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Full text of "Die neuen Dienstgebäude der Staatsarchive zu Coblenz und Düsseldorf"

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MITTEILUNGEN 


DER 


HEFT  9. 


DIE  NEUEN  DIENSTGEBÄUDE  DER  STAATSARCHIVE 


zu 


COBLENZ  UND  DÜSSELDORF 


VON 


DR.  RICHARD  KNIPPINGr  ond  Dr.  THEODOR  ILGEN 

ARCHIVAR  AM  STAATSARCHIV  ZU  COBLENZ.  DIREKTOR  D.  STAATSARCHIVS  ZU  DÜSSELDORF. 


MIT  14  FIGUREN. 


K.  PREUSSISCHEN  ARCHIVVERWALTUNG,  j 


* 


Digitized  by  the  Internet  Archive 
in  2019  with  funding  from 
Getty  Research  Institute 


https://archive.org/details/dieneuendienstgeOOknip 


MITTEILUNGEN 


DER 


K.  PR  RUSSISCHEN  ARCIIIVVERW  ALTUNG. 


HEFT  9. 


LEIPZIG 

VERLAG  VON  S.  HIRZEL 
1907. 


DIE 


NEUEN  DIENSTGEBÄUDE 

DER 

STAATSARCHIVE 

ZU 

COBLENZ  UND  DÜSSELDORF 

VON 


Dr.  Richard  Knipping  ÜND  Dr.  Theodor  Ilgen 

Archivar  am  Staatsarchiv  zu  Coblenz.  "  Direktor  d.  Staatsarchivs  zu  Düsseldorf. 


MIT  14  FIGUREN. 


LEIPZIG 

VERLAG  VON  S.  HIRZEL 
1907. 


Vorwort. 


In  dem  vorliegenden  Hefte  wird  mit  den  früher  in  Aussicht  gestellten 
Beschreibungen  der  im  Bereiche  der  Staatsarchivverwaltung  seit  1896  aus¬ 
geführten  Bauten  begonnen. 

Die  verschiedene  äußere  Anlage  der  beiden  hier  vereinigt  auftretenden 
Darstellungen  für  die  Staatsarchive  der  Rheinprovinz  wurde  durch  die  ge¬ 
gebenen  Verhältnisse  veranlaßt.  Für  die  Zwecke  des  Staatsarchivs  zu  Coblenz 
ist  eines  der  ältesten  öffentlichen  Gebäude  der  Stadt  neu  ausgebaut  worden. 
Der  hervorragende  kunstgeschichtliche  Wert  des  alten  Baudenkmals  ließ  es 
angezeigt  erscheinen,  seine  bis  in  die  romanische  Periode  zurückführende  Ge¬ 
schichte  nach  den  Urkunden  eingehender  zu  erforschen  und  den  Schwerpunkt 
der  Aufgabe  in  diesen  historischen  Teil  zu  legen,  für  den  die  Beschreibung 
des  jetzigen  Zustandes  des  alten  Deutsch ordenshauses  den  Abschluss  bildet. 

Nach  andrer  Richtung  ist  in  dem  Abschnitte  über  Düsseldorf  die  Auf¬ 
gabe  erweitert  worden.  Während  für  Coblenz  das  sechste  Heft  dieser  „Mit¬ 
teilungen“  eine  Übersicht  über  die  Gliederung  und  damit  zugleich  über  die 
Entstehung  und  Herkunft  der  Archivbestände  bietet,  liegt  für  Düsseldorf  eine 
solche  in  unserer  Sammlung  noch  nicht  vor  und  wird  in  dem  für  Coblenz 
gewählten  Maßstabe  vorerst  auch  nicht  in  Aussicht  genommen,  weil  der  an 
andrer  Stelle,  im  zweiten  Ergänzungsheft  der  „Westdeutschen  Zeitschrift  für 
Geschichte  und  Kunst“  veröffentlichte  „Wegweiser“  durch  die  handschrift¬ 
liche  Überlieferung  für  die  Geschichte  des  Niederrheins  in  gewissem  Sinne 
als  Ersatz  dienen  kann.  Einen  Ausschnitt  in  verändertem  Maßstabe  aus 
dieser  seiner  früheren  Arbeit  gibt  nun  Theodor  Ilgen,  im  Anschluß  an  die 
Beschreibung  der  neuen  Räume  des  Düsseldorfer  Staatsarchivs,  in  seinen  Aus¬ 
führungen  (S.  48  ff.)  über  dessen  Bestände  nach  ihrer  äußeren  Gliederung, 
ihrer  Entstehung  und  ihren  Schicksalen. 

Für  die  Abbildungen  dieses  Heftes  haben  die  Schriftleitung  des  „Zentral-, 
blatts  der  Bauverwaltung“  in  Berlin  die  Druckstöcke  zu  den  Figuren  10 — 12 
und  zu  den  Grundrissen  auf  S.  41  und  der  Herr  Provinzialkonservator 
Professor  Dr.  Cie  men  in  Bonn  die  zu  den  Figuren  1 — 5  und  9  freund- 
lichst  zur  Verfügung  gestellt. 


K.  Koser. 


o 


Inhalt. 


Seite 

Das  Deutscbordenshaus  zu  Coblenz.  Seine  Baugeschichte  und  seine  Aus¬ 
gestaltung  zum  Staatsarchiv.  Von  R.  Knipping. 

A.  Die  Baugeschichte  des  Deutschordenshauses .  1 

1.  Die  romanische  Zeit . 3 

2.  Die  gotische  Zeit . 15 

3.  Die  Zeit  des  Barock  und  die  späteren  Schicksale  des  Hauses  ...  22 

B.  Beschreibung  des  Staatsarchivs . 28 

1.  Der  Rheinflügel . 28 

2.  Der  Moselflügel . 31 

3.  Der  Westflügel . 32 

4.  Bauliche  Nebenanlagen . 33 

Das  neue  Gebäude  des  Staatsarchivs  zu  Düsseldorf  und  dessen  Bestände. 

Von  Th.  Ilgen. 

I.  Das  neue  Gebäude  des  Staatsarchivs . 37 

II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs  nach  ihrer  äußeren  Gliederung ;  deren  Ent¬ 

stehung,  frühere  Aufbewahrungsorte  und  Verteilung  im  neuen  Gebäude  48 


Das  Deutschordenshaus  zu  Coblenz. 

Seine  Baugeschichte 

und  seine  Ausgestaltung  zum  Staatsarchiv. 


Vou 

Dr.  Richard  Knipping, 

Archivar. 


A.  Die  Baugeschiclite  des  Deutschordensliauses. 


Ara  Nordende  der  Stadt  Coblenz,  inmitten  einer  Landschaft  von  an¬ 
mutigster  Schönheit,  erheben  sich  dort,  wo  Rhein  und  Mose!  ihre  Wellen 
miteinander  vermählen,  drei  bemerkenswerte  Baulichkeiten:  das  gigantische, 
aus  Riesenquadern  gefügte  Denkmal  Kaiser  Wilhelms  I.,  die  Castorkirche  mit 
ihren  reichen  und  feingegliederten  Formen  später  Romanik  und  zwischen 
beiden  eine  Gebäudegruppe,  zum  Teil  verdeckt  von  Grün  und  den  Resten 
der  mittelalterlichen  Stadtmauer,  das  ehemalige  Deutschordenshaus  und  jetzige 
Staatsarchiv.  Dem  Rhein  zunächst  steht  ein  hochragender,  von  steilem  Sattel¬ 
dach  bedeckter,  vielfenstriger  Bau,  dessen  Einförmigkeit  den  Zauber  nicht 
ahnen  läßt,  der  uns  umfängt,  wenn  wir  vom  Castorplatz  das  malerische 
Innere  der  Komturei  betreten.  Da  ist  ein  großer,  stiller  Garten  mit  den 
rebenumrankten  Trümmern  einer  alten  Kirche,  weite  Hallen  wölben  sich  über 
uns,  romanische,  gotische,  barocke  Bauglieder  fesseln  in  reizvollem  Wechsel 
den  Blick,  und  über  dem  Ganzen  ruht  ein  Hauch  träumerischer  Romantik. 
Die  Vergangenheit  redet  eine  leise,  aber  eindringliche  Sprache  zu  uns  an 
diesem  Orte,  der  wie  wenige  geeignet  ist,  ein  Hüter  ihrer  Überlieferung 
zu  sein. 

Das  deutsche  Haus  in  Ooblenz  ist  die  älteste  Niederlassung  des  Ordens 
im  Gebiet  des  Rheins.  Im  Jahre  1216  überwies  Erzbischof  Dietrich  von 
Trier  den  Deutschordensbrüdern  die  Besitzungen  des  bei  St.  Florin  gelegenen 
und  bisher  von  den  Kanonikern  dieses  Stifts  verwalteten  St.  Nikolaushospitals  *)• 
Es  waren  Geld-  und  Naturalrenten  sowie  Grundstücke  in  Coblenz  und  Orten 
der  nächsten  Umgebung.  Das  Gebäude  des  alten  Hospitals,  das  den  Brüdern 
für  ihre  Zwecke  zu  klein  erschien,  fand  beim  Neubau  eines  Refektoriums 
des  Florinstifts  Verwendung.  Sie  selbst  gingen  an  die  Errichtung  eines  neuen 
Hospitals  vor  den  Mauern  der  Stadt  an  jener  Stelle,  die  nach  ihrer  Siedelung 
noch  heute  den  Namen  „das  deutsche  Eck“  trägt.  Frommer  Schenkungs¬ 
eifer  und  geschickte  Verwaltung  vergrößerte  allmählich  den  Besitz  des  Hauses. 
Am  Ende  des  Jahrhunderts  umfaßte  er  nicht  weniger  als  20  Höfe  im  Mosel¬ 
und  Rheintal  und  auf  der  Höhe  des  Maifeldes,  darunter  die  wertvollen, 
großen  Weingüter  zu  Rhens,  Oberlahnstein,  Boppard,  Oberwesel,  Moselweiß, 

1)  Heunes,  Urkundenbuch  des  deutschen  Ordens  I.  S.  22. 

Mitteilungen.  9.  Heft.  1 


1.  Die  romanische  Zeit. 


o 


Güls  und  Lay,  für  deren  Produkte  schon  früh  Zollfreiheit  erlangt  wurde. 
Auch  die  Zahl  der  Ordensbrüder  mehrte  sich,  und  neue  Niederlassungen  am 
Mittel-  und  Niederrhein,  in  Mainz,  Köln,  Muffendorf,  Breitbach,  Judenroth,  Rhein¬ 
berg,  Meelieln  in  Brabant,  von  kleineren  Häusern  nicht  zu  reden,  wurden 
dem  seit  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  zur  Ballei  erhobenen  Coblenzer 
Hause  unterstellt,1 2)  ein  zu  großes  Verwaltungsgebiet,  als  daß'  es  sich  nicht 
bald  als  notwendig  erwiesen  hätte,  an  die  Spitze  der  Hauptkomturei  einen 
besonderen  Leiter  zu  setzen,  den  Hauskomtur,  der  neben  dem  Landkomtur 
seit  etwa  1290  in  den  Urkunden  erscheint. 

Die  bauliche  Entwicklung  des  Coblenzer  Deutschordenshauses  stand 
naturgemäß  in  engstem  Zusammenhang  mit  dem  Bedürfnis  nach  Ausdehnung 
und  den  vorhandenen  Mitteln.  Aus  bescheidenen  Anfängen  ist  im  Verlauf 
zweier  Jahrhunderte  die  Anlage  zu  dem  stattlichen  Umfange  herangewachsen, 
mit  dem  sie  sich  jetzt,  zum  Teil  nur  noch  in  trümmerhaftem  Zustand,  unseren 
Augen  darbietet. 

Deutlich  heben  sich  bei  einer  Betrachtung  des  architektonischen  Befundes 
drei  Bauperioden  in  dieser  Entwicklung  ab:  eine  romanische,  eine  gotische 
und  als  Nachklang  eine  mehr  in  ornamentaler  als  konstruktiver  Form  hervor¬ 
tretende  Periode  des  Barock.-) 

1.  Die  romanische  Zeit. 

Sehen  wir  zu,  bevor  wir  die  urkundlichen  Quellen  zur  Geschichte  des 
Hauses  reden  lassen,  was  uns  von  romanischen  Bauteilen  erhalten  ist  und 
zwar  zunächst  an  dem  westlichen  der  drei  um  den  inneren  Hof  gelagerten 
Flügelbauten. 

Der  Grundriß  dieses  Westflügels3)  bildet  ein  etwas  verschobenes 
Rechteck  von  23.30  bezw.  24  m  :  10.14  m  im  Geviert.  Seine  Südwestecke 
ist  ein  wenig  stumpf  und  zeigt,  daß  man  sich  hier  dem  Terrain  hat  an¬ 
passen  müssen,  daß  also  der  anstoßende  Teil  des  großen  Gartens  noch  nicht 
den  Bauherren  gehörte.  Die  Stärke  der  aus  Bruch-  und  Tuffsteinen  be¬ 
stehenden  Mauern  beträgt  nach  Westen  1.10,  nach  Süden  0.88,  nach  Osten  0.80, 


1)  Vgl.  Joh.  Voigt,  Geschichte  des  deutschen  Ritterordens  I,  76. 

2)  Viele  Architekturteile  und  alle  Malereien  sind  erst  bei  den  mit  sorgsamem 
Eifer  ausgeführten  Restaurationsarbeiten  der  Jahre  1895—1897  aufgedeckt  worden. 
Der  Leiter  dieser  Arbeiten,  Reg.  -  Baumeister  Haltcrmann,  hat  über  sie  Bericht 
erstattet  (Berichte  über  die  Tätigkeit  der  Provinzialkommission  für  die  Denkmal¬ 
pflege  in  der  Rheinprovinz  111  (1898)  S.  37  ff.).  Ein  tieferes  Eindringen  in  die  Ge¬ 
schichte  des  Baues  lag  nicht  in  der  Absicht  jenes  Berichtes.  Manche  der  bau¬ 
geschichtlichen  Angaben  sind  daher  nach  den  folgenden  Ausführungen  zu  ändern. 
P.  Lehfeldt ,  Die  Bau-  und  Kunstdenkmäler  des  Regierungsbezirks  Coblenz  (188(0 
S.  173,  hat  das  Haus  nur  als  Proviantamt  vor  seiner  Restaurierung  gesehen  und 
vermag  deshalb  nicht  viel  darüber  zu  sagen. 

3)  Vgl  Fig.  2.  (auf  der  Tafel  am  Schluß  des  Heftes)  C. 


1 


4 


A.  Die  Baugeschichte  des  Deutschordenshauses. 


nach  Norden  0.85  bezw.  1.10  m.1)  Eine  0.86  m  starke  Quermauer  teilt 
den  länglichen  Bau  in  zwei  nicht  ganz  gleiche  Teile,  die  sich  nach  der  Höhe 
zu  verschieden  entwickelten.  Steigen  wir  in  dem  südlichen  dieser  Teile 2) 
auf  einer  siebenstufigen  Treppe  zu  dem  jetzt  kellerartigen  Raum  hinab,  so 
umgibt  uns  eine  romanische  zweischiffige  Halle  zu  je  drei  Jochen,  von 
quadratischen,  rundbogigen,  rippenlosen  Kreuzgewölben  überspannt,  die  durch 
breite,  rechteckige  Gurtbögen  voneinander  getrennt  werden.  Ebensolche 
Schildbögen  verlaufen  an  den  Wänden.  Die  Gewölbe  werden  in  der  Mitte 
von  zwei  achteckigen,  mit  einfachen  Basen  und  kämpferartig  gestalteten 
Ivapitälen  versehenen  Säulen ,  von  denen  eine  mit  dem  Südjoch  zur  Zeit 
vermauert  ist,  an  den  Wänden  abwechselnd  von  achteckigen  Halbsäulen  und 
Konsolen  getragen. 3)  Die  Gewölbekappen  sind  aus  Tuffstein  hergestellt, 
Säulen,  Gurt-  und  Schildbögen,  sowie  die  Konsolen  aus  Basaltlava.  Das 
Ganze  zeugt  von  regelmäßiger  und  solider  Arbeit. 

Dieser  bis  zum  Scheitel  der  Gewölbe  3.58  m  hohe  und  mit  seinem 
Fußboden  1.80  m  unter  dem  Pflaster  des  Hofes  liegende  Raum  war  ur¬ 
sprünglich  ein  Erdgeschoß.  Seine  Höhenlage  entsprach  der  des  gewachsenen 
Bodens.  Bewiesen  wird  dies  durch  die  in  das  fast  ebenso  hoch  liegende  Erd¬ 
geschoß  des  Moselflügels  führenden  romanischen  Tore,  deren  Schwellen  früher 
in  einer  Ebene  mit  dem  äußeren  Terrain  ruhten,  jetzt  aber  tief  in  dem  auf¬ 
geschütteten  Boden  stecken.  Den  Grund  für  diese  Aufhöhung  darf  man  wohl 
darin  suchen,  daß  die  Deutschherren  durch  Überschwemmungen  über  die 
nicht  hochwasserfreie  Lage  ihrer  Gebäude  belehrt  wurden.4)  Sie  muß  schon 
sehr  frühzeitig  vorgenommen  sein ,  denn  der  romanische  Bau  des  Rhein¬ 
flügels  und  die  frühgotische  Kirche  stehen  bezw.  standen  bereits  auf  dem 
neuen  Bodenniveau,  das  dem  jetzigen  entspricht.  Bei  der  gotischen  Ver¬ 
längerung  des  Moselflügels  ist  man  dagegen  in  der  Ebene  des  Hauptbaues 
geblieben. 

Wie  sich  der  Südteil  des  Westflügels  in  romanischer  Zeit  in  die  Höhe 
entwickelte,  ist  nicht  mehr  festzustellen,  da  der  Bau  im  18.  Jahrhundert  bis 
auf  das  Untergeschoß  niedergerissen  und  neu  aufgeführt  wurde.  Deutlich 
erkennbar  ist  dies  aber  bei  dem  Nordteil.  Er  hatte  ein  Keller-,  Mittel-  und 
Obergeschoß.  Der  1.30  m  tiefer  als  das  Erdgeschoß  des  Südteils  liegende 
Keller  war  ein  dreischiffiger,  2.67  m  hoher  Raum  von  fast  gleich  langen 
Seiten  mit  neun  Jochen,  von  denen  sich  noch  sechs  erhalten  haben.  Sie 


1)  Für  das  Bruchsteinmaterial  besaß  das  Haus  einen  eigenen  Steinbruch,  aus 
dem  auch  die  Stadt  Coblenz  1277—1280  Steine  für  ihren  Mauerbau  bezog.  Vgl. 
Bär,  Der  Coblenzer  Mauerbau  S.  60,  77,  85. 

2)  Vgl.  Fig.  2  (auf  der  Tafel  am  Schluß  des  Heftes)  0  und  Fig.  3  links  unten. 

3)  Achteckige  Säulen  befinden  sich  auch  in  der  romanischen  Krypta  von 
St.  Severin  in  Köln. 

4)  Große  Überschwemmungen  fanden  1260  und  1279  statt.  Vgl.  die  Kölner 
Jahrbücher,  Chroniken  der  deutschen  Städte  XIII,  30  und  das  Chronicon  monasterii 
Campensis,  Annalen  des  liistor.  Vereins  für  den  Niederrhein  XXI,  295. 


1.  Die  romanische  Zeit. 


o 


Fig.  4.  Schnitt  durch  den  Moselflügel. 


6 


A.  Die  Baugeschichtc  des  Deutschordenshauses. 


sind  von  quadratischen,  rundbogigen  ')  Gratgewölben  überdeckt,  die  auf 
schlanken,  achteckigen  Säulen  mit  einfachen  Basen  und  trapezförmigen  Kapi¬ 
talen  ruhen.  Wandkonsolen  fehlen.  In  der  Ostwand  zeigt  sich  eine  Kamin¬ 
nische.  Das  Baumaterial  ist  das  gleiche  wie  im  Erdgeschoß  des  Südteils. 
Das  Mittelgeschoß,  welches  in  der  Zeit  der  Entstehung  des  Baues  1.S0  m 
über  dem  gewachsenen  Boden  lag,  jetzt  aber  zu  ebener  Erde  liegt,  trägt 
dieselbe  Struktur  wie  der  Kellerraum:  es  ist  eine  3.19  m  hohe,  dreischiffige 
Halle  gewesen,  von  denen  sich  gleichfalls  nur  zwei  Schiffe  erhalten  haben, 
da  man  im  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  durch  die  drei  Nordjoche  die  den 
Vorhof  mit  dem  Innenhof  verbindende  Durchfahrt  legte,  bei  welcher  Gelegen¬ 
heit  auch  die  entsprechenden  Joche  des  Kellers  mit  Erde  aufgefüllt  und  ver¬ 
mauert  wurden.  Auch  hier  finden  wir  rundbogige,1)  quadratische  Gratgewölbe, 
deren  Druck  von  achteckigen  Säulen  und  von  Wandkonsolen  aufgefangen 
wird.  Die  Säulen  sind  nicht  mehr  die  ursprünglichen  romanischen.  Sie 
tragen  gotische  Formen,  ihre  Kapitale  sind  durch  einfache  Auskehlungen  gebil¬ 
det,  doch  kann  man  sie  aus  stilistischen  Gründen  kaum  einer  genauer  begrenzten 
Zeit  zuweisen. 2)  Eine  Rundbogentür,  die  in  den  später  angebauten  Treppen¬ 
turm  führte,  ist  zugemauert. 3)  Im  Obergeschoß  zeigen  sich  von  romanischen 
Bauteilen  nur  noch  die  beiden  prächtigen  Fenster  in  der  Nordgiebelfront. 
Es  sind  gekuppelte  Rundbogenfenster,  jedes  umrahmt  von  einer  Kleeblatt¬ 
bogenblende  mit  eingelegtem  Rundstab  (Blendenhöhe  2.50  m,  Blendenbreite  1.55, 
Höhe  der  Fenster  im  Lichten  1.53,  Breite  je  0.60  m). 4) 

Auch  der  Mos  elf  1  ü  g  e  1 5)  birgt  noch  so  zahlreiche  und  zusammenhängende 
Architekturteile  aus  der  romaniscke'n  Zeit,  daß  wir  uns  unschwer  das  ganze 
Gebäude  rekonstruieren  können.  Die  Maße  seines  Grundrisses  sind 
18.10:  11.05  m.  Die  Höhe  der  romanischen,  später  um  etwa  1.30  m  auf¬ 
gemauerten  Umfassungsmauern  bis  zum  Dachansatz  beträgt  11.50  m,  bis  zum 
First  des  romanischen  Daches  etwa  1 6  V2  m.  Das  romanische  Dach  hatte  eine 
viel  flachere  Neigung  als  das  jetzige  gotische,  dessen  Höhe  bis  zum  First 
21.73  m  zählt,  seine  Giebel  waren  abgetreppt,  wie  sich  noch  deutlich  an  der 
Westseite  des  Dachbodens  wahrnehmen  läßt.  Die  Stärke  der  Mauern  ist 
etwas  beträchtlicher  als  beim  Westflügel:  im  Erdgeschoß  nach  Norden  1.25, 
nach  Westen  1.10,  nach  Süden  1.00,  nach  Osten  1.10  m,  in  den  oberen 
Etagen  entsprechend  0.95  :  0.90  :  0.90  :  1  m.  Das  Material  besteht  aus 
Bruchstein. 


1)  Auf  der  Fig.  3  sind  die  Gewölbe  irrtümlich  als  spitzbogige  wieder¬ 
gegeben. 

2)  Sie  sind  wohl  nach  dem  Muster  der  Säulen  des  gotischen  Anbaues  ge¬ 
macht. 

3)  Das  in  dem  Gewölbefeld  über  ihr  gemalte  Deutschordenswappen  (Kreuz 
mit  aufgelegtem  Adler)  stammt  aus  ganz  später  Zeit. 

4)  Vgl.  Fig.  5.  Nach  gell.  Mitteilung  des  Herrn  Landbauinspektors  Haltermann 
hat  sich  beim  Umbau  auf  der  westlichen  Innenwand  des  Westflügels  ein  Rest  von 
Bemalung  aus  gotischer  Zeit  gefunden  und  zwar  ein  Pflanzenomament. 

5)  Vgl.  Fig.  2  (auf  der  Tafel  am  Schluß  des  Heftes)  B. 


8 


A.  Die  Baugeschichte  des  Deutsehordenshauses. 


Das  romanische  Erdgeschoß,  dessen  Boden  1.20  m  unter  dem  jetzigen 
Niveau  des  Hofes  liegt,  bildete  eine  zweischiffige,  4,35  m  hohe  Halle  von 
sechs  Jochen,  deren  rundbogige,  grätige  Kreuzgewölbe  auf  zwei  runden 
Mittelsäulen  ruhten.  Die  größere  Hälfte  des  Raumes  ist  nach  einem  Durch¬ 
bruch  der  Decke  im  vorigen  Jahrhundert  in  zwei  Tonnengewölbe  umge¬ 
wandelt  worden  '),  nur  der  kleinere,  westliche  Teil  ist  in  seiner  ursprüng¬ 
lichen  Form  erhalten.  liier  haben  die  Gewölbe  keine  regelmäßige  Kreuz¬ 
form,  weil  sie  sich  nicht  gradlinig  auf  die  Westwand  aufsetzen  konnten,  son¬ 
dern  einer  in  der  Mitte  dieser  Wand  angelegten  Tür  ausweichen  mußten. 
Wandkonsolen  fehlen.  Die  runde  Mittelsäule  aus  Basaltlava  hat  eine  Trommel¬ 
basis  und  ein  ebensolches  Kapitäl.  Schaft  und  Kapital  tragen  Steinmetz¬ 
zeichen.1 2)  In  der  Nordwestecke  zeigt  sich  eine  gerundete,  nischenartige 
Mauerausbuchtung.  Außer  der  Westtür  besitzt  die  Halle  noch  ein  auf  den 
Hof  führendes  Tor  in  der  Südwand.  Von  zwei  großen,  rundbogigen,  tief 
in  der  Erde  steckenden  Toren  in  der  Ostwand  sind  noch  Bogenteile 
sichtbar. 

Auf  dem  Erdgeschoß  erhoben  sich  zwei  obere,  in  gotischer  Zeit  zu  einer 
einzigen  hohen  Halle  vereinigte  Stockwerke,  die,  wie  ihre  geringen  Höhen¬ 
maße  von  je  etwa  3.50  m  dartun,  nicht  eingewölbt  waren,  sondern  flache 
Holzdecken  trugen.  Das  erste  diente  ohne  Zweifel  wie  später  der  ganze 
Raum  als  Remter,  der  zweite  wahrscheinlich  als  Dormitorium.  Von  den 
äußeren  Architekturteilen  ist  uns  in  der  Westfront 3 4)  ein  Bruchstück  des  den 
Eingang  zum  Remter  bildenden  Portals  erhalten,  zu  dem  eine  Freitreppe  empor¬ 
führte.  Es  war  ein  rundbogiges  Tor  von  3.32  m  innerer  Höhe  und  2.04  m 
Breite  mit  reichgegliederter  Laibung,  in  die  zwei  Rundstäbe  eingelegt  sind. 
Über  ihm  im  zweiten  Obergeschoß  sitzt  ein  von  einer  Rundbogenblende  um¬ 
gebenes  Doppelfenster  von  2.50  m  innerer  Bogenöffnung  und  1.56  m  Breite, 
dessen  Mittelsäule  zerstört  ist,  und  noch  höher  hinauf  im  Giebeldreieck  ein 
kleiner  Vierpaß.  Von  den  vier  Zwillingsfenstern  der  gegenüberliegenden 
Ostfront  ist  leider  nur  eins  der  beiden  des  zweiten  Obergeschosses  auf  uns 
gekommen,  dieses  aber  unversehrt:  ein  gekuppeltes  Fenster  von  fast  der 
gleichen  Struktur  wie  die  des  Westflügels  mit  Mittelsäulchen,  Knosp enkapitäl 
und  Eckblattbase,  in  einer  Kleeblattbogenblende  mit  eingefügtem  Rundstab 
stehend.  (Innere  Höhe  der  Blende  2.66  m,  innere  Blendenbreite  1.93,  Höhe 
der  Fenster  im  Lichten  1.52,  Breite  je  0.70  m.)  In  der  Nordwand  hat  man 
bei  den  Umbauarbeiten  der  Jahre  1895 — 1897  in  den  Gewänden  der  go¬ 
tischen  Fenster  Reste  von  anscheinend  zwölf  romanischen  Fenstern  entdeckt  4), 

1)  Die  beiden  dort  angebrachten  Türstürze,  der  eine  mit  dem  Wappen  des 
Komturs  Casp.  Christian  v.  Neuhoff  und  der  Jahreszahl  1676,  der  andere  mit  der 
Inschrift  Trapeney,  stammen  aus  anderen  Bauteilen. 

2)  Auch  das  mit  dem  gleichen  Steinmetzzeichen  versehenen  Kapitäl  der  an¬ 
deren  Säule  ist  noch  erhalten.  Es  ruht  in  dem  hallenartigen  Raum. 

3)  Vgl.  Fig.  6  (auf  der  Tafel  am  Schluß  des  Heftes). 

4)  Nach  freundlicher  Mitteilung  des  Herrn  Kais.  Postbauinspektors  Höfig,  der 
an  jenen  Arbeiten  teilgenommen  hat. 


1.  Die  romanische  Zeit. 


9 


die  nicht  freigelegt  bleiben  konnten.  Jedes  der  Obergeschosse  hätte  dem¬ 
nach  nach  dieser  Seite  hin  je  sechs  einfache  Rundbogenöffnungen  gehabt. 
Sind  solche  schlichten,  ungepaarten  Fenster  schon  an  und  für  sich  für  diese 
Zeit  entwickeltester  Romanik  wenig  wahrscheinlich,  so  legt  die  Betrachtung 
eines  anderen  Gebäudes,  dessen  Entwurf  ohne  Zweifel  auf  den  Architekten 
des  Moselflügels  zurückzuführen  ist,  die  Vermutung  nahe,  daß  wir  es  hier 
nicht  mit  Resten  von  zwölf  Einzelfenstern,  sondern  mit  solchen  von  sechs 
dreifach  gekuppelten  Fenstern  zu  tun  haben.  Es  ist  das  Haus,  welches  die 
Coblenzer  Ordensritter  kurze  Zeit  vor  unserem  Bau  in  Boppard  auf  ihrem 
im  südöstlichen  Stadtteil  am  Rheinufer  gelegenen  Hofe  errichten  ließen.1 2)  In 
den  Höhenverhältnissen  des  Aufbaues  und  der  Ausbildung  des  Details  dem 
Moselflügel  aufs  engste  verwandt,  zeigt  dieses  Gebäude  an  der  Giebelfront 
Doppelfenster  in  Kleeblattbögen,  im  zweiten  Obergeschoß  der  Langseite11) 
aber  Fenster,  die,  von  einem  Rundbogen  umschlossen,  dreifach  auf  zwei 
Mittelsäulen  gekuppelt  sind.  Ihre  Breite  entspricht  dem  jedesmaligen  inneren 
Abstand  zwischen  zwei  Laibungsbogen  der  in  der  Nordwand  des  Moselflügels 
steckenden  Fensterreste.  Nehmen  wir  auch  für  die  Südwand  des  Hauses  die¬ 
selbe  Fensterbildung  an,  so  steht  der  unten  burgartig  ernste,  nach  der  Höhe 
zu  lebendig  gegliederte  Bau  kräftig  und  anmutig  zugleich  in  voller  Deutlich¬ 
keit  vor  unsern  Augen. 

Einen  Schmuck  eigener  Art  besaß  der  Moselflügel  in  seiner  äußeren 
Bemalung.  Ein  großes  Stück  von  ihr  ist  unter  dem  Schutze  eines  sich  an¬ 
lehnenden  Daches  auf  der  Westgiebelseite  erhalten  geblieben,  kleinere  Reste 
finden  sich  etwas  tiefer  an  derselben  Wand  und  am  Erdgeschoß  der  Ost¬ 
front.  Sie  sind  zugleich  von  besonderem  kunstgeschichtlichen  Interesse  als 
das  vielleicht  einzige  auf  uns  gekommene  Beispiel  einer  auf  Verputz  aus¬ 
geführten,  äußeren  Bemalung  eines  romanischen  Profanbaus. 

Auf  einer  etwa  3  cm  dicken,  sorgfältig  geglätteten  Mörtelschicht  ruht 
als  Grundton  ein  leuchtendes  Ziegelrot  (gebrannter,  lichter  Ocker),  in  Ab¬ 
ständen  von  22  cm  wagerecht  von  weißen  Linien  durchzogen,  so  daß  der 
Eindruck  entsteht,  als  legten  sich  breite,  rote  Bänder  horizontal  um  das 
ganze  Gebäude.  Um  den  Bogen  des  oberen  Fensters  zieht  sich  in  Weiß 
und  Schwarz  auf  rotem  Grunde  ein  Arkadenornament,  das  etwas  variiert 
auch  das  Portal  des  ersten  Geschosses  und  ein  Tor  des  Erdgeschosses  auf 
der  Ostseite  schmückt,  am  letzteren  Ort  noch  von  einem  gelben  Band  um¬ 
rahmt.3)  Auf  dem  eingelegten  Eckstab  des  Fensters  bemerken  wir  ferner 

1)  1234  übergab  Lukardis  von  Waltmanshusen  dem  Deutschen  Orden  ihr  Haus 
mit  Hof  zu  Boppard  unter  dem  Vorbehalt,  es  lebenslänglich  bewohnen  zu  dürfen. 
1242  verzichtete  sie  auf  diesen  Vorbehalt,  und  die  Brüder  konnten  den  Neubau 
beginnen.  Vgl.  Hennes  a.  a.  0.  I  S.  100  und  114. 

2)  Diese  Langseite  ist  jetzt  leider  durch  moderne  Romanisierang  verunstaltet. 
Ihr  früheres  Aussehen  gibt  die  Abbildung  bei  Bock,  Rheinlands  Baudenkmale  des 
Mittelalters,  Bd.  II,  wieder.  Vgl.  auch  Lehfeldt,  Die  Bau-  und  Kunstdenkmäler  des 
Reg.  Bez.  Coblenz  581. 

3)  Vgl.  Fig.  7  und  8. 


10 


A.  Die  Baugeschichte  des  Dcutschordenshauses. 


ein  Ornament  von  regellos  gegeneinander  gestellten,  halbmondförmigen  Flecken 
in  braunroten  (Drachenblut,  caput  mortuum  dunkel),  gelben  (lichtem  Ocker) 
und  weißen  Tönen,  das  anscheinend  die  Äderung  buntfarbigen  Marmors 
nachahmen  soll  und  in  kleinerer  Form  und  in  den  Farben  Gelb  weiß  und 
Blauweiß  auf  dem  Rundstab  des  nach  alten  Spuren  neubemalten  Fensters 
im  Obergeschoß  der  Ostfront  wiederkehrt.1)  An  diesem  Fenster  ist  der  Schaft 
der  Mittelsäule  schwarz,  Base  und  Knospenkapitäl  gelb  und  rot  bemalt. 


Fig.  S. 


Fig.  7. 


Den  Zeitgenossen  erschien  dieser  farbenreiche  Schmuck  des  Gebäudes 
bemerkenswert  genug,  um  es  mit  dem  Namen  „rotes  Haus“  (domus 
rubricata,  domus  rubea)  unter  den  anderen  Bauten  herauszuheben.'2)  Später 
ist  die  gleiche  Bemalung  auf  den  Westflügel  übertragen  worden,  wie  Reste, 
die  sich  um  die  in  den  Treppenturm  führende  Spitzbogentüre  ziehen,  und 
die  renovierte  Polychromie  der  Kleeblattbogenfenster  beweisen.3) 

1)  Das  Fleckmotiv  finden  wir  auch  im  Innern  der  Severuskirche  zu  Boppard, 
der  Liebfrauenkirche  zu  Andernach  und  in  der  Nunkirche  bei  Sargenroth  auf  dem 
Hunsrück  (vgl.  Clemen,  Die  romanischen  Wandmalereien  der  Rheinlande,  Tafel  32, 
33,  47,  60),  das  Arkadenmotiv  in  den  Schiffen  der  Klosterkirche  Arnstein  a.  d.  Lahn 
und  der  romanischen  Kirchen  in  Güls  und  Niedermendig. 

2)  Vgl.  S.  11. 

3)  Im  14.  Jahrhundert  stand  in  der  Nähe  noch  ein  drittes  rotes  Haus,  von 
dem  die  Stadt  Coblenz  einen  Zins  bezog:  dat  rode  huß  by  deine  Dutzschen  huse, 


1.  Die  romanische  Zeit. 


11 


Auch  am  Rheinfltigel  *)  sind  Überreste  eines  romanischen  Baues 
bloßgelegt  worden  und  zwar  dort,  wo  seine  Nordwestecke  an  die  Mosel¬ 
durchfahrt  stößt.  Man  siebt  hier  wohlgefügte,  an  das  Bruchsteinmauerwerk 
gesetzte  Eckquadern,  die  in  der  Form  eines  Wulstes  abgerundet  sind,  der 
nach  oben  mit  einem  würfelkapitälartigen  Aufsatz  abschließt.  Sie  müssen 
zu  einem  Gebäude  von  kleinen  Verhältnissen  gehört  haben,  das  dann 
später  in  den  großen  Neubau  einbezogen  worden  ist. 

Wie  verhalten  sich  nun  die  Angaben  der  urkundlichen  Überlieferung 
zu  diesem  architekonisclien  Befund  aus  romanischer  Zeit?  Haben  wir 
hier  die  älteste  Deutschordensanlage  vor  uns,  und  sind  die  drei  Gebäude 
gleichzeitig  oder  nacheinander  entstanden?  Es  wird  sich  zeigen,  daß  das 
Hospital,  das  mit  der  Kapelle  naturgemäß  den  frühesten  Teil  einer  Gründung 
von  Hospitalsbrüdern  bilden  muß,  in  keinem  dieser  Bauten  seine  Unter¬ 
kunft  hatte. 

In  einer  Urkunde  vom  3.  Dezember  1 2  7 9 2)  gestatten  der  Erzbischof 
Heinrich  von  Trier  und  die  Stadt  Coblenz,  daß  die  Deutschordensritter  einen 
bisher  öffentlichen,  durch  ihre  Besitzung  führenden  Weg  durch  ein  Tor 
sperren,  und  übergeben  ihnen  den  abgesperrten  Teil  zu  Eigen.  Es  heißt 
dort,  daß  sie  erlauben,  quod  viam  publicam,  per  quam  itur  iutra  iamdictum 
hospitale  et  capellam  fratrum  predictorum  per  portam  quandam  construendam 
sumptibus  eorundem  in  principio  seu  in  capite  edificiorum  dicte  domus  iuxta 
capellam  predictam  versus  plagam  occidentalem  ad  utilitatem  dicte  domus 
et  fratrum  obstruere  libere  valeant  et  licenter  aperiendam  pariter  et  claudendam 
tantummodo  pro  necessitatibus  dicte  domus  et  fratrum  et  quando  ipsorum 
placuerit  voluntati,  residua  parte  dicte  vie,  videlicet  a  porta  predicta  usque 
ad  portam  opidi  Confluentini  sitam  iuxta  Tyliam  versus  flumen  Moselle 
dictis  fratribus  et  eorum  usibus  minime  precludenda.  Dicti  vero  commendator 
et  fratres  pro  recompensatione  pariter  et  restauro  vie  prefate  a  porta  pre¬ 
dicta  fratrum  usque  ad  finem  nove  domus  site  super  flumina  Reni  et 
Moselle  videlicet  usque  ad  parietem  orientalem,  ipsorum  fratrum,  ut  predic- 
tum  est,  usibus  deputate,  iuxta  parietem  orientalem  iam  predictam  per  mu¬ 
mm  exteriorem  opidi  Confluentini  ex  opposito  vie,  per  quam  itur  de  Mo- 
sella  versus  chorum  ecclesie  s.  Castoris,  portam  unam  ad  latitudinem  et  men- 
suram  eiusdem  vie  et  a  fronte  rubricate  domus  dictorum  fratrum  viam 
publicam  ad  latitudinem  octo  pedum  extra  muros  opidi  Confluentini  usque 
ad  predictam  portam  dicti  opidi  Confluentini,  clausam  et  munitam  versus 
flumen  Moselle  firmo  murali  propugnaculo  dicti  commendator  et  fratres  ad 
utilitatem  reipublice  Confluentini  opidi  construere  tenebuntur  et  quoties  opus 
fuerit  reedificare  suis  laboribus  et  expensis,  ne  per  ruinas  aliquas  in  quan- 
tum  dicta  via  publica  se  extendit  sepedictum  Confluentinum  opidum  defor- 

das  da  steit  uff  der  stede  muren  liinder  s.  Castoirs  chore.  Vgl.  das  älteste  Zins¬ 
register  im  Stadtarchiv  Coblenz. 

1)  S.  Fig.  2  (auf  der  Tafel  am  Schluß  des  Heftes)  A. 

2)  Hennes  a.  a.  0.  II.  S.  222. 


12 


A.  Die  Baugesehichte  des  Deutschordenshauses. 


metur.  Erzbischof  Heinrich  drückt  sich  zwei  Jahre  später  *)  auf  die  Klage 
des  Castorstifts,  daß  es  durch  diese  Konzession  geschädigt  werde,  also  aus: 
er  habe,  cum  per  strepitum  et  clamores  cottidie  transeuntium  per  viam,  que 
dividit  capellam  domus  ipsorum  ab  hospitali  eiusdem,  ex  una  parte  divinum 
officium  in  capella  et  ex  alia  parte  paupernm  et  infirmorum  in  eodem  hospi¬ 
tali  decumbentium  commodum  tnrbaretur,  den  Deutschordensherren  die  Schlie¬ 
ßung  des  Weges  durch  ein  Tor  gestattet,  in  cuius  vie  restaurum  de  nostro 
consilio  et  mandato  viam  aliam  in  loco  magis  congruo  construxerunt  .  .  .  . 
cum  firmo  murali,  per  quod  ipsum  opidum  firmitatis  augmentum  recipit  et 
munimen.  Er  veranlaßt  eine  Untersuchung  der  Beschwerde  des  Castorstifts. 

Aus  diesen  beiden  Urkunden  ergibt  sich,  daß  ein  Weg  von  dem  Lindentor 
an  der  Mosel,  der  späteren  Scliwanenpforte,  über  den  Castorplatz  (plaga 
occidentalis)  durch  die  Ordensniederlassung  und  zwar  zwischen  der  Kapelle 
und  dem  Hospital  hindurch  zum  Rhein  führte.  Der  Teil  des  Weges  von 
der  Kapelle  an,  wo  die  Gebäude  des  Ordens  beginnen,  bis  zur  Ostwand  des 
neuen  Hauses  am  Rhein  wird  den  Brüdern  zur  Verfügung  gestellt,  die  dafür 
die  Verpflichtung  übernehmen,  an  jener  Ostwand  ein  Tor  durch  die  Stadt¬ 
mauer  zu  brechen  und  von  der  (Ost)-front  des  „roten“  Hauses  einen  öffent¬ 
lichen,  durch  eine  Mauer  befestigten  Weg  außerhalb  der  Stadtmauer  an  der 
Mosel  hin  bis  zum  Lindentor  anzulegen.  Man  konnte  nun,  ohne  das  Gebiet 
des  Deutschen  Ordens  zu  berühren,  von  dem  genannten  Tor  der  Mosel  ent¬ 
lang  bis  zum  Deutschen  Eck  und  von  dort  durch  ein  schon  vorhandenes 
Moseltor  und  durch  das  neue  Rheintor  an  den  Rhein  gelangen. 

Im  Jahre  1353 1  2)  hat  die  Stadt,  als  sie  an  jener  Stelle  eine  Erhöhung  der 
Stadtmauer  vornahm,  die  Deutschordensherren  von  der  Verpflichtung,  die  jenen 
Weg  sichernde  Mauer  zu  unterhalten,  entbunden.  Sie  schloß  auch  das  Rheintor, 
errichtete  dort,  wo  die  Mosel-  und  Rheinmauer  zusammenstießen,  eine  große 
Pforte  und  in  dieser  eine  kleinere,  deren  Schlüssel  sie  den  Brüdern  anvertraute. 

Zweifel,  die  man  noch  über  die  Lage  des  Hospitals  und  der  älteren 
Kapelle  hegen  könnte,  werden  vollends  durch  folgende  urkundliche  Nach¬ 
richten  beseitigt.  Am  22.  Juli  1281 3)  erwirbt  der  Deutschorden  von  Lucia, 
Witwe  des  Ritters  Simon  de  Porta,  das  westlich  an  das  Hospital  stoßende 
Grundstück,  ex  cuius  uno  latere  seil,  versus  orientem  est  hospitale  .  .  .  . 
commendatoris  et  fratrum,  ex  alio  latere  versus  septentrionem  est  murus 
opidi  Confluentini,  ex  tercio  latere  versus  meridiem  est  via  publica,  und  als 
im  Jahre  1318  Stadt  und  Erzbischof  die  in  der  Fortsetzung  dieses  Grund¬ 
stücks,  etwa  an  der  Stelle  der  jetzigen  Dienerwohnung  liegende  Hausstätte 
schenken,  wird  sie  in  der  städtischen  Urkunde 4)  folgendermaßen  orientiert:  ex 
uno  latere  possident  dicti  fratres  et  situm  est  hospitale  eorundem,  ex  alio 


1)  Urkunde  von  1281  Nov.  23  bei  Hennes  a.  a.  0.  I  S.  245. 

2)  Günther,  Codex  dipl.  Rheno-Mosellanus  Hl  S.  603. 

3)  Hennes  a.  a.  0.  II  S.  238. 

4)  Hennes  I  S.  366. 


1.  Die  romanische  Zeit. 


13 


sita  est  domus  lapidea  pertinens  ad  altare  ss.  Petri  et  Pauli  apostolorum  in 
ecclesia  s.  Castoris,  ex  anteriori  parte  est  vicus  et  ingressus,  qui  ducit  ad 
monasterium  fratrum  predictorum,  ex  quarto  latere  tendit  dicta  area  super 
murum  oppidi  Confluentini  versus  Mosellam,  und  iu  der  Urkunde  des  Erz¬ 
bischofs  *)  heißt  es  von  ihr:  aream  nostram  sitam  ....  inter  hospitale  fra¬ 
trum  Thetonicorum  ibidem  ex  una  parte  et  domum  lapideam  spectantem 
ad  altare  ss.  Petri  et  Pauli  ap.  in  ecclesia  s.  Castoris  ....  ex  altera,  item 
inter  capellam  dictorum  fratrum  Thetonicorum  ex  una  parte  et  murum  opidi 
nostri  Confluentini  versus  Mosellam  ex  altera. 

Damit  ist  nicht  nur  erwiesen,  daß  die  romanische  Kapelle  an  der  Stelle 
der  späteren  gotischen  Kirche  stand  und  wesentlich  kleiner  als  diese  nicht 
so  wreit  nach  Westen  vorsprang  —  denn  die  in  der  erzbischöflichen  Urkunde 
von  1318  erwähnte  Kapelle  ist  der  1302  vollendete  Neubau,  und  1281 
konnte  man  noch  nicht  wie  1318  das  Grundstück  gegen  Süden  nach  der  Kapelle 
orientieren,  obwohl  es  dichter  an  dem  Hospitalbau  lag  als  das  von  1318  — , 
sondern  wir  erhalten  auch  ein  deutliches  Bild  von  der  ganzen  ältesten  An¬ 
lage,  wie  sie  unmittelbar  nach  der  Gründung  im  Jahre  1216  entstanden  ist. 
Von  sehr  bescheidenem  Umfang  bestand  sie  nur  aus  einer  kleinen  Kapelle, 
dem  von  dieser  durch  einen  Weg  geschiedenen  Hospital,  dort  gelegen,  wo 
sich  später  die  gotische  Verlängerung  des  Moselflügels  erhob,  aber  nicht  so 
groß  wie  dieser  Bau,  und  einem  Wohnhaus  für  die  Brüder,  das  wir  in  dem 
oben  beschriebenen  Westflügel  oder  wahrscheinlicher  noch  in  seiner  südlichen 
Hälfte  zu  suchen  haben.  Die  kleine  Gebäudegruppe  war  nach  der  Rheinseite,  nach 
Süden  und  Westen  von  fremdem  Besitz,  nach  Norden  von  der  Mosel  eingeengt. 

Schon  bald  machte  sich  bei  der  wachsenden  Zahl  der  Ordensritter  das 
Bedürfnis  nach  Ausdehnung  geltend,  man  suchte  zunächst  den  Anschluß  an 
den  Rhein  zu  gewinnen.  Am  25.  Januar  1249  schenkte  Ludwig  von  Rudens- 
heim  5/e  Teile  seines  dem  Deutschordenshause  benachbarten,  an  die  Ufer  des 
Rheines  und  der  Mosel  stoßenden  Hauses  mit  dem  davor  liegenden  Grund¬ 
stück  dem  Orden,  der  fehlende  Anteil  wurde  erst  1288  von  Hermann  von 
Horcheim  hinzuerworben.1 2)  Man  legte  das  Haus  nieder  und  errichtete  ein 
neues,  den  Moselflügel,  das  unter  der  Bezeichnung  „rotes  Haus“  (domus 
rubricata)  zuerst  in  der  oben  wiedergegebenen  Urkunde  von  1279  genannt 
wird.3)  Doch  war  dieser  Bau  schon  früher  vollendet  worden,  denn  als  die 
Stadt  im  Jahre  1254  gelobt,  gegen  eine  Geldentschädigung  die  Siedelung 
des  Deutschen  Ordens  in  den  neuen  Mauerring  einzubeziehen,  da  soll  die 


1)  Hennes  I  S.  367. 

2)  Hennes  I  S.  132  uud  271. 

3)  De  rubea  domo  prima  donatio  und  litterae  de  domo  rubea  lauteten  die 
Dorsalnotizen  von  alter  Hand  auf  den  beiden  Erwerbsurkunden  von  1249  und  1288. 
Vgl.  Notiz  in  den  Prozeßakten  saec.  XVI  im  Coblenzer  Stadtarchiv,  Akten  No.  187. 
Daß  man  das  alte  Haus  nicht  stehen  ließ,  sondern  ein  neues  aufführte,  beweist  die 
Urkunde  von  1288,  in  der  es  heißt,  daß  das  letzte  Sechstel  der  domus  quondam 
vicina  domui  Theutonice  verkauft  werde. 


14  A.  Die  Baugeschichte  des  Deutschordeushauses. 

Mauer  die  Häuser,  Wohnungen  und  Grundstücke  in  angulo  utriusque  lateris 
Reni  et  Moselle  umschließen  und  vom  Rhein  usque  ad  domum  ipsorum 
maiorem  führen1),  worunter  nichts  anderes  als  der  neue  Bau  verstanden 
werden  kann.  Bei  dieser  Gelegenheit  erhielten  die  Brüder  auch  die  Aussicht 
auf  einen  direkten  Zugang  zur  Mosel,  der  von  der  Stadt  herzustellen  war 
und  der  Obhut  der  Brüder  anvertraut  werden  sollte.  Doch  scheinen  die 
Bürger  ihrer  Verpflichtung  nicht  nachgekommen  zu  sein,  da  in  dem  Vertrag 
vom  20.  September  1275  2)  ausgemacht  wird,  daß  die  Ordensherren  das  für 
den  gemeinsamen  Gebrauch  der  Stadt  und  der  Bürger  bestimmte  Moseltor 
bauen  sollen.  Es  ist  später  der  Anlaß  zu  langwierigen  Streitigkeiten  mit 
der  städtischen  Verwaltung  geworden. 

Mit  dem  Erwerb  des  Rudensheimschen  Hauses  im  Jahr  1249  war  man 
dem  Rhein  nahegekommen,  hatte  ihn  aber  noch  nicht  ganz  erreicht,  denn 
ein  öffentlicher  Weg  trennte  das  Ordensgrundstück  noch  von  dem  Fluß. 
In  den  Besitz  dieser  Straße,  an  deren  Ostrand  unterdessen  die  neue  Stadt¬ 
mauer  aufgeführt  worden  wrar,  gelangten  die  Ritter  im  Jahre  1 2  7 5 . 3)  Erz¬ 
bischof  und  Stadt  übergaben  ihnen  den  Weg  zur  beliebigen  Bebauung.  Als 
Ersatz  hatten  sie  auf  entsprechende  Länge  einen  Pfad  außerhalb  der  Stadt¬ 
mauer  anzulegen,  der  so  breit  sein  sollte,  daß  sich  zwei  Passanten  aus- 
weichen  könnten.  In  der  Urkunde  wird  gesagt,  daß  sich  schon  Gebäulich¬ 
keiten  des  Ordens,  an  die  Stadtmauer  angelehnt,  auf  dem  geschenkten 
Terrain  befänden.  Es  werden  zu  Wirtschaftszwecken  dienende,  leichte  Fach¬ 
werkbauten  gewesen  sein,  aber  wir  haben  unter  ihnen  auch  den  kleinen,, 
massiven,  wahrscheinlich  kurz  nach  dem  Moselflügel  entstandenen  Bau  zu 
suchen,  dessen  nordwestliche  Ecke  erhalten  ist  und,  wie  oben  erwähnt,  rein 
romanische  Formen  zeigt.  Im  Anschluß  an  dieses  Haus  und  unter  Ver¬ 
wendung  desselben,  wurde  nun  der  große,  dreigeschossige,  alle  anderen  Ge¬ 
bäude  der  Niederlassung  überragende  Rheinflügel  aufgeführt,  und  zwar,  wie 
aus  den  Höhenverhältnissen  zu  schließen  ist,  in  dem  neuen  gotischen  Stil.  Am 
Ende  des  Jahres  1279  war  er  bereits  fertiggestellt4)  und  damit  die  Bautätig¬ 
keit  an  den  Profanbauten  der  Anlage  zu  einem  vorläufigen  Abschluß  gebracht. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  noch  einmal  das  Bild  der  damaligen  Kom¬ 
turei,  so  sehen  wir  zwei  Gebäudegruppen,  die  kleinere  und  ältere,  bestehend 
aus  dem  Hospital,  der  Kapelle  und  dem  jetzigen  Westflügel  bezw.. seinem 


1)  Hennes  a.  a.  0.  1  S.  145. 

2)  Henues  I  S.  210.  Papst  Nikolaus  III.  bestätigte  die  Überlassung  des  Weges 
am  23.  März  1280  A.  a  0.  232. 

3)  De  via  versus  Renum  apud  magnam  domum  stand  von  alter  Hand  ge¬ 
schrieben  auf  der  Rückseite  der  Urkunde  von  1275.  Vgl.  Prozeßakten  saec.  XVI 
im  Stadtarchiv  Coblenz,  Akten  No.  187.  Als  das  Castorstift,  das  auch  gegen  die 
Überlassung  dieses  Weges  an  den  deutschen  Orden  Einspruch  erhoben  hatte,  sich 
am  26.  Juli  1291  (Original  im  Staatsarchiv  Coblenz,  Deutscher  Orden,  Urk.  No.  9a) 
zufrieden  gibt,  wird  das  neue  Haus  auch  nova  domus  magna  genannt. 

4)  Vgl.  oben  die  nova  domus  in  der  Urkunde  von  1279  Dez.  3. 


1.  Die  romanische  Zeit. 


15 


Südteil,  und  eine  neue,  den  Mosel-  und  Rheinflügel,  die  mit  dem  Westflügel 
wie  jetzt  noch  den  inneren  Hof  umgaben.  Zwei  Wege  durchschnitten  das 
Deutschordensgebiet :  der  eine,  vom  Castorhof  kommend,  führte  zwischen  der 
Kapelle  und  dem  Hospital  und  zwischen  dem  West-  und  Moselflügel  hindurch 
auf  den  Binnenhof  und  endete  an  dem  neben  der  Nordseite  des  Rheinflügels 
gelegenen  Rheintor,  der  andere  lief  von  der  Moselpforte  her  zwischen  Mosel¬ 
und  Rheinflügel  hindurch  auf  den  Chor  von  St.  Castor  zu. 

Der  Besitz  des  Hauses  war  nach  Osten  und  Westen  zu  von  Grund¬ 
stücken  und  Häusern  des  benachbarten  Stifts,  der  Stadt  und  des  Erzbischofs 
umgeben.  Nach  diesen  Seiten  hin  mehr  Raum  zu  gewinnen,  ließ  man  sich 
in  den  letzten  Jahrzehnten  des  13.  Jahrhunderts  angelegen  sein.  Von  dem 
Erwerb  von  Grundstücken,  die  in  der  westlichen  Verlängerung  des  Hospitals 
agen  und  wahrscheinlich  zur  Anlage  von  Stallungen  benutzt  wurden,1)  war 
oben  bereits  die  Rede.  Im  Jahr  1298  wird  schon  der  Garten  (viridarium) 
erwähnt.2)  Der  Orden  kaufte  damals  von  dem  Castorstift  ein  daran  an¬ 
stoßendes  Haus.  Eine  der  Verkaufsbedingungen  lautete,  daß  auf  seiner  Stelle 
kein  Friedhof  angelegt  werden  dürfte.  Die  Brüder  hatten  in  dieser  Zeit  schon 
eine  zweite  Begräbnisstätte  einrichten  müssen.  Die  ältere  lag  wohl  westlich 
vor  der  Kapelle,  die  neue  südlich  von  ihr  in  dem  benachbarten  Garten.3) 


2.  Die  gotische  Zeit. 

Ist  es  schon  in  hohem  Grade  wahrscheinlich,  daß  der  Bau  des  Rhein¬ 
flügels  in  gotischen  Formen  aufgeführt  wurde,  so  betreten  wir  mit  den  neuen 
kirchlichen  Bauten  sicher  den  Boden  des  neuen  Stils.  Wie  der  Kirchhof,  so 
war  auch  die  Kapelle  zu  klein  geworden.  Man  entschloß  sich  zu  einem 
Neubau,  der  im  Jahre  1302  vollendet  war.4 5) 

Von  dieser  Kirche  stehen  nur  noch  geringe  Reste,  doch  ermöglichen 
sie  in  Verbindung  mit  einem  in  der  französichen  Zeit  hergestellten  Plan,0) 
der  einen  Querschnitt  und  Grundriß  zeigt,  eine  ziemlich  deutliche  Rekonstruk¬ 
tion.  Die  Maße  betrugen  in  Länge,  Breite  und  Höhe  bis  zum  Dach 


1)  Wenn  ein  Rückschluß  aus  dem  späteren  Zustand  erlaubt  ist.  1286  wird 
zum  erstenmal  ein  Pferdestall  aufgeführt.  Hennes  a.  a.  0.  I  S.  267. 

2)  Hennes  a.  a.  0.  I  S.  298. 

3)  1284  (Orig.  Staatsarchiv  Coblenz,  St.  Castor  No.  31a)  ist  von  dem  Cimi- 
terium  antiquum  die  Rede.  Vgl.  auch  die  Urkunde  von  1302  (a.  a.  0.  No.  48). 
1354  wird  die  neue  Kapelle  im  Kirchhof  errichtet.  Vgl.  Hennes  a.  a.  0.  I  S.  408. 

4)  Erzbischof  Diether  von  Trier  gestattet  am  31.  Aug.  1302,  capellam  de  novo 
factam  et  altaria  in  eadem  constructa  in  seiner  Stellvertretung  durch  einen  anderen 
Bischof  weihen  zu  lassen.  Hennes  a.  a.  0.  I  S.  318. 

5)  Staatsarchiv  Coblenz,  Kartensammlung  E  19.  Vgl.  auch  E  14.  Zahlreiche 
von  der  Kirche  herrührende  Architekturteile  werden  jetzt  im  Erdgeschoß  des  West¬ 
flügels  aufbewahrt,  andere  sind  in  die  Zwischenwand  im  Erdgeschoß  des  Mosel¬ 
flügels  eingemauert. 


A.  Die  Baugeschichte  des  Deutschordenshauses. 


16 


28  :  IIV2  :  12 1  /-2  m.  Das  Material  bestand  aus  Sandsteinquadern,  in  dem 
Gewände  und  Maßwerk  der  Fenster  aus  Tuff.  Der  im  Osten  gelegene  Chor 
berührte  fast  den  Westflügel  und  ließ  nur  einen  schmalen  Zwischenraum  frei, 
durch  den  man  in  den  Garten  gelangen  konnte.  Der  Bau  war  wie  die  Deutsch¬ 
ordenskirche  in  Marburg  eine  Hallenkirche  mit  drei  gleich  breiten  und  gleich 
hohen  Schiffen  von  den  schlanken  Verhältnissen  der  frühgotischen  Bauweise. 
Die  Gewölbe  wurden  von  fünf  Pfeilerpaaren  getragen.  Der  aus  fünf  Seiten 
des  Achtecks  gebildete  Chor  wich  dem  sich  an  den  Westflügel  lehnenden 
Treppenturm  aus  —  ein  Beweis,  daß  dieser  beim  Bau  der  neuen  Kirche  vor¬ 
handen  war  und  schon  die  Verbindung  mit  der  romanischen  Kapelle  her¬ 
gestellt  hatte  — ,  so  daß  er  sich  nur  gegen  das  Mittel-  und  südliche  Seiten¬ 
schiff  öffnete.  In  der  Verlängerung  des  Treppenturms  ist  später  noch  eine 
Sakristei  in  das  nördliche  Seitenschiff  hineingebaut  worden.  Jedes  Seitenschiff 
besaß  vier,  der  Chor  drei  Fenster.  Der  Haupteingang  befand  sich  in  der 
Westwand  und  gestattete  auch  Nichtordensmitgliedern  den  Zutritt  vom  Castor- 
hof  aus,  ein  kleineres  Portal  stand  in  der  Nord  wand  neben  der  Sakristei. 
An  der  Außenseite  des  südwestlichen  Teiles  der  Südwand,  dort,  wo  jetzt  eine 
Tür  in  den  Garten  führt,  stieg  ein  achteckiger  Treppenturm  empor.  Von  der 
Architektur  ist  nur  die  Südwand  bis  zu  ihrer  halben  Höhe  erhalten  mit  den 
unteren  Hälften  von  vier  Fenstern,  einer  breiten  Nische,  drei  achteckigen 
Halbsäulen  und  drei  Konsolen,  welche  die  Dienste  der  Gewölbe  des  Seiten¬ 
schiffes  getragen  haben.  Die  Profile  der  Nischenumrahmung,  die  tiefe 
Gliederung  der  Fensterlaibungen,  das  sorgfältig  gearbeitete,  üppige  Laub- 
und  Figurenwerk  der  Kragsteine,  worunter  ein  besonders  gut  gemeißelter 
Engel  mit  Spruchband,  geben  uns  eine  Vorstellung  von  dem  reichen  bild¬ 
nerischen  Schmuck  der  Kirche.  Auch  von  der  Bemalung  sind  noch  geringe 
schwarz-weiß-rote  Farbenreste  sichtbar. 

Was  die  Ausstattung  angeht,  so  besaß  die  Kirche,  die  gleich  der  roma¬ 
nischen  Kapelle ')  der  b.  Maria  und  der  h.  Elisabeth  geweiht  war,  wie  jene 
anfangs  nur  zwei  Altäre2);  später  kam  ein  dritter  hinzu.  Eine  Orgel  wird 
bereits  1447  erwähnt.3)  Von  dem  reichen  Besitz  der  Kirche  an  Gemälden, 
Gefäßen,  Reliquien  usw.  im  18.  Jahrhundert  berichten  Inventare. 

52  Jahre  später  hat  dann  der  Komtur  Christian  von  Binsfeld  der 
Kirche  die  Kapelle  hinzugefügt,  dieses  kleine  Juwel  der  Hochgotik,  das  von 
allen  Gebäuden  der  Deutschordensanlage  sich  am  unversehrtesten  in  unsere 
Zeit  hinübergerettet  hat  und  neben  dem  ästhetischen  Reiz  seiner  zierlichen 


1)  Die  beiden  Patrone  der  romanischen  Kapelle  lernen  wir  aus  einem  Abla߬ 
brief  von  1251  kennen,  Hennes  a.  a.  0.  II  S.  91;  doch  muß  sie  ursprünglich  nur 
der  b.  Maria  geweiht  gewesen  sein,  da  die  Heiligsprechung  der  Elisabeth  erst 
1235  erfolgte. 

2)  1325  wird  eine  Messe  für  die  beiden  Altäre  gestiftet.  Hennes  II  S.  370. 

3)  Rechnung  des  Landkomturs  Klais  von  Gilsdorf  von  1447/48  im  Staats¬ 
archiv  Königsberg:  meister  Pauwels  gegeben  op  dat  Orgelwerk  zo  Covelentz  5  guld. 


2.  Die  gotische  Zeit. 


17 


Schönheit  noch  den  Vorzug  der  genauen  Datierung  besitzt.  Am  14.  Januar 
1354  gestattet  Erzbischof  Balduin  von  Trier  den  Bau  einer  Kapelle  in  cimi- 
terio  domus  Theutonice1)  und  am  18.  August  1355  dotiert  die  Witwe  Patza 
von  Lützelcoblenz  die  capella  de  novo  constructa  et  edificata  sita  Confluencie 
retro  domum ,  que  vulgariter  Spieshuys  nuncupatur,  in  platea  dicta  Vet- 
bechersgasse  mit  zahlreichen  Renten  u.  a.  auch  aus  Kirschgärten  zu  Wallers¬ 
heim  und  Urbar.2) 

Der  aus  Sandsteinquadern  aufgeführte,  von  außen  schlichte  und  nur 
durch  kräftig  profilierte  Sockel-,  Mittel-  und  Schlußgesimse  horizontal  geteilte 
Bau  lehnt  sich  an  die  Südwand  des  Chores  der  Kirche.  Durch  eine  kleine  Spitz¬ 
bogentür,  deren  Schlußstein  das  von  zwei  Löwen  gehaltene,  jetzt  zerstörte  Wappen 
des  Bauherrn  trug,  gelangt  man  auf  einer  zweistufigen  Treppe  in  das  etwas 
tiefer  als  das  Kirchenniveau  gelegene  Kapelleninnere,  dessen  reiche  und  zier¬ 
liche  Gliederung  überrascht.3)  Das  einschiffige,  gleich  dem  Chor  von  Kreuz¬ 
gewölben  überspannte  Langhaus  besteht  aus  zwei  rechteckigen  Jochen,  der 
Chor  ist  aus  fünf  Seiten  des  Achtecks  gebildet.  Die  das  Gewölbe  tragenden 
Birnstabrippen  werden  an  der  Südwand  im  Langhaus  von  drei  achteckigen, 
im  Chor  von  zwei  runden,  vom  Fußboden  aufsteigenden  Diensten  aufgefangen, 
an  der  Nordseite  ruhen  sie  auf  ebensovielen  achteckigen  und  runden  Diensten, 
die  aber  in  halber  Wandhöhe  auf  Konsolen  aufsitzen.  Schlußsteine,  Kon¬ 
solen  und  Kapitale  sind  mit  üppigem  Blatt-  und  Blütenornament  bedeckt,  an 
den  Kapitalen  der  achteckigen  Dienste  und  an  der  Konsole  eines  runden 
Dienstes  im  Chor  schauen  Männerköpfe  aus  dem  Laubwerk  hervor.  Die 
feingemeißelten  Figürchen  eines  Engels  und  eines  Bauern  schmücken  die 
Konsolen  der  Nordwand.  Der  Schlußstein  im  Chor  zeigt  das  von  Engeln 
gehaltene  Wappen  des  deutschen  Ordens.  Die  Südwand  hat  vier  von  zwei 
Kleeblattbögen  unterteilte,  bis  zur  halben  Wandhöhe  herunterreichende  Fenster, 
die  im  19.  Jahrhundert  durchschlagen  wurden,  jetzt  aber  wieder  hergestellt 
sind.  Eine  entsprechende  Blende  mit  dem  polychromierten  Relief  des  Schwei߬ 
tuches  der  h.  Veronika  im  Schlußring  steht  in  der  Ostwand  über  dem  ganz 
zertrümmerten  Altar.  Von  der  Nordwand,  an  deren  Fuß  ein  kräftiges  Sockel¬ 
gesims  entlang  läuft,  abgesehen  sind  die  unteren  Teile  der  übrigen  Wand¬ 
flächen  in  Nischen  aufgelöst.  In  der  Südhälfte  zählt  man  außer  der  Altar¬ 
nische  deren  fünf.  Jede  steht  innerhalb  einer  rechteckigen,  auf  den  Sockeln 


1)  Hennes  a.  a.  0.  I  S.  408. 

2)  Staatsarchiv  Coblenz,  D.  0.  H.  Coblenz,  Urk.  No.  18  f.  Wie  die  Beschrei¬ 
bung  der  Örtlichkeit  zeigt,  war  der  westliche  Teil  des  Gartens  noch  von  fremden 
Däusern  bedeckt.  Andere  Zeugnisse  über  das  Vorkommen  der  Vetbechersgasse 
haben  sich  nicht  gefunden.  Günther,  Topographische  Geschichte  der  Stadt  Coblenz 
117,  kennt  eine  Spießgasse  nahe  dem  Deutschen  Hause. 

3)  Vgl.  Lehfeldt  a.  a.  0  116,  der  aber  manche  erst  bei  der  Restaurierung  der 
Kapelle,  die  im  Jahre  1900  aus  Mitteln  des  Allerhöchsten  Dispositionsfonds  erfolgt 
ist,  freigelegte  Architektur-  und  Schmuckteile  noch  nicht  gesehen  hat.  Sehr  zu 
wünschen  wäre  die  Entfernung  der  die  Wände  und  Steinmetzarbeit  bedeckenden 
Tünche  und  des  schwarzen  Horizontal  bandes. 

Mitteilungen.  9.  Heft.  - 


18 


A.  Die  Baugeschichte  des  Deutschordenshauses. 


der  Dienste  aufsitzenden,  fein  profilierten  Umrahmung.  Über  der  Westwand¬ 
nische  hat  sich  als  weiterer  Schmuck  eine  Flachbogenblende  mit  einem  Fries 
von  Kleeblattbögen  und  Laubwerk  und  Basilisken  in  den  Zwickeln  zwischen 
Bogen  und  Umrahmung  erhalten.  Sie  diente,  wie  das  mit  Abfluß  versehene 
Wasserbecken  beweist,  als  Lavatorium,  während  die  vier  anderen  ebenso  wie 
zwei  weitere  in  der  Ost-  und  Westwand  wohl  zur  Aufbewahrung  der  kirch¬ 
lichen  Gefäße  und  Gewänder  benutzt  wurden.  Die  Steinmetz-  und  Bild¬ 
hauerarbeit  stammt  fast  ganz  von  einem  einzigen  Künstler,  dessen  Zeichen 
auf  vielen  Werkstücken  erscheint.  Nur  der  Sockel  eines  Dienstes  trägt  ein 
anderes  Steinmetzzeichen. 

Im  Giebelfeld  der  Westwand  haben  sich  Reste  eines  anscheinend  dem 
15.  Jahrhundert  angehörenden  Gemäldes  erhalten.  Es  stellt  eine  Anbetung 
dar  und  zwar  wohl  die  der  heiligen  drei  Könige.  Rechts  sitzt,  in  ein  blaues 
Unter-  und  gelbes  Obergewand  gehüllt  die  Muttergottes  mit  dem  Kind,  das 
seine  Ärmchen  nach  einem  ihm  zu  Füßen  knieenden,  bärtigen,  mit  einem 
blauen  Mantel  bekleideten  Mann  ausstreckt.  Eine  daneben  stehende,  grün- 
gewandete  Gestalt  wendet  sich  einer  dritten,  nicht  mehr  sichtbaren  Person 
zu.  Den  Hintergrund  bildet  ein  braunroter,  mit  gelben  Blättern  und  blauen 
Blüten  bedeckter  Teppich,  dessen  Muster,  wie  ein  in  der  Türlaibung  erhal¬ 
tener  Rest  zeigt,  die  ganze  Wandfläche  angefüllt  hat.  Spuren  anderer  Wand¬ 
bemalung  sind  an  verschiedenen  Stellen  sichtbar.  Von  ganz  eigenem  Reiz 
muß  die  gewesen  sein,  bei  der  ein  tiefes  Schwarz  in  den  Kappen  des  Chor¬ 
gewölbes  lag,  während  die  Dienste,  Gewölberippen  und  der  Hintergrund  der 
Chorblende  in  einem  feinen,  seegrünen  Ton  leuchteten. 

Nicht  so  genau  läßt  sich  zeitßch  fixieren,  was  die  Gotik  an  den  Wohn- 
und  Wirtschaftsgebäuden  um-  und  neubauend  geschaffen  hat.  Aus 
inneren  Gründen  ist  anzunehmen,  daß  die  durchgreifende  Umgestaltung,  die 
der  Moselflügel  in  seinen  oberen  Geschossen  erfahren  hat,  zuerst  vorge¬ 
nommen  wurde.  Man  entfernte  die  Decke  zwischen  dem  zweiten  und  dritten 
Geschoß,  vermauerte  bezw.  zerschlug  teilweise  die  romanischen  Fenster  und 
wandelte  die  beiden  Etagen  zu  einer  einzigen,  hohen  zweiscliiffigen  Säulen¬ 
halle  von  sechs  Jochen  mit  spitzbogigen  Kreuzgewölben  um,  die  ihr  Licht 
durch  drei  mächtige,  mit  einfachem  Maßwerk  versehene  Fenster  von  Norden 
her  empfing. ')  Die  weiß  verputzten  Wandflächen  wurden  mit  einem  leicht¬ 
geschwungenen  Ranken  werk  in  Rot  und  Grün  geschmückt,  von  denen  noch 
Reste  auf  der  Westwand  zu  sehen  sind,  die  Gewölbefelder  mit  ganzen  Dar¬ 
stellungen.  Diese  sind  leider  bis  auf  eine  Kreuzigung  im  linken  Eckfeld 
der  Südwand  und  zwei  kleine  Bruchstücke  in  den  anstoßenden  Feldern 
verschwunden.  Die  erstere,  im  unteren  Drittel  zerstört  und  auf  der  linken 
Seite  stark  beschädigt,  zeigt  Christus  am  Kreuz  mit  flatterndem  Lendentuch, 

1)  Die  jetzigen  Fenster  sind  nach  dem  Muster  der  alten  gebildet.  Laut 
freundlicher  Mitteilung  des  Herrn  Kaiser!  Postbauinspektors  Höfig,  dem  beim  Um¬ 
bau  die  Zusammensetzung  eines  der  alten  Fenster  aus  zahlreichen  Bruchstücken 
gelang.  Auch  die  neuen  Konsolen  sitzen  an  den  Stellen  der  früheren. 


2.  Die  gotische  Zeit. 


19 


rechts  zu  seinen  Füßen  Maria  mit  auf  der  Brust  gefalteten  Händen,  hinter 
ihr  eine  zweite  weibliche  Heiligengestalt.  Zwei  Engel  fliegen  herbei,  um  in 
Kelchen  das  Blut  des  Gekreuzigten  aufzufangen.  Ein  Schwert  ist  noch 
sichtbar,  das  seine  Spitze  gegen  die  Brust  der  Muttergottes  richtet,  und  die 
halb  verfinsterte  Sonne.  Die  Gestalten  sind  leichtkonturiert  und  mit  bräun¬ 
lichen  Schatten  auf  die  weiße  Kalkwand  gesetzt.  Den  Hintergrund  bildet 
ein  grün-brauner,  mit  einem  originellen  Tierornameut  tein  dem  Stoß  eines 
Adlers  entgehender  Fisch  gerät  in  den  Rachen  eines  Löwen)  gemusterter 
Teppich.  Die  Malerei  dürfte  aus  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts  stammen, 
worauf  auch  der  Charakter  der  in  eckiger,  gotischer  Minuskel  geschriebenen 
aber  nicht  mehr  lesbaren  Worte  auf  dem  anstoßenden  Gewölbefeld  hinweist. 


Fig.  9.  Ansicht  von  Norden. 

Mit  der  Einrichtung  des  neuen  Remters  waren  die  Wohnräume  der 
dritten  Etage,  die  wir  oben  als  Dormitorium  angesprochen  haben,  verloren 
gegangen.  Für  sie  mußte  Ersatz  geschaffen  werden,  und  man  fand  ihn, 
indem  man  das  benachbarte  alte  Hospital  niederriß  und  an  seiner  Stelle  in  der 
Verlängerung  des  Moselflügels  ein  neues,  zweigeschossiges  Gebäude  aufführte 

Das  Coblenzer  Deutschordenshaus  hat  sich  seit  dieser  Zeit  seiner  Hos¬ 
pitalspflicht  entzogen,  denn  ein  neues  Krankenhaus  ist  nicht  geschaffen 
worden.  In  einem  Einnahme-  und  Ausgabebudget  der  Ballei  aus  dem  Jahre 
1472  i)  wird  ein  Hospital  nicht  mehr  erwähnt,  nur  eine  Firmarie,  die  Stube 
für  erkrankte  Ordensbrüder.  Und  wenn  in  der  Hausordnung  von  1544,‘0 
mit  der  sich  der  Erzbischof  von  Trier  in  das  innere  Leben  des  Ordens  ein¬ 
zudrängen  suchte,  von  einem  Hospital  die  Rede  ist,  so  lehrt  ein  Vergleich 
mit  der  älteren  Ordnung,  die  dieser  als  Vorlage  gedient  hat,  daß  hier  die 

1)  Im  Staatsarchiv  Königsberg. 

2)  Staatsarchiv  Coblenz,  D.  0.  H.  Cobleuz,  Akten  No.  49  f.  29  und  SO. 

2  * 


20 


A.  Die  Baugeschichte  des  Deutschordeushauses. 


Bezeichnung  Hospital  auf  die  Firmarie  angewendet  ist.  Ausdrücklich  erklärt 
auch  hei  einer  Visitation  im  Jahre  1652  der  Komtur  Goswin  Scheiffart  von 
Merode,  daß  das  Haus  kein  Hospital  besitze.  Das  alte  Gebot  werktätiger 
Nächstenliebe  wurde  nur  noch  in  der  Form  ausgeübt,  daß  man  alle  Sams¬ 
tage  ein  halbes  Malter  Korn  in  Gestalt  von  Broten  an  die  Armen  spendete. 4) 

Völlig  erhalten  ist  von  dem  gotischen  Anbau  nur  das  Erdgeschoß, 
das  mit  dem  des  Moselflügels  in  gleicher  Ebene  liegt  und  16,20m:  11,05  m 
im  Geviert  hat.  Es  ist  ein  dreischiffiger,  malerischer  Saal  von  zwölf  Jochen, 
deren  spitzbogige,  quadratische  Gratgewölbe  auf  sechs  achteckigen  Säulen 
ruhen.  Die  Säulenkapitäle  sind  durch  einfache  Auskehlung  gebildet.  Die 
Gewölbehöhe  beträgt  4,25  m.  Während  die  Stärke  der  Außenmauern  ge¬ 
ringer  ist  als  die  der  romanischen  Bauten,  ist  das  verwendete  Material  das 
gleiche:  Bruchsteine  an  den  Wänden,  Tuff  an  den  Gewölben  und  Basaltlava 
an  den  Säulen.1 2)  An  der  Ostseite  d.  i.  in  der  Westwand  des  anstoßenden 
Moselflügels  befindet  sich  ein  kleiner  Brunnen,  ein  zweiter,  größerer  in  der 
Nordwand.  Er  ist  jetzt  verschüttet,  sein  Schacht  ist  bis  zur  oberen  Etage 
durchgeführt.  Auch  dieses  Obergeschoß  war  eine  dreischiffige,  gewölbte 
Halle.  Zwei  von  den  östlichen  Jochen  sind  noch  erhalten,  ferner  ein  stark 
renoviertes,  spitzbogiges  Fenster  in  der  Südwand  und  daneben  eine  acht¬ 
eckige  Halbsäule,  die  als  Gewölbedienst  fungiert  hat.  Sie  zeigt  eine  reicher 
gegliederte  Kapitälbildung  als  die  schlichten  Säulen  im  Erdgeschoß.3 4)  West¬ 
lich  an  diesen  Neubau  stießen  Stallungen. 

Aus  gotischer  Zeit  stammen  auch  die  Verbindungsbauten  zwischen 
Rheinr  und  Moselflügel4)  und  zwischen  dem  Anbau  des  Moselflügels  und 
dem  Westflügel.  Bei  beiden  mußten  die  zwischen  den  Gebäuden  hindurch¬ 
führenden  Wege  überwölbt  werden.  Nunmehr  standen,  da  auch  die  Kirche 
durch  den  Treppenturm  von  dem  Westflügel  aus  zu  erreichen  war,  alle  Ge¬ 
bäude  der  Komturei  miteinander  in  Verbindung.  Der  Moselzwischenbau 
reichte  ursprünglich  nur  bis  unmittelbar  an  den  Rheinflügel,  wie  das  in  der 
Ostwand  der  jetzigen  Plankammer  stehende  gotische  Portal  beweist,  das  auf 

1)  Württ.  Filialarchiv  zu  Ludwigsburg,  Ballei  Coblenz,  Akten  No.  12.  Vgl. 
auch  die  Komturrechnungeu  vou  1663  an  im  Staatsarchiv  Coblenz.  Die  Aus¬ 
führungen  von  Haltermann  a.  a  0  S.  46  sind  hiernach  zu  berichtigen.  Andrerseits 
irrt  auch  Rud.  Virchow,  Zur  Geschichte  des  Aussatzes  und  der  Hospitäler,  Archiv 
für  pathol.  Anatomie  und  Physiologie  XX  S.  20,  wenn  er  die  Ausübung  der 
Hospitalpflicht  in  Coblenz  auch  für  die  Frühzeit  verneint.  Vgl.  die  Urkunde  von 
1318  bei  Hennes  a.  a.  0.  I  S.  366. 

2)  Das  äußere  Mauerwerk  ist  in  der  Preußischen  Zeit,  als  man  die  Befestigung 
des  Deutschen  Ecks  verstärkte,  erneuert  worden,  bei  welcher  Gelegenheit  auch 
die  früheren  Fenster  durch  kleine  Lichtöffnungen  ersetzt  wurden.  Es  ist  nicht 
wahrscheinlich,  daß  die  dort  eingemauerten  älteren  Steine  mit  den  Inschriften 
[Chrjistoph  . . .  und  [Christoph  . . .  aus  dem  Deutschen  Hause  herrühren. 

3)  Räume  des  gotischen  Anbaus  und  der  gotische  Remter  waren  anscheinend 
mit  Tonfließen  bedeckt,  von  denen  sich  zwei  verschiedene  Muster  erhalten  haben. 

4)  Die  Fachwerkausbildung  des  oberen  Geschosses  an  diesem  Verbindungsbau 
ist  neu,  entspricht  jedoch  dem  früheren  Zustand. 


2.  Die  gotische  Zeit. 


21 


eine  Außentreppe  geführt  hat.  Später  verlängerte  man  den  nördlichen  Teil 
des  Verbindungsbaues,  so  daß  er  um  die  Ecke  des  Rheinflügels  herum¬ 
faßte. 

Die  Formen  dieser  gotischen  Bauten  lassen  über  ihre  Ursprungszeit 
keine  Schlüsse  zu,  sie  können  bis  auf  tief  in  das  1 6.  Jahrhundert  hinein  ent¬ 
standen,  sein.  Um  die  Grenzen  der  Datierung  enger  zu  ziehen,  müssen  wir 
uns  noch  andere  Hilfsmittel  beschaffen. 

Auf  einem  Pfeiler  der  Liebfrauenkirche  in  Oberwesel  ist  ein  Bild  der 
Stadt  Coblenz  mit  den  Heiligen  Castor,  Catharina  und  Florin  im  Vorder¬ 
grund  gemalt.  Es  ist  die  älteste  erhaltene  Ansicht  dieser  Stadt  und  im  Ver¬ 
gleich  zu  den  übrigen,  verschiedene  andere  Städte  wiedergebenden  Dar¬ 
stellungen  in  derselben  Kirche  mit  einer  Sorgfalt  und  Genauigkeit  behandelt, 
die  die  Annahme  nahelegt,  daß  sie  von  einem  Coblenzer  Künstler  herstammt. 
Dies  Bild  zeigt  deutlich  die  drei  gotischen  Fenster  des  Remters  und  den 
gotischen  Anbau.  Seine  Entstehung  muß  vor  das  Jahr  1530  fallen,  da  es 
noch  nicht  den  Neubau  des  Schöffenhauses  an  der  Mosel  kennt,  aus  stili¬ 
stischen  Gründen  ist  sie  wohl  um  die  Wende  des  15.  Jahrhunderts  anzusetzen. 
Zu  demselben  terminus  ad  quem  führt  das  Wandgemälde  im  Remter  des 
Deutschördensliauses  selbst,  das  der  gleichen  Zeit  zuzuweisen  ist. 

War  aber  diese  späte  Zeit  noch  in  der  Lage,  die  Mittel  für  solche 
kostspieligen  Bauten  aufzubringen?  Im  15.  Jahrhundert  beginnen  im  Orden 
allerorts  die  Zeichen  materiellen  und  sittlichen  Verfalles.  Das  Sinken  der 
Bodenrente,  Mißwirtschaft  und  leichtsinniges  Schuldenmachen,  die  starken 
Anforderungen,  welche  die  Zentrale  im  Preußischen  Ordensland  an  die 
Balleien  stellte,  zerrütteten  auch  die  Finanzen  des  Coblenzer  Hauses.  Im 
Jahre  1456  stehen  sie  schlecht,  und  um  1471  heißt  es:  das  huys  und  die 
balley  sy  so  schwerlich  verschuldet,  das  man  das  huys  nit  gehalten  enkonne.1) 
Damals  konnte  man  an  keine  umfangreiche  Bautätigkeit  denken.  Es  ist 
deshalb  in  hohem  Grade  wahrscheinlich,  daß  der  Umbau  des  Remters  und 
der  damit  im  Zusammenhang  stehende  Neubau  noch  dem  14.  Jahrhundert 
angehören.  Auf  eine  solche  frühe  Zeit  weist  übrigens  auch  die  gute  Er¬ 
haltung  der  romanischen  Wandmalerei  am  Westgiebel  des  Moselflügels  hin, 
die  schwerlich  mehrere  Jahrhunderte  lang  den  Einflüssen  der  Atmosphäre 
ausgesetzt  gewesen  sein  kann,  sondern  schon  bald  unter  den  Schutz  des 
gotischen  Daches  gelangt  sein  muß.  2)  Das  Beispiel  der  glänzenden,  in  der 
Mitte  des  14.  Jahrhunderts  vollendeten  Bauten  in  der  Marienburg  mochte 
den  Rittern  des  Coblenzer  Hauses  die  Lust  erwecken,  dem  Ort  ihrer  täg¬ 
lichen  Versammlungen  und  der  Jahreskapitel  der  Balleikomture  ein  fest¬ 
licheres  Gepräge  zu  geben.  Die  gotischen  Verbindungsbauten  werden  später 

1)  Vgl.  Voigt  a.  a.  0.  I  245—50,  623  und  Akten  des  D.  0.  H.  im  Staatsarchiv 
Coblenz  No.  51  f.  79. 

2)  Man  kann  auch  schwerlich  unter  der  im  Jahre  1457  (Coblenz,  D.  0.,  Akten 
No.  51  f.  15)  genannten  magna  aula  domus  ordinis  b.  Marie  Theuton.  etwas  anderes 
verstehen  als  den  vergrößerten  Remter. 


22 


A.  Die  Baugeschichte  des  Deutschordenshauses. 


entstanden  sein.  Sicher  ist  dies  von  dem  an  den  Westflügel  stoßenden 
Zwischenbau  anzunehmen,  da  das  in  seiner  Nordwand  sitzende,  alte,  nur  im 
Maßwerk  renovierte  Fenster  früher  als  Lichtquelle  des  gotischen  Anbaues 
ins  Freie  geschaut  haben  muß. 

3.  Die  Zeit  des  Barock  und  die  späteren  Schicksale 

des  Hauses. 

Seit  der  Säkularisation  des  Preußischen  Ordenslandes  schritt  der  schon 
lange  erkennbare  Wandel  in  dem  inneren  Wesen  des  deutschen  Ordens  im 
Sinne  der  Verweltlichung  immer  schneller  vorwärts.  Er  wurde  zu  einer  Ge¬ 
nossenschaft  von  adeligen  Pfründeninhabern.  Um  die  Einkünfte  des  Ein¬ 
zelnen  auf  einer  reichlichen  Höhe  zu  halten,  verfuhr  man  sparsam  bei  der 
Aufnahme  von  Brüdern.  Hatte  die  Coblenzer  Komturei  um  die  Mitte  des 
1 5.  Jahrhunderts  außer  dem  Land-  und  Hauskomtur  noch  vier  Ritter-  und 
neun  Priesterbrüder  gezählt,1)  so  beherbergte  sie  im  Jahre  1558 2)  nur  noch 
sieben  Brüder,  und  seit  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts,  nachdem  der  Land¬ 
komtur  seinen  ständigen  Wohnsitz  nach  Köln  verlegt  hatte,  war  der  Haus¬ 
komtur  der  einzige  Insasse  des  großen  Hauses.  Umgeben  von  einer  zahl¬ 
reichen  Dienerschar  und  allem  Komfort  eines  vornehmen  Herrn  führte  er 
von  hier  oder  zur  Sommerzeit  von  einem  der  beiden  Lusthäuser  in  Mallendar 
aus  die  Verwaltung  des  ausgedehnten  Grundbesitzes  der  Komturei.  Nur  die 
Kirche  und  ein  Priester,  der,  einem  der  Coblenzer  Stifter  oder  Klöster  ent¬ 
nommen,  den  täglichen  Gottesdienst  versah,  zeugten  noch  von  dem  geist¬ 
lichen  Charakter  des  Hauses.  Der  Komtur  bewohnte  in  dieser  Zeit  wie 
wohl  schon  seit  langem  den  Rheinbau,  in  dem  auch  für  den  Besuch  des 
Landkomturs  Zimmer  reserviert  waren.  Der  Remter  stand  verödet,  nur  beim 
Kirchweihfest  vereinigten  sich  in  ihm  nach  altem  Brauch  als  Gäste  des  Kom¬ 
turs  die  Stiftsherren  von  St.  Florin  zu  einem  üppigen  Mahle. 3)  Die  übrigen  Ge¬ 
bäude  dienten  Wirtschaftszwecken  und  der  Unterkunft  des  Gesindes. 

Zu  einer  Erweiterung  der  vorhandenen  Baulichkeiten  lag  unter  diesen 
Umständen  kein  Bedürfnis  vor.  Die  Bautätigkeit  beschränkte  sich  fast  ganz 
auf  die  Instandhaltung  des  Bestehenden,  die  Wiederherstellung  baufälliger 
Teile  und  auf  kleinere  Veränderungen.  Neuerrichtet  wurde  im  Verlaufe  von 
drei  Jahrhunderten  nur  ein  Gartenpavillon. 

Dem  16.  Jahrhundert  gehört  noch  ein  in  der  Nordwand  des  Rhein¬ 
flügels  sitzendes  Rundbogenportal  mit  gotischer  Profilierung  an,  ferner  die 
noch  jetzt  als  Eingang  zum  Remter  benutzte,  durch  die  Westwand  des  Mosel¬ 
baues  gebrochene  Tür,  wie  das  über  ihr  angebrachte  Wappen  des  Komturs 
Adolf  von  dem  Bongard  mit  der  Jahreszahl  1591  lehrt.  Es  ist  nicht  un- 


1)  Vgl.  die  Liste  in  Königsberg,  Staatsarchiv,  Schublade  VI  8/a. 

2)  Staatsarchiv  Coblenz,  D.  0.  Akten  No.  4. 

3)  Staatsarchiv  Coblenz,  D.  0.  Akten  No.  58.  Vgl.  auch  Stramberg,  Rhei¬ 
nischer  Antiquarius  I  3  S.  494,  498. 


3.  Die  Zeit  des  Barock  und  die  späteren  Schicksale  des  Hauses. 


23 


möglich,  daß  diese  Tür  im  Zusammenhang  mit  dem  Verbindungsbau  zwischen 
Westflügel  und  gotischem  Anbau  entstanden  ist.  Stilistische  Gründe  können 
nicht  dagegen  sprechen ,  denn  gotische  Bauformen  wurden  neben .  denen  der 
Renaissance  bis  in  diese  späte  Zeit  verwendet. 

Vom  Jahre  1663  an  fließen  die  archivalischen  Quellen  in  Jahresrech¬ 
nungen,  vereinzelten  Baurechnungen  und  Visitationsberichten  sehr  reichlich, 
wenn  sie  auch  nicht  über  alle  Fragen  Aufklärung  bringen.  Um  den  Leser 
nicht  durch  die  Mitteilung  aller  Detailnachrichten  zu  ermüden,  mag  es  genug 
sein,  die  Hauptpunkte  aus  dieser  letzten  Bauperiode  hervorzuheben. 

In  dem  großen  Kriege  hatte  die  Coblenzer  Komturei  stark  gelitten,  wie 
gelegentlich  einer  Visitation  im  Jahre  1652  !)  festgestellt  wird.  Dies  kommt 
auch  zum  Ausdruck  in  einem  Berichte,  den  der  Komtur  Caspar  Christian 
von  Neuhof  über  die  von  seinem  Amtsantritt  am  14.  Juli  1663  bis  zum 
Jahr  1668  an  verschiedenen  Gebäuden  der  Komturei  innerhalb  und  außer¬ 
halb  Coblenz  vorgenommenen  baulichen  Veränderungen  erstattet.1 2)  Von 
Coblenz  schreibt  er:  Anno  1664.  Die  kirch  wäre  unden  ganz  von  alter- 
turab  und  gewässer  eingefallen,  habe  sie  am  boden  renoviert.  Trutzenburg 3) 
wäre  gantz  verschossen  und  verfallen,  habe  alle  nötige  Zimmerarbeit  dahin 
fertig  machen  lassen.  Im  backhaus  eine  neue  backstub,  im  brauhaus  ein 
neu  schiff.  Die  cännelen  (Dachrinnen)  waren  auf  allen  getäcli  veraltet,  habe 
vier  neue  taffelen  bley  dahin  gestelt.  Das  tach  über  der  speysscammer  habe 
ich  gantz  wegnemmen  lassen  und  neugemacht.  Anno  1665.  Im  haus  waren 
alle  thüren  von  alterthumb  verfaulet,  habe  neue  dargeschafft  an  brau- kelter¬ 
benderhaus,  item  raisigen  stall.  Trutzenburg  habe  ich  aus-  und  inwendig 
mit  gläser-  und  schreiner-schlösser-weissbenderarbeit  ausstaffirt.  Item  eine 
neu  küchen,  spind,  stub,  cammer,  neuen  gang  und  steeg  zugericht,  den 
sommer-  und  wassersaal  von  glasfenstern,  thüren,  laden,  weissbenders  arbeit 
versehen.  Zu  Coblentz  habe  ich  zween  kelter  renoviret,  zwo  neuer  doggen, 
neue  schwelle,  neuen  bäum,  neu  gebieth  dargeschafft.  Anno  1666.  Die 
verfallene  hoffstub  habe  ich  renoviren  lassen ;  ins  kelter  ein  neu  kelter  sambt 
bäum  nach  Coblentz  führen  und  aufrichten.  Anno  1667.  Von  dem  stifft 
zu  S.  Castor  habe  ich  eine  servitut  im  ordensgarten  erblich  redimiret.  Über 
dem  kornsöller  drei  neuer  taffel  bley  gelegt.  Anno  1668.  Die  ganze  kirch 
von  oben  bis  unden  renovirt. 

Unter  diesem  Komtur  wird  auch  das  jetzt  verschwundene  Gartenhaus 
entstanden  sein,  das  sich  in  der  Südostecke  des  großen  Gartens  neben  dem 
Castorchor  an  die  Stadtmauer  ablehnte.  Es  war  ein  dreigeschossiger,  mit 
einem  Mansardendach  gedeckter  Bau  von  ansehnlichen  Verhältnissen  (ca.  12  m 
lang,  6  m  breit  und  10  1/2  m  hoch)  und  zählte  außer  einem  Treppenhaus  acht 


1)  Württemb.  Filialarchiv  zu  Ludwigsburg,  Commende  Coblenz  No.  12. 

2)  Ebendort  No.  13. 

3)  Mit  diesem  Namen,  der  im  17.  und  18.  Jahrhundert  mehrfach  wiederkehrt, 
kann  nur  der  gotische  Anbau  bezeichnet  worden  sein. 


24 


A.  Die  Baugeschichte  des  Deutschordeushauses. 


Räume.1)  Der  Pavillon  wird  schon  1690  erwähnt.2)  Vielleicht  rührt  der 
mit  dem  Neuhofschen  Wappen  und  der  Jahreszahl  1676  versehenen  Tür¬ 
sturz,  der  im  3.  Dezennium  des  19.  Jahrhunderts  zu  gleicher  Zeit,  als  man 
den  Pavillon  niederriß,  in  dem  Tonnengewölbe  des  Moselflügels  angebracht 
wurde,  von  diesem  Bau  her. 

Nicht  viel  später,  wahrscheinlich  unter  dem  Nachfolger  Casp.  Christians 
von  Neuhof,  dem  Komtur  Johann  Georg  von  Neuhof,  wurde  das  Barock¬ 
portal  am  Remter  und  die  zu  ihm  emporführende  große,  doppelarmige  Frei¬ 
treppe,  die  Royaltrapp,  errichtet.  Die  Treppe  ist  zerstört,  das  Portal  schmückt 
aber  noch  als  prächtiges  Dekorationsstück  die  große  Fläche  der  Südwand  des 
Moselbaues.  Es  wird  von  zwei  Doppelpilastern  eingefaßt,  die  jonische  Kapitale 
tragen.  Über  ihm  steht  in  einem  flachbogigen  Giebel  und  innerhalb  kriegerischer 
Embleme,  unter  denen  man  einen  Schild  mit  den  Wittelbachschen  Wecken  be¬ 
merkt,  das  Wappen  des  Deutschen  Ordens,  bekrönt  von  einem  Herzogshut.  Da 
seit  dem  Jahre  1684  Angehörige  des  Wittelbachschen  Hauses,  Herzoge  von 
Pfalz-Neuburg  und  Baiern,  die  Würde  des  Hoch-  und  Deutschmeisters  inne¬ 
gehabt  haben,  so  ist  damit  der  terminus  a  quo  für  die  Entstehungszeit  gegeben. 

Mit  dem  Jahr  1709,  unter  dem  Komtur  IJeinr.  Willi,  von  Mirbach,  be¬ 
ginnt  eine  zehnjährige  lebhafte  Umbau-  und  Restaurationstätigkeit.  Der  an¬ 
scheinend  in  Diensten  des  Kurfürsten  stehende  Kapitänleutnant  Monsieur 
Philippant  leitete  sie. 3)  Man  begann  mit  der  völligen  Niederlegung  des  Brau¬ 
hauses,  in  dem  sich  damals  auch  die  Trappenei  befand,  durchschlug  dann 
das  Erdgeschoß  im  Nordteil  des  Westflügels,  die  „alte  Küche,“  und  legte 
durch  die  drei  nördlichen  Joche  die  neue  Durchfahrt.  Im  nächsten  Jahr  wurde 
ihr  die  mit  dem  Mirbaclischen  Wappen  geschmückte  Bogeneinfassung  aus  Hau¬ 
stein  gegeben. 4)  Dann  schuf  man  durch  Zumauerung  die  alte  Durchfahrt 
zu  einem  Zimmer  um  und  führte  von  ihm  aus  auf  einem  im  Keller  ange¬ 
legten  Fundament  eine  neue  Treppe  zum  Obergeschoß  des  gotischen  Anbaus 
herauf.5)  Es  ist  die,  welche  noch  jetzt  ausschließlich  als  Aufgang  benutzt 
wird.  Zugleich  entfernte  man  eine  in  der  Nähe  der  Treppenmündung  am 
„gewölbten  Saal“  stehende  Brunnenschale  mit  Wassersarg. 6)  In  diesem  und 
dem  folgenden  Jahr  wurde  auch  durch  Einziehen  von  Zwischenmauern  das 
eine  einzige  Halle  bildende  Obergeschoß  des  gotischen  Anbaus,  der  Trotzen- 
burg,  in  mehrere  Räume  zerlegt. 


1)  Staatsarchiv  Coblenz,  Karten  und  Pläne,  E  4. 

2)  A.  a.  0.,  D.  0.  Akten,  Rechnung  zum  Jahr. 

3)  Vgl.  die  Rechnung  im  Staatsarchiv  Coblenz,  D.  0.  Akten  No.  57,  und  die 
Erläuterung  zu  dem  1710  von  Philippant  dem  Deutschmeister  in  Mergentheim  ein¬ 
gereichten  Bauplan.  Haus-  und  Staatsarchiv  zu  Stuttgart,  Lade  751;  Abschrift  in 
Coblenz,  D.  0.  Akten  No.  40  a.  Der  Plan  selbst  ist  leider  nicht  erhalten. 

4)  Der  Stein-  und  Bildhauer  Meister  Matheis  bekam  für  die  Arbeit  an  den 
Wappen  4  Reichstaler. 

5)  Auch  das  schmiedeeiserne  Geländer  stammt  aus  jener  Zeit. 

6)  Der  kleine  Brunnen  in  der  Westwand  des  Moselflügels  (vgl.  oben  S.  20) 
hatte  dazu  offenbar  das  Wasser  geliefert. 


3.  Die  Zeit  des  Barock  und  die  späteren  Schicksale  des  Hauses. 


25 


Im  „großen  Bau  am  Rhein“  waren  1709  die  Fenster  „einwärts  des 
hofs  alle  gleich  und  egal  eingerichtet“  und  der  Erker  am  Zimmer  der  Land¬ 
komturei  abgerissen  worden.  Im  Jahre  1712  erneuerte  man  drei  Pfeiler  im 
Erdgeschoß  (Kelterhaus),  änderte  die  Lage  von  Zimmern  im  zweiten  Stock¬ 
werk  und  legte  die  Verbindungstreppe  zwischen  dem  Remter  und  Rheinbau 
an  sowie  in  der  Nordwestecke  die  später  beseitigte,  bis  zum  Söller  führende 
Wendeltreppe,  „allwo  die  bauren  die  frucht  hinauf  tragen  und  liefferen“. 
Der  sehr  baufällig  gewordene  Westflügel  erfuhr  die  stärksten  Veränderungen. 
Ein  in  den  Garten  vorspringender  Anbau  wurde  bis  auf  den  Grund  nieder¬ 
gelegt.  Im  Gebäude  selbst  zerschlug  man  die  Decken  und  Innenwände  bis 
auf  die  unteren  Gewölbe.  Die  Wiederherstellung  verzögerte  sich  mehrere 
Jahre  hindurch.  Erst  1720  war  der  Bau  wieder  bewohnbar.') 

Als  letzte  Bauarbeit  wird  uns  zum  Jahr  1759  die  mit  großen  Kosten1 2) 
verknüpfte  Reparatur  der  Kirche  und  die  Erneuerung  ihrer  Ausstattung  be¬ 
richtet.  3)  Sie  erhielt  unter  anderem  einen  neuen  Anstrich,  die  Kapelle  eine 
Freskomalerei. 4)  Auch  die  Sakristei  und  der  Glockenturm  wurden  restauriert. 
So  konnte  der  Visitator  des  Jahres  1763  melden,  daß  er  die  Ordenskirche 
in  gutem  Stand  gefunden  habe.5 6 7) 

Mit  dem  Beginn  der  französischen  Herrschaft  am  Rhein  setzte  für  das 
Deutschordenshaus  eine  Zeit  wechselvoller,  im  wesentlichen  destruktiver  Schick¬ 
sale  ein.  Nachdem  es  schon  in  den  Jahren  1792/93  alliierte  Truppen  be¬ 
herbergt  und  als  Lazarett  gedient  hatte,0)  wurde  es  1795  Kaserne  und 
Waffendepot.  Als  es  dann  von  der  Domänenverwaltung  in  Pacht  ausgetan 
wurde,  suchten  die  Pächter  auf  alle  Weise,  jeder  aber  auf  eine  andere,  ihren 
Vorteil  aus  dem  Bau  herauszuschlagen.  Die  einen  benutzten  ihn  als  Versteck 
für  Kontrebande,  Juden  häuften  in  den  Kellern  altes  Eisen  auf,  ein  anderer 
legte  im  Moselflügel  ein  Salzmagazin  an,  wobei  durch  Überlastung  zwei  Ge¬ 
wölbe  des  Erdgeschosses  eingedrückt  wurden.  Am  industriösesten  verfuhren 
aber  die  Pächter  Primavesi,  Moseler  und  Kilian,  die  dort  Kneipen  (cabarets) 
einrichteten  und  im  Remter  für  die  Coblenzer  Jugend  Ballfeste  veranstalteten. 
Auf  einem  solchen  kam  es  im  Winter  1801  zu  tätlichen  Beleidigungen  vou 
Bürgern  durch  einen  französischen  Offizier.  Die  Folge  war  ein  allgemeines 
Verbot  der  Maskenbälle  in  der  Stadt.  ') 

Wie  sehr  die  Baulichkeiten  unter  den  Pächtern,  die  nichts  für  ihre  In¬ 
standhaltung  taten,  gelitten  hatten,  zeigt  ein  wenige  Jahre  später  von  Sacli- 


1)  Staatsarchiv  Coblenz,  D.  0.  Akten  No.  55. 

2)  1196  Keiclistaler  32  Albus. 

3)  A.  a.  0.  No.  57. 

4)  Sie  kostete  73  Reichstaler  18  Alb. 

5)  Württ.  Filialarchiv  zu  Ludwigsburg,  Commende  Coblenz  No.  16. 

6)  Württ.  Haus-  und  Landesarchiv  in  Stuttgart,  Ballei  Coblenz,  Akten 

2,  43-  •  x- 

7)  Staatsarchiv  Coblenz,  Akten  des  Commissariat  des  pays  conquis  No.  1121. 


26 


A.  Die  Baugeschichte  des  Deutschordenshauses. 


verständigen  erstatteter  Bericht '):  Die  Gebäude  befänden  sich  in  einem  de¬ 
solaten  Zustand  und  könnten  nur  mit  großen  Kosten  wieder  bewohnbar  ge¬ 
macht  werden.  Bretter,  Türen,  Fenster,  Balken  seien  gestohlen,  selbst  die 
Kirche  habe  man  nicht  respektiert.  Ein  Teil  ihres  Daches  sei  eingestürzt, 
weil  durch  Raub  der  Bleiteile  das  schöne  Gebälk  gelitten  habe.  Der  Mosel¬ 
flügel  lohne  nicht  die  Wiederherstellung,  das  Holzwerk  sei  verfault,  Dach 
und  Gewölbe  zusammengebrochen.  Am  Rheinbau  wurden  die  Mauern  noch 
gut  befunden,  doch  müsse  das  vernachlässigte  Dach  wiederhergestellt  werden, 
ebenso  die  Böden,  Wände,  Plafonds,  Türen,  Fenster  und  Treppen. 

Zu  mehreren  Malen  dachte  man  an  die  Niederlegung  der  Gebäude.  Im 
Jahre  1803  entstand  der  Plan  der  Umwandlung  des  Hauses  zu  einer  Dienst¬ 
wohnung  für  den  die  Truppen  des  Departements  kommandierenden  General.1 2) 
Nur  der  Rheinflügel  sollte  stehen  bleiben,  ihm  vorgelagert  war  gedacht  ein 
halbrunder  Hof  mit  Gärten  an  Stelle  der  niedergelegten  übrigen  Gebäude, 
die  große  Freitreppe  des  Moselflügels  wollte  man  an  den  Rheinbau  setzen. 
Dann  trug  sich  der  Präfekt  Lezay-Marnesia  mit  dem  Gedanken,  alle  Deutsch¬ 
ordensgebäude  zu  beseitigen ,  um  dort  an  der  Grenze  Frankreichs  und 
Deutschlands  ä  la  gloire  de  celui,  qui  posa  ces  limites  ein  Monument  in  Form 
einer  Pyramide  zu  errichten.  Die  Worte  der  Genesis,  die  hier  eine  vor  allem 
glückliche  Anwendung  finden  würden,  sollten  die  Inschrift  abgeben:  hucus- 
que  et  non  ultra!3)  Das  Los  der  Vernichtung  traf  aber  in  Wirklichkeit 
nur  die  Kirche.  Wegen  drohenden  Einsturzes  wurde  auf  Gutheißen  von 
Sachverständigen  und  des  Maires,  der  berichtete,  ihr  Aussehen  verunziere  den 
Castorplatz,  von  dem  Präfekten  Doazan  am  20.  Juni  1811  ihre  Niederlegung 
verfügt.4)  Sämtliche  übrigen  Gebäude  kaufte  am  Ende  dieses  Jahres  für 
10  500  Franks  der  General  Guerin,  der  das  deutsche  Haus  schon  seit  einiger 
Zeit  bewohnte. 

Aus  dem  Besitz  dieses  Mannes  ging  die  Komturei,  nachdem  sie  vorüber¬ 
gehend  im  Jahre  1815  dem  aus  dem  Dikasterialbau  vertriebenen  Tribunal 
Unterkunft  gewährt  hatte,5)  1819  auf  dem  Wege  der  Expropriation  an  den 
Preußischen  Militärfiskus  über.  Gudrin  hatte  44  444  Reichstaler  gefordert,  er 
erhielt  25  000. 6)  Nun  begann  der  Umbau,  der  die  Gebäudeanlage  seiner 
neuen  militärischen  Bestimmung  anpassen  sollte.  Das  beim  Chor  von  St.  Cästor 
dicht  an  der  Stadtmauer  gelegene  Gartenhaus  fiel  den  Befestigungsarbeiten 
zum  Opfer,  ebenso  die  Ställe  im  vorderen  Hof,  wo  ein  Aufgang  zur  neuen 


1)  Staatsarchiv  Coblenz,  Präfektur  Rhein-Mosel  VII  50. 

2)  Staatsarchiv  Coblenz,  Karten  und  Pläne  Eli  vom  11.  fructidor  an  11. 

3)  Staatsarchiv  Coblenz,  Akten  der  Intendantur  (106). 

4)  Staatsarchiv  Coblenz,  Präfektur  Rhein-Mosel  II  495.  Napoleon  genehmigte 
die  Verfügung  nachträglich  am  6.  Februar  1812. 

5)  Stramberg,  Rheinischer  Antiquarius  I  3  S.  499. 

6)  Staatsarchiv  Coblenz,  Akten  der  Intendantur  (106)  f.  2,  Generalgouv.  Nieder- 
lind  Mittelrhein  No.  23,  Akten  des  Landgerichts  von  1819/20. 


3.  Die  Zeit  des  Barock  und  die  späteren  Schicksale  des  Hauses.  27 

Bastion  angelegt  wurde,  und  das  Obergeschoß  des  gotischen  Anbaues. l 2 3)  Die 
drei  Hauptgebäude,  die  als  Proviantmagazin  dienen  sollten,  erfuhren  im  In¬ 
neren  eine  völlige  Umgestaltung.  2)  Im  Rheinflügel  wurden  sämtliche  Innen¬ 
räume  zerstört  und  bis  zum  Dach  fünf  neue,  niedrige  Geschosse  zur  Lagerung 
des  Getreides  geschaffen.  Die  zu  schmale,  steinerne  Wendeltreppe  in  der 
Nord  westecke  des  Gebäudes  wurde  beseitigt  und  durch  eine  breitere,  jetzt 
noch  vorhandene,  in  der  Nordostecke  ersetzt.  Im  Erdgeschoß  des  Moselflügels 
führte  man  an  Stelle  des  eingebrochenen  Gewölbeteils  zwei  Tonnengewölbe 
auf.  Im  Remter  zerschlug  man  die  Gewölbe,  legte  die  Säulen  nieder,  ver¬ 
kleinerte  die  großen  Spitzbogenfenster  und  teilte  den  Raum  durch  Einziehen 
einer  neuen  Decke  in  zwei  Geschosse.  Auch  die  prächtige,  in  den  Hof 
führende  Freitreppe  wurde  abgebrochen.  Das  Obergeschoß  des  Westflügels 
erhielt  unter  Beseitigung  der  vorhandenen  Zimmer  zwei  schmale,  von  Nord 
nach  Süd  laufende  Längsräume. 

In  diesem  Zustand  verblieb  das  Deutschordenshaus  bis  zum  Ende  des 
Jahrhunderts,  wo  es  einer  würdigeren  Bestimmung  zugeführt  wurde.  Zwar 
war  schon  früher  einmal  der  Versuch  gemacht  worden,  die  Mehlsäcke  aus 
einem  Teil  der  Gebäude  zu  entfernen.  Im  Jahre  1856  nämlich  bat  die 
Rheinische  Provinzialgenossenschaft  des  Johanniterordens,  anknüpfend  an  den 
ursprünglichen,  humanitären  Zweck  des  Hauses,  in  einem  Immediatgesuch 
den  König  um  Überlassung  des  West-  und  Moselflügels,  des  Gartens  und 
der  Kapelle  zur  Einrichtung  eines  Hospitals.  Die  Bitte  wurde  gewährt  unter 
der  Voraussetzung,  daß  die  Militärverwaltung  einen  genügenden  Ersatz  für 
die  Räume  des  deutschen  Ecks  ausfindig  machen  werde.  Man  konnte  als 
solchen  nur  das  Schloß  zu  Engers  vorschlagen.  Das  erschien  dem  Prinzen 
von  Preußen  jedoch  aus  militärischen  Gründen  zu  abgelegen,  und  er  lehnte 
im  Januar  1858  den  Antrag  der  Johanniter  ab. ;!)  Einen  zwrei  Jahre  später 
hervortretenden  Plan,  im  großen  Garten  und  in  Verbindung  mit  dem  West¬ 
flügel  eine  Dampfmahlmühle  anzulegen,  konnte  nur  mit  Mühe  ein  Protest  der 
Castorkirchengemeinde ,  dem  sich  die  Prinzessin  Augusta  anschloß,  zu  Fall 
bringen. 4) 

Das  Staatsarchiv  hauste  bis  dahin  im  Gebäude  der  königlichen  Regie¬ 
rung.  Seine  Räume  waren  aber  schon  längst  unzureichend  geworden  und 
wurden  überdies  von  jener  Behörde  für  eigene  Zwecke  begehrt.  Nachdem 
1888  das  Projekt  erörtert  worden  war,  die  alte  erzbischöfliche  Burg  an  der 
Mosel  zu  erwerben,  und  nachdem  sich  1892  Verhandlungen  über  einen  Bau¬ 
platz  auf  dem  Entfestigungsterrain  der  Stadt  zerschlagen  hatten,  wurde  die 
Aufmerksamkeit  der  Archivverwaltung  durch  den  Geh.  Baurat  Cuno  auf  das 
Deutschordenshaus  gelenkt,  mit  dessen  vernachlässigtem  Äußern  sich  grade 
damals  bei  der  Errichtung  des  Kaiser- Wilhelmdenkmals  die  öffentliche  Meinung 

1)  Staatsarchiv  Coblenz,  Karten  und  Pläne  El". 

2)  Staatsarchiv  Coblenz,  Karten  und  Pläne,  E  1 — 7,  10. 

3)  Staatsarchiv  Coblenz,  Akten  der  Intendantur  (106). 

4)  Staatsarchiv  Coblenz,  Akten  der  Kommandantur. 


28 


B.  Beschreibung  des  Staatsarchivs  zu  Coblenz. 


lebhaft  beschäftigte,  und  dessen  Niederlegung  von  vielen  Seiten  gewünscht 
wurde.  Die  Preußische  Staatsverwaltung  erwarb  das  Haus  mit  dem  dazu 
gehörigen  Gelände  1895  vom  Militärfiskus  für  95  170  Mark  und  ließ  es  in 
diesem  und  den  beiden  folgenden  Jahren  zur  Verwendung  als  Staatsarchiv 
wiederherstellen.  Der  Umbau  wurde  unter  Mitwirkung  der  Organe  der  Denk¬ 
malpflege  nach  dem  Entwürfe  des  Regierungsbaumeisters  Haltermann  und  unter 
dessen  Bauleitung  ausgeführt.  Die  Oberleitung  lag  in  den  Händen  des  Geh. 
Baurats  Cuno  und  nach  seinem  Tode  in  denen  des  Geh.  Baurats  Launer. 
Am  15.  Oktober  1897  erfolgte  die  Übergabe  des  Gebäudes  an  die  Archiv¬ 
verwaltung  und  am  16.  Juni  1898  war  der  Umzug  des  Staatsarchivs  in  das 
neue  Heim  beendet. 


B.  Beschreibung  des  Staatsarchivs. 


1.  Der  Rheinflügel. 

Der  das  Archivalienlagerhaus  bildende  Rheinflügel,  dessen  Längen-  und 
Breitenmaße  außen  36.30  :  15.56  m,  innen  33.40  :  12.88  m  und  dessen  Höhen¬ 
maße  bis  zum  Dachfirst  25.76V‘2  bezw.  bis  zum  Dachgesims  13.9 6  */2  m  be¬ 
tragen,  ist  durch  einen  schmiedeeisernen  Einbau  in  ein  Magazin  verwandelt 
worden.  Fünf  Böden  zerlegen  den  Innenraum  in  sechs  Säle,  die  annähernd 
gleiche  Höhe  haben  und  zwar  das  Erdgeschoß  2.515  m,  die  folgenden  2.90, 
2.70,  2.85  und  3.00  m.  Das  gewölbte  oberste  Geschoß  mißt  bis  zur  Scheitel¬ 
höhe  3.80  m.  Der  Boden  zwischen  Geschoß  I  und  II  ist  massiv  und  feuersicher 
eingedeckt  mit  dünner  Steinlage  zwischen  eisernen  I-Trägern  in  der  Form 
preußischer  Kappengewölbe,  ebenso  der  Boden  zwischen  Geschoß  IV  und  V 
in  Monierkappenform,  die  drei  anderen  Böden  sind  Rostböden  und  bestehen 
aus  durchbrochenen  Gußplatten.  Das  sechste  Geschoß  ist  in  den  nach 
P  0 1 0  n  c  e  a  u  art  konstruierten  Dachstuhl  eingebaut  und  trägt  eine  feuersichere 
Abschlußdecke  in  der  Form  eines  gedrückten  Tonnengewölbes,  gebildet  aus 
gebogenen  schmiedeeisernen  Winkeleisen  mit  Querträgern,  zwischen  die  Mo- 
nier-Kappen  eingespannt  sind.  Die  Last  des  magazinartigen  Einbaues  wird 
im  Erdgeschoß  von  Mauerpfeilern  getragen,  die  mit  zwei  Reihen  in  der 
Längsachse  durch  die  Mitte  des  Raumes  laufen,  in  den  oberen  Geschossen 
ruht  sie  auf  „58  in  Achsabständen  von  2.20  m  stehenden  Stützen,  die  in  den 

vier  unteren  Geschossen  aus  vier  Winkeleisen  mit  =)  C  förmigem  Querschnitt, 
•  •  .  I  ^ 

in  dem  oberen  aus  zwei  Winkeleisen  mit  -j  förmigem  Querschnitt  gebildet 
werden.“1)  Eine  steinerne  Wendeltreppe  in  der  Nordostecke  des  Gebäudes 
und  ein  neugebauter  Treppenturm,  der  sich  im  Hofe  an  die  Südwestecke  des 
Gebäudes  lehnt,  vermitteln  die  Verbindung  zwischen  allen  Sälen.  Außerdem 

1)  Vgl.  „Die  staatlichen  Bauten  am  Deutschen  Eck  in  Coblenz“  im  Centralblatt 
der  Bau  Verwaltung  XVI  (1896)  S.  5. 


1.  Der  Rheinflügel. 


29 


führen  vom  II.  zum  III.  und  IV.  und  vom  V.  zum  VI.  Geschoß  eiserne 
Treppen.  Der  von  den  Verwaltungsräumen  aus  gewöhnlich  benutzte  Zugang 
zum  Magazin  liegt  zwischen  dem  Bibliotheksaal  des  Moselflügels  und  dem 
III.  Magazingeschoß.  Der  Fußboden  des  Erdgeschosses  ist  mit  roten  Sand¬ 
steinfließen  belegt,  die  beiden  anderen  massiven  Böden  tragen  ornamentierte 
gelbliche  Tonplatten,  die  alten,  dem  romanischen  Bau  entstammenden  Fließen 
nachgebildet  sind.  Alle  Eisenteile  haben  einen  grauen  Ölfarbenanstrich,  die 
Wände  sind  verputzt  und  gelblich  weiß  in  Kalkfarbe  gestrichen. 


Was  die  Lichtzufuhr  an  geht,  so  ist  der  oberste  Saal  am  meisten  be¬ 
günstigt.  Er  zählt  22  zweiflügelige,  ein  siebenflügeliges  und  ein  dreiflügeliges 
Fenster  und  gibt  von  seinem  Überfluß  durch  große  ausgesparte,  mit  Ge¬ 
ländern  versehene  Lücken  in  dem  Rostboden  und  durch  diesen  selbst  Licht 
an  Saal  V  ab,  der  sieben  vierflügelige  und  elf  zweiflügelige  Fenster  besitzt. 
Saal  IV  und  III  haben  in  17  hohen,  sechsflügeligen  Fenstern  gemeinsame 
Lichtquellen,  Saal  II  wird  durch  14  vierflügelige  Fenster  erhellt  und  empfängt 
durch  den  Rostboden  noch  Licht  aus  den  beiden  oberen  Sälen.  Das  Erd¬ 
geschoß  besitzt  nur  13  kleine,  zweiflügelige  Fenster.  Alle  Fenster  der  Ost-, 
Süd-  und  Westfront  sind  mit  Zuggardinen  versehen,  die  Fenster  des  Erd¬ 
geschosses  sind  bis  auf  eins  vergittert,  die  des  II.  Geschosses  nach  der  Ost- 
(Rhein) Seite  durch  eiserne  Schutzläden  gesichert.  Eine  Telephonaulage  ver¬ 
bindet  Saal  III  und  V  untereinander  und  mit  den  Zimmern  des  Archivdirektors 
und  des  Archivdieners.  Sämtliches  Eisen  des  Einbaues  ist  an  die  Blitz¬ 
ableiteranlage  angeschlossen.  Das  Magazin  ist  ebenso  wie  die  Bibliothek 
nicht  heizbar. ') 

1)  In  dem  Neubau  des  Staatsarchivs  zu  Düsseldorf,  wo  die  Heizungsvorrich- 


30 


B.  Beschreibung  des  Staatsarchivs  zu  Coblenz. 


Der  nicht  hochwasserfreie  Saal  zu  ebener  Erde  dient  nicht  zur  dauern¬ 
den  Aufnahme  von  Archivalien.  Er  ist  zur  Sichtung  und  ersten  Ordnung 
größerer  Bestände  bestimmt  und  bewahrt  vorübergehend  die  zur  Kassation 
geeigneten  Sachen  auf.  Seine  Ausstattung  besteht  aus  53  kleinen,  hölzernen 
Fachgestellen  mit  734  Fächern,  je  einem  Handschriften-  und  Aktenschrank 
und  elf  Urkundenschränken. 

Die  eigentlichen  Archivlagerräume  beginnen  mit  Saal  II.  Hier  wie  in 
den  Geschossen  III — Y  sind  im  Anschluß  an  die  Eisenträger  rechtwinkelig 
zur  Längsachse  2  Reihen  Doppelreposituren  so  aufgestellt,  daß  ein  Mittel¬ 
gang  von  2.17  m  Breite  und  tan  den  Seiten  Gänge  von  0.84  m  Breite  frei- 


Fig.  11.  Querschnitt. 


bleiben.  Das  schmalere,  in  den  Dachstuhl  eingebaute  VI.  Geschoß  hat  nur 
eine,  durch  die  Mitte  des  Raumes  laufende  Reihe  von  Doppelfachgestellen. 

Diese  Gestelle  sind  in  allen  Teilen  aus  Holz,  in  heller  Farbe  lasiert  und 
lackiert,  die  Auflagebretter  sind  unverstellbar.  Die  Öffnung  der  Gefächer 
beträgt  in  Breite,  Höhe  und  Tiefe  0.29  :  0.295  :  0.40  m.  Die  oberen  Deck¬ 
bretter  haben  zum  größten  Teil  Seitenborde,  so  daß  auf  ihnen  gebundene 
Akten,  wie  Protokollbücher,  Rechnungen,  Register  u.  a.  Aufstellung  finden 
können.  An  den  Schmalseiten  der  Reposituren  sind  hier  und  da  Klapppulte 
angebracht  außer  in  Saal  III,  wo  die  niedrigen  Handscliriftenschränke  die 
Pulte  entbehrlich  machen. 

tuug  sich  auch  auf  das  Magazingebäude  erstreckt,  wird  sie  für  dieses  doch  nur  in 
Ausnalnnefällen  angewandt.  Ygl.  unten  S.  44. 


2.  Der  Mosclfliigel. 


31 


Saal  II  zählt  23  dieser  Doppelreposituren  von  2.55  m  Höhe  und  4.67  m 
Länge  mit  je  240  Fächern,  außerdem  noch  neun  Einzelfachgestelle  von  2.55  m 
Höhe  und  1.55  m  Länge  zu  je  35  Fächern  und  einen  Schrank,  der  die 
Siegelstempelsammlung  enthält.  In  Saal  III,  der  vornehmlich  der  Aufbe¬ 
wahrung  der  Urkunden  und  Handschriften  dient,  befinden  sich  25  Doppel¬ 
reposituren  von  2.32  m  Höhe  und  4.67  m  Länge  mit  je  180  Fächern  und 
drei  Einzelreposituren  von  2.32  m  Höhe  und  1.55  m  Länge  mit  je  30  Fächern. 
Sodann  stehen  an  den  Wänden  und  in  den  tiefen  Fensternischen  19  Schränke 
von  1.10  m  Höhe  und  1.45  m  Länge  mit  Ventilationsöffnungen  in  den  Türen. 
Sie  enthalten  die  „Handschriften“.  Saal  IV  hat  zehn  Doppelfachgestelle  von 
der  Größe  und  Gefachzahl  wie  die  des  III.  Geschosses,  ferner  15  Doppel¬ 
fachgestelle  von  2.32  m  Höhe,  4,06  m  Länge  und  je  156  Fächern,  vier  Einzel¬ 
gestelle  von  2.32  m  Höhe,  1.55  m  Länge  mit  je  30  Fächern.  Saal  V  be¬ 
sitzt  26  Doppelreposituren  von  2.89  m  Höhe  und  4.67  m  Länge  mit  je  270 
Fächern  sowie  13  Einzelreposituren  von  derselben  Höhe  und  verschiedener 
Länge  mit  zusammen  474  Fächern.  Die  obersten  Gefachreihen  sind  hier 
ohne  Querscheiden  gelassen  worden  und  dienen  zur  Aufnahme  von  Flurkarten. 
Saal  VI  enthält  15  Doppel-  und  sechs  Einzelreposituren  von  je  2.30  m  Höhe 
und  verschiedener  Länge  mit  insgesamt  2716  Fächern.  Im  ganzen  ergibt 
sich  damit  für  den  Magazinbau,  die  585.50  m  Auflagebretter  auf  2342  Ge¬ 
fach  gerechnet,  die  Zahl  von  27581  Fächern.  Von  diesen  sind  15612  belegt, 
so  daß  für  Akzessionen  noch  11969  Gefächer  freistehen. 

Über  die  Aufbewahrungsart  der  Urkunden  sei  noch  bemerkt,  daß  sie  in 
Folioblättern  liegend  gruppenweise  in  Pappkästen  von  25  cm  Breite,  9  cm 
Höhe  und  36  cm  Tiefe  ruhen,  deren  rechte  Längswand  beweglich  ist  und 
beim  Öffnen  des  Klappdeckels  aufschlägt.  Jedes  Gefach  enthält  zwei  dieser 
Urkundenkästen. 


2.  Der  Moselflügel 

enthält  zu  ebener  Erde  die  oben  beschriebenen,  überwölbten  kellerartigen 
Räume,  die  zur  Aufbewahrung  von  Brennmaterial  und  Utensilien  verwendet 
werden,  im  I.  Geschoß  den  „steinernen  Saal'4,  den  alten  Remter.  Bei  der 
Umwandlung  des  Gebäudes  zum  Proviantmagazin  ganz  zerstört,  ist  dieser 
prächtige,  lichtvolle  Raum  jetzt  in  Anlehnung  an  noch  vorhandene  Archi¬ 
tekturreste  und  an  die  Verhältnisse  des  Remters  zu  Lochstedt  in  Preußen 
wieder  neu  erstanden.  Es  ist  eine  zweischiffige  Halle  von  je  drei  Jochen, 
deren  spitzbogige  Kreuzgewölbe  von  zwei  schlanken  Säulen  und  Wandkon¬ 
solen  getragen  werden.  Drei  5.75  m  hohe  dreiteilige  Spitzbogenfenster  mit 
einfachem  Maßwerk  lassen  von  Norden  her  eine  Fülle  von  Licht  in  den  Saal 
fluten.  Durch  ein  nach  dem  Hof  sich  öffnendes  Portal,  das  früher  -auf  die 
im  19.  Jahrhundert  abgebrochene,  große  Freitreppe  führte,  jetzt  aber  durch 
ein  eisernes  (modernes)  Gitter  balkonartig  abgeschlossen  ist,  fällt  der  Blick 
auf  den  aus  dem  Grün  des  Archivgartens  emporragenden  Chor  von  St.  Castor 
mit  seiner  zierlichen  Säulengalerie.  Die  Reste  der  gotischen  Fresken  (s.  oben) 


32 


B.  Beschreibung  des  Staatsarchivs  zu  Coblenz. 


und  ein  gekuppeltes  romanisches  Rundfenster  in  der  Ostwaud  erhöhen  noch 
den  malerischen  Reiz  dieses  Raumes.  Seine  Maße  sind  16.20:9.22:6.80  m 
in  Länge,  Breite  und  Scheitelhöhe.  Die  Gewölberippen,  Fensterrahmen  und 
das  Maßwerk  bestehen  aus  Weibern  er  Tuffstein,  die  Konsolen,  Basen,  Kapitale 
und  Kämpfer  aus  feinkörnigem  Sandstein,  die  Säulenschäfte  aus  Basaltlava. 
Der  Fußboden  ist  mit  den  oben  erwähnten  Tonplatten  bedeckt,  die  Wände 
sind  fein  verputzt  und  mit  gelblicher  Kalkfarbe  gestrichen,  die  Gewölbekappen 
in  etwas  hellerem  Ton.  Die  Handbibliothek  und  Repertoriensammlung  haben 
in  diesem  Saal  Aufnahme  gefunden,  erstere  in  4  m  hohen  Bücherreposituren 
mit  90.00  qm  Ansichtsfläche,  letztere  in  niedrigen  Gestellen  von  1.10  m  Höhe, 
zwei  derselben  tragen  zehn  pultartige  Schaukästen,  die  eine  Ausstellung  sehens¬ 
werter  Urkunden  und  Handschriften  enthalten. 

Der  Bibliotheksaal  steht  sowohl  in  Verbindung  mit  Saal  III  des  Magazin¬ 
gebäudes,  zu  dem  eine  elfstufige  Treppe  hinaufführt,  als  auch  mit  einem  Raum 
in  dem  gotischen  Zwischenbau  zwischen  Mosel-  und  Rheinflügel.  Dieses 
mit  Kappengewölben  gedeckte  Zimmer  bildet  die  Plankammer.  Die  Karten 
und  Pläne  ruhen  in  6  Schränken  von  1.10  m  Höhe,  1.80  m  Länge  und  0.98  m 
Tiefe,  die  mit  je  8  Schiebladen  versehen  sind.  Oberhalb  der  Plankammer 
liegen  im  Zwischenbau  noch  zwei  vom  Saal  IV  des  Rheinflügels  aus  zu  er¬ 
reichende  Zimmer.  Das  größere  mit  niedrigen  Gestellen  an  den  Wänden  wird 
zu  Ordnungsarbeiten  benutzt.  Seine  Wände  und  die  Decke  sind  mit  den 
beim  Umbau  zutage  gekommenen  dekorativen  Malereien  geschmückt,  durch 
das  schöne  romanische  Doppelfenster  in  der  Westwand  schaut  man  von  oben 
herab  in  den  Remter.  In  dem  kleineren  Zimmer  werden  Zaponierungsarbeiten 
vorgenommen. 

Verläßt  man  den  Bibliotheksaal  durch  die  westliche  Tür,  so  gelangt  man 
über  einen  kleinen,  mit  zwei  spitzbogigen  Kreuzgewölben  gedeckten  Flur, 
auf  welchen  die  Zugangstreppe  aus  dem  Erdgeschoß  mündet,  mit  einer 
Wendung  nach  links  in  die  erste  Etage  des 


3.  Westflügels 

und  zwar  zunächst  in  einen  kleinen,  gotischen,  reich  ausgemalten  Vorraum, 
in  dem  als  Wandblenden  die  oben  beschriebenen  schönen  romanischen  Doppel¬ 
fenster  stehen.  Im  Westflügel  befinden  sich  die  Bureau-  und  Verwaltungs¬ 
räume  des  Archivs:  das  Dienerzimmer,  das  Zimmer  des  Direktors,  die  Kanzlei, 
das  Zimmer  des  I.  Archivars  und  der  Benutzerraum,  und  zwar  liegen  sie  in 
dieser  Reihenfolge  an  einem  an  der  Westseite  des  Gebäudes  hin  laufenden 
Gang.  Das  Benutzerzimmer,  das  auch  zwei  (zurzeit  drei)  Beamten  Unterkunft 
gewährt,  bildet  in  seiner  Grundfläche  ein  unregelmäßiges  Viereck  von  4.55 
bezw.  5.52  m  Breite  und  8.15  bezw.  8.25  m  Länge.  Die  Höhe  beträgt  4.42  m. 
Vier  große  nach  Osten,  Süden  und  Westen  gehende  Fenster  belichten  den 
Raum  in  ausgiebiger  Weise.  Die  Fenster  der  übrigen  Zimmer  gehen  nach 
Osten.  Alle  Zimmer  haben  Monierdecken  zwischen  eisernen  I-Trägern, 


3.  Westflügel.  —  4.  Bauliche  Nebenanlagen.  33 

Tannenfußböden  außer  dem  Gang,  der  mit  Linoleum  belegt  ist,  sie  sind  mit 
heller  Leimfarbe  gestrichen  und  stehen  durch  ein  elektrisches  Läutewerk  mit 
dem  Dienerzimmer  in  Verbindung.  Die  Heizung  geschieht  durch  eiserne  Füll¬ 
öfen.  Zu  ebener  Erde  befindet  sich  im  Westflügel  die  vom  Eingangshof  zum 
inneren  Hof  führende  Durchfahrt.  Auf  sie  öffnen  sich  von  beiden  Seiten 
zwei  Räume,  von  denen  der  südliche  die  oben  beschriebene  zweischiffige 
Halle  bildet.  Hier  ist  der  Hydrantenschrank  mit  Feuerlöschgeräten  unter- 
gebracht.  Unter  und  südlich  neben  dieser  Halle  liegen  das  ehemalige  Erd- 


,  ,  0  5  10 m 
lililiilüi _ t  i  i  i  \  i  ■  i  i  i 

Fig.  12.  Das  Torhaus. 

geschoß  und  der  Keller  des  Westflügels.  In  dem  ehemaligen  Erdgeschoß 
lagern  die  beim  Umbau  gesammelten,  älteren  Architekturbruchstücke.  Ein 
nach  dem  großen  Garten  zu  gelegenes  Gewölbejoch  dieses  Raumes  ist  zu 
einem  jetzt  von  dort  allein  zugänglichen  Zimmer  ausgebaut. 

4.  Bauliche  Nebenanlagen. 

Die  Archivdienerwohnung  steht  mit  dem  Torturm  in  Verbindung 
und  dient  zugleich  als  Pförtnerhaus.  Es  ist  ein  wohlgelungener,  kleiner  Bau 
in  gotischem  Stil  mit  reicher  Dachentwicklung  und  Fachwerk  im  Obergeschoß, 
der  sich  gut  in  das  Gesamtbild  der  Gebäudegruppe  einfügt.  Er  enthält  zwei 
Zimmer,  zwei  Kammern,  eine  Küche  und  zwei  Keller.  Die  große  Spitzbogen- 

Mitteilungen.  9.  Heft.  3 


34 


B.  Beschreibung  des  Staatsarchivs  zu  Coblenz. 


einfahrt  im  Torturm  ist  durch  ein  schweres  schmiedeeisernes  Gitter  und  durch 
ein  hölzernes  Tor  abgeschlossen.  Das  letztere  haßt  sich  vom  Dienerzimmer 
des  Westflügels  aus  auf  elektrischem  Wege  öffnen.  Zu  den  baulichen  Neben¬ 
anlagen  gehören  dann  noch  die  oben  beschriebene  Kapelle  (Oratorium)  und 
die  Kasematten  räume  in  der  Umwehrungsmauer  an  der  Rhein-  und  Mosel¬ 
seite.  Nach  drei  Seiten  sind  die  Archivgebäude  von  Gärten  umgeben,  die 
mit  Zier-  und  Fruchtsträu ehern,  Reben  und  Obstbäumen  reich  bestanden  sind 
Ein  großer  Garten  trennt  das  Archiv  von  der  Castorkirche.  Er  besitzt  einen 
Springbrunnen  und  ist  nach  dem  Castorhof  zu  durch  eine  hohe  Mauer  abge¬ 
schlossen,  in  die  ein  altes,  aus  dem  Hofe  des  ehemaligen  Dikasterialgebäudes 
hierher  überführtes  Barockportal  eingebaut  ist.  Zwei  kleinere  Gärten  liegen 
im  Eingangshof  dort,  wo  sich  früher  die  Kirche  und  die  Stallungen  erhoben. 
Auch  die  hochragende  Bastion,  das  Deutsche  Eck,  ist  in  einen  Garten  um¬ 
gewandelt  worden. 


Das  neue  Gebäude 

des  Staatsarchivs  zu  Düsseldorf 

und  dessen  Bestände. 

Von 

Dr.  Th.  Ilgen, 

Archivdiroktor. 


I. 


Das  neue  Gebäude  des  Staatsarchivs. 

Der  Neubau  für  das  Staatsarchiv  Düsseldorf  in  der  Josephinenstraße 
No.  8,  der  im  August  1875  bezogen  war,  erwies  sich  nach  kaum  einem 
Jahrzehnt  seines  Bestehens  für  die  inzwischen  stark  angewachsenen  Bestände 
als  nicht  mehr  ausreichend.  War  doch  auch  gerade  bei  den  Gerichten  und 
Verwaltungsbehörden  das  Bedürfnis  hervorgetreten,  die  älteren  Archivalien 
definitiv  abzugeben,  die  ihnen  im  Anfang  des  Jahrhunderts  zumeist  mit  der 
Bestimmung  überwiesen  waren,  die  zum  größten  Teil  neue  preußische  Ver¬ 
waltungsorganisation  am  Niederi’hein  an  die  durch  die  französische  Fremd¬ 
herrschaft  jäh  unterbrochenen  älteren  Einrichtungen  anzuknüpfen,  und  die, 
nachdem  sie  ihre  praktischen  Zwecke  erfüllt  hatten,  auf  Böden  oder  in  den 
Kellern  der  räumlich  beschränkten  Amtshäuser  schon  lange  einen  tiefen,  aber 
für  ihren  Erhaltungszustand  nicht  gerade  zuträglichen  Winterschlaf  gehalten 
hatten.  Die  Abstoßung  dieser  alten  Archive  oder  richtiger  gesagt,  Archiv¬ 
teile,  erweckte  namentlich  bei  den  Verwaltungsbehörden  die  Erkenntnis,  daß 
die  daneben  bestehenden,  sogenannten  reponierten  Registraturen  mittlerweile 
ebenfalls  historisch  geworden  waren  und  für  die  Erledigung  der  neuen  Auf¬ 
gaben  der  Provinzialregierungen  nur  noch  in  beschränktem  Umfang  heran¬ 
gezogen  zu  werden  brauchten.  So  ergriff  man  gern  die  Gelegenheit,  auch 
sie  in  die  Staatsarchive  überzuleiten,  die  auf  so  reichen  Zuwachs  doch  nicht 
genügend  vorbereitet  waren. 

Im  Staatsarchiv  Düsseldorf  mußte  man  daher  anfangs  der  SOei  Jahie 
schon  an  eine  weitere  Raumbeschaffung  denken.  Anregungen,  die  damals 
gegeben  wurden,  durch  den  Ankauf  des  im  Privatbesitz  befindlichen  Nachbar¬ 
hauses  dem  Platzmangel  abzuhelfen,  scheiterten  von  vornherein  an  dessen 
baulichen  Zustand.  Zu  einem  genügenden  Erweiterungsbau  aber  fehlte  es 
dem  fiskalischen  Grundstück  selbst  an  der  entsprechenden  Tiefe.  Da  sich 
bei  dem  das  Staatsarchiv  auf  zwei  Seiten  einschließenden  Landgerichtsgebäude 
mittlerweile  das  Ausdehnungsbedürfnis  ebenfalls  immer  energischer  geltend 
gemacht  hatte,  und  das  Justizministerium  die  Abtretung  des  Areals  in  der 
Josephinenstraße  dringend  wünschte,  wurde  die  Frage  der  Errichtung  eines 
neuen  Gebäudes  für  das  Staatsarchiv  im  Jahre  1896  eine  brennende. 

Es  war  naturgemäß,  daß  aus  diesem  Anlaß  die  eventuelle  Verlegung  des 
Staatsarchivs  von  Düsseldorf  in  die  Universitätsstadt  Bonn  wieder  einmal  zur 


38 


I.  Das  neue  Gebäude  des  Staatsarchivs. 


Sprache  kam.  In  vollkommner  Würdigung  der  großen  Vorteile,  welche  Archive 
und  Universitäten  aus  dem  Zusammenleben  an  einem  Orte  zu  ziehen  ver¬ 
mögen,  hatte  Heinrich  von  Sybel  schon  sehr  bald  nach  der  Übernahme  des 
Postens  des  Direktors  der  Preußischen  Staatsarchive  im  Jahre  1877  den  Ver¬ 
such  gemacht,  durch  die  Vereinigung  zunächst  der  Archive  von  Coblenz  und 
Idstein  in  Bonn,  denen  jedoch  zweifellos  das  Staatsarchiv  in  Düsseldorf  zu 
gelegener  Zeit  folgen  sollte,  ein  großes  Rheinisches  Zentralarchiv  zu  schaffen. 
Die  dem  Landtag  zu  diesem  Zweck  unterbreitete  Vorlage  erweckte  jedoch 
eine  so  lebhafte  Opposition  des  nassauischen  Abgeordneten  Dr.  Petri,  der 
von  verschiedenen  Seiten  des  Hauses  Unterstützung  fand,  daß  das  Projekt 
scheiterte.  *) 

Das  Bestreben,  die  Konzentrierung  der  beiden  Institute  von  Coblenz  und 
Düsseldorf  herbeizuführen,  war  in  maßgebenden  Kreisen  früher  bereits  wieder¬ 
holt  aufgetaucht.  In  einem  Promemoria  vom  16.  Mai  1861  hatte  einer  der 
Amtsvorgänger  Sybels,  der  damalige  Direktor  von  Lancizolle,  deren  Zusammen¬ 
legung  in  Düsseldorf  als  wünschenswert  bezeichnet.  Der  Vorschlag  gelangte 
nicht  zur  Durchführung,  weil  die  in  Aussicht  genommenen  Räumlichkeiten  im 
Regierungsgebäude  zu  Düsseldorf  für  die  beiden  Archive  sich  als  zu  klein 
herausstellten.  Nicht  besser  erging  es  dem  im  Sommer  1867  bei  den  Ver¬ 
handlungen  über  die  Errichtung  eines  neuen  Dikasterialgebäudes  in  Coblenz 
erörterten  Plan,  diesem  Neubau  eine  solche  Ausdehnung  zu  geben,  daß  er 
auch  das  Konsistorium,  das  Provinzialschulkollegium,  die  Katasterverwaltung 
der  Rheinprovinz  und  die  drei  Archive  von  Coblenz,  Düsseldorf  und  Wetzlar 
zu  fassen  vermöchte. 

Die  im  Juli  1897  in  die  Öffentlichkeit  gedrungene  Nachricht  von  der 
beabsichtigten  Verpflanzung  des  Staatsarchivs  nach  Bonn,  wo  von  seiten  der 
Stadt  ein  Platz  für  den  Neubau  unentgeltlich  angeboten  war,  rief  unter  der 
Bevölkerung  Düsseldorfs  einige  Erregung  hervor,  die  in  verschiedenen  Zei¬ 
tungsartikeln  sich  Luft  machte.  Sie  hatte  den  Erfolg,  daß  sich  die  Düssel¬ 
dorfer  Stadtverwaltung  ebenfalls  bereit  erklärte,  den  Grund  und  Boden  für 
ein  neues  Gebäude  des  Staatsarchivs  kostenlos  herzugeben,  nachdem  sich  das 
allein  zur  Verfügung  stehende  fiskalische  Grundstück  am  Rheinufer  beim  ehe¬ 
maligen  Hauptsteueramt  als  wenig  für  den  Zweck  geeignet  gezeigt  hatte. 

Es  sei  hier  wenigstens  kurz  bemerkt,  daß  in  den  ersten  Stadien  der 
Beratungen  über  den  Neubau  die  Vereinigung  des  Staatsarchivs  und  der  da- 

1)  S.  Stenographische  Berichte  über  die  Verhandlungen  des  Hauses  der  Ab¬ 
geordneten  vom  Jahre  1877  S.  200  und  586 — 599. 

Erwähnung  verdient,  daß  bei  der  Neuordnung  des  preußischen  Archivwesens 
der  Bibliothekssekretär  Dr.  Bernd  in  Bonn,  der  bekannte  Heraldiker  und  Genea¬ 
loge,  in  den  Jahren  1819 — 1821  mit  dem  Plan  hervortrat,  für  die  Rheinprovinz  in 
Bonn  „ein  wissenschaftliches  Provinzialarchiv“  zu  gründen.  Am  24.  Februar  1821 
ward  dessen  Promemoria  darüber  durch  den  Staatsminister  von  Altenstein  dem 
Fürsten  von  Hardenberg  eingereicht.  Vgl.  Koser,  Die  Neuordnung  des  Preußischen 
Archivwesens  durch  den  Staatskanzler  Fürsten  von  Hardenberg  in  den  Mitt.  der 
K.  Preuß.  Archivverwaltung  7 ,  S.  35. 


I.  Das  neue  Gebäude  des  Staatsarchivs.  39 

raals  noch  Königlichen  Landesbibliothek  unter  einem  Dache  in  Erwägung 
gezogen  wurde. 

Unter  vier  Baustellen ,  welche  die  Stadt  Düsseldorf  zur  Auswahl  be¬ 
stimmte,  um  sich  das  Staatsarchiv  zu  erhalten,  fiel  schließlich  die  Entschei¬ 
dung  für  das  an  der  Ecke  der  Prinz -Georgstraße  und  der  Stockkampstraße 
gelegene  Grundstück,  dessen  Abtretung  an  den  Staat  in  der  Stadtverordneten¬ 
sitzung  vom  16.  August  189S  beschlossen  wurde. 

Da  nach  dem  Vorbild  des  Archivgebäudes  in  Münster  i.  W.  auch  bei 
dem  Düsseldorfer  Neubau  die  Trennung  in  Verwaltungshaus  und  Magazin 
im  Bauplan  vorgesehen  war,  ergab  sich  der  Grundriß  auf  dem  2118  qm 
großen  Platze  von  selbst  aus  der  Form  des  Geländes,  dessen  Breite  in  der 
Prinz- Georgstraße  zur  Tiefe  ungefähr  im  Verhältnis  von  1  :  3  steht.  Dem 
mit  seiner  Längsachse  der  Stockkampstraße  parallel  gelegten  Speicherhaus 
wurde  daher  mit  einem  Abstand  von  6  m,  welchen  die  Brücke  des  Verbin¬ 
dungsganges  ausfüllt,  das  für  die  Geschäftsräume  bestimmte  Gebäude  quer 
vorgesetzt,  so  daß  dessen  Front  nach  der  Prinz  -  Georgstraße  gerichtet  ist. 
In  einer  zweijährigen  Bauzeit  ward  das  neue  Staatsarchiv  vollendet,  das  nach 
den  Skizzen  des  Geheimen  Oberbaurats  Dr.  Thür  im  Ministerium  der  öffent¬ 
lichen  Arbeiten  entworfen  ist.  Die  Ausführung  unter  der  Oberleitung  des 
Regierungs-  und  Geheimen  Baurats  Hasenjäger  lag  in  den  Händen  des  Kreis- 
bauinspektors  Baurat  Bongard,  während  die  örtliche  Bauleitung  durch  den 
jetzigen  Baurat  Kochs  in  Wesel  besorgt  wurde.1)  Die  Kosten  des  Neubaues 
betragen,  einige  Ergänzungsanlagen  mit  eingerechnet,  in  runder  Summe 
248  000  Mk.,  wovon  ca.  32  000  Mk.  auf  die  innere  Einrichtung  entfallen. 
Es  muß  mit  besonderem  Danke  anerkannt  werden,  daß  das  verständnisvolle 
Eingehen  der  Herren  Bauleiter  auf  Anforderungen  hinsichtlich  der  Innenein¬ 
richtung,  die  zum  Teil  erst  während  der  Bauausführung  zur  Geltung  gelangen 
konnten,  es  ermöglicht  hat,  mancherlei  Neuerungen  anzubringen,  die  in  fünf¬ 
jähriger  Erfahrungszeit  sich  bewährt  haben. 

Das  Äußere  des  Neubaues  ist  mit  viel  Geschick  so  gefällig  gestaltet, 
als  es  nach  dem  vorgezeichneten  Plan  und  bei  den  zur  Verfügung  stehenden 
Mitteln  möglich  war.  Die  Anordnung,  daß  das  Lagerhaus  und  die  Geschäfts¬ 
räume  gesondert  gehalten  werden  sollten,  ließ  eine  geschlossene  einheitliche 
Gebäudeanlage  nicht  zu.  Ein  langgezogener  Speicher  mit  sechs  dicht  über¬ 
einander  liegenden  Fensterreihen  eignet  sich  nicht  sonderlich  zur  Straßenfront¬ 
seite.  Bei  der  Höhenausdehnung,  die  ihm  gegeben  werden  mußte,  war  aber 
auch  ein  günstiges  Verhältnis  zum  Verwaltungsgebäude  schwieriger  zu  er¬ 
reichen.  Man  hat  es  dadurch  herzustellen  verstanden,  daß  man  dessen  Breit¬ 
seite  mit  30  m  zur  Front  entwickelte  und  so  der  Schmalseite  des  Magazins, 
die  nur  ungefähr  die  Hälfte  mißt,  vorlagerte.  Indem  man  ferner  den  Mittel- 

1)  Vgl.  hierzu  und  über  die  technische  Seite  der  Ausführung  des  Neubaues 
die  von  der  Bauleitung  veröffentlichte  Abhandlung  „Das  Königliche  Staatsarchiv 
in  Düsseldorf“  im  Zentralblatt  der  Bauverwaltung  (Jahrgg.  1903)  XXIII  182. 


40 


I.  Das  neue  Gebäude  des  Staatsarchivs. 


bau  des  Verwaltungsgebäudes  etwas  zurüektreten  Meß  und  statt  dessen  die 
beiden  Flanken  als  'Risalite  ausgestaltete,  die  mit  kleinen  Giebeln  bekrönt  sind, 
wurde  der  mit  kräftigen  Kugelaufsätzen  geschmückte  westliche  Staffelgiebel 
des  Magazingebäudes  über  die  Mitte  des  Geschäftshauses  derart  herausgehoben, 
daß  von  einem  etwas  entfernteren  Standpunkt  aus  beim  Blick  auf  die  Fassade 
das  Gebäude  zu  einer  wuchtigen  Gesamtwirkung  zusammenwächst.  Dazu  stimmt 
die  schlichte  Architektur  des  Neubaues,  der  aus  holländischen  Ziegeln  hergestellt  ist. 
Ihr  mattroter  Ton  erfährt  durch  den  grünen  Basaltsockel  und  durch  die  weißen 
Hausteine  für  die  Gesimse,  Fenstereinfassungen  und  Giebel bekrönungen  lebhaft 
wirkende  Unterbrechungen.  Die  Dächer  sind  mit  braunroten  Pfannen  eingedeckt. 

Vor  dem  Verwaltungsgebäude  liegen  zwei  durch  einen  Mittelgang  ge¬ 
schiedene  Rasenflächen  von  verschiedener  Größe,  die  mit  Bäumen  bepflanzt 
sind.  Der  1148  qm  große  rechteckige  mit  Anlagen  versehene  Garten  um¬ 
gibt  auf  drei  Seiten  das  Speicherhaus  und  wird  selbst  auf  diesen  durch 
Mauern  eingegrenzt,  während  die  vierte  Seite  die  Rückwand  des  Geschäfts¬ 
hauses  abschließt.  Die  Gartenmauern  nach  der  Stockkampstraße  und  dem 
Spielplatz  des  südlich  angrenzenden  Prinz-Georg-Gymnasiums  sind  ebenfalls 
aus  holländischen  Ziegeln  errichtet;  sie  tragen  auf  der  Straßenseite  Abdeck¬ 
platten  aus  Sandstein  mit  eisernen  Aufsatzgittern,  auf  der  anderen  Bedachungen 
aus  glasierten  Pfannen.  Zwei  Torausfahrten  und  eine  kleinere  Pforte  führen 
aus  dem  Garten  zur  Stockkampstraße. 

Da  andere  Gebäulichkeiten  von  den  drei  freien  Seiten  des  Speicherhauses 
zum  mindesten  23  m  entfernt  stehen  und  dieser  Zustand  für  das  Gymnasial¬ 
gebäude  im  Süden,  bei  dem  allein  ein  Erweiterungsbau  zu  gewärtigen  wäre, 
durch  Eintragung  ins  Grundbuch  ausdrücklich  festgelegt  ist,  erscheint  eine 
Gefährdung  der  Schätze  des  Staatsarchivs  durch  einen  in  der  Nachbarschaft 
ausbrechenden  Brand  als  ausgeschlossen.  Gegen  Blitzschlag  sichern  Blitz¬ 
ableiter,  wobei  besondere  Sorgfalt  darauf  verwendet  ist,  die  umfangreichen 
Eisenbestandteile  des  Magazingebäudes  sicher  an  die  Leitung  anzuschließen. 

Der  Herbeiführung  der  Feuersicherheit  im  Innern  trägt  die  Konstruktion 
der  Gebäude,  die  in  der  Hauptsache  nur  aus  Eisen  und  Stein  bestehen,  in 
weitgehendstem  Maße  Rechnung.  Die  Decken  sind  durchweg  massiv  und 
zwar  in  den  Fluren  als  Kreuz-  oder  Kappengewölbe,  in  den  Zimmern  des 
Verwaltungsgebäudes  als  Kleinesche  Decken,  in  den  Magazinsälen  und  den 
Zwischengeschossen  des  Bibliotheksraumes  als  Koenensche  Voutendecken  aus¬ 
geführt;  Rabitzdecken  wölben  die  Giebelzimmer  des  nördlichen  Risalits  und 
das  Dachgeschoß  des  Treppenhauses  im  Vorbau  des  Speicherhauses  ein.  Aus¬ 
schließlich  die  Dachverbände  bestehen  aus  Holz.  Doch  hat  man  die  Vor¬ 
sicht  geübt,  die  Zugänge  zu  den  Dachräumen  mit  eisernen  Türen  zu  ver¬ 
sehen.  Überdies  sind  Verwaltungs-  und  Lagerhaus  bis  zu  den  Dachgeschossen 
mit  Wasserleitungsröhren  durchzogen,  Hydranten  mit  Schläuchen  auf  die  ver¬ 
schiedenen  Stockwerke  verteilt. 

Im  Verwaltungsgebäude  scheidet  der  in  der  Mitte  der  Fassade  ange¬ 
brachte  Eingang,  der  durch  Außen-  und  Innentür  verschließbar  gemacht  ist, 


I.  Das  neue  Gebäude  des  Staatsarchivs. 


41 


das  Erdgeschoß  in  zwei  gleiche  Hälften,  dessen  südliche  die  aus  drei  Wohn- 
räumen  nebst  Küche  bestehende  Dienerwohnung  einnimmt.  Die  Nordseite 
enthält  zwei  größere  Vorderzimmer,  von  denen  eines  als  Arbeitsraum  eines 
Beamten  dient,  während  das  andere  zurzeit  für  die  Bibliothek  des  Düssel¬ 
dorfer  Geschichtsvereines  hergeliehen  ist.  Ein  nach  dem  Garten  zu  gelegenes 
kleines  Zimmer  wird  als  Packraum,  zur  Anfertigung  von  Siegelabgüssen  und 
zu  anderen  manuellen  Verrichtungen  benutzt.  Auf  dieser  Seite  des  Erdge¬ 
schosses  befindet  sich  auch  die  Treppenführung  sowohl  zum  Keller,  in  dem 


Die  Grundrisse  des  Erdgeschosses  und  des  ersten  Stockwerks  sowohl 
für  das  Verwaltungsgebäude  wie  für  das  Magazin. 


in  einem  tiefer  ausgeschachteten  Raum  die  zwei  Kessel  für  die  Zentralheizung 
eingebaut  sind,  wie  zum  ersten  Stockwerk,  wo  sie  durch  eine  eiserne  Schiebe¬ 
tür  abgesperrt  werden  kann. 

Den  Hauptraum  des  ersten  Stockwerkes  bildet  der  rund  66  qm  große 
Benutzersaal,  der  eine  Geschoßhöhe  von  4.80  m  hat.  4erner  enthält  es  die 
Arbeitszimmer  des  Direktors  und  eines  Archivars,  die  Kanzlei,  das  Diener¬ 
zimmer,  den  Waschraum  mit  Aborten  und  endlich  die  Bibliothek,  welche 
in  drei  durch  zwei  eiserne  Treppen  verbundenen  Geschossen  zu  je  2.25  m 
Höhe  nach  dem  Speichersystem  in  das  Südrisalit  eingebaut  ist,  derart,  daß  sie 
im  Dachgeschoß,  dessen  ganze  Tiefe  ausfüllt.  Der  entsprechende  Raum 


42 


I.  Das  neue  Gebäude  des  Staatsarchivs. 


im  Giebel  des  nördlichen  Risalits,  zu  dem  man  vom  Flur  des  ersten  Stock¬ 
werkes  auf  einer  Steintreppe  emporsteigt,  hat  die  Anlage  von  zwei  kleinere^ 
Zimmern  ermöglicht,  die  im  Bedarfsfall  als  Arbeitsräume  benutzt  werden. 

Die  Flure  des  Erdgeschosses  und  die  Fußböden  im  Waschraum  hat  man 
aus  roten  einfarbigen  Platten  hergestellt,  wohingegen  die  Zimmer  des  Erd¬ 
geschosses  Holzfußboden  haben.  Die  zu  den  oberen  Geschossen  führenden 
Treppen  jedoch,  sowie  sämtliche  Flure  und  Räume  derselben  sind  mit  Lino¬ 
leum  belegt,  das  auf  Gips-  oder  Zementstrich  aufliegt.  Für  die  Wände  und 
Decken  der  Flure  und  der  Bücherei  ist  Anstrich  teils  .in  Wachs-,  teils  in  Leim¬ 
farbe  gewählt;  die  Zimmer  sind  tapeziert.  Nur  der  durch  vier  große  Fenster 
vortrefflich  erhellte  Benutzersaal  hat  eine  etwas  vornehmere  Ausstattung  er¬ 
fahren.  Die  hier  bis  Meterhöhe  mit  einem  Linkrustasockel  bekleideten  Wände 
sind  mit  Kaseinfarbe  in  Tapetenimitation  gestrichen.  Gleichen  Anstrich  haben 
die  Zwischenfelder  zwischen  der  der  massiven  Decke  aufgelegten  Holzbalken¬ 
decke,  deren  Stützen  durch  kleine  W appenschilde  der  niederrheinischen  Terri¬ 
torien  verdeckt  werden.  Um  der  immer  etwas  trocknen  Luft  der  Zentral¬ 
heizung  vor  der  Verteilung  im  Raume  einige  Feuchtigkeit,  die  das  hiesige 
Klima  im  Winter  ja  reichlich  darbietet,  zuzuführen,  sind  die  vier  Heizkörper 
des  Saales  unter  den  Fenstern  angebracht;  sie  haben  Verkleidungen  aus 
Eichenholz,  welche  durch  dazwischen  gesetzte  feste  Bücherablegegestelle  und 
ein  Kartenpult  untereinander  verbunden  werden.  Drei  Tische  von  3.30  m 
Länge  und  1 .28  m  Breite  bieten  gleichzeitig  mindestens  zwölf  Benutzern  aus¬ 
reichende  Arbeitsgelegenheit.  Nach  reiflicher  Erwägung  wurde  davon  Ab¬ 
stand  genommen,  den  Platz  des  aufsichtführenden  Beamten  des  Benutzer¬ 
saales  auf  einem  erhöhten  Sitz  herzurichten.  Der  für  diesen  bestimmte  be¬ 
sondere  Arbeitstisch  steht  vor  der  einen  Schmalseite  des  Saales,  von  wo  aus 
der  ganze  Raum  doch  einigermaßen  sicher  überschaut  werden  kann.  In  un¬ 
mittelbarer  Nähe  befindet  sich  ein  verschließbarer  Schrank,  der  zur  zeit¬ 
weiligen  Aufbewahrung  der  für  den  Benutzersaal  bestellten  Archivalien  dient. 

Im  Benutzersaal  an  der  inneren,  von  der  Eingangstür  durchbrochenen 
Längswand,  hat  auch  ein  Teil  der  Bibliothek  Aufstellung  gefunden.  Es 
schien  notwendig  die  Lexika  der  verschiedensten  Art  und  die  gebräuchlichsten 
Handbücher  aus  den  einzelnen  Abteilungen  der  Bibliothek  an  dieser  Stelle 
zu  vereinigen;  sie  sind  durch  doppelte  Signierung  für  den  Sonderzweck  aus¬ 
gezeichnet.  Andererseits  gelang  es  die  spezielle  Literatur  zur  Geschichte  des 
Niederrheins,  welche  die  Abteilung  VI  der  Bibliothek  ausmacht,  ebenfalls  hier 
geschlossen  unterzubringen,  so  daß  sie  zur  Unterstützung  der  Studien  der  Be¬ 
nutzer  jeder  Zeit  bequem  zur  Hand  ist.  Zudem  führt  eine  Seitentür  aus 
dem  Benutzersaal  direkt  zum  untersten  Bibliotheksraum,  in  dem  die  Repo- 
situr  für  die  Zettelkataloge  und  ein  Gestell  für  die  Lieferungswerke  und  für 
die  ungebundenen  Zeitschriften  stehen ;  hier  werden  auch  die  kurrenten  Reper¬ 
torien  über  die  Archivalien  auf  bewahrt.  Für  die  gesamte  Bibliothek  ebenso 
wie  für  die  im  Magazin  untergebrachte  Handschriftensammlung  des  Staats¬ 
archivs  sind  die  Lipmanschen  Büchergestelle  angeschafft. 


I.  Das  neue  Gebäude  des  Staatsarchivs. 


43 


Das  Mobiliar  der  Arbeitszimmer  der  Beamten  ist  nicht  gerade  glänzend, 
aber  zweckentsprechend.  Schreibtische  und  Schreibpulte  stehen  in  ausreichender 
Zahl  zur  Verfügung,  ebenso  Tische  zum  Auseinanderlegen  von  Archivalien 
und  kleinere  Aktenböcke.  Selbst  ein  Kleiderschrank  und  eine  kleine  Wasch¬ 
kommode  konnten  für  jedes  Arbeitszimmer  zumeist  aus  dem  Material  der 
früheren  Bureauräume  beschafft  werden.  Für  die  Aktenregistratur  in  der 
Kanzlei  mußten  leider  die  alten  Schränke  des  Archivgebäudes  in  der  Jo- 
sephinenstraße,  die  mit  hoher  Facheinteilung  zur  Aufbewahrung  der  gehefteten 
Akten  wenig  geeignet  erscheinen,  beibehalten  werden. 

Vermittels  Niederdruck-Dampfheizung,  für  welche  die  Kesselanlage,  wie 
bereits  erwähnt  wurde,  sich  im  Kellergeschoß  befindet,  erfolgt  durch  Radia¬ 
toren  die  Erwärmung  der  Räumlichkeiten  des  Verwaltungshauses.  Deren  Zahl 
und  Größe  in  den  einzelnen  Zimmern  hängt  von  dem  Kubikinhalt  der  letz¬ 
teren  ab.  Im  Unterraum  der  Bibliothek,  auf  den  Fluren  des  Erdgeschosses 
und  des  ersten  Stockwerkes  und  im  Toilettenraum  sind  ebenfalls  Heizkörper 
angebracht. 

Elektrische  Klingeln,  Telephone  oder  Sprachrohrleitungsanlagen  laufen 
vom  Benutzersaal,  der  Bibliothek  und  den  Arbeitszimmern  der  Beamten  zum 
Dienerzimmer;  auf  diese  Weise  ist  auch  mit  dem  Speieherhaus  von  einzelnen 
Stellen  des  Verwaltungsgebäudes  eine  Verbindung  eingerichtet.  Von  der 
Treppe  im  Innern  des  Magazins  aus  mündet  ein  elektrischer  Alarmapparat 
in  die  Wohnung  des  Dieners. 

Den  beim  Neubau  erzielten  Ersparnissen  ist  die  nachträglich  eingerichtete 
elektrische  Beleuchtung  zu  verdanken,  mit  der  das  erste  und  zweite  Geschoß 
des  Verwaltungsgebäudes  versehen  sind.  Für  den  Benutzersaal  steht  auf 
den  einzelnen  Arbeitstischen  eine  Anzahl  von  Glühlichtlampen  zur  Verfügung. 

Vom  Flur  des  ersten  Stockwerkes  des  Verwaltungshauses  führt,  dieses 
in  seiner  rückwärtigen  Hälfte  durchschneidend,  der  Zugang  durch  den  auf 
einen  Brückenbogen  gesetzten  Verbindungsbau  —  Breite  2.50  m,  Länge 
6.00  m  —  zu  dem  dritten  Geschoß  des  Magazingebäudes,  vor  dessen  Betreten 
man  jedoch  erst  den  Treppenabsatz  des  Vorbaus  überschreiten  muß,  der 
zwischen  Verbindungsbau  und  Speicherhaus  bis  zur  Dachhöhe  des  letzteren 
errichtet  ist.  In  der  Länge  mißt  der  Hauptbau  des  Magazins  22.58  m,  in 
der  Breite  15.28  m;  die  Höhe  vom  Terrain  bis  zur  Oberkante  des  Haupt¬ 
gesims  beträgt  16,50  m.  Der  Vorbau  von  3.30  m  Länge  und  9.60  m  Breite 
enthält  die  im  Dachstuhl  ausmündende  Treppenanlage  aus  Trachytstufen  und 
den  bis  zum  sechsten  Geschoß  des  Magazins  reichenden  Aufzug.  Die  Längs¬ 
seiten  des  Hauptbaus  sind  im  Äußeren  in  fünf  Joche  zu  zwei,  bezw.  im 
obersten  Geschoß  zu  drei  Fenstern  gegliedert.  Abweichend  von  der  Kon¬ 
struktion  des  Magazins  für  das  Staatsarchiv  in  Münster  i.  W .  fehlt  im  Inneren 
des  Gebäudes  das  Mauerwerk.  Als  Stützen  dienen  hier  leichte  aus  Winkel¬ 
eisen  zusammengesetzte  Träger,  die  auf  starken  Backsteinfundamenten  im 


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I.  Das  neue  Gebäude  des  Staatsarchivs. 


Keller  ruhen.  Sie  tragen  die  Zementeisendecken  mit  Zementschicht  (Koenensche 
Voutendecken);  durch  welche  das  Speicherhaus  in  sechs  gleiche  Säle  von  je 
300  qm  Flächenraum  und  2.55  m  Geschoßhöhe  zerlegt  wird.  Eine  die  Mitte 
des  Gebäudes  in  halber  Breite  durchschneidende  eiserne  Treppe,  die  von  Ge¬ 
schoß  zu  Geschoß  15  Stufen  zählt,  stellt  eine  bequeme  direkte  Verbindung 
zwischen  den  Sälen  her.  Außerdem  hat  jeder  Saal  noch  von  der  Treppenanlage 
des  Vorbaus  aus  einen  verschließbaren  Zugang.  Eine  eisenbeschlagene  Tür, 
die  zwischen  dem  Vorbau  und  dem  Verbindungsgang  eingesetzt  ist,  unter¬ 
bricht  bei  Feuersgefahr  die  Kommunikation  vom  Verwaltungshaus  zum  Ma¬ 
gazingebäude.  Eine  zweite  Tür  gleicher  Beschaffenheit,  die  vom  Erdgeschoß 
des  Vorbaus  unter  dem  Brückenbogen  in  den  Garten  ausmündet,  darf  auch 
in  Notfällen  als  stets  benutzbarer  Transportweg  zur  Rettung  der  Archivalien 
angesehen  werden. 

An  die  östliche  Schmalseite  des  Speicherhauses  ist  in  gleicher  Fußboden¬ 
höhe  mit  dem  untersten  Geschoß  und  durch  dieses  zugänglich  das  photo¬ 
graphische  Atelier  in  der  Größe  von  6.62  m  zu  3.65  m  vorgebaut.  Weil  es 
erst  nach  Fertigstellung  des  Neubaus  in  Angriff  genommen  wurde,  war  man 
gezwungen,  für  die  Dunkelkammer  und  den  Geräteraum  von  der  letzten 
Achse  des  Saales  im  Erdgeschoß  ein  Stück  durch  Rabitzwände  abzuteilen. 
Der  Entwicklungsraum  wurde  noch  durch  eine  Innenwand  in  zwei  Hälften 
geschieden,  um  bei  doppeltem  Türverschluß  jeden  Lichtzutritt  zu  verhindern. 
Unter  den  festen  Requisiten  der  Dunkelkammer  seien  die  bequem  angelegten 
Spülbecken  für  die  verschiedenen  Plattengrößen  und  der  Wassertrog  mit 
Überlauf  namhaft  gemacht.  Das  Atelier  und  der  Vorraum  der  Dunkelkammer 
sind  die  einzigen  Räumlichkeiten  des  Magazingebäudes,  die  elektrische  Be¬ 
leuchtung  haben.  Da  indessen  auch  an  dieser  Stelle  ausschließlich  Glühlicht¬ 
lampen  vorgesehen  sind,  hat  diese  Einrichtung  vorläufig  nur  bei  der  Auf¬ 
nahme  kleinerer  Gegenstände  recht  nutzbar  gemacht  werden  können. 

Der  photographische  Apparat  besteht,  um  die  übrige  Ausstattung  des 
Ateliers  gleich  hier  kurz  darzulegen,  in  einer  Reise-Camera  für  Platten  große 
bis  zu  30  x  40  cm  mit  Anastigmat.  Der  eine  verstellbare  Platte  tragende 
Tisch  für  den  Apparat  läuft  ebenso  wie  der  Tisch,  auf  dem  der  aufzunehmende 
Gegenstand  angebracht  wird,  in  Holzschienen,  wodurch  rasches  Einstellen  er¬ 
zielt  wird.  Die  erforderlichen  Arbeitstische,  Schränke  und  Wandgestelle  fehlen 
selbstverständlich  nicht. 

Atelier  und  Dunkelkammer  haben  Anschluß  an  die  Zentralheizungs¬ 
vorrichtung  im  Verwaltungsgebäude. 

In  den  Sälen  1,  3,  5  und  6  des  Speicherhauses  stehen  je  2 — 8  Radia¬ 
toren.  Die  Heizung  für  das  Magazingebäude  wird  indessen  nur  bei  unge- 
gewöhnlich  starken  Kältegraden  angelassen.  Die  Annahme,  daß  durch  die 
Treppenöffnungen  und  die  Deckenschlitze  in  den  Fensternischen  eine  auto¬ 
matisch  wirkende  Luftspülung  sich  vollziehen  würde,  hat  sich  als  irrig  er¬ 
wiesen.  Infolgedessen  erfüllen  auch  die  aus  Saal  6  über  Dach  geführten  zwei 
Abluftschlote  aus  Eisenblech  ihre  eigentliche  Bestimmung  recht  unvollkom- 


I.  Das  neue  Gebäude  des  Staatsarchivs. 


45 


men;  sie  sind  höchstens  für  diesen  Raum  tätig.  Die  Ablüftung  der  übrigen 
Säle  muß  unter  diesen  Umständen  durch  häufiges  Öffnen  der  Fenster  erfolgen. 
Man  wird  doch  wohl  noch  daran  denken  müssen,  Ventilatoren  einzubauen. 

Der  Vorkehrungen  zur  Sicherung  des  Magazingebäudes  bei  Feuersgefahr 
wurde  bereits  kurz  gedacht.  Die  Wasserleitung  steigt  im  Treppenhaus  em¬ 
por,  auf  dessen  verschiedenen  Absätzen  Hydranten  mit  Schläuchen  zum  so¬ 
fortigen  Gebrauch  zur  Haud  sind.  Deshalb  glaubte  man  von  der  Anbringung 
eiserner  Verschlüsse  für  die  Fensteröffnungen  absehen  zu  können.  Lediglich 
die  Fenster  des  untersten  Saales  haben  zum  Schutz  gegen  Einbruch  Schieb¬ 
gitter,  die  im  Inneren  den  Rahmen  schließen;  die  Fenster  der  unteren  Ge¬ 
lasse  des  Vorbaus  sind  von  außen  vergittert. 

Wenn  gleich  den  einzelnen  Sälen  durch  je  10  bezw.  15  Fenster  auf 
den  Längsseiten  uud  ein  größeres  Mittelfenster  an  der  östlichen  Schmalseite 
Licht  reichlich  zufließt,  so  mußte  doch  bei  der  Innenausstattung  auf  die  ge¬ 
ringe  Höhe  der  nahezu  15  m  tiefen  Geschosse  die  weitgehendste  Rücksicht 
genommen  werden,  damit  auch  die  Endstücke  der  Reposituren  nach  der  Mitte 
zu  noch  genügende  Beleuchtung  empfingen.  Es  wurden  daher  die  Wände 
und  Decken  weiß  gestrichen;  die  festen  Teile  der  Reposituren  erhielten  grauen 
Anstrich.  Der  Fußboden  wurde  nur  in  den  Mittelgängen  vollständig  mit 
Linoleum  belegt.  Bei  den  Quergängen  zwischen  den  Reposituren  begnügte 
man  sich  mit  Laufstreifen,  so  daß  am  Fuß  der  Gestelle  der  hervortretende 
hellgraue  Zement  noch  Licht  reflektiert.  Versuche,  die  mit  der  Aufstellung 
einer  Holzrepositur  mit  festen  Seitenwänden  gemacht  wurden,  ergaben,  daß 
bei  dieser  Art  von  Aktengestellen  die  Lichtzufuhr  für  die  Schlußteile  der 
Reposituren  ganz  erheblich  geschwächt  werden  würde. 

So  fiel  die  Entscheidung  für  ein  neues  System  von  Aktengestellen,  von 
dem  die  Finna  Lipman  in  Straßburg  ebenfalls  ein  Modell  an  Ort  und  Stelle 
hatte  montieren  lassen.  Die  eigentlichen  Träger  dieser  aus  Einzelstücken 
von  0.83  und  1.12  m  Länge  zusammengesetzten  Reposituren  bilden  vier  mit 
ihren  Enden  in  Boden  und  Decke  eingegipste  T-Eisen,  denen  zahnartig 
durchlochte  Führungsbleche  angenietet  sind.  In  die  letzteren  werden  Winkel¬ 
bleche  eingehängt,  auf  deren  wagrechten  Ansätzen  die  hölzernen  Einlageböden 
ruhen.  Durch  Versetzen  der  Winkelbleche  ist  die  Möglichkeit  gegeben,  die 
Höhenabstände  der  Einlageböden  ganz  nach  Bedürfnis  zu  verändern.  Zur 
seitlichen  und  rückwärtigen  Abgrenzung  der  nebeneinander  lagernden  Archi¬ 
valien  dienen  vernickelte  Eisenstäbe,  die  lose  durch  die  in  gleichen  Abständen 
mit  Bohrlöchern  versehenen  Einlageböden  gesteckt  werden.  Die  Eisenstäbe 
können  für  die  verschiedenen  Fachhöhen  verschieden  zugeschnitten  werden. 

Bei  je  zwei  aneinander  stoßenden  Teilstücken  der  Gestelle  fällt  ein 
Trägerpaar  aus,  indem  die  mittleren  T-Eisen  die  Führungsbleche  auf  zwei 
Seiten  tragen.  Fünf  doppelte  Teilstücke  liefern  ein  zusammenhängendes  Ge¬ 
rüste  von  5.40  m  Länge.  Sie  sind  als  Doppelreposituren  mit  vorderer  und 
rückwärtiger  Ansichtsfläche  konstruiert  und  von  zwei  Seiten  zugänglich.  Nur 


46 


I.  Das  neue  Gebäude  des  Staatsarchivs. 


die  Wände  der  Schmalseiten  in  den  Sälen  sind  mit  je  vier  Einzelgestellen 
besetzt.  In  zwei  Reihen  stehen  die  Gerüste,  die  überall  senkrecht  auf  die 
Fenster  der  Längswände  gerichtet  sind,  hintereinander  in  den  Geschossen  ent¬ 
lang.  Die  den  Treppendurchbrüehen  korrespondierenden  Stellen  wurden  einst¬ 
weilen  frei  gelassen,  um  hier  in  Saalesmitte  die  Aufstellung  großer  Tische 
zum  Ausbreiten  von  Akten  zu  ermöglichen.  Nach  dieser  Anordnung  enthält 
jeder  Saal  16  Gerüste  und  vier  Einzelgestelle.  Der  durch  die  Unterbrechung 
der  Gerüste  entstandene  Mittelgang  hat  eine  Breite  von  1.55  m.  Da  die 
Reposituren  vorläufig  auch  noch  nicht  bis  unmittelbar  zu  den  Innenwänden 
der  Längsseiten  geführt  sind,  sondern  etwas  über  80  cm  davon  abstehen, 
bleibt  auch  auf  deren  Außenseiten  ein  Bewegungsraum  von  entsprechender 
Breite.  Die  Entfernung  zwischen  zwei  gegenüberliegenden  Gerüsten,  also  die 
Breite  eines  Querganges,  beträgt  1.35  m. 

Die  Quergänge,  deren  Achsen  meist  auf  die  der  Fenster  treffen,  werden 
nicht  allein  durch  das  aus  diesen  direkt  einfallende  Licht  erhellt,  das  Licht 
vermag,  da  Seiten-  und  Rückwände  an  den  Reposituren  fehlen,  auch  zwischen 
den  Einlegeböden  über  die  Urkundenkasten  und  Aktenbündel  vorzudringen. 
Selbstredend  ist  die  Luftspülung  um  die  Archivalien  die  denkbar  günstigste. 

Als  der  größte  Vorzug  dieser  Art  von  Reposituren  muß  es  aber  be¬ 
trachtet  werden,  daß  damit  Archivalienlager  geboten  sind,  die  ohne  jede 
Schwierigkeit  für  verschiedene  Höhen-  und  Breitenmaße  nicht  nur,  sondern 
auch,  indem  man  die  erforderlichen  Abschnitte  einer  Doppelrepositur  zu  einer 
Belegstelle  vereinigt,  für  sonst  nicht  erreichbare  Tiefenausdehnung  aptiert 
werden  können.  Das  Staatsarchiv  Düsseldorf  zählt  zu  seinen  Beständen 
mehrere  Hunderte  von  Archiven  ehemaliger  geistlicher  Korporationen,  deren 
handschriftliche  Überlieferung  in  sehr  mannigfaltigen  Formen  auf  uns  ge¬ 
kommen  ist.  Neben  den  Urkunden  und  den  Akten  noch  heute  gebräuchlichen 
Formats  bestehen  sie  nicht  selten  aus  Rechnungen,  Protokollen  und  Lager¬ 
büchern,  die  sich  nicht  in  die  Maße  eines  Normalfachs  fügen  wollen.  Die 
Akten  aus  der  Zeit  der  französischen  Fremdherrschaft  am  Niederrhein  sind 
nicht  nur  ihrem  Inhalt  nach  zum  Teil  recht  scharfe  Einschnitte  in  den  all¬ 
gemeinen  Entwicklungsgang  des  Verfassungs-  und  Verwaltungslebens  des 
Archivsprengels,  sie  spotten  auch  geradezu  des  Ordnungsdranges  des  Archi- 
vars  in  ihren  Größen  Verhältnissen,  die  sich  in  buntem  Wechsel  von  Kleinquart 
bis  Großfolio  bewegen  und  in  den  Bordereaux  und  Budgets  zum  Elephanten- 
format  anwachsen.  Dazu  kommt,  daß  selbst  die  kleinei’en  Klosterarchive 
vielfach  Serien  von  Ai-chivalien,  wie  Rechnungen  und  Protokolle  enthalten, 
die,  weil  sie  feste  Einbände  haben,  der  besseren  Übersicht  wegen  gestellt 
werden.  Diesen  mannigfaltigen  Bedürfnissen  sind  die  Lipmanschen  Akten¬ 
gestelle  ohne  besondere  Umänderungen  zu  entsprechen  imstande;  es  bedarf 
nur  der  Entfei’nung  der  Eisenstäbe  aus  den  Einlageböden  und  des  Verschiebens 
der  Winkelbleche. 

Wie  sich  versteht,  hat  bei  diesem  Verfahren,  die  Gestelle  zu  belegen, 
von  fester  Fachnumerierung  abgesehen  werden  müssen.  Auf  leichte  schmale 


I.  Das  neue  Gebäude  des  Staatsarchivs. 


47 


Pappstreifen  gedruckte  Titel  der  Fonds,  der  Haupt-  und  größeren  Unter¬ 
abteilungen  der  einzelnen  Archive  werden  an  den  betreffenden  Anfangsstellen 
den  Köpfen  der  T-Eisen  oder  dem  schmalen  Rand  der  Einlageböden  auf¬ 
geklebt.  Außerdem  führen  die  Reposituren  an  den  Schmalseiten  im  Mittel¬ 
gang  Blechschildchen  mit  fortlaufenden  Nummern  und  auf  eingeschobenen 
Papptafeln  die  kurzen  Stichworte  der  dort  beruhenden  Archivaliengruppen. 
Die  Belegung  der  Reposituren  beginnt  in  jedem  Geschoß  links  vom  Eingang 
aus  dem  Vorbau  und  wird  in  der  Längsrichtung  von  unten  nach  oben  fort¬ 
gesetzt.  Will  man  die  Reihenfolge  der  in  den  Gestellen  eines  Saales  lagern¬ 
den  Fonds  übersehen,  so  bewegt  man  sich  fortgesetzt  im  Schlängelgang  um 
die  Gerüste. 

Zur  Erleichterung  des  Heraussuchens  der  Archivalien  und  zur  schnelleren 
Durchsicht  von  Akten  an  Ort  und  Stelle  dienen  folgende  Vorrichtungen  r 
Teils  an  den  Innenwänden,  teils  an  den  T-Eisen  der  Gerüste  befinden  sich 
eiserne  Nuten,  in  welche  kleine  mit  eisernen  Krücken  versehene  Tischplatten 
verschiedener  Größe  eingehängt  werden  können,  die  man  vermittels  derselben 
Vorrichtung  aber  auch  glatt  an  die  Wand  oder  die  Repositur  anzulegen 
vermag.  Ferner  hat  jeder  Saal  zwei  kleinere  Tischchen,  deren  Füße  auf 
Rollen  laufen.  Daß  auch  in  den  einzelnen  Geschossen  je  ein  großer  Tisch 
von  über  3  m  Länge  bereit  steht,  wurde  oben  angedeutet. 

Die  Ausstattung  des  Saales  3,  in  dem  hauptsächlich  die  Urkundenarchive 
aufbewahrt  werden,  weicht  von  der  der  übrigen  Geschosse  insofern  ab,  als 
dessen  vierter  Teil  mit  LipmaüSchen  Büchergestellen  besetzt  ist,  auf  denen 
die  sogenannte  Handschriftenabteilung  aufgestellt  ist.  Außerdem  ist  die  eine 
Reihe  der  Doppelgerüste  in  ihm  um  ein  Joch  nach  der  Fensterseite  verkürzt. 
Den  dadurch  frei  gewordenen  Raum  nehmen  Schränke  von  Brusthöhe  ein, 
die  zur  Unterbringung  der  Kartenabteilung  und  der  Wappentafeln  und  -Bücher 
bestimmt  sind.  Diese  Schränke,  für  die  zwei  verschiedene  Größen  gewählt 
wurden,  sind  nach  Mustern  in  der  Universitätsbibliothek  in  Straßburg  ange¬ 
fertigt.  Sie  haben  Schiebfächer,  die  beim  Ausziehen  auf  Holzschienen  ruhen, 
welche  an  den  Innenseiten  der  Doppeltüren  parallel  angeschraubt  sind.  Die 
Vorrichtung  gewährt  den  Vorteil,  daß  die  vorgezogene  Schublade  die  Durch¬ 
musterung  ihres  Inhalts  am  Standort  ermöglicht. 


48 


II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs. 


II. 

Die  Bestände  des  Staatsarchivs 

nach  ihrer  äulseren  Gliederung;  deren  Entstehung,  frühere 
Aufbewahrungsorte  und  Verteilung  im  neuen  Gebäude. 


Bei  der  Beschreibung  der  Lagervorrichtungen  für  die  Archivalien  ist 
bereits  andeutungsweise  erwähnt,  daß  die  Bestände  des  Düsseldorfer  Archivs, 
wie  das  in  fast  allen  Staatsarchiven  üblich  ist,  ihrer  äußeren  Beschaffenheit  nach  in 
die  Hauptgruppen :  Urkunden,  Handschriften  und  Akten  geschieden  werden,  zu 
denen  als  kleinere  Sonderabteilungen  noch  Karten  und  Wappentafeln  oder 
-Bücher  hinzutreten. 

Unter  den  Urkunden  faßt  man  in  der  Regel  alle  auf  Pergament  ge¬ 
schriebenen  und  besiegelten  Einzelschriftstücke  zusammen,  ohne  aus  dem  Inhalt 
ein  Einteilungsprinzip  herzuleiten.  Wichtigere  Verträge  jedoch  späterer  Jahr¬ 
hunderte  werden,  auch  wenn  deren  Ausfertigung  auf  Papier  erfolgt  ist,  ihnen 
zuweilen  ebenfalls  zugezählt.  Im  Staatsarchiv  Düsseldorf  hat  man  auch  die 
älteren  Einzelabschriften  auf  Pergament  oder  Papier,  deren  Vorlagen  Originale 
der  vorbezeichneten  Kategorien  waren,  die  sich  jedoch  nicht  erhalten  haben, 
der  chronologischen  Reihenfolge  der  Originale  eingereiht.  Die  Urkunden  liegen 
in  36x  25  x  11  cm  großen  mit  losen  Deckeln  verschließbaren  Pappkasten, 
deren  rechte  Längsseite  zum  Herunterklappen  eingerichtet  ist.  Das  einzelne 
Stück  umgibt  ein  mit  dem  Fonds,  Datum  und  Nummer  versehener  Um- 
schlagebogen ,  der  die  Längen-  und  Breitenmaße  des  Innenraumes  eines 
Kastens  hat.  Die  Kasten  tragen  auf  der  vorderen  Seite  ebenfalls  Fondsbe¬ 
zeichnung,  Anfangs-  und  Endjahr  der  in  ihnen  enthaltenen  Urkunden  und 
eventuell  auch  deren  Nummern.  Für  Urkunden  umfangreichem  Formats  sind 
Behälter  von  der  doppelten  Größe  des  Normalkastens  vorgesehen.  Immer 
nur  je  zwei  Kasten,  denen  übrigens  an  der  Vorderseite  Schleifen  eingelassen 
sind,  an  denen  man  sie  vorziehen  kann,  stehen  auf  den  Einlageböden  der 
Gestelle  übereinander. 

Als  Handschriften  werden  Kopiare,  Memorienbücher,  Nekrologien,  Statu¬ 
tensammlungen,  Einkünfteregister,  Lehenbücher  und  -Protokolle,  alte  Archiv¬ 
verzeichnisse,  geschichtliche  Darstellungen  und  dergleichen  angesehen.  Bei 
manchen  Stücken  ist  für  die  Zuweisung  zu  dieser  Abteilung  nur  der  Um¬ 
stand  ausschlaggebend  gewesen,  daß  sie  einen  festen  Einband  tragen.  Ihre 
Unterbringung  im  Saal  3  auf  Lipmanschen  Büchergestellen  wurde  bereits  er¬ 
wähnt. 

Die  Aktengruppe  bilden  die  Korrespondenzen  der  verschiedensten  Art 
vom  16.  Jahrhundert  ab,  Rechnungen  und  Register,  Lagerbücher,  die  meisten 
Sorten  von  Protokollen,  soweit  nicht  solche  mehr  zufällig  der  Handschriften¬ 
abteilung  zugeführt  worden  sind.  Eine  gewisse  Sonderstellung  neben  ihr 


II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs. 


49 


kommt  den  sogenannten  Literalien  zu,  deren  Wesen  man  aus  dem  Titel 
nicht  so  ohne  weiteres  zu  erkennen  vermag.  Sie  sind  eine  Erfindung  La- 
comblets  und  stellen  sich,  näher  besehen,  so  recht  als  Verlegenheitsprodukt 
heraus,  das  man  bei  der  plötzlichen  Anhäufung  größerer  Massen  ungeordneter 
Arcliivalien  geschaffen  hat,  weil  man  wegen  des  Mangels  an  Arbeitskräften 
nicht  in  der  Lage  war,  die  einzelnen  Stücke  ihrem  Inhalt  und  ihrer  Zuge¬ 
hörigkeit  nach  richtig  einzuschätzen.  Als  Literalien  gelten  Niederschriften 
auf  Pergament  und  Papier  vom  14.  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts,  die, 
obwohl  besiegelt,  in  diesem  Fall  ihrem  Inhalt  nach  nicht  als  vollwertige  Ur¬ 
kunden  taxiert  wurden,  wie  Quittungen,  Zahlungsanweisungen,  Reverse,  Fehde¬ 
briefe,  ferner  die  Korrespondenzen,  die  ja  in  ihren  Anfängen  zumeist  fragmen¬ 
tarischen  Charakter  zeigen,  Teilstücke  von  Registern  und  Rechnungen,  kurz, 
Aufzeichnungen  des  aller  verschiedensten  Formats,  Inhalts  und  Ursprungs. 
Sie  sind  zum  Glück  in  größerem  Umfang  nur  bei  den  bedeutenderen  Territorial¬ 
archiven  angelegt,  bestehen  aber  in  dem  Archiv  von  Jülich-Berg  sogar  noch 
in  zwei  selbständigen  Abteilungen  nebeneinander,  einer  chronologisch  und  einer 
sachlich  geordneten.  Ihr  vielfach  sehr  defekter  Zustand  hat  die  Veranlassung 
gegeben,  sie  in  Mappen  einzuschnüren;  wo  das  bisher  noch  nicht  geschehen 
war,  sind  sie  neuerdings  in  Stollesche  Streckmappen  eingelegt. 

Die  Literalien  eröffnen  in  der  Regel  die  Aktenserie  eines  selbständigen 
Archivs  oder  einer  Hauptabteilung  eines  solchen.  Da  die  Lipmanschen  Repo- 
situren  dazu  überall  Gelegenheit  bieten,  werden  sie  gestellt,  jede  Mappe  auf 
den  Rücken  mit  der  entsprechenden  Signatur  versehen.  Das  Gleiche  geschieht 
mit  allen  gebundenen  oder  fest  gehefteten  Aktenstücken,  wenn  sie  eine  Reibe 
von  unmittelbar  aufeinander  folgenden  Einbänden  repräsentieren,  welche  zu¬ 
sammen  die  Breite  eines  Normalfaches  überschreiten.  Die  einzelnen  Bände 
erhalten  an  deutlich  sichtbaren  Stellen  die  ihnen  zukommenden  Provenienzver¬ 
merke  und  Aktennummern,  gegebenenfalls  auch  den  kurzen  Titel;  bei  Pro¬ 
tokollen,  Rechnungen  und  Registern  darf  natürlich  auch  die  Jahresbezeichnung 
nicht  fehlen.  Die  übrigen  Akten  werden  in  Bündel  von  mäßiger  Dicke  zu- 
sammengesehnürt.  Um  die  schädigenden  Wirkungen  des  Bindfadens  an  den 
Schnürstellen  etwas  aufzuheben,  sind  die  Bündel  zwischen  zwei  größere  Akten¬ 
deckel  gelegt.  Mit  dem  Bindfaden,  der  die  Fascikel  zusammenhält,  werden 
diesen  zugleich  durchlochte  Kartontäfelchen  angehängt,  auf  die  die  Fonds  und 
Nummern  aufgedruckt  sind.  Es  gilt  als  Regel,  daß  nur  zwei  Bündel  in 
einem  Fachabteil  übereinander  geschichtet  werden. 

Das  Verfahren,  den  Bestand  eines  jeden  Archivfonds  einheitlichen  Ur¬ 
sprungs  nach  Urkunden,  Handschriften,  Literalien  und  Akten  zu  trennen  und 
an  drei,  unter  Umständen  sogar  an  vier  Stellen  in  gesonderten  Gruppen  zu 
lagern,  trägt,  konsequent  durchgeführt,  nur  dazu  bei,  die  Übersichtlichkeit 
bei  der  Aufstellung  zu  erschweren.  Von  den  zahlreichen  Archiven  ehemaliger- 
geistlicher  Korporationen,  welche  in  das  Staatsarchiv  gelangt  sind ,  haben  sich 
viele  so  lückenhaft  erhalten,  daß  deren  Urkunden  einen  oder  zwei  Kasten  füllen, 
die  Akten  kaum  ein  Fach  ausmachen  und  für  die  Handschriftenabteilung  eine 
Mitleilungen.  9.  lieft.  4 


50 


II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs. 


Nummer,  ein  Memorienbuch  oder  etwas  ähnliches,  abfällt.  Geschichtliche 
Studien,  welche  auf  die  Bearbeitung  dieses  Materials  abzielen,  können  meisten¬ 
teils  nur  mit  Erfolg  durchgeführt  werden,  wenn  sie  die  Gesamtüberlieferung 
des  betreffenden  Fonds  berücksichtigen.  Es  müssen  also  bei  derartigen  Be¬ 
nutzungen  nicht  nur  die  Archivalien  an  drei  verschiedenen  Lagerstellen  auf¬ 
gesucht  werden,  zunächst  sieht  man  sich  vielfach  auch  noch  in  die  Not¬ 
wendigkeit  versetzt,  den  Stoff  erst  aus  mehreren  Verzeichnissen  zusammen¬ 
zustellen,  weil  gewisse  Kategorien  von  Handschriften  gar  nicht  in  den  Spe¬ 
zialrepertorien  sondern  nur  im  allgemeinen  Handschriftenkatalog  eingetragen 
sind.  Dieser  Verzettelung  vornehmlich  der  kleineren  Archive  entgegen  zu 
arbeiten,  ist  hier  neuerdings  der  Anfang  gemacht. 

Von  der  gesonderten  Behandlung  der  Urkunden  kann  man  freilich  nicht 
absehen.  Ihre  stetig  wechselnde  Form,  die  aufgedrückten  oder  angehängten 
Siegel  bedingen  für  jedes  einzelne  Stück  eine  eigene  Umhüllung  und  einen 
Lagerort,  der  es  gegen  scharfen  Druck  und  unsanfte  Berührung  schützt.  Die 
Pappkasten,  welche  auf  jeden  Fall  den  Vorzug  bieten,  daß  das  Aufsuchen 
einer  Einzelnummer  sehr  erleichtert  ist  und  daß  dabei  nur  eine  verhältnis¬ 
mäßig  geringe  Anzahl  der  übrigen  Urkunden  in  Mitleidenschaft  gezogen  wird, 
erfüllen  ihren  Zweck  schlecht  und  recht.  Da  die  Urkunden  für  die  früheren 
Perioden  des  Mittelalters  als  die  hauptsächlichsten  Quellen  gelten  und  zu 
Spezialuntersuchungen,  deren  Themata  durch  engere  chronologische  Grenzen 
mehr  als  durch  sachliche  Gesichtspunkte  festgelegt  sind,  Anlaß  geben,  so  mag 
es  gerechtfertigt  erscheinen,  aus  ihnen  ein  Archiv  im  Archiv  zu  bilden. 

Dagegen  will  mir  der  Vorteil,  den  eine  Handschriftenabteilung  in  dem 
Umfang,  wie  sie  im  Staatsarchiv  Düsseldorf  eingerichtet  ist,  bringen  soll,  nicht 
einleuchten.  So  gut  ich  Protokolle,  Einkünfte-  und  sonstige  Register,  Lager¬ 
bücher,  *)  Rechnungen  usw.  der  Aktenabteilung  eines  Archivs  einfüge,  mit  dem 
nämlichen  Rechte  kann  ich  dieser  auch  Kopiare,  Lehenbücher  und  Lehenproto¬ 
kolle,  Rechtsaufzeichnungen,  Statuten,  Memorienbücher,  Nekrologien,  ältere 
Archivinventare  und,  was  es  sonst  noch  an  sogenannten  handschriftlichen 
Besonderheiten  geben  mag,  zuweisen,  vorausgesetzt  natürlich,  daß  alle  Stücke 
gleichen  Ursprung  haben.  Hier  hat  offenbar  das  Vorbild  der  Bibliotheken 
zur  Nacheiferung  angeregt.  Aber  bei  diesen  Instituten,  in  denen  Hand¬ 
schriftenabteilungen  vielfach  von  altersher  bestehen,  hat  diese  Einrichtung  doch 
einen  ganz  anderen  Sinn  als  in  den  Archiven,  deren  Inhalt  so  wie  so  nahezu 
ausschließlich  handschriftlicher  Überlieferung  ist.  Für  diese  mehr,  als  es 
notwendig  ist,  Sondergruppen  herzustellen,  die  auf  Grund  zumeist  äußerlicher 
Unterscheidungsmerkmale  gebildet  sind,  erscheint  mir  vom  Übel.  Vor  allem 
leidet  aber  auch  das  moderne  oberste  Ordnungsprinzip,  die  Provenienz,  dar¬ 
unter  Schaden.  Und  selten  haben  Benutzer  —  von  den  Beamten  ganz  ab¬ 
gesehen  —  einen  wirklichen  Gewinn  von  dem  Bestehen  einer  besonderen 


1)  Stammen  derartige  Archivalien  aus  der  Zeit  vor  1500,  so  sind  auch  sie 
vielfach  in  die  Handschriftenabteilung  eingereiht. 


II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs. 


51 


Handschriftenabteilung,  weil  historische  Arbeiten  sich  doch  nur  in  Ausnahme¬ 
fällen  auf  die  Durchforschung  einer  Handschriftenspezies  beschränken  können. 

Gewiß  besitzen  wohl  alle  größeren  Archive  Handschriften,  die  sich  in 
keinem  der  Hauptbestände  unterbringen  lassen,  weil  sie  unbekannter  oder 
fremdartiger  Herkunft  sind.  Manuskripte  rein  theologischen  Inhalts  werden  ja 
für  geschichtliche  Studien  höchst  selten  herangezogen  und  bilden  sie  daher 
auch  in  einem  Klosterarchiv  eine  Art  Ballast.  Als  eine  wahre  Crux  für 
viele  Archive  müssen  die  Sammelhandschriften  der  Geschichtsfreunde  des 
17.  und  18.  Jahrhunderts  betrachtet  werden,  welche  schon  durch  die  latei¬ 
nischen  Titel,  Schedae,  Farragines,  die  ihre  Urheber  ihnen  bisweilen  gegeben 
haben,  ihren  verhängnisvollen  Ursprung  andeuten.  Gewöhnlich  sind  sie  aus 
älteren  Abschriften,  gelegentlich  auch  aus  Originalstücken  zusammengelesen, 
die  den  verschiedensten  Archiven  entlehnt  sind.  Kann  man  sie  nicht  auf- 
lösen,  so  muß  man  sie  natürlich  als  besondere  Handschriftenabteilung  bestehen 
lassen.  Außer  einigen  Bänden  J.  G.  von  Redinghovens  verwahrt  das  Staats¬ 
archiv  Düsseldorf  an  derartigen  Manuskripten  die  Sammlungen  von  Fuchsius, 
von  Knapp  und  Sethe.  Einzelne  Stücke  privater  Herkunft,  ein  paar  Geschäfts¬ 
bücher  von  Handlungshäusern  des  18.  Jahrhunderts  wird  man  wohl  am  besten 
ebenfalls  in  der  Abteilung  belassen.  Nach  der  Säuberung  dürfte  sie  aber 
kaum  noch  den  zwanzigsten  Teil  ihres  bisherigen  Umfanges  einnehmen. 

Am  Niederrhein  haben  sich  im  Gegensatz  zum  Mittelrhein  schon  ziem¬ 
lich  früh  größere  in  sich  geschlossene  Territorien  gebildet.  Nachdem  infolge 
der  fränkischen  Eroberung  und  der  Verwaltungsmaßnahmen  Karls  des  Großen 
die  alten  Stammesverbände  mehr  und  mehr  gelockert  waren,  als  auch  die  an 
ihre  Stelle  getretenen  Grafschaftsorganisationen  sich  überlebt  hatten,  waren 
es  vornehmlich  die  kirchlichen  Körperschaften,  die  hier  eine  zeitlang  ihren 
Einfluß  in  überwiegendem  Maße  geltend  machten.  Allen  voran  schritten  die 
Kölner  Kirchenfürsten.  Seit  den  Tagen  Erzbischof  Brunos,  des  Bruders 
Otto  des  Großen,  beanspruchten  sie  auch  in  weltlichen  Dingen  die  Führerrolle, 
in  der  sie  durch  die  Gunst  der  Kaiser  und  die  reichen  Schenkungen  an  Be¬ 
sitz  und  Gerechtsamen  der  mannigfaltigsten  Art  gestärkt  wurden.  Aber  gar 
bald  streben  daneben  immer  weitere  Kreise  zur  politischen  Selbständigkeit 
empor.  Der  älteste  Sitz  der  Erzbischöfe,  „das  heilige  Köln,  der  römischen  Kirche 
getreue  Tochter“,  widerstrebt  am  frühesten  dem  kirchlichen  Regiment.  Und 
seit  dem  12.  Jahrhundert  machen  auch  die  Grafen  und  Herren,  die  bisher 
ihren  Vorteil  darin  gesehen  hatten,  als  Lehensmannen  des  Reichs  und  der 
Kirche  zu  dienen,  den  Erzbischöfen  ihre  Stellung  streitig.  I  ngefähr  gleich¬ 
zeitig  tauchen  um  1100  herum  die  Geschlechter  der  Grälen  von  Jülich,  von 
Geldern,  von  Cleve  und  von  Berg,  die  einen  Zweig  ihres  Stammes,  die  Grafen 
von  Altena-Mark,  nach  Westfalen  ausbreiten,  aus  dem  Dunkel  empor;  ihre 
Herkunft  haben  die  Haushistoriographen  vom  14.  Jahrhundert  ab  mit  einem 
dichten  Sagengewebe  umsponnen.  In  stetig  wechselnden  Bündnissen  bald  mit 

dem  einen  bald  mit  dem  anderen  Grafengeschlecht  suchen  die  Erzbischöfe 

4* 


52 


II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs. 


von  Köln  den  ihnen  jeweilig  lästigsten  Nachbarn  niederzuwerfen.  Umsonst; 
das  weltliche  Territorialprinzip  triumphiert.  Die  Soester  Fehde,  in  der  die 
aufrührerische  westfälische  Stadt  mit  Hilfe  des  clevischen  Herzogshauses  über 
den  Erzbischof  Dietrich  von  Moers  obsiegte,  bildet  den  Schlußakt  dieses  drama¬ 
tischen  Eingens.  Die  Herzoge  von  Cleve,  die  im  märkischen  Stamm  fortlebten, 
erscheinen  im  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  als  die  glücklichen  Erben  beinahe 
des  gesamten  weltlichen  Gebietes  am  Niederrhein. 

Nach  dem  Tode  des  Grafen  Johann  von  Cleve  nämlich,  der  im  Jahr  1368 
kinderlos  starb,  war  diese  Grafschaft  an  den  Sohn  seiner  Nichte,  den  Grafen 
Adolf  III.  von  der  Mark  (als  Graf  von  Cleve,  Adolf  I.),  gefallen.  Cleve  blieb 
Stammland;  die  Grafschaft  Mark  wurde  zunächst  zur  Abfindung  jüngerer 
Söhne  verwendet,  bis  schließlich  im  15.  Jahrhundert  die  dauernde  Vereinigung 
mit  Cleve  eintrat,  das  1417  zum  Herzogtum  erhoben  worden  war. 

Bei  den  Grafschaften  und  späteren  Herzogtümern  Jülich  und  Berg,  zu 
denen  auch  Eavensberg  und  Heinsberg  kamen  ,  war  mittlerweile  eine  ähn¬ 
liche  Verschmelzung  erfolgt.  Das  bergische  (bergisch-limburgische)  Grafenhaus 
stirbt  1348  aus,  das  Land  geht  durch  eine  ravensbergische  Erbtochter  auf 
Gerhard  von  Jülich  über  und  dessen  Nachkommen  sukzedieren  nach  dem 
kinderlosen  Absterben  Herzog  Reinalds  von  Jülich  1423  auch  in  diesem 
Fürstentum.  Der  Zusammenschluß  von  Cleve-Mark  und  Jülich-Berg  nebst 
Ravensberg  ward  durch  die  1510  vollzogene  Heirat  des  Jungherzogs  Johann 
von  Cleve-Mark  mit  Maria,  dem  einzigen  Kind  Herzog  Wilhelms  von  Jülich- 
Berg  und  Ravensberg,  eingeleitet.  Nachdem  Herzog  Wilhelm  1511  und  der 
Altherzog  Johann  II.  1521  gestorben  waren,  wurde  in  Johann  III.  der  cleve¬ 
märkische  Stamm  der  herrschende  am  Niederrhein.  Fast  schien  es,  als  ob 
ihm  in  den  40er  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  auch  noch  die  Erwerbung 
Gelderns  gelingen  könnte.  Indessen  Herzog  Wilhelm,  Johanns  III.  Sohn  erlitt 
in  dem  Kampfe,  den  er  deswegen  gegen  Carl  V.  zu  führen  hatte,  eine 
schwere  Niederlage.  Mit  Herzog  Wilhelms  Sohn  und  Nachfolger,  dem  geistes¬ 
kranken  Johann  Wilhelm,  starb  1609  das  Geschlecht  im  Mannesstamm  aus, 
die  Erben  der  Töchter  des  ersteren,  Kurpfalz  und  Brandenburg,  teilten  die 
Länder  unter  sich  auf.  Kurpfalz  erhielt  Jülich-Berg  und  Ravenstein,  Branden¬ 
burg  nahm  Cleve-Mark  nebst  Ravensberg  in  Besitz,1)  wozu  es  im  Jahre  1702 
die  im  Mittelalter  von  Cleve  zu  Lehen  gehende  Grafschaft  Moers  2)  und  1713 
als  Ersatz  für  bedeutende  Kapitalforderungen  an  die  spanischen  Niederlande 
einen  Teil  des  Herzogtums  Geldern3)  erwarb. 

Der  Sprengel  des  heutigen  Staatsarchivs  Düsseldorf  war  also  am  Aus- 


1)  Gemäß  dem  Dortmunder  Abkommen  vom  31.  Mai  1609  und  dem  Vertrag 
zu  Xanten  vom  10.  Mai  1614,  die  im  wesentlichen  durch  den  Vertrag  d.  d.  Cleve 
1666  September  19.  bestätigt  wurden. 

2)  Dienstbach,  Nassau- Saarbrücken  und  Moers.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte 
des  oranischen  Successionsstreites  S.  111  ff. ;  über  das  frühere  Verhältnis  von  Moers 
zu  Cleve  s.  S.  243  ff. 

3)  Durch  den  Utrechter  Traktat  vom  2.  April  1713. 


II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs. 


53 


gang  des  18.  Jahrhunderts  hauptsächlich  in  drei  Herrschaftsgebiete  geteilt,  das 
der  Erzbischöfe  von  Köln,  der  Kurfürsten  von  der  Pfalz  bezw.  von  Bayern  und 
der  Könige  von  Preußen.  *)  Zum  Sitz  der  weltlichen  und  geistlichen  Regierung 
des  Erzstiftes  Köln  hatte  sich  im  Laufe  des  16.  Jahrhunderts  Bonn  entwickelt; 
bereits  1558  befindet  sich  hier  das  erzbischöfliche  Archiv,  wohin  es  aus  dem 
Turm  des  Godesberger  Schlosses  transportiert  war.  In  der  Stadt  Köln  brachten 
es  nur  die  verschiedenen  Gerichte  der  Erzbischöfe  zur  Entwicklung  selbständiger 
fürstlicher  Registraturen.  Das  domkapitularische  Archiv,  dessen  Akten  ja  in 
der  Zeit  der  Sedisvakanz  auch  für  das  erzstiftische  Territorium  erhöhte  Geltung 
gewannen,  wurde  selbstverständlich  im  Bereich  der  Domimmunität  in  Köln 
aufbewahrt.  'l 2) 

Von  den  auf  den  fürstlichen  Schlössern  und  Burgen  eingerichteten  Depots 
von  Archivalien  der  Herzogtümer  Jülich  und  Berg  wurden  die  des  letzteren,  die 
auf  Burg  an  der  Wupper  und  Bensberg  verwahrt  gewesen  waren,  wahrschein¬ 
lich  schon  bald  nach  1493  im  Schloß  zu  Düsseldorf  konzentriert,  wo  übrigens 
bereits  1444  ebenfalls  eine  Archivabteilung  bestand. 3)  Da  hierhin  im  Laufe  des 
16.  Jahrhunderts  auch  die  jülichschen  Archivalien  übergeführt  wurden,  die  bisher 
auf  den  Burgen  Nideggen,  Caster,  Hambach,  Jülich  und  Randerath  zerstreut 
gelagert  hatten,4)  fand  allmählich  die  heute  noch  bestehende  Zusammen¬ 
schweißung  dieser  Bestände  statt,  bei  welcher  der  Chronist  des  Fürstenhauses, 
Gerhard  von  .Jülich,5)  besonders  tätig  war.  Sie  wurde  befördert  durch  die 
Bemühungen  Herzog  Wilhelms,  zunächst  die  Verfassung  und  Verwaltung  von 
Jülich-Berg  zu  zentralisieren.  Die  fast  ein  Jahrhundert  dauernde  Personalunion 
zwischen  diesen  Fürstentümern  und  Cleve-Mark  hat  dagegen  keine  Spuren 
hinterlassen,  die  auf  die  Absicht  hindeuteten,  deren  Archive  ebenfalls  zu  ver- 


1)  Vgl.  Harleß,  Entwicklungsgang  des  Provinzialarchivs  zu  Düsseldorf.  Ein 
Erinnerungsblatt  an  dessen  Begründer  Lacomblet,  Bergische  Ztschr.  3,  301 — 326 
uijd  Rheinisches  Archiv,  Wegweiser  durch  die  für  die  Gesch.  des  Mittel-  und  Nieder¬ 
rheins  wichtigen  Handschriften.  I.  Teil:  Der  Niederrhein,  bearbeitet  von  Ilgen. 
Westdeutsche  Ztschr.,  Ergänzungsheft  II,  besonders  S.  8  ff. 

2)  S.  Harleß,  Über  die  letzten  Schicksale  des  Kölnischen  Erzstiftes  und  Dom¬ 
kapitels,  mit  besonderer  Beziehung  auf  das  Archiv  des  letzteren  in  der  Ztschr.  für 
Preuß.  Gesch.  11,432—451  und  12,  13S  ff.  Daß  das  erzstiftische  Archiv  nicht  erst 
im  17.  Jh.  (so  Harleß,  Entwicklungsgang  S.  302)  in  Bonn  eingerichtet  wurde,  be¬ 
weist  ein  summarisches  Repertorium  des  Bonner  Archivs  von  1558.  Auch  die 
Kanzleiordnungcn  für  die  Registratur  daselbst  datieren  aus  den  Jahren  1570 
und  1574. 

3)  Die  Repertorien  der  verschiedenen  Archivstellen  aus  dem  Anfang  des 
15.  Jhs.  haben  sich  erhalten. 

4)  Hierfür  liegen  ebenfalls  Verzeichnisse  vor,  von  denen  einzelne  bis  1415 
zurückreichen. 

5)  Vgl.  Harleß,  Entwicklungsgang  303.  Das  „Inventarium  der  vornembsten 
schrifften,  buecher,  register,  brief  und  sigel,  so  zu  Gerhardi  .Tuliacensis  seligen  re- 
gistration  gewesen“  das  1576  aufgestellt  ist,  umfaßt  die  Ilauptgruppen  der  älteren 
Archivalien  von  Jülich-Berg.  Übrigens  hatte  bereits  1528  Johannes  Buff  ein  Registium 
litterarum  et  copiarum  in  camera  cancellari  Wilhelmi  Lunynek  angefertigt. 


54 


II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs. 


einigen.  Das  clevische  Archiv  blieb  auch  nach  dem  Jahre  1521  auf  dem 
Schwanenturm  in  Cleve,  wo  dessen  Urkunden  schon  im  15.  Jahrhundert  von 
den  Verfassern  der  offiziösen  Fürstenchroniken  des  clevischen  Hauses  benutzt 
worden  sind.1)  Wenn  es  im  Laufe  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  gelegentlich 
seinen  Aufenthaltsort  gewechselt  hat,  so  geschah  das  nur  vorübergehend,  um  es 
den  Gefahren  kriegerischer  Überfälle  zu  entziehen.  2) 

Das  Archiv  des  Herzogtums  Geldern  ist  zufolge  der  Übereinkunft  mit 
den  Generalstaaten  von  Holland  nicht  aufgeteilt  worden,  sondern  beruht  noch 
heute  zu  Roermonde  in  seinem  alten  Bestände;  im  Jahr  1752  befand  sich 
ein  Teil  desselben  auf  der  Rechenkammer  in  Brüssel.  Preußen  ward  nur  der 
Rekurs  auf  dasselbe  Vorbehalten.  Deshalb  kommt  Geldern  als  Archivursprungs¬ 
stätte  auch  erst  vom  Jahre  1713  an  in  Betracht.  Dagegen  scheint  es  Preußen 
gelungen  zu  sein  das  oranien-moersische  Archiv  bei  der  Besitzergreifung  der 
Grafschaft  1702  in  Moers  sofort  in  Beschlag  zu  nehmen. 

Von  den  Archiven  der  Landstände  dieser  Fürstentümer  und  Grafschaften, 
die  ja  an  der  ursprünglichen  territorialen  Gliederung  über  alle  Erbgänge  der 
Herrscherhäuser  und  Ländervereinigungen  hinaus  zäh  festhielten,  so  zwar, 
daß  die  Ständevertretungen  sowohl  von  Jülich  wie  von  Berg,  von  Cleve,  Mark, 
Geldern  und  Moers  bis  zu  ihrer  Auflösung  gesondert  blieben,  wenn  sie  auch 
zum  Teil  zu  gemeinsamen  Beratungen  zusammentraten,  hatten  im  18.  Jahr¬ 
hundert  die  der  Ritterschaften,  desgleichen  das  der  jülichschen  Unterherren, 
entweder  am  Tagungsort,  der  Landeshauptstadt,  oder  am  Wohnsitz  des  Land¬ 
tagsmarschalls,  zeitweise  wohl  auch  des  Syndikus,  ihren  Standort;  die  Sorge 
für  das  gemeinsame  landständische  Archiv  der  Städte  eines  Territoriums  über¬ 
nahm  die  Vorortsstadt. 

Während  der  Mittelrhein  mit  kleineren  Reichsherrschaften  übersät  ge¬ 
wesen  ist,  fehlen  sie  am  Niederrhein  fast  ganz;  sie  ragten  eigentlich  nur  mit 
Streubesitz  über  die  Grenzen  in  das  Gebiet  hinein.  Die  Reichsstädte  Aachen 
und  Köln  fallen  aus  dem  Rahmen  unserer  Betrachtung  ganz  heraus ,  wpil 
die  Stadtarchive  in  Preußen  überhaupt  nicht  in  den  Bereich  des  staatlichen 
Archivwesens  einbezogen  sind.  Unter  den  reichsunmittelbaren  Stiftern  und 
Abteien  mußte  die  Mehrzahl  wohl  oder  übel  mit  der  Zeit  Anschluß  an  den 
Territorialstaat  suchen,  in  dessen  Bezirk  sie  lagen.  So  traten  Essen  und 
Werden  zu  Cleve-Mark  resp.  Preußen,  Cornelimünster  zu  Jülich  bezw.  Pfalz 
in  ein  Schutzverhältnis.  Burtscheid  ging  mit  seinem  Gebiet  bereits  im  14.  Jahr¬ 
hundert  in  der  Stadt  Aachen  auf.  Auch  das  Stift  Elten  scheint  vom  1 7.  Jahr¬ 
hundert  ab  sehr  stark  den  Einfluß  des  brandenburgisch-preußischen  Nachbarn 
empfunden  zu  haben.  Allein  Stablo-Malmedy  gelang  es  sich  von  den  Ketten 

1)  Harleß  a.  a.  0.  S.  303.  Früher  befanden  sich  die  Littere  und  Registra  des 
Hauses  zu  Monterberg,  die  indessen  zumeist  durch  Brand  zerstört  zu  sein  scheinen. 
S.  die  Wisseler  Chronik  bei  Seibertz,  Quellen  zur  westfälischen  Gesch.  3,  332. 

2)  Vgl.  Harleß,  Kurze  Beschreibung  der  wunderbarlichen  clevisch-  und  mär¬ 
kischen  Archiv-Flucht  von  den  Jahren  1672  und  1679  in  der  Bergischen  Ztschr. 
35,  105-117. 


II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs. 


55 


weltlicher  Vormundschaft  frei  zu  halten,  worin  es  durch  seine  günstige  Lage 
auf  Grenzgebiet  unterstützt  wurde. 

Um  alle  diese  Territorien,  Jülich-Berg,  Cleve-Mark  usw.,  mit  Ausnahme 
jedoch  des  rheinischen  Teiles  des  Erzstiftes  Köln,  um  die  genannten  anderen 
Reichsstände  schlang  ein  schmales  Vereinigungsband  deren  Zugehörigkeit  zum 
rheinisch  -  westfälischen  Kreise.  Da  die  Herzoge  von  Jülich -Berg  neben  den 
Bischöfen  von  Münster  das  Direktorium  im  Kreise  ausiibten  ,  hatte  das  Kreis¬ 
archiv  ebenfalls  am  Niederrhein  seinen  Sitz  und  zwar  in  Düsseldorf. ') 

Die  Archive  der  überaus  zahlreichen  Stifter,  Klöster  und  Ordenskom¬ 
menden  wurden  natürlich  für  gewöhnlich  am  Orte  der  Niederlassung  auf¬ 
bewahrt.  Daß  die  Klosterinsassen  und  deren  Untergebene  aber  beständig  des 
engen  Zusammenhangs  mit  dem  staatlichen  Organismus,  in  dem  sie  lebten, 
sich  bewußt  blieben,  dafür  hatte  die  Kirchenpolitik  sowohl  in  Cleve-Mark  wie 
in  Jülich-Berg  bereits  seit  dem  15.  Jahrhundert  Vorkehrungen  getroffen. 

Insofern  den  Herrschaften  und  Unterherrschaften  am  Niederrhein  ebenso 
wie  zumeist  den  Klöstern  eine  beschränkte  Gerichtsbefugnis  eingeräumt  war, 
kann  man  sie  in  gewissem  Sinne  als  die  weltlichen  Pendants  der  geistlichen 
Korporationen  ansehen.  Die  Bedeutung  dieser  Archive,  deren  Zahl  unter 
den  Beständen  des  Düsseldorfer  Archivs  nicht  sehr  erheblich  ist,  liegt  doch 
im  allgemeinen  vorwiegend  auf  dem  Gebiete  der  Familiengeschichte. 

In  dieses  vielseitige  archivalische  Sonderleben  fuhr  nun  zunächst  auf  der 
linken  Rheinseite  die  französische  Invasion  von  1792  ab  wie  eine  Winds¬ 
braut  hinein.  Das  erste,  das  die  Klöster  zu  retten  sich  bestrebten,  waren 
die  Dokumente  über  Besitz  und  Vermögen.  Die  Archive  der  geistlichen 
Korporationen  wurden  nach  allen  Richtungen  hin  zerstreut.  Aber  auch  die 
Landesarchive  selbst  auf  der  rechten  Rheinseite  wurden  sofort  verpackt  und 
weggeschafft.1 2)  Infolge  des  Luneviller  Friedensschlusses  glätteten  sich  zwar 
die  Wogen  der  Bestürzung  etwas,  jedoch  die  Durchführung  der  in  ihm  vor¬ 
bereiteten  Säkularisation  vermittels  des  Reichsdeputationshauptschlusses  be¬ 
deutete  eine  förmliche  Revolution  in  dem  bisherigen  Archivwesen.  Damit 
verschwand  eine  der  bisher  wichtigsten  Arten  von  Sammelstellen  archivalischen 
Stoffes  gänzlich  von  der  Bildfläche. 

Und  mehr  als  ein  Klosterarchiv  ist  bei  der  Flüchtling  völlig  unter¬ 
gegangen,  manches  wertvolle  ältere  Stück  aus  solchen  Beständen  bei  dem 
Aufhebungsgeschäft  vernichtet  oder  verschleudert  worden.  Unter  dem  frischen 
Eindruck  der  Verluste,  welche  besonders  die  Korporationsarchive  in  den 
voraufgegangenen  Jahrzehnten  erlitten  hatten,  schreibt  Archivrat  Hoefer  in 
einem  amtlichen  Bericht  vom  27.  Juli  1820  aus  Köln:3)  „Freund  und  Feind 


1)  Im  Jahre  1794  befindet  es  sich  freilich  in  Köln.  S.  Harleß,  Entwicklungs¬ 
gang  S.  309. 

2)  S.  Ilarleß,  Entwicklungsgang  S.  309. 

3)  Akten  des  Direktoriums  der  Staatsarchive,  betr.  die  Archive  des  Nieder¬ 
rheins,  Vol.  I,  Bl.  81.  Hoefer  war  vom  Staatskanzler  Fürsten  von  Hardenberg  mit 


56 


II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs. 


haben  geraubt  und  geplündert.  Die  Geistlichen  haben  selbst  dazu  die  Hand 
geboten  und  ihre  zahlreiche  Verwandtschaft  und  Freunde  aufgefordert,  sich 
von  ihren  Literalien  und  sonstigen  Kunstschätzen  nach  Belieben  zu  nehmen. 
Daher  die  Zerstörung  derselben  und  der  so  viele  Jahre  hindurch  damit  ge¬ 
triebene  Handel  und  die  Aufkauferei  derselben  von  Fremden.  Fast  alle 
Häuser  sind  früher  im  Besitz  von  alten  Urkunden  oder  Manuskripten  ge¬ 
wesen  und  noch  jetzt  gibt  es  selten  eine  öffentliche  Auktion,  wo  nicht  der¬ 
gleichen  mit  Vorkommen.“  Dazu  trat  die  Zerstückelung  der  fürstlichen  Archive 
der  Gegend,  die  auf  Grund  der  staatlichen  Neuschöpfungen  Napoleons  er¬ 
folgte.  Das  kurköluische  Archiv,  das  nach  Arnsberg  geflüchtet  war,  geriet 
dort  zum  Teil  in  hessen-darmstädtischen  und  nassauischen  Besitz,  die  andere 
Hälfte  erhielt  die  Präfektur  des  Roerdepartements  in  Aachen  ausgeliefert. 
Das  cleve  -  märkische  Archiv,  dessen  letzter  Aufenthaltsort  unter  preußischer 
Herrschaft  Hamm  gewesen  war,  wurde  zwischen  dem  Kaiserreich  Frankreich, 
dem  Großherzogtum  Berg  und  Hessen  -  Darmstadt  aufgeteilt.  Zuvor  jedoch 
hatte  man  die  Bestände  von  dem  gesäubert,  was  der  veränderten  Verwal¬ 
tungsorganisation  nicht  mehr  zweckdienlich  erschien.  Mit  welcher  Gründ¬ 
lichkeit  das  Zerstörungswerk  in  Hamm  betrieben  ist,  darüber  vermögen  uns 
zum  Teil  mit  Kassationsvermerken  versehene  Verzeichnisse *)  des  Archivs  der 
cleve-märkischen  Kriegs-  und  Domänenkammer  aufzukläreu.  Ein  ähnlich 
schweres  Schicksal  traf  das  jülich  -  bergische  Archiv  im  Jahr  1809,  nachdem 
das  Großherzogtum  Berg  unmittelbar  unter  kaiserliche  Administration  gestellt 
war;  Napoleons  Bevollmächtigter  Beugnot  zeigte  für  historische  Dokumente 
nicht  das  geringste  Interesse.  Über  die  Hälfte  der  Hoheitsregistratur  von 
Jülich-Berg  ist  damals  kassiert  worden.* 1 2)  Nur  den  Schriftstücken,  die  als 
Vermögensnachweise  oder  Besitztitel  für  die  okkupierten  Ländergebiete  und 
die  säkularisierten  Kirchen güter  gelten  konnten,  wurde  mit  Eifer  nachgespürt 
und  deren  Niederlegung  in  den  Repositorien  der  Ministerien,  Präfekturen  und 
Domänendirektionen  angestrebt. 

Hauptsammelstellen  für  Archivalien  in  der  französischen  Periode  wurden 
die  Sitze  der  Regierungen,  für  das  Roerdepartement  zu  Aachen  und  für  das 
Großherzogtum  Berg  zu  Düsseldorf.  Es  ist  bezeichnend  für  die  geringe 
Pflege,  die  man  selbst  der  jüngsten  historischen  Überlieferung  zuwandte,  daß 
geheftete  Korrespondenzfaszikel 3)  in  den  französischen  Archiven  gar  nicht 


der  Inspektion  der  rheinischen  Archive  betraut  worden.  Vgl.  Koser,  Die  Neuordnung 
des  Preuß.  Archivwesens  S.  32  ff.  u.  S.  46  ff. 

1)  Sie  beruhen  in  den  Staatsarchiven  Düsseldorf  und  Münster.  Für  die  Ar¬ 
chive  der  vor  1794  preußischen  Gebietsteile  sind  vortrefflich  angelegte  Repertorien 
erhalten,  die  kurz  vor  dem  Hereinbruch  der  Fremdherrschaft  angefertigt  waren. 
Das  Gleiche  gilt  vom  kurkölnischen  Archiv.  Über  die  mangelhaften  Verzeichnisse 
des  jülieh-bergischen  Archivs  s.  Harleß,  Entwicklungsgang  S.  306  ff. 

2)  Vgl.  Harleß,  Entwicklungsgang  S.  317. 

3)  Die  Listen  der  Güterverkäufe,  die  Budgets  und  Bordereaux  hingegen  sind 
meist  gebunden  erhalten. 


II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs. 


57 


vorhanden  sind,  wohingegen  in  den  Registraturen  von  Cleve-Mark  das  Akten¬ 
heften  schon  seit  dem  17.  Jahrhundert  Brauch  gewesen  war.1) 

Die  Leidenszeit  der  Archive  des  Niederrheins  hörte  aber  mit  dem  Ende 
der  Franzosenherrschaft  noch  nicht  auf.  Vorläufig  hatten  sie  noch  manchen 
Platzmangel  durchzumachen,  ehe  feste  Sitze  und  sichere  Unterkunftsstellen 
für  sie  gefunden  waren,  die  einige  Gewähr  für  fernere  sorgfältige  Erhaltung 
der  schon  vielfach  durch  äußere  Einflüsse  schwer  geschädigten  Pergamente 
aus  früheren  Jahrhunderten  boten.  Zunächst  ward  jeder  Regierung  —  der 
Niederrhein  erhielt  bei  der  ersten  preußischen  Verwaltungsorganisation  deren 
vier,  zu  Aachen,  Cleve,  Düsseldorf  und  Köln  —  ein  historisches  Archiv 
beigegeben.  In  Aachen  und  Düsseldorf  blieben  einstweilen  so  ziemlich  die 
Bestände,  die  an  diesen  Orten  in  französischer  Zeit  zusammen  gehäuft  waren. 
Das  clevisclie  Archiv  entstand  vornehmlich  aus  Ablieferungen  niederrheinischer 
Korporationsarchive,  die  aus  Münster  gekommen  waren,  das  kölnische,  das 
übrigens  von  vornherein  einen  Grundstock  älterer  Archivalien  besessen  haben 
muß,  ward  zunächst  von  Arnsberg  aus  gespeist.2)  Im  Frühjahr  1819  siedelte 
das  Aachener  Archiv,  das  sogenannte  Roerdepartementsarchiv,  nach  Köln 
über,  während  in  Aachen  selbst  nur  das  Material  zurückbehalten  wurde,  das 
für  Verwaltungszwecke,  insbesondere  für  die  Liquidstellungs-Kommission  ge¬ 
braucht  wurde.  Ähnlich  verfuhr  man  mit  den  Clever  Urkunden  und  Akten, 
die  in  der  Hauptsache  das  Düsseldorfer  Archiv  übernahm. 

Immer  galt  es  noch  in  dieser  Zeit  als  die  erste  Aufgabe  der  Archive, 
Material  zur  Aufklärung  der  älteren  Rechts-  und  Besitzverhältnisse  zu  liefern, 
um  damit  die  staatlichen  Ansprüche  begründen  und  festlegen  zu  können. 
Häufig  genug  wurden  ältere  Aktenstücke  verschiedener  Provenienz  aus  ihrem 
bisherigen  Zusammenhang  herausgerissen,  um  mit  neu  entstehenden  Akten 
vereinigt  einem  Dezernenten  in  Domänenangelegenheiten  eine  schnelle  Über¬ 
sicht  über  die  historische  Seite  der  älteren  Zehentgerechtsame,  des  Verhält¬ 
nisses  der  Zivil-  und  Kirchengemeinden  zueinander,  oder  über  strittige  Ge¬ 
rechtsame  an  Grund  und  Boden  oder  Kapitalvermögen  usw.  zu  gewähren. 
Pergamenturkunden  heftete  man  in  moderne  Aktenfaszikel  hinein,  trotzdem 
der  spröde  Schreibstoff  mit  seinen  altüberlieferten  Faltungen  sich  dem  neuen 
Format  absolut  nicht  anpassen  wollte.  Daß  solche  Stücke  heutigen  Tags  die 
ihnen  angehängt  gewesenen  Siegel  in  der  Regel  verloren  haben,  ist  bei  einer 
solchen  Behandlungsart  nur  zu  erklärlich.  Der  das  Düsseldorfer  Archiv  in 


1)  Nur  selten  ist  das  auch  in  den  kurkölnischen  und  jülich-bergischen  Kanz¬ 
leien  geschehen;  an  letzteren  Stellen  hatte  man  die  leidige  Gewohnheit  die  Akten 
in  der  Mitte  gebrochen  aufzubewahren. 

2)  S.  die  auf  Grund  der  Berichte  des  Archivrats  Hoof  er  im  Frühjahr  1821  zu¬ 
sammengestellte  Übersicht  bei  Koser,  Die  Neuordnung  des  Preuß.  Archivwesens 
S.  46_48.  Hier  ist  auch  eine  Aufzählung  der  den  einzelnen  Orten  zugewiesenen 
Archivfonds  gegeben,  nur  findet  man  unter  Köln  bereits  das  ursprüngliche  Archiv 
daselbst  mit  dem  später  dahinversetzten  Archiv  des  Roerdepartements  zusammen 
genannt. 


58 


II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs. 


damaliger  Zeit  verwaltende  Hofrat  Kerris  hatte  schon  bei  dem  Säkularisations¬ 
geschäft  und  während  des  französischen  Regimes  oft  genug  die  Verwendung 
älterer  Archivalien  zu  derartigen  Zwecken  vorbereiten  müssen,  daß  von  ihm 
ein  Protest  gegen  diese  Benutzungsmanier  nicht  zu  erwarten  war;  überdies 
war  er  alt  und  abgestumpft. *)  Von  dem  Archivar  Holzmacher  in  Aachen,  seit 
1819  in  Köln,  liegen  noch  zahlreiche  Sonderverzeichnisse  von  Archivalien 
vor,  mit  denen  er  diese,  die  vorwiegend  den  Archiven  geistlicher  Korporationen 
entnommen  waren,  den  Regierungen  zu  Aachen,  Cleve,  Coblenz,  Düsseldorf, 
Köln,  Minden  und  Münster  zugesandt  hat.  Bei  den  Registratoren  in  Aachen 
und  Cleve,  bei  dem  Rentmeister  in  Essen,  der  um  1820  noch  einen  Teil  des 
Archivs  des  ehemaligen  Stiftes  daselbst  in  Verwaltung  hatte,  wird  ganz  gewiß 
kein  sonderliches  Interesse  für  alte  Pergamente  vorhanden  gewesen  sein ; 
blieb  ihnen  doch  deren  Inhalt  bei  ihrer  Unkenntnis  älterer  Schriftarten  ver¬ 
schlossen. 1  2) 

Die  Appellationsgerichts-,  Hofrats-  und  Dikasterialarchive  der  Territorien 
des  Niederrheins  sind  offenbar  in  der  Zeit  der  Fremdherrschaft  zumeist  den 
Tribunalen  in  der  Gegend  überwiesen,  welche  die  entsprechenden  Befugnisse  der 
früher  daselbst  bestandenen  Gerichte  ausübten.  Von  diesen  Stellen  haben  sie 
dann  gewöhnlich  die  neuen  preußischen  Landgerichte  übernommen.3)  Bei  ihnen 
fanden  sie  auf  den  Böden  oder  in  den  Kellern  der  Gerichtsgebäude  eine  not¬ 
dürftige  Unterkunft,  bis  sie  von  hier  aus  im  Laufe  der  80er  und  90er  Jahre 
des  verflossenen  Jahrhunderts  nach  und  nach,  z.  T.  leider  in  sehr  üblem  Er¬ 
haltungszustand,  dem  Staatsarchiv  Düsseldorf  einverleibt  wurden. 

Erst  mit  der  Neuordnung  des  preußischen  Archivwesens  durch  den  Staats¬ 
kanzler  Fürsten  von  Hardenberg  in  den  Jahren  1819 — 1822  bricht  auch  für 
die  Archive  des  Niederrheins  —  es  blieben  vorläufig  noch  zwei  Archive,  zu 
Düsseldorf  und  zu  Köln  bestehen  —  die  Zeit  fachwissenschaftlicher  Kon¬ 
solidierung  an.  Wenn  gleich  Hardenbergs  höchstes  Ziel,  die  freieste  Be¬ 
nutzung  der  Archive  für  wissenschaftliche  Zwecke  dauernd  zu  garantieren, 
einstweilen  noch  nicht  erreicht  wurde,  seine  Bestrebungen  haben  doch  den 
Erfolg  gehabt,  daß  auch  in  den  Provinzen  Männer  an  die  Spitze  der  neu 
eingerichteten  Institute  gestellt  wurden,  die  es  als  ihren  Beruf  ansahen,  die 
ihrer  Obhut  anvertrauten  arcliivalischen  Schätze  der  geschichtlichen  Forschung 
dienstbar  zu  machen. 

Diese  Aufgabe  hat  für  das  Düsseldorfer  Archiv  Theodor  Joseph  Lacom- 
blet,4)  welcher  am  17.  Dezember  1821  —  das  Anstellungspatent  König 


1)  S.  Koser,  Die  Neuordnung  des  Preuß.  Archivwesens  S.  33. 

2)  Vgl.  die  Berichte  des  Archivrats  Hoefer  vom  27.  Juli  und  25.  August  1820 
in  den  Akten  des  Direktoriums  der  Staatsarchive,  Archive  des  Niederrheins,  Vol.  I. 

3)  Ausschließlich  über  die  kurkölnischen  Gerichtsarchive,  die  im  Schloß  in 
Bonn  und  im  Kreisgericht  daselbst  untergebracht  waren,  sind  uns  Nachrichten  aus 
den  Jahren  1820  und  1821  erhalten.  S.  Koser,  Die  Neuordnung  S.  47. 

4)  Vgl.  Harleß,  Entwicklungsgang,  besonders  S.  318  ff. 


II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs. 


59 


Friedrich  Wilhelms  III.  datiert  freilich  erst  vom  30.  Juli  1822  ')  —  als  Ar¬ 
chivar  desselben  vereidigt  worden  ist,  in  der  vorzüglichsten  Weise  erfüllt. 
Zunächst  ist  auf  seine  Anregung  nicht  nur  die  Auflösung  des  Provinzial¬ 
archivs  in  Köln  und  dessen  Verlegung  nach  Düsseldorf  in  den  Jahren  1831 
bis  1835  erfolgt,  er  hat  auch  im  Laufe  der  nächsten  Jahrzehnte  die  An¬ 
sammlung  der  Archivalien  des  Niederrheins,  soweit  der  Staat  ihrer  Provenienz 
nach  darauf  Anspruch  erheben  konnte,  an  dieser  Stelle  nach  Möglichkeit 
durchgesetzt.  Als  seine  Arbeit  müssen  auch  die  Repertorien  der  Landesarchive 
und  der  bedeutenderen  Klosterarchive  angesehen  werden,  die  z.  T.  noch  heute 
kurrent  sind.  Lacomblet  verdankt  das  Staatsarchiv  Düsseldorf,  das  früher 
sogenannte  Provinzialarchiv,  überhaupt  sein  wissenschaftliches  Gepräge.  Für 
die  fachmännische  Begabung  des  Mannes  sprechen  seine  Veröffentlichungen 
und  geschichtlichen  Studien  vernehmlich  genug.  Man  mag  noch  soviel  an 
dem  Urkundenbuch  herummäkeln,  für  die  damalige  Zeit  bleibt  es  eine  be¬ 
deutende  Leistung.  Und  der  Ruhm  ist  Lacomblet  gesichert,  daß  er  einer 
der  ersten  Editoren  gewesen  ist,  der  ein  territoriales  Quellenwerk  bis  iu  das 
17.  Jahrhundert  hinein  fortgeführt  hat.  Dabei  handelte  es  sich  um  die  Ur¬ 
kundensammlung  für  ein  Gebiet  mit  der  ältesten  und  reichsten  Vergangenheit. 
Gewiß  die  vier  Bände  des  Urkundenbuchs  für  die  Geschichte  des  Niederrheins 
bringen  nur  einen  Teil  aus  der  Fülle  der  authentischen  Dokumente,  die  im 
Arehivsprengel  überliefert  sind.  Die  Auswahl  wird  man  jedoch  durchaus  als 
eine  sachgemäße  bezeichnen  müssen;  sie  ist  danach  angetan,  das  Bild  von  der 
geschichtlichen  Entwicklung  des  Landes  durch  sichere  gleichzeitige  Zeugnisse 
überall  zu  vertiefen.  Und  der  vermag  Lacomblets  Arbeitskraft  und  entschie¬ 
denes  Organisationstalent  erst  zu  würdigen,  der  in  die  Lage  versetzt  wird,  den 
Spuren  seiner  amtlichen  Tätigkeit  auf  Schritt  und  Tritt  zu  folgen.  Lacomblet 
war  offenbar  eine  etwas  selbstherrliche  Natur,  die  ein  Stück  schriftlicher  Über¬ 
lieferung  zunächst  nur  nach  seinem  allgemeinen  Inhalt  wertete  und  dabei 
noch  in  Rechnung  zog,  inwieweit  es  sich  für  das  ihn  gerade  beschäftigende 
geschichtliche  Thema  verwenden  ließ.  Daher  sein  etwas  willkürliches  Ver¬ 
fahren,  mit  dem  er  die  Urkundentexte  gelegentlich  behandelt  hat.  Verhängnis¬ 
voller  ist  sein  Standpunkt  für  die  großen  Aktenarchive  geworden.  Die  Territo¬ 
rialarchive  sind  zwar  im  großen  und  ganzen  unvermischt  geblieben,  -)  aber 
im  übrigen  war  Lacomblet  das  Provenienzprinzip  fremd.  Nirgends  hat  er 
den  Versuch  gemacht,  innerhalb  der  sogenannten  Landesarchive  die  Registra¬ 
turen  der  verschiedenen  Hauptkanzleien  und  Unterbehörden  voneinandei  zu 
scheiden  oder  wenigstens  in  der  überlieferten  Trennung  zu  erhalten ;  hier  ist 


1)  Im  Original  erhalten  in  den  Akten  des  Direktoriums  der  Staatsarchive, 
Niederrheinische  Archive,  Vol.  I,  Bl.  158. 

2)  Die  Urkunden  und  Akten  der  Archive  des  Erzstiftes  und  des  Domstiftes 
Köln  sind  freilich  an  zahlreichen  Stellen  untereinander  gemengt,  was  nicht  darauf 
zurückgeführt  werden  kann,  daß  in  älterer  Zeit  hier  und  da  ein  Austausch  statt¬ 
gefunden  habe. 


60 


II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs. 


der  gesamte  Aktenbestand  nur  nach  sachlichen  Gesichtspunkten  zusammen- 
getragen. 

Lacomblets  Schüler  und  Nachfolger  Woldemar  Harless,  ’)  der  nahezu 
50  Jahre  (von  1855  bis  1900)  seines  arbeitsreichen  Lebens  dem  Staatsarchiv 
Düsseldorf  fast  ausschließlich1 2)  gewidmet  hat,  wagte  in  pietätvoller  Würdigung 
der  hervorragenden  Verdienste  seines  Amtsvorgängers  nicht,  die  Axt  an  die 
Wurzeln  von  dessen  Ordnungssystem  zu  legen.  Es  bleibt  die  wichtigste  Ar¬ 
beit  der  nächsten  Zukunft,  sobald  die  Urkundenarchive  in  ihren  neuen  Auf¬ 
bewahrungsstellen,  den  Pappkasten,  sämtlich  untergebracht  sind,  die  Akten 
der  Landesarchive  nach  ihren  Ursprungszentren  —  auf  die  Wiederherstellung 
der  Amtsarchive  der  älteren  Zeit  wird  man  wohl  notgedrungen  verzichten 
müssen  —  zu  sondern. 

Einstweilen  konnte  bei  der  Aufstellung  der  Bestände  im  neuen  Archiv¬ 
gebäude  nur  soviel  angestrebt  werden,  den  Werdegang  des  Archivwesens  am 
Niederrhein  äußerlich  einigermaßen  zur  Anschauung  zu  bringen.  Die  nahezu 
völlige  Aufhebung  aller  bisherigen  Erzeugungssitze  für  Archivalien ,  welche 
die  französische  Periode  und  die  Säkularisation  bewirkt  hatten,  lieferte  für  die 
Gruppierung  den  markantesten  Einschnitt,  der  bei  den  Archiven  der  linken 
Bheinseite  zum  Teil  bereits  mit  dem  Jahr  1793  einsetzt,  während  auf  dem 
rechten  Flußufer  erst  die  Zeit  von  1803—1806  dafür  maßgebend  wurde. 
So  entstanden  die  zwei  Hauptabteilungen: 

A.  Die  Archive  vor  der  französischen  Okkupation  und  der  Säkulari¬ 
sation. 

B.  Die  Archive  aus  der  Periode  der  Fremdherrschaft  und  seit  dem 
Übergang  des  gesamten  Gebietes  an  die  Krone  Preußen. 

Der  übersichtlichen  örtlichen  Verteilung  der  Archive  nach  diesen  Gesichts¬ 
punkten  kamen  die  räumlichen  Verhältnisse  und  die  ganze  Inneneinrichtung 
des  Magazingebäudes  in  vorzüglicher  Weise  zu  statten.  Es  stellte  sich  heraus, 
daß  die  Abteilung  A  mit  Einschluß  des  ihr  allein  angehörigen  Urkundenarchivs 
bequem  in  vier  Sälen  Platz  finden  würde.  Das  Urkundenarchiv  erforderte 
nicht  mehr  als  einen  Saal.  Da  dessen  Bestände  am  häufigsten  in  Benutzung 
genommen  werden,  wurde  es  in  Saal  3  aufgestellt,  weil  dieser  mit  den  Ar- 
beits-  und  Geschäftsräumen  in  der  nächsten  Verbindung  steht.  Für  die 
Aktenarchive  der  Abteilung  A  blieben  sonach  die  Säle  4,  5  und  6  übrig. 
Selbstredend  machte  man  unter  diesen  Umständen  den  Versuch,  die  territoriale 
Gliederung,  die  der  Niederrhein,  wie  oben  dargelegt  wurde,  vor  der  Zeit  der 
Auflösung  der  alten  Zustände  gezeigt  hatte,  bei  der  Unterbringung  der  Akten 
in  den  drei  Sälen  einzuhalten  in  der  Weise,  daß  man  die  Archive  der  Länder, 
die  unter  einem  Herrscher  gestanden  hatten,  in  einem  Saal  vereinigte.  Die 
bei  weitem  umfangreichsten  Bestände,  die  der  Herzogtümer  Jülich  und  Berg, 

1)  Vgl.  den  Nekrolog  von  O.  Redlich  in  der  Berg.  Zeitschr.  36,  1 — 13. 

2)  Vom  6.  Februar  1873  bis  zum  1.  April  1875  war  Harleß  am  Geheimen 
Staatsarchiv  in  Berlin  tätig. 


II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs. 


61 


widerstrebten  dem  nicht;  daher  ward  je  ein  besonderer  Saal  für  die  Akten 
des  ehemals  kurkölnischen,  des  zuletzt  pfälzisch-bayerischen  und  der  schon 
vor  1815  preußischen  Territorien  eingerichtet,  die  ihre  altüberlieferten  Titel, 
Archive  von  Kurköln,  Jülich-Berg  und  Cleve-Mark,  beibehalten  haben.  Den 
fürstlichen  Archiven  der  Territorien  schließen  sich  die  landständischen  und 
unterherrlichen  an,  soweit  sie  sich  erhalten  haben  und  in  den  Besitz  des 
Staates  gelangt  sind.  Ferner  wurden  die  Klosterarchive  nach  den  Länder¬ 
gebieten,  in  denen  der  Sitz  der  Niederlassung  gewesen  war,  aufgeteilt.  Für 
ihre  Anordnung  den  Korporationscharakter  oder  die  Ordenszugehörigkeit  als 
obersten  Grundsatz  aufzustellen,  schien  wenig  empfehlenswert;  auch  gegen  eine 
durchgehende  alphabetische  Lagerung  erhoben  sich  gewichtige  Bedenken.  Die 
Hauptmasse  des  in  ihnen  enthaltenen  Materials  ist  vorwiegend  für  die  Wirt¬ 
schaftsgeschichte  der  nächsten  Umgebung  des  betreffenden  Klosters  bedeutungs¬ 
voll.  Von  den  reichsunmittelbaren  Abteien  hörten  wir  ja,  daß  die  meisten 
von  ihnen  es  für  gut  befunden  hatten,  Anlehnung  an  den  mächtigsten  welt¬ 
lichen  Nachbarn  zu  suchen.  Daher  kamen  auch  die  einzelnen  Archive  in 
den  entsprechenden  Territorialsaal.  In  Analogie  zu  diesen  Verteilungsprinzip 
erhielt  Stablo-Malmedy  Anschluß  an  den  ehemals  am  nächsten  angrenzenden 
Staat,  nämlich  an  Jülich-Berg.  Die  Fragmente  von  Archiven  früherer  Reichs¬ 
herrschaften  behandelte  man  nach  dem  gleichen  Grundsatz.  Das  nieder¬ 
rheinisch-westfälische  Kreisarchiv  mußte  Jülich-Berg  angegliedert  werden. 

Die  Archive  der  Hauptabteilung  B  sind  fast  sämtlich  in  Saal  2  unter¬ 
gebracht.  Aus  der  französischen  Periode  und  der  Übergangszeit  bilden  sie 
Parallelgruppen :  Roerdepartement  (linke),  Großherzogtum  Berg  (rechte  Rhein¬ 
seite)  =  Generalgouvernement  Mittel-  und  Niederrhein  (linke),  General¬ 
gouvernement  Berg  (rechte  Rheinseite).  Zu  der  ersten  Abteilung  treten  noch 
kleinere  Bestände  des  Archivs  der  Rhein-  und  Maaslande  nebst  Fragmenten 
von  Archiven  einzelner  Departements  des  Kaiserreichs  Frankreich,  zu  denen 
Grenzgebiete  des  Archivsprengels  gehört  hatten. 

Bei  der  Aufstellung  der  Archive  der  Verwaltungsbehörden  aus  der 
neueren  preußischen  Periode  von  1815/6  ab  ist  die  jeweilige  Behördenorgani¬ 
sation  zugrunde  gelegt  —  so  wurden  neuerdings  aus  den  Akten  der  Düssel¬ 
dorfer  Regierung  das  Archiv  der  Regierung  in  Cleve,  die  anfangs  1822  auf¬ 
gehoben  und  mit  der  Regierung  Düsseldorf  vereinigt  war ,  rekonstruiert  und 
ferner  aus  den  Akten  der  verschiedenen  Regierungen  drei  bis  in  die  40er 
Jahre  des  19.  Jahrhunderts  bestandene  Archive  der  Domänenrenteien  aus¬ 
geschieden  —  und  zugleich  darauf  hingearbeitet ,  die  bei  den  Ablieferungen 
stark  verwischten  älteren  Registraturordnungen  soweit  möglich  wieder  her¬ 
zustellen.  Wo  das  nicht  anging ,  wie  bei  den  Archiven  der  Landratsämter 
und  der  Landgemeinden,  aus  deren  zur  Vernichtung  bestimmten  Akten  in 
der  Regel  nur  ein  geringer  Bestand  vom  Staatsarchiv  übernommen  wird,  ist 
die  Neuordnung  nach  einem  besonderen  Schema  erfolgt,  das  auf  die  Archive 
derselben  Kategorien  gleichmäßig  Anwendung  findet. 


62 


II.  Die  Bestände  des  Staatsarchivs. 


Die  wenig  umfangreichen  Akten  von  Gerichtsbehörden  der  neueren  Zeit, 
die  in  das  Staatsarchiv  gelangt  sind,  werden  ebenfalls  nach  ihren  Ursprungs¬ 
stellen  gesondert  gelagert.  Den  historisch  wertvollsten  Teil  dieser  Abteilung 
bilden  die  Akten  der  Immediat-Justiz-Organisations-Kommission  zu  Düssel¬ 
dorf,  einer  erst  jüngst  1900  vom  Geheimen  Staatsarchiv  in  Berlin  einge¬ 
gangenen  Ablieferung.  Sie  sind  in  Saal  1  aufgestellt,  dem  außerdem  die 
Abteilung  Familienarchive ')  und  Privatsammlungen  zugewiesen  sind.  Die 
Hälfte  des  Saales  1  ist  jedoch  für  die  Deposita  reserviert,  unter  denen  das 
vorzüglich  erhaltene  Weseler  Stadtarchiv  alle  anderen  an  Reichhaltigkeit  und 
Wert  des  Quellenmaterials  übertrifft.  Doch  sei  auch  der  Bereicherung,  die 
das  Staatsarchiv  durch  die  Deponierung  der  Archive  der  Herrschaften  Broich 
und  Witten  von  privater  Seite  erfahren  hat,  dankbar  gedacht.  Für  die  Auf¬ 
nahme  von  Zuwendungen  ähnlicher  Art  bietet  Saal  1  noch  genügenden  Raum. 

Im  Saal  2  sind  überall  an  den  entsprechenden  Stellen  Reposituren  frei¬ 
gelassen,  damit  daselbst  die  Ablieferungen  der  modernen  Verwaltungsbehörden, 
die  in  den  nächsten  Jahrzehnten  zu  erwarten  sind,  eingeschoben  werden 
können.  Und  selbst  den  Kirchenbüchern  des  Archivsprengels,  die  leider  zur¬ 
zeit  bei  den  Landgerichten,  den  Bürgermeister-  und  Pfarrämtern  versprengt 
und  nicht  immer  feuersicher  aufbewahrt  werden,  vermöchte  das  neue  Archiv¬ 
gebäude  eine  passende  Unterkunft  zu  gewähren,  ohne  daß  die  oben  ge¬ 
schilderte  übersichtliche  Anordnung  der  übrigen  Bestände  dadurch  zunächst 
beeinträchtigt  werden  würde. 

1)  Darunter  befindet  sich  aber  kein  vollständiges  Archiv  irgend  einer  älteren 
rheinischen  Familie;  es  sind  meist  nur  vereinzelte  Stücke,  Einkäufe  neuerer  Zeit, 
die  gemacht  wurden,  um  sie  dem  ferneren  Handelsbetrieb  zu  entziehen  und  vor 
der  Einverleibung  in  eine  schwer  zugängliche  Privatsammlung  zu  bewahren. 


Druck  von  J.  B.  Hirschfeld  in  Leipzig'. 


Fig.  2  (vgl.  oben  S.  3.  4.  6.  11).  Grundriß. 


Mitteilungen.  Heft  9. 


Verlag  von  S.  Hirzel  in  Leipzig. 


o 


.  Heft  9. 


Verla?  von  S.  Hirzel  in  Leipzig 


Verlag  von  S.  Hirzel  in  Leipzig. 


Mitteilungen 

der 

K.  Preussischen  Arcliivvcrwaltuiig 

Bisher  sind  erschienen: 

Heft  1.  Reinhold  Koser,  Über  den  gegenwärtigen  Stand  der  archi- 
valischen  Forschung  in  Preussen.  JL  — .  80. 

Heft  2.  Max  Bär,  Geschichte  des  Königlichen  Staatsarchivs  zu 
Hannover.  JL  1.  60. 

Heft  3.  Max  Bär,  Übersicht  über  die  Bestände  des  [Königlichen 
Staatsarchivs  zu  Hannover.  JL  3.  — . 

Heft  4.  Georg  Hille,  Übersicht  über  die  Bestände  des  Königlichen 
Staatsarchivs  zu  Schleswig.  JL  1.  40. 

Heft  5.  Adolf  Warschauer,  Die  städtischen  Archive  in  der  Provinz 
Posen.  JL.  10.  — . 

Heft  6.  Eduard  Ausfeld,  Übersicht  über  die  Bestände  des  K.  Staats¬ 
archivs  zu  Coblenz.  JL  8.  — . 

Heft  7.  Reinhold  Koser,  Die  Neuordnung  des  Preussischen  Archiv¬ 
wesens  durch  den  Staatskanzler  Fürsten  von  Hardenberg. 
JL  2.  60. 

Heft  8.  Richard  Knipping,  Niederrheinische  Archivalien  in  der 
Nationalbibliothek  und  dem  Nationalarchiv  zu  Paris.  JL.  5.  — 

Heft  9.  Richard  Knipping  und  Theodor  Ilgen,  Die  neuen  Dienst¬ 
gebäude  der  Staatsarchive  zu  Coblenz  und  Düsseldorf.  JL.  2.  60. 


Druck  von  J.  B.  Hirschfeld  in  Leipzig.