  Kinder  zur  Welt,  wie  Nigidius  be- 
hauptet. Ebenderselbe  ist  auch  der  Meinung,  dass-  die 
Milch  einer  das  Kind  säugenden  Frau  nicht  verdorben 
werde,  wenn  sie  von  demselben  Manne  wiederum  empfängt. 

14. 
Zu  Anfang  oder  gegen  Ende  dieses  Zustandes  soll  die 
Empfängniss  am  leichtesten  erfolgen.  Ein  Beweis  der 
Fruchtbarkeit  einer  Frau  soll,  wie  ich  erfahren  habe,  sein, 
wenn  ein  Arzneimittel,  womit  man  ihre  Augen  bestreicht, 
sich  dem  Speichel  mittheilt. 

15. 
Ferner  ist  es  keinem  Zweifel  unterworfen,  dass  die 
Kinder  im  7.  Monate  nach  der  Geburt  die  ersten  Zähne 
und  zwar  vorn  und  zuerst  gewöhnlich  in  der  obern  Kinn- 
lade bekommen.  Im  7.  Jahre  fallen  diese  wieder  aus,  und 
andere  wachsen  nach.    Manche  Kinder  werden  auch  gleich 


Siebentes  Buch.  23 

mit  den  Zähnen  geboren,  wie  M.  Curius  1),  der  deshalb  den 
Beinamen  Dentatus  erhielt,  und  Cn.  Papirius  Garbo  2),  beide 
berühmte  Männer.  Bei  den  Mädchen  galt  diess  zu  den 
Zeiten  der  Könige  für  ein  sehr  unglückliches  Zeichen.  Als 
Valeria  so  geboren  war,  verkündete  der  Ausspruch  der 
Wahrsager  derjenigen  Stadt  den  Untergang,  in  welche  sie 
gebracht  würde;  man  führte  sie  in  das  damals  blühende 
Suessa  Pometia  3),  und  der  Erfolg  zeigte  die  Wahrheit  der 
Weissagung.  Manche  Mädchen  werden  mit  zusammenge- 
wachsenen Geschlechtstheilen  geboren  diess  ist  eine  un- 
glückliche Vorbedeutung,  wie  sich  an  der  Cornelia  4),  der 
Mutter  der  Gracchen,  erwies.  Andere  bringen  statt  Zähne 
einen  zusammenhängenden  Knochen  mit  zur  Welt,  wie  der 
Sohn  des  bithynischen  Königs  Prusias  in  der  obern  Kinn- 
lade hatte. 

Nur  allein  die  Zähne  werden  beim  Verbrennen  des 
Körpers  vom  Feuer  nicht  zerstört.  Obgleich  sie  nun  den 
Flammen  widerstehen,  so  werden  sie  doch  durch  den  fres- 
senden Schleim  ausgehöhlt.  Ein  schönes  weisses  Ansehen 
erhalten  sie  durch  ein  gewisses  Mittel.  Durch  den  Ge- 
brauch reiben  sie  sich  ab  und  bei  manchen  Menschen  sind 
sie  das  Erste,  was  zu  Grunde  geht.  Sie  sind  nicht  nur 
nothwendig  zur  Nahrung  und  Speise,  sondern  die  Vorder- 
zähne tragen  das  meiste  zur  richtigen  Stimme  und  Aus- 
sprache bei,  indem  sie  den  Stoss  der  Zunge  mit  einer  ge- 
wissen Gleichförmigkeit  auffangen,  durch  ihre  Stellung  und 
Grösse  die  Töne  brechen,  mildern  oder  schwächen;  sind 
sie  aber  nicht  mehr  vorhanden,  so  fehlt  alle  Deutlichkeit 
in  der  Rede. 

Auch   in   den  Zähnen  glaubt   man  Vorbedeutungen  zu 


>)  War  290  vor  Chr.  Consul.     2)  War  113  vor  Chr.  Consul. 

2)  Eine  alte  Stadt  in  Latium  (wahrscheinlich  an  der  Stelle  des 
heutigen  Torre  Petrara),  welche  nach  Livius  I.  von  Tarquinius  Su- 
perbus erobert  ward. 

4)  Denn  ihre  beiden  Söhne  Tiberius  u.  Cajus  Gracchus  starben 
<jines  gewaltsamen  Todes. 


24  Siebentes  Buch. 

finden.  Die  Männer  bekommen  32,  mit  Ausnahme  der  Tur- 
duler;  die  welche  mehrere  haben,  glauben  sich  ein  längeres 
Leben  versprechen  zu  dürfen.  Die  Weiber  haben  eine  ge- 
ringere Anzahl.  Diejenigen,  welche  auf  der  rechten  Seite 
oben  2  sogenannte  Hundszähne  haben,  rechnen  fest  auf  die 
Gunst  des  Glücks,  wie  z.  B.  Agrippina,  die  Mutter  des 
Domitius  Nero;  das  Gegentheil  findet  statt,  wenn  jene  Zähne 
auf  der  linken  Seite  stehen.  Einen  Menschen  zu  ver- 
brennen, bevor  er  die  Zähne  bekommen  hat,  ist  bei  keinem 
Volke  gebräuchlich.  Wir  werden  bald  mehr  über  diesen 
Gegenstand  sagen,  wenn  die  Beschreibung  von  Glied  zu 
zu'  Glied  geht *). 

Ich  weiss  nur  Von  einem  Menschen,  dem  Zoroaster  2), 
der  am  Tage  seiner  Geburt  gelacht  hat;  bei  ihm  soll  sich 
das  Gehirn  so  stark  bewegt  haben,  dass  es  eine  aufgelegte 
Hand  zurückstiess  —  eine  Vorbedeutung  seiner  nachherigen 
Gelehrsamkeit. 

16. 

Dass  der  Mensch  im  3.  Jahre  die  Hälfte  seiner  zu- 
künftigen Grösse  erreicht,  ist  gewiss.  Im  Allgemeinen 
kann  man  aber  die  sichere  Beobachtung  machen,  dass  die 
Menschheit  von  Tage  zu  Tage  kleiner  wird,  indem  die 
Söhne  selten  grösser  als  die  Väter  sind,  da  die  Verbrennungs- 
periode, zu  welcher  unser  Zeitalter  sich  hinneigt3),  die 
Fruchtbarkeit  des  Samens  vermindert.  In  Greta  fand  man 
in  einem  durch  ein  Erdbeben  zerrissenen  Berge  einen 
stehenden  Körper  von  46  Cubitus  Länge,  den  Einige  für 
den  Orion,  Andere  für  den  Otis  4)  halten.  Der  Körper  des 
Orests,  der  auf  Befehl  des  Orakels  wieder  aufgegraben 
wurde 5) ,    war   nach   dem  Zeugniss   alter   Ueberlieferuugen 


')  Im  XXVIII.  B.  9.  u  11.  Cap. 

2)  Mehr  über  ihn  im  XXX.  Bd.  2.  Cap. 

3)  Nach  der  Ansicht  alter  Gelehrten  wird   die  Erde   durch  Feuer 
zerstört.    PI.  hält  diese  Zeit  für  nicht  sehr  fern.  S.  auch  II.  B.  10.  Cap. 

4)  Fabelhafte  Riesen. 

*)  S.  Herodot  I.  68.  A.  Gellius,  N.  A.  III.  40. 


Siebentes  Buch.  25 

7  Cubitus  lang.  Ja  schon  vor  beinahe  1000  Jahren  klagte 
der  grosse  Dichter  Homer  wiederholt,  dass  die  Menschen 
seiner  Zeit  kleiner  wären  als  die  Alten.  Die  Grösse  des 
Nävius  Pollio  ist  in  den  Jahrbüchern  nicht  bemerkt,  da  er 
aber  durch  den  Zusammenlauf  des  Volks *)  beinahe  er- 
drückt wäre,  so  muss  sie  an  das  Wunderbare  gegrenzt 
haben.  Den  grössten  Menschen  sah  unser  Zeitalter  unter 
der  Regierung  des  Kaiser  Claudius;  er  hiess  Gabbara,  war 
aus  Arabien,  und  maass  9  Fuss  und  eben  so  viele  Zolle. 
Unter  der  Regierung  des  Augustus  lebten  zwei  Leute,  Na- 
mens Posio  und  Secunclilla,  welche  noch  einen  halben  Fuss 
höher  waren,  und  deren  Körper  der  Merkwürdigkeit  wegen 
in  dem  Grabe  der  sallustianischen  Gärten  aufbewahrt 
wurden. 

Unter    demselben   Kaiser    war    der    kleinste    Mensch 

2  Fuss  und  1  Palme  hoch;  er  hiess  Conopas,  und  wurde 
der  Julia,  der  Enkelin  Augusts,  zum  Vergnügen  gehalten ; 
ferner  eine  Zwergin,  Andromeda,  eine  Freigelassene  der 
Julia  Augusta.  M.  Varro  berichtet,  dass  Manius  Maximus, 
und  M.  Tullius,  2  römische  Ritter,  nur  zwei  Ellen  gross  ge- 
wesen wären,  und  ich  selbst,  habe  sie  in  ihren  Särgen  ge- 
sehen. Dass  Kinder  von  anderthalb  Fuss,  mitunter  noch 
grösser  geboren  werden,  die  aber  schon  im  3.  Jahre  ihr 
Leben  beschliessen,  ist  bekannt. 

17. 
Wir  finden  in  alten  Schriften,  dass  der  Sohn  des  Eu- 
thymenes   in  Salamis  bereits  im  3.  Jahre  eine  Grösse  von 

3  Cubitus  erreicht  hatte,  allein  sein  Gang  war  langsam, 
seine  Sinne  mangelhaft,  und  obgleich  seine  starke  Stimme 
die  Mannbarkeit  anzeigte,  so  starb  er  doch  an  einer  plötz- 
lichen Contraction  der  Glieder  nach  vollendetem  drittem 
Jahre.  Ich  selbst  habe  alles  dieses,  mit  Ausnahme  der 
Mannbarkeit,  an  dem  Sohne  des  Cornelius  Tacitus  2),  eines 
römischen  Ritters  und   Procurators   beim  Rechtswesen  im 


')  Seiner  Grösse  wegen  nämlich. 
2)  Vater  des  berühmten  Historikers. 


2i]  Siebentes  Buch. 

belgischen  Gallien,  gesehen.  JE%rqaTisXoi x)  heissen  solche 
Kinder  bei  den  Griechen;  im  Lateinischen  haben  sie  keinen 
besondern  Namen. 

Man  hat  die  Bemerkung  gemacht,  dass  der  Mensch 
von  der  Fusssohle  bis  zum  Scheitel  eben  so  gross  ist,  als 
bei  ausgebreiteten  Armen  die  Länge  von  der  Spitze  des 
einen  Mittelfingers  bis  zu  der  des  andern  beträgt;  ferner 
dass  die  rechte  Seite  die  kräftigste  ist,  dass  jedoch  bei 
Einigen  beide  Seiten  gleich  stark  sind,  bei  Manchen  die 
linke  Hand  die  meiste  Stärke  hat,  \3ass  diess  aber  nie 
beim  weiblichen  Geschlechte  vorkommt. 

18. 

Die  Männer  sind  schwerer  am  Gewicht 2),  und  bei  allen 
Thieren  die  todten  Körper  schwerer  als  die  lebenden,  die 
schlafenden  schwerer  als  die  wachenden.  Männliche  Leich- 
name schwimmen  auf  dem  Rücken,  weibliche  auf  dem 
Bauche,  gleichsam  als  wollte  die  Natur  ihre  Schamhaftigkeit 
noch  nach  dem  Tode  achten. 

Ich  habe  erfahren,  dass  Menschen  mit  durchaus  festen 
Knochen  ohne  Mark  leben;  solche  Personen  sollen  keinen 
Durst  fühlen  und  nicht  schwitzen,  obgleich  wir  auch  wissen, 
dass  sich  der  Durst  durch  den  Willen  bezwingen  lässt.  So 
soll  dem  römischen  Ritter  Julius  Viator,  von  dem  mit  Rom 
verbündeten  Volke  der  Vecontier,  dem  in  seiner  Jugend 
wegen  Hautwassersucht  von  den  Aerzten  alles  Nasse  ver- 
boten war,  diese  Gewohnheit  so  zur  Natur  geworden  sein, 
dass  er  im  Alter  gar  nicht  getrunken  hat.  Auch  Andere 
haben  sich  in  vielen  Dingen  beherrscht. 

Man  erzählt,  dass  Crassus,  der  Grossvater  des  in  Par- 
thien  getödteten  Crassus  3),  niemals  gelacht  habe,  und  des- 
halb Agelastus  genannt  sei.  Auch  sollen  Viele  nie  geweint 
haben.     Socrates,   der   berühmte  Weise,   wurde  immer  mit 


')  Solche,  die  von  der  gewöhnlichen  Bahn  abweichen. 

2)  Als  die  Weiber. 

3)  53  vor  Chr.,    als    er   aus  Geldgier   einen  Feldzug   gegen   die 
lJarther  unternommen  hatte. 


Siebentes  Buch.  27 

derselben  Miene,  nie  freundlicher  und  nie  trauriger  gesehen. 
Diese  strenge  Haltung  der  Seele  artet  zuweilen  in  eine  ge- 
wisse Kälte,  in  ein  rauhes,  hartes  und  unbeugsames  Wesen 
aus,  und  benimmt  dem  Menschen  die  Gemütsbewegungen. 
Solche  heissen  bei  den  Griechen  änadsig:  es  gab  deren 
viele  unter  ihnen,  und  merkwürdigerweise  gehörten  dazu 
die  grössten  Weisen,  wie  Diogenes  der  Cyniker,  Pyrrhon, 
Heraclitus,  Timon,  welcher  letztere  sogar  das  ganze  mensch- 
liche Geschlecht  hasste.  Aber  auch  verschiedene  gering- 
fügige Eigenheiten  bemerkt  man  bei  Vielen;  so  soll  Anto- 
nia,  die  Tochter  des  Drusus  nie  ausgespuckt,  der  Consul 
und  Dichter  Pomponius  nie  das  Aufstossen  gehabt  haben. 
Menschen  mit  durchaus  festen  Knochen  sind  sehr  selten, 
und  heissen  hörnerne. 

19. 
Varro  erzählt  unter  andern  Beispielen  wunderbarer 
Kraft,  dass  Tributanus,  der  sich  beim  Fechterspiele  durch 
eine  samnitische  Rüstung  *)  auszeichnete,  mager  am  Körper 
aber  von  ausserordentlichen  Kräften  gewesen  sei,  und  dass 
dessen  Sohn,  ein  Soldat  des  grossen  Pompejus,  am  ganzen 
Körper,  ja  sogar  an  den  Armen  und  Händen  kreuzweise 
liegende  Sehnen  gehabt  habe.  Selbst  einen  Feind,  der  ihn 
herausforderte,  überwand  er  unbewaffnet  mit  einem  Finger 
der  rechten  Hand,  packte  ihn  dann  und  brachte  ihn  ins 
Lager.  Vinnius  Valens,  der  unter  der  Leibwache  des  Kaisers 
Augustus  als  Centurio  diente,  pflegte  Wagen,  die  mit 
Schläuchen  beladen  waren,  so  lange  emporzuhalten,  bis  sie 
abgeladen  waren;  Kutschen  hielt  er  mit  einer  Hand  im 
Laufe  auf,  indem  er  sich  den  ziehenden  Pferden  entgegen- 
stellte, und  verrichtete  noch  andere  Wunderdinge,  welche 
man  auf  seinem  Grabmale  eingehauen  sehen  kann.  Fusius 
wurde,  wie  M.  Varro  sagt,  Bauerah ercules  genannt,  weil  er 
seinen  Maulesel  in  die  Höhe  hob.  Salvius  trug  2  Centner- 
gewichte an  seinen  Füssen,  ebenso  viele  an  den  Händen, 
und  4  Centner   auf  seinen  Schultern   eine   Treppe   hinauf. 


')  Die  Livius  (IX.  40)  ausführlich  beschreibt. 


2g  Siebentes  Buch. 

Auch  ich  sah  einen  Mann,  Namens  Athanatus,  der  eine 
ausserordentliche  Stärke  besass;  er  ging  mit  einem  500  Pfund 
schweren  bleiernen  Brustharnisch  und  eben  so  schweren 
Cothurnen  auf  der  Schaubühne  umher.  Den  Athleten  Milo 
von  Croton  konnte,  wenn  er  stand,  Niemand  von  der  Stelle 
bringen,  und,  wenn  er  einen  Apfel  hielt,  brachte  ihm  Keiner 
einen  Finger  gerade. 

20. 

Dass  Philippides  den  1160  Stadien  langen  Weg  von 
Athen  nach  Lacedämon  in  2  Tagen  zurücklegte,  wurde 
schon  für  etwas  Grosses  gehalten,  bis  der  lacedämonische 
Läufer  Anystis,  und  Philonides  bei  Alexander  dem  Grossen 
in  1  Tage  1305  Stadien  von  Sicyon  nach  Elis  machten. 
Ich  weiss,  dass  auch  jetzt  Manche  im  Circus  160,000  Schrite 
aushalten  können.  Noch  kürzlich  legte  unter  den  Consuln 
Fontejus  und  Vipstanus  *)  ein  achtjähriger  Knabe  von 
Mittag  bis  Abend  75,000  Schritte  zurück.  Hierüber  muss 
man  sich  um  so  mehr  wundern,  wenn  man  bedenkt,  dass 
Tiberius  Nero,  als  er  zu  seinem  in  Deutschland  krank 
liegenden  Bruder  Drusus  eilte,  in  einer  Nacht  und  einem 
Tage  den  längsten  Weg  von  200,000  Schritten  mit  3  mal 
gewechseltem  Fuhrwerk  machte. 

21. 

Von  der  Schärfe  der  Augen  findet  man  Beispiele, 
die  allen  Glauben  überschreiten.  Cicero  erzählt,  dass 
Homer's  Iliade  auf  Pergament  geschrieben  in  einer  Nuss 
eingeschlossen  gewesen  sei;  ferner,  dass  ein  Mensch  135,000 
Schritte  weit  gesehen  habe.  Von  diesem  hat  uns  M.  Varro 
auch  seinen  Namen  aufbewahrt,  er  hiess  nemlich  Strabo. 
Im  punischen  Kriege  soll  er  sogar  gewöhnlich  vom  Vorge- 
birge Lilybäum  2)  in  Sicilien  aus,  beim  Auslaufen  der  Flotte 
aus  dem  Hafen  von  Carthago,  die  Anzahl  der  Schiffe  an- 
gegeben haben.  Callicrates  schnitt  aus  Elfenbein  Ameisen 
und  andere  so  kleine  Thiere,  dass  deren  einzelne  Theile 
von  Andern  nicht  bemerkt   wurden.     Ein  gewisser  Myrme- 


')  59  nach  Chr.    »)  Capo  di  Boco. 


Siebentes  Buch.  29 

ekles  machte  sich  gleichfalls  in  dieser  Hinsicht  berühmt; 
er  soll  aus  demselben  Material  einen  4  spännigen  Wagen, 
den  eine  Fliege  mit  ihren  Flügeln  bedecken,  und  ein  Schiff, 
das  eine  kleine  Biene  unter  ihren  Flügeln  verbergen  konnte, 
verfertigt  haben. 

22. 
Ein  einziges  merkwürdiges  Beispiel  vom  Gehör  giebt 
die  Schlacht,  in  welcher  Sybaris  zerstört  wurde,  und  die 
an  demselben  Tage,  wo  sie  vorfiel,  in  Olympia  gehört 
wurde.  Denn  die  Nachricht  von  dem  Siege  über  die 
Cimbern  x),  sowie  die  römischen  Castoren,  welche  den  per- 
seischen  Sieg  2)  an  demselben  Tage,  wo  er  sich  ereignete, 
verkündigten,  waren  Zeichen  und  Wunder  der  Götter. 

23. 
Von  der  Ausdauer  des  Körpers  giebt  es,  da  unglück- 
liche Schicksale  sehr  häufig  sind,  unzählige  Beispiele.  Das 
berühmteste  bei  dem  weiblichen  Geschlechte  ist  das  der 
öffentlichen  Dirne  Leäna,  die  selbst  unter  Martern  die  Ty- 
rannenmörder Harmodius  und  Aristogiton 3)  nicht  nannte; 
unter  den  Männern  verdient  das  des  Anaxarchus  genannt 
zu  werden,  der  aus  einem  ähnlichen  Grunde  gefoltert,  sich 
mit  den  Zähnen  die  Zunge  abbiss,  und  diese  einzige 
Hoffnung  des  Verraths  dem  Tyrannen  4)  ins  Gesicht  spie. 

24. 
Wem  das  Gedächtniss,  dieses  so  höchst  nothwendige 
Gut  des  Lebens,  im  vorzüglichsten  Grade  zu  Theil  ward, 
lässt  sich  nicht  leicht  angeben,  da  sich  so  viele  dadurch 
berühmt  gemacht  haben.  Der  König  Cyrus  wusste  die 
Namen  aller  Soldaten   seines  Heeres;   L.  Scipio,   die    aller 


J)  Den  Mariu.«  erfocht. 

2)  Sieg  des  Aemilius  Paullus  Macedonicus  über  den  letzten 
König  von  Macedonien,  Perseus.  Ueber  diese  Begebenheit  vergl. 
man  Cic.  de  nat.  Deor.  II.  2. 

3)  Sie  tödteten  den  Tyrannen  von  Athen,  Hipparch,  den  Sohn 
des  Pisistratus.     513  vor  Chr.     S.  auch  im  XXXIV.  B.  19.  Cap. 

*')  Nicocreon  von  Cjrpern.    S.  Valerius  Maxim.  III.  3. 


30 


Siebentes  Buch. 


Römer;  Cineas,  der  Gesandte  des  Königs  Pyrrhus,  die  aller 
Senatoren  und  Ritter  zu  Rom,  und  zwar  am  Tage  nach 
seiner  Ankunft.  Mithridates,  König  über  22  Völker,  sprach 
in  eben  so  vielen  Sprachen  Recht,  und  redete  in  der  Reichs- 
versammlung einen  jeden  Gesandten  ohne  Dolmetscher  an. 
Ein  gewisser  Charmadas  in  Griechenland  sagte  jedes  Buch, 
das  einer  aus  der  Bibliothek  verlangte,  aus  dem  Kopfe  her, 
als  wenn  er  es  lese.  Zuletzt  machte  man  hieraus  eine  Kunst, 
nämlich  die,  das  Gehörte  mit  denselben  Worten  wiederzu- 
geben 1),  welche  von  dem  Liederdichter  Simonides 2)  er- 
funden, aber  von  Metrodorus  aus  Scepsis  vervollkommnet 
wurde.  Es  giebt  aber  auch  nichts  an  dem  Menschen,  was 
hinfälliger  und  den  nachtheiligen  Einflüssen  der  Krankheiten 
und  anderer  Unglücksfälle,  ja  sogar  der  Furcht  mehr  aus- 
gesetzt wäre,  und  zwar  bisweilen  theilweise,  bisweilen  aber 
auch  gänzlich.  Einer  der  von  einem  Steine  getroffen  war» 
vergass  nur  die  Buchstaben.  Ein  Anderer,  der  von  einem 
hohen  Dache  herabstürzte,  vergass  seine  Mutter,  Verwandten 
und  Freunde;  ein  Kranker,  seine  Sclaven;  der  Redner 
Messala  Corvinus 3)  sogar  seinen  Namen.  Oft  sucht  es 
selbst  in  einem  ruhigen  und  kräftigen  Körper  abzunehmen; 
auch  wenn  der  Schlaf  uns  beschleicht,  entwischt  es  uns,  so 
dass  der  verlassene  Geist  suchen  muss,  wo  er  sich  befindet. 

25. 
Mit  Geisteskraft  war,  wie  ich  glaube,  der  Dictator 
Cäsar  am  vorzüglichsten  ausgestattet.  Ich  will  jetzt  nicht 
von  seiner  Tapferkeit  und  Beharrlichkeit,  nicht  von  seiner 
grossen  Fähigkeit,  alles  was  der  Himmel  umschliesst  zu 
erfassen  reden,  sondern  nur  von  seiner  eigenthümlichen 
Regsamkeit  und  durch  ein  gewisses  Feuer  beflügelten 
Schnelligkeit  seiner  Gedanken.  Wie  ich  erfahren  habe, 
war  er  gewohnt,  während  er  schrieb  oder  las,  zugleich  zu 


')  Die  Mnemonik. 

-)  Geb.  558  vor  Chr.  auf  der  Insel  Ceos.  starb  467  am  Hofe  des 
Königs  Hiero  in  Syrakus. 

3)  Er  lebte  zur  Zeit  Augusts. 


Siebentes  Buch.  31 

dictiren  und  sich  vorlesen  zu  lassen.  Er  dictirte  auf  ein- 
mal 4  Briefe  in  den  wichtigsten  Angelegenheiten  seinen 
Schreibern,  und  wenn  er  sonst  nichts  zu  thun  hatte,  7.  Er 
hat  in  50  Schlachten  gekämpft,  und  hierin  allein  den 
M.  Marcellus  übertroffen,  der  39  geliefert  hatte.  Denn 
ausser  seinen  Siegen  in  den  Bürgerkriegen  sind  1,192,000 
Menschen  durch  ihn  in  Schiächten  umgekommen,  welches 
grosse,  wenn  gleich  nothgedrungene  dem  menschlichen  Ge- 
schlechte zugefügte  Unrecht  ich  ihm  aber  eben  nicht  zum 
Buhme  anrechnen  möchte,  und  er  hat  diess  selbst  dadurch 
zu  erkennen  gegeben,  dass  er  die  Niederlagen  in  den 
Bürgerkriegen  nicht  bekannt  machte. 

26. 
Gerechterer  Buhm  gebührt  dem  grossen  Pompejus  da- 
für, dass  er  den  Seeräubern  846  Schiffe  weggenommen  hat. 
Cäsar  hatte,  ausser  den  oben  genannten  Tugenden,  noch  die 
eigenthümliche  einer  ausgezeichneten  Milde,  wodurch  er 
Alle  bis  zur  Beue  übertraf.  Er  gab  auch  ein  Beispiel  von 
Grossmuth,  mit  dem  kein  anderes  verglichen  werden 
kann.  Die  Schauspiele,  die  er  veranstaltete,  die  Summen, 
die  er  verschwendete,  und  die  Pracht  seiner  Bauwerke  hier 
aufzuzählen,  hiesse  dem  Luxus  eine  Lobrede  halten.  Das 
aber  zeugte  von  einer  wahren  und  unvergleichlichen  Er- 
habenheit seines  unbesiegten  Geistes,  dass  er  die  bei  Phar- 
salia  erbeuteten .  Briefkasten  des  grossen  Pompejus ,  und 
wiederum  bei  Thapus  die  des  Scipio,  gewissenhaft  ver- 
brannte, ohne  ihren  Inhalt  gelesen  zu  haben. 

27. 
Aber  zur  Zierde  des  römischen  Beiches  und  nicht  bloss 
zum  Buhme  Eines  Mannes  gehört  es,  alle  Ehrenbezeugungen 
und  Triumphe  des  grossen  Pompejus  hier  zu  verkünden, 
denn  der  Glanz  seiner  Thaten  erreichte  nicht  bloss  den 
des  grossen  Alexanders,  sondern  fast  sogar  den  des  Herkules 
und  Bacchus.  Er  machte  den  Anfang  mit  der  Wiederer- 
oberung Siciliens,  wobei  er  sich  zuerst  in  seiner  Stellung 
zum  Staate  als  Sullaner  zeigte.  Nachdem  er  gauz  Afrika 
unterjocht    und    unter    römische    Botmässigkeit    gebracht, 


32 


Siebentes  Buch. 


und  dadurch  den  Namen  des  Grossen  als  Siegesbeute  er- 
rungen hatte,  kehrte  er,  als  römischer  Ritter  *)  (was  noch 
Niemand  vorher  gethan)  im  Triumphwagen  zurück.  Gleich 
darauf  zog  er  nach  Westen,  errichtete  auf  den  Pyrenäen 
Siegeszeichen,  schrieb  auf  ihnen  die  Namen  von  876  Städten, 
die  er  von  den  Alpen  an  bis  zu  den  Grenzen  des  jen- 
seitigen Spaniens  erobert  hatte,  seinen  Siegen  hinzu,  und 
verschwieg  grossmüthigerweise  den  Sertorius  2).  Nachdem 
der  Bürgerkrieg  3)  (der  alle  Auswärtigen  erregte)  beendigt 
war,  zog  er  wiederum  als  Ritter  in  einem  Triumphwagen 
nach  Rom;  so  oft  war  er  Feldherr,  ohne  vorher  Soldat  ge- 
wesen zu  sein.  Nachher  wurde  er  auf  viele  Meere  und  in 
den  Orient  gesandt,  und  brachte  gleich  den  Siegern  in  den 
heiligen  Kämpfen,  dem  Vaterlande  jene  Siegesdenkmale 
zurück,  denn  solche  Männer  krönen  sich  nicht  selbst,  son- 
dern ihr  Vaterland.  Der  Stadt  Rom  zu  Ehren  weihete  er 
im  Tempel  der  Minerva  ein  aus  der  Beute  errichtetes 
Denkmal  mit  folgender  Inschrift: 

„Der  Feldherr  Cn.  Porapejus  der  Grosse, 
welcher  einen  30jährigen  Krieg  beendigt, 
12,178,000  Mann  zerstreuet,  in  die  Flucht  ge- 
schlagen, getödtet,  gefangen,  846  Schiffe  ver- 
senkt oder  genommen,  1538 Städte  und  Schlösser 
durch  Uebergabe  bekommen,  die  Länder  vom 
mäotischen  See  bis  zum  rothen  Meere  unter- 
worfen hat,  bringt  der  Minerva  seinen  schul- 
digen Dank  dar." 

Diess  ist  das  kurze  Verzeichniss  seiner  Thaten  im 
Oriente.  Die  Schrift  aber,  welche  bei  seinem  am  28.  Sep- 
tember unter  den  Consuln  M.  Piso  und  M.  Messala  4)  ge- 
haltenen Triumphe  vorher  getragen  wurde,  lautete  also: 


')  Nur  einem  Consul  oder  Prätor  konnte  gesetzlich  der  Triumph 
zu  Theil  werden. 

2)  Pompejus    verzichtete  auf  den  Ruhm,   in  einem  Bürgerkriege 
gesiegt  zu  haben. 

3)  Den  Sertorius,  Carbo  und  Cinna   gegen  Sulla   und  Pompejus 
führten.    *)  Gl  vor  Chr. 


Siebentes  Buch.  33 

„AlsPompejus  die  Küste  des  Meeres  von  den 
Seeräubern  befreiet,  und  die  Herrschaft  über 
das  Meer  dem  römischen  Volke  wieder  ver- 
schafft hatte,  hielt  er  über  Asien,  den  Pontus, 
Armenien,  Paphlagonien,  Cappadocien,  Cilicie  n, 
Syrien,  die  Scythen,  Judäer,  Albaner,  Iberieu, 
die  Insel  Creta,  die  Basterner,  und  ausserdem 
noch  über  die  Könige  Mitbridates  undTigranes 
Triumph." 

Die  grösste  aller  seiner  ruhmvollen  Thaten  war  (wie 
er  in  einer  öffentlichen  Versammlung  sagte,  als  er  von 
seinen  Thaten  sprach),  dass  er  Asien,  welches  man  ihm 
als  äusserste  Provinz  übertragen,  zum  Mittelpunkte  seines 
Vaterlandes  gemacht  hatte.  Wollte  man  dagegen  auf 
gleiche  Weise  alle  Thaten  Cäsars  durchgehen,  der  noch 
grösser  als  jener  war,  so  müsste  man  wahrlich  den  ganzen 
Erdkreis  aufzählen,  was  eine  unendliche  Mühe  sein  würde. 

28. 
Auch  in  den  übrigen  Tugenden  haben  sich  Viele  auf 
verschiedene  Weise  ausgezeichnet.  Der  erste  Cato  aus 
dem  porcischen  Stamme  besass  drei  der  grössten  Vor- 
züge des  Menschen  im  hohen  Grade;  er  war  der  beste 
Redner,  der  beste  Feldherr  und  der  beste  Senator;  indessen 
scheinen  mir  alle  diese  Tugenden,  wenn  auch  nicht  früher, 
doch  heller  an  Scipio  Aemilianus  r)  geglänzt  zu  haben,  der 
noch  dazu  nicht  dem  Hasse  vieler  Menschen,  der  den 
Cato  traf,  ausgesetzt  war.  Daher  mag  es  dem  Cato  zum 
eigenthümlichen  Ruhme  gereichen,  dass  er  sich  44mal  vor 
Gericht  vertheidigte,  und  dass  Keiner  öfter  verklagt  und 
stets  freigesprochen  wurde. 

29. 
Wer  die  grösste  Tapferkeit  besessen  habe,  ist  eine 
Frage,  die  einer  unermesslichen  Untersuchung  bedürfte,  zu- 
mal   wenn    man    die   Erzählungen    der   Dichter   mit   dazu 


*)  Scipio  der  jüngere,  der  Carthago  und  Numantia  eroberte. 

Witt  stein:  Plinius.     II.  Bd.  3 


34  Siebentes  Buch. 

nimmmt.  Q.  Ennius  bewunderte  den  T.  Cäcilius  Denter  *) 
und  dessen  Bruder  so  sehr,  dass  er  ihretwegen  seinen 
Annalen  noch  ein  16.  Buch  hinzufügte.  L.  Siccius  Dentatus, 
der  unter  den  Consuln  Sp.  Tarpejus  und  A.  Aterius,  nicht 
lange  nach  der  Vertreibung  der  Könige  Volkstribun  war  2), 
hat  wohl  die  meisten  Stimmen  für  sich.  Er  focht  in  120 Treffen, 
siegte  8 mal  im  Zweikampfe,  hatte  45  Wunden  vorn  am 
Körper  und  keine  auf  dem  Rücken.  Ferner  nahm  er 
34  Rüstungen  weg,  wurde  mit  18  Spiessen  3),  25  köstlichen 
Spangen  4),  83  Halsketten,  160  Armbändern,  26  Kronen,  von 
denen  14  Bürger-,  8  Gold-,  3  Mauerkronen  und  1  wegen 
Befreiung  einer  belagerten  Stadt  waren,  mit  einer  Summe 
von  10,000  Assen  5),  Kriegsgefangenen  und  20  Stieren  be- 
schenkt. 9  Feldherren,  die  vornehmlich  durch  ihn  den 
Sieg  errungen  hatten,  folgte  er  in  den  Triumphen,  und 
überwies  ausserdem  (was  ich  für  die  grösste  seiner  Thaten 
halte)  einen  derselben,  den  T.  Romilius,  nach  niederge- 
legtem Consulate,  vor  dem  Volke  der  schlechten  Führung 
des  Oberbefehls  6). 

Nicht  geringer  würde  der  Kriegsruhm  des  Manlius 
Capitolinus  sein,  wenn  er  ihn  nicht  am  Ende  seines  Leben  s 
verloren  hätte 7).  Vor  seinem  17.  Jahre  hatte  er  bereits 
2  Rüstungen  erobert.  Er  war  der  erste  Ritter,  welcher 
eine  Mauerkrone  erhielt ;  ferner  wurden  ihm  6  Bürger- 
kronen   und    37    andere    Geschenke    zu   Theil.     Vorn    an 

')  Er  fiel  284  v.  Chr.  in  der  Schlacht  hei  Aretium  gegen  die 
senonischen  Gallier. 

2)  454  v.  Chr.  Fünf  Jahre  später  wurde  er  von  den  Decemvirn 
umgebracht.  Vergl.  Liv.  III.  43. 

3)  Hasta  pura;  so  hiess  ein  Spiess,  an  dem  kein  Eisen  war,  den 
ein  Krieger  als  Ehrengeschenk  bekam,  wenn  er  ausser  der  Schlacht- 
ordnung einen  Feind  erschlagen  hatte. 

4)  Phalerae.    5)  Fiscus  aeris. 

6)  Romilius  war  455  v.  Chr.  Consul.  Er  wurde  angeklagt,  da  ss 
er  nach  einer  Schlacht  mit  den  Aequem  die  Kriegsbeute  verkauft 
hätte.    S.  Livius  III.  31. 

7)  Er  wurde,  weil  er  nach  der  Alleinherrschaft  strebte,  von  dem 
tarpejischen  Felsen  gestürzt.    S.  Livius  VI.  20. 


Siebentes  Buch.  35 

seinem  Körper  zählte  man  23  Narben.  Er  rettete  den  Be- 
fehlshaber der  Reiterei,  P.  Servilius,  obgleich  er  selbst  an 
den  Schultern  und  am  Schenkel  verwundet  war.  Den  wich- 
tigsten Dienst  leistete  er  aber  dadurch,  dass  er  allein  das 
Capitolium  und  dadurch  den  ganzen  Staat  gegen  die  Gallier 
behauptete,  hätte  er  sich  nur  nicht  selbst  die  Alleinherr- 
schaft angemaasst.  Wohl  hat  an  solchen  Thaten  die  Tapfer- 
keit grossen  Autheil,  einen  grössern  aber  das  Glück. 

Dem  M.  Sergius  möchte,  wie  ich  glaube,  wohl  Niemand 
einen  andern  Menschen  mit  Recht  vorziehen,  wenngleich 
sein  Urenkel  Catilina  seinem  Namen  die  schuldige  Achtung- 
benommen  hat.  In  seinem  zweiten  Feldzuge  verlor  er  die 
rechte  Hand,  bei  zwei  Feldzügen  wurde  er  23 mal  ver- 
wundet, konnte  deshalb  keine  Hand  und  keinen  Fuss  recht 
gebrauchen,  diente  aber  später,  nur  von  einem  Sclaven  be- 
gleitet, doch  noch  als  Krüppel  in  vielen  Kriegen.  Zwei- 
mal wurde  er  von  Hannibal  gefangen  genommen  (denn 
nicht  mit  jedem  Feinde  liess  er  sich  ein),  und  zweimal  ent- 
floh er  wieder,  wurde  aber  20  Monate  hindurch  ununter- 
brochen in  Ketten  und  Banden  gehalten.  Mit  der  linken 
Hand  stritt  er  in  4  Schlachten,  und  2  Pferde  wurden  ihm 
unterm  Leibe  durchbohrt.  Er  liess  sich  eine  rechte  Hand 
von  Eisen  machen,  dieselbe  am  Arme  befestigen  und  kämpfte 
damit.  Er  entsetzte  Cremona,  vertheidigte  Placentia  und 
nahm  in  Gallien  12  feindliche  Lager  ein.  Alles  diess  ist 
aus  einer  Rede  bekannt,  die  er  hielt,  als  er  von  seinen 
Gollegen  als  ein  Gebrechlicher  von  den  heiligen  Gebräuchen 
bei  der  Prätur  ausgeschlossen  wurde.  Welche  Menge  von 
Kronen  würde  dieser  Mann  einem  andern  Feinde  gegen- 
über aufgehäuft  haben!  Denn  es  kommt  sehr  viel  darauf 
an,  in  welcher  Zeit  man  seine  Tapferkeit  zeigt.  Welche 
Bürgerkronen  verliehen  die  Tage  von  der  Trebia,  dem  Ticinus 
und  Trasymenus?  Welche  Krone  wurde  bei  Cänna  l)  ver- 
dient, wo  die  Flucht  der  höchste  Grad  der  Tapferkeit  war? 


')  An  allen  diesen  Orten  wurden  die   Römer  von  Hannibal  ge- 
Bchlagen. 


ag  Siebentes  Buch. 

Wahrlich,  die  Uebrigen  waren  Sieger  über  Mensehen,  Ser- 
gius  aber  besiegte  sogar  das  Glück. 

30. 

Wer  möchte  wohl,  bei  so  vielen  Zweigen  der  Wissen- 
schaften und  bei  einer  so  grossen  Mannigfaltigkeit  von 
Thaten  und  Werken,  eine  Auswahl  ausgezeichneter 
Köpfe  nach  ihrem  Ruhme  unternehmen;  wenn  man  nicht 
den  griechischen  Dichter  Homer  einstimmig  für  das  glück- 
lichste Genie  sowohl  hinsichtlich  der  Wahl  des  Stoffes  als 
der  Ausführung  seines  Werkes  erklären  will?  —  Als  daher 
Alexander  der  Grosse  (denn  es  ist  am  besten,  eine  so 
kühne  Untersuchung  mit  Hülfe  des  Urtheils  ausgezeichneter 
und  von  Neid  freier  Männer  durchzuführen)  unter  der 
Beute  des  persischen  Königs  Darms  auch  einen  Balsam- 
kasten fand,  der  reich  an  Gold,  Edelsteinen  und  Perlen 
war,  und  seine  Freunde  ihm  zu  diesem  und  jenem  Gebrauche 
desselben  riethen  (denn  Salben  waren  dem  staubbedeckten 
Krieger  zuwider),  so  sprach  er:  ja  fürwahr,  es  soll  zur 
Aufbewahrung  der  Bücher  Homer's  dienen,  denn  das  köst- 
lichste Werk  des  menschlichen  Geistes  muss  auch  in  dem 
reichsten  Behälter  verwahrt  werden.  Auch  befahl  er,  bei 
der  Einnahme  von  Theben,  der  Familie  und  des  Hauses  des 
Dichters  Pindar  zu  schonen.  Die  Vaterstadt *)  des  Philo- 
sophen Aristoteles  bauete  er  wieder  auf,  und  fügte  so,  dem 
ausgezeichneten  Ruhme  seiner  Thaten  noch  ein  so  schönes 
Zeugniss  seiner  Milde  hinzu. 

Die  Mörder  des  Dichters  Archilochus  2)  zeigte  Apollo 
zu  Delphi  au.  Den  Leichnam  des  Sophocles  3),  des  ersten 
unter  den  Trauerspieldichtern,  liess  Bacchus,  als  die  Lace- 
dämonier  die  Mauern  4),  besetzt  hatten,  begraben,  indem  er 
ihren  König  Lysander  im  Schlafe  öfter  erinnerte,  er  möge 

')  Stagirn  in  Macedonien.  Diese  Stadt  war  von  Alexanders  Vater, 
Philipp,  zerstört  worden. 

2)  Von  Paros.  719—663  v.  Chr.,  soll  den  jambischen  Vers  erfun- 
den haben. 

3)  Geb.  in  dem  attischen  Demos  Kolonos  498  v.  Chr.,  gestorben  406. 

4)  Von  Athen. 


Siebentes  Buch.  37 

seinen  Liebling  beerdigen.  Der  König  erkundigte  sieb,  wer 
zu  Athen  gestorben  sei,  fand  den,  -welchen  ihm  der  Gott 
bezeichnet  hatte,  leicht  heraus,  und  hielt  während  des 
Leichenbegängnisses  Friede. 

31. 
Dem  Plato,  diesem  Meister  in  der  Weisheit,  sandte 
der  Tyrann  Dionysius,  der  sonst  nur  zur  Grausamkeit  und 
zum  Uebermutbe  geboren  war,  ein  schön  geschmücktes 
Schiff  entgegen,  und  er  selbst  empfing  ihn  bei  seiner  Lan- 
dung mit  einem  von  4  Schimmeln  gezogenen  Wagen.  Iso- 
krates  *)  verkaufte  eine  einzige  Rede  für  28  Talente.  Als 
Aeschines  2) ,  der  grösste  Redner  unter  den  Atheniensern, 
den  Rhodiern  die  von  ihm  vorgebrachte  Anklage  und  dann 
auch  die  Vertheidigungsrede  des  Demosthenes 3),  welche 
seine  Verbannung  veranlasste,  vorgelesen  hatte,  und  jene 
die  letztere  bewunderten,  sagte  er,  sie  würden  sich  noch 
weit  mehr  gewundert  haben,  wenn  sie  ihn  selbst  hätten 
reden  hören;  so  wurde  er  selbst  im  Unglück  ein  mächtiger 
Zeuge  für  seine  Feiode.  Den  Thucydides  schickten  die 
Athenienser  als  Feldherrn  ins  Exil,  und  riefen  ihn  als  Ge- 
schichtsschreiber wieder  zurück;  denn  sie  bewunderten  seine 
Beredsamkeit,  während  sie  seinen  Mangel  an  Muth  ver- 
dammten. Auch  dem  Lustspieldichter  Menander 4)  wurde 
von  Seiten  der  Könige  von  Aegypten  und  Macedonien 
grosser  Beifall  dadurch  zu  Theil,  dass  sie  ihm  eine  Flotte 
schickten  und  durch  Gesandte  einladen  Hessen;  zu  grösserm 


')  Von  Athen,  der  berühmteste  Lehrer  der  Redekunst,  geb.  436 
v.  Chr ,  wählte  freiwillig  den  Hungertod ,  um  das  Ende  der  Freiheit 
seines  Vaterlandes,  die  mit  der  Schlacht  bei  Chäronea  verloren  ging 
(338),  nicht  zu  überleben. 

'-)  Nach  Demosthenes  der  erste  griechische  Redner,  lebte  389 — 324 
v.  Chr. 

3)  Der  erste  griechische  Redner,  geb.  zu  Athen  385  v.  Chr.,  starb 
323  durch  Selbstvergiftung  auf  der  Insel  Kalauria,  wohin  er  vor  der 
Verfolgung  Antipaters  geflohen  war. 

4)  Geb.  342  zu  Athen,  Schüler  des  Theophrast,  starb  290  v.  Chr. 
(angebl.  im  Piraeus  ertrunken). 


;-j(s  Siebentes  Buch. 

Verdienste  aber  gereicht  es  ihm,  dass  er  das  Studium  der 
Wissenschaften  der  königlichen  Gunst  vorzog. 

Auch  die  vornehmsten  Römer  haben  selbst  Ausländern 
grosse  Ehre  erwiesen.  Als  Cn.  Pompejus,  nach  Beendigung 
des  mithridatischen  Krieges,  in  das  Haus  des  berühmten 
Weisen  Posidonius  treten  wollte,  verbot  er  dem  Lictor *) 
das  gewöhnliche  Anklopfen;  und  so  beugte  dieser  Mann, 
dem  der  Orient  und  Occident  sich  unterworfen  hatte,  die 
Fasces  2)  vor  der  Schwelle  eines  Weisen.  Als  der  Censor 
Cato  den  Carneades 3),  einen  von  jener  berühmten,  aus 
3  Gelehrten  bestehenden  atheniensischen  Gesandtschaft,  ge- 
hört hatte',  rieth  er,  diese  Gesandten  so  bald  als  möglich 
zu  entlassen,  denn  man  könne  nicht  leicht  unterscheiden, 
was  von  den  Ansichten  dieses  Mannes  wahr  sei.  Wie  habeu 
sich  doch  die  Sitten  geändert!  Jener  Mann  dachte  nur 
immer  darauf,  alle  Griechen  aus  Italien  zu  vertreiben,  und 
sein  Urenkel,  Cato  von  Utika,  brachte,  als  er  von  seinem 
Kriegstribunate  zurückkehrte 4) ,  einen  Philosophen  und 
von  seiner  Gesandtschaft  nach  Cypern  5)  einen  andern  mit 
nach  Rom.  Es  ist  bemerkenswerth,  dass  ein  und  dieselbe 
Sprache  von  dem  einen  der  beiden  Catonen  verworfen,  von 


l)  Die  Lictoren  waren  öffentliche  Diener  der  vornehmsten  römi- 
schen Magistratspersonen,  vor  denen  sie  herzugehen,  ihnen  Platz  zu 
machen  hatten,  und  wenn  sie  in  ein  Haus  eintreten  wollten,  sie  durch  An- 
klopfen mit  ihrem  Stabe  anmeldeten.  Die  Anzahl  derselben  richtete 
sich  nach  der  Würde;  so  hatte  der  Dictator  24,  der  Consul  12,  der 
Prätor  6.     Sie  vollzogen  auch  die  Todesurtheile. 

'-')  Sie  bestanden  in  einem  Bündel  Stäbe,  in  deren  Mitte  sich  ein 
Beil  befand,  und  wurden  von  den  Lictoren  jenen  Magistratspersonen 
vorgetragen.  Sie  waren  ein  Zeichen  der  höchsten  Gewalt  über  Leben 
und  Tod.  Doch  mussten  sie  in  Gegenwart  des  Volks,  um  dessen 
Obergewalt  dadurch  anzuerkennen,  gesenkt,  auch  in  der  Hauptstadt 
die  Beile  weggelassen  werden.  Die  Lictoren  sowie  die  Fasces 
stammten  von  den  Etruriern  und  wurden  von  Romulus  eingeführt. 

3)  Von  Cyrene,  berühmter  griechischer  Philosoph  aus  dem  2. 
Jahrh.  v.  Chr. 

')  Das  er  in  Makedonien  bekleidete. 

5)  S.  XXXIV.  B.  19.  Cap. 


Siebentes  Buch.  3£ 

dem  andern  aber  eingeführt  wurde.  Aber  nun  wollen  wir 
auch  des  Ruhmes  unserer  Landsleute  gedenken. 

Der  ältere  Afrikanus  befahl,  die  Statue  des  Q.  Ennius  l) 
auf  seinem  Grabe  aufzustellen,  damit  jener  berühmte,  im 
3.  Welttheile  als  Siegesbeute  errungene  Name  2)  einst  mit 
dem  des  Dichters  auf  seinem  Aschenkruge  gelesen  werde. 

Der  Kaiser  Augustus  verbot,  die  Werke  Virgils,  wider 
dessen  in  seinem  Testamente  ausgesprochenen  bescheidenen 
Willen,  zu  verbrennen.  Diess  Zeugniss  brachte  dem  Dichter 
grössern  Ruhm,  als  wenn  er  seine  Schriften  selbst  ge- 
lobt hätte. 

In  der  Bibliothek,  welche  zuerst  von  allen  in  der  Welt 
von  Asinius  Pollio  aus  der  Beute  öffentlich  zu  Rom  aufge- 
stellt wurde,  sah  man  nur  die  Bildsäule  eines  einzigen 
Lebenden,  des  M.  Varro,  welche  Ehre,  wie  ich  glaube,  nicht 
geringer  war,  da  der  erste  Redner  und  Bürger  ihm  allein 
unter  der  damals  bedeutenden  Anzahl  von  gelehrten  Männern 
den  Preis  zuerkannte,  als  die,  wo  ihn  der  grosse  Pompejus 
nach  dem  Kriege  mit  den  Seeräubern  mit  einer  Schiffskrone 
beschenkte.  Es  giebt  noch  unzählige  Beispiele  der  Art  bei 
den  Römern,  wenn  man  sie  alle  durchgehen  wollte,  denn 
diess  eine  Volk  hat  in  jeder  Art  mehr  ausgezeichnete 
Männer  aufzuweisen,  als  alle  übrigen  Länder  zusammen- 
genommen. 

Allein,  wäre  es  nicht  ein  Verbrechen,  wenn  ich  von 
dir,  M.  Tullius,  schwiege?  Wie  soll  ich  dich  vor  Allen  aus- 
gezeichneten Mann  würdig  preisen?  Wodurch  kann  ich  es 
mehr,  als  durch  das  grossartigste  Zeugniss  aller  Stimmen 
jenes  Volkes ,  wenn  ich  auch  aus  deinem  ganzen  Leben 
nur  die  Thaten  während  deines  Consulats 3)  heraushebe? 
Du  redetest,  und  die  Tribus  entsagten  dem  Ackergesetz  4), 


*)  Einer  der  ältesten  römischen  Dichter,  geb.  240  v.  Chr.  zu 
Rudiae  in  Campanien,  starb  169  zu  Rom. 

-)  Africanus.     3)  63  v.  Chr. 

4)  Durch  welches  der  Volkstribun  P.  Servilius  Rullus  (s.  VIII.  B 
78.  Cap.)  die  Vertheüung  der  eroberten  Ländereien  unter  das  Volk 
beantragte. 


40 


Siebentes  Buch. 


d.  b.  ihrem  Unterhalt;  da  riethest,  und  man  verzieh  dem 
Roscius ,  dem  Schöpfer  des  Theatergesetzes  *)  und  duldete 
ruhig  die  Bezeichnung  und  den  Unterschied  der  Plätze; 
du  batest,  und  die  Kinder  der  2)  Verbannten  schämten  sich, 
um  Ehrenstellen  anzuhalten;  vor  deinem  Scharfsinn  floh 
Catilina;  du  hast  den  M.  Antonius  verbannt.  Sei  mir  ge- 
o-rüsst,  der  du  zuerst  den  Namen  „Vater  des  Vaterlandes" 
bekamst ,  zuerst  in  der  Toga 3)  einen  Triumph  und  den 
Lorbeer  der  Beredsamkeit  erwarbst;  du  Vater  der  latei- 
nischen Sprache  und  Wissenschaften,  der  du  (wie  der  Dictator 
Cäsar,  sonst  dein  Feind,  über  dich  schrieb)  dir  einen  Lor- 
beer, grösser  als  alle  Triumphe  erwarbst,  denn  es  ist  ehren- 
voller, die  Grenzen  des  römischen  Geistes  soweit  ausge- 
dehnt zu  haben,  als  die  des  Reichs  durch  die  übrigen  Tu- 
genden der  Seele. 

Männer,  welche  alle  Uebrigen  an  Gelehrsamkeit  über- 
trafen, bekamen  daher  bei  den  Römern  die  Zunamen 
Cati  und  Corculi 4).  Bei  den  Griechen  nimmt,  nach  dem 
Orakelspruch  des  pythischen  Apollo,  Sokrates  den  ersten 
Rang  unter  den  Weisen  ein. 

32. 

Feruer  haben  die  Menschen  den  Lacedämonier  Chilo  5) 
den  Orakeln  einverleibt,  indem  sie  seine  Lehren  zu  Delphi 
mit  goldenen  Buchstaben  weiheten.  Es  sind  folgende:  Er- 
kenne dich  selbst;  begehre  nicht  zu  viel;  Schulden  und 
Processe  bringen  Unglück.     Ganz  Griechenland  beging,  als 


!)  Lex  Roscia  theatralis  wurde  im  Jahre  68  v.  Chr.  vom  Tribun 
L.  Roscius  Otho  in  Vorschlag  gebracht.  Es  bestimmte  das  Vermögen 
der  Ritter  und  wies  ihnen,  die  früher  unter  den  übrigen  Zuschauern 
untermischt  sassen,  die  14  ersten  Sitzreihen  im  Theater  an.  Es 
erregte  grossen  Tumult,  ging  aber  durch  Cicero's  Beredsamkeit 
durch. 

2)  Durch  Sulla.     3)  Das  ist  im  Friedenskleide. 

■'')  Cati  hiessen  solche,  die  sich  nicht  von  Andern  überlisten  lassen; 
Corculi  aber  sind  Verständige,  von  cor,  das  Herz,  welches  als  der 
dea  Verstandes  angesehen  ward. 

B)  Einer  der  7  Weisen;  er  lebte  um  die  56.  Olympiade. 


Siebentes  Buch.  41 

dieser  Mann   vor  Freude   über  den  Sieg  seines  Sohnes  zu 
Olympia  gestorben  war,  seine  Leichenfeier. 

33. 

Die  Gabe,  zukünftige  Dinge  vorher  zu  sehen  und 
eine  gewisse  edle  Gemeinschaft  mit  den  Himmelsbewohnern 
besass  unter  den  Weibern  Sibylla  *);  unter  den  Männern 
bei  den  Griechen  Melampus,  bei  den  Römern  Marcius. 

34. 

Für  den  rechtschaffensten  Mann  wurde  seit  Er- 
schaffung der  Welt  nur  einmal  einer  erklärt,  nämlich  Scipio 
Nasica  2)  durch  einen  Eid  des  Senats.  Ebenderselbe  wurde 
zweimal  bei  der  Bewerbung  um  ein  Amt  abgewiesen  und 
vom  Volke  beschimpft,  ja  ihm  war  es  nicht  einmal  ver- 
gönnt, in  seinem  Vaterlande  zu  sterben;  wahrlich,  den 
Kerker  abgerechnet,  nicht  viel  besser,  als  es  dem  Socrates  3), 
der  von  Apollo  für  den  Weisesten  erklärt  war,  in  seinen» 
Vaterlande  erging. 

35. 

Für  die  keuscheste  Frau  wurde  einmal  Sulpicia  4), 
Tochter  des  Paterculus  und  Gemalin  des  Fulvius  Flaccusr 
nach  dem  Urtheile  bejahrter  Damen  erklärt,  und  aus 
100  dazu  vorgeschlagenen  ausgewählt,  um  das  Bild  der 
Venus  nach  der  Vorschrift  der  sibyllinischen  Bücher  zu 
weihen;  und  dann  wieder  durch  einen  religiösen  Act  Claudia, 
als  sie  die  Mutter  der  Götter  nach  Rom  gebracht  hatte  5). 


')  Die  cumanische,  welche  dem  Ancus  Marcius  die  sibyllinischen 
Bücher  brachte.     '-)  204  v.  Chr. 

3)  Der  bekannte  griechische  Philosoph,  geb.  469  v.  Chr.  zu 
Athen,  Sohn  des  Bildhauers  Sophroniscus  und  der  Hebamme  Phae- 
narete,  Anfangs  selbst  Bildhauer.  Starb  400  im  Gefängniss  durch 
den  Giftbecher. 

4)  Bei  derselben  Gelegenheit,  wo  Scipio  für  den  rechtschaffensten 
Mann  erklärt  wurde. 

5)  Das  Bild  der  Cybele  zu  Pessinus  in  Asien.  Das  Schiff,  welches 
dieses  Bild  von  daher  brachte,  gerieth  in  der  Tiber  auf  eine  Sand- 
bank und  konnte  nur  durch  ein  völlig  keusches  Weib  von  der  Stelle 
bewegt  werden.  Claudia  zog  es  mit  ihrem  Gürtel  weiter.  S.  Livius 
XXIX.  10.  11.  14.     Sueton  im  Leben  des  Tiberius,  11.  Cap. 


^2  Siebentes  Buch. 

36. 
Von  der  Liebe  der  Kinder  gegen  ihre  Eltern 
giebt  es  zwar  überall  unzählige  Beispiele;  indessen  hat 
sich  eins  zu  Rom  ereignet,  dem  alle  übrigen  nicht  gleich- 
kommen. Eine  Wöchnerin  von  gemeinem  Stande  und  da- 
her unbekannt,  deren  Mutter  im  Gefänguiss  den  Hunger- 
tod sterben  sollte,  wurde,  da  sie  die  Erlaubniss,  die  Mutter 
besuchen  zu  dürfen,  bekommen  hatte,  aber  stets  vom  Thiir- 
hüter  untersucht  war,  ob  sie  keine  Speise  bei  sich  trüge, 
einst  getroffen,  wie  sie  mit  ihren  Brüsten  dieselbe  nährte. 
Nach  diesem  merkwürdigen  Ereigniss  schenkte  man  der 
Mutter  um  der  Liebe  der  Tochter  willen  die  Freiheit. 
Beide  wurden  lebenslänglich  ernährt,  der  Ort,  wo  diess 
vorfiel,  der  Gottheit  ge weihet,  und  unter  den  Consuln 
C.  Quinctius  und  M.  Acilins  *)  ein  Tempel  der  Kindesliebe 
an  der  Stelle  des  Gefängnisses,  da  wo  jetzt  das  Theater 
des  Marcellus  ist,  erbauet.  Als  der  Vater  der  Gracchen  in 
seinem  Hause  2  Schlangen  gefangen  hatte  und  man  ihm 
prophezeihete,  dass  er  am  Leben  bleiben  würde,  wenn  die 
weibliche  Schlange  getödtet  würde,  sprach  er:  „Nein, 
tödtet  die  meinige  (d.  h.  die  männliche),  denn  Cornelia  ist 
noch  jung  und  kann  noch  Kinder  gebären".  Das  hiess  der 
Gattin  schonen  und  für  den  Staat  bedacht  sein.  Und  bald 
ging  auch  der  Ausspruch  in  Erfüllung.  —  M.  Lepidus  starb 
aus  Liebe  zu  seiner  Gemalin  Apuleja  bald  nach  der  Schei- 
dung 2).  P.  Rutilius,  der  etwas  unpässlich  war,  gab  bei 
der  Nachricht,  dass  sein  Bruder  bei  der  Bewerbung  um 
das  Consulat  abgewiesen  sei,  sogleich  den  Geist  auf. 
P.  Catienus  Plotinus  liebte  seinen  Herrn  so  sehr,  dass  er, 
obgleich  zum  Erben  aller  Güter  desselben  eingesetzt,  sich 
auf  dessen  Scheiterhaufen  stürzte. 


')  130  v.  Chr. 

'-)  Er  liess  sich  von  ihr  scheiden,  weil  er  sich  durch  einen  in 
seine  Hände  gekommenen  Brief  von  ihrer  Untreue  überzeugt  hatte. 
Plutarch,  Leben  des  Pompejus,  C.  5. 


Siebentes  Buch.  43 

37. 
In  verschiedenenen  Künsten  haben  sich  Unzählige 
ausgezeichnet,  die  wir  billigerweise  hier  berühren  müssen, 
•da  sie  mit  in  unsere  Darstellung  der  Blüthe  der  Mensch- 
heit gehören.  In  der  Sterndeutekunst  berühmt  war 
Berosus  L),  dem  die  Athenienser  wegen  seiner  göttlichen 
Weissagungen  auf  öffentliche  Kosten  eine  Bildsäule  mit 
einer  vergoldeten  Zunge  im  Gymnasium  setzten.  In  der 
Sprachkunde  war  Apollodorus  vorzüglich;  ihn  hielten  selbst 
tlie  Amphictionen 2)  Griechenlands  in  Ehren.  In  der 
Medicin  zeichnete  sich  Hippocrates  aus;  er  sagte  eine 
von  den  Illyriern  kommende  Pest  voraus,  und  sandte  seine 
Schürer  zur  Hülfe  in  die  Städte,  wofür  ihm  Griechenland 
dieselben  Ehrenbezeugungen  wie  dem  Hercules  erwies. 
Dieselbe  Wissenschaft  belohnte  der  König  Ptolemäus  an 
Cleombrotus  aus  Ceus  mit  100  Talenten  bei  Gelegenheit 
des  megalensichen  Opferfestes,  weil  er  den  König  Antiochus 
wieder  hergestellt  hatte 3).  Auch  Critobolus  hat  sich  da- 
durch sehr  berühmt  gemacht,  dass  er  dem  König  Philippus 
öinen  Pfeil  aus  dem  Auge  zog  und  ihm  ohne  Verunstaltung 
des  Gesichts  das  Augenlicht  erhielt.  Der  höchste  Ruhm 
gebührt  aber  dem  Asclepiades  4)  aus  Prusien;  er  gründete 
eine  neue  Schule,  verschmähete  die  Anerbietungen,  welche 
ihm  der  König  Mithridates  durch  seine  Gesandten  machen 
liess,  erfand  die  Kunst,  Kranke  durch  Wein  zu  heilen, 
brachte  einen  Menschen,  der  schon  begraben  werden  sollte, 
wieder  ins  Leben  zurück  und  heilte  ihn  völlig;  aber  am 
meisten  Ehre  erwarb  ihm  die  mit  dem  Schicksale  gemachte 


*)  Ein  Chaldäer  aus  dem  3.  Jahrh.  v.  Chr.,  war  Priester  des  Be- 
lus  zu  Babylon. 

2)  Griechenlands  ältestes  und  wichtiges  Bundesgericht,  angeblich 
von  Amphictyon,  wahrscheinlicher  schon  von  Deukalion,  dessen 
Grossvater  oder  "Vater,  1522  v.  Chr.  gestiftet. 

3)  Im  XXIX.  B.  3.  Cap.  wird  dieser  übrigens  nicht  näher  bekannte 
Arzt  Erasistratus  genannt. 

4)  Liess  sich  110  v.  Chr.  in  Rom  nieder. 


44  Siebentes  Buch. 

Wette,  dass  man  ihn  nicht  für  einen  Arzt  halten  sollte, 
wenn  er  selbst  jemals  krank  würde,  denn  er  gewann  die- 
selbe, indem  er  im  hohen  Alter  durch  den  Sturz  von  einer 
Treppe  starb. 

38. 

Ehrenvolle  Anerkennung  wurde  auch  den  geometri- 
schen und  mechanischen  Kenntnissen  des  Archimecles  v) 
durch  M.  Marcellus  zu  Theil,  denn  dieser  befahl  bei  der 
Einnahme  von  Syrakus,  ihm  allein  solle  nichts  geschehen; 
allein  ein  Soldat  übertrat  aus  Unwissenheit  den  Befehl. 
Ferner  sind  zu  rühmen  Chersiphron  aus  Gnossus,  der  den 
bewunderungswürdigen  Tempel  der  Diana  zu  Ephesus 
bauete;  Philon,  der  zu  Athen  ein  Arsenal  für  1000  Schiffe 
errichtete;  Ctesibius,  der  die  Gesetze  der  Pneumatik  und 
die  Wasserorgel  erfand;  Dinochares ,  der  dem  Alexander 
den  Plan  zur  Erbauung  der  Stadt  Alexandrien  in  Aegypten 
entwarf.  Derselbe  Herrscher  sagte,  dass  ihn  kein  anderer 
als  Apelles  malen,  kein  anderer  als  Pyrgoteles  in  Stein 
hauen,  keiner  als  Lysippus  in  Erz  giessen  solle;  —  Künste, 
welche  noch  durch  viele  Meister  zu  grossem  Ruhme  ge- 
langt sind. 

39. 

Für  ein  einziges  Gemälde  des  thebanischen  Malers 
Aristides  2)  bot  der  König  Attalus  100  Talente.  Für  80  Ta- 
lente kaufte  der  Dictator  Cäsar  zwei  Gemälde  des  Timo- 
machus3),  Medea  und  Ajax,  um  sie  in  dem  Tempel  der 
Venus  Genetrix  zu  weihen.  Der  König  Candaules  4)  wog 
ein  Gemälde  des  Bularchus  5)  von  nicht  geringem  Umfange, 
welches  den  Untergang  der  Magneter  vorstellte,  mit  Gold 
auf.  König  Demetrius,  genannt  der  Städteeroberer  6),  Hess 
Khodus  deshalb  nicht  in  Brand  stecken,  damit  ein  an  der 


')  Von  Syrakus,  berühmter  Mathematiker  und  Physiker,  geb. 
287  v.  Chr.,  bei  der  Erstürmung  von  Syrakus  durch  die  Römer  212. 
von  einem  Soldaten  erstochen. 

2)  Von  dessen  Werken  redet  Plinius  im  XXXV.  B.  36.  Cap. 

3)  XXXV.  B.  40.  Cap.    «)  In  Lydien.     •>)  XXXV.  B.  34.  Cap. 
*)  Poliorcetes. 


Siebentes  Buch.  45 

Stadtmauer  befindliches  Gemälde  des  Protogenes  l)  nicht 
zerstört  werde.  Praxiteles  ward  berühmt  durch  seine  Ar- 
beiten in  Marmor  und  durch  seine  Gnidische  Venus  2),  zu 
der  sogar  ein  Jüngling  eine  rasende  Liebe  fasste,  und  die 
der  König  Nicomedes  so  hoch  schätzte,  dass  er  sie  für 
eine  grosse  Schuld  der  Gnidier  annehmen  wo  !te.  Für  die 
Geschicklichkeit  des  Phidias 3)  ist  der  Jupiter  Otympius 
ein  täglicher  Beweis,  für  die  des  Mentor 4)  der  Jupiter 
Capitelinus  und  die  ephesische  Diana,  denen  die  Werkzeuge 
dieser  Kunst  geheiligt  sind. 

40. 

Der  höchste  Preis  für  einen  in  der  Sclaverei  ge- 
borenen Menschen  bis  auf  den  heutigen  Tag  wurde,  so  viel 
mir  bekannt  ist,  für  Daphnus,  einen  Sprachkundigen,  be- 
zahlt, den  der  Pisaurenser  Natius  an  M.  Scaurus,  die  erste 
Magistratsperson  des  Staats,  für  700,000  Sestertien  verkaufte. 
Diese  Summe  haben  zu  unserer  Zeit  die  Schauspieler  auf 
eine  unmässige  Weise  überschritten,  aber  dadurch  ihre  Frei- 
heit verhandelt.  Schon  bei  unsern  Vorfahren  soll  der  Schau- 
spieler Roscius  jährlich  500,000  Sestertien  verdient  haben; 
wenn  man  vielleicht  hier  nicht  lieber  den  Zahlmeister  in 
dem  vor  Kurzen  wegen  Tiridates  geführten  armenischen 
Kriege,  den  Nero  für  13,000,000  Sestertien  freigab,  als  Bei- 
spiel angeführt  wissen  will.  Allein  diess  war  der  Preis 
für  einen  Krieg  und  nicht  für  einen  Menschen;  wahrlich 
ebenso,  wie  die  Wollust  und  nicht  die  Schönheit  bezahlt 
wurde,  als  Lutorius  Priscus  den  Päzon,  einen  von  den  Ver- 
schnittenen des  Sejanus  für  5,000,000  Sestertien  kaufte.  Und 
dieser  schändliche  Kauf  ging  ihm  uugeahndet  hin,  da  er  in 
die  Trauerzeit  des  Staats  5)  fiel,  wo  Niemand  daran  dachte 
ihn  anzuklagen. 

41. 

Das  tapferste  aller  Völker  auf  der  ganzen  Erde  ist  un- 


»)  XXXVI.  B.  36.  Cap.  -i  XXXVI.  B.  5.  Cap. 
3)  XXXVI.  B.  4.  Cap.  <)  XXXIII.  B.  55.  Cap. 
5)  Durch  die  Tyrannei  des  Tiberius  herbeigeführt. 


4ß  Siebentes  Buch. 

streitig  das  römische.  Welcher  Mensch  aber  der  glück- 
seligste gewesen  sei,  liegt  ausser  dem  Urtheil  des  mensch- 
lichen Geistes,  da  der  Eine  auf  diese,  der  Andere  auf  jene 
Weise,  und  Jeder  sich  sein  Glück  nach  eigener  Ansicht  be- 
grenzt. Wenn  wir  jedoch  ein  wahres  Urtheil,  ohne  alle 
Rücksicht  auf  Glücksumstände  fällen  wollen,  so  können 
wir  sagen:  Kein  Mensch  ist  glücklich.  Der  ist  wohl  daran, 
und  dem  ist  das  Glück  überaus  günstig,  den  mau  Grund 
hat,  nicht  unglücklich  zu  nennen;  denn  wenn  auch  sonst 
nichts  fehlt,  so  ist  doch  die  Furcht,  das  Glück  könne  nach- 
lassen, vorhanden,  und  hat  diese  erst  einmal  Eingang  ge- 
funden, dann  giebt  es  auch  keine  vollkommene  Glückselig- 
keit mehr.  Sagt  nicht  das  Sprichwort:  Niemand  ist  zu 
allen  Stunden  weise?  Möchte  diess  doch  falsch  sein,  und 
möchten  doch  die  Meisten  nicht  glauben,  dass  es  von  einem 
Dichter  gesagt  sei!  Der  eitle  und  im  Selbstbetrug  so  er- 
findungsreiche Mensch  rechnet  nach  Art  der  Thracier,  welche 
Steine  von  verschiedener  Farbe,  je  nach  den  Vorfällen  eines 
jeden  Tages  in  eine  Urne  werfen,  beim  Tode  eines  Jeden 
sie  sondern  und  zählen,  und  danach  ihr  Urtheil  fällen. 
Allein  war  nicht  oft  ein  durch  einen  weissen  Stein  als  gut 
bezeichneter  Tag  die  Quelle  von  Unglück?  Wie  Viele  sind 
durch  Erlangung  von  Herrschaften  in  Trübsal  versetzt! 
Wie  Viele  sind  durch  Glücksgüter  ins  Verderben  gestürzt 
und  in  das  äusserste  Elend  versunken!  Das  nämlich  sind 
Glücksgüter,  bei  denen  man  nur  eine  Stunde  in  Freude  ge- 
nossen hat.  Für  wahr,  ein  Tag  entscheidet  über  den  an- 
dern, der  letzte  aber  über  alle  und  so  ist  keinem  von  ihnen 
zu  trauen.  Kommt  das  Angenehme  dem  Unangenehmen 
wohl  je  gleich,  wenn  auch  beider  Zahl  dieselbe  ist,  und 
steht  wohl  irgend  eine  Freude  mit  dem  geringsten  Kummer 
im  Gleichgewicht?  Oh,  eitles,  thörichtes  Bemühen,  die  Tage 
ihrer  Anzahl  nach  zu  vergleichen,  statt  dass  man  ihr  Ge- 
wicht ermitteln  sollte! 

42. 

Unter   den   Frauen   aller  Zeiten   findet  man  nur  eine. 


Siebentes  Buch.  47 

Lampido  *)  eine  Lacedämonierin,  welche  eines  Königs  Tochter, 
eines  Königs  Gattin  und  eines  Königs  Mutter;  nur  eine, 
Berenice,  welche  Tochter,  Schwester  und  Mutter  olympischer 
Sieger  war;  nur  die  einzige  Familie  der  Curionen,  in 
welcher  3  Redner  unmittelbar  nach  einander  aufzuweisen 
waren;  nur  die  eine  der  Fabier,  aus  welcher,  gleichfalls 
unmittelbar  nach  einander,  3  erste  Senatoren2),  M.  Fabius 
Ambustus,  Fabius  Rullianus  dessen  Sohn  und  A.  Fabius 
Gurges  dessen  Enkel  hervorgingen. 

43. 

Beispiele  von  wechselndem  Glücke  sind  übrigens 
unzählige,  denn  was  erhöhet  die  Freuden  mehr,  als  vorher- 
gegangenes Unglück?  Oder  welche  Uebel  sind  grösser,  als 
die  aus  grossen  Freuden  erstandenen?  Das  Glück  war  dem 
von  Sulla  verbannt  gewesenen  Senator  M.  Fidustius 
35  Jahre  lang  günstig,  allein  er  wurde  abermals  verbannt. 
Er  überlebte  zwar  den  Sulla,  aber  nur  bis  auf  Antonius, 
und  man  weiss,  dass  dieser  ihn  aus  keinem  andern  Grunde 
verbannte,  als  weil  er  verbannt  gewesen  war. 

44. 

Das  Glück  Hess  den  P.  Ventidius  allein  über  die 
Parther  triumphiren,  nachdem  es  ihn  erst  als  Knaben  im 
asculanischen  Triumphe  3)  des  Cn.  Pompejus  gefangen  auf- 
geführt hatte.  Nach  Masurius  wurde  er  sogar  2  mal  im 
Triumphe  aufgeführt;  nach  Cicero  war  er  ein  Maulthier- 
treiber,   der  Getreide   ins  Lager  brachte,  und  die  Meisten 


')  Sie  war  die  Tochter  des  Leotychidas,  Gemalin  des  Archida- 
mus, Mutter  des  Agis,  welche  alle  zu  dem  Stamme  der  Eurypontiden 
gehörten  und  von  600—491  v.  Chr.  herrschten. 

2)  Princeps  Senatus  hiess  derjenige  Senator,  welcher  bei  der 
Musterung  des  Senats  vom  Censor  zuerst  genannt  wurde,  der  dabei 
stets  auf  Verdienst  um  den  Staat  und  Tugenden  Rücksicht  nahm. 
Bei  der  Ritterschaft  hiess  der,  welchen  der  Censor  zuerst  aufrief, 
princeps  juventutis. 

3)  Asculum,  jetzt  Ascoli,  eine  bedeutende  Stadt,  deren  Einnahme 
im  Bundesgenossenkriege  39  v.  Chr.  der  Sache  der  Römer  eine  glück- 
liche Wendung  gab.     S.  Vellejus  Paterculus  It.  21. 


48  Siebentes  Buch. 

geben  an,  dass  er  seine  Jugend  in  grosser  Dürftigkeit  als 
gemeiner  Soldat  zugebracht  habe.  Auch  Baibus  Cornelius 
der  ältere  wurde  Consul,  aber  erst  nachdem  er  vorher  an- 
geklagt worden  war,  und  sich  die  richterliche  Untersuchung, 
ob  er  mit  Ruthen  gepeitscht  werden  dürfe,  hatte  gefallen 
lassen  müssen 1).  Er  war  der  erste  Ausländer,  ja  sogar 
der  erste  unter  den  am  Ocean  Geborenen2),  der  jene  Würde 
bekleidete,  welche  unsere  Vorfahren  sogar  den  Lateinern 
verweigerten.  Auch  L.  Fulvius  gehört  zu  den  ausgezeich- 
neten Beispielen;  er  war  Consul  der  tusculanischen  Empörer, 
und  wurde,  sobald  er  übergegangen,  vom  römischen  Volke 
mit  derselben  Ehrenstelle  bekleidet.  Er  allein  hielt  in  dem- 
selben Jahre,  in  welchem  er  als  Feind  des  Staates  auf- 
trat, zu  Rom  über  diejenigen,  deren  Consul  er  gewesen, 
Triumph. 

Bis  jetzt  hat  sich  nur  ein  Mensch,  nämlich  Sulla,  den 
Beinamen  des  Glücklichen  angemaasst,  er  gründete  ihn  aber 
auf  Bürgerblut  und  Unterdrückung  seines  Vaterlandes. 
Und  worin  bestanden  die  Beweise  seiner  Glückseligkeit? 
Darin,  dass  er  so  viele  Tausend  Bürger  hatte  verbannen 
und  morden  können.  Oh  schändliche  und  für  die  Folge  so 
unglückliche  Ansicht  vom  Glücke!  Waren  nicht  die,  welche 
damals  umkamen,  besser  daran,  da  wir  sie  noch  jetzt  be- 
dauern, während  Jeder  den  Sulla  hasset?  Und  war  nicht 
das  Ende  seines  Lebens  grausamer  als  das  Schicksal  aller 
von  ihm  Verbannten,  indem  sein  Körper  sich  selbst  auf- 
zehrte und  sich  so  die  Todesstrafe  erzeugte?  3)  Mag  er  diess 
auch  vorsätzlich  verhehlt  haben,  und  mögen  wir  auch  seinem 
letzten  Traume  (in  welchem  er  gewissermaassen  starb)  glauben, 
dass   er  allein  durch  Ruhm  den  Neid  besiegt  habe,  so  hat 


')  Er  war  von  Cn.  Pompejus  mit  dem  Bürgerrechte  beschenkt 
worden.  Als  man  ihm  dasselbe  streitig  machen  wollte,  vertheidigte 
ihn  Cicero  in  der  noch  vorhandenen  Rede.  Das  Consulat  verwaltete 
er  im  J.  40  v.  Chr. 

2)  Er  stammte  von  Gades.     3)  322  v.  Chr. 

3)  Sulla  starb  an  der  Läusesucht. 


Siebentes  Buch.  4^ 

^er  doch  selbst  bekannt,   der  einzige  Mangel  seiner  Glück- 
seligkeit sei,  dass  er  das  Capitolium  nicht  eingeweihet  hätte  l). 

45. 
Quintus  Metellus  behauptete  in  der  Leichenrede,  welche 
-er  seinem  Vater  L.  Metellus,  der  Oberpriester,  zweimal  Con- 
sul 2),  Dictator,  Befehlshaber  der  Reiterei,  einer  der  Fiinf- 
zehnmänner  zur  Vertheilung  der  Acker  gewesen  war,  und 
im  ersten  punischen  Kriege  zuerst  Elephanten  im  Triumphe 
aufführte,  hielt  und  die  er  auch  schriftlich  hinterliess,  sein 
Vater  habe  die  zehn  höchsten  und  besten  Güter,  zu  deren 
Erlangung  die  Weisen  ihr  ganzen  Leben  verwenden,  in  sich 
vereinigt.  Er  habe  nämlich  der  erste  Krieger,  der  beste 
.Redner,  der  tapferste  Feldherr  sein  wollen,  habe  getrachtet, 
dass  unter  seiner  Leitung  die  wichtigsten  Angelegenheiten 
verhandelt  würden,  habe  nach  den  höchsten  Ehrenstellen, 
nach  der  grössten  Weisheit,  nach  der  ersten  Senatorstelle 
gestrebt,  getrachtet,  das  meiste  Geld  auf  eine  ehrenvolle 
Weise  zu  erwerben,  viele  Kinder  zu  hinterlassen  und  der 
berühmteste  im  Staate  zu  sein.  Alles  diess  sei  ihm,  und 
sonst  Niemandem  seit  Roms  Erbauung  gelungen.  Es  würde 
zu  weitläufig  und  auch  überflüssig  sein,  diese  Behauptungen 
zu  widerlegen,  da  schon  ein  einziger  Umstand  sie  umstösst, 
denn  dieser  Metellus  brachte  sein  Alter  in  Blindheit  zu,  die 
er  sich  bei  einer  Feuersbrunst,  als  er  das  Palladium  8)  aus 
dem  Tempel  der  Vesta  holte,  zugezogen  hatte  —  zwar 
ein  rühmlicher  Beweggrund,  aber  von  traurigem  Erfolge. 
Man  kann  ihn  deshalb  nicht  unglücklich,  aber  auch  nicht 
glücklich  nennen.     Ihm  räumte  das  römische  Volk  ein  Vor- 


l)  Er  hatte  die  Wiederaufbauung  des  abgebrannten  Capitols 
übernommen,  starb  aber  vor  der  Einweihung.     2)  251  und  247  v.  Chr. 

3)  So  hiess  ein  uraltes  Bild  der  Minerva,  welches  durch  Aeneas 
aus  Troja  nach  Rom  gekommen  sein  soll.  Es  war,  wie  man  glaubte, 
ein  Unterpfand  der  Wohlfahrt  und  der  Erhaltung  des  Staats,  und 
wurde  im  innersten  Heiligthum  des  Vestatempels  verwahrt.  Man 
glaubte,  kein  Mann,  selbst  der  Pontifex  maximus  dürfte  es  nicht 
ungestraft  ansehen.  Daher  soll  schon  Ilus  blind  geworden  sein,  als 
•er  es  erblickte. 

Wittstein:  Plinius.    n.  Bd.  4 


50  Siebentes  Buch. 

recht  ein,  was  noch  Keinem  vorher  vergönnt  war,  nämlich, 
so  oft  er  die  Senatsversammlung  besuchen  wollte,  in  einem 
Wagen  auf  das  Rathhaus  zu  fahren.  Ein  grosses,  erhabenes 
Zeichen  der  Gunst,  das  er  aber  seiner  Augen  wegen  erhielt. 
Auch  der  Sohn  dieses  Q.  Metellus,  der  jene  Lobrede 
auf  seinen  Vater  hielt,  wird  zu  den  seltenen  Beispielen 
menschlichen  Glückes  gezählt.  Denn  ausserdem,  dass  er 
die  ansehnlichsten  Ehrenstellen  bekleidete  und  sich  den 
Beinamen  Macedonicus  *)  erwarb,  wurde  er  von  4  Söhnen 
auf  den  Scheiterhaufen  getragen,  von  denen  einer  Prätorr 
drei  Consuln  gewesen  waren,  zwei  triumphirt  hatten  und 
einer  Censor  war,  welche  Auszeichnungen,  auch  einzeln 
genommen,  nur  Wenigen  zu  Theil  werden.  Und  doch 
wurde  er  in  der  Blüthe  seines  Ansehens  von  dem  Volkstribun 
C.  Attinius  Labeo,  mit  dem  Beinamen  Macerionus,  den  er 
als  Censor  aus  dem  Senate  gewiesen  hatte,  auf  dem  Rück- 
wege vom  Campus  2)  zur  Mittagszeit,  wo  Forum  und  Capi- 
tolium  menschenleer  waren,  zum  tarpesischen  Felsen  3)  ge- 
schleppt, um  ihn  hinabzustürzen.  Zwar  versammelte  sich 
bald  eine  Menge  Menschen,  die  ihn  Vater  nannten,  aber 
(wie  es  bei  einem  so  plötzlichen  Vorfalle  nicht  anders  sein 
konnte)  zu  spät  und  gleichsam  nur  zu  seinem  Leichen- 
zuge, da  sie  kein  Recht  hatten,  sich  der  geheiligten  Person 
eines  Tribun  zu  widersetzen,  und  er  wäre  ein  Opfer  seiner 
Rechtschaffenheit  und  des  Censoramts  geworden,  hätte  man 
nicht  noch  mit  Mühe  einen  Tribun  gefunden,  der  sich  ins 
Mittel  legte  und  ihn  von  der  Schwelle  des  Todes  zurück- 
brachte. Später  lebte  er  von  milden  Gaben  Anderer,  denn 
sein  Vermögen  war  von  dem,  den  er  früher  verurtheilt 
hatte,   den  Göttern  geweihet 4);  als  wenn  es  eine  noch  zu 

')  Wegen  seines  Feldzugs   in  Macedonien,  das  er  im  Jahre   14$ 
v.  Chr.  in  eine  römische  Provinz  verwandelte. 

2)  Campus  Martius,    wo    die  Wahlen   und   Volksversammlungen 
gehalten  wurden. 

3)  Von  diesem  Felsen  wurden  die  Verräther  des  Vaterlandes  und 
andere  Verbrecher  hinabgestürzt. 

')  Dergleichen  geweihete  Güter  waren  für  den  frühern  Besitzer 
unwiderbringlich  verloren. 


Siebentes  Buch.  51 

geringe  Strafe  gewesen  wäre,  dass  man  ihm  mit  einem 
»Strick  den  Hals  zugeschnürt  und  das  Blut  aus  den  Ohren 
gepresst  hatte.  Auch  dass  dieser  Macedonicus,  nach  seiner 
eigenen  Aussage,  mit  dem  Jüngern  Afrikanus  in  Feindschaft 
gelebt  hat,  möchte  ich  zu  seinen  widerwärtigen  Schicksalen 
rechnen.  Zwar  sagte  er  zu  seinen  Kindern:  Geht  meine 
Söhne,  erweiset  ihm  die  letzte  Ehre,  denn  nie  werdet  ihr 
die  Leiche  eines  grössern  Bürgers  sehen.  Und  diess  sagte 
er  zu  ihnen,  als  sie  schon  die  Beinamen  Balearicus  x)  und 
Diadematus  2)  hatten  und  er  schon  Macedonicus  hiess.  Aber 
wenn  wir  auch  nur  jene  einzige  Beleidigung  annehmen, 
wer  möchte  denn  wohl  den  mit  Recht  für  glücklich  halten, 
der  nach  der  Willkühr  eines  Feindes,  und  nicht  einmal 
eines  Afrikanus,  Gefahr  läuft  umzukommen?  Wie  viele 
Siege  wiegt  nicht  ein  solches  Ereigniss  auf?  Oder  wie  viele 
Ehrenstellen  und  Triumphzüge  liess  nicht  das  Schicksal 
durch  jenen  Gewaltstreich  in  den  Hintergrund  treten,  da 
ein  Censor  mitten  durch  die  Stadt  (und  diess  war  noch  die 
einzige  Ursache  seiner  Rettung  3),  auf  jenes  Capitolium  ge- 
schleppt wurde,  wohin  er  als  Triumphator  die  erbeuteten 
Gefangenen  nicht  einmal  auf  solche  Weise  hatte  bringen 
lassen.  Noch  mehr  trat  diese  Schandthat  durch  sein  nach- 
folgendes Glück  hervor,  indem  Macedonicus  dadurch  in  die 
Gefahr  kam,  sein  prächtiges  Leichenbegängniss  zu  verlieren ; 
seine  Kinder,  welche  bereits  triumphirt  hatten,  brachten  ihn 
auf  den  Scheiterhaufen,  und  so  glich  diese  Handlung  selbst 
einem  Triumphe.  In  der  That  ist  keine  Glückseligkeit  so 
gross,  dass  sie  nicht  durch  irgend  eine,  wenn  auch  nicht 
so  grosse  Schmach  im  Leben  unterbrochen  würde.  Uebri- 
gens  weiss  ich  nicht,  ob  es  den  Sitten  jener  Zeiten  zum 
Ruhme  gereichen,  oder  den  Schmerz  der  Entrüstung  steigern 


')  So  genannt  wegen  Ueberwindung  der  Bewohner  der  baleari- 
schen  Inseln. 

2)  So  genannt,  weil  er  die  durch  ein  Geschwür  verunstaltete  Stirn 
mit  einer  diademähnlichen  Binde  umwunden  hatte. 

3)  Wenn  er  nämlich  ohne  Widerstand  mit  auf   das  Capitolium 
gegangen  wäre,  würde  der  rettende  Tribun  zu  spät  gekommen  sein. 

4* 


52 


Siebentes  Buch. 


soll,  dass  bei  der  zahlreichen  Familie  der  Metelle  eine  so 
gräuliche  Frechheit  des  C.  Attinius  ungeahndet  blieb. 

46. 
Auchbeidem  Kaiser  Augustus,  den  die  ganze  Mensch- 
heit zu  den  Glücklichen  rechnet,  findet  man,  wenn  alles 
gehörig  erwogen  wird,  einengrossen  Wechsel  desmensch- 
lichenGeschicks.  Hierhergehören:  die  abschlägige  Ant- 
wort seines  Oheims  x),  als  er  um  den  Oberbefehl  bei  der 
Reiterei  anhielt  und  Lepidus  ihm  vorgezogen  wurde;  der 
Schimpf  der  Verbannung 2);  seine  Verbindung  mit  den 
schlechtesten  Bürgern  im  Triumvirat,  wobei  die  Gewalt 
nicht  einmal  gleich  vertheilt  war,  sondern  Antonius  das 
Uebergewicht  hatte;  seine  Krankheit  in  dem  philippensischen 
Treffen,  seine  Flucht  und  sein  dreitägiger  Aufenthalt  als 
Kranker  und  (wie  Agrippa  und  Maecenas  bezeugen)  durch 
die  Hautwassersucht  Aufgeschwollener  in  einem  Sumpfe; 
sein  sicilischer  Schiffbruch  3)  und  seine  zweite  Verbergung 
in  einer  dortigen  Höhle;  die  an  seinen  Freigelassenen 
Proculejus  gerichtete  Bitte,  ihn  zu  tödten,  als  ihn  auf  der 
Flucht  nach  dem  Seetreffen  der  Feind  hart  bedrängte4)- 
die  Sorge  wegen  der  perusinischen  Streitigkeiten5);  seine 
Noth  in  der  Schlacht  bei  Actium;  sein  Sturz  von  einem 
Thurme  im  pannonischen  Kriege;  die  häufigen  Empörungen 
der  Soldaten;  so  viele  gefährliche  Krankheiten  seines 
Körpers;   die   verdächtigen   Wünsche   des  Marcellus6);    die 

')  Julius  Caesar  im  J.  46  v.  Chr. 

2)  Während  des  Triumvirats  mit  Antonius  und  Lepidus. 

3)  Im  Kriege  gegen  Sextus  Pompejus.  S.  Sueton,  im  Leben  des 
Augustus. 

4)  Demochares  und  Apoll ophanes,  Feldherren  des  Pompeji!*, 
verfolgten  ihn,  und  er  entkam  mit  einem  einzigen  Schiffe. 

5i  Gegen  L.  Antonius,  den  Bruder  des  Triumvirn,  der  sich  in 
Perusia  festgesetzt  hatte;  nur  mit  Mühe  zwang  man  die  Stadt  zur 
Uebergabe. 

6)  Marcellus  war  der  Sohn  seiner  Schwester  Octaviu,,  mit  dem 
er  seine  Tochter  Julia  vermählt  hatte.  Er  kam  in  den  Verdacht 
als  strebe  er  nach  der  Alleinherrschaft,  starb  sehr  jung,  und  man 
glaubte  allgemein,  dass  Livia,  Augustus  Gemahn,  ihn  habe  vergiften 
lassen. 


Siebentes  Buch.  53 

ihn  so  drückende  Zurückziehung  des  Agrippa1);  so  viele 
Anschläge  auf  sein  Leben;  die  Beschuldigungen  wegen  des 
Todes  seiner  Kinder  2),  und  die  damit  verbundene  Trauer 
wegen  des  Verlusts  derselben;  die  schlechte  Aufführung 
seiner  Tochter  und  ihr  öffentlicher  Anschlag  auf  sein  Leben; 
die  kränkende  Entfernung  seines  Stiefsohnes  Nero  8);  der 
liederliche  Lebenswandel  seiner  Enkelin  4);  dann  eine  Menge 
anderer  Unglücksfälle:  Mangel  an  Sold;  der  Aufstand  in 
Illyrien  5);  die  Anwerbung  von  Sclaven;  der  Mangel  an 
junger  Mannschaft;  die  Pest  in  Rom  6);  Hungersnoth  und 
Dürre  in  Italien,  sein  Entschluss  zu  sterben  und  sein 
4tägiges  Fasten,  wodurch  er  grösstentheils  den  Grund  zu 
seinem  Tode  legte;  dazu  noch  die  Niederlage  des  Varus  7); 
die  arge  Beschimpfung  seines  Ansehens  8);  die  Verstossung 
des  Postumus  Agrippa  9),  nachdem  er  ihn  an  Kindes  Statt 
angenommen  hatte;  seine  nachherige  Sehnsucht  nach  dem- 
selben10); sein  Verdacht  gegen  Fabius n)  und  die  Furcht, 
dieser    möge    seine   Geheimnisse    verrathen;    endlich    die 


J)  M.  V.  Agrippa,  Augustus  Schwiegersohn,  ging  aus  Verclruss 
über  den  vermeintlichen  Vorzug,  den  August  dem  Marcellus  vor  ihm 
gab,  nach  Mithylene. 

-)  Man  gab  nänilich  der  Li  via  Schuld,  die  Enkel  August's,  Cajus 
und  Lucius,  aus  dem  Wege  geräumt  zu  haben,  um  ihrem  leiblichen 
Sohne  Tiberius  die  Nachfolge  zu  sichern. 

3)  Dieser  war  mit  der  Wittwe  des  Agrippa  (August's  Tochter) 
vermählt;  aus  Verdruss  aber  über  ihren  zügellosen  Lebenswandel 
entfernte  er  sich,  da  er  sie  wegen  ihres  Vaters  nicht  Verstössen 
wollte,  nach  Rhodus,  wo  er  8  Jahre  zubrachte. 

4)  Der  Jüngern  Julia,  Tochter  der  Julia  und  des  Agrippa. 

5)  Im  Jahre  35  v.  Chr.     6)  22  v.  Chr. 

7)  Durch  den  Cheruskerfürsten  Armin  im  Teutoburger  Walde. 

8)  Durch  Schmähschriften. 

9)  August  verwies  ihn  wegen  seines  schändlichen  unbändigen 
Charakters  auf  die  Insel  Planasia.  Hier  wurde  er  gleich  nach  Au- 
gust's Tode  auf  Tiberius  Befehl  ermordet.     Tacit.  I.  3. 

10)  Er  soll  ihn  sogar  an  seinem  Verbannungsorte  heimlich  be- 
sucht haben. 

")  Fabius  Maximus,  welcher  ihn  allein  nach  der  Insel  Planasia 
begleitet  hatte. 


54  Siebentes  Buch. 

Ränke  seiner  Gemalin  und  des  Tiberius,  seine  letzte 
Sorge.  Kurz,  dieser  Gott,  der  den  Himmel,  ich  weiss  nicht, 
ob  mehr  erreicht  oder  verdient  hat,  hinterliess  bei  seinem 
Tode  den  Sohn  seines  Feindes  *)  als  Erben. 

47. 
Bei  dieser  Betrachtung  fallen  mir  jene  delphischen 
Orakel  ein,  welche  der  Gott,  gleichsam  um  die  Eitelkeit 
der  Menschen  dadurch  zu  strafen,  ertheilte.  Es  sind  fol- 
gende zwei:  „Pedius,  welcher  kürzlich  für  sein  Vaterland 
gestorben,  ist  der  Glücklichste."  Wiederum  von  Gyges, 
dem  damals  mächtigsten  Könige  befragt,  antwortete  das 
Orakel:  „Aglaus  von  Psophis2)  ist  glücklicher  als  du." 
Diess  war  ein  alter  Mann,  der  in  der  engsten  Spitze  Arka- 
diens ein  kleines,  aber  für  seinen  Lebensunterhalt  völlig 
hinreichendes  Landgut  bebauete,  dasselbe  niemals  verlassen 
und  (wie  aus  seiner  Lebensweise  deutlich  hervorgeht) 
bei  den  geringsten  Wünschen  nicht  das  mindeste  Unglück 
in  seinem  Leben  erfahren  hatte. 

48. 
Der  Faustkämpfer  Euthymus,  der  zu  Olympia  stets 
Sieger,  und  nur  einmal  besiegt  war 3) ,  wurde  noch  bei 
seinen  Lebzeiten  und  Bewusstsein  auf  Befehl  desselben 
Orakels  und  mit  Zustimmung  Jupiters,  des  höchsten  der 
Götter,  heiliggesprochen.  Sein  Vaterland  war  Locri  in  Italien: 
seine  daselbst  aufgestellte  Statue  und  eine  zweite  zu  Olympia 
wurden  an  ein  und  demselben  Tage  vom  Blitze  getroffen, 
worüber  sich,  wie  ich  sehe,  Callimachus  4)  mehr  als  über 
irgend  etwas  Anderes  verwunderte,  weshalb  er  rieth,  ihm 
Opfer  darzubringen,  was  auch  während  seines  Lebens  und 
nach  seinem  Tode  mehrmals  geschah.  Hierbei  ist  aber 
nichts  merkwürdiger,  als  dass  die  Götter  sich  dieses  ge- 
fallen liessen. 


')  Der  erste  Mann  der  Livia;  der  Vater  des  Tiberius,   stand  bei 
der  Partei  des  Antonius  gegen  Augustus. 

2)  Stadt  in  Arcadien.  S.  IV.  B.  10.  Cap. 

3)  Nämlich  nur  durch  List  und  Betrug.     *)  Der  Dichter. 


Siebentes  Buch.  55 

49. 
Ueber  die  Dauer  des  menschlichen  Lebens  lässt 
sich  nichts  Gewisses  sagen,  da  nicht  bloss  das  Klima  der 
Länder,  sondern  auch  die  abweichenden  Berichte  der  Schrift- 
steller und  das  über  Jeden  bei  der  Geburt  verhängt  wer- 
dende Geschick  eine  solche  Bestimmung  unsicher  machen. 
Hesiodus1),  der  zuerst  darüber  geschrieben  hat,  erzählt 
nach  meiner  Ansicht  viel  Fabelhaftes  über  das  Alter  des 
Menschen  und  behauptet:  die  Krähe  lebe  neunmal  so  lange 
als  wir,  der  Hirsch  viermal  so  lange  als  die  Krähe,  und 
der  Rabe  dreimal  so  lange  als  der  Hirsch.  Was  er  vom 
Phönix  und  den  Nymphen  sagt,  ist  noch  unglaublicher. 
Der  Dichter  Anacreon  gibt  dem  Arganthonius,  Könige  der 
Tartesser,  150  Jahre,  dem  Cyprischen  Könige  Cinyras  noch 
10  Jahre  mehr,  dem  Aeginius  200,  Theopomp  dem  Epime- 
nides  von  Gnossus  2)  153.  Hellanicus  erzählt,  dass  manche 
unter  den  in  Aetolien  wohnenden  Epiern  200  Jahre  alt 
würden.  Ihm  pflichtet  Damastes  3)  bei  und  bemerkt  uoch, 
dass  einer  von  ihnen,  Pictoreus,  der  sich  durch  seinen 
Körper  und  seine  Kräfte  auszeichnete,  sogar  300  Jahre  ge- 
lebt habe.  Ephorus  sagt,  die  Könige  von  Arcadien  würden 
300  Jahre  alt.  Nach  Alexander  Cornelius  hat  ein  gewisser 
Dando  in  Illyrien  ein  Alter  von  500  Jahren  erreicht. 
Xenophon  sagt  in  seinem  Periplus,  ein  König  der  lutmischen 
Insel  4)  sei  600  und,  gleichsam  als  hätte  er  noch  zu  wenig 
gelogen,  dessen  Sohn  sei  800  Jahre  alt  geworden.  Alle 
diese  Berichte  sind  aus  der  Unkenntniss  der  verschiedenen 
Zeitrechnungen  hervorgegangen;  denn  Einige  rechneten  den 
Sommer  für  ein  Jahr  und  den  Winter  für  ein  zweites,  An- 
dere, wie  die  Arcadier,  machten  sogar  aus  1  Jahre  4,  so 
dass  jedes  ihrer  Jahre  nur  3  Monate  hatte;  wieder  Andere 


1)  Aus  Cumae  in  Aeolis,  zwischen  800  und  900  v.  Chr. 

2)  Auf  der  Insel  Kreta,  von  Einigen  an  Perianders  Stelle  unter 
<lie  7  Weisen  Griechenlands  gesetzt,  lebte  im  7.  und  6.  Jahrh.  v.  Chr. 

3)  Von  Sigeum,  Schüler  des  Hellanicus  und  Zeitgenosse  Herodots. 

4)  Die  Lutraier  wohnten  in  Bithynien  am  schwarzen  Meere. 


56  Siebentes  Buch. 

wie  die  Aegypter,  rechnen  nach  dem  Laufe  des  Mondes, 
und  daher  erklärt  sich  die  Angabe,  dass  unter  ihnen  Leute 
1000  Jabre  alt  geworden  wären. 

Allein  um  nun  auf  zuverlässige  Angaben  tiberzugehen 
so  ist  es  gewiss,  dass  Arganthonius,  ein  Gaditaner,  nahe 
an  80  Jahre  regiert  hat,  und  man  glaubt,  dass  er  erst  im 
40.  Jahre  die  Kegierung  angetreten  habe.  Dass  Massinissa 
60  Jahre  regiert  hat,  ist  keinem  Zweifel  unterworfen,  eben- 
so dass  der  Sicilianer  Gorgias  108  Jahre  alt  geworden  ist. 
Q.  Fabius  Maximus  war  63  Jahre  lang  Augur.  M.  Perperna 
und  noch  vor  Kurzem  L.  Voluhius  Saturninus  haben  alle 
Senatoren,  welche  sie  während  ihres  Consulats  um  ihre 
Meinung  befragt  hatten  J),  überlebt.  Perperna  hinterliess 
nur  7  von  denen,  welche  er  als  Censor  gewählt  hatte,  und 
lebte  98  Jahre.  Bei  dieser  Gelegenheit  will  ich  noch  des 
Umstandes  erwähnen,  dass  im  Ganzen  nur  einmal  ein  Zeit- 
raum von  5  Jahren  verflossen  ist,  in  welchem  kein  Senator 
starb,  nämlich  von  der  Zeit  an,  wo  die  Censoren  Flaccus 
und  Albinus  ihr  Lustrum  feierten  bis  zu  den  nächsten  Cen- 
soreD,  vom  Jahre  579  der  Stadt  Rom  an.  M.  Valerius 
Corvinus  wurde  100  Jahre  alt,  uud.  zwischen  seinem  ersten 
und  sechsten  Consulate  waren  46  Jahre  verflossen.  Eben- 
derselbe hat  21  mal  die  Sella  curulis  2)  inne  gehabt,  welche 
Ehre  keinem  Andern  so  oft  zu  Theil  geworden  ist.  Der 
Oberpriester  Metellus  erreichte  ein  eben  so  hohes  Alter. 

Unter  den  Frauen  wurde  Livia,  die  Gattin  des  Rutilius, 
über  96  Jahre  alt.  Statilia,  unter  der  Regierung  des  Clau- 
dius, aus  einem  vornehmen  Hause,  99,  Terentia,  Cicero's 
Gattin,  103,  Clodia,  Ofilius  Gattin,  115,  und  diese  ist  15  mal 
entbunden   worden.    Lucceja,    eine    mimische    Künstlerin, 


')  D.  h.  alle  Senatoren,  welche  zur  Zeit  ihres  Consulats  vorhan- 
den waren. 

s)  Ein  mit  Elfenbein  ausgelegter  Stuhl  für  die  Consule,  Prätoren 
und  Aediles  curules,  welcher  zusammengelegt  werden  konnte.  Das 
Wort  curulis  ward  von  currus  abgeleitet,  weil  die,  welche  ihn  brauch- 
ten, ihn  zusammengelegt  in  ihrem  Wagen  bei  sich  führten. 


Siebentes  Buch.  57 

sprach  noch  in  ihrem  lOOsten  Jahre  auf  der  Bühne.  Die  in 
den  Zwischenspielen  auftretende  Tänzerin  Galeria  Copiola 
betrat,  als  unter  den  Consuln  C.  Poppäus  und  Q.  Sulpicius  *) 
die  für  die  Gesundheit  des  Kaiser  Augustus  gelobten  Spiele 
gefeiert  wurden,  nochmals  die  Bühne;  sie  war  zum  ersten 
Male  in  ihrem  8.  Jahre  vom  Volksaedil  M.  Pomponius,  unter 
den  Consuln  C.  Marius  und  Cn.  Carbo2),  vor  90  Jahren 
auf's  Theater  gebracht,  und  wurde  vom  grossen  Pompejus 
bei  der  Einweihung  seines  Schauspielhauses,  als  ein  altes 
Weib  zur  allgemeinen  Verwunderung  wieder  auf  die  Bühne- 
geführt.  Auch  Sammula  soll,  wie  Asconius  Pedianus 3)  sagtr 
100  Jahre  alt  geworden  sein.  Weniger  wundere  ich  mich 
darüber,  dass  Stephanio  (der  zuerst  den  Tanz  in  der  Toga 
einführte)  bei  beiden  Secularspielen 4)  getanzt  hat,  nämlich 
bei  denen  des  Kaisers  Augustus  und  denen,  welche  der 
Kaiser  Claudius  während  seines  4.  Consulates  veranstaltete, 
denn  zwischen  beiden  lag  nur  ein  Zeitraum  von  63  Jahren, 
obgleich  er  auch  nachher  noch  lange  gelebt  hat.  Auf  der 
höchsten  Spitze  des  Berges  Tmolus,  welche  Tempsis  heisst, 
werden  nach  Mutianus  die  Bewohner  150  Jahre  alt.  Für 
ebenso  alt  wurde  bei  der  Volkszählung  des  Kaisers  Clau- 
dius der  Bononienser  Fullonius  angegeben,  was  sich  auch 
aus  der  Vergleichung  seiner  frühern  Angaben  und  den  Be- 


»)  9  nach  Chr.     2)  82  v.  Chr. 

3)  Aus  Padua,  Grammatiker,  Freund  des  Livius  und  Silius  Itali- 
cus,  unter  Claudius  und  Nero,  schrieb  einen  Commentar  über  11 
Reden  Cicero 's. 

'*)  Ludi  seculares  nannte  man  bei  den  Römern  das  feierlichste^, 
heiligste  Fest,  welches  für  die  Erhaltung  des  Staats  angestellt  wurde. 
Der  Name  kommt  her  von  Saeculum,  worunter  man  die  Lebensdauer, 
eines  Menschen  verstand;  denn  sie  wurden  nicht  eher  wiederholt, 
als  bis  man  glaubte,  dass  von  der  ganzen  Generation,  welche  bei 
der  vorigen  Feier  derselben  gegenwärtig  war,  keiner  mehr  übrig  sei. 
Augustus  verordnete,  dass  sie  alle  1 1 9  Jahre  gefeiert  werden  sollten^ 
und  beging  sie  17  J.  v.  Chr.  Allein  schon  Claudius  wich  nach  63 
Jahren  von  dieser  Verordnung  ab.  Ueber  ihren  Ursprung  lese  man 
Yalerius  Maximus  II.  4. 


58  Siebentes  Buch. 

weisen   seiner   Lebensumstände   (denn   darum  bekümmerte 
sich  der  Kaiser  ebenfalls  gern)  als  richtig  erwies. 

50. 
Hier  scheint  es  passend  zu  sein,  auch  die  Meinung  der 
Sternkundigen  anzuführen.  Epigenes  *)  behauptet,  der  Mensch 
könne  nicht  112  Jahre  alt  werden,  Berosus  sagt,  nicht  über 
117.  Es  besteht  auch  noch  die  Berechnung  des  Petosiris 
und  Necepsos,  welche  nach  der  Eintheilung  (des  Thierkreises) 
in  je  drei  Sternbilder  Tartemorion  heisst,  und  aus  welcher 
sich  ergiebt,  dass  man  in  dem  Himmelsstriche  von  Italien 
ein  Alter  von  124  Jahren  erreichen  könne.  Jene  läugnen 
nämlich,  dass  ein  Mensch  das  Aufgangsmaass  von  90  Graden 2) 
(welches  sie  Anaphoren  nennen)  überlebe,  und  sagen,  diese 
Anaphoren  selbst  würden  durch  das  Begegnen  bösartiger 
Gestirne,  ja  sogar  schon  durch  deren  Strahlen  und  die  der 
Sonne  verstümmelt.  Ebenfalls  lehrt  die  spätere  Schule  des 
Aesculap  3),  dass  die  Dauer  des  Lebens  von  den  Sternen  ab- 
hinge, allein  wie  hoch  sie  das  längste  annimmt,  ist  unge- 
wiss. Seltener  aber  soll  deshalb  ein  langes  Leben  sein, 
weil  viele  Menschen  in  wichtigen  Zeitpunkten  von  Stunden 
und  Tagen,  die  unter  dem  Einflüsse  des  Mondes  stehen, 
wie  es  mit  der  7.  und  15.  (Tag  und  Nacht  gerechnet)  der 
Fall  ist,  geboren  werden;  diesen  werden  dann  die  Stufen- 
jahre 4)  tödtlich  und  sie  überleben  nicht  leicht  das  54.  Jahr. 


1)  Von  Rhodus,  Astronom  aus  dem  2.  Jahrb.  v.  Chr. 

2)  Oder  drei  Zeichen  des  Thierkreises.  Nach  der  Lehre  der 
Astrologen  ist  die  Jahrbestimmung  aus  den  Zeichen  des  Thierkreises 
nicht  überall  dieselbe,  sondern  richtet  sich  nach  der  Lage  der  von 
den  alten  Astronomen  gezogenen  Parallelkreise  und  der  verschiede- 
nen Neigung  des  Himmels.  In  Rom  war  nach  Julius  Firmicus  Ma- 
ter nus  die  Zahlbestimmung  der  Zeichen  folgende:  Widder  =17 
Jahren,  Stier  =  22,  Zwillinge  =  27,  Krebs  =  22,  Löwe  =  37,  Jung- 
frau =  42,  Wage  =  42,  Scorpion  =  37,  Schütze  —  32,  Stein- 
bo  ck  =  27,  Wassermann  =  22,  Fische  =  17.  War  nun  dort  Jemand 
im  Zeichen  des  Widders  geboren,  so  konnte  er  17  +  22  -f-  27  = 
■66  Jahre  leben  u.  s.  w. 

3)  Ein  nicht  näher  bekannter  griechischer  Astronom. 

4)  Diess  sind  solche,  deren  Zahl  von  zwei  miteinander  multipli- 
•cirten  Zahlen  gebildet  wird,  z.  B.  6  x  9  =  54. 


Siebentes  Buch.  59 

Allein  vor  allem  zeigt  schon  die  Unbeständigkeit  in 
dieser  Kunst,  wie  ungewiss  die  ganze  Sache  ist.  Dazu 
kommen  noch  die  Erfahrungen  und  Beispiele  der  letzten 
Schätzung,  welche  die  beiden  Kaiser  Vespasianus,  Vater 
und  Sohn,  als  Censoren  l)  hielten.  Wir  brauchen  nicht  ein- 
mal alle  Register  durchzugehen,  sondern  heben  nur  einige 
Beispiele  aus  dem  mittlem,  zwischen  dem  Apenninus  und 
Padus  liegenden  Thale  Italiens  heraus.  In  Parma  waren 
3  Personen  von  120  Jahren,  in  Brixellum  eine  von  125,  in 
Parma  2  von  130,  in  Placentia  1  von  130,  in  Faventia 
1  Weib  von  132,  in  Bononia  L.  Terentius,  der  Sohn  des 
Marcus,  zu  Ariminum  aber  M.  Aponius,  beide  von  140,  Ter- 
tulla  daselbst  von  137  Jahren.  In  der  Umgebung  von 
Placentia  auf  den  Hügeln  liegt  die  Stadt  Velejacium,  in 
welcher  6  Personen  ihr  Alter  auf  110  Jahre,  4  auf  120  und 
1,  Namens  M.  Marcius  Felix,  des  Marcus  Sohn  aus  der 
Galerischen  Bürgerklasse,  zu  140  angaben.  Allein  um  uns 
nicht  länger  bei  einer  ausgemachten  Sache  aufzuhalten,  so 
sind  im  8.  Bezirke  Italiens  54  Personen  von  100,  14  von 
110,  2  von  125,  4  von  130,  ebensoviele  von  135  oder  137, 
und  3  von  140  Jahren  eingetragen  worden. 

Andere  Beispiele  von  der  Unbeständigkeit  des  mensch- 
lichen Geschicks  sind  folgende.  Homer 2)  erzählt,  Hector 
und  Polydamas,  Männer  von  so  verschiedenen  Schicksalen  3)? 
wären  in  Einer  Nacht  geboren.  Zur  Zeit  als  C.  Marius 
und  Cn.  Carbo  zum  dritten  Male  Consuln  4)  waren,  wurdeu 
an  Einem  Tage,  nämlich  am  28.  Mai,  M.  Cäcilius  Rufus  und 
C.  Licinius  Calvus  geboren,  die  zwar  beide  Redner  wurden, 
aber  mit  sehr  verschiedenem  Erfolge  5).  Doch  das  ereignet 
sich    täglich   auf  der  Welt,   und  sogar  bei  solchen,  die  in 


»)  74  n.Chr. 

»)  Iliade  XVIII.  249. 

3)  Ersterer  war  ein  tapferer  Krieger,  letzterer  ein  guter  Redner. 

4)  82  v.  Chr. 

5)  Der  erstere  war  ein  schlechter,   der  andere  ein  vorzüglicher 
Redner. 


ßO  Siebentes  Buch. 

ein   und   derselben  Stunde   zur  Welt   kommen,   da   Herren 
und  Knechte,  Könige  und  Bettler  zugleich  geboren  werden^ 

51. 

Publius  Cornelius  Rufus,  der  mit  M.  Curius  zugleich 
Consul  war  *),  wurde  im  Schläfe  blind,  eben  da  er  träumte, 
dass  ihm  diess  widerführe.  Dahingegen  fand  Jason  von 
Pherä  2),  der  wegen  eines  Geschwürs  von  den  Aerzten  schon 
aufgegeben  war,  als  er  den  Tod  in  der  Schlacht  suchte, 
seine  Heilung  in  einer  vom  Feinde  erhaltenen  Brustwunde. 
Der  Consul  Q.  Fabius  Maximus 3)  wurde  während  der 
Schlacht  gegen  die  Allobroger  und  Arverner  am  Flusse 
Isara  am  8.  August,  in  welcher  130,000  Feinde  fielen,  von 
viertägigem  Fieber  befreiet. 

Zu  unsicher  und  gebrechlich  ist  diess  Geschenk  der 
Natur,  was  uns  auch  davon  zu  Theil  wird;  selbst  bei  denen, 
welche  am  reichlichsten  bedacht  wurden ,  zeigt  es  sich 
launig  und  kurz,  wenn  man  die  ganze  Lebenszeit  betrachtet. 
Zieht  man  die  Zeit  der  nächtlichen  Ruhe  ab,  lebt  da  nicht 
der  Mensch  nur  die  Hälfte  seines  Lebens?  Also  bringt  er 
die  andere  Hälfte  in  einem  todesähnlichen  Zustande,  oder 
wenn  er  nicht  schlafen  kann,  in  Pein  hin;  und  hierbei  sind 
nicht  einmal  die  Jahre  der  Kindheit,  wo  der  Verstand  noch 
mangelt,  noch  die  des  Alters,  welche  dem  Lebenslustigen 
zur  Strafe  dienen,  in  Anschlag  gebracht.  So  viele  Arten 
von  Gefahren,  so  viele  Krankheiten,  Angst  und  Sorgen 
giebt  es,  dass  kein  Wunsch  häufiger  ausgesprochen  wird 
als  der,  zu  sterben.  Die  Natur  hat  also  dem  Menschen 
nichts  Besseres  verliehen  als  Kürze  des  Lebens.  Die  Sinne 
werden  stumpf,  die  Glieder  erstarren,  Gesicht,  Gehör,  Gang, 
sogar  die  Zähne  und  die  zur  Nahrung  nöthigen  Organe 
schwinden,  und  dennoch  wird  diese  Zeit  zum  Leben  ge- 
rechnet.   Daher  war  es   ein  Wunder  und  man  kennt  auch. 


')  290  v.  Chr. 

2)  Ein  berühmter  Feldherr,  starb  371  v.  Chr. 

3)  121  v.  Chr.     Sein  College  war  Lucius  Opimius. 


Siebentes  Buch.  61 

nur  ein  einziges  Beispiel,  nämlich  dass  der  Musiker  Xeno- 
philus  ohne  irgend  eine  Unbequemlichkeit  des  Körpers» 
105  Jahre  lang  gelebt  hat.  Allein  bei  allen  übrigen 
Menschen  stellt  sich,  was  bei  keinem  andern  Thiere  der 
Fall  ist,  an  den  einzelnen  Theilen  der  Glieder  zu  gewissen 
Stunden  eine  verderbliche  Hitze  oder  Kälte  ein,  und  zwar 
nicht  nur  zu  gewissen  Stunden,  sondern  auch  nach 
3 — 4  Tagen,  ja  sogar  ganze  Jahre  hindurch.  Aber  aus 
Vorsatz  zu  sterben  *),  ist  ebenfalls  eine  Krankheit;  denn 
die  Natur  hat  auch  die  Krankheiten  gewissen  Gesetzen 
unterworfen.  Das  4tägige  Wechselfieber  nimmt  nie  am 
kürzesten  Tage,  oder  in  den  Wintermonaten  seinen  Anfang; 
einige  Krankheiten  treten  nach  dem  60.  Lebensjahre  nicht 
mehr  ein,  andere  verlieren  sich  mit  Eintritt  der  Mannbar- 
keit, besonders  beim  weiblichen  Geschlechte.  Alte  Leute 
werden  am  wenigsten  von  der  Pest  befallen.  Manche  Krank- 
heiten treffen  ganze  Völker,  andere  bloss  Sclaven,  oder 
Vornehme  oder  auch  andere  Stände.  Ebenso  hat  man  die 
Beobachtung  gemacht,  dass  die  Pest  ihren  Gang  immer 
von  Mittag  gegen  Westen  und  fast  nie  anders  nimmt,  dass 
sie  nie  im  Winter  erscheint  und  nie  über  3  Monate  dauert. 

52. 
Jetzt  wollen  wir  die  Anzeigen  des  nahe  bevorstehenden 
Todes  anführen.  Bei  der  Raserei  das  Lachen;  bei  Krank- 
heiten, wo  das  Bewusstsein  bleibt,  ein  Pflücken  und  Falten 
der  Kleider  und  des  Bettzeuges,  ein  Nichtachten  auf  die- 
jenigen, von  denen  der  Kranke  aufgeweckt  wird,  die  frei- 
willige Entleerung  der  natürlichen  Bedürfnisse.  Das  sicherste 
Kennzeichen  aber  giebt  das  Aussehen  der  Augen  und  Nase, 
und  selbst  das  beständige  Liegen  auf  dem  Rücken,  ferner 
der  ungleiche  oder  schwache  Pulsschlag,  und  was  sonst 
noch  Hippocrates  2),  der  grösste  Arzt,  beobachtet  hat.  So 
unzählige  Merkmale   des  Todes   es  nun  giebt,  so  hat  man 


*)  D.   h.    allen    diesen   Uebeln    durch    Selbstmord   ein    Ende    zu 
machen. 

-)  Geb.  auf  der  Insel  Cos  460  v.  Chr.,  gestorben  ebendaselbst  356. 


£2  Siebentes  Buch. 

dagegen  kein  sicheres  für  Gesundheit  und  Lebensdauer,, 
daher  auch  der  Censor  Cato,  in  einem  Schreiben  an  seinen 
Sohn  über  Gesunde,  die  einem  Orakel  ähnliche  Bemerkung 
macht,  dass  eine  altkluge  Jugend  das  Zeichen  eines  frühen 
Todes  sei.  Krankheiten  giebt  es  eine  unendliche  Menge. 
So  starb  Pherecydes  aus  Syrus  an  Schlangen,  welche  in 
Menge  aus  seinem  Körper  hervorkrochen  *).  Manche  leiden 
beständig  am  Fieber,  wie  C.  Maecenas  2),  der  in  den  letzten 
3  Jahren  seines  Lebens  keinen  Augenblick  schlafen  konnte. 
Der  Dichter  Antipater  von  Sidon  3)  bekam  jährlich  einmal 
und  zwar  an  seinem  Geburtstage  das  Fieber  und  starb  auch 
daran  im  hohen  Alter. 

53. 
Der  Consular  Aviola  4)  lebte  auf  dem  Scheiterhaufen 
wieder  auf,  da  man  ihm  aber  wegen  der  überhand  nehmen- 
den Flamme  nicht  zu  Hülfe  kommen  konnte,  so  verbrannte 
er  lebendig.  Ein  ähnlicher  Vorfall  wird  von  dem  gewesenen 
Prätor  L.  Lamia 5)  erzählt,  Auch  der  Prätor  C.  Aelius 
Tubero  soll  wieder  vom  Scheiterhaufen  getragen  worden 
sein,  wie  Messala,  Rufus  und  viele  Andere  erzählen.  So 
ist  das  Schicksal  der  Sterblichen,  zu  diesen  und  ähnlichen 
Zufällen  sind  wir  geboren,  so  dass  man  bei  dem  Menschen 
nicht  einmal  dem  Tode  trauen  darf.  Unter  andern  Bei- 
spielen habe  ich  auch  gefunden,  dass  die  Seele  des  Her- 
motimus  von  Clazomenä  ihren  Körper  verlassen  habe,  um- 
hergeirrt sei  und  dabei  vieles  von  entfernten  Orten  her 
verkündigt  habe,  was  kein  Anderer  als  einer,  der  selbst 
dort  gewesen,  hätte  wissen  können;  während  dem  habe  der 
Körper   in   Ohnmacht   gelegen,    bis    endlich   seine   Feinde 

')  Mit  anderen  Worten:  Er  hatte  die  Läusekrankheit. 

-)  Cajus  Cilnius  Maecenas,  einer  der  angesehensten  Römer  aus 
der  Zeit  des  Augustus  und  dessen  Freund,  eifriger  Förderer  und  Be- 
sitzer der  "Wissenschaften,  starb  8  v.  Chr. 

3)  Geb.  100  v.  Chr.,  lehrte  zu  Athen. 

')  Der  19  n.  Chr.  die  Andecaver  und  Turonen  in  Gallien  .schlug. 
S.  Tacit.  Annal.  III.  41. 

5)  Er  war  42  v.  Chr.  Prätor. 


Siebentes  Buch.  63 

(welche  Canthaviden  genannt  wurden)  ihn  verbrannt,  und 
dadurch  der  wiederkehrenden  Seele  gleichsam  ihr  Gehäuse 
genommen  hätten.  Dem  Aristeas  in  Proconnesus  will  man 
die  Seele,  in  Gestalt  eines  Raben,  aus  dem  Munde  haben 
fliegen  sehen,  wobei  noch  mehrere  andere  fabelhafte  Dinge 
erzählt  werden.  Etwas  ähnliches  habe  ich  auch  von  Epi- 
menides  aus  Gnossus  erfahren.  Ein  durch  die  Hitze  des 
Tages  und  das  Gehen  erschöpfter  Knabe  soll  in  einer 
Höhle  57  Jahre  lang  geschlafen  haben;  beim  Erwachen 
wunderte  er  sich  über  die  Veränderung  der  um  ihn  be- 
findlichen Gegenstände,  gleichsam  als  wenn  er  vom  vorigen 
Tage  her  erwacht  wäre;  von  da  an  wurde  er  in  ebenso 
vielen  (57)  Tagen  zum  alten  Manne,  erreichte  jedoch  ein 
Alter  von  157  Jahren.  Das  weibliche  Geschlecht  scheint 
diesem  Uebel  *)  am  meisten  ausgesetzt  zu  sein  bei  der  Ver- 
drehung der  Gebärmutter;  wenn  aber  diese  Krankheit  ge- 
hoben wird,  so  kehrt  auch  das  Leben  wieder  zurück.  Dieser 
Gegenstand  betrifft  das  bei  den  Griechen  so  berühmte 
Werk  des  Heraclides  2)  über  eine  Frau,  welche  nach  einer 
7tägigen  Ohnmacht  wieder  ins  Leben  gerufen  wurde. 

Auch  Varro  erzählt,  dass  zu  der  Zeit,  wo  er  als  einer 
der  Zwanzigmänner  die  Ackervertheilung  zu  Capua  besorgt 
habe,  ein  Mensch,  der  als  Leiche  hinausgetragen  wurde,  zu 
Fuss  wieder  nach  Hause  gegangen  sei.  Dasselbe  soll  sich 
zu  Aquinum  ereignet  haben.  Auch  zu  Rom  sei  Corfidiusr 
der  Gemal  seiner  Mutter  Schwester,  nachdem  schon  das 
Leichenbegängniss  angeordnet  gewesen,  wieder  aufgelebt, 
und  der  Anordner  sei  von  ihm  zu  Grabe  geleitet.  Er  fügt 
auch  noch  andere  wunderbare  Vorfälle  an,  die  wir  am  besten 
ganz  vollständig  erzählen.  Von  2  Brüdern  Corfidius  aus 
dem  Ritterstande  war  der  ältere  scheinbar  gestorben,  und 
nach  Eröffnung  des  Testaments  ordnete  der  darin  zum 
Erben  eingesetzte  jüngere  das  Leichenbegängniss  an;  in- 
zwischen ruft  der  ältere  durch  Händeklatschen  die  Diener- 


')  Nämlich  dem  Scheintode. 

2)  Von  Odessus  in  Pontus,  Schüler  des  Aristoteles. 


£4 


Siebentes  Buch. 


Bckaft  zusammen  und  erzählt,  er  komme  von  seinem  Bruder, 
der  ihm  seine  Tochter  empfohlen,  ihm  ausserdem  noch  einen 
Ort  angegeben,  wo  er  ohne  Mit  wissen  eines  Andern  Gold 
vergraben  hätte,  und  gebeten  habe,  ihn  so,  wie  es  von  ihm 
angeordnet  sei,  zu  beerdigen.  Während  dieser  Erzählung 
brachten  die  Diener  seines  Bruders  die  Nachricht,  dass 
dieser  plötzlich  gestorben  sei,  und  das  Gold  fand  sich  wirk- 
lich an  dem  bezeichneten  Platze.  Eine  grosse  Menge  solcher 
Vorhersagungen  findet  man  verbreitet,  allein  wir  übergehen 
sie,  da  sie  oft  falsch  sind,  wie  wir  durch  ein  ausserordent- 
liches Beispiel  zeigen  wollen.  Im  sicilischen  Kriege  wurde 
Gabienus,  ein  sehr  tapferer  Seesoldat  Cäsars,  von  Sextus 
Pompejus  gefangen  genommen  und  auf  dessen  Befehl  ent- 
hauptet; der  Kopf  hing  kaum  noch  mit  dem  Rumpfe  zu- 
sammen und  so  lag  er  einen  ganzen  Tag  an  der  Küste. 
Gegen  Abend  bat  er  unter  Seufzen  die  um  ihn  zahlreich 
versammelten  Menschen  auf's  flehentlichste,  dem  Pompejus 
zu  sagen,  er  möge  entweder  selbst  zu  ihm  kommen  oder 
einen  seiner  Vertrauten  schicken,  denn  er  sei  aus  der  Unter- 
welt zurückgekehrt  und  habe  ihm  etwas  zu  verkündigen. 
Pompejus  sandte  mehrere  seiner  Freunde,  zu  denen  Gabie- 
nus sagte:  den  unterirdischen  Göttern  gefielen  die  frommen 
Pläne  *)  des  Pompejus,  daher  würden  sie  auch  nach  seinem 
Wunsche  in  Erfüllung  gehen  2);  diese  Nachricht  habe  er 
ihn  bringen  sollen,  und  zum  Beweise  der  Wahrheit  würde 
er  sogleich  nach  vollbrachtem  Auftrage  den  Geist  aufgeben. 
Diess  geschah  auch  wirklich.  Es  giebt  ferner  Beispiele 
von  Menschen,  die  nach  dem  Begräbniss  wieder  gesehen 
sind;  allein  wir  übergehen  sie,  denn  unser  Zweck  ist,  die 
Werke  der  Natur,  nicht  die  Wunder  kennen  zu  lernen. 

54. 
Ganz   besonders   merkwürdig  sind  die  häufig  vorkom- 


')  Er  wollte  seinen  Vater,  den  grossen  Pompejus,  rächen. 
2)  Was  nicht  der  Fall  war,  denn  S.  Pompejus  wurde  nach  man- 
cherlei Schicksalen  ermordet. 


Siebentes  Buch.  65 

inenden  plötzlichen  Todesfälle  (eigentlich  das  grösste 
Glück  des  Lebens),  die  aber,  wie  ich  zeigen  werde,  auf 
natürlichen  Ursachen  beruhen.  Eine  grosse  Menge  der- 
selben führt  Verrius  l)  an,  ich  will  jedoch  davon  nur  einige 
zur  Mittheilung  auswählen.  Vor  Freude  starben,  ausser 
dem  schon  erwähnten  Chilo  2),  Sophocles  3)  und  Dionysius, 
der  Tyrann  Siciliens,,  beide  bei  der  Nachricht,  dass  ihre 
Trauerspiele  den  Sieg  davon  getragen  hätten;  ferner  jeue 
Mutter  nach  der  Schlacht  bei  Cannä,  die,  vorher  durch  eine 
falsche  Nachricht  getäuscht,  plötzlich  ihren  Sohn  wohlbe- 
halten wiedersah.  Vor  Schaam  starb  Diodorus  4),  ein  Lehrer 
der  Dialectik,  weil  er  bei  einem  scherzhaften  Thema  auf 
die  Fragen  des  Stilpo  5)  nicht  sogleich  antworten  konnte. 

Ohne  sichtbare  Ursachen  starben  des  Morgens  beim 
Anziehen  der  Schuhe  zwei  Cäsaren  6),  der  eine  als  fungiren- 
der  Prätor,  der  andere,  welcher  der  Vater  des  Dictator 
Cäsar  war,  als  gewesener  Prätor,  dieser  zu  Pisa,  Jener  zu 
Rom.  Q.  Fabius  Maximus  starb  als  Consul  am  31.  Dec. 
(an  dessen  Statt  sich  um  die  nur  noch  einige  Stunden  dau- 
ernde Würde  7)  C.  Rebilus  bewarb);  desgleichen  der  Senator 
C.  Vulcatius  Gurges;  alle  diese  ereilte  der  Tod  so  gesund 
und  unerwartet,  dass  sie  eben  im  Ausgehen  begriffen  waren. 
Q.  Aemilius  Lepidus  starb,  als  er  beim  Herausgehen  aus 
dem  Zimmer  mit  der  grossen  Zehe  an  die  Schwelle  stiess; 
C.  Aufustius,  als  er  in  den  Senat  ging,  und  an  dem  Ver- 
sammlungsorte mit  einem  Fusse  anstiess.  Auch  der  Ge- 
sandte, welcher  die  Angelegenheit  der  Rhodier  mit  allge- 
meiner Bewunderung  im  Senate  vorgetragen  hatte,  starb 
plötzlich   auf  der  Schwelle   des   Rathhauses,  als   er  eben 


')  Verrius  Flaccus,  Grammatiker,  war  Lehrer  von  August' s  En- 
keln, Cajus  und  Lucius,  und  starb  unter  Tiberius'  Regierung. 
-)  S.  32.  Cap.     3)  In  seinem  90.  Lebensjahre. 

4)  Aus  Jasus  in  Carien,  lebt«  gegen  Ende  des  4.  Jahrb.  v.  Chr. 

5)  Aus  Megara,  lebte  im  3.  Jahrb.  v.  Chr. 
e)  Lucius  Caesar  und  Cajus  Caesar. 

7)  Am  1.  Januar  wurden  nämlich  die  neuen  Consuln  gewählt. 

Wittetein:  Plinius.    II.  Bd.  5 


.  66 


Siebentes  Buch. 


hinaus  gehen  wollte.  Cn.  Bebius  Tamphilus,  der  die  Prätur 
bekleidete,  starb,  als  er  sich  eben  bei  seinem  Diener  nach 
der  Zeit  erkundigt  hatte;  Aulus  Pompejus  auf  dem  Capito- 
lium,  als  er  eben  den  Göttern  seine  Ehrfurcht  bezeigt  hatte; 
der  Consul  M.  Juventius  Thalna,  während  er  opferte; 
C.  Servilius  Pansa,  als  er  auf  dem  Marktplatze  an  seinen 
Bruder  P.  Pansa  gelehnt  um  die  2.  Stunde  des  Tages  vor 
einer  Bude  stand;  der  Richter  Bebius,  als  er  eben  einen 
Termin  verlängern  Hess;  M.  Terentius  Corax,  während  er 
auf  dem  Markte  in  seine  Schreibtafel  notirte,  und  noch  im 
letztvergangenen  Jahre  starb  plötzlich  ein  römischer  Ritter, 
als  er  einem  Consular  etwas  ins  Ohr  sagte,  vor  der  elfen- 
beinernen Statue  des  Apollo  auf  dem  Forum  des  Augustus. 
Aber  vor  allem  merkwürdig  ist  der  Tod  des  Arztes  C.  Julius, 
der  ihn  ereilte,  als  er  eine  Salbe  einrieb  und  eine  Sonde 
durchs  Auge  zog;  der  gewesene  Consul  Aulus  Manlius  Tor- 
quatus,  als  er  während  einer  Mahlzeit  nach  einem  Kuchen 
langte;  der  Arzt  L.  Tuscius  Valla,  als  er  einen  Honigtrank 
zu  sich  nahm;  Ap.  Saufejus,  als  er  nach  der  Rückkehr 
aus  dem  Bade  einen  Honigtrank  zu  sich  genommen  hatte 
und  eben  ein  Ei  ausschlürfte;  P.  Quinctius  Scapula,  da  er 
bei  Aquilius  Gallus  speiste;  der  Schreiber  Decimus  Sau- 
fejus, als  er  zu  Hause  frühstückte;  der  gewesene  Prätor 
Cornelius  Gallus  und  der  römische  Ritter  Q.  Haterius  starben 
während  des  Beischlafs.  Aus  unsern  Zeiten  finde  ich  be- 
merkt, dass  2  Ritter  von  ausgezeichneter  Schönheit  bei 
ein  und  derselben  mystischen  Pantomime  gestorben  sind. 
Ein  Beispiel  der  leichtesten  unter  allen  Todesarten  erzählen 
die  Alten  von  M.  Ofilius  Hilarus,  einem  komischen  Schau- 
spieler. Als  derselbe  einst  an  seinem  Geburtstage  dem 
Volke  sehr  gefallen  hatte,  gab  er  ein  Gastmahl,  und  Hess 
sieh  nach  der  Mahlzeit  einen  warmen  Trank  in  einer 
Schale  reichen;  indem  sah  er  die  Maske,  in  der  er  an 
diesem  Tage  aufgetreten  war,  an,  setzte  ihr  den  Kranz  von 
seinem  Haupte  auf,  und  erstarrete  in  dieser  Stellung,  ohne 
dass  Jemand  es  bemerkte,  bis  sein  Tischnachbar  ihn  er- 
innerte, sein  Trank  werde  kalt. 


Siebentes  Buch.  67 

Diess  sind  glückliche  Fälle,  dagegen  giebt  es  aber 
auch  unzählige  unglückliche.  L.  Domitius,  aus  einer  sehr 
berühmten  Familie  *),  wurde  vom  Cäsar  bei  Massilia  be- 
siegt und  von  eben  demselben  bei  Corfinium  gefangen;  aus 
Lebensüberdruss  nahm  er  einen  Gifttrank  zu  sich,  nachdem 
er  aber  getrunken  hatte,  gab  er  sich  alle  Mühe,  sein 
Leben  zu  erhalten 2).  Man  findet  in  den  öffentlichen 
Schriften,  dass  bei  dem  Leichenbegängniss  des  Felix,  eines 
Wagenlenkers  von  der  Partei  der  Rothen3),  sich  einer 
seiner  Freunde  auf  dessen  Scheiterhaufen  gestürzt  habe; 
damit  aber  diese  allzukühne  That  dem  Künstler  nicht  zum 
Ruhme  gereichen  sollte,  waren  seine  Gegner  so  boshaft  zu 
behaupten,  jener  sei  nur  durch  die  Menge  von  Wohlgerüchen 
dazu  verleitet.  Nicht  lange  vorher  ward  M.  Lepidus,  ein 
Mann  sehr  edler  Abkunft,  von  dem  wir  gesagt  haben 4), 
dass  er  aus  Kummer  über  seine  Ehescheidung  gestorben 
sei,  durch  die  Gewalt  der  Flamme  vom  Scheiterhaufen  ge- 
worfen, und  da  man  ihn  wegen  der  Hitze  nicht  wieder 
darauf  bringen  konnte,  so  verbrannte  man  ihn  nahe  dabei 
nackend  auf  anderm  Reisholze. 

55. 
Das  Verbrennen  der  Leichen  ist  bei  den  Römern 
keine  alte  Sitte;  früher  begrub  man  sie.  Als  man  aber  die 
Erfahrung  gemacht  hatte,  dass  in  den  langwierigen  Kriegen 
die  Beerdigten  wieder  herausgewühlt  wurden,  so  führte 
man  jenes  ein.  Dessen  ungeachtet  blieben  viele  Familien 
dem  alten  Gebrauche  treu;  so  wurde  in  der  cornelischen 
vor  dem  Dictator  Sulla  Niemand   verbrannt.    Dieser   aber 


')  Er  war  Urgrossvater  des  Nero. 

-)  Weil  man  ihn,  nachdem  er  das  Gift  genommen  hatte,  von  der 
Gros.smuth  Cäsar's  gegen  seine  Freunde  überzeugte. 

3)  Russeus  oder  Russatus.  Die  Parteien,  welche  um  die  Wette 
fuhren,  unterschieden  sich  durch  die  Farben  ihrer  Kleider.  Es  waren 
ursprünglich  4,  nämlich  die  factio  albata  (weisse),  russata  (rothe), 
veneta  (wasserblaue)  und  prasina  (grüne).  Unter  Domitian  kamen 
noch  2,  die  aurata  (goldene)  und  purpurea  (purpurne)  hinzu. 

4)  Im  36.  Cap. 

5* 


gg  Siebentes  Buch. 

soll  es  deshalb  eingeführt  haben,  weil  er  den  Leichnam 
des  Marius  hatte  ausgraben  lassen,  und  nun  ein  Gleiches 
befürchtete.  Mit  dem  Worte  sepultus  bezeichnet  man  aber 
einen,  der  auf  was  immer  für  eine  Weise  beigesetzt  ist, 
dagegen  humatus  heisst  ein  wirklich  mit  Erde  bedeckter. 

56. 
Nach  dem  Begräbniss  kommen  wir  an  die  verschiedenen 
Meinungen  über  die  Geister  der  Verstorbenen.  Alle 
haben  nach  dem  letzten  Tage  dasselbe  Schicksal,  was  sie 
vor  dem  ersten  hatten.  Vom  Augenblicke  des  Todes  an 
hat  der  Leib  sowie  die  Seele  ebenso  wenig  Empfindung, 
wie  vor  der  Geburt.  Unsere  Eitelkeit  dehnt  sich  aber  so- 
gar auch  auf  die  Zukunft  aus,  und  lügt  sich  selbst  ein 
Leben  nach  dem  Tode  vor,  indem  sie  bald  der  Seele  Un- 
sterblichkeit, bald  eine  Seelenwanderung,  bald  den  Ver- 
storbenen Empfindung  beilegt,  die  Manen  verehrt  und  den 
zum  Gotte  macht,  der  bereits  aufgehört  hat  Mensch  zu  sein; 
gleichsam  als  wenn  das  Leben  des  Menschen  sich  in  irgend 
etwas  von  dem  des  Thieres  unterscheide,  oder  als  ob  wir 
im  Leben  nicht  viele  weit  dauerndere  Dinge  fänden,  denen 
doch  Niemand  eine  ähnliche  Unsterblichkeit  weissagt. 
Welche  Gestalt  hat  die  Seele?  Aus  welchem  Stoffe  besteht 
sie?  Wo  hat  ihre  Denkkraft  den  Sitz?  Wie  sieht,  hört, 
fühlt  sie?  Was  thut  sie  oder  worin  besteht  ohne  diese 
Organe  ihr  Glück?  Wo  hat  sie  ferner  ihren  Wohnsitz, 
und  wie  gross  ist  die  Menge  der  seit  so  vielen  Jahrhunderten 
als  Schatten  abgeschiedenen  Seelen?  Alles  diess  sind  Ein- 
bildungen kindischer  Schwärmerei  und  der  Sucht  des  Men- 
schen, nie  aufhören  zu  wollen.  Ebenso  thöricht  war  die 
Meinung  Democrit's,  man  solle  die  Leichen  (in  Honig)  auf- 
bewahren, denn  sie  würden  wieder  lebendig,  denn  er  selbst 
lebte  ja  nicht  einmal  wieder  auf.  Welch  ein  Unsinn  ist  es, 
zu  behaupten,  dass  mit  dem  Tode  ein  neues  Leben  beginne? 
Wie  kann  der  Mensch  je  Ruhe  haben,  wenn  seine  Seele 
oben,  und  sein  Schatten  in  der  Unterwelt  Empfindung  be- 
halten? Wahrlich,  dieser  süsse  aber  alberne  Glaube  ver- 
nichtet  das  vornehmste  Gut,  was  uns  die  Natur  verliehen 


Siebentes  Buch.  69 

hat,  den  Tod,  und  macht  den  Austritt  aus  dem  Leben 
doppelt  schmerzhaft,  indem  uns  sogar  noch  der  Gedanke 
an  die  Zukunft  bekümmert.  Denn  wenn  es  angenehm  ist 
zu  leben,  wie  kann  es  dann  angenehm  sein  gelebt  zu  haben1)? 
Aber  wie  viel  leichter  und  sicherer  ist  es,  seiner  eigenen 
Ueberzeugung  zu  folgen  und  aus  der  Betrachtung  des  Zu- 
standes  vor  unserer  Geburt  auf  unsere  Ruhe  nach  dem 
Tode  zu  schliessen! 

57. 
Bevor  wir  die  Beschreibung  des  Menschen  verlassen, 
wird  es  zweckmässig  sein,  die  wichtigsten  Erfindungen 
und  diejenigen,  welchen  wir  sie  zu  verdanken  haben,  anzu- 
führen. Kauf  und  Verkauf  hat  zuerst  Bacchus  eingeführt. 
Derselbe  erfand  auch  das  Diadem,  das  Zeichen  der  könig- 
lichen Würde,  sowie  den  Triumph;  Ceres  schuf  das  Getreide, 
denn  vorher  nährten  sich  die  Menschen  von  Eicheln.  Sie 
lehrte  auch  in  Attika  das  Mahlen  und  Backen ;  auch  noch  andere 
Gegenstände  in  Sicilien,  und  deshalb  wurde  sie  für  eine 
Göttin  gehalten.  Sie  gab  ferner  die  ersten  Gesetze,  was 
indessen  Einige  dem  Rhadamanthus 2)  zuschreiben.  Die 
Buchstaben  halte  ich  für  assyrischen  Ursprungs,  Andere, 
wie  Gellius  3),  wollen  sie  bei  den  Aegyptern  vom  Mercur, 
noch  Andere  bei  den  Syrern  erfunden  wissen.  Soviel  ist 
gewiss,  dass  Cadmus  ihrer  16  von  Phönicien  nach  Griechen- 
land gebracht  hat.  Zu  diesen  soll  zur  Zeit  des  trojanischen 
Krieges  Palamedes  noch  folgende  4,  6,  S,  $,  X  hinzuge- 
fügt haben;  ebenso  viele  hat  der  Liederdichter  Simonides 
dazu  gebracht,  nämlich  Z,  77,  ¥',  J2,  welche  man  sämmtlich 
ihrer  Aussprache  nach  auch  in  unseren  Buchstaben  wieder 
erkennt.    Nach  Aristoteles   bestand   das   altgriechische  Al- 


')  D.  h.  nicht  mehr  zu  leben. 

2)  Sohn  des  Jupiter  und  der  Europa,  Bruder  des  Minos  und  Sar- 
pedon.  Er  war  berühmt  wegen  seiner  Gerechtigkeitsliebe,  weshalb 
mehrere  Dichter  ihn  nach  seinem  Tode  nebst  Minos  und  Aeacus  als 
Richter  in  der  Unterwelt  auftreten  lassen. 

3)  Cnejus  Gellius  lebte  in  der  ersten  Hälfte  des  1.  Jahrh.  v.  Chr. 


70  Siebentes  Buch. 

phabet  aus  18  Buchstaben:  A,  D,  r,  J,  E,  Z,  I,  K,  A,  M 
N,  0,  IT,  P,  I',  T,  Y,  @,  und  diese  seien  von  Epicharmus, 
nicht  aber  von  Palamedes,  um  die  2,  0,  X,  vermehrt.  An- 
ticlides  erzählt,  diese  Erfindung  verdanke  man  einem  ge- 
wissen Menon  in  Aegypten,  der  1500  Jahre  vor  Phoroneus 1), 
dem  ältesten  Könige  Griechenlands,  lebte,  und  sucht  diess 
aus  Denkmälern  zu  beweisen.  Dahingegen  sagt  Epigenes, 
ein  sehr  zuverlässiger  Schriftsteller,  dass  man  bei  den  Ba- 
byloniern  Beobachtungen  der  Gestirne  von  7200  Jahren  her 
auf  Backsteinen  eingeschrieben  fände;  Berosus  und  Cri- 
todemus  2),  welche  am  wenigsten  annehmen,  geben  diesen 
Beobachtungen  ein  Alter  von  4900  Jahren.  Hieraus  geht 
hervor,  dass  die  Buchstaben  schon  seit  undenklicher  Zeit 
im  Gebrauche  sind.  Nach  Latium  sind  sie  von  den  Pelas- 
gern  gebracht. 

Euryalus  und  Hyperbius,  2  Brüder  in  Athen,  haben  zu- 
erst Ziegelsteine  gemacht  und  Häuser  gebauet;  vor  ihnen 
bewohnte  man  statt  der  Häuser  nur  Höhlen.  Nach  Gellius 
ist  Toxius,  ein  Sohn  des  Cälus,  der  Erfinder  der  Lehmge- 
bäude ;  er  richtete  sich  dabei  nach  den  Nestern  der  Schwalben. 
Cecrops  3)  bauete  die  erste  Stadt  und  nannte  sie  Cecropia, 
jetzt  die  Burg  von  Athen.  Nach  Einigen  soll  Argos  vom 
König  Phoroneus  noch  früher  gegründet  sein;  Andere  be- 
haupten diess  von  Sicyon.  Die  Aegypter  aber  sagen,  dass 
bei  ihnen  lange  vorher  Diospolis 4)  erbauet  worden  sei, 
Cinyra,  der  Sohn  des  Agriopas,  erfand  die  Dachziegel  und 
die  Bearbeitung  des  Erzes,  beides  auf  der  Insel  Cypern; 
ferner  die  Zange,  den  Hammer,  den  Hebebaum  und  den 
Ambos;  die  Brunnen  hat  Danaus  erfunden,  der  von  Aegypten 
nach  dem  Theile  Griechenlands   kam,   welcher  Argos  Dip- 


*)  Der  Sohn  des  Inachus.  Mit  ihm  beginnt  die  älteste  Zeitrech- 
nung, auch  fällt  in  sein  Zeitalter  die  ogygische  Fluth.  Er  lebte  un- 
gefähr 1800  J.  v.  Chr. 

2)  Nicht  näher  bekannter  Astronom  aus  dem  4.  Jahrh. 

s)  Der  erste  König  von  Attika;  er  kam  1556  v.  Chr.  mit  einer 
Colonie  von  Sais  aus  Aegypten  dahin. 

4)  Theben. 


Siebentes  Buch.  71 

sion  *)  genannt  wird.  Steinbrüche  hat  zuerst  Cadmus  bei 
Theben,  oder,  wie  Theophrastus  will,  in  Phönicien  benutzt. 
Thrason  bauete  die  ersten  Mauern,  die  ersten  Thürme,  nach 
Aristoteles,  die  Cyclopen,  oder,  nach  Theophrastus,  die 
Tirynthier.  Die  Aegyptier  erfanden  die  Webekunst;  die 
Lydier  zu  Sardes  das  Färben  der  Wolle;  Closter,  ein  Sohn 
der  Arachne,  die  Spindel  zum  Wollespinnen;  Arachne  die 
Bereitung  der  Leinwand  und  der  Netze ;  Nicias  von  Megara 
die  Kunst  des  Walkens;  Tychius  aus  Böotien  die  Verfer- 
tigung der  Schuhe.  Die  Aegyptier  sagen,  bei  ihnen  sei  die 
Arzneikunde  erfunden,  Andere  schreiben  diess  dem  Arabus, 
einem  Sohne  der  Babylonis  und  des  Apollo  zu.  Chiron, 
ein  Sohn  des  Saturn  und  der  Philyra,  erfand  die  Kräuter- 
kunde und  die  Arzneibereitung. 

Die  Kunst  Erz  zu  schmelzen  und  zu  verarbeiten  hat, 
nach  Aristoteles,  der  Lyder  Scythes,  naeh  Theophrastus  aber 
der  Phrygier  Delas  zuerst  gelehrt.  Die  Erfindung  des  Erz- 
schmiedens schreiben  Einige  den  Chalybern,  Andere  den 
Cyclopen  zu.  Das  Eisen  benutzten  nach  Hesiodus  diejenigen 
Bewohner  Creta's,  welche  die  idäischen  Dactyler  heissen, 
zuerst;  das  Silber  Erichthonius,  ein  Athenienser,  oder,  nach 
Andern,  Aeacus.  Das  erste  Goldbergwerk  und  eine  dazu 
gehörige  Schmelzhütte  legte  der  Phönicier  Cadmus  am  Berge 
Pangäus  an;  nach  Andern  thaten  diess  zuerst  Thoas 
und  Eaclis  in  Panchaja,  oder  Sol,  der  Sohn  des  Oceanus, 
4em  Gellius  auch  die  Erfindung  der  aus  Honig  bereiteten 
Arzneien  zuschreibt.  Blei  holte  zuerst  Midacritus  von  der 
Insel  Cassiteris.  Das  Schmieden  des  Eisens  erfanden  die 
Cyclopen;  die  Töpferei  Coroebus  aus  Athen;  die  Scheibe 
der  Töpfer  der  Scythe  Anacharsis,  oder,  nach  Andern,  Hy- 
perbius  aus  Corinth;  die  Zimmermannskunst  und  die  dazu 
gehörige  Säge,  Axt,  Bleiloth,  Bohrer,  Leim,  Fischleim  Däda- 
lus;  das  Winkelmaass  aber,  die  Setzwaage,  das  Dreheisen 
und  den  Nagel  Theodorus  aus  Samos;  Maass  und  Gewicht 
der  Archiver  Phidon,  oder,  nach  Gellius,  Palamedes;  Feuer 


l)  D.  h.  das  durstende,  dürre  Argos. 


72  Siebentes  Buch. 

mit  einem  Kieselsteine  anzuschlagen  Pyrodes,  der  Sohn  des 
Cilex,  nnd  dasselbe  im  Zunder1)  aufzufangen  Prometheus- 

Einen  Wagen  mit  4  Rädern  hatten  zuerst  die  Phrygier; 
Handel  trieben  zuerst  die  Punier;  Weinbau  und  Obstzucht 
der  Athenienser  Eumolpus.  Wein  mit  Wasser  zu  mischen 
lehrte  zuerst  Staphylus,  der  Sohn  des  Silenus;  den  Anbau 
und  das  Pressen  des  Oels,  sowie  die  Gewinnung  des  Honigs 
Aristäus  aus  Athen;  die  Benutzung  der  Ochsen  und  den 
Pflug  Buzyges  aus  Athen,  oder,  nach  Andern,  Triptolemus. 

Eine  monarchische  Verfassung  hatten  zuerst  die  Ae- 
gyptier,  eine  republikanische  zuerst  die  Attiker,  nach  The- 
seus  Tode.  Der  erste  Tyrann  war  Phalaris  zu  Agrigentum. 
Die  Sclaverei  findet  man  zuerst  bei  den  Lacedämoniem. 
Das  erste  Todesurtheil  wurde  vom  Areopagus 2)  ausge- 
sprochen. Die  Afrikaner  kämpften  gegen  die  Aegyptier 
zuerst  mit  Knitteln,  welche  Phalangen  hiessen.  Die  Schilde 
haben  Proetus  und  Acrisius,  während  sie  gegen  einander 
Krieg  führten,  erfunden,  oder  auch  Chalcus,  der  Sohn  des 
Athamas;  den  Panzer  Midias  aus  Messene;  den  Helm,  das 
Schwert  und  den  Spiess  die  Lacedämonier ;  den  Beinhar- 
nisch und  den  Helmbusch  die  Carier;  Bogen  und  Pfeil  Scy- 
thes,  ein  Sohn  des  Jupiter,  nach  Andern  soll  Perses,  ein 
Sohn  des  Perseus,  die  Pfeile  erfunden  haben;  die  Lanzen 
die  Aetolier;  den  Wurfspiess  mit  dem  Riemen  Aetolus, 
ein  Sohn  des  Mars;  die  Spiesse  der  Veliten  3)  Tyrrhenus; 
den  Wurfspiess  der  Infanterie  die  Amazone  Penthesilea; 
die   Streitaxt   Pisäus;   den   Jagdspiess   und   unter   den  Be- 


')  Ferula,  nämlich  in  dem  Marke  des  Stengels  von  Ferula  com- 
munis L. 

2)  Der  älteste  und  berühmteste  Gerichtshof  in  Athen,  dessen  Ur- 
sprung sich  nicht  historisch  nachweisen  lässt.  Seinen  Namen  hat 
er  von  dem  Orte,  an  dem  er  gehalten  wurde,  nämlich  von  einem 
Hügel  der  Agsioonciyog  —  Hügel  des  Mars  genannt  wurde.  Die 
rechtschaffensten  der  abgehenden  Archonten  wurden  Mitglieder 
desselben,  und  bekleideten  diese  Stelle  lebenslang. 

3)  Velites  hiessen  bei  den  Römern  die  Soldaten,  die  nicht  in 
Reihe  und  Glied  fochten,  sondern,  wie  unsere  leichten  Truppen,, 
den  Feind  durch  Plänkeln  beunruhigen  mussten. 


Siebentes  Buch.  73 

lagerungsmaschinen  den  Scorpion  die  Creter;  die  Catapulte, 
Bailiste  *)  und  Schleuder  die  Syrophoenicier;  die  eherne 
Tuba  erfand  der  Tyrrhenier  Pisäus;  die  Testudo  2)  Artenion 
aus  Clazomenä;  das  Pferd  (jetzt  der  Widder  genannt)  eine 
von  den  zur  Erstürmung  der  Mauern  dienenden  Maschinen, 
Epeus  vor  Troja;  das  Reiten  zu  Pferde  Bellerophon,  Zügel 
und  Sattel  Palethronius;  den  Kampf  zu  Pferde  die  Thessalier, 
welche  Centauren  genannt  wurden  und  hinter  dem  Berge 
Pelius  wohnten.  Die  Phrygier  führten  das  Zweigespann, 
Erichthonius  das  Viergespann  ein.  Die  Schlachtordnung, 
das  Geben  des  Zeichens  zum  Beginne  der  Schlacht,  die 
Feldparole  und  die  Nachtwachen  hat  Palamedes  im  troja- 
nischen Kriege  ersonnen ;  das  Zeichengeben  von  einer  Warte 
Sinon  in  demselben  Kriege;  den  Waffenstillstand  Lycaon; 
die  Bündnisse  Theseus. 

Das  Wahrsagen  nach  den  Vögeln  erfand  Car,  nach 
welchen  Carien  benannt  ist;  nach  den  übrigen  Thieren  Or- 
pheus; das  Weissagen  aus  Eingeweiden  Delphus,  aus  dem 
Feuer  Amphiaraus,  aus  dem  Fluge  der  Vögel  der  Thebaner 
Tiresias;  die  Deutung  der  Wungerzeichen  und  Träume  Am- 
phictyon;  die  Sternkunde  Atlas,  der  Sohn  der  Libya,  nach 
Andern  die  Aegyptier  oder  Assyrier;  die  kreisförmige  Be- 
wegung der  Sterne  Anaximander  von  Milet;  die  Kenntniss 
der  Winde  Aeolus,  der  Sohn  des  Hellen;  die  Musik  Amphion3); 
die  Pfeife  und  einfache  Flöte  Pan,  ein  Sohn  des  Mars;  die 
Querflöte  Mi  das  in  Phrygien;  die  doppelte  Flöte  Marsyas 
in    demselben   Lande;   die    lydische  Melodie  Amphion;    die 


*)  Catapulten  und  Bailisten  waren  beides  Wurfmaschinen,  welche 
die  Stelle  unseres  groben  Geschützes  bei  den  Alten  vertraten.  Sie 
unterschieden  sich  dadurch  von  einander,  dass  jene  ihr  Geschoss 
mehr  horizontal,  diese  es  mehr  in  Bogen  abschössen.  Ben  Scorpion 
beschreibt  Marcellinus  weitläufig  im  XXIII.  Buche  zu  Anfang. 

2)  Ein  Schutzdach,  dessen  sich  die  Soldaten  bei  Belagerungen 
und  im  Felde  bedienten.    Es  gab  mehrere  Arten  desselben. 

3)  Eine  der  Fabel  angehörende  Person,  Sohn  der  Antiope  und 
des  Zeus. 


jj"4  Siebentes  Buch. 

dorische  der  Thracier  Thamyris x);  die  phrygische  der 
Phrygier  Marsyas;  die  Cither  Arnphion,  nach  Andern  Orpheus 
oder  Linus;  Terpander  2)  gab  ihr  statt  3—4,  sieben  Saiten, 
eine  8.  fügte  Simonides  und  eine  9.  Timotheus 3)  hinzu. 
Auf  der  Cither  spielte  zuerst,  ohne  dazu  zu  singen,  Thamyris; 
Amphion,  nach  Andern  Linus,  begleitete  sie  zuerst  mit  der 
Stimme.  Die  ersten  Gesänge  zur  Cither  dichtete  Terpander- 
Zur  Flöte  zu  singen  hat  zuerst  der  Trözenier  Ardalus  ein- 
geführt. Den  Waffentanz  lehrten  zuerst  die  Cureten,  den 
pyrrhichischen  Tanz  Pyrrhus,  und  beide  in  Creta. 

Den  heroischen  Vers  verdanken  wir  dem  pythischeu 
Orakel 4).  Ueber  den  Ursprung  der  Dichtkunst  herrscht 
grosser  Streit;  gewiss  ist,  dass  es  schon  vor  dem  trojani- 
schen Kriege  Gedichte  gegeben  hat.  Der  Syrier  Pherecydes 
schrieb  zuerst  eine  prosaische  Rede,  zur  Zeit  des  Königs 
Cyrus;  die  erste  Geschichte  Cadmus  von  Milet 5).  Die  gym- 
nastischen Spiele  führte  zuerst  Lycaon  in  Arcadien  ein; 
die  Leichenspiele  Acastus  in  Jolcus,  nach  ihm  Theseus  auf 
dem  Isthmus;  die  Kampfspiele  Hercules  zu  Olympia.  Das 
Ballspiel  Pythus;  die  Malerei  der  Lydier  Gyges  in  Aegypten, 
in  Griechenland  aber  Euchir,  ein  Verwandter  des  Dä- 
dalus,  wie  Aristoteles  berichtet,  nach  Theophrastus  aber 
der  Athenienser  Polygnotus. 

Danaus  kam  zuerst  zu  Schiffe  von  Aegypten  nach 
Griechenland;  vorher  fuhr  man  auf  Flössen,  die  der  König 
Erytheas  zum  Besuch  der  Inseln  im  rothen  Meere  erfunden 
hatte.  Einige  Schriftsteller  sind  jedoch  der  Meinung,  dass 
schon  früher  die  Myser  und  Trojaner  deren  auf  dem  Helles- 
ponte gehabt  hätten,  als  sie  gegen  die  Thracier  zogen. 
Sogar  noch  jetzt  bestehen  die  Fahrzeuge  auf  dem  britanni- 


!)  Von  Odrysa,  Dichter  aus  der  mythischen  Zeit  (Homer.  Iliad. 
II.  595). 

-)  Von  Antissa  auf  Lesbos  um  648  v.  Chr. 

3)  Von  Milet,  berühmter  Musiker  und  Dithyrambendichter,  446  bis 
356  v.  Chr. 

*)  Welches  seine  Aussprüche  in  Hexametern  zu  geben  pflegte. 

s)  Lebte  im  6.  Jahrh.  v.  Chr. 


Siebentes  Buch.  75 

sehen  Ocean  aus  zusammengeflochtenen  Ruthen,  die  mit 
Leder  überzogen  sind,  auf  dem  Nile  aus  der  Papyrusstaude, 
Binsen  und  Schilf.  Dass  Jason  der  erste  war,  der  auf 
einem  langen  Schiffe  fuhr,  erzählt  Philostephanus  x);  nach 
Hegesias  2)  war  aber  Paralus  der  erste,  nach  Ctesias:  Semi- 
ramis,  nach  Archemachus  3):  Aegäon.  Ein  zweirudriges  Schiff 
sollen  nach  Damastes  die  Erythräer  zuerst  gebauet  haben; 
ein  dreirudriges  nach  Thucydides:  Aminocles  von  Corinth; 
ein  vierrudriges  nach  Aristoteles  die  Carthagiuienser;  ein 
fünfrudriges  nach  Mnesigiton  4):  die  Salaminier;  ein  sechs- 
rudriges  nach  Xenagoras  5)  die  Syracusier;  von  diesen  an 
soll  es,  nach  Mnesigiton,  Alexander  der  Grosse  bis  zu 
10  Ruderbänken  gebauet  haben,  nach  Philostephanus: 
Ptolemäus  Soter  bis  zu  12,  Demetrius,  der  Sohu  des  Anti- 
gonus,  bis  zu  15,  Ptolemäus  Philadelphus  bis  zu  30,  und 
Ptolemäus  Philopator  mit  dem  Beinamen  Tryphon,  bis  zu 
40.  Das  Lastschiff  hat  Hippus  aus  Tyrus  erfunden;  den 
Lembus  6)  die  Cyreneser;  die  Cymba  7)  die  Phönicier;  den 
Celes  8)  die  Rhodier  und  den  Cercyrus  9)  die  Cyprier.  Die 
B  eobachtung  der  Gestirne  bei  der  Schifffahrt  die  Phönicier 
das  Ruder  die  Coper,  dessen  Verbesserung  hinsichtlich  der 
Breite  die  Platäer;  die  Segel  Icarus;  den  Mastbaum  und 
die  Segelstange  Dädalus;  den  Hippagus10)  die  Samier  oder 
der  Athenienser  Pericles;  die  langen  Verdecke  die  Thasier, 
vorher  wurde  nämlich  nur  vom  Vorder-  und  Hintertheile 
des  Schiffs  aus  gekämpft.    Die  Schnäbel  fügte  der  Tyrrhener 


')  Von  Cyrene,  Schüler  des  Dichters   Callimachus,  von  dessen 
Werken  keins  mehr  vorhanden  ist. 

2)  Von  Maronea  in  Thracien,  sonst  nicht  näher  bekannt. 

3)  Von  Euboea,  griechischer  Historiker,  dessen  Lebenszeit  unl ge- 
kannt ist. 

A)  Ein  unbekannter  Schriftsteller.    5)  Ebenfalls  unbekannt. 

6)  Ein  kleines  schnellsegelndes  Fahrzeug,    wie    unsere  Feluken 
oder  Kutter. 

7)  Kleiner  Kahn.     8)  Jachtschiff. 
9)  Auch  eine  Art  kleiner  Schiffe. 
,0)  Transportschiff  für  Pferde. 


7g  Siebentes  Buch. 

Pisäus  hinzu;  den  einfachen  Anker  erfand  Eupalamus,  den 
zweizackigen  Anacharsis;  die  Harpagonen  und  Hände1)  der 
Athenienser  Pericles;  das  Steuerruder  Tiphys.  Die  erste 
Seeschlacht  lieferte  Minos.  Der  erste,  der  ein  Thier  tödtete, 
war  Hyperbius,  ein  Sohn  des  Mars;  Prometheus  erschlug 
den  ersten  Stier. 

58. 
Die  erste  stillschweigende  Uehereinkunft  aller 
Völker  bestand  darin,  dass  sie  sich  der  jonischen  Buch- 
staben bedienten.  Dass  die  alten  griechischen  Buchstaben 
fast  ebenso  beschaffen  waren,  wie  unsere  jetzigen  lateinischen, 
beweist  die  alte  delphische  Erztafel,  welche  sich  jetzt  als 
ein  von  den  Fürsten  der  Minerva  geweihetes  Geschenk  in 
der  Bibliothek  des  Palatium  befindet,  mit  folgender  In- 
schrift: 

NavaixQazrig   Tiaaf.isvov  sJ&rjväiog  ävs&rjxev  2). 

59. 
Eine  zweite  Uebereinstimmung  der  Völker  war  das 
Scheeren  des  Bartes,  was  aber  bei  den  Römern  nur  lang- 
sam Eingang  fand.  Nach  Italien  kamen  Barbiere  im 
454.  Jahre  Roms  von  Sicilien  her,  von  wo  sie,  wie  Varro 
berichtet,  P.  Titinius  Mena  mitbrachte.  Vorher  rasirte  man 
sich  bei  uns  nicht.  Der  erste  von  allen,  der  sich  täglich 
den  Bart  abnehmen  liess,  war  der  jüngere  Scipio  Africanus; 
der  Kaiser  Augustus  bediente  sich  stets  des  Scheermessers. 

60. 
Die  dritte  schon  mehr  von  Ueberlegung  zeugende  Ueber- 
einstimmung war  die  in   der  Eintheilung  der  Stunden. 


')  Eiserne  Hacken  zum  Entern  der  Schiffe. 

-)  Der  Athenienser  Nausicrates ,  der  Sohn  des  Tisamenes,  hat 
diess  geweihet.  —  Nach    einer  andern   Lesart   lautet  die  Inschrift: 

A4YSIKPATHS  ANE0ETO  TH  AI  02  KOPH  THN  AEKA- 
THN  AIA  AEZION  AIQNA : 

Adysikrates  weihete  der  Tochter  des  Zeus  den  Zehnten  für  ein 
glückliches  Alter.  —  Eine  dritte  Lesart  ist  folgende: 

NAÜSIKPATHS  ANE&ETO  TH  AIOZ  KOPH: 

Nausikrates  hat  der  Tochter  des  Zeus  diess  geweihet. 


Siebentes  Buch.  77 

Wann  und  von  wem  diese  Erfindung  in  Griechenland  ge- 
macht wurde,  haben  wir  bereits  im  2.  Buche  *)  angegeben. 
Auch  von  ihr  machte  man  zu  Rom  erst  weit  später  Gebrauch  • 
Auf  den  12  Tafeln  ist  nur  vom  Aufgange  und  Untergange 
der  Sonne  die  Rede;  einige  Jahre  später  wurde  noch  der 
Mittag  hinzugefügt,  wo  dann  ein  Gerichtsdiener  es  ausrufen 
musste,  wenn  er  von  dem  Rathhause  aus  die  Sonne  zwischen 
der  Rednerbühne  2)  und  der  Wohnung  der  Gesandten  er- 
blickte. Neigte  sich  die  Sonne  von  der  manischen  Säule3) 
nach  dem  Gefängnisse,  so  rief  er  den  Abend  aus.  Allein 
das  konnte  nur  an  heitern  Tagen  geschehen,  und  war  bis 
zum  ersten  punischen  Kriege  im  Gebrauche.  Wie  Fabius 
Vestalis  4)  erzählt,  war  L.  Papirius  Cursor  der  erste  unter 
den  Römern,  welcher  eine  Sonnenuhr  einrichtete;  diess  ge- 
schah 12  Jahre  vor  Ausbruch  des  Krieges  mit  Pyrrhus  5), 
und  zwar  an  dem  von  seinem  Vater  gelobten,  von  ihm  aber 
eingeweiheten  Tempel  des  Quirinus.  Allein  dieser  Schrift- 
steller giebt  weder  eine  Beschreibung  derselben,  noch  nennt 
er  den  Künstler,  noch  sagt  er,  woher  man  sie  gebracht, 
oder  bei  welchem  Schriftsteller  er  diese  Nachricht  gefunden 
habe.  M.  Varro  erzählt,  die  erste  Sonnenuhr  sei  auf  einem 
öffentlichen  Platze  neben  der  Rednerbühne  an  einer  Säule 
angebracht  worden,  und  zwar  im  ersten  punischen  Kriege 
durch  den  Consul  Valerius  Messala,  nach  der  Einnahme 
von  Catina  in  Sicilien,  von  wo  sie  30  Jahre  später  als  die 
papirianische  Uhr,  im  Jahre  491  der  Stadt,  hergeholt 
wurde.     Ihre  Striche  stimmten  zwar  nicht  mit  den  Stunden 


>)  II.  B.  78.  Cap. 

2)  Rostra,  eigentlich  Schiffsschnabel;  die  Römer  erbeuteten  einst 
von  den  Antiaten  (Bewohnern  von  Antium)  eine  grosse  Menge  Schiffe, 
und  schmückten  mit  den  Schnäbeln  derselben  den  Ort  vor  dem 
Rathhause,  wo  die  Rednerbühne  sich  befand,  welche  deshalb  öfters 
selbst  so  genannt  ward. 

3)  Nach  C.  Manius ,  dem  sie  vom  Volke  errichtet  worden  war, 
benannt. 

4)  Ein  nicht  näher  bekannter  Schriftsteller.     5)  293  v.  Chr. 


7  g  Siebentes  Buch. 

überein  *),  allein  man  richtete  sich  doch  99  Jahre  nach  ihr, 
bis  Q.  Marcius  Philippus,  der  mit  L.  Paulus  Censor  war, 
eine  mit  mehr  Sorgfalt  verfertigte  daneben  setzen  Hess  — 
ein  Geschenk ,  welches  mit  dem  grössten  Danke  aufge- 
nommen wurde.  Aber  dennoch  wusste  man  bei  trübem 
Himmel  die  Stunden  nicht  und  diess  dauerte  bis  zum 
nächsten  Lustrum.  Da  Hess  Scipio  Nasica,  der  College  des 
Länas,  eine  Wasseruhr  anfertigen,  welche  die  Stunden  des 
Tages  und  der  Nacht  gleich  richtig  angab.  Diese  Uhr, 
welche  überdeckt  war,  weihete  er  im  Jahre  595  der  Stadt. 
So  lange  entbehrte  das  römische  Volk  einer  zuverlässigen 
Eintheilung  der  Tageszeit. 

Nun  gehen  wir  zur  Beschreibung  der  übrigen  Thiere 
und  zwar  zunächst  der  Landthiere  über. 


*)  Weil  Rom  fast  um  4  Grade  nördlicher  liegt  als  Catina. 


Achtes  Euch. 


Von  den  Landthieren. 

1. 

Wir  gehen  nun  zu  den  übrigen  Thiereu,  und  zwar  zu- 
erst zu  den  Landthieren  über.  Das  grösste  unter  ihnen  ist 
der  Elephant.  Sein  Verstand  kommt  dem  des  Menschen 
am  nächsten,  denn  er  versteht  die  Sprache  seines  Landes, 
gehorcht  den  Befehlen,  merkt  sich  die  erlernten  Verrich- 
tungen, und  findet  Vergnügen  an  Liebe  und  Kuhm;  ja  er 
ist  sogar  (was  selbst  bei  den  Menschen  zu  den  seltnen 
Fällen  gehört)  rechtschaffen,  klug  und  gerecht,  erweist  den 
Gestirnen  göttliche  Ehre  und  hält  Sonne  und  Mond  heilig. 
Nach  dem  Berichte  einiger  Schriftsteller  kommen  die  Ele- 
phanten  in  den  Gebirgen  Mauritaniens  beim  Schimmer  des 
Neumondes  schaarenweise  zu  einem  gewissen  Flusse  Na- 
mens Amilo,  wo  sie  sich  feierlich  reinigen,  Wasser  umher- 
sprengen, und  nach  dieser  Begrüssung  des  Gestirns  -wieder 
in  ihre  Wälder  zurückkehren,  wobei  sie  die  ermüdeten 
Jungen  vor  sich  hertragen.  Sie  fordern  auch  Gewissen- 
haftigkeit von  Anderen,  denn  wenn  sie  über  das  Meer  ge- 
bracht werden  sollen,  so  besteigen  sie,  wie  man  glaubt,  das 
Schiff  nicht  eher,  bis  der  Schiffsführer  einen  Schwur  abge- 
legt hat,  sie  wieder  zurück  zu  bringen.  Man  hat  kranke 
Elephanten  (denn  auch  diese  Ungeheuern  Massen  werden 
von   Krankheiten    heimgesucht)    gesehen,    welche   Kräuter 


gQ  Achtes  Buch. 

rücklings  gen  Himmel  warfen,  gleichsam  als  wenn  sie  die 
Erde  zur  Fürbitterin  nehmen  wollten.  Was  ihre  Gelehrig- 
keit betrifft,  so  verehren  sie  den  König,  beugen  ihre  Kniee 
vor  ihm  und  reichen  ihm  Kränze  dar.  Die  Indier  bedienen 
sich  der  kleinern,  welche  sie  unächte *)  nennen,  zum 
Pflügen. 

2. 

Die  ersten  Elephanten,  welche  zu  Rom  eingespannt 
wurden,  zogen  den  Wagen  des  grossen  Pompejus  bei  seinem 
afrikanischen  Triumphe,  was  lange  vorher  auch  vom  Bacchus 
bei  seinem  Triumphe  über  Indien  erzählt  wird.  Procilius 2) 
bemerkt,  sie  hätten  beim  Triumphzuge  des  Pompejus  nicht 
nebeneinander  zum  Thore  herein  kommen  können.  Bei 
einem  Fechterspiele  des  Germanicus  Cäsar  sollen  einige  so- 
gar ungeschickte  Bewegungen  gemacht  haben,  als  wenn 
sie  tanzten.  Es  war  etwas  Gewöhnliches,  dass  sie  Waffen 
in  die  Luft  warfen,  ohne  dass  der  Wind  dieselben  weg- 
führte, dass  sie  miteinander  fochten,  oder  den  muntern 
pyrrhichischen  Tanz  aufführten,  nachher  auch  auf  Seilen 
gingen.  Ja  vier  trugen  sogar  einen  von  ihnen,  der  eine 
Wöchnerin  nachahmte,  in  einer  Sänfte;  sie  gingen  ferner 
in  mit  Menschen  angefüllten  Speisesälen  mit  so  abgemessenen 
Schritten  zwischen  den  Sesseln  hindurch,  dass  sie  keinen 
der  Gäste  berührten. 

3. 

Thatsache  ist,  dass  ein  Elephant,  der  das  was  man 
ihm  lehrte  etwas  schwer  begriff,  und  deshalb  öfters  Schläge 
bekommen  hatte,  des  Nachts  mit  Nachdenken  über  seine 
Lectioh  beschäftigt  angetroffen  wurde.  Es  scheint  schon 
äusserst  wunderbar,  dass  sie  auf  einem  Seile  hinaufgehen, 
aber  noch  wunderbarer,  dass  sie  auf  demselben  auch  wieder 
herunter  gehen  können.  Mucianus,  der  dreimal  Consul  war, 
berichtet,  dass  eins  von  diesen  Thieren  die  griechischen 
Schriftzüge  gelernt,  und  in  dieser  Sprache  die  Worte:  „Ich 


')  Nothi.    2)  Ein  uns  unbekannter  Autor. 


Achtes  Buch.  #1 

selbst  habe  diess  geschrieben  und  die  celtische  Beute  ge- 
weihet" geschrieben  habe.  Derselbe  erzählt,  er  habe  zu 
Puteoli  gesehen,  wie  einige  dorthin  gebrachte  Elephanten 
beim  Ausschiffen  sich  vor  der  Länge  der  vom  Schiffe  bis 
zum  Lande  Ehrenden  Brücke  gefürchtet  hätten,  und,  um 
sich  über  d  äugen  Weg  zu  täuschen,  rückwärts  darüber 
gegangen  wären. 

4. 

Sie  wissen,  dass  dasjenige  an  ihnen,  wonach  besonders 
getrachtet  wird,  in  ihren  Waffen  besteht,  welche  Juba 
Hörner  nennt,  die  aber  bei  Herodot,  der  doch  viel  älter  ist, 
sowie  im  gemeinem  Leben  richtiger  Zähne  heissen.  Wenn 
sie  ihnen  daher  durch  irgend  einem  Zufall  oder  im  Alter 
ausfallen,  so  verscharren  sie  sie.  Diese  allein  sind  das 
wahre  Elfenbein,  die  übrigen  Knochen  aber,  sowie  der  Theil 
der  Zähne,  welcher  im  Fleische  steckt,  von  weit  geringerem 
Werthe.  Dennoch  hat  man  vor  Kurzem  aus  Mangel  an 
echtem  Elfenbein  auch  die  Knochen  in  Platten  zu  schneiden 
angefangen;  denn  sehr  grosse  Zähne  werden  jetzt,  ausser 
in  Indien,  selten  mehr  gefunden,  das  Uebrige  ist  auf  unserm 
Erdkreise  schon  dem  Luxus  zu  Theil  geworden.  Das 
Weisse  der  Zähne  ist  ein  Kennzeichen  der  Jugend.  Auf 
die  Zähne  halten  die  Elephanten  am  meisten;  sie  schonen 
die  Spitze  des  einen,  damit  er  nicht  untauglich  zum  Kampfe 
werde;  den  andern  gebrauchen  sie  als  Werkzeug  zu  andern 
Verrichtungen,  z.  B.  zum  Ausgraben  der  Wurzeln,  Fort- 
wälzen von  Lasten.  Werden  sie  von  Jägern  verfolgt,  so 
stellen  sie  die,  welche  die  kleinsten  Zähne  haben,  vor,  da- 
mit der  Kampf  von  keiner  Bedeutung  scheine;  sind  sie 
aber  müde,  so  stossen  sie  sich  die  Zähne  an  einem  Baume 
ab  und  kaufen  sich  so  durch  die  dem  Jäger  zufallende 
Beute  los. 

5. 

Merkwürdig  ist  es,  dass  die  meisten  Thiere  wissen, 
warum  sie  augegriffen  werden,  aber  auch,  wogegen  sie  sich 
überhaupt  zu  hüten  haben.  Der  Elephant  soll,  wenn  er 
einem  Menschen   begegnet,   der   einzeln  in  der  Einsamkeit 

Wittstein:  Plinius.     II.  Bd.  fi 


g2  Achtes  Buch. 

umherirret,  milde  und  zutraulich  gegen  ihn  sein  und  ihm 
sogar  den  Weg  zeigen.  Bemerkt  er  die  Spur  des  Menschen, 
bevor  er  ihn  sieht,  so  soll  er  aus  Furcht  vor  Nachstellung 
zittern,  nachdem  er  ihn  gewittert  still  stehen,  um  sich  schauen, 
vor  Zorn  schnauben,  nicht  auf  dessen  Fussstapfen  treten, 
sondern  etwas  Erde  davon  herausscharren  und  dem  zunächst 
hinter  ihm  befindlichen  geben.  Dieser  reicht  sie  seinem 
Nachbar,  und  so  weiter,  bis  sie  an  den  letzten  kommt, 
dann  wendet  sich  der  ganze  Haufe  um  und  stellt  sich  in 
Schlachtordnung.  So  anhaltend  ist  der  Geruch,  dass*  sie 
ihn  alle  wahrnehmen,  obgleich  diese  Fussstapfen  'grössten- 
theils  nicht  einmal  von  nackten  Füssen  herrühren.  So  soll 
auch  der  Tiger,  der  doch  gegen  alle  übrigen  Thiere  wüthet 
und  selbst  die  Spur  des  Elephanten  verachtet,  beim  An- 
blick eines  menschlichen  Fussstapfens  seine  Jungen  weg- 
tragen. Aber  auf  welche  Weise  hat  er  Kenntniss  davon  be- 
kommen? Wo  hat  er  vorher  den  gesehen,  welchen  er 
fürchtet?  Denn  solche  Wälder,  wo  diese  Thiere  sich  auf- 
halten, werden  niemals  von  Menschen  besucht.  Wohl  mag 
ihnen  ein  so  seltener  Fusstritt  auffallen,  allein  wissen  sie, 
dass  er  zu  fürchten  ist?  Warum  zittern  sie  sogar  bei  dem 
Anblicke  des  Menschen,  da  sie  diesen  doch  an  Kraft,  Grösse 
und  Schnelligkeit  weit  übertreffen?  Aber  darin  zeigt  sich 
gerade  die  Einrichtung  der  Natur  und  ihre  Macht,  dass 
selbst  die  wildesten  und  grössten  Thiere,  das,  was  sie 
fürchten  müssen,  niemals  gesehen  zu  haben  brauchen  und 
doch  gleich  wissen,  dass  sie  sich  davor  in  Acht  zu 
nehmen  haben. 

Die  Elephanten  ziehen  gesellschaftlich  umher.  Der 
älteste  führt  den  Zug  an,  und  der  im  Alter  auf  ihn  folgende 
beschliesst  denselben.  Wenn  sie  über  einen  Fluss  wollen, 
schicken  sie  die  kleinsten  voraus,  damit  durch  die  Tritte 
der  grössern  das  Flussbett  nicht  zu  sehr  ausgetreten  und 
die  Tiefe  grösser  werde.  Antipater  giebt  an,  der  König 
Antiochus  habe  sich  zweier  Elephanten  im  Kriege  bedient, 
die  sogar  eigne  Namen  gehabt  hätten,  denn  sie  verstehen 
dieselben.    Cato,  der  nicht  einmal  die  Namen  der  Feldherrn 


Achtes  Buch. 


83 


in  seine  Annalen  aufgeführt  hat,  erzählt,  dass  ein  Elephant, 
welcher  in  einer  Schlacht  gegen  die  Punier  am  muthigsten 
gekämpft  habe,  Surus *)  genannt  worden  sei,  weil  einer 
seiner  Zähne  verstümmelt  war.  Als  Antiochus  durch  einen 
Fluss  setzen  wollte,  weigerte  sich  Ajax  (ein  Elephant  näm- 
lich), der  sonst  immer  der  Anführer  des  ganzen  Trupps  ge- 
wesen war.  Da  rief  man  aus,  dass  derjenige  der  erste  von 
allen  sein  sollte,  der  zuerst  hinüber  ginge;  Patroclus  (ein 
anderer  Elephant)  wagte  es,  und  wurde  deshalb  mit  einem 
silbernen  Kopfschmuck  (woran  die  Elephanten  viel  Freude 
Laben)  und  mit  dem  Vorrange  über  die  andern  beschenkt. 
Jener  aber  sah  sich  dadurch  beschimpft  und  zog  den  Hunger- 
tod der  Schande  vor.  Sie  besitzen  nämlich  ein  wunder- 
bares Schaamgefühl;  der  Besiegte  weicht  vor  der  Stimme 
des  Siegers  und  reicht  ihm  Erde  und  Kräuter2)  dar. 

Aus  Schaamhaftigkeit  begatten  sie  sich  stets  an  einem 
verborgenen  Orte,  das  männliche  Thier  zuerst  im  5.,  das 
weibliche  im  10.  Jahre.  Die  Begattung  erfolgt  alle  2  Jahre 
und  dauert,  wie  man  sagt,  nie  länger  als  5  Tage;  am 
6.  Tage  reinigen  sie  sich  erst  in  einem  Flusse,  bevor  sie 
zur  Heerde  zurückkehren.  Ehebruch  ist  ihnen  unbekannt, 
auch  fallen  unter  ihnen  keine  Kämpfe  wegen  der  Weibchen, 
die  bei  den  übrigen  Thieren  oft  so  erbittert  sind,  vor;  je- 
doch liegt  der  Grund  davon  nicht  in  einem  Mangel  an 
Liebe,  denn  man  erzählt,  dass  einer  in  Aegypten  ein  Mäd- 
chen ,  die  Kränze  verkaufte,  geliebt  habe.  Damit  man  aber 
nicht  glaubt,  seine  Wahl  sei  auf  einen  gewöhnlichen  Gegen- 
stand gefallen,  so  muss  ich  noch  bemerken,  dass  jene  Person 
auch  bei  dem  berühmten  Grammatiker  Aristophanes  3)  sehr 
in  Gunst  stand.    Ein   anderer   hatte   zu   dem   Syrakusaner 


')  Surus  heisst  ein  Pfahl,  Stumpf. 

-)  Verbenae;  so  hiessen  die  heiligen  Kräuter  oder  Zweige,  z.  B. 
des  Lorbeers,  Oelbauins,  der  Myrte,  die  zu  religiösen  Gebräuchen 
dienten,  auch  den  Siegern  als  Zeichen  der  Hochachtung  dargereicht 
wurden. 

8)  Von  Milet,  übrigens  nicht  näher  bekannt. 

6* 


84 


Achtes  Buch. 


Menander,  einem  angehenden  Jüngling  bei  dem  Heere  des 
Ptolemäus,  eine  solche  Neigung  gefasst,  dass  er  nichts  frass, 
wenn  er  ihn  nicht  sah.  Auch  soll,  wie  Juba  erzählt,  einer 
eine  Balsamhändlerin  geliebt  haben.  Bei  allen  äusserte 
sich  die  Liebe  durch  Freude  beim  Anblick,  durch  unge- 
schickte Schmeicheleien  und  durch  Aufbewahrung  von  Ge- 
schenken, die  sie  vom  Volke  erhalten  hatten  und  sie  dann 
indenSchooss  des  Geliebten  schütteten.  Eine  solche  Zuneigung 
ist  auch  kein  Wunder  beiThieren,  die  ein  Gedächtniss  haben; 
denn  ebenderselbe  Schriftsteller  sagt,  dass  sie  denjenigen,  wel- 
cher in  der  Jugend  ihr  Führer  war,  im  hohen  Alter  nach  vielen 
Jahren  wieder  erkennen,  auch  hätten  sie  eine  gewisse 
Ahnung  von  Gerechtigkeit.  Als  einst  der  König  Bocchus  l) 
30  Elephanten  ebenso  viele  Menschen,  welche  er  zum  Ziele 
seiner  Wuth  erkoren  hatte,  an  Pfähle  gebunden,  vorwerfen 
und  Leute  unter  ihnen  umher  laufen  Hess,  welche  sie  reizen 
sollten,  konnte  man  sie  nicht  dahin  bringen,  sich  zum  Dienste 
fremder  Grausamkeit  gebrauchen  zu  lassen. 

6. 
Elephanten  sah  man  in  Italien  zuerst  währenddes 
Krieges  mit  dem  König  Pyrrhus  im  472.  Jahre  der  Stadt, 
und  nannte  sie  lucanische  Ochsen,  weil  man  sie  zuerst  in 
Lucanien  erblickt  hatte;  nach  Rom  aber  kamen  sie  erst 
7  Jahre  später  bei  einem  Triumphe.  Im  Jahre  502  gelangte 
daselbst  eine  grosse  Anzahl  an,  die  bei  dem  Siege  des 
Pontifex  L.  Metellus  über  die  Carthaginienser  in  Sicilien 
gefangen  waren.  142  waren  auf  Flössen  übergefahren,  die 
man  über  zusammengereihete  Tonnen  gelegt  hatte.  Verrius 
berichtet,  man  habe  sie  im  Circus  miteinander  kämpfen 
lassen,  und  sie  mit  Wurfspiessen  getödtet,  weil  man  nichts 
mit  ihnen  anzufangen  wusste,  denn  man  wollte  sie  weder 
füttern,  noch  Könige  damit  beschenken.  Nach  L.  Piso  hat 
man  sie  bloss  in  den  Circus  geführt,  und,  um  die  Verach- 
tung gegen  sie  zu  steigern,  von  Tagelöhnern  mit  stumpfen 


')  Schwiegervater  Jugurtha's,  gegen  Ende   des  2.  Jahrh.  v.  Chr., 
König  von  Mauritanien. 


Achtes  Buch.  85 

Spiessen  im  ganzen  Circus  herumtreiben  lassen.  Was 
dann  mit  ihnen  geschehen  sei,  darüber  schweigen  die 
Schriftsteller ,  welche  nicht  glauben ,  dass  sie  getödtet 
worden  wären. 

7. 
Berühmt  ist  der  Kampf  eines  Römers  mit  einem  Ele- 
phanten,  als  Hannibal  unsere  Gefangenen  zwang  miteinander 
zu  kämpfen.  Einen,  der  übrig  geblieben  war,  Hess  er 
einem  Elephanten  vorwerfen  und  versprach  ihm  die  Frei- 
heit, wenn  er  ihn  tödten  würde.  Jener  betrat  allein  den 
Kampfplatz  und  tödtete  den  Elephanten  zum  grossen  Ver- 
drusse  der  Carthaginienser.  Hannibal  aber,  welcher  fürchtete, 
dass  der  Ruf  von  diesem  Kampfe  die  Elephanten  in  Ver- 
achtung bringen  würde,  schickte  dem  Sieger  Reiter  nach 
und  Hess  ihn  ermorden.  Dass  ihr  Rüssel  sehr  leicht  abge- 
hauen werden  kann,  ist  aus  mehreren  Beispielen  in  den 
Schlachten  des  Pyrrhus  bekannt.  Nach  Fenestella's  A)  Be- 
richte kämpften  zuerst  unter  dem  Aedilis  curulis  2)  Claudius 
Pulcher,  und  den  Consuln  M.  Antonius  und  A.  Postumius, 
im  Jahre  Roms  655,  Elephanten  im  Circus  zu  Rom;  ferner 
20  Jahre  später  unter  dem  Aedilsamte  der  Luculler  gegen 
Stiere.  Auch  während  dem  zweiten  Consulate  des  Pompe- 
jus,  als  der  Tempel  der  Venus  Victrix  eingeweihet  wurde, 
haben  20,  oder  nach  Andern,  17  im  Circus  gegen  mit  Wurf- 
spiessen  bewaffnete  Gätuler  gekämpft.  Merkwürdig  war 
dabei  der  Kampf  eines  Elephanten;  dieser  kroch,  als  ihm 
die  Füsse  durchbohrt  waren,  auf  den  Knien  in  die  Haufen, 
riss  den  Kämpfern  die  Schilde  weg  und  schleuderte  sie  so 
in  die  Luft,  dass  sie  beim  Herabfallen  zum  Ergötzen  der 
Zuschauer  sich  wirbelnd  im  Kreise  herum  dreheten,  als  wenn 


*)  Dichter  und  Historiker,  starb  zu  Cumae  unter  August  oder 
Tiberius. 

2)  Aediles  waren  obrigkeitliche  Personen  zu  Rom,  welche  die  Auf- 
sicht über  die  öffentlichen  und  Privatgebäude,  sowie  auch  über 
mehrere  öffentliche  Spiele  führten,  und  in  dieser  Rücksicht  eine 
Art  Stadtpolizei  verwalteten.  Es  gab  4  Klassen:  Aediles  curules,  — 
plebis,  —  cereales,  —  municipales. 


86  Achtes  Buch. 

sie  das  Thier  mit  Kunst  und  nicht  in  der  Wuth  geworfen 
hätte.  Bei  einem  andern  trat  der  ebenso  wunderbare  Fall 
ein,  dass  er  durch  einen  Wurf  getödtet  wurde;  der  Spiess 
war  ihm  nämlich  unter  dem  Auge  bis  ins  Gehirn  gedrungen. 
Alle  versuchten,  nicht  ohne  Bestürzung  des  Volkes,  die  sie 
umgebenden  Gitter  zu  durchbrechen.  Diess  veranlasste  den 
Dictator  Cäsar,  als  er  später  ein  ähnliches  Schauspiel  geben 
wollte,  den  Kampfplatz  mit  Gräben  einzuschliessen,  die 
aber  Nero  wieder  zuwerfen  Hess,  um  Plätze  für  die  Ritter 
anzubringen.  Die  Elepbanten  des  Pompejus,  welche  keine 
Hoffnung  zur  Flucht  sahen,  erfleheten  das  Mitleid  des  Volkes 
durch  unbeschreiblich  klägliche  Geberden,  und  bejammerten 
sich  gleichsam,  wodurch  das  Volk  so  schmerzlich  bewegt 
wurde,  dass  es,  des  Feldherrn  und  seines  ihm  zu  Ehren 
gehaltenen  Festes  vergessend,  weinend  sich  erhob,  und  Ver- 
wünschungen gegen  Pompejus  ausstiess,  die  auch  bald  an 
ihm  in  Erfüllung  gingen.  Während  des  dritten  Consulats 
des  Dictators  Cäsar  kämpften  20  Elephanten  gegen  500  Mann 
Fussvolk;  und  wiederum  ebenso  viele  mit  Thürmen  versehene, 
worin  sich  60  Kämpfer  befanden,  gegen  ebenso  viele  (500) 
Fusssoldaten  und  eine  gleiche  Anzahl  Reiter.  Späterhin 
kämpften  sie  einzeln  unter  den  Kaisern  Claudius  und  Nero, 
wenn  die  Fechter  aufhörten. 

Der  Elephant  soll  gegen  weniger  starke  Thiere  eiue 
solche  Milde  äussern,  dass,  wenn  ihm  eine  Heerde  Schafe 
begegnet,  er  die,  welche  ihm  am  nächsten  sind,  mit  dem 
Rüssel  weghebt,  damit  er  keins  aus  Versehen  zertrete. 
Ungereizt  fügen  sie  Niemandem  ein  Leid  zu;  stets  ziehen 
sie  schaarenweise  umher,  und  unter  allen  Thieren  sind  sie 
es,  die  am  wenigsten  einzeln  angetroffen  werden.  Werden 
sie  von  Reitern  umringt,  so  nehmen  sie  die  Schwachen, 
Ermüdeten  und  Verwundeten  in  die  Mitte,  und  wechseln, 
gleichsam  wie  nach  einem  Commando  oder  Plane,  mitein- 
ander ab.  In  der  Gefangenschaft  werden  sie  durch  Gersten- 
saft am  schnellsten  gezähmt. 

8. 

Sie  werden  in  Indien  auf  folgende  Art  gefangen.   Ein 


Achtes  Buch.  37 

Führer  reitet  auf  einem  schon  gezähmten  Elephanten  aus; 
trifft  er  nun  einen  einzelnen  oder  einen,  der  sich  von  seiner 
Heerde  getrennt  hat,  so  prügelt  er  den  wilden,  und  wenn 
er  ihn  ermüdet  hat,  besteigt  er  ihn  und  lenkt  ihn  eben- 
so wie  den  vorigen.  In  Afrika  fängt  man  sie  in  Gruben; 
fällt  einer  hinein,  so  schleppen  die  übrigen  sogleich  Baum- 
äste zusammen;  wälzen  Steine  hinab,  bauen  Dämme,  und 
bemühen  sich  mit  aller  Kraft  ihn  herauszuziehen. 

Früher  trieb  man,  um  sie  zu  zähmen,  ganze  Heerden 
durch  Reiter  in  eine  künstlich  gemachte,  und  durch  ihre 
Ausdehnung  täuschende  Thalschlucht;  hier  waren  sie  dann 
durch  Kanäle  und  Gruben  eingeschlossen  und  wurden  durch 
Hunger  gebändigt.  Das  Kennzeichen,  ob  einer  zahm  sei, 
war,  wenn  er  einen  Zweig,  den  ihm  ein  Mensch  darreichte, 
willig  annahm.  Jetzt  richtet  man  um  der  Zähne  willen 
die  Geschosse  nach  ihren  Füssen,  die  ohnehin  die  weichsten 
Theile  an  ihnen  sind.  Die  an  Aethiopien  grenzenden  Tro- 
glodyten,  welche  allein  von  dieser  Jagd  leben,  besteigen 
Bäume,  an  denen  ihr  Weg  vorbeigeht,  erwarten  hier  den 
letzten  des  ganzen  Haufens,  und  springen  ihm  hinten  auf 
die  Lenden.  Mit  der  linken  Hand  ergreifen  sie  den  Schwanz 
und  stützen  die  Füsse  am  linken  Schenkel.  So  hängend 
hauen  sie  ihm  mit  einer  in  der  rechten  Hand  befindlichen 
sehr  scharfen  zweischneidigen  Axt  in  ein  Knie.  Ist  diess 
gelähmt,  so  hauet  der  Mann  ihm  noch  die  Sehnen  des  andern 
Knies  ab  und  entfliehet  dann;  alles  diess  geschieht  mit  der 
grössten  Schnelligkeit.  Andere  befolgen  eine  minder  ge- 
fährliche, aber  unzuverlässigere  Methode.  Sie  befestigen 
nämlich  in  einiger  Entfernung  sehr  grosse  Bögen  an  der 
Erde;  junge  Leute  von  vorzüglicher  Stärke  halten  sie,  an- 
dere von  gleicher  Kraft  spannen  sie,  schiessen  auf  die  vor- 
übergehenden mit  Jagdspiessen,  und  folgen  dann  der  blutigen 
Spur.  Die  weiblichen  Elephanten  sind  weit  furchtsamer 
als  die  männlichen. 

9. 

Die    wilden    Elephanten   werden    durch    Hunger    und 
Schläge  gezähmt;   auch  nimmt  man  andere  zu  Hülfe,  an 


gg  Achtes  Buch. 

welche  der  Unbändige  mit  Ketten  geschlossen  wird.  Ue- 
brigens  sind  sie  zur  Zeit  der  Brunst  am  wildesten  und  zer- 
stören dann  mit  ihren  Zähnen  die  Ställe  der  Indier.  Daher 
halten  diese  sie  von  der  Begattung  ab,  und  trennen  die 
Weibchen  von  ihnen,  die  sie  ebenso  wie  anderes  Zugvieh 
benutzen.  Die  gezähmten  werden  im  Kriege  gebraucht, 
tragen  Thtirme  mit  Bewaffneten  gegen  den  Feind,  und  ent- 
scheiden im  Oriente  grösstenteils  die  Schlachten.  Sie  ver- 
nichten die  Schlachtordnung  und  zertreten  die  Krieger. 
Aber  eben  diese  Thiere  werden  durch  das  geringste  Grunzen 
eines  Schweines  in  Schrecken  gesetzt,  und  wenn  sie  ver- 
wundet und  scheu  gemacht  sind,  laufen  sie  zu  nicht  geringem 
Nachtheil  ihrer  eignen  Partei  stets  zurück.  Der  afrika- 
nische Elephant  fürchtet  sich  vor  dem  indischen,  und  wagt 
nicht  ihn  anzublicken,  denn  der  indische  ist  bei  weitem 
grösser. 

10. 
Der  gemeine  Haufen  glaubt,  das  Weibchen  sei  10  Jahre 
lang  trächtig;  nach  Aristoteles  trägt  es  nur  2  Jahre,  gebärt 
nur  einmal  und  nie  mehr  als  1  Junges;  sie  sollen  200, 
einige  sogar  300  Jahre  alt  werden.  Ihre  Mannbarkeit  be- 
ginnt im  60.  Jahre.  Flüsse  lieben  sie  sehr  und  treiben  sich 
an  denselben  herum,  da  sie  wegen  der  Grösse  ihres  Kör- 
pers nicht  schwimmen  können  l).  Kälte  können  sie  nicht 
vertragen;  sie  ist  für  sie  das  grösste  Ungemach  und  ver- 
ursacht ihnen  Blähungen  und  Durchfall.  Ausserdem  werden 
sie  von  keinen  Krankheiten  befallen.  Wenn  sie  Oel  trinken, 
so  sollen  ihnen  die  Pfeile,  welche  in  ihrem  Körper  stecken, 
ausfallen;  wenn  sie  aber  schwitzen,  so  sollen  dieselben  noch 
tiefer  eindringen.  Erde  zu  fressen  ist  ihnen  sehr  schädlich, 
wenn  sie  nicht  öfters  schon  davon  verzehrt  haben.  Sie 
verschlucken  auch  Steine.  Baumäste  sind  ihre  liebste 
Nahrung.  Hohe  Palmen  brechen  sie  mit  der  Stirn  nun,  und 
verzehren  dann  die  Früchte  derselben.  Sie  fressen  mit  dem 
Munde,  athmen,  trinken  und  riechen  aber  mit  dem  Rüssel. 


')  Bekanntlich  schwimmen  sie  mit  der  grössten  Leichtigkeit. 


Achtes  Buch.  8i( 

den  man  nicht  unpassend  ihre  Hand  genannt  hat.  Unter 
allen  Thieren  ist  ihnen  die  Maus  am  meisten  zuwider,  und 
wenn  sie  sehen,  dass  ihr  Futter  in  der  Krippe  von  einer 
berührt  wird,  so  ekeln  sie  sich  davor.  Die  grösste  Qual 
verursacht  es  ihnen  aber,  wenn  sie  beim  Saufen  einen  Blut- 
igel, den  man,  wie  ich  sehe,  jetzt  anfängt  Blutsauger  *)  zu 
nennen,  mit  verschlucken.  Wenn  sich  dieser  in  der  Luft- 
röhre festsezt,  so  empfinden  sie  einen  unerträglichen  Schmerz. 

Ihr  Fell  ist  auf  dem  Rücken  am  härtesten,  am  Bauche 
weich,  und  nirgends  mit  Haaren  bedeckt;  nicht  einmal  am 
Schwänze  haben  sie  deren,  um  damit  die  unangenehmen 
Fliegen  abzuwehren  (denn  auch  dieses  ungeheuere  Thier 
ist  damit  geplagt);  allein  ihre  Haut  ist  gegittert  und  zieht 
durch  ihren  Geruch  jene  Thiere  an.  Haben  sich  nun  auf 
der  ausgedehnten  Haut  ganze  Schwärme  angesammelt,  so 
ziehen  sie  dieselbe  schnell  in  Runzeln  zusammen,  fangen 
so  die  Fliegen  und  erdrücken  sie.  Auf  diese  Weise  weiden 
ihnen  Schwanz,  Mähne  und  Haare  ersetzt. 

Die  Zähne  stehen  in  hohem  Preise  und  geben  den 
köstlichsten  Stoff  zu  Götterbildern.  Die  Ueppigkeit  hat 
noch  einen  andern  Werth  am  Elephanten  erdacht,  man 
findet  nämlich  die  Schwarte  des  Rüssels  von  besonders 
gutem  Geschmack,  aber,  wie  mir  scheint,  wohl  aus  keinem 
andern  Grunde,  als  weil  man  glaubt,  das  Elfenbein  selbst 
zu  speisen.  Die  grössten  Zähne  findet  man  zwar  nur  in 
den  Tempeln;  allein  in  den  entferntesten  Ländern  Afrikas, 
da  wo  es  an  Aethiopien  grenzt,  vertreten  sie  auch  die 
Stelle  der  Pfosten  in  den  Häusern,  ferner  dienen  sie  bei 
den  Zäunen  um  dieselben  sowie  um  die  Viehställe  statt 
der  Pfähle,  wie  Polybius  nach  dem  Berichte  des  Königs 
Gulussa  2)  schreibt. 

11. 

In  Afrika  kommen  die  Elephanten  jenseits  der  syrtischen 


')  Sanguisuga. 

2)  Ein  kleiner  König  einer  nomadischen  Horde  in  Afrika,  Zeitge- 
nosse des  Scipio  Africanus.  Vergl.  Polybius  XXXI.  B. 


yO  Achtes  Buch. 

Wüsten  und  in  Mauritanien  vor;  auch  giebt  es  deren  in 
Aethiopien  und  im  Lande  der  Troglodyten,  wie  bereits  er- 
wähnt wurde;  aber  die  grössten  erzeugt  Indien  sowie  auch 
Schlangen1),  die  mit  ihnen  in  stetem  Kampfe  und  Feind- 
schaft leben,  und  von  solcher  Grösse  sind,  dass  sie  jene 
leicht  umwinden  und  durch  Knüpf ung  eines  Knotens  er- 
würgen können.  Ein  solcher  Kampf  bringt  aber  beiden 
den  Tod,  denn  der  Besiegte  erdrückt  beim  Fallen  die  ihn 
umwindende  Schlange  durch  sein  Gewicht. 

12. 
Bewundernswerth  ist  die  Schlauheit,  welche  jedem 
Thiere  zu  seinem  Vortheile  zu  Gebote  steht  und  wovon  ich 
hier  ein  Beispiel  mittheilen  will.  Der  Schlange  wird  es 
schwer,  auf  ein  so  grosses  Thier,  wie  der  Elephant  ist,  zu 
kommen;  daher  spürt  sie  den  Weg  auf,  den  er  nimmt, 
wenn  er  zur  Weide  geht,  und  stürzt  sich  von  einem  hohen 
Baume  auf  ihn  herab.  Dieser  weiss,  dass  er  im  Nachtheile 
ist,  sobald  die  Schlange  ihn  umstrickt  hat,  und  sucht  daher, 
sie  gegen  einen  Baum  oder  Felsen  zu  quetschen.  Die 
Schlange  sucht  diess  zu  verhindern,  indem  sie  zuerst  seine 
Beine  mit  dem  Schwänze  umschlingt.  Er  löst  mit  seinem 
Rüssel  die  Knoten  wieder  auf;  allein  die  Schlange  steckt 
ihren  Kopf  in  die  Oefimung  desselben,  benimmt  ihm  so  den 
Athem,  und  zerfleischt  ihm  die  weichsten  Theile.  Kommt 
sie  einem  Elephanten  in  den  Weg,  so  steigt  sie  vor  ihm 
in  die  Höhe,  und  richtet  ihren  Angriff  vorzüglich  nach 
dessen  Augen.  Daher  kommt  es,  dass  man  so  viele  Blinde 
und  von  Hunger  und  Kummer  Verzehrte  findet.  Wer  kann 
nun  wohl  einen  andern  Grund  einer  solchen  Feindschaft 
angeben,  als  den,  dass  die  Natur  sich  selbst  das  Schauspiel 
eines  Kampfes,  wie  so  viele  ähnliche  Dinge,  bereitete? 
Man  giebt  auch  noch  eine  andere  Nachricht  über  die  Ur- 
sache dieses  Kampfes.  Das  Blut  des  Elephanten  soll  sehr 
kalt  sein,  und  deshalb  bei  grosser  Hitze  von  den  Schlangen 
gesucht  werden.    In  dieser  Absicht  lauern  sie  in  den  Flüssen 


')  Dracones;  Riesenschlangen  aus  der  Gattung  Boa. 


Achtes  Buch.  yj_ 

untergetaucht  dem  Elephanten  beim  Trinken  auf,  umschlingen 
und  fesseln  den  Rüssel  und  beissen  ihm  ins  Ohr,  weil  diess 
die  einzige  Stelle  ist,  welche  er  mit  dem  Rüssel  nicht  ver- 
theidigen  kann.  Die  Schlangen  sollen  von  solcher  Grösse 
sein,  dass  sie  das  ganze  Blut  eines  Elephanten  zu  sich 
nehmen  können;  daher  würden  diese  von  ihnen  ausgesogen, 
stürzten  blutlos  nieder,  erdrückten  die  vollgetrunkenen 
Schlangen  und  fänden  mit  ihnen  zugleich  den  Tod. 

13. 

Auch  in  Aethiopien  giebt  es  Schlangen,  die  den  in- 
dischen gleich  kommen,  und  20  Cubitus  lang  werden.  Nur 
ist  es  zu  verwundern,  dass  Juba  geglaubt  hat,  sie  hätten 
(Rticken-)Kämme  1).  In  dem  Lande  der  asachäischen  Ae- 
thiopier  kommen  die  meisten  vor.  Man  erzählt,  dass  an 
den  Meeresküsten  sich  4  oder  5  derselben  wie  Hürden  zu- 
sammenflechten, und  mit  aufgerichteten  Köpfen  zu  besserem 
Futter  nach  Arabien  hinüber  schwimmen. 

14. 

Megasthenes  erzählt,  in  Indien  erreichten  die  Schlangen 
eine  solche  Grösse,  dass  sie  ganze  Hirsche  und  Stiere  ver- 
schlingen könnten.  Nach  Metrodorus  giebt  es  deren  am 
Flusse  Rhyndacus  2)  im  Pontus,  welche  die,  wenn  auch  noch 
so  hoch  und  schnell  über  sie  hinfliegenden  Vögel  weg- 
schnappten und  frässen.  Bekannt  ist  jene  120  Fuss  lange 
Schlange,  die  in  den  punischen  Kriegen  am  Flusse  Bagrada 3) 
von  dem  Feldherrn  Regulus  mit  Ballisten  und  andern  Be- 
lagerungswerkzeugen, gleichwie  eine  Stadt,  bekämpft  wurde 4 ). 
Ihre  Haut  und  Kiefern  haben  sich  bis  zum  numantinischen 
Kriege  in  einem  Tempel  zu  Rom  erhalten.  Diese  Nach- 
richten gewinnen  durch  die  Boaschlangen  in  Italien  Glauben, 
denn  diese  werden  so  gross,   dass  der  Kaiser  Claudius   in 


')  Cristati.    !)  Oder  Lycus,  jetzt  Lupati. 

3)  Jetzt  Mejerda  in  Afrika;  er  floss  bei  Utica  und  Carthago  vorbei, 
und  wird  für  jene  Gegenden  durch  seine  jährlichen  Ueberschwem- 
mungen  ebenso  wohlthätig,  wie  der  Nil. 

«)  Im  ersten  punischen  Kriege;  256  v.  Chr.  fr. 


92  Achtes  Buch. 

dem  Bauche  einer  solchen,  die  auf  dem  Vatican  getödtet 
war,  ein  Kind  fand.  Ihre  erste  Nahrung  besteht  in  einem 
der  Kuhmilch  ähnlichen  Safte,  woher  sie  auch  ihren  Namen 
erhalten  haben.  Die  Gestalten  der  übrigen  Thiere  (dieser 
Art),  welche  aus  allen  Ländern  zusammengebracht,  häufig 
nach  Italien  gelangt  sind,  genau  zu  beschreiben,  ist  un- 
nöthig. 

15. 
Scythien  bringt  wegen  Mangel  an  Bäumen  und  Ge- 
sträuch die  wenigsten  Thiere  hervor;  auch  hat  das  an- 
grenzende Germanien  nur  wenige  aufzuweisen.  Jedoch 
giebt  es  daselbst  ausgezeichnete  Arten  wilder  Ochsen, 
Buckelochsen1)  mit  Mähnen,  Auerochsen2)  von  grosser 
Stärke  und  Schnelligkeit,  welche  bei  dem  unkundigen 
Volke  Büffel 3)  heissen;  diese  sind  aber  in  Afrika  zu 
Hause,  und  haben  einige  Aehnlichkeit  mit  dem  Kalbe  und 
Hirsche. 

16. 
Im  Norden  giebt  es  auch  Heerden  wilder  Pferde,  so- 
wie in  Asien  und  Afrika  wilde  Esel,  ausserdem  das  Elen- 
thier4),  das  sich  nur  durch  seine  langen  Ohren  und  den 
langen  Hals  vom  Rindvieh  unterscheidet.  Ferner  das  auf 
der  Insel  Scandinavien  einheimische,  bei  uns  in  Born  nie 
gesehene,  aber  von  Vielen  beschriebene  Thier  Achlis  5). 
welches  jenem  nicht  unähnlich  ist,  aber  keine  Kniegelenke 
hat,  daher  es  auch  nicht  liegend,  sondern  an  einen  Baum 
gelehnt  schläft.  Dieser  wird,  wenn  man  es  fangen  will,  an- 
gesägt, da  man  ihm  wegen  seiner  ausserordentlichen 
Schnelligkeit  nicht  anders  beikommen  kann.  Seine  Ober- 
lippe ist  sehr  gross,  daher  geht  es  beim  Weiden  rückwärts, 
um  sich  nicht  bei  der  Bewegung  vorwärts  damit  zu  ver- 
wickeln.   In  Päonien   soll   es    ein    wildes   Thier,  Namens 


')  Bisontes:  Bos  Bison  L.    2)  Uri:  Bos  Urus. 

3)  Bubali:    Bos    Bubalus.    Er  ist  in  Asien,   Afrika,  der  Türken 
Ungarn  und  Italien  als  Hausthier  verbreitet. 

4)  Alces:  Cervus  alces.     5)  Ein  unbekanntes  Thier. 


Achtes  Buch.  93 

Bonasus  *),  geben,  das  eine  Pferdemähne  hat,  Übrigens  aber 
dem  Stiere  gleicht;  seine  Hörner  sind  so  gegeneinander  ge- 
bogen, dass  es  sich  nicht  damit  vertheidigen  kann,  daher 
sucht  es  sein  Heil  in  der  Flucht,  und  giebt  dabei  bisweilen 
auf  einer  Strecke  von  3  Jugern  seinen  Mist  von  sich,  der 
die  Verfolger  beim  Anfassen  wie  Feuer  brennt. 

17. 

Es  ist  merkwürdig,  dass  die  Parder,  Panther,  Löwen 
und  ähnliche  Thiere  beim  Gehen  ihre  spitzigen  Krallen  in 
Scheiden  verbergen,  damit  sie  sich  nicht  verbiegen  oder 
abnutzen,  und  dass  sie  mit  nach  hinten  gerichteten  Klauen 
laufen,  und  sie  nicht  eher  ausstrecken,  bis  sie  etwas  er- 
greifen wollen.  Der  Löwe  2)  hat  dann  ein  besonders  edles 
Ansehen,  wenn  die  Mähne  Hals  und  Schultern  bedeckt.  Diess 
wird  aber  in  einem  gewissen  Alter  nur  solchen  zu  Theil, 
die  von  (echten)  Löwen  abstammen;  denn  die  von  Pardern 
erzeugten  entbehren,  gleich  den  Löwinnen,  dieses  ausge- 
zeichneten Schmucks.  Sie  sind  sehr  geiler  Natur,  und  die 
Männchen  werden  dabei  sehr  wiithend.  In  Afrika  nimmt 
man  diess  am  meisten  wahr,  weil  sich  dort  die  wilden 
Thiere,  wegen  Wassermangel,  in  zahlreicher  Menge  an  den 
wenigen  Flüssen  aufhalten.  Aus  diesem  Grunde  trifft  man 
dort  auch  so  viele  Spielarten,  weil  sich  Weibchen  und 
Männchen  jeder  Gattung  entweder  durch  Gewalt  oder  aus 
Wollust  miteinander  vermischen.  Daher  das  in  Griechen- 
land allgemeine  Sprichwort:  Afrika  bringt  immer  etwas 
Neues. 

An  dem  Gerüche  nimmt  es  der  Löwe  wahr,  wenn  die 
Löwin  mit  einem  Parder  zusammen  gewesen  ist,  und  rüstet 
sich  dann  mit  aller  Kraft  zur  Rache.  Deshalb  wäscht  sie 
ihre  Schuld  an  einem  Flusse  ab,  oder  begleitet  ihn  in  ei- 
niger Entfernung.  Wie  ich  sehe,  ist  das  gemeine  Volk  der 
Meinung,  die  Löwinnen  gebären  nur  einmal  in  ihrem  Leben, 

')  Bonasus:  Bos  Bonasus,  der  Wiesent.  Dieser  findet  sich  nur 
noch  in  dem  bialowieyskischen  Walde  in  Litthauen,  wo  eine  Heerde 
von  ungefähr  600  Stück  lebt,  die  von  Seiten  der  russischen  Regie- 
rung gehegt  wird.    2)  Felis  Leo. 


y4  Achtes  Buch. 

weil  die  Gebärmutter  bei  der  Geburt  durch  die  scharfen 
Krallen  zerrissen  würde.  Anders  urtheilt  darüber  Aristoteles, 
dem  ich  hierbei  grösstenteils  folgen  werde  und  deshalb 
einiges  vorhersagen  zu  müssen  glaube.  Der  König  Alexander 
der  Grosse,  den  ein  brennender  Eifer  beseelte,  die  Thiere 
näher  kennen  zu  lernen,  hatte  dem  Aristoteles,  diesem  in 
allen  Fächern  höchst  gelehrten  Mann,  diese  Forschungen 
übertragen,  und  ihm  einige  tausend  Mann  in  alleu  Gegen- 
den Asiens  und  Griechenlands  zur  Verfügung  gestellt, 
sämmtlich  Leute,  die  von  der  Jagd,  vom  Vogelfange  und 
der  Fischerei  lebten,  oder  über  Thiergärten,  Heerden,  Bienen- 
stöcke, Fischteiche  und  Vogelhäuser  die  Aufsicht  führten, 
damit  ihm  kein  Geschöpf  unbekannt  bliebe.  Aus  den  Nach- 
richten, welche  ihm  diese  brachten,  stellte  er  jene  50  vor- 
trefflichen Bücher  über  die  Thiere  zusammen;  diese  habe 
ich,  nebst  dem,  was  ihm  unbekannt  geblieben  war,  in  einen 
gedrängten  Auszug  gebracht,  und  bitte  deshalb  die  Leser, 
welche  die  gesammten  Werke  der  Natur,  dieses  Lieblings- 
studium des  berühmtesten  aller  Könige,  unter  meiner  Lei- 
tung durchwandern  wollen,  um  gütige  Nachsicht.  Aristoteles 
also  berichtet,  die  Löwin  würfe  zum  ersten  Male  5  Junge, 
und  jedes  folgende  Jahr  eins  weniger,  bis  sie,  nachdem  sie 
eins  geworfen,  unfruchtbar  würde.  Die  Jungen  sollen  an- 
fänglich unförmliche  kleine  Fleischmassen  von  der  Grösse 
der  Wiesel  sein,  kaum  nach  6  Monaten  laufen,  und  sich 
nicht  vor  2  Monaten  bewegen  können.  In  Europa  aber  soll 
es  nur  zwischen  den  Flüssen  Achelous *)  und  Nestus 2) 
Löwen  geben,  die  indessen  an  Stärke  den  afrikanischen 
und  syrischen  weit  überlegen  wären. 

18. 
Es  giebt  zwei  Arten  Löwen,  von  denen   die  eine  ge- 
drungener und  kürzer  ist  und  krausere  Mähnen  hat.    Diese 
sollen  furchtsamer  sein,  als  die  von  längerm  Körperbau  und 


')  Grenzfluss  Aetoliens  und  Acarnaniens,  jetzt  Aspro  Potauio. 
2)  Grenzfluss  von  Thracien  und  Macedonien,    jetzt  Nesto    oder 
Karasu.    Löwen  giebt  es  übrigens  dort  nicht. 


Achtes  Buch.  95 

mit  schlichter  Mähne,  welche  sich  aus  Wunden  nichts 
machen.  Gleichwie  die  Hunde  lassen  sie  den  Urin  mit 
aufgehobenem  Beine,  der  gleich  ihrem  Athem  einen  starken 
Geruch  hat.  Sie  saufen  selten,  fressen  nur  einen  um  den 
andern  Tag,  und  können,  wenn  sie  sich  gesättigt  haben, 
3  Tage  lang  des  Futters  entbehren.  So  viel  nur  möglich, 
verschlingen  sie  alles  ganz,  und  wenn  der  Bauch  das,  was 
sie  mit  Gier  gefressen  haben,  nicht  fassen  kann,  so  fahren 
sie  sich  mit  der  Tatze  in  den  Rachen  und  ziehen  es  wieder 
heraus,  damit,  wenn  sie  mit  vollem  Magen  zur  Flucht  ge- 
nöthigt  sind,  diese  leichter  von  Statten  gehen  kann.  Dass 
sie  sehr  lange  leben,  ergiebt  sich  daraus,  dass  die  meisten, 
welche  man  rindet,  keine  Zähne  mehr  haben.  Polybius, 
der  Gefährte  des  Aemilianus  erzählt,  dass  sie  im  Alter  dem 
Menschen  nachstellten,  weil  ihnen  dann  zur  Verfolgung 
wilder  Thiere  die  Kräfte  fehlen.  Dann  lagerten  sie  sich 
vor  die  afrikanischen  Städte,  und  er  nebst  Scipio  hätten 
mehrere  Löwen  gekreuzigt  gesehen,  was  geschehen  war,  um 
die  übrigen  durch  die  Furcht  vor  gleicher  Strafe  von  ihrem 
Vorhaben  abzuschrecken. 

19. 
Der  Löwe  ist  unter  allen  wilden  Thieren  allein  milde 
gegen  Bedrängte,  und  schont  die,  welche  sich  vor  ihm 
niederwerfen;  wenn  er  wüthet,  zeigt  er  sich  furchtbarer 
gegen  Männer  als  gegen  Frauen  und  an  Kindern  vergreift 
er  sich  nur  beim  grössten  Hunger.  In  Libyen  glaubt  man, 
er  verstehe  die  an  ihn  gerichteten  Bitten.  Von  einer  nach 
Gätulien  zurückkehrenden  Gefangenen  habe  ich  als  wahr  er- 
zählen hören,  dass  sie  viele  Löwen,  von  denen  sie  in  den 
"Wäldern  angefallen  wurde,  durch  Anreden  besänftigt  habe, 
indem  sie  den  Muth  fasste  zu  sagen,  sie  sei  ein  flüchtiges 
schwaches  Weib,  welches  zu  dem  grossmüthigsten  und  dem 
Beherrscher  aller  übrigen  Thiere  flehe,  und  eine  seinem 
Ruhme  unwürdige  Beute.  Die  Meinungen  sind  verschieden 
darüber,  ob  man  es  dem  innern  Wesen  oder  dem  Zufalle 
zuschreiben  soll,  wenn  solche  wilde  Thiere  sich  durch  Zu- 
reden besänftigen  lassen;  denn  ob  es  wahr  oder  falsch  sei, 


96  Achtes  Buch. 

dass  man  Schlangen  durch  Zauberformeln  hervorlocken  und 
so  züchtigen  könne,  ist  durch  die  Erfahrung  noch  nicht 
entschieden. 

Die  Gesinnungen  des  Löwen  äussern  sich  im  Schwänze, 
sowie  bei  den  Pferden  an  den  Ohren.     Denn  solche  Merk- 
male hat  die  Natur  jedem  edlen  Thiere   verliehen.    Wenn 
er  also  den  Schwanz  nicht  bewegt,   so  ist   er   sanftmüthig, 
milde  und  einschmeichelnd;  diess  kommt  jedoch  selten  vor, 
denn  weit  häufiger  ist  er  zornig.     Wenn  er  anfängt  zornig 
zu  werden,  schlägt  er  auf  die  Erde,  steigt  aber  seine  Wuth, 
so  prügelt  er  seinen  Rücken,  gleichsam  als  wollte  er  sich 
dadurch  noch  mehr  reizen.     Seine  grösste  Kraft  hat  er  in 
der  Brust.     Aus  einer  jeden  Wunde,  die  durch  seine  Krallen 
oder  seine  Zähne  hervorgebracht  ist,  fliesst  schwarzes  Blut 
Wenn   er   satt  ist,   hat   man   nichts   von  ihm   zu  fürchten. 
Sein  grosser  Muth  beweist  sich  besonders  in  Gefahren,  und 
nicht  bloss  dadurch,  dass  er  die  Geschosse  verachtet,   sich 
lange  nur  durch  sein  Schrecken  erregendes  Ansehen  schützt 
und  zu  erkennen  giebt,  als  ob  er  bloss  gezwungen  sich  er- 
hebe,  denn   er   steht   nicht   auf,   weil  ihn  die  Gefahr  dazu 
nöthigt,   sondern  gewissermaassen  aus  Zorn   über   die   ihm 
widerfahrende  Störung  seiner  Ruhe.    Noch  edler  zeigt  sich 
sein  Muth  dadurch,   dass   er   bei   dem  heftigen  dringenden 
Angriff  der   Jäger   und   Hunde    mit   Verachtung    um   sich 
blickt,  öfters  stehen  bleibt,  und  auf  Ebenen  oder  dahin,  wo 
man  ihn  sehen  kann,  hinläuft;  gelangt  er  aber  ins  Gebüsch 
und  in  Wälder,  so  läuft  er  so  schnell  als  möglich,   gleich- 
sam  um   durch   den  Ort  den  Schimpf  zu  verbergen.     Ver- 
folgt er  etwas,  so  springt  er  mit  einem  Satze  darauf  los, 
auf  der  Flucht  bedient  er   sich   aber    des   Sprunges   nicht. 
Wenn   er   verwundet   ist ,    erkennt   er   mit   bewunderungs- 
würdiger Genauigkeit  den  Thäter  und  sucht  ihn  unter  einer 
noch  so  grossen  Menge  zu  fassen;  den  aber,  der  zwar  auf 
ihn  geschossen,   ihn  aber  nicht  verwundet  hat,   ergreift  er, 
schüttelt  ihn,    und  wirft  ihn  zu  Boden,  ohne  ihn  jedoch  zu 
verletzen-.     Wenn  die  Löwin   für   ihre  Jungen  kämpft,   soll 
sie  den  Blick  auf  die  Erde  heften,  damit  die  Geschosse  sie 


Achtes  Buch. 


97 


nicht  furchtsam  machen.  Uebrigens  kennen  die  Löwen 
weder  List  noch  Argwohn;  sie  blicken  nichts  mit  scheelen 
Augen  an,  und  wollen  auch  nicht,  dass  man  sie  so  ansehe. 
Man  hat  geglaubt,  dass  sie  über  den  Tod  eines  andern 
(Löwen)  Thränen  vergiessen,  und  beim  Sterben  in  die  Erde 
beissen.  Und  doch  lässt  sich  diess  gewaltige  und  furcht- 
bare Thier  durch  im  Kreise  sich  drehende  Räder,  leere 
Wägen,  Hahnenkämme,  noch  mehr  durch  Hahnengekrähe, 
am  meisten  aber  durch  Feuer  in  Schrecken  setzen.  Von 
Krankheiten  kennt  er  keine  andere  als  den  Ekel  vor 
Speisen;  hiervon  wird  er  aber  durch  einen  Schimpf  geheilt, 
indem  man  Affen  in  seiner  Nähe  anbindet,  deren  Possen  ihn 
in  Wuth  bringen.  Das  Blut  derselben  dient  ihm  dann  als 
Heilmittel. 

20. 
Q.  Scävola  l),  der  Sohn  des  Publius,  gab  während  seines 
Aedil- Amtes  zu  Rom  das  Schauspiel  einesKampf  es  zwischen 
mehreren  Löwen.  Aber  einen  Kampf  von  100  Löwen  mit 
Mähnen  veranstaltete  zuerst  L.  Sulla,  der  nachmalige 
Dictator,  als  Prätor.  Nach  ihm  Hess  Pompejus  der  Grosse 
600,  worunter  325  mit  Mähnen,  und  der  Dictator  Cäsar  400 
im  Circus  kämpfen. 

21. 
Sie  zu  fangen,  war  früher  ein  schwieriges  Unternehmen 
und  man  bediente  sich  dazu  meistens  der  Gruben.  Unter 
der  Regierung  des  Claudius  lehrte  der  Zufall  ein  Mittel 
kennen,  welches  einem  solchen  Thiere  fast  zur  Schande 
gereicht;  ein  gätulischer  Hirt  warf  nämlich  einem  ihn 
wüthend  anfallenden  Löwen  seinen  Mantel  entgegen.  Dieses 
Experiment  wurde  bald  nachher  auf  dem  öffentlichen  Kampf- 
platze wiederholt,  und  hier  sah  man,  auf  welch'  eine  fast 
unglaubliche  Weise  dieses  wilde  Thier  durch  das  blosse 
Ueberwerfen  einer  leichten  Decke  über  den  Kopf  so  be- 
stürzt wird,   dass   es   ohne  Widerstand   sich   fesseln   lässt. 


*)  Derselbe,  welcher  101  v.  dir  das  Consulat  verwaltete. 

Wittsteiu:  Plinius.     II.  Bd.  7 


g^  Achtes  Buch. 

Alle  seine  Kraft  besteht  nämlich  in  den  Augen.  Daher  ist 
es  weniger  zu  bewundern,  dass  Lysimachus 1),  der  auf 
Alexanders  Befehl  mit  einem  Löwen  zusammengesperrt 
wurde,  denselben  erwürgte. 

M.  Antonius  war  der  erste,  velcher  ihnen  zu  Rom  ein 
Joch  auflegte  und  sie  vor  den  Wagen  spannte;  diess  ge- 
schah im  Bürgerkriege,  nach  der  Schlacht  in  der  pharsa- 
li sehen  Ebene,  nicht  ohne  eine  gewisse  Vorbedeutung  für 
jene  Zeiten,  denn  diese  seltsame  Begebenheit  zeigte  an, 
dass  edle  Geister  sich  unter  das  Joch  würden  beugen 
müssen;  dass  er  aber  auf  solche  Weise  mit  der  mimischen 
Künstlerin  Cytheris  fuhr,  überstieg  noch  die  Wunderzeichen 
jener  Unglücksfälle.  Der  erste,  welcher  einen  Löwen  mit 
der  Hand  lenkte,  zähmte  und  öffentlich  zeigte,  soll  Hanno, 
ein  vornehmer  Carthaginienser,  gewesen  sein;  er  wurde  aber 
aus  dem  Grunde  verurtheilt 2),  weil  ein  Mann  von  so  er- 
findungsreichem Geiste  zu  Allem  zu  überreden  im  Stande 
sein  würde,  und  man  dem,  der  die  Wildheit  soweit  ge- 
bändigt hätte,  die  Freiheit  nicht  wohl   anvertrauen   könne. 

Es  sind  aber  auch  Beispiele  vorhanden,  wo  sich  der 
Löwe  zutraulich  und  milde  zeigte.  Der  Syracusaner  Men- 
tor wurde  in  Syrien  durch  einen  Löwen,  der  ihm  entgegen 
kroch,  aufs  höchste  erschreckt.  Er  wollte  fliehen,  allein 
das  Thier  stellte  sich  ihm  überall  in  den  Weg,  und  leckte, 
gleich  einem  Schmeichler,  seine  Fussstapfen;  da  bemerkte 
er  in  dessen  Fusse  ein  Geschwür,  zog  ihm  den  Splitter  aus 
der  Wunde  und  befreiete  ihn  von  seiner  Qual.  Ein  Ge- 
mälde zu  Syrakus  beglaubigt  diesen  Vorfall.  Etwas 
ähnliches  widerfuhr  dem  Elpis,  einem  Samier,  der  nach 
Afrika  geschifft  war;  dieser  flüchtete  sich,  als  er  in  der 
Nähe    der    Küste    einen    Löwen    mit    weit    aufgesperrtem 


*)  Der  nach  Alexander  des  Grossen  Tod  König  in  Thracien 
wurde. 

2)  Justin  führt  als  Grund  seiner  Verbannung  an,  er  habe  den 
Plan  gehabt,  alle  Senatoren  bei  der  Hochzeit  seiner  Tochter  zu  ver- 
giften, diess  sei  aber  verrathen  worden. 


Achtes  Buch. 


99 


Kuchen  erblickte,  auf  einen  Baum,  unter  Anrufung  des 
Bacchus:  denn  man  denkt  meistenteils  erst  ans  Beten,  wenn 
keine  Hoffnung  mehr  vorhanden  ist.  Der  Löwe  war  ihm, 
obgleich  er  es  gekonnt  hätte,  nicht  nachgesetzt,  sondern 
legte  sich  unter  den  Baum,  und  suchte  durch  denselben 
Rachen,  durch  den  er  ihn  erschreckt  hatte,  sein  Mitleid  zu 
erregen.  Ein  Knochen  war  ihm  bei  einem  heftigen  Bisse 
zwischen  den  Zähnen  stecken  geblieben,  hinderte  ihn  am 
Fressen,  und  gab  ihn  so  dem  Hunger  Preis.  In  diesem 
Leiden  sah  er  hinauf  und  bat  gleichsam  mit  stummem 
Flehen  um  Hülfe;  da  aber  jener  es  nicht  wagte,  dem  Löwen 
ohne  Weiteres  zu  trauen,  so  dauerte  seine  Verwunderung 
noch  länger  als  seine  Furcht,  Endlich  stieg  er  herab,  und 
zog  ihm,  der  den  Rachen  darreichte  und  es  jenem  so  be- 
quem als  möglich  machte,  den  Knochen  heraus.  Aus  Dank- 
barkeit soll  der  Löwe,  so  lange  sich  das  Schiff  am  Ufer 
befand,  eine  Menge  Wild,  das  er  erbeutet,  herbeigebracht 
haben.  Elpis  aber  weihete  wegen  dieser  Begebenheit  dem 
Bacchus  einen  Tempel  in  Samos,  dem  die  Griechen  den 
hierauf  bezüglichen  Namen  „Tempel  des  rachenaufsperrenden 
Bacchus  *)  gaben.  Dürfen  wir  uns  jetzt  noch  wundern,  dass 
die  wilden  Thiere  die  Spuren  des  Menschen  kenneu,  da  sie 
unter  allen  Geschöpfen  von  ihm  allein  Hülfe  erwarten? 
Warum  wenden  sie  sich  nicht  an  andere  Thiere?  Oder  wo- 
her wissen  sie,  dass  die  Hand  des  Menschen  ihnen  Heilung 
bringt?  Es  sei  denn,  dass  die  Macht  der  Uebel  selbst  die 
wilden  Thiere  zwingt,  alles  zu  versuchen. 

Einen  ebenso  merkwürdigen  Fall  erzählt  der  Physiker 
Demetrius  von  einem  Panther.  Dieser  lag  mitten  auf  einem 
Wege  in  Erwartung  eines  Menschen.  Plötzlich  erblickte 
ihn  der  Vater  eines  gewissen  Philinus,  eines  Freundes  der 
Wissenschaften,  und  wollte  voll  Schrecken  wieder  umkehren, 
allein    das   Thier    kroch    sichtbar   schmeichelnd    und    von 

»)  xexyvotoq  Aiovvaov.  Man  glaubte  nämüch,  weil  der  Löwe 
ein  dem  Bacchus  heiliges  Thier  sei,  und  der  gegenwärtige  so  viel 
Milde  bewiesen,  es  habe  sich  Dionysus  selbst  in  ihn  verwandelt. 


KjO  Achtes  Buch. 

Kummer,  der  sogar  am  Panther  wahr  genommen  werdeu 
kann,  gequält  um  ihn  herum.  Es  war  ein  Weibchen,  dessen 
Junge  in  eine  nicht  weit  entfernte  Grube- gefallen  waren. 
Die  erste  Wirkung  seines  Mitleids  war,  dass  er  sich  nicht 
mehr  fürchtete,  die  folgende,  dass  er  ihm  zu  helfen  beschloss. 
Er  folgte  ihm  dahin,  wohin  es  ihn  mit  seiner  Tatze  am 
Kleide  sanft  fortzog;  als  er  die  Ursache  seines  Schmerzes 
erfahren,  und  zugleich  den  Preis  sah,  wofür  er  sein  Leben 
retten  könnte,  zog  er  die  Jungen  heraus.  Mit  diesen  be- 
gleitete es  ihn  bis  zur  Wüste  hinaus  mit  so  fröhlichen  Ge- 
bärden, dass  man  leicht  merken  konnte,  es  wolle  ihm 
danken,  und  nichts  dafür,  dass  es  seiner  geschont,  anrechnen, 
was  selbst  bei  den  Menschen  ein  seltener  Fall  ist. 

22. 
Diese  Begebenheiten  machen  auch  eine  andere,  welche 
Democrit  von  einem  gewissen  Thoas,  der  in  Arcadien  von 
einer  Schlange  gerettet  wurde,  glaubwürdig.  Er  hatte  sie 
als  Knabe  gefüttert  und  sehr  lieb  gewonnen;  sein  Vater 
aber,  der  die  Natur  und  zunehmende  Grösse  der  Schlange 
fürchtete,  trug  sie  in  eine  einsame  Gegend.  Als  Thoas  hier 
von  Räubern  angefallen  wurde,  vernahm  sie  seine  Stimme, 
und  kam  ihm  zu  Hülfe.  Was  indessen  von  ausgesetzten 
Kindern  erzählt  wird,  die,  wie  die  Gründer  unserer  Stadt 
von  einer  Wölfin,  von  wilden  Thieren  gesäugt  worden  sind, 
glaube  ich  eher  einer  grossen  Schicksalsfügung  als  der 
Natur  dieser  Thiere  zuschreiben  zu  müssen. 

23. 
Der  Panther  und  Tiger  sind  fast  die  einzigen  Thiere, 
welche  buntgefleckt *)  sind;  von  den  übrigen  hat  jedes  Ge- 
schlecht seine  besondere,  einfache  Farbe.  Schwarze  Löwen 
giebt  es  nur  in  Syrien ;  der  Panther  hat  auf  weissem  Grunde 
kleine  augenähnliche  Flecken.  Durch  den  von  ihm  aus- 
gehenden Geruch  sollen  alle  vierfüssigen  Thiere  auf  eine 
wunderbare  Weise  angelockt  werden,  beim  Anblick  seines 


!)  Der  eigentliche  Tiger,  Felis  Tigris,  hat  keine  Flecken,  sondern 
Querstreifen. 


Achtes  Buch.  \qi 

sclieusslichen  Kopfes  aber  in  Schrecken  gerathen.  Daher 
verbirgt  er  denselben,  und  packt  die,  welche  durch  seine 
übrigen  anziehenden  Eigenschaften  in  seine  Kühe  gekommen 
sind.  Einige  geben  an,  er  habe  am  Vorderbug  einen  mond- 
ähnlichen Fleck,  welcher  zu  einer  Scheibe  anwüchse  und 
auf  gleiche  Weise  (wie  der  Mond  beim  Abnehmen)  ausge- 
höhlte Hörner  bilde.  Jetzt  nennt  man  dieses  ganze  Ge- 
schlecht, welches  in  Afrika  und  Syrien  sehr  häufig  ist,  so- 
wie die  Parder,  welche  männlichen  Geschlechts  sind,  Ge- 
fleckte. Einige  unterscheiden  von  ihnen  die  Panther  mit 
weisser  Grundfarbe;  allein  ich  habe  noch  keinen  andern 
Unterschied  gefunden  *). 

24. 
Ehedem  verbot  ein  alter  Senatsbeschluss,  afrikanische 
Thiere  2)  nach  Italien  zu  bringen.  Diesen  Hess  der  Volks- 
tribun Cn.  Aufidius  3)  aufheben  und  erlaubte  ihre  Einfuhr 
für  die  Spiele  im  Circus.  Der  erste  aber,  der  150  solcher 
gefleckten  Thiere  aufführte,  war  der  Aedil  Scaurus4);  dann 
folgte  Pompejus  der  Grosse  mit  410,  und  der  Kaiser  Au- 
gustus  mit  420. 

25. 
Ebenderselbe  zeigte,  unter  dem  Consnlate  des  Q.  Tubcro 
und  Fabius  Maximus,  am  7.  Mai  bei  der  Einweihung  des 
Theaters  des  Marcellus,  den  ersten  Tiger  zu  Rom,  der  in 
einem  Käfige  befindlich  und  zahm  war,  der  Kaiser  Claudias 
aber  4  auf  einmal.  Die  Hyrcanier  und  Indier  erzählen,  der 
Tiger  besitze  eine  ausserordentliche  Schnelligkeit,  von  der 
man  sich  besonders  überzeugen  könne,  wenn  man  ihm  seine 
Jungen,    von    denen    er   immer   eine   grosse   Anzahl    habe, 

')  Plinius  scheint  den  Panther  für  das  Weibchen  des  Pardera  zu 
halten.  Der  Parder  oder  capisclie  Panther  (Felis  pardus]  und  der 
eigentliche  Panther  (Felis  panthera)  sind  aber  2  verschiedene  Arten. 
Letzterer  ist  bei  weitem  grösser  als  jener.  Eine  etwas  grössere  Ab- 
art des  Parders  ist  der  Leopard  (.Felis  Leopardus),  der  kleine  Flecken 
auf  gelbem  Grunde  hat. 

2)  Nämlich  Panther  und  Parder. 

3)  Im  Jahre  84  v.  Chr.     4)  Im  Jahre  58  v.  Chr. 


102  Achtes  Buch. 

nehme.  Derjenige,  welcher  den  Raub  begangen,  flieht  auf 
einem  sehr  schnellen  Pferde,  welches  er  öfters  mit  frischen 
wechseln  muss.  Sowie  die  Mutter  das  Nest  leer  findet  (die 
Männchen  bekümmern  sich  nämlich  nicht  um  die  Jungen), 
stürzt  sie,  die  Spur  durch  den  Geruch  verfolgend,  fort. 
Wenn  der  Räuber  durch  das  Gebrüll  ihre  Annäherung  er- 
fährt, wirft  er  eins  von  den  Jungen  weg.  Jene  fasst  es 
mit  den  Zähnen,  trägt  es,  durch  diese  Last  fast  noch  mehr 
getrieben,  zurück,  folgt  wiederum  nach,  und  so  fort,  bis 
jener  das  Schiff  bestiegen  hat,  wo  dann  das  getäuschte 
Thier  wüthend  am  Ufer  umher  rennt. 

26. 
Im  Orient  lässt  man  die  Kameele  mit  dem  Rindvieh 
zusammen  weiden;  es  giebt  2  Arten,  das  bactrische1) 
und  das  arabische 2).  Sie  unterscheiden  sich  dadurch 
von  einander,  dass  jenes  2  Höcker  auf  dem  Rücken  hat, 
dieses  aber  nur  einen;  ein  anderer  Höcker,  auf  den  sie  sich 
legen,  sitzt  an  ihrer  Brust.  Die  Zähne  in  der  obern  Kinn- 
lade fehlen,  gleich  wie  bei  den  Ochsen,  bei  beiden  Ge- 
schlechtern 3).  Alle  aber  verrichten,  vermöge  ihres  Rückens, 
die  Dienste  der  Lastthiere  und  werden  sogar  in  Schlachten 
zum  Reiten  gebraucht.  Ihre  Schnelligkeit  kommt  der  der 
Pferde  gleich,  jedoch  ist  diese  sowie  ihre  Kraft  bei  jedem 
dieser  beiden  Thiere  eigenthümlich  begrenzt.  Sie  gehen 
nie  weiter  als  sie  es  einmal  gewohnt  sind  und  lassen 
sich  nie  überladen.  Sie  haben  einen  natürlichen  Hass  gegen 
die  Pferde.  Durst  können  sie  4  Tage  lang  vertragen,  und 
sie  sättigen  sich,  wenn  sich  Gelegenheit  zum  Saufen  dar- 
bietet, für  die  Vergangenheit  und  Zukunft,  nachdem  sie  zu- 
vor das  Wasser  durch  Treten  trübe  gemacht  haben,  denn 
anders  saufen  sie  es  nicht  gern.     Sie   erreichen   ein   Alter 


')  Camelus  Bactrianus,  Trampeltbier. 

2)  Camelus  Droniedarius,  Dromedar. 

3)  Die  Vorderzähne  der  obern  Kinnlade  nämlich  fehlen  den 
meisten  Wiederkauern,  allein  das  Kameel  macht  eine  Ausuahme, 
denn  es  hat  im  Oberkiefer  2  solche  Zähne. 


Achtes  Buch.  203 

von  50,  ja  mitunter  von  100  Jahren.  Zuweilen  werden  sie 
von  der  Wuth  befallen.  Man  ist  auch  darauf  gekommen, 
diejenigen  Weibchen,  welche  für  den  Kriegsdienst  bestimmt 
sind,  zu  castriren,  weil  sie  nach  Beseitigung  des  Begattungs- 
triebs kräftiger  werden. 

27. 
Zwei  andere  Thiere  haben  eine  gewisse  Aehnlichkeit 
mit  dem  Kameele;  das  eine  nennen  die  Aethiopier  Nabus. 
Am  Halse  gleicht  es  einem  Pferde,  an  den  Füssen  und 
Beinen  einem  Ochsen,  am  Kopfe  einem  Kameel;  es  hat 
weisse  Flecke  auf  röthlichem  Grunde  und  deshalb  den 
Namen  Camelopardalis  *)  erhalten.  Bei  den  circensischen 
Spielen  des  Dictator  Cäsar  sah  man  in  Rom  zum  ersten 
Male  ein  solches.  Seitdem  kamen  öfter  welche  zu  uns.  Es 
zeichnet  sich  mehr  durch  seine  Gestalt  als  durch  seine 
Wildheit  aus,  und  ist  daher  auch  wildes  Schaf  genannt 
worden. 

28. 
Bei  den  Spielen  Pompejus  des  Grossen  zeigte  man 
zuerst  das  Chama2),  welches  die  Gallier  Rufius  nennen; 
es  hat  die  Gestalt  eines  Wolfes,  und  ist  gefleckt  wie  ein 
Parder.  Bei  derselben  Gelegenheit  zeigte  man  ein  Thier, 
welches  man  xrjTtog 3)  nannte,  dessen  Hinterbeine  den 
menschlichen  Füssen  und  Beinen,  die  Vorderpfoten  aber 
Händen  ähnlich  waren.  Später  hat  man  diess  Thier  nicht 
wieder  in  Rom  gesehen. 

29. 
Bei  denselben  Spielen  und  später  noch  öfter  sah  man 
auch  ein  Rhino ceros,  das  ein  Hörn  auf  der  Nase  hat. 
Diess  ist  der  zweite  natürliche  Feind  des  Elephanten.  Es 
rüstet  sich  durch  Wetzen  seines  Horns  an  einem  Steine  zur 
Wehr  und  sucht  während  des  Kampfes  vorzüglich  am 
Bauche  anzukommen,  weil  es  weiss,  dass  da  das  Fell 
weicher  ist.     Beide  Thiere  sind  gleich   lang,   nur   hat   das 


')  Camelopardalis  Giraffa. 

-)  Felis  Lynx,  der  Luchs.    3)  Ohne  Zweifel  eine  Affenart. 


1Q4  Achtes  Buch. 

Nashorn  weit  kürzere  Beine  und    eine  dunkelgrau-violette 
Farbe. 

30. 
Aethiopien  erzeugt  sehr  viele  Lyncen  und  Sphingen  *), . 
mit  braunen  Haaren  und  2  Brustwarzen,  und  noch  viele 
andere  wunderbare  Thiere,  als  geflügelte  und  gehörnte 
Pferde,  welche  Pegasen  beissen;  Crocotten  2),  die  gleich- 
sam vom  Hunde  und  Wolfe  erzeugt  zu  sein  scheinen,  mit 
den  Zähnen  alles  zermalmen,  und  das  Verschlungene  so- 
gleich verdauen;  Meerkatzen3)  mit  schwarzen  Köpfeu, 
Eselshaaren,  und  einer  Stimme,  die  von  der  aller  übrigen 
Thiere  verschieden  ist;  ein-  und  dreihörnige  indische  Ochsen; 
den  Leucrocotta  4),  ein  äusserst  schnellfüssiges  Thier  bei- 
nahe von  der  Grösse  des  Esels,  mit  Hirschbeinen,  am  Hals, 
Schwanz  und  Brust  dem  Löwen  ähnlich,  mit  einem  Dachs- 
kopfe, gespaltenem  Huf,  einer  bis  an  die  Ohren  aufgerissenen 
Schnauze,  und  statt  der  Zähne  einem  einzigen  ununter- 
brochenen Knochen.  Dieses  Thier  soll  die  menschliche 
Stimme  nachahmen.  Dort  giebt  es  auch  ein  Thier,  welches 
Eale5)  genannt  wird,  von  der  Grösse  des  Flusspferdes,  mit 
einem  Elephantenschwanz,  von  schwarzer  oder  fahler  Farbe, 
mit  Kinnladen  wie  ein  Eber,  Hörnern,  die  mehrere  Cubitus 
lang  und  beweglich  sind,  welche  es  im  Kampfe  abwechselnd 
aufrichtet,  geradeaus  oder  seitwärts  wendet,  wie  es  ihm 
gerade  sein  Vortheil  lehrt.  Ferner  äusserst  grimmige  Wald- 
ochsen, die  grösser  sind  als  die  Feldochsen  und  sie  an 
Schnelligkeit  weit  übertreffen;  sie  haben  eine  gelbliche 
Farbe,  blaue  Augen,  rückwärts  aufgerichtete  Haare,  einen 
bis  an  die  Ohren  gespaltenen  Rachen,  bewegliche  Hörner 
und  ein  steinhartes,  nicht  zu  verwundendes  Fell.  Sie 
machen  Jagd  auf  alle  wilden  Thiere,  können  nur  in  Gruben 
gefangen  werden,  und  kommen  stets  durch  ihre  Wildheit 
um.    Eben  daselbst  ist  auch,  wie  Ctesias  schreibt,  ein  Thierr 


')  Affenarten.    2)  Schakal:  Canis  aureus.     S.  auch  52.  Cap. 
3)  Cercopitheci.    4)  Fabelhafte  Thiere. 
8)  Ebenfalls  ein  fabelhaftes  Thier. 


Achtes  Buch.  ]^)5 

daserMantichoranennt,  zu  Hause,  welches  3  Reihen  kainrn- 
artig  nebeneinander  stehende  Zähne,  Gesicht  und  Ohren 
wie  ein  Mensch,  graugrüne  Augen,  eine  blutrothe  Farbe, 
den  Körper  eines  Löwen  hat  und  mit  seinem  Schwänze 
wie  ein  Scorpion  sticht.  Seine  Stimme  gleicht  dem  ver- 
mischten Tone  einer  Pfeife  und  Tuba,  es  frisst  sehr  schnell, 
und  liebt  vorzüglich  Menscheufleisch. 

31. 

In  Indien  giebt  es  auch  einhörnige  Ochsen  mit 
ungespaltenen  Klauen  und  ein  Thier  Namens  Axis,  welches 
ein  Fell  wie  ein  junger  Hirsch  mit  vielen  weissen  Flecken 
hat  und  dem  Bacchus  geopfert  wird.  Die  orsäischen  Indier 
jagen  Affen,  die  am  ganzen  Körper  weiss  sind.  Aber  das 
allerunbändigste  Thier  ist  das  Einhorn  *),  welches  am 
Körper  dem  Pferde,  am  Kopfe  dem  Hirsche,  an  den  Füssen 
dem  Elephanten,  am  Schwänze  dem  Eber  ähnlich  sieht, 
sehr  stark  brüllt  und  mitten  auf  der  Stirn  ein  2  Cubitus 
langes  Hörn  trägt.  Lebendig  soll  man  es  nicht  einfangen 
können. 

32. 

Im  westlichen  Aethiopien  befindet  sich  die  Quelle  Ni- 
giis,  welche  von  den  Meisten  für  den  Ursprung  des  Nils 
gehalten  wird,  was  auch  die  von  uns  angeführten  Gründe  ■) 
sehr  glaublich  machen.  In  der  Nähe  derselben  lebt  ein 
Thier  Catoblepas3)  genannt,  was  nicht  gross  ist  und  nur 
langsam  sich  fortbewegt,  aber  einen  so  schweren  Kopf  hat, 
dass  es  ihn  kaum  tragen  kann,  den  es  daher  immer  auf 
die  Erde  hängen  lässt.  Und  doch  gereicht  es  dem  Menschen 
zum  Verderben,  indem  alle,  welche  ihm  in  die  Augen  sehen, 
auf  der  Stelle  ihren  Geist  aufgeben. 

33. 

Dieselbe  Kraft  besitzt  auch  der  B  a  s  i  1  i  s  k,  eine  Schlangen- 
art;  er   lebt   in    der   cyrenaischen  Provinz,   ist   nicht    über 


•)  Monoceros.  Ueber  die  Existenz  dieses  Thieres   ist   man  noch 
im  Zweifel. 

2)  Im  V.  Buche  10  Cap.     3)  Wieder  ein  fabelhaftes  Thier. 


106  Achtes  Buch. 

12  Digitus  lang,  und  hat  am  Kopfe  einen  weissen  Fleck, 
der  ihn  gleichsam  wie  ein  Diadem  schmückt  *).  Durch  sein 
Zischen  verjagt  er  alle  Schlangen.  Er  bewegt  sich  nicht, 
wie  die  übrigen,  durch  vielfache  Windungen  des  ganzen 
Leibes,  sondern  geht  zur  Hälfte  aufgerichtet  umher.  Er 
vergiftet  die  Sträucher  nicht  bloss  durch  seine  Berührung, 
sondern  auch  durch  seinen  Hauch,  verdorrt  die  Kräuter 
und  sprengt  Felsen.  Solche  schädliche  Wirkung  hat  seine 
Kraft!  Ehemals  glaubte  man,  dass,  wenn  Jemand  zu  Pferde 
ihn  mit  einem  Spiesse  getödtet  habe,  das  Gift  an  dem 
Spiesse  hinauf  dringe,  und  nicht  nur  der  Reiter,  sondern 
auch  das  Pferd  davon  sterben  müsse.  Und  diesem  Unge- 
heuer (welches  Könige  oft  todt  zu  sehen  gewünscht  haben) 
wird  die  Ausdünstung  des  Wiesels  verderblich;  die  Natur 
hat  also  die  Einrichtung  getroffen,  dass  nichts  in  ihr  be- 
steht, dem  nicht  ein  gewisses  Gleichgewicht  gegeben  ist. 
Man  wirft  daher  diese  Thiere  (diese  Wiesel)  in  die  Höhlen, 
welche  man  leicht  an  dem  unfruchtbaren  Erdboden  erkennt; 
diese  tödten  jene  dann  sogleich  durch  ihren  Geruch,  sterben 
aber  auch,  und  dadurch  wird  der  Streit  der  Natur  aus- 
geglichen. 

34. 
Aber  auch  in  Italien  glaubt  man,  dass  der  Blick  der 
Wölfe2)  schädlich  sei,  und  dem  Menschen,  den  sie  scharf 
ansehen,  für  den  Augenblick  die  Stimme  benehmen.  Die- 
jenigen, welche  in  Afrika  und  Aegypten  vorkommen,  sind 
träge  und  klein,  allein  die  in  kältern  Gegenden  wild  und 
grausam.  Dass  sich  Menschen  in  Wölfe  verwandeln  und 
wiederum  ihre  vorige  Gestalt  annehmen  können,  müssen 
wir  entweder  zuversichtlich  für  eine  Unwahrheit  erklären, 
oder  alles  glauben,  was  man  uns  Fabelhaftes  seit  so  vielen 
Jahrhunderten  überliefert  hat.    Jene  Sage  ist  bei  dem  ge- 


')  Daher  der  Name  Basilisk,  war  ßaaiXsvq,  der  König,  denn  das 
Diadem  oder  die  weisse  Stirnbinde  war  ein  Zeichen  der  königlichen 
Würde. 

2j  Lupi:  Canis  Lupus. 


Achtes  Buch. 


107 


meinen  Volke  so  eingewurzelt,  dass  sie  sogar  zum  Sprichworte 
dient,  denn  man  sagt  von  schlechten  Menschen,  sie  wenden 
den  Pelz  um.  Evanthes  *),  einer  von  den  bessern  griechi- 
schen Schriftstellern,  erzählt,  die  Arcadier  schrieben,  Einer 
aus  dem  Geschlechte  des  Anthus,  der  aus  seiner  Familie 
durchs  Loos  erwählt  sei,  werde  an  einen  See  dieser  Gegend 
geführt,  hänge  hier  seine  Kleider  an  einer  Eiche  auf, 
schwimme  dann  hinüber,  ginge  in  eine  Einöde,  werde  hier 
in  einen  Wolf  verwandelt  und  lebe  in  Gesellschaft  der 
übrigen  Wölfe  9  Jahre  lang.  Wenn  er  sich  nun  während 
dieser  Zeit  ganz  von  Menschen  entfernt  gehalten  habe,  so 
kehre  er  an  denselben  See  zurück,  nähme,  nachdem  er  hin- 
über geschwommen,  seine  vorige  Gestalt  wieder  an,  sehe 
aber  jetzt  um  9  Jahre  älter  aus.  Fabius  fügt  noch  hinzu, 
dass  er  auch  seine  früheren  Kleider  wieder  anzöge.  Es 
ist  merkwürdig,  wie  weit  die  griechische  Leichtgläubigkeit 
geht.  Keine  Lüge  ist  so  unverschämt,  sie  findet  ihre  Ver- 
treter. So  erzählt  Agriopas  2),  der  über  die  olympischen 
Sieger  geschrieben  hat,  Demänetus  aus  Farrhasia  habe  bei 
dem  Opfer,  wo  die  Arcadier  dem  Jupiter  Lycäus  sogar  noch 
Mensehen  weiheten,  von  dem  Fleische  eines  geopferten 
Knaben  gekostet,  und  sei  dadurch  zum  Wolfe  geworden; 
10  Jahre  später  sei  er  wieder  in  einen  Athleten  verwan- 
delt, habe  dann  am  Faustkampfe  Theil  genommen,  und  sei 
als  Sieger  nach  Olympia  zurückgekehrt.  Auch  glaubt  man 
im  gemeinen  Leben,  im  Schwänze  dieses  Thieres  sei  ein 
Liebessaft  in  einem  Haarbüschel  verborgen,  es  werfe  ihn, 
wenn  es  gefangen  würde,  von  sich,  dieser  sei  aber  nur 
wirksam,  wenn  man  denselben  dem  Thiere  noch  bei  seinem 
Leben  nehme.  Seine  Begattungszeit  dauert  jährlich  nur 
12  Tage.  Bei  grossem  Hunger  soll  es  Erde  fressen.  Unter 
den  Vorbedeutungen  giebt  es  keine  bessere,  als  wenn  es 
geraden  Weges  [zur  Rechten  der  Reisenden  mit  vollem 
Rachen  geht.  Es  existirt  unter  ihnen  eine  Art,  die  man 
Hirschwölfe   nennt;   ein    solcher  aus  Gallien  wurde,  wie 


')  Unbekannter  Schriftsteller.    2)  Unbekannter  Schriftsteller. 


108  •        Achtes  Buch. 

wir  bereits  gesagt  haben,  auf  dem  Kampfplatze  Pompejus 
des  Grossen  gezeigt.  Dieses  Thier  soll,  selbst  wenn  es 
hungrig  ist  und  frisst,  sobald  es  sich  umgesehen  hat,  so- 
gleich seinen  Frass  vergessen,  und  davon  laufen,  um  etwas 
anderes  zu  suchen. 

35. 
Was  die  Schlangen  betrifft,  so  ist  allgemein  bekannt, 
dass  die  meisten  die  Farbe  der  Erde  haben,  in  welcher  sie 
sich  aufhalten.  Es  giebt  unzählige  Arten  von  ihnen.  Die 
Hornschlangen  1)  haben  auf  ihrem  Körper  oft  4  Hörner, 
durch  deren  Bewegung  sie,  indem  sie  den  übrigen  Körper 
verbergen,  die  Vögel  an  sich  locken.  Die  Amphisbänen  2) 
haben  2  Köpfe,  nämlich  am  Schwänze  noch  einen,  als  wenn 
einer  noch  nicht  genug  wäre,  um  Gift  von  sich  zu  geben. 
Einige  sind  schuppig,  andere  bunt  gezeichnet,  alle  aber 
haben  ein  tödtliches  Gift.  Die  Schiessschlange3)  stürzt 
sich  von  den  Aesten  der  Bäume  herunter;  man  hat  also 
nicht  bloss  die  Füsse  vor  Schlangen  zu  hüten,  denn  sie 
fliegen  auch  wie  abgeschossene  Pfeile  durch  die  Luft.  Die 
Hälse  der  Vipern  4)  schwellen  an  (wenn  sie  beissen  wollen), 
und  es  giebt  gegen  ihren  Biss  kein  anderes  Mittel,  als  das 
verletzte  Glied  sogleich  abzuschneiden.  Dieses  so  giftige 
Thier  hat  nur  einen  Sinn  oder  vielmehr  nur  eine  Leiden 
schaft.  Sie  schweifen  fast  immer  gepaart  umher,  und  können 
nicht  ohne  das  andere  Geschlecht  leben;  wird  daher  eine 
von  beiden  getödtet,  so  ist  die  andere  auf  eine  unglaubliche 
Weise  auf  Rache  bedacht.  Sie  verfolgt  den  Mörder, 
weiss  ihn  aus  einem  noch  so  grossen  Haufen  Menschen 
herauszufinden  und  anzugreifen,  überwindet  alle  Schwierig- 
keiten, durcheilt  weite  Räume,  und  wird  nur  durch  Flüsse 
aufgehalten,  wenn  sich  der  Verfolgte  nicht  durch  die 
schnellste  Flucht  rettet.    Es  lässt  sich  nicht  sagen,  ob  die 


')  Cerastae.  Cerastes-  cornutus  Wagl.     Sie  hat  auf  jedem  Augen- 
lide ein  kleines  spitziges  Hörn. 

r>  D.  h.  Thiere,  die  vor-  und  rückwärts  gehen  können. 
3)  Jaculum.    4)  Aspides. 


Achtes  Buch. 


109 


Natur  bei  Erschaffung  der  Uebel  oder  der  Gegenmittel  frei- 
gebiger war.  Denn  erstens  hat  sie  diesem  Thiere  schwache 
Augen  gegeben  und  sie  nicht  vorn  auf  die  Stirn,  sondern 
an  die  Schläfen  gesetzt;  daher  wird  es  eher  durch  den 
Fuss  des  Menschen,  als  durch  seinen  Anblick  aufgeregt. 
Ferner   lebt  es  in  Todfeindschaft  mit  dem  Ichneumon  l). 

36. 

Dieses  Thier  ist  eben  dadurch  vorzüglich  bekannt,  und 
ebenfalls  in  Aegypten  zu  Hause.  Es  wälzt  sich  häufig  im 
Schlamme  und  trocknet  sich  dann  wieder  an  der  Sonne. 
Wenn  es  sich  auf  diese  Weise  mit  mehrern  Krusten  um- 
panzert hat,  so  schreitet  es  zum  Kampfe.  Dabei  hebt  es 
den  Schwanz  in  die  Höhe,  fängt  abgewandt  die  vergeb- 
lichen Bisse  auf,  bis  es  von  der  Seite  schielend  die  Gelegen- 
heit ablauert,  und  der  Schlange  in  den  Rachen  kriegt. 
Hiermit  noch  nicht  zufrieden,  bekämpft  es  noch  ein  anderes 
nicht  wilderes  Thier. 

37. 

Das  Krokodil2),  welches  dem  Nile  angehört,  ist  ein 
vierfüssiges  Ungeheuer  und  auf  dem  Lande  sowohl  wie  im 
Wasser  gleich  schädlich.  Es  ist  das  einzige  Landthier, 
welches  seine  Zunge  nicht  gebraucht 3);  das  einzige,  welches 
mit  der  obern  beweglichen  Kinnlade  zubeisst,  welcher  Biss 
übrigens  furchtbare  Folgen  hat,  da  die  Zähne  gleich  einem 
Kamme  dicht  aneinander  gereihet  sind.  Seine  Länge  be- 
trägt meistentheils  über  18  Cubitus.  Es  legt  Eier,  die 
denen  der  Gänse  an  Grösse  gleichen,  und  brütet  dieselben 
allemal  entfernt  von  dem  Orte  aus,  den,  wie  ihm  ein  ge- 
wisser Instinkt  sagt,  der  Nil  in  demselben  Jahre  bei  seinem 
höchsten  Standpunkte  erreichen  wird.  Kein  anderes,  an- 
fänglich so  kleines  Thier  wächst  zu  einer  solchen  Grösse 
heran  wie  das  Krokodil.  Es  ist  auch  mit  Krallen  bewaffnet 
und  seine  Haut  gegen  alle  Bisse  undurchdringlich.  Am 
Tage  lebt  es  auf  dem  Lande,  des  Nachts  im  Wasser,  beides 


')  Viverra  Ichneumon.     *)  Crocodilus  niloticus. 
3)  Sie  ist  nämlich  ganz  festgewachsen. 


HO  Achtes  Buch. 

der  Wärme  wegen.  Wenn  es  sich  mit  Fischen  gesättigt 
hat,  und  mit  stets  von  Speise  gefülltem  Rachen  sich  am 
Ufer  zum  Schlafen  hinlegt,  so  reizt  ihn  ein  kleiner  Vogel, 
der  dort  Trochilos  *),  in  Italien  aber  der  König  der  Vögel 
heisst,  seinen  Rachen  des  Futters  wegen  aufzusperren, 
reinigt  ihm,  indem  er  hineinschliipft,  zuerst  das  Maul,  dann 
die  Zähne  und  sogar  den  Schlund,  den  es  bei  der  ange- 
nehmen Empfindung,  die  ihm  diess  Kratzen  verursacht, 
soweit  als  möglich  aufsperrt.  Wenn  es  nun  unter  dieser 
wollüstigen  Empfindung  eingeschlafen  ist,  so  schiesst  das 
Ichneumon,  sobald  es  diess  bemerkt,  wie  ein  Pfeil  durch 
seinen  Schlund  und  frisst  ihm  den  Bauch  durch. 

38. 
Dem  Krokodil  ähnlich,  aber  noch  kleiner  als  das  Ich- 
neumon, ist  der  im  Nil  lebende  Scincus2),  welcher  ein 
vorzügliches  Gegenmittel  für  Gifte  ist  und  bei  Männern 
den  Geschlechtstrieb  erhöhet.  —  Allein  das  Krokodil  ist 
ein  zu  verderbliches  Thier,  als  dass  die  Natur  mit  Einem 
Feinde  desselben  zufrieden  sein  könnte.  Daher  gehen  auch 
die  Delphine,  auf  deren  Rücken  sich,  wahrscheinlich  zu 
diesem  Behufe,  eine  messerartige  Flosse  befindet,  in  den 
Nil,  treiben  die  darin,  gleichsam  wie  in  ihrem  eigenen 
Flusse  herrschenden  Krokodile  von  ihrer  Beute  weg,  und 
bringen  dieselben,  da  sie  ihnen  an  Kräften  nicht  gleich 
sind,  durch  List  um.  Hierin  nämlich  besitzen  alle  Thiere 
eine  grosse  Verschlagenheit;  sie  verstehen  nicht  nur  ihre 
eigenen  Vortheile,  sondern  wissen  auch,  was  ihren  Feinden 
Nachtheil  bringt,  kennen  ihre  Waffen,  die  passenden  Ge- 
legenheiten und  die  schwachen  Theile  der  Gegner.  Am 
Bauche  ist  die  Haut  des  Krokodils  weich  und  dünn,  daher 
tauchen  die  Delphine,  gleichsam  als  wenn  sie  erschrocken 
wären,  unter  und  durchschneiden  ihm  den  Bauch  mit  jener 
Flosse.     Ja    selbst   ein  Menschenstamm    gehört     zu    den 


')  Sylvia  Troglodytes,  der  Zaunkönig. 

2)  Lacerta  Scincus  oder  Scincus  officinalis. 


Achtes  Buch. 


111 


Feinden  dieses  Thieres  J);  diess  sind  die  am  Nile  wohnen- 
den Tentyriter,  welche  ihren  Namen  von  der  von  ihnen  be- 
wohnten Insel 2)  führen.  Sie  sind  klein  an  Gestalt,  allein 
ihre  Geistesgegenwart  bloss  bei  diesem  Thiere  verdient  Be- 
wunderung. Schrecklich  ist  dasselbe  für  die,  welche  vor 
ihm  fliehen,  flüchtig  aber  vor  denen,  welche  es  verfolgen: 
jedoch  wagen  nur  allein  diese  Menschen,  ihm  entgegen  zu 
gehen.  Sie  schwimmen  sogar  in  dem  Flusse,  setzen  sich 
wie  Reiter  ihm  auf  den  Rücken,  und  bringen  ihm,  wenn 
es  den  Kopf  umwendet,  um  nach  ihnen  zu  schnappen,  eine 
Keule  ins  Maul,  die  sie  an  beiden  Enden  mit  der  rechten 
und  linken  Hand  festhalten,  und  es,  wie  am  Zügel  gefangen 
aufs  Land  bringen.  Schon  durch  ihre  Stimme  setzen  sie 
dasselbe  in  Schrecken,  und  zwingen  es,  die  kurz  vorher 
verschlungenen  Körper  wieder  von  sich  zu  geben,  damit 
sie  begraben  werden  können.  Deshalb  ist  diese  Insel  die 
einzige,  zu  der  die  Krokodile  nicht  hinschwimmen,  und 
schon  der  Geruch  dieser  Menschen  verscheucht  sie,  gleich- 
wie die  Schlangen  den  der  Psyller  3)  meiden.  Im  Wasser 
soll  das  Gesicht  dieser  Thiere  schwach,  dagegen  ausser 
demselben  sehr  scharf  sein,  auch  sollen  sie  jedesmal 
im  Winter  4  Monate  lang  ohne  Nahrung  in  einer  Höhle 
zubringen.  Einige  sind  der  Meinung,  diess  sei  das  einzige 
Thier,  welches  fortwährend  bis  zum  Tode  wächst;  es  lebt 
aber  sehr  lange. 

39. 
Ein  noch  grösseres  Thier  als  das  Krokodil,  das  Fluss- 
pferd4),   wohnt    ebenfalls    im   Nile.    Es    hat    gespaltene 
Klauen   wie   das   Rindvieh,    am   Rücken,   Mähne   und    der 
wiehernden  Stimme5)  Aehnlichkeit   mit   dem  Pferde,   eine 


»)  Die  alten  Aegyptier  dagegen  hielten  die  Krokodile  für  heilig 
und  tödteten  sie  nicht. 

2)  Tentyra,  jetzt  Dendevah,  Dorf  mit  Ruinen  anweit  des  Nils    in 
Oberägypten. 

3)  Vgl.  VII.  B.  2.  C.     4)  Hippopotamus.  H.  umphibius. 

5)  Seine  Stimme  gleicht  eher  dem  Brüllen  eines   Ochsen;  Bach 
hat  es  keine  Mähne. 


112  Achtes  Buch. 

eingedrückte  Schnauze,  Schwanz  und  krumme  Zähne  wie 
ein  Eber,  allein  die  letztern  sind  weniger  gefährlich;  seine 
Haut  dient  zu  Schildern  und  Helmen  und  ist  undurchdring- 
lich, wenn  sie  nur  nicht  nass  wird.  Es  frisst  die  Saaten 
ab,  setzt  sich  (wie  man  sagt)  den  Tag  dazu  im  voraus  fest, 
und  geht  rückwärts  vom  Acker,  damit  man  ihm  bei  der 
Rückkehr  nicht  nachstellt. 

40. 

Der  erste,  welcher  dieses  Thier  nebst  5  Krokodilen 
in  einem  eigens  dazu  gegrabenen  Teiche  zu  Rom  zeigte, 
war  M.  Scaurus,  bei  den  Spielen,  die  er  als  Aedil  gab. 
Das  Flusspferd  ist  in  einem  gewissen  Theile  der  Heilkunst 
sogar  unser  Lehrer  geworden.  Wenn  es  nämlich  zu  viel 
gefressen  hat,  geht  es  ans  Ufer,  um  frisch  abgeschnittene 
Rohrstengel  zu  suchen;  gegen  den  schärfsten,  den  es  nun 
findet,  drückt  es  den  Körper  an,  ritzt  sich  am  Beine  eine 
gewisse  Ader  auf,  erleichtert  durch  den  entstehenden  Blut- 
fluss  seinen  kranken  Körper,  und  überzieht  dann  die  Wunde 
mit  Schlamm. 

41. 

Etwas  Aehnliches  hat  man  gleichfalls  in  Aegypten  bei 
einem  Vogel,  welcher  Ibis  x)  genannt  wird,  wahrgenommen; 
dieser  öffnet  mit  seinem  krummen  Schnabel  denjenigen 
Theil  seines  Körpers,  wo  die  Entleerung  der  Speisen  am 
heilsamsten  ist.  Und  nicht  bloss  dieses  ist  von  den  Thiereu 
entdeckt  und  dem  Menschen  nützlich  geworden.  Dass  das 
Kraut  Dictamnus  2)  die  Pfeile  herauszieht,  haben  uns  die 
Hirsche  gelehrt,  denn  wenn  sie  von  Pfeilen  getroffen  sind, 
fallen  diese,  sobald  sie  jene  Pflanze  fressen,  von  ihrem 
Körper  ab.  Eben  diese  Thiere  heilen  sich,  wenn  sie  von 
dem  Phalangium,  einer  Spinnenart,  oder  von  einem  ähn- 
lichen Thiere  gestochen  sind,  durch  das  Fressen  von 
Krebsen.     Es    giebt    auch    ein   vorzügliches    Kraut   gegen 


«)  Tantalus  Ibis. 

a)  Die  Deutung  dieses  und  der  im  Texte  -weiter  folgenden  Pflan- 
zennamen findet  man  in  den  Büchern  XII  —  XXVII. 


Achtes  Buch. 


113 


Schlangenbisse,  womit  sich  die  Eidechsen,  wenn  sie  im 
Kampfe  mit  diesen  verwundet  werden,  heilen.  Dass  die 
Chelidonia  sehr  heilsam  für  Augen  sei,  haben  uns  die 
Sehwalben  gelehrt,  welche  damit  die  kranken  Augen  ihrer 
«langen  heilen. 

Die  Schildkröte  erhält  durch  den  Genuss  der  Cunila, 
die  auch  Bubula  heisst,  ihre  Kräfte  gegen  die  Schlangen; 
das  Wiesel  durch  Raute,  wenn  es  auf  der  Mäusejagd  mit 
diesen  in  den  Kampf  gerathen  ist ;  der  Storch  durch  Origa- 
num.  Die  wilden  Schweine  heilen  sich,  wenn  sie  krank 
sind,  durch  Edera,  oder  durch  Fressen  von  Krebsen,  be- 
sonders solchen,  welche  das  Meer  ausgeworfen  hat.  Die 
Schlange,  deren  Körper  während  des  Winters  mit  einer 
Haut  überzogen  ist,  streift  dieselbe  mit  Hülfe  des  Fenchel- 
saftes ab,  und  wird  im  Frühlinge  wieder  glänzend.  Sie 
fängt  am  Kopfe  an  sich  zu  häuten,  und  braucht  zu  diesem 
Geschäfte  einen  ganzen  Tag  und  eine  Nacht;  die  inwen- 
dige Seite  der  Haut  kommt  dadurch  nach  aussen.  Hat  sich 
während  ihres  winterlichen  Verborgenseins  ihr  Gesicht  ver- 
dunkelt, so  reibt  sie  sich  am  Marathrum  die  Augen  ein 
und  stärkt  sie  dadurch;  wenn  aber  ihre  Schuppen  erstarrt 
sind,  schabt  sie  sich  an  Wachholdernadeln.  Der  Drache 
vertreibt  seine  Uebelkeit  im  Frühlinge  durch  den  Saft  der 
wilden  Lactuca.  Die  Barbaren  fangen  die  Panther  mit 
Fleisch,  das  mit  Aconitum  (einem  Giftkraute)  eingerieben 
ist.  Sogleich  nach  dem  Genüsse  desselben  überfällt  sie 
ein  Würgen  im  Schlünde,  weshalb  auch  Einige  jenes  Gift 
Parderwürger  *)  genannt  haben.  Aber  der  Parder  befreiet 
sich  von  diesem  Uebel  durch  Menschenkoth,  nach  welchem 
er  auch  ausserdem  so  begierig  ist,  dass  die  Hirten  aus 
List  davon  in  einem  Gefässe  aufhängen,  und  zwar  etwas 
höher  als  er  es  im  Springen  erreichen  kann;  durch  Springen 
und  Schnappen  nach  demselben  mattet  er  sich  dann  so  ab, 
dass  er  zuletzt  stirbt,  obgleich  er  sonst  ein  so  zähes  Leben 


')  Pardalianches. 

Witt  stein:  Plinius.     II.  Bd. 


114  Achtes  Buch. 

hat,  dass  er  noch  lange  Zeit  kämpft,  wenn  ihm  die  Einge- 
weide schon  heraushängen.  Wenn  der  Elephant  mit  einem 
gleichfarbigen  Kraute  ein  Chamäleon  verschluckt  hat,  so 
wirkt  er  dessen  Gifte  durch  den  Oleaster  entgegen.  Wenn 
die  Bären  Mandragora-Früchte  gefressen  haben,  locken  sie 
Ameisen.  Die  Tauben  brauchen  das  Cinara  gegen  giftiges 
Futter.  Die  wilden  Tauben,  Häher,  Amseln  und  Rebhühner 
heilen  ihren  alljährig  sich  einstellenden  Mangel  an  Appetit 
durch  Lorbeerblätter;  die  Tauben,  Turteltauben  und  Hühner 
durch  ein  Kraut,  welches  Helxine  heisst;  die  Enten,  Gänse 
und  die  übrigen  Wasser vögel  durch  Sideritis;  die  Kraniche 
und  ähnliche  Thiere  durch  Sumpfbinsen.  Hat  der  Rabe 
ein  Chamäleon  (welches  selbst  noch  dem  Sieger  schädlich 
werden  kann)  getödtet,  so  vernichtet  er  die  Wirkung  des 
eingesogenen  Giftes  durch  Lorbeer. 

42. 
Ausserdem  giebt  es  noch  Tausende  von  Beispielen  der 
Art,  denn  die  Natur  hat  den  meisten  Thieren  die  Gaber 
den  Himmel  zu  beobachten,  Winde,  Regen  und  Stürme  vor- 
her zu  bestimmen,  und  zwar  einigen  dieses,  andern  jenes 
verliehen,  welches  alles  durchzugehen  eine  ebenso  unge- 
heuere Arbeit  sein  würde,  wie  die  besondern  Beziehungen 
anzuführen,  in  denen  sie  zu  einzelnen  Menschen  stehen. 
Sie  warnen  auch  vor  Gefahren,  nicht  allein  durch  ihre 
Fasern  und  Eingeweide,  an  denen  ein  grosser  Theil  der 
Sterblichen  hänget,  sondern  auch  durch  andere  Zeichen. 
Wenn  ein  Gebäude  einzustürzen  droht,  so  wandern  zuvor 
die  Mäuse  aus,  und  die  Spinnen  fallen  sammt  ihren  Ge- 
weben herab.  Die  Vogelschau  hat  man  bei  den  Römern 
zu  einer  Kunst  erhoben,  und  das  Collegium  der  Priester 
nimmt  einen  sehr  hohen  Rang  ein.  In  den  kalten  Gegen- 
den von  Thracien  richten  sich  die  Leute  auch  nach  dem 
Fuchse,  einem  übrigens  wegen  seiner  Verschlagenheit  nicht 
zu  trauenden  Thiere;  sie  betreten  nämlich  nicht  eher  zu- 
gefrorene Seen  und  Flüsse,  bis  der  Fuchs  darauf  hin  und 
her  gegangen  ist.  Man  hat  bemerkt,  dass  er  das  Ohr  auf's 
Eis  legt,  um  dessen  Dicke  zu  erforschen. 


Achtes  Buch. 


115 


43. 
Man  kennt  nicht  minder  berühmte  Beispiele  von  Zer- 
störungen, welche  selbst  von  verächtlichen  Thieren  her- 
rührten. M.  Varro  erzählt,  in  Spanien  sei  eine  Stadt  von 
Kaninchen  untergraben  worden,  eine  andere  in  Thessalien 
von  Maulwürfen;  in  Gallien  sei  eine  Gemeinde  durch 
Frösche,  in  Afrika  eine  durch  Heuschrecken  vertrieben; 
die  Bewohner  von  Gyarus,  einer  der  Cycladen,  sollen  von 
Mäusen  verjagt  und  Amunclä  in  Italien  von  Schlangen  ver- 
wüstet worden  sein.  Diesseits  der  cynamolgischen  Aethioper 
liegt  eine  weite,  verödete  Gegend,  deren  Bewohner  von 
Scorpionen  und  Solipugen  *)  aufgerieben  sind.  Nach  Theo- 
phrastus  wurden  die  Rhötienser  von  Scolopendern  ver- 
trieben. Doch  wir  wollen  zu  den  übrigen  wilden  Thieren 
zurückkehren. 

44. 
Dass  die  Hyänen2)  beiderlei  Geschlechts,  und  ab- 
wechselnd ein  Jahr  Männchen  und  das  folgende  Jahr 
Weibchen  sind,  und  dass  sie  ohne  Männchen  gebären,  glaubt 
der  gemeine  Mann,  Aristoteles  aber  verneint  es.  Hals  und 
Mähne  bilden  eine  unmittelbare  Fortsetzung  des  Rückgrats, 
und  das  Thier  kann  sich  nicht  wenden  ohne  sich  mit  dem 
ganzen  Körper  umzudrehen.  Ausserdem  wird  noch  viel 
Wunderbares  von  diesem  Thiere  erzählt;  aber  das  Merk- 
würdigste ist,  dass  es  bei  den  Ställen  der  flirten  die  mensch- 
liche Stimme  nachahmt,  den  Namen  des  einen  oder  andern 
lernt,  ihn  herausruft  und  vor  der  Thür  zerreisst.  Auch  das 
Erbrechen  der  Menschen  soll  es  nachahmen,  um  die  Hunde 
anzulocken,  welche  es  dann  anfällt.  Es  ist  das  einzige 
Thier,  welches  die  Gräber  aufwühlt,  um  nach  Leichen  zu 
suchen.  Das  Weibchen  wird  selten  gefangen.  Seine  Augen 
sollen  tausend  Mannigfaltigkeiten  und  Farbenveränderungen 
darbieten.    Wenn  die  Hunde  nur  dessen  Schatten  berühren, 


»)  Eine  Art  giftiger  Spinnen,  Solpuga  araneoides;  sie  haben  die 
Grösse  der  Kreuzspinne. 
*)  Hyaena  striata  L. 

8* 


HQ  Achtes  Buch. 

sollen  sie  schon  verstummen.  Auch  soll  die  Hyäne  jedes 
Thier,  welches  sie  dreimal  angesehen  hat,  durch  gewisse 
magische  Künste  zum  Stillstehen  bringen. 

45. 
Durch  Vermischung  mit  diesem  Thiere  gebärt  die 
äthiopische  Löwin  den  Crocuta1),  welcher  die  Stimme  so- 
wohl der  Menschen  als  des  Viehes  nachahmt.  Er  hat  fort- 
während die  Augen  offen,  an  keiner  Kinnlade  Zahnfleisch, 
statt  der  Zähne  zwei  fortlaufende  Knochen,  welche,  damit 
sie  durch  das  Gegeneinanderstossen  nicht  stumpf  werden, 
in  Kapseln  eingeschlossen  sind.  Die  menschliche  Stimme 
ahmt  nach  Juba  auch  ein  Thier  in  Aethiopien,  Mantichora2) 
genannt,  nach. 

46. 
Die  meisten  Hyänen  giebt  es  in  Afrika,  wo  sich  auch 
viele  wilde  Esel3)  finden.  Einzelne  Männchen  in  diesem 
Geschlechte  herrschen  über  ganze  Heerden  von  Weibchen. 
Sie  sind  eifersüchtig  auf  Nebenbuhler,  bewachen  sogar  die 
Trächtigen,  und  castriren  die  Neugebornen  männlichen  Ge- 
schlechts durch  einen  Biss  4).  Dagegen  suchen  die  Träch- 
tigen verborgene  Orte  auf,  um  verstohlen  zu  werfen,  und 
sind  sehr  geiler  Natur. 

47. 
Dieselben  Geschlechtstheile  reissen  sich  die  pontischen 
Biber5)  bei  dringender  Gefahr  selbst  ab,  weil  sie  wissen, 
dass  man  ihnen  deshalb  nachstellt.  Die  Aerzte  nennen 
sie  Castoreum 6).  Uebrigens  ist  der  Biss  dieses  Thieres 
furchtbar;   die  Bäume   am  Ufer  der  Flüsse  durchschneidet 


')  Hyaea  crocuta.     2)  Ein  unbekanntes  Thier. 

3)  Asini  sylvestres.  Equus  Asinus.  Möglicherweise  könnte  auch 
hier  das  Zebra  (Equus  Zebra)  genannt  sein,  was  sich  aber  bei  der 
mangelhaften  Beschreibung  des  Plinius  nicht  entscheiden  lässt. 

4)  Nämlich  der  Hoden.     5)  Fibri.  Castor  Fiber. 

c)  Unter  diesem  Namen  verstehen  wir  hingegen  nicht  die  Hoden 
des  Bibers,  sondern  die  unter  der  Haut  zwischen  dem  Alter  und  den 
Geschlechtstheilen  befindlichen  Beutel,  die  sich  diese  Thiere  natür- 
lich nicht  abbeissen  können. 


Achtes  Buch.  U7 

es,  als  wenn  diess  mit  einem  Eisen  geschieht;  hat  es  einen 
Mensehen  gepackt,  so  hört  es  nicht  eher  auf  zu  beissen, 
bis  die  Knochen  zermalmt  sind.  Es  hat  einen  Fischschwanz, 
gleicht  aber  sonst  der  Fischotter  x).  Beide  leben  im 
Wasser,  und  haben  Haare,  welche  weicher  als  Flaum- 
federn sind. 

48. 
Auch  die  Laubfrösche2),  die  sowohl  auf  dem  Lande 
wie  im  Wasser  leben,  haben  viele  Heilmittel  in  sich,  die 
sie  täglich  ablegen  und  mit  der  Nahrung  wieder  von 
Neuem  zu  sich  nehmen  sollen,  so  dass  stets  nur  das  Gift 
bei  ihnen  bleibt. 

49. 
Eine  ähnliche  Lebensweise  hat  das  Meerkalb3),  das 
sich  ebenfalls  im  Meere  und  auf  dem  Lande  aufhält;  auch 
in  seinen  Kunsttrieben  ähnelt  es  dem  Biber.  Seine  Galle, 
die  es  von  sich  giebt,  wird  zu  vielen  Heilmitteln  ange- 
wandt, sowie  ein  Schleim 4)  von  ihm  gegen  die  fallende 
Sucht  5).  Es  weiss,  dass  man  ihm  deshalb  nachstellt. 
Theophrastus  giebt  an,  dass  nach  Art  der  Schlangen  auch 
die  Dorneidechsen  6)  ihre  alte  Haut  abstreifen,  und  die- 
selbe sogleich  verzehren,  um  uns  dadurch  diess  Mittel  wider 
die  fallende  Sucht  zu  entreissen.  Ihre  Bisse  sind  in  Griechen- 
land tödtlich,  in  Sicilien  aber  unschädlich. 

50. 
Auch  die  Hirsche7)  haben   ihre  Bosheit,   wenngleich 
sie  sonst  sehr  sanftmüthige  Thiere  sind.    Werden  sie  von 


')  Lutra.    Lutra  vulgaris. 

2)  Ranae  rubetae,  d.  h.  Frösche,  die  auf  Rubus  sich  aufhalten, 
vergL  XXXII.  B.  18.  C;  etwa  unser  Hyla  arborea. 

3)  Vitulus  marinus.  Phoca  vitulina,  Seehund,  Robbe. 

4)  Coagulum. 

5)  Morbus  comitialis.  Diesen  Namen  gaben  die  Römer  deshalb 
dieser  Krankheit,  weil  die  Comitien  (Volksversammlungen)  sogleich 
geschlossen  werden  mussten,  wenn  ein  Gegenwärtiger  davon  befal- 
len wurde. 

e)  Stellio.  Stellio  vulgaris.    7)  Cervus  elaph»«. 


118  Achtes  Buch. 

Hunden  verfolgt,  so  nehmen  sie  ihre  Zuflucht  zum  Menschen. 
Wenn  die  Hirschkuh  werfen  will,  vermeidet  sie  weniger 
die  von  Menschen  betretenen  Wege  als  versteckte  und  von 
wilden  Thieren  besuchte  Orte.  Ihre  Brunstzeit  erfolgt 
nach  dem  Aufgang  des  Arcturus *).  Sie  sind  8  Monate 
trächtig  und  werfen  zuweilen  2  Junge.  Nach  der  Be- 
gattung trennen  sie  sich;  aber  die  verlassenen  Männchen 
toben  vor  Geilheit  und  scharren  Gruben  aus.  Dann  werden 
ihre  Schnauzen  schwarz  2),  bis  wiederholte  Regengüsse  sie 
wieder  rein  waschen.  Die  Weibchen  reinigen  sich  vor  dem 
Werfen  mit  einem  gewissen  Kraute,  welches  Seselis  ge- 
nannt wird;  hierdurch  geht  die  Geburt  leichter  von  Statten. 
Nachher  fressen  sie  2  Kräuter,  Tamnus  und  Seselis,  und  kehren 
dann  zu  ihren  Jungen  zurück.  Sie  wollen  mit  diesen 
Kräutern,  aus  irgend  einem  Grunde,  die  erste  Milch  würzen. 
Ihre  Jungen  üben  sie  im  Laufen  und  lehren  sie,  zu  rechter 
Zeit  zu  fliehen;  sie  führen  sie  an  Abhänge  und  zeigen 
ihnen  das  Springen.  Nun  Haben  die  Männchen  ihre  Wollust 
verloren  und  fressen  sehr  begierig.  Wenn  sie  merken 
dass  sie  sehr  fett  werden,  verbergen  sie  sich  und  geben 
dadurch  zu  erkennen,  dass  ihnen  das  Fett  beschwerlich 
ist.  Auf  der  Flucht  ruhen  sie  stets  von  Zeit  zu  Zeit  aus, 
bleiben  stehen  und  sehen  sich  um,  kommt  man  ihnen  aber 
nahe,  so  suchen  sie  ihr  Heil  wiederum  in  der  Flucht.  Sie 
thun  diess  wegen  Schmerzen  des  Eingeweide,  denn  diese 
sind  so  dünn,  dass  sie  schon  bei  einem  gelinden  Stosse 
zerreissen.  Sie  fliehen,  wenn  sie  Hundegebell  hören,  stets 
mit  dem  Winde,  damit  ihre  Fährte  mit  ihnen  verschwindet. 
Sie  finden  Gefallen  an  der  Hirtenpfeife  und  am  Gesänge; 
wenn  sie  die  Ohren  aufrichten,  haben  sie  das  feinste  Ge- 
hör, lassen  sie  sie  hängen,  so  sind  sie  taub.   Uebrigens  ist 


1)  Das  ist  im  Herbste,  gegen  Ende  September. 

2)  Nach  Aristoteles  soll  diess  von  ihrer  innern  Hitze  während 
der  Brunst  herrühren,  welche  das  Blut  nach  der  Oberfläche  treibt. 
Durch  Regen  soll  sich  diese  Schwärze  wieder  verlieren,  weil  er  den 
Hirsch  abkühlt. 


Achtes  Buch. 


119 


der  Hirsch  ein  einfältiges  Thier,  das  sich  über  alles  ver- 
wundert, was  so  weit  geht,  dass  es  bei  Annäherung  eines 
Pferdes  oder  einer  Kuh  deu  danebenstehenden  Jäger  nicht 
bemerkt,  oder  wenn  es  ihn  sieht,  so  wundert  es  sich  über 
dessen  Bogen  und  Pfeile.  Sie  durchschwimmen  das  Meer 
heerdenweise  in  langer  Reihe,  indem  sie  die  Köpfe  auf 
die  Hintertheile  ihrer  Vorgänger  legen,  welche  letztere  ab- 
wechselnd sich  auch  wieder  hinten  hin  begeben.  Diess 
bemerkt  man  am  häufigsten  bei  denen,  die  von  Cilicien 
nach  Cypern  übersetzen.  Sie  sehen  das  Land  nicht,  son- 
dern schwimmen  dem  Gerüche  desselben  nach. 

Die  Männchen  haben  Geweihe,  und  sind  die  einzigen 
Thiere,  welche  dieselben  alljährig  zu  einer  bestimmten 
Periode  im  Frühlinge  verlieren.  Daher  begeben  sie  sich 
um  diese  Zeit  in  unwegsame  Gegenden.  Wenn  sie  das 
Geweih  verloren  haben,  verbergen  sie  sich  gleichsam  wie 
Waffenlose,  missgönnen  aber  zugleich  dem  Menschen  dieses 
ihr  Gut.  Das  rechte  Geweih,  welches  eine  Heilkraft  besitzt, 
soll  man  niemals  auffinden  können,  und  diess  ist  deshalb 
merkwürdig,  weil  sie  in  den  Thiergärten  jährlich  damit 
wechseln;  man  glaubt  daher,  sie  verscharren  es.  Der  von 
einem  angezündeten  Geweihe  aufsteigende  Dampf  vertreibt 
die  Schlangen  und  heilt  die  fallende  Sucht.  An  den  Ge- 
weihen erkennt  man  auch  das  Alter  dieser  Thiere,  denn 
jedes  Jahr  setzt  sich,  bis  sie  6  Jahre  alt  sind,  ein  neues 
Ende  an.  Von  dieser  Zeit  an  gleichen  die  neu  anwach- 
senden den  vorigen,  und  man  kann  das  Alter  nicht  weiter 
daran  wahrnehmen.  Das  hohe  Alter  aber  zeigt  sich  au 
den  Zähnen;  diese  sind  nämlich  dann  nur  noch  in  geringer 
Zahl  oder  gar  nicht  mehr  vorhanden;  auch  fehlen  den  alten 
Hirschen  unten  an  den  Geweihen  die  Aeste,  welche  bei 
Jüngern  Thieren  vor  der  Stirn  hervorzuragen  pflegen.  Die 
verschnittenen  Hirsche  verlieren  die  Geweihe  nicht,  und 
sind  sie  einmal  abgefallen,  so  wachsen  keine  neuen  wieder. 
Wenn  die  Geweihe  sich  wieder  erneuern,  brechen  sie  zu- 
erst als  Knollen  mit  einer  dürren  Haut  überzogen  hervor; 
dann  wachsen  sie  in  zarten  Zweigen  fort,  und  sind,  gleich 


120  Achtes  Buch. 

den  Rohrbüscheln,  mit  zarter  Wolle  umkleidet.  So  lange 
ihnen  die  Geweihe  fehlen,  gehen  sie  des  Nachts  zum  Futter; 
während  des  Wachsens  erhärten  sie  durch  die  Sonnenhitze. 
Sie  prüfen  dieselben  zuweilen  an  Bäumen,  und  wenn  sie 
ihnen  hart  genug  erscheinen,  so  gehen  sie  wieder  an  lichte 
Orte.  Man  hat  schon  Hirsche  gefangen,  an  deren  Geweihen 
Epheu  grünte,  welcher  beim  Probiren  der  noch  zarten  Ge- 
weihe an  Bäumen,  gleich  wie  in  Holz,  in  dieselben  einge- 
wachsen war.  Zuweilen  kommen  auch  weisse  Hirsche  vor; 
diese  Farbe  soll  die  Hirschkuh  des  Q.  Sertorius  *)  gehabt 
haben,  welche  er  bei  den  Völkern  Spaniens  für  eine  Wahr- 
sagerin ausgab.  Auch  die  Hirsche  leben  mit  den  Schlangen 
in  Feindschaft.  Sie  suchen  deren  Höhlen  auf,  und  ziehen 
dieselben,  trotz  ihres  Widerstrebens,  durch  das  Schnaufen 
ihrer  Nasen  heraus.  Daher  dient  der  Rauch  von  brennen- 
dem Hirschhorn  ganz  vorzüglich  zur  Vertreibung  der 
Schlangen.  Gegen  ihre  Bisse  aber  giebt  das  Lab  eines 
in  Mutterleibe  getödteten  Hirschkalbes  ein  vortreffliches  Heil- 
mittel ab.  Es  ist  bekannt,  dass  die  Hirsche  lange  leben. 
Man  fing  deren  mit  goldenen  Ketten,  welche  ihnen  100  Jahre 
vorher  Alexander  der  Grosse  umgehängt  hatte,  und  die 
wegen  der  Wohlgenährtheit  der  Thiere  schon  von  der  Haut 
überwachsen  waren.  Fieberkrankheiten  ist  diess  Thier 
nicht  unterworfen,  ja  es  benimmt  sogar  die  Furcht  davor. 
Ich  weiss,  dass  einige  vornehme  Frauen  jeden  Morgen 
Hirschfleisch  zu  essen  pflegten,  und  so  lange  sie  lebten  vom 
Fieber  verschont  blieben;  doch  glaubt  man,  dass  sich  diess 
Mittel  nur  dann  bewähre,  wenn  das  Thier  an  einer  Wunde 
gestorben  sei.  Von  derselben  Gestalt,  nur  durch  einen 
Bart  und  wolliges  Brusthaar  verschieden,  ist  der  sogenannte 
Bockhirsch  2),der  sich  am  Flusse  Phasis  undr  sonst  nirgends 
aufhält. 

51. 
Afrika  ist  fast   das   einzige   Land,   wo  keine  Hirsche- 


»)  Vergl.  A.  Gellius,  att.  Nächte  XV.  B.  22.  Cap. 
2)  TQaytka<poq,  ohne  Zweifel  ein  fabelhaftes  Thier. 


Achtes  Buch. 


121 


vorkommen;  allein  das  Chamäleon  *)  lebt  dort,  doch  findet 
sich  dieses  noch  häufiger  in  Indien.  An  Gestalt  und  Grösse 
würde  es  einer  Eidechse  gleichen,  wenn  seine  Beine  nicht 
gerade  und  länger  wären.  Die  Seiten  bilden  mit  dem 
Bauche  ein  Ganzes  wie  bei  den  Fischen,  auch  hat  es,  wie 
diese,  eine  Rückenflosse.  Die  Schnauze  ist  einem  Schwein- 
rüssel im  Kleinen  ähnlich;  der  lange  Schwanz  läuft  in  eine 
Spitze  aus  und  wickelt  sich  schlangenartig  im  Kreise  herum. 
Die  Krallen  sind  gekrümmt;  es  bewegt  sich  langsam  wie 
die  Schildkröte;  der  Körper  ist  rauh  wie  beim  Krokodil: 
die  Augen  liegen  in  einer  hohlen  Vertiefung,  sind  durch 
eine  schmale  Wand  von  einander  getrennt,  sehr  gross  und 
ebenso  wie  der  Körper  gefärbt;  es  schliesst  sie  nie,  und 
bewegt  beim  Umsehen  nicht  bloss  die  Pupille,  sondern 
wendet  das  ganze  Auge.  Es  sitzt  hoch  mit  stets  offenem 
Maule,  und  ist  das  einzige  Thier,  welches  weder  Speise 
noch  Trank  zu  sich  nimmt,  sondern  bloss  von  der  Luft 
lebt 2).  Zur  Zeit  der  Feigenreife  ist  es  wild,  sonst  aber 
unschädlich.  Merkwürdig  verhält  es  sich  mit  seiner  Farbe; 
es  verändert  dieselbe  nämlich  zuweilen,  sowohl  an  den 
Augen,  wie  am  Schwänze  und  dem  übrigen  Körper.  Man 
sieht  immer  die  Farbe  desjenigen  Körpers  an  ihm,  welchen 
es  zunächst  berührt 3),  ausgenommen  die  rothe  und  weisse. 
Nach  dem  Tode  ist  es  blasser.  Fleisch  hat  es  am  Kopfe, 
den  Kinnbacken,  und  da,  wo  der  Schwanz  festsitzt  nur  sehr 
wenig,  und  sonst  am  ganzen  Körper  gar  keins.  Blut  findet 
sich  nur  im  Herzen  und  um  die  Augen.  Unter  den  Einge- 
weiden fehlt  die  Milz.  In  den  Wintermonaten  hält  es  sich 
verborgen,  wie  die  Eidechsen. 


')  Chamaeleo  vulgaris. 

2)  Es  nährt  sich  vielmehr  von  Insekten,  die  es  mit  seiner  langen, 
klebrigen  und  überaus  beweglichen  Zunge  fängt.  Da  es  sehr  grosse 
Lungen  hat,  so  kann  es  sich  nach  Gefallen  aufblähen  und  dünner 
machen;  daher  vermuthlich  der  Glaube,  dass  es  von  der  Luft  lebe. 

3)  Seine  Schuppen  sind  glänzend,  daher  spiegeln  sich  zuweilen 
die  Gegenstände  seiner  Umgebung  mit  ihren  Farben  darauf  ab. 
Seine  Farbe  überhaupt  ist  von  Natur  grünlich  grau;  sie  verändert 
sich  besonders,  wenn  es  zornig  wird. 


122  Achtes  Buch. 

52. 

Auch  das  in  Scythien  lebende  Rennt  hie  r  x)  verändert 
seine  Farbe,  sonst  aber  kein  anderes  von  den  Thieren,  die 
mit  Haaren  bedeckt  sind,  ausgenommen  der  Lycaon 2), 
dessen  Hals  mit  einer  Mähne  bewachsen  sein  soll.  Dann 
der  Thos  3)  (eine  Art  von  Wölfen,  aber  von  längerm  Bau 
und  kürzern  Beinen,  ist  schnell  im  Springen,  lebt  von  der 
Jagd  und  schadet  dem  Menschen  nicht),  ändert  zwar  seine 
Bekleidung,  nicht  aber  die  Farbe;  es  ist  nämlich  im 
Winter  rauh,  im  Sommer  kahl.  Das  Rennthier  hat  die 
Grösse  eines  Stiers;  der  Kopf  ist  grösser  als  der  eines 
Hirsches,  aber  diesem  ähnlich.  Die  Geweihe  sind  ästig, 
die  Klauen  gespalten,  das  Haar  hat  dieselbe  Länge  wie 
beim  Bären.  Wenn  es  ihm  aber  gefällt  seine  eigne  Farbe 
anzunehmen,  so  sieht  es  einem  Esel  ähnlich.  Sein  Fell  ist 
so  fest,  dass  man  Brustharnische  daraus  macht.  Wenn  es 
in  Furcht  ist,  zeigt  es  die  Farbe  aller  Bäume,  Strauch  er, 
Blumen  und  Orte,  wo  es  sich  aufhält,  daher  wird  es  auch 
selten  gefangen.  Es  ist  schon  wunderbar,  dass  der  Körper 
sein  Aussehen  so  vervielfältigen  kann,  noch  wunderbarer 
aber  ist  diess  bei  den  Haaren. 

53. 

Stachelschweine4)  giebt  es  in  Indien  und  Afrika; 
sie  gehören  zum  Geschlechte  der  Igel 5),  haben  aber  längere 
Stacheln,  die  sie,  wenn  sie  die  Haut  anspannen,  von  sich 
schiessen  können.  Es  schiesst  sie  den  verfolgenden  Hunden 
ans  Maul  und  auch  wohl  noch  etwas  weiter.  In  den 
Wintermonaten  lebt  es  verborgen,  eine  Eigenschaft  vieler 
Thiere,  besonders  aber  des  Bären6). 

54. 

Die  Bären  begatten  sich  zu  Anfang  des  Winters,  nicht 
aber   auf  die  bei  vierfüssigen  Thieren  gewöhnliche  Weiser 

l)  Tarandus.  Cervus  Taranclus.     -)  Unbekanntes  Thier. 

3)  Canis  aureus,  der  Schakal. 

*)  Hystrices.     Hystrix  cristata.     5)  Herinacei. 

*)  Ursus.    Drsne  arctos. 


Achtes  Buch. 


123 


sondern  indem  sie  beide  liegend  sich  umfassen.  Dann 
ziehen  sie  sich,  jeder  für  sich,  in  ihre  Höhlen  zurück;  das 
Weibchen  wirft  am  30.  Tage  und  höchstens  5  Junge.  Diese 
sind  weisse  unförmliche  Fleischklumpen,  etwas  grösser  als 
Mäuse,  ohne  Augen  und  Haare;  nur  die  Klauen,  welche 
sich  nach  und  nach  durch  Lecken  ausbilden,  ragen  hervor. 
Es  giebt  nichts  Selteneres,  als  eine  werfende  Bärin  zu 
sehen;  denn  die  Männchen  halten  sich  40  Tage,  die  Weibchen 
aber  4  Monate  lang  verborgen.  Wenn  sie  keine  Höhle 
haben,  bauen  sie  aus  zusammengetragenen  Aesten  und 
Buschwerk  eine  Wohnung,  die  gegen  Regen  undurchdring- 
lich ist,  und  bereiten  ihr  Lager  aus  weichem  Laube.  In 
den  ersten  14  Tagen  liegen  sie  in  einem  so  festen  Schlafe, 
dass  sie  nicht  einmal  durch  Verwundungen  zu  erwecken 
sind.  Während  dieses  Schlafs  werden  sie  erstaunlich  fett. 
Dieses  Fett  dient  zu  Arzneien  und  hilft  gegen  das  Aus- 
fallen der  Haare.  Von  dieser  Zeit  an  sitzen  sie  und  nähren 
sich  durch  Säugen  an  den  Vorderfüssen.  Die  erstarrten 
Jungen  wärmen  sie  dadurch,  dass  sie  sie  an  ihre  Brust 
drücken,  und  gerade  so  über  ihnen  sitzen,  wie  die  Vögel 
über  den  Eiern.  Wunderbarerweise  glaubt  Theopheastus, 
dass  selbst  das  während  dieser  Zeit  gekochte  Bärenfleisch, 
wenn  es  aufbewahrt  würde,  wachse.  Von  Speise  findet 
man  keine  Spur  im  Magen,  sondern  nur  eine  sehr  geringe 
Menge  Feuchtigkeit,  ferner  in  der  Gegend  des  Herzens  nur 
wenige  Tropfen  Blut,  sonst  aber  im  ganzen  Körper  keine  Spur 
davon.  Im  Frühlinge  kommen  sie  wieder  zum  Vorschein; 
die  Männchen  sind  dann  ausserordentlich  fett,  wovon  mau 
keine  hinreichende  Erklärung  geben  kann,  denn  ausser  in 
jenen  14  Tagen,  wo  sie,  wie  wir  gesagt  haben,  schlafen, 
werden  sie  nicht  einmal  durch  den  Schlaf  gemästet.  Nach- 
dem sie  wieder  hervorgekommen  sind,  fressen  sie  das  Kraut 
Aron,  um  ihre  zusammengeschrumpften  Eingeweide  zu  er- 
weichen, und  erhärten  ihr  Maul  an  den  Schösslingen  der 
Dornsträucher.  Ihre  Augen  werden  oft  schwach ;  sie  suchen 
vorzüglich  deshalb  die  Bienenstöcke  auf,  damit  die  Bienen 
sie  in  die  Schnauze   stechen,  und   der   erstehende  Blutfluss 


124  Achtes  Buch. 

ihnen  einige  Linderung  verschafft.  Das  schwächste  Glied 
am  Bären  ist  der  Kopf,  der  am  Löwen  gerade  das  stärkste 
ist;  wenn  sie  sich  daher,  bei  Verfolgungen,  von  einem  Felsen 
stürzen  wollen,  so  springen  sie,  indem  sie  den  Kopf  mit 
den  Vordertatzen  bedecken,  und  oft  wurden  sie  auf  dem 
Kampfplatze  dadurch,  dass  man  ihnen  durch  einen  Faust- 
schlag das  Genick  brach,  getödtet.  Die  Spanier  glauben, 
ihr  Gehirn  enthalte  ein  Gift,  und  verbrennen  die  Köpfe 
der  in  den  Kampfspielen  getödteten,  weil,  wie  sie  be- 
haupten, ein  daraus  bereiteter  Trank  Bärenwuth  bewirkt, 
Sie  gehen  auch  auf  2  Beinen  einher.  Von  den  Bäumen 
klettern  sie  rücklings  herab.  Die  Stiere  ermüden  sie  durch 
ihre  Last,  indem  sie  sich  mit  allen  vier  Füssen  an  deren 
Hörner  hängen;  und  kein  Thier  besitzt  bei  seiner  Dumm- 
heit so  viel  List,  andern  zu  schaden.  In  den  Jahrbüchern 
findet  sich  angemerkt,  dass  unter  den  Consuln  M.  Piso  und 
M.  Messala  x)  am  16.  September  der  Aediliscurulis  Damitius 
Ahenobarbus  100  numidische  Bären  und  ebenso  viele  äthio- 
pische Jäger  in  dem  Circus  habe  auftreten  lassen.  Ich 
wundere  mich,  dass  man  beigesetzt  hat  „numidische",  da 
doch  bekanntlich  in  Afrika  keine  Bären  vorkommen. 

55. 
Auch  die  pontischen  Mäuse  2)  halten  sich  im  Winter 
verborgen,  jedoch  nur  die  weissen;  ihr  Gaumen  soll  ein 
köstlicher  Bissen  sein,  begreife  aber  nicht,  woher  die 
Schriftsteller  diess  wissen.  Auch  die  Alpen  mause 3), 
welche  die  Grösse  der  Dachse  haben,  vergraben  sich  im 
Winter,  tragen  sich  aber  vorher  Nahrung  in  die  Höhle. 
Einige  erzählen,  dass  sie  abwechselnd,  bald  das  Männchen 
bald  das  Weibchen,  auf  dem  Rücken  liegend  ein  Bündel 
Kräuter  über  sich  halten,  sich  dann  von  dem  andern  mit 
den  Zähnen  beim  Schwänze  fassen  und  so  zur  Höhle  ziehen 
lassen,  deshalb   soll   auch   um  jene  Zeit  ihr  Rücken  ganz 


')  61  v.  Chr.     2)  Mures  pontici.  Spermophilus  Citillus,  Ziesel. 
3)  Muris  alpini.  Arctomys  Marmotta,  Murmelthier. 


Achtes  Buch.  225 

abgerieben  sein.  Auch  in  Aegypten  giebt  es  diesen  ganz 
gleiche  Thiere;  sie  sitzen  ebenfalls  auf  dem  Hintertheile, 
gehen  auf  2  Füssen,  und  brauchen  die  Vorderpfoten  wie 
Hände. 

56. 
Wintervorrath  sammeln  auch  die  Igel x)  ein;  sie  wälzen 
sich  auf  abgefallenen  Baumfrüchten,  spiessen  sie  mit  ihren 
Stacheln,  nehmen  noch  überdiess  eine  ins  Maul,  und  tragen 
sie  in  hohle  Bäume.  Ebendiese  Thiere  zeigen  auch  durch 
ihr  Verkriechen  in  Höhlen  an,  dass  sich  der  Wind  von 
Nord  nach  Süd  drehet.  Wenn  sie  einen  Jäger  gewahr 
werden,  ziehen  sie  den  Kopf,  die  Füsse  und  den  ganzen 
untern  Theil,  wo  sie  wenige  und  nicht  stachlichte  Haare 
haben,  ein,  und  rollen  sich  in  einen  Ball  zusammen,  damit 
jener  nichts  als  Stacheln  anfassen  kann.  In  der  grössten 
Angst  aber  lassen  sie  einen  pestialischen  Urin  von  sich, 
der  ihrer  Haut  und  ihren  Stacheln  schadet,  denn  sie  wissen, 
dass  man  ihnen  deshalb  nachstellt.  Daher  besteht  die 
Kunst  darin,  ihrer  habhaft  zu  werden,  wenn  sie  zuvor  den 
Urin  gelassen  haben;  denn  nur  dann  ist  ihr  Fell  gut,  sonst 
aber  verdorben,  morsch  mit  faulenden  und  ausfaulenden 
Stacheln,  auch  selbst,  wenn  es  sich  durch  die  Flucht  rettet. 
Daher  übergiesst  er  sich  nur  mit  jener  verderblichen 
Feuchtigkeit,  wenn  keine  Hoffnung  der  Rettung  mehr  für 
ihn  da  ist;  denn  er  verabscheuet  selbst  sein  eignes  Gift, 
schont  sich  also  bis  zum  letzten  Augenblick  und  wird  da- 
her fast  immer  zuvor  gefangen.  Nachher  öffnet  man  den 
Ball  durch  Besprengen  mit  kaltem  Wasser,  ergreift  den 
Igel  an  einem  der  Hinterbeine,  hängt  ihn  daran  auf  und 
lässt  ihn  verhungern,  denn  anders  ist  es  nicht  möglich,  ihn 
zu  tödten,  ohne  das  Fell  zu  verletzen.  Diess  Thier  ist  nicht, 
wie  Viele  behaupten,  für  das  menschliche  Leben  unnütz; 
denn  wenn  man  seine  Stacheln  nicht  hätte,  so  wäre  die 
weisse   Wolle    des   Schafs    dem   Menschen   vergeblich   ge- 


l)  Herinacei.  Erinaceus  europaeus. 


126  Achtes  Buch. 

schenkt  worden.  Mit  dem  Felle  reinigt  man  die  Kleider. 
Der  Betrug  hat  aus  dem  Handel  damit  grossen  Vortheil 
gezogen,  und  über  keinen  Gegenstand  sind  mehr  Senats- 
beschlüsse gefasst  worden,  und  so  viele  Klagen  aus  den 
Provinzen  an  jeden  Kaiser  gelangt,  als  über  diesen. 

57. 

Auch  der  Urin  von  2  anderen  Thieren  hat  wunderbare 
Eigenschaften.  Ein  kleines  Thier,  der  Löwentödter x) 
genannt,  welches  nirgends  anders  als  in  der  Nähe  des 
Löwen  zu  finden  ist,  lässt  einen  Urin  von  sich,  durch  dessen 
Genuss  jenes  gewaltige  Thier,  welches  über  die  übrigen 
vierfüssigen  Thiere  herrscht,  sogleich  stirbt.  Daher  be- 
streuen die,  welche  dem  Löwen  nachstellen,  mit  der  Asche 
des  verbrannten  Körpers  jenes  Thieres  anderes  Fleisch, 
gleichwie  mit  Graupen,  und  tödten  ihn  also  sogar  durch 
die  Asche.  So  schädlich  ist  ihm  dieses  Gift!  Nicht  mit 
Unrecht  hasst  daher  der  Löwe  diess  Thier,  zertritt  es  wo 
er  es  erblickt,  und  tödtet  es  ohne  Biss.  Jenes  dagegen 
spritzt  seinen  Urin  gegen  ihn,  wohl  wissend,  dass  er  dem 
Löwen  tödtlich  ist. 

Die  Feuchtigkeit,  welche  der  Luchs  in  seinem  Vater- 
lande von  sich  giebt,  gesteht  und  erhärtet  zu  einem  Edel- 
steine, der  Lyncurium  genannt  wird,  dem  Carbunkel  ähn- 
lich ist  und  feurig  glänzt,  und  deshalb  glauben  Viele,  der 
Bernstein  entstehe  auf  diese  Weise.  Die  Luchse  wissen 
diess,  und  bedecken  neidisch  ihren  Urin  mit  Erde,  wodurch 
er  aber  um  so  schneller  erhärtet. 

58. 
Einer  andern  List  bedienen  sich  die  Dachse2)  in  der 
Angst;  sie  blasen  sich  auf  und  wehren  durch  diese  Aus- 
spannung der  Haut  die  Schläge  der  Menschen  und  die 
Bisse  der  Hunde  ab.  Die  Eichhörnchen8)  sehen  ein 
Ungewitter  vorher,  denn   sie  verscharren   ihre  Höhlen   da. 


')  Leontophonos,  ein  unbekanntes  Thier. 

2)  Meles.  Meles  vulgaris.    3)  Sciuri.  Sciurus  vulgaris. 


Achtes  Buch.  j97 

woher  der  Wind  kommt,  und  öffnen  sie  auf  der  entgegen- 
gesetzten Seite.  Uebrigens  dient  ihnen  ihr  stark  behaarter 
Schwanz  als  Decke.  —  Einige  Thiere  versorgen  sich  also 
für  den  Winter  mit  Futter,  andere  schlafen  statt  zu  fressen. 

59. 

Unter  den  Schlangen  soll  sich  die  Viper  allein  in 
der  Erde  aufhalten,  die  übrigen  aber  in  hohlen  Bäumen 
oder  zwischen  Felsen.  Uebrigens  können  sie  wohl  ein 
Jahr  lang  Hunger  leiden,  wenn  sie  nur  vor  Kälte  geschützt 
sind.  Alle  haben,  wenn  sie  ihren  Winterschlaf  halten, 
kein  Gift. 

Eine  ähnliche  Lebensweise  haben  die  Schnecken; 
aber  diese  schlafen  auch  im  Sommer,  wo  sie  sich  meisten- 
theils  an  Steine  hängen,  so  dass,  wenn  man  sie  auch  ge- 
waltsam umbiegt  und  abreisst,  sie  doch  nicht  auskriechen 
Auf  den  balearischen  Inseln  giebt  es  sogenannte  Höhlen  - 
Schnecken *),  die  nicht  aus  ihren  Löchern  in  der  Erde 
hei  vorkriechen,  nicht  von  Kräutern  leben,  sondern  trauben- 
artig aneinander  hängen.  Es  giebt  noch  eine  andere, 
weniger  gemeine  Art,  die  sich  vermöge  eines  au  ihrem 
Gehäuse  befindlichen  Deckels  verschliessen  kann;  diese 
stecken  beständig  in  der  Erde,  und  wurden  vormals  nur 
in  der  Gegend  der  See-Alpen  ausgegraben,  doch  jetzt  findet 
man  sie  auch  im  Liternischen.  Die  besten  unter  allen  aber 
giebt  es  auf  der  Insel  Astypaläa. 

60. 

Die  Eidechsen,  die  grössten  Feinde  der  Schnecken, 
sollen  nicht  über  ein  halbes  Jahr  alt  werden.  Die  arabischen 
Eidechsen  sind  einen  Cubitus  lang;  in  Indien  aber  auf  dem 
Berge  Nysa  giebt  es  welche,  die  24  Fuss  Länge,  eine  fahl- 
gelbe, purpurrothe  oder  blaue  Farbe  haben. 

61. 

Auch  von  den  Thieren,  welche  in  unserer  Gesellschaft 
leben,    sind    viele    einer    nähern   Betrachtung    werth;    am 


')  Cochleae  cavaticae. 


128  Achtes  Buch. 

treuesten  unter  allen  sind  der  Hund  und  das  Pferd  dem 
Menschen  ergeben.  Ich  habe  erfahren,  dass  ein  Hund  für 
seinen  Herrn  gegen  Räuber  kämpfte,  und  als  dieser  den 
Streichen  unterlegen  war,  nicht  von  dem  Leichnam  wich, 
sondern  die  Vögel  und  wilden  Thiere  abwehrte.  Von 
einem  andern  in  Epirus  erzählt  man,  er  habe  in  einer  Ver- 
sammlung den  Mörder  seines  Herrn  erkannt,  und  denselben 
durch  Beissen  und  Bellen  dahin  gebracht,  das  Verbrechen 
zu  bekennen.  Einen  König  der  Garamanter  brachten 
200  Hunde  aus  der  Verbannung  zurück,  und  kämpften 
gegen  die,  welche  sich  widersetzten.  Die  Colophonier  und 
die  Castabalenser  hielten  sich  ganze  Heerden  von  Hunden 
zum  Gebrauche  im  Kriege;  diese  stritten  immer  zuerst  in 
den  Schlachten  und  zeigten  sich  niemals  widerspenstig;  sie 
waren  die  treuesten  Hülfstruppen  und  bedurften  keines 
Soldes.  Hunde  verth eidigten  nach  der  Niederlage  der  Cim- 
bern  deren  auf  Lastwagen  liegenden  Zelte.  Ein  Hund 
wollte  nach  der  Ermordung  des  Lyciers  Jason  kein  Futter 
zu  sich  nehmen,  und  starb  vor  Hunger.  Der  aber,  dessen 
Namen  „Hyrcanus"  uns  Duris  überliefert  hat,  stürzte  sich 
in  die  Flammen  des  Scheiterhaufens,  auf  dem  der  Leich- 
nam des  Königs  Lysimachus  verbrannt  wurde;  dasselbe 
that  der  Hund  des  Königs  Hiero.  Auch  Philistus x)  er- 
wähnt eines  treuen  Hundes  des  Tyrannen  Gelo,  Namens 
Pyrrhus.  Ferner  wird  eines  Hundes  des  bithynischen  Königs 
Nicomedes  gedacht,  der  dessen  Gattin  Consingis  wegen 
eines  unziemlichen  Scherzes  mit  ihrem  Ehemann  zerriss. 
Bei  uns  vertheidigte  ein  Hund  den  berühmten  Volcatius, 
der  dem  Cascellius  das  bürgerliche  Recht  lehrte,  als  er  auf 
einem  asturischen  Pferde  2)  von  seinem  Landgute  zurück- 
kehrte, gegen  einen  Räuber.  Dasselbe  war  der  Fall  mit 
dem  Senator  Cälius,  welcher  krank  zu  Placentia  von  Be- 
waffneten angefallen,  und  nicht  eher  verwundet  wurde,  bis 
sein  Hund  getödtet  war.  Aber  alle  Beispiele  übertrifft  das, 
was  sich  in  unserm  Zeitalter  ereignet  hat,   und    durch   die 


')  Aus  Syrakus,  starb  356  v.  Chr.     '-')  Asturco. 


Achtes  Buch.  12<} 

öffentlichen  Urkunden  des  römischen  Volkes  beglaubigt 
wird.  Als  unter  den  Consuln  Appius  Junius  und  P.  Silius l) 
der  Titius  Sabinus  und  seine  Dienerschaft  bei  der  Ver- 
schwörung des  Nero,  des  Sohnes  des  Germanikus,  zur 
Strafe  gezogen  wurden,  konnte  der  Hund  des  einen  von 
diesen  nicht  vom  Gefängnisse  weggetrieben  werden;  er 
wich  nicht  von  dessen  Leichnam,  als  derselbe  über  die 
Seufzerstuffen  2)  herabgestürzt  war,  erhob,  von  einer  Menge 
Volks  umgeben,  ein  klägliches  Geheul  und  als  ihm  jemand 
etwas  zu  fressen  vorwarf,  trug  er  diess  zum  Munde  des 
Todten.  Er  schwamm  dem  Leichnam,  welcher  in  die  Tiber 
geworfen  wurde,  nach  und  suchte  ihn  oben  zu  erhalten, 
wobei  eine  Menge  Volks  herbeiströmte,  um  das  treue  Thier 
zu  sehen. 

Nur  die  Hunde  allein  kennen  ihren  Herrn,  und  wissen 
es,  wenn  ein  Unbekannter,  sei  es  auch  noch  so  unvermerkt, 
erscheint.  Sie  allein  verstehen  ihre  Namen,  und  die  Sprache 
im  Hause.  Wege  merken  sie  sich,  selbst  wenn  diese  sehr 
lang  sind.  Kein  anderes  Geschöpf,  ausser  dem  Menschen,  hat 
ein  stärkeres  Gedächtniss.  Ihre  Wuth  wird  besänftigt, 
wenn  der  von  ihnen  angefallene  Mensch  sich  auf  die 
Erde  setzt. 

Noch  viele  andere  schätzbare  Eigenschaften  hat  man 
an  ihnen  nach  und  nach  entdeckt.  Aber  ganz  vorzüglich 
zeigt  sich  ihre  Geschicklichkeit  und  Klugheit  auf  der  Jagd. 
Der  Hund  sucht  und  verfolgt  die  Spur  und  zieht  den  ihn 
begleitenden  Jäger  an  der  Leine  zum  Wilde  hin;  sieht  er 
es,  wie  still  und  verborgen  und  doch  wie  deutlich  ist  das 
Zeichen,  das  er  erst  mit  dem  Schwänze,  dann  mit  der 
Schnauze  giebt?  Daher  trägt  man  sogar  alte,  blinde  und 
schwache  Hunde  auf  dem  Anne  bei  sich,  weil  sie  den  Wind 


»)  27  n.  Chr. 

J)  Gradus  gemitorii  hiess  ein  mit  Stuffen  versehener  Ort  zu  Rom, 
wohin  die  Körper  der  hingerichteten  Verbrecher  geschleift  wurden. 
Hier  stürzte  man  sie  die  Stuffen  hinab,  und  schleppte  sie  nach  eini- 
ger Zeit  mit  einem  Haken  in  die  Tiber. 

Wittstein:  PliniM.    H.  B4.  9 


130  Achtes  Buch. 

und  die  Witterung  riechen,  und  mit  der  Schnauze  die  Lager 
des  Wildes  anzeigen.  Die  Indier  lassen  sie  gern  mit  Tigern 
sich  begatten,  und  binden  deshalb  die  Weibchen  zur  Lauf- 
zeit in  den  Wäldern  an.  Die  Jungen  vom  ersten  und 
zweiten  Wurfe  halten  sie  für  zu  wild,  erst  die  vom  dritten 
ziehen  sie  auf.  Dasselbe  thun  die  Gallier  mit  den  Wölfen, 
und  jede  ihrer  Heerden  hat  einen  solchen  Abkömmling  zum 
Lenker  und  Führer.  Diesen  begleiten  sie  auf  der  Jagd 
und  gehorchen  ihm;  denn  sie  haben  unter  sich  ordentlich 
eine  Art  Regiment.  Dass  sie  am  Nile  das  Wasser  im 
Laufe  lecken,  um  nicht  der  Raubgier  der  Crocodile  zur 
Beute  zu  werden,  ist  Thatsache.  Als  Alexander  der  Grosse 
nach  Indien  zog,  schenkte  ihm  der  König  von  Albanien 
einen  Hund  von  ungewöhnlicher  Grösse;  über  dessen  Schön- 
heit erfreuet  befahl  jener,  Bären,  dann  Eber  und  endlich 
Dammhirsche  auf  ihn  loszulassen,  wobei  aber  der  Hund 
voll  Verachtung  unbeweglich  liegen  blieb.  Diese  Trägheit 
des  grossen  Thieres  verdross  den  heldenmüthigen  Feldherrn 
so  sehr,  dass  er  ihn  tödten  liess.  Als  diess  der  König  er- 
fuhr, sandte  er  ihm  einen  zweiten  und  liess  ihm  sagen,  er 
möge  keine  kleine  Thiere,  sondern  Löwen  oder  Elephanten 
gegen  ihn  versuchen;  er  habe  nur  zwei  solcher  Hunde  ge- 
habt, würde  auch  dieser  gotödtet,  so  gäbe  es  keinen  mehr. 
Alexander  zögerte  nicht  mit  der  Ausführung  und  sogleich 
sähe  er  den  Löwen  bezwungen.  Hierauf  liess  er  einen 
Elephanten  vorführen,  und  wurde  durch  ein  alles  überstei- 
gendes Schauspiel  ergötzt,  denn  am  ganzen  Körper  des 
Hundes  starrten  die  Haare  borstig  hervor,  zuerst  brach  er 
in  ein  lautes  Bellen  aus,  dann  sprang  er  gegen  den  Ele- 
phanten bald  von  dieser  bald  von  jener  Seite  an,  kämpfte 
mit  der  hier  so  notwendigen  Kunstfertigkeit,  indem  er 
abwechselnd  angriff  und  zurückwich,  und  ermüdete  ihn 
durch  stetes  Herumtreiben  so,  dass  dieser  endlich  unter 
heftiger  Erschütterung  der  Erde  umfiel. 

62. 
Das  Hundegeschlecht  wirft  zweimal  im  Jahre.    Wenn 
sie  1  Jahr  alt  sind,  können  sie  schon  gebären.    60  Tage 


Achtes  Buch.  iq-i 

lang  tragen  sie.  Die  Jungen  werden  blind  geboren,  und 
je  reichlicher  dieselben  Milch  geniessen,  desto  später  öffnen 
sich  ihre  Augen,  jedoch  geschieht  diess  niemals  später  als 
am  21.  oder  früher  als  am  7.  Tage.  Einige  sagen,  wenn 
nur  1  Junges  zur  Welt  käme,  so  würde  es  am  9.  Tage 
sehend;  wenn  2  am  10.,  und  so  erfolgte  mit  jedem  einzel- 
nen Jungen  mehr  das  Sehen  um  einen  Tag  später.  Auch 
soll  eine  Hündin,  die  von  einer  zum  ersten  Male  gebären- 
den geworfen  ist,  Faunen  l)  sehen  können.  Das  beste  unter 
den  Jungen  soll  das  sein,  welches  am  spätesten  sehen 
lernt,  und  welches  die  Mutter  zuerst  auf's  Lager  legt. 

63. 

Die  Hunds wuth,  welche  während  des  Leuchtens  des 
Sirius  ausbricht,  ist  dem  Menschen  höchst  verderblich,  denn 
die  Gebissenen  werden,  wie  wir  gesagt  haben  2),  von  einer 
tödtlichen  Wasserscheu  befallen.  Man  beugt  dieser  Krank- 
heit vor,  wenn  man  während  dieser  30  Tage  3)  viel  Hühner- 
mist, oder  wenn  sie  sich  schon  früher  eingestellt  hat,  Nies- 
wurz 4)  unter  das  Futter  der  Hunde  mischt. 

Gegen  den  Biss  aber  hat  man  neuerlich  das  einzige 
Heilmittel  gleichsam  durch  eine  göttliche  Eingebung  5)  in 
der  Wurzel  der  Waldrose,  welche  Hundsrose 6)  genannt 
wird,  gefunden.  Columella 7)  sagt,  wenn  dem  Hunde  am 
40.  Tage  nach  seiner  Geburt  der  Schwanz  durch  Abbeissen 
dergestalt  verstümmelt  würde,  dass  man  das  letzte  Glied 
desselben  abnähme  und  den  darauf  folgenden  Nerv  auszöge, 
so  wüchse  der  Schwanz  nicht  wieder,  und  die  Hunde  würden 
auch  nicht  toll.  Unter  den  Wunderzeichen  (denn  diess 
halte  ich  für  nöthig  dabei   zu   bemerken)  finde   ich  ange- 


•)  Eine  Art  Waldgeister,  wie  die  Satyrn  etc.    2)  VII.  B.  13.  Cap. 

3)  Die  Anzahl  der  Hundstage;  andere  Schriftsteller  nehmen  40, 
andere  noch  mehr  an.    4)  Veratrum. 

5)  Plinius  erzählt  diesen  Umstand  ausführlich  im  XXV.  B.  6.  C. 

•)  Cynorrhodoe.  Rosa  canina  L. 

7)  Aus   Gades,  lebte   in   der  Mitte   des   1.  Jahrh.  n.  Chr.,  meist 
zu  Rom. 

9* 


132  Achtes  Buch. 

führt,  dass  zur  Zeit  der  Vertreibung  des  Königs  Tarquinius  *) 
ein  Hund  geredet  und  eine  Schlange  gebellt  habe. 

64. 
Eben  derselbe  Alexander  hatte  auch  ein  äusserst  sel- 
tenes Pferd,  welches,  entweder  wegen  seines  furchtbaren 
Ansehens  oder  wegen  des  ihm  auf  dem  Vorderbug  einge- 
brannten Bildes  eines  Ochsenkopfes,  Bucephalus  hiess.  Es 
soll  für  13  Talente  aus  der  Stuterei  des  Pharsaliers  Philo  - 
nicus  gekauft  worden  sein,  und  Alexander  war  schon  als 
Knabe  von  seiner  Schönheit  eingenommen.  Es  Hess,  wenn 
es  mit  dem  königlichen  Schmucke  angethan  war,  Niemanden 
anders  als  Alexander  aufsitzen,  ausserdem  aber  auch  An- 
dere. In  Schlachten  soll  es  ihm  besondere  Dienste  geleistet 
haben;  bei  der  Belagerung  von  Theben  wurde  es  verwundet, 
duldete  aber  nicht,  dass  Alexander  ein  anderes  Pferd  be- 
stieg. Ausserdem  sind  noch  vorher  andere  Beispiele  der 
Art  bekannt.  Deshalb  Hess  es  auch  der  König,  als  es  ge- 
storben war,  feierlich  beerdigen  und  bauete  um  sein  Grab 
eine  Stadt,  die  seinen  Namen  bekam.  Auch  das  Pferd  des 
Dictators  Cäsar  soll  Niemanden  anders  auf  seinen  Rücken 
gelassen  haben;  seine  Vorderhufe  sollen  Menschenfüssen 
ähnlich  gewesen  sein  und  in  dieser  Gestalt  ist  es  vor  dem 
Tempel  der  Venus  Genetrix  angebracht.  Auch  der  Kaiser 
Augustus  Hess  sein  Pferd,  über  welches  ein  Gedicht  des 
Germanikus  Cäsar  vorhanden  ist,  beerdigen.  Zu  Agrigent 
sind  die  Gräber  mehrerer  Pferde  mit  Pyramiden  geziert. 
Juba  erzählt,  Semiramis  habe  ihr  Pferd  so  sehr  geliebt, 
dass  sie  sich  mit  ihm  vermischt  habe.  Die  Scythen  rühmen 
sich  ihrer  Reiterei  und  ihrer  Pferde.  Als  einer  ihrer 
Könige  im  Zweikampfe  geblieben  war  und  der  Sieger  her- 
bei kam,  um  jenen  zu  berauben,  wurde  er  von  dem  Pferde 
des  Königs  durch  Schlagen  und  Beissen  getödtet.  Als 
man  einem  andern  Pferde  die  Decke  vor  den  Augen  weg- 
genommen  hatte,  und   es   erkannte,   dass  es  seine  Mutter 


')  Der  letzte  römische  König,  der  509  v.  Chr.  vertrieben  wurde. 


Achtes  Buch. 


133 


besprungen  habe,  soll  es  zu  einem  Abhänge  gelaufen  sein 
und  sich  da  hinunter  gestürzt  haben.  Aus  gleicher  Ursache 
wurde,  wie  ich  finde,  ein  Aufseher  im  Reatinischen  von 
einer  Stute  zerrissen.  Denn  sie  kennen  ihre  Verwandten 
und  in  einer  Heerde  vom  vorigen  Jahre  geht  das  weibliche 
Füllen  lieber  mit  der  Schwester  als  mit  der  Mutter.  Ihre 
Gelehrigkeit  ist  so  gross,  dass  die  ganze  Reiterei  des  Sy- 
baritanischen  Heeres  nach  gewissen  musikalischen  Tönen 
zu  tanzen  pflegte.  Sie  wissen  vorher,  wenn  eine  Schlacht 
bevorsteht,  beklagen  ihre  verlorenen  Herren  und  vergiessen 
vor  Sehnsucht  zuweilen  Thränen.  Nach  der  Ermordung 
des  Königs  Nicomedes  hungerte  sich  sein  Pferd  zu  Tode. 
Phylarchus  erzählt,  der  Galater  Centaretus  habe,  nachdem 
Antiochus  in  der  Schlacht  getödtet  war,  dessen  Pferd  be- 
stiegen und  so  seinen  siegreichen  Einzug  gehalten.  Aber 
jenes  sei  so  von  Unwillen  entbrannt,  dass  es  sich  der  Zügel 
bemächtigte,  damit  man  es  nicht  mehr  lenken  könne,  sich 
von  einem  Abhänge  herunter  stürzte,  und  mit  dem  Reiter 
zugleich  das  Leben  aushauchte.  Philistus  erzählt,  Dionysius 
habe  ein  Pferd,  was  im  Kothe  stecken  geblieben  sei,  zu- 
rückgelassen; nachdem  es  sich  aber  heraus  gearbeitet,  sei 
es  der  Spur  seines  Herrn  mit  einem  Bienenschwarm  auf 
der  Mähne  gefolgt,  und  in  Folge  dieses  Wunderzeichens 
habe  sich  Dionysius  der  Herrschaft  bemächtigt. 

65. 
Ihre  unbeschreibliche  Klugheit  erfahren  die  Lanzen - 
reiter  *)  an  ihrem  Gehorsam,  indem  sie  schwierige  Unter- 
nehmungen durch  Wendungen  ihres  Körpers  noch  erleichtern. 
Sie  heben  sogar  Pfeile  von  der  Erde  auf  und  reichen  sie 
dem  Reiter.  Ferner  die,  welche  im  Circus  vor  Wagen  ge- 
spannt laufen,  geben  unbezweifelt  ihren  Sinn  für  Auf- 
munterung und  Ruhm  zu  erkennen.  Als  bei  den  circen- 
sischen  Secularspielen  des  Kaisers  Claudius  der  zur  weissen 
Parthei 2)   gehörige  Wagenlenker  Corax  in  den  Schranken 


')  Jaculantes.    2)  Vergl.  VII.  B.  54.  Cap. 


134  Achtes  Buch. 

vom  Wagen  fiel,  gewannen  dessen  Pferde  doch  den  ersten 
Preis,  indem  sie  theils  den  andern  den  Weg  vertraten, 
theils  aus  voller  Macht  rannten,  und  alles  das  gegen  ihre 
Nebenbuhler  thaten,  was  sie  unter  Aufsicht  des  geschick- 
testen Wagenlenkers  nur  hätten  vollführen  können;  da 
man  sich  schämte,  dass  der  Mensch  an  Kunstfertigkeit  von 
den  Pferden  übertroffen  würde,  blieben  sie  nach  richtig 
beendigtem  Laufe  am  Ziele  *)  stehen.  Ein  noch  grösseres 
Wunder  trug  sich  bei  unsern  Vorfahren  zu;  bei  den  plebe- 
jischen circensischen  Spielen 2)  fiel  ein  Wagenlenker  von 
seinem  Wagen  herab,  die  Pferde  aber  liefen,  als  ob  er  noch 
darauf  stände,  auf  das  Capitolium  und  3mal  um  den  Tempel 
herum.  Das  allermerkwürdigste  Ereigniss  der  Art  war 
aber,  dass  Pferde  mit  Palme  und  Kranz  von  Veji  her- 
kamen, nachdem  ihr  Wagenlenker  Ratumena,  der  daselbst 
gesiegt  hatte,  herabgestürzt  war;  man  gab  deshalb  einem 
Thore  Roms  seinen  Namen. 

Wenn  die  Sarmaten  weite  Reisen  unternehmen  wollen, 
so  bereiten  sie  ihre  Pferde  dazu  auf  die  Weise  vor,  dass 
sie  ihnen  den  Tag  zuvor  nichts  zu  fressen  und  nur  sehr 
wenig  zu  saufen  geben,  und  dann  reiten  sie  auf  ihnen 
150,000  Schritte  weit  ununterbrochen  fort.  Einige  Pferde 
leben  50  Jahre,  die  Stuten  werden  jedoch  nicht  so  alt, 
diese  hören  mit  dem  fünften  Jahre  auf  zu  wachsen,  die 
Hengste  mit  dem  sechsten.  Von  der  Gestalt  der  Pferde 
und  worauf  man  bei  ihrer  Auswahl  vorzüglich  sehen  muss, 
davon  hat  der  Dichter  Virgil 3)  sehr  schön  und  vollständig 


')  Creta.  Eine  am  Ende  der  Rennbahn  quer  über  den  Circus 
hingehende,  mit  weisser  Erde,  Kalk  oder  Kreide  (creta)  angefüllte 
Furche,  vor  der  man  still  hielt. 

2)  Es  gab  nämlich  zweierlei  circensische  Spiele:  patricii,  die 
von  Imperatoren,  Consuln  und  curulischen  Aedilen  im  Circus  maximus ; 
und  plebejische,  die  von  den  plebejischen  Aedilen  im  Cireus  Fla- 
minius  gegeben  wurden.  Jene  wurden  bei  verschiedenen  Gelegen- 
heiten, diese  aber  stets  vom  20.  Oct.  an  gehalten  und  dauerten 
2  Tage. 

3)  Virgil  vom  Landbau  B.  III.  Vers  72. 


Achtes  Buch. 


135 


gehandelt.  Auch  ich  habe  in  meiner  Schrift  „Von  dem 
Spiessewerfen  der  Reiterei"  davon  gesprochen,  und 
sehe,  dass  fast  unter  allen  Schriftstellern  gleiche  Meinungen 
in  dieser  Beziehung  herrschen.  Bei  solchen  Pferden  aber, 
die  im  Circus  gebraucht  werden,  geht  man  von  andern  An- 
sichten aus;  während  nämlich  zu  andern  Verrichtungen  schon 
zweijährige  gebraucht  werden,  bedient  man  sich  zum 
Kampfe  nie  jüngerer  als  fünfjähriger. 

66. 
Die  Pferde  sind  11  Monate  lang  trächtig  und  werfen 
im  12.  Die  Begattung  erfolgt  zur  Zeit  des  Frühlingsäqui- 
noctii,  und  beginnt  bei  beiden  Geschlechtern  gewöhnlich 
mit  dem  zweiten  Jahre,  allein  das  Junge  vom  3jährigen 
ist  dauerhafter.  Die  Zeugungsfähigkeit  dauert  bei  den 
Hengsten  bis  zum  33.  Jahre,  wie  sie  denn  auch  nach  il  rem 
20.  Jahre  aus  dem  Circus  als  Beschäler  entlassen  weiden. 
Zu  Opus  sollen  sie  auch  bis  zum  40.  Jahre  ausdauern, 
nur  muss  man  ihnen  dann  durch  Hebung  ihres  Vorderleibes 
zu  Hülfe  kommen.  Allein  wenige  Thiere  haben  eine  gerin- 
gere Fruchtbarkeit  zur  Zeugung;  daher  lässt  man  sie  auch 
nur  von  Zeit  zu  Zeit  zu,  und  dessenungeachtet  können  sie 
keine  15  Sprünge  in  einem  Jahre  aushalten.  Die  Stuten 
verlieren  die  Geilheit  durch  Abschneiden  der  Mähne.  Sie 
werfen  alle  Jahre  bis  zum  40.  Man  erzählt  von  einem 
Pferde,  welches  75  Jahre  gelebt  haben  soll.  Bei  dieser 
Thiergattung  wirft  das  Weibchen  im  Stehen  und  liebt 
ihr  Junges  mehr,  als  diess  bei  andern  Thieren  der 
Fall  ist.  Und  wirklich  sollen  die  Pferde  ein  Liebesgift, 
Hippomanes  genannt,  an  der  Stirn,  von  der  Grösse  einer 
Feige  und  von  schwarzer  Farbe,  mit  auf  die  Welt  bringen, 
was  die  Mutter  sogleich  nach  der  Geburt  auffrisst;  wenn 
es  aber  Jemand  vorher  schon  abgenommen  hat,  so  lässt  sie 
das  Junge  nicht  saugen.  Ist  jener  Stoff  vorher  schon  weg- 
genommen, so  gerathen  diese  Thiere  schon  durch  den  Ge- 
ruch desselben  in  Wuth.  Hat  ein  Füllen  in  einer  Heerde 
seine  Mutter  verloren,  so  ziehen  die  übrigen  säugenden 
Mütter  das  verwaiste  auf.    Das  Junge  soll  vor  dem  3.  Tage 


136  Achtes  Buch. 

nach  der  Geburt  mit  dem  Munde  die  Erde  nicht  berühren 
können.  Je  mutniger  ein  Pferd  ist,  desto  tiefer  taucht  es 
beim  Saufen  die  Nase  ins  Wasser.  Die  Scythen  bedienen 
sich  im  Kriege  lieber  der  Stuten,  weil  diese  den  Urin  im 
Laufe  ungehindert  Ton  sich  geben. 

67. 

Es  ist  bekannt,  dass  in  Lusitanien  in  der  Gegend  der 
Stadt  Olisipo  *)  am  Flusse  Tagus  die  Stuten,  wenn  sie  sich 
dem  Westwinde  entgegenstellen,  einen  Lebenshauch  em- 
pfangen, dadurch  trächtig  werden  und  so  die  schnellste 
Art  von  Pferden  gebären,  welche  aber  nicht  über  3  Jahre 
leben.  In  Spanien  giebt  es  auch  die  gallaische  und  astu- 
rische  Race  (dieselben,  welche  wir  Thieldones  2),  und  wenn 
sie  kleiner  sind,  Asturcones  3)  nennen),  welche  beim  Laufen 
nicht  wie  gewöhnlich  ausschreiten,  sondern  durch  abwech- 
selndes Auswerfen  der  Schenkel  eine  sanfte  Bewegung  her- 
vorbringen; daher  lehrt  man  dem  Pferde  durch  Kunst  das 
Traben.  Das  Pferd  ist  fast  allen  Krankheiten  des  Menschen 
ausgesetzt,  und  ausserdem  noch  der  Verdrehung  der  Blase  4), 
wie  alle  Thiere  aus  der  Gattung  des  Zugviehs. 

68. 

M.  Varro  erzählt,  der  Senator  Q.  Axius  habe  einen 
Esel  für  400,000  Sesterzien  gekauft,  und  ich  weiss  nicht, 
ob  jemals  ein  höherer  Preis  für  ein  Thier  bezahlt  ist. 
Die  Dienste,  welche  uns  dieses  Thier,  selbst  beim  Feldbau 
leistet,  sind  bewunderungswürdig,  aber  am  allerwichtigsten 
wird  es  uns  durch  die  Erzeugung  der  Maulthiere.  Man 
sieht  auch  bei  den  Eseln  aufs  Vaterland,  und  schätzt  in 
Achaja  die  arcadischen,  in  Italien  die  reatinischen.  Dieses 
Thier  kann  keine  Kälte  vertragen;  daher  pflanzt  es  sich 
auch  am  Pontus  nicht  fort,  wird  auch  nicht  zur  Zeil  des 
Frühlings-Aequinoctii,  wie  die  übrigen  Hausthiere,  sondern 
im  Sommer -Solstitium  zugelassen.  Die  Männchen  ver- 
schlechtern  sich,  wenn   sie   unthätig   sind.    Die  Eselinnen 


')  Lissabon.    2)  Passgänger.    3;  Zelter.    4)  Conversio  vesicae. 


Achtes  Buch. 


13« 


werfen  schon  im  30.  Monate,  aber  erst  nach  ihrem  3.  Jahre 
ist  das  Junge  rechtzeitig;  sie  werfen  ebenso  viele,  wie  die 
Pferde,  nach  ebenso  viel  Monaten  und  auf  dieselbe  Weise. 
Aber  die  Gebärmutter  kann  den  Samen  nicht  bei  sich  be- 
halten und  giebt  ihn  mit  dem  Urin  wieder  von  sich,  wenn 
nicht  die  Eselin  gleich  nach  dem  Sprunge  durch  Schläge 
zum  Laufen  getrieben  wird.  Selten  wirft  sie  2  zugleich; 
wenn  sie  werfen  will,  flieht  sie  das  Tageslicht  und  sucht 
die  Finsterniss,  um  nicht  von  Menschen  gesehen  zu  werden. 
Sie  wirft,  so  lange  sie  lebt,  d.  i.  bis  zum  dieissigsten  Jahre. 
Für  ihre  Jungen  zeigen  sie  die  grösste  Zärtlichkeit,  aber 
vor  Wasser  haben  sie  eine  gewaltige  Scheu.  Sie  laufen 
durchs  Feuer  zu  ihren  Jungen,  allein,  ist  der  kleinste  Bach 
dazwischen,  so  werden  sie  dergestalt  abgeschreckt,  das* 
sie  sich  sehr  vorsehen,  die  Füsse  nicht  nass  zu  machen. 
Auch  saufen  sie  nur  aus  den  Wasserbehältern  in  den  Vieh- 
ställen, an  welche  sie  gewöhnt  sind,  und  auch  nur  dannr 
wenn  sie  trocknen  Fusses  dazu  gelangen  können.  Sie 
gehen  über  keine  Brücke,  durch  deren  Bisse  man  das 
Wasser  durchschimmern  sieht.  Merkwürdigerweise  dursten 
sie,  und  wenn  mit  dem  Wasser  eine  Veränderung  vorge- 
nommen ist,  so  müssen  sie  durch  Gewalt  oder  Bitten  zum 
Saufen  gebracht  werden.  Sie  liegen  auf  ihrer  Streu  ziem- 
lich weit  von  einander  entfernt,  denn  im  Schlafe  haben  sie 
mancherlei  Träume,  wobei  sie  häufig  mit  den  Füssen  um 
sich  schlagen;  gingen  nun  diese  Schläge  nicht  in  die  Lüfte7 
sondern  an  harte  Körper,  so  würden  sie  dadurch  bald  lahm 
werden.  Der  Gewinn,  den  man  von  ihnen  zieht,  übertrifft 
den  der  einträglichsten  Landgüter.  Es  ist  bekannt,  dass 
in  Celtiberien  eine  einzige  Eselin  400,000  Sesterzien  ein- 
bringt *).  Bei  den  Mauleselfüllen  soll  es  besonders  auf 
die  Haare  der  Ohren  und  Augenbraunen  der  letztern  an- 
kommen; denn  wenn  die  Eselin  auch  am  übrigen  Körper 
einfarbig  ist,  so  sollen  doch  jene  ebenso  viele  Farben  haben r 


')  Durch  die  Zucht  der  Jungen,  die  sie  wirft. 


138  Achtes  Buch. 

wie  an  den  genannnten  Theilen  sich  fanden.  Die  Füllen 
dieser  Thiere  zu  essen  brachte  Mäcenas  zuerst  auf,  und 
zu  jener  Zeit  zog  man  sie  den  wilden  Eseln  weit  vor; 
später  aber  verlor  sich  der  Geschmack  an  diesem  Fleische. 
Hat  ein  Esel  einen  andern  sterben  sehen,  so  geht  er  bald 
darauf  ebenfalls  zu  Grunde. 

69. 
Vom  Esel  und  der  Stute  fällt  im  13.  Monate  das  Maul- 
thier,  ein  durch  seine  Kräfte  zur  Arbeit  äusserst  taugliches 
Thier.  Man  wählt  hierzu  Stuten,  die  nicht  jünger  als  4, 
und  nicht  älter  als  10  Jahre  sind;  beide  Gattungen  aber 
sollen  nicht  zusammen  gehen,  wenn  sie  nicht  als  Füllen 
die  Milch  der  andern  Gattung,  mit  der  sie  sich  vermischen 
sollen,  getrunken  haben.  Deshalb  nimmt  man  in  der 
Dunkelheit  die  Eselsfüllen  und  bringt  sie  an  die  Zizen  der 
Stuten,  und  umgekehrt  die  Pferdefüllen  an  die  der  Eselinnen. 
Das  von  einem  Hengste  und  einer  Eselin  erzeugte  Thier 
weiblichen  Geschlechts  x)  lässt  sich  nicht  zähmen,  und  be- 
sitzt eine  unbezwingliche  Trägheit,  alles  an  ihm  ist  lang- 
sam wie  bei  alten  Leuten.  Den  von  einem  Hengste  em- 
pfangenen Samen  treibt  der  darauf  folgende  Sprung  eines 
Esels  als  Fehlgeburt  wieder  ab,  nicht  so,  wenn  nach  dem 
Esel  ein  Hengst  springt.  Man  hat  beobachtet,  dass  die 
Weibchen  den  7.  Tag  nach  dem  Werfen  am  besten  em- 
pfangen, und  dass  die  Männchen,  wenn  sie  ermüdet  sind, 
besser  befruchten.  Das  Weibchen,  welches  nicht  vor  dem 
Verluste  der  Milchzähne  empfangen  hat,  wird  für  unfrucht- 
bar gehalten,  sowie  auch  das,  welches  nicht  nach  dem 
ersten  Sprunge  trächtig  wird.  Die  von  einem  Hengste  und 
einer  Eselin  gefallenen  Thiere  männlichen  Geschlechts 
nannten  die  Alten  Maulesel2);  dagegen  die  von  einem 
Esel  und  einer  Stute  gefallenen,  Maulthiere  3).  Man  hat 
bemerkt,  dass  die  von  2  verschiedenen  Gattungen  erzeugten 
Thiere  eine  dritte  Gattung  bilden  und  keinem  ihrer  Eltern 
ähnlich,  und   dass   im   ganzen  Thierreiche   alle  auf  solche 


l)  Mula.    2)  Hinnu*.    *)  Mulus. 


Achtes  Buch. 


139 


Art  Geborenen  nicht  wieder  zeugungsfähig  sind;  daher 
denn  auch  die  Maulthiere  sich  nicht  fortpflanzen.  In  unseren 
Jahrbüchern  finden  sich  zwar  mehrere  Fälle  aufgezeichnet, 
wo  sie  Junge  bekommen  haben,  allein  dergleichen  hielt 
man  für  ein  Wunderzeichen.  Theophrastus  giebt  an,  in 
Cappadocien  würfen  sie  sehr  häufig,  aber  dort  bildeten  sie 
eine  eigene  Gattung.  Das  Ausschlagen  des  Maulthiers  wird 
durch  häufigen  Genuss  von  Wein  verhindert.  In  den 
Schriften  mehrerer  Griechen  findet  man,  dass  aus  der  Ver- 
mischung einer  Stute  mit  einem  Maulthiere  eine  Art  ent- 
stände, die  ginnus,  d.  h.  kleines  Maulthier,  heisst.  Von  einer 
Stute  und  einem  gezähmten  Waldesel  fallen  Maulthiere,  die 
schnell  laufen  können,  äusserst  harte  Füsse,  einen  magern 
Leib  und  unbändigen  Sinn  haben.  Aber  ein  von  einem 
Waldesel  und  einer  Eselin  erzeugter  übertrifft  alle  andern. 
Die  Waldesel  in  Phrygien  und  Lycaonien  sind  die  besten. 
Ihrer  durch  Geschmack  sich  auszeichnenden  Füllen,  welche 
Lalisionen  heissen,  rühmt  sich  Afrika.  Dass  ein  Maulthier 
80  Jahre  alt  geworden  sei,  erhellt  aus  den  Geschichtsbüchern 
der  Athenienser,  und  aus  Freude  darüber,  dass  es  bei  dem 
Tempelbau  auf  der  Burg  *),  obgleich  vom  Alter  niederge- 
drückt, die  hinaufsteigenden  Lastthiere  begleitete  und  durch 
seine  Anstrengung  ermunterte,  erliessen  sie  eine  Verord- 
nung, welche  den  Getreidehändlern  untersagte,  es  von  den 
Siebbeuteln  2)  abzuhalten. 

70. 
Die  indischen  Ochsen  sollen  die  Höhe  der  Kameele 
erreichen,  und  ihre  Hörner  eine  Breite  von  4  Fuss  ein- 
nehmen. In  unserm  Welttheile  sind  die  epirotischen  die 
vorzüglichsten,  seitdem,  wie  man  sagt,  der  König  Pyrrhus 
auf  ihre  Zucht  sich  legte.  Er  erreichte  seinen  Zweck  da- 
durch, dass  er  sie  nicht  vor  dem  4.  Jahre  sich  begatten 
Hess.  Sie  wurden  daher  ausserordentlich  gross,  und  noch 
jetzt  haben  sich  einige  jener  Stämme  erhalten.    Jetzt  aber 


»)  Zur  Zeit  des  Perikles.    ■)  Incernicula. 


140  Achtes  Buch. 

werden  schon  einjährige  oder  höchstens  zweijährige  zum 
Bespringen  genommen.  Die  Stiere  befruchten,  wenn  sie 
4jährig  sind,  10  Kühe  in  jedem  Jahre.  Man  sagt,  wenn 
die  Stiere  nach  der  Begattung  nach  der  rechten  Seite  hin 
abgehen,  so  entständen  Männchen,  wenn  sie  aber  nach  der 
linken  Seite  hin  abgehen,  Weibchen.  Zur  Befruchtung  ge- 
nügt schon  ein  Sprung;  wenn  dieser  aber  fehl  geschlagen 
ist,  so  kommt  die  Kuh  nach  dem  20.  Tage  wieder  zum 
Stiere.  Die  Kühe  werfen  im  10.  Monate;  was  früher  ge- 
boren wird,  taugt  nicht.  Einige  Schriftsteller  behaupten, 
die  Geburt  erfolge  genau  am  letzten  Tage  des  zehnten 
Monats.  Selten  kommen  2  Kälber  zur  Welt.  Die  Be- 
gattungszeit   beginnt    beim    Aufgange    des    Delphins    am 

4.  Januar  und  dauert  30  Tage;  bei  einigen  erfolgt  sie  auch 
im  Herbste.  Bei  den  Völkern,  die  von  der  Milch  leben, 
ist  eine  solche  Einrichtung  getroffen,  dass  sie  zu  allen 
Zeiten  des  Jahres  dieses  Nahrungsmittel  in  hinreichender 
Menge  haben.  Die  Stiere  springen  nicht  öfter  als  zweimal 
des  Tages.  Diese  Thiere  sind  die  einzigen,  welche  auch 
im  Rückwärtsgehen  weiden;  bei  den  Garamanten  aber 
fressen  sie  nie  anders.  Die  Kühe  werden  höchstens  15, 
die  Stiere  30  Jahre   alt.    Ihre   volle  Kraft  haben   sie   im 

5.  Jahre.  Durch  Waschen  mit  warmem  Wasser  sollen  sie 
fett  werden,  auch,  wenn  man  die  Haut  aufschneidet,  und 
mittelst  eines  Rohres  Luft  in  die  Eingeweide  bläst.  Man 
muss  sie  nicht  für  schlecht  halten,  wenn  sie  nicht  schön 
aussehen.  Am  meisten  Milch  geben  die  Alpenkühe,  obgleich 
sie  die  kleinsten  sind,  auch  können  diese  die  meiste  Arbeit 
ertragen,  und  werden  am  Kopfe,  nicht  am  Halse  einge- 
spannt. Die  syrischen  haben  keine  Wammen,  aber  einen 
Höcker  auf  dem  Rücken.  Auch  die  carischen  in  einem 
Theile  Asiens  sind  von  schlechtem  Ansehen,  haben  über 
dem  Vorderbug  am  Nacken  einen  hervorragenden  Knollen, 
verdrehete  Hörner,  sollen  aber  vortrefflich  zur  Arbeit  sein; 
übrigens  werden  nur  die  schwarzen  und  weissen  zur  Ar- 
beit genommen.  Die  Kühe  haben  kleinere  und  dünnere 
Hörner    als   die  Stiere.    Die   letztern  werden  im  3.  Jahre 


Achtes  Buch. 


141 


gezähmt;  vorher  ist  es  zu  früh,  nachher  aber  zu  spät.  Am 
besten  wird  ein  junges  Thier  mit  einem  schon  zahmen  zu- 
sammen gespannt.  Wir  haben  an  diesem  Thiere  einen 
Gefährten  bei  der  Arbeit  und  beim  Feldbau,  und  die  Alten 
trugen  solche  Sorgfalt  für  dasselbe,  dass  z.  B.  Einer  von 
dem  römischen  Volke  vor  Gericht  verurtheilt  wurde,  weil 
er  auf  Veranlassung  seines  lüsternen  Schlafkameraden, 
welcher  sagte,  er  habe  auf  dem  Lande  noch  keinen  Ochsen- 
magen gegessen,  einen  Ochsen  geschlachtet  hatte;  man 
schickte  ihn  ins  Exil,  gleichsam  als  wenn  er  seinen  Pächter 
erschlagen  hätte. 

Der  Stier  hat  ein  ehrwürdiges  Ansehen;  seine  Stirn 
ist  furchtbar,  die  Ohren  sind  borstig,  und  die  Hörner 
scheinen  immer  zum  Kampfe  aufzufordern.  Aber  sein 
Drohen  zeigt  sich  nur  in  den  Vorderfüssen.  Im  Zorne 
steht  er,  scharrt  mit  einem  Vorderfusse  um  den  andern 
rückwärts,  und  wirft  sich  Sand  gegen  den  Bauch;  er  ist 
das  einzige  Thier,  was  sich  auf  diese  Weise  zur  Wuth 
reizt.  Ich  habe  welche  gesehen,  die  auf  Befehl  mit  ein- 
ander kämpften  und  deshalb  öffentlich  gezeigt  wurden;  sie 
umkreisten  sich,  wurden,  wenn  sie  fielen,  vom  Gegner  mit 
den  Hörnern  aufgefangen,  machten  sich  wieder  auf  und 
hoben  die  liegenden  von  der  Erde  auf;  ja  sie  standen,  gleich 
wie  Wagenlenker,  auf  zweispännigen  Wagen,  die  im  vollen 
Laufe  waren.  Die  Thessalier  haben  erfunden,  die  Stiere 
auf  die  Weise  zu  tödten,  dass  man  neben  ihnen  herreitet, 
ein  Hörn  fasst  und  ihnen  den  Hals  umdreht;  der  Dictator 
Cäsar  gab  zuerst  ein  solches  Schauspiel  zu  Rom.  Diese 
Thiere  geben  die  reichsten  Opfer  und  sie  sind  es,  wodurch 
die  Götter  am  feierlichsten  besänftigt  werden.  Unter  allen 
Thieren,  welche  langgeschwänzt  sind,  ist  diess  das  einzige, 
dessen  Schwanz  nicht  gleich  bei  der  Geburt,  wie  bei  den 
übrigen,  seine  vollkommene  Länge  hat;  ihm  allein  wächst 
er  fort  bis  er  unten  an  die  Füsse  reicht.  Daher  besteht 
die  Probe  beim  Kalbe,  wenn  es  zum  Opfer  genommen 
werden  soll,  darin,  dass  der  Schwanz  die  Kniekehle  be- 
rühren muss;  ist  er  kürzer,  so  wird  es  nicht  geopfert.    Man 


142  Achtes  Buch. 

bat  auch  bemerkt,  dass  Kälber,  die  auf  den  Schultern  eines 
Menschen  zum  Altare  gebracht  sind,  kein  günstiges  Opfer 
geben,  sowie  sich  die  Götter  weder  durch  hinkende,  noch 
durch  fremde  *)  Opfer-Thiere ,  oder  solche ,  die  sich  vom 
Altare  wegsträuben,  besänftigen  lassen.  Unter  den  Wunder- 
zeichen der  Alten  findet  sich  auch  häufig  angeführt,  dass 
ein  Ochse  geredet  habe;  wenn  diess  bekannt  wurde,  so 
pflegte  man  den  Senat  unter  freiem  Himmel  zu  halten. 

71. 
In  Aegypten  wird  sogar  ein  Ochse,  unter  dem  Namen 
Apis  als  Gott  verehrt.  Seine  Auszeichnung  ist  ein  weisser 
Fleck  auf  der  rechten  Seite  mit  zwei,  dem  zunehmenden 
Monde  gleichen  Spitzen;  ferner  ein  Knoten  unter  der  Zunge, 
welcher  cantharus  genannt  wird.  Er  darf  nicht  eine  ge- 
wisse Anzahl  Jahre  2)  tiberleben;  sie  ersäufen  ihn  daher  in 
der  Quelle  der  Priester,  suchen  voll  Betrübniss  einen 
andern  an  seine  Stelle  zu  bekommen,  und  trauern  sogar 
mit  geschornem  Haupte  so  lange,  bis  sie  ihn  gefunden  haben. 
Jedoch  brauchen  sie  niemals  lange  zu  suchen.  Der  Ge- 
fundene wird  von  den  Priestern  nach  Memphis  gebracht. 
Er  hat  dort  2  Tempel,  welche  Thalami  heissen,  und  für 
die  Völker  Orakel  sind.  Geht  er  in  den  einen,  so  bedeutet 
es  Glück,  geht  er  aber  in  den  andern,  Unglück.  Einzelnen 
ertheilt  er  auf  die  Weise  Antwort,  dass  er  aus  ihren  Händen 
frisst.  Von  der  Hand  des  Germanicus  Cäsar  3)  wandte  er 
sich  ab,  und  dieser  starb  auch  nicht  lange  nachher.  Uebri- 
gens  lebt  er  ganz  abgesondert;  wenn  er  aber  unter  das 
Volk  kommt,  so  machen  ihm  Lictoren  Platz,  und  eine 
Schaar  Knaben  begleiten  ihn,  und  singen  ihm  zu  Ehren 
Hymnen.  Es  scheint,  dass  er  diess  versteht  und  angebetet 
sein  will.    Diese  Knaben  werden  plötzlich  begeistert  und 


')  So  durften  z.  B.  dem  Jupiter  keine  Stiere,  Eber  oder  Widder, 
der  Minerva  keine  Ziegen  geopfert  werden. 

2)  Nämlich  25. 

3)  Vergl.  Sueton  im  Leben   des  Tiberius  Cap.   52   und  Tacitus 
Annalen  II.  40. 


Achtes  Buch. 


143 


sagen  künftige  Dinge  vorher.  Einmal  im  Jahre  wird  ihm 
eine  Kuh  gezeigt,  die  auch  ihre,  wenn  auch  andere  als  die 
obige  Auszeichnung  hat;  sie  soll  stets  an  demselben  Tage, 
wo  sie  gefunden  wird,  sterben.  Zu  Memphis  ist  ein  Ort 
am  Nile,  der  wegen  seiner  Gestalt  den  Namen  Schale  x) 
bekommen  hat;  daselbst  wird  jedes  Jahr  an  den  Tagen, 
die  sie  für  den  Geburtstag  des  Apis  halten,  eine  goldene 
und  eine  silberne  Schale  versenkt;  es  sind  dieser  Tage  7, 
es  ist  merkwürdig,  dass  während  derselben  Niemand  von 
den  Crocodilen  ergriffen  wird,  und  dass  am  8.  Tage  nach 
der  6.  Stunde  die  Wildheit  dieser  Ungeheuer  wiederkehrt. 

72. 
Auch  das  Schaf2)  steht  sowohl  hinsichtlich  seines  Ge- 
brauchs zu  Sühnopfern  der  Götter,  als  auch  seiner  nütz- 
lichen Wolle  wegen  in  hohem  Ansehen.  Sowie  die  Ochsen 
beim  Anbau  der  Nahrungsmittel  helfen,  so  verdanken  wil- 
den Schafen  die  Bedeckung  unsers  Körpers.  Ihre  Fort- 
pflanzung geht  vom  2.  bis  zum  9.,  bei  einigen  auch  bis 
zum  10.  Jahre.  Die  zum  ersten  Male  gebären,  bringen 
kleinere  Jungen  zur  Welt.  Der  Anfang  ihrer  Begattungs- 
zeit fällt  bei  allen  auf  den  Untergang  des  Arcturus,  d.  i.  auf 
den  12.  Mai,  und  dauert  bis  zum  Untergange  des  Aquilo, 
am  21.  Juli.  Sie  sind  150  Tage  trächtig;  die  später  em- 
pfangenen werden  schwächlich.  Die  Alten  nannten  die- 
jenigen, welche  nach  dieser  Zeit  kamen,  Spätlinge  3). 
Viele  ziehen  die  Winterlämmer  den  Frühlingslämmern  vor, 
denn  sie  glauben,  es  sei  besser,  dass  sie  vor  dem  längsten 
als  vor  dem  kürzesten  Tage  wüchsen,  und  bei  diesem 
Thiere  allein  sei  es  besser,  wenn  es  im  Winter  geboren 
würde.  Der  Bock  hat  einen  angebornen  Widerwillen  gegen 
die  jungen  Schafe  und  geht  nur  an  die  alten;  er  selbst  ist 
auch  im  Alter  besser,  und  noch  nützlicher,  wenn  er  seiner 
Hörner  beraubt  wird.  Seine  Wildheit  verliert  sich,  wenn 
ihm  die  Hörner  nahe  am  Ohre  durchbohrt  werden.  Unter- 
bindet man  ihm  die  rechte  Hode,  so  zeugt  er  bloss  Weibchen, 


')  Phiala.    s)  Pecus.    Capra  Ovis.    3)  Chordi. 


\  44  Achtes  Buch. 

unterbindet  man  die  linke,  Männchen.  Donner  bewirkt  bei 
einzeln  gehenden  Schafen  Fehlgeburten.  Man  treibt  sie 
daher  in  Haufen  zusammen,  wodurch  jenem  Uebel  vorge- 
beugt wird.  Beim  Wehen  des  Nordwindes  sollen  Männchen, 
beim  Südwinde  aber  Weibchen  empfangen  werden.  Bei 
dieser  Thiergattur;  c  sieht  man  besonders  auf  das  Maul  des 
Widders,  denn  dieselbe  Farbe,  welche  die  Adern  unter 
seiner  Zunge  haben,  bekommt  die  Wolle  der  Lämmer,  und 
sie  wird  bunt,  wenn  dort  mehrere  sind.  Auch  die  Ver- 
änderung des  Wassers  und  der  Tränke  verändert  die  Farben. 
Es  giebt  in  allen  2  Arten  von  Schafen,  das  starkwollige1) 
und  das  Feldschaf 2),  jenes  hat  weichere  Wolle;  dieses  ist 
wählerischer  in  seinem  Futter,  während  das  erstere  Dorn- 
sträuche frisst.  Die  arabischen  liefern  ganz  vorzügliche 
Wolle. 

73. 
Die  geschätzteste  Wolle  ist  die  apulische,  und  die, 
welche  in  Italien  griechische  3),  anderswo  aber  italische  ge- 
nannt wird.  Den  dritten  Rang  nehmen  die  milesischen 
Schafe  ein.  Die  apulischen  haben  kurze  Wolle,  die  sich 
nur  zu  Oberkleidern  eignet.  In  der  Gegend  von  Tarent 
und  Canusium  giebt  es  die  besten  dieser  Race.  In  Asien 
aber  zeichnen  sich  in  derselben  Weise  die  laodiceischeu 
aus.  An  Weisse  wird  die  Wolle  der  um  den  Po  gezogenen 
Schafe  von  keiner  andern  übertroffen,  und  doch  hat  bis 
jetzt  das  Pfund  davon  nie  mehr  als  100  Sesterzien  ge- 
kostet. Nicht  allenthalben  werden  die  Schafe  geschoren; 
in  einigen  Gegenden  herrscht  noch  die  Sitte,  sie  zu  rupfen. 
Es  giebt  mehrere  Arten  farbiger  Wolle;  doch  fehlen  ihnen 
noch  eigene  Namen.  Von  den  sogenannten  eingebornen 
Schafen  giebt  es  in  Spanien  einige  Spielarten;  schwarze 
wollige  von  vorzüglicher  Güte  findet  man  zu  Pollentia  an 
den   Alpen,    roth wollige,    welche   erythräische   heissen,    in 


•)  tectus.    2)  colonicus. 

3)  D.  i.  die,   welche  aus  Grossgriechenland  (ein  Theil  des  öst- 
lichen Italiens)  kommt. 


Achtes  Buch. 


145 


Asien  sowie  in  Bätica,  gelbliche  in  Canusiuui,  von  eigen- 
tümlich dunkelbrauner  Farbe  zu  Tareut.  Alle  frischge- 
schorene Wolle  besitzt  Heilkräfte.  Die  istrische  und  libur- 
nische  l)  nähert  sich  dem  Haare  mehr  als  der  Wolle,  und 
passt  nicht  zu  wollenen  Kleidern,  wohl  aber  zu  dem  ge- 
gitterten Zeuge,  welches  zu  Salacia  in  Lusitanien  sehr  gut 
bereitet  wird.  Aehnlich  ist  die  vou  Piscenä  in  der  Nar- 
bonensischen  Provinz,  und  aus  Aegypten;  Kleider  aus  dieser 
Wolle  lässt  man  färben,  wenn  sie  abgetragen  sind,  worauf 
sie  dann  noch  lange  Zeit  halten.  Die  struppige  grobe 
W7olle  wendet  man  schon  seit  geraumer  Zeit  zu  Teppichen 
an;  Homer  wenigstens  erzählt,  dass  die  Alten  schon  diesen 
Gebrauch  davon  gemacht  haben.  Die  Gallier  färben  anders, 
und  die  parthischen  Völker  wiederum  anders.  Auch  aus 
Wolle,  die  für  sich  zusammengewalkt  ist '),  macht  man 
Kleider,  und  setzt  man  dabei  noch  Essig  hinzu,  so  wider- 
steht das  Zeug  selbst  dem  Eisen,  ja  sogar  dem  Feuer, 
nachdem  sie  die  letzte  Reinigung  erlitten  hat;  wann  sie 
nämlich  in  den  Kesseln  der  Wollreiuiger  ausgekocht  ist, 
so  wird  sie  zu  Polstern  verarbeitet,  die,  wie  ich  glaube, 
eine  Erfindung  der  Gallier  sind.  So  viel  steht  fest,  dass 
sie  heutigen  Tages  durch  gallische  Namen  unterschieden 
werden,  doch  kann  ich  nicht  sagen,  wann  dieser  Gebrauch 
zuerst  aufgekommen  ist;  denn  die  Alten  schliefen  auf  Stroh  - 
Säcken,  wie  es  noch  jetzt  in  den  Lagern  geschieht.  Die 
dickfaseiigen  Zeuge  3)  kamen  bei  Lebzeiten  meines  Vaters 
auf,  die  auf  beiden  Seiten  rauhen  4)  aber,  sowie  die  haarigen 
Bauchgurtel,  erst  jetzt,  denn  die  breitverbrämte  friesartig 
gewebte  Tunica  fängt  erst  an  getragen  zu  werden.  Schwarze 
Wolle  nimmt  keine  Farbe  an.  Vom  Färben  der  übrige  u 
Sorten  werden  wir,  wenn  von  den  Seeschnecken  und  den 
Kräutern  die  Rede  ist,  am  geeigneten  Orte  5)  handeln. 


•)  Auch  alle  Schafe  zwischen  den  Wendekreisen  haben    lange« 
schlichtes  Ziegenhaar  anstatt  der  Wolle. 

-)  Wie  unser  Filz.     3)  Gausapa.     ')  Amphinialla. 
»)  IX.  B.  42.  43  und  44.  Cap. 

Wittstein:    Pliniin.     II.   Bd.  10 


146  Achtes  Buch. 

74. 
M.  Varro  erzählt,  Wolle,  Rocken  und  Spindel  der 
Tanaquil *),  welche  auch  Caja  Cäcilia  genannt  wird,  habe 
sich  noch  zu  der  Zeit,  als  er  schrieb,  im  Tempel  de» 
Sancus  2)  befunden,  ebenso  die  von  ihr  verfertigte  wellen- 
förmige königl.  Toga,  welche  Servius  Tullius  trug,  im 
Tempel  der  Fortuna.  Daher  die  Sitte,  den  Bräuten  einen 
aufgewickelten  Rocken  nebst  Spindel  und  Faden  mitzu- 
geben. Jene  webte  zuerst  ein  schlichtes 3)  Unterkleid  4), 
wie  es,  nebst  der  einfachen  Toga,  die  Jünglinge  und  Neu- 
vermählten tragen.  Ein  wellenförmiges  Kleid  gehörte  an- 
fangs zu  den  vorzüglichsten;  davon  kam  hernach  das  bunt- 
gesprenkelte 5)  (?).  Geschorene  und  friesartige  Togen 
wurden  erst  in  den  letzten  Jahren  des  Kaisers  Augustus 
getragen,  wie  Fenestella  berichtet.  Die  dichten  mohn- 
farbigen Kleider  sind  älteren  Ursprungs,  denn  schon  zur 
Zeit  des  Dichters  Lucilius  tadelte  man  sie  am  Torquatus. 
Die  mit  Purpur  verbrämten  haben  die  Etruscer  zuerst  ge- 
habt. Der  Trabea  6)  bedienten  sich,  wie  ich  finde,  schon 
die  Könige;  bemalte  Kleider  kommen  schon  bei  Homer 
vor,  und  aus  diesen  sind  die  Triumphkleider  entstanden. 
Die  Kunst  Malereien  in  Kleider  zu  sticken,  ist  eine  Er- 
findung der  Phrygier,  daher  solche  auch  phrygionische  ge- 
nannt werden.  Das  Einweben  des  Goldes  wurde  ebenfalls 
in  Asien  vom  König  Attalus  7)  erfunden;  daher   der  Name 


*)  Die  Gemahn  des  römischen  Königs  Tarquinius  Pviscus. 

2)  Diess  ist  der  sabinische  Name  des  Hercules. 

3)  Recta.    4)  Tunica. 

5)  Sororiculata.  Was  dies  für  Kleider  gewesen  sind,  lässt  sich 
wohl  nicht  genau  angeben.  Die  Wahl  der  Namen  der  mannigfaltigen 
Stoffe  hing  bei  den  Römern  ebenso  vom  Zufall  und  der  Laune  der 
Erfinder  ab,  wie  bei  uns. 

6)  Ein  Staatskleid  der  Consuln,  Ritter  und  Augurn  bei  solennen 
Aufzügen,  Wahrscheinlich  kommt  das  Wort  von  trabs,  Balken,  und 
würde  dann  ein  gestreiftes,  bandartig  gewebtes  etc.  Kleid  bedeuten. 

7)  Attalus  III.  Philometor,  Sohn  des  Eumenes  und  der  Strato- 
nike, Nachfolger  des  Attalus  II.  Philadelphus,  König  von  Pergamus 
regierte  138—133  v.  Chr. 


Achtes  Buch.  ^.-, 

attalische  Gewänder.  Im  Einweben  bunter  Malereien  hat 
sich  Babylon  am  berühmtesten  gemacht,  und  auch  der- 
gleichen Stoffen  den  Namen  gegeben.  Das  Weben  mit 
vielen  Fäden,  die  sogenannten  Polymiten  '),  wurde  zuerst 
in  Alexandrien,  und  die  rautenförmige  Weberei  zuerst  in 
Gallien  betrieben.  Metellus  Scipio  warf  dem  Celo  vor,  dasa 
er  schon  damals  einen  babylonischen  Speiseteppich  2)  mit 
800,000  Sesterzien  bezahlt  habe,  der  jetzt  dem  Kaiser  Nero 
auf  4,000,000  zu  stehen  kam.  Die  verbrämten  Gewänder 
des  Servius  Tullius,  mit  denen  das  von  ihm  geweihete 
Bild  der  Fortuna  bekleidet  war,  haben  sich  bis  zum  Tode 
des  Sejanus 3)  erhalten.  Es  ist  zu  verwundern,  dass  sie 
nicht  abgefallen,  und  in  einem  Zeiträume  von  560  Jahren 
von  den  Motten  zerfressen  sind.  Ich  habe  auch  schon  ab- 
geschorene Pelze  noch  lebender  Schafe  gesehen,  die  pur- 
purn, Scharlach  und  schneckenfarbeu,  je  anderthalb  Fuss 
breit  gefärbt  waren,  gleichsam  als  wenn  der  Luxus  uns 
nöthigen  wollte  zu  glauben,  sie  wären  so  geboren. 

75. 
Bei  den  Schafen  selbst  zeigt  sich  die  edle  Kace  an 
den  kurzen  Beinen  und  der  Bekleidung  des  Bauchs;  die- 
jenigen, bei  denen  dieser  nackt  ist,  nannte  man  Kahlbäuche4) 
und  verwarf  sie.  Die  Schwänze  der  syrischen  Schafe  sind 
1  Cubitus  lang,  und  an  ihnen  sitzt  die  meiste  Wolle.  Die 
Lämmer,  bevor  sie  5  Monate  alt  sind,  zu  verschneiden, 
wird  für  zu  früh  gehalten.  Es  giebt  auch  in  Spanien,  vor- 
züglich aber  in  Corsica,  ein  dem  Schafe  nicht  unähnliches 
Geschlecht,  die  Musmonen5),  jedoch  gleicht  ihre  Be- 
deckung mehr  dem  Ziegenhaar  als  der  Schafwolle.  Die 
aus  der  Vermischung  dieser  und  der  Schafe  entstandenen 
Thiere  wurden  von  den  Alten  Umbrer  genannt.  Der 
schwächste  Theil  am  Schafe  ist  der  Kopf,  daher  müssen 
sie,   mit   dem  Rücken   gegen   die  Sonne   gewandt,  auf  die 


')  Eine  Art  Dammastweberei.    2)  Tricliniare. 

3j  Der  vertraute  Minister  des  Kaisers  Tiberius. 

4)  Apicae.     5)  Musmones.     Ovis  Musimon  L.  der  Muflon. 


148  Achtes  Buch. 

Weide  getrieben  werden.  Die  wolletragenden  Thiere  sind 
die  dümmsten  unter  allen.  Wenn  sie  sich  fürchten,  wohin 
zu  gehen,  so  ergreift  man  eins  bei  den  Hörnero,  worauf 
die  andern  nachfolgen.  Sie  leben  höchstens  10  Jahre,  in 
Aethiopien  aber  13  Jahre.  Die  Ziegen  in  diesem  Lande 
werden  11,  anderswo  aber  nie  über  8  Jahre  alt.  Beide 
Arten  weiden  beim  vierten  Sprunge  trächtig. 

76. 
Die  Ziegen  *j  werfen  sehr  selten  vier  Junge.  Sie 
sind,  gleich  den  Schafen,  5  Monate  trächtig;  durch  Fettig- 
keit werden  sie  unfruchtbar.  Unter  3  Jahren,  sowie  nach 
dem  vierten  Jahre  taugen  sie  weniger  zur  Zucht.  Sie 
fangen  schon  im  7.  Monate,  wenn  sie  noch  saugen,  an, 
sich  zu  begatten.  Die  ungehörnten  werden  bei  beiden  Ge- 
schlechtern vorgezogen.  Der  erste  Sprung  befruchtet  noch 
nicht,  der  zweite  ist  schon  wirksamer,  u.  s.  f.  Die  Be- 
gattung erfolgt  im  November,  so  dass  sie  im  März,  wenn 
die  Bäume  ausschlagen,  gebären;  die  Jungen  vom  ersten 
Jahre  sind  zuweilen,  die  vom  zweiten  und  dritten  aber 
stets  brauchtbar  zur  Zucht.  Die  Ziegen  werfen  acht  Jahre 
hindurch.  Durch  Kälte  entstehen  leicht  Fehlgeburten. 
Bei  unterlaufenen  Augen  entledigt  sich  die  Ziege  des  Bluts 
durch  den  Stich  mit  einer  Binse,  der  Bock  durch  einen 
Dorn.  Ein  Beispiel  der  Klugheit  dieser  Thiere,  das  er 
selbst  mit  angesehen  hat,  erzählt  Mucianus.  Zwei  Ziegen 
begegneten  sich  auf  einer  sehr  schmalen  Brücke;  da  nun 
der  beschränkte  Raum  das  Ausweichen  so  wenig  gestattete, 
als  die  Länge  des  schmalen  Stegs  das  Umkehren,  denn 
leicht  hätten  sie  fehl  treten  können,  und  unten  schoss  ein 
reissend  er  Giessbach  drohend  hin,  so  legte  sich  die  eine 
nieder,  und  die  andere  stieg  über  sie  weg.  Böcke  mit 
möglichst  platter  Nase,  langen  herabhängenden  Ohren  und 
sehr  stark  behaarter  Brust  sind  die  besten.  Bei  dea 
Ziegen  besteht  das  Kennzeichen,  dass  sie  von   edler  Raco 


')  Caprae.  Capra  Hircus. 


Achtes  Buch.  ]4ji 

sind,  in  2  Lappen,  die  vom  Halse  herabhängen.  Nicht  alle 
haben  Hörner,  aber  bei  denen,  welche  deren  haben,  erkennt 
man  das  Alter  an  der  Zahl  der  knotigen  Ausätze  derselben. 
Die  der  Hörner  beraubten  geben  mehr  Milch.  Archelaus  *) 
sagt,  sie  athmeten  mit  den  Ohren,  und  nicht  mit  der  Nase, 
und  hätten  beständig  das  Fieber:  daher  mag  es  auch  viel- 
leicht kommen,  dass  ihr  Athem  heisser  ist  als  der  der 
Schafe,  und  sie  hitziger  in  der  Begattung  sind.  Ferner 
sollen  sie  des  Nachts  ebenso  gut  sehen  wie  am  Tage,  da- 
her werden  auch  diejenigen,  welche  des  Abends  nicht  gut 
sehen  könen 2),  wenn  sie  Ziegenleber  essen,  von  ihrem 
Fehler  befreiet.  In  Cilicien  und  in  der  Gegend  der  Syrten 
werden  sie  geschoren.  Die  Ziegen  sollen,  wenn  die  Sonne 
untergehen  will,  sich  auf  der  Weide  nicht  ansehen,  sondern 
von  einander  abgewandt  liegen,  in  den  übrigen  Stunden 
aber  zu  einander  gekehrt,  und  traulich  beisammen  sein. 
Am  Kinne  hängt  allen  ein  Büschel  Haare  herab,  den  man 
Ziegenbart 3)  nennt;  wenn  man  eine  aus  der  Heerde  dabei 
fasst  und  fortzieht,  so  sehen  die  andern  staunend  zu. 
Diess  soll  auch  geschehen,  wenn  eine  von  ihnen  ein  ge- 
wisses Kraut  anfrisst.  Ihr  Biss  ist  den  Bäumen  sehr  nach- 
theilig. Den  Oelbaum  machen  sie  schon  durch  ihr  Lecken 
unfruchtbar,   und    desshalb   werden    sie   der  Minerva  nicht 

geopfert. 

77. 
Die  Schweine4)  weiden  vom  Februar  an  bis  zur 
Frühlings-,  Tag-  und  Nachtgleiche  zur  Begattung  gelassen, 
und  zwar  vom  8.,  ja  sogar  in  einigen  Gegenden  vom 
4.  Monate  ihres  Alters  an  bis  zu  ihrem  achten  Jahre.  Sie 
werfen  zweimal  im  Jahre,  und  sind  4  Monate  lang  trächtig. 
Die  Zahl  ihrer  Jungen  steigt  bis  zu  20,  doch  können  sie 
diese  nicht  alle  ernähren.  Nach  Nigidius  Behauptung 
kommen  die  5  Tage  vor  und  5  Tage  nach  dem  kürzesten 
Tage  gebornen  sogleich  mit  den  Zähnen  zur  Welt.     Schon 


')  König  von  Macedonien,  412—398  v.  Chr. 

*)  Nycüilopep.     3)  Aruncu«.     *)  Sues.  Sus  *crofa. 


150  Achtes  Buch. 

ein  Sprung  befruchtet,  er  wird  aber  wiederholt,  weil  leicht 
eine   Fehlgeburt   entstehen   kann.    Ein  Mittel  dagegen  ist 
auch  noch,  dass  man  sie  nicht  bei  der  ersten  Brunst,  noch, 
bevor  ihre  Ohren  schlaff  herunter  hängen,  zusammen  lässt 
Die  Männchen  zeugen  nach  dem  dritten  Jahre  nicht  mehr. 
Die  altersschwachen  Sauen  lassen  sich  im  Liegen  befruchten. 
Dass  diese  Thiere  ihre  Jungen  fressen,  ist  nichts  Seltenes. 
Ein  Ferkel  ist  am  5.  Tage  rein  zum  Opfer,  ein  Lamm  am 
7.   und   ein   Kalb   am    30.     Coruncanius  *)  behauptet,  dass 
die    wiederkäuenden  Thiere    nicht    eher    zum   Opfer    rein 
wären,  als  bis  sie  2  Zähne  hätten.     Man  glaubt,  Schweine, 
welche  ein  Auge  verloren  hätten,  stürben  sogleich;  übrigens 
bringen  sie  ihr  Leben  auf  15,  mitunter  auch  auf  20  Jahre. 
Sie  können  rasend  werden,  und  sind   noch   andern  Krank- 
heiten, besonders  der  Bräune   und   dem  Kröpfe   ausgesetzt. 
Ein  Zeichen,  dass  ein  Schwein  krank    sei,  ist  Blut  an  der 
Wurzel  einer  aus  dem  Rücken  gezogenen  Borste,  und    der 
schief  hängende   Kopf   beim    Gehen.     Wenn    sie   sehr  fett 
sind,   haben   sie   Mangel   an  Milch,    und   im    ersten  Wurfe 
wenig   Junge.    Sie   wälzen   sich    gerne    im    Kothe   herum. 
Ihr  Schwanz  ist  gedreht;  auch  hat  man  bemerkt,   dass  sie 
sich  leichter  opfern  lassen,  wenn  er  zur  Rechten,  als  wenn 
er   zur  Linken   gedreht   ist.     Sie   können   in  60  Tagen  ge- 
mästet  werden,   allein   sie   werden  noch  fetter,  wenn  man 
ihnen  vor  der  Mästung  3  Tage  lang  nichts  zu  fressen  giebt 
Dieses  Thier  ist  unter  allen  das  ungeschlachteste,  und  der 
Einfall,  dass  die  Seele  bei  ihm  die  Stelle   des  Salzes   ver- 
trete 2),  nicht  übel.     Man  weiss,   dass  gestohlene  Schweine, 
als  sie  die  Stimme  ihres  Hirten  hörten,   sich   alle   auf  die 
eine  Seite  des  Fahrzeugs  drängten,  dasselbe  umwarfen  und 
wieder  zurückrannten.   Sogar  die  Leitschweine  in  der  Stadt 
lernen  den  Markt  und  die  Häuser   finden   und   die   wilden 
besitzen  die  Klugheit,  ihren  Urin  in  einen  Sumpf  zu  lassen  3), 


')  280  v.  Chr.  Consul,  254  der  erste  plebejische  Pontifex  maxiraus, 
starb  245. 

*)  Damit  es  nicht  verfaule. 

3)  Damit  er  den  Hunden  und  Jägern  nicht  als  Spur  diene. 


Achtes  Buch.  jgj^ 

um  sich  die  Flucht  zu  erleichtern.  Man  verschneidet  auch 
die  Weibchen  wie  die  Kameele;  nachdem  sie  nämlich 
2  Tage  nichts  zu  fressen  bekommen  haben,  hängt  man  sie, 
an  den  Hinterfüssen  auf  und  schneidet  ihnen  die  Gebär- 
mutter aus;  in  Folge  dessen  werden  sie  schneller  fett. 

Auch  in  Absicht  der  Leber  der  Säue  wendet  man, 
gleichwie  bei  den  Gänsen,  ein  künstliches  Mittel  an,  welches 
von  M.  Apicius  erfunden  ist;  nachdem  sie  nämlich  mit 
trocknen  Feigen  gemästet  sind,  tödtet  man  sie  dadurch,  dass 
man  ihnen  plötzlich  einen  Trank  Meth  giebt.  Kein  anderes 
Thier  liefert  eine  grössere  Anzahl  von  Stoffen  für  die 
Küche,  denn  man  bereitet  davon  fast  50  verschiedene 
Speisen,  während  von  den  übrigen  Thieren  nur  einzelne 
gewonnen  werden.  Hierauf  beziehen  sich  die  Stellen  in 
den  Verordnungen  der  Censoren,  und  die  Verbote,  die  Euter, 
männlichen  Glieder,  Hoden,  Gebärmutter  und  die  Köpfe 
der  Eber  auf  die  Tafel  zu  bringen;  dennoch  wird  kein 
Gastmahl  des  Mimendichters  Publius,  nach  seiner  Befreiung 
aus  der  Sclaverei  erwähnt,  wo  es  nicht  Schweinseuter  ge- 
geben hätte,  den  er  selbst  mit   dem  Namen  sumen    belegt. 


Auch  die  wilden  Schweine  sind  in  Aufnahme  ge- 
kommen. Schon  in  den  Reden  des  Censors  Cato  werden 
die  wilden  Schweinschwarten  den  Römern  vorgeworfen. 
Doch  theilte  man  das  Schwein  in  3  Theile,  von  denen  der 
mittlere  Theil,  welcher  wilde  Schweinslende  hiess,  aufge- 
setzt wurde.  Einen  ganzen  Eber  brachte  unter  den  Römern 
zuerst  P.  Servilius  Rullus,  der  Vater  des  Rullus,  welcher 
unter  dem  Consulate  Cicero's  das  Aekergesetz  bekannt 
machte,  auf  die  Tafel.  So  neu  ist  der  Ursprung  einer  jetzt 
ganz  alltäglichen  Sache.  Auch  findet  man  in  den  Annalen, 
und  zwar  um  die  damaligen  Sitten  zu  rügen,  aufgezeichnet, 
dass  nicht  etwa  während  der  ganzen  Mahlzeit,  sondern  zu 
Anfang  derselben,  2  bis  3  wilde  Schweine  gegessen  wurden. 
Thiergärten  für  diese  und  andere  wilde  Thiere  hat  unter 
den  Römern  zuerst  Fulvius  Lupinus,  der  im  Tarquinischen 


152  Achtes  Buch, 

das  Wild  hegen  Hess,  angelegt,  und  bald  nachher  fand  er 
an  L.  Lucullus  und  Q.  Hortensius  Nachahmer. 

Die  wilden  Schweine  werfen  jährlich  einmal.  Die  Eber 
sind  in  der  Brunstzeit  äusserst  wild.  Sie  kämpfen  dann 
untereinander,  härten  sich  ihre  Rippen  durch  Reiben  an 
Bäumen  und  umpanzern  sich  mit  Koth.  Die  Weibchen 
zeigen,  wenn  sie  Junge  haben,  die  meiste  Wildheit,  wie 
diess  fast  bei  allen  Arten  der  wilden  Thiere  der  Fall  ist- 
Die  Eber  begatten  sich  erst,  wenn  sie  ein  Jahr  alt  sind. 
Bei  den  indischen  Schweinen  treten  zwei  krumme,  einen 
Cubitus  lange  Zähne  aus  dem  Rüssel,  und  ebenso  viel  aus 
der  Stirne,  wie  die  Hörner  beim  Kalbe  hervor.  Die  Borsten 
bei  den  wilden  sind  kupferfarbig,  bei  den  übrigen  aber 
schwarz.     In  Arabien  dagegen  giebt  es  gar  keine  Schweine. 

79. 

Bei  keiner  Tbiergattung  vermischt  sich  die  zahme  Art 
so  leicht  mit  der  wilden,  wie  bei  dieser.  Die  dadurch  Er- 
zeugten nannten  die  Alten  Bastarde  oder  Halbwilde,  und 
trugen  selbst  diese  Benennung  auf  Menschen  über,  wie 
z.  B.  auf  den  C.  Antonius,  den  Collegen  Cicero's  im  Con- 
sulate.  Aber  nicht  bloss  bei  den  Schweinen,  sondern  auch 
bei  allen  andern  Thieren,  welche  zahme  haben,  giebt  es 
wilde;  und  ebenso  haben  wir  viele  Stämme  wilder  Menschen 
bereits  angeführt.  Allein  die  meisten  Arten  enthält  das 
Ziegengeschlecht.  So  giebt  es  wilde  Ziegen,  Gemsen1), 
Steinböcke2),  welche  eine  unglaubliche  Schnelligkeit  be- 
sitzen, obgleich  ihr  Kopf  mit  mächtigen  Hörnein,  welche 
Degenscheiden  gleichen,  beschwert  ist.  Auf  diese  stützen 
sie  sich,  und  schwingen  sich,  wie  von  einer  Wurfmaschine 
geschleudert,  auf  die  Felsen;  am  meisten  machen  sie  Ge- 
brauch davon,  wenn  sie  von  einem  Berge  zum  andern 
hinübersetzen  wollen,  und  durch  den  erhaltenem  Schwung 
springen  sie  um  so  schneller,  wohin  sie  wollen.  Es  giebt 
auch  eine  Art  Ziegen,  Namens  Oryx  3),  die  einzigen  Thiere, 


')  Rupicaprae       Antilope  rupicapra.     2)  lbices.  Capra  Ibex. 
a)  Antilope  Oryx. 


Achtes  Buch.  jto 

welche,  wie  man  sagt,  mit  verkehrten,  nach  dem  Kopfe 
zugetriebenen  Haaren  bekleidet  sind.  Feiner  Dam- 
hirsche ]),  Pygargen,  Kudus  8)  und  viele  andere  ähn- 
liche. Jene  kommen  von  den  Alpen,  diese  aber  jenseits 
des  Meeres  her. 

80. 

Die  Affen,  welche  an  Gestalt  dem  Menschen  am 
nächsten  kommen,  werden  durch  ihre  Schwänze  von  ein- 
ander unterschieden.  Ihre  Klugheit  ist  bewunderungs- 
würdig; sie  sollen  sich  mit  Vogelleim  bestreichen  und  die 
Ftisse  mit  Stricken  bebinden,  worin  sie  den  Jägern  nach- 
ahmen. Mucianus  erzählt,  sie  hätten  auf  einem  Brette  mit 
Steinen  gespielt  und  Wachslarven  durch  den  blossen  An- 
blick von  wirklichen  Gesichtern  unterschieden.  Bei  ab- 
nehmendem Monde  sollen  die  geschwänzten  Affen  traurie 
sein,  den  zunehmenden  aber  sollen  sie  freudig  verehren; 
denn  vor  den  Verfinsterungen  der  Himmelskörper  fürchten 
sich  auch  die  übrigen  vierfüssigen  Thiere.  Dem  Affenge- 
sehlecht  ist  eine  ganz  vorzügliche  Liebe  zu  ihren  Jungen 
eigen.  Diejenigen,  welche  gezähmt  sind  und  in  den  Häusern 
geworfen  haben,  tragen  die  Jungen  umher,  zeigen  sie  Jedem, 
und  freuen  sich,  wenn  man  sie  anfasst,  gleichsam  als  wenn 
sie  diess  für  einen  Glückwunsch  aufnehmen.  Daher  er- 
drücken sie  dieselben  auch  meistenteils  aus  Liebe,  Von 
wilderer  Natur  sind  die  Paviane  3),  sowie  auch  die  Orang- 
Utangs  4).  Die  Bartaffen5)  unterscheiden  sich  von  den 
übrigen  fast  in  ihrer  ganzen  Gestalt;  sie  haben  im  Gesichte 
ejnen  Bart  und  der  Schwanz  ist  am  obern  Theile  breit. 
Dieses  Thier  soll  in  keinem  andern  Himmelsstriche  als  in 
Aethiopien,  wo  es  zu  Hause  ist,  leben  können. 

81. 

Auch  von  den  Hasen6)  giebt   es  mehrere  Arten.     In 


')  Damae.  Cervus  Dama. 

2)  Strepeicerotes.  Antilope  strepsieeros. 

*)  Cynocephali.  Cynocephalus  Marmon  und  C.  Sphinx. 

*)  Satyri.  Simia  Satyrus.    5)  Callitriches.  Simia  silenue. 

*)  Lepores,  Lepus  timidus. 


154  Achtes  Buch. 

den  Alpen  giebt  es  weisse  *),  welche,  wie  man  glaubt,  in 
den  Wintermonaten  vom  Schnee  leben,  wenigstens  werden 
sie  alle  Jahre,  wenn  der  Schnee  schmilzt,  rcthlich;  übrigens 
können  sie  die  stärkste  Kälte  ertragen.  Zum  Hasenge- 
schlechte  gehören  auch  die  Thiere,  welche  man  in  Spanien 
Kaninchen2)  nennt;  sie  vermehren  sich  ausserordentlich 
und  auf  den  balearischen  Inseln  3)  haben  sie  schon  durch 
Wegzehrung  aller  Saaten  Hungersnoth  veranlasst.  Die 
Jungen,  welche  man  ihnen  aus  dem  Leibe  schneidet,  oder 
von  den  Zizen  wegnimmt,  hält  man,  ohne  sie  auszunehmen, 
für  ein  sehr  delikates  Gerücht,  und  nennt  sie  Laurices. 
Es  ist  Thatsache,  dass  die  Balearier  gegen  die  überhand 
nehmende  Menge  dieser  Thiere  vom  Kaiser  Augustus  mili- 
tärische Hülfe  sich  erbeten  haben.  Bei  der  Jagd  auf  diese 
Thiere  thuen  ihnen  die  Viverren4)  grosse  Dienste.  Mau 
schickt  sie  in  die  Höhlen  in  der  Erde,  welche  viele  Oeff- 
nungen  haben,  von  denen  auch  das  Thier  seinen  Namen  5) 
hat;  die  Kaninchen  werden  dadurch  heraus  gejagt  und 
oben  gefangen.  Archelaus  sagt,  so  viel  der  Hase  Höhlen 
im  Leibe  zu  seinem  Kothe  habe,  so  viele  Jahre  sei  er  alt. 
In  der  That  findet  man  ihre  Anzahl  verschieden.  Auch 
giebt  er  an,  jeder  Hase  besitze  beiderlei  Zeugungsvermögen, 
und  könne  auch  ohne  Zuthun  eines  Männchens  gebären. 
Die  Natur  ist  in  dieser  Beziehung  gütig,  indem  sie  un- 
schädliche und  essbare  Thiere  so  fruchtbar  machte.  Der 
Hase,  ein  Allen  zur  Beute  bestimmtes  Thier,  ist  mit  Aus- 
nahme der  Gürtelthiere 6)  das  einzige,  welches  über- 
fruchtet wird,  denn  während  er  ein  Junges  aufzieht,  hat  er 
ein  zweites  schon  behaartes  im  Leibe,  ein  drittes  ist  noch 
nackt,  und  ein  viertes  erst  im  Entstehen.  Man  hat  auch 
versucht,   Kleider   aus   Hasenhaaren    zu   machen,   sie   sind 


')  Lepus  variabilis. 

2)  Cuniculi.  Lepus  cuniculus.    3)  Mallorca,  Minorca  etc. 

*)  Viverra  Genetta. 

5)  Cuniculus,  ein  unterirdischer  Gang. 

6)  Dasypodes.  Die  Gattung  Dasypus  zählt  mehrere  Arten. 


Achtes  Buch. 


155 


aber  nicht  so  weich  wie  auf  dem  Felle  und  reissen  wegen 
der  Kürze  der  Haare  leicht. 

82. 
Diese  Thiere  lassen  sich  selten  zähmen,  obgleich  man 
sie  eigentlich  auch  nicht  wild  nennen  kann;  denn  sehr  viele 
Thiere  sind  weder  sanft  noch  wild,  sondern  stehen 
zwischen  beiden  in  der  Mitte,  wie  z.  B.  bei  den  geflügelten 
die  Schwalben  und  Bienen,  und  im  Meere  die  Delphine. 
—  Zu  dieser  Gattung  rechneu  viele  auch  die  Hausmäuse  l), 
ein  Thier,  was  selbst  bei  Vorbedeutungen,  die  den  Staat 
betreffen,  nicht  zu  verachten  ist.  Als  sie  zu  Lanuvium  die 
silbernen  Schilde  benagt  hatten,  bedeutete  dieas  den  marA 
sischen  Krieg;  dem  Feldherrn  Carbo,  dem  sie  bei  Clusium 
die  Schuhriemen  angefressen  hatten,  bedeutete  diess  den 
Untergang 2).  In  dem  cyrenaischen  Distrikte  giebt  es 
mehrere  Arten  von  ihnen;  einige  mit  breiter,  andere  mit 
spitzer  Stirn,  noch  andere  mit  igelartigen  Stacheln.  Theo- 
phrastus  erzählt,  als  sie  die  Bewohner  der  Insel  Gyara 
vertrieben  hätten,  hätten  sie  sogar  Eisen  benagt,  und  diess 
sollen  sie  von  Natur  auch  bei  deu  Chalybern  in  den  Eisen- 
werkstätten thun.  In  den  Goldwerkstätten  schneidet  man 
ihnen  deshalb  den  Bauch  auf  und  findet  stets  das  Ge- 
stohlene; so  gross  soll  ihr  Hang  zum  Diebstahl  sein.  Die 
Annalen  berichten,  dass  man  zur  Zeit,  als  Hannibal  Casili- 
num  belagerte  3),  eine  Maus  für  200  Denare  gekauft  habe; 
der  Verkäufer  soll  vor  Hunger  gestorben,  der  Käufer  aber 
am  Leben  geblieben  sein.  Das  Erscheinen  weisser  Mäuse 
gilt  für  ein  glückliches  Zeichen.  Dass  das  Pfeifen  der 
Spitzmäuse4)  die  Auspicien  stört,  davon  finden  sich  in 
unsern  Annalen  viele  Beispiele.  Nigidius  sagt,  auch  die 
Spitzmäuse  verbärgen  sich  im  Winter,  ebenso  die  Sieben- 
schläfer5), welche  durch  die  Verordnungen  der  Censoren 
und  des  Marcus  Scaurus.  des  Ersten  im  Consulate,   ebenso 


')  Mures.  Mus  musculus.     -)»60  v.  Chr. 

3)  Vergl.  Livius  römische  Geschichte  B.  XXIII.  1». 

*)  Sorices.  Sorex.  araneus.    s)  Glires.  Myoxus  Glis. 


]5ß  Achtes  Buch. 

wenig  von  den  Mahlzeiten  ausgeschlossen  wurden,  als 
Muscheln  oder  Vögel  aus  andern  Welttheilen.  Auch  dieses 
Thier  *)  ist  halbwild,  und  Jener,  der  zuerst  die  wilden 
Schweine  in  Thiergärten  hegte,  lehrte  auch  sie  in  Fässern 
lebendig  aufbewahren.  Man  hat  hierbei  bemerkt,  dass  nur 
Bewohner  ein  und  desselben  Waldes  zusammengesperrt 
werden  können;  kommen  fremde,  die  auch  nur  durch  einen 
Fluss  oder  Berg  von  den  andern  getrennt  sind,  hinzu,  so 
beissen  sie  sich  einander  todt.  Ihre  durch  Alter  entkräfteten 
Eltern  ernähren  sie  mit  der  grössten  Sorgfalt.  Ihr  Alter 
endigt  mit  dem  Winterschlafe;  denn  auch  sie  verbergen 
sich,  und  werden  im  Sommer  wieder  jung.  Die  Hamster 2) 
halten  gleichfalls  einen  Winterschlaf. 

83. 
Es  ist  merkwürdig,  dass  die  Natur  nicht  nur  einem 
Lande  diese,  dem  andern  jene  Thiere  gegeben,  sondern 
auch,  dass  sie  manchen  Orten  unter  ein  und  demselben 
Himmelsstriche  gewisse  Thiere  versagt  hat.  In  dem  ma- 
gischen Walde  in  Italien  werden  nur  an  einer  Stelle  jene 
Siebenschläfer  gefunden.  In  Lycien  gehen  die  Gazellen3) 
nicht  über  die  an  Syrien  grenzenden  Berge,  und  die  wilden 
Esel  nicht  über  das  Gebirge,  welches  Cappadocien  von 
Cilicien  scheidet.  Am  Hellesponte  gehen  die  Hirsche  nicht 
auf  fremdes  Gebiet,  und  bei  Arginussa  nicht  über  den 
Berg  Elaphus  hinaus;  die  Hirsche  auf  diesem  Berge  haben 
gespaltene  Ohren.  Auf  der  Insel  Poroselene  laufen  die 
Wiesel  nicht  über  einen  Weg;  die  nach  Lebadia  in  Böotien 
gebrachten  Maulwürfe  fliehen  diesen  Boden,  während  sie 
nahe  dabei  in  Orchomenos  ganze  Aecker  unterwühlen.  Ich 
habe  Schlafdecken  gesehen,  die  aus  den  Fellen  dieser 
Thiere  gefertigt  waren;  also  hält  nicht  einmal  eine  Scheu 
den  Luxus  von  hässlichen  Thieren  zurück.  Die  nach  Ithaka 
gebrachten  Hasen  sterben  an  den  äussersten  Küsten  dieser 
Insel;  die  Kaninchen  an  der  Küste  von  Ebusum,  und  nicht 


')  Nämlich  der  Siebenschläfer.     -)  Nitelae. 
3)  Dorcades.  Antilope  Dorcas. 


Achtes  Buch.  I57 

weit  davon  in  Spanien,  sowie  auf  den  Baleareu  wimmelt 
es  von  ihnen.  In  Cyrene  waren  alle  Frösche  stumm,  und 
selbst  nachdem  man  quakeude  vom  Festlande  dahin  ge- 
bracht hat,  ist  jene  Art  noch  vorhanden.  Stumme  Frösche 
giebt  es  auch  jetzt  noch  auf  der  Insel  Seriphus;  trägt  man 
diese  wo  anders  hin,  so  quaken  sie.  Dasselbe  soll  auch 
mit  den  Fröschen  im  See  Sicanclrus  in  Thessalien  der  Fall 
sein.  In  Italien  ist  der  Biss  der  Spitzmäuse  giftig;  jenseits 
des  Apennins  giebt  es  deren  uicht.  Wo  sie  aber  auch  sein 
mögen,  so  sterben  sie,  wenn  sie  über  eine  Wagengleise 
laufen.  Auf  dem  Berge  Olympus  in  Macedonien  und  auf 
der  Insel  Greta  giebt  es  keine  Wölfe.  Ebendaselbst  sind 
auch  keine  Füchse  und  Bären  und  überhaupt  kein  schäd- 
liches Thier  weiter  als  das  Phalangium,  eine  Art  Spinne, 
von  der  ich  am  gehörigen  Orte  reden  werde.  Noch  merk- 
würdiger ist  es,  dass  man  auf  dieser  Insel,  mit  Ausnahme 
des  Gebietes  der  Cydoniaten,  keine  Hirsche,  wilden 
Schweine,  Igel  und  Haselhühner  findet.  In  Afrika  aber 
giebt  es  weder  wilde  Schweine,  noch  Hirsche,  noch  wilde 
Ziegen,  noch  Bären. 

84. 
Einige  Thiere,  die  den  Eingeborenen  nicht  schaden, 
todten  dagegen  die  ankommenden  Fremden,  wie  z.  B.  die 
kleinen  Schlangen  in  Tiryns,  welche  die  Erde  erzeugen 
soll.  So  auch  rühren  die  Schlangen  in  Syrien,  besonders 
die  an  den  Ufern  des  Euphrat  keinen  schlafenden  Syrier 
an,  und  selbst,  wenn  sie  ihn  gebissen  haben,  weil  er  sie 
getreten,  schadet  es  ihm  nichts;  gegen  jeden  Fremden 
aber  sind  sie  feindselig,  und  tödten  ihn  begierig  auf  eine 
schmerzhafte  Weise.  Daher  schonen  auch  die  Syrier  der- 
selben. Dagegen  werden,  wie  Aristoteles  erzählt,  auf  dem 
Berge  Latmus  in  Carien,  die  Fremden  von  den  Scorpiouen 
nicht  verletzt,  die  Einheimischen  aber  umgebracht.  —  Doch 
wir  wollen,  ausser  den  Landthieren,  auch  die  Arten  der 
übrigen  durchgehen. 


Neuntes  Buch. 


Von  den  Wasserthieren. 

1. 

Nachdem  wir  die  von  uns  als  Landthiere  bezeichneten 
Geschöpfe  abgehandelt  haben,  gehen  wir  zunächst  zu  den 
in  den  Meeren,  Flüssen  und  Seen  lebenden  über,  und  lassen 
dann  die  mit  Flügeln  versehenen,  welche  bekanntlich  die 
kleinsten  sind,  folgen.  Unter  den  Wasserthieren  giebt  es 
sehr  viele,  welche  selbst  die  Landthiere  an  Grösse  über- 
treffen, woran  offenbar  die  Productionskraft  des  Wassers 
Schuld  ist.  Ein  anderes  Schicksal  haben  die  Vögel,  welche 
ihr  Leben  schwebend  hinbringen.  Allein  in  dem  so  aus- 
gedehnten, milden  und  fruchtbaren  Nahrungsstoff  enthalten- 
den Meere,  das  aus  der  obern  stets  schaffenden  Natur  den 
Zeugungsstoff  empfängt,  trifft  man  auch  die  meisten  und 
seltsamsten  Gebilde,  weil  sich  die  Samen  und  Grundstoffe 
untereinander  verwirren,  bald  hier,  bald  dahin,  bald  durch 
den  Wind,  bald  durch  die  Wellen  durcheinandergetriebeu 
werden,  so  dass  die  allgemeine  Meinung,  alles  was  irgend- 
wo in  der  Natur  erzeugt  werde,  und  dazu  noch  vieles,  was 
sonst  nirgends  anzutreffen  sei,  finde  sich  im  Meere  —  als 
richtig  angenommen  werden  muss.  Im  Meere  kommen 
nicht  bloss  Aehnlichkeiten  von  andern  Thieren,  sondern 
auch   von   sonstigen  Gegenständen   der   Natur   und   Kunst 


Neuntes  Buch.  2 59 

vor;  so  von  der  Traube,  der  Säge  und  des  Schwertes  in 
Bezug  auf  die  Gestalt,  von  der  Gurke  hinsichtlich  der 
Farbe  und  des  Geruches;  um  so  weniger  dürfen  wir  uns 
also  wundern,  Pferdekopfe  an  kleinen  Muscheln  hervorragen 
zu  sehen. 

2. 
Die   grössten    und   meisten   Thiere   aber   enthält    der 
indische    Ocean,     unter     ihnen     die    Wallfische1),     die 
4  Jugera  und  die  Pristen  2),   die   200  Cubitus   gross   sind; 
die  Locusten  3)  erreichen   dort   eine  Länge   von  4  Cubitus 
und  im  Ganges  giebt  es  Aale  von  30  Fuss.    Jene  grossen 
Meeres-Geschöpfe   lassen   sich    zur  Zeit   der  Solstitien    am 
häutigsten  sehen.   Dann  brechen  in  jenen  Gegenden  Wirbel- 
winde hervor,  dann  strömen  Platzregen  nieder,  dann  wühlen 
die  von  den  Gipfeln  der  Berge  herabstürzenden  Sturmwinde 
das  Meer  vom  Grunde  auf,   und  wälzen  die  aus  der  Tiefe 
getriebenen  Thiere  mit  den  Wellen  herum.    Auch   gab   es 
vormals   eine  solche  Menge  Thunfische 4),   dass   die   Flotte 
Alexanders   des   Grossen   nicht   anders,   als   wenn  ihr  ein 
Feind  in  Schlachtordnung  entgegen  stände,  ihren  Zug  ver- 
einigt gerade  auf  sie  richten  musste,  denn  einzeln  konnten 
die  Schiffe  nicht  hindurchkommen.    Sie  lassen  sich  weder 
durch    Rufen,   noch  durch    Lärmen,   noch  durch    Schlagen, 
sondern  nur  durch  Krachen  in  Schrecken  setzen,  und  werden 
nur    durch    einen   plötzlichen  Einbruch   auseinander  gejagt. 
Im    rothen   Meere    liegt    eine    grosse    Halbinsel,    Namens 
Cadara5);   diese    bildet   durch    ihr  Vortreten   einen   weiten 
Meerbusen,  welchen  der  König  Ptolemäus  6)  erst  in  12  Tagen 
und  Nächten    mit  Hülfe    der   Ruder   durchschiffen    konnte, 
weil    gänzliche   Windstille    herrschte.    In    dieser    äusserst 
ruhigen  Gegend   wachsen    die  Seethiere   zu   einer   solchen 


')  Balaenae.  Balaena  Mysticetus  und  ähnliche  Arten. 
!)  Pristes.  Squalus  Pristis  ist  der  Sägefisch,  doch  ist  die  Grösse 
von  diesem  sowohl,  wie  vom  Wallfisch  ausserordentlich  übertrieben 
3)  Ein  Meerkrebs.     4)  Thynni.  Scomber  Thynnus  L. 
5)  An  der  Südseite  Arabiens.     6i  Philadelphus. 


IßQ  Neuntes  Buch. 

Grösse  heran,  dass  sie  sich  fast  gar  nicht  bewegen  können. 
Die  Gedroser,  welche  am  Flusse  Arbis  wohnen,  sollen  nach 
dem  Berichte  der  Befehlshaber  der  Flotten  Alexanders  des 
Grossen  die  Thtiren  in  ihren  Häusern  aus  den  Kinnladen 
solcher  Thiere  machen,  und  die  Knochen  derselben,  deren 
es  viele  von  40  Cubitus  Länge  giebt,  zu  Balken  beim 
Dachstuhl  gebrauchen.  Auch  gehen  dort  die  Seethiere 
gleich  dem  Rindvieh  aufs  Land,  fressen  die  Wurzeln  der 
Gesträuche,  und  kehren  dann  wieder  zurück;  ferner  haben 
einige  Pferde-,  Esels-  und  Stierköpfe,  und  diese  fressen  die 
Saaten  ab. 

3. 

Das  grösste  Thier  im  indischen  Meere  ist  der  Pistrix 
und  der  Wallfisch;  im  gallischen  Ocean  der  Potfisch  l),  der 
sich  wie  eine  ungeheuere  Säule  erhebt,  über  die  Segel  der 
Schiffe  hinausragt,  und  einen  Strom  Wasser  von  sich  giebt 
Im  gaditanischen  Ocean  steht  ein  Baum  mit  so  weit  aus- 
gedehnten Aesten,  dass  er  •),  wie  man  glaubt,  deshalb  durch 
die  Meerenge  nicht  hat  gelangen  können.  Es  erscheinen 
auch  zuweilen  von  der  Aehnlichkeit  sogenannte  Seeräder, 
mit  4  Speichen,  und  deren  Nabe  von  2  Augen  auf  beiden 
Seiten  geschlossen  ist. 

4. 

Dem  Kaiser  Tiberius  brachte  einst  eine  deshalb  eigens 
abgeschickte  Gesandtschaft  der  Olisiponneser  die  Nach- 
richt, man  habe  in  einer  gewissen  Höhle  einen  Triton  von 
der  bekannten  Gestalt  gesehen  und  auf  einer  Muschel 
blasen  hören.  Auch  die  Gestalt  der  Nereiden  ist  nicht 
erdichtet,  nur  sind  sie  am  ganzen  Körper,  und  selbst  da, 
wo  sie  dem  Menschen  ähnlich  sehen,  mit  Schuppen  bedeckt; 
denn  auch  eine  Nereide  hat  man  an  derselben  Küste  ge- 
sehen, deren  trauriges  Winseln  beim  Sterben  die  Bewohner 
der  Umgegend  weithin  gehört  haben.  Ferner  schrieb  ein 
gallischer  Gesandter  dem  Kaiser  Augustus,   dass    mehrere 


l)  Physeter.  Physeter  macrocephalus. 
*)  Der  PotSsch  nämlich. 


Neuntes  Buch.  \Q\ 

todte  Nereiden  am  Ufer  gesehen  worden  seien.  Angesehene 
Männer  aus  dem  Ritterstande  haben  versichert,  sie  hätten 
im  gaditanischen  Ocean  einen  dem  menschlichen  Körper 
aufs  vollkommenste  ähnlichen  Seemenschen  erblickt.  Er 
stiege  zur  Nachtzeit  in  die  Schiffe,  die  Seite,  wohin  er  sich 
setzt,  neige  sich  sogleich  hinunter,  und  wenn  er  länger  ver- 
weile, so  sinke  das  Schiff  unter.  Unter  dem  Kaiser  Tibcrius 
liess  einst  das  Meer,  bei  der  Ebbe,  auf  einer  der  Küste 
der  lugdunensischen  Provinz  gegenüberliegenden  Insel  auf 
einmal  mehr  als  300  Seethiere  von  wunderbarer  Mannig- 
faltigkeit und  Grösse  zurück,  und  eine  nicht  geringere  Zahl 
fand  man  auf  der  Küste  der  Santoner  *);  unter  diesen  gab 
es  auch  Elephanten2)  und  Widder,  deren  Hörner3)  sich 
nur  in  der  Weisse  glichen.  Turranius  aber  erzählt  von 
vielen  Nereiden;  auch  soll  ein  Seethier  an  die  gaditanisehe 
Küste  geworfen  sein,  dessen  Schwanzende  zwischen  den 
Spitzen  der  beiden  Felsen  16  Cubitus  betragen  habe,  ferner 
hätte  es  120  Zähne  gehabt,  von  denen  die  grössten  3 U  und 
die  kleinsten  *  2  Fuss  gemessen  hätten.  Von  dem  Seeun- 
geheuer, welchem  die  Andromeda  ausgesetzt  gewesen  sein 
soll,  wurde  das  Gerippe  aus  der  Stadt  Joppe  iu  Judäa 
nach  Rom  gebracht,  und  nebst  andern  Merkwürdigkeiten 
von  M.  Scaurus  während  seines  Aedilamts  gezeigt.  Seine 
Länge  betrug  40  Fuss,  die  Rippen  übertrafen  an  Höhe  noch 
die  indischen  Elephanten,  und  das  Rückgrat  war  andert- 
halb Fuss  dick. 

5. 
Die  Wallfische  dringen  auch  bis  in  unsere  Meere  ein 
Im  gaditanischen  Ocean  soll  man  sie  nicht  vor  dem  kürzesten 
Tage  wahrnehmen.  Sie  sollen  sich  zu  bestimmten  Zeiten 
in  irgend  einem  ruhigen  und  weiten  Meerbusen  verborgen 
halten,  und  ein  Vergnügen  finden,  dort  zu  gebären.    Diess 


')  Im  heutigen  Guienne. 

*)  Wahrscheinlich  das  Wallross:  Trichecus  Rosmarus. 

3)  Nämlich  die  langen  Zähne  der  See-Elephanten  und  die  Hörner 

der  See-Widder. 

Wittstein:  Plinius.     II.  Bd.  11 


U2 


Neuntes  Buch. 


wüssten   die  Orken1),   ein  jenem    feindliches  Geschlecht, 
deren  Bild  sich  durch  keine  andere  Vorstellung  ausdrücken 
lässt,   als   die   einer   Ungeheuern  Fleischmasse   mit   furcht- 
baren  Zähnen.     Diese   brechen    also   in   den   verborgenen 
Aufenthalt   ein,   zerfleischen   durch  ihren  Biss  die  Jungen, 
oder  die  Mütter,  ja  selbst  die  Trächtigen,  und  bohren   sie 
im  Anlauf,  gleichwie  mit  den  Schnäbeln   der   liburnischen 
Schiffe  an.    Jene,  zu  schwerfällig  zum  Umwenden,  zu  träge 
zum  Widerstände,  und  durch  ihre  Schwere   gehindert,  be- 
sonders dann,  wenn   sie   trächtig   sind,   oder   die  Geburts- 
schmerzen sie  geschwächt  haben,  wissen  sich  bloss  dadurch 
zu  helfen,  dass  sie  ins  hohe  Meer  fliehen  und  sich  so   mit 
Hülfe   des   ganzen  Oceans  vertheidigen.     Dagegen  streben 
die  Orken,  ihnen  entgegen  zu  kommen,   den  Weg   zu  ver- 
sperren, sie  in  engen  Klippen  zu  tödten,  auf  seichte  Stellen 
zu  jagen,   oder   an  Felsen   zu  drängen.    Man  erkennt  der- 
gleichen  Kämpfe,   wobei   das  Meer   gleichsam   gegen   sich 
selbst  wüthet,  wenn  kein  Wind  im  Meerbusen  wehet,  daran, 
dass   vom  Schnauben   und  Schlagen  dieser  Thiere  Wogen 
entstehen,  wie  sie  kein  Wirbelwind  emporwälzt.    Auch   in 
dem  Hafen   von  Ostia   sah   man   einst   eine  Orke,    auf  die 
der  Kaiser  Claudius  Jagd  machen  liess.     Sie  war  nämlich 
zu   derselben  Zeit,   als   der  Kaiser   jenen  Hafen    ausbauen 
liess,    durch   ein   mit   Häuten   aus    Gallien   beladenes    und 
untergegangenes  Schiff  angelockt,  dorthin  gekommen,  wühlte 
sich,  nachdem  sie  mehrere  Tage  hindurch  davon  gefressen 
hatte,  in  einer  Untiefe  ein  Lager  aus,  wurde  aber  von  den 
Fluthen  so  sehr  mit  Sand  umhäuft,  dass  sie  sich  auf  keine 
Weise    mehr   umdrehen   konnte.     Als   sie  nun  ihren  Frass 
wieder   verfolgte,   wurde   sie  von  den  Wogen  so  nahe  an 
die  Küste  getrieben,  dass  ihr  Rücken,  gleich  einem  umge- 
kehrten Fahrzeuge,  hoch  über  die  Wasserfläche  hervorragte. 
Nun  liess  der  Kaiser  eine  Menge  Netze  am  Eingange   de» 
Hafens  aufspannen,  zog  selbst  mit  seiner  Leibwache  dahin 
und   gab   dem    römischen   Volke    ein   Schauspiel   seltener 


')  Delphinus  Orca. 


Neuntes  Buch.  jß3 

Art;  die  Soldaten  mussten  nämlich  von  den  Schiffen  aus, 
in  denen  sie  sich  ihr  näherten,  Speere  gegen  sie  schleudern. 
Eins  dieser  Schiffe  wurde  durch  das  Spritzen  des  Thieres 
mit  Wasser  angefüllte  und  sank  unter. 

6. 
Die  Wallfische  haben  auf  der  Stirn  Oeffnungeu,  aus 
denen  sie,  wenn  sie  auf  der  Oberfläche  des  Wassers 
schwimmen,  ganze  Wasserströme  emporblasen.  Nach  der 
übereinstimmenden  Meinung  aller  Schriftsteller  holen  aber 
nur  die  wenigsten  Thiere  im  Meere  Athem,  nämlich  nur 
die,  welche  mit  Lungen  versehen  sind,  weil,  wie  man  an- 
nimmt, ohne  dieselben  kein  Athmen  möglich  ist.  Auch  die 
Fische,  welche  Kiemen  haben,  ferner  die  vielen  andern 
Gattungen,  denen  selbst  die  Kiemen  fehlen,  sollen,  nach 
dem  Urtheile  Jener  weder  Luft  einnehmen  noch  aushauchen. 
Auch  Aristoteles  ist,  wie  ich  sehe,  dieser  Meinung,  und  hat 
sie  durch  viele  gelehrte  Gründe  zu  rechtfertigen  gesucht. 
Allein  ich  muss  gestehen,  dass  ich  derselben  nicht  ganz 
beipflichte,  denn  jene  Thiere  können,  wenn  es  die  Natur 
so  will,  statt  der  Lunge  andere  zum  Athmen  dienende 
Organe  in  ihrem  Innern  haben,  gleich  wie  viele  statt  des 
Blutes  eine  andere  Flüssigkeit  in  sich  führen.  Wen  darf 
es  wundern,  dass  dieser  Lebenshauch  ins  Wasser  gelangt, 
da  wir  sehen,  dass  er  wieder  von  ihm  ausgestosseu  wird, 
ia  dass  er  sogar  in  die  Erde,  diese  weit  dichtere  Materie, 
dringt,  wie  uns  die  Thiere,  welche  immer  in  derselben  ver- 
graben leben,  z.  B.  die  Maulwürfe,  beweisen?  Dazu  kommen 
bei  mir  noch  mehrere  gewichtige  Gründe,  die  mich  glaube u 
machen,  dass  alle  im  Wasser  lebenden  Thiere  je  nach 
ihrer  eigentümlichen  Beschaffenheit  Athem  holen;  denn 
erstens  hat  man  im  heissen  Sommer  an  Fischen  oft  ein  ge- 
wisses Keuchen,  und  bei  ruhigem  Wetter  ein  Gähnen  wahr- 
genommen. Selbst  die  Bekenner  der  Gegenmeinung  geben 
zu,  dass  die  Fische  schlafen;  wie  kann  aber  Schlaf  ohne 
Athmen  stattfinden?  Einen  anderen  Beweis  für  meine  An- 
sicht giebt  das  Aufblasen  des  sprudelnden  Wassers,  und 
selbst  das  Wachsen  der  Schnecken  durch  den  Einfluss  de» 


64  Neuntes  Buch. 

Mondes.  Der  Hauptbeweis  aber  ist  das  unbezweifelte 
Vorhandensein  des  Gehörs  und  Geruchs  bei  den  Fischen ; 
beide  aber  stehen  mit  der  Luft  im  Zusammenhange,  denn 
unter  dem  Gerüche  kann  man  sich  nichts  anderes,  als  eine 
mit  fremden  Theilen  erfüllte  Luft  denken.  Doch  mag  ein 
Jeder  hiervon  glauben,  was  ihm  beliebt.  Kiemen  haben 
weder  die  Walltische  noch  die  Delphine.  Beide  Gattungen 
athmen  durch  Röhren,  die  zu  den  Lungen  führen,  und  bei 
den  Wallfischen  auf  der  Stirn,  bei  den  Delphinen  auf  dem 
Rücken  ausmünden.  Auch  die  Seekälber  oder  Robbenr 
ferner  die  Schildkröten,  von  denen  ich  bald  ausführlicher 
handeln  werde,  athmen  und  schlafen  auf  dem  Lande. 

7. 
Das  schnellste  unter  allen  und  nicht  bloss  unter  den 
Seethieren,  ist  der  Delphin1).  Er  ist  schneller  als  ein 
Vogel,  schneidender  als  ein  Pfeil,  und  wenn  er  nicht  sein 
Maul  weit  unter  dem  Schnabel,  fast  mitten  am  Bauche 
halte,  so  würde  kein  Fisch  ihm  entwischen.  Allein  die 
vorsichtige  Natur  gab  ihm  dieses  Hindernis«,  denn  er  kann 
nur  auf  dem  Rücken  liegend  und  umgewandt  seine  Beute 
ergreifen,  und  hierbei  zeigt  er  vorzüglich  seine  Behendig- 
keit. Wenn  er  nämlich  vom  Hunger  getrieben,  einen 
fliehenden  Fisch  bis  in  die  unterste  Tiefe  verfolgt,  und  den 
Athem  zu  lange  an  sich  gehalten  hat,  so  eilt  er,  wie  von 
einem  Togen  abgeschossen,  zum  Athmen  empor,  und  springt 
mit  solcher  Gewalt  heraus,  dass  er  meistens  über  die  Segel 
der  Sci.iffe  hinweg  fliegt.  Die  Delphine  ziehen  fast  immer 
paarweise  umher,  werfen  im  10.  Monate,  zur  Sommerzeitr 
ein  auch  zwei  Junge,  nähren  sie  an  Brüsten,  wie  der 
Wallfisch,  und  tragen  sie,  wenn  sie  noch  sehr  jung  sind, 
mit  sich  herum.  Ja  sogar  die  bereits  erwachsenen  be- 
gleiten sie  aus  mütterlicher  Liebe  noch  lange  Zeit.  Sie 
wachsen  schnell  heran,  und  sollen  nach  10  Jahren  schon 
ihre  ganze  Grösse  erreicht  haben.  Sie  leben  gegen  30  Jahre,, 
was  man  an  solchen  erfahren  hat,   denen   man    zu  diesem 

'    Delphinus  Delphis. 


Neuntes  Buch.  jg5 

Behufe  den  Schwanz  abschnitt.  Um  die  Aufgangszeit  des 
Hundssterns  verschwinden  sie,  und  halten  sich  auf  eine  un- 
bekannte Weise  verborgen,  was  um  so  mehr  zu  bewundern 
ist,  da  sie  unter  dem  Wasser  nicht  athmen  können.  Sie 
pflegen  ans  Land  zu  kommen,  man  weiss  jedoch  nicht 
weshalb;  sie  sterben  nicht  sogleich,  wenn  sie  die  Erde  be- 
rühren, viel  schneller  hingegen,  wenn  ihre  Luftröhre  ver- 
stopft ist.  Ihre  Zunge  ist  —  ein  ungewöhnlicher  Fall  bei 
Wasserthieren  —  beweglich,  kurz  und  breit,  und  unter- 
scheidet sich  nicht  von  der  eines  Schweines.  Ihre  Stimme 
ist  ein  menschenähnliches  Stöhnen;  der  Rücken  ist  auf- 
wärts gebogen  und  die  Schnauze  platt,  sie  kennen  daher 
alle  merkwürdiger  Weise  den  Namen  Simon  l)  und  lassen 
sich  gern  so  nennen. 

8. 
Der  Delphin  ist  nicht  nur  ein  dem  Menschen  freund- 
lich zugethanes  Thier,  sondern  er  liebt  auch  die  Tonkunst, 
ergötzt  sich  an  harmonischem  Gesänge,  und  namentlich  an 
dem  Klange  der  Wasserorgel.  Er  betrachtet  den  Menschen 
nicht  als  einen  Fremden,  den  er  zu  fürchten  hätte,  sondern 
er  kommt  den  Schiffen  entgegen,  scherzt  und  springt  um 
sie  her,  und  wetteifert  mit  ihnen  im  Schwimmen,  wenn  sie 
auch  mit  vollen  Segeln  bei  ihm  vorbeifahren.  Unter  der 
Regierung  des  Kaiser  Augustus  war  ein  in  den  lucrinischen 
See  gekommener  Delphin  dem  Knaben  eines  gewissen 
armen  Mannes,  der  von  Bajanum  nach  Puteoli  in  die  Schule 
ging,  und  der  ihn,  wenn  er  Mittag  dort  blieb,  bei  dem 
Namen  Simon  gerufen,  und  öfters  durch  einige  Stückchen 
Brot,  die  er  deshalb  bei  sich  trug,  an  sich  gelockt  hatte, 
ausserordentlich  zugethan.  Ich  würde  Anstand  nehmen, 
diese  Geschichte  zu  erzählen,  wenn  sie  nicht  in  den 
Schriften  des  Mäcenäs,  Fabianus,  Flavius  Alfius  -)  und  vieler 
Anderer  aufgezeichnet  wäre.  Zu  jeder  Tageszeit,  wenn  der 
Knabe  ihn  rief,  eilte  er,  so  verborgen  und  entfernt  er  auch 


')  D.  h.  einer,  der  eine  platte,  aufwärtsgebogene  Nase  hat, 
8)  Ein  nicht  näher  bekannter  Autor. 


166  Neuntes  Buch. 

war,  aus  der  Tiefe  hervor,  frass  ihm  aus  der  Hand  und 
reichte  ihm  dann  seinen  Rücken  zum  Aufsitzen  dar,  indem 
er  die  Stacheln  seiner  Flossen  wie  in  einer  Scheide  ver- 
barg. Wenn  er  ihn  aufgenommen  hatte,  trug  er  ihn  mitten 
durch  den  See  nach  Puteoli  zur  Schule,  und  brachte  ihn 
ebenso  wieder  zurück.  Diess  dauerte  so  mehrere  Jahre 
hindurch.  Als  der  Knabe  an  einer  Krankheit  gestorben 
war,  kam  er  zuweilen  an  den  gewohnten  Ort,  schien  be- 
trübt und  traurig  zu  sein,  und  starb  endlich  selbst  (wie 
Niemand  zweifelte)  aus  Sehnsucht. 

Ein  anderer  Delphin,  der  sich  in  deu  letzt  verflossenen 
Jahren  an  der  afrikanischen  Küste  bei  Hippo  Diarrhitus  *) 
aufhielt,  frass  ebenfalls  den  Menschen  aus  der  Hand,  Hess 
sich  streicheln,  scherzte  um  die  Schwimmenden  herum,  und 
trug  sie,  wenn  sie  sich  auf  ihn  setzten.  Als  ihn  Flavianus, 
def  Proconsul  von  Afrika,  mit  Salben  bestrichen  hatte, 
wurde  er  (wie*  es  schien)  von  den  ungewohnten  Gerüchen 
betäubt,  wie  todt  auf  dem  Wasser  herumgetrieben,  mied 
mehrere  Monate  lang  den  Umgang  mit  Menschen,  als  ob 
ihn  eine  Beleidigung  verscheucht  hätte,  kam  aber  später 
wieder  und  war  abermals  der  Gegenstand  der  Bewunderung. 
Allein  da  viele  angesehene  Personen  kamen,  um  das  Thier 
zu  sehen,  und  die  Gastfreundschaft  der  Hipponeser  miss- 
brauchten, so  wurden  diese  bewogen,  es  zu  tödten. 

Aus  früherer  Zeit  erzählt  man  eine  ähnliche  Geschichte- 
von  einem  Knaben  in  der  Stadt  Jasos,  den  ein  Delphin 
lange  Zeit  liebte;  dieser  folgte  ihm  aber  einst  beim  Weg- 
gehen zu  eifrig  auf  die  Küste  nach,  gerieth  auf  den  Sand 
und  starb:  den  Knaben  machte  Alexander  der  Grosse  zu 
Babylon  zum  Oberpriester  des  Neptun,  weil  er  jene  Liebe 
für  einen  Beweis  der  Gunst  von  Seiten  der  Gottheit  aus- 
legte. In  derselben  Stadt  Jasus  war,  wie  Hegesidemus2) 
berichtet,  noch  ein  anderer  Knabe  Namens  Hermias,  der 
ebenfalls    auf   einem  Delphin   zu   reiten  pflegte;  als  dieser 


')  Bi6erta.    s)  Von  Cythnus,  sonst  unbekannt. 


Neuntes  Buch.  Itf7 

nun  bei  einem  plötzlichen  Sturme  in  den  Wogen  seinen 
Tod  fand,  so  gab  der  Delphin  dadurch,  dass  er  nicht  mehr 
ins  Meer  zurückkehrte,  sondern  auf  dem  Lande  starb,  zu 
erkennen,  er  sei  die  Ursache  seines  Todes.  Nach  Theo- 
phrastus  soll  sich  ein  ganz  ähnlicher  Fall  zu  Naupactum 
zugetragen  haben.  Und  solcher  Beispiele  giebt  es  in 
Menge.  Gleiches  erzählen  die  Amphilocher  und  Tarentiner 
von  Knaben  und  Delphinen.  Alle  diese  Vorfälle  machen 
auch  die  Sage  von  dem  Citherspieler  Arion  glaublich;  als 
nämlich  die  Schiffsleute,  um  sich  seiner  Schätze  zu  be- 
mächtigen, beschlossen  hatten,  ihm  im  Meere  den  Tod  zu 
geben,  und.  er  nach  erhaltener  Erlaubniss  zuvor  noch  ein- 
mal auf  der  Cither  spielte,  da  versammelten  sich  die  Del- 
phine um  das  Schiff,  und  als  er  sich  ins  Meer  stürzte,  nahm 
ihn  einer  auf  seinen  Rücken,  und  trug  ihn  bis  an  die 
Küste  bei  Tänarum. 

9. 
In  der  narbonensischen  Provinz,  im  neinausiensischen  l) 
Gebiete  liegt  ein  See  Namens  Latera,  wo  die  Delphine 
mitden  Einwohnern  gemeinschaftiichFische  fangen. 
Eine  unzählige  Menge  Meeräschen  '2)  bricht  nämlich  zu  einer 
gewissen  Zeit  durch  den  engen  Theil  des  Sees  ins  Meer, 
indem  sie  dabei  die  Ebbe  abwartet.  Man  kann  deshalb 
keine  Netze  ausspannen,  weil  sie  unmöglich  dem  starken 
Andränge  widerstehen  würden,  wenn  auch  diese  Thiere  den 
richtigen  Zeitpunkt  nicht  abwarten  sollten.  Mit  gleicher 
Vorsicht  gehen  sie  sogleich  in  die  Tiefe,  die  durch  einen 
benachbarten  Strudel  erzeugt  wird,  und  eilen,  die  einzige 
zum  Ausspannen  der  Netze  passende  Stelle  zu  vermeiden. 
Sobald  diess  die  Fischer  merken  (es  laufen  aber  eine 
Menge  Menschen  zusammen,  welche  die  Zeit  wissen,  und 
auf  diess  Vergnügen  sehr  begierig  sind),  so  ruft  alles  Volk 
vom  Ufer  so  laut  als  möglich  „Simon".  Schnell  hören  die 
Delphine   den  Ruf,   wenn  der  Nordwind  den  Schall  bringt, 


»)  Nemausus,  jetz*  Nismes.  Der  See  heisst  jetzt  Lac  de  Maguellone. 
2)  Mugiles.    Mugil  Cephalus. 


168  Neuntes  Buch. 

etwas  später  aber,  wenn  der  entgegengesetzte  Südwind 
wehet.  Allein  auch  denen  fliegen  sie  sogleich  zur  Hülfe 
herbei.  Rasch  bilden  sie  eine  Schlachtordnung,  postiren 
sich  dahin,  wo  der  muthmaassliche  Kampfplatz  ist,  stellen 
sich  in  der  Tiefe  den  Fischen  entgegen,  und  drängen  die 
in  Schrecken  gesetzten  auf  Untiefen.  Dann  werden  sie 
von  den  Fischern  mit  Netzen,  die  durch  Gabeln  unterstützt 
sind,  umstellt.  Dennoch  springen  die  schnellen  Meeräschen 
hinüber,  werden  aber  von  den  Delphinen  aufgefangen,  und 
diese  begnügen  sich  vorerst  damit  sie  zu  tödten  und  ver- 
schieben ihren  Frass  bis  Dach  dem  Siege.  Nach  und  nach 
wird  der  Kampf  hitziger,  und  sie  selbst  lassen  sich,  indem 
sie  heftig  vordringen,  gern  mit  in  die  Netze  einschliessen; 
und  damit  der  Feind  keine  Gelegenheit  zur  Flucht  habe, 
schlüpfen  sie  so  unvermerkt  zwischen  den  Schiffen,  Netzen 
und  schwimmenden  Menschen  hindurch,  dass  sie  keiuen 
Ausgang  offen  lassen.  Durch  den  Sprung,  den  sie  sonst 
sehr  lieben,  versucht  keiner  zu  entkommen,  wenn  sich  nicht 
die  Netze  unter  ihm  befinden.  Ist  der  Delphin  herausge- 
gangen, so  kämpft  er  auch  sogleich  wieder  vor  der  Ver- 
zäunung.  Nach  beendigter  Schlacht  verschlingen  sie  die 
von  ihnen  getödteten  Meeräschen.  Allein  da  sie  sich  be- 
wusst  sind,  dass  ihre  Mühe  mehr  als  eintägigen  Lohn  werth 
ist,  so  warten  sie  bis  zum  folgenden  Tage,  und  werden 
dann  nicht  bloss  mit  Fischen,  sondern  auch  mit  in  Wein 
getunktem  Brote  gefüttert. 

10. 
Was  Mucianus  von  einer  ähnlichen  Art  zu  Fischeu  im 
jasischen  Meerbusen  sagt,  unterscheidet  sich  dadurch  von 
jener,  dass  die  Delphine  von  selbst,  ohne  gerufen  zu  werden, 
bei  der  Hand  sind,  ihren  Antheil  aus  den  Händen  em- 
pfangen, und  dass  jeder  Nachen  einen  von  ihnen  zum  Ge- 
fährten hat,  obgleich  der  Fang  des  Nachts  bei  Fackelschein 
geschieht.  Auch  unter  ihnen  selbst  herrscht  ein  allgemeines 
geselliges  Band.  Als  ein  König  von  Carien  einst  einen  ge- 
fangen und  am  Ufer  angebunden  hatte,  „versammelte  sieh 
eine  grosse  Schaar  der  übrigen,  und  baten  mit  unverkenn- 


Neuntes  Buch.  169 

barer  Betriibniss  so  lange  um  Mitleid,  bis  der  König  ihn 
loszulassen  befahl.  Die  kleinein  begleitet  sogar  stets  ein 
grösserer  als  Aufseher.  Man  hat  auch  schon  welche  ge- 
sehen, die  einen  Todten  wegtrugen,  damit  er  nicht  von 
andern  Thieren  gefressen  würde. 

11. 

Aehnlichkeit  mit  den  Delphinen  haben  die  Braun- 
fische *);  sie  unterscheiden  sich  von  jenen  durch  ihr 
trauriges  Ansehen,  denn  es  fehlt  ihnen  deren  Munterkeit; 
vorzüglich  aber  deuten  ihre  hayfischähnlichen  Schnäbel 
auf  ein  bösartiges  Wesen. 

12. 

Schildkröten  wirft  das  indische  Meer  von  solcher 
Grösse  aus,  dass  man  mit  der  Schale  einer  einzigen  ein 
Wohnhaus  decken  kann,  und  auf  den  Inseln,  besonders 
des  rothen  Meeres  bedient  man  sich  derselben  als  Kähne. 
Man  fängt  sie  zwar  auch  auf  vielerlei  Art,  allein  vorzüglich 
dann  am  leichtesten,  wenn  sie  Vormittags  bei  warmem 
Wetter  auf  die  Oberfläche  des  Meeres  kommen,  und  mit 
hervorragendem  Rücken  auf  den  ruhigen  Wogen  umher- 
schwimmen. Diese  Wollust  frei  zu  athmen,  macht  sie  so 
sehr  ihrer  selbst  vergessen,  dass  die  Schale  durch  die 
Sonnenhitze  austrocknet  und  sie  nicht  wieder  untertauchen 
können,  sondern  wider  Willen  oben  schwimmen  müssen, 
und  dann  eine  leichte  Beute  des  Jägers  werden.  Sie  sollen 
auch  des  Nachts  zum  Fressen  auf's  Land  gehen,  und  nach- 
dem sie  sich  gesättigt  haben,  so  müde  werden,  dass  wenn 
sie  am  andern  Morgen  zurückgekehrt  sind,  sie  auf  der 
Oberfläche  des  Wassers  einschlafen,  und  sich  so  durch  ihr 
Schnarchen  verrathen.  Dann  schwimmen  zu  einer  allemal 
3  Männer  leise  hin,  zwei  wenden  sie  auf  den  Rücken,  der 
dritte  wirft  ihr  einen  Strick  um,  und  mehrere  Andere 
ziehen  sie  ans  Ufer.  Im  phönicischen  Meere  werden  sie 
ohne   alle  Schwierigkeit   gefangen,   und   dort   kommen   sie 


*)  Tursiones.  Delphinus   Phocaena. 


270  Neuntes  Buch. 

zu  einer  bestimmten  Zeit  des  Jahres  in  ungeheuerer  Menge 
in  den  Fluss  Eleutherus.  —  Die  Schildkröten  haben  keine 
Zähne,  statt  deren  aber  scharfe  Mundränder,  von  denen  der 
obere  den  untern  wie  eine  Büchse  einschliesst.  Im  Meere 
leben  sie  von  Muscheln,  denn  ihr  Mund  hat  eine  solche 
Härte,  dass  sie  Steine  zermalmen  können;  auf  dem  Lande 
fressen  sie  Kräuter.  Sie  legen  Eier,  die  denen  der  Vögel 
gleichen,  zu  hunderten,  und  zwar  in  Löcher  ausserhalb  des 
Wassers,  bedecken  sie  mit  Erde,  machen  letztere  mit  der 
Brust  fest  und  eben  und  sitzen  des  Nachts  darüber.  Ihre 
Jungen  führen  sie  ein  Jahr  lang  mit  sich  herum.  Einige 
glauben,  dass  sie  ihre  Eier  mit  den  Augen  durch  blosses 
Anblicken  ausbrüten,  und  dass  das  Weibchen  so  lange  die 
Begattung  flieht,  bis  das  Männchen  ihm  von  hinten  einen 
Halm  auflegt.  Bei  den  Troglodyten  giebt  es  gehörnte, 
deren  Hörner  breit  und  wie  an  der  Lyra  gestellt,  aber  be- 
weglich sind,  und  die  sie  beim  Schwimmen  als  Ruder  ge- 
brauchen. Chelyon  heisst  die  Schale  dieser  ausgezeichneten 
aber  seltenen  Schildkröte,  denn  die  Chelonophagen  werden 
durch  die  hohen  Klippen  abgeschreckt,  sie  zu  erlegen.  Die 
Troglodyten  aber,  zu  denen  jene  Thiere  hinschwimmen, 
halten  dieselben  heilig.  Es  giebt  auch  Landschildkröten, 
die  deshalb  in  mehreren  Werken  Chersinä  x)  genannt  werden; 
sie  halten  sich  in  den  dürrsten  und  sandigsten  Theilen  der 
afrikanischen  Wüsten  auf,  und  leben,  wie  man  glaubt,  vom 
Thau.     Kein  anderes  Thier  findet  sich  dort. 

13. 
Die  Schalen  der  Schildkröten  in  Platten  zu 
schneiden,  und  Bettgestelle  und  Schränke  damit  zu  über- 
kleiden, hat  Carvilius  Pollio 2)  erfunden,  ein  Mann  von 
äusserst  fruchtbarem  und  erfinderischem  Geiste  für  Dinge 
des  Luxus. 


')  D.  h.  auf  der  Erde  lebend. 

*)  Wie  aus  B.  XXXIII.  51.  C.  hervorgeht,  lebte  dieser  Mann  noch 
tot  Sulla1  s  Zeiten. 


Neuntes  B»ch.  171 

14. 
Die  Bedeckungen  der  Wasserthiere  sind  ver- 
schieden. Einige  haben  Haut  und  Haare,  wie  die  Seekälber 
und  Flusspferde;  andere  nur  eine  Haut,  wie  die  Delphine; 
eine  Schale,  wie  die  Schildkröten;  steinharte  Hüllen,  wie 
die  Austern  und  Muscheln;  Rinden,  wie  die  Locusten; 
Rinden  mit  Stacheln,  wie  die  Seeigel;  eine  rauhe  Haut,  wie 
der  Squatina,  womit  Holz  und  Elfenbein  polirt  wird;  eine 
weiche  Haut,  wie  die  Muränen;  andere  endlich  haben  gar 
keine,  wie  die  Polypen. 

15. 
Diejenigen,  welche  mit  Haaren  bekleidet  sind,  ge- 
bären lebendige  Junge,  wie  der  Pristis,  der  Wallfisch,  der 
Robbe *).  Letzterer  wirft  auf  dem  Lande,  und  es  geht, 
gleich  wie  bei  dem  Rindvieh,  auch  bei  ihm  eine  Nachge- 
burt ab.  Bei  der  Begattung  hängen  sie  wie  die  Hunde 
zusammen;  zuweilen  gebären  sie  mehr  als  2  Junge,  die  sie 
an  Brüsten  säugen.  Nicht  vor  dem  12.  Tage  führen  sie 
dieselben  ins  Meer,  nachher  gewöhnen  sie  sie  allmälig 
daran.  Sie  sind  schwer  zu  tödten,  wenn  man  ihnen  nicht 
den  Kopf  abhaut.  Ihre  Stimme  ist  ein  Brüllen,  daher  haben 
sie  den  Namen  Seekalb  bekommen.  Sie  lassen  sich  je- 
doch abrichten  und  begrüssen  das  Volk  sowohl  mit  der 
Stimme  als  mit  Blicken;  weiden  sie  bei  Namen  gerufen, 
so  antworten  sie  mit  einem  wilden  Gebrülle.  Kein  Thier 
hat  einen  festern  Schlaf.  Auf  den  Flossen,  deren  sie  sich 
im  Meere  bedienen,  kriechen  sie  auf  dem  Lande  wie  auf 
Füssen.  Ihre  abgezogenen  Felle  sollen  sogar  eine  Em- 
pfindung vom  Meere  behalten,  und  allemal  zur  Zeit  der 
Ebbe  die  Haare  emporrichten;  ausserdem  soll  die  rechte 
Flosse  eine  schlaferregende  Kraft  besitzen,  und  Schlaf 
bringen,  wenn  man  sie  unter  den  Kopf  legt.  Von  den 
Seethieren,  welche  unbehaart  sind,  bringen  überhaupt  nur 
zwei  Arten  lebendige  Junge  zur  Welt,  nämlich  der  Del- 
phin und  die  Viper. 


3)  Vitulus.  Phoca  vituJina. 


172  Neuntes  Buch. 

16. 

Man  zählt  74  Arten  Fische,  mit  Ausnahme  derer,  welche 
mit  Schalen  bedeckt  sind,  und  die  sich  auf  30  belaufen. 
Von  einer  jeden  einzelnen  werde  ich  an  einem  andern 
Orte  reden;  jetzt  sollen  bloss  die  merkwürdigsten  be- 
schrieben werden. 

17. 

Von  besonderer  Grösse  sind  die  Thunfische  l);  ich 
finde,  dass  ein  solcher  15  Talente  wog  und  dass  dessen 
Schwanz  5  Cubitus  und  eine  Palme  breit  war.  Es  giebt 
auch  in  einigen  Flüssen  Fische,  welche  diesen  an  Grösse 
nicht  nachstehen,  wie  der  Wels  2)  im  Nil,  der  Hecht 3)  im 
Rhein,  der  Attilus  im  Po,  der  vor  Trägheit  so  fett  wird, 
dass  er  bisweilen  1000  Pfund  wiegt,  und,  wenn  er  durch 
einen  an  einer  Kette  befindlichen  Haken  gefangen  ist,  nur 
von  2  Ochsen  herausgezogen  werden  kann.  Und  doch 
tödtet  ihn  ein  ganz  kleiner  Fisch,  Clupea  genannt,  indem 
er  ihm  mit  ausserordentlicher  Begierde  in  den  Schlund 
kriecht  und  eine  gewisse  Ader  aufbeisst.  Der  Wels  raubt 
allenthalben,  trachtet  nach  jedem  Thiere,  und  zieht  oft  die 
schwimmenden  Pferde  unter's  Wasser.  Im  Main,  einem 
Flusse  Deutschlands,  wird  dieser  mit  vorgespannten  Ochsen 
herausgezogen,  und  in  der  Donau  fängt  man  einen  mit 
Haken,  der  viel  Aehnlichkeit  mit  einem  Meerschweine 
hat.  Auch  im  Borysthenes  soll  ein  sehr  grosser  Fisch  4) 
leben,  der  keine  Knochen  und  Gräten  in  seinem  Körper  und 
ein  sehr  wohlschmeckendes  Fleisch  hat.  Die  sogenannten 
Platanisten  im  Ganges  in  Indien  haben  Schnauze  und 
Schwanz  des  Delphins,  aber  eine  Länge  von  16  Cubitus. 
In  demselben  Flusse  sollen  sich,  wie  Statius  Sebosus  zu 
nicht  geringem  Erstaunen  erzählt,  Thiere  mit  2  Kiemen, 
von  6  Cubitus  Länge  und  von  blauer  Farbe  aufhalten, 
welche  ihrer  Gestalt  wegen  Würmer  genannt  werden.    Sie 


')  Thynni.  Scomber  Thynnus. 

*)  Silurus.  Silurus  Glanis.    3)  Esox.  Esox  Lucius. 

*)  Acipenser- Arten  sind  hier  gemeint. 


Neuntes  Buch.  173 

sollen  eine  solche  Kraft  besitzen,  dass  sie  die  Elephanten, 
welche  zum  Trinken  kommen,  mit  dem  Gebiss  beim  Rüssel 
ergreifen  und  herabziehen. 

18. 

Die  männlichen  Thunfische  haben  am  Bauche  keine 
Flossen.  Sie  dringen  im  Frühlinge  aus  dem  grossen  Meere 
in  den  Pontus,  und  laichen  sonst  nirgends.  Ihre  Jungen 
heissen  Cordylen,  und  diese  begleiten  die  Alten  im  Herbste 
bei  ihrer  Rückkehr  ins  Meer.  Im  nächsten  Frühjahre  nennt 
man  sie  Limosen  oder  vom  Kothe  Pelamiden  *),  und  erst 
wenn  sie  1  Jaht  alt  sind,  Thynnen.  Wenn  diese  in  Stücke 
getheilt  werden,  so  schätzt  man  besonders  den  Hals  und 
Bauch,  sowie  auch  die  Kehle;  diese  aber  nur  im  frischen 
Zustande  und  auch  dann  verursacht  sie  starkes  Aufstossen. 
Die  übrigen  fleischigen  Theile  werden  eingesalzen  aufbe- 
wahrt. Man  nennt  diese  Melandrya 2),  weil  sie  Eichen- 
spänen sehr  ähnlich  sehen.  Die  schlechtesten  Stücke  sind 
die  zunächst  dem  Schwänze  befindlichen,  weil  sie  kein 
Fett  haben,  die  besten  aber  die  vom  Schlünde;  dagegen 
wird  bei  andern  Fischen  das  Schwanzstück  am  meisten 
vorgezogen.  Die  Pelamiden  werden  in  Stücke  geschnitten, 
in  dieser  Form  Apolecten 3)  genannt ,  und  zu  den  ver- 
schiedenen Fischspeisen  4)  gethan. 

19. 

Alle  Fischgattungen  erreichen  in  sehr  kurzer  Zeit  ihre 
gehörige  Grösse,  vorzüglich  im  Pontus.  Der  Grund  davon 
mag  in  den  vielen  Flüssen  liegen,  welche  ihr  süsses 
Wasser  hineinbringen.  An  dem  sogenannten  Ami  a  5)  kann  man 
das  Wachsen  schon  an  jedem  einzelnen  Tage  wahrnehmen; 
sie  ziehen  nebst  den  Thunfischen  und  Pelamiden  in  Schaaren, 
jede  Partei  mit  ihren  Anführern  zu  süsserer  Nahrung  in 
den  Pontus;  die  ersten  von  allen  aber  sind  die  Scombri  6), 


')  Limue,  sowie  nrfia/Mq  bedeuten  Koth. 
*)  D.  h.  der  innere  schwarze  Theil  der  Eiche. 
3)  unoXexzoq  abgeschlagen,  auserlesen.    4)  Cybia. 
&)  Eine  Art  Thunfisch.    6)  Scoraber  Scomber  L. 


274  Neuntes  Buch. 

welche  im  Wasser  eine  schwefelgelbe  Farbe  haben,  jedoch 
ausser  demselben  wie  die  übrigen  Fische  aussehen.  In 
Spanien  füllen  diese  die  Fischbehälter,  wenn  keine  Thun- 
fische hinkommen. 

20. 
In   den  Pontus   kommt  kein   den  Fischen  schädliches 
Thier,  ausgenommen  Seekälber  und   kleine  Delphine.     Die 
Thune  ziehen  am  rechten  Ufer  hinein  und  am  linken 
wieder  heraus.    Der  Grund  davon  soll  sein,  weil  sie  mit 
dem   rechten   Auge    besser   sehen   können,   obgleich   beide 
Augen   von   Natur   schwach   sind.     In    der   Meerenge    des 
thracischen  Bosporus,  welche  den  Propontis   mit  dem  Pon- 
tus Euxinus  verbindet,  da  wo  der  Pass,  welcher  Asien  von 
Europa  trennt,   am   schmälsten   ist,   bei  Chalcedon  an  der 
asiatischen   Seite,   steht    ein   Felsen    von    ausserordentlich 
weissem  Glänze,  der  von   der  Tiefe   des  Meeres   bis   nach 
oben  durchschimmert.     Durch   dessen  Anblick  plötzlich   in 
Schrecken  gesetzt,  eilt  der  ganze  Haufen   zu   dem    gegen- 
überliegenden   Vorgebirge    von    Byzanz,    das    daher    den 
Namen    „goldenes    Horn':     bekommen    hat      Aus    diesem 
Grunde    werden    sie    auch  alle  in  Byzanz    gefangen,   und 
Chalcedon  leidet  grossen  Mangel  an  Fischen,  obgleich   die 
dazwischen  strömende  Meerenge  nur  1000  Schritte  breit  ist. 
Sie  erwarten  aber  das  Wehen  des  Nordwindes,   damit    sie 
mit    günstiger    Strömung    aus    dem    Pontus    schwimmen 
können,   und   nur   die,   welche   in   den  Hafen  von  Byzanz 
kommen,  werden  gefangen.     Mitten   im  Winter    ziehen    sie 
nicht,    wo    sie    daher    bis   zum   Aequinoctium    angetroffen 
werden,  da  überwintern  sie.     Oft  begleiten  sie  die  segeln- 
den Schiffe;  man  sieht  sie  oft  mit  freudiger  Verwunderung 
einige  Stunden  hindurch  mehrere  tausend  Schritte  weit  mit- 
ziehen ,    und   sie   lassen    sich    nicht   einmal    dadurch    ver- 
scheuchen, dass  man  den  Dreizack  unter  sie  wirft.     Einige 
nennen  diejenigen  Thiere,  welche  diese  Lebensweise  führen, 
Pompilen.     Viele   bleiben   den  Sommer   über   im  Propontis 
und  gehen  gar  nicht  in  den  Pontus;  so  auch  die  Zungen  *), 

')  Soleae.  Pleuronectes  Solea  L. 


Neuntes  Buch.  175 

wogegen  die  Schollen  l)  hineingehen;  auch  die  Tintenfische2) 
nicht,  wohl  aber  der  Loligo  8).  Unter  den  an  Felsen  le- 
benden fehlen  dort  der  Turdus  und  der  Merula 4),  sowie 
die  Muscheln,  Austern  dagegen  sind  im  Ueberfluss  vor- 
handen. Alle  aber  überwintern  im  ägeischen  Meere.  Unter 
allen,  die  in  den  Pontus  einziehen,  kehren  allein  die  Sar- 
dellen 5)  nicht  wieder  zurück.  (Es  möchte  wohl  am  besten 
sein,  mich  bei  den  meisten  Thieren  der  griechischen 
Namen  zu  bedienen,  weil  ein  und  dieselben  in  dieser  Ge- 
gend so,  in  jener  wieder  anders  genannt  werden.)  Sie 
sind  aber  die  Einzigen,  welche  in  den  Ister  gehen;  aus 
diesem  Flusse  kommen  sie  durch  unterirdische  Kanäle  ins 
adriatische  Meer,  daher  sieht  man  sie  auch  von  dort  her 
hinab-,  niemals  aber  aus  der  Tiefe  des  Meeres  aufsteigen. 
Der  Fang  der  Thunfische  dauert  vom  Aufgange  des  Sieben- 
gestirns bis  zum  Untergange  des  Arcturus6);  während  des 
Winters  halten  sie  sich  in  den  tiefsten  Schlünden  auf,  wenn 
sie  nicht  durch  die  Wärme  oder  den  Vollmond  hervorge- 
lockt werden.  Sie  werden  so  fett,  dass  sie  bersten,  und 
leben  höchstens  2  Jahre. 

21. 

Ein  kleines  Thier,  das  die  Gestalt  eines  Scorpions  und 
die  Grösse  einer  Spinne  hat,  hängt  sich  mit  seinem  Stachel 
unter  die  Flosse  des  Thuns  sowohl  wie  des  sogenannten 
Schwerdfisches 7),  der  häufig  den  Delphin  an  Grösse 
übertrifft,  und  verursacht  diesen  Thieren  solche  Schmerzen, 
dass  sie  oft  in  die  Schiffe  springen.  Diess  thun  auch 
andere  Fische,  wenn  sie  sich  vor  anderen  fürchten,  nament- 


*)  Rhombi.  Pleuconectes  Rhombus  und  P.  Platessa.    2)  Sepiae. 

3)  Auch  eine  Sepie. 

*)  Beides  sind  Namen  von  Vögeln  (turdus  heisst  der  Krammts- 
vogel  und  merula  die  Amsel),  welche  diesen  Fischen  wegen  der 
Aehnlichkeit  in  der  Färbung  beigelegt  wurden. 

3)  Trichiae.  Clupea  Encrasicolus. 

6)  Vom  Mai  bis  November. 

:)  Gladius.  Xiphias  fJladius. 


276  Neuntes  Buch. 

lieh  die  Meeräschen,  welche  so   schnell   sind,  dass  sie  zu- 
weilen  quer  über  die  Schiffe  hinüber  schnellen. 

22. 

Auch  in  diesem  Reiche  der  Natur  giebt  es  Vorbedeu- 
tungen, denn  auch  die  Fische  zeigen  zukünftige  Dinge 
an.  Als  im  sicilischen  Kriege  Augustus  einst  am  Ufer 
spazieren  ging,  sprang  ein  Fisch  aus  dem  Meere  zu  seinen 
Füssen;  die  Wahrsager  deuteten  diess  so:  es  würden  die- 
jenigen zu  des  Kaisers  Füssen  liegen,  welche  damals  die 
Herrschaft  über  die  Meere  behaupteten.  Sext.  Pompejus 
hatte  sich  nämlich  damals  einen  Sohn  des  Neptun  genannt: 
so  gross  war  sein  Ruhm  zur  See. 

23. 

Bei  den  Fischen  sind  die  Weibchen  grösser  als  die 
Männchen.  In  einigen  Gattungen  giebt  es  gar  keine 
Männchen,  wie  bei  den  Rothfischen  x)  und  den  Channen2), 
denn  alle,  die  gefangen  werden,  haben  Eier  in  sich.  Fast 
alle  mit  Schuppen  bedeckten  Fische  ziehen  schaarenweise 
umher.  Man  fängt  sie  vor  Sonnenaufgang,  denn  dann 
trügt  sie  ihr  Gesicht  am  meisten.  Des  Nachts  ruhen  sie, 
und  in  heitern  Nächten  sehen  sie  ebenso  gut  wie  am 
Tage.  Man  sagt,  der  Fang  solle  besser  von  Statten  gehen, 
wenn  man  im  Wasser  einen  Wirbel  erzeuge,  und  deshalb 
sollen  auch  beim  zweiten  Zuge  mehr  gefangen  werden  als 
beim  ersten.  Vorzüglich  lieben  sie  den  Genuss  des  Oeles 
sowie  massige  Regenschauer,  und  werden  dadurch  ernährt. 
Ebenso  wächst  auch  das  Schilf,  obgleich  es  im  Sumpfe 
steht,  nicht  ohne  Regen  heran.  Uebrigens  sterben  alle 
Fische,  die  stets  in  ein  und  demselben  Wasser  leben,  was 
keinen  Zufluss  hat. 

24. 

Ein  sehr  kalter  Winter  ist  allen  empfindlich,  besonders 
aber  denen,  welche,  wie  man  glaubt,  einen  Stein  im 
Kopfe    haben,    wie    die    Seewölfe 3),    Chromen,  Umber- 


')  Erithini.    2)  Chanae.  Perca  cabrilla  L. 
3)  Lupi.  Anarrhichas  Lupus. 


Neuntes  Buch.  177 

^fische  l)  und  Meerbrassen 2).  Nach  sehr  rauhen  Wintern 
fängt  man  viele  blinde.  Daher  liegen  sie  während  dieser 
Monate  in  Höhlen  verborgen,  ebenso  wie  wir  es  bei  den 
Landthieren  angeführt  haben.  Besonders  wird  der  Stutz- 
kopf 3)  und  der  Coracinus  im  Winter  nicht  gefangen,  aus- 
genommen an  gewissen  wenigen  Tagen,  aber  an  diesen 
immer;  desgleichen  die  Muräne  4),  der  Orphus,  Couger,  die 
Barsche  5)  und  alle  an  Steinen  lebenden.  Der  Zitterrochen  6), 
Psetta  und  Solea  sollen  sich  im  Winter  in  der  Erde,  d.  h. 
in  einer  ausgehöhlten  Untiefe  des  Meeres  verborgen  halten. 

25. 

Einige  wiederum  verbergen  sich,  weil  sie  die  Hitze 
nicht  vertragen  können,  während  der  60  heissesten  Tage, 
wie  der  Glaucus,  die  Kabliaus  7)  und  die  Goldbrachsen  8). 
Unter  den  Flusstischen  erstarrt  der  Wels  beim  Aufgange 
des  Hundssterns,  und  ausserdem  wird  er  stets  vom  Blitze 
betäubt.  Diess  soll  auch  im  Meere  dem  Karpfen9)  be- 
gegnen. Uebrigens  hat  der  Aufgang  dieses  Gestirns  auf 
das  ganze  Meer  Einfluss,  besonders  ist  diess  aber  am  Bos- 
porus augenscheinlich,  denn  die  Seegräser  und  Fische 
kommen  dort  auf  die  Oberfläche,  und  alles  wendet  sich 
von  unten  nach  oben. 

26. 

Die  Meeräschen10)  haben  eine  lächerliche  Eigenschaft 
an  sich;  sie  Verstecken  nämlich  bei  der  drohenden  Gefahr 
den  Kopf,  in  der  Meinung,  nun  ganz  verborgen  zu  sein. 
Sie  sind  aber  so  geil,  dass  wenn  man  z.  B.  in  Phönicien  oder 
in  der  narbonensischen  Provinz  zur  Zeit  der  Begattung 
ein  Männchen  aus  einem  Fischbehälter  an  einer  langen 
durch  den  Mund  gezogenen  und  an  den  Kiemen  befestigten 


')  Sciaenae.  Sciaena  nigra.    2)  Pagri.  Pagrus  vulgaris. 

3)  Hippurus.  Coryphaena  Hippurus. 

*)  Gyxnnothorox  muraena.     5)  Percae. 

6)  Torpedo.  Raja  torpedo.    7)  Aselli.  Gadus  Morrhua. 

8)  Auratae.  Sparus  aurata.     9)  Cyprinus. 

l0)  Mugil.  Mugil  Cephalus. 


^Vittstein:  Plinius.     II.  Bd. 


12 


178  Neuntes  Buch. 

Schnur  in's  Meer  wirft,  und  wieder  zurückzieht,  die  Weibchen: 
bis  an  die  Küste  folgen;  und  ebenso  folgen  die  Männchen 
den  Weibchen  zur  Laichzeit. 

27. 
Bei  den  Alten  galt  der  Stör  *)  für  den  edelsten  Fisch, 
weil  an  ihm  allein  die  Schuppen  nach  dem  Munde,  also 
der  Richtung  des  Schwimmens  entgegen  gekehrt  sind.  Jetzt 
wird  er  nicht  mehr  geschätzt,  was  mich  wundert,  da  er  so 
selten  zu  finden  ist.    Einige  nennen  ihn  Elops. 

28. 
Späterhin  stand,  wie  Cornelius  Nepos  und  der  Mimen- 
dichter Laberius  2)  erzählen,  der  See  wo  lf  und  der  Kab  Hau3) 
im  besondern  Ansehen.  Unter  den  erstem  sind  diejenigen, 
welche  man  wegen  der  Weisse  und  Weichheit  ihres 
Fleisches  wollige  genannt,  die  beliebtesten.  Es  giebt  zwei 
Arten  Asellen,  die  Callarien 4),  welche  kleiner  sind,  und 
die  Bacchen,  welche  nur  auf  der  hohen  See  gefangen  und 
daher  den  erstem  vorgezogen  werden.  Unter  den  See- 
wölfen  giebt  man  den  in  Flüssen   gefangenen  den  Vorzug. 

29. 
Jetzt  stellt  man  den  Scarus  5)  oben  an;  diess  soll  der 
einzige  Fisch  sein,  der  wiederkauet,  und  sich  von  Kräutern 
und  nicht  von  andern  Fischen  nährt.  Er  kommt  sehr 
häufig  im  carpathischen  Meere  vor,  und  geht  von  selbst 
nie  über  das  Vorgebirge  Lecton  in  Troas  hinaus.  Von 
dorther  Hess,  unter  der  Regierung  des  Tiberius  Claudius, 
Optatus  Elipertius,  der  Befehlshaber  der  Flotte,  mehrere 
bringen  und  zwischen  der  ostiensischen  und  kampanischen 
Küste  in's  Meer  setzen.  Beinahe  5  Jahre  lang  sorgte  man 
dafür,  dass  die  gefangenen  wieder  in's  Meer  geworfen 
wurden,  und  seitdem  trifft  man  sie  häufig  an  der  Küste 
von  Italien,  während  sie  früher  daselbst  nicht  vorkamen. 
So  verschaffte  sich  der  Gaumen  durch  Verpflanzung  dieser 


')  Acipenser.  Acipenser  Sturio. 

*)  Lebte  zu  Caesar's  Zeit.     ')  Siehe  d.  25  Cap. 

*)  Gadus  Callarias,  der  Dorsch.     &)  Labrus  Scarus  L. 


Neuntes  Buch.  I79 

Fische  neue  Genüsse,  und  gab  dem  Meere  einen  neuen  Be- 
wohner, damit  sich  Niemand  wundern  möge,  dass  in  Rom 
ausländische  Vögel  hecken. 

Den  nächsten  Rang  auf  der  Tafel  giebt  man  der  Leber 
der  Mustela1),  welche  merkwürdigerweise  der  brigan- 
tinische  See  2)  in  den  rhätischen  Alpen  in  derselben  Güte 
enthält,  wie  sie  im  Meere  vorkommen. 

30. 

Von  den  übrigen  edlern  Fischgattungen  sind  die  ge- 
schätztesten und  häufigsten  die  Meer-Barben  3),  sie  haben 
eine  massige  Grösse,  wiegen  selten  über  2  Pfund,  gedeihen 
nicht  in  Behältern  und  Teichen,  und  kommen  bloss  im 
nördlichen  und  dem  zunächst  daran  grenzenden  westlichen 
Theile  des  Oceans  vor.  Uebrigens  giebt  es  mehrere  Arten 
derselben;  denn  sie  nähren  sich  theils  von  Seegewächsen, 
theils  von  Austern,  theils  vom  Schlamme,  theils  von  dem 
Fleische  anderer  Fische.  Sie  zeichnen  sich  durch  einen 
doppelten  Bart  am  untern  Kiefer  aus.  Die  schlechtesten 
unter  ihnen  nennt  man  Kothbarben 4).  Letztere  werden 
beständig  von  einem  andern  Fische,  Namens  Sargus5), 
begleitet,  und  wenn  sie  im  Schlamme  wühlen,  so  frisst 
dieser  das  aufgescharrte  Futter  weg.  Auch  die,  welche 
sich  an  den  Küsten  aufhalten,  sind  nicht  beliebt.  Die 
besten  schmecken  wie  Muscheln.  Ihren  Namen  sollen  sie, 
nach  Fenestella,  von  der  Farbe  der  purpurfarbenen  Schuhe  6) 
haben.  Sie  laichen  3  mal  im  Jahre;  wenigstens  kommt 
so  viele  Male  junge  Brut  von  ihnen  zum  Vorschein.  Die 
grössten  Schmecker  sagen,  man  nähme  an  der  Meerbarbe 
ein  viel  wechselndes  Farbenspiel  wahr,  indem  seine  röth- 
lichen  Schuppen  erst  nach  mannigfacher  Veränderung  blass 
würden,  was  man  besonders  wahrnehmen  könne,  wenn  er 
sich   in   einem  Glase   befände.     M.   Apicius,   der   für   alle 


')  Gadus  Lota.    2)  Der  Bodensee. 

3)  Mulli.  Mullus  Surmuletus.    4)  Lutarii.     B)  Sargus  raucus. 
e)  Calciamenta  mullea;  welche  nur  die  Consuln,  Prätoren  und 
Ardiles  curules  trugen. 

12* 


IgO  Neuntes  Buch. 

Arten  des  Luxus  ein  merkwürdiges  Genie  besass,  hielt  es 
für  etwas  Herrliches,  ihn  in  der  gesellschaftlichen  Fisch- 
sauce *)  (denn  auch  diese  hat  einen  Zunamen  bekommen) 
zu  tödten,  und  forderte  auf,  aus  der  Leber  derselben  eine 
Lake  zu  ersinnen;  diess  ist  aber  leichter  zu  sagen  als 
auszuführen. 

31. 

Der  Consular  Asinius  Celer,  welcher  in  diesem  Fische 
viel  verschwendete,  kaufte  unter  der  Regierung  des  Cajus 
einen  einzigen  für  8000  Sesterzien.  Diese.  Thatsache 
bringt  den  Geist  vom  Erstaunen  zur  Betrachtung  derer, 
welche  bei  der  Klage  über  den  Luxus  sich  darüber  be- 
schwerten, dass  ein  Koch  mehr  koste  als  ein  Pferd.  Jetzt 
aber  ist  der  Preis  eines  Koches  dem  eiues  Triumphes 
gleich,  und  die  Fische  sind  so  theuer  wie  die  Köche.  Fast 
kein  anderer  Mensch  wird  jetzt  höher  geschätzt  als  der, 
welcher  das  Vermögen  seines  Herrn  am  geschicktesten  zu 
Wasser  machen  kann.  Licinius  Mucianus  erzählt,  im 
rothen  Meere  sei  eine  Meerbarbe  von  80  Pfunden  gefangen. 
Wie  theuer  würden  den  die  Schwelger  bezahlt  haben, 
wäre  er  an  dem  der  Stadt  Rom  nächsten  Ufer  gefangen 
worden! 

32. 

Die  Natur  hat  auch  die  Einrichtung  getroffen,  dass  hier 
diese,  dort  jene  Fische  den  Vorzug  haben,  wie  z.  B.  der 
Coracinus  in  Aegvpten,  der  Zeus,  auch  Faber2)  genannt, 
zu  Gades,  der  Salpa  in  der  Gegend  von  Ebusum,  der  an 
andern  Orten  verachtet  ist,  und  sich  nicht  mürbe  kochen 
lässt,  wenn  er  nicht  zuvor  mit  Ruthen  geschlagen  wird;  in 
Aquitanien  wird  der  Fluss-Salm  3)  allen  andern  Seefischen 
vorgezogen. 

33. 

Einige  Fische  haben  vielfache  Kiemen,  andere  ein- 
fache, noch  andere  doppelte.     Durch  diese  geben    sie   das 


')  Garum  sociorum.    2)  Zeus  Faber,  der  Sonnentisch. 
3)  Salmo  fluviatilis,  diess  ist  der  Lachs,  Salmo  Salar. 


Neuntes  Buch.  181 

Wasser,  was  sie  durch  den  Mund  empfangen  haben,  wieder 
von  sich.  Ein  Kennzeichen  ihres  Alters  giebt  die  Härte 
der  Schuppen,  die  nicht  bei  allen  gleich  sind.  In  Italien 
liegen  2  Seen  am  Fusse  der  Alpen,  der  Larius  J)  und  Ver- 
banus 2),  in  welchen  sich  jedes  Jahr  beim  Aufgange  des 
Siebengestirns  3)  Fische  mit  vielen  sehr  spitzen  Schuppen, 
welche  den  Schuhnägeln  gleichen,  zeigen.  Ausser  dieser 
Zeit  sieht  man  sie  nicht  weiter. 

34. 

Auch  Arcadien  bewundert  seinen  Exocoetus  4),  der  da- 
her so  genannt  ist,  weil  er,  um  zu  schlafen,  an's  Land  geht. 
Um  Clitorium  soll  er  einen  Laut  von  sich  geben,  und 
keine  Kiemen  haben;  er  wird  von  Einigen  auch  Adonis 
genannt. 

35. 

An's  Land  gehen  auch  die  sogenannten  Seemäuse5), 
die  Polypen  und  Muränen.  Selbst  in  den  indischen  Flüssen 
giebt  es  eine  gewisse  Gattung  von  Fischen,  die  erst  an's 
Land  und  dann  wieder  zurück  springen;  denn  der  Grund, 
warum  die  Seefische  in  stehende  Gewässer  und  Flüsse 
übergehen,  ist  kein  anderer,  als  ihren  Laich  sicher  absetzen 
zu  können,  weil  es  da  keine  Thiere  giebt,  welche  die  Jungen 
verschlingen,  und  die  Wogen  ruhiger  sind.  Dass  jene 
Thiere  diese  Gründe  kennen,  und  den  Wechsel  der  Jahres- 
zeilen zu  beachten  wissen,  verdient  um  so  mehr  Be- 
wunderung, wenn  man  bedenkt,  wie  wenigen  Menschen  es 
bekannt  ist,  dass  der  Fischfang  am  reichlichsten  ausfällt, 
wenn  die  Sonne  durch  das  Zeichen  der  Fische  geht- 

36. 

Einige  Seefische  sind  platt,  wie  die  Rhomben6),  die 
Soleae7)    und    die    Passeres8),    welche    sich    von    den 


•)  Lago  maggiove.     -)  Lago  di  Como.     3)  Den  7.  Mai. 

4)  Exocoetus  exsiliens,  der  Fliegfisch. 

5)  Sind  Rocheneier,  welche  eine  Hornschale  und  Stacheln  haben. 
°)  Pleuronectes  Rhombus  und  Platusa. 

7)  Pleuronectes  Solea. 

8)  Pleuronectes  maximus. 


182  Neuntes  Buch. 

Rhomben  nur  durch  die  Lage  ihres  Körpers  unterscheiden; 
bei  den  Rhomben  ist  nämlich  die  rechte,  bei  den  Passeres 
aber  die  linke  Seite  zurückgebogen.  Andere  sind  lang, 
wie  die  Muräne  und  der  Conger  x). 

37. 
Auch  die  Flossen,  welche  den  Fischen  statt  der 
Füsse  gegeben  sind,  weichen  untereinander  ab.  Kein  Fisch 
hat  deren  mehr  als  4,  einige  nur  2,  andere  gar  keine. 
Bloss  im  fucinischen  See  giebt  es  einen  Fisch,  der  mit 
8  Flossen  schwimmt.  Zwei  haben  durchgehends  die  langen 
und  schlüpfrigen,  wie  die  Fluss- 2)  und  Meer-Aale  3).  Gar 
keine  haben  z.  B.  die  Muränen,  denen  auch  die  Kiemen 
fehlen.  Alle  diese  bewegen  sich  durch  Beugungen  des 
Leibes  ebenso  im  Meere  wie  die  Schlangen  auf  dem  Lande. 
Selbst  auf  dem  Trocknen  können  sie  kriechen,  und  haben 
daher  ein  zäheres  Leben.  Auch  unter  den  platten  Fischen 
haben  einige  keine  Flossen  wie  z.  B.  die  Stech  rochen4); 
sie  schwimmen  nämlich  auf  der  breiten  Seite.  Ferner  die- 
jenigen, welche  man  weiche  nennt,  wie  die  Polypen,  bei 
denen  die  Füsse  die  Stelle  der  Flossen  vertreten. 

38. 
Die  Aale  leben  8  Jahre.  Beim  Wehen  des  Nord- 
windes können  sie  6  Tage  lang  ausser  dem  Wasser  zu- 
bringen, beim  Südwinde  nicht  so  lange.  Den  Winter  hin- 
gegen halten  sie  weder  in  seichtem,  noch  in  trübem  Wasser 
aus;  daher  fängt  man  sie  grössentheils  um  die  Zeit  des 
Leuchtens  des  Siebengestirns,  weil  dann  die  Flüsse  vorzüg- 
lich trübe  sind.  Des  Nachts  suchen  sie  sich  ihr  Futter. 
Sie  sind  die  einzigen  Fische,  welche  nach  dem  Tode  nicht 
schwimmen.  Im  veronesischen  Gebiete  Italiens  liegt  der 
See  Benacus 5),  durch  welchen  der  Mincius  fliesst;  wenn 
nach  dem  alljährig  ungefähr  im  Monat  October  erfolgenden 
Austritt  des  letztern  der  See  durch   die  herbstliche  Sonne, 


M   Anguilla  Conger.     2)  Anguilla.  Anguilla  fluviatilis.    3)  Conger. 
4)  Pastinacae.  Raja  Pastinaca.    s)  Lago  di  Garda. 


Neuntes  Buch.  183 

-wie  bekannt  ist,  kalt  wird,  so  werden  sie  haufenweise  von 
den  Fluthen  fortgewälzt,  und  zwar  in  so  erstaunlicher 
Menge,  dass  sie  in  eigens  deshalb  gefertigten  Fängen  zu 
Tausenden  beisammen  gefunden  werden. 

39. 

Die  Muräne  *)  laicht  alle  Monate,  während  die  Übrigen 
Fische  diess  nur  in  einem  bestimmten  Monate  thun.  Ihre 
Eier  wachsen  sehr  schnell.  Da  sie  auf's  trockne  Ufer 
kriechen,  so  glaubt  der  gemeine  Mann,  sie  würden  von 
Schlangen  befruchtet.  Aristoteles  nennt  das  befruchtende 
Männchen  Zmyrus.  Sie  sollen  sich  dadurch  von  einander 
unterscheiden,  dass  die  Muräne  bunt  und  schwach,  der 
Zmyrus  aber  einfarbig  und  kräftig  ist,  und  seine  Zähne 
ausserhalb  des  Mundes  hat.  Im  nördlichen  Gallien  haben 
alle  Muränen  an  der  rechten  Kinnlade  7  Flecke  in  Gestalt 
des  grossen  Bären;  diese  glänzen,  so  lange  sie  leben,  gold- 
gelb, und  verschwinden  zugleich  mit  dem  Tode.  An  diesem 
Thiere  fand  der  römische  Ritter  Vedius  Pollio,  einer  von 
den  Freunden  des  Kaiser  Augustus,  ein  Mittel  seine  Grau- 
samkeit auszuüben.  Er  liess  nämlich  verurtheilte  Sclaven 
in  die  Behälter  derselben  werfen,  als  wenn  die  wilden 
Thiere  auf  dem  Lande  dazu  nicht  hinreichend  gewesen 
wären,  sondern  weil  er  bei  andern  Thieren  nicht  so  sehen 
konnte,  wie  der  ganze  Mensch  zerrissen  wurde.  Durch 
den  Genuss  des  Essigs  sollen  sie  vorzüglich  in  Wuth  ge- 
rathen.  Ihre  Haut  ist  sehr  dünn,  dagegen  die  der  Aale 
dicker;  mit  dieser  pflegte  man,  wie  Verrius  erzählt,  die 
Knaben  zu  züchtigen,  und  deshalb  sei  ihnen  keine  Geld- 
strafe auferlegt. 

40. 

Eine  andere  Gattung  der  Plattfische  ist  die,  welche 
^tatt  des  Rückgrats  einen  Knorpel  hat,  wieder  Glatt-Rochen2), 
der  Stechrochen,  der  Meerengel 3),   der  Zitterrochen  4)   und 


')  Muraena  Helena.    2)  Raja.  Raja  Batis  L. 
*)  Squatina.  Squatina  Angelus  Cuv. 
A)  Torpedo.  Raja  Torpedo  L. 


184 


Neuntes  Buch. 


diejenigen,  welchen  die  Griechen  die  Namen:  Ochse,  Lamia,. 
Adler  und  Frosch  gegeben  haben.  Zu  dieser  Anzahl  ge- 
hören auch  die  Haifische1),  obgleich  sie  nicht  platt  sind;, 
ihnen  hat  Aristoteles  zuerst  den  allgemeinen  griechischen 
Namen  ösla%vi  gegeben;  wir  können  sie  am  besten  mit 
dem  Namen  cartilaginea  bezeichnen.  Alle  diese  Fische 
sind  fleischfressend,  und  fressend  auf  dem  Rücken  liegend, 
wie  wir  es  von  den  Delphinen  berichtet  haben.  Und 
während  die  übrigen  Fische  Eier  legen,,  so  gebärt  dieses 
Geschlecht  allein,  gleich  wie  die  sogenannten  Wale,  leben- 
dige Junge,  ausgenommen  der  sogenannte  Frosch  2). 

41. 
Es  giebt  einen  ganz  kleinen  an  Felsen  lebenden  Fisch? 
Namens  Schiffshalter3);  wenn  sich  dieser  an  die  Schiffe 
hängt,  so  glaubt  man,  sie  gingen  langsamer,  und  hiervon 
hat  er  seinen  Namen  erhalten.  Aus  demselben  Grunde 
steht  er  auch  in  dem  Rufe,  ein  Liebesgift  zu  enthalten, 
und  in  Rechtsstreitigkeiten  und  Processen  Aufschub  zu  be- 
wirken; diese  üblen  Eigenschaften  gleicht  er  aber  durch 
eine  gute  wieder  aus,  indem  er  den  Gebärmutterfluss  der 
Schwangern  hemmt,  und  die  Leibesfrucht  bis  zur  richtigen 
Zeit  der  Geburt  zurück  hält.  Gegessen  wird,  er  jedoch  nicht. 
Aristoteles  meint,  er  habe  Füsse,  weil  die  Flossen  auf  ähn- 
liche Weise  gestellt  sind.  Mucianus  hält  ihn  für  eine 
Stachelschnecke  4),  die  breiter  ist  als  die  Purpurschnecke, 
weder  einen  rauhen  noch  runden  Mund,  noch  in  Winkel 
ausgehenden  Schnabel,  sondern  eine  einfache,  sich  auf 
beiden  Seiten  schliessende  Schale  hat.  Als  sie  sich  einst 
an  ein  mit  vollem  Winde  segelndes  Schiff  hingen,  welches 
vom  Periander  die  Nachricht  überbrachte  ,  dass  die  edlen. 
Knaben  verschnitten  werden  sollten,  soll  es  still  gestanden, 
haben,  und  eben  die  Muscheln,  welche  diess  bewirkt  hatten, 
sollen   im  Tempel   der  Venus   zu  Gnidus   verehrt   werden . 


')  Squali.  Squalus  Carchariaa. 

2)  Rana.  Lophius  piscatorius,  der  Seeteufel. 

3)  Echeneis.  Echeneis  remora.     4)  Murex. 


Neuntes  Buch.  185 

Trebius  Niger  sagt,  die  1  Fuss  lang  und  5  Finger  dick 
wären,  vermöchten  Schiffe  festzuhalten;  ausserdem  sollen 
sie,  selbst  eingesalzen,  noch  die  Kraft  haben,  Geld,  welches 
in  die  tiefsten  Brunnen  gefallen  ist,  durch  ihre  Annäherung 
h  erauszuziehen. 

42. 

Die  Menen  verändern  ihre  weisse  Farbe  und 
werden  im  Sommer  schwärzlich.  Auch  die  Phycis  *)  ist 
im  Frühjahr  gefleckt,  die  übrige  Zeit  weiss,  und  der  ein- 
zige Fisch,  welcher  sich  ein  Nest  bauet  und   darin    laicht. 

43. 

Die  Seeschwalbe2)  fliegt  und  ist  dem  Vogel  dieses 
Namens  sehr  ähnlich;  so  auch  die  Seeweihe3).  Auf  die 
Oberfläche  des  Meeres  kommt  ein  Fisch,  der  von  seiner 
Eigenschaft  Seeleuchte4)  genannt  wird,  und  mit  seiner 
feurigen  aus  dem  Munde  gestreckten  Zunge  in  ruhigen 
Nächten  leuchtet.  Der  Hornfisch  5)  erhebt  seine  lV*  Fuss 
langen  Hörner  über  das  Meer,  und  hat  davon  seinen  Namen 
erhalten.  Der  Seedrache6)  wühlt  sich,  wenn  er  gefangen 
und  auf  Sand  geworfen  wird,  mit  seinem  Rüssel  mit  un- 
glaublicher Schnelligkeit  ein  Loch. 

44. 

Einige  Fische  haben  kein  Blut,  und  von  diesen 
wollen  wir  jetzt  handeln.  Es  giebt  deren  3  Gattungen;  zu 
der  ersten  gehören  die  sogenannten  weichen,  dann  folgen 
die  mit  dünnen  Schalen  bedeckten,  und  endlich  diejenigen, 
welche  in  harte  Schalen  eingeschlossen  sind.  Weiche  sind: 
der  Loligo,  die  Sepia,  der  Polyp  7)  und  andere  ähnliche. 
Sie  haben  den  Kopf  zwischen  den  Füssen  und  dem  Leibe 


*)  Petroinyzon  fluviatilis.     2)  Hirundo.  Trigla  volitans. 
3)  Milous.     A)  Lucerna.  Trigla  lucerna  L. 

5)  Cornuta.  Esox  Belone. 

6)  Draco  marinus.  Trachinus  Draco. 

7)  Man  theilt  die  Tintenfische  oder  Sepien  in  2  Klassen:  a)  Oc- 
topoda  (der  Polyp  des  Plinius)  mit  8  gleichlangen  Armen,  b)  Deca- 
poda  mit  10  Armen,  von  den  2  länger  sind.  Dahin  gehören  Lo- 
ligo off.  und  Sepia  off. 


jgß  Neuntes  Buch. 

und  sämmtlich  8  Füsse.  Bei  der  Sepia  und  dem  Loligo 
sind  zwei  Füsse  sehr  lang  und  rauh;  mit  diesen  bringen 
sie  den  Frass  zum  Munde  und  halten  sich  in  den  Wogen, 
gleich  wie  mit  Ankern  darin  fest;  die  übrigen  sind  Fang- 
arme und  dienen  ihnen  zum  Rauben. 

45. 

Der  Loligo  fliegt  sogar,  wenn  er  sich  aus  dem  Wasser 
erhebt;  dasselbe  thun  auch  die  Kammmuscheln  *)  mit 
pfeilartiger  Schnelle.  Die  Männchen  der  Sepiagattung 
sind  gefleckt,  dunkler  gefärbt  und  von  grösserer  Ausdauer. 
Sie  eilen  dem  mit  dem  Dreizack  verwundeten  Weibchen  zu 
Hülfe,  das  Weibchen  hingegen  fliehet,  wenn  das  Männchen 
getroffen  ist.  Beide  aber  lassen,  wenn  sie  merken,  dass 
man  sie  greifen  will,  eine  tintenartige  Flüssigkeit  von  sich, 
die  bei  ihnen  die  Stelle  des  Bluts  vertritt,  und  verbergen 
sich  in  dem  dadurch  verdunkelten  Wasser. 

46. 

Es  giebt  viele  Gattungen  von  Polypen;  die  Land- 
polypen sind  grösser  als  die  Seepolypen.  Alle  bedienen 
sich  ihrer  Arme,  wie  der  Füsse  und  Hände,  des  Schwanzes 
aber,  der  gabelig  und  spitz  ist,  zur  Begattung.  Die  Po- 
lypen haben  eine  Röhre  im  Rücken,  durch  welche  sie  das 
Seewasser  von  sich  geben,  und  die  sie  bald  auf  die  rechte, 
bald  auf  die  linke  Seite  bringen.  Sie  schwimmen  schief 
auf  dem  Kopfe,  der  sehr  hart,  und  so  lange  sie  leben  auf- 
geblasen ist.  Uebrigens  hängen  sie  sich  mittelst  kleiner 
über  die  Arme  verteilter  Saugwarzen  an,  und  halten  den 
ergriffenen  Gegenstand  rücklings  liegend  so  fest,  dass  man 
sie  nicht  losreissen  kann.  Seichte  Orte  lieben  sie  nicht. 
Grössere  können  sich  nicht  so  festhalten  wie  kleinere.  Sie 
sind  die  einzigen  Weichthiere,  welche  auf's  Trockne  gehen, 
nur  muse  der  Boden  rauh  sein,  denn  einen  glatten  haben 
sie  nicht  gern.  Sie  fressen  das  Fleisch  der  Muscheln, 
deren  Schalen    sie    mit    ihren   Armen   umfassen   und   zer- 


•)  Pectunculi.  Pectunculus  subauritus. 


Neuntes  Buch.  187 

drücken,  dalier  erkennt  man  ihren  Aufenthalt  an  den  um- 
herliegenden Schalen.  Und  wenn  man  auch  dieses  Thier 
für  sehr  dumm  halten  muss,  da  es  dem  Menschen  gleichsam 
in  die  Hand  schwimmt,  so  besitzt  es  doch  in  seiner  Lebens- 
weise eine  gewisse  Verschlagenheit.  Es  trägt  alles  in 
seinen  Versteck,  und  wenn  es  die  Schalen  abgenagt  hat, 
so  schafft  es  sie  heraus,  und  macht  Jagd  auf  die  nach 
denselben  herbeischwimmenden  kleinen  Fische.  Es  ver- 
ändert, meistentheils  in  der  Furcht,  seine  Farbe  und  nimmt 
die  der  Umgebung  an.  Dass  es  selbst  an  seinen  Armen 
nage,  ist  unwahr,  denn  diess  geschieht  ihm  von  den  Meer- 
aalen, allein  ebenso  unbegründet  ist  es,  dass  sie  ihm 
wieder  wachsen,  wie  den  Stellionen  und  Eidechsen  die 
Schwänze. 

47. 
Unter  die  vorzüglichsten  Merkwürdigkeiten  gehört  das 
Thier,  welches  Nautilos1),  von  Andern  Pompilos  genannt 
wird.  Es  kommt  auf  dem  Kücken  liegend  auf  die  Ober- 
fläche des  Wassers,  indem  es  sich  dadurch,  dass  es  alles 
Wasser  durch  eine  Röhre  von  sich  giebt,  einer  Last  ent- 
ledigt, um  nun  leicht  schwimmen  zu  können,  beugt  dann 
die  beiden  Vorderarme  zurück,  und  spannt  zwischen  beiden 
eine  äusserst  feine  Haut  aus.  Mit  Hülfe  derselben  segelt 
es,  wenn  der  Wind  weht,  mit  den  übrigen  Armen  rudert 
es,  uud  mit  dem  in  der  Mitte  befindlichen  Schwänze  lenkt 
es  sich  wie  mit  einem  Steuerruder.  So  gleitet  es  auf  der 
Meeresfläche  hin,  und  gleicht  an  Gestalt  einem  liburnischen 
Fahrzeuge;  glaubt  es  sich  aber  nicht  sicher,  so  schluckt 
es  Wasser  ein  und  taucht  unter. 

48. 
Zu  dem  Geschlechte  der  Polypen  gehört  auch  die 
Ozäna,  sogenannt  von  dem  starken  Gerüche  ihres  Kopfes, 
weshalb  sie  auch  von  den  Muränen  verfolgt  wird.  Die 
Polypen  verbergen  sich  2  Monate  lang,  leben  nicht  über 
.2  Jahre,  und  sterben  stets  an  der  Abzehrung,  die  Weibchen 


•)  Nautilus  Pompilius,  das  Schiffsboot,  der  Segler. 


Ig^  Neuntes  Buch. 

noch  schneller,  und  bald  nachdem  sie  geboren  haben.  Wir 
dürfen  die  unter  L.  Lucullus,  dem  Proconsul  in  Bätika,  ge- 
machten Erfahrungen  über  die  Polypen,  welche  Trebius 
Niger,  einer  seiner  Begleiter  veröffentlicht  hat,  nicht  mit 
Stillschweigen  übergehen.  Sie  sollen  nämlich  sehr  begierig 
nach  Muscheln  sein,  diese  aber  schliessen  sich  bei  der  Be- 
rührung, schneiden  dadurch  den  Polypen  die  Arme  ab,  und 
bekommen  so  von  dem  Räuber  selbst  Frass.  Die  Muscheln 
entbehren  des  Gesichts,  auch  jedes  andern  Sinnes,  ausge- 
nommen für  das  Essen  und  die  Gefahr.  Daher  stellen 
ihnen  die  Polypen  nach,  wenn  sie  offen  sind,  und  legen 
einen  Stein  zwischen  die  Schalen,  aber  nicht  nahe  an  den 
Körper,  damit  er  nicht  durch  dessen  Bewegung  heraus  ge- 
worfen werde;  so  gehen  sie  nun  sicher  auf  ihren  Raub  los 
und  ziehen  das  Fleisch  heraus ,  jene  suchen  sich  zu 
schliessen,  aber  wegen  des  eingeschobenen  Keils  vergebens. 
So  besitzen  selbst  die  unvollkommensten  Thiere  einen 
hohen  Grad  von  Schlauheit.  Derselbe  Autor  sagt  ferner 
es  gäbe  kein  Thier  im  Wasser,  welches  den  Menschen  auf 
eine  grausamere  Weise  umbrächte.  Wenn  es  nämlich 
Schiffbrüchige  oder  Taucher  anfällt  und  mit  ihnen  kämpft, 
so  umklammert  es  sie,  saugt  sich  mit  seinen  vielen  Sang- 
näpfen fest  und  zieht  sie  tief  hinab;  wird  es  aber  umge- 
dreht, so  erschlafft  seine  Kraft,  denn  so  wie  es  auf  dem 
Rücken  liegt,  streckt  es  seine  Arme  auseinander.  Was 
dieser  Schriftsteller  sonst  noch  von  ihnen  erzählt,  klingt 
seltsam  genug.  Zu  Carteja  bei  den  Fischhändlern  pflegte 
ein  Polyp  aus  dem  Meere  in  die  offnen  Behälter  derselben 
zu  gehen,  und  ihre  eingesalzencn  Fische  zu  plündern  (denn 
merkwürdigerweise  gehen  alle  Seethiere  dem  Gerüche  der 
Salzlake  nach,  weshalb  man  auch  die  Netze  damit  be- 
streicht), und  zog  durch  sein  anhaltendes  Rauben  den  Un- 
willen der  Aufseher  auf  sich.  Diese  hatten  ihm  zwar  hohe 
Zäune  entgegengesetzt,  allein  er  überstieg  sie  durch  Hülfe 
eines  Baumes  und  konnte  bloss  durch  das  Spüren  der 
Hunde  erwischt  werden.  Diese  umringten  ihn,  als  er  einst 
des  Nachts  wieder  zurückging,  und  riefen  durch  Bellen  die 


Neuntes  Buch.  189 

Aufseher  herbei,  welche  sich  über  das  unerwartete  Schau- 
spiel nicht  wenig  entsetzten,  denn  er  war  von  unerhörter 
Grösse,  sah  wie  von  Salzbrühe  überzogen  aus  und  ver- 
breitete einen  fürchterlichen  Gestank.  Wer  hätte  hier  einen 
Polypen  erwartet  oder  unter  dieser  Gestalt  erkannt?  Sie 
glaubten  es  mit  einem  Ungeheuer  zu  thun  zu  haben;  denn 
er  trieb  die  Hunde  mit  schrecklichen  Blasen  von  sich, 
peitschte  sie  bald  mit  seinen  äussersten  Armen,  schlug 
bald  auf  sie  mit  seinen  stärkern  Armen  wie  mit  Keulen, 
und  konnte  nur  mit  Mühe  durch  viele  Dreizacke  getödtet 
werden.  Sie  zeigten  dem  Lucullus  den  Kopf  dieses  Thieres, 
der  so  gross  war  wie  ein  Fass,  welches  15  Amphoren 
fassen  kann,  und  (um  mich  der  eigenen  Worte  des  Trebius 
zu  bedienen)  seine  Barte  *),  die  kaum  mit  zwei  Armen  um- 
spannt werden  konnten,  waren  so  stark  wie  Keulen,  sie 
hatten  eine  Länge  von  30  Fuss  und  ihre  Saugnäpfe  oder 
Kelchlein  fassten  eine  Urne.  Die  Zähne  waren  der  Grösse 
des  Thieres  angemessen.  Der  Ueberrest,  welcher  der  Merk- 
würdigkeit wegen  aufbewahrt  wurde,  wog  700  Pfund.  Dass 
auch  Sepien  und  Loligen  von  solcher  Grösse  an  der  dor- 
tigen Küste  ausgeworfen  werden,  erzählt  derselbe  Schrift- 
steller. In  unserm  Meere  werden  Loligen  von  5  und 
Sepien  von  2  Cubitus  gefangen;  auch  sie  werden  nur 
2  Jahre  alt. 

49. 
Ein  anderes  ähnliches  Segeltbier  will  Mutianus  im 
Propontis  gesehen  haben;  es  soll  eine  Muschel  sein,  die 
wie  ein  kleines  Fahrzeug  2)  gestaltet  sei,  ein  eingebogenes 
Hintertheil  und  geschnäbeltes  Vordertheil  habe.  In  diese 
setze  sich  das  Nauplium,  ein  der  Sepia  ähnliches  Thier, 
bloss  um  sich  in  Gesellschaft  zu  vergnügen,  was  auf 
zweierlei  Art  geschieht;  wenn  nämlich  das  Meer  ruhig  ist, 
so  schlägt  dieser  Schiffer 3)  mit  herabhängenden  Händen 
das  Wasser,   wie   mit  Rudern,   wenn   aber  der  Wind  dazu 


M  barbae,  d.  i.  Arme.    2)  acatium. 
3)  Nämlich  das  Nauplium. 


jcjQ  Neuntes  Buch. 

«inladet,  so  streckt  er  dieselben  aus,  um  sie  als  Steuer- 
ruder zu  gebrauchen,  und  lenkt  die  Beugung  der  Muschel 
dem  Winde  entgegen.  Bei  dieser  besteht  das  Vergnügen 
darin,  dass  sie  jenes  trägt,  bei  letzterm,  dass  es  lenkt,  uud 
so  haben  2  stumpfsinnige  Geschöpfe  zu  gleicher  Zeit  einen 
Genuss;  wenn  darin  nur  nicht  (und  diess  ist  bekannt)  für 
die  Schiffer  ein  trauriges  Zeichen  und  die  Ursache  zu 
menschlichem  Unglücke  läge. 

50. 
Die  Krabben1)  sind  mit  einer  zerbrechlichen  Schale 
bedeckt,  gehören  zu  den  blutlosen  Thieren  uud  halten  sich 
5  Monate  lang  verborgen;  Aehnlichkeit  mit  ihnen  haben 
die  Krebse 2),  welche  sich  zu  derselben  Zeit  verkriechen, 
beide  aber  streifen  zu  Anfang  des  Frühlings,  wie  die 
Schlangen,  ihre  alte  Decke  ab,  und  bekommen  neue 
Schalen.  Die  übrigen  Wasserthiere  schwimmen  im  Wasser, 
die  Krabben  aber  bewegen  sich  kriechend  fort.  Wenn  sie 
keine  Furcht  anwandelt,  so  nehmen  sie  eine  gerade  Rich- 
tung, und  stecken  die  Hörner,  welche  auf  eigene  Weise 
gerundet  und  zugespitzt  sind,  zur  Seite  aus;  sind  sie  aber 
in  Furcht,  so  tragen  sie  dieselben  aufrecht  und  schwimmen 
auf  der  Seite  liegend  schief  fort.  Mit  den  Hörnern 
kämpfen  sie  auch  untereinander.  Diess  ist  das  einzige 
Thier,  welches,  wenn  es  nicht  lebendig  in  Wasser  gekocht 
wird,  keine  festen  Theile  am  Fleische  hat.  Sie  leben  an 
steinigen  Orten,  die  Krebse  aber  an  schlammigen.  Im 
Winter  gehen  sie  an  sonnige  Ufer,  im  Sommer  in  schattiger 
Tiefen  zurück.  Alle  Thiere  dieser  Art  magern  im  Winter 
ab,  werden  aber  im  Herbst  und  Frühlinge  fett,  und  be- 
sonders zur  Zeit  des  Vollmondes,  weil  diess  Gestirn  durch 
seinen  lauen  Schein  die  Nächte  milde  macht. 

51. 
Arten  derKrebse  sind  die  Carabi,  Astaci 3),  Majae4) 


*)  Locustae.    2)  Cancri. 

3)  Astacus  fluviatilis,  der  Flusskrebe.    4)  Maja  Squinado. 


Neuntee  Buch.  191 

Paguri  *)  Heracleotici,  Leones  und  andere  weniger  be- 
deutende. Die  Carabi  unterscheiden  sich  von  den  übrigen 
Krebsen  durch  ihren  Schwanz.  In  Phönicien  heissen  sie 
Innslq  2),  und  besitzen  eine  solche  Schnelligkeit,  dass  man 
sie  nicht  einholen  kann.  Die  Krebse  leben  lange  und 
haben  8  Füsse,  welche  sämmtlich  schief  gebogen  sind,  der 
vorderste  Fuss  ist  bei  dem  Weibchen  doppelt,  bei  dem 
Männchen  einfach.  Ausserdem  haben  sie  2  mit  gezähnten 
Zangen  (Scheeren)  versehene  Arme.  Der  obere  Theil  an 
diesen  vordem  Extremitäten  ist  beweglich,  der  untere  un- 
beweglich; der  rechte  Arm  der  grösste  von  allen.  Zuweilen 
versammeln  sich  alle  Krebse,  können  aber  die  Mündung 
des  Pontus  nicht  durchschwimmen,  kehren  daher  wieder 
um,  und  man  sieht  dann  deutlich  den  Weg,  welchen  sie 
nehmen. 

Der  sogenannte  Muschelwächter3)  ist  der  kleinste 
in  dieser  Gattung,  und  daher  auch  den  Nachstellungen  sehr 
ausgesetzt.  Er  besitzt  die  Schlauheit,  in  die  leeren  Auster- 
schalen, und  wenn  er  grösser  wird,  in  grössere  zu  kriechen. 

Die  Krebse  gehen  bei  Gefahr  mit  derselben  Schnellig- 
keit auch  rückwärts,  und  kämpfen  unter  sich  wie  Widder,, 
indem  sie  mit  den  Hörnern  gegeneinander  rennen.  Gegen 
den  Schlangenbiss  liefern  sie  ein  Heilmittel.  Wenn  die 
Sonne  in  das  Zeichen  des  Krebses  tritt,  soll  sich  ihr  Körper 
nach  dem  Tode  auf  dem  Trocknen  in  einen  Scorpion  um- 
wandeln. 

Hierher  gehören  auch  die  Seeigel  *),  welche  statt  der 
Füsse  Stacheln  haben.  Ihr  Gehen  ist  ein  Wälzen  im 
Kreise;  daher  findet  man  sie  oft  mit  abgenutzten  Stacheln. 
Diejenigen  unter  ihnen,  welche  die  längsten  Dornen  und 
die  kleinsten  Saugnäpfe  haben,  heissen  Echinometrä.  Nicht 
alle   haben    ein    und    dieselbe    glasartige   Farbe.    In    der 


')  Cancer  Pagurus,  Taschenkrebs. 

5)  Springer.  Cancer  Cursor  L. 

3)  Pinnotheres.  Cancer  Mytilorum  (Pinnotheres  MytilorunO. 

A)  Echini.  Echinus  esculentus. 


192  Neuntes  Buch. 

Gegend  von  Torone  giebt  es  weisse  mit  kleinen  Stacheln. 
Die  Eier  bei  allen  sind  bitter,  und  ihrer  5  an  der  Zahl. 
Der  Mund  ist  in  der  Mitte  des  Körpers  und  gegen  die 
Erde  gekehrt.  Man  sagt,  sie  wüssten  vorher,  wenn  ein 
Meeressturm  ausbräche,  und  bedeckten  sich  dann  mit  zu- 
sammengetragenen Steinchen,  um  ihre  Beweglichkeit  zu 
hemmen,  und  zu  verhindern,  dass  ihre  Stacheln  durch  das 
Umwälzen  leiden.  Sowie  diess  die  Schiffer  gewahrt  werden, 
halten  sie  sogleich  das  Schiff  durch  Auswerfen  mehrerer 
Anker  an. 

Ferner  gehören  hierher  die  Wasser-  und  Land- 
schnecken, welche  sich  aus  ihrem  Gehäuse  heraus- 
strecken, und  zwei  Hörner  haben,  die  sie  ausdehnen  und 
zusammenziehen.  Weil  ihnen  die  Augen  fehlen,  untersuchen 
sie  den  Weg  mit  den  Hörnern. 

Auch  die  im  Meere  lebenden  Kammmuscheln1) 
werden  zu  diesen  Thieren  gerechnet  und  verbergen  sich 
gleichfalls  bei  grosser  Kälte  und  Hitze;  ebenso  die  Nagel- 
muscheln2), welche  im  Finstern,  sogar  im  Munde  derer, 
welche  sie  essen,  wie  Feuer  leuchten. 

52. 

Eine  festere  Schale  haben  die  Stachelschnecken  3)  und 
die  verschiedenen  Muschelarten,  in  denen  sich  eine 
grosse  Mannigfaltigkeit  des  Naturspiels  zeigt.  Was  für 
verschiedene  Farben,  wie  vielerlei  Gestalten  giebt  es  hier! 
Flache,  hohle,  längliche,  mondförmige,  kreisförmig  gewun- 
dene, im  Halbkreis  durchschnittene,  höckrige,  glatte,  runzelige, 
gezähnte,  gestreifte,  an  der  Spitze  purpurschneckenförmig 
gewundene,  mit  spitz  auslaufendem,  auswärts  gehendem, 
nach  Innen  sich  wickelndem  Rande!  Ferner  unterscheidet 
man  gestreifte,  haarförmige,  krause,  röhrig  oder  kammartig 
getheilte,  schuppige,  wellenförmige,  gegitterte  oder  netz- 
förmige, schiefe,  gerade,  dichte,  ausgestreckte,  buchtige, 
durch  kleine  Knoten  verbundene,  mit  der  ganzen  Seite  zu- 
sammenhängende, zum  Klatschen  geöffnete,  zum  Blasen  ge- 


!)  Pectines.  Pecten  maximus.     -)  Ungues.    s)  Murices. 


Neuntes  Buch.  193 

krümmte.  Von  diesen  bewegen  sich  die  Venusmuscheln1) 
auf  die  Weise,  dass  sie  den  hohlen  Theil  dem  Winde  ent- 
gegen richten  und  so  auf  dem  Meere  segeln.  Die  Kamm- 
muscheln  springen,  fliegen  aus  dem  Wasser,  u;id  fahren 
auch  selbst  darauf  umher. 

53. 

Aber  warum  erwähne  ich  solche  Kleinigkeiten,  da  die 
Verdorbenheit  der  Sitten  und  der  Luxus  von  nichts  mehr 
als  von  den  Muscheln  Nahrung  zieht?  Gewiss  ist  unter 
allen  Schöpfungen  der  Natur  das  Meer  auf  so  mannigfaltige 
Weise,  durch  so  viele  Speisen,  so  viele  Leckereien  von 
Fischen,  deren  Preise  sich  nach  der  Gefahr  der  Fischer 
richten,  dem  Bauche  am  allerverderblichsten.  Doch,  wie 
unbedeutend  erscheint  diess  noch,  wenn  wir  die  Purpur- 
schnecken, Conchylien  und  Perlen  bedenken?  Man  war 
nicht  damit  zufrieden,  die  Schätze  des  Meeres  in  die  Kehle 
zu  versenken,  nein,  sie  mussten  auch  an  den  Händen, 
Ohren,  am  Kopfe,  ja  am  ganzen  Körper  vom  weiblichen 
und  männlichen  Geschlechte  getragen  werden.  Was  hat 
das  Meer  mit  den  Kleidern  zu  thun?  Was  die  Wogen  mit 
der  Wolle?  Diese  nehmen  uns  eigentlich  nur  nackend  auf. 
Mag  sich  der  Bauch  mit  dem  Meere  befreunden,  wozu  die 
Haut?  Nicht  genug,  dass  wir  mit  Gefahr  Anderer  essen, 
wir  wollen  uns  auch  damit  kleiden,  und  uns  gefällt  am 
ganzen  Körper  das  am  meisten,  was  mit  Lebensgefahr 
herbeigeschafft  ist. 

54. 

Den  ersten  Rang  und  höchsten  Preis  unter  allen 
Dingen  behaupten  nämlich  die  Perlen.  Die  meisten 
kommen  zu  uns  aus  dem  indischen  Ocean,  zwischen  so 
■vielen  und  grossen  von  mir  bereits  angeführten  Seethieren, 
über  so  viele  Meere,  aus  einem  so  entfernten  brennend 
heissen  Lande  her,  und  selbst  die  Indier  suchen  sie  nur 
an  wenigen  Inseln.  Am  fruchtbarsten  ist  in  dieser  Be- 
ziehung Taprobane  und  Stoidis,  wie  ich  schon  bei  der  Be- 


•)  Veneriae.  Venus  Dione. 

Wittstein:  Plinius.     II.  Bd.  13 


194  Neuntes  Buch. 

Schreibung  der  Erde  gesagt  habe  *);  ferner  das  Vorgebirge 
Perimula  in  Indien.  Vorzüglich  aber  wird  die  arabische 
Küste  im  persischen  Meerbusen  des  rothen  Meeres  als 
perlenreich  gepriesen. 

Der  Ursprung  und  die  Entstehung  der  P  e  r  1  e n m u  s c h  e  1 2) 
ist  nicht  viel  von  der  der  Austermuscheln  verschieden. 
Wenn  die  zur  Zeugung  bestimmte  Stunde  den  Reiz  in  ihnen 
erweckt  hat,  so  öffnen  sie  sich,  gleichsam  als  wenn  sie 
gähnten,  und  werden,  wie  man  sagt,  vom  Thau  befruchtet; 
hierauf  gebären  sie,  und  die  Geburten  dieser  Muscheln 
sollen  die  Perlen  sein,  deren  Qualität  sich  nach  dem  em- 
pfangenen Thau  richtet.  War  der  Thau  rein,  so  sind  die 
Perlen  von  glänzend  weisser  Farbe;  war  er  aber  trübe,  so 
wird  auch  die  Frucht  unrein,  und  sie  ist  blass,  wenn 
während  der  Empfängniss  der  Himmel  drohend  umwölkt 
war.  Hieraus  geht  hervor,  dass  sie  mehr  Gemeinschaft 
mit  dem  Himmel  als  mit  der  Erde  haben;  denn  von  jenem 
erhalten  sie  eine  wolkige,  oder  je  nach  der  Klarheit  am 
Morgen,  eine  mehr  oder  weniger  helle  Farbe.  Wenn  sie 
sich  zu  rechter  Zeit  sättigen,  wächst  auch  die  Frucht. 
Wenn  es  blitzt,  schliessen  sich  die  Muscheln,  und  ver- 
kleinern sich,  je  nachdem  sie  Hunger  leiden  müssen. 
Wenn  es  aber  donnert,  so  erschrecken  sie,  schliessen  sich 
plötzlich,  und  bringen  die  sogenannten  Perlblasen  3)  hervor, 
welche  nur  die  Gestalt  einer  aufgeblasenen  Perle  haben, 
inwendig  hohl  und  die  Fehlgeburten  der  Muscheln  sind. 
Die  gesunden  Geburten  bestehen  nämlich  aus  vielfachen 
Häuten,  so  dass  man  sie  füglich  für  einen  Auswuchs  des 
Körpers  halten  könnte.  Von  Kunstverständigen  werden  sie 
gereinigt.  Ich  wundere  mich,  dass  sie  so  sehr  vom  Himmel 
abhängen,  von  der  Sonne   geröthet   werden   und,   wie   der 


')  VI.  '24.  und  28  Cap. 

2)  Es  giebt  mehrere  Muschelarten,  welche  Perlen  führen;  die 
schönsten  haben  die  Mytilus  margaritifer  und  Mya  margaritifera. 
Von  diesen  kommt  auch  das  beste  Perlmutter.  Die  eigentliche  Ent- 
stehungsart der  Perlen  ist  bis  jetzt  noch  unbekannt. 

3)  Physemntfi. 


Neuntes  Buch.  195 

menschliche  Körper,  ihre  Weisse  verlieren.  Daher  ent- 
halten diejenigen  Muscheln  die  vorzüglichsten  Perlen,  welche 
zu  tief  im  Meere  liegen,  um  von  den  Sonnenstrahlen  er- 
reicht zu  werden.  Jedoch  auch  diese  werden  durchs  Alter 
gelb,  bekommen  Runzeln,  und  haben  nur  in  der  Jugend 
den  Glanz,  um  deswillen  sie  gesucht  sind.  Sie  werden 
sogar  dicker  im  Alter,  hängen  fest  an  den  Muscheln,  und 
können  nur  mittelst  einer  Feile  losgemacht  werden.  Die- 
jenigen, welche  nur  auf  einer  Seite  schön  und  rund,  auf 
der  andern  aber  flach  sind,  heissen  deshalb  Paukenperlen 1). 
Ich  habe  Perlen  gesehen,  welche  in  der  Perlmutter,  die 
man  dieser  Merkwürdigkeit  wegen  zur  Aufbewahrung  von 
Balsam  benutzte,  zusammengewachsen  waren.  Uebrigens 
sind  die  Perlen  im  Wasser  weich,  erhärten  aber  sogleich, 
wenn  sie  daraus  genommen  werden. 

55. 
Die  Perlmuschel  schliesst  sich,  sowie  sie  eine  Hand 
bemerkt,  und  verbirgt  ihre  Schätze,  wohl  wissend,  dass 
man  ihr  deshalb  nachstellt.  Kommt  ihr  die  Hand  zuvor, 
so  schneidet  sie  dieselbe  mit  ihren  scharfen  Rändern  ab, 
und  keine  Strafe  ist  gerechter  als  diese.  Sie  wird  auch 
noch  durch  andere  Strafen  geschützt,  denn  der  grössere 
Theil  derselben  befindet  sich  zwischen  Klippen,  und  auf 
dem  hohen  Meere  werden  sie  sogar  von  Seehunden  be- 
gleitet. Allein  dessen  ungeachtet  lassen  sich  die  Frauen 
nicht  abhalten,  sie  in  den  Ohren  zu  tragen.  Einige  er- 
zählen, wie  bei  den  Bienen,  wären  auch  bei  grossen 
Schaaren  von  Perlmuscheln  einige  durch  Grösse  und  Alter 
sich  auszeichende  gleichsam  die  Anführer,  und  diese 
wüssten  mit  grosser  Schlauheit  den  Nachstellungen  auszu- 
weichen; daher  würden  sie  von  den  Tauchern  emsig  auf- 
gesucht, denn  hielte  man  diese  gefangen,  so  Hesse  sich  der 
übrige  Schwärm  leicht  von  den  Netzen  einschliessen.  Sie 
werden  dann  in  irdenen  Gefässen   mit   vielem   Salz   über- 


')  Tympänia. 

13" 


jC)ß  Neuntes   Buch. 

schüttet,    welches    alles    Fleisch    herausbeizt,    und    einige 
feste  Körner,  d.  i.  die  Perlen,  zu  Boden  fallen  lässt. 

56. 
Dass    die    Perlen    durch     den    Gebrauch     abgenutzt 
werden    uud    bei    nicht   sorgfältiger  Behandlung   die  Farbe 
verändern,   ist   ausser  Zweifel.     Ihr    ganzer  Werth   besteht 
in  ihrer  Weisse,  Grösse,  Runde,  Glätte  und  Schwere,  Eigen- 
schaften, die  so   selten  sind,    dass   niemals    2    vollkommen 
gleiche  vorkommen;    daher    hat   ihnen    auch    der   römische 
Luxus  den  Namen  „Einheiten"1)    gegeben,   denn   bei    den 
Griechen  ist  dieser  Name   nicht   gebräuchlich,   und    selbst 
bei  den  Barbaren,   welche    sie    zuerst   fanden,    heissen    sie 
nicht  anders  als  Margariten.     Auch  in  der  Weisse   ist    ein 
grosser  Unterschied;  die  am  rotben  Meere   vorkommenden 
sind   heller.     Die   indischen    gleichen    den    Schuppen     des 
Spiegelsteins 2),    und    zeichnen    sich    ausserdem   durch   ihre 
Grösse    aus.     Am    höchsten    schätzt   man    die    sogenannten 
alaunfarbigen.     Auch    die    länglichen    stehen    im    Werthe; 
heissen    Elenchen,   laufen   in    eine    lange    Spitze    aus    und 
endigen  nach  Art  der  Balsambüchsen  in  eine  volle  Rundung. 
Diese  an  die  Finger,  und  je  zwei  oder  drei    in    die  Ohren 
zu  hängen,  gehört    bei    den  Damen    zum    höchsten  Glänze. 
Mir  fallen  die  Namen  davon  nicht    ohne  Widerwillen    ein, 
da  sie  durch  die  verderblichste  Sehwelgerei  ersonnen  sind. 
Sie  nennen  nämlich  einen  solchen  Schmuck  eine  Klapper3), 
gleichsam  als  wenn  sie  sich  selbst  an  dem  durch   das  Zu- 
sammenschlagen bewirkten  Klange  ergötzen  wollten.    Sogar 
die  Armen  trachten  schon  darnach,  und  sagen,   eine  Perle 
sei   der  Lictor   einer   Dame   beim   Publikum 4).     Selbst  au 
den  Füssen,  und  nicht  bloss  an  den  Schuhviemen,    sondern 
überall  an  den  Schuhen  bringt  man  sie  au.     Nicht  genug 

')  Uniones. 

2)  Lapis  specularis,  das  sogenannte  Fraueneis.  Vgl.   XXXVI.  B. 
45.  Cap. 

3)  Crotalium.  * 

4)  D.  h.  sie  flösse  Respekt   ein,   und  man    würde  einer    solchen 
Dame  ehrerbietig  Platz  machen. 


Neuntes  Buch.  li)7 

dass   man   Perlen   trägt,   nein,   man   will   auch   auf  ihnen 
gehen. 

In  unserm  Meere,  und  noch  häufiger  in  der  Nähe  des 
thracischen  Bosporus,  findet  mau  in  den  Muscheln  kleine 
röthlicbe,  welche  Myä  heissen,  und  in  Acärnanien  von  der 
Steckmuschel  r)  erzeugt  werden,  woraus  sich  ergiebt,  dass 
sie  nicht  bloss  in  Einer  Muschelart  entstehen.  Auch  er- 
zählt Juba,  in  den  arabischen  Gewässern  gäbe  es  eine 
kammähnlich  eingeschnittene,  und  gleich  den  Seeigeln 
stachlige  Muschel,  in  deren  Fleisch  eine  Perle  stecke,  die 
einem  Hagelkorne  ähnlich  wäre.  Dergleichen  Muscheln 
kommen  jedoch  nicht  zu  uns.  Aber  auch  in  Acärnanien 
werden  keine  guten  gefunden;  sie  sind  sehr  gross,  roh  und 
marmorfarbig.  Besser  sind  die  aus  der  Gegend  von  Actium, 
aber  ausserordentlich  klein,  desgleichen  von  der  Küste 
Üauritaniens.  Alexander  Polyhistor  und  Sudines  2)  glauben, 
dass  diese  durch's  Alter  die  Farbe  verlieren. 

57. 

Dass  die  Perlen  einen  durchaus  dichten  Körper 
bilden,  ersieht  man  daraus,  dass  sie  beim  Fallen  niemals 
zerbrechen.  Sie  werden  aber  nicht  immer  mitten  im  Fleisch 
gefunden,  sondern  bald  an  dieser,  bald  an  jener  Stelle.  Ich 
habe  schon  solche  gesehen,  die  am  äussersten  Rande  sassen, 
gleichsam  als  wenn  sie  aus  der  Muschel  heraus  wollten, 
und  in  einigen  befanden  sich  4  oder  5.  Nur  wenige  haben 
bis  auf  diese  Zeit  mehr  als  V2  Unze  und  einige  Scrupel 
gewogen.  Man  weiss,  dass  in  Britannien  kleine  und  farb- 
lose vorkommen,  denn  Julius  Cäsar  gab  den  Brustharnisch, 
welchen  er  in  den  Tempel  der  Venus  Genetrix  weihete, 
für  ein  aus  britannischen  Perlen  gefertigtes  Werk  aus. 

58. 
Lollia  Paulina,  die  Gemalin  des  Kaisers  Cajus,  sah  ich 
einst,  und  zwar  nicht  etwa  bei  einem  wichtigen  und  feier- 
lichen Feste,  sondern  bei   einem  mittelraässigen  Hochzeits- 


')  Pinna.  Pinna  nobilis. 

'-)  Ein  nicht  näher  bekannter  Schriftsteller. 


198  Neuntes  Buch. 

schmause,  mit  Smaragden  und  Perlen,  die  abwechselnd  an 
einander  gefügt  am  ganzen  Kopfe,  in  den  Haaren,  Lockeu, 
Ohren,  am  Halse,  an  den  Händen  und  Fingern  glänzten, 
und  deren  Werth  sich  auf  eine  Summe  von  40,000,000  Se- 
sterzien  belief,  bedeckt.  Sie  selbst  war  sogleich  bereit, 
den  Kaufpreis  durch  Rechnungen  zu  belegen.  Und  diess 
waren  nicht  etwa  Geschenke  des  verschwenderischen  Fürsten, 
sondern  von  ihrem  Gross vater  ererbte,  durch  die  Plünderung 
der  Provinzen  gewonnene  Schätze.  Diess  ist  das  Schicksal 
des  Eaubes;  deshalb  also  nahm  M.  Lollius  x),  der  wegen 
der  Geschenke  der  Könige  im  ganzen  Oriente  berüchtigt 
war,  als  ihm  vom  Cajus  Cäsar,  dem  Sohne  des  Augustus, 
die  Freundschaft  aufgekündigt  war,  Gift  zu  sich,  damit 
seine  Enkelin  mit  einem  Schmucke  von  40,000,000  Sesterzien 
bei  Lichte  glänzen  konnte.  Erwägt  man  nun  einerseits. 
wie  viel  Curius  und  Fabricius  bei  ihren  Triumphen  mit- 
brachten, denkt  man  an  die  aufgehäuften  Bahren  dieser 
Männer,  und  betrachtet  man  andererseits  die  Lollia,  eine 
einzige  Frau  bei  Tische;  sollte  man  da  nicht  wünschen. 
dass  jene  lieber  vom  Triumphwagen  herabgerissen  worden 
wären,  als  dass  sie  solche  Beweise  des  Sieges  geliefert 
hätten? 

Aber  diess  sind  noch  nicht  die  grössten  Beispiele  von 
Verschwendung.  Die  beiden  Perlen,  welche  Cleopatra,  die 
letzte  Königin  von  Aegypteu,  als  ein  Geschenk  orientalischer 
Könige  besass,  waren  von  jeher  die  grössten.  Als  sich 
Antonius  bei  ihr  mit  den  ausgesuchtesten  Leckerbissen 
mästete,  verh&mte  sie  mit  übermüthigem  und  frechem 
Stolze,  wie  es  einer  königlichen  Buhleriu  zukommt,  all' 
seine  Pracht  und  festlichen  Veranstaltungen;  und  als  er 
fragte,  wodurch  sie  seineu  Glanz  noch  erhöhen  könne,  er- 
widerte sie,  sie  wolle  bei  einer  Mahlzeit  10,000,000  Sesterzien 


')  Der  Miteonsul  des  Lepidus  im  J.  21  v.  Chr.  Er  war  von  Au- 
gustus zum  Führer  seines  Sohnes,  des  Cujus  Cäsar  ernannt  worden, 
hatte  sich  aber  vom  Könige  der  Parther  durch  ungeheure  Geschenke 
für  dessen  Pläne  gewinnen  lassen. 


Neuntes  Buch.  199 

verzehren.  Antonius  war  begierig;,  diess  zu  erfahren,  hielt 
es  jedoch  für  unmöglich.  Man  wettete  daher.  Als  sie  am 
folgenden  Tage,  an  welchem  die  Sache  ausgemacht  werden 
sollte,  ein  zwar  prächtiges,  wie  jeden  Tag,  aber  für  Anto- 
nius ganz  gewöhnliches  Mahl  auftragen  liess,  verlachte  sie 
dieser  und  verlangte  die  Rechnung.  Aber  jene  versicherte, 
das  Verwettete  sei  nur  ein  Beiessen,  und  die  bestimmte 
Summe  werde  bei  dieser  Mahlzeit  darauf  gehen,  denn  sie 
allein  wolle  für  10,000,000  Sesterzien  zu  sich  nehmen. 
Darauf  liess  sie  den  Nachtisch  bringen.  Nach  der  gegebenen 
Weisung  setzten  die  Diener  nur  ein  G-efäss  mit  Essig  vor 
sie  hin,  der  so  scharf  und  kräftig  war,  dass  er  Perlen  in 
einen  Schleim  auflöste.  Sie  trug  jenes  ausgezeichnete  und 
in  der  That  einzige  Naturproduct  in  den  Ohren.  Als  nun 
Antonius  in  Erwartung  war,  was  sie  thun  würde,  nahm  sie 
die  eine  ab,  legte  sie  in  den  Essig  und  trank,  nachdem  sie 
aufgelöst  war,  denselben  aus.  Da  griff  L.  Plancus,  der 
Schiedsrichter  dieser  Wette,  sogleich  nach  der  andern,  die 
sie  auf  gleiche  Weise  zu  verzehren  im  Begriff  stand,  und 
erklärte  den  Antonius  für  besiegt;  —  eine  eingetroffene 
Vorbedeutung  *).  Ebenso  berühmt  wurde  die  andere  Perle. 
Als  nämlich  die  in  dieser  so  bedeutenden  Wette  siegreiche 
Königin  gefangen  war,  schnitt  man  die  Perle  durch,  damit 
die  eine  Hälfte  jener  Mahlzeit  sich  in  den  beiden  Ohren 
der  Venus  im  Pantheon  zu  Rom  befände. 

59. 
Doch  auch  die  Perlen  werden  diesen  Vorrang  nicht 
behaupten,  sondern  ihres  Ruhmes  in  der  Ueppigkeit  be- 
raubt werden.  Früher  schon  hatte  Clodius,  der  Sohn  des 
tragischen  Schauspielers  Aesopus,  der  jenen  als  Erben  eines 
grossen  Vermögens  hinterliess,  dasselbe  mit  Perlen  von 
bedeutendem  Werthe  gethan.  Antonius  brauchte  sich  also 
seines  Triumvirats  nicht  sehr  zu  rühmen;  denn  ein  Schau- 
spieler stand  ihm  fast  gleich,  und  dieser  wurde  nicht  ein- 


')  Bald  darauf  verlor  er  die  Schlacht  bei  Actium  gegen  Augustus. 


200  Neuntes  Buch. 

mal  durch  eine  Wette  dazu  verleitet  (wodureh  seine  That 
noch  königlicher  erscheint),  sondern  er  wollte  bloss  zum 
Ruhme  seines  Gaumens  erfahren,  wie  die  Perlen  schmecken. 
Da  ihm  dieser  Geschmack  ausserordentlich  gefiel,  so  gab 
er,  um  es  nicht  allein  zu  wissen,  einem  jeden  Gaste  eine 
Perle  zum  Genuss. 

Zu  Rom  sollen  sie  in  allgemeinen  und  häufigen  Ge- 
brauch gekommen  sein,  nachdem  Alexandrien  unter  unsere 
Herrschaft  gebracht  war.  Fenestella  erzählt,  anfangs,  zu 
den  Zeiten  des  Sulla,  habe  man  bloss  kleine  und  schlechte 
gehabt,  allein  hierin  irrt  er  sich  offenbar,  denn  Aelius  Stilo 
berichtet,  dass  im  jugurthinischen  Kriege  die  grössten 
Perlen  Unionen  genannt  worden  seien. 

60. 

Jedoch  auch  dieser  Gegenstand  bildet  ein  fast  ewiges 
Besitzthum;  er  kommt  auf  den  Erben,  und  wird  wie  ein 
Landgut  veräussert.  Die  Purpurschnecken  und  Conchylien, 
denen  dieselbe  Mutter,  die  Ueppigkeit,  beinahe  gleichen 
Werth  mit  den  Perlen  giebt,  finden  sich  an  jeder  Küste. 
Die  Purpurschnecken1)  leben  höchstens  7  Jahre.  Sie 
verbergen  sich  wie  die  Stachelschnecken2),  beim  Auf- 
gange des  Hundssterns  30  Tage  lang.  Im  Frühlinge  ver- 
sammeln sie  sich,  und  geben  durch  gegenseitiges  An- 
einanderreihen einen  wachsähnlichen  zähen  Saft  von  sich. 
Auf  ähnliche  Weise  machen  es  die  Stachelschnecken. 
Aber  die  Purpurschnecken  haben  den  edelsten  zum  Färben 
der  Kleider  so  gesuchten  Saft  mitten  im  Munde.  Hier  be- 
findet sich  eine  geringe  Menge  Feuchtigkeit  in  einer  weissen 
Ader,  aus  welcher  jene  köstliche  ins  dunkelrosenrothe 
spielende  Farbe  gezogen  wird;  der  übrige  Körper  enthält 
weiter  nichts  davon.  Man  sucht  sie  lebendig  zu  fangen 
weil  sie  beim  Sterben  diesen  Saft  von  sich  geben.  Den 
grössern  Purpurschnecken  nimmt  man  ihn,  nachdem  man 
die  Schale  abgezogen  hat;  die  kleinen  zerquetscht  man 
lebendig  mit  der  Schale,  worauf  sie  den  Saft  von  sich  geben«. 


')  Purpurae.    '-)  Murex. 


Neuntes  Buch.  201 

Der  vorzüglichste  Purpur  in  Asien  ist  der  von  Tyrus,. 
in  Afrika  von  Meninx,  und  an  der  gätulischen  Küste  des 
Oceans,  in  Europa  der  von  Laconien.  Ihm  bahnen  die 
römischen  Bündel  und  Beile  den  Weg  x),  auch  tragen  ihn 
die  vornehmen  Knaben 2)  in  Rom.  Er  unterscheidet  den 
Senator  von  dem  Ritter  3);  man  bedient  sich  seiner  bei  den 
Sühnopfern  der  Götter  4),  und  schmückt  damit  jedes  Kleid. 
Am  Triumphkleide  wird  er  mit  Gold  durchwirkt.  Daher 
sei  die  Sucht  hinsichtlich  des  Purpurs  entschuldigt.  Aber 
warum  steht  die  Muschelfarbe,  welche  beim  Färben  einen 
heftigen. Geruch  verbreitet,  eine  finstere  graugrüne  Farbe 
hat,  und  dem  wüthenden  Meere  ähnlich  sieht,  so  sehr  im 
Preise? 

Die  Zunge  der  Purpurschnecke  hat  die  Länge  eines 
Fingers,  und  mit  ihr  durchbohrt  sie  andere  ihr  zur  Nahrung 
dienende  Conchylien;  von  solcher  Härte  ist  ihr  Stachel. 
In  süssem  Wasser  sterben  sie,  sowie  auch  da,  wo  ein 
Fluss  sich  ins  Meer  ergiesst;  übrigens  leben  sie,  wenn  sie 
gefangen  sind,  noch  50  Tage  von  ihrem  Speichel.  Alle 
Schnecken  wachsen  sehr  schnell,  namentlich  aber  die  Pur- 
purschnecken, und  erreichen  innerhalb  eines  Jahres  ihre 
vollständige  Grösse. 

61. 

Wenn  ich  jezt  in  meinem  Vortrage  zu  etwas  Anderm 
übergehen  wollte,  so  könnte  der  Luxus  in  der  That  glauben, 
er  sei  zu  kurz  gekommen,  und  würde  mich  der  Nachlässig- 
keit beschuldigen.  Daher  will  ich  auch  die  Werkstätten 
beschreiben,  damit  auf  ähnliche  Weise,  wie  man  im  Leben 
die  Behandlung   der  Feldfrüchte   weiss,  Alle,   die    sich   an 


»)  Zu  den  Insignien  der  consularischen  Würde  zu  Rom  gehörte 
ausser  12  Lictoren  und  der  Sella  curulis,  auch  ein  purpurner  Vor- 
stoss  an  der  Toga. 

2)  Daher  hiessen  auch  die  freien  Knaben  bis  zum  männlichen 
Alter  praetextati. 

3)  Beide  trugen  Purpurstreifen  an  der  Tunika,  nur  war  der  der 
Senatoren  breiter  (latus  clavus). 

4)  Auch  die  Priester  trugen  Purpurkleider. 


202  Neuntes  Buch. 

jenen  Dingen  ergötzen,  auch  die  Annehmlichkeiten  ihres 
Lebens  kennen  lernen.  Von  den  Schnecken,  welche  die 
Purpur-  und  Conchylienfarbe  liefern  (denn  der  Stoff  ist  bei 
beiden  derselbe,  und  unterscheidet  sich  nur  durch  die  Be- 
reitungsweise), giebt  es  2  Gattungen.  Die  kleinere  heisst 
Meertrompete  *),  und  hat  ihren  Namen  von  dem  Instrumente2), 
auf  welchem  geblasen  wird,  denn  ihre  Mündung  ist  rund, 
und  am  Rande  eingeschnitten.  Die  andere  heisst  Purpur- 
sehnecke, hat  einen  röhrenförmig  vorgestreckten  Schnabel, 
und  an  der  innern  Seite  der  Röhre  eine  Oeffnung,  durch 
welche  das  Thier  die  Zunge  hervorstrecken  kann.  Ausser- 
dem ist  sie  bis  beinahe  zum  obersten  Gewinde  hin  mit 
Nägeln  versehen,  indem  allemal  7  Stacheln  im  Kreise  bei- 
sammen stehen,  was  bei  der  Meertrompete  nicht  der  Fall 
ist.  Aber  beide  haben  so  viele  Gewinde,  als  sie  Jahre  alt 
sind.  Die  Meertrompete  hängt  sich  nur  an  Felsen  an,  wo 
sie  auch  gefangen  wird.  Die  Purpurschnecken  heissen 
auch  Pelagien.  Es  giebt  mehrere  Arten,  die  sich  durch 
Nahrung  und  Boden  von  einander  unterscheiden.  Die 
Schlammschnecke  3),  welche  vom  faulen  Schlamme,  und  die 
Grasschnecke  4),  welche  vom  Seegras  lebt,  sind  die  schlech- 
testen; besser  ist  die  Landschnecke5),  welche  in  langen 
Reihen  von  Meeresklippen  gefangen  werden,  aber  auch  sie 
giebt  noch  eine  zu  leichte  und  verdünnte  Farbe.  Die  Stein- 
schnecke 6)  hat  ihren  Namen  von  den  Steinen  im  Meere, 
und  eignet  sich  ganz  vorzüglich  zur  Conchylienfarbe;  die 
beste  zur  Purpurfarbe  aber  ist  die  Dialutensische,  d.  h.  die 
auf  verschiedenem  Boden  lebende.  Die  Purpurschnecken 
werden  mit  kleinen,  weitläufig  gestrickten  Netzen,  welche 
man  in's  Meer  wirft,  gefangen.  In  diesen  befindet  sich  eine 
Lockspeise,  nämlich  sich  schliessende  und  beissende  Muscheln, 
wie  z.  B.  die  Mitulia.  Diese  sind  halbtodt,  allein,  wenn  sie 
wieder  in's  Meer  geworfen  werden,  leben  sie,  indem  sie  die 
Schalen  weit  aufsperren,  wieder  auf.   Die  Purpurschnecken 


')  Buccinum.    -)  Buccina,  Trompete.     3)  Lutensis. 
A)  Algensis .     5)  Taeniensis.     6)  Calculensis. 


Neuntes  Buch.  203 

suchen  diese  nun  auf,  und  greifen  sie  mit  vorgestreckter 
Zunge  an;  allein  jene  schliessen  sich,  durch  den  Stachel 
gereizt,  quetschen  die  beissenden,  und  so  werden  die 
durch  ihre  Habgier  festhängenden  Purpurschnecken  herauf- 
gezogen. 

62. 
Die  beste  Fangezeit  ist  nach  dem  Aufgange  des  Hunds- 
sterns oder  vor  dem  Eintritt  des  Frühlings,  weil  nach  ihrer 
Schleimabsonderung  die  Säfte  flüssiger  sind.  Allein  in  den 
Färbereien  weiss  man  diess  nicht,  obgleich  sehr  viel 
darauf  ankommt.  Man  nimmt  dann  die  Ader  heraus,  von 
der  ich  sagte *),  und  thut  das  nöthige  Salz  hinzu,  etwa 
1  Sextarius  auf  100  Pfund,  lässt  sie  aber  nicht  länger  als 
3  Tage  damit  in  der  Beize;  denn  ihre  Kraft  ist  um  so 
grösser,  je  frischer  sie  sind.  Man  siedet  sie  dann  in  einem 
bleiernen  Kessel,  lässt  jede  100  Amphoren  zu  500  Pfund 
einkochen,  und  darauf  alles  bei  massiger  Wärme  in  einer 
langen  Ofenröhre  stehen.  Wenn  nun  auf  diese  Weise  die 
Fleischtheilchen,  die  nothwendigerweise  an  den  Adern  hängen 
müssen,  nach  und  nach  abgeschöpft  sind,  so  taucht  man 
ohngefähr  am  10.  Tage  etwas  gereinigte  Wolle  zur  Probe 
in  den  flüssigen  Inhalt  des  Kessels,  und  lässt  den  Saft  so 
lange  in  der  Hitze,  bis  er  der  Erwartung  entspricht.  Die 
röthliche  Farbe  ist  schlechter  als  die  schwärzliche.  In 
5  Stunden  färbt  sich  die  Wolle;  dann  wird  sie  gekrämpelt 
und  wieder  hineingelegt,  bis  sie  alle  Farbe  in  sich  gesogen 
hat.  Das  Buccinum  für  sich  taugt  nicht,  weil  seine  Farbe 
verschiesst;  wenn  sie  aber  mit  der  der  Pelagien  verbunden 
wird,  giebt  sie  der  allzugrossen  Schwärze  der  letztem  jenes 
Feuer  und  jenen  Glanz  des  Scharlachs,  der  so  sehr  gesucht 
wird.  So  wird  durch  Vermischung  beider  Kräfte  die  eine 
durch  die  andere  gehoben  oder  gebunden.  Man  braucht 
zu  50  Pfund  Wolle  200  Pfund  Buccinum-  und  111  Pfund 
Pelagien-Farbe.     Dadurch    erhält    man   jene    vortreffliche 


')  Im  60.  Cap. 


204:  Neuntes  Buch. 

Amethystfaibe.  Will  man  aber  die  tyrische  Farbe  hervor- 
bringen, so  wird  die  Wolle  zuerst  mit  der  pelagischen  ge- 
sättigt, wenn  sie  noch  ungekocht  und  roh  im  Kessel  ist, 
und  dann  erst  mit  der  buccinischen.  Diese  Farbe  wird 
am  meisten  geschätzt,  wenn  sie  wie  geronnenes  Blut  aus- 
sieht, von  oben  herab  betrachtet  schwärzlich,  von  der  Seite 
gesehen  aber  gläuzend  erscheint.  Daher  nennt  auch  Homer 
das  Blut  purpurfarbig  l). 

63. 

Wie  ich  finde,  war  der  Purpur  von  jeher  in  Rom  im 
Gebrauche,  allein  Romulus  hatte  ihn  nur  an  der  Trabea2); 
denn,  dass  Tullus  Hostilius  unter  den  Königen  der  erste 
war,  der  nach  Besiegung  der  Etrusker  die  verbrämte 
Toga3)  und  den  breiten  Purpurstreifen4)  trug,  ist 
hinlänglich  bekannt.  Cornelius  Nepos,  der  unter  der  Re- 
gierung des  Kaisers  Augustus  starb,  sagt:  „In  meiner  Jugend 
war  der  violette  Purpur  Mode,  von  dem  das  Pfund 
100  Denare  kostete,  nicht  lange  nachher  aber  der  taren- 
tinische.  Diesem  folgte  der  doppelt  gefärbte  tyrische,  von 
dem  man  das  Pfund  nicht  unter  1000  Denaren  kaufen 
konnte.  Dem  Aedilis  curulis  P.  Lentulus  Spinther  wurde 
es  zum  Vorwurf  gemacht,  dass  er  sich  desselben  zuerst  an 
der  Prätexta  bediente,  und  wer,  fährt  er  fort,  besucht  nicht 
ietzt  schon  in  diesem  Purpur  Gastmähler?"  Spinther  war 
Aedil  im  Jahre  691  der  Stadt  Rom,  unter  dem  Consulate 
Cicero's.  Was  zweimal  gefärbt  war,  nannte  man  damals, 
gleichsam  wegen  des  kostbaren  Aufwandes,  Diphaba.  Jetzt 
werden  fast  alle  beliebteren  Purpurstoffe  auf  solche  Weise 
gefärbt. 

64. 

Zu  einem  conchylienfarbigen  Kleide  werden  die- 
selben Ingredienzien  ausser  dem  Buccinum  gebraucht;  über- 


»)  lliade  XV.  360. 

2)  Amtskleid  der  Augurn  und  Ritter,   zur  Kaiserzeit  Staatskleid 
der  Consuln,  kürzer  als  die  Toga. 

3J  Toga  praetexta.     '')  Latior  clavus. 


Neuntes  Buch.  205 

diess  vermischt  man  den  Saft  mit  Wasser,  und  setzt  gleiche 
Theile  menschlichen  Urin  hinzu;  auch  bedarf  man  noch 
halbmal  so  viel  von  den  Farbstoffen.  So  entsteht  jene  ge- 
priesene blasse  Farbe,  wenn  sie  ihr  Dunkel  verloren  hat, 
und  sie  wird  um  so  heller,  je  mehr  die  Wolle  einsaugt. 
Die  Preise  der  Farben  sind  zwar  um  so  niedriger,  je  er- 
giebiger eine  Küste  daran  ist;  dass  jedoch  100  Pfund  Pe- 
lagien  niemals  über  500,  und  ebenso  viele  Buccinen  nie 
über  100  Sesterzien  kommen,  mag  denen  zur  Nachricht 
dienen,  welche  dergleichen   zu  Ungeheuern  Preisen    kaufen. 

65. 
Doch  ist  man  mit  dem  Einen  fertig,  so  fängt  man 
wieder  etwas  Anderes  an;  man  treibt  ein  Spiel  mit  seinem 
Aufwände,  sucht  den  Luxus  durch  Mischung  zu  verdoppeln, 
und  selbst  die  Verfälschungen  der  Natur  auf's  Neue  zu 
fälschen.  So  färbt  man  Schildkrötenscbalen  l),  schmelzt 
Gold  und  Silber  zusammen,  um  Electrum  2)  zu  machen,  und 
setzt  noch  andere  Metalle  hinzu,  um  das  corinthische  Erz  3) 
zu  erhalten.  Man  begnügt  sich  nicht  damit,  dem  Edelsteine 
Amethyst  seinen  Namen  genommen  zu  haben,  denn  wenn 
die  Amethystfarbe  fertig  ist,  tränkt  man  sie  wieder  mit 
tyrischer,  so  dass  aus  beiden  ein  verdorbener  Name4) 
und  zugleich  eine  doppelte  Verschwendung  hervorgehen; 
und  ist  die  Conchylienfarbe  fertig,  so  glaubt  man,  sie  ginge 
besser  in  die  tyrische  über.  Die  Reue  muss  diess  zuerst 
erfunden  haben,  indem  nämlich  ein  Künstler  eine  Farbe, 
die  ihm  missfiel,  umänderte.  Daher  der  Ursprung  dieses 
Verfahrens.  Seltsame  Menschen  fanden  an  dem,  was  ein 
Fehler  hervorgebracht  hatte,  Gefallen,  und  dadurch,  dass 
man  eine  Farbe  mit  einer  andern  bedeckte,  und  behauptete, 
sie  sei  dadurch  angenehmer  und  milder  geworden,  wurde 
dem  Luxus  eine  neue  Bahn  eröffnet.  Ja  man  mischt  sogar 
erdige  Theile  darunter,  und  überzieht  das  mit  tyrischer 
Farbe    Behandelte    noch    mit    Coccus,    um    ein    gewisses 


')  Vgl.  XVI  B.  84.  Cap. 

2)  Vgl.  XXXIII.  B.  23.  Cap.     3)  Vgl.  XXXIV.  B.  3.  Cap. 

*)  Color  tyriamethystus. 


206  Neuntes  Buch. 

Dunkelroth1)  zu  erzeugen.  Der  Coccus 2),  eine  rothe 
Beere,  die  in  Galatien  oder  in  der  Umgegend  von  Emerita 
in  Lusitanien  vorkommt,  und  von  der  ich  bei  den  Landge- 
wächsen reden  werde,  ist  sehr  beliebt.  Die  einjährige 
Beere  giebt,  um  bei  dieser  Gelegenheit  die  vornehmsten 
Farbestoffe  durchzugehen,  eine  matte  Farbe,  die  von  der 
vierjährigen  verschiesst  ganz.  Es  hat  also  weder  die  junge 
noch  die  alte  Beere  besondere  Kräfte.  Somit  haben  wir 
denn  die  Dinge,  wodurch  das  männliche  und  weibliche  Ge- 
schlecht seine  Schönheit  am  meisten  zu  erhöhen  glaubt, 
zum  Ueberfluss  abgehandelt. 

66. 

Zu  der  Gattung  der  Muscheln  gehört  auch  die  Steck- 
muschel3). Sie  lebt  in  Sümpfen,  ist  stets  aufgerichtet, 
und  niemals  ohne  Begleiter,  welcher  Muschelwächter4) 
oder  Pinnophylax  heisst.  Diess  ist  eine  kleine  Krabbe  5) 
oder  Krebs,  der  auf  folgende  Weise  seinem  Frasse  nach- 
geht. Die  Pinne  öffnet  ihre  Schalen,  und  giebt  ihren 
darin  befindlichen  augenlosen  Körper  den  kleinen  Fischen 
preis.  Diese  eilen  sogleich  herbei,  und  füllen,  indem  sie 
durch  diese  Erlaubniss  immer  kühner  werden,  die  Schalen 
an.  Diesen  Zeitpunkt  nimmt  der  Begleiter  wahr,  und  giebt 
ihr  durch  einen  leichten  Biss  ein  Zeichen.  Jene  drückt  zu, 
tödtet  dadurch  alles,  was  darin  ist,  und  theilt  mit  ihrem 
Gefährten  den  Raub. 

67. 

Um  so  mehr  wundere  ich  mich,  dass  Einige  behauptet 
haben,  die  Wasserthiere  hätten  keinen  Sinn.  Der  Zitter- 
fisch6) kennt  seine  Kraft,  ohne  selbst  betäubt  zu  sein, 
verbirgt  sich  im  Schlamme,  ergreift  die  sorglos  über  ihm 
hinschwimmenden  Fische   und   macht  sie  erstarren.     Seine 


J)  Hysginus. 

2)  Die  Scharlachbeere,  vergl.  XVI.  B.  12.  Cap.  XXII.  3.  XXIV.  4. 

3)  Pinna.  Pinna  nobilis. 

•'*)  Pinnotheres.  Cancer  Mytilorum.     s"i  Sqtrilla 
6)  Torpedo.  Raja  Torpedo. 


Neuntes  Buch.  207 

Leber  wird  wegen  ihrer  Zartheit  allem  andern  Fleische 
vorgezogen.  Nicht  geringer  ist  die  Geschicklichkeit  eines 
Frosches,  der  im  Meere  lebt  und  der  Fischer1)  genannt  wird. 
Er  streckt,  nachdem  er  das  Wasser  getrübt  hat,  seine  unter 
den  Augen  hervorragenden  Hörner  aus,  und  zieht  die  her- 
beieilenden kleinen  Fische  zu  sich  hin,  bis  sie  ihm  so  nahe 
kommen,  dass  er  sie  durch  den  Sprung  erreichen  kann. 
Auf  ähnliche  Weise  machen  es  auch  der  Meerengel 2)  und 
die  Scholle  3);  verborgen  strecken  sie  ihre  Flossen  aus  und 
bewegen  sie,  als  wenn  es  Würmer  wären;  ebenso  die  soge- 
nannten Rajen.  Auch  der  Stachel  röche  raubt  vom  Ver- 
steck aus,  indem  er  die  voriiberschwimmenden  Fische  mit 
seinem  Stachel  (der  ihm  als  Speer  dient)  durchbohrt.  Ein 
Beweis  dieser  Geschicklichkeit  ist,  dass  man  unter  diesen 
Fischen,  welche  doch  die  langsamsten  sind,  welche  findet, 
die  eine  Meeräsche,  ein  pfeilschnelles  Thier,  im  Bauche 
haben.  —  Die  den  Land-Scolopendern  ähnlichen  Wasser- 
Scolopen der,  welche Hundert-Füssler  heissen,  speien,  wenn 
sie  einen  Angelhaken  verschluckt  haben,  alles  was  sie  im 
Leibe  haben  so  lange  aus,  bis  der  Haken  wieder  heraus 
ist,  und  fressen  es  dann  wieder.  Die  Seefüchse  4)  hingegen 
schlucken,  wenn  sie  in  ähnlicher  Gefahr  sind,  die  Angel 
immer  weiter  hinunter,  bis  sie  den  schwachen  Faden  in 
den  Hals  kriegen,  welchen  sie  dann  leicht  abbeissen. 
Noch  vorsichtiger  ist  der  Wels;  er  beisst  von  hinten  in 
die  Angel  und  verschluckt  sie  nicht,  sondern  frisst  den 
Köder  ab.  Der  Meerwidder5)  raubt  wie  ein  Strassen- 
räuber;  bald  verbirgt  er  sich  im  Schatten  grosser  Schifte, 
die  still  stehen,  und  lauert,  bis  Einem  die  Lust  zu 
schwimmen  anwandelt;  bald  streckt  er  seinen  Kopf  aus 
dem  Wasser  hervor,  schauet  nach  Fischerbooten,  schwimmt 
verborgen  hinzu  und  versenkt  sie. 


1)  Piscatrix.  Lophius  piscatorius,  der  Seeteufel. 

2)  Squatina.  Squatina  Angelus. 

3)  Rhombus.  Pleuronectes  Rhombus. 

4)  Vulpes  marinae.  Squalus  Alopecia  L.    5)  Aries. 


208  Neuntes  Buch. 

68. 

Daher  bin  ich  der  Meinung,  dass  auch  diejenigen  Ge- 
schöpfe einen  Sinn  haben,  welche  weder  Thiere  noch 
Pflanzen  sind,  sondern  eine  dritte  aus  beiden  zusammenge- 
setzte Natur  haben;  ich  meine  die  Seenesseln1)  und 
Seeschwämme 2).  Die  Nesseln  schweifen  des  Nachts 
umher  und  verändern  sich,  haben  fleischige  Zweige  und 
leben  von  Fleisch.  Sie  erregen,  gleichwie  die  Landnesseln, 
auf  der  Haut  ein  brennendes  Jucken;  sie  ziehen  sich  näm- 
lich so  steif  als  möglich  zusammen,  breiten,  wenn  ein 
kleiner  Fisch  vorbeischwimmt,  ihre  Aeste  auseinander,  um- 
schlingen und  verzehren  ihn.  Ausserdem  sieht  diess  Thier 
einer  welkenden  Nessel  ähnlich,  lässt  sich,  gleich  wie  das 
Seegras,  von  den  Wellen  umhertreiben,  und  fällt  die  von 
ihm  berührten  Fische  au,  wenn  sie  sich  an  Steinen  reiben, 
um  dadurch  die  juckende  Stelle  zu  kratzen.  Des  Nachts 
stellt  es  den  Kammmuscheln  und  Seeigeln  nach.  Wenn 
es  merkt,  dass  sich  ihm  eine  Hand  nähert,  verändert  es 
die  Farbe  und  zieht  sich  zusammen.  Wird  es  berührt,  so 
verursacht  es  ein  Brennen,  und  wenn  es  nur  ein  wenig 
Zeit  hat,  verbirgt  es  sich.  Den  Mund  soll  es  unten  am 
Körper  haben,  und  seinen  Unrath  ganz  oben  durch  eine 
dünne  Röhre  von  sich  lassen. 

69. 

Von  den  Schwämmen  sind  nur  3  Grattungen  bekannt. 
Diejenige,  welche  dicht,  sehr  hart  und  rauh  ist,  wird 
Tragos  3)  genannt;  die  dichte  und  weichere  heisst  Manos  4), 
und  die  dünne  und  dichte,  aus  der  man  Pinsel  verfertigt, 
Achilleum.  Sie  erzeugen  sich  alle  an  Felsen  und  nähren 
sich  von  Muscheln,  Fischen  und  Schlamm.  Dass  sie  nicht 
ganz  stumpfsinnig  sind,  geht  daraus  hervor,  weil,  wenn  sie 
merken,  dass  man  sie  greifen  will,  sie  sich  zusammen- 
ziehen, in  welchem  Zustande  sie  sich  schwieriger  abreissen 
lassen.     Ebenso  machen  sie  es  beim  Wellenschlage.     Dass 


')  Urticae.  Actininae  Cuv:    2)  Spongiae. 

s)  Spongia  fasciculata  Pallas.    4)  Spongia  officinalis  L. 


Neuntes  Buch.  209 

sie  wirklich  fressen,  zeigt  sich  deutlich  an  den  kleinen 
Muscheln,  die  man  in  ihnen  findet.  In  der  Umgegend  von 
Torone x)  sollen  sie  sogar,  nachdem  sie  abgerissen  sind, 
noch  fressen,  und  aus  dem  zurückgebliebenen  Wurzeln  sich 
wieder  erneuern.  An  den  Felsen  kleben  sogar  Spuren  von 
ihrem  Blute,  besonders  von  denen,  die  an  den  afrikanischen 
Syrten  wohnen.  Die  grössten  und  weichsten  wachsen  an 
der  Küste  von  Libyen.  Im  tiefen  Meere  aber,  wo  kein 
Wind  auf  sie  einwirkt,  sind  sie  immer  weicher.  Im  Helles- 
ponte sind  sie  rauh,  und  bei  Malea  dicht.  An  sonnigen 
Orten  faulen  sie,  daher  diejenigen  in  den  Tiefen  die  besten. 
Im  lebenden  Zustande  haben  sie  ebenso,  wie  wenn  sie  nass 
gemacht  werden,  eine  dunklere  Farbe.  Sie  hängen  weder 
theilweise  noch  ganz  und  gar  fest,  denn  sie  enthalten  etwa 
vier  bis  fünf  hohle  Röhren,  durch  welche  sie,  wie  man 
glaubt,  ihre  Nahrung  zu  sich  nehmen.  Sie  haben  auch 
noch  andere  Röhren,  die  aber  oben  verschlossen  sind.  Auch 
nimmt  man  unter  ihren  Wurzeln  eine  Art  Haut  wahr.  Es 
ist  gewiss,  dass  sie  lange  leben.  Die  schlechtesten  unter 
ihnen  sind  die,  welche  Ungewaschene  2)  heissen,  denn  man 
kann  sie  nicht  auswaschen;  sie  enthalten  grosse  Röhren, 
und  ihr  übriger  Körper  ist  sehr  dicht. 

70. 
Hauptsächlich  sind  es  die  vielen  Hundsfische3), 
welche  die  nach  Schwämmen  suchenden  Taucher  in  grosse 
Gefahr  versetzen.  Diese  Leute  erzählen,  es  entstände  über 
ihren  Köpfen  eine  Art  dicker,  an  Gestalt  den  Plattfischen 
ähnlicher  Wolke,  welche  sie  niederdrücke  und  am  Auf- 
steigen hindere.  Sie  führten  deshalb  auch  sehr  spitzige 
Eisen  an  Stricken  befestigt  bei  sich,  weil  jene  Wolken  nicht 
eher  zurückwichen,  bis  sie  dieselben  durchstochen  hätten. 
Meiner  Meinung  nach  rührt  diese  Erscheinung  von  der 
Finsterniss   und  Furcht    her,   denn    eine  Wolke  oder  einen 


')  Stadt  in  Macedonien  an  einem  nach  ihr  benannten  Meerbusen. 

2)  Aplysiae.  Spongia  fistularis  L. 

3)  Caniculae.  Squalus  Canicula  L. 

\V   ttBtein:  Plinius.     II.  Bd.  14 


210  Neuntes  Buch. 

Nebel  (wie  sie  dieses  Uebel  nennen)  hat  noch  Niemand 
unter  den  Thieren  bemerkt.  Dagegen  ist  der  Kampf  mit 
den  Hundsfischen  äusserst  gefährlich.  Diese  fallen  den 
Unterleib,  die  Fersen,  und  alles,  was  am  Körper  weiss  ist, 
an.  Die  einzige  Rettung  besteht  darin,  ihnen  entgegen  zu 
gehen  und  sie  dadurch  in  Schrecken  zu  setzen,  denn  sie 
fürchten  den  Menschen  ebensosehr,  als  sie  ihn  erschrecken. 
In  der  Tiefe  bleibt  der  Vortheil  auf  beiden  Seiten  gleich, 
kommen  sie  aber  an  die  Oberfläche  des  Wassers,  so  wird 
der  Kampf  gefährlich  und  schwankend,  indem  dem  TaucherT 
wenn  er  versucht  emporzukommen,  die  Gelegenheit  be- 
nommen ist,  ihm  entgegen  zu  gehen.  Nur  von  seinen  Ge- 
fährten kann  er  dann  dadurch  Hülfe  erwarten,  dass  sie  ihn 
an  einem  an  den  Schultern  befestigten  Seile  heraufziehen; 
an  diesem  zuckt  der  Kämpfer,  zum  Zeichen,  dass  er  in 
Gefahr  ist,  mit  der  linken  Hand,  während  seine  rechte  das 
spitzige  Eisen  zur  Vertheidigung  führt.  Das  Ziehen  ge- 
schieht im  Allgemeinen  langsam,  sowie  aber  der  Fisch  in 
die  Nähe  des  Fahrzeugs  gekommen  ist,  muss  der  Mann 
mit  der  grössten  Schnelligkeit  heraufgerissen  werden,  sonst 
wird  er  verschlungen.  Oft  sogar  werden  die  Taucher,  wenn 
sie  schon  hervorgezogen  sind,  den  Ziehenden  aus  den 
Händen  geraubt,  wenn  sie  diesen  beim  Ziehen  nicht  dadurch 
helfen,  dass  sie  ihren  Körper  wie  einen  Ball  zusammen- 
krümmen. Einige  strecken  zwar  ihre  Dreizacke  vor,  allein 
das  Ungeheuer  ist  so  klug,  unter  die  Schiffe  zu  kriechen 
und  so  aus  einem  sichern  Hinterhalte  zu  kämpfen.  Daher 
untersucht  man  vorher  so  genau  als  möglich,  ob  dieser 
Feind  vorhanden  ist.  Am  sichersten  ist  man,  wenn  man 
Plattfische  wahrgenommen  hat,  denn  diese  zeigen  sich  nie- 
mals da,  wo  Raubfische  sind;  und  aus  diesem  Grunde 
nennen  die  Taucher   letztere  Fische  „heilige". 

71. 

Von  den  in  steinharte  Schalen  eingeschlossenen 
Thieren  muss  mau  zugeben,  dass  sie  keine  Sinne  haben, 
z.  B.  von  den  Austern.   Viele  haben  die  Natur  der  Pflanzen. 


Neuntes  Buch.  211 

wie  die  Holothurien  *),  die  Seelungen  und  Seesterne  2).  So 
^giebt  es  also  nichts,  was  nicht  auch  im  Meere  erzeugt 
wird;  sogar  die  Sommerthiercheu  der  Wirthshäuser,  die 
durch  ihr  schnelles  Springen  beschwerlich  fallen,  und  die, 
welche  vorzüglich  das  Haupthaar  birgt,  finden  sich  darin, 
und  werden  oft  klumpenweise  am  Köder  herausgezogen. 
Einige  aber  entstehen  selbst  in  den  Fischen,  und  unter 
diese  gehört  der  Chalcis  3). 

72. 
Selbst  schreckliche  Gifte  fehlen  nicht,  wie  z.  B.  im 
Seehasen 4),  der  im  indischen  Meere  schon  dur^h  blosse 
Berührung  vergiftet,  und  auf  der  Stelle  Brechen  und  Durch- 
fall erregt.  Er  bildet  eine  unförmliche  Fleischmasse,  die 
in  unserm  Meere  nur  der  Farbe  nach,  in  den  indischen  Ge- 
wässern nur  durch  Grösse  und  Haar  den  Hasen  ähnlich 
sieht,  obgleich  letzteres  etwas  härter  ist;  auch  wird  er  dort 
nie  lebendig  gefangen.  Ein  ebenso  giftiges  Thier  ist  der 
Araneus,  der  durch  die  Spitze  seines  auf  dem  Rücken  be- 
findlichen Stachels  schädlich  wird.  Allein  es  giebt  wohl 
nichts  Entsetzlicheres,  als  der  Stachel,  welcher  am  Schwänze 
des  Stachelrochen  5)v  der  bei  uns  Pastinaca  heisst,  hervor- 
ragt, und  5  Uncien  lang  ist.  Bäume,  in  deren  Wurzel  er 
damit  gestochen,  sterben  ab;  durch  Waffen  dringt  er,  wie 
ein  Speer,  er  hat  die  Kraft  des  Eisens  und  wirkt  wie 
ein  Gift. 

73. 
Dass  ganze  Geschlechter  von  Fischen  von  Krank- 
heiten befallen  werden,  wie  diess  bei  den  übrigen,  sogar 
den  wilden  Thieren  der  Fall  ist,  darüber  finde  ich  keine 
Angaben.  Dass  aber  einzelne  Erkrankungen  vorkommen, 
sieht  man  deutlich  an  der  Magerkeit  mancher,  während 
andere  von  derselben  Gattung  gefangen  werden,  die  sehr 
fett  sind. 


*)  Holothuria  tubulosa.    2)  Stellae.  Asteriae  Cuv: 

3)  Eine  kleine  Wespenart.    4)  Lepus.  Aplysia  depilans. 

8)  Trygon.  Raja  Pastinaca. 

14* 


212  Neuntes  Buch. 

74. 

Die  Wissbegierde  und  Bewunderung  der  Menschen  er» 
laubt  nicht,  dass  ich  die  Art  und  Weise  ihrer  Fort- 
pflanzung länger  aufschiebe.  Die  Fische  begatten  sich 
durch  Aneinanderreihen  ihrer  Bäuche,  und  zwar  mit  einer 
solchen  Schnelligkeit,  dass  man  es  kaum  bemerkt;  bei  den 
Delphinen  und  den  übrigen  Walen  geschieht  es  auf  ähn- 
liche Weise,  nur  dauert  es  etwas  länger.  Das  Weibchen 
folgt  zur  Begattungszeit  dem  Männchen,  und  stösst  es  mit 
der  Schnauze  an  den  Bauch,  während  der  Laichzeit  aber 
folgen  die  Männchen  auf  gleiche  Art  den  Weibchen,  und 
fressen  von  den  Eiern  derselben.  Zur  Zeugung  ist  aber 
die  Begattung  allein  nicht  hinreichend,  wenn  nicht  die 
Männchen  auf  die  gelegten  Eier  ihren  belebenden  Saft 
spritzen.  Dieser  trifft  jedoch  bei  der  ausserordentlichen 
Menge  der  Eier,  nicht  alle,  denn  sonst  würden  die  Meere 
und  Seen  mit  Fischen  angefüllt  werden,  da  jedes  Weibchen 
unzählige  hat.  Die  Eier  der  Fische  wachsen  im  Meere, 
einige  mit  der  grössten  Schnelligkeit,  wie  die  der  Muränen, 
andere  etwas  langsamer. 

Die  Plattfische,  denen  weder  Schwanz  noch  Stacheln 
im  Wege  sind,  und  die  Schildkröten,  steigen  bei  der  Be- 
gattung aufeinander.  Die  Polypen  hängen  sich  mit  einem 
Arme  an  die  Nase  des  Weibchens,  die  Sepien  und  Loligen 
begatten  sich  mit  den  Zungen,  wobei  sie  ihre  Arme  um- 
einander schlingen  und  gegeneinander  schwimmen,  gebären 
auch  aus  dem  Munde.  Dagegen  begatten  sich  die  Polypen 
mit  zur  Erde  gerichtetem  Kopfe;  die  übrigen  Weichthiere 
von  hinten  wie  die  Hunde;  so  auch  die  Locusten  und 
Squillen;  die  Krebse  mit  dem  Munde.  Die  Frösche  steigen 
aufeinander,  indem  das  Männchen  mit  den  Vorderfüssen 
die  Achseln  und  mit  den  Hinterfüssen  die  Lenden  des 
Weibchens  fasst.  Ihre  Jungen  sind  kleine  schwarze  Fleisch- 
klumpen, welche  man  Kaulquappen  *)  nennt,  und  an  denen 


')  Gyrines. 


Neuntes  Buch.  213 

man  bloss  Augen  und  einen  Schwanz  unterscheiden  kann. 
Bald  nachher  bilden  sich  die  Füsse  aus,  und  der  Schwanz 
spaltet  sich  in  die  Hinterbeine.  Es  ist  auch  merkwürdig, 
dass  sie,  wenn  sie  Va  Jahr  alt  sind,  sich  in  Schlamm  auf- 
lösen, ohne  dass  es  Jemand  sieht,  und  wiederum  im 
Frühlingswasser  sich  ebenso  beleben,  wie  sie  zuvor  waren. 
Die  Natur  muss  daher  hierbei  stets  sehr  geheimnissvoll  zu 
Werke  gehen,  da  diess  doch  alle  Jahre  erfolgt. 

Auch  die  Miessmuscheln  *)  und  Kammmuscheln  bringt 
die  Natur  von  selbst  in  sandigen  Orten  hervor.  Diejenigen, 
welche  härtere  Schalen  haben,  wie  die  Murices,  Purpur- 
schnecken, entstehen  aus  einem  speichelartigen  Schleime, 
sowie  die  Mücken 2)  aus  einer  säuerlichen  Feuchtigkeit; 
die  Apuä  aus  warmem  Meerschaume,  wenn  es  darauf  ge- 
regnet hat.  Diejenigen  aber,  welche  mit  einer  steinartigen 
Hülle  bedeckt  sind,  wie  die  Auster,  entstehen  aus  faulem 
Schlamme,  oder  aus  dem  Schaume,  welcher  längere  Zeit 
an  Schiffen,  eingerammten  Pfählen  und  namentlich  am 
Holze  gestanden  hat.  Vor  Kurzem  hat  man  in  Austernteichen 
die  Entdeckung  gemacht,  dass  ihnen  ein  milchartiger 
Zeugungssaft  ausfliesst.  Die  Aale  reiben  sich  an  Steinen, 
und  das  Abgeriebene  belebt  sich;  auf  andere  Weise  pflanzen 
sie  sich  nicht  fort.  Fische  verschiedener  Gattungen  be- 
gatten sich  nicht,  ausgenommen  der  Meerengel  mit  dem 
Rochen,  und  aus  dieser  Vermischung  entstehen  Fische,  die 
am  Vordertheile  dem  Rochen  ähnlich  sind,  und  bei  den 
Griechen  einen  aus  beiden  zusammengesetzten  Namen 
führen. 

Einige  werden  zu  einer  gewissen  Jahreszeit,  sowohl 
im  Wasser  als  auf  dem  Lande  erzeugt.  Im  Frühlinge  die 
Kammmuscheln,  Wegschnecken  3)  und  Meerschwalben;  eben 
diese  verschwinden  auch  wieder  zu  einer  bestimmten  Zeit. 
Unter  den  Fischen  laichen  der  Seewolf4)  und  Trichias, 
sowie  alle  Steinfische  zweimal  im  Jahre;  die  Meerbarben5) 


')  Mituli.  2)  Culices.  3)  Limaces.  4)  Lupus.  Anarrhichas  Lupus. 
5)  Mulli.  Mullus  barbatus. 


214  Neuntes  Buch. 

und  der  Chaleis  dreimal,  der  Karpfen *)  sechsmal,  die- 
Scorpionen  zweimal,  und  die  Meerbrassen 2)  im  Frühling 
und  im  Herbst.  Unter  den  Plattfischen  der  Meerengel 
allein  zweimal,  im  Herbst  und  beim  Untergange  des  Sieben- 
gestirns. Die  meisten  Fische  in  den  drei  Monaten:  April, 
Mai,  Juni.  Die  Salpen  im  Herbst,  die  Sargen,  der  Zitter- 
rochen und  die  Haie  zur  Zeit  des  Aequinoctiums;  die  Weich- 
fische im  Frühlinge,  die  Sepia  alle  Monate.  Die  Eier  der 
letztern,  welche  vermittelst  eines  schwarzen  Leimes  trauben- 
artig zusammenhängen,  bläst  das  Männchen  fortwährend 
an,  sonst  werden  sie  unfruchtbar.  Die  Polypen  begatten 
sich  im  Winter,  legen  im  Frühjahre  ihre  Eier  in  Gestalt 
einer  gewundenen  Weinranke  und  sind  so  fruchtbar,  dass 
die  leere  Kopfhöhle  eines  getödteten  Polypen  die  vielen 
Eier  nicht  fassen  kann,  da  sie  doch  während  ihrer  Träch- 
tigkeit darin  lagen.  Am  50.  Tage  kriechen  sie  aus,  viele 
aber  kommen  wegen  der  Ungeheuern  Menge  um.  Die  Lo- 
custen  und  die  übrigen  mit  dünnen  Schalen  legen  Eier  auf 
Eier  und  brüten  sie  aus.  Das  Weibchen  vom  Polypen 
sitzt  -bald  auf  den  Eiern,  bald  verschliesst  es  die  Höhle 
mit  kreuzweise  durcheinandergeschlungenen  Armen.  Die 
Sepia  laicht  auf  dem  Lande  zwischen  Schilf,  oder  wo  See- 
gras wächst,  und  am  15.  Tage  kriechen  die  Jungen  aus. 
Die  Loligen  legen  im  Meere  zusammengehäufte  Eier  wie 
die  Sepien.  Die  Purpurschnecken,  Murices  und  andere 
dieses  Geschlechts  gebären  im  Frühlinge.  Die  Seeigel 
haben  zur  Zeit  des  Vollmondes  im  Winter  ihre  Eier  und 
die  Schnecken  kommen  im  Winter  aus. 

75. 
Der  Zitterrochen  wird  mit  80  Jungen  im  Leibe  ge- 
funden; er  erzeugt  in  sich  sehr  weiche  Eier,  und  bringt  sie 
an  eine  andere  Stelle  der  Gebärmutter,  woselbst  sie  dann 
ausschlüpfen.  So  verhält  es  sich  mit  allen  Thieren,  welche 
wir  knorpelige  genannt  haben.  Daher  kommt  es,  dass  sie 
allein  unter  allen  Fischen  lebendige  Junge  zur  Welt  bringen 


»)  Cyprinus.  Cyprinus  Carpio.    *)  Sargi.  Sargus  raucus. 


Neuntes  Buch.  215 

und  Eier  erzeugen.  Der  männliche  Wels  ist  der  einzige 
Fisch,  der  die  gelegten  Eier  bewacht,  und  zwar  oft  50  Tage 
lang,  damit  sie  nicht  von  andern  Thieren  verzehrt  werden. 
Die  übrigen  Weibchen  bringen  in  3  Tagen  die  Jungen 
aus,  wenn  das  Männchen  sie  berührt  hat. 

76. 

Der  Hornhecht x)  oder  Belone  ist  der  einzige  Fisch, 
dessen  Gebärmutter  wegen  der  Menge  der  Eier  beim 
Laichen  platzt;  nachher  wächst  die  Wunde  wieder  zu. 
Dasselbe  soll  auch  bei  den  Blindschleichen 2)  stattfinden. 
Die  Seemaus  legt  ihre  Eier  in  ein  in  der  Erde  ausge- 
scharrtes Loch  und  bedeckt  sie  wieder  mit  Erde;  am 
30.  Tage  gräbt  sie  sie  wieder  auf,  öffnet  sie,  und  führt  die 
Jungen  in's  Wasser. 

77. 

Die  Rothfische  und  Channen  3)  sollen  eine  Sc  ha  am 
haben;  das  Thier,  welches  bei  den  Griechen  Trochus  4)  ge- 
nannt wird,  soll  sich  selbst  begatten.  Die  Jungen  aller 
Wasserthiere  können  anfangs  nicht  sehen. 

78. 

Vom  Alter  der  Fische  habe  ich  neulich  ein  merk- 
würdiges Beispiel  erfahren.  Pausilypum  ist  eine  Villa  in 
Campanien,  nicht  weit  von  Neapel;  dort  soll,  wie  Annäus 
Seneca  schreibt,  in  den  Fischteichen  Cäsars  ein  von  Pollio 
Vedius  hineingesetzter  Fisch  nach  dem  60.  Jahre  gestorben 
sein,  und  zwei  andere  ebenso  alte,  von  derselben  Gattung, 
sollen  damals  noch  gelebt  haben.  Diese  Erwähnung  der 
Fischteiche  erinnert  mich,  noch  etwas  mehr  darüber  zu 
sagen,  bevor  ich  die  Wasserthiere  verlasse. 

79. 

Austernteiche  hat  zuerst  Sergius  Orata  zu  Bajä,  zur 
Zeit  des  Redners  L.  Crassus,  vor  dem  Marsischen  Kriege 
erfunden,  jedoch  nicht,  weil  er  lecker  war,  sondern  aus 
Habsucht,  weil  er   aus  dieser  seiner  Erfindung  grosse  Ein- 


')  Acus.  Esox  Betone.    2)  Serpentes  caeci. 
3)  Perca  cabrilla  L.     4)  Kreiselschnecke. 


21(3  Neuntes  Buch. 

künfte  zog.  Er  war  auch  der  erste,  der  die  hängenden 
Bäder  errichtete,  mit  denen  er  Landgüter  versah,  die  er 
dann  wieder  verkaufte.  Er  erkannte  zuerst  den  lucrinischen 
Austern  den  besten  Geschmack  zu,  denn  Wasserthiere  eines 
und  desselben  Geschlechts  sind  oft  an  einem  Orte  besser 
wie  an  dem  andern,  so  z.  B.  die  Hechte  in  dem  Tiber 
zwischen  den  beiden  Brücken,  die  Schollen  zu  ßavenna,  die 
Muränen  in  Sicilien,  der  Eidechsenfisch  *)  auf  ßhodus,  und 
so  weiter,  um  nicht  den  ganzen  Küchenzettel  durchzuführen. 
Damals,  als  Orata  die  lucrinischen  Austern  so  zu  Ansehen 
brachte,  waren  die  britannischen  Küsten  noch  nicht  unter- 
worfen. Später  gab  man  sich  die  Mühe,  aus  dem  entfern- 
testen Theile  Italiens,  von  Brundisium,  Austern  zu  holen, 
und  damit  wegen  dieser  2  Leckereien  kein  Streit  ent- 
stände, kam  man  vor  Kurzem  auf  den  Gedanken,  die  von 
der  langen  Reise  von  Brundisium  her  ausgehungerten  im 
lucrinischen  See  wieder  auszufüttern. 

80. 

In  demselben  Zeitalter,  aber  etwas  früher,  erfand  Lici- 
nius  Muräna  Teiche  für  die  übrigen  Fische;  seinem 
Beispiele  folgten  bald  mehrere  angesehene  Männer,  wie 
Philippus  uud  Hortensius.  Lucullus  Hess  sogar  einen  Berg 
bei  Neapel  ausstechen,  was  ihm  mehr  kostete  als  die  Er- 
bauung seiner  Villa,  und  leitete  einen  Canal  vom  Meere 
aus  hinein;  darum  nannte  ihn  Pompejus  der  Grosse  den 
römischen  Xerxes.  Nach  seinem  Tode  wurden  aus  diesem 
Teiche  für  4,000,000  Sesterzien  Fische  verkauft. 

81. 

Einen  Teich  für  Muränen  erfand  zu  seinem  eigenen 
Gebrauche  zuerst  C.  Hirrius,  der  zu  den  Triumphmahlen 
des  Dictators  Cäsar  6000  Stück  Muränen  lieh;  denn  für 
Geld  oder  andere  Waare  wollte  er  sie  nicht  weggeben. 
Die  Fischteiche  auf  seinem  nicht  sehr  grossen  Landgute 
verkaufte  man  zu  4,000,000  Sesterzien.  Nachher  riss  die 
Liebhaberei  für   einzelne  Fische   ein.     Bei  Bauli   im  Baja- 

')  Elops.  Elops  Saurus. 


Neuntes  Buch.  217 

irischen  hatte  der  Redner  Hortensius  einen  Fischteich,  in 
welchem  sich  eine  Muräne  befand,  die  er  so  liebte,  dass 
er  geweint  haben  soll,  als  sie  gestorben  war.  Auf  der- 
selben Villa  hatte  Antonia,  die  Gemarin  des  Drusus,  eine 
Muräne,  die  sie  liebte,  mit  Ohrgehängen  geschmückt,  wes- 
wegen Manche  Lust  bekamen,  Bauli  zu  besuchen. 

82. 
Teiche  für  Schnecken  Hess  Fulvius  Hirpinus  im 
tarquinischen  Gebiete  kurz  vor  dem  mit  Pompejus  dem 
Grossen  geführten  Bürgerkriege  anlegen,  wobei  er  auch  die 
verschiedenen  Gattungen  von  einander  absonderte,  so  dass- 
die  weissen,  die  im  reatinischen  Gebiete  vorkommen,  die 
illyrischen,  die  besonders  gross,  die  afrikanischen,  die  sehr 
fruchtbar  sind  und  die  solitänischen,  die  zu  den  besten  ge- 
hören, getrennt  blieben.  Ja  er  hat  sogar  eine  Mästung  für 
sie  ersonnen,  die  aus  eingedicktem  Moste,  Mehl  und  andern 
Dingen  besteht,  damit  auch  fette  Schnecken  in  die  Küchen 
kämen;  und  diese  Kunst  ist  somit  vorgeschritten,  dass  das 
Gehäuse  mancher  Schnecken  80  Quadranten  fasste.  So 
erzählt  M.  Varro. 

83. 
Auch  Theophrastus  führt  noch  manche  merkwürdige 
Thiergattungen  an.  In  der  sumpfigen  Umgebung  von  Ba- 
bylon bleiben  nämlich  nach  dem  Rücktritt  der  Flüsse 
Fische  in  den  wasserhaltenden  Vertiefungen  zurück.  Einige 
sollen  von  da  aus  auf  ihren  Flossen  nach  Futter  gehen, 
häufig  den  Schwanz  bewegen,  vor  den  Jägern  in  ihre 
Löcher  zurückfliehen,  und  in  diesen  Widerstand  leisten. 
Ihre  Köpfe  sollen  denen  der  Seefrösche,  ihre  übrigen  Theile 
aber  denen  der  Meergrundeln  x)  gleichen,  auch  hätten  sie 
Kiemen  wie  andere  Fische.  In  der  Gegend  von  Heraclea, 
Cromna,  am  Lycus  und  an  vielen  Orten  in  Pontus  soll 
eine  Gattung  Fische  sein,  welche  bis  au  die  äussersten 
Quellen  der  Flüsse  hinaufgeht,  sich  daselbst  Höhlen  in  die 

')  Gobiones. 


218 


Neuntes  Buch. 


Eide  macht  und  darin  lebt,  wenn  auch  der  Fluss  zurück- 
tritt und  die  Ufer  trocken  werden.  Sie  werden  daher  aus- 
gegraben, und  nur  an  der  Bewegung  ihres  Körpers  be- 
merkt man,  dass  sie  leben.  Bei  demselben  Heraclea  und 
beim  Rücktritt  desselben  Flusses  Lycus  sollen  sich  aus 
zurückgebliebenen  Eiern  im  Schlamme  Fische  erzeugen, 
welche,  um  Futter  zu  suchen,  ihre  kleinen  Kiemen  in  Be- 
wegung setzen;  sie  haben  also  kein  Wasser  nöthig  und 
aus  gleichem  Grunde  leben  auch  die  Aale  längere  Zeit 
ausser  dem  Wasser.  Die  Eier  aber  sollen,  wie  die  der 
Schildkröten,  auf  dem  Trocknen  zur  Reife  gedeihen.  In 
derselben  Gegend  des  Pontus  trifft  man  unter  den  Fischen 
besonders  die  Meergrundeln  im  Eise  an,  die  nur  dann  eine 
Lebensregung  von  sich  geben,  wenn  sie  in  warme  Schüsseln 
kommen.  Diess  ist,  so  wunderbar  es  auch  scheinen  mag, 
doch  gegründet.  Derselbe  Schriftsteller  erzählt,  in  Paphla- 
gonien  grübe  man  Erdfische  von  äusserst  angenehmem  Ge- 
schmacke  aus  tiefen  Gruben;  und  zwar  an  Orten,  wo  kein 
Wasser  steht;  und  er  wundert  sich,  dass  sie  sich  ohne  Be- 
gattung fortpflanzen;  zwar  habe,  wie  er  glaubt,  diese 
Feuchtigkeit  eine  andere  Kraft  als  das  Wasser  der  Brunnen, 
als  wenn  keine  Fische  in  Brunnen  gefunden  würden.  Wie 
dem  auch  sein  mag,  so  lässt  uns  diese  Thatsache  das  Leben 
des  Maulwurfs,  dieses  unterirdischen  Thieres,  weniger 
wunderbar  erscheinen,  und  vielleicht  haben  diese  Fische 
die  Natur  der  Erdwürmer. 

84. 
Allein  dergleichen  wird  durch  die  Ueberschwemmung 
des  Nils,  welche  alles  an  Wunderkraft  übertrifft,  glaub- 
würdig; denn,  wenn  er  das  Land  wieder  verlässt,  so  findet 
man  kleine  Mäuse,  deren  Erzeugung  aus  Wasser  und  Erde 
eben  begonnen  hat,  indem  sie  an  einem  Theile  des  Körpers 
schon  leben,  während  das  Uebrige  noch  aus  Erde  besteht. 

85. 
Auch  von  dem  Anthias  darf  ich   nicht  verschweigen, 
was  (wie   ich   finde)  Viele   geglaubt   haben.     Dieser  Fisch 


Neuntes  Buch.  2191 

wird  an  den  in  einem  klippenreichen  Meere  vor  einem 
Vorgebirge  liegenden,  früher  von  mir  erwähnten  chelido- 
nischen  Inseln  in  grosser  Menge  und  auf  folgende  schnelle 
Weise  gefangen.  Ein  in  ein  gleichfarbiges  Gewand  ge- 
kleideter Fischer  fährt  in  einem  kleinen  Kahne,  und  alle- 
mal zu  derselben  Stunde  einige  Tage  hindurch  eine  ge- 
wisse Strecke  entlang,  und  wirft  Köder  aus.  Der  Fisch, 
dem  das  verdächtig  ist,  hütet  sich  anfänglich  davor,  ge- 
wöhnt sich  aber  nach  öfterer  Wiederholung  daran  und  lässt 
sich  endlich  verlocken,  danach  zu  schnappen.  Diesen  (Fisch) 
muss  man  sich  auf's  sorgfältigste  merken,  denn  er  wird 
der  Begründer  der  Hoffnung  und  trägt  zum  Fange  bei;  und 
diess  ist  nicht  schwierig,  da  er  mehrere  Tage  hindurch 
allein  herbeizukommen  wagt.  Endlich  findet  er  auch  einige 
Nachahmer,  nach  und  nach  wird  die  Begleitung  zahlreicher, 
und  zuletzt  führt  er  unzählige  Heerden  herzu,  unter  denen 
die  ältesten  den  Fischer  schon  kennen,  und  ihm  die  Speise 
aus  der  Hand  zu  reissen  pflegen.  Alsdann  wirft  der  Fischer 
unter  der  Lockspeise  einen  Angelhaken  mit  aus  und  hascht 
sie  mehr  einzeln  als  dass  er  sie  fängt,  indem  er  sie  im 
Schatten  des  Fahrzeugs  auf  behende  Weise  so  an  sich 
reisst,  dass  es  die  übrigen  nicht  merken;  ein  anderer 
Fischer  nimmt  den  gefangenen  in  Lappen  auf,  damit  sein 
Zappeln  oder  Geräusch  die  übrigen  nicht  verjagt.  Es  ist 
hiebei  nothwendig,  dass  man  den  Unterhändler  kennt,  da- 
mit er  nicht  gefangen  wird,  weil  sonst  der  ganze  Schwärm 
die  Flucht  ergreifen  würde.  Man  erzählt,  ein  mit  dem 
Fischer  uneiniger  Gehülfe  habe  dem  ihm  wohlbekannten 
Anführer  nachgestellt  und  aus  bösem  Willen  gefangen; 
auf  dem  Speisemarkte  habe  ihn  Jener,  zu  dessen  Schaden 
es  geschehen  war,  erkannt,  und  eine  Klage  deshalb  einge- 
reicht, worauf  der  andere,  wie  Mutianus  hinzufügt,  zum 
Schadenersatze  verurtheilt  wurde.  Eben  diese  Anthien. 
sollen,  wenn  sie  sehen,  dass  einer  von  ihnen  an  der  Angel 
hängt,  mit  ihren  sägeförmigen  Rückenflossen  die  Schnur, 
welche  von  dem  daranhängenden  Kameraden  zu  diesem 
Behufe    angespannt    wird,    zerschneiden.     Wenn   hingegen 


220  Neuntes  Buch. 

von  den  Sargen  einer  gefangen  ist,  so  zerreibt  dieser  selbst 
die  Schnur  an  Steinen. 

86. 

Ausserdem  finde  ich,  dass  berühmte  Schriftsteller  sich 
über  den  Seestern  wundern.  Was  seine  Gestalt  betrifft, 
so  befindet  sich  inwendig  etwas  Fleisch,  auswendig  eine 
härtere  Hülle.  Er  soll  eine  feurige  Glüht  in  sich  haben, 
alles  was  er  im  Meere  berührt  entzünden,  und  alle  Speise 
sogleich  verdauen.  Durch  welche  Versuche  diess  bekannt 
geworden  ist,  kann  ich  nicht  bestimmt  angeben,  für  bei 
weitem  bemerkenswerther  halte  ich  dagegen  das,  zu  dessen 
Untersuchung  man  täglich  Gelegenheit  hat. 

87. 

Zu  dem  Geschlechte  der  Muscheln  gehören  auch  die 
Fingermuscheln1),  die  von  der  Aehnlichkeit  mit  den 
menschlichen  Nägeln  diesen  Namen  führen.  Sie  besitzen 
die  Eigenschaft,  im  Dunkeln  einen  hellen  Schein  von  sich 
zu  geben,  und  zwar  umsomehr,  je  mehr  Feuchtigkeit  sie 
bei  sich  haben.  Sie  leuchten  im  Munde  derer,  welche  sie 
essen;  es  leuchten  die  Hände  und.  sogar  der  Fussboden 
und  die  Kleider,  wenn  Tropfen  davon  darauf  fallen,  so 
dass  unbezweifelt  der  Saft  dieselbe  Eigenschaft  besitzt, 
welche  wir  am  Körper  bewundern. 

88. 
Es  giebt  auch  merkwürdige  Beispiele  von  Feindschaft 
und  Freundschaft  unter  den  Wasserthieren.  Die 
Meeräsche  und  der  Seewolf  brennen  von  gegenseitigem 
Hasse;  der  Conger  und  die  Muräne  fressen  einander  die 
Schwänze  ab.  Den  Polypen  fürchtet  die  Locuste  so  sehr, 
dass,  wenn  sie  ihn  in  ihrer  Nähe  erblickt,  sie  sogleich 
stirbt.  Die  Locuste  fürchtet  den  Conger  und  letztere  zer- 
reissen  wiederum  die  Polypen.  Nigidiüs  erzählt,  der  See- 
wolf nage  der  Meeräsche  den  Schwanz  ab,  aber  zu  gewissen 
Zeiten   wären   sie    einig:  miteinander.    Jedoch  bleiben  alle 


')  Dactyli.  Solen  Vagina  L. 


Neuntes  Buch.  221 

diejenigen,  denen  dor  Schwanz  auf  diese  Weise  verstümmelt 
ist,  am  Leben.  Dagegen  aber  findet  man  auch  Beispiele 
von  Freundschaft,  wie  z.  B.  (ausser  den  Thieren,  von  deren 
Eintracht  wir  bereits  gesprochen  haben)  zwischen  dem 
Wallfische  und  der  Seemaus;  wenn  nämlich  seine  Augen 
durch  die  schweren  Wimpern  bedeckt  sind,  zeigt  sie  vor- 
anschwimmend  ihm  die  seiner  Grösse  schädlichen  Untiefen 
und  vertritt  die  Stelle  der  Augen.  —  Nun  wollen  wir  von 
den  Vögeln  handeln. 


Zehntes  Buch. 


Von  den  Vögeln. 


1. 


Es  folgt  nun  die  Naturgeschichte  der  Vögel,  unter  denen 
die  Strausse1)  die  grössten  sind  und  den  Landthieren 
beinahe  gleichkommen.  Die  afrikanischen  und  äthiopischen 
überragen  an  Höhe  einen  zu  Pferde  sitzenden  Reiter  und 
übertreffen  ihn  an  Schnelligkeit.  Die  Flügel  hat  der  Strauss 
nur  zur  Unterstützung  beim  Laufen,  denn  er  kann  sich  da- 
mit nicht  von  der  Erde  erheben,  ist  also  eigentlich  kein 
flugfähiges  Thier.  Seine  Klauen,  mit  denen  er  kämpft, 
sind  denen  der  Hirsche  ähnlich,  zweigespalten,  und  dienen 
ihm  zum  Ergreifen  von  Steinen,  welche  er  auf  der  Flucht 
seinen  Verfolgern  entgegenwirft.  Er  besitzt  eine  wunder- 
bare Kraft,  alles,  was  er  ohne  Auswahl  verschlungen  hat, 
zu  verdauen,  allein  bei  seiner  Grösse  ist  auch  seine  Dumm- 
heit nicht  weniger  zu  bewundern,  denn  wenn  er  seinen 
Kopf  im  Gebüsche  versteckt  hat,  glaubt  er  sieh  ganz  ver- 
borgen. Man  benutzt  von  ihm  die  Eier,  welche  wegen 
ihrer  Grösse  zu  Gefässen  dienen,  und  die  Federn  zur  Zierde 
-der  Kriesrshauben  und  Helme. 


')  Struthiocameli. 


Zehntes  Buch.  223 

2. 
Die  Aethiopier  und  Indier  erzählen  von  sehr  bunten 
und  unendlich  zahlreich  in  ihren  Ländern  wohnenden 
Vögeln,  und  die  Araber  von  ihrem  vor  allen  berühmten 
Vogel  Phönix,  der  angeblich  der  einzige  seiner  Art  auf  der 
ganzen  Erde  ist  und  nur  sehr  selten  gesehen  wird  l).  Er 
soll  so  gross  wie  ein  Adler,  goldglänzend  um  den  Hals, 
übrigens  purpurfarben  sein,  einen  blauen  mit  rosenfarbenen 
Federn  versehenen  Schwanz,  einen  Kamm  am  Halse  und 
einen  Federbusch  auf  dem  Kopfe  haben.  Zuerst  und  am 
ausführlichsten  unter  den  Römern  beschrieb  ihn  Manilius, 
jener  berühmte  Senator,  der  sich  ohne  Lehrer  einen  hohen 
Grad  wissenschaftlicher  Bildung  verschaffte;  dieser  sagt, 
noch  Niemand  habe  ihn  fressen  sehen,  in  Arabien  sei  er 
der  Sonne  heilig,  er  lebe  540  Jahre,  baue  sich  im  Alter 
ein  Nest  aus  Cassien-  und  Weihrauch-Zweigen,  fülle  es 
mit  Räucherwerk  an  und  sterbe  auf  demselben.  Darauf 
entstände  aus  seinen  Knochen  und  Marke  zuerst  ein  kleiner 
Wurm,  aus  diesem  würde  ein  junger  Vogel;  dieser  bestatte 
den  vorigen  zuerst  feierlich  zur  Erde,  trüge  dann  das  ganze 
Nest  in  die  Sonuenstadt  in  Pamhaja  2),  und  lege  es  daselbst 
auf  einem  Altare  nieder.  Derselbe  jManilius  sagt,  mit  dem 
Leben  dieses  Vogels  hänge  die  Rückkehr  des  grossen 
Jahres  3)  zusammen,  und  dieselben  Anzeichen  der  Witter- 
ung und  der  Sterne  kehrten  wieder.  Diese  Periode  fange 
aber  zu  Mittag  an  eben  demselben  Tage  an,  wo  die  Sonne 


')  Man  vergleiche,  was  Herodot  von  diesem  Vogel  erzählt  (II. 
73).  Tacitus  (Annal.  VI.  28)  erzählt  von  4  Erscheinungen  des  Phönix 
in  der  historischen  Zeit,  unter  Sesostris,  Amasis,  Ptolemäus  III.  und 
Tiberius.  Seine  Lebensperiode  deutete  eine  gewisse  Epoche  des 
grossen  Weltjahrs  an.     Vergl.  Creuzer,  Symbolik  I.  p.  438  sq. 

*)  Ein  Distrikt  von  Unterägypten  unweit  Memphis,  in  welchem 
Heliopolis  (die  Sonnenstadt)  lag. 

3)  Das  grosse  Jahr  hat  nach  Harduin  19  x  28  =  532  Jahre, 
nach  Andern  14617,  und  wird,  wie  man  aus  den  Zahlen  sieht,  durch 
die  Sonnen-  und  Mondzirkel  bestimmt,  darf  aber  mit  dei  julianischen 
Periode,  welche  aus  19  x  28  x  15  =  7980  besteht,  nicht  verwech- 
selt werden. 


224  Zehntes  Buch. 

in  das  Zeichen  des  Widders  tritt.  Zu  der  Zeit  als  er  schrieb., 
nämlich  unter  den  Consuln  P.  Licinius  und  Cn.  Cornelius  *),_ 
soll  das  205.  Jahr  dieser  Periode  gewesen  sein.  Cornelius 
Valerianus  erzählt,  der  Phönix  sei  unter  den  Consuln 
Q.  Plautius  und  Sex.  Papinius  2)  nach  Aegypten  geflogen. 
Im  Jahre  800  der  Stadt,  als  der  Prinz  Claudius  Censor 
war,  wurde  auch  einer  nach  Rom  gebracht,  und,  wie  die 
öffentlichen  Urkunden  bezeugen,  auf  dem  Gerichtsplatze 
ausgestellt;  aber  Jedermann  hielt  ihn  für  unächt. 

3. 
Unter  den  Vögeln,  welche  wir  kennen,  hat  der  Adler 
das  höchste  Ansehen  und  auch  die  meiste  Kraft.  Es  giebt 
6  Arten:  der  bei  den  Griechen  sogenannte  Schwarzadler  3j 
oder  Valeria  ist  der  kleinste,  aber  stärkste,  schwärzlich  ge- 
färbt, der  einzige  unter  den  Adlern,  der  seine  Jungen  auf- 
füttert (denn  die  übrigen  jagen  sie,  wie  wir  noch  anführen 
werden,  fort),  giebt  keinen  Laut  von  sich,  und  wohnt  auf 
Bergen.  Die  zweite  Art,  die  Kornweihe  4),  lebt  in  Städten 
und  auf  Feldern  und  hat  einen  weisslichen  Schwanz.  Die 
dritte  Art,  der  Entenadler  5),  den  Homer  Percnos,  Andere 
Plangus  oder  auch  Anataria  nennen,  ist  der  zweite  an 
Grösse  und  Stärke,  und  lebt  an  Seen.  Phemonoe 6),  die 
für  eine  Tochter  des  Apollo  gehalten  wird,  sagt,  er  habe 
Zähne,  übrigens  sei  er  ohne  Stimme  und  Zunge,  unter 
allen  Adlern  der  schwärzeste  und  habe  den  längsten 
Schwanz.  Hiermit  stimmt  auch  Böus 7)  überein.  Er  be- 
sitzt die  Klugheit,  Schildkröten,  welche  er  geraubt  hat,, 
aus  der  Höhe  herabfallen  zu  lassen  und  dadurch  ihre 
Schalen  zu  zerbrechen.     Durch  einen  solchen  Fall  kam  der 


')  100  v.  Chr. 

2)  Ein  Jahr  vor  dem  Tode  des  Kaisers  Tiberius;  im  Jahre  Roms 
789  (36  n.  Chr.  Gr.) 

3)  Melanaetus.  Falco  Melanaetus  L. 

4)  Pygargus.  Falco  Pygargus  L. 

5)  Morphnos.  Falco  Naevius  L. 

n)  Eine  Sibylle,  erste  Pythia  in  Delphi,  erfand  den  Hexameter. 
7)  Unbekannter  Schriftsteller. 


Zehntes  Buch.  215 

Dichter  Aeschylos  l)  uni's  Leben,  als  er  dem  Tode,  der  ihm 
(wie  man  sagt)  vom  Schicksale  auf  diesen  Tag  vorherge- 
sagt worden  war,  in  freier  Luft  entgehen  wollte.  Die 
vierte  Art  heisst  der  Schwarzbuntgeflügelte 2),  oder  der 
Bergstorch 3) ,  hat  die  Gestalt  des  Geiers ,  sehr  kleine 
Flügel,  ist  übrigens  bedeutend  gross,  aber  so  feige  und 
entartet,  dass  ihn  der  Rabe  bezwingt,  ein  unersättlicher 
Fresser,  lässt  eine  klägliche  Stimme  hören  und  schleppt 
todte  Körper  weg,  während  die  übrigen  Adler  bei  den  von 
ihnen  getödteten  Thieren  sitzen  bleiben.  Daher  heisst  die 
5.  Art  yv^aiov  4);  sie  ist  gleichsam  die  wahre  und  unver- 
dorbene, von  mittlerer  Grösse,  röthlicher  Farbe,  aber  nur 
selten  sichtbar.  Nun  ist  noch  der  Fischadler  5)  übrig;  er 
hat  ein  äusserst  scharfes  Gesicht,  schwingt  sich  aus  der 
Höhe  herab,  stürzt  sich,  wenn  er  im  Meere  einen  Fisch 
sieht,  auf  denselben,  durchschneidet  mit  der  Brust  die 
Wogen  und  raubt  ihn.  Derjenige,  welchen  wir  als  die 
dritte  Art  bezeichnet  haben,  stellt  an  den  Seen  den  Wasser- 
vögeln nach,  welche  sich  öfters  vor  ihm  untertauchen,  bis 
sie  endlich  so  müde  und  erschöpft  sind,  dass  er  sie  weg- 
holen kann.  Dieser  Kampf  ist  sehenswert!] ;  der  Vogel 
sucht  nämlich  seine  Zuflucht  am  Ufer,  und  namentlich  da 
wo  es  dicht  mit  Schilf  bewachsen  ist,  der  Adler  treibt  ihn' 
durch  den  Schlag  seiner  Flügel  von  da  weg,  und  fällt,  um 
ihn  zu  ergreifen,  in's  Wasser.  Alsdann  lässt  er  dem  unter 
dem  Wasser  schwimmenden  Vogel  seinen  Schatten  am 
Ufer  sehen,  worauf  der  Vogel  an  einer  andern  Stelle,  wo 
er  am  wenigsten  erwartet  zu  werden  scheint,  auftaucht. 
Aus  diesem  Grunde  schwimmen  auch  diese  Vögel  schaaren- 
weise,  denn  mehrere  zugleich  werden  nicht  angefallen,  da 
sie   mit  ihren  Flügeln  den  Feind  bespritzen  und   dadurch 


•)  Aus  Eleusis  in  Attika,  Stifter  des  tragischen  Schauspiels,  lebte 
525 — 457  V.  Chr. 

2)  Percnopterus.  Vultur  percnopterus,  der  ägyptische  Aasgeier 
»)  Onpelargus.     <)  Der  echte,  Falco  chrysaetus,  der  Goldadler 
5)  Hahaetus   Falco  Haliaetus. 

Wittitein:  Plinius.     II.  Bd. 

15 


226  Zehntes  Buch. 

blenden.  Oft  können  auch  die  Adler  die  ergriffene  Last 
nicht  fortschleppen  und  sinken  zugleich  mit  unter.  Nur 
der  Fischadler  schlägt  seine  noch  unbefiederten  Jungen, 
zwingt  sie  oft  in  die  Sonne  zu  sehen,  und  wirft  denjenigen, 
von  dem  er  merkt,  dass  er  blinzelt  oder  feuchte  Augen  be- 
kommt, als  einen  Bastard  oder  Ausgearteten  aus  dem  Neste; 
den  hingegen,  dessen  Blick  fest  gegen  die  Sonne  gerichtet 
ist,  zieht  er  auf.  Die  Fischadler  bilden  keine  eigene  Art, 
sondern  werden  durch  die  Begattung  verschiedener  Adler 
erzeugt.  Die  Sprösslinge  von  diesen  gehören  zu  der  Art 
der  Steinbrecher *),  von  denen  die  kleineren  Geier  ab- 
stammen und  von  diesen  entstehen  die  grossen,  welche 
sich  nicht  fortpflanzen.  Einige  fügen  noch  eine  Art  hinzu, 
welche  sie  bärtige 2),  die  Tuscer  aber  den  Steinbrecher 
nennen. 

4. 
Die  drei  ersten  uud  die  fünfte  Art  bauen  in  ihre 
Nester  den  Adlerstein  3),  den  Einige  Gangites  nennen;  er 
dient  in  vielen  Fällen  als  Heilmittel  und  wird  vom  Feuer 
nicht  zerstört.  Dieser  Stein  ist  gleichsam  schwanger,  denn, 
wenn  man  ihn  schüttelt,  so  hört  man,  wie  in  einer  Gebär- 
mutter, einen  andern  in  ihm  klappern.  Jene  Kraft  aber 
besitzen  die  Steine  nur  dann,  wenn  sie  aus  dem  Neste  ge- 
holt werden.  Die  Adler  nisten  auf  Felsen  und  Bäumen, 
legen  3  Eier  und  brüten  2  Junge  aus;  zuweilen  sind  auch 
wohl  3  gesehen  worden.  Das  eine  Junge  werfen  sie,  um 
des  Fütterns  überhoben  zu  sein,  heraus,  denn  die  Natur 
hat  ihnen  um  diese  Zeit  selbst  die  Nahrung  versagt,  und 
zwar  aus  Vorsicht,  damit  nicht  die  Jungen  aller  wilden 
Thiere   von   ihnen    geraubt    würden.     Sogar   ihre   Krallen 


M  Ossifragae.  Falco  ossifragus. 

2)  Barhatae.  Vultur  barbatus.  Der  Lämmergeier. 

3)  Lapis  aetites.  Sie  bestehen  aus  platten,  ellipsoidischen,  in- 
wendig hohlen,  oder  mit  einem  klappernden  Kerne  versehenen  Stücken, 
finden  sich  in  Lehm-  und  Thonlagern,  und  sind  als  ein  unreiner 
Brauneisenstein  zu  betrachten. 


Zehntes  Buch.  227 

wenden  sich  in  diesen  Tagen  einwärts  und  ihre  Federn 
werden  durch  das  Hungern  weiss,  so  dass  ihre  Jungen 
ihnen  mit  Recht  lästig  sein  müssen.  Allein  die  von  ihnen 
herausgeworfenen  Jungen  werden  von  den  verwandten 
Ossifragen  aufgenommen,  und  mit  ihrer  eigenen  Brut  auf- 
erzogen. Aber  selbst,  wenn  sie  schon  erwachsen  sind, 
werden  sie  von  ihren  Eltern  verfolgt  und  als  Nebenbuhler 
ihres  Raubes  weit  fortgejagt.  Ueberdiess  bedarf  ein  Adler- 
paar schon  ein  grosses  Revier  zum  Raube,  wenn  es  hin- 
reichende Nahrung  haben  soll.  Sie  bestimmen  sich  daher 
ihre  Gebiete  und  gehen  in  dem  nächstgelegenen  nicht  auf 
Beute  aus.  Ihren  Raub  tragen  sie  nicht  sogleich  fort,  son- 
dern legen  ihn  zuerst  nieder,  und  fliegen  erst  dann,  wenn 
sie  sein  Gewicht  geprüft  haben,  damit  weg.  Sie  sterben 
weder  aus  Altersschwäche  noch  wegen  Krankheit,  sondern 
vor  Hunger,  weil  der  obere  Theil  des  Schnabels  so  sehr 
heranwächst,  dass  sie  ihn  wegen  der  Krümmung  nicht 
mehr  öffnen  können.  Nachmittags  sind  sie  thätig  und 
fliegen,  in  den  ersten  Stunden  des  Tages  sitzen  sie  müssig, 
bis  die  Märkte  mit  Menschen  angefüllt  sind.  Die  Adler- 
federn verzehren  die  der  übrigen  Vögel,  wenn  man  sie  mit 
ihnen  vermischt.  Diess  soll  der  einzige  Vogel  sein,  den 
noch  nie  der  Blitz  getödtet  hat,  daher  hält  man  ihn  auch 
gewöhnlich  für  den  Waffenträger  des  Jupiter. 

5. 
C.  Marius  hat  in  seinem  zweiten  Consulate  a)  den  Adler 
ausschliesslich  als  Feldzeichen  für  die  römischen  Le- 
gionen bestimmt.  Er  war  auch  schon  früher  mit  4  andern 
das  Hauptzeichen;  Wölfe,  Minotauren,  Pferde  und  Eber 
wurden  den  einzelnen  Abtheilungen  vorangetragen.  Wenige 
Jahre  vorher  hatte  man  angefangen,  ihn  allein  mit  in  die 
Schlacht  zu  nehmen;  die  übrigen  wurden  im  Lager  zurück- 
gelassen; Marius  schaffte  jedoch  diese  ganz  ab.  Seitdem 
hat  man  bemerkt,  dass  fast  nirgends  eine  Legion  ihr 
Winterlager  hielt,  wo  nicht  ein  Adlerpaar  war. 


')  104  v.  Chr.,  im  cimbrischen  Kriege. 

15* 


228 


Zehntes  Buch. 


Die  Adler  der  ersten  und  zweiten  Art  rauben  nicht 
bloss  kleine  vierfüssige  Tbiere,  sondern  kämpfen  sogar  mit 
dem  Hirsche.  Sie  setzen  sich  ihm  auf  die  Hörner,  schütteln 
ihm  eine  Menge  Staub,  den  sie  durch  Wälzen  auf  der  Erde 
gesammelt  haben,  in  die  Augen,  und  schlagen  ihn  mit  den 
Flügeln  so  lange  in's  Gesicht,  bis  er  sich  auf  einen  Felsen 
stürzt.  Und  dieser  eine  Feind  ist  ihm  noch  nicht  genug; 
heftiger  und  viel  zweifelhafter  ist  sein  Kampf  mit  dem 
Drachen,  obgleich  er  in  der  Luft  stattfindet.  Dieser  geht 
nämlich  mit  böser  Begierde  den  Eiern  des  Adlers  nach, 
letzterer  aber  packt  ihn  deshalb,  wo  er  ihn  sieht.  Der 
Drache  fesselt  durch  vielfaches  Umschlingen  seine  Flügel, 
und  verwickelt  sich  so  sehr,  dass  er  mit  ihm  zugleich 
herabstürzt. 

6. 

Allgemein  berühmt  hat  sich  ein  Adler  in  der  Nähe  der 
Stadt  Sestos  l)  gemacht.  Dieser  war  von  einer  Jungfrau 
aufgezogen,  und  gab  seine  Dankbarkeit  dadurch  zu  er- 
kennen, dass  er  ihr  anfangs  Vögel,  nachher  auch  Wildpret 
zutrug.  Als  sie  gestorben  war,  soll  er  sich  auf  ihren  an- 
gezündeten Scheiterhaufen  geworfen  und  zugleich  mit 
ihr  verbrannt  haben.  Deshalb  errichteten  die  Einwohner 
auf  dieser  Stelle  ein  sogenanntes  Heroum  2),  welches  den 
Namen  „Heroum  des  Jupiters  und  der  Jungfrau"  erhielt, 
weil  jenem  Gotte  der  Adler  beigesellt  wird. 

7- 

Unter  den  Geiern  3)  sind  die  schwarzen  am  kräftigsten. 
Zu  ihren  Nestern  ist  noch  Niemand  gelangt;  Einige  glaubten 
deshalb  sogar,  sie  flögen  aus  der  entgegengesetzten  Welt 4) 
herüber,  jedoch  mit  Unrecht,  denn  sie  nisten  auf  den  höchsten 
Felsen.  Ihre  Jungen,  gewöhnlich  2  an  der  Zahl,  sieht  man 
oft.  Umbricius  5),  der  erfahrenste  Vogeldeuter  unserer  Zeit, 

')  Im  thracischen  Chersones,  jetzt  Jalowa. 
2)  Ein  Denkmal  für  einen  Helden  (heros).     3)  Vultures. 
4)  Der  südliche  jenseits  des  Weltmeeres  liegende,  nach  der  Mei- 
nung der  Alten  aber  unzugängliche  Theil  der  Erde. 

s)  Umbricius  Melior,  ein  nicht  näher  bekannter  Autor. 


Zehntes  Buch.  229 

erzählt,  sie  legten  13  Eier,  mit  einem  derselben  sühnten 
sie  die  übrigen  Eier  und  das  Nest  aus,  und  würfen  es 
dann  heraus.  Auch  flögen  sie  schon  3  Tage  zuvor  dahin, 
wohin  Aas  gebracht  würde. 

8. 

Ueber  den  Vogel  Sanqualis  und  Immussulus  sind 
die  römischen  Wahrsager  in  grossem  Streite.  Einige  halten 
den  Immussulus  für  den  Jungen  eines  Geiers  und  den 
Sanqualis  für  den  des  Ossifragen.  Massurius  sagt,  der 
Sanqualis  sei  ein  Ossifrage,  der  Immussulus  aber  ein  junger 
Adler,  bevor  sein  Schwanz  weiss  wäre.  Einige  haben  ver- 
sichert, sie  wären  nach  dem  Augur  Mutius  nicht  mehr  zu 
Rom  gesehen  worden.  Ich  glaube  (und  diess  dürfte  das 
Wahrscheinlichere  sein),  dass  bei  dem  Verfalle  aller  Dinge 
auch  ihre  Kenntniss  verloren  gegangen  ist. 

9. 

Von  den  Habichten  *)  finde  ich  1(3  Arten  angeführt. 
Unter  diesen  soll  der  Aegithus,  welcher  an  einem  Fusse 
lahm  ist,  die  glücklichste  Vorbedeutung  bei  Heirathsange- 
legenheiten  und  der  Viehzucht  geben.  Dem  Triorches  2) 
der  diesen  Namen  von  der  Anzahl  seiner  Hoden  hat,  giebt 
Phemonoe  den  Vorzug  bei  Weissagungen;  die  Römer  nennen 
ihn  Buteo,  und  nach  ihm  erhielt  sogar  eine  Familie  diesen 
Beinamen,  da  sich  einer  als  günstiges  Zeichen  auf  das  Schiff 
des  Anführers  gesetzt  hatte.  Epileus  nennen  die  Griechen 
denjenigen,  welcher  zu  jeder  Zeit  allein  zu  sehen  ist;  die 
übrigen  ziehen  im  Winter  weg.  Die  Eintheilung  in  Arten 
beruht  auf  der  verschiedenen  Weise  des  Raubens.  Einige 
bemächtigen  sich  eines  Vogels  nicht  anders  als  von  der 
Erde  aus;  andere  nur  dann,  wenn  er  Bäume  umflattert, 
andere,  wenn  er  hoch  sitzt,  noch  andere,  wenn  er  im  Freien 
fliegt.  Daher  kennen  auch  die  Tauben  die  Gefahren,  welche 
ihnen  von  denselben  drohen,  und  setzen  sich  entweder^ 
wenn  sie  einen  sehen,  oder  fliegen  auf,  kurz,  sie  helfen  sich 


')  Accipitres.     2)  Falco  Buteo  L.  der  Bussard. 


230  Zehntes  Buch. 

dadurch,  das»  sie  seiner  Gewohnheit  entgegen  handeln. 
Auf  der  im  Ocean  liegenden  afrikanischen  Insel  Cerne 
legen  die  Habichte  aus  ganz  Masäsylien  ihre  Eier  auf  die 
Erde  und  brüten  sie  aus;  sie  sind  an  diese  Völker  so  sehr 
gewöhnt,  dass  sie  sich  anderswo  nicht  fortpflanzen. 

10. 
In  einem  Theile  Thraciens  jenseits  Amphipolis  gehen 
die  Menschen  und  Habichte  gleichsam  in  Gesell- 
schaft auf  den  Vogelfang.  Jene  jagen  die  Vögel  aus 
den  Wäldern  und  Rohrgebüschen  auf,  diese  überfliegen  sie 
und  drücken  sie  herab.  Die  Vogelfänger  fangen  sie  dann 
und  theilen  sie  mit  den  Habichten.  Man  erzählt,  dass  sie 
die  Vögel,  welche  man  ihnen  in  die  Höhe  zujagt,  auffangen, 
und,  wenn  es  Zeit  zum  Fangen  ist,  durch  Geschrei  und 
eine  eigene  Art  des  Flugs  erinnern,  die  Gelegenheit  zu  be- 
nutzen. Etwas  Aehnliches  thun  die  Wölfe  am  mäotischen 
See;  wenn  diese  aber  von  den  Fischern  nicht  ihren  Antheil 
bekommen  haben,  so  zerreissen  sie  die  ausgespannten  Netze 
derselben.  Die  Habichte  fressen  das  Herz  der  Vögel  nicht. 
Der  nächtliche  Habicht  wird  Cybindis *)  genannt;  man 
trifft  ihn  selten  in  den  Wäldern,  und  er  kann  am  Tage 
nur  wenig  sehen.  Mit  dem  Adler  führt  er  einen  tödtlichen 
Krieg  und  oft   werden   beide  aneinanderhängend  gefunden. 

11. 
Aus  dem  Habichte  scheint  der  Kukuk2),  welcher  zu 
einer  gewissen  Jahreszeit  seine  Gestalt  ändert,  zu  entstehen, 
denn  bei  seinem  Erscheinen  bemerkt  man  die  übrigen  Ha- 
bichte nur  noch  wenige  Tage  hindurch;  er  selbst  wird  nur 
kurze  Zeit  im  Sommer  und  nachher  nicht  weiter  gesehen, 
hat  weder  die  hakenförmigen  Krallen  noch  den  Kopf  der 
übrigen  Habichte,  sondern  ähnelt  ihnen  bloss  in  der  Farbe, 
und  sein  Schnabel  gleicht  vielmehr  dem  einer  Taube.  Ja 
er  wird  sogar,  wenn  er  mit  dem  Habichte  zusammenkommt, 
von  diesem  getödtet,  und  ist  der  einzige  Vogel,  der  durch 


')  Falco  vespertinus  L.    2)  Coccyx,  Cuculus  canorus  L. 


Zehntes  Buch.  231 

sein  eigenes  Geschlecht  umkommt.  Er  ändert  aber 
auch  seine  Stimme,  kommt  im  Frühling  zum  Vorschein, 
verbirgt  sich  beim  Aufgange  des  Hundssterns,  und  legt 
seine  Eier  beständig  in  fremde  Nester,  besonders  in  die  der 
Tauben;  grösstentheils  legt  er  nur  ein  Ei,  was  sonst  kein 
anderer  Vogel  thut,  selten  zwei,  «[an  glaubt,  er  schiebe 
deshalb  seine  Jungen  andern  unter,  weil  er  wisse,  dass  er 
den  übrigen  Vögeln  verhasst  ist;  denn  selbst  die  kleinen 
Vögel  greifen  ihn  an  und  die  Sicherheit  seiner  Nach- 
kommenschaft würde,  wie  er  glaubt,  gefährdet  sein,  wenn 
er  nicht  zu  dieser  Täuschung  seine  Zuflucht  nehme.  Er 
bauet  daher  auch  kein  Nest,  ist  aber  sonst  ein  furchtsames 
Thier.  Das  fremde  Weibchen  füttert  also  den  unterge- 
schobenen Kukuk  in  ihrem  Neste  auf.  Dieser  gefrässig 
von  Natur,  entreisst  den  übrigen  Jungen  das  Futter,  wird 
dadurch  fett  und  glänzend,  und  zieht  die  Aufmerksamkeit 
seiner  Pflegemutter  auf  sich.  Diese  freuet  sich  über  sein 
Aussehen,  und  wundert  sich  selbst  darüber,  dass  sie  einen 
solchen  Vogel  gezeugt  hat,  verachtet  bei  Vergleichung  mit 
ihm  ihre  eigenen  Jungen  als  Fremdlinge,  lässt  sie  sogar 
in  ihrer  Gegenwart  auffressen,  bis  er,  wenn  er  fliegen 
kann,  sie  selbst  ergreift.  Kein  Vogel  hat  um  diese  Zeit 
ein  so  angenehm  schmeckendes  Fleisch  als  der  Kukuk. 

12. 
Die  Milane1),  welche  ebenfalls  zu  den  Habichten  ge- 
hören, unterscheiden  sich  durch  ihre  Grösse.  Man  hat  be- 
merkt, dass  dieser  sonst  äusserst  raubgierige  und  stets 
hungrige  Vogel  nichts  Fressbares  von  einer  Todtenbahre 
oder  von  einem  Altare  zu  Olympia  nimmt,  ja  nicht  einmal 
aus  den  Händen  der  Träger,  wenn  es  nicht  als  eine  traurige 
Vorbedeutung  bei  den  Opfern  der  Municipalstädte  geschieht. 
Sie  scheinen  uns  durch  die  Wendung  ihres  Schwanzes  den 
Gebrauch  des  Sturmruders  gelehrt  zu  haben;  so  zeigte  uns 
also  die  Natur  in  der  Luft,  was  wir  in  der  Tiefe  bedürfen. 


»)  Milvi.  Falco  Milvus,  der  rothe  Milan. 


232  Zehntes  Buch. 

Auch  (He  Milane  verbergen  sich  in  den  Wintermonaten, 
ziehen  jedoch  nicht  vor  den  Schwalben  fort.  Nach  den 
Solstitium  sollen  sie  aber  vom  Podagra  befallen  werden. 

13. 
Der  nächste  und  beste  Unterschied  zwischen  den 
Vögeln  lässt  sich  an  ihren  Füssen  abnehmen;  denn  sie 
haben  entweder  krumme  Krallen,  oder  Finger,  oder  band- 
förmige Füsse,  wie  die  Gänse  und  die  meisten  Wasser- 
vögel. Die  mit  krummen  Krallen  versehenen  nähren  sich 
grösstentheils  nur  vom  Fleische. 

14. 
Die  Krähen1)  leben  auch  von  anderer  Nahrung, 
Wenn  die  Härte  einer  Nuss  ihrem  Schnabel  widersteht,  so 
fliegen  sie  in  die  Höhe  und  werfen  sie  so  lange  auf 
Steine  oder  Dächer,  bis  sie  sie  aufbeissen  können.  Dieser 
Vogel  besitzt  eine  unglücksbedeutende  Schwatzhaftigkeit, 
die  jedoch  von  Einigen  gern  gesehen  wird.  Vom  Aufgange 
des  Arcturus  an  bis  zur  Ankunft  der  Schwalben  soll  man 
ihn  in  den  Hainen  und  Tempeln  der  Minerwa  selten,  an 
andern  Orten  aber,  wie  zu  Athen,  gar  nicht  wahrnehmen. 
Uebrigens  ist  er  der  einzige  Vogel,  welcher  seine  Jungen 
selbst  dann  noch  eine  Zeit  lang  füttert,  wenn  sie  fliegen 
können.  Am  unheilbringendsten  ist  die  Krähe,  wenn  sie 
Junge  hat,  d.  i.  nach  dem  Solstitium. 

15. 
Alle  übrigen  Vögel  dieses  Geschlechtes  treiben  ihre 
Jungen  aus  den  Nestern  und  zwingen  sie  zu  fliegen;  so 
auch  die  Raben2),  welche  sich  ebenfalls  nicht  bloss  vom 
Fleische  nähren,  und  ihre  erwachsenen  Jungen  weit  weg- 
jagen. Daher  befinden  sich  in  kleinen  Orten  nicht  mehr 
als  2  Paare,  in  der  Umgegend  von  Cranon  in  Thessalien 
stets  nur  eins.  Die  Alten  machen  ihren  Jungen  Platz. 
Zwischen  diesem  und  dem  obengenannten  Vogel  finden 
einige  Unterschiede  statt.     Die  Raben  legen  vor  dem  SoU 


')  Coraices.  Corvus  Corone.    2)  Corvi.  Corvus  Corax. 


Zehntes  Buch.  233 

stitium,  und  sind  60  Tage  lang  meist  vom  Durste,  bevor 
die  Feigen  im  Herbste  reif  werden,  krank.  Nach  dieser 
Zeit  aber  wird  die  Krähe  von  einer  Krankheit  befallen. 
Die  Haben  legen  in  der  Regel  5  Eier.  Der  gemeine 
Mann  glaubt,  ihre  Eier  kämen  aus  dem  Schnabel,  und  mit 
diesem  begatteten  sie  sich  auch,  und  daher  gäben  schwangere 
Weiber,  wenn  sie  ein  Rabenei  essen,  ihre  Leibesfrucht 
durch  den  Mund  von  sich;  jedesmal  aber  soll  die  Geburt 
schwer  von  Statten  gehen,  wenn  Raben  in  ein  Haus  ge- 
tragen werden.  Aristoteles  leugnet  diess,  und  es  ist  wahr- 
lich bei  ihnen  ebensowenig  wahr,  als  bei  dem  ägyptischen 
Ibis;  jenes  Schnäbeln  aber,  was  man  oft  an  ihnen  bemerkt, 
soll  dem  der  Tauben  ähnlich  sein.  Die  Raben  scheinen 
die  einzigen  Vögel  zu  sein,  welche  einen  Begriff  von  der 
Bedeutung  der  Zeichen,  die  sie  bei  den  Auspicien  geben, 
haben.  Denn  als  die  Gastfreunde  des  Medias  getödtet 
waren,  flogen  sie  alle  aus  dem  Peloponnes  und  x\ttika  fort. 
Das  schlimmste  Zeichen  ist,  wenn  sie  ihre  Stimme  ver- 
schlucken, als  wenn  sie  erwürgt  würden. 

16. 
Gebogene  Krallen  haben  auch  die  nächtlichen  Vögel? 
wie  die  Nachteule1),  der  Uhu2)  und  der  Kauz3).  Alle 
diese  sehen  bei  Tage  schlecht.  Der  Uhu  bringt  Unglück 
und  wird  am  meisten  verwünscht  bei  öffentlichen  Auspicien; 
er  bewohnt  Einöden,  und  nicht  bloss  verlassene,  sondern 
auch  grauenvolle  und  unzugängliche  Orte.  Er  ist  ein 
nächtliches  Ungeheuer,  das  keine  klangvolle  Stimme,  son- 
dern nur  klägliche  Laute  von  sich  giebt.  Wird  er  daher 
in  Städten  oder  überhaupt  am  Tage  irgendwo  gesehen,  so 
ist  diess  ein  schreckliches  Zeichen.  Wenn  er  sich  auf  ein 
Privatgebäude  setzte,  so  war  diess,  so  viel  ich  weiss,  fast 
wie  todtverkündend.  Er  fliegt  niemals  dahin,  wohin  er 
will,  sondern  er  wird  quer  fortgetrieben.  Unter  den  Con- 
suln  Sext.  Papelius  Hister  und  L.  Pedanius  kam   er   sogar 


1)  Noctua.  Strix  nyctea  L.     s)  Bubo.  Strix  Bubo. 
a)  Ulula.  Strix.  Ulula. 


234  Zehntes  Buch. 

in    die   Kapelle   des  Capitoliums,    weshalb   die  Stadt   am 
9.  März  desselben  Jahres  feierlich  gereinigt  wurde. 

17. 
Auch  der  Brandvogel1)  ist  von  übler  Vorbedeutung 
und  ich  finde  in  den  Jahrbüchern,  dass  seinetwegen  in 
Rom  sehr  oft  Sühnopfer  gehalten  sind,  z.  B.  unter  den 
Consuln  L.  Cassius  und  C.  Marius  2).  In  demselben  Jahre 
fand  wegen  eines  Uhu,  der  sich  hatte  sehen  lassen,  dieselbe 
Ceremonie  statt.  Was  jener  eigentlich  für  ein  Vogel  ist, 
darüber  sind  weder  schriftliche  noch  mündliche  Nachrichten 
vorhanden.  Einige  erklären  die  Sache  so:  ein  jeder  Vogel, 
den  man  eine  Kohle  von  einem  Altäre  oder  Opfersteine 
wegtragen  sehe,  sei  ein  Brandvogel.  Andere  nennen  ihn 
Spinturnix;  allein  ich  habe  noch  keinen  Schriftsteller  ge- 
funden, der  angiebt,  zu  welcher  Gattung  von  Vögeln  der- 
selbe gehört.  Auch  der  Vogel,  den  die  Alten  Clivia  ge- 
nannt haben,  ist,  wie  ich  finde,  unbekannt.  Einige  nennen 
ihn  den  Schreier3),  Labeo 4)  aber  den  Verhinderer5). 
Bei  Nigidius  heisst  ein  Vogel,  der  die  Eier  der  Adler  zer- 
bricht, Subis.  Es  sind  ausserdem  noch  mehrere  Gattungen 
in  den  etruscischen  Wahrsagebüchern  abgebildet,  jedoch 
von  Niemandem  gesehen  worden;  man  muss  sich  wundern, 
dass  diese  aufgehört  haben  zu  existiren,  da  doch  die, 
welche  der  menschlichen  Kehle  dienen,  noch  in  Menge  vor- 
handen sind. 

18. 
Unter  den  auswärtigen  Schriftstellern    über  Vogeldeu- 
terei  wird  Hylas  6)  für  den  besten    gehalten.     Dieser  sagt, 
die  Nachteule,  der  Uhu,  der  Specht 7),  welcher  Bäume  aus- 
höhlt,  der  Bartvogel8)   und   die  Krähe  kämen  mit  dem 


')  Avis  incendiaria. 

2)  Diess  war  das  erste  Conaulat  des  Marius,  im  J.  103  v.  Chr. 

3)  Clamatoria. 

4)  Antistius  Labeo,  Schüler  des  Trebatius,  Jurist  unter  Augustus. 
Decemvir,  dann  Praetor.      5)  Prohibitoria. 

6)  Ein  unbekannter  Schriftsteller.     7)  Picus.  Picus  Martius. 
8)  Trogon.  Trogon  viridis. 


Zehntes  Buch.  235 

Schwänze  zuerst  aus  dem  Eie,  weil  sich  die  Eier  durch 
das  Gewicht  des  Kopfes  umdreheten,  und  dadurch  der 
hintere  Theil  des  Körpers  der  brütenden  Mutter  zuge- 
kehrt würde. 

19. 
Die  Nachteulen  wissen  geschickt  mit  andern  Vögeln 
zu  kämpfen.  Sind  sie  von  einer  grössern  Menge  umringt, 
so  legen  sie  sich  auf  den  Rücken,  wehren  sich  mit  den 
Klauen,  ziehen  sich  eng  zusammen,  und  decken  sich  mit 
dem  Schnabel  und  den  Krallen.  Der  Habicht  steht  ihnen 
aus  einer  gewissen  natürlichen  Freundschaft  bei,  und  nimmt 
Theil  an  dem  Kampfe.  Die  Nachteulen  sollen,  wie  Nigidius 
berichtet,  im  Winter  60  Tage  hindurch  schlafen,  und  neun 
verschiedene  Stimmen  haben. 

20. 
Es  giebt  auch  kleine  Vögel  mit  krummen  Krallen,  wie 
die  Spechte1);  unter  ihnen  zeichnen  sich  diejenigen  aus, 
welche  mit  dem  Beinamen  Martius  belegt  werden  und 
beim  Vogelfluge  von  grosser  Bedeutung  sind.  Zu  diesem 
Geschlechte  gehören  ferner  diejenigen,  welche  Bäume  aus- 
höhlen und  nach  Art  der  Katzen  leise  hinaufklettern;  ja 
sie  gehen  selbst  rückwärts  hinauf,  und  merken,  wenn  sie 
an  die  Rinde  hacken,  am  Klange,  ob  sich  Futter  darunter 
befindet.  Sie  sind  die  einzigen  Vögel,  welche  ihre  Jungen 
in  Höhlen  aufziehen.  Der  gemeine  Mann  glaubt,  Keile,  die 
ein  Hirt  in  ihre  Löcher  getrieben  hätte,  fielen  heraus,  wenn 
sie  dieselben  mit  einem  gewissen  Kraute  berührten. 
Trebius  berichtet,  ein  selbst  mit  der  grössten  Kraft  in  den 
Baum,  in  welchem  sie  ihr  Nest  haben,  getriebener  Nagel 
oder  Keil  spränge  sogleich  unter  Krachen  des  Baumes 
wieder  heraus,  wenn  der  Specht  sich  auf  den  Nagel  oder 
Keil  setze.  Sie  sind  in  Latium  beim  Vogelfluge  seit  dem 
Könige 2),    der    ihnen    ihren   Namen   gab,   die   wichtigsten 


»)  Pici. 

-)  Ancus  Martius,  der  vierte  römische  König,  Numa's  Tochtersohn, 
regierte  638-616  v.  Chr. 


236  Zehntes  Buch. 

Vögel.  Eine  Vorbedeutung  von  ihnen  kann  ich  nicht  über- 
gehen. Als  der  Prätor  urbanus  Aelius  Tubero  auf  dem 
Forum  vor  dem  Tribunale  Recht  sprach,  sass  ein  Specht 
auf  seinem  Kopfe  so  ruhig,  dass  er  ihn  mit  der  Hand  er- 
greifen konnte.  Die  Wahrsager  legten  diess  so  aus:  wenn 
man  ihn  fliegen  liesse,  so  bedeute  diess  den  Untergang  des 
Reichs,  tödte  man  ihn  aber,  den  des  Prätors.  Dieser  zer- 
riss  nun  den  Vogel  auf  der  Stelle,  und  nicht  lange  nachher 
ging  der  Ausspruch  an  ihm  in  Erfüllung. 

21. 

Viele  aus  diesem  Geschlechte  nähren  sich  auch  von 
Eicheln  und  Obst,  aber  bloss  die,  welche  kein  Fleisch  fressen, 
ausgenommen  der  Milan;  und  dieser  Umstand  ist  selbst 
bei  den  Augurien  von  schlimmer  Vorbedeutung.  Diejenigen, 
welche  krumme  Krallen  haben,  leben  nicht  gesellig, 
sondern  ein  jeder  geht  für  sich  auf  Raub  aus.  Mit  Aus- 
nahme der  Nachtvögel  haben  sie  alle,  und  besonders  die 
grössern,  einen  hohen  Flug.  Alle  haben  grosse  Flügel  und 
einen  kleinen  Leib.  Das  Gehen  wird  ihnen  schwer.  Auf 
Felsen  setzen  sie  sich  selten  nieder,  da  die  Krümmung  der 
Krallen  ihnen  dabei  hinderlich  ist. 

22. 

Nun  wollen  wir  von  dem  zweiten  Geschlechte  reden, 
welche«  in  2  Abtheilungen  zerfällt,  in  Singvögel  r)  und  in 
Flugvögel 2);  bei  jenen  besteht  der  Unterschied  im  Gesänge, 
bei  diesen  in  der  Grösse.  Daher  mögen  auch  letztere  iu 
der  ganzen  Reihe  und  unter  ihnen  selbst  vor  allen  übrigen 
die  durch  Schönheit,  Eitelkeit  und  Ruhm  sich  auszeichnende 
Gattung  der  Pfauen3)  vorangehen. 

Wenn  der  Pfau  gelobt  wird,  breitet  er  seine  gleich 
Edelsteinen  schimmernden  Federn  aus,  und  zwar  meistens 
gegen  die  Sonne,  weil  sie  dann  noch  glänzender  erscheinen. 
Zugleich   sucht   er   durch   die  muschelförmige  Ausbreitung 


')  Oscines,  aus  deren  Gesänge  geweissagt  wurde. 

2)  Alites,  aus  deren  Fluge  geweissagt  wurde. 

3)  Pavo.  Pavo  cristatu6. 


Zehntes  Buch.  237 

seines  Schwanzes  etwas  Schatten  auf  die  übrigen  Federn 
zu  werfen,  damit  sie  im  Schatten  heller  glänzen,  und  zieht 
alle  Augen  der  Federn,  die  er  gern  sehen  lassen  will,  in 
einen  Haufen  zusammen.  Wenn  er,  wie  diess  alljährig 
mit  dem  Abfallen  der  Blätter  geschieht,  seinen  Schwanz  l) 
verloren  hat,  so  versteckt  er  sich  voll  Schaam  und  Be- 
ti  übniss,  bis  er  ihm  wieder  zur  Zeit  der  Baumblüthe  wächst. 
Er  wird  25  Jahre  alt.  Im  3.  Jahre  fangen  seine  Farben 
an  zu  spielen.  Von  den  Schriftstellern  wird  er  nicht  nur 
für  ein  stolzes,  sondern  auch  boshaftes,  und  gleich  der 
Gaus,  für  ein  schamhaftes  Thier  gehalten,  und  Einige  führen 
diese  Eigenschaften  unter  den  Merkmalen  dieser  Vögel  mit 
an,  was  mir  aber  nicht  gefällt. 

23. 

Der  erste,  welcher  zu  Rom  einen  Pfau  zum  Verspeisen 
tödtete,  war  der  Redner  Hortensius,  als  er  beim  Antritt  der 
Priesterwürde  ein  Gastmahl  gab.  Der  erste,  welcher  Pfaueu 
mästete,  war  M.  Aufidius  Lurco,  um  die  Zeit  des  letzten 
Seeräuberkrieges;  er  zog  aus  diesem  Unternehmen  ein  Ein- 
kommen von  60,000  Sestertien. 

24. 

Nächst  den  Pfauen  haben  auch  unsere  nächtlichen 
Wächter 2),  welche  die  Natur  erschuf,  um  uns  Menschen 
zur  Arbeit  zu  rufen  und  den  Schlaf  zu  unterbrechen,  einen 
gewissen  Stolz.  Sie  kennen  die  Gestirne  und  unterscheiden 
am  Tage  die  Zeit  von  3  zu  3  Stunden  durch  ihr  Krähen. 
Mit  der  Sonne  gehen  sie  zur  Ruhe  und  rufen  uns  um  die 
4.  Feldnachtwache  3)  zu  Sorgen  und  Arbeit  zurück.  Sie 
dulden  es  nicht,  dass  der  Aufgang  der  Sonne  uns  unge- 
meldet  beschleicht,  und  verkündigen  den  kommenden  Tag 
durch  ihr  Krähen,  das  Krähen  selbst  aber  durch  das  Schlagen 
der  Flügel.  Sie  beherrschen  ihr  Geschlecht,  und  regieren 
in  jedem  Hause,  wo  sie  sich  aufhalten.   Sie  führen  deshalb 


!)  Nicht   die    Schwanzfedern   sind  es,   welche  dem   männlichen 
Pfau  seinen  Schmuck  verleihen,  sondern  die  Bürzelfedern. 
2)  Die  Hähne.     3;  Morgens  zwischen  3  und  6  Uhr. 


238  Zehntes  Buch. 

auch  Kämpfe  untereinander,  gleichsam  als  wenn  sie  wüssten, 
dass  sie  zu  diesem  Behufe  Waffen  an  ihren  Beinen  hätten, 
und  oft  endigt  ein  solcher  Kampf  mit  dem  Tode  beider. 
Wenn  einer  die  Oberhand  behalten  hat,  krähet  er  sogleich, 
um  seinen  Sieg  zu  verkünden,  und  zu  bezeugen,  dass  er 
nun  der  Herr  ist.  Der  Besiegte  verbirgt  sich  schweigend 
und  erduldet  voll  Gram  die  erlittene  Demüthigung.  Jedoch 
das  Volk  *)  ist  ebenso  stolz,  und  schreitet  mit  erhobenem, 
mit  hohem  Kamm  gezierten  Kopfe  einher.  Er  ist  der  ein- 
zige Vogel,  welcher  oft  den  Himmel  ansieht,  und  dabei 
seinen  sichelförmigen  Schwanz  in  die  Höhe  hebt,  wodurch 
er  sogar  dem  Löwen,  dem  Herzhaftesten  aller  Thiere, 
Schrecken  einflösst.  Einige  unter  ihnen  werden  bloss  zum 
Kriege  und  beständigen  Kampfe  bestimmt,  und  machen 
dadurch  sogar  ihr  Vaterland  berühmt,  wie  die  zu  Ehodus 
und.  Tanagra.  Der  zweite  Rang  wird  den  melischen  und 
chalcidischen  zugestanden,  so  dass  selbst  diese  Vögel  bei 
.  den  vornehmsten  Römern  in  hohem  Ansehen  stehen.  Bei 
ihnen  beobachtet  man  die  Tripudia  solistima  2);  sie  regieren 
täglich  unsere  Magistratspersonen,  und  verschliessen  und 
öffnen  ihnen  ihre  Häuser.  Sie  setzen  die  römischen  Fasces 
in  Bewegung  oder  halten  sie  zurück,  befehlen  oder  ver- 
bieten Schlachten  und  sind  die  Verkündiger  aller  Siege 
auf  der  ganzen  Erde;  sie  besonders  beherrschen  die  Herr- 
scher der  Länder,  und  selbst  ihre  Eingeweide  und  ihr 
.  Fleisch  sind  den  Göttern  nicht  weniger  angenehm  als  die 
reichsten  Opfer.  Auch  ihr  sehr  spätes  und  am  Abend  statt- 
findendes Krähen  hat  seine  Vorbedeutung.  Denn  als  sie 
einst  ganze  Nächte  hindurch  kräheten,  verkündigten  sie 
den  Böotiern  jenen  berühmten  Sieg  über  die  Lacedämonier  3); 


')  Die  Hühner. 

2)  Das  Springen  auf  die  Erde.  Wenn  nämlich  die  Weissage  - 
hühner  so  begierig  frassen,  dass  die  Speise  ihnen  aus  den  Schnabel 
fiel,  folglich  auf  die  Erde  sprang,  so  hielt  man  diess  für  ein  sehr 
glückliches  Zeichen. 

3)  Bei  Leuktra. 


Zehntes  Buch.  239 

man  legte  diess  nämlich  so  aus,  dass  ein  besiegter  Hahn 
nicht  krähet. 

25. 

Wenn  sie  verschnitten  sind,  krähen  sie  nicht  mehr. 
Das  Verschneiden  geschieht  auf  doppelte  Weise,  indem  man 
sie  entweder  an  den  Lenden  oder  an  den  äussersten  Enden 
der  Schenkel  mit  einem  glühenden  Eisen  brennt,  und  die 
Wunde  mit  Töpferthon  verstreicht;  dadurch  werden  sie 
leichter  fett.  Zu  Pergamus  wird  alle  Jahre  ein  öffentliches 
Kampfspiel  zwischen  Hähnen,  gleichwie  zwischen  Gladia- 
toren gegeben  *).  Man  findet  in  den  Annalen,  dass  unter 
den  Consuln  M.  Lepidus  und  Q.  Catulus  ein  Hahn  auf  der 
Villa  des  Galerius  geredet  habe,  der  einzige  Fall  der 
Art,  so  viel  ich  weiss. 

26. 

Auch  die  Gans  ist  wachsam  und  besorgt,  wie  sie 
durch  die  Rettung  des  Capitoliums  2)  bewiesen  hat,  während 
zu  derselben  Zeit  durch  das  Schweigen  der  Hunde  der 
Staat  verrathen  wurde.  Daher  setzen  die  Censoren  das 
Futter  der  Gänse  in  den  Rechnungen  oben  an.  Man  er- 
zählt sogar  Fälle,  die  von  Liebe  bei  diesem  Thiere  zeugen; 
so  verliebte  sich  eine  zu  Aegium  in  den  schönen  Knaben 
Olenius.  eine  andere  in  die  Glauce,  die  Citherspielerin  des 
Königs  Ptolemäus,  welche  gleichzeitig  auch  von  einem 
Widder  geliebt  worden  sein  soll.  Fast  scheint  es  auch, 
als  wenn  sie  einen  Sinn  für  Intelligenz  hätten;  so  soll  eine 
dem  Philosophen  Lacydes 8)  als  stete  Begleiterin  gefolgt, 
und  niemals,  weder  an  öffentlichen  Orten  noch  im  Bade, 
weder  bei  Tage  noch  bei  Nacht  von  ihm  gewichen  sein. 

27. 

Unsere  Landsleute  sind  klüger,  denn  sie  schätzen  sie 
wegen   der  Vortrefflichkeit   ihrer  Leber.    Denen,   die   ge- 


*)  Dies  geschah  auch  zu  Athen,  nach  dem  Siege  des  Theinisto- 
cles  bei  Salamis  über  die  Perser. 

2)  Vgl.  Livius  römische  Geschichte  V.  B. 
3j  Er  starb  im  4.  Jahre  der  130.  Olympiade. 


240  Zehntes  Buch. 

mästet  werden,  wächst  sie  zu  einer  bedeutenden  Grösse 
heran;  und  selbst  wenn  sie  herausgenommen  ist,  nimmt  sie 
durch  Milchmeth  *)  noch  zu.  Nicht  gleichgültig  ist  die 
Frage,  wer  zuerst  eine  solche  Leckerspeise  aufgebracht 
hat,  ob  der  gewesene  Consul  Scipio  Metellus  oder  M.  Sejus, 
ein  zu  derselben  Zeit  lebender  römischer  Ritter.  Allein 
(und  diess  ist  gewiss)  Messalinus  Cotta,  der  Sohn  des 
Redners  Messala,  erfand  die  Kunst,  die  platten  Fiisse  der 
Gänse  zu  braten,  und  mit  Hahnenkämmen  in  Schüsseln  zu 
würzen.  Ich  will  nämlich  einem  Jeden  seine  Verdienste 
um  die  Küche  ungeschmälert  zuerkennen.  Merkwürdig  ist 
es  an  diesem  Vogel,  dass  er  von  den  Morinern  2)  bis  nach 
Rom  zu  Fuss  kommt.  Die  ermüdeten  werden  vorn  hinge- 
bracht, und  so  treiben  die  übrigen  sie  vorwärts,  weil  sie 
von  Natur  dicht  gedrängt  gehen.  Ein  zweiter  Tribut,  den 
uns  die  weissen  Gänse  zollen,  besteht  in  ihren  Federn. 
An  einigen  Orten  werden  sie  zweimal  im  Jahre  gerupft, 
die  federtragenden  Thiere  bekleiden  sich  nämlich  bald  von 
Neuem.  Diejenigen  Federn,  welche  sich  dicht  am  Körper 
befinden,  sind  am  weichsten,  und  unter  diesen  die  aus 
Deutschland  kommenden  am  besten.  Die  dortigen  weissen 
Gänse,  welche  aber  kleiner  sind,  heissen  Gantä.  Der 
Preis  ihrer  Federn  beträgt  aufs  Pfund  5  Denare.  Von 
daher  liefen  auch  viele  Beschwerden  über  die  Befehlshaber 
der  Hülfstruppen  ein,  weil  sie,  um  diese  Vögel  zu  fangen, 
ganze  Cohorten  von  den  Wachtposten  ihnen  nachschickten. 
Soweit  ist  die  Weichlichkeit  schon  gekommen,  dass  ohne 
diesen  Gegenstand  die  Hälse  der  Männer  nicht  mehr  aus- 
dauern  kennen  3). 

28. 
Etwas  Anderes  von  den  Gänsen  wurde  in  dem  Theile 
Syriens,  der  Commagene  heisst,  erfunden,  ihr  Fett  bedeckt 


*)  Lac  mulsuni. 

a)  Im  belgischen  Gallien,   am  Kanal,  in  der  Gegend  von  Arras 
in  Artois. 
£_3)  Man  wickelte  ein  Federkissen  um  den  Hals. 


Zehntes  Buch.  241 

man  nämlich  in  einem  ehernen  Gefässe  mit  Zimmt  und 
vielem  Schnee,  überlässt  das  Ganze  einer  strengen  Kälte 
und  bedient  sich  dieser  Zubereitung  als  eines  vortrefflichen 
Arzneimittels,  welches  nach  dem  dort  wohnenden  Volke 
Commagenum  genannt  wird. 

29. 

Zum  Geschleehte  der  Gänse  gehören  auch  die  Chena- 
lopeces  und  die  Chenerotes  *),  die  etwas  kleiner  als 
die  Gänse  sind,  und  in  Britannien  das  köstlichste  Gericht 
ausmachen.  —  Die  Auerhähne2)  ziert  ihr  glänzendes, 
durchaus  schwarzes  Gefieder,  und  ihre  scharlachrothen 
Augenlider.  Eine  zweite  Art  derselben  übertrifft  an  Grösse 
die  Geier,  und  gleicht  diesen  in  der  Farbe.  Kein  anderer 
Vogel,  ausser  dem  Strausse,  erreicht  eine  grössere  Körper- 
schwere, und  diese  nimmt  so  zu,  dass  er  sogar  unbeweg- 
lich auf  der  Erde  sitzen  bleibt  und  so  gefangen  werden 
kann.  Sie  wohnen  in  den  Alpen  und  den  nördlichen  Ge- 
genden. In  den  Vogelhäusern  verliefen  sie  ihren  Geschmack. 
Sie  sterben  aus  Vorsatz,  indem  sie  den  Atheni  an  sich 
halten.  Am  nächsten  kommen  ihnen  die  Vögel,  welche  in 
Spanien  Tarda 3),  in  Griechenland  wtideg  heissen,  aber 
nicht  gegessen  werden;  denn  wenn  das  .Mark  aus  den 
Knochen  gelassen  ist,  entwickelt  sich  sogleich  ein  ekel- 
hafter Gestank. 

30. 

Die  Pygmäen  haben  (wie  bereits  angeführt  wurde) 
nach  dem  Abzüge  der  Kraniche  4),  die  mit  ihnen  streiten. 
Waffenstillstand.  Der  letztem  Weg  ist,  wenn  man  bedenkt, 
dass  sie  vom  eoischen  Meere  kommen,  ungeheuer  weit. 
Wenn  sie  abreisen  wollen,  vereinigen  sie  sich,  fliegen  hoch. 
um  sich  umsehen  zu  können,  wählen  sich  einen  Führer, 
dem  sie  folgen;  an  das  Ende  des  Zuges  werden  abwechselnd 
einige  postirt,  welche  schreien,  und  durch  ihre  Stimme  die 


')  Wahrscheinlich  bloss  Spielarten  der  Gans  und  Ente. 
2)  Tetraones.  Tetrao  Urogallus.    3)  Otis  Tarda  L.  Trappe. 
4)  Grues.  Grus  cineria  L. 

Wittstein:  Plinius.     II.  Bd.  tfi 


242  Zehntes  Buch. 

Schaar  zusammenhalten.  Des  Nachts  stellen  sie  Wachen 
aus,  welche  einen  Stein  in  einer  Klaue  halten,  die,  wenn 
sie  einschlafen,  erschlafft,  den  Stein  fallen  lässt  und  so> 
ihre  Nachlässigkeit  verrät!).  Die  übrigen  schlafen  mit 
unter  die  Flügel  verborgenem  Kopfe,  und  abwechselnd  auf 
einem  oder  den  andern  Beine  stehend.  Der  Anführer  sieht 
sich  mit  langvorgestrecktem  Halse  um  und  warnt.  Wenn 
sie  gezähmt  sind,  springen  sie  muthwillig  umher  und  laufen 
jeder  besonders  im  Kreise  herum.  Man  weiss,  dass,  wenn 
sie  über  den  Pontus  fliegen  wollen,  sie  vor  allen  die  Meer- 
enge zwischen  den  beiden  Vorgebirgen  Criumetopon  und 
Carambis  aufsuchen  und  sich  dann  mit  Ballast  beschweren. 
Sind  sie  über  die  Mitte  hinaus,  so  lassen  sie  die  Steine 
aus  ihren  Klauen  fallen,  und  haben  sie  das  Festland  er- 
reicht, so  geben  sie  auch  den  Sand  aus  ihrer  Kehle.  Cor- 
nelius Nepos,  der  unter  der  Regierung  des  Kaisers  Augustus 
starb,  fügt  da,  wo  er  von  dem  Mästen  kurz  vorher  ge- 
fangener Krammetsvögel  *)  spricht,  hinzu,  die  Störche  wären 
beliebter  als  die  Kraniche,  da  doch  gegenwärtig  dieser 
Vogel  ausserordentlich  geschätzt  wird,  und  jenen  Niemand 

anrühren  mag. 

31. 
Woher  die  Störche '2)  kommen,  oder  wohin  sie  wieder 
zurückziehen,  hat  man  bis  jetzt  noch  nicht  erfahren  können.. 
Dass  sie,  ebenso  wie  die  Kraniche,  weit  her  kommen,  ist 
keinem  Zweifel  unterworfen;  jene  stellen  sich  im  Winter, 
diese  im  Sommer  ein.  Wenn  sie  uns  verlassen  wollen,  ver- 
sammeln sie  sich  an  einem  bestimmten  Orte,  und  ziehen 
alsdann  in  Gesellschaft,  so  dass  keiner  ihres  Geschlechts, 
der  nicht  gefangen  oder  gefesselt  ist,  zurückbleibt,  an  einem, 
wie  durch  ein  Gesetz  bestimmten  Tage  ab.  Niemand  sieht 
den  Schwärm  wegziehen,  wenn  man  es  gleich  merken 
kann,  dass  er  sich  fortbegeben  will;  auch  sehen  wir  sie 
nicht  ankommen,  sondern  dann  erst,  wenn  sie  bereits  da- 
sind, denn  beides  geschieht  des  Nachts.    Und  obgleich  sie 


')  Turdi.  Turdus  pilaris.  a)  Ciconiae. 


Zehntes  Buch.  243 

hin  und  her  fliegen,  so  glaubt  man  doch  nirgends,  dass  sie 
anders  als  zur  Nachtzeit  angekommen  sind.  In  einer  aus- 
gedehnten Ebene  Asiens  heisst  ein  Ort  Pythonsdorf  '),  wo 
sie  sich  versammeln,  gemeinschaftlich  ein  Geschrei  erheben, 
den  zuletzt  ankommenden  zerreissen,  und  dann  fortziehen. 
Man  hat  bemerkt,  dass  sie  nach  dem  13.  August  dort  in 
der  Regel  nicht  mehr  gesehen  werden.  Einige  behaupten, 
die  Störche  hätten  keine  Zunge.  Sie  stehen  wegen  der 
Vertilgung  der  Schlangen  in  solchem  Ausehen,  dass  es  in 
Thessalien  für  ein  Capital- Verbrechen  galt  einen  Storch  zu 
tödten  und  dass  die  Gesetze  dieselbe  Strafe  dafür  dictirten, 
wie  für  einen  Menschenmord. 

32. 
Ebenso  ziehen  auch  die  Gänse  und  Schwäne  2)  in  Ge- 
sellschaft, allein  diese  sieht  man  fliegen.  Sie  schweben  in 
Gestalt  eines  liburnischen  Fahrzeugs  mit  vorgestrecktem 
Schnabel,  weil  sie  auf  diese  Art  die  Luft  besser  durch- 
schneiden können,  als  wenn  sie  eine  breite  Fronte  bilden 
würden.  Nach  hinten  verlängert  sich  der  Schwärm  wie 
ein  allmählig  zunehmender  Keil,  und  giebt  der  Luft  dadurch 
Gelegenheit  sie  fortzutreiben.  Die  Hälse  legen  sie  auf  die 
vor  ihnen  fliegenden,  und  die  ermüdeten  Führer  nehmen 
sie  auf  den  Rücken.  Die  Störche  nehmen  von  ihren  alten 
Nestern  wieder  Besitz;  die  alten  werden  von  den  jungem 
ernährt.  Die  Schwäne  sollen  beim  Sterben  einen  kläglichen 
Gesang  hören  lassen,  jedoch  halte  ich  diess,  einigen 
Beobachtungen  zufolge,  für  eine  Fabel.  Sie  fressen  sich 
untereinander  auf. 

33. 
Bei  Erwähnung  dieser  gemeinschaftlichen  Reisen  obiger 
Vögel  über  Meere  und  Länder  darf  ich  auch  die  kleinern 
Vögel  nicht  länger  unberührt  lassen,  welche  eine  jenen 
ähnliche  Lebensweise  haben,  wenn  gleich  die  obengenannten 
durch  ihre  Grösse  und  Kräfte  mehr  dazu  geeignet  scheinen 


')  Pythonos  couie.    *)  Olores.  Cygnus  Olor. 

16* 


244  Zehntes  Buch. 

könnten.  Die  Wachteln  1)  kommen  stets  noch  früher  als 
die  Kraniche  an;  es  sind  kleine  Vögel,  die  sich  bei  uns 
mehr  auf  der  Erde  als  in  der  Höhe  aufhalten.  Sie  fliegen 
auf  gleiche  Weise  zu  uns  her,  nicht  ohne  Gefahr  der 
Schiffer,  wenn  sie  sich  dem  Lande  nähern;  denn  oft  fallen 
sie  auf  die  Segel,  und  zwar  immer  des  Nachts,  und.  ver- 
senken die  Schiffe.  Auf  ihrem  Wege  haben  sie  bestimmte 
Herbergen.  Beim  Südwinde  fliegen  sie  nicht,  weil  dieser 
feucht  und  schwer  ist.  Jedoch  wollen  sie  wegen  der  Schwere 
ihres  Körpers  und  wegen  ihrer  geringen  Kräfte  vom  Winde 
fortgetragen  sein.  Daher  rührt  jenes  Angstgeschrei,  das 
ihnen  beim  Fliegen  die  Anstrengung  auspresst.  Deshalb 
fliegen  sie  auch  meistens,  wenn  der  Nordostwind  wehet 
unter  der  Anführung  des  Wachtelkönigs  2).  Die  erste  von 
ihnen,  welche  sich  dem  Lande  nähert,  ergreift  der  Habicht. 
Daher  kehren  sie  immer  wieder  zurück,  und  suchen  ihre 
Begleiter  zum  Vorangehen  yai  bewegen;  es  ziehen  nämlich, 
von  ihnen  verlockt  der  Glottis,  der  Ortolan3)  und  die 
Ohreule4)  zugleich  mit. 

Der  Glottis  streckt  seine  lange  Zunge  heraus,  wobei- 
er auch  den  Namen  hat.  Er  zieht  Anfangs,  wo  ihn  die 
Reise  ergötzt,  eifrig  vorwärts,  später  aber  reuet  ihn  der 
Flug,  wegen  der  Anstrengung.  Ohne  Begleitung  mag  er 
nicht  umkehren  oder  folgen;  folgt  daher  nie  länger  als 
einen  Tag  mit  und  trennt  sich  auf  dem  nächsten  Ruhe- 
punkte vom  Zuge.  Hier  findet  er  aber  andere,  die  im 
vorigen  Jahre  zurückgeblieben  waren,  und  ebenso  an 
jedem  folgenden  Tage.  Der  Ortolan  ist  ausdauernder 
und  eilt  sogar,  in  das  gesuchte  Land  zu  kommen;  daher 
weckt  er  des  Nachts  die  Wachteln,  und  mahnt  sie  an  die 
Reise.  Die  Ohreule  ist  kleiner  als  der  Uhu,  grösser  als 
die  Nachteule,  und  hat  hervorragende  befiederte  Ohren,  von 
denen  sie  ihren  Namen  führt.     Einige   nennen    ihn  im  La- 


')  Coturnices.  Perdix  Coturnix. 
'-)  Ortygometra.  Rallus  Crex  L. 
::)  Cychramus.  Emberiza  hortulans.    4)  Otus.  Strix  Otus. 


Zehntes  Buch.  245 

teinischen  Asia.  Er  ist  übrigens  ein  n  «ach  ahm  ender,  ein- 
schmeichelnder Vogel,  der  auch  eine  gewisse  Art  von  Tanz 
versteht.  Er  wird,  wie  die  Nachteule,  leicht  gefangen; 
während  er  seine  Aufmerksamkeit  auf  den  einen  Jäger 
richtet,  umgeht  ihn  der  andere.  Wenn  der  Wind  von  der 
entgegengesetzten  Seite  wehet  und  den  Zug  hindert,  so  be- 
schweren sie  sich  mit  Steinen,  die  sie  ergreifen  oder  mit 
Sand,  mit  dem  sie  die  Kehle  anfüllen,  und  geben  sich  da- 
durch mehr  Festigkeit  im  Fliegen.  Den  Wachteln  ist  der 
Samen  von  Giftpflanzen  das  angenehmste  Futter,  sie  werden 
aber  deshalb  nicht  gegessen,  und  zugleich  ist  man  auch 
gewohnt,  vor  ihnen  auszn speien,  weil  sie,  und  zwar  ausser 
dem  Menschen,  einzig  und  allein  diejenigen  unter  den 
Thieren  sind,  welche  der  fallenden  Sucht  unterworfen  sind. 

34. 
Auch  die  Schwalben  ziehen  in  den  Wintermonaten 
fort.  Sie  sind  die  eiuzigen  Vögel,  welche  Fleisch  fressen 
und  keine  krummen  Krallen  haben.  Sie  begeben  sich  je- 
doch in  benachbarte  Gegenden,  und  suchen  sonnige  Berg- 
winkel auf,  in  denen  man  sie  auch  nackend  und  federlos 
gefunden  hat.  Man  sagt,  in  Theben  kämen  sie  in  kein 
Haus,  weil  die  Stadt  oft  eingenommen  worden  sei,  auch 
nicht  nach  Bizya,  wegen  der  Schandthat  des  Tereus  *). 
Cäcina  Volaterranus,  ein  Ritter  und  Besitzer  eines  Vierge- 
spanns, Hess  Schwalben  einfangen,  nahm  sie  mit  sich  nach 
Rom,  und  schickte  sie,    weil    sie  zu  ihren  Nestern  zurück- 

')  Der  König  Tereus  von  Daulis  in  Phocis  Genial  der  Prokne, 
Panclions  Tochter,  und  Vater  des  Itys,  wurde  einst,  als  er  nach  Athen 
reiste,  von  Prokne  gebeten,  ihre  Schwester  Philomela  mitzubringen. 
Kr  nahm  sie  mit  sich,  schändete  sie  aber  unterwegs  und  schnitt  ihr 
die  Zunge  aus,  damit  sie  diess  nicht  verrathen  könne.  Philomela 
entdeckte  aber  diese  Schandthat  ihrer  Schwester  durch  ein  Gewebe. 
Aus  Rache  schlachteten  Beide  den  Itys  und  setzten  ihn  dem  Vater 
als  Gericht  vor.  Dieser  erkannte  die  That  und  verfolgte  die  entflie- 
henden Schwestern.  Letztere  riefen  die  Götter  um  Erbarmen  an, 
worauf  alle  verwandelt  wurden,  Prokne  in  eine  Nachtigall,  Philomela 
in  eine  Schwalbe  und  Tereus  in  einen  Wiedehopf.  Spätere,  besonders 
römische  Dichter  Hessen  die  Philomela  zur  Nachtigall  werden. 


246  Zehntes  Buch. 

kehren,  mit  der  Farbe  der  siegenden  Parthei  bestrichen 
seinen  Freunden  als  Siegesboten  zurück.  Auch  Fabius 
Pictor  v)  erzählt  in  seinen  Annalen:  als  eine  römische  Be- 
satzung von  den  Ligustinern  belagert  wäre,  habe  man  eine 
Schwalbe  von  ihren  Jungen  genommen  und  zu  ihm  gebracht, 
damit  er  ihr  einen  leinenen  Faden  an's  Bein  binden,  und 
durch  die  Anzahl  der  in  demselben  geknüpften  Knoten  zu 
erkennen  geben  möchte,  am  wie  vielsten  Tage  Hülfe  an- 
langen würde  und  ein  Ausfall  unternommen  werden  könnte. 

35. 
Auch  die  Amseln  2),  Krammetsvögel 3)  und  Staare  4) 
ziehen  fort,  bleiben  aber  ebenfalls  in  den  benachbarten 
Gegenden.  Sie  verlieren  ihre  Federn  nicht  und  verbergen 
sich  auch  nicht;  oft  sieht  man  sie  dort  ihr  Winterfutter 
suchen.  Die  Krammetsvögel  werden  im  Winter  in  Deutsch- 
land am  meisten  wahrgenommen.  Richtiger  ist  es,  dass 
die  Turteltaube5)  sich  verbirgt  und  die  Federn  verliert. 
Auch  die  Holztauben  6)  ziehen  weg,  man  weiss  aber  nicht 
wohin.  Die  Staare  haben  das  Eigenthümliche,  schaaren- 
weise  zu  fliegen,  und  sich  wie  ein  Ball  im  Kreise  herum- 
zudrehen, indem  sich  alle  nach  der  Mitte  des  Haufens 
drängen.  Unter  den  Vögeln  hat  die  Schwalbe  allein  einen 
äusserst  schnellen  wellenförmigen  Flug:  sie  ist  deshalb 
auch  der  Raubsucht  anderer  Vögel  nicht  ausgesetzt.  End- 
lich ist  sie  auch  der  einzige  Vogel,  der  nur  im  Fliegen 
frisst. 

36. 
Hinsichtlich    der   Zeit    ihres  Aufenthalts    herrscht   bei 
den  Vögeln   eine    grosse   Verschiedenheit.     Einige   bleiben 
das  ganze  Jahr  hindurch  bei  uns,  wie  die  Feldtauben7); 


')  Der  erste  römische  Annalist,  lebte  um  222  v.  Chr. 
-)  Merulae.     Turdus  Merula  L. 
3i  Turdi.  Turdus  pilaris  L. 

4)  Sturni.  Sturnus  vulgaris  L. 

5)  Turtur.  Columba  Turtur  L. 

G)  Palumbes.     Columba  Palumbus  L. 
7)  Columbae.  Columba  livia  L. 


Zehntes  Buch.  247 

andere  nur  ein  halbes  Jahr,  wie  die  Schwalben;  wieder 
andere  nur  3  Monate,  wie  die  Krammetsvögel  und  Turtel- 
tauben, und  einige  ziehen  weg,  sobald  sie  ihre  Jungen  aus- 
geführt haben,  wie  der  Galgulus1)  und  Wiedehopf2). 

37. 

Mehrere  Schriftsteller  erzählen,  es  kämen  jedes  Jahr 
Vögel  aus  Aethiopien  nach  Ilium  geflogen,  und  kämpften 
bei  dem  Grabhügel  des  Memnon,  weshalb  sie  Memnon  s- 
Vögel  Wessen.  Dasselbe  sollen  sie  alle  5  Jahre  in  Aethi- 
opien bei  der  Residenz  des  Memnon  thun,  wie  Cremutius  3) 
erfahren  haben  will. 

38. 

Auf  ähnliche  Weise  kämpfen  die  Meleagers-Vögel 
in  Böotien.  Diess  ist  eine  Art  afrikanischer  Hühner,  welche 
bucklig  und  mit  bunten  Federn  bedeckt  sind;  sie  waren 
unter  den  ausländischen  Vögeln  wegen  ihres  unangenehmen 
Geschmacks  die  letzten,  welche  man  auf  die  Tafel  brachte, 
allein  das  Grab  des  Meleager  hat  sie  berühmt  gemacht. 

39. 
Seleuciden  heissen  gewisse  Vögel,  deren  Ankunft  die 
Bewohner  dss  Berges  Casius  vom  Jupiter  erflehen,  wenn 
Heuschrecken  ihre  Felder  verwüsten.  Man  weiss  weder 
woher  sie  kommen,  noch  wohin  sie  ziehen,  und  sie  werden 
nur  dann  gesehen,  wenn  man  ihrer  Hülfe  bedarf. 

40. 
Auch  die  Aegypter  rufen  ihren  Ibis4)   gegen   die  an- 
kommenden Schlangen  an,  und  die  Eleer  den  Fliegengott 5), 
wenn  die  vielen  Fliegen  ihnen  Verderben  bringen;    sobald 
diesem  Gotte  geopfert  ist,  kommen  die  Fliegen  sogleich  um. 


')  Wahrscheinlich  der  Racke,  Coracias  garruht. 

2)  Upupa.  Upupa  Epops  L. 

3)  Aulus  Cremutius  Cordus,  beschrieb  unter  Augustus  dessen 
Thaten  und  die  Bürgerkriege,  wurde  aber  wegen  seiner  Freimüthig- 
keit  bei  Tiberius  verklagt,  und  starb,  von  seinem  Untergange  über- 
zeugt, freiwillig  den  Hungertod. 

4)  Ibis.  Ibis  religiosa  Cuv.     5)  Myiagrus  Deus. 


248  Zehntes  Buch. 

41. 
Beim  Wegziehen  der  Vögel  sollen  sich  die  Nachteulen 
wenige  Tage  hindurch  verborgen  halten;  ihr  Geschlecht 
Hmlet  man  auf  der  Insel  Creta  nicht,  und  wenn  eine  dahin 
gebracht  wird,  so  stirbt  sie.  Denn  auch  hierin  zeigt  die 
Natur  eine  wunderbare  Verschiedenheit,  indem  sie  einigen 
Orten  dieses,  andern  Orten  jenes  versagt  hat;  wie  sie  es 
mit  den  verschiedenen  Früchten  und  Sträuchern  macht,  so 
auch  mit  den  Thieren.  Das  Nichtvorkommen  erscheint 
nicht  sehr  auffallend  und  als  etwas  Gewöhnliches,  aber, 
dass  die  eingeführten  sterben,  bleibt  höchst  wunderbar. 
Was  ist  das  nun,  was  dem  Gedeihen  dieser  oder  jener 
Gattung  entgegen  steht?  Woher  kommt  dieser  Hass  der 
Natur?  Oder,  welches  sind  die  den  Thieren  bestimmten 
Ländergrenzen?  Auf  der  Insel  Rhodus  giebt  es  keine  Adler. 
Im  transpadanischen  Italien,  am  Fusse  der  Alpen,  liegt  ein 
See,  Namens  Larius,  mit  angenehmer  waldiger  Umgebung, 
an  welchen  keine  Störche  kommen,  ja  ihn  in  einem  Um- 
kreise von  8  Meilen  meiden.  In  dem  angrenzenden  Gebiete 
der  Insubrier  giebt  es  ungeheuere  Schwärme  von  Racken  *) 
und  Dohlen2),  von  denen  die  letztern  die  einzigen  Vögel 
sind,  welche  einen  merkwürdigen  Trieb  haben,  Gold  und 
Silber  zu  stehlen.  Im  tarentinischen  Gebiete  soll  es  keinen 
Schwarzspecht  geben.  Neulich,  aber  bis  jetzt  noch  selten, 
haben  sich  vom  Apennin  an  bis  nach  Rom  Elstern  3)  sehen 
lassen,  welche  sich  durch  einen  langen  Schwanz  auszeichnen, 
und  die  man  bunte  nennt.  Sie  haben  das  Eigentümliche, 
dass  sie  sich  alle  Jahre,  wenn  der  Rübsamen  gesäet  wird, 
mausern.  Die  Rebhühner  4)  fliegen  nicht  über  die  Grenzen 
von  Böotien  nach  Attika,  und  auf  der  Insel  im  Pontus,  auf 
welcher  Achilles  begraben  ist,  fliegt  kein  Vogel  über  den 
jenem   geweiheten  Tempel.    Im   fidenatischen  Gebiete  un- 


')  Gracculi.  Coracias  Garrula  L. 

2)  Monedulae.     Corvus  Monedula. 

3)  Picae.  Corvus  Pica  L. 

4j  Perdices.  Perdix  cinerea. 


Zehntes  Buch.  249 

weit  Rom  hecken  und  bauen  keine  Störche.  Dagegen 
kommen  alljährlich  eine  grosse  Menge  Holztauben  vom 
Meere  her  in's  volaterranische  Gebiet.  In  den  Tempel  des 
Herkules  auf  dem  Ochsenmarkte *)  zu  Rom  kommen 
weder  Fliegen  noch  Hunde.  Ausserdem  wäre  noch  vieles 
Aehnliche  bei  den  einzelnen  Gattungen  anzuführen,  was 
ich  aber,  um  nicht  zu  langweilen,  übergehe.  Theophrastus 
erzählt  noch,  die  Tauben,  Pfaue  und  Raben  in  Asien,  und 
die  mit  einer  Stimme  versehenen  Frösche  in  der  cyrenaischen 
Provinz  wären  eingeführte  Thiere. 

42. 

Eine  andere  Art  von  Bewunderung  verdienen  die 
Singvögel;  fast  alle  ändern  nämlich  zu  einer  bestimmten 
Jahreszeit  die  Farbe  und  Stimme,  und  werden  auf  einmal 
ganz  andere  Vögel,  was  unter  den  grössern  Gattungen  nur 
bei  den  Kranichen  der  Fall  ist,  denn  diese  bekommen  im. 
Alter  eine  schwarze  Farbe.  Die  Amsel  geht  aus  dem 
Schwarzen  in's  Rothe  über,  singt  im  Sommer,  stammelt  im 
Winter  und  ist  zur  Zeit  des  Solstitiums  stumm.  Auch  der 
Schnabel  wird,  wenn  sie  jährig  sind,  weiss,  jedoch  nur  bei 
den  Männchen.  Die  Krammetsvögel  sind  im  Sommer  um 
den  Hals  herum  bunt,  im  Winter  einfarbig. 

43. 

Die  Nachtigall 2),  welche  15  Tage  und  Nächte  hin- 
durch zur  Zeit  des  Laubausbruchs  ununterbrochen  ihren  ge- 
schwätzigen Gesang  hören  lässt,.  verdient  nicht  die  letzte 
Bewunderung  unter  den  Vögeln,  denn  erstens  erwäge  man 
eine  so  starke  Stimme  und  einen  so  ausdauernden  Athem 
in  einem  so  kleinen  Körperchen.  Ferner  ist  sie  der  einzige 
Vogel,  der  Töne  hören  lässt,  die  vollkommen  nach  den 
Regeln  der  Musik  mit  einander  abwechseln;  bald  hält  sie 
den  Ton  in  einem  Athem  lange  aus,  bald  wechselt  sie  mit 
Läufen,    bald   setzt   sie   kurz   ab   und   verbindet  die  Töne 


')  Vergl.  Plin.  XXXV   4.   und   Liv.  X.    86:    Das  Forum   boarium 
war  ein  Theil  des  jetzigen  Campo  vaccino. 
2)  Luscinia.  Sylvia  Luscinia. 


250  Zehntes  Buch. 

schleifend;  bald  singt  sie  mit  in  sich  gezogenem  Athem, 
bald  auf  eine  unerwartete  Weise  mit  unterdrückter  Stimme. 
Zuweilen  ist  der  Ton  murmelnd  oder  voll,  stark,  hell,  schnell 
oder  gedehnt,  und  wie  es  ihr  gefällt,  trillernd  in  der  Höhe, 
Mitte  und  Tiefe.  Kurz  alles,  was  die  Kunst  der  Menschen 
auf  den  besten  musikalischen  Instrumenten  zu  leisten  ver- 
mag, ist  in  dieser  kleinen  Kehle  beisammen,  so  dass  ohne 
Zweifel  diese  Anmuth  durch  eine  kräftige  Deutung  vorher 
verkündigt  wurde,  als  eine  Nachtigall  auf  dem  Munde  des 
noch  jugendlichen  Stesichorus  sang.  Und  damit  Niemand 
an  dem  Kunstgemässen  dieses  Gesanges  zweifle,  so  be- 
merke ich  noch,  dass  eine  jede  auf  verschiedene  Weise  zu 
singen  weiss  und  ihre  eigene  Melodie  hat.  Sie  wetteifern 
untereinander,  und  streiten  muthvoll  öffentlich  um  den  Sieg. 
Die  Besiegte  hat  oft  den  Tod  davon,  indem  sie  eher  den 
Athem  ausgehen  lässt,  als  sie  aufhört  zu  singen.  Andere 
jüngere  üben  sich,  und  hören  Stücke  an,  die  sie  dann  nach- 
singen. Die  Schülerin  ist  äusserst  aufmerksam,  singt  nach 
und  schweigt  abwechselnd.  Man  merkt  an  dem  verbesserten 
Gesänge,  wenn  sie  getadelt  ist,  und  sieht  es  der  Lehrerin 
an,  wenn  diese  tadelt.  Daher  stehen  sie  in  gleichem  Werthe 
mit  den  Sclaven,  und  werden  jetzt  theurer  bezahlt,  als  vor- 
mals die  Waffenträger.  Ich  weiss,  dass  einst  eine  weisse, 
(was  eine  grosse  Seltenheit  ist),  für  6000  Sesterzien  ge- 
kauft, und  der  Agrippina,  der  Gemalin  des  Kaisers  Claudius 
geschenkt  wurde.  Schon  oft  hat  man  bemerkt,  dass  sie 
auf  Befehl  zu  singen  angefangen,  und  mit  einer  Symphonie 
abgewechselt  haben;  sowie  man  auch  Menschen  gefunden 
hat,  welche  deren  Stimme  dadurch,  dass  sie  Wasser  in 
eine  Querflöte  gössen,  in  das  Loch  bliesen  und  die  Zunge 
etwas  anhielten,  auf  das  Täuschendste  nachahmten.  Allein 
dieser  so  vortreffliche  und  kunstvolle  Gesang  hört  nach 
15  Tagen  allmählig  auf,  ohne  dass  man  sagen  kann,  sie 
sind  dadurch  ermüdet  oder  dessen  überdrüssig.  Bald  nach- 
her, wenn  die  Hitze  zunimmt,  wird  ihre  Stimme  eine  ganz 
andere,  und  ist  dann  weder  abwechselnd  noch  mannigfaltig. 
Auch  ihre  Farbe  ändert  sich.     Endlich  im  Winter  sieht  man 


Zehntes  Buch.  251 

sie  gar  nicht.  Ihre  Zunge  ist  vorn  nicht  so  dünn,  wie  bei 
den  übrigen  Vögeln.  Sie  legen  im  Anfange  des  Frühlings, 
und  nie  mehr  als  (3  Eier. 

44. 

Anders  verhält  es  sich  mit  den  Feigenschnepfen l), 
denn  diese  verändern  zugleich  Gestalt  und  Farbe.  Sie 
führen  jenen  Namen  im  Herbste,  nicht  aber  späterhin,  son- 
dern heissen  dann  Schwarzköpfe  2).  So  heisst  ein  anderer 
Vogel  im  Winter  Rothkelchen3),  im  Sommer  Roth- 
schwänzchen4). Auch  der  Wiedehopf  verändert  sich,  wie 
der  Dichter  Aeschylus  augiebt;  dieser,  übrigens  hinsicht- 
lich seiner  Lebensweise  schmutzige  Vogel  hat  auf  seinem 
Kopfe  einen  schönen  Kamm,  der  sich  zusammenfalten  lässt, 
und  den  er  der  Länge  des  Kopfes  nach  zusammenziehen 
und  aufrichten  kann. 

45. 

Der  Oenanthe5)  hat  auch  seine  bestimmten  Tage,  an 
-denen  er  sich  versteckt,  denn  beim  Aufgange  des  Sirius 
verschwindet  er,  und  beim  Untergange  desselben  kommt 
er  wieder  zum  Vorschein,  und,  was  merkwürdig  ist,  beides 
geschieht  stets  genau  an  denselben  Tagen.  Auch  der 
Grünling6),  der  ganz  gelbgrün  ist,  lässt  sich  im  Winter 
nicht  sehen,  und  kommt  zur  Zeit  der  Solstitien  hervor.  Die 
Amseln7)  sind  in  der  Gegend  von  Cvllene  in  Arcadien, 
sonst  aber  nirgends  weiss.  Der  Ibis  ist  nur  bei  Relusium 
schwarz  8),  sonst  überall  weiss  9). 

46. 

Die  Singvögel,  ausser  denen,  die  wir  ausgenommen 
haben,  hecken  nicht  leicht  vor  dem  Frühlings-  oder  nach 
dem  Herbst-Aequinoctium;  vor  dem  Solstitium  aber  kommen 


l)  Ficedulae.  Motacüla  Ficedula  L.    s)  Melancoryphi. 

3)  Erithacus.  Sylvia  rubecula. 

4)  Phoenicurus.  Sylvia  phoenicurus. 

5)  Saxicola  oenanthe,  der  Steinschmätzer. 

6)  Ohlorion.  Loxia  chloris.     T)  Merulae.  Turdus  Merula. 
3)  Ibis  Falcinellus.    9)  Ibis  religiosa. 


252  Zehntes  Buch. 

sie  nur  selten  auf,  nach   dem  Solstitium    hingegen    bleiben 
sie  am  Leben. 

47. 
Besonders  zeichnen  sich  hierin  die  Eisvögel1)  ausr 
Die  Tage,  an  welchen  sie  Junge  bekommen,  sind  dem 
Meere  und  den  Schiffern  bekannt.  Der  Vogel  selbst  ist 
etwas  grösser  als  ein  Sperling,  grösstentheils  von  blauer 
Farbe  mit  untermischten  purpurnen  und  weissen  Federn, 
und  hat  einen  dünnen  und  langen  Hals.  Die  kleinen  singeu 
im  Schilfe.  Es  ist  ein  seltener  Fall,  einen  Eisvogel  zu 
sehen;  man  erblickt  sie  nur  beim  Untergange  des  Sieben- 
gestirns und  zur  Zeit  des  Wintersolstitiums,  wo  zuweilen 
einer  ein  Schiff  umflattert,  aber  sogleich  wieder  in  sein 
Versteck  zurückkehrt.  Sie  hecken  während  des  Winter- 
solstitiums, welche  Tage  die  halcyonischen  genannt  werden, 
weil  während  derselben  das  Meer,  und  besonders  das  sici- 
lische  ruhig  und  schiffbar  ist.  Sie  bauen  aber  7  Tage  vor 
dem  kürzesten  ihre  Nester,  und  legen  ebenso  viele  Tage 
hindurch.  Ihre  Nester  sind  bewunderungswürdig,  sie  haben 
nämlich  die  Gestalt  eines  Balls,  eine  etwas  hervorragende, 
sehr  enge  Oeffnung,  und  sehen  aus  wie  ein  grosser 
Schwamm.  Mittelst  Eisen  können  sie  nicht  zerschnitten 
werden,  sie  zerbrechen  aber  durch  einen  starken  Schlag 
wie  trockner  Meerschaum.  Man  weiss  nicht,  woraus  sie 
zusammengesetzt  sind,  glaubt  aber  aus  spitzen  Gräten,, 
denn  sie  leben  von  Fischen.  Sie  kommen  auch  in  die 
Flüsse  und  legen  5  Eier. 

48. 
Die  Möven  2)  nisten  auf  Felsen;  die  Sägetaucher  3)  auch 
auf    Bäumen.    Sie    legen   meistens   3  Eier,   aber  jene   im 
Sommer,  diese  zu  Anfang  des  Frühlings. 

49. 
Die  Gestalt   des  Nestes   der  Eisvögel    erinnert  mich 
auch   an    die  Geschicklichkeit  der  übrigen  Vögel  in  dieser 


')  Halcyones.  Alcedo  Ispida  L. 

")  Gaviae.  Larus  L.     3)  Mergi.    Mergus  merganser. 


Zehntes  Buch.  253 

Beziehung,  und  in  keinem  andern  Stücke  ist  ihr  Verstand 
bewunderungswerther.  Die  Schwalben  bauen  aus  Lehm 
und  befestigen  das  Ganze  durch  Stroh.  Wenn  es  ihnen  an 
Lehm  mangelt,  so  machen  sie  sich  nass  und  besprengen 
den  Staub  mit  ihren  Flügeln.  Das  Nest  selbst  aber  legen 
sie  mit  weichen  Federn  und  Flaum  aus,  damit  die  Eier 
warm  bleiben,  und  die  Jungen  kein  hartes  Lager  haben. 
Die  Jangen  füttern  sie  der  Reihe  nach  gleichmässig.  Mit 
besonderer  Reinlichkeit  schaffen  sie  den  Unrath  der  Jungen 
heraus,  und  lehren  diesen,  wenn  sie  etwas  herangewachsen 
sind,  sich  herumzudrehen,  und  die  Excremente  zum  Neste 
heraus  zu  lassen,  Eine  andere  Art  von  Schwalben  sind 
die  Land-  r)  und  Feldschwalben  2),  welche  selten  in  Häusern 
bauen,  deren  Nester  anders  gestaltet,  aber  von  demselben 
Mateiiale,  ganz  umgekehrt,  mit  einer  lang  zugehenden 
Oeffnung,  und  einem  geräumigen  Bauche  versehen  sind;  es 
ist  merkwürdig,  mit  welcher  Kenutniss  sie  dieselben  zur 
Yerbergung  und  zum  weichen  Lager  der  Jungen  einzu- 
richten wissen.  An  der  heracleotischen  Mündung  von  Ae- 
gypten  setzen  die  Schwalben  durch  fortgesetztes  aneinander- 
bauen  ihrer  Nester  dem  austretenden  Nile  einen  unzer- 
störbaren Wall,  der  beinahe  1  Stadium  misst,  entgegen; 
Menschenhände  würden  ein  so  grossartiges  Werk  nicht  zu 
Stande  bringen.  Ebendaselbst  liegt  bei  der  Stadt  Coptos 
eine  der  Isis  geheiligte  Insel,  welche  sie  durch  ihre  Arbeit 
schützen,  damit  der  Fluss  sie  nicht  wegschwemme.  Sie 
fangen  in  den  ersten  Frühlingstagen  damit  an,  die  Spitze 
der  Insel  mit  Spreu  und  Stroh  zu  befestigen,  und  fahren 
damit  3 1  Tage  und  3  Nächte  hindurch  mit  solcher  An- 
strengung fort,  dass,  wie  man  weiss,  viele  dabei  ihren 
Tod  finden.  Und  diese  Arbeit  erwartet  sie  jedes  Jahr 
wieder. 

Eine  dritte  Art  von  Schwalben  sind  diejenigen,  welche 
•die   Ufer   aushöhlen.3),   und    daselbst    ihre  Wohnung   auf- 

')  Hirundines  rusticae.     -)  Hirimdines  agjpqstes. 
3)  Hirundo  riparia. 


254  Zehntes  Buch. 

schlagen.  Ihre  Jungen  weiden  zu  Asche  gebrannt  als  Heil- 
mittel bei  einem  tödtlichen  Halsübel  und  vielen  andern 
Krankheiten  des  menschlichen  Körpers  gebraucht.  Sie 
bauen  keine  Nester,  und  ziehen  viele  Tage  vorher  fortr 
wenn  zu  erwarten  steht,  dass  der  Fluss  bei  seinem  Steigen 
ihre  Wohnsitze  erreicht. 

50. 
Zu  dem  Geschlechte  der  Vitiparren  x)  gehört  ein  Vogel,, 
der  sein  Nest  aus  tiocknem  Moose  zu  einem  so  vollkommen 
runden  Balle  bauet,  dass  man  den  Eingang  dazu  nicht 
finden  kanD,  Der  sogenannte  Acanthyllis  bauet  sein 
Nest  in  gleicher  Gestalt  aus  Flachs.  Eine  Art  Spechte 
hängt  ihr  becherförmiges  Nest  an  einem  der  obersten 
Aeste  auf,  so  dass  es  kein  vierfüssiges  Thier  erreichen 
kann.  Der  Galgulus  soll  sogar,  wie  man  versichert,  an 
seinen  Beinen  herabhängend  schlafen,  weil  er  auf  diese 
Weise  sicherer  zu  sein  hofft.  Alle  aber  haben  das  gemein, 
dass  sie  die  Stellen,  wo  sich  Aeste  kreuzen  zum  Tragen 
des  Nestes  wählen,  dass  sie  es  zum  Schutze  gegen  den 
Regen  wölben  und  dicht  mit  Laub  bedecken.  In  Arabien 
bauet  der  sogenannte  Zimmtvogel 2)  sein  Nest  aus  Zimmt. 
Die  Eingebornen  schiessen  dasselbe  des  Zimmts  wegen  mit 
bleibeschlagenen  Pfeilen  herab.  In  Scythien  ist  ein  Vogel 
von  der  Grösse  der  Trappe,  welcher  2  Eier  legt,  und  sie 
stets  in  einem  Hasenfelle,  das  an  den  Spitzen  der  Aeste 
aufgehängt  ist,  ausheckt.  Wenn  die  Elstern  merken,  dass 
ihr  Nest  von  einem  Menschen  aufmerksam  betrachtet  worden 
ist,  so  tragen  sie  die  Eier  anderswohin.  Diess  soll  von 
diesen  Vögeln,  deren  Klauen  zum  Ergreifen  und  Tragen 
der  Eier  nicht  geeignet  sind,  auf  eine  wunderbare  Weise 
bewerkstelligt  werden.  Sie  legen  nämlich  einen  Zweig 
über  je  zwei  Eier,  leimen  ihn  mit  ihrem  zähen  Miste  fest, 
legen  den  Hals  mitten  darunter,  und  bringen  sie  so  im 
Gleichgewichte  an  einen  andern  Ort. 


«)  Pari  (?),  Meisen. 
a)  Cinnamolgos. 


Zehntes  Buch.  255- 

51. 

Nicht  geringer  ist  aber  auch  die  Geschicklichkeit  der- 
jenigen Vögel,  welche  sich  auf  der  Erde  ihr  Lager  bereitenr 
weil  die  Schwere  ihres  Körpers  sie  hindert  in  die  Höhe 
zu  gelangen.  Der  sogenannte  Immenvogel x)  futtert  seine 
verborgenen  Alten;  seine  Flügel  sind  unterhalb  blass,  oben 
blau,  vorn  röthlich.  Er  nistet  in  einer  ti  Fuss  tief  ge- 
grabenen Höhle. 

Die  Rebhühner  schützen  ihr  Nest  so  sehr  durch  Dornen 
und  Gesträuch,  dass  sie  vor  wilden  Thieren  hinreichend 
sicher  sind.  Für  die  Eier  häufen  sie  eine  Unterlage  von 
weichem  Staube  auf,  und  brüten  dieselben  nicht  da  aus,, 
wo  sie  sie  gelegt  haben,  sondern  tragen  sie,  damit  ihr 
öfterer  Aufenthalt  an  demselben  Orte  keinen  Verdacht  er- 
rege, wo  anders  hin.  Sie  täuschen  auch  ihre  Männchen, 
denn  diese  zerbrechen  ihnen  aus  übermässiger  Wollust  die 
Eier,  damit  sie  durch  das  Brüten  nicht  von  ihnen  abgezogen 
weiden.  Dann  kämpfen  die  Männchen  unter  sich  aus  Be- 
gierde nach  dem  Weibchen,  und,  wie  man  sagt,  soll  sich 
der  Besiegte  treten  lassen.  Trogus  erzählt,  diess  geschehe 
auch  zuweilen  von  den  Wachteln  und  Hähnen,  die  Reb- 
hühner aber,  sie  mögen  wild,  jung  oder  überwunden  sein, 
würden  von  den  zahmen  ohne  Unterschied  getreten.  Man 
fängt  sie  bei  diesem  wollüstigen  Streite,  indem  der  Führer 
des  ganzen  Schwanns  auf  den  Lockhahn  des  Vogelfängers 
losgeht,  um  mit  ihm  zu  kämpfen.  Wird  er  gefangen,  so 
tritt  ein  anderer  hervor,  und  so  einer  nach  dem  andern. 
Die  Weibchen  hingegen  fängt  man  während  des  Tretens, 
indem  sie  alsdann  auf  das  Lockhuhn  des  Vogelfängors  los- 
gehen, um  es  durch  Streiten  zu  verjagen.  Bei  keinem  an- 
dern Thiere  äussert  sich  die  Gewalt  der  Brunst  auf  solche 
Weise.  Wenn  die  Weibchen  den  Männchen  gegenüber 
stehen,  so  werden  sie  schon  durch  die  von  diesen  zu  ihnen 
herüberwehende  Luft  trächtig;  während  dieser  Zeit  aber 
sperren   sie  vor  Hitze  den  Schnabel  auf  und  strecken  die 


x)  Merops.  Merops  Apiaster  L. 


.256  Zehntes  Buch. 

Zunge  heraus.  Sie  empfangen  auch  durch  den  Luftzug 
eines  über  sie  hinfliegenden  Männchens,  ja  oft  schon,  wenn 
sie  seine  Stimme  hören.  Die  Wollust  besiegt  sogar  die 
Liebe  zu  ihren  Juugen;  wenn  nämlich  das  Weibchen, 
welches  verstohlen  und  verborgen  brütet,  merkt,  dass  das 
Leithuhn  des  Vogelfängers  sich  ihrem  Männchen  nähert,  so 
schreiet  und  ruft  sie  es  zurück,  und  giebt  sich  seiner 
Wollust  preis.  Ja  ihre  Wuth  geht  so  weit,  dass  sie  sich 
oft,  blind  vor  der  Furcht,  dem  Vogelsteller  auf  den  Kopf 
setzen.  Wenn  dieser  auf  das  Nest  zugehen  will,  läuft  ihm 
die  Alte  vor  die  Füsse,  stellt  sich  schwerfäliig  und  lenden- 
lahm, fällt  plötzlich  im  Laufe  oder  nach  kurzem  Fliegen, 
als  ob  sie  einen  Flügel  oder  einen  Lauf  gebrochen  habe, 
läuft  wiederum  vor  ihm  her,  entwischt  ihm,  wenn  er  sie 
schon  ergreifen  will,  und  hält  ihn  in  eitler  Hoffnung  hin, 
bis  sie  ihn  von  ihrem  Neste  nach  einer  andern  Richtung 
geführt  hat.  Ist  sie  von  ihrer  Furcht  befreiet  und  der 
mütterlichen  Sorge  entledigt,  so  legt  sie  sich  rücklings  in 
eine  Furche,  ergreift  mit  den  Füssen  eine  Erdscholle,  und 
bedeckt  sich  damit. 

52. 
Nächst  diesen  nimmt  man  vorzüglich  an  den  Tauben 
dieselben  Triebe  auf  ähnliche  Weise  wahr;  aber  vor  allen 
ist  ihnen  Schaamhaftigkeit  eigen,  und  keins  von  beiden 
Geschlechtern  kennt  den  Ehebruch.  Sie  verletzen  die  ehe- 
liche Treue  nicht,  und  leben  in  einer  gemeinschaftlichen 
Wohnung.  Bloss  ein  eheloser  Tauber  oder  eine  Wittwe  ver- 
lässt  das  Nest.  Auch  sollen  die  Männchen  herrschsüchtig 
und  oft  sogar  unwillig  sein,  denn  sie  vermuthen  Ehebruch, 
obgleich  er  ihrer  Natur  widerstreitet.  Dann  ist  ihre  Kehle 
voll  Klage,  und  sie  hacken  wüthend  mit  dem  Schnabel; 
bald  aber  schnäbeln  sie  sich  zur  Versöhnung,  und  er  geht 
unter  Liebesbitteu  und  Schmeicheln  mehrere  Male  um  sie 
herum.  Die  Liebe  zu  ihren  Jungen  ist  bei  beiden  Ge- 
schlechtern gleich  stark,  und  oft  veranlasst  dieser  Umstand 
das  Männchen  zu  einer  Züchtigung,  wenn  sich  das  Weibchen 
zu  saumselig  im  Besuche  der  Jungen  zeigt.     Während  der 


Zehntes  Buch.  257 

Brütezeit  wird  das  Weibchen  von  dem  Männchen  getröstet 
und  bedient.  Den  Jungen  bringen  sie  zuerst  salzige  Erde, 
die  sie  in  ihrer  Kehle  gesammelt  haben,  in  den  Schnabel 
wodurch  sie  die  künftige  Verdauung  der  Speisen  vorbe- 
reiten. —  Diese,  sowie  die  Turteltauben  haben  das  Eigen- 
thtimliche,  dass  sie  beim  Saufen  den  Hals  nicht  hinter- 
wärts beugen,  sondern  wie  das  Zugvieh  in  vollen  Zügen 
trinken. 

Einige  Schriftsteller  geben  an,  die  Holztauben  lebten 
bis  zum  30.,  andere  sogar  bis  zum  40.  Jahre,  und  die  ein- 
zige Unbequemlichkeit  ihres  Alters  bestände  in  ihren 
Krallen,  die  eben  deshalb  auch  ein  Kennzeichen  ihres 
Alters  wären,  und  ohne  Gefahr  abgeschnitten  werden 
könnten.  Der  Gesang  ist  bei  allen  gleich  und  derselbe; 
er  besteht  aus  3  Absätzen  und  ausserdem  am  Sclilusse  aus 
einem  Seufzer.  Im  Winter  sind  sie  stumm  und  erst  im 
Frühlinge  lassen  sie  wieder  ihre  Stimme  hören.  Nigidius 
ist  der  Meinung,  die  sogenannte  Holztaube  verlasse  während 
der  Brütezeit,  selbst  wenn  sie  au's  Haus  gewöhnt  sei,  das 
Nest.  Sie  hecken  aber  nach  dem  Solstitium.  Die  Feld- 
ünd  Turteltauben  werden  8  Jahre  alt.  Dahingegen  hat  der 
Sperling x),  der  ihnen  an  Geilheit  gleichkommt,  ein  sehr 
kurzes  Leben.  Die  Männchen  sollen  nicht  länger  als  ein 
Jahr  alt  werden,  was  man  dadurch  beweisen  will,  dass 
man  im  Anfange  des  Frühlings  keinen  mit  schwarzem 
Schnabel  sieht,  den  sie  im  Sommer  bekommen.  Die  Weib- 
chen leben  etwas  länger. 

Die  Tauben  haben  auch  einen  gewissen  Ehrgeiz.  Man 
sollte  glauben,  sie  kennten  ihre  Farben  und  deren  Mannig- 
faltigkeit, ja  selbst  im  Fluge  suchen  sie  mit  den  Flügeln 
zu  klatschen  und  in  der  Luft  verschiedene  Wendungen  zu 
machen.  Bei  dieser  Prahlerei  überliefern  sie  sich  aber 
gleichsam  gefesselt  dem  Habichte,  denn  durch  das  Rauschen, 
welches  sie  nur   durch   den   hintern  Theil   der  Flügel    be- 


!)  Passer.  Fiingilla  domestica. 

Wittstein:  Plinius      II.  Bd.  17 


258  Zehntes  Buch. 

wirken  können,  verwickeln  sich  ihre  Federn,  während  sie 
sonst  beim  freien  Fluge  weit  schneller  sind.  Der  Räuber 
belauert  sie  hinter  einem  Busche  verborgen,  und  packt  den 
in  seiner  Eitelkeit  trunkenen.  Man  muss  deshalb  mit  den 
Tauben  noch  den  sogenannten  Thurmfalken *)  halten*^ 
denn  dieser  vertheidigt  sie,  und  erschreckt  durch  seine  an- 
geborne  Macht  die  Habichte  so  sehr,  dass  letztere  schon 
vor  seinem  Anblick  und  seiner  Stimme  fliehen.  Aus  diesem 
Grunde  lieben  ihn  die  Tauben  sehr.  Auch  sollen  die 
Tauben,  wenn  Thurmfalken  in  4  Ecken  in  neuen  ver- 
strichenen Töpfen  vergraben  werden,  ihren  Wohnsitz  nicht 
verlassen  (was  Einige  dadurch  bezwecken  wollen,  dass  sie 
ihnen  mit  einem  goldenen  Instrumente,  denn  nur  dann  ist 
die  Wunde  gefahrlos,  Einschnitte  in  die  Flügelgelenke 
machen),1 'sonst  schweift  dieser  Vogel  überall  umher.  Sie 
verstehen  die  Kunst,  einander  zu  schmeicheln  und  zu  ver- 
führen, und  in  Begleitung  der  Entführten   zurückzukehren.. 

53. 

Die  Tauben  haben  auch  schon  in  wichtigen  Angelegen- 
heiten als  Boten  gedient 2);  Decimus  Brutus  schickte  näm^ 
lieh  bei  der  mutinensischen  Belagerung  Briefe,  die  er  an 
ihre  Füsse  gebunden  hatte,  in  das  Lager  der  Consuln. 
Was  nützte  nun  dem  Antonius  der  Wall,  die  Wachsam- 
keit des  Belagerungsheeres  und  selbst  die  im  Flusse  aus- 
gespannten Netze,  da  der  Bote  durch  die  Luft  ging? 
Viele  treiben  die  Liebhaberei  zu  diesen  Vögeln  bis  zum 
Unsinn;  sie  bauen  ihnen  auf  den  Dächern  Thürme,  und 
zählen  den  Adel  und  die  Abkunft  einer  jeden  Taube  her. 
Beispiele  der  Art  fiudet  man  schon  im  Alterthum.  Der 
römische  Ritter  L.  Axius  kaufte,  wie  M.  Varro  erzählt,  vor 
dem  pompejanischen  Bürgerkriege  ein  einziges  Paar  Tauben 


*)  Tinnunculus.  Falco  Tinnunculus  L. 

s)  Man  bedient  sich  dazu  im  Orient  einer  besondern  Art,  Co« 
lumba  tabellaria,  die  sich  durch  einen  breiten,  kahlen,  warzigen  und 
rothen  Augenkreis  auszeichnet. 


Zehntes  Buch.  259 

für  400  Denare.    Sie   haben   sogar  ihr  Vaterland  berühmt 
gemacht;  in  Campanien  sollen  die  grössten  vorkommen. 

54. 
Ihr  Flug  veranlasst  mich,  auch  von  dem  der  übrigen 
Vögel  zu  reden.  Alle  übrigen  Thiere  haben  einen  gewissen, 
einförmigen  und  ihrer  Gattung  eigenthümlichen  Gang; 
bloss  die  Vögel  bewegen  sich  auf  der  Erde  sowohl  wie  in 
der  Luft  auf  verschiedene  Weise.  Einige  schreiten  lang- 
sam, wie  die  Krähen;  andere  hüpfen,  wie  die  Sperlinge 
und  Amseln;  andere  laufen,  wie  die  Rebhühner  und  Wald- 
schnepfen1); werfen  die  Fttsse  vorwärts,  wie  die  Störche 
und  Kraniche;  breiten  die  Flügel  aus,  lassen  sie  schweben 
und  setzen  sie  nur  selten  in  Bewegung;  andere  thun  diess 
häufiger,  aber  nur  mit  den  Spitzen  der  Flügel.  Einige 
breiten  die  ganzen  Flügel  aus,  manche  aber  pressen  sie 
beim  Fliegen  grösstenteils  zusammen;  einige  schweben 
unter  einmaligem,  andere  unter  doppeltem  Schlage  durch 
die  Luft;  und  indem  sie  dieselbe  gleichsam  zusammen- 
pressen, schiessen  sie  in  die  Höhe,  gerade  aus  oder  nieder- 
wärts. Von  einigen  sollte  man  glauben,  sie  würden  fort- 
gestossen,  von  andern,  sie  stürzten  von  oben  herab,  von 
andern,  sie  tanzten  in  der  Luft.  Nur  die  zum  Geschlechte 
der  Enten  gehörenden  erheben  sich  plötzlich  in  die  Höhe, 
steigen  sogleich  in  die  Luft,  und  diess  sogar  aus  dem 
Wasser.  Daher  kommen  sie  auch  allein  wieder  aus  den 
zum  Fange  des  Wildes  gegrabenen  Gruben,  wenn  sie 
hinein  gefallen  sind.  Der  Geier  und  andere  grosse  Raub- 
vögel können  nicht  fliegen,  wenn  sie  nicht  einen  Anlauf 
nehmen  oder  sich  von  einer  Erhöhung  aus  in  Bewegung 
setzen;  ihren  Flug  lenken  sie  durch  den  Schwanz.  Einige 
sehen  umher,  andere  wenden  den  Hals.  Einige  verzehren 
im  Fluge  das,  was  sie  mit  den  Füssen  geraubt  haben. 
Viele  lassen  im  Fliegen  ihre  Stimme  hören,  andere  hin- 
gegen  sind   beständig    ruhig.     Einige    schweben   aufrecht, 


»)  Rusticolae.  Scolopox  rusticola  L. 

17" 


260  Zehntes  Buch. 

andere  vorwärts  geneigt,  in  schräger  Richtung,  nach  der 
Seite,  auf  dem  Kopfe,  und  einige  auf  dem  Rücken,  so  dass, 
wenn  man  mehrere  Arten  zugleich  fliegen  sieht,  es  scheint, 
als  wenn  sie  sich  nicht  in  ein  und  demselben  Elemente 
bewegten. 

55. 

Am  meisten  fliegen  die  sogenannten  Fusslosen1), 
weil  ihnen  der  Gebrauch  ihrer  Füsse  versagt  ist;  Andere 
nennen  sie  auch  Höhlenvögel2).  Sie  gehören  zu  den 
Schwalben,  und  nisten  in  Felsen.  Diese  sind  es,  welche 
man  allenthalben  auf  dem  Meere  erblickt,  und  nie  entfernen 
sich  die  Schiffe  so  weit  und  auf  so  lange  Zeit  vom  Lande, 
dass  sie  nicht  von  demselben  umflattert  würden.  Die 
übrigen  Vögel  setzen  und  stellen  sich  doch,  diese  aber  haben, 
ausser  in  dem  Neste  nirgends  Ruhe,  denn  entweder  fliegen 
sie  oder  sie  liegen. 

56.  ♦ 

Die  Verstandeskräfte  der  Vögel  sind  gleichfalls  sehr 
verschieden,  besonders  was  die  Nahrung  anbetrifft.  Die 
sogenannten  Ziegenmelker3),  welche  einer  grössern 
Amsel  ähnlich  sind,  stehlen  bei  Nacht,  denn  am  Tage 
können  sie  nicht  sehen,  kommen  in  die  Ställe  der  Hirten, 
und  fliegen  nach  den  Eutern  der  Ziegen,  um  die  Milch  zu 
saugen.  Durch  diese  Gewaltthätigkeit  stirbt  das  Euter  ab, 
und  die  Ziegen,  welche  er  auf  diese  Weise  gemolken  hat, 
werden  blind.  Der  Löffelreicher4)  fliegt  auf  die  Vögel, 
welche  sich  in's  Meer  tauchen,  und  beisst  sie  so  lange  in 
den  Kopf,  bis  er  ihnen  den  Raub  abgepresst  hat.  Wenn 
dieser  Vogel  sich  mit  Muscheln  vollgepfropft  hat,  speiet  er 
sie,  nachdem  sie  durch  die  Wärme  des  Bauchs  zergangen 
sind,  wieder  von  sich,  und  sucht  mit  Zurücklassung  der 
Schalen,  das  Geniessbare  heraus. 

57. 

Die  Haushühner  haben  auch  religiöse  Gebräuche.     Sie 


')  Apodes.  Cypselus  Apus,  die  Mauerschwalbe. 

2)  Cypselli.     3)  Caprimulgi.  Caprimulgus  europaeus. 

*)  Platea.  Platalea  Leucorouia. 


Zehntes  Buch.  261 

schaudern,  wenn  sie  ein  Ei  gelegt  haben,  und  schütteln 
sich,  drehen  sich  herum,  reinigen  sich  oder  sühnen  sich 
und  die  Eier  durch  einen  Halm.  —  Die  kleinsten  unter 
den  Vögeln,  die  Distelfinken  *),  thun  was  man  ihnen  be- 
hehlt, nicht  bloss  mit  der  Stimme,  sondern  auch  mit  den 
Füssen  und  dem  Schnabel,  die  ihnen  die  Stelle  der  Hände 
vertreten.  Es  giebt  auch  einen  Vogel,  der  das  Gebrüll  der 
Ochsen  nachahmt,  und  im  avelatensischen  Gebiete  der 
Stier  2)  genannt  wird,  übrigens  nicht  gross  ist.  Ein  andrer, 
der  Pieper3),  ahmt  sogar  das  Wiehern  der  Pferde  nach, 
wenn  sie  ihn  durch  ihre  Ankunft  von  seinem  Futter  im 
Grase  vertreiben,  und  rächt  sich  auf  diese  Weise. 

58. 

Aber  alle  werden  von  den  Papageien4),  welche  die 
menschliche  Stimme  nachahmen,  und  sogar  sprechen 
lernen,  übertroffen.  Dieser  Vogel  kommt  aus  Indien,  wo 
er  Sittace  heisst,  ist  am  ganzen  Körper  grün  und  bloss  am 
Halse  durch  einen  zinnoberrothen  Ring  unterschieden.  Er 
grüsst  die  Fürsten,  spricht  die  gelernten  Worte,  und  ist 
besonders  possierlich,  wenn  er  Wein  genossen  hat.  Sein 
Kopf  ist  ebenso  hart  wie  sein  Schnabel.  Man  schlägt  ihn, 
wenn  er  sprechen  lernt,  mit  einem  eisernen  Stäbchen  da- 
rauf, denn  anderswo  fühlt  er  die  Schläge  nicht.  Wenn  er 
abwärts  steigt,  so  hängt  er  sich  mit  dem  Schnabel  an, 
stützt  sich  auf  denselben,  und  macht  sich  so  leichter,  weil 
er  schwach  auf  den  Füssen  ist. 

59. 

Weniger  berühmt,  weil  sie  nicht  aus  der  Ferne  kommen, 
allein  geschickter  zum  Sprechen  sind  die  Elstern.  Sie 
finden  Gefallen  an  den  Worten,  welche  sie  sprechen,  lernen 
nicht  nur,  sondern  thun  es  auch  mit  Lust,  und  verhehlen, 
wenn  sie  sich  üben,  durch  Sorgfalt  und  Nachdenken  ihre 
Aufmerksamkeit  nicht.     Man  weiss,  dass  sie  sterben,  wenn 


')  Cardueles.  Fringilla  Carduelis. 

2)  Taurus.  Ardea  stellaris  L.  Rohrdonnel. 

3)  Anthus.  Anthus  campestris.     4)  Psittaci. 


262  Zehntes  Buch. 

sie  die  Schwierigkeit  eines  Wortes  nicht  besiegen  können; 
dass,  wenn  sie  nicht  zuweilen  ein  und  dasselbe  hören,  ihr 
Gedächtniss  sie  verlässt,  und  dass  sie  sich  ausserordent- 
lich freuen,  wenn  sie  das  Wort,  welches  sie  suchen,  hören. 
Ihre  Gestalt  ist  nicht  schlecht,  wenn  auch  gerade  nicht 
schön.  Es  macht  ihnen  übrigens  Ehre  genug,  dass  sie  die 
menschliche  Stimme  nachahmen  können.  Aber  bloss  die- 
jenigen Elstern  sollen  sprechen  lernen,  welche  zu  dem  Ge- 
schlechte der  Eichelnfresser  x)  gehören,  und  unter  diesen 
am  leichtesten  die,  welche  5  Zehen  an  den  Füssen  haben, 
und  selbst  die  letztern  sollen  nur  in  den  ersten  2  Jahren 
ihres  Lebens  dazu  fähig  sein.  Sie  haben  eine  breitere 
Zunge,  sowie  überhaupt  alle  Vögel,  welche  die  menschliche 
Stimme  nachahmen,  ein  jeder  in  seiner  Art,  obgleich  diess 
letztere  fast  bei  allen  der  Fall  ist.  Agrippina,  die  Gemalin 
des  Kaisers  Claudius,  hatte  einen  Krammets vogel,  der  zu 
der  Zeit,  wo  ich  diess  schrieb,  die  menschliche  Stimme 
nachahmte  (was  vorher  noch  nie  geschehen  war).  Auch 
hatten  die  jungen  Cäsaren  2)  einen  Staar  und  Nachtigallen, 
welche  griechische  und  lateinische  Worte  lernten;  sie  übten 
sich  täglich,  lernten  stets  etwas  Neues  und  sogar  zusammen- 
hängende Sätze.  Sie  werden  im  Verborgenen  al  gerichtet, 
wo  sich  keine  andere  Stimme  hineinmischt,  indem  einer 
beständig  bei  ihnen  sitzt,  der  ihnen  das,  was  sie  behalten 
sollen,   häufig  vorsagt  und  ihnen  durch  Futter  schmeichelt. 

60. 
Auch  den  Raben  gebührt  ihr  Lob,  und  hiermit  ist 
das  römische  Volk  nicht  nur  einverstanden,  sondern  hat 
auch  seine  Meinung  selbst  durch  seinen  Unwillen  an  den 
Tag  gelegt.  Unter  der  Regierung  des  Kaisers  Tiberius 
flog  nämlich  ein  junger  Rabe  von  einer  auf  dem  Tempel 
der  Castoren  geheckten  Brut  auf  einen  gegenüber  befind- 
lichen Schusterladen,  und  war  also  dem  Besitzer  desselben 


')  Corvus  Glandarius,  Holzheher. 

*)  Der  Sohn  und  der  Stiefsohn  des  Claudius  —  Britannicus  und 
Nero. 


Zehntes  Buch.  263 

"sogar  durch  die  Religion  empfohlen.    Er   lernte   frühzeitig 
sprechen,  flog  alle  Morgen  auf  die  Rednerbühne,  nach  dem 
Forum  hin,  grüsste  den  Tiberius,  dann  die  Prinzen  Germanicus 
und  Drusus  bei  ihrem  Namen,  zuletzt  das  vorübergehende 
römische  Volk,   kehrte   hierauf  zu   der  Bude   zurück,   und 
Verrichtete  zur  allgemeinen  Bewunderung  diesen  Dienst  un- 
unterbrochen mehrere  Jahre  hindurch.    Da  tödtete  ihn  der 
Pächter  des  nächsten  Schusterladens   entweder   aus   nach- 
barlichem Neide,  oder,  wie    er   vorgab,  aus  Zorn,  weil   er 
durch  seinen  Koth  seine  Schuhe  beschmutzt  hatte.    Hierüber 
wurde  das  Volk  so  entrüstet,  dass  es  ihn  zuerst  aus  diesem 
Stadttheile   vertrieb,   und   ihn   nachher  sogar  tödtete,  dem 
Vogel  aber  ein  prächhtiges  Leichenbegängniss  hielt.    Zwei 
Mohren  trugen  ihn  auf  ein  Bett  gelegt  auf  ihren  Schultern, 
^in  Flötenbläser  ging  voran,  und  der  ganze  Weg  bis  zum 
Scheiterhaufen,    welchen    man    rechts   von   der   appischen 
Strasse  beim  zweiten  Meilenstein  auf  der  sogenannten  Ebene 
des  Rediculus   errichtet   hatte,  war  mit  Kränzen  aller  Art 
geschmückt.    So  war  also  die  Klugheit   eines  Vogels   hin- 
reichend, das  römische  Volk  zu  veranlassen,  ihm  ein  feier- 
liches Leichenbegängniss   zu   halten,  und  einen   römischen 
Bürger  mit  dem  Tode  zu  bestrafen,  und  zwar  in  derselben 
Stadt,  wo  Niemand  die  Leiche  so  vieler  berühmten  Männer 
begleitet,  wo  Niemand  den  Tod  des  Scipio  Aemilianus,  des 
Eroberers    von    Carthago    und   Numantia,    gerächt    hatte. 
Diese    Begebenheit     ereignete     sich     unter    den    Consuln 
M.  Servilius   und  C.  Cestius  x)   am  26.  April.    Noch  jetzt, 
während  ich  diess  schreibe,  besitzt  ein  römischer  Ritter  eine 
Krähe   aus  Bätika,   die   erstens   schon   durch   ihre  ausser- 
ordentlich schwarze  Farbe  merkwürdig  ist,  feiner  mehrere 
Worte  im  Zusammenhange   aussprechen   kann,  und   häufig 
noch  andere  hinzulernt.    Und  noch   ganz  kürzlich  erzählte 
man    von    einem    gewissen    Craterus    mit    dem  Beinamen 


')  Im  22.  Jahre   der  Regierung  des  Tiberius.     Im  Jahre   Rom* 
789  (35  J.  n.  Chr.) 


264  Zehntes  Buch. 

Monoceros,  er  habe  sich  in  der  asiatischen  Landschaft  Eri- 
zena  der  Raben  zum  Jagen  bedient,  und  sie  auf  den  Hörnern 
seines  Helmes  und  auf  seinen  Schultern  mit  in  den  Wald 
genommen.  Sie  verfolgten  die  Spuren,  trieben  das  Wild 
auf,  und  er  brachte  es  nach  und  nach  dahin,  dass  ihm  auch 
die  wilden  Raben  beim  Nachhausegehen  begleiteten.  Ei- 
nige haben  auch  folgende  Begebenheit  für  mittheilungswerth 
gehalten:  man  habe  nämlich  einen  Raben  gesehen,  der,  vom 
Durste  getrieben,  in  die  Vertiefung  eines  Denkmals,  in 
welchem  Regenwasser  stand,  welches  er  aber  nicht  erreichen 
konnte,  Steine  zusammentrug,  weil  er  sich  fürchtete  hinab- 
zusteigen, und  dadurch  das  Wasser  so  in  die  Höhe  trieb, 
als  nöthig  war,  um  davon  trinken  zu  können. 

61. 
Auf  die  Diomedes-Vögel *)  darf  ich  nicht  übergehen. 
Juba  nennt  sie  Catarracten,  und  sagt  sie  hätten  Zähne, 
feuerfarbige  Augen,  wären  aber  sonst  weiss.  Sie  haben 
stets  zwei  Anführer,  von  denen  einer  den  Zug  eröffnet  und 
der  andere  ihn  antreibt.  Sie  höhlen  mit  dem  Schnabel 
Gruben  aus,  legen  Reisholz  darüber,  bedecken  diess  mit 
der  Erde,  die  sie  vorher  ausgeworfen  haben,  und  hecken 
darin.  Eine  jede  Grube  hat  2  Oeffnungen,  eine  östliche, 
aus  der  sie  zum  Fressen  gehen,  und  eine  westliche,  durch 
welche  sie  zurückkehren.  Wenn  sie  sich  entleeren  wollen, 
fliegen  sie  stets  hoch  und  gegen  den  Wind.  Man  sieht  sie 
nur  an  einem  Orte  auf  der  ganzen  Erde,  nämlich  auf  der 
Insel,  welche,  wie  wir  gesagt  haben  2),  durch  das  Grab  und 
den  Tempel  des  Diomedes  berühmt  ist,  und  der  Küste 
Apuliens  gegenüber  liegt.  Sie  sind  den  Wasserhühnern  3) 
ähnlich.  Barbaren,  welche  dorthin  kommen,  fallen  sie  mit 
Geschrei  an;  nur  gegen  die  Griechen,  die  sie  merkwürdiger 
Weise  zu  unterscheiden  wissen,  sind  sie  freundlich,  gleich- 
sam als  wenn  sie  dem  Geschlecute  des  Diomedes  diesen 
Beweis  von  Achtung  bringen  wollten.    Den  dortigen  Tempel 


')  Diomedea  exulans,  der  Albatros.    2)  Vergl.  III.  B.  29.  Cap. 
3)  Fulica.  Fulica  atra  L. 


Zehntes  Buch.  265 

sprengen  und  reinigen  sie  täglich  mit  Wasser,  womit  sie 
ihre  Kehle  angefüllt  und  ihre  Flügel  benetzt  haben.  Daher 
ist  die  Fabel  entstanden,  die  Gefährten  des  Diomedes 
wären  in  Vögel  verwandelt  worden. 

62. 
Da  ich  eben  von  den  Verstandeskräften  der  Thiere 
rede,  darf  ich  nicht  zu  bemerken  unterlassen,  dass  unter 
den  Vögeln  die  Schwalben,  unter  den  Landthieren  die 
Mäuse  ungelehrig  sind1),  da  doch  die  Elephanten  thun, 
was  ihnen  befohlen  wird,  die  Löwen  sich  unter  das  Joch 
begeben,  die  Seekälber  im  Meere  und  so  viele  Arten  von 
Fischen  sich  zähmen  lassen. 

63. 

Die  Vögel  trinken  saugend;  diejenigen  unter  ihnen, 
welche  lange  Hälse  haben,  setzen  ab,  beugen  den  Kopf 
zurück  und  giessen  sich  das  Wasser  gleichsam  ein.  Das 
Purpurhuhn  *)  allein  trinkt  kauend.  Dieses  ist  von  eigen- 
tümlicher Art;  jede  Speise  benetzt  es  mehrere  Male  mit 
Wasser  und  bringt  sie  dann  mit  der  Kralle,  wie  mit  einer 
Hand,  in  den  Schnabel.  Die  besten  giebt  es  in  Commagene, 
Ihre  Schnäbel  und  langen  Beine  sind  roth. 

64. 

Dieselbe  Farbe  hat  auch  der  Hi man t opus  3),  der  zwar 
viel  kleiner  ist,  dennoch  aber  eben  so  lange  Beine  hat. 
Sein  Vaterland  ist  Aegypten.  Er  steht  auf  3  Zehen.  Seine 
vorzüglichste  Nahrung  sind  Fliegen.  In  Italien  lebt  er  nur 
wenige  Tage. 

65. 

Alle  schwerfälligen  Vögel  nähren  sich  von  Feldfrüchten, 
die  hochfliegenden  nur  von  Fleisch.  Unter  den  Wasser- 
vögeln pflegen  die  Taucher  die  Exremente  der  übrigen  zu 
verschlingen. 


')  Eine  Behauptung,  che  wenigstens  auf  die  Mäuse  nicht  passt, 
2)  Porphyrie».  Fulica  Porphyrie-  L. 
s)  Himantopus  atropterus  Meyer. 


266  Zehntes  Buch. 

Die  Kropfgänse1)  haben  Aehnlichkeit  mit  den 
Schwänen,  und  man  würde  sie  nicht  für  verschiedene  Vögel 
halten,  wenn  sie  nicht  an  ihrer  Kehle  eine  Art  zweiten 
Bauchs  hätten.  Hierin  sammelt  diess  unersättliche  Thier 
alles  an,  dass  man  sich  wundern  muss,  wie  es  nur  so  viel 
aufnehmen  kann;  bald  nachdem  es  mit  Rauben  fertig  ist, 
und  die  Speise  von  hier  aus  wieder  in  den  Mund  gebracht 
hat,  gelangt  dieselbe  nun  erst,  wie  bei  den  Wiederkäuern, 
in  den  eigentlichen  Bauch.  Diese  Vögel  kommen  aus  dem- 
jenigen Theile  Galliens,  der  an  den  nördlichen  Ocean 
grenzt. 

67. 

In  dem  hercyniseben  Walde  in  Deutschland  soll  es, 
wie  ich  erfahren  habe,  ungewöhnliche  Gattungen  von 
Vögeln  geben,  deren  Gefieder  des  Nachts  wie  Feuer  glänzt ; 
im  Uebrigen  aber  ist  mir  ausser  dem  Rufe,  den  sie  durch 
die  Entfernung  erlangt  haben,  nichts  Bemerkenswerthes  an 
ihnen  kund  geworden. 

Die  Phaleriden  sind  im  parthischen  Seleucia  und  in 
Asien  die  schönsten  unter  den  Wasservögeln;  ferner  giebt 
es  in  Colchis  Fasane2),  die  2  Federohren  haben,  welche 
sie  niederlassen  und  aufrichten  können.  Die  numidische  n 
Vögel3)  sind  in  Numidien,  einem  Lande  Afrikas,  einhei- 
misch.   Jetzt  hat  man  alle  diese  Vögel  bereits  in  Italien. 

68. 

Dass  die  Zunge  des  Flamingo4)  einen  ganz  vortreff- 
lichen Geschmack  besitzt,  hat  Apicius,  der  grösste  aller 
Schwelger,  gelehrt.  Das  Haselhuhn5),  vorzüglich  das 
jonische,  wird  gerühmt;  es  hat  eine  Stimme,  aber  wenn  es 
gefangen  wird,  verstummt  es.     Vormals   zählte  man  es  zu 


')  Onocrotali.    Pelecanus  Onocrotalus  L. 
*)  Phasianae.    Phasianus  colchicus. 

3)  Numidicae.  Numida  Meleagris  L.  das  Perlhuhn. 

4)  Phoenicopterus.  Phoenicopterus  ruber  L. 
6)  Attagen.  Tetrao  Bonasia. 


Zehntes  Buch.  267 

den  seltenen  Vögeln,  jetzt  aber  wird  es  auch  in  Gallien 
nnd  Spanien,  und  selbst  in  den  Alpen  gefangen,  wo  auch 
die  Scharben1),  Vögel  von  den  balearischen  Inseln,  ein- 
heimisch sind.  In  den  Alpen  findet  man  auch  die  Roth- 
raben 2),  welche  einen  gelben  Schnabel  haben  und  schwarz 
sind,  und  das  Schneehuhn3),  das  einen  vortrefflichen 
Geschmack  besitzt.  Den  Namen  Lagopus  hat  es  von  seinen 
mit  Hasenhaaren  bewachsenen  Füssen  bekommen,  übrigens 
ist  es  weiss  und  von  der  Grösse  einer  Taube.  Man  kann 
es  nicht  wohl  ausser  seinem  Vaterlande  essen,  weil  es  sich 
nicht  zähmen  lässt,  und  sein  Körper  gleich  nach  dem  Tode 
in  Fäulniss  übergeht.  Es  giebt  noch  einen  andern  Vogel, 
der  ebenso  heisst,  sich  von  den  Wachteln  bloss  durch  seine 
Grösse  unterscheidet,  und  mit  Safranbrühe  eine  angenehme 
Speise  liefert.  Egnatius  Calvinus,  Präfect  in  den  Alpen, 
will  auch  dort  den  m  Aegypten  einheimischen  Ibis  gesehen 
haben  4). 

69. 
Während  der  bedriacensischen  5)  Bürgerkriege  kamen 
auch  nene  Vögel  (denn  so  heissen  sie  jetzt  noch)  über 
den  Po  nach  Italien.  Sie  haben  Aehnlichkeit  mit  den 
Krammetsvögeln,  sind  etwas  kleiner  als  Tauben  und 
schmecken  angenehm.  Von  den  balearischen  Inseln  erhalten 
wir  ein  Purpurhuhn,  welches  noch  vorzüglicher  ist  als  das 
bereits  angeführte.  Dort  lebt  auch  der  zum  Habichtge- 
schlechte  gehörige  Bussard  6),  ein  beliebtes  Gericht,  sowie 
der  Vipio,  eine  kleinere  Gattung  von  Kranichen. 

70. 
Den  Pegasus,  einen  Vogel  mit  einem  Pferdekopfe,  und 
den  Greif  mit  ohrförmig  gekrümmtem  Schnabel  halte   ich 


»)  Phalacrocoraces.  Carbo  Corinoran  Meyer. 

2)  Pyrrhocorax.  Pyrrhocorax  alpinus  Cuv. 

3)  Lagopus.  Tetrao  Lagopus  L. 

*)  Diess  ist  der  Ibis  Falcinellus,  vergl.  C.  45. 

5)  Von  Bedriacum,  einer  Stadt  in  der  Nähe  von  Creiaona.    Pli- 
nius  meint  hier  die  Unruhen  unter  dem  Kaiser  Otho. 

6)  Buteo.  Falco  Buteo  L. 


628  Zehntes  Buch. 

für  fabelhaft;  jene  sollen  in  Scythien,  diese  in  Aethiopien 
vorkommen.  So  auch  den  Bartgeier  *),  von  denen  Mehrere 
behaupten,  er  sei  grösser  als  ein  Adler,  habe  an  den 
Schläfen  krumme  Hörner,  eine  rostrothe  Farbe,  und  sei  nur 
am  Kopfe  rotb.  Auch  die  Sirenen  verdienen  keinen 
Glauben,  obschon  Dinon,  der  Vater  des  berühmten  Schrift- 
stellers Clitarchus,  behauptet,  sie  existirten  in  Indien, 
brächten  die  Menschen  durch  ihren  süssen  Gesang  in 
Schlaf  und  zerrissen  sie  alsdann.  Wer  solche  Dinge  glaubt, 
der  wird  auch  zugeben,  dass  die  Drachen  dem  Melampus  2) 
durch  Lecken  seiner  Ohren  die  Gabe  beigebracht  haben, 
die  Stimme  der  Vögel  zu  verstehen,  oder  was  Democrit 
erzählt,  wenn  er  die  Vögel  hernennt,  aus  deren  vermischtem 
Blute  eine  Schlange  entstände,  die  den  der  sie  ässe  eben- 
falls in  den  Stand  setzten,  die  Gespräche  der  Vögel  zu 
verstehen;  sowie  auch  das,  was  er  von  einem  Vogel  Galerita3) 
als  etwas  Geheimes  erwähnt,  da  ohnehin  schon  so  viele 
Heimlichkeiten  bei  den  Augurien  vorkommen.  Homer 4) 
nennt  eine  Art  Vögel  Scopes;  allein  ich  kann  mir  ihre 
von  Vielen  erwähnten  satyrischen  Bewegungen,  wenn  sie 
auf  etwas  lauern,  ebenso  wenig  vorstellen,  als  die  Vögel 
selbst  bekannt  sind.  Daher  wird  es  besser  sein,  wir  reden 
von  ausgemachten  Dingen. 

71. 
Die  Deliacer  waren  die  ersten,  welche  Hühner 
mästeten,  und  daher  rührt  die  verderbliche  Gewohnheit, 
fette  Vögel  in  ihrem  eigenen  Fette  bereitet  zu  verzehren. 
Ich  finde,  dass  diess  unter  den  alten  Tafelverordnungen  zu- 
erst durch  ein  Gesetz  des  Consuls  C.  Fannius,  11  Jahre 
vor  dem  dritten  punischen  Kriege,  verboten  wurde,  wo  es 
heisst,  dass  kein  Geflügel  weiter  auf  den  Tisch  kommen 
solle,  als  ein  jedoch  ungemästetes  Huhn.  Dieser  Satz  ist 
hernach  immer  wieder  eingerückt,  und  durch  alle  Gesetze 


')  Tragopana.  Vultur  barbatus  L. 

2)  Eine  fabelhafte  Person. 

3)  Alauda  cristata  Haubenlerche.     *)  Odyssee  V.  66. 


Zehntes  Buch.  269 

gegangen.  Man  fand  aber  einen  Ausweg,  um  die  Gesetze 
zu  umgehen,  indem  man  die  Thieie  mit  Futter,  welches 
in  Milch  eingeweicht  war,  fütterte,  und  dadurch  machte 
man  sie  noch  schmackhafter.  Nicht  alle  Hühner  nimmt 
man  zur  Mast,  sondern  nur  solche,  welche  im  Nacken  eine 
fette  Haut  haben.  Nachher  entstanden  die  Küchenkünste, 
den  Keulen  ein  schönes  Ansehen  zu  geben,  und  sie  im 
Rücken  zu  theilen,  so  dass  sie  mit  ausgespannten  Füssen 
die  Schüsseln  einnehmen.  Die  Köche  haben  auch  von  den 
Parthern  manche  Handgriffe  entlehnt.  Jedoch  selbst  bei 
diesem  Gerichte  ist  nicht  jeder  Theil  allgemein  beliebt,  da 
hier  die  Keule,  dort  bloss  die  Brust  den  Vorzug  hat. 

72. 

Der  erste,  welcher  Vogelhäuser  zur  Aufnahme  aller 
Gattungen  von  Vögeln  einrichtete,  war  der  Ritter  M.  Länius 
Strabo  zu  Brundisium.  Seit  dieser  Zeit  fingen  wir  an, 
Thiere  einzukerkern,  denen  die  Natur  die  freie  Luft  zum 
Wohnsitze  angewiesen  hat.  Ganz  besonders  ausgezeichnet 
war  aber  in  dieser  Beziehung  die  Schüssel  des  tragischen 
Schauspielers  Clodius  Aesopus  *) ,  welche  auf  100,000  Se- 
sterzien  geschätzt  wurde;  in  dieser  setzte  er  Vögel  auf, 
die  entweder  durch  ihren  Gesang  oder  durch  Sprechen  be- 
rühmt waren,  und  die  er  einzeln  mit  6000  Sesterzien  be- 
zahlt hatte.  Was  ihn  dazu  verleitete,  war  nichts  als  das 
Behagen,  Thiere  zu  essen,  welche  den  Menschen  nachahmen 
konnten.  Er  scheuete  also  weder  jene  Kosten,  noch  schonte 
er  die  wegen  ihrer  Stimme  geschätzten  Vögel,  und  war  ge- 
wiss eines  solchen  Sohnes  würdig,  von  dem  wir  gesagt 
haben,  dass  er  Perlen  verschlang  2).  Es  möchte  jedoch,  um 
die  Wahrheit  zu  gestehen,  nicht  leicht  zu  entscheiden  sein, 
welcher  von  Beiden  am  schändlichsten  gehandelt  hat,  man 
müsste  es  denn  für  geringer  halten,  die  grössten  Schätze 
der  Natur  zu  speisen,  als  menschliche  Zungen. 

73. 

Die  Fortpflanzung   der  Vögel   scheint   einfach   zu 


\)  Lebte  um  100  v.  Chr.    *)  Vergl.  IX.  B.  59.  Cap. 


270  Zehntes  Buch. 

sein,  obgleich  sie  doch  auch  ihre  Wunder  hat,  denn  selbst 
vierfüssige  Thieie,  wie  die  Chamäleonen,  Eidechsen  und 
andere,  die  wir  bei  den  Schlangen  aufgeführt  haben,  legen 
Eier.  Aber  unter  dem  Federvieh  sind  diejenigen,  welche 
krumme  Krallen  haben,  nicht  sehr  fruchtbar;  nur  der 
Cenchris x)  legt  mehr  als  4  Eier.  Die  Natur  hat  den 
Vögeln,  welche  vor  andern  fliehen  müssen,  eine  grössere 
Fruchtbarkeit  verliehen  als  den  starken.  Die  meisten  Eier 
legen  die  Strausse,  Hühner  und  Rebhühner.  Bei  den  Vögeln 
giebt  es  nur  2  Arten  der  Begattung;  das  Weibchen  sitzt 
entweder  auf  der  Erde,  wie  bei  den  Hühnern,  oder  es  steht, 
wie  bei  den  Kraninchen. 

74. 

Einige  Eier  sind  weiss,  wie  die  der  Tauben  und  Reb- 
hühner; andere  blassgelb,  wie  die  der  Wasservögel;  andere 
punctirt,  wie  die  der  Truthühner;  noch  andere  roth,  wie 
die  der  Fasanen  und  Cenchriden.  Inwendig  aber  ist  jedes 
Vogel  ei  zweifarbig.  Die  Eier  der  Wasservögel  haben  mehr 
Gelbes  als  Weisses,  auch  ist  es  bei  ihnen  trüber  als  bei 
den  andern.  Die  Fischeier  sind  einfarbig,  und  enthalten 
nichts  Weisses.  Die  Vogeleier  sind  in  der  Wärme  zer- 
brechlich, die  Schlangeneier  in  der  Kälte  zähe,  und  die 
Fischeier  im  Wasser  weich.  Die  Eier  der  Wasserthiere 
sind  rund,  die  der  übrigen  fast  alle  oben  zugespitzt.  Beim 
Legen  kommen  die  Eier  mit  dem  rundern  Theile  zuerst 
heraus;  ihre  Schale  ist  weich,  wird  aber  gleich,  sowie  das 
Ei  gelegt  ist,  an  allen  Theilen  hart.  Horatius  Florous  a) 
meint,  die  länglichen  Eier  hätten  einen  angenehmen  Ge- 
schmack. Aus  den  rundern  kommen  Weibchen,  aus  den 
übrigen  aber  Männchen.  Der  Nabel  befindet  sich  bei  den 
Eiern  auf  der  Spitze,  und  gleicht  einem  auf  der  Schale 
hervorragenden  Tropfen. 

Einige   begatten    sich    zu   jeder   Jahreszeit,    wie    die 


*)  Derselbe  Vogel,  den  Plinius  im  52.  Cap.  Tinnunculus  nennt. 
2)  Dessen  Satyren  IL  4.  —  Der  Dichter  Horaz  lebte  65  —  8  v.  Chr., 
meist  zu  Rom  und  stammte  aus  Venusia  in  Apulien. 


Zehntes  Buch.  271 

Hühner,  und  legen  nur  in  den  beiden  Wintermonaten,  in 
denen  die  kürzesten  Tage  sind,  nicht.  Unter  ihnen  legen 
die  jungen  Hühner  mehrere  aber  kleinere  Eier  als  die 
alten,  und  bei  ein  und  derselben  Legeperiode  sind  auch 
die  ersten  und  letzten  die  kleinsten.  Ihre  Fruchtbarkeit 
ist  aber  so  gross,  dass  einige  sogar  60  Eier,  andere  täg- 
lich einmal,  andere  zweimal  des  Tages,  und  noch  andere 
so  oft  legen,  dass  sie  dadurch  erschöpft  sterben.  Die 
adrianischen  werden  am  meisten  geschätzt.  Die  Haustauben 
legen  jährlich  zehnmal,  einige  auch  elfmal,  in  Aegypten 
aber  selbst  im  December.  Die  Schwalben,  Amseln,  Holz- 
und  Turteltauben  legen  zweimal  im  Jahre,  die  übrigen 
Vögel  in  der  Regel  nur  einmal.  Die  Krammetsvögel,  welche 
ihre  Nester  auf  den  Gipfeln  der  Bäume  aus  Lehm  und  fast 
eins  an  dem  andern  bauen,  hecken  im  Verborgenen.  Nach 
der  Begattung  sind  10  Tage  hinreichend,  um  die  Eier  im 
Leibe  zur  Reife  zu  bringen.  Bei  den  Hennen  und  Tauben 
aber,  denen  man  Federn  ausreisst,  oder  wenn  man  sie  sonst 
quält,  dauert  es  länger.  In  der  Mitte  eines  jeden  Eigelbs 
befindet  sich  ein  kleiner  blutartiger  Tropfen,  den  man  für 
das  Herz  des  Vogels  hält,  in  der  Meinung  nämlich,  dass  dieses 
sich  vom  ganzen  Körper  zuerst  erzeuge;  so  viel  ist  ge- 
wiss, dass  dieser  Tropfen  im  Eie  hüpft  und  klopft.  Der 
Körper  des  Thieres  selbst  bildet  sich  aus  dem  Weissen 
und  erhält  seine  Nahrung  von  dem  Gelben  l).  Bei  allen 
Vögeln,  wenn  sie  noch  im  Eie  sind,  ist  der  Kopf  grösser 
als  der  ganze  übrige  Körper;  die  Augen  sind  geschlossen 
und  grösser  als  der  übrige  Theil  des  Kopfes.  Wenn  das 
Junge  grösser  wird,  kommt  das  Weisse  in  die  Mitte,  und 
das  Gelbe  fliesst  darum.  Wenn  man  das  Ei  am  zwanzig- 
sten Tage  schüttelt,  so  hört  man  schon  innerhalb  der 
Schale  die  Stimme  des  lebenden  Jungen.  Von  diesem  Zeit- 
punkte an  bekommt  es  Federn;  seine  Lage  ist  so,  das  der 


*)  Gerade  der  umgekehrte  Fall  findet  statt.  Man  vergleiche 
hierüher:  Dr.  Reichert,  das  Entwickelungsieben  im  Wirbelthierreich. 
Berlin  1840. 


272  Zehntes  Buch. 

Kopf  auf  dem  rechten  Beine,  der  rechte  Flügel  aber  auf 
dem  Kopfe  liegt.  Nach  und  nach  verschwindet  das  Gelbe. 
Alle  Vögel  kommen,  gegen  die  Natur  der  übrigen  Thiere, 
mit  den  Füssen  zuerst  auf  die  Welt 1).  Manche  Hühner 
legen  lauter  Doppeleier,  aus  denen  auch  zuweilen,  wie 
Cornelius  Celsus  2)  angiebt,  zwei  Junge  kommen,  und  von 
denen  das  eine  grösser  ist.  Andere  leugnen  das  Ausbrüten 
Von  Zwillingen  gänzlich.  Mehr  als  25  Eier  soll  man  nicht 
auf  einmal  zum  Brüten  unterlegen.  Die  Hühner  fangen 
nach  dem  kürzesten  Tage  an  zu  legen.  Die  beste  Brut 
ist  die,  welche  vor  dem  Frühlingsäquinoctium  auskommt. 
Diejenigen,  welche  nach  dem  Solstitium  geboren  werden, 
erreichen  nicht  die  gehörige  Grösse,  und  werden  immer 
kleiner,  je  später  sie  auskommen. 

75. 
Es  ist  am  besten,  wenn  die  Eier  innerhalb  der  10 
Tage,  nachdem  sie  gelegt  sind,  bebrütet  werden;  ältere 
oder  jüngere  sind  unfruchtbar.  Man  muss  sie  in  ungerader 
Zahl  unterlegen.  Wenn  man  am  4.  Tage  nach  dem  Be- 
ginnen des  Brütens  die  Eier,  mit  der  Hand  an  der  Spitze 
gefasst,  gegen  das  Licht  hält,  und  eine  reine  und  gleich- 
artige Farbe  durchschimmern  sieht,  so  hält  man  sie  für 
unfruchtbar  und  legt  statt  ihrer  andere  unter.  Auch  giebt 
es  eine  Probe  mit  Wasser;  ein  todtes  Ei  schwimmt.  Da- 
her soll  man  nur  solche,  welche  untersinken,  d.  h.  volle, 
unterlegen.  Die  Probe  des  Schütteins  aber  wird  nicht  gut- 
geheissen,  denn  wenn  die  Lebensadern  verwickelt  werden, 
kommt  nichts  aus.  Das  Brüten  lässt  man  mit  dem  Neu- 
monde beginnen,  weil  die  Eier,  welche  eher  bebrütet  werden, 
unfruchtbar  bleiben.  In  warmen  Tagen  kommen  die  Jungen 
eher  heraus,  daher  im  Sommer  schon  am  19.,  im  Winter 
hingegen  erst  am  25.  Tage.  Wenn  es  während  der  Brüte- 
zeit dämmert,  verderben  die  Eier;  auch  ist  es  ihnen  nach- 


')  Plinius    irret    hierin,    denn   die   Vögel  kommen  ebenfalls  mit 
dem  Kopfe  zuerst. 

2)  Arzt  unter  Augustus. 


Zehntes  Buch.  273 

theilig,  wenn  ein  Habicht  seine  Stimme  hören  lässt.  Ein 
Hülfsmittel  gegen  den  Donner  ist  ein  eiserner  Nagel,  den 
man  unter  das  Lager  der  Eier  legt,  oder  Erde  von  einem 
Pfluge.  Manche  kommen  aber  von  selbst,  ohne  Brüten 
aus,  wie  in  den  Misthaufen  l)  in  Aegypten.  Man  erzählt 
eine  Anecdote  von  einem  Menschen  zu  Syrakus,  der  so 
lange  zu  trinken  pflegte,  bis  Eier,  die  mit  Erde  bedeckt 
waren,  auskamen. 

76. 
Selbst  durch  Menschen  können  Eier  zur  Reife  gelangen. 
Als  Livia  Augusta  in  ihrer  frühen  Jugend  mit  dem  Tibe- 
rius  vom  Nero  schwanger  war,  und  gern  einen  Sohn  gebären 
wollte,  bediente  sie  sich  folgender  jungfräulichen  Wahr- 
sagung. Sie  wärmte  ein  Ei  in  ihrem  Busen,  und  gab  es, 
wenn  sie  es  weglegen  musste,  einer  Amme  in  den  Busen, 
damit  die  Wärme  nicht  unterbrochen  würde.  Und  die  Pro- 
phezeiung soll  auch  nicht  falsch  gewesen  sein.  Vielleicht 
kommt  hiervon  die  neulich  gemachte  Erfindung,  Eier  an 
einem  warmen  Orte  auf  Spreu  zu  legen,  bei  massigem  Feuer 
warm  zu  halten,  und  von  einem  Menschen  umwenden  zu 
lassen,  wodurch  auf  gleiche  Weise  am  bestimmten  Tage 
die  Jungen  durchbrechen.  Man  erzählt  von  der  Kunst 
eines  gewissen  Hühnerwärters,  der  sagen  konnte,  von  wel- 
cher Henne  jedes  Ei  war.  Auch  sollen,  als  eine  Henne 
gestorben  war,  ihre  Männchen  abwechselnd  ihre  Stelle  ver- 
treten, alles  Uebrige  gleich  wie  eine  brütende  Henne  ver- 
richtet, und  sich  des  Krähens  enthalten  haben  Aber 
höchst  bewuuderungs würdig  ist  es,  wenn  man  einer  Henne 
Enteneier  unterlegt,  und  sie  dieselben  ausgebrütet  hat; 
denn  anfangs  erkennt  sie  die  Jungen  nicht  so  ganz  als  die 
ihrigen  an,  bald  nachher  aber  ruft  sie  dieselben,  ungewiss, 
ob  sie  sie  ausgebrütet  hat,  sorgfältig  zusammen,  und  zuletzt 
erhebt  sie  an  den  Fischteichen  ein  Klagegeschrei,  wenn 
die  Jungen,  von  ihrem  Naturtriebe  geleitet,  untertauchen. 

77. 
Die  edlen  Hühnerarten  erkennt  man    an  dem  auf- 


l)  Durch  die  darin  entwickelte  Wärme. 

Wittstein:  Plinius.     II.  Bd.  ls 


274  Zehntes  Buch. 

rechtstehenden,  zuweilen  doppelten  Kamme,  den  schwarzen 
Federn,  dem  rechlichen  Schnabel,  und  der  ungleichen  Zahl 
der  Zehen,  indem  sich  zuweilen  über  den  vieren  noch  ein. 
fünfter  querstehender  befindet.  Zum  gottesdienstlichen  Ge- 
brauche werden  die  mit  gelbem  Schnabel  und  Füssen  nicht 
für  rein  gehalten;  zu  den  geheimen  Opfern  wählt  man  die- 
schwarzen.  Auch  das  Geschlecht  der  Zwerge  ist  bei  ihnen 
nicht  unfruchtbar,  was  bei  keinen  andern  Vogel  stattfindet^ 
denn  denjenigen  welche  selten  befruchtet  werden,  schadet 
auch  das  Bebrüten  der  Eier. 

78. 
Unter  allen  Krankheiten  ,ist  für  diese  Thiere  die 
verderblichste  der  Pips  *),  besonders  zwischen  Erndten  und 
Weinlese.  Ein  Hülfsmittel  dagegen  besteht  darin  sie  hun- 
gern zu  lassen,  und  ihr  Lager  mit  Lorbeeren  und  Sadebaum 
zu  räuchern.  Ferner  steckt  man  ihnen  eine  Feder  quer- 
durch die  Nase,  und  dreht  sie  alle  Tage  um,  giebt  ihnen 
Knoblauch  mit  Getreide  oder  Wasser  vermischt,  in  welchen 
sich  eine  Nachteule  gebadet  hat,  oder  man  kocht  ihr  Futter 
mit  Samen  von  Vitis  alba,  und  dergleichen  mehr. 

79. 
Die  Feldtauben  haben  die  eigenthiimliche  Gewohnheit,, 
sich  vor  der  Begattung  zu  schnäbeln.  Sie  legen  gewöhn- 
lich 2  Eier,  denn  die  Natur  hat  es  so  eingerichtet,  das» 
einige  Thiere  öfter  eine  geringere,  andere  eine  grössere 
Zahl  von  Jungen  auf  einmal  zur  Welt  bringen. 
Die  Holz-  und  Turteltauben  legen  meistens  3  Eier,  hecken 
nicht  mehr  als  2  mal  im  Frühlinge,  und  auch  nur  dann 
zum  zweiten  Male,  wenn  die  erste  Brut  verdorben  ist.  Ob 
sie  gleich  drei  Eier  legen,  so  bringen  sie  doch  nie  mehr 
als  2  aus;  das  dritte,  welches  taub  ist,  heisst  Windei 2). 
Die  Holztäubin  sitzt  auf  den  Eiern  vom  Nachmittage  an 
bis  zum  andern  Morgen,  in  der  übigen  Zeit  der  Tauber. 


')  Pituita,  ein  catarrhalisches  Leiden  der  Nase  mit  nachfolgender. 
Verhärtung  der  Zungenspitze. 
2)  Urinuni . 


Zehntes  Buch.  275 

Die  Haustauben  bringen  immer  ein  Männchen  und  ein 
Weibchen  zur  Welt,  zuerst  kommt  jenes  aus,  und  den  Tag 
nachher  dieses.  Auch  bei  dieser  Art  sitzen  beide  Alte, 
am  Tage  das  Männchen  und  des  Nachts  das  Weibchen; 
die  Jungen  schlüpfen  am  20.  Tage  aus.  Sie  legen  am  5. 
Tage  nach  der  Begattung.  Im  Sommer  bringen  sie  bis- 
weilen 3  Paar  Junge  aus,  denn  diese  kommen  danu  am 
18.  Tage  aus,  und  die  Alten  empfangen  sogleich  wieder. 
Daher  findet  man  oft  Eier  unter  den  Jungen,  unter  diesen 
welche,  die  flügge  sind,  und  solche,  die  eben  die  Schalen 
durchbrechen,  Selbst  die  Jungen  hecken  schon,  wenn  sie 
5  Monate  alt  sind.  Sogar  die  Weibchen  treten  sich  (wenn 
keine  Männchen  da  sind),  unter  einander,  und  legen  taube 
Eier,  aus  denen  nichts  kommt;  die  Griechen  nennen  die- 
selben Hypenemia  *). 

Der  Pfau  legt  erst,  wenn  er  3  Jahre  alt  ist,  und  zwar 
zuerst  ein  oder  2,  im  folgenden  Jahre  4  oder  5,  in  den 
übrigen  12  Eier,  aber  nicht  mehr.  Er  legt  in  Zwischen- 
räumen von  2—3  Tagen,  und,  wenn  man  die  Eier  Hühnern 
zum  Ausbrüten  unterlegt,  dreimal  des  Jahres.  Die  Männ- 
chen zerbrechen  die  Eier  aus  Begierde  nach  den  brütenden 
Weibchen.  Daher  legen  sie  des  Nachts  und  im  Verborge- 
nen, oder  wenn  sie  hoch  sitzen,  wobei  aber  die  Eier,  wenn 
sie  nicht  auf  eine  weiche  Unterlage  fallen,  zerbrechen.  Ein 
Männchen  kann  5  Weibchen  befriedigen;  wenn  es  bloss 
eins  oder  zwei  hat,  so  wird  die  Fruchtbarkeit  durch  ihre 
Geilheit  verdorben.  Die  Jungen  schlüpfen  am  27.  oder 
spätestens  am  30.  Tage  aus. 

Die  Gänse  begatten  sich  im  Wasser  und  legen  im 
Frühlinge,  oder  wenn  sie  sich  zur  Zeit  des  kürzesten  Tages 
begatten,  40  Tage  nach  dem  Solstitium.  Sie  legen  zwei 
mal  des  Jahres,  wenn  Hühner  die  erste  Brut  ausbrachten; 
übrigens  höchstens  16  Eier,  und  mindestens  7.  Nimmt 
mau   ihnen   die   Eier   weg,   so   legen   sie   bis   sie   bersten. 


')  Windeier. 

18* 


276  Zehntes  Buch. 

Fremde  Eier  brüten  sie  nicht  aus.  Am  besten  ist  es,  wenn 
man  ihnen  9  oder  11  Eier  zum  Brüten  unterlegt.  Die 
Weibchen  sitzen  30  Tage  lang,  wenn  sie  aber  hitziger 
sind,  nur  25.  Ihren  Jungen  bringt  das  Berühren  einer 
Nessel  den  Tod;  nicht  minder  schädlich  ist  ihnen  auch  ihre 
Gehässigkeit,  und  zwar  theils  wegen  der  Uebersättigung, 
theils  wegen  der  grossen  Anstrengung  dabei,  denn  wenn 
sie  eine  Wurzel  ergriffen  haben,  und  sie  abbeissen  oder 
loszerren  wollen,  reissen  sie  sich  oft  eher  den  Hals  ab. 
Ein  Mittel  gegen  die  Nessel  ist,  eine  Wurzel  dann  gleich 
nach  ihrem  Auskommen  unter  das  Lager  zu  legen. 

Es  giebt  3  Arten  von  Reihern  *)  den  weissen  2),  den 
Sternreiher 3),  und  den  schwärzlichen 4).  Diesen  Vögeln 
wird  die  Begattung  sauer,  denn  den  Männchen  läuft  unter 
heftigem  Geschrei  sogar  das  Blut  dabei  aus  den  Augen. 
Eben  so  schwer  wird  den  Weibchen  das  Legen.  Der  Adler 
sitzt  30  Tage  lang,  und  so  fast  alle  grossem  Vögel.  Die 
kleinem,  wie  der  Milan  und  Habicht  20  Tage.  Er  legt 
fast  immer  nur  1  Ei,  niemals  aber  über  3;  der  sogenannte 
Aegolios  4;  der  Rabe  bisweilen  sogar  5,  und  sie  sitzen 
eben  so  lange.  Wenn  die  Krähe  brütet,  wird  sie  von  dem 
Männchen  gefüttert.  Die  Elster  legt  9  Eier,  der  Schwarz- 
kopf wie  kein  anderer  Vogel,  über  20,  aber  immer  in  un- 
gerader Zahl.  So  übertreffen  also  die  kleinern  Vögel  die 
grössern  an  Fruchtbarkeit.  Die  Jungen  der  Schwalben  und 
fast  aller  Vögel,  deren  Brut  zahlreich  ist,  sind  anfangs  blind. 

80. 

Die  tauben  Eier,  die  wir  Hypenemia  5)  nannten,  em- 
pfangen die  Weibchen  entweder  dadurch,  dass  sie  in  ein- 
gebildeter Wollust  einander  selbst  treten,  oder  vom  Staube. 
Nicht  bloss  die  Tauben,  sondern  auch  die  Hühner,  Reb- 
hühner, Pfauen,  Gänse  und  Chenalopeces  legen  dergleichen. 
Sie  sind  aber  unfruchtbar,  kleiner,  von  weniger  angenehmem 


•)  Ardeola.  Ardea  L.    2)  leucos.  Ardea  garzetta  L. 

3)  Asterias.  Ardea  nycticorax  L. 

4)  pellos.  Ardea  cinerea  L.    5)  Windeier. 


Zehntes  Buch.  277 

Geschmack  und  wässriger.  Einige  glauben,  sie  würden 
vom  Winde  erzeugt,  und  daher  heissen  sie  auch  Zephy- 
rische  Eier.  Sie  entstehen  aber  nur  im  Frühlinge  aus  dem 
Miste,  den  die  Henne  nach  dem  Brüten  im  Neste  zurück- 
gelassen hat;  Einige  nennen  sie  cynosurische.  Wenn 
man  Eier  in  Essig  legt,  werden  sie  so  weich,  dass  sie  sich 
durch  einen  Ring  ziehen  lassen.  Man  bewahrt  sie  am 
besten  in  Bohnenmehl  *)  auf,  oder  im  Winter  in  Spreu, 
im  Sommer  in  Kleie.    In  Salz  gelegt  sollen  sie  austrocknen. 

81. 
Das  einzige  geflügelte  Thier,  welche  lebendige  Junge 
gebärt  ist  die  Fledermaus;  sie  allein  hat  nur  häutige  Fit- 
tige,  nährt  ihre  Jungen  mit  Milch  und  reicht  ihnen  die  Zizen. 
Die  Alte  umfasst  beide  Jungen,  und  führt  sie  beim  Fliegen 
mit  sich.  Sie  sollen  nur  ein  Hüftbein  haben,  und  Mücken 
ihre  liebste  Nahrung  sein. 

82. 
Dahingegen  legen  unter  den  Lan  dt  liieren  die 
Schlangen  Eier,  von  denen  wir  noch  nicht  geredet  haben. 
Sie  umschlingen  sich  bei  der  Begattung,  und  winden  sich 
so  umeinander  herum,  dass  man  sie  für  ein  zweiköpfiges 
Thier  halten  könnte.  Das  Männchen  der  Viper  steckt 
seinen  Kopf  dem  Weibchen  ins  Maul,  und  diese  nagt  den- 
selben in  wollustigem  Gefühle  ab.  Sie  ist  das  einzige  Land- 
thier,  welches  gleich  den  Fischen  einfarbige  und  weiche 
Eier  legt.  Am  dritten  Tage  bringt  sie  die  Jungen  im  Leibe 
aus,  und  gebärt  hierauf  an  jedem  Tage  eins,  bis  etwa  zu 
20.  Daher  werden  die  letzten  ungeduldig,  brechen  an  den 
Seiten  durch,  und  tödten  so  die  Mutter.  Die  übrigen  Schlan- 
gen bebrüten  ihre  zusammenhängenden  Eier  in  der  Erde, 
und  bringen  die  Jungen  im  folgenden  Jahre  aus.  Bei  den 
Krokodilen  sitzt  abwechselnd  das  Männchen  und  das  Weib- 
chen. Doch  wir  müssen  auch  von  der  Fortpflanzung  der 
übrigen  Landthiere  reden. 


')  Lomentum. 


278  Zehntes  Buch. 

83. 

Unter  den  zweifüssigen  Thieren  gebärt  der  Mensch 
allein  lebendige  Junge.  Nur  der  Mensch  empfindet  nach 
den  ersten  Beischläfen  Reue,  und  diess  ist  gewiss  ein  Zei- 
chen, dass  man  den  Ursprung  des  Lebens  zu  bereuen  Ur- 
sache hat.  Die  übrigen  Thiere  begatten  sich  zu  bestimm- 
ten Zeiten  des  Jahres;  der  Mensch  ist,  wie  gesagt1)  zu 
allen  Stunden  des  Tages  und  der  Nacht  dazu  aufgelegt. 
Die  übrigen  Thiere  haben  ein  Maass  in  der  Begattung,  der 
Mensch  aber  fast  gar  keins.  Messalina,  die  Gemalin 
des  Kaisers  Claudius,  welche  einen  Sieg  hierin  für  könig- 
lich hielt,  erwählte  zu  diesem  Wettstreite  die  berüchtigtste 
unter  den  öffentlichen  Lohndirnen,  und  übertraf  sie,  denn 
sie  wohnte  binnen  24  Stunden  fünfundzwanzigmal  bei. 
Unter  dem  menschlichen  Geschlechte  haben  sich  die  Männer 
zur  Schande  ihrer  Natur  Nebenwege  für  ihre  Wollust,  die 
Weiber  aber  das  Abtreiben  ihrer  Frucht  ersonnen.  Um 
wie  viel  sind  wir  hierin  sträflicher  als  die  wilden  Thiere! 
Nach  Hesiodus  Behauptung  sind  die  Männer  im  Winter, 
und  die  Weiber  im  Sommer  begieriger  nach  dem  Beischlafe. 

Von  hinten  begatten  sich  die  Elephanten,  Kameele, 
Tiger,  Luchse,  Rhinocerosse,  Löwen,  Dasypoden  und  Ka- 
ninchen, weil  ihre  Zeugungstheile  nach  hinten  liegen.  Die 
Kameele  suchen  sogar  Einöden,  oder  wenigstens  verborgene 
Stellen  auf,  und  man  darf  sie,  ohne  sich  der  grössten  Ge- 
fahr auszusetzen,  dabei  nicht  stören,  Ihre  Begattung  währt 
den  ganzen  Tag  über,  und  diess  ist  unter  allen  deneu, 
welche  Hufe  haben,  nur  bei  ihnen  der  Fall.  Bei  den  vier- 
füssigen  Thieren  werden  die  Männchen  durch  den  Geruch 
gereitzt.  Auch  die  Hunde,  Robben  und  Wölfe  begatten 
sich  von  hinten,  und  hängen  mitten  in  diesem  Akte  auch 
wider  ihren  Willen  zusammen.  Bei  den  meisten  der  oben- 
genannten Thiere  kommen  die  Weibchen  zuerst  zum  Be- 
springen, bei  den  übrigen  aber  die  Männchen.    Die  Bären 


»)  VII.  B.  4.  Cap. 


Zehntes  Buch.  27  9 

legen  sich,  wie  gesagt  wurde,  nach  Art  der  Menschen  nieder; 
die  Igel  umfassen  sich  stehend;  bei  den  Katzen  steht  das 
Männchen,  während  das  Weibchen  liegt;  die  Füchse  liegen 
auf  der  Seite,  und  das  Weibchen  umfasst  das  Männchen. 
Die  Weibchen  der  Ochsen  und  Hirsche  können  die  Last 
nicht  tragen,  gehen  daher  während  des  Bespringens.  Die 
Hirsche  gehen  abwechselnd  von  einer  Hirschkuh  zu  andern, 
und  von  diesen  wieder  zu  den  erstem  zurück.  Die  Ei- 
dechsen umschlingen  sich,  gleichwie  die  fussloaen  Thiere, 
bei  der  Begattung. 

Alle  Thiere  sind  um  so  weniger  fruchtbar,  je  grösser 
ihr  Körper  ist.  Die  Elephanten,  Kameele  und  Pferde 
bringen  nur  ein  Junges  zur  Welt;  der  Zeisig,  der  kleinste 
Vogel,  zwölf.  Am  schnellsten  gebären  die,  welche  die 
meisten  bringen.  Je  grösser  ein  Thier  wird,  desto  länger 
dauert  seine  Ausbildung  im  Uterus.  Auch  werden  dieje- 
nigen länger  getragen,  deren  Lebensdauer  grösser  ist.  So 
lange  die  Thiere  wachsen,  sind  sie  noch  nicht  reif  zur 
Fortpflanzung.  Diejenigen  mit  ungespaltenem  Hufe  werfen 
ein  Junges,  die  mit  gespaltenem  zwei;  die,  deren  Füsse 
in  Zehen  getheilt  sind,  mehrere,  Allein  alle  jene  bringen 
ihre  Jungen  vollkommen  ausgebildet,  diese  hingegen  noch 
nicht  völlig  entwickelt  zur  Welt.  Zu  dieser  Art  gehören 
die  Löwinen  und  Bärinen,  ja  die  Füchse  werfen  noch  un- 
förmlichere Junge  als  jene;  selten  sieht  man  ein  Weibchen 
während  des  Werfens.  Alle  diese  Thiere  wärmen  und  bilden 
ihre  Jungen  nachher  durch  Lecken,  und  werfen  höchstens  4. 

Blinde  Jungen  bringen  die  Hunde,  Wölfe,  Panther  und 
-der  Thos  zur  Welt.  Von  den  Hunden  giebt  es  mehrere 
Arten;  die  laconischen  *)  begatten  sich  schon  im  achten 
Monate,  und  sind  60  Tage  trächtig,  meistens  mit  3  Jungen. 
Die  übrigen  Hunde  lassen  sich  auch  mit  6  Monaten  be- 
springen. Sie  werden  alle  schon  durch  einen  Sprung  be- 
fruchtet.   Die  Jungen  derjenigen  Hündinnen,  welche  vor  der 


•*)  Nach  Aristoteles  grosse  Windhunde  mit  zottigem  Schwänze. 


280  Zehntes  Buch. 

»rechten  Zeit  empfangen  haben,  bleiben  länger  blind,  allein 
nicht  alle  gleich  lange.    Man  glaubt,  sie  heben,  wenn  sie- 
beinahe   6    Monate   alt   sind,    beim   Urinlassen   das   Bein, 
diess  ist  nämlich  das  Zeichen,  dass  sie  ihre  völlige  Stärke 
erlangt  haben.    Die  Weibchen   verrichten  diess  im  Sitzen. 
Der  zahlreichste  Wurf  sind  12,  übrigens  kommen  gewöhnlich 
5,    6,    zuweilen   auch   nur   eins,   was   ebensowohl   für   ein 
Wunderzeichen  gehalten  wird,  als  wenn  lauter  Männcheu 
oder  Weibchen  erscheinen.    Die  ersten  sind  Männchen,  dar- 
nach kommen  diese  abwechselnd   mit   den  Weibchen.    Im 
sechsten    Monate    nach    dem   Werfen    begatten    sie    sich 
wieder.     Die  laconischen  Hündinnen  werfen  8  Junge.    Ihre 
Männchen  besitzen  nach  der  Arbeit  einen  besonderen  Trieb 
zur  Begattung;  sie  leben  10  Jahre,  ihre  Weibchen   12,   die 
übrigen   Arten    15,   bisweilen   auch   20   Jahre;   sie   zeugen 
nicht  ihr  ganzes  Leben  hindurch,  sondern  hören  etwa  nach 
dem  12.  Jähre  auf.     Die  Katzen  und  das  Ichneumon  haben 
das  Meiste  mit  den  Hunden  gemein,  und  werden  6  Jahre  alt. 
Die  Dasypoden  werfen  alle  Monate  und   überfruchten, 
sich  wie  die  Hasen.     Sie  werden  gleich  nach  dem  Werfen 
wieder  besprungen  und  empfangen,  wenn  auch  die  Jungen, 
noch    saugen;   diese   sind   anfangs   blind.    Die   Elephanten 
werfen,  wie  gesagt,  jedesmal  nur  1  Junges,   was   so   gross 
ist   wie   ein  Kalb  von   3  Monaten.    Die   Kameele    tragen 
12  Monate    lang,   werfen   im  Frühlinge  des  dritten  Jahres,, 
und  werden  erst  ein  Jahr  nachher  wieder  befruchtet.     Die 
Stuten  der  Pferde  aber  glaubt  man  schon  drei  Tage   oder 
gar  1  Tag  nach   dem  Werfen  mit  Erfolg  wieder   zulassen 
zu  können,  und  zwingt  sie  dazu  wider  ihren  Willen.   Auch 
eine  Frau  soll  schon  am  7.  Tage  nach  der  Entbindung  sehr 
leicht  wieder  empfangen.    Man  sehreibt  vor,  den  Stuten  die 
Mähnen   abzuschneiden,   damit   sie   die  Erniedrigung,   sich 
von  einem  Esel  bespringen  zu  lassen,  erdulden;   denn   auf 
ihre  langen  Haare  sollen  sie  stolz  sein.     Sie  sind  die  ein- 
zigen Thiere,  welche  nach  dem  Sprunge  gegen  den  Nord- 
odex  Südwind   laufen,  je  nachdem  sie  ein  Männchen  oder 
Weibchen   empfangen   haben.     Ihre  Farbe   ändern   sie  von. 


Zehntes  Buch.  281 

Stund'  aD,  und  bekommen  ein  rötheres  oder,  wie  es  auch 
sein  mag,  volleres  Haar.  Wenn  sich  diess  zeigt,  so  lassen 
sie  den  Hengst  nicht  mehr  zu,  und  geben  auch  noch  zu  er- 
kennen, dass  sie  ihn  nicht  wollen.  Manche  lassen  sich 
durch  die  Geburt  nicht  von  der  Arbeit  abhalten,  und  ihre 
Trächtigkeit  geht  unvermerkt  vorüber.  So  finde  ich,  dass 
die  trächtige  Stute  des  Thessaliers  Echecratis  zu  Olympia 
den  Sieg  davon  trug.  Hengste,  Hunde  und  Schweine  sollen, 
wie  genauere  Schriftsteller  berichten,  früh  morgens  Lust 
zur  Begattung  haben,  die  Weibchen  aber  nach  Mittag. 
Zahme  Stuten  sollen  60  Tage  früher  rossen  als  wilde; 
nur  die  Schweine  lassen  bei  der  Begattung  Schaum  aus 
dem  Rüssel  fliessen;  ein  Eber,  der  die  Stimme  einer  brün- 
stigen Sau  gehört  hat,  und  nicht  zugelassen  wird,  soll  nicht 
mehr  fressen,  die  Sauen  aber  sollen  so  wüthend  werden, 
dass  sie  die  Menschen,  besonders  wenn  sie  weisse  Kleider 
an  haben,  zerreissen.  Diese  Wuth  wird  durch  Besprengen 
ihrer  Geburtstheile  mit  Essig  gemildert.  Die  Begierde  zur 
Beiwohnung  soll  auch  durch  gewisse  Nahrungsmittel  ent- 
stehen, so  bei  dem  Mann  durch  Eruca,  beim  Vieh  durch 
Zwiebeln.  Es  ist  merkwürdig,  dass  wilde  Thiere,  wenn  sie 
gezähmt  werden,  nicht  empfangen,  wie  z.  B.  die  Gänse, 
die  Eber  aber  erst  spät,  und  die  Hirsche  nur  dann,  wenn 
sie  von  frühester  Jugend  an  aufgezogen  sind.  Unter  den 
vierfüssigen  Thieren  dulden  die  Trächtigen  das  Bespringen 
nicht,  ausgenommen  die  Stute  und  die  Sau.  Ueberfruchtet 
wird  aber  bloss  der  Dasypus  und  der  Hase. 

84. 
Diejenigen  Thiere,  welche  lebendig  geboren  werden, 
drehen  sich  bei  der  Geburt  herum,  und  kommen  mit  dem 
Kopfe  zuerst;  vorher  liegen  sie  in  der  Gebärmutter  lang- 
gestreckt. Die  vierfüssigen  Thiere  liegen  mit  der  Länge 
nach  ausgestreckten  und  an  ihren  Bauch  gelegten  Beinen; 
der  Mensch  ist  in  sich  zusammengerollt  so,  dass  sich  seine 
Nase  zwischen  den  Beinen  befindet.  Mondkälber,  von  denen 
schon  früher  die  Rede  war,  sollen  sich  dann  erzeugen,  wenn 
ein  Weib  nicht   vom  Manne,  sondern   von   sich    selbst   be- 


-2g2  Zehntes  Buch. 

fruchtet  wird,  daher  soll  ein  solches  Gebilde  auch  nicht  be- 
seelt sein,  weil  es  nicht  von  zweien  erzeugt  ist,  und  bloss 
das,  den  Saaten  und  Bäumen  verliehene,  vegetative  Leben 
haben.  Von  allen,  welche  vollkommen  Junge  zur  Welt 
bringen,  sind  die  Schweine  die  einzigen,  welche  sie  in 
grosser  Anzahl  werfen,  und  demnach  auch  in  dieser  Be- 
ziehung von  den  Ein-  und  Zweihufern  abweichen. 

85. 
Ueber  alles  geht  aber  die  Zeugung  der  Mäuse;  indessen 
lässt  sich  doch  nichts  ganz  Zuverlässiges  darüber  sagen, 
obgleich  wir  uns  dabei  an  Aristoteles  und  die  Krieger 
Alexanders  des  Grossen  halten.  Ihre  Befruchtung  soll 
durch  Lecken,  und  nicht  durch  Bespringen  geschehen;  eine 
Maus  soll  120  Junge  geworfen  haben;  in  Persien  aber  hat 
man  Junge  gefunden,  die  schon  im  Mutterleibe  trächtig 
waren.  Auch  durch  Fressen  von  Salz  sollen  sie  trächtig 
werden.  Daher  ist  es  nichts  Wunderbares  mehr,  dass  die 
Feldmäuse  in  so  ungeheuerer  Menge  vorkommen,  dass  sie 
ganze  Erndten  aufzehren  können,  und  dennoch  bleibt  hiebei 
unerklärlich,  wie  so  viele  auf  einmal  verschwinden,  denn 
man  findet  weder  todte,  noch  hat  man  Beispiele,  dass  im 
Winter  Mäuse  auf  dem  Felde  ausgegraben  wurden.  Die 
meisten  kommen  bei  Troas  vor,  und  dort  haben  sie  schon 
die  Einwohner  vertrieben.  Sie  erscheinen  bei  trocknem 
Wetter.  Man  erzählt  sogar,  wenn  ihr  Tod  herannahe,  er- 
zeuge sich  in  ihrem  Kopfe  ein  kleiner  Wurm.  Die  ägyp- 
tischen Mäuse  haben  harte  Haare  wie  die  Igel,  und  gehen 
auch,  gleich  den  Alpenmäusen,  auf  2  Füssen.  Wenn  sich 
Thiere  verschiedener  Gattungen  vermischen,  so  erzeugen 
sie  bloss  dann  Junge,  wenn  die  Zeit  der  Trächtigkeit  bei 
beiden  gleich  ist.  Unter  den  vierfüssigen  Thieren,  welche 
Eier  legen,  soll  die  Eidechse  mit  dem  Munde  gebären,  wie 
man  allgemein  glaubt,  Aristoteles  aber  leugnet  diess.  Diese 
Thiere  brüten  nicht,  sie  vergessen  nämlich  wegen  Mangel 
des  Gedächtnisses  wohin  sie  die  Eier  gelegt  haben;  daher 
brechen  ihre  Jungen  von  selbst  durch. 


Zehntes  Buch.  283 

86. 

Ich  habe  von  Vielen  erfahren,  aus  dem  menschlichen 
Hückenmarke  erzeuge  sich  eine  Schlange.  Sehr  viele 
Thiere,  selbst  vierfüssige,  erzeugen  sich  auf  eine  verborgene 
uns  unbekannte  Weise;  so  kommt  der  Salamander,  ein 
Thier  von  der  Gestalt  einer  Eidechse  und  sternartig  ge- 
zeichnet, niemals  anders  als  bei  heftigem  Regen  zum  Vor- 
schein, und  verschwindet,  wenn  es  wieder  heiter  wird.  Er 
ist  so  kalt,  dass  durch  seine  Berührung  das  Feuer,  ebenso 
wie  vom  Eise  auslöscht.  Von  dem  milchartigen  Schleime, 
der  aus  seinem  Munde  fliesst,  gehen  bei  Berührung  jeglichen 
Theiles  des  menschlichen  Körpers  alle  Haare  aus,  die  be- 
rührte Stelle  selbst  verändert  die  Farbe  und  hinterlässt 
ein  Maal. 

87. 

Einige  Thiere  aber  werden  von  nicht  gebornen  Dingen 
hervorgebracht,  und  haben  keinen  ähnlichen  Ursprung  wie 
die  oben  genannten,  und  diejenigen,  welche  das  Frühjahr 
und  eine  bestimmte  Jahreszeit  erzeugt.  Einige  von  diesen 
haben  keine  Zeugungsfähigkeit,  wie  z.  B.  die  Salamander. 
Sie  sind  weder  männlichen  noch  weiblichen  Geschlechts, 
ebenso  wie  die  Aale  und  alle  diejenigen  Thiere,  welche 
weder  lebendige  Junge  noch  Eier  zur  Welt  bringen.  Ge- 
schlechtlos sind  auch  die  Austern  und  die  übrigen  auf 
dem  Grunde  des  Meeres  und  an  Klippen  hängenden  Thiere. 
Die  aber  von  sich  selbst  entstehen,  erzeugen  zwar,  wenn 
unter  ihnen  Männchen  und  Weibeben  sind,  durch  Vermischung 
etwas,  allein  diess  ist  unvollkommen,  ihnen  unähnlich  und 
pflanzt  sich  nicht  weiter  fort,  wie  die  Maden  der  Fliegen. 
Diess  alles  wird  klarer  aus  der  Naturgeschichte  derjenigen 
Thiere,  welche  Insecten  heissen,  deren  Beschreibung  ein 
schwieriger  Gegenstand  ist  und  einem  besondern  Buche 
vorbehalten  ist.  Wir  fahren  daher  in  der  Beschreibung  der 
vorgenannten  Thiere  fort. 

88. 

Was  die  Sinne  betrifft,  so  steht  der  Mensch  hinsicht- 
lich des  Gefühls  und  Geschmacks  über  den  andern  Thieren, 


284  Zehntes  Buch. 

hinsichtlich  der  übrigen  aber  wird  er  von  vielen  tibertroffen. 
Die  Adler  sehen  schärfer,  die  Geier  haben  einen  feinern 
Geruch,  die  mit  Erde  bedeckten  Maulwürfe  hören  besser 
in  ihrem  so  dichten  und  tauben  Elemente;  denn  obgleich 
eine  jede  Stimme  in  die  Höhe  geht,  so  vernehmen  sie  sie 
doch,  sollen  es  merken  wenn  von  ihnen  die  Rede  ist  und 
entfliehen.  Ein  Mensch,  dem  von  seiner  Geburt  an  der  Ge- 
hörsinn fehlt,  kann  auch  nicht  sprechen,  und  es  giebt 
keinen  Taubgeborenen,  der  nicht  auch  stumm  wäre.  Dass 
die  Austern  im  Meere  hören,  ist  nicht  wahrscheinlich,  aber 
die  Solenen  sollen,  wenn  sie  einen  Schall  vernehmen,  unter- 
tauchen. Daher  verhalten  sich  auch  die  im  Meere  Fischen- 
den ruhig. 

89. 

Die  Fische  haben  zwar  weder  Werkzeuge  noch  Oeff- 
nungen  zum  Hören,  können  aber  demungeachtet  doch  hören, 
denn  man  hat  in  einigen  Teichen  ungezähmte  Fische  ge- 
wöhnt, sich  auf  Händeklatschen  zum  Füttern  zu  versammeln. 
In  den  Fischteichen  Cäsars  kommen  ganze  Fischgattungen, 
sowie  auch  einzelne  herbei,  wenn  man  sie  beim  Namen 
ruft.  Man  behauptet  sogar,  die  Meeräsche,  der  Seewolf, 
die  Salpe  und  der  Chromis  hätten  ein  sehr  feines  Gehör 
und  lebten  daher  auf  Untiefen. 

90. 

Dass  die  Fische  den  Geruchsinn  haben  ist  erwiesen, 
denn  sie  lassen  sich  nicht  alle  durch  ein  und  denselben 
Köder  fangen,  und  riechen  zuvor  daran,  ehe  sie  zubeissen. 
Manche  Fische,  die  in  Höhlen  verborgen  leben,  treibt  der 
Fischer  dadurch  heraus,  dass  er  den  Eingang  derselben  mit 
Salzlake  bestreicht,  wovor  sie  fliehen,  gleich  als  wenn  sie 
den  Geruch  der  todten  Körper  ihrer  Gattung  witterten. 
Sie  kommen  sogar  vom  hohen  Meere  nach  manchen  Ge- 
rüchen herbei,  wie  z.  B.  nach  gebrannten  Sepien  oder  Po- 
lypen, die  man  deshalb  in  die  Netze  wirft.  Vor  dem  Ge- 
rüche des  Unraths  in  Schiffen  fliehen  sie  weit  hin,  am 
meisten  aber  vor  Fischblut.  Den  Polyp  kann  man  nicht 
vom  Felsen   losreissen;    sowie    man   ihm   aber   das    Kraut 


Zehntes  Buch.  285 

Cunila  nähert,  springt  er  durch  den  Geruch  getrieben  so- 
gleich ab.  Auch  die  Purpurschnecken  fängt  man  mit 
stinkenden  Gegenständen.  Wer  zieht  wohl  bei  den  übrigen 
Thieren  den  Geruchsinn  in  Zweifel?  Die  Schlangen  fliehen 
vor  dem  Gerüche  des  Hirschhorns,  am  meisten  aber  vor 
dem  des  Styraxharzes;  die  Ameisen  werden  durch  den  Ge- 
ruch von  Origanum,  Kalk  oder  Schwefel  getödtet.  Die 
Mücken  fliegen  nach  sauren,  nicht  aber  nach  süssen  Sachen. 
Den  Sinn  des  Gefühls  haben  alle,  selbst  die,  denen  die 
übrigen  fehlen,  wie  z.  B.  die  Austern1),  und  unter  den 
Landthieren  die  Würmer. 

91. 

Ich  sollte  meinen,  dass  alle  auch  den  Geschmacks- 
sinn hätten;  denn  warum  wählen  die  einen  dieses,  die  an- 
dern jenes  zum  Fressen?  und  hierin  zeigt  sich  insbesondere 
die  weise  Einrichtung  der  Natur.  Einige  fassen  ihren 
Raub  mit  den  Zähnen,  andere  mit  den  Klauen,  einige  er- 
greifen ihn  mit  ihrem  krummen,  andere  durchwühlen  ihn 
mit  ihrem  breiten,  noch  andere  höhlen  mit  ihrem  spitzen 
Schnabel  aus;  einige  saugen,  andere  lecken,  schlürfen,  kauen 
oder  schlingen.  Nicht  geringer  ist  die  Mannigfaltigkeit  im 
Gebrauche  der  Füsse;  denn  sie  fangen  oder  zerreissen, 
halten,  treten  damit,  hängen  sich  daran,  oder  scharren  un- 
aufhörlich die  Erde. 

92. 

Die  Ziegen  und  Wachteln,  beide  sehr  feindliche  Thiere, 
werden  (wie  wir  bereits  gesagt  haben),  durch  Gifte  fett; 
die  Schlangen  von  Eiern,  wobei  die  Geschicklichkeit  der 
Drachenschlangen  zu  bewundern  ist,  denn  sie  verschlucken 
dieselben  entweder  ganz,  wenn  ihr  Rachen  weit  genug  da- 
zu ist,  rollen  sich  dann  zusammen,  um  sie  im  Leibe  zu 
zerdrücken,  und  husten  die  Schalen  wieder  aus;  oder  winden, 
wenn  sie  noch  zu  jung  und  zu  zart  sind,  sich  um  das  Ei 
im  Kreise   herum,    drücken   es  nach  und  nach  mit  solcher 


')  Diese  Behauptung  steht  im  Widerspruch  mit  C.  71.  des  vorigen 
.Buches. 


2g(5  Zehntes  Buch. 

Gewalt  ab,  dass  die  eine  Hälfte,  wie  mit  einem  Messer  ab- 
geschnitten ist,  und  schlürfen  dann  die  andere  Hälfte,  die 
sie  noch  umschlungen  halten,  aus.  Auf  ähnliche  Weise 
geben  sie,  wenn  sie  ganze  Vögel  verschlungen  haben,  die 
durch  Anstrengung  abgelösten  Federn  wieder  von  sich. 

93. 

Die  Scorpione  leben  von  Erde.  Die  Schlangen  sind, 
wenn  sie  Gelegenheit  dazu  haben,  äusserst  begierig  nach 
Wein,  obgleich  sie  sonst  wenig  Getränks  bedürfen.  Auch 
fressen  sie  wenig  oder  gar  nichts,  wenn  sie  eingesperrt  ge- 
halten werden;  sowie  auch  die  Spinnen,  welche  sonst  vom 
Saugen  leben.  Kein  giftiges  Thier  kommt  also  vor 
Hunger  oder  Durst  um;  denn  sie  haben  weder  Wärme, 
noch  Blut,  noch  Schweiss,  Dinge,  welche  durch  ihre  salzige 
Beschaffenheit  die  Begierden  des  Leibes  vermehren.  Alle 
diese  Thiere  sind  gefährlicher,  wenn  sie,  bevor  sie  ver- 
wunden, ein  Thier  ihrer  Art  gefressen  haben.  Die  Sphingien 
und  Satyren  verwahren  ihr  Futter  in  Backentaschen,  holen 
davon  nach  und  nach  mit  ihren  Händen  zum  Fressen 
heraus,  und  thun  das,  was  die  Ameisen  auf  ein  ganzes  Jahr 
zu  verrichten  pflegen,  nur  für  Tage  und  Stunden. 

Ein  einziges  mit  Zehen  versehenes  Thier,  nämlich  der 
Hase,  nährt  sich  von  Kräutern,  frisst  aber  auch  Feldfrüchte. 
Die  Einhufer,  und  unter  den  Zweihufern  die  Schweine, 
fressen  allerlei,  auch  Wurzeln.  Die  Einhufer  haben  die 
Eigentümlichkeit,  sich  zu  wälzen.  Alle  Thiere  mit  säge- 
artigen Zähnen  sind  Fleichfresser.  Die  Bären  nähren  sich 
auch  von  Feldfrüchten,  Laub,  Weintrauben  und  Obst,  fressen 
sogar  Bienen,  Krebse  und  Ameisen.  Die  Wölfe  nehmen, 
wenn  sie  Hunger  haben,  wie  schon  gesagt  auch  Erde  zu 
sich.  Die  Schafe  werden  vom  Saufen  fett,  daher  ist  ihnen 
Salz  sehr  zuträglich;  ebenso  die  Zugthiere,  obwohl  diese 
auch  durch  Feldfrüchte  und  Gras  fett  werden,  aber  sowie 
sie  saufen,  so  fressen  sie  auch.  Ausser  den  eben  genannten 
kauen  unter  den  in  Wäldern  wohnenden  Thieren  auch  die 
Hirsche  wieder,  wenn  sie  von  uns  genährt  werden,  alle 
aber  mehr  im  Liegen  als  im  Stehen,  auch  im  Winter  mehr 


Zehntes  Buch.  287 

wie  im  Sommer,   fast  7  Monate   hindurch.     Auch    die  pon- 
tischen  Mäuse  kauen  wieder. 

94. 

Die  Thiere  mit  sägeförmigen  Zähnen  lecken,  wenn  sie 
saufen,  desgleichen  die  gemeinen  Mäuse,  obgleich  sie  zu 
einer  andern  Gattung  gehören.  Deren  Zähne  eine  ununter- 
brochene Reihe  bilden,  schlürfen,  wie  die  Pferde  und  Ochsen.. 
Die  Bären  thun  keins  von  beiden,  sondern  beissen  gleich- 
sam ins  Wasser  und  verschlucken  es  dann.  In  Afrika 
saufen  die  meisten  wilden  Thiere  im  Sommer  wegen 
Mangels  an  Regen  nicht;  daher  sterben  die  gefangenen 
libyschen  Mäuse  wenn  sie  saufen.  Die  wilde  Ziege,  welche 
in  den  stets  dürren  Wüsten  Afrika's  zu  Haus  ist,  muss 
wegen  der  Beschaffenheit  ihres  Aufenthaltsortes  dursten, 
und  enthält  doch  wunderbarer  Weise  ein  Mittel  wider  den 
Durst;  denn  die  gätulischen  Räuber  erhalten  sich  durch 
die  in  dem  Körper  dieses  Thieres  befindlichen  Blasen  voll 
des  gesundesten  Wassers.  In  demselben  Afrika  setzen 
sich  die  Parder  auf  dicht  belaubte  Bäume,  verstecken  sich 
zwischen  den  Aesten,  springen  auf  die  vorübergehenden 
Thiere  herab ,  und  rauben  so  vom  Sitze  der  Vögel  aus. 
Wie  still,  mit  welchen  leisen  Schritten  schleichen  die 
Katzen  zu  den  Vögeln!  Wie  lauern  sie  im  Verborgenen 
und  springen  auf  die  Mäuse  los!  Ihren  Unrath  bedecken 
sie  mit  aufgescharrter  Erde,  weil  sie  wissen,  dass  dessen 
Geruch  sie  verräth. 

95. 

Dass  es  also  auch  noch  einige  andere  Sinne  als  die 
obengenannten  geben  muss,  wird  mau  aus  den  unter  den 
Thieren  herrschenden  Feindschaften  und  Freund- 
schaften erkennen,  aus  welchen  sich,  ausser  den  von  uns 
gehörigen  Orts  besprochenen,  gewisse  Abneigungen  ent- 
wickeln. Die  Schwäne  und  Adler  leben  in  Zwietracht; 
der  Rabe  und  Chloreus  suchen  bei  Nacht  gegenseitig  ihre 
Eier  auf.  Ebenso  lebt  der  Rabe  mit  dem  Milan  in  Feind- 
schaft, denn  er  entreisst  diesem  das  Futter;  ferner  die  Krähe 
mit  der  Nachteule,  der  Adler  mit  dem  Zaunkönig,  und  zwar 


=288 


Zehntes  Buch. 


letzterer  (wenn  wir  es  glauben  wollen)  deshalb,  weil  jener 
der  König  der  Vögel  genannt  wird;   ferner  die  Nachteulen 
mit   den   übrigen   kleinen    Vögeln.     Von   den   Landthieren 
sind    feindlich    gesinnt:    die    Wiesel    gegen    die    Krähen; 
wiederum  sind  Feinde  die  Turteltauben  und  die  Wickler  !), 
das  Ichneumon  und  die  Wespen  und  Spinnen,  die  Wasser- 
thiere,  Enten  und  Möven,  der  Harpe  und  der  3hodige  Ha- 
bicht, die  Spitzmäuse  und  die  Reiher,  die  gegenseitig  ihren 
Jungen   nachstellen;   der    kleine   Vogel  Aegithus   und    der 
Esel,  denn  wenn  dieser  sich  an  den  Dornhecken  schabt,  so 
zerstört   er  jenem    das   Nest,   wovor   sich   dieser   so   sehr 
fürchtet,  dass,  so  bald  er  nur  des  Esels  Stimme  vernimmt, 
er  die  Eier  herauswirft,  und  die  Jungen  sogar  vor  Schrecken 
herausfallen.     Daher   fliegt   er   auf  ihn,  und  hackt  ihn  mit 
seinem  Schnabel  wund.    Ferner   sind  Feinde:   die   Füchse 
und  Sperber2),  die  Schlangen,  Wiesel  und  Schweine.     Der 
kleine  Vogel  Aesalon   zerbricht    die  Eier   des  Raben,   und 
seinen   Jungen   wird   von   den   Füchsen   nachgestellt.     Da- 
gegen rupft  der  Rabe  wieder  die  Jungen  des  Fuchses  und 
ihn  selbst,  denn  sowie  die  Raben  jenes   bemerken,   leisten 
sie  Hülfe,  wie  gegen  einen  gemeinschaftlichen  Feind.     Der 
Zeisig3)   lebt  im   Dorngebüsch,   daher  hasst   er   auch    den 
Esel,  der  die  Blüthen  von   den  Dornhecken   abfrisst.    Der 
Aegithus  hasst  den  Pieper  so  sehr,  dass  ihr  Blut  sich  (wie 
man   glaubt)    nicht   vermischt,   und   deshalb    wegen   seiner 
Anwendung    zu   Vergiftungen    verschrieen    ist.     Der  Thos 
hasst  den  Löwen.    Unter  den  kleinsten  Thieren  finden  der- 
gleichen Abneigungen  eben  sowie  unter  den  grössten  statt. 
Die  Raupen  vermeiden  die  Bäume  in  denen   sich  Ameisen 
aufhalten.     Die  Spinne  lässt  sich  an  ihrem  Faden   auf  den 
Kopf  der  Schlange,  die  im  Schatten    ihres  Baumes   nieder- 
gestreckt  ist,   herab,    und   sticht    sie   mit  solcher  Kraft  in 
das  Gehirn,   dass   sie   sogleich    zischend   sich   umherwälzt, 
und   da   sie   nicht   einmal   den  Faden,  an  dem  jene  hängt, 


*)  Pyralis.  Pyralis  ponianana  Hübn.  ein  Nachtschmetterling. 
a)  Nisi.  Falco  Nisus  L.    3)  Acanthis.  Fringilla  Spinus  L. 


Zehntes  Buch.  289 

zerreissen,  also  auch  nicht  fliehen  kann,  so  macht  bloss  der 
Tod  ihrer  Qual  ein  Ende. 

96. 
Dagegen  sind  Freunde:  die  Pfauen  und  Haustauben; 
die  Turteltauben  und  Papageien;  die  Amseln  und  Turtel- 
tauben; die  Krähen  und  Reiher,  andererseits  haben  beide 
eine  gemeinschaftliche  Feindschaft  gegen  die  Füchse;  der 
Harpe  und  Milan  gegen  den  Triorches.  Und  findet  man 
nicht  auch  selbst  bei  den  Schlangen,  den  bösartigsten 
aller  Thiere,  Merkmale  von  Zuneigung?  Ich  habe  bereits 
die  Geschichte  von  einem  Manne,  der  von  einer  Schlange 
errettet  wurde,  als  diese  seine  Stimme  erkannte,  erzählt1); 
eine  andere  wunderbare  Begebenheit  von  einer  Aspis  theilt 
Phylarchus  mit.  Diese  Schlange  sei  nämlich  jedesmal  von 
der  Tafel  eines  Mannes  gefüttert  worden;  sie  bekam  Junge, 
von  denen  eins  den  Sohn  ihres  Gastfreundes  tödtete.  Als 
sie  nun  wieder  nach  ihrer  Gewohnheit  zum  Fressen  kam, 
soll  sie  das  Verbrechen  gemerkt,  jenes  Junge  getödtet 
haben,  und  nachher  nie  wieder  in  diess  Haus  zurückge- 
kehrt sein. 

97. 
Die  Frage,  ob  die  Thiere  schlafen,  ist  nicht  schwierig 
zu  beantworten.  Unter  den  Landthieren  schlafen  unbe- 
zweifelt  alle,  welche  die  Augen  schliessen.  Auch  die 
Wasserthiere  sollen,  wie  sogar  die  annehmen,  welche  es 
von  den  übrigen  bezweifeln,  zwar  nur  wenig,  aber  doch 
schlafen;  man  kann  diess  zwar  an  ihren  Augen  nicht  wahr- 
nehmen, weil  sie  keine  Augenlider  haben,  wohl  aber  sieht 
man  sie  zuweilen  in  sanfter  Ruhe,  gleichsam  schlummernd, 
ohne  etwas  anders  als  den  Schwanz  zu  bewegen,  und  bei 
irgend  einem  Geräusch  plötzlich  auffahren.  Von  den  Thun- 
fischen wird  diess  mit  noch  mehr  Zuverlässigkeit  versichert, 
denn  diese  schlafen  am  Ufer  oder  auf  Felsen.  Die  Platt- 
fische aber  schlafen  auf  seichten  Stellen,  so  dass  man  sie 
oft  mit  der  Hand  aufheben  kann.     Die  Delphine  und  Wall- 


»)  VIII.  B.  22.  C. 

Witts  tein :  Plinius.     II.  Bd.  l'.i 


290  Zehntes  Buch. 

fische  hört  man  sogar  schnarchen.  Ohne  Zweifel  schlafen 
auch  die  Insekten,  da  sie  zuweilen  ruhig  sind,  und  nicht 
einmal  durch  herbeigebrachtes  Licht  aufgestört  werden. 

98. 

Der  Mensch  liegt  von  seiner  Geburt  an  mehrere  Monate 
hindurch  in  tiefem  Schlafe,  alsdann  wacht  er  von  Tage  zu 
Tage  etwas  länger.  Schon  als  Kind  träumt  er,  denn  er 
fährt  schreckend  auf,  und  macht  die  Gebärde  des  Saugens. 
Manche  Menschen  träumen  niemals,  und  ich  weiss  Beispiele, 
wo  es  solchen  ein  Anzeichen  ihres  bevorstehenden  Todes 
war,  wenn  sie  wider  Gewohnheit  einen  Traum  hatten.  Bei 
dieser  Gelegenheit  sehen  wir  uns  zu  einer  wichtigen  Frage, 
die  viele  Thatsachen  für  und  gegen  sich  hat,  veranlasst; 
ob  nämlich  die  Seele  im  Schlafe  eine  gewisse  Vorbedeutung 
des  Zukünftigen  habe,  und  worin  diese  begründet,  oder  ob 
der  Traum,  wie  so  viele  andere  Dinge,  etwas  Zufälliges 
sei?  Wollte  man  diese  Frage  durch  Beispiele  lösen,  so 
würden  sie  in  der  That  auf  beiden  Seiten  gleich  sein. 
Darin  ist  man  fast  einstimmiger  Meinung,  dass  diejenigen 
Träume,  welche  sich  zunächst  nach  den  Genüsse  von  Wein 
oder  Speisen,  oder  wenn  man  nach  dem  Aufwachen  sogleich 
wieder  einschläft,  einstellen,  nichts  bedeutend  sind.  Der 
Schlaf  ist  aber  nichts  anderes,  als  ein  Zurückziehen  der 
Seele  in  ihr  Inneres.  Es  leidet  keinen  Zweifel,  dass  ausser 
dem  Menschen  auch  die  Pferde,  Hunde,  Ochsen,  Schafe  und 
Ziegen  träumen.  Daher  muthmaasst  man  diess  von  allen 
Thieren,  die  lebendige  Junge  zur  Welt  bringen.  Von  denen, 
welche  Eier  legen,  ist  es  ungewiss,  gewiss  aber  ist,  dass 
sie  schlafen. 

Doch  wir  wollen  zu  den  Insekten  übergehen. 


Elftes  Buch. 


Von  den  Insekten. 

1. 

Noch  sind  uns  die  Insekten,  unendlich  kleine  und 
zarte  Thiere,  denen  Einige  das  Athmen,  ja  sogar  das  Blut 
abgesprochen  haben,  zu  betrachten  übrig. 

Es  giebt  viele  und  vielerlei  Gattungen  von  Insekten, 
und  ihr  Leben  kommt  theils  mit  denen  der  Landthiere, 
theils  mit  denen  der  Vögel  tiberein.  Einige  sind  geflügelt, 
wie  die  Bienen,  andere  theils  geflügelt,  theils  nicht,  wie  die 
Ameisen;  noch  andere  haben  weder  Füsse  noch  Fitigel, 
Mit  Recht  heissen  sie  alle  wegen  der  Einschnitte,  welche 
in  der  Gegend  des  Nackens  oder  der  Brust  oder  des  Leibes 
die  Glieder  in  so  weit  trennen,  dass  sie  nur  durch  eine 
dünne  Röhre  zusammenhängen,  Insekten.  Bei  einigen  aber 
geht  der  Einschnitt  nicht  ganz  um  den  Körper  herum, 
sondern  läuft  bloss  am  Bauche  oder  bloss  auf  dem  Rücken, 
und  die  Gelenke  sind  durch  schuppenförmige  Lagen  bieg- 
sam und  so  zusammengefügt,  dass  sich  an  keinem  andern 
Gegenstande  die  Kunst  der  Natur  glänzender  erweist.  Bei 
grossen  oder  doch  wenigstens  grössern  Körpern  war  die 
Bearbeitung  wegen  des  bildsamen  Stoffes  leicht;  in  diesen 
so  kleinen  und  fast  in  Nichts  verschwindenden  Thierchen 
aber,  welche  Sorgfalt,  welche  Macht,  welche  unerforschliche 
Vollendung  zeigt  sich  da?  Wohin  hat  sie  in  einer  Mücke 
so  viele  Sinne  und  noch  andere  kaum  zu  nennende  Dinge 
gebracht?  Wo  hat  sie  in  derselben  das  Gesicht,  den  Ge- 
il* 


2^2  Elftes  Buch. 

schmack,  den  Geruch  hingesetzt?  Wohin  hat  sie  ihr  die 
rauhe  und  verhältnissmässig  so  starke  Stimme  verlegt? 
Mit  welcher  Feinheit  hat  sie  die  Flügel  angefügt,  die 
Beine  langgestreckt,  die  leere  Höhle  als  Bauch  angefügt, 
und  ihren  gierigen  Durst  besonders  nach  Menschenblut  ent- 
zündet? Mit  welcher  Kunst  spitzte  sie  ihr  den  Stachel,  die 
Haut  zu  durchbohren?  und,  als  wenn  er  noch  so  gross 
wäre,  obgleich  man  ihn  wegen  seiner  Kleinheit  nicht  wahr- 
nehmen kann,  zeigte  sie  ihre  Kunst  doppelt  daran,  indem 
sie  ihn  sowohl  zum  Stechen  spitz,  als  auch  zum  Saugen 
hohl  machte.  Was  für  Zähne  verlieh  sie  dem  Holzwurme, 
welcher  die  Eichen  durchbohrt  (wie  sich  an  dem  Schalle 
ihrer  Rinde  erweist),  und  grösstentheils  vom  Holze  lebt? 
Aber  wir  bewundern  nur  die  thurmtragenden  Schultern  der 
Elephanten,  die  Nacken  der  Ochsen  und  ihr  gewaltiges  in 
die  Höhe  Werfen,  die  Raubgier  der  Tiger  und  die  Mähnen 
der  Löwen,  während  doch  die  Natur  sich  nirgends  vollen- 
deter zeigt  als  im  Kleinen.  Daher  bitte  ich  die  Leser, 
denen  vielleicht  vieles  von  den  Insekten  verächtlich  vor- 
kommt, nicht  auch  meine  Beschreibung  mit  Widerwillen 
von  sich  zu  weisen,  denn  bei  der  Betrachtung  der  Natur 
kann  nichts  als  überflüssig  erscheinen. 

2. 
Viele  haben  das  Athmen  der  Insekten  deshalb  ge- 
läugnet,  weil  in  ihren  Eingeweiden  kein  Organ  zum  Athem- 
holen  vorhanden  sei;  sie  lebten  daher  wie  die  Früchte  und 
Bäume,  denn  es  sei  ein  grosser  Unterschied  zwischen 
Athmen  und  Leben.  Aus  demselben  Grunde  hätten  sie  auch 
kein  Blut,  w7as  überhaupt  jedem  Thiere,  welches  ohne 
Herz  und  Leber  sei,  fehle;  ebenso  holten  alle  Thiere,  welche 
keine  Lunge  hätten,  nicht  Athem.  Hieraus  entspringt  nun 
noch  eine  zahlreiche  Reihe  von  Fragen,  denn  Jene  sprechen 
auch,  trotz  des  Summens  der  Bienen,  des  Zirpens  der  Ci- 
caden  und  anderer,  die  an  ihrem  Orte  näher  behandelt 
weiden  sollen,  den  Insekten  die  Stimme  ab.  Allein  ich  bin 
bei  Betrachtung  der  Natur  zu  der  Ueberzeugung  gekommen, 
dass  ihr  nichts  unmöglich  ist,  und  ich  sehe  nicht  ein,  warum 


Elftes  Buch.  293 

es  möglicher  sein  sollte,  dass  diese  Thiere  ohne  Athem  zu 
holen  leben,  als  ohne  besonders  dazu  vorhandene  Einge- 
weide athmen  könnten;  die  Möglichkeit  des  letztern  habe 
ich  bei  den  Seethieren  gezeigt,  obgleich  die  Dichtigkeit 
und  Tiefe  des  Wassers  die  Luft  mehr  abhält.  Es  giebt 
unter  ihnen  einige,  welche  fliegen,  also  in  der  Luft  leben, 
einen  Sinn  für  Nahrung,  Zeugung  und  Arbeit  haben,  sogar 
für  die  Zukunft  Sorge  tragen,  und  diese  sollten  nicht 
athmen?  Und  wer  möchte  nicht  ohne  Weiteres  zugeben, 
dass,  obgleich  ihnen  die  Organe,  welche  die  Sinne  gleich- 
sam wie  in  einem  Kahne  zuführen,  fehlen,  sie  -dennoch  Ge- 
hör, Geruch,  Geschmack,  und  ausserdem  noch  andere  aus- 
gezeichnete Naturgaben,  Klugheit,  Versfand  und  Kunst  be- 
sitzen? Dass  sie  kein  Blut  haben,  gestehe  ich  selbst  ein 
wie  denn  nicht  einmal  alle  Landthiere  solches  führen;  allein 
etwas  Aehnliches  vertritt  dessen  Stelle.  So  hat  die  Sepie 
statt  des  Blutes  einen  schwarzen  Saft,  das  Geschlecht  der 
Purpurschnecken  jenen  bekannten  Färbesaft,  und  auf  gleiche 
Weise  führen  auch  die  Insekten  einen  gewissen  Lebens- 
saft bei  sich,  der  als  ihr  Blut  gelten  kann.  So  lange  nun 
ein  Jeder  in  dieser  Sache  seine  eigenen  Ansichten  hat,  ist 
es  mein  Vorsatz,  nicht  über  Streitfragen  zu  entscheiden, 
sondern  die  Naturgegen stände,  über  welche  kein  Zweifel 
mehr  obwaltet,  zu  beschreiben. 

3. 
Die  Insekten  scheinen,  so  viel  sich  erkennen  lässt, 
weder  Sehnen,  noch  Knochen,  noch  Rückgrat,  noch  Knorpel, 
noch  Fett,  noch  Fleisch,  ja  nicht  einmal  eine  zerbrechliche 
Schale,  wie  einige  Seethiere,  und  auch  selbst  keine  wahre 
Haut  zu  haben,  sondern  ihr  Körper  ist  von  einer  zwischen 
allen  diesen  das  Mittel  haltenden  Beschaffenheit,  gleichsam 
ausgedörrt,  weicher  als  die  Sehnen,  an  den  übrigen  Theilen 
aber  mehr  vor  Gefahr  geschützt  als  hart.  Diess  ist  alles 
was  sie  haben,  ausserdem  findet  sich  nichts,  und  nur  bei 
Wenigen  inwendig  etwas  verschlungenes  Eingeweide.  Da- 
her haben  sie  auch  ein  sehr  zähes  Leben,  und  abgerissene 
Theile  zucken  noch  lange  fort.     Was  nun  auch  der  Grund 


294  Elftes  Buch. 

ihrer  Lebenskraft  sein  mag,  so  liegt  dieselbe  doch  gewiss 
nicht  in  einzelnen  Gliedern,  sondern  ist  im  ganzen  Körper 
verbreitet,  am  wenigsten  jedoch  im  Kopfe,  denn  dieser 
allein  ist  es,  welcher  sich  nicht  mehr  bewegt,  ausgenommen, 
wenn  er  mit  der  Brust  zugleich  abgerissen  wurde.  In 
keiner  Klasse  von  Thieren  giebt  es  Individuen  mit  mehr 
Füssen  als  in  dieser;  und  je  mehr  ein  solches  Thier  Fiisse 
hat,  um  so  länger  leben  abgerissene  Theile  derselben,  wie 
wir  z.  B.  an  den  Scolopendern  wahrnehmen. 

Die  Insekten  haben  Augen,  und  von  den  übrigen 
Sinnen  das  Gefühl  und  den  Geschmack,  einige  auch  Geruch, 
wenige  aber  Gehör. 

4. 

Unter  allen  diesen  Thieren  nun  verdienen  die  Bienen 
mit  Recht  den  ersten  Platz  und  die  meiste  Bewunderung, 
weil  sie  allein  um  der  Menschen  willen  geschaffen  worden 
sind.  Sie  sammeln  Honig,  den  süssesten,  feinsten  und  heil- 
samsten Saft,  bilden  Wachsscheiben  und  Wachs,  welches 
zu  tausend  Dingen  nützlich  ist;  sind  arbeitsam,  vollenden 
ihr  Werk,  haben  eine  Staatsverfassung,  halten  einzeln  Rath, 
stehen  schaarenweise  unter  Führern,  und,  was  Ober  alles 
geht,  sie  haben  auch  eigenthümliche  Sitten.  Obgleich  sie 
weder  zahm  noch  wild  sind,  so  ist  doch  die  Macht  der 
Natur  so  gross,  dass  sie  beinahe  aus  dem  Schattenrisse 
des  kleinsten  Thieres  etwas  Unvergleichliches  hervorge- 
bracht hat.  Welche  Nerven  sollen  wir  mit  einem  solchen 
Fleiss  und  solcher  Wirksamkeit  vergleichen?  Welche  Kräfte, 
und  wahrlich,  welche  Männer  mit  ihrem  Verstände?  Denn 
sie  zeichen  sich  hierin  weit  mehr  aus,  insofern  sie  nur 
einen  gemeinschaftlichen  Zweck  vor  Augen  haben.  Unter- 
suchen wir  daher  nicht  die  Frage  über  ihren  Athem;  auch 
der  Streit  über  ihr  Blut  mag  auf  sich  beruhen,  denn  wie 
viel  kann  wobl  in  so  kleinen  Thierchen  enthalten  sein? 
Wir  wollen  vielmehr  ihre  Kunstfertigkeit  ins  Auge  fassen. 

5. 

Im  Winter  sind  sie  verborgen,  denn  woher  sollten  sie 
zur  Ertragung   von   Reif,   Schnee  und   kalten   Winden   die 


Elftes  Buch.  295 

Kräfte  hernehmen?  Zwar  verkriechen  sich  alle  Insekten, 
aber  nicht  alle  auf  so  lange  Zeit,  und  diejenigen,  welche 
sich  in  unsere  Wände  begeben,  werden  frühzeitiger  wieder 
belebt.  Hinsichtlich  der  Bienen  hat  sich  entweder  die  Be- 
schaffenheit der  Jahreszeiten  und  der  Gegenden  geändert, 
oder  die  früheren  Schriftsteller  haben  sich  geirrt.  Sie  ver- 
bergen sich  beim  Untergange  des  Siebengestirns,  und  bleiben 
bis  nach  dem  Aufgange  desselben  in  Ruhe,  jedoch  nicht 
bis  zum  Anfang  des  Frühlings,  wie  Mehrere  behauptet 
haben  und  was  Niemand  in  Italien  glaubt.  Vor  der  Blttthe- 
zeit  der  Bohnen  gehen  sie  nicht  an  ihre  Arbeit,  und  ver- 
lieren, wenn  der  Himmel  günstig  ist,  keinen  Tag  durch 
Müssiggang.  Zuerst  bauen  sie  die  Scheiben  und  bilden 
das  Wachs,  d.  h.  sie  machen  sich  Wohnungen  uud  Zellen. 
Darauf  legen  sie  ihre  Brut,  bereiten  dann  Honig  und  Wachs 
aus  den  Blumen,  Bienenharz  l)  aus  den  Thränen  derjenigen 
Bäume,  welche  einen  klebrigen,  gummigen  oder  harzigen 
Saft  ausschwitzen,  wie  die  Weiden,  Ulmen  und  Rohre. 
Hiemit  bestreichen  sie  wie  mit  Tünche  erst  den  ganzen 
Stock  inwendig  und  machen  dann  darüber  noch  einen 
Ueberzug  mit  andern  mehr  bittern  Säften  zum  Schutze 
gegen  die  Raubgier  anderer  kleiner  Thiere,  denn  sie  sind 
sich  bewusst,  dass  sie  etwas  bereiten,  wonach  andere 
trachten.  Mit  diesen  Säften  endlich  bekleiden  sie  auch 
die  weitern  Oeffnungen  des  Stocks. 

6. 
Die  erste  Grundlage  heisst  bei  den  Sachverständigen 
der  Gummigroand2),  die  zweite  das  Harzwachs3),  die 
dritte  das  Stopifwachs4);  letzteres  liegt  zwischen  der 
äussern  Rinde  und  dem  Wachse,  und  wird  vielfach  als 
Arzneimittel  angewendet.  Der  Gummigrund  ist  die  erste 
Kruste,  und  hat  einen  bittern  Geschmack.  Auf  diesen 
folgt  das  Harzwachs,  eine  Art  weichern  Wachses,  womit 
sie    den   Stock    gleichsam    verpichen.    Aus    dem    mildern 


*)  Melligo.    a)  Commosis.    3)  Pissoceros. 
*)  Propolis. 


296  Elftes  Buch. 

Harze  des  Weinstocks  und  der  Pappel  wird  das  Stopf- 
wachs, ein  schon  festerer  Stoff,  mit  Zusatz  von  Blumen- 
staub  bereitet;  jedoch  ist  es  noch  nicht  das  eigentliche 
Wachs,  sondern  das  Befestigungsmittel  der  Scheiben,  wo- 
mit alle  Zugänge  gegen  Kälte  und  andere  schädliche  Ein- 
flüsse verschlossen  werden;  es  hat  ausserdem  einen  so 
starken  Geruch,  dass  Viele  sich  desselben  statt  Galbanum 
bedienen. 

7. 

Ausserdem  tragen  sie  auch  Bienenbröt1)  zusammenr 
welches  Manche  Sandarace,  Andere  Cerinthus  nennen.  Es 
schmeckt  ebenfalls  bitter,  findet  sich  oft  in  den  leeren 
Räumen  der  Scheiben,  und  mag  wohl  das  Futter  der  Bienen 
während  ihrer  Arbeit  sein.  Es  wird  vom  Frühlingstbau- 
und  Baumsaft,  gleich  dem  Gummi  erzeugt.  Beim  Wehen 
des  Süd  Westwindes  trifft  man  es  in  geringerer  Menge,  beim 
Südwinde  ist  es  schwärzer,  beim  Nordwinde  besser  und 
von  röthlicher  Farbe,  und  am  häufigsten  findet  man  es  an 
den  Mandeln  2).  Menecrates3)  sagt,  es  sei  eine  Blume4) 
und  zeige  die  kommende  Erndte  an,  aber  Niemand  anders 
ist  dieser  Meinung. 

8. 

Die  Bienen  bereiten  das  Wachs  aus  den  Blüthen 
aller  Bäume  und  Felder,  mit  Ausnahme  des  Rumex  und- 
Echinops,  zwei  Kräutern.  Aber  mit  Unrecht  nimmt  man 
auch  das  Spartum  aus,  da  doch  der  Honig,  welcher  in  den 
mit  dieser  Pflanze  in  Spanien  bebaueten  Plätzen 5)  erhalten 
wird,  stark  nach  derselben  schmeckt.  Für  ebenso  falsch 
halte  ich  es,  die  Oelbäume  auszuschliessen,  da  bekanntlich 
zu   der  Zeit,  wo   dieselben  hervorbrechen,  die  Bienen  am 


l)  Erithace.    2)  Nuces  graecae. 

3)  Dies  ist  wahrscheinlich  nicht  der  in  dem  Autorverzeichnisse 
des  VIII.  B.  vorkommende  Dichter,  sondern  der  unter  Tiberius  zu 
Rom  lebende  Arzt.  Erfinder  des  Bleiglättepflasters. 

4)  Es  ist  vielmehr  der  Blumenstaub,  den  Plinius  oft  mit  dem 
Namen  flos  bezeichnet. 

5)  Spartaria. 


Elftes  Buch.  297 

meisten  schwärmen.  Den  Früchten  thun  sie  keinen  Schaden- 
Sie  setzen  sich  weder  anf  abgestorbene  Blüthen,  noch  auf 
dergleichen  Körper.  Ihr  Wirkungskreis  erstreckt  sich  auf 
60  Schritte,  und  wenn  zuweilen  alle  Blumen  in  ihrer  Nähe 
ausgesogen  sind,  so  senden  sie  Kundschafter  aus,  um  in. 
grösserer  Entfernung  Futter  aufzusuchen.  Werden  sie  auf 
ihrer  Reise  von  der  Nacht  tibereilt,  so  schlafen  sie  auf  dem 
Rücken  liegend,  um  die  Flügel  vor  dem  Thaue  zu  schützen. 

9. 

Einen  merkwürdigen  Beweis,  wie  weit  die  Liebhaberei 
für  diese  Thiere  geht,  liefert  der  Solenser  Aristomachus  *), 
der  sich  58  Jahre  lang  mit  nichts  weiter  beschäftigte,  so- 
wie der  Thasier  Philiscus  2),  der  in  der  Einsamkeit  Bienen- 
zucht trieb,  und  deshalb  den  Zunamen  „der  Wilde"  3)  er- 
hielt.   Beide  haben  über  die  Bienen  geschrieben. 

10. 

Folgendes  ist  der  Gang  ihrer  Arbeiten.  Am  Tage 
stellen  sie,  gleichwie  in  einem  Lager,  eine  Wache  an  den 
Zugängen  auf,  des  Nachts  ruhen  sie  bis  zum  Morgen,  wo 
eine  die  andern  durch  ein-  oder  zweimaliges  Summen  wie 
durch  eine  Trompete  aufweckt.  Sodann  fliegen  sie,  wenn, 
ein  milder  Tag  bevorsteht,  alle  heraus;  denn  sie  haben  ein 
Vorgefühl  von  Wind  und  Regen,  und  halten  sich  in  solchem 
Falle  in  ihren  Wohnungen.  Wenn  nun  bei  heiterm  Himmel 
(denn  auch  diess  wissen  sie  vorher)  der  Schwärm  zur  Ar- 
beit hinausgezogen  ist,  so  tragen  einige  an  den  Füssen 
Blumen 4)  herbei,  andere  im  Munde  Wasser  und  Tropfen 
an  ihrem  behaarten  Körper.  Die  jungen  unter  ihnen  gehen- 
zur  Arbeit  heraus  und  tragen  das  Obengenannte  zusammen, 
die  altern  arbeiten  innerhalb.  Diejenigen,  welche  Blumen 
herbeitragen,  beladen  mit  den  Vorderfüssen  die  Hinter- 
schenkel, welche  zu  diesem  Behufe  rauch  sind,  die  Vorder- 


')  Nicht  näher  bekannt. 
2)  Nicht  näher  bekannt.     3)  agrius. 

4)  Wie  schon  im  7.  Cap.  angedeutet  wurde,  versteht  Plinius  hier 
unter  flos  den  Bluraenstaub. 


298  Elftes  Buch. 

beine  aber  durch  Hülfe  des  Rüssels,  und  so  kehren  sie 
ganz  belastet  und  von  der  Bürde  ganz  gekrümmt  zurück. 
Drei  oder  vier  andere  empfangen  und  entladen  sie,  denn 
auch  innerhalb  des  Stocks  sind  die  Arbeiten  vertheilt. 
Einige  nämlich  bauen,  andere  glätten,  andere  tragen  her- 
bei, noch  andere  bereiten  aus  dem,  was  herbeigeschafft 
wurde,  Speise.  Sie  fressen  auch  nicht  einzeln,  damit  keine 
Ungleichheit  in  der  Arbeit,  im  Fressen  und  in  der  Zeit 
entsteht.  Sie  beginnen  den  Bau  von  der  Wölbung  des 
Stocks  an,  führen  also  gleichsam  ihr  Gewebe  von  oben 
herab  aus,  lassen  aber  um  jedes  Stockwerk  2  Wege  frei, 
einen  zum  Ein-,  den  andern  zum  Ausgange.  Die  Scheiben 
sind  oben  befestigt,  hängen  auch  an  den  Seiten  etwas  fest, 
und  schweben  so;  den  Stock  selbst  berühren  sie  nicht.  Sie 
sind  bald  schief,  bald  rund,  wie  es  gerade  die  Form  des 
Stocks  mit  sich  bringt;  zuweilen  findet  man  sie  auch  von 
zweierlei  Art,  wenn  zwei  Schwärme  zwar  einträchtig  mit 
einander  leben,  aber  verschiedene  Gebräuche  haben.  Das 
dem  Einstürze  nahe  Wachs  stützen  sie  durch  vom  Boden 
aufgewölbte  Reihen  von  Pfeilern,  dergestalt,  dass  ihnen 
der  Zugang  zum  Ausbessern  nicht  versperrt  wird.  Etwa 
die  drei  ersten  Zellenreihen  werden  leer  gelassen,  damit 
•das,  was  die  Diebe  reitzt,  nicht  gerade  vor  Augen  liegt; 
die  letzten  dagegen  werden  am  meisten  mit  Honig  ange- 
füllt, und  daher  nimmt  man  auch  die  Scheiben  von  der 
hintern  Seite  des  Stockes  aus.  Die  Lastbienen  warten 
günstigen  Wind  ab;  entsteht  ein  Sturm,  so  halten  sie  sich 
durch  das  Gewicht  eines  ergriffenen  Steinchens  im  Gleich- 
gewichte; Einige  sagen,  sie  nähmen  ihn  auf  die  Schultern. 
Bei  widrigem  Winde  fliegen  sie  dicht  an  der  Erde  und 
vermeiden  dabei  vorsichtig  die  Dornsträucher.  Zu  bewun- 
dern ist  ihre  strenge  Ordnung  bei  der  Arbeit.  Sie  be- 
merken die  Trägheit  der  Säumigen,  züchtigen  sie,  und  be- 
strafen sie  mit  dem  Tode.  Ebenso  viele  Bewunderung  ver- 
dient ihre  Reinlichkeit.  Sie  schaffen  alles  Unnütze  bei 
Seite,  und  nirgends  bleibt  etwas  Unreines  liegen.  Ja  so- 
vgar  der  Unrath    der   inwendig  Arbeitenden  wird  an  einem 


Elftes  Buch.  299 

Ort  zusammengebracht,  damit  sie  sich  nicht  weit  von  der 
Arbeit  zu  entfernen  brauchen,  und  an  trüben  Tagen  oder 
wenn  die  Arbeit  ruhet  hinausgeschafft.  Wenn  der  Abend 
nahet,  wird  das  Geräusch  im  Stocke  immer  schwächer,  bis 
endlich  eine  mit  demselben  Gesumse,  womit  sie  des  Morgens 
weckt,  darin  herumfliegt,  und  ebenfalls,  wie  im  Lager,  gleich- 
sam Ruhe  gebietet.  Hierauf  werden  alle  plötzlich  still. 
Zuerst  bauen  sie  die  Wohnungen  für  das  Volk,  nachher 
für  die  Könige  *).  Wenn  auf  eine  zahlreiche  Nachkommen- 
schaft zu  hoffen  ist,  bauen  sie  noch  besondere  Behältnisse 
für  die  Drohnen.  Die  Zellen  der  letztern  sind  am  kleinsten, 
obgleich  sie  selbst  grösser  als  die  übrigen  Bienen  sind. 

11. 
Die  Drohnen2)  haben  keinen  Stachel;  sie  sind  gleich- 
sam unvollkommene  Bienen,  zuletzt  von  den  ermüdeten 
und  ausgedienten  erzeugt,  eine  spätere  Brut,  und  gleichsam 
in  der  Sclaverei  der  eigentlichen  Bienen;  daher  herrschen 
diese  über  sie,  treiben  sie  zuerst  zur  Arbeit  an,  und  strafen 
die  saumseligen  ohne  Erbarmen.  Und  nicht  bloss  bei  der 
Arbeit,  sondern  auch  beim  Brüten  stehen  sie  ihnen  bei,  in- 
dem sie  durch  ihre  Menge  viel  zur  nöthigen  Wärme  bei- 
tragen, denn  je  grösser  ihre  Anzahl,  um  so  grösser  wird 
auch  die  Nachkommenschaft.  Wenn  der  Honig  anfängt  zu 
reifen,  so  treiben  sie  dieselben  hinaus,  und  viele  fallen 
Über  einzelne  her  und  tödten  sie.  Man  sieht  auch  diese 
Art  nur  im  Frühjahre.  Wird  eine  Drohne,  nachdem  ihr  die 
Flügel  ausgerissen  sind,  wieder  in  den  Stock  geworfen,  so 
nimmt  sie  sie  den  übrigen  auch. 

12. 
Ihren   künftigen  Herrschern  erbauen  sie  im  innersten 


*)  Worunter  die  Königinnen  zu  verstehen  sind,  von  denen 
aber  in  einem  jeden  Stocke  nur  eine  einzige  ist. 

2J  Fuci.  Diese  haben  keine  andere  Bestimmung  als  sich  mit  der 
Königin  zu  paaren.  Sie  sterben  entweder  gleich  nach  der  Begattung, 
oder  müssen  verhungern,  und  die  übriggebliebenen  werden  von  den 
Arbeitern  umgebracht.  In  einem  grossen  Stocke  befinden  sich  gegen 
700  Drohnen  und  10.000  Arbeiter. 


300  EUtes  Buch. 

Theile  des  Stocks  weite,  prächtige,  abgesonderte,  auf  einem» 
Hügel  hervorragende  Paläste;  wenn  dieser  Hügel  gedrückt 
wird,  so  entsteht  keine  Brut.  Alle  Zellen  sind  sechseckig,, 
weil  sie  an  jeder  Ecke  mit  einem  Fusse  arbeiten.  Keine 
ihrer  Arbeiten  geschieht  in  einer  bestimmten  Zeit,  sondern 
sie  eilen  mit  denselben  an  heitern  Tagen,  und  füllen  in 
1  oder  höchstens  2  Tagen  die  Zellen  mit  Honig  an.  Der 
Honig  kommt  aus  der  Luft,  und  entsteht  am  meisten  beim 
Aufgange  der  Gestirne,  besonders  aber  wenn  der  Sirius- 
leuchtet,  und  nie  vor  dem  Aufgange  des  Siebengestirns,, 
gegen  Tagesanbruch.  Daher  findet  man  beim  Beginn  der 
Morgenröthe  die  Blätter  der  Bäume  mit  Honigthau  bedeckt; 
und  diejenigen,  welche  früh  Morgens  unter  freiem  Himmel 
verweilten,  finden  ihre  Kleider  von  jener  Feuchtigkeit  durch- 
drungen und  ihre  Kopfhaare  zusammengeklebt.  Mag  diess 
nun  entweder  ein  Schweiss  des  Himmels,  oder  ein  speichel- 
artiger Ausfluss  der  Sterne,  oder  ein  Saft  der  sich  reinigen- 
den Luft  sein,  so  wäre  zu  wünschen,  dass  er  eben  so  rein 
und  flüssig  und  von  derselben  Beschaffenheit  wäre,  wie  er 
zuerst  ausfliesst;  so  aber  fällt  er  aus  einer  bedeutenden 
Höhe  herab,  ist,  wenn  er  ankommt,  sehr  mit  Schmutz  be- 
laden, und  durch  die  ihm  entgegenkommenden  Ausdünstungen 
der  Erde  verdorben.  Ausserdem  hat  er  vom  Laube  und 
Grase  Feuchtigkeit  angenommen,  und  wird  in  den  Magen 
der  Bienen  (denn  sie  geben  ihn  durch  den  Mund  wieder 
von  sich)  gebracht;  dazu  kommt  noch,  dass  er  durch  den 
Saft  der  Blumen  verdorben  und  in  den  Bienenstöcken  ver- 
ändert ist,  und,  trotz  seiner  so  vielfachen  Veränderung, 
bringt  er  doch  noch  einen  grossen  Theil  himmlischen  Natur 
mit  sich. 

13. 
Derjenige  Honig  ist  der  beste,  welcher  in  den  Honig- 
gefässen  l)  der  besten  Blumen  verborgen  war.     Hieher  ge- 
hört der  aus  einer  Gegend  Attika's  und  Sicilien's,  nämlich 


Doliolum. 


Elftes  Buch.  301 

■von  den  Orten  Hymettus  und  Hybla;  dann  folgt  der  von 
der  Insel  Calydna.  Anfänglich  aber  ist  der  Honig  dünn 
wie  Wasser,  und  in  den  ersten  Tagen  braust  er  wie  Most 
und  reinigt  sich;  mit  dem  zwanzigsten  Tage  wird  er  dick, 
und  bald  darauf  überzieht  er  sich  mit  einer  dünnen  Haut, 
die  von  dem  durch  die  Hitze  entstandenen  Schaume  ent- 
steht. Der  beste  und  am  wenigsten  mit  Blatttheilen  ver- 
unreinigte wird  von  den  Blättern  der  Eichen,  Linden  und 
der  Rohrpflanzen  gewonnen. 

14. 

Die  Güte  des  Honigs  hängt,  wie  wir  oben  gesagt 
haben,  besonders  vom  Vaterlande,  und  zwar  auf  verschiedene 
Weise  ab.  Denn  an  einigen  Orten  sind  die  Wachsscheiben 
von  vorzüglicher  Schönheit,  wie  im  Pelignischen  und  in 
^icilien;  anderswo  wird  mehr  Honig  gewonnen,  z.  B.  in 
Creta,  Cypern,  Afrika;  in  noch  andern  Gegenden  sind  sie 
von  bedeutender  Grösse,  wie  z.  B.  im  Norden,  wie  man 
denn  schon  in  Deutschland  Scheiben  von  8  Fuss  Länge, 
die  auf  der  hohlen  Seite  schwarz  waren,  gesehen  hat. 

Ueberall  unterscheidet  man  jedoch  3  Arten  Honig:  den 
Frühlingshonig,  wenn  der  Bau  der  Scheiben  aus  Blumen 
gemacht  ist,  daher  er  auch  Blumenhonig1)  genannt  wird. 
Einige  wollen  nicht,  dass  man  diesen  ausnehmen  soll,  da- 
mit die  junge  Brut  durch  reichliche  Nahrung  kräftig  werde. 
Andere  lassen  hingegen  den  Bienen  von  keiner  Sorte 
weniger,  weil  sie  glauben,  dass  alsdann  beim  Aufgange 
der  grossen  Gestirne  eine  desto  reichlichere  Erndte  erfolge. 
Uebrigens  ist  zur  Zeit  des  Solstitiums,  wenn  der  Thymian 
und  Weinstock  zu  blühen  anfangen,  der  vorzüglichste  Stoff 
•für  die  Zellen  vorhanden.  Beim  Schneiden  der  Stöcke  ist 
es  nothwendig,  eine  gewisse  Eintheilung  zu  beobachten, 
weil  die  Bienen  bei  Mangel  an  Nahrung  den  Muth  ver- 
lieren, sterben  oder  wegziehen,  dahingegen  Ueberfluss  sie 
träge    macht,   und   sie   sich   alsdann   vom  Honig  und  nicht 


')  Anthirmm. 


302  Elftes  B«ch- 

vom  Bienenbrote  nähren.  Daher  lassen  aufmerksame  Bienen- 
wärter ihnen  den  15.  Theil  dieser  Erndte  zurück.  Der 
richtige  Zeitpunkt  zum  Beginne  der  Erndte  ist,  wie  durch 
ein  Naturgesetz  bestimmt,  wenn  die  Menschen  es  nur  wissen 
und  beobachten  wollten,  der  30.  Tag  vom  Ausfluge  des 
Schwanns  angerechnet,  die  Erndte  fällt  also  ungefähr  in 
den  Monat  Mai. 

Die  zweite  Sorte  ist  der  Sommerhonig,  der  von  seiner 
vorzüglichen  Reife  „der  reife" l)  genannt  wird;  man  sammelt 
ihn,  wenn  der  Sirius  scheint,  ungefähr  30  Tage  nach  dem 
Solstitium.  Hiebei  zeigt  sich  eine  unendliche  Genauigkeit 
der  Natur,  wenn  nur  die  Arglist  der  Menschen  nicht  alles 
verdürbe  und  verschlechterte;  denn  nach  dem  Aufgange 
eines  jeden  Gestirns,  besonders  aber  der  bedeutendem  oder 
nach  einem  Regenbogen,  falls  kein  Platzregen  darauf  folgt,, 
sondern  der  Thau  durch  die  Sonnenstrahlen  erwärmt  wird 
bekommt  man  keinen  Honig,  sondern  Heilmittel  als  himm- 
lische Geschenke  bei  Augenübeln,  Geschwüren  und  für  die 
innern  Eingeweide.  Wenn  diese  beim  Aufgange  des  Sirius 
gesammelt  werden,  und  zufällig,  wie  es  sich  oft  ereignet,. 
der  Aufgang  der  Venus,  des  Jupiter  oder  des  Mercur  auf 
denselben  Tag  fällt,  so  würde  es  kein  angenehmeres  und 
kräftigeres  Mittel,  um  die  Sterblichen  vor  tödtlichen  Uebeln 
zu  bewahren,  geben  als  dieser  göttliche  Nectar. 

15. 

Der  Honig  wird  beim  Vollmonde  reichlicher,  und  an 
einem  heitern  Tage  fetter  gewonnen.  Von  jeder  Honigsorte 
heisst  das,  was  schon  von  selbst  wie  Most  und  Oel  fliesst, 
acetum 2).  Sehr  geschätzt  wird  aller  röthliche  Sommer- 
honig, sowie  der  an  trocknen  Tagen  erzeugte.  In  hohem 
Ansehen  steht  der  aus  Thymian  bereitete,  welcher  eine 
goldgelbe  Farbe  und  einen  sehr  angenehmen  Geschmack 
besitzt.  Der  in  den  Honiggefässen  der  Blumen  befindliche 
ist  fett;  der  vom  Rosmarin,  dick.    Welcher  dick  wird,  findet 


')  copaTov. 

2)  Vom  griechischen  uxtjtov  das  beste,  reinste. 


Elftes  Buch.  303 

keinen  Beifall.  Der  Thymianhonig  gesteht  nicht,  und  lässt 
sich  in  dünne  Fäden  ziehen,  welche  Eigenschaft  der  beste 
Beweis  seiner  Güte  ist.  Wenn  sieh  aber  die  Tropfen  so- 
gleich losreissen  und  abfallen,  so  zeigt  diess  seine  schlechte 
Beschaffenheit  an.  Ein  zweites  Kennzeichen  seiner  Aecht- 
heit  ist,  dass  er  angenehm  riecht,  süsslich  scharf  schmeckt, 
klebt  und  durchscheint.  Cassius  Dionysius *)  sagt,  man 
solle  bei  der  Sommerhonigerndte  den  Bienen  den  zehnten 
Theil  zurücklassen  wenn  der  Stock  voll  ist,  und  so  nach 
Verhältniss  weniger  wenn  er  nicht  ganz  voll  ist;  sei  er 
aber  fast  leer,  so  solle  man  nichts  herausnehmen.  Die 
Attiker  geben  als  Zeitpunkt  für  diese  Erndte  den  Anfang 
der  Feigenreife,  Andere  aber  den  dem  Vulkan  geheiligten 
Tag  an. 

Die  dritte,  am  wenigsten  geachtete  Sorte  ist  der  Wald- 
oder sogenannte  Haidhonig:  Er  wird  nach  den  ersten  Herbst - 
schauern,  wenn  bloss  noch  die  Myrice  in  den  Wäldern 
blüht,  gesammelt,  und  sieht  daher  sandig  aus.  Er  ent- 
steht hauptsächlich  beim  Aufgange  des  Arcturs  gegen  den 
11.  September.  Einige  verschieben  das  Schneiden  des 
Sommerhonigs  bis  zum  Aufgange  des  Arcturs,  weil  von  da 
an  bis  zum  Herbst-Aequinoctium  noch  14  Tage  übrig  sind, 
und  vom  Herbst-Aequinoctium  bis  zum  Untergange  des 
Siebengestirns  48  Tage  hindurch  die  meiste  Erice  blüht. 
Die  Athenienser  nennen  dieselbe  Tamarice,  die  Euböenser 
Sisirum,  und  glauben,  sie  sei  den  Bienen  am  liebsten, 
vielleicht  aber  nur  deshalb,  weil  um  diese  Zeit  kein  an- 
deres Futter  in  reichlicher  Menge  vorhanden  ist.  Diese 
Honigerndte  findet  daher  gegen  Ende  der  Weinlese  und 
den  Untergang  des  Siebengestirns,  etwa  am  13.  November 
statt.  Ein  richtiges  Urtheil  lehrt,  von  dieser  Erndte  den 
Bienen  2  Theile,  und  zwar  immer  denjenigen  Theil  der 
Scheiben,  welche  das  Bienenbrot  enthalten,  zurückzulassen. 


')  Von  Utica,  übersetzte  ein  Werk  des  Puniers  Mago  über  den. 
Ackerbau  ins  Lateinische. 


304  Elftes  Buch. 

Vom  kürzesten  Tage  an  bis  zum  Aufgange  des  Arcturus, 
♦60  Tage  lang,  nehmen  sie  keine  Nahrung  zu  sich,  sondern 
schlafen.  Vom  Aufgange  des  Arcturus  bis  zum  Frühlings- 
Aequinoctium  wachen  sie  zwar  schon  in  wärmeren  Gegen- 
den, allein  auch  dann  bleiben  sie  noch  im  Stocke  zurück, 
und  nähren  sich  von  der  für  diese  Zeit  aufbewahrten 
Speise.  In  Italien  aber  thun  sie  diess  vom  Aufgange  des 
Siebengestirns  an,  denn  bis  dahin  schlafen  sie. 

Einige  wägen  die  Stöcke  beim  Schneiden  des  Honigs, 
und  bestimmen  dadurch,  wie  viel  sie  darin  lassen  sollen. 
Dieses  Verfahren  macht  sich  selbst  noth wendig,  denn,  wie 
-man  behauptet,  sterben  die  Stöcke  aus,  wenn  man  den 
Bienen  zu  wenig  lässt.  Vor  allem  wird  vorgeschrieben, 
dass  diejenigen,  welche  den  Honig  schneiden  wollen,  sich 
zuvor  waschen  und  reinigen.  Einen  Dieb,  sowie  Weiber 
während  ihrer  monatlichen  Reinigung  hassen  sie.  Wenn 
•der  Honig  geschnitten  werden  soll,  verjagt  man  die  Bienen 
am  besten  durch  Rauch,  damit  sie  nicht  zornig  werden 
oder  selbst  begierig  mitfressen.  Durch  häufiges  Räuchern 
werden  auch  die  Faulen  unter  ihnen  zur  Arbeit  getrieben; 
denn  wenn  sie  lange  still  sitzen,  machen  sie  die  Scheiben 
schmutzig.  Andererseits  werden  sie  durch  zu  viel  Rauch 
krank,  und  ihre  Krankheit  äussert  sogleich  auf  den  Honig 
einen  nachtheiligen  Einfluss,  denn  dieser  wird  selbst  durch 
die  geringste  Menge  Thau  sauer.  Daher  hat  man  unter 
den  Honigsorten  eine,  welche  ungeräucherte  genannt  wird. 

16. 

Auf  welche  Weise  die  Bienen  sich  fortpflanzen, 
diess  ist  unter  den  Gelehrten  eine  grosse  und  schwierige 
Frage  gewesen;  denn  noch  nie  hat  man  ihre  Begattung  be- 
obachtet. Mehrere  glaubten  sie  müssten  aus  zweckmässig 
und  geschickt  zusammengesetzten  Blüthen  gebildet  sein. 
Andere  nehmen  an,  sie  entständen  durch  die  Begattung 
einer  einzigen,  der  in  jedem  Schwärme  der  König  genannt 
wird.  Dieser  allein  sei  männlichen  Geschlechts,  und  aus- 
nehmend gross,  damit  er  nicht  müde  werde.  Ohne  ihn 
könne  daher  keine  Brut  entstehen,  und  die  übrigen  Bienen 


Elftes  Buch.  305 

begleiteten  ihn,  wie  die  Weibchen  ihr  Männchen,  nicht  aber 
als  ihren  Anführer.  Allein  diese  sonst  wahrscheinliche 
Meinung  wird  durch  das  Vorkommen  der  Drohnen  ent- 
kräftet; denn  warum  sollten  aus  ein  und  derselben  Gattung 
einige  vollkommen,  andere  aber  unvollkommen  hervorgehen? 
Wahrscheinlicher  würde  die  erstere  Meinung  sein,  wenn 
ihr  nicht  wiederum  eine  andere  Schwierigkeit  entgegenträte. 
Es  entstehen  nämlich  zuweilen  an  den  äussersten  Scheiben 
grössere  Bienen,  welche  die  übrigen  verjagen.  Bremse x) 
heisst  diess  schädliche  Thier.  Wie  entsteht  nun  dieses, 
wenn  die  Bienen  nur  sich  selbst  erzeugen? 

Soviel  weiss  man,  dass  sie  nach  Art  der  Hühner  brüten. 
Das  ausgeschlüpfte  Thierchen  erscheint  zuerst  als  ein 
weisser  Wurm,  der  in  der  Quere  liegt,  und  so  festhängt, 
dass  er  wie  ein  Theil  des  Wachses  aussieht.  Der  König 
hat  gleich  anfänglich  eine  Honigfarbe,  als  wenn  er  aus  den 
Besten  Blumen  unter  dem  ganzen  Vorrathe  gemacht  wäre, 
und  ist  kein  Wurm,  sondern  sogleich  geflügelt.  Wenn  die 
vom  übrigen  Haufen  anfangen,  ihre  eigentliche  Gestalt  zu 
bekommen,  werden  sie  Nymphen  genannt,  sowie  die  Drohnen 
dann  Sirenen  oder  Cephenen  heissen.  Wenn  man  einer 
dieser  Arten  den  Kopf  abreisst,  bevor  sie  Flügel  haben 
so  sind  sie  den  Müttern  das  liebste  Futter.  Im  Verlaufe 
der  Zeit  bringen  sie  ihnen  Nahrung  bei,  sitzen  über  ihnen 
und  summen  dann  am  meisten,  um  (wie  man  glaubt)  die 
zur  Ausbrütung  der  Jungen  nöthige  Wärme  zu  erregen,  bis 
endlich  der  ganze  Schwärm  die  Häute,  welche  jeden  ein- 
zelnen wie  eine  Eierschale  umschliesst,  durchbricht  und 
zum  Vorschein  kommt.  Alles  diess  wurde  auf  dem  Land- 
gute eines  Consulars  bei  Rom  beobachtet,  der  seine  Stöcke 
aus  durchsichtigem  Laternenhorne  hatte  machen  lassen. 
Die  Brut  wird  innerhalb  45  Tagen  vollständig  entwickelt  2j . 
In  einigen  Scheiben  entsteht  eine  sogenannte  Warze3)  von 


x)  Gestrus. 

2)  Es  sind  bloss  zwanzig  und  einige  Tage  dazu  nöthig. 

3)  Clavus. 

Wittstein:  Plinius.     II.  Bd.  20 


306  Elftes  Buch. 

der  Härte  des  bittern  Wachses,  wenn  sie  entweder  wegen> 
Krankheit  oder  Trägheit  oder  natürlicher  Unfruchtbarkeit 
die  Brut  nicht  zur  rechten  Zeit  ausführen;  es  ist  diess  die 
Fehlgeburt  der  Bienen.  Sobald  die  Jungen  ausgeführt  sind,, 
arbeiten  sie  in  einer  gewissen  Ordnung  mit  den  Müttern  *)* 
Den  jungen  König  begleitet  ein  ähnlicher  Schwärm. 

Mehrere  Könige  werden  zugleich  ausgebildet,  damit 
es  nicht  daran  fehle.  Wenn  später  die  Nachkommen  von 
diesen  anfangen  heranzuwachsen,  so  tödtet  man  durch  ein- 
stimmigen Beschluss  die  schlechtesten ,  damit  sie  die 
Schwärme  nicht  zertheilen.  Es  giebt  aber  zwei  Arten  von 
ihnen;  die  röthliche  ist  besser  als  die  schwarze  und  bunte. 
Alle  haben  stets  eine  ausgezeichnete  Gestalt,  sind  doppelt 
so  gross  als  die  übrigen  Bienen,  haben  kürzere  Flügel,  ge- 
rade Beine,  einen  höhern  Gang,  und  an  der  Stirn  einen 
weisslicben  diademähnlichen  Fleck.  Auch  unterscheiden 
sie  sich  durch  ihren  Glanz  bedeutend  von  den  gemeinen 
Bienen. 

17. 

Möchte  nun  wohl  noch  Jemand  fragen,  ob  es  nur  einen 
Herkules,  wie  viele  Bacchus  und  andere  unter  dem  Schutt 
des  Alterthums  vergrabene  Dinge  es  gegeben  habe?  Sind 
doch  die  Schriftsteller  bei  einem  so  geringfügigen,  auf  un- 
sein  Landgütern  im  Ueberfluss  vorhandenen  Gegenstände 
nicht  einig,  ob  nämlich  der  König  allein  keinen  Stachel 
besitze,  und  bloss  mit  seinem  königlichen  Ansehen  be- 
waffnet sei,  ob  ihm  die  Natur  zwar  einen  gegeben,  aber 
den  Gebrauch  desselben  versagt  habe.  Man  weiss  wenig- 
stens, dass  er  sich  des  Stachels  nicht  bedient,  Bewunder- 
ungswürdig ist  der  Gehorsam,  den  das  Volk  ihm  erweist^ 
Wenn  er  aus  dem  Stocke  geht,  begleitet  ihn  der  ganze 
Haufe,  hängt  sich  kugelförmig  um  ihn  herum,  schützt  ihnr 
und  lässt  ihn  nicht  sehen.    Während  der  übrigen  Zeit,  wenn 


')  Plinius  meint  hier  die  Arbeiter;  sie  sind  zwar  weiblichen  Ge- 
schlechts, allein  ihre  Eierstöcke  enthalten  keine  Eier  und  sind  daher 
unfruchtbar. 


Elftes  Buch.  3Q7 

das  Volk  beschäftigt  ist,  besucht  er  im  Innern  die  einzelnen 
Arbeiten  gleich  einem  Aufmunternden,  thut  aber  selbst 
nichts  weiter.  Um  ihn  sind  einige  Trabanten  und  Lictoren, 
die  beständig  sein  Ansehen  bewachen.  Er  kommt  nicht 
eher  heraus,  bis  der  ganze  Schwärm  im  Begriff  ist,  den 
Stock  zu  verlassen.  Diess  kann  man  lange  vorher  merken, 
indem  einige  Tage  hindurch  ein  starkes  Summen  im  Stocke 
stattfindet,  ein  Zeichen,  dass  sie  zum  Ausziehen  bereit  sind 
und  nur  einen  passenden  Tag  abwarten.  Wenn  man  dem 
Könige  einen  Flügel  abschneidet,  geht  der  Schwärm  nicht 
fort.  Wenn  sie  aber  ausgezogen  sind,  so  wünscht  jede  ihm 
am  nächsten  zu  sein,  und  in  ihrem  Dienste  von  ihm  be- 
merkt zu  werden.  Ist  er  ermüdet,  so  unterstützen  sie  ihn 
mit  ihren  Schultern,  und  fühlt  er  sich  noch  mehr  ermattet, 
so  tragen  sie  ihn  ganz.  Wenn  eine  ermüdete  nicht  mit- 
kommen kann,  oder  sich  verirrt  hat,  so  folgt  sie  dem  Ge- 
rüche. Ueberall  wo  der  König  sich  niedersetzt,  schlagen 
sie  alle  ihr  Lager  auf. 

18. 
Die  Bienen  dienen  zu  Vorbedeutungen  in  öffent- 
lichen und  Privat  -  Angelegenheiten.  Wenn  sie  nämlich 
traubenförmig  an  Häusern  oder  Tempeln  hängen,  so  deutet 
diess  oft  grosse  Ereignisse  an.  So  setzten  sie  sich  auf  den 
Mund  des  Plato,  als  er  noch  Knabe  war,  und  kündigten 
dadurch  die  Anmuth  seiner  Beredsamkeit  an.  Sie  setzten 
sich  im  Lager  des  Feldherrn  Drusus  nieder,  als  bei  Arbalon 
glücklich  gestritten  war,  ungeachtet  der  Auslegung  der 
Wahrsager,  welche  diess  immer  für  ein  böses  Zeichen  hielten. 
Wenn  der  Führer  gefangen  ist,  hält  der  ganze  Schwärm 
an;  ist  er  aber  verloren  gegangen,  so  zerstreuet  sich  der 
Schwärm  und  schliesst  sich  einem  andern  an,  denn  ohne 
König  können  sie  nicht  sein.  Ungern  tödten  sie  dieselben, 
wenn  ihrer  mehrere  sind,  und  zerstören  lieber  die  Baue 
ihrer  Brut,  wenn  sie  Mangel  an  Nahrung  befürchten;  in 
diesem  Falle  treiben  sie  auch  die  Drohnen  aus.  Obgleich 
ich  sehe,  dass  man  über  diese  noch  im  Zweifel  ist,  indem 
Einige   sie   für   ein   eigenes    Geschlecht   halten,   sowie   die 

20* 


308  Elftes  Buch. 

Diebesbienen,  welche  die  grössten  unter  jenen,  aber  von 
schwarzer  Farbe  sind,  einen  breiten  Bauch  haben,  und  des- 
halb so  genannt  werden,  weil  sie  heimlicher  Weise  den 
Honig  wegfressen  —  so  ist  doch  so  viel  ausgemacht,  dass 
die  Drohnen  von  den  übrigen  Bienen  umgebracht  werden. 
Diese  haben  keinen  Konig;  allein,  wie  sie  ohne  Stachel 
geboren  werden,  bleibt  noch  unentschieden. 

In  einem  feuchten  Frühjahre  gedeihet  die  Brut  besser, 
in  einem  trocknen  erhält  man  mehr  Honig.  Wenn  es  in 
einem  oder  dem  andern  Stocke  an  Nahrung  fehlt,  machen 
dessen  Bewohner  einen  Angriff  auf  die  benachbarten,  um 
zu  rauben.  Allein  diese  rüsten  sich  gegen  jene  zum  Kampfe, 
und  wenn  ein  Bienenwärter  zugegen  ist,  wird  er  von  der- 
jenigen Partei,  welche  merkt,  dass  er  es  mit  ihr  hält,  nicht 
überfallen.  Sie  kämpfen  auch  oft  aus  andern  Ursachen 
miteinander,  und  zwei  Feldherren  ordnen  die  gegenein- 
ander stehenden  Heere.  Meistens  entsteht  der  Streit  beim 
Einsammeln  der  Blumen,  wobei  denn  eine  jede  Biene  ihre 
Genossen  zu  Hülfe  ruft.  Man  kann  ihu  durch  Einwerfen 
von  Staub  oder  durch  Rauch  aufheben,  aber  durch  Milch 
oder  Meth  sie  wieder  versöhnen. 

19. 

Es  giebt  auch  Land-  und  Waldbienen  von  hässlichem 
und  rauhem  Ansehen,  die  viel  jähzorniger,  aber  im  Fleiss 
und  Bauen  besser  sind.  Von  den  Stadtbienen  giebt  es 
2  Arten;  die  besten  sind  kurz,  bunt,  rundlich  und  gedrungen; 
die  schlechten  lang  und  den  Wespen  ähnlich,  und  die 
schlechtesten  unter  ihnen  behaart.  Am  Pontus  giebt  es 
weisse  Bienen,  welche  in  jeden  Monate  2 mal  Honig  be- 
reiten. Am  Flusse  Thermodon *)  hat  man  2  Arten,  von 
denen  die  eine  den  Honig  in  Bäumen,  die  andere  ihn  unter 
der  Erde  ansammelt;  sie  bauen  3  Scheiben  Wachs  über 
einander,  und  geben  eine  sehr  reiche  Ausbeute. 

Die  Natur  hat  den  Bienen  den  Stachel  am  Bauche  be- 


l)  In  Cappadocien. 


Elftes  Buch.  309 

festigt.  Einige  glauben,  dass  sie  nach  einem  Stiche,  den 
sie  damit  gemacht  haben,  sogleich  stürben-,  Andere  sind 
der  Meinung,  der  Tod  erfolge  nur  dann,  wenn  sie  so  stark 
gestochen  hätten ,  dass  ein  Theil  ihrer  Eingeweide  mit 
herauskäme,  aber  dann  würden  sie  Drohnen,  könnten 
keinen  Honig  mehr  bereiten,  und  hörten,  gleichsam  ihrer 
Kräfte  beraubt,  auf  zu  schaden  und  zu  nützen.  Man  hat 
Beispiele,  dass  sie  Pferde  todtgestochen  haben. 

Sie  hassen  üble  Gerüche,  und  fliehen  weit  davor,  aber 
auch  künstlich  bereitetes  Parfüm  ist  ihnen  zuwider.  Daher 
verfolgen  sie  diejenigen,  welche  nach  Salben  riechen;  sie 
selbst  sind  den  Angriffen  der  meisten  Thiere  ausgesetzt. 
Es  befinden  sich  nämlich  unter  ihnen  Afterarten  ihres  Ge- 
schlechts, die  Wespen l)  und  Hornisse2),  und  sogar  vom 
Geschlechte  der  Mücken  die  sogenannten  Mulionen.  Auch 
die  Schwalben  und  einige  andere  Vögel  richten  Verheer- 
ungen unter  ihnen  an.  Wenn  sie  nach  Wasser  fliegen, 
ihrer  Hauptbeschäftigung  während  der  Blütezeit,  stellen 
ihnen  die  Frösche  nach,  und  unter  letztern  nicht  nur  die, 
welche  in  Seen  und  Bächen  sitzen,  sondern  auch  die  Laub- 
frösche kommen  herbei,  kriechen  an  die  Oeffnungen  der 
Stöcke  und  blasen  hinein;  hierauf  fliegen  sie  heraus,  und 
werden  sogleich  weggeschnappt.  Die  Frösche  sollen  die 
Stiche  der  Bienen  nicht  fühlen.  Auch  die  Schafe  sind  ihre 
Feinde,  weil  sie  sich  aus  ihrer  Wolle  nur  mit  Schwierig- 
keiten herauswickeln  können.  Schon  vom  Gerüche  der 
Krebse,  die  in  ihrer  Nähe  gekocht  werden,  sterben  sie. 

20. 

Die  Bienen  unterliegen  von  Natur  sogar  gewissen 
Krankheiten.  Anzeigen  derselben  sind  eine  träge  Traurig- 
keit, wenn  andere  sie  vor  die  Oeffnungen  des  Stocks  in 
Sonnenwärme  bringen  und  füttern,  wenn  sie  die  Todten 
hinausschaffen,  und  gleich  Leidtragenden  die  Leichen  be- 
gleiten.   Ist   der  König   von   einer  solchen  Krankheit  hin- 


l)  Vespae.  Vespa  vulgaris.    2)  Crabrones.  Vespa  Crabro. 


310  MÜea  Buch. 

weggerafft,  so  trauert  das  ganze  Volk,  arbeitet  vor  Schmerz 
nicht,  trägt  keine  Nahrung  zusammen,  geht  nicht  heraus, 
und  hängt  sich  unter  traurigem  Summen  kugelförmig  um 
seinen  Körper  herum.  Daher  treibt  man  den  Schwärm 
auseinander,  und  schafft  den  todten  König  bei  Seite,  denn 
so  lange  sie  ihn  vor  Augen  haben,  mindert  sich  ihre  Trauer 
nicht.  Und  selbst  dann  noch  sterben  sie  vor  Hunger,  wenn 
man  ihnen  nicht  zu  Hülfe  kommt.  Ihre  Gesundheit  erkennt 
man  daher  an  ihrer  Munterkeit  und  ihrem  Glänze.  Auch 
in  ihren  Arbeiten  zeigen  sich  mitunter  Fehler;  wenn  sie 
ihre  Scheiben  nicht  füllen,  so  nennt  man  diess  Ciaron,  wenn 
sie  keine  Brut  zu  Stande  bringen,  Blapsigonie. 

21. 
Nacht  heilig  ist  ihnen  ferner  das  durch  einen  Schall 
entstehende  Echo,  das  durch  seine  Wiederholung  diese 
furchtsamen  Thiere  erschreckt;  ebenso  der  Nebel.  Unter 
ihre  grössten  Feinde  gehören  auch  die  Spinnen;  wenn  diese 
so  viel  Kraft  haben,  dass  sie  die  Oeffnungen  überspinnen 
können,  so  tödten  sie  ganze  Schwärme.  Selbst  der  träge 
und  wenig  geachtete  Schmetterling,  welcher  nach  brennen- 
den Lichtern  hinfliegt,  wird  ihnen  auf  mehr  als  eine  Weise 
schädlich;  denn  er  frisst  nicht  nur  das  Wachs  und  hinter- 
lässt  seinen  Unrath,  aus  welchem  sich  Würmer  *)  erzeugen, 
sondern  er  überzieht  auch  alles,  wohin  er  gekrochen  ist, 
mit  spinnartigen  Fäden,  und  besonders  mit  der  wolligen 
Bedeckung  seiner  Flügel.  Auch  selbst  im  Holze  erzeugen 
sich  Würmer,  welche  namentlich  dem  Wachse  nachgehen. 
Ferner  ist  ihnen  die  allzugrosse  Fressbegierde  schädlich, 
besonders  im  Frühjahre,  wenn  sie  von  Blumen  leben;  denn 
sie  leiden  dann  am  Durchfalle.  —  Durch  Oel  werden  nicht 
nur  die  Bienen,  sondern  auch  alle  Insekten  getödtet,  be- 
sonders wenn  man  ihnen  den  Kopf  damit  bestreicht  und 
sie  dann  an  die  Sonne  legt.  Zuweilen  sind  sie  selbst 
Schuld  an  ihrem  Tode,  sie  fressen  nämlich  gierig  den  Honig, 
wenn   sie   merken,   dass   er  herausgenommen  werden  soll. 

')  Teredines. 


Elftes  Buch.  311 

flJebrigens  sind  sie  sehr  massig  und  jagen  die  Verschwen- 
der und  Fresser,  ebenso  wie  die  Faulen  und  Trägen  fort. 
Ihr  eigner  Honig  ist  ihnen  sogar  nachtheilig,  und  sie 
sterben,  wenn  man  ihnen  den  Rücken  damit  bestreicht. 
So  vielen  Feinden  und  Unfällen  (und  welche  geringe  Zahl 
habe  ich  davon  erwähnt)  ist  ein  so  nützliches  Thier  ausge- 
setzt! Die  Htilfsmittel  werde  ich  am  gehörigen  Orte  an- 
führen 1),  denn  jetzt  soll  bloss  von  den  Naturgegenständen 
die  Rede  sein. 

22. 

Sie  ergötzen  sich  an  dem  Klange  des  Erzes,  und  werden 
dadurch  herbeigelockt.  Hieraus  ergiebt  sich  genügend,  dass 
sie  den  Sinn  des  Gehörs  haben.  Ist  ihr  Bau  beendigt,  die 
Brut  ausgeführt,  und  sind  alle  ihre  Geschäfte  abgemacht, 
-so  halten  sie  feierliche  Uebungen.  Sie  spazieren  im  Freien 
herum,  steigen  in  die  Höhe,  machen  Kreise  im  Fluge,  und 
kehren  endlich  zum  Fressen  zurück.  Sie  leben,  wenn  sie 
allen  Feinden  und  Zufällen  glücklich  entgehen,  längstens 
7  Jahre.  Ein  Stock  soll  nie  über  10  Jahre  gedauert  haben. 
Einige  glauben,  todte  Bienen  könnten  wieder  aufleben, 
wenn  man  sie  den  Winter  über  im  Hause  bewahrte,  dann 
an  der  Frühlingssonne  dörrte,  und  einen  ganzen  Tag  lang 
in  Asche  vom  Feigenbaume  erwärmte. 

23. 

Sind  Bienen  ganz  verloren  gegangen,  so  soll  man 
deren  durch  frische  mit  Mist  bedeckte  Stierwänste  wieder 
herstellen  können;  nach  Virgil  auch  durch  den  todten 
Körper  junger  Stiere,  sowie  durch  Pferde  die  Wespen  und 
Hornisse,  durch  Esel  die  Käfer,  indem  die  Natur  Einiges 
^von  jenen  in  diese  verwandelt.  Aber  von  allen  diesen 
Insekten  kann  man  auch  die  Begattung  beobachten;  und 
•doch  ist  ihre  Brut  von  derselben  Beschaffenheit  als  die  der 

Bienen. 

24. 

Die  Welpen  bauen  ihre  Nester  hoch  aus  Lehm,  und 
*)  XXI.  B.  42.  €. 


312  Elftes  Buch. 

bereiten  darin  die  Wachsscheiben;  die  Hornisse  in 
Höhlungen  oder  unter  der  Eide.  Die  Zellen  aller  dieser 
Thiere  sind  sechseckig  und  haben  einen  spinngewebeartigen 
Ueberzug.  Die  Brut  kommt  zu  ungleicher  Zeit  und  wild 
durcheinander,  denn  ein  Theil  davon  fliegt  aus,  während 
ein  anderer  noch  Nymphe  und  ein  dritter  noch  Wurm  ist.. 
Alles  diess  geschieht  aber  im  Herbste,  nicht  im  Frühjahre.. 
Beim  Vollmonde  wachsen  sie  am  schnellsten.  Die  Wespen,, 
welche  Ichneumons *)  heissen  (sie  sind  kleiner  als  die 
übrigen),  tödten  eine  Art  Spinnen,  die  sogenannten  Pha- 
langen, tragen  sie  in  ihie  Nester,  bestreichen  sie  dann, 
und  bringen  aus  ihnen  durch  Brüten  ihr  eigens  Geschlecht 
hervor.  Ausserdem  nähren  sie  sich  alle  von  Fleisch,  und. 
unterscheiden  sich  hierin  von  den  Bienen,  welche  keinen 
thierischen  Körper  berühren.  Die  Wespen  aber  jagen  den 
grössern  Fliegen  nach,  beissen  ihnen  den  Kopf  ab,  und 
bringen  den  übrigen  Körper  bei  Seite.  Die  Waldhornisse 
wohnen  in  hohlen  Bäumen,  verkriechen  sich,  gleich  den 
übrigen  Insekten,  im  Winter,  und  bringen  ihr  Leben  nichtr 
über  2  Jahre.  Ihr  Stich  hat  gewöhnlich  ein  Fieber  zur 
Folge.  Einige  Schriftsteller  geben  an,  dass  von  27  Stichen 
ein  Mensch  getödtet  werde.  Von  andern  minder  gefähr- 
lichen giebt  es  2  Arten,  nämlich  die  Arbeiter,  welche 
kleiner  sind  und  im  Winter  sterben,  und  die  Mütter,  welche 
2  Jahre  leben;  auch  sind  sie  milder  als  jene.  Ihre  Nester, 
die  sie  im  Frühlinge  bauen,  haben  gewöhnlich  4  Oeffnungen, 
und  in  ihnen  werden  die  Arbeiter  erzeugt.  Sind  diese  aus- 
geführt, so  bauen  sie  noch  grössere  Nester,  in  welchen  sie- 
die  künftigen  Mütter  ausbringen.  Dann  verrichten  die- 
Arbeiter  schon  ihre  Dienste  und  füttern  jene.  Die  Mütter 
sind  breiter,   und   es   ist   noch   zweifelhaft,   ob   sie  Augen 

!)  Diess  ist  die  Afterwespe,  Sphex  sabulosa  L.  Die  Weibchen 
derselben  graben  Höhlen  in  die  Erde,  schleppen  eine  grosse  Spinne 
hinein,  legen  ein  Ei  dazu  und  werfen  das  Loch  wieder  zu.  Alsdann 
saugt  die  ausgekrochene  Larve  der  todten  Spinne  den  Saft  zum 
Gespinnste  aus,  aus  welchem  sie  sich  selbst  ein  Verwandlungsge- 
häuse spinnt. 


Elftes  Buch.  313: 

haben,  weil  sie  nie  herausgehen.  Auch  sie  haben  ihre 
Drohnen.  Einige  sind  der  Meinung,  dass  allen  diesen 
Thieren  im  Winter  die  Stacheln  ausfallen.  Weder  bei  den 
Hornissen  noch  bei  den  Wespen  trifft  man  Könige  oder 
ganze  Schwärme,  sondern  ihre  Anzahl  erneuert  sich  nach 
und  nach  durch  junge  Brut. 

25. 

Die  vierte  Gattung  dieser  Thiere  ist  die  der  Seiden- 
spinner1); sie  ist  in  Assyrien  einheimisch  und  grösser 
als  die  obenbeschriebenen.  Sie  bauen  ihre  Nester  aus 
Lehm  und  einer  Art  Salz,  befestigen  sie  an  Steinen,  und 
machen  sie  so  hart,  dass  man  dieselben  kaum  mit  einer 
Nadel  durchstechen  kann.  In  ihnen  bereiten  sie  noch  reich- 
lichere Mengen  Wachs  als  die  Bienen,  auch  brüten  sie 
einen  grössern  Wurm  aus. 

26. 

Auch  ist  ihre  Entstehung  anders.  Aus  einem  grössern 
Wurme,  der  2  eigenthümliche  Hörner  hervorstreckt,  wird 
zuerst  eine  Raupe;  aus  dieser  ein  sogenannter  Bombylius, 
aus  diesem  ein  Necydalus,  und  endlich  aus  diesem  nach. 
6  Monaten  der  Bombyx.  Sie  weben  Gespinnste  nach  Art 
der  Spinnen,  welche  zu  Kleidern  und  andern  Luxusartikeln 
der  Frauen  dienen,  daher  man  diese  bombycinische  nennt. 
Diese  Gespinnste  abzuwickeln  und  wieder  zu  weben  erfand 
ein  Weib  auf  Coos  2),  Namens  Pamphila,  die  Tochter  der 
Platea,  der  man  den  Ruhm  nicht  absprechen  kann,  ein. 
Mittel  erfunden  zu  haben,  eine  Dame  in  Kleidern  nackt 
darzustellen. 

27. 

Auch  auf  der  Insel  Cos  sollen  Seidenspinner  ent- 
stehen, und  zwar  dadurch,  dass  die  Ausdünstung  der  Erde 
die  vom  Regen  abgeschlagenen  Blüthen  der  Cypressen, 
Terebinthen,  Eschen  und  Eichen  belebt  Zuerst  würden 
es   kleine  nackte  Schmetterlinge,  bald  aber   bekämen  sie, 


')  Bonibyces.  Ohne  Zweifel  unser  Seidenspinner,  Bombyx  mori. 
a)  Eine  kleine  Nebeninsel  von  Euböa. 


314  Elftes  Buch. 

da  sie  die  Kälte  nicht  vertragen  könnten,  eine  rauhe  Decke 
von  Haaren,  und  gegen  den  Winter  hin  verfertigten  sie 
sich  eine  dichte  Bekleidung,  indem  sie  mit  ihren  rauhen 
Füssen  das  weiche  Haar  der  Blätter  zu  einer  Art  Wolle 
machten.  Dieses  krämpelten  sie  mit  ihren  Krallen,  zögen 
es  sodann  zwischen  Zweigen  auf,  und  machten  es  wie  mit 
einem  Kamme  dünn.  Hierauf  ergriffen  sie  es,  und  wickelten 
sich  so,  wie  in  ein  aufgerolltes  Nest,  hinein.  In  diesem 
Zustande  nimmt  sie  ein  Mensch  ab,  hält  sie  in  irdenen 
Gefässen  warm  und  ernährt  sie  mit  Kleie;  allmälig  wüchsen 
ihnen  die  ihrer  Gattung  eigenthümlichen  Fitigel,  und  wenn 
sie  damit  bekleidet  wären,  würden  sie  zu  neuer  Arbeit 
entlassen.  Die  von  ihnen  gemachten  Gewebe  aber  Hesse 
man  durch  Wasser  erweichen,  und  spänne  sie  dann  auf 
einer  aus  Binsen  gefertigten  Spindel  ab.  Selbst  Männer 
haben  sich  nicht  geschämt,  der  Leichtigkeit  wegen  solche 
Kleider  im  Sommer  zu  tragen.  So  weit  haben  uns  die 
Sitten  vom  Tragen  des  Panzers  entfernt,  dass  uns  sogar 
ein  Kleid  zur  Last  wird.  Indessen  haben  wir  noch  bis 
jetzt  die  assyrische  Seide  den  Damen  tiberlassen. 

28. 
Es  wird  schicklich  sein,  jetzt  die  Naturgeschichte  der 
Spinnen,  welche  unserer  ganzen  Bewunderung  werth  ist, 
folgen  zu  lassen.  Es  giebt  mehrere  Arten  davon,  die  ich 
aber  nicht  alle  anzuführen  für  nöthig  halte,  da  sie  bekannt 
genug  sind.  Phalangen  heissen  diejenigen  unter  ihnen, 
deren  Biss  schädlich  ist,  die  einen  kleinen  gefleckten  zu- 
gespitzten Körper  und  einen  hüpfenden  Gang  haben.  Eine 
andere  Art  sind  die  schwarzen,  mit  sehr  langen  Vorder- 
beinen. Alle  haben  3  Knotengelenke  an  den  Beinen.  Die 
kleinsten  sind  die  Wolfspinnen,  welche,  nicht  weben;  die 
grössern  weben  bloss  vor  ihren  Löchern  einen  kleinen  Vor- 
hof. Die  dritte  Art  ist  wegen  ihrer  künstlichen  Arbeit  be- 
merkenswerth.  Sie  macht  Gewebe  und  das  Material  zu 
einem  solchen  Werke  liefert  ihr  der  eigene  Leib  in  hin- 
reichender Menge;  sei  es  nun,  dass,  wie  Democrit  annimmt, 
dasselbe   von   zu   gewissen  Zeiten   im   Leibe   entstehenden 


Elftes  Buch.  315 

verdorbenen  Säften,  oder  von  der  Fähigkeit,  im  Innern 
eine  Art  Wolle  zu  erzeugen,  herrührt.  Mit  welcher  Ge- 
schicklichkeit bedient  sie  sich  dabei  der  Ftisse,  mit  welch' 
runden  und  gleichartigen  Fäden  führt  sie  ihr  Gewebe  aus, 
und  dient  sich  selbst  dabei  als  Gewicht!  Sie  fängt  in  der 
Mitte  an  zu  spinneu,  knüpft  den  Einschlag  zirkeiförmig 
an,  lässt  die  Maschen  gleichweit  von  einander  abstehen, 
allein  allmälig  grösser  werden,  so  dass  sie  vom  Engen 
in's  Weite  übergehen,  und  verknüpft  alle  mit  unauflöslichen 
Knoten.  Mit  welcher  Kunst  verbirgt  sie  die  auf  dem  ge- 
würfelten Netze  gelegten  Schlingen?  Wie  wenig  scheint 
die  Dichtigkeit  des  siebartigen  Gewebes  und  die  wie  durch 
Kunst  hervorgebrachte  Glätte  der  von  Natur  schon  klebrigen 
Fäden  darauf  hinzudeuten?  Wie  schlaff  ist  das  Netz,  um 
dem  Winde  nachzugeben,  und  die  hineingekommene  Beute 
nicht  von  sich  abzustossen?  Man  möchte  glauben ,  die 
Spinne  habe  aus  Ermüdung  das  Gewebe  am  obersten 
Theile  aufzuspannen  unterlassen,  allein  diese  Fäden  lassen 
sich  kaum  wahrnehmen,  und  schleudern,  gleichwie  die 
Fanglinien  an  den  Netzen,  die  Beute  in  die  Mitte  hinein. 
Mit  welcher  Kunst  ist  selbst  ihr  Schlupfwinkel  gewölbt? 
und  wie  viel  wolliger  gegen  die  Kälte?  Wie  weit  ist  sie 
von  der  Mitte  entfernt,  hat  das  Ansehen,  als  wenn  sie 
ganz  etwas  Anderes  vor  hätte,  und  hält  sich  so  verborgen, 
dass  man  nicht  wahrnehmen  kann,  ob  Jemand  darin  ist 
oder  nicht?  Endlich,  die  Festigkeit  des  Netzes!  wie  wider- 
steht es  dem  Andränge  des  Windes,  und  der  drückenden 
Last,  des  Staubes?  Oft  breitet  sich  das  Gewebe,  wenn  die 
Spinne  ihre  Kunst  übt  und  weben  lernt,  zwischen  2  Bäumen 
aus  und  die  Länge  des  Fadens  geht  von  der  Spitze  des 
Baumes  herab  und  von  der  Erde  wieder  hinauf;  auf  diesem 
läuft  sie  mit  der  grössten  Schnelligkeit  hinauf  und  hinunter, 
indem  sie  zugleich  spinnt.  Wenn  aber  ein  Fang  vorkommt, 
wie  wachsam  und  zum  Laufen  bereit  ist  sie  da?  und  wenn 
sie  auch  am  äussersten  Ende  des  Netzes  sich  befindet,  so 
läuft  sie  doch  stets  in  die  Mitte,  weil  sie  dadurch  die 
Beute  am  besten  erschüttern  und  umstricken  kann.     Risse 


316  Elftes  Buch. 

bessert  sie  sogleich  aus  und  stellt  selbst  den  Glanz  wieder 
her.  Selbst  jungen  Eidechsen  stellt  sie  nach,  indem  sie 
zuerst  den  Mund  derselben  mit  dem  Netze  umwickelt,, 
und  dann  beide  Lippen  durch  einen  Biss  festhält,  was  für 
den  Beobachter  ein  Schauspiel  eigner  Art  ist.  —  Die 
Spinnen  dienen  auch  zu  Vorbedeutungen.  Bei  bevor- 
stehendem Wachsen  der  Flüsse  nämlich  hängen  sie  ihre 
Gewebe  höher.  Auch  weben  sie  bei  heiterm  Himmel  nicht,, 
sondern  nur  bei  trübem,  und  aus  diesem  Grunde  sind  viele 
Spinnengewebe  Anzeichen  von  Regen.  Man  glaubt,  das 
Weibchen  webe  und  das  Männchen  jage,  so  dass  also  beide 
Eheleute  gleiches  Verdienst  hätten. 

29. 

Die  Spinnen  begatten  sich  mit  den  Lenden,  und 
bringen  ähnliche  Würmer  zur  Welt;  denn  ich  darf  die  Art 
ihrer  Erzeugung  nicht  länger  aufschieben,  weil  ich  von 
den  übrigen  Insekten  fast  immer  dasselbe  sagen  müsste. 
Alle  Eier  legen  sie  in  die  Netze,  aber  vereinzelt,  weil  sie 
dieselben  unter  Hüpfen  von  sich  geben.  Bloss  die  Pha- 
langen legen  in  ihrer  Höhle  die  Eier,  und  zwar  in  grosser 
Anzahl;  wenn  diese  auskommen,  so  verzehren  die  Jungen 
die  Mutter  und  oft  auch  den  Vater,  denn  dieser  hilft  dann 
beim  Brüten.  Sie  legen  aber  30  Eier,  die  übrigen  weniger, 
und  brüten  3  Tage.  Nach  28  Tagen  sind  die  Spinnen 
völlig  ausgebildet. 

30. 

Ebenso  bringen  auch  die  Landscorpione  eiähnliche 
Würmer  zur  Welt,  und  kommen  auf  dieselbe  Weise  um. 
Diese  sind  ein  verderbliches  Ungeziefer,  giftig  wie  die 
Schlangen,  wenn  nicht  noch  fürchterlicher,  denn  sie  be- 
wirken einen  langsamen,  durch  3tägige  Martern  verzöger- 
ten Tod.  Jungfrauen  ist  ihr  Stich  stets  tödtlich,  auch  den 
Frauen  fast  immer.  Männern  aber  bloss  früh  Morgens, 
wenn  sie  aus  ihren  Höhlen  hervorkriechen,  bevor  sie  durch 
irgend  einen  Biss  ihr  nüchternes  Gift  von  sich  gegeben 
haben.  Ihr  Schwanz  ist  stets  zum  Stechen  bereit,  und  er 
hört  nie  auf,  darauf  bedacht  zu  sein,  damit  ihm  keine  Gc- 


Elftes  Buch.  317 

legenheit  dazu  entgehe.  Er  sticht  auch  mit  schief  stehen- 
dem und  eingebogenem  Schwänze.  Nach  Apollodorus  l)  soll 
ein  weisses  Gift  von  ihnen  ausfliessen,  und  er  theilt  sie 
in  9  Arten,  die  sich  besonders  durch  ihre  Farbe  unter- 
scheiden, was  aber  überflüssig  ist,  da  wir  daraus  nicht 
entnehmen  können,  welche  er  für  die  unschädlichsten  ge- 
halten hat.  Einige  sollen  2  Stacheln  haben,  und  die 
Männchen  am  wüthendsten  sein.  Er  will  auch  von  einer 
Begattung  unter  ihnen  nichts  wissen.  Die  Männchen  soll 
man  an  ihrem  dünnen  und  langen  Körper  erkennen.  Gift 
haben  sie  alle  zur  Mittagszeit,  wenn  sie  von  der  Sonne 
erhitzt  sind,  desgleichen  wenn  sie  Durst  haben  und  ihn 
nicht  stillen  können.  Es  ist  bekannt,  dass  diejenigen  mit 
7  Schwanzgelenken  giftiger  sind,  die  meisten  aber  haben 
deren  6.  Diess  schädliche  Thier  machen  die  Südwinde  in 
Afrika  gleichsam  fliegend,  wenn  es  beim  Wehen  desselben 
seine  Arme  ausbreitet,  und  sich  derselben  anstatt  Ruder 
bedient.  Apollodorus  erzählt  auch,  einige  hätten  sogar 
Flügel.  Oft  haben  die  Psyller,  welche  um  ihres  Gewinnes 
willen  die  Gifte  anderer  Länder  einführen,  und  Italien  be- 
reits mit  fremden  Plagen  angefüllt  haben,  versucht  auch 
diese  Thiere  uns  zuzubringen,  allein  sie  konnten  diesseits 
•des  sicilischen  Klima's  nicht  leben.  Dennoch  sieht  man 
zuweilen  welche  in  Italien,  die  aber  unschädlich  sind; 
ebenso  an  mehreren  andern  Orten,  wie  bei  Pharus  in  Ae- 
gypten.  In  Scythien  tödten  sie  sogar  die  Schweine,  welche 
doch  sonst  für  dergleichen  Gifte  weniger  empfänglich  sind, 
und  zwar  die  schwarzen  noch  schneller,  wenn  sie  in's 
Wasser  gehen.  Wenn  ein  Mensch  gebissen  ist,  soll  die 
Asche  derselben  2)  in  Wein  getrunken  ein  Hülfsmittel  da- 
gegen sein.  Zwischen  in  Oel  getauchten  Scorpionen  und 
Dorneidechsen   soll   eine    grosse  Abneigung   herrschen,   in- 


')  Welcher  A.  diess  ist,  lässt  sich  nicht  angeben.  Aus  dem  Au- 
torenverzeichnisse dieses  XI.  B.  geht  hervor,  dass  er  ein  Werk  über 
giftige  Thiere  schrieb. 

2)  Der  Scorpione  nämlich. 


318 


Elftes  Buch, 


dessen  sollen  sie  den  letztern,  die  wie  die  übrigen  Ei- 
dechsen kein  Blut  haben,  unschädlich  sein;  und  die  Scor- 
pionen  überhaupt  keinem  blutlosem  Thiere  schaden.  Einige 
glauben,  sie  verzehrten  ihre  eigene  Brut,  und  Hessen  nur 
das  klügste  ihrer  Jungen  übrig;  diess  setze  sich  auf  die 
Lenden  der  Mutter,  und  wäre  so  vor  dem  Schwänze  und 
dem  Bisse  sicher.  Dasselbe  würde  später  der  Rächer  der 
übrigen,  und  frässe  Vater  und  Mutter  auf.  Sie  bringen 
11  Junge  zur  Welt. 

31. 

Die  Dorneidechsen1)  sind  in  gewisser  Beziehung 
den  Chamäleons  ähnlich,  leben  nur  vom  Thau  und  von 
Spinnen. 

32. 

Auf  ähnliche  Weise  leben  die  Cicaden,  von  denen 
es  2  Arten  giebt;  die  kleinere  kommt  zuerst  hervor,  stirbt 
zuletzt  und  ist  stumm.  Die  andere  Art  fliegt  herum.  Die, 
welche  singen,  heissen  Acheten,  und  unter  diesen  die 
kleinern  Tettigonien,  allein  jene  singen  stärker.  Bei 
beiden  Arten  singen  aber  bloss  die  Männchen2),  die 
Weibchen  sind  still.  Von  den  Völkern  des  Orients,  selbst 
von  den  reichen  Parthern  werden  sie  gegessen.  Diese 
ziehen  die  Männchen  vor  der  Begattung,  und  die  Weibchen 
nach  derselben  zur  Speise  vor,  wobei  sie  die  weissen  Eier 
derselben  vernichten.  Die  Cicaden  begatten  sich  von  hinten. 
Auf  dem  Rücken  haben  sie  ein  sehr  rauhes  scharfes  Organ, 
womit  sie  ihrer  Brut  ein  Lager  in  die  Erde  graben.  Zu- 
erst entsteht  ein  kleiner  Wurm,  aus  diesem  die  Larve  3)r 
welche  um  die  Zeit  der  Solstitien  die  Hülle  durchbricht 
und  ausfliegt,  und  zwar  stets  des  Nachts.  Anfänglich  sind 
sie  schwarz  und  hart.  Diess  ist  unter  allen  lebenden  Ge- 
schöpfen das  einzige,  welches  keine  Mundöffnung  hat.   Statt 


*)  Stelliones.  Stellio  vulgaris  Rüpp. 

2)  Sie  haben  unter  dem  Bauche  2  Höhleu,  welche  oben  mit  einer 
Platte  bedeckt  sind,  womit  sie  ihre  zirpenden  Töne  hervorbringen. 

3)  Tettigometra. 


Elftes  Buch.  31 9 

dessen  haben  sie  einen  zungenähnlichen  Stachel  auf  der 
Brust,  womit  sie  den  Thau  lecken.  Die  Brust  selbst  ist 
röhrig,  und  mit  dieser  singen,  wie  wir  gesagt  haben,  die 
Acheten.  Uebrigens  befindet  sich  in  ihrem  Leibe  nichts. 
Wenn  sie  aufgescheucht  fortfliegen,  geben  sie  eine  Feuchtig- 
keit von  sich,  welche  schon  allein  den  Beweis  giebt,  dass 
sie  vom  Thau  leben.  Sie  sind  auch  die  einzigen  Thiere, 
welche  keine  Oeffnung  zum  Abgange  der  Excremente  l)_ 
haben.  Ihre  Augen  sind  so  schwach,  dass,  wenn  man 
einen  Fiuger  zusammenzieht  und  wiederausstreckend  ihnen 
nähert,  sie  darauf  zugehen  wie  auf  ein  Blatt.  — 

Manche  theilen  die  Cicaden  in  2  andere  Arten  ein, 
nämlich  in  die  Baumcicade  2),  welche  grösser  ist,  und  in 
die  Fruchtcicade  3),  die  bei  Andern  auch  Hafercicade  heisst, 
denn  sie  erscheint  gerade  dann,  wenn  die  Feldfrüchte 
reifen.  Cicaden  giebt  es  nicht  in  baumarmen  Gegenden; 
daher  trifft  man  keine  bei  der  Stadt  Cyrene;  ebensowenig 
auf  Feldern  und  in  kalten  schattigen  Hainen.  Auch  bei 
ihnen  findet  hinsichtlich  ihrer  Wohnorte  eine  Verschieden- 
heit statt.  In  der  Gegend  von  Milet  sind  sie  nur  an 
wenigen  Orten,  dagegen  ist  in  Cephalonien  ein  Fluss,  auf 
dessen  einer  Seite  es  viele,  auf  der  andern  dagegen  nur 
wenige  giebt,  Im  rheginischen  Gebiete  sind  sie  alle  stumm, 
jenseits  des  Flusses4)  aber,  im  lokrischen,  singen  sie. 
Ihre  Flügel  sind  ebenso  beschaffen  wie  die  der  Bienen, 
nur  im  Verhältniss  zum  Korper  grösser. 

33. 

Einige  Insekten  haben  zwei  Flügel,  wie  die  Fliegen ; 
andere  vier,  wie  die  Bienen.  Auch  die  Cicaden  fliegen 
mit  häutigen  Flügeln.  Vier  haben  diejenigen,  welche  am 
Bauche  mit  einem  Stachel  bewaffnet  sind.  Kein  Insekt, 
welches  den  Stachel  im  Munde  hat,  fliegt  mit  mehr  als 
zwei    Flügeln.     Jene    haben    ihn    der    Rache,    diese    des 


')  Diese  Behauptung   ist  so  unwahr,  wie  die,  dass  sie  keinen 
Mund  hätten. 

J)  Surcularia.     3)  Frumentaria.    *)  Cäcinus. 


320  Elftes  Buch. 

Frasses  wegen  erhalten.  Abgerissene  Flügel  wachsen  keinem 
unter  ihnen  wieder.  Keins,  was  den  Stachel  am  Bauche 
iiat,  ist  zweiflügelig. 

34. 
Einige  Insekten  haben  zum  Schutze  der  Flügel  noch 
Flügeldecken  darüber,  wie  die  Käfer1),  deren  Flügel  zu 
zart  und  zu  zerbrechlich  sind.  Diese  besitzen  keinen 
Stachel;  dagegen  trifft  man  bei  einer  gewissen  grössern 
Gattung  derselben  sehr  lange  Hörner  mit  scheerenartigen 
:am  Ende  gezahnten  Zangen,  welche  sie  zum  Beissen  nach 
Belieben  zusammenbringen  können.  Diese  werden  den 
"Kindern  als  Heilmittel  um  den  Hals  gehängt.  Nigidius 
nennt  sie  Lucani 2).  Wiederum  eine  andere  Gattung  bilden 
diejenigen,  welche  mit  den  Füssen  hinten  grosse  Ballen 
aus  Mist  zusammenwälzen,  und  ihre  wurmartigen  Jungen 
in  denselben  gegen  die  Strenge  des  Winters  beherbergen3). 
Einige  fliegen  unter  starkem  Summen  und  Brummen;  andere 
graben  viele  Löcher  in  Heerde  und  Wiesen,  und  lassen 
des  Nachts  ein  Zirpen  hören4).  Die  Lampyriden 3)  leuchten 
bei  Nacht  wie  Feuer  durch  die  Farbe  ihrer  Seiten  und 
Lenden;  bald  glänzen  sie  durch  Ausbreiten  ihrer  Flügel, 
l>ald  aber  verdunkeln  sie  sich  wieder  durch  Einziehen  der- 
selben. Sie  kommen  nicht  vor  der  Futterreife  zum  Vor- 
schein, und  lassen  sich  nach  der  Erndte  nicht  mehr  sehen. 
Dagegen  leben  die  Schaben 6)  bjoss  in  der  Dunkelheit  und 
fliehen  das  Licht;  sie  entstehen  meistens  in  Bädern  durch 
den  feuchten  Dampf.  In  derselben  Gattung  giebt  es  röth- 
liche  und  sehr  grosse  Käfer,  welche  in  trocknem  Erdboden 
scharren,  und  darin  Scheiben  bereiten,  welche  kleinen 
porösen  Schwämmen  gleichen  und  einen  zu  medicinischem 
Gebrauche    tauglichen   Honig   enthalten.     In    Thracien   bei 


•)  Scarabaei. 

2)  Lucanus  cervus  L.  Hirschkäfer. 

3)  Diess  ist  der  Pillenkäfer,  Scarabaeus  pilularis  L. 

4)  Heimchen,  Gryllus  domesticus. 

5)  Lampyris  noctiluca,  Johanniswürmchen.     6)  Blattae. 


Elftes  Buch.  321 

HMynthus  ist  ein  kleiner  Ort,   wo  bloss  diess  Thier    stirbt, 
tind  der  daher  Käfertod  l)  genannt  wird. 

Die  Flügel  der  Insekten  haben  keine  Einschnitte;  kein 
Insekt  hat  einen  Schwanz,  ausgenommen  der  Scorpion. 
Dieser  ist  auch  unter  ihnen  das  einzige,  welches  Arme 
und  am  Schwänze  einen  Stachel  hat.  Unter  den  übrigen 
haben  einige  den  Stachel  im  Munde,  wie  die  Raubfliege  2), 
die  auch  Tabanus 3)  heisst,  desgleichen  die  Mücken  und 
einige  Fliegen.  Allen  diesen  dient  der  Stachel  im  Munde 
statt  der  Zunge.  Bei  einigen  ist  er  stumpf,  und  diese 
können  damit  weder  stechen  noch  saugen,  wie  diejenige 
Gattung  von  Fliegen,  bei  welcher  die  Zunge  eine  deutliche 
Röhre  bildet.  Solche  Thiere  haben  keine  Zähne.  Andern 
ragen  vor  den  Augen  schwache  Hörnchen  hervor,  wie  den 
Schmetterlingen.  Einige  Insekten  haben  keine  Flügel,  wie 
'die  Scolopender. 

35. 

Diejenigen  Insekten,  welche  Füsse  haben,  bewegen 
sich  seitwärts  damit.  Bei  einigen  sind  die  hintersten  länger 
und  auswärts  gekrümmt  wie  bei  den  Heuschrecken4). 
Diese  legen,  indem  sie  einen  Stachel  in  die  Erde  stecken, 
zur  Herbstzeit  zusammenhängende  Eier,  welche  den  Winter 
über  unter  der  Erde  verborgen  bleiben.  Im  folgenden 
Jahre  gegen  Ende  des  Frühlings  kommen  kleine  schwärz- 
liche Thiere  aus,  die  ohne  Beine  und  Flügel  umherkriechen. 
Daher  gehen  die  Eier  in  einem  nassen  Frühjahre  zu  Grunde, 
hingegen  entstehen  in  einem  trocknen  mehr  Junge.  Einige 
berichten,  sie  brächten  eine  doppelte  Brut  uud  kämen  2  mal 
um.  Zuerst  legten  sie  beim  Aufgange  des  Siebengestirns, 
diese  stürben  dann  beim  Aufgange  des  Hundssterns  und 
hierauf  kämen  neue  zum  Vorschein,  uud  zwar  beim  Unter- 
gange des  Arcturus.  Dass  die  Mütter  sterben  wenn  sie 
gelegt    haben,   ist   gewiss,   indem   sich    sogleich   an   ihrem 


')  Cantharolethrus.     2)  Asilus.  Asilus  crabviformis  L. 

3)  Diess  ist  eine  von  Asilus  verschiedene  Gattung. 

4)  Locustae. 

Wittstein:  Plinius.     II.  Bd.  21 


322  Elftes  Buch. 

Schlünde  ein  kleiner  Wurm  erzeugt,  der  sie  erstickt.    Zu 
derselben  Zeit   sterben   auch   die  Männchen.     Auf  eine   so 
elende  Weise  gehen  diese  Thiere  zu  Grunde,  und  doch  ist 
eins  von  ihnen  im  Stande  eine  Schlange  zu  tödten,   wenn 
es  sie  in  die  Kehle  beisst.   Sie  erzeugen  sich  nur  an  rissigen 
Plätzen.    In  Indien  sollen  sie  3  Fuss  lang  sein,  und  ihre 
Beine,   wenn   sie   getrocknet   sind,  als  Sägen  dienen.    Sie 
kommen  auch  noch  auf  andere  Weise  um.     Der  Wind  treibt 
sie   nämlich   mitunter   schaarenweise  in  die  Höhe,  so  dass 
sie  in's  Meer  oder  in  Teiche  fallen.    Diess  geschieht  von 
ohngefähr  und  zufällig,  und  nicht  (wie  die  Alten  glaubten) 
dadureh,   dass   ihre   Flügel   durch    nächtliche   Feuchtigkeit 
nass   geworden   sind.     Sie   erzählen   nämlich,   sie   könnten 
des  Nachts   wegen   der  Kälte   nicht   fliegen,   wussten  aber 
nicht,  dass  sie  sogar  über  weite  Meere   ziehen,   und   (was 
das  Merkwürdigste   ist)    selbst   mehrere  Tage  hindurch  zu- 
hungern  und  deshalb  auswärtiges  Futter  zu  suchen  wissen 
Diess  Ungeziefer   deutet    den   Zorn    der   Götter   an.     Auch 
noch  grössere  werden  bemerkt,   und  diese  fliegen  unter  so 
heftigem  Rauschen  ihrer  Flügel,  dass  man  sie  eher  für  Vögel 
halten  sollte;    sie  verfinstern  die  Sonne  und  die  Menschen 
blicken  zu  ihnen  hinauf  aus  Besorgniss,  sie   möchten   ihre 
Felder    überfallen.     Dazu  reichen  nämlich  ihre  Kräfte  hin, 
und  gleich  als  ob  es  ihnen  noch  zu  wenig  wäre,  über  das 
Meer  gekommen  zu  sein,  so  ziehen  sie  auch  noch  über  un- 
geheuere Strecken  Landes,    bedecken   gleich   einer   furcht- 
baren Wolke   die    Getreidefelder,   versengen   vieles   durch 
ihre  Berührung,  und  alles,  ja  selbst  die  Hausthüren  werden 
von  ihnen  zernagt  l).    Italien  wird  meistens  von  denen,  die 
aus  Afrika  kommen,  heimgesucht,  und  oft  schon   sah   sich 
das  römische  Volk  aus  Furcht  vor  Hungersnoth  gezwungen, 
seine  Zuflucht   zu    den    sibyllinischen  Büchern  zu  nehmen. 
In  der  cyrenaischen  Provinz  besteht  sogar  das  Gesetz,  sie 


')  Diess    ist    die    Wanderheuschrecke ,    Acridium    migratorium 
(Gryllus  migratorius). 


Elftes  Buch.  323 

3 mal  des  Jahres  zu  bekriegen,  und  zwar  das  erste  Mal 
ihre  Eier,  das  zweite  Mal  die  Jungen,  und  das  dritte  Mal 
die  Ausgewachsenen  zu  vernichten.  Wer  diess  unterliess, 
verfiel  in  die  Strafe  eines  Deserteurs.  Auch  auf  der  Insel 
Lemnos  ist  eine  bestimmte  Menge  Heuschrecken  vorge- 
schrieben, welche  ein  Jeder  tödten  und  an  den  Magistrat 
abliefern  muss.  Sie  verehren  auch  dort  deshalb  die  Krähen, 
weil  diese  ihnen  entgegenfliegen  und  sie  vertilgen.  Auch 
in  Syrien  werden  die  Einwohner  durch  militärische  Gewalt 
gezwungen,  sie  zu  tödten.  In  so  vielen  Theilen  der  Erde 
ist  diess  schädliche  Thier  verbreitet.  Die  Parther  essen 
auch  diese  gern.  Ihre  Stimme  scheint  vom  Hintertheile 
des  Kopfes  auszugehen;  an  dieser  Stelle  sollen  sie  näm- 
lich in  den  Fugen  der  Schultern  eine  Art  Zähne  haben, 
welche  durch  Aneinanderreihen  jenes  Geräusch  veranlassen. 
Hauptsächlich  hört  man  es  um  die  Zeit  der  beiden  Aequi- 
noctien,  die  Töne  der  Cicaden  aber  zur  Zeit  des  Sol- 
stitiums. 

Die  Begattung  der  Heuschrecken  ist  dieselbe,  wie  bei 
allen  andern  Insekten,  welche  sich  begatten;  das  Weibchen 
trägt  nämlich  das  Männchen,  biegt  sein  Schwanzende  auf 
das  Männcheu  zurück,  und  dann  gehen  sie  langsam  aus- 
einander. In  diesem  ganzen  Geschlechte  sind  die  Männchen 
kleiner  als  die  Weibchen. 

36. 

Die  meisten  Insekten  erzeugen  einen  kleinen  Wurm, 
unter  ihnen  die  Ameisen  einen  eiförmigen  im  Frühjahre. 
Auch  diese  Thiere  arbeiten  gemeinschaftlich  wie  die  Bienen; 
aber  sie  verbergen  ihren  Vorrath,  während  die  Bienen  eine 
nützliche  Speise  bereiten.  Wenn  man  die  Lasten,  welche 
sie  tragen,  mit  ihrem  Körper  vergleicht,  so  muss  man  be- 
kennen, dass  kein  Thier  verhältnissmässig  mehr  Kraft  be- 
sitzt. Sie  tragen  mit  dem  Munde,  grössere  Lasten  wälzen 
sie  von  hinten  mit  den  Hinterfüssen  fort,  und  stemmen  sich 
mit  den  Schultern  dagegen.  Auch  sie  haben  eine  Art 
Staatsverfassung,  sind  mit  einem  Gedächtniss  versehen, 
und  besorgen  alles  genau.    Die  Samenkörner  benagen  sie, 

21* 


324  Elftes  Buch. 

bevor  sie  sie  zum  Vorrathe  legen,  damit  sie  in  der  Erde 
nicht  keimen.  Siud  die  Körner  zu  gross  für  ihren  Eingang, 
so  zertheilen  sie  dieselben  vorher;  die  durch  Regen  nass 
gewordenen  bringen  sie  heraus  und  lassen  sie  trocken 
werden.  Beim  Vollmond  arbeiten  sie  auch  des  Nachts; 
beim  Neumond  hingegen  ruhen  sie  aus.  Aber  welche 
Thätigkeit,  welche  Emsigkeit  zeigen  sie  bei  ihrem  Arbeiten! 
Da  sie  von  verschiedenen  Seiten  her  eintragen,  wobei  die 
eine  von  der  andern  nichts  gewahr  wird,  so  halten  sie  ge- 
wisse Markttage,  wo  sie  sich  gegenseitig  treffen.  Welch' 
ein  Durcheinanderlaufen  bemerkt  man  dann!  welche  eifrige 
Unterredung,  welches  Befragen  der  sich  begegenden!  Man 
findet  Kieselsteine  auf  ihrem  Wege,  die  durch  das  Hin-  und 
Hergehen  abgerieben  sind,  und  Steige,  die  sie  selbst  ge- 
bildet haben;  woraus  sich  deutlich  ergiebt,  wie  viel  in 
jeder  Sache  die  Beharrlichkeit  vermag.  Sie  sind  ausser 
dem  Menschen  die  einzigen  Geschöpfe,  welche  ihre  Todteu 
begraben.    In  Sicilien  giebt  es  keine  geflügelten. 

Die  zu  Erythrä  in  dem  Tempel  des  Hercules  aufge- 
hangenen Hörner  einer  indischen  Ameise  galten  für  ein 
Wunder.  Diese  schaffen  das  Gold  aus  den  Höhlen  der 
Erde  im  nördlichen  Indien,  da  wo  die  Darder  wohnen, 
haben  die  Farbe  der  Katzen,  und  die  Grösse  der  ägypti- 
schen Wölfe.  Das  Gold,  welches  sie  im  Winter  ausge- 
graben haben,  stehlen  die  Indier  während  des  heissen 
Sommers,  wo  sich  die  Ameisen  wegen  der  Hitze  in  Höhlen 
verborgen  halten;  diese  jedoch,  durch  den  Geruch  aufge- 
reitzt,  kommen  hervor,  und  zerreissen  oft  die  Räuber,  wenn 
sie  auch  auf  noch  so  schnellen  Kameelen  entfliehen.  Solche 
Wuth  und  Grausamkeit  ist  die  Folge  der  Liebe  zum  Golde. 

37. 

Viele  Insekten  entstehen  auch  auf  andere  Weise,  und 
namentlich  vom  Thaue.  Dieser  setzt  sich  zu  Anfang  des 
Frühlings  auf  Kohlblätter,  wird  hier  durch  die  Sonne  ver- 
dickt, und  zieht  sich  bis  zur  Grösse  eines  Hirsekerns  zu- 
sammen. Hieraus  kriecht  ein  kleines  Würmchen,  was  nach 
3  Tagen  eine  Raupe  wird:   diese  wächst  noch  einige  Tage 


Elftes  Buch.  325 

hindurch,  wird  dann  unbeweglich  und  von  einer  harten 
Rinde  umschlossen,  bewegt  sich  nur,  wenn  sie  berührt 
wird,  ist  noch  mit  einem  Spinnegewebe  umgeben,  und  heisst 
in  diesem  Zustande  Puppe1).  Endlich  'platzt  die  Hülle 
und  ein  Schmetterling  fliegt  heraus. 

38. 

So  erzeugen  sich  auch  einige  in  der  Erde  aus  Regen, 
andere  im  Holze;  und  nicht  bloss  im  Holze  wie  die  Holz- 
würmer 8),  sondern  auch  aus  Holz,  wie  die  Viehbremsen  3) 
u.  s.  w.,  und  wo  Ueberfluss  an  Feuchtigkeit  ist,  wie  die 
Bandwürmer4)  im  Menschen,  die  30  Fuss  und  zuweilen 
noch  länger  sind. 

39. 

Auch  in  todtem  Fleische  und  im  Haare  lebender 
Menschen  erzeugen  sich  Insekten,  an  welcher  scheussliclien 
Krankheit  der  Dictator  Sulla  und  der  berühmte  griechische 
Dichter  Alcman 5)  starben.  Auch  die  Vögel  sind  diesem 
Uebel  unterworfen,  und  die  Phasanen  unterliegen  ihr,  wenn 
sie  sich  nicht  im  Staube  baden.  Unter  den  Thiereu,  welche 
Haare  haben,  sollen  nur  der  Esel  und  das  Schaf  frei  davon 
sein.  Sie  erzeugen  sich  ferner  in  einer  gewissen  Art  von 
Kleidern,  namentlich  in  solchen,  die  aus  der  Wolle  derjenigen 
Schafe,  welche  ein  Wolf  zerrissen  hat,  verfertigt  sind.  Auch 
^manche  Arten  Wasser,  mit  denen  wir  uns  waschen,  sind, 
wie  ich  bei  einigen  Schriftstellern  finde,  sehr  fruchtbar  an 
solchem  Ungeziefer.  Ja  selbst  das  Wachs  bringt  eins 
hervor,  und  diess  wird  für  das  kleinste  aller  Thiere 
gehalten.  Andere  wiederum  erzeugen  sich  aus  Schmutz 
durch  die  Sonnenstrahlen,  und  diess  sind  die,  welche  mit 
ihren  Hinterbeinen  Luftsprünge  machen.  Noch  andere, 
die  aus  feuchtem  Sande  in  Höhlen  entstehen,  können 
fliegen. 

40. 

Ein  ebenso  ekelhaftes  Thier  ist  das,  welches  stets  mit 


')  Chrysallis.    2)  Cossi.    3)  Tabani.     «)  Taeniae. 
5)  Aus  Sardes  um  670  v.  Chr. 


326  Elftes  Buch. 

dem  Kopfe  im  Blute  steckend  lebt  und  dadurch  anschwillt. 
Es  ist  'das  einzige  Thier,  welches  keinen  After  hat; 
wenn  es  sich  übersättigt  hat,  platzt  es,  und  stirbt  also  an 
der  Nahrung  selbst.  Man  findet  es  nie  auf  Lastthieren, 
häufig  auf  Rindvieh,  und  zuweilen  auf  Hunden,  die  über- 
haupt alle  Arten  von  Ungeziefer  haben.  Die  Schafe  und 
Ziegen  haben  nur  allein  dieses  Insekt  auf  sich  1).  Ebenso 
gross  ist  der  Blutdurst  bei  dem  Geschlechte  der  Blutigel, 
welche  in  Sümpfen  leben,  denn  auch  diese  stecken  mit  dem 
ganzen  Kopfe  im  Blute.  Es  giebt  noch  ein  geflügeltes, 
den  Hunden  eigenthümliches  Ungeziefer  2),  das  sie  besonders 
in  die  Ohren  frisst,  wo  sie  sich  nicht  vertheidigen  können. 

41. 
Der  Staub  in  der  Wolle  und  in  Kleidern  erzeugt  die 
Motten3),  besonders  dann,  wenn  eine  Spinne  mit  einge- 
schlossen ist.  Diese  saugt  nämlich  vom  Durste  getrieben 
alle  Feuchtigkeit  ein  und  vermehrt  dadurch  die  Trocken- 
heit. Dasselbe  Ungeziefer  entsteht  auch  in  Büchern.  Es 
giebt  eine  Art  Motten,  welche  nach  Art  der  Schnecken  ihr 
Gehäuse  mit  sich  ziehen,  aber  Füsse  haben.  Nimmt  man 
ihnen  die  Schale,  so  sterben  sie.  Wenn  sie  herangewachsen 
sind,  verpuppen  sie  sich.  Der  wilde  Feigenbaum  erzeugt 
die  Feigenmücken  4).  Aus  den  kleinen  Würmern  der  Feigen, 
Birnen,  Fichtenbäume,  Hundsdistel  und  Rosen  entstehen 
die  spanischen  Fliegen5).  Das  Gift  dieses  Thieres  be- 
sitzt medicinische  Kräfte:  die  Flügel  sind  heilsam,  nimmt 
man  sie  dem  Thiere  weg,  so  stirbt  es.  Wiederum  andere 
Gattungen  von  Mücken  erzeugen  sich  in  sauer  werdenden 
Stoffen.  Sogar  im  Schnee,  selbst  wenn  er  alt  ist,  findet 
man  weisse  Würmer,  und  in  der  Mitte  seiner  Höhe  röth- 
licue  (denn  der  Schnee  wird  selbst  durch  Alter  roth),  rauh- 
haarige, grössere  und  erstarrende. 


')  Schaflaus,  Hippobosca  ovina. 

2)  Pferdelaus,  Hippobosca  equina.     3)  Tineae. 

4)  Culices  ficarii.     Cynips  Psenes. 

5)  Cantharides.  Meloe  vesicatorius. 


Elftes  Buch.  327 

42. 

Sogar  das  entgegengesetzte  Naturelement  erzeugt  einige 
Insekten.  In  den  Schmelzöfen  auf  Cypern  nämlich  fliegt 
mitten  im  Feuer  ein  geflügeltes,  vierfüssiges  Thier  von  der 
Grösse  einer  starken  Fliege  umher;  es  wird  Pyralis,  von 
Andern  Pyrausta  genannt.  So  lange  es  im  Feuer  ist, 
lebt  es,  sowie  es  aber  etwas  zu  lange  draussen  umherfliegt, 
stirbt  es. 

43. 

Der  Fluss  Hypanis  im  Pontus  führt  zur  Zeit  des  Sol- 
stitiums  dünne  Häute  von  der  Gestalt  kleiner  Beeren  mit 
sich,  aus  welchen  ein  vierfüssiges  geflügeltes  dem  vorigen 
ähnliches  Thier  hervorbricht,  das  nur  1  Tag  lebt,  daher 
es  den  Namen  Hemerobion  hat.  Bei  den  übrigen  derartigen 
Thieren  fiudet  man  von  ihrer  Geburt  bis  zu  ihrem  Tode 
die  Zahl  sieben;  die  Mücken  und  Würmchen  leben  omal  7, 
und  die,  welche  einen  förmlichen  Körper  gebären,  4 mal 
7  Tage.  Verwandlungen  und  Uebergänge  in  andere  Ge- 
stalten erfolgen  in  3  bis  4  Tagen.  Die  übrigen  geflügelten 
Insekten  sterben  fast  alle  im  Herbste,  die  Bremsen  sogar 
in  Blindheit.  Wenn  man  Fliegen,  die  im  Wasser  umge- 
kommen sind,  in  Asche  legt,  leben  sie  wieder  auf. 

44. 

Nun  will  ich  die  Beschreibung  der  Thiere  nach 
den  einzelnen  Theilen  ihres  Körpers,  mit  Ausnahme 
dessen,  was  schon  gesagt  ist,  Glied  für  Glied  abhandeln. 
Alle  mit  Blut  versehenen  Thiere  haben  auch  einen  Kopf. 
Wenige  Thiere,  und  unter  diesen  nur  die  Vögel,  haben 
Hauben  auf  dem  Kopfe,  die  aber  von  verschiedener  Art 
sind.  Beim  Phönix  bildet  sie  eine  Reihe  Federn,  aus  deren 
Mitte  noch  eine  andere  hervorgeht;  bei  den  Pfauen  haarige 
Büschel;  bei  dem  Stymphalis  eine  Locke;  beim  Fasan 
kleine  Hörner.  Ausserdem  hat  auch  ein  kleiner  Vogel  eine 
solche  Haube,  der  deswegen  früher  Galerita  genannt  wurde, 
später  aber  den  gallischen  Namen  Alauda,  den  man  eben- 
falls einer  Legion  beilegte,  erhielt.  Wir  haben  bereits  ge- 
sagt, welchem  Vogel  die  Natur   einen   faltigen  Kamm  ge- 


328  Elftes  Buch. 

geben  hat1).  Dem  Geschlechte  der  Wasserhühner  gab  sie- 
einen vom  Schnabel  an  mitten  über  den  Kopf  gehenden, 
dem  Schwarzspecht  und  dem  balearischen  Kranich  einen 
Haarbüschel.  Aber  das  merkwürdigste  Abzeichen  besitzen 
die  Hühner;  ihr  Kamm  hat  eine  gewisse  Dichtigkeit,  Säge- 
zähne, und  wir  können  mit  Recht  sagen,  dass  er  weder 
Fleisch,  noch  Knorpel,  noch  eine  Schwiele,  sondern  von, 
ganz  eigenthümlicher  Beschaffenheit  ist.  Ob  Jemand  den 
Kamm  des  Drachen  gesehen  hat,  ist  mir  unbekannt. 

45. 
Hörn  er  sind  zwar  vielen  Wasser-  und  Seethieren  und 
Schlangen  von  mancherlei  Beschaffenheit  zugetheilt,  allein 
Hörner  im  strengsten  Sinne  nur  den  4füssigen  Thieren,  denn 
die  Erzählungen  von  Actäon,  und  selbst  in  der  lateinischen 
Geschichte  von  Cipus 2)  halte  ich  für  Mährchen.  Bei  keinem 
andern  Gegenstande  trieb  die  Natur  ein  grösseres  Spiel, 
denn  sie  spielte  mit  den  Waffen  der  Thiere,  theilte  sie  in 
Arme,  wie  bei  den  Hirschen,  andere  bekamen  einfache 
Hörner,  wie  das  Geschlecht  der  Subulonen3),  die  eben 
deshalb  sogenannt  sind.  Bei  andern  bildete  sie  dieselben 
platt  und  Hess  fingerartige  Spitzen  daraus  hervortreten, 
weshalb  solche  Thiere  Platyceroteu  heissen.  Den  Rehen 
gab  sie  ästige,  aber  kleine,  die  nicht  abfallen.  Den  Wid- 
dern gab  sie  solche  die  krumm  und  in  sich  gewunden  sind 
wie  Castus  4);  den  Stieren  zum  Kampfe  taugliche.  In  diesem 
Geschlechte  theilte  sie  auch  den  Weibchen  welche  zu,  in 
vielen  andern  aber  nur  den  Männchen.  Die  Gemsen  haben 
nach  hinten  gekrümmte,  die  Damhirsche  nach  vorn  ge- 
krümmte Hörn  er;  aufrecht  stehende  aber,  .ringsum  runzlige 
gewundene,  und  nach  oben  in  eine  dünne  Spitze  ausgehende, 


»)  Dem  Wiedehopf,  vergl.  X.  B.  44.  C. 

2)  Römischer  Prätor,  dem  angeblich,  als  er  einst  im  Kriegskleide 
vor  Rom  ging,  ein  Hörn  aus  dem  Kofe  wuchs.  Vergl.  Val.  Maximus 
V.  B.  6.    3)  Spiesser. 

4)  Starke  lederne,  wie  Handschuhe  um  die  Hand  gewundene,  zu- 
sammengedrehte, auch  mit  Blei  und  Eisen  versehene  Riemen,  womit 
die  Faustkämpfer  auf  einander  losschlugen. 


Elftes  Buch.  329 

ähnlich  der  Lyra ,  der  Kudu  *) ,  welcher  in  Afrika  Addace 
genannt  wird.  Das  phrygische  Rindvieh  hat  bewegliche, 
wie  Ohren,  das  troglody tische  gegen  die  Erde  gerichtete, 
daher  diese  letztern  beim  Weiden  den  Hals  schief  halten. 
Manche  Thiere  haben  nur  1  Hörn,  und  zwar  mitten  am 
Kopfe  oder  auf  der  Nase,  wie  bereits  gesagt  wurde.  Bei 
einigen  sind  sie  kräftig  zum  Anlauf,  bei  andern  zum  Stossen 
bestimmt;  bei  einigen  nach  unten,  bei  andern  nach  oben 
zurückgekrtimmt;  bei  noch  andern  zum  Werfen  geeignet 
und  zwar  auf  verschiedene  Weise,  gerade  hervorragend, 
einander  zu-  oder  abgekehrt,  alle  aber  gehen  in  eine  Spitze 
aus.  Bei  einem  gewissen  Geschlechte  dienen  sie  statt  der 
H  an  de  zum  Schaben  des  Körpers.  Die  Schnecken  ge- 
brauchen ihre  Hörner,  um  den  Weg  zu  untersuchen;  bei 
ihnen  wie  bei  den  Hornschlangen  sind  sie  fleischig.  Letz- 
tere haben  zuweilen  nur  ein  Hörn,  die  Schnecken  aber 
immer  zwei,  die  sie  vorstrecken  und  zurückziehen  können. 
Aus  den  Hörnern  der  Auerochsen  trinken  die  nördlichen 
Barbaren;  beide  Hörner  eines  Kopfes  fassen  eine  Urne. 
Andere  haben  vorwärts  gerichtete  Hörner,  die  sie  als  Spiesse 
gebrauchen.  Die  bei  uns  in  Blätter  geschnittenen  sind 
durchscheinend,  und  selbst  ein  Licht,  was  davon  einge- 
schlossen ist,  verbreitet  weithin  Helligkeit.  Man  wendet 
sie  auch  zu  vielen  andern  Luxusartikeln  an,  färbt  sie,  über- 
zieht sie,  oder  braucht  sie  in  der  enkaustischen  Malerei 2) . 
Alle  diese  sind  aber  hohl  und  nur  an  der  Spitze  dicht,  bei 
den  Hirschen  hingegen  durchaus  dicht,  und  fallen  jedes 
Jahr  ab.  Die  Landleute  heilen  die  wundgeriebenen  Klauen 
des  Rindviehs  dadurch,  dass  sie  die  Hörner  mit  Fett  ein- 
schmieren. Und  so  folgsam  ist  die  Natur,  dass  man  die 
Hörner  an  lebendigen  Thieren  durch  heisses  Wachs  bieg- 
sam machen,  auch  beim  Hervorbrechen  zerth eilen  und  die 
Theile  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  drehen  kann,  so 
dass   auf  einem   Kopfe   4   Hörner   entstehen.     Die   Hörner 


')  Strepsieeros.  Antilope  Strepeiceros.    a)  Pictura  cestrota. 


330  Elftes  Buch. 

der  Weibchen,  sowie  der  verschnittenen  Widder  sind  dünner. 
Die  Schafe,  Hirschkühe,  Vielhufer  und  Einhufer,  mit  Aus- 
nahme des  indischen  Esels,  der  1  Hörn  hat,  haben  keine. 
Die  Zweihufer  haben  2,  aber  diejenigen,  welche  in  der 
obern  Kinnlade  Vorderzähne  haben,  keins  Wer  da  glaubt, 
dass  diese  Zähne  in  Hörner  übergehen,  kann  leicht  durch 
das  Beispiel  der  Hirschkühe  widerlegt  werden,  welche 
gleich  den  Männchen  oben  keine  Zähne,  und  demungeachtet 
kein  Geweihe  haben.  Bei  den  übrigen  Thieren  stehen  die 
Hörner  mit  den  Knochen  in  Verbindung,  bei  den  Hirschen 
aber  wachsen  sie  nur  aus  der  Haut. 

46. 

Die  Fische  haben  im  Verhältniss  zu  ihrem  Körper  den 
grössten  Kopf,  vielleicht  damit  sie  besser  untertauchen 
können.     Das  Geschlecht  der  Austern,  die  Schwämme 

und  fast  alle  Thiere,  welche  nur  den  Sinn  des  Gefühls 
haben,  sind  kopflos.  Bei  einigen  ist  der  Kopf  nicht  vom 
Körper  gesondert,  wie  bei  den  Krebsen. 

47. 

Der  Mensch  hat  unter  allen  Thieren  die  meisten  Haare 
auf  dem  Kopfe,  und  zwar  die  Männer  sowohl  als  die 
Weiber,  was  man  namentlich  bei  den  Völkern,  welche  die- 
selben nicht  scheeren,  wahrnehmen  kann.  Daher  führen 
sogar  die  Alpenbewohner  den  Namen  Capillati,  und  ein  Theil 
von  Gallien  den  Namen  comata.  Dennoch  findet  in  dieser 
Hinsicht  unter  den  Ländern  ein  Unterschied  statt;  denn 
die  Myconier,  sowie  die  Milzsichtigen  in  Caunum  l),  haben 
keine  Haare.  Auch  einige  Thiere  sind  von  Natur  kahl, 
wie  die  Strausse  und  die  Wasserraben,  welche  deshalb  auch 
bei  den  Griechen  einen  darauf  bezüglichen  Namen  haben  2). 
Den  Weibern  gehen  die  Haare  selten  aus,  bei  den  Ver- 
schnittenen hat  man  es  nie  bemerkt,  und  überhaupt  bei 
keinem  vor  dem  Genuss  des  Geschlechtstriebes.  Ferner 
fallen  sie  nicht  unterhalb  des  Gehirns,   des  Scheitels  oder 


')  Eine  Stadt  in  Carien,  die  eine  sehr  ungesunde  Lage  hatte. 
2)  Sie  hiessen  Phalacrocoraces,  vergl.  X.  B.  68.  C. 


Elftes  Buch.  331 

Um  die  Schläfe  oder  Ohren  aus.  Der  Mensch  ist,  mit  Aus- 
nahme der  Thiere  die  so  geboren  werden,  das  einzige  Ge- 
schöpf, welches  kahl  wird.  Nur  er  und  das  Pferd  be- 
kommen graue  Haare,  der  Mensch  aber  anfangs  vorn  am 
Kopfe,  und  später  erst  hinten. 

48. 

Nur  einige  Menschen  haben  2  Scheitel.  Die  Knochen 
des  Kopfes  sind  platt,  dünn,  ohne  Mark  und  mit  säge- 
förmigen  Fugen  kammartig  in  einander  gefügt.  Brüche 
derselben  können  nicht  wieder  geheilt  werden;  wenn  man 
sie  aber  mit  Vorsicht  herausnimmt,  so  sind  die  Brüche 
nicht  tödtlich,  weil  dann  an  ihrer  Stelle  eine  Fleischnarbe 
entsteht.  Dass  die  Bären  die  schwächsten  und  die  Papa- 
geien die  härtesten  Kopfknochen  haben,  wurde  bereits  ge- 
hörigen Orts  gesagt. 

49. 

Alle  Thiere,  welche  mit  Blut  versehen  sind,  haben 
auch  Gehirn,  selbst  diejenigen  im  Meere,  welche  wir 
„weiche"  genannt  haben,  obgleich  ihnen  das  Blut  fehlt,  wie 
z.  B.  die  Polypen.  Aber  der  Mensch  hat  verhältnissmässig 
das  grösste  und  feuchteste.  Es  ist  unter  den  Eingeweiden 
das  kälteste,  und  wird  von  zwei  übereinander  liegenden 
Häuten  umgeben;  zerreisst  die  eine  oder  andre  von  diesen, 
so  erfolgt  der  Tod.  Uebrigens  haben  die  Männer  mehr 
Gehirn  als  die  Weiber.  Das  Gehirn  des  Menschen  enthält 
weder  Blut  noch  Adern,  und  das  der  übrigen  Thiere  kein 
Fett.  Sachverständige  halten  es  für  etwas  anderes  als 
das  Mark,  weil  es  durch  Knochen  erhärtet.  Mitten  im  Ge- 
hirn aller  Thiere  finden  sich  kleine  Knochen.  Nur  bei  dem 
Menschen  pocht  es  in  der  Kindheit,  und  wird  nicht  eher 
fest,  bis  er  anfängt  zu  sprechen.  Es  ist  das  höchste  und 
der  Wölbung  des  Kopfes  nächste  Eingeweide,  ohne  Fleisch, 
Blut  und  Unrath.  Hier  haben  die  Sinne  ihren  Sitz,  hieher 
strebt  alle  Kraft  der  Adern  aus  dem  Herzen,  und  hier  er- 
reicht sie  ihr  Ende;  hier  ist  der  höchste  Gipfel,  hier  die 
Herrschaft  des  Geistes.  Bei  allen  Thieren  ist  es  nach  vorn 
gerichtet,  weil  die  Sinne  vorwärts  streben.     Von  ihm  geht 


332  Elftes  Buch. 

der  Schlaf,  sowie  das  Nieken  des  Kopfes  aus.  Thiere, 
denen  das  Gehirn  fehlt,  schlafen  auch  nicht.  Die  Hirsche 
sollen  im  Kopfe  unter  der  Höhlung  der  Zunge  und  an  dem 
Gelenke,  welches  den  Kopf  mit  dem  übrigen  Körper  ver- 
bindet, 20  kleine  Würmer  haben. 

50. 

Nur  der  Mensch  hat  unbewegliche  Ohren.  Von  ihnen 
rührt  der  Beiname  Flaccus  *)  her.  Kein  anderer  Theil  des 
Körpers  verursacht  den  Weibern  grossem  Aufwand,  denn 
sie  hängen  die  Perlen  daran.  Im  Oriente  wird  es  auch 
bei  Männern  für  eine  Zierde  gehalten,  Gold  in  den  Ohren 
zu  tragen.  Einige  Thiere  haben  grosse,  andere  kleinere 
Ohren.  Nur  bei  den  Hirschen  sind  sie  geschlitzt  und  gleich- 
sam getheilt;  bei  der  Spitzmaus  bestehen  sie  aus  Haaren. 
Ohrlappen  haben  alle  diejenigen  Thiere,  welche  lebendige 
Junge  gebären,  ausgenommen  das  Seekalb,  der  Delphin, 
die  sogenannten  Knorpelthiere  und  die  Vipern.  Diese  haben 
nur  Höhlen  statt  der  Ohren,  ausgenommen  die  Knorpel- 
thiere und  der  Delphin;  letztere  können  aber  demungeachtet 
hören,  denn  sie  ergötzen  sich  am  Gesänge,  und  werden  ge- 
fangen, wenn  sie  durch  einen  Schall  betäubt  sind.  Wie 
diese  Thiere  hören  können,  bleibt  wunderbar;  auch  haben 
sie  keine  Spuren  von  Geruchswerkzeugen ,  und  dennoch 
einen  äusserst  feinen  Geruch.  Unter  dem  Geflügel  besitzen 
nur  die  Uhu's  und  Ohreulen  ohrenähnlich  gestellte  Federn,, 
die  übrigen,  sowie  die  Schuppenthiere  und  Schlangen  bloss 
Löcher  zum  Hören.  Bei  den  Pferden  und  allen  Lastthieren 
sind  die  Ohren  die  Anzeigen  ihres  Gemüthszustandes ;  sind 
die  Thiere  müde,  so  stehen  sie  schlaff,  fürchten  sie  sich, 
so  wackeln  sie  hin  und  her;  sind  sie  wüthend,  so  tragen 
sie  sie  aufrecht;  sind  sie  krank,  so  lassen  sie  sie  hängen. 

51. 

Ein  Gesicht  hat  nur  der  Mensch,  die  übrigen  haben 
eine  Schnauze  oder  einen  Schnabel.  Eine  Stirn  haben 
auch   andere  Thiere,   aber   nur   bei   dem  Menschen  ist   sie 


')  Schlaffohriger. 


Elftes  Buch.  •  333 

•der  Anzeiger  der  Traurigkeit,  Munterkeit,  Sanftmuth  und 
des  Ernstes.  Der  Grund  davon  ruhet  in  der  Seele  selbst. 
Der  Mensch  kann  seine  Augenbrauen  sowohl  zugleich 
als  auch  abwechselnd  bewegen,  offenbart  in  ihnen  eben- 
falls zum  Theil  seinen  Seelenzustand,  verneint  und  bejahet 
damit.  Sie  vorzüglich  verkündigen  das  Geschehene;  der 
Hochmuth  hingegen  entspringt  anderswo,  hat  aber  hier 
seinen  Sitz,  er  geht  nämlich  vom  Herzen  aus  und  bleibt 
dort,  denn  er  findet  am  ganzen  Körper  keinen  höhern  und 
steilern  Platz,  wo  er  allein  verweilen  könnte. 

52. 

Unter  ihnen  liegen  die  Augen,  der  köstlichste  Theil 
des  Körpers,  welche  durch  den  Genuss  des  Lichts  das 
Leben  vom  Tode  unterscheiden.  Nicht  alle  Thiere  haben 
Augen,  z.  B.  die  Austern,  und  bei  einigen  Muscheln  ist  ihr 
Vorhandensein  zweifelhaft,  denn  wenn  man  sich  einer 
geöffneten  Kammmuschel  mit  den  Fingern  nähert,  so 
schliesst  sie  sich,  als  wenn  sie  es  sähe.  Auch  die  Solenen 
fliehen,  wenn  man  ihnen  Eisen  nähert.  Unter  den  vier- 
füssigen  Thieren  haben  die  Maulwürfe  kein  Sehorgan,  ob- 
wohl man  etwas  den  Augen  Aehnliches  bemerkt,  wenn 
man  die  vorliegende  Haut  wegzieht.  Unter  den  Vögeln 
sollen  die  sogenannten  weissen  Reiher  nur  ein  Auge  haben. 
Sie  geben  die  besten  Vorbedeutungen,  wenn  sie  gegen 
Süden  oder  Norden  fliegen,  denn  dann  sollen  Gefahr  und 
Furcht  verschwinden.  Nigidius  sagt,  auch  die  Locusten 
und  Cicaden  hätten  keine  Augen.  Bei  den  Schnecken  ver- 
tritt das  Vorstrecken  der  beiden  Hörner  die  Stelle  der 
Augen.  Auch  die  Regenwürmer  und  überhaupt  das  ganze 
Geschlecht  der  Würmer  sind  ohne  Augen. 

53. 

Nur  die  Menschen  haben  Augen  von  verschiedener 
Farbe;  bei  den  übrigen  Thieren  sind  sie  sich  in  jedem  Ge- 
schlechte gleich.  Einige  Pferde  haben  graue  Augen.  Bei 
den  Menschen  findet  in  dieser  Beziehung  eine  grosse  Mannig- 
faltigkeit und  Verschiedenheit  statt;  denn  da  giebt  es  grosse, 
mittlere,  kleine,  vorstehende,  die  man  für   schwächer   hält, 


334  '  Elftes  Buch- 

tiefliegende,  die  wie  die  ziegenfarbigen  am  hellsten    sehen, 
sollen. 

54. 

Ausserdem  sehen  manche  Menschen  weit  in  die  Fen   *~ 
Andere  bloss  dann,  wenn  die  Gegenstände  ganz    nahe   u 
ihnen    sind.     Viele   können    nur    sehen,   wenn   die    Sor 
scheint,  nach  dem  Untergange  derselben,  sowie  an  neblige^11 
Tagen   dagegen   nicht.     Bei   Andern    sind    die   Augen    am* 
Tage    schwächer,   des   Nachts    aber   um   so   besser.     Von' 
doppelten  Pupillen,  oder  von  solchen  Thieren,  deren  Blick 
schädlich    ist,    haben    wir    bereits    genügend    gesprochen.  ( 
Blaue  Augen  sehen  im  Finstern  besser. 

Man  sagt,  der  Kaiser  Tiberius  und  sonst  kein  anderer 
Sterblicher  habe  die  Fähigkeit  besessen,  des  Nachts  beim 
Aufwachen  alles  ebenso  wie  bei  hellem  Lichte  zu  sehen  j 
nach  und  nach  sei  aber  wieder  Finsterniss  eingetreten«  - 
Der  Kaiser  Augustus  hatte,  gleich  den  Pferden,  graue 
Augen,  und  das  Weisse  darin  war  grösser  als  bei  andern  j 
Menschen;  er  wurde  daher  auch  leicht  unwillig,  wenn  man 
sie  aufmerksam  betrachtete.  Beim  Kaiser  Claudius  war 
das  Weisse  von  den  Winkeln  au  fleischig  und  mit  blutigen 
Adern  durchlaufen.  Der  Prinz  Cajus  hatte  starre  Augen. 
Nero  war  kurzsichtig,  und  konnte  nur  sehen,  wenn  er 
blinzelte.  Bei  dem  Spiele  des  Prinzen  Cajus  waren  20  Paare 
Fechter,  und  unter  diesen  nur  zwei,  die  bei  keiner  drohen- 
den Bewegung  blinzelten,  und  daher  auch  unbesiegt  blieben. 
So  schwer  fällt  diess  dem  Menschen.  Den  meisten  aber 
liegt  es  in  der  Natur,  dass  sie  unaufhörlich  blinzeln,  und 
diese  hält  man  für  furchtsam. 

Kein  Mensch  hat  einfarbige  Augen,  denn  stets  unter- 
scheidet sich  die  Farbe  in  der  Mitte  vom  Weissen.  An 
keinem  andern  Theile  zeigt  sich  bei  den  Thieren  die 
Stimmung  des  Innern  deutlicher,  am  meisten  jedoch  bei 
dem  Menschen,  denn  man  erkennt  darin  Mässigung,  Sanft  - 
muth,  Mitleiden,  Hass,  Liebe,  Traurigkeit  und  Fröhligkeit. 
Auch  im  Blicken  gestalten  sie  sich  auf  mannigfache  Weise, 
denn  sie  sind  drohend,  verdreht,  flammend,  ernst,  schielend, 


Elftes  Buch. 


335 


niedergeschlagen,  schmeichelnd.  Fürwahr  in  den  Augen 
hat  die  Seele  ihren  Sitz.  Sie  brennen,  starren,  werden 
feucht,  schliessen  sich.  Aus  ihnen  fliessen  die  Thränen  des 
Mitleids.  Wenn  wir  sie  küssen,  so  scheinen  wir  die  Seele 
kj.  :lbst  zu  berühren.  Von  hier  aus  geht  das  Weinen  und 
d  'Bäche  von  Thränen  benetzen  die  Wangen.  Was  ist  das 
^  -r  eine  Feuchtigkeit,  die  beim  Schmerze  so  häufig  und  be- 
r  reitwillig  fliesst?  oder,  wo  weilt  sie  in  der  übrigen  Zeit? 
Mit  der  Seele  aber  sehen  und  betrachten  wir;  die  Augen 
nehmen,  gleichsam  als  Gelasse,  den  sehkräftigen  Theil  der- 
selben in  sich  auf  und  geben  ihn  wieder  von  sich.  Daher 
kommt  es  auch,  dass  man  durch  angestrengtes  Nachdenken 
erblindet,  indem  die  Sehkraft  nach  innen  gezogen  wird. 
Daher  sehen  Diejenigen,  welche  von  Epilepsie  befallen  sind, 
selbst  bei  offenen  Augen  nichts,  weil  ihre  Seele  selbst  ver- 
dunkelt ist.  Sogar  die  Hasen  und  viele  Menschen  schlafen 
mit  offenen  Augen,  was  die  Griechen  „das  alberne  Gaffen"  i) 
nennen.  Die  Natur  hat  die  Augen  aus  vielen  dünnen  Häuten 
gebildet,  und  gegen  Hitze  und  Kälte  äusserlich  mit  einer 
dicken  Haut  versehen,  welche  durch  die  Thränenfeuchti°- 
keit  zuweilen  gereinigt  wird;  sie  machte  sie  wegen  hinein- 
fliegender Dinge  schlüpfrig  und  beweglich. 

55. 
Die  Mitte  der  Augen  wird  durch  eine  hornartige  Pu- 
pille fensterartig  durchbrochen.  Die  Enge  der  letztern 
erlaubt  dem  Blicke  nicht  unstät  umher  zu  schweifen,  son- 
dern giebt  ihm  wie  durch  einen  Kanal  seine  Richtung,  und 
lenkt  die  nebenbei  einfallenden  Strahlen  leicht  ab.  Sie 
ist  bei  Einigen  von  schwarzen,  bei  Andern  von  bräunlichen, 
bei  Andern  von  grauen  Kreisen  umgeben,  damit  das 
Licht  durch  eine  passende  Mischung  von  dem  umgebenden 
Weissen  aufgefangen  werde  und  bei  einem  massigen  An- 
stosse  kein  Hinderniss  erfahre.  Die  Spiegelkraft  dieser 
Kreise  ist  so  stark,  dass  die  so  kleine  Pupille  dennoch 
das  ganze  Bild  eines  Menschen  in  sich  wieder  giebt.     Hierin 


')  xoQvßavxiäv. 


336  Elftes  Buch- 

liegt  auch  die  Ursache,  warum  die  meisten  Vögel  an  todten 
Menschen  zuerst  auf  die  Augen  losgehen,  weil  sie  ihr  Bild 
in  denselben  sehen,  und  gleichsam  nach  etwas  Ihnen  Be- 
kanntem hinstieben. 

Nur  einige  Lastthiere  leiden  bei  zunehmendem  Monde 
an  Augenkrankheiten.  Aber  nur  der  Mensch  wird  durcb 
Abfluss  der  Feuchtigkeit  von  der  Blindheit  geheilt,  unu 
man  weiss,  dass  Viele  nach  zwanzig  Jahren  ihr  verlornes 
Gesicht  wieder  erhalten  haben.  Manche  können  gleich 
Von  der  Geburt  an  nicht  sehen,  ohne  dass  ein  Fehler  an 
den  Augen  ist.  Ebenso  verlieren  Andere  plötzlich  das  Ge- 
sicht ohne  vorhergegangene  Beschädigung.  Die  gelehrtesten 
Schriftsteller  berichten,  von  den  Augen  erstreckten  sich 
Adern  bis  zum  Gehirn,  und  ich  glaube,  selbst  bis  zum  Ma- 
gen; wenigstens  ist  noch  Keinem  ein  Auge  ausgenommen 
worden,  ohne  dass  Erbrechen  erfolgt  wäre.  Den  Sterben- 
den die  Augen  zu  schliessen,  und  auf  dem  Scheiterhaufen 
wieder  zu  öffnen,  ist  ein  heiliger  Gebrauch  der  Römer, 
der  durch  die  Ansicht  entstanden  ist,  dass  es  eben  so  sträf- 
lich sei,  die  Augen  zuletzt  noch  von  einem  Menschen  be- 
trachten zu  lassen,  als,  sie  dem  Himmel  nicht  zu  zeigen. 
Der  Mensch  ist  unter  allen  Geschöpfen  das  einzige,  dem 
sie  verunstaltet  werden;  daher  kommen  die  Beinamen 
Strabo  *)  und  Paetus 2).  Diejenigen,  welche  nur  mit  einem 
sehenden  Auge  geboren  wurden,  hiessen  Cocliten,  die, 
welche  kleine  Augen  hatten,  Oceller3),  und  die,  deren 
Augen  verletzt  waren,  Lusciner4). 

Die  Augen  der  nächtlichen  Thiere,  wie  der  Katzen, 
funkeln  und  strahlen  im  Dunkeln,  sodass  man  ihren  Blick 
nicht  ertragen  kann;  auch  die  der  Ziegen  und  Wölfe  glän- 
zen und  werfen  das  Licht  zurück.  Die  der  Seekälber  und 
Hyänen  spielen  zuweilen  mit  tausend  Farben.  Ja  auch 
die  Augen  vieler  Fische  leuchten;  wenn  sie  trocken  sind, 


1)  Ein  Schielender. 

2)  Einer,  der  nur  etwas  schielt.     3)  Ocellus,  Dim.  von  oculus. 
4)  Luscinus,  ein  Blödsichtiger. 


Elftes  Buch.  337 

im  Dunkeln,  gleichwie  durch  Alter  faul  gewordene  Baum- 
stämme. Dass  solche  Tbiere,  welche  ihre  Augen  nicht  zur 
Seite  bewegen  können,  sondern  den  Kopf  umdrehen  müssen, 
wenn  sie  umsehen  wollen,  nicht  blinzeln,  habe  ich  bereits 
gesagt.  Die  Augen  des  Chamäleons  sollen  sich  gänzlich 
umdrehen.  Die  Krebse  sehen  von  der  Seite.  Die  Thiere, 
welche  in  eine  zerbrechliche  Schale  eiugeschlossen  sind, 
haben  starre  Augen.  Die  Locusten  und  Squillen,  die  zum 
Theil  dieselbe  Bekleidung  haben,  besitzen  sehr  harte  und 
vorstehende  Augen.  Thiere  mit  harten  Augen  sehen  weni- 
ger gut  als  solche  mit  feuchten.  Wenn  man  jungen  Schlan- 
gen und  Schwalben  die  Augen  ausreisst,  sollen  sie  wieder 
wachsen.  Bei  allen  Insecten  und  Thieren  mit  Schalen 
sind  die  Augen  ebenso  beweglich,  wie  bei  den  vierfiissigen 
Thieren  die  Ohren.  Die  Thiere  mit  zerbrechlichen  Decken 
haben  harte  Augen.  Alle  diese,  sowie  auch  die  Fische 
und  Insecten  haben  keine  Augenlider,  und  bedecken  die 
Augen  nicht.  Bei  allen  ist  eine  glasartig  durchsichtige 
Haut  über  die  Augen  gespannt. 

56. 
Der  Mensch  hat  an  beiden  Augenlidern  Wimpern. 
Bei  den  Weibern  werden  diese  sogar  täglich  gefärbt;  so 
weit  geht  also  die  Putzsucht,  dass  man  selbst  die  Augeu 
bemalt.  Die  Natur  aber  gab  sie  uns  aus  einer  andern 
Ursache,  nämlich  gleichsam  als  Wall  für  das  Auge,  und 
als  vorspringendes  Schutzwerkzeug  gegen  die  Anfälle  der 
Thiere,  oder  andere  zufällig  hineinkommende  Dinge.  Den- 
jenigen, welche  zu  oft  den  Beischlaf  pflegen,  sollen  sie 
ausfallen,  und  das  mit  Recht.  Von  den  übrigen  Thieren 
haben  diejenigen  keine  Wimpern,  welche  am  übrigen  Krö- 
per  ohne  Haare  sind.  Aber  bei  den  vierfiissigen  Thieren 
ist  nur  das  obere  Augenlid  behaart,  bei  den  Vögeln  bloss 
das  untere,  ebenso  bei  den  weichhäutigen  z.  B.  den  Schlan- 
gen und  bei  den  vierfiissigen  eierlegenden,  wie  den  Eidech- 
sen. Der  Strauss  ist  der  einzige  Vogel,  der  Wimpern  wie 
der  Mensch  hat. 

Wittstein:   Tlinius.     II.  Bd.  22 


338  Elftes  Buch. 

57. 

Auch  Augenlider  haben  nicht  alle  Thiere,  daher 
können  auch  diejenigen,  welche  lebendige  Junge  gebären, 
nicht  blicken.  Die  grössern  Vögel  schliessen  die  Augen 
mit  dem  untern  Augenlide.  Sie  blicken  dadurch,  dass  sich 
von  den  Augenwinkeln  her  eine  Haut  vorzieht.  Die  Tau- 
ben und  ähnliche  Vögel  schliessen  die  Augen  von  oben 
und  unten;  aber  die  vierfüssigen  Thiere,  welche  Eier  legen, 
wie  die  Schildkröten  und  Krokodile,  bloss  mit  dem  untern, 
können  auch  nicht  blicken,  weil  ihre  Augen  zu  hart  sind. 
Den  äussersten  Rand  des  oberen  Augenlides  nannten  die 
Alten  cilium ,  daher  der  Name  supercilia  *).  Wenn  dieser 
Theil  durch  eine  Wunde  zerrissen  ist,  wächst  er  nicht 
wieder  zusammen;  dasselbe  ist  bei  noch  wenigen  andern 
Gliedern  des  menschlichen  Körpers  der  Fall. 

58. 

Unter  den  Augen  hat  bloss  der  Mensch  Wangen, 
welche  die  Alten  genae  nannten;  den  Frauen  wurde  es  in 
den  12  Tafeln  untersagt,  sie  zu  ritzen.  Hier  ist  der  Sitz 
der  Schaam,  denn  auf  ihnen  hauptsächlich  zeigt  sich  die 
Röthe. 

59. 

Innerhalb  derselben  befinden  sich  die  Backen,  auf 
welchen  sich  Fröhlichkeit  und  Lachen  verkünden.  Etwas 
höher  hat  bloss  der  Mensch  die  Nase,  welche  die  neuern 
Sitten  zum  Sitze  des  hämischen  Spottes  gemacht  haben. 
Bei  keinem  andern  Thiere  ragt  die  Nase  hervor.  Die  Vö- 
gel, Schlangen,  Fische  haben  keine  Nase,  sondern  nur 
Oeffnungen  zum  Riechen.  Daher  rühren  die  Beinamen 
Simus  2),  Silo3)'  Menschen,  die  im  siebenten  Monate  ge- 
boren waren,  fehlten  häufig  die  Ohren-  und  Nasenlöcher. 

60. 

Nun   folgen    die   Lippen,    von    denen   die   Beinamen 


')  Augenbrauen. 

2)  Einer  mit  aufwärtsgebogener,  platter  Nase. 

3)  Bedeutet  dasselbe  wie  Simus. 


Elftes  Buch.  339 

Brochi l)  und  Labeonen 2)  entstanden  sind.  Einen  festen 
harten  Mund  haben  tlie  Thiere,  welche  lebendige  Junge 
gebären;  statt  dessen  besitzen  die  Vögel  hornartige  und 
spitze  Schnäbel.  Bei  denen,  die  vom  Raube  leben,  ist  er 
gekrümmt;  bei  denen,  die  ihr  Futter  auflesen,  gerade;  bei 
denen,  die  Kräuter  ausrupfen  und  im  Schlamme  wühlen, 
breit,  gleichwie  bei  den  Schweinen.  Dem  Zugvieh  dienen 
die  Lippen  statt  der  Hände  zum  Auflesen  des  Futters. 
Bei  denen  die  ihre  Beute  zerfleischen,  ist  der  Rachen  weit. 
Nur  der  Mensch  hat  ein  Kinn  und  Wangen.  Das  Croco- 
dil  kann  nur  die  obere  Kinnlade  bewegen;  die  vierfüssi- 
gen  Landthiere  kauen  auf  dieselbe  Weise  wie  die  übrigen  , 
nur  bewegen  sich  dabei  die  Kinnladen  schräg. 

61. 
Es  giebt  3  Arten  von  Zähnen,  sägenförmige,  zusam- 
menhängende und  hervorragende.  Die  sägenförmigen  passen 
wie  zwei  Kämme  in  einander,  damit  sie  nicht  durch  ge- 
genseitiges Aufeinandertreffen  gerieben  werden;  solche  haben 
die  Schlangen,  Fische  und  Hunde.  Eine  ununterbrochene 
Reihe  bilden  die  Zähne  beim  Menschen  und  Pferde.  Her- 
vorragende finden  sich  beim  Eber,  dem  Flusspferde  und 
Elephanten.  Unter  den  zusammenhängenden  sind  die, 
welche  zum  Zerschneiden  der  Speisen  dienen,  breit  und 
scharf,  diejenigen  zum  Kauen  doppelt,  und  die,  welche 
diese  beiden  Arten  trennen,  werden  Hundszähne  3)  genannt. 
Diese  sind  unter  den  sägenförmigen  die  längsten.  Zusam- 
menhängende (eine  ununterbrochene  Reihe  bildende)  stehen 
entweder  in  beiden  Kinnladen,  wie  beim  Pferde,  oder  in 
der  obern  Kinnlade  fehlen  die  Vorderzähne,  wie  bei  dem 
Rindvieh,  den  Schafen  und  allen,  welche  wiederkäuen. 
Die  Ziegen  haben  oben  keine,  ausgenommen  2  Vorderzähne. 
Die  Thiere  mit  sägenförmigen  Zähnen  haben  keine  hervor- 
ragenden; auch  sind  die  letztern  bei  dem  Weibchen  selten 
und  haben  sie  sie  auch,  so  machen  sie  doch  keinen  Ge- 


')  Dicklippige. 

2)  Menschen  mit  aufgeworfenem  Munde.    3j  Eck  zahne. 

22* 


340  Elftes  Buch. 

brauch  davon.  Während  also  die  Eber  hauen,  beissen  die 
Säue.  Kein  Thier  mit  Hörnern  hat  hervorragende  Zähne. 
Alle  diese  sind  hohl,  die  übrigen  Zähne  dagegen  durchaus 
fest.  Alle  Fische  haben  sägenförmige  Zähne,  ausgenom- 
men der  Scarus,  und  dieser  ist  das  einzige  Wasserthier 
mit  flachen  Zähnen.  Uebrigens  haben  viele  derselben  an 
der  Zunge  und  im  ganzen  Munde  Zähne,  sodass  es  ihnen 
möglich  ist,  durch  eine  Menge  Wunden  dasjenige  zu  er- 
weichen, was  sie  nicht  zermalmen  können.  Viele  haben 
auch  Zähne  am  Gaumen,  ja  sogar  am  Schwänze.  Ausser- 
dem sind  sie  bei  denen,  die  kein  besonderes  Mittel  zum 
Festhalten  der  Speisen  besitzen,  nach  innen  gekehrt,  damit 
diese  nicht  herausfallen. 

62. 
Eine  ähnliche  Beschaffenheit  haben  die  Zähne  der 
Aspis  und  der  Schlangen,  aber  zwei  an  ihrer  obern 
Kinnlade  rechts  und  links  sind  sehr  lang,  und  von  einer 
dünnen  Röhre  durchzogen,  durch  welche  sie,  wie  derScorpion 
mit  dem  Stachel,  Gift  ergiessen.  Die  kundigsten  Schrift- 
steller berichten,  diess  sei  nichts  anderes  als  die  Galle  der 
Schlangen,  welche  durch  Adern  unter  dem  Rückgrate  hin 
in  den  Mund  gelange.  Nach  Einigen  hätten  sie  nur  einen 
Zahn,  den  das  Thier,  weil  er  krumm  wäre,  zurückböge, 
wenn  es  beissen  wolle.  Manche  sagen,  er  fiele  ihnen  dann 
aus,  und  es  wüchse  ein  neuer  wieder;  er  sei  leicht  auszu- 
brechen, und  die  Schlangen,  welche  wir  Kunststücke  machen 
sähen,  hätten  ihn  nicht  mehr.  Auch  im  Schwänze  des 
Scorpions  soll  ein  solcher  Giftzahn  sein,  und  die  meisten 
hätten  deren  3.  Bei  den  Vipern  sind  die  Zähne  im  Zahn- 
fleische verborgen;  sie  haben  dasselbe  Gift  bei  sich,  und 
wenn  sie  beim  Beissen  ihren  Zahn  eingedrückt  haben,  fliesst 
das  Gift  in  die  Wunde.  Die  fliegenden  Thiere  haben 
keine  Zähne,  ausgenommen  die  Fledermaus.  Das  Kameel 
ist  das  einzige  unter  den  nicht  gehörnten  Thieren,  welches 
oben  keine  Vorderzähne  hat.  Die  hörnertragenden  Thiere 
haben  keine  Sägezähne.  Auch  die  Schnecken  haben  Zähne; 
diess  ersieht  mau  daraus,   dass   selbst  die  kleinsten  unter 


Elftes  Buch.  341 

ihnen  die  Wicken  benagen.  Aber  ich  wundere  mich,  wie 
man  hat  wahrnehmen  können,  dass  unter  den  Seethieren 
die  Schalen-  und  Knorpelthiere  Vorderzähne,  und  die  See- 
igel deren  5  haben.  Bei  den  Insekten  vertritt  der  Stachel 
die  Stelle  der  Zähne.  Die  Zähne  der  Affen  sind  denen  des 
Menschen  gleich.  Der  Elephant  hat  inwendig  4  zum  Kauen, 
und  ausser  diesen  noch  die  hervorragenden,  welche  bei 
den  Männchen  zurückgebogen,  bei  den  Weibchen  gerade 
und  abwärts  gerichtet  sind.  Die  Seemaus,  welche  vor  dem 
Wallfische  herschwimmt,  hat  keine  Zähne,  aber  statt  der- 
selben inwendig  den  Mund,  die  Zunge  und  den  Gaumen 
mit  Borsten  besetzt.  Bei  den  kleinen  vierfüssigen  Land- 
thieren  befinden  sich  in  der  obern  und  untern  Kinnlade 
2  sehr  lange  Vorderzähne. 

63. 
Die  übrigen  Thiere  werden  mit  den  Zähnen  geboren, 
der  Mensch  bekommt  sie  erst  im  7.  Monate  nach  seiner 
Geburt.  Die  übrigen  Thiere  behalten  sie  zeitlebens,  nur 
der  Mensch,  der  Löwe,  das  Zugvieh,  der  Hund  und  die 
Wiederkäuer  wechseln  sie,  aber  der  Löwe  und  Hund  nur 
die  sogenannten  Hundszähne.  Der  rechte  Hundszahn  des 
Wolfes  wird  sehr  hoch  geschätzt1).  Die  auf  die  Hunds- 
zähne folgenden  Backenzähne  wechselt  kein  Thier.  Der 
Mensch  bekommt  seine  letzten  Zähne,  welche  die  Weisheits- 
zähne 2)  genannt  werden,  ungefähr  im  20.  Jahre,  viele,  na- 
mentlich die  Frauen,  erst  im  80.,  aber  bloss  diejenigen, 
welche  sie  in  der  Jugend  nicht  bekamen.  Dass  sie  im 
Alter  ausfallen  und  auch  wohl  kurz  nachher  wieder  neue 
wachsen,  ist  ausser  Zweifel.  Mucianus  erzählt,  er  habe 
einen  Samothracier,  Namens  Zocles,  gesehen,  dem  sie  im 
104.  Jahre  nachgewachsen  wären.  Uebrigens  hat  das  männ- 
liche Geschlecht  beim  Menschen,  den  Schafen,  Ziegen, 
Schweinen  mehr  Zähne  als  das  weibliche.  Timarchus,  der 
Sohn  des  Paphiers  Nicocles,  hatte  in  jeder  Kinnlade  zwei 


1)  Man  bediente  sich  desselben   als  Amulet  in  der  Meclicin  und 
/um  Poliren  des  Goldes. 

2)  genuini  dentes. 


342  Elftes  Buch. 

Reihen  Backenzähne.  Sein  Bruder  wechselte  die  Vorder- 
zähne nicht,  und  nutzte  sie  daher  ab.  Man  kennt  auch  ein 
Beispiel,  wo  einem  Menschen  ein  Zahn  am  Gaumen  her- 
vorgewachsen ist.  Sind  die  Hundszähne  auf  irgend  eine 
Art  verloren  gegangen,  so  ersetzen  sie  sich  nicht  wieder. 
Bei  allen  übrigen  Thieren  werden  sie  im  Alter  bräunlich, 
nur  beim  Pferde  werden  sie  weisser. 

64. 
Das  Alter  des  Zugviehs  wird  an  den  Zähnen  er- 
kannt. Das  Pferd  hat  40  Zähne.  Es  verliert  im  30.  Mo- 
nate zwei  Vorderzähne  in  beiden  Kinnladen;  im  folgenden 
Jahre  die  beiden  nächstfolgenden,  worauf  dann  die  soge- 
nannten Säulenzähne  ')  kommen.  Zu  Anfang  des  fünften 
Jahres  verliert  es  abermals  2,  welche  im  6.  Jahre  wieder 
ersetzt  werden.  Im  siebenten  Jahre  hat  es  lauter  neue, 
und  diese  bleiben  unveränderlich.  Einem  zuvor  verschnit- 
tenen Pferde  fallen  die  Zähne  gar  nicht  aus.  Das  Ge- 
schlecht der  Esel  -verliert  sie  ebenso  im  30.  Monate  und 
dann  alle  6  Monate.  Wenn  sie  nicht  vor  dem  Ausfallen 
der  letzten  Zähne  geworfen  haben,  bleiben  sie  bestimmt 
unfruchtbar.  Die  Rinder  wechseln  die  Zähne  im  2.  Jahre. 
Den  Schweinen  fallen  sie  nie  aus.  Wenn  man  sich  auf 
diese  Beobachtung  nicht  mehr  verlassen  kann,  so  beurtheilt 
man  das  Alter  der  Pferde  und  übrigen  Zugthiere  nach  dem 
Hervorragen  der  Zähne,  an  der  grauen  Farbe  der  Augen- 
brauen ,  und  den  Vertiefungen  um  dieselben  herum,  und 
in  diesem  Zustande  schätzt  man  ihr  Alter  auf  16  Jahre. 
In  den  Zähnen  des  Menschen  wohnt  ein  gewisses  Gift, 
denn  wenn  man  sie  einem  Spiegel  gegenüber  entblösst,  so 
wird  der  Glanz  desselben  matt,  und  die  noch  unbefiederten 
jungen  Tauben  sterben  davon.  Das  Uebrige  von  den  Zähnen 
habe  ich  bereits,  als  von  der  Erzeugung  des  Menschen 
die  Rede  war,  angeführt.  Wenn  die  Kinder  Zähne  be- 
kommen, werden  sie  krank.  Die  übrigen  Thiere,  welche 
sägenförmige  Zähne  haben,  beissen  am  fürchterlichsten. 

')  Columellaves. 


Elftes  Buch.  343 

65. 
Die  Zunge  hat  nicht  bei  allen  Thieren  gleiche  Be- 
schaffenheit. Bei  den  Schlangen  ist  sie  äusserst  dünn  und 
dreispaltig,  zitternd,  von  schwarzer  Farbe,  und  wenn  man 
sie  herauszieht,  sehr  lang;  bei  den  Eidechsen  zweispaltig 
und  haarig.  Auch  die  Seekälber  haben  eine  doppelte 
Zunge,  aber  bei  den  obengenannten  ist  sie  so  dünn  wie 
ein  Haar.  Die  übrigen  Thiere  können  sich  den  Mund  da- 
mit ringsum  belecken.  Den  Fischen  ist  sie  bis  auf  ein 
Geringes,  den  Krokodilen  aber  ganz  angewachsen.  Zum 
Schmecken  haben  dagegen  die  Wasserthiere  statt  der  Zunge 
einen  fleischigen  Gaumen.  Die  Löwen,  Parder  und  alle 
derartigen  Thiere,  auch  die  Katzen  haben  eine  schuppige, 
rauhe,  einer  Feile  ähnliche  Zunge,  womit  sie  die  Haut  des 
Menschen  wund  lecken.  Sie  werden  daher,  selbst  wenn 
sie  gezähmt  sind,  doch  zur  Wuth  gereizt,  wenn  ihr  Speichel 
sich  mit  dem  nahe  liegenden  Blute  vereinigt.  Von  der 
Zunge  der  Purpurschnecken  habe  ich  bereits  geredet.  Bei 
den  Fröschen  hängt  die  Zunge  vorn  fest,  und  ist  hinten 
von  der  Kehle  getrennt;  vermöge  dieser  Einrichtung  bringen 
die  Männchen  zu  der  Zeit,  wenn  sie  Quakende1)  genannt 
werden,  ihr  Geschrei  hervor,  was  in  einer  bestimmten  Peri- 
ode geschieht  und  wodurch  sie  die  Weibchen  zur  Begattung 
locken.  Sie  lassen  nämlich  ihre  Unterlippe  herabhängen, 
nehmen  zur  Erhaltung  der  Zunge  in  der  Schwebe  ein 
wenig  Wasser  in  dem  Mund,  und  bewirken  durch  einen 
Zungenschlag  jenen  Laut.  Alsdann  werden  die  aufgebla- 
senen Backen  durchsichtig,  und  die  von  der  Anstrengung 
hervorgetriebenen  Augen  funkeln.  —  Thieren,  welche  am 
hintern  Theile  ihres  Körpers  einen  Stachel  haben,  fehlen 
auch  die  Zähne  und  die  Zunge  nicht.  Bei  den  Bienen  ist 
letztere  sogar  sehr  lang,  und  bei  den  Cicaden  ragt  sie  her- 
vor. Thiere  mit  einem  hohlen  Stachel  im  Munde  haben 
weder  Zunge  noch  Zähne.     Einige  Insekten  haben  die  Zunge 


*)  Ololygones.  OXokvyoveg  hiessen  bei  den  Griechen  die  Frösche 
zur  Begattungszeit. 


344  Elftes  Buch. 

inwendig  1),  z.  B.  die  Ameisen.  Ganz  besonders  breit  ist 
sie  beim  Elephanten.  Bei  den  übrigen  Thieren  ist  sie,  bei 
jedem  in  seiner  Art,  gelöst,  nur  bei  dem  Mensehen  oft  so 
durch  Adern  gebunden,  dass  diese  durchgeschnitten  werden- 
müssen. Der  Oberpriester  Metellus  soll  eine  so  schwere 
Zunge  gehabt  haben,  dass  er  sich  Monate  lang  quälen 
musste,  um  die  Bede  zur  Einweihung  des  Temfels  der 
Opifera2)  einzustudiren.  Uebrigens  wird  der  Mensch  in 
seinem  siebenten  Jahre  fähig,  deutlich  zu  sprechen.  Viele- 
besitzen  die  Kunst,  die  Stimme  der  Vögel  und  anderer 
Thiere  täuschend  nachzuahmen.  Die  Wahrnehmung  des 
Schmeck  ens  liegt  bei  allen  übrigen  Thieren  in  der  Zungen- 
spitze, bei  dem  Menschen  aber  auch  im  Gaumen. 

66. 
Der  Mensch  hat  Mandeln3),  das  Schwein  Drüsen4).. 
Was  zwischen  diesen  hinten  am  Gaumem  herabhängt  und 
Zapfen5)  heisst,  ist  bloss  dem  Menschen  verliehen.  Unter 
demselben  liegt  noch  eine  kleinere  Zunge,  die  Epiglossis6),. 
welche  sich  bei  keinem  eierlegenden  Thiere  findet.  Sie  hat 
einen  doppelten  Zweck;  sie  liegt  nämlich  zwischen  2  Röhren, 
deren  innere  die  Arterie7)  heisst,  zu  den  Lungen  und 
dem  Herzen  führt,  und  beim  Essen  durch  die  Epiglossis  be- 
deckt wird,  damit  nicht,  weil  Athem  und  Stimme  von  diesem 
Gange  ausgehen,  Trank  und  Speise  in  die  unrechte  Kehle 
kommen  und  Schmerzen  verursachen.  Der  andere,  äussere 
Kanal  wird  mit  Recht  Speiseschlund8)  genannt,  denn 
er  verschlingt  Speise  und  Trank,  führt  in  den  Magen  und 
dieser  in  den  Bauch.  Diesen  Kanal  verschliesst  die  Epi- 
glossis dann,  wenn  wir  bloss  athmen  oder  sprechen  wollen, 
damit  nicht  ein  unzeitiges  Aufstossen  aus  dem  Magen  uns 
dabei  hinderlich  werde.  Die  Luftröhre  besteht  aus  Knorpel 
und  Fleisch,  die  Speiseröhre  aus  Sehnen  und  Fleisch. 


»)  D.  h.   sie  ragt  nicht  aus  dem  Munde  hervor. 

2)  Auch  Rhea  und  Cybele  genannt. 

3)  Tonsillae.     4)  Glandulae.    5)  Uva. 
c)  Der  Deckel  auf  der  Luftröhre. 

7)   Die  Luftröhre  selbst.     8)  Gula. 


Elftes  Buch.  345 

67. 
Kein  Thier,    was   nicht   diese   beiden   Organe   besitzt, 
hat    einen  Nacken.    Diejenigen,   welche    bloss   mit   einer 
Speiseröhre   versehen   sind,   haben   nur   einen  Hals.     Der 
Nacken  ist  aus  vielen  kreisförmig  gewirbelten,   durch  Ge- 
lenkknoten   verbundenen    Knochen    zusammengefügt,    und 
hiedurch    so   biegsam,  dass  das  Thier  sich  umsehen   kann. 
Bloss  bei  dem  Löwen,  dem  Wolfe  und  der  Hyäne   besteht 
er  aus  einzelnen  geraden  Knochen  und  ist  steif.   Uebrigens 
knüpft  er  sich  an  das  Rückgrat,   und  dieses  an  die  Len- 
den.    Das  Rückgrat  besteht  aus  Knochen  von  rundem  Bau, 
durch  deren  Oeffnung   in   der  Mitte  das  Rückenmark  vom 
Gehirn    aus    hinabsteigt.     Dass   dasselbe   mit   dem   Gehirn 
von  gleicher  Beschaffenheit  sei,  schliesst  man  daraus,  weil 
die  geringste  Verletzung  seiher  zarten  Haut  sogleich    den 
Ted  nach  sich  zieht.     Thiere,  die  lange  Beine  haben,  haben 
auch    lange  Hälse;   desgleichen   die  Wasservögel,  obgleich 
ihre  Beine  kurz  sind,  und  die  krummkralligen. 

m. 

Bloss  bei  dem  Menschen  und  dem  Schweine  schwillt 
die  Kehle  an1),  was  meistens  von  einer  fehlerhaften  Be- 
schaffenheit des  Trinkwassers  herrührt.  Der  oberste  Theil 
der  Speiseröhre  heisst  Schlund2),  der  unterste  Magen. 
Unter  letzterm  Namen  versteht  man  eine  fleischige  Höhlung 
unter  der  Lufröhre,  die  an  dem  Rückgrate  befestigt  istr 
und  sich  der  Länge  und  Breite  nach  wie  eine  Flasche  aus- 
dehnt. Thiere,  welche  keinen  Schlund,  haben  auch  weder 
Magen,  noch  Hals,  noch  Kehle,  wie  z.  B.  die  Fische,  und 
der  Kopf  ist  bei  ihnen  unmittelbar  mit  dem  Leibe  verbun- 
den. Die  Seeschildkröte  hat  weder  Zunge  noch  Zähne, 
sondern  zermalmt  alles  mit  ihren  scharfen  Mundrändern. 
Dahinter  liegt  die  Luftröhre  und  der  mit  einem,  gleich  den 
Stacheln  des  Brombeerstrauchs,  gezahnten  Wulste  versehene 
Magen,  um  die  Speisen  vollends  zu  zerreiben;  jeweiter  die 
Kerben   nach    dem  Bauche   zu   gehen,  desto  mehr  nehmen 


')  D.  h.  es  entsteht  der  Kropf.    -)  Fauces. 


346  Elftes  Buch. 

sie  ab,  vorn  aber  gleicht  die  Rauhheit  der  einer  Schlosser- 
Raspel. 

69. 

Die  übrigen  Thiere  haben  das  Herz  mitten  in  der 
Brust,  nur  bei  dem  Menschen  liegt  es  unter  der  linken 
Warze,  und  ist  mit  seiner  kegelförmigen  Spitze  nach  vorn, 
bei  den  Fischen  aber  nach  dem  Munde  gerichtet.  Das 
Herz  soll  sich  bei  der  Entstehung  eines  Thieres  im  Uterus 
zuerst  bilden,  dann  das  Gehirn  und  zuletzt  die  Augen;  aber 
diese  sterben  zuerst  ab,  das  Herz  hingegen  zuletzt.  Das 
Herz  hat  die  meiste  Wärme.  Es  klopft,  als  wenn  sich  im 
Thiere  noch  ein  zweites  Geschöpf  bewegte,  ist  mit  einer 
äusserst  weichen  aber  festen,  häutigen  Hülle  bedeckt,  und 
durch  eine  von  der  Brust  und  den  Rippen  gebildete  Mauer 
geschützt,  weil  es  die  Hauptursache  und  den  Ursprung  des 
Lebens  in  sich  schliesst.  In  seiner  geräumigen  Höhlung, 
die  bei  grossen  Thieren  dreifach,  bei  den  übrigen  aber 
mindestens  zweifach  ist,  bietet  es  der  Seele  und  dem  Blute 
den  vornehmsten  Wohnsitz  dar.  Hier  wohnt  der  Verstand; 
hier  entquellen  zwei  grosse  Adern,  fliessen  nach  Vorn  und 
dem  Rücken  hin,  vertheilen  sich  in  viele  Aeste,  und  führen 
durch  andere  kleinere  allen  Gliedern  das  belebende  Blut 
zu.  Es  ist  das  einzige  Eingeweide,  welches  von  keiner 
Krankheit  heimgesucht  wird,  und  frei  von  den  Strafen  des 
Lebens  ist;  wird  es  aber  verletzt,  so  erfolgt  augenblicklich 
der  Tod.  Wenn  auch  alle  übrigen  Körpertheile  verdorben 
sind,  so  dauert  doch  das  Leben  im  Herzen  noch  fort. 

70. 

Man  hält  diejenigen  Thiere  für  dumm ,  welche  ein 
hartes,  starres  Herz,  für  kühn,  welche  ein  kleines,  und  für 
furchtsam,  die  ein  sehr  grosses  Herz  haben.  Das  grösste 
im  Verhältniss  haben  die  Mäuse,  Hasen,  Esel,  Hirsche, 
Panther,  Wiesel,  Hyäneu  und  alle  furchtsamen  oder  aus 
Furcht  bösartigen  Thiere.  In  Paphlagonien  haben  die  Reb- 
hühner zwei  Herzen.  Im  Herzen  der  Pferde  und  Rinder 
werden  zuweilen  Knochen  gefunden.  Die  Aegypter,  bei 
denen   die  Sitte   herrscht,  die   Leichname   eiuzubalsamiren, 


Elftes  Buch.  347 

glauben,  das  Herz  im  Menschen  werde  von  Jahr  zu  Jahr 
grösser,  und  nähme  bis  zum  50.  Jahre  alljährig  um 
2  Drachmen  zu;  von  dieser  Zeit  an  nähme  es  aber  immer 
wieder  um  ebenso  viel  ab,  der  Mensch  könne  daher  nicht 
über  100  Jahre  alt  werden,  weil  ihm  dann  das  Herz  fehle. 
Manche  Menschen  sollen  mit  einem  rauhen  Herzen  geboren 
weiden,  und  andere  an  Klugheit  und  Stärke  übertreffen, 
wie  z.  B.  der  Messenier  Aristomenes,  der  300  Lacedämonier 
tödtete.  Er  wurde  selbst  verwundet  und  gefangen,  ent- 
wischte aber  durch  einen  Gang  eines  Steinbruchs,  indem 
er  die  engen  Ausgänge  der  Füchse  verfolgte.  Nochmals 
gefangen,  wälzte  er  sich,  als  seine  Wächter  schliefen,  zum 
Feuer,  und  brannte  die  Fesseln  von  seinem  Leibe  weg. 
Als  er  endlich  zum  dritten  Male  gefangen  war,  schnitten 
ihm  die  Lacedämonier  lebendig  die  Brust  auf,  und  fanden 
sein  Herz  behaart. 

71. 
Oben  am  Herzen  befindet  sich  eine  gewisse  Art  Fett, 
was  eine  glückliche  Vorbedeutung  hat.  Nicht  immer  aber 
ist  das  Herz  zu  den  weissagenden  Eingeweiden  gerechnet 
worden.  Erst  unter  dem  Opferkönig *)  L.  Postumius  Al- 
binus,  nach  der  126.  Olympiade,  um  die  Zeit  als  der  Kö- 
nig Pyrrhus  Italien  verliess,  fingen  die  Wahrsager  an,  das 
Herz  unter  den  Eingeweiden  mitzubeschauen.  Als  der 
Dictator  Cäsar  zum  ersten  Male  im  Purpurkleide  erschien, 
und  auf  dem  goldenen  Throne  sass,  fehlte  bei  2  Opferthieren 
das  Herz.  Daher  entstand  unter  denen,  welche  über  Vor- 
bedeutungen urtheilten,  die  grosse  Streitfrage,  ob  das 
Opferthier  ganz  ohne  diess  Eingeweihte  gelebt,  oder  ob  es 
dasselbe  erst  in  einer  gewissen  Zeit  verloren  habe.  Das 
Herz  derer,  welche  an  der  Herzkrankheit  gestorben  oder 
durch  Gift  umgekommen  sind,  soll  nicht  verbrannt  werden 


»)  Rex  sacrorum;  so  hiess  zu  Rom  nach  Vertreibung  der  Könige 
ein  gewisser  dem  Pontifex  maximus  unterworfener  Priester,  der  bei 
feierlichen  Opfern  die  Handlungen,  welche  ehemals  die  Könige  voll- 
brachten, verrichten  musste.    Yergl.  Liv.  II.  2. 


348  Elftes  Buch. 

können.  Wenigstens  existirt  noch  eine  Rede  des  Vitellius  *)„ 
worin  er  den  Angeklagten  Piso  des  Mordes  beschuldigt,, 
indem  er  diesen  Umstand  als  Beweis  anführt,  und  öffent- 
lich bezeugt,  dass  das  Herz  des  Germanicus  Cäsar  wegen 
des  empfangenen  Giftes  nicht  habe  verbrennen  können.. 
Dagegen  wurde  Piso  durch  die  Art  der  Krankheit,  an 
welcher  Germanicus  gestorben  war,  vertheidigt. 

72. 

Unter  dem  Herzen  liegt  die  Lunge,  die  Werkstätte 
des  Athmens,  welche  die  Luft  einzieht,  und  wieder  zurük- 
giebt,  und  deshalb  schwammig  und  mit  vielen  leeren  Ka- 
nälen versehen  ist.  Wenige  Wasserthiere  haben  (wie 
schon  gesagt  wurde)  eine  Lunge.  Dagegen  ist  sie  bei  den 
übrigen  eierlegenden  Thieren  klein,  schaumig  und  ohne 
Blut;  diese  dursten  daher  nicht.  Davon  kommt  es  auch, 
warum  Frösche  und  Robben  sehr  lange  unter  Wasser 
bleiben  können.  Auch  bei  der  Schildkröte  hat  'die  Lunge 
kein  Blut,  obgleich  sie  von  ausserordentlicher  Grösse  und 
sich  unter  dem  ganzen  Panzer  ausbreitet.  Je  kleiner  sie 
im  Verhältniss  zum  Körper  ist,  um  so  grösser  ist  die 
Schnelligkeit  des  Thieres.  Das  Chamäleon  hat  verhältniss- 
mässig  die  grösste  Lunge,  und  sonst  weiter  nichts  im  Leibe. 

73. 

Die  Leber  liegt  an  der  rechten  Seite.  Bei  ihr  findet 
hinsichtlich  dessen,  was  man  den  Kopf  der  Eingeweide  2) 
nennt,  eine  grosse  Verschiedenheit  statt.  Um  die  Zeit  des 
Todes  des  M.  Marcellus3),  der  durch  Hannibal  umkam, 
fehlte  er  unter  den  Eingeweiden  (eines  Opferthieres);  am 
folgenden  Tage  fand  man  einen  doppelten.  Er  fehlte  auch, 
als  C.  Marius  zu  Utica  opferte,  desgleichen  dem  Prinzen 
Cajus,  als  er  am  1.  Januar  desselben  Jahres,  in  welchem 


')  P.  Vitellius.  Rechnungsführer  bei  Augustus,  war  der  Schwieger- 
sohn des  edlen  Germanicus  Cäsar,  der  auf  Tiberius  Befehl  höchst 
wahrscheinlich  heimlich  vergiftet  wurde.  Vergl.  Tacitus  Annal.   III, 

2)  Der  oberste  Theil  der  Leber. 

3)  Vergl.  Valerius  Maximus  I.  6.  und  Livius  XXVII. 


Elftes  Buch.  34y 

er  getödtet  wurde,  das  Consulat  antrat,  und  seinem  Nach- 
folger Claudius  in  demselben  Monate,  wo  man  ihn  vergif- 
tete. Als  der  Kaiser  Augustus  zu  Spoletum  am  ersten 
Tage  seiner  Herrschaft  opferte,  fand  man  bei  6  Opferthieren 
die  Lebern  vom  untersten  Ende  an  einwärts  gefaltet;  auf 
diese  Erscheinung  antworteten  die  Wahrsager,  seine  Macht 
würde  sich  innerhalb  eines  Jahres  verdoppeln  1).  Auch  hat 
man  diesen  Kopf  der  Eingeweide  beim  Schlachten  für  ein 
trauriges  -Zeichen  gehalten,  ausgenommen  in  Bekümmerniss 
und  Furcht,  denn  alsdann  benimmt  es  die  Sorgen.  Die 
Hasen  in  der  Umgegend  von  Briletum  und  Tharne,  ebenso 
im  Chersones  am  Piopontis  haben  2  Lebern;  und  merk- 
würdig ist  es,  dass  die  eine  vergeht,  wenn  man  das  Thier 
wo  anders  hinbringt. 

74.  * 
An  der  Leber  liegt  die  Galle,  welche  sich  nicht  bei 
allen  Thieren  findet.  Zu  Chalcis  auf  Euböa  hat  sie  kein 
Schaf.  Auf  Naxos  dagegen  ist  sie  bei  diesem  Thiere  sehr 
gross  und  doppelt,  sodass  Fremden  beides  seltsam  vorkommt. 
Pferde,  Maulthiere,  Esel,  Hirsche,  Ziegen,  Eber,  Kameele 
und  Delphine  haben  keine  Galle.  Unter  den  Mäusen  haben 
nur  einige  eine  Galle.  Nur  wenigen  Menseben  fehlt  sie, 
und  diese  geniessen  eine  dauerhaftere  Gesundheit  und  ein  län- 
geres Leben.  Einige  glauben,  das  Pferd  habe  sie  zwar 
nicht  an  der  Leber,  wohl  aber  im  Bauche,  und  der  Hirsch 
im  Schwänze  oder  in  den  Eingeweiden;  daher  sind  dieso 
letztern  so  bitter,  dass  kein  Hund  sie  berührt.  Die  Galle 
ist  aber  nichts  anderes  als  die  Reinigung  und  der  schlech- 
teste Theil  des  Bluts,  und  darum  auch  bitter.  Wenigstens 
hat  kein  Thier,  was  blutlos  ist,  eine  Leber.  Sie  empfängt 
die  Galle  vom  Herzen,  mit  dem  sie  verbunden  ist,  und  er- 

giesst  sie  in  die  Adern. 

75. 
Schwarze   Galle   verursacht   beim  Menschen  Raserei, 


*)  Noch  in  demselben  Jahre  besiegte  er  seinen  Nebenbuhler  An- 
tonius bei  Actium. 


350  Elftes  Buch. 

und  wenn  er  sie  ganz  von  sich  giebt  den  Tod.  Daher 
kommt  es  auch,  dass  man  ein  Verbrechen  gegen  die  Sitten 
mit  dem  Namen  der  Galle  l)  bezeichnet.  So  gross  ist  die 
giftige  Wirkung  dieser  Materie,  wenn  sie  sich  in  das  Ge- 
müth  verbreitet.  Ja  sie  läuft  sogar  im  ganzen  Körper 
herum,  benimmt  den  Augen  und,  hat  man  sie  von  sich  ge- 
geben, selbst  metallenen  Gefässen  ihre  Farbe,  denn  diese 
werden  schwarz,  wenn  etwas  davon  daran  kommt.  Daher 
kann  sich  Niemand  darüber  verwundern,  dass'  man  das 
Gift  der  Schlangen  für  ihre  Galle  hält.  Die  Thiere  am 
Pontus,  welche  Wermuth  fressen,  haben  keine  Galle.  Bei 
den  Raben,  Wachteln  und  Fasanen  steht  sie  mit  den  Nie- 
ren und  den  übrigen  Gedärmen  bloss  auf  einer  Seite  in 
Verbindung,  bei  einigen,  wie  den  Tauben,  Habichten  und 
Muränen  bloss  mit  den  Gedärmen.  Wenige  Vögel  haben 
sie  in  der  Leber.  Die  Schlangen  und  Fische  haben  ver- 
hältnissmässig  am  meisten  Galle.  Bei  den  meisten  Vögeln, 
z.  B.  dem  Habichte,  dem  Milan,  ist  sie  im  ganzen  Darm- 
kanale  vertheilt.  Uebrigens  haben  die  andern  Vögel  auch 
Galle  in  der  Brust;  die  der  Seekälber  hat  einen  vielfältigen 
Nutzen.  Aus  der  Ochsengalle  zieht  man  eine  goldgelbe 
Farbe.  Die  Vogeldeuter  weihen  sie  dem  Neptun  und  den 
Wassermächten,  und  der  Kaiser  Augustus  fand  an  dem 
Tage  seines  Seesiegs  bei  Actium  eine  doppelte  Galle  im 
Opferthiere. 

76. 
In  den  kleinen  Lebern  der  Mäuse  sollen  die  Fasern 
ihrer  Zahl  nach  mit  dem  Mondwechsel  übereinstimmen, 
und  man  soll  stets  so  viele  vorfinden,  als  Lichtwechsel  des 
Mondes  gewesen  sind;  ausserdem  sollen  sie  auch  zur  Zeit 
des  Wintersolstitiums  wachsen.  Bei  den  Kranichen  in  Bä- 
tica  hat  man  stets  zwei  Lebern  gefunden.  Die  zweite  Fa- 
ser in  der  Leber  der  Laubfrösche  wird  von  den  Ameisen 
nicht  angerührt,  und  zwar,  wie  man  glaubt,  ihres  Giftes 
wegen.     Die  Leber  hält  sich  ausserordentlich   lange,  und 

»)  Bilis. 


Elftes  Buch.  35  \ 

dass  sie   100  Jahre  dauern  könne,  haben  die  Nachrichten 
von  Belagerungen  gezeigt. 

77. 
Die  Eingeweide  der  Schlangen  und  Eidechsen  sind  lang. 
Dem  Cäcina  aus  Volaterra  sollen  sich  als  gute  Vorbe- 
deutung, Drachen  aus  den  Eingeweiden  gezeigt  haben,  und 
denen,  die  da  glauben  dass  König  Pyrrhus  an  dem  Tage 
seines  Todes  die  abgehauenen  Köpfe  der  Opferthiere  herum- 
kriechen und  ihr  eigenes  Blut  lecken  sah,  mag  wohl  in 
der  That  nichts  unglaublich  vorkommen.  Die  oberen  Ein- 
geweide des  Menschen  werden  von  dem  untern  Theile  der- 
selben durch  eine  Haut  getrennt,  welche  Herzhaut1)  heisst, 
weil  sie  sich  vor  dem  Herzen  ausspannt;  die  Griecheu 
nennen  sie  (fgivai.  Alle  Haupteingeweide  hat  die  weise 
Natur  in  besondere  Häute,  gleichsam  wie  in  Scheiden  ein- 
geschlossen, und  diess  that  sie  besonders  wegen  der  Nach- 
barschaft des  Magens,  damit  der  Geist  nicht  durch  die 
Speisen  beunruhigt  werde.  Von  dieser  Herzhaut  hängt 
also  die  Feinheit  des  Geistes  ab;  daher  besteht  sie  nicht 
aus  Fleisch  sondern  nur  aus  feinen  Nerven.  In  ihr  befin- 
det sich  der  Hauptsitz  der  Fröhlichkeit,  was  man  vorzüglich 
beim  Kitzeln  unter  den  Achseln,  bis  wohin  sie  geht,  wahr- 
nimmt. An  keinem  andern  Theile  ist  die  Haut  zarter;  da- 
her empfindet  man  hier  die  Wollust  des  Kratzens  am  ersten, 
und  deshalb  sind  in  den  Gefechten  und  Fechterspielen 
manche   unter   Lachen    gestorben,    wenn    ihr   Zwerchfell 

durchstochen  war. 

78. 
Unter  der  Herzhaut  liegt  der  Bauch2)  bei  denen, 
welche  einen  Magen  haben;  er  ist  bei  allen  übrigen  Thieren 
einfach,  nur  bei  den  Wiederkauern  doppelt,  und  den  Blut- 
losen fehlt  er  ganz,  denn  der  Darm  beginnt  bei  diesen 
sogleich  vom  Munde,  und  kehrt  auch  bei  einigen  z.  B.  den 
Sepien  und  Polypen  wieder  dahin  zurück.     Beim  Menschen 


')  Praecordia,  das  Zwerchfell. 

*)  venter;  hier  als  Magen  zu  verstehen. 


352  Elftes  Buch. 

ist  er  unten  an  den  Magenmund  befestigt  und  gleicht  dem 
eines  Hundes.  Bloss  bei  diesen  Thieren  ist  er  am  unterm 
Theile  enger,  daher  brechen  sie  allein  sich  nur,  weil,  wenu 
er  angefüllt  ist,  die  Speise  wegen  der  Enge  nach  oben  ge- 
drückt wird,  was  aber  bei  denen  nicht  geschehen  kann, 
welche  einen  so  weiten  Magen  haben,  dass  die  Speisen 
nach  unten  gehen  können. 

79. 
Auf  diesen  Theil  folgen  beim  Menschen  und  beim  Sshafe 
die  Dünndärme1)?  durch  welche  die  Speisen  gehen;  bei 
den  übrigen  Thieren  aber  die  kleinen  Därme  2).  Darauf 
folgen  die  grössern  Gedärme,  welche  nachdem  Unterle  ibe3) 
zu,  und  bei  dem  Menschen  in  den  verschlungensten  Kreisen 
liegen.  Daher  sind  diejenigen  Thiere,  welche  eiuen  län- 
gern Leib  haben,  fressgieriger,  und  die  fettleibigen  weniger 
klug  und  munter.  Einige  Vögel  haben  sogar  2  Speisebe- 
hälter, einen,  wohin  sie  das  frische  Futter  bringen,  nämlich 
den  Kropf4),  und  den  andern  in  welchen  sie  das  gehörig 
erweichte  Futter  hinablassen.  Dahin  gehören  die  Hühner , 
Tauben,  und  Rebhühner.  Fast  allen  übrigen  Vögeln  fehlt 
der  Kropf,  allein  sie  haben  dafür  eine  weitere  Speiseröhre, 
wie  die  Dohlen,  Raben  und  Krähen.  Einige  haben  keins 
von  beiden,  sondern  den  lang-  und  enghalsigen,  wie  z.  B. 
dem  Porphyrio,  liegt  der  Magen  dem  Halse  sehr  nahe. 
Der  Magen  der  Einhufer  ist  rauh  und  hart.  Bei  einigen 
Landthieren  hat  er  eine  zahnartige  Rauhigkeit,  bei  andern 
ist  er  gegittert  und  scharf.  Bei  allen  Thieren,  welche  we- 
der in  beiden  Kinnladen  Zähne  haben,  noch  wiederkäuen, 
werden  hier  die  Speisen  zermalmt  und  gelangen  so  in  den 
Unterleib.  Die  Mitte  desselben  ist  bei  allen  Thieren  mit 
dem  Nabel  verbunden;  beim  Menschen  ist  der  untere  Theil 
dem  eiues  Sehweines  ähnlich.     Bei  den  Griechen  heisst   er 


')  Lactes.    2)  Hillae. 

3)  Alvus,  d.  h.   die  im  Innern  des  Bauches  befindlichen  grossen 
Gedärme. 

4)  Guttur. 


Elftes  Buch.  353 

Kolon  *),  und  in  ihm  ist  der  Sitz  der  heftigsten  Schmerzen. 
Am  engsten  ist  er  bei  den  Hunden,  weshalb  ihn  diese  nur 
durch  heftiges  Drängen,  und  nicht  ohne  Schmerzen  erleich- 
tern. Unersättlich  sind  diejenigen  Thiere,  bei  denen 
die  Speisen  aus  dem  Magen  unmittelbar  in  den  Mastdarm 2) 
übergehen,  wie  z.  B.  der  Hirsch wolf,  und  unter  den  Vögeln 
der  Taucher.  Der  Elephant  hat  4  Mägen,  übrigens  ist 
sein  innerer  Bau  dem  des  Schweines  gleich,  und  seine 
Lunge  4  mal  so  gross  als  die  eines  Ochsen.  Der  Magen 
der  Vögel  ist  fleischig  und  dickhäutig.  Im  Magen  der 
jungen  Schwalben  findet  man  kleine  Steine  von  weisser 
oder  röthlicher  Farbe,  welche  Schwalbensteine  heissen,  und 
zu  Zauberkünsten  dienen  sollen.  Auch  im  Magen  junger 
Stiere  findet  sich  ein  runder  ballartiger  schwärzlicher 
Tophus3),  der  fast  gar  kein  Gewicht,  und  wenn  er  die 
Erde  noch  nicht  berührt  hat,  ein  äusserst  wirksames  Mittel 
bei  schweren  Geburten  sein  soll. 

80. 
Der  Magen  und  die  Gedärme  werden  von  einem  fetten 
dünnen  Netze4)  bedeckt,  ausgenommen  bei  den  eierlegen- 
den Thieren.  An  dieses  schliesst  sich  auf  der  linken  Seite 
der  Leber  gegenüber  die  Milz,  welche  mit  jener  zuweilen 
den  Platz  vertauscht,  was  alsdann  von  wichtiger  Bedeutung 
ist.  Einige  sind  der  Meinung,  auch  die  eierlegenden  Thiere 
hätten  eine  Milz,  ebenso  hätten  die  Schlangen  eine  ganz 
kleine;  wenigstens  ist  sie  bei  der  Schildkröte,  dem  Kro- 
kodil, den  Eidechsen  und  Fröschen  vorhanden.  Dass  der 
Vogel,  genannt  Ziegenkopf5),  keine  hat,  steht  fest,  und 
dasselbe  gilt  von  den  blutlosen  Thieren.  Sie  ist  zuweilen 
ein  eigenes  Hinderniss  beim  Laufen,  wird  deshalb  den 
Läufern,  welche  daran  leiden,  gebrannt.  Auch  sollen  selbst 
Thiere,   denen  man  sie  herausgeschnitten  hat,  am  Leben 


')  Grimmdarm.    2)  Intestinum  rectum. 

s)  Diese  Ballen  bestehen  aus   verschluckten  Haaren,,   und  finden 
sich  fast  bei  allen  wiederkauenden  Thieren. 

*)  Omentum.     8)  Aegocephalus ;  s.  X.  B.  79.  Cap. 
Wittstein:  Plinius.    II.  Bd.  ->3 


^54  Elftes  Buch. 

bleiben.  Einige  glauben,  mit  dem  Verluste  der  Milz  würde 
dem  Menschen  auch  das  Lachen  benommen,  und  eine  un- 
mässige  Lachsucht  rühre  von  der  Grösse  der  Milz  her. 
In  Asien  liegt  ein  Distrikt,  Namens  Scepsis,  wo  die  Schafe 
eine  sehr  kleine  Milz  haben,  und  dort  sollen  auch  Mittel 
gegen  die  Milz  erfunden  worden  sein. 

81. 

Zu  Briletum  und  Tharne  haben  die  Hirsche  4  Nieren, 
dagegen  die  geflügelten  und  beschuppten  Thiere  gar  keine- 
Die  Nieren  hängen  mit  den  obern  Theilen  der  Lenden  zu- 
sammen; die  rechte  liegt  bei  allen  Thieren  höher,  ist  we- 
niger fett  und  mehr  trocken.  Bei  beiden  aber  geht  das 
Fett  von  der  Mitte  aus,  ausgenommen  beim  Seekalbe.  Die  Nieren 
sind  bei  den  Thieren  der  fetteste  Theil,  und  die  Schafe 
müssen  sterben,  wenn  ihnen  das  Fett  um  die  Nieren  zu- 
sammenwächst. Zuweilen  werden  Steine  darin  gefunden. 
Alle  vierfüssigen  lebendiggebärenden  Thiere  haben  Nieren : 
unter  den  eierlegenden  bloss  die  Schildkröte,  die  auch  alle 
übrigen  Eingeweide  besitzt.  Die  des  Menschen  sind  den 
Kalbsnieren  ähnlich,  und  gleichsam  aus  vielen  Nieren  zu- 
sammengesetzt. 

82. 

Die  um  das  Herz  liegenden  Lebensorgane  hat  die  Natur 
mit  der  Brust,  einem  Vereine  von  Knochen,  umgeben,  den 
Bauch  aber,  der  Spielraum  zum  Zunehmen  haben  musste, 
hat  sie  nicht  mit  einer  solchen  Wand  versehen.  Kein  Thier 
hat  daher  Knochen  um  den  Bauch  herum.  Nur  bei  dem 
Menschen  ist  die  Brust  breit,  bei  den  übrigen  Thieren  kiel- 
förmig,  zumal  bei  den  Vögeln,  und  am  meisten  bei  den 
Wasservögeln.  Der  Mensch  hat  bloss  8  R  i  p  p  e  n ,  die  Schweine 
haben  10,  die  gehörnten  Thiere  13,  und  die  Schlangen  30~ 

83. 

Unten  im  Bauche  nach  Vorn  liegt  die  Blase,  welche,,, 
ausser  der  Schildkröte,  keine  ierlegendes  Thier,  auch  keins 
mit  blutloser  Lunge,  und  keins,  welchem  die  Füsse  fehlen,.. 
hat.  Zwischen  ihr  und  dem  Unterleibe  liegen  die  Arterien^ 
welche  nach  den  Geschlechtstheilen  hinlaufen  und  Ilia  ge- 


Elftes  Buch.  355 

nannt  werden.  In  der  Blase  des  Wolfes  befindet  sich  ein 
Steinchen,  das  Syrites  genannt  wird.  Aber  in  den  Blasen 
mancher  Menschen  entstehen  zuweilen  Steine,  welche 
schreckliche  Schmerzen  verursachen,  auch  borstige  Haare. 
Die  Blase  besteht  aus  einer  Haut,  die,  wenn  sie  verletzt  ist, 
nicht  wieder  zuheilt,  ebensowenig  wie  die,  welche  das  Ge- 
hirn und  das  Herz  umgiebt;  es  giebt  nämlich  verschieden- 
artige Häute. 

84. 
Bei  dem  weiblichen  Geschlechte  finden  sich  alle  diese 
Organe;  ausserdem  steht  mit  der  Blase  noch  ein  kleiner 
Schlauch  in  Verbindung,  der  deshalb  Uterus1)  genannt 
wird,  und  was  man  mit  einem  andern  Namen  „den  Ort" 
nennt,  das  heisst  bei  den  Thieren  vulva.  Diese  ist  bei 
den  Vipern  und  denjenigen  Thieren,  welche  ihre  Jungen 
lebendig  zur  Welt  bringen,  doppelt.  Bei  den  Eierlegenden 
hängt  sie  mit  dem  Zwerchfell  zusammen,  und  beim  Weibe 
hat  sie  2  Buchten,  und  zwar  nach  jeder  Seite  hin  eine. 
Es  ist  tödtlich,  wenn  sie  sich  verwendet  und  Luft  ein- 
schliesst.  Trächtige  Kühe  sollen,  selbst  wenn  sie  Zwillinge 
haben,  doch  bloss  in  der  rechten  Höhlung  der  Gebärmutter 
tragen.  Die  Gebärmutter  ist  besser 2)  wenn  das  Thier  ver- 
worfen, als  wenn  es  normal  geboren  hat;  im  erstem  Falle 
heisst  sie  ejectitia,  im  letztern  porcaria.  Von  einer  Sau, 
die  zum  ersten  Male  geworfen  hat,  ist  sie  am  besten,  am 
schlechtesten  von  solchen,  die  nicht  mehr  werfen.  Nach 
dem  Werfen  ist  sie  unterlaufen  und  mager,  ausgenommen,  wenn 
man  die  Sau  noch  an  demselben  Tage  schlachtet.  Diejenigen 
von  jungen  Sauen  werden  nur  dann  geschätzt,  wenn  sie 
schon  ein  Mal  geworfen,  besser  sind  die  von  alten,  wenn 
sie  nur  noch  nicht  ausgeworfen  haben,  aber  man  soll  sie 
weder  2  Tage  vor,  noch  2  Tage  nach  dem  Wurf,  noch  an 
dem  Tage  des  Wurfs  nehmen.    Nächst  der  Vulva  ejectitia  ist 


')  Gebärmutter. 

2)  In  der  feinem  Kochkunst  der  Römer  gehörten  diese  Theile 
zu  den  ausgesuchtesten  Delicatessen. 

23* 


356  Elftes  Buch. 

die  beste  diejenige  von  einer  1  Tag  nach  dem  Werfen  ge- 
schlachteten Sau;  von  einer  solchen  auch  das  Euter  ganz 
vorzüglich,  wenn  die  Jungen  noch  nicht  daran  gesogen 
haben.  Dahingegen  taugt  das  Euter  von  einer  Sau,  die 
verworfen  hat,  nichts.  Die  Alten  nannten  das  Euter  ab- 
domen,  ehe  es  hart  ward,  denn  sie  pflegten  die  trächtigen 
Thiere  nicht  zu  tödten. 

85. 

Gehörnte  Thiere,  die  nur  in  einer  Kinnlade  eine  voll- 
ständige Zahnreihe,  und  an  den  Füssen  Knöchel  haben, 
liefern,  wenn  sie  fett  sind,  Talg1);  die  Zweihufer  oder  die, 
deren  Füsse  in  Zehen  gespalten  sind  und  die  keine  Hörner 
tragen,  Schmalz2).  Das  Schmalz  ist  fest,  wenn  es  kalt 
goworden  ist,  zerbrechlich  und  sitzt  stets  da,  wo  das  Fleisch 
aufhört.  Dagegen  liegt  das  Fett3)  zwischen  der  Haut  und 
dem  Fleische  und  ist  flüssiger.  Einige  Thiere,  z.  B.  der 
Hase,  das  Rebhuhn  werden  nicht  fett.  Alle  fetten  Thiere, 
sowohl  männlichen  als  weiblichen  Geschlechts  sind  weniger 
fruchtbar,  altern  auch  schneller,  als  andere.  Alle  Thiere 
haben  eine  Art  Fett  in  den  Augen.  Das  Schmalz  ist  bei 
allen  ohne  Empfinduug,  weil  es  keine  Arterien  und  Venen 
hat.  Bei  den  meisten  Thieren  ist  auch  das  Fett  empfin- 
dungslos; daher  sollen  selbst  lebendige  Schweine  von  Mäusen 
angefressen  werden.  Auch  soll  man  dem  Sohne  des  Con- 
sulars  L.  Apronius  das  Fett  abgezogen  und  dadurch  seinen 
Körper  von  einer  hinderlichen  Last  befreiet  haben. 

86. 

Dahin  scheint  auch  das  Mark  zu  gehören,  welches  in 
der  Jugend  rötblich,  im  Alter  weisslich  ist.  Es  befindet 
sich  nur  in  den  hohlen  Knochen,  aber  weder  in  den  Beinen 
des  Zugviehs,  noch  der  Hunde,  daher  können  Brüche  an 
denselben  nicht  wieder  zusammengeheilt  werden,  weil  der 
Zufluss  des  Markes  fehlt.  Bei  den  Thieren,  welche  Schmalz 
haben,  ist  das  Mark  fettig,  bei  den  Gehörnten  talgig,  bei 


')  Sevum.    *j  Adeps.    3)  Pingue. 


Elftes  Buch.  357 

denen,  die  keine  Knochen  haben,  wie  die  Fische,  sehnig 
und  nur  im  Rückgrate  befindlich.  Die  Bären  haben  keins; 
beim  Löwen  findet  man  nur  wenig,  und  diess  in  einigen 
Hüft-  und  Schulterknochen,  aber  diese  Knochen  sind  so 
hart,  dass  man  damit,  wie  mit  einem  Kieselsteine,  Feuer 
schlagen  kann. 

87. 

Auch  die  Thiere,  welche  nicht  fett  werden,  haben  harte 
Knochen;  die  der  Esel  dienen  zu  Flöten.  Die  Delphine 
haben  Knochen  und  keine  Gräten,  denn  sie  gebären  leben- 
dige Junge.  Die  Schlangen  haben  Gräten.  Unter  den 
Wasserthieren  haben  die  weichen  weder  Knochen  noch 
Gräten,  sondern  ihr  Körper  wird  durch  Fleischringe  zu- 
sammengehalten, wie  z.  B.  die  Sepia  und  der  Loligo.  Auch 
den  Insekten  sollen  sie  fehlen.  Die  im  Wasser  lebenden 
Knorpelthiere  haben  Rückenmark.  Das  Seekalb  hat  Knor- 
pel, keine  Knochen.  Ebenso  hat  auch  die  weise  Natur 
allen  Thieren  die  Ohren,  und  die  vorstehende  Nase  weich 
und  biegsam  gemacht,  damit  sie  nicht  zerbrechen.  Zerris- 
sener Knorpel  heilt  nicht  wieder  zusammen.  Auch  wachsen 
abgetrennte  Knochen  nicht  wieder,  ausgenommen  bei  den 
Lastthieren  die  vom  Hufe  an  bis  zum  Hinterbug.  —  Der 
Mensch  wächst  in  die  Länge  bis  zum  21.  Jahre,  dann 
ferner  zu  seiner  vollkommenen  Ausbildung.  Am  meisten 
aber  merkt  man,  dass  beim  Eintritt  der  Mannbarkeit,  und 
besonders  durch  Krankheit,  ein  gewisser  Knoten  sich  löst. 

88. 

Die  Nerven  entspringen  am  Herzen,  beim  Rinde 
schlingen  sie  sich  sogar  um  dasselbe  herum,  haben  eine 
ähnliche  Beschaffenheit  und  Bestimmung,  sind  bei  allen 
Thieren  an  den  schlüpfrigen  Knochen  angebracht,  und  ver- 
binden im  Körper  die  Knoten,  welche  Gelenke  heissen, 
hier  durch  Zwischenliegen,  dort  durch  Umschlingen,  dort 
dadurch,  dass  sie  hindurchgehen,  miteinander.  Hier  sind 
sie  rund,  dort  breit,  wie  es  die  Bildung  eines  jeden  Theiles 
erfordert.  Wenn  sie  zerschnitten  sind,  heilen  sie  nicht 
wieder  zusammen,  und   es  ist  merkwürdig,  dass  ihre  Ver- 


358  Elftes  Buch. 

wundung  den  heftigsten  Schmerz  verursacht,  jedoch  gar 
keinen,  wenn  sie  durchgeschnitten  sind.  Einige  Thiere 
nahen  keine  Nerven,  z.  B.  die  Fische,  denn  diese  bestehen 
nur  aus  Arterien,  doch  auch  diese  fehlen  den  Weichlingen 
unter  den  Fischen.  Wo  Nerven  sind,  da  geben  die  innern 
den  Gliedern  Bewegung,  und  die  äussern  bringen  sie  wieder 
in  ihre  Lage  zurück.  Zwischen  den  Nerven  liegeu  die 
Arterien x)  d.  h.  die  Luftadern.  Auf  diesen  schwimmen 
gleichsam  die  Venen  oder  Blutadern.  Das  Schlagen  der 
Arterien  ist  besonders  an  den  Enden  der  Glieder  deutlich 
wahrzunehmen,  dient  oft  als  Anzeigen  von  Krankheiten, 
und  ist  von  Herophilus  2),  einem  berühmten  Arzte,  mit  be- 
wunderungswürdigem Scharfsinne  in  gewisse  Schläge  und 
metrische  Gesetze,  nach  dem  Lebensalter  und  zwar  in  ein 
gleichförmiges,  sehnelleres  und  langsames  eingetheilt  worden. 
Man  hat  jedoch  diese  Theorie  wegen  ihrer  Subtilität  wieder 
verlassen,  denn  diese  Beobachtung  des  schnellern  oder 
langsamem  Pulsschlages  giebt  schon  hinreichenden  Auf- 
schluss  über  den  körperlichen  Zustand. 

89. 
Die  Arterien  sind  ohne  Empfindung  denn  sie  ent- 
halten kein  Blut.  Sie  enthalten  nicht  sämmtlich  Lebens- 
luft, und  schneidet  man  eine  durch,  so  stirbt  bloss  der  zu- 
nächst liegende  Theil  des  Körpers  ab.  Die  Vögel  haben 
weder  Venen  noch  Arterien,  ebenso  die  Schlangen,  Schild- 
kröten, Eidechsen,  die  auch  nur  sehr  wenig  Blut  haben. 
Die  Venen  verzweigen  sich  zuletzt  in  äusserst  feine  Fa- 
sern unter  der  ganzen  Haut,   und  verengen  sich  so,  dass 


l)  Plinius  verstellt  unter  Arteria  allerdings  das,  was  wir  jetzt 
darunter  verstehen,  nämlich  die  Pulsadern;  allein  nach  der  damals 
herrschenden  Ansicht  enthielten  sie  kein  Blut,  sondern  Luft  oder 
Athem.  Bekanntlich  sind  nach  unsern  jetzigen  Begriffen  die  Puls- 
adern dazu  bestimmt,  das  Blut  vom  Herzen  in  die  übrigen  Theile 
des  Körpers   zu   leiten,  während  die  Venen  es  wieder  zurückführen. 

a)  Aus  Cbalcedon  um  280  v.  Chr.,  berühmtester  Anatom  seiner 
Zeit,  Schüler  des  Praxagoras;  zergliederte  zuerst  menschliche  Leich- 
name. 


Elftes  Buch.  359 

nicht  das  Blut  selbst,  sondern  bloss  eine  feine  vom  Blute 
herrührende  Flüssigkeit,  welche  aus  den  unzähligen  Ader- 
spitzen dringt  und  Seh  weiss  genannt  wird,  hindurch  drin- 
gen kann.  Die  Venen  bilden  am  Nabel  einen  Knoten  und 
bewirken  dadurch  den  Vereinigungspunkt  des  Blutes. 

90. 

Thiere,  welche  viel  und  fettes  Blut  haben,  gerathen 
leicht  in  Zorn;  beim  männlichen  Geschlechte  ist  es  schwärzer 
als  beim  weiblichen,  und  zwar  in  der  Jugend  mehr  als  im 
Alter,  auch  hat  es  in  den  untern  Theilen  mehr  Fett.  In 
ihm  liegt  ein  grosser  Theil  der  Lebenskraft.  Lässt  man 
es  ab,  so  nimmt  es  den  Lebensgeist  mit  sich  fort,  ist  je- 
doch ohne  Gefühl.  Mit  der  Stärke  der  Thiere  wächst 
auch  die  Dicke  des  Blutes;  die  klügern  haben  dünneres, 
die  furchtsamen  wenig  oder  gar  keins.  Das  Blut  der  Och- 
sen stockt  sehr  schnell  und  wird  hart,  das  Blut  der  Eber, 
Hirsche,  Ziegen  und  Büffel  gerinnt  nicht.  Das  fetteste 
Blut  hat  der  Esel,  das  dünnste  der  Mensch.  Alle  Thiere, 
welche  mehr  als  4  Füsse  haben,  sind  blutlos.  Fette  Thiere 
haben  weniger  Blut,  weil  viel  davon  durch  das  Fett  ver- 
zehrt wird.  Der  Mensch  allein  ist  dem  Blutfluss  aus  der 
Nase  ausgesetzt;  Einige  bluten  nur  aus  einem  Nasenloche, 
Andere  aus  beiden,  bei  Andern  geht  es  durch  die  untern 
Theile  weg,  bei  Vielen  zu  bestimmten  Zeiten  durch  den 
Mund,  wie  neulich  dem  gewesenen  Prätor  Macrinus  Viscus, 
und  bei  dem  Stadtpräfect  Volusius  Saturninus,  der  über 
90  Jahre  alt  wurde,  fand  diess  alle  Jahre  statt.  Nur  das 
Blut  vermehrt  sich  zu  gewissen  Zeiten  im  Körper;  so  geben 
die  Opferthiere  mehr  Blut,  wenn  sie  zuvor  gesoffen  haben, 

91. 

Ich  habe  schon  angeführt,  welche  Thiere  sich  zu  ge- 
wissen Zeiten  verbergen;  dann  haben  sie  —  eine  merk- 
würdige Einrichtung  der  Natur  —  kein  Blut,  ausgenom- 
men einige  Tropfen  um  das  Herz.  Eben  so  ändert  sich  im 
Menschen  seine  Wirkung  bei  der  geringsten  Veranlassung, 
indem  es  nicht  nur  überhaupt  ins  Gesicht  tritt,  sondern 
sich  bei  jeder  Gemüthsbewegung,  bei  Schaam,  Zorn,  Furcht, 


3(30  Elftes  Buch. 

anders,  sowohl  in  Hinsicht  der  Blässe  als  der  Röthe  ver- 
hält; denn  anders  zeigt  sich  die  Röthe  beim  Zorn,  als  bei 
der  Reue.  Es  unterliegt  auch  keinem  Zweifel,  dass  es  bei 
der  Furcht  zurücktritt,  und  nirgends  zu  finden  ist,  denn 
bei  Vielen,  welche  durchbohrt  wurden,  floss  es  nicht 
Dieser  Umstand  zeigt  sich  nur  bei  dem  Menschen;  denn 
die  Thiere,  von  denen  ich  gesagt  habe,  dass  sie  eine  andere  Far- 
be annehmen,  erhalten  dieselbe  nur  durch  den  Wiederschein 
anderer  Gegenstände,  der  Mensch  hingegen  trägt  die  Ursache 
seiner  Farbenänderung  in  sich  selbst.  Alle  Krankheiten, 
auch  der  Tod  zehren  das  Blut  auf. 

92. 

Manche  sind  der  Meinung,  die  Schärfe  des  Geistes 
beruhe  nicht  auf  der  Dünne  des  Blutes,  sondern  der  hö- 
here oder  geringere  Grad  der  Dummheit  eines  Thieres 
hänge  von  seiner  Haut  und  Leibesbedeckung  ab,  und  füh- 
ren die  Austern  und  Schildkröten  als  Beispiele  an.  Ferner 
hinderten  die  Haut  der  Rinder  und  die  Borsten  der 
Schweine  den  Zufluss  der  feinern  Luft,  und  Hessen  sie  nicht 
in  ihrer  ursprünglichen  Reinheit  und  Flüssigkeit  durch; 
ebenso  verhielte  es  sich  auch  mit  dem  Menschen,  wenn 
eine  dicke  schwielige  Haut  ihrem  Eindringen  entgegen 
wäre.  Als  wenn  man  dem  Krokodile  nicht  beides,  ein 
hartes  Fell  und  Klugheit  zugestehen  müsste! 

93. 

Die  Haut  des  Flusspferdes  hat  eine  solche  Dicke, - 
dass  Spiesse  daraus  gedrehet  werden,  und  doch  besitzt  diess 
Thier  eine  gewisse  Geschicklichkeit,  seine  Krankheiten 
zu  heilen x).  Auch  das  Fell  der  Elephanten  besteht  aus 
undurchdringlichen  Schilden,  und  doch  muss  man  ihnen 
die  meiste  Klugheit  unter  allen  Thieren  einräumen.  Die 
Haut  selbst  ist  unempfindlich,  besonders  am  Kopfe,  und 
überall  wo  sie  allein  und  ohne  Fleisch  auftritt,  wächst  sie 
nach  einer  Verwundung  nicht  wieder  zu,  wie  z.  B.  auf  den 
Backen  und  an  den  Augenlidern. 


')  Vergl.  VIII.  B.  40.  Cap. 


Elftes  Buch.  36B 

94. 
Die  Thiere,  welche  lebendige  Junge  gebären,  haben 
Haare,  die  eierlegenden  Federn  oder  Schuppen  oder  auch 
Schalen,  wie  die  Schildkröten,  oder  eine  purpurne  Haut, 
wie  die  Schlangen.  Die  Kiele  der  Federn  sind  hohl. 
Werden  sie  abgeschnitten,  so  wachsen  sie  nicht  wieder^ 
wohl  aber  dann,  wenn  man  sie  ausreisst.  Die  Flügel  der 
Insekten  bestehen  aus  zerbrechlichen,  die  der  Meerschwal- 
ben aus  feuchten,  und  die  der  Fledermäuse  aus  trocknen 
Häuten.  Die  Flügel  der  letztern  haben  auch  Gelenke. 
Haare,  die  aus  einer  dicken  Haut  hervorwachsen,  sind 
borstig,  bei  dem  Weibchen  jedoch  dünner.  Das  Pferd  hat 
an  der  Mähne,  und  der  Löwe  an  den  Schultern  reichliches 
Haar,  der  Dasypus  auch  an  der  innern  Seite  der  Backen 
und  an  den  Füssen,  was  beides  Trogus  gleichfalls  von  dem 
Hasen  -berichtet  und  hieraus  schliesst,  dass  stark  behaarte 
Menschen  wollüstiger  als  andere  wären.  Das  behaarteste 
Thier  ist  der  Hase.  Nur  der  Mensch  allein  bekommt 
Haare  an  den  Geschlechtstheilen ,  und  wenn  sie  nicht  er- 
scheinen, so  ist  er  zur  Fortpflanzung  unfähig,  er  sei  nun 
männlichen  oder  weiblichen  Geschlechts.  Die  Haare  bringt 
der  Mensch  zum  Theil  mit  auf  die  Welt,  zum  Theil  wach- 
sen sie  ihm  später  nach,  jedoch  nicht  bei  den  Castrirten.. 
Die  angebornen  Haare  gehen  nicht  aus,  die  Frauen  aber 
behalten  alle  Haare  eher.  Indessen  rindet  man  einige 
unter  ihnen,  welche  am  Ausfallen  der  Kopfhaare  leiden, 
sowie  andere,  die  Flaumhaare  um  den  Mund  bekommen, 
wenn  ihr  Monatsfluss  ausbleibt.  Bei  manchen  Männern 
wachsen  die  Haare,  welche  erst  nach  der  Geburt  zum 
Vorschein  kommen,  nicht  von  selbst  nach.  Bei  den  vier- 
füssigen  Thieren  erfolgt  das  Ausgehen  und  Nachwachsen 
der  Haare  alljährig.  Bei  den  Männern  wachsen  vorzüglich 
die  Kopfhaare,  später  kommt  erst  der  Bart.  Abgeschnittene 
Haare  wachsen  nicht,  wie  Gras  und  andere  Pflanzen  vom 
Schnitte  an,  sondern  von  der  Wurzel  aus.  Sie  wachsen 
auch  in  einigen  Krankheiten,  besonders  der  Schwindsucht,, 
auch  im  Alter,  ja  selbst  an  Leichnamen  fort.     Bei  wollü.- 


362  Elftes  Buch. 

stigen  Menschen  geben  die  angebornen  Haare  früher  aus, 
die  nachgekommenen  aber  wachsen  schneller.  Bei  den 
vierfüssigen  Thieren  werden  sie  im  Alter  dick,  und  ihr 
Vliess  wird  spärlicher  daran.  Die  vierfüssigen  Thiere  sind 
auf  dem  Kücken  behaart,  am  Bauche  glatt.  Aus  den  Rinds- 
häuten wird  Leim  gekocht;  der  vorzüglichste  kommt  von 
denen  der  Stiere. 

95. 
Unter  den  männlichen  Geschöpfen  hat  bloss  der  Mensch 
Brustwarzen1);  die  übrigen  haben  nur  eine  Andeutung 
davon.  Allein  die  Weibchen  haben  nicht  einmal  welche 
an  der  Brust,  wenn  sie  nicht  ihre  Jungen  in  die  Höhe 
heben  können.  Die  eierlegenden  Thiere  haben  überhaupt  keine; 
auch  geben  bloss  die,  welche  lebendige  Junge  gebären, 
Milch.  Beides  findet  unter  den  flugfähigen  Thieren  bloss 
bei  der  Fledermaus  statt;  denn  die  Erzählungen  von  der 
Ohreule,  welche  Kinder  an  ihren  Brüsten  tränken  soll, 
halte  ich  für  ein  Mährchen.  Bekanntlich  zählten  schon  die 
Alten  diesen  Yogei  zu  den  verwünschten,  allein  ich  glaube 
nicht,  dass  man  weiss,  was  es  eigentlich  für  ein  Vogel  ist. 
Die  Esel  haben  nach  dem  Werfen  Schmerz  am  Euter,  da- 
her entwöhnen  sie  ihre  Jungen  schon  im  6.  Monate,  wäh- 
rend die  Pferdestuten  ihre  Füllen  fast  ein  Jahr  lang  saugen 
lassen.  Alle  Einhufer  werfen  nicht  über  2  Jungen,  haben 
2  Zitzen,  und  diese  nirgends  anders  als  zwischen  den 
Schenkeln.  An  demselben  Orte  befinden  sie  sich  bei  den 
Zweihufern  und  gehörnten  Thieren.  Die  Kühe  haben  4 
Zitzen,  die  Schafe  und  Ziegen  2;  diejenigen  welche  mehr 
Junge  werfen,  und  die  mit  mehr  spaltigen  Klauen,  mehrere, 
welche  am  ganzen  Bauche  in  doppelter  Reihe  stehen,  wie 
z.  B.  die  Sauen,  unter  denen  die  edlere  Ra§e  12,  die  ge- 
meinen zwei  weniger  haben.  Ebenso  die  Hunde.  Bei  an- 
dern stehen  mitten  am  Bauche  vier,  wie  bei  den  Panthern, 
bei  noch  andern  zwei,  wie  bei  den  Löwinnen.  Nur  der 
Elephant   hat   zwei   unter  dem  Vorderbuge,   nicht   an   der 

')  Mammae. 


Elftes  Buch.  3(33 

Brust,  sondern  unter  den  Achseln  verborgen.  Die  Thiere 
mit  zeheuartig  gespaltenem  Füssen  haben  sie  nicht  zwischen 
den  Schenkeln.  Bei  jedem  Wurfe  einer  Sau  legen  sich 
die  zuerst  geworfenen  Jungen  an  die  ersten  d.  h.  die  dem 
Halse  am  nächsten  liegenden  Zitzen,  jedes  Junge  kennt 
die  ihm  nach  der  Ordnung  der  Geburt  zukommende,  und 
nährt  sich  an  dieser  und  keiner  andern.  So  wie  ein  Säug- 
ling von  der  ihr  gehörigen  Zitze  genommen  wird,  giebt 
diese  keine  Milch  mehr  und  tritt  zurück.  Bleibt  aber  von 
dem  ganzen  Haufen  nur  eines  übrig,  so  tritt  auch  bloss 
die  eine,  welche  dem  Jungen  seiner  Geburt  nach  zukam, 
hervor  und  giebt  Milch.  Die  Bärinnen  haben  4  Zitzen; 
die  Delphine  bloss  zwei  am  untersten  Ende  des  Bauches, 
welche  nur  wenig  hervortreten  und  schief  stehen.  Kein 
anderes  Thier  als  dieses  lässt  im  Fortschreiten  an  sich 
saugen.  Auch  die  Wallfische  und  Seekälber  nähren  ihre 
Jungen  an  Brüsten. 

96. 

Die  Milch,  welche  bei  den  Frauen  vor  dem  siebenten 
Monate  kommt,  taugt  nicht;  von  diesem  Monate  an,  wo  die 
Leibesfrucht  lebensfähig  wird,  ist  sie  nahrhaft.  Bei  vielen 
Weibern  quillt  die  Milch  aus  den  ganzen  Brüsten,  ja  sogar 
aus  den  Achselhöhlen  hervor.  Die  Kameele  haben  so 
lange  Milch,  bis  sie  wieder  trächtig  werden;  sie  soll  äusserst 
angenehm  schmecken,  wenn  ein  Maass  davon  mit  3  Maass 
Wasser  vermischt  wird.  Die  Kuh  hat  vor  dem  Wurfe  keine 
Milch.  Aus  der  ersten  Milch  nach  der  Geburt  entsteht  das 
Colostrum,  das,  wenn  es  nicht  mit  Wasser  vermischt 
wird,  zu  einer  bimsteinartigen  harten  Masse  gerinnt.  Die 
Eselinnen  geben  während  ihrer  ganzen  Tragzeit  Milch. 
Ihren  Füllen  ist  in  den  Gegenden,  wo  fettes  Futter  wächst, 
der  Genuss  der  Muttermilch  in  den  ersten  2  Tagen  nach 
der  Geburt  tödtlich.     Dieses  Uebel  heisst  Colostratio. 

Die  Milch  derjenigen  Thiere,  welche  in  beiden  Kinn- 
laden vollständig  bezahnt  sind,  giebt  keinen  Käse,  denn 
sie  gerinnt  nicht.  Die  dünnste  Milch  haben  die  Kameele, 
dann  folgt  die  der  Pferde;  am  dicksten  ist  die  Eselsmilch, 


364  Elftes  Buch. 

daher  dient  sie  auch  als  Coagulum  l).  Sie  soll  auch  zur 
Erhaltung  der  Weisse  der  Haut  bei  den  Frauen  beitragen. 
Wenigstens  führte  Poppäa,  die  Gemalin  des  Domitius  NeroT 
500  trächtige  Eselinnen  mit  sich  herum,  und  rieb  sich  im 
Bade  mit  deren  Milch  den  ganzen  Leib  ein,  weil  sie  glaubte, 
dass  die  Haut  dadurch  mehr  ausgedehnt  werde.  Alle 
Milch  verdickt  am  Feuer,  und  wird  in  der  Kälte  zu  Mol- 
ken. Die  Kuhmilch  giebt  mehr  Käse  als  die  Ziegenmilch, 
es  wird  nämlich  aus  derselben  Quantität  noch  einmal  so 
viel  gewonnen.  Die  Milch  solcher  Thiere,  welche  mehr 
als  4  Zitzen  haben,  taugt  nicht  zum  Käse,  besser  ist  dieser 
von  den  2zitzigen.  Das  Coagulum  vom  jungen  Hirsch, 
Hasen  und  Bock  wird  gelobt;  das  vorzüglichste  jedoch 
kommt  vom  Dasypus,  welches  auch  als  Mittel  gegen  den 
Durchfall  angewendet  wird.  Diess  ist  unter  den  Thieren, 
die  in  beiden  Kinnladen  vollständig  bezahnt  sind,  das  ein- 
zige, welches  Coagulum  liefert.  Man  muss  sich  wundein, 
dass  die  wilden  Völker,  welche  seit  so  vielen  Jahrhunderten 
von  der  Milch  leben,  den  Käse  nicht  kennen  oder  verach- 
ten, da  sie  doch  sonst  die  Milch  zu  einer  angenehmen 
Säure  und  zu  einer  fetten  Butter  zu  verdicken  wissen. 
Butter  ist  ein  dickerer  Milchschaum,  als  die  sogenannten 
Molken.  Hiebei  darf  ich  nicht  vergessen  zu  bemerken, 
dass  die  Butter  eine  ölartige  Beschaffenheit  hat,  und  dass 
alle  Barbaren  und  wir  unsere  Kinder  damit  einreiben. 

97. 
Zu  Rom,  wo  die  Producte  aller  Länder  zusammen- 
kommen, wird  der  Käse  aus  den  Provinzen  am  meisten 
geschätzt,  und  zwar  vor  allen  der  nemausensische  2),  der 
lesurische  und  gabalische  3);  allein  er  hält  sich  nicht  lange, 
und  ist  bloss  im  frischen  Zustande  gut.     Die  Alpen  liefern 


!)  Coagulum  wird  gewöhnlich  mit  „Lab"  übersetzt,  was  aber 
hier  durchaus  nicht  angeht.  Plinius  versteht  unter  Coagulum  gewiss 
nichts  anderes  als  Milch,  welche  durch  Stehen  dick  geworden  (coa- 
culirt)  ist. 

2)  Aus  der  Gegend  des  heutigen  Nismes. 

3)  Jetzt  Gewaudom. 


Elftes  Buch.  365 

in  2  Sorten  den  Beweis  ihrer  vortrefflichen  Weiden;  die 
dalmatischen  Alpen  schicken  den  docleantischen J)  und 
die  centronfschen 2)  den  vatusischen  Käse.  Noch  mehr 
Sorten  liefert  der  Apennin;  denn  der  coebanische  3)  kommt 
aus  Ligurien  und  wird  grösstenteils  aus  Schafmilch  ge- 
macht; der  äsinatische  aus  Umbrien,  und  da  wo  Etrurien 
und  Ligurien  sich  berühren,  der  lunensische 4),  der  sich 
durch  seine  Grösse  auszeichnet,  denn  die  Laibe  wiegen 
bis  zu  1000  Pfund.  Der  nächste  bei  Rom  ist  der  vestini- 
sche  und  unter  diesem  wird  die  Sorte  vom  ceditischen  Ge- 
filde am  meisten  geschätzt.  Auch  die  Ziegenheerden  haben 
in  dieser  Hinsicht  ihren  Werth,  besonders  beim  frischen 
Käse,  wenn  man  dessen  Wohlgeschmack  durch  Räuchern 
vermehrt;  ein  ähnlicher,  der  in  Rom  selbst  bereitet  wird, 
verdient  den  Vorzug  vor  allen  andern  Sorten,  denn  der 
gallische  schmeckt  fast  wie  Arznei.  Unter  den  überseei- 
schen aber  ist  wohl  der  bithynische  der  berühmteste.  Dass 
die  Futterkräuter  selbst  da,  wo  es  kein  Salz  giebt,  Salz 
enthalten,  wird  man  besonders  am  alten  Käse  gewahr, 
und  ein  untrügliches  Mittel,  diesem  wieder  einen  frischen 
Geschmack  zu  geben,  ist,  ihn  in  Essig  und  Thymian  zu 
legen.  Zoroaster  soll  30  Jahre  lang  in  den  Wüsten  von 
Käse,  der  so  zubereitet  war,  dass  man  ihm  sein  Alter 
nicht  anmerkte,  gelebt  haben. 

98. 

Unter  den  Landthieren  hat  nur  allein  der  Mensch  2 
Füsse.  Er  allein  hat  Schlüsselbeine  5)  und  Schultern,  die 
übrigen  haben  nur  einen  Bug;  er  allein  Ellenbogen.  Bei 
den  Thieren  mit  Händen  sind  diese  bloss  inwendig  fleischig, 
aussen  sehnig  und  häutig. 

99. 

Einige   Menschen   haben   6   Finger  an   den  Händen. 


')  Von  Doclea  (Antivariaci)  in  Dalniatien. 
*)  Die  savoyischen  Alpen. 

3)  Von  Ceba,  einer  Stadt  im  heutigen  Piemont. 

4)  Von  Luna  in  Toscana.     5)  Iuguli. 


3(36  Elftes  Buch. 

Die  beiden  Töchter  des  C.  Horatius  wurden  deshalb  wie 
ich  gehört  habe,  die  Sechsfingerigen,  und  der  berühmte 
Dichter  Volcatius  aus  gleichem  Grunde  Sedigitus  genannt. 
Die  Finger  des  Menschen  haben  3  Glieder,  der  Daumen 
2,  und  dieser  lässt  sich  gegen  alle  Finger  hin  biegen,  für 
sich  aber  steht  er  schräg  und  ist  dicker  als  die  übrigen. 
Ihm  kommt  der  kleinste  Finger  an  Länge  gleich;  die  bei- 
den ihnen  zunächst  befindlichen  sind  wiederum  unter  sich 
gleich,  und  zwischen  diesen  steht  der  Mittelfinger,  welcher 
am  längsten  hervorragt.  Die  vierfüssigen  Thiere,  welche 
vom  Raube  leben,  haben  an  den  Vorderfüssen  5  Zehen, 
an  den  hintern  4.  Die  Löwen,  Wölfe,  Hunde  und  noch 
wenige  andere  Thiere  haben  an  den  Hinterfüssen  5  Zehen, 
von  denen  eine  unweit  des  Schenkelgelenkes  herabhängt. 
Die  übrigen  Thiere,  welche  kleiner  sind,  haben  auch  5 
Zehen.  Die  Arme  sind  nicht  bei  allen  Menschen  gleich 
lang.  Es  ist  bekannt,  dass  der  rechte  Arm  eines  thraci- 
schen  Fechters  bei  den  Kampfspielen  des  C.  Caesar  länger 
war,  als  der  linke.  Einige  Thiere  bedienen  sich  der  Vor- 
derpfoten ebenso  wie  wir  der  Hände,  und  sitzen  wenn  sie 
das  Futter  zum  Munde  führen,  wie  z.  B.  die  Eichhörnchen. 

100. 
Bei  den  Affen  findet  man  hinsichtlich  des  Gesichts, 
der  Nase,  Ohren,  Augenwimpern,  welche  sie  unter  allen 
vierfüssigen  Thieren  allein  auch  am  untern  Augenlide  ha- 
ben, eine  vollkommene  Nachahmung  des  Menschen.  Selbst 
die  Warzen  an  der  Brust,  die  Arme,  die  Beine,  welche 
ebenfalls  in  entgegengesetzter  Richtung  gebogen  werden, 
die  Nägel  an  den  Händen,  die  Finger,  unter  denen  der 
mittelste  am  längsten  ist,  haben  die  Affen  mit  dem  Menschen 
gemein.  Nur  durch  die  Füsse  unterscheiden  sie  sich  etwas; 
diese  sind  nämlich,  wie  die  Hände,  ausserordentlich  lang; 
und  hinterlassen  dieselbe  Spur  wie  eine  flache  Hand.  Sie 
haben  auch  einen  Daumen  und  Gelenke  daran  wie  der 
Mensch,  und  mit  Ausnahme  der  Geschlechtstheile,  jedoch 
nur  bei  den  männlichen,  sind  sogar  die  innern  Eiügeweide 
sämmtlich  den  menschlichen  ähnlich. 


Elftes  Buch.  3^7 

101. 
Die  Nägel  werden  für  die  letzten  Enden  der  Nerven 
gehalten.  Man  findet  sie  bei  allen  Thieren,  welche  Finger 
oder  Zehen  haben.  Bei  den  Affen  sind  sie  wie  Hohlziegel 
gestaltet,  bei  den  Menschen  breit.  Sie  wachsen  auch  an 
Leichnamen.  Bei  den  Raubthieren  sind  sie  krumm,  bei 
den  übrigen  gerade,  z.  B.  bei  den  Hunden,  mit  Ausnahme 
derjenigen  Zehe,  die  bei  den  meisten  am  Schenkel  herun- 
terhängt. Alle  Thiere  mit  Füssen  haben  auch  Zehen,  mit 
Ausnahme  des  Elephanten,  bei  welchen  sie  unförmlich, 
zwar  auch  der  Zahl  nach  5,  aber  ungetheilt,  nur  wenig 
voneinander  getrennt,  und  mehr  Hufen  als  Klauen  ähnlich 
sind.  Auch  hat  er  längere  Vorder-  als  Hinterfüsse,  und 
die  Gelenke  der  letztern  sind  kurz.  Die  Kniee  biegt  er 
nach  Innen  zu,  wie  der  Mensch.  Bei  den  übrigen  Thieren 
biegen  sich  die  Gelenke  der  Hinterbeine  anders  ein  als 
die  der  Vorderbeine;  diejenigen  nämlich,  welche  lebendige 
Junge  gebären,  biegen  die  Kniee  nach  vorn,  und  die  Glieder 
der  Hinterschenkel  nach  hinten. 

102. 
Bei  dem  Menschen  haben  die  Kniee  und  Eilenbogen 
eine  entgegengesetzte  Richtung,  ebenso  bei  den  Bären  und 
Affen ,  die  daher  auch  nichts  weniger  als  schnell  sind. 
Die  eierlegenden  vierfüssigen  Thiere,  wie  das  Krokodil 
und  die  Eidechsen,  biegen  die  vordem  Kniee  nach  hinten, 
die  hintern  aber  nach  vorn.  Ihre  Beine  stehen  schief,  wie 
der  Daumen  des  Menschen.  Ebenso  verhält  es  sich  mit 
den  Vielfüssern,  mit  Ausnahme  derer,  welehe  mit  den 
Hinterbeinen  hüpfen.  Die  Vögel  biegen  nach  Art  der  vier- 
füssigen Thiere  ihre  Flügel  vorwärts,  und  die  Beingelenke 
hinterwärts. 

103. 
Die  Kniee  des  Menschen  werden  bei  einigen  Völkern 
heilig  verehrt.    Bittende  berühren  sie,  strecken  ihre  Hände 
nach  ihnen  aus,  beten  vor  ihnen  wie  vor  Altären;  vielleicht 
deswegen,    weil   sie   eine  gewisse   Lebenskraft   enthalten,, 
denn  in  den  Gelenkfugen  beider  Kniee  befindet  sich  am. 


.3(38  Elftes  Buch. 

vordem  Theile  rechts  und  links  eine  doppelte  backenartige 
leere  Höhle;  Wird  diese  durchbohrt,  so  entweicht  aus  ihr 
gleichwie  aus  der  Gurgel,  der  Lebensgeist.  Auch  andern 
Körpertheilen  wird  eine  gewisse  Verehrung  gezollt;  so 
küsst  man  die  äussere  Seite  der  rechten  Hand,  und  reicht 
sie  als  Zeichen  der  Treue  dar.  Bei  den  alten  Griechen 
war  es  Sitte,  beim  Bitten  das  Kinn  (des  Andern)  zu  be- 
rühren. Im  innern  Ohre  ist  der  Sitz  des  Gedächtnisses. 
Daher  berühren  wir  diess,  wenn  wir  Jemand  zum  Zeugen 
aufrufen.  Der  Ort  hinter  dem  rechten  Ohre  ist  der  Neme- 
sis (welche  Göttin  nicht  einmal  einen  lateinischen  Namen 
auf  dem  Capitolium  erhielt)  heilig,  daher  bringen  wir  den 
auf  den  kleinen  nächstfolgenden  Finger  vom  Munde  aus 
dahin,  um  dort  die  Verzeihung  der  Götter  wegen  unserer 
Reden  in  Anspruch  zu  nehmen. 

104. 
Krampfadern  an  den  Schienbeinen  bekommt  nur 
das  männliche  Geschlecht,  das  weibliche  selten.  C.  Marius, 
der  siebenmal  Consul  war,  soll,  wie  Oppius x)  berichtet, 
der  einzige  Mensch  gewesen  sein,  welcher  sich  im  Stehen 
eine  Krampfader  ausnehmen  Hess. 

105. 
Alle  Thiere  schreiten  von  der  rechten  Seite  zuerst  aus, 
und  liegen  auf  der  linken;  gehen  übrigens  nach  Willkühr 
weiter.  Nur  der  Löwe  und  das  Kameel  gehen  Schritt  vor 
Schritt,  d,  h.  der  linke  Fuss  überschreitet  nie  den  rechten 
sondern  folgt  ihm.  Der  Mensch  hat  die  grössten  Füsse, 
bei  dem  weiblichen  Geschlechte  sind  sie  aber  stets  kleiner 
als  beim  männlichen.  Nur  der  Mensch  hat  Waden  und 
fleischige  Schienbeine.  Einige  Schriftsteller  berichten, 
ein  Mann  in  Aegypten  habe  keine  Waden  gehabt.  Der 
Mensch  allein  hat  Hand-  und  Fusshöhlen,  und  nur  Wenigen 


')  Caesar's  Freund  und  Legat  in  Afrika  und  von  diesem  auf 
Cicero's  Fürsprache  begnadigt,  als  er  sich  dem  Pompejus  zugewendet 
hatte. 


Elftes  Buch.  369 

fehlen  sie;  davon  kommen  die  Beinamen  Plancus  *),  Plau- 
tus*),  Scaurus3),  Pansa4),  sowie  von  den  Schienbeinen 
die  Namen  Varus5),  Vacias6),  Vanitius7),  und  dergleichen 
Fehler  finden  sich  auch  bei  vierfüssigen  Thieren.  Die  un- 
gehörnten Thiere  haben  auch  ungespaltene  Hufe,  daher 
dienen  ihnen  diese  als  Vertheidigungswaffen;  es  fehlen 
ihnen  auch  die  Knöchel s),  welche  sich  bei  den  Zweihufern 
finden.  Die  Thiere,  mit  Zehen  an  den  Füssen  haben  keine 
Knöchel;  sie  finden  sich  überhaupt  auch  bei  keinem  Thiere 
an  den  Vorderfüssen.  Die  Knöchel  des  Kameeis  sind  denen 
des  Rindviehs  ähnlich,  nur  etwas  kleiner;  der  Fuss  des- 
selben ist  nämlich  fast  ebenso  gespalten,  die  Sohle  fleischig 
wie  beim  Bären,  daher  es  auch  auf  längern  Märschen  er- 
müdet, wenn  es  nicht  beschlagen  wird. 

106. 

Nur  bei  den  Lastthieren  wachsen  die  Hufe  wieder 
nach.  In  einigen  Gegenden  Illyriens  haben  die  Schweine 
ungespaltene  Klauen.  Die  gehörnten  Thiere  sind  fast 
alle  zweigespalten.  Kein  Thier  hat  zugleich  ungespaltene 
Hufe  und  2  Hörner.  Nur  der  indische  Esel  ist  einhörnig; 
der  Oryx  einhörnig  und  zweigespalten.  Der  indische  Esel 
ist  das  einzige  Thier  unter  den  Einhufern,  welches  Knöchel 
hat;  denn  die  Schweine  kann  mau  zu  beiden  Abtheilungen 
nehmen,  daher  auch  ihre  Knöchel  so  hässlich  sind.  Die- 
jenigen ,    welche    glauben ,    der    Mensch    habe  auch   Knö- 


*)  Plancus,  eigentlich  platt,  eben,  daher  einer  der  einen  Platt- 
fuss  hat  (Beiname  der  Munatischen  Familie). 

2)  Plautus,  der  einen  flachen  Fuss  hat. 

3)  Scaurus,   ein  Klumpfüssiger  (Beiname   des  Aemilischen,  Aure- 
lischen  und  anderer  angesehener  Häuser). 

4)  Pansa,  breitfüssig  (Beiname  der  Vibischen  Familie.) 

5)  Varus,    einer   mit  auswärts  gebogenen  Beinen   (Beiname  der 
Quintilischen  Familie.) 

6)  Vacias,  krummbeinig.     7)  Vanitius,  was  Vacias.     8)  Tali. 

Wittstein:  Plinius.     II.  Bd.  24 


370  Elftes  Buch. 

chel *),  können  leicht  vom  Gegentheile  überzeugt  werden.  Der 
Luchs  hat  allein  unter  den  Zehen  tragenden  Thieren  etwas 
einem  Knöchel  Aehnliches,  ebenso  der  Löwe,  bei  dem  dieser 
Theil  etwas  gewunden  ist.  Der  eigentliche  Knöchel  aber 
ist  gerade,  ragt  am  Fussgelenke  mit  hohlen  Bauche  hervor, 
und  sitzt  am  Gelenke  des  Wirbelbeins  fest. 

107. 
Einige  Vögel  haben  Zehen,  andere  Plattfüsse,  noch 
andere  breite  Zehen,  stehen  also  mitten  zwischen  jenen 
beiden  Gruppen;  alle  aber  4  Zehen,  3  vorn  und  eine  an 
der  Ferse ,  nur  fehlt  die  letztere  einigen  langbeinigen. 
Nur  bei  dem  Wendehals  2)  stehen  2  Zehen  nach  vorn  und  2 
nach  hinten,  auch  hat  dieser  Vogel  eine  schlangenartige 
Zunge,  die  er  sehr  lang  herauszustrecken  vermag;  den 
Hals  kann  er  ganz  herumdrehen;  seine  Krallen  sind  gross 
wie  die  der  Dohlen.  Einige  grössere  Vögel  haben  ausser- 
dem noch  Sporen  3)  an  den  Beinen;  aber  kein  Vogel  mit 
krummen  Krallen  hat  deren.  Die  langbeinigen  Vögel 
strecken  beim  Fliegen  die  Beine  nach  dem  Schwänze  hin 
aus,  die  kurzbeinigen  ziehen  sie  nach  der  Mitte  hin  zu- 
sammen. Diejenigen  welche  leugnen,  dass  es  Vögel  ohne 
Beine  gäbe,  behaupten,  auch  die  Apoden,  der  Oces  und 
der  Drepanis,  Vögel  welche  sich  sehr  selten  sehen  lassen, 
hätten  welche.     Man  hat  sogar  Schlangen  mit  Gänsefiissen 

gesehen. 

108. 

Bei  den  Insekten,  welche  harte  Augen  haben,  sind  die 

Vorderbeine  länger,  um  zuweilen  die  Augen  damit  zu  rei- 


')  Aus  dieser  Stelle  geht  hervor,  dass  Plinius  unter  talus  keines- 
wegs das  versteht,  was  wir  im  gemeinen  Leben  Knöchel  nennen. 
Letzterer  ist  beim  Menschen  so  gut  wie  bei  den  meisten  Thieren 
anzutreffen.  Er  meint  vielmehr  den  Knochen,  der  sich  bei  den 
Thieren  mit  zweigespaltenen  Hufen  an  dem  Gelenke  ansetzt,  wo 
sich  der  Hüft-  und  Schenkelknochen  mit  der  Röhre  des  Beins  ver- 
bindet, und  der  sich  von  da  an  längs  der  hintern  Seite  der  Beinröhre 
bis  an  die  Ferse  herabzieht,  wo  er  nach  aussen  zu  eine  bauchartig 
hervortretende  Erhöhung  bildet. 

2)  Iynx.     Iynx  torquilla  L.     3)  Radii. 


Elftes  Buch.  371 

nigen,  wie  wir  diess  bei  den  Fliegen  wahrnehmen.  Die 
mit  langen  Hinterbeinen  versehenen  springen,  z.  B.  die 
Locusten.  Alle  diese  haben  6  Füsse,  einige  Spinnen  noch 
2  sehr  lange  mehr.  Jedes  Bein  hat  3  Gelenke.  Wir  haben 
bereits  angeführt x),  dass  auch  einige  Seegeschöpfe  8  Beine 
haben,  nämlich  die  Polypen,  Sepien,  Loligen,  Krebse,  welche 
ihre  Arme  in  entgegengesetzter  Richtung  (zu  einander),  und 
ihre  Füsse  im  Kreise  oder  schräg  bewegen.  Nur  bei  diesen 
Thieren  sind  die  Beine  rund.  Die  Krebse  unter  ihnen 
haben  4  Füsse,  die  ihnen  als  Führer  dienen  2),  die  übrigen 
deren  nur  2.  Diejenigen  Landthiere,  welche,  wie  die  mei- 
sten Würmer,  diese  Zahl  von  Beinen  überschreiten,  haben 
nicht  unter  12,  und  einige  sogar  hundert.  Kein  Thier  hat 
eine  ungerade  Anzahl  Füsse.  Die  Beine  der  Einhufer 
kommen  gleich  in  der  richtigen  Länge  zur  Welt;  später 
dehnen  sie  sich  mehr  aus  als  dass  sie  wachsen.  Daher 
können  sie  sich  in  der  Jugend  mit  den  Hinterbeinen  die 
Ohren  kratzen,  was  ihnen  im  spätem  Alter  nicht  mehr 
möglich  ist,  weil  der  Körper  in  der  Länge  zunimmt.  Aus 
demselben  Grunde  können  sie  auch  anfangs  nur  mit  ge- 
bogenen Knien  weiden,  denn  ihr  Hals  hat  die  gehörige 
Länge  noch  nicht  erreicht.  Unter  allen  Thiergattungeu, 
and  sogar  unter  den  Vögeln  giebt  es  Zwerge. 

109. 
Bei  welchen  männlichen  Thieren  die  Geschlecht  s- 
t heile  nach  hinten  gerichtet  sind,  haben  wir  bereits  er- 
schöpfend mitgetheilt 3).  Bei  den  Wölfen,  Füchsen,  Wie- 
seln und  Frettchen  sind  sie  knochenhart,  und  daher  ein 
vorzügliches  Mittel  gegen  den  menschlichen  Blasenstein. 
Auch  beim  Bären  sollen  sie,  sobald  er  todt  ist,  knochen- 
hart werden.  Die  Völker  des  Orients  bedienen  sieb  des 
Kameelgliedes,  als  der  besten  Sehne  zum  Spannen  des 
Bogens.  Auch  unterscheiden  sich  die  Völker  in  Beziehung 
auf  diesen  Theil  durch  mancherlei  Sitten  und  Gebräuche, 


')  IX.  B.  44.  Cap.    2)  Die  sogenannten  Scheeren. 
3)  X.  B.  83.  Cap. 

24* 


372  Elftes  Buch. 

so  /.  B.  schneiden  sich  die  Priester  der  Cybele  dasselbe 
ohne  Gefahr  ab.  Dahingegen  haben  manche  Weiber,  was 
diesen  Theil  anbelangt,  eine  wunderbare  Aehnlichkeit  mit 
den  Männern,  sowie  es  auch  Zwitter,  welche  beiderlei 
Geschlechts  sind,  giebt.  Sogar  unter  den  vierfiissigen 
Thieren  soll  man  dergleichen  während  der  Regierung 
Nero's,  und  wie  ich  glaube  zum  ersten  Male  gefunden 
haben.  Wenigstens  prahlte  er  mit  Zwitterstuten,  die  vor 
seinen  Wagen  gespannt  waren,  und  die  im  treverischen 
Gebiete  Galliens  aufgefunden  wären,  als  wenn  das  eine 
Sehenswürdigkeit  sei,  wenn  sich  der  Beherrscher  der  Erde 
von  Missgeburten  ziehen  lässt. 

110. 

Bei  dem  Schaf-  und  Rindvieh  hängen  die  Hoden  an 
den  Beinen  herab,  bei  den  Schweinen  sind  sie  angewach- 
sen, beim  Delphin  sehr  lang  und  am  Ende  des  Bauches 
verborgen,  und  auch  beim  Elephanten  sieht  man  sie  von 
Aussen  nicht.  Bei  den  eierlegenden  Thieren  hängen  sie 
innerlich  an  den  Lenden,  und  diese  begatten  sich  am  schnell- 
sten. Die  Fische  und  Schlangen  haben  keine,  aber  statt 
deren  2  von  den  Nieren  bis  zu  den  Geschlechtstheilen 
führende  Adern.  Die  Buteonen  haben  3.  Bloss  beim 
Menschen  werden  sie  entweder  durch  Verletzung  oder  von 
selbst  verstümmelt,  und  dadurch  entstellt  ausser  den  Zwit- 
tern und  Verschnittenen  noch  eine  dritte  Art  von  Halb- 
männern. Bei  allen  Gattungen  ist  das  Männchen  der 
stärkere  Theil,  ausgenommen  bei  den  Panthern  und  Bären. 

111. 

Ausser  dem  Menschen  und  Affen J)  haben  fast  alle 
Thiere,  sowohl  diejenigen,  welche  lebendige  Junge  zur 
Welt  bringen  als  auch  die  eierlegenden,  Schwänze,  je 
nach  dem  Bedürfniss  ihres  Körpers.  Bei  den  borstigen 
Thieren,  z.  B.  den  Schweinen,  ist  er  nackt;  bei  den  rauhen, 
z.  B.  den  Bären  klein,  bei  langen  Thieren  z.  B.  den  Pfer- 
den  langhaarig.     Den  Eidechsen  und  Schlangen    wachsen 

')  Fast  sämmtliche  Affenarten  sind  geschwänzt. 


Elftes  Buch.  373 

sie,  wenn  sie  abgeschnitten  sind,  wieder.  Die  Fische  len- 
ken ihren  Lauf  damit  wie  mit  einem  Steuerruder,  bewegen 
ihn  rechts  und  links,  und  gebrauchen  ihn  auch  als  Ruder. 
Es  giebt  auch  Eidechsen  mit  2  Schwänzen.  Bei  den  Rin- 
dern ist  der  Schwanz  sehr  lang,  und  unten  büschelig.  Auch 
bei  den  Eseln  ist  er  länger  wie  bei  den  Pferden,  aber  bei 
den  Lastthieren  langhaarig.  Der  Schwanz  des  Löwen  hat, 
gleich  dem  des  Stiers  und  der  Spitzmaus  eine  Quaste, 
nicht  aber  der  des  Panthers;  bei  den  Füchsen  und  Wölfen 
ist  er  zottig,  wie  bei  den  Schafen,  welche  letztere  jedoch 
einen  längern  haben.  Bei  den  Schweinen  ist  er  gedreht; 
die  Hunde  von  schlechterer  Rage  ziehen  ihn  unter  den 
Bauch. 

112. 
Aristoteles  behauptet,  nur  die  Thiere,  welche  Lungen 
und  Arterien  haben,  d.  i.  welche  athmen,  hätten  eine 
Stimme;  desshalb  gäben  auch  die  Insekten  bloss  einen 
Ton  von  sich,  aber  keine  Stimme,  indem  die  Luft  in  sie 
hineinzieht  und  eingeschlossen  tönt.  Einige  lassen  ein 
Summen  vernehmen,  wie  die  Bienen;  andere  ein  gedehntes 
Zirpen  wie  die  Cicaden.  Wenn  nämlich  die  Luft  von  den 
beiden  unter  der  Brust  befindlichen  Höhlen  aufgenommen 
ist,  so  stösst  sie  inwendig  auf  eine  bewegliche  Haut,  und 
durch  diese  Reibung  entsteht  der  Ton.  Die  Fliegen,  Bie- 
nen und  ähnliche  Thiere  fangen  beim  Fliegen  an  zu  sum- 
men, und  hören  damit  auf;  denn  der  Ton  entsteht  durch 
Reibung  und  die  im  Innern  befindliche  Luft,  nicht  aber 
durch  den  Athem.  Man  glaubt  mit  Recht,  dass  die  Locu- 
sten  durch  Aneinanderreihen  der  Flügel  und  Schenkel  ihren 
Ton  von  sich  geben.  Ebenso  lassen  unter  den  Wasser- 
thieren  die  Kammmuscheln  ein  Geräusch  hören,  wenn  sie 
sich  fortbewegen;  die  Weich-  und  Schalenthiere  hingegen 
geben  weder  Ton  noch  Stimme  von  sich.  Aber  die  übrigen 
Fische  sind,  obgleich  sie  weder  Lunge  noch  Luftröhre 
haben,  nicht  durchaus  blutlos.  Die  Angabe  jedoch,  dass 
das  Geräusch,  was  sie  machen,  durch  die  Zähne  hervorge- 
bracht werde,  muss  als  ein  Scherz  betrachtet  werden.    Der 


374  Elftes  Buch. 

sogenannte  Caper  im  Flusse  Achelous,  hat  eine  grunzende 
Stimme,  ebenso  andere  von  denen  wir  schon  geredet  ha- 
ben l).  Die  eierlegenden  Thiere  zischen ,  und  zwar  die 
Schlangen  anhaltend,  die  Schildkröten  abgebrochen.  Die 
Frösche  haben,  wie  schon  erwähnt  ist,  eine  Stimme  eigner 
Art,  welche  (wenn  man  sonst  die  davon  gegebene  Erklä- 
rung nicht  in  Zweifel  ziehen  will)  vorn  im  Munde,  und 
nicht  in  der  Brust  erregt  wird.  Jedoch  kommt  bei  diesen 
Thieren  viel  auf  die  Beschaffenheit  des  Landes  an.  In  Mace- 
donien  sollen  sie,  wie  auch  die  dortigen  Eber,  stumm  sein. 
Unter  den  Vögeln  sind  die  kleinern,  namentlich  zur 
Zeit  der  Begattung,  am  geschwätzigsten.  Einige  schreien, 
wenn  sie  miteinander  streiten,  wie  die  Wachteln,  andere 
vor  dem  Kampfe  wie  die  Rebhühner,  noch  andere  nach  dem 
Siege,  wie  die  Hühnerarten.  Bei  diesen  haben  die  Männchen 
eine  eigene  Stimme,  bei  andern  z.  B.  den  Nachtigallen, 
ist  sie  in  beiden  Geschlechten  dieselbe  2).  Einige  singen 
das  ganze  Jahr  hindurch,  andere  nur  zu  gewissen  Zeiten, 
wie  bereits  bei  den  einzelnen  Gattungen  bemerkt  ist.  Der 
Elephant  stösst,  ausser  der  Nase,  auch  aus  dem  Munde 
einen  und  zwar  dem  Niesen  ähnlichen  Ton  hervor;  der 
Ton  aber,  den  er  durch  die  Nase  giebt,  klingt  wie  das 
Schnarren  einer  Trompete.  Bloss  bei  den  Rindern  ist  die 
Stimme  des  Weibchens  stärker,  bei  allen  übrigen  Gattun- 
gen ist  sie  schwächer  bei  den  Weibchen  als  bei  den  Männ- 
chen, unter  den  Menschen  sogar  bei  den  Verschnittenen. 
Das  Kind  giebt  bei  der  Geburt  nicht  eher  einen  Laut  von 
sich,  bis  es  aus  dem  Leibe  der  Mutter  ganz  heraus  ist. 
Erst  nach  einem  Jahre  fängt  es  an  zu  sprechen.  Der 
Sohn  des  Krösus  sprach  schon,  als  er  >  2  Jahr  alt  war, 
und  noch  mit  der  Klapper  spielte,  durch  welches  Wunder 
das  ganze  Reich  unterging.  Je  schneller  die  Kinder  an- 
fangen zu  sprechen,    desto   später   lernen   sie   gehen.     Im 


')  IX.  B.  32.  Cap. 

*)  Nur   das    Männchen    der    Nachtigall    schlägt,    das   Weibchen 
nicht. 


Elftes  Buch.  375 

14.  Jahre  erhält  die  Stimme  ihre  Stärke;  im  Alter  wird 
sie  wieder  schwächer,  und  bei  keinem  andern  Thiere  än- 
dert sie  sich  öfter  als  beim  Menschen.  Ausserdem  giebt 
es  hinsichtlich  der  Stimme  mehrere  merkwürdige  Begeben- 
heiten zu  berichten.  In  den  Orchestern *)  der  Theater 
wird  sie  durch  aufgestreuete  Sägspähne  oder  Sand  verschluckt, 
ebenso  wenn  die  Wände  bloss  roh  beworfen,  oder  leere 
Fässer  hineingestellt  sind;  sie  pflanzt  sich  zwischen  gerade 
oder  muschelförmig  laufenden  Wänden  schnell  fort,  und 
wenn  keine  Unebenheiten  im  Wege  sind,  so  gelangen  selbst 
leise  gesprochene  Worte  zum  andern  Ende  hin.  An  der 
Stimme  hat  die  Gesichtsbildung  des  Menschen  grossen  An- 
theil.  Wir  stellen  uns  dieselbe  vor,  ehe  wir  sie  hören, 
nicht  anders  als  ob  wir  sie  mit  den  Augen  wahrnähmen, 
es  giebt  eben  so  viele  Stimmen  als  Menschen  in  der  Welt, 
und  ein  Jeder  hat  eine  eigentümliche,  sowie  ein  eigen- 
thümliches  Gesicht.  Daher  kommt  jene  Verschiedenheit 
der  Völker  und  so  vieler  Sprachen  auf  dem  Erdkreise,  so- 
wie die  vielerlei  Gesänge,  Melodien  und  Biegungen  der 
Stimme.  Aber  vor  Allem  ist  es  die  Ausbildung  des  Geistes, 
welche  uns  von  den  Thieren  unterscheidet,  und  die  unter 
den  Menschen  wieder  einen  eben  so  grossen  Unterschied 
herbeiführt,  als  der  ist,  welcher  zwischen  ihnen  und  den 
Thieren  stattfindet. 

113. 
Glieder,  welche  den  Thieren  noch  zugewachsen 
sind,  nützen  ihnen  ebenso  wenig,  wie  dem  Menschen  der 
sechste  Finger.  In  Aegypten  fand  man  einst  Gefallen 
daran,  eine  Missgeburt  aufzuziehen,  welche  am  Hintertheile 
des  Kopfes  noch  2  menschliche  Augen  hatte,  mit  welchen 

sie  jedoch  nicht  sehen  konnte. 

114. 
Ich  wundere  mich,  dass  Aristoteles  nicht  nur  geglaubt 


')  Orchestra,  so  hiess  bei  den  Alten  der  von  den  Sitzreihen  und 
der  scena  mit  dem  Proscenium  eingeschlossene  runde  Platz  im 
Theater.  Bei  den  Griechen  war  er  zu  den  Chortänzen  bestimmt. 
Bei  den  Römern  befanden  sich  daselbst  die  Sitze  für  die  Senatoren. 


376  Elftes  Buch. 

sondern  auch  ausgesprochen  hat,  es  gäbe  am  Körper  selbst 
gewisse  Vorbedeutungen  über  seine  Lebensdauer.  Wenn 
ich  gleich  derlei  Dinge  für  gänzlich  unbegründet  halte,  und 
nicht  ohne  Bedenken  vortragen  mag,  damit  nicht  der  eine 
oder  andere  solche  Anzeichen  an  sich  selbst  ängstlich 
aufsuche,  will  ich  sie  doch  nicht  übergehen,  weil  ein  so 
gelehrter  Mann  sie  seiner  Betrachtung  werth  hielt.  Er 
giebt  also  als  Zeichen  eines  kurzen  Lebens  an:  weitläu- 
fig stehende  Zähne,  sehr  lange  Finger,  eine  Bleifarbe,  und 
mehrere  nicht  durchlaufende  Striche  in  der  Hand.  Dagegen 
sollen  Menschen  mit  krummen  Schultern,  mit  1  oder  2 
langen  Linien  in  der  Hand ,  mehr  als  32  Zähnen  und 
grossen  Ohren  lange  leben.  Diese  Zeichen  betrachtet  er, 
wie  mir  scheint,  nicht  insgesammt,  sondern  einzeln  als 
solche  Merkmale,  was  meiner  Meinung  nach  ganz  albern 
ist,  und  dennoch  oft  von  ihm  angeführt  wird.  Auf  ähnliche 
Weise  hat  bei  uns  Trogus,  ein  sehr  genauer  Schriftsteller 
äussere  Merkmale  des  Charakters  angegeben,  welche 
ich  mit  seinen  eigenen  Worten  hier  anführen  will:  „Eine 
grosse  Stirn  bezeichnet  einen  darunter  wohnenden  trägen, 
eine  kleine,  einen  regsamen,  eine  runde,  einen  zum  Zorn 
geneigten  Geist,  weil  hier  gleichsam  das  Merkmal  der 
Aufgeblasenheit  erscheint.  Wenn  die  Augenbrauen  gerade 
aus  stehen,  zeigen  sie  ein  sanftes,  wenn  sie  sich  neben  der 
Nase  krümmen,  ein  finsteres,  wenn  sie  sich  an  den  Schlä- 
fen krümmen,  ein  spöttisches,  und  wenn  sie  ganz  herab- 
hängen, ein  missgünstiges  und  neidisches  Wesen  an.  Lange 
Augen  deuten  auf  Bosheit.  Fleischige  Augenwinkel  an  den 
Seiten  der  Nase  sind  Zeichen  eines  bösartigen  Charakters. 
Ist  das  Weisse  des  Auges  sehr  gross,  so  verräth  diess  Un- 
verschämtheit; die  die  Augen  oft  zu  schliessen  pflegen,  sind 
unbeständig.  Grosse  Ohrläppchen  sind  Kennzeichen  von 
Geschwätzigkeit  und  Thorheit."  —  Soweit  Trogus. 

115. 
Der  Athem  des  Löwen  enthält  ein   starkes  Gift,  der 
des  Bären  ist  ebenfalls  verderblich.    Was  von  ihm  ange- 
haucht wird,  rührt  kein  wildes  Thier  mehr  an;  auch  geht 


Elftes  Buch.  377 

es  schneller  als  andere  Gegenstände  in  Fäulniss  über. 
Nur  der  Athem  des  Menschen  sollte  nach  dem  Willen  der 
Natur  auf  mehrfache  Weise,  sowohl  durch  schlechte  Speise 
als  durch  krankhafte  Zähne,  vorzüglich  aber  durch  das 
Alter  verdorben  werden.  Schmerzen  kann  er  daran  nicht 
leiden,  denn  ihm  x)  fehlt  alles  Gefühl  und  jeder  andere 
Sinn,  ohne  welchen  nichts  empfunden  wird.  Er  geht  be- 
ständig frisch  ein,  erst  im  letzten  Augenblicke  aus,  und 
bleibt  vom  Menschen  nur  allein  übrig2).  Kurz,  er  wird 
aus  dem  Himmel  gezogen.  Doch  auch  für  ihn  ist  eine 
Plage  erfunden,  damit  selbst  das,  wodurch  wir  leben,  uns 
im  Leben  nicht  erfreuen  sollte.  Die  parthischen  Völker 
sind  wegen  ihrer  ohne  Unterschied  genossenen  Speisen 
schon  von  Jugend  auf  diesem  Uebel  unterworfen;  ja  selbst 
von  dem  zu  häufigen  Genüsse  des  Weines  wird  der  Athem 
verdorben.  Die  vornehmen  Parther  befreien  sich  davon 
durch  den  Genuss  des  Kernes  vom  assyrischen  Apfel 3), 
der  auch  den  Speisen  einen  sehr  angenehmen  Geschmack 
ertheilt.  Der  Athem  der  Elephanten  zieht  die  Schlangen 
aus  ihrem  Löchern;  der  der  Hirsche  ist  brennend.  Wir 
haben  schon  die  Menschen-ßa^en  angeführt,  welche  das 
Gift  der  Schlangen  durch  Saugen  aus  den  Körpern  ziehen. 
Die  Schweine  fressen  sogar  Schlangen,  während  letztere 
für  andere  Thiere  Gift  sind.  Die  Thiere,  welche  wir  In- 
sekten genannt  haben,  sterben,  wenn  sie  mit  Oel  besprengt 
werden.  Die  Geier  welche  man  mit  Salben  verjagen  kann, 
gehen  wieder  andern  Gerüchen  nach;  die  Käfer  ziehen 
nach  den  Rosen.  Der  Scorpion  tödtet  einige  Schlangen- 
arten. Die  Scythen  tauchen  ihre  Pfeile  in  Viperngift  und 
Menschenblut;  gegen  diese  Pest  giebt  es  kein  Gegenmittel 


1)  Dem  Athem  nämlich. 

2)  Plinius  glaubt  nämlich,  der  Geist  sei  nichts  anderes  als  die 
Lebensluft,  die  wir  durch  die  Lungen  ein-  und  ausathmen;  man 
vergl.  Cicero  de  Nat.  D.  IL,  welcher  sagt:  die  Seele  ist  das,  was  wir 
durch  das  Athmen  in  die  Lungen  einziehen. 

3)  S.  XII.  B.  7.  Cap. 


378  Elftes  Buch. 

und  die  geringste  Verletzung  damit  zieht  sogleich  den  Tod 
nach  sich. 

116. 

Welche  Thiere  von  Gift  leben,  haben  wir  bereits 
gesagt *).  Einige  Thiere  sind  sonst  nicht  schädlich,  werden 
es  aber  durch  den  Genuss  von  Gift.  Wer  in  Pamphylien 
und  dem  gebirgigen  Theile  Ciliciens  von  einem  Eber  isst, 
der  einen  Salamander  verschlungen  hat,  muss  sterben,  ob- 
gleich man  weder  am  Gerüche  noch  am  Geschmacke  des 
Fleisches  etwas  Verdächtiges  merken  kann.  Auch  Wasser 
und  Wein,  in  welchen  ein  Salamander  umgekommen  ist, 
ja  selbst,  wenn  er  nur  davon  gesoffen  hat,  wird  tödtlich. 
Dasselbe  bewirkt  auch  der  sogenannte  Laubfrosch.  So 
vielen  Nachstellungen  ist  das  Leben  ausgesetzt!  Die  Wes- 
pen fressen  begierig  von  einer  Schlange,  und  ihr  Stich 
wird  dadurch  tödtlich.  Wir  finden  also  eine  grosse  Ver- 
schiedenheit in  der  Lebensweise.  So  erzählt  Theophrastus, 
dass  in  einer  Gegend,  wo  die  Menschen  sich  von  Fischen 
nähren,  auch  das  Rindvieh  Fische,  aber  bloss  lebendige 
frässe. 

117. 

Einfache  Speisen  sind  dem  Menschen  am  zuträg- 
lichsten, vielfach  zusammengesetzte  Gerichte  schädlich,  und 
werden  es  noch  mehr  durch  die  Gewürze.  Alle  zu  scharfe 
Speisen,  sind  schwer  zu  verdauen,  eben  so  alles,  was  man 
im  Uebermaasse  und  zu  hastig  geniesst.  Auch  verdauet 
man  im  Sommer  schwerer  als  im  Winter,  im  Alter  schwerer 
als  in  der  Jugend.  Erbrechungen,  die  man  als  Hülfsmittel 
dagegen  erdacht  bat,  erkälten  den  Körper,  und  sind  beson- 
ders den  Augen  und  Zähnen  nachtheilig. 

118. 

Das  Verdauen  im  Schlafe  befördert  mehr  die  Korpu- 
lenz als  die  Stärke,  daher  machen  sich  die  Athleten  nach 
dem    Essen    Bewegung.     Am    besten    verdauet    man    die 


')  Im  X.  B.  92.  Cap. 


Elftes  Buch.  379 

Speisen  durch  langes  Wachen.  Durch  süsse  und  fette 
Nahrungsmittel  sowie  durch  Trinken  nimmt  der  Körper 
zu,  durch  trockene,  kalte  Kost  und  Durst  ab.  Einige  Thiere 
und  selbst  die  Schafe  in  Afrika  saufen  bloss  alle  4  Tage. 
Dem  Menschen  wird  7  tägiges  Fasten  nicht  allemal  tödt- 
lieh,  aber  so  viel  steht  fest,  dass  die  Meisten  nach  dem 
11.  Tage  sterben,  und  er  ist  das  einzige  Thier,  welches 
an  einer  unersättlichen  Begierde  des  Hungers  stirbt. 

119. 
Einige  Speisen  stillen  schon  in  geringer  Menge 
genossen,  Hunger  und  Durst,  und  erhalten  die  Kräfte, 
wie  z.  B.  Butter,  Hippace  *),  Süssholz.  Aber  das  Verderb- 
lichste in  jeder  Lebensweise  ist  das  Zuviel,  namentlich 
für  den  Körper  2),  wesshalb  man  auch  alles,  was  ihm  Be- 
schwerden verursacht,  möglichst  vermindern  muss.  —  Doch 
wir  wollen  zu  den  übrigen  Reichen  der  Natur  übergehen. 


>)  Ein  Kraut;  vergl.  XXV.  B.  44.  Cap. 

2)  corpori,  hier  wohl  speciell  auf  den  Magen  zu  beziehen. 


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