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Full text of "Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung"

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DIE 


PHILOSOPHIE DER GRIECHEN 


ΜΡ τ. nn nn > 


ἌΡ (δῷ. 


an 


GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 
DARGESTELLT 


von 


Dr. EDUARD ZELLER. 


DRITTER THEIL, 
ZWEITE ABTHEILUNG. 


DIE NACHARISTOTELISCHE PHILOSOPHIE, 
ZWEITE HÄLFTE. 


ZWEITE AUFLAGE, 


m En .»ὕ.».--..-- . 


LEIPZIG, 
FURSS VERLAG (ὦ W. REISLAND). 
1868. . 


Alle Rechte vorbebalten. 


Gedruckt hei L. Fr. Fueos in Tübingen, 


Vorwort. 


Mit diesem Bande beschliesse ich die neue Bearbeitung eines 
Werkes, dem seit bald fünfundzwanzig Jahren ein grosser Theil 
der Zeit gewidmet war, welche mein akademischer Beruf mir übrig 
liess. Auch hier fand ich reichliche Gelegenheit, meine frühere 
Darstellung zu vervollständigen und zu verbessern; die bedeutend- 
ste Erweiterung erfuhren die Abschnitte über den Neupythagoreis- 
mus, Plutarch, die Essener, die Schule Jamblich’s und die Plato- 
niker nach Proklus. Den neueren Untersuchungen über mehrere 
von den Erscheinungen, mit welchen der vorliegende Tbeil dieser 
Schrift sich beschäftigt, habe ich vielfache Belehrung und Anregung 
zu verdanken; nichtsdestoweniger kann ich den Wunsch nicht 
unierdrücken, dass sich die Einzelforschung dieses weiten und 
nicht unfruchtbaren Feldes in noch ausgedehnterer Weise bemäch- 
ligen möchte, als diess bis jetzt geschehen ist; und ich würde es 
als eine erfreuliche Frucht meiner eigenen Arbeit betrachten, wenn 
sie den einen oder den andern, namentlich von den jüngeren Fach- 
genossen, veranlasste, einzeine Parthieen aus der Geschichte der 
späteren griechischen Philosophie monographisch zu bearbeiten, 
und dadurch die Hälfsmittel zu vermehren, welche für eine zu- 
sımmenfassende Darstellung, wie die gegenwärtige, so schwer zu 
entbehren sind. Eine Uebergangszeit, wie sie die letzten Jahr- 
hunderte des griechischen Geisteslebens uns zeigen, hat freilich 
nicht den gleichen unmittelbaren Reiz, wie eine des ersten 


- 


w Vorwort 


hoffnungsvollen Aufstrebens oder der kräftigen Blüthe. Aber ihr 
kulturgeschichtliches Interesse ist kein geringeres, und wer das 
Einzelne im Zusammenhang des Ganzen zu betrachten weiss, der 
wird finden, dass auch solche Abschnitte der Geschichte, so müh- 
sam ihre Durchforschung zu sein pflegt, diese Mühe doch nicht 
unbelohnt lassen. 


Heidelberg, den 15. Dezember 1867. 


Der Verfasser. 


Inhaltsverzeichniss. 


Dritte Periode. 


Zweiter Abschamitt. 


Eklekticismus, ernouerte Skopsis, Vorläufer des Nouplatonismus. 


Seite 
B. Die jüngeren Skeptiker. 
1. Die Entstehung und die Kussere Geschichte der Schule; Aenesi- 
demus . . . . . . . . . . 1 
Wiederauftreten der pyrrhonischen Skepsis: Ptolemä&ns, Hora- 
klides, Aenesidemus und ihre Nachfolger 8. 1; Zeitalter der- 
selben — 6. Ursprung der Skepsis: die empirischen Aerzte 
— 8; die neuere Akademie — 10. Aenesidemus: seine 
Skepsis — 12; ihre nähere Begründung — 14; die zehen 
Tropen — 17; Endergebniss — 20. Aenesidem’s Horaklitis- 
mus — 21. 
4. Die skeptische Schule nach Aenesidemus; Sextus Empirikus . 27 
Agrippa — 27. Die zwei Tropen — 28. Bextus — 28. Seine 
Widerlegung des Dogmatismus a) nach der formalen Beite: 
5 das Kriterium — 30; die Walırheit — 32; das Zeichen — 33; 
der Beweis — 35; b) nach der materialen Seite: die Ur- 
sache — 837; die wirkende Ursache, oder die Gottheit — 
39; die materielle Ursache oder der Körper — 40; die ethi- 
schen Begriffe — 42. Verhältniss dieser Kritik zu der älteren 
Skepsis — 48, Ergebniss: die Zurückhaltung des Urtheils 
— 44. Das praktische Verhalten des Skeptikere — 46. Ata- 
raxie und Metriopathie — 47. Verhältniss der späteren 
Skepsis zur neuen Akademie — 48. Acussere Ausbreitung 
der Schule: Favorinus — 49. Bedeutung dieser Skepsis 
_ ud, 


vr Inhaltsvorzeichniss 


C. Die Vorläufer des Nenplatonismus. 
Einleitung . . . ἢ . ἢ . . . 


Allgemeine Bigenthümlichkeit dieses Standpunkts — ὅδ. Beine 
Ableitung aus dem Orient — 56. Sein Verhältniss zum Juden- 
tham — 62. 


1, Die rein griechische Entwicklungsreihe: die Nenpythagoreer, die 
pythagoraisirenden Platoniker, die späteren Stoiker. 


1. Das erste Auftreten des neuen Pythagoreismus; Zeit und Ort 
seiner Entstehung . . . . . . 


Die pythagoreischen Mysterien — 65. Die pythagoreische 
Philosophie: die Bücher Numa’s — 68; der Pythagoreer 
Alexander's — 74; Nigidius Figulus und Vatinius — 79; 
weitere Spuren des Pythagoreismus im ersten Jahrhun- 
dert — 81. Entstebungsort der neupytbagoreischen Schule 
— 88. j 

2. Die neupythagoreische Schule, ihre Männer und Schriften . 

Die pseudonyme pythagoreische Literatur — 84. Apollonius, 
Moderatus, Nikomachus, Philostratus u. ἃ. — 93. 

8. Die Lehren der neupythagoreischen Schule. Die letzten Gründe 

Allgemeine Charakteristik der neupythbagoreischen Lehre — 
96. Die letzten Gründe: Einheit und Zweiheit — 98. Die 
Gottheit — 98, Ideen und Zahlen — 108; Zahlenmystik — 
106. Die Weltseele — 109. Die Materie — 109. 

4. Fortsetzung. Logische, naturphilosophische und antbropolo- 
gische Lehren . ἢ . . . . . . . 

Logische Erörterungen — 112. Naturansicht; Ewigkeit der 
Welt — 114; sonstige physikalische Annahmen — 1186. 
Anthropologie — 119. Dämonologie — 122. 

5. Fortsetsung. Die praktische Philosophie. Das pythagoreische 
Ideal: Pythagoras und Apollonius . . . 

Die Güter- und Tugendlehre — 128. Politik — 126. Roligions- 
ansicht und Ascese — 126. Das Ideal des pythagoreischen 
Lebens: Pythagoras 129. Apollonius von Tyana: der histo- 
rische Apollonias — 181; die Schrift des Philostratus — 138; 
ihre Schilderung des Apollonius — 137. 

6. Pythagoraisirende Platoniker. Plutarch a ΞΟ 

Die platonische Schule und ihre Beziehungen zum Neupythago- 
reismus — 141. Plutarch 142. Sein philosophischer Stand- 
punkt — 144; religiöser Charakter 147. Die Gottheit — 148, 


565 


65 


95 


123 


141 


Iuhbaltsverzeichuniss. 


Die Materie und die böse Seele — 150. Ideen und Zahlen 
— 153. Die Weltseele — 154. Die Welt als Ganzes — 155. 
Die himmlischen Götter umd die Dämonen — 156. Die Vor- 
schuug — 159. Physikalische Annahmen — 161. Anthro- 
pologie — 1693. Ethik — 165. Piutarch’s religiöse An- 

| sichten — 170. Die Weissagung — 174. Die Volksreligion 

| — 176; Mythendeutung — 178. Synkretismus; Verhältniss 
zur Ascose — 181. 


7. Fortsetsung: Maximus, Apulejus, Numenius u.8.w. . . 
Maximus — 182; sein Eklekticismus — 183; religiöse ὅρο- 
kulation — 186. Apulejus — 188. Theo und Alcinous 
— 191. Celsus — 192, Numenius — 193; seine drei Götter 
— 195; Anthropologie — 197. Kronius — 199. Harpokra- 
tion — 200. 
8. Platonisirende Stoiker . . . . . . . 
Das dualistische Element des Stoicismus — 201. Posidonius 
und Seneca — 202. Epiktet und Mark Aurel: religiöser 
Charakter ihrer Pbilosopbie — 202; anthropologischer Dua- 
lismus — 205. 
IL Die jüdisch-griechische Philosophie. 
1. Die alexandrinische Philosophie vor Philo . . . 
Die ägyptischen Juden — 208; ihre Philosophie — 210, Ab- 
sweckung und Charakter derselben — 211. Erste Spuren 
ihres Daseins: Septuaginta — 215. Aristobul — 219. Die 
alexandrinische Wissenschaft nach Aristobul — 224. Ari- 
steas — 227. Das vierte Buch der Makkabäer, Sibyllinen 
u. δ. Ἢ. — 228. Das Buch der Weisheit — 280. 


2. Die Essener und Therapeuten . . . . 

Die Essener — 234. Ihre gesellschaftlichen Einrichtungen -- 

286; sittliche Grundsätze --- 239. Eigenthümliche Gebräuche 

und Lebensweise — 241. Dogmatische Eigenthümlichkeit: 

allegorische Schrifterklärung — 247; Gott und die Welt — 

249; Anthropulogie und Eıhik — 251; Engellehre und Natur- 
verehrung — 252. Weissagung 255. 

Tberspeuten — 255. Heimath, Lebensweise, Denkart, Ver- 
hältniss zu den Essenern — 258. 

Ueber den Ursprung der Essener und Therapeuten: gegen ihren 
reinjüdischen Ursprung — 268, und im besondern gegen 
die Annahmen von Ritschl — 266, und Hilgenfeld — 270. 
Gegen ihre Ableitung aus dem Parsismus — 275 und Bud- 


vi 


Suite 


182 


201 


208 


235 


vıı Inhal!sverzeichniss. 


Seita 
dhismus — 278. Ihr Zusammenbang mit der neupythago- 
reischen Schule — 279. Zeit und Ort der Entstehung des 
Essüismus — 287. | 

8. Pliilo . . . . . . . . . . . 298 

Persönlichkeit, wissenschaftlicher Standpunkt — 298. Die 
jüdische Offenbarung und die griechische Weisheit — 295. 
Jüdischer Ursprung der letztern, allegorische Erklärung der 
ersteren — 800. Philo’s System: die Gottheit — 806; Eigen- 
schaften Gottes — 311. Die göttlichen Kräfte — 312; die 
Frage über ihre Persönlichkeit — 315; ihre Entstehung 
— 818; Güte und Macht — 321. Der Logos: sein Begriff 
— 823; Verhältniss zu Gott — 824, zur Welt 827; Persön- 
lichkeit — 339. Ursprung der Logoslehre — 332. Dic Ma- 
terioe — 336. Weltbildung — 338. Welterhaltung, Vor- 
sehung — 339. Naturansicht, Zahlensymbolik, die Gestirne 
— 340. Anthropologie: Natur und Abkunft der Seele — 848; 
das irdische Leben — 846; Seelenkriäfte — 847; der Leib 
und die Sinnlichkeit — 848; allgemeine Sündhaftigkeit — 
850. Ethik: Stoicismus — 851; theologische Begrfindung 
der Ethik — 854; die praktische Thätigkeit — 355; die 
theoretische Thätigkeit, die encyklischen Wissenschaften 
— 857; die religiöse Thätigkeit — 369; ascetische, erlernte, 
natürliche Tugend — 360. Die Anschauung Gottes — 362. 
Rückblick — 865. 


Dritter Abschnitt, 
Der Neuplatonismus. 


Ei.l-itung: über Wesen, Ursprung und Entwicklung der neupla- 
touischen Philosophie . . . . . . . . . 868 
Unterschied des Neuplatonismus vom Neupythagoreismus — 
368, und von Philo — 370; Verwandtschaft desselben mit 
jenen und der nacharistotelischen Philosophie überhaupt 
372; subjektiver Ausgangspunkt des Systems — 880; objek- 
tive Ausführung desselben — 381. Ueber den Zusammenhang 
des Neuplatonismus mit älteren Lehren: den Neupythago- 
reern und Philo — 883; orientalischen ßystemen — 385; 
der Gnosis — 886. Sein Verhältniss zum Christenthum — 
891. Seine griechischeu Vorgänger — 894. Beine geschicht- 
licbe Entwicklung — 896. 


Inhaltsverzeichnis®. 


I. Plotinus und seine Schüler. 
1. Die ersten Anfänge des Neuplatonismus. Ammoniug Sakkas . 
Ammonius — 398; der Bericht des Hierokles — 400, und 
Nemesius — 402. Die Schüler des Ammonius — 406; Ori- 
| genes — 407; Longinus — 410. 


2. Plotinus. Sein Leben, seine Schriften, die Gliederung seines 
Systems . . . . . . . . . 
Plotin’s Leben und Persönlichkeit — 413. Seine Schriften — 418. 

Haupttheile des Systems — 420. 

A. Die übersinnliche Welt. 

8. Plotin’g Lehre über das Urwesen . . 

Die übersinnliche Welt und ihre Theile — 422. Das Urwesen 
422; als das bestimmungslose — 428, das Eine und Gute 
— 436, die absolute Causalität 439. Der Hervorgang des 
Abgeleiteten aus dem Ersten — 441; sein Verhältniss zu 
demselben — 444, Das emanatistische in Plotin’s Lehre 
450; ihr dynamischer Pantheismus — 451. Die Stufenreihe 
des abgeleiteten Seins — 453. 

4 Der Nus . . . . . . 
Beine Entstehung — 494. Denken und Bein — 456. Der Nus 

als Denken — 458. Der Nus als Sein — 461; die Katego- 
rieen — 462. Die intelligible Materie — 468. Die Ideen 
und die Zahlen — 469. Die Geister — 471. Die intelligible 
Welt — 473. 

δ. Die Scele . . . . . . . . 
Ihre Entstehung — 476. Ihr Wesen — 477. Die Weltseele 
— 480. Doppelte Weltseele — 481. Einzelseolon — 483. 

B. Die Erscheinungswelt., 

6. Die Erscheinungswelt ihrem allgemeinen Wesen. nach be- 
trachtet . . . 

Die Materie — 486; iss Böse - 489. Entstehung der Materte 
— 490. Herabsteigen der Seele in dieselbe — 491. Die 
sinnliche Welt als Erscheinung der übersinnlichen — 493; 
die λόγοι σπερματιχοὶ — 496. Besceltheit der Welt, Sympathie 
ihrer Theile — 497; Schönheit und Vollkommenheit der 
Welt — 499. Vorsehung — 500; Theodicee — 502. 

7. Das Weltgebäude und seine Theile . . . . 
Plotin’s Verhältnies zur Physik — 505. Der Himmel und die 

Gestirae — 506. Die Dämonen —- 510. Die irdische Welt 
— 511. 


P’hüos. d. Gr. III, Bd, 2, Abtb, A 


IX 


Seite 


897 


413 


422 


454 


476 


486 


505 


x Inbaltsverseichniss. 


8. Der Mensch . . . . ... er . 618 
1. Der Mensch im Präexistenzzustand — 512. — 2. Der Mensch 
im Zeitleben: die Seele und ihre Theile — 515; Seele und 
Leib — 519; die Beelenthätigkeiten — 521; Willensfreiheit 
— 524. — 8. Die Rückkehr der Seele aus der sinnlichen in 
die übersinnliche Welt: Unsterblichkeit — 527; Seelenwan- 
derung und jenseitige Vergeltung — 528. 
9. Die Erhebung des Geistes von der Areeheinung in die über- 
sinnliche Welt . . . . . . 588 
L. Das Ziel der menschlichen Thätigkeit — 538. — u. Die sitt- 
liche Thätigkeit, a) negativ, als Reinigung — 587; b) positiv, 
als Eros — 589. Die besondern sittlichen Tbätigkeiten: die 
praktische Tugend — 541; das Erkennen: Wahrnehmung 
— 544, Vorstellung und Denken — 545, das unmittelbare 
Wissen — 547. Die Einigung mit der Gottheit — 548. III. Die 
Religion: Ihre Bedeutung für Plotin — 555. Vertbeidigung 
des Polytheismus — 557; Mythendeutung — 559. Der Kul- 
tus: die Bilder — 562, das Gebet — 563, die Magie — 564, 
die Weissagung — 566. 
10. Plotin’s Schule; Porphyrius . . . . . . . 569 
Amelius — 568. Porphyrius: Persönlichkeit und philosophi- 
scher Charakter — 572. Logik — 576. Auffassung des Neu- 
platonismus — 579. Aufgabe der Philosophie — 580. Meta- 
physik — 581. Anthropologie — 587; Neelenwanderung, 
Präexistenz, Zustand nach dem Tode — 590. Ethik — 594; 
Ascese — 596. Die Religion — 598; Kritik des Volks- 
glaubens — 599; Nothwendigkeit der Religion — 602; 
Polytheismus, Dämonologie — 603; Verfälschung der Re- 
ligion durch die Dämonen — 606; die Wahrheit der Volks- 
religion — 608. Ueber Christenthum, Judentbum u. s. w. 
— 610. 
U. Jamblich und die syrische Schule. 
11. Porphyr's Schüler. Jamblich . . . . . . 61 
Porphyr’s Schule — 611. Jamblich — 618. Sein wissenschaft- 
licher Charakter und Standpunkt — 617. Die übersinnliche 
Welt — 620. Die erste und zweite Einheit — 621; das In- 
telligible und das Intellektwelle — 622; die Seele und die 
Theilseelen — 625. Innerweltliche Götter, Engel u. s. π΄ 
— 627. Mythendeutung — 628. Bilderverehrung, Theurgie, 
Mantik, Gebet — 629. Zablenlehre — 632. Die Erschei- 


Inhaltsverzeichniss. xt 


nungswelt: Natur und Sobicksal; Wunder — 634. Raum 
und Zeit — 688. Der Mensch und die Seele — 639. Ethik 
— 6423. Rückblick — 644. 

13. Jamblich’s Bobule; die Schrift von den Mysterien; Theodor 
von Asine . . . . . . . . . 646 
Charakter der syrischen Schule — 846. Die Bchrift von den 

Mysterien: ihre Theologie und Dämonologie — 647; die 
Theurgie und der Kultus — 650; gegen die falsche Magie 
und Mantik — 654. Theodor von Asine — 655. Andere 
Männer aus Jamblich’s Schule: Aedesius, Sopater, Eusebius, 
Maximus, Chrysanthius, Priscus, Eunapius — 658. Julian, 
Sallust, Libanius, Dexippus — 664. 

18. Die Schule von Athen: Plutarchus, Hierokles, Syrianus . 668 

Die Lage der griechischen Philosophie seit Julian — 668. The- 
mistins — 669. Hypatia — 672. Olympiodorus — 874. — 
Die Schule von Athen — 675. Plutarchus — 677. Hierokles 
— 681. Syrianus — 687. Seine Behandlung der Philosophie; 
Plato und Aristoteles — 689. Theologie und Metaphysik — 
692. Kosmologische, psychologische und ethische Bätze 
— 697. Verbältniss zu Proklus — 699. 

14. Proklus . . . . ΝΥ ΞΕ ἘᾺΝ 

Leben und Schriften — 700. Philosophischer Charakter — 705, 
System: das Gesetz der triadischen Entwicklung — 710. — 
Die übersinnliche Welt: das Urwesen und die göttlichen 
Einbeiten — 714; das Intelligible und seine Stufen — 719: 
die intelligibeln Götterreihen — 720; die intellektuell-intel- 
ligibeln Götter — 724; die intellektuellen Götter — 725. 
Die Seelo und die seelischen QMötter — 726. Die Dämonen 
— 728. Die Theilseelen — 780, — Die Erscheinungswelt: 
die Materie, die Natur, der Raum u. s. w. — 780. Die Voll- 
kommenbeit der Welt, Theodicee — 788. Anthropologie 
— 784, die Beelenthätigkeiten — 786; das Göttliche im 
Menschen — 738. Die Erhebung zur übersinnlichen Welt 
— 739; die ethische Tugend — 740; die Wissenschaft — 740. 
Die göttliche Erleuchtung und der Glaube — 741. Die Reli- 
gion und der Kultus — 742; Mythendeutung — 743. Die 
Einigung mit der Gottheit — 745. Rückblick — 746. 

15. Die neuplatonische Schule nach Proklus. Das Ende der grie- 
chischen Philosophie .. . . . . . . 747 
Hermias — 747. Ammonius — 750. Asklepiodotus — 758. 

Marinus — 755. Isidorus — 756. Hegias — 756. Zeno- 


xı 


Inhaltsverzeichniss. 


Reibe 
dotus u. A. — 757. Damascius — 758; seine Bestimmungen 
über das Urwesen und die Einheiten — 760; über Raum απ, 
Zeit — 762. Priscianus, Asklepius u. A. — 763, Simplicius 
— 763; Vereinigung des Aristoteles mit Plato — 765; Raum _ 
und Zeit — 767; der Nus — 768. Aufhebung der Schule 
von Athen — 769. Die letzten Neuplatoniker: Olympiodorus 
— 771. Die Philosophen des Westreichs — 778; Macrobiug 
— 774;/Boethius — 776: seine Logik — 777; seine ethi- 
schen und religiösen Ansichten — 779. Ende der alten 
Philosophie; Schlussbetrachtung — 783. 


Tweiter Abschnitt. 


Eklekticismns , erneuerte Skepsis, Vorläufer des 
Neuplatonismus. 


B. Die jüngeren Skeptiker. 


1. Die Eutstehung und die äussere Geschichte der Schule; 
Aenesidemus. 


Durch den eklektischen Dogmatismus des Antivchus und sei- 


' ser Nachfolger war die Skepsis gerade aus der Schule verdrängt 
. worden, in welcher sie seit zweihundert Jahren ihren hauptsäch- 


‚ liehsten Sitz gehabt hatte. Aber die Ursachen, welche diese Denk- 


weise hervorgerufen und ihre Verbreitung begünstigt hatten, waren 


. damit nicht gehoben, ihre wissenschaftliche Widerlegung war un- 


genügend ausgefallen, der herrschende Eklekticismus selbst hatte 


die skeptische Stimmung der Zeit zu seiner Voraussetzung, und 
' musste ihr durch seine eigene schwankende Haltung immer neue 
_ Nahrung zuführen '). War daher auch der Zweifel in der Aku- 
_ demie verstummt, so dauerte cs doch nicht lange, bis er anderswo 


aufs neue auftrat. Aber doch ist diese spätere Skepsis weder an 


Einfluss und Ausbreitung, noch an wissenschaftlicher Bedeutung 


| mit der des Arcesilaus und Karneades zu vergleichen; und wie- 
' wohl sie selbst ihren Stammbaum nicht auf diese ihre nächsten 


Vorgänger, sondern auf Pyrrho und Timon zurückführte, so ist 
doch zu vermulhen, dass sie ihre stärksten Waffen aus den Rüst- 
kammern der mittleren und neuen Akademie entlehnt hat. 

Die ältere pyrrhonische Schule war in der ersten oder zweiten 


_ Generation nach Timon erloschen. Der erste, welcher auf’s neue 
᾿ Σ [ἂν zurückkehrte, war nach dem glaubwürdigen Zeugniss eines 


1) Mau vgl. hierüber die erste Abtheilung dieses Theil» 8 497.. 
Philos. d. Gr. 111. Bd. 2. Abth. ᾿ 1 


3 Skeptische Schule. 


seiner Nachfolger Ptolemäus aus Cyrene !). Indessen ist uns 
weder über ihn selbst, noch über seine Schüler Sarpedon und 
Heraklides, näheres überliefert ἦν; und so wissen wir denn auch 


1) Dioe. IX, 115: τούτου (Timan’s) διάδοχος, ὡς μὲν Μηνόδοτός (8. u. 
8. δὲ 1) φησι, γέγονεν οὐδὲς, ἀλλὰ διέλιπεν ἣ ἀγωγὴ ἕως αὐτὴν Πτολεμαῖος ὃ Κυρη- 
γαΐος ἀνεχτήσατο. ὡς δ᾽ Ἱππόβοτός φησι χαὶ Σωτίων, δωίχουσαν αὐτοῦ Διοςχουρίδης 
Κύπριος καὶ Νικόλοχος Ῥόδιος καὶ Εὐφράνωρ Σελευχεὺς Πραύλους τ᾽ ἀπὸ Τρωάδος... 
Εὐφράνορος δὲ διήκοναεν Εὔβουλος ᾿Αλεξανδρεὺς, οὗ Πτολεμεΐας, οὗ Σαρκηδὼν χαὶ 
Ἡρακλείδης, Ἡρακλείδου δ᾽ Αἰνεσίδημος Κνώσιος, ὃς͵ καὶ Πυῤῥωνείων λόγων ὀχτὼ 
συνέγραψε βιβλία. Diese (schon 1. Abth. 441 berührte) Stelle ist nun vielfach, 
und auch von Rırtze in seiner verdienstlichen Untersuchung über die Zeit- 
verhältnisse der späteren Skeptiker (G. ἃ, Ph. IV, 282 f.), so verstanden 
worden, als hätten Hippohotus und Botion in Dieskurides, Nikolochus, Eu- 
phranor, Praylus und Eubnlus die aufeinander folgenden Lehrer oder 
Scholarchen der-skeptischen Schule, von Timon bis auf Ptolemäus, angeben 
wollen; wobei man denn freilich nieht umhin konnte, die offonbare Lücken- 
haftigkeit des Verzeichnisses zu bemerken. Allein diess ist nicht ibre Mei- 
nung. Dioskurides, Nikolochus, Enphranor und Praylus wurden von Hippo- 
botus und Sotion, wie der Augenschein zeigt, alle vier als persönliche Schüler 
Timon’s bezeichnet, ausserdem hatten sie, wie es scheint, noeh Eubualus den 
Schüler Euphranor's genannt; dass sie dagegen auch Piolemäus für den 
Schüler des Eubulus ausgegeben, oder gar (wie Prerner Hist. phil. gr. et 
rom. 8. 541 voraussetzt) die Reihenfolge der Skeptiker von Aenesidemus bis 
auf Sextus fortgeführt haben sollten, ist einfach desshalb unmöglich, weil 
Sotion um etwa 150 Jahre Alter ist, als Ptolemäus. Ihre Abweichung von 
Menodotns beschränkt sich daher darauf, dass sie noch vier Sehüler Timon’s, 
und von einem derselben wieder einen Schtiler nannten, während jener läug- 
nete, dass Timon überhaupt einen Nachfolger gehabt habe; weiter dagegen 
hatten auch sie die skeptische ἀγωγὴ nicht herabgeführt, und auch sonst 
kann Diogenes in keiner seiner Quellen weitere Pyrrboneer zwischen Eu- 
bulus und Ptolemäus gefanden haben, da er sonst nicht diesen sum Schüler 
von jenem machen würde. Dass aber diese Behauptung falsch ist, liegt auf 
der Hand: der angebliche Schüler wäre um beiläußg 180 Jahre jünger, als 
der I,ehrer. Auch Arıstoxres (5. u. 7, 1 Schl.) Iäugnet die Fortdauer der 
pyrrhonischen Schule. 

2) In Betreff des Heraklides könnte man zwar vermuthen, wie überhaupt 
die neuen Pyrrhoneer grossentheils su der Parthei der sog. empirischen Aerzte 
gehörten (s. u. 8, 2), so sei auch er von dem Heraklides, welchen δια 
(Therapeut. meth. II, 7. in Hippocr. aphor. VII, 70. Bd. X, 136. 142 f. X VIII, 
a, 187 K.) als einen von den namhaftesten Empirikern nennt, und von dem 
er eine Schrift περὶ τῆς ἐμπειρικῆῇς αἱρέσεως anführt (De libr. propr. 9. Bd. XIX, 
88), und mit diesem von dem Tarentiner Heraklides, dem Schüler des Hero- 
phileers Mantias, nicht verschieden, der von Galen neben Zeuxis als der 
erste Erklärer der sämmtlichen hippokratischen Schriften bezeichnet wird 


Aonesidemus. - | 


nicht, ob sie die skeptische Ansicht schon in derselben Allgemein- 
heit vortrugen, und ebenso eingehend begründeten !), ‘wie diess 
von dem Schüler des Heraklides, dem Gnosier 5) Aeneside- 
_ mus ?), geschehen ist. Als Nachfolger des Aenesidemus werden 


(in Hippoer. de humor. 1. 24. in Hippocr. de med. off. 1. Bd XVI, 1. 196. 
ΥἹΠ, b, 631), und als einer von den bedeutendsten Männern der empirischen 
8ehule bekannt ist. (Die Nachrichten über ihn sind zusammengestellt bei 
Sreausoeı. Gesch. der Arzneik. bearb. von Rosenzaum Bd. I, 585 ff.) Allein 
die Zeitrechnung macht bier unfiberwindliche Schwierigkeiten. Denn wenn 
auch der Tarentiner Heraklides nicht, wie gewöhnlich geschicht, bis an’s 
Ende des dritten Jahrhunderts hinaufgerückt werden kann (Cör.. Aussr. de 
. mworb. aent. I, 17. 8. 64 nennt ihn ausdrücklich einen von den jüngeren FEm- 
' pirikern, wenn er sagt: eorum posterior atque omnium probabilior apud suos 
. meeriter, und Ceı.s. Mediec. I, prooem. 5. 3 sagt von Serapion, welcher um 
 24/e zu fallen scheint: quem Apollonius et Glaucias et aliquanto post 
_ Herachdes Tarentinus ... sequuti), so darf man ihn doch andererseits auch 
nicht so weit horabrlicken, dass er noch der Lehrer des Aenesidemus hätte 
sein können, da er nach Ceısus a. a. Ο. dem Asklepiades (vgl. 1. Abth. 
32,2) um ein merkliches vorangegangen sein muss; denn dieser fährt fort: 
sch den genannten habe keiner einen neuen Weg eingeschlagen, donec As- 
. depindes medendi rationem ex magna parte mutavit. — Eher könnte unser 
Heraklides der Zeit nach mit dem gleichnamigen Erythräer zusammenfallen, 
den Iraano XIV, 8, 34. 8. 645 seinen Zeitgenossen nennt, und der gleichfalls 
zu den Anslegern des Hippokrates gehört (GaLrn in Hippocr. de epid. sext. 
1,1. Bd. XViI, a, 793); allein dieser war nicht Empiriker, sondern Hero- 
pbileer (Srnano a. a. O. Garen puls. diff. IV, 10. Bd. VIII, 743. 746). 

!) Wenn näntlich diese Vorgänger des Aenesidemus auch schon zu den 
empirischen Aerzten gehörten, könnte es immerhin sein, dass sie die Mög- _ 
hehkeit einer sichern Erkenntniss zunächst nur in Beziehung auf jene Fragen 
ihres Pachs Hugneten, für die sie (nach Ceusus Medic. I, prooem. 8. δ. Sexr. 
Math. VIII, 191. 827. Garen De seotis 2. Bd. I, 86 f. De simpl. medic. temp. 
19. Bd. X1, 481. Ps. Garen Ekay. 8. Bd. XIV, 678 u. a. St. vgl. Berenosı. 
Qesch. der Arsneik. bearb. von Rosenzium I, 573 f.) von den Empirikern 
allgemein bestritten wurde, über das Wesen der Krankheiten, die eigent- 
lichen Ursachen der Krankheitserscheinungen, die specifische Wirkung der 
einfachen Heilmittel u. 8. w.; und so bezeichnet auch Arısrokı.rs Ὁ. Eos. pr. 
er. XIV, 18, 22 Aenesidemus als den ersten Erneuerer des Pyrrlionismus. 
Aber der Schritt von jener medieinischen Skepsis zur allgemeinen war aller- 
dings nicht gross. 

2) 80 Dioe. a. a. O. Dagegen nennt ihn Pnor. Cod. 212. 8. 170, 41 
Bekk. Alveald. ὁ ἐξ Αἰγῶν. 

8) Ueber seine Lebensverhältnisse wissen wir ausser dem (nach Ὦιτου. 
u. 2.0.) im Text gesagten nur, dass er in Alexandrien lehrto (Arısroxt. 
2.2.0.) 


15 


4 Bkeptische Schule. 


von Dıosznes ) Zeuxippus, Zeuxis ?), Antiochus 8), Meno- 


— 


1) IX, 116: [Αἰνεσιδήμου διήχουσε) Ζεύξιππος ὃ Πολίτης (ans Polis, entweder 
dem lokrischen oder wahrscheinlicher dem ägyptischen; Cosrt schreibt xo- 
λίτης, in welchem Fall aber αὐτοῦ dabeistehen müsste), οὗ Ζεῦξις ὃ ᾿ωνιόπους, 
οὗ ᾿Αντίοχος Λαοδιχεὺς ἀπὸ Λύχου" (aus dem phrygischen Lepdices, das anch 
„Laodicea am Lykus“ genannt wurde; Straso XII, 5, 16. 8. 578) τούτου δὲ 
Mnv6ßorog ὃ Νιχομηδεὺς, ἰατρὸς ἐμπειριχὺς, καὶ Θειωδᾶς Λαοδιχεύς" Μηνοδϑδῶν 
δὲ Ἡρόδοτος ᾿Αριέως Ταρσεύς: Ἡροδότου δὲ διήχονσε Σέξτος ὃ ἐμπειριχὸς, οὗ zal 
τὰ δέχα τῶν σχεπτιχῶν χαὶ ἄλλα χάλλιστα- Σέξτου δὲ διήχουσε Zaropvivog ὃ Kv- 
θηνᾶς (was dieser Beiname bedeutet, ist unklar, aber eine Aenderung, etwas 
in Κυδαθηναιεὺς, darum doch schwerlich gestattet), ἐμπειριχὸς καὶ αὐτός. 

2) Einen Zeuxis kennt auch Garen, der ihn als einen Tareutiner, und 
neben den beiden Heraklides als einen von den ersten Auslegern des Hippo- 
krates bezeichnet (in Hippopr. Epid. sext. I, 1. Bd. XVIl, a, 798. in Hippoecr. 
de humor. 1. 24. Bd. XVI, 1. 196. in Hippocr. de med. off. 1. Bd. XVII, b, 
681 vgl. 8. 2, 2); und da er ihn einmal (in Hippocr. aphor. VII, 70. Bd. XVII, 
a, 187) mit Heraklides unter dem gemeinsamen Prädikat: ol ἐμπειριχοὶ zu- 
sammenfasst, so könnte man vermuthen, er sei von unserem Zeuxis nicht 
verschieden. Um so mehr wird er dann aber von dem Zeuxis zu uuterachei- 
den sein, der nach Straso ΧΙ], 5, 20. 3. 580 bei einem Tempel unweit Lao- 
dicea in Phrygien vor nicht langer Zeit (χαθ᾽ ἧἣμᾶς) eine grosse Schule hero- 
phileischer Aerste gegründet hatte; nach ibm hatte Alexander Philalethes 
dieselbe geleitet, jetzt aber, sagt Btrabo, sei sie in Auflösung begriffen. Für 
die Identität beider liesse sich zwar anführen, dass der Nachfolger des_Skep- 
tikers Zeuxis aus demselben Laodicua stammte, in dessen Nähe Strabo's 
Zeuxis seine Schule hatte. Allein sonst spricht doch alles dagegen. Strabo 
“nennt seinen Zeuxis ausdrücklich einen Herophilcer, und ebenso bezeichn«t 
Garen De puls. differ. IV, 4. 10. Bd. VIII, 725 ff. 746 seinen Schüler Ale- 
xander Philaleihes nnd dessen zwei Schüler Demosthenes und Aristoxenur. 
Die Empiriker werden aber sonst immer von den Herophilsern bestimmt un- 
terschieden, wenn auch (nach Ps. Gauzn Isag. 4. Bd. XIV, 687) ihr Stifter 
Philinus ein Schüler des Herophilus gewesen war, und dieser selbst zu ihrer 
Stiftung den ersten Anstoss gegeben haben sollte, und der Skeptiker Zeuxis 
kann, nacb allem was uns sonst über den Charakter dieser Schule bekannt 
ist, nur zu dem empirischen, nicht zu den herophileischen Aerzten gehört 
haben (vgl. Β. 8 f.). Um ferner den Zeuxis Strabo’s für Eine Persou mit dem 
Skeptiker halten zu können, müsste man annehmen, dieser sei zugleich Nach- 
folger des Zeuxippus in der Leitung der skeptischen Philosophenschule und 
Stifter einer eigenen Arstlichen Schule gewesen, und in jener habe er den Ar- 
tiochus, in dieser den Alexander Philalethes zum Nachfolger gehabt, was 
gewiss gleich unwahrscheinlich ist, ob wir ihn nun von der Leitung der Phi- 
losophenschule zu der der ärztlichen übergehen lassen, oder umgekehrt. Da 
endlich am 15—20 nach Chr. (hierüber vgl. m. unsere 1. Abth. 8, 521) nicht 
allein der vou Strabo erwälnte Zeuxis selbst, sonderu auch sein Nachfolger 


\ 


Nachfolger des Aonesidemus. j ὅ 


dotus ἢ, Theodas oder Theudas 9, Herodotus °), Sextus 
der Empiriker 4) und Saturninus °) genannt. Ausser ihnen sind 
uns nur wenige Mitglieder dieser skeptischen Schule bekannt '*); 


uni 0 “6. 


bereits abgetreien war, kann seine Wirksamkeit kaum über den Anfang der 
christlichen Zeitrechnung herabreichen. Diess ist aber viel zu früh für den 
Skeptiker, dessen fünften Nachfolger, den Empiriker Sextus, wir (s. u.) nicht 
wohl über die letzten Jahrzebende des zweiten Jahrhunderts heraufrücken 
könzen: für die fünf skeptischen Diadochen nach Zeuxis, von denen überdioss 
zWei noch dem gleichen Lehrer hatten, würde sich bei dieser Annahme die 
heispiellos lange durchscehnittliche Amtsdaner von etwa 40 Jahren ergeben. 
— Eine Schrift des Zeuxis περὶ διττῶν λόγων führt Dıoa. IX, 106 an; da er ihn 
hier den γνώριμος Aenesidem’s nennt, scheint er noch sein persönlicher Schüler 
’ gewesen zu sein. 

8) Von Dıoc. auch IX, 106 angeflibrt. 

1) Nach GarLze (Therap. meth. II, 7. Bd. X, 186. 143 f.), der ihn öfters 
anführt (vgl. den Index), und Ps. Galen lang. 4. Bd. XIV, 688 eings von den 
Häuptern der empirischen Schule. De libr. propr. 9. Bd. XIX, 88 nennt 
Galen von ibm eine Schrift an Beverus; Sexr. Pyrrh. I, 223 sagt über ihn 
und Aenesidemus: οὗτοι γὰρ μάλιστα ταύτης προέστησαν τῆς στάσεως, so dass 
er demnach einer der bedeutendsten Skeptiker gewesen sein muss. 

2) Θειωδᾶς nennt ihn nach gewöhnlicher Lesart Dıioe. IX, 116, Θεοδᾶς 
Gsıunz Therap. meth. II, 7. Bd. X, 142 ὦ, wo er ihn zu den empirischen 
Aerzten zAblt, und De libr. propr. 9, wo er seine Εἰςαγωγὴ und seine Κεφά- 
Iea anführt, Θευδᾶς Buın. Θεοδόσ. 8. 1183 Bernh., der gleichfalls seiner Κε- 
φάλαια Erwähnung thut. 

8) Nach Dioe. a. a. O. Bchüler des Menodotus, aber, wie es scheint, 
Nachfolger des Theudas, der doch kaum zus einem andern Grund, als weil 
er Schulvorstand war, in dieser Reihe aufgezählt sein wird. Es ist diesa 
wehrscheinlich der von Garen (s. ἃ. Register) oft erwähnte Herodot, und 
dass er demselben De comp. simpl. medic. 29. Bd XI, 432 vorrückt, er ver- 
werfe alle Sekten, ausser der pneumatischen, kann bei der Principlosigkeit 
dieser Empfriker nichts dagegen beweisen. Rein Vater scheint von dem Areios 
aus Tarsus, von welchem Garen De comp. medic. seo. loc. III. Bd. XII, 636 
ein Recept mittheilt, nicht verschieden zu sein. 

4) Sextas führt diesen Beinamen schon bei Dioa. a. a. O. (ohne den- 
ssiben wird er IX, 87 angeführt) und in den Titeln seiner Schriften; anch 
Ps. Garen Isag. 4 sagt von ihm und Menodotus, nachdem er sie als Vor- 
steher der empirischen Schule bezeichnet hat: οἵ χαὶ ἀχριβῶς ἐχράτυναν αὐτήν. 
Sonst ist uns von seinen persönlichen Verhältnissen nichts bekannt. Ueber 
seine Schriften tiefer unten. ΄ 

δὴ) Nach Dıoc. a. a. O. gleichfalls einer der empirischen Aerzte; sonst 
wird er nicht erwähnt. 

6) Ausser Agrippa wird ein Apellas genannt, der jünger, als dieser, 
wih muss, da er von ἴλιοα. IX, 106 mit einer Schrift: „Agrippa“ angeführt 


6 Skeptische Schule. 


einer ihrer namhaftesten Lehrer, dessen Zeitalier wir aber nicht 
genauer bestinnmen können, ist Agrippa '). Auch in Betreff der 
übrigen Skeptiker macht aber die Zeitrechnung Schwierigkeit Ὁ). 
Da Galen mehrere derselben ®), und unter diesen Herodot, den 
Lehrer des Sextus, als empirische Aerzte ziemlich häufig anführt, 
Sextus dagegen, einen der angesehensten unter ihnen 4), nie 
nennt, so hat die Vermuthung viel für sich, dieser Philosoph sei 
jünger, als Galenus, und frühestens in den letzten Jahrzehenden 
des zweiten Jahrhunderts, gegen das Ende von Galen’s Lebens- 
zeit, aufgetreten; wogegen er allerdings dem Diogenes Laertins, 
der ausser ihm selbst auch seinen Schüler Saturninus kennt, voran- 
geht, und die Stoiker, welche seit dem Anfang des dritten Jahr- 
hunderts in den Hintergrund zu treten beginnen, noch als die dog- 
matischen Haupigegner der Skepsis bezeichnet °) und behandelt. 
Rechnet man nun unter der Voraussetzung, dass das Verzeichniss 


wird; ferner ’Theodoaius, ein Mathematiker und Philosoph, iv dem seine von 
Sci. u. d. W. (3. 1132 Bernh.) verzeichneten Bücher: Σχεπκτιχὰ κεφάλαια 
(auch bei Dıoa. IX, 70). und ὑπόμνημα εἰς (Commentar su, nicht: Abhandlung 
gegen) τὰ Θευδᾶ χεφάλαια einen der jüngeren Skeptiker erkennen lassen; Cas- 
sius, den Dıioe. VII, 32 als σχεπτιχὸς beseichnet, dessen Zeitalter uns aber 
ganz unbekannt ist; Mnaseas und Philomelua, von AnıstozLes ὃ. Ens. 
pr. ev. XIV, 6, 4 als σχεπτιχοὶ mit Timon susammen genannt, im übrigen 
aber uns so unbekannt, dass wir nicht einmal wissen, ob sie der Schule 
Aenesidem’s oder der Pyrrho’s angehören. Auch von Numenius, dem 
angeblichen Pyrrhboneer, ist diess nach dem, was 1. Ahth. 5, 441: bemerkt 
wurde, unsicher. Dagegen wird der Dionysius Aegeus (aus Aegium), 
über dessen Διχτυαχὰ Puor. Cod, 185. 211 berichtet, zugleich su den Skep- 
tikern und den empirischen Aersten zu sählen sein; er hatte nämlich in 
dieser Schrift fünfzig physiologische und medicinische Fragen in skeptischem 
Sinne behandelt, indem er bei jeder derselben zwei einander widersprechende 
Antworten sich antinomisch gegenüberstellte. — Der Arst und Polyhistor 
Cornelius Celsus (1. Abtb. 600, 4; weiteres über ihn bei Berussapr röm. 
Literaturgesch. 848, 811) ist nur durch eine falsche Lesart bei Quiwriı. X, 
1, 124 (Scopticos statt Sextios) in den Ruf des Skeptikers gakommen. 

1) Von den fünf Tropen dieses Skeptikera, durch welche allein uns sein 
Name bekannt ist, wird später gesproeben werden. 

2) M. vgl. zum folgenden Rırrer 284 ἢ, 

8) Heraklides, Zeuxis, Menodotus, Theodas, Herodot. 

4) Ps. Garen Isag. 4 8. 0. 5, 4. 

5) Pyrrh. 1, 66: xar& τοὺς μάλιστα ἣμίἷν ἀντιδοξοῦντας νῦν δογματικοὺς τοὺς 
απο τῆς στοᾶς. 


Ihre Zeitrechnung. 7 


der skeptischen Diadochen bei Diogenes vollständig sei, von die- 
sem Zeitpankt an rückwärts, so wird man das Auftreten des Aene- 
sidemus, wenn man ihm und seinen Nachfolgern nicht eine un- 
verhältnissnässig lange Schulführung beilegen will, kaum vor den 
Anfang der christlichen Zeitrechnung setzen können Ὁ. Nun. 
schemt aber einiges andere defür zu sprechen, dass Aenesidemus ἡ 
um mindestens fünfzig Jahre vorher gelebt habe. Auf die Angabe 
Steabo’s über Zeuxis wird man sich freilich für diese Annahme 
mieht mehr berufen dürfen, da auch abgesehen von der Chrono- - 
logie entscheidende Gründe uns verbieten, den Herophileer Stra- 
bo’'s für Eine Person mit dem Skeptiker dieses Namens zu hal- 
ton Ὁ; und wenn Aenesidemus über den stoisirenden Dogmatismus 
der Aksdemiker seiner Zeit klagt °), so muss sich diess nicht 
gerade auf Antiochus, sondern es kann sich ebensogut auf die 
Späteren beziehen, denn die akademische Schule behielt auch in 
der Folge seine eklektische Richtung. Dagegen könnte man ge- 
neigt sein, den Lucius Tabero, dem Aenesidem seine pyrrhonische 
Untermchungen gewidmet hatte ©), in dem gleichnamigen Jugend- 
freund Cicero’s zu suchen °). Indessen ist doch diese Vermuthung 


1) Die zehen Nachfolger Plato’s bis auf Klitomachus einschliesslich ha- 
ben susammen eine Amtsdauer von etwa 240 Jahren, die sechs Zeno's bis 
auf Pasätius einschl. von 150 Jahren, die sehen des Aristoteles bis auf An- 
dronikus von 270 Jahren; die mittlere Dauer der Schulführung beträgt dem- 
nach bei den ersten 234, bei den zweiten 25, bei den dritten 27 Jahre. Für 
die Skeptiker eine längere anzunehmen, empfiehlt sich um so weniger, da 
van den sechs Diadochen, welche Diogenes zwischen Aenesidemus und Sex- 
tus zählt, swei (Zeuxis und Herodot) noch ihren vorletzteu Vorgänger zum 
J.ahrer gehahı hatten. Betst mar nun den Tod des Sextus auch nur 10 Jahre 
mch dem Galen’s,.in das Jahr 210, und gibt man ihm und seinen Vorgän- 
ges durchsehnittlich 27 Jahre, so kommt man für das Auftreten des Aenesi- 
demus erst in das Jahr 6 vor Chr. — Minder beweisend, aber doch nicht 
gas unerheblich ist os, dass Arısroxuzs b. Eus. pr. ev. XIV, 18, 22 sagt, 
wet ἐχδὲς χαὶ πρῴην habe Acnesidemus die längst erloschene Skepsis wieder 
augewärmt. 

2) Vgl. 8. 4, 3. 

8) 8.1. Abth. 542, 2. Weiteres unten. 

4) Paor. Cod. 212. 8. 169, 81: γράφει δὲ τοὺς λόγους Αἰνεσίδημος προς- 
φωνῶν αὐτοὺς τῶν ἐξ ᾿Ακαδημίας τινὶ συναιρεσιώτῃ Λευχίῳ Τοβέρωνι, ydvos μὲν 
Ῥωμείῳ δόξῃ δὲ λαμπρῷ ἐκ προγόνων καὶ πολιτικὰς ἀρχὰς οὐ τὰς τυχούσας με- 
uhr . \ 


5) L, Aelius Tubero, mit Cicero zusammen erzogen, in der Folge mit 


8 Skeptische Schule. 


zu unsicher, als dass wir uns auf sie verlassen könnten '). Wollte 
man ibr aber grösseres Gewicht beilegen, so müssie man anneh- 
men, das Verzeichniss der skeptischen Diadochen bei Diogenes 
sei unvollständig, da Sextus aus den angegebenen Gründen nicht | 
wobl früher gesetzt werden kann. 

Ihrem geschichtlichen Ursprunge nach lässt sich die Skepsis 
des Aenesidemus und seiner Schule auf zwei Quellen zurückfüb- 
ren: die Lehren der empirischen Aerzte und den Vorgang Pyr- 
rho’s und der neueren Akademie, Mehrere von den Wortführern 
des neuen Pyrrhonismus waren Aerzie und. werden als solche aus- 
drücklich zu den Häuptern der empirischen Schule gerechnet ?); 
und das gleiche wird wohl, wenn es auch nicht von allen gelten 
- sollte, doch noch von einigen weiteren anzunehmen sei. Die 
empirische Schule hatte aber von Hause aus eine unverkennbare 
Neigung zur Skepsis, Wenn sie von den Untersuchungen über die 
Ursachen der Krankheiten und die specifischen Wirkungen jedes 
Heilmittels desshalb nichts wissen wollte, weil dieselben theils nicht 
zum Ziel führen, theils neben dem erfahrungsinässig festgestellten 


ihm vorschwägert, war fortwährend in naher Verbindung mit ihm geblieben 
(Cic. pro Ligar. 7, 21. Planc. 41, 100); im Jahr 58 vor Chr. war or in Klein- 
asien Legat das Qu. Cicero (epist. ad Qu. fratr. I, 3), während des Bürger- 
kriegs sollte er den Befehl über die Provins Afrika übernehmen (Ligar. 0. 7 {Ὁ}. 
Cicero rühmt ihn als prassians honore οἱ dignitate et aatate (ad Qu. fr. I, 8), 
als ausgezeichnet durch honos, nobilitas, splendor, ingensum (Ligar. 9, 37), 
ganz Ähnliche Prädikate, wie sie Aenesidem bei Photius seinem Tubero er- 
theilt. Nach der Btelle ad Quintum fr. war er eben damals mit der Abfassung 
eines Geschichtswerks beschäftigt; pro Lig. 7, 21 sagt Οἷα, von ihm: agnums 
eiiam vinculum, quod iisdem studiis senper usi sumus, was allerdings auch 
nur überhaupt auf gelehrte Studien geben kann, aber doch für einen An- 
hänger der neueren Akademie, zu der sich auch Cicero zählt, gans besondere 
passen würde. 

1) Denn so gut sich der Tubero Cicero's für den Gönner des Aonesidemus 
eignen würde, so steht doch auch der Annahme, dass dieser ein apäterer, 
vielleicht ein gleichnamiger Enkel von jenem sei, nichts im Wege; ein Sohn des 
Lucius 'Tubero, Quintus, der Mitankläger des Ligarius, ist als Geschichtsohrei- 
ber und Rechtsgelehrter bekannt (Beenuaeoy Röm, Litteraturgesch. 8. 646 f.), 
und so mag diese Familie überhaupt Sinn für die Wissenschaft gehabt haben. 

2) Vgl. die obigen Nachweisungen in Betreff des Heraklides, Zeuxis, 
Menodutus, Herodntus, Sextus, Saturninus, Dionysius Aegaus, Auch Mnae- 
seas (s. vorl. Anm.) war vielleicht ein Arzt, wenn er nAmlich der von Pe 
Gaurx Isay. 4. Bd. XIV, 684 genaunts Methodiker ist. 


Ursprung. ᾿ ὰ 


Netzen der Arzneien für den praktischer Zweck der Heilkunde ent- 
betrlich seien ?), so spricht sich hierin dasselbe Misstrauen gegen 
das menschliche Erkenntnissvermögen und dieseibe Beschränkung 
auf das praktisch nutzbare mit Beziehung auf diese bestimmte Wis- 
senscheft aus, welche zum allgemeinen Grundsatz erhobem das 
wnterscheidende Merkmal der Skepsis ausmachen 22. Noch vor 


iin am 


1) M. vgl. die S. 3, 1 angeführten Stellen, namentlich Θαι κα simpl. medie. 
temp. 10, welcher als Behauptung der Empiriker auführt: μάτην ἡμῖν ζηνέσθαι 


τὰς πρώτας τε rar δραστιχὰς δυνάμεις ἐχάστου τῶν φαρμάχων, φθανούσης τῆς ἐμ» 


zuplag ἀναρίθμητόν τι ἔχριν φαρμάκων ἁπλῶν καὶ συνθέτων πλῆθος, ἃ καὶ παρ᾽ 
αὐτοῖς πεπίστευται τοῖς μάτην ζητοῦσι τὰς πρώτας δυνάμεις. Wenn man über die 
Wirkung der Mittel einig sei, nicht aber über ibre Gründe, uo liege am Tage, 
dass diese Mittel nur durch die Erfahrung, nicht durch Theorieei (λόγος) 
über die πρῶται δυνάμεις gefunden warden seien, welche doeh nie Aber Klonen: 
Wsbsspheinliebkeit hinasskommen. Vgl. auch Cru Acad. 11,.89, 123: die, 
empirischen Aerzte läugnen, dass wir die inneren Theile des Jeibes durch 
Leichenöffuungen kennen lernan, quia possit fieri, ut patefacta ei ἀείροία mu- 
ientur. 

2) Suxros Pyrrh. 1, 236 ff. Math. VIII, 827 sucht gwar zu beweisen, dnss' 
die Skepsis nicht, wie behauptet werde, mit der empirischen, sondern mit 
der sog. methodischen Heilkunde übereinstimme. Aber seine Gründe haben 
wicht viel anf sich. Die Empiriker, sagt er, IAugnen die Erkennbarkeit der 
Ursachen, die Skeptiker lassen sie dahingestellt sein; was nur die gleiche, 
sschlich ganz unerhebliche, Verschiedenheit der Ausdrucksweise ist, mittelst 
deren die späteren Skeptiker auch zwischen sich und der neuen Akademie’ 
einen principiellen Unterschied berauszukünsteln sich bemübten (s. u.). Wei- 
ter findet er: wie die Skeptiker im Leben den natärlichen Bedürfniesen nach 
Speise, Getränk n. s. f. (der ἀνάγχη τῶν παθῶν) folgen, no lasse «ich such der 
Methodiker bei seiner Behandlung von dem Bedfiriniss des Organismus nach 
adstringirenden oder „uflöseudeh Mitteln leiten. (Ueber die Grundsätse der 
Methodiker in dieser Besiehnng s. m. Garen De sectis 6. Bd. I, 79 α΄. Pe. 
θέειν Inag. 8. Bd. XIV, 680 f. Ceisus Medic. I, prooem.) Allein dieses bef- 
des ist nicht gleichartig: um seinen Hunger oder Durst zu stillen, braucht‘ 
man allerdings keine Theorie Über die Ursachen desselben und die Mittel 
dagegen, weil man in diesem Fall einer unmittelbaren Empfindung und einem 
ntfirlichen Trieb folgt; um dagegen mit der methodischen Medicin su be- 
haupten, dieser Körper bedürfe der Entleerung, jener der Verstopfung, muss 
man seinen inneren Zustand und sein Bedürfniss an gewissen Zeichen zu 
erkonnen vermögen, eben diese Ndglichkeit hat aber die Bkepsis stets ge- 
längnet. Bollte andererseits die Theorie der Methodiker nur bedenten: die 
bisherige Erfahrung lasse vermuthen, dass gewisse Mittel unter gewissen 
Umstinden dem vorhandenen Bedärfniss, woraufwliess immer beruben möge, 
estsprechen, 5ὸ wäre diess allerdings mit den skeptischen Grundsätseu wohl 


10 Skeptische Schule. 


der empirischen Schule und gleichzeilig mit ihr wer aber auch 
die philosophische Skepsis durch Pyrrho und die neuere Akademie 
ausgebildet worden; und weun die späteren Skeptiker nur ia dem 
ersteren ihren ächten Vorgänger anerkennen wollten, zwischen 
den Grundsätzen des Karneades dagegen und ihren eigenen eine 
darchgreifende Verschiedenheit nachzuweisen suchten 1), so haben 
wir doch allen Grund, über ibr Verhältgiss zu demselben anders 
zu urtheilen. Ihre Skepsis selbst trifft, wie wir finden werden, 
in allen wesentlichen Zügen mit der akademischen zusammen, und 
wenn sie auch von jener genaueren Ausführung der Wahrschein- 
lichkeitslehre absehen, welche Karneades unternommen hatte, so 
sind sie doch der Sache nach mit ihm darüber einverstanden, im 
Wahrscbeinlichen die Richtschnur für das praktische Verhalten 
zu.suchen. Ihre Einwürfe gegen die dogmalischen Philosophen, 
md insbesondere gegen den Steicismus, haben sie guten Theils 
ihm entnommen *). Da ferner nach ihrem eigenen Zugeständniss 
(8. ο. 2, 1) die ältere skeptische Schule nach Timon erloschen, 
und mithin die Fortpflanzung ihrer Lehre ausschliesslich an die 


vereinbar, aber es würde sich auch vou denen der empirischen Schule der 
Sache nach nicht untersobeiden. Wenn von der Medicin aus ein Anstoss zur 
Skepsis gegeben wurde, so konnte dieser nur darin bestehen, dass für diese 
Wissenschaft behauptet wurde, was die Skepsis allgemein behauptete: das 
Wesen der Dinge und die Gründe der Erscheinungen seien uns unörkennbar, 
wix müssen uns daher, den Umfang unasres Wissens betreffend, auf die Er- 
fahrung, seine Zuverlässigkeit betreffend, auf eine grössere ader geringere 
Wabrscheinlichkeit beschränken. Eben dieses hat aber unter den ärstlichen 
Schulen der Griechen zuerst die empirische behauptet. Nur sie ist auch 
der Zeit nach dem neuen Pyrrhoniamus verangegangen, wogegen der Stifter 
der sog. methodischen Schule, Themison aus Laodicea, ein Schüler des As- 
klepisdes (1. Ahth. 852), dem Lehrer Aonesidem’s, Heraklides, ungefähr 
gleichseitig war; nur von ihr wissen wir, dass ein grosser Theil der Skep- 
tiker, und darunter eben unser Seztus, ihr angehörte; und dieser selbst fasst 
Math. VIII, 191, im Widerspruch mit dem angeblichen principiellen Unter- 
schied der Skeptiker und Empiriker, beide in der Aussage zusammen: φασὶν 
αὐτὰ [τὰ ἄδηλα) μὴ καταλαμβάνεσθαι. 

1) Es wird davon später noch zu sprechen sein. 

2) In vielen Fällen- können wir noch, wie aus unserer Untersuchung über 
Karneades hervorgehen wird, in diesem Philosophen die Quelle des Sextus 
Empirikus naohweisen, auch wo er von diesem nicht als solehe genannt 
wird, und es ist.zu vermutben, dass er es auch noch.in mannhen andern 
gawosen sei. 


Ursprung. | 4ἢ 


neuere Akademie übergegangen war, welche sich dieser Aufgabe 
bis in’s erste vorchristliche Jahrhundert gewidmet, und die κε» 


᾿ innerung daran auch nach dem Auftreten des Antiechus nicht ver- 


loren hatte, so ist schon an sich zu vermuthen, die ersten Erneu- 
erer der pyrrhonischen Skepsis haben von ihr den enischeidenden 
Ausioss erlislien. Es wird aber auch ausdrücklich berichtet, Aone- 
sidessus habe seine „pyrrhonischen Untersuchungen“ einem seiner, 
akademischen Partheigenossen gewidmet 1), so dass er selbst dem-. 
sach ursprünglich gleichfalls zur akademischen Schule gehört 
haben müsste; und dieser Angabe dient es zur Bestätigung, dass 
er seine Hauptschrift gleich in ihrem ersten Buche mit einer aus- 
führlicken Erörterung über. den Unterschied der pyrrhonischen 
und akademischen Lehre eröffnet halte, worin er den Akademikern. 
vorwarf, dass sie den skeptischen Standpunkt tbeils überhaupt 
nicht rein durchführen, theils namentlich in der neueren Zeit sich. 
genz dem stoischen Dogmatismus in die Arme geworfen haben *). 
in demselben Zusammenhang war es vielleicht auch, dass er. die- 
jenigen, welche Plato für einen Skeptiker ansgaben (die Neuaka- 
demiker vor Antiocbus), bestritten hatte 8), Hiernach scheint es, 
die dogmatisch-eklektische Richtung, welche die Akademie seit 
Antiochus einschlug, babe Aenesidemus den Anlass gegeben, yon, 
derselben auf die ältere pyrrbonische Skepsis zurückzugehen, in-, 
dem er aur in dieser eine sichere Schutzwehr gegen den Dag-+ 
matismus zu finden glaubte, welchem die des Karneades schliess- 
lich doch wieder erlegen war. Nur müsste man in diesem Fall, 
annehmen, die Vorgänger Aeuesidem’s, Ptolemäus und Heraklides,, 


1) Pnor. Cod. 212, 5. 0.7,4. Man könnte hier einwenden: aus der dem 
Photius vorliegenden Schrift Aonesidem’s habe sich vielleicht auch nur dag 
egebon, dass Tubero Akademiker war, als συν αιρεσιώτης Asnesidem’s werde 
a dagegen nur von Photius solbist bezeichnet, weil er als Akademiker ebenso, ᾿ 
wie dieser, der Skepsis huldigte. Diess ist jedooh theils an zich aelbat nicht: 
eben wahrscheinlich, da sich Photius gans so aundrlickt, als ob er mit dem 
übrigen auch dieses bei Aen. selbst gefunden hätte, theils spricht das im Text 
weiter bamerkto dagegen. 

2) Paor. a. a. O. 8, 169, 86 ff. Näheres hierüber segleich. Vgl. auch 

1, Abth. 542, 3. 

8) Dass er diess:gethan hatte, sicht men ame Saxrus Pyrrh. I, 228, 
weicher seine Bemerkungen hiesüber, wie er selhst sagt, aus Menodetus und 
Asmesidesnus entnommen hatte, 


4 ᾿ Aenesidemus. 


haben ‘dich entweder mit ihrem Zweifel noch auf die Natur- und 
Heilkunde beschränkt, oder sich wenigstens noch’ nicht ausdrück- 
lich von der Akademie losgesagt. 5 

"‘-Aenesidemus selbst hatte nun zwar für seine Skepsis auch 
noch einen weiteren eigenthümlichen Beweggrund. Der Zweifel 
sollte ihm dazu dienen, die 'heraktitische Weltansicht zu begrün- 
den; denn um sich zu überzeugen, dass einem und demselben 
entgegengesetzte Bestimmungen zukommen, müsse man sich zuvor 
überzeugt haben, dass an demselben entgegengesetzte Bestimmun- 
gen eorscheitien ἢ). Und so werden wir denn auch in seinem Munde 
Behauptungen begegnen, die man eher bei eihem heraklitisirenden 
Stoiker, als bei einem Skeptiker sachen sollte. Da er jedoch damit 
ih seiner Schule ganz allein steht, 'so wird man auch für ihre 
Entstehung dieser Rücksicht keine zu grosse Bedeutung beilegen 
dürfen: gesetzt auch, für ihn selbst sei sie manssgebend gewesen, 
sb würde er doch nicht der‘ Begründer einer skeptischen Schule 
geworlen sein, wenn sein Skepticismus nicht die Kraft gehabt 
hatte, jene’'widerspruchsvolte' Verbindung mit der heraklitischen 
Lehre zu sprengen und' sich selbständig zu entwickeln. 

' Er verfährt auch wirklich als Skeptiker’ so radikal, dass man 
durchaus keine positive Ueberzeugung hinter seinen Zweifeln 
suchen soBte. Wenn andere ihre Skepsis nach dieser oder jener 
Seite wieder beschränkt und abgeschwächt hatten, so bekennt er 
sich zum unbeschränktesten Zweifel; es ist in dieser Beziehung 
Mezeichnend genug, dass er die bedeutendste von seinen skep- 
tischen Schriften *) mit einer Auseinandersetzung über den Unter- τ 


1) Bexr. Pyrrh. I, 210: drei δὲ οἱ περὶ τὸν Αἰνεσίδημον ἔλεγον, ὁδὸν εἶναι 
τὴν σκεκτικὴν ἀγωγὴν ἐπὶ τὴν ᾿Ηραχλείτειον φιλοσοφίαν, διότι προηγέξται τοῦ τάναν- 
tie περὶ τὸ αὐτὸ ὑπάρχειν τὸ τἀναντία περὶ τὸ αὐτὸ φαίνεσθαι, καὶ οἱ μὲν Σκεκτικοὶ 
φαίνεσθαι λέγουσι τἀναντία περὶ τὸ αὐτὸ, οἱ δὲ Ἡρακλείτειοι ἀπὸ τούτου καὶ ἐπὶ τὸ 
ὑκάρχειν αὐτὰ μετέρχονται, φαμὲν πρὸς τούτους τι. 8. ν’. 

2) Die acht Bücher der Πυῤῥώνειοι (oder —ıor) λόγοι, (auch δ. Dioe. IX, 
10% 116) aus denen Puor. Cod. 212 einen, mit Ausnahme des ersten Buchs 
‚allerdings äusserst kurzen, Auszug gibt. Ausser diesem Werke nennt Dioe. 
IX, 106 noch zwei Schriften: κατὰ σόφίας und περὶ ζητήσεως, derselbe IX, 78 
und Asısrog:.. b. Eus. pr. ev. XIV, 18, 8 die ὑποτύπωσις εἰς τὰ Πυῤῥώνεια. Bei 
der. lotsteren könnte man (mit Bırrza IV, 293) an das erste Buch der pyrrbo- 
nischen Hoden :denken, ὧδ ον in diesem (nach Prior. a. a. O. 8. 170, b, 1) die 
ὅλη ἀγωγὴ τῶν Πυῤῥωνίων λόγων „ac τύπῳ καὶ χεφαλαιωδῶς dargestellt hatte; 


| 


Standpunkt. #8 


schied seiner eigenen Skepsis von der akademischen, eröffpek, ᾿ 
welcbe darthun sollte, dass er allein seinen Standpunkt ganz rein 
und folgerichtig durchführe. Die Akademiker, sage er !), ver- 
halten sich in doppelter Beziehung dogmatisch, sofern sie, vieles 
mit Bestimmtheit läugneu, anderes. ebenso bestimmt bebaypken; 
sie reden von Tugend und Verkebhrtbeit, Gutem und Schlechiem, 
Wahrem und Unwahrem, Wahrsclieinlichem und Unwahrschein- 
lichem, Seiendem und Nichtseiendem; die Akademiker der dama- 
ligen Zeit vollends seien mehr Stoiker, als Akademiker. Der 
pyrrhonische Skeptiker dagegen behaupte nie etwas, ar sage nichk, 
dass alles erkennbar oder unerkennhar, wahr oder falsch, wahr- 
scheinlich oder unwahrscheinlich, wirklich oder unwirklich. gei, 
sondern immer nur, dass es das eine um nichts mehr sei, ala das 
andere, oder dass es bald das eine sei, bald das andere, oder 
dass es für den einen dieses sei, für den anderen jenes. Aene- 
sidemus will also nicht allein von dem Dogmatismus der späteren 
Akademiker, sondern auch von der Wahrscheinlichkeitslehre des 
Arcesilaus und Karneades nichts wissen, indem er in dieser schog 
einen Abfall von der reinen Skepsis sieht 3); und diese Wahr- 
scheinlichkeitsiehre hatte allerdings einerseits jenem eklektischen 
Dogmatismus ebenso unverkennbar vorgearbeitet, wie sie anderer- 
seits schon von dem Haupturheber des letziern der Akademie als 
Ineonsequenz vorgerückt worden war °). Wenn jedoch den aka- 
demischen Skeptikern vorgeworfen wird, dass sie die Unmöglich- 
keit des Wissens selbst wieder zu wissen behaupten und als 


_ Dogma vortragen, und wenn sie sich dadurch von den pyrrho- 


doch ist es mir wahrscheinlicher, dass es eine eigene Schrift war, deren Titel 
Bextus in seinen Hypotyposen nachgeahmt hat, da Diogenes sonst wol] sagen 
würde: im ernten Buch der λόγοι, und da auch das letztere, nach Thotius’ 
Beschreibung, die 10 Tropen, w&lche sich in der ὑποτύπωσις fanden, kaum 
enthalten haben kann. Dagegen bezieht sich auf diese vielleicht der Aus- 
druck des Arıstoxi.es Ὁ. Eus. pr. ev. XIV, 18, 18: αἵ κακαὶ στοιχειώσεις 
Ἀἰνησιδήμου, und möglicherweise Auch die πρώτη εἰαγωγὴ Ὁ. Bexr. Math. 
X, 216, 
1) B. Pnor.'a. a. O. 8. 169, b ἢ. 


2) In ihr findet auch Srxtus Pyrrh. I, 226 f. den Hauptunterschied 
swischen Akademikern und Pyrrhoneern. 


ὃ) M. vgl. über diese Punkte 1. Abth. 8. 484. 531. 


48 Aosnesidemus,. 


nischen unterscheiden sollen 1), so ist diess, wie schon früher 
gezeigt wurde °), nicht richtig. 

‘ Zur Begrändung seines Standpuukts hatte Aenesidemus aus- 
geführt, dass weder die Sinne, noch das Denken uns eine ge- 
eicherte, zum wirklichen Begreifen der Gegenstände ausreichende 
WJeberzeugung zu verschaffen vermögen °). Im besonderen wies 
er diess so nach *). Er besprach zuvörderst im zweiten Buche 
seiner Schrift die Begriffe des Wahren, der Ursache, des Lei- 
dens °), der Bewegung, des Enistehens und Vergehens und ähn- 
Hehe, und suchte in eingehender Erörterung Widersprüche darin 
nachzuweisen °); er bemerkte z. B., dass es kein Wahres geben 
kömne, denn dasselbe müsste entweder ein wahrnehmbares sein, 
oder ein gedachtes, oder beides zusammen, oder keines von bei- 
den, während doch keiner von allen diesen Fällen denkbar sei 7); 


1) Grun. N. A. XI, 5,8. Szxr. Pyrrh. 1, 1 ff. 226. 233 u. d. Diese Be- 
bauptung auf Aenesidemus zurückzuführen, berechtigt uns nicht allein die 
Bemerkung des Gellius, bzw. Favorinus, a. a. Ὁ. 5, 6, die Frage über den 
Unterschied der Akademiker und Pyrrhonser sei eine verus quaestio ei a mullis 
scriptoribus grascie tractata, sondern auch scin eigener Vorwurf gegen die 
Akademiker (Pror. a. a. O.): τὰ μὲν τίθενται ἀδιστάχτως, τὰ δὲ αἴρουσιν ἀναμ- 
φιβόλως. 

3) 1. Abth. 8. 461, 8. 468 f. 

8) Puor. a. a. Ὁ. Anf.: ἢ μὲν ὅλη πρόθεσις τοῦ βιβλίου, βεβαιῶσαι, ὅτι οὐδὲν 
βέβαιον εἷς κατάληψιν (der alte Streit ἅδον die Möglichkeit einer χαταληκτιχὴ 
φαγτασία, vgl. 1. Ahth. 8. 449, 2. 457 ff. 525), οὔτε δι᾽ αἰσθήσεως, ἀλλ᾽ οὔτε 
μὴν διὰ νοήσεως. 

4) Puor. 8. 170, a, 89: Nachdem Aen. den Unterschied der pyrrbonischen 
nnd akademischen Skepsis auseinandergesetst hatte, gab er in seinem ersten 
Buch eino übersichtliche Darstellung der letsteren, sodann erörterte er den 
Inhalt derselben in den folgenden Büchern im einzelnen. 

δ) [{4θη ἃ. b. jede durch irgend eine Ursache bewirkte Veränderung; m. 
vgl. über diese Bedeutung des πάθος Bd. II, b, 817 f. und Sexr. Math. IX, 
195 ff. (περὶ αἰτίου χαὶ πάσχοντος), wo gleichfalls unmittelbar an die Unter- 
suchung über dns αἴτιον $ 239 die über das πάσχειν sich anschliesst. 

6) Puor. 170, Ὁ, 8: In seinem zweiten Buch περί τε ἀληθῶν χαὶ αἰτίων 
διαλαμβάνει, χαὶ παθῶν, xod χινήσεως γενέσεώς τε χαὶ φθορᾶς καὶ τῶν τούτοις dvav- 
τίων͵ κατὰ πάντων αὐτῶν τὸ ἄπορόν τε καὶ ἀκατάληπτον πυχνόῖς, ὡς οἴεται, ἐπι- 
λογισμσίς δποδεικχνύς. 

7) Sext. Math. VIII, 40 (in der Erörterung der Frage: εἶ ἔστι τι ἀληθές .γ)7 
δυνάμει δὲ (dem Biune nach) χαὶ ὃ Αἰνησίδημος τὰς ὁμοιοτρόπους χατὰ τὸν τόπον 
(= in Besiehung auf diesen Gegenstand) ἀπορίας τίθησιν" εἰ γὰρ ἔστι τι ἀληθὲς 


2 


Begründung seiner Skepsis. 15 


er läugneie, dass man sich ein Entstehen denken könne, da weder 
körperliches durch körperliches, nech unkörperliches durch wm- 
körperliches, noch das eine von beiden durch das andere hervor- 
gebracht werden kömme !). In demselben Sinne behandelte er 
weiter in seinem dritten Buche die Bewegung und die sinnliche 
Wehraehmung °); er bestritt sodana im vierten theils im allge- 


τοι αἰσθητόν ἐστιν ἢ νοητόν ἐστιν u.a. w. οὐχ ἄρα ἔστι τι ἀληθές. Die Bewein- 
führung, wodurch jene verschiedenen möglichen Annahmen widerlegt werden, 
trägt Bexins im folgendeu in eigenem Namen vor, sie stammt aber wohl bis 
& 247 einschl. im wesentlichen gleichfalls von Aenes. her. 


1) Seırt. Math. IX, 218, nachdem er skeptische Einwendungen .gegen 
den Begriff dor Ursache angeführt hat: ὃ δὲ Αἰνησίδημος διαφορώτερον ἐπ᾽ αὐτῶν 
(sc. τῶν αἰτίων) ἐχρῆτο ταῖς κερὶ τῆς γενέσεως ἀπορίαις, Hierauf der obige Beweis, 
weleher näher (bis ὃ 226, so weit reicht nämlich der Auszug aus Aones, wohl 
jedenfalls, ob noch weiteres in diesem Zusammenhang ihm entnommen ist, 
lässt sich nicht ausmachen) so ausgeführt wird: A) Ein Körper kann keinen 
Körper hervorbringen, mag er nun geworden oder ungeworden, wahrnehmbar 
oder nicht wahrnehmbar sein. Denn er müsste ihn entweder für sich allein, 
oder in Verbindung mit einem andern hervorbringen. a) Aber so lange er 
für sich allein bleibt, kann or seine eigene Substanz nicht vermehren, alno 
auch kein zweites, von ihm selbst versehiedenes Ding erzeugen. δ) Verbindet 
er sioh mit einem andern, so mässten, damit ans dieser Verbindung ein drittes 
enistehe, entweder aus einem von den beiden verbundenen zwei werden, oder 
es müsste aus beiden zusammen ein drittes entstehen. a) Aber jenes ist un- 
möglich, denn so gut aus Einem zwei werden könnten, könnten auch aus 
diesen vier- werden, und so fort, bis am Ende aus Einem unendlich viele 
geworden wären, was doch undenklar ist. ß) Ebenso unmöglich ist aber 
auch dieses, aus demselben Grunde: wenn aus zweien ein drittes entstehen 
könnte, könnte auch eiu viertes und fünftes und schliesslich unendlich viele 
entstohen. B) Aus den gleiohen Gründen kann auch kein unkörperliches 
anderes unkörperlicbe hervorbringen; davon nicht zu reden, dass das, was 
weder berühren noch berührt werden kann, unfähig ist, zu wirken nnd su 
leiden (ein aristotelischer Batze — vgl. Bd. II, b, 268 ἢ. — dessen sich Sextus 
öfters, «. B. IX, 216, bedient). c) Noch weniger kann körperliches aus un- 
körperlichem werden, und umgekehrt, da weder dieses in jenem noch jenes 
in diesem enthalten ist. Wäre es aber darin enthalten, so könnte es auch 
nicht daraus entstehen, denn was schon vorhanden ist, kann nicht erst ent- 
stehen. — Dass diese ganze Auseinandersetsung an der von Photius mit περὶ 
αἰτίων und περὶ γενέσεως beseichneten Stelle des ersten Buchs stand, ist wohl 
sicher. , 
2) Er handelte daria περὶ κινήσεως καὶ αἰσθήσεως χαὶ τῶν xar’ αὐτὰς ἰδιω- 
μάτων. "ποτ. 170, b, 9. . 


36 Aenesidemus. 


weisen die Möglichkeit, das verborgene an 1 äusseren Zeichen zu 
erkennen '), theils im besondern — vielleicht unter skeptischer 
Prüfung der bisherigen, namentlich der swischen, Physik und 
Theologie — die Möglichkeit, über die Natur der Dinge, die Welt 
und die Gottheit irgend etwas mit wissenschafllicher Sicherheit 
auszumachen ?). An diese Erörterungen schloss sich im fünften 
Buch eine ausführlichere Auseinandersetzung über den schon 
früher besprochenen Begriff der Ursache an, worin er die Zuläs- 
sigkeit dieses Begriffes bestritt und acht Fehler aufzählte, die bei 
den Schlüssen auf die Ursachen der Dinge begangen werden °). 


—| mn «ὦ 


1, Puoı. 170, ὃ, 12: dv δὲ τῷ 8’ σημέία μὲν, ὥσπερ τὰ φανερά φαμὲν τῶν 
ἀφανῶν, οὐδ᾽ ὅλως εἶναί φησιν, ἠπατῆσθαι δὲ χενῇ πρὸυςπαθείᾳα (eine unberechtigte - 
Neigang, ein eitlor Wunsch) τοὺς οἱομένους. Es bezieht sich diess anf die 
Frago nach dem sog. σημέίον ἐνδεικτικὸν, welche uns bei Sextus noch begegnen 
wird.: In. diesem Zusammenbang fand sich der Schluss, welchen Sext. Math. 
viIL, 215. 234 ausdrücklich aus dem vierten Buch der pyrrbonisehen Beden 
anfährt: εἰ τὰ φαινόμενα [== αἰσθητὰ, wie Soxtas selbst bemerkt] πᾶσι τόϊς διμοέοος 
διαχειμένοις παραπλησίως φαίνεται χαὶ τὰ σημέΐά ἐστι φαινόμενα, τὰ ande πᾶσι 
τοῖς ὁμοίως διαχειμένοις παραπλησίως φαίνεται, οὐχὶ δέ γε τὰ σημέία πᾶσι τοῖς 
bwoirug διακειμένοις παραπλησίως φαίνεται. τὰ δὲ φαινόμενα πᾶσι τόῖς ὁμοίως δια- 
χευμένοις παραπλησίως φαίνεται. οὐχ ἄρα φαινόμενά ἐστι τὰ σημέία. Μ. ναὶ. μίοσι, 
nnd namentlich über die chrysippische Form dieses Syllogiemus, welcher 
aus dem sweiten und dritten ἀναπόδεικτος (1. Abth. 104, 8, Il, b, 652, 8) su- 
sammenguuetzt sei, BEXT. a. d. a. Ὁ. 

2) Paor. fMhrt fort: ἐγείρει δὲ τὰς dE ἔθους ἐφεξῆς ἀπορίας περί τε ὅλης τῆς 
φύσεως καὶ χόσμου χοὶ θεῶν, οὐδὲν τῶν (]. αὐ τῶν) εἰς ὑπόληψιν πεσέϊν ἐντεινόμενος. 
Du Phot. sagt, er habe hier die herkömmlichen Einwürfe vorgebracht, so ist 
sa vermathen, dass er sich in diesem Abe6hnitt hauptsächlich an Karneades’ 
Kritik der steischen Physikotheologie hielt. 

8) Paor. 170, b, 17: προβάλλεται δὲ αὐτῷ χαὶ ὁ d λόγος τὰς κατὰ τῶν αἰτίων 
ἀπκορητιχὰς λαβὰς, μηδὲν μὲν μηδενὸς αἴτιον ἐνδιδοὺς εἶναι, ἠπατῆσθαι δὲ τοὺς αἴτιο- 
λογοῦντας φάσχων, χαὶ τρόπους ἀριθμῶν, καθ᾽ cd; οἴεται αὐτοὺς αἰτιολογέϊν ὅπκαχ- 
φέντας εἷς τὴν τοιαύτην περιενεχθῆναι ἐλάνην. Nach Szxr. Pyrrh. I, 180 ff. waren 
diens folgunde acht: 1) Die Annahmen über die Ursachen der Dinge bewegen 
sich auf einem Gebiete, das uns unzugänglich sei, und lassen sich durch 
die Beobachtung nicht sicherstellen. 2) Während die Erscheinungen vielerlei 
Ursachen haben können, nehmen die meisten nur eine einsige an. 3) Für 
solches, war regelmässig geschieht, setze man nicht selten regellose Ur- 
sachen voraus. 4) Man denke sich unbekannte Vorgänge unerlaubter Weise 
den uns bekannten gleichartig. 5) Fast alle ohne Ausnahme bilden sich ihre 
Vorstellungen über die Ursachen nach ihrer besonderen Ansicht von den 
Elementen der Dinge, nicht nach allgemeiu anerkauuten Gründen. δὴ Mana 


Begründung seiner Skepsis. 1 


Die drei letzten Bücher waren ethischen Inhalts; auch sie waren 
aber vorzugsweise gegen die Stoiker gerichtet. Das erste der- 
selben (das sechste des Ganzen) behandelte die Begriffe der Güter 
und Uebel, des Begehrens- und Verabscheuenswerthen, des Wün- 
schenswerihen und Verwertflichen; das zweite (B. 7) richtete seine 
Angriffe gegen die, (stoische) Tugendlehre, und suchte zu zeigen, 
dass es eine leere Selbsiverherrlichung sei, wenn sich die Philo- 
sopken der Erkenntniss und Uebung der Tugenden rühmen; das 
letzte endlich führte gegen die Annahmen der verschiedenen Schu- 
ἰδ über des höchste Gut aus, dass dasselbe weder in der Glück- 
seligkeit, noch in der Lust, noch in der Einsicht, noch in sonst 
emer von den Bestimmungen gesucht werden könne, welche von 
den einen oder den andern aufgestellt seien, und dass es überhaupt 
kein letztes und allgemein anerkanntes Ziel unseres Strebens 
gebe *). 

Die Hauptbeweisgründe seiner Skepsis fasste Aenesidemus in 
den zehen Tropen zusammen ?),-durch welche er dem Dogmatis- 


siehe häufig nur das in Betracht, was man aus seinen Hypothesen erklären 
könne, die entgegenstebenden Fälle dagegen übergehe man, wenn sie auch 
an sich nicht minder glaubwürdig seien. 7) Man gebe uft Erklärungen, welche 
nieht blos mit den Erscheinungen, sondern auch mit den eigenen Vorausse- 
tzungen streiten. 8) Das vermeintlich bekannte, aus dem man das unbekannte 
rkläre, sei oft in der Wirklichkeit so unbegreiflich, wie dieses. 

1) Psor. 170, b, 22 Δ. Die Schlussworte desselben: ἀλλ᾽ ἁπλῶς οὐχ εἶναι 
wog τὸ πᾶσιν ὀμνούμενον, glaube ich um so mehr in dem oben angedeuteten 
Sinne verstehen zu dürfen, da Aenesidem auch nach Sexr. Matth. VIII, 8 
is. u. 22, 2) behauptete: wahr sei, was allen gleich, falsch, was verschiedenen 
verschieden erscheine, und da der Streit der Philosophen über das höchste 
Gut auch von den späteren Skeptikern als ein Hanpteinwurf geltend gamacht 

3) Diese zehen Tropen finden sich, wie schon 1. Abth. 443, 2 bemerkt 
ist, bei Srxr. Pyrrh. 1, 86 ff., der allerdings eigene Erlänterungen eingemischt 
haben mag, kfirzer und mit unerheblichen Abweichungen bei Dıoa. IX, 78 fl. 
Auch Favorinus hatte sie, wie man aus Gert. N. A. XI, 6,6. Droc. IX, 87 
sieht, in seinen 10 Büchern Πυῤῥωνείων τρόπων behandelt. Dem Aenesidemus 
werden sie von Srxr. Matth. VII, 845 und Anıstoxı. bei Eos. pr. ev. XIV, 
18, 8 beigelegt; aus dem letztern und Dıoa. 78 erhellt, dass sie in der öxo- 
τόχωσις (> 0. 12, 2) standen. Wenn Aristokles a. a. Ὁ. von neun Tropen 
redet, so ist diess wohl nur ein Versehen. In der obigen Darstellung folge 
ieh Sextus. — Statt „Tropen“ sagten die Skeptiker auch λόγοι und τόποι 
(8axr. P. I, 86). 


Phike. ἃ, Gr. 1II. Bd. 3. Abth. 2 


15 Aenesidemus. 


mus alle seine Stätzen zu entziehen hoffte !). Der erste von diesen 
Tropen 3) beweist die Unsicherheit unserer Wahrnehmungen: ass 
der Thatsache, welche von den Skeptikern durch viele Belege wed 
Vermuthungen erhärtet wurde, dass sich der gleiche Gegenstand 
verschiedenen Thieren in der Wahrnehmung verschieden darstelle: 
wobei die Einwendung, dass diess eben unvernünftige Thiere seies, 
wenigstens von den späteren Skeptikern mit ’der Behauptung abge- 
schnitten wird, die Erfahrung berechtige uns durchaus nicht, dea 
Thieren weniger Vernunft beizulegen, als dem Menschen °). Der 
zweite Tropus 4) weist das gleiche an den körperlichen und geist 
gen Verschiedenheiten der Menschen nach. Der dritte °) zeigt, 
dass nicht einmal der einzelne Mensch in seiner Ansicht von den 
Dingen mit sich einig sei, indem die verschiedenen Sinne ver- 
schiedenes und nicht selten entgegengesetztes über sie aussagen; 
wozu noch kommt, dass wir gar nicht wissen, ob wir nioht mit 
weiteren Sinnen noch manche uns verborgene Eigenschaft an ihnen 
entdecken würden. In dem vierten 5) wird dargethan, dass die 
‚körperlichen und geistigen Zustände, wie Gesundheit und Krank- 
heit, Schlaf und Wachen, Jugend und Alter, Nüchternheit und 
Trunkenheit, Ruhe und Bewegung, Neigung und Abneigung, hei- 
tere und traurige Stimmung, auf unsere Ansicht von den Dingen 
bestimmend einwirken; an was sollen wir nun erkennen, fragt der 
Skeptiker, ob wir in einem Zustande sind, der eine richtige Auf- 
fassung der Dinge möglich macht? Welches Kennzeichen wir auch 
aufstellen möchten, so bedürfte dieses eines Beweises, aber ob 
unser Beweis richtig ist, können wir nicht wissen, wenn wir 
kein Kennzeichen der Wahrheit haben, wir bewegen uns also 
in einem unvermeidlichen Zirkel. Zu diesen vier Gründen aus der 


1) Dıoe. IX, 78 (ohne Zweifel aus Aenes.): πρὸς δὲ τὰς ἐν ταῖς σχέψεσιν ἀντιθέ- 
σεις προαποδειχνύντες καθ᾽ οὖς τρόπους πείθει τὰ πράγματα, κατὰ τοὺς αὐτοὺς ἀνήρουν 
τὴν περὶ αὐτῶν πίστιν. πείθειν γὰρ τά τε κατ᾽ αἴσθησιν συμφώνως ἔχοντα χαὶ τὰ μηδέ 
ποτε ἢ σπανίως γοῦν μεταπίπτοντα τά τε συνήθη χαὶ τὰ νόμοις διεσταλμένα καὶ τὰ 
τέρποντα xar τὰ θαυμαζόμενα. ἐδείχνυσαν οὖν ἀπὸ τῶν ἐναντίων τοῖς πείθουσιν ἴσας 
τὰς πιθανότητας. 

2) Srxtr. P.1, 40 —61. 1λιοα. 79 £. 

8) Sexr. 69—78, . 

4) ὄεχτ. 79—89. Ὁ. 80 ἢ 

5) 8. 90-99. Ὁ. 81. 

6) 8. 100—117. Ὁ. 82. 


Die zchen Tropen. 19 


Beschaffenheit des erkennenden Subjekts fügt. der siebente und der 
sehente Tropus, wie Sexrus bemerkt 1), zwei, welche von der 
des Objekts hergenommen sind. Jener führt aus, dass das gleiche 
bei verändertem Maassverhältniss anders erscheine, dass 2. B. der- 
selbe Gegenstand zerkleinert weiss, als feste Masse schwarz oder 
gelb aussehen könne, dass ein einzelnes Sandkorn sich hart, ein 
Sandhaufen weich anfühle, dass derselbe Stoff in grösserer Menge 
genossen anders auf den Körper wirke, als in kleinerer ?); dieser 
zeigt, dass durch die Verschiedenheit der Lebensweise, der Ge- . 
setze, der Gewohnheiten und Meinungen die Entscheidung über 
das wahre, gute und naturgemässe schwankend werde °). Von 
den übrigen, nach der Eintheilung des Sextus auf das Verhältniss 
des Subjekts zum Objekt bezäglichen Tropen, erörtert der fünfte *) 
die Verschiedenbheiten, welche sich für die Beobachtung durch die 
Umstände ergeben, unter denen sie erfolgt (Entfernung, Beleych- 
tung, Lage eines Dings u. dgl.). Der sechste °) verweist auf den . 
Umstand, dass wir alles durch irgend ein Medium (Luft, Flüssig- 
keit u. 5. w.) wahrnehmen, dessen Einfluss auf unsere Wahrnehmung 
wir nicht berechnen können; der achte ®) folgert mit theilweiser 
Wiederholung des früheren aus der Relativität aller Erscheinungen, 
Wahrnehmungen und Begriffe die Unmöglichkeit, die Dinge rein zu 
erkennen; der neunte endlich 7) schliesst aus der Erfahrung, dass 
das ungewohnte einen weit stärkeren Eindruck auf uns macht, als 
das gewohnte, auf die Subjektivität der Eindrücke, von denen 
unsere Vorstellungen ausgehen. 

Der durchgehende Grundgedanke aller dieser Beweise ist, 
nach Sexrus’ richtiger Bemerkung °), die Relativität aller unserer 


1) Pyrrh. I, 88, was übrigens in Betreff des gehenten Tropus nicht passt. 

2) 8. 129-134. Bei Dioe. 86 ist dieser 'Tropus der achte. 

8) 8. 145— 168. Bei Dioc. 88 nimmt dieser Tropus die fünfte Stelle ein. 

4) Bei Saxr. 118 -- 123; bei Dıoa. 85 der siebente,. 

δ) B. 124—128. Ὁ. 84f. 

6) 8. 185— 140, bei Diva. 87 der zehente, bei Favorinus der neunte. 

7) 8. 141—144. Dıos. 87. Wenn der letztere sagt, dieser sein neunter 
Tropus sei bei Favorin der achte, bei Sextus und Agnesidemus der zehente, so 
ist diess in Betreff des Bextus, wie der Augenschein zeigt, unrichtig. 

8) Pyrrh. I, ‚39 (nach der Eintheilung der 10 Tropen in die obenange- 
gebenen drei Klassen): πάλιν δὲ ol τρέΐς οὗτοι (sc. τρόποι) ἀνάγονται εἷς τὸ πρός 
u ὡς εἶναι γενικώτατον μὲν τὸν πρός τι, εἰδικοὺς δὲ τοὺς τρέϊς, ὑποβεβηκότας δὲ 

92 bi 


20 ᾿ Aenesidemus. 


Vorstellungen. Ihr Ziel und Ergebniss können natürlich, zunächst 
wenigstens, nur die alten skeptischen Sätze sein: dass schlechthin 
kein sicheres, begreifendes Wissen möglich sei, dass sich von 
keinem Gegenstand das eine mit mehr Recht aussagen lasse, als 
das andere, dass alles ebensogut falsch, wie wahr, unwahrschein- 
lich, wie wahrscheinlich, unwirklich, wie wirklich sei; dass man 
daher gar nichts behaupten, keiner Annahme zustimmen, in allen 
Fällen sein Urtheil nur zurückhalten dürfe, und dass auch dieser 
Satz selbst nicht als eine Behauptung des Skeptikers, sondern nur 
als Kundgebung seines inneren Zustandes aufzufassen sei '); eben- 
so wollen die skeptischen Einwürfe nach Aenesidemus nur den 
Widerstreit und die Verwirrung aussprechen, in welche sich der 
Philosoph durch die Erscheinungen und durch seine eigenen Be- 
griffe versetzt findet ?); denn auf den Werth von Beweisen im 
strengen Sinn konnten sie allerdings im Munde derer, welche 
jede Möglichkeit der Beweisführung bestritten, keinen Anspruch 
machen ®). Von diesem ihrem Verhalten sind die mancherlei Namen 
hergenommen, mit denen die jüngeren Skeptiker, vielleicht schon 


τοὺς δέχα. Vgl. Geir. N. A. XI, 5, 7: (die Akademiker und Pyrrhoneer) omnes 
omnino res, quae sensus hominum movent, τῶν πρός τι esse dicunt. 

1) Paor. 169, Ὁ f. (8. 0. 8. 18), wo u. a.: καθόλου γὰρ οὐδὲν ὃ Πυῤῥώνιος 
δρίζει, ἀλλ᾽ οὐδὲ τοῦτο ὅτι οὐδὲν διορίζεται. ἀλλ᾽ οὐχ ἔχοντες, φησὶν, ὅπως τὸ νοού- 
μένον ἐχλαλήσωμεν, οὕτω φράζομεν." Aus Aenesidemus stammt aber, mittelbar 
oder unmittelbar, ausser Dıoc. IX, 106 (1. Abth. 444, 2), wahrscheinlich auch 
Gert. XI, 5. Dıoe. IX, 74: die Skeptiker haben alle Behauptungen anderer 
Schulen bestritten, aber selbst nichts behauptet; auch das οὐδὲν ὁρίζομεν solle 
keine Behauptung sein, sondern nur eine μήνυσις τῆς ἀπροπτωσίας. διὰ τῆς οὖν 
Οὐδὲν ὁρίζομεν φωνῆς τὸ τῆς ἀῤῥεψίας πάθος δηλοῦται' ὁμοίως δὲ χαὶ διὰ τῆς Ὁ ὁδὲν 
μᾶλλον καὶ τῆς Παντὶ λόγω λόγος ἀντίχειται. Auch diese bezeichnen nur das 
᾿ ἀπροςθετέϊν (nicht zustimmen), die ἐποχὴ, die ἀγνωσία τῆς ἀληθείας u.a. f. καὶ 
αὐτῷ δὲ τούτῳ τῷ λόγῳ λόγος ἀντίχειται,͵ ὃς καὶ αὐτὸς μετὰ τὸ ἀνελέϊν τοὺς ἄλλους 
ὕφ᾽ ἑαυτοῦ περιτραπὲὶς ἀπόλλυται, κατ᾽ ἴσον τοῖς χαθαρτιχοῖς, ἃ τὴν ὕλην προεχκχρί- 
ναντα χαὶ αὐτὰ ὑπεχχρίνεται καὶ ἐξαπόλλυται. (Diese Vergleiobung führt auch 
Αβιδτοκι,. bei Eus. pr. ev. XIV, 18, 16 ala skeptisch an.) 

2) Dıos. IX, 78: ἔστιν οὖν ὁ Πυῤῥώνειος λόγος μήνυσίς τις τῶν φαινομένων ἣ 
τῶν ὁπωςοῦν νοουμένων, καθ᾽ ἣν πάντα πᾶσι συμβάλλεται χαὶ συγχρινόμενα πολλὴν 
ἀνωμαλίαν χαὶ ταραχὴν ἔχοντα εὑρίσχεζαι, καθά φησιν Αἰνεσίδημος ἐν τῇ εἰς τὰ 
Πυῤῥώνεια ὁποτυπώσει. 

8) Dass sie die Unmöglichkeit des Beweises beweisen wollen, hatte ja 
namentlich Antiochus den Akademikern als Widerspruch vorgerückt; vgl. 
1. Abth. 688,7. 


Endergebniss. 41 


nach Pyrrho’s Vorgang, sich bezeichneten 1); aus dem gleichen 
Grunde wollten sie ihre Philosophie nicht eine Lehre und Schule 
(aipssız), sondern nur eine Richtung (ἀγωγὴ) genannt wissen ?). 
Den praktischen Gewinn dieses Standpunkts aber und das höchste 
Ziel des menschlichen Strebens fand auch Aenesidemus, wie schon 
Pyrrho und Timon, in der unerschütterlichen Gemüthsruhe 3), 
oder wie er auch sagte, in der Lust *), welche für ihn eben mit 
der Gemüthsruhe zusammenfiel; dabei läugnete er aber so wenig, 
als die früheren und späteren Skeptiker, dass man in praktischen 
Dingen theils dem Herkommen, theils der jeweiligen Empfindung 
und dem Bedürfniss folgen müsse °). 

Dass nun von einem so unbedingten Zweifel kein gangbarer 
Weg zur heraklitischen Physik führte, liegt am Tage; wenn daher 
Aenesidemus diesen Uebergang dennoch machte, so kann es sich 
für uns nur um die Frage handeln, wie er selbst sich den Wider- 
spruch verdeckte, in den er sich damit verwickelte. Darüber giebt 


1) Dıioe. IX, 69: οὗτοι πάντες Πυῤῥώνειοι μὲν ἀπὸ τοῦ διδασχάλου, ἀπορητικοὶ 
δὲ χαὰ σχεκτικοὶ καὶ ἔτι ἐφεχτιχοὶ καὶ ζητητιχοὶ ἀπὸ τοῦ οἷον δόγματος προςηγορεύον- 
το. ζητητιχοὶ μὲν οὖν ἀπὸ τοῦ πάντοτε ζητέϊν τὴν ἀλήθειαν ἃ. 8. w. Dioa. folgt 
hier ohne Zweifel einem der jüngeren Skeptiker, vielleicht Aenesidemus. 
Aehnlich Gerı. XI, 5, 6, wie es scheint nach Favoriuus, und Szxr. P. I, 7. 

2) ᾿Αγωγὴ ist der stehende Name für die skeptische Donkweise 5, B. bei 
Dioe. IX, 115. Sex. P. 1, 16 ἢ (wenn man unter der αΐρεσις die Zustimmung 
su einem Dogma verstehe, habe der Bkoptiker keine αἵρεσις, wohl aber, wenn 
man darunter τὴν λόγῳ τινὶ κατὰ τὸ φαινόμενον ἀκολουθοῦσαν ἀγωγὴν verstehe) 
und sehr oft. Απιδτοκι,. b. Eus. pr. ev. XIV, 18, 22. Dass schon Aenesidemus 
sich dieses Namens bediente, zeigt die 8. 12, 1 angeführte Stelle. 

8) Dioe. IX, 107: τέλος δὲ οἱ σχεπτιχοί φασι τὴν ἐποχὴν, || σκιᾶς τρόπον 
ἑκαχολουθέῖ ἢ ἀταραξία, ὥς φασιν οἵ τε περὶ τὸν Τίμωνα καὶ Αἰνεσίδημον᾽ οὔτε γὰρ 
τάδ᾽ Dodusda ἢ ταῦτα φευξόμεθα, ὅσα περὶ ἡμᾶς ἐστι. Vgl. 1. Abth. Κι 446 f. 

4) Δπιδτοκι,.. a. a. OÖ. 8. 2: τοῖς μέντοι διαχειμένοις οὕτω περιέσεσθαι Τίμων 
ψηοὶ πρῶτον μὲν ἀφασίαν ἔπειτα δ᾽ ἀταραξίαν, Αἰνησίδημος δὲ ἡδονήν. 

δ) Dioe. 8. ἃ. Ο. führt fort: τά δ᾽ ὅσα περὶ ἡμᾶς οὐχ ἔστιν͵ ἀλλὰ κατ᾽ ἀνάγχην, 
οὐ δυνάμεθα φεύγειν, ὡς τὸ πεινῆν καὶ διψῆν καὶ ἀλγέϊν΄ οὐχ ἔστι γὰρ λόγῳ περιελεῖν 
ταῦτα, und dann wieder: ὥστε καὶ αἱρούμεθά τι κατὰ τὴν συνήθειαν χαὶ φεύγομεν 
τὰ νόμοις χρώμεθα. Απίδτοκι,. 8. 15: ὁπόταν μέντοι φῶσι τὸ σοφὸν δὴ τοῦτο, ὅτι 
δέοι καταχολουθοῦντα φύσει χαὶ τοῖς ἔθεσι ζῆν ἃ. 86. w. Dass diese Aussagen auch 
auf Acnesidemus anwendbar sind, lässt sich um so weniger bezweifeln, da 
einerseits für Diogenes’ Bericht über Pyrrho (auch nach IX, 63) Aenesidemus 
sine Hauptquelle gewesen zu sein scheint, andererseits die gleichen Grund- 
sitze in seiner Schule, bei Sextus, uns begegnen werden. 


4 Aenesidemus. 


nun eine schon früher 1) angeführte Stelle des Sextus Aufschluss. 
Alle skeptischen Erwägungen fassen sich ihm in dem Satze zusam- 
men, dass demselben entgegengesetzte Bestimmungen zuzukommen 
scheinen; denn alle die Schwierigkeiten, in die wir bei der Be- 
trachtung der Dinge gerathen, lassen sich darauf zurückführes, 
dass entgegengesetzte Aussagen über dieselben anscheinend gleich- 
viel für sich haben. Dieser für uns unvermeidliche und an allem 
hervortretende Schein kann nach Aenesidemus nicht für eine blosse 
Täuschung gehalten werden, denn er entsteht nicht blos dem einen 
oder dem andern, sondern allen ohne Ausnahme; was aber allen 
erscheint, muss für wahr gelten ἢ. Er lässt sich daher nur durch 
die Voraussetzung erklären, es finden sich wirklich an alleın ent- 
gegengesetzte Bestimmungen; und dass dem so sei, diess hatte, 
wie er glaubte, kein anderer Philosoph so klar erkannt und so gut 
begründet, wie Heraklit. Wenn alle Dinge nur die Erscheinung 
eines und desselben Urwesens sind, das auf allen Punkten in un- 
aufhörlicher Veränderung, in einem rastlosen Üebergang aus einer 
Form in die andere begriffen ist, so muss freilich alles, wie diess 
Heraklit so nachdrücklich hervorgehoben hatte ὅ), die Gegensätze, 
zwischen denen es steht, in sich vereinigen, es werden an jedem 
Ding entgegengesetzte Eigenschaften hervortreten, über jedes sich 
widersprechende Aussagen ergeben. Wie daher früher durch Kra- 
tylus und Protagoras aus der heraklitischen Physik skeptische An- 
sichten hervorgegangen waren 4); so machte umgekehrt Aenesi- 
demus den Versuch, die Skepsis zum Heraklitismus zurückzubilden, 
indem er den Grund des widerspruchsvollen Scheins in den realen 
Widersprüchen des Seins suchte, 

Das Urwesen selbst, das in alle Formen übergeht, den ur- 
sprünglichen Träger aller Gegensätze in der Welt, bezeichnete . 
Aenesidemus als Luft δ). Diese nimmt demnach bei ihm dieselbe 

1) 812,1. 

2) Sexr. Math. VIII, 8: ol μὲν γὰρ περὶ τὸν Αἰνησίδημον λέγουσί τινᾳ τῶν 
φαινομένων διαφορὰν, καί φασι τούτων τὰ μὲν χοινῶς φαίνεσθαι, τὰ δὲ ἰδίως τινὶ, 
ὧν ἀληθῆ μὲν εἶναι τὰ κοινῶς πᾶσι φαινόμενα, ψευδῆ δὲ τὰ μὴ τοιαῦτα. ὅθεν χαὶ 
ἀληθὲς φερωνύμως εἰρῆσθαι τὸ μὴ λῆθον τὴν χοινὴν γνώμην. 

3) Man vgl. unsern 1. Th. 8. 468 fl. 

4) Ebd. 498, 1. 757 ff. 

5) Suxr. Math. X, 288: τό τε ὃν χατὰ τὸν "Hpäxdsıtov ἀήρ ἐστιν͵ ὥς φησιν 
ὁ Αἰνησίδημος, N 


Anschluss au Horaklit. 4μ 


Stelle ein, wie bei Heraklit das Feuer 1); eine Abweichung von 
der heraklitischen Lehre, zu welcher er wohl zunächst durch die 
Rolle veranlasst wurde, die dem Pneuma bei den Stoikern zuge- 
theilt ist 5). für welche aber allerdings auch in ;jener selbst An- 
knüpfungspunkte gegeben waren °). Seiner Natur nach scheint er 


1) LassaLLu’s Behauptung (Herakleitos II, 78 ff.), dass oa nicht das Feucr 
selbst, sondern vielmehr der Aether sei, an dessen Stelle bei Aenesidemus 
die Lufi trete, kann hier nicht näher geprüft werden; es wird sich dasu wohl 
noeh an einem anderen Orte Gelegenheit finden. 

2) Vgl. 1. Abth. 129. 89, 2. 108. Dieses Pneuma wurde ja von den 
Steikera auch ausdrücklich ἀὴρ genannt, und von den Luftströmungen wurden 
alle Eigenschaften der Dinge hergeleitet. Als Pneuma bezeichnet das Feuer 
schon Theophrast Fr. 8 De igne c. 4: καὶ γὰρ τὸ πῦρ οἷον πνεύματός τις φύσις. 
Bei den Broikern fällt das Pneuma einerseits, wiefern es Ursache des Lebens 
ist, mit der Lebenswärne oder dem πῦρ τεχνιχὸν zusammen, andererseits wird . 
es luft- πιὰ dunstartig vorgestellt; um so leichter konnte Aonesidemus das 
Urfeuer Heraklit’s, indem er es dem stoischen Pneuma gleichsetate, in Luft 
verwandeln. 

8) Der bedeutendste derselben liegt wohl in dem Bogrif des heraklitischen 
Urfeuers selbst, unter welchem nicht sowobl die Flamme, als das Warme 
überbaupt zu versteben ist, und welcbes daher auch wohl durch ἀναθυμίασις 
erklärt wird (vgl. Bd. I, 460 und Pı.aro Krat. 418, C); denn dass die ἀναθυμία- 
σις nicht die warme Ausdünstung, sondern „nur den allgemeinen Weltprocess 
selbst, die beständige Vermittlung des allgemeinen Wordens*, „die sich 
einende Bewegung der Wesonbeit des Beins“ u. dgl. beseichne (LassaLs.z 
22.0.1, 147 ff.), wird niemaud glauben, welcher sich die realistische Natur 
der heraklitischen Auschauungen klar gemacht hat, und welcher os mit den 
Zeugnissen der Alten etwas genauer nimmt, als Lassalle. Unter allen den 
Kisllen, auf welche sich dieser beruft, von demen übrigens keine Heraklit 

angehört oder von ihm handelt, ist auch nicht eine einzige, in der man untor 
ἀναϑυμίασις etwas anderes als die Ausdünstung verstehen könnte, und die Art, 
wis Lassalle sio ausdeutet, und selbst in das gerade Gegentheil ihres wirk- 
lichen Binns umdeutet, stellt jede gesunde Exegese auf den Kopf. — Als 
ἀναθυμίασις erscheint nun das Feuer namentlich in der Seele (». Bu. I, 479 f.); 
und wenu Hoeraklit allerdings auch hier nicht von der Luft gesprochen hahen 
kann, die bei ibm überhaupt noch nicht unter den elementaren Umwand- 
lanysformen dus Urstofis vorkommt, so liess sich doch diese ἀναθυμίασις von 
der späteren Voraussetzung der vier Elementd’aus ebensogut unter den Begriff 
der Luft stellen, als unter den des Fouers (vgl. Bd. I, 471, 2.,470, 5), um s0 
mehr, da auch Heraklit die Seele durch Einathmung aus der Luft sich nähren 
hiess (ebd. 481, 5); und so wird ja die Seele von den Btoikerm ganz allgemein 
nicht blos als Feuer, sondern auch als πνεῦμα, als ἀναθυμίασις, als warme 
Luft, als zusammengesetzt aus Luft und Feuer beschrieben (0. 1. Abth. 180, 3, 


3 Aenesidemus. 


sich den Urstoff als einfache Substanz gedacht zu haben, denn er 
sagte, die Einheit und das Jetzt seien nichts anderes, als die Sub- 
stanz, und nur aus der Vervielfältigung derselben entstehe die 
Zehl und die Zeit !). Andererseits sollte aber doch dieses ein- 


auch Prur. c. not. 47, 1). Wer sich daher Heraklit von.der Stoa deuten liess, 
der konnte auch dadurch in der Meinung bestärkt werden, dass sein Feuer 
etwas luftertiges sei, und Sournreesacher's Vermuthung (FHerakleitos. W.W. 
5. Philos. II, 115 4), dass Aonesidemus gerade von der Seelenlehre aus su 
seiner Ansicht über die Luftnatur des heraklitischen Urstoffis gekommen sei, 
trifft ohne Zweifel wenigstens einen von den Gründen dieser Annahme. Eine 
weitere Veranlassung zu derselben konnte in dem Ausdruck αἰθὴρ liegen, wenn 
Heraklit sein Urfeuer wirklich so begeichnet hat, denn bei dem Asther, den 
5. B. Empedokles geradezu für das Element der Luft setzt, dachte man nach 
dem gewöhnlichen Sprachgebrauch eher an Luft, als an Feuer; ebenso in 
dem πρηστὴρ (worüber Bd. I, 470, 2), sofern dieses Wort eigentlich den Gluth- 
wind, also eine Lufterscheinung, bedeätet (vgl. Arısr. Meteorol. IIL, 1. 871, 
8, 1δ πα. ἃ. δι. Lassarıe a. a. O. II, 87 ἢ). 

1) Brxr. Matth. X, 216: σῶμα μὲν οὖν ἔλεξεν εἶναι τὸν χρόνον Αἰνεσίδημος 
“κατὰ τὸν Ἡράχλειτον᾽ μὴ διαφέρειν γὰρ αὐτὸν τοῦ ὄντος καὶ τοῦ πρώτου σώματος. 
ὅθεν καὶ διὰ τῆς πρώτης εἰςαγωγῆς (vgl. δ. 12, 3, Bohl.) κατὰ BE πραγμάτων τετάχθαι 
λέγων τὰς ἁπλᾶς ἕξεις, αἴτινες μέρη τοῦ λόγου τυγχάνουσι, τὴν μὲν χρόνος προςηγο- 
ρίαν καὶ τὴν μονὰς ἐπὶ τῆς οὐσίας τετάχθαι φησὶν, ἥτις ἐστὶ σωματική. τὰ δὲ μεγέθη 
τῶν χρόνων καὶ τὰ χεφάλαια τῶν ἀριθμῶν ἐπὶ πολυπλασιασμοῦ μάλιστα ἐχφέρεσθαι:" 
τὸ μὲν γὰρ νῦν, ὃ δὴ χρόνου μήνυμά ἐστιν͵ ἔτι δὲ τὴν μονάδα οὐκ ἄλλο τι εἶναι ἢ τὴν 
οὐσίαν. τὴν δὲ ἡμέραν καὶ τὸν μῆνα καὶ τὸν ἐνιαυτὸν πολυπλασιασμὸν ὑπάρχειν τοῦ 
νῦν͵ φημὶ δὲ τοῦ χρόνου. τὰ δὲ δύο καὶ τρία χαὶ δέχα καὶ ἑχατὸν πολυπλασιασμὸν 
εἶναι τῆς μονάδος. (Auf diese Ansicht von der Zeit kommt Bzxr. ὃ. 280 ff. noch 
einmal zurück; vgl. Pyrrh. Ill, 188: οἱ μὲν σῶμα αὐτὸν [τὸν χρόνον] ἔφασαν εἶναι, 
ὡς οἱ περὶ τὸν Αἰνεσίδημον" μηδὲν γὰρ αὐτὸν διαφέρειν τοῦ ὄντος καὶ τοῦ πρώτου 
σώματος.) Auch diese Stelle hat Lassarız (Herakl. I, 868 f. IL, 120. 211) 
gründlich missverstanden, und gans: unstatthafte Folgerungen daraus abge- 
leitet. Er fasst sie nämlich so auf, als ob ihre Anfangsworte zu übersetzen 
wären: „Aenesidem sagte, nach Heraklit sei die Zeit ein Körper“ u. 8. w., als 
ob mithin die ganze Stelle einen Bericht Aenesidem’s über Heraklit's Lehre 
von der Zeit enthielte, und aus diesem „treflliohen Bericht“ schliesst er, dass 
„der Begriff der Zeit bei Heraklit kein anderer sei, als der der realen μετα- 
βολὴ“ u. 5. w. Jene Worte besagen aber vielmehr: „Aenesidemus behauptete, 
dem Heraklit folgend, die Zeit sei ein Körper“, und was darauffolgt, ist niobt 
ein Bericht des Aenesidemus über Heraklit’s, sondern ein Bericht des Soxtus 
über Aenesidem’s Lehre von der Zeit; zu der Voranssetsung aber, dass jene 
in dieser treu wiedergegeben werde, sind wir um so weniger berechtigt, da 
sicb uns bereits gezeigt hat, dass Asnesidemus mit Heraklit's Ansichten in 
wichtigen Punkten, wie gleich in Betreff seines Urstoffs, theils selbst die 


Ansobluss an Heraklit. N} 


fache Wesen nicht blos uns als ein vielfaches erscheinen, sondern 
such an sich selbst in die Vielheit auseinandergehen und entgegen- 
gesetzie Bestimmungen annehmen '); und Aenesidemus unterschied 
desshalb zwischen der Art, wie die Substanz im Weltganzen, und 
wie sie in den einzelnen Dingen ist, wenn er mit den Stoikern 
segte, das Ganze sei mit dem Theil sowohl identisch, als von ihm 
verschieden: identisch, weil eine und dieselbe Substanz Ganzes 
und Theil sei, verschieden, weil sie Ganzes in der Welt sei, Theil 
in den Einzeiwesen ?). Den Uebergang des Einen in das Viele 
dachte er sich ohne Zweifel durch die Bewegung vermittelt, von 
der er, gleichfalls mit den Stoikern.?), zwei Hauptgattungen unter- 


eingreifendsten Aenderungen vorgenommen, theils die von den Stoikern vor- 
geommeonen sich angeeignet hat, und da auch in unserer Stelle selbst Aus- 
drücke, wie οὐσία (als ob Heraklit, der jedes bebarrliche Sein läugnete, von 
einer οὐσία hätte sprechen können!), πρῶτον σῶμα, μονὰς, τὸ νῦν u. 5. w. den 
Sprachgebrauch und die Begriffe der aristotelischen und stoischen Philosophie 
wit Händen greifen lassen. Nicht einmal das kann man mit Sicherheit aus 
unserer Stelle abnehmen, dass Heraklit die Zeit für etwas körperliches er- 
klärt, oder überhaupt von ihr gesprochen bat, denn wir haben durchaus keine 
Bürgschaft dafür, dass Bextus eine so genaue Kenntniss der heraklitischen 
Lehre besass, um nicht das, was er bei Aenesidem fand, ohne weiteres für 
beraklitisch zu halten, mochte os diess auch noch so wenig sein; sagt er doch 
auch (6. ο. 22, 5), Aenesidem erkläre xark ᾿Ηράχλειτον das ὃν für Luft. — Ein 
ihnliches Missvorständnies ist LassaLuz (ll, 121), um diess beiläufig su be- 
merken, auch bei einer zweiten Stelle begegnet, auf die er grosses Gewicht 
legt, Saxr. Matth. X, 282, wenn or hier in den Worten: οἱ λέγοντες μὴ ὑπάρχειν 
ἴὸ πρῶτον σῶμα χατὰ τὸν Ἡράχλειτον den Binn findet: „dass nach vieler Mei- 
uung das Allerergte bei Heraklit kein Körper sei“, während schon das un- 
mittelbar folgende ausser Zweifel stellt, dass zu übersetsen war: „die, 
welehe behaupten, dass es den von Heraklit angenommenen Urstoff nicht 
gebe.“ 

1) 8.0.8. 12, 1. 

2) Baxr. Matth. IX, 387: ὁ δὲ Αἰνησίδημος, κατὰ Ἡράκλειτον, καὶ ἕτερόν 
man τὸ μέρος τοῦ ὅλου καὶ ταὐτόν ἡ γὰρ οὐσία καὶ ὅλη ἐστὶ καὶ μέρος, ὅλη μὲν 
ua τὸν χόσμον͵- μέρος δὲ κατὰ τὴν τοῦδε τοῦ ζῴου φύσιν. Auch diese Stelle darf 
man aber natärlich nicht (mit LassarLız II, 79) so versteben, als ob Hersklit 
sibst in dieser Weise vom Verhältniss des Ganzen und der Theile gesprochen 
hätte, sondern diess ist ein Batz der stoischen Logik (vgl. 1. Abth. 88,%, wo 
aber „Sen. ep. 118, 4 f.* stehen sollte), für den erst von Aonesidemus, oder 
such schon den Btoikern, Heraklit's Lehre von der Einheit des Urstoffs be- j 
aütst wurde, 


8) Vgl. 1. Abth. 8. 166 £. 


28 Aenesidemus. 


schied, die räumliche Bewegung und die qaalitalive Veränderung '). 


' Mit den Stoikern berührte er sich auch in seiner Ansicht von der 


Seele. Er hielt dieselbe nämlich für einen Luftstrom, welcher sich 
durch den ganzen Körper verbreite, und bis in die Oeffnungen der 
Sinnesorgane herausdringe ?); um so leichter konnte er dann 
Heraklit’s Annahme wiederholen, dass sich die Seele mittelst des 
Athems aus der äusseren ‚Luft nähre °); und ebendamit mag es 
auch zusammenhängen, dass er, wie die Stoiker *), das Kind erst 
nach der Geburt durch den Einfluss der kälteren Luft ausser dem. 
mütterliehen Leibe die Lebenskraft gewinnen liess °). Indessen 
sieht Aenesidemus mit diesen Ansichten in seiner Schule ganz 
allein; die späteren Skeptiker zeigten ohne Mühe den Widerspruch 
auf, in den er sich durch einen solchen Rückfall in den Dogmatis- 
mus verwickelte ©), und auf die weitere Entwicklung dieser Denk- 
weise hatte sein Heraklitismus nicht den geringsten Einfluss, wo- 


΄ 


1) βεχτ. Math. X, 88: of δὲ πλείους, ἐν οἷς εἰσι χαὶ οἱ περὶ τὸν Αἰνησίδημον, 
διττήν τινὰ χατὰ τὸ ἀνωτάτω (in letzter Beziehung) χίνησιν ἀπολείπουσι, μίαν μὰν 
τὴν μεταβλητιχὴν, δευτέραν δὲ τὴν μεταβατιχήν. Die weitere, ganz stoische, Br- 
läuterung dieses Unterschiede lässt sich nicht mit Bicherheit auf Aenesidemus 
surückführen. Beine Bemerkungen über denselben können sich allerdings 
auch im Zusammenhang seiner skeptischon Erörterungen über die Bewegung 
(8. 0. 14, 6) gefunden haben; aber die Rolle, welehe ich der Bewegüng bei 
ihm zuscohreibe, war mit seinem sonstigen Heraklitismus gegeben. 

2) TurruLL. De an. 9: son μὲ aör sit ıpsa substantia ejus [animae], eisi 
hoc denesidemo visum est ei Anaximeni, puto seeundum quosdam et Heraclito, 
Ebd. 14. Sexr. Math. VII, 850. (Beide Btellen sind Bd. li, b, 744, 3 abge- 
druckt.) 

3) Nur dieses wird nämlich das that-ächliohe au βεχτυδ᾽ Angabe, Math. 
Vil, 349, sein (eu der Bd. I, 481, 5 e. vgl.): ol μὲν ἐκτὸς τοῦ σώματος [τὴν ψυχὴν 
εἶναι ἔλεξαν], ὡς Αἰνησίδημος κατὰ ᾿Ηράχλειτον. . 

4) Vgl. 1. Abth. 181, 4. : 

δ) Tert. 0. 20: istt, qui praesumunt, non in ulero concipi anımam, «.. 
sed efuso partu nondum vivo infantı exirinsecus imprimi ..... [carnem)] editam, 
et de uteri fornace fumantem et calore solutam, ut ferrum ignitum ot tbidem fri- 
gidae immersum, ita aöris rigore peroussam et vim animalem rapere et vocalem 
sonum reddere. Hoc. Stoiei cum Acnesidemo. Diese Darstellung ist freilich, 
was dit Stoiker betrifft, jedenfalls ungenau, denn sie liessen die Besle nicht 
nach der Geburt erst in das Kind kommen, sondern nur jetzt arst sur animali- 
schen Seelc sioh verdichten, und so mag es sich mit Aenssidemus. Ähnlich 


- verhalten, wenn wir auch das genauere bei ihm nicht angeben können. 


6) Vgl. Sexr. P. I, 210 fi. 


Agrippa. 3 


gegen seine skeptischen Erörterengen, nach Sextis zu schliessen; 
bei den Anhängern derselben des höchsten Ansehens genossen 
und die Grundlage aller späteren Ausführungen blieben. 


2. Die skeptische Schule nach Aenesidemus; Sextus 
Empirikus. 

Unter den Nachfolgern des Aenesidemus ist der erste, über 
dessen wissenschaftliche Thätigkeit uns etwas bekannt ist, Agrip- 
pa. Von ihm hören wir nämlich, dass er die skeptischen Tropen 
auf fünf zurückführte, welche mit den zehen des Aenesidemus nur 
teilweise zusammenfallen. Die Ordnung und der inhalt derselben: 
wird von Sextus !) und Dıossngs 5) übereinstimmend so angegeben. 
Der erste fährt aus, dass bei dem endlosen Widerstreit der Mei- 
nungen keine feste Ueberzeugung möglich sei; der zweite zeigt, 
dass jeder Beweisgrund selbst eines Beweises bedürfte, und so fort: 
ins unendliche, dass man mithin niemals zu einer wirklich ge- 
sicherten Annahgıe kommen könne; der dritte behauptet die Rela- 
ivität aller Vorstellungen, weil eich die Dinge je nach der Be-- 
scheßenheil des Wahrnehmenden und den Umständen, unter denen 
sie wahrgenommen werden, verschieden darstellen °); der vierte, 
eigentlich nur eine Ergänzung des zweiten, verbietet einer Unter- 
suchung unbewiesene Voraussetzungen zu Grunde zu legen; der 
fünfte endlich sucht darzuthun, dass dasjenige, was einer Annahme 
zum Beweis dienen soll, seinerseits erst wit Hülfe dieser Annahme 
bewiesen werden müsste, und dass namentlich die Wahrheit des 
Denkens nur aus der sinnlichen Wahrnehmung, und die Wahrheit 
der letzteren nur aus jenem bewiesen werden könnte. Im Vergleich 
mit den zehen Wendungen des Aenesidemus verrathen diese fünf 
unverkennbar das Bestreben, die skeplische Methode auf allge- 


1) Pyrrb. I, 164 ff. 
2) IX, 88 £. 

‚ ὃ) Dieser Tropus, ὁ ἀπὸ τοῦ πρός τι, . führte nach Nextus aus, dass πρὸς 
ΜῈΝ TO χρίνον χαὶ τὰ συνθεωρούμενα τοῖον ἢ τόΐον φαίνεται. τὸ ὁποχείμενον. Er fallt 
daher, wie Bextas selbst bemerkt, mit dem achten Aenesidem’s (». ο. 8. 19, 6) 
"Wammen, welcher gleichfalls geseigt hatte, dass alles als ein πρός τι or. 
“heine, und swar in doppelter Hinsiebt: einmal ὡς πρὸς τὸ κρίνον, sofern 08 
eben nur diesem Snbjekt, diesem Sinne u. 6. w. vo oder so efscheine, und so- 
dann πρὸς τὰ συνθεωρούμενα, ὅτι πρὸς τήνδε τὴν ἐπιμιξίαν (Umgebung) καὶ τόνδε 
"on τρόπον χαὶ τὴν σύνθεσιν τήνδε χαὶ τὴν ποσότητα καὶ τὴν θόσιν ἕκαστον φαίνεται, 


..᾽ ᾿ΠΑβεῖρρδ und seine Nachfolger. 


meinere Gesichtspunkte zurückzuführen und dadurch zu vereis- 
fachen, zugleich zeigen sie sich auch darin gründlicher, als jene, 
dass sie nicht nur einseitig die Frage nach der Wahrheit der Wahr- 
nehmungen und der unwissenschaftlichen Meinungen, sondern 
namentlich auch die nach der Sicherheit des wissenschaftlichen 
Beweisverfahrens in’s Auge fassen. 

Noch einfacher lautet die skeptische Theorie bei denen, 
welche nur zwei Tropen annahmen !). Wenn nämlich etwas er- 
kannt werden könnte, sagten sie, so müsste es entweder aus sich 
selbst oder aus einem andern erkannt werden. Dass aber nichts 
aus sich selbst zu erkennen sei, lasse sich aus dem durchgreifen- 
den Widerstreit der Meinungen abnehmen, und dieser Widerstreit 
sei auch gar nicht zu schlichten, da die Wahrheit der Sinne durch 
denselben ebenso in Frage gestellt sei, wie die des Denkens. Eben- 
damit sei aber auch die Möglichkeit einer Erkenntniss aus anderem 
aufgehoben, da wir doch am Ende auf ein aus sich selbst erkenn- 
bares zurückkommen müssen, wenn wir nicht entweder dem Fort- 
gang in’s unendliche oder dem Zirkelschluss anheimfallen wollen. 
Für eine Verbesserung kann aber diese Vereinfachung nicht ange- 
sehen werden, denn der Grund, auf den sie in letzter Beziehung 
alles zurückführt, der Widerstreit in den Vorstellungen der Menschen, 
ist gerade ebenso unwissenschaftlich, als andererseits die popular- 
philosophische Berufung auf die allgemeine Uebereinstimmung. 

Die ganze Errungenschaft der skeptischen Schule, wie sie 
sich in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts herausstellte, -ist 
uns allem Anschein nach vollständig in den Schriften des Empiri- 
kers Sextus erhalten ?). Der Zweck dieser Schriften ist eine 


1) Szxr. Pyrrh. I, 178 f. Rırrae IV, 297 denkt dabei an Menodotus und 
seine Nachfolger. Wir werden finden, dass auch bei Sextus Empirikus diese 
swei Grlünde eine grosse Rolle spielen. 

2) Von den Schriften des Sextus besitzen wir noch die pyrrhonischen 
Hypotyposen in drei Büchern, und die zwei Werke, welche in neuerer Zeit, 
in οἱ Bücher vertbeilt, unter der Bezeichnung: „gegen die Mathematiker“ 
zusammengefasst werden. Das Nlteste von diesen Werken sind die Hypotypo- 
sen; an sie schliesst sich die Schrift Math. B. VII—XI durch ihren Anfang 
(vgl. VIl, 29) unmittelbar an: wenn 686 den skeptischen Standpunkt im all- 
gemeinen dargestellt und begründet hatten, will ihn diese an den einzelnen 
Fragen durchführen, wobei das frühere oft fast wörtlich wiederholt wird. Von 
den drei Abschnitten, in die sie zerfällt, den Erörterungen über die Logik, die 


Sextus Empirikus. 39 


umfassende Widerlegung des Dogmatismus; diese Widerlegung 
soll nicht in der Art geführt werden, dass auf die einzelnen Systeme 
eingegangen, und jedes derselben von seinen eigenen Voraus 
setzungen aus besiräten würde 1); doch ist diess in der Wirklich- 
keit in so bedeutendem Umfang geschehen, dass Sextus hinter den 
Akademikern, welchen er dieses Verfahren zum Vorwurf macht, 
an Breite der Darstellung wohl schwerlich zurückstand. Auch die 
skeptische Schule hatte ja in jener Zeit ihre Lebendigkeit längst 
verloren, und sich ebenso gut, wie die andern, gewöhnt, statt der 
selbstthätigen Fortbildung der. Wissenschaft auf eine möglichst 
vollständige Sammlung und eine übersiehtliche Zusammenstellung 
der Schultraditionen den grössten Werth zu legen. 

Unter den Gründen gegen den Dogmatismus, weiche Sextus 
in grossen Massen, aber nicht immer in der besten Ordnung zu- 


Physik und die Ethik, hat der erste auch den Titel: περὶ φιλοσοφίας. Das aus 
den sechs ersten Büchern bestehende Werk, welches sich mit der Grammatik, 
Rhetorik, Geometzie, Aritbmetik, Astronomie nnd Musik beschäftigt, nannt 
Bextus I, 1. VI, 68: τὴν πρὸς τοὺς ἀπὸ τῶν μαθημάτων ἀντίῤῥησιν, τὴν πρὸς τὰ 
μαϑήματα διέξοδον. Beide Werke zusammen, nur mit etwas anderer Eintheilung 
der Bücher, möchte man in den τὰ δέκα τῶν σχεπτιχῶν schen, welche Dive. 
IX, 116 Sextus beilegt, um so mehr, da auch in den Handschriften unser 
eilftes Buch die Ueberschrift hat: Σέξτου ἐμπειριχοῦ ὁπομνημάτων (oder: τῶν εἷς 
δέχα ὑπομνημάτων) τὸ δέχατον, wogegen diese Bezeichnung nur den flinf letzten 
Büchern ertheilt wird, wenn zwei Handschriften das achte Buch τῶν κατὰ 
Σέτον σχεπτικῶν τὸ δεύτερον nennen (m. 8. hierüber Fanrıc. z. B. VIII und 
XI Anf.).. An dieselben fünf Bücher könnte man auch bei den σχεπτιχὰ ὅπο- 
μνήματα (Math, I, 26. 29. II, 106. VI, 52) und den nach VI, 58 damit identi- 
schen Πυῤῥώνεια oder Πυῤῥώνεια ὑπομνήματα (1, 282. VI, 58. 61) denken, auf 
‚ die sich Sextus in dem spätesten von den drei Werken bezieht; hier entsteht 
jedoch das Bedenken, dass sich für die Anführung VI, 52.58 (auch mit Math. 
ΥΠ|, 130 ff. verglichen) keine recht passende, und für die I, 282 gar keine 
Parallele in Math. VII—XI zeigen will. Wenn daher nicht etwa Sextus bei 
diesen Citaten ein Versehen begegnet, oder andererseits aus dem Text von 
Math. VII— XI etwas ausgefallen ist, so müssten die σχεκτικὰ ὑπομνήματα 
doch eine eigene, von den noch erhaltenen verschiedene Schrift gewesen sein. 
Zwei weitere verlorene Bohriften: περὶ ψυχῆς (Math. VI, 53. X, 284) und 
ἱκτραὰ ὑπομνήματα (Math. VII, 202. IX, 28), Jetstore wohl von den ἐμπειροιὰ 
ὑπομνήματα Math. I, 61 nicht verschieden, lernep wir durch ihn selbst kennen; 
dagegen ist mit dem ἀγντιῤῥητιχὸς λόγος Pyrrh. I, 21 die spätere Ausführung , 
Ρ, I, ὃ δ. gemeint. t 
1) 8uxr, Math. IX, 1. - 


(30 | Sextne Empirikns. 


sarmengetragen hat, können wir solche unterscheiden, weiche 
‚die formalen Bedingungen des Wissens, und solche, die den me- 
teriellen Inhalt der metaphysischen, naturphilosophischen und ethi- 
‘schen Lehren betreffen. Ich stelle in beiden Beziehungen das we- 
sentlichste aus den Beweisführungen unseres Skeptikers zusem- 
men, ohne dass ich ihm doch in alle einzelnen Wendungen zu 
folgen, oder neben dem philosophischen auch das Gebiet der en- 
‚eyklischen Wissenschaften zu berühren die Absicht hätte, denen 
eines von den drei noch vorhandenen Werken des Sexfus ge- 
‘widmet ist. 

Was nun zuerst die formalen Bedingungen des Wissens be- 
trifft, so giebt zunächst schon die vielbesprochene Frage über das 
Kriterium dem Skeptiker, wie sich diess nicht anders erwarten 
liess, zu den vielfachsten Einwendungen Anlass. Denn da das 
Kriterium selbst in Frage steht, so müsste man für die Erkenntniss 
desselben wieder ein anderes Kriterium haben, ebenso aber für 
dieses und so fort in’s unendliche ). Wenn ferner unter dem Kri- 
-terium dreierlei verstanden werden kann, das urtheilende Subjekt, 
‘die Thätigkeit, vermittelst welcher, und die Norm, nach welcher 
geurtheilt wird 3), so lässt sich in keiner von diesen drei Bezie- 
bungen ein Kriterium finden. Das urtheilende Subjekt müsste der 
Mensch sein. Aber die Philosophen streiten sich ja darüber, was 
der Mensch ist, ihre Definitionen desselben geben keinen deut- 
lichen Begriff, weder das Wesen des Leibes, noch das der Seele 
ist uns bekannt 5); der Satz selbst, dass die Entscheidung über die 
Wahrheit dem Menschen zustehe, ist eine unbewiesene Annahme, 
es fragt sich endlich, welchem Menschen sie zusteht, ob einem 
einzelnen oder der Mehrheit, und wie in dem ersteren Fall jener 
einzelne gefunden, wie in dem andern eine übereinstimmende Aus- 


1) Pyrrh. II, 18 ff. 84. 85. 92. Math. VII, 814 ff. 840 ff. 

2) Sextns bezeichnet diese drei Bodentungen durch die Ausdrücke χριτή- 
ριον dp’ οὗ, δι' od, καθ᾽ ὅ. 

3) Dass Sextus selbst sich, die Seele betreffend, dem Materialismus zu- 
neige, geht aus den Btellen, welche Rırrer IV, 817 f. anführt, durchaus niobt 
mit Bestimmtheit hervor, einige dieser Stellen, wie Math. VIII, 161. 206, 
Jiaben mit dieser Frage gar nichts zn thun, in den tibrigen (P. II, 70. 81. 
II, 188. M. IX, 71 £.) spricht Sextus ausdrücklich von der gegnerischen Vor- 
anssetzung Aus. . 


Das Kriterium. 31 


sage der vielen erzielt werden soll !). Gesetzt aber much, die 
Berechtigang des Menschen zur Beurtheilung der Wahrheit wäre 
anerkannt: mit welchem 'Geistesvermögen sollie er sie beurthei- 
lea? Die Sinne könnten es nicht sein: denn einmal wird über 
ihre Wahrkeit selbst gestritten, wir brauchten also wieder ein 
weiteres Kriterium; sodann sagen die Sinne zu verschiedenen 
Zeiten und bei verschiedenen Personen, und die verschiedenen 
Sinne im Vergleich mit einander, verschiedenes über denselben 
Gegenstand aus; endlich kann die Behauptung, dass etwas 80 oder 
so beschaffen sei, überhaupt nicht den Sinnen zustehen, da diese 
immer nur von einem subjektiven Eindruck Kunde geben. Ebenso- 
wenig kann es aber der Verstand sein, da dieser sowohl über seim 
eigenes Wesen als über die Beschaffenheit der Dinge darchaus 
sicht mit sich im reinen ist, und da man nicht einsieht, wie der 
Verstand im Innern des Menschen das äussere beurtheilen sollte; 
womit dann von selbst gegeben ist, was aber Sextus natürlich in 
seiner Weise auch noch durch besondere Argumente bestätigt, 
dess auch nicht beide zusammen das Mittel der Beurtheilueg sein 
kömen 9). Wenn endlich die Norm für die Unterscheidung des 
wahren vom falschen (den Stoikern zufolge) die Vorstellung (pav- 
zasiz) sein soll, so ist für's erste das Wesen der Vorstellung, auch 
nach den vermeintlichen Erklärungen der Philosopben, unbekannt; 
sodann hängt die Vorstellung von der Wahrnehmung ab, die 
Wahrnehmung aber belehrt uns nicht über das Objekt, sondern 
aur über den subjektiven Eindruck; da endlich unmöglich alle 
Vorstellangen wahr sein können, so wäre wieder ein Kriterium 
zur Unterscheidung der wabren Vorstellung von der falschen nö- 
thig, ebenso für dieses wieder eines und so in’s unendliche °). 
Diese Untersuchungen über das Kriterium konnten im Grunde 
genügen, um die formale Möglichkeit des Wissens zu läugnen; 
aber das Streben nach logischer Vollständigkeit und nach allsei- 


1) Pyrrh. II, 22—47. Math. VII, 368 ---842, wo namentlich der Batz, dass 
das Wesen des Menschen unerkennbar sei, in eingehender Kritik der ver- 
schiedenen anthropologischen Bestimmungen ausgeführt wird. 

2) P. 1I, 48—69. M. VII, 843— 869. 

8) P. II, 70—84, ausführlicher M. VII, 370—445, wo namentlich die 
stoischen Definitionen der Vorstellung und die Lehre von der begrifllichen 
Vorstellung kritisirt werden. 


. 


N 


33 Bexztus Empirikus. 


tiger Widerlegung der Gegner ist bei Sextus und seiner Schuie 
viel zu stark, als dass er nicht noch mancherlei weitere Beweise 
beibringen sollte, in denen sich freilich die Hauptgründe in ver- 
schiedenen Wendungen auf ermüdende Weise wiederholen, wäb- 
rend zugleich die Oberflächlichkeit des philosophischen Streiters, 
der auch schlechte und sophistische Gründe nicht verschmäht, noch 
stärker hervortritt, als diess bisher schon der Fall wer. Gäbe es 
auch ein Kriterium der Wahrheit, sagt Sextus, so würde uns diess 
doch nicht das mindeste nützen, wenn wir nicht hehaupten kön- 
nen, dass es eine Wahrheit ') gebe. Wie sollen wir aber erken- 
nen, ob es eine Wahrheit gibt, da jeder Beweis für ihr Dasein 
wieder eines Beweises bedürftig wäre? (Dieser Grund fällt offen- 
bar mit der Untersuchung über das Kriterium zusammen.) Wenn 
es ferner eine gäbe, so müsste sie entweder in der Erscheinung 
ἰφαινόμενον) gesucht werden, oder in dem verborgenen (ἄδυηλονὶ, 
oder theils in jener, theils in diesem. Aber das erste ist unmög- 
lich, da weder alle Erscheinungen für wahr gelten können, noch 
ein Theil derselben: jenes nicht, denn die Erscheinungen wider- 
sprechen sich, dieses nicht, denn es fehlt an einem unterscheiden- 
den Kennzeichen der wahren Erscheinungen; das andere ist un- 
möglich, weil sich ebenso die Wahrheit alles. verborgenen nicht 
ohne Widerspruch annehmen lässt, für die Wahrheit eines Theils 
kein Kennzeichen zu finden ist; die Unmöglichkeit des dritten er- 
giebt sich hieraus von selbst Ὁ. Weiter, wenn etwas wahr sein 
soll, so fragt sich — Sextus wiederholt hier ein Sophisma seiner 
Schule 8) —: ist das Etwas wahr, oder falsch, oder beides, oder 
keines von beiden? Was man auch antworten möge, so müsste 
das, was von dem Etwas gilt, auch von allen Dingen gelten, denn 
jedes Ding ist etwas, es müsste also entweder alles wahr, oder 
alles falsch, oder alles wahr und falsch zugleich, oder alles weder 
wahr noch falsch sein. Dass keiner dieser Fälle möglich ist, war 


— no 


1) Oder eigentlich: ein Wahres; Bextus nimmt hier auf die stoische Un- 
terscheidung der ἀλήθεια vom ἀληθὲς (s. 1. Abth. 78, 2) Rücksicht, die wir bei 
Beite lassen können. 

3) Dasselbe, nur in abstrakterer und verwickelterer Form, wird Math. 
‘VIII, 40 Ε΄. nach Aenesidem so ausgeführt, dass gezeigt wird, die Wahrheit 
könne weder ein αἰσθητὸν noch ein νοητὸν sein; vgl. 8. 14, 7. 

8) Vgl. Math. VIII, 82. 


Die Wahrheit. 33 


leicht zu zeigen. Die Wahrheit kann endlich weder etwas anund- 
fürsichseiendes und von anderem unabhängiges sein, noch auch 
etwas blos relatives 1), denn im ersteren Fall müsste sie allen 
gleich erscheinen, im andern wäre sie nur Sache der subjektiven 
Vorstellung, nichts objektives 3). 

Ich unterlasse es, auf die Einwendungen näher einzugehen, 
welche Sextus aus Anlass der ebenbesprochenen Frage den An- 
nahmen verschiedener Philosophen, dem platonischen Satz, dass 
sur die Vernunfterkenntniss Wahrheit habe, der epikureischen 
Behauptung, dass alle Sinnesempfindungen wahr seien, namentlich 
aber der stoischen Lehre von der Wahrheit und Unwahrheit, von 
dem Gedachten (dem λεχτὸν) und von den Sätzen, mit gewohnter 
Ausföührlichkeit entgegenhält °). Ich kann diess um so eher, da 
uns das wesentliche dieser Beweisführungen theils schon vorge- 
kommen ist, theils sogleich in der Untersuchung über die Erkenn- 
barkeit des Wahren mittelst äusserer Zeichen (περὶ σημείου) be- 
gegnen wird. Wollten wir nänılich auch annehmen, dass es eine 
Wahrheit gebe, so wäre es doch, wie unser Skeptiker meint, ganz 
unmöglich, das verborgene Wahre aus irgend einem Zeichen zu 
erschliessen. Das Zeichen soll uns nicht blos an solches erinnern, 
was wir schon in Verbindung mit demselben wahrgenommen haben 
— ein Zeichen in diesem Sinn giebt auch der Skeptiker in der- 
selben Weise zu, wie er überhaupt das thatsächliche, als solches, 
zugiebt —, sondern es soll uns auch über dasjenige unterrichten, 
was entweder vermöge seiner Natar, oder in Folge besonderer 
Umstände unserer unmittelbaren Beobachtung entgeht *). Diess 


tl) Die Kunstausdräcke def Schule sind: für das Anundfürsichseiende τὸ 
κατὰ διαφορὰν, für das Relative τὸ πρός τι oder πρός τί πως ἔχον. Vgl. Math. 
VIU, 161: τῶν οὖν ὄντων, φασὶν οἱ ἀπὸ τῆς σκέψεως, τὰ μέν ἐστι χατὰ διαφορὰν, τὰ 
ὀὲ πρός τί πως ἔχοντα’ χαὶ χατὰ διαφορὰν μὲν ὁπόσα xar’ ἰδίαν ὑπόστασιν καὶ ἀπο- 
λύτως νοέΐται... πρός τι δέ ἐστι τὰ χατὰ τὴν ὡς πρὸς ἕτερον σχέσιν νοούμενα u. 8. w. 


. Es ist diess stoisch; vgl. 1. Abth. 92, 1. 


3) P.IL,80—96. Matb. VIII, 2—39. Ich führe absichtlich hier und’ sonst 
sach sophistiscohe und nichtssagende Beweise an, denn gerade sie wind für 
diese Skepsis bezeichnend. 

3) Math. VIIT, 565— 140. 

4) P. IT, 971-108. Math. VIII, 141— 158 nach den Stoikern. Das Zeichen 
in der ersteren Bedeutung heisst onpeiov ὑπομνηστιιὸν, in der andern σημεῖον 
ἐγδειχτιχόν. Nur das letztere wird von Bextus bestritten. 


Philos. ἃ. Gr. III. B. 2. Abth. 3 


| 34 Sextus Empirikus. 


lässt sich aber aus vielen Gründen nicht denken. Denn da der 
Begriff des Zeichens ein Verhältnissbegriff ist, und als solcher dem 
des Bezeichneten voraussetzt, so kann das Zeichen ebensowenig 
vor dem bezeichneten erkannt werden, als dieses vor jenem; wer- 
den sie aber gleichzeitig erkannt, so gelaugen wir uicht erst 
vermittelst des Zeichens zur Kenntniss des bezeichneten, was doch 
eben der Begriff des Zeichens ist '). Wenn ferner das Zeichen 
entweder durch die Sinne oder durch den Verstand aufgefasst 
werden müsste, so sind für’s erste die Philosophen selbst nicht 
einig darüber, wie es sich hiemit verhält, and dieser Zwiespalt 
lässt sich so wenig, als irgend ein anderer, schlichten, aus dem 
vielgebrauchten Grunde, dass jeder Beweis selbst eines Beweises 
für seine Wahrheit bedürfen würde; und ebenso verhält es sich, 


“um diess gleich bier zu bemerken, überhaupt mit der Frage nach 


der Existenz eines beweisenden Zeichens 3); sodann verwickelt 
aber auch jede von jenen beiden Annahuen in unauflösliche Schwie- 
rigkeiten. Soll das Zeichen etwas sinnliches sein, so müsste das- 
selbe, abgesehen von dem unlösbaren Streit über die Realität des 
Sinnlichen, jedenfalls von allen, deren Sinne gleich beschaffen 
sind, gleich aufgefasst werden, während es doch Thatsache ist, 
dass dieselben Zeichen von verschiedenen sehr verschieden ge- 
deutet werden °); soll es etwas unsiunliches und blos gedachtes 
sein, so wird bekanntlich die Existenz des Gedachten (Asxröv) von 
manchen Seiten bestritten, und wer vermöchte sie zu beweisen, 
da jeder Beweis (wie zum Ueberdruss wiederholt wird) selbst nur 
durch ein Zeichen und ein gedachies geführt werden könnte %); es 
lässt sich ferner nicht denken, wie das Gedachte ein körperliches 
sein sollte, oder wie es andererseits als das unkörperliche, wofür 
es die Stoiker ausgeben, wirken und etwas beweisen kann, es 
lässt sich nicht einsehen, wie wir uns von der Richtigkeit der Ver- 
bindung zwischen dem Zeichen und dem bezeichneten überzeugen 


1) Math. VIU, 168-175. 272 f. (P. IL, 117—120) in verschiedenen Wen- 
dungen. 

2) Math. VIll, 176—182. P. Il, 121 ἢ 

8) Dieser sophistische Einwurf wird Math. VILI, 188—248 Kusserst weit- 
schweifig, mit lästigen Abschweifungen, ausgeführt. 

4) Math. VIII, 244 -— 261, vgl. über das Asxtöv ebd. 75— 78. P.1I, 107 — 115 
und die unten anzuführende Untersuchung über den Beweis. 


Das Zeichen; der Beweis. 35 


sollten, es lässt sich endlich nicht erklären, dass auch solche aus 
Zeichen Schlüsse ziehen, welchen die logischen Operationen ganz 
fremd sind, auf die jene Schlüsse von den Stoikern zurückgeführt 
werden !). Können daher auch die Dogmatiker ihrerseits für die 
Annahme beweisender Zeichen manches geltend machen, so lässt 
sich doch theils die Beweiskraft ihrer Gründe auch wieder be- 
streiten, theils folgt aus dem Vorhandensein enigegenstehender 
Gründe jedenfalls so viel, dass sich die ganze Frage zu keiner 
bestimmten Entscheidung bringen lässt ?). 

Giebt es kein beweisendes Zeichen, so versteht es sich von 
selbst, dass es auch keinen Beweis giebt, denn der Beweis fällt, 
wie Sextus sagt °), unter den allgemeinen Begriff des. Zeichens. 
Netärlich wird uns aber die umständliche Erörterung dieser spe- 
eielleren Frage darum nicht erspart: Sextus zeigt, um nur seine 
Hauptsätze herauszuheben, auf’s breiteste, was wir schon so oft 
gehört haben, dass die Wahrheit des Beweisverfahrens und der 
Prämissen selbst erst bewiesen werden müsste, dass diess aber 
wieder nur durch Beweise geschehen könnte *); er fragt, ob der 
Beweis nur aus den Prämissen bestehe, oder ob der Schlussatz 
mit dazu gehöre, und er findet beides undenkbar °); er bezwei- 
felt die Möglichkeit eines Schlusses, denn der Schluss wäre aus 
Sätzen zusammengesetzt, diese Zusammensetzung sei aber un- 
möglich, da der erste Satz nicht mehr vorhanden sei, wenn wir 
den zweiten aussprechen °); er wiederholt, was er schon über 
das beweisende Zeichen gesagt hatte, dass der Beweis etwas rela- 
iives sei, dass er mithin nur zugleich mit dem zu beweisenden 
gedacht werden könnte, während er ihm doch als seine Begrün- 
dung vorangelien soll, dass sich aber freilich die Existenz des 


1) M. VIEL, 262-972. 

2) M. VIII, 273—298. P.TI, 180--- 188. 

8) P. IL, 184. M. VII, 277. 299. 

4) M. VHI, 840—881. 411--- 428. P. II, 1598—170. 177—184. 

6) M. VL, 885—890. P. II, 173—176: die Prämissen allein würden 
keinen Schluss bilden, der Schlussatz seinerseits ist dor Zweck des Beweises, 
er kann also nicht sein Theil sein, und ist für sich genommen etwas unbe- 
kanntes, ein solches darf aber in einem bündigen Beweis nicht vorkommnı. 
Die Schwäche dieser Gründe liegt am Tage. 

6) P. II, 144. | 


3* 


36° Sextus Empirikus, 


relativen überhaupt nicht denken lasse 3); er sucht insbesondere 
die Stoiker zu widerlegen, indem er behauptet, sie selbst wissen 
nicht blos nicht, was der Beweis, sondern nicht einmal, was die 
Vorstellung sei (weil Chrysippus und Kleanthes sie verschieden 
definiren), jedenfalls könnten sie (wie oben beim σημεῖον) nicht 
erklären, wie der Beweis als etwas unkörperliches auf die Seele 
wirken könne 3); er hält endlich den Gegnern den Fangschlass 
entgegen, dass sich die richtigen Schlüsse nicht als solche er- 
kennen lassen, wenn man sie nicht von.den falschen, und die 
falschen nicht, wenn man sie nicht von den richtigen zu unter-_ 
scheiden wisse, dass mithin der Kenntniss der richtigen die der 
falschen, und der Kenntniss der falschen die der richtigen voran- 
gehen müsste °). ‘Der Schluss aber, weicher aus allem diesem 
gezogen wird, ist der, den wir bereits kennen: dass zwar auch 
die Dogmatiker ihrerseits manches für sich anzuführen haben, dass 
es insofern übereilt wäre, die Möglichkeit des Beweises positiv 
zu läugnen, dass wir aber noch viel weniger berechtigt seien, sie 
zu behaupten, dass uns daher auch hier nur die skeptische Zurück- 
haltung des Urtheils übrig bleibe *). 

Das angeführte wird die Richtung, welche diese Kritik der 
Logik nimmt, hinreichend bezeichnen. Ich übergehe daher die 
Erörterungen des Sextus über andere Theile dieser Wissenschaft, 
über die Lehre von den Schlüssen und von der Induktion 5), über 
die Begriffsbestimmung, die Eintheilung, die Gattungen und die 
Arten, die Sophismen, -die Amphibolieen und anderes °), um mich 


1) M. VIIL 891—8395. 458— 462. 

2) Μ, VIII, 896—410. 

3) M. VILI, 429— 452. 

4) M. VIII, 463 fi. P. II, 186 ff. 

5) Nur beiläufig mag in Betreff dieser beiden angeführt werden, was 
auch Rırrza IV, 328 als eine von Sextus bedeutenderen Bemerkungen hervor- 
hebt, dass seiner Ansicht nach der allgemeine Bats, welcher den Obersats 
des Schlusses bildet, immer nur mittelst einer vollständigen Induktion be- 
wiesen werden könnte, welche den Schlussatz selbst schon enthalten müsste 
(dass alle Menschen sterblich sind, kann ich nur behaupten, wenn ich es 
von allen einzelnen weiss, in diesem Fall weiss ich es aber auch von Cajus); 
eine solche vollständige Induktion ist aber freilich nicht möglich. Pyrrh. I, 
194 — 204. 

6) Pyrıb. IL 198 -- 269. 


Ursache nnd Wirkung. a7 


seinen Erörterungen über die materiellen Theile der Philosophie 
zuzawenden. 

Beginnen wir mit der Metaphysik, so ist es im allgemeinen 
der Begriff der Ursache, im besondern sowohl der der wirkenden, 
als der materiellen Ursache, gegen den sich die Angriffe unseres 
Skeptikers vorzugsweise richten. Ist überhaupt eine Wirkung des 
einen auf das andere denkbar? Es ist wahr, sagt Sextus, die Er- 
fahrung scheint dafür zu sprechen. Wir können uns die Erschei- 


nungen und die Ordnung der Erscheinungen nicht wohl ohne eine _ 


Ursache denken, und selbst wenn wir keine annehmen wollten, 
wärden wir geneigt sein, zu fragen, warum keine möglich sei 1). 
Aber andererseits können wir uns das Verhältniss von Ursache 


. und Wirkung auch nicht denken. Die Ursache ist etwas relatives, 


sie ἰδὶ das, was sie ist, nur in ihrer Beziehung auf diese bestimmte 
Wirkung; wie problematisch aber die Existenz des relativen über- 
hanpt ist, und wie gleich schwierig es ist, sich den Grund ohne das 
begründete und ihn gleichzeitig mit demselben vorzustellen, ist 
auch schon bei der Lehre vom Beweis gezeigt worden?). Wie 
sollen wir uns ferner die Ursache und die Wirkung vorstellen, 
körperlich oder unkörperlich? Das körperliche kann nicht durch 
sakörperliches bewirkt werden, noch dieses durch jenes, weil 
beide ungleichartig sind, ebensowenig aber auch körperliches 


 durchkörperliches und unkörperliches durch unkörperliches, denn 


was aus den wirkenden Substanzen werden soll, muss immer schon 


᾿ς ihnen sein, dann ist es aber nicht erst geworden). Aehnlich - 


-„ 


lüsst sich zeigen, dass weder ein ruhendes Ursache des bewegten 
sein kann, noch umgekehrt, ebensowenig aber ruhendes Ursache 
eines ruhenden oder bewegtes eines bewegten ὁ). Weiter, wenn 
dieUrsache für sich allein wirkt, so müsste sie auf alles die gleiche 
Wirkung hervorbringen, wenn andererseits ihre Wirkung durch 
die Beschaffenheit dessen bedingt ist, auf welches gewirkt wird, so 
wäre das leidende ebensogut Ursache zu nennen, als das wirkende°). 


- “ο΄... 


I) M.Ix, 198---206. P. III, 17—19. 
2) M. IX, 207 f. 282---286. P. III, 20—28. 26--- 28. 
3) M. IX, 218—226, nach Aenesidemus (s. o. 15, 1). Eine andere Wen- 
ohd. 214 ff. 
4) M. 1X, 337— 331. 
5) A.a.O. 387— 245, womit 8. 246251 im wesentlichen zusammenfällt. 


x 


38 Bextus Empirikus. "| 


Aber wie soll überhaupt ein Ding auf das andere einwirken ? ent- 
fernt oder gegenwärtig, allein oder mit dem andern zusammen, 
mittelst biosser Berährung oder mittelst allgemeiner Durchdring- 
‚ung? Das entfernte kann nicht wirken; das, was mil einem an- 
dern zusammenwirkt, ist ebensogat ein leidendes, als ein wirken- 
des, und umgekehrt; eine Wirkung durch blosse Berührung ist 
nicht möglich, denn was sieh berührt, sind aur die unkörperlichen 
Oberflächen, das unkörperliche aber kann (nach dem stoisehen 
Satz) weder wirken noch leiden; eine Durchdringung mehrerer 
Körper, die nicht am Ende doch wieder auf ein blosses Nebenein- 
ander ihrer Theile, eine blosse Berührung, zurückkäme, ist us- 
denkbar, und aus verwandten Gründen bietet auch der Begriff der 
Berührung selbst grosse Schwierigkeiten, ob man nun das Ganze 
von dem Ganzen berührt werden lasse, oder nur dem Theil von 
dem Theile, oder den Theil von dem Ganzen, oder umgekehrt ἢ). 
Nicht minder schwierig ist der Begriff des Leidens oder des Ver- 
ändertwerdens, denn leiden kann nur das, was ist, aber gerade 
sofern etwas ist, wird es nicht verändert, da die Veränderung 
eben darin besteht, dass ein Ding das wird, was es nicht ist: men 
kann nichtsagen, das weisse sei schwarz geworden, denn sofera es 
schwarz wird, ist es kein weisses mehr, aber das schwarze kann 
auch nicht schwarz werden‘). Dasselbe ist auch im besondern as 
den Begriffen der Vermehrung, ‘Verminderung und Verwandlung 
nachzuweisen. Etwas vermindern heisst, einen Theil vom Ganzea 
wegnehmen; aber wenn diess geschieht, so hat dieses Ganze auf- 
gehört zu existiren, es ist also nicht blos vermindert, das übrig- 
bleibende umgekehrt ist so geblieben, wie es war’). Ebense ver- 
hält es sich andererseits mit dor Vermehrung. Mit der Verminde- 
rung und Vermehrung fällt aber auch die Versetzung der Theile, 
und mit dieser alle und jede Veränderung. Wir können uns das 
Leiden so wenig vorstellen, als das Wirken ‘).. 

Es ist merkwürdig, dass in dieser Kritik des Causalitäts- 
begriffs, welche doch alle Gründe gegen denselben 80 emsig zu- 


1) Math. IX, 252—266. 

2) A. a. U. 267—276. 

3) Diess isı wenigsteus der Hauptgedanke der unnöthig verwickelt und 
spitzfindig ausgesponnenen Erörterung Math. IX, 280— 320. 

4) A.a. O. 821---829, 


‚ Ursache und Wirknng. Die Gottheft. 89 


semmensucht,, gerade der Punkt gar nicht berührt wird, auf den 
sich ie der neueren Philosophie das Nachdenken vorzugsweise ge- 
richtet bat, die Frage, wie uns jener Begriff entsteht, und wie wir 
dazu kommen, an die Stelle des erfahrungsmässigen Nebeneinander 
und Nacheinander der Erscheinungen einen ursächlichen Zusam- 
menbang zu seizen. Wäre diese Frage von einem ‚seiner Vor- 
gänger erörtert worden, so würde sie Sextus nicht übergangen 
kaben, da sie gerade dem Skeptiker die sohärfsten Waffen bieten 
musste. Dass diess selbst in der nacharistoteliscohen Philosophie 
nicht geschah, ist bezeichnend. So sehr sich auch das philo- 
sophische Interesse der subjektiven Seite zugewondei hat, so 
richtet sich doch das Denken ungleich mehr auf den Inhalt der 
Begriffe, als auf ihre psychologische Entstehung ; die Beobachtung 
und Analyse der geistigen Thätigkeiten, welche für die neuere 
Philesopkie so wichtig geworden ist, hat für das gegenständliche 
Denken der Griechen selbst in dieser seiner letzten Entwicklungs- 
periode nicht die gleiche Bedeutung gewinnen können. 

Bietet der Begriff der Ursache überhaupt 'bedeutende Schwie- 
rigkeiten , so bietet der Begriff der wirkenden Ursache, oder der 
Goätheit, keine geringeren. Wollen wir auch davon absehen, dass 
&e Philosophen über die Entstehung. des Götterglaubens nichts 
weniger als einig sind, und dass sich jeder von den aufgestellten 
Ansichten mancherlei Bedenken 'enitgegenstellen !), müssen wir 
such den Beweisen der Dogmatiker für das Dasein Gottes®) das 


΄ 


einräumen, dass sie scheinbar genug lauten, so treten doch diesen. 


Beweisen andere Gründe mit nicht geringerer Veberzeugungskraft 
m den Weg. De die Vorsisllungen über die Gottheit so wider- 
sprechend sind, so wissen wir nicht, was wir uns überhaupt unter 
derselben denken sollen), und da streng genommen überhaupt 
kein Beweis möglich ist, so lässt sich auch das Dasein Gottes nicht 
beweisen). Die Hauptsache ist jedoch, dass der Begriff. Gottes 
selbst nicht ohne die vielfachsten Widersprüche zu vollziehen ist. 
Sexius eignet sich in dieser Beziehung jene ganze Kritik des Kar- 


1) Math. IX, 14— 47. 
» 2) Ebd. 60—186 nach den Btoikern dargestellt. 
8) Pyrrh. ΠῚ, 2-5, vgl. Math. IX, 6050. | 
4) P. ΜΙ, 6—9 — die specielle Widerlegung der stoischen Beweise, die 
er dooh M. IX, 60 ff. ao ausführlich berichtet, hat sich Sextus erspart. 


—ı 


20 Bextus Empirikus, 


neades an, über welche schon früher berichtet wurde‘). Da ich 
hier nur wiederholen könnte, was dort beigebracht wurde, und da 
auch der Einwurf gegen das Walten einer Vorsehung, welchen das 
Uebel in der Welt an die Hand gab), nichts weniger als neu ἱδὲ 5), 
so werde ich mich ohne längeren Aufenthalt der Untersuchung 
über die materielle Ursache, oder den Begriff des Körpers, zuwen- 
den dürfen. 

Dass es auch mit diesem nicht besser bestellt ist, ergiebt sich, 
wie Sextus selbst bemerkt *), schon aus seinen Beweisen gegen 
die Begriffe des Thuns und des Leidens, denn ein Körper ist ja, 
nach der stoischen Definition, was des Thuns oder des Leidens 
fähig ist. Aber auch der mathematische Begriff des Körpers ist 
seiner Meinung nach durchaus unhaltbar. Ein Körper soll sein, 
was in die Länge, Breite und Tiefe ausgedehnt ist, diese drei zu- 
sammen müssten also den Körper bilden. Aber wenn weder die 
Länge, noch die Breite, noch die Tiefe für sich genommen em 
Körper ist, wie kann aus ihrem Zusammentreten ein Körper ent- 
stehen ?°) Wie sollen wir uns ferner die Länge u. s. w. au sich 
selbst und in ihrem Verhältniss zum Körper vorstellen? Die Aus- 
dehnung in die Länge, oder die Linie, soll dadurch entstehen, dass 
sich ein Punkt fortbewegt. Da jedoch der Punkt keine Ausdeh- 
nung haben soll, so könnte auch nichts ausgedehntes aus ihm est- 
stehen, und auch die Wiederholung desselben würde höclitens 
eine Vielheit von einzelnen Punkten erzeugen, aber keine Linie®). 
Das gleiche gilt von der Entstehung der Fläche aus der Linie: 
wenn man der Linie keine Breite beilegen will, kann durch die 
Bewegung oder die Wiederholung derselben unmöglich eine Fläche 


.1) M. IX, 187—194; vgl. 1. Abth. 8. 468 ff. 

2) P. III, 9—12. 

3) Schon Plato hat diesen Einwurf berücksichtigt, die Epikureer haben 
ihn mit grossem Nachdruck geltend gemacht, und die stoische T’heodicee ist 
eifrig mit seiner Widerlegung beschäftigt. Rırrzr (TV, 888) legt daher diesem 
Punkt eine unverhältnissmässige Bedeutung bei. 

4) P. ΠῚ, 38. M. IX, 866. 

5) M. III, 88-90. IX, 868-875. P. II, 41. 

6) M. III, 22—86. IX, 376-389. Ich brauche übrigens wohl kaum su 
bemerken, dass ich dem Sextus auch hier nicht in alle Wendungen seiner 
Dialektik folgen kann. 


κ-  - 
ΑΙ», 


Das Körperliche. ai 


zu Stande kommen ?); wir können uns aber freilich eine Länge 
ohne Breite überhaupt nicht denken, da eine solche weder in un- 
serer Erfahrung vorkommt, noch durch irgend eine Analogie er- 
schlossen werden kann ?); wozu noch kommt, dass beim Aneins 
auderlegen zweier Flächen aus den sie begrenzenden Linien Eine 
Linie, mitbin auch aus den Flächen selbst Eine, und aus den von 
ihnen begrenzten Körpern ein einziger werden müsste, wenn die 
Linien keine Breite haben δ). Ebenso müssten beim Aneinander- 
liegen zweier Körper die Berührungsflächen entweder zu Einur 
Fläche werden, daun wären aber die Körper nicht blos an einan- 
der gelegt, oder sie müssten mit anderen Theilen einander be- 
rühren, mit anderen die Körper, weiche von ihnen begrenzt wer- 
den, dann wären es aber keine blosse Flächen, ohne Tiefe 4): es 
müssten ferner — der Einwurf erscheint uns lächerlich, aber Sex- 
tus trägt ihn mit sichtbarem Wohlgefallen wiederholt vor?) — 
entweder die Körper selbst einander berühren, oder die Flächen, 
von denen die Körper begrenzt werden, oder beide; aber im erste- 
ren Fali wären die Körper ausserhalb ihrer Begrenzungsflächen, 
zweiten fände keine Berührung der Körper statt, im dritten 
wären beide Schwierigkeiten vereinigt. Wie können aber über- 
kaupt die Flächen, die doch keine Körper sind, berähren?*°) Dass 
auch die Undurchdringlichkeit der Körper undenkbar sein soll, 
weil sie nur durch Berührung wahrgenommen werden könnte, die 
Berührung aher weder als Berührung der Theile, noch als Berüh- 
rung der ganzen Körper sich begreifen lasse’); dass der Köftper 
weder etwas wahrgenommenes, noch etwas gedachtes soll sein 
können, weil die Zusammenfassung der Bestimmungen, welche den 
Begriff des Körpers bilden, nicht Sache der Wahrnehmung sei, das 
gedachte andererseits nur aus einem wahrgenommenen abgeleitet 
werden könnte ®) ; dass mit der Denkbarkeit des Körperlichen auch 


1) M. III, 65— 76. 1X, 419 —429. 
3) M. III, 37—59. 1X, 890--- 418. 
3) M. IL, 60-64. IX, 414—418. 
4) P. 1Π, 42 £. 

5) M. III, 77—80. IX, 480-486. 
6) M. 11, 81 £. IX, 484—486. 
7, P. 111, #6 £. 

8) P.III,47£. M. IX, 487 δ᾿ 


Sextus Empirikus. 


Δ des Unkörperlichea verzichtet wird!), will ich bier nur 

z'andeuten. ᾿ 

Neben diesen und einigen anderen metsphysischen Bestim- 
mungen?) werden such die specielleren physikalischen Begrifie 
der Mischung, der Bewegung, der Ruhe, der verschiedenen Ver- 
änderungen, des Werdens und Vergeheas, des Raumes und der 
Zeit von Bexius ausführlich untersucht °). Ich werde diese Erörte- 
rungen hier übergeben dürfen, da nicht blos das Ergebniss bei allen 
ein und dasselbe ist, die Unvollsiehbarkeit der Begrifie, um die es 
sich hendelt, sondern auch das Verfahren des Skeptikers, welches 
wir bisher schon hinreichend kennen gelernt haben, bei allen 
gleiehmässig wiederkehrt. Dagegen sind seine Einwürfe gegen . 
die ethischen Bestimmungen des dogmatischen Sysieme noch kurz 
‚zu berühren. 

Auch hier muss Soxius natürlich seinem skepiischeu Stand- 
peakt getreu bleiben, doch zeigt er auf diesem Gebiet im ganzen 
weniger Schärfe, als auf dem der theoretischen Philosophie. Den 
Haupimgriffepunkt bilden für ihe, wie sich erwarten liess, die Be- 
stimmungen über das Gute und die Glückseligkeit. Diese Bostim- 
mungen scheinen ihm, auch abgesehen von einigen formalen Aus- 
stellungen, mit welchen die Gegner mehr geneckt, als widerlegt 
wordea 4), schon desshalb höchst unsicher, weil sie bei dea ver- 
schiedenen Philosophen so verschieden leuten. Wenn uicht blos 
die Masse der Menschen, sondern selbst die weiserem über diese 
Dinge die widersprechendaeien Aussichten haben, so können Gut 
und Uchel keine natürlichen Begrifle sein, vs kaun mithin wichls 
von Netaer gut oder schlecht sein’). Wean ferner das Gute ais 
der Gegensiaud unseres Strehens bezeichnet wird, so entsteht die 
Frage, ob es unser Streben als solches, oder des von ung erstrebie 
ist, worin wir das Gnte su suchen haben. Jenes iat nicht anzu- 
nehmen, denn das Streben hat ein Ziel ausser sich, in dem erstreb- 
ten; dieses nicht, denn äussere Gegenstände erstreben wir nur 


1) P. III, 49 δ. 

3) Z. B. das Ganse und die Theile P. IL, 315 4. M. IX, 881 ff., die Zahl 
Ῥ, ΠΙ͵ 1δ1 &. M.IV. X, 248 fl. 

3) P. ID, 56-150. Math. X. 

4) Μ. ΧΙ, 7 fi. 81 d. 

δ) P. 111, 179—182. M. ΧΙ, 42 ff. bes. 8. 74—78. 


Die sittlichen Begriffe. | ΔΆ 


wegen des Einflusses, den sie auf den Zustand unserer Soole aus- 
üben, was aber dieseh betrifft, so wissen wir theila nicht, was die 
Seele ist, theils müsste das ὑπο kiernach auf der Vorstellung be- 
raken, aber gerade die Vorstellungen der Menschen vom Guten 
sind durchaus verschieden '). Das gleiche gilt natürlich auch von 
dem Uebel 2). Wir können daher duschaus nicht behaupten , dass 
eiwas von Natur ein Gut oder ein Uebel sei. Könnten wir es aber 
auch, se würde doch dieses Wissen unsere Glückseligkeit nicht 
begründen, sundern zerstören; denn was wir für ein Gut halten, 
dernach müssen wir streben, was wir für eiu Uebel ansehen, das 
mässen wir füehen und fürchten, dio Ammahme von Gütern und 
Uebein versetzt uns daher in den Zustand einer beständigen Un- 
rahe und eines unbefriedigten Sirebens, aus dem wir nur durch 
die Zurückkaltang jeder Entscheidung über diese Dinge befreit 
werden ®). Dass biemit alle praktische Philosophie, alle kunst- 
nässige Anleituag zum glücklichen Leben (τέχνη περὶ βίον) ver- 
worien wird*), versteht sieh, und wenn Sextus dieses Urtheil auf 
de Wissenschaft überhaupt ausdehat, und ganz im allgemeinen zu 
beweisen sucht, es könne nichts gelehrt werden’), so ist auch 
dieses nach seinen Prämissen ganz in der Ordnung. 

Wir sind über die ältere Skopais zu unvellsiändig unterrichtet, 
als dass wir im einzelnen sicher beuriheilen könnten, wie viel von 
den Einwürfen dos Soxtus gegen die dogmatischen Philosophen der 
Sehule des Aonesidemus eigenthümlich angehört, wie- viel sie da- 
gegen von ihren Vorgängern, mementlich von Karacades und sei- 
sen Schülern, entlehnt hat. Dass sich ihre Thätigkeit nicht auf 
blosse Wiederholung der akademischen Beweisführungen be- 
schräukte, ist aazunehmen, und dass auch zu des Lehre des 
Aenesidemus während der zweihunderi Jahre, die zwischen 
im und Sextus in der Mitte liegen, in dem fortwährenden 
4 ‚Streit mit den Dogmatikern manches ueue kinzukem, lässt sich 
gleichfalls nicht bezweifeln. Schon die Geschichte der sueptischen 
Tropen würde dieses beweisen. Aber die wesentliche Rioktung 


1) P.IU, 188--- 181. M. XI, 19-- 89. 

2) M. XI, 90 8. 

ὃ) M.XL,110 . BP. 1, 37. 

4) P. ΠῚ, 188— 279. M. Kl, 168— 266. 

δ) P. III, 255— 279. M.L9—19, XI, 216 8. 


48 Bextus Empirikus. ἢ 


ihrer Kritik war nicht blos den späteren durch Aenesidemus, son- 
dern auch diesem durch die Akademiker an die Hand gegeben, 
und auch von den einzelnen Beweisen stammt vielleicht die Mehr- 
zahl aus derselben Quelle, wenn sie auch von unsern Skeptikern 
formell verarbeitet, und bald specieller ausgeführt, bald der be- 
stimmten Beziehung gegen einzelne Gegner entkleidet, und unter 
allgemeinere Gesichtspunkte gestellt worden sein mögen !). Wir 
haben von Sextus selbst gehört, dass er in wichtigen Abschnitten 
seines Werkes, wie namentlich in seiner Kritik des Götterglaubens, 
dem Karneades folgt; wir erfahren durch denselben ?), dass die 
Akademiker seit Klitomachus die dogmatischen Theorieen mit 
grosser Ausführlichkeit widerlegt haben; es hat alle Wahrschein- 
lichkeit, dass sie hiebei die Gründe, welche wir bei Sextus, oflen- 
bar mehr einem gelehrten Sammler, als einem selbständigen Denker, 
vorfinden, grossentheils schon gebraucht haben. Das eigenthüm- 
lichste in den Beweisen der späteren Skeptiker mögen die formell 
logischen Einwendungen gegen die Möglichkeit des Wissens sein, 
welche zuerst in den füuf Tropen des Agrippa hervortreten. Am 
schwächsten erscheint ihre Kritik der Ethik, für die ihnen doch 
Karneades so tüchtig vorgeurbeitet hatte; gerade seine sonstigen 
Haupigegner, die Stoiker, berücksichtigt Sextus hier gar nicht be- 
sonders. Der Grund davon liegt wohl darin, dass die skeptische 
Schule so wenig, als eine andere in jener Zeit, von rein wissen- 
schaftlichen Gesichtspunkten ausgieng, und dass sie in ihrer prakti- 
schen. Richtung den Stoikern zu nahe verwandt war, um durch eine 
rücksichtslose Bezweiflung der ethischen Grundsätze überhaupt 
und der stoischen Ethik im besondern sich selbst den Boden zu 
zerstören, auf welchen sie sich aus der Unruhe ihrer theoretischen 
Zweifel zurückzog. 

Das aligemeine Ergebniss aller skeptischen Untersuchungen 
liegt in dem Setze, dass sich jeder Behauptung eine andere, und 
jedem Grund gleich starke Gründe entgegensetzen lassen, in der 
Igoadevıx τῶν λόγων. Der Skeptiker wird daher nie etwas dog- 
matisch behaupten, d.h. er wird nie die Ueberzeugung aussprechen, 
dass sich eine Sache so oder so verhalte; er wird auch’ nichts po- 


1) Man vgl. in dieser Beziehung Bexr. Math. IX, 1. 
3) Α. ἃ. Ο. ΄ 


Ergebniss. 48 


ἥν läugnen,, er wird nicht einmal das bestimmt behaupten , dass 
die Dinge unerkennbar sind , sondern er wird alles dahingestelk 
sein lassen, über alle Fragen sein Urtheil zurückhalten 9. Oder 
wie dasselbe auch ausgedrückt wird: das, worauf alle skeptischen 
Beweise zurückkommen, ist die Relativität aller unserer Vorstel- 
lungen ?), wir können nie wissen, wie die Dinge an sieh beschaffen 
sind, sondern immer nur, wie sie uns erscheinen, das Kriterium 
des Skeptikers ist die Erscheinung’). Auch seine eigenen Be- 
weisführungen können insofern nicht auf Wahrheit und Allgemein- 
gültigkeit Anspruch machen; er behauptet nicht, sondern er will 
aur berichten, wie sich ihm eine Sache in dem vorliegenden Mo- 
mente darstellt, und auch wenn er seine Zweifel in der Form ali- 
gemeiner Behauptungen ausspficht, haben wir sie selbst in die 
Unsicherheit des Wissens mit einzuschliessen; wenn er sagt, ich 
will nichts entscheiden, so müssen wir hinzudenken: auch dieses 
selbst nicht, dass ich nichts entscheide *). In der Wirklichkeit liess 
sch freilich dieser Standpunkt, der auch die skeptischen Annah- 
men und Beweise unmöglich gemacht haben würde, nicht durch- 
aus festhalten, und eben bei Sextus tritt diess so unverhüllt hervor, ' 
dass er wohl auch geradezu sagt, wenn man sage, es gebe keinen 
Beweis, so nehme man dabei natürlich den Beweis dieses Satzes 
selbst aus°). Auch sonst lauten seine Ausdrücke nicht selten un- 
gleich bestimmter, als seine Grundsätze eigentlich zuliessen ®). . 
Nur wird darch diese mehr oder weniger unvermeidlichen Inkon- 
sequenzen der skeptische Standpunkt selbst nicht aufgehoben. "᾿ 


1) Pyrrh. I, 8. 8. 10. 12. 26. 187 ff. τ, 0. vgl. P. II, 180. M. VID, 159 
ua. δι. 
2) Vgl. 8.19, 8. 4 
8) P. I, 221, vgl. II, 10. M. VII, 39. 
4) Ρ.1, 4. 18 ἢ 187 ff. 198. 199 f. 206. 11,108. 188. ΜΟΥ͂ΠΙ 418. 480 u ἢ.0, 
Vgl. 8.20, 1. 
5) M. VIII, 479. M. XI, 208 gehört nicht hieber. 
6) 2. Β. M. XI, 140: τὸ δέ γε διδάσχειν τὸ τοιοῦτον ἴδιον τῆς σκέψεως. 
ΜΥ͂ΠΙ, 161: τῶν οὖν ὄντων, φασὶν ol ἀπὸ τῆς σχέψεως, τὰ μέν ἐστι χατὰ διαφορὰν 
τὰ δὲ πρός τί πως ἔχοντα. Nach.den skeptischen Grundsätzen über die Einthei- 
lung wäre weder diese noch eine andere von den zahllosen Unterscheidungen 
möglich, die Sextus seinen Beweisen zu Grunde zu legen gewohnt ist. Math. 
‚, VI, 58: wir können ans nichts denken, wovon uns die Wahrnehmung 
' fehlt. Woher weiss das der Skeptiker? 


46 Bextns Empirikus. 


. "So wenig aber diese Skeptiker ein Wissen irgend einer Art 
zugeben, und so bestimmt sie in dieser Beziehung an der skep- 
tischen ἐποχὴ festhalten, so stimmen sie doch .mitihren Vorgängern 
darin ganz überein, dass das praktische Handeln und das für's 
Handeln nöthige Masss der Usberzeugung auch ohne ein wirkliches 
Wissen möglich sei. Auch der Skeptiker giebt zu, dass ihm etwas 
so oder anders orscheine, dass er sich so oder so afficirt finde, wie 
denn dieses eine Thatsache ist, welche gar nicht von unserer Re- 
flexion abhängt, auch er handelt, je nachdem ihm die Dinge er- 
scheinen; nur als Beweis für das Sein und die Beschaffenheit der 
Dinge will er die Erscheinung nicht gelten lassen '). Ja auch da: 
hält Saxtus für möglich, durch fortgesetzte Beobachtung der Er- 
sobeinungen gewisse Regeln für’s praktische Verhalten zu gewin- 
nen. Denn soll auch der Schluss von der Erscheinung auf das 
Wesen nicht zulässig sein, so geht es doch, wie er meint, recht 
wohl an, die erfahrungsmässige Verknüpfung oder Aufeinander- 
folge gewisser Erscheinungen zu beobachten , es muss mithin auch 
möglich sein, aus dem Daseim der einen das Dasein oder das Ein- 
treten der andern zu vermuthen, es giebt, wie Sexius diess aus- 
drückt, zwar kein beweisendes oder offenberendes, wohl aber ein 
eriunerndes Zeichen”). Es muss mithin auch möglich sein, durch 
fortgesetzte Beobachtung den gewöhnliehen Gang der Dinge ken- 
nen zu lernen, und sich in Beziehung auf die Erscheinungen ge- 
wisse allgemeine Lehrsätze zu bilden). Demgemäss wollten dean 
auch diese Skeptiker die praktisch nützlichen Künste überhaupt 
so wenig , als ihre eigene Kunst, die Heilkunde, in Frage stellen; 
nur den dogmatischen Theorieen als solchen, dem Wissen, das 
über die Erscheinung hinausgreifen will, gelten ihre Angriffe, und 
nur wenn sie über das Gebiet des unmittelbar nützlichen hinaus- 
gehend in wissenschaftliche Spitzfindigkeiten sich verlieren, wer- 
den auch die praktischen Künste von ihnen verworfen). Keine 
geringere Beachtung scheint ihnen aber auch die Gewohnheit und 


0) 


ı) P, I, 18. 28. 287 f£ M. VI, 29. 

2) M. VIII, 161 8. 288 f£. P. II, 99 ff. =. ο. 38, 4. 

8) M. VIII, 291 vgl. V, 108 £. 

4) Man vgl. P. I, 287. 11, 246. M. 1, 50 ἢ, 54. 172. Il, 89. P. 111, 151 
ΜΟΥ, 1 ff. und dazu Rırtza IV, 810 ὦ. 


Praktisches Verhalten. 43 


dag Herkommen zu verdienen, welehes in solchen Fällen, über die 
kein kunsimässiges Urtheil möglich sei, die Stelle der Kunst. ver- 
treten soll); wollen sie doch sogar den Götterglauben und die 
bergebrachte Götterverehrung um der Gewohnheit willen sich ge+ 
fallen lassen *). Noch weniger können sie bestreiten, dass die ne- 
türlichen Triebe gewisse Thätigkeiten von uns fordera, und 50 er- 
geben sich ihnen im ganzen vier Normen für unser Handeln: die 
usmittelbare Wahrnehmung und Reflexion, das natürliche Bedürf+ 
niss, das Gesetz und Herkommen, die Kunst und Erfahrung.°). 
Bextas kommt so für's praktische Leben auf denselben Empirismus 
der Wahrnehmung und des gesunden Menschenversiandes zurück, 
welcher bei den dogmatischen Philosophen seiner Zeit herrschend 
war; dass alle unsere Begriffe.aus der Wahrnehmung euispringen, 
sagt er ausdrücklich, und zwar mit grösserer Bestimmiheit, als dem 
Skeptiker eigentlich erlaubt ist). 

Nur als eine praktische Kunst wollen die Skoptikar auch’ ihre 
Philosophie betrachtet wissen. Der Zweck der Skepsis ist jene 
pyrrhonische Ataraxie, zu welcher der Mensch gelangt, wenn ex 
sich von der Uumöglichkeit des Wissens Aäberzeugt hal. So lange 
wir irgend eiwas für aim Gut oder für ein Uebel halten, werden 
wir von der Unruhe des Erstrebens und Flicheas, von der Angst 
vor Verlust und der Sehnsucht nach Besitz nicht frei werden; sa 
lange wir im Suchen der Wahrheit begriffen sind, könsen wir 
nicht zur Ruhe kommen; nur dem wird diese zu Theil werden, der 
auf jede Meinung verzichtet hat °). Diese Einsicht erwuchs den 
Menschen zunächst aus der Erfahrung. Ueber die Ungleichheit 


1) ML 1, 188. 

2) P. Ill, 2: τῷ μὲν βίῳ καταχολουθοῦντες ἀδοξάστως (die stehende nn 
des Sextus) φαμὲν εἶναι θεοὺς χαὶ σέβομεν θεοὺς καὶ προνοέϊν αὐτοὺς φαμέν. 
lich M. IX, 49. 

8) P. 1,237: ὁ βίος ὁ χοινὸς, ᾧ χαὶ 5 σχεπτιχὸς χρῆται, τετραμερής ἐστιν, τὸ 
μέν τι ἔχων ἐν ὁφηγήσει φύσεως [xa0’ ἣν φυσιχῶς αἰσθητιχοὶ' χαὶ νοητικοί ἐσμεν, wie 
der Ausdruck P. I, 24 erklärt wird], τὸ δ᾽ ἐν ἀνάγχῃ παθῶν, τὸ δ᾽ ἐν παραδόσει 
νόμων τε- χαὶ ἐθῶν, τὸ δ᾽ ἐν διδασχαλίᾳ τεχνῶν. Etwas ausführlicher P. I, 28 f. 
mit der Einleitung: ταῖς φαινομένοις οὖν προφέχοντες χατὰ τὴν βιωτικὴν τήρησιν 
ἀδοξάστως βιοῦμεν, ἐπεὶ μὴ δυνάμεθα ἀνενέργητοι παντάπασιν εἶναι. Vgl ἃ. 17. 
Dioa, IX, 108. 

4) M. VIII, 58. 

δ) P. I, 12. 25—29, vgl, M. ΧΙ, 110 δ, (8. 0. 48, 8). 


[4 


48 Sextus Empirikus. 


der Erscheinungen butroffen suchten sie das wahre vom falschen 
zu unterscheiden; zuletzt ihrer Unfähigkeit inne geworden, ver- 
zichteten sie auf die weitere Untersuchung; da gieng es ihnen aber 
wie dem Maler, dem es nicht gelang, den Schaum eines Pferdes 
darzustellen , bis er am Ende ermüdet den Schwamm auf sein Bald 
warf.uod ihn dadurch hervorbrachte: als sie den Besitz der Wahr- 
heit aufgegeben hatten, machten sie die Erfahrung, dass ihnen die 
Gemüthsruhe als eine natürliche Folge der skeptischen Stimmung 
von selber zufiel. Nachdem man aber einmal diese Erfahrung ge- 
macht hat, so wird nun die Alaraxie auch ausdrücklich vermittelst 
der Skepsis angestrebt: die Ursache des Zweifels ist der Wunsch 
nach Gemüthsruhe, und die Skepsis selbst, welche ebendesshalb 
besser .eine Richtung, als eine Lehre genannt wird 1), ist nichts 
" anderes als die Kunst, zunächst zur Zurückhaltung des Urtheäls, 
weiter zur Ataraxie zu gelangen 3). Ganz frei von Störungen 
kann der Mensch freilich nie sein, aber doch wird er selbst das 
unvermeidliche weit leichter ertragen, wenn ihn neben seinem 
thatsäehlichen Zustand nicht auch noch die Meinung beunruhigt, 
dass dieser-Zustand ein Uebel sei. Auch in solchen Fällen wird 
daher der Skeptiker wenigstens vor heftiger Gemäthsbewegung 
gegchützt sein: die Frucht seiner Philosophie ist für das, was nur 
᾿ Sache der -Einbildung ist, die Ataraxie, für das unvermeidliche 
die Metriopathie 8). Eine weitere Ausführung dieses Grundsatzes 
zu einem Systom besonderer Vorschriften wer seiner Natur nach 
nicht zu erwarten 2). 

Dass sich die späteren Skeptiker in ihren ethischen Ansichten, 
wie in ihrer ganzen Lehre, an die pyrrhonische Schule anschlossen, 
wird von ihnen selbst bereitwillig zugestanden; aber auch von den 
Neuakademikern unterseheiden sie sich nur durch ihr ethisches 
Princip, die übrigen Unterschiede dagegen, welche man hervor- 
gesucht hat, sind bei näherer Betrachtung entweder ganz uner- 


1) Vgl. 8. 21, 2. 
: 2) P.1;8. 19. 25 δ. 
3) P.1, 29 ὦ, Für Ataraxie wurde auch wohl Apathie oder πρᾳότης gesetst 
Dioe. IX, 108, 
4) Auf welche Gründe hin Rırrmz IV, 812 behauptet, die Ansicht des 
Bextus vom sittlichen Leben sei sehr niedrig gehalten, weiss ich nicht; er 
selbst bat sich darüber nicht ausgesprochen. 


Verhältnisse sar neueren Akademie. 239 


keblich, oder gar nicht wirklich vorhanden. Sextus giebt sich 
viele Mühe, die Differenz beider Schulen zu einem grundsätzlichen 
Gegenseiz zu erweitern. Die Akademiker, sagt er mit Aeneside- 
mus, behaupten die Unmöglichkeit des Wissens, die Skeptiker 
lassen nur seine Möglichkeit dahin gestellt sein, jene geben vor, 
zu wissen, dass sie nichts wissen, diese bekennen, dass sie auch 
nicht einmal diess wissen '). Wir haben jedoch schon früher ?) 
gesehen, dass diess, die Akademiker betreffend, positiv unrichtig 
ist. Ein andermal polemisirt Sextus gegen die akademische Lehre 
von der Wahrscheinlichkeit δ). Aber was anders, als das Wahr- 
scheinliche, ist jenes φαινόμενον; dem er in allen praktischen Fällen 
zu folgen räth, und welche andere Ueberzeugung, als die durch 
Wahrscheinlichkeit, nimmt er selbst für seine wissenschaftlichen 
Beweise in Anspruch, wenn er sagtt), diese Beweise wollen nicht 
unumstösslich sein, sondern nur wahrscheinlich? Nach dieser 
Seite hin lässt sich daher durchaus kein bestimmter Unterschied 
der beiden Schulen feststellen, und je wahrscheinlicher es uns nun 
schon früher geworden ist, dass die Skeptiker aueh das einzelne 
ihrer Beweise grossentheils von den Akademikern entlehnt haben, 
um so deutlicher erhellt auch, dass sie es an wissenschaftlicher 
Selbständigkeit ihren philosophischen Zeitgenossen nicht wesent- 
lieh zuvorthaten. Das wissenschaftliche Leben des griechischen 
Volks war ermattet, wir treffen überall nur Epigonen, und erst 
im Neuplatonismus raffte sich der griechische Geist noch einmal zu 
einer letzten bedeutenden Anstrengung zusanımen. 

In ihrer äusseren Ausbreitung war die Schule des Aeneside- 
mus allem Anscheine nach beschränkt. Seneca, der doch jeden- 
falls jünger war, als ihr Stifter, kennt sie noch nicht °), und auch 
von den übrigen gleichzeitigen Schriftstellern wird sie so selten 
erwähnt, dass uns ohne das Excerpt bei Photius, die Schriften des 
Sextus und die Mittheilungen des Galen und Diogenes kaum eine 
Spur von ihrem Dasein übrig wäre. Dass ihre Ansichten aber 
doch auch ausserhalb ihres engeren Kreises Anklang fanden, zeigt 


1) P.I, 8. 226. 283. 

2) 1. Abth. 451. 468. 

8) M. VII, 435 ff. 

4) M. VIII, 478. 

δ) Nat. qu. VII, 82, 2: quis est qui tradat praecepta Pyrrhonis? 
Philos. d. Gr. III. Bd. ὃ. Abtb. 4 


0 Favorinus.. 


das Beispiel des Favorinus '); dem war dieser Mana auch mehr 
Grammatiker und Alterthumsforscher, überbaupt mehr Gelehrter 
und Rhetor, als Philosoph 3). so hat er sich doch hinreichend mit 


1) Favorinus (über den Βλβκιο. Bibl. gr. IIl, 878 f. Bin im Panly’s 
Realencyklop. HI, 440. Müıuxe Fragm. Hist. gr. ΠῚ, 577) lebte unter Traja= 
und Hadrian;. seine @eburt jedoch fällt jedenfalls früher, als Tosjan, und 
auch das γεγονὼς ἐπὶ Τραϊανοῦ bei Ruin. u. ἃ. W. ist wahrscheinlich nicht auf 
sie zu beziehen. Dagegen scheint er Hadrian nicht oder nur um weniges 
überlebt zu haben; Suın. sagt: παρατείνας μέχρι τῶν ᾿Αδριανοῦ χρόνων, und 
Lvosan Eunuch. 7 nennt ihn λίγον πρὸ ἡμῶν εὐδοχιμήσας. Sein Geburtsort war 
Arelate in Gallien (Pun.osre. v. sop®. I, 8, 1. Gern. N. A. Il, 22,20 u. A.); 
dass er als Bunuche oder Hermaphrodit geboren sei, wird von Paıosre. 
a. a. Ο., nach seiner eigenen Aumage, Locıan a. a. O. und Demon. 12 f., 
Soıp. bezeugt. Zum Lehrer hatte er den Dio Chrysostomus (Pnın.oere. I, 8, 3. 7); 
ob auch Epiktet, geht aus ὅπη. N. A. XVII, 19, 1.5. Garux De opt. doctr. 1. 
libr. propr. 2 (Bd. I, 41. XIX, 44) nicht hervor; nach dem letzteren hatte er 
vielmehr den Epiktet, wie es scheint noch bei dessen Lebzeiten, vom aka- 
demiscoben Btaudpunkt aus angegriffen. Bpäter lebte er in Athen, wo er mit 
Demonax zusammentraf (l,vc. Demen. 13 f.), und mit Heroden Attikus eine 
enge Freundschaft schloss (PuıLoste. I, 8, 4); nachher, wie es scheint, in 
Rom (Puitosre. I, 8, 8 f. 7), wo Gellius sein begeisterter Verehrer war (6 τ... 
11, 26. III, 19. IV, ı. XII, 25,2. XIV, 2,11. XV, 8,1. XVII, 10,1. XVII, 
1,1. 16. XVII, 7. XX, 1,2 u.8.). Auch mit Plutarch war er befreundet: 
dieser Ißsst ihn qu. conviv. VIE, 10 auftreten, wi@met ibm die Schrift De 
primo frigido, und soll, dem angeblichen Laurssas (x. τῆς ἀναγραφῆς τῶν 
Πλουτάρχον βιβλίων Nr. 129, Faber. Bibl. V, 164) zufolge, einen Brief (nach 
einer Lesart den über die Freundschaft, von dem Stobäus im Florilegium Bruch- 
stücke giebt) an ihn gerichtet haben; er seinerseits betitelte seine Schrift Aber 
die Gemilthsstimmung les Aksdemikera: Πλούταρχος (Garen De opt. doctr. 1). 
Von seinen Zeitgenossen hoch gefeiert (PriLosre. }, 8, 8.6.7. Qsıı. ΧΥ͂Ι, 8,1. 
XIV, 1, 82), stand er namentlich bei Hadrien in Ganst, und die kaiserliche 
Ungnade, von der Philostratns I,8, 1 --- ὃ berichtet, scheint nach seiner eigenen 
Angabe nicht sebr ernstlich gemeint gewesen zu sein. Ueber seinen leiden- 
schaftlichen Streit mit dem Rhetor Polemo 8. m. PniLoste. 1, 8, δ. 

2) Sowohl Favorin’s, nach BuinDas sehr zahlreiche, Schriften, so weit wir 
davon wissen (ihr Verseichniss bei Fannıc. a. 4. O.), als auch die sonstigen 
Nachrichten, lassen in ihm gans Überwiegend einen Hhetor und Polyhistor 
erkennen; Sur. nennt ihn ἀνὴρ πολυμαθὴς κατὰ πᾶσαν παιδείαν, φιλοσοφίας 
μεστὸς, ῥητορικῇ δὲ μᾶλλον ἐπιθέμενος. Als Bohulredner im Geschmack jener 
Zeit seigt er sich namentlich durch jene Lobreden auf nehlechte und verächt- 
liche Gegenstände, wie sio seit der Zeit der Bophisten im Schwange waren 
(vgl. Bd. I, 786, 2), auf Thersites und auf das Wechselfieber (Gert. XVII, 
13, 3), und ἐπὶ τῶν λήρων (Puunosre, I, 8, 6); anoh die Reden ὑπὲρ τῶν μονο- 


Favorinus. δ᾽ 


Philosophie beschäftigt, um nicht blos den stehenden Beinamen 


des Philosophen zu führen !), sondern auch eine Erwähnung in 


der Geschichte der Philosophie zu verdienen. Und da ist denn 
allerdings, neben den Sittensprüchen und den rednerischen Aus- 
führungen über moralische Gemeinplätze, die von ikm überliefert 
sind 5), und meben einigen naturwissenschaftlichen Erörterungen 
und Annahmen, die an peripatetisches oder stoisches erinnern °), 


μάχων und ὑπὲρ τῶν βαλανείων (ebd.) gehören hieher. Von seinen gelehrten 
Arheiten sind zu erwähnen: die παντοδαπὴ ἱστορία nnd die ἀπομνημονεύματα 
(letztere sind uns nur aus Diogenes Laßdrtius bekannt, ob sie sich aber auf 
Geschichte der Philosophie beschränkten, wissen wir nicht; die Bruchstücke 


beider Schriften hat Mtı.ıur a. a, OÖ. gesammelt; in Betreff der παντοδαπὴ ' 


Ἱστορία jedoch folgert derselbe aus Pnor. Cod. 161 8. 108, b, 1 mit Unrecht, 


dass sie in alphabetischer Ordnung abgefasst gewesen sei, da hier vielmehr . 


nur von einer alphabetischen Bezeiehnung der Bücher die Rede ist, deren es 
κατὰ στοιχέζον gesäblt Al, also 24 waren); ferner die ἐπιτομὴ (Stern. Brz. 
Poxti;), wenn sie nieht ein blosser Auszug aus der παντοδαπὴ ἱστορία war; 
eine Schrift περὶ τῆς “Ομήρου φιλοσοφίας (Bvin.); die Kupnvaxk (Stern. ᾿Αλεξάν- 
δρεια), wehn sie eine eigene Schrift waren. Auch was Θκι 121 von ihm auf- 
geseichnet hat (s. ἃ. Index), ist grösstentbeils grammatisch, antiquarisch und 
rbetoriseh. Vgl. XX, 1, 20, anch Pr.or. qu. rom. 28, 8. 271. 

1) 80 bei Prinosterarus und ganz regelmfssig bei Geıı.ıus. Auch er 
selbst wollte aber, wie sein Lehrer Dio, in erster Linie für einen Philosophen 
gelten. Seire, sagt er bei Gauı. IV, 1, 14 zu einem Grammatiker, quid „penus“ 


su, non ex nostra magis est philosopkia, guam er grammatica tua, und nach- . 


dem er denn doch seine Gelehrsamkeit darüber gezeigt hat, fügt er bei: haec 
ego, cum pAelosophiae me dediesem, non insuper tamen habui discere. 

3) Die meisten derselben finden sich bei Brozius im Florilegium, die Übrigen 
bei Guuurus. Surmas nennt unter seinen Behriften γνωμονολογιχά. Zu diesen 
populär moralischen Schriften, welche an der Grenze der Philosophie stehen, 
gebörte wohl auch die von demselben angeführte Abhandlung περὶ Zwrp&tous 
za τῆς nat’ αὐτὸν ἐρωτιχῆς τέχνης (gegen dieselbe schrieb GaLen, wie er selbst 
De libr. propr. 13. Bd. XIX, 4 sagt), ob auch die περὶ Πλάτωνος und περὶ τὴς 
διαίτης τῶν φιλοσόφων (Suın.), δε: sich nicht ausmachen. 

8) Ro theilt Gert. II, 22 von ihm eine Erörterung über die Namen der 
Winde, 11, 26 eine solche fiber die Farben mit, welche an Aristoteles und 
Posidonins erinnert. Bei demselben XII, 1,18 finden wir in einer Deklamation 
gegen den Gebrauch von Ammen die Aecusserung: patiemurne igitur, infantem 
une nostrum perwietoso contagto infici, spiritum ducere in animum atque in 
Corpus sum 82 corpore et animo deterrimo? Daher komme es, dass die Kiniler 
"0 οὗ den Eltern an Leib und Seele unähnlich werden. Wie sich hierin der 
Bießnss der materialistischen stoischen Psychologie und ihrer Lehre vom 
Paeuma nicht verkennen lässt, so weist das erstangeführte anf peripatetische 


4” 


An. 


83 Favorinus. 


der hervortretendste und beachtenswertheste Zug sein Skepticis- 
mus. Er selbst scheint sich zur akademischen Schule gerechnet zu 
haben 1); zugleich wollte er aber, wie schon der Titel seines 
philosophischen Hauptwerks zeigt ?), auch für einen pyrrhonischen 
Pbilosopben gelten, und wenn er mit den Skeptikern seiner Zeit 
in der Annahme übereinstimmte, dass die Akademiker im Unter- 
schied von den Pyrrhoneern ihr Nichtwissen zu wissen glauben 3), 
so hätte er sich eher zu den letzteren, mithin zu der Schule des 
Aenesidemus, zählen müssen. Indessen hat dieser Unterschied ja 


oder stoisch-peripatetische Quellen, und so mag es hauptsächlich dieses natur- 
wissonschaftliche, überhanpt das gelehrte Interusse sein, was den Favorinus 
zu Aristoteles hinzog. Wir sind daher nicht gonöthigt, es auf einen anderen 
‚Favorinus, als den unsrigen, zu beziehen, wenn Pıur. αὖ. conv. VIII, 10, 2. 
8. 784 sagt: ὃ δὲ Φαβωρῖνος αὐτὸς τὰ μὲν ἄλλα δαιμονιώτατος ᾿Αριστοτέλους 
ἐραστής ἐστι καὶ τῷ Περιπάτῳ νέμει μερίδα τοῦ πιθανοῦ πλείστην. Schon diese Be- 
schränkung auf das πιθανὸν lässt uns vielmehr den Akademiker erkeunen, und 
an sioh ist es nicht wahrscheinlich, dass Plutarch neben dem berühmten 
Favorinus eineu sweiten ohne jede nähere Bezeichnung eingeführt bitte, 

1) Gen. XX, 1, 9. 20 sagt Favorinus zu CHäcilius: scıis enim, solitum esse 
me pro disciplina seciae, quam colo, inquirere potius, quam decernere, und 
dieser zu ihm: degrediare paulisper curriculis istis dispulationum vestrarum 
academicis u. 8. w. @aLEen De opt. doctr. Ant. Bd. I, 40: τὴν εἰς ἑκάτερα ἐπιχεί- 
ρῆσιν ἀρίστην εἶναι διδασχαλίαν ὁ Φαβωρῖνος φησίν. ὀνομάζουσι δ᾽ οὕτως ol ᾿Ακαδη- 
paixot, καθ᾽ ἣν τὴν ἀντιχειμένην προςαγορεύουσι (? vielleicht ist zu lesen: τῶν 
ἀγτιχειμένων προηγοροῦσι oder προαγοροῦσι). 

2) Priuoste. I, 8, 6: τοὺς φιλοσοφουμένους αὐτῷ τῶν λόγων, ὧν ἄριστοι οἱ 
Πνυῤῥώνειοι. Geur. ΧΙ, 5, 5, nachdem er die Grundsätze der pyrrhonischen 
Schule dargestellt hat: super qua re Favorimus quoque subtüissime argutissime- 
que decem libros composuis; Πυῤῥωνείων τρόπων inscribis. Er hielı siob hiebei 
olıne Zweifel an div Tropeu Aenesidem's (s ο. 8. 17 ἢ. 19, 6.7). Weiter nennt 
Gauun ἃ. a. 0. ο. 1, Schl. 8. 42 von ihm drei Bücher περὶ τῆς χαταληπτιχῇς φαν- 
τασίας, das erste Adrian, das zweite Dryson, das dritte Aristarch gewidmet; 
den Πλούταρχος ἢ περὶ τῆς ᾿Αχαδημαϊκῆς διαθέσεως, eine Schrift gegen Epiktet, 
worin er Onesimus, einen Sklaven Pintarch’s, mit Epiktet siob unterreden 
liess, und einen ᾿Αλχιβιάδης (a. a. Ο. 8. 41); Galen trat ihm. mit einer Schrift 
ὑπὲρ ᾿Επιχτήτου entgegen (De libr. propr. 12. Bd. XIX, 44). Endlich sagt 
GaLen noch (De opt. doctr. 6. 5, Schl. 8.52 vgl. c. 1, 8.40): er habe ein ganzes 
Buch geschrieben, un zu zeigen, μηδὲ τὸν ἥλιον εἶναι χαταληπτόν. Vielleicht 
war diess aber auch eines der drei Bücher über die χαταληπτιχὴ φαντασία. 

8) Dass Favorin diese Unterscheidung gut hiess, ist anzunehmen, da sie 
sein Schüler GEuLıus XI, δ, 8 gerade da, wo er von Favaorin’s pyrrhonischen 
Tropen gesprochen hat, vorträgt, 


” Favorinus. 53 


überhaupt nicht viel auf sich, und ist mehr ein Streit um die Worte. 
Der Sache nach stimmte Favorinus in die gemeinsame Behauptung 
aller Skeptiker ein, dass es kein sicheres, begriffiiches Erkennen 
gebe, dass man gleich starke Gründe für und gegen alles aufbrin- 
gen könne, dass daher das richtige wissenschaftliche Verfahren 
allein in der dialektischen Rede und Gegenrede, das Ergebniss . 
jeder Untersuchung in der Zurückhaltung des Urtheils bestehe '); 
und der Widerspruch, den ihm GALEn vorrückt, dass er eine 
wissenschaftliche Ueberzeugung in Einem Athem für unmöglich 
erkläre und es seinen Schülern anheimgebe, sich eine solche zu 
bilden 3), trifft ihn schwerlich in höberem Grade, als alle andern 
Skeptiker auch °): seine Meinung war ja wohl nicht die, dass 
seine Zuhörer darüber entscheiden sollen, welche vun den ent- 
gegengesetzten Annahmen wahr, sondern welche ihnen wahr- 


1) GaLen ἃ. ἃ. Ο. ο. 1,8. 40 (8. ο. 52, 1). Ebd. 8. 41: in seinem Aleibia- 
des καὶ τοὺς ἄλλους τοὺς ᾿Αχαδημιαχοὺς ἐπαινέϊΐ, προςαγορεύοντας [προηγοροῦν- 
τας ἢ μὲν ἑκατέρῳ [— ou) τῶν ἀντικειμένων ἀλλήλοις λόγων, ἐπιτρέποντας δὲ 
τοῖς μαθηταῖς αἱρεῖσθαι τοὺς ἀληθεστέρους. Er sage bier, πιθανὸν ἑαυτῷ φαίνεσθαι, 
μηδὲν εἶναι χαταληκτόν. Ebenso in den drei Büchern gegen die begriflliche 
Vorstellung γενναίως ἀγωνίζεται πειρώμενος ἐπιδειχνύναι τὴν χαταληπτιχὴν φαντα- 
σίαν ἀνύπαρχτον. Vgl. folg. Anm. Als sein eigenes Glaubensbekenntniss wer- 
den wir auch das anzusehen haben, was Gerı.. XI, 5, richtbar aus ihm, über 
die Skeptiker sagt: nihil decernunt, nihil constituunt, sed in quaerendo semper 
constderandoque suni, quidnam sit omnium rerum, de quo decerni constituique 
possii. Sie sagen nicht, dass sie etwas sehen oder hören, sed ita patı adleique, 
quasi videant vel audiant; die Merkmale der Wahrheit und des Irrthums seien 
nach ihnen so vermischt, dass die wahre Beschaffenheit der Dinge unbegreif- 
lich sei, und nur das pyrrhonische Wort tibrig bleibe: od μᾶλλον οὕτως ἔχει 
τόδε A ἐχείνως ἢ οὐθετέρως. Vgl. 8. 20,1, M.s. auch Pıur. De primo frig. 28, 
8. 955. 

2) Es ist diess das immer wiederkebrende Thema der mehrerwähnten 
kleinen Abbandlung Galen’s. 80 ‚gleich e. 1, R. 40: die Slteren Skeptiker 
haben sich einfach mit der Zurtickhaltung des Urtheils begnüigt; ol νεώτεροι 
δὲ, οὐ γὰρ μόνος ὃ Φαβωρῖνος, ἐνίοτε μὲν εἷς τοσοῦτον προάγουσι τὴν ἐπαχὴν, ὡς 
μηδὲ τὸν ἥλιον ὁμολογεῖν εἶναι καταληπτόν᾽ ἐνίοτε δὲ εἰς τοσοῦτον τὴν γνῶσιν, ὡς 
καὶ τόῖς μαθηταῖς ἐπιτρέπειν αὐτήν, sofern sie nämlich (vgl. vor. Anm.) ihren 
Schülern anheimgeben, nachdem sie das Für und Wider gehört, sich zu ent- 
scheidn. 

δ) Galen selbst sagt ja ausdrücklich‘, die andern Skeptiker seiner Zeit 
machen es ebenso, nicht anders wollte aber, nach Cıc. Acad. 11, 18, 60. 
Divin. 11, 72, 150, auch Karneades und seine Schule verfahren. 


δά ᾿ Bedeutung der jüngeren Skepsis. 


scheinlich sei. Auch was ihm weiter vorgeworfen wird, dass er 
die Möglichkeit einer sicheren Erkenntniss doch auch wieder zu- 
zugeben scheine !), gründet sich allem nach nicht auf bestimmte 
Erklärungen in diesem Sinne. Das aber mag wohl sein, dass 
Favorinus, ähnlich wie Cicero, durch die Skepsis, zu des er sich 
bekannte, sich nicht abhalten liess, sich oft viel bestimmter aus- 
zusprechen, als seine Grundsätze eigentlich erlaubten; die aka- 
demische Wahrscheinlichkeitslehre °) bot kiefür einen Anhalis- 
punkt, den auch andere nicht selten in der gleichen Weise benützt 
haben °). 

Favorinus ist allerdings der einzige, bei dem wir einen über 
die engeren Grenzen der Schule hiuausreichenden Kinfluss der 
ünesidemischen Skepsis mit Sicherheit nachweisen können ἢ). 
Doch dürfen wir die Bedeutung dieser Skepsis troiz ihrer verhält- 
nissmässig geringeren Ausbreitung nicht zu niedrig anschlagen. 
Hat sie auch, wissenschaftlich angesehen, nur einen untergeord- 
neten Werth, und erstreckte sich auch ihr unmittelbarer Einfluss 
nur auf einen beschränkteren Kreis, so ist sie uns doch ein Zeichen 
des Zustarides, in welchem sich die Philosophie jener Zeit überhaupt 
befand. Es kommt in ihr das Misstrauen des Denkens gegen sich 
- selbst, die Unsicherheit des wissenschaftlichen Bewusstseins, die 
dem herrschenden Eklekticismus zu Grunde lag, nur zu ihrem be- 
. stimmteren Ausdruck; sie ist ein Symptom der Altersschwäche, die 
sich des wissenschaftlichen Geistes bemächtigt hat, und eben weil 
sie diess ist, zeigt sie auch an sich selbst wenig Frische und 
Eigenthümlichkeit, und bewegt sich ebenso, wie der gleichzeitige 


«-....» 


1) Garen δ, 4. Ο. 8.41: im Alecibiades bestreite er, dass es ein χαταληκτὸν 
gebe, ἐν δὲ τῷ Πλουτάρχῳ ouyxwpelv doxev, εἶναί τι βεβαίως γνωστόν. 

3) Diese haben wir ja auch schon 8. 51, 8. 53, 1 getroffen. 

8) Sonst mag von Favorinus hier noch die gute Kritik der Astrologie bei 
Gerı. XIV, 1 angeführt werden, mit der er sich an die aksdemische Polomik 
gegen den Weissagungsglauben (1. Abth. 466) arischliesst. 

4) Neben ihm ist vielleicht jener Lioinius Bura zu nennen, an den Pli- 
nius zwei Briefe (IV, 80. ΥἹΙ, 27) gerichtet hat. Wir sehen nämlich aus diesen 
Briefen nicht allein, dass er ein Gelehrter war, und sich, wie es scheint, 
namentlich auch mit naturwissenschaftlichen Fragen abgab, sondern Υ], 27,16 
wird ihm auch in den Worten: licei etiam ulramque in partem, ul soles, dispuies 
ein Verfahren zugeschrieben, welches sonst als Eigenthümlichkeit der Aka- 
demikor betrachtet wird. Vgl. 1. Abth. 468, 2. 577,2. 


Bedeutung der jüngeren Akeopsia. 85 


Dogmatismus, in der Hauptsache nur in einer Wiederholung der 
Gedanken, weiche die Früheren an’s Licht gebracht hatten. 

Je weniger aber die Wissenschaft festen Grund in sich selbst 
hatte, um so eher musste dem Denken das Bedürfniss entstehen, 
die Wahrheit, in deren Besitz es sich nicht sicher fühlte, ausser 
sich, in einer höheren Offenbarung, zu suchen, und dieses Be- 
streben musste auch auf die ganze Weltensieht zarückwirken. Aus 
dieser Quelle ist im Lauf des dritten Jahrhunderts der Neuplatonis- 
mus entsprungen, die Vorgänger dieser Richtung finden sich aber 
schon weit früher. Sie sind es, die uns zumächst beschäftigen. 


58 . Vorläufer des Neuplatonismus. 


C. Die Vorläufer des Neuplatonismus. 
Einleitung. 


Die unterscheidende Eigenthümliehkeit der Erscheinungen, 
welche wir unter dem obigen Namen zusammenfassen, liegt in dem 
Versuche, durch göttliche Offenbarung zu einer Erkenntniss und 
Glückseligkeit zu gelangen, die dem wissenschaftlichen Denken als 
solchem versagt ist. Diese Offenbarung konnte zunächst in den 
überlieferten Religionen und in philosophischen Systemen von 
religiöser Färbung gesucht werden; nur dass man in diesem Fall, 
von dem allgemein angenommenen und gewöhnlichen nicht befrie- 
digt, theils dem bekannten einen verborgenen Sinn unterlegte, 
theils auf minder bekanntes, auf die Religionen ferner Länder, 
auf die Mysterien der Vorzeit, auf verschollene Philosopheme zu- 
rückgriff. Um aber den tieferen Gelralt solcher Offenberungen zu 
verstehen, wird der Einzelne aüch seinerseits in ein ähnliches 
Verhältniss zur Gottheit treten müssen, wie diejenigen, welchen 
sie ursprünglich ertheilt wurden, der Philosoph wird als Diener 
der Gottheit betrachtet, und der Besitz des wahren Wissens durch 
die Frömmigkeit bedingt werden. Sofern nun hiebei vorausgesetzt 
wird, dass die Wahrheit, und namentlich die Erkenntniss der 
göttlichen Dinge, durch den wissenschaftlichen Vernunftgebrauch 
als solchen nicht zu erreichen sei, wird die Gottheit aus dem Ge- 
biete des gewöhnlichen Bewusstseins, aus der mit den Sinnen und 
dem Verstand erkennbaren Welt, entrückt werden, sie wird ihrem 
Wesen nach als unbegreiflich und ‘als schlechthin erhaben über 
jede Berührung mit der Welt erscheinen; sofern es aber anderer- 
seits gerade die Offenbarung dieser verborgenen Gottheit, der 
Besitz der jenseitig gesetzten Wahrheit ist, worauf der Philosoph 
ausgeht, wird man sich nach einer Vermittlung umsehen müssen, 
durch welche eine Mittheilung der überweltlichen Gottheit an das 
menschliche Bewusstsein und an die Welt überhaupt möglich wird. 


Angeblich orientaliseher Ursprung. 


Diese Vermittlung liegt nach der objektiven Seite in den Mittel- 
wesen, welche in der Vorstellung von göttlichen Kräften, von der 
Weltseele, von Dämonen, zwischen die oberste Gottheit und die 
Sianenwelt eingeschoben werden, nach der subjektiven in den 
mancherlei inneren und äusseren Reinigungsmitteln, durch die sich 
der Einzelne fähig macht, die höhere Weisheit zu empfangen. Zu 
einem umfessenderen System können sich aber diese Lehren in 
unserem Zeitabschnitt auf griechischem Boden noch nicht aus- 
Diese Denkweise steht nun mit der ursprünglichen Röchteng 
des griechischen Geistes so vielfach im Widerspruch, dass man bis- 
her fast ausnahmslos darüber einig war, sie sei nicht aus der inne- 
ren Entwicklung der griechischen Philosophie, sondern aus frem+- 
den, orientalischen Einflüssen zu erklären. Seibst ein so umsich- 
iger Forscher, wie Rırrar '), bezeichnet sie schlechtweg "als 
„Verbreitung orientalischer Denkart unter den Griechen.“ 80 
allgemein aber diese Annahme auch sein meg, so schwierig ist die 
genauere Angabe der Lehren, welche die Vorgänger des Neupla- 
tonismus (um sie kurz zu bezeichnen) von den Orienteler entiehat 
hätten, und der Quellen, aus denen sie ihnen zugefiossen sein müss- 
ten. Man hat in dieser Beziehung, zunächst aus Anlass der 
alexandrinischen Religionsphilosophie, daran erinnert, dass sich 
im macedonischen und römischen Weltreich durch die Vereinigung 
der Griechen mit den Orientalen das Bestreben erzeugen musste, 
die beiderseitigen Bildusgsformen zu verschmelzen, ihren Gegen- 
satz zu überwinden, und für alle Völker Eine wahre Religion und 
Philosopbie zu verwirklichen. Zu dieser universellen Bildungs- 
form habe das griechische Volk seine Philosophie, der Orient seine 
Religion beigesteuert; aus jener stamme die reine und abstrakte 
Fassung der Goftesidee, aus dieser der Trieb, des Göttlichen 'als 
einer unmittelbar gegenwärtigen Macht sich bewusst zu werden, 
das Bedürfniss fortgehender Offenbarung ; beide Elemente schlies- 
sen ihren Frieden in dem Glauben an göttliche Mittelwesen. 
Die Systeme dieser Richtung sind insofern als die Philosophie des 
Weltreichs bezeichnet, und einestheils durch die Jenseitigkeit des 
Göttlichen, andererseits durch die Forderung des ascetischen oder 


1) Gesch. d. Phil. IV, 522. 


v 


38 Vorläufer des Neuplatonpismus. 


beschaulichen Lebens charakterisirt worden ’). So viel treffendes 
aber diese Bemerkungen auch enthalten, so könmen sie doch swur 
Lösung der verliegenden Aufgabe schwerlich ganz genügen. Der 
‚Begriff einer „Philosephie des Weltneichs”, so, wie er von Gseonası 
bestimmi wird, erscheint theils uls zu eng, theils auch wieder als 
zu weit. Zur Philosophie des Weltreichs müssten alle sacheristo— 
telischon Systeme gerechnet werden, denn sie alle saben die durch 
Alexander bewirkte Verschmelzung der Hellenen und Barbaren 
zur Voraussetzung, und sie alle iragen demgemäss das Gepräge 
jemes Kosmopolitismus, von weichem auch der religiöse Bynkretis- 
mus der Aloxandriner nur οἶδα besondere Form ist; aber von 
orientalisohen Einflüssen lässt sich bei den meisten. von ihnen 
nichts oder nur ein kleinstes wahrnehmen. Wenn andererseils 
Gzonau drei Hauptfermen jener Philesophie aufzählt, auf dem Bo- 
den des jüdischen Monotheismus die Religionsphilosopkie Phile's, 
das EChristenthum und die Kabhala, auf dem der orientalischen An- 
schauusg den (nostieismus, auf dem des Griechenthums die Stoa 
und den Neupisionismus, so stellt er hiebei auch solche Erschei- 
sungen unter den Begriff der Philosophie, weiche wesentlich reli- 
giöser Art sind, und durch deren Aufnahme die Geenzen, innerhalb 
deren sick die Geschichte der Philosophie zu bewegen hat, in's 
unbestinmie verrückt würden. Aber auch das kann ich nur theil- 
weise zugeben, dass das Bewusstsein von der unmittelbaren Gegen- 
wart des Göttlichen in der Welt die unterscheidende Eigenthüm- 
lichkeit der orientalischen Denkweise ausmache. Dieses Bewusst- 
sein fehlt auch der griechischen Philosophie nicht, es hat nament- 
lich in dem sioischen Pantheismus einen Ausdruck gefunden, 
weleher gerade für die halb orientalische Spekulation eines Philo 
wnd seiner Nachfolger zu sierk war: die Stoiker lehren eine we- 
sentliche, die jüdischen Alexandriner und die Neuplatoniker nur 
eine dynamische Immanenz Gottes in der Welt. Nur das muss ich 
einräumen, dass die Annahme übernatürlicher Offenbarungen und 
die Forderung einer über das selbstbewusste Denken hinausgehen- 
den, enthusiastischen Berührung mit dem Göttlichen der griechi- 


1) Geoncnı in der geistvollen Abhandlung „über die neuesten Gegensätze 
in Auffassung der alexandrinischen Religionsphilosophie* in ILLeen’s Zeitschr. 
f. histor. Thool. 1889, 8, 88 ff. 41 8. 


Angeklich orientsliseher Ursprung. ἃ 


schen Philosophie bis zum Auftreien des Neupytbsgoreismus iheils 
ganz fremd war, theils wesigstens ohne tiefere Bedeutung für sie 
geblieben ist’), und hierin mag ıan immerhin, neben dem allge- 
meinen Gegensatz des religiösen und des philonsphischen Stand- ἡ 
punkts, auch dem Unterschied des klaren hellenischen Geisten von 
dem unfroiem Wesen der orienielischen Spekuleiion anerkennen. 
Was dagegen die ihsoretische Fassung der Gotteaidee betrifft, se 
liesse sich eher das umgekehrte, die Transcendenz des Göttliche, 


. als die eigentkämlich orientalische Anschauung behsupten. Die 


griechischu Wissenschaft fand ellerdings selbst in der jüdiachen 
Religion Stoß genug zur Polemik gegen Anthropomorpbissen, und 
der abstraktere Gotteshegriff der jüdischen Alexsadriner beruht 
zunächst auf platonischen und arisioielischen Bestimmungen ; aber 
der Grund hievon liegt in Wesen der Religion und in ihrem Ver- 
kältaiss zur Philosophie überhaupt, und die griechische Religion "ἡ 
kai in dieser Beziehung vor den orienialischen so wenig voraus, 
dass je gerade zur Krikik der auibrepomorphistischen Vorsiellun- 
gen von der Gottheit den reichsten Aglass bot; sehen wir dagegen 
sul die Grundkestimmung des religiösen Verhältnisses, so ist nicht 
blos dem Jademihum , sondern selbst dom oriontelischen Naturreli- 
gionen jone Vorstellung von der Erhaheaheit des Göttlichen über 
die Wei, jene Vorliebe für religiöse WVeberschwänglichkeit 
eigen, welche in der phälonischen und neuplatenischen Tramscen- 
dens ihren achroflsien wissenschaftlieken Ausdruck erhält. Die 
ieisiere war aber freilich wach von philosaphischer Seite durch 
Piato und Aristoteles vorbereitet, und 80 fragt es sich immer, in- 
wieweit wir für die weitere Ausbildung dieser Neigung orianis- 
lische EinAässe suzanehmen genötbigt sind. Nicht einmal die 
Emanstienalehre , su weil sie ia unserem Zeitsbschaitt üherhaupt 
verkommt 5λ, lässt mit Sicherheit auf einen Zusammenhang mit dem 


1) Wie problematisch ist x. B. bei Plato die dogmatische Bedentung der 
Vorstellungen won Dämonen und höherer Offenbarung, und wie tief steht ihm 
folge der Enthusiasmus, welcher einem Philo und Plotin das höchste ist, 
unter dem wissenschaftlichen Denken ! 

2) Strenggenommen passt dieser Name, wie wir finden werden, nicht 
einmal für den Neuplstonismus; denkt man aber bei demselben auch nur 
überhaupt an die Annahme göttlicher Kräfte, welche in geordneter Stufen- 
leiter von der Gottheit zur Sinnenwelt herabfübren, so findet sich selbst diese 


᾿Ξ, 


% Vorläufer des Neuplatonismus, 


‘Orient schliessen. Denn als ein Ausfluss der Gottheit im strengsten 
Sinn werden die Kräfte der Natur und des menschlichen Geistes 
zuerst von den Stoikern betrachtet, denen Philo und Plotin gerade 
für ihre Vorstellung von den göttlichen Kräften so viel verdanken; 
die Bestimmung, dass die Vollkommenheit der abgeleiteten Wesen 
mit ihrer Entfernung vom Urwesen abnehme, spielt in der aristo- 
telischen Weltansicht eine wichtige Rolle; und wie nahe man bei 
dem Versuche, stoische Immanenz und aristotelisch - platonische 
Transcendenz zu verknüpfen, dem Emanationssystem kommen 
musste, kann ausser anderem das Buch von der Welt zeigen ἢ. 
Auch abgesehen von jenen Vorgängern war aber dieses System 
bei der Ableitung des Endlichen aus dem Absoluten, wenn man 
das letztere weder pantheistisch mit der Weltsubstanz identificiren, 
noch dualistisch durch sie beschränken wollte, so schwer zu um- 
gehen, dass wir durchaus nicht berechtigt sind, aus dem gemein- 
samen Gebrauch dieser Vorstellungsweise auf einen geschichtlichen 
Zusammenhang zweier Systeme zu schliessen, wofern nicht speciel- 
lere Anzeichen davon vorliegen. 

Ist es nun schon im allgemeinen sehr zweifelhaft, ob die Ab- 


hängigkeit der späteren griechischen Philosophie vom Orient wirk- 


lich 80 weit gieng, wie man gewöhnlich annimmt, so ist -es auch 
nicht ganz leicht, zu bestimmen, von weın jener "maassgebende 
orientalische Einfluss ausgegangen sein sollte. Halten wir uns zu- 
nächst an den heidnischen Orient, so kann an eine Einwirkung der 
ägyptischen Volksreligion, von der sowohl Philo als die Neupytba- 
goreer mit der grössten Geringschätzung reden, nicht wohl ge- 
dacht werdey, da keine ihrer eigenthümlichen Vorstellungen in die 
Philosophie, mit der wir es hier zu thun haben, tiefer eingreift, 
mögen auch die Mythen von Isis und Osiris gelegentlich zu pbilo- 
böphischer Ausdeutung benützt werden; die priesterliche Geheim- 
weisheit aber, an die man wohl gedacht hat, ist selbst mehr als 
problematisch, und in den Lehren, um deren Erklärung es sich für 
uns handelt, ist nichts, was uns zur Vorausseizung einer. 80 unbe- 
kaunten und unwahrscheinlichen Quelle ein Recht gäbe. Von den 


vor Plotin mit einiger Bestimmtheit nur bei Philo, und auch bei ihm ist sie 
erst unvollkommea ausgebildet. 
PH Vgl. τ. Abth. δ. 866 f. 


Verhäliuiss sum heidnisohen Orient. 6 


Cheildäern hätte höchstens der astralogische Aberglaube entlehnt. 
werden können, welchen die Philosophen der neupythagoreischen 
Richtung theils ausdrücklich bekämpfen, theils nur nebenher und 
in jener unbestimmten Allgemeinheit sich aneiguen, in der. er schon 
längst in die Volksvorstellungen und auch in den steischen Wei- 
segungsglauben übergegangen war. Der persische Dualismus ist 
allerdings dem neapytbagoreischen und philonischen verwandt ge-- 
nug, um von Männern dieser Richtung als Zeuge für ikre Ansich- 
ten gebraucht zu werden; aber gerade die unterscheidenden Eigen- 
thümlichkeiten des ersteren sind bei dem letzteren zu vermissen : 
dort raht der Dualismus wesentlich auf dem Gegensatze des Lichts 
und der Finsterniss, als allgemeiner Naturmächte, hier theils auf 
der ethischen Unterscheidung von Vernwmft und Sinnlichkeit, theils 
auf der metaphysischen von Geist und Materie, und die weitere 
Ausführung desselben hat dori ihren Mitlelpunkt im dem Kampfe 
der guten Geister mit den bösen, hier in dem Kampfe des Geisies 
mit den materiellen Elementen der Welt und des Menschen, neben 
weichem die Annahme böser Dämonen theils nur in untergeord- 
neter Bedeutung herspieit, theils auch ganz aufgegeben wird. Wenn: 
endlich auf die Aehnlichkeit mancher alexandrinischen Lehren und 
Einrichtungen mit indischen, namentlich buddhistischen , grosses 
Gewicht gelegt wurde, so hält dem Groraıı 1), zunächst in Betreff 
Philo’s, mit Recht entgegen: die Produktivität des menschlichen 
Geistes könne sich unter gleichen Bedingungen auch in gleichen 
Formen äussern; so gross diese Gleichheit aber im vorliegenden: 
Fall auch beim ersten Anblick erscheinen möge, so verschwinde 
sie doch 80 gut wie ganz, wenn wir das indische und das philo- 
tische System in ihr Princip verfolgen; dort sei reiner Pantheis- 
mus, hier dualistischer Emanatismus; dort entstehe alles aus der 
Gottheit allein, hier aus Gott und dergleich ursprünglichen Materie, 
dort erscheine alles Gewordene als behaftet mit der Materialität, 
hier seien immaterielle Mittelwesen, dort sei das höchste Ziel Selbst- 
vernichtung, hier Vertiefung in die Gottheit, als das absolut Wirk- 
liche. Noch weit geringer ist die Aehnlichkeit der neupyihegorei- 


I) A. a. O. 60 ff., wo auch die Litteratur über diese Frage. Denvelben 
8.55 ff. vgl. man in Betreff des angeblich persischen, Agyptischen nnd chal-' 
Uischen bei Pbilo. 


θ᾽ Vorläufer des Neuplatonismus. 


schen Vorstellungsweise mit den indischen Systemen. Nehmen wir 
dasu, dass von einer nachhaltigen geschichtlichen Berährung der 
Griechen mit indischer Weisheit nichts bekannt ist, und dass die 
eigenen Aussagen der Alexandriner und Neupytkagoreer, mit Aus- 
nadmıe des ‚späten und unzuverlässigen Philostratus, weder eine 
Abhängigkeit ihrer Lehre von der indischen behaupten, noch eine 
nähere Bekammtschaft mit dem indischen Wesen beweisen, so muss‘ 
uns dieser ganze Zusammenhang schr zweifelhaft erscheinen. 
Weit mehr liesse sich für die Behaupiung geltend machen, 
dass das Judenthum nicht blos zur Entstehung der jüdisch-alexan- 
drinischen , sondern aach der neupythagoreischen Philosophie mit- 
gewirkt. habe. Für's erste nemlich ist auch diese, wie wir finden 
werden, aller Wahrseheinlichkeit nach ebenso, wie jene, in 
Alexendrien, also indem Ort emistanden, in welchem das Juden- 
thum.ie die tiefste und folgenreichste Berührung mit der griechi- 
seben Philesophie trat; und dass sich ia diesem Verkehr die Juden 
nur.aufnehmend verhielten, und nicht auch ihrerseits durch ihre 
religiösen Amschauungen mit der Zeit einigew Einfluss smf die 
Griechen gewannen, lässt sich kaum anmehmen. Im Judentkum sind 
ferner jene Eigenthümlichkeiten, ia denen wir die wesentlichen 
Berührungspunkte des späteren Pythagoreisnus und Piatonismus 
mit der orientalischen Denkweise anerkamnt haben, — einestheils 
die Ueberweltlichkeit des Göttlichen, anderntheils der Glaube an 
unmittelbare Offenberungen, und die prophetisch - ekstatische 
Form dieser Offenberungen, — em schärfsten ausgeprägt; auf 
jüdischem Boden, bei den Sekten der Therapeuten und Essener, 
finden wir, wie diess später gezeigt werden wird, einige der frühe- 
sten Spuren vom Dasein des Neupythagoreismus, in der jüdischen 
Spekulation Philo’s hat sich die Richtung, welche beiden Theilen 
gemein ist, schneller und kräftiger, als in der gesammten helleni- 
sohen Wissenschaft vor Pletin, entwiekeit. Es wird keime zu kühne 
Vermuthmg sei®, wenn wir annehmen, der jüdische und der 
griechische Alexandrinismus hängen schon in ihrer Wurzel zusam- 
men, und diese ganze Denkweise habe sich erst aus der Reibung 
‚und Mischung der beiden Bildungsformen, der jüdischen und der 
griechischen, erzeugt. Nur werden wir uns auch in diesem Fall 
vor der Meinung zu hüten haben, als ob das eigenthümliche derselben 
nur ein der griechischen Wissenschaft äusserlich eingeimpftes fremd- 


Dune Zul 


Verhältniss zum Judenthum. 68 


arliges Element sei, den grösseren Beitzag muss vielmehr jedenfalls. 
die kräftigere griechische Bildung geliefert haben. Nicht blos die 
wissenschaftliche Form und Methode des philosophischen Sysiems, 
ist eigenthümlich bellenisch, nicht blos die einzelaen Begriffe und 
Sätze desselben sind zum weitaus grösseren Theil, selbst bei Philo, 
von Plato, von Aristoteles, von den Stoikern, von den Pytbagoreern 
entlehnt, sondern die ganze Richtung der alexandrinischen Speku- 
lation hat die Entwicklung der griechischen Philosophie zu ihrer. 
wesentlichen Voraussetzung, und ist-durch sie von den versehie- 
deusten Seiten her vorbereitet. Wenn die neuen Platoniker und, 
Pyikagoreer die logischen und naturwissenschaftlichen Unier- 
Sachungen vernachlässigen, und sich dafür fast ausschliesslich den 
theologischen religiösen und ethischen Fragen zuwenden, so folgen 
sie nur einer Neigung, von weleker die gesammte Philosephie. 
ihrer Zeit beherrscht wird, und welche namentlich für Philosophen, 
wie Antiochus Cicero und ihre Nachfolger, so bezeichnend ist. 
Wie ferner bei diesen mit jeaem Uebergewicht des praktischen 
Interesse’s über das wissenschaftliche die eklektische Verbindung 
von ursprünglich verschiedenen und ungleichartigen Lehrbestim- 
mungen Hand in Hand geht, so wird uns der gleiche Zug auch bei. 
den Männern der alexandrinischen Schule begegnen. Fügen end- 
lich die letzteren zu den philosophischen Auktoritäten die religiösen, 
wollen sie die Philosophie selbst als eine Offenberung und einen 
Gottesdienst, die Philosopben als Werkzeuge der Gottheit betrach- 
tet wissen, und lehnen sie sich im Zusammenhang damit theils an 
die positive Religion, theils an eine dualistische Metaphyaik an, so 
ist doch auch diese Wendung durch die bisherige philosophische 
Eatwicklung angebahat. Denn einerseits hatie sich der Staicis- 
mus schon in ein ähnliches Verhältniss zur Religion gesetzt, und 
hamentlich durch den ausserordentlichen Werth, den er der Weis- 
ssgung beilegte, das Bedürfniss einer höheren Offenbarung ent-. 
schieden ausgesprochen '); andererseits musste dieses Bedürfnisse 
durch die Skepsis, und überhaupt durch jenes weitverbreitete Ge-: 
fühl wissenschaftlicker Ermattung, dessen schärfster theoretischer 
Ausdruck die Skepsis ist, erzeagt und genährt werden. Wenn das 
Denken daran verzweifelt, die Wahrheit in sich zu finden, se iss 


1) Man vgl, hierüber 1. Abth. 288 ff., wamentlich 8. 916. 82%. 


64 Vorläufer des Neuplatonismus,. 


es natürlich, dass es sie ausser sich sucht; wenn man das Ver- 
trauen zur Wissenschaft verloren hat, wirft man sich dem Glauben 
in die Arme. Während aber nüchterneren Naturen in dieser Be- 
ziehung der Glaube an die angeborenen allgemeinen Vernunft- 
wahrheiten genügte, wie wir ihn in dem griechisch-römischen 
Eklekticismus gefunden haben, so giengen erregtere und religiöser 
gestimmte dazu fort, die Wahrheit nicht blos aus dem wissenschaft- 
lichen Denken, sondern aus dem menschlichen Bewusstsein über- 
haupt hinauszuverlegen, ihre Mittheilung von einer göttlichen 
Oßfenberung zu erwarten, und ihren Besitz an alle die religiösen 
Vermittlungen zu knüpfen, durch welche man sich mit der Gottheit 
in Verbindung zu setzen hoffte. Die Neigung dazu musste nun 
natürlich durch eine Atmosphäre, wie die alexandrinische, in 
hohem Grade begünstigt werden. Wo alles von Wunder- und 
Offenbarungsglauben erfällt, für Aberglauben und religiöse Schwär- 
merei empfänglich war, konnten auch die Philosophen um so leichter 
von der gleichen Stimmung angesteckt werden, auch ihrerseits 
auf die Auktorität gottgesandter Männer, wie Pythagoras, zurück- 
gehen, und den Versuch machen, durch mystische Spekulation und 
ascelisches Leben in Verbindung mit der Gottheit zu kommen und 
in den Besitz der Wahrheit zu gelangen, die dem wissenschaftlichen 
Bewusstsein entschwunden war. Aber so nachhaltig der Anstoss 
auch gewesen sein mag, den die alexandrinische Philosophie von 
dieser Seite her erhielt: ihrem Inhalt nach gehört sie doch ganz 
überwiegend dem Griecheathum an, und wenn sich in ihr orienta- 
lische Einflüsse mit griechischen Bildungselementen vermischen, 
sind doch diese als die stärkeren und beherrschenden zu betrachten. 

In ihrer weiteren Entwicklung spaltet sich aber diese Schule 
allerdings in zwei Aeste, einen rein griechischen und einen grie- 
chisoh-jüdischen. Beide sind sich vermöge ihres gemeinsamen 
Ursprungs nahe verwandt, und haben auf einander und auf den 
weiteren Gang der griechischen Philosophie eingewirkt; die gegen- 
wärtige Darstellung hat sich daher mit beiden zu beschäftigen. Der 
christliche Alexandrinismus dagegen, den man als eine dritte Form 
dieser Spekulation anführen könnte, liegt ausserhalb ihrer Grenzen: 
theils weil er sich erst später von dem jüdischen abgezweigt und 
in die griechische Wissenschaft allem nach nie tiefer eingegriffen 
hat, theils weil in ihm das christliche Element über das hellenische 


Neupythagoreer. 65 


so entschieden im Uebergewicht ist, dass wir seine Darstellung der 
Geschichte der christlichen Wissenschaft überlassen müssen. 


l. Die rein griechische Entwicklungsreihe: die Neu- 
pytbagoreer, die pythagoraisirenden Platoniker, die 
späteren Stoiker. 

1. Das erste Auftreten des neuen Pythagoreismus; Zeit und Ort 
seiner Entstehung. 

Die pythagoreische Schule verliert sich, wie früher bemerkt 
wurde, als philosophische Schule im Laufe des vierten Jahrhun- 
derts aus der Geschichte. Dagegen finden sich gerade um diese 
Zeit zahlreiche Spuren von der Verbreitung der orphisch-pythago- 
reischen Mysterien; und als die unterscheidende Eigenthümlichkeit 
diesesMysterienwesens werden die gleichen Enthaltungen bezeich- 
net, die uns auch schon früher in der orphischen Ascese begeg- 
nen !). Bei den Dichtern der mittleren attischen Komödie, in den 
letzten Jahrzehenden des vierten Jahrhunderts, scheint dieser 
orphische Pythagoreismus ein sehr beliebter Gegenstand ihrer 
Scherze gewesen zu sein,- was doch immer beweist, dass er eben 
damals in Athen Anhang und Bedeutung gewonnen hätte; und 
einige Bruchstücke jener Dichter sind es, durch die wir zunächst 
etwas näheres von ihm erfahren. So bezeugt Antiphanes, die Anhän- 
ger des Pythagoras essen nichts lebendiges 3), und um einen Geizhals 
zuschildern, sagter, er habe keinerlei Speisen, ausser den Zwiebeln, 
in sein Haus gelassen, nicht einmal von denen, welche der preis- 
würdige Pythagoras genoss. Von Alexis erfahren wir, dass die 
Freunde des pythagoreischen Lebens kein Fleisch assen und keinen 
Wein tranken, um sich statt dessen mit Wasser und Brod, mit ge- 
trockneten Feigen, Oliventräbern und Käse zu begnügen, dass 
auch ihre Opfer nur hierin bestanden, dass sie sich nicht zu baden 
pflegten, und sich eines schweigsamen Ernstes befleissigten ®). 

1) Μ. 6. hierüber Bd. 11, a, 24. 26, auch Praro Gess. VI, 782, C. — Das 
nächstfolgende ist meiner Abhandlung „über den Zusammenhang des Essäis- 
mus mit dem Grriechentbum“ Theol, Jahrbb. XV, 407 f. entnommen. 

2) BeiArnuen. IV, 161 a (das weitere. ebd. III, 108, Ὦ : 

πρῶτον μὲν ὥσπερ πυθαγορίζων ἐσθίει 
ἔμψυχον οὐδὲν τῆς δὲ πλείστης τοὐβολοῦ 


μάζης μελαγχρῇ μερίδα λαμβάνων λέπει, 

8) Ατησα. IV, 161, b: οἱ πυθαγορίζοντες γὰρ, ὦ ὡς ἀχούομεν, 
οὔτ᾽ ὄψον ἐσθίουσιν, οὔτ᾽ ἄλλ᾽ οὐδὲ ἕν 
ἔμψυχον, οἶνόν τ᾽ οὐχὶ πίνουσιν μόνοι. 

Philos. ἃ, Gr. II. Bd. 2. Abth. 5 


66 Neupythagoreer. 


Aehnlich äussern sich Aristophon !) und Mnesimachus ?), und ver- 
wandte Schilderungen muss die Pythagoristin des jüngeren Krati- 
nus®) enthalten haben. Zu diesen pythagoreischen Asceten ge- 
. hörte jener Diodor von Aspendus *), welcher um den Anfang des 
dritten Jahrhunderts durch seine cynische Lebensweise Aufsehen 
erregte, wenn auch die Angabe, dass er dieselbe bei den Pythe- 
goreern zuerst aufgebracht habe, nach dem eben angeführten nicht 
‘richtig sein kann. Auf die Fortdauer einer pythagoreischen 
Schule weisen ferner die Erweiterungen, welche die Sagen über 
Pythagoras während der alexandrinischen Periode erfuhren °); und 


Ebd. πυθαγορισμοὶ καὶ λόγοι 

λεπτοὶ, διεσμιλευμέναι τε φροντίδες (ausgeschnitzelte Grübeleien) 

τρέφουρ᾽ ἐχείνους" τὰ δὲ χαθ᾽ ἡμέραν τάδε" 

ἄρτος καθαρὸς εἷς ἑκατέρῳ ποτήριον 

ὕδατος. 

Ebd. ἢ δ᾽ ἐστίασις ἰσχάδες καὶ στέμφυλα 
καὶ τυρὸς ἔσται" ταῦτα γὰρ θύειν νόμος 
τοῖς Πυθαγορείοις. 

Ebd. ἔδει θ᾽ ὅπομέίναι μιχροσιτίαν, ῥύπον, 

Ötyog, σιωπὴν, στυγνότητ᾽, ἀλουσίαν. Bei der σιωπὴ schon an die 
Echemythie der späteren Pythagorassage (Bd. I, 226, 3) zu denken, sind wir 
nicht genöthigt. 

1) Bei Dioc. VIII, 38: ἐσθίουσί τε 

λάχανά τε καὶ πίνουσιν ἐπὶ τούτοις ὕδωρ. 

φθείρας δὲ καὶ τρίβωνα τήν τ᾽ ἀλουσίαν 

οὐδεὶς ἂν ὑπομείνεις τῶν νεωτέρων. Vorber lässt der- 
selbe erzählen, nur die Pythagoristen dürfen im Hades mit Pluto an Einem 
Tisch speisen (vgl. biezu Bd. I, 48, 2), worauf ein anderer erwiedert: δυςχερῆ 
θεὸν λέγεις, el τόϊς ῥύπου μεστσῖσιν ἥδεται ξυνών. Eine ähnliche Schilderung von 
ihm findet sich bei ΑΤΉΒΝ. VI, 238, c und ebd. IV, 161, 6 sagt er: die Pythago- 
sisten haben ja den Sohmuts (furäv) und die rauhen Kleider (τρίβωνες) nur dess- 
halb zum Grundsatz gemacht, weil sie nichts besseres haben, wenn map ihnen 
Fische und Fleisch vorsetszte, würden sie alle Finger darnach lecken. 

2) Bei Dıoe. VIII, 87: ὡς πυθαγοριστὶ θύομεν τῷ Λοξίᾳ 

ἔμψυχον οὐδὲν ἐσθίοντες παντελῶς. 

8) Dıoe. Δ. a. Ο. 

4) M, s. ber ihn Bd. I, 243, 2, wo aber Dıoa. VI, 18 stehen, und für die 
Zeitbestimmung Araen. VIII, 860, 6. 848, a beigefügt sein sollte. Da nach 
Aruzn. IV, 168, of. Timon der Phliasier, Timäus aus Tauromenium und Sosi- 
krates Diodor’s erwähnt hatten, muss er eine in seiner Zeit sehr bekannte Per- 
sönlichkeit gewesen sein. 

δ) Es ist freilich in den meisten Fällen unmöglich, im einzelnen mit Bi- 


- 


Ursprung: pythagoreische Mysterien. 67 


aus demselben Kreise mögen jene mythischen Schriften hervor- 
gegangen sein, welche schon um den Anfang des- zweiten vor- 
christlichen Jahrhunderts unter Pythagoras’ Namen im Umlauf 
waren!). Da nur ferner die Verbreitung der orphisch-dionysischen 
Geheimdienste, mit welchen die pythagoreischen yon Anfang an so 
eng zusammenhiengen ?), für die Jahrhunderte nach Alexander 
ausser Zweifel steht, und da dieselben, wie die Geschichte der rö- 
mischen Bachanalien beweist, in der ursprünglichen Heimath des 
Pythagoreismus, und namentlich in Tarent, dem Schauplatz seiner 
letzten glänzenden Nachblüthe, einen Hauptsitz hatten 5), da es 
endlich die pythagoreischen Mysterien sind, aus deren Verbindung 


cherheit zu bestimmen, wann die verschiedenen Bestandtheile der Pythagoras- 
sage entstanden sind, und wie vieles von dem, was uns aus Sehriftstellern des 
dritten und zweiten Jahrhunderts mitgetheilt wird, erst nach Aristoxenus zu 
den älteren Ueberlieferungen der Schule hinzukam. Doch wird man die An- 
gaben des Neanthes, Hermippus, Alexander Polyhistor über den Unterricht, 
den Pyihagoras bei Chaldäern, Persern, Brahmanen, Thraciern und Galliern 
genossen babe (s. Bd. I, 219. 221, 1 vgl. 220, 1), theils an sich selbst, theils 
wegen des Stillschweigens, das noch Aristoxenus hierüber beobachtet zu ha- 
ben scheint, unbedenklich der Tradition des alexandrinisohen Zeitalters zu- 
weisen dürfen; und wenn die Hadesfahrt des Pythagoras unter den uns be- 
kannten Zeugen zuerst bei Hieronymus und Hermippus, die Gütergemeinschaft 
der Pythagoreer bei Epikur und Timäus, die Sage von den Pythagoreern, 
welche sich lieber tödten liessen, als dass sic ein Bohnenfeld betreten hätten, 
und die abenteuerlichen Vorstellungen tiber das Ordensgeheimniss der Pytlıa- 
goreer bei Hermippus, Hippobotus und Neanthes vorkommen (m. 58, ἃ. a. Ὁ. 

224,4. 227, 3. 7. 232, 2), so lässt diess immerhin vermuthen, dass in der Zeit, 

der diese Schriftsteller angehören, die Pythagorassage in fortdauernder Ent- 
wicklung begriffen war. - 

1) Vgl. Bd. I, 209, 3. 

2) Ebd. 8. 47 ff. 282 ff. 381. 

8) Ueber die bacchischen Geheimdienste, welche sich um den Anfang des 
zweiten Jahrhunderts in Rom verbreitet hatten, und welche i. J. 186 v. Chr. 
durch die Ausschweifungen und Verbrechen, deren Deckmantel sie geworden _ 
“ären, zu einer über ganz Italien ausgedehnten Untersuchung, zur Hinrich- 
tung and Einkerkerung von Tausenden und zu einem Verbot dieses ganzen 
Kultus führte, s. m. Liv. XXXIX, 8— 19. XL, 19. PreLzer Röm. Mythol. 714 ff. 
AusLivius(XXXIX, 9. 13.18.41. XL, 19) ergiebt sich, dass diese Mysterien theil« 


‘ von Etrurien, theils von Campanien aus nach Rom verpflanzt worden waren, 


dass sie in allen 'Theilen Italiens zahlreiche Anhänger zählten, und dass dir 
Untersuchungen in Tarent bis zum Jahr 184, in dem benachbarten Apulien 
sogar bis 181 v. Chr. fortdauerten. 

5 * 


68 Neupythagoreer. 


mit dem Judenthum im zweiten Jahrhundert vor Christus der 
Essäismus hervergieng 1), so lässt sich nicht bezweifeln, dass sich 
dieser Pythagoreismus als eine religiöse Lebens- und Kultusform 
auch während der alexandrinischen Periode erhielt. 

Weit zweifelhafter ist es, ob auch die pythagoreische Philo- 
sophie sich während dieses Zeitraums irgendwo in der Lehrüber- 
lieferung einer wissenschaftlichen Schule fortpflanzte. Nach 
Arıstoxenus wäre die pythagoreische Schule zu seiner Zeit, um 
320 vor Christus, ausgestorben gewesen ?), und wir begegnen ihr 
wirklich in dem eigentlichen Griechenland von da an nicht mehr, 
wenn auch ihre Lehren, mit den platonischen vermischt, sich in 
der alten Akademie noch längere Zeit erhielten. In Grossgriechen- 
land mag sie allerdings länger fortgedauert haben, und so wird von 
einem Dichter der mittleren Komödie über die Spitzfindigkeiten ge- 
klagt, durch welche die „Tarentiner“ den Laien in Verwirrung 
bringen 5); doch in Ausdrücken, die mehr für eine Schule der 
Rhetorik‘, als der Philosophie, passen würden. Gegen das Ende 
des dritten Jahrhunderts soll Cato in Tarent von Nearchus einen 
pythagoreischen Vortrag gehört haben %; indessen ist diese An- 
gabe viel zu wenig verbürgt, als dass sich aus derselben auch nur 
mit einiger Sicherheit auf den Fortbestand einer pythagoreischen 


1) Hierüber tiefer unten. 

2) Vgl. Bd. I, 242, 4.5. Damit stimmt Dıonor XV, 76 überein, wenn er zu 
Ol. 103, 3 (366 v. Chr.) bemerkt, es haben damals neben Plato und Aristoteles 
auch die letzten Pythagoreer noch gelebt. 5 

8) Aus des jüngeren Kratinus, „Tarentinern® führt Dıioe. VIII, 37 die 
Verse an: 

"Edog ἐστὶν αὐτόΐς, ἄν τιν᾽ ἰδιώτην ποθὲν 

λάβωσιν εἰςελθόντα, διαπειρώμενον 

τῆς τῶν λόγων ῥώμης ταράττειν χοὶ χυχᾶν 

τοῖς ἀντιθέτοις, τοῖς πέρασι, τοῖς παρισώμασιν, 
: τόϊς ἀποπλάνοις, τοῖς μεγέθεσιν νουβυστιχῶς. 

4) Cıc. Cato 12, 89: accipite enim, optimi adolescentes, veierem orationem 
Archytae Tarentini .. . quae mihi tradita est, cum essem adolescens Tarenti cum 
Q. Maximo (209 v. Chr.).. Nachdem dann der Inbalt dieses Vortrags, eine red- 
nerische Ausführung gegen die Lust, angegeben ist, fügt Cato bei, sein Gast- 
freund Nearchus in Tarent babe ihm nach Alterer Ueberlieferung ersäblt, dass 
bei demselben Plato und der Samniter C. Pontius anwesend gewesen sei. Das- 
selbe bei Pı.ur. Cato maj, 2, der aber schwerlich eine andere Quelle gebabt 
hat, als unsere Stelle. 


Pythagoreische Philosophie in Italien. 69 


Schule in Tarent schliessen liesse '). Dass allerdings -die Erinne- 
rung an Pythagoras um jene Zeit in Italien noch fortlebte, erhellt 
schon aus der Sage von seiner Verbindung mit Numa, die uns in 
Rom bald nach dem Anfang des zweiten Jahrhunderts begegnet 3), 
und aus dem Gebrauch, welchen Ennius im Eingang seiner Anna- 
len von der Lieblingslebre der Pythagoreer machte, wenn er sich 
von Homer im Traum erzählen liess, die Seele dieses Dichters sei 
erst in den Leib eines Pfaues, dann in den seinigen gewandert °). 
Aber für die Fortdauer der pythagoreischen Schule folgt auch dar- 
aus nichts. Denn jener Pythagoreismus des Numa ist jedenfalls 


1) Dass nämlich Cato jenen Vortrag damals wirklich gehört hat, diess 
steht natürlich um nichts fester, als dass er die Reden gehalten hat, welche 
ibm Cicero in den Mund legt, oder als irgend eine von den Erdicbtungen, durch 
welche Plato seinen Bokrates in den Stand setzt, über eleatische, pythagoreische, 
beraklitische Philosophie als Saohkenuer zu sprechen; erwägt man vielmehr, 
dass Cato nach Plutarch’s eigenem Geständniss, so viel man sonst wusste, erst 
epät mit griechischer Bildung bekannt wurde, und dass der angebliche Vor- 
trag des Archytas (vgl. Bd. I, 244, 3) wahrscheinlich dem Aristozenus ent- 
nommen ist, so wird man nicht umhin können, seine Ueberlieferung durch 
Nearchus ebensogut, als die angeblich mündliche Ueberlieforung eines archy- 
telschen Ausspruchs im Lälius 23, 88, für eine Erfindung Cicero’s su halten. 
Dann hat man aber auch für die Existenz des Nearchus keinerlei Bürgschaft 
mehr, und noch viel weniger dafür, dasser entweder selbst Pythagoreer war (was 
ohnedem erst Plutarch sagt), oder doch mit einer noch bestehenden pythago- 
reischen Schule in Verbindung stand. — Der angebliche Verkehr des Bamniters 
Pontius mit Archytas hätte, selbst wenn ibm eine geschichtliche Erinnerung 
zu Grunde läge, mit unserer Frage nichts zu thun, und ebensowenig die Bild- 
säule, welche Pythagoras (vgl. Bd. I, 225, 4) zur Zeit der Samniterkriege in 
Rom gesetzt wurde. 

2) Die erste Spur derselben liegt in den 181 v. Chr. unterschobenen Βἄ- 
ehern Numa’s (s. 8. 71 ff.): wenn diese die Philosopheme, welche sie Numa in 
den Mund legten, fürpythagoreisch ausgaben, oder wenn sie auch nur von an- 
deren dafür gehalten wurden, so setzt diess voraus, dass Numa ein Schüler des 
Pythagoras gewesen sei, mag nun der Verfasser jener Bücher diese Annahme 
schon vorgefunden oder selbst erst erdichtet und dadurch die Sage veranlasst 
haben. Sonst kennen wir dieselbe fast nur durch solche Schriftsteller, die 
nieht mehr an sie glauben, wie Cıc. Rep. 11, 15, 28. Tusc. IV, 1, 8. Liv. XL, 
29. Ῥιῦτ. Numa 1. 8. 22 vgl. Kıstor (um 50 v. Chr.) bei Dems. qu. rom. 10; 
nur KLeuens Strom. I, 304, D sagt unbedenklich: Νουμᾶς... Πυθαγόριος Av. 

3) Die betreffenden Bruchstücke des Ennius und die erläuternden Stellen 
aus den Scholiasten des Horaz und Persius, Pers. Bat. VI, 9 ff. Tearuut. De 
an. 33 f. bei Vauresx Ennian. po&s. rel. 6. 


[2 


70 Neupythagoreer, 


von Gelehrten (welche in diesem Fall allerdings keine grosse Ge- 
lehrie waren) ersonnen worden, und erst von ihnen aus in die 
Volkssage, wenner ihrüberhaupt je angehört hat, übergegangen ; eine 
solche Vermuthung war aber gleich gut möglich, ob es nun damals, 
als sie zuerst aufgestellt wurde, noch Pythagoreer gab, oder nicht. 
Ebenso kann Ennius seine Kenntniss des pythagoreischen Dogma’s 
aus gelehrter Ueberlieferung geschöpft haben, selbst wenn dieses 
Dogma schon längst keine Anhänger mehr hatte; in diesem Fall 
handelt es sich ja aber überdiess um eine Lehre, welche weniger 
der pythagoreischen Philosophie, als den pythagoreischen Myste- 
rien angehört. Auch was Ennius’ Epicharm pythagoreisches ent- 
halten haben mag, kann ihm füglich auf schriftlichem Wege be- 
kannt geworden sein; indessen lässt sich aus den dürftigen Ueber- 
bleibseln dieses Gedichts nicht beurtheilen, wie viel dessen war'). 


1) Die wenigen Bruchstücke des Epicharmus, die aich erhalten haben, 
hat VanLen 8. 8. Ο. 168 f, zusammengestellt; es findet sich jedoch in denselben 
nichts eigenthümlich pythagoreisches; auch die Sätze, dass der Leib Erde, der 
Geist Feuer (oder wie eg auch heisst: de sole sumpius), und dass Jupiter nichts 
anderes sei, als der Aether (diess auch in dem bekannten Fr. 9 des ennianischen, 
Thyestes beiCıc. N. Ὁ. II, 2, 4 u. A.), enthalten nur solche Annahmen, wie sie 
im Alterthum ausser jedem Zusammenhang mit philosophischen Lehren vor- 
kommen, und gerade von den Pythagoreern nicht überliefert werden. Unter 
den späteren Schulen gehören sie bekanntlich der stoischen an, aber Ennius 
hat sie zunächst von den griechischen Dichtern, die er nachbildet. Möchte sich 
aber auch noch weit mehr pythagoreisches bei Ennius gefunden haben, als wir 
bei ihm nachweisen können, so dürfte man doch aus dieser Benützung einzel- 
ner pythagoreischer Lehren noch nicht schliessen, was Vanıen 8.2.0.8. XCIU 
schon aus dem Anfang der Annalen schliesst, dass dieser Dichter der pythago- 
reischen Philosophie vorzugsweise ergeben gewesen sei. Worauf sich vollends 
die Angabe (a. a. O.) gründet, dass die Römer im allgemeinen dieselbe antigws- 
tus receptam studiosius colebant, wüsste ich nicht zu sagen. Auch Cıczao (Tusc. 
ΙΝ, 1, 2) weiss für seine Vermuthung, dass die pythagoreische Lehre schon in 
alten Zeiten nach Rom gekommen sei, wenig beizubringen. Er meint, es sei 
doch sehr unwahrscheinlich, dass während der Blüthe der pythagoreischen 
Schule in Unteritalien die Römer nichts von ihr gehört haben sollten; was 
sich natürlich nur dann sagen liesse, wenn dio Römer dessechsten und fünften 
Jahrhunderts schon das gleiche Interesse für griechische Wissenschaft gehabt 
hätten, wie die des ersten. Er beruft sich auf die Sage vom Pythagoreismus 
Nutna’s, die so eben besprochen wurde. Er behauptet endlich, es finden sich 
manche Spuren von einem Zusammenhang der alten Römer mit den Pythago- 
‘ reern; womit es aber doch schlecht bestellt gewesen sein muss, wenn die übri- 


Pythagoreische Philosophie in Italien. οἱ 


Wichtiger wäre es, wenn sich nachweisen liesse, dass pyihago- 
reische Philosopheme in jenen Büchern niedergelegt waren, welche 
181 vor Christus dem König Numa unterschoben wurden !); denn 
eine solche Einschwärzung pythagoreischer Lehren in die römische 
Religion würde den Fortbestand der pythagoreischen Philosophie 
voraussetzen, oder mindestens als ein. Versuch zu ihrer Erneuerung 


gen nicht mehr auf sieh hatten, als die einzige, die er anführt: dass nämlich 
die einen wie die andern eine Vorliebe für Lieder und Musik gehabt haben. 
(Weiter vgl. m. Bd. I, 354 ff.) 

1) Näheres über diesen merkwürdigen Vorgang bei Lıv. XL, 29. Vauzs, 
Max. 1, 1,12. Ριωκ. H. nat. XIII, 13, 84 f. Vanxo b. Aueustın. C. D. VII, 84. 
Pıur. Numa 22; vgl. ΒΟΉ ΕΘ Ἐπ Röm. Gesch.], 564 fl. PzeLLer Röm. Mythol. 
719 f. Das wesentliche desselben ist, dass in dem genannten Jahr ein Schrei- 
ber, Namens L. Petillius (nach Varro: Terentius) zwei steinerne Kisten ausge- 
graben haben wollte, von denen, der Aufschrift zufolge, die eine die Gebeine, 
die andere die Schriften Numa’s enthalten sollte. Die letzteren bestanden aus 
14 (oder 24) Büchern: zur Hälfte lateinische über das Pontificalrecht, sur 
Hälfte griechische (über welche die nächstfolgende Anm. zu vergleichen ist). 
Bald erfubr jedoch der Prätor Q. Petillius von dem Funde, und nachdem er 
von jenen Büchern Einsioht genommen hatte, liess der Senat, auf seinen An- 
trag, entweder die sämmtlichen Schriften oder wenigstens die griechischen als 

"religionsgefährlich verbrennen. Dass nun diese angeblichen Bücher Numa’s 
unterschoben waren, versteht sich von selbst, und ist zum Ueberfluss, da auch 
einzelne neuere Gelehrte noch anderer Meinung wareb, von SCHWEGLER er- 
schöpfend dargethan worden. Dabei ist es gleichgültig, ob sie wirklich auf 
dem Gute des L. Petillius ausgegraben worden sind, oder nicht, denn auch in 
dem ersteren Falle waren sie jedenfalls erst unmittelbar vor ihrer Entdeckung 
eingegraben worden, wie sie denn auch nach Livius reoenfissima specie waren; 
indessen ist es bei der Norglosigkeit, mit der man im Alterthum literarischen 
Unterschiebungen gegenüber zu verfahren pflegte, auch nicht undenkbar, und 
gerade die Angaben, durch welche Petillius (nach Cassıus Hzuına b. Prim. 
a. a. Ὁ.) den guten Zustand der Schriften zu erklären suchte, sprechen eher 
dafür, dass schon ihre angebliche Ausgrabung eine Lüge war. Irgend eine 
Untersuchung scheint über diesen Umstand nicht angestellt, und die Aschtheit 
der Schriften nicht blos zur Zeit ihrer Auflindung, sondern auch noch lange 
nachher nicht bezweifelt worden zu sein. Dagegen geht Harrung (Rel. d. R. 
1, 213 4.) viel zu weit, wenn er unsere ganze Erzählung für einen der Bage 
vom etrurischen Tages nachgebildeten Mythus hält. Dafür ist sie theils denn 
doch zu gut bezeugt (Cassius Hemina und Piso Censorinus schrieben etwa 50 
Jahre nach dem Vorfall, und Varro muss ausser ihnen noch weitere Quellen ge- 
habt haben); theils sieht man auch nicht, wie die Sage ohne eine bestimmte 
Veranlassung hätte dazu kommen sollen, dem Stifter des römischen Bacralwe- 
Βα ausdrücklich die Abfassung religionsgefährlicher Schriften beizulegen. 


78 Neupythagoreer. 


betrachtet werden müssen. Allein so wahrscheinlich es auch ist, 
dass es bei jener Unterschiebung auf eine philosophische Ausdeu- 
tung der Volksreligion abgesehen war’), so unsicher ist doch die 
weitere Annahme, dass es gerade die pythagoreische Philosophie 
gewesen sei, welche auf diesem Wege in Rom eingeführt werden 
sollte. Diese Angabe findet sich allerdings schon bei einigen von 
den ältesten Zeugen ?); aber keiner derselben sagt uns, worauf sie 
sich gründet, und sollte sie auch, wie diess nicht unwahrscheinlich 
ist, aus den Büchern des falschen Numa selbst herstammen δ), so 


1) Der Inhalt der Bücher Numa’s (oder genauer, der griechisch geschrie- 
benen, um die es sich hier allein handelt) ist uns allerdings nur sehr unvoll- 
kommen bekannt, und schon die alten Schriftsteller scheinen darüber nichts 
bestimmtes gewusst zu haben: sie waren eben zu schnell wieder vernichtet, und 
eine Abschrift war von ihnen allem nach nicht genommen worden. 80 viel aber, 
als unser Text giebt, lässt sich doch aus den verschiedenen Angaben abnehmen. 
Nach Livius (den Valerius bier, wie sonst, auszieht) handelten sie de disaiplina 
sapientiae, Plutarch nennt sie φιλόσοφοι; dass Sie aber wesentlich theologischen 
Inhalts waren, sieht man aus den Zusätzen: der Prätor habe gefunden, plerague 
dissolvendarum religionum esse, er habe erklärt: μὴ δοχέϊν αὐτῷ θεμιτὸν εἶναι 
μηδὲ ὅσιον, ἔχπυστα τοῖς πολλοῖς τὰ γεγραμμένα γενέσθαι. Auf das gleiche führt 
die Aussage des Cassius Hemina bei Plinius: eos combustos, quia philosophiae 
scripta essent. Den meisten Aufschluss giebt aber Varro’s Bemerkung bei Au- 
gustin: es seien darin sacrorum institutorum causae, die causae, cur quidque in 
sacris fuerit institutum, auseinandergesetzt worden. Bei-diesen causae saororum, 
welche vom Standpunkt griechischer Philosophie aus besprochen wurden, kann 
man kaum an etwas anderes denken, als an den φυσιχὸς λόγος (s. 1. Abth. 301) 
des Götterglaubens, die darin niedergelegten Ideen: gerade Varro sucht (a. 2.0. 
VII, 18 £.) in solchen Ideen den Grund der Mythen und des Kultus aufsu- 
zeigen. 

2) Lıv. a. a. O.: adjictt Antias Valerius (100—80 v. Chr.), Pythagoricos 
Juisse [sc. libros], vulgatae opimioni, qua creditur, Pythagoras auditorem fuisse 
Numam, mendacio probabili adceommodata fide. Noch früher hatte (nach Prix. 
a. a. O.) L. Calparnius Piso Censorinus, der 184 v. Chr. Consul war, in seiner 
mit Cassius Hemina übereinstimmenden Erzählung angegeben: lidros septem 
Juris pontificis totidemque Pythagoricos fuisse. 

8) Dass diese selbst ihren Inbalt von Pythagoras, als dem angeblichen 
Lehrer Numa’s, herleiteten, wird theils durch die eben angeführte Stelle des 
Livius wahrscheinlich, der mit dem mendacium probabile doch nicht wohl etwas 
anderes, als die eigene Aussage jener Bücher meinen kann; theils erklärt es 
sich unter dieser Voraussetzung am leichtesten, dass sich jene Angabe 80 frühe 
und bei einem Schriftsteller wie Piso findet, von dem sich kaum annehmen 
lässt, dass er durch eigene Combination darauf gekommen sei. 


Pythagoreische Philosophie in Italien. 73 


würde doch daraus noch lange nicht folgen, dass diese Bücher 
wirklich pythagoreische Ansichten vortrugen; sondern wenn nur 
überhaupt philosophische Lehren in ihnen vorkamen, können diese, 
welches Ursprungs sie auch an sich selbst waren, doch desshalb 
von Pythagoras hergeleitet worden sein, weil dieser Philosoph nun 
einmal für den Lehrer Nuina’s galt, oder weil er wenigstens der 
einzige wär, den man nach dem damaligen Stande des Wissens 
mit einigem Schein dafür ausgeben konnte. Auf einen pythago- 
reischen Ursprung der unterschobenen Bücher Numa’s könnten wir 
nur dann schliessen, wenn von einem glaubwürdigen und zugleich 
sachverständigen Manne bezeugt würde, er habe diese Bücher ge- 
lesen und ihren Inhalt mit der pythagoreischen Lehre übereinstim- 
mend gefunden. An einem solchen Zeugniss fehlt es aber durch- 
aus; denn der Prätor Q.Petillius würde für jenen Sachverständigen 
auch dann schwerlich gelten können, wenn sich die Meinung, dass 
die Bücher Numa’s pythagoreische Philosophie enthalten haben, 
auf seine Aussage zurückführen liesse '). An sich selbst aber lässt 
das, was wir über Inhalt und Abzweckung dieser Schriften muth- 
massen können, ihren Verfasser weit eher in einem Stoiker, als in 
einem Pythagoreer, vermuthen; denn die Stoiker sind es, welche 
mehr, als irgend eine andere Schule jener Zeit, darauf ausgiengen, 
die Mythologie und den Kultus durch philosophische Umdeutung 
wissenschaftlich zu rechtfertigen. Die angeblichen Schriften Nu- 
ma’s liefern daher keinen Beweis für das Dasein einer pythago- 
reischen Schule im zweiten Jahrhundert; und so fehlt es überhaupt 
bis über das Ende dieses Jahrhunderts herab an jeder sicheren 
Spur von dem Fortleben oder Wiederaufleben der pythagoreischen 
Philosophie. Selbst diejenigen, welche sich in der Folge wieder zu 
ihr bekannten, und denen jeder Beweis ihrer Fortdauer äusserst 


1) In der Wirklichkeit ist diess nicht der Fall, aber wenn es auch der Fall 
wäre, so könnte man daraus nur schliessen, dass Petillius in den Büchern Nu- 
ma’s die oben besprochene Angabe gefunden und sie geglaubt habe; dagegen 
ist es mehr als unwahrscheinlich, dass dieser Mann, den Livius zwar studiosus 
legends nennt, von dessen Philosophie aber nichts bekannt ist, ein halbes Jahr- 


, hundert, ehe es den sonstigen Nachrichten zufolge einen römischen Philoso- 


phen gab, eine so genaue Kenntniss der griechischen Philosophie besessen 
haben sollte, um beurtheilen zu können, welcher Schule die Ansichten ange- 
börten, die er bei dem angeblichen Numa fand, . 


7% Neupythbagoreer. 


erwünscht sein musste, können doch von derselben nichts gewusst 
haben, da sie ihr zeitweiliges Erlöschen unbedenklich voraus- 
seizen !). 

Dagegen taucht sie bald nach dem Anfang des ersten Jahr- 
hunderts wieder auf. Aus dieser Zeit scheint jene Darstellung der 
pythagoreischen Lehre zu stammen, welche Alexander Polyhistor 
in angeblich pythagoreischen Schriften gefunden hatte, und deren 
Hauptzüge Dıogenss VIII, 24 ff. aus ihm mittheilt. Ihr zufolge ist 
der Grund und Anfang von allem die Einheit. Aus der Einheit 
gieng die unbestimmte Zweiheit hervor: diese ist der Stoff, jene 
die wirkende Kraft); aus beiden zusammen entstanden die Zahlen, 
aus ihnen die Punkte, aus den Punkten die Linien, aus den Linien 
die Flächen, aus den Flächen die körperlichen Figuren, aus den 
letzteren. (wie bei Philolaus und Plato) die vier Elemente der 
wahrnehmbaren Körper. Die Elemente gehen vollständig in ein- 
ander über °); ihre Grundbestimmungen sind, wie bei Aristoteles 
‚ und den Stoikern, Wärme, Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit; 
jedem Element kommt eine derselben als seine hervortretendste 
Eigenthümlichkeit zu, und es wird in dieser Beziehung mit den 
Stoikern, und in Abweichung von Aristoteles, der Luft die Kälte, 
dem Wasser die Feuchtigkeit als Haupteigenschaft zugewiesen ὁ). 
Licht und Finsterniss, Warmes und Kaltes, Trockenes und Feuch- 
tes sind in der Welt zu gleichen Theilen; durch das Vorherrschen 
der Wärme, Kälte, Trockenheit oder Feuchtigkeit unterscheiden 


1) Porn. νυ. P. 58, wahrscheinlich noch nach Moderatus, dem er von 
5 48 an folgt: καὶ διὰ ταύτην πρωτίστην οὖσαν [Ὁ vielleicht αἰτίαν] τὴν φιλοσοφίαν 
ταύτην συνέβη σβεσθῆναι, πρῶτον μὲν διὰ τὸ αἰνιγματῶδες u.a. w. Das gleiche sagt 
aber auch Cıczzo Tim. 1 8. u. 79, 8. 

2) ἀρχὴν μὲν ἁπάντων μονάδα" dx δὲ τῆς μονάδος ἀόριστον δυάδα ὡς ἂν ὕλην 
τῇ μονάδι αἰτίῳ ὄντι ὑποστῆναι. Dass mit dem αἴτιον zunächst die wirkende Ur- 
sache gemeint ist, zeigt schon die Vergleichung der stoischen Lehre; s. 1. Ab- 
theilung 120 ἢ, 

8) μεταβάλλειν δὲ (sc. τὰ ororyela) καὶ τρέπεσθαι δι᾽ ὅλων. Genau so, und 
auch mit den gleichen Ausdrücken, die Stoiker; vgl. 1. Abth. 169, I. 165, 8. 

4) A.a.0.$ 26 ££ Das Feuer wurde nach dieser Stelle von dem Pytha- 
goreer Alexander’s θερμὸς αἰθὴρ, die Luft ψυχρὸς αἰθὴρ, das Wasser παχὺς αἰϑὴρ 
genannt. Ueber die entsprechenden stoischen Bestimmungen 8. m. 1. Abth. 
8. 169, 2. 


Die Pythagorser Alexander's. Ta 


sich die vier Jahreszeiten’). Die Welt ist ein lebendigös, vernünf- 
tiges Wesen, ihrer Gestalt nach eine Kugel, in ihrer Mitte die Erde, 
welche gleichfalls eine Kugel und ringsum bewohnt ist. Das Gött- 
liche in der Welt und die beseelende Kraft in allen lebendigen 
Wesen ist die Wärme: weil .das warme Element in ibnen vor- 
herrscht, sind Sonne, Mond und Gestirne Götter; durch die Wärme, 
de erin sich hat, ist der Mensch mit der Gottheit verwandt und 
Gegenstand ihrer Fürsorge?). Alles in der Welt, in den Theilen 
wie im Ganzen, ist durch das Verhängniss gewirkt °), das natür- 
lich auch hier von der göttlichen Ursächlichkeit nicht verschieden 
sein kann; von der Sonne aus (welche demnach hier, wie bei 
Kleanthes *), als Sitz der welterhaltenden Kraft gedacht ist), dringt 
ein.belebender Strahl durch Luft und Wasser; daher das Leben, 
welches auch den Pflanzen, wenn gleich ohne Seele, inwohnt. Die 
Seele ist ein Ableger des ewigen Wesens und desshalb unsterblich; 
sie besteht aus wermem und kaltem Aether, mit anderen Worten: 
ausFeuer und Luft); sie entsteht aus dem warmen Dunst, welcher 
im Samen enthalten ist®); ebenso werden auch die Sinne auf 
warme Dünste zurückgeführt”). Die Reife des Kindes ist durch 
‚ de harmonischen Zahlen bestimmt; diesen gemäss entwickeln sich 
die verschiedenen Lebenstbätigkeiten, die es alle von Anfang an 


1) Auch dasu bietet die stoische Lehre (1. Abth. 111, 2) eine theilweise 
Analogie. 

4) 8. 27; die stoischen Parallelen dazu 1. Abth. 138, 1. 175 f. 180, 8. 
14,3 α. ὅ. 

8) ὃ 21: εἱμαρμένην τε τῶν ὅλων χαὶ χατὰ μέρος αἰτίαν εἶναι τῆς διοιχήσεως 
(vgl. 1. Abth. 145, 1. 2). Hierauf, was im Text folgt. 

4) Ueber ibn 1. Abth. 125, 1. 

5) 8 28: εἶναι δὲ τὴν ψυχὴν ἀπόσπασμα αἰθέρος καὶ τοῦ θερμοῦ καὶ τοῦ ψυχροῦ, 
τῷ συμμετέχειν ψυχροῦ αἰθέρος. διαφέρειν τε ψυχὴν ζωῆς (wie die Btoiker swischen 
ψυχὴ und φύσις unterscheiden): ἀθάνατόν τ᾽ εἶναι αὐτὴν, ἐπειδήπερ χαὶ τὸ ἀφ᾽ οὗ 
ἀκέσκασται ἀθάνατόν ἐστι. Vgl. hiesu a. a. Ο. 180, 8. 184, 2. Die ätherische Na- 
tur der Beele ist aber auch alte orphisch-pythagoreische Ueberlisferung, und 
wird frühe mit ihrer Unsterblichkeit in Verbindung gebracht ; vgl. Bd. II, a, 18. 

6) 528 vgl. a. a. O. 181, 8. Der Samen selbst soll nach unserer Darstel- 
lung ein Ausfluss (σταγὼν) aus dem Gehirn sein. 

7) 8 29: τήν τ᾽ αἴσθησιν κοινῶς χαὶ κατ᾽ εἶδος τὴν ὅρασιν ἀτμόν τιν᾽ alvaı ἄγαν 
θερμόν" indem diesen Wasser und Luft durch ihreKAlte hemmen, entstehen die 
Anschauungen; ähnlich bei den übrigen Binnen. 


76 Neupythagoreer. 


im Keime in sich hat!). Die Seele des Menschen besteht aus drei 
Theilen: dem Verstand (νοῦς), dem Muth (θυμὸς) und der Vernunft 
(φρένες); mit dem ersten von diesen Stücken scheint alle Vor— 
stellungsthätigkeit, mit dem ‘zweiten alles Begehren und Wollen 
gemeint zu sein, aber beide nur, so weit sie sich auf's Sinnliche 
beziehen; denn beide sollen sterblich und dem Menschen mit den 
Thieren gemein sein, wogegen die Vernunft unsterblich und dem 
Menschen eigenthümlich ist. Der Sitz der Seele soll sich vom 
Herzen bis zum Gehirn erstrecken: in jenem hat der Muth, in die— 
sem haben Verstand und Vernunft ihren Ort. Für diese Bestim- 
mungen sind nun zunächst platonische Lehren, doch in eigenthüm- 
licher Umbildung, benützt; dagegen lautet es wieder ganz stoisch, 
wenn der angebliche Pythagoreer beifügt, die Seele nähre sich 
vom Blute, die Kräfte derselben seien Lufiströmungen, sie sei un- 
sichtber, weil auch der Aether unsichtbar sei, die Sinne seien Aus- 
flässe aus den Seelentheilen, die im Gehirn ihren Sitz haben*). 
An diese philosophischen Sätze schliesst sich dann aber der 
erphisch-pythagoreische Mysterienglaube an. Die Seelen, heisst 
os, schweben nach dem Austritt aus ihrem Leibe in einer demselben 
ähnlichen Gestalt in der Luft umher; der Seelenvogt Hermes führe 
die reinen unter ihnen zum höchsten Gotte?), die unreinen da- 
gegen werden von den Erinnyen in unzerreissbare Bande geleg!. 
Die Seelen, welche den Luftkreis erfüllen, seien es auch, die Dä- 
monen und Heroen genannt werden; sie schicken Menschen und 
Thieren Träume und Vorzeichen, auf sie beziehe sich alle Sühnung 


1) $ 29, wo namentlich die Worte: ἔχειν δ᾽ ἐν αὑτῷ πάντας τοὺς λόγους τῆς 
ζωῆς an die stoischen λόγοι σπερματιχοὶ (a. ἃ. Ο. 129, 1. 146) erinnern. 

2) ὃ 80: φρένες und νοῦς seien im Gehirn, σταγόνας δ᾽ εἶναι ἀπὸ τούτων τὰς 
αἰσθήσεις... . τρέφεσθαί τε τὴν ψυχὴν ἀπὸ τοῦ αἵματος" τοὺς δὲ λόγους ψυχῆς ἀνέμους 
εἶναι. ἀόρατόν τ᾽ εἶναι αὐτὴν καὶ τοὺς λόγους, ἐπὰ χαὶ ὃ αἰθὴρ ἀόρατος. Vgl. hiezu 
1. Abth. 180 £. 

8) 8 30 (die Btelle ist Bd. 1, 328 abgedruckt). Etwas auffallendes haben bier 
die Worte: ἐπὶ τὸν ὕψιστον. Denn ὕψιστος ist zwar bekanntlich ein uralter Beiname 
dus Zeus; dagegen ist es für sich allein sonst im rein griechischen Bprachge- 
brauch zur Bezeichnung der Gottheit nicht üblich, wohl aber im jädisch-helle- 
nistischen (so in den Septuaginta und im neuen Testament als Uebersetzung des 
ebräischen PD). wie es denn unverkennbar einen monotheistischen Klang 
hat. Vielleicht gieng der Ausdruck erst von hier aus zu den griechischen Py- 
thagoreern über. 


Die Pythagoreer Alexander's. 77 


und Weissagung'). Weiter wird (um einiges andere zu über- 
gehen) die Tugend, die Gesundheit, das Gute, die Gottheit als Har- 
monie bezeichnet, die Freundschaft als harmonische Gleichheit 
definirt. Es wird vorgeschrieben, die Götter allezeit in weissen Ge- 
wändefn und mit Heiligkeit des Lebens zu verehren, den Heroän 
die zweite Hälfte des Tages zu weihen. Zu jener Heiligkeit aber 
gehören Reinigungen, Waschungen, Besprengungen; sodann, dass 
man jede Berührung eines Todten, einer Wöchnerin, oder sonst 
eines unreinen vermeide, und dass man sich des Fleisches gefalle- 
ner oder zerrissener Thiere, einiger Fische, der Eier und der eier- 
legenden Thiere, der Bohnen und überhaupt alles dessen enthalte, 
was auch beim Empfang der Weihen im Tempel verboten war. 

In dieser Darstellung liegt nun einerseits der Versuch vor, 
den Pythagoreismus nicht blos als eine Form des religiösen und 
sittlichen Lebens zur Geltung zu bringen, sondern ihn auch auf 
eine philosophische Theorie’ zurückzuführen; andererseits aber 
steht diese Theorie von der altpythagoreischen Lehre so weit ah, 
sie hat aus den späteren Systemen, und vor allem aus dem stoischen, 
so viele und eingreifende Bestimmungen aufgenommen, dass wir 
sie nur der nacharistotelischen Zeit und näher demjenigen Ab- 
schnitt derselben zuweisen können, in welchem der Gegensatz der 
philosophischen Schulen sich abzustumpfen, ihre Lehren sich eklek- 
tisch zu vermischen begannen). Nur um so bemerkenswerther 
ist esaber, dass wir den Zügen, welche den Neupythagoreismus 
der Folgezeit bezeichnen, hier doch erst theilweise, begegnen. In 
den philosophischen Ansichten unseres Verfassers tritt weder die 


HVeberweltlichkeit und Unbegreiflichkeit Gottes, noch der schroffe 


Gegensatz des Leiblichen und des Geistigen im Menschen hervor, 
was doch beides bei den späteren Neupythagoreern eine so grosse 
Rolle spielt;"statt des spiritualistischen Dualismus, in dem sie Plato 
folgen und noch über ihn hinausgehen, hält er sich ganz überwie- 
gend an den materialistischen Pantheismus der Stoiker, den er 
äusserlich genug mit der pythagoreischen Zahlenlehre verknüpft. 
Aus der pythagoreischen Mysterienlehre hat er zwar die Seelen- 


1)$ 32; eineBtelle, welche an die vielbenätste des platonischen Gastmahls 
202, E, erinnert. ’ 

2) Der Beweis dieses Satzes liegt in der ganzen bisherigen Erörterung, 
und in dem, was Bd. I, 264, 4. 305. 807, 3. 324, 6. 825, 2 bemerkt ist. 


» 


78 Neupythagoreer. 


wanderung und den Dämonenglauben in vollem Maass aufgenom- 
men, dagegen ist seine Ascese weniger streng, als die orphische 
vor ihm, die neupythagoreische und essäische nach ihm, da er 
weder die Ehe noch die Fleischkost und das Tödten der, Thiere 
verbietet. Alle diese Züge weisen darauf hin, dass die Schrift, der 
Alexander seine Mittheilung entnommen hat, der Zeit des be- 
ginnenden Neupythagoreismus angehörte. Nun können wir frei- 
lich ihre Abfassungszeit nicht mit Sicherheit bestimmen; da aber 
der erste und einzige Zeuge, der ihrer erwähnt, um 80—50 vor 
Christus in Rom lebte !), so sind wir nicht genöthigt, für dieselbe 


über den Anfang des ersten oder auch das letzte Viertheil des 


zweiten Jahrhunderts hinaufzugehen ; ein höheres Alter dieser Dar- 
stellung macht auch schon ihr eklektischer Ckarakter unwahr- 
scheinlich. Ueber den Ort, aus dem sie herstammt, lässt sich vor- 
erst wenigstens so viel sagen, dass sie nicht in Rom, sondern in 
einem von den östlichen Ländern verfasst zu sein scheint. Diess 
müssen wir nämlich schon desshalb annehmen, weil aus Cicero 
deutlich hervorgeht, dass noch um die Mitte des ersten Jahrhun- 
derts nur sehr wenige von seinen Landsleuten der pythagoreischen 
Philosophie ihre Aufmerksamkeit zugewandt hatten. Denn so sehr 
er sich bemüht, einen Zusammenhang zwischen Rom und der 
altpythagoreischen Schule herzustellen 7), und so erwänscht ‘es ihm 
in .dem nationalen Interesse, an das er #0 gerne anknäpft, hätte 
sein müssen, in seinen philosophischen Gesprächen römische Ver- 
treter jener „italischen Philosophie‘ einführen zu können, so 
wenig begegnen wir doch bei ihm einem solchen; vielmehr bezeugt 
er ausdrücklich, der Pythagoreismus sei zu seiner Zeit erloschen 
gewesen, und der Versuch seiner Erneuerung eben erst gemacht 


. worden?). Es wird daher für sicher gelten dürfen, dass in Rom 


1) Was wir von Alexander's Leben wissen, beschränkt sich auf die Angaben 
des Suıpas ἃ. ἃ. W., nach dem er zur Zeit Sulla’s und später (ἐπίταδε = herwärte 
von diesem Zeitpunkt) als Freigelassener in Rom lebte, und die zwei Notisen 
bei Serv. in Aen. X, 888, dasa ihm Sulla das Bürgerrecht geschenkt habe, 
und bei Surron. illustr. gramm. 20, dass Hyginus, der Freigelassene des An- 
gustus, ihn gehört habe. Hieraus ergiebt sich annähernd die obige Bestim- 
mung. Im übrigen vgl. m. MüLLre Fragm. Hist. gr. III, 206. 

4) 8. 0. 68, 4. 70, 1. 

8) 8.8. 79, δ. 


Nigidius Figulus. 79 


bis über die ersten Jahrzehende des ersten Jahrhunderts herab von 
pythagoreischen Philosophen nichts bekannt war. 

Der erste Römer und überhaupt der erste uns mit Namen be- 
kannte Mann , welcher der neuen pythagoreischen Schule zuge- 
zählt wird, ist P. Nigidius Figulus''), ein Freund Cicero’s, 
der wenige Jahre vor ihm gestorben ist?). Cicero nennt ihn im 
Eingang seines Timäus den Erneuerer der pythagoreischen Philo- 
sophie®), und aus einer andern Aeusserung desselben geht her- 
vor, dass sich Figulus nicht blos für seine Person zu derselben be- 
kannte, sondern auch andere in sie einführte*); wie er denn 
überbaupt einer von den ersten Gelehrten seines Volkes und seiner 
Zeit war, mit besonderer Vorliebe jedoch die abgelegeneren Ge- 
biete des Wissens aufsuchte, und mit der Mathematik und Natur- 


1) M. Hrars De P. Nigidii Fig. studiis atque operibus. Berl. 1845. 
Baursıe De Nig. Figuli fragmentis ap. Schol. Germ. serv. Berl. 1854. (Dien.) 
Ergänzungen dasu von BücazLur Rhein. Mus. XTII, 177 ff. Kızım Quasstt. Ni- 
gidianae. Bonn 1861 (Diss., bis jetzt auf das biographische beschränkt). Bzan- 
Barpr Röm. Litt. 8. 885. 857. 

2) Er begegnet uns zuerst 68 v. Chr., wo er den ihm nahe befreundeten 
Cicero bei der Bekämpfung der catilinarischen Verschwörung unterstützt (Cıc. 
pro Sulla 14, 42.ad Famil. IV, 18, 2. Pur. Cic. 20. an. seni 8. ger. resp. 27, 8. 
8, 797), dann wieder 59 v. Chr. (Cıc. ad At. 11, 3, 8); 58 v. Chr. war er Prä- 
tor (Cıc. ad Qu. fratr. I, 2,16), 52 Legat oder Gesandter (Cıc. De Univ. 1). WAh- 
rend des Bürgerkriegs auf der pompejanischen Parthei (Cıc. ad Att. VII, 24), 
lebte er nach Cäsar's Sieg. in der Verbannung, in der ihn Cicero (ad Famil. 
IV, 18) tröstet, und starb in derselben 45 v. Chr. (Hırzou. zu Enseb’s Chronik 
01. 183, 4 nach Sueton, vgl. Cıc. Tim. 1). Seine Geburt scheint in die ersten 
Jahre vor oder nach dem Anfang des 1. Jahrh. zu fallen. 

8) Tim. 1: Denique sic judico, post illos nobiles Pythagoreos, quorum dis- 
ciplina exstincta est quodammodo, cum aliquot saecula in Italia Siciliaque vigu- 
\sset, kunc exstitisse, qui illam revocare. Aus 'dem nächstfolgenden sieht man, 
dass dem Nigidius selbst in der dislogisoh abgefassten Schrift eine Rolle zuge- 
dacht war. 

4) Nach dem Schol. Bob. zu Cic. in Vatin. Bd. V, 2, 817 Or. hatte Cicero 
in derRede für Vatinius, welche er sweiJahre nach der noch vorhandenen An- 
Klage gegen ihn hielt, den Vatinius gegen die Vorwürfe, su denen ihm selbst 
dessen Pythagoreismus früher Anlass gegeben hatte, vertheidigt, indem er aur- ' 
führte: /wisse illis temporibus Nigidium quendam, virum doctrina et erudisione 
siudiorum praestantissimum,, ad quem plurimi convenirent, hanc ab obirectato- 
ribus voluti achionem minus probabilem jactitatam esse, quamvis ipsi Pythagorae 
sectalores existiimars vellent. 


80 Neupythagoreer. 


forschung auoh Astrologie und Wahrsagerei verband!). Wie er 
jedoch die pythagoreische Philosophie auffasste, und welche An- 
sichten er als pytbagoreisch vortrug, wird nicht überliefert. Einer 
von denen, welche sich an ihn anschlossen, ist jener P. Vatinius, 
dem Cicero vorwirft, dass er unter dem Namen eines Pythagoreers 
allerlei Gräuel begehe *); so wenig jedoch aufdiese Anschuldigung 
zu geben ist’), so wenig erfahren wir andererseits über die Philo- 
sophie, zu der sich Vatinius bekannte. Dass aber der Pythagoreis- 
mus damals die Aufmerksamkeit der römischen Gelehrten wieder 


1) Vgl. vor. Anm. und Cıo. ad Famil. IV, 18: P. Nigidio, uni ommnsum 
doctissimo et sanchssimo. Tim. 1: fuit enim vir {78 cum ceteris artibus, quae 
quidem dignae libero essent, ornalus omnibus, tum acer investigator οἱ diligens 
earum reriım, quae a natura involutae videntur.. Geuı. nennt ihn IV, 9, I 
(vgl. 16, [ὦ XVII, 7,4. Berv. Aen. X, 175) homo juxta M. Varronem doctissi- 
mus. Derselbe sagt XIX, 14, 1: aetas M. Ciceronis et C. Caesaris praesianti 
Jacundia paucos habuit, doctrinarum autem muliiformium variarumque artium, 
quibus humanitas erudita egt, columina habuit M. Varronem ei P. Nigidium; 

‘die Schriften des letzteren jedoch haben wegen ihrer odscuritas nnd subtihtes 
‚ (worüber auch ebd. XVII,7,4) weit geringere Beachtung gefunden, als Väarro’s. 
Die uns bekannten, worüber bei Hertz a. a. O. die näheren Nachweisungen 
zu finden sind, umfassen ein grammatisches Werk in 80 Büchern, eine Ab- 
bandluug über den rednerischen Vortrag, 20 oder mehr Bficher über die Göt- 
ter, Schriften über die Thiere und de hominum naluralibus, win grösseres 
astronomiaches Werk (worüber Bücarkter und Bravsıe a.d. a. O.), Bücher 
über Vorbedeutungen durch Donner und Blitz, de augurio privato und über 
weissagende Träume. Als Magier wird Nigid. von Hırron. Eus. Chron. z. Ol. 
188, 4 bezeichnet, al® bekannter und unübertroffener Astrolog von Lucas. 
Pbarsal. I, 689 f. aufgeführt; seiner Vertheidigung der Astrologie erwähnt 
Auarsrın. Civ. Ὁ. V, 8, einer angeblichen astrologischen Weissagung Surron. 
Aug. 94 und Dıo Cass. XLV, 1, einer anderen, durch Incantation, Arct. De 
magia 42, nach Varro; einige abergläubische Meinungen von ihm heriolitet 
Prın. nat. ἢ. XXIX, 188. XXX, 24, 84. 

2) Cıc. in Vatin. 6, 14: tu, qui te Pyihagoricum soles dicere οἱ hominis 
doctissimi nomen tuis immanıbus ei barbaris moribus praetendere .... cum in- 
audita ac nefaria sacra susceperis, cum inferorum animas elicere, cum puerorum 
extis Deos manes maclare soleas. 

8) Cicero selbst sagt uns (ad Famil. I, 9), dass er, durch Pompejus und 
Cäsar mit Vatinius ausgesöhnt, Öffentlich ale sein Freund und Lobredner auf- 
getreten war, wie sie denn auch in späteren Briefen (ad Fam. V, 9—11) sich 
gegenseitig die Hände drücken; nach dem 8. 79, 4 angeführten Scholium 
hatte or die früheren Anschuldigungen in der späteren Rede vollständig κα- 
rückgenommen (plenissime purgavit οἱ defendit). 


\ 


Ocellus. 81 


auf sich zog, sieht man auch aus Varro, welcher seine Angaben 
über die Lehre des Pythagoras bereits jüngeren pythagoreischen 
Schriften zu verdanken scheint, mit denen er vielleicht durch Ni- 
gidius oder Alexander Polyhistor bekannt geworden war !). 
Zahlreicher und bestimmter werden die Spuren der neupytha- 
goreischen Philosophie in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhun- 
derts vor Christus. Dass um diese Zeit jene Unterschiebung pytha- 
goreischer Schriften, deren schon früher gedacht wurde?), bereits 
begonnen hatte, und mithin auch die Schule, deren Lehren auf 
diese Weise verbreitet und empfohlen werden sollten, schon be- 
stand, beweist der angebliche Lukaner Ocellus, dessen Schriften 
nicht später verfasst sein können ®). Dasselbe wird durch die An- 


1) Hertz haja, a. Ο. 5. 24 nachgewiesen, dass Varro des Pythagores 
öfters Erwähnggg thut (L. 1. VII, 8. 303 Speng. De rer. 11, 1. 8; bei Ausv- 
srın Civ. Ὁ. VII, 85. De ord. II, 54. T. I, 351 Maur.; bei Syumacsus epp. 
L, 4; b. Cuxsorix di. nat. ο. 9 und 11 vgl. Graue. N. A. IH, 10 — ob auch die 
Angaben bei Cens. c. 10, f. 12, 4. c. 18 von Varro herstammen, ist unsicher, 
e-4, 3, wo Pythagoras, Ocellns und Archytas als Zeugen für die Ewigkeit 
ἃ... angeführt werden, gewiss nicht). Wober Varro seine Kenntniss der 


agoreischen Philosophie schöpfte, wissen wir nicht; die obigen Ver- 
tbungen grändeu sich darauf, dass er einerseits mit Nigidius und dessen 
Schriften wohl bekannt war (tgl. Hearz S. 16 4), und dass andererseits das, 
was Cansorin a. d. a. Ὁ. aus Varro über die angebliche Lehre des Pythagoras 
von deg Bpiwicklung des Fötns mittkeilt, mit dem Auszug aus Alexander's 
oben chener Sohrift bei Dioe. VIII, 29 gans übereinstimmt. Der lets- 
“ii dient dann .wieder der Vermuthung (Bd. I, 805, I, zur. Stütze, 
ο iner, Darstellung der pythagoreischen l,ehre Alexander uder 
jelle folgt wei. 

Ba. 3, 208 f," | | 

i6 hefiälkendste derselben, die noch erhaltene περὶ τῆς τοῦ παντὸς. 
wähnt PriLo qu. m. 8. incorruptib. 940, Ὁ Hösch. 489 Μ. Nun wird 
iese Abbandlung Philo ohne Zweifel mit Unrecht beigelegt, wenn 
sio anch, nicht allzuweit von seiner Zeit entfernt sein mag. Indessen findet 
sicb eineßnoch etwas Altere Spur des angeblichen Ocellus in dem Briefe des 
Archytas lato und dem darauf zurilckweisenden des Plato an Archytas 
(unserem i2ten platonischen) bei Dıos. VIII, 80 f., wo ausser dem Buche 
von der Natur des All noch drei weitere Schriften des Ocellus namhafı 
gemacht werden. Denn wenn auch an eine Aechtheit dieser Briefchen selbat- 
verständlich nicht zu denken ist, sehen wir doch aus Dioe. III, 61, dass schun 
Thrasylius, gerade so, wie wir, 18 platonische Briefe, und darunter zwei 
an Archytaas, in seiner Sammlung hatte; wir müssen daher annehmen, es habe 
sicb aach unser 12ter Brief in derselben befunden, und da dieser den archy- 


Philos. ἃ, Or. III. Bd. 8. Abth. , 6 


dass 
dessen 


88  Neupythagoreer. 


gabe”) bestätigt, der libysche König Jobates habe die Schriften des 
Pythagoras gesammelt, sei aber dabei vielfach von Betrügern miss- 
‘braucht worden; mit diesem Jobates ist nämlich ohne Zweifel der ge- 
lehrte mauretanischeHerrscher Juba II. gemeint, der unter Augustus 
lebte). Um die gleiche Zeit war es, dass der Alexandriner Sotion 
die Enthaltung von der Fleischkost, welche sein Lehrer Sextius 
verlangt hatte, mit dem Dogma von der Seelenwanderung begrün- 
:dete 5); auch Sextius- selbst war aber wohl durch den Vorgang der 


teischen voraussetat, muss auch der letztere, und somit auch die in beiden 
angeführten Schriften des Ooellus, zur Zeit des Thrasyllus, also in den ersten 
Jabrzehenden unserer Zeitrechnung (vgl. 1. Abth. 542, 3), schon vorhanden 
und anerkannt gewesen sein. Ihre Abfassungszeit wird daher spätestens in die 
zweite Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts gesetzt werden müssen. 
Dass sie noch früher falle, ist möglich, aber aus den obigen Thatsachen 
kann man es um so weniger schliessen, da die Briefe b. Dıoo. VIII, 80 £. 
ganz so aussehen, ala ob sie gerade zur Beglaubigung des falschen Ocellus, 
also von dem gleichen Verfasser, wie dieser, verfertigt worden wären, so 
dass demnach die Erwähnung der ocellischen Schriften in denselben für ein 
früberes Vorhandensein dieser Schriften nichts beweist. Noch weniger kann 
man mit Rose De Arist. libr. ord. 11 f. behaupten, schon Aristophanes gps 
Byzanz habe den 12ten platonischen Brief gekannt, die Schriften des O 
seien mithin um den Anfang des zweiten Jahrhunderts bereits im Umlauf 
gewesen. Denn aus Dıoe. III, 62 ergiebt sich nur, dass Aristoph. eine Bamm- 
lang platonischer Briefe seinen Trilogieen eingereiht hatte, aber nicht, dass 
diese Sammlung alle Bestandtheile unserer jetzigen umfasste. Vielmehr spricht 
schon die Stellung unseres 12ten und 13ten Briefs für die Annghine, dass 
diese zwei Stücke erst später zu den übrigen hinzugekommen seien; denn 
während sonst die an die gleichen Personen gerichteten Schreiben (1—3; 7 
und 8) zusammengestellt sind, ist der 12te vom 9ten und ἴον 1816 von den 
drei ersten getrennt. — Ueber die sonstigen Anführungen des Ocellus vgl. m. 
Mvtracn Fragm. philos. gr. 384 f. (8. xx f. seiner Ausgabe von Aristot. De 
Melisso u. s. w.), über die Schreibung des Namens ebd. 888 (177). Dass das 
Buch über das All ursprünglich dorisch geschrieben war, und erst im Mittel- 
alter in die χοινὴ übertragen wurde, erhellt ans den Anführungen bei Sto- 
bäus; vgl. MuLLacn 884 f. 

1) Davıp in Categ., Bobol. in Arist. 28, a, 18. 

2) Nach der treffenden Wahrnehmung Rrrrer’s IV, 528. Wenn jedoch 
R. geneigt ist, die Entstehung des Neupythagoreismus selbst erst von solchen 
Unterschiebungen herzuleiten, so ist das richtigere sicher nur die umgekehrte 
Annahme. Juba’s Vorliebe für pythagoreische Schriften setzt das Dasein einer 
pythagoreischen Schule schon voraus, und nur von einer solchen konnten 
die Verfasser den eigenthlimlichen Lehrgehalt derselben entlehnen. 

3) 1. Abth. 5. 605. 


’΄ 


Zeit und Ort ihrer Entstehung. . 88 


- Ῥχιιοροῖόος zu jener Vorschrift veranlasst worden. Möchte man 
endlich dem letzteren Umstand vielleicht desshalb geringere Be- 
weiskraft beilegen, weil der Glaube an Seelenwanderung und das 
Verbot der tkierischen Nahrung zunächst den pythagoreischen 
Mysterien angehören, 80 erhellt doch aus der Schrift des Ari 
Didymns über die pythagoreische Philosophie), und neech be- 
siimmier aus einem Bruchstück des Endorus?), dass schon bald 
sach der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts) jene. Ver- 
bindung pistonischer und pythagoreischer Philosopkeme, in wel- 
cher der Neupythagoreismus besteht, sich vollzogen, und die meta- 
physische Theorie des letzteren sich in ihren Grundzügen festge- 
stellt hatte. Für das Ende dieses Jahrhunderts ohnedem lässt sich 
diese Thaisache, auch abgesehen von den Essäern und Therapeuten, 
schon aus Philo vollständig erweisen. 

Wo diese neupyihagoreische Philosophie entstand, ist nicht 
überliefert. Ihre ersten Spuren finden sich theils in Rom, theils in 
Alexandria. Aber dass Rom nicht ihr Geburtsort sein kanm er- “ 
hellt schon aus dem, was 5. 78 bemerkt wurde. Wirklich waren 
kier auch in der ersten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrhun- 

*derts die wissenschaftlichen Zustände nicht von der Art, dass die 
Bedingungen für die Entsiehung einer Schule, wie die neupythe- 
goreische, gegeben gewesen wären. Noch viel später hatte sie in 
Rom so wenig Boden, dass SenecAa die pythagoreische Schule als 
ausgestorben behandeln kann *). In Alexandria dagegen waren nicht 
alleis die Verhältnisse der Bildung derselben günstiger, als in jedem 
anderen Orte; sondern auch die Nachrichten über sie lassen uns 
in dieser Stadt ihre älteste Heimath vermutben. Aus Alexandria 
stammen Eudorus und Arius, zwei unserer ältesten Zeugen für das 
Dasein des neuen Pyihagoreismug; ebendaher Sptign, welcher die 
Lehre der Sextier mit dem Dogma von der Seelenwanderung be- 
reicherte °); in derselben Stadt bildete sich um den Anfang unserer 


1) Ebd. 546, 1. 

4) Worüber Bd. I, 260, 2 z. vgl. 

8) In diesen Zeitpunkt nämlich müssen Eudorus und Arlus gesetzt wer- 
den, ds dieser der.Lehrer des Augustus, Eudorus aber noch älter, als er, war. 
Vgl. 1. Abth. 548, 3. 545, 5. 

4) Nat. qu. VII, 82, 3: Pythagorica illa invidiosa turbae schola praerep- 
lorem non invenü. 


δ) Vgl. 1. Abth. 544, 2. 545, 8. 605, 2. , 
6 


84 Neupythagoreer. 


Zeitrechnung Philo sein System, und in der Nähe derselben hatten 
die Therapeuten ihren Hauptsitz, bei denen sich, wie wir finden 
werden, so wenig, als bei jenem, der Einfluss des neuen Pythago- 
reismus verkennen lässt. Auch von Alogander Poiyhistor erhellt 
schon aus seiner umfassenden Bekanntschaft mit jüdisch-alexandri- 
nischen Schriften '), dass er seinen Bericht aus alexandrinischen 
Quellen geschöpft haben kann. Es hat daher eine überwiegende 
Wahrscheinlichkeit für sich, dass in diesem Knotenpunkt des Ver- 
kehrs von Hellenen und Orientalen mit andern verwandten Er- 
scheinungen auch diese in’s Dasein getreten ist. 


8. Die neupytbagoreische Bohule, ihre Männer und Schriften. 


Ueber die Männer, von weichen diese Denkweise ausgieng 
und fortgepflanzt wurde, sind wir so mangelhaft unterrichtet, dass 
uns die wenigsten derselben auch nur dem Namen nach bekannt 
sind. Es rührt diess ohne Zweifel hauptsächlich von der Art her, 
wieedie neupythagoreischen Lehren von Anfang an vorgetragen 
und verbreitet wurden. Der Auktoritätsglaube dieses Standpunkts 
brachte es mit sich, dass auch seine neuen und eigenthümlichen 
Bestimmungen sich nicht als etwas neues gaben, und in der Hegel 
auch wohl von ihren Urhebern selbst nicht als solches aufgefasst 
wurden: seine Vertreter nennen sich nicht Neupythagoreer, son- 
_ dern schlechtweg Pythagoreer, d. ἢ. sie wollen den ursprünglichen 
Pythagoreismus wieder in's Leben rufen; sie sind sich ihres Hinaus- 
gehens über denselben so wenig bewusst, als ein Philo seines 
Hinausgehens über den Mosaismus, oder ein Chrysippus der Will- 
kühr seiner Mythendeutungen; sie setzen ohne Umstände voraus, 
wie diess alle offenbarungsglaubigen voraussetzen, was ihnen wahr 
scheint, müsse auch die Lehre ihrer dogmatischen Auktoritäten, m 
diesem Falle des Pythagoras und der alten Pythagoreer, sein 3). 


1) In den Bruchstücken seines Werkes περὶ ᾿Ιουδαίων (bei MürLme Fragm. 
Hist. gr. III, 211 ff. vgl. 207 f.) findet sich eine Menge solcher Schriften an- 
geführt; aus ihm stammen wahrscheinlich alle derartigen Aussüige bei Erıs. 
pr. ev. IX, 17—89 (mit Ausnahme von c. 22. 88), nicht blos die, für welche 
er ausdrücklich als Quelle genannt wird; vgl. Haasrauo Gesch. ἃ. V. Jiar. 
III, 670 £. 

3) M. vgl. in dieser Beziehung unter anderem, was 1. Bd. 8. 208 an- 
geführt ist. 


Pseudonyme Sohriften. 85 


Und um jeden Zweifel daran zum voraus niederzuschlagen, legen 
sie es diesen Männern selbst in den Mund: statt ihre Ansichten in 
eigenem Namen vorzutragen, lassen sie dieselben von ihnen vor- 
tragen; theils in Lebensbeschreibungen des Pythagoras und in Dar- 
stellungen der pythagoreischen Philosophie, wie sie von Eudorus, 
Artus, Apollonius, Moderatus, Nikomachus verfasst wurden ‘), 
theils noch unmittelbarer in jenen Söhriftwerken, welche seit 
dem Anfang des ersten Jahrhunderts v. Chr. unter altpythago- 
reischen Namen so ungemein zahreich auftauchten, dass selbst uns 
noch mehr als siebzig Stücke, wenn auch meistens nur den- 
Titeln nach oder durch einzelne Bruchstücke, bekannt sind). 


1) Des Eudorus und Arins ist in dieser Besiehung schon oben erwähnt 
worden; von den tibrigen wird später su sprechen sein. Aus solchen Dar- 
sellangen sind wohl die meisten von den pythagorischen und pythagorei- 
schen Sprüchen geflossen, die sich da und dert finden. Sammlungen derselben 
bei Mur.acn Fragm. philos. gr. 8. 488-511. 

8) Um von dem Umfang dieser gansen, grösstentheils pseudonymen, 
Literatur eine Vorstellung zu geben, lasse ich hier, im Anschluss an Βποκ- 
nauws Beissige Dissertstion De Pythagoreorum Reliquiis (Berl. 1844), ein 
Verzeichniss der sämmtlichen unter altpythagoreischen Namen überlieferten 
Sehriften folgess, welche uns bekannt sind, indem ich zugleich angebe, wo 
dieselben in den Quellen und den Sammlungen von MurLaon (Fragmenta 
pkilos. gr.) und OrecLı (Opusoula Graec. vet. sententiosa II) zu finden sind. 
— Ausser den sogleich näher zu besprechenden Schriften des Philolaus und 
Archytas gehören hieher: 1) Eine Reihe von Büchern, welohe Pythagoras 
selbst beigelegt wurden. Den Bd. I, 209, 8 nachgewiesenen füge ich noch 
den λόγος πρὸς "Aßapıy (Paoxı. in Tim. 141, Ὁ), und die προγνωστικὰ βιβλία 
(Tsarz. Chi}. 11, 888 f. vgl. Hanızss zu Fabric. Biblioth. gr. I, 786) bei. Ob 
&ie Angabe, dass er zuerst eine Arithmetik geschrieben habe (Jos. Murat. 
87, A. Czpasn. 138, Ὁ. 166, B. Isınor. Orig. III, 2) sich auf eine bestimmte 
Schrift bezieht, ist fraglich. Dagegen wissen Spätere (Marar. 66, D. Cxoe. 
188, C) von einer Geschichte des Krieges der Bamier mit Cyrus und Poxrn., 
.P. 16 von einer Inschrift auf dem Grab Apollo’s in Delos, die er verfaset 
habe. Wir kennen so abgesehen von dem vielen, was ihm Aston und Hip- 
Pasus unterschob6n haben sollen (Dioe. VIII, 7), und von dem goldenen Ge- 
dieht, dig Titel von 15—16 Schriften, die Pythagoras’ Namen trugen. Bruch- 
stüske solcher Schriften finden sich bei Jusrın. Cobort. 6. 19 (Kıxmens Protr. 
#,C.u. A. vgl. Orro zu ἃ. St. Justin’s). Ponrn. De abstin. IV, 18. Theol. 
Arithm. 10, Sraıan 5. Metaph. XII, 8 (Arist, et Th. Metaph. ed. Brand. II, 
812, 81 £), Verso aus einem wahrscheinlich von jüdischer Hand unterscho- 
benen oder interpolirten Gedicht bei Justin De Monarch. c. 2. (Was ϑτοβζσδ 
im Plorilegium anter Pythagoras’ Namen giebt, scheint keiner ibm unter- 


ς Neupythagoreer. 


schobenen Schrift entnommen zu sein.) — 2) Das goldene Gedicht (M. 
193 ff. 408 Δ΄, wo auch über die früheren Ausgaben; Bd.TI, 215). — 3) Timäns 
über die Weltseele (Bd. I, 212, 1; weiteres tiefer unten), zuerst angeführt von 
Nızomacnus Harm. I, 2& Kurusus Strom. V, 604, B, von diesem freilich 
“mit Worten, die sich in unserem Text nicht finden. — 4) Die Schriften des . 
Ocellus; ausser der noch vorbandenen über das All (s. o. 81, 8) werden 
deren von dem angeblichen Archytas b. Dıoc. VIll, 80 noch drei genannt: 
περὶ νόμου καὶ βασιληΐας καὶ ὁσιότατος. Von der ersten derselben, giebt ὅτομ. 
Ek1. I, 888 eine Probe (Μ. 407). — 5) Archänetus, dessen Bd. I, 262, I 
augeftihrte angebliche Asusserung doch wohl einer Bohrift entuommen ist, — 
6) Aresas rn. ἀνθρώκου φύσιος Brom. i, 846 vgl. Jausı. v. Pyth. 266. 7) Ari- 
stäon π. ἁρμονίας Stop. I, 428; ebendaher wohl, was Theol. Arithm. 42 und 
Craupıan. Mas. De statu an. II, 7 von dem „Pythagoreer Aristäus“ (über den 
Jaussı. v. P. 265) anführen. 7) Athamas Kızuens Strom. VI, 634, Ὁ; der 
Titel der @chrift, welche eine Kosmologie entbalten haben muss, wird nicht 
genannt. 8) Brontinusx. νοῦ καὶ διανοίας: ein Bruchstlick daraus b. Jau- 
σα in VırLoison Anecd. Il, 198; auf dieselbe Schrift besiehen sich Ps. Ars- 
xXAnper und Srrıan (8. Bd. I, 262, 1) und Schol. in Plat. ed. Bzxz. 8. 411. 
9) Bryso; Fragment seines οἰχονομιχὸς, ans Bros. Floril. 85, 15, O. 834. 
10) Batherus x. ἀριθμῶν Sron. Ekl. I, 12. 11) Charondas (augeblicher 
Pythagoreer; s. Bd. I, 225, 6) προοίμια νόμων Bros. Ploril. 44, 40. M. 540 ἢ. 
18) Diotogenes π. βασιλείας und x. ὁσιότητος Bros. Floril. 48, 61 f. δ, 69. 
48, 95. 48, 180. M. 682 fl. 18) Dius x. χάλλους Sros. Floril. 66, 16 f. O. 882. 
14) Ekphantus x. βασιλείας Bro. Flor. 47, 22. 48, 64—-66. M. 586 fl. (Ein 
auderer Ekpb. oder Euphantus ist Ὁ. Posrn. De abstin. IV, 10 gemeint; über 
den geschichtlichen Ekphantus, den Tnzovorgr cur. gr. δῆ, IV, 8. 196 Dio- 
phantus nennt, Bd. I, 861 £) 15) Eromenes; ein Bruchstück aus einer 
Schrift desselben, wie es scheint über die Seele, Ὁ. σελύψιλη. M. a. a. 0. 
16) Kuryphamus π. βίου Bros. Fior. 108, 27. O. 800, vielleicht von dem- 
selben Verfasser, wie die Schrift des Kallikratidas (s. u.), da beide in den 
Stellen Flor. 108, 27, 8. 11 m. und 86, 16, 8. 140 f. zum Theil wörtlich fiber- 
einstimmen. Sehr verwandt ist aber auch die Stelle des Hippodemus Flor. 
48, 98, 8. 100. 17) Eurysus x. τύχας 5108. Ekl. I, 210. Kızuens Strom. V, 
559, Ὁ. 18) Euxitheus; s. Bd. I, 827, 8. 828,1. 19) Hipparchus x. ih 
μίας Bros. Flor. 108, 81. 20) Hippasus; s. Bd. I, 860 ζ 248, 4, auch Βροξτε. 
De Mus. II, 18. Ein μυστικὸς λόγος unter dem Namen des Pythagoras wurde 
nach Dıoe. ΝΠ], 7 von manchen ihm zugeschrieben, gehörte aber wahrschein- 
lich keinem von beiden. 21) Hippodamus x. εὐδαιμονίας Bron. Flor. 08, 26; 
π. πολιτείας ebd. 48, 92—94. 98, 71. 0. 282 ff. 22) Kallikratidas x. τᾶς τῶν 
οἴἰκηίων εὐδαιμονίας Bros. a. a. Ο. 86, 16--- 18. Ο. 886. 28) Klinias x. ὁσιότητος 
χαὶ εὐσεβείας Brom. ebd. 1, 66 (auch das vorangehbende, ihm gleichfalle sage- 
sohriebene Bruchstück gehört wohl derselben Schrift an). O. 834. Aus einer 
mathematischen Schrift acheint das Bruchstäck Thbeol. Arithm. 19 zu stam- 
men. 24) Kriton x. φρονήσεως Bro. Ekl. II, 860. Flor. 8, 74 £ (hier a. d. T. 


Pseudonyme Schriften. 87 


᾿ βρίτωνος ἢ Δαμασίππου π, φρονήσεως καὶ εὐτυχίας). O. 826 f. 25) Lysis; auf 
eine Schrift von ibm weist die Bd. I, 262, 1 angeführte Angabe des Athena- 
gorss, Poxrn. v. Pyth. 57 £., Hızson. c. Ruf. III, 89. Bd. II, 565 Vallars; ob 
sich diese Stellen auf dasselbe Buch beziehen, und ob dieses das gleiche ist, 
welches nach Diou. VIII, 7 (vgl. Bd. I, 215) auch Pythagoras’ Namen trug, 
lässt sich nicht ausmachen. Mit ihm wird sein Genosse Archippus (s. Bd. I, 
337,1. 239, 2) von Porphyr und Hieronymus zusammen genannt; denselben 
(ohne Lysis) führt auch Crauvıanus Mamertus a. a. O. unter denen auf, 
welche die Verschiedenheit der Seele vom Leibe ängenommen und in Schrif- _ 
ten behauptet haben. 26) Metopus x. ἀρετῆς Stoe. Flor. 1, 64. O. 322. 
27) Onatas x. θεοῦ καὶ θείου Stop. ΕΚ]. I, 92 f. vgl. ebd. 50. 28) Pempelua 
5, γονέων Stop. Flor. 79, 52 (sus P’ıato Gess. XI, 930, E. 931, D f.) O. 844. 
29) Periktione x. σοφίας 8108. a. a. U. 1, 62 f. x. γυναιχὸς ἁρμονίας ebd. 
19, 60. 85, 19. O. 346 ff. 30) Phintys (die angebliche Toohter des Kalli- 
kratidas, deren Schrift demnach wohl den gleichen Verfasser hat, wie die 
seinige) π. γυναικὸς σωφροσύνας Stop. Flor. 74, 61 f. O0. 356. 31) Polus x. 
διασιοσύνης ὅτοκ. FI.9, 54. 0.880. 82) Prorus x. τῆς ἑβδομάδος Theol. Arithm. 
44 (aus Nikomachus) vgl. Jauer. v..Pyth. 127. 289. 88) Sthenidas t. Baat- 
λείας Brom. Flor. 48, 63. M. 536. 84) Theages π. ἀρετῆς Bros. ebd. I, 67—69. 
0.308 ἢ. 35) Theauno π. εὐσεβείας Stor. Ekl. I, 802; auch Gedichte unter 
ihrem Namen scheinen vorhanden gewesen zu sein, da Arius Didymus b, 
Kızuzss Strom. I, 309, C sagt, sie sei die erste Pythagoreerin, welche Phi- 
losophie getrieben und Gedichte verfasst habe; dagegen gehören ihre Apoph- 
thegmen (über die Bd. I, 225, 5) nicht hieher. 36) Thearidas (wohl der von 
Jausı. v. P. 266 als Metapontiner Theorides aufgeführte; Thearidas hiess 
aber, nach Pıur. Dio 6, auch ein Bruder des älteren Dionysius) rt. φύσεως 
Kızu. Strom. V, 611, C. 37) Zaleukus (vgl. Bd. I, 225, 6) προοίμιον νόμων 
Bros. Flor. 44, 20. 21. M. 542. — Unter diese angeblich altpythagoreischen 
Behriftsteller haben wir wohl auch Eubulides und Megillus zu rechnen, 
von denen jener Theol. Arithm. 41 und Βοῦτη. De Mus. II, 18, wie es scheint 
mit einer Schrift über Pythagoras, dieser Theol. Arithm. 28 mit einer x. 
ἀριδμῶν angeführt wird; ebenso Zaratas, oder Zoroaster, den angeblichen 
Lehrer des Pythagoras, über den Kı.smexs Strom. V, 599, A. Puur. an. procr. 
2,2. 8. 1012. Nikomachus in den Theol. Arithm. 43. Hırroryr. Refut. Haer. 
L2. v1, 23. 8. 12. 260 Dunck., auch Poers. v. Plot. 16 zu vergleichen ist; 
nach CLaup. Mau. a. a. 0. müsste es ausser Archippus und Aristäus (—on) 
such unter dem Namen des Epaminondas (als Schüler des Lysis), Gor- 
giades, Diodorus (dem Bd. I, 243 besprochenen) Schriften gegeben haben, 
da von diesen allen behauptet wird: cum hoc idem senserint scriptoque pro- 
diderint; doch mag es dahingestellt bleiben, wie es sich damit verhielt. Da- 
gegen wird in dem ὍὌψει, von dem Syrian etwas anführt (Bd. I, 262, 1) doch 
wobl der von Jausr.ıca v. P. 267 im Verzeichniss der Pythagoreer aufgeführte 
Rheginer Opsimus stecken; zu den erdichteten Verfassern unterschobener 
Schriften wird ferner der Empedotimus zu zählen sein, welchen Kızmens 


58 Neupythagoreer. 
Ein beträchtlicher Theil derselben trägt den Namen des Archytas'). 


Strom.I, 884, A unter den Anbängern des Weissagungsglaubens aufführt, JuLsax 
Ὁ. Sum. 'Eursd6r. (und Ἰουλιανὸς) neben Pythagoras als Vorgänger des Pontikere 
Heraklides bezeichnet, und der nach Suıv. a. a. O. eine φυσιχὴ ἀχρόασις schrieb 
“erwähnt wird er auch von OtLrurionor in Meteorol. I, 318 Id. Game. Naz. 
Carm. YI, 286. Bd. II, 1086 Parise.); ebenso Panaces, von dem Asıstıp. 
Ουιϊπι. Mus. I, S. 3 einen Ausspruch über die Musik bringt, und den Pnor. 
Cod. 167, 8. 114, 18 unter den Quellen des StobAus nennt (vgl. CAsır Grunds. 
ἃ, griech. Rhythmik 8. 5, 4); und das gleiche gilt von Androoydes, dessen 
Buch x. Iudayopıxav συμβόλων Nızom. Arithm. B. 5. Jausı. v. Pyth. 145. 
Theol. Arithm. 8. 41. Kı.ssens Strom. V, 568, A. Trveno x. τρόπων 4 (Bhet. 
gr. ed. Speng. III, 198). Arostor. prov. VIII. 84, o. Mant. Proverb. Tl, 81 
(Leursca Paroemiogr. II, 437. 770) anführen, wie man diess namentlich aus 
dem Fragment bei Maı 8picil. Rom. Il, XX sieht. Ein Bruchstück aus einem 
angeblichen Brief desselben an Alexander findet sich bei Prız. b. nat. XIV, 
δ, 58; ebendaher stammt wohl das Wort bei Kı.rsens Strom. VII, 718, Ὁ 
vgl. Pı.or. tranqu. an. 18, 8. 472. Auch die anonymen Διαλέξεις ἠθιχαὶ (O. 
310 ff. M. 544 ff.), welche bald nach dem Ende des peloponnesischen Kriegs, 
also zur Zeit des Archytas, verfasst sein wollen (vgl. Diss. 1), sind wohl 
nur desshalb in einem, freilich schlechten, Dorisch geschrieben, um für py- 
thagoreisch su gelten; es fragt sich aber allerdings, ob dieses stümperhafte 
Machwerk noch der Zeit der neupythagoreischen Schule und nicht einer spä- 
teren angehört. Ein Vers eines pythagoreischen Gedichte, dessen Verfasser 
nicht genannt wird, findet sich bei Sımrı.. Phys. 104, Ὁ, o., einige andere giebt 
MurLacn 8. 200. Ob den Sprüchen des „Pythagoreers Sextus* die SBobrift 
eines Neupythagoreers zu Grunde liegt, ist unsicher (vgl. 1. Abth. 601, 3. 
605, 4); einen Philosophen Sextus nennt auch Srnorıt. 849, B. Hıraox. 
Chron. Eus. zu Ol. 224, 8 (119 n. Chr.) als Zeitgenossen Hadrian’s, einen 
Pythagoreer Sextus JausLich b. Sıurı. Categ. 49, a. Phys. 18, b, m (Schol. 
in Arist. 64,b, 10.827, b, 10), welcher bei ihm die Quadratur des Kreises gefunden 
hatte; dieser muss aber ein wirklicher neupythagoreischer Schriftsteller ge- 
wesen sein. Wenn wir ihn aus dem Spiele lassen, dagegen den Philolans und 
Archytas und die von Alexander Polyhistor benützte Schrift mitzählen, so 
erhalten wir zwischen vierzig umd fünfzig angeblich altpythagoreische Schrift- 
steller mit 70—80 Schriften. Zu diesen kommen dann noch die 18 Briefe, 
von Pythagoras, Lysis, Theano u. s. w., welche theilweise schon Diogenes 
und Jamblich bekannt, von Onxzıruı (Bocratis et Bocratic. Pythagoras et 
Pythagoreor. epistolae 51 ff.) herausgegeben sind, nebst dem anonymen ebd. 
S. 45, Nr. 87. 

1) Die uns bekannten (bei Orzı..ı 8.284 ff. Monıach 558 ff., vollständiger 
bei Hartenstein De Arch. fragm. philosoph. Lps. 1888 vgl. Gaurrx fiber d- 
Fragm. ἃ. Arch. u. ἃ. älteren Pythagoreer, Berl. 1840. Beoxuanna. a. 0.81 f.\ 
sind folgende: 1) περὶ ἀρχῶν Bron. Ekl. I, 710.— Davon verschieden scheint 
4) x. ἀρχᾶς ebd. 722. — 8) x. τοῦ ὄντος ebd. Il, 22. — 4) Die Kategoricen, oder 


Pseudonyme Schriften. 0 


- 


Aus dieser ganzen Masse von Büchern gehörten allen Anzeichen 


wie sie selbst (nach Sıwrı.. Cat. 1, B Basil. Phys. 186, a, u. sich nannten: x. 
τοῦ zavröc. SBimplicius giebt uns durch seine zahlreichen Anführungen ein 
siemlich vollständiges Bild von dieser Schrift; m. 8. 8. ἃ. Ο. ἢ, 8, ζ. 10, ε. 15, 
B- 16,7. 19, ε f. 20, α (vgl. Βιμρι,. Phys. 51, b, 0.). 28, y—e. 29, β. 31, 8. 82, ε f. 
81, ζ. 88, y. 40, ε ἢ. 41,8. 45,8. 46, γ. 0.48, Bf. 50,8. 53, ε. 61,7. 66, δ. 68, X. 
71,0. 18, ε. 78, ε. 76, 8.80 α. ε ff. 83, ε. 84, β. ζ. 85, α. ε. 86, ὃ £.'87, α. 88, α. ὃ. 
88, ζ. 89, y f. (Das Bruchstück über die Zeit, welches διμπερι,. auch Phys. 186, 
8, Ὁ. vgl. 165, a, u. giebt; Murraos 8. 570 hat nur einige Zeilen davon, sammt 
dem falschen Citat „Simpl. in Phys. 187*, aus Oueuuı 272 entlehut, wiewohl 
das ganze nebst der richtigen Quellenangabe bei Hartenstein δ. 86 zu finden 
war). 90, s. 91, e. 92, a. 8. 93, α f. 94, ε. 95, ὃ ὦ. Nie war aber auch von Jamb- 
lich fleissig gebraucht worden (Bımpı.. Categ. 28, ε. 82, ζ u.d.); ebenso wird sie 
von Dexırrus (in Categ. 20, 18. 79, 14 Speng.) Boätnıus (ad Arist. Praed. 114. 
Arithm. 11, 41. 8. 1352) u. Andern (vgl. Beckmann 8. 82, c) angeführt, auch 
Hırrourr. Refut. Haeres. Vi, 24 bezieht sich ohne Zweifel mittelbar oder un- 
mittelbar auf sie; Themistius jedoch hatte (nach Bo6th. Categ. a. a. O.) ihren 
Verfasser in einem Peripatetiker Archytas vermuthet. Aus Sısrı. Cat. 87, a. 
88, «sicht man, dass sie jünger war, als Andronikus, und diesen benützt hatte 
(8impl. freilich meint: umgekehrt); nach demselben 82, e. 68 e scheint sie auoh 
aus Athenodorus und Eudorus (1. Abth. 520 f. 548, 6) geschöpft su haben. 
Diese Altere pseudo-archyteische Schrift über die Kategorieen gab dann An- 
lass zu dem ganz späten und elenden Machwerk, welches als Schrift des Arohy- 
ἴδ. über die Kategorieen (0.2783 ff. M. 570 f.) auf uns gekommen ist. Hazren- 
erzız 71 f. hält die Schrift x. τοῦ παντὸς für dieselbe mit der π. τοῦ ὄντος, mir 
scheinen beide verschieden zu sein. — Gleichfalls verschieden vun jener, aber 
unverkennbar das Werk des gleiohen Verfassers, war 5) die Abhandlung x. 
τῶν ἀντιχειμένων, welche den aristotelischen sog. Postprädikamenten ent- 
sprechend von ϑιμρι.. Categ. 97, β -- ε. 99, Bf. 100, y f. 104, B. 106, B—8. 110, 
δ. 111 angeführt wird, Jamblich jedocb unbekannt war (Brurr. 108, γ. Bohol. 
in Ar. 88, a, 24). — 6) Π. μαθημάτων. Ein Bruchstück davon b. Bros. Fior. 
48, 185; das gleiche führt James. π᾿ xow. μαϑ. (Vır.oıson Anocd. Il, 208 vgl. 
dens, in Nicom. 8. 6 Tennul. v. Pyth. 160) aus der Schrift x. μαθηματικῶν, 
Poararz. in Ptol. Harm. 236, der es am vollständigsten mittheilt, aus der 
Sehrift x. μαθηματικῆς au; der Anfang dieses Stücks findet sich aber auch in 
Νίκον. Inst. Arithm. I, 8. 8. 5 f. aus dem äppovıxbv des Archytas, so dass dem- 
nach alle diese Bezeichnungen auf das gleiche Werk zu gehen scheinen; riel- 
leicht ist ἁρμονικὸν der riohtige Titel; vgl. CnawäLeo b. Arsen. ΧΙ, 600 f. 
Ebendaher stammt wohl, was sonst musikalisches von A. angeführt wird; m. 
s. darüber Βκοκμανν 8. 82, Ὁ. Hartenstein 8. 45. 7) Nach Tuxo Math. II, 49, 
8. 166 hatte A. dv τῷ περὶ δεχάδος über die Eigenschaften der Zehnzahl ge- 
kandelt. — 8) Π. νοῦ καὶ αἰσθήσεως Bros. Ekl. I, 784 ἢ, Jamsı.. in VırLoson 
Aneod, 11, 199. Auf diese Schrift scheint sich auch Bchol. in Plat.B. 411 Bokk. 
su bezieben. — 9) ἢ. ἀνδρὸς ἀγαθῶ καὶ εὐδαίμονος Bros, Flor. 1, 73—81. 


90. Neupythagoreer. - 


nach ποῦ einige wenige, nur eine oder zwei von den Schriften des 


8,76, 115, 27. — 10) Il. σοφίας Jausı. Protr. IV, 89 δ΄. Porrs.in Ptol. Harz. 
215; ein Theil des gleichen Bruchstücks wird aber von Stobäus einer gleich- 
namigen Schrift der Periktione (vor. Anm. Nr. 29) zugetheilt; dieselbe muss 
demnach unter beiden Namen im Umlauf gewesen sein. — 11) Il. παιδεύσεως 
ἠθιχῆς Stos. Flor. 1, 70 f. Exo. e Jo. Damasc. II, 18, 120. Die gleiche Schrift 
ist es vielleicht, welche Pairosre. v. Apoll. VI, 81 u.d. T. ὑπὲρ καίδων ἀγωγῆς 
anführt. — 12) II. νόμου χαὶ διχαιοσύνης Stop. a. a. Ο. 48, 132—134. 46, 
61. — 18) Π. αὐλῶν von Araen. IV, 184, e ausdrücklich dem Pythagoreer 
Arch, beigelegt. — 14) Die zwei Briefe ἢ. Dioc. III, 22. VIII, 80. — Aus 
der Anführung b. Stos. Ekl. I, 12: „ex τῶν ᾿Αρχύτου διατριβῶν“ kann man 
auf eine archyteische Sohrift u. d. T. ἀιατριβαὶ nicht mit Bicherheit schliessen, 
denn dieses Woft könnte auch nur „Abhandlungen“ bedeuten, oder es könnten 
die διατριβαὶ dos Archytas, ähnlich wie die πυθαγορικαὶ ἀποφάσεις des Aristoxe- 
nus, eine von einem Dritten verfasste Sammlung archyteischer Reden sein; 
noch weniger beweist Auısr. Metaph. VIII, 2 g. E. für eine eigene Zusammen- 
stellung von Definitionen. Allerdings scheinen aber die Mitbeilungen bei 
Axısr. a. 4, Ο. De sonsu c. ὅ, 445, a, 16. Probl. ΧΥ͂Ι, 9. Tuxurnz. Metaph. 312, 
15. Kupesmus bei βιμνι,. Phys. 98, b, m. 108, a, o. (Bd. I, 325, 1, Schl. 255, 2. 
317, I)srchyteische Schriften vorauszusetzen. Auch was Cıc.Cato 12, 39. [,8]. 
28, 88 angeblich aus mündlicher Ueberlieferung von A. anführt, ist ihm ohne 
Zweifel auf schriftlichem Wege zugekommen; aber dass ibm eine Sobrift des 
Archytas selbst vorlag, folgt daraus um so weniger, da die drste, ausführlichere, 
von diesen Angaben aus Aristoxenus geflossen zu sein scheint (vgl. Bd. I, 
244, 8). Bestimmter weisen die Citate bei Tazo Math. δ. 27. 80 und Srarax in 
Metaph. (Ὁ. Baaxpıs De perd. Arist. libr. 36. Arist. et 'I'heophr. Met. od. Brand. 
II, 825, wenn hier ᾿Αρχύτας und nicht ᾿Αρχαίνετος zu lesen sein sollte), über 
welohe man Bd. I, 260, 2. 262, 1. 268, 1 vergleiche, auf (pseudo-) archyteiaobe 
Sehriften; ob aber diese unter den uns bekannten oder ausserhalb derselben 
su suchen sind, lässt sich niobt sagen. Weun endlich Cıavpıax. Mau. 
De statu an. IL, 7 vom Archytas sagt: ὑπ eo opere, quod magnificum de rerum 
netura prodidit, post multamı de numeris utilissinamgue (al. subtiliss.) diepule- 
tionem, „anima“, inquit, „ad exemplum unius composita est, quae sic Wlocaliter 
dominatur in corpore, sicul unus in numeris“, so werden wir dieses Werk nicht 
mit Hauresstein 8. 98 in dem Buche x. τοῦ παντὸς suchen dürfen, welches 
nach dem obigen vielmehr .eine Kategoricenlehre enthielt, sondern es muss eine 
ejgene. Schrift gewesen sein; derselben Schrift ist vielleicht die Definition der 
Seele bei Jon. Lrpus De mens. ὁ. 6 (8) 8. 21 und die Angabe des Stosäus EkL 
I, 878 über die Theile der Scule entnommen. In welchem archytcischen Buche 
sioh das πέμπτου σῶμα (Posen. Schol. in Plat. 8. 488 Bekk.) und die Ewigkeit 
der Welt (Cansonız. di. nat. 4, 8) gelehrt fand, erfahren wir nicht: ein äAchtoa 
kann es keinenfalls gewesen sein, Die Mechanik (Vırruv. VIl, praef. 8. 155) 
und die Schrift über den Landbau (Vanao B.B. I, 1,8. Cowumsuta R.R. I, 
1, 1) werden von Dıoa. VIII, 82 zwei andern gleichnamigen Männern beige- 


΄ 


Pseudonyme Sehriften. 48 


Areıytas Ἢ umd diejenige, weicher ie phileisisohen Beuell-: 
stäcke fast alle entnommen smd?), ihren angeblichen Verfassern; 
alte übrigen dagegen, vielleicht mit einer einzigen Ausnahme: "» 


δ᾽, während Varro und (aus ihm) Columella die letztere ausdrücklich dem, 
Pythagorser zuweisen; ob die Notiz bei Aruxn. XIIl, 600, ὦ, unserem oder ei- 
nom andern Archytas (etwa dem von Dioe. a. a. O. genannten Musiker) ange- 
hört, ist ziemlich gleichgiiltig. Die ᾿Οψαρτυτοιὰ schreibt auch Armen. ΧΙΡ 518,0 
nicht dem tarentinischen Phflosopheu zu. 

1) VgL Bd. I, 3132°£ Von den δολείδιεν, deren Titel uns gonennt werden, 
kann δὲν die Harmonik (x. peßnuarıxäc) und vielleiebt auch die Schrift x. de-, 
χάδος͵ die Meehanik und die Schrift über den Landbau, von den erhaltenen 
Bruchstäcken können ausser den wenigen Angaben des Aristoteles und Eude-' 
mus, nur die aus der Harmonik stansmenden für Ncht gehalten werden. Die: 
Untehtheit der übrigen scheint ikir darch die bisherigen Verhundlungen kin. 
reiahend fentgemtahlt σὰ sein; dass auch die neueren Retinngewerstche am die-, 
un Ergebniss nichts ändern, ist δ, a. Ὁ. gezeigt worden. Eher möchte man, 
fragen, ob auch nur die Fragmente der Harmonik (von der Schrift über die 
Zehnsahl ist keines erhalten) Acht seien. Indessen enthalten sie, wiemir scheint, 
nichts, was der Annahme ihrer Acschtlteit im Wege stlinde, sie unterscheiden 
sieh vielmehr in dieser Besiehung sehr su ihrem Vortbeil von den übrigen ar- 
chyteisehen Bruchstücken, während andereraeits ameh durch äussere Zeugnisse: 
wahrscheinlich wird, dass schon um das Ende des vierten Jahrhunderis min-, 
destens Eine Sehrift dieses Inhalts von Archytas bekannt way, denn auf eine 
siehe wird essich doch wohl beziehen, wenn Onamäınon (übegden Bd.li, b, 727, 
%b. Armes. XIII, 600 f. vom ᾿Αρχύτος ὁ ἁρμονιχὸς reden Dass Νικομδςπιδ 
Inst. Arithm. I, 6 dem Anfang der von Poazan. in Pol, Harın. 236 mitgetheilten 
Stelle in einer abweichenden Recension gieht (vgl. Hautuusrzıx 8. 40 f.), kann, 
gegen die Aschtheit des Bruchstünks nichts beweisen, da Porphyr jedenfalla, 
das urspränglickere hat; und wenn Eros. Flox. 48, 185 mit dem Fragment bei 
ὅλοι, in VıuLowon’s Anuod. Il, 202 cine weitere, nicht damit zusammen- 
hängende Auseinandersetzung verbindet, so hat er wahrscheinlich swei ar- 
wwünglich nieht susammengehörige Aussüge verschmolsen, von desen sich 
nieht ausmachen lässt, ob beide auch nur derselben Sobrift entnommen sind, 

3) Dass auch diese sammt und senders unterschoben seien, hat neuerdings 
Scauuanschuipr (die angebliche Schrifistellerei des Philolaus, 1864) in ein- 
gebender Weise zu zeigen versucht, Ich muss es jedoch einem anderen Orte 
verkehalten, die Gründe auseinandersusetsen, welche mich abbalten, seinem 
Unheil ‘über dieselben beizutreten. Dem Bruchsifick bei Sros. Ekl. I, 420 
babe ib selbst allerdings seine Unächtbeit naehgewiesen (Bd. 1,269, 2. 805, 1)5 
sonst aber scheinen mir von den uns unter Philalaus’ Namen überlisfarten, 
ἡάμαα ner οἷδι paar hleinere genügenden Grund. sur Answeiflung zu 


Rn Die Asusserung des Euxitheus, welobe Arsen. IV, 187, α aus Klearch 
(um 800 v. Chr.) mittheilt, gehört allerdings wohl. einer ächten Schrift an, 


I Neupythagoresar. 


scheinen unterschebon gewesen zu sein; .voa denen wenigsiens, 
weiche sich'ganz oder theilweise erhalten haben, steht diess ausser 
Zweifel ?). Die Urhebersokaft dieser Unterschiebung wird mes 
aber nicht mit Grurre ?) blos ganz wenigen Personen zuschreiben, 
und ebensowenig jene Schriften, ihrer grossen Mehrzahl nach, mit 
demselben Gelehrten, statt des hellenischen aus dem jüdisch-helleni- 
schen Bildungskreis herleiten dürfen. Denn für einen oder zweiVer- . 
fasser ist nicht allein die Masse dieser Schriften doch wohl zu 
gross, sondern auch ihr Inhalt und ihre Form zu ungleich 5); und 
weit entfernt, einen jüdischen Ursprung zu verrathen, enthalten sie 
vielmehr zahlreiche Aeusserungen, welche mit dem jüdischen Mo- 
notheismus unverträglich sind, und von keinem Juden niederge- 
schrieben sein können“). Wir werden demnach in dieser pseu- 
donymen Literatur das Werk verschiedener Schriftsteller aus 
der neupythagoreischen Schule zu selien haben, welche wohl 
meistens dem letzten Jahrhundert vor Christus und dem ersten 
nach Christus angehörten 5); etwas genaueres lässt sich aber selbst 


“405. 


wenn sie überhaupt einer Sehrift unter Baxichous’ Namen entnommen ist; aber 
eben dieses ist unsicher. 

1) Vgl. Bd. I, 209 δ. 

3) Fragm. d. Arch. 128 ff. Die Schriften über die Katogorieen und die 
π. ἀντικειμένων, oder vielmehr eine dem Andrenikus unterschobene Schrift, der 
Simplieius alle seine Anführungen ans den archyteischen Kategorieen entnom- 
men habe, soll nach Grurrn von einem Piatoniker, alle übrigen sollen von 
einem alexandrinischen Juden um das Jahr 89 n. Chr. verfasst sein. Einem 
jüdischen Ursprung der meisten psendopythagoreisahen Rücher vrermuthet 
auch Lurressuck, Neutest. Lehrbegr. I, 371, indem er sie vornehmlich von 
Easenern verfasst glaubt. 

8) Beispiele von Abweichungen in dem Lebrinhalt der verschiedenen 
neupythagoreischen Schriften werden uns tiefer unten nicht ganz wenige vor- 
kommen; auch in ihrem Ton und ihrer Sprache unterscheiden sie sich aber 
merklich von einander. 

" 4) Auch biefür werden, ausser dem entsobeidenden B. 98, 1 angeführten, 
später noch weitere Belege gegeben werden. Ebendahin gehört die mit dem 
jüdischen Rchöpfangsbegriff so unrerträgliohe Lehre von der Ewigkeit der 
Welt, die in mehreren der preudonymen Schriften, wie wir finden werden, mit 
grossem Nachdruck vorgetragen wird. 

5) In diese Keit scheinen wenigstens die erbaltenen pseudopytbagoresischen 
Bruchstücke fast durchaus zu gehören; dass es allerdings auch schon früher 
unterschobene pythagoreische Schriften gab, beweisen die des Pythagoras, 
welche schon Hernklides Lembns (Ὁ. Diow. VIII, 6) anführt. 


= 


Apollonius) Moderatus; Nikomachus. 8 


in Batreff ihrer Abfassungszeit nur bei wenigen, in. Betreff: ihrer 
Verfasser bei keiner einzigen. von diesen Schriften ausmitteln. Da- 
gegen ist zu vermuthen,, dass die meisten desselben in Alexandria, 
als der wahrscheinlichen ursprünglichen Heimath des neuen Pytha- 
goreisurus, vorfasst wurden, und ebendaher werden wir nas neben . 

- anderem?) auch die Anklänge an die hellenistische Denk- und Aus- 
drucksweise, welche in ihnen vorkommen, zu erklären haben °). 
Weit kleiner als die Reihe der angeblichen Altpythagoreer,, 

* hinter denen sich Männer der neupytbagoreischen Schule versteckt 
haben, ist die Zahl derer, welche uns unter ihrem eigenen Namen 
als Pythagoreer dieser späteren Zeit bekannt sind. Neben den frü- 
her besprochenen römischen Pythagoreern sind Apolloniugs von 
Tyana®) und Moderatus‘) aus dem ersten, Nikomachus®) 


_ -ὦ 


I) Wie die Polemik dus angeblichen Onatas bei Stop. Ekl. I, 96 gegen 
die λέγοντες ἕνα θεὸν εἶμεν ἀλλὰ μὴ πολλὼς, welche sich bei einem Alexandriner 
wenigstens dann leichter, als bei andern, begreift, wenn die Schrift des 
Onatas nicht erst in der Zeit verfasst wurde, in der das Christentbum schon 
die Aufmerksamkeit auf sich gesogen hatte. ᾿ 

2) Gaurex 2.2.0. 129 ff. sucht seine Hypothese von viner jüdischen Her- 
kunft der meisten pythagoreischen Fragmente auch durch den Nachweis zu 
stützen, dass sie in Sprachgebrauch und Gedanken mit Philo, den LXX und 
dem N. T. verwandt seien. Für diesen Zweck reichen nun allerdings seine 
Belege um so weniger aus, da bei Philo, und auch schon in der Weisheit 
Salomo's, vielmehr umgekehrt ein Einfluss des Neupythagöreismus ansunehmen 
ist (6. u.); aber der alexandrinisch-hellenistische Charakter jener Bruchstlicke 
geht allerdings aur dem, was or beigebracht hat und noch weiter beibringen 
kennte, hervor. 

8) Auch von ihm wird später, bei Gelegenheit der Schrift des Philostratus 
über iha, zu sprechen sein. Ä 

4) Moderatus aus Gades (Poren. v. P. 48. Srurn. Brs. de urb. T&ösıen) 
muss sur Zeit Nero's oder Vespasian’s gelebt haben, da Pıur. qu. conv. VI, 
?, I einen seiner Sebüler redend einführt. Beiner 11 (oder naeh Fiteph. δ) 
Bücher Πυθαγοριχῶν σχολῶν erwähnen Poren. und Breen. a.d.2.0. vgl. Porph. 
b. Eus. pr. ov. VI, 19, 8. Bruchstücke daraus Ὁ. Ponrm. v. P: 48 f. Bımrı. 
Phys. 50, b, u. Sros. Ekl. I, 18. 863 f. 

6) Nikomaohus (über den Fazeic. Bibl. gr. V, 629 ff. =. vgl.) stammte zus 
Gerasa in Arabien: Γερασηνὸς ist sein stehender Beiname in den Titeln:seiuer 
Schriften (vgl.. Ast z. Nikom. Arithm. 205), Theol. Arithm. 88. 48. Paor. 
BibL Cod. 187 u. 5. Als augesehener pytbagoreischer Schriftsteller wird er 
von Ponra. b. Bus. pr. ev. VI, 19, 8 neben Moderstus genannt. Da Apulujus 
seine Arithmetik übersetzte (Cassıonor, Arithm. T. H, 665 u. Garet; nach 
ihm Isıpox Orig. III, 2), muss er vor der Zeit der Antonine gelebt haben; die 


9 Neupythagorecer. 


wohl in dem, was er aus dem ältern Pythagoreismus entlehnte, als 
in den Bestimmungen, durch die er über die ganze bisherige Phi- 
losophie hinausgieng, in jenem Offenbarungsglauben und jener 
religiöser Mystik, deren eigenthümlicher Charakter schon oben be- 
sprochen wurde. 

Die Neupythagoreer selbst freilich wollten für treue Schüler des 
alten samischen Philosophen gehalten sein: eben um ihre Lehren 
als altpythagoreisch darzuthun, wurden jene zahllosen Unter- 
schiebungen von Schriften vorgenommen, welche alles beliebige, 
mochte es auch noch so jung, und mochte sein platonischer oder 
arisiotelischer Ursprung noch so bekannt sein, unbedenklich#einem 
‚Pythagoras und einem Archytas in den Mund legten. Aber doch 
konnten auch sie das Bekenntniss, dass sie über die pythagoreische 
: Ueberlieferung hinausgehen, nicht ganz zurückhalten. Porphyr 
„ und Jamblich berichten übereinstimmend!), beide ohne Zweifel 
nach Nikomachus?), durch die kylonische Verfolgung sei die 
Wissenschaft der Pythagoreer, zugleich mit den Trägern derselben, 
bis auf die vereinzelten und schwer verständlichen Ueberbleibsel 5) 
untergegangen, welche sich in der Erinnerung der wenigen ge- 
retteten erhalten hatten, da sie bis dahin nicht schriftlich darge- 
«stellt, sondern als Schulgeheimniss im Gedächtniss bewahrt worden 
sei. Erst jetzt haben jene, um sie nicht ganz der Vergessenheit 
anheimfellen zu lassen, ihre eigenen Erinnerungen in Schriften 
niedergelegt, und auch die Bücher der älteren Lehrer *) gesammelt; 
sie haben aber dieselben nur ihren eigenen Nachkommen hinter- 
lassen, und diesen anbefohlen, sie keinem Fremden mitzutheilen, 
was auch wirklich lange Zeit nicht geschehen sei. Hiemit ist ein- 
᾿ς geräumt, dass das, was jetzt für pythagoreisch ausgegeben wurde, 
früher nicht als solches bekannt war, und dass auch die angeblich 
pythagoreischen Schriften erst neuerdings in Umlauf gekommen 
waren. Das gleiche Zugeständniss liegt in der Wendung, deren 
sich Moderatus bedient, um den neuen Pythagoreismus mit dem 


1) Poren. v.P. 57 ἢ, Jausı. v.P. 262 f. vgl. Bd. I, 210, 8. 

2) Vgl. Jamse. 251. Porrn. 59. 

8) Ζώπυρα ἅττα πᾶνν ἀμυδρὰ καὶ δυςθήρατα, wie Jamblich, und fast wort- 
gleich Porphyr sagt. 

%) Die nun doch auf einmal auftreten, wiewohl unmittelbar vorher be- 
hauptet war, es habe keine solohe gegeben. 


ἂν». 


Verhältniss zum ursprünglichen Pythagoreismus. 4% 


älteren in Uebereinstimmung zu bringen. Da die alten Philosophen, 
sagt er!), die höchsten Begriffe und die letzten Gründe mit Wor- 
ten nicht deutlich darzustellen wussten, so machten sie es wie die 
Lehrer der Grammatik, wenn sie die Laute mit den Schriftzeichen 
ausdrücken, und wie die der Geometrie, wenn sie die allgemeinen 
Eigenschaften des Dreiecks an irgend einem einzelnen-Dreieck zur 
Anschauung bringen: sie wählten sich an den Zahlen Zeichen für 
die allgemeinsten Begriffe. Den Begriff der Einheit und der Gleich- 
heit, die Ursache der Harmonie, des Bestandes und der Gesetz- 
mässigkeit aller Dinge drückten sie durch die Zahl Eins aus, den 
Begriff des Andersseins und der Ungleichheit, der Theilung und 
Veränderung dureh die Zw#izahl, den des Vollkommenen, was An- 
fang, Mitte und Ende hat, durch die Dreizahl u. s. w. Auch diess 
ist eine unfreiwillige Bestätigung der Thatsache, dass man die alte 
pyihagoreische Zahlenlehre erst umdeuten musste, um die abstrak- 
tere und tiefergehende Metaphysik in ihr zu finden, welche die 
Jüngeren an ihre Stelle setzten. Wenn endlich von der gleichen 
Seite her geklagt wird, die späteren Philosophen hätten aus dem 
pythagoreischen System seine fruchtbarsten Gedanken entwendet, 
und für ihre eigenen Entdeckungen ausgegeben, ihre Darstellungen 
des Pythagoreismus dagegen aus solchem zusammengesetzt, was 
nur zu den Aussenwerken desselben gehörte, oder was ihm gar 
fälschlich unterschoben worden sei ®), so tritt uns aus dieser 
bodenlosen Behauptung als der wirkliche Sachverhalt gleichfalls 
nur dieses entgegen, dass die altpythagoreischen Lehren unseren ° 
Neupythagoreern im ganzen genommen zu etwas nebensächlichem 
oder gar völlig unhaltbarem geworden waren, und dafür solche 
Bestimmungen die höchste Wichtigkeit für sie gewonnen hatten, 


1) B. Porn. νυ. P. 48—52, 

2) Porru. a. a. O. 58. Porphyr erörtert hier, obne Zweifel noch nach 
Moderatus, die Frage, wie man sich das Erlöschen der pythagoreischeu Schule 
zu erklären habe, und nachdem er einige anderweitige Gründe dafür angeführt 
hat, führt or fort: πρὸς δὲ τούτοις τὸν Πλάτωνα χαὶ ᾿Αριστοτέλη Σπεύσιππόν τε χαὶ 

""Apıstökevov χαὶ Ξενοχράτη, ὡς φασὶν ol Πυθαγόρειοι, τὰ μὲν κάρπιμα σφετερίσασθα: 
διὰ βραχείας ἐπισχευῆς, τὰ δ᾽ ἐπιπόλαια καὶ ἐλαφρὰ καὶ ὅσα πρὸς διαοχευὴν καὶ 
χλενασμὸν τοῦ διδασχαλείου ὑπὸ τῶν βασκάνων ὕστερον συκοφαντούντων προβάλλε- 
Tu, συναγαγέϊν καὶ ὡς "ἴδια τῆς αἱρέσεως καταχωρίσαι. 


Philos. d. Gr. ΠῚ, Bd. 2. Abth. 7 


98 | Neupythagoreer. 


welche sich nicht bei den alten Pythagoreern, sondern nur in der 
nachsokratischen Philosophie fanden. 

Es zeigt sich diess gleich bei der Frage nach den letzten 
Gründen. Den alten Pythagoreern hatten in dieser Beziehung die 
Zahlen und die Elemente der Zahlen genügt; die neuen führen sie 
selbst auf höhere Ursachen zurück. Auch sie zwar setzen als die 
allgemeinsten Principien die Einheit und die .Zweiheit, welche 
letztere, nach dem Vorgang der alten Akademie!), die unbe- 
stimmte Zweiheit genannt wird. Aber ist schon dieses, wie Mode- 
ratus selbst anerkennt?), streng genommen ein Hinausgehen über 
die ursprünglich pythagoreische Lehre, so erweitern sich ihnen 
überdiess jene beiden Begriffe zu metaphysischen Kategorieen von 
der allgemeinsten Bedeutung.‘ Mit dem Namen der Einheit soll der 
Grund alles Guten, aller Vollkommenheit und Ordnung, alles 
dauernden und unveränderlichen Seins bezeichnet werden, mit dem 
der Zweiheit der Grund aller Unvollkommenheit und Schlechtigkeit, 
aller Unordnung und alles Wechsels: jene wird der Gottheit, dem 
Geiste, der Form, diese der Materie, als der Wurzel alles Uebels, 
gleichgesetzt). Die Eigenschaften des Eins sollen sich in den un- 
geraden, die der Zweiheit in den geraden Zahlen. wiederholen ἢ). 
Von diesen entgegengesetzten Urgründen gehen sie dann weiter zu 
der Gottheit, als der einheitlichen Ursache alles Seins fort; ihr 
Verhältniss zu derselben wird aber verschieden bestimmt. Nach. 
der einen Darstellung ist das Eins oder die Monas selbst das Ur- 
wesen, welches sich verdoppelnd die Zweiheit hervorbringt, die 


1) Vgl. Bd. II, a, 476, 1. 667, 4 

2) Bei Sron. Ekl. I, 20 sagt er (denn nach den Schlussworten 8.24 gehört - 
ihm auch diess noch): die νεώτεροι (Plato und die Platoniker) hätten die 
Monas und Dyas als Principien der Zahlen aufgestellt, die Pythagoreer da- 
gegen πάσας παρὰ τὸ ἑξῆς τὰς τῶν ὅρων ἐχθέσεις, δι' ὧν ἄρτιοί τε x περιττοὶ 
γοοῦνται. | 

8) Man vgl hierüber, was 8. 74. 97 und Bd. 1, 259—268, vgl. 264, 4 
aus Alexander Polyhistor, Sextus, Moderatus, Eudorus, den plutarchischen 
Placita, dem angeblichen Archytas u. A. angeführt ist; ferner HırroLrr. 
Refut. Haer. I, 2. 8.10 Dunck. ebd. VI, 23. 9.'260 (angeblich nach Pythagoras 
uud Zaratas; in beiden Stellen wird die Einheit die männliche, die Zweibeit 
die weibliche Zahl genannt, wie diess schon von Xenokrates geschehen war, 
4. Bd. UI, a, 667, 4). Pa. Pı.ur. v. Hom. 145, 

4) Ps. Puur. a. a. Ὁ. Mopenartus 8. vorl. Anm. 


Die letsten Gründe; die Gottheit. 9%, 


wirkende Kraft, welche sich an ihr ihren Stoff giebt 15; und diese 
ursprüngliche Einheit ist von der abgeleiteten, welche selbst Glied 
des Gegensatzes ist, zu unterscheiden 3). Andere dagegen stellen 
die Gottheit, nach dem Vorgang des Aristoteles und des platoni- 
schen Timäus, als die bewegende Ursache dar, welche die Form 


und den Stoff zusammenführe °), den Weltbildner, welcher die Idee 


mit der Erscheinung verknüpfte*); oder sie unterscheiden auch, 
mit den Stoikern, Gott und die Materie einfach als das Wirkende 
und das Leidende?). Die Einheit der höchsten Ursache ist allge- 


' 1) So der Pythagoreer des Alexander und des Sextus, Eudorus, die Pla- 
cita, Hippolytus (Orig. Philos.), Brontinus u. A.; vgl. 8. 74, 2. Bd. I, 259 ἢ. 
261, 3. 262, 1. Ebenso Justin cohort. 19 (Pyth. nenne die Monas ἀρχὴν 
ἁπάντων). Nikomachus Ὁ. Paor. Cod. 187, 8. 143, a, 24 (die Monas sei der 
νοῦς, εἶτα χαὶ ἀρσενόθηλυς καὶ θεὸς χαὶ ὕλη δέ πως). Ders. Theol. Arithm. 8. 6. 
Diese Gleichstellung des Einen mit der Gottheit findet sich zuerst bei Plato 
und seinen Schülern; vgl. Bd. Il, a, 453, 1. 2. 667, 1. 

2, Auch hierüber wurden schon Bd. I, 260, 2. 208, 1 die näheren Nach- 
weisungen gegeben, es ist dort aber auch gezeigt, dass dio Neupythagoreer iu 
dieser Beziehung nicht einig waren, indem bei den einen die Monas, bei den 
andern das ἕν der höhere Begriff war. Anf eine ähnliche Unterscheidung 
führt es, weun nach Nikomachus in den Theol. Arithm. 8. 44 das πρωτόγονον 


- O2  —egerm——yr—— εἰ σφ 
’ 


zuerst hervorgebracht wurde., 

| 3) So der angebliche Archytas r. ἀρχῶν b. Stop. ΕΚ]. 1, 710 f.; vgl. Βα. 1, 
261 f. Nachdem bier von den zwei ἀρχαὶ, der &yadororog und χαχοποιὸς, der 
Form (μορφὼ) und Materie (Ga, wala, ἐστὼ) gesprochen ist, fährt der Ver- 
fasser fort: da weder die Materie von sich aus an der Form theilhaben, noch 
diese sich jener mittheilen könne, so müsse es eine dritte Ursache geben, 
welche den Btoff gegen die Form bewege, τϑύταν δὲ τὰν πρώταν τᾷ δυνάμι καὶ 
xaburzsrarav εἶμεν τᾶν ἀλλᾶν᾽ ὀνομάζεσθαι δ᾽ αὐτὰν ποθάχει θεόν" ὥστε τρέϊς ἀρχὰς 
εἶμεν ἤδη, τόν τε θεὸν καὶ τὰν ἐστὼ τῶν πραγμάτων χαὶ τὰν μορφάν. ᾿ 

4) Tım. Loce. De an. m. Anf., wo zuerst die Idee, Materie und sinnliche 
Erscheinung unterschieden werden, und dann 8. 94, B geschlossen wird: πρὶν 
ὧν ὠρανὸν γενέσθαι λόγῳ ἤστην ἰδέα τε καὶ ὕλα καὶ ὁ θεὸς δαμιουργὸς τῶ βελτίονος. 
Vgl. ebd. 97, E. 

5) Diess geschieht bei Oceıuus De Univ. 2, 1, wenn er die γένεσις und 
die αἰτία γενέσεως unterscheidet, jener die Veränderung, dieser das unver- 
Anderliche Beharren als Merkmal zuweist, und daraus schliesst: ὅτι περὶ μὲν 
τὴν αἰτίαν τῆς γενέσεως τὸ ποιέίν χαὶ τὸ χινεῖν ἐστι, περὶ δὲ τὸ δεχόμενον τὴν γένεσιν 
τό τε πάσχειν χαὶ τὸ χινέίσθαι. Achnlich in der Stelle der archyteischen Schrift 
über die Kategorieen, welche Sınrı. Categ. 84, B anführt: τὸ μὲν ἐντὶ ποιέον, 


τὸ δὲ πάσχον οἷον ἐν τοῖς φυσιχσίς ποιέον μὲν ὃ θεὺς, πάσχον δὲ @ ὅλα, καὶ ποιέον ᾿ 


7* 


ἵν als vollkommenes Abbild der höchsten Schönheit von dem Weltschöpfer . 


μ 


100 Neupythagoreer. 


meine selbstverständliche Voraussetzung 1); doch hindert diess un- 

sere Pythagoreer so wenig, als andere, zugleich auch von den 
Göttern als einer Mehrzahl zu sprechen ?), und der strengere Mo- 

„ -frnotheismus, welcher sich weigert, neben dem höchsten Gott weitere 
 Götterwesen anzuerkennen, wird sogar ausdrücklich zurück- 
gewiesen, indem neben dem Einen unsichtbaren Gott in den Ge- 

“ stirnen sichtbare Götter anerkannt werden, die in seinem Dienst 
stehen). Ihrer Natur nach ist die Gottheit ein rein geistiges, 


δὲ καὶ πάσχον τὰ στοιχέία. (Die stoische Parallele dazu 1. Abth. 119, 5.) Doch 
treffen wir hier neben dem Wirkenden und Leidenden auch die Form und den 
Btoff; Categ. 28, y ἢ. führt Sımer. aus derselben Sohfift an: τᾶς τε γὰρ ὠσίας 
ἐντὶ διαφοραὶ τρεῖς" & μὲν γὰρ ἐν ὕλᾳ, & δὲ μορφὰ, & δὲ συναμφότερον dx τούτων 
(vgl. διμρι,. Phys. 51, Ὁ, ο.: Archytas theile die Substanz in die ὕλη, ἐπα εἶδος 
und das σύνθετον). Beides wird dann, wie in der Schrift x. ἀρχῶν (vorl. Anm.) in 
τ der Art verbunden, dass zu Form und Stoff, den zwei natürlichen Ursachen, die 
Gottheit als bewegende hinzutritt; Bımer. Cat. 20, a: ᾿Αρχύτας τὴν πᾶσαν οὐσίαν 
φυσιχήν τε χαὶ αἰσθητιχὴν [— τὴν] καὶ κινητικὴν ἀποχαλεῖ' φυσιχὴν μὲν τὴν κατὰ τὴν ὕλην 
χαὶ τὸ εἶδος λέγων, αἰσθητὴν δὲ τὴν σύνθετον, χινητιχὴν δὲ τὴν νοερὰν χαὶ ἀσώματον, 
ὡς αἰτίαν οὖσαν χινήσεως, τῆς χατὰ ζωὴν εἰδοποιουμένης. Auch bei Alexander 
Polyhistor (Dıoe. VILI, 24), βεχτ. Math. X, 277. Pıur. plac. I, 8,15 (Bd. I, 
269, 1. 260, 1. 261, 8) wird die Monas als die wirkende Ursache, die Dyas 
als der leidende Stoff dargestellt; nur dass hier die Zweiheit ebenso aus der 


R uranfänglichen Einheit hergeleitet wird, wie in der stoischen Lehre der 
Gegensatz des Wirkenden und Leidenden aus dem göttlichen Urwesen sich 
erst entwickelt. - 


1) Z. B. bei Stop. Ekl. I, 840 (aus Ocellus). Ebd. 420 f. (der angebliche 
Philolaus). Ebd. 428 f. Floril. 1, 76. 8. 88 Mein. 48, 61 g. E. 68, Anf. (der 
König ein Ebenbild des πρῶτος θεός). 64, B. 266 m. 268 o. 65, 8. 269 m. 103, 
27, Anf.u. A. Vgl. auch folg. Anm. und 8, 102, 2. Dagegen sind die Verse 
bei Justin De Monarch. co. 2, 8. 105, C sicher jüdischen Ursprungs; eher kann 
das Pragment bei Kızmeas Strom. V, 611, Ο᾽ und das philolaische bei Ῥῆηι 
m. opif. 28, A, falls das letztere nicht Acht ist, von einem griechischen Neu- 
-pythagoreer berrtihren. | 

42) 8o in den Bruchstücken bei Sros, Floril. 1, 67. 8. 24 o. Mein. 48, 184 
(wo 8. 188 m. die θεοὶ und δαίμονες 8. 189 u. der Ζεὺς νόμιος). 48, 61 g. ΒΕ. 
74,61 g. E. 108, 26. 8.7 u. Ebd. 27. 8. 10 ἢ. 

8) Ston. Ekl. I, 94 sagt der angebliche Onatas: seiner Ansicht nacb gebe 
es nicht blos Einen Gott, ἀλλ᾽ εἷς μὲν ὃ μέγιστος καὶ χαθυπέρτερος καὶ ὃ χρατέων 
τοῦ παντός .... οὗτος δέ χα εἴη θεὸς ὃ περιέχων τὸν σύμπαντα χόσμον, τοὶ δ᾽ ἄλλοι 
θεοὶ οἱ θέοντές ἐντι κατ᾽ οὐρανόν u. 8. w. Die aber, welche behaupten, dass es 
nur Einen Gott gebe, nicht viele, verkennen den höchsten Vorzug der gött- 
lichen Erhabenbeit, welcher in der Herrschaft über Wesen gleicher Art be- 
siehe. Aehnlich redet Apollonius von 'T'yana, in dem allem Anscheine nach 


\ 


Die Gottheit, 101 


durchaus gutes und seliges Wesen'); was ihr Verhältniss zum 
Endlichen betrifft, so kreuzen sich in den neupythagoreischen 
Aeusserungen darüber die zwei Principien, welche überhaupt in 
der damaligen Philosophie miteinander im Streit lagen, das plato- 
nisch-aristotelische der Transcendenz, und das stoische der Imma- 
nenz. Einerseits wird Gott als getrennt von der Welt beschrieben, 
als ein Wesen, welches durch die Berührung mit dem Körperlichen 
befleckt würde ?); er wird die Ursache vor der Ursache genannt, 
es wird von ihm gesagt, dass er seiner Würde und seiner Natur 
nach über alles Denken und Sein erhaben,, dass er nicht Vernunft, 
sondern höher als die Vernunft sei®). Andererseits aber identifi- 
αἰγὶ nicht blos der Pythagoreer Alexandes’s die Gottheit in stoi- 
scher Weise mit der Wärme, welche von der-Sonne aus die Welt 
durchströmt €), sondern auch bei Sextus®) wird sie stoisch als all- 


durchdringendes Pneuma gefasst, und ein Fragment, welches Pytha- 


goras beigelegt wird, bezeichnet sie, unter ausdrücklichem Wider- 


ächten Bruchstück bei Eos. pr. ev. IV, 18, 1 (Demonstr. ev. III, 3) von dem 
θεῷ, ἦν δὴ πρῶτον ἔφαμεν, ἕνί τε ὄντι καὶ zeywpiapudv πάντων, μεθ᾽ dv γνωρίζεσθαι 
τοὺς λοιποὺς ἀναγχαῖον, OcerLus De univ. 2, 2 sagt, die Welt auf und über 
dem Monde θεῶν χατέχει γένος, und Tım. Loor. 96, C nennt die Welt und die 
Gestirne sichtbare Götter. Die Gestirne sind uns als Götter auch schon 8. 75 
bei dem Pythagoreer Alexander’s vorgekommen, wie ja diese Ansicht der da- 
maligen und der früheren Philosophie geläufig war. 

1) Mit besonderem Nachdruck wird diess von Onatas a. a, O. hervorge- 
boben: αὐτὸς μὲν γὰρ ὃ θεός ἐντι νόος χαὶ ψυχὰ χαὶ To ἀγεμονικὸν τῶ σύμπαντος 
κόσμω᾽ ταὶ δυνάμιες δ᾽ αὐτῶ αἰσθηταὶ τά τ᾽ ἔργα ; er bedarf (8.98) keines andern, 
er besteht daber nicht aus Seele und Leib, sondern ist ganz Beele, wie ja auch 
die Reinheit seines Seelenwesens durch die Verbindung mit einem Leibe nur 
leiden könnte. Von demselben Gesichtspunkt geht Apollonius aus, wenn er 
8. ἃ. Ο. (seine Worte werden spÄter mitgetheilt werden) sagt, die beste Gotter- 
verehrung sei die geistige; dem höchsten Gott solle man weder opfern, noch 
ihn überhaupt mit etwas sinnlichem in Verbindung bringen, denn es gebe kein 
Naturerseugniss, dem nicht irgend eine Beflockung anbafte. Weiter vgl.m.Pa.- 
Archytas Ὁ. Sros. ΕΚ]. I, 716: die Gottheit müsse nicht blos νοῦς sein, ἀλλὰ 
καὶ vie τι χρέσσον. Ebd. II, 66 (aus Didymus; 8. 1. Abth. 546, 1), Flor. 85, 17. 
8. 143. Ebd. 108, 26. 8. 7. 108, 27, Anf. Tım. Loce. 96, C. Pı.ut. Numa c.8. 

2) Apollonins; vgl. die zwei letzten Anmm. 

8) M. vgl. was Bd. I, 262, 1 aus Archänetus und Brontinus, vorl Anm, 
aus dem falschen Archytas angeführt ist. 

4) 8. o. 8. 75. 

δὴ Math. IX, 127; s. Bd. I, 804 u. 


un 
“.r. 


108 Neupythagoreer. 


spruch gegen ihre Ausserweltlichkeit, als die alles durchdringende 
und beseelende Kraft!). -Auch das klingt an den Stoicismus an, 
wenn Nikomachus sagt, Gott trage alle Dinge im Keime in sich 2), 


rn “ταν 


und wenn eine angebliche Schrift des Pythagoras die Zahlen durch 
die Entwicklung der in der Einheit enthaltenen Keimformen enti- 
stehen liess 3). Denen, welche die Gottheit von der Welt trennten, 
bot sich die platonische Weltseele als Vermittlerin zwischen bei- 
dent). Der angebliche Philolaus jedoch beschreibt die Gottheit 
selbst als die Seele, welche das Weltganze durchdringe und um- 
fasse, und es durch ihre Drehung mit sich herumführe °); eine Dar- 


1) Bei Justin. Cohort. c. 19. Das Bruchstück lautet hier: ὁ μὲν θεὸς εἷς, 
αὐτὸς δὲ οὐχ, ὥς τινες ὁπονοοῦσιν͵ ἐχτὸς τᾶς διαχοσμήσιος, ἀλλ᾽ ἐν ἑαυτῷ ὅλος ἐν 
ὅλῳ τῷ χύχλῳ ἐπισχοκῶν πάσας τὰς γενέσιάς ἐστι, χρᾶσις ἐὼν τῶν ὅλων αἱώνων καὶ 
ἐργάτας τῶν αὐτοῦ δυνάμιων καὶ ἔργων, ἀρχὰ πάντων, ἐν οὐρανῷ φωστὴρ καὶ πάντων 
πατὴρ, νοῦς rat ψύχωσις τῶν ὅλων, κύκλων ἁπάντων χίνασις. Eine wenig ab- 
weichende Fassung desselben wurde aus Kı.euens Cohort. 47, Ο Bd. 1, 805 u. 
mitgetheilt. 

2) Nach Theol. Arithm. 8. 6 nagte er, Gott entspreche der Monas, axıp- 
ματιχῶς Önäpyovra πάντα τὰ dv τῇ φύσει ὄντα, wie die Einheit alle Zahlen po- 
tentiell in sich schliesse. Als den Samen oder den σπερματιχὸς λόγος der Welt 
hatten die Stoiker die Gottheit beschrieben; vgl. 1. Abth. 186, 4. 139, 2. 

3) Bei Syrıan zu Metaph. XIII, 6. Arist. et Theophr. Metapb. ed. Brand. 
II, 812, 31; 5. u. 105, 8, 

4) Ausser dem fischen Timäus (De an. m. 95, E ff.), hatten auch andere 
von der Weltseele gehandelt; nach Jausı.. Ὁ. Sror. ἘΚ]. I, 862 bezeichneten 
sie pythagoreische Schriftsteller ale eine Zahl, Moderatus als λόγους περι- 
ἔχουσαν (die sämmtlichen Zahlenverhältnisse umfassend), der angebliche Hip- 
pasus hatte sie das xpırıxov χοσμουργοῦ θεοῦ ὄργανον genannt. Von der ψυχὴ 
τοῦ παντὸς ist auch bei Puur. plac. IV, 7, 1 die Rede. Dass Nikomachus in 
der Πλατωνιχὴ συνανάγνωσις, auf die er seine Leser Arithm. 8. 69 u. verweist, 
die arithmetische Stelle des Timäus über die Bildung der Seele nicht über- 
giong, lässt sich gleichfalls annelimen. 

δ) Bei Sros. Ekl. I, 420: die Welt ist ohne Anfang und Ende, εἷς ὑπὸ 
ἑνὸς τῶν συγγενέων χαὶ χρατίστω καὶ ἀνυπερθέτω χυβερνώμενος. ἔχει δὲ χαὶ τὰν 
ἀρχὰν τᾶς χινάσιός τε καὶ μεταβολᾶς ὁ χόσμος εἷς ἐὼν χαὶ συνεχὴς χαὶ φύσι δια- 
πνεόμενος χαὶ περιαγεόμενος ἐξ ἀρχιδίω. (Dafür setzt Μεικεκκ ἀϊδίω, besser Βοβκ 
Arist. libr. ord. 85 ἐξ ἀρχῆς ἀϊδίω, ein Ausdruck, der sich in der Bedeutung: 


“ „von aller Ewigkeit her“ auch bei Nıxou. Arithm. 8.3. Ακατοι, in den Theol. 


Arithm. 8. 84 findet.) Es wird sodanı (in den Worten, welche Bd. 1, 304, 2 
abgedruckt sind) weiter auseinandergesetzt, dass der unveränderliche Theil 
der Welt sich von der das Ganze umfassenden Seele bis zum Monde erstrecke,- 
und dass die Seele durch ihren ununterbrochenen Umlauf die Veränderungen 


Die Gottheit. Die Ideen. 108 


stellung, welche theils an die platonischen Bestimmungen über die 
Weltseele, theils an die aristotelischen über das erste Bewegende 
anknüpft, aber von beiden doch wesentlich abweicht und sich 
gleichfalls dem stoischen Gottesbegriff annähert. Einzelne combi- 
niren auch die Weltseele mit dem Centralfeuer !), an dessen Stelle 
“auch wohl die Sonne tritt”). 

Für die Fassung des zweiten Princips, der Formen ‚oder Ideen, 
ist neben dem platonisch-aristotelischen Vorgang die pythagorei- 
sche Zahlenlehre maassgebend, die ja schon Plato und die’ alte 
Akademie mit der Ideenlehre verschmolzen hatte. Mit Plato wird 
des Sinnliche und das Uebersinnliche unterschieden, das, was durch 
die Wahrnehmung, und das, was durch den Verstand erkannt 
wird: jenes körperlich und veränderlich, dieses unkörperlich, 
‘ewig und unveränderlich; und dieses unveränderliche und wahr- 
haft wirkliche wird in den Ideen, den allgemeinen Eigenschaften, 
den Formen, den immateriellen Ursachen gefunden, welche sich 
den Dingen mittheilen, und durch welche sie allein zu dem wer- 
den, was sie sind®). Hatte aber schon Plato in seinen späteren 


in der Welt bewirke; und die Welt wird, als das Erzeugniss beider, τῶ μὲν 
τὴ θέοντος θείω, τῶ δὲ ἀεὶ μεταβάλλοντος γεννατῶ, die ἐνέργεια. ἀΐδιος θεῶ τε χαὶ 
γενέσιος χατὰ συναχολουθίαν τᾶς μεταβλαστιχᾶς φύσιος genannt. Schon das letztere 
beweist, dass die ewigbewegte weltumgebende Seele dem Verfasser mit der 
Gottheit zusammenfällt. Als die Weltseele bezeichnet diese auch Onatas b. 
Sros. Ekl. I, 94 in den Worten, die ganz stoisch lauten: αὐτὸς μὲν γὰρ ὃ θεός 
ἐντι νόος χαὶ Ψυχὰ καὶ τὸ ἀγεμονιχὸν τῶ σύμπαντος χόσμω. 

1) M. vgl. was Bd. I, 804,2 g. E. 303, 2 aus Sımrı.. De coelo, Schol. in 
Ar. 505, a, 82. (229, a, 37 Karst.) ὅτοβ. I, 453 angeführt ist. 

2) 80 ausser dom Pythagoreer Alexander's (s. 0.) auch der Schriftsteller, 
aus dem Hırrosvı. Refat. Haer. VI, 28 als Πυθαγόρειος λόγος anflibrt: δημιουρ- 
τὸν εἶναι τῶν γενομένων πάντων τὸν μέγαν γεωμέτρην χαὶ ἀριθμητὴν ἥλιον (so heisst 
die Sonne, weil sie, wie im folgenden ausgeführt ist, die Eintheilung der 
Zeit in Jahre, Monate, Tage u. 8. w. hervorbringt), xat ἐστηρίχθαι τοῦτον dv 
ὅλῳ τῷ χόσμῳ καθάπερ dv τοῖς σώμασι ψυχήν. πὸρ γάρ (fügt Hipp. in direkter 
. Rede, aber doch wohl noch nach seiner Quelle bei) ἐστιν ἥλιος, ὡς ψυχὴ, 
βῶμα δὲ γῆ. 

3) Nıxos. Arithm. I, 1£ 83f. mit Beziehung auf PLaro Tim. 27, Ὁ. 
Der angebliche Archytas und Brontinus b. Stos. ἘΚ]. I, 732. JasueL. x. χοιν. 
pad. ἐπιστ, in VırLoison’s Anecd. II, 198 f. (nach Puaro Rep. VI, 509, Ὁ 8) 
Sıser. Catoy. 95, E und oben 8. 99, 8. 5. Stop. Ekl. I, 886. Hırroı. Refut. 
haeres. VI, 24. Tım. Loce. 93, A fi. 97, Ὁ. 


- 


904 . ..  Neupythagoreer. 


Jahren die Ideen zu Zahlen gemacht!), so sind diese bei unsern 
Pythagoreern begreiflicherweise gegen jene vollends im Ueber- 
gewicht. Die Zahlen und Zahlenverhältnisse sind es, wie sie ver- 
sichern, durch welche allein die Gegensätze in’ der Welt verbun- 
den, die Form mit dem Stoffe verknüpft, die Materie geordnet und 
geformt wurde”). Die Zahl ist das Urbild der Welt, der ursprüng- 
liche Gedanke der Gottheit, der Beherrscher der Formen und Ideen, 
das Werkzeug der Weltbildung, der Grund aller Dinge’). Die 
Kraft und Bedeutung der Zahlen zu preisen, werden sie nicht 
müde*). Aber doch können die Zahlen hier nicht in derselben 
Weise, wie die platonischen Ideen und die aristotelischen Formen, 
als etwas fürsichbestehendes, substantielles behandelt werden, wel- 
ches der weltbildenden göttlichen .Thätigkeit vorangieng, so dass 
diese nur die Verbindung des Stoffs mit den Formen bewirkte, oder 
die Dinge jenen ewigen Mustern nachbildete, wie der Weltschöpfer 
des platonischen Timäus. Wiewohl vielmehr diese Lehrweise in 
der neupythagoreischen Schule auch vorkommt’), so war doch im 
ganzen der vom Stoicismus so nachdrücklich vertretene Grundsatz, 
dass die letzte Ursache nur Eine sein könne, in ihr zu mächtig, als 
dass sie sich bei diesem Nebeneinander der Gottheit und der ur- 
bildlichen Formen beruhigen konnte; und wenn einmal diese den 
Zablen, die Gottheit aber dem Eins oder der Monas gleichgesetzt 
wurde, so lag es auch zu nahe, die Ideen ebenso aus der Gottheit 
abzuleiten, wie alle Zahlen aus der Einheit als ihrer gemeinsamen 
Wurzel abgeleitet wurden®). So werden sie denn jetzt aus den 


1) Vgl. Bd. II, a, 480 ff,; über die platonische Schule ebd. 657 f. 667 ἢ, 
688. 

2) Archytas Sros. ΕΚ]. I, 714. Anatolius in den Theol. Aritbm. 8. 84 f. 
unter Berufung auf Pythagoreer. 

8) M. ». hierüber, was Bd. I, 248, 4 angeführt ist, und sogleich noch 
weiter angeführt werden wird; neupythagoreisch ist wohl auch der Vers bei 
Sıurı. Phys. 104, b, 0: κέχλυθι χύδιμ᾽ app, πάτερ μαχάρων, πάτερ ἀνδρῶν. 
Vgl. 8yaıan, unten 8. 105, 3. 

4) Proben davon werden sofort gegeben werden. 

5) 8. 0. 99, 8. 4. 

6) M. vgl. die Angaben des Euporrs b. Sımeı. Phys. 89, a (Bd. I, 260, 2) 
über die Lehre der Pythagoreer von dem Einen oder dem ὑπεράνω θεὸς als dem 
letzten Grund aller Dinge, und die weiteren Nachweisungen a. a. Ο. und oben 
8.98 ἢ; auch die Verse Ὁ. Paoxı. in Tim. 269, B (S. 667 Schn.; Murraca 


Ideen und Zahlen. 105 


selbständigen Wesenheiten, wofür sie Plato gegolten hatten, zu 
Gedanken der Gottheit. Alle Dinge in der Welt, sagt Nikomachus Ὁ), 
sind von der Vorsehung und der weltbildenden Vernunft nach 
Zahlen geordnet; denn das Princip und das Vorbild *) der Dinge ist 
‚ ie Zahl, welche ihnen im Denken des Weltschöpfers vorangeht, 
darchaus immateriell und nur durch’s Denken zu erfassen, aber 
doch das wahrhafte und ewige Wesen, dem alles als seinem künst- 
lerischen Muster nachgebildet ist. Auch Pythagoras selbst sollte 
von dem vorweltlichen Sein der Zahlen im göttlichen Denken ge- 
sprochen haben °); und die gleiche Annahme theilten obne Zweifel 
alle die, welche entweder Gott allein, oder Gott und die Materie 
für die einzigen ursprünglichen Principien hielten 4), wie sie uns 
denn auch bei Platonikern jener Zeit®) begegnet. Sind aber die 
Zahlen oder Ideen Gedanken der Gottheit, so können sie nicht zu- 
gleich das Wesen der sinnlichen Dinge selbst sein, und es wird 
desshalb der Meinung ausdrücklich widersprochen, als ob Pytha- 
goras alles aus Zahlen bestehen lasse, da diese doch vielmehr 
nur die Musterbilder der Dinge seien®). An diese Auffassung der 
Zahlen- und Ideenlehre schloss sich dann in der Folge Plotin an, - 
wenn er unter dem Widerspruch anderer Platoniker die Ideenwelt 


Fragn. 8. 200) über den Hervorgang der Zahlen aus der Einheit, und unten 
108, 8. 

1) Arithm. Introd. 1, 6. 8. 8. Aehbnlich c. 4, 8.7: von den vier mathema- 
tischen Wissenschaften sei die Arithmetik die erste, οὐ μόνον ὅτι ἔφαμεν αὐτὴν 
ἃ τῇ τοῦ τεχνίτου θεοῦ διανοίᾳ προύποστῆναι τῶν ἄλλων ὡσανεὶ λόγον τινὰ κοσμι- 
um ἢ παραδειγματικὸν u. 8. ν΄. 

3) Προχάραγμα oder (c. 4) προχέντημα, παράδειγμα ἀρχέτυπον. 

8) Brmıam z. Metaph. XIII, 6, Arist. et Theophr. Meotaph. ed. Brand. Il, 
812, u.: Pythagoras selbst rede in zweierlei Weise von den Zahlen; ὅταν μὲν 
Yap ἔκτασιν χαὶ ἐνέργειαν τῶν ἐν μονάδι σπερματιχῶν λόγων εἶναι φῇ τὸν ἀριθμὸν, 
τὸν ἀπὸ τῆς οἰκείας ἀρχῆς αὐτογόνως καὶ ἀχινήτως προεληλυθότα καὶ τὸν ἐν ἑαυτῷ 
βθρυμένον καὶ ἐν εἴδεσι παντοίοις ἀφωρισμένον παραδίδωσιν᾽ ὅταν δὲ τὸ πρὸ πάν- 
των ὁκοστὰν ἐν θείῳ νῷ, ἀφ᾽ οὗ καὶ ἐξ οὗ πάντα συντέταχται καὶ μένει τάξιν 
ἔλυτον δαρρδρωμένα, τὸν παραδειγματιχὸν καὶ ποιητήν τε χαὶ πατέρα θεῶν τε καὶ 
δειμόνων za τῶν θνητῶν πάντων ἀριθμὸν ἀνυμνεῖ. Vgl. Dens. ebd. 808. Jamst. 
in Nicom. Arithm. 11 (Bd. I, 248, 4). 

4) Vgl. 8.98 f. 

δ) Wie Alcinous; 6. 1. Abth. 736. 

6) 8, Bd. I, 248, 4. 


100 Neupythagoreer., 


in den göttlichen Verstand selbst verlegte, während sie Plato mer 
als den Gegenstand seiner Anschauung dargestellt hatte’). 

Indem nun so die Zahlen als das Mittelglied zwischen Gott und 
der Welt, der schöpferischen Ursache und ihren Wirkungen, als 
das Urbild und zugleich als das Werkzeug der Weltbildung be- 
trachtei wurden, gewann die Zahlenlehre für unsere Philosophen 
den höchsten Werth; nur handelt es sich für sie bei derselben weit 
weniger um ihre mathematischen Eigenschaften, als um ihre höhere, 
theologische, metaphysische und naturphilosophische Bedeutung. 
Auch die ersteren wollten sie zwar nicht ausser Acht lassen: sie 
betrachten das mathematische Wissenals eine so unerlässliche Vor- 
bedingung der Philosophie, dass Aussenstehende sich beschweren, 
man finde keinen Zutritt zu ihrer Weisheit, wenn man nicht im 
Arithmetik und Geometrie, Astronomie und Musik zu Hause sei”). 
Wie eingehend und erfolgreich sie sich damit beschäftigten, sehen wir 
namentlich aus den zwei noch vorhandenen, in ihrer Art ganz täch- 
tigen Werken des Nikomachus, der Aritbmetik und der Harmonik°). 
Aber andere Ausführungen desselben Philosophen zeigen uns, und 
zahlreiche sonstige Nachrichten bestätigen es, wie viel wichtiger 
doch ihm und seiner Schule jene mystische Zahlenspielerei war, 
welche von diesen Männern mit dem feierlichsten Ernste, aber 
auch mit der äussersten Willkähr getrieben wurde. In seiner arith- 
metischen Theologie hatte Nikomachus die Zahlen von Eins bis 
Zehen besprochen, um ihre tiefere Bedeutung und göttliche Natur 
nachzuweisen, um sie, wie Psorıus sagt, als Götter und Göllinnen 
darzustellen, und er hatte hiebei von allen den Gewaltsamkeiten 


nn mn mm nm 


1) Ponrure erzählt im Leben Plotin's 6. 18, er selbst habe noch ala 
Schüler des: Platonikers Longinus gegen Plotin geschrieben, um zu beweisen 
ὅτι ἕξω τοῦ νοῦ ὑφέστηχε τὰ νοητὰ, er habe sich aber nach einigem Schriften- 
wechsel mit Amelius für Plotin’s Lehre gewinnen lassen, worüber er von 
Longin angegriffen wurde. Näheres später. 

2) 8o Justin Dial. c. Tryph. c. 2, 8. 219, B, dessen Pytbagoreer aller- 
dings, wie die damaligen Pythagoreer überbaupt, mehr noch Platoniker ist, 
wenn er fragt: ἢ δοχέίς χατόψεσθαί τι τῶν εἰς εὐδαιμονίαν συντελούντων, εἰ μὴ 
ταῦτα πρῶτον διδαχθείης, ἃ τὴν ψυχὴν ἀπὸ τῶν αἰσθητῶν περισπάσει καὶ τοῖς νοητοῖς 
αὐτὴν παρασχευάσει χρησίμην, ὥστε αὐτὸ xatıdelv τὸ χαλὸν καὶ αὐτὸ ὅ ἐστιν ἀγαθόν: 
Aehnliche Klagen später, mit Beziehung auf Nikomachus Θεολογούμενα ᾿Αριθμη- 
rına, bei Pnor. Cod. 187, 8. 148, a. 

8) Vgl. über sie Β. 98, 5. 


Zahlenlehre. 43 


und Künsteleien, an welche man in dieser wunderlichen Spekula- 
tion längst gewöhnt war, den reichlichsten Gebrauch gemacht !). 
Die Einzahl ist dieser und den verwandten Darstellungen zufolge 
die Gottheit, die Vernunft, die Form der Formen, das Gute, der 
λύγος σπερμαι τὸς, das Maass, die Harmonie, die Glückseligkeit u.a. w.; 
sie heisst Apollo ?), Helios, Atlas u. 5. f.; sie kann aber auch in 
gewissem Sian, sofern alles aus der Einheit wird, als die Materie, 
die Finsterniss, das Chaos, der Tartarus, die Styx u, dgl. bezeich- 


net werden, und wegen dieser Doppelbedeutung. wird sie gerad-- 


ungerade und mannweiblich genannt). Die Zweiheit ist das Prin- 
ap der Ungleichheit, des Gegensatzes, des Wechsels, des Zuviel 
' and Zuwenig , andererseits freilich auch wieder, wie gesagt wird, 
die Gleiche, weil zweimal zwei so viel ist, als zwei und zwei; sie 


w tn nn TREE 
ar. Tanne, 


ist die Materie, die Natur, der Grund aller Vielheit und Theilung; ᾿ 


sie führt den Namen der Göttermutter, der Isis, der Artemis, der 


Demeter, der Aphrodite; sie ist die Quelle alles Einklangs der . 


Töne‘), und insofern die Harmonie und unter den Musen die; 


Ersto; sie wird unter den vier Grundtugenden der Tapferkeit ver- 
glichen, die Kühnheit und der Trieb genannt, weil sie ein Aussich- 
herausgehen und Fortstreben bezeichne; sie heisst die Meinung, 
weil in der Meinung dem Wahren ein zweites und entgegengesetz- 
tes, das Falsche, zur Seite trete®). Die Drei ist die erste wirkliche 


I) Wir sind über diese Schrift, wie schon 8. 98, 5 bemerkt ist, theils 
durch Prnort. Cod. 187, theils durch unsere Θεολογούμενα ἀριθμητιχῆς näher 
unterrichtet. Nach dem ersteren (8. 142) handelte Nik. darin von den 10 ersten 
Zahlen, aber nicht, wie in seiner Arithmetik, ὅσα τοῖς ἀριθμοῖς φύσει πρόςεστι 
καὶ δεωρίας ἔχεται σπουδαίας, διεξιὼν, ἀλλὰ τὰ πλεῖστα διανοίας οὐ καθαρευούσης 
βλάβης ἀναπλάσματα, καὶ οὐχὶ πρὸς τὴν τῶν πραγμάτων φύσιν τοὺς λογισμοὺς 
ϑυνούσης͵ τὰ δὲ πράγματα πρὸς τὰς ἰδίας φαντασίας μεταμείβειν φιλονεικούσης ... 
περοιόκτων περιτιθὲὶς ἀμείβων διασπῶν ποτὲ μὲν τὰ πράγματα ποτὲ δὲ τοὺς φίλους 
ἀριθμοὺς καὶ θεούς ἃ. 8. ν. 

3) Vom privativen « und πολὺς, vgl. 1. Abth. 806, 6 und Ρευτ. De Is. 75, 
8, 381, 

3) Ῥποτ. a. a. O. 143, a, 22 ff. Threol. Arithm. c. 1, 8.6f. Trxo Math. 
1,40. Moderatus b. Broe. ΕΚ]. I, 20 f. Butherus ebd. 12 f. (τὸ ἣν οὐσία καὶ 
φύσις χαὶ νοῦς χαὶ πλήρωμα). Weiteres oben 8. 74. 91 f. Bd. I, 259 ff. 
285 fi. 

4) Zunächst obne Zweifel, weil der διπλάσιος λόγος 1 : 2 das Vorhältniss . 
der Oktave (ἁρμονία) ist. 

5) Pror. 148, a, 89 ff. Thheol. Arithm. 'c. 2, 8. 9 δ, Tuxo c. 41 und die 
weiteren so eben angegebenen Stellen. . 


108 Neupythagoreer. 


Zahl, die erste, welche Anfang, Mitte und Ende hat, daher die Zahl 
der Vollkommenheit und Vollendung 1); sie zeichnet sich vor allen 
andern Zahlen dadurch aus, dass sie allein der Summe der ihr vor— 
angehenden gleich ist; von ihrer Anwendung bei Gebeten und 
Opfern, von ihrer Bedeutung für die Raumlehre, die Musik, die 
Astronomie, selbst die Ethik, weiss Nikomachus viel zu sagen ; 
auch sie wird mit allen möglichen Götternamen in der buntesten 
Zusammenstellung geschmückt ?). Die Vierzahl war, als die ρο-- 
tentielle Dekas, schon von den alten Pythagoreern auf’s höchste 
gefeiert worden; die späteren führen diese Lobpreisung noch 
weiter aus, indem sie natürlich auch hier Analogieen aus allen 
Gebieten der Wirklichkeit und der Mythologie herbeiziehen *), 
und das gleiche gilt von der Dekas *). Wer nach weiteren Proben 
dieser seltsamen Weisheit begierig ist, findet solche reichlich in 
den Schriften und Ueberlieferungen aus der neupythagoreischen 
Schule x 


1) καὶ ἢ ἀρετὴ δὲ πᾶσα ταύτης ἐξῆπται χαὶ dx ταύτης πρόεισιν, heisst es bei 
Photius. 

3) Puor. 148, b, 19 6. Nikomachnus in den Theol. Arithm. 8. 16 f. 

3) Por. 144, a, 4: I δὲ τετρὰς πάλιν αὐτοῖς θαῦμα μέγιστον, ἄλλη θεὸς πολύ- 
ϑεος, μᾶλλον δὲ πάνθεος u. 5. f£ Weiter vgl. m. 160]. Arithm. ο. 4, 8. 18 ff., 
die sich ἥν 19 auch ausdrücklich auf ein Bruchstück des Pythagoras und ein 
möglicherweise ächtes des Klinias berufen. Turo II, 88743. Bd. I,.291. 
Aecht pythagoreisch ist auch, was T'heol. Aritbm. 8. 24 aus Anatoliun ange- 
führt ist: die Tetras heisse διχαιοσύνη, weil im Quadrat einer Linie von vier 
Maasseinheiten die Zahl der Fläche der des Umfangs gleich sei. Ueber jene 
Benennung 8. m. Bd. I, 285, 8. “ ΄ 

4) Puorıus, der sie 8. 144, 5 fi. bespricht, sagt von ihr gleichfalls: ἧ 
μέντοι δεκὰς αὕτη ἐστὶν αὐτοῖς τὸ πᾶν, θεὸς ὑπέρθεος καὶ θεὸς θεῶν, ὅτι δέκα χειρῶν 
χοὶ δέχα ποδῶν δάχτυλοι, χαὶ δέχα κατηγορίαι ἃ. 8. w. Weiteres Theol. Arithm. 
c. 10, 5, ὅ9 ἢ. ΤΉΡΟ II, 89. 49. Sımer. Categ. 16, ζ (aus Pe.-Archytas). 

δ) M. vgl. ausser Photius und den Theol. Arithm. Taro II, 44 ff. und die 
übrigen Bd. I, 285 ff. angeführten Schriftsteller (denen ich bier nur noch 
Aszıer. Schol. in Arist. 559, b, 9 fl. beifügen will). Besonders ausführlich 
hatte Nikomachus von der Sieben- und der Fünfzahl gehandelt (Pnor. 145, 
24 ff.); über die ersters theilen die Theol. Arithm. 8. 48 ff. eine Ausführung 
aus seiner gleichnamigen Schrift mit, welche sich vielleicht bis 8. 51, Anf. 
erstreckt. Wie weit der pythagoreische Tiefsinn in seinen kindischen Spiele- 
reien gieng, zeigt u. A. die Bemerkung (Pnor. 144, 14. Theol. Ar. 8. 44), 
welche sich Nikomachus von dem angeblichen Prorus angeeignet hat: ἑπτὰς 
bedeute eigentlich σεπτὰς, von σέβεσθαι, und das verlorene & komme auch 


Zahlen; Weltseelo; Materie, | 18 


Als eine Zahl, oder als den Inbegriff aller Zahlenverhältnisse 
hatten pythagoreische Schriftsteller auch die Weltseele bezeichnet; 
und in der Schrift des Lokrers Timäus machte ein solcher den Ver- 
such, mit andern platonischen Lehren die mathematische Con- 
struction der Weltseele als ursprüngliches Eigenthum seiner eigenen 
Schule darzustellen !). Diese Darstellung hält sich aber durchaus 
an Plato, und zeigt kaum irgend etwas eigenthümliches ?). Andere 
machten, wie schon früher bemerkt wurde, die Gottheit selbst 
unmittelbar zur Weltseele. 

Von Plato haben unsere Pythagoreer auch ihren Begriff der 
Materie entlehnt; Plato’s eigentliche Absicht allerdings, die Er- 
scheinung des Körperlichen obne die Voraussetzung eines körper- 
lichen Urstoffs zu erklären, wird von ihnen so wenig, als von 
seinen übrigen Erklärern in der damaligen Zeit, verstanden, und 
die aristotelische und stoische Auffassung der Materie mit der pla- 
ionischen verknüpft. Alles Werden setzt, wie OczıLus ausführt 3), 
ein greifbares körperliches Substrat voraus, welches von den ver- 
schiedenen Eigenschaften der Dinge, die aus ihm werden sollen, 
noch keine besitzt, ebendesshalb aber alle in sich aufzunehmen 
fähig ist, alles der Möglichkeit nach in sich trägt; und in dem- 
selben Sinn sprechen auch andere Schriftsteller der Schule von 
der Materie. Ihrer Natur nach einem unablässigen Wechsel unter- 
worfen und in’s unendliche theilbar, war sie, wie gesagt wird, 
von aller Ewigkeit her in beständiger ungeordneter Bewegung 
und Veränderung, bis durch die göttliche Schöpferthätigkeit die 
an sich selbst unbewegten und unveränderlichen Formen mit ihr 
verbunden und dadurch Dinge mit bestimmten Eigenschaften her- 
vorgebracht wurden. Nur diese Formen sind ein wahrhaft wirk- 
liches; die Dinge dagegen, welche ihnen nachgebildet sind und 


wieder zum Vorschein, wenn man rasch zähle: IE ἑπτά. Auch die Zahl 85, 
das Produkt von 5 und 7, hat eine besondere Bedeutung, die Pr.ur. an. procr. 
e 12.8.1017. Theol. Ar. 8. 48 auseinandersetzen. 

1) Vgl. 8. 102, 4. 

2) Doch mag ihre Erklärung der Elemente der Weltseele (worüber Bd. II, 
2,494 f.) angeführt werden. Unter der οὐσία ἀμέριστος versteht sie nämlich 
(8, 96, Ε) die Form, unter der μεριστὴ den Btoff, unter dem ταὐτὸν und θάτερον 
wei bewegende Kräfte. 

ὃ) De Univ. 2, 3. 


110 ᾿ Neupythagoreer, 


nach ihnen genannt werden, sind diess nicht, weil sie keinen 
Augenblick unverändert bleiben, vielmehr ihrem Stoffe nach in 
einem fortwährenden Flusse begriffen sind '). Es sind diess, wie 
man sieht, ganz und' gar Piato’s Bestimmungen, so wie diese da- 
mals allgemein aufgefasst wurden. 

Alles zasammengenommen finden wir in der neupythagorei- 
schen Schule vier Principien : Die Gottheit, die Ideen uder Zahlen, 
die Weltseele und die Materie. Diese selbst führen die meisted 
auf zwei zurück : Die Einheit, welche Gott, und die Zweiheit, welche 
der Materie gleichgesetzt wird; und indem sie nun wieder die Zwei- 
heit aus. der Einheit hervorgehen lassen, gelangen sie allerdings 
schliesslich zu Einem letzten Grurd alles Seins. Dass sie jedoch 
nicht blos die Entstehung der Einheit ἀπὸ der Zweiheit, sondern 
auch die Entstehung der Materie aus dem Geiste schon näher zu 
erklären verstchten, und sehon in ähnlicher Weise, wie später 
Pletin, eine vein höchsten zum tiefsten herabsteigende stetige Ent- 
wiklung der schöpferischen göttlichen Thätigkeit annalimen, ist 
ebenso unerweislich als unwahrscheinlich 3). 


1) Nıxoxs. Arithm. Introd. c. 1 ἢ. ἃ. Bf. Τὰν. Lock, 98, A— 94, C. Ρευτ. 
plac. I, 9, 2. 16, 1. (8ros. ΕΚ]. I, 318. 348). Theol. Arithm. 84 f. 

2) VACHEROT Histoire de I’ Ecole d’ Alezandrie 1,809 glanht diese Ansicht 
bei Moderatus zu finden. Ce philosophe, sagt er, compiait avec la matidre trois 
principes des choses, la premidre unitd sup6rieure ἃ U’ Eire et ἃ toule essence, la 
seconde tunitd qui esi le verliable re, ἢ intelligible, les ices, ka troisieme unütk qui 
est Γ᾿ üme, et, comme belle, participe de Γ᾽ unisd et des idees. Quant ἃ la matiäre, 
Modedratus essayart de la ratiacher au principe divin. -Dieu, selon luti, aurait 
separd la quantitd, en δ᾽ en retirant et en la privant des formes ei des id6es dont 
ἐδ est iype supräme. Cette quantitd . .. differente dela quantitd ideale et primitire 
qui subsiste en Dieu, &ait la matiere proprement dite. Für diese Darstellung 
beruft sich V. auf die Btelle den SısrLicıcs Phye. f. 50, b, u.: ταύτην δὲ πεῤὶ 
τῆς ὕλης τὴν ὑπόνοιαν (die Bestimmung der Materie als eigenschaftsloser Rub- 
stanz) ἐοίχασιν ἐσχηχέναι πρῶτοι μὲν τῶν Ἑλλήνων of Πυθαγόρειοι, μετὰ δὲ ἐχείνους 
ὃ Πλάτων, ὡς καὶ Μοδεράτος ἱστορεῖ: οὗτος γὰρ κατὰ τοὺς Πυθαγορείους τὸ 
μὲν πρῶτον ἂν ὑπὲρ τὸ εἶναι χαὶ πᾶσαν οὐσίαν ἀποφαίνεται" τὺ δὲ δεύ- 
τερον ἕν, ὅπερ ἐστὶ τὸ ὄντως ὃν χαὶ νοητὸν, τὰ εἴδη φησὶν εἶναι. τὸ δὲ 
τρίτον, ὅπερ ἐστὶ ψυχικὸν, μετέχειν τοῦ ἑνὸς χαὶ τῶν εἰδῶν τὴν δὲ 
ἀπὸ τούτου τελευταίαν φύσιν͵ τὴν τῶν αἰσθητῶν οὖσαν, μηδὲ μετέχειν, ἀλλὰ χατ᾽ 
ἔμφασιν ἐχείνων χεχοσμῆσθαι, τῆς ἐν αὐτοῖς ὕλης τοῦ μὴ ὄντος πρώτως ἐν τῷ ποσῷ 
ὄντος (der intelligibeln Materie) odans σχίασμα, χαὶ ἔτι μᾶλλον ὁποβεβηχυίας καὶ 
ἀπὸ τούτου. καὶ ταῦτα δὲ ὁ Πορφύριος Ev τῷ δευτέρῳ περὶ ὕλης τὰ τοῦ Μοδεράτου παρα- 
θέμενος γέγραφεν" ὅτι βουληθεὶς ὁ ἑνιαῖος λόγος, ὡς πού φησιν ὃ Πλάτων, 


Die letsten Gründe. 411 


4. Fortsetznng. Logische, naturpbilosophische und anthropo- 
logische Lehren. 


In der weiteren Ausführung des neüpythagoreischen Stand- 
punkts können wir die theoretische und die praktische Seite ihrer 


τὴν γένεσιν ἀφ᾽ ἑαυτοῦ τῶν ὄντων συστήσασθαι, κατὰ στέρησιν αὐτοῦ 
ἐχώρησε τὴν ποσότητα, πάντων αὐτὴν στερήσας τῶν αὐτοῦ λόγων καὶ 
εἰδῶν. Vacherot bezieht nämlich in dem ersten von den zwei Sätzen, welche 
hier gesperrt gedruckt sind, und welche er als Belege für sich anführt, das 
οὗτος auf Μοδεράτος, und in dem zweiten derselben sieht er Worte eben dieses 
Schriftstellers. Allein jenes οὗτος kann nur auf Πλάτων gehen. Denn die niit 
οὗτος γὰρ beginuende und bis zu den Worten ἀπὸ τούτου (nicht blos bis τῶν 
εἰδῶν, sich erstreckende Auseinandersetzung soll doch eihe vorangehende Aus- 
sıge begründen, und diese Aussage müsste, wenn wir das οὗτος κι" Μοδεράτης 
beziehen, in dem Mod. ἱστορεῖ liegen; dass aber Moderatus von Plato und den 
Pythagoreern das vorher berichtete erzählt habe, würde durch die Worte 
οὗτος γὰρ --- ἀπὸ τούτου auch dann nicht bewiesen, wenn mit diesen: οὗτος Mo- 
deratus gemeint wäre; geht es dagegen auf Plato, so wird durch dieselbeu 
die Bebauptung, dass Plato die angegebene Ansicht von der Materie gehabı 
habs, näher begründet. Ebensowenig können die Worte: ὅτι βουληθεὶς u. 6. w 
Moderatus, sie können vielmehr nur Porphyr angehören. Denn um sie jenem 
zuzuweisen, müsste man den Satz: χαὶ ταῦτα --- γέγραφεν erklären: „und auch 
diese Worte des Moderatus beifligend, schreibt Porphyrius.“ Was wäre das 
aber für eine unnatürliche Ausdrucksweise, statt des einfachen παρατίθησι zu 
sagen: xapaßeusvos (τοῦτ ohnedem in diesem Fall das Präsens παρατιθέμενος 
stehen müsste) γέγραφεν! En wird daber vielmehr zu übersetzen sein: „Und 
auch dieses schreibt Porphyr im zweiten Buch von der Materie, nachdem er 
die Aussage des Moderatns beigefügt hat.“ Nun weist allerdings der letztere 
Beisatz darauf hin, dass Porphyr im vorhergehenden etwas aus Moderatus an- 
geführt hatte, und wenn wir die Worte: ὡς χαὶ Mod. ἱστορέί hinsunehmen, 80 
wird es wahrscheinlich, dase Bimplisius voraussetste, Porphyr habe das, war 
ὃς über Plato sagt, (οὗτος γὰρ — ἀπὸ τούτου) aus Moderatus entlehnt. Aber 
diese Voraussetzung ist theils fir uns nicht biodend, da Simpl. die Schrift des 
Moderatus offenbar nur aus Porpbyr kennt, und daher schwerlich in der Lage 
"r, sich ein sicheres Urtheil darüber zu bilden, ob Porphyr's Darstellung 
der plstonischen Lehre wirklich aus Moderatus geflossen ist; theils kanıı auch 
Porphyr das, was er bei Moderatus gefandan hatte, gerade ebensogut i im Sinm 
des neuplatonischen Systems verstanden und wiedergegeben haben, wie er 
und seine Behule diess in ihren Berichten über die platonische und aristote- 
lisehe Lehre zu thun pflegen. Was hier über Plato gesagt wird, lautet durch- 
aus nenplatonisch: dass die übersinnliche Welt sich in das überseiende We- 
sen, die οὐσία und die Seele abstufe, dass das Erste über das Sein erhaben, 
dass die körperliche Materie nur eine Abschattung der intelligibeln sei, dass 
die sinnlichen Dinge an den Ideen nicht theilhaben, aondern diese in jene nur 


112 Neupythagoreer. 


Lehre unterscheiden. In der ersteren tritt der aristotelische Ein- 
fluss noch stärker hervor, als der platonische; wie ja überhaupt 
alle späteren Philosophen ihre specielleren logischen und natur- 
wissenschaftlichen Bestimmungen vorzugsweise aus Aristoteles zu 
schöpfen pflegten. Ein durchgreifendes Interesse für die Logik 
und Physik werden wir aber bei unsern Philosophen überhaupt 
nicht suchen dürfen; was wenigstens in dieser Beziehung von 
ihnen überliefert ist, beschränkt sich auf einzelne Punkte, die 
theilweise allerdings von allgemeinerer Bedeutung sind. Nach 
platonischem Vorgang werden vier Arten des Erkennens unter- 
schieden, welche unter sich eine Stufenreihe bilden: die Ver- 
nunfterkenntniss (νοῦς), welche das Uebersinnliche unmittelbar er- 
greift, die Verstandeserkenntniss (διάνοια, ἐπιστήμη), oder das ver- 
mittelte Denken über dasselbe, die Vorstellung (δόξα), welche sich 
mittelbar, die Wahrnehmung (αὔσθησις), welche sich unmittelbar 
auf das Sinnliche bezieht, und es wird desshalb die Wahrnehmung 
als das Kriterium des Sinnlichen, die Vernunft als das des Ueber- 
sinnlichen (νοητὸν) bezeichnet 1). In den archyteischen Katego- 
rieen hatte ferner einer von den neuen Pythagoreern die aristote- 
ische Kategorieenlehre nicht blos in die Literatur seiner Schule 
übertragen, sondern er hatte auch, unter Benützung ihrer späteren 
Bearbeitungen, im einzelnen manche Veränderungen mit derselben 
vorgenommen Ὁ). Auch sonst finden sich von der logischen Thä- 


hereinscheinen, sind Sätze, welche sich in der griechischen Philosophie nicht 
vor Plotin finden. Eher könnte man sich die Worte: ὅτι βουληθεὶς ὁ ἑνιαΐος 
λόγος n.s. f. im Munde des Moderstus gefallen lassen; denn wenn auch in 
keinem der neupythagoreischen Bruchstücke etwas ähnliches vorkommt, so 
bietet doch die Ableitung der Zweiheit aus der Einheit (3. 0. 99, 1) eine Ana- 
logie dafür; aber gerade diese Worte legt Simplicius, wie bemerkt, gar nicht 
Moderatus, sondern Porphyr bei. 

1) Archyt. b. Sror. Ekl. I, 722. Ders. ebd. 784 f. und bei Jaust. in Vır- 
noıson’s Anecod. Il, 199 (Hanrensteıx Arch. Fragm. 22 ff.); Brontinus bei 
JausL. a. ἃ. Ὁ. 198. Vgl. Schol. Bekker. in Plat. 8. 411. Pur. plac. I, 3, 19. 
Alle diese Stellen sind der bekannten platonischen, Rep. Υ͂Ι, 509, Ὁ ff., nach- 
gebildet, welche namentlich in der zweiten von den archyteischen Zug für Zug 
paraphrasirt wird; nur dass, besonders bei Stob. I, 722, die Unterscheidung 
des mittelbaren und unmittelbaren Erkennens und die Bemerkung fiber das 
Kriterium beigefügt ist. 

2) Es ist hievon schon 8. 88,1 L gesprochen worden. Aus dem Inhalt der 
archyteischen Schrift (über den Ῥκάκτι, Gesch. ἃ, Log. I, 615 f.) mag folgendes 


Logisches. 113 


angeführt werden: In seine Einleitung hatte der Verfasser die stoischen Un- 
terscheidungen der verschiedenen Arten der Rede, der λέξις und διάνοια u. 8. w. 
aufgenommen (5. 10, «). Bei der Aufzählung der Kategorieen fügte-er den 
aristotelischen vorläufigen Erläuterungen (die οὐσία sei οἷον ἄνθρωπος u. 8. ν΄. 
Categ. 4. 8. 1, Ὁ, 27) gleich allgemeine Begriffsbestimmungen bei (sie sei ἀπλῶς 
πάντα͵ ὅσα χαϑ᾽ ἑαυτὰ Öpdornzev und ähnlich in Betreff der übrigen Kategorieen 
& 18, β). Er machte ferner natürlich bei dieser Gelegenheit auf die Bedeutung 
der Zehnzahl aufmerksam (16, {), welche (nach Hırroryr. Refut. Her. VI, 24, 
dessen leızte Quelle, wie beinerkt, auch unser Archytas zu sein scheint) sich 
aus der Substanz, als dem einheitlichen Wesen, durch das Hinzutreten der 
nenn accidentellen (vgl. Simpl. 40, e) Kategorieen entwickle; wobei er es be- 
sonders bedeutsam fand, dass die Zehnzahl durch das ἰ, also mit einem ein- 
sigen Strich, bezeichnet werde. Er besprach weiter die verschiedenen Arten 
von Substanzen (s. ο. 99, ὅ). Auf die Jubstanz liess er nicht die Quantität, 
sondern die Qualität, zunächst folgen (Simpl.’31, B. 40, ζ. 53, e). Als dritte 
Art der Quantität nannte er neben der Grösse und Zahl das Gewicht (82, ε. ζ. 
38,7. Den Unterschied der ἕξις und διάθεσις liess er fallen (61, X). Das ποῦ 
stellte er bald vor bald hinter das Wirken und Leiden, und diese selhst be- 
zeichnete er als Bewegungen (75, ε. 86, ε. 90. ε. 91, ε.); auch die Definition 
der Bewegung bei Sroe. ΕΚ]. I, 394. Prur. pl. I, 28, 1 stammt vielleicht aus 
ihm. Dem ποιέϊν fügte er das πράττειν und θεωρεῖν als Arten der ἐνέργεια bei 
(&0, & f. vgl. Bd. II, Ὁ, 124). Auf das Wirken und Leiden liess er nicht die 
Lage folgen, sondern das Haben (84, X f; nach 75, e. 92, δ. 110, ὃ jedoch 
stand dieses noch früher). Das ποῦ und ποτὲ behandelte er mit Andronikus als 
Bestimmungen des Raumes und der Zeit (88, α. ὃ. 15, ß); den Raum definirte 
er im allgemeinen als die Grenze des Körperlichen (85, ε. 92, a), er verstand 
jedoch darunter (Bısrr. 37,7, wo bei den „Pythagoreern“ zunächst an Arch. 
τὰ denken ist) nicht die Grenze des umschliessenden Körpers gegen den um- 
schlossenen, sondern die Begrenzung der Gestalt jedes Dinges; die Zeit be- 
zeichnete er zwar mit Aristoteles als Zahl der Bewegung, aber zugleich als 
διάστημα τῆς τοῦ παντὸς φύσεως (88, X; die letztere Definition auch bei Bıurı.. 
Phys. 165, a, u., andere pythagoreische Bestimmungen bei Puur. plat. qu. 8, 
‘4,3. 8. 1007. plac. I, 21. 8108. Ekl. I, 250; einige weitere, Aristoteles ent- 
nommene Bemerkungen in dem Bruchstück bei Bıurı. Categ. 89, y f. Pbys. 
186, a, u., Zum Schluss seiner Darstellung endlich wies er darauf hin, dass 
die sämmtlichen Kategorieen, mit Ausnahme der Substanz, nur auf die Einzel- 
wesen, nicht auf das begriffliche Wesen oder das Ansich der Dinge Anwen- 
dung finden (95, ε). Simplicius’ Anführungen aus der Schrift x. ἀντιχειμένων 
(6. 0.8. 89), in der gleichfalls manche Ergänzung der aristotelischen Bestinı- 
mungen versucht war, übergehe ich, wiewohl sie verhältuissmässig ausführ- 
lich sind. Von grossem Werth waren diese archyteischen Kategorieen über- 
haupt nicht, und wo sie die aristotelischen wirklich verbessert baben, folgten 
sie wohl meistens peripatetischen Vorgängern, wie Andronikus; aber Joch 
scheinen sie die bedeutendste logische Leistung der neuythagoreischen Bchule 
gewesen zu sein. 


Philos. d. Gr. IlL. B. 2. Abth. 8 


114 Neupythagorser. 


tigkeit der Schule einzelne Spuren’). In ihrer Naturansicht halten 
sich die Neupythagoreer gleichfalls fast durchaus an Plato und 
Aristoteles. Ihrem ganzen Standpunkt gemäss können sie die 
Welt und alles, was darin ist, nur als das Abbild der ewigen 
Formen, der Ideen oder Zahlen betrachten ?); die Welt wird dess- 
halb mit Plato als das beste unter dem Gewordenen, als der sieht- 
bare Gott gepriesen °), es wird namentlich die Harmonie aller 
ihrer Theile hervorgehoben *), und es wird im Geist der stoisch- 
platonischen Theodicee auch das Uebel als ein wohlthätiges Werk 
der Vorsehung aufgefasst °). Dieses Abbild der Idee hatte nun 
Plato, nach dem Wortlaut seines Timäus, in einem bestimmten Zeit- 
punkt entstehen lassen. Bei seinen neupythagoreischen Nachfol- 
gern finden sich von dieser Annahme nur unsichere Spuren 5); um 


x 


1) Das fade Gerede des falschen Archytas über den Satz den Wider- 
spruchs, Sror. Ekl. II, 22, kann in dieser Beziehung allerdings nicht in Be- 
tracht kommen. Dagegen findet sich bei Srxr. Math. X, 262 ff. eine pytha- 
goreische Auseinandersetzung, welche ähnlich, wie die archyteischen Kate- 
gorieen, die allgemeinsten Gattungsbegriffe betrifft, welche sich aber hierüber 
anders erklärt, als jene. Alles, was ist, wird hier bemerkt, werde entweder 
als ein selbständiges (xat& διαφορὰν) gedacht, oder im Verhältniss des Gegen- 
satzes (χατ᾽ ἐναντίωσιν), oder in dem der Relation (πρός τῇ; und nachdem diese 
Eintheilung näher erläutert ist, wird als der höchste Gattungsbegriff in der 
Reihe des selbständig Gedachten das ἕν bezeichnet,-in der .des Entgegenge- 
setzten das ἴσον und das ἄνισον, in der des Relativen die ὑπεροχὴ und ἔλλειψις. 

2) 8. 0. 99, 8. 4. 104. Bd. I, 248, 4. Tıs. Locr. 97, D: ὡς γὰρ ποτ᾽ ἀΐδιον 
παράδειγμα τὸν ἰδανικὸν κόσμον (die ideale Welt, die Idee der Welt) ὅδε ὃ ὠρανός 
ἐγεννάθη u. 8. w. Ebd. 94, E f. 105. 

3) Trm. Locr. 94, Ὁ ff. 108. 

4) Stos. Flor. 108, 26. 8. 9 u. ' 

5) Nrkonacnus in den Theol. Arithm. 8. 38: Wenn die Menschen Unrecht 
leiden, wollen sie, dass es Götter gebe; das Unrecht dient daher zu ibrem 
Besten. τὰ xax& apa τοῖς ἀνθρώποις χατὰ πρόνοιαν γίνονται. “ 

6) Zwär sagt Pıur. pl. IT, 4, 1: Πυθαγόρας [καὶ Πλάτων] καὶ οἵ Στωικοὶ γε- 
νητὸν ὅπὸ θεοῦ τὸν χόσμον und 8, 2: Πυθ. ἀπὸ πυρὸς καὶ τοῦ πέμπτου στοιχεΐου 
[ἄρξασθαι τὴν γένεσιν τοῦ κόσμου]. Sros. Ekl. I, 450 jedoch steht: Πυθ. φησὶ γε- 
νητὸν nat’ ἐπίνοιαν τὸν χόσμον οὐ κατὰ χρόνον, und diess ist ohne Zweifel 
das genauere: die Placita haben die unterstrichenen Worte weggelassen, weil 
sie Pythagoras mit solchen, auf die sie nicht passten, zusammenfassen. Dass 
aber auch Stob. beifügt: ἄρξασθαι δὲ τὴν γένεσιν τοῦ χόσμου ἀπὸ πυρὸς u. 5. ν΄. 
beweist nichts, denn nach dem vorhergehenden wird diess nicht von aeit- 
licher, sondern nur von begrifflicher Priorität zu verstehen sein, uud ebenso 


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d Φ 


Ewigkeit der Welt. 115 


80 häufiger und entschiedener wird dagegen von den Schriftstel- 
iern dieser Schule die ariswtelische Lehre von der Ewigkeit der 
Weh vorgetragen. Allen andern geht der falsche Ocellus voran, 
dessen Sehrift unter den uns erhaltenen Urkanden des späteren 
Pyiiagoreisinus mieht bios eine der ältesten und einflussreichsten 
ist, sondere auch dureh Schärfe der Begriffe und des logischen 
Verfahrens sich auszeiemet. Wie viel ihm gerade an dieser Be- 
stimmung gelegen ist, zeigt der Verfasser schon dadurch, dass er 
sein Buch gleich mit der Erklärung beginnt: ihm seheine das All 
wnvergänglich und ungeworden za sein; er hat aber diesen Satz, 
auch sehr sorgfältig in eingehender dialektischer Erörterung be- 
gründet '). Mit Ocellus stimmen viele andere neupythagoreische 


kann ee sich mit andern Darstellungen verhalten, die einen Weltanfang vor- 
auszusetzen scheinen, wie Nıko=. Arithm. o. 1, 8. 8. Theol. Arithm. 8. 84 f. 
Vgl. 8. 116, 1. 2. 

Il, Die Hauptgedanken dieser Begründung sind ihm natürlich durch Ari- 
stoteles um theilweise schom darch Parmenides an die Hand gegeben, aber 
doch zeugt seine ganze Ausführung von logischer Uebung und eigenem Nach- 
denken. Wenn das All geworden wäre, sagt er 1,2 ff., so müsste es aus et- 
was geworden sein, wenn es aufhörte, sich in etwas auflösen; es müsste also 
vor and nach dem All etwas sein, was ein Widerspruch ist. Alles, was ent- 
steht und vergeht, ist in allmählicher Zu- und Abnahme begriflen, und diese 
macht sich in der Veränderung seiner Zustände und Verhältnisse bumerklich; 
an dem Weltganzen ist aber keine solche Veränderung zu bemerken. Alles 
übrige ist darch das Weltganze bedingt, dieses dagegen durch nichts anderes, 
sondern durch sich selbst: ee ist in sich vollendet (αὐτοτελὴς) und besteht 
durch sich, alles andere dagegen hat sein Bestehen und seine Vollendung ihm 
su verdanken, es ist daher ewig. Würde es sich auflögen, uo mtisste es sich 
entweder in ein seiendes oder in ein nichtseiendes auflösen; aber der zweite 
Fall ist nnmöglich, in dem ersten wäre das All nicht untergegangen. Sollte 
es vernichtet werden, so müsste es entweder von etwas ausser ihm vernichtet 
werden, oder von etwas in ihm; aber jenes ist unmöglich, weil nichts ausser 
ihm ist, dieses, weil das, was in ihm ist, sein Theil ist, and der Theil nicht 
stärker sein kann, als das Ganze. Auch die Unveränderlichkeit des Himm-- 
lischen, wenn wir sie mit der Veränderlichkeit und Vergänglichkeit der irdi- 
schen Wesen vergleichen, kann uns beweisen, dass das allumfassende Ganze 
bleibt nnd sich erhält, nur seine Theile untergehen. Da endlich die Gestalt 
der Welt als die kreisförmige unendlich ist, ebenso, aus demselbeh Grund, 
ihre Bewegung, ferner auch die Zeit, in der sie sich bewegt, und ihr Stoff 
(οὐσία), so muss auch sie selbst unendlich, ungeworden und unvergäuglich 
sein. Vgl. auch c. 8, 1. 2, 22. 

g* 


FA 


116 Noupytbagorcer. 


Schriften und Angaben überein !), und schon um die Mitte des 
ersten Jahrhunderts v. Chr. galt die Ewigkeit der Welt als allge- 
meine Lehre der pythagoreischen Schule und wurde als solche 
dem Stifter derselben beigelegt 5). Im Zusammenhang damit wird 
auch die Ewigkeit des Menschengeschlechts behauptet, dabei werden 
aber verheerende Revolutionen in einzelnen Ländern zugegeben °). 
Wir werden finden, dass der Neuplatonismus auch hier den Neu- 
pythagoreern und mit ihnen Aristoteles folgt. 

Wollen wir etwas genauer in die neupythagoreische Ph 
eingehen, so begegnet uns zunächst bei einzelnen Schriftstellern 
der Schule die gleiche Ableitung der Raumgrössen aus den Zahlen, 
wie sie nach pytbagoreischem Vorgang schon Plato und seine 
nächsten Nachfolger versucht hatten ?): der Punkt sollte der Ein- 
heit entsprechen, die Linie der Zweiheit, die Fläche der Drei-, der 
Körper der Vierzahl, denn die Linie entstehe, wenn sich ein Punkt 
zu einem zweiten bewege, die Fläche, wenn sich die Linie seit- 
wärts zu einem dritten, der Körper, wenn sich die Fläche aufwärts 
zu einem vierten Punkt bewege °); oder nach einer anderen Wen- 


1) So der angebliche Philolaus x. ψυχῆς bei 5105. Ekl. I, 420, welcher 
die Ewigkeit der Welt genau so, wie Ocellus 1, 11, und wahrscheinlich mit 
ausdrücklicher Erinnerung an diese Stelle beweist: οὔτε γὰρ ἔντοσθεν ἄλλα τις 


- αἰτία δυναμικωτέρα αὐτὰς [τῆς ψυχῆς τοῦ χόσμου)] εὑρεθήσεται οὔτ᾽ ἔχτοσθεν φθεΐραι 


αὐτὸν δυναμένα. Ferner Archytas bei Censorın. di. nat. 4, 3 und AristAon bei 
Stop. ἘΚ]. I, 428 f.; der letztere geht zum Erweis unserer Lehre vom Begriff 
dur ἀρχὴ aus, die αὐτοτελὴς und daher ἀγέννητος sei (was theils an Ocellus, 
theils an PLato Phädr. 245, C f. erinnert). Als eine solche ἀρχὴ müyse nun 
Gott immer bewegen, die Welt mitbin ewig sein; denn wenn er nicht immer 
bewegte, wäre er einem Wechsel von Anstrengung und Erholung unterwor- 
fon, dann aber könnte er selbst nicht ewig, nicht ἀρχὴ sein. Auch der falsche 
Y'ımıus deutet aber an, dass ihm die Weltentstehung, von der er 94, Ο ὦ. ıe- 
det, keinen zeitlichen Anfang bedeute, wenn er 94, B sagt: πρὶν ὧν ὠρανὸν 
γενέσθαι, λόγῳ ἤστην ἰδέα τε καὶ ὕλα καὶ ὃ θεός. 

2) ὕλεδο RR. Il, 1, 8 und Cansorix a. a. O. vgl. Bd. 1, 299, wo weitere 
Belege aus Tertullian und Theophilus beigebracht sind, und oben 114, 6. 

8) Ockıı. 6. 3. Varso a. ἃ. Ὁ. 

4) Vgl. Bd. I, 296. II, a, 616, 6. 481, 8. 669, 2. 684, 5, Xenokrates be- 
treffend auch Trxuıst. De an. 66, b, u., welcher aus seiner Schrift x. φύσεως 
eine mit der platonischen (a. a. O. 481, 8) übereinstimmende Ableitung der 
Länge u. s. f. aus der Zwei-, Drei- und Vierzahl anführt. 

5) Pythagoreer bei Sexr. Math. X, 278 ff. VII, 99. Pyrrh. III, 158 ἫΝ 


Physikalische Annahmen. 117 


dung: von den Zahlen sollten die Punkte erzeugt werden, von 
diesen die Linien, von den Linien die Flächen, von den Flächen 
die körperlichen Figuren '). In den regelmässigen Körpern 
werden von einzelnen neupythagoreischen Schriftstellern mit Phi- 
iolaus und Plato die Grundformen der: Elemente gefunden 5), und 
zugleich wird den vier empedokleischen Elementen, nach dem 
Vorgang des Aristoteles und der alten Akademie, der Aether als 
fünfter Körper beigefügt 5). Aus dem Gegensatz beider hatte Ari- 
stoteles den des Diesseits und des Jenseits, der Welt über und 
unter dem Monde hergeleitet; ähnlich unterscheidet Ocellus4), und 
andere mit ihm °), zwei Theile der Welt, denjenigen, in welchem 


. 


ἢ Dioe. VIII, 25, s. ο. 5. 74. 

2) Dıos. a. a. Ὁ. Stop. Ekl. I, 450 f. Auf dieselbe Construction weist 
aber auch Oozıırs 1, 18 in den Worten, welche sich nor aus der platonischen 
Lebre (Tim. 56, D ff. vgl. Bd. II, a, 514, 2) erklären: πῦρ μὲν γὰρ εἰς ἣν συ- 
ἐῤχόμενον ἀέρα ἀπογεννᾷ, ἀὴρ δὲ ὕδωρ, ὕδωρ δὲ γῆν ἀπὸ γῆς δὲ ἣ αὐτὴ περίο- 
δος τῆς μεταβολῆς μέχρι πυρὸς, ὅθεν ἤρξατο μεταβάλλειν. Nur wird hier mit Ari- 
stoteles u. A., von Plato abweichend, ein Uebergang der sämmtlichen Ele- 
mente (nicht blos der drei obern) in einander angenommen. 

8) Sros. a. a. O., der allerdings zunächst eine bekannte philolaische 
&elle (Bd. I, 297,5) anf Pythagoras überträgt; Poarn. bei dem Schol. Bekker. 
in Plat. 8. 438: τὸ πέμπτον σῶμα... τὸ ὅπ᾽ ᾿Αριστοτέλους καὶ ᾿Αρχύτον εἰςαγό- 
ἵένον. Puiıtoste. v. Apoll. Ill, 84, 2, welcher diese Lehre den indischen Wei- 
sen in den Mund legt. Ocrı.ı. 2, 22 f.: Es müsse in der Welt zweierlei ge- 
. ben, τὸ ποιοῦν ἐν ἑτέρῳ τὴν γένεσιν καὶ τὸ γεννῶν ἐν ἑαυτῷ, ein wirkendes und 
ein leidendes. Jenes sei alles über dem Monde, dieses das unter ihm. τὰ δὲ 
& ἀμφοτέρων αὐτῶν, τοῦ μὲν ἀεὶ θέοντος θείου (der Aether; vgl. Bd. II, b, 882, 
4, 8) τοῦ δὲ ἀεὶ μεταβάλλοντος γενητοῦ χόσμος ἄρα ἐστίν: Das gleiche wiederholt 
der angebliche Pbilolaus ὅτοβ. ΕΚ]. I, 422; 6. Bd. I,.269, 2, auch Tım. Loca. 
%,C bezeichnet die himmlischen Theile der Welt als αἰθέρια. Andere reden 
allerdings nur von vier Elementen, wie Prur. pl. 1, 14, 2 (wo aber der Text 
nach Stop. I, 856 zu berichtigen ist); Athamas bei Kı.ruens Strom, VI, 624,D. 
Νίκον. Arithm. 8. 89; Dıoc. VIII, 26. 

4) C. 2, 1: ἐπεὶ δὲ ἐν τῷ παντὶ To μέν Tor γένεσις, τὸ δὲ αἰτία γενέσεως, καὶ 
Ἱένεσις μὲν ὅπου μεταβολὴ χαὶ ἔχβασις τῶν ὁποχειμένων, αἰτία δὲ γενέσεως ὅπου ταὖ- 
τότης τοῦ ὑποχειμένου“ φανερὸν ὅτι περὶ μὲν τὴν αἰτίαν τῆς γενέσεως τὸ ποιέίν ἀοὰ τὸ 
awäv ἐστι͵ περὶ δὲ τὸ δεχόμενον τὴν γένεσιν τό τε πάσχειν χαὶ τὸ χινέΐσθαι. al δὲ 
μοῖραι αὐτοῦ διορίζουσι χαὶ τέμνουσι τό Ts ἀειπαθὲς μέρος τοῦ χόσμου χαὶ τὸ ἀειχίνη- 
τον, ἰσθμὸς γάρ ἐστιν ἀθανασίας καὶ γενέσεως ὁ περὶ τὴν σελήνην δρόμος. τὸ μὲν ἄνω- 
dev ὑπὲρ ταύτης πᾶν χαὶ τὸ ἐπ᾽ αὐτῆς θεῶν χατέχει γένος" τὸ δ᾽ ὑποχάτω σελήνης, 
νείχους χαὶ φύσεως. ..n 

6) Ps. Philolaus Sro». ἘΚ]. I, 420 (s. Bd. I, 804, 2). Krito ὅτοβ. Floril. 


118 Neupythagoreer. 


ewige Bewegung ohne Veränderung, und den, in welchem bestän- 
dige Veränderung herrscht, und beide werden, gleichfalls aristo- 
telisch, in das Verhältniss des Wirkenden und des Leidenden ge- 
setzt: die Welt unter dem Monde ist von der himmlischen ab- 
‚ hängig, welche namentlich durch die Sonne die Veränderungen 
in ihr bewirkt 15. Ein stetiger Zusammenhang verbindet alle 
Theile des Weltganzen von den höchstem bis zu den niedrigsten ; 
in dem gegenseitigen Verhältniss derselben zeigt sich eine stufen- 
weise Abnahme der Vollkommenheit und eiae Zunahme der Ver- 
änderlichkeit und Vergänglichkeit 3). Damit aber auch das Sterb- 
liche in seiner Art an der Unsterblichkeit theilnehme, hat ihm die 
Gottheit mittelst der Fortpflanzung statt der Unvergänglichkeit der 
Einzelwesen die der Gattung verliehen ®). Dass die Gestirne von 
unsern Philosophen, mit andern, als die sichtbaren Götter be- 
trachtet werden, ist schon früher bemerkt worden *); in.ihrer An- 
sicht vom Himmelsgebäude folgen sie natürlich, soweit sie über- 
haupt darauf eingiengen δ), nicht dem altpythagoreischen System, 
sondern den späteren Annahmen °). Von den irdischen Dingen 


8, 75. Metopus ebd. 1, 64. 8. 21 ın. Auch diese Stellen bezeichnen die zwei 
Theile der Welt, ohne Zweifel nach Ocellus, als des ἀειχίνητον und ἀεσταθάς. 

1) Oozıt. 2, 22 ἢ, (8. 0. 117, 8), wo die Bonne, mach dem Vorgang ari- 
stoteliseher Stellen (Bd. 11, 861), als Hauptursache der Veränderungen auf der 
Erde beseichnet wird. Ps.-Pbil. a. 4, O. Hippodanms, Stos, Floril. 103, 26, δ. 
7 ἃ.) wo aber zu lesen ist: ἐξῴρτηται δὲ τὰ μὲν θνατὰ ἀπὸ τῶν θεῶν καὶ τὰ ἐκὶ 
γῆς ἀπὸ τῶν οὐρανίων. Vgl. Aristoteles Bd. II, b, 275, 7. 

3) Oczıı. 1, 12— 14, welcher zu zeigen sucht, dass unter den irdischen 
Dingen den Elementen die geringste, den Pilanzen eine mittlere, den leben- 
den Wesen die grösste Vergänglichkeit zukomme. Aristoteles, au den sich 
der Verfasser auch bier zunächst hält, batte von der Fixsternsphäre zur Erde 
eine stetige Abnahme, innerhalb der irdischen Netur eine stufenweise Zu- 
nahme der Vollkommenheit angenommen; vgl. Bd. II, ὃ, 855 &. 328 f. 885 ff. 

8) Oczıı. 4, 2. Ps. Pbilol. bei Stos. Ekl. I, 422. Der Gedanke selbst ist 
bekanntlich aristotelisch und schen platonisch; vgl. Bd. II, b, 869, 8. 8986, 4. 
Il, a, 8856. Aus der Stelle de» Ocellus hört man selbst die Worte der aristo- 
telischen gen. an. II, 10 heraus. 

4) 8. 100, 8. 

5) Denn überliefert ist darüber sehr wenig. 

6) Ihrer Gestalt nach bildet die Welt eine Kugel (Tın. Lecn, DS, C ἢ 
oder wie ὅτοβ. Ekl. I, 856 sagt, eine σφαῖρα κατὰ σχῆμα τῶν τεσαάρων στοιχείων, 
d. b. eine Kugel, welche aus den schichtenförmig über einander gelagerten 
vier Elementen besteht; nur das oberste Feuer sei kegelförmig (Ahnlich Kle- 


Physik. Anthropologie. ᾿ 119 


bespricht Ocellus sehr eingehend die Elemente, indem er die ari- 
stotelischen Ansichten weiter. ausführt 79), wogegen der Lokrer 
Timäus (98, A ff.) von der platonischen Theorie nur die Grund- 
züge wiedergiebt. Sonst scheinen sich aber diese jüngeren Pytha- 
goreer mit naturwissenschaftlichen Untersuchungen, soweit diese 
‚blos theoretischer Art waren, wenig befasst zu haben ?). 
Wichtiger sind für sie, wegen ihres Zusammenhangs mit der 
Bikik, die anthropologischen Fragen. Doch beschränkt sich auch 
hier alles, was uns von ihnen bekannt ist, anf einige allgemeine, 
theils von Plato und der alten Akademie, theils von Aristoteles 
enllehnte Bestimmungen, mit denen dann weiter die an En 
thagoreische- Mysterienlehre in Verbindung gebracht wird. Der 
Mensch wird als Mikrokosmus bezeichnet, weil er alle kosmischen 
Kräfte, die höheren wie die niedrigeren, in sich vereinige Ὁ); die 


antbes, 8. 1. Abth. 171, 5; vielleicht stammt diese Angabe aus einer stoisi- 
tenden Darstellung, woranf auch das Fehlen des Aetbers hinweist). Was das 
astronomische System betrifft, so wiederholt Tım. Loca. 96, C ff. nattirlich die 
plstonischen Annahmen; der später gewöhnlichen Ansicht folgt auch Prix. 
b.n. If, 22 (6. Bd. I, 818) und der Ungenannte bei Puor. Cod. 249, 8. 489, b. 
17 (a.a.0. 303, 1, Behl.). . 

1) Das gemeinsame Rnbstrat aller Körper bildet nach dieser Darstellung 
(e. 2, 8— 21) der eigenschaftelose Stoff (5. o. 8. 109); dazu kommen dann 
zweitens die entgegengesetzten Eigenschaften (ἐναντιότητες), deren aber Οὐ. 
neben den vier Girundeigenschaften der Wärme, Kälte, Trockenheit und 
Feuchtigkeit noch zwölf weitere aufzählt: βαρὺ, κοῦφον, ἀραιὸν, zuxvov, Adlov, 
τραχὺ oxinpov, μαλακὸν, λεπτὸν, παχὺ, δξὺ, ἀμβλύ. Jene vertheilt er in der- 
selben Weise, wie Aristoteles (Bd. Il, b, 885 f.), an die vier Elemente; diese 
betreffend, bezeichnet er das Feuer als dünn und spitz, das Wasser als dicht 
und stumpf, die Luft als weich, glatt, leicht und dünn, die Erde als hart, 
faub, schwer und dicht; was aber doch entfernt keine so erschöpfende Com- 
bination ist, wie die der vier aristotelischen Grundeigenschaften. Hinsicht- 
lich des Uebergangs der Elemente in einander wird die aristotelische Lehre 
mit einigen unerheblichen Zusätzen wiederholt. Dass Pythagoras eine solche 
Umwandiung der Elemente in einander angenommen habe, versichert auch 
ϑὅτοβ, Ekl. I, 414. 

2) Was etwa noch derartiges angeführt werden könnte, 'wie die Angaben 
über die Lehre der Pytbagoreer von den Farben (Pı.vr. plac. I, 15, 6. Bros. 
Ekl. 1, 862) und über ihre Ansicht vom thierischen Bamen (plac. V, 8, 2. 4, 2. 
5, 1), ist sehr unerheblich. Neu-, nicht altpythagvreisch wird es allerdings 
sein. 

3) Der angebliche Pythagoras bei Pnor. (οὔ, 249, 8. 440, a, u. 


΄ 


ii ii 


180 Neupythagorser. , 


Seele wird ehenso, wie die Weliseele 1), als Zahl, und näher als 
eine sich selbst bewegende Zahl definirt 5); es wird bemerkt, dass 
sie alle harmonischen Verhältnisse in sich trage °); es wird von 
Pythagoras behauptet, dass er sie als Quadrat, von Archytas, dass 
er sie als das sich selbst bewegende, und daher als Kreis oder 
Kugel bezeichnet habe 4); es wird endlich nicht allein ihre Gott- 
verwandtschaft *), sondern auch.ihre Unkörperlichkeit mehrfach 
mit aller Bestimmtheit ausgesprochen °), während sich beim Beginn 
der neupythagoreischen Schule, in dem Bericht des Alexander 
᾿ Polyhistor, allerdings auch der Einfluss des stoischen Materialis- 
mus nicht verläugnet ’). Von Plato wird ferner die Unterschei- 
dung des unsterblichen und der zwei sterblichen Seelentheile, des 
Vernünftigen und Vernunftlosen entlehnt, welche auch wohl mit 
der aristotelischen Lehre vom Nus verknüpft wird ®). Ebenso 


1) 8. 102, 5. 109. 

3) Prur. plac. IV, 2, 2. βτοβ. Ekl. I, 794. Neues. nat. hom. ὃ, 44. Tuzo- 
DORET our. gr. afl. V, 72. PnıLor. De an. C, 5, o. vgl. Bd. I, 528. Mit Aus- 
nahme des Stobäus legen alle diese Stellen jene Definition Pythagoras selbet 
bei, Sreinnaar Pl. WW IV, 377. 551 hält sie wenigstens für altpythagoreisch, 
wosu wir aber, wie a. a. Ο. gezeigt ist, kein Recht haben. 

8) Bei Saxr. Math. IV, 6 f.: Wie die ganze Welt von der Harmonie be- 
herrscht werde, so berube darauf auch die Beseelung der lebenden Wesen. 
Die Harmonie bestehe aber aus den drei Verhältnissen der Oktave, Quinte 
und Quarte (1: 2, 2: 8, 8:4). Da sich nun diese in den vier ersten Zahlen 
finden, so sei in ihnen auch die Idee der Seele nach dem harmonischen Ver- 
bältniss enthalten. Aus demselben Grund rübmt Ps.-Aristäus Theol. Arithm. 
8. 42 vgl. 8. 85 f. der Sechssahl nach, dass sie alle Verbältnisse der Harmo- 
nie der Seele enthalte. 

4) Jon. Lrp. De mens. c. 8. 8. 21. 

5) Vgl. Bd. I, 804, 2 (Diog. Cic. Sext. Plut.,) Stop, Flor. 48, 180. 

6) Ps.-Archytas bei Crauvıas. Mau. De statu an. II, 7; s. ο. 8. 90. 
Eromenes ebd.: longe aliud anima aliud corpus est u. s. w.; und damit stim- 
men, wie Claudian versichert, alle Pythagoreer überein: er selbst nennt deren 
noch fünf; vgl. 8. 87 u. 

7) Vgl. 8. 18. 

8) Bros. ΕΚ]. I, 848 f. (Aresas) I, 878. 790 ὦ. II, 860 f. (Krito). Flor. 1, 
64. 8. 19 f, (Metopus). 1, 67 (Theages). 48, 62. 8. 262 (Diotogenes). Puur. 
‚ plac. IV, 4, 1. 7, 4. Tım. Loce. 99, D £. Auch hier geht der Pythagorver 
Alezander’s seinen eigenen Weg. — Den Sitz der Vernunft: hätte Pythagoras 
nach Pı.or. pl. IV, 5,.18 in den Kopf, den der Lebenskraft in's Herz verlegt; 
genauer hält sioh Tıw. Loc. 99, E f. an Plato. 


Antbropologie. 131 


sind uns die platonischen Sätze über die verschiedenen Formen 
desErkennens bei Neupythagoreern schon früher vorgekommen 3). 
Im übrigen sind, abgesehen von dem neupythagoreischen Auszug 
aus dem Timäus ?), einige Bemerkungen über die Singe und die 
Stimme °) das einzige, was uns von der philosophischen Anthro- 
pologie der neuen Pythagoreer berichtet wird. Hatte aber schon 
Plato seine Annahmen über die Theile der Seele mit den pythago- 
reischen Mythen über ihre Präexistenz und ihre Wanderung durch 
Menschen- und Thierleiber begründet, so mussten sich eben diese 
Mythen seinen neupythagoreischen Nachfolgern auch noch durch 
den allbekannten Vorgang des Philosophen, dessen Schüler sie 
heissen wollten, empfehlen. Indessen treten sie in den Ueber- 
bleibseln der Schule doch nur selten bervor *), und der angebliche 


᾿ Timäus giebt sogar nicht undeutlich zu verstehen, dass er in der 


Seelenwanderung eine blosse Dichtung sehe, welche aus dem prak- 
üschen Gesichtspunkt ganz zweckmässig sei, hinsichtlich ihrer 
tkeofetischen Wahrheit jedoch mit den Mythen über den Hados 
auf Einer Linie stehe °). ᾿ 


1) 8. 112. 

3) Τιν. Loce. 99, D ff. 

8) Puor. Cod. 249. 8. 489, a, u. legt dem Pythagoras die aristotelische 
Lehre von den Binnen und Sinnesempfindungen bei; ὅτοβ. ΕΚ]. I, 1104 lässt 
ihn jene Zusammenstellung der fünf Sinne mit den Elementen, welche Ari- 
stoteles nicht recht gelingen wollte (s. Bd. Il, b, 518, 4), in etwas anderer 
Weise vornebmen, indem das ätherartige Gegenstand des Gesichts sein soll, 
das luftartige des Gehörs, das feurige des Gerucbs, das feuchte des Ge- 
schmacks, das erdige des Tastsinns. Pythagoreische Annahmen über Spiegel- 
bilder und Stimme bei Pı.ur. plac. IV, 14, 8. 20, 1. Arvızs. De magia 15, 
6. E (aus Archytas oder Ps.-Arch.). 

4) Neben dem, was 8. 76 aus Alexander angeführt wurde, worin aber 


. . üe Beelenwanderung auch nır flüchtig berührt wird, gehört hieher Hırroı.rr. 


Refat. Her. VL, 25 g- E., welcher den Pytbagoras (offenbar nacb Ῥμαάτο Tim. 

(1,D) lehren lässt, die Beelen der lebenden Wesen kommen von den Gestir- 

un. Eine Präexistenz des unsterblichen Seelentheils wird auch Ston. Ekl. 

ἊΝ vorausgesetzt, auf das höhere Leben nach dem Tode weist Carm. aur. 
f. 


5) Sohon 8. 99, D f., bei der Schöpfung des Menschen, wird hier die 
Hinweisang auf die Seelenwanderung, Tim. 41, E f., beseitigt, wie denn auch 
“a die Stelle der Götter, die bei Plato mit der Bildung des Leibes beauftragt 
"erden, hier die φύσις ἀλλοιωτικὴ tritt; und am Schluss seiner Schrift, 8. 104, 


- 


1983 Neupythagoreer. 


Häufiger begegnen wir in den nenpythagoreischen Schriften 
dem Dämonenglauben, welcher mit den Vorstellungen über das 
ausserleibliche Leben der Seele in so nahem Zusammenhang steht. 


‘Der alten orphisch-pythagoreischen Ueberlieferung gemäss denken 


sie sich unter den Dämonen Seelen, welche den Luftraum zwischen 
. der Erde und dem Monde erfüllen, und welche durch ihre Natur 
ebenso, wie durch ihren Wohnort, eine Mittelstellung zwischen den 
Göttern und den Menschen einnehmen 1). Sie treten für die Py- 
ihagoreer, wie für andere Philosophen jener Zeit, in allen den 


pie an die Stelle der Volksgötter, wo von den letzteren solches 


! 


ausgesagt wurde, was man mit dem reineren Gottesbegriff unver- 
träglich fand, ohne es doch darum geradezu läugnen zu wollen. 
Von ihnen soll alle Weissagung herrähren, auf sie alle Sühnengen 
sich beziehen ?), und der Lokrer Timäus sagt geradezu, die Gott- 
"heit habe ihnen die Verwaltung der Weit übergehen °). Zu ihrem 
Geschäft gehört insbesondere, dem alten Glauben gemäss, die Be- 
sstrafung des Unrechts.*), doch giebt es auch böse Dämonen, die 
zum Unrecht verleiten 5). Daneben wird aber auch wehl, wie bei 
den Stpoikern, die Seele selbst als Dämon bezeichnet °®). Nikuma- 
chus bringt diesen Dämonenglauben bereits auch mit der jüdischen 
Lehre von den Engeln in Verbindung 7). 


u m 


D, sagt der Verfasser, nachdem or die homerischen Schilderungen der Stra- 
fun im Hader belobt hat, weil man die, welche sieh Aurch wahre Reden nicht 
vom Unrecht abhalten larsen, durch unwahre davon abhalten miisse: λέγοιντο 
δ᾽ ἂν ἀναγχαίως zo τιμωρίαι ξέναι, ὡς μετενδυομέναν τᾶν ψυχᾶν τῶν μὲν δειλῶν ἐς 
γυναικέα σχάνεα ... τῶν δὲ μιαιφόνων ἐς θηρίων σώματα u. 5. w. Dann werden 
aber freilich eben diese Vorstellungen doch wieder als richtig bebandelt, wenn 
es heisst: ἅπαντα δὲ ταῦτα ἐν δευτέρᾳ περιόδῳ & Νέμεσις συνδιέχρινε u. 8. ». 

1) Dive. VIII, 82 (a. ο. . 7ὁ ἢ). Ocrıu. 3, 8. Ekpbantus in ὅτοβ. Floril. 
48, 64. 8. 266; vgl. auch Pı.vr. Is. et Os. 25, 8. 860. Carm. aur. V. 3. Stos. 
Flor. 48, 184. 8. 188 m. 

2) διοσ. a. ἃ. O. 

8) 8. 105: σὺν δαίμοσι παλαμναίοις χθονίοις τε, τοῖς ἐπόπταις τῶν ἀνθρωπίνων, 
οἷς ὁ πάντων ἁγεμὼν θεὸς ἐπέτρεψε διοίχησιν χόσμιυ. Die δαίμονες χθόνιοι auch bei 
Charondas, Sro». Floril. 44, 40. 8. 188 m. 

4) 8. vor. Anm. nnd Sros. a, a. ὦ. 8. 184. 

δ) Sros. Floril. 44, 20. S. 164. 

6) Sroe. Ἐκ]. I, 100: ὡς ὁμοίως δὲ καὶ δαίμων ἐντὶ ἃ ψυχά. 

7) In dem Bruchstück Theol. Arithm. 8. 48 f. sagt er: Die Babylonier, 
Östanes und Zoruaster nennen die himmlischen Sphären ἀγέλας, ἃς ἀγέλους 


Dämonolegie. Ethik. Tun 


5. Fortsetsnng. Die praktinche Philnsophie. Das pytbagoreischse 
Ideal: Pytbagoras und Apolloniun. 


Da die neupyiksgoreische Philosophie aus den pythagoreischen | 
Religionsübungen hervorgegangen war, ımd in leizier Besiehung 
. weniger auf wissenschafilicke Erkenstniss, als auf Heiligkeit und 
Gottgefäligkeit des Lebens abzielte, so hatte sie eine besonders 
dringende Aufforderung, sich mit den sißlichen Aufgaben ru be- 
schäfigen. Und wirklich besteht ein grosser Theil unserer wou- 
pytbagereischen Bruchstücke aus eihischen und politischen Be- ὦ 
trachtungen. Aber diese sind hast durchaus so farblos, eine so 
matte Wiederholung bekanster Sätze aus der akademischen ead 
peripeielischen, in geringerem Maass auch aus der sioischen Eahik, ᾿ 
dass die Eigenihämlichkeit der pythagoreischen Sohule nur in dem 
wenigsten bestimmter zam Vorsekein kommt Die akademisch- 
peripstelische Ansicht, im ihrer weitesten Entfernung von der 
steischen, ἰδὲ eg, wenn der angebliche Archyiss 1), unter aus- 
dräcklichem Widerspruch gegen die Lehre von der Apaihie des 
Weisen, ausführt, zur Glückseligkeit gehöre nicht blos Tugend, 
sondern auch Glück, der Sehlechte sei zwar immer unglückselig, 
aber der Tugendhafte als soleher noch nicht glückselig 3), da der 
Mensch nun einmal nicht blos ein rein geistiges, sondern zugleich 
auch ein sinnliches Wesen sei; und in demselben Sinn äussern 
sich auch andere neupythagoreische Bruchstücke 5). Vielfach wird 
ferner in denselben die Tugend und ihre einzelnen Zweige, teils 


κατὰ τὰ αὐτὰ χαλοῦσιν ἐν τοῖς ἱεροῖς λόγοις, χατὰ παρέμπτωσιν δὲ τοῦ γάμμα ἐφθαρ- 
μένως ἀγγέλους διὸ χαὶ τοὺς χαθ᾽ ἑχάστην Today τῶν ἀγγέλων ἐξώρχοντας ἀστέρας 
καὶ δαίμονας ὁμοίως ἀγγέλους καὶ ἀρχαγγέλονς προζαγορεύεσθαι. 

1) Sros. Flor. 1, 70—72. 76— 79. vgl. ebd. 68. 

2) Nr. 76 beisst es sogar: der Tugendhafte sei dv ἀτυχίᾳ μὲν κακοδαίμων, 
ἐν δ᾽ εὐτυχίᾳ εὐδαίμων, dv δὲ τᾷ μέσᾳ καταστάσει (zwischen Gläck und Unglück) 
οὐχ εὐδαίμων. Dagegen Nr. 70: die Tugend sei ausreichend ποττὸ μὴ χαχο- 


3) Hippodamus Sroe. Floril. 108, 26, welcher die Eudämonie gleichfalls 
aus ἀρετὴ und τύχη zusammensetzt; Eurypbamus ebd. 27, welcher sur Aus- 
rüstung des menschlichen Lebens die Güter des Leibes, Bosits, Eine (δόξα) und 
Freunde verlangt; beide mit starker Betonung des Unterschieds swisehen der 
Unbedingtheit der göttlichen und der Bedingtheit der menschlichen Natur, 
dem αὐτοτελὲς und οὐχ αὐτοτελές. Aresas Bros. Ekl. I, 856: das beste sei für 
den Menschen die Verbindung der ἀρετὴ und ἡδονή. 


28 Neupythagoreer. 


:nach platonischem, theils nach aristotelischem Muster, besprochen. 
Die Tugend ist, wie bemerkt wird, durch Naturanlage, Uebung 
und Wissen bedingt, sie beruht auf dem Vermögen, dem Willen 
und der Erkenntniss '), die Bildung zur Tugend erfordert daher 
nicht blos Unterricht, sondern auch Gewöhnung und gute Gesetze ?). 
:Aus der Dreitheilung der Seele werden mit Plato vier Grundtugen- 
‘den ®), und ihnen entsprechend auch vier Grundfehler *) abge- 
leitet; noch wichtiger erscheint jedoch die aristotelische Unter- 
scheidung des Wissens und Handelns, der diano&tischen und der 
“ethischen Tugend δ), mag nun mit Aristoteles das Erkennen als 
solches für das höchste erklärt 5), oder der Verbindung des wissen- 
schaftlichen und des praktischen Lebens der Vorzug gegeben wer- 
den ?). Die Tugenden des Erkennens fassen sich in der Weisheit 
zusammen, welche in den herkömmlichen Formeln 'gepriesen 
‘ wird δ); das praktische Verhalten hat .die Einsicht zu bestimmen, 
weiche sich eben durch diese Beziehung auf’s Handeln von der 


1) Archytas Exc. ὁ Floril. Joann. Damasc. Il, 18, 120 (δῖον. Floril. IV, 
306 Mein.) Ssor. Floril. 1, 64, 8. 18. ebd. 656. 67. Ueber den freien Willen 
auch Ekl. II, 850. Die entsprechenden 'aristotelischen Bestimmungen Ba. Ii, 
Ὁ, 484 ἢ , . 

2) Sros. Floril. 43, 94. ebd. 98 S. 100 ἔ, vgl. 1, 66, wo auch näher aus- 
geführt ist, was jedes von diesen drei Stücken zur Tugend beitrage. 

3) Metopus &ros. Flor. 1,64, welcher nur statt der σοφία, nach stoischem 
- Sprachgebrauch (1. Abth. 220, 2), die φρόνησις setzt; Theages ebd. 67, 5. 28 
u.; Archytas ebd. 76; etwas abweichend Aresas Stop. Ekl. I, 846 f., bei 
weichem der Nus die γνώμη und φρόνησις bewirkt, der θυμὸς die ἀλχὴ und δύ- 
voraus, die ἐπιθυμία statt der σωφροσύνη den ἔρως und die φιλοφροσύνη. 

4) Metopus Stos. Flor. 1, 64, 8. 20. Diotogenes ulıd. 48, 62, 8. 262; 
beide ziehen aber zugleich auch die Bestimmungen aus Anısr. Eth. N. VII, 1, 
Anf. herbei. _ 

6) Klinies Sroe. Flor. 1, 65. Archytas ebd. 77 (wo die ethische Tugend 
sohleehtweg ἀρετὴ genannt und ala solche von der ἐπιστήμη unterschieden 
wird.) Ders. Exec. e Floril. Joann. Damasc. II, 13, 120. 8. 207. 

6) Metopus NSros. Floril. 1, 64, Schl. Archytas Ὁ. Jaueı.. Protr. ὃ. 4- 
8. 48. 52. (vgl. Strom. Flor. 1, 62). 

7) Archytas Exc. 6 Jo. Dam. a. n. O. 

8) Der bekannten stoischen Definition (1. Abth. 220, 2) entspricht es, 
wenn Archytas Stos. Flor. 1, 77 die σοφία als ἐπιστήμη τῶν θείων χαὶ δαιμο- 
vv, die φρόνησις dagegen als ἐπιστήμη τῶν ἀνθρωπίνων καὶ τῶν περὶ τὸν βίον 
definirt; aristotelinche und platonische Bestimmungen giebt das Bruchstück 
Ὁ. JıueL. a. a. O. 8. 54 ff. (Sros. Flor. 1, 68). 


Ethik und Politik. 198 


Weisheit unterscheidet 1). Die Eigenthümlichkeit der ethischen 
Tugend wird in mehreren unserer Bruchstücke ganz aristotelisch 
darin gefunden, dass es'sich in ihr um die Beherrschung der nie- 
deren Seelenkräfte durch die Vernunft handle, und es wird desshalb 
gesagt, die Affekte (πάθη) seien der Stoff der ethischen Tugend ὅ); 
diese bestehe daher nicht in der Ausrottung derselben, sondern 
darin, dass die Affekte, und namentlich die zwei Grundaffekte der 
Lust und der Unlust, zu einander und zu der Vernunft in das 
. Richtige Verhältniss gesetzt werden, jedes Zuviel oder Zuwenig 
. nach der einen oder der anderen Seite hin vermieden werde °). 
in allen diesen Bestimmungen liegt nichts eigenthümliches und’ 
nichts, was die angeblichen Pythagoreer von den Peripatetikern 
und Platonikern ihrer Zeit unterschiede, die ja gleichfalls in ihrer 
Ethik nicht allein platonisches und aristotelisches längst verknüpft, 
sondern auch. stoisches oft in viel weiterem Umfang, als unsere 
neupyihagoreischen Bruchstücke, aufgenommen hatten. Auch die 
Ausführungen über besondere Lebensverhältnisse und Pflichten, 
welche in den letzteren vorliegen, gehen grossentheils über die 
Ansichten und Anforderungen, welche in jener Zeit allgemein an- 
erkannt waren, nicht hinaus 2). 

Nicht anders verhält es sich mit den politischen Erörte- 
rungen, welche uns unter den pythagoreischen Fragmenten weit 
zahlreicher begegnen, als man diess von einer in ihrer Grundrich- 
tung der Wirklichkeit so entfremdeten Schule erwarten sollte. 
Auch sie sind ihrem Inhalte nach blog eine Wiederholung und An- 
wendung dessen, was Plato, Aristoteles und ihre Nachfolger längst 
gesagt hatten. In dieser Weise war nach aristotelischem Vorgang 
zunächst schon das Hauswesen in eigenen Schriften besprochen 


1) 8. vor. Anm., und über die beberrschende Stellung der φρόνησις Bros. 
Flor. 1, 64, 8. 21. 8, 75 g. E. 

2) Metopus Bros. Flor. 1, 64, 8. 21. Arcohytas ebd. 1, 77. Theages ebd. 
68. 69, 

8) Sros. Wlor. 1, 68. 69. 1,64. S. 21. 48, 98, 8. 100 u. 1, 71, wo statt 
der Apathio etrioparhie verlangt wird; vgl. hiezu Bd. II, b, 486. 489 f. 

4) So s. B. was ἢ. Sros. Flor. 5, 69 über das Verhalten in Rechtsstreitig- 
keiten, 48, δ über den Werth der Erziehung und die sittliche Bedeutang der 
Mgsik und des Tanses, 79, 50. 52 (hier aus P.aro Gess. 980, E. 931, Ὁ) 
über die Pflichten gegen die Eltern, 108, 81 über die Mittel sur Zufriedenheit 
und Gemütbsrube bemerkt ist. 


36 Nedpythagoreer. 


werden '); weiter stossen wir in den Auszögen des Stobäus auf 
moralische und politische Ermahnungen, welche nach Inhalt und 
Einkleidung den Proömien der platonischen Gesetze nachgebildet 
sind 5), auf Empfehlungen der gesetzlichen. Ordnung, und Vor- 
schrißen für die Gesetsgebeng °); wir finden die aristotelische 
Eintheilung der Verfassungew, unter denen von den eimen einer 
Mischverfassung , wie die spartanische, der Vorzug gegeben wird‘), 
während andere menaschisehe Zustände vorauszusetzen scheinen, 
und nielxt bios die Pflichten des Hönigs auseinandersetzen, sondern 
auch von seiner Würde und Erhabenheit die höchsten Vorstellungen 
aussprechen °); daneben treien aber auch die platonischen drei 
Stände auf‘), wogegen sich von den bekanntes Einrichtungen des 
platonischen Staates keime Spur findet. En allem diesem ist nichts, 
was nicht jeder Eklektiker jener Zeit ebensogut hätte sagen 
können. . 

Bestimmter spricht sich die Eigemhüämlichkeit des Neupythago- 
reismus erst in seinem Verhältniss zur Religion und seinen darauf 
gegründeten silichen Anforderangen aus. Seine Theologie ist, 
wie wir gesehen haben, ein Menofheikımus, welcher ader in dem 
Glauben an die göttliche Natur der Gestirne, und noch nrehr in 
dem für die Bythagoreer so wichtiger Dämonenglauber, ein reich- 
liches polytheistisches Element in sich aufgenommen hat, und 

1) Man vgl. bieriten die Bruchstlieku aus Bryson’s σδιονομιχὸς und Kal- 
likratidas x οἴχων εὐδαιμονίας Bon, For. 86, 15--18, welche dan Hauswescn 
und seine Verhältnisse, Insbesondere die Ehe und die Sklarerei, in aristote- 
lischem Sinn, aber ohne Eigenthümlichkeit, behandeln; auch die Schriften 
über die Pflichten der Frau (Periktione, Phintys; s. 8. 87) gehören hieher. 

2) Zeteukus nnd Charondas Floril. 44, 20. 40. 

3) Flor. 48, 182 f. 108, 26 3. 8 vgl. 8. 124, 2 

4) Vgl. Archytas Flor. 48, 188. 184. Hippodamns ebd. 94, 8. 108. Die 
letstere Schrift scheint auch eine Auseinandersetsung über die Veränderung 
der Verfassungen enthalten sn haben, weicher das Stück Floril, 98, 71 zur 
Einleitung diente. 

5) Diotogenes, Sthenidas, Ekphantus in Schriften περὶ βασιλείας Floril. 
48, 61—64. Doch bemerkt Ps.-Archytas ebd. 48, 182, das Gesets stehe über 
dem König, da dieser sum König, zum νόμος ἔμψυχος, nur durch das Gesetz 
werde, im Fall seiner [leberschreitung dagegen Tyrann sei. 

6) Hippodamas Flor. 48, 92 ---θ4, welcher in jedem der drei Stände noch 
eiamal drei Klassen unterscheidet, aler dann (Nr. 94 g. E.) wieder, inoonse- 
gnent genug, eine gemischte Verfassung verlangt. 


Religionsansicht. 137 


welcher zu feindseligem oder reformstorischem Auftreten gegen 
die Volksreligion keinen Zug hat !). Sofern nun die Gottheit als 
ein rein geistiges Wesen gedacht ist, wird auch ihre Verehrung in 
dem geistigen und sittlichen Verhalten des Menschen gesucht: dem 
ersten, über alles erhabenen Gott, sagt Apollonius von Tyana,- 
solle man keine Opfer darbringen, und keinen sinnlichen Gegen- 
stand weihen, theils weil er keines Dinges bedürfe, theils weil ea 
auch nichts gebe, das nicht ihm gegenüber als unrein erscheinen 
müsste; ihn solle man nur mit wortlosem Gebet verehren, von 
dem Besten nur mit dem besten, was in uns ist, mit dem Geist, 
der keiner Werkzeuge hedärfe, das Gute erflehen 3. Die Gott- 
heit, sagen andere, werde nieht durch äussereu Aufwand, son- 
dern nur durch Tugend und rechtschaffene Gesinnung verehrt; 
der Schlechte könne ihr keine Ehre erweisen 5); man solle sie an- 
rufen, nicht als ob sie dessen bedürfie, sondern um dureh den 
Gedanken an sie sein Gemüth zu veredeln, wie es einem Wesen 
gezieme, das von ihr herstamme und mit ihr verwandt βοὶ 5). Aber 
diese geistige Verehrung des höchsten Gottes schliesst die äusser- 
liche der untergeordneten Götter 80 wenig aus, dass dieselbe viel- 


[4 


1) Vgl. 8. 100. 138. Für das Verhältniss der Pythagoreer zur Volks- 
religion kommt weniger das in Betracht, dass sie die berkömmliche Götter- 
verebrang voraussetzen (z. B. Carm. aut. Anf. Bron. Floz. 48, 184, ἢ, 188 m. 
44, 20. 40), δον bei Gelegenheit von Zeus und andern Göttern reden (z.B. 
Flor. 48, 184. 8. 139, u. 44, 40. 8.181. 74, 61 g. E.), als die Abwesenheit aller 
Polemik gegen den volksthümlichen Kultus und der Charakter ihrer eigenen, 
den dionysischen so nabe verwandten Mysterien. 

2) In dem Bruchstück aus der Sahrift x. θυσιῶν, deren auch PuuLosse. v. 
Apoll. ΠῚ, 41. IV, 19 erwähnt, bei Eus. pr. ev. IV, 13. Dem, ev. III, 3. (loh 
gebe den Text nach der Recension von Butter und Perırer Hiat. phil. gr.- 
tom. $. 519): οὕτως τοίνυν μάλιστα ἄν τις, οἶμαι, τὴν προςήχουσαν ἐπιμέλειαν rot 
το τοῦ θείου τυγχάνοι τε αὐτόθεν ἵλεώ τε χαὶ εὐμενοῦς αὐτοῦ παρ᾽ ὄντινα οὖν μόνος 
ἀνθρώπων, εἰ θεῷ μὲν ὃν δὴ πρῶτον ἔφαμεν, ἑνί τε ὄντι καὶ κεχωρισμένῳ πάντων, 
μεθ᾽ ὃν γνωρίζεσθαι τοὺς λοιποὺς ἀναγχαῖον, μὴ θύοι τι τὴν ἀρχὴν μήτε ἀνάπτοι πῦρ 
μήτε χαθόλου τι τῶν αἰσθητῶν ἐπονομάζοι δεῖται γὰρ οὐδενὸς οὐδὲ παρὰ τῶν χρειτ- 
τόνων ἥπερ ἡμεῖς, οὐδ᾽ ἔστιν ὃ τὴν ἀρχὴν γῆ ἀνίησι φυτὸν ἢ τρέφει ζῷον ἢ ἀὴρ, ᾧ 
μὴ πρόςεστί γέ τι μίασμα" μόνῳ δὲ χρῷτο πρὸς αὐτὸν ἀεὶ τῷ χρείττονι λόγῳ, λέγω 
δὲ τῷ μὴ διὰ στόματος ἰόντι" παρὰ δέ τοῦ καλλίστου τῶν ὄντων διὰ τοῦ χαλλίστον 
τῶν ἐν ἣμίν αἰτοίη τἀγαθά, νοῦς δέ ἐστιν οὗτος ὀργάνων μὴ δεόμενος. ᾿ 

8) Zalenkus Stop. Flor. 44, 20 vgl. Charondas ebd. 40. 

4) Archytas a. a. 0. 48, 130. - 


188 Neupythagoreer. 


mehr gerade desshalb nothwendig ist, weil wir einer Vermittlung 
mit der Gottheit nicht entbehren können; und schon der Pythagoreer 
Alexander’s belehrt uns !), dass man die Götter anders zu verehren 
habe, als die Heroen, dass die Reinigungen und Sühnungen sich 
auf die Dämonen beziehen, und die Weissagungen von diesen Wesen 
herrühren. Je weiter ferner die Gottheit über die Welt hinaus- 
gerückt wird, uın so dringender ist das Bedürfniss, dass sie selbst 
ihren Willen dem Menschen offenbare, ihm über alles, was zu 
seinem Heil dient, Aufschluss gebe; und das Mittel dazu ist die 
Mentik, die ja von altersher in der pythagoreischen Schule eifrig 
gepflegt wurde ?). Aus der gleichen Anschauung ergab sich end- 
lich die Forderuhg, durch Rainheit des Lebens und Abkehr von 
der Sinnenwelt sich der Gemeinschaft mit der Gottheit würdig zu 
machen; und so schliessen sich hier jene Enthaltungen und Reini- 
gungen an, welche aus den älteren pythagoreischen Mysterien zu 
den Neupythagoreern übergiengen. Doch werden dieselben in 
unsern Fragmenten weder so häufig berührt, noch gehen diesc in 
ihren Anforderungen so weit, als man erwarten möchte. Der 
Pythagoreer Alexander’s schreibt zwar neben Waschungen und 
anderen Reinigungen auch die Enthaltung von gewissen Nahrungs- 
mitteln vor °), aber den Fleischgenuss als solchen verbietet er so 
wenig als den Wein, wiewohl schon die Pythagoristen des vierten 
Jahrhunderts sich beider enthalten hatten %); wogegen allerdings 


1 Vgl. 8. 76 und über den Dämonenglauben 8. 122. 

2) Man vgl. in dieser Beziehung, ausser dem, was so eben aus Alexander 
und 8. 80, 1 über Figulus angeführt wurde, und ausser den unten zu be- 
rührenden Angaben über Pythagoras und Apollonius von Tyana, Pour. pl. V, 
1, 8: von Pythagoras werden alle Arten der Weissagung, ausser der Opfer- 
schau (welche mit dem Verbot der blutigen Opfer streiten würde), gutgeheis- 
sen; Jauer. v. P. 98, wo Pythagoras den Abaris statt der Hieroskopie in der 
Weissagung aus Zahlen unterrichtet; ebd. 187 f.: nach Pythagoras und sei- 
nen Schülern sei der Zweck aller Lebensvorschriften, die Aufgabe des ge- 
sammten Lebens und das Ziel der Philosophie, die Gemeinschaft (δμιλία) mit 
der Gottheit; man müsse daher thun, was Gott wollgefällig sei. ταῦτα δὲ οὐ 
ῥάδιον εἰδέναι) ἂν μή τις ἢ θεοῦ ἀχηχοότος ἢ θεοῦ ἀχούσῃ, 9 διὰ τέχνης θείας πορί- 
ζηται᾿ διὸ καὶ περὶ τὴν μαντιχὴν σπουδάζουσι" μόνη γὰρ αὕτη ἑρμηνεία τῆς περὶ τῶν 
θεῶν διανοίας ἐστί. 

8) 8. ο. Β. ΤΊ. 

4) Vgl. Δ. 66 f. 


Ascese. Pythagorasideal. 129 


in einer angeblichen Schrift des Pythagoras die Fleischkost allge- 
mein untersagt gewesen zu sein scheint!). Auch der Ehelosigkeit 
wird in keinem von unsern Bruchstücken gedacht, wie ja auch die 
Sage dem Stifter der Schule selbst eine Frau und Kinder beilegte 9; 
sondern neben der ehelichen Treue °) begegnen wir nur der For- 
derung, dass die Beiwohnung nicht der Lust, sondern ausschliess- 
lich der Fortpflanzung des Geschlechts dienen dürfe 4). Dagegen 
soll allerdings schon Pythagoras. den Eid verboten haben, weil man 
dem Redlichen auch ohne Eid müsse trauen können ὅ). 

Vollständiger hat der Neupythagoreismus sein Ideal des philo- 
sopbischen Lebens in den N ein on niedergelegt, welche er 
entworfen hat. Ν 

Der erste von diesen ist allerdings nicht erst durch die Neu- 
pythagoreer in dieser Weise idealisirt worden, sondern schon seit 
Jaltrhunderten hatte die Sage daran gearbeitet, seine Erscheinung 
ins ausserordentliche und wunderbare auszumalen; aber doch 
werden wir annehmen dürfen, dass in den Darstellungen aus dieser 
Schule, wie sie ein Apollonius, Moderatus, Nikomachus lieferten, 
vorzugsweise die Züge Aufnahme’ gefunden hatten, welche dem 
Geschmack und der Denkweise derselben zusagten, und dass die- 
selben in der gleichen Richtung weiter ausgeführt und mit neuen 
Zuthaten bereichert worden waren. Aus jenen Darstellungen 
sind aber die späteren, und namentlich auch die noch erhaltenen 
des Porphyr und Jamblich, wohl grösstentheils geflossen; und so 
werden uns diese jüngeren Berichte über Pythagoras und die alten 


1) Darauf scheint sich nämlich zu beziehen, was Poren. De abstin. IV, 
18 anführt: auf die Frage, wie es gehen sollte, wenn sich alle des Fleisches 
enthalten würden, ῥητέον τὸ τοῦ Πυθαγόρου " καὶ γὰρ βασιλέων πάντων δυςδιέξαχτος 
ὃ βίος, φησὶν, ἔσται u. 8. w. 

2) Doch zeigt sich auch eine Spur der entgegengesetzten, ohne Zweifel 
späteren Ueberlieferung, bei Dıioe. VIII, 19: οὐδέποτ᾽ ἐγνώσθη... ἀφροδισιάζων. 

3) Worüber Sroe. Floril. 74, 61 f. 85, 19. Dass das letztere Bruchstück 
von der Frau verlangt, Untreue ihres Manns zu ertragen, wird doch nur mit 
dem bestehenden νόμος begründet, dem man sich fügen müsse. 

4) Oczrt. De univ. 4, 1—4. 13. Charondas Sros. Flor. 44,40 g.E. vgl. 
auch Kızuens Strom. III, 435, C. Jausr. v. P. 210. 
| ἣν Dıoe. ΥἹΠ, 22: μηδ' ὀμνύναι θεούς" ἀσχέϊν γὰρ αὐτὸν δέϊν ἀξιόπιστον ᾿ 
| Rapeyew. 


Philos, d. Gr. IU. Bd. 2. ΑΒΕ: 9 


“-ς 


480 Neupythagoreer. 


Pythagoreer ein treues Bild von den neupythagoreischen Vorstel- - 


lungen über das Wesen und die Aufgabe der Philosophie geben 1). 
Diese Aufgabe wird aber hier wesentlich als eine religiöse, die 
Philosophie als Gottesdienst gefasst; und wenn dieser Gottesdienst 
allerdings nach der einen Seite in der Gotteserkennteiss und der 
Tugend bestehen soll, so wird doch zugleich nicht minder nach- 
drücklich verlangt, dass das menschliche Denken durch wunder- 
bare göttliche Offenbarungen ergänzt werde, das sittliche Leben 
durch die Heiligkeit des Asceten seine höhere Weihe erhalte. Der 
Pythagoras dieser späteren Sage ist nicht allein der sittlich-religiöse 
Reformator, welchen wir in dem geschichtlichen Pyihagoras er- 
kannt haben; nicht allein der Philosoph sonder gleichen, dem alles, 
was den späteren Jahrhunderten für Wahrheit galt, unbedenklich 
beigelegt wird: sondern er ist auch ein Liebling, selbst ein Ab- 
kKömmliog der Götter, welcher von denselben mit den ausserordent- 
lichsten Gnadenbeweisen geehrt wird, ein Gott oder ein Dämon, 
der unter den Menschen erschienen ist?), ein Wundertihäter, von 
dem die merkwürdigsten Dinge erzählt werden; ein Prophet, dessen 
Voraussicht alle Grenzen der Möglichkeit weit überschreitet. Ebenso 
ist seine Schule in erster Linie_ejn_zeligjöser Verein, und diese 
Frömmigkötrtragt durchaus den Charakter der späteren Ascese: 
das Verbot der Fleischnahrung und einiger anderen Speisen, die 
weisse Tracht 5), eine genau vorgeschriebene Lebensordnung, eine 
vollständige Gütergemeinschaft, eine strenge Unterordnung unter 


die Auktorität ihres Vorstehers, eine Gliederung in mehrere, scharf Ä 


geschiedene Klassen, ein Ordensgeheimniss, dessen Unverbrüch- 
lichkeit sich bis auf mathematische Lehrsätze erstreckt, und von 
den Göttern selbst in der augenscheinlichsten Weise geschützt, 


1) Die näheren Nachweisungen su der nachfolgenden Darstellung finden 
sich Bd. I, 228 ff. Vgl. auch PriLoste. v. Apoll. I, 1. I, 83,2. VL, 11, 8 f. 
VIN, 7, 15. 

2) M. 86. hierüber a. a, OÖ. 228, 8. 4. B. Jausr. v. P. 91 ὦ erkennt Aba- 
ris sogar in Pyth. nicht blos einen dem Apollo ähnlichen Menschen, ἀλλ᾽ αὐτὸν 
ὄντως τὸν ᾿Απόλλω, und er selbst giebt ihm Recht, Aebnlich ebd. 80. 

8) M. vgl. über diese, ausser Bd. I, 227, 5, auch Dıoe. VIII, 19. Dieser 
Bericht giebt dem Pythagoras weisse wollene Kleider und Decken, findet es 
aber bereits nöthig, den Gebrauch der Wolle damit zu entschuldigen, dass 
die Leinwand damals in Italien noch unbekannt gewesen sei. Bei Jausı. νυ. 
Pyth. 100. 149.werden dann die wollenen Gewänder und Decken zu leinenen. 


Pythagorasideal. 131 


wird — diess sind die auffallendsten Züge in dem Bilde des pytha- 
goreischen Lebens, 50 wie es sich in der späteren Sage gestaltet 
hat; allerdings fehlt aber daneben auch das sittliche Element nicht, 
welches in den Erzählungen von der Gewissenhaftigkeit und der 
aufopfernden Freundestreue der Pythagoreer, von der Sittenrein- 
heit und der bürgerlichen Ordnung hervortritt, die durch Pytha- 
goras in den unteritalischen Städten zur Herrschaft gekommen sein 
sollen. Je ungeschichtlicher diese Schilderung aller Wahrschein- 
lichkeit nach grossentheils ist, um so unverkennbarer spricht sich 
in derselben der eigene Standpunkt der späteren Zeit aus. 

Man begnügte sich aber nicht damit, dieses Ideal in der 
grauen Vorzeit durch den Stifter der Schule verwirklicht zu 
wissen: auch in seiner erneuerten Gestalt sollte der Pythagoreis- 
mus einen Wunderthäter und Propheten hervorgebracht haben, 
weicher hinter dem Pythagoras der Sage in nichts zurückstand. 
Einen solchen innerhalb ihres Kreises zu suchen und sein Bild 
mit den glänzendsten Farben auszumalen, wurden die späteren 
Pythagoreer ganz besonders durch die gefahrdrohende Ausbrei- 
tung des Christenthums veranlasst. Wenn die Christen in dem 
Urheber ihrer Religion ein übermenschliches Wesen . verehrten, 
wenn sie sich zur Vertheidigung derselben auf die Wunder seiner 
Auferstehung und seiner vaterlosen Erzeugung, auf sein überna-_ 
türliches Wissen, seine Heilungen und Todtenerweckungen berie- 
fen, so galt es, ihnen in allen diesen Beziehungen den Rang abzu- 
Iaufen, den Nachweis zu führen, dass auch die’ alte Religion ihre 
Heiligen habe, dass die Wunderkraft und die prophetische Voraus- 
sicht des vollendeten Philosophen der des christlichen Propheten 
nicht allein gleichkomme, sondern sie wohl noch überbiete. Einen 
solchen glaubte man nun in dem Kappadocier Apollonius von 
Tyana zu besitzen, einem Pythagoreer des ersten Jahrhunderts, 
der seine Schule in seinen Schriften nicht unwürdig vertreten zu 
haben scheint 12, dem aber weit mehr noch die magische Kunst 


1) Ausser der Schrift über die Opfer (8. ο. 127, 2) scheint auch das Le- 
ben des Pythagoras ihm zu gehören, welches ῬΟΒΡΗ, v. P. 2 anführt, und aus 
welchem Jans. v. P. 254—264 die Erzählung über die Vertreibung der Py- 
thagoreor aus Kroton mittheilt; denn wiewohl es nur Bui». ’AroA). ausdrück- 
lich dem Tyanenser beilegt, Porphyr und Jamblich dagegen den Verfasser 
ar Apollonius nennen, so ist doch das wahrscheinlichste, dass auch sie hie- 

9 * 


18% Neupythagoreer. 


und die Weissagungsgabe, welche man ihm zuschrieb, einen be- 
kannten, von den Gläubigen hochgefeierten Namen gemacht hatte 5). 


bei an den weltbekannten Apollonius, den einzigen Pythagoreer dieses Na- 
mens, von dem wir wissen, (ein Pythagoreer muss aber ihr Apollonius gleich- 
falls sein) gedacht haben. Auch PaırLoste, v. Apoll. VIII, 19, 3 bezieht sich 
vielleicht darauf. (Vgl. auch 8. 187, 6.) Eine Schrift des Apollonius über die 
astrologische Weissagung nennt Pnıtosre. III, 41, 1. Ferner soll er nach 
Demselben I, 2, ὃ eine Menge Briefe an die verschiedensten Personen ge- 
schrieben haben, welche Philostr. (in dem seinen eigenen Briefen angehängten 
Bruchstück 1. 8. 887 West. 864 Kays.) als Muster des Briefstyls rübmt und 
oft anführt (vgl. d. Register). Es fragt sich jedoch, wie viel davon ächt war, 
und ob nicht Philostr. manche von den angeblichen Citaten selbst erdichtet 
hat. Die Sammlung von Briefen des Apoll., welche wir noch besitzen, (in den 
Ausgaben der beiden Philostratus von Olearius und Kayser) sind jedenfalls 
unächt; vgl. Kırszer Prooem. 8. V. Was Ῥπιιοῦτα. I, 14,1. I, 8,2. VII 35 
u. Sun. sonst noch von ihm anführen, ist unsicher, die Rede bei ParLosra. 
VIII, 7 wobl dessen eigenes Werk. 

1) Arur. De magia 90, Schl. (Apul. war angeklagt, seine Frau durch 
magische Künste zu ihrer Heirath bewogen zu haben): si quamlibet modicum 
emolumenium probaveritis (das ihm durch diese Heirath zugegangen sei), ego 
üle sim Carinondas vel Damigeron vel is Moses vel Jannes vol Apollonius τεὶ 
ipse Dardanus vel quicunque alius post Zoroastren et Hostanen inter magos 
celebratus est. Lucıan Alex. 5: der Lehrer Alexander's sei ein Tyanser ge- 
wesen τῶν ᾿Απολλωνίῳ τῷ Tuavsi συγγενομένων καὶ τὴν πᾶσαν αὐτοῦ τραγῳδίαν 
εἰδότων. Nach Dıo Cases. LXVII, 18 soll er die Ermordung Domitian’s in dem 
Augenblicke der That in Ephesus verkündet haben; Derselbe erzählt LXXVII, 
18, dass Caracalla (vielleicht schon unter dem Einfluss des Philostratus) dem 
Apoll. ein Heroon gebaut habe, Oßıe. c. Cels. VI, 41 nennt Apoll. einen Ma- 
gier und Philosophen, welcher durch seine Magie selbst angesehene Philoso- 
phen, wie den bekannten Euphrates (den Stoiker; δ. u. und 1. Abth. 8. 618), 
gewonnen habe; er beruft sich hiefür auf die von Möragenes verfassten Denk- 
würdigkeiten desselben. Nach Voriscus (Aurel. 24), welcher aus Philostratus 
die übertriebensten Vorstellungen über Apollonius geschöpft hat, soli eine 
nächtliche Erscheinung dieses Wundermanns Aurelian von der Zerstörung 
Tyana’s abgehalten haben; wobei ausdrücklich bemerkt wird, der letztere 
habe ihn sogleich erkannt, da er schon in vielen Tempeln sein Bild gesehen 
habe, Weitere Aussagen über Apoll. von Schriftstellern, die jünger sind, als 
Philostr., aber einzelne von ihm übergangene Wunder ersählen, bei Karsza 
Prooem. zur vita Apoll. IIL Die Lebenszeit des Apoll. entspricht nach Philo- 
stratus ziemlich genau dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung; denn 
er soll bald nach Nerva’s Regierungsantritt (96 v. Chr.) gestorben, und hun- 
dert Jahre alt geworden sein (v. Apoll. VIII, 27. 29. I, 16, 1; ebenso Soın., 
der seine Bläthe unter Caligula, Claudius, Nero und ihre Nachfolger, seinen 
Tod unter Domitian setst; doch bemerkt Philostr. VIII, 29, sein Alter werde 


Philosoph. Ideal: Apollonius, 133 


Seiner sagenhaften Gestalt bemächtigte sich (um 220 n. Chr.) 
Philostratus?), dem aber schon andere hierin vorangegangen- 
waren ?), um an derselben in einem abenteuerlichen Roman das 
Wesen der pythagoreischen Philosophie, so wie er es sich dachte, 
zur Anschauung zu brifgen, in der angeblichen Biographie des 
‚ Tyanensers eine Apotheose des Pythagoreismus zu schreiben ὅ). 


. 


auch auf 80 und 90 Jahre angegeben). Dass er Domitian überlebte, sagt auch 
Dio (s.0.\). Das Chronicum Alexandrinum x. J.128 lässt ihn sogar erst in die- 
sem Jahr, dem Ἴδη Hadrian’s, sterben, und Agresphon bei Sorp. nennt, viel- 
leicht nur um cine derartige Notiz zurechtzulegen, noch einen zweiten Philo- 
sophen Apollonius aus Tyana, der unter Hadrian gelebt habe. 

1) Von den vier uns bekannten Bophisten (ἃ. h. Rhetoren) dieses Na- 
mens, welche sämmtlich aus Lemnos gebürtig waren, der zweitälteste, der 
Sohn des ersten und der Girossvater des vierten. Er lebte in Athen, später in 
Rom; hier beauftragte ihn Julia Domna, die Mutter Caracalla’s, mit der Bio- 
graphie des Apollonius (v. Apoll. I, 8, 1), welche er aber erst nach ihrem 
Tode (217) vollendet zu baben scheint, da er sie ihr sonst wohl gewidmet 
hätte. Er soll erst unter Philippus Arabs (244—249) gestorben sein. Vgl. 
Som. u. ἃ. W. und Kayser 8. II ff, seiner Ausgabe des Philostr. 

2) Durch Origenes (s. vorl. Anm.) wissen wir, dass Möragenes ἀπομνη- 
μονεύματα des Apoli. verfasst hatte; wir erfahren aber nicht, wer dieser Μὅ- 
ragenes war, und ob wir bei seinen Denkwürdigkeiten, wie bei denen Xeno- 
pbon’s und Arrian’s, an Aufzeichnungen eines persönlichen Schülers zu den- 
ken haben; wir haben daher auch kein Recht, ihn etwa in dem Athener Mö- 
ragenes zu suchen, der bei Prur. qu. conv. IV, 6 die Meinung verficht, dass 
der Gott der Juden kein anderer sei, als Dionysos. Philostratus ist übrigens 
mit ihm unzufrieden, weil ihm vieles von den Thaten des Apoll. unbekannt 
geblieben sei (v. Ap. I, 3, 2: οὗ γὰο Μοιραγένει γε προςεχτέον βιβλία μὲν ξυνθέντι 
ἐς ᾿Ακολλώνιον τέτταρα, πολλὰ δὲ τῶν περὶ τὸν ἄνδρα ἀγνοήσαντι), sei es weil seine 
. Nehilderung noch einfacher und nüchterner war, als die späteren, oder weil 
. sis den Apoll. als Zauberer dargestellt hatte, was Philostr. (I, 2, 1 und durch- 
weg) als grundlose Verläumdung behandelt. Er selbst nennt ausser der gleich 
zu besprechenden des Damis noch eine Schrift über Apoll. von Maximus 
aus Acg. 

8) Ueber den Inhalt, den Zweck und Charakter dieser Darstellung vgl. 
m. Bıun Apollonias von Tyana n. Christus (ΤΡ. Zeitschr. f. Theol. 1832, 4, 
md anch in besonderem Abdruck), Denselben Kirchengesch. I, 415 f.; auch 
Rızcrueg Stud. der evang. Geist. Wärt. XIX, 2, 1 ff.; dagegen ist WrLLADER 
sApollonios v. T.* in Jahn’s Jahrb. Bupplementb. X. (1844) 8. 418 ff. unbe- 
dentend. Die Literatur, namentlich über das Verhältniss der philostratischen 
Darstellang zum Christentbum, bei Baur 8. 102 f. 104 f. Kayser Prooem. in 
vit. Apoll. IV. — Dass nun die Darstellung des Philostratus auf geschicht- 
liche Trene keinen Anspruch macben kann, liegt am Tage; und wenn ihr 


134 . + Neupythagoroer. 


> 


Als Geschiohtsquelle ist diese Darstellung selbst da, wo sie nicht 
gerade unmögliches berichtet, 80 gut wie gar nicht zu gebrauchen; 


freilich die allgemeinen Umrisse von Apollonius’ Leben ohne Zweifel als histo- 
rische Grundlage gegeben waren, go kann man sich doch im einzelnen, wie 
Baur 8. 112 ff. seigt, fast auf keinem Punkte auf ihre Angaben verlassen. 
Es mag sein, dass Apoll. in Tarsus von dem Rhetor Euthydemus, in Aegä 
von ihm und dem Pythagoreer Euxenus unterrichtet wurde, dass er sich frühe 
dor strengsten pythagoreischen Ascese gewidmet hat, dass ihn seine Reisen 
bis nach Indien geführt haben, vielleicht auch, dass er bei Domitian in poli- 
tischen Verdacht gerieth. Aber sicher ist selbst diess nicht, und in ibrer gan- 
sen weiteren Ausführung ist die Erzählung des Philostretus mit so vielem 
abenteuerlichen .und fabelhaften Zügen, so vielen offenbaren Erdichtungen 
angefüllt, dass auch das, was an sich nicht undenkbar wäre, doch jede 
Bürgschaft seiner Wahrheit verliert. Um so unwahrscheinlicher ist os, dass 
diese Darstellung wirklich ihrem Hauptinhalt nach auf dem Bericht eines 
Schülers und Begleiters von Apollonius, des Damis von Ninive, berukht, auf 
welche sie selbst sich (I, 3 u. ὅ.) zurückführt; denn mag man sich auch den 
Damis (mit Rırrea IV, 525) noch so beschränkt denken, so beschränkt konnte 
er doch unmöglich sein, um ganze Massen von Dingen, die er höchstens im 
Traum gesehen haben könnte, für wirklich erlebte zu halten. Von der „unab- 
sichtlichen Täuschung“, welche noch Rırtzr annimmt, kann daher hier nicht 
die Rede sein. Andererseits ist doch such das nicht wahrscheinlich, dass 
Philostratus selbst den Roman ganz frei componirt hat, und dass die Bahrift 
des angeblichen Damis gar nicht existirte, wie Baur 8. 115 £. vermuthet, denn 
Philostr, sagt a. ἃ. O. ausdrücklich, ein Verwandter des Damis habe die 
Biographie des Philosophen der Kaiserin Julia Domna, der Gattin des Ale- 
xander Severus, überreicht, und in ihrem Auftrag habe er selbst sie über- 
arbeitet; diese Angabe konnte er sich aber doch kaum ohne allen Grund er- 
lauben. Das wahrscheinlichste ist daher, dass sich die Schrift des Philostre- 
tus allerdings auf eine ältere Darstellung stützt, welche den Namen des Damis 
an der Stirne trug, dass aber diese selbst erst von einem Späteren, wohl dem- 
selben, der sie der Kaiserin übergeben hat, verfasst, und dem Damis, einer 
allem Anschein nach völlig erdichteten Person, beigelegt wurde. Bei der 
Ueberarbeitung dieser Darstellung bediente sich Philostratus, wie er I, 8 und 
VII, 29 sagt, noch weiterer Quellen, und dass er auch mit eigenen Zuthaten, 
namentlich in der Länderbeschreibung und den Reden, nicht karg war, ist zu 
vermuthen; was aber im einzelnen ihm selbst, was seinen Quellen angehört, 
lässt sich nicht mehr ausmachen. Der angebliche Damis scheint neben den 
Sagen, welche über Apo lonius im Umlauf waren, namentlich auch die eigenen 
Schriften dieses Philosophen, mochten diese nun ächt oder unächt sein, be- 
nütst su haben; nicht blos das Thema für die Reden des Apollonius mag 
öfters diesen Schriften entnommen sein, sondern auch einige Erzählungen 
sobeinen aus Stellen derselben herausgesponnen zu sein: so vielleicht ILL, 
18 ff. aus der Acusserung, welche III, 15, 1. VI, 11, 11, die abenteuerliche 


"Philosoph. Ideal: Apollonius. 185 
aber indem sie uns den Philosophen vorführen will, welcher selbst 


[ds 


Geschichte VI, 27 aus der, welche ebd. g. E. angeführt ist (wenn nicht erst 
Philostratus dem Apoll. diese Worte in den Mund gelegt hat). Auf die Briefe 
des Apoll. beruft sich Ph., wie bemerkt, oft. Neben diesen Hülfsmitteln lehnte 
sich die Phantasie des Pseudo-Damis und seines Bearbeiters unverkennbar an 
die Ers&hlungen an, welche schon von früherer Zeit her, und namentlich seit 
der Verbreitung des Neupythagoreismus, über Pythagoras im Umlauf waren, 
und welche Apollonius selbst in seinem Leben des Pythagoras gesammelt 
hatte, 8. Baus a. ἃ. O. 8. 177 ἢ, besonders aber 8. 202 ff. Was aber auf 
diesem Wege zu Stande kam, das ist nicht blos eine einfache unterhaltende 
Dichtang, sondern wesentlich ein Tendenzroman. In Apollonius und seiner 
göttgefälligen reformatorischen Thätigkeit soll das philosophisch - religiöse 
Ideal des Neupytbagoreismus dargestellt werden, die Lebensheschreibung 
desselben hat den Zweck, die pythagoreische Lehre und Lebensweise, so wie 
diese um den Anfang des dritten Jahrhunderts aufgefasst wurde, als das allein 
wirksame Mittel sur sittlichen und religiösen Hebung der Menschen, zur 
Herstellung des Verkehrs mit den Göttern, ja zur wirklichen Vergöttlichung 
des menschlichen Lebens zu empfehlen. Diese Absicht liegt in dem ganzen 
Roman so deutlich zu Tage, dass besondere Nachweisungen entbehrlich sind. 
Ihre nähere Bestimmung erhält sie durch eine doppelte Beziehung auf gleich- 
eitige Erscheinungen. Das eine ist die Parallele des Pythagoreismus mit 
dem Christentkum, und des Apollonius mit Christus, welohe Baur 8. 104— 155 
seiner Schrift als Motiv der vorliegenden Biographie wahrscheinlich gemacht 
hat; denn enthält sie auch keine ausdrückliche Polemik gegen das Christen- 
thum, so ist doch die Schilderung des Apollonius im ganzen und in vielen 
einselnen Zügen ein so merkwürdiges Gegenbild zu der Darstellung Christi in 
den Evangelien, dass wir su der Annahme allen Grund haben, der Verfasser 
beabsichtige wirklich, dem wundertbätigen Propheten der neuen Religion 
einen ebenso ausgezeichneten Vertreter der alten gogenüberzustellen. Eine 
zweite, bisher nur theilweise beachtete, Beziehung kommt in der überlegenen 
Stellung zum Vorschein, welche Apollonius gegen verwandte Erscheinungen 
der heiduischen Welt einnimmt. Einerseits ist Philostratus sorgfältig bemüht, 
seinen Helden und dessen Weisheit von den gewöhnlichen orientalischen Ge- 
beimkänstlern und-ihrem Treiben zu unterscheiden, er verwahrt sich sehr be- 
stimmt gegen den Verdacht, als wäre Apollonius mit magischen Künsten um- 
gegangen (V, 13. VII, 89. VIII, 7, 3.9 vgl. Baur 8. 44 ff.), ja er bezeichnet 
1,2 die Widerlegung dieses Vormurfs als einen Hauptzweck seiner Darstel- 
„Img, und ganz allgemein hebt er vielfach (III, 82, 1. V, 25, 1. VI, 11, 8. VI, 
18) den entschiedenen Vorsug der indisch-hellenischen Weisheit, welche sin 
Pytbagoras und Apollonius vortrug, vor der gemeinen orientalischen der 
Aögyptier hervor, die aus diesem Grunde in der Erzählung III, 20 zu ungei- 
20, wegen eines Mords vertriebenen Abkömmlingen der Inder gemacht wer- 
den. Andererseits polemisirt or nicht minder stark gegen zwei philosophische 
Rebenhuhler des Neupythagoreismus, den Cynismus und die 8toa, und wenn die 


136 Neupythagorser, 


den Pythagoras noch überragt 1), den gotibegeisterten Weisen, der 
den Menschen in übermenschlicher Hoheit gegenübersteht 3), sagt 


Cyniker (welche sich in den äthiopischen Gymneten VI, 6. 10—22 nicht ver- 
kennen lassen) im Vergleich mit Apollonius zwar auf einer niedrigen und be- 
scohränkten Stufe des Wissens erscheinen, am Ende aber doch seine Ueber- 
legenheit anerkennen, so ist dagegen der bekannte Stoiker Euphrates (1. Abth. 
8. 613) der stehende unversöhnliche Gegner des Apollonius, der Afterphile- 
soph, welcher dem ächten Philosophen Apollonius als Feind und Zerrbild in 
ähnlicher Weise beigegeben ist, wie der Magier Simon der pseudoclementini- 
schen Homilisen dem Apostel Petrus. Dass diese Schilderung dem Stoicismus 
im ganzen gilt, liegt am Tage; unter den Zügen, welche den Euphrates als 
Stoiker charakterisiren, sind namentlich zwei zu bemerken: der Republika- 
nismus, den er in der Rede an Vespasian V, 88 zur Schau trägt, und die mit 
diesem so stark contrastirende Gewinnsucht, welche den angebliohen Bepub- 
likaner zu niedrigem Fürstendienst und Schlechtigkeiten jeder Art verleitet 
(V, 88,3. VI,18,1. VIII, 7, 12.39). Der erste von diesen Zügen bezieht sich auf 
den bekannten Zusammenhang der stoischen Philosophie mit den republikani- 
schen Bestrebungen der Kaiserzeit, der zweite auf denSatz (1. Abth. 244, 1), dass 
es dem Weisen anständig sei, sich durch Fürstendienst zu bereichern. Die 
Gehässigkeit dieser Insinuationen, und die ganze Rolle, welche Euphrates bei 
Philostratus spielt, zeigt deutlich, welchen Grad die Eifersucht der beiden 
Schulen erreicht hatte. — Als Geschichtsquelle ist die Bchrift des Philostr. 


“ nach allem diesem schleohterdings nicht zu gebrauchen, sie stellt sich viel- 


mehr in die Reihe jener absichtsvollen Dichtungen, an denen die ersten Jahr- 
hunderte nach Christus so reich sind; hinsichtlich ihrer schriftstellerisohen 
Anlage steht ihr kaum ein anderes Werk näher, als die obengenannten cole- 
mentinischen Homilien, welche gleichfalls ältere Quellen frei überarbeitet 
"haben. 

1) V. Apoll. I, 2 nennt ihn Philostr. ausdrücklich θειότερον ἣ ὁ Πυθαγόρας 
τῇ σοφίᾳ προςελθόντα. 

2) Als ein tibermenschliches Wesen schildert Philostr. selbst seinen 
Apollonius. Nach I, 4 f. wurde in ihm, dem vollendeten Propheten, Proteus, 
der weissagende Dämon, als Mensch geboren, seine Geburt war eine wunder- 
bare, man hielt ihn für einen Sohn des Zeus. Ebenso wunderbar und geheim- 
nissvoll ist sein Austritt aus dem irdischen Leben, und die Art, wie er später 
einem Jüngling erscheint, um ihn vom Zweifel an der Unsterblichkeit zu hei- 
len (VIII, 30 f); letsteres offenbar das Gegenbild der Christuserscheinungen, 
namentlich der vor Damaskus. Im Gefängniss überzeugt er (VII, 88, 3) durch 
ein Wunder seinen Begleiter von seiner φύσις θεία χαὶ χρείττων ἀνθρώπου, bei 
Domitian wird er angeklagt, dass er sich einen Gott nennen lasse, und weist 
diess nicht zurück (VIII, 6, 1), nach seinem Tode wird ihm in Tyana ein Tem- 
pel errichtet (I, δ. VIII, 29). Es ist daher ganz im Sinn seines Biographen, 
wenn Eoxar. v. soph. prooem. 8. 8 von ihm sagt: οὐχέτι φιλόσοφος" ἀλλ᾽ ἦν τι 


Philosoph. Ideal: Apollonius, 187. 


sie uns, was sich der Verfasser und seine Schule unter der ächten 
Philosophie vorstellt. Als die eigentliche Aufgabe derselben wird.’ 
bier die Verbreitung der wahren Gotteserkenntniss und Goties- 
verehrung bezeichnet 1); doch erhalten wir nur gelegenheitlich 
Andeutungen über das Wesen der Gottheit, in denen ihre Ein- 
sicht, Güte und Vollkommenheit gepriesen *), und den unwürdigen' 
Vorstellungen der griechischen Mythologie, noch entschiedener 
natürlich dem ägyptischen Thierdienst widersprochen wird). Die 
Unterscheidung des höchsten Gottes von den Untergöttern, welche 
wir schon bei Apollonius selbst getroffen haben, wird auch von 
seinem Biographen wiederholt *); die Weitherzigkeit, mit der 
Apollonius alle bestehenden Götterdienste anerkennt, von einem 
Tempel zum andern wandert und von allen Göttern nur gutes sa- 
gen will ©), weist auf die Ansicht, welche schon durch den Stoi- 
cismus verbreitet war, dass sich das allerfüllende göttliche Wesen 
unter den verschiedensten Formen offenbare. Doch haben nicht 
alle diese Formen den gleichen Werth; die reinste sichtbare Offen- 
berang des Göttlichen ist die Sonne, die von unserem Philosophen 
in indischer Weise verehrt wird), und aus diesem Grunde haben 
diejenigen, welche dem reinen Sonnenlicht des Ostens näher sind, 
die wahrsten Vorstellungen von Gott und der Welt’). Die Lehre 


von der Weltschöpfu | und Weltregierung wird im Geist des Pla- 


LEERE 


θεῶν ta ze ἀνθρώπου μέσον. Ein solches Mittelwesen sollte ja auch Pythagoras 
gewesen sein;. 8. Bd. I, 223, 4. 

1) Ζ. B. IV, 40 fi. 

2) I, 11. IV, 38, 1, 

8) V, 14 £., wo die Mythen der Dichter tief unter die aesopischen Fabeln 
gestellt werden; VI, 19, wo Apoll. die idealen Götterbilder der hellenischen 
Kunst mit der ägyptischen Thiersymbolik vergleicht. 

“4) ΠΙ, 84, 2. 86, 8. 

5) IV, 24, 1. 40, 8 ἢ, VI, 8, ὅ. 

6) 11,88. VI, 10, 1. 82, 1. VII, 81, 1. VIE, 18, 3 vgl. ΠΙ, 14, Sohl. 17, 2. 
38,1. V,80, 31. Es verdient Beachtung, und dient zugleich dem, was 8. 181,1 
bemerkt wurde, zur Bestätigung, dass auch in Apollonius’ Leben des Pytha- 
goras (Ὁ. Jausr. νυ. P. 256) die Anbetung der aufgehenden Sonne zu den un- 
verbrächlichen Geboten der pythagoreischen Lebensordnung gerechnet wird. 
Als pythegoreische Vorschrift führt auch M. Aussr. XI, 27 an: ἕωθεν εἷς τὸν 

Ἴ Υ͂Ι, 11, 9. 


188 N eupythagörser. 


onismus und des populären Steieismus ausgeführt), die Abhän- 
'gigkeit aller Dinge von der göttlichen Vorherbestimmung oder 
dem Verhängniss behauptet), die Lebendigkeit der Welt in her- 
kömmlicher Weise vorausgesetzt, ihre Selbsigenügsamkeit in der 
Vorstellung, dass, sio mannweiblich sei, ausgedrückt, ihre Vernünf- 
tigkeit:unter anderem auch darin nachgewiesen, dass die verderb- 
lichen Naturereignisse nur Strafen der menschlichen Ungerechtig- 
keit seien®). Die Fünfzahl der Elemente begegnet uns bei Philo- 
stratus ‘wie bei andern Pythagoreern‘); auf eingehendere physische 
Untersuchungen lässt er sich jedoch nicht ein, sein ganzes Interesse 
dreht sich um den Menschen und das Verhältniss desselben zur 
Gottheit. Dass der Mensch göttlichen Wesens sei, und durch Tu- 
gend und Weisheit selbst zum Gott werde, steht ihm fest°); von 
‘besonderer Wichtigkeit ist ihm aber der Glaube an die Ewigkeit 
und Utisterblichkeit der Seele 5) und die Lehre von der Seelen- 
wandereng, welche hier nicht blos auf's nachdrücklichste vorge- 
"tragen, sondern auch durch Beispiele der abenteuerlichsten Art 
bestätigt wird”). Hiemit steht dann weiter der alte Satz in Ver- 
bindung, dass der Leib ein Gefängniss der Seele sei, in dem sie 
an die Sinnlichkeit gefesselt mit ungeordneten Trieben jeder Art 
zu kämpfen habe?). Sie aus diesem Kerker zu befreien und zu 
einem geordneten Zustand zurückzuführen, ist die Aufgabe der 
gotigesandten Männer, wie Apollonius?), und das Mittel dazu ist 
die ächte Philosophie, diejenige, welche Pythagoras gelehrt hat, 
deren letzte Quelle aber und deren reinste Darstellung nur im 
fernen Osten, bei den indischen Weisen zu suchen ἰδὶ 19). Es han- 


1) ΠῚ, 86. IV, 80, 8. VIEL, 7, 34 f. 

3) VHOI, 7, 52 vgl. VII, 9. 

8) III, 84. 85, 8. 

4) 1II, 84, 2 vgl. oben 8. 117, 3. 

δ) VII, 7, 122 7. III, 18. VII, 82, 3. 

8) VI, 11, 7. VI, 22. VIII, 81. 

7) Ausser der Hauptstelle ΠῚ, 19-22 vgl. IH, 34. VI, 21, 1. YAIL, 7, 
15. 20. V, 43. | 

8) VIII, 26, 4 

9) VIII, 7, 25 ὦ. 

10) Ueber die Vorzüge der indisch-pythagoreischen Philosophie vor jeder 
andern, und namentlich vor derjenigen der äthiopischen Gymnosophisten, 
verbreitet sich Apollonius VI, 11 vgl. I, 83. Er selbst reist ebendesshalb nach 


Philosoph. Ideal: Apollonius. . 46 


delt sich jedoch bei derselben nicht sowohl um. wissensokaftliche: 
Erkenntniss; — selbst die specifisch pythagoreische Wissenschaft 
( den Zahlen wird recht absichtlich geringschätzig behandelt Ὁ), 
und nur ein praktisch religiöses Wissen ist das, weiches unsere 
Schrift fordert; — das Wesen der wahren Weisheit ποσὶ wiel- 
mehr in der Reinheit des Lebens und in der riehtigen Gotiesver-. 
ehrung. In beiden Beziehungen begnügt sich aber der Pytkago- 
reer keineswegs mit der einfachen Frömmigkeit und Sätlichkeit 
als soleher; sondern einestheils wird zwar auf diese Seite. der 
grösste Werth gelegt, es wird die sittliche Selbstkenntniss für die 
Grundlage aller Tugend und Weisheit erklärt 3), es wird eine Ge- 
rechtigkeit verlangt, welche über die gewöhnliche, blos negative 
Rechtschaffenheit hinausgehe ὅ), es wird ausgesprochen, dass ohne 
die rechte Gesinnung kein Opfer etwas nütze*), es werden schöne 
"und einfache Gebete vorgeschrieben °), es wird uns in Apollonius - 
das Musterbild eines Mannes vor Augen gestellt, der sein ganzes 
Leben dem Dienste der Gottheit und dem Wohl seiner Mitmenschen 
widmet, und der in seinem Berufe auch der augenscheinlichsten 
Todesgefahr ungebeugten Muthes entgegengeht. Zugleich wird 
aber die unerlässliche Aeusserung und Bedingung der höheren 
Weisheit in dem pythagoreischen Leben, in der Enthaltung von 
Fleisch- und Weingenuss®), in der Ehelosigkeit”), in der leinenen 


Indien, um hier bei den vollkommenen Philosopben die letzte Weihe zw er- 
halten, wie diess III, 10--51 ausführlich erzählt ist. 

1) UI, 80: Apoll. fragt hier den Oberbrahminen Jarchas, das Ideal eines 
neupyihagoreischen Philosophen, wie es komme, dass er und seine Freunde 
gerade zu achtzehen seien, da diess doch durchaus keine von den bedent- 
samen Zahlen sei, und er erhält von diesem die Belabrung: οὔτε ἡμεῖς ἀριθμῷ 
δονλεύομεν οὔτε ὁ ἀριθμὸς ἡμῖν ἀλλ᾽ ἀπὸ σοφίας τε χαὶ ἀρετῆς προτιμώμεθα. Die 
polemische Beziehung dieser Ersählung liegt auf der Hand. 

2) III, 18. VII, 14, 8. ᾿ 

8) III, 24 ἢ. VI, 21 vgl. VI, 2. 

4141, 101 

5) 1, 11, 2. 84, 1. IV, 40, 2. Ä 

δ) I, 8. 1, 82. III, 26, 2. VI, 11, 3. VI, 7, 14 δ: Der Fleischgenuss 
sei unrein, weil er auf Mord beruhe, und schädlich, der Wein zwar rein, 
aber der Helle des Geistes hinderlich. Gegen das Tödten der Thiere auch 
1, 88, 

7) 1,15 £. wird wenigstens dem Apollon. Virginität nachgerühmt. 


.teuguumg: 


449 Neupythagorser. Apollonius. 


Priesterkleidung 1), in der Verwerfung aller blutigen Opfer ?), in 
dem mehrjährigen Stillschweigen des angehenden Schülers 5) ge- 
sucht; die cynische Einfachheit und Rauhigkeit dagegen ist nicht 
nach dem Geschmack unseres Philosophen, welcher vielmehr den 
Schmuck und selbst die Genüsse des Lebens gegen dieselbe in 
Schuts nimmt“). Wer sich jener Weisheit ganz hingiebt, der über- 
schreitet das Maass der menschlichen Natur °), und zum Zeichen 
seiner höheren Begabung wird ihm jene Wunderkraft 5) und jene 
an Allwissenheit grenzende Kenntniss des verborgenen und zu- 
künftigen 79 verliehen, von deren Beweisen die Darstellung des 
Philostratus erfüllt ist 5). 


> 


1) I, 8. 82, 2. VI, 11, δ. ὙΠ, 7, 17. Neben der leinenen Kleidung nen- 
nen diese Btellen auch die ungeschorenen Haare (vgl. VIII, 7,19) als Bestand- 
tbeil des pythagoreischen Lebens; die erstere ist nach VIII, 7, 17 nothwen- 
dig, weil die Kleidung aus Wolle und Fellen von Thieren berrührt. 

3) I, 81. V, 25. VIII, 7, 38. 

3) I, 14 £. 16, 8. 1, 2. VI, 11, 8. 

4) Diess der Zweck der ausführlichen Verhandlung mit den äthiopischen 
Gymneten VI, 11 und der Erzählung Ill, 27. Die erste von diesen Stellen 
lässt vermuthen, dass Philostr. die Vorliebe für das oynische Leben auch in 
dem Kreise seiner eigenen Gesinnungsgenossen zu bekämpfen hat. 

δ) VIL, 82 und oben 138, 5. 186, 2. 

6) Beispiele dieser Wunderkraft finden sich viele und höchst auffallende, 
wieIV,25 die Entlarvung einer Lamie; IV, 45 eine Todtenerweckung, welche 
den beiden bei Lukas erzählten nachgebildet zu sein scheint; IV, 44, 2. VII, 
38 die Wunder bei Apollonius’ Vertheidigung und im Gefängniss; ITI,13— 16. 
17, 2. 27, 2 die Abenteuerlichkeiten der indischen Weisen u. A. 

7) 111, 18, 1 sagen die Brahmanen geradezu von sich: ἧμέϊς πάντα γιγνώσ- 
xonev, ebenso VII, 14, 2 Apollonius: & τε εἰδὼς πάντα, u. VI, 11, 6 verspricht 
die (pythagoreische) Philosophie ihrem Jünger: καθαρῷ δὲ ὄντι σοι χαὶ προ- 
γηνώσκειν δώσω τ. 5. w. Proben dieser Allwissenheit finden sich allenthalben 
in unserer Schrift. VIII, 7, 80 ἢ. wird dieselbe mit der pythagoreischen Nah- 
rung, welche die Sinne rein und frei erhalte, 1Π|, 18 mit der philosophischen 
Belbsterkenntniss in Verbindung gebracht. Auch die Opferschau, wiewohl " 
sie dem Pythagoreer selbst fremd ist, wird VIII, 7, 50 nach dem Vorgang des 
platonischen Timäus (71, Af.) physiologisch erklärt. Man bemerke, dass auch 
diepythagoraisirenden Clementinischen Homilieen ihren „Propheten der Wahr- 
heit“ wesentlich durch die Eigenschaft der Allwissenheit charakterisiren 11], 
11 — 1b. 

8) Ausführlicheres über die Lehre, welche Philostiatus dem Apollonins 
beilegt, b. Baur a. a. O. 8. 54—74, dem auch die obige Darstellung grössten- 
tbeils gefolgt ist. 

ΓΙ 


Pythagoraisirende Platoniker. 141 


Wie sehr diese Darstellung dem Geschmack ihrer Zeit zusagte, 
sieht man aus der vergötternden Bewunderung, die ihrem Helden 
seitdem von den Freunden der hellenischen Religion und Philo- 
sophie gezollt wurde 1). Die Schrift des Philostratus ist nun frei- 
ich das jüngste Erzeugniss der neupytliagoreischen Schule, das 
wir besitzen. Aber mit den gleichen Zügen wurde ja das Ideal des 
Philosophen schon längst in den Schilderungen des Pythagoras und 
seiner Schüler ausgemalt, und mit dem.ganzen- Standpunkt der 
neuen Pythagoreer waren sie so verwachsen, dass wir den Apol- 
Ionius des Philostratus, so ungeschichtlich auch seine Gestalt au 
sich selbst ist, doch unbedenklich als einen vollgültigen Zeugen 
für den Charakter dieser Philosophie betrachten dürfen. Auch bei 
anderen Schulen fand aber diese Denkweise, durch die religiösen, 
die sittlichen und die wissenschaftlichen Zustände begünstigt, mit 
der Zeit Eingang: zunächst und am meisten bei der platonischen, 
später und in geringerem Maass bei der stoischen. 


6. Pythagoraisirende Platoniker. Plutarch. 


Von allen Philosophenschulen jener Zeit stand keine 
Neupythagoreismus von Hause aus näher, als die platonische. 
Schon der ursprüngliche Platonismus hatte sich vielfach an alt- 
pythagoreische Darstellungen angeschlossen, während andererseits 
der neupythagoreische Dualismus zu einem gulen Theil auf plato- 
nische Lehren begründet war. Noch stärker hatte sich die Ver- 
mischung platonischer und pythagoreischer Vorstellungen, die 
Zablensymbolik und die religiöse Mystik, in der älteren Akademie 
entwickelt. Die Skepsis des Arcesilaus und seiner Nachfolger 
verdrängte diesen Dogmalismus, aber sie selbst musste dem Dualis- 
mus der späteren Zeit und der Sehnsucht nach höherer Offenbarung 
mittelbar vorarbeiten, indem sie das Vertrauen des Denkens zu 
sich selbst untergrub. Wenn endlich Antiochus von der neuen 
Akademie zu Plato zurückkehren wollte, so hatten denselben Philo- 
sophen auch die Neupythagoreer zu ihrem hauptsächlichsten Führer 


Ἢ Beweise derselben sind schon 8. 182, 1. 186, 2 aus Dio Cassius, Vo- 
piscns und Eunapius beigebracht worden. Um den Anfang des vierten Jahr- 
bunderts verglich Hierokles in seiner Schrift gegen die Christen Apollonius 
mit Christus, um seine Ueberlegenheit über diesen su beweisen. Vgl. Batz 
2.0.8. 3 ff. K.-Gesch. I, 426. 


ἙΝ 


.143 Plutaroh. 


gewählt; wenn jener mit den platonischen peripetetische und 
stoische. Lehren eklektisch verband, 80 haben wir auch bei diesen 
den gleichen Eklekticismus getroffen; und dieser Eklekticiamus 
war durch dieselhe skeptische Stimmung bedingt, aus welcher der 
Offenbarungsglaube der Pythagoreer hervorgieng. Wirklich kan 
auch Antiochus und seine Schule dieser Denkweise bereits auf 
halbom Weg. entgegen, wenn es ihnen vor allem um die sittlich- 
religiösen Ergebnisse der Philosophie zu thun war, und wenn sie 


sich hiebei auf angeborene Ideen, als eine unmittelbare Offen- 


barung der Natur und der Gottheit beriefen, wie diess Cicero thut, 
und wie es wohl auch schog seine akademischen Lehrer gethan 
hatten !). Wird die Wahrheit allen Menschen vermöge ibrer Gott- 
verwandischaft von der Gottheit mitgetheilt, warum sollte sie nicht 
denen, welche durch fromme Gesinnung und Heiligkeit des Lebens 
vor anderen hervorragen, in höherem Maasse und auf ausser- 
ordentliche Weise mitgetheilt werden ? 

Wie frühe der erneuerte Pythagoreismus die Aufmerksamkeit 
der Akademiker auf sich zog, und wie leicht sie sich mit seiner 
platonisirenden Deutung der pyihagoreischen Lehre hefreundeten, 
sahen wir schon an Eudorus ?). Indessen sind wir über ibn und 
über die ganze akademische Schule jener Zeit zu unvollständig 
unterrichtet, um beurtheilen zu können, wie weit sie sich in ihren 
eigenen Ansichten von diesem Einfluss bestimmen liessen. Erst 
hei Plutarchus aus Chäronea °) finden wir die Verschmelzung 


1) Vgl. 1. Abth. 584. 
Ἢ Bd. I, 260. 

8) ‘Als seinen Geburtsort bezeichnet Plutarch selbst Chäronea in Böotien 
(ὕω. 1 £ Bulle 16. fort. Rom. 4, Schl, 8. 818. De ouriosit. 1, B, 515 vgl. 
Damoath. 2), Sein Geburts- und Todesjahr ist unbekannt; jenes wird aher 
annähernd nm 48, dieses um 120 n. Chr. gesetst werden können: Buın. sagt, 
er habe unter Trajan und früher gelebt, nach Demselben erhielt er von Trajan 


“die Würde eines Proconsuls und eine Art Oberaufsicht über lllyrien, nach 


 (Eusebius bei) Brnczır. 8. 849, B wurde er, schon betagt, von Hadrian zum 


: Proeurator (wenn ἐπιτρυπεύειν hier diess bedeutet) von Hellas ernannt. Letz- 


tere Angabe veranlasst dann Hızaox. Chron. Eus. zu Ol. 224, 8 (119 n. Chr.), 
sein Leben. (insignes habebantur) in diese Zeit zu setaen; Deorselbe sagt aber 
auch zu Ol. 211, 4 (68 n. Chr.), er und Musonius seien damals berühmt ge- 
wesen (das gleiche Chron. pasch. 8. 240, d), und ähnlich Pnor. Cod. 246, 
Schl.: dzt Νέρωνος ἦν. Letsterer verweist dafür auf Plutarch’s eigene Aussage; 
dieser aber nennt allerdings Flamin. c. 12, g. E. Nero seinen Zeitgenossen, 


Beine Persönlichkeit. 488 


des Plaionismus mit der Denkweise, welche. zuersi in des neu- 
pythagoreischen Schule hervortrat, so weit. gediehen, ‚dass die 
ganze Weltanschauung des Philosophen von ihr heherracht "ἰ N), 


genauer jedoch bemerkt er De Ei 1, Schl. 8. 385, als Nero in Griechenland 
war (66 no. Chr.), sei er selbst Schüler des Ammonius gewesen. Als Zeitge- 
nossen Trajan’s bezeichnet ihn seine Freundschaft mit Favorinus (vgl. 8.50, 1) 
ποῦ mit Bossius SBenecio; dem letzteren, der unter Trajan wiederholt Comaul 
war, hat er die Biographieen und andere Schriften gewidmet (vgl. den index 
su Plut. ed. Dübner). De primo frig. 12, 5. 8. 949 wird von Trajan’s daqj- 
seben Kriegen (101--- 106) mit νῦν gesprochen. In seiner Jugend beschäftigte 
er sich eifrig mit Mathematik, (Beweise seines mathematischen Wissens giebt er 
öfters, so namentlich De an. procr. in Tim.) und demnächst unter Leitung des 
Ammonius, den er ohne Zweifel in Athen aufsuchte, mit Philosophie (De Bf 1. 
Themist. 33, Schl. u. δ. vgl. 1. Abth. 717,4). In Angelegenheiten seiner Vater- 
stadt scheint er noch in jüngeren Jahren nach Rom gekommen zu sein; κῃ- 
gleich benlitzte er diesen Aufenthalt, um als Lehrer aufzutreten; mit der rö- 
mischen Literatur wurde er aber erst später bekannt, und für einen feineren 
Kenner der lateinischen Bprache will er sich nicht ausgeben (Demosth. 3. 
frei. am. 4, 8. 470. De onriosit. 15, 8.529); auf einen späteren Besuch in Rom 
scheint sich qu. conv. VIII, 7, 1, 1 zu beziehen. Auch einer alexandrinischen 
Beise (qu. conv. V, 5, 1, 1) und eines Besuchs in Sparta (Agesil. 19) geschieht 
Erwähnung. Von seiner Vaterstadt achon frühe in Geschäften verwendet 
(s.°0. und prsec. ger. reip. 15, 4. 20, 6. 8. 811. 816. Demosth. 2), war er in 
der Folge Arohon Eponymos (qu. conv. 11, 10, 1, 1, VI, 8, 1, 2), Priester (ebd. 
VI, 2,2, 1) und einer von den Aufsehern der pytbischen Spiele (an. seni 8. 
ger. resp. 17, 3. 8. 792); Trajan und Hadrian sollen ihm angesehene Aemter 
übertragen haben (s. 0.); es ist aber allerdings sehr auffallend, dass sich in 
den Schriften des Mannes, welcher weit unbedeutendere Auszeichnungen in 
seiner Vaterstadt nicht unerwähnt lässt, davon keine Spur findet; vgl. Gnxann 
de la Morale de Plut. (Par. 1866) 8. 18 ff. Ueber Plutarch’s Leben u. Bohriften 
3. m, Binz in Paurr’s Realenoyklopädie V, 1772 ff., über seine Philosophie, 
ausser den umfassenderen Darstellungen der griechischen Philosophie: Bcuaz:- 
τες Dootrina Plut. et theol. ot mor. in ILLazn's Zeitschrift f. histor. Theol. VI, 1 
(1886) 8, 1— 144; Szızenr De apologetica Plut. Chseron. Theologia. Marb. 
1884; auch Nırzsca De Piut. theologo et philos. populari. Ind, Schol. Kil. 
1849; über beides Gatarno in dem ebengenannten Werke. 

1) Möglich allerdings, dass ihm schon sein Lehrer Ammonius hierin vor- 
angieng, der als Aegypter (Euxar. v. Soph. prooem.) dem Hauptsitz der neu- 
pythagoreischen Schule nahe war, und dem Plut. öfters seine eigenen An- 
sichten in den Mund legt. Auf seine Vorliebe für die pythagoreische Mathe- 
matik bezieht sich vielleicht De Ei 17, 8. 891: ὁ δὲ ᾿Αμμώνιος,͵ ἅτε δὴ καὶ αὐτὸς 
οὗ τὸ φαυλότατον ἐν μαθηματιχῇ φιλοσοφίας τιθέμενος. Van Plutarch’s Kenntniss 
der pytbagoreischen (bzw. neupythagoreischen) Lehre finden sich zahlreiche 
Beweise in seinen Schriften, 


144 Plutareh. 


Dieser angesehene, und ohne Zweifel auch sehr einflussreiche 
Schriftsteller 10 zäblt nicht blos sich selbst unter die Akademiker ?), 
"sondern er knüpft auch die Darstellung seiner Ansichten mit Vor- 
liebe an die Erklärung platonischer Stellen ?), er weiss selbst 
solches, was offenbar späteren Ursprungs ist, bei dem Vorgänger 
zu finden, dessen Ausleger er sein will 4), und nicht einmal bei 
untergeordneten Punkten wagt er einen ausdrücklichen Wider- 
spruch gegen den bewunderten Meister °); er glaubt sich vielmehr 
verpflichtet, seine Sätze auch dann in Schutz zu nehmen, wenn er 
auf einen genügenden Erweis ihrer Wahrheit verzichten ınuss °). 
Er giebt sich also zu ihm die gleiche Stellung, wie sie überhaupt 
die Platoniker dieser Zeit zu Plato, die Peripatetiker zu Aristoteles 
einnehmen wollten. Unter den übrigen Philosoplienschulen tritt 
er nicht allein der epikureischen, deren sittliche und religiöse 
Ansichten ihm zum höchsten Anstoss gereichen, sondern auch der 
stoischen, vom Standpunkt des Platonikers aus sehr entschieden 
entgegen ἦν. Doch bemerkt man bald, dass auch sein Platonismus 


1) Eunapius v. soph. prooem. 2 nennt ihn θειότατος, φιλοσοφίας ἀκάσης 
ἀφροδίτη καί λύρα, minder enthusiastisch sagt sein Schüler Taurus bei ἀπε, 
N. A. I, 26, 4: Plut. noster vir doctissimus ac prudentissimus. 

2) Qu. conv. IX, 12, 2. De fac. luns 6, 1. 8. 922. 

8) Z. B. in den Qusstiones Platonic®; De anims procreatione in Ti- 
meo; Consol. ad Apoll, 86, 8, 120. Ueber die Ausserst zahlreichen Anfüh- 
rungen platonischer Stellen bei Plut. vgl. m. d. Register. 

4) Bo sollen die zehen aristotelischen Kategorieen Tim. 37, A angedentet 
sein (an. proor. 28, 8. 8. 1028); weitere Beispiele werden sich uns sogleich 
ergeben. 

δ) Beine Bewunderung Plato’s drückt Plut. bei jedem Anlass aus; statt 
aller anderen Stellen genügt es hier auf qu. conv. VIII, 1, 2 su verweisen. 
Weiteres bei απέλεν a. a. O. 70. 

6) Z. B. qu. conviv. VII, 1, 8,24, wo eine Vertheidigung der platonischen 
Annahme (Über die auch Sto. rep. 29, 8, 1047), dass das Getränke nicht in 
den Magen, sondern in die Lunge komme, mit den bezeichnenden Worten 
schliesst: τὸ δ᾽ ἀληθὲς ἴσως ἄληπτον Ev γε τούτοις" χαὶ οὐχ ἔδει πρὸς φιλόσοφον 
δόξῃ τε καὶ δυνάμει πρῶτον οὕτως ἀπαυθαδίσασθαι περὶ πράγματος ἀδήλου καὶ τοσ- 
αὐτὴν αἰτιολογίαν ἔχοντος. 

7) Den Epikureern gelten bekanntlich die drei Abhandlungen: ὅτι οὐδὲ 
ζῇν ἐστιν ἡδέως xar’ ᾿Ἐπίχουρον, πρὸς Κολώτην, und el καλῶς εἴρηται τὸ λάθε 
βιώσας ; den Stoikern die περὶ στωϊῶχν ἐναντιωμάτων, die περὶ τῶν χοινῶν ἐννοιῶν 
und die kurze σύνοψις τοῦ ὅτι παραδοξότερα οἱ Στωϊχοὶ τῶν ποιητῶν λέγουσιν͵ 


Platonismus; Eklektioismus, - 145 


von jenem Eklekticismus nicht frei ist, welcher seit Antiochus in 
der akademischen Schule so tiefe Wurzeln geschlagen hatte. So 
lebhaft er die Stoiker und Epikureer bestreitet, so freundlich ist 
sein Verhältniss zur peripatetischen und pythagoreischen Schule I), 
und er selbst zeigt seine Verwandtschaft mit den gleichzeitigen 
Eklektikern, auch abgesehen von den einzelnen Lehrbestimmun- 
gen, welche uns später noch vorkommen werden, schon durch 
seine ganze Auffassung der Philosophie. Denn darin trifft er mit 
Philosophen, wie Cicero und die späteren Stoiker, ganz zusam- 
men, dass ihre Hauptaufgabe seiner Ansicht nach in ihrer sittlichen 
Wirkung zu suchen ist. Die Anfänger in der Philosophie, sagt er, 
wenden sich den Spitzfindigkeiten der Dialektik oder den prunken- 
den Untersuchungen der Physiker zu, oder sie machen sich auch 
Sammlungen von Erzählungen und Aussprüchen; wer es dagegen 
zu einer gesunden Beurtheilung der Dinge gebracht habe, der 
suche Belehrungen, welche auf Grösse des Charakters hinwirken, 
deren Richtung nicht nach aussen gehe, sondern nach innen °). 
So wenig er daher auch den Werth verkennen will, welchen die 
Erkenntniss an und für sich habe ®), so findet er sich doch vor- 
zugsweise von solchen Untersuchungen angezogen, welche sich 
auf das sittliche Leben beziehen; und wie er selbst in seinen Ge- 
schichtswerken den praktischen Nutzen der Geschichte gerne her- 


wahrscheinlich ein Auszug aus einem grösseren verloren gegangenen Aufsatz. 
Seine Polemik gegen die beiden Systeme zieht sich durch alle seine Schriften ; 
Beispiele derselben werden uns noch reichlich begegnen, zugleich aber wer- 
den wir sehen, dass er sich stoischen Einflüssen doch nicht durchaus ent- 
sogen hat. . 

1) Bo oft auch Plutarch des Aristoteles erwähnt, so bestreitet er ihn doch 
inmer nur in untergeordneten Punkten, während er andererseits, wie wir fin- 
den werden, nicht wenige wichtige Bestimmungen, namentlich in der Psycho- 
Iegie und der Ethik, von ihm aufnimmt. Vom Pythagoreismus ohnedem hat 
er viele seiner eingreifendsten Annahmen entlehnt, und er selbst verweist 
häufig auf diese Quelle, =. B. De Is. 25, 8. 860. Ebd. c. 80. c. 48. 75. De 
an. pror. 12, 2. 8. 1017. Ebd. 14, 1. 17, 1. Sto. rep. 82, 8. 1049. 

8) De prof. in virt, 7, 8. 78f. Aehnlich die unächte Schrift De educ. 
paer. 10, 8.7. Vgl. adv. Col. 3, 6. 8. 1108. 

8) N. p. suav. vivi 10, 1. 8.1098: αὐτῆς δὲ τῆς ἀληθείας ἢ μάθησις οὕτως 
ἐράσμιόν ἐστι χαὶ ποθεινὸν, ὡς To ζῆν καὶ τὸ εἶναι διὰ τὸ γινώσκειν. 

Philos, d. Gr. 111. Bd. 3. Abth. | 10 


146 Plutarch. 


vorhebt 1), und die Darstellung der Charaktere mit Vorliebe in's 
Auge fasst, so hat er sich auch als philosophischer Schrifisteller 
ganz überwiegend mit moralischen Gegenständen beschäftigt, die 
Dialektik dagegen berührt er immer nur im Vorbeigehen, und was 
er naturwissenschaftliches geschrieben hat, das betrifft nur einzelne 
Punkte,- und beweist mehr für seine Gelehrsamkeit, als für ein 
wirkliches tieferes Interesse an der Naturforschung. Nur einigen 
metaphysischen und anthropologischen Fragen widmet er, eben 
wegen ihrer ethischen und religiösen Bedeutung, grössere Auf- 
merksamkeit. Wie aber mit diesem Zurücktreten der reinen Theorie 
gegen die Praxis überhaupt nicht selten eine skeptische Stimmung 
verbunden ist, so lassen sich Anwandlungen dieser Stimmung auch 
bei Plutarch wahrnehmen 3). Schon in den Naturerscheinungen 
findet er manches so unbegreiflich, dass der Philosoph am besten 
thue, sein Urtheil zurückzuhalten 8); noch weit nöthiger ist aber, 
wie er ausführt, diese Vorsicht in unseren Aussagen über die 
göttlichen Dinge. Wissen wir doch selbst das, was vor unseren 
Augen liegt, so-oft nicht zu erklären: wie könnten wir von dem 
mehr zu verstehen meinen, was über uns ist? wie als Menschen 
über die Götter zuversichtlicher reden, als Laien über die Musik 
oder über die Heilkunde sprechen werden? *) Plutarch nimmt 
daher Arcesilaus und seine Grundsätze ausdrücklich in Schutz, er 
sieht in der Zurückhaltung des Urtheils nichts anderes, als eine 
lobenswerthe Vorsicht, er erklärt, die Widerlegung der akademi- 
schen Skepsis sei ihren Gegnern nicht gelungen, und es sei 


1) Z. B. Nic. 1, Schl. Aemil. P. c. 1. 

2) Auch hierin war ihm Ammonius durch seine akademische Behutsam- 
keit (qu. conv. IX, 14, 7, 1) vorangegangen. . 

3) So schliesst er seine Erörterung de primo frig. c. 28, 8. 955 mit den 
Worten: ταῦτα, ὦ Paßwpivs, τοῖς εἰρημένοις ὑφ᾽ ἑτέρων παράβαλλε. χὰν μήτε λεί- ᾿ 
πηται τῇ πιθανότητι μήτε ὑπερέχῃ πολὺ, χαίρειν ἕα τὰς δόξας τὸ ἐπέχειν ἐν τοῖς ἀδή- 
λοις τοῦ συγκατατίθεσθαι φιλοσοφώτερον ἡγούμενος. Vgl. auch Def. orac. 37, Schl. 
8. 430 und oben 8, 144, 6. 

4) De Sera num. vind. 4, 8. 549: πρῶτον οὖν ὥσπερ ἀφ᾽ ἑστίας ἀρχόμενοι 
πατρῴας, τῆς πρὸς τὸ θεῖον εὐλαβείας τῶν ἐν ᾿Αχαδημία φιλοσόφων, τὸ μὲν ὡς εἶδό- 
τες τι λέγειν περὶ τούτων ἀφοσιώσόμεθα. πλέον γὰρ ἐστι τοῦ περὶ μουσικῶν ἀμούσους 
χαὶ πολεμικῶν ἀστρατεύτους διαλέγεσθαι, τὸ τὰ Bein χαὶ τὰ δαιμόνια πράγματα δια- 
σχοπέϊν ἀνθρώπους ὄντας u. 5. w. Wenn der Laie (ἰδιώτης) über die Operationen 
des Arztes kein Urtheil habe, so habe noch viel weniger der Mensch eines 
über die Rathschlüsse der Gottheit. Aehnlich c. 14. 


Eklekticismus; ßkopsis; Beligiosität. 487 


namentlich der Beweis für die Behauptung, dass sie das Handeln 
unmöglich mache, nicht geführt worden !). Einer kräftigeren 
Entwicklung dieses Zweifels musste indessen bei Plutarch theils 
seine Abhängigkeit von Plato, theils sein praktisches Interesse in 
den Weg treten ?). 
. Um so mehr wurde aber durch eben dieses Interesse der Ein- 
flass des religiösen Elements begünstigt, durch dessen Uebergewicht 
sich Plutarch vor allen seinen Vorgängern aus der platonischen 
Schule auszeichnet. Wenn die Philosophie überhaupt dem sittlichen 
Leben dienen soll, so vollendet sich dieses selbst in Plutarch’s 
Sian durch Frömmigkeit und Gotteserkenntniss; und wie nur der- 
jenige ein wahrer Priester der Gottheit ist, der eine tiefere Einsicht 
in ihr Wesen besitzt °), so erreicht andererseits die Philosophie 
ihr höchstes Ziel in der Theologie 4); eine Philosophie dagegen, 
welche die Menschen zur Gleichgültigkeit gegen die Götter an- 
kitet, wie die epikureische, raubt ihnen eben das, was die Quelle 
der höchsten Beruhigung und Seligkeit für sie ist δ). Plutarch 
seinerseits verliert in seinem Philosophiren die Religion nie aus 
dem Auge; die wichtigsten Fragen sind ihm die, welche die Gott- 
heit und das Verhältniss des Menschen zur Gottheit betreffen; für 
ihre Behandlung folgt er aber durchaus der Richtung, die ihm 


-- 


I) Adv, Colot. 26, 8. 1121 f. ebd. 29,1. 

8) Es zeigt sich diess ausser allem andern auch in der Stelle der Schrift 
gegen Kolotes. Nachdem sich Plut. hier eben erst in der angegebenen Weise 
gelussert hat, heisst en 27, b: ἀλλ᾽ „aduvarov τὸ μὴ συγκατατίθεσθαι τοῖς dvap- 
ylat ... τίς οὖν κινέϊ τὰ πεπιστευμένα καὶ μάχεται τοῖς ἐναργέσιν ; ol μαντιχὴν ἀναι- 
ῥοῦντες καὶ πρόνοιαν ὑπάρχειν θεῶν μὴ φάσκοντες μηδὲ τὸν ἥλιον ἔμψυχον εἶναι μηδὲ 
τὰν σελήνην, οἷς πάντες ἄνθρωποι θύουσι Ὁ. 6. w. Wo das Glaubensbedürfnias 
und die Auktorität so stark sind, dass für die Besseltheit der Gestirne und 
den Weissagungsaberglauben die unmittelbare Gewissheit des augenschein- 
lichen gefordert wird, da haben wir vs natürlich mit einer Denkweise zu 
ttan, welche von der eines Arcesilaus und Karneades weit. abliegt. 

8) De is. 8, 8. 862: Die Isis sei die Weisheit, welche das Göttliobe den 
wahren ispapöpor und ἱερόστολοι zeige. οὗτοι δέ εἶσιν ol τὸν λόγον περὶ θεῶν πάσης 
ταδαρεύοντα δεσιδαιμονίας χαὶ περιεργίας ἐν τῇ ψυχῇ φέροντες. Ein wahrer Ἰσιαχὸς 
wi ὁ τὰ δειχνύμενα καὶ δρώμενα περὶ τοὺς θεοὺς τούτους ... λόγῳ ζητῶν καὶ φιλρ- 
ϑυγῶν περὶ τῆς ἐν αὐτοῖς ἀληθείας. Vgl. ebd. c. 68. 

4) Def. or. 2, 8. 410: φιλοσοφίας θεολογίαν ... τέλος ἐχούσης. 

δ) Wie diess Piut. n. p. suav. v. ο. 20—28, 8. 1100 f. nachdrücklich 
ausführt, “ 

105 


148 τ΄ Plutarch. 


theils durch Plato, theils durch den Neupythagoreismus vorge- 
zeichnet war. Ein reiner und würdiger Gottesbegriff, eine duali- 
stische Weltansicht, und im Zusammenhang damit der Glaube am 
Offenbarungen der Gottheit und an Wesen, die-sie vermitteln, diess 
sind die hervorstechendsten Züge der plutarchischen Theologie. 
Ueber die Gottheit hat, wie Plutarch ausführt, kein anderer 
Philosoph so gesunde Ansichten, wie Plato '); und so hält auch 
er selbst sich in dieser Beziehung ganz an die platonischen Be- 
stimmungen, nur dass er diese im wesentlichen ebenso auflasst, 
wie sie damals in der neupythagoreischen Schule aufgefasst wur- 
den. Gott ist das wahrhaft seiende, und. darum das ewige Wesen, 
von dem wir nichts aussagen können, als dass es sei; das einheit- 
liche Wesen, dem jede Vielheit und Zusammensetzung fremd ist 3); 
das Gute, dessen Wille und Gedanke alles auf's schönste und heil- 
samste ordnet 5), die Vernunft, deren vorsorgendes Walten sich 
auf alles erstreckt ἢ). Vermöge dieses seines rein geistigen Wesens 


1) Def. orao. 47 f. S. 435 ἢ: gewöhnlich vernachlässige man entweder, 
wie die Physiker, über den natürlichen Ursachen der Dinge die Gottheit, oder 
umgekehrt, wie die Dichter, jene über dieser; αὐτὸς δὲ πρῶτος ἢ μάλιστα τῶν 
φιλοσόφων ἀμφοτέρας ἐπεξῆλθε, τῷ μὲν θεῷ τὴν ἀρχὴν ἀποδιδοὺς τῶν κατὰ λόγον 
ἐχόντων, οὐχ ἀποστερῶν δὲ τὴν ὕλην τῶν ἀναγκαίων πρὸς τὸ γινόμενον ἀιτιῶν. 

2) De Ei 19, 8. 892: Das ὄντως ὃν sei nur das ἀΐδιον χαὶ ἀγένητον καὶ 
ἄφθαρτον, ᾧ χρόνος μεταβολὴν οὐδὲ εἷς ἐπάγει. Ein solches nun (c. 20) sei Gott: 
εἷς ὧν ἑνὶ τῷ νῦν τὸ ἀεὶ πεπλήρωχε, καὶ βόνον ἐστὶ τὸ κατὰ τοῦτον ὄντως dv, οὗ 
γεγονὸς οὐδ᾽ ᾿ἰσόμενον u. 8. w. οὕτως οὖν (als ὄντως ὅν) αὐτὸ ddl σεβομένους ἀσκά. 
ζεσθαι χαὶ προςζαγορεύειν, ἢ καὶ νὴ Δία, ὡς ἕνιοι τῶν παλαιῶν ἕν. οὐ γὰρ πολλὰ 
τὸ θεῖόν ἐστιν, ὡς ἡμῶν ἕκαστος... ἀλλ᾽ ἕν εἶναι δεί τὸ dv, ὥσπερ ὃν τὸ ἕν. Mit 
Recht werde er daher 'A --- πόλλων genannt. (Vgl. 8. 107, 2 und 1. Abth. 806, 
6.) τὸ δὲ ἕν εζιχρινὲς καὶ χαθαρόν" ἑτέρου γὰρ μίξει πρὸς ἕτερον ὁ μιασμός. Ebd. 
0. 17: εἶ, φαμὲν, ὡς ἀληθῆ καὶ ἀψευδῆ καὶ μόνην μόνῳ προςήχουσαν τὴν τοῦ εἶναι 
προςαγόρευσιν ἀποδιδόντες. De Is. 77, 8. 882: ἄχρατον γὰρ ἣ ἀρχὴ καὶ ἀμιγὲς τὸ 
πρῶτον καὶ νοητόν. 

8) De Is. 58, 8. 872: Isis sei τὸ τῆς φύσεως θῆλν ... ἔχει δὲ σύμφυτον ἔρωτα 
τοῦ πρώτου χαὶ χυριωτάτου πάντων, ὃ τἀγαθῷ ταὐτόν ἐστι, wesshalb es auch c. 54 
τὸ ὃν καὶ νοητὸν χαὶ ἀγαθὸν genannt wird. Def. orac. 24, 8. 428: ἀγαθὸς γὰρ 
ὧν τελέως, οὐδεμιᾶς ἀρετῆς ἐνδεής ἐστιν. De fato 9, 8. 572: ἔστιν οὖν πρόνοια, ἢ 
μὲν ἀνωτάτω καὶ πρώτη, τοῦ πρώτου θεοῦ νόησις εἴτε καὶ βούλησις οὖσα, εὐεργέτις 
ἁπάντων u. 5. W. 

4) De Is. 67: Die Gottheit sei kein ἄνουν und ἄψυχον, und die Götter der 
verschisdenen Völker seien nur verschiedene Namen ἑνὸς λόγον ταῦτα χοσμοῦν- 
τος καὶ μιᾶς προνοίας ἐπιτροπευούσης χαὶ δυνάμεων ὁπουργῶν ἐπὶ πάντας τεταγμένων. 


Die Gotthet . 449 ᾿ 


ist Gott jedem Wechsel und jeder unmittelbaren Berührung mit 
dem Irdischen und Vergänglichen entrückt '). Nichts kann daher 
einem richtigen Gottesbegriff greller widersprechen, als die Ver- 
wechsiung der Gottheit mit den sinnliehen Bildern, unter denen 
sie dargestellt wird, die Meinung , dass leblose Gegenstände, Werke 
von Holzschnitzern und Steinmetzen, Götter seien, die Anbetung 
. heiliger Thiere, die unwürdigen Mythen der Dichter, welche den 
Göttern alle menschlichen Schwächen, Leidenschaften und Schlech- 
tigkeiten beilegen 5). Aber auch die physikalische Deutung dieser 
Mythen, wie sie die Stoiker versucht hatten, die Uebertragung der 
Götternamen auf Elemente und Naturerzeugnisse, überhaupt auf 
körperliche, beschränkte, veränderliche und vergängliche Dinge, 
streitet sosehr mit der Natur des Göttlichen, dass sie sich, wie 
Piutarch glaubt, von der olfenen Gottesläugnung kaum unter- . 
scheidet ®). Die Gottheit kann ja nicht in die Materie verschlungen 
und Körpern beigemischt sein, welehe entstehen und vergehen, 
tausenderlei Einwirkungen und Veränderungen unterliegen; son- 
dern sie muss erhaben über die Welt des Wechsels in ihrem ewigen 
Wesen verharren 4). So weit allerdings darf man ihre Jenseitigkeit 


1} De Is. 54: Osiris (der höchste Gott) ist λόγος αὐτὸς καθ᾽ ἑαυτὸν ἀμιγὴς 
χαὶ ἀπαθής. 5, 62, Schl.: χαθ᾽ ἑαυτὸν ὁ τοῦ θεοῦ νοῦς καὶ λόγος ἐν τῷ ἀοράτῳ xal- 
ἀφαγεῖ ἱ βεβηχὼς εἰς γένεσιν ὁπὸ χινήσεως προῆλθεν. ὁ. 75: der πρῶτος θεὸς sehe 
ohne gesehen zu werden. c. 78: er sei ἀπωτάτω τῆς γῆς ἄχραντος xal ἀμίαντος 
za χαϑαρὸς οὐσίας ἁπάσης φθορὰν δεχομένης. Def. orac. 9, Schl. 8. 414: [ὁ γὰρ 
Bey ἐγ) χαταμιγνὺς ἀνθρωπίναις χρείαις οὐ φείδεται τῆς σεμνότητος οὐδὲ mpel τὸ 
ἀξίωμα χαὶ τὸ μέγεθος αὐτῷ τῆς ἀρετῆς. 

2) De superstit. 6. 10. 8. 167. 170. De Is. 71. 76, Bchl. Def. orac. 15, 
$.418. Perikl. 39. Wir werden aber allerdings finden, dass Pl. alles dieses, 
und so namentlich auch den ägyptischen Thierdienst, doch auch wieder zu 
vertheidigen weiss. 

3) Man vgl. hierüber: Stoic, repugn. 38—40, 8. 1051 f. 6. notit. 31, 8. 
1074 £. De Is. 86. Def. Srac. 19, 8.420 vgl. De Ei 21, 8. 398. 

4) Def. orac. 29, 8. 426: man dürfe die Götter nicht zu Luftströmungen 
und Elementarkräften machen, und sie an das Körperliche anheften, χοινω- 
γοῦντας αὐτῷ μέχρι φθορᾶς καὶ διαλύσεως ἁπάσης καὶ μεταβολῆς. Ad princ. 
inerad. δ, 1. 8. 781: οὐ γὰρ εἰχὸς οὐδὲ πρέπον, ὥσπερ ἔνιοι φιλόσοφοι λέγουσι, τὸν 
(κὸν ἐν ὕλῃ πάντα πασχούσῃ χαὶ πράγμασι μυρίας δεχομένοις ἀνάγχας καὶ τύχας καὶ 
μεταβολὰς ὑπάρχειν ἀναμεμιγμένον᾽ ἀλλ᾽ ὃ μὲν ἄνω που περὶ τὴν ἀεὶ χατὰ ταὐτὰ οὕτω 
φύσιν ἔχουσαν ἱδρυμένος ἐν βάθροις ἁγίοις, ἤ φησι Πλάτων, εὐθείᾳ περαίνει κατὰ φύσιν | 
. Mpixopsußpevog. Die gleiche Polemik gegen den stoischen Pantheismus wird 
ans bei Philo begegnen, der sich überbaupt mit Plut. vielfach berührt. Aber 


“| 


180 Platerch, 


nicht treiben, dass jede Einwirkung der Gotikeit auf die Welt auf- 
gehoben, dass mit Epikur die Vorsehung geläugnet würde; über 
die Trostlosigkeit und Verkehrtheit dieses Atheismus !) weiss sich 
unser Philosoph nicht stark genug zu äussern ?). Auch zur neu- 
platonischen Transcendenz geht er noch nicht fort: Gott wird hier 
noch durchaus als persönliches Wesen beschrieben 5), und die 
reinere Gottesidee bethätigt sich nicht iu einer vollständigen Ver- 
werfung, sondern nur in einer Läuterung der gewöhnlichen Vor- 
stellungen von der Gottheit: alle Vielheit, Endlichkeit und Be- 
schränktheit wird dem höchsten Gott abgesprochen, die höchste 
sittliche und geistige Vollkommenbeit wird ihm zugeschrieben *), 
aber die persönliche Besonderheit seines Daseins wird nicht ge- 
läugnet. 

Je reiner aber der Begriff Gottes von Plutarch gefasst, und j ie 
vollständiger namentlich alle Körperlichkeit aus demselben entfernt 
wird, um so.weniger hält er es für möglich, die Erscheinungen 
vollständig und ausschliesslich aus der göttlichen Ursäoblichkeit 
zu erklären. Alles Endliche schwebt ja in der Mitte zwischen Sein 
und Nichtsein; in dem Strome des Entstehens und Vergehens hat 
nichts einen festen Bestand; ein Sein im wahren Sinn kommt nur 
dem Ewigen zu, welches von der Zeit und dem Wechsel nicht be- 
rührt wird ®). Dieses theilweise Nichtsein der ‘endlichen Dinge 
kann seinen Grund nicht in dem göttlichen Sein haben. Die Un- 


dass ihn der letztere nicht gekannt hat, sieht man aus seinen später zu be- 
rührenden seltsamen Aeusserungen über das Judenthum, Beide sprechen dem- 
nach unabhängig von einander Ansichten aus, welche in letzter Beziehung 
sus einer gemeinsamen Quelle herstammen. , 

1) ἀθεότης n. p. suav. v. 20, 6. 8. 1101. 

2) Μ, vgl. ausser der Hauptatelle a. a. O. oc. 20—23: comm. not. 33, 1. 
8. 1075. δίο. rep. 28, 8. 8. 1052 (Epikur entziebe den Göttern das εὐποιητιχὸν, 
Chrysippus das ἄφθαρτον). Def. orac. 19, 8. 420, wo sich Pl. über Epikur's 
εἴδωλα χωφὰ καὶ τυφλὰ χαὶ ἄψυχα lustig macht. 

8) Ζ. Β. De fato ὁ. 9, Anf. S. 572. Def. orao, 8, 8. 418. 

4) Man s. hierüber, ausser den bisher besprochenen Stellen, noch Sto. 
rep. 40, 8. 1062. Ad princ. inerud, 8, 7 ὦ, 8. 780, wo u. A.: οὐ γὰρ χρόνῳ ζωῆς 
ὃ θεὸς εὐδαίμων, ἀλλὰ τῆς ἀρετῆς τῷ ἄρχοντι. Achnlich De Is. 1: die Seligkeit 
und Macht der Gottheit bestehe in der ἐπιστήμη und φρόνησις. Ebd. 20. Def. 
orao. 29, 8. 426 u.a. 8 

5) De Ei 18 f, 8. 892. 


“Die Materie und die böse Beele, 151 
vollkommenheiten und Mängel, auf welche wir überall stossen, 
lassen sich nicht von dem vollkommenen Wesen herleiten. So 
wenig vielmehr etwas gutes in der Welt sein könnte, wenn nichts 
von Gott hervorgebracht wäre, ebensowenig wäre ein schlechtes 
denkbar, wenn alles von ihm stammte; denn Gott selbst zum Ur- 
heber des Bösen zu machen, wie diess die Stoiker allerdings thun, 
heisst die Idee Gottes aufheben !). Wir müssen daher zwei ent-. 
gegengesetzte oberste Gründe annehmen, ein Princip des Guten 
und ein Princip des Bösen, denn nur aus dieser ursprünglichen 
Zweiheit lassen sich die Ungleichheiten und Gegensätze begreifen, 
von denen wenigstens die Welt unter dem Monde zerrissen ist ?); 
za der Einheit musste die unbegrenzte Zweiheit, zu der Form das 
formlose hinzukommen, wenn ein getheiltes Sein entstehen sollte. 
Wir erhalten mithin, wie schon die Pythagoreer gelehrt hatten, 
zwei Urgründe, von denen der eine ebenso Ursache alles guten 
ist, wie der andere Ursache aller Vielheit, Unvollkommenheit und 
Schleohtigkeit 5. Der letztere kann aber nicht blos in der eigen- 
schaftslosen Materie gesucht werden, wie diess von den Stoikern 
geschieht; denn theils lässt sich etwas positives, wie das Böse und 
das Uebel, nicht aus dem eigenschaftslosen herleiten *), theils 
dürfen wir uns die Materie in keinem gegebenen Zeitpunkt wirklich 
eigenschaftslos denken; wie vielmehr jeder Stoff, der gestaltet 
wird, vorber schon irgend eine Bestimmtheit hat, so muss auch 
bei der Weltbildung die gestaltende Thätigkeit Gottes schon einen 
bestimmten für ibre Einwirkung empfänglichen Stoff vorgefunden 
haben ®); Gott konnte weder aus dem unkörperlichen ein körper- 
liches machen, noch aus dem unbeseelten eine Seele, sondern er 


1) De Is. 45. Bto. rep. 88 ff. 8. 1049 f. c. not. 18—20. 8. 1065 f. 

2) De Is. 46. 

8) Def. orac, 35, 8. 428 (wo Plat. seinem Bruder Lampriss doch wohl 
seine eigene Ansicht in dan Mund legt): τῶν ἀνωτάτω ἀρχῶν, λέγω δὲ τοῦ ἑνὸς 
xal τῆς ἀορίστου δυάδος, ἧ μὲν ἀμορφίας πάσης στοιχέίον οὖσα καὶ ἀταξίας, ἀπειρία 
χἕχληται. ἣ δὲ τοῦ ἑνὸς φύσις ὁρίζουσα χαὶ xaralaußavousa τῆς ἀπειρίας τὸ χενὸν 
χαὶ ἄλογον καὶ ἀόριστον, ἔμμορφον παρέχεται, χαὶ τὴν ἑπομένην περὶ τὰ αἰσθητὰ 
δείξει (?) προςαγόρευσιν ἀμωςγέπως ὑπομένον καὶ δεχόμενον. Wie genau sich DI. 
hier an die Pythagoreer anschliesst, erhellt aus den Nachwoisungen, welche 
8. 98 und Bd. I, 259 £. gegeben sind. 

4) De an. procr. 6, 4 f. 8. 1014 f. 

5) De Is. 58. 


183 Plutarcoh, 


konnte nur den ungeordneten und regellos bewegten Stoff ordnen '). 
Nöthigt uns nun der letztere Grund, der Materie von Anfang an 
gewisse Eigenschaften beizulegen, und die ursprünglichen fünf 
Körper (Plutarch zählt mit Aristoteles den Aether als fünften) 
wenigstens im Keime schon in den Urstoff zu verlegen 7), so führt 
uns der erste zu der Annahme einer Ursache, die sowohl von Gott 
als von der Materie verschieden den Grund des Bösen enthält. 
Dieses böse Princip wird mit den verschiedensten Namen bezeich- 
net, von den Persern als Ahriman, von den Aegyptiern als Typho, 
von der griechischen Mythologie als Hades und Ares, von Empe- 
dokles als der Streit, von den Pythagoreern als die Zweiheit, das 
Unbegrenzte u. 8. w,, von Aristoteles als die Beraubung, von Plato 
als das Andere (θάτερον), das Unbegrenzte, das Theilbare, das 
Werden, am deutlichsten aber von eben diesem als die böse 
Weltseele 8). Seine Wirkungen zeigen sich in der ganzen Welt; 
von ihm rührt in der Natur alles verderbliche her, in der mensch- 
lichen Seele alle ungeordneten Triebe, alles vernunftwidrige und 
schlechte %). Die Materie als solche dagegen ist zwar der Ort des 
Bösen, wie des Guten, und die untersten Theile derselben werden 
überwiegend von der verderblichen Macht beherrscht, aber ihrem 
wahren Wesen nach sehnt sie sich nach dem Guten und Göttlichen, 
sie liebt es, sie lässt sich von ihm erfüllen und befruchten, das 
Böse dagegen flieht sie; sie gehört daher noch zu der besseren 
und göttlichen Wesenbeit; sie ist das Weibliche in der Natur, die 
Isis des ägyptischen, die Penia des platonischen Mythus; nur unsere 
irdischen Stoffe mag man mit der Nephthys vergleichen, die dem 
Verderber Typho vermählt blos heimlich und schwach von dem 
heilbringenden Naturgeist befruchtet wird °). 

So hat sich also das zweite Princip unserem Philosophen selbst 
wieder in zwei Bestandtheile gespalten, und wir können bei ihm, 
alles zusammengenommen, drei ursprüngliche Gründe der Dinge 
unterscheiden: die Gottheit oder das Gute, die ungeordnete Welt- 


1) An. procr. 5, 8 ff. vgl. qu. Plat, 2, 2. 4, 2. 8. 1001. 1008. De sera 
num. vind. 5, 8. 550. De Is. 48, Schl. Def. orac. 37 m. 8. 430. 

2) Def. orac. 37 vgl. de Is. 54, Schl. Praro Tim. 53, D fl. 

8) De Is. 46—49. Deo an. procr. 5, 4.0.6 ἢ, ο. 9, 1. 7. 34, 3, 

4) De Is. 49. 55. De virt, mor. 8, m. 8. 441. 

5) De Is. 53. 56-59, 


Ideen und Zahlen. 163 


seele, von der alles schlechte und verderbliche herstammt, und als 
drittes die Materie, das Substrat, welches an sich eigenschaftslos, 
ebendesshalb aber für die entgegengesetztesten Eigenschaften em- 
pfänglich, durch die wirkenden Kräfte bewegt und bestimmt wird. 
Wie nan die Welt aus diesen Urgründen hervorgieng‘, sucht sich 
Piutarch zunächst an der Hand Plato’s zur Anschauung zu bringen. 
Doch fällt seine Ansicht mit der platonischen nicht unbedingt zu- 
sammen. Die letztere sieht das Wesen der Dinge in den Ideen; 
sie sind nicht blos die Urbilder, nach denen die Welt geschaffen 
ist, sondern ihnen kommt auch allein ursprüngliche und wahrhafte 
Wirklichkeit zu, und von ihnen trägt alles andere zu Lehen, was 
es von Wirklichkeit besitzt; sie sind nach der späteren, von Ari- 
stoteles überlieferten Lehrform, vor allem andern aus den Urgrün- 
den hervorgegangen !). Bei Plutarch hat die Ideenlehre lange 
nicht diese Bedeutung. Er sagt wohl mit Plato, die sinnliche Er- 
scheinung sei getheilt zwischen Sein und Nichtsein, ein wahres 
Sein komme nur dem Ewigen und Unveränderlichen zu 5); er be- 
zeichnet die Idee als das unsinnliche und unbewegte Wesen, das- 
Muster, welchem Gott die Sinnenwelt nachgebildet habe ?). Aber 
doch treten die Ideen im ganzen genommen bei ihm sehr zurück, 
und die Nachbildung der Ideen im Stoffe wird auch wieder, nach 
der Analogie der stoischen λόγοι σπερματιχοὶ, als Befruchtung des 
Stoffes durch Ausflüsse der Gottheit dargestellt 4). Weiter hebt 
Piatarch, mit den Pythagoreern, die Bedeutung der Zahlen hervor, 
die ja auch schon Plato in seinen späteren Jahren den Ideen gleich- 
‘gestellt hatte. Sie sind nach ihm das erste Erzeugniss der Urgründe, 
welches entsteht, indem ein grösserer oder kleinerer Theil des 
Unendlichen von der Einheit begrenzt wird 9). Die Krafi und Be- 


1) Vgl. Βᾶ.. 11, =, 476, 1. 482, 1. 

3) De Ei 18 5. o. 150, ὅ. 

3) An. proor. 3, 8. 22, 3. Καὶ 1018. 1028. De Is. 54 (der αἰσθητὸς χόσμος 
Bild des νοητός). Ebd. 56, Anf. qu. conrir. VIII, 2, 4, 5 (Gott, die Materie, 
&ie Ideo als Urbild). De sera num. vind. 5, 8, 550. 

4) De Is. 58: Die Isis ist die Materie, παρέχουσα γεννᾷν ἐχείνῳ (dem πρώῶ- 
τὸν und ἀγαθὸν) καὶ χατασπείρειν εἷς δαυτὴν ἀποῤῥοίας χαὶ ὁμοιότητας. Diese 

heissen dann ὁ. 54 sowohl λόγοι als εἴδη. 

5) Def. orac. 85 (9. o. 151, 8): Die obersten Gründe sind das Eins und 
üie unbestimmte Zweiheit. αὖται δὲ πρῶτον αἱ ἀρχαὶ περὶ τὸν ἀριθμὸν ἐπιφαίνονται 
us w. De an. proer. 2, 8. 1012. 


«58 Plutarch. 


deutung der verschiedenen Zahlen und Kiassen von Zahlen wird 
von ibm öfters in der Weise der pythagoreischen Zahlenspekulation 
besprochen ') Indessen greifen auch diese Betrachtungen in seine 
Weltansicht nicht tiefer ein, da er doch immer am liebsten einfach 
auf die Wirkung der Gottheit zurückgeht, welche die Materie ge- 
ordnet und gestaltet habe. 

Der erste und wichtigste Schritt hiefür war die Bildung der 
Weltseele. Plutarch beschreibt diese nach Anleitung des plato- 
nischen Timäus, so wie er diesen auffssst. Gott schuf die Welt- 
: seele, indem er die. vernunftlose Seele zur Ordnung brachte, mit 
Vernunft und Harmonie erfällte; er fasste ihr unbegrenztes, form- 
loses, unruhiges und theilbares Wesen in die einheitliche Form, 
setste an die Stelle der ungeordneten eine gesetzmässige Bewe- 
gung, an die Stelle des unsteten sinnlichen Vorstellens des ver- 
nünftüge Erkennen *). Das Mittel, wodurch er diess bewirkte, 
wazx ihre Eintheilung nach den harmonischen Zahlen °). Mit der 
Seele und durck sie wurde dann auch der Stoff der Welt zum 
Himmelsgebäude gestaltet *). Ihre geordnete Bewegung ist die 
Zeit$ ehe die Bewegung der Seele in Ordnung gebracht werde, 
war noch keine Zeit °), und ebensowenig eine Welt; die Welt 
hat daher einen bestimmten Anfang, nur ihre Urbestandtheile, 


1) M. vgl. über die Einheit und Zweiheit, das Ungerade und Gerade, 
ausser den so eben und 8. 151, 8 angeführten Stellen: qu. rom. 25, 8. 270. De 
Ei 8, 8. 888; über einzelne Zahlen, neben der ausführlichen Besprechung der 
harmonischen Zahlen im Timäus (De an. procr. 11 ἢ, 8. 1017 ὦ): De Εἰ 
o. 18, 8. 890 (die Vierzabl, die vier ersten Zahlen und die Fünf; Eins die 
Zahl des Punktoe, zwei der Fläche, drei der Linie, vier des Körpers, fünf der 
Seele; vgl. Bd. I, 296. 821 f. und oben 8, 116). Ebd. c. 8. Def. orac. 85, 
8. 429 (die Fünf). De Ei 17 (die heilige Sieben, deren Kräfte aufsusäblen ein 
Tag nicht reichen würde). qu. conviv. IX, 8, 2, 4, 8, 788. (8, 6, 24) ebd. IX, 
14, 2, 4 f. (die Neun). 

4) An. procr. 6, If, o. 21. 28, 4 ἢ ὁ. 24—26. ο. 38. 

3) Plut. bespricht diese a. a. Ὁ. ο. 11-30. 29-32. Vgl. c. 88, 1: Die 
Beele führe den Himmel durch ihre harmonische Bewegung umher φρονιμωτάτη 
ar διχαιοτάτη γεγονυῖα γέγονε δὲ τοιαύτη τοῖς xa0’ ἁρμονίαν λόγοις.... παραλαβὼν 
γὰρ ὁ δημιουργὸς ἀταξίαν χαὶ πλημμέλειαν ἐν ταῖς κινήσεσι τῆς ἀναρμόστου καὶ ἀνο- 
ἥτου ψυχῆς διαφερομένης πρὸς ἑαυτὴν, τὰ μὲν διώρισε καὶ διέστησε, τὰ δὲ συνήγαγε 
πρὸς ἄλληλα καὶ συνέταξεν, ἁρμονίαις χαὶ ἀριθμοῖς χρησάμενος. 

4) Vor. Anm. ο. 88, 9. 9, 7 u... 

5) Qu. Plat. 8, 4, 4 ζ. 8. 1001. 


Weoltsoeley Gelt' und Welt. 465 


die eigenschaftsiose Materie und die vornenfilöse Seele, fand der 
Weltbildner schon vor; der Ewigkeit der Welt, welche nicht bios 
in der neupyihagoreischen, sondern auch in der platomischen 
Schale so vielen Beifall fand, widerspricht Pluterch schon dess- 
halb auf's entschiedenste, weil er damit den Vorrang der Seele 
vor dem Leibe und die Erhabenheit Gottes über die Welt zu 
beeinträchtigen’ glaubte 1). 

Durch die Seele theilt sich die Gottheit an die Welt mit, so 
dass diese in ihrem Dasein von ihr nicht getrennt ist: die göttliche 
Vernunft selbst ist es, die in’s Werden heraustritt, und in der 
geordneten Bewegung der Welt sich offenbart ?); Gott verhält 
sich zu der Welt nicht blos wie der Künstler zu seinem Werke, 
sondern die göttliche Kraft ist der Welt eingepflanzt, und halt 
sie zusammen , die Seele der Welt, wie diess auch ausgedrückt 
wird, ist nicht bios ein Werk, sondern auch ein. Theil Gottes, sie 
ist nicht allein durch ihn, sondern auch aus ihm geworden ἢ). 
Neben dem höheren Element ist aber im ihr auch: das geringere, 
sie ist zusammengesetzt aus der göttlichen Vernuaft, welche sich 
in die Materie ergossen hat, und aus jemer ungeordneten Kraft, 
weiche wir als die böse Seele bereits kennen, aus dem Princip der 
Einheit und dem des Andersseine %), und ebendesshalb ist in allen - 


1) An. procr. 6. 4—10, wo er nachzuweisen sucht, dass nur durch seine 
Ansahmen die scheinbaren Widersprüche in Plato’s Acmsserungen tiber die 
Welt und die Seele gelöst werden. 

2) De Is. 62. s. o. 149, 1 vgl. ebd. 6. 60. an. procr. 24, 8. 

8) Qu. Plat. 2, 1, δ. 8. 1001: ποιητοῦ μὲν, οἷος οἰκοδόμος u. 5. f., ἀπήλ- 
λαχται τὸ ἔργον" ἢ 8’ ἀπὸ τοῦ γεννήδαντος ἀρχὴ καὶ δύναμις ἐγχέχραται τῷ 
τεανοδέντι χαὶ συνέχει τὴν φύσιν ἀκόσπασμα καὶ μόριον οὖσαν τοῦ τεχνώσαντοφ. 
Gott ist daher der Vater der Welt zu nennen, denn diese gleicht nioht einem 
mechanischen Kunstwerk, ἀλλ᾽ ἔνεστιν αὐτῷ μοίρα πολλὴ ζωότητος καὶ θειότητος 
usw, Bbd. c. 2: die Materie der Welt hat Gott vorgefunden, I δὲ ψυχὴ"... 
οὐκ ἔργον da τοῦ θεοῦ μόνον ἀλλὰ καὶ μέρος, οὐδ᾽ Ir’ αὐτοῦ ἀλλὰ καὶ dr’ 
αὐτοῦ χαὶ ἐξ αὐτοῦ γέγονεν. Der Einfluss des Btoicismus auf diese Darstellung 
verräth sich auch im Ausdruck ganz deutlich; der Satz, dass die Soele ein 
Theil und Ausfluss der Gottbeit sei, ist ursprünglich stoisch. Dagegen ist 
voa einer Einwirkung orientalischer Emanationslehre bei Plutarch nichts zu 
bemerken, ein Umstand, der uns auch für die Auffassung verwandter An- 
sichten bei Philo u. A. einen Fingerzeig giebt, 

‚ Ὁ Vgl.8. 151 £. Von den zwei Bestandtheilen der Weltsesle sieht Piat 
den höheren in Osiris angedeutet; derselbe wird aber auch der aheolusen Ver- 


«Ὁ»... 


456 ες Plutaroh 


Theilen der. Welt neben dem Guten das Böse, neben der Ordnung 
die Unordnung, neben dem regelmässigen Bestand der Wechsel. 
Der Himmel selbst ist getheilt in die Sphäre der Gleichheit und 
die des Andersseins, d’h. in die Fixstern- und die Planetensphäre, 
doch ist auch in jener eine Bewegung, auch in dieser eine Ord- 
nung; die Zustände der Welt im grossen ändern sich beständig; 
die Seele hat aus dem besseren Theil der Weltseele die Vernunft 
und den freien Willen, aus dem schleohteren die unvernünftigen 
Triebe und die Sinnlichkeit; aber wie wenig beide Bestandtheile 
zu {rennen sind, zeigt sich darin, dass die Vernunft (νοῦς) in der 
wirklichen Denkthätigkeit (νόησις) aus der Ruhe in die Bewegung 
übergeht, die Sinnlichkeit in der Vorstellung (δόξαν die wechseln- 
den Eindrücke festhält: jene ist Anderssein in der Gleichheit, 
diese Gleichheit im Anderssein !). So walten also im Weliganzen 
zwei entgegengesetzte Kräfte, und mag auch die bessere von die- 
sen die überwiegende Macht haben, so kann doch auch die schlech- 
tere niemals weder aus der Seele noch aus dem Leibe der Welt 
verschwinden 5). 

Die reinste Erscheinung des Göttlichen in der Welt hatten 
nun schon die alten Philosophen in den Gestirnen gefunden. Die- 
sen sichtbaren Göttern hatten die Neupythagoreer, nach dem Vor- 
gang des älteren Pythagoreismus und der alten Akademie, die 
Dämonen beigefügt, welche Plato nur als po&tische Zierrath aus 
dem Volksgiauben herübergenommen, und selbst die Stoiker auf . 
den Dämon im Innern umgedeutet hatten. Für Plutarch gewinnen. 
diese Mittelwesen um so grössere Bedeutung, je reiner er den 
Begriff der Gottheit selbst gefasst, je weiter er sie in ihrer Geistig- 
keit über jede unmittelbare Berührung mit der Materie hinaus- 


nunft selbst gleichgesetzt, welche ja in der Weltseele sich an die Welt mit- 
theilt; De Is. 49 vgl. m. c. δά. 56. 58. 64. 77 f. 

1) An. proer. 34, 6—9. 0. 26—28. 6. 7, 4: ψυχὴ γὰρ αἰτία χινήστως nal 
ἀρχὴ, νοῦς δὲ τάξεως καὶ συμφωνίας περὶ χίνησιν. De virt. mor. 8, 8. 441 f. 

4) De Is, 49: μεμιγμένη γὰρ ἧ τοῦδε τοῦ κόσμου γένεσις καὶ σύστασις ἐξ 
ἐναντίων, οὐ μὴν ἰσοσθενῶν, δυνάμεων, ἀλλὰ τῆς βελτίονος τὸ χράτος ἐστίέν- ἀπο- 
Adadar δὲ τὴν͵ φαύλην παντάπασιν ἀδύνατον, πολλὴν μὲν ἐμκεφυχυΐαν τῷ σώματι 
πολλὴν δὲ τῇ ψυχῇ τοῦ παντὸς χαὶ πρὸς τὴν βελτίονα ἀεὶ διαμαχοῦσαν. Def. orao. 9, . 
B. 414: 4 ὕλη στέρησις οὖσα ἀναφεύγει πολλάκις χαὶ ἀναλύει τὸ γινόμενον ὑπὸ τῆς 
κρείττονος αἰτίας. 


Biohtbare-Hdtter; Dämonen. {δὴ 


gerückt hat. Wir können von der Vorsehung, wie er ausführt, 
in dreifachem Sinn sprechen: in der ersten Bedeutung verstehen 
wir darunter den Willen und das Denken des höchsten @ottes, 
wodurch das Weltganze erhalten wird, in einer zweiten die Für- 
sorge der hiramlischen Götter für die sterblichen Wesen und: für 
die Erhaltung der Gattungen, in einer dritten die Beaufsichtigung 
der menschlichen Handlungen durch die Dämonen 9. Die himm- 
lischen Götter sind die Gestirne, unter denen die Sonne die erste 
Stelle einnimmt; diese wird von Plutarch vielfach, nach Plato’s 
Vorgang, als das sichtbare Abbild des höchsten Gottes gepriesen, 
zugleich wird aber vor einer Verwechslung des Abbilds mit dem 
Urbild, des Helios mit Apollo, angelegentlich gewarnt %). Tief 
unter diesen stehen die Dämonen, Mittelwesen, welche den Men- 
schen zwar an Wissen und Macht weit überragen, welche aber 
doch durch die Beschaffenheit ihrer Seele und ihres Leibes bereits 
in die Sinnlichkeit verwickelt sind. Für Lust und Unlust empfäng- 
lich, veränderlicher, und in gewissem Sinne selbst sterblicher 
Natur, sind sie zwar ausserordentlich langlebig, aber doch nicht 
schlechthin frei vom Tode oder einer dem Tod entsprechenden 
Veränderimg. Sie sind ferner auch in sittlicher Beziehung sehr 
verschieden: während von bösen Göttern nirgends die Rede ist, 
giebt es dagegen böse Dämonen, d.h. es ist möglich, dass sich 
ein Dämon mit freiem Willen dem Schlechten zuwende; und wenn 
nicht blos Menschen zu Hero@n und selbst zu Dämonen, sondern 
auch Dämonen zu Göttern werden können, so kommt andererseits 
auch der Fall vor, dass Dämonen durch die Neigung zum Sinn- 
lichen in menschliche Leiber herabgezogen werden °). Ihr eigent- 
licher Wohnsitz ist an der Grenze der veränderlichen irdischen 
und der unveränderlichen himmlischen Welt, auf und unter dem 


1) De fato 9, 8. 572, womit c. 2 derselben Schrift und die dankle Btelle 
dee Mythus De gen. Bocr. c. 22, B. 591, B su vergleichen ist. 

2) De Ei 21, 8. 898. Pyth. orac. 12, Behl. 8. 400. Def. orao. 7. 42. 
N 418, 488, 

8) De Is. 26 f. 8. 860 f., vgl. c. 80. Def. orac. 10, Schl. 12 f. 16 f.20 ὦ 
88, Gen. Soor. 16. 22, 8.591, Bff. Romul. 28, Schi. Wegen dieser ihrer 
Mittelstellung vergleicht Plat. Def. orao. 18 die Dämonen dem Monde, wogegen 
üie Götter der Sonne und den Gestirnen, die sterblichen Wesen Bternschnup- 
Pen und Ahnlichen Erscheinungen verglichen werden. 


48 Plutarch. 


Monde !). Welchen Werth Plutarch dem Dämonenglauben beilegt, 
sieht man daraus, dass er den Dämonen, wie schon gezeigt werde, 
die Fürsorge für das einzelne in der Welt überträgt ἢ). So wird 
namentlich die Weissagung, auf die er so viel hält, von dem 
Dämonen hergeleitet, welche bald unsichtbar, bald mittelst ge- 
wisser körperlicher Dinge auf die Seele einwirken °); die Dämo- 
nen überwachen die gottesdienstlichen Handlungen, sie bestrafen 
Frevel und Verbrechen, der Guten und Tugendhaften dagegen 
nehmen sie. sich an *). Die Götter selbst stehen der irdischen 
Welt zu ferne, nur durch ihre Diener, die Dämonen, pflegen sie 
in den Weltlauf einzugreifen; man kann daher diese nicht läugnen, 
ohne allen Verkehr der Götter mit den Menschen aufzuheben 5). 
Auch von guten und bösen Dämonen der Einzelnen, von Erschei- 
-aungen derselben, vom Neid des Dämon spricht Plutarch unver- 
keonnbar nicht blos aus Anbequemung °). Ja wir finden bei ihm 
die Behauptung, die Vernunft des Menschen sei nur der Theil 
der Seele, welcher bei ihrem Herabsinken in den Körper nicht 
von der Materie verschlungen wurde, sie sei daher in Wahrheit 
nieht in dem Menschen, sondern ausser ihm, und es wäre rich- 


1) Gen. Boor. 22, vgl. Def. orac. 18. De fac. lunae 28 f. 8. 948 ἢ. 

2) M. vgl. in dieser Beziehung ausser der Stelle de fato 9 auch Def. orao. 
10, wo Pint. oinen der Unterredner ausführen lässt: man dürfe weder alles 
waf δίο göttliche Ursächlichkeit surlickführen, noch alles von ihr ausschliessen; 
um die richtige Ansicht hierüber habe Plato durch seine Lehre von der Materie 
sich ein grosses Verdienst erworben, ἐμοὶ δὲ δοχοῦσι πλείονας λῦσαι καὶ μείζονας 
ἀπορίας ol τὸ τῶν δαιμόνων γένος ἐν μέσῳ θεῶν τε καὶ ἀνθρώπων καὶ τρόπον τινὰ 
τὴν χοινωνίαν ἡμῶν συνάγον εἷς ταὐτὸ καὶ συνάπτον ἐξευρόντες. 

8) Dief. orac, 18. 16. 88 f. 48. Gen. Soor. 80. Weiteres hierüber tiefer 
unten. . 

4) Def. orac. 18. Gen. Socr. 24. Fac. lun. 80, 1. B. 944. 

δ) Def. or&c. 10, 58. Anm. 2. Ebd. 16: τὸ μὲν ἐφεστάναι τοῖς χρηστηρίοις μὴ 
ϑερὺς, οἷς ἀπηλλάχθαι τῶν περὶ γῆν προςῆχόν ἐστιν, ἀλλὰ δαίμονας ὑπηρέτας θεῶν͵ 
οὐ δοχέΐ μοι χαχῶς ἀξιοῦσθαι. Ebd. 18: οἱ δαιμόνων γένος μὴ ἀπολείποντες ἀνεπέ- 
μιδτα τὰ τῶν θοῶν καὶ ἀνθρώπων ποιοῦσι χαὶ ἀσυνάλλαχτα. Vgl. Is. 26. 

6) Μ. 5. hierüber namentlich Dio 2. 54. Brut. 86. Css. 69; ferner Cato 
mie. 54. Alex. 50. Phoc, 80. Galba 10. Fahius 17. Periel. 84. fort. Rom. 11, 
ἢ. 834. De fac. lunae 80, 2 wird gesagt, wenn die Dämonen aus Zorn, Gunst 
oder Neid ihre Geschäfte unter den Menschen schlecht versehen, werden sie 
zur Strafe wieder auf die Erde herabgestossen. 


Dämonen. Vorsehung. 489 


üger, sie den Dämoh zu nennen, als lie ὙΠ (νοῦς) Ὁ. ΚΡ. 
selbst wärde diese Behauptung allerdings wohl, um seine ‚eigenk- 
‚ liche Meinung befragt, auf die platonische oder die aristotelische 
Lehre vom νοῦς zurückgeführt haben °); aber doch sieht man aus 
derselben, wie unsicher ihm die Grenze zwischen der eigenen 
Vernmft und der Einwirkung höherer Mächte geworden wer; 
der sioische Satz, dass nar die Vernunft der Dämon des Menschen 
sei, schlägt ihm in den emigegengesetzten um: nun der Dämon 
des Menschen ist seine Vernunft; der Mensch fängt an, das Abbild 
seiner selbst, welches ihm die Phantasie als ein anderes Wesen 
gegmübergestellt hat, für die Ursache seines eigenen höheren 
Bewusstseins zu halten, an die Stelle des verständigen Erkennens 
tritt für gewisse Gebiete der Glaube an eine göttliche Offenbarung. 

Wie nun die Dämonen unserem Philosophen hauptsächlich 
desshaib von Wichtigkeit sind, weil diese Annahme ihn in den 
Stand setzt, die göttliche Fürsorge für die Welt mit der Erhaben- 
beit Gottes über die Welt zu vereinigen, so ist überhaupt die 
Rettung des Vorsehungsglaubens der hervorsiechendste Gesichie- 
punkt seiner Weltbeirechtung. Plutarch hat es hier mit zwei Geg- 
nern zu thun, von welchen der eine jenen Glauben gänzlich zer- 
stört, der andere ihn 'zum Fatalismus überspannt, deu gleichen, 
die er auch sonst so häufig bestreitet, mit dem Epikureismus und 
dem Stoicsmus. Dass er sich nun von dem ersten nur mit dem 
tiefsten Abscheu abwenden kann, versteht sich für ihn von selbst Ὁ); 
auch der andere führt aber, wie er glaubt, zu den widerspre- 
chendsten und schädlichsten Folgerungen: er hebt den Begriff 
des Möglichen auf, welchen doch die Stoiker selbst anerkennen, 
er zerstört die Willensfreiheit, er machi Irrthum und Schlechtig- 
keit zu etwas nothwendigem, und ebendamit die Gottheit zum 
Urheber des Bösen und des Uebels 4%). Nach Piuterch selbst ist 


1) Gen. Soor. 22, 8.591,E. 

2) Vgl. de fac. lunae 28. 

3) M. 4. hierüber 8. 180, 1. 2. 

4) Bto. rep. 46 f. 82 ff. com. not. 18—20. 84. 8. 1068 f. 1065 f. 1076, 
Plat, bespricht hier namentlich Chrysipp’s Behauptung, dass das Böge in der 
Weltordnang seine nashwendige Stelle babe, Eine ausführliche Bestreitung 
des stoischen Fatalismus war in der Schrift Da fato, welche gerade an .diewer 
&elle, c. 11, abbriobt, enthalten oder beabsichtigt. 


168 Plutarch. 


die Vorsehung ihrem letzten Grunde und ihrem ursprünglichen 
Wesen nach nichts anderes, als der Wille und Gedanke des höch- 
sten Gottes, der für alles sorgt. Dieser Wille vollzieht sich auf 
eine dreifache Art. Die Einrichtung des Weltganzen und die 
allgemeinen Weltgesetze gehon von dem Weltschöpfer selbst un- 
mittelbar aus; die Entstehung und Erhaltung der sterblichen Wesen 
wird zunächst von den sichtbaren Göttern, den Gestirnen, in der 
durch jene Gesetze bestimmten Weise bewirkt; die Thaten und 
Schicksale der Menschen endlich stehen unter der Obhut und 
Leitung der Dämonen !). Ein Ausfluss der Vorsehung ist das 
Verhängniss (εἱμαρμένη), das von der Gottheit gegebene Welt- 


‚gesetz, dessen Träger die Weltseele ist 9). Dieses Gesetz ist eim 


unverbrüchliches, aber den vernünftigen Wesen gegenüber kein 
unbedingtes: das Verhängniss bestimmt, dass mit gewissen Hand- 
lungen gewisse Folgen verknüpft sind , aber über diese Handlungen 
selbst verfügt es nicht ®); es geschieht daher zwar alles der Vor- 


sehung, aber nicht al m Verhängniss gemäss *), und es wird der 
nterschied des Möglichen und Nothwendigen, die Willensfreiheit, 


der Zufall, die sittliche Zurechnung, die Wirksamkeit des Gebets 
und der Gottesverehrung durch das Verhängniss nicht aufgehoben). 
Da endlich dem göttlichen Grunde der Welt noch ein anderes, 
vernunftloses Princip gegenübersteht, so müssen wir zwischen der 


1) De fato, 9 f. 8. 572 f.; 8. 0. B, 157. 

2) A. ἃ. Ο. “.1ζ. vgl. c. 10. Plut. unterscheidet hier die εἱμαρμένη -ἷα 
ἐνέργεια und als οὐσία. In jener Bedeutung bezeichne das Wort den λόγος θέΐϊος 
ἀπαράβατος δι᾽ ἀιτίαν ἀνεμπόδιστον, den νόμος ἀχόλουθος τῇ τοῦ παντὸς φύσει, καθ' 
ὃν διεξάγεται τὰ γινόμενα, in dieser die Weltseele, deren dreifache Vertheilung, 
durch den Fixsternhimmel, den Planetenhimmel und die Erdregion, durch 
die drei Moiren beseichnet werde. ᾿ 

8) A. a. Ο. co, 4, 

4) Ebd. α. 5..0. 9: πάντα μὲν χατὰ πρόνοιαν οὐ μὴν καὶ χαθ᾽ εἱμαρμένην zei 
κατὰ φύσιν [so glaube ich wegen des unmittelbar folgenden lesen su müssen; 
unser Text hat: πάντα μὲν καθ᾽ εἶμ. καὶ x. zpöv., οὐ μὴν καὶ x. φύσιν), ἀλλ᾽ ἔνια 
μὲν κατὰ πρόνοιαν καὶ ἄλλα δὲ κατ᾽ ἄλλην, ἔνια δὲ καθ᾽ εἱμαρμένην καὶ ἣ μὲν εἶἷμαρ- 
μένη πάντως κατὰ πρόνοιαν, ἢ δὲ πρόνοια οὐδαμῶς καθ᾽ εἱμαρμένην. 

5) Ebd. ο. θ---8. ο. 11. ῬΙαί, führt hier und o. 5 aus, dass zwar alles vom 
Verhängniss umfasst, aber nicht alles ihm gemäss sei, ähnlich wie die Ge- 
setze sich auch auf die Verbrechen beziehen, diese aber darum doch nicht 
den Gesetzen gemäss seien, 


Vorsehung. Elemente. 161 


Versehung und der Natur unterscheiden: wir dürfen weder die 
Nsturnothwendigkeit noch die Vernunft, weder die physikalischen 
noch die Endursachen vernachlässigen ?), die Welt muss als ein 
Werk der Vorsehung begriffen werden, welche die gegebenen 
Stoffe und Hräfte bewältigte und im Widerspruch mit ihrer natür- 
lichen Richtung zu einem wohlgeordneten Ganzen verknüpfte; 
nur von diesem Standpunkt, nur aus ihrer Zweckbestimmung, 
lassen die Dinge sich erklären, und nur bei dieser Ansicht er- 
scheint die göttliche Weltschöpfung und Weliregierung nicht ent- 
behrlich 5). 

Gegen diese theologische Weltbetrachtung tritt die Aufgabe 
der physikalischen Naturerklärung bei Plutarch fast ganz zurück, 
und es ist in dieser Beziehung kaum etwas weiteres von ihm anzu- 
führen, als seine Aeusserungen über die Elemente, über die Mehr- 
heit der Welten und über die wechselnden Weltzustände. In Betreff 
der Elemente wiederholt er die Lehre Plato’s von der Bildung 
derselben aus den fünf regelmässigen Körpern, indem er sie zu- 
gleich, erzwungen genug, mit den fünf Kategorieen des platoni- 
schen Sophisten in Verbindung bringt, und er nennt demgemäss 
mil Aristoteles und der alten Akademie neben den vier’empedoklei- 
schen Grundstoffen den Aether 815 fünften 8); anderswo wird aber 
auch wieder, der stoischen Lehre entsprechend, der Aether dem 
feurigen Element gleichgesetzt %). Ob die Eigenschaft der Kälte 
mit den Stoikern der Luft, oder mit Aristoteles dem Wasser, oder 
obsie der Erde ursprünglich beizulegen sei, wird ohne festes Ergeb- 
niss mit oberflächlichem Scharfsinn erörtert). Auf die Fünfzahl der 
ursprünglichen Stoffe gründet dann Plutarch weiter den Satz, wel- 
chen er auch mit der Auktorität Plato’s glaubt stützen zu können δ), 


1) Def. orac. 47 f. 8. 435 f., wo Plato gelobt wird, dass er zuerst die 


riöhtige Mitte zwischen der blos tbeologischen und der blos physikalischen 


Erklärung der Dinge eingehalten habe. Vgl. oben 8. 148, 1. 

2) De fac. Iuns 12—15, 8. 926 ἢ, 

8) Def. orac. B1— 34. 87 vgl. ebd. 21 f De Ei 11, 8. 889 und dazu 
Βὲ, Il, a, 618. 447. 

4) De primo frigido 15, 8. f. 8. 951. 

δ) In der ebengenannten Abhandlung. 

6) Wegen Tim. 56, C, wo Plato, nachdem er von den fünf Körpern ge- 
mochen hat, fortfährt: dass es nun nicht unbegrenzt viele Welten, geben 
könne, sei klar: eher könnte man zweifeln, πότερον ἵνα A πέντε αὐτοὺς ἀληθεία 

Philos. & Gr. III. Bd. 3. Abth. 11 


188 'Pfutarcoh. 


dass es nicht bios Eine Welt gebe, sondein mehrene, und zwar 
wahrscheinlich fünf; es müssen nämlich als Grundlage der fünf 
Elemente ursprünglich verschiedene und daher auch räumlich ge- 
frennte Stoffmassen augenommen werden, von denen jode zuerst 
in eine von jenen elementarischen Formen und erss abgeleiteter- 
weise in die übrigen übergegangen sei, und daher jede eine eigen- 
artige Welt für sich bilde, die eine eina ätherartige, die andere eine 
feuerartige u.s.w.'). Neban den gleichzeitigen ündei sich aber aueh 
eine Mehrheit anfeinanderfolgender Wellen und Weltzustände ?); 
und ist auch nicht ganz klar, wie sich Plutarch das Verhältaiss 
derselben näher gedacht hat 5), so liegt dach in dieser Annahme 


πεφυχότας λέγειν προζήχει, Ihm nun sei es wahrscheinlicher (was später als 
ganz ungweifelhaft behandelt wird), dass es nur Eine sei, ἄλλος δὲ εἰς ἄλλα 
πῃ βλέψας ἕτερα δοξάσει. . 

1) Def. οτδο. 22--- 87, besonders c. 82 ---84. 87. De Ei 11. Für die Mehr- 
heit der Welten wird unter anderem auch geltend gemacht (Def. or. 24), dass 
Gott die geselligen Tugenden, wie namentlich die der Gerechtigkeit und 
Freundschaft, nicht ausüben könnte, wenn es nicht noch andere Welten und 
Götter gäbe, dass der χόσμος nicht ἄφιλος und ἀγείτων sein könne, 

2) An. pzocr. 28, 8. 1026 vgl. c. 6, 6, wo im Anschluss an Praro Polit. 
272, D ff. angenommen wird, dass im Laufe der Welt abwechslungsweise 
bald der göttliche und vernünftige Bestandtheil der Weltssele über den un- 
vernünftigen das Uebergewicht habe, bald umgekehrt. De fato ὃ, 8. 569 =. 
folg. Aum. 

3) De fato a. a. O. führt Plut, mit Besug auf Tim. 89, Ὁ (6. Bd. II, a, 681) 
ans, dass, wenn die sämmtlichen Sphären in ihre ursprüngliche Stellung κα- 
rückkehren, πάντα, ὅσα τε χατ᾽ οὐρανὸν & τ᾽ ἐπὶ τὴν γῆν []. τῆς γῆς] ἐξ ἀνάγκης 
ἄνωθεν συνίσταται, πάλιν μὲν εἷς τὸ αὐτὸ χαταστήσεται, πάλιν δ᾽ ἐξ ἀρχῆς [ὅλα] 
κατὰ τὰ αὐτὰ ὡσαύτως ἀποδοθήσεται. Im folgenden heisst es nun nach unserem 
Texte: ἔστω δὲ πρὸς τὸ σαφὲς τῶν περὶ Aus νῦν ὄντων, ὅτι οὗ συμβαίνει ἀπὸ τῶν 
οὐρανίων ὡς πάντων αἰτίων ὄντων καὶ τὸ ἐμὲ γράφειν νυνὶ τάδε καὶ ὡδὶ καὶ σὲ πράτ- 
zuv ἅπερ χαὶ ὅπως τυγχάνεις πράττων᾽ πάλιν τοίνυν ἐπειδὰν 4 αὐτὴ ἀφίαηται αἰτία, 
τὰ αὐτὰ χαὶ ὡσαύτως, ol αὐτοὶ γενόμενοι, πράξομεν. οὕτω δὲ zul πάντες ἄνθροκποι 
χαὶ τά γε ἑξῆς χατὰ τὴν ἑξῆς αἰτίαν γενήσεται καὶ πραχθήσεται καὶ πάνθ᾽ ὅλα [καὶ] 
κατὰ μίαν τὴν ὅλην περίοδον καὶ χαθ᾽ ἐχάστην τῶν ὅλων ὡσαύτως ἀποδοθήσεται. 
Plut. würde demnaoh die Ansicht aussprechen, dass in jeder Weltperiode alle 
einzelnen Menschen, Handlungen und Vorgänge der früheren unverändert 
wiederkehren. Allein so folgerichtig diese Annahme auf dem Standpunkt des 
stoischen Determinismus war (vgl. 1. Abth. 140 £), so wenig passte sie für 
einen 80 ausgesprooahenen Gegner dieses Determinismus, wie Plutsrch; und 
er sagt ja auch ausdrücklich: οὐ συμβαίνει u, 8. τ, Wir müssen daher, 
(wenn nicht eine Textesänderung vorzuziehen sein sollte) die Rätse: πάλιν 


Mehrheit der Welten. Anthropologie . 168 


immerhin ame beachtenswertke Annäherung am die stoisohe Lehre 
von der Weliserstörung und Welterneuerung, so lebhaft er diese 
sonst auch, mit andern steischen Lehrsätzen, bestreitet 1). 
Wichtiger, als die kosmologischen, sind aber für unseren 
Philosophen, wie für die ganze damalige Philosophie, die anthro- 
polegischen Fragen. Doch zeigt er auch hier keine selbständige 
ligmihümliehkeit, Der stoischen Psychologie gegenüber besteht er 
enischieden darauf, dass in der Seele des Menschen mit Plato, 
ebense, wie in der Weltseele, ein vernünftiger und ein vernunft- 
ieser Bestandiheil unterschieden, die Sinnlichkeit und der Affekt 
nicht der Vernunft selbst beigelegt werden 3); oder dass, wie er 
diess auch ausdrückt, von der Seele (ψυχὴ) der Geist (νοῦς) unter- 
schieden werde, welcher nicht, wie die Sinnlichkeit, aus ihr selbst, 
sondern von dem ihr inwahnenden höberen Princip herstamme ὅ). 
Die vernunftlose Seelenkraft theilt er sodann weiter mit Plato in 
den Muth und die Begierde /); mit dieser platonischen Dreitheilung 
des Seele verknüpft er dann aber, nicht sehr glücklich, die ari- 


tolvuv u. 8. w. und obtw δὲ χοὶ u. 8, w. mit einfachem Komma an däs vor- 
bergebende ankntipfen, und zugleich ein Anakoluth annehmen, so dass sie, 
zwar nicht grammatisch, aber dem Sinne nach, von dem οὐ συμβαίνοι mit ab- 
biegen: „es folgt nicht, dass auch ich dieses schreibe, dass wir daher in 
einer folgenden Periode das gleiche thun werden, und so auch alle Menschen 
und Dinge sich wiederholen werden.“ In dem letzten Batze möchte ich Hbri- 
gene vorschlagen: χαὶ πάνθ᾽ ὅσα κατὰ μίαν περίοδον u. 5. w. „und dass alles, 
was in‘ Einer Periode geschieht, in jeder von allen auf die gleiche Art sich 
wiederholen wird.“ Eine noch leichtere Aenderung wäre es, nur das ὅλα in 
ὅσα zu verwandeln und zu Jesen: χαὶ πάνθ᾽ ὅσα χαὶ κατὰ μίαν τὴν ὅλην περίοδον 
3. δ. w. Dann müsste das ὅσα als nähere Bestimmung zu πάντα gefasst wer- 
don, wie in ὀλίγοι ὅσοι (Lucian. Alex. 1), πᾶς τις u. dgl., so dass erklärt würde: 
„und alles wird sowohl in Einer Periode als in jeder von allen auf gleiche 
Weise geschehen.“ Ich ziehe jedoch die erste Emendation vor, da mir der 
Beisatg: τὴν ὅλην hinter κατὰ μίαν jedenfalls anstössig erscheint. 

1) 8to. rep, 88 f. 8. 1052. comm. not. 81, 5. ΚΑ. 1075. Def. orac. 12, 
8 415. Ebd. 29. κα. E. | 

4) De yirt. mor. 8, 8. 441. Ebd. c. 7 ff. an. procr. 26, 1 --- 8. 27,5 fl. 
De adulat. et am. 20, 8. 61. 

8) De fac. lunae 28, 8. 948. Vgl. an. procr. 7, 4 (8. ο. 8. 156, 1); 
φιὰ 27, 8: τὸ γὰρ παθητικὸν ἀναδίδωσιν ἐξ ἑαυτῆς 4 ψυχὴ, τοῦ δὲ νοῦ μετέσχεν 
ἀπὸ τῆς χρείττονος ἀρχῆς ἐγγενομένου. θη. Socr. 22, 5. ο. 159, 1. 

4) Virt. mor. δ, a. Ο. 

. ” 11 x 


x 


Ῥ ᾽: λ 


15a Platarch. 


stotelische 1), und’ erhält so, alles zusammengenommen, fünf 
Theile der Seele: den ernährenden, den empfindenden, den bo- 
gehrenden, den Muth und die Vernunft ?). Dass er ferner mit 
seinen Vorgängern die Willensfreiheit voraussetzt und sie gegen 
den stöischen Determinismus vertheidigt, ist bereits bemerkt wor- 
den. Genauere Untersuchungen über diesen Gegenstaad finden 
sich aber bei ihm nicht. Nicht anders verhält es sich auch mit 
seinem Unsterblichkeitsglauben. Von der Wahrheit dieses Glaubens 
ist er vollkommen überzeugt: er erklärt, dass er mit dem Vor- 
sehungsglauben stehe und falle 5); aber doch scheint er ihm mehr 
ein praktisches Postulat, als das Ergebniss einer wissenschaftlichen 
Untersuchung zu sein; er beruft sich für ihn auf die Gottverwandt- 
schaft des menschlichen Geistes %), auf die Nöthwendigkeit einer 
künftigen Vergeltung und eines Ersatzes für die Uebel des Lebens®), 
auf das tröstliche des Gedankens an eine Fortdauer und ein Wie- 
dersehen nach dem Tode 9); eine genauere Erörterung der Sache 
hat er nirgends versucht. Vom Jenseits verspricht er sich mit Plato 
eine reinere Gotteserkenntniss und eine volle, durch keine sinn- 
lichen Affekte mehr getrübte Gemeinschaft mit der Gottheit 7); doch 
gilt diess natürlich nur für die Seelen, welche sich durch Tugend 
und Frömmigkeit geläutert haben: solche werden aus Menschen 
zu Hero@n und aus Heroön zu Dämonen, ja einzelne erheben sich 


1) Aristoteles soll das ἐπιθυμητιχὸν und θυμοειδὲς als ὄρεξις, als das παθη- 
τιχὸν und ἄλογον μέρος ψυχῆς zusammenfassen, welches aber von dem αἴσθητι- 
κὸν noch verschieden sei; virt. mor. 8. 

2) De Ei 13 g.E., 8. 390. Def. orao. 86, 8. 429. Dort heissen "die fünf 
Seelentheile θρεπτικὸν, αἰσθητικὸν, ἐπιθυμητιχὸν, θυμοειδὲς, λογιστικὸν, bier φυ- 
tıxov, αἰσθητιχὸν u. 8. W. 

8) De sera num. vind. 18, 8. 560: εἷς οὖν ἐστιν͵ ἔφην, λόγος ὃ τοῦ θεοῦ τὴν 
πρόνοιαν ἅμα καὶ τὴν διαμονὴν τῆς ἀνθρωπίνης ψυχῆς βεβαιῶν, καὶ ϑάτερον οὐκ ἔστιν 
ἀπολιπεῖν ἀναιροῦντα θάτερον. Wenn Plut. in der Trostschrift an Apollonfus 
12 ff. 8.107 £. nach dem Vorgang der platonischen Apologie nur hypothetisch 
von der Fortdauer nach dem Tode redet, so beweist diess nichts gegen die 
Entschiedenheit seiner eigenen Ueberzeugung ; jene Schrift gehört aber über- 
diess seinen früheren Jahren an. 

4) De s. num. vind, 17. 

6) Ebd. 18 vgl. ο. 22. n. p. suav. v. 28, 8 ἢ. 9. 1108. ebd. c. 28 ἢ. 

6) N. p. suav. v. 0. 27 — 80. 

7) De Is. 78, 8. 882 ἢ, 


Anthropologie. Ethik, 10 


zu göitllicher Würde, wie-Herakles und Dionysos !); andere kehren 
früker oder später in menschliche Leiber zurück, wogegen von, 
einem Uebergang menschlicher Seelen in Thierleiber sich bei 
Piatarch nichts findet 3). 

Auch in seiner Ethik hält sich Plutarch zunächgt an Plato und 
Arisigteles. Mit Aristoteles unterscheidet er die ethische Tugend 
von der theoretischen, und daher auch die Einsicht (φρόνησις) von 
der Weisheit (σοφία) 5). Mit ihm verlangt er zu ihrer Entstehung, 
neben der natürlichen Anlage und dem Unterricht vor allem die. 
siitliche Uebung *). Nach aristotelisehem Vorgang sieht er die. 
witerscheidende Eigenthümlichkeit der. ethischen Tugend in einer 
bestimmten Beziehung der Vernunft zu den Affekten, darin. näm-. 
lich, dass die Affekte, als der vernunftlose Theil der Seele, von 
der Vernunft bestimmt werden, ihre Bewegung auf das richtige 
Masss,. die Mitte zwischen dem Zuviel und Zuwenig urkekgefährt 


1) De Is. 27. Def. orao. 10, 8. 416. ebd. c. 88 5. ο. 8. 157, 8. Vgl. kuoh’ 
folg. Anm. . 

8) Nach der Darstellung De fac. lunae 28, 6 β, 8. 943 halten sich die 
Seelen unmittelbar nach dem Tode zwischen Erde und Mond auf; die unge- 
rechten werden hier bestraft, die gerechten erheben sich zum Monde, um in 
Betrachtung der Welt ein seliges Leben zu führen, noch andere sinken wie-: 
der zur Erde herab. Damit stimmt der Mythus gen. Soor. 22 (wo namentlich 
8. 591, b ὦ za vergleichen ist) überein. Die unreinen Seelen werden’ auch 
nach dieser Darstellung auf dem Monde nicht zugelassen, sondern zu einer. 
neuen Geburt weggeführt. Nach Def. orac. 10, Schl. treten diejenigen DS-. 
moneu wieder in irdische Leiber ein, welche sich von der Neigung zum Sinn- 
lichen nicht frei halten.‘ In gewissen langen Perioden müssen aber (De fac. 
iunae 27, 6. 28, 1 ff.) alle Seelen in einen Leib zurückkehren, wie ja schon 
Plato angenommen hatte; und De gen. Socr. 16 ist eine so reine Beele, wie 
die des Lysis, schon in.der nächsten Zeit nach ihrem Tode zu einer ἄλλη 
leo; übergegangen. Das einzelne dieser Darstellungen würde nun Plutarch 
wohl so wenig, wie Plato die Einzelheiten seiner Eschatologie, ernstlich ver- 
tseten haben; die Seslonwanderung selbst jedoch hängt mit seiner Lehre über 
die Dämonen zu eng zusammen, um nicht dogmatische Bedeutung für ihn zu 
heben. Die. Dämonen sind ja (Def. orac. 88) nur Seelen in Luftleibern, die 
Menschen eben solche in Menschenleibern. 

8) De virt. mor. 1, 8. 440. ebd. 0,5 f., wo Plutarch der aristotelischen 
Ethik Schritt für Schritt folgt. 

4) De educat. puer. 4. 8. 2 wozu m. vgl. was Bd. II, b, 485, 8. 488, 7 
sus Aristotoles angeführt ist, ooh. ira 11, 8. 459. De garrulit. 16,8 3. 510. De 
euriosit. 11, 8. 520. 


168 Plutarch 


wird; wesshalb er den Affekt Ὁπάθος) ihren Stoff nennt, die Ver- 
nunft Oöyos) ihre Form !). Mit der akademischen und poripateli- 
schen Schule widersetzt et sich der stoischen Apathie, indem er 
zeigt,- dass die Affekte in der menschlichen Natur begründet seien, 
und dass sie, richtig gelenkt und beschränkt, der Tugend selbst 
zur Unterstälzung gereichen; dass man sie daher nicht ausrotten, 
sondern nur lenken und mässigen därfe ἢ). Ebensowenig billigt 
er, wie hieraus von selbst folgt, die stoische Ansicht von den 
Gütern und Uebeln. Der epikureischen Lustlehre freilich wider- 
spricht er auf’s entschiedenste °), und die sinnliche Lust als solche 
findet er so verderblich, dass er die erlaubten Genüsse gar nicht 
Lwst (ἡδοναὶ), sondern Erholung (θεραπεῖαι) genunnt wissen will *). 
Aber dass alle leiblichen und äusseren Güter, und ebenso die ent- 
sprechenden Uebel, etwas gleichgültiges seien, kann er den Stoikern 
nicht zugeben, und er wird nicht müde, ihnen die Widerspräch® 
vorzurücken, in die sie gerathen: dass das naturgemässe Leben 
das höchste Ziel und Gut sein solle, die Dinge dagegen, welche 
sie selbst als naturgemäss und wünschenswerth anerkennen, keine 
Güter, die entgegengesetzten keine Uebel, die Auswahl des Natur- 
gemässen das wichtigste, dieses selbst gleichgültig u. 5. w.°); da- 
bei erhebt er neben anderem auch die theologischen Bedenken, 
dass die Stoiker der Vorsehung zu nahe treten, wenn sie ihre 
Gaben für keine Güter halten, und dass sie die Gottheit beleidigen, 
wenn sie behaupten, der Weise stehe an Glückseligkeit hinter ihr 
nicht zurück 5). \ 

Von diesen Gesichtspunkten aus ein System der Moral zu 


1) Virt, mor. 1, 5. Plut. erörtert hier auch, c. 6 f., wieder gans nach 
Aristoteles, die Begriffe der &yxpärsıa, ἀχρασία, ἀχολασία. 

2) A. a. Ο. co. 12. Consol. ad Apoll. ὃ f. 8. 103 «gl. oonsol. ad. ux. 3. 4, 
8. 608 ££ In etwas anderem Binn wird das πάθος gebraucht, wenn Plut. De 
superstit. 8, 8. 165 sagt: αἰσχρὰ μὲν δὴ πάντα τὰ ψυχῆς νοσήματα καὶ πάθη : hier 
bedeutet es den krankhaften Affekt. 

8) Bo namentlich in der Schrift: non posse suav. vivi seo. Epicurum, 
adv. Col, 80, 4 u. ὅ. 

4) In. den Bruchstücken der Schrift κατὰ τῆς ἡδονῆς Szos. Floril 6, 
42 — 46, 

5) Comm. notit. 5—7. 8, 1060 £. Ebd. co. 11. 23. 26. 37, 8 Β΄. Sto. 
rep. 80, 8. 1047. ᾿ 

6) Comm. not. 82 f, Sto. rep. 81. 


Ethik, Ä 188 


esiwerfen, hai Piutarch nicht unteraemmen. Er bespricht einzelne 
Päichten, Fehler und Lebeusverhältnisse im Tone des Redners, 
nicht in der strengeren Sprache der Schule; wie es ja der Moral- 
philosophie schon seit längerer Zeit weit mehr um die fruchibare 
Anwendung, als um die wisseaschaftliche Untersuchung der sitt- 
lichen Begrifie zu than war. Die Reinheit seiner Grundsätze, die 
edie und feinsinnige Auffassung sittlicher Verhältnisse, wie das 
Fanilienleben 1) und die Freundschaft ?), die schöne und menschen- 
freandliche Gesinnung, welche sich in.ihnen ausapricht, hat diesen 
Abhendlungen ven jeher viele Freunde erworben °); aber neue 
φοῦ eigenikümliche Gedanken sind kaum darin zu finden. Plutarch’s 
Lebensansicht ist im wesentlichen, wie gesagt, die pletonisch- 
ırstotelische; damit liess sich aber, wie wir diess.schon bei An- 
ischus und Cicero gefunden haben, auch ein gemilderter Stoicis- 
mas leicht verknüpfen, and so fehlt es bei ihm nicht an Acusserun- 
gen, die ebensogut bei einem Epiktet oder Mark Aurel stehen 
könnten. Er erinnert uns, dass das Glück und die Zufriedenheit 
von mnen kommen müsse, nicht von aussen, dass wir zwar die 
äusseren Umstände nicht in unserer Gewalt haben, wohl aber den 
Gebrauch, den wir von ihnen machen, dass die Uebel des Lebens 
grossentheils nur auf unserer Meinung beruhen, dass der Weise 
und Tugendhafte in der Hauptsache unabhängig vom Aeussern sei, 


t 


1) Conjugalis praecepta (γαμιχὰ παραγγέλματα) 8. 138 ff. oonsolatio ad 
uxorem 8. 608 ff. De fraterno amore 8. 478 fl. 

3) De discernendo adulatore et amico 8. 48 ff. Περὶ πολυφιλίας 8. 
Be. | 

8) Behr richtig bemerkt Gir£aro (Morale de Plut. 216), der überhaupt 
Plütarch’s persönlichen und schriftstellerischen Charakter gut aufgefasst, 
und ohne tieferes Eingehen in seine philosophischen Ansichten, seine mora- 
lischen Abhandlungen in ansprechender Weise analysirt und erläutert hat, 
sunächst aus Anlass der Trostschrift an Apollonius: Ο᾽ est ceite dmotion re- 
latigg εἰ cette inconiestable justesse de bon sens ingenieux, qui donnent ἃ touies 
ka petits Traitds de morale sociale de Plutarque une si aimable autoritd. Obser- 
"leur eract, judicieux, pendirant, des moeurs et des passions dela petite ville, 
kmirite du sage de Chöronde est de bien deorire ce qu’ il observe δὲ d’ opposer 
δῶ iravers ei aux vices, dont il connalt le principe, des remödes dont üÜ sait les 
Fels. Que, dans les ujets d’ dcole, la tradition U entraine ἃ la suite de ses 
devanciers, il faut bien le reconnalirg; mais, gensralement, il &chappe ἃ la ba- 
naht) ds es commum, soit par le caractäre personnel de ses observations, soil 
par ἢ application qu’ ü en fait ἃ la socidi£ qui ᾿' enioure. 


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runde solle man 
itisohe Thätgkelt 
:füllung, aufgehen. 
gemeinnützige Wir- 


1. 8. 805, 818 f., wo, 
‚itisohen Abhängigkeit 


Opera) Β 798 Δ, 
£0V). 
παἰδεντον). 


ne 


MW _L _1_. _ 1 0o-...0.00 


168 .  Plutarch 


dass er die wesentlichen Bedingungen des Glücks in sich selket 
trage, dass er sich in der Welt fühle, wie in einem Tempel, und 
jeder Tag für ihn ein Festtag sei !). Er ermahnt uns zur Ergebung 
in die Fügungen des Geschicks und der Vorsehung Ὁ; für dem 
Nothfall gestattet aber auch er, mit den Stoikern, als letzte Aus- 
kunft den Selbstmord 3). Im Sinn des .stoischen Kosmopolitismus 
hebt er nicht blos überhaupt die gesellige Natur des Menschen und 
den Werth der menschlichen Gemeinschaft nachdrücklich hervor 4), 
sondern er dringt auch darauf, dass der Gegensatz der Hellenen 
und Barbaren jener Gemeinschaft keine Schranke setze, dass es 
keinen andern wesentlichen Unterschied unter den Menschen gebe, 
als den der Tugend und Schlechtigkeit 5). Mit Plato, Aristoteles 
und den Stoikern legt endlich Plutarch, wie sich bei ihm von selbst 
versteht, dem Staatsleben die höchste Bedeutang bei, und die Ver- 
kennung derselben ist einer seiner stehenden Vorwärfe gegen die 


1) De virt. et vit. 1, 8. 100. trangn. an. 3, 8. 466. Ebd..co. 5. 17. 19 £ 
Ebendahin gehört das Bruchistück 8. 498 f. εἰ αὐτάρχης ἢ χαχία πρὸς χκαχοδαι- 
μονίαν, welches nicht blos diese Frage bejaht, sondern auch beifügt, Kussere 
Schicksale allein machen den Menschen nie unglücklich. 

2) Consol. ad Apoll. 18. 31. 8. 111. 117 u, ὅ. 

8) Tranqu. an. 17, Schl. vgl. Aemil. P. 84. Kleom. 81. 

4) Ζ. B. De am. prolis 8, 8. 496. 

δὴ) De exil. 5, 8. 600: Das Vaterland des Menschen ist nicht ein einsel- 
nes Land, sondern die Welt; 4110 stehen unter demselben Gesetz und dem- 
selben Herrscher. Ehd. 7. De Alex. fortit. 6, 8. 829, (vgl. 1. Abth. 281, 1): 
es sei etwas grosses von Alexander, dass er die Hellenen und Barbaren ver- 
schmolzen, und dem Rathe des Aristoteles, die einen Ayepovıxöx, die andern 
δεσποτιχῶς zu behandeln, kein Gehör geschenkt habe, indem er πατρίδα μὲν 
τὴν οἰκουμένην προςέταξεν ἡγεῖσθαι πάντας... auyyevels δὲ τοὺς ἀγαθοὺς, ἀλλοφύλους 
δὲ τοὺς πονηρούς" τὸ δὲ ᾿Ἑλληνιχὸν χαὶ βαρβαριχὸν μὴ χλαμύδι u. 8. w. διορίζειν, 
ἀλλὰ τὸ μὲν Ἑλληνιχὸν ἀρετῇ, τὸ δὲ βαρβαριχὸν καχίᾳ τεχμαίρεσθαι, M. vgl. hie- 
mit die stoischen Grundsätze über diesen Gegenstand, wie sie 1. Abth. 265 f. 
277 ff. besprochen sind. Plut. selbst verweist auch ausdrücklich auf diesel- 
ben, und es scheinen ihm bei seiner Ausführung sogar ganz bestimmte Aeus- 
serungen eines Stoikers vorgeschwebt zu haben, nämlich die uns durch Brraso 
1,4, 9. 8. 66 bekannten des Eratosthenes (Über dessen Stoicismus 1. Abth. 
8. 88), welcher gleichfalls mit Beziehung auf jenen Rath des Aristoteles die 
Unterscheidung der Menschen in Hellenen und Barbaren tadelt, und Alexan- 
der lobt, dass er denselben nicht befolgt habe, weil es besser sei, die Men- 
schen nur nach der ἀρετὴ und xaxia zu theilen. 


Ethische und politische Ansichten. 169 


Bpikureer 1); auch den Stoikern ‚wird aber za bedenken: gegeben, 
dass ihre Grundsätze dem Weisen eigentlich jede Betheiligung an 
der Staatsverwaltung verbieten wärden Ὁ. Ihm selbst gilt die 
Stellung des Staatsmanns als die schönste Gelegenheit zu edler und 
gemeinnütziger Thätigkeit ®), und die Theilnahme an’ der :Staats- 
verwaltung nicht als eine Arbeit für anderweitige Zwecke, sondern 
unmittelbar an sich selbst als ein unerlässlicher Bestandtheil eines 
menschenwürdigen Lebens *). Aber wie klein,und beschränkt die 
pelitische Wirksawmkeit war, welchen die damaligen Zustände sei- 
nes Volkes überhaupt noch verstatieten, kamn sich auch Piuterok 
nicht verbergen °). Auch seine politische Schriftstellerei muss sich. 
diesen Verhältnissen bequemen: .er giebt Regeln für die Behand: 
tung des Volks und der öffestlichen Angelegenheiten in den da- 
maligen, ihrer staatlichen Selbständigkeit längst beraubten, Grie- 
chenstädten 57}; er verlangt, dass man für's Gemeinwesen: arbeite; 
80 lange die Kräfte nur ausreichen 77; er spricht über die Pflichten 
der Fürsten und der hohen Beamten 5); und was er sagt, ist immer 
verständig und wohlwollend, nicht selten recht schön und treffend. 

Aber die Fragen des Staatslebens i im grösseren Styl zu behandeln, 
ist nicht seine Sache, und der praktische Zweek seiner Schriften 
bietet dazu keine unmittelbare Veranlassung. Die Staatsverfassun- 
gen betreffend nimmt er die monarchischen Zustände seiner Zeit 


1) Adv. Colot. 81 ff. 8. 1125 ἔ, vgl. De latenter vivendo. N. p. suarv. 
τινὶ 176.8, 1098 £ 

3) Sto. rep. 8, 8. 1088. 

8) An seni s. ger. resp. 5, 3 fi, 8, 786. 

4) Ebd. 14, 3: λειτουργία γὰρ οὐχ ἔστιν ἢ πολιτεία τὴν χρείαν ἔχουσα πέρας, 
ἀλλὰ βίος ἡμέρου καὶ πολιτικοῦ χαὶ χοινωνικοῦ ζῴου καὶ πεφυχότος ὅσον χρὴ χρόνον 
κολιταῶς χαὶ φιλοχάλως καὶ φιλανθρώπως ζῇν. Aus diesem Grunde solle man 
(was ja das Hauptthema dieser ganzen Schrift ist) die politische Thätigkeit 
such im Alter so wenig, als irgend eine andere Pflichterfüllung, aufgeben. 
Lum πολιτεύεσθαι rechnet er aber freilich (25, 4 f.) jedes gemeinnützige Wir- 
ἴω, κα, B. das des Sokrates. 

5) Vgl. praec. ger. reip. 10, 9. 17, 4 fl. c. 18. 19, 1. 8..805. 818 ἔ,, wo, 
Plut, den Staatsmann nachdrücklich warnt, der politischen Abhängigkeit 
seines Volkes nie zu vergensen. 

6) In den prascepta gerendas reip. (πολιτιχὰ παραγγέλματα) 8. 1998 fl. 

Ἢ An seni 8. ger. resp. (εἰ πρεσβυτέρῳ πολιτευτέον), 

ὃ) Ad prinoipem in eruditum (πρὸς ἡγεμόνα ἀπαίδευτον). 


49 Plutaroh. 


nicht nligin at, sundern er ist auch eim Lobredner der Monerohle: 
der Merrscher ist ikm ein Bild und ein Diener der Gottheit), und 
os sind weniger »oliische Eimrichtengen, als die persönlichen 
Bigenschaften der Machthaber, von denen er das Heil erwartet 3). 

ihre eigentliche Bpitze erreicht Piutarch’s Etkik uicht, wie 
die altgrischische, in der Politik, sondern in der Religion. Nichts 
ist ja für den Menschen #0 tröstlich, eine so unversieghare Quelle 
der Gemüthsruhe und Freudigkeit °), nichts ist auch für dem Sitast 
so unentbehrlich, eine ‚se unerlässliche Grundlege aller bürger- 
Mchetı Ordnung *), wie der Glaube an die Götier und ilıre Ver- 
ehrung. Die Götter und ihre Vorsehung läugnen, beisst die 
Menschen der höchsten Güter berauben °): der Atheismus ist etwas 
ihierisches, eine Verläugnung der menschlichen Neiar °). Bam 
hat aber freilich nicht jede Gettesverehrung den gleichen Werth. 
Die Frömmigleit δορὶ in der Mitte zwischen dem Atheismus und 


— 


ἢ Αὰ prino. inerud. 8, 8: τοὺς ἄρχοντας ὑπηρετεῖν θεῷ πρὸς ἀνθρώπων ἐκι- 
μέλειαν καὶ σωτηρίαν u. 6. w. 8, 6: ἄρχων δὲ εἰχὼν θεοῦ τοῦ πάντα χοσμοῦντος 
u. 6. w. ‘Ganz ähnlich Kassern sich die 8. 136, 5 angeführten pyiliagoreischen 
Freyasute. In dem Bruchstück κερὶ μοναρχίας u. 5. w. ὁ. 4, 8. 837 ecklän 
Plajarch (wenn «x wisitlich der Verfasser desselben ist) die Monanchie, an- . 
gohlich nach Plate, ausdrlicklich für die wünschenswertheste Verfassung. 

3) Wie diess namentlich aus der Schrift ad princ. inerudit. herror- 
geht. 

8) M. vgl. hierliber besonders die sohon 8. 147, 5 berährte Auseinander- 
setzung ἢ. p. suav. vivi 21—828, 8. 1101 f. =. B. 31, δ: οὔτε γὰρ διατριβαὶ τῶν 
ἐν ἱεροῖς [60. εὐφραίνουσι μᾶλλον], οὔτε καιροὶ νῶν ἑορτασμῶν, οὔτε πράξεις οὔτ᾽ ὄψεις 
εὐφραίνουσιν ἕτεραι μᾶλλον ὧν ὁρῶμεν ἢ δρῶμεν αὐτοὶ περὶ θεῶν, ὀργιάζοντες A χο- 
ρεύοντες ἢ θυσίαις παρόντες ἢ τελεταῖς. Der eigentliche Grund dieser Freude sei 
aber ($. 8) die Mrd ἀγαθὴ χαὶ δόξα τοῦ παρεῖναι τὸν θεὸν εὐμενῆ καὶ δέχεσθαι τὰ 
γινόμενα κεχαρισμένως. Ὁ. 33, 4: κάντα δὲ τῶν θεῶν... καὶ χοινὰ τὰ τῶν φίλων καὶ 
φίλοι τοῖς θεσῖς οἷ ἀγαθοί" χαὶ τὸν θεοφιλῇ μή τι εὖ πράττειν, ἢ [μὴ] θεοφιλῇ εἶναι 
τὸν σώφρονα καὶ δίχαιον ἀδύνατόν ἐστιν. 28, 1: καλὰ μὲν οὖν εἰχὸς ἐἶναι καὶ τὰ γινό- 
μενα παρὰ τῶν θεῶν᾽ τὸ δὲ γίνεσθαι διὰ τῶν θεῶν ταῦτα αὐτὰ, μεγάλην δονὴν ποαῖ 
καὶ θάρσος ἀμήχανον τ, 5. ν΄. 

4) Adv. Colot. 81, 8. 8. 1125: In der Gesetsgebung πρῶτόν ἐστὶν ἢ περὶ 
θεῶν δόξα καὶ μέγιστον, wie int (8. 5) τὸ συνεχτιχὸν ἁκάσης χοινωνίας καὶ νομοθεσίας 
ἔρεισμα, und eine Stadt könnte ihren Boden ebenso leicht entbehren, als den 
Glauben an Götter, die Eide, Gelübde, Weissagungen, Opfer u. s. w. 

δὴ Vgl. 8. 147, δ. 160, 3. 

6) De Is. 71, Sohl. B. 879: εἰς ἀθέους ἐχπίπτουσα καὶ θηριώδεις λογισμούς. 


Religiöser Standpunkt. 1} 


den Aberglaußen '), und der Itztere steht ἐδ ihr Iran ἐκ οὐδ 
geringeren Widerspruch, wis der erstere ἢ). ‚Piaterch schiädert:mis 
den lebhafeston Farben seihe Verkehrtiteit wad zelme verderblichen 
Wirkusgen, die Furcht, mit der er die Menschen erfälle, die 
Unuhe, m die er sie unaufhörlich versotze, dio Unthökigkeit, zus 
der er sie-vorurthoile ?); er sicht in ikm die Hauptersache und des 
sehuinbarsten BRechtfertigunsgrund des Atheisıntus *), ja selbst eine 
versteckten Atheismus, sofern die Unwissenheit über die Gotiksit 
beiderseits die gteichu®), und die Furcht vor den Göttern von dom 
geheimen Wunsehe, dass es keine dütier geben ıöshte, untsenukar 
sei®); er erklärt ihn sogar für noch schinmer sis die Kektesläug.- 
peu, weil der Atheist durch seinen ärthum wenigstens :ascht im 
jeae Aufregung versetst werde, die den Aberglüubischen var 
felge ἢ. Aber wkoils äussert or sich anderswo aueh wieder milder: 
über ubergläubische Meiwangen ὅν, theils fragt es sich wben, wei 


1) De superst. 14, Schl. 8. 171. De Is. 67, Schl.: of δὲ φεύγοντες ὥσπεῤ 
Dos τὴν δεισιδαιμονίαν ἔλαθον ἀὖθις “ὥσπερ “εἰς χρημνὸν ἐρποσόννς τὸν ιθεηνα. 
ὯΔ. Pesikl, 6. .-" 

8) De Is, 11, Sohk: οὐδὲν ἔλαττον κακὰν ἀθεότητος, δεισιδαιμονίαν. νεῖ. 
Alex. 16. 

8) So namentlich in der Bohrift De superstitione (8. 164 ἢ.) von Änfang 
bis sam Ende. 

4) ἃ. α.ἕ Ὁ. 12. Bein. 11 κα. E, : 

5) De superst. 1, Anf.: τῆς περὶ θεῶν ἀμαθίας καὶ ἀγνοίας εὐθύς ἐξ ἀρχῆς δίχα 
fang, τὸ μὲν͵ ὥσπερ ἐν χωρίοις σχληραῖς, κόςς ἀντιτόξοις ἤθεσι τὴν ἀδεότῃμα, νὸν 
&, ὥσπερ ἐν ὑγρσῖς, ταῖς ἁκαλυίς τὴν δεισιδαιμονίαν ἐμκεποίηκεν. Vgl. Anm. δ. ΄ 

θὴ Α. ἃ. Ο. 11. 

7) Α. ἃ. Ο. 1f. δ..-1. 10 ff. Dass Piutareb im weiteren Verlauf seiner, 
wis es scheint, unvollemdeten Abhauilung über den Aberglanben ‚diese Acus- 
serungen, welche er nicht einem andern in den Mund legt, sondern in wige- 
nem Namen mit aller Bestimmtheit vorträgt, wieder beschränkt habas würde, 

ist mir nioht wahrscheinlich. - 

. 8) Ν᾿ p. suar. τ΄ 21, 8. 1101: man müsse allerdings den Götterglauben 
von aberglänbischen Bestandtheilen reinigen; εἰ δὲ τοῦτο ἀδώναϊτον, μὴ συνδνν 
Hay μηδὲ τυφλοῦν τὴν πίστιν, ἦν οἱ πλόΐστοι περὶ θεῶν ἔχουσι. Is seien im 
Grande doch nur wenige, deren ganzes Gefühl der Gottheit ‚gegenüber -Aie. 
Pureht sei, und auch bei ihnen bilde diese sine gewisse Behranke gegen ihre 
innere Schleohtigkeit; hei den meisten dagegen mei der ‚Ehrfarcht vor der 
Qetthait zwar eine gewisse Bangigkeit beigemischst; μνριάκις δὲ μεῖζόν ἐστι mod 
Ser αὐτῇ τὸ οὔελκι χαὶ περιχαρὲς Ὁ. 5. w. Eibd. 20, 7: os sei besser, wenn des 
Götterglsube mit eimiger Furobt verbunden sei, als wenn. man don Bogen des- 


ΔῈΝ Plutarok... 


wis. unter dom! Ahorglauben zu verstehen, und wo wir die Gremze 
zwischen dem Aberglauben und der Frömmigkeit zu.ziehen haben. 
In: dieser Beziehung. zeigt sich nun. Plutarch weit nicht so frei, als 
man nach. seinen allgemeinen Erklärungen erwarten möchte. Sein 
eigener-Gotteshegriff ist allerdings, so weit es sich um den höchsten 
Gett handelt, ein sehr reiner; den unwürdigen Vorstellungen des 
Volks und der Dichter. über die Götter tritt er mit aller Bestimmt- 
keit entgegen '); er ist überzeugt, ‚dass richtige Ansichten über 
die Gestheit der besie Gottesdienst sind ?); und wenn er mit dem 
Stoikern: eine dreifache Theologie unterscheidet, die der Dichter, 
der Gesetzgeber und der Philosophen 5), so kann er doch die Ent- 
scheidung über die-Religionswahrheit nur der Philosophie. anheim- 
geben.*). Aber seine Philosophie lässt ihm eben vieles als mög- 
lieh, :3aalsınothwendig erscheinen ,. was der unsrigen widerstrebt. 
Bes Bedürfniss ausserordentlicher ‚Hülfsmittel iat bei ihm um so 
stärker, je lebhafter er die Schranken unserer geistigen Kraft, den 
Widerstreit der Vernunft und der Sinnlichkeit, empfindet 5); dass 
sie aber dem Menschen auch wirklich zutheilwerden, wie könnte 
er diess bei seiner Ansicht von der Vorsehung °) bezweifeln? wie 
llösse sich denken, dass die gütigen Götter denen, welchen sie 
hold sind, etwas von ihren Gaben vorenthalten, und ihnen nicht 
vielmehr in Offenbarungen aller Art, von denen Plutarch auch in 
der Geschichte zahlreiche Beispiele zu finden glaubt ”), ihre Ab- 


selben gans entbehre, o. 25: os sei immerhin nützlieb, wenn die Ungerenkten 
durch die Furcht vor dem Hades im Zaume gehalten werden. 

1) Vgl. 8. 148 f. 

8) De Is, 11 g. E. 8. 856. 
- 8) Amator: 16, 10. #. 768 vgl. 1. Abth. 206, 1. 594, 6. 
τς 4) De Is. 68, Anf, B. 878. Ebd. 8; 8. ο. 4147, 8. 

δὴ M. s. hierüber 8. 168, 2. ὃ. 

6) Worüber 8. 159 ff, 

7) Es ist bekannt, wie häufig Plutarch von Vorzeichen, Orakeln, vor- 
bedeutenden Träumen u. Β. w. erzählt, und er thut diess nicht etwa nur in der 
Art, wie man eine Sage anführt, der man selbst keinen Werth beilegt, son- 
dem so, dass er die Vorgänge, um die es sich handelt, als geschichtliche 
Thatsachen mittheilt, amd sich in eigenem Namen über ihre Bedeutung aus- 
spricht, Wenn Gassen Morale de Plut. 849 f. darsuthun sucht, dass Piat; 
solchen Ersählungen gegenüber sich die Selbständigkeit seines Urtheils ge- 
wahrt, und ihnen keineswegs unbedingt GHaunben geschenkt habe, so kann 
jch diess nur mit grosser Einschränkung sugeben. Er glaubt allerdings nicht 


Offenbarungsglaube. 98 


siehten kendihun? 1). Woher 'könnte: uns auch des Winsen von 
der- Gottheit kommen, wenn nicht sie gefbst diesen ihren eigchsten 
Besitz, wie alles Gute, uns mittheilt? ?) Beruht es’aBer'auf einer 
Mitkeilung der Gottheit, so wird es um so vollkommerier sein, je 
weniger wir von unserem eigenen einmischen: die höhere. Offen- 
berung ist’ein Leiden der Seele, worin sie zum "Werkzeug ' der 
Gottheit geworden ist, ein Zustand des Enthusiasmus; und wirdies 
uch der Seele, 580 lange'sie-vom Leib umgeben ist, :nie gelingen, 
sieh der höherem’Einwirkung völlig rein und wngebtört hinzugeben, 
ist insofern jede Offenbarung als das Produkt zweier Bewegungen, 
einer natürlichen und einer göttlich gewirkten, zu betrachten, und 
in jeder die göttliche Wirkung von den menschlichen Zuthaten zu 
unterscheiden, so ist doch die Aufgabe die, alle eigene Thätigkeit 
möglichst zurückzudrängen, und dem göttlichen Geist eine mög- 
Hichst ungetrübte, jungfräuliche Empfänglichkeit entgegenzubwin- 
gen ®). Das Eintreten jener höheren Wirkung ist an gewisse Ver- 
millıngen geknüpft, oder es wird doch durch sie erleichtert; much 


jedes Wunder und jede Vorbedentimg, aber er glaubt deren, deck immer noch 
sehr viel mchr, als selbst ein griechischer Geschichtschreiber glauben durfte; 
und weun er in einzelnen Fällen von Unterschiebung eines Orakels oder 
schmeichlerischer Deutung eines Traums erzählt, so beweisen doch manche 
von den Stellen selbst, welche Gr£arn für sich anführt, dass damit στον κού 
kein allgemeines Missträuen gegen derlei Erzählungen ausgesprochen #seih 
vll, Bo Alex. 18. 25. Nic. 13, wo eine Menge Vorbedentangen in gutem 
Glauben berichtet warden, Ooriol, 88, wo Plut. zwar an dem Sprechen ‚einer 
Bildsäule Anstoss nimmt, aber ausdrücklich zugiebt, dass die Erscheinung 
sehwitsender, weinender oder ächzender Bildsäulen vom δαιμόνιον sum Zweck 
einer Vorbedeutung bewirkt werden könne. Ἐπ ist also nicht das Wunder als 
sölches, sondern nuır das allsuabenteuerliche des Wunders, woran er Anstoss 
aimmt, Weitere Beispiele seines Weissagungsaberglaubens finden sich in 
sahllosen Stellen der Βίοι, m. vgl. ἃ. Index der Didot’schen Ausg. unter Ors- 
onla und Prodigia und 8. 175, ὅ. 116, 2 

1) N. p. suar. vivi 22,7. 8. 1108 (nach Kaxorn. Symp. 4, 48). 

2) De Is. 1, 8. 851. 

8) De Pyth. orac. 21— 28. 8. 404 f. Amator. 16, 4 ff. 8. 758. Det. 
orae. 48, 8. 486. Bbd. 40, Ich will aus der ersteren Stelle, der Hauptstelle 
Piutarch's über diesen Gegenstand, nur die folgenden Sätze anführen: σῶμα 
μὲν ὀργάνοις χρῆται πολλσίς, αὐτῷ δὲ σώματι ψυχὴ... φυχὴ δὲ ὄργανον θεοῦ γέγονεν, 
kein Organ stellt aber die Thätigkeit dessen, von dem es bewegt wird, ganz 

' rein der; οὕτως ὃ καλούμενος ἐνθουσιασμὸς ἔοικε μίξις εἶναι κνήσεων δυσίν, τὴν μὲν 
ὃς πέπονθε τὴς ψυχῆς ἅμα τὴν δὲ ὡς πέφυχε κινουμένης, 


458 -Plotarch. 


ser abjekiivon Selte sind thails Dämonen die Vermilller, welche 
die Botschaft der Götter der Seele zubriagen !), iheils dienen auch 
mwarche: meßprielle Dinge, wie die Dämpfe der pythischen Höhle, 
ante der Leikung der Götter und mit Hülfe der Dämenen, zur Rr- 
vegung den Enihusissmns 9); auf Seite des Menschen ist die Bus- 
pfängliehkeit für Offenbarungen durch die Ruhe der Seele und ihre 
Allösung vom Sinulicken bedingt, und wie dieselbe desshaib im 
Schlafe grösser zu spin pflegt, als im wachen Zustande, #9 kenn 
auch. eime ankhulisame Lebensweise, wie die des Sokrates und der 
Isisprioster, für den Verkehr mit der Gottheit vorbereiten ®). Die 
fanere Offenbarung selbst jedoch ist etwas momentanes: der Ge- 
danke das Göttlichen wit und erleuchtet die Seele:mit Einem Male, 
wie ein Rlits, sie berührt den Dämon, oder auch das körnerlose 
Urwesen selbst, wie mit einem Sprunge, und erhält in dieser Be- 
rährung die Weihe der Wahrheit Ὁ. Wir sehen in diesen Sätzen 
einerseits die stoische Offenberuugstheorie sich wiederholen 5), 
andererseits die Lehre der Neuplatoniker von der Ekstase sich 
vorbereiten, so wenig sie auch bei Plutarch schon die Bedeutung 
eines Zieipunkts, dem das ganze System zustrebi, erhalten kaben. 

Auf diesem Standpunkt musste nun em Pilutarch sehr vieles 
glaublich finden, woran eine nüchternere Philosophie Anstoss 
genommen hätte. Dahin gehören vor allem die Weissagungen, 
deren Rechtfertigung ihm natürlich noch viel weniger Schwierigkeit 
machen konnte, als sie den Stoikern gemacht bette. Dass freilich 
die Götter selbst durch den Mund der Propheten reden und der 


1) Gen. Boor. 20, 8. 588. ο. 24 u. 5. Def. orac, 18. 16 (s. ο. 188, δ). 
88, 48. 

3) Def. orao. 48 ff.: die Seele des Mensehen ist die Bin, das πνοῦμα ἐν- 
θουσιαστιχὸν und die Ausdänstung der Erde ist οἷον ὄργανον ἢ πλῆκτρον u. a. w. 
Ebd. 40. s. u. 

8) Gen. Soor. 20. vgl. c. 92, 8. 502, Bi De Is. 5. Def. orac. 40. 

4) De Is. 77: ἢ δὲ τοῦ νοητοῦ καὶ εἰλικρινοῦς κοὶ ἁγίου νόησις ὥσπερ ἀστραπὴ 
διαλάμψασα τῇ ψυχῇ ἅπαξ ποτὲ θιγέϊν χοὰ προςιδέϊν παρέσχε... πρὸς τὸ πρῶτον 
ἐχέΐνο καὶ ἁπλοῦν καὶ ἄῦλον ἐξάχλονται καὶ θιγόντες ἁπλῶς τῆς περὶ αὐτὸ καθαρᾶς 
ἀληϑείας οἷον dv τελετῇ τέλος ἔχειν τὴν φιλοσοφίαν νομίζουσι. Gen. Moor. 80: Das 
Wort, wodurch sich Menschen einander mittheilen, ist eine Art πληγὴ τῆς 
ψοχῆς. ὃ δὲ τοῦ πρείττονος νοῦς ἄγει τὴν εὐφυᾶ ψυχὴν ἐπιϑιγγάνων τῷ νοηθέντι πληγῆς 
μὴ δεομένην. ἢ δ' ἐνδίδωσιν αὐτῷ χαλῶντι καὶ συντείνοντι τὰς ὁρμὰς... εὐστρόφους 
χα μαλακὰς ὥσπερ ἡνίως ἐνδούδας. 

6) Vgl. 1. Abth. διὺ δ. 


- 


Offenbaruagaglaube; Mantik. 4 


Pyibia ihre Orakel singaben, kann: ar nicht. glanban :. dinse, ὕοξ- 
sellung καὶ er einfällig und kindisch,. nad im. Widemeprash. mit 
rFiektigen Begriffen. von der Gotihet ἢ. Allein er kadanf ihrer 
auch nieht, de ja ainestheils die Dämonen‘, wie wir sa ebes gehärt 
haben, alle hähese Offenbarung νου ον, und da andererweils 
der Seele, wie er gleubt, das Vermögen, zukünftiges. vorker- 
zusehen, von Natur su get-inwohnt, wie das, an. vergarnigenes sich 
su erinnern; dieses. Vermögen irikt aber in Wirksamkeit, snhald 
der Zustand des Leihen, von sich aus, eder- durch äussere Rinfäsne, 
die Veränderungen erführi, welche es zu enibinden, die. Soale 
im Enthusiasmus aus der Gegenwart hinwegzuverseizen geeigwei 
sind). Wo Ouelles oder Dünste aus der Erde strömen, welche 
den wrophetischen Enikmsieamus erregen, da bildet sich des-Sits 
eines Orakels; wenn: dieselben aus irgendwelchen Gründen. ver- 
siegen, muss auch das Orakel erlöschen ὅ). Von der Kraft der 
Orakel hat Plutarch eine sehr hohe Meinung: er versichert, sie sei 
durch zahlreiche Erfahrungen bestätigt, die Pythia sei nie eines 
Irrthums überführt worden), und er selbst erzählt häufig von 
eingetroffenen Weissagungen und wunderbaren Vorbedeutungen, 
ohne gegen ihre geschichtliche Wahrheit einen Zweifel zu 
äussern 5). Der natürlichen Erklärung und wissenschaftlichen 


1) Def. orac. 9 g. E. De Pyth. orac. 7. 20. 8. 897, 404. 

2) Da hierüber schen 8. 178 gespsochen wurde, will ich nar noah die 
Melle Def. oras, 39 f. etwas näher beapzechen. Naahdem ἰοῦ hier Plut, in 
der angegebenen Weise über das Weissagungsvermögen gelussert hat, führt 
er (ρει: τὸ δὲ μαντυιὺν, ὥσπερ γραμματέϊον ἄγραφον χαὶ ἄλογον καὶ ἀόριατον ἐξ 
αὐτοῦ͵ δεκτοιὸν δὲ φανταστῶν [- ἰχῶν] καθῶν καὶ προαισθήσεων, ἀσυλλογίσξως 
kaum τοῦ μέλλοντος, ὅταν ἐχστῇ μάλιστα τοῦ παρόντας. ἐξίσταται δὲ πράσει zal 
Auhkesı τοῦ φώματος ἐν μεταβολῇ γινόμανον, ὃν ἐνθουσιασμὴν καλοῦμεν. Dieser 
Tnsiand des Körpers trete oft von selbat ein, es gebe aber auch, neben an- 
deren heilsamen und schädlichen Quellen, Ausströmungen des πνεῦμα ueyEr 
νη, welehes bald in Luftform ausdünste, bald Wassern beigemisoht sei, Wie 
diegeg mittelat des Körpers auf die Seele wirke, suaht Plui. damı weiter au 
wklären; ox vergleicht diese Wirkung mit der des Weins. Mit dieser Thepzie 
weiss or denn δι (0. 4651) die Uebungen des delphisshen Orakels in Be- 
Sehung auf die Opferthiere und dia Pythis in Uebereiustimmung zu bringen. 

ὃ), De£. aras. 42. 44. Diese ganze Schrift nimmt js ihren Ausgangspunkt 
von der Thatsache, dass so viele Rlühere Orakel in Aıgang gekammen waren. 

4) Pyth. orac. 11, 29 vgl. Def. orac. 46. 

5) 80 beruft er sich Pyth. orac. 11 auf drei delphische Orakelsprüche, 


PN 


4 δ | "  Pintarech. 


Betfachtüng ‘der Dinge will er darum allerdings nicht entsagen ; 
aber-da ikm der Neturlauf doeh schliesslich nur ein Werkzeug in 
dew'Hand.der Vorsehung ist, 80 hat es für ihn keine Schwierigkeit, 
‚ einerseits auch in dem, was er selbst als ein natürliches aner- 
kennen muss, doch zugleich eine höhere Offenbarung zu finden!) 
und undererseits selbst das unmöglichste, wenn es nur bedeutungs- 
vo ist, sich gefallen zu lassen). Sein Verhältniss zum Volls- 
glauben ist daher im wesentlichen das gleiche, wie das der 
stoischen Schule. Er weiss recht wohl, dass dieser Glaube sehr 
viel vörkehrtes, falsches und der Gottheit unwürdiges enthält 5); 
aber er ist 'nicht allem von seiner Unentbehrlichkeit: für das 
Geheinwesen zu fest überzeugt *), sondern auch durch sein 
pigenes religiöses Bedürfniss zu eng mit ihm verwachsen, als dass 
erihm nicht: die beste Seite abzugewinnen suchen sollte. Die 


die freilich wunderbar genug wären, ebd. 9 auf die vielen durch den Erfolg 
bestätigten sibyllinischen Weissagungen, Def. orao. 45 auf einen Fall, in 
welchem da# Orakel des cilicischen Mopsus einen Zweifler, der 66 auf die 
Probe stellte, besöhiimte; Pyth. orao. 8 auf eine ganze Reihe wunderbarer 
Vorbedentungen. Weitere Beispiele finden sich Aleib. 89. Timol. 19. Acmil. 
Ρ, 34: Pyreb. 81 £. Pomp, 78. Alex. 14. Anton. 60 u. d. 

1) M. vgl. in dieser Beziehung, ausser 8. 161, 1, namentlich die beseich- 
nende Aeusserung Perikl. 6, wo aus Anlass eines dem Perikles gewordenen 
Wunderseichene, welches Anaxagoras natürlich erklärte, bemerkt wird: 
ἐκώλυε 8° οὐδὲν, οἶλαι, καὶ τὸν φυσιχόν ἐπιτυγχᾶνειν καὶ τὸν μᾶντιν, τοῦ μὲν τὴν 
αἰτίαν, τοῦ δὲ τὸ τέλος καλῶς ἐχλαμβάνοντος ὑπέκειτο γὰρ τῷ μὲν ἐχ τίνων γέγονε 
na πῶς πέφυχε͵ θεωρῆσαι" τῷ δὲ, πρὸς τί γέγονε καὶ τί σημαίνει) προειπεῖν. Wenn 
man meine, darch Nachweisung der natürlichen Ursachen werde die Beden- 
tung einer Erscheinung als Vorzeichen aufgehoben,” so mtisste man alle, aueh 
die künstlichen, Zeichen läugnen. 

3) In den Stellen, welche vorl. Anm. angeführt sind, finden sich Prodi- 
gien der unglaublichsten Art, schwitzsende Bildsäulen u. dgl., und qu. eonr. 
ΥΠΙ, 1, 8 will Pl. die Sage von der göttlichen Abkunft Plato’s nicht verwer- 
fen; dem wenn auch ein geschlechtlicher Akt dem Begriff der Gottheit wider 
streite, ὀὐδὲν οἴομαι δεινὸν, εἰ μὴ πλησιάζων ὁ θεὸς ὥσπερ ἄνθρωπος, ἀλλὰ ἑτέραις 
ξισὶν ἀφαΐς δι’ ἑτέρων χαὶ ψαύσεσι τρέπει καὶ ὑποκίμπλησι θειοτέρας γονῆς τὸ θνητόν. 
Darf man nun auch nicht alles, was in einem plutarohisohen Glespräch sieht, ἢ 
für seine eigene dogmatische Ueberzeugung halten, so würde er doch diese 
Annahme nicht unwidersprochen vortragen lassech, wenn sie ihm nieht δα- 
nehmbar, oder wenigstens denkbar erschiene, 

8) B. 0. 149, 2. 171. 

4) Vgl. 8. 170, 4. 


Die Volksreligionen. 177 


mancherlei Volksgötter sind ihm nur verschiedene Formen, unter - 
denen dieselben göttlichen Wesen verehrt werden. „Es giebt 
nicht verschiedene Götter für verschiedene Völker, nicht barba- 
rische und hellenische, südliche und nördliche; sondern wie die 
Sonne und der Mond allen leuchten, wie der Himmel und die Erde 
und das Meer allen Menschen gemein sind, mögen auch ihre Namen 
noch so verschieden sein: so ist es auch Eine Vernunft, die in der 
Welt waltet, Eine Vorsehung, die sie regiert, und dieselben die- 
nenden Kräfte sind allen zugeordnet, nur die Namen und die For- 
men ihrer Anbetung sind verschieden, und die heiligen Symbole, 
-welche den Geist zum Göttlichen hinleiten, sind bald dunkler, bald 
deutlicher“ *). Hiemit war es von selbst gegeben, dass er alle 
Religionen im wesentlichen als berechtigt anerkennen musste. Er 
räumt wohl ein, dass nicht alle gleich rein, dass manche mit aber- 
gläubischen Bestandtheilen stark versetzt seien ?); er ist den 
fremden Kulten im allgemeinen nicht geneigt ®), und hält den 
stehenden Grundsatz des Alterihums fest, dass jeder die Götter 
nach dem Herkommen seines Volkes verehren solle %). Aber schon 
seine Schrift über Isis und Osiris beweist, wie bereit er ist, unter 
der Hülle der Mythen, in auswärtigen wie in einheimischen Reli- 


1) De Is. 67, 8. 877 £. 

2) A. ἃ. Ο: συμβόλοις χρῶνται καθιερωμένοις, οἵ μὲν ἀμυδρσῖς ol δὲ τρανο- 
τέροις, ἐπὶ τὰ θέία τὴν νόησιν ὁδηγοῦντες οὐχ ἀχινδύνως. ἔνιοι γὰρ ἀποσφαλέντες 
καγτάπασιν εἰς δειςιδαιμονίαν ὥλισθον. Zu den Religionen, welche Plut. als aber- 
gWubisch verachtet, gehört namentlich auch die jüdische, welche er freilich 
mit der syrischen vermengt: er glaubt, der jüdische Gott sei Bacchus; qu. 
omv.IV,6 vgl. IV, 5, 1. 2, 9 ff. (wo übrigens doch einige Bekanntschaft mit 
dem jüdischen Kultus, der als noch fortbestehend behandelt wird, zu Tage 
kommt). Sto. rep. 88, 2. 8. 1051. De superst. 8, Schl. 8. 169. 

8) De superst. 8, 8. 166, gegen die πηλώσεις, χαταβορβορώσεις (das Be- 
sehmieren mit Mist, wie es in einigen aus dem Orient eingeführten Mysterien 
vorkam), σαββατισμοὶ u. 8. w. und das ἀτόποις ὀνόμασι καὶ ῥήμασι Bapßapızdd 
χαταισχύνειν [τὴν γλῶτταν], καὶ παρανομέϊν τὸ θέϊον καὶ πάτριον ἀξίωμα τῆς εὐσεβείας. 

4) Amator, 18, 8. 756. Pyth. orac. 18. Def. orac. 12, Schl. Vgl. conj. 
praes. 19, 8. 140: die Frau solle keine anderen Freunde haben, als ihr Mann; 
unsere grössten Freunde seien aber die Götter; die Frau solle sich also mit 
den Göttern des Mannes begnügen und sich der fremden Kulte und supersti- 
tiisen Winkelgottesdienste enthalten; solche ἱερὰ χλεπτόμενα gefallen keiner 
Gottheit. Inwiefern sich damit Plutarch’s Osiris- und Isisverehrung verträgt, 
wird später zu berähren sein. 


Philos. d. Gr. ΤΠ. Bd. 2. Abth. 12 


178 | . Plutarch. 


gionen, philosophische Sätze zu suchen. Der Mythus ist, wie er 
sagt, der Widerschein einer Wahrheit, auf die er uns hinweist); 
und diese Wahrheit muss so allgemein sein, wie die Götter, über 
die sie uns belehrt®): philosophische Sätze bilden den wesentlichen 
Inhalt aller Mythen. In der Aufsuchung derselben verfährt Plutarch 
mit aller jener Willkühr, an welche man sich, zunächst durch die 
stoische Allegorie, seit Jahrhunderten gewöhnt hatte; und auf 
diesem Wege gelingt es ihm, nicht allein in den Mythen, selbst den 
scheinbar ungereimtesten, durchaus einen tieferen Sinn zu ent- 
decken ?), sondern auch für die Kultusgebräuche und Lebens- 


‘ 1) De Is. 20, 8. 858 sagt Plut., nachdem er den Ösirismythus dargestellt 
und auch einiger anstössigen Züge in demselben erwähnt hat: diese Dinge im 
Ernst von der Gottheit auszusagen, wäre freilich ein Frevel; aber sie seien 
darum doch nicht leere Fabeln, sondern wie der Regenbogen eine Abspiege- 
lung (dupasıc) der Bonne ist, οὕτως ὁ μῦθος ἐνταῦθα λόγου τινὸς ἔμφασίς ἐστιν 
ἀγαχλῶντος dr’ ἄλλα τὴν διάνοιαν. Vgl. ο. 9. 11. 

3) De Is. 66 wendet Plut. gegem die Deutung der ägyptischen Gottheiten 
(Osiris u. s. w.) auf den Nil u. s. ὦ ein, sie seien su beschränkt, die Götter 
seien κοινοὶ, nicht Αἰγυπτίων ἴδιοι, Isis, Osiris u. s. w. seien allen bekannt, 
und auch wenn sie ihre ägyptischen Namen erst neuerdings erfahren haben, 
kennen und verehren sie doch ihr Wesen (δύναμις) von jeher. Vgl. ο. 67 
(s. 8. 177). 

3) Schon die hellenischen Götter und ihre Geschichte werden von Plat. 
nicht selten in ähnlicher Weise gedeutet, wie von den Stoikern; und wenn 
er mit dem materialistischen Pantheismus ihrer Mythendentung nicht ein- 
verstanden ist (vgl. 8. 149), und sich insofern materiell mehr an die Neu- 
pythagoreer anschliesst, so ist doch seine Behandlung der Mythologie ihrem 
allgemeinen Princip nach von der ihrigen nicht verschieden, und auch im 
einzelnen triffi er oft genug mit ihnen zusammen. Apollo bezeichnet das ein- 


‘ heitlicbe göttlicbe Wesen (De Ei 20, 8. o. 148, 2; vgl. was 8. 107, 2 von den 


Pythagoreern, 1. Abth. 806, ὁ von Chrysippus angeführt ist); sein Name wird 
bald (a. a. O.) von a und πολὺς, bald von ἀπολύειν (Fragm. IX, De Daedal. 
Plat. δ, 3), der Beiname Πύθιος (De Ei 2, 8, 385) von πυνθάνεσθαι hergeleitet. 
De lat. viv. 6, 8. 8. 1180. De Is. 61 wird er und der angeblich mit ihm iden- 
tische Horos der Aegypter der Sonne oder der sie bewegenden Kraft gleiob- 
gesetzt, und De Ei 9 die stoische Deutung des Apollo und Dionysos (1. Abth. 
806, 8. 308, 6. 7) nicht zurückgewiesen; an anderen Stellen jedoch (De Ei 21 
vgl. c. 17. 20. Pyth. orac. 12 g E. 8. 400. Def. orac. 42, 8. 438) widerspricht 
Plut. der Vermischung des Apollo mit Helios, indem er beide unterscheidet, 
wie Urbild und Abbild, Wesen und Erscheinung, und somit in Apollo eine 
Bezeichnung des höchsten Gottes oder des platonischen ἀγαθὸν sieht, dessen 
Abbild ja gleichfalls die Sonne ist (Bd. II, a, 448). Artemis ist der Mond (faco. 


΄ 


Mythendeutung. 479 


vorschriften hellenischer und orientalischer Religionen, wie auf- 


lunae 25, 7. 8. 988), Leto die Nacht (Fragm. IX, 4 f. vgl. 1. Abth. 807, 2), 
Here die Erde (a. a. O. ebd. c. 7, wo auch Zeus, ganz stoisch, von der θερμὴ 
und κυρώϑης δύναμις, der Zwist des Zeus und der Here von Erdbeben gedeutet 
wird); und da nun die Nacht durch den Schatten der Erde entsteht, sind Here 
und Leto identisch (a. a. Ο. ὁ. 4 f.; auf diese Stelle bezieht sich Tuzonorer 
eur. gr. af. III, 515, C); ebenso sollen Ares und Apollo gleiche Bedeutung 
haben (a. a. O. δ). Die Erzählung Yon der Geburt der Aphrodite aus dem 
Mete deutet auf die Fruchtbarkeit desselben (qu. conv. V, 10, 8, 6). Hermes 
ist der λόγος (De Is. 54); die alten ithyphallischen Hermen ohne Glieder wol- 
ia ausdrücken, dass die Greise körperlicher Arbeit enthoben seien, ἐὰν τὸν 
λόγον dvspybv.... χαὶ γόνιμον ἔχωσιν (An seni 8. ger. resp. 28, Schl. 5. 797). Noch 
manches derartige findet sich da und dort, auch abgesehen von der unächten 
vita Homeri, welche co. 98---102, 202. u. ö. viele stoische Allegorieen bringt. 
Am beseichnendsten ist aber für Plutarch’s Auffassung der Mythen die Schrift 
über Isis und Osiris. Osiris, welcher mit Dionysos identisch sein soll (0.85 ff.), 
ist ihm die Beseichnung alles guten und heilbringenden in der Natur und im 
Menschengeiste (co. 49. 56. 64); sein sichtbares Abbild ist die Sonne (c. 51), 
er selbst jedoch ist als der reine Gott über alles sinnliche und veränderliche 
boch erhaben (c. 54. 78; 5. ο. 149, 4). Isis ist τὸ τῆς φύσεως θῆλυ, die ὕλη, 
aber nicht als körperliche, die Empfünglichkeit für das Gute, welches von 
Osiris ausgeht (e. 58. 56. 58. 64); Typhon bedeutet alles verderbliche in der 
Natur, in der Seele, wie in der Körperwelt, nnd fällt insofern mit Ahriman 
und der bösen Weltseole susammen (c. 45. 49. 55. 64); Horos-Apollo ist der 
εἰσθητὸς χόσμος ala Abbild des νοητός (c. 54. 56 — eine beschränktere Deutung, 
von der πάντα σώζουσα τοῦ περιέχοντος pa, c. 88, ist nicht seine eigene); 
Thoth (Hermes) ist der λόγος (c. 54 f.); Harpokrates τοῦ περὶ θεῶν dv ἀνθρώποις 
λόγου νεαροῦ καὰ ἀτελοῦς καὶ ἀδιαρθρώτου σωφρονιστής (c. 68). Die Beele des 
Osiris ist unsterblich, sein Leib wird von Typhon zerstlickelt, ἃ. bh. das Gute 
und Geistige ist an sich über die Vergänglichkeit erhaben, aber seine Er- 
seheinung fällt ihr anheim (c. 54). Osiris und Isis zeugen schon im Leib ihrer 
Matter den Horos, der aber noch versttimmelt ist, ἃ, ἢ. der vollstäudigen 
Weltbildung gieng eine unvollendete Schöpfung voran (ebd.). Horos wird der 
Reiz angeklagt, weil die sichtbare Welt nicht so rein ist, wie ihr Vater, der 
λόγος, aber freigesprochen, weil sie doch immer das Abbild des Geistigen ist 
(eb). Er entmannt den Typhon, weil die Weltbildung der anfänglichen Un- 
Ordnung ein Ende macht; und ähnliches meint die Erzählung, dass Thoth 
sus den Sehnen Typhon’s Saiten gemacht habe (c. 55). Wenn Osiris im Tod- 


tureich herrscht, so bedeutet diess, dass erst die körperfreie Seele zur wah- 


ren Gemeinschaft mit Gott komme (o. 78). Dass Osiris anfangs die Beine 
Msemmengewachsen waren und erst Isis sie löste, will besagen, der an sich 
selbst verborgene Gott trete durch die Bewegung in die Erscheinung (o. 62). 
Auch mancherlei physikalische Deutungen der ägyptischen Mythen bringt or 
(δ, 32—44); doch sind ihm diese im allgemeinen zu eng (σ. 45, 8. ©- 178, 2). 


12" 


FIGUREN, BEER 


180 Plutarch. 


fallend und abschreckend sie an sich sein mögen, ansehmbare 
Gründe zu finden). j 

Welche Vorstellungen und Erzählungen konnte es auch 
geben, welche Gebräuche liessen sich denken, in denen nicht eine 
theologische oder physikalische Wahrheit, eine sitliche Vorschrift 
vder ein Zeichen von Frömmigkeit, ein Zug aus’ der Geschichte der 


Noch weniger weiss er sich mit der euemeristischen Erklärung der Götltersagen 
zu befreunden, die er c. 22 f. richtig beurtheilt; dagegen will er die Annahme 
nicht abweisen, dass die Ersählungen von Osiris, Isis und Typbon, und 
ebenso die griechischen Sagen über die Titanen und die Giganten, Kronos 
und Demeter, den Kampf Python’s mit Apollo, Dionysos und ähnliches, sich 
ursprünglich auf Vorgänge aus der Dämonenwelt beziehen, und dass Osiris 
und Isis aus Dämonen zu Göttern geworden seien (c. 25. 27 vgl. Def. orac. 
21, S. 521 und oben 8. 167). 

1) Οὐδὲν γὰρ ἄλογον οὐδὲ μυθῶδες οὐδὲ ὑπὸ δεισιδαιμονίας... ἐγχατεστοιχει- 
οὔτο ἱερουργίαις, ἀλλὰ τὰ μὲν ἠθιχὰς ἔχοντα καὶ χρειώδεις αἰτίας͵ τὰ δὲ οὐχ ἅμοιρα 
χομψότητος ἱστορικῆς ἢ φυσιχῆς ἐστιν (De Is. 8). Dieser Voraussetsung gemäss 
beurtheilt nun Plut. die ägyptischen Gebräuche, wie die Vorschriften über 
die Tracht (c. 4) und Nahrung der Priester, die reinen und unreinen Speisen 
(c. 5—8), den Gebrauch des Sistrum (c. 63) und des Räucherwerks (c. 79), 
die Darstellungen ‘des Osiris (c. 61), die Gewänder des Osiris und der Isis, 
von denen jene durch ihre gleichmässige lichte Farbe die Einfachheit des 
Urwesens, diese durch ihre Buntheit die Vielgestaltigkeit der Erscheinung#- 
welt andeuten (c..77 vgl. 51); so rechtfertigt er nicht blos die Todtenklagen 
um Osiris u. 8. w., indem er sie auf die Früchte der Erde bezieht, um deren 
Erneuerung die Götter gebeten werden (c. 69—71, anders Def. orao. 14 6. u.), 
sondern auch den Thierdienst; denn so verwerflich die Anbetung der Thiere 
als solche, und so ungereimt die Mythen, mit denen sie begründet werde, 
ihrem Buchstaben nach seien, 80 sei er doch theils durch den Nutzen mancher 
Thiere, theils durch ihre symbolische Bedeutung begründet. Die letstere ist 
Plutarch die Hauptsache, und er ergeht sich ausführlich in der spielendsten 
Deutung von Dingen, die auch an sich selbst theilweise fabelhaft sind: das 
Krokodil sei ein μίμημα θεοῦ, weil cs keine Zunge habe, φωνῆς γὰρ ὃ θέϊΐος 
λόγος ἀπροςδεής ἐστι; es habe ein Häutchen über dem Auge, ὥστε βλέπειν μὴ 
βλεπόμενον, ὃ τῷ πρώτῳ θεῷ συμβέβηχεν; der Schnabel des Ibis bilde zusammen 
mit seinen Füssen ein gleichseitiges Dreieck; das Wiesel werde, wie das 
Wort, durch’s Obr empfangen und durch den Mund geboren u. dgl. (De Is 
71—76). Aehnlich weiss er (2. Β. Fr. IX De Diedal. Plat. 0.2 und in den quae- 
stiones romanae) für griechische und römische Gebräuche mancherlei Gründe 
zu finden; selbst die Menschenopfer der Vorzeit und andere wilde und rohe 
Kultushandlungen, die mit Wehklagen oder schmutzigen Scherzen verbun- 
denen Feste u. dgl. werden Def. orac. 14, 8. 417 durch die Annahme gerecht- 
fertigt, dass sie zur Beschwichtigung böser Dämonen dienen sollen. 


Religiöser Synkretismus. Ascese, 181 


Dämonen oder ein. Mittel zu ihrer Beschwichtigung gesucht 
werden konnte, wenn man es mit ihrer Deutung so leicht nahm, 
‚ wie Plutarch und seine Zeitgenossen ? und warum hätte in dieser 
Beziehung zwischen einheimischem und fremdem ein Unterschied 
sein sollen, wenn doch manche von den ausgezeichnetsten helle- 
nischen Weisen die Schüler der Barbaren gewesen waren '), und 
wenn andererseits der Ausleger das griechische mit solcher Un- 
befangenheit in die ausländischen Ueberlieferungen hineinlegte, 
dass er selbst ägyptische Götternamen aus griechischen Wurzeln 
zu erklären sich erlaubte? ?) Plutarch huldigt daher in seiner 
Auffassung der Religion ganz jenem Synkretismus, welcher die 
verschiedenen Religionen durch spekulative Umdeutung mit ein- 
ander und mit der Philosophie zu einem trüben Gemenge ver- 
schmolz, wenn er auch den Kultus allerdings in der Hauptsache 
auf die Götter seines Volkes beschränkt wissen will®). Zu der 
Ascese jedoch, welche mit diesem Synkretismus sonst nicht selten, 
wnd so namentlich bei den Neupythagoreern und den späteren 
Neuplatonikern verbunden ist, zeigt er wenig Neigung. Er dringt 
auf die sittliche Uebung, ohne die seiner Ueberzeugung nach keine 
Tugend möglich ist“); und er empfiehlt aus diesem Gesichtspunkte 
neben anderem auch Gelübde, durch welche man sich für einige 
Zeit zu gewissen Enthaltungen verpflichtet°). An sich selbst 


I) Bo Bolon, Thales, Plato, Eudoxus, namentlich aber Pythagoras De 
Is. 10. 

3) De Is. 2. 60 f. wird der Name der Isis theils von ἰέναι theils von εἰδέναι 
abgeleitet, Osiris von ὅσιος und ἱερὸς, Anubis, wie es scheint, von ἄνω φέρεσ- 
de, indem ausdrücklich versichert wird, diese Namen seien hellenischen Ur- 
sprungs und zu den Barbaren erst eingewandert. 

8) Vgl. 8. 177, 8. 4. Plutarch verletzt nun freilich diesen Grundsatz 
agentlich selbst durch seine Schrift über Isis und Osiris, welche auch dem 
Kultus dieser Gottheiten zur Empfehlung dienen musste, wie sie denn (0. 2. 35) 
einer eifrigen Verehrerin derselben gewidmet ist. Aber er glaubt ja, diese 
Gottheiten seien nicht blos Agyptische, sondern allgemeine; s. vor. Anm. und 
8, 118,ϑ,,, Ὁ 

4) 8, ο. 165, 4. ᾿ = 

5) De gen. Socr. 15, 8. 584 f. unterscheidet Plut. die ἄσχησις und das 
ἔργον πρὸς ὃ ἧ ἄσχησις, und zu der ersteren rechnet er es, dass man, wenn 
Leibestibungen die Esslust geschärft haben, eine gute Mahlzeit stehen lasse, 
ım seinen Hunger mit einer geringen zu stillen, dass man einem erlaubten 
Gewinn entsage u. dgl. De coh. ira 16, 8. 464 lobt er als Uebungsmittel für 


“Ὁ 


188 Maximus v. Tyrus, 


jedoch legt er solchen Enthaltungen keinen besonderen Wertk bei: 

er räth wohl eine möglichst einfache und leichtverdauliche Kost 
an, weil eine solche nicht allein der Gesundheit, sondern auch der 
geistigen Thätigkeit zuträglicher sei, und er verlangt desshalb auch 
Beschränkung der thierischen Nahrung); aber dass man sich 
derselben gänzlich enthalte, fordert er nicht, wenn er es gleich an 
sich wohl löblicher fände ?). Auch die übrigen Züge der pythage- 
reischen Ascese sind ihm fremd. 


7. Fortsetzung: Maximus, Apulejus, Numenius u. δ. w. 


Plutarch’s nächste Nachfolger in der platonischen Schule siad 
uns nur unvollkommen bekannt; dass aber die Denkweise, zu 
deren namhaftesten Wortführern er gehört, in derselben lebhaften 
Anklang fand, sehen wir an einer Reihe von Männern, deren Auf- 
treten in die nächsten Jahrzehende nach Plutarch’s Tode, in’s 
zweite Drittheil des zweiten Jahrhunderts, zu setzen ist. Dahin 
gehört der philosophirende Rhetor Maximus aus Tyrus, welcher 
unter den Antoninen lebte ?). Dieser Mann steht mit Plutarch auf 


den Willen Gelübde, wie das, sich ein Jahr lang der geschlechtlichen Ge- 
nüsse oder des Weins su enthalten oder eine bestimmte Zeit lang keine Un- 
wahrheit zu sagen. ΄ 

1) De sanit. praec. 18, 8. 181 £. vgl. De Is. ὅ. 

3) De solert. anim. 7,5 f. 8.964 sagt einer der Unterredner, das beste 
wäre, nach pythagoreischer Vorschrift die sohädlichen Thiere zwar zu ver- 
tilgen, diejenigen dagegen, welche sich sähmen lassen, nur zu benätsen, nicht 
su tödten, und ebenso der Thierkämpfe oder der blos zur Unterhaltung ἀϊο- 
nenden Jagd sich zu enthalten. Dass aber Plut. weit entfernt ist, desshalb 
eine gänzliche Enthaltung von Fleischspeisen zu verlangen, sieht man aus 
der ebenangeführten Stelle der ὑγιεινὰ παραγγέλματα. Weiter geht in dieser 
Besiehung die Schrift De esu carnium, welche das Tödten der Thiere und 
den Genuss ihres Fleisches schlechtweg als naturwidrig und unrecht behan- 
delt (I, 1. II, 1—5), wenn sie auch dieses Verbot nur hypothetisch auf die 
Seelenwanderung stützt. Aber diese Abhandlung kann nicht für Acht gelten. 

3) Was wir von seinen persönlichen Verhältnissen wissen, hat Davıs in 
der Praefatio seiner Ausgabe des Maximus (abgedruckt bei BzıskR) zsusam- 
mengestellt. Es ist dessen aber sehr wenig. Sein Geburtsort ergiebt sich aus 
dem stehenden Beinamen Τύριος. Euser im Chronikum su Ol. 281, und nach 
ihm Hıszon. Chron. u. Srxc. 851, A, setzen den Anfang seines Öffentlioben 
Wirkens (ἐγνωρίζετο) unter Antoninus Pius, um 155n.Chr., Sus». u. d. W. lässt 
ihn unter Commodus sich in Rom aufhalten; jene drücken sich aber alle drei 


Sn 


Eklektioismus, 189 


+ 


demselben Boden des eklektischen Platonismus, der. sich bereits 
deutlich zum Neuplatonismus hinüberneigt; nur ist der philoso- 
phische Gehalt seiner gespreizten Deklamationen noch merklich 
geringer, als der der plutarchischen Schriften. Ein begeisterter 
Bewunderer Plato’s 1) hat Maximus doch nur sehr wenig von der 
wissenschaftlichen Schärfe des platonischen Geistes in sich auf- 
genommen. Er preist die Wissenschaft als das höchste; aber der 
Begriff der Wissenschaft bleibt bei ihm so unbestimmt, dass er mit 
diesem Namen ganz im allgemeinen die Herrschaft der Vernunft 
im Menschen bezeichnen will, und jede Thätigkeit in der Gesetz- 
gebung oder Staatsverwaltung gleichfalls Wissenschaft nennt ?). 
Br äussert sich im Sinn der akademischen und peripatetischen 
Sittenlehre über die Werthunterschiede unter den Gütern und die 
Bedeutung der äusseren Güter”); aber diess hindert ihn nicht, an 
einer anderen Stelle) dem cynischen Leben den Preis zuzuer- 
kennen, und einen Diogenes in dieser Beziehung wegen seiner 
grösseren Unabhängigkeit selbst über Sokrates und Plato zu stellen. 
Auch sonst stimmt er in manchem mit dem Stoicismus, an dessen 
spätere Vertreter wir durch diese Aeusserungen zunächst erintert 


so aus, dass os fast sobeint, als ob sie ihn mit dem gleichnamigen Stoikez, 
dem Lehrer Mark Aurel’s (1. Abth. 614), verwechselten. Wiewohl daher beide 
Angaben sich nicht ausschliessen, wird doch für gesichert nur das gelten 
können, dass seine Lehrthätigkeit in die zweite Hälfte des Zweiten Jahrhun- 
derts fällt. Seine Schriften, von denen wir noch 41 Abhandlungen (διάλέξεις) 
besitsen, weisen im allgemeinen auf eine griechische Zuhörerschäft (vgl. 
VII, 6); aber nach der Sitte der damaligen Rhetoren scheint er einen Theil 
seines Lobens auf Reisen zugebracht zu haben: er selbst erwähnt VIII, 8 
solches, das er in Arabien und Phrygien gesehen habe, und dass er Rom nicht 
übergieng, versteht sich fast von selbst; bezeugt wird es ausser der ange- 
führten Angabe des Suidas auch durch die Ueberschrift seiner Abhandlungen 
in den Handsehriften, die aber doch nur auf einen Theil derselben passen 
wird: Μαξίμου Tuplov Πλατωνιχοῦ φιλοσόφου τῶν ἐν Ρώμῃ διαλέξεων τῆς πρώτης 
ἐπιδημίας ἁ. ᾿" 

1) Vgl. Diss. XVII, 1, Sobl.: εἰ γάρ τις ἐς τὰς Πλάτωνος φωνὰς ἐμλεσὼν 
ἑτέρων δεῖται λόγων ... οὗτος οὐδ᾽ ἂν τὸν ἥλιον ἴδοι ἀνίσχοντα. 

2) Diss. XI, ὅ. 7 in einer Erörterung über ἐμπειρία, φρόνησις, ἐπιστήμη. 

8) XL, 5 f. — Die Vertheidigung der Lust Diss, III (Rırzzz IV, 258, wo 
aber aus Versehen Diss. XXXIII steht) gehört nicht hieher, deun Maximus 
spricht in dieser nar in fremdem Namen; 8. Diss. IV. 

4) XXXVI, besonders 0.5 f. 


184 Maximus v. Tyrus. 


werden. So sagt er mit den Stoikern, der Tugendhafte könne nicht 
verletzt werden, dehnt dann aber freilich diesen Satz in unbeson— 
nener‘ Uebertreibung auch auf den Schlechten aus, indem er in 
diesem Fall, trotz seiner Anerkennung der äusseren Güter, 
behauptet, das einzige Gut sei die Tugend, da man nun diese 
weder dem nehmen könne, der sie hat, noch dem, der sie.nicht 
kat, so könne man den einen so wenig verletzen, als den andern). 
Stoisch ist es, wenn die homerischen Götter theils auf elementa- 
rische, theils auf sittliche Mächte gedeutet werden?); aus der 
stoischen Philosophie stammt die Bezeichnung der Welt als einer 
gemeinsamen Wohnung von Göttern und Mensohen®), ebendaber 
die Rechtfertigung der Vorsehung durch die Bemerkung, dass das 
Uebel von dem Wechsel der endlichen Dinge nicht zu trennen sei, 
dem wohlthätigen und zweckmässigen in der Natur als unver- 
meidliche Folge anhänge *); und wenn Maximus mit Plutarch das 
‚ sittliche Uebel hievon ausnimmt, und im Widerspruch gegen den 
stoischen Fatalismus auch das göttliche Vorherwissen und die 
Mantik nur in bedingter Weise auf die menschlichen Handlungen 
bezogen wissen will), so trifft er dafür mit den aufgeklärteren 
‚unter den Stoikern in dem Satze zusammen, dass es unnöthig sei, 
die Götter um etwas zu bitten, denn äussere Güter solle man nicht 
von ihnen begehren, geistige müsse jeder sich selbst erwerben, 
das wahre Gebet sei nicht eine Bitte um mangelnde Güter, sondern 
eine Besprechung über die vorhandenen, eine Selbstdarstellung 
der Tugend®). Auch die Anschauung des Weltlaufs als einer 
von Gott ausgehenden und durch die Gegensätze des Endlichen 
sich hindurch bewegenden Harmonie 7) ist wesentlich stoisch ; noch 


1) XVII, ὃ £. 

2) X, 8, Schl. XXXII, 8. 

8) XIX, 6. 

4) XLI, 4, wo die Uebel den Funken vom Ambos und dem Russ im 
Ofen verglichen werden. 

δ) A. ἃ. 0.5. XIX, 3 fi. 

6) XI, besonders c. 7. 8. 

7) XIX, 8, Schl.: ἣγοῦ τὸ πᾶν τοῦτο ἁρμονίαν τινὰ εἶναι ὀργάνου μουσυχοῦ καὶ 
τεχνίτην μὲν τὸν θεὸν τὴν δὲ ἁρμονίαν αὐτὴν ἀρξαμένην παρ᾽ αὐτοῦ δι᾽ ἀέρος ἰοῦσαν 
καὶ γῆς χαὶ θαλάττης xar ζῴων χαὶ φυτῶν ἐμπεσοῦσαν μετὰ τοῦτο εἰς πολλὰς χαὶ 
ἀνομοίους φύσεις συντάττειν τὸν ἐν αὐταῖς πόλεμον - ὡς κορυφαία ἁρμονία, ἐμπεσοῦσα 
εἰς πολυφωγίαν χοροῦ, συντάττει τὸν ἐν αὐτῇ θόρυβον. Μ, vgl. hiezu und zu ο. 4 


x 


Eklektioismus, 185 


unmittelbarer erinnert sie jedoch bei unserem Verfasser. an die 
pseudo -aristotelische Schrift von der Welt, von der es wirklich 
scheint, dass sie sein nächstes Vorbild gewesen sei. Peripateti- 
sches weiss Maximus auch sonst, wie andere Platoniker jener Zeit, 
neben dem stoischen mit seinem Platonismus zu verknüpfen. So 
unterscheidet er in der Seele bald mit Plato drei Theile, bald an 
Aristoteles und die Stoiker anknüpfend zwei, die Vernunft und den 
Afekt!). Aus der ersteren Unterscheidung leitet er dann weiter 
die drei Lebensweisen ab, von denen schon Aristoteles gesprochen 
hatte, indem er mit ihm der Theorie die erste, dem Handeln die zweite 
Stelle anweist, und jene Formen des sittlichen Lebens zugleich, 
halb platonisch, mit den Staatsformen zusammenstellt). Auch in 


(Gott als στρατηγὸς der Welt) x. κόσμου 6. 399, a, 12 ff., wo gleichfalls die 
Welt einem Chor und einem Heere, Gott dem Chorführer (xopugpalog) und 
Peldherrn verglichen wird. Aehnlich treffen wir XVII, 12 die Vergleichung 
der Gottheit mit dem Grosskönig, wie x. κόσμου 6. 898, a, 6 ff. 

1) Jones XXII, 4, Gieses XXXIII, 5, wo er aber freilich die Ansichten 
seiner Vorgänger ungenau wiedergiebt, wenn er sagt: nach der übereinstim- 
menden Lehre des Plato und Aristoteles und schon des Pythagoras, sei die 
Seele ursprünglich in zwei Theile getheilt, λόγος und πάθος; jeder von diesen 
werde, wenn er schlecht beschaffen sei und sich ungesordnet bewege, χαχία 
gemannt. Vgl. Bd. II, a, 588 f. II, b, 886 f. 487. 449. III, a, 207 f. 188, 4. 
Ueberwiegend aristotelisch lautet auch XVII, 8: in der Seele sei das θρεπτιῖον, 
αἰσθητικὸν, χινητικὸν, παϑητιχὸν, νοητικόν, 

3) Maximus behandelt das Werthverhältniss des theoretischen und des 
praktischen Lebens Diss. XXI f.; und nachdem er jedes von beiden seine 
Ansprüche hat entwickeln lassen, giebt er selbst XXII, 4 f. sein Urtheil da- 
hin ab: ans der (platonischen) Dreiheit der Seelentheile ergeben sich dreier- 
iii Verfassungen der Seele, von denen die erste und vollkommenste dem 
Köpigtbum, die zweite der Aristokratie, die dritte der Demokratie, oder rich- 
tiger Oehlokratie entspreche (vgl. Prazo Rep. VIII, 544, D 8), und daher 
drei βίοι: der θεωρητιχὺς, πραχτικὸς und ἀπολαυστιχός (so Aristoteles Eth. I, 8 
vgl. Bd. II, b, 417, 8 — Maximus selbst gebraucht den Ausdruck nicht).. Die 
leisters Lebensweise wird nun sofort als unwürdig beseitigt, über die Theorie 
und Praxis aber gesagt: diese verdiene den Vorzug, was die χρεία, jene, was 
dio αἰτία τοῦ γενομένου χαλῶς betreffe. Welcher von beiden jeder sich vorzugs- 
weise widme, mässe von seiner Begabung, seinem Lebensalter und seinen 
Verkältoissen abhängen. Damit streitet es nicht, dass die Tugend, d. h, die 
siitliche Tugend, nach Diss. ΧΧΧΊΠ, 7 f. nicht in einem Wissen, sondern in 
der Beherrschung der πάθη durch den λόγος besteht (nach Aristoteles; 4. Bd. 
‚Ib, 486 £.). — Als Vorbereitung für die Philosophie empfiehlt Max. mit 


98 ‘Maximus v. Tyrus. 


seiner Theologie verschmelzt sich ihm aristotelisches mit dem pla- ᾿ 
tonischen, wenn er in eine Darstellung der platonischen Lehre von 
der 'Gettheit die Bestimmungen des Aristoteles über potentielles 
und aktuelles Denken und über die ununterbrochene' Denkthäßig- 
keit Geites einflicht"); der wahre Gottesbegriff selbst aber ist, 
wie er glaubt, nicht erst durch die Philosophie gefunden, sondern 
allen Menschen von der Natur eingepflanzt, so dass in ihm alle 
ohne Ausnahme übereinstimmen *), wie diess ja einer von den 
Lieblingssätzen der Popularphilosophie seit: Antiochus und Cicero 
ist, Die Philosophie des Maximus stellt sich daher, so weit wir bis 
jetzt sind, nicht allein der eines Plutarch, sondern auch der der 
früheren akademischen Eklektiker zur Seite. 

Nur an den erstern erinnert dagegen die dualistische reli- 
giöse Spekulation, durch welche auch Maximus sich mit dem Neu- 
pythagoreismus berührt). Gott, als der höchste Geist und das höchste 
Gut, ist nur Einer, erhaben über die Zeit und die Natur, unsichtbar, 
unaussprechlich, nur durch die reine Vernunft erkennbar *); er ist 


Piato die enoyklischen Wissenschaften, namentlich Musik und Mathematik 
Dies, XIXVL. 

1) ΧΥ͂ΙΙ, 8. 

4) ΧΡΉ, 5 (nachdem Max. von dem Streit der menschlichen Meinungen 
über sittliche und andere Fragen gesprochen hat): ἐν τοσούτῳ δὴ πολέμδ᾽ καὶ 
στάσει καὶ διαφωνίᾳ ἕνα ἴδοις ἂν ἐν πάσῃ γῇ ὁμόφωνον νόμον κοὰ λόγον, ὅτι θεὺς εἷς 
πάντων βασιλεὺς χαὶ πατὴρ καὶ θεοὶ πολλοὶ, θεοῦ καΐδες, συνάρχοντες θεοῦ. ταῦτα καὶ 
ὁ Ἕλλην λέγει καὶ ὃ βάρβαρος λέγει, καὶ & ἠπειρώτης καὶ ὁ θαλάττιος, παὰ ὃ σοφὸς 
χοὶ ὃ ἄσοφος u. 6. w.... θεοῦ πάντα ἔργα, I ψυχὴ λέγει, κοὰ τὸν τεχνίτην ποθεῖ ποὰ 
καταμαντεύεται τῆς τέχνης. Belbst die wonigen Atheisten, die ale Adsnahme 
ven der Naturerdnung aufgetreten soien, müssen unwillkührlioh das Dasein 
Gottes bekennen (ἴσασι γὰρ οὐχ ἑκόντες καὶ λέγουσιν dxavız). Zu diesen rechnet 
Maximus moben anderen namentlich Epikur, den er auch X, 4. 8 über dis 
Gottheit gar nicht mitzeden lassen will, 

8) Er selbst beruft sich auch wohl auf Pythagoras; so ÄXXIL, 5 (a. o. 
185, 1). XVI, 2 f. (die pythagoreische Beelenwanderuang mit dem bekannten 
Beleg über Pythagoras’ Identität mit Euphorbus). X1, 6 (Pytbagoras, Bekra- 
tea, Plato beteten). XXV, ὃ (Pyth. betrachtete die Sonne als Gottheit). 
XXX], 2. XXXV, 7 (pytkagoreische Sprüche, pyth. Musik); aber doch erhält 
man aus diesen vereinzelten Anführungen nicht den Eindruck, dass er mit 
ai asapyihagoreischen Schule in einem mehr als mittelbaren Zusammenhang 
8 

4) Diss. VIII, 10. XVIL 8, g. E. 9— 11. XXXIX, δ. 


Theologie; Dämonologie; Mantik. 1. 7] 


der Bildner der Welt und der Herrscher, dessen Vorsalung nim- 
mer rasiond alles umfasst und erhält, von dem nur gutes kommt, 
ohne den niemand tugendhafi sein kann !). Als Steff der Welt- 
bildung dient ihm die Materie, aus der in letzter Besichung alle 
Uebel herstammen, die pbysischen unmittelbar, die morslischen 
mittelbar, dadurch, dass der freie Wille die sinnlichen Triebe nicht 
beherrscht 5). Die Vermittler zwischen der höchsten Gottheit und 
der Welt sind ausser den unzähligen sichtbaren Göttern?) die 
Dämonen *), Untergötter von unstexblicher, aber leidensfähiger 
Natur, die an der Grenze der himmlischen und der irdischen Welt 
wohnen, Diener der Götter und Aufseher der Menschen, aa Vell- 
kommenheit, Gemüthsart und Beschäftigung verschieden, - den 
Guten als persönliche Schutzgeister beigegeben’). Maximus be- 
trachtet diese Mittelwesen als das eigentliche Band der sinnlichen 
und der übersinnlichen Welt®); von ihrem Dasein ist er so fest 
überzeugt, dass er nicht allein den einfältigsten Märchen über 
Dämonenerscheinungen Glauben schenkt, sondern sogar selbst von 
solchen Erscheinungen , die er in wachem Zustand gehabt habe, 
zu erzählen weiss’). Auch die Seele des Menschen ist göttlichen 
Wesens®), aber während des irdischen Lebens in den Leib ein- 
gekerkert, befindet sie sich in einer Art von Traumzustand, aus 
dem sie nur unvollständig zur Erinnerung an ihr wahres Wesen 
erwacht?); erst von jenem Leben darf sie eine reinere Erkennt- 
niss der Wahrheit und eine unmittelbare Anschauung des Götl- 
lichen hoffen '°%). Einen Beweis der göttlichen Färsurge für die 
Menschen sieht Maximus in den mancherlei Formen der Weissa- 
gung!!), indem er sie zugleich mit der Willensfreiheit durch die 
Annahme ‚vereinigt, nur das nothwendige werde unbedingt, was 


΄ 


1) Σ,8. ΧΧΙ, 6. XLL2£ ΧΙ, 1. 4: ΧΙΣ, 8. XIV, 1. 
2) XLI, 4 f., im Anschluss an PLaro Phaedr. 246, A fl. 
8) XVII, 5. 11. 12. XIX, 6. 
4) XV, 13. 
6) XIV, 8. XV, gans. 
6) XV, 1£. 
?) Eh. 7. 
8) VIII, 8. 
9) ΧΙΠ, 5. ΧΥ͂Ι, 1. ὃ 5, 
10) ΧΥ͂Ι, 9. XVII, 11. | 
11 XIV, 7 (φῆμαι, οἰωνοὶ, ὀνείρατα, φωναὶ, θυσίαι, d. h. Opfersohan). 


188 Apulejus. 


von der Freiheit abhängig ist, nur bedingt vorausgesagt!). Als 
Hälfsmittel, deren’ die meisten Menschen bedürfen, werden die 
sinnlichen Darstellungen der Gottheit durch Bilder und Mythen in 
Schutz genommen, und aus diesem Grunde werden die Dichter als 
΄ die ältesten Philosophen gepriesen; die besondere Form des 
Bädes ist wesentlich gleichgültig, doch findet Maximus den künst- 
lerischen Antbropomorphismus semes Volkes am würdigsten ?). 
Ein Zeit- und Fachgenosse des Maximus ist Apulejus aus 
Madaura®), und auch in seinem philosophischen Charakter ist er 
ihm nahe verwandt. Auch er ist erklärter Platoniker, aber dabei 
so weitherzig,, dass er nicht allein in die Darstellung der platoni- 
schen Lehre mancherlei späteres und fremdartiges einmischt,, son— 
dern auch ganze Schriftwerke anderer Schulen sich aneignet. So 
hat er in der pseudoaristotelischen Schrift von der Welt das Werk 
eines zum Stoicismus hinneigenden Peripatetikers in lateinischer 
Bearbeitung für sein eigenes ausgegeben *), und ebenso scheint es 
sich mit dem dritten Buch seiner Darstellung der platonischen 


1) XIX, 2—5. 

2) VIII, 2.10. X,3 8. XXI, 8f. XXxXII,2f.6. 

8) Ueber Apulejfis’ Leben und seine Schriften vgl. man Hı.pzezann 
Apul. Opp. I, XVII ff. — Seine Geburt setzt dieser anf Grund der Acusse- 
rungen Apol. 85 (Antoninus Pius noch nicht Divus). 89. 27. 70. 73. Flor. 
17. 18 in die Jahre 136—132, was jedenfalls annähernd richtig sein wird. 
Seine Vaterstadt war Madaurs, an der Grense Numidiens gegen Gätulien ge- 
legen, eine römische Militäroolonie, in welcher sein Vater, und später, wie 
. es scheint, auch er selbst, die Würde eines Duumvirs bekleidete (Apol. 24 
vgl. Dogm. Piat. III, 8. 264 H.); daher sein stehender Beiname Madaurensis. 
Seine erste Bildung erhielt er in Kartbago (Flor. 18, 8. 85. 89), gieng dann 
aber, wie es scheint noch sehr jung, nach Athen (ebd. Metamorph. I, 1) und 
dann nach Rom (Metam. a. ἃ. Ο. vgl. XI, 26 fi. Flor. 17, 8.78), wie er über- 
haupt weite Reisen machte (De mundo 17, 8. 884 vgl. Apol. 56. Flor. 15). 
Nachdem er sein beträchtliohes Vermögen (Apol. 28) theilweise aufgebraucht 
hatte (Apol. a. a. O. vgl. Metam. XI, 28), verheirathete er sich mit einer 
wohlhabenden älteren Witwe zu Oea, zog sich aber dadurch von ihren Ange- 
'hörigen die Klage wegen magischer Künste zu, gegen die er sich in seiner 
Apologie (De magia) vertheidigt (Apol. 72 f.). Vielleicht wurde dadurch seine 
Uebersiedelung nach Karthago veranlasst, wo wir ihn Flor. 16. 18 treffen. 
Hier sowohl als in Oea und anderwärts wurden ihm Bilds&ulen und Ehren- 
beseugungen zutheil (Flor. 16, 8, 64. 74. 76. Aucustm epiat. 1). 

4) 8. 1. Abth. 8.560 ff. ΄ 


„gs 0. 


Philosophischer Standpunkt. 499 


Philosophie, wenn dieses ächt sein sollte, zu verhalten, einem Ah- 
riss der Logik, welcher gleichfalls eine Mischung der stoischen 
und peripatetischen Lehre enthält!). Im ganzen genommen ist 
aber sein Standpunkt jener pythagoraisirende Platonismus, dem 
wir schon bei Plutarch und Maximus begegnet sind. Als Ur- 
grände nennt er neben der Gottheit die Materie und die Ideen 3). 
Die Gottheit, der vollkommene Geist, ist unaussprechlich wnd 
unermesslich (ἀπερίμετρος), nicht blos über alles Leiden , sondern 
auch über jede Thätigkeit erhaben 5); die Ideen werden mit einem 
merkwürdigen Missverständniss ihres Begriffs als inabsolutae, 
informes, nulla specie nec qualitatis signiflcatione distinctae be- 
zeichnet *). Neben Gott und den Ideen wird such die Vernunft 


1) Dieses Buch, welches auch den besonderen Titel περὶ “Ερμηνείας führt, 
uns übrigens nur theilweise erhalten ist, wird von Hınanssaun a. a 0. XLIV 
Apulejus abgesprochen. Paaurı, Gesch. d. Log. 1, 579 nimmt es in Schuts, 
und es selbst will nach 8. 264 unverkennbar für ein Werk des Apulejus ge- 
halten sein. Seine innere Beschaffenheit würde auch kaum entscheidende 
Merkmale seiner Unächtheit an die Hand geben, da einerseits Prautı's An- 
nahme, es sei die Uebersetsung eines griechischen Schulbuchs, alles für sich 
bat, ebendesshalb aber aus seiner Abweichung von der sonstigen Weise des 
Apulejus nicht zu viel gefolgert werden kann; und da andererseits die Ge- 
schichte der Logik in jener Zeit, und namentlich die ihrer lateinischen Ter- 
minologie, uns zu unvollständig bekannt ist, um mit Sicherheit su bestim- 
men, ob nicht das, was uns hier als neu auffällt, auch schon dem zweiten 
Jahrbundert angehören konnte. Der Einwurf ohnedem, dass Apulejus das 
notorisch peripatetische nicht für platonisch hätte ausgeben können, hat 
nichts auf sich: sein Zeitgenosse Alcinous und andere thun diess ja auch (vgl. 
1. Abth. 8. 726). Sehr auffallend ist aber, theils dass die Schrift in ihrem 
Anfang an die zwei früheren Bücher De Dogmate Platonis nicht anknüpft, 
theils und besonders, dass sie in allen besseren Handschriften, und überhaupt 
in allen bis Auf drei fehlt. Es ist mir daher wahrscheinlich, dass diese Ab- 
handlung, welche Cassiodor zuerst anführt, erst nach Apulejus verfasst, oder 
doch übersetzt wurde. Um so mehr wird es genligen, in Betreff ihres Inhalts 
auf Prautı’s ausführliche Analyse zu verweisen. — Auch ‘die Uebersetsung 
einer hermetischen Schrift, des Asklepios, die unten noch zu berühren sein 
wird, stammt schwerlich von Apulejus; ebensowenig die von Rost Anecd. 
gr. I, 103 ff. ihm zugewiesene Physiognomik. Vgl. Baurrz Gött. Gel. Anz. 
1868, 1. 8. 21 ἢ. 

2) Dog. Plat. I, 5 vgl. 8.98 f. 109 ζ, 1. Abtb. 8, 726. 

8) A.a.O. De Deo Socr. 8, 8. 119. 

4) Dogm. Piat. I, δ; richtiger ὁ. 6: sie seien die formae simplices εἰ 
aciernae, unkörperlich und die Musterbilder der Dinge. 


190 | . Apulöjus. 


(mens τὸ νοῦς) und die Seele als ein Wesen höherer Natur ge- 
. nannt!), ohne dass wir desshalb die Vorstellung von einer 
bestimmten Stufenfolge göttlicher Kräfte bei Apulejas suchen 
dürften. Je weniger sich nun hierin philosophisches Verständniss 
zeigt, am 90 natürlicher war es, dass sich Apulejus den religiösen 
Vorstellungen des damaligen Platonismus, dem Götter- und Dä- 
mwenehglauben mit Vorliebe zuwändte, um eine Vermittlung mit 
der Gottheit zu gewinnen. Zwischen den höchsten Gott und die 
Welt. stellt auch er, wie Maximus, theils die Götter, theils die D&- 
monen;; zu den Göttern rechnet er nicht blos die sichtbaren Gott- 
heiten, oder die Gestirne, sondern auch unsichtbare Wesen, wie 
die. zwölf olympischen ‚Götter, die als Sprösslinge des höchsten 
Gottes, als ewige, reine, über alle Berührung mit der Körperwelt 
erhabene Geister bezeichnet werden ?); weil aber die Götter in 
keinen unmittelbaren Verkehr mit den Menschen treten, so sind 
als Zwischenglied zwischen beiden die Dämonen nothwendig 5), 
deren Natur, Geschäfte und Klassen Apulejus mit grosser Aus- 
führlichkeit zu schildern weiss*). Der Glaube an Schutzgeister 
findet an ihm, wie natürlich, einen Vertheidiger®); wie sinnlich er 
sich denselben ausmalt, zeigt unter anderem die Annahme 5), dass 


1) A.a. Ο. 0.6: Plato nehme zweierlei Substanzen an, die intelligible 
und die sinnliche. ΕἾ primae quidem substantiae vel essentiae Deum primum 
et mentem formasque rerum et animam. Statt mentem hat Eine Handschrift 
maliem und Hır.pzesaun liest desshalb nach Ouvennorr's Vermuthung me- 
teriem; allein wie konnte diese zu den unsinnlichen Bubstansen gerechnet 
werden? selbst Tim. 52, A will dafür kaum ausreichen. Für gans unmöglich 
kann man es freilich, nach der eben gegebenen Probe tiber die Ideen, nicht 
erklären, ὌΝ ᾿ 

3) De. Bocr. 3 £. Dogm. Plat. I, 11, Schl. Zu diesen Göttern gehört die 
Isis, in der Apulejus, ähnlich wie Plutarch, die Mutter Natur verehrt, indem 
er sie zugleich mit allen möglichen griechischen und aussergriechischen Gbott- 
heiten identißcirt- Metamorph. XI, 2. 5. 21. 28, Schl. vgl. ΠῚ, 80. 

8) De. Socr. 4 ἢ. _ 

4) Α. 4. Ο. c. 6—18. 15. Die Dämonologie selbst, die hier vorgetragen 
wird, ist die gleiche, welche uns schon öfters vorgekommen ist (vgl. 8. 123. 
161 £ 181); ihr Thema bildet die vielgebrauohte platonische Stelle Symp. 
3023, E. 

5) A. a. O. 16. 

6) A. a. O. 20. Pıur. Gen. Socr. 20, 8. 688 sagt noch ausdrücklich, - 
der Dämon sei von Sokrates nicht gesehen, sondern nur gehört worden, und 


Götter und Dämonen. A 


Sokrates sein Dämonium nicht blos gehört, sondern auch gesehen 
habe. Auf die Dämonen bezieht Apulejus mit andern die Opfer, 
Weihen und gottesdienstlichen Gebräuche, die Götterbilder und die 
Tempel; von ihnen leitet er die Weissagungen und sonstigen Offen- 
barungen her, denen er bereitwillig Glauben schenkt '). Zum Ge- 
schlecht der Dämonen wird auch die menschliche Seele gerechnet, 
sowohl während ihres Erdenlebens, als besonders nach ihrer Be- 
freiung vomLeibe; doch sind es nur die Dämonen niedrigerer Ord- 
nung, die in einen Leib eingehen ?). Die Sehnsucht der gefallenen 
Seele nach Wiedervereinigung mit ihrem guten Geiste (oder auch mit 
der Gottheit) bildet das Thema, welches in der bekannten Erzäh- 
lung von Amor und Psyche, die übrigens Apulejus nicht erfunden 
hat, im Novellenstyl ausgeführt ist). Tiefere pbilosophische Ge- 
danken darf man bei dem afrikanischen Schöngeist weder hier 
noch sonst suchen. 

Weitere Belege für die Verbreitung dieser Denkart in ‚der 
platonischen Schule sind uns schon früher bei Theo dem Smyr- 
näer und Alcinous vorgekommen. Der erstere folgt nicht 
allein in seiner Mathematik, und namentlich in dem, was er 
über die höhere Bedeutung der verschiedenen Zahlen sagt, den 
Pythagoreern*); sondern auch in Betreff der letzten Gründe 
unterscheidet er mit ihnen das Eins oder die reine Einheit von: der 
Monas, der in den Zahlen sich vervielfachenden Einheit®). Noch 
entschiedener spricht sich der Standpunkt des pythagoraisirenden 
Platonismus in den Sätzen des Alcinous über die Ideen, die Materie 


scheint dasselbe von den Dämonen überhaupt voraussusetzgen, wogegen uuch 
Max. Tra. XV, 7 beiderlei Dämonenerscheinung annimmt, 

1) A. a. O. 14. Apol. selbst war allen möglichen Beligiousübungen eit 
rig ergeben; er selbst sagt uns Apol. 55 f. dasg er sich in Griechenland in 
die verschiedensten Mysterien hatte einführen lassen, und ihre Heiligthümer 
sorgfältig aufbewahrte. Seine Bekanntschaft mit dem Isiskult beweist er 
Metamorpb. XI. 

2) De. Socr. 15 f. vgl. Apol. 34: animo hominis euirinseous in kospitium 
corporis immigrant. 

8) Metamorph. IV, 28 — VI, 24. Ueber den Ursprung und Binn der Fa- 
bei vgl. Hıznessanp a. a.0. 8. XXVUI Β΄. u. A, 

4) M. vgl. hierüber 1. Abth. 724, 2, und was oben, 8. 107, 8. 5. 108, 
8—5 aus Theo Math. II, 88 ff. angeführt ist. 

5) Math. I, 4. 


m Aloinous. Colsus. 


und die Gottheit, über die Weltseele und die Ewigkeit der Welt, 
“ namentlich aber in jener Dämonologie aus, welche einen von den 
stehendsten Zügen dieser Spekulation bildet‘). Wie nahe Atti— 
kus dem Piutarch stand, sehen wir aus der Annahme einer 
schlechten Weltseele, die er ebenso, wie die einer zeitlichen 
Weltschöpfung, mit ihm theilt 2). 

Neben den genannten kann hier ferner des bekanuten Chri- 
stengegners Celsus erwähnt werden ®), sofern seine Vertheidi- 
‘gung des Polytheismus nicht blos überhaupt auf platonischen An- 
sichten, sondern im besondern auf der gleichen Form des 
Platonismus beruht, welche wir bei den bisher besprochenen Phi- 
losophen gefunden haben“). Von dem platonischen Gottesbegriff 
"ausgehend ®), stellt Celsus den Satz auf®), Gott habe nichts sterb- 
liches geschaffen, auch am Menschen sei nur die Seele sein Werk, 
deren höhere und unsterbliche Natur unser Philosoph mit Plato 


1) M. 5. hierüber 1. Abth. 8. 725 ff. 

8) A. 4. O. 722, 2. 

8) Zwar hält Onıasuus, dessen Schrift gegen Celsus wir unsere ganze 
Kenntniss von diesem Philosophen verdanken, seinen Gegner für einen Epi- 
kureer, aber diess ist, wie er selbst sagt (c. Cels. I, 68. IV, 86), blosse Ver- 
muthung; in den zahlreichen Bruchstäcken bei Origenes erscheint Celsus 
durchaus als Platoniker. Mit jener Meinung hängt nun auch die Angabe (e. 
Gels. 1, 8) zusammen, dass Celsus unter Hadrian und seinen Nachfolgern ge- 
bläht habe; andere Spuren machen wahrscheinlich, dass er erst um 170 n. 
Chr. oder noch später geschrieben hat; m. vgl. meine Theol. Jahrb. IV, 629. 
Auch von der Identität des luoianischen Celsus (über den 1. Abth. Zus. zu 8. 858) 
mit dem Platoniker hat mich der neueste Vertheidiger dieser Annahme (A. 
Prano&’ in der Abhandlung: Lucian und das Christenthum Stud. u. Krit. 1851, 
4, 882 f.) so wenig überzeugt, ale die früheren. Ueber Celsus und seine Po- 
lemik gegen das Christenthum vgl. m. jetst Baur Kirchengesch. I, 882— 409. 

4) Als Platoniker beseichnet sich Celsas ausser allem andern auch da- 
durch, dass er den von ihm behaupteten Vorzug der griechischen Lehren vor 
der christlichen hauptsächlich mit platonischen Annahmen und Aeusserungen 
belegt; VI, 1. 8.0. 8—10. VII, 42 u. a. St. Vgl. folg. Anm. 

5) Μ. 8. die Bruchstücke b. Onıa. o. Cels. V, 14. VI, 68 f. VII, 43. VIE, 
21. Die Transcendenz Gottes wird namentlich VII, 45, nach Anleitung der 
bekannten Stelle in PL.aro’s Republik VI, 507, B ff., seine Unveränderlichkeit 
PV, 14, nach Rep. 880, D ff. auseinandergesetet. An den Stoicismus erinnert 
es, wenn Gott V, 148 πάντων τῶν ὄντων λόγος heisst. 

6) A. a. O. IV, 52. 


Colsus Numenius. 198 


voraussetzt 5); alle Vergänglichkeit und alles Uebel soll aus der 
Materie herstammen Ὦ. Sofern nun das Wesen der Materie nicht 
zu ändern ist, so ist die Natur von einer physischen Nothwendig- 
keit beherrscht, von der sich nicht erwarten lässt, dass sie jemals 
anders werde 5). und so schliesst sich hier jener Naturalismus an, 
welchen Celsus zum grossen Anstoss für Origenes dem jüdisch- 
christlichen Vorsehungsglauben entgegensetzt*). Kann aber an- 
dererseits auf die Wirksamkeit Gottes in der Welt nicht verzichtet 
werden, so muss doch diese durch Untergötter und Dämonen, als 
Diener und Werkzeuge des höchsten Gottes, vermittelt sein; wir 
haben daher allen Grund, nicht allein die Gestirne, sondern auch 
die unsichtbaren Götter und Geister zu verehren, und wir dürfen 
damit den höchsten Gott selbst zu ehren überzeugt sein, nur dass 
sich jedes Volk an den herkömmlichen Kult halte, und zunächst 
den Gottheiten Verehrung zolle, deren Schutz es selbst anver- 
traut ist’). 

Wenn die Männer, die wir zuletzt besprochen haben, sich 
selbst zur platonischen Schule rechneten, se wird dagegen 
Numenius®) aus Apamea’) von unsern Berichterstattern durch- 


1) Ζ B. VIII, 49, womit, das Verhältniss der Seele zum Körper und zum 
irdischen Leben betreffend, V, 14. VIII, 53 zu vergleichen ist. 

2) IV, 65. VI, 42 redet Celsus neben der unordentliohen Bewegung der 
Materie vor der Weltbildung auch von Dämonen, die in ihr walten, und sur 
Strafe auf die Erde geschickt werden. 

8) IV, 65: ὁμοία δ᾽ ἀπ᾽ ἀρχῆς εἷς τέλος ἣ τῶν θνητῶν περίοδος καὶ κατὰ τὰς 
Ἡταγμένας ἀναχυχλήσεις (vgl. die Btoiker und Plato’s Politikus) ἀνάγχη τὰ αὐτὰ" 
ai χαὶ γεγονέναι καὶ εἶναι καὶ ἔσεσθαι. 

4) M. vgl. über denselben das vierte Buch von c. 65 an, besonders o. 90. 
Durch diesen Naturalismus nähert sich Celsus der epikureischen und peripa- 
teischen Schule; mit der letztern soll er auch die Lehre von der Ewigkeit 
der Welt getheilt haben (I, 19. IV, 79), doch scheint diese Angabe nicht ganz 
sieher 


δ) V,26. 84. 41. VII, 68. VIII, 2. 28. 88. 86. 54. 58. 60 vgl. m. c. 68. 66. 
Ebd 0. 45 über die Orakel, welche Celsus natürlich gleichfalls in Schutz 
aimmt, 

6) Ueber das L,oben des Numenius sind wir ganz ohne Nachrichten, dass 
Δ aber in die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts gehört, wird theils 
durch die Beschaffenheit seiner Lehren, theils durch den Umstand wahrschein- 
lich, dass Klemens von Alexandrien der erste Schriftsteller ist, der seiner er- 
wähnt, und dass andererseits Harpokration, der seiner Meinung über die 


Phike, ἃ, Gr. IH. Bd. 2. Abth. 18 


194 Numenius, 


weg ein Pythagoreer genannt; da aber in seinen Ansichten das 
platonische fast noch stärker hervortritt, als das neupythagoreische, 
so ziehe ich es vor, seiner erst hier zu erwähnen. Sind auch 
seine philosophischen Leistungen nicht bedeutend, so ist doch die 
Geistesrichtung dieses späteren Platonismus so stark in ihm aus- 
geprägt, dass man allen Grund hatte, ihn als den unmitielbaren 
Vorgänger der Neuplatoniker zu betrachten!). Mit der gesamm- 
ten nachplatonischen Philosophie unzufrieden?), will Numenius 
ganz zu Plato und Pythagoras zurückkehren. Diese beiden hält 
er nämlich für durchaus einverstanden, indem der erste derselben 
seine Lehre, wie er glaubt, ganz von dem zweiten entlehnt, und 
aur den Ausdruck aus nothwendigen Klugheitsrücksichten ver- 
ändert habe 8). Beide aber sollen nur die alte Weisheit der Brah- 
manen, der Magier, der Aegypter und auch der Juden vortragen *); 
auch auf die letzteren hielt nämlich Numenius sehr viel, er suchte 
durch allegorische Erklärungen, in deren Bereich er selbst die 
rabbinische Tradition und die evangelische Geschichte zog, die 
Uebereinstimmung der hebräischen Propheten mit seiner Philo- 
sophie nachzuweisen, und er hatte namentlich vor Moses solche 
Hochachtung, dass er Aussprüche von ihm, als einem Propheten, 
anführte °), und von Plato behauptete, er sei nichts anderes, als 


drei höchsten Götter folgte, ein Schüler des (1. Abth. 718, u. 721 ff. bespro- 
chenen) Attikus war (Prokr. in Tim. 93, B. Weiteres über Harpokration 8. 200). 

7) ᾿Απαμεὺς nennt ihn Amelius b. Poarn. v. Plot. 17. 

1) Poera. vita Plot. 17: es sei Plotin vorgeworfen worden, τὰ Νουμηνίου 
αὐτὸν ὑποβάλλεσθαι, was den Amelius zu einer eigenen Schrift über die Lehr- 
unterschiede zwischen Plotin und Numenius veranlasst habe. Dieser Vorwurf 
beweist jedenfallg, dass beide sich in mancher Beziehung verwandt waren. 

2) M. vgl. in dieser Beziehung die ausführliche und geistlose Kritik der- 
selben b? Eus. praep, ev. XIV, 5—9. Verhältnissmässig am hesten kommen 
darin die Epikurser weg, weil sie sich — der Grund ist für den wissonschaft- 
lichen Standpunkt des Mannes bezeichnend — in gar nichts von der Lehre 
ihres Stifters entfernt haben. 8, 1. Abth. 855, 2. 

8) B. Eus. pr. ev. IX, 7. XIV, 5,2. 7 Β΄. vgl. Onıa. ο. Cels, IV, 51. Von 
Plato sagt Num. b. Eus. XIV, ὅ, 2, er sei zwar nicht besser, aber vielleicht 
auch nicht schlechter, als der grosse Pythagoras. Vgl. Evus. XI, 17, 7. Ebd. 
xIV, 5, 8 heisst Plato μεσεύων Πυθαγόρου χαὶ Σωχράτους: Bokrates soll aber 
gleichfalls Sohüler der Pythagoreer sein, a. a. O. 7. 

4) A. a. Ο. IX, 7. vgl. Oxıe. c. Cels. I, 15. 

δ) Ῥοκρη. De antro Nymph. 10, wo 1. Mos. 1, 2 von Num. mit den Wor- 


= 


Standpunkt. Der erste und zweite Gott. 193 


ein attisch redender Moses!). Mit Platv unterscheidet er nun 
zunächst das Unkörperliche als das Seiende von dem Körperlichen 
oder dem Werdenden ?), und wenn er das Körperliche oder die 
Meterie als den Grund alles Schlechten, als das unbegrenzte, unge- 
erdneie, leblose und nichtseiende beschreibt‘), so wird dagegen 
das erste Unkörperliche, oder die Gottheit, als das Seiende 
schlechtweg,, als unbewegt, unveränderlich, zeitlos, als die erste 
Vernunft (νοῦς, das Eine, das Gute oder das Urgute bezeichnet‘). 
Indem nun aber diese Bestimmung ganz schroff gefasst, und der 
Gegensatz beider Principien auf die Spitze getrieben wird, so 
erscheint es unserem Philosophen unmöglich, dass der höchste Gott 
selbst auf die Materie gewirkt haben sollte; wenn daher Plato doch 
von dem weltbildenden Gott redet, so glaubt Numenius diese Aus- 
sage auf ein von dem höchsten Gott verschiedenes Wesen beziehen 
zu dürfen, das er als den zweiten Gott oder den Demiurg bezeich- 
nei, ein Wesen, in welchem die vielen Untergötter und Mittel- 
wesen der übrigen Platoniker, in erweiterter Bedeutung, zur 
Einheit zusammengefasst werden). Der erste Gott ist einfach, 


ten: τὸν προφήτην εἰρηχέναι angeführt wird; Eus. pr. ev. IX, 8, wo in einem 
Brachstäck des Numenius der zwei Zauberer Jannes und Jambres, die in der 
jüdischen Sage als Gogner des Moses eine Rolle spielen, ihres Streites mit 
Moses, der Giebetskraft des letztern und der von ihm bewirkten ägyptischen 
Plagen Erwähnung geschieht. Orıc. IV, 51: Namcnius, der Pythagoreer, 
der ausgezeichnete Erklärer Plato’s, setze auch vielfach die Aussprüche des 
Moses und der Propheten mit ansprechender Deutung (οὐχ ἀπιθάνως τροπολο- 
γῶν) auseinander. (Aebnlich I, 15: er trage kein Bedenken, χρήσασθαι χαὶ 
λόγοις προφητιχόῖς χαὶ τροπολογῆσαι αὐτοὺς). ἐν δὲ τῷ τρίτῳ ,περὶ τἀγαθοῦ“ ἐχτί- 
ϑεται χαὶ περὶ τοῦ Ἰησοῦ ἱστορίαν τινὰ, τὸ ὄνομα αὐτοῦ οὐ λέγων, χαὶ τροπολογέϊ 
αὐτήν. Ebenso die Erzählung von Moses, Jannes und Jambres. 

1) Kınu. Aızx. Strom. I, 842, C Sylb. sagt diess ganz bestimmt, un- 
bestimmter Bus. pr. ev. XI, 10, 7. 

2) B. Eus. XL 10,5. XV, 17, 1 ff. Neues. nat. hom. c. 2. 8. 29, wo auch 
die Gründe des Numenius gegen den stoischen Materialismus angegeben sind. 
Die von Eusebius hier mitgetheilten Bruchstücke sind gleichfalls der Schrifı 
περὶ τἀγαϑοῦ entnommen. 

8) B. Eus. XV, 17, 2 ff. Jausr. b. ὅτοβ. Ekl. I, 896. 

4) Eus. XI, 10, 1. 5 ff. 18,9 ἢ 22, 1. 6. XV, 17,6. 

6) B. Eus. X1, 18, 1 ff. 9 f. Da eine ähnliche Unterscheidung des höch- 
sten Gottes von dem Weltschöpfer schon vor Numenius bei den christlichen 
Gnostikern vorkommt, von denen namentlich die Valentinianer auch den Na- 

13 * 


196 Numenius. 


unbewegt, das an sich Gute, ohne Berührung mit der Materie, und 
desshalb auch unthätig‘), rein der Betrachtung lebend; der zweite 
ist nur abgeleiteter Weise (μετουσία τοῦ πρώτου) gut, und nicht 
ebenso reinen und einfachen Wesens, wie der erste; sondere wie- 
wohl er zu den übersinnlichen Urbildern aufschaut, muss er doch 
seinen Blick zugleich auch auf die Materie richten, um für sie zu 
sorgen, und indem er sich durch die Welt verbreitet, wird er 
selbst von der Materie getheilt und in ihre Bewegung verfioch- 
ten®). Er ist daher zweiseitiger Natur®), dem Uebersinnlichen 
und dem Sinnlichen zugleich zugewandt*), oder, wie Pnoxrus 
dieses Verhältniss genauer bestimmt°), er gehört mit seinem 
Wesen der übersinnlichen, mit seiner Wirksamkeit der sinnlichen 
Welt an. Er kann insofern auch wohl als identisch mit der Welt 
bezeichnet werden ®), deren Seele er ist”); doch ist es dem Nume- 
nius geläufiger, die Welt, welche schon Plato den gewordenen 
Gott genannt hatte, von dem zweiten Gott zu unterscheiden , und 
demgemäss drei Götter zu zählen: den Vater, den Schöpfer und 
das Geschaffene®). In demselben Sinn konnte er auch von einer 
men Demiurg aus Plato aufgenommen haben, so ist es wahrscheinlich, dass 
Numenius die Anregung zu seiner Theorie von diesen erhalten hat. Ausser- 
dem hat ohne Zweifel die philonische Logoslehre auf ihn eingewirkt. 

1) Er sei als βασιλεὺς ἀργὸς ἔργων ξυμπάντων Eus. XI, 18, 4. 

2) Α. 4. Ο. c. 18. 0. 22,3 ff. Auf diese Lehre bezieht sich auch die An- 
gabe dos Proxrus in Tim. 249, A (welche mir Vacnzeor hist. d. I’ doole d’ 
Alexandrie I, 325 nicht richtig zu fassen scheint), dass nach Numenius und 
Amelius auch im Intelligibeln eine μέθεξις stattfinde, denn der zweite Gott ist 
nur durch μέθεξις das, was er ist; auf dieselbe deutet Euseb die Worte des 
Numenius, die er XI, 18, 8 ff. anführt, sie gehen aber vielleicht eher auf die 
Mittheilung des Wissens an den Menschen. 

8) διττὸς b. Eus. a. a. 0. XI, 22,4. Psoxr. in Tim. 98, B. 

4) A. a. O. XI, 18, 9: ὃ μὲν οὖν πρῶτος [θεὺς] περὶ τὰ νοητὰ, 5 δὲ δεύτερος 
περὶ τὰ νοητὰ χαὶ αἰσθητά. 

5) In Tim. 299, C vgl. Νῦμεκ. b. Eus. XI, 18, 12: αὐτὸς μὲν ὑπὲρ ταύτης 
ἵδρυται... τῆς ὕλης, τὴν ἁρμονίαν δὲ ἰθύνει ταῖς ἰδέαις οἰαχίζων, βλέπει tu... εἷς τὸν 
ἄνω θεὸν προςαγόμενον αὐτοῦ τὰ ὄμματα, λαμβάνει τε τὸ μὲν χριτικχὸν ἀπὸ τῆς θεω- 
plas, τὸ δὲ δρμητιχὸν ἀπὸ τῆς ἐφέσεως (dem schon ὃ. 2 erwähnten Verlangen 
nach der ὕλη). 

6) B. Eus. XI, 18, 1: ὁ θεὸς μέντοι ὃ δεύτερος χαὶ τρίτος ἐσὴν εἷς. 

7) A.a.0.18,7: ὃ μέν γε ὧν σπέρμα πάσης ψυχῆς σπείρει εἷς τὰ μεταλαγ- 
χάνοντα αὐτοῦ χρήματα σύμπαντα. 

8) XI, 18, 1. 22,4. XIV, δ, 6 f. (Sokrates und Plato lehreu drei Götter). 


΄ 


. Theologie. | Anthropologie, 197 


dreifachen Vernunft reden!). Eine genauere Entwicklung dieser 
Bestimmungen, die mit Plotin’s Lehre von den höchsten Gründen 
zu vergleichen wäre, hat Numenius, wie wir mit Sicherheit anneh- 
men können, gar nicht versucht, seine ganze Neuerung besteht 
darin, dass er den platonischen Demiurg als Untergott, wie der 
philonische Logos, von dem höchsten Gott unterschieden hat. 
Seinem metaphysischen Dualismus entsprechend, schrieb Nu- 
menius auch dem Menschen nicht etwa nur eine zweitheilige Seele, 
sondern geradezu zwei Seelen zu, eine vernünftige und eine ver- 
nunfilose ?); diese beiden sollten fortwährend miteinander im 
Kampf liegen °); den Sitz der vernunftlosen Seele suchte er .ohne 
Zweifel im Körper, auf den er überhaupt alles Schlechte zurück- 
führte‘), wogegen er umgekehrt die sinnliche Wahrnehmung für 
ein Erzeugniss der Vernunft hieli°), und das körperliche Leben 
überbaupt von der belebenden göttlichen Thätigkeit abhängig 


Proxı. a. a. Ο. 93, A, Zur Bezeichnung dieser drei Götter bediente sich Num. 
der gesuchten Ausdrücke (τραγῳδῶν, sagt Proklus) πάππος, ἔγγονος, ἀπόγο- 
vos, was Proklus so erklärt: πατέρα μὲν χαλέϊ τὸν πρῶτον, ποιητὴν δὲ τὸν δεύτε- 
ρον, ποίημα δὲ τὸν τρίτον, ὃ γὰρ κόσμος κατ᾽ αὐτὸν ὃ τρίτος ἐστὶ θεός. 

1) Ῥκοκι,. a. ἃ. O. 268, A (8. 655 Schneid.) vgl. Nusas. b. Eus. XI, 
18, 10 £. 

3) Porrare b. Stop. Ekl. I, 886, In Beziehung auf das Weltganze hatte 
je schon Plato in den Gesetzen von einer zwiefachen Seele geredet, und Plut- 
arch diese Annahme wiederholt (s. o. 8. 152); ich möchte vermuthen, dass 
auch Num. sich im Weltganzen ebenso, wie im Menschen, mit dem Stoff eine 
vernunftlose Seele verbunden dachte. 

3) Jamer. ebd. 894. Hierauf scheint sich auch die Angabe des ProxLus 
in Tim. 24, C zu beziehen, dass Num. den Kampf der Athenäer und der At- 
lantiden im platonischen Kritias auf den Streit der besseren Seelen mit den 
schlechteren gedeutet habe. 

4) JausL. a. a. OÖ. 896. 5. o. 195, 3. . 

5) Bo verstehe ich 'Porrure’s ziemlich undeutliche Worten b. Sros. 
EkL 1, 882: Νουμήνιος δὲ τὴν συγχαταθετιχὴν δύναμιν παραδεχτιχὴν ἐνεργειῶν 
φήσας εἶναι σύμπτωμα αὐτῆς φησὶν εἶναι τὸ φανταστιχὸν, οὐ μὴν ἔργον τε χαὶ 
ἀκοτάλεσμα, ἀλλὰ παράχολούθημα. Die συγχαταθετιχὴ δύναμις, oder die Ur- 
theilskraft, muss mit der Vernunft zusammenfallen; das sinnliche Vor- 
stellungsvermögen, das pavtaotızov, soll zwar nicht ἔργον und ἀποτέλεσμα, 
aber σύμπτωμα und παραχολούθημα derselben sein; d. ἢ. die Thätigkeit der 
Vernunft richtet sich nicht direkt auf seine Erzeugung, aber sie bringt es 
nebenbei hervor. 


198 Numenius. 


machte, mit deren Zurückziehung es sofort erlösche !). Bei dieser 
Ansicht von der Natur des Körperlichen musste sich ihm die Lehre 
von der Präexistenz der Seele, der Unsterblichkeit und der 
Seelenwanderung nicht blos überhaupt empfehlen, sondern er 
musste auch geneigt sein, den Gegensatz des körperlichen und des 
körperlosen Lebens möglichst zu spannen; wie er daher das 
Herabstürzen der Seele in den Körper schlechtweg für eine Ver- 
schuldung, einen Abfall von ihrem wahren Wesen erklärte, obne 
eine beziehungsweise Nothwendigkeit desselben zuzugeben ?), se 
lehrte er andererseits, dass die geläuterte körperfreie Seele mit 
dem Urwesen, aus dem sie entsprungen ist, bis zur Unterschieds- 
losigkeit eins werde), wogegen er für die unreinen eine Seelen- 
wanderung annahm, die auch den Uebergang in unvernünflige 
Geschöpfe nicht ausschliessen sollte*). Das Wesen der Seele 


- 


1) B. Eus. 4. ἃ. O. XI, 18, 4: βλέποντος μὲν οὖν χαὶ ἐπεστραμμένου πρὸς 
ἡμῶν ἕχαστον τοῦ θεοῦ συμβαίνει ζῆν τε χαὶ βιώσχεσθαι τότε τὰ σώματα χηδεύοντα 
[ — ος] τοῦ θεοῦ τόϊς ἀχροβολισμσίς" μεταστρέφοντος δὲ εἰς τὴν ἑαυτοῦ περιωπὴν τοῦ 
θεοῦ (vgl. Pıaro Polit. 272, E) ταῦτα μὲν ἀποσβέννυσθαι τὸν δὲ νοῦν ζῇν βίου ἔπαι;- 
ρόμενον εὐδαίμονος. Die letzten Worte möchte ich nicht mit Rırrzz IV, 567 
&uf eine Rückkehr der göttlichen Vernunft in aich selbst deuten, sie schei- 
nen mir vielmehr nur diess su besagen, dass vom Menschen, sobald die Gott- 
beit ihren Blick von ihm abwendet, nur die vernünftige Seele fortlebe, der 
Leib dagegen sofort zu leben aufhöre. Der Leib ist ja (Num. bei Eus. XV, 
17, 4; 6. 0. 8. 195) seiner Natur nach leblos, ohne Zusammenhalt, ohne alle 
Beharrlichkeit des Seins; nur die Seele kann ihn zusammenhalten und ibm 
Dauer verleihen. j 

2) Jamer. Ὁ. Sroe. I, 910, wo das gleiche auch von Kronius und Harpo- 
kration gesagt ist. Dass diese Männer hiebei zwischen solchen Geistern 
unterschieden haben, die rein, und solchen, die minder rein in Körper ein- 
treten (Baampıs Gesch. ἃ. Entw. ἃ, gr. Phil. II, 307), sagt Jamblich nicht, 
sondern vielmehr umgekehrt, sie hätten diesen Unterschied machen sollen. 

8) Jauer. ebd. 1066 (es ist von den „Vorstellungen über den Zustand der 
Seele nach dem Tode die Rede): ἕνωσιν οὖν χαὶ ταυτότητα ἀδιάχριτον τῆς ψυχῆς 
πρὸς τὰς ἑαυτῆς ἀρχὰς πρεσβεύειν φαίνεται Νουμήνιος. 

4) Diess scheint mir der Sinn der Worte, welche Cousin im Journ. des 
Savants 1885, 148 und nach ihm Rırrzr IV, 567 aus einem ungedruckten 
Commentar zum Phädo anführt: ὅτι of μὲν ἀπὸ τῆς λογιχῆς φυχῆς ἄχρι τῆς ἐμ- 
ψύχου ἕξεως ἀπαθανατίχζουσιν ὡς Νουμήνιος. Dass dieser die platonischen Aecus- 
serungen fiber den Eintritt von Menschenseelen in Thiere im eigentlichen 
Sinn nahm, sagt auch Ann. Gaz. Theophr. S. 16 Barth. Auch Kronius, der 
immer mit Numenius zusammengestellt wird, nahm nach Nxuzs. nat. hom. 

. . 


‘ 


ι 


Kronius, 009 


setzte Numenius als Pythagoreer in die Zahl!). Als ihr höchstes 
und einziges Gut bezeichnet er die Binsicht, durch die wir allein 
am Göttlichen theilnehmen 3); die Einsicht selbst ist ein Geschenk 
der Gottheit, eine Mittheilung derselben an die menschliche Seele, 
welche durch die Gleichheit ihres beiderseitigen Wesens bedingt 
ist”); um sie zu erlangen, muss man von allem Sinnlichen sich 
abwendend allein in völliger Stille mit dem Urguten verkehren ; 
doch wird die Betrachtung der Zahlen als der Weg zur Erkennt- 
niss des Guten empfohlen *). 

Neben Numenius wird nicht selten Kronius genannt, wel- 
cher ein Schüler oder doch ein Zeitgenosse von jenem gewesen 
zu sein scheint®). Dass er der gleichen Richtung zugethan war, 
lässt sich.auch aus dem wenigen, was uns von seinen Ansichten 


8. 51 einen UÜebergang der vernünftigen Beele in Thierleiber an. Durch diese 
Erklärang ist wohl Rırrzz’s Bedenken a. a. O. gehoben. 

1) Psoxı. in Tim. 187, A, demzufolge Num. die οὐσία ἀμέριστος und μέερι- 
στὴ, aus welcher die Beele nach Plato zusammengesetzt ist, mit andem von 
der Einheit und der unbestimmten Zweiheit erklärte; nach Demselben ebd, 
226 B scheint Numenius die Seel» näher als Tetraktys bestimmt und dafür 
dem seltsamen, aber bei einam Neupythagoreer gar nicht unglaublichen Grund 
angegeben su haben, dass das Wort ψυχὴ aus vier Baohstaben besteht. 

2) B. Eus. pr. ev. XI, 22, ὅ. 18, 8. 

8) A. a. O. 18, 8, wo die Mittheilung des Wissens an den Menschen mit 
dem Ansünden eines Lichts an einem andern verglichen wird; αἴτιον δὲ τούτου 
... οὐδέν ἐστιν ἀνθρώποον, ἀλλ᾽ ὅτι Bis τε χαὶ οὐσία ἢ ἔχουσα τὴν ἐπιστήμην ἣ αὐτή 
ἐστι παρὰ τῷ δεδωχότι θεῷ καὶ παρὰ τῷ εἰληφότι ἐμοὶ χοὰ σοί, Vgl. ψλμδι. b. Bros. 
EkL I, 866: Numen. gehöre unbestreitbar zu denen, οἵτινες καὶ ἐν τῇ μεριστῇ 
ψυχῇ τὸν νοητὸν χόσμον καὶ θεοὺς καὶ δαύμονας καὶ τἀγαθὸν χοὶ πάντα τὰ πρεσβύτερα 
ἐν αὐτῇ ἐνιδρύουσι καὶ ἐν πᾶσιν ὡσαύτως πάντα εἶναι ἀποφαίνονται, οἰχείως μέντοι 
κατὰ τὴν αὐτῶν οὐσίαν ἐν ἑχάστοις. 

4) Eus. 232,1 ἢ, wo Num. sagt, das ἀγαθὸν lasse sich aus keinem Gage- 
benen (παραχείμενον), auch nicht aus einem ὅμοιον αἰσθητὸν erkennen; man 
müsse ὁμιλῆσαι τῷ ἀγαθῷ μόνῳ μόνον, da, wo schlechterdings nichts anderes 
sei, ἀλλά τις ἄφατος χαὶ ἀδιήγητος ἀτεχνῶς ἐρημία θεσπέσιος, und os selbst, dv 
εἰρήνῃ, ἐν εὐμενείᾳ u. 8. w. ἐποχούμενον τῇ οὐσίᾳ. Um dasu zu gelangen, sei das 
beste, dass man von der Sinnenwelt absehend sich mit der Matisematik be- 
sebäftige, und aus der Betrachtung der Zahlen lerme, τί ἐστι τὸ ἕν, — Einige 
weitere, wenig erhebliche Bätze des Numenius finden sioh bei Ponrn, antr. 
nympb. 10. 31. 83. Pxoxı. in Tim. 141, E. 

5) Bei Pozr=. antr. Nymph. 21 heisst er sein ἑταῖρος, was aber nicht blos 
einen Freund oder Bchäler, sondern auch einen Meittungsgemassen bedeuten 
kann. 


208 Harpokration. Hermetische Schriften. 


bekannt ist, abnehmen!). Derselben Zeit gehört Harpokra- 
tion, der Schüler des Attikus an ?), von dem wir aber gleichfalls 
nicht mehr wissen, als dass er der Lehre des Numenius von den 
drei Göttern folgte?), und dass er mit Kronius und Numenius das 
Böse aus dem Leib ableitete, und desshalb die Verbindung der 
Seele mit einem Leibe unbedingt für ein Uebel erklärte), Noch 
etwas früher müsste die Abfassung einiger hermetischen Schriften 
gesetzt werden, wenn wirklich schon Apulejus eine solche über- - 
setzt hätte. Allein alle diese Schriften tragen viel zu deutliche 
Spuren der neuplatonischen Lehre, als dass wir sie noch in unsern 
Zeitabschnitt verlegen könnten’). Dagegen muss hier noch des 


1) Seine Ansicht über die Seelenwanderung wurde schon 8. 198, 2 be- 
rührt, Weiter sagt Jaupt. b. Sros. Ekl. I, 896. 912, er lasse das Böse mit 
Numenius aus der Materie in die Beele kommen, und halte mit demselben 
jedes Eintreten der Seele in einen Leib für ein Uebel. Aus Porra. antr. nymph. 
3 f. 31 schen wir, dass er diesem Nenplatoniker in der allegorischen Deutung 
der homerischen Stelle Od. XIIL, 846 ff. vorangieng, und dabei die zwei Ein- 
‚gänge der Nymphenhöhle, mit Numenius, von den swei Wendekreisen erklärte. 

2) M. vgl. über ihn 1. Abth. 8. 718 unt. . Seinem ὑπόμνημα εἰς Πλάτωνα 
scheinen die Erklärungen platonischer Stellen entnommen zu sein, welche ” 
Orrsrıopor in Alcib. 8. 48 u. Creuz. und der Verfasser der Scholien in 
Fınoxnu’s Ausgabe von Olympiodor’s Commentar sum Phädo dfters (m. s. ἃ. 
Register) anführt. Ihm mag der Aelian nahe stehen, aus dessen Commentar 
sum Timäus Pozra. in Ptolem. Harm. 8. 216 f. ein Bruchstück mittheilt, 

8) Psoxt. in Tim. 98, B: ἕπεται γὰρ [᾿Αρποχρ.] τῷδε τῷ ἀνδρὶ (Numen.) 
κατὰ τὴν τῶν τριῶν θεῶν παράδοσιν καὶ χαθόσον διττὸν ποιέΐ τὸν δημιουργὸν (vgl. 
8. 196, 8);. in der Bezeichnung dieser drei Götter herrsche aber bei ihm grosse 
Verwirrung: er nenne bald den ersten Οὐρανὸς und Κρόνος, den zweiten Zeus, 
den dritten οὐρανὸς und χόσμος, bald aber auch den ersten Zeus und βασιλεὺς 
τοῦ νοητοῦ, den zweiten ἄρχων (Arohon nannte der Gnostiker Basilides den 
Weltschöpfer). 

4) Bros. Ekl. I, 896. 912. 

5) Der Asklepios des Hormes Trismegistus befindet sich allerdings 
in lateinischer Bearbeitung schon unter den Werken des Apulejus; indessen 
lässt die Sprache derselben gar keinen Zweifel darüber übrig, dass diese Ueber- 
setzung nicht von Apulejus herrühren kann, wie diess schon Bossona ganz rich- 
tig erkannt hat, den HıLpzazann 8. KLIX ff. seiner Prolegomenen mit schwachen 
Gründen zu widerlegen sucht. Ebenso augenfällig ist das neuplatonische im 
Inhalt der Schrift, und die Beziehung auf die Verhältnisse der byzantinischen 
Zeit (0. 24-26). Diese ganze hermetische Litteratur ist ein trüber Nioder- 
schlag aus der späteren Mischung verschiedenartiger Elemente, mit dem für die 
Geschichte der Philosophie nichts anzufangen ist, und mag es vielleicht auch 


, Platonisirende Stoikor. ως 869, 


merkwärtligen Umstends ermälmt werden, duss nach der spätere 
Stoicismus in eine Richtung gerathen war, die semen Uebergang 
m den Neuplatonismus wesentlich erleichtern musste, 


8. Platonisirende Stoiker. 


Der Stoicismus war in seiner Weltansicht ursprünglich streng 
monistisch gewesen, indem er den Gegensatz von Natur und Geist, 
Stoff und Form, einerseits durch seinen Materialismus, andererseits 
durch seine Lehre von der allbestimmenden göttlichen Vernunft, 
seinen pantheistischen Determinismus, aufhlob. Dieselbe unbe- 
dingte Herrschaft der Vernunft über den Stoff auch für’s sittliche 
Leben herzustellen, war das Ziel seimer Ethik. Aber die einsei- 
tige Richtung derselben machte es ihm unmöglich, dieses Ziel 
anders zu erreichen, als durch die Ausschliessung und Unter- 
drückung der Individualität, und die Folge dieser Einseitigkeit war 
der ethische Dualismus von Vernunft und Sinnlichkeit in den Em- 
zelnen, von Weisen und Tboren in der Weit. Ebendamit war 
aber zugegeben, dass die Wirklichkeit durchaus nicht so vollstän- 
dig von der Vernunft bestimmt sei, wie diess aus der stoischen 
: Metaphysik eigentlich folgte. Ueber diesen Widerspruch konnte 
der Stoicismus hinwegkommen, so lange er hoffen durfte, ihn 
durch sich selbst zu überwinden, die Herrschaft der Vernunft durch 
philosophische Erkenntniss herbeizuführen. Je’ weniger aber im. 
Lauf der Jahrhunderte dieses Ziel erreicht wurde, je trostloser 
sieh trotz aller Philosophie die Zustände der Wirklichkeit gestal- 
teten, um so mehr musste auch bei den Stoikern der Glaube an die 
gleichmässige Vernünftigkeit alles Wirklichen wankend werden, 
sie mussten geneigt werden, die Herrschaft der wahren Philosophie 
und Sittlichkeit von einem Eingreifen der Gottheit in den Welt- 
kauf, von einer höheren Offenbarung zu erwarten; und die Mög- 
lichkeit, ja die Nothwendigkeit einer solchen hatten sie jä schon 
lingst durch ihre Vertheidigung des Weissagungsglaubens aner- 
kannt!). Je ausschliesslicher andererseits das sittliche Heil in 


Et nn 


schon früher bermetische Bücher gegeben haben (Pıur. de Is. 61), wir haben- 
fdenfalls nichts mehr davon, wenigstens nicht in seiner ursprünglichen 
Gestalt. 


1) Vgl. 1. Abth. 8. 822. 


9098 Platomisirende Btoiker 


der Zurückziehung aus dem Aeussexen und aus der eigenen Sinn- 
lichkeit: gesucht wurde, um so weniger konnten sie sich dem Ze- 
geständniss entziehen ,. dass der Geist auch seiner Natur wach von 
allem Aeussern und Körperlichen verschieden sein müsse, und dass 
das wahre Wesen der Dinge überhaupt nur in diesem ihrem un- 
körperlichen Bestandtheil zu suchen sei. Der monistische Mate- 
rielismus des stoischen Systems wurde so durch seinen ethischen 
Duslismus aufgelöst, und aus dem ethischen Idealismus erzeugte 
sich die Hisneigung zu einer spiritualistischen, Metaphysik, welche 
nur weiter verfolgt werden durfte, um die Steiker sur platoui- 
schen, oder doch:zu einer platonisirenden Lehre hinzuführen. 

. Die ersten Anzeichen dieser Veränderung haben wir schon 
in der platonisienden Psychologie des Posidenius erkaent‘). 
Bestimmier treten dieselben bei Seneca hervor. Es ist schon 
früher gezeigt worden, wie stark sich dieser Philosoph über die 
sitkliche Schwäche der menschlichen Natur und die Unvollkommen- 
heit: das menschlichen Lebens ausspricht; wie nachdrücklich der 
Gegenseiz des Leibes und der Seele, der vernünftigen und der 
unvernünftigen Seelenkräfte, und weiterhin der des gegenwärtigen 
und des künftigen Lebens van. ihm betont wird; wie er auch in 
geiner Theologie zu einer bestimmteren Unterscheidung von Gott 
.wnd Welt hinneigt 5. Seine Aeusserungen geben allerdings 
grösstentheils noch nicht wirklich über die Grenzen der stoischen 
Metaphysik hinaus °), aber sie bezeichnen doch schon deutlich den 
Punkt, an welchem der spätere Stoicisuus dieselben zu über- 
schreiten in Gefahr stand. 

Bei Epiktet und Mark Aurel finden wir sie wirklich 
überschritten. Der Anfang der Philosophie ist nach Epiktet das 
Gefühl der Schuld und der Hülfsbedürftigkeit 4); sie soll uns, wie 
Antenin ausführt 5), in der Eitelkeit eines Lebens, das uns täuscht, 
wie ein Traum, und hiuschwindet, wie ein Rauch, einen Hali 


1) A. =. 0. 8. 516 κ΄. 

2) A. a. O. 288 ἢ. 688 f. 187 f. 626 £. 

3) Nur seine Psychologie ist, wie die des Posidonius, mehr platonisch, 
ale stoisch. 

4) Vgl. 1 Abth. 663. 

δὴ) Ebd. 678, 1. xp. ἑαυτ. X, 81: οὕτως γὰρ συνεχῶς θεάσῃ τὰ ἀνθρώκινά 
χαπκνὸν xt τὸ μηδέν, 


Beneoa. Bpiktet und M. Aurel, 808 


geben. Die Philosophie ist also für diese späteren Stoiker nicht 
mehr, wie für die Alten‘), die freie Thätigkeit des hedürfniss- 
. iosen Geistes, sondern sie ist wesentlich das Mittel zur Befriedi- 
gung eines sittlichen und gemüthlichen Bedürfnisses: ihre Bestim- 
mung ist die, dem hülfsbedürfligen Stärkung, dem von der Nich- 
tigkeit aller menschlichen Dinge gebeugten Gemüthe Trost zu 
bringen, ihr Motiv ist die Sorge des Menschen um sein Seelenbeil, 
sein sittliches Wohl*), der Philosoph ist, wie Epiktet sagt”), 
ein Arzt für den Kranken. Seine Lehre δαὶ daher von Hause aus 
emen religiösen Charakter, denn das gleiche Gemüthsbedürfnies 
ist die ursprüngliche Quelle der Religion, und eine Weltansicht, 
die dadurch bestimmt wird, ist in letster Beziehung eine religiöse 
zu nennen. Die Philosophie, beichrt uns Epiktet, ist etwas heili- 
ges und geheimnissvolles, ein Mysterium, das nicht durch leicht- 
sinnige Behandlung gemein gemacht, eine Sache von der äussersten 
Wiehtigkeit, die nicht ohne den Beistand der Gottheit unternow- 
men werden darf“); der wahre Weise ist ein Priester und Diener 
der Götter®), ein Bote, den Zeus den Menschen gesandt hat, um 
sie zu belehren, dass sie mit ihren Vorstellungen von Gütern und 
Uebeln in der Irre gehen, ein Herrscher, den er selbst mit Scepter 
und Diadem geschmückt hat, um ihnen zu zeigen, dass der Mensch 
vollkommen glückselig sein kann, auch wenn er gar nichts in der 
Welt sein nennen darf®); nicht dieser Mensch ist es, der zum Guten 
ermahnt, sondern die Gottheit spricht durch seinen Mund, und der 
Gottheit widersetzt sich, wer seine Worte gering achtet"). Bs ist 


1) Z. B. Axzıstor. Metaph. 1, 2. 

3) Vgl. M. Aust. II, 14: σαυτῷ βοήθει, el τί σοι μέλει σεαυτοῦ, ἕως ὅξε- 
σιν. End. V, 11 ua. , 

8) Vgl. 1. Abth. 662, 8; mit dem Arst vergleicht auch M. Aurel ΠῚ, 18 
den Philosophen. 

4) Diss. III, 32, 2: ὁ δίχα θεοῦ τηλιχούτῳ πράγματι (dem cynischen Leben) 
ἐκιβαλλόμενος θεοχόλωτός ἐστι, Ebd. 58. Ebd. 21, 11-20. 

5) M. Acazı II, 4, m.: ὃ γάρ τοι ἀνὴρ ὁ τοιοῦτος ... ἱερεύς τίς ἐστι wor 
ὑπουργὸς θεῶν, χρώμενος καὶ τῷ ἔνδον ἱδρυμένῳ αὐτοῦ (der Dämon, ἃ. h. die Ver- 
nenft des Menschen). Erızr. Diss. III, 22, 82, wo der Cyniker τοῦ κοινοῦ πα- 
τρὸς ὑκηρέτης τοῦ Διὸς heisst. 

6) Erner. Diss. ΠῚ, 22, 28. ΕΥ̓͂, 8, 30. 

NA. ἃ. Ο.ὔ IH, 1, 86: σαυτῷ εἰπέ: ταῦτά μοι ᾿Ἐπίχτητος οὐκ εἴρηχε᾽ πόθεν 
γὰρ ἐκείν, ἀλλὰ ϑεός τίς ποτ᾽ εὐμενὴς δι᾽ ἐκείνου. ἄγε οὖν τῷ θεῷ πεισϑώμεν, ἵνα μὴ 


204 -  Platonisirende Stoiker 


daher ganz natürlich, dass die sittliche Ermahnung auf diesem 
Standpunkt mit Vorliebe auf religiöse Beweggründe gestützt, dass 
an die göttliche Allwissenheit erinnert, dass der Mensch auf- 
gefordert wird, vor der Gottheit, wie vor sich selbst, rein zu 
erscheinen, dass das sittlich Gute selbst als Gabe der. Gottheit, die 
Unsittlichkeit als Gottlosigkeit dargestellt wird'). Um so weniger 
musste ein Epiktet und Mark Aurel geneigt sein, von der in ihrer 
Schule herkömmlichen Verehrung der Volksreligion abzuweichen; 
doch haben wir gefunden, dass sich wenigstens jener in dieser 
Beziehung von dem Aberglauben des orthodoxen Stoicismus frei 
hielt®), wogegen Mark Aurel allerdings dem Glauben an göttliche 
Offenbarungen mehr einräumte, und gottesdienstlichen Uebungen 
eifriger ergeben war, als diess im ganzen bei den römischen Stoi- 
kern der Fall zu sein pflegt®). Derselbe nähert sich auch in der 
Art, wie er die philosophische Zurückziehung von allem Aoussera 
auffaxst, jener Ansicht über die Ekstase, in welcher der Neuplato- 
nismus sein letztes Ziel findet. Wirst du einmal, fragter X, 1 


1) Erızr. Diss. II, 18, 19. 19,29. Μ, Auszı V, 27. IX, 1. ΧΙ, 8. 18. 
4) 3. Abth. 666 f£. 

"3) Vgl. 1. Abth. 8. 680. Welchen Werth er den gottesdienstliohen Ge- 
bräuchen beilegte, zeigte M. Aurel namentlich in dem grossen Markmannen- 
kriege, welcher seit 168 n. Ohr. die Schreoken des eimbrischen Einfalls im 
Bom erneuerte. Tantus autem (sagt Carıtouın. Ant. philos. 18) terror beils 
Marcomannici fwit, ut undique sacerdoiss Antoninus acciverit, porogrinos rüus 
impleverit, Romam omni genere lusiraverü, retardatusque a beilica profectione 
sit. celebravit δὲ romano ritu lectisternia per VII dies. Nach Lucıan Alex. 48 
soll es sogar vorgekommen sein, dass auf den Bath des Alexander von Abo- 
noteichos aus dem römischen Lager zwei Löwen unter feierlichen Opfern in 
die Donau gejagt wurden, um den Feinden Verderben zu bringen, welche aber 
‘von den Barbaren für eine Art ausländischer Hunde gehalten und mit Knittela 
todigeschlagen worden seien. Auch diess könnte, wenn es wahr ist, kaum 
ohne Vorwissen des Kaisers geschehen sein, denn Lucian erklärt es aus- 
dräcklich aus den Verbindungen, welche Alexander bei Hofe gehabt habe, und 
sagt, es sei geschehen, ὅτε θεὸς Μάρχος ἤδη τόϊς Μαρχομάνοις καὶ Κουάδοις auve- 
πλέκετο. Kann man nun auch sagen, diess seien παπδομοὶ Mittel zur Beru- 
higung des Volks gewesen, so muss doch der Kaiser auch für sich selbst 
auf diese Dinge mehr als billig gehalten haben, wenn er sie mit einem Eifer 
betrieb, der sogar seinen eigenen Zeitgenossen aufliel, Auch seine Strenge 
gegen die Christen (worüber meine Vortr. und Abhandl. 8. 98 ff, ε, vgl.), ist 
ein Beweis seiner Anhängliohkeit an die bestehende Religion. ᾿ 


Epiktoet und M, Aurel. 208 


seine Seele, wirst. du einmal gut und lauter (ἀπλῆ) und einig, und 
waverhüllt sein, durchsiehtiger als der Körper, der dich umgiebt ? 
wirst du einmal satt und bedürfnisslos sein, und keinerlei Genuss 
mehr verlangen, sondern mit deinem gegenwärtigen Zustand dich 
schlechthin begnügen? Beunruhige dich nicht, ruft er IV, 26 sich 
selbst zu, vereinfache dich (ἄπλωσον σεαυτόν). Es ist diess aller- 
dings noch nicht wirklich die ekstatische Zurückziehung und Ver- 
einfackung des Geistes, wie wir.sie bei den Neuplatonikern finden 
werden, demn das unterscheidende Merkmal der letztern, die be- 
wusstlose Versenkung in's göttliche Wesen, fehlt bei Antonin; 
aber doch ist das, was er verlangt, mehr, als nur die sittliche Lau- 
terkeit der Gesinnung 1), oder die altstoische Apatbie; er fordert 
meht blos, dass die Seele von dem Asusseren nicht beunruhigt 
werde, sondern dass es gar nioht mehr für sie existire und sie 
sicht berühre 9, und indem er nun das Fürsichsein der Seele mit 
Vorliebe als ihren Verkehr mit dem Dämon in ihrem Innern he- 
zeichnet®), so wird. dadurch die Ansicht vorbereitet, welche als 
Preis der vollendeten Abkehr vom Endlichen eine unmittelbare 
Berührung mit der Gottheit verspricht. 

Mit dieser Schärfung der stoischen Abstraktion von der Sinn- 
lichkeit stimmt es nun auf’s beste, wenn unsere Stoiker den Geist 
auch seinem Wesen nach bestimmter vom Leib unterscheiden. 
Schon bei Epikiet lässt sich diess bemerken, wenn er dem Leib 
aus Koth (σῶμα πήλινον), der der äusseren Nothwendigkeit unter- 
worfen ist, den Willen als das allein freie entgegensetzt ), wenn 
er die Sehnsucht der an den Körper gebundenen Seele schildert, 
zu der Gottheit, der sie entsprungen ist, zurückzukehren °), wenn 
er den Leib und die Vernunft (λόγος) als die zwei Bestandtheile 
des menschlichen Wesens bezeichnet®), und den Menschen eine 
Seele nennt, die einen Leichnam trage”). Noch entschiedener wird 


1) An welche man allerdings in anderen Stellen, wie XI, 15. X, 83, bei 
der ἁπλότης zunächst zu denken hat. 

2) M. vgl. hierüber auch 1. Abith. 8. 682. 

8) IL 18. 17. IH, 6 m; 13. 16. V, 27 vgl. 1. Abth. 297. 

4) Diss. IV, 1, 100. 

δ) Ebd. 1, 9, 10-18. 

6) 1,8, 8, ΄ 

Ἢ Fr. 176, b. Anronm IV, 41 vgl. Diss. II, 19, 31: zeigt mir einen 


- 


ws Platonisirende Btoiker. 


aber diese Unterscheidung von Mark Aurel ausgesprochen, wel- 
chem sie so feststeht, dass seine Anthropologie der platonischen 
ungleich näher kommt, als der altstoischen. Indem er erwägt, um 
wie viel besser die Seele ist, als der Körper, und wie vielfach sie 
von diesem gestört wird, so erscheint ihm der Leib nur als ein 
schlechtes Gefäss, als eine drückende Umhüllung , in welche die 
Seele gebannt ist, und er weiss die gänzliche Ungleichheit beider 
gar nicht stark genug auszudrücken?); je bestimmter er aber 
hiemit das thätige in uns dem siofflichen entgegensetst Ὁ, 80 
weniger genügt es ihm, das erstere nur in stoischer Weise als 
laftartige Substanz, als ein materielles πνεῦμα zu beschreiben 5), 
er unterscheidet‘ vielmehr von diesem den Geist, und zählt dem- 
nach drei Theile des Menschen: die groben Stoffe, oder den Leib, 
die feineren Stoffe oder die Lebensluft, die wohl auch ungenauer 
Seele genannt wird, und als drittes das unkörperliche Wesen, 
welches das eigentliche Selbst ausmacht, den Geist oder die Ver- 
nunft (νοῦς, dıkvomw)*). Das gleiche muss dann aber auch vom 
Weltganzen gelten, auch in ihm muss die wirkende Kraft von dem 


Mann, θεὸν ἐξ ἀνθρώπου ἐπιθυμοῦντα γενέσθαι, καὶ ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῶ νεχρῷ 
περὶ τῆς πρὸς τὸν Δία χοινωνίας βουλευόμενον. Ganz Ahnliches findet sich bei 
Philosophen der neuplatonischen Richtung, z. B. Paıto L. alleg. ΠῚ, 100 M. 
ant. 78, Ὁ H. De gigant 264 M. 286, A H. u. ὅ. 

. 1) III, 8: nach dem Tode παύσῃ πόνων κοὰ ἡδονῶν ἀνεχόμενος zat λατρεύων 
τοσούτῳ χείρονι τῷ ἀγγείῳ ... τὸ μὲν γὰρ νοῦς καὶ δαίμων, τὸ δὲ γῆ καὶ λύθρος. 
Vgl. IX, 8: τὴν ὥραν ἐν ἢ τὸ ψυχάριόν σου τοῦ ἔλύτρου (Hülse) τούτου ἐχπεσεῖται. 

4) IX, 25: ἴϑι ἐπὶ τὴν ποιότητά τοῦ αἰτίου καὶ ἀπὸ τοῦ δλικοῦ αὐτὸ περιγράψας 
θέασαι. Dieselbe Unterscheidung des ὁλικὸν und αξειώδες IV, 21. V, 18. ΥἹΙ, 

10. 29. XII, 8. 10, 18. 29. 

8) IV, B med. οὐχ ἐκιμίγνυται λείως A τραχέως χινουμένῳ πναύματι ἣ διάνοια. 

4) U, 2: ὅ τί ποτε τοῦτό εἶμι σαρχία ἐστὶ καὶ πνευμάτιον χαὶ τὸ ἡγεμονικόν. .... 
θέασαι δὲ καὶ τὸ πνεῦμα ὁποῖόν τί ἐστιν" ἄνεμος ἃ. 5. w. III, 16: σῶμα, ψυχὴ, νοῦς" 
σώματος αἰσθήσεις, ψυχῆς ὁρμοὶ, νοῦ δόγματα. (Altstoisch gebören alle Seelen- 
thätigkeiten dem ἡγεμονιαὺν an.) XII, 8: τρία ἐστὶν ἐξ ὧν συνέστηκας, σωμάτιον, 
πνευμάτιον, νοῦς ... τὸ δὲ τρίτον μόνον χυρίως σόν. Ebd. τοῦ πκεριχειμένονυ σοι σω- 
ματίου ἢ τοῦ συμφύτου πνευματίου. Dieselben drei Theilo werden XI, 20 so auf- 
gesählt: τὸ πνευμάτιον καὶ τὸ πυρῶδες πᾶν, To γεῶδες χαὶ To ὑγρὸν, τὸ νοερόν. 
Daneben allerdings auch wieder V, 38 der Satz des stoischen Matarialismus: 
das ψυχάριον (mit dem hier die ganze Boele gemeint zu sein scheint) sei ἀνα- 
θυμίασις ἀφ᾽ αἵματος." 


Epiktet und M. Aurel. . 2097 


leidenden Substrat bestimmter unterschieden werden !); und wol- 
len wir auch in dieser Beziehung darauf kein Gewicht legen, dass 
Epiktet bei Gelegenheit sagt, das Wesen Gottes bestehe in der 
Vernunft und dem Wissen ?), so ist um so mehr die Aeusserung 
Mark Aurel’s zu beachten, dass Gott alle Seelen rein von den kör- 
perlichen Hüllen anschaue, indem sich seine Vernunft mit ihren 
Ausflüssen unmittelbar berähre 5). Verbinden wir mit dieser Er- 
klärung die vorhin angeführten psychologischen Ansichten, so 
ergiebt sich sowohl vom göttlichen, als vom menschlichen Geist 
eine Vorstellung, welche von dem altstoischen Materialismus weit 
abliegt; und kam es auch innerhalb der stoischen Schule nicht 
zım klaren Bruche mit ihren überlieferten Dogmen, so lässt sich 
doch die Veränderung, welche auch mit ihr vorgegangen wear, 
nicht verkennen. Die wissenschaftliche Sicherheit, das unbedingte 
Selbstvertrauen des älteren Stoicismus war nicht mehr zu finden; 
während man früher in der eigenen Willens- und Denkkraft be- 
friedigt gewesen war, bedurfte man jetzt der Anlehnung an eine 
religiöse Ueberzeugung, das Gemüth wandte sich mit Sehnsucht 
und Hingebung der Gottheit zu, von der es allein die Kraft zu er- 
halten hoffte, um über die menschliche Schwäche und die Noth des 
Lebens Herr zu werden. Noch weit stärker war aber diese Denk! 
weise in dem gleichzeitigen Platonismus und Pythagoreismus aus- 
gebildet. Der Uebergang der bisherigen Systeme in die neue 
Form, die das dritte Jahrhundert gebracht hat, war von den ver- 
schiedensten Seiten her vorbereitet. Ehe wir jedoch dieses neue 
selbst untersuchen, müssen wir auch noch die eigenthümliche 
Erscheinung der jüdisch-griechischen Philosophie in’s ' Auge 
fassen. 


’ 


1) Diese Unterscheidung selbst war allerdings auch dem älteren Btoicis- 
mus nicht fremd (vgl. 1. Abth. 119, 5); aber da auch die Gottheit etwas kör- 
pezliches, und ihr Gegeusstz gegen die Stoße, welche den Leib der Welt 
bilden, nur ein abgeleiteter und vorübergohender sein soll, so bat sie hier - 
sicht die gleiche Bedeutung, wie bei Antonin. 

2) Diss, II, 8, 2. 

8) ΧΙ, 2: ὃ θεὸς πάντα τὰ ἡγεμονιχὰ γυμνὰ τῶν ὁλιχῶν ἃ ἀγγείων χαὶ φλοιῶν 
ταὶ χαθαρμάτων ὁρᾷ. μόνῳ τῷ ἑαυτοῦ νοερῷ μόνων ἅπτεται τῶν ἐξ ἑαυτοῦ εἰς ταῦτᾳ 
Wire καὶ ἀπωχεταωυμένων. 


208 Jüdisch-griechische Philosophie. 


II. Die jüdisch-griechische Philosophie. 
1. Die alexandrinische Philosophie vor Philo. 

Man könnte zweifelhaft sein, ob in einer Geschichte der 
griechischen Philosophie auch die jüdisch - griechische zu erwäh- 
nen sei. Indessen zeigt uns diese doch ähnlich, wie die römisch- 
griechische, eine eigenthümliche Form der griechischen Wissen- 
schaft aus der Zeit ihrer Ausbreitung im macedonischen und römi- 
schen Weltreich; und bei den damaligen Verhältnissen des wissen- 
schaftlichen Verkehrs lässt sich eine Rückwirkung dieser halb 
orientalischen Spekulation auf die hellenische fast mit Sicherheit 
voraussetzen, wenn eg auch nicht gelingen sollte, sie im einzelnen 
nachzuweisen. Nur werden wir uns freilich, um die Grenzen 
unserer Aufgabe nicht zu überschreiten, auf die philosophische 
Seite unseres Gegenstandes beschränken müssen, ohne die positive 
- Dogmatik eines Philo und seiner Vorgänger einer genaueren Unter- 
suchung zu unterwerfen. Aus demselben Grunde können wir 
auch (wie schon Seite 64 bemerkt wurde) auf eine zweite Form 
griechisch-orientalischer Spekulation, auf die christliche Gnosis 
der ersten Jahrhunderte, die häretische sowohl, als die orthodoxe, 
hier nicht eingehen. 

Ueber die erste Entstehung der jüdisch - alexandrinischen 
Philosophie fehlt es uns gänzlich an Nachrichten, und nur 
ihre allgemeinen Entstehungsgründe können wir theils aus ihrem 
späteren Charakter, theils aus den Verhältnissen jener Zeil 
erschliessen. Schon unter Alexander dem Grossen waren neben 
anderen auch Juden nach Alexandrien verpflanzt worden; 
ihre Zahl vermehrte sich unter den ersten Ptolemäern be- 
deutend, manche von ihnen erfreuten sich einer einflussrei- 
chen Stellung am Hofe und im Heere!), und von der Gunst der 


1) Bo jener Joseph, der Schwestersohn des Hohenpriesters Onias, wel- 
cher sich durch Gewandtheit und Bestechung bei Ptolemäus Euergetes (2346— 
221) in hohe Gunst zu setzen wusste, und 22 Jahre lang die Steuern von gans 
Syrien in Pacht hatte (Joszrn. Antigg. XI, 4); so Onias und Dositheus, 
welche in der letzten Zeit des Ptolem&us Philometor (181—146), Chelkias und 
Ananias, welche unter Kleopatra II. u. Ptol. Lathurus (107 f.) die wichtigsten 
Befehlshaberstellen bekleideten (Jos. c. Ap. II, 5. Antiquitt. XIII, 10,4. 18, 1f.). 
Schon Ptol. Lagi soll in mehrere feste Plätze jüdische Besatsungen gelegt ha- 
ben, weil er sich auf diese besonders verliess (Jos. c. Ap. II, 4); um die Mitte dos 


Ihre Entstehung. 209 


meisten Könige geschützt, fassten sie so festen Fuss in Aegypten, 
dess sie sich bald über das ganze Land verbreitet hatten, und 
namentlich von der Bevölkerung seiner Hauptstadt einen namhaften 
Theil ausmachten !). Der eifersüchtige Hass des heidnischen Pö- 
beis und die vereinzelten Verfolgungen unter den späteren Ptole- 
mäern blieben im ganzen wirkungslos; erst die Leiden der römischen 
Periode, und namentlich die grausame Verfolgung unter Caligula, 
scheinen in Verbindung mit den Stärmen, welche nicht lange nach- 
ker über seine palästinensische Heimath hereinbrachen, die Blüthe 
des Judenthums in Aegypten für immer zerstört zu haben ἢ. Es 
war natürlich, dass die Juden nicht allzulange unter diesen Ver- 
kälteissen leben könnten , ohne die Einflüsse der griechischen Gei- 
stesbildung zu erfahren, und eine Ausgleichung des neuen, was 
sie vn dieser Seite her in sich aufnahmen, mit ihrer bisherigen 
Bildungsform zu versuchen. Nach besonderen Veranlassungen 
dieser Verändereng braucht man sich nicht umzusehen, besondere 
Zwecke und Absichten braucht man dabei nicht vorauszusetzen; ‘ 
es genügt für ihre Erklärung an dem thatsächlichen Verhältnisse, 
dess die Juden von ihrem Vaterland und ihrem ursprünglichen 
Staatsverbande getrennt waren, dass sie als eine geduldete Minder- 
zehl in einem von Hellenen und hellenischer Bildung beherrschten 
Lande lebten, dass ihnen das Uebergewicht der letztern bei jeder 


esten Jahrhunderts finden wir*die Stellung von Pelusium, das Thor Aegyp- 
tens gegen Nordosten, von Juden bewacht (Jos. Antt. XIV, 6, 2. 8, 1 f.). 

1) Nach Puıro in Flacc. 971, C Hösch. lebte zu seiner Zeit in Aegypten 
eine Million Juden. Von den fünf Quartieren Alexandria’s waren zwei vor- 
zugeweise von Juden bewohnt, und auch in den übrigen waren deren nicht 
wenige; ebd. 973, A. 

2) Die näheren Nachweisungen für das obige bei Din» Geschichtliche 
Darstellung der jüdisch-alexandrinischen Religionsphilosophie I, 18 ff., EwaLv 
Gesch. d. V. Isra&l III, b, 267 f., Herzreı.n Gesch. d. V. Jisr. III, 486 Δ΄. Doch 
dürfen wir nicht übersehen, dass die Aussagen der jüdischen Geschichtschrei- 
ber über die Zahl, die Privilegien und das Ansehen ihrer Volksgenossen nur 

, kit grosser Vorsicht aufzunehmen sind, wie denn auch schon zur Zeit des» 

᾿ς  Josephus manehe Gelehrte den auf die persische und macedonische Zeit be- 
säglichen Angaben darüber wegen des Mangels an urkundlichen Beweisen 

| nisstrauten. Um sie zu widerlegen, will Josephüs (Antt. XIV, 10, 1) alle ihm 
bekanntgewordenen öffentlichen Erlasse su Gunsten seines Volkes aus der Pe- 

| ride der römischen Herrschaft aufzählen. Es fragt sich aber auch bei diesen, 

| δ᾽ sie alle Acht sind. 

| Pie. ἃ, Gr. III. Bd. 3. Abth. τος 14 


810 Jüdisch-griachische Philosopbie. 


Gelegenheit. fühlbar werden musste, dass für sie selbst jeder höhere 
Unterricht nur bei den Fremden zu finden war, dass die Vorstel- 
lung, welche sie sich bisher vom Heidentkum gemacht hatien, 
durch den Augenschein widerlegt wurde, dass selbst die heilige 
Sprache ihres Volkes nach wenigen Menschenaltern,, wie diess die 
alexandrinische Uebersetzung des alten Testaments beweist, bei 
den meisten durch die der heidnischen Eroberer verdrängt war, 
Es war gar nicht anders möglich, als dass die Nachkommen der 
jüdischen Einwanderer unter solchen Verhältnissen von der sie 
umgebenden Welt die bedeutendsten Einwirkungen erfuhren, dass 
sie die Reinheit und Abgeschlossenheit ihres nationalen Charakters 
nicht behaupten konnten, dass ihre jüdische Bildung in eing jüdisch- 
bellenistische übergieng. Besendere Gründe, wie die Abwebr heid- 
nischen Spottes, die Bemübung einzelner um Gunst und Einflufts und 
ähnliches kamen natürlich auch mit in’s Spiel, aber den geschieht- 
lichen Erklärungsgrund für die Erscheinung, mit der wir es zu 
thun haben, können sie nicht abgeben ; durchgreifend, wie diege 
ist, setzt sie auch Ursachen von durchgreifender Bedeutung 
voraus; alle jene besonderen Beweggründe und Veraulassungen 
sind daher nur die Formen, in denen sich eine allgemeinere Bewe- 
gung vollzog, die Leitungsdräbte, durch welche sich eine grössere 
geschichtliche Wirkung zu den einzelnen fortpflauzte; weit das 
meiste müssen aber auch in dieser Beziehung die unbewussten Ein- 
Hüsse des täglichen Verkehrs, der Sprache, der bürgerlichen und 
geselligen Zustände gethan haben''). 

Diese Verhältnisse mussten nun auf den geistigen Standpunkt 
der alexandrinischen Juden in doppelter Weise einwirken. Einer- 
seits mussten sie, aus ihrem nationalen Staats- und Volksleben in 
ein fremdes verpflanzt, die politische Seite ihrer Religion, den Zu- 
sammenhang der religiösen Lehren und Vorschriften mit den 
palästinensischen Verhältnissen, die Beziehung derselben auf das 
jüdische Gemeinwesen, mehr oder weniger aus den Augen verlie- 
ren, es musste wenigstens die Bedeutung dieses Elements für ihr 
eigenes religiöses Leben in hohem Grade abgeschwächt werden ; 


1) M. vgl. hierüber, und gegen den kleinlichen Pragmatiamus älterer 
und neuerer -Geschiebtsforscher, die treffenden Bemerkungen von L, Agoasu 
in der 8. 58 augeführten Abhandlung 8. H., 8. 69 ff. 84-96, 


Ihre Entstehung. 11 


andererseits nahmen sie unvermeidlich eine Menge Vorstellungen 
und Bestrebungen insich auf, welche ursprünglich auf hellenischem Ὁ 
oder heidnisch orientalischem Boden erwachsen 1), dem jüdischen 
Wesen innerlich fremd, ja entgegengesetzt waren. Beide Wirkun- 
gen, in Einem Punkte zusammentrefend, hatten eine Umbildung 
des Judenthums zur Folge, wodurch jenes aus seiner Abgeschlos- 
seaheit herausgeführt und mit den Ideen der griechischen Welt- 
anschauung befruchtet wurde. Die bedeutendste Rolle musste hie- 
bei netürlich der griechischen Philosophie, als dem Mittelpunkt des 
damaligen griechischen Geisteslebens, zufallen ; und mochte sie auch 
zunächst wohl mehr nur durch Vermittlung der allgemeinen Bil- 
dung auf das Judenthum einwirken, so musste doch auf Seiten des 
letstieren bald auch der Trieb erwachen, die Wissenschaft eines 
Volkes, mit welchem man in so enger politischer Verbindung und 
so vielfachem Verkehr stand, von dessen Lebens- und Denkweise 
man sich schon so vieles angeeignet, dessen Uebergewicht man 80 
vielfach erfahren hatte, an der Quelle selbst kennen zu lernen. 
Und je kräftiger nun das alexandrinische Judenthum vorher schon 
von dem griechischen Geiste berührt war, je bedeutendere An- 
knüpfangspunkte der jüdische -Monotheismus für die Ideen der 
griechischen Philosophen darbot, je mehr die religiöse Reflexion 
selbst, die im jüdischen Volke längst thätig war, zu spekulativen 
Fregen hinführte, um so natürlicher war es, dass die Bekanntschaft 
der alexandrinischen Juden mit der griechischen Wissenschaft in 
eine tiefere Betheiligung übergieng, dass sich eine jüdisch -grie- 
chische Philosophie entwickelte. 

Den wesentlichen Ausgangspunkt dieser Philosophie bildete 
fortwährend, wie diess der jüdischen Eigenthümlichkeit gemäss 
war, die jüdische Religion; die Philosophie sollte nur ein Hülfs- 
mittel für das tiefere Verständniss dieser Religion sein. In der 
Wirklichkeit musste sich aber freilich ihr Einfluss viel weiter er- 
ftrecken. Schon die Beschäftigung mit der griechischen Philo- 
sophie setzt ein Hinausgehen über das reine Judenthum voraus, 


1) Doch werden wir den Einfluss des orientalischen Heidenthums nicht 
hoch anschlagen dürfen, da der griechische Geist diesem zu weit überlegen 
War, und da auch die Juden selbst von den übrigen orientalischen Bildungs- 
formen night viel lernen konnten. Ganz anders verhielt es sich in dieser Be- 
sishung mit dem hellenischen Wesen. 

14* 


219 ᾿ Jüdisch-griechische Philosophie. 


und je umfassender philosophische Bestimmungen von so vefnm- 
schiedenartigem Ursprung und Charakter auf die jüdische Religion 
angewandt wurden, um so vollständiger musste diese sich umge- 
stalten. Nur. darf man sich die Sache nicht so vorstellen, als ob die 
Alexandriner sich dieser Abweichung von dem Glauben ihrer Väter 
bewusst gewesen wären. Unter dieser Voraussetzung wäre ihre 
ganze Philosophie, es wäre namentlich ihre durchgängige, so sicht- 
bar ernstlich gemeinte Anlehnung an’s alte Testament, und ihr 
mühseliges Allegorisiren schlechthin räthselhafl!). Sie wollten 
vielmehr gerade die wahren Juden sein, und den wahren Sian 
ihrer heiligen Bücher an’s Licht bringen; wenn dieser Sinn mit 
den Lehren der Philosophen übereinstimmte, so suchten sie den 
Grund davon nicht in ihrer Auslegung, sondern is den Schriften, 
welche sie auslegten, da diese vermöge ihres höheren Ursprungs 
alle, auch die philosophische Wahrheit enthalten mussten; und 
diese Ueberzeugung stand ihnen so fest, dass sie die Sätze, welche 
sie selbst erst aus der griechischen Philosophie in die Schrift 
hineingetragen hatten, vermöge einer merkwürdigen und doch so 
natürlichen optischen Täuschung, vielmehr umgekehrt aus der 
Schrift in die griechische Philosophie übergegangen sein liessen ?). 
Aus demselben Grunde war es ihnen auch nicht möglich, die bib- 
lischen Schriften ihrem ursprünglichen Sinne gemäss aufzufassen ; 
indem sie vielmehr als Juden ihre von den althebräischen so weit 
abweichenden Vorstellungen gerade durch diese Schriften begrün- 
den wollten, so musste sich ihnen der Sinn derselben unter der 


1) Wie dieses Geroren a. a. O. 8. H. 8.91 ff. 4. H. 8. 45 ff. sehr gut 
gezeigt hat, 

2) Wir werden den Behauptungen Aristobul’s und seiner Nachfolger über 
die Bekanntschaft der griechischen Weisen mit den alttestamentlichen Schrif- 
ten noch später begegnen. Wiewohl aber diese Behanptungen als solche 
eine offenbare Erdichtung sind, so setzen doch diese einzelnen Erdichtungen 
selbst schon die allgemeine Ueberzeugung voraus, dass die griechischen Phi- 
losophen zu der jüdischen Offenbarung im Verhältniss der Abhängigkeit ste- 
hen; und auf dem Standpunkt des jüdischen Offenbarıngsglaubens ergab sich 
auch wirklich diese Ueberzeugung mittelst einer sehr einfachen Folgerung: 
woher konnten denn jene Männer von den Wahrheiten, welche der Mensch- 
heit durch eine übernatürliche Offenbarung mitgetheilt waren, etwas wissen, 
wenn sie es nicht aus dieser Offenbarung erfahren hatten? Vgl. Gnoaaı 
ἃ. ἃ. Ο. 8, 86 ff. 


8 
---- τῶ Lo _ 


Ihr Charakter. Φ 3 


Hand umkehren, ihre Lehren und Erzählungen mussten ein an- 
deres bedeuten , als was sie ihrem Wortlaut nach aussagen, das 
ganze alte Testament musste allegorisch aufgefasst werden; und 


‚ auch hiebei würde man durchaus fehlgehen, wenn man bei den 


Alexandrinern selbst ein Bewussisein darüber voraussetzte, dass 
sie durch diese ihre Erklärung den ursprünglichen Sinn der heili- 
gen Schriften verändern. Dieses Bewusstsein hat soger den 
Stoikern gefehlt, denen die griechischen Mythen doch nur für 
Hythen galten, von welchen ihre eigene philosophische Ansicht an 
sich selbst ganz unabhängig war; den alexandrinischen Juden, 
weiche in den biblischen Büchern Urkunden einer göttlichen Offen- 
berang sahen, und ihre Glaubensvorstellungen nicht blos für 
andere, sondern auch für sich selbst nur an der Erklärung dieser 
Bücher zu entwickeln wussten, musste es noch weit mehr fehlen. 
Für sie war die allegorische Schrifterklärung die wesentliche Form, 
für die Bildung ihrer Ueberzeugungen;; und wie sehr sie auch dem 
Schriftwort Gewalt anthaten, sie selbst: glaubten nur den tieferen 
Sehriftsinn aufzuzeigen, indem sie den Buchstaben nach der Weise 
jener Zeit zum Symbol für Ideen machten, die ihm ursprünglich 
freilich fast durchweg ganz fremd waren 3). 

In ihrer Philosophie erscheinen die jüdischen Alexandriner 
zunächst als Eklektiker. Der Einheitspunkt ihres Systems liegt: 
unverkennbar nicht auf dem rein philosophischen, sondern auf 
dem religiösen Gebiete. Das tiefere Verständniss ihrer väterlichen 
Religion ist das letzte Ziel ihres Strebens, nur ein Mittel dazu ist 
ihnen die Philosophie. Sie bemühen sich desshalb auch durchaus’ 
nicht um strenge wissenschaftliche Consequenz, sondern was sie 
für ihren Zweck brauchbares bei den Philosophen vorfinden, das 
verwenden sie, unbekümmert darum, welcher Schule es angehört, 
in welchem Gedankenzusammenhang es ursprünglich gestanden 
hat. Ich werde später die Quellen nachweisen, aus denen Philo’ 
und seine Gesinnungsgenossen geschöpft haben. Indessen schliesst 
diese Benützung ihrer Vorgänger eine -eigenthümliche Welt- 
anschauung noch nicht aus, und wenn sie diese allerdings wissen- 
s&hafllich weniger entwickelt, und darum auch das überlieferte 


nn nn 


kn 1) Auch hierüber bandelt Guoraut schr gründlich a; a. O. 4. Heft 8. ὃ 
i 61. ' 


316 Jüdisch-griechische Philosophie. 


Alexandrinern selbst musste sie natürlich mit der Theologie ihres 
Volkes identisch, und darum nicht minder alt scheinen, als diese; 
aber auch die Neueren haben ihr immer noch ein höheres Alter 
zugeschrieben, als ihr nach dem Zeugniss der Geschichte wirklich 
zukommt. Es hängt hier freilich vieles davon ab, welchen Begriff 
man mit dem Namen der alexandrinischen Religionsphilosophie und 
ähnlichen Bezeichnungen verbindet. Begreift man darunter jede 
Verknüpfung griechischer Philosophie mit der jüdischen Theologie, 
so lässt sich eine solche allerdings noch vor der Mitte des zweiten 
vorchristlichen Jahrhunderts nachweisen; hält man dagegen die 
inneren Merkmale fest, durch welche sich die Lehre Philo’s und 
seiner Schule von der älteren griechischen Philosophie unterschei- 
det, und mit den gleichzeitigen Erscheinungen des Neupythago- 
reismus und des pythagoraisirenden Platonismus in Eine Reihe 
stellt, die Bestimmungen über das Wesen Gottes und der Materie, 
über die Mittelwesen zwischen Gott und der Erscheinungswelt, 
über die ekstatische Erhebung zur Gottheit — fasst man die jüdisch- 
alexandrinische Philosophie in dieser ihrer inneren Bestimmtheit, 
so werden wir ihre Entstehung um ein beträchtliches später setzen 
müssen. Die neueren Bearbeiter dieses Gegenstands’) glauben 
ihre Spuren schon in der alexandrinischen Uebersetzung des alten 
Testaments, der sogenannten Septuaginta, zu finden. Diese Spuren 
sind jedoch soschwach, dass sie nicht einmal für eine unmittelbare 
Einwirkung der griechischen Philosophie auf jene Uebersetzung, 
keinenfalls aber für die Bekanntschaft der Verfasser mit einer 
Lehre beweisen können, die der philonischen verwandt gewesen 
wäre. Die Uebersetzung gebraucht allerdings einigemale Wen- 
dungen, welche darauf hindeuten, dass ein Theil ihrer Verfasser 
an der sinnlichen Erscheinung Jehovah’s Anstoss genoinmen habe ?), 
sie beseitigt auch an Einer Stelle die Vorstellung, als ob Gott 
Reue empfunden hätte®); aber dazu war in der That die philonische 


1) Greöser, Philo u. ἃ. alexandrin. Theosophie II, 8 fl. Dänuz, ge- 
schichtl. Darstellung der jüdisch-alexandrin. Religionspbilosophie I, 1 ff. 

3) Exod. 24, 10 f. Job. 19, 27. Jes. 88, 11, auch Ex. 15, 8. 19, 8. 21, 6. 
Jos. 4, 34. Jos. 6, 1. Dass aber häufig auch die Erzählung von Theophanisen 
wörtlich wiedergegeben ist, bemerkt Däune selbst, dem ich die obigen Btel- 
len entnehme, a. a. O. Η, 89. 

8) Gen. 6, 6 ἡ. Anders die Uebersetzer der übrigen Bücher; s. Ὦχημα 
a. a. Ο. 8, 88, 


Septuaginte. ΝΕ 319 


Lehre von der Unerkennbarkeit. und Eigenschaftslosigkeit des gött- 
lichen Wesens nicht nöthig;; dass Gott nicht mit leiblichen Augen 
geschaut werden könne, dass menschliche Affekte der Gottesidee 
widersprechen, dass das göttliche Wesen über jede Reue and Ver- 
änderung erhaben sei, diess hatte schon Plato und Aristoteles, ja 
schon der alte Xenophanes ausgesprochen, alle griechischen Philo- 
sephen, auch die stoischen Orihodoxen, hatten es anerkannt, und 
es galt dem gebildeten Griechen jener Zeit so sehr als Axiom, dass 
die jüdischen Uebersetzer des alten Testaments diese Sätze nicht 
einmal unmittelbar aus der Lehre der Philosophen, sondern ebenso 
gut auch (wenn wir dabei überhaupt an fremden Einfluss denken 
wollen) aus den allgemeinen Voraussetzungen der Zeitbildung 
schöpfen konnten. Nicht anders verhält es sich mit den Anklän- 
gen an die philonische Kosmologie, welche sich bei den LXX finden 
sollen : gesetzt auch, es liesse sich beweisen, das sich der eine oder 
der andere von den Uebersetzern die Schöpfung nur unter der 
Form der Weltbildung, alsScheidung und Ordnung einer bereits 
vorhandenen Materie gedacht hätte, so würde doch diese Vorstel- 
lung nicht auf die philonische, sondern nur auf die pietonische 
Lebre, und auch auf diese nur so unbestimmt zurückweisen, dass 
wir eine wirkliche Bekanntschaft der jüdischen Verfasser mit der 
platonischen Philosophie vorauszusetzen noch kein Recht hätten. 
indessen ist auch jener Beweis nicht sicher zu führen‘). Von 


1) Die Hauptbeweisstellen sind Gen. 1, 2: ἣ δὲ ἦν ἀόρατος aut ἀχατασκεύα- 
στος und 706. 45, 18: θεὸς 5 καταδείξας τὴν γῆν καὶ ποιήσας αὐτὴν, αὐτὸς διώρισεν 
αὐτὴν u. 5. w. Indessen konnten in der erstern Stelle die Ausdrücke ἀόρατος 
und ἀκατασχεύαστος für das ebräische ara) Arın ohne alle Nebengedanken 
gewählt werden, und in der zweiten steben auch im Urtext Wörter, welche 
Bicht Schaffen, sondern Bilden und Feststellen bedeuten πα und yyı2). Vor 
den Stellen, welche ὕλην II, 12 ff. weiter anführt, ist Gen. 2, 5 eine auf 
falscher Wortverbindung beruhende unrichtige Uebersetzung, in die aber erst 
Philo die Vorstellung hineinerklärt hat, dass vor der sinnlichen eine ideale 
Welt geschaffen sei; die Meinung der Uebersetser ist nur: Gras und Kraut 
sei in seinen Wurzeln und Keimen schon mit der Erde geschaffen worden, 
aber erst später aufgegangen. Gen. 2, 9. 19 muss man die Worte durch die 
Brille philonischer Allegorie ansehen, um über das harmlose ἔτι mit Dinss 
“4.0. su urtheilen: os könne „gar keinem Zweifel unterliegen“, dass sich 
ses auf die frühere Schöpfang der Ideen besiche. Ebendieselben findet: 
Dixas 8, 13 £. auch Gen. 3, 11, aber diese Annahme hat ohne Zweifel nicht 


vis Jüdisch-griechtsche Philosophie. 


der anthrbpologischen Terminologie Plaww's und der Swiker kömmts 
sich in einigen Stellen eine Spur finden !); aber wie wenig können 
wir daraus folgern, wenn wir bedenken, wie leicht einzelne Aus- 
drücke dieser Art in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen! _ 
Anderes, was für die Verwandtschaft der griechischen Uebersetzer 
mit der philonischen Schule beigebracht wird, führt uns statt dessen 
nur auf jädische Vorstellungen, welche freilich auch jener Schule 
nicht fremd, aber durchaus nicht an sie geknüpft sad”). Noch 
andere von Däane’s Belegen sind entweder ganz unerheblich ®), 
oder sie führen sich auf einfache Uebersetzungsfehler ©), auf Ver- 
derbniss oder Interpolation im Text der LXX°) und adf Varianten 
im ebräischen Texte zurück 5); einigemale ist es ihm auch begeg- 
net, ganz richtige und näturgemässe Uebersetzungen als Beweis 


mehr Grund, als die andere (8. 16), dass Jes. 40, 26 „offenbar“ aus der py- 
thagoreischen Zahlenlehre zu erklären sei, während doch das xar’ ἀριθμὸν 
such im ebräischen Text steht, and die Abweichung Yon dieseih, welche id 
den Worten τὸν χόσμον αὐτοῦ liegt, nichts weiter int, als οὐδε Zruere Ueber- 
setsung ader viglleicht auah eine Textesvariante., 

1) Job 7, 15. Pa. 51, 12, wogegen Ὠληπε II, 89 f. Gen. 8, 14. Deut. 
80, 14 ohne Grund herzieht. 

2) Dahin gehört das Verbot, den Jehovahnamen zu nennen, und die 
Vermeidung dieses Namens, worüber Ὥχηνν 8. 25 #, nebst Get "Exigelleire, 
worüber Dorsulbe ®, 55 £. 62 δ. zu vergieiohen ist. Auch hiör legt Dimn 
den Uebersetsern Beweggründe und Vorstellungen unter, die mit nichts zu 
beweisen sind. Was vorliegt, führt nicht über den allgemeinen Standpunkt 
des Judenthums nach dem Exil hinans. 

3) Wie Gen. 2, 16 (3, die Plurale φάγεσθε und φάγητε, und Ps. 40, 7 das 
spa κατηρτίσω μοι, worüber Diuun 8. 20. 60 ἢ, 

4) 8o Gen. 4, 36 (bei Dänne 8. 88), wo die unrichtige Uebersetsung der 
LXX einfach daher rührt, dasa sie das ebräische bmam von am, statt von 
hr ableiteten. 

δ) Eine Teoxtverderbnims ist Gen. 3, 16 (Diunz 21 ὦ) anzunehmen, in- 
dem hier statt τηρήσει und τηρήσεις daa ungewöhnliche τειρήσει und — εἰς 
stehen sollte, welches Däunz selbst aus einer andern Uebersetaung anführt, 
wogegen das αὐτὸς, durch conetructia ad soneum auf σπέρμα bezogen, gank 
richtig ist, Eine Interpolation möchte ich 1 Reg. 8, 53 (Diunz 44 ff.) an- 
nehmen. 

6), Diess gilt von den Stellen, welche Diunz 8. 22. 40. 62 anführt, Gen. 
8, 17. Num. 12, 8. Deut. 82, 8. In der ersten von diesen Stellen setzt die 
griechische Ueborsetsung die Lesart Tray statt ἘΣ voraus, in der 
zweiten ma statt ug, in der dritten IN shath banip 


Soptnaginta, 8:9 


für die philonisirende Denkart der Ueberseiser anzuführen ᾽Ἃ 
Alles zusammengenommen, haben wir keinen Grund, bei den Ver- 
fassern der LXX mehr, als eine oberfächliche und vereinzelte 
Berührung mit griechischen Ideen vorauszusetzen ; und ich würde 
ihrer insofern hier gar nicht zu erwähnen gehabt haben, wenn 
nieht die Thatsache, die man aus ihnen beweisen wollte, für die 
Ansicht von der Entwicklung der gangen alexandrinischen Philo- 
sophie, und auch für die Geschichte des griechischen Alexandri- 
nismus so wichtige Folgerungen in sich schlösse, dass ich mich 
ihrer Prüfung nicht entziehen durfte. 

Erst bei dem vielbesprochenen jüdischen Peripatetiker Ari- 
stobul?®) finden wir eine bestimmte und unzweifelhaft sichere 


1) Gen. 2, 21 (Disse 17), wo ἔχστασις in der Bedeutung Bewusstlösig- 
keit für am gans richtig steht, und Exod. 8, 14 f., wo D. gleichfalls “ 
an einer richtigen oder wenigstens leicht möglichen Uebersetsung Anstoss 
nimmt. 

2) Unter Plolemäus Philometor (um 180 v. Chr.); vgl. 2 Macc. 1, 10. 
Hızzos. in Eus. Chron. Ol. 151. Chron. pasch. 178, Ὁ. Kıruens Strom. 1, 
845, B. Die Nachrichten tiber ihn hat VaLoxznaer in seiner gelehrten Dia- 
tribe de Aristobulo Judaso (wieder abgedruckt im 4. Band der Garsronv’schen 
Ausgabe von Euseh’s prusparatio evangelica) vollständig gesammelt. Von 
Neueren vgl. m. Graörer Philo II, 71 ff. Dinux a. a. Ὁ. Π, 71 fl. Die Aocht- 
heit der Fragmente, welche Euszs. presp. ev. VII, 14. VIII, 10. XIII, 13 und 
Kıswans Strom. I, 842, B. V, 595, D. VI, 682 A vgl. V, 586, Ο. 600, C ἢ 
607, C £. Cohort. 48, C f. aus Aristobul’s Tommentar zu den Büichern Mose's 
mittbeilt, hat früher Hopr, gegen den Varokzwäns schrieb, später Eıchnonn 
(BibL ἃ. oriental. Litt. V, 258 ff.), neuerdings Loszck (Agiaophamus 1, 44?) 
und Geoxanı (Iutexu’s Zeitschr. f. histor. Theol. 1889, 8, 86), theilweise auch 
Gaitz Gesch. ἃ. Juden ΠῚ, 485 in Zweifel gezogen. Mir scheint sie trots 
der theilweisen Widersprüche in den Angaben der Alten über Aristobul's 
Zeitalter gesichert. Der Umstand, an dem Lopzcx hauptsächlich Anstoss 
uimmt, dass der eusebianische Aristobul XIII, 12 zwei Verse des orphischen 
ἱερὸς λόγος (V. 86 f.) anführt, welche Kreuens Strom. V, 607 Ο f. nicht eitirt, 
dürfte wenig beweisen; denn da Krzuens hier der gleichen Recension dies&s 
Gedichts folgt, welche wir bei Aristobul lesen, da er os mithin bereits in 
seiner jüdischen Umarbeitung vor sich hatte, da er auch die unterschobeiien 
Diehterstellen, mit welchen Aristobul bei Eus. pr. ev. XIII, 12, 16 f. dis Hei- 
ligkeit des siebenten Tages beweist, Strom. V, 600, Ὁ f. in derselben Ordnung 
anführt, so muss entweder Klemens die aristobulische Sehrift, oder der Ver- 
faster der letstern milsste den Klemens vor sich gehabt haben. Das lötktere 
it aber schon desshalb undenkbar, weil die aristobulischen Fragmetite nur 
von einem Juden, nicht von einem Christen herrähreh können ; dass abet #in 


829 Jüdisch-griechisohe Philosophie, 


Beziebunig des slexandrinischen Judenthums zur grieobischen Phi- 
losophie; aber die spätere theosophische Richtung lässt sich auch 
bei ihm noch nicht erkennen. - Aristobul ist überzeugt, dass die 
mosaische Lehre mit den besseren unter den griechischen Systemen 
übereinstimme; diese Uebereinstimmung weiss er sich aber, bei 
der höheren Ursprünglichkeit der alttestamentlichen Offenbarung, 
nur atıs einer Benützung derselben durch die Griechen zu erklären, 
und so behauptet er denn), es habe lange vor der Üdbertragung 


Jude des dritten Jabrhunderts den Kirchenvater benützt, oder dass sich da- 
malige Juden überhaupt noch so eingehend’ mit griechischer Litteratur be- 
sebäftigt und so gut griechisch geschrieben hätten, wie unser Aristobul, ist 
nioht glaublich. Die. Bruchstücke des letztern enthalten aber fiberhaupt, wie 
unsere Analyse ihres Inhalts zeigen wird, nichts, was auch nur auf die Zeit 
Philo’s hinwiese; ein Umstand, welcher sich nur aus ihrem höheren Alter 
erklärt, denn wer solche Schriften unterschiebt, der thut es doch in der Regel 
gerade desshalb, um die Vorstellungen seiner Zeit durch ältere Auktoritäten 
zu stützen. :-Wie passend daher auch die zwei Verse, welche Loseck bei Kle- 
mens vermisst, für die Zwecke des letztern gewesen wären, so werden wir 
“ dach annehmen müssen, dass sie dieser, auch sonst oft ziemlich flüchtig, 
übersehen, oder als entbehrlich übergangen habe, oder dass sie in seinem 
Exemplar des Aristobul fehlten; sonst könnte man sie auch, der übrigen 
Acchtheit der Fragmente unbeschadet, für eine spätere Interpolation halter, 
doch glaube ich diess nicht. 

ο΄ 1) B. Eus. pr. ev. XIII, 12, 1 vgl. VIII, 10, 8. Die Worte in der ersteren 
Stelle (und bei Kruuens Strom. I, 842, B), welche VaLcKEuaer ἃ. & OÖ. 8.48 
(384) für verderbt hält: διηρμήνευται γὰρ πρὸ Δημητρίου τοῦ Φαληρέως δι᾽ ἑτέρων 
πρὸ τῆς ᾿Αλεξάνδρου καὶ Περσῶν ἐπιχρατήσεως, sind einfach zu erklären: dene 
diese Schriften sind schon vor der Zeit des Demetrius Phal. (auf dessen Rath 
die Uebersetzung der LXX veranstaltet sein sollte), ja vor der macedonischen 
und der persischen Herrschaft (denn wie konnte sie sonst s, B. Orpheus be- 
nützen ?) übersetzt worden. Ich sehe daher keinen Grund, sie zu beanstanden. 
Ebensowenig hat mich Gritz a. a. Ὁ. überzeugt, dass das ganze Bruchstück 
bei Evs. XII, 12, uder doch ein beträchtlicher Theil desselben, unächt sei. 
πάτα findet es undenkbar, dass Aristobul dem Ptolemäus Philometor seine 
Uebersetzung des Pentateuch mit der Bemerkung überreicht baben sollte, 
diese Ueberzetzung habe schon längst existirt. Aber für's erste war das Werk 
Aristobul’s ohne Zweifel nicht (wie Gs. will) eine Uchersetzung, sondern 
eins Erklärung der mosaischep Bücher; denn als ἐξηγήσεις (Chron. pasch. 
Ἢ .378, Ὁ), βίβλοι ἐξηγητιχοὶ (Anatolius bei Eus. ἢ. ecel. VII, 32, 16), εωρία- 
nationum commentarii (Hısros. Chron. z. Ol. 158) wird es bezeichnet; dass 
aber ἐξήγησις bei den Alten nicht die Auslegung eines Textes, sondern eine 
Uebersetzung bezeichne (Gsärz 8, 482), dass mithin Hieronymus diesog Wort 


||| -----Ἅ...... -ςς---- - -- 


"Aristobul. Zr 12 


des Alten Testamenis durch die Siebzig eine griechische Ueber- 
setzung der mosaischen Schriften gegeben, aus welcher mit ande- 
ren alten Dichtern und Philosophen auch Plato und ‚Pythagoras 
geschöpft haben. Um diese Behauptung zu beweisen und jüdische 
Satzungen durch hellenische Auktoritäten zu empfehlen, trug er 
kem Bedenken, einem Orpheus und Linus, Homer und -Hesiod 


falsch wiedergegeben habe, wird niemand glauben, der sich auch nur an 
die zahllosen ἐξηγήσεις platonischer nnd aristotelischer Schriften, von Krantor 
bis auf Alexander den Exegeten und die neupletonischen Commentatoren, 
erinnert. Auch der Ausdruck: τὸ πρὸς Πτολεμαῖον σύγγραμμα (Eus. pr. ev. 
VIU, 9, 28), τὸ πρὸς τὸν Φιλομήτορα (Kres. Strom. I, 342, B), passt nicht für 
eine blosse Uebersetzung, während andererseits der Umstand, dass diese 
Bebzift am Philometor aus mehreren 'Bächern bestimd {Klemens ἃ. 4. Ο. oitirt 
das ersta a..V,.595, Ὁ sprisht.er von βιβλία kan&) uns verbietet, sie anf ἀΐρ 
blosse eines Uebersetzung varangestellte Einleitung und Widmung zu bezie- 
hen. Dass sie aber von Euszg auch einmal (pr. ev. VII, 18, 4) τῶν ἱερῶν νόμων 
ἑρμηνεία genannt wird, hat nichts auf sich: ἑρμηνεύειν heisst ja nicht blos’ 
„übersetzen“, sondern ebensogut „erklären“; 2. B. Praro Io 585, A. Theät. 
209, A. u.6. Wenn ferner Ausrofıus (um 270, nicht 170, n. Chr.) a. a. 0. 
(uiebt blos Ensebius, wie Ge. annimmt; dieser theilt uns js die. Stelle des 
Anatol. wörtlich mit) der Meinung ist, Aristobul habe zu den giebzig Doll- 
metschern gehört, und seinen Commentar den zwei ersten Ptolemäern gewid- 
met, wenn ebenso Kı.euens V, 595, D und vielleicht auch Eus. pr. ev. VIII, 
8, 34 statt des Ptolemäus Philometor den Philadelphus als seinen Zeitgenossen 
iemt, so beweist diese nur für die Leichtfertigkeit dieser Schriftsteller, nicht 
aber fär.die Behauptung, Arist. sei Uebarsetner des Penisteuch. Hätte or 
aber auch wirklich dem Ptolemäus eine von ihm verfasste Uebersetzung des 
Pentateuch überreicht, so ist nicht abzusehen, warum er ibm nicht zugleich 
kätte sagen können, zwar nicht, dass „sie*, ἃ. h. diese Uebersetzung, wohl 
aber, dass eine andere, ältere, schon früher existirt habe. Nennt weiter Ge. 
ἂς obenangeführten Worte „eine Vorlesung aus dem Aristeasbuch*, die nur 
einem Interpolator zusutranen sei, so kann ich gleichfalls nicht beistimmen: 
was sie voraussetzen, ist nicht unser Aristeasbuch, sondern nur die Sage von 
einer Betheiligung des Ptolemäus Philadelphus und Demetrius Phalerets au 
der griechischen Bibelübersetzung ; warum bätte aber diese Bage nicht sehon 
sa Aristobul’s Zeit im Umlauf sein können ? Ebensowenig lässt sich behaup- 
ten, Aristobul würde den Vorfahren des Ptol. Philometor ihm gegenüber nicht 
wit dem „ironisohen Spitsnamen“ Philadelphus bezeichnet haben (Gr. 8. 486). 
Ob dieser Name ursprünglich ein Spottuame oder ein Schmeichelname war, 
ist bis heute nicht ausgemittelt; jedenfalls aber war es der Name, durch den 
alle Welt diesen Ptolemäus von den übrigen unterschied. Was Gr. sonst noch 
gegen die Aschtheit unsers Bruchstücks einwendet, ist theils überhaupt un- 
erheblich, theile erlödigt es sich durch das am Anfang dieser Anin. gesngte.“ 


2 . Jüdisch-grieehische Philosophie, 


Verse zu unterschieben 1), welche ihren jüdischen Ursprung 90 
oßen an der Stirne tragen, dass man nicht weiss, über weg man 
sich mehr wundern soll, über. die Keckheit des Fälschers, oder über 
die Leichtgläubigkeit der jüdischen und christlichen Theologen, 
welche sich fast zweitausend Jahre lang diesem Augenschein zu 
entziehen wussten). Schon nach diesen Proben müssen wir er- 
warten, auch in Aristobul’s eigenen Ansichten die Spuren seiner 
Beschäftigung mit der griechischen Philosophie zu änden. Die- 
sethen beschränken sich aber, so weit unsere Kenntniss reicht, fast 
ausschliesslich auf das Bestreben, aus den alttestamentlichen Lehren 
und: Erzählungen die Anthropomorphismen zu entfernen, an denen 
das gebildete Bewusstsein jener Zeit Anstoss nehmen musste. Die 
Unsichtbarkeit Gottes wird behauptet?), die „Hand Gottes“ und 
ähnliche Ausdrücke werden auf die göttliche Macht, das Sprechen 
Gottes wird auf die thatsächlichen Erweisungen dieser Macht ge- 
deutet); wenn die Schrift sagt, Gott ruhe, so soll diess nach Ari- 
_stobul die Unveränderlichkeit der götllichen Werke, den Bestand 
der Weltordnung bezeichnen °); wenn Moses erzählt, dass Gott im 
Feuer auf den Sinai herabgestiegen sei, so wollte er damit nur eine 
wunderbare Offenbarung Gottes schildern, welche den Israeliten, 
ohne eine wirkliche körperliche Erscheinung, in der Weise einer 
Vision zu Theil wurde®). Hierin liegt noch durchaus nichts, was 
sich nicht aus dem Einfluss der platonischen, peripatetischen und 
stoischen Philosophie vollständig erklären liesse’), und auch die 


1) B. ἔσο. a. 8.0. XIll, 12 vgl. Kusurus V, 586, C. 607, C £ 600, OL. 
Dass Arist, diese Unterschiebungen nicht selbst vorgenommen, sondern schen 
vorgefunden habe (Ewaup Gesch. ἃ. V. ἴον. ΠῚ, Ὁ, 208. Hnaaraun Gesch. ἃ. 
V. Jisr. DL, 566 £.), ist mir nicht glaublich, 

2) Bo wird s.B. in einem angeblich orphischen Gedicht von Abraham, 
von Moses und den 10 Gaboten gesprochen, Elomer muss den siebenten Tag 
als heilig beseichnen, von der Vollendung der Schöpfung am sicbenten Tag 
reden u. 8. w. 

8) A. a. 0. XUI, 12, V. 11. 20 des angehblioh orphischen Gedichte. 

4) A. a. O. VII, 10, 1.4. XUL, 18, 9, 

δ) Kbd. VIII, 10, 5 ff. XII, 12, 14. 

6) Ebd. VI, 10, 9. 

7) Als Peripatetiker wird Arist. öfters beseichnet (Eus. pr. ev. VIII, 9, 28. 
IX, 6, 8. XIE, 18 Ueberschr.) Er selbst beruft sich ebd. VII, 14, 1 auf den 
Ilsginaros als seine Bohule (διὸ χαί τινες εἰρήχασι τῶν ἐκ τῆς αἱρέσεως ὄντες da τοῦ 


‚ Aristobul, ι, . 983 


Umdentung der moseischen Erzählungen und Ausdrücke, über- 
haupt die ganze allegorische Erklärung der alttestamentlichen 
Schriften, hat an der stoischen Mythendeutung ihr vollkommen 
genügendes Vorbild '). Nur kann sich Aristobul freilich zu dem 
hylozoistischen Pantheismus der Stoiker nicht entschliessen: in 
seiner Vebererbeitung des orphischen Gedichts, welches ursprüng- 
lieh diese Ansicht aussprach, wird durch mehrere beachtenswerthe 
Aenderungen und Zusätze ausdrücklich darauf bestanden, dasg 
Gott nicht bles der Herr, sondern auch der Schöpfer der Welt sei, 
dass von ihm selbst nur gutes ausgehe, die sohädlichen Kräfte da- 
gegen nur seinem Gefolge, nicht ibm selbst angehören”). Indessen 
begreift sich dieser Zug ohne alles weitere aus dem Standpunkt deg 
Ridischen Theismus, und wenn je ein’ philosophisches Element hie- 
bei mitwirkte, so brauchen wir nicht über die platonische und peri- 
petetische Lehre hisauszugehen: Aristobul stellt sich in dieser 
Beziehung in ein ganz ähnliches Verhältuiss zum stoischen Pan- 
theismus, wie der Verfasser der Schrift von der Welt?). Ob unser 
Philosoph eine präexistirende Materie als zweites Princip neben 
der Gottheit angenommen hat, ist nicht ganz sicher *), jedenfalls 
würde diese Annahme gleichfalls nicht über Plato (so wie dieser 
damals verstanden wurde) und Aristoteles hinausführen. Auch 
die Aeusserungen über die Weisheit®) berechtigen uns durchaus 
nicht, an eine Hypostasirung der Weisheit im Sinne der späteren 


Περικάτον) und nach Krew. Strom. V, 595, D wollte er in seiner Schrift zeigen, 
τὴν περιτατητιχὴν φιλοσοφίαν ἔχ τε τοῦ κατὰ Νίωύσέα νόμου καὶ τῶν ἄλλων ἠρτῆσθαι 
τῶν. 

1) Aristobal selbst erinnert an diese, wenn er den König, waelahem nein 
Werk gewidinet ist, ,», Eus. VII, 10, 2 auffordert: φυσικῶς λαμβάνειν τὰς dx- 
δηχὰς, καὶ τὴν ἁρμόζουσαν ἔννοιαν περὶ θεοῦ χρατέϊν καὶ μὴ ἐχπίπτειν εἰς τὸ μυθῶδες 
καὶ ἀνδρώπινον κατάστημα. M. vgl. hiezu, was 1. Abth. 800 f. über die physica 
ratio der Stoiker. und ihre Polemik gegen die Anthropomorphismen bemerkt 
wurde. ᾿ 

2) Es ergiebt sich diess aus V. 8. 18 ff. 33 f. 89 des ἱερὸς λόγος naclı der 
Recension des Aristobul b. Eus. pr. ev. XIII, 12, wenn wir dieselben mit den 
betzeffenden Stellen in der Alteren Recension desselben Gedichts b. Justin 
Coh. ad Gr. 9. 15 vergleichen. 

Ὃ) 1. Abth. 568 δ. 

4) Man schliesst es daraus, dass er V. 8 des orphischen Gedichte den 
Behöpfer durch κόσμοιο τυπωτὴν bezeichnet. 

δ) B. Eus. XIU, 12, 18 £. 


224 . -  Jüdisch-griechische Philosophie. 


Loguslehre zu denken, da sie gar nichts weiter besagen, als dass 
die ganze Welt das Werk der göttlichen Weisheit, und diese imso— 
fern vor der Welt sei. Wenn Aristobul endlich zur Empfehlung 
der jüdischen Sabbathsgesetze in eine pythagoraisirende Ausfüh- 
rung über die Kraft der Siebenzahl eingeht !), so war eine solehe 
dem Juden auch schon durch die altpythagoreische Zahlenspeku— 
kation viel zu nahe gelegt, als dass wir ihm desshalb die unter- 
scheidenden Eigenthümlichkeiten der neupythagoreischen Denk- 
weise zuschreiben dürften; und wenn in demselben Zusammer- 
hange der siebente Schöpfungstag zugleich auch auf den ersten, 
an welchem das Licht geschaffen wurde, zurückgeführt, und die 
Vernunft, mit einer willkährlichen Abweichung von der stoischen 
Zählung der Seelenkräfte, als das siebente Seelenrermögen bezeich- 
net wird?), so liegt auch hierin dureliuus kein Zeichen von näherer 
Verwandtschaft mit dem späteren Alexandrinismus. Es ist-daber 
nicht richtig, wenn neuere Geschichtsforscher®) bei Aristobul schon 
die wesentlichen Grundzüge der philonischen Lehre finden wollten. 
Was er mit Philo theilt, ist nur die Verknüpfung der jüdischen 
Theologie mit eklektisch benützten griechischen Philosophemen; 
hat aber Aristobul schon diese Richtung, aller Wahrscheinlichkeit 
nach, lange nicht so weit verfolgt, wie Philo, so ist vollends von 
den eigenthümlichen Lehren, welche dem letzteren seine Bedeu- 
tang für die Geschichte der Philosophie geben, bei jenem noch 
keine sichere Spur zu finden. 

Ueber die Entwicklung der jüdisch-alexandrinischen Wissen- 
schaft zwischen Aristobul und Philo sind wir nur sehr unvollkom- 
men unterrichtet. Dass sie aber in bedeutendem Umfange stattfand, 
und dass eine ganze Reihe von Vorgängern Philo den Weg 
gebahnt hatte, müssten wir theils schon an sich annehmen, wenn 
auch gar keine weiteren Nachrichten darüber vorlägen, theils 
lässt uns auch Philo selbst darüber nicht im Zweifel‘). Dieser 


1) Α. 4. 0. 8. 15 £ 

2) A. a. O. 8. 13. 15 ἢ, wo es tiber den λόγος mit der bekannten stoi- 
schen Formel heisst: ἐν ᾧ γνῶσιν ἔχομεν ἀνθρωπίνων καὶ θείων πραγμάτων. 

8) Greöszr Philo u. ». w. II, 714 δ΄, und noch mehr Däunz Darst. der jüd. 
alexandr. Religionsphil. II, 96 ff. vgl. auch Heazrzı.n Gesch. ἃ. V. Jiar. {Π|], 


479 £. 
4) M. vgl. zum folgenden Grossmann De Pharisaeismo Judeorum Alewan- 


Allegoriker vor Philo. 335 


Sehriftsteler beruft sich nämlich für seine allegorische Schrift- 
erklärung nicht selten auf ältere Ausleger!) und auf die Regeln 
der Allegorie 5), über welche er demnach schon eine befestigte 
Veberlieferung vorgefunden haben muss, wie er ja auch die alle- 
gerische Schrifterklärung der Therapeuten als eine bei seinem Volk 
einheimische bezeichnet?); und er führt wohl auch verschiedenerlei 


deine eomment. pars L (Lpz. 1846. p. II 1847. p. III 1850) 8. 8 £., der seine 
Belegstellen nur leider mit mehr Fleiss, als Auswahl, gesammelt hat, und 
darin jedenfalls irrt, dass er die Alexandriner zu -Pharisäern macht. Er 
meint, da sie weder Essener noch Sadducher gewesen seien, so müssen gie 
Pharisäer gewesen sein; allein dieser Schluss fällt mit der Voraussetzung, als 
ob jeder Jude einer von diesen drei Partheien hätte angehören müssen, was 
nieht einmal von dem palästinensischen, noch weit weniger von dem helleni- 
stischen Theil des jüdischen Volks gilt. Grossmann hat es aber auch bei der 
Nachweisung über die Verwandtschaft der philonischen Lehre mit der phari- 
säischen nicht allein mit den einzelnen Vergleichungspunkten vielfach. zu. 
leieht genommen, sondern gerade den Punkt, auf welchem die Eigentbüm- 
lichkeit des Alexandrinismus vor allem beruht, an dem aber freilich auch 
sein duschgreifender Unterschied vom Pharisäiemus sofort zum Vorschein 
kommen musste, sein Verhältniss zur griechischen Philosophie, fast ganz 
ausser Acht gelassen. 

1) Bo De Abr. 864, A (II, 16 M.) für die Deutung des Abraham auf 
den νοῦς, der Sara auf die Tugend; ebd. 879, E (81) für die Beziehung des 
Abraham und Loth auf τρόποι ψυχῆς; De Jos. 548, B. 63 M. (der König von 
Aegypten der νοῦς als Beherrscher des Leibes, welcher φιλοσώματος wird); De 
cireumeis. 811, A. 211 M. (vierfacher Zweck der Beschneidung, unter ande 
rem auch der, dass das Zeugungsglied dadurch dem Hersen, als Bitz des ge- 
daukonzeugenden Pneuma, in seiner Gestalt ähnlich werde); special. leg. 
en 829 M. (Deut. 25, 11 moralisch allegorisirt); plant. No& 221, D. 387, 

M. (Exod. 15, 16 bedeute die κληρονομία Gottes hach einigen Auslegern das 
Gate); ebd. 224, Ὁ. 840 M. (φασὶ δὲ, οἷς ἔθος dpeuväv τὰ τοιαῦτα, und nun folgt 
eine moralische Deutung von Gen. 21, 23); De Septenar. 1190, B. 1191, D. 
392 £ Μ (Deutungen des Passahritus, eine auf die Reinigung der Seele, eine 
sndere auf die Weltschöpfang); Deter. pot. insid. 159, C. 195 M. (gegen 
eine gewisse, gleichfalls allegorische, Erklärung von Gen. 87, 15). Weiteres 
B. 226. 

2) De somn. 576 B (681): κατὰ τοὺς ἀλληγορίας κανόνας bedeute die Sonne 
Gott. Ebd. 580, Εἰ (611): λέγωμεν δὲ ἡμέϊς, ἑπόμενοι τοῖς ἀλληγορίας νόμοις, τὰ 
πρέχοντα περὶ τούτων. De somn. II, 1109, Ο (660): ἀλληγορίας ἑπόμενοι παραγ- 
τῦμασιν. . 

8) V. contempl. 893, D (475): φιλοσοφοῦσι τὴν πάτριον φιλοσοφίαν ἀλληγο- 

för. Ueber die therapeutische Allegorie tiefer unten. 
| Pike. ἃ, Gr. IIL Bd. 3. Abth. 15 


RG Jüdisch-griechische Philoagophie. 


ihm, bekannte allegorische Deutungen an!), wie sig doch: nur 
dema auftreten konnten, wenn diese Art der Auslegung bereits läs- 
ger geübt wurde, Schon dieser Umstand beweist nun, dass auch . 
die Spekulation, welche mittelst der Allegorie in die jüdischen 
Religionsurkunden hineingetragen wurde, zu seiner Zeit nicht 
mehr ganz neu war; wir sehen aber überdiess aus dem, was ums, 
Philo über einzelne jener Erklärungen mittheilt, dass schon vor 
ihm nicht allein die platonischen Ideen und der Nus, sondern auch 
der göttliche Logos in den mosaischen Schriften gefunden wurde?). 
Bs fragt sich nun freilich, wie weit diese Lehren vor Philo ent- 
wickelt waren, und ob wir namentlich bei dem Logos, von dem ein- 
zelne seiner Vorgänger gesprochen hatten , schon an eine eigene 
Hypostase, und nicht blos an das Wort oder den Verstand Goties 
zu denken haben°). Aber so viel geht doch aus dem angeführten 


i) Qu. rer. dir. ber. 520, C (518): Gen. 15, 15 „Du sollst zu deinen 
Vätern versammelt werden“, seien die Väter nicht von den entseelten Leieb- 
namen der Vorfahren zu verstehen, sondern nach den eiuen von den Gestir- 
nen, naoh andern von den ἀρχέτυποι ἰδέαι, nach einer dritten Deutung (die 
anch gu. in Gen. III, 11 als multorum sententia erwähnt wird), von den vier 
Elementen und (wenn diess nicht seine eigene Zuthat ist) dem Aether, dessen 
ἀπόσπασμα die Seele sei. Nom. mut. 1066, C (599): dreierlei Erklärungen 
von Gen. 17, 16. Post. Cainil,233 M.: zweierlei Deutungen des Namens Hemoch, 
die ihn aber beide auf den νοῦς des Menschen beziehen. Leg. alleg. 50, E (55% 
der Baum des Lebens bedeute die Tugend als Ganzes, nach andern jedoch das. 
Hers. Qu. in Gen. I, 19. 8. 7, A. über denselben: die einen erklären ibn 
von der Erde, andere von der mittleren unter den sieben himmlischen Sphä- 
ren, oder der Sonne, oder der directio anime (dem ἡγεμονιχὺν), die besten Er- 
klärer aber von der Frömmigkeit. De Cherub. 111, D ff. (142): die Cherubim 
werden bald auf den Fixstern - und Planetenbimmel, bald auf die beiden He- 
mispbären gedeutet, von Philo selbst jedoch auf die göttlichen Grundkräfse 
der Güte und Macht. 

2) Vgl. vor. Anm. und De somn. I, 583, C (638), wo über Gen. 38,11 
(ὁπήντησε τόπῳ ἔδυ γὰρ ὃ ἥλιος) bemerkt ist: ἔνιοι δὲ ἥλιον μὲν ὑποτοπήσαντες 
εἰρῆσθαι νυνὶ συμβολιχῶς αἴσθησίν τε καὶ νοῦν, τὰ νενομισμένα χαϑ᾽ ἡμᾶς αὐτοὺς εἶναι 
κριτήρια, τόπον δὲ τὸν θέΐον λόγον͵ οὕτως ἐξεδέξαντο: ἀπήντησεν ὁ ἀσχητὴς λόγῳ 
del, δύναντος τοῦ θνητοῦ χαὶ ἀνθρωπίνου φέγγους. Weniger sicher ist De somn. 
11, 1141, E (691): μᾶλλον δὲ, erg εἶπέ τις, ὅλον δι᾽ ὅλων ἀναχεόμενον χοὶ αἰρόμενον 
εἰς ὕψος (sc. τὸν θέϊον λόγον), wo ΜΑκΌΡΥ ὡς ἂν εἴποι τις vermutbet. 

8) Das Wort Gottes wird ja auch in der salomonischen Weisheit gefeiset, 
obne dass wir ihr dosshalb die philonische Logoslehre beilegen dürften (s. u. 
281, 1); und anderersoits konnte der θέϊος λόγος im stoischen Binn, die gött- 


“ 


Aristeas. ΦΟΣ 


hervor, dass es innerhalb des alexandrinischen Judenthums auch 
sehen vorPhilo nicht an solchen fehlte, welche mit der griechischen 
Philosophie bekannt waren, und sie durch allegorische Auslegung 
m den heiligen Büchern ihres Volkes wiederzufinden wussten. 
Auch in den uns erhaltenen Schriften aus diesem Kreise finden 
sieh davon manche Spuren; doch sind sie im ganzen za schwach: 
and vereinzelt, um uns nicht den Verlust der Werke bedauern zu 
lassen, welche uns einen genaueren Einblick in den Stand der 
älteren hellenistischen Spekulation gewähren würden. So zeigt 
der angebliche Bericht des Aristeas über die griechische Ueber- 
setzung des Pentateuchs 1) allerdings nicht blos überhaupt Bekannt- 
schaft mit der griechischen Bildung, deren Werth für den Juden 
ud auch für die jüdische Theologie er ausdrücklich anerkennt 3); 
sindern sein Verfasser erweist sich auch noch bestimmter als’einen' 
Angehörigen der alexandrinischen Schule! wenn er einerseits selbst‘ 
den Griechen, bei aller Polemik gegen den Götzendienst und den 
Polytheismus®), einen Antheil an.der Verehrung, des wahren Gottes 
zugesteht*), und andererseits die rituellen Gebote des mosaischen, 
Gesetzes durch allegorische Deutung auch dem Nichtjuden zu em-. 
pfeklen sucht 5). Aber die Abfassungszen dieses Schriftstücks ist 50 


! 
lieke Vernunft, welolie von der Gottheit velbst miöht verschieden ist, als das, 
was den menschlichen Geist erleuchte, bezeichnet werden, wenn auch dabei. 
nieht an ein Mittelwesen zwischen Gott und der Welt gedacht wurde. . 

1) Worüber Graös»e II, 61 #. Däbne II, 205 ff. Ich citire im folgenden 
naeh dem Seitonzahlen des Abdrucks im 2ten Band des Havercamp’schen 
Jesepkus, 

8) 8. 115 versammelt der Hohepriester Eleazar Männer, welche nicht: 
blos mit den jüdischen, sondern auch mit den hellenisoben Schriftwerken 
vertraut sind, und in Folge, dessen sowohl für die Geschäfte und den gebil- 
daten Verkehr, als für die Gesetzesauslegung sich besonders eignen. 

8) Vgl. 8. 116. 

4) 8.105 sagt der angebliche Grieche Aristeas von den Juden: sie ver- 
ehren τὸν πάντων ἐπόχτην καὶ χτίστην θεὸν, ὃν χοὶ πάντες͵ ἡμεῖς δὲ μάλιστα, προς- 
φιομάζοντις ἑτέρως Ζῆνα, was dann, nach der bekannten stoischen Etymologie, 
τὶ seinem ζωοποιεῖν in Verbindung gebracht wird. . 

δ) 8. 116 f. setzt Eleazar auseinander, dass die rituellen Vorschriften. 
theils dasıu dienen, die Juden von den übrigen, götzendienerischen, Völkern ' 
su trennen, theils aber auch gewisse allgemeinere Wahrheiten, einen φυσικὸς ' 
λίγος (vgl. hiesu 1. Abth. 801), eine Tropologie enthalten; und er erläutert 
liess an den Speisegesetzen: das Fleisch der Raubvögel sei für unrein er- 

15” 


νὠ 


28 Jüdisch-griechische Philosophie. 


unsicher, und ein höheres Alter desselben so unwahrscheinlich ἢ), 
dass es für die Frage.über denUrsprung der jüdisch-alexandrinischen 
Philosophie nicht in Betracht kommt, wenn es auch immerhin für 
das Dasein derselben im ersten vorchristlichen Jahrbundert Zeug- 
niss ablegt. Aehnlich verhält es sich mit dem sogenannten vier- 
ten. Buch der Makkabäer?). Diese Schrift entwickelt die 
bekannte Lehre der Stoiker über die Tugend und die Affekte, um 

sodann an den Vorschriften des mosaischen Gesetzes und an Bei- 
spielen aus der jüdischen Geschichte, namentlich aber an der 
Standhaftigkeit von Märtyrern aus der Makkabäerzeit nachzuweisen, 
dass die jüdische Religion zur Beherrschung der Affekte durch die 
Vernunft anleite, und die Möglichkeit derselben voraussetze. Ihre 
Abfassungszeit lässt sich aber so wenig bestimmen, dass wir nicht 
einmal wissen, ob sie älter ist, als Philo. Einzelne Anklänge an den 
Stoicismus enthalten auch die jüdischen Stücke der Sibyllinen®); 


«. 


klärt, um einzuschärfen, dass Gewaltthätigkeit und Unrecht verunreinige, 
das der Wiederkäuer und der Tihiere mit gespaltenen Klauen sei erlaubt, weil 
die Spaltung der Klauen die Unterscheidung swisehen Recht und Unrecht, 
und die Scheidung von der unreinen Bitte anderer Völker bedeute, das Wie- 
derkäuen die Pflicht, sich an Gott zu erinnern. Aechnliches 8. 181 über die 
Händewaschung vor dem Gebet. 

1) Zwar kennt schon Aristobul (in der 8. 320, 1 besprochenen Aensse- 
rung) die Sage von der Betheiligung des Demetrius Phalereus bei der Ueher- 
setsung der LXX, welche Pseudo-Aristeas gleichfalls hat, aber nichts weist 
darauf hin, dass er sie gerade diesem entnommen habe. Erst bei Paıze (V. 
Mos. II, 188 M. 667 H folg.) und Joseruus (Antiqgg. XII, 2) lässt sich eine 
Bekanntschaft mit demselben nachweisen. — Ewa Gesch. ἃ. V. ἴδε. ΠΙ, ἃ, 
282 f. setzt die Abfassung des Buchs wohl mit Recht in das letste vorohrist- 
liche Jahrhundert. 

2) Eigentlich περὶ αὐτοχράτορος λογισμοῦ, früher dem Josephus zuge 
schrieben und in den Ausgaben desselben abgedruckt. Auszüge daraus bei 
Greöser II, 180 ff. Diuxe U, 190 ff. 

8) Ueber dieselben vgl. m. Faispuıe Die sibyllin. Orakel (Lps. 1853) 
Β.. ΧΙ ἢ, XXUf, LAXI, namentlich aber Hıezuracn Jüd. Apokalyptik 51 ff, 
welcher die Abfassung des Hauptkörpers dieser ältesten Bibyllinen (Sibyl. 
II, 97—468. 471-817, nebst dem hiesu gehörigen Proömium B. I, 1-88) 
mit tiberwiegender Wahrscheinlichkeit um 140, ein späteres Stück, B. II, 
47—96, mit Andern in die Zeit des zweiten Triumvirats setst; von älteren 
Untersuchungen Bruz& Theol, Zeitschrift von Bohleiermacher u. 5. w. H. 1. 3. 
Gyaöazz Philo U, 121 ff, Däuun a. a. O. Il, 228 δ᾿, welcher den jüdischen 


Makkabäerbücher, Sibyllinen u.a, .. 


ser von den eigenthümlichen Ideen der alexandrinischen Pliiloso- 
phie finden sich darin so wenig, als in dem zweiten und dritten 
Bach der. Makkabäer!), dem dritten Buch Esra?) und bei dem 
falschen Phocylides 5) bestimmtere Sparen. Selbst die Weisheit des 
Siraciden können wir kaum unter die Vorläufer der philonischen _ 
Philosophie rechnen ὅ). 


Ursprung der meisten von diesen Stücken bestreitet. Lücke Einl. in die 
Oßenb. Job. 2. A. 8. 66 ff. An griechische, und namentlich an stoische Ideeh 
sfinnert hier des Univorsalismys, mit welchem der Verfasser anerkennt, dass 
Gott die Erde allen Menschen zu gemeinsamem Besitz verliehen, und ihnen 
allen den Binn für das Gute in die Brust gelegt habe (III, 261), dass er es 
sei, ὅστις γλυχὺ πνεῦμ᾽ ἐν ἅπασι χάτθετο χ᾽ ἡγητῆρα βροτῶν πάντων ἐποίησέν 
(Prooem. ὅ f.), πᾶσι βροτόίσιν ἐνὼν τὸ χριτήριον ἐν φάει χοινῷ. Demgeniäss er- 
wartet er auch eine äobliessliche Bekehrung der Heiden zum Glauben &n den 
wahren Gott (IN, 616 f. 715 6. 766 8.) und einen xowog νόμος κατὰ, γαΐαν ἅπα:- 
σαν (ebd. 756). M. vgl. hiezu unsere 1. Abth. 184, 2. 127,2 g. E. 280,2 und 
das Kriterium betreffend 75, 2. 

1) M. s. darliber (ausser Ewaun Gesch. ἃ. V. Isr. III, b, 530 ff.) Graöner 
1, 52 #. Ὅχηκπε II, 180 ff., von denen schon der letztere einige Beweise des 
erstern für den Alexandrinismus der beiden Schriften widerlegt hat. &ehan 
gessmmen ist es im Grunde nur die Unterscheidung des im Himmel wolmen- 
den Gottes von seiner Machtoffenlarung im Tempel zu Jerusalem (2.Macc, 3, 
38 fl. ), worin sich die alexandrinische Denkweise des Verfassers von 2 Maca. 
dogmatisch ausspricht, wogegen der Auferstehungsglaube desselben (7, 9— 14. 
14, 46), den Dinne vergeblich zu beseitigen sucht, für sich schon beweisen 
kann, wie wenig jene sohwache Spur auf die entwickelte alexandtinische 
Lehre zu schliessen berechtigt. 

2) Worüber Därne II, 116 ff., der aber für mich wenigstens nicht be- 
wiesen hat, dass der Verfasser dieser Schrift „in die Mysterien der alexandri- 
nischen Juden eingeweiht war.“ Wenn das Buch auch alexandrinisch sein 
mag, so ist es doch in keiner Beziehung als Urkunde für die alexandrinische 
Philosophie zu gebrauchen. 

3) Den jüdischen und höchst wahrscheinlich alexandrinischen Ursprung 
dieses Gedichts hat Bzanars (Ueber das Phokylid. Gedicht, Berl. 1856) dar- 
gethan. Seinen Inhalt bilden moralische Vorschriften, welche dem A. T. ent- 
nommen sind, aber aus demselben nur das herausheben, was sich auch Hel- 
lenen annehmbar machen liess. 

4) Wie diess schon Diane II, 126 ff. theilweise gezeigt hat. Gerade die 
Stelle, auf welche man in der Regel das meiste Gewicht legt, die Schilderung 
der Weisheit c. 24, geht über die dichterische Personifikation, welche wir 
sehon in den Proverbien'8, 22 ff., also noch auf rein ebräischem Boden tref- 
fen, nur durch die Bestimmung V. 3 hinaus, dass die Weisheit vor der Welt- 
sehöpfung aus dem Munde Gottes ausgegabgen, die Erde wie ein Nebel be- 


. ΝΕ, 


230 Jüdisch-griechiscohe Philosophie 


Dagegen nimmt das pseudosalomonische Buch der Wei- 
heit unter diesen keine unwichtige Stelle ein. Die Verwandi- 
schaft dieser Schrift mit Philo lässt sich nicht läugnen. Ist auch 
in der berühmten Stelle über die Weisheit (7, 22—8, 5 vgl. 9, Ὁ) 
diese göttliche Eigenschaft noch nicht wirklich, in dogmatischem 
Sinn, hypostasirt oder gar personificirt, so befindet sich doch der 
Verfasser unbestreitbar auf dem Wege zu einer solchen Hypostssi- 
rung; er beschreibt die Weisheit als einen Abglanz des göttlichen 
Lichts, einen Spiegel der göttlichen Wirksamkeit, einen Ausfluss der 
göttlichen Herrlichkeit, als einen feinen, verständigen, reinen, ali- 
vermögenden,, allwissenden Geist, welcher durch die ganze Welt 
verbreitet, aber doch unzertheilt und in sich bleibend, alle Dinge 
künstlerisch bilde, und von Geschlecht zu Geschlecht in gottgefäl- 
lige Seelen übergehe. In dieser Schilderung lässt sich einerseits die 
stoische Idee des Weltgeistes, der alldurchdringenden künstlerischen 
Weltvernunft, nicht verkennen !); aufder andern Seite tritt aber zu- 
gleich auch das Bestreben hervor, diese in der Welt wirkende Got- 
teskraft von dem göttlichen Wesen selbst zu unterscheiden, wenn . 
- der Verfasser c. 10 (vgl. auch c. 14, 3. 17, 2) alle die Wirkungen der 
göttlichen Vorsehung, welche die alttestamentlichen Schriften unmit- 
telbar von Gott ausgehen lassen, statt dessen auf die göttliche Weis- 
heit zurückführt*). Die metaphysische Begründung dieser Ansicht 
durch die Lehre von der absoluten Transcendenz Gottes findet sich 
allerdings hier noch nicht?), und ebensowenig die philonische Fort- 


deckt habe. Auch dieser Zug erklärt sich aber aus der naheliegenden Com- 
binstion der Weisheit mit dem Geist Gottes Gen. 1, 2. Auch was Dinss 
Β, 141 f. geltend macht, beweist zwar für die Einmischung alexandrinischer 
Vorstellungen in diese (um 120 v. Chr. in's griechische übersetzte) Schrifl, 
nur sind diese Vorstellungen durohaus jüdiach-theologischer, nicht philoso- 
phischer Art. 

1) An stoische Einflüsse erinnern auch die vier Kardinsltugenden, welche 
8, 7 in Chrysipps’ Weise auf die σοφία als ihre Wurzel zurückgeführt werden 
(welche daher, genau genommen, nicht mit Ewaro a, a. O. 549 „Acht plato- 
pisch und rein aus platonischer Schule geflossen“ genannt werden können). 
Vgl. 1. Abth. 220 £. Bd. II, a, 567. Auch bei Philo werden wir die vier Grund» 
tugenden in der chrysippischen Fassung finden. 

3) So namentlich V. 17, wo statt Jehorah’s die σοφία es ist, welohe den 
IsraSliten in der Wüste mittelst der Wolken- und Feuersäule den Weg zeigs. 

8) Denn c. 9, 18 ff, kann man dafür natürlich nicht anführen. — M. vgl. 


Buoh der Weisheit, 2. 
sildung der Weisheit zum Logos); aber leichtere Spuren ‚der 


Denkweise, weiche in jener Lehre ihren stärksten Ausdruck gefun- 


den bat, lassen sich noch mehrfach nachweiscn. Dahin gehört-der 
Beiz ?), dass der Tod nicht vom Gott herrähre, sondern nur durch 
die eigene That des Menschen und die Verführung des Teufels in 
die Welt gekommen sei, denn Gott habe alle Geschöpfe nur zum 
Leben bestimmt. Dieser Satz geht entschieden weiter, als die Be- 
kauptung, welche wir bei Aristobul trafen, dass die verderblichen 
Erfolge nicht unmittelbar von Gott bewirkt seien, denn er lässt 
dieselben gar nicht von ihm bewirkt werden; hier ist wirklich eise 
Spar von jemem Dualismus, in dem wir ein unterscheidendes Merk- 
mei dos neupyihagoreischen and der verwandten Systeme erkanat 
haben: das Gefühl des physischen und moralischen Uebels auf der 
einen, die Bewunderung der göttlichen Vollkommenheit auf der 
andern Seite ist so stark, dass man jenes nur durch die Vorams- 
selzung eines zweiten, dem göttlichen entgegengesetzten Princips 
zu erklären weiss. Auch die anthropologische Wendung dieses 
"Duslismus ist unserem Buche ‘nicht fremd. Der Leib ist nach sei- 
aer Darstellung eine Bürde, welche die Seele niederdrückt und zu 
höherer Erkenntniss unfähig macht (9, 14 ff), der Geist Ist höheren 


sach 2, 28, wornach der Mensch unmittelbar das Abbild Gottes ist, nicht 
blos, wie bei Philo, des Logos. 

1) In den drei Btellen über dae Wort Gottes 9, 1 ὦ, 16, 12. 18,.14 ff. be- 
“ ssiehnet der λόγος eben nur das gesprochene Wort; auch die letzte enthält 
sicht eine dogmatische, sondern nur eine poßtische Personifikation, werin 
V, 16 dem homerischen οὐρανῷ ἐστήοιξε κάρη καὶ ἐπὶ χθονὶ βαίνει nicht blos Aba- 
lieh, sondern wahrscheinlich auch naobgebildet ist. 

ὃ) 1, 18 ff. 2, 28 f. vgl. 11, 24 ff. Die Worte 2, 24: φθόνῳ δὲ διαβόλου 
δένετος εἰκῆλθεν αἷς τὸν χόσμον hält Grärz 3. 444 für einen christlichen Zusatz, 
weil ie den Zusammenhang stören, und weil die jädischen Scehriften aus 
fee Zeit von einer kosmischen Macht des Teufels nichts wissen. Ich kaiın 
des erste nicht finden, und was das zweite betrifft, so ist es mir sohr unwahr 
sebeinlieh, dass der Teufelsglanbe, welcher im Judentbum um den Anfang us- 
ΒΗ: Zeitrechnung so ausserordentlich verbreitet und einflussreich war, damals 
moth nicht mu der naheliegemden Deutung der Paradiesesschlange auf den 
Teufel geführt haben sollte, gesetzt auch, diese Deutung finde sich unter den 
Ueberresten der damaligen jidischen Literatur zufällig nur an unserer Stelle 
Unter den neutestamemntlichen Schriften nennt gerade die, welche vorzug® 
weise ein jüdisches Gepräge trägt, die Apokalypeo (12, 9), den Teufel die 
Alte Schlange: 


238 Jüdiscoh-grisechische Philosophie. 


Ursprungs und tritt aus einer höheren Welt in den Leib em'); ar 
ist desshalb seinem Wesen nach unvergänglich, und kehrt beim 
Tode, .wenn er sich dessen nicht unwürdig gemacht hat, in ein 
besseres Leben zurück ?). In diesem Zusammenhang gewinnt auch 
die Annahme einer präexistirenden Materie, aus welcher Gott die 
Welt gefornit habe (41, 17), grössere Bedeutung. So wenig sich 
daher schon der philonische Lehrbegriff selbst in dem Buche der 
Weisheit findet, so lässt sich doch nicht läugnen,, dass die Geistes- 
richtung, welcher Philo ihre wissenschaftliche Vollendung gab, hier 
bereits entschieden angesetzt hat. Es fragt sich aber freilich, ob 
und wie weit die Abfassungszeit dieser Schrift über Philo hinauf- 
reicht?). Mehrere Spuren scheinen darauf hinzuweisen , dass sie 


1) 8, 19 ζ, sagt Balomo: παῖς δὲ ἥμην εὐφυὴς ψυχῆς τε ἔλαχον ἀγαθῆς, μᾶλ- 
λον δὲ ἀγαθὸς ὧν ἦλθον εἰς σῶμα ἀμίαντον. Hierin liegt offenbar die Vorstellung 
von der Präexistenz. Dagegen ist Diunsz II, 168 entschieden im Irrthum, 
wenn er in dem παράπτωμα ἴδιον Adams, 10, 1, das Herabsinken der Seele in 
den Leib findet; es ist der Bündenfall der Genesis und das Prädikat ἴδιον be- 
zeichnet das selbstverschuldete im Gegensatz zur göttlichen Wirksamkeit. 
Ebenso unrichtig schliesst Grröree II, 241 aus dem μόνον κτισθέντα derselben 
Stelle auf die Lehre von der Mannweiblichkeit Adams, 

8) 2, 28. 8, 1. 18. 4, 20. 6, 18. 8, 17. 15, 8. 

8) αβιμν 8. LXVII seines Commentars schliesst aus c. 6, 1 ff., dass sie 
nooh sur Zeit der Ptolemäer verfasst sei, der sie auch EwaLn (a. a. O. 554) 
zuweist. Allein wenn die Herrscher hier als δικασταὶ περάτων γῆς bezeichnet 
werden, so deutet diess eher auf die Römerherrschaft, und ich hatte desshalb 
schon in der ersten Ausgabe an die Zeit des zweiten Triumvirats gedacht (also 
nicht, wie Grirtz 8. 442 angiebt, die Abfassungsseit der Sohrift nnoch böber 
angesetst", als die Zeiten der Ptolemäer, was schon an sich selbst, vollends 
aber neben der von ihm gleichfalls angeführten Vermuthung ibres therapen- 
tischen Ursprungs, doch gar zu wunderbar gewesen wäre). Grirtz a.a. 0. 
glaubt, unsere Schrift sei durch die uns aus PmıLo (gegen Flaccus; Legatio 
ad Caj. 1008 f. H. 562 f. M. De somn, 1125, A H. 6875 M. vgl. Grärz 2... 0. 
268 ff.) bekannten Vorgänge unter Caligula veranlasst, als die alexandrini- 
schen Juden unter schwerer Misshandlung genöthigt werden sollten, Bilder 
des Kaisers in ihren Synagogen aufzustellen. Die Lebhaftigkeit, mit der sie 
gegen die Tyrannei der ungerechten Herrscher und gegen den Götsendienst 
eifert, die Art, wie ο. 14, 14 ff. dieser aus-jener abgeleitet, und namentlich 
die schmeichlerische Verehrung der Bilder abwesender Despoten gerligt, wie 
0. 5, ὃ f. von der Verhöhnung der Frommen durch die Gottlosen gesprochen 
wird, würde su dieser Hypothese gut passen. Nur scheint schon etwa 20 
Jahre nach diesem Zeitpunkt Paulus Bekanntschaft mit unserem Buche zu 
vorrathen (was Grimm 8. LXX bestreitet, Bia=x Stud. u. Krit. 1858, 3, 140 @. 


-Buoh der Weisheit. 4.88 


aus der essenisch-iherapentischen Parthei, oder einem ihr nahe 
siehenden Kreise hervorgieng!). Aber wie es sich mit dieser Par- 
ihei verhält, haben wir gleichfalls erst zu untersuchen. 


und Nırzsch Deutsche Zeitschr. f. christl. Wissensch. 1850, 871. 887 behaup- 
ten); vgl. Röm. 1, 20 f. mit Weish. 18, 5. 8 £., δια. 1, 24 ff. m. Wsh. 14, 
41 £, Röm. 9, 21. m. Weh. 16,7, Röm. 9, 22 f. m. Weh. 12, 20 f., Röm. 11, 
82 m. Wsh. 11, 24, 2 Kor. δ, 4 m. Wsh. 9, 15, und aus den angesweifelten 
Briefen 1 Thoss. 4, 18 m. Wsh. 8, 18, Epb. 6, 18—17 m. Weh. 5, 17—20. Es 
ist nan allerdings an sich nicht unmöglich, dass eine erst vor zwei Jahr- 
schenden verfasste Schrift von Paulus in dieser Weise benütst wurde; ande- 
rerseits sind aber doch die Hinweisungen auf die Verfolgungen unter Caligula 
sicht so deutlich, dass Grärz’s Vermuthung für gesichert gelten könnte, und 
der ganze Charakter der Schrift macht es wahrscheinlich, dass sie Alter ist, 
εἷς Philo, 

1) Wie diess sebon Eıcunoax (Einl. in die apokryphb. Schr. des A. T. 
&. 134 f. 150), Graönen (Il, 265 8.) und Diunz (Il, 170) verautbei haben, 
während Ganen (a. a. O. 8. LVI) widerspricht, and Θεχτε (444) es bezweifelt. 
Kana hiefür auch co. ὃ, 18 f. 4, 1 nieht viel beweisen, se scheint sich dagegen 
δ. 16, 26 fl. auf die essenisch-therapeutische Bitte des Giebets vor Sonnen- 
aufgang (6. u.) su besiehen, 18, 24 erinnert an das Allegorisiren der Thera- 
peuten, und die Stelle 4, 8 £. (γῆρας γὰρ τίμιον od τὸ πολυχρόνιον .. πολιὰ δέ ἐστιν 
φρόνησις ἀνθρεύποις) spricht den Grundsatz derselben aus (b. Psuro a. a. Ο. 481 
M. extr. 899, Ὁ. H.): πρεσβυτέρους γὰρ od τοὺς πολυετέῖς χαὶ παλαιοὺς voulkovem .. 
ἀλλὰ τὸς ἐκ πρώτης ἡλικίας ἐνηβήσαντας καὶ ἐνακμάσαντας τῷ θεωρητικῷ μέρει φι- 
λονυφίας. (Asbnlich unterscheidet PrıLo Leg. alleg. 98, Β. 121 Μ: οἱ πατέρες, 
δὲχ οἱ πρὸς ἀλαήθειαν, ἀλλ᾽ οἱ χρόνῳ πολιοί. Vgl. Dens. De Abr. 887, Ο. 89 M.) 
Dagegen scheint es mir nicht, dass es Grärz (a. a. O. 448 2) gelungen sei, 
Okzistliche Interpolationen in unserer Schrift nachzuweisen. Dass wir eine 
solche α, 3, 24 ansunebmen keinen Grund haben, ist schon 8. 281, 2 bemerkt 
werden, Ebensowenig braucht 14, 7 (εὐλόγηται γὰρ ξύλον δι’ od γίνεται δικκιο- 
en) ein auf das Kreus Christi besügliches Einschiebsel su sein. In den Zu- 
“mmenhang wenigstens passt es ganz gut: „selbst dem kleinsten Fahrseug 
vertrauen die Menschen ibr Leben an, wie damals in der Fluth die Hoffonng 
der Weit in ein Fahrseug ihre Zuflucht nahm; denn der Segen ruht auf dem 
Balse mieht: „gesegnet sei das Hols“), duroh welohos etwas gutes geschieht, 
"orflucht ist dagegem das χειροποίητον, das Holz, aus welchem (nach 18, 11 ff.) 
«ia Gdtzenbild gemacht wird" — was ist hier am Zusammenhang der Gledan- 
kon zu vermissen? Dass endlich 8, 18. 4, 1 ein christlicher Leser „das 
Iemnsakloster hereinhringe“, ist eine grundlose Behauptang, da vielmehr 
ker nor dem altjädischen Vorurtheil von dem unbedingten Werth des Kindsr- 
“runs der Satz entgegengestellt wird, Kinderlosigkeit mit Tugend sei mehr 
verth, als der Kinderseichthum der Gottlosen. Würde aber auch der Ihe 
Wnigkeit als solaher γος der Ehe der Vorzug gegeben, zo ist diess ja moch 

asnisch, als christlich. Zu 


ΜΝ ᾿ς Basener. 


%. Die Essener und Therapeuten). 


Die merkwürdige Parthei der Essener oder Essäer ?) begegnet 
uns zuerst um die Mitte des zweiten Jahrhunderts als eme von den 


ι) Ueber dieselben: Bruuuemanx über Essüer und Therapeuten. Berlin 
1831. Graözer Philo II, 280 ff. (1881). Dinne Darstellung d. jüdisch-alexzandr. 
Religionsphilosophie (1834) I, 489 ff. und die von ihm und Bellermann ange- 
führte ältere Literatur. Derselbe in Ersch und Gruber’s Enoykl. Art. Eesäes, 
Beot. I, Bd. 88, 8. 178-193. An diese Vorgänger schloss sich meine Darstel- 
lung iu der ersten Ausgabe des vorliegenden Werkes zunächst an. Der Wi- 
derspruch, welchen A. Rırscas, (Ueber die Essener. Theol. Jahrb. XIV, 1866, 
8. 814-- 866) hiegegen erhob, veranlasste mich (ebd. XV, 401—438: über den 
Zusammenhang des Essäismus mit dem Griechenthum) und gleichzeitig Mau- 
soch (dis Irrlehrer der Pastoralbriefe 8. 32--60) zu einer neuen Untersuchung 
‚des Gegenstandes, gegen welehe Rırsonı ἃ. Entstehung d. sltksth. Kirche 
- 8. A. 429-—300 seine Ansicht aufreehtbielt. Weitere Erörterangen über den 
Eusäismus bei Ewaup Gesch. d. V. Isra&i 111, b, 419-- 428. Rzuss Histoire de 
la Ihbologie ohräienne au sidole apostolique I, 122— 181. Lurrsaszicz Die neu- 
test. Lehrbegriffe I, 210 Β΄, Hıraznzaı.p Jüdische Apekalyptik- 245 — 286, 
Ztschr. f. wissenseh. Theol. 111, 858 f. IX, 408; unter den jüdischen Gelehrten 
bei Frauzer („die Kssäer, eine Skizze“ in seiner Ztechr. f. rei. Interassem des 
Judenth, III, 441 £.; „die Essäer naeh talmudischen Quellen® in seiner Meo- 
natsschrift IT, 80 Α΄. 61 Θ΄, — ich habs mir beide vergehlich zu verschaffen 
gesucht); Geirz Gesch. d. Juden III, 79 ff. 468 fl., der sich gans an Framkel 
zu halten scheint; Josz Gesch. d. Judenth. I (1857), 207814; Hanarsın 
Gesch. d. V. Jisraäl II, 868 δ᾽, 888 &. 609 ff. Da die Ansichten über den Essäismeus 
nooh weit auseinandergehen, und da andererseits diese Erscheinung, gerade 
bei meiner Auffassung derselben, nieht blos für die Religionsgesabichte ren 
der höchsten Wichtigkeit ist, sondern auch über die gleichzeitige griechische 
Philosophie ein weiteres Licht verbreitet, scheint es mir angemessen, ams- 
führlicher auf sie einzutreten, als durch ihren wissenschaftliohen Werts, 
diesen für sich allein genommen, angezeigt wäre. 

8) Der Name wird verschieden gesohrisben: PaiLo sagt ᾿'Εοσαῖοι, Joss- 
raus in der Regel ᾿Εσσηνοὶ (Antt. XV, 10, 4 und 8. J. 1,8, 5 hat unser Tem 
"Boseiog, an beiden Stellen findet sich aber auch ᾿'Εσσηνὸς͵ B. ὁ. U, 20, 4. IH, 
3, 1 dagegom nar 'ἔσσαϊος), Prin. bh. nat, V, 17, 78 Zsseni, Ponrn. De abstin. 
4V, 11 £., wiowohl er sich im übrigen gana an Josephus hält, ’Eoseiee, Hır- 
FouLx?. Befut. bar. IX, 18 2, dagegen, bei gleicher Abhängigkeit von Jes., 
Βσσηνοί, Ucher die ebräische Wursel.des Wortes hat.man viel gerathen; vgl 
BuuLneuann ἃ. 0. 0.6 fl. ὕππλιρ 4. δ. Ὁ. 420. Gairz 468 f. Hzazrnp 808 £. 
Kwauo leitet es von pırı ia der Bedeutung „Wätter,; Diener, θεραπευτὴς" her, 
Gairz von arem. arıD baden (mmom der Badende, ἡμεροβακτισεὴς), Bas 
uunuana, λα, Hzssseın (a. a. O, und 3. 405) u. A. von nom heilen: 


Erstes Vorkommen. Quellen. 385 


drei Haupisekten der palästinensischen Juden '). Weitere verein- 
see Spuren derselben finden sich ia der Folge wiederholt *; 
etwas genaueres erfahren wir aber erst aus der Zeit, welcher ihre 
Sebilderungen bei Ρπιι0 5), und Joszraus‘) entnommen sind, aus 
dem ersten christlichen Jahrhundert. Gleichzeitig mit Josephus 
gedenkt der ältere Puinıus®), bald nachher Dıo Caxvsogrouys®) 
der Essener; die wenigen sonstigen Schriftsteller dagegen, die 
von ihnen berichten, sind nicht als selbändige Zeugen zu 
betrachten 7). 


vn, oder nach Bell, „der Besserung sich befleisaende“, Hırseuruun 8, 278 
on "1 schauen (ni bi die Seher), Jost 8. 207 von ner = 
chen (vgl. Jos. Antt. IL, 7,5, wo jur, Brustschild, 'Eoahv oder " 
αήνης geschrieben wird), andere noch anders. Mein Freund und Colloge 
Βύταιο theilt mir die Vermuthung mit, der Name stamme von δὲ ΟῚ au " 
. ron der Wursel "ort confugere, ‘sc. ad Deum); im Plural würde dieses im 
stat. ahsol. ΤΠ. im stat, ampbat. ROT lauten; von jenem käme 'Esanva, 
von diesem 'Eosaloı Chasidim nannte man bekanntlich die Anhänger. des 
väterlichen Gesetzes während der syrisohen Verfolgung. 

1) Jossem. Antt. XIII, 5, 9: κατὰ δὲ τὸν χρόνον τοῦτον τρές alpdaıs τῶν 
Ἰουδαίων ἦσαν, die Pharisäer, Sadducher und Essäer. Diese Zeit ist die des 
Hasmonäers Jonathan (160— 148 τ. Chr.). 

2) Bei Jos. B. 2.1, 8,5 weissagt ein Essener, Namens Judas, ein Pro- 
„het, der sich bei seinen Vorbarsagungen niemals getäuscht habe, Tag und 
Ort der Ermordung des Hasmonäers Antigonus (106 v. Chr.), Um dieselbe 
Zeit finden sich im Buch Henoch Anklänge an essenische Lehren (vgl. Köstız 
Theo. Jahrb. XV, 886). Jos. Antt. XV, 10, 5 verkündigt der Rasener Mena- 
them, welcher gleichfalls die Gabe der Weissagung besitst, dem Knaben 
Berodes seine künftige Königswürde und den gansen Verlauf seiner Hezs- 
schaft, später demselben als König ihre Dauer. Ebd. XVII, 13, 8 deutet ein 
Witter Essäer, Simon, dem Archelaug den Traum, der seine Absetzung (6 5. 
Chr.) anklindigte. 

8) Qu. omn, prob. lib. 876, Ο 8. H. II, 457 fi. M. und in dem Brach- 
Mäck aus seiner Apologie für die Juden (wohl um 40 n. Chr.) hei Eus, pr, er. 
VIN, 11. Die erste von diesem Schriften wird swar von Gai7s (a. a. Ὁ. A, 464. 
410) Philo abgesprochen; dieses Urtheil ist jedooh durch die wenigen ‚und 
Por wiegenden Gründe, auf die os gestütst wird, nicht von ferne gerenht- 


.- 


4) Die Hauptstelle des Josephus über die Essäer steht B. J. II, 8; 
"ehe ihr ist die wichtigste Antigaitt. XVIII, 1, 5. 

5) Hist. nat. V, 17, 78. 

6) Bei Srums. Dio A, 89 Pet. 

7) Diess gilt nicht allein von Borın. ο, 38, welcher Plinius aussehreibt 


358 2 Basoner. 


Was nun an dieser Parthei zunächst in’s Auge fällt, ist die 
Eigenthümlichkeit ihrer Lebensweise und ihrer gesellschaftlichen 
Rinrichtungen. Die Essener bildeten einen religiösen Verein, 
‘dessen Mitglieder sich um die Mitte des ersten Jahrhunderts n.Chr. 
auf.mehr uls viertausend beliefen!). Sie hatten ihre eigenen Prie- 
ster und Beamten?) und ihre eigenen Gemeindegerichte 5). Durch 


x 


und von Pozrurv& De abstin. IV, 11 f., welcher der Schilderung des Josepbus 
niohts eigenes beifügt, sondern auch von HırroLrrus Refut. heeres. IX, 18 ff., 
dessen Zusätze zu Josephus, wie wir finden werden, nur willkührliche und 
'missverständliche Erweiterungen sind. Von Erırman. werden Her. 10 die 
Easener nur Älichtig, als angeblich samaritanische Sekte, berührt; seine 
᾿ Ὄσσηνοι Her. 19 sind eine judenchristliche Parthei. In jüdischen Schriften 
“Andet sich nichts, was sich mit Bioherheit auf die Essener beziehen liesse. 
Tine Reihe solcher vermeintlicher Beziehungen hat Hxzzreıo ἃ. a. Ὁ, 395 ἢ. 
surliokgewiesen. Er selbst vermuthet die Essäer (mit Berreuuaue 146 8, 
a. A.) in den sog. Baitusim, seine Beweise scheinen mir aber nicht sehr bün- 
dig; um so weniger, da er selbst 8. 878 f. nachweist, dass die Baitusim nicht 
selten auch mit den Badducäern zusammengestellt werden. 

‘ +4) Bo Prezo qu. omn. pr. 876, D (457) und Joseruus überemstimmend. 
Diese Uebereinstimmung mit Grätz a. a. Ὁ. aus der Abhängigkeit der philo- 
nischen Schrift von Josephus abzuleiten, wäre man nur dann berechtigt, wenn 
diese Abhängigkeit, und der spätere Ursprung jener Schrift überhaupt, schon 
anderweitig dargethan wäre; so lange diess nicht geschehen ist, wird man 
sich dieselbe (wenn man nicht eine Benützung Philo’s durch Josephus an- 
nehmen will) einfach daraus zu erklären haben, dass sich in dieser Beziehung 
in der Zwischenzeit zwischen den beiden Angaben nichts erhebliches geän- 
dert hatte; keinenfalls aber wird man sie «ls Beweis für die Unächtheit der 
philonischen Böhrift gebrauchen können. - 

3) Der ossäischen ἱερέίς (deren Funktionen später zu berühren sein wer- 
den) erwähnt Jos. B. J. II, 8, 6. Antt. XVIII, 1,5; der Verwalter (drysintel, 
ἐπίτροποι͵ ἀποδέχται προσόδων, ταμίαι), welche die ökonomischen Angelogen- 
heiter der Gesellschaft zu besorgen hatten, Paıro b. Evs. pt. ev. VIIE, 11, 6. 
Jos. Antt. a. a. O.B. J. II, 8, 8. 5. 6; ebd. 4 die χηδεμόνες ξένων.. Die Priester 
wurden nach diesen Stellen gewählt, also nicht, wie die des dffentlieben 
Kultas, dureh die Abstammung bestimmt; die Verwalter hatten unter ande- 
rem jedem Mitglied der Gesellschaft seine Tagesarbeit anzuweisen. Da Anfl. 
XVII, 1, 5, wo, wie es scheint, alle Gesellschaftsbeamte der Essener ange 
geben werden sollen, nur diese zwei Klassen genannt sind, so haben wir wohl 
auch bei den χρατοῦντες oder ἄρχοντες, denen der Neuaufzunehmende Gehor- 
sam geloben musste (B. J. II, 8, 7), nur an sie zu denken. 

8) Jos. B. J. 11, 8, 9: δικάζουσι μὲν οὐκ ἐλάττους τῶν ἔκατόν συνελθόντες. 
Diese Gerichte müssen nach unserer Stelle selbst die Todesstrafe verhängt 


GesellschaftlL Einnichtungen. 422 


eine schroff ausgeprägte hierarchische. Gliederung. ihrer Gesell-. 
schaft’), durch strenge Ordenszucht*), unabänderliche :Lehr- 
überlieferung Ὁ und schauerliche Einweihungseide *) zusammen- 
gehalten, gestatteten sie keinem Fremden einen Einblick. in ihre. 
Bundesgeheimnisse°). Weitere Bürgschaften für die Reinhaftung 
der Verbindung lagen in der Prüfung der neueintretenden Mitglie-. 
der durch ein dreijähriges Noviziat, zu dem auch nur Männer 
reifen Alters zugelassen wurden‘), und in der Ausschliesgung 
solcher, die sich schwerere Verfehlungen zu Schulden kommen 
liessen’). Je strenger sie sich aber gegen aussen abschlossen, um 


haben; wobei es sich freilich fragt, inwieweit diess unter römischer Her 


- schaft susführber war. 


1) A. 2. Ο. 10: διήρηνται δὲ χατὰ χρόνον τῆς ἀσχήσεως εἰς μοίρας τέσσαρας" 
χαὶ τοσοῦτον ol μεταγενέστεροι (d. h. die später eingetretenen) τῶν προγενεστέρων ὁ 
ἔλαττοῦνται͵ ὥστε εἰ ψαύσειαν αὐτῶν ἐκείνους ἀπολούεσθαι καθάπερ ἀλλοφύλῳ 


4) Nach Jos. α. ἃ. Ο. 9 waren sie gewissenhaft und unerbittlich fest ie 
ihren Urtheilen; Unterordnung unter die πρεσβύτεροι und die πλείονες galt bei 
ihnen als Grundsats; in ihrem Einweihungseid mussten sie (ebd. 7) geloben: 
τὸ πιστὸν ἀὰ παρέξειν πᾶσι, μάλιστα δὲ τόῖς xpatodarv‘ (womit, wie man aus dem 
folgenden sieht, nicht die Obrigkeiten überhaupt, sondern die Ordensoberen 
gemeint sind;) οὐ γὰρ δίχα θεοῦ περιγίνεσθαί τινι τὸ ἄρχειν. 

8) Jos. Δ. Δ. O.: Bei ihrer Aufnahme in den Orden versprachen die Es- 
sener unter anderem: μηδενὶ μεταδοῦναι τῶν δογμάτων ἑτέρως, ἢ ὡς αὐτὸς με- 
τέλαβεν. - 

4) Jos. a. a. Ο.: πρὶν δὲ τῆς κοινῆς ἅψασθαι τροφῆς, ὄρχους αὐτοῖς ὄμνυσι 
φριλώδεις u. u. w. Für wie heilig dieser Eid galt, sieht man daraus, dass 
(ebd. 8) selbst ausgeschlossene Mitglieder nicht selten lieber zu Grunde gien- . 
gen, als dass sie ihn durch den Genuss einer dureh denselben untersagten. 
Nahrung verletst hätten. Nun muss man freilich fragen, wie die Essener 
ikren Mitgliedern solche Eide abnehmen konnten, wenn sie doch (s. u.) den 
Eid überhaupt für unerlaubt hielten. Wahrscheinlich fanden sie sich aber 
mit diesem Verbot in derselben Weise ab, wie diess von ihren christlichen 
Nachkommen, den Ebjoniten, in der Διαμαρτυρία ᾿Ιαχώβον vor den clementini- 
schen Homilien geschieht, indem die Form des Eides mit der einer blossen 
Zeugenanrufang vertauscht wurde. 

δ) A. a. ©. 7: Der neu aufzunsehmende musste schwören: μήτε χρύψειν τὶ 
τοὺς αἱρετιστὰς, μήτε ἑτέροις αὐτῶν τὶ μηνύσειν, χἂν μέχρι θανάτου τις βιάζηται... 
Insbesondere sollten die Schriften der Parthei und die Namen der Engel ge- - 
heimgehalten werden. 

6) Jos. a. a. Ο. 7. Puıro b. Eus. pr. ev. VIII, 11, 2. 

7) Jos. a. ἃ. 0. 8. 


238 ἢ Bsener 


so inniger war die Verbindung der Ordensbräder unter einander: 
es sollte nicht allein. keiner vor dem andern ein Geheinmiss 
haben !)‘, sondern es sollte auch keiner ein Privateigenthum be- 
sitzen : die Essener lebten in klösterlichen Vereinen ?) mit voll- 
ständiger Gütergemeinschaft; in jedem Verein floss das Vermögen 
wie der Erwerb der sämmtlichen Mitglieder in eine gemeinsame 
Kasse, und aus dieser wurden alle Bedürfnisse der Einzelnen und 
der Gesellschaft bestritten; ebenso wurde für die kranken, die 
altersschwachen und die durchreisenden Vereinsgenossen von der 
Gemeinde gesorgt’). Ihre Beschäftigung bestand überwiegend in 
Landbau und Viehzucht; von Gewerben trieben sie nur solche, 

welche weder dem Krieg noch der Ueppigkeit dienten *). Schon 
hiemit war es gegeben, dass sie vorzugsweise auf dem Lande leb- 
ten; sie liebten aber auch überhaupt die Einsamkeit, und eine 
ihrer bedeutendsten Niederlassungen befand sich in den Palmen- 
wäldern am westlichen Ufer des todten Meeres; indessen hatten 
sie auch in manchen Städten ihre Ordenshäuser®). In streng 


1) Vgl. 8. 287, 6. 

2) Pnıro b. Eus. VII, 11, 3: οἰκοῦσι 8° dv ταὐτῷ, κατὰ θιάσους ἑταιρίας καὶ 
συσσίτια ποιούμενοι. ebd. 6: οἵ δ᾽ δμοδίαιτοι χαὶ ὁμοτράπεζοι χαϑ᾽ ἔχάστην ἡμέραν 
εἰσί. qu. omn. pr. 878, A (468): οὐδενὺς olxia τίς ἐστιν ἰδία, ἣν οὐχὶ πάντων ever 
συμβέβηκε, πρὸς γὰρ τὸ κατὰ θιάσους συνοιχέϊν ἀναπέπταται χαὶ τοῖς ἑτέρωθεν Apur- 
νουβένοις τῶν ὁμοζήλων ... τὸ γὰρ ὁμωρόφιον A ὁμοδίαιτον A ὁμοτράπεζον οὐχ ἅν 
τις ebpor παρ᾽ ἑτέροις ἔργῳ βεβαιούμενον. Ueber ihre Syssitien Jos. B. J. TI, 8, δ. 

8) Pinto b. Eos. VIII, 11, 8. 8—7. qu. omn. pr. 878, A (458) ff. Jos. B. 
J.1,8,8£. Antt. XVIII, 1,5. Zu dieser Gütergemeinschaft gehört es, dass 
sie kein Geld hatten (Pin. a. a. O. Paıt.o qu. omn. pr. 876, E) und unter ein- 
ander keinen Handel trieben, sondern das, was sie brauchten, von einander 
entweder eintauschten oder geschenkt bekamen (Jos. B. J. II, 8, 4). 

4) PaıtLo Ὁ. Eus. VIII, 11, 4: sie trieben Landbau, Viehzucht, Bienen- 
sucht; ἄλλοι δὲ δημιουργοὶ τῶν κατὰ τέχνας εἰσίν. Ders. qu. omn. pr. 876, Ef. 
(457): οἵ μὲν γεωπονοῦντες ol δὲ τέχνας μετιόντες ὅσαι συνεργάτιδες εἰρήνης ἑαυτούς 
τε καὶ τοὺς πλησιάζοντας ὠφελοῦσιν. Es gebe bei ihnen keine Waffenschmide 
u. s. w., ebensowenig Kaufleute, Wirtbe, Schiffsleute, überhaupt auch von 
den friedlichen Gewerben keine ὅσα εὐόλισθα εἷς xaxlav. Jos. Antt. a. a. Ο.: τὸ 
πᾶν πονέϊν ἐπὶ γεωργίᾳ τετραμμένοι, doch erwähnt auch er B. J. II, 8, 5 der τέχναι 
& ἔχαστοι ἴδασιν. 

“8) Die Angaben unserer Quellen lauten zwar hier nicht ganz überein- 
stimmend. Bei Eus. VIII, 11, 1 sagt Philo: οἰχοῦσι δὲ πολλὰς μὲν πόλεις ic 
Ἰουδαίας, πολλὰς δὲ κώμας καὶ μεγάλους χαὶ πολνανθρώπους ὁμίλους ( welches 
letztere hier, im Unterschied von πόλις und xwun, die vereinselten Ansied- 


Gesellschaftl, Einrichtungen. 2938 


geregelter Tagesordnung war ikr Leoben zwischen Arbeit, gottes- 
dienstlichen Uebungen und Werken der Menschenliebe getheilt 1. 
ἴα ihren Grundsätzen und ihrem Verbalten zeichneten sie sich 


Iusgen der Essener, die eiusam liegenden Klöster derselben, bezeichnen wird), 
Dagegen sagt Derselbe qu. omn. pr. 876, DD (457): κωμηδὸν οἰχοῦσι τὰς ΄πόλεις 
ἐκτρεπόμενοι διὰ τὰς τῶν πολιτευομένων χειροήθεις ἀνομίας, und damit stimmt 
Ῥω. a. a. Ὁ. tiberein, wenn er sagt: αὖ oeeidente litora (des todten Mears) 
Bass fugiunt usgue qua nocent, gens sola δὲ in toto orbe praier ceieras mira,. 
smaulla fonina, omni venere abdicata, sine pacunia, socia palmarum; auf die- 
selbe Niederlassung bezieht sich, was Syues. Dio 9.89 aus Dio Chrysostomus 
anführt: ἔτι χαὶ τοὺς ᾿Εσσηνοὺς ἐπαινέϊ που, πόλιν ὅλην εὐδαίμονα τὴν παρὰ τὸ νεχ- 
per ὕδωρ ἕν τῇ μεσογεία τῆς Παλαιστίνης χειμένην παρ᾽ αὐτά που τὰ Σόδομα. Bei 
Jos. Β. J. 1], 8, 4 hinwiederum heisst es: μία δὲ οὐχ ἔστιν αὐτῶν πόλις, ἀλλ᾽ dv 
ἱκάστῃ χατοιχοῦσι πολλοί, und in den 8. 235, 1 angeführten Erzählungen treffen 
wir Esser in Jerusalem. Von einem dortigen Ordensbaus scheint das Esse- 
zerthor (Jos. B.J. V,4,2) seinen Namen bekommen zu haben. Indessen haben - 
dieses Abweichungen doch schwerlich mehr auf sich, als die vor. Anm. ange- 
führten in Betroff ihrer Beschäftigung (wenn Philo hier allgemein sagt: τὰς 
πόλεις ἐχερεπόμενοι, so sagt dort Josephus nicht minder allgemein: τὸ πᾶν 
zen ἐτὰ γεωργίᾳ terpapuivor); und wie sich jene durch die Annahme aus- 
gleiehen, der Landbau sei zwar nicht ihre einzige, aber ihre Lieblingsbe- 
schäfligung gewesen, so werden sich diese in der oben angedouteten Weise. 
dureh die Annahme ausgleichen lassen, dass sie die Städte swar nicht gäns- 
lich vermieden, aber im Durchsehnitt das Landieben und die Einsamkeit 
vomogen. Dagegen widerspricht nicht allein diese Stelle, sondern noch be- 
stimmter die des Joszrnus B. J. IT, 8, 4 (wo man die ἐχάστη πόλις, wenn sich. 
Jes. nieht ganz unnatürlich und unverständlich ausgedrfickt haben soll, nur ° 
auf die paltstinensichen Städte Überhaupt beziehen kann) der Annahme Hır- 
smmeun's (8. Apokalyptik 259), dass die Essener ihre eigenen, nur von 
Mitgliedern ihres Ordens bewohnten Städte gehabt haben, wie sich denn auch 
H. selbst diese Ordensstädte sofort wieder in „Ortschaften“, einschliesslich 
dee von Plinius erwähnten Niederlassungen in der Einöde, verwandeln, Wie 
hätten aueh 4000 unvorheirathete Männer, von denen jedenfalls ein beträcht- 
licher, wahrscheinlich der grössere Theil, auf dem Land lebte, selbst Novisen 
und Adoptivkinder mitgerechnet, viele Städte ausfüllen können? Das πόλεις 
πολλὰς οἰχοῦσι bei Philo wird daher, nach bekauntem Sprachgebrauch, das- 
selbe hedsuten, wie das ἐν ἑχάστῃ πόλει κατοιχοῦσι bei Josephus (welches 
Aereirr, Refut. 1X, 20 richtig durch μετοιχῳῦσι erklärt): es wohnen in 
vielen Städten Essener, uud wenn Jos. B. J. Il, 8, 4 von πόλεις τοῦ τάγματος 
redet, so werden damit nicht reine Essenerstädte gemeint sein, sondern eine 
" τοῦ τάγματος konnte jede genannt werden, in der ein Essenerverein war. | 
1) M. vgl. die Beschreibung ibrer Lebensordnung bei Jos. Β. J. IE, 8, δ, ᾿ 
ud Asse ebd. 6: τῶν μὲν οὖν ἄλλων οὐχ ἔστιν ὅ τι μὴ τῶν ἐπιμελητῶν προςτα- 
bit ἐνεργοῦσι᾽ δύο δὲ ταῦτα παρ᾽ αὐτοῖς αὐτεξούσια, ἐπικονρία καὶ ᾧἦλεος U. 8. m. 


440 ᾿ Essener. 


durch Bedürfnisslosigkeit, Sittenreinheit, strenge Gereclitigket, 
schrankenlose Wohlthätigkeit aus. Sie beobachteten nicht bios 
in Nahrung und Kleidung die "höchste Einfachheit'), sondern sie 
hielten die sinnliche Lust überhaupt für sündhaft, und forderten 
desshalb Enthaltsamkeit und möglichste Beschränkung der Bedürf- 
nisse Ὁ). Selbst ihre Haltung und Geberde trug das Gepräge einer 
ängstlichen Sittsamkeit?). Höchst gewissenhaft waren sie ferner 
in der Erfüllung ihrer Pflichten gegen andere; ebenso aber auch 
streng im Gericht und unerbittliche Feinde alles Unrechts*). Als 
eine der heiligsten Pflichten betrachteten sie die der Wahrhaftig- 
keit; gerade desshalb aber verwarfen sie den Eid’); ein weiterer 


1) Jos. BJ. II, 8, 4.5. Puıro b. Eus. pr. ev. VII, 11, 6: Ihr Mahl be- 
stand aus Einem Gesicht, ibre Kleidung (wie aus der Stelle Philo’s und der 
entsprechenden Sitte der Therapeuten und Ebjoniten hervorgeht) aus einem 
einzigen schlichten Gewande; Kleider und Schuhe wurden bis auf's Kusserste 
abgetragen. 

92) B.J. 1,8, 2: οὗτοι τὰς μὲν ἡδονὰς ὡς κακίαν ἀποστρέφονται, τὴν δὲ ἐγ- 
χράτειαν χαὶ τὸ μὴ tale πάθεσιν ὑποπίπτειν ἀρετὴν ὑπολαμβάνουσι. PriLo a. 8. O.: 
ἀλιγοδείας ἐρασταὶ, πολυτέλειαν ὡς ψυχῆς χαὶ σώματος νόσον ἐχτρεπόμενοι. 

8) Jos. a. a. Ο. 4: καταστολὴ δὲ καὶ σχῆμα σώματος ὅμοιον τοῖς μετὰ φόβου 
πολδαγωγουμένοις παισίν — ein kleiner Zug, aber beseichnend für eine von die- 
sen weltscheuen Partheien, welche ja immer die Aussere Erscheinung der Fröm- 
migkeit und die Unifermität dieser Erscheinung zu überschätzen pflegen. 

4) Jos. a. a. O.7: Bei der Aufnahme schworen sie unter anderem: τὰ 
πρὸς ἀνθρώπους δίκαια φυλάξειν u. 5. w. μισήσειν δὲ dat τοὺς ἀδίκους χαὰ συνάγω 
. γιφίσθαι τοῖς δικαίοις. Ebd. 9: περὶ δὲ τὰς κρίσεις ἀχριβόστατοι καὶ δίκαιοι. Im der 
ersten von diesen Stellen setst Hırror.rr. Refut. IX, 28, der sie im übrigen: 
sinngetreu wiedergiebt, statt der Worte; μισήσειν τοὺς ἀδίχους : ομηδένα δὲ 
μῆτε ἀδικοῦντα μήτε ἐχθρὸν μισήσειν͵ προζεύχεσθαι δὲ ὑπὲρ «ὐτῶν", ἃ. h. er oder 
seine Quelle setzt das jüdische in’s ohristliche, das essenische in's ebjeni- 
tische um. 

5) Schon Pairo gu. o. pr. 877, E (458) nennt unter den Beweisen ihrer 
Frömmigkeit (τοῦ φιλοθέον δείγματα) τὸ ἀνώμοτον, τὸ ἀψευδές. Bestimmier Jos. 
B. ὅ. II, 8, 6: καὶ πᾶν μὲν τὸ ῥηθὲν ὑπ᾽ αὐτῶν ἰσχυρότερον ὅρκου" τὸ δὲ ὀμνόαιν. 
αὐτοῖς περιίσταται [wohl: περιίσφανται, sie vermeiden, ohne adtoi;, das in Einem 
Cod. fehlt] χεῖρόν τι τῆς ἐπιορχίας ὑπολαμβάνοντες. ἤδη γὰρ ἤδη [Ὁ] κατεγνόσθαι.. 
φασὶ τὸν ἀπιστούμενον δίχα θεοῦ. Ebd. 7: Der Aufna',meeid der Essener ent- 
hielt unter anderem das Versprechen, τὴν ἀλήθειαν ἀγαπᾶν ἀεὶ καὶ τοὺς ψευδο- 
μένους ἐλέγχειν προβάλλεσθαι. Dass die Ebjoniten den Eid vorwarfen, ist be- 
kanırt. Inwiefern trotsdem bei der Aufnahme in den Bund ein Eid möglich 
war, ist 8. 287, 4 erörtert. 


Verhalten. 41 


Grund dafür mag darin gelegen haben, dass sie sich scheuten, 
die Gottheit durch denselben in die weltlichen Angelegenheiten 
kerabzuziehen. Ihre Standhaftigkeit und Todesverachtung be- 
währten sie in dem jüdischen Kriege, in dem viele von ihnen als 


Märtyrer ihres Glaubens das äusserste freudig erduldeten!). Wenn 


sie endlich mit ihren Ordensbrüdern auf's innigste verbunden wa- 
ren?), so dehnten sie zugleich ihre Fürsorge und Mildthätigkeit auf 
alle Menschen ohne Unterschied aus?) ; und wenn allerdings schon 
menche vor ihnen die Gleichheit und Verwandtschaft aller Men- 
schen gelehrt hatten , sind sie doch, so viel wir wissen, die ersten, 
welche die Sklaverei nicht allein grundsätzlich verwarfen, sondern 
auch thatsächlich aus ihrem Gemeinwesen ausschlossen. ἢ) 

Mit diesen sittlichen Grundsätzen finden wir aber bei ihnen 
zugleich eine Reihe von Enthaltungen und Gebräuchen verbunden, 
mit denen sie unter ihren Volksgenossen ganz einzig dastehen, 
Sie selbst zwar wollten nichts anderes sein, als ächte Juden: die 
Richtschnur ihres Glaubens wie ihres Verhaltens sollte das 
mosaische Gesetz sein, welches sie nach der Sitte ihres Volkes 


jeden Sabbath in ihren Synagogen vorlasen und erklärten); | 


gegen den Verkündiger des Gesetzes hegten sie eine solche Ver- 
ebrung, dass eine Schmähung desselben bei ihnen mit dem Tode, 


1) Jos. B. J. II, 8, 10. Früher hatten sie nach Pmro gu. omn. pr. 878, C 
(456) auch von den schlimmsten Tyrannen nichts zu leiden gehabt. Von He- 
redes ἃ, Gr. wissen wir anch aus Jos. Antiquitt. XV, 10, 4, dass er ihnen 

3) 8. o. und Jos. B. J. II, 8, 2 f.: φιλάλληλοι δὲ χαὶ τῶν ἄλλων fsc. "low 
Baley] πλέον... θαυμάσιον Kap’ αὐτοῖς τὸ κοινωνητοιόν. Ebenso wird Antiguitt. 
XVII, 1, 5 um der Giitergemeinschaft willen ihre ganz einzige Gerechtigkeit 
gwähmt, ᾿ 

8) 8. ο. 289, 1. 

4) Jos. Antiqu. a, a. O.: καὶ οὔτε γαμετὰς slskyovrau, οὔτε δούλων ἐπιτη- 
δείουσι χτῆσιν͵ τὸ μὲν (die Sklaverei) εἰς ἀδικίαν φέρειν ὁπειληφότες, τὸ δὲ (die 
Ehe) στάσειος ἐνδιδόναι ποίησιν. Parto qu. om. pr. 877, A (457): δοῦλός τε rap’ 
αὐτοῖς οὐδὲ εἷς ἐστιν, ἀλλ᾽ ἐλεύθεροι πάντες ἀνθυπουργοῦντες ἀλλήλοις" καταγινώσ- 
τοῦθ τε τῶν δεσποτῶν οὐ μόνον ὡς ἀδίχων, ὁσιότητα λυμαινομένων, ἀλλὰ καὶ ὡς 
ἀαβῶν͵ θεσμὺν φύσεως ἀναιρούντων, A πάντας ὁμοίως ... ὡς ἀδελφοὺς γνησίους... 


6) Pinto 48. omn. pr. 877, C (458). 
Philos. ἃ, Gr. IIT. Ba. 8. Abtlı 16 


ΔΆ. Essener. ᾿ 


der διναίο dar Gotteslästerung , bedroht war!) Auch dureh. 
Strenge der Sabbathsfeier zeichneten sie sich aus ?); und dam Na- 
tiomalheiligthum in Jerusalem bezeugten sie durch Weihgeschonke' 
ihre Ehrfurcht®). Bei .der Erhebung ihres Volkes gegen die Röser 
waren auch die Essener betheiligt, und für das Gesetz ikrer Väter 
wussten auch sie zu sterben). Aber von der herrschenden jüdi- 
schen Sitte und Denkweise wichen sie nichisdesioweniger weit ah, 
An den Opfern, welche den Mittelpunkt des nationalen Gottesdien- 
stes bildeten, nahmen sie nicht theil®); wie JosErsus sagt, weil- 
sie ihren eigenen Weihen höheren Werth beilegten, in Wahrheit 
ohne Zweifel, weil sie es für unerlaubt hielten, Thiere zu tödten 
und zu verzehren ®); und desshalb war ihnen, wenigstens in der 
späteren Zeit, der Zutritt zum Tempel verwehrt’). Sie enthielten 


-- 


1) Jos. Β. J. II, 8, 9: σέβας δὲ μέγιστον παρ᾽ αὐτοῖς μετὰ τὸν θεὸν τὸ ὄναμα 
τοῦ νομοθέτον. χἂν βλασφημήσῃ τις εἰς τοῦτον, κολάζεσθαι θανάτῳ. 

2) Jos. a. a, Ος, naclı dem diese Strenge so weit gieng, dass sie am Bab- 
bath nicht allein keine Arbeit gu besorgen und kein Feuer anzuzünden, son- 
dern selbst kein Geräthe in die Hand zu nebmen, ja nicht einmal ihre Noth- 
durft zu verrichten wagten. 

8) Jos. Antiqu. XVII, 1, δ. 

4). & 0. 241, 1 und Jos. B. J. II, 80, €. Ill, 2, 1, wo ein Essäer Johannes 
als ausgezeichneter Feldherr vorkommt. Dass freilich Hırroırr. Refut. IX, 
26, trotz dem 8. 240, 4 angeführten, die Zeloten und Sicarier zu Essenern 
macht, ist nur ein Beweis seiner Nachlässigkeit. 

5) PrıLo qu. omn. pr. 876, ἢ (457): sie dienen Gott, οὐ ζῷα χαταθύ- 
οντες, ἀλλ᾽ ἱεροπρεπεῖς τὰς ἑαυτῶν διανοίας χατααχευάζειν ἀξιοῦντες. Jos. Antt 
XVII, 1, δ: θυσίας οὐχ ἐπιτελοῦσι διαφορότητι ἀγνειῶν ἃς νομίζοιεν, καὶ δύ αὐτὸ 
εἰργόμενοι τοῦ κοινοῦ τεμενίσματος ἐφ᾽ αὑτῶν τὰς θυσίας ἐπιτελοῦσι. 

6) Dass diess ihr eigentlicher Grund war, müssen wir schon desshalb 
annehmen, weil man nicht siebt, aus welchem andern sie ihren eigenen get- 
tesdienstlichen Uebungen ΤΟΥ den im Gesetz so bestimmt vorgeschriebenen 
nicht allein den Vorzug gegeben, sondern diese ganz unterlassen haben sollten. 
Bestiınmter erhellt es daraus, dass sie auch bei ihrer eigenen Gottesverehrung 
sich der Tbieropfer enthielten, und überhaupt kein Fleisch assen; =. 8.243, 1. 

7) Vgl. vorl. Anm. Dieses Verbot scheint indessen erst der späteren 
(aber vielleicht immerhin schon der vorchristlichen) Zeit ansugehören, umd 
so überhaupt das Verhältniss der Essener su den herrschenden Partheien an- 
fangs weniger gespannt gewesen zu sein: in der 8. 285, 2 berührten Eraäh- 
lung des Josephus über den Essäer Judas treffen wir diesen mit seinen Schil- 
lern im Tempel. 


Lebensweise; Ascese. | 243 


sieh des Fleisches!), ünd ohne Zweifel auch des Weines”); ja es 
waren ihnen überhaupt alle Speisen untersagt, welche von andern, 
als Ordensgenossen, und anders, als nach den Ordensregeln berei- 
tet waren ®). Sie verwarfen ferner das eheliche Leben und alle 


1) Es folgt diess, wie ich schon Theol. Jahrb. XV, 419 f. geseigt habe, 
neben der inneren Consequenz der Sache und dem Umstand, dass mit dem 
Verbot der Thieropfer sonst überall das des Fleischgenusses Hand in Hand 
geht, aus der spliter nachzuweisenden Bitte der Therapeuten, namentlich aber 
aus der der christlichen Essener, der Ebjoniten, flir welche ich a. a. O. die 
näheren Belege gegeben habe. Auch Porrurz a. a. O. kann den Bericht des 
Jossphns tiber die Essener kaum aus einem anderen Grunde in seine Schrift 
Ds abstinentia aufgenommen haben, als weil er bei ihnen wirklich die von 
ihm geforderte Enthaltung vom Fleisch fand, und er selbst deutet diess an, ' 
wean er am Schluss 6. 13 sagt: τοιοῦτο μὲν τὸ τῶν ᾽Εσσαίων παρὰ τοῖς Ἰουδαίοις" 
τἔγμα. πᾶσί γε μὴν ἀπηγόρευτο υἷὸς ἐσθίειν u. s. w. Gewisse Arten von Fleisch 
sind alien, den Essäeru ist das Fleisch überhaupt verboten. 

2) Wie wir gleichfalls aus dem Vorgang der Therapeuten und Ebjoniten 
(am der Orphiker und Pythagoreer hier noch nicht zu erwähnen) schliessen 
wüssen. Von jenen wird diess später nachgewiesen werden; diese betreffend 
vgl. m. Parr.us Röm. 14, 21. Heozsiee. Ὁ. Eus. K. Gesch. II, 28, δ. Clement. 
Homil. XIV, 1. XV, 7. Erırnas. Her. 80, 16. Schweorer Montanismus 119 f. 
Baur Paulus 3. A. I, 882. 

8) Jos. B. 7. Π, 8, 8: Wer aus dem Essenerverein ausgeschlossen wird, 
geht oft elend su Grunde. τοῖς γὰρ ὅρχοις καὶ τοῖς ἔθεσιν ἐνδεδεμένος οὐδὲ τῆς 
κερὰ τοῖς ἄλλοις τροφῆς δύναται μεταλαμβάνειν, ποηφαγῶν δὲ καὶ λιμῷ τὸ σῶμα 
τεπόμενος διαφθείρεται. Hieraus erhellt unwidersprechlich, dass bei den Esse- 
nern jede von andern, als Ordensgenossen, bereitete Nahrung auf's strengste 
terpönt war. Den Grund dieses Verbots suchte Rırsonı Theol. Jahrb. XIV, 
ἘΜ, darin, dass dieselben nur Gott dargebrachte, d. h. Opferspeisen baben 
geuiessen wollen, und er berief sich für diese Ansicht auf Jos. Antt. ZVIII, 
1,5: Ispdig τε [χειροτονοῦσι] διὰ ποίησιν σίτου τε χαὶ βρωμάτων, indem er ποίησις 
mit „Opferung“ übersetste. Wiewohl aber HırarnreLo Jüd. Apokal. 270 
dieser Erklärung beigetreten ist, muss ich doch gegen .sie wiederholen, was 
ieh sehon Th. Jabrbb. XV, 414 bemerkt habe, und was Rırsca selbst in- 
swischen anerkannt hat (Entst. d. altkath. K. 2. A. 181): dass xouflv zwar ab- 
selut gesetst unter Umständen so viel bedenten kann, als θυσίαν ποιέϊν, dass 
46 dagegen diese Bedeutung niemals hat, wenn ein Objektsaccusativ, wie 
«ser, dabei steht, und dass das Substantiv ποίησις überhaupt nie, am wenig- 
sten aber mit einem Genitiv des Objekts, wie σίτου, verbunden, „Opferung* 
bedeutet, Ebenso muss ich aber auch dabei beharren, dass'nach B. J. II, 8, 8 ΄ 
zieht die niehtgeöpferten Speisen, sondern die unreinen Kpeisen dem Esse- 
Wr durch deinen Eid verboten waren, denn die wildwachsenden Nahrungr- 
mittel, mit denen die ausgestossenen ihr Leben fristeten, waren auch keine 

16 * 


Ν αὐ 


344 Essener. 


Geschleehtslust überhaupt, und duldeten keine Frauen in ihren 
Vereinen, wenn sie auch fremde Kinder annahmen und aufzogen 7); 
nur eine Minderheit kann es gewesen sein, welche die Ehe als un- 
entbehrlich für die Erhaltung der menschlichen Gattung beibebielt?); 
auch diese suchten ihr aber ihren sinnlichen Charakter möglichst 
.zu nehmen, indem sie sie streng auf den Zweck der Fortpflanzung 
beschränkten‘); die Frauen nahmen bei ihnen an der essenischen 
Lebensweise gleichfalls theil*). Sorgsame Wahrung der Scham- 
haftigkeit -war vorgeschrieben). Das Salböl war verpönt, weil 


Opferspeisen. Für unrein galt aber den Essenern, bei denen selbst die Be- 
rührung der Ordensgenossen eines niedrigeren Grades verunreinigto (s. ὁ. 
287, 1), jeder, der nicht zu ihrem Orden gehörte, in äbnlicher Weise, wie 
den Juden überhanpt alle Nichtjuden für unrein galten; so wenig daher der 
Jude mit dem Heiden zu Tische sass, oder bei ihm etwas genoss, so wenig 
durfte diess der Essener bei dem Nichtessener thun. Dass die Priester zur 
ποίησις σίτου nöthig waren, während es doch eigene Bäcker und Köche gab 
(Jos. B. J. II, 8, δ), macht keine Schwierigkeit: das Kochen und Backen war 
freilich nicht ihr Geschäft, aber es durfte nicht ohne gewisse Gebete und CA- 
rimonien gescheben, die nur von ihnen verrichtet werden konnten. 

1) Puıto b. Eus. VIII, 11, 8: ᾽Εσσαίων γὰρ οὐδὲὶς ἄγεται yovalxa Jos. B 
J. II, 8, 3. Anutt. XVIII, 1, δ. Pcım. 8. o. 288, 5. 

2) Jos. Β. 7.11, 8,18. Dass diese verheiratheten Essäer nur eine klei- 
nere Abzweigung der Parthei bildeten, und dass die Duldung der Ehe bei 
ibnen nur ein dem praktischen Bedürfnigs gemachtes Zugeständniss ist, sieht 
man deutlich aus der Art, wie Josephus von ihnen spricht, und aus dem Um- 
stand, dass ibrer nur an unserer Stelle erwähnt, sonst aber die Ehelosigkeit 
den Essenern ganz sligemein beigelegt wird. Es ist daher schief, wenn 
Rırscar (Entst. d. altk. Kirche 185) die principielle Bedeutung der Kihelasig- 
keit für die Essener desshalb bezweifelt, weil doch ein Theil derselben in der 
Ehe gelebt habe; und es ist eine starke Uebertreibung, wenn or das letstere 
von der „Hälfte der Sekte“ behauptet. 

8) Nur solobe durften geheirathet werden, von denen man sich über 
seugt hielt, dass sie Kinder gebären können; Schwangere durften nieht mehr 
berührt werden. 

4) Sie hatten vor der Verheirathung eine dreijährige Probeseit sn be- 
stehen; da ferner Jos. a. a. O. der essenischen Bäder auch bei ihnen aus- 
drücklich erwähnt, ist zu vermuthen, dass sie überhaupt unter der gleichen 
Regel standen, wie die männlichen Mitglieder des Bundes. . 

6) Bei ihren heiligen Bädern hatten die Männer eine leinene Sohärse, 
welche zu diesem Behufe gleich den Noviszen gereicht wurde, die Frauen der 
verheiratheten Essener ein ganzes Gewand anzulegen; Jos. B. J. I, 8, δ. 
7. 18. 


: Lebensweise; Asoese; Reinigungen. 245 


sich sein Gebrauch mit der Einfachheit des essenischen Lebens 
nicht zu vertragen schien!). Alles unreine wurde mit peinlicher 
Aengstlichkeit verborgen, und sofern seine Berührung nicht zu 
vermeiden war, machte sie eine religiöse Reinigung nöthig 575. Ein 
Zeichen ihrer inneren Reinheit sollte ohne Zweifel die weisse Klei- 
dung der Essener sein; bei den gottesdienstlichen Verrichtungen 
&urfte, wie es scheint, keine Wolle, sondern nur Leinwand getra- 
gen werden ®). Von der höchsten Wichtigkeit waren endlich den 


1) Jos. a. a. O. 8: χηλίδα (Befleckung) δὲ ὁπολαμβάνουσι τὺ ἔλαιον, κἂν 
ἀλιφῇ τις ἄχων, σμήχεται τὸ σῶμα’ τὸ γὰρ αὐχμέϊν dv χαλῷ τίθενται λευχειμονεῖν 
u διακαντός. Dass diese Abneigung gegen das Balböl den angegebenen Grund 
bat, deutet Jos. sehr bestimmt an, wenn er sie mit ihrer Vorliebe für das 
αὐχμέϊν motivirt. Das Salben gehörte bei Juden (vgl. Ps. 28, 5. 45, 8. Kohel. 
4,8. Dan. 10, 3. Am. 6, 6. Luc. 7, 46) und Griechen (Arısrora. Wolk. 828 f. 
1 u.a. Bt.) zum Wohlleben, ebenso, wie die warmen Bäder, bei denen man 
sieh eben mit Salben einzureiben pflegte. (Hermann Griech. Antiquitäten ΠῚ, 
4.28, 26 ff. Vgl. auch Azıstorn. a. a. Ὁ. 828 ἡ. 985. 1089 f. Praro Symp. 
174, A). Die Essener enthielten sich ohne Zweifel auch der letzteren. Jo- 
sephus selbst giebt diess zu verstehen, wenn er a. a. O. ὃ. 5 ausdriicklich her- 
vorhebt, dass die essenischen Bäder in kaltem Wasser vorgenommen wurden 
(ἐκολούονται τὸ σώμα ψυχροῖς ὕδασι), und an unserer Stelle die Abneigung ge- 
gen das Oel auf das adyusiv zurlickführt, denn das αὐχμέϊν wird vorzugsweise 
vom Unterlassen der warmen Bäder hergeleitet (Herrmann a. a. O.); sicher- 
gestellt wird es aber durch die Bitte der christlichen Essener, der Ebjoniten, 
deren grosser Heiliger, Jakobus, (nach Hzazsırr. Ὁ. Eus. K. α. II, 28, δ) 
ἔλαιον οὐχ ἠλείψατο καὶ βαλανείῳ οὐχ ἐχρήσατο. Umgekehrt schliesst die Alusie 
der Pythagoreer (s. ο. 65, 8. 66, 1) die Enthaltung von Salben in sich. 

2) Für ihre körperlichen Ausleerungen zogen sich die Essener nicht all- 
ein an möglichst abgelegene Orte zurück, sondern sie hatten dieselben auch 
vor dem Anblick der Sonne sorgfältig su verbergen, und mittelst einer kleit 
nen Hacke, die jeder beim Eintritt in den Verein erhielt, zu verscharren, 
überdiess aber nachher sich als μεμιαμμένοι (levitisch unrein) einer Waschung 
ın untersiehen (Jos. Β. J. II, 8, 9 vgl. ebd. 7). Ohne Zweifel wurde aber auch 
noch manches andere, wie die bei den Orphikern und Pythagoreern verpönten 
Dinge (s. ο. 8. 77 und Bd. Il, a, 26, 7), als verunreinigend angesehen. Darauf 
weist auch das Verbot (Jos. a. a. O.), im Gesellschaft in die Mitte des Kreises 
oder nach der rechten Seite hin auszuspucken: die rechte, als die bessere 
Seite, sollte nicht entweiht, und die Unreinigkeit dem Anblick anderer ent- 
sogen werden. 

8) Die letstere Bestimmung ist allerdings nicht ganz sicher, während die 
erstere auf der bestimmten Aussage des Joszruus B. J. II, 8, 8 (λευχειμονέϊν τε 
διαχαντός), ebd. 7 (jeder Neueintretende habo ein weisses Gewand erhalten) 
beruht. Dech spricht mehreres dafür. Für's erste sehen wir nämlich aus 


346 Essener.. 


Essenern die Bäder und die heiligen Mahle, welche den eigent- 
lichen Mittelpunkt ihres Kultus bildeten. Die ersteren waren nicht 
blos einzelnen für den Fall einer Verunreinigung vorgeschrieben ἢ), 
wie im mosaischen Gesetz, sondern alle Essäer hatten sich densel- 
ben Tag für Tag gemeinschaftlich zu unterziehen ?); nach dem 
Bade fand das Frühmahl statt, welches ebenso, wie die Abendmakl- 
zeit, als eine gottesdienstliche Handlung begangen wurde?). In 
diesen Mahlen haben wir ohne Zweifel 4) auch die Opfer zu suchen, 
welohe die Essener nach Joseruus®) ausserhalb des Tempels für 


Jos, a. a. Ο. 5, dass die Essener bei ihren heiligen Mablen eigene Feierkleider 
trugen, welche nach denselben ὡς ἱεραὶ wieder abgelegt wurden; hat sich nus 
Jos. ebd. 8 genau ausgedrückt, waren mithin alle Kleider der Essener (auch 
die von Psıro b. Eus. pr. ev. VIII, 11, 6 vgl. v. contempl. 895, B. HL 477 M. 
erwähnten grobwollenen Winterkleider) von weisser Farbe, so können sieh 
die Feierkleider nur durch ihren Stoff ausgeseichnet haben. Sodann heht Jos. 
B. J. U, 8, 5 (ζωσάμενοί τε σχεκάσμασι λινοῖς) ausdrücklich hervor, dass dis 
Badegewänder der Essener von Leinwand waren, was als allgemeine Vorschriß 
sich nur aus der Voraussetzung erklärt, bei dieser heiligenden und reinigen- 
den Handlung dürfen sie nur mit dem reinsten Stoffe bekleidet sein; aus dem 
gleichen Grunde war dann aber die leinene Tracht auch für die Bundesmahle 
gefordert. Um endlich der neupythagoreischen Bitte hier noch keinen Beweis 
su entnehmen, so galt auch den Ehjoniten die Leinwand für reiner, ala die 
Wolle; vgl. Hzazsırr. b. Eus. K. Q. II, 28, 6: τούτῳ (Jakobus dem Gerech- 
ten) μόνῳ ἐξῆν εἰς τὰ ἅγια εἰςιέναι" οὐδὲ γὰρ ἐρεοῦν ἐφόρει, ἀλλὰ σινδόνας. 

1) Vgl. vorl. Anm. und 8. 287, 1. _ 

3) Jos. Β. J. II, 8, 5: nachdem sie von Sonnenaufgang an fünf Stunden 
gearbeitet hatten, versammelten sie sich wieder sum gemeinsamen Bade, bei 
dem jeder mit seiner leinenen Schürze umgürtet war. Wegen dieser Bitte 
glaubt Gzirz a. a. O. 468 mit Faaukzı (Monatsschr. II, 67), die Essior seien 
von den ἡμεροβαπτισταὶ, welche in patristischen, den nrna) "bat (Morgen: 
täufer), welche in rabbinischen Behriften erwähnt werden, nicht verschieden. 
Vgl. jedoch HersrzLo ἃ. a. Ο. 8.897 0. Auch Hsazsırrus ὃ. Eus. K. 6. IV, 
33, 7 unterscheidet die Essäer und Hemerobaptisten. 

8) Jos. a. a. O.: nach dem Bade gehen sie in das Speisesimmer, zu dem 
kein Fremder (ἑτερόδοξος) Zutritt hat, καθάπερ εἷς ἅγιόν τι τέμενος. Das Mahl, 
aus Brod und Einem Gericht bestehend, wird in der heiligen Tracht mit der 
grössten Ordnung und Stille begangen, und mit Gebet begonnen und ge 
schlossen; vor dem Gebet darf keiner etwas geniessen. Des Abends δειπνοῦσον 
ὁμοίως, συγχαθεζομένων τῶν ξένων, οἷ τύχοιεν αὐτόῖς παρόντες, wobei wir aber 
nur an Gäste aus dem Orden zu denken haben werden. " 

4) Wie Rırscau Th. Jahrb. XIV, 824 richtig bemerkt. 

5) Antt. XVII, 1, δ: Die Essener, wegen ihrer Unterlassung der Opfer 


Bäder und Mähle. Dogmatik. 4 


sich vellsogen, und nur darüber kann man zweifelhafi sem; 6b 
jede Mahlzeit oder nur gewisse besonders feierliche Mahle diese 
Bedeutung hatten !). 

Mit theoretischer Spekulation gaben sich die Essäer nach 
Puıro*) nicht ab, um so gründlicher trieben sie dagegen die Ethik; 
und ist auch diese Aussage schwerlich ganz buchstäblich zu neh- 
men®), so ist doch so viel ohne Zweifel richtig, dass der Essäismus 
zwächst nicht von einem spekulativen, sondern von einem prakti- 
schen Interesse ausgieng, dass es ihm in letzter Beziehung weniger 
um Wissen, als um Frömmigkeit, um eine bestimmte Gestaltung 
des religiösen Lebens und Verhaltens zu thun war. Aber des 
religiöse Leben setzt ja immer auch eine religiöse Weltansioht 
voraus: wenn die Essener jenes in einer eigentlrümlichen Richtung 
ausbildeten, werden sie auch in dieser ihr eigenthümliches gehabt 
haben. Und wirklich sagt uns nicht allein Philo a. a. O., dass 
ihnen theologische Erörterungen nicht fremd waren ©); sondern es 


vom Tempe) ausgeschlossen, ἐφ᾽ αὐτῶν τὰς θυσίας ἐπιτελοῦσι. Dass diese Opfer 
in der Darbringung und Weihung von Speisen bestanden, wird theils durch 
die später zu bespreehende Analogie des therapeutischen und ebjonitischen 
Gebrauchs, theils dadurch wahrscheinlich, dass sich sonst nichts im esseni- 
schen Kultus neigt, was sich als Opfer betrachten liesse. 

1) Weder bei den Tberapenten noch hei den Ehjoniten gelten alle Mahl- 
seiten als Opfermahle, sondern nur der Genuss des geweihten Brodes und 
Balzer. 

8) Qu. omn. pr. 877, B (458): φιλοσοφίας δὲ τὸ μὲν λογοιὸν, ὡς οὐκ Avay- 
Χῖον εἰς χτῆσιν ἀρετῆς, λογοθήραις, τὸ δὲ φυσικὸν, ὡς μεῖζον ἢ κατὰ ἀνθρωπίνην 
You, μετοωρολέσχαις ἀπολιπόντες, πλὴν ὅσον αὐτοῦ περὶ ὑκάρξεως θεοῦ καὶ τῆς 
τοῦ παντὸς γενέσεως φιλοσοφεῖται, τὸ ἠθικὸν εὖ μάλα διαπονοῦσιν, ἀλείπταις χρώ- 
wo τόῤςς πατρίοις νόμοις I. 6. W. 

8) Einesitbeils nämlich lässt sich in derselben, so wie sie hier lautet, die 
trimerung an den bekannten Ausspruch Aristo's (1. Abth. 50, 5) nicht ver- 
kennen, der überhaupt ein Losungswort der ‚einseitigen Ethiker iu jener Zeit 
Sencsen zu sein scheint, andererseits hängt sie damit zusammen, dass Phile 
die Esser als Muster des praktischen, .die T'herapeuten als Muster des thao- 
Ntischen Lebens behandelt; v. contempl. Anf, 

4)-Sollen sich aber diese auf das Dasein Gottes und die Weltschöpfung 
Isschränkt haben, so liess sich schon unter diese swei Kapitel sehr vieles 
Waterbringen; was hat nicht z. B, die spätere jüdische Mystik und schon Pkilo 
alles in der mosaischen Schöpfungsgeschichte zu finden gewusst! Indessen 
werden wir finden, dass es mit dieser Beschränkung jedenfalls nieht streng 

Gmommen wurde, Werden wir dooh auoh bei Philo selbst Asusserungen be- 


«ΦΙ͂ν. 


“ 


werden uns auch von den Essenern nicht ganz wenige dogmatische 
Bestimmungen überliefert, welche mit ihrer praktischen Richtung 
unverkennbar zusammenhängen und zur wesentlichen Vervollstän- 
digung des Bildes dienen, das wir uns von ihnen zu machen haben. 
Ihre allgemeine Voraussetzung war nun die jüdische Theologie; 
ihre Ueberzeugungen und Grundsätze sollten aus den heiligen 
Schriften ihres Volkes geschöpft werden 1). Aber dass sie nicht 
ausschliesslich aus dieser Quelle geflossen waren, wird schon durch 
das Dasein essenischer Geheimlehren und Geheimschriften ?), und 
weiter durch die Nachricht wahrscheinlich, in den Schriften, die 
beim essenischen Gottesdienst verlesen wurden, sei die Wahrheit 
meist inSymbolen niedergelegt gewesen, welche einer tieferen Er- 
klärung bedurften 5). Da mit diesen Schriften nur die alttestament- 


gegnen, die seiner Bpekulation, streng ‘genommen, ebenso enge (Grenzen 
stecken würden. 

1) Vgl. 8. 241. 

3) Nach Jos. B. J. II, 8, 7 mussten die Neueintrotenden schwören, μηδεὴ 
μεταδοῦναι τῶν δογμάτων ἑτέρως ἢ ὡς αὐτὸς παρέλαβεν ... καὶ συντηρήσοιν ... τὰ 
τῆς αἱρέσεως αὐτῶν βιβλία. Vgl. 8. 287,5. Aehnlich wird in den Clementini- 
sohen Homilien (Διαμαρτ,) die strengste Geheimhaltung dieser Partheisehrift 
angelobt. 

8) πιο qu. ο. pr. 877, Ο (458): Die Essener treiben die Ethik nach 
Anleitung der πάτριοι νόμοι, οὖς ἀμήχανον ἀνθρωκίνην ἐπινοῆσαι ψυχὴν Ava κα- 
ταχωχῆς ἐνθέου. Sie lesen diese jederzeit, ganz besonders aber an den Beb- 
bathen; an diesen versammeln sie sich in den Synagogen, εἶθ᾽ ὁ μὲν τὰς βίβλους 
ἀναγινώσχει λαβὼν, ἕτερος δέ τις τῶν ἐμπειροτάτων ὅσα μὴ γνώριμα παρελθὼν ἀνα- 
διδάσκει (einer der kundigsten tritt auf und erklärt, was darin dunkel ist). 
τὰ γὰρ πλεῖστα διὰ συμβόλων ἀρχαιοτρόπῳ ζηλώσει παρ᾽ αὐτοῖς pilosopdite. Im 
dieser Stelle wollte Rırsonı Th. Jahrb. XIV, 389 die Worte ὅσα μὴ γνώριμα 
παρελθὼν susammennehmen und übersetsen: „indem er das unverständliche 
übergeht"; und er schloss demgemäss aus denselben, dass die Essener sich 
nicht mit allegorischer Schrifterklärung abgegeben haben können. In Folge 
meiner Gegenbemerkungen Th. J. XV, 426 hat Rırscar. später (Entst. d, altk. 
K. 23. A. 197) diese Erklärung zurückgezogen, wogegen Hızanursın ὁ δὲ, 
Apckal, 268. Ztschr. f. w. Theol. II, 860. X, 108 sie wiederholt im Schutz 
nahm; auch Manaoın Irrl. ἃ. Pastoralbr. 41 f. lässt sie sich gefallen. Mir 
scheint sie schon grammatisch unhaltbar; denn statt des Präteritums καρελ- 
day würde sie das Präsens παρερχόμενος fordern, und bei dem ἀναδιδάσιαν, 
welches seinen Objektsaccusativ nur an βίβλους haben könnte, müsste man 
ein αὐτὰς erwarten; βίβλον ἀναδιδάσχειν wäre aber auch an sich eine harte 
Verbindung. Bodann wäre es doch dio selisamste Art von 
welche gerade das, was der Erläuterung bedarf, übergienge, und weshalb 


Allegorie Theologische Annahmen. 4488 


lichen gemeint sein können 1), so folgt aus jener Angabe, dass die 
Essener in dem Inhalt der alitestamentlichen Bücher oder wenig- 
stens in einem grossen Theil desselben Symbole höherer Wahr- 
keiten sahen, welche sich dann, nach der Natur der Sache und der 
durchgängigen Sitte jener Zeit, nur durch allegorische Erklärung 
finden liessen. Die Essener müssen mithin ebenso, wie die 
Therapeuten (5. u.), die Allegorie mit Vorliebe getrieben haben. 
Wo sber die allegorische Erklärung der heiligen Schriften und 
Ueberlieferungen Bedürfniss wird, da kann man mit Sicherheit 
annehmen, dass sich der Erklärer in seinen eigenen Ansichten von 
dem urspränglichen Sinn: des überlieferten merklich entfernt hat. 

Worin freilich diese Abweichung bestand, wird uns nur 
ikeilweise berichte, Die Essener waren nach Joszruus dem 
Schicksalsglauben ergeben ?), d. h. sie führten alle Erfolge auf 
«a Willen und die Vorherbestimmung Gottes zurück); wie 
dean auch ihre (später zu besprechende) Weissagung den Glauben 
an die Unfehlbarkeit der göttlichen Rathschlüsse voraussetzt. 
Andererseits hören wir aber auch, sie haben zwar alles gute, 


man dası einen der ὑμπειρότατοι nötbig gehabt hätte, lässt sich nicht absehen 
dene Auffassung wird ferner durch den Zusammenhang ausgeschlossen. „Der 
Eıklärer übergeht das unverständliche, denn das meiste wird bei ihnen nur 
symbolisch angedeutet;" wo wäre da ein Zusammenhang? gerade für das, 
was blos symbolisch angedentet war, war 76 eine Erklärung am nöthigeten, 
Der Binn muss vielmehr der sein: „Es erläutert einer der Anwesenden das, 
was der Erklärung bedarf; dessen giebt es nämlich bei ihnen, wegen ihrer 
symbolischen Lehrweise, nicht wenig.“ Was schliesslich den Sprachgebrauch 
betziät, den HıranzraLn auch für sich geltend macht, so könnte es genligen, 
uf Βύσκε d. kosm. System Plato’s Κὶ, 187 ἔ, zu verweisen, weloher bei ähu- 
Neher Veranlassung für den oben angenommenen Gliebrauch des παρελθὼν eine 
Reihe der sehlagondsten Belege beibringt; sum Ueberfluss sagt aber Puıco 
selbst v. oontemmpl, 894, A (476), unserer Btelle genau entspreehond, über die 
Therapeuten: sie versammeln sich am Bahbhath, παρελθὼν δὲ ὁ πρεσβύτατος 
a τῶν δογμάτων ἐμπειρότατος διαλέγεται u. «. w. 

1) Denn nur diese, nicht etwa eigene Schriften der Parthei, können als 
Iaspirirte Sehriften am Babbath in den Synagogen vorgelesen und erklärt - 
worden sein, nur sie auch von Philo als solche bezeichnet werden. 

3) Autt, XIII, 5, 9: τὸ δὲ τῶν Ἔσσηνδίν γένος πάντων τὴν εἱμαρμένην κυρίαν 
ἀκοψαύνται͵ κοὶ μηδὲν ὃ μὴ κατ' ἐκείνης ψῆφον ἀνθρώποις ἀπαντᾷ. 

8) Ebd. XVII, 1, δ: Ἐσσηνσίς δὲ ἐπὶ μὲν θεῷ χαταλικεῖν girl τὰ πάντα ὅ 


230 Basenen 


"aber nichts böses von der göttlichen Ursächlichkeit hergeleitet 5). 
-Mit dem essäischen Vorsehungsglauben liess sich diess durch die 
Annahme vereinigen, dass die göttliche Vorherbestimmang das ein- 
'mal vorhandene Böse mitberücksichtige, wenn nämlich.dieser Glaube 
sich wirklich auf alles Geschehen und nicht blos auf die äusse- 
ron Schicksale bezog, welche die Essener als etwas von Gott über 
‚den Menschen verhängtes, mit seiner sittlichen Beschaffenheit im 
‚keinem unmittelbaren Zusammenhang stehendes betrachteten 5); 
an sich selbst aber weist es auf die Vorstellung hin, welche uns 
auch sonst in ähnlichem Zusammenhang begegnet?), dass nebem 
‚der Gottheit noch eine zweite, widergöttliche Kraft-in der Welt 
wirke, und dass ebendesshalb der Gegensatz des Guten und 
.Schlechten sich durch alles hindurchziehe. . Und es finden sich 
‚wirklich auch noch weitere Spuren dieses Dualismus, sowohl bei 
‚den Eesonern selbst“), als bei ihren christlichen Nachfolgern, den 
Ebjeniten®). Am stärksten kommt er in ihrer Anthropologie und 


j 1) Paıno yu. ο. pr. 877, E (455), wo ausdrtichlich als ouscmischer Grund- 
sats hervorgehoben wird, πάντων μὲν ἀγαθῶν αἴτιον, καχοῦ δε μηδενὸς, νομίζων 
εἶναι τὸ θεῖον. 
. 3) 3o Hzusszın in aeiner beachtenswertkhen Auseinamdersstzung Glieseh. 
d. V. Jier. III, 869, £, wornach die hekannten Angaben des Jossphus über die 
‚Ansichten der drei jüdischen Bekten von der εἰμαρμένη sich wesentlich anf ihre 
‚Beantwortung der altjüdisehen Streitfrage nach dem Verhälteiss des äusseren 
Glücks oder Unglücks sur persönlichen Würdigkeit (m. a. W. zur „Gerssh- 
tigkeit") des Einzelnen besiehen. x 
8) Z. B. bei Piatarch; 6. ο. 8. 151 vgl m. 8. 148, 8. 
4) Nach Po b. Eos, pr. er. VIII, 11, 14 gaben die Easäer für ihre Ehe 
Ipsigkeit den Grund an: διότι φίλαυτον ἣ γυνὴ καὶ ζηλότυκαν οὐ μείρίοες καὶ διενὸν 
ἀιδρὸς ἤθη παλεῦσαι u. =. w. Achnlich sagt Jos. Β. J. II, 8, 2, sie enthalen 
«ioh der Ehe, nicht weil sie diese an sich für unreoht halten, sondern τὰς τῶν 
χυμακῶν ἀσελγείας φυλασσόμενοι καὶ μηδεμίαν τηρέϊν πεκεισμάνοι τὴν πρὸς ἕνα mi 
στιν. Das Weibliche gelt ihnen also überhaupt (wie den Kihjaniten; =, fülg. 
Anm.) für das schlechtere Prineip. Denselben Gegensatz anheinen sie auch 
als den des Rechten und Liuken, des Lichts und der Kinstemiss, gefanst zu 
haben; auf jenen weist die Vorsehrift bei Jos. B. „). LI, 8, 9, nicht mach rechts 
aussuspucken, auf diesen ihre sogleich su berükwenden, auch von den There 
pouten getheilten Vorstellungen von der Helligkeit des Sannenlichts, vor dem 
alles unreine verborgen werden müsse. Dass aueh die freiwillige Armanth der 
beiden Sekten auf die gleiehe Denkweise hindeniet, wörd später neoh geneigt 
arerden. . 
5) M. vgl. Ciusentin, Homır. IL, 15: ὃ θεὸς ... εἷς ὧν αὐτός διχῶς κκὶ 


Theologie . Anthropologie, 881 


ihrer Ethik zum Vorschein, Die Seele βίδπαηὶ, wie sio atnehmen, 
aus dem Himmel: durch einen unwiderstehlichen Drang wird sie 
auf die Erde und in den Leib herabgezogen ; aber sie fühlt sich 
in demselben wie in einem Korker, und wenn sie durch den Tod 
aus ihm befreit ist, erhebt sie sich freudig in die Höhe‘). Die 
Essener setzten daher an die Stelle der Auferstehung, welche das 
kerrschende jüdische Dogma jener Zeit war. die Unsterblichkeit 
der körperfreien Soelo?); eine Abweichung ven dem Volksglauben, 
weloke um so grössere Beachtung verdient, je tiefer sie in die 
ganze Denkweise der Essener eingriff’). Nach dem Tode sollte 


ἐναντίως διέίλεν πάντα τὰ τῶν ἄκρων, ... πουΐσας οὐρανὸν καὶ γῆν, ἡμέραν net νόκτα, 
φῶς neh πῦρ, ἔλιον καὶ σελήνην, ζωὴν καὶ θάνατον, überhaupt die Bysygieen, in 
danen (6. 16) an sich dus bessere dem schlechteren, in der Mena 

jedoch umgekehrt das sehlechtere dem besseren vorangeht. Ebd, 88: δυδιῶς 
x ἐναντίως πάντα ἔχοντα ὁρῶμεν: zuerst die Nacht, dann der Tag n. =. w. 
Il, 22: Adam war der wahre Prophet; πλὴν τούτῳ σύζυγος συνεχτίσθη θήλεια 
wo, πολὺ ἀποδέουσα αὐτοῦ͵ ὡς οὐσία μετουσίας, ὡς ἡλίου σελήνη, ὡς φωτὸς τὸ 
πῦρ. Daher die unseine, weihliche Prophetie, über welche sich das folgende, 
aamentlich a. 37, weiter verbreitet, Vgl, auch 11, 28. XV, 6. Erırman. Her. 
80, 16, Wie dieser bakannten Lehre einer Schrift gegentiher, welobe allem 
nach das bedeutendste Erzeugniss des Ehjonitismus war, Rırsonı (Altkath. 
Κ, 2. Α. Κι 198) gegen meine Darstellung einwenden kann, der Charakter der 
Ebjoniten verbiete die Unterstellung eines metaphysischen Dualismus bei den 
Esseneen, ist mir unverständlich. 

1) Jon. B. J. II, 8, 11: καὶ γὰρ ἔῤδωται παρ' αδτοῖίς Ads ἡ δόξα, φϑαρτὰ μὲν 
aber τὰ σώματα καὶ τὴν ὕλην od μόνιμον αὐτοῖς͵ τὰς δὲ φυχὰς ἀθανάτους ἀὰ διαμέ- 
wu χαὶ συμπλέκεσθαι μὲν, dx τοῦ λεπτοτάτου φοιτώσας αἰθέρος, ὥσπερ εἰοχταῖς τοῖς 
φύμαειν Tayyl τινε φυσικῇ κατασχωμένας. ἐπειδὰν δὲ ἀνεθώσι τῶν χατὰ σάρκα δουμῶν, 
ol δὴ μακρᾶς δουλείας ἀπηλλαγμένας τότε χαίρειν καὶ μετεώρους φέρεσθαι. 

3) Hırrouız. βοίαι. IX, 37 legt ihnen zwar gerade den Auforstehungs- 
glauben bei, indem er unsere Stelle so verändert: ἔῤῥωται δὲ παρ' αὐτοῖς καὶ 
b τῆς ἀναστάσεως λόγος ὁμολογοῦσι γὰρ καὶ τὴν σάρχα ἀναστήσεσθαι u. 5. w. Es 
ist aber mit Händen zu greifen, dass diess eine gans willkührliobe Aende- . 
rang ist, welche nur dazu dienen soll, die ossäische Lehre mit der ehrist- 
lishen Orthodexie in Uebereinstimmung zu bringen. Josephus unterscheidet 
such Autt, XVII, ı, ὃ 8. die drei jüdischen Sekten so, dass er den Phartallern 
den Glauben an die Auferstehung (ῥᾳστώνη τοῦ ἀναβιοῦν), den Baddusäern die 
Läagzung der Fortdauer mach dem Tode, den Essenern das ἀθανατίζενν τὸς 
ἡυχὰς suschreibt, 

8) Wie diess Jos. schom durch sein ἔῤῥωται zu verstehen giebt. Auch 
am Schluss unserer Btelle heisst es: τάδε μὲν οὖν ᾽Εσσηνοὶ περὶ ψυχῆς ϑεολογοῦ- 
αν, ἄγοκτον δέλεαρ τοῖς ἅπαξ γονσαμένοις τῆς σοφίας αὐτῶν ἐγκαθεόντος. 


n358 Essener. - 


far die Frommen wie für die Gotilosen ein Zustand der Vergeltung 
eintreten, über dessen Dauer nichts mitgetheilt wird‘). Ist aber 
der Leib nur ein Gefängniss und eine Fessel der Seele, so muss 
selbstverständlich alles, was den Geist an ihn bindet, vermieden 
werden; und so ergab sich der Grundsatz der Ascese, die Lust 
als Sünde zu fliehen ?), von selbst. 

Wie ferner auf heidnischem Boden mit der Ausbildung einer 
dualistischen Weltansicht die des Dämonenglaubens Hand in Hand 
geht, so hatte für die Essener der Glaube an Engel, der allerdings 
in der jädischen Theologie längst eingebürgert war, eine eigen- 
thümliche Bedeutung: die Namen der Engel gehörten zu den Ge- 
heimnissen des Ordens®); sie müssen daher diesen Namen eine 
besondere Heiligkeit beigelegt und von dem Gebrauch derselben 
besondere Wirkungen erwartet haben. Da wir. wissen, dass sie 
sich mit der Behandlung leiblicher und geistiger Uebel beschäftig- 
ten, die Heilkräfte der Wurzeln und Steine erforschten, und alte 
hierauf bezügliche Schriften sammelten 4), so liegt die Vermuthung 
nahe, sie haben sich hiebei, wie diess in der damaligen Zeit so oft 
vorkommt, nicht auf die natürlichen Mittel beschränkt’), unter 
. jenen Schriften haben sich vielmehr auch Zauberbücher befunden, 
wie sie damals unter alten Namen vielfach im Umlauf waren ®), 


1) Jos. B. J. a. Δ. Ο. vgl. Antt. a. δ. O. In der ersteren Stelle sagt Jos.: 
die Essener haben, Shnlich, wie die Griechen, den Beelen der Fromihen para- 
diesische Wobnsitze jenseits des Ooeans, denen der Gottlosen eine finstere 
“ winterliche Kluft voll Qualen angewiesen. Man bat dieser Angabe nicht 
selten misstraut, indem man glaubte, Jos. habe die essenische Lehre seinen 
Lesern zuliebe der hellenischen näher gerlickt. Allein dis gleiche Vorstellung 
findet sich im Buoh Henoch 23, 1 ff., und swar in einem Abschnitt, welcher 
sur Grundschrift desselben (um 100 v. Chr.) gehört. Wir müssen daher an- 
nehmen, dass die Essener selbst die jüdische Vorstellung vom Paradies und 
der Geenna nach griechischem Muster umbildeten. 

2) 8. 0. 240, 3. 

8) Jos. B. J. 11, 8, 7: Der Aufnahmeeid enthielt die Verpflichtung, συν» 

τηρήσειν ὁμοίως τά τε τῆς αἱρέσεως αὐτῶν βιβλία κοὶ τὰ τῶν ἀγγέλων ὀνόματα. 
νι 4. 0.6: σπουδάζουσι δὲ ἐκτόπως περὶ τὰ τῶν παχαιῶν συγγράμματα, 
μάλιστᾳ τὰ πρὸς ὠφέλειαν ψυχῆς καὶ σώματος ἐχλόγοντες. ἔνθεν αὐτοῖς πρὸς θερα- 
πείαν καθῶν ῥίζαι τε ἀλεξιτήριοι χαὶ λίθων ἰδιότητες ἀνερευνῶνται. 
᾿ 5) Auf megischen Gebrauch, κα Amuletten u. dgl., weisen namentlich 
die ἰδιότητες λίθων. 
6) Bo kennt =. Β, Jos. Antt, VAL, ἃ, δ salompnische Zauberformeln, die 


Engel; Naturverehrung. 383 


und die hohe :Bedemtung der. Erigeinamen beruhe neben anderem 
auch darauf, dass man mittelst derselben übernstürliche Wirkungen 
kervorzubringen versuchte. Neben diesen höheren Geistern ver-. 
ehrten sie aber auch in gewissen sichtbaren Dingen Offenbarungen 
der Gottheit. Ver Sonnenaufgang wandten sie sich an die Sonne 
mit einer Anrufung, weiche allerdings von einer eigentlichen An- 
betang wohl zu unterscheiden ist, welche aber doch immer ver- 
aussetzt, dass sie in derselben mehr, als einen blossen Naturkörper, 
dass sie ein lebendiges ‚ mit besonderer Kraft und Heiligkeit 
begabtes Wesen in ihr sahen !); und damit stimmt es vollkommen 
‚überein, wenn sie alle Unreinigkeit ihrem Anblick entzogen, „um 
nieht die Strahlen der Gottheit zu beleidigen“ 3), wenn ihnen 


“ 


sur Heilang von Kranken und zur Austreibung von Dämonen gebraucht 
wurden. 

1) Jos. B.J. H, 8, 5: πρός γε μὴν τὸ θέίον ἰδίως ebarßeic" πρὶν γὰρ ἀνασχέϊν 
τὸν ἥλιον οὐδὲν φθέγγονται τῶν βεβήλων, πατρίους δέ τινας εἰς αὐτὸν εὐχὰς, ὥσπερ 
ἱκετεύοντες ἀνατέλαι. Dass damit nicht blos, wie man wohl geglaubt hat, das 
übliche jüdische Morgengebet, oder eine besondere Form desselben, gemeint 
sein kann, (das πάτριοι daher hier nur das in der Essenersekte herkömmliche 
bedeutet), Hegt am Tage. Jenes Morgengebet hätte Josephus gar nicht als: 
&twas besonderes und den Essenern eigenthtimliches hervorheben, er hätte es 
noeh weniger als εὐχὰς εἷς τὸν ἥλιον bezeichnen, und als seinen Inhalt dio Bitte, 
sa erscheinen, angeben können. Dass er aber sagt: ὥσπερ Ixer., darf uns 
nicht stören: die Sonne wurde freilich nicht angefleht, wie eine Gottheit, aber 
doch angerufen. 

2) Jos. a. a. 0. TI, 8, 9 (s. ο. 245, 2): Die Essener verbergen ihre Aus- 
kerıngen sorgfältig mit ihrem Gewand, ὡς μὴ τὰς αὐγὰς ὀβρίζοιεν τοῦ θεοῦ. 
Rırscar’s Auskunft (altkath. K. 196, 1): dieses Motiv werde den Essenern 
est von Josephus geliehen, ist mehr als willkübrlich, und würde diesen un- 
seren Hauptzengen über die Essener gerädesu unbrauchbar machen. Was’ 
hätte denn den Jos. zu dieser Unterschiebung veranlassen, was hätte ihn ab- 
halten sollen, in der Verordnung 5 Mos. 28, 12, die er ja doch wohl auch’ 
kannte, den eigentlichen Grund der essenischen Sitte aufzuzeigen, wenn sie 
in der Wirklichkeit damit, und nicht mit dem von ihm angegebenen, motivirt: 
warde? Was aber R. einwendet, „die Essener können die Sonne unmöglich für 
den Gott, d.h. Apollon, gehalten haben,“ verräth ein seltsames Missverständniss. 
Ganbt denn wohl R., Jos. habe den Essenern, deren Frömmigkeit er gerade aus 
Anlass ihrer Frühgebete so sehr rühmt, eine Anbetung Apollo’s schuldgeben 
wollen? Der θεὸς ist ja augenscheinlich der jüdische Gott, und die Sonnen-: 
strahlen sind αὐγὰλ τοῦ θεοῦ als ein Ausfluss des Lichtes, in dem die Natur 
Gettes besteht. — Auch eine Aeusserung der ebjonitischen Clementinen be- 

sütigt die Angabe des Josephus. Hier wird nämlich Homil. XV, 7, Schl., wo 


“ΒΝ. 


488 Essener. ° 


demnach das Sonnenlicht ‚ein sichtbarer Ausliuss des göttlichen 
Lichtes war. Ebenso dachten sie sich ohneZweifel mit dem Wasser 
höhere Kräfte verknüpft, und eben desshalb legten sie ihren Bädern 
diese reinigende und entsähnende Wirkung bei). Dürfen wir ead- 
lich von ihren christlichen Nachfolgern auf sie selbst schliessen, 
so wurden von ihnen bei feierlicher Betheuerung die Theile des 
Weltgebäudes in einer Weise zu Zeugen angerufen, welche im 
jüdischen Religiensgebiet sonst ohne Beispiel, um so lebhafter am 
die bei den Hellenen üblichen Schwurformeln erinnert ?). 


unfer den unentbehrlichen Lebeusbedürfnissen ein περιβόλαιον iv (nur Ein Ge- 
wand, wie bei den Essenern; vgl. 8. 240, 1) aufgezählt ist, beigefügt: γομνόν 
γὰρ ἑστάναι οὐχ ἐφίεται ἕνεχεν τοῦ παντὸς [πάντα] δρῶντος οὐρανοῦ, es wird also 
hier der Himmel, wie dort die Sonne, als ein heiligen, durch keine Unen- 
ständigkeit zu entweihendes Wesen behandelt. 

1) Ueber diese Reinigungsbäder, welche unter den von ihnen den Opfern 
im Tempel vorgesogenen Gebräuchen (s. ο. 242, 5) jedenfalls eine des ersten 
Stellen einnehmen, vgl m. 5. 246, 2, Ueber die dogmatischen Motive der- 
selben sprechen unsere Quellen sich nicht aus, und die reinigende Kraft des 
Wassers spielt ja selbstverständlich in allen alten Religionen eine grosse 
Rolle; aber wenn wir an sich schon schliessen müssen, dass die Vorstellung 
von derselben bei den Essenern in ähnlicher Weise gesteigert gewesen sei, 
wie der Werth, den sie jenen Reinigungen heilegten, so sagen überdiess die 
christlichen Essener, die Ebjoniten, (Cıxmeas. Homı. XI, 24 vgl. Reoogn. 
VI, 8) ausdrücklich, ὅτι τὰ πάντα τὸ ὕδωρ ποιέΐ, τὸ δὲ ὕδωρ ὑπὸ πνεύματος (was 
hier, wie bei den Stoikern, und wie das ebräische yı%4, zugleich den Geist 
und die Luft bezeichnet) χινήσεως τὴν γένεσιν λαμβάνει, τὸ δὲ πνεῦμα ἀπὸ τοῦ τῶν 
ὅλων θεοῦ τὴν ἀρχὴν ἔχει. Bei Erırman. 8.58. Ind, II, 10 wird geradezu ge- 
sagt, die Ebjoniten haben das Wasser für einen Gott gehalten. 

3) In der Διαμαρτυρία, welche den Clementinischen Homilicen vorange- 
stellt ist, welche aber obne Zweifel einer Elteres, noch strenger judaisirenden 
Grundschrift derselben angehört (vgl. Hırazureıp Clement. Recogn; u. Hom. 
26 f,), wird dem, welchem diese Schrift mitgetheilt werden soll, ein Geläbde 
der Geheimhaltung und des Gehorsams auferlegt, und dafür zweimal (co. 8. 4) 
gleichlautend die Formel vorgeschrieben: μάρτυρας ἔχοιμι (oder: διαμαρτύρο- 
μαι) οὐρανὸν, γῆν, ὕδωρ, ἐν οἷς τὰ πάντα περιέχεται, πρὸς τούτοις δὲ ἅπασιν καὶ τὸν 
διὰ πάντων διήχοντα ἀέρα, οὖ ἄνευ οὐχ ἀναπνέω. Aus der Schrift des angeblichen 
Eixsi, dem Religionsbuch der judeuchristlichen Elkesaiten, (bald nach dem 
Anfang des 2ten Jahrh.) beriobtet Erırzar. Haser. 19, 8. 60, B, os werde dort 
gesohworen bei dem Salz, dem Wasser, der Erde, dem Brod, dem Himmel, 
dem Acther und dem Winde, oder nach anderer Formel, bei dem Himmel, 
dem Wasser, den Winden, den Engeln, dem Oel, dem Sals, der Erde. Es 
hat gewiss alle Wahrscheinlichkeit, dass diese Eide im Styl der alten osseni- 


Naturverehrung; Weoilssagung. WE 


Schliesslich ist hier noch der Weissagungsgabe zu erwähnen, 
welche manchen Essenern nicht allein in der Meinung des Volkes 
zugeschrieben wurde, sondern von der auch sie selbst überzeugt 
waren, dass sie theils durch das Studium der alten Propheten, 
theils durch das heilige Leben des Asceten sich gewinnen lasse!). 
Joszrnus kennt mehrere Fälle dieser wunderbaren Voraussicht, 
welche die essenischen Propheten, wie er versichert, fast niemals 
im Stiche liess 3), und in dem christlichen Essäismus der clemen- 
tischen Homilien bildet der allwissende Prophet der „Wahrheit“ 
das Ideal aller religiösen Vollkommenheit 9). 

Mit den Essenern sind die Therapeuten nahe verwandt, 
weiche uns aber nur aus PnıLo’s panegyrischer Schilderung 
bekannt sind“). Schon der Name dieser Partkei ist vielleicht aus 


sehen gehalten sind; von der pseudociementinischen Diamartyrie, welche ὁ. 5 
die Presbyter in Jerusalem vor Angst erbiassen macht, ist sogar zu vermu- 
theo, dass sie den ὄρχοι φριχώδεις der Essener (Jos. B. J. II, 8, 7) getreu nach- 
gebildet war, in denen ja auch, wie dort, Gehorsam gegen die Oberen und 
strenge Geheimhaltung der Ordensschriften gelobt wurde. (Mehr eigenes 
haben die elkesaitischen Formeln: beim Oel würde wenigstens kein Essener 
guwohworen haben.) Derartige Anrnfangen von Himmel, Erde und Elementen 
sucht man nun aber in den altjüdischen Schriften vergebens; um so bäußger 
sind sie dagegen bei Griechen. 80 heisst es schon bei Home Il, III, 276: 
Ui πάτερ... Ἠιλιός θ᾽, ὃς πάντ᾽ dpopäs καὶ πάντ᾽ ἑπαχούεις, καὶ Ποταμοὶ καὶ Γαΐα, 
ebd. XV, 36 (Od. V, 184): ἴστω νῦν τόδε γαΐα καὶ οὐρανὸς εὐρὺς ὕπερθεν, und der 
Formel der Διαμαρτυρία noch ähnlicher in einer angeblichen Schrift des Py- 
thagoras b. Dıos. VIII, 6: οὐ μὰ τὸν ἀέρᾳ, τὰν ἀναπνέω, οὐ μὰ τὸ ὕδωρ, τὸ πίνω, 
οὐ χατοίσω φόγον περὶ τοῦ λόγου τοῦδε. 

1) Jos. Β. J. I, 8, 12: εἰσὶ δὲ ἐν αὐτοῖς, ol καὶ τὰ μέλλοντα προγινώσχδιν 
ἐκισχνοῦνται, βίβλοις ἱεραῖς καὶ διαφόροις ἀγνείαις χαὶ προφητῶν ἀποφθέγμασιν ἐμ- 
παιδοτριβούμενοι - σπάνιον δὲ εἴ ποτε ἐν ταῖς προαγορεύσεσιν ἀστοχήσουσιν. 

2) 8. vor. Anm. und B. 285, 2. 

ὃ) M. vgl. darüber namentlich Homil. III, 11—15. Die rechte Gesin- 
nang, heisst es hier, erhalte man nur-von dem προφήτης ἀληθείας. προφήτης δὰ" 
ἀληδής ἐστιν ὁ πάντα πάντοτε εἰδὼς, ἔτι δὲ καὶ τὰς πάντων ἐννοίας, ἀναμάρτητος - 
ἢ, 8. Ν, προφήτης γὰρ ὧν ἅπταιστος ἀπείρῳ ψυχῆς ὀφθαλμῷ πάντα κατοπτεύων 

λανθάνων [wofür vielleicht besser: ἐπιστ, τὰ λανθάνοντα, oder: Aavdd- - 
να, ohne dxier.]. Er bedürfe keiner Kusseren Hülfsmittel, und weissage nicht 
bles in einzelnen Momenten, wenn der Geist eben über ihn komme, sondern . 
Us προφήτης ὧν ἐμφύτῳ καὶ ἀεννάῳ πνεύματι πάντα πάντοτε ἐπιστάμενος. 

4) In der Schrift über das beschauliche Leben. Die Acchtheit dieser “ 
Wehrift ist menordings von Gairs Gesch. ἃ. Judentb. IH, 468 ff. Iokhaft an-- 
6tgfilien werden: sie soll von einem Christen verfasst sein, welcher das 


- | An 


236 Therapenten. 


Mönchsleben darin empfehlen, und das Alter desselben durch die Auktorität 
Philo’s beweisen wollte. Was jedoch Grätz sur Begründung dieser Annahme 
beibringt, reicht bieflir keineswegs aus. Er nimmt zunächst schon daran 
Anstoss, dass Josephus der Thörapeuten nicht erwähne; allein wenn diese 
ein auf Aegypten beschränkter Nebenzweig des Easkismus waren, so hat diess 
“ nichts auffallendes: wir erfahren ja überhaupt über die späteren Zustände der 
Juden in Aegypten von Josephus ungemein wenig, so 2. B. über die Verfol- 
gung unter Caligula kein Wort. Ge. findet ferner unglaublich, was über 
weikliche Therapeuten (s. u.) berichtet wird, weil die Essener sich vor jedem 
"Umgang mit dem weiblichen Geschlecht gescheut haben; aber warum hätten 
nicht jene in dieser Beziehung andere Einrichtungen haben können, als diese, 
wenn doch ihre Grundsätze über den Werth der Ehelosigkeit, wie wir finden 
werden, dadurch nicht berührt wurden? es ist diess noch lange kein so gros- 
ser Unterschied, als der der unverheiratheter und verheiratheten Essener. 
Ganz schlagend soll sodann die Unächtheit der philonischen Schrift aus ibrem 
Bingang hervorgehen, welcher die Schrift guod omnis probus liber fülschliech 
als eine Abhandlung über die Essener bezeichne. Allein es heisst hier nur: 
"Eocalov πέρι διαλεχθὲς, „nachdem ich tiber die Eesäer gesprochen habe;“ 
dieses hat aber Philo in der Schrift αὐ. omn. prob. unbestreitbar, und zwar 
ausführlich genug (876, C — 879, A Hösch.), gethan. Grirz’ Hanptbeweis- 
grund liegt jedoch in der Behauptung, dass die Therapeuten unserer Schrift 
das christliche Wesen ans unzweideutig darstellen. Auch dieser Behauptung 
muss ich aber entschieden entgegentreten. Gr. führt an, dass es nach unserer 
Schrift (892, Ὁ H.) auf der ganzen Erde, nicht blos bei Alexandria, Thhers- 
petiten gebe, und er fragt, wer noch einen Augenblick zweifeln könne, dass 
bier nur von Christen überhaupt die Rede sei? Allein auf „Christen über- 
haupt“ könnte die Schilderung unserer Schrift keinenfalls geben, sondern 
höchstens auf christliche Asceten; dass es aber christliche Asceten, welche 
dieser Schilderung auch nur annähernd entsprachen, im zweiten oder dritten 
Jahrhundert πολλαχοῦ τῆς οἰχουμένης gegeben habe, wird schwer zu baweisen 
sein. Das richtige ist vielmehr ohne Zweifel, dass die Worte: πολλαχοῦ μὲν 
οὖν τῆς οἰχουμένης ἐστὶ τὸ γένος in allgemeinerem Sinn genommen werden mäüs- 
sen: sie wollen nicht besagen, die Therapeuten, als diese bestimmte Parthel, 
seien über viele Länder verbreitet, sondern es gebe in vielen Leute von ihrer 
Denk- und Lebensweise; ähnlich wie Pnıto qu. omn. pr. 876, Β f. (456) die 
Magier, Gymnosopbisten und Essäer als solche zusammenstellt, welche sich 
der Tugend und Weisheit widmen, und v. Mos. 681, E (164) alle Gottesver- 
ehrer τὸ θεραπευτιχὸν αὐτοῦ γένος nennt. Weiter macht Ge. darauf aufmerksam, 
dass die heiligen Zellen der Therapeuten nach 8. 898, B. E (467 f.) μοναστήρια 
genannt werden, wie die Mönchssellen. Aber dieser Name kann recht wohl 
ebenso, wie die Sache, bei der Entstehung des christlichen Mönchswesens in 
Aegypten von älteren Vorgängern entlehnt worden sein. Derselbe bezeichnet 
übrigens in unserer Schrift nicht, wie im ohristlichen Sprachgebrauch, die 
ganse Wohnung eines Einsiedlorse oder Mönchsvereins, sondern nur einen be- 


Quellen. 257 


stimmten Raum in derselben. Weiter sollen die Mahle der Therapeuten nach 
dem Vorbild des christlichen Abendmahls geschildert sein; diess ist jedoch, 
wie später geseigt werden wird, ebenso nnrichtig als die Behauptung, dass 
die Aeltesten der Therapeuten auf die christlioben Presbyter oder Episkopen 
hinweisen; für die letztere besteht der einzige Beweis hei Grärz in dem 
8. 288, 1 besprochenen Grundsatz, von dem schon a. a. Ὁ. vgl. 237, 1 geseigt 
ist, dass er theils im Buch der Weisheit theils bei den Essenern seine vollkom- 
mene Parallele findet, während die christliche Analogie weit ferner liegt: denn 
wenn man näher zusieht, sind die therapeutischen πρεσβύτεροι nicht die Vor- 
δίοδον und Beamten des Vereins, sondern die höhere Ordensklasse. Auch in 
dem Fasten und den Vigilien der Therapeuten will Gzärz natürlich christliche 
Fasten und Vigilien sehen; das Fasten ist ja aber gerade aus dem Judenthum 
in’s Christentbum gekommen, und nächtliche Gottesdienste sind auch in der 
vorchristlichen Zeit häufig. Doch findet hier zwischen der ohristlicben Bitte 
und derjenigen der Therapeuten wenigstens eine Gleichartigkeit statt; da- 
gegen werden zwei ganz ungleichartige Dinge zusammengestellt, wenn Grärz 
in den Frauen und Jungfrauen, die an den heiligen Mahlen der Therapeuten 
theilnahmen, die sog. subintroductae christlicher Asceten sehen will; als ob 
aus der Theilnabme derselben am gemeinsamen Gottesdienst ein Zusammen- 
wohnen einzelner mit einselnen folgte. Dass endlich Hymnen und allego- 
risehe Schrifterklärung nicht blos bei den Christen vorkommen, und daher 
ihr Gebrauch bei den Tberapeuten nichts beweist, braucht kaum bemerkt su 
werden. — Geärz hat aber nicht blos den christlichen Ursprung der philoni- 
schen Schrift nicht bewiesen, sondern er hat auch die entscheidenden Beweise 
des Gegentheils übersehen. Denn unsere Bohrift selbst bezeichnet ihre Thera- 
penten ausdrücklich als Μωσέως γνώριμοι, als solche, die sich der Forschung . 
χατὰ τὰς τοῦ προφήτου Μωσέως ἱερωτάτας ὁφηγήσεις gewidmet haben (899, A f. 
H.481 M.); sie sagt, in ihren σεμνέίϊα finde sich nichts, als die νόμοι καὶ λόγια 
θεσπισθέντα διὰ προφητῶν u. 8. w. (898, ΒΗ. 476 M.); sie ersählt von ihrer: 
Babbathefeier (8. u.), ihrer Verehrung gegen den Tempel in Jerusalem und 
das israßlitische Priesterthum (902, A H. 484 M.); sie begrlindet ihre allego- 
rische Erklärung mit dem Satze, dass das ganze Gesetz (&raca ἧ νομοθεσία) 
ihrer Ansicht nach einem lebenden Wesen gleiche, dessen Beele der verbor- 
gene Schriftsinn sei (901, C. H. 488 M.); sie nennt ihre Wechselgesänge ein 
μίμημα der von Moses und Mirjam geleiteten Chöre (902, C f. H. 486 M.) — 
sie schildert die Therapeuten mit Einem Wort so bestimmt, wie nur möglich, 
als Juden. Wie hätte nun ein Christ darauf kommen sollen, sur Empfeh- 
lung des christlichen Mönchslebens Philo eine Schilderung jüdischer Ein- 
siedier zu unterschieben, in welcher des Christenthums, seines Stifters und- 
der ihm eigenthümlichen Lehren mit keinem Worte gedacht wird? Wo findet 
sich in der ganzen christlichen Literatur hiefür eine Analogie? Und was kann, 
es dem klaren Augenschein gegenüber beweisen, dass Euseb die Therapeuten 
Philo’s für Christen gehalten, und der falsche Dionysius diesen ihm sehr ge- 
legenen Irrthum nachgesprochen hat? - 


Philos. ἃ. Gr. III. Βᾶ, 2. Abth. 17 


» 
““ιὧὖἦ ἣν 


DR Therapenten. 


dem der Essäer entstanden ?); und sachlich stehen sie ihnen so 
nahe, dass ein unmittelbarer geschichtlicher Zusammenhang beider 
nicht zu bezweifeln ist. Die Heimath der Therapeuten war Aegyp- 
ten, wo sie nach Philo’s Versicherung, in allen Bezirken verbreitet 
waren; ihr Hauptsitz befand sich an dem mareotischen See in der 
Nähe von Alexandria ?). Im Unterschied von den Essenern lebten 
sie nicht in klösterlichen Vereinen zusammen, sondern als Ein- 
siedler; doch war gewöhnlich eine grössere Anzahl solcher Ein- 
siedeleien zu einer grösseren dorfartigen Niederlassung ver- 
einigt®). Während ferner die Essener Landbau und Gewerbe 
trieben, widmeten sich die Therapeuten nach Philo ausschliesslich 
dem beschaulichen Leben: ihr Tagewerk bestand im Lesen und 
Erklären der heiligen Schriften, in Gebeten, Absingung und Ver- 
fertigung von Liedern u. s. w.*) Eine dritte Abweichung von der 
essenischen Sitte bestand darin, dass die Therapeuten auch Frauen 
in ihren Verein aufnahmen, und dieselben an ihren Gottesdiensten 
und Bundesmahlen theilnehmen liessen®). Sonst aber sind sich 
die beiden Partheien ausserordentlich ähnlich. Die Therapeuten 
lebten, wie die Essener, in freiwilliger Armuth 5): ob auch in einer 


1) Wenn nämlich der letztere, ob mit Recht oder Unrecht, von der θερα- 
zala, sei es im Binn der Heilung oder der Gottesverehrung, erklärt wurde; 
m. 8. hierüber 8. 284, 2. Zwischen beiden Bedeutungen von θεραπευτὴς will 
uns Ῥεῖ 889 Ὁ ἢ. (471) die Wahl lassen; andererseits nennt er aber (απ. 
omn. pr. 876, ἢ H. 457 M.) die Essäer, deren Namen er freilich, nach dams- 
liger Weise des Etymologisirens (vgl. 8. 181, 2), mit ὅσιος zsusammenbringt, 
ἐν τοῖς μάλιστα θεραπευταὶ θεοῦ. 

2) Puıco 892, D (474); von Therapeuten ausserhalb Aegyptens ist 
niehts bekannt; auch aus der 8. 256 besprochenen Stelle folgt nicht, dass 
es. solche gab. 

8) A. a. Ο. 892, B. 898, A (474 f.). 

4) A.a.0.898, B—E (475 f.) Jeder Therapeut hatte nach dieser Stelle 
eine eigene Zeile in seiner Wohnung, welche ausschliessligh für jene religid- 
sen Uebungen bestimmt war, und Philo versichert, sie hätten sich denselben 
so eifrig ergeben, dass sie die Woche über nicht aus dem Hause gekommen 
seien. Wie sie sich bei dieser Lebensweise ernährten, sagt er nicht; wahr- 
scheinlich trieben sie doch einigen Land- oder Gartenbau. 

δ) A, a. O. 804, B ἢ. 899, Ὁ f. 902, B (476. 482. 484). Näheres so- 
gleich. 

6) A. a. 0. 891, C (478): sie überlassen ihr Vermögen Angehörigen oder 
Freunden; ἔδει γὰρ τοὺς τὸν βλέκοντα πλοῦτον ἐξ ἑτοίμου λαβόντας τὸν τυφλὺν 
παραχωρῆσαι: τοῖς ἔτι τὰς διανοίας τυφλώττουσιν. 


Lebensweise und Grundsätze, φῆ 


gewissen Gütergemeinschaft, geht aus Philo’s ungenauem Bericht 
nicht bervor ἢ. Mit den Essenern theilten sie nicht blos über- 
haupt den Grundsatz der höchsten Einfachheit in Wohnung, Klei- 
dung und Nahrung ?), sondern sie trugen auch bei ihren festlichen 
Zusammenkünften nur weisses Gewand 5), und ihre Kost bestand 
aus Gemüse , Brod und Wasser, mit Ausschluss des Fleisches und- 
des Weins“). Ja sie hielten das Essen und Trinken, als Befrie-' 
digung eines körperlichen Bedürfnisses, überhaupt für etwas 
unreines, was das Licht zu fliehen habe; und aus diesem Grunde 
wagte keiner vonihnen, wie Philo versichert, vor Sonnenuntergang 
etwas zu geniessen; manche trieben die Enthaltsamkeit so weit, 
dass sie nur alle drei Tage, einzelne sogar nur alle sechs Tage, 
Nahrung zu sich nabmen’). Auch in der Schätzung der Ehe- 
losigkeit stimmten sie ohne Zweifel mit den Essenern überein: die. 
Frauen, welche in ihren Verein aufgenommen wurden, sind nicht 
ikre Ehefrauen, sondern Jungfrauen , welche auf die Ehe verzich- 
teten, um sich dem therapeutischen Leben zu ergeben®). Ebenso 


1) Doch scheinen die gemeinsamen Mahle der Therapeuten ein gemein- 
sames Eigenihum vorauszusetzen, während allerdings zu einer so vollstän- 
digen Gütergemeinschaft, wie die der Essener, bei ihrer einsiedlerischen 
Lebensweise keine Veranlassung war. 

2) Prıto 894, E f. (477) vgl. 894, C: ἐγχράτειαν δὲ ὥσπερ τινὰ θεμέλιον 
προλαταβαλόμενοι τῇ ψυχῇ τὰς ἄλλας ἐποιχοδομοῦσιν ἀρετάς. 

8) Α. a. Ο. 899, Β (481). Diese Feierkleider waren wohl, wie die esse- 
nischen, von Leinwand; vgl. 8. 245, 8. Dagegen trugen sie sonst ebenso, wie 
die Essener, auch wollene Stoffe; vgl. PrıLo a. a. O 895, B (477): καὶ ἐσθὴς δὲ 
ὁμοίως εὐτελεστάτη ... χλαΐνα μὲν ἀντὶ (Ὁ) λασίου δορᾶς παχέϊα χειμῶνος, ἐξωμὶς δὲ 
δέρους A ὀθόνη, und ähnlich über die Essäer b. Eus. pr. ev. VII, 11, 6: πρό- 
χεῖνται γὰρ χειμῶνι μὲν στρυφναὶ χλαΐναι, θέρει δ᾽ ἐξωμίδες εὐτελεῖς. 

4) Α. 8. O. 894, E (477): σιτοῦνται δὲ (bei ibren Sabbathmahlen) πολυτελὲς 
Adv, ἀλλὰ ἄρτον εὐτελῆ καὶ ὄψον ἅλες, od; οἱ ἁβροδίαιτοι παραρτύουσιν ὁσσώπῳ, 
κοτὸν ὕδωρ ναματιαῖον αὐτσῖς ἐστίν. 900, D (488): οἶνος ἐκείναις ταῖς ἡμέραις (bei 
ihren Bundesmahlen) οὐχ εἰςχομίζεται, ἀλλὰ διαυγέστατον ὕδωρ ... καὶ τράπεζα 
παϑαρὰ τῶν ἐναίμων, ἐφ᾽ ἧς ἄρτοι μὲν τροφὴ, προφςόψημα δὲ ἅλες, οἷς ἔστιν ὅτε χαὶ 
Sur ἤδυσμα παραρτύεται.... νηφάλια γὰρ, ὡς τόϊς ἱερεῦσι θύειν, καὶ τούτοις 
βιοῦν ὃ ὀρθὸς λόγος ὑφηγέίται. Vgl. auch 5. 248. Ist hier auch nur von den 
Festmahlen der Therapeuten die Rede, so mussten ibnen doch die hier ange- 
gebenen Grlinde auch sonst das Fleisch und den Wein verbieten. | 

5) A.a. Ο. 894, C f. (476), mit der Begründung: ἐπειδὴ τὸ μὲν φιλοσοφέϊν 

φωτὸς zplvouatv εἶναι͵ σχότους δὲ τὰς σωματιχὰς ἀνάγκας. 

6) Die Hauptstelle über diesen Gegenstand findet sich 8. 899, D (482): 

17 * 


ii Ἀν. 


260 Therapeuten. 


verwarfen sie mit den Essenern die Sklaverei als naturwidrig '). 
Wie jene hatten sie-eine Rangordnung, welche sich nach der Zeit‘ 
richtete, seit der jeder dem Verein angehörte 2). Lassen sich fer- 
ner auch dieReinigungsbäder und Waschungen der Essener bei den 


συνέστιῶνται δὲ (bei ihren Festmahlen) καὶ yuvalxes, ὧν al πλεῖσται γηραιαὶ, παρ- 
Bevor τὴν ἁγνείαν .. . διανενέμηται δὲ ἢ χατάχλισις, χωρὶς μὲν ἀνδράσιν ἐπὶ δεξιὰ, 
χωρὶς δὲ γυναιξὶν ἐπ' εὐώνυμα. Weiter vgl. m. 894, B (476): in den gottes- 
dienstlichen Räumen der Therapeuten seien (wie heute noch in den Synago- 
gen) zwei getrennte Abtheilungen, die eine für die Männer, die andere für 
die Frauen; χαὶ γὰρ καὶ γυναΐχες ἐξ ἔθους συναχροῶνται, τὸν αὐτὸν ζῆλον χαὶ τὴν 
αὐτὴν προαίρεσιν ἔχουσαι. 902, Β (484): nach dem Bundesmahl theilen sie sich 
in einen Männer- und einen Feauenchor, um Wechselgesänge aufzuführen. 
In der ersten von diesen Stellen könnte nun freilich das παρθένοι u. 5. w. nicht 
blos auf yuvalxes, sondern auch auf πλέϊσται, als Apposition bezogen werden; 
nur in dem ersteren Fall würde die Jungfräulichkeit von den tberapentischen 
Frauen überhaupt, in dem andern würde sie blos von der Mehrzahl derselben 
ausgesagt. Aber unsere ganze Schilderung macht es, auch abgesehen von dem 
Vorgang der Essener, wahrscheinlich, dass nur unverheiratbete Frauen in 
den Verein aufgenommen wurden, also entweder blos Jungfrauen, oder viel- 
leicht neben ihnen auch noch Witwen. Denn es ist nicht allein nirgends von 
Ehefrauen und Kindern der Therapeuten die Rede, sondern es lässt sich auch 
nicht absehen, wie sich solche mit ihrem besitzlosen und müssigen Einsiedler- 
leben vertragen hätten. Wenn ferner 8. 899, Ὁ gesagt wird: die therapenti- 
schen Jungfrauen entsagen aus Liebe zur Philosophie den körperlichen Lä- 
sten, indem es ihnen nicht um sterbliche, sondern um unsterbliche Nachkom- 
men su thun sei, so musste dieser Grund die Therapeuten überhaupt von der 
Ehe abhalten. Waren endlich, dem obenangeführten gemäss, die meisten der 
therapeutischen Frauen schon betagt, so begreift sich diess gleichfalls nur 
unter der Voraussetzung, dass die Therapenten unverheirathet waren, und in 
der Regel nur solche Frauen, welche unter Bewahrung ihrer Virginität schon 
ein gewisses Alter erreicht hatten, in ihre Gesellschaft aufgenommen wurden. 

1) A. a. O. 900, A (482). j 

2) 8. 899, C (481): nach dem Tischgebet lagern sich die πρεσβύτεροι nach 
der Ordnung ihres Eintritts in die Gesellschaft; für πρεσβύτεροι halten sie 
nämlich nicht die, welche an Jahren die ältesten sind, sondern die, welche 
von Klein auf sich der Philosophie (d. h. der therapeutischen Lebensweise) 
ergeben haben. Vgl. 8. 288, 1. 287, 1. 257. Neben dieser Rangordnung kom- 
mien auch Gesellschaftsbeamte und Gesellschaftsdiener vor: ein πρόεδρος bei 
den Vereinsmahlen, Vorsänger bei den Wechselgesängen, Festordner (demus- 
ρευταὶ) und Diener bei den Mahlzeiten; vgl. 8. 901, Ὁ. 902, B. 899, C. 900, 8 
(481 ff.) Da aber die Therapeuten nicht in klösterlichen Vereinen, sondern 
als Einsiedler lebten, hatten sie wahrscheinlich keine so ausgebildete Ordens- 
verfassung und keine so strenge Ordenszucht, wie die Essener. 


Einrichtungen; Kultus. 961 


Therapeuten nicht nachweisen, ebensowenig aber freilich ihnen 
absprechen !), so haben dagegen ihre Bundesmahle mit den esse- 
nischen die grösste Achnlichkeit. Am Sabbath, von dessen Heilig- 
keit sie einen ebenso hohen Begriff hatten, wie die Essener, hielten 
sie ein Festmahl 59; an jedem siebenten Sabbath versammelten sie 
- sich in grösserer Anzahl in weissen Feierkleidern zu gemeinsamen 
Mahlzeiten°). Auf Gebete, Vorträge über biblische Texte und 
Gesänge folgte ein Mahl, welches aus gesäuertem Brod, Salz mit 
Ysop und Wasser bestand 4); die Nacht bis zum Morgen wurde 


1) Denn Philo, der für die Therapeuten unsere einzige Quelle ist, thut 
ihrer auch in seinen Schilderungen der Essäer keine Erwähnung, es lässt 
sich also aus seinem Stillschweigen nichts schliessen. Mir ist das wahr- 
seheinlichste, dass auch die Therapeuten diese Sitte getheilt haben. 

2) Pico 894, E (477) mit der Einleitung: τὴν δὲ ἑβδόμην πανίερόν τινα καὶ 
πανέορτον νομίζοντες εἶναι. 

8) Worüber Ῥπιιο 8, 899, A — 908, Β (481 8... 

4) Eine ganz irrige Vorstellung von diesen Mahlen giebt Gzärz 8. 465: 
“Die Therapeuten hielten nicht blos gemeinschaftliche Mahle, sondern nah- 
men nach dem Mahle eine Art Abendmahl (παναγέστατον σιτίον) ein, bestehend 
aus ungesäuertem Brode, woran jedoch nicht alle theilnabmen, sondern nur 
die Bessern, die solches als besonderes Prärogativ genossen haben. let das 
nicht christlich ?“ Für's erste nämlich fand jenes sog. Abendmahl nicht nach 
dem gemeinschaftlichen Mahl statt, sondern es selbst war dieses gemein- 
schaftliche Mahl, wie dioss aus der Vergleichung von 8. 900, D (483 o.) mit 
902, A (484 u.) unwidersprechlich hervorgeht, und durch den ganzen Zusam- 
menhang der Stelle bestätigt wird. Sodann bestand dieses Mahl’ nicht in 
ungesäuertem Brod, sondern vielmehr, nach Pxıto’s ausdrücklicher Angabe, 
sum Unterschied von dem ungesäuerten Brod (den sog. Schaubroden) im 
Tempel, in ἄρτος ἐζυμωμένος. Ebensowenig war der Genuss desselben, 
‘ärittens, „ein Prärogativ der Besseren“: die Worte, worin Grärtz diess findet 
(να ἔχωσι προνομίαν ol χρείττονες), gehen ja auf die jüdischen Priester, denen 
die Therapeuten vor sich selbst das Vorrecht einräumen wollten, ungesäuertes 
Brod und Sals ohne Zuthat zu geniessen. Wenn endlich Grirz mit der Frage 
schliesst: „Ist das nicht christlich?“ so wäre‘ darauf unbedenklich mit Nein 
zu antworten; denn wenn auch eine Abendmahlsfeier mit Brod und Salz, eben 
in Nachahmung des essenisch - therapeutischen Brauches, bei ebjonitischen 
Partheien vorkommt (m. vgl. die 8tellen, welche 8. 243, 2 angeführt sind), βὸ 
ist doch davon, dass die Theilnahme am Abendmahl im zweiten oder dritten 
Jahrhundert das Prärogativ der „Besseren“ (wer ist darunter zu verstehen ?) 
in der christlichen Gemeinde gewesen wäre, mir wenigstens nichts bekannt; 
dass nämlich Ungetaufte und Excommunicirte von demselben ausgeschlossen 
waren, wird man doch wohl nicht hieher ziehen wollen. 


202 Therapeuten. 


unter Absingung von Liedern zugebracht, mit deren Abfassung 
sich die Therapeuten viel beschäftigten, und von denen sie einen 
grossen Vorrath in den verschiedensten metrischen und musikali- 
schen Formen besassen 1). Zu ihren gottesdienstlichen Uebungen 
gehörten auch die täglichen Morgen- und Abendgebete, welche 
ohne Zweifel an die gleiche Vorstellung von der Heiligkeit des 
Sonnenlichts anknüpften, wie die der Essener, da ausdrücklich be- 
merkt wird, dass sie mit dem Auf- und Untergaüg der Sonne ver- 
richtet wurden, und auf diese Naturerscheinung Bezug nahmen). 
Wenn wir endlich schon den Essenern eine allegorische Auslegung 
der alttestamentlichen Bücher zuschreiben mussten, so wird von 
den Therapeuten noch bestimmter bezeugt, sie haben den 
Wortsinn derselben für ein blosses Symbol eines tieferen Sinnes 
gehalten, der mittelst allegorischer Erklärung: an’s Licht gebracht 
werden müsse®). Die zahlreichen Schriften, in denen diese Erklä- 
rungen niedergelegt waren, sind leider verloren,; und auch über 
den Inhalt derselben wird uns nichts mitgetheilt; da sie sich aber 
gerade durch ihre Vorliebe für das beschauliche Leben von den 
Essenern unterschieden, die Theorie für den göttlichsten Theil der 
Philosophie gehalten haben sollen *), und da auch eine so durch- 
geführte allegorische Erklärung, wie die ihrige, immer eigenthüm- 
liche Lehrsätze voraussetzt, so können wir mit Sicherheit annehmen, 


1) Vgl. auch 8. 898, Εἰ (476). 

3) Ῥπιρο 898, C (475) vgl. 903, A (485), nach dem sie bei Sonnemauf- 
gang flehten: φωτὸς οὐρανίου τὴν διάνοιαν αὐτῶν ἐμπλησθῆναι. 

8) A. a. Ο. 898, D (475): ἐντυγχάνοντες γὰρ τοῖς ἱερωτάτοις γράμμασι φιλο- 
σοφοῦσι τὴν πάτριον φιλοσοφίαν ἀλληγοροῦντες, ἐπειδὴ σύμβολα τὰ τῆς ῥητῆς ἕρμη- 
νείας νομίζουσι φύσεως ἀποχεχρυμμένης ἐν ὑπονοίαις δηλουμένης ἔστι δὲ αὐτοῖς zei 
συγγράμματα παλαιῶν ἀνδρῶν, οἱ τῆς αἱρέσεως ἀρχηγέται γενόμενοι πολλὰ μνημέα 
τῆς ἐν τοῖς ἀλληγορουμένοις ἰδέας ὑπέλιπον, οἷς καθάπερ τισὶν ἀρχετύποις χρώμενᾳ 
μιμοῦνται τῆς προαιρέσεως τὸν τρόπον. Ebd. 901, C (483): al δὲ ἐξηγήσεις τῶν 
ἱερῶν γραμμάτων γίνονται δι᾽ ὁπονοιῶν ἐν ἀλληγορίαις. ἅπασα γὰρ ἢ νομοθεσία δοχεΐ 
τοῖς ἀνδράσι τούτοις ἐοιχέναι ζῴῳ " χαὶ σῶμα μὲν ἔχειν τὰς ῥητὰς διατάξεις, ψυχὴν δὲ 
τὸν ἐναποχείμενον ταῖς λέξεσιν ἀόρατον νοῦν. Die ὑπόνοια bezeichnet den unter 
einom Bilde verborgenen Binn; vgl. Paıco Qu. det. pot. insid. 185, D (232 M.) 
und 1. Abth. 801, 3. 

4) A. a. 0. 889, B (471): ᾿Εσσαίων πέρι διαλεχθεὶς, οἱ τὸν πραχτικὸν ἐζήλω- 
σαν χαὶ διεκόνησαν βίον ... αὐτίκα xal περὶ τῶν θεωρίαν ἀσπασαμένων ... τὰ προςζ- 
ovra λέξω. 899, D (481 £.): für πρεσβύτεροι halten sie τοὺς ... ἐναχμάσαντας τῷ 
θεωρητιχῷ μέρει φιλοσοφίας, ὃ δὴ κάλλιστον καὶ θειότατόν ἐστι. ΄ 


“-- 


Aljlegorie, spekulstive Richtung. 88 


dio Spekulation sei bei ihnen weiter entwickelt gewesen, alu bei 
den Essenern, und sie seien in dieser Beziehung die nächsten Vox- 
läufer Philo’s auf jüdischem Religionsgebiete gewesen. Auch. die 
Richtung dieser Spekulation war ohne Zweifel im allgemeinen von 
derjenigen der späteren alexandrinischen Religionsphilosophie 
sicht verschieden, und jener anthropologische und metaphysische 
Duslismus, dessen Spuren wir schon bei den Essenern fanden, bei 
ihnen noch bestimmter zum Dogma ausgebildet; da uns aber unser 
einziger Zeuge alle nähere Auskunft hierüber versagt hat, können 
wir über diese allgemeine Vermuthung nicht hinausgehen, 

Um nun die geschichtliche Bedeutung dieser Partheien richtig 
zu beurtheilen, muss vor allem festgestellt werden, wie es sich. mit 
rem Ursprunge verhält. Sind die Essener und Therapeuten im 
wesentlichen aus der inneren Entwicklung des Judenthums hervex- 
gegangen, so dass sie nur eiwa Einzelheiten von untergeordnetar 
Bedeutung anderswoher entlehuten, oder haben wir ung ihre Eat- 
stehung von Anfang an aus der Einwirkung fremder Elemense 
anf das Judenthum zu erklären? und wenn das letztere der Fall 
sein sollte, welches-waren diese Elemente, welchen Beitrag haben 
se zur Bildung der beiden Partheien geliefert, und wie iss ihr 
Verhältniss zu der jüdisch nationalen Grundlage derselben zu 
bestimmen ? 

Für die Beantwortung dieser Fragen lässt sich, wie überall, 
wo es uns an glaubwürdigen Nachrichten feblt, nur der Weg der 
wissenschaftlichen Vermuthung einschlagen. Wir müssen unter- 
sachen, von welcher Voraussetzung aus sich die uns bekannten 
Eigenthümlichkeiten der Essener und Therapeuten am besten und 
vollständigsien erklären lassen; je mehr eine Ansicht dieser Auf- 
gabe entspricht, um 80 grössere Wahrsocheinlichkeit wird sie für 
sieh haben. 

Hören wir nun zunächst diejenigen, welche einen rein- 
jüdischen Ursprung jener Partheien behaupten, so wird der Essäis- 
mus von ihnen bald nur überhaupt als eine besondere Form der 
jädischen Frömmigkeit behandelt, bald bestimmter an die natior- 
nalen Institute des Priesterthums und der Prophetie angeknüpft. 
Jenes geschieht von EwaLp und von der Mehrzahl der neueren 
jädischen Gelehrten; dieses von Rırscaı und HırgenreLn. Aber 

keine von diesen Erklärungen gewährt eine hefriedigende Vor- 


ni 


564 Essener und Therapeuten. 


stellung von der Entstehung und dem Charakter des Essäismus. 
Die erste derselben hält die Essäer für Abkömmlinge derjenigen 
Parthei unter den palästinensischen Juden, welche während der 
Seleucidenherrschaft im Kampf gegen den eindringenden Hellenis- 
mus auf die Reinhaltung der nationalen Glaubens- und Lebens- 
weise, die strenge Beobachtung des mosaischen Gesetzes und der 
späteren auf seine Auktorität gestützten Ueberlieferungen hin- 
arbeitete 1), der gleichen, aus welcher in der Folge der Pharisäis- 
mus hervorgieng. Nach Ewaın ?) sollen solche Mitglieder dieser 
Parthei, welchen die Aeusserlichkeit und Herrschsucht des Phari- 
säismus widerstrebte, sich aus der Gesellschaft, als einer unfrom- 
men und verdorbenen, zurückgezogen haben, um sich in kleineren 
Vereinen einem heiligen Leben zu widmen, und diess wären die 
Essener. Andere lassen den Essäismus umgekehrt aus einer 
Ueberspannung der pharisäischen Grundsätze über levitische Rem- 
heit entspringen). Darin stimmen jedoch beide Theile überein, 
dass derselbe in allen wesentlichen Beziehungen auf dem Boden 
des strengen, gesetzeseifrigen Judenthums stehe, und aus ikm 
allein, ohne die Annahme fremder Einflüsse, zu erklären sei; und 
so bringen auch beide denseiben mit der-älteren jüdischen Ascese, 
dem Nasiräat, in Verbindung. Nun steht es freilich ausser Zweifel, 
dass die Essener und Therapeuten selbst ihre Lehre ganz aus den 
heiligen Schriften ihres Volkes schöpfen, dass sie überhaupt nichts 
anderes sein wollten, als ächte Juden). Aber den gleichen An- 
spruch macht auch Philo und die ganze jüdisch-alexandrinische 
Schule, so handgreiflich auch ihre Abhängigkeit von der griechi- 
schen Wissenschaft ist; wie diess ja auch die christlichen Sekten 
in ihrer Art ebenso zu machen pflegen. Ebenso ist unläugbar, 
dass der Essäismus in dieser seiner Eigenthümlichkeit nur auf 
jüdischem Boden entstehen konnte, und dass seine Entstehungs- 
gründe in der geschichtlichen Entwicklung des Judenthums 


1) M. s. über diese Parthei, die sog. Chasidim: Ewaup Gesch. d. Υ͂. 
ἴδε. Il, 822. Grirz Gesch. ἃ. Juden III, 6 ff. Jost Gesch. ἃ. Judenth. I, 198. 
HaazreıLo Gesch. ἃ, V. Jisr. II, 857. 

3) Α. ἃ. Ο. 419 f. Gegen ihn Rırascan Theol. Jahrb. XIV, 819 £. ° 

8) Geirz und Jost in den 8. 284, 1 namhaft gemachten Schriften, nach 
FRANERL. 

4) Vgl. 8. 241 £& 257 unt, 


Kein reinjüdischer Ursprung. 205 


gesucht werden’ müssen; aber die Frage ist eben die, ob sie in 
seiner inneren Entwicklung für sich allein liegen, oder ob der 
Essäismus vielmehr, wie so manche ähnliche Erscheinung, aus der 
Berührung des jüdischen Wesens mit dem fremden und aus dem 
Bedärfniss hervorgieng, jenes mit diesem zu vermitteln und zu 
ergänzen. Hiefür genügt es nun nicht, eine theilweise Ver- 
wandtschaft des essäischen mit dem reinjüdischen aufzuzeigen, die 
Ascese der Essäer mit dem Nasiräat, ihre Schrifterklärugg mit der 
gleichzeitigen rabbinischen, ihre sittlichen Grundsätze mit alttesta- 
mentlichen Aussprüchen zusammenzustellen; denn damit wären 
immer nur jüdische Elemente im Essäismus, nicht sein reinjädi-- 
scher Ursprung bewiesen. Sondern es müsste wahrscheinlich 
gemacht werden, dass neben dem gemeinsam jüdischen, was er in 
sich hat, auch seine unterscheidenden Eigenthümlichkeiten aus 
dem Judenthum herstammen. Dieses lässt sich aber nicht darthun. 
Der Eifer für jüdische Gesetzesfrömmigkeit konnte für sich allein 
niemels dazu führen, in den Thieropfern einen von den wesent- 
lichsten Bestandtheilen des nationalen Kultus und eine Masse der 
ausdräcklichsten Gesetzesbestimmungen zu verwerfen; der -jüdi- 
schen Ueberlieferung können die Essener nicht gefolgt sein, wenn 
sie das Oel, mit welchem Priester und Könige gesalbt wurden, für 
eine Befleckung erklärten, oder wenn sie in schroffem Gegensatz . 
zu der alttestamentlichen Anschauungsweise die Ehe verschmähten 
und auf die Jungfräulichkeit den höchsten Werth legten ; im jüdi- 
schen Gesetz und der jüdischen Sitte ist weder das Verbot der 
Sklaverei, noch das des Eides begründet; der jüdische Monotheis- 
mus konnte nicht zu jenen Vorstellungen über die Sonne und die 
Elemente hinführen, welche so auffallend an die Anschauungen der 
Naturreligion erinnern !); die jüdische Dogmatik kennt weder die 
Inseln der Seligen, noch den-Glauben an eine Präexistenz und ein 
körperfreies Leben der Seele nach dem Tode, an welchem den 
Essenern so viel lag, noch ihren sonstigen metaphysischen Dualis- 
mus”); und wenn die allegorische Schrifterklärung allerdings auch 


1) Vgl. 8. 254, 2. 187, 6. Dem Gebet an die aufgehende Sonne begegnen 
wir schon bei PLaro Symp. 220, D in der bekannten Erzählung über den 
Vorfall vor Potidäe, 

2) Worüber 8, 250 ἢ, 


206 Essener und Therapeuten, 


der palästinensischen Theologie nicht fremd blieb, so begegnet uns 
doch eine so durchgeführte Anwendung derselben, wie sie nicht 
blos von den Therapeuten, sondern auch von den Essenern bezeugt 
wird 1), sonst in jener Zeit nur da, wo ausserjüdische Klemenie, 
und näher die Ideen der bellenischen Philosophie, in den jüdischen 
Vorstellungskreis einzudringen begonnen haben. Schon diese 
Züge machen es höchst unwahrscheinlich, dass der Essäismus aus 
dem Judenthum ohne allen wesentlichen Antheil anderweiliger 
Einflüsse sich entwickelt hat. 

"Diese Bedenken werden auch durch Rırscurs und Hırazı- 
reLp’s Annahmen nicht gehoben; so richtig im übrigen beide 
erkannt haben, dass die jüdische Frömmigkeit jedenfalls nur unter 
dem Einfluss eigenthümlicher Motive, und unter theilweiser Aem- 
derung ihres ursprünglichen Charakters, sich zum Essäisınus ent- 
wickeln konnte. 

Rırscau?) glaubt den Schlüssel zum Verständnis des Essäis- 
mus in der Annahme gefunden zu haben, dass die Essener eine 
Priestergesellschaft darstellen wollten, deren Mitgliedern der prie- 
sterliche Charakter unabhängig von ihrer Abstammung zukomme; 
der Essäismus soll der Versuch sein, die Idee des allgemeinen 
Priesterthums (Exod. 19, 6) zu verwirklichen. Aber dass gerade 
dieses der Grundgedanke desselben gewesen sei, lässt sich nicht 
erweisen, und viele von den bezeichnendsten. Eigenthümlichkeiten 
der Parthei lassen sich aus dieser Vorausseizung nicht erklären. 
Die Essener behandelten allerdings ihre heiligen Mahle als Opfer- 
mahle; aber mit Unrecht schliesst daraus Ritschl, sie haben um 
ihres priesterlichen Charakters willen nur Opferspeise geniessen 
wollen 5); davon nicht zu reden, dass es gar nicht zum Charakter 
, des jüdischen Priesters gehörte, sich auf Opferspeise zu beschrän- 
ken. Sie trugen in ihren gottesdienstlichen Versammlungen leinene 
‘ Kleider, wie sie auch den jüdischen Priestern für gewisse Amts- 
verrichtungen vorgeschrieben waren; aber dass sie sich dadarch 
als Priester bezeichnen wollten, folgt um so weniger, da die Lein- 
wand bei den verschiedensten Völkern für einen reineren Stoff 


1) Vgl. 8. 248, 8. 
2) Theol. Jahrb. XIV, 822 Δ΄, Entst. d. altkath. Kirche 179 8. 
8) Vgl. 8. 243, 8. Theol. Jahrb. XV, 413 £, 


Kein reinjüdisoher Ursprung. . 407 


gehalten, und nicht blos für die Priestergewänder, sondern auch 
für die Todtenkleider und die Tracht der Asceten vorgezogen 
wurde 5). Ebensowenig liegt in den essäischen Reinigungbädern 
eine Hindeutung auf einen priesterlichen Charakter. Vielmehr 
beweist alles, was wir von den Essenern wissen, dass nicht die 
Heiligkeit des Priesters, sondern die des Asceten, der Ge- 
sichtspunkt war, von dem ihre eigenthümliche Lebensweise aus- 
gieng; d. h. es handelte sich bei derselben für sie nicht darum, 
anderen gegenüber die Stellung von Priestern, von Vermitllern 
ihres Verhältnisses zur Gottheit zu gewirinen, sondern in letzter 
Beziehung nur darum, für sich selbst in das rechte Verhältniss zur 
Gottheit zu kommen ?). Hätten die Essener eine Priestergesell- 
schaft sein wollen, so hätten sie vor allem darauf ausgehen müssen, 
sich eine Gemeinde zu verschaffen, von der sie als ihre Priester 
anerkannt wurden, sie hätten sich um Einfluss im Volke bewerben, 
die Leitung seiner religiösen Angelegenheiten in die Hand nehmen 
müssen, statt sich in die Einsamkeit und Abgeschiedenheit zurück- 
zuziehen; und wäre das jüdische Priesterthum das Vorbild ge- 
wesen, das ihnen bei ihren Ordenseinrichtungen vorschwebte, so 
würden sie weder in den Thieropfern einen Grundpfeiler des natio- 
nalen Gottesdienstes, noch in der Ehe die Grundbedingung des 
israelitischen, an die aaronitische Abstammung geknüpften Priester- 
ihums verworfen, noch auch das Salböl als eine Befleckung 
gemieden haben ?); um die übrigen Beweise für den ausserjüdi- 


1) Th. Jahrb. XV, 416 und oben 8. 130, 3. 140, 1 und Bd. I, 237, 5. 

2) Auf diesen Unterschied habe ich schon Theol. Jabrb. XV, 415 auf- 
merksam gemacht, Rırscaz Altkathol. K. 179. 188 verwirft meine Bestimmung: 
der Begriff des Priesters sei im A. Test. ursprünglich nicht der des Mittlere, 
sondern der des Heiligen, von Gott Erwählten. Andere werden vielleicht an- 
deser Meinung sein; indessen ist diess hier gleichgültig; die Frage ist ja nicht 
die, was das Wort 7732 (Priester) ursprünglich bezeichnete, sondern was im 
späteren, nachexilischen Judenthum die Stellung und Bedeutung der Priester- 
schaft war; wenn die Essener Priester sein wollten, konnten sie doch nur das 
sein wollen, was man zu ihrer Zeit unter einem Priester verstand. 

8) Vgl. Theol. Jabrb. XV, 417 f. Was BırscaL Altkath. K. 185 fl. vgl. 
Th. Jahrb. XIV, 828 ff. zur Beseitigung dieses Einwurfs bemerkt, beweist 
zur für die Verlegenheit, in die er durch denselben gesstzt wird. Die 
Essener, sagt οἵ, haben sich des unter dem levitischen Priesterthum ste- 
kenden Tempelkultus enthalten, weil sie ihren eigenen priesterlichen Kultus 


N 


268 Essener und Therapeuten, . 


schen Ursprung ihrer auffallendsten Eigenthümlichkeiten hier nicht 
zu wiederholen oder vorwegzunehmen. Aber sie waren von dem 


für genligend und für besser hielten, und da sie nun nur Opferspeiso genicsen 
wollten, Thieropfer aber nur im Tempel dargebracht werden durften, haben 
sie folgerichtig auf den Fleisachgenuss Überhaupt verzichtet. Allein, dass sie ner 
Opferspeisen geniesen durften und wollten, ist nicht richtig, wie schon 8. 248,8 
nachgewiesen wurde; hätten sie aber wirklich diesen Grundsatz gehabt, und sich 
dabei so streng, wie Ritschi annimmt, an’s mosaische Gesetz binden wollem, 
so hätten sie sich aller andern Nahrung ebensogut, wie des Fleisches, emtbal- 
ten müssen, denn unblutige Opfer durften so wenig, als Thieropfer, ausser dem 
Tempel dargebracht werden; liesen sie andererseits die übrigen Speisem für 
Opferspeisen gelten, sobald sie durch’s Gebet geweiht waren, so sieht man 
nicht ein, warum diess nicht auch bei den Fleischspeisen hätte der Fall sein 
sollen. Auch das aber lässt sich nicht annnehmen, dass die Esser desshalb 
keine Opfer im Tempel darbringen wollten, weil sie nur sich selbst, nicht die 
leritischen Priester, als wahre Priester anerkannten, denn diesen Anspruch 
machten sie, wie sogleich gezeigt werden wird, nicht. Dass endlich Jos. Antt. 
XVII, 1, ὅ sagt: θυσίας οὐχ ἐπιτελοῦσι διαφορότητι ἀγνειῶν, ἃς νομίζοιεν, beweist 
nichts; die Frage ist eben, warum sie ihren eigenen gottesdienstlichen Uebus- 
gen vor den öffentlichen Opfern den Vorzug gaben. Das Verbot der Thieropfer 
und der Fleischkost lässt sich aus Ritschl's Hypothese schlechterdings nicht 
erklären. — In Betreff des Balböls vermuthet Rırscan, die Essäer haben des- 
selbe gemieden, umsich dadurch dem levitischen Priesterthum, welches durch 
Salbung übertragen wurde, entgegenzusetzen. Aber er selbst kann das Ge 
ständniss nicht unterdrücken, dass diese Annahme ihre Schwierigkeit babe; 
und diese Schwierigkeit ist wirklich so gross, dass dieselbe ganz unzulässig 
wird. Denn die Essäer unterliesen nicht etwa nur die Balbung ihrer Priester 
als etwas, das ihnen nicht zukomme oder dessen sie nicht bedürfen, sondem . 
sie verabscheuten das Oel als einen Stoff, dessen Berührung verunreinigs 
(vgl. 8. 245, 1. Wie wäre diess möglich gewesen, wenn ihre Idee der Bein- 
heit von dem jüdischen Priesterthum abstrahirt war, für welches die Salbung 
als Zeichen der Weihe und der göttlichen Begabung die höchste Bedeutung 
hatte? — Was schliesslich die Ehelosigkeit anbelangt, so weiss sich Ritschl 
(über den auch 8. 244, 2 5. vgl.) nur durch die Vermuthung zu helfen, das 
Gesetz Levit. 15, 18 sei wohl schon frühe dahin missverstanden worden, 
dass 65 die eheliche Beiwohnung überhaupt für verunreinigend erkläre, und 
Folge dieses Missverständnisses haben die Essener in der Ehe überhaupt ein 
Hinderniss ihrer priesterlichen Reinheit erkannt. Er hat dabei nur vergessen, 
dass es nach seiner eigenen Voraussetzung das jüdische, auf die Abstammung, 
und mithin auf die Ehe, gegründete Priesterthum gewesen sein soll, dem die 
Essener ihre Einrichtungen nachbildeten, und dass es ein in der Geschichte 


"beispiellos dastehender Fall wäre, wenn sich eine ıoligiöse Parthei ohne tiefer- 


gehende innere Gründe, einer einzigen, mehr als zweifelhaften Schriftstelle 
suliob, su einem 80 eingreifenden Widerspruch, nicht allein gegen die be- 


Kein reinjüädischer Ursprung. 2369 


Gedanken eines allgemeinen, jedem Mitglied ihres Ordens als 
solchem zustehenden Priesterthums so weit entfernt, dass sie viel- 
mehr ihre eigenen gewählten Priester hatien, weil die heiligen 
Speisen nicht ohne priesterliches Gebet bereitet und genossen 
werden durften 1); und die Absicht, ihren Orden an die Stelle des 
levitischen Priesterthums zu setzen, lag ihnen so ferne, dass wenig- 
stens von den Therapeuten ausdrücklich bezeugt wird, sie haben 
den Priestern im jerusalemitischen Tempel den Vorrang vor sich 
selbst zugestanden ?). Der nachweisbare Charakter der Essener 


stimmtesten anderweitigen Aussprüche der Schrift, sondern auch gegen die 
gause Bitte, Denkweise und Religionsverfassung ihres Volkes entschlossen 
hätte, Wird Ritschl nicht lieber auch den Cölibat der katholischen Priester 
ans dem Missverständniss irgend einer Bibelstelle herleiten? 

1) Jos. Antt. XVIII, 1, δ. B. J. II, 8, δ vgl. 8. 286, 2. 248, 2. 

2. Paıro v. contempl. 902, A (484): Die Therapeuten gebrauchen bei 
itren Mahlen gesäuertes Brod und Salz, das mit Ysop gemischt ist, δι᾽ αἰδῶ 
τῆς ἀναχειμένης ἐν τῷ Ayla προνάῳ τραπέζης. Auf diesem nämlich stehe ungesän- 
ertes Brod und ungemischtes Salz, die Therapeuten dagegen haben beides 
weniger rein. Hposäxov γὰρ ἦν τὰ μὲν ἁπλούστατα καὶ eDıxpıvdotara τῇ χρατίστῃ 
τῶν ἱερῶν (1. ἱερέων) ἀπονεμηθῆναι μερίδι, λειτουργίας ἄθλον" τοὺς δὲ ἄλλους τὰ μὲν ὅμοια 
ζηλοῦν͵ ἀπέχεσθαι δὲ τῶν ἄρτων (]. αὐτῶν), ἵνα ἔχωσι προνομίαν ol κρείττονες. Von ἡ 
den Essenern wird ähnliches nicht ausdrücklich berichtet; wir können aber 
um so weniger bezweifeln, dass sie in ihrem Urtheil über das jüdische Prie- 
stertkum mit den Therapeuten übereinstimmten, da sie im ganzen der bei den 
Palästinensern herrschenden Denkweise noch näher standen, als jene. Ihre 
Verehrung für den Tempel legten sie durch Weihgeschenke an den Tag 
(dos. Antt. X VIII, 1, 5); wurde aber die Heiligkeit des Tempels von ihnen 
anerkannt, so können sie auch der für diesen Tempel verordneten Priester- 
schaft ihre göttliche Sendung nicht bestritten haben. Dagegen ist es eine 
übereilte Folgerung, die Rırsonı. a. a. Ο. 187 zieht: wenn die Unterlassung 
von Thieropfern und Fleischgenuss bei den Essenern in der Ueberzeugung 
von der Unreinheit des thierischen Lebens begründet wäre, müssten sie den 
jerasalemischen Tempel als Hauptstätte aller Unreinigkeit verabscheut haben. 
Es ist ja auch möglich, dass sie zwar den Tempel als heiligen Ort und gött- 
Niche Stiftung verehrten, aber in den Tbieropfern einen später aufgekommenen 
Missbrauch sahen, sei es weil sie die Thiere um des Zeugungsaktea willen für 
ünrein, sei es weil sie Schonung alles Lebens für Pflicht hielten. Genau diese 
Btellung geben sich die christlichen Essener, die Ebjoniten, zum Tempel: 
das Opferwesen erklären sie für die Hauptsünde des Volks, seine Abschaf- 
fang für die Hanptaufgabe Christi, alle Schriftstellen, die Opfer vorschreiben, 
für gefälscht, die thierische Nahrung für gottlos und naturwidrig (ριξε. 
Haer. 80, 6. Crauzut. Homil. III, 45. 52. VIII, 16. 19 vgl. Reoogn. I, 86 ff. 


ln. 


370 Essener und Therapeuten. 


dient daher Ritschl’s Hypothese nicht blos nicht zur Empfeklung, 
sondern er ist mit derselben ganz unvereinbar ; mag auch die Idee 
der priesterlichen Heiligkeit auf die Ausbildung der essenischen 
Sitte einigen Einfluss gehabt haben!), so lässt sich doch der 
Essäismus als Ganzes nicht aus der Nachbildung eines Instituts 
herleiten, mit dem er in seinen Grundzügen so vielfach im Wider- 
spruch steht. 

Auch Hırernreıv’s Ansicht hat vieles gegen sich. Nach seiner 
Darstellung ?) wäre der Essäismus eine Form der jüdischen Apoks- 
Iyptik: sein letztes Ziel war die prophetische Erleuchtung; das 
Mittel, wodurch man sich auf diese vorbereiten und sie erlangen 
wollte, war die Ascese; die Eigenthümlichkeit der ascetischen Le- 
bensweise und der enge Verband der apokalyptischen Schule führte 
zu den abgesonderten Ansiedlungen und dem Vereinsleben der 
Essener, um so mehr, je verderbter ihnen die Gegenwart im Ver- 
gleich mit der Zukunft erschien, der sich ihr prophetischer Blick 
zuwandte. Dieser Auffassung stellt sich jedoch zunächst schon der 
Umstand in den Weg, dass sich von der messianischen Erwartung 
bei den Essenern keine sichere Spur findet, während.doch eben 
diese Erwartung den wesentlichen, ja strenggenommen den einzi- 
gen Inhalt aller apokalyptischen Prophetie bildet. Keiner von 
unsern Berichten erwähnt ihrer, nichts in den Sitten, den Einrich- 
tangen, den Kultusgebräuchen der Essener weist darauf hin, oder 
wird mit der Rücksicht auf die künftige messianische Zeit begrün- 
det; auch die essenischen Weissagungen, von denen erzählt wird), 


64), aber der Tempel bleibt ihnen der heilige Ort (Crewsnr. Homil. TI, 17. 
22), und derselbe Jakobus, welcher sich aller thierischen Nahrung (und somit 
auch der T’hieropfer) enthält, betet täglich darin (Heroes. Ὁ. Eos. K. G. Il, 
28, 5 £.). 

1) Eine derartige Spur könnte man (mit Rırscay Altkath. K. 184) in der 
Enthaltung vom Wein finden, welche auch Parı.o. (8. o. 259, 4) mit derjenigen 
der Priester während ihrer gottesdienstlichen Verrichtungen zusammenstellt. 
Doch lAge hier, wenn man einen jüdischen Vorgang sucht, der des Nasirkats 
näher. Noch wahrscheinlicher ist aber auch ffir diesen Zug der des Neupytha- 
goreismus, da in diesem auch die weiteren mit ihm zusammenhängenden Eigen- 
thtimlichkeiten der Essener ihre Parallele Anden. 

4) Jüd. Apokalyptik 245 ff. Ihm folgt Usergewes Grundr. ἃ. Geset. 
d. Phil. I, 202. 

8) 8. ο. 285, 2. 


"Kein reinjüdischer Ursprung. 971 


besiehen sich auf ganz andere Dinge!); von den Therapeuten 
wissen wir nicht einmal, ob sie überhaupt auf Erkenntniss der Zu- 
kunft ausgiengen, und in der ausführlichen Schilderung ihres 
Gottesdienstes bei Philo kommt kein Zug vor, welcher denselben 
als eine Vorbereitung auf das Kommen der messianischen Zeit er- 
scheinen liesse. Wie wäre diess möglich, wenn der ganze Essäig- 
mas gar nichts anderes, als eine solche Vorbereitung, wenn alles 
in ibm auf apokalyptische, d. ἢ. messianische Prophetie angelegt 
wire? Aber wollte man auch hiefür nar die Lückenhafligkeit 
unserer Berichte verantwortlich machen, und eine essenische Apo- 
kalyptik zugeben 3), für welche man sich vielleicht auf das Buch 
Beaoch berufen könnte ὅ), sowird doch die Weissagungsgabe immer . 
wer einzelnen Essenern als eine ausserordentliche Eigenschaft 
zugeschrieben *); davon, dass die ganze Parthei eine Propheten- 
schele sein wollte, dass ihre ganze Lebensweise nur den Zweck 
hatte, ihre Mitglieder zum Empfang höherer Offenbarungen zu 
befähigen, können wenigstens unsere Berichterstatter nichts ge- 
wusst haben. Die Eigenthümlichkeit der Parthei lässt sich aber 
such aus diesem Gesichtspunkte nicht begreifen. Die Enthaltung 
von sinnlichen Genüssen mag immerhin als eine Vorbereitung auf 
prophetische Erleuchtung betrachtet worden sein®), wie sie über- 


I) Hırasnrsın 8. 256 bemerkt zwar, die Ereignisse, die von Essenern 
geweissagt worden sein sollen, stehen doch in einer sehr nahen Beziehung zu 
ds Schicksal des Jadenthunis, sofern sie nämlich die jüdischen Fürsten und 
ihre Familien betreffen. Aber dadurch werden sie noch nicht zu Bestand- 
theilen der apokalyptischen Prophetie. Diess wären sie erst, wenn sie mit 
dem Endsiel der jüdischen Geschichte, dem messianischen Reiche, in irgend 
“ae Zusaarmenhang gesetst wären. 

2) Was aber doch immer nur besagen würde, dass die Essener die mes- 
sisaischen Erwartungen ihres Volkes getheilt, und einzelne derselben sie in 
aptkalyptischer Form ausgesprochen haben, njcht dass der ganze Easkismus 
Apokalyptik sei. 

8) Vgl. 8. Anm. 6. 

4) VgL 8. 258, 1. 

8 Hıresuruın 8. 268 verweist hiefür auf Dan. 1,7 f. 10,2 f. Doch ist 
keine dieser Stellen beweisend: in der ersten enthalten sich Daniel und seine 
Frannde der Speisen und des Weins von der königlichen Tafel, um sich nicht 
dareh Tischgenossenschaft mit den Heiden zu verunreinigen, in der zweiten 
fatet Daniel aus Trauer über das Schicksal seines Volks, und er enthält sich 
dabei nicht blos des Fleisches und Weines, sondern auch des Brodes. Weiter 


4 


373 Essener und Therapeuten. 


"haupt bei anhaltender Beschäftigung mit religiösen Uebungen ber- 
kömmlich war !) und sich leicht erklärt; aber von da ist es noch 
weit zu jener unbedingten und grundsätzlichen Verwerfung der 
Fleischkost, des Weintrinkens und der Ehe, wie wir sie bei des 
Essenern getroffen haben. Schon ihre Lessagung vom gesetzlichen 
Opferdienst zeigt, wie wenig sich ihre Denkweise aus der jüdischen 
Ansicht von der Prophetie und überhaupt aus dem jüdischen 
Wesen als solchem erklären lässt. Was ferner ihre gesellschaft- 
licher Einrichtungen betrifft, so lassen sich diese unmöglich als 
eine so ausserwesentliche Zuthat zu ihren ursprünglichen Bestre- 
bungen behandeln, wie diess von Hilgenfeld folgerichtig geschieht; 
sondern esliegtam Tage, dass sie in ihrerganzen Geistesrichtung be- 
gründet sind, dass sich durch sie das gleiche sittliche Ideal in einem 
Gemeinleben zu verwirklichen sucht, nach welchem die Ascese 
der Essener und Therapeuten das Einzelleben derselben gestaltet. 


\ 


beruft sich H. auf das Buch Henoch, wo der Fleischgenuss als eine Folge 
von dem Abfall der Engel dargestellt, und von dem Propheten zeitweise East- 
haltung vom ehlichen Umgang verlangt werde (jenes 7, 4 f. 98, 11, dieses 
88, 2. 85,8), undanfIV. Esra 9, 24. 26. 12, 51, wo sich der Prophet gleichfalls 
durch Fasten vorbereite. Allein die letzteren Stellen können nicht mehr be- 
weisen, als die entsprechenden des Daniel; was aber Henoch betrifft, so er- 
zählt zwar dieser von einer Offenbarung, die er noch vor seiner Verheirathung 
gehabt habe; dass jedoch damit die Virginität als ein Erforderniss der Pro- 
phetie bezeichnet werden solle, ist mit nichts angedeutet, und schon desshalb 
"unwahrscheinlich, weil seine übrigen Gesichte dem Henoch als Familienvater 
(und zwar nach o. 81, 6 vor seiner definitiven Entrückung in den Himmel) 
zutheilwerden. Sicherer ist die Folgerung aus co. 7, 4 ἢ, dass der Verfasser 
des Henochbuches die thierische Nahrung missbilligt habe, deren Einführung 
auch in den Clementinen Homil. VIII, 15 von den Giganten hergeleitet wird. 
Wird man aber auch hierin, sowie in der Aeusserung 89, 78, wo die Opfer 
des nachexilischen Tempels für unrein erklärt werden, 'einen Einfluss eseäi- 
scher Ideen zu sehen geneigt sein, so folgt doch daraus nicht, dass dor Pseudo- 
Henoch selbst dem Essenerverein angehörte, und noch viel weniger, dass er 
die Enthaltung vom Fleischgenuss gerade desshalb verlangte, weil er sie für 
eine Bedingung der Prophetie hielt. Philo's Aussagen über die Erfordernisse 
des Propheten (Hilgenf. a. a. O.), können für die Ansichten des voresseni- 
“schen Judenthums tiber dieselben kein Zeugniss ablegen. 

1) Das Beten und Fasten wird ja auch im N. Testament regelmässig ver- 
bunden; vgl. Matth. 6, 5. 16. 17, 21. 4, 3. Luk. 2, 87. Apg. 10, 80. 14, 28, 
Ebenso erwähnt Paulus 1 Kor. 7, 5 der Enthaltung vom ehlichen Umgang 
bei längerer Gebetsübung. 


Kein reinjüdischer Ursprung. a3 


Aber mit der Absicht, prophetische Offenbarungen zu gewinnen, 
stehen dieselben allerdings nur im eniferntesten ‘und unsichersten 
Zusammenhang, und für diesen Zweck würde sich die beschauliche 
Musse der Therapeute nunstreitig weit besser geeignet haben, als 
‚üe Arbeitsamkeit der Essener, denen doch HıLeEnxrEıo die apoka- 
Iyptische Prophetie zunächst beilegt. Wie endlich die Verwerfung 
des Eides und der Sklaverei, wie die Anrufung der Sonne und die 
eigenthämlichen Vorstellungen über die Bedeutung des Wassers 
und der Elemente, wie die essenischen Lehrep über den Ursprung 
der Seele und das körperlose Leben nach dem Tode aus der jüdi- ᾿ 
schen Apokalyptik hervorgehen konnten, lässt, sich schwer 
sagen); und wenn der Glaube an Engel für die letztere allerdings 
eine eigenthümliche Bedeutung hatte, wird man doch von den 
Nachforschungen der Essener nach den Heilkräften der Wurzeln 
und Steine 5) nicht das gleiche behaupten können. Auch dieser 
Versuch daher , den Essäismus aus rein jüdischen Quellen abzulei- 
ten, wird uns in der Ueberzeugung nur bestärken können, dass er 
sich auf diesem Wege überhaupt nicht erklären lässt, weil er 
gerade in seinen eigenthümlichsten und bezeichnendsten Zügen 
von der ursprünglichen Sitte und Denkweise der Juden abweicht, 
und in erheblichen Punkten mit derselben in Widerspruch tritt. 

Muss aber dieser Sachverhalt einmal anerkannt werden, so 
genügt es nicht, den Essäismus auf eine allgemeine geistige Rich- 
tung, wie etwa die innerlichere und individuellere Auffassung 
der Frömmigkeit, welche in einer Zeit der Noth und Unter-" 
dräckung sich erzeugte®), zurückzuführen; es entsteht vielmehr 


Ἢ Deun wenn H. 276 die letsteren in einer Schule sehr begreiflich An- 
det, „deren Streben dahin gieng, die Beelen aus dem weltlichen und irdischen 

on su dem Verkehr mit der übersinnlichen Welt zu erheben, alle Hinder- 
nisse der Sinnlichkeit möglichst zu überwindgn“, so enthält diese Beachrei- 
hung etwas gans anderes, als den Begriff einer „apokalyptischen“ Schule; 
und wean sich in, einer apokalyptischen Schrift, wie das Buch Henoch, ein- 
selne Anklänge an essenisches finden, so fragt es sich eben, ob sie gerade ans 
dem apokalyptischen Inhalt und Charakter dieser Schrift, oder aus derselben 
allgemeinen Denkweise, deren stärkster Ausdruck der Essäismus ist, oder 
Yielleicht auch: aus dem letsteren selbet‘ geflossen sind. 

2) ß. ο. 252, 4. 

3) Unter diesen Gesichtspunkt stellt Reuss Hist. ἃ, Theo). ohindt.1, 122 8. 
den. EssKiszgus., Dureb’die. Noth, die Verfolgunges und, deu Verderben. der 

Pkile, ἃ, Gr. III. Bd, 2. Abt. 18 


74 Essener und Therapeuten. 


die Aufgabe, in den geschichtlichen Verhältnissen die Elemente 
genauer nachzuweisen, welche eine Parthei, wie die der Essener, 


seleucidischen Zeit, glaubt er, seien manche von der Aussenwelt in Ihr Inse- 
res geführt worden, sie haben auf dem Wege der Weltentsagung, der Ver- 
schmähung aller Susseren Güiter, den Frieden mit Gott gesucht, sie haben 
sich in diesem Binn einer eigenthümlichen Ascese ergeben, gegen den öffemt- 
lichen Kultus dagegen sich immer gleichgliltiger verhalten, und sich statt 
dessen in engere Vereine zurückgezogen. Dieser „Pietismus der Armen“, 
welcher von Anfang an mit dem sonstigen Charakter der jüdischen Frömmig- 
keit im Widerspruch ständ, sei mit der Zeit, vielleicht erst gegen das Ende 
der vorchristlichen Periode, so ausschliessend und geparatistisch geworden, er 
habe das Gefühl der religiösen und nationalen Zusammengehörigkeit so ver- 
loren, dass sich seine Mitglieder vom Nationalheiligtihum gänsiich faernhielten 
(nach Jonephus wurden sie vielmehr von demselben ausgeschlossen; vgl. 
8, 343, δ), sich als Essener zur Sekte constituirten. Und wenn uns mm einer 
vollständigeren geschichtlichen Erklärung des Essäismus die Mittel fehlten, 
möchte man sich immer mit dieser begnligen. Doch würde man sich schwer- 
lich verbergen können, dass es nicht ganz wenige und nicht unwesentliche 
Ztige in seinem Bilde sind, tiber die sie uns keinen Aufschluss giebt. Rell- 
gionsstreitigkeiten und Verfolgungen erzeugen allerdings nicht selten eimen 
Ueberdruss an den Asusserlichkeiten des Kultus und des Kirchenwesens, eine 
Zurückziehung in das Innere des frommen Gefühls, und im Zusammenhang 
damit überhaupt eine Weltverachtung, welche unter Umständen auch zur 
Kusseren Absonderung von der Welt führt; und so könnten immerhin aus den 
Kämpfen der Makkabllerzeit die Essener in älmlicher Weise hervorgegangen 
sein, wie die ersten christlichen Mönche aus der decianischen Verfolgung und 
die Quäker sus den Wirren der englischen Revolution; wiewohl sich δορὰ 
nicht verkennen lässt, dass das Judenthum seiner gansen Anlage nach einer 
solchen Entwicklung und Vertiefung der religiösen Subjektivität lange nicht 
so günstig war, wie das Christenthum. Aber die nähere Bestimmtheit der 
essenischen Frömmigkeit INsst sich auf diesem Wege nicht erklären. Wober 
dieser Abscheu gegen die blutigen Opfer, einer von den Grundsligen des 
Essäismus, in einem Volke, dessen ganser Kultus an ihnen seinen Mittelpunkt 
hatte? Woher die Verschmähung der Ehe, welche der tiefgewurselten Wertb- 
sohätsung des Familienlebens und des Kindersegens, den uralten Ucherlie- 
ferungen seit der Patriarchenzeit, so auffallend widerstreitet? Woher der 
strenge Ordensgeist und die herbe Ordenssucht, woher die täglichen 
Waschungen, wober das System überspannter, schon durch die Berührung 
mit den eigenen Ordensgenossen geringeren Ranges verletuter levitischer 
Reinheit, wenn es den Essenern nur um innerliche Frömmigkeit mm thun 
war? Woher jene Spekulationen über das Wesen und die Prücxistens der 
Seele, über die Engel, überhaupt jene ganze Dogmatik, auf welche uns 
theils die allegorische Schrifterklärung, theils das sorgsam gehlitste Behul- 
geheimniss det Parthei schliessen lässt? Woher das Verkot-des Biden, woher 


Kein persischer Ursprung. 975 


in's Leben rnfen konnten. Im Judentkum für sich allein sind 
. nun diese Elemente, wie sich uns gezeigt hat, nicht zu finden. 
Ausser demselben könnten sie entweder im orientalischen oder im 
griechischen Bildangsgebiet gesucht werden. Allein in dem erste- 
ren zeigen sich nirgends die Vorgänger, welche den Essäismus zu 
erklären geeignet wären, und von denen sich zugleich eine Ein- 
wirkung auf das Judenihum der zwei letzten vorchristlichen Jahr- 
hunderte wahrscheinlich machen liesse. Man hat in dieser Bezie- 
bung an den Parsismus, und insbesondere an diemedisch-persische 
Priesterkaste, die Magier, gedacht!). Aber so fühlbar auch der 
Einfluss des Parsismus auf das Judenthum früher gewesen war, 
ww musste derselbe doch nothwendig auf ein kleinstes beschränkt 
sein, seit das Perserreich zertrümmeri, das ganze vordere Asien 
der macedonischen Herrschaft unterworfen und in den Bereich der 
heilenischen Bildung gezogen war, und auch die Entstehung des 
parthischen Reiches im Osten (um 250 vor Chr.) und seine all- 
mähliche Aushreitung bis zum Euphrat führte eine bedeutende 
Aenderung hierin wohl um so weniger herbei, da auch in diesem 
der Einfluss griechischer Sitte, Kunst und Wissensehaft sich er- 
hielt. Treten daher während dieser Zeit im Judenthum Erschei- 
nungen hervor, welchesich nur aus der Einwirkung ausserjüdischer 
Elemente erklären lassen, so müsste denselben das Gepräge eines 
persischen Ursprungs sehr bestimmt aufgedrückt sein, wenn ein sol- 
cher die Wahrscheinlichkeit für sich haben sollte. Diess ist aber in 
Betreff des Essäismus nicht der Fall. Es finden sich allerdings 
zwischen ihm und dem Parsismus gewisse Berührungspunkte, wenn 
auch nicht so viele, als HıLgenreıo glaubt; für eine persische Ab- 
kunft des Essäismus kann jedoch dieser Umstand schon desshalb 
uichts heweisen, weil unter diesen Zügen keiner ist, welcher nicht 


‚ vellenda die merkwürdigen Vorstellungen über die göttlichen Kräfte der 
Bonne und der Elemente? Könnte man auch vielleicht eimzelne von diesen 
Zügen aus der angegebenen allgemeinen Richtung des Essäismus erklären, . 
ist diess doch nicht mehr zulässig, wenn sich für das Ganze seiner Ersohei- 
sung oin älteres, fast in allen Punkten genau entsprechendes Vorbild nach- 
weisen isst. 

1) 80 sohon Casuszr und theilweise auch Caapnzr (vgl.8.279,3), neuer- 
dings Inneunveın (Ztsehr. ἢ, w. Theol. III, 868 Α΄, IX, 408. X, 99 ff.), welcher 
duch diese Annahme seine ursprüngliche Auffassung des Essäismus in stel- 
senden Maasse modifieirt hat. 

18 * 


ln. 


226 Essener und Therapeuten, 


‘auch bei den Pytbagoreern vorkäme; weil sie mithin theils über- 
‚haupt nicht charakteristisch genug sind, um einen geschichtlichen 
Zusammenhang des Essäismus mit dem Orient darzuthun, theils 
auch aus einer durch den Pythagoreismus vermittelten Ueberliefe- 
rung orientalischer Lehren sich erklären würden!). Anderes 


- 


1) Was Hınaeurzio in dieser Besiehung (am vollständigsten Zischr. [. 
w. Th. X, 99 ff.) beibringt, ist folgendes: 1) Die Magier waren ebenso, wie 
die Essäor, Wahrsager. Aber die Pythagorser und viele andere waren 66 
auch. 2) Wie die Essäer zerfielen auch die Magier in drei Klassen. Aber die 
ersteren theilten sich (s. ο. 237, 1) nicht in drei, sondern in vier Klassen, und 
auch die drei, welche H. daraus macht, decken sich nicht mit den von ibm 
angeführten drei Klassen der Magier. 8) Wie von den Magiern eine aximo- 
suantio erwähnt werde (Prim. ἢ. ἢ. XXXVL, 19, 143. XXX, 2, 14), so sei auch 
die Axt der Essäer zunächst ein Handwerkszeug der Magie; ebenso sei ihr 
περίζωμα unverkennbar der heilige Gürtel der Ormudsdiener. Allein das 
ersto ist eine Vermuthung, der nichts thatsächliches zur Seite steht; das πε- 
ρίζωμα aber ist kein Gürtel, sondern eine Schürse, wie aus Jos. B. J. 11, 8, 
5. 7 unbestreitbar hervorgeht. Richtiger ist 4), dass nach Dioe. prooem. 7 die 
Magier, wie die Essener, weisse Kleider trugen; nur ist diess auch pytbago- 
reisch. Dagegen lassen sich die ἐξωμίδες der Essener (8. 0.259, 3) nicht aus Per- 
sien herleiten (m. β. über die ἐξωμὶς, das gewöhnliche Kleid der niederen Klassen 
in Griechenland, Hzauann griech. Antiquit, III, 8. 21, 16.). δ) Bei den heiligen 
Bädern derselben wäre diess an sich möglich; indessen ist diese Art der Rei- 
nigung nicht blos altjädisch, sondern überhaupt sehr verbreitet und unter 
anderem auch pytbagoreisch. 6) Dass ferner das Gebot der Wahrhaftigkeit 
bei den Pythagoreern in der gleichen Verbindung mit dem Verbot des Eides 
vorkommt, wie bei den Essenern, wird demnächst gezeigt werden; wenn sich 
daher auch bei den Persern „Ahnliches findet, kann man daraus nicht viel 
schliessen. 7) Wenn die Magier nach Dıoa. 8. ἃ. Ὁ. keinen Schmuck trugen, δὺ 
stellt diess H. mit der Gütergemeinschaft der Essener zusammen; aber diese 
Vergleichung ist viel zu weit hergeholt, um etwas zu beweisen. Ebensowenig 
hat os auf sich, dass die Magier, wie die Essener (aber auch die jüdischen 
Leviten u. a.) eigene Niederlassungen hatten, dass die persischen Mahlzeiten 
mit einem Tischgebet eröffnet und schweigend (die essenischen in ruhigem 
Gespräch) vollendet wurden, und was sonst noch ähnliches angeführt wird. 
Viel beachtenswerther ist 8) die von der obersten Klasse der Magier beseugte 
Enthaltung von Fleisch und Wein und die Verwerfung der Thieropfer. Diese 
Züge weisen allerdings auf den orientalischen Ursprung dieser Asosse. Allein 
daraus folgt nicht, dass sie überall, wo sie sich findet, direkt aus dem 
Orient gekommen sein muss; wenn sie sich vielmehr sohen im fünften, und 
wahrscheinlich schon im sechsten und siebenten Jahrhundert in Griechenland 
eingebürgert hatte, so kann sie gich ebensogut von dort aus, als aus ihrer 
ursprünglichen Heimath, zu den Juden verbreitet haben. Aehnlich verhält 


Kein persischer Ursprung. 277 


ohnedem, was für die Essäer die grösste Wichtigkeit hatte, ist dem 
Parsismus theils fremd, theils steht es mit seiner Lehre und Sitte 
geradezu im Widerspruch. Wenn die essäische Ehelosigkeit nicht 
aus dem Judenthum herstammen kann, so lässt sie sich noch weni- 
ger von den Persern herleiten, für welche die Gründung einer 
Familie eine der heiligsten Religionspflichten war !). Ebensowenig 
wird man bei diesen das Vorbild für die allegorische Schrifterklä- 
rang der Essener und Therapeuten zu suchen haben ?), statt sich 
für dieselbe an die Griechen zu halten, bei denen diese Erklärungs- 
weise längst allgemein üblich war; dann wird man aber auch die 
Lehren, welche mittelst derselben in die alttestamentlichen Schrif- 
ten hineingetragen wurden, nicht aus Persien ableiten dürfen. 
Und die Essener setzen sich ja auch wirklich gerade durch die 
Lehre, welche für sie die höchste Wichtigkeit halte, durch die An- 
nahme eines geistigen Fprtlebens nach dem Tode, mit dem 
persischen so gut, wie mit dem jüdischen Dogma, so entschieden in 
Widerspruch, sie verrathen in dieser Annahme und in ihrer ganzen 
damit zusammenhängenden Anthropologie und Eschatologie ihre 
griechischen Quellen so deutlich, dass wir statt deren andere, 


α sich 9) nit der essenischen Engelverehrung: die jüdischen Engel sind frei- 
lich ohne Zweifel persischen Ursprungs ; aber die eigenthüimliche Bedeutung, 
welohe sio für die Essäor erbielten, kann desshalb doch durch die D&mono- 
logie der Pytbagoreer veranlasst sein. 10) Der essäische Bonnenkultus ferner 
kann für sich genommen (wie sogleich gezeigt werden wird) so gut aus Grie- 
chenland, als aus dem Orient, hergeleitet werden; was das richtige ist, wird 
sich nur aus dem ganzen Zusammenhang, in dem er vorkommt, entscheiden 
lassen. Ebenso verhält es sich 11).mit der Magie der Essäer. Zauberei, Zau- 
berformeln und Zauberbücher waren in jenen Jahrhunderten allenthalben so 
verbreitet, dass mau aus der Vorliebe der Essener für diese Diuge durchaus 
kein bestimmtes Anzeichen über ihre Herkunft entnehmen kann. Wird end- 
lieh 12) der Glaube der Essener an eine göttliche Vorherbestimmung aus der 
persischen Lehre von einem regelmässigen Wechsel der Weltseiten hergeleitet, 
[0 scheint mir diess bei der Ungleichartigkeit dieser beiden Vorstellungen ganz 
unzulässig: die Frage über die göttliche Vorherbestimmung ist eine Frage der 
jüdischen Theologie, welche mit dem Streit des Ormuzd und Ahriman nicht 
das geringste zu thun hat. Vgl. 8. 249, f. 

t) „Niehts verabscheuten die Perser mehr, als freiwillige Ehelosigkeit* ; 
diesen Satz führt H. selbst Ztschr. f. w. Th. IX, 404 sustimmend an. 

2) Dass sich nämlich diese den Essenern nicht absprechen lässt, ist 
schon 8, 348 f. geseigt worden. 


78 Essener und Therapeuten. 


weit ferner liegende und unzureichendere zu suchen, kein Recht 
haben ἢ). 

Aehnliche Gründe stehen auch. der Annahme buddhistischer 
Elemente entgegen, welche sich nach HıLeenreıo im Essäismus mit 
den parsischen zur Umgestaltung der jüdischen Frömmigkeit ver- 
bunden haben sollen. So auffallend auch die Aehnlichkeit mancher 
essäischen Einrichtungen und Anschauungen mit buddhistischem 
sein mag, so wenig lässt sich doch daraus mit Sicherheit schliessen, 
dass die einen von den anderen abstammen. Wir finden im 
Buddhismus Klöster und Einsiedler, Gütergemeinschaft und Besitz- 
losigkeit, mönchische Ehelosigkeit, Verbot des Fleisch- und Wein- 
genusses, der Thieropfer, des Schmuckes und Salböls, wie bei den 
Essenern. Aber was kann man daraus schliessen, wenn doch das 
gleiche oder ganz ähnliches bei griechischen Orphikern und Pytka- 
goreern schon in einer Zeit vorkommt, ia welcher an eine Verbrei- 
tung des Buddhismus in die Mittelmeerländer auch nicht von ferae 
gedacht werden kann ? Wir wissen, dass sich der Buddhismus durok 


1) HırgenreLo 8. 8. Ο. X, 102 sucht zwar seine Hypothese atıch hier 
durchzuführen; ich kann mich jedoch nicht überzeugen, dass ihm diess irgend 
gelungen ist. Zunächst soll Josephus die Unsterblichkeitslehre der Essäer 
hellenisiren; indessen wurde schon 8. 252, 1 geseigt, dass wir zu diesem 
Verdacht keinen Grund haben. Weiter sagt H.: Die Ansicht, dass die 
Seele aus dem feinsten Aether stamme, in-den Leib, wie in ein Gefängniss 
horabgesogen sei, dass die gute Beele durch den Tod wie aus einer langen 
Knechtschaft erlöst werde, sei durch und durch persisch. Ich weiss nun nicht, 
auf welche Zeugnisse über die persische Lehre sich diese Versicherung stütst; 
so lange aber tiber diesen Punkt keine Nachweise gegeben werden, glaube ich 
dabei bleiben zu müssen, dass jene Bestimmungen nicht persisch, sonderz 
platonisch und pythagoreisch seien: bei Plato und den Neupythagorsern sind 
sio uns ja schon Zug für Zug vorgekommen; vgl. Bd. I, 804, 2. 827 und oben 
8. 75 £. Bd. II, a, 536 tk. 5657. Auch das Paradies jenseits des Oceans weist 
gar nicht nach Persien; (wie sollten denn die Binnenländer in Hochasien auf 
diese Vorstellung gekommen sein?) um 80 mehr aber auf die Inseln der Baligen, 
an die auch Jos, B. J. II, 8, 11 bei dieser Gelegenheit ausdrücklich erinnert. 
Wenn endlich H. glaubt, man könne kaum zweifeln, dass die Essäer auch die 
Auferstehungslehre der Ormuzdreligion angenommen haben, so ist diess zwar 
eine riohtige Consequens seiner Hypothese, denn es wäre allerdings gans un- 
begreiflich, wenn gerade die „jüdischen Magier“ jenes in den Glauben ihres 
Volkes bereits aufgenommene Dogma wieder aufgegeben hätten; aber aus 
dem, was 8. 251 angeführt ist, geht unweigerlich hervor, dass die Essäer 
es aufgaben, dass sie mithin eben keine jiidischen Magier waren. 


Kein Einfluss des Buddhismus φγὺ 


Milde und Erbarmen, durch Gleichstellung aller Menschen in ähnli- 
her Weise auszeichnete, wie der Essäismus. Aber die gleichen Zäge 
sind auch in der späteren griechischen Philosophie, und namentlich 
ia der cynischen und stoischen Schule zu Hause; die praktische 
Folgerung aber, welche dem Essäismus allerdings eigenthümlich 
ist, die Verwerfung der Sklaverei, fehlt dem Buddhismus. Ein 
anderes wäre eg, wenn sich von den eigenthümlichen Unterschei- 
dungslehren dos leiztern bei den Essenern und Therapeuten eine 
sichere Spur fände. Aber diess ist nicht der Fall: alle uns 
bekannten Abweichungen der Essener von der herrschenden jüdi- 
schen Dogmatik führen uns nur auf griechische Quellen. Erwägen 
wir schliesslich die Unwahrscheinlichkeit, dass der Buddhismus 
schon um die Mitte des zweiten Jahrhunderts nach Palästina und 
Aegypten vorgedrungen war !), so werden wir uns von der Un- 
haltberkeit dieser Ansicht nur um so mehr überzeugen. 

Der wirklich maassgebende Anstoss für die Entstehung des 
Essäismus ist nicht vom Orient, sondern von der griechischen Reli- 
gion und Philosophie ausgegangen. 

Unter allen Erscheinungen jener Zeit hat nämlich keine mit 
dem Essäismus eine so durchgreifende Aehnlichkeit, wie der Neu- 
pythagoreismus”). Beide stimmen zunächst schon in ihrem allge- 


1) Hızasuraı» B. 105 will die Angabe (bei Körrsn die Rei. ἃ. Buddha 
L 198), dass ein Jahrhundert nach dem dritten buddhistischen Ooneil, ἃ. h. 
160 v. Chr., der Buddhismus in Alasanda (Alexandria) „der Hauptstadt 
des Javana-Landes“ gebläht habe, auf das Mgyptische Alexandria besichen; 
Körsnu weigt jodoch, dass mit diesem Lande das westliche Girensgebiet In- 
diens und mit Alasanda wahrscheinlich Alezandria ad Causasum gemeint ist. 

2) Scham Joszrmus Antt, XV, 10, 4 sagt, die Essener befolgen die Le-' 
beusweise, welche bei den Hellenen von Pythagoras eingeführt worden sei. In 
neuerer Zeit machte Canuzur (Symbolik, 1. Ausg. v. J. 1819, IV, 488 ff; 
kürser in der 8. Ausg. IV, 859 ff.) auf ihre Verwandtschaft mit den Pythago- 
roern aufmerksam, aber er orklärte sich dieselbe daraus, dass jone wie diese’ 
oberasistische, namentlich persische Lehren sich angseignet haben. Bestimm-- 
ter behauptete Baur Apollon. v. Tyana 334 ff. vgl. Gnosis 46 f. eine Abhän- 
gigkeit des Essäismus vom Pythagoreismus, die er des näheren nachwios; 
wogegen Buuummuauu Ess. und Tberap. 157 ff. nur ihre Achnlichkeit hervor- 
hebt, obne die Frage über ihren geschichtlichen Zusammenhang entscheiden 
sa wollen, und Cnzpuzr (über Essäer und Ebjoniten in Winer’s Ztschr. wis- 
sensch. Theol. I, 818 ff.) bei den Essenern zwar anaxagorische und andere‘ 
griechische Philosophie, auch persische Dogmen, aber keine Spuren pytha- 


1} 


An 


x 


4η9 . Essener und Thorapeuten. 


“meinen, Charakter auffallend überein. Der Grundsug des Eanäis- 
mus und die innerste Wurzel seiner ganzen Bigenthümlichkeit liegt 
ia jener dualistischen Lebens- und Weltansicht, welcher die 
Sinnlichkeit für etwas unreines, die. Abtödtung der Begierden für 
die. erste sittliche Anforderung gilt'). Diese Lebensansicht findet 
ibren unmittelbarsten Ausdruck in der essenisch - therapeutischen 
Ascese, in jenem ganzen System von Enthaltungen nad Beinigse- 
gen, welche dazu dienen sollen, den Geist voa.der Sinnenwelt los- 
zumachen und jeder Befleckung durch dieselbe zu begegnen. Ihre 
theoretische Begründung erhält sie durch die antkropologischen 
und melaphysischen Lehren, welche für die Parthei einen so heben 
Werth hatten; ihre praktische Folge ist.die Absonderung der 
Essener von der Welt, die mönchische Abgeschlossenheit ikres 
Lebens. Dieselbe Geistesrichtung tritt uns aus der neupythage- 
reischen Lehre über das Verhältniss der Gottheit und der Matelrie, 
der Seele und des Leibes, und noch unmittelbarer aus. jener Ascese 
entgegen, welche von der späteren pythagoreischen Ethik gefer- 
dert, von pythagoreischen Mysten schon im vierten Jahrhundert 


goreischen Ursprungs finden wollte. Mit Baur in der Hauptsache einver- 
standen, lässt Grrörer (Philo II, 852 f.) die Therapeuten, von welchen 
er die Essäer herleitet (ebd. 280. 848 f.), in Nachahmung des pythagorsischen 
Qrdens entstehen, während Disun (alexandrin. Religionsphil. I, 489 £ 469 ff. 
Ersch und Gruber's Encykl. Sect. I, 88, 189) sich begnügt, beide als Ab- 
kömmlinge der alexandrinischen Religionsphilosophie zu bezeichnen, weiche 
sich durch ihre Richtung auf's theoretische oder praktische Leben unterschie- 
den haben. Ihren Zusammenhang mit dem Neupytbagoreismus babe ich in 
der 1. Ausgabe und der 8. 234, 1 angeführten Abhandlung weiter zu begründen 
versucht; gleichzeitig erklärte sich Lurrzepsck. (neutest. Lehrbegr. I, 376 £. 
291 £.) sehr entschieden dahin, dass der Esslismus aus einer Verbindung des 
Judenthums mit dem Pythagoreismus entsprungen sei, welche sich, wie er 
annimmt, zuerst in Aegypten vollsogen, und ihrerseits auf die Entstehung 
der neupythagoreischen Philosophie maassgebend eingewirkt habe. Aahnlich 
glaubt Hresseup Gesch. ἃ. V. Jisr. II, 368, der Essenerverein nei um 220 v. 
Chr. (warum. so frühe?) von einem nach Alexandria gawanderten Judäer nach 
dem Vorbild des pytbagoreischen Bundes, im Anschluss an ultrapharisäische 
Anschauungen und an Gebräuche der ägyptischen Priester, gestiftet worden. 
Dagegen widersprechen Ewald, Ritschl, Hilgenfeld, Frankel, Grätz, Jost in 
den 8. 284 genannten Schriften der Annahme eines tiber untergeordnete Kin- 
selheiten hinausgehenden pythagoreischen Einflusses. 
1) Vgl. 8. 240, 2. 269, 2. 5. 


Verwandtsehnft mit den Nempythagoreern. 8 


geübt, und in höchster Vollendung in einem Pytkagoras und Apsl- 
lonius dargestellt wurde. Es ist aber nicht blos ihre geistige 
Gesammtrichtung, in welcher diese Verwandtschaft der beiden 
Schulen zum Vorschein kommt, sondern sie zieht sich dureh ihre 
ganze Erscheinung bis auf's einzelnste hinaus in einem solchen 
Umfang durch, dass wir unmöglich an ein blos zufälligesZusammer- 
treffen denken können. Die Essener, wie die Pythagoreer, wollen. 
durch ascetisches Leben eine höhere Heiligkeit gewinnen , und die 
Enthaltungen, welche sie sich hiefür zur Pflicht machen, sind bei 
beiden die gleichen: sie verwerfen den Fleischgenuss und die bin- 
tigen Opfer, sie meiden den Wein, die warmen Bäder und das: 
Selböl, sie legen dem ehelosen Leben einen hohen Werth bei; 
oder. sofern sie die Ehe gestatten, verlangen sie doch, dass dieselbe 
streng auf den Zweck der Kinderzeugung beschränkt werde ').' 
Beide tragen nur weisse Gewänder und halten die Leinwand für 
reiner, als die Wolle?). Beiderseits werden Waschungen und 
Reinigungen vorgeschrieben °), wenn sie auch für die Essener. 
noeh höhere gottesdienstliche Bedeutung haben. Beide verbieien 
den Eid, und zwar mit der gleichen Begründung‘). Beide finden 
ihr gesellschaftliches Ideal in den Einrichtungen, zu deren Ver- 
wirklichung allerdings nur die Essener Hand anlegten:: in einem 
Zusammenleben mit vollkommener Gütergemeinschaft,, scharf ge- 
schiedenen Rangklassen, unbedingter Unterordnung aller Mitglieder 


1) Um sich dieses Verwandtschaftsverhältniss klar au machen, vergleiche 
men mit 8. 242 f. 269, was 8. 65 ff. 189, 6. 7., Bd. I, 227 über die neupy- 
thagoreischen und auch der altpytbagoreischen Schule zugeschriebenen Ent- 
haltungen, Bd. II, a, 26. 24, ὃ über das orphische Leben beigebracht ist. 
Dass die Verwerfung der warmen Bäder bei den Essenern, die des Balböls μοὶ. 
den Pythagoteern, swar nicht direkt beseugt, aber doch so gut wis gewias: 
ist, wurde 8. 245, 1 gezeigt. ᾿ 

2) Vgl. Β, 546, 8, 269, 3 mit B. 77. 180,8. 140,1. Bd. 1, 227, δ. Ἐπ ist hier 
nachgewiesen, dass die Essener, und ehne Zweifel auch die Therapeuten, 
durchaus weisse, und bei den gottesdienstlichen Versammlungen nur leinene 
Kleider trugen; den Pythagoreern wird bald nur weisse, bald auch leinane' 
Kleidung beigelegt; der Apollonins des Philostratus bedient sich nur der 
letsteren, der Pythagoreer Alexander’s verlangt das λευχειμονεῖν beim Gottes- 
dienst. 

8) 8. 8. 246. Dıoe. VIII, 88 (aus Alexander): τὴν δ' ἁγνείαν εἶναι διὰ κα- 


ὑκρμῶν za λοντρῶν καὶ περιῤῥαντηρίων τι. 6. ν΄. 
4) 8. 3240, δ. 129, 6. 


2388 Essener und Therapeuten. 


uater ihre Vorgesetzten, in einem nach aussen sorgfältig ab- 
geschlossenen Verein, in den neue Mitglieder nur nach mehrjähri- 
ger strenger Prüfung aufgenommen, aus dem unwürdige unerbittlich 
ausgeschlossen werden‘). Beide verlangen strenges Schulgekeim- 
niss, beide wollen eine gegebene Lehrüberlieferung unverbrüchlich 
festhalten, beide zellen den Männern, von denen dieselbe ber- 
geleitet wurde, als Werkzeugen der Gottheit, die höchste Ver- 
ehrung ?); beide lieben aber auch die bildliche Einkleidung 
ihrer Lehren, und betrachten die alten Ueberlieferungen als Sym- - 
bole tieferer Wahrkeiten, die aus ihnen auf dem Wege der allego- 
. nischen Erklärung herausgehoben werden sollen ®); um die spätere 
Lehrform als ursprünglich zu bewähren, wurden neuverfasste 
Schriften hier wie dort unbedenklich berühmten Namen der Vorzeit 
unterschoben %). Beide Partheien verehren in den Elementen gött- 
liche Kräfte, beide rufen die aufgehonde Sonne an, beide suchen 
alles unreine ihrem Anblick zu entziehen, und geben in dieser Be- 
ziehung eigenthümliche Vorschriften, in denen sie sowohl unter- 
einander, als mit älterem griechischem Aberiylauben, auf bemerkens- 
werthe Weise zusammentreflfen°). Für beide hat der Glaube aa 
Mittelwesen zwischen Gott und der Welt um so höhere Beden- 


1) 8. 286 f. Bd. I, 326 £, Die beiderseitige Achnlichkeit wird um so eis- 
leuehtender, je genauer man die hier angeführten Zeugen vergleicht, 

2) 8. 287, 5— 242, 1. 252, 8 vgl. m. Bd. I, 383, 1. 3. 238 ἢ. 

8) 8. 248 f. 263, 8 vgl. m. 8. 97. Bd. I, 382, 8. 

4) In welchem Umfang diess in der pythagoreischen Schule geschah, ist 
früher ‚geseigt worden. Von essenisch-therapeutischer Beite ist die Weisheit 
Balomo’s das einzige nachweisbare Beispiel; aber wir können nicht beswei- 
fein, dass sich unter den geheimgehsltenen Büchern der Essener (Jos. B. d. 
IL, 8, 7) und den Sohriften alter Männer, welche Btifter der Thorapeutenschule 
gewesen sein sollten (s. ο. 262, 8), viele pseudonyme befanden, 

5) Vgl. 8. 2368 £. 262, 2. 265, 1. Was den zuletst berührten Punkt 
betrifft, so findet sich für die 9. 258, 2 besprochene essenische Rogel eine 
Parallele sohon bei Hasıon ’E, x. ‘Hy. 725: und’ ἀντ' ἠελίου τετραμμένος ὀρθὸς 
ὁμιχᾶν, und ebenso unter den pythagoreischen Sprüchen bei Dıoa. VIII, 17: 
πρὸς ἥλιον τετραμμένον μὴ ὀμίχειν. Knüpft auch die essenisohe Vorschrift an 
die der jüdischen Lagerardnung ὅ Mose. 23, 12 an, so weist doch ihre nähere 
Begründung durch den Satz, dass man das Sonnenlicht nicht beleidigen dürfe, 
in den gleichen Vorstellungskreis, wie die oben angeführte hesiedisch-pyths- 
goreische; im Deuteronomium heisst 96 atati dessen, man dürfe Jehorak, 
wenn er durch's Lager wandle, nichts unreines zeigen. 


Verwandtschaft mit den Neupythagoreern. 408 


tung !), je reiner ihr eigener Gottesbegriff ist”); beide scheinen 
die Magie nicht verschmäht zu haben); als die höchste Frucht 
der Weisheit und Frömmigkeit betrachten aber beide die Gabe 
der Weissagung , die sie sich rühmen in ihres ausgezeichaetsten 
Mitgliedern selbst zu besitzen*). Beide stimmen emdlich, neben 
dem oben besprochenen dualistischen Charakter ihrer ganzen 
Weltanschauung , insbesondere in ihren Vorstellungen über den 
Ursprung der Seele, über ihr Verhältniss zum Körper und über das 
Leben nach dem Tode zusammen’), und dass sich von der Seelen- 
wanderung bei den Essenern keine Spar findet, tbut dieser Ueber- 
einstimmung kaum Eintrag, da diese mythische Vorstellung auch 
ia der neupythagoreischen Schule von vielen stillschweigend auf- 
gegeben war®). Ebensowenig kann es gegen den Zusammenhang 
beider Schulen beweisen, dass die pythagoreische Zahlenlehre in 
unsern Berichten über die Essener nicht berührt wird; wer den 
Essäismus aus dem Neupythagoreismus hervorgehen lässt, hraueht 
ja darum noch nicht anzunehmen, dass er sich die neupythage- 
reische Spekulation ihrem ganzen Umfang nach angeeignet habe’). 


1) 8. 252. 122; auch die Dämonologie Plutaroh's und anderer Platoni- 
ker ist zu vergleichen. 

Ὁ Vgl. 8. 250, 1. 100, 8, auch 148 ἢ, u.a, Bt, 

8) In Betreff der Essener wurde diess 8. 252 wahrscheinlich gefunden; 
was die Pythegorver betrifft, so wird es genügen, an Nigidius Figulus und 
die angeblichen Wunder des Pythagoras und Apollonius su erinnern. 

4) 8. 255. 128, 2. 140; über die Weissagungen des Pythagoras Bd. I, 
226,1. Nach Eus. pr. ev. X, 8, 4 hatte schon Andron und aus ihra Theopomp 
von den Weissagungen des Pythagoras erzählt. 

6) Was in dieser Beziehung 8. 251 angeführt wurde, erinnert besonders 
aa die Form der pythagoreischen Lehre, welohe an die stoischen Bestimmen- 
gm über die Atherische Natur der Seele ankntipft. M. ο. darüber Ba. I, 804, 3: 
wd oben 8. 76. 

8) Vgl. 8. 121. 

?) Die Zahlenichre hatte &berhanpt nicht für die ganse neupytkagareli- 
sche Sehule die gleiche Bedeutung. Apollonius =. B. will bei Philostratus' 
sichte vor ihr hören (s. 6. 189, 1), unter unsern Fragmenten wird sie von dem 
Meisten, namentlich dem ethischen und politischen, ganz ignoriet, sogar Ovsl- 
Is, für dessen Kosmologie man sie unentbehrlich glauben sollte, berührt sie 
nit keinem Wort, im den Auszügen Alexander's kommt sie {Droe. VI, 26) 
“hr kurs weg, und im goldenen Gedicht ist der pythagoreische Bobwur V. 47. 
das einsige, was an sie erinnert. Um so leichter konnte sie von einer Schuler 


Mn. 


38% Essener und Therapeuten. 


Indessen wissen wir nicht einmal, ob ihm die Zahlenspekulation 
wirklich fremd blieb, und ob sie nicht in einzelne Theile der 
essäischen Lehre, wie namentlich die Engellehre, die ärztliche und 
magische Kunst, eingriff; bei den Therapeuten scheint sie Eingang 
gefanden zu haben). 

Auch abgesehen davon finden sich nun allerdings bei den 
Essenern manche Abweichungen von dem hellenischen Neupyths- 
goreismus. Aber diese Abweichungen sind nur solche, wie sie 
sich unvermeidlich ergeben mussten, wenn die neupythagoreischen 
Anschauungen in den jüdischen Boden verpflanzt und in emer 
bestimmten, weniger durch das wissenschaftliche, als durch das 
religiöse Interesse bedingten Richtung weiter entwickelt wurden. 
Die Griechengötter konnten natürlich von jüdischen Pythagoreern 
nicht anerkannt werden, an die Stelle der Dämonen mussten bei 
ihnen die Engel treten, statt die Sonne beim Aufgang anzubeten, 
durften sie sich nur „gleichsam flehend“ an sie wenden. Aufanderen 
Punkten finden wir pythegoreische Ideen bei den Essenern wirklich 
fortgebildet. Die Ordensverbindung und die Gütergemeinschaft, 
welche der Neupythagoreismus nur mythisch in seme Urzeit ver- 
legte, ist hier wirklich in’s Leben eingeführt; die Ehelosigkeit, 
welche allerdings zum Ideal der Neupythagoreer gehört, die aber 
bei ihnen mehr nur als eine ausserordentliche Leistung Einzelner 
erscheint, wird von den Therapenien und der Mehrheit der Essener 
zum allgemeinen Gesetz für ihre Parthei erhoben ; die Reinigungs- 


sur Seite gelassen werden, der es von Hause aus gar nicht um wissenschaft 
liche Forschung, sondern um Heiligkeit des Lebens su thun war. 

1) Paıco v. eontempl. 899, B (481) sagt von ihnen: οὗτοι τὸ μὲν πρῶτον 
ἀθροίζονται Bi’ ἑπτὰ ἑβδομάδων, οὐ μόνον τὴν ἁπλῆν ἑβδομάδα, ἀλλὰ καὶ τὴν δύνα- 
μιν (die Potenz derselben) τεθηπότες᾽" ἁγνὴν γὰρ rat ἀερικάρθενον αὐτὴν ἴσασιν ἔστι 
δὲ προεόρτιος μεγίστης ἑορτῆς, ἦν πεντηχοντὰς ἔλαχεν, ἁγιώτατος od φυσικώτατος 
ἀριθμῶν, ἐκ τῆς τοῦ ὀρθογωνίου τριγώνου δυνάμεως (aus den Potenzen der Zahlen 
des pytbsgoreischen Dreiecks, ἃ. h. desjenigen, dessen Beiten sich verhalten, 
wie 8, 4, 5; denn 8? -$- 4? -4- δὲ = 50; vgl. Bd. I, 292, δ), ὅπερ ὁστὶν ἀρχὴ τῆς 
τῶν ὅλων γενέσθως καὶ συστάσεως (vgl. Puaro Tim. 58, C δ΄, wo aber freilich 
zwar das reohtwinklige Dreieok, aber nicht diese bestimmte Art desselben, als 
Grundform der körperlichen Elemente dargestellt wird). Philo redet nun hier 
swer uuuächst in eigenem Namen, aber doch legt er such den Therapeuten 
eine mit der pythagoreischen libereinstimmende Spekulation über die Bieben- 
sahl bei. 


“-- 


Verwanätschaft mit den Neupythagoreern. 385 


bäder erhalten bei ihnen, im Anschluss an jüdische Anschauungen 
und Gebräuche, eine noch grössere Bedeutung, als siö bei den 
Pythagoreern gehabt zu haben scheinen; aus dem Gedanken der 
natürlichen Gleichheit aller Menschen, welchen die griechischen 
Philosophen, und die Stoiker vor allem, zur Geltung gebracht 
hatten, haben die Essener, so viel wir wissen, zuerst die Verwertf- 
lichkeit der Sklaverei abgeleitet, und diesen Grundsats innerhalb 
ihres Vereins auch in’s Leben eingeführt. So gewiss aber diese 
und andere Züge beweisen, dass der Essäismus eine eigenuihümliche 
Bildung, und kein blosser Abklatsch einer älteren Schule ist, so 
wenig kann man daraus schliessen, er habe auch das, worin er mit 
einer solchen übereinstimmt, nur sich selbst und nicht fremdem 
Einfluss zu verdanken; man müsste denn auch bei Philo oder bei 
den Scholastikern den Einfluss der griechischen Philosophie 
desshalb läugnen wollen, weil sie aus ihr allein nicht zu hegrei- 
fen sind ?). 

Der Sachverhalt ist demnach dieser. Zwischen den Essenern 
und Therapeuten auf der einen, den Neupythagoreern anf der 
andern Seite findet sich eine durchgreifende Verwandtschaft, und 
diese Verwandischaft betrifft nicht blos ausserwesentliche Einzel- 
beiten, sondern gerade solches, worin ihre unterscheidende Eigen- 
thümlichkeit besteht: gerade diejenigen Lehren, Einrichtungen und 
Gebräuche, wodurch sich die Essener und Therapeuten von dem 
älteren und dem gleichzeitigen Judentkum unterscheiden, haben 
fast durchaus bei den Neupythagoreern ihr Gegenbild*). Auch 
die Abweichungen der Essener von den Pythagoreern thun ihrer 
Gleichartigkeit keinen Abbruch, weil sie theils nur eine Fortbil- 
dang und Anwendung der neupythagoreischen Grundsätze dar- 
stellen, theils durch die Uebertragung derselben in’s Judenthum 
unmittelbar gefordert waren. Beide Erscheinungen gehören end- 


1) Diess gegen Hırazarzın Jüd. Apokal. 252, welcher glaubt, wenn 
man dem Essäismus such nur so viel eigenes zugestche, wie ich, werde man 
nothwendig zu der Annahme seiner roin jüdischen Entstehung hingetrieben. 

2) Es ist daher, wie schon die obige Uehersicht gezeigt haben wird, 
nicht richtig, wenn Hırsznrzrv a. a. Ο. 252 sagt, es handle sich im Grunde 
»ur um die Enthaltung von Wein, Fleisch und von der Ehe, welche der Es- 
säismas allenfalls aus der orpbisch-pythagoreischen Lebeusansicht angenom- 
men haben könnte, En 


488 Essener und Therapeuten. 


lich wicht allein der gleichen Zeit, sondern aueh dem gleichen 
‚geschithtlichen Kreise, dem hellenistischen Bildungsgebiet an. Hat 
es nun unter sobehen Umständen ‘irgend eine Wahrscheinlichkeit 
für sich, dass diese zweiSchulen in ihrer Entstehung von einander 
unabhängig gewesen sein sollten? Schon wenn wir ihre verwandt- 
soheftlichen Beziehungen einzeln in’s Auge fassen, kann die Ant- 
wort kaum zweifelhaft sein; noch viel weniger aber, wenn wir das 
merkwürdige Zusammentreffen derselben beachten. Wozweigleich- 
.zeiige Erscheinungen nicht blos in einzelnen Zügen, sondern in 
ihrem gansen Charakter, und nicht blos in ihrer allgemeinen Rich- 
tung, sondern auch in einer Menge zufälliger Einzelheiten sich 
gleichen, die sich bei beiden in.derselben Weise zussmmenfinden, 
wo 'überdiess auch die äusseren Verhältnisse die Annahme ihres 
geschichtlichen Zusammenhaugs in hohem Grade begünstigen, da 
ist der Beweis für diese Annahme so vollständig geführt, als diess 
überhaupt in Ermangelung ausdrücklicher Zeugnisse möglich ist. 
Wir haben mithin nur die Wahl, entweder den Essäismus vom 
Pythagoreismus abhängig zu machen, oder diesen von jenem, oder 
beide unabhängig von einander aus einer gemeinschaftlichen Quelle 
abzuleiten. Aber das letztere können wir nicht, da uns weder aus 
jener Zeit selbst noch aus der Vorzeit eine Erscheinung bekannt 
ist, in welcher von den gemeinsamen Eigenthümlichkeiten des 
Essäismus und Neupythagoreismus — nicht etwa nur die eine oder 
die andere vorkäme, sondern sie alle in der gleichen Weise, wie 
bei jenen, verknüpft wären. Eine Abhängigkeit des Nes- 
pythagoreismus vom Essäismus wird durch den Umstand aus- 
geschlossen, dass nicht wenige, und gerade die eingreifendsten von 
den Zügen, welche beiden gemein sind, sich bei den Pythagoreern 
weit über die Zeit hinauf verfolgen lassen, in welche die Ent 
stehung des Essäismus möglicherweise verlegt werden kam), 


1) Diess giebt RırsomL jetzt su (altkath. K. 179); niohtsdesto weniger 
bleibt er bei seiner Ansicht, einmal wegen „der methodischen Forderung, 
dass wenigstens der Keim im hebräischen Religionsbewusstsein nachgewiesen 
werden mtisse, auf welchen das Beispiel des ascetischen Lebens befruchtend 
hätte wirken können“, und sodann weil die hebräische Idee des Priestertkums 
sich als den Schlüssel der essenischen Bitte erweise. Wie os jedoch mit die- 
sem letzteren Grunde bestellt ist, habe ich bereits dargethan; was aber den 
audern betrifft, so weiss ich nicht, was er gegen mich beweisen soll. Dass 


Neupythagozsischer Ursprung. , 287 


und andere, bei denen uns diess nicht ebenso bestimmt möglich ist, 
mit der älteren griechischen Philosophie und Religion zu eng ze- 
sanmnenhängen, um stait dessen aus dem Judenthum hergeleitet zu 
werden; dass endlich im Neupytkagoreismus sich nichts findet, 
was auf jüdischen Ursprung hinwiese'), im Essäismus dagegen, 
wie gezeigt wurde, sehr vieles, was aus der jüdischen Denkweise 
und Sitte sich nicht erklären lässt. Es bleibt mitkin nur übrig, 
in dem Essenern und Therapeuten Partheien zu erkennen, bei deren 
Entstehung der Vorgang der späteren Pythagoreer von maassgeben- 
dem Einfluss gewesen ist. 

In welcher Weise, unter welchen Umständen und in welchem 
Zeitpunkt diese Verbindung- des Neupythagoreismus mit dem Juden- 
tkum sich zuerst vollzegen hat, ist uns nicht überliefert; wir sind 
deker hier ganz und gar auf Schlüsse aus den uns bekannten Ver- 
hältsissen beschränkt, welche der Natur der Sache nach nie swf 
mehr, als auf eine grössere oder geringere Wahrscheirlichheit, 
Anspruch machen können. Da die Essäer Palästina, die Thera- 
peuten Aegypten angehören, beide aber nur als zwei Auste Eines 


der Essäismus ebensogut, wie die alexandrinische Religionsphilosophie, nach 
einer Seite im Judenthum wurzele, habe ich nie bezweifelt, wenn ich auch 
derauf verzichten muss, über die Verhältnisse, welche jüdischerseits seine 
Entstehung begünstigten oder veranlassten, mehr als Vermuthungen sufsu- 
stellen; aber ist denn dadurch die Annahme ausgeschlossen, dass diese Er- 
seheinungen nicht rein jüdischer Abkunft, sondern durch die befruchtende 
Berührung des Griechenthums mit dem Judenthum erzeugt seien? 

1) Auch die Lehre von der Einheit des höchsten Gottes war ja in der 
griechischen Philosophie längst eingebürgert, auch der Offenbarungs - und 
Weiseagungsglaube der Pythagoreer durch die stoische Vertheidigung der 
Mantik vollständig vorbereitet. Bemerkt aber Unsazwze (Grundr. ἃ, Geseh. 
ἃ. Phil. I, 202) gegen mich, das Verbot des Eides, der blutigen Opfer, des 
Genusses von Fleisch und Wein, die Bevorzugung der Ehelosigkeit, die DS- 
monenlehre, die Magie und Prophetie der Neupythagoreer stammen unver 
kennbar aus ursprünglich orientalischen Anschauungen her, so ist zu erwie- 
dern, dass diese Dinge, wie es sich auch mit ihrem ärsten Ursprung verhalten 
mag, jedenfalls lange vor der Zeit der Essener sich in Girieolienland bei den 
Pythagoristen des vierten und den Orphikern des fünften Jahrhünderta, bei 
Eınpedokles und sonst nachweisen lassen; dass ferner zwischen „orientali- 
scher“ und jüdischer Abstammung ein Unterschied ist, und dass selbst sol- 
ches, was früher aus dem Orient nach Griechenland eingewandert sein möchte, 
doch recht wohl erst durch Vermittlung der Griechen κα den Juden gekom- 
men sein kaun. 


An 


288 .  Bssener und Therapeuten. ' 


Stammes zu betrachten sind, so muss in dem einer von jenen bei- 
den Ländern ihre gemeinsame Heimath gesucht werden. Fär 
Aegypten sprieht nun die Erwägung, dass es dieses Land ist, im 
welchem das Judentbum überbaupt zuerst und mit dem nachbaltig- 
‚sten Erfolge die griechische Bildung, und insbesondere Jie grie- 
ehische Philosophie sich angeeignet hat; und so sind die meisten 
von denen, welche den Essäismus von griechischem Einßuss ab- 
leiten, der Meinung, er stamme aus Aegypten 1); sei es, dass man 
die Essenerparthei als solche hier entstehen liess, oder dass man 
annahm, es seien zuerst in Aegypten, und näher in oder bei Ale- 
xandria, die Therapeuten aus der Verschmelzung von jüdischem 
und griechischem Wesen hervorgegangen, und erst in der Folge 
habe sich ihre Lehre nach Palästina verbreitet, und hier zur Bi- 
dung des Essenervereins den Anstoss gegeben?). Indessen 
machen es doch mehrere Umstände wahrscheinlich, dass der Essäis- 
tus ursprünglich in Palästina zu Hause sei. Denn für’s erste wird 
uns das Dasein der Essener in Palästina aus einer weit früheren 
Zeit bezeugt, als das der Therapeuten in Aegypten °). Würde diess 


1) Vgl. 8. 279, 2. So auch Honrzuank in seiner und Wrare’s soeben 
erschienener Gesch. d. V. Ier. 11, 79 ff, 

2) Dieser Annahme war ich selbst in der ersten Auflage dieses Werks 
gefolgt, kam aber sohon in der mehrerwähnten Abhandlung der Theol. Jahr- 
bücher XV, 405. 482 f. von derselben zurück. . 

8) Der Verdacht aber, dass die Essener selbst den Ursprung ihrer Sekte 
zu weit hinaufgerückt haben, und ihnen Josepbus hierin gefolgt sei, würde 
doch wohl, sofern er gegen. die 8. 234 f. angeführten Data gekehrt würde, zu 
weit gehen, Die Essener und Therapeuten scheinen sich allerdings für viel 
Alter gehalten zu haben, als sie in Wirklichkeit waren. Wollen wir auch auf 
die millia seculorum, die ihnen PLinius H.n, V, 17, 18 giebt, kein Gewicht 
legen, ao haben wir doch bei den „alten Männern und Stiftern ihrer Schule“, 
deron Schriften die Thorapeuten besassen (8. ο. 262, 3), ohne Zweifel zunächst 
an berühmte Namen der Vorseit, wie namentlich Salomo, zu denken, dem 
das Buch der Weisheit sich beilegt; ebenso mag es sich mit vielen von den 
ossonischen Schriften (vgl. 8. 248, 2. 252, 8. 4) verhalten haben. Was ἔπε. 
pr. ev. VIII, 10, 10 ἢ mit ausdrücklicher Beziehung auf die Essener be 
hauptet, dass Moses die Masse der Juden sur buchstählichen Befolgung des 
Gesetses verpflichtet, einen andern Theil davon entbunden und auf eine θεῖο. 
τέρα φιλοσοφία, auf die θεωρία τῶν dv τοῖς νόμοις χατὰ τὴν διάνοιαν σημανομένων 
angewiesen habe, beruht aller Wahrscheinlichkeit uach auf der Tradition der 
Parthei; Prito wenigstens sagt b. Eus. a. a. O. 11, 1 von den Essener, Υ.Ψ 
contemp!. 899, A (481) von den Therapeuten, sie folgen in ihrer Lehensweise 


Ort und Zeit ihrer Entstehung. 389 


aber auch für sich allein die Möglichkeit nicht ausschliessen , dass 
diese schon früher vorhanden waren, so kommt weiter in Betracht, 
dass es: sich leichter erklären lässt, wie aus den Essenern 
die Therapeuten, als wie jene aus diesen hervorgehen konnten. 
Das festgeschlossene Vereinswesen und der strenge Ordensgeist 
der Essener beurkundet ein so kräftiges praktisches Interesse und 
ein so lebhaftes Bedürfniss gemeinsamen Wirkens, wie es sich aus 
dem beschaulichen Leben der Therapeuten selbst auf palästinensi- 
schem Boden nichtso leicht erzeugen konnte; ihre ganze Erscheinung 
macht im Vergleich mit den Therapeuten den Eindruck grösserer 
Eigenartigkeit und Ursprünglichkeit. Denken wir uns, in dem 
Zeitpunkt, in welchem überhaupt die religiösen Partheien des späte- 
ren palästinensichen Judenthums sich schärfer zu scheiden began- 
nen, haben auch die Freunde des ascetischen Lebens sich zur 
Parthei zusammengefasst; von Palästina aus habe sich dieselbe 
auch nach Aegypten verbreitet, oder sie habe wenigstens auf 
solche, die vorher schon einer verwandten Denkweise huldigten, 
so viel Einfluss gewonnen, dass sich jene Gleichartigkeit der Le- 
bensweise und der Grundsätze zwischen beiden bildete, welche 
thatsächlich vorliegt; aber den palästinensischen Verhältnissen 
und Streitigkeiten ferner stehend und von der alexandrinischen 
Spekulation stärker berührt, seien diese ägyptischen Asceten aus 
einer fest organisirten, rührigen, in’s Volksleben eingreifenden 
Parthei 1) zu einem Verein von Einsiedlern geworden, welche sich 
in beschaulichem Leben auf sich selbst zurückzogen, und nur 
durch ihren gemeinsamen Gottesdienst mit einander zusammen- 
kiengen — denken wir uns die Sache so, so erhalten wir ohne 


den Vorschriften des Moses. Auch Joskraus scheint den drei jüdischen Sek- 
m ein höheres Alter zuzuschreiben, wenn er Antt. XVIII, 1, 2 sagt, sie ha- 
ben ἐκ τοῦ πάνυ ἀρχαίου bestanden. Aber zwischen dieser Ableitung des Ea- 
slismus aus der grauen Vorzeit und der bestimmten Angabe, dass die drei 
Sekten sur Zeit des Makkabäers Jonathan vorhanden gewesen seien, ist ein 
grosser Unterschied. Die letztere lässt sich um so weniger in Anspruch neh- 
men, da sie anch durch die weiteren ἃ. ἃ. Ὁ. verzeichneten Data bestätigt wird. 

1) Dass die Essener diess, trotz ihrer Zurückgezogenheit, ebensognt 
"en, wie etwa in neuerer Zeit die Quäker und Herrnhuther, sieht man schon 
sus den 8. 285, 3 angeführten Ersählungen, namentlich aber daraus, dass sie 
uch Jos. B. J. 11, 8, 2 fremde Kinder in den Grandsätzen ihres Ordens auf- 
2gen, und somit für die Erhaltung und Ausbreitung derselben thätig waren. 

Pkge, ἃ, Gr. III. Bd. 9. Abth. 19 


: 2 


490 Essener und Therapeuten. 


Zweifel einen naturgemässeren Hergang,, als wenn wir annehmen, 
das ascetische Einsiedlerleben der Therapeuten sei das erste gewe- 
sen, und erst in der Folge habe sich aus demselben in Palästina 
der Essenerverein mit seinen eigenthümlichen Einricktungen ent- 
wickelt. Erscheint daher auch die letztere Annahme nicht schlecht- 
hin unzulässig, so ist es mir doch immerhin wahrscheinlicher, dam 
der Essäismus in Palästina entstand, als dass er aus Aegypten dort- 
hin verpflanzt wurde. 

Wie sollen wir uns aber eine solche Einwirkung des Pyths- 
goreismus auf das palästinensische Judenthum erklären? Man 
könnte vermuthen, sie sei schliesslich doch wieder durch die ale- 
xandrinische Schule vermittelt, und wenn auch die Therapeuten 
alssolche erst von den Essenern abstammen, seien doch diese selbst 
durch den Einfluss der Denkweise in’s Leben gerufen worden, 
welche von Aegypten her in Palästina eindrang !)." Indessen haben 
wir diesen Umweg kaum nöthig. Da Josernus der drei jüdischen 
Sekten zuerst um die Mitte des zweiten Jahrhunderts als einer die- 
ser Zeit eigenthümlichen Erscheinung erwähnt ?), dürfen wir wob) 
annehmen, sie seien nicht früher als bestimmt unterschiedene Par- 
theien hervorgetreten. Zu jener Zeit stand aber Palästina bereits 
seit mehr als anderthalbhundert Jahren unter der Herrschaft der 
ägyptischen, dann der syrischen Griechen; an allen seinen Grer- 
zen war es von griechisch - macedonischen Pflanzstädten umgeben, 
im Norden bereits auch mit solchen besetzt); die politischen Ver- 
hältnisse hatten zu einem lebhaften Verkehr, namentlich mit dem 
ägyptischen Hofe geführt *), welcher ebenso, wie die zahlreichen 
persönlichen und Handelsverbindungen, die Bekanntschaft mit dem 
Hellenismus und dem von seinem Einfluss berührten Judenthum 
begünstigte. Jedes Jahr führte Tausende von Juden aus den 
Griechenländern nach Jerusalem; aber auch unter den einheimi- 
schen Gelehrten begegnen wir schon vor der Mitte des dritten 
Jahrhunderts einem griechischen Namen°). In der letzten Zeit 
vor dem Aufstand der Makkabäer hatte die Vorliebe für griechische 


1) So Hasrzun; 6. 8. 279, 2g. Ε. 

4) Vgl. 8. 286, 1. 

8) Ewaın Gesch. ἃ. V. Isar. III, b, 265 f. 

4) Vgl. ebd. 808 ἢ. 

δὴ Antigonus v. Bokho, tiber den Ewarp ΒΚ, 818, 


Ort und Zeit ihrer Entstehung. 491 


Sitte und Denkweise selbst in Jerusalem solche Fortschritte ge- 
macht, dass ein eniarteter Hoherpriester es wagen konnte, im An- 
gesicht des Tempels ein griechisches Gymnasium zu errichten, dass 
seine Untergebenen Tempeldienst und Opfer versäumten, um sich 
in der Palästra zu unterhalten, und nicht wenige die Spuren der 
Beschneidung durch eine künstliche Vorhaut beseitigten '). Es 
liegt am Tage, dass diess nicht geschehen konnte, wenn sich nicht 
selbst im Hauptsitz des jüdischen Volkslebens eine starke Parthei 
von Griechenfreunden gebildet hatte?). Können wir uns wundern, 
wenn bei einer solchen Zeitströmung eine in jenen Jahrhunderten 
so verbreitete Erscheinung, wie das orphisch-pythagoreische Leben, 
in Judäa Beachtung fand, und wenn es hier neben den Leichtferti- 
gen, welche den Glauben ihrer Väter mit ausländischem Wesen zu 
vertauschen bereit waren, und neben den Fanatikern, die alles 
fremde verabscheuten, auch solche gab, die an dem Glauben und 
Gesetz ihres Volkes zwar mit aller Entschiedenheit festhielten, die 
aber auch ausser demselben wirkliche Weisheit und Frömmigkeit an- 
erkanaten, das gute und ihrer eigenen Denkweise verwandte, wo sie 
esauch finden mochten, nicht zurückweisen wollten ? Solche moch- 
ten dann mit der pyithagoreischen Ascese, mit den religiösen 
und gesellschaftlichen Idealen der Pythagorassage und mit der 
Lehre von der himmlischen Abkunft der Seele und ihrem Fortleben 
nach dem Tode sich befreunden,, welche auch nach dem Zeugniss 
des Joszraes °) eine so grosse Anziehungskraft auf seine Lands- 
leute ausübte. Aber zur Sekte entwickelte sich diese Schattirung 
des Judenthums ohne Zweifel erst in Folge der makkabäischen Er- 
hebung. Die Strenge, mit welcher nach der Abschüttelung der 
Fremdherrschaft der nationale Kultus und die gesetzliche Lebens- 
weise wieder hergestellt, der übertriebene Werth, welcher von 
der herrschenden Parthei auf alle Aeusserlichkeiten desselben ge- 


1) M. 6. fiber diese ἀχμὴ Ἑλληνισμοῦ καὶ πρόςβασις [πρόβ.] ἀλλοφυλισμοῦ, 
diese ἀπόστασις ἀπὸ διαθήχης ἁγίας, diese Vertauschung der κατρῷαι τιμαὶ mit 
den ᾿Ἑλληνιχαὶ δόξαι, 1 Makk. 1, 11—15. 2 Makk. 4, 7—20. 

2) 1 Makk. 1, 11 heisst es auch ausdrücklich: ἀνέπεισαν πολλοὺς und 
2 Makk. wird erwähnt, dass die χράτιστοι τῶν ἐφήβων an der Palästra theil- 
asahınen. Auch während der Makkablerkämpfe war die griechische Parthei 
sahlreich; vgl. Ewsrn 8. 840, 8. 

8) Vgl. 8. 251, 8. 


19 * 


293 Essener und Therapeuten. 


legt wurde, der Eifer, mit dem sie sich gegen das Eindringen 
der griechischen Denkweise verschanzte, war ganz geeignet, 
Männer, welche von dieser berührt und einer innerlicheren Fröm- 
migkeit zugethan waren, in die Einsamkeit und in das Geheimniss 
eines weltscheuen, gegen aussen fest abgeschlossenen Vereins 
zurückzutreiben, und ihren Widerspruch gegen solche Bestand- 


theile jenes Kultus, denen sie ihrem ganzen Standpunkt nach 
abgeneigt waren, zu verschärfen. Als endlich die Pythagoreer 
sich wieder lebhafter an den philosophischen Bewegungen derZeit 
zu betheiligen begannen, und das pythagoreische Leben in der 
neupythagoreischen Philosophie auf’s neue mit wissenschaftlicher 
Spekulation verbunden und durch sie begründet wurde, werden 
auch die Essener von derselben nicht unberührt geblieben sein, und 
vielleicht hat jetzt erst der Essäismus die Gestalt und Ausbildung 


erhalten, in welcher er uns aus den Berichten des Philo und Jose- 
phus entgegentritt; namentlich mag aber jetzt durch das stärkere 
Eindringen alexandrinischer Spekulation in den Essäismus die 


ägyptische Abzweigung der Essener, die Therapeutensekte ent- 


standen sein. 

Es sind diess Muthmassungen, wie sie allein übrig bleiben, 
wenn die Geschichtsforschung ihren Weg durch ein Dunkel zu 
suchen hat, welches nur von so wenigen und unsicheren Streif- 
lichtern erhelltwird. Wie richtig oder unrichtig jedoch diese Ver- 
muthungen im einzelnen sein mögen: dass es der spätere 
Pythagoreismus war, welcher im Essäismus eine eigenthümliche 
Verbindung mit dem Judenthum eingieng, wird durch ihre beider- 
seitige durchgreifende Verwandtschaft zu einem so hohen Grade der 
Wahrscheinlichkeit erhoben, als unter den gegebenen Umständen 
irgend verlangt werdenkann. Hatte aber der Einfluss griechischer 
Lehren auf die jüdische Theologie selbst in Palästina schon so frühe 
begonnen, und sich anderthalb hundert Jahre lang fortgesetzt, so 
begreift es sich um so leichter, dass ihre Verschmelzung in der 
alexandrinischen Schule um den Anfang der christlichen Zeitrech- 
nung eine so innige werden, und eine so entwickelte Theorie von 
der nachhaltigsten geschichtlichen Bedeutung hervorrufen konnte, 
wie sie uns in Philo’s Schriften vorliegt. 


Philo, 498 
8. Philo ἢ. 


Was diesen merkwürdigen und einflussreichen Mann Ὁ) von 


1) Graörzr Philo und die alexandr. Religionsphil. I. 1831. Diune Ge- 
sehichtl. Darst. d. jüd.-alexandr. Religionspbilosophie I. 1884. Ders. in Ersch 
u. Graber's Encykl. 8. Sect. XXIII, 435 ff. Rırrzr Gesch. der Phil. IV, 444 ff. 
PreLıer Hist. phil. gr. rom. 8. 500 ff. Branpıs Gesch. ἃ. Entw. d. griech. 
Phil. II, 2382 ff. Usserweg Grundr. d. Gesch. ἃ. Phil. 2. A. I, 208 ὦ, Vacnexor 
Ecole d’ Alezandrie I, 142 — 167. Ewaup Gesch. d. V. Isr. VI, 231—2886. 
Bırz Anseige der Schrift von Dähne, Jahrb. f. w. Krit. 1885, 8. 746 ff. 
Ders., die Lehre v. ἃ. Dreieinigk. I, 5978. Dorser Entwicklungsgesch. 
d. Lehre v. ἃ. Person Christi I, a, 21—57. LuTTERBEcK neutest. Lehrbegr. I, 
418—446. Creuzer Zur Kritik ἃ. Schriften d. Juden Philo, Theol. Stud. u. 
Krit. 1, (1832), 1 ff. Grossmann Qusstionum Pbilonearum part. I. II. Lpaz. 
1829. Vgl. Dens. De ascetis Iud. vet. ex Philone Altenb. 1888. De philosophia 
Ssdducsorum (nach Philo) part. I-IV. Lpz. 1886 ff. De Pbilon. Ind. operum 
eontin. serie u. s. w. part. I. 1841. p. 11. 1842. De Phariseismo Judsorum 
Alexandrino p. I. 1846. p. II. 1847. p. III. 1850. Aneod. grec. Philon. Leips. 
1866. Strınuarr in Paunr’s Realencykl. V, 1499 ff. Keransteın Philo’s Lehre 
v.d. göttl. Mittelwesen Lps. 1846. Bucaaz Pbilon. Studien Tüb. 1848. Wourr 
die philon. Philosophie in ihren Hauptmomenten dargestellt. 2. Aufl. Gothenb. 
1858. Gzoren in der 8. 58 angeführten Abhandlung. Erschöpft ist übrigens 
selbst die neuere Literatur über Philo, auf die ich mich hier beschränke, auch 
hiemit lange nicht. 

4) Ueber Philo’s Leben wissen wir wenig, und fast nur, was er selbst 
gelegentlich mittheilt. Bein Wohnort war Alexandria (Legat. ad Caj. 1018, 
Ε, δ61 M.: τὴν ἡμετέραν ᾿Αλεξάνδρειαν); dass es auch sein Geburtsort war, sagt 
Hızson, Catal. script. ecoles. 11, und es ist dioss um so wahrscheinlicher, da 
seine Familie zu den ersten in der alexandrinischen Judenschaft gehörte: sein 
Braderssohn Alexander war Alabarch (ἃ. h. erster Vorsteher, was auch die 
Herkunft dieses Titels sein mag) derselben und wird als γένει τε χαὶ πλούτῳ 
πρωτεύσας τῶν Exil bezeiohnet (Jos. Antt. XVIII, 8, 1. XX, 5, 3. XIX, 5, 1. 
Joe. nennt Philo den Bruder Alexander's; indessen bemerkt Ewaup 8. 285, 
der bier überhaupt su vergleichen ist, mit Recht, aus Philo selbst, De rat. 
aum, 1, 72. 8. 123 ἢ, 161 Auch. vgl. De provid. II, 1. 8.44 A., gehe her- 
vor, dass er seines Vaters Bruder war). Nach Hızzon. a. a. O. Pnor. Cod. 
105 wäre er priesterlicher Abkunft gewesen. Seine Geburt scheint zwischen 
δῦ und 20 v. Chr. (nicht „um 1“, wie Grärz Gesch. d. Juden III, 265 sagt) 
zw fallen, da or bei der Sendung nach Rom im J. 89 oder 40 n. Chr. schon 
in vorgerückten Jahren stand (Legat. ad Caj. 1018, C. 572, M.), und im Ein- 
gang der ebengenannten, wahrscheinlich bald nachher verfassten Schrift 
(92, A, 545, M.) sich einen γέρων nennt. Ueber seine Bildungsgeschichte 
wissen wir fast nichts, so klar auch aus seinen Schriften (auch abgesehen 
‚or seinem eigenen Zeugniss De congr. qu. erud. gr. 485, A. 580, M. De 

ıpet, leg. 776, C. 800, M.) hervorgeht, dass er in jüdischer und griechischer 


394 Philo. 


seinen Vorgängern unterscheidet, ist die Vollständigkeit und Folge- 
richtigkeit, mit der er ihren Standpunkt zum System ausgeführt 
hat. Die Verbindung der jüdischen Theologie mit griechischer 
Philosophie hatte sich allerdings schon längst vollzogen ; unter den 
griechischen Schulen hatte das alexandrinische Judenthum die 
neuauftretende platonisch - pythagoreische zur Führerin gewählt; 
als das Werkzeug zur Verschmelzung des jüdischen Offenbarungs- 
glaubens und der philosophischen Sätze hatte sich die allegorische 
Schrifterklärung seit mehreren Menschenaltern eingebürgert; von 
den leitenden Ideen der späteren alexandrinischen Spekulation 
waren schon manche, mehr oder weniger ausgebildet, im Umlauf!). 
Aber wenn wir auch nicht genau wissen , wie weit diese Entwick- 
lung vor Philo fortgeschritten war, so werden wir doch schwerlich 
fehlgehen, wenn wir annehmen, erst er sei es gewesen, welcher 
die verschiedenen Elemente des jüdischen Alexandrinismus mit 


Wissenschaft sorgfältig unterrichtet worden war, und diesen Unterricht wiss- 
begierig aufgenommen hatte; aus seinem späteren Leben ist die einzige That- 
sache, die wir kennen, seine Theilnahme an der Gesandtschaft an Call- 
gula, welche den alexandrinischen Juden Befreiung von den über sis ver- 
hängten Verfolgungen erwirken sollte, welche aber nichts ausrichtete, und 
ohne die Ermordung des Tyrannen für die Gesandten, an deren Spitse Philo 
stand (Jos. A. XVII, 8, 1), leicht sehr gefährlich hätte werden können. (Das 
nähere darliber in der Legatio ad Cajum; vgl. auch &. 282, 8). Auch sonst 
wurde er aber, nach den Klagen De spec. leg. 776 f. (299 £.) zu schliessen, 
vielfach von praktischen Geschäften in Anspruch genommen. Philo’s Todes- 
jahr ist unbekannt; es fällt aber wahrscheinlich in die Regierung des Clau- 
dius (41—54 n. Chr.). Die Angaben christlicher Schriftsteller (Eus. K. @. II, 
17. Puor. Cod. 105) über sein Verhältniss sum Christenthum sind handgreif- 
liche Fabeln. Auf die Untersuchung über seine Bohriften, die ursprüngliche 
Gestalt und die Beihenfolge derselben (worüber Grrörer I, 7 fl. Ὀζὰ 
Enoykl. a. a. O. 8. 489 ff. Sreımmaer a. a. Ο. 1500 f. Grossmann in den 
vor. Anm. genannten Abhandlungen. EwaLn 8. 268 ff.) kann ich hier nicht 
eintreten, und noch weniger die Acschtheit der einzelnen Bohriften unter- 
suchen. Dass unsere Sammlung von unächten Stücken nicht frei ist, be 
weisen schon die Bücher De mundo und De mundi incorruptibüitate; über 
letzteres 8. m. Bersars in den Monatsberichten der Berliner Akademie 1863, 
8. 84 fl. Bei meinen Anführungen besisht sich die erste Beitensahl auf die 
Höschel’sohe, die zweite, mit M. bezeichnete, auf die Mangey’sche Ausgabe; 
die aus dem Armenisohen übersetzten Werke citire ioh nach den Beitensahlen 
der Ausgabe von AucHER, 


Stellung und Bedeutung, 205 


wissonschafllichem Bewusstsein nach einem festen Princip ver- 
knüpfte, die eigenthümliche Weltanschauung seiner Schule meta- 
physich begründete, und sie nach allen Seiten hin ausführte. 
Was uns von der alexandrinischen Spekulation vor Philo über- 
liefert ist, zeigt uns mehr nur einen unbewussten und vereinzelten 
Einfluss griechischer Philosopbeme; bei Philo zuerst begegnet uns 
die klar ausgesprochene Ueberzeugung, dass die wahre Theologie 
durch ein umfassendes gelehrtes und philosophisches Wissen be- 
dingt sei, hier zuerst der Versuch, mit diesen Hülfsmitteln denganzen 
Inhalt des religiösen Glaubens denkend zu durchdringen, und ihn 
uater Ergänzung der hiefür nöthigen Mittelglieder mit gewissen 
philosophischen und theologischen Grundanschauungen innerlich 
su verknüpfen. Der Werth und die Geltung des jüdischen Reli- 
gionsglaubens soll dadurch allerdings nach Philo’s Absicht nicht im 
geringsten geschmälert werden: das jüdische und das hellenische 
Element gelten ihm nicht für gleichberechtigt, sondern das letztere 
sil sich dem ersteren unterordnen; sein System ist eine solche 
Umbildung der jüdischen Dogmatik, bei der ihr wesentlicher In- 
halt festgehalten, und nur die Form der griechischen Wissenschaft 
benützt werden soll; und kann auch diese jüdische Scholastik den 
meleriollen Einfluss der fremden Philosophie so wenig ausschliessen, 
als die christliche, so gewinnt dieser doch niemals die Stärke, sich 
im bewussten Widerspruch mit der positiven Religion geltend zu 
wachen, und das theologische Princip der Tradition durch das 
Philosophische der freien Forschung zu verdrängen. 

Philo selbst hat diese seine Stellung zwischen der jüdischen 
Offenbarung und der hellenischen Wissenschaft sehr bestimmt aus- 
gesprochen. Die heiligen Schriften seines Volkes sind ihm der 
Inbegriff alles Wissens 1); sie sind durch eine göttliche Ein- 
gebung entstanden, welche jeden Irrthum und jedeUnvollkommen- 
heit ausschliesst”); es ist daher kein Wort in ihnen, das nicht voll 
en 

1) De mundi opif. 2, Β: Μωσῆς δὲ καὶ φιλοσοφίας ἐπ᾽ αὐτὴν φθάσας ἀχρό- 
WA χαὶ χρῃσμσίς τὰ πολλὰ καὶ συνεχτιχώτατα τῶν τῆς φύσμως ἀναδιδαχθείς. Conf. 
ἴηφα, 888, E. 419 M. 

2) V. Mos. 681, Ὁ, 168 M. De spec. legg. trib. 848 M. De monarch. 
820, 0, 222 Μ, Qu. rer. div. ἃ, 518, A. 511 M. Die Inspiration ist nach die- 


ΜῈ Stellen ein Ergriffensein vom göttlichen Geiste, durch welches jede 
"enschliche Belbstthätigkeit aufgehoben, und der Prophet sum reinen Werk- 


296 Pbileo. 


Absicht und Bedeutung wäre); jeder Spott über sie zieht die 
schwersten Strafen nach sich?), und ihre Inspiration erstreckt 
sich selbst auf ihre griechische Uebersetzung 5). Philo sucht dess- 
wegen, wie er versichert, keine andere Quelle der Weisheit: die 
Auslegung der heiligen Bücher gilt ihm für die eigenthümliche 
Philosophie seines Volkes *), und er selbst entwickelt seine Ge- 
danken fast ausschliesslich an der Erklärung der mosaischen 
Schriften; denn diese sind ihm weit die wichtigste Offenbarungs- . 
urkunde, ihr Verfasser erscheint ihm als der grösste von allen 
Propheten, ja als der grösste von allen Menschen °), und so unbe- 
dingt ist seine Verehrung gegen sie, dass er, wie ein ächter Rab- 
bine®), aus jedem ihrer Worte, ja aus jeder Wortform der 
alexandrinischen Uebersetzung (wie wir diess auch später noch 
finden werden) die tiefsten Lehren ableitet. Fasst man den Stand- 
punkt Philo’s hlos nach dieser Seite in’s Auge, so kann man ihn 
nur als den eines extremen Supranaturalismus, einer unbedingt- 
ten Unterwerfung unter die positive Auktorität, bezeichnen. 
Dieser Auktoritätsglaube erhält jedoch seine wesentliche 
Beschränkung durch die Bedeutung, welche der griechischen Philo- 
sophie eingeräumt wird. Mag sich Philo auch noch so sehr als 
Jude fühlen, sein Judenthum ist nioht ausschliessend genug, wm 
nicht auch ausserhalb seines Volkes und seiner Religion wahre 
Weisheit anzuerkennen. Er beruft sich auf die griechischen Philo- 
sophen, auf die Magier, auf die Gymnosophisten so gut, wie auf die 


soug der göttlichen Offenbarung gemacht wird; die Unterschiede in der Mit- 
theilung dieser Offenbarung, welche in der ersten derselben berührt werden, 
sind für die Hauptfrage ohne Erheblichkeit. 

1) De agrio, 187, C. 800 Μ, De Cherub. 117, D. 149 M. De prof. 458, 
C. 554 M. 

3) Vgl. mut. nom. 1058, E. 587 M., wo Philo mit siohtlioher Befriedi- 
gung berichtet, wie ein Mann, welcher sich über die Namensänderung Abra- 
bam’s und Bara’s lustig gemacht hatte, zur wohlverdienten Strafe sich bald 
darauf erhängt habe. 

8) V. Mos. 657, E fl. 188 M, die bekannte Legende von der Entstehung 
der LXX. 

4) Die πάτριος φιλοσοφία v. contempl. 893, Ὁ. 476 M. 

5) Die Nachweisungen b. Grrözns I, 60 ff. Kurzastaum a, a. Ο. 138 ἢ, 

6) Nach dem bekannten rabhinischen Grundsats: an jedem Häckchen 
der Schrift hängen Berge von Lehren. 


An 


Judenthum und Grieohenthum, 4Φ97 


Essener und Therapeuten, um das Dasein des Weisen dar- 
zuthun ’); er bewundert die bekannte That eines Kalanus 3); er 
nennt einen Plato den grossen, selbst den heiligen 5); er redet von 
der heiligen Gemeinde der Pythagoreer, von dem heiligen Verein 
der göttlichen Männer, eines Parmenides, Empedokles, Zeno, 
Kleanthes u. s. w.*); er gesteht Hellas zu, dass es sich als Wiege 
der Wissenschaft und einer wahrhaft menschlichen Bildung vor 
allen Ländern der Welt auszeichne°); er beweist seine Verehrung 
der griechischen Philosophie noch weit stärker, als diess in einzel- 
nen Aeusserungen geschehen kann, durch den ausgedehnten Ge- 
brauch, den er von pythagoreischen, platonischen, peripatetischen 
und stoischen Lehren gemacht, durch den Einfluss, den er diesen 
Lehren auf seine eigene Ansicht gestattet hat. Der Mittelpunkt 
aller Weisheit ist ihm allerdings die Theologie, in der er sich natürlich 
zunächst an die jüdische Dogmatik hält; aber die Philosophie und 
selbst die encyklischen Wissenschaften sind seiner Meinung nach 
ein unentbehrliches Hülfsmittel dieser Theologie ®); diese Wissen- 
schaften waren aber nur bei den Griechen zu finden, und 80 musste 
sich ihm von selbst eine ungleich günstigere Ansicht von dem 
Werth der griechischen Bildung ergeben, als der Mehrzahl seiner 
jääschen Volksgenossen. Mag er daher auch den Gesetzgeber 
seines Volkes hoch über die griechischen Philosophen erheben 7), 


1) Qu. omn. pr. lib. 876, B. 881, B. 456. 462 M. vgl. De provid. II, 13 f. 

2) Qu. omn. pr. lib. 879, A f. (459). 

8) De provid. II, 42. 8. 77 A. Qu. omn. prob. lib. 867, A. 447 M. (wenn 
man nämlich hier ἱερώτατον, nicht λιγυρώτ. liest) vgl. De prof. 459, E (555). 
Ashnlich Qu. rer. div. b. 510, C (508): τὸν μέγαν καὶ ἀοίδιμον... ᾿Εράκχλειτον. 

4) Qu. omn. pr. lib. Auf. De provid. 11, 48. 8. 79 A. 

$) De provid, II, 109, 8. 117 A., griechisch. b. Eus. pr. ev. VII, 14, 58. 

6) Ich werde später noch auf diesen Punkt surickkommen, wesshalb ich 
ihn hier nur kurs berühre. Ebenso werden die Belege für den Einfluss der 
griechischen Lehren auf die philonische durch unsere ganse Darstellung ge- 
geben werden. 

ἢ Diese Voraussetsung liegt schon in der sogleich zu besprechenden 
Herleitung der griechischen Weisheit aus dem A. Testament. Weiter vgl. m. 
as 8, 395 f. angeführt ist, und Stellen, wie νυ. Mos. 656, A (186), wo ausge- 
führt wird, dass Moses unter allen Gesetzgebern weit die erste Stelle ein- 
Bime, und seine Giosetse ewig und unveränderlich, wie Naturgesetse, sich 
"halten, Dagegen heisst es Fragm. 654 M. (VI, 210 Richt, sus Jo-Dauasc. 


„8 Pbilo. 


und die Bundesmahle der griechischen Therapeuten den Gastmäh- 
lern Xenophons und Plato’s lobpreisend gegenüberstellen !), der 
Gesichtspunkt, unter dem er das Verhältniss der griechischen Phi- 
losopbie zur jüdischen Religion auflasst, ist doch immer die wesent- 
liche Gleichheit ihres Inhalts: das jüdische Gesetz enthält die 
reinste und vollkommenste Weisheit, aber die Philosophie enthält 
dieselbe Weisheit, nur weniger rein und vollständig. Selbst die 
griechischen Dichter werden trotz ihrer polytheistischen Mythologie 
in dieses Urtheil miteingeschlossen 5); Philo lässt ihnen dieselbe 
Entschuldigung zu gute kommen, welche schon die Stoiker auf die 
heidnischen, er selbst auf die jüdischen Mythen angewandt hatte: wir 
dürfen nur den wahren Sinn ihrer Fabeln durch allegorische Deu- 
tung ausmitteln, um Wahrheit darin zu entdecken °), und Philo selbst 
trägt insofern kein Bedenken, sich bisweilen aufgriechische Mythen 
zu berufen *). Ja er ist weitherzig genug, um sogar der heidni- 
schen Religion eine gewisse Wahrheit zuzugestehen. Während der 
jüdische Volksglaube jener Zeit in den Göttern der Heiden nur 
böse Dämonen zu sehen wusste’), so hält Philo für den eigent- 


Parall. s. 8. 748) über alle hellenischen und barbarischen Philosophieen, dass 
sie ζητοῦσαι τὰ φύσεως οὐδὲ τὸ βραχύτατον ἠδυνήθησαν τηλαυγῶς ἴδέϊν. 

1) Vit. oontempl. 897, Ef. 480 M. 

3) Zum folgenden vgl. m. Geozcu Zeitschr. f. hist. Theol. IX (1889) 
4, 141. 

8) De provid. II, 40 f. 8. 16 A.: man solle die Mythen über Hopbast 
auf’s Feuer, die über Here auf die Luft, die über Hermes auf die ratio (λόγο) 
deuten, und man werde finden, dass sie geziemend und würdig über die Gott 
heit gesprochen haben. Es sind diess die stoischen Deutungen. Stoisch ist 
auch der Grundsatz (ebd.): was der Gottheit unwürdig zu sein soheine, anl- 
halte nicht wirklich eine Blasphemie, sondern vielmehr ein indioisem imchs® 
physiologie. 

4) 2. Β. De Abrah. 867, C.9 M. νυ. M. 655, B. 185 M. mundi opif. 30, €. 
81 M. Qu. omn. prob. lib. 886, Ὁ. 467 M. 

5) Die erste Spur dieser Vorstellung findet sich in dan LXX Ps. 96, 5. 
106, 87. Deut. 83, 17. Jes. 65, 11, dann Bar. 4, 7. Däuns I], 69 f. und 
ποδοῖν a. a. Ὁ, 65 f. glauben zwar, δαιμόνιον beseichne in diesen Stellen 
gute Dämonen, und nach der Ansicht der Uebersetser liege der Fehler des 
Heidenthums nur darin, dass es untergeordnete Wesen an der Stelle Gottes 
verehrte. Allein dass nicht bloss δαίμων, sondern auch δαιμόνιον von den 
Hellenisten mit Ausnahme Philo’s für gute Wesen gebraucht werde, dürfte 
schwerlich zu beweisen sein: in den LXX steht es Jes. 18, 21. 84, 14, Pi. 


Judonthum und Griechenthum. 489 


lichen, unter der mytholegischen Form versteckten Gegenstand des 
heidnischen Kultus theils in stoischer Weise die Gestirne und Ele- 
mente ἢ), theils in stoisch-euemeristischer die grossen Männer der 
Vorzeit?). Bedenkt man nun, dass Philo mit der Mehrzahl der 
griechischen Philosophen die Gestirne für lebendige Wesen , und 
ihre Seelen für reine Geister der höheren Ordnung erklärt?), ja 
dass er sie geradezu mit Plato als die sichtbaren Götter be- 
zeichnet?); erinnert man sich ferner der Behauptung, welche uns 
auch später noch begegnen wird, dass die Masse der Menschen die 
Gottheit nur in den Mittelwesen anzuschauen im Stande sei, durch 
weiche sie sich offenbart: so begreift man es, wenn Philo die poly- 
ikeistischen Religionen zwar im Vergleich mit der monotheistischen 
für irrig hält, und namentlich die roheren Formen derselben, wie 
den ägyptischen Thierdienst, als einen sehr schweren und verderb- 
lichen Irrthum betrachtet °); wenn er aber nichisdestoweniger von 
dem jüdischen Nationalhass gegen das Heidenthum so weit entfernt 
ist, dass er eine Verfluchung der heidnischen Götter untersagt °), 


91,8 offenbar für unreine Geister; in dem jtldischen Proomium der Bibylli- 
nen (worüiber 8. 228, 8) werden die Heidengötter V. 22 ausdrücklich δαίμονες 
ὦ ἐν ἄδου genanut. Aus dem jüdischen Volksglauben kam diese Vorstellung 
ins N. Testament (1 Kor. 10, 20) und zu den Kirchenvätern. Philo nennt 
swar die Baalssäule Num. 22, 41 eine στήλη δαιμονίου τινὸς (v. M. 644, E, 134 
M.), diess beweist aber nicht mehr, als dass er sich dem Sprachgebrauch sei- 
ner Landsleute anschloss, welche eine heidnische Gottheit θεὸς su nennen 
Bedeaken trugen. 

1) 8.0. 298, 8. Decal. 752, A. 758, Ὁ (189. 191 M.). V. contempl. 890, A, 
42 M. 

2) So wird Herakles als historische Persönlichkeit anerkannt Qu. omn. pr. 
ii. 888, C (464). Logat. ad. Caj. 1008, D (657); ebenso in der letstern Btelle, 
wenn Philo hier nicht blos av hyposhesi redet, Dionysos und die Dioskuren. 

8) Die Belege hiefür tiefer unten. 

4) De mundi opif. 6, E. 88, Β (6. 84); De monarch. 818, A. 214 M. 
Fragm. 643 M. (b. Eus. pr. ev. VIII, 14, 40), wo der armenisch-lateinische 
Text (De prorv. LI, 101, 8. 110 A.) die merkwürdigen Worte θείαις φύσεσιν (ἡλίου 
ταὶ σελήνης) übergeht. 

5) De Decal. 751, E f. 758, E. 754, E ff. (189. 191. 198). De monarch. 
812, B. Ὁ. 818, C (214. 219). vit. contempl. 890, A ff, 412 M. De Josepho 563, 
D.76 M. Das Heidenthum wird hier durchaus auf ἄγνοια und πλάγη zurliok- 
geführt, seine gröberen Auswlichse auch wohl als ἀσέβεια bezeichnet, aber 
einen dämonischen Ursprung wirft ihm Philo nicht vor. 

6) V. Mos. 688, ΕΒ. 166 M. Als Grund wird angegeben, dass man sich 


ln. 


300 Philo. 


und die Bestrafung des Tempelraubs in Delphi als einen Beweis 
der göttlichen Vorsehung anführt !). Man sieht, so wenig er die 
heidnischen Religionen als solche billigen kann, so werden sie 
doch wenigstens als Religionen, als eine wirkliche Gottesverehrung, 
von ihm anerkannt. 

Je grösser aber hiernach die Anerkennung war, welche Philo 
dem Griechenthum zollte, und der Einfluss, den er seinerseits 
von ihm erfuhr, um so begieriger musste er auch die Hülfsmittel 
ergreifen, mit denen griechisch gebildete Juden den inneren Wi- 
derspruch ihres Standpunkts sich selbst zu verbergen schon längst 
gelernt hatten. Diese Hülfsmittel waren: einerseits die Voraus- 
setzung, dass die griechische Weisheit selbst aus der jüdischen 
Offenbarung geflossen sei, andererseits die allegorische Umdeutung 
der biblischen Aussprüche. Beides hat sich Philo in ausgedehntem 
Maass angeeignet. Jene Voraussetzung steht ihm so fest, dass er 
gar nicht daran zweifelt, Heraklit habe seine Lehre von den 
Gegensätzen alles Seins aus der Genesis?), dem Zeno diene die 
Geschichte des Jakob und Esau zum Vorbild®), die griechischen 
Gesetzgeber haben die Bestimmungen des Pentateuchs benützt‘) 
u. dgl.; ja er sagt ganz allgemein °), die jüdischen Gesetze seien 
zu Barbaren und Hellenen, in alle Weltgegenden und zu allen Völ- 
kern, von einem Ende der Erde zum andern gedrungen. Welchen 
schrankenlosen Gebrauch er von der allegorischen Auslegung 
macht, ist bekannt. Die allegorische Erklärung gilt ihm für die 
wesentliche Form eines tieferen Schriftverständnisses, die Schrift 
ihrem ganzen Inhalt nach für Ein Gewebe von Allegorieen ®); denn 


nicht gewöhnen dürfe, den Namen der Gottheit zu verachten. Eine andere 
Begründung des gleichen Verbots De monarch. 818, C. 219 M. 

1) De prov. Il, 28. 8.68 A (Fr. 8. 640 M. aus Eus. a. a. O. 37 £.). 

3) Qu. rer. div. hser. 510, C. 508 M. Aehnlich wird die Lehre Hesiod's 
und Plato’s über die Weltschöpfung aus der Genesis hergeleitet incorrupt 
mundi 941, C f. 490 M. 

8) Qu. omn. pr. lib. 878, D. 454 M. vgl. mutat. nom. 1071, A (608), wo 
die Lehre von der Apathie auf Moses zurückgeführt wird. 

4) De jud. 719, Ὁ. 345 M. 

5) Vit, Mos. 657, A f. 187 M., aus Anlass der Nabbaths- und Fasten- 
Gesetze. 

6) Vit. contempl. 898, D; ». ο. 262, 8. De Joseph. 580 D (46): ἄξιον 
μέντοι μετὰ τὴν ῥητὴν διήγησιν χαὶ τὰ ἐν ὑπονοίαις προζαποδοῦναι. σχεδὸν γὰρ τὰ 


Allegorische Schrifterklärung. ss 


da alles in ihr zu unserer Belehrung dienen müsse, so müsse such 
in dem scheinbar unbedeutendsten ein tieferer Sinn gesucht 
werden !), die buchstäbliche Bedeutung der Schriftworte stelle nur 
ihren Leib dar, die geistige, d. h. allegorische,, ihre Seele?). Ob 
dabei derbuchstäblicheSinn neben dem allegorischen stehen bleibt, 
oder nicht, ist wesentlich gleichgültig: in der Regel stellt: Philo 
beide neben einander), aber in einzelnen Fällen bemerkt er auch, 
die wörtliche Auffassung einer Erzählung oder Vorschrift würde 
zar Ungereimtheit, ja zur Gottlosigkeit führen *). Dass sich nichts- 


πάγτα ἢ τὰ πλέϊστα τῆς νομοθεσίας ἀλληγορέϊται. De spec. leg. 804, E (829): ἦδε 
μὲν αἰτία (des Gesetzes Deut. 25, 11 ff.) 4 παρὰ πολλοῖς εἴωθε λέγεσθαι" ἑτέραν δ᾽ 
ἤχουσα θεσκεσίων ἀνδρῶν τὰ πλείστα τῶν ἐν τοῖς νόμοις ὑπολαμβανόντων εἶναι σύμ- 
βολα φανερὰ ἀφανῶν καὶ ῥητὰ ἀῤῥήτων u. ὅ. Wenn in den zwei letztern Stellen 
die Allegorie im A. T. auf den grössten Theil seiner Aussprüche beschränkt 
wird, so dürfen wir diess, nach Philo’'s eigenem Verfahren zu urtheilen, nicht 
su wörtlich nehmen: sucht er auch nicht in allem einen tieferen Sinn, so giebt 
es doch schlechterdings nichts, worin er ihn nicht finden könnte, wenn er wollte. 

1) De congr. qu. erad. gr. 430, B. 525 M. De somn. 678, B (628): Die 
Ersäblung hat nicht den Zweck, ἵνα ὡς παρὰ συγγραφέως ἱστοριχοῦ μανθάνωμεν .. 
ἄλλ᾽ ὑπὲρ τοῦ μάθημα βιωφελέστατον καὶ νοερὸν... μὴ ἀμεληθῆναι. De viot. 888, C 
(241): ταῦτα μὲν ἢ ῥητὴ πρόςταξις περιέχει μηνύεται δὲ καὶ νοῦς ἕτερος αἰνιγματώδη 
λόγον ἔχων τὸν διὰ συμβόλων’ σύμβολα δέ ἐστι τὰ λεχθέντα φανερὰ ἀδήλων καὶ 
ἀφανῶν εὐθέως. 

2) Migr. Abr. 402, Ὁ. 450 M. Diese Vergleichung wurde dann von den 
christlichen Alexaudrinern weiter verfolgt. 

8) So De Jos. 580, D (46); Migr. Ahr. a. a. O., wo diejenigen ausdrück- 
lich getadelt werden, welche sich der buchstäblichen Befolgung der Gesetze 
wegen ihrer geistigen Bedeutung entsiehen wollen. De Υἱοὶ. a. a. Ὁ. Qu. in 
Gen. IV, 94 und unzähligemale. 

4) De conf. lingn. 389, C. 425 M: Die Meinung, als» ob Gott (nach Gen. 
11, 5) vom Himmel herabgestiegen sei, Örspwxsäviog χαὶ μεταχόσμιος, ὡς Frog 
εἰπεῖν͵ ἐστὶν ἀσέβεια. Leg. alleg. 41, A (44): εὔηθες πάνυ τὸ οἴεσθαι, BE ἡμέραις ἢ 
καθόλου χρόνῳ κόσμον γεγονέναι. Ebd. II, 1091, A (70) aus Anlass der Erschaf- 
fung Eva’s: τὸ ῥητὸν ἐπὶ τούτου μυθῶδές ἐστιν. De plantat. N. 218, E. 884 M. 
(über die Erzählung vom Parsdiese): su meinen, dass Gott wirkliche Frucht- 
bäume gepflanzt habe, wäre πολλὴ καὶ δυςθεράπευτος εὐήθεια. M. opif. 85, Ὁ 
(87): ταῦτα δέ μοι Boxel συμβολιχῶς μᾶλλον 4 κυρίως φιλοσοφεῖσθαι. Bacrif. Abel. 
146, C ἢ. (182): Gott könne ja in Wirklichkeit nicht schwören, sondern 68 sei 
diess nur eine won den Menschenähnlichkeiten, welche ihm mit Rücksicht auf 
die menschliche Schwäche beigelegt werden. Qu. det. pöt. ins. 167, D (194) 
su Gen. 87, 18: τοῦτο πῶς ἂν τις τῶν εὖ φρονούντων παραδέξαιτο; Post. Caini 
185 Μ᾿: μήποτ᾽ οὖν͵ ἐπειδὴ ταῦτα τῆς ἀληθείας ἀπάδει, βέλτιον ἀλληγοροῦντας λέ- 
Ὧν u. 6. w. Ebd. 226. Qu, De 5. immut. 808, A, 282 M. De ebriet. 349, 8. 


An. 


2308 Philo. 


destoweniger solche unangemessene und selbst unwahre Darstel- 
langen in der Schrift finden, haben wir uns nach Philo, welcher 
hierin Plato folgt !), aus einer Anbequemung der Gottheit an die 
Schwäche der Menschen zu erklären: die Masse derselben , sin»- 
lich, wie sie ist, vermag das göttliche in seiner Reinheit nicht zu 
fassen; um ihnen nun doch wenigstens die göttlichen Gebote bei- 
zubringen, hat Gott die an sich unwahre (ψευδὴς) anthropomer- 
phistische Form gewählt ?). Um so dringender ist für alle geistig 
gereiften die Aufgabe, den höheren Gehalt frei von der sinnlichen 
Umhüllung sich zum Bewusstsein zu bringen. Philo’s Schrifterkls- 
rung bildet daher eine fortlaufende Kette der ausschweifendsten 
allegorischen Deutungen ®); von allen den Hülfsmitteln, welche 


866 M. Vgl. auch De congr. qu. erud. gr. 480, B. 525 M. De somn. 678, Β, 
628 M. Auch bei Gesstsesvorschriften wird einigemale ausgeführt, dass sie, 
wörtlich genommen, ungereimt wären; so De somn. 579, C. 684 M. De spe. 
log. 804, E (829). Vgl. Anm. 3 g. E. 

1) Vgl. Bd. II, a, 608. 

3) M. vgl. ausser der Hauptstelle Qu. De s. immut. 801, A — 808, Ὁ 
(280-288) (wo eine doppelte Lehrweise iu der Schrift unterschieden wird, 
die anthropomorphistische und die nichtanthropomorpbistische, die, welche 
darch Furcht, und die, welche durch Liebe wirkt): Sacrif. Abel. 146, C (= ο. 
801, 4). Conf. lingu. a. a. O. De somn. 599, E. 665 M. (wo auch deutlich auf 
Pusto Bep. U, 881 vgl. 876, E fl. Rücksicht genommen ist). 

8) Hier einige Beispiele. Der erstgeschaffene Mensch ist der Geist 
(νοῦς), und wenn es von demselben heisst, Gott habe ihn nach seinem Bilde 
gemacht, so ist damit der reine, himmlische Geist gemeint. Dieser wird in’ 
Paradies, ἃ. ἃ. in die Fülle der göttlichen Tugenden gesetst, um sie zu pfe- 
gen. Wenn aber derselbe auch Adam genannt und seine Bildung aus Erde 
berichtet wird, so gebt diess auf den νοῦς γήδος (Leg. alleg. 56, Ὁ ἢ, 61 M.). 
Das Paradies bedeutet das ἡγεμονικὸν der Seele, der Baum des Lebens die 
Gottesfurcht, als die grösste aller Tugenden, der der Erkenntniss die φρόνησις 
(M. opif. 85, Ὁ. Leg. all. 60, C £. 87. 56. M.), die vier Ströme des Paradieses 
die vier Kardinaltugenden (Post. Caini 250 M. leg. alleg, 51 E£. 56 £. I.) 
Die Ersählung von der Schöpfung des Weibes stellt die Entstehung der 
αἴσθησις in mythischer Form dar (Leg. all. II, 1091, A ff. De Cherub. 117, Ὁ 
118, C. 70 f. 149 £. M.). Die Geburt Kain’s bedeutet, dass aus der Verbin 
dung der Sinnlichkeit mit dem Geiste der Wahn entspringt, als ob die Welt 
unser Eigenthum sei, denn Κάϊν heisst: Besitz (De Cher. a. a. O.). Abel ist. 
die Frömmigkeit, welcher es an wissenschaftlicher Bildung fehlt, Kain der 
gewandte Egoismus, die Bophistik, Beth die beständige Tugend (Qu. det. pot 
ins, 161, A ὦ De Sacrif. Ab. 180, A. 197. 168 M. post. Caini 249 M.), δον 
die Hoffnung (Qu. det. pot. 180, C. De presm. et poen. 912 Bf. 217. 410 M.), 


Allegorische Schrifterklärung. 803 


schon die Stoiker und andere Philosophen auf dem griechischen, 
die früheren Alexandriner auf dem jüdischen Religionsgebiet an- 
gewendet, von allen den Freiheiten, welche sie sich erlaubt hatten, 
macht er den umfassendsten Gebrauch: er trägt kein Bedenken, 
derselben Stelle und demselben Ausdruck eine mehrfache allego- 


Lamech die ταπεινότης oder ὑπομονὴ (post. Ca. 234 M. Qu. det. 164, E. 201 M.), 
Henoch die Busse (De Abr. 862, A. 4 M. preem. et p. a. a. O.). Die zwei Män- 
ner, welche Lamech erschlagen hat, sind der λόγος ἀνδρείας und die ἰσχὺς ἐν 
ἀσκήσει τῶν καλῶν (Qu. det. pot. a. a. O.). Noah bedeutet die Gerechtigkeit 
(Leg. all. 75, A. Qu. det. 177, C. presm. et p. 918, Ὁ. 102. 314. 412 M.); seine 
Arche ist ein Bild des Leibes, und desshalb sind in ihr Thiere aller Art, wäh- 
rend im Paradies, d.h. im Reiche der Tugend, die wilden keinen Zutritt fan- 
den (plant. No& 220, Β, 836 M.). Abraham, Isaak und Jakob sind die Reprä- 
sentanten der erlernten, der angeborenen und der durch Uebung erworbenen 
Tugend (De Abr. 357, Β ff. De somn. 590, Β ἢ prem. et p. 918 Ef. 8.9. 
646 £. 512 f. M. Qu. in Gen. III, 38. 8. 207 A.). Hagar bedeutet (wie später 
geseigt werden wird) die encyklischen Wissenschaften, Sara die vollkommene 
Tugend und Weisheit; wenn Abraham Gen. 18, 9 sagt, Sara sei im Zelte, so 
heisst diess: die Tugend habe ihren Sitz in der Seele (qu. det. pot. ins. 166, B. 
202 f. M.). Rebekka ist die Ausdauer (a. a. Ο. 168, Ὁ. plant. N. 288, B. migr. 
Abr. 420, Ὁ. 8. 200. 354. 469 M.), Lea die Tugend des vernüinftigen, Rahel 
des sinnlichen Seelentheils; die Mägde der letzteren Bilha und Bilpha be- 
deuten die Ernährung und die Sprache (congr. απ. erad. gr. 428, A ff. 523 M.). 
Jnda ist der ἐξομολογητιχὸς τρόπος (Nom. mut. 1065, Ὁ. 598 f. M.), und eben- 
desshalb wird der Edelstein, auf dem sein Name stand, Ex. 28, 18 nur ἄνθραξ 
nicht λίθος ἀνθράχινος genannt, denn der λίθος bedeutet den Leib, jener τρόπος 
dagegen ist ἄῦλος καὶ ἀσώματος (L. all. 55, C. 60 M.). Joseph ist Typus des 
Politikers (auch davon wird aus Anlass der philonischen Ethik noch zu spre- 
chen sein); die Vielgeschäftigkeit eines solchen und die Verschiedenartigkeit 
der Elemente seines Charakters deutet sein bunter Rock an (gu. det. pot. 156, 
C. 192 M. vgl. De somn. 1110, A f. 660 M.). Aegypten ist der Leib, Pharao 
der widergöttliche Sinn (qu. det. pot. 162, B. oonf. lingu. 882, Ὁ. 8. 198. 418 
"gl. De somn. II, 1148, A. 692 M., wo der Fluss Aegyptens vom Leib, der 
Euphrat von der Seele, ebd. 1122 D. 672 M., wo die Frau Potiphar's, des 
Aegyptiers, von der ἡδονὴ erklärt wird). In dem Gesetz Deut. 21, 15 bedeutet 
die eine Frau (die gehasste) die Tugend, die andere (die geliebte) die Lust 
(Sacrif, Abel 183, C. 167 M.); Deut. 25, 11 f. geht der Mann auf die gotter- 
gebene Seele, das Weib auf die, welche am Vergänglichen hängt, die δίδυμοι 
äind ein Bild der γένεσις, oder auch, wie die Dyas überhaupt, der Materie 
(spec, leg. 805, A. 829 M.). Das einzige Kleid, welches man nicht über Nacht 
als Pfand behalten darf (Ex. 22, 26), bezeichnet das Wort (De somn. 580, E. 
δὴ M.). Noch zahllose Belege liessen sich geben; die angeführten werden 
aber zur Genfige zeigen, wie sich Philo alles in Aflegorie verwandelt, und 


«δον. 


304 Philo. 


rische Bedeutung unterzulegen 1), ebräische Wörter nach griechi- 
scher Etymologie zu erklären ?), kleine Aenderungen im Text 
vorzunehmen), mag dieser dadurch auch dem Wortlaut nach noch 
so sinnlos werden, ausÜebersetzungsfehlern der LXX tiefe Weisheit 
abzuleiten *) u. dgl. Dass er hiebei ältere Vorgänger vor sich 
hatte, sagt er selbst); doch findet er sich durch die Ueberlieferung 
nicht gebunden: das tiefere Schriftverständniss ist seiner Meinung 
nach nicht ohne göttlichen Beistand möglich®), warum sollte dieser 
nicht auch ihm neues aufschliessen ? 7 Wenn er sich daher einer- 


wie vollständig sein Verfahren mit dem der stoischen Allegoriker überein- 
stimmt, von denen 1. Abth. 800 ff. gesprochen wurde. 

1) 8o soll πηγὴ fünferlei bedeuten: den νοῦς, die wissenschaftliche Bil- 
dung, die schlechte Beschaffenheit, die gute Beschaffenheit, die Gottheit (De 
prof. 476, B ff. 572 M.); so die Bonne 1) den νοῦς, 2) die αἴσθησις, 8) den θέΐος 
λόγος, 4) Gott selbst (De somn. 577, Aff. 682M.); vgl. auch folg. Anm. Noch 
viel häufiger ist es, dass umgekehrt verschiedene Typen auf den gleichen 
Begriff gedeutet werden. 

4) Wie Leg. alleg. 52, Ὁ. 53, E (56. 58), wo der Name des Flusses Phi- 
son von φείδεσθαι, der des Euphrat von εὐφραίνειν, der des Landes Euilath von 
εὖ und Ἄλεως hergeleitet, dann aber freilich auch noch eine zweite Etymologie, 
aus dem Hebräischen, beigefügt wird. Qu. in Gen. ΠΠ, 8. 8. 171, A., congt. 
qu. erud. gr. 427, A. 428 B (528), wo Jakob's Frau Λεία nach der Ableitung 
von Adlog gedeutet ist. 

8) Qu. det. pot. 164, A (200): man solle Gen. 4, 8 nicht lesen ἀπέκτεινεν 
αὐτὸν, sondern ärdxt. αὑτὸν, denn die Seele, deren Typus Kain ist, tödte in 
Wahrheit sich selbst. 

4) 2. B. Leg. alleg. 95, E. 124 M. De somn. 575, B. 680 M. (wo stait 
ἦλθεν richtiger wäre: ἥει, er gieng dem Orte zu). 

6) Vgl. 8. 225 f. 

6) Dieser Sats lässt sich zwar aus der Stelle Qu. omn. pr. lib. 877, C 
(458) nicht beweisen; denn wenn es hier heisst: τόῖς πατρίοις νόμοις, ode ἀμήν 
xavov ἀνθρωπίνην ἐπινοῆσαι ψυχὴν ἄνευ χαταχωχῆς ἐνθέου, so bedeutet dxwolh 
schwerlich „verstehen“, sondern „ersinnen*, die Worte beziehen sich mithin 
nicht auf die Erklärung, sondern auf die Entstehung der heiligen Schriften. 
Aber aus den sogleich anzuführenden Aeusserungen ergiebt sich allerdings, 
dass Philo das tiefere Schriftverständniss von höherer Eingebung herleitete. 

7) Philo bezeugt wiederholt, dass ihm selbst im Zustand des Enthusias- 
mus göttliche Offenbarungen zutheilwerden, und da sich ihm seine Ansichten 
überhaupt durchaus an der Bchrifterklärung entwickeln, so besiehen sich 
diese Offenbarungen immer auf den verborgenen Schriftsinn. Bo De Cherub. 
112, D (148). Nachdem er hier swei Erklärungen der Cherubim und des 
fammenden Schwertes angeführt hat, fährt er fort: ἤχουσα δέ ποτε xat σπου» 


Allegorische Schrifterklärung. 305 


seits allerdings an die jüdische Religion und ihre Urkunden 
anlehnt, so nimmt er doch zugleich ihnen gegenüber mit Hülfe der 
allegorischen Auslegung eine so freie Stellung, dass ihn ihr Buch- 
stabe keinen Augenblick hindern konnte, alles in ihnen zu lesen, 
_ was seiner Denkart zusagte. 

Die Ansichten, welche sich dem Philo von hier aus über den 
Werth und die Bestimmung der Wissenschaft, über die Bedeutung 
ihrer einzelnen Theile, über das Verhältniss der Philosophie zum 
religiösen Glauben ergaben, können erst späler nachgewiesen 
werden , denn diese Ansichten sind weit weniger der Grund, als 
die Folge seiner metaphysischen und theologischen Lehren; Philo 
ist nicht von der Untersuchung über die Bedingungen und Grenzen 
des Wissens zu seinem theosophischen System, sondern umgekehrt 
von seiner Theorie über das Wesen Gottes und der Welt zu seiner 
Ansicht von der Wissenschaft gekommen; diese kann daher nur 
von dem in ihrer ursprünglichen Bedeutung verstanden werden, 
welchem jene Theorie schon bekannt ist. Hier am Anfang unserer 
Darstellung liess sich die Stellung unseres Philosophen zu den 
Bildungselementen,, unter deren Einfluss er stand, erst im allge- 


. 


δαιοτέρου λόγου παρὰ ψυχῆς ἐμῆς εἰωθυίας τὰ κολλὰ βεολῃπτέῖσθαι za περὶ ὧν οὐκ 

μαντεύεσθαι" und nun folgt, als Inhalt dieses λόγος, seine eigene Erklä- 
rang. Aehnlich De somn. II, 1142, D (692): ὑπηχεῖ δέ μοι πάλιν τὸ εἰωθὸς ἀφα- 
νῶς ἐφομιλέϊῖν πνεῦμα ἀόρατον χαὶ φησίν' womit übrigens in diesem Fall eine 
selbst für den Allegoristen ziemlich unerhebliche Bemerkung eingeleitet wird. 
Diege Aensserungen sind für Philo bezeichnend. Jeder Gedanke, der ihm 
unvermuthet aufgeht, erscheint ihm als Eingebung, wie diess bei einem 
solchen erklärlich ist, der einerseits jeden Frommen für einen Propheten und 
Inspirirten hilt (Qu. rer. div. her. 517, C. 510 M.: καὶ παντὶ δὲ ἀνθρώπῳ ἀστείῳ 
ὁ ἱεῤῥὸς λόγος προφητείαν ματρυρέϊ. προφήτης γὰρ ἴδιον μὲν οὐδὲν ἀποφθέγγεται, ἀλ- 
λότριᾳ δὲ πάντα ὑπηχοῦντος ἑτέρου), und der andererseits Seine eigene Geistes- 
thätigkeit mit klarem Bewusstsein zu begleiten unterlässt, und statt ntlohter- 
ner methodischer Untersuchung sich nur zu gerne‘ dureh augenblickliche 
Erregungen nnd Combinationen leiten lässt. Dieser Ursprung der philoni- 
schen Inspiration erhellt besonders deutlich aus der Stelle De migr. Abr. 898, 
C (4417, wo Philo erzählt: nicht selten begegne es ihm, wenn er etwas nie- - 
dersehreiben wolle, und über den Inhalt mit sich im reinen sei, dass er den- 
noch mit aller Mühe nichts zustandebringe; ein andermal wieder χενὸς ἐλθὼν 
χλήρης ἐξαίφνης ἐγενόμην ἐπινιφομένων καὶ σπειρομένων ἄνωθεν ἀφανῶς τῶν ἐνθυμη- 
μάτων; ὡς ὑπὸ κατοχῆς θείου χορυβαντιᾷᾶν καὶ πάντως ἀγνοέϊν τὸν τόπον, τοὺς παρ- 
ὄντας, ἐμαυτὸν, τὰ λεγόμενα, τὰ γραφόμενα. _ 

Philee. d. Gr. 111. Bd. 2. Abth. 20 


306 Philo. ΄ 


meinen bezeichnen, die bestimmtere Einsicht in dieselbe kann 
nur der Abriss seines Systems selbst gewähren. 

Das erste muss in dieser Beziehung die Lehre von Gott sein. 
Philo’s System trägt nicht blos überhaupt einen religiösen Charak- 
ter — der vollendete Weise betrachtet, wie er sagt, die Gottheit 
als den einzigen Gegenstand seines Wissens!) — ; sondern es ruht 
bestimmter auf demselben dualistischen Gegensatz Gottes und der 
Welt, des Unendlichen und des Endlichen, in welchem wir früher 
“ die metaphysische Grundlage des Neupythagoreismus erkanat 
haben. Gott allein ist das gute, vollkommene, ursprünglich wirk- 
liche, das Endliche als solches ist das unvollkommene und unwirk- 
liche, die Materie, als der allgemeine Grund der Endlichkeit, ist 
das nichtseiende und böse. Von diesem Standpunkt aus musste 
Philo vor allem darauf bedacht sein, in der Betrachtung des gött- 
lichen Wesens einen festen Grund für seine Weltansicht zu 
gewinnen. Hiebei stellte sich nun freilich sogleich eine Schwie- 
rigkeit heraus, von der auch wirklich Philo’s ganze Theologie 
gedrückt wird. Durch seinen Begriff der göttlichen Unendlichkeit 
ist ihm jede Uebertragung endlicher Bestimmungen auf Gott ver- 
boten. In Wahrheit sind es aber eben nur solche endliche Bestim- 
mungen, aus welchen uns die Gottesidee überhaupt entsteht, denn 
jede Vorstellung über die Gottheit beruht in letzter Beziehung auf 
einem Rückschluss von dem gegebenen auf den absoluten Grund 
desselben, und jede nähere Bestimmung dieses Absoluten kann nur 
unserem Welt- und Selbstbewusstsein entnommen sein. Will daher 
Philo alle endlichen Prädikate von Gott abwehren, so kann er 
überhaupt nichts positives über ihn aussagen, seine Theologie muss 
sich in lauter Verneinungen bewegen. Dieses widerspricht jedoch 
der Voraussetzung , dass Gott, und Gott allein, das schlecht- 
hin wirkliche sei, und sein System gewährt unserem Philosophen 
lediglich kein Mittel zur Beseitigung dieses Widerspruchs. Er 
schwankt daher in seinen Aussagen über die Gottheit fortwährend 
zwischen der negativen Beschreibung derselben, wonach ihr alle 
Prädikate abgesprochen, und der positiven, wonach ihr alle Voll- 
kommenbeit beigelegt werden muss. Diesen Widerspruch zu lösen, 


1) De plant. N. 228, B (839): τῷ γὰρ ὄντι ὃ τελείως κεκαθαρμένος νοῦς καὶ 
πάντα τὰ γενέσεως ἀπογινώσχων ἕν μόνον οἷδε καὶ γνωρίζει τὸ ἀγέννητον. 


I 
Ι 
Ι 
‘ 
! 


Die Gottheit: negative Bestimmungen. 307 


därfen wir nicht hoffen, es genügt, dass wir ihn erkennen und 
seine Grände aufzeigen. 

Was dem Philo nach seinem ganzen Standpunkt zunächst lag, 
das sind die verneinenden Aussagen über Gott, welche ihn als den 
bestimmungslosen erscheinen lassen; denn der Gegensatz Gottes 
und der Welt ist der Punkt, von dem er ausgeht. Der ungewor- 
dene ist mit nichts gewordenem zu vergleichen, er ist darüber 
erhaben wie das ewige über das veränderliche, das wirkende über 
das leidende, das umfassende über das umfasste, der Geist über den 
Stoff, der Schöpfer über das Geschöpf'). Philo erklärt sich daher 
nicht blos gegen jede pantheistische Vermischung Gottes mit der 
Welt?), er widerspricht nicht blos der Vorstellung, als ob Gott im 
Raume ®) und in derZeit sei*), als ob ihm menschliche Gestalt und 
menschliche Affekte zukämen?), als ob ein Uebel oder ein Böses 
vor ihm herrührte®), sondern er verwahrt sich überhaupt gegen 
jede Aehnlichkeit zwischen Gott und den Geschöpfen, indem er der 
Endlichkeit der letztern die Ewigkeit Gottes’), ihrer Wandelbar- 
keit seine Unveränderlichkeit®), ihrer zusammengesetzten Natur 
seine Einfachheit 5), ihrer Abhängigkeit seine unbedingte Frei- 


1) De somn. 576, FE. 592, E (682. 648.). mund. opif. 2, E. 8 M. migr. 
Abr. 418, B. 466 M. Qu. in Gen. II, 54. 

2) De Decal. 751, E. 189 M. migr. Abr. a. a. O., ebd. 416, B (484): 
Gett sei weder die Welt noch die Weltseole (wie namentlich die Stoiker 
wollten). 

8) Z. B. oonf. lingu. 830, Ὁ. 840, A. 425 M. De somn. 592, D. 648 M. 
In der ersien von diesen Btellen wird namentlich auch die Bewegung im 
Baume Gott abgesprochen; vgl. 8. 301, 4. 

4) Mundi opif. 4. 4. Ο. u ὅ. 

δ) De post. Caini 226 f. M. Qu. De. s. immut. 801, B (280) u. d. 

6) Qu. det. pot. 177, D. 214 M. mundi opif. 16, Bf. 17M. Ich komme 
splier noch auf diesen Punkt zurück. 

ἢ M. opif. 2, E f. De earit. 699, Ὁ (886) u. a. 

8) De Cherub. 111, B. 142 M. Leg. alleg. 49, C. 58 M. Weitere Beloge 
für diese von Philo sehr nachdrücklich hervorgehobene Bestimmung finden 
sich in der Schrift Qwod Deus sit immutabilis und Ὁ. Dänne I, 118. = 

9) Die absolute Einfachheit des göttlichen Wesens, eine unmittelbare 
Folge seiner Unveränderlichkeit (wie diess incorrupt. mundi 948, A. 498 M. 
bemerkt ist), gilt dem Philo ebenso, wie diese, für eines der wosentlichsten 
Yon dm Merkmalen, durch welche sich Gott von dem Endlichen unterschei- 
det (mut. nom. 1078, C. 606 M. qu. De. 5. immut. 805, C. 286 M.): Gott ist 

20 * 


308 Pbilo. 


heit!) und Selbstgenugsamkeit?) entgegensetzt. Philo geht aber 
noch weiter. Nicht genug, dass die Unvollkommenheit der endlichen 
Dinge von Gott ferngehalten wird, auch über ihre Vollkommen- 
heiten ist er schlechthin hinaus: er ist besser als die Tugend und 
uls das Wissen, ja besser als das Gute und das Schöne, reiner als 
das Eins, ursprünglicher als die Monas, seliger als die Seligkeit’?). 
Bei einer so überschwänglichen Vorstellung von der Gottheit 
musste allerdings jedes Prädikat, welches ihr beigelegt werden 
konnte, zu gering scheinen, und so kann es uns nach der obigen 
Beschreibung nicht mehr überraschen, wenn Philo auch wohl ge- 
radezu sagt *), Gott sei ohne alle Eigenschaften (ἄποιος). Und da 
nun jeder Name irgend eine Eigenschaft ausdrückt, so wird folge- 
richtig gelehrt, kein Name könne Gott im eigentlichen Sinn bei- 
gelegt werden, jeder sei nur uneigentlich zu verstehen5). Was 
aber mit keinem Namen bezeichnet, durch keine Eigenschaft 
beschrieben werden kann, das kann auch nicht begriffen werden. 
Wenn daher Philo sehr nachdrücklich behauptet, die Gottheit sei 


ein schlechthin einfaches Wesen, die reine Einheit, denn was man ihm bei- 
gemischt denken mag, immer könnte es nur ein schlechteres sein, als αἱ 
selbst ist. L. alleg. II, Anf. 8. 1087 (66). 

1) De somn. 1142, E. 692 M. 

4) Auch diese Eigenschaft, dass Gott ἀπροςδεὴς, xpflos οὐδενὸς ist, wird 
von Philo sehr oft hervorgehoben ; m. vgl. L. alleg. 1087, B (66). mut. nom. 
1048, Ὁ (582). De fortit. 787, C. 877 M. Weiteres Ὁ. Dinnz I, 121. 

8) M. opif. 2, Ο: τὸ μὲν δραστήριον [sc. αἴτιον] ὃ τῶν ὅλων γοῦς ἐστιν eiupr 
νέστατος καὶ ἀκραιφνέστατος, κχρείττων τε ἢ ἀρετὴ, χαὶ κρείττων ἢ ἐπιστήμη καὶ 
χρείττων ἢ αὐτὸ τἀγαθὸν χαὶ αὐτὸ τὸ καλόν. V. contempl. 890, A (472): τὸ ὃν, ὃ 
χαὶ τἀγαθοῦ χρεῖττόν ἐστι καὶ ἑνὸς εἰλιχρινέστερον, καὶ μονάδος ἀρχεγονώτερον. Legat. 
δὰ Caj. 992, D. 546 Μ. De prem. et p. 916, B (414). Qu. in Gen. II, 54. 
8. 184 A. Fragm. 8. 625 M (b. Eus. pr. οὐ. VII, 13, 2.) 

4) L. alleg. 47, A. 49, C (50. 68). Qu. De. s. immut. 801, D. 281 M. 
Unter einer ποιότης versteht Philo allerdings nur eine endliche Qualität (vgl. 
de Cherub. 116, E. 148 M.: γένεσιν γὰρ καὶ φθορὰν ἐνδεχομένων φύσει τῶν ποιῶν, 
wie Mauorr auf Grund der Handschriften mit Recht statt θνητῶν liest), aber 
andere sollen wir nicht zu erkennen vermögen (vgl. De somn. 598, A f. 648M. 
u. a. Bt.) 

5) De somn. 599, C. 655 M. V. Mos. 614, A. 92 M. Legat. ad Caj. 998, A 
(546). mut. nom. 1045, Καὶ f. 580 M. Vgl. L. alleg. 99 C ἢ 128 M. Mit dem 
jüdischen Vorurtheil von der Unaussprechlichkeit des Jehovahnamens steht 
diese Lehre jedenfalls nur in einem entfernten Zusammenhang. 


Die Gottheit: positive Bestimmungen. 809 


ihrem Wesen nach unfassbar 1), so ist diess ganz in der Ordnung. 
Nur dass Gott ist, können wir wissen, aber was er ist, das ist 
uns durchaus verborgen’). Das Sein ist daher auch das einzige 
Prädikat, welches wir ihm im eigentlichen Sinn beilegen können, 
der Name desSeienden (der Jehovahname) ist der einzige, welcher 
das Wesen Gottes, und nicht blos eine seiner Wirkungen oder 
Kräfte bezeichnet?). 

In dieser Bezeichnung Gottes hat die verneinende Richtung 
der philonischen Gotteslehre ihre Spitze erreicht; alle positiven 
Bestimmungen der Gottesidee sind beseitigt, und es ist nur das 
übrig gelassen, was nicht entfernt werden konnte, ohne dasDasein 
Gottes selbst zu läugnen, dasSein Gottes und der Name des Seien- 
den. Indessen konnte Philo unmöglich bei dieser reinen Vernei- 
nung stehen bleiben. Seine negative Theologie selbst ist ihm nur 
daraus entstanden, dass er alle Prädikate für die Idee Gottes zu 
beschränkt, der göttlichen Vollkommenheit nicht gemäss fand ; seine 
Verneinungen haben also eine Bejahung, eine Vorstellung von der 
göttlichen Vollkommenheit, wenn auch vielleicht nur eine allge- 
meine und unbestimmte, zur Voraussetzung. In der näheren 
Ausführurfg dieser Vorstellung musste Philo in der Hauptsache 
schon desshalb der Analogie mit dem menschlichen Geiste folgen, 
weil die Grundvoraussetzung aller Anthropomorphismen, die Per- 
᾿ sönlichkeit Gottes, seinem ' jüdischen Monotheismus unbedingt 
feststand; zugleich mussten aber, in Folge seiner spekulativen 
Richtung, neben den schon besprochenen negativen Prädikaten 
alle diejenigen Eigenschaften Gottes einen besonderen Werth für 
- ihahaben, welche den allgemeinen Gedanken ausdrücken, dass alle 


1) De post. Ca, 229 M. conf. lingu. 340, A. 425 M. monarch. 815, B. 
816, 1), 817, A. 216 ff. M. De mut. nom. a. a. Ο. De somn. 575, C. 680 M. 
Leg. all. ἃ. ἃ. Ο. 

3) Qu. De. 8. immut. 802, D (282): ὃ δ᾽ ἄρα οὐδὲ τῷ νῷ καταληπτὸς ὅτι μὴ 
τατὰ τὸ εἶναι μόνον. ὕπαρξις γάρ ἐστιν ὃ καταλαμβάνομεν αὐτοῦ τὸ δὲ χωρὶς ὅπάρ- 
fg οὐδέν, Achnlich De monarch. a. a. Ὁ. De pram. et poen. 916, Β (414). 

3) Qu. D. s. immut. 301, D. 809, A (281. 289). Qu. det. pot. ins. 171, E. 
184, C (208. 322). De Abrah. 867, B f. 18 M. De somn. 599, C (665). V. Mos. 
614, A. 678 (92. 155); wozu, das Aussprechen des Jehovahnamens betreffend, 
öbd. 670, Ὁ, 688 D f. (152. 166) zu vergleichen ist. Philo selbst bedient sich 
sur Beseiohnung Geöttes, wenn er wissenschaftlich reden will, regelmässig 
der Ausdrlicke 5 ὧν oder τὸ ὄν. 


310 Philo. 


Vollkommenheit in Gott vereinigt sei und von Goti herstemme. Er 
beschreibt daher die Gottheit nicht blos als dasjenige Wesen, 
welches über alles erhaben ist, sondern auch als das, welches alle 
Realität in sich schliesst: als das Urbild der Schönheit, als den 
absolut seligen und vollkommenen !), als die Vernunft des Welt- 
ganzen?); er sagt nicht blos, dass sie nirgends, sondern auch, 
dass sie überall sei, dass sie alles erfülle und umfasse 5), nicht 
blos, dass sie nicht geschaut werden könne, sondern auch, dass sie 
alles durchschaue *); ja er sagt, Gott sei alles Wirkliche, denn ibm 
allein komme ein Sein im wahren Sinn zu). Sofern aber diese 
Aussagen über das Wesen Gottes mit der Transcendenz seiner 
Gottesidee zu sehr im Widerspruch standen, liebt er es noch mehr, 
die absolute Wirksamkeit Gottes zu schildern. Wie Gott allein 
wahrhaftes Sein zukommt, so kommt auch ihm allein ursprüngliche 
Thätigkeit zu. Das Wirken ist ihm so natürlich, wie dem Feuer 
das Brennen®), die wesentliche Eigenschaft Gottes ist das Wirken, 
die des Geschaffenen das Leiden’); Gott wirkt daher unaufhörlich, 
und ist für alles andere der Grund seines Wirkens, alle Vollkom- 
menheit in dem Geschaffenen stammt einzig von ihm her°); und 
wird auch zwischen solchem unterschieden, was mittelbar, und 
solchem, was unmittelbar von Gott hervorgebracht ist”), so führt 
doch in letzter Beziehung alles auf Gott als die alleinige Ursache 


1) De Cherub. 122, E. 154 M. De Abr. 377, Ὁ. 29, M. Qu. D. 64. immat, 
297, C. 276 M. Legat. ad Caj. 992, D. 546 M. 

2) Migr. Abr. 418, A (466): τὸν τῶν ὅλων νοῦν τὸν θεόν. 

8) Leg. alleg. 48, B. 61, C. 70, C (52. 88. 97). conf. lingu. 839, E. 426 M. 
De somn. 575, A. 680 M. migr. Abr. a. a. O.u:d. s. Grrösen I, 123 ff. Disun 
L, 282 ff. 

4) 2. B. Qu. De. s. immut. 295, A. 297, D. (274. 276). Conf. lingn. 840, B 
(425). 

5) L. alleg. 48, B. 52 M.: ἅτε εἷς χαὶ τὸ πᾶν αὐτὸς ὥν. Qu. det. μοί, insid. 
184,00. (222): ὃ θεὸς μόνος ἐν τῷ εἶναι ὑφέστηχεν ... ὡς τῶν μετ᾽ αὐτὸν οὐχ ὄντων 
κατὰ τὸ εἶναι δόξῃ δὲ μόνον ὑφεστάναι νομιζομένων. 

6) L. alleg. 41, D. 44 Μ. 

7) De Cherub. 121,B. 168 M. vgl. mund. opif. 2, C. 

8) L. alleg. a. a. O. vgl. saorif. Abel. 140, B. 175 M. Dänss I, 217 f. 
Vgl. die später darzustellende Lehre Philo’s, dass alles gute im Menschen ein 
Geschenk der göttlichen Gnade sei. 

9) Lu alleg. 47, Ὁ (61): die besten Dinge, wie die Vernunft, sind ὑπὸ 
und διὰ θεοῦ, die geringeren’ nur διὰ θεοῦ. 


Die Gottheit: Gäte und Macht. 31 


zurück!). Man wird in dieser Gleichstellung der Gottheit mit der 
wirkenden Kraft und in der Zurückführung aller Erfolge auf die 
göttliche Ursächlichkeit den Einfluss: der stoischen Lehre nicht ver- 
kennen 57; man wird aber ebensowenig den Zusammenhang dieser 
Bestimmungen mit Philo’s eigenthümlichem Standpunkt übersehen: 
wurde die Gottheit als das absolut vollkommene Wesen über jede 
Vergleietrang mit dem Endlichen und über den ganzeti Bereich des 
menschlichen Denkens hinausgerückt, so blieb nur übrig, diese 
Vollkommenheit in ihren Wirkungen zu erkennen, und so war es 
ganz natürlich, dass Philo, um in positiver Weise von Gott 
zu reden, diese Seite zunächst hervorkehrte; Gott ist ihm der jen- 
seitige Grund alles Wirklichen, er kann nur in seinen Wirkungen 
erkamt, nur als die allwirkende Kraft definirt werden. 

Unter den Eigenschaftsbegriffen,, durch welche die göttliche 
Ursächlichkeit näher beschrieben wird, treten die zwei der Macht 
und def Güte als die Grundbestimmangen hervor°). Von diesen 
selbst aber wird die Güte für die höhere und ursprüngflichere er- 
klärt, für sie vorzugsweise der Name θεὸς gebraucht, Gott der Gute 
und das vollendetste Gut genannt®); die Weltschöpfung und Welt- 
regierang wird in platonischer Weise von der neidlosen Güte 
Gottes hergeleitet δ); es wird der Grundsatz aufgestellt, dass nur 
gutes, aber nichts schlechtes von Gott herrühre®), utıd es werden 
desshalb die wohlthätigen Wirkungen unmittelbar , die strafenden - 
und verderblichen nur mittelbar auf ihn zurückgeführt 7; die 


1) L. alleg. 62, A (88): ὁ μὲν θεὸν καὶ γένεσιν... ἀγαγὼν εἰς ταὐτὸ ὡς αἴτια, 
ἕνος ὄντος αἰτίου τοῦ δρῶντος. 

2) Schon die Ausdrucksweise ist stoisch; so in der Unterscheidung des 
δραστήριον αἴτιον und des παθητὸν, und der Gleichstellung des ersteren mit dem 
wc τῶν ὅλων m. opif. 2,C vgl. 1. Abth. 119, δ. 131, 1. 

8) Philo’s eigene Erklärungen hierüber tiefer unten. 

4) Auch hiefür werden die Belege später gegeben werden; hier verweise 
ich nur auf die Stelle conf. lingu. 846, C. 432 M. 

5) De ıhtıt. nom. 1061 Ὁ. 585 M. V. Mos. 678, B (155). migr. Abr. 416, 
0 (464). Cherub. 199, Ὁ (182). m. opif. 4, Ὁ (δ) n. a. Bt. 

6) Conf. lingn. a. a. O. De Abr. 370, C (22). Vgl. oben 8. 250, 1. 

T) De prof. 460, A. 556 M. mut. nom. 1049, A (583). De Abr. a. a. Ὁ. 
De provid. II, 102. Doch wird anderwärts (Conf. lingu. 345, B. 481 M. Legat. 

δὲ Caj. 998, A. 546 Μὴ anerkannt, dass auch die strafenden Wirkungen in 
Wahrheit unter die wählt@Ndigen sn rechken seien. 


319 Pbilo, 


göttliche Gnade wird gerühmt, die auch den Sündern unaufhörlich 
die rettende Hand reiche!). Der Einfluss der platonischen Lehre 
vom Guten und von der göttlichen Güte lässt sich in diesen Zügen 
nicht verkennen ?); doch sind sie auch überhaupt durch Philo’s 
ganzen Standpunkt gefordert. Da es die Sehnsucht nach göttlicher 
Hülfe und Offenbarung ist, welche die Wurzel seines Systems 
bildet, so müssen diejenigen Eigenschaften Gottes, vermöge deren 
er sich des Menschen annimmt und sich ihm mittheilt, für ihn den 
grössten Werth haben. Auf denselben Grund dürfen wir aber 
auch die Lehre von der göttlichen Allmacht, ja die ganze philo- 
nische Theologie zurückführen. Hat sich der Mensch des Ver- 
traueng auf seine eigene Willens- und Denkkraft begeben, um alle 
Sittlichkeit-und Erkenntniss aus göttlicher Mittheilung zu empfan- 
gen, so ist es nur folgerichtig, wenn überhaupt alle Kraft und 
Realität in das göttliche Wesen verlegt wird, und dem Endlichen 
nichts als die unbedingte Abhängigkeit übrig bleibt. Wie ver- 
möchte dann aber der endliche Verstand das unendliche Wesen zu 
fassen, und welche anderen, als verneinende Bestimmungen, 
könnte er über dasselbe aufstellen ? Nur dass freilich diesen Ne- 
gationen immer wieder die positive Ueberzeugung von der absolu- 
ten Vollkommenkeit des göttlichen Wesens und Wirkens als ihre 
Voraussetzung zu Grunde liegt, und dass andererseits aus der An- 
erkennung des Dunkels, welches die Gottheit vor uns verbirgt, 
unmittelbar das Streben hervorgeht, dieses Dunkel durch die 
Leuchte einer höheren Offenbarung zu zerstreuen , und denselben 
Gegenstand, dessen absolute Unbegreiflichkeit kaum erst behauptet 
war, in jener gewaltsamen Weise, die wir später noch kennen 
lernen werden, zu ergreifen. 

Je schroffer aber das göttlicheWesen vonder Welt getrennt, und 
je unbedingter doch zugleich alles endliche Sein von der göttlichen 
Ursächlichkeit abhängig gemacht wird, um so stärker musste sich 
Philo die Forderung aufdringen, die Vermittlungen nachzuweisen, 
durch die eine Wirkung der ausserweltlichen Gottheit auf die Welt 
möglich gemacht würde. Gott selbst kann mit seinem Wesen nicht 


1) Qu. D. 6. immut. 804, B f. (283 f.) mit dem Beisats: od μόνον δοιάσας 
Us, ἀλλ' ἐλεήσας δικάζει. πρεσβύτερος γὰρ δίχης ὁ ἔλεος παρ᾽ αὐτῷ ἐστιν u. 6. w- 
8) Philo selbst verweist m. opif. 4, D auf Tim. 29, Ὁ. 


Die göttlichen Kräfte. 313 


ia die Welt eingehen, nur mit seiner Wirkung ist er in ibr gegen- 
wärtig’), er kann aber auch nicht unmiltelbar auf die Welt ein- 
wirken, denn der Vollkommene darf sich nicht durch die Berüh- 
rung mit der Materie beflecken ?); wir müssen daher Mittelwesen 
zwischen Gott und der sichtbaren Welt annehmen, an welche die 
Einwirkung Gottes auf die Welt geknüpft ist. Für die genauere 
Beschreibung dieser Mittelwesen liessen sich besonders vier 
Vorstellungen verwenden: aus dem philosophischen Gebiete die 
platonische Lehre von den Ideen und die stoische von den wir- 
kenden Ursachen, mit welchen sich auch die platonische Weltseele 
leicht verknüpfen liess; aus dem Gebiete des religiösen Glaubens 
die jüdisch - persischen Vorstellungen über die Engel, und die 
griechischen über die Dämonen, Wir werden auch finden, dass 
Pbilo alle diese Elemente benützt und verknäpft hat, doch 
musste ihn die stoische Lehre von den Kräften am meisten an- 
ziehen. Die Engel und Dämonen des Volksglaubens hatien eine 
zu ausgeprägte Persönlichkeit, um sich unmittelbar zu Trägern 
der göttlichen Causalität zu eignen; sie gehörten ursprünglich 
einem Standpunkt an, welcher an der unmittelbaren Einwirkung 
Goites auf die Welt noch keinen Anstoss nahm, und mussten 
erst philosophisch umgedeutet werden, um dem vorliegenden Zweck 
zu enisprechen. Die platonischen Ideen waren zu abstrakter Nater, 
das wirksame Princip trat in ihnen zu wenig hervor, sie stellten 
aur die Urbilder des Sinnlichen dar, nicht die bewegenden Kräfte; 
für Philo dagegen war eben das die Hauptaufgabe, die Wirkung 
Gottes in der Welt möglich zu machen. Diess leistete num die 
swische Lehre von der durch die ganze Welt verbreiteten Vernuaft 
Gottes, vom λόγος σκερματικὸς, von den Kräften, welche.vom Ur- 
wesen ausgeben, um das Weltall belebend und bildend .zu durch- 


1) De post. Cain. 229 M. unt. oonf. lingu. 839, Ὁ. 429 M. migr. Abr. 
416, B (464). 

2) De vict, offer. 857, E (261): ἐξ ἐχείνης γὰρ [τῆς ὕλης] πάντ᾽ ἐγέννησεν 6 
Νὸς͵ οὐχ ἐφαπτόμενος αὐτός" οὐ γὰρ ἦν θέμις ἀπείρου καὶ πεφυρμένης ὕλης ψαύειν 
τῶν Buova καὶ μακάριον. Vgl. Conf. lingu. 345 Ὁ ff. (481 7), wo ausgeführt 
wird, dass Gott bei der Weltschöpfung zur Hervorbringung derjenigen Dinge, 


welche selbst zu schaffen ihm nioht geziemt hätte, sich der δυνάμεις ὑπηρετοῦ- 
Mm bedient habe. 


314 | Philo. 
drisgen!); und wenn Phile allerdings von seinem Standpunkt zus 


theils an dem Pamtheismus, theils an dem Materialismus dieser 


Lehre in ihrer stoischen Fassung Anstoss nehmen nreusste, so liess ΄ 


- sich doch diesen Mängeln leicht abhelfen: die wirkenden Kräfte 


durfiea nur den ausserweltlichen Ideen Plato’s gleichgestellt, und 
auf die Gottheit als ausserweltliches Wesen zurückgeführt werden, 


und man hatte statt der Feuer- und Laftströmungen, in weiche sich - 


das künstlerische Urfeuer zertkeil, geistige Substanzen, die von 
Gott in die Welt ausströmen, ohne dass doch dieser aus der Rinheit 
seines Wesens herausträte, oder sich mit demselben an die end- 
lichen Dinge mitiheilte. Wir haben früher gesehen, dass eine 
Umbildung der stoischen Lehre in dieser Richtung schon durch die 
blosse Verknüpfung des stoischen Pantheismas mit dem aristoteli- 
schen Theismas möglich war ?); um wieviel näher musste sie 
einem Philo liegen, bei welchem zu diesen Elementen der Einfluss 
der Ideonlehre, des Engel- und Dämonenglaubens, der älteren jädi- 
schen Spekulationen über die Weisheit, und’ als entscheidender 
Grund die Transvendenz seiner Gottesidee hinzukam. Bo ergab 
sich ihm denn folgende Theorie. 

Als Gott die Welt schaffen wollte, erzählt unser Philosoph 
mit Plato ®), so erkannte er, dass jedes Werk ein geistiges Urbild 
voraussetzt, und demgemäss bildete er zuerst die übersinnliche 
Welt der Ideen*). Die Ideen sind aber nicht blos die Muster- 
bilder’), sondern zugleich auch die wirkenden Ursachen, die 
Kräfte, welche die ungeordneten Stoffe in Ordnang bringen, und 
jedem Ding seine Eigenschaften einprägen®). Es kann insofern 
auch gesagt werden, die urbildliche Welt bestehe aus den unsicht- 


baren Kräften, weiche die Gottheit wie ein Gefolge wmgeben?).. 


1) Worüber 1. Abth. 8. 146 ἢ, 124, 8. 127 ἢ, 

2) A. a. O..8. 568 ff. 

8) Tim. 28, A ff, 

4) De mundi opif. 8, Ef. 5, C. 7, Bf. 39, C (4. 5. 7. 80). Leg. alleg. 44, 
A (47). Migr. Abr. 404, B (452) u. a. St. . 

5) Ale solche werden sie gerne einem Bigel oder Modell verglichen 
De m. opif. δ, C. 7, B; weiteres in dem Abschnitt vom Logos. 

6) De monarch. 817, Ο ἃ (218 2) Vict. offer. 857, E ἔ. 261 M. vg 
Cherub. 116, E. 148 M. 

7) Conf. lingu. 845, B. 481 M: εἷς ὧν ὃ θεὸς ἀμυθήτους περὶ αὐτὸν ἔχοι δυνά- 
μεις ... 8 αὖ τούτων τῶν δυνάμεων ὁ ἀσώματος χαὶ νοητὸς ἐπάγη χόσμος τὸ τοῦ 


Die göttlichen Kräfte. 815 


Diese geistigen Kräfte sind es, durch welche Gott a der Welt 
thätig ist, und dasjenige in ihr hewirkt, was er wegen seiser Er- 
kabenheit nicht unmittelbar hervorbringen kann’); sie sind die 
Diener und Staithalter des ebersten Gottes, die Gesandten, durch 
welche er den Menschen seinem Willen: wittbeilt, die Vermitller 
zwischen Gott und den endlichen Dingen *), die Theilkräfte der all- 
gemeinen Vernunft, welche bildend und ordnend in der Welt 
walten 3), die unzerreissbaren Bänder, welehe Goit dureh’s Weltell 
gespannt, die Säulen, welche er ihm unterstellt hatt). Sie können 
daher auck als dienstbare Geister und Werkzeuge des göttlichen 
Willens beschrieben werden; sie sind jene reinen Seelen, die von 
deu Griechen Dämones, von Moses Engel gemannt werden’), und 
sie werden in diesem Sinn von den Menschen angeruden®). So 
ufbestreitbar aber hierwach die Persönliehkeit dieser Kräfte zu sein 
scheint, so schwankend wird sie doch wieder, ‚wenn wir andere 
Aeusserungen in Betracht ziehen. Schon der Name der Kräfte 
lässt uns zunächst nur an Eigenschaften des göttlichen Wesens 
selbst denken ; noch deutlicher liegt diese Vorstellung in anderen 


φαινομένου τοῦδε ἀρχέτυπον ἰδέαις ἀοράτοις avoradek. Wenn es hier scheinen 
könnte, als ob die δυνάμεις von den Ideen noch unterschieden würden, 80 
seigen doch die eben angeführten Stellen, dass diess nicht Philo’s Meinung 
ist, Die Vergleichung der δυνάμεις mit einem Gefolge (δορωφοροῦσαι δυνάμεις 
Monarch. a. a, Ὁ. δορυφορούμενος ὑπὸ Öuelv τῶν ἀνωτάτω δυνάμεων De sacrif. 
Abel, 139, A. 173 M., ebenso De Abr. 367, B. 19 M.) ist bei Philo häufig. 

1) Μ, 5. ausser 8. 818, 2: De m. opif. 15, E ff. (16 £.), besonders aber De 
Abr. 870, B. 22 M. Decal 768, E. 209 M. De prof. 460, A. 556 M. 

2) De Abr. 866, B (17 f.) De somn. 586, D. 642 M. 

8) Δόγοι De somn. 575, E. 685, A. 586, E (681. 640. 642.). Leg. alleg. 
98,0 (122). Wenn Dänne λόγοι nicht selten mit „Pläne Gottes“ Übersetzt, so 
it diess verfehlt, der Ausdruck ist durchweg nach der Analogie der stoisehen 
λόγοι σχερματιχοὶ zu erklären. 

4) Migr. Abr. 416, B. 464 M. Conf, lingu. 889, E. 844, Ο (435. 480), 
Fragm. 8. 655 M. (aus Jon. Dauasc. parall. s. 749, E.). Vgl. 8. 818, 3. Daher 
heissen sie plant. N. 226, D. 342 M. δυνάμεις $vwrixal. 

5) Bomn. 585, A (640): ψυχαὶ δέ εἶσιν ἀθάνατοι ol λόγοι οὗτοι, ebd. 586 D.- 
587, D (die Engel λόγοι μεσίται͵ λόγοι θέΐοι). Leg. alleg. 98, D: τοὺς ἀγγέλους 
Μὰ λόγους αὐτοῦ. De somn. 583, A (638): ἀθανάτοις λόγοις, οὖς καλεῖν ἔθος ἀγγέ- 
λους, Conf. lingu. 824, D (409): τῶν θείων ἔργων καὶ λόγων .. οὖς καλέϊν ἔθος 
ἀγγίλους, Ebd. 846, C f. (431). De Abr. 866, B. 1 Μ΄ 

6) Qu. D. s. immat. 310, A. 290 M. Weiteres in der Lehre vom Logos. 


316 | Philo. 


"Bezeichnungen !). Die Kräfte werden ferner nicht blos neben 
einander gestellt, wie Personen, sondern sie erscheinen auch = 
einander, wie die Gattungs-und Artbegriffe, so dass diehöhereKrat 
die niedere in sich befasst ?); sie werden mit den Ideen identif- 
cirt (s. 0.), welche doch, scheint es, unmöglich als Personea 
gedacht sein können, und am wenigsten von einem solchen, der die 
Ideen nicht als Objekte der göttlichen Anschauung Gott gegenüber- 
stellt, sondern als Gedanken Gottes in ihn selbst verlegt; gerade 
Philo sagt aber ausdrücklich, sie seien nirgends, als im göttlichen 
Denken 5). Wenn endlich die Kräfte für ungeworden *) und für 
ebenso unendlich erklärt werden, wie Gott selbst’), wenn gesagt 
- wird, Gott sei durch seine Kräfte in den Dingen (8. 0.), so setzt 
diess unstreitig voraus, dass die Kräfte als ein unzertrennlicher 
Theil des göttlichen Wesens zu betrachten sind. Wir dürfen 
daraus allerdings nicht schliessen, dass sich Philo dieselben nicht 


1) ’Apstal «. Β. De prof. 458, A (553) u. ο.; χάριτες Leg. alleg. 1101, Ε. 
81 Μ; ἡγεμονία und εὐεργεσία für δύναμις βασιλιχὴ und εὐεργετιχή De somn. 589, 
C. 645 M. 

3) M. vgl. de Chernb. 118, A (144), wo von der σύνοδος und κρᾶσις der 
beiden Grundkräfte (Macht und Güte) gesprochen, die φιλοφροσύνη und es 
βεια Gottes als ihre Abkömmlinge bezeichnet werden; Qu. in Ex. εἴ, 68. 
8. 516 A., wo es heisst, die virtus creativa sei die Quelle der benefca, die 
virtus regia die Wurzel der legislativa et percussiva; L. alleg. II, 1108, Β (6. u. 
319, 1). Weitere Belege giebt die Lehre vom Logos, der ja zugleich eine 
Kraft und die Einheit aller Kräfte (λόγου ist. 

8) De m. opif. 4, C. 5, B: Wie die ideelle Stadt (πόλις νοητὴ), deren Plan 
ein Baumeister in seinem (Geist entwirft, vor der Ausführung desselben nir- 
gends ist, als in der Soele des Baumeisters: τὸν αὐτὸν τρόπον οὐδ᾽ ὃ dx τῶν 
ἰδεῶν κόσμος ἄλλον ἂν ἔχοι τόπον ἢ τὸν θέΐϊαν λόγον τὸν ταῦτα διαχοσμήσαντα ..... 
εἰ δέ τις ἐθελήσειε γυμνοτέροις χρήσασθαι τοῖς ὀνόμασιν, οὐδὲν ἂν ἕτερον εἶχοι τὸν 
νοητὸν εἶναι χόσμον, ἢ θεοῦ λόγον ἤδη χοσμοποιοῦντος. 

4) Q. Ὁ. s. immutab. 804, E (284): τὰς δὲ ἀγενήτους ἄρα δυνάμεις ἐκείνας, 
αἱ περὶ αὐτὸν οὖσαι λαμπρότατον φῶς ἀπαστράπτουσιν. 

δὴ) De sacrif. Abel. 189, A. 178 M. (mit Beziehung auf die drei Engel, 
welche Abraham erschienen, welche aber von Philo auf Gott und die swei 
obersten Kräfte gedeutet werden): ἀπερίγραφος γὰρ ὃ θεὸς ἀπερίγραφοι καὶ al 
δυνάμεις αὐτοῦ vgl. m. opif. 5, A: ἀπερίγραφοι γὰρ αὐταί γε [αἱ χάριτες τοῦ θεοῦ] 
χαὶ ἀτελεύτητοι, und vorher (4, D): der Logos allein sei der Ort der Ideen; 
ἄστη τίς ἂν εἴη τῶν δυνάμεων αὐτοῦ τόπος ἕτερος, ὃς γένοιτ᾽ ἂν ἱχανὸς, οὐ λέγω 
πάσας, ἀλλὰ μίαν ἄχρατον ἣντινοῦν δέξασθαί τε καὶ χωρῆσαι : 


All 


Die göttlichen Kräfte, un. 


als Hypostasen vorgestellt hat!); — dazu lauten nicht allein seine 
Ausdrücke viel zu bestimmt ?), sondern auch die ganze Bedeutung 
der Kräfte für sein System verbietet diese Annahme 8). — aber um 
80 gewisser, dass er den Begriff der persönlichen .Subsistenz kin- 
sichtlich jener Wesen nicht klar gefasst und nicht folgerichtig fest- 
gehalten hat, wie diess im Alterthum überhaupt. nicht selten war, 
und weit schärferen Denkern, als Philo, begegnet ist*). Im seiner. 
Lehre von den Kräften kreuzen sich zwei Vorstellungen, die reli-_ 
giöse von persönlichen, und die philosophische von unpersönlichen 
Nittelwesen ; ‘er verknüpft beide Bestimmungen, ohne ihren Wider- 
spruch zu bemerken, ja er kann ihn gar nicht bemerken, weil sonst 
sofort die Vermittlersrolle der göttlichen Kräfte, die Doppelnatur der- 
selben verloren gienge, vermöge deren sie einerseits mit Gott iden- 
tisch sein müssen, damit dem Endlichen durch sie eine Theilnahme 


1) WouLre die philon. Philosophie 8. 20. 28. 

2) Wenn s. B. De Abr. 870, B (22) ausgeführt wird, von den drei Män- 
nem, welehe Abraham erschienen, haben sich bei der Zerstörung Bodom’s 
nur zwei gezeigt, weil es sich. gesiemt habe, dass Gott die Bestrafung der 
Gottlosen nicht selbst vollsog, sondern seinen δυνάμεις überlioss, 80 setst 
diess doeh wohl voraus, dass die letsteren ihrem Dasein nach von Gott ver- 
schieden sind, und zu ihm nicht etwa nur in dem Verhältnisse stehen, in wel- 
chem die Hand, sondern mindestens in dem, in welchem das Werkaseug sum 
Menschen steht. Das gleiche liegt darin, dass die Kräfte von Gott als al μετ᾽ 
αὐτὸν δυνάμεις amterschieden werden (De soran. 576, A. 681 M. u. ὅ.). Philo 
well: aber die Kräfte auch ausdrücklich mit den menschlichen Seelen in Eine 
Gsttung: von den Seelen, sagt er, steigen die minder reinen in irdische Lei- 
bee herab, die reineren bleiben ausser dem Leibe, und die höchsten unter 
diesen seien die, welche die Schrift Engel nenne (De somn. 586, B f. 641 M. 
De gigant. 285, Ὁ. 368 M. plant. N. 316, B. 881 M. Conf. linqu. 845, C. 481 
M); eben diese heissen aber (s. o. 815, 5) auch λόγοι, und die λόγοι Seelen 
und Engel, und De somn. 585, A wird der θεῖος λόγος im höchsten Sihn unter | 
&iese Seelen gerechnet; so dass man deutlich sieht, wie die Kräfte und die 
Engel vollständig in einander fliessen. 

ὃ) Die δυνάμεις sollen ja, wie Philo bestimmt sagt (8. 8. 813, 2. 815, 1), 
gerade das wirken, was Gott wegen seiner Erhabenheit nicht selbst wirken 
kann; wie wäre diese möglich, wenn sie nichts anderes wären, als eben Gott, 
%olem er auf eine bestimmte Art wirkt? 

4) Um nur einige Beispiele anzuführen: es wird schwer zu sagen sein, 
0b sich Pisto die Welt sammt ihrer Seele, die Btoiker die Gottheit, Platp, 
Aristoteles und die Btoiker die Gestirne oder die Sphärengeister als Personen 
Gräacht haben. } 


988, ᾿ . Philo, 


am der Geltheit möglich: werde, anderersells von ihm verschieden, 
damit die Gotikeit irots dieser Theilinahme ausser aller Berührung 
mit: der Welt bleibe!). Es ist hier, wie anderwärts, einfach ein 
Widersprach, den der Geschiehtschreiber zwar erklären, aber 
nieht entfernen kann. 

Auch die Frage: über die Entstehung der Kräfte wird von 
Philo nur ungenau berührt. Er redet von einer Erweiterung des 
göttlichen Wesens, einer Ausbreitung der Kräfte durch die Welt 5), 


1) Es ist daber eine auffallende Verkennung der philonischen Deak- 
weise, wenn Kererstein (Philo's Lehre v. ἃ. göttl. Mittelw. 201. 17. 118, 
glaubt, Philo habe zweierlei Mittelwesen angenommen, persönliche und un- 
persönliche, jene die Engel, diese die Kräfte im engeren Sinn. Diese Ans- 
kunft übersicht nieht allein die Grtinde, welche Philo bestimmen mussten, 
jene. Mittelwesen mugleich ale persönlich und als unpersönlich sn denke, 
sondern sie nimmt es auch mit’seinen unbestreitbaren Aussagen viel zu leicht. 
Denn weit entfernt, diesen Unterschied persönlicher und unpersönlicher Kräfte 
irgendwo anzudeuten, behandelt Philo vielmehr die gleichen Wesen nicht 
seiten in einer und derselben Stelle bald wie persönliche, bald wie unper- 
sönliche. Nachdem er r. B. De conf. lingu. 845, Β (481) von den Kräften 
gesprochen hat, aus denen der νοητὸς κόσμος bestehe, τὸ τοῦ φαινομένου τοῦδε 
ἀρχέτυπον, ἰδέαις δοράτοις συσταθοὶς, setzt er gleich darauf an die Btelle der 
seiben die Seuleu im Himmel und in der Luft, welche Engel genannt werden; 
die gleichen heissen aber auch δονάμεις. Achnlich in anderen vom den obes 
angeführten Stellen. K. hilft sich in solchen Fällen mit der Annahme, dass 
Philo die beiden Klassen von Mittelwesen im Verlauf seiner Darstellung ver 
wechslo (8. a. O. 195'f. 254 f.). Philo, sagt er, unterscheide die Kräfte von 
den Engeln im allgemeinen genau, nur halte er diesen Unterschied im gege- 
benen Falle nicht immer fest. In der Wirklichkeit steht es aber vielmehr so, 
dass Philo zwar die Identität der Ideen und Kräfte mit den Engeln in mehr 
als Einer Stelle unverkennbar voraussetst, ihren Unterschied dagegen nir- 
gends andeutet; erst sein Bearbeiter ist es, welcher denselben aus der Unver- 
einbarkeit der Prädikate erschliesst, welche den Kräften in den verschiedenen 
Besiehungen, in denen sie vorkommen, gegeben werden. Allein dieser Behluss 
wäre natürlich nur dann zulässig, wena sich erweisen liesse, dass Philo selbst 
sich dieser Unvereinbarkeit bewusst gewesen sei. Da dieser Beweis nicht zu 
führen ist, mfissen wir vielmehr umgekehrt schliessen : wenn Philo die Kräfte 
in dem gleichen Zusammenhang bald als persönliche Wesen, bald als Ideen 
oder göttliche Kräfte und Eigenschaften behandelt, so kann er sich die Un- 
vereinbarkeit dieser beiden Darstellungsweisen noch nicht klar gemacht ha- 
ben; und Kerzasteın würde biegegen um so weniger einwenden können, da 
in Betreff des Logos doch auch er zugiebt, dass dem gleichen Rubjekt von 
Philn bald persönliche bald unpersönliche Prädikate gegeben werden. 

3) Leg. alleg. 47, A (51): τείνοντος τοῦ θεοῦ τὴν ἀφ᾽ ἑαυτοῦ δόναμιν διὰ τοῦ 


Die göttlichen Kräfte ihre Entstehung. Θ᾽ 


ex bezeichnet. die einzelnen Kräfte als Ihaile der umimssenderen 
oder der Gesammtheit !), er vergleicht ihre Mitikeilung an die 
Welt einer. Ausströmung ?). Diess würde, buchstäblich gememmen, 
allerdings auf eine emanatistische Vorsiellung über die Entstehung 
der Kräfte hinweisen; und in demselben Sinn konnte die Beizach- 
tung Gottes als des Urlichts, welche Philo sehr geläufig ist?), 
benützt werden. Aber doch bedient er aelbst sich dieser Idee nir- 
gends, um die Entstehung der Kräfte zu erklären: er redet wohl 
von der Einstrakluug der. Gottheit. in die menschliche Seele*), er 
ἰὼ die Kräfte, welohe Gott umgeben, das hellste Licht ausstrah- 
lea’); aber er sagt nicht, dass gerade in der Lichtnatur Gottes der 
Grund für das. Ausfliessen der Kräfte liege, er scheint sich über- 
kanpı. die,Notkwendigkeit einer näheren Bestimmung über die Art 


—— 


μέσου πνεύματος ἄχρι τοῦ ὁποχειμένου. Post. Cain. 229 M.: Gott erfüllt alles 
διὰ δονάμεως ἄχρι περάτων τείνας. Mut. nom. 1048, E. 582 M: τῶν δὲ δυνάμεων 
ἐς ἔτνεν εἰς γένεσιν. Conf. lingu. 889, Ε (426) : τὰς δυνάμεις αὑτοῦ διὰ γῆς καὶ 
ὕδατος ἀέρος τε za οὐρανοῦ τείνας μέρος, οὐδὲν ἔρημον ἀπολέλοιπε τοῦ χόσμον ἂν ἂν 
δι, Vgl. qu. det. pat- ins, 172, A. 309 M,, wo es von der mansehlichen Seele 
(der ja aber die Engel oder Kräfte gleichartig siud), heisst, sie sei ein ἀπόσ- 
Κασμα οὗ διαιρετὸν der Gottheit; τέμνεται γὰρ οὐδὲν τοῦ θείου κατ᾽ ἀπάρτησιν, ἀλλὰ 
βόνον ἐχτείνεται. Mit τείνειν bezeichnet Philo auch die Ausstrahlung des Lichts 
(Qu. De. 68. immut. 805, A. 284 M.), und die göttliche Selbstoffenbarung (τὰς 
ἀφ αὐτοῦ τείνων φαντασίας De semn. 576, A. 581 M.). | 

1) Lalleg. 1108, B (82); ἧ σοφία τοῦ Baob..,, ἣν ἀχρᾷν nei πρωτίσεην ἔτε- 
μὲν ἀχὺ τῶν ἑαυτοῦ δυνάμεων. De sacrif, Abel, 158, C. 189 M (swei τμήματα 
der δύναμις γομοθετιχή). 

4) De prof. 479, Β (675): Gott sei die πρεσβυτάτη πηγή᾽ τὸν γὰρ ξύμπαντα 
τοῦτον χύσμον ὥμβρησε. Ebenso L. alleg. 1088, Ο. 688 M. Dagegen gehören 
die emanationes sapienkias qu..in Gen. II, 46 sg wenig hiober; als die gleiche 
Darstellung De prof. 477, E. 574 M., denn sie besioben sich auf die Birimu 
der Weisheit, welche in die Menschenseele überfliessen. 

8) De somn. 576, E. 832 M.: 5 θεὸς φῶς ἐστι, ... χαὶ οὐ μόνον φῶς ἀλλὰ 
nal παντὸς ἑτέρου φωτὸς ἀρχέτυπον, μᾶλλον δὲ ἀρχετύπου πρεσβύτερον καὶ ἀνώτερον. 
De ekriet. 246, C (364): wein das unkörperliche Licht des göttichen Wesens Ὁ 
der doele eBigegenstrahlt, vormag sie, gehlendet, nichts anderes zu schauen, 
Acbnlich Qu. Ὁ. ὁ. immut. 804, E. 284 M. De przm. et poen. 916, A. 414 M. 
De earit. 714, E. 408 M., wo Gott der νοητὸς ἥλιος genannt wird. Dass er in 
der Btelle Qu. D. α. immut. 300, A. 279, M. ἧ τοῦ φωτὸς φύσις heisse (Däunz 
1,274) ist nieht richtig, diese Worte gehen nicht auf Gott. 

4) De somn. 582, E. 637 M. und oft. 

6) Qu. D. s. immaut, 804, E. 284 M. 


1} Ä Philo. 


ihrer Entstehumg noch :nicht klar getnacht zu haben. Ebensowenig 
dient die Annahme einer Emanation der Unvollkommenheit des 
abgeleiteten Seins zur Erklärung; es wird zwar vorausgesetzt, dass 
das abgeleitete unvollkommener sei, und dass diese Unvollkommen- 
heit mit der Entfernung vom Urgrund gleichen Schritt halte); 
aber diese Voraussetzung ist gar kein unterscheidendes Merkmal 
der Emanationslehre, denn sie wird auch von solchen Systemen 
getbeilt, die einen ganz entgegengesetzten Charakter haben, wie 
2. B. das aristotelische, was dagegen allein die Emanationslehre 


charakterisirt, die Begründung jener Voraussetzung durch die 


natürliche Abschwächung der Ausflüsse, das tritt bei Philo gar 
nicht bestimmt hervor. Wir sind daher nicht berechtigt, die Ema- 
nation der Kräfte aus der Gottheit Philo als seine bestimmrile 
dogmatische Ansicht beizulegen; was vielmehr bei ihm auf diese 
Annahme hinführen würde, ist am Ende doch nur die bildliche 
Bezeichnung eines Vorgangs, über den er selbst sich keine ge- 
nauere Vorstellung gebildet hat. Noch weniger‘ dürfen wir seine 
ganze Lehre über die Kräfte von orientalischen Emanationssystemes 
ableiten, von denen man bis jetzt mehr nur vorausgesetzt als 
bewiesen hat, dass sie in jener Zeit nicht blos überhaupt vorhanden, 
sondern auch in dem alexandrinischen Bildungskreise bekannt 
waren. Die Vergleichung der Gottheit mit dem Lichte ist allen 
orientalischen Völkern und auch schon dem alten Testament 
geläufig 5); derselben Vergleichung bedient sich Plato in der be- 
rühmten Stelle der Republik über das Gute, auf welche Philo in 
mehreren seiner hergehörigen Aeusserungen offenbar Rücksicht 
nimmt; eben dieser schildert im Timäus die Ausbreitung der Welt- 
seele durch’s Universum in ganz ähnlichen Ausdrücken, wie Philo 
die der göttlichen Kräfte; noch unmittelbarer erinnert aber der 
letztere an die stoische Vorstellung von der Verzweigung der pneu- 
matischen Grundkraft in ihre Theilkräfte, die sich ganz wie bei 
Philo als geistige Strömungen, alle Dinge tragend, ordnend und 
zusammenhaltend, durch’s Weltganze verbreiten. Selbst der Name 


1) Wie diess aus dem Ganzen der folgenden Darstellung erhellen wird. 
2) Noch weiter war sie schon vor Philo, in der jüdischen Vorstellung 
von der Schechinab oder der Lichtwolke entwickelt, in welcher Jehovah un- 


. nmahbar thronen sollte. 


\ 


- 


Die göttlichen Kräfte. 891 


der Emanstion (ἀπόῤῥοια. ist unter den griechischen Philosophen 
 zwerst von den Stoikern gebraucht worden, namentlich um das 
Verhältniss der menschlichen Seelen zum göttlichen Geist zu 
bezeichnen ἢ; und wenn Philo allerdings jene materialistische 
Vorstellurfg von der Gottheit und ihren Kräften, welche den Stoi- 
kern eigen war, nicht theilt, so lässt sich doch der Begriff der Ema- 
nation selbst sirenggenommen ohne Uiesen Materialismus nicht voll- 
ziehen, und dass sich auch Philo von demselben nicht ganz frei 
hielt, werden wir bei Gelegenheit seiner Ansichten über das We- 
sen der Seele noch finden. Jedenfalls ist durch jene Abweichung 
von der stoischen Lehre eine durchgreifende Benützung ihrer 
anderweitigen Bestimmungen nicht ausgeschlossen. Ich glaube 
daher nicht, dass eine Veranlassung vorliegt, für die philonische 
Lehre von der Entstehung der göttlichen Kräfte ausser den sonst ᾿ 
bekannten Quellen seines Systems noch andere, geschichtlich 
unerweisbare, aufzusuchen ?). 

Jener Kräfte sind es nun an sich unendlich viele, und ein 
bestimmmtes Maass für ihre Zählung lässt sich nicht aufstellen, da sich 
bei dem eigenthümlich schwankenden Verhältniss der Kräfte zu 
einander jede göttliche Wirkung ebensogut auf eine besondere 
Kraft zurückführen liess, wie es andererseits möglich war, viele 
Wirkungen von einer und derselben Kraft abzuleiten, und viele 
Kräfte zu Einer höheren Kraft zusammmenzufassen. Man darf 
daher den Aufzählungen der Hauptkräfte, welche sich bei Philo da 
und dort finden °), kein grosses Gewicht beilegen. Nur Eine Ein- 
theilung derselben wiederholt er zu beharrlich, 418 dass wir ihre 
Bedeutung für sein System bestreiten könnten. Dem Einen wahr- 
haft wirklichen Gott, sagt er*), wohnen zwei oberste Kräfte bei, 


— 


1) Aebnlich ἀπόσπασμα, das Philo gleichfalls für das Verhältnies der 
menschlichen Seele zur Gottheit gebraucht (s. ο. 818, 2; weiteres später). 

2) Noch weniger Beweiskraft kann ich, schon nach unserer früheren 
Brörterung, dem Umstand beilegen, dass sich die Emanationslehre auch im 
Bueh der Weisheit finde (Gwsösze I, 164), denn die Stelle, worin dieses die 
Weisbeit als Ausfluss der Gottheit beschreibt (7, 22 ff.), trägt fast noch deut- 
licher, als die philonischen, das Gepräge der stoischen Vorstellungsweise. 

8) Die Hauptstelle ist De profug. 464, B. 560 M., wo mit Einschluss des 
Logos sechs Kräfte gesählt werden; weiter vgl.m. Leg. ad Caj. 993, A. 546 M. 
Qu. in Ex. II, 68. 

“ 4) De Cherab. 113,D. 144M. Qu. in Gen. I, 57. IV, 2. in Exod. 11,62. 68. 
Philos. A. Gr. TIT. Bd. 2. Abth. 21 


BR Philo. 


die Güte und die Macht. Durch seine Gäte hat er alles geschaffen, 
durch seine Macht beherrscht er alles. Das dritte aber, was beide 
vereinigt und vermittelt, ist der Logos, denn durch seinen Lages 
ist Gott sowohl Herrscher, als gut. Die Güte wird mit dem Namen 
θεὸς, die Macht mit κύριος bezeichnet, jene heisst auch die schöpfe- 
rische, die wohlthätige, die gnadenreiche, die erbarmende, diese die 
königliche, die gesetzgebende, die strafende Kraft. Ueber das Ver- 
hältniss beider zum Logos äussert sich Phile nicht gleichmässig. 
Nach der gewöhnlicheren Darstellung 1) steht Gott selbst unmitiel- 
bar zwischen den zwei Grundkräften in der Mitte, so dass der 
Logos nur als das gemeinsame Produkt von diesen beiden zu be- ᾿ 
trachten wäre”); dagegen heisst es anderwärts auch wieder, der 
Logos sei im Vergleich mit den zwei Kräften das höhere, und wer 
den Logos nicht zu erfassen vermöge, der solle sich an die 
schöpferische , oder wenigstens an die königliche Kraft halten 5}. 
Man sieht auch aus diesem Schwanken, dass sich Philo noch keine 
feste Theorie über die Abfolge der göttlichen Kräfte gebildet hat; 
in einem System, wie das plotinische, wäre diese Unsicherheit 
nicht möglich. 

Wie es sich nun aber hiemit verhalten mag, ob man den Legos 
als die Wurzel oder als das Erzeugniss der beiden Grundkräfie 
betrachte: für uns ist jedenfalls dieser weit die wichtigste von 
allen Kräften, denn in ihm fassen sich alle Wirkungen Gottes zur 
Einheit zusammen, er ist. der allgemeinste Vermittler zwischen 
Gott und der Welt). Unter dem Logos versteht Philo die Kraft 
Gottes oder die wirksame göttliche Vernunft überbaupt; er bezeich- 


De prof. a. a. O. De Abr. 867, B. 19 M. Sacrif. Abel. 189, A (178). Plantat. 
N. 226, B, f. (842). V. Mos. 668, E f. 150 M. Leg. alleg. 58, B. 74, B (68. 101). 
Qu. D. s. immut. 809, B (289). Mut. nom. 1046, E (681). De somm. 589, C 
(645). De vict. offer. 854, C (258) u. 5. Vgl. 8. 811. 

1) Z. B. Qu. in Gen. IV, 2. De Abr. a. a. O. De sacrif. Abel. e. =. 0. 

4) Wie diess De Cherub. a. a. O. offenbar geschieht, wenn der Logos der 
μέσος συναγωγὸς der Güte und Macht genannt wird, und in der Btelle Gen. ὃ, 
24 die Cherubim auf die ΘΟ und Macht gedeutet werden, das feurige 
Schwerdt auf den λόγος. 

8) Qu. in Exod. II, 68. De profug. a. a. O. vgl. Qu. rer. ἃ. her. 503, E 
(496), wo der Logos als τομεὺς die beiden Kräfte scheidet. 

4) Zum folgenden ist ausser den 8. 298, 1 angeführten Schriften auch 
Lüczz Commentar üb. ἃ. Evang. ἃ. Job. 8, A. 8. 278 f£. su vergleichen. 


Der Logos. 833 


nelähn als die Idee, welche alle andern Ideen, die Kraft, welche 
alle andern Kräfte in sich begreift, als das Ganze der übersinn- 
lichen Welt oder der göttlichen Kräfte!). Auf den Logos werden 
daher alle die Bestimmungen, welche von diesen Kräften überhaupt 
gelten, im höchsten Maass übertragen. Er ist in allen Beziehun- 
gen der Vermittler zwischen Gott und der Welt, der an der Grenze 
beider stehend, sie zugleich scheidet und verbindet, weder unge- 
schaffen, wie Gott, noch geschaffen nach, Art der endlichen 
Dinge”); er ist der Stellvertreter und Gesandte Gottes, welcher 
dessen Befehle der Welt überbringt®), der Dolmetscher, welcher 
ihr seinen Willen auslegt*), der Statthalter, welcher ihn vollzieht°); 
er ist der Engel, oder richtiger der Erzengel, welcher an uns Men- 
scher die Offenbarungen und Wirkungen Gottes übermittelt, deren 
Fülle wir nicht fassen und tragen könnten, wenn sie uns unmittel- 
ber zukämen ®), das Werkzeug, durch welches Gott die ganze Welt 


1) Mund. opif. 5, Bf.(7), wo der λόγος θεοῦ ἤδη χοσμοποιοῦντος für identisch 
mit dem νοητὸς xdap.og, dem ἀρχέτυπον παράδειγμα, der ἰδέα ἰδεῶν erklärt wird; 
L. alleg. 48, E. 47 M.: der Logos ist das Bucb Gottes, in welches die Wesen- 
beiten (Ideen) aller Dinge verzeichnet sind; De profug. 464, B (660): der L. 
ist die Metropolia, deren Pflanzstädte die übrigen Kräfte sind, das Bubjekt, 
dem sie zukommen. Daber L. alleg. 98, B (121 f.) vgl. ebd. 1108, B (82). 
Qu. det. pot. 176, E (214): der L. ist γενιχώτατος τῶν ὅσα γέγονε, (und dess- 
halb wird das Manna auf ihn gedeutet, weil es nämlich vom Manna Ex. 16,15 
heisst: τί ἐστι τοῦτο, das “ὦ aber nach Chrysippus das γενιχώτατον ist, vgl. 
1. Abth. 83, 4); von ihm werden seine Theile unterschieden, bei denen wir an 
tichts anders denken können, als an die nachher genannten λόγοι und ἄγγελοι. 

3) Qu. rer. div. her. 509, Bf. (501 f.), wo unter adderem: ἵνα μεθόριος 
στὰς τὸ γενόμενον διαχρίνῃ τοῦ πεποιηχότος .... οὔτε ἀγέννητος ὡς ὃ θεὸς ὧν, οὔτε 
years ὡς ἡμεῖς, ἀλλὰ μέσος τῶν ἄχρων,͵ ἀμφοτέροις ὁμηρεύων u. 6. w. Qu. in 
Ex. 11,68 Anf. u. ὅ. Als der Mittler heisst der L. auch διαθήχη somn. 1188, D. 
1140, D (688. 690). 

3) Πρεαβευτὴς τοῦ ἡγεμόνος πρὸς τὸ ὅπήχωον Qu. rer. div. b. 8. ἃ. Ο. 

4) ἙἭ,ρμηνεὺς L. alleg. 99, D. 128 M. (für den Logos als das Wort sehr 
nahe gelegt); in demselben Sinn heisst der L. ὁποφήτης θεοῦ Mut. nom. 1047, 
B (581), ὄνομα θεοῦ (Conf. lingu. 841, B. 427 M. L. alleg. a. a. O.), εἰκὼν θεοῦ 
(5. 8. 825, 1). 

δ) Ὕχαρχος De agricult. 195, B. 808 M. ἐξάρχων Conf. lingu. 828, E 
(418). 

. 6) L. alleg. 93, Ὁ. 122 M. Conf. lingu. 841, B. 427 M. De somp. 600, D. 
656 M. Qu. rer. div. b. a. a. O. Qu. in Exod. II, 18. In dieser Eigenschaft ist 
der Logos namentlich auch das Sabjekt, der vermeintlichen Theophanieen; 
Da aamn. a. a. 0. 

21* 


334 | Philo. 


geschaffen hat!); ebenso ist er aber auch der Vertreter der Welt 
in ihrem Verhältniss zur Gottheit, der Hohepriester*), welcher Für- 
bitte für sie einlegt®), welcher in seinem heiligen Gewande das 
Sinnliche mit dem Uebersinnlichen, die buntfarbige Bedeckung der 
unteren Theile mit dem goldenen Hauptschmuck, der Idee der Ideen, 
dem unsinnlichen Urbild der Welt vereinigt?). 

In dem Verhältniss des Logos zur Gottheit wiederholt sich die 
Zweideutigkeit, von welcher der Begriff der göttlichen Kräfte über- 
haupt gedrückt wird. Der Logos erscheint auf der einen Seite als 
eine Eigenschaft Gottes, als identisch mit der göttlichen Weisheit 5); 


1) L. alleg. 79, A. 106 M. De Cherub. 129, C. 162 M. migr. Abr. 889, C 
(437), wo der Logos dem Steuer des Weltalls verglichen wird. De monarch. 
828, B. 225 M. 

2) De gigant. 291, A. 269 M. migr. Abr. 404, A. 452 M. De profug. 
466, B (562). 

8) Daher ἱκέτης Qu. rer. div. h. a. a. O. παράχλητος V. Mos. 678, C. 155 M. 
In der letztern Stelle unter dem vollkommenen Sohn Gottes, welcher der 
παράχλ. ist, die Welt zu verstehen (Kerxzesteın Philo’s Lehre v. ἃ. göttl. 
Mittelw. 104) ist unzulässig; dagegen wird allerdings Migr. Abr. 406, Εἰ 455 M. 
der ἱχέτης λόγος zwar nicht mit Kererstein a. a. O. 108 als Umschreibung des 
einfachen !xdrng, wohl aber in der Bedeutung „das an Gott gerichtete Wort 
des Fiehens*“ zu fassen sein. 

4) Migr. Abr. 404, A (452); vgl. 8. 828, 5. 

5) Leg. alleg. 52, B. 56M: &x τῆς ᾿Εδὲμ τοῦ θεοῦ σοφίας. ἢ δέ ἐστιν ὁ θεοῦ λό- 
γος. Die gleiche Stellung hat der Logos in der 8.316, 8 besprochenen Stelle De 
m. opif., und ebenso tritt De ebriet. 244 C (861) u. δ. (IL. alleg. 1096, B. 75M. 
Qu. det. μοὶ. insid. 165, B. 201 M.) die Weisheit an die Stelle des Logos, in- 
(dem sie als die Mutter dargestellt wird, mit welcher Gott die Welt als seinen 
sichtbaren Bohn gezeugt habe. Bo wird sie auch (mit Beziehung auf Pror. 
8, 22) hier und sonst (8. ο. 319, 1) als das älteste Geschöpf Gottes bezeichnet, 
was sie eben nur dann sein kann, wenn sie von dem Logos, welcher genau 
dasselbe Prädikat erhält, nicht verschieden ist; statt der θεία οοφία, welche 
Philo (Qu. rer. div. ἢ. 498, D. 490, M) in der Turteltaube Gen. 15, 9 ange- 
deutet findet, steht nachher (518, B. 506 M.) der θέΐος λόγος; wie der Logos, 
so heisst auch die Weisheit das Haus Gotten (s. u. 825, 8); in der Deutung 
des Manna (vgl. 328, 1) steht De prof. 470, A. 566 M. zuerst θέϊος λόγος͵ dann 
αἰθέριος σοφία; wie es vom Logos als τομεὺς heisst, dass er das entgegenge- 
setzte in der Welt scheide (s. u. 828, 9), so nennt Philo De prof. 479, A (575) 
die σοφία die χρίσις τῶν ὅλων, Ti πᾶσαι ἐναντιότητες διαζεύγνυνται, und wenn Leg. 
all. 52, A (56) die σοφία θεοῦ als die Quelle der vier Hanpttugenden bezeichnet 
wird, steht post. Ca. 250 M. De somn. 1141, B (690) statt derselben der Adkx 
λόγος. (Vgl. Greöree I, 218 ff). Diese Stellen, sowie die B. 823 angeführten 


Der Logos: sein Verhältniss zu Gott, 385 


andererseits wird er aber auch wieder als ein besonderes Wesen 
neben Gott beschrieben, er heisst das Bild 1), der Schatten®), die 
Wohnstätte 5) Gottes, er wird im Unterschied von dem schlechthin 
unerfassbaren Gott als erkennbar dargestellt‘), im Unterschied von ἡ 
dem ungewordenen unter das Gewordene gerechnet°), -und auch 
von der göttlichen Weisheit, als seiner Mutter unterschieden °); 


‚über daa Verhältniss des Logos zur Güte und Macht Gottes, scheint mir Baur 
(die Lehre van der Dreieinigkeit I, 69 f., ähnlich Steinnaet in Pauly’s Real- 
encyklop. V, 1506, welcher der Weisheit noch den νοῦς beifügt), zu wenig 
beachtet zu haben, wenn er die Weisheit von dem Logos so unterschieden 
wissen will, dass jene der Gottheit immanent die beiden Grundkräfte der Güte 
und Macht unter sich habe, dieser auf der zweiten Stnfe dieselbe Einheit der 
göttlichen Kräfte in ihrer Wirkung auf die Welt darstelle. Eine solche Com- 
binstion würde sich an sich sehr empfehlen, aber wenn Philo selbst sie vorge- 
nommen hätte, könnte er den Logos und die Weisheit nicht so unmittelbar . 
gleich setzen. 

1) Qu. rer. div. ἃ. 512, Ὁ. 505, M. De monarch. 828, B (226). Conf. lingu. 
341, C. 427 M. u. ὃ. | 

2) L. alleg. 79, 4, E (106 ἢ) 

3) Migr. Ahr. 889, B (487): Wie der Gedanke des Menschen im Worte 
wohnt, so sagt Moses τὸν τῶν ὅλων νοῦν τὸν θεὸν olxov ἔχειν τὸν ἑαυτοῦ λόγον. 
Congr. qu. erud. gr. 441, A (586): die Weisheit sei das βασίλειον, der οἶχος 
νοητὸς Gottes. 

4) De somn. 575, B (630): Gen. 22, 3 f. (καὶ ἦλθεν ἐπὶ τὸν τόπον ... καὶ 
ἀναβλέψας... εἶδε τὸν τόπον μαχρόθεν) köune mit dem ersten τόπος nicht das 
gleiche gemeint sein, wie mit dem zweiten; jenes sei der Logos, dieses ὃ πρὸ 
(wie mit mehreren Handschriften statt περὶ zu lesen ist) τοῦ λόγου θεὸς, und 
der Zögling der Weisheit (Abraham) komme nur zu dem delos λόγος, dv ᾧ γενό- 
μενος οὐ φθάνει πρὸς τὸν κατὰ τὸ εἶναι θεὸν ἐλθέϊν, ἀλλ᾽ αὐτὸν ὁρᾷ μακχρόθεν͵ μᾶλ- 
λον δὲ οὐδὲ πόῤῥωθεν αὐτὸν ἐχέϊνον θεωρέϊν ἱχανός ἐστιν u. 5. w. Noch besser aber 
srkläce man: ἦλθεν εἰς τὸν τόπον καὶ... εἶδεν αὐτὸν τὸν τόπον, εἷς ὃν ἦλθεν (ἃ. h. 
den Logos), μακρὰν ὄντα τοῦ ἀχατονομάστου καὶ ἀῤῥήτου χαὶ χατὰ πάσας ἰδέας ἀκα- 
ταλήπτου θεοῦ. 

δ) L. alleg. 98, Β (121): πρεσβύτατος καὶ γενιχώτατος τῶν ὅσα γέγονε. Ebd. 
99, Ὁ (124): Moses gebietet, beim Namen Gottes, nicht bei Gott selbst, zu 
schwören; ἰκανὸν γὰρ τῷ γεννητῷ πιστοῦσθαι χαὶ μαρτυρέϊσθαι λόγῳ θείῳ. Migr. 
Abr. 880, Ο (487): ὃ λόγος ὃ πρεσβύτερος τῶν γένεσιν εληφότων. Auch in der 
ὃ, 838, %-angeführten Stelle der Schrift qu. rer. div. h. wird nicht geläugnet, 
dass der Logos geschaffen, sondern nur, dass er γεννητὸς ὡς ἡμεῖς sei; wo- 
Segen os allerdings strenggenommen mit seinem Geschaffensein streitet, dass 
εἰ Conf. lingu. 341, C die ἀΐδιος εἰκὼν Glottes heisst. 

6) De profug. 466, B. 562, M. Aechnlich De somn. 1141, B (690), wo 
der-Logos aus der σοφία als seiner Quelle entspringt. 


336 Philo. 


weil er aber das erste und höchste von allen Werken Gottes ist, so 
wird er hinsichtlich seiner Entstehung allen andern Geschöpfen est- 
gegengesetzt!), und ohne dass genauer angegeben wäre, wie wir 
sie uns zu denken haben, wird er vor jenen als der ersigeborene 
Sohn Gottes ausgezeichnet ?); ja selbst der Gottesname wird ihm 
beigelegt”), zugleich aber auch seine Unterordnung unter den 
höchsten Gott dadurch gewahrt, dass er Gott im uneigentlichen 
Sinn, oder der zweite Gott genannt wird“). Wir haben kein Recht, 
den Widerspruch dieser Aeusserungen durch die Annahme eines 
doppelten Logos, oder einer zwiefachen Existenzform des Logos zu 
beseitigen, derjenigen, worin er dem göttlichen Wesen als Kraft 
oder Eigenschaft inwohnte, und derjenigen, in welche er bei seinem 
selbständigen Hervortreten aus dem göttlichen Wesen eingieng, 
des λόγος ἐνδιάθετος und προφορικός. Philo selbst bedient sich dieser 


1) Vgl. 8. 828, 2. 

3) Conf. lingu. 841, B (427): τὸν πρωτόγονον αὐτοῦ λόγον τὸν ἄγγελον 
[-QAav?] πρεσβύτατον. Aehnlich De agricult. 195, B. 808 M. vgl. V. Mos. 678,0 
155 M. (τελειοτάτῳ υἱῷ). „Sohn Gottes* allein würde diese Auszeichnung noch 
nicht enthalten, da Gott der Vater von allem ist, und alle Menschen Söhne 
Gottes sein sollen; 8. Conf. lingu. 841, A u. a. St. Philo nennt desshalb den 
L. den älteren, die Welt den jüngeren Sohn Gottes Qu. D. s. immut. 298, 
A. 277 M. vgl. De prof. 466, C: ὁ πρεσβύτατος τοῦ ὄντος λόγος. 

8) L. alleg. 99, D (128): οὗτος γὰρ ἡμῶν τῶν ἀτελῶν ἂν εἴη θεός. 

4) De somn. 599, Β (655), wo zu Gen. 81, 13 (ἐγώ εἶμι δ θεὸς ὁ ὀφθείς σοι 
ἐν τόπῳ θεοῦ) bemerkt wird: ὁ μὲν ἀληθείᾳ θεὸς εἷς ἐστιν, οἱ δ᾽ ἐν καταχρήσει γενό- 
μενοι πλείους. διὸ καὶ ὁ ἱερὸς λόγος “ἐν τῷ παρόντι τὸν μὲν ἀληθείᾳ διὰ τοῦ ἄρθρου 
μεμήνυκεν, ... τὸν δὲ ἐν καταχρήσει χωρὶς ἄρθρου ... καλεῖ δὲ θεὸν τὸν πρεσβύτατον 
αὐτοῦ νυνὶ λόγον, οὐ δεισιδαιμονῶν περὶ τὴν θέσιν τῶν ὀνομάτων, ἀλλ᾽ ἕν τέλος προ- 
τεθειμένος, πραγματολογῆσαι, denn ein κύριον ὄνομα komme dem ὧν überhaupt 
nicht su, jeder Name, der ihm beigelegt wird, sei ein uneigentlicher. Hier 
ist nun freilich die Lesart streitig; ein Theil der Handschriften liest: καλεῖ δὲ 
θεὸν, ein anderer: χαλεῖ δὲ τὸν θεὸν. Der Zusammenhang entscheidet jedoch 
für die erste Lesart, denn nur sie passt zu der Behauptung, dass in der hier 
besprochenen Stelle (ἐν τῷ παρόντι) der Gott im uneigentlichen Sinn durch das 
Fehlen des Artikels von Gott im eigentlichen Sinn unterschieden werde. Noch 
bestimmter erklärt sich Fragm. 8. 627, bei Eus. pr. ev. VII, 18, 1: Διὰ τί ὡς 
za ἱτέρον φησὶ (Gen. 1, 27) τό" ἐν elxövı θεοῦ ἐποίησα [- ae} τὸν ἄνθρωκον, ἀλλ' 
οὐχὶ τῇ ἑαυτοῦ; Weil, ist die Antwort, θνητὸν οὐδὲν ἀπεικονισθῆναι πρὸς τὸν ἀνὼω- 
τάτω χαὶ πατέρα τῶν ὅλων ἐδύνατο, ἀλλὰ πρὸς τὸν δεύτερον θεὸν, ὅς ἐστιν ἐχείνον 
λόγος... τῷ δὲ ὑπὲρ τὸν λόγον ἐν τῇ βελτίστη καί τινι ἔξαιρέτῳ καθεστῶτι ἰδέᾳ οὐδὲν 
θέμις ἦν γεννητὸν ἐξομοιοῦσθαι. 


Der Logos: sein Verhältniss zu Gott, 89} 


Unierscheidung niemals. So geläufig es ihm auch ist, das Verhält- ' 


niss der menschlichen Rede zum Gedenken mit jenen stoischen 
Ausdrücken zu bezeichnen !), so sagt er doch »irgends, es sei in 
Gott oder im göttlichen Logos dieses beides zu unterscheiden; er 
bemerkt zwar einmal beiläufig, wie im Menschen ein doppelter 
Logos sei, der ἐνδιάθοτος und der προφοριχὸς, so sei im Universum 
gleichfalls ein doppelter Logos, derjenige, welcher sich in der 
übersmnlichen, und der, welcher sich in der Erscheinungswelt dar- 
stellt ?); aber diese. Unterscheidung hat mit der vorhin berührten 5) 
gar nichts zu schaffen, denn auch die Darstellung des Logos in 
der übersinnlichen Welt würde bereits dem aus Gott hervorgetre- 
tenen Logos, dem später 50 genannten λόγος προφοριχὸς angehören; 
die angeführte Stelle spricht mithin überhaupt nicht wirklich von 
einem doppelten Logos, sondern nur von.einer doppelten Offen- 
barung des Logos. Ebensowenig darf man das Verhältniss der 
Weisheit zum Logos mit dem des λόγος ἐνδιάθετος und προφοριχὸς 
identifieiren, denn gerade sofern der Logos im menschlichen Geiste 
wirksam ist, wird er für dasselbe erklärt, wie die Weisheit‘), in 
dieser seiner Wirksamkeit ist er aber der λόγος προφοριχός. Noth- 
wendig hätte auch Philo, wenn er wirklich eine doppelte Existenz- 
weise des Logos annahm, den Uebergang von dem einen Zustand 
in den andern irgendwie berühren müssen, aber auch diess 
geschieht nirgends. Es bleibt daher nur übrig, den obenberührten 
Widerspruch als thatsächlich vorhanden anzuerkennen; kinsicht- 
lich seiner Erklärung mag auf unsere früheren Bemerkangen über 
die göttlichen Kräfte verwiesen werden. 

Zu der Welt verhält sich der Logos theils wie das Urbild zum 
Abbild, theils wie dieKraft zur Erscheinung. Wie Gott sein Urbild 


1) Z. B. De jad. 720, E. 847 M. Qu. det. pot. insid. 172, B. 178, Ο (209. 
818. De Gigant. 291, B. 270 M. De Abr. 861, E. 18 M. Conf. lingu. 828, A 
(412), Dase die Unterscheidung des A. dvd. und pop. ursprünglich dem 
seischen Sprachgebrauch angehört, habe ich 1. Abth. 61, 1 nachgewiesen. 
Graöaue's Meinnng (I, 178), diese Unterscheidung sei erst vom göttlichen 
Logos auf den menschliehen übergetragen, erledigt sich hiernach von selbst. 

3) V. Mos. 692, Ο. 154 M. Der ἐνδιάθετος υἷος θεοῦ Mut. nom. 1065, A 
(596) goht nicht φαΐ den Logos. 

8) Der sie noch Kurzratzın a. a. Ὁ. 86 gleichstellen will. 

4) In der ὃ. 324, 5 berührten Stelle IL alleg. 58, .Β. 


4 


3x8 Philo. 


ist, so ist er selbst das Muster und das Maass für alle anderen 
Dinge !), die Idee, nach der sie gebildet sind, das Sigel, dessen 
Abdruck alle Formen in der Welt sind“), und mit dem mensch- 
lichen Geist insbesondere steht er als Urbild desselben®) in 
einer so nahen Verwandtschaft, dass er auch geradezu der Ur- 
mensch genannt wird*). -Dieses Urbild der Welt haben wir uns 
aber zugleich als ihre Seele, als die sie von innen bewegende 
Kraft zu denken: der Logos zieht die Welt an, wie ein Gewand’), er 
ist das Band, welches ihre Theile verknüpft‘), das ewige Gesetz Got- 
tes, welches von einem Ende der Welt zum andern ausgespannt ist, 
welches sie trägt, bewegt und zusammenhält’), die künstlerisch 
bildende und lebendig besamende Veernunft®), das scharfe Werk- 
zeug), mit dem Gott nicht allein die körperlichen Dinge bis in 
ihre Urbestandtheile scheidet, sondern auch auf geistigem Gebiete 
vernünftiges und vernunftloses , wahres und falsches, begreifliches 
und unbegreifliches unterscheidet. Der Logos vereinigt auch m 
dieser Beziehung alle die Eigenschaften, welche Philo den gött- 
lichen Kräften überhaupt beilegt. 


1) L. alleg. 79, A. 106. M. Qu. in Gen. I, 4. u. ὅ. 

2) De prof. 452, B. 548 M. vgl. Migr. Abr. 404, A f. (452). Mat. nom. 
1065, C (5698). De somn. 1114, B (665) vgl. 8. 828, 1. \ 

8) L. alleg. a. a. Ὁ. Mund. opif. 81 E (88) vgl. 15, A (16). De speo. leg, 
809, C (888) u. ὅ. 

4) Ὁ κατ᾽ εἰκόνα ἄνθρωπος, d. h. der ursprünglich nach dem Bild Gottes 
geschaffene Mensch, Conf. lingu. 341, B (427); ἄνθρωπος θεοῦ ebd, 326, B 
(411). 

δ) De prof. 466, C. 562, M., wo die Bedeutung des Logos, die allge- 
meine oder Weltseele zu sein, anch daraus hervorgeht, dass ihm # ἐπὶ μέρους 
ψυχὴ entgegengestellt wird; vgl. migr. Abr. a. a. Ὁ. 

6) De prof. 466, Ὁ. Qu. rer. div. her. 507, A (499). 

7) De plantat. N. 215, C f. 881 Μ, Ist auch der Logos im dieser Stelle 
nicht ausdrücklich genannt, so erhält doch das Gesetz Gottes in derselben 
die gleichen Prädikate, wie sonst der Logos, es wird, wie dieser, als der 
Sohn Gottes, das Band des Weltgansen, der Vermittler zwischen Gott und 
Welt beschrieben. Den θέζος νόμος hatten ja schon die Stoiker, und vor ihnen 
Heraklit, der Weltvernunft oder dem Logos gleichgesetst. 

8) Qu. rer. div. b. 497, Ο. 489 M.: ὁ διοιγνὺς μήτραν ἑκάστων, des Ver- 
standes, der Rede, der Binne, des Leibes, ἀόρατος καὶ σκερματικὸς καὶ τεχνσιὸς 
καὶ θεῖός ἐστι λόγος. 

9) Τομεὺς a. a. Ο. 499, A (491) vgl. Qu. rer. dir. h. 518, Β (506). 


Der Logos: Verh. sur Welt; Persönlichkeit. 228 


Ob dem Logos eine besondere, von der göttlichen vorschie- 
"dene Persönlichkeit zukomme, ist .eine Frage, welche sich Phile 
allen Anzeichen ger nicht vorgelegt hat, welche. wir daher weder 
einfach zu bejahen‘, noch einfach zu verneinen ein Recht habem. 
Was im allgemeinen über die Persönlichkeit der gößlicken Kräfte 
bemerkt wurde, findet auch hier seine Anwendung. Die Bestim- 
mungen, welche nach den Voraussetzungen unseres Denkens die 
Persönlichkeit des Logos fordern würden, kreuzen sich bei Phil 
mit solchen, die sie unmöglich machen, und das eigeathümliche 
seiner Vorstellungsweise besteht gerade darin, dass er den Wider- 
spruch beider nicht bemerkt, dass der Begriff des Logos: zwischen 
persönlichem und unpersönlichem Sein unklar in der Mitte 
schwebt. Diese Rigenthümlichkeit wird gleich sehr ‚verkaant, wenn 
man den philonischen Logos schlechtweg für eine Person ausser 
Gott hält, und wenn man umgekehrt annimmt, dass er: nur Golt 
unter einer bestimmten Relation, nach der Seite seiner Lebendig- 
keit, bezeichne!). Nach Philo’s Meinung ist er beides, ebendess- 
halb aber keines von beiden ausschliesslich; und dass es unmög- 
lich sei, diese Bestimmungen zu Einem Begriff zu verknüpfen, sieht 
er nicht. Es ist freilich ein Widerspruch, wenn ein von Gott ver- 
sehiedenes Wesen zugleich eine Eigenschaft Gottes, ein persön- 
liches Wesen zugleich eine in allen Theilen der Welt wirkende 
Kraft sein soll. Aber die Frage ist ja nicht die, was an sich und 
nach unsern Begriffen denkbar ist, sondern was Philo auf seinem 
Standpunkt denkbar schien, und wie er sich die Sache gedacht 
kat®); unddarüber lässt er uns nicht imZweifel,. Er beschreibt den 
Logos allerdings, wie die übrigen Kräfte, als eine Eigenschaft Got- 
tes, er sagt mit aller Bestimmtheit, dass er nichts anders sei, als ᾿ 


1) Das erste ist die gewöhnliche Ansicht; die zweite Annahme verthei- 
digt Donner Entwicklungsgeschichte der Lehre von der Person Christi 2. Aufl. 
1. Abth. 8. 21 δ. Nınonze De subsist. τῷ θείῳ λόγῳ ap. Philon. Jud. et Joann. 
apost. tributa (in Illgen’s Ztschr. f. histor. Theol. XIX, 887 ff.) Wourr Die 
philon. Philosophie 20 f. Srzınuarr in Pauly’s Realencykl. V, 1507. 

2) Dieses beides verwechselt Dosssz, wenn er meint (8. 83), falls dem 
Logos eine besondere Persönlichkeit sukäme, müsste sie auch mit allen sei- 
nen Bedeutungen vereinbar sein. Und doch hat or selbst schon 8. 26 bemerkt, 
die Frage nach der Persönlichkeit des Logos liege ganz ausser Philo’s Ge- 
sichtskreis; wenn aber dieses, so kann er auch nicht darüber refloktirt ha-. 
ben, ob sie mit seinen sonstigen Bestimmungen vereinbar ist. 


Bw. PRilo, 


die göttliche Weisheit!) ; er sagt nicht minder bestimmt, dass er 
als’ zusammenbaltende , bildende und beiekende Kraft der Welt 
‘inwolme ?).. Aber ebenso häufig und entschieden schildert er ihn 
„uch als eine eigene Persönlichkeit; und könnte man auch einen 
Theil dieser.Schilderungen als vorübergehende Personißkation auf- 
fassen, so gilt diess doch nicht von allen. Wenn er den Logos den 
ersten der Engel nemnt, so sagt er sellst uns, dass er unter Βαροία 
persönliche Wesen verstehe ὃ); wenn er ikn als Oberpriester für 
die Welt bitten lässt, so konnte diess von einer Eigenschaft oder 
Wirkungsform Gottes selbst bildlich kaum gesagt werden; wenn er 
ihm ‚den Gottesnamen nur im uneigentlichen Sinn zugestehen will, 
ih den zweiten oder Untergott nenni*), so ist diess ein nugen- 
soheittlicher.Beweis seiner Verschiedenheit von dem höchsten Gott; 
und Phile stellt ihn such diesem ausdrücklich entgegen, wie des 
gewordene dem ungewordenen, dasgeringere dem höherem °), und 


1) &. ο. 824, 6. 

2) Vgl. 8. 828. 

8) Vgl. 8. 817, 2, auch Bacorif. Abal. 18,1, ἀ. 164 M. De somn. 688, Ὁ 
(684) wird auch Gott wellsst ἀρχάγγελος (= ἄρχων Kyydkur) genannt; aber 
seäkat in diesem umeigentlicken Sinn könnte dieser Name einer mpersönliehen 
Kraft nicht beigelegt werden. indessen ist es nicht blos der Name, aus dem 
sioh Philo’s Ansicht abnehmen lässt, sondern De somn. 584, Ef. (640) sagt er 
ausdrücklich: ὃ dsios τόπος χαὶ ἣ ἱερὰ χώρα πλήρης ἀσωμάτων ἐστί. ψυχαὶ δέ εἰσιν 
ἄϑάνάτοι ol λόγοι οὔτοι: τούτων δὴ τῶν λόγων ἕνά λαβὼν [ἐ6. ὃ ἀσκητὴς], ἀριστίν- 
ϑην δαλιλεγόμενος, τὸν ἀνωτάνω ... πλησίον ἱδρύεται διαφοίας τῆς δαυτοῦ. Auch δος 

kbehste ὥοκοδ, der λόγος θέϊος (wie er nachher gemannt wird), ist demnach 
eine op, | 

4) M. s. die Stellen, welche 8. 826, ἃ angeführt sind. Dorurz 8. S1f. 
sucht auch diese Stellen für seine Ansicht zu benützen: da nach denselben 
überhaupt nur katachrestisch von einer göttlichen Zweiheit oder Mehrheit 
gesprochen werden könne, so könne der Logos nicht als bypostatisches Wesen 
Gott coordinirt sein. Aber dass er ihm bei Phbilo coordinirt sei, behauptet 
such niemand, sondern dass er ihm subordinirt sei, und eben darauf be- 
sieht sich das uneigentliche der Bezeichnung θεὸς für den Logos: Philo sagt 
nicht, die persönliche Subsistenz, sondern die Gottheit werde ihm nur un- 
eigentlich beigelegt, und eben darauf, auf der Subordination, nioht auf der 
Unpersönlichkeit des Logos, beruht für ibn die Möglichkeit, seine Logos- 
lehre mit dem jüdischen Monotheismus zu vereinigen. 

5) Ausser dem, was 8. 826 angeführt ist, vgl. m. hierliber auch L. alleg. 
1108, Β. (8%): τὸ δὲ γενιχώτατόν ἐστιν᾿ ὃ θεὸς χαὶ δεύτερος ὁ θεοῦ λόγος. 


Der Logos: seins Persönlichkeit. 888 


er δαφὶ geradenu, es bei swischen beiden ein weiter Abstand: 1. 
Philo kann aber auch diese Bestiminung gar nieht entbehren. Der 
Logos ist ja für ihn, wie alle göttlichen Kräfte, nur desshalb noth- 
wendig, weil der höchste Gett selbst in keine unmittelbare Berüb- 
rung mit dem Endlichen treten kann, er soll zwischen beiden 
stehen, und ihre gegenseitige Beziehung vermitieln 23; wie könnte 
er diess, wenn or nicht von beiden verschieden, wenn es nur eine 
bestimmte götliche Eigenschaft wäre? In diesem Fall hätten wir 
ja wieder die unmittelbare Wirkung Gottes auf die endlichen Dinge, 
weiche Philo für unzulässig erklärt®); Andererseits mus der 
Logos nun freilich auch wieder mit den Gliedern des Gegensatzes, 
den er vermitteln sell, κι ἰδοῦ, er muss ebense bins. Bigenschaft 
Gottes, wie eine in der Welt wirkende Kraft sein. Beides wider- 
sprüchsios zu vereinigen, konnte Philo nicht gellmgen. Aber wech 
weniger konnte er, bei seinem transoendenten Gottesbegriff und 
seiner Scheu vor jeder Vermischung Gettes und der Welt, siek 
entschliessen, in den Natufkräften unmittelbar Eigunsthaften aid 
Wirkungen der Gottheit zu sehen. So blieb ihm denn gar ‚kein 
anderer Ausweg, als jene Widerspräche auf sich ka hohfhen, and 
er konnte diess um so leichter, da er selbst sie aller Anschein 
nach wicht bemerkte. Auch darüber können wir uns: jeduch bei, 
seiner Geistesart nicht wundern. Wenn jemand so, wie Phile, - 
gewöhnt ist, selbst geschichtliche Personen und Vorgähge ih eilge- 
meine Begriffe zu verwendeln, so wird ihm diess bei seisen doima- 
tischen Personifikationen noch, viel leichter möglich sein; τὰ 


1) 8.8. 825, 4.6. 326,4. Eben dahin gehört es, wenn Philo Leg. All. 98, Ὁ 
(193) über Gen. 18, 15 sagt: τροφέα τὸν θεὸν, οὐχὶ λόγον, Aysttar- τὸν δὲ ἄγγεν 
λον, ὅς ἐστι λόγος͵ ὥσκερ ἰατρὸν κακῶν, denn die προηγούμενα ἀγαθὰ gebe dei 
ὧν αὐτοπροσώπως, die δεύτερα dagegen geben seine λόγοι und ἄγγελοι. ἀφρμα- 
lich Conf. lingu. 341, B (427): wenn du noch nicht würdig bist, vlog θεοῦ προσ- 

αγορεύεσθαι, σπούδαζε χοσμεῖσθαι κατὰ τὸν πρωτόγονον αὐτοῦ λόγον͵ τὸν ἄγγελον 

πρεσβύτατον u. 5. w. Ebd. 334, A (419). De somn. 500, D (656): die, welche 
Gott selbst noch nicht zu schauen vermögen, τὴν τοῦ θεοῦ εἰκόνα, τὸν ἄγγελον 
αὐτοῦ λόγον, ὡς αὐτὸν χατανοοῦσιν. Um die Probe zu ınaohen, setze man in 
solchen Fällen statt λόγος irgend einen entschieden unpersönlichen Ausdrack, 
wie etwa „das Denken“, oder „das Sprechen", und man wird finden, dass 
die betreffenden Bätse unmöglich werden. 

8) Vgl. Θ. 836 f. 

3) 8. ο. 818, 2. 815, 1. 3. 828, 6. 


488 ; : Philo, 


wenn. er bei jenen in der Regel sich durch ihre Umdebtung in dem 
Glauben an ihre geschichtliche Wirklichkeit nicht stören lässt, 80 
wird er auch bei diesen des Widerspruchs nicht inne werden, dass 
er Eigenschaften und Kräfte zugleich’ als Einzelwesen behandelt’). 
Es ist daher ganz begreiflich, dass der philonische Logosbegrä 
zwischen persönlicher und unpersönlicher Fassung unklar him 
und herschwankt: es liegt eben hier ein unlösbares Problem vor, 
das Philo von seinen Voraussetzungen aus nicht anders beantwor- 
ten konnte, als mit den widerspruchsvollen Bestimmungen, welche 
sich durch seine ganze Lehre von den göttlichen Kräften hin- 
durchziehen. 

Ueber die Quellen, aus denen Philo seine Sätze über den 
Logos sehöpfte, haben wir von ihm selbst keinen Aufschluss zu 
erwarten. Da er seine Theorie in allen ihren Theilen aus den bei- 
ligen Schriften seines Volkes. heranszulesen weiss, gilt sie ihm 
natürlich :für einen ursprünglichen Bestandtheil der in ihren ent- 
kaltenen Offenbarung. Aher: doch: fehlt es an jeder sicheren Spur 
davon, dass sie auch andere vor ihm ia diesen Schriften entdeckt 
hatten. Wir finden wohl,bei dem angeblichen Salomo eine Schilde- 
rung der Weisheit, die auf dem Weg» zur Logoslehre liegt; aber 
gerade die Verbindung der σοφία mil dem λόγος hat sich hier noch 


. nicht vollzogen , die Personifikation derselben ist daber auch noch 


eine viel leichtere als bei Philo: sie beginnt zwar als eine eigeme, 
die Wirkungen Gottes in der Welt vertretende Kraft sich vom 
göttlichen Wesen abzulösen, aber sie hat noch nicht die Selb- 
ständigkeit gewonnen, welche der männliche Logosname aus 
drückt?). Bei einigen andern von Philo’s Vorgängern treffen wir 
allerdings auch den θεῖος λόγος; aber wir erfahren nichts darüber, 
wie sie sich diesen näher gedacht hatten®). Philo selbst will die 
Deutung einer Stelle, welche er von seinen Vorgängern abwei- 
chend auf die zwei göttlichen Grundkräfte und den Logos bezieht, 
einer höheren Offenbarung verdanken“); woraus man aber freilich 


1) Eine Analogie, auf die Buonse Philon. Stud. 17. 27 mit Recht hin- 
weist. 

3) Vgl. 8. 280 £ 

8) 8. 0. 236, 3. 

4) Vgl. 8. 804, 7 und den Inhalt der philonischen Deutung betreffend ΄ 
8. 821 1. , 


(m 


Entstehung der Logoslehre. δ 


in Betreff der Logosiehre selbst nicht viel schliessen kann. "Das 
wahrscheinlichste ist indessen doch immer, days er gie in der frü- 
heren jüdisehen Spekulation noch nicht vorfand. Da sie nun der 
griechischen Philosophie ohnediess fremd ist, 50 werden wir sie 
unbedenklich in der Form, die sie bei Philo hat, als sein eigenes 
Werk betrachten dürfen; wenn wir auch nicht genau bestimmen 
können, inwieweit sie vor ihm schon durch verwandte Philosopheme 
vorbereitet war. Ihr allgemeines Motiv liegt, wie schom früher 
gezeigt wurde, in dem Bedürfniss einer Vermittlung zwischen Gott 
und der Welt, welches sich einem Philo um so stärker aufdringen 
musste, je schroffer der Gegensatz beider und die Jenseitigkeit 
Gottes von ihm gefasst war. Aus diesem Bedürfaiss war auf jüdi- 
schem Boden der Engelglaube, auf griechisehem der Dämonen- 
glaube hervorgegangen, welchem die Pytkegoreer und Piatoniker 
jener Zeit so grossen Werth beilegten. Indem Philo beide theils 
mit den platonischen Ideen, theils 'mit dem steischen λόγος ver- 
knüpfte, erhielt er seine Lehre von den göttliohen Kräften!), 
Aber 50 lange man nur eine Vielheit solcher Kräfte annahm , ohne 
sie unter eine höhere Einheit zusammenzufassen ; blieb entweder 
die Forderung einer einheitlichen Weltanschauung, der sich ein 
Denker, wie Philo, unmöglich entziehen konnte, unbefriedigt, und 
der Zusammenhang des Weltgansen unerklärt, oder man musste 
zu seiner Erklärung doch wieder auf die Gottheit zurückgehen, 
die Einheit der Welt und die Zweckmässigkeit der Welteinrichtung 
auf ihre Einwirkung zurückführen, ebendamit aber jenes fortwäh- 
rende Eingreifen der Gottheit in den Weltlauf annehmen, welches 
Philo mit ihrer Erhabenheit über. das Endliche so unvereinbar 
schien. Gerade auf seinem Standpunkt musste sich daher die An- 
nahme empfehlen, dass alle göttlichen Kräfte an Einer von ihnen 
ikren Mittelpunkt haben, dass es einWesen gebe, welches von der 
Gottheit im absoluten Sinn noch verschieden, alle ihre Wirkungen 
auf die Welt vermittle. Bereits war aber dieser Annahme auch von 
anderer Seite ker vorgearbeitet. In der jüdischen Theologie fand 
Philo die Vorstellungen über das Wort Gottes, den Geist. Gottes 
md die göttliche Weisheit vor; in der griechischen Philosophie 
die platonische Lehre über die Ideen und die Weltseele, und die 
nn 


1) Vgl. 8. 818 ὦ, 


284 0 Philo. 


sseische über die Gottheit als die Weitzernunfi. Unter den ersieres 
hstten die Vorstellungen über die Weisheit den meisten Einfluss 
auf die, Logaslehre. Zu eimer Hypostasirung des Worts Gottes war 
von jüdischer Seite vor Philo, so viel ung bekannt ist, noch kein 
. erkeblicher Anlauf genommen worden}; und wenn der Vorste- 
-Jung vom Geist Gottes allerdings ursprünglich die Anschauug 
einer von Gott ausgehenden luft- ‘oder feuerartigen Subetaus 
au Grunde liegt, so wird doch diese Substanz nur als der 
Hauch Gottes gedacht, welcher in die Welt einströmt, und ge wie- 
der verlässt, als die Trägerin momentaner göttlicher Wirkungen, 
- mioht als eine in ihrer eigenthümlichen Form beharrende Kraft. 
Wirklich bat auch Philo den Begriff des göttlichen Geisies für 
seine Logasiehre gar nicht unmittelbar benützt ἦν, wie dem 
überhaupt dieser Begriff für ikn nur eine untergeordnete Beden- 
sung het?); aber auch die Vorstelleng des Worts Gottes erscheist 
für ihn, so weit sie sich bis dahin entwickelt hatte, weit nicht ἡ 
wichtig, wie die der Weisheit, da in dieser die göttliche Kraft, 
welche in der Welt wirkt, als bleibende Eigenschaft angeschaut wird. 
Dass jedoch diese Rigenschaft Gottes als ein besonderes Wesen τοι 
Gott unterschieden und andererseits mit der in der Welt waltendea 
Vernuaft identifieirt wurde, — was beides zuerst in der pseude- 
sulomonischen Weisheit, wenn auch lange nicht so entschieden, wie 


1)’ Vgl. 8. 881,3. Die Lehre von der Memra, welche in den ohaldi 
schen Tlebersptzungen des A. Testaments eins Ahnliche Bedeutung bat, wie 
der Logos | Philo’s (m. 5. darüber Greörer Jahrh. ἃ. H. I, 807 ff.), ist wahr 
scheinlich erst unter dem Einfluss des letztern so weit fortgebildet worden, 
wenn auch der Ausdruck „Wort Gottes“ als Umschreibung des Jehorab- 
namens (wie er ΟΡ. Joh. 10, 18 vgl. m. 8, 12 steht — näheres darüber 
Theool. Jahrb. I, 318 f.) Alter sein mag. 

8) Mittelbar allerdiogs, sofern der Inhalt desselben. in den Begriff der 
Weisheit anfgenommen war, welche daher Sap. Sal. 7, 22 selbst als ein πνεῦμα 
beschrieben, und welcher alles das beigelegt wird, was die ältere Anschau- 
ungsweise vom „Geist Jehovah's“ herleitete, so dass man sagen kann, dit 
σοψία sei das zur Ruhe gekommene, in eine stetig wirkende Kraft verwaß- 
delte πνεῦμα. 

8) Philo redet nicht selten vom Geist Gottes, aber er thut diess unYet- 
kenubar mehr nur um der alttestamentlichen Stellen willen, obne diese Lehre 
in eigentbämlicher Weise auszubilden; es wird daher hier genügen, in Betref 
der hergehörigen Asusserungen auf Kersastzın Philo’s Lehre τ. d. götl. 
Mittelw. 188 ff. Däune I, 800 f. zu verweisen. 


Entstehung der Logoslehre. RD) 


bei Phila, geschieht — diess können wir uns nur aus. dem ‚Einfiugs 
griechischer Lehren esklären. Wenn die göttlichen Kräfte von 
Philo mit dem platonischen Ideen combinirt wurden, s0 waren die 
leisteren schon ven ihnem ersien Urheber zu einer Idaenwelt 
zusammengefasst, und Einer höchsten Idee, der des Guien, uater- 
geordnet worden; derselbe hatte aber auch alle die Wirkungen, 
durch weiche die Ideen in der Welt verwirklicht werden, auf 
Eine allgemeine Naturkraft, die Weltseele zurückgeführt, welche 
vermöge ihrer Lebemligkeit Ursache aller Bewegung: und vermöge 
ihrer Vernüuftgkeit Ursache eller Vernuuft in der Welt sem 
sollte. Nahm man beides zusammen, und verlegte man die Ideen 
in die Weltseele selbst, statt sie ihr ala Musterbilder überzuardnen, 
so erhieli man ein Princip, welchen als die allgemeine Weltvernunft - 
zugleich des Urbild und die Urform aller Dinge und die allgemeine 
bewegende Kraft war. hen diese Verknüpfung hatte aber der 
Bioicisımus in seiner Weise schen vorgenommen, wenn.er die GYlir 
heit als die Vernunft, die Seel» und das Geseis der Welt, ala den 
λόγας κοινὸς, den λόγος σκερματωιὺς, als die künstlerisch bildende 
Nater, als die allverbreitete wirksame Kraft beschrieb, deren Musr 
Süsse alle emzelnen Naturkräfte, und vor allem die Seelen dar 
verrünfligen Wesen sein sollten. Man durfte nur dieser stoischen 
Legoslehre durch die Unterscheidung des Lagos von der Gutiheis 
ihr pantheistäsches, durch seine Unterscheidung von dem gebildeten 
Sof ihr materislistisches Beprägp abstreifen, und der philonische 
Logos war fertig. Dienes beides war wın allerdings nicht im Stoir 
asmus, sondern nur in der Transcendenz der alexandriniechen 
Gottegidee, weiterhin iheils in platanischen und nenpyihaggreir 
schen, theils in jüdischen Einflüsspn begründet, Das aber nichtgr 
%sioweniger die stoische Logeslehre die näphste Quelle der 
Bhilenischen gewesen ist, diess erhallt nicht bios aus dem Namen 
des Logos, welcher in dieser Bedeutung bis dahin nur bei den 
Stoikern vorkommt, sondern aus dem ganzen Begriff desselben: 
die Idee ‘der allgemeinen Weltvernunft ist wesentlich stoisch, die 
Beschreibung , welche Philo von ihr giebt, entspricht Zug für Zug 
den stoischen Schilderungen, die Identität dieser innerweltlichen 
Vernunft mit der göttlichen ist gleichfalls in der ganzen nach- 
sokratischen Philosophie nur von den Stoikern in dieser Allgemein- 
heit ausgesprochen worden; selbst ihre materialigtische ‚Fassung 


- «Ὁ 


5 Philo. 


hören wir bei Philo in einzelnen Aeusserungen noch durchklin- 
gen’), und die emanatistische Vorstellung über die Ausbreitung 
des Logos in seine Theilkräfte, die unmittelbare Folge jenes Mate- 
rielismus, hat er sich in ihrem vollen Umfang angeeignet, während 
die gleiche Vorstelungsweise auf den Hervorgang des Logos aus 
der Gottheit, für weichen der stoische Vorgang fehlte, auch bei 
Phile 'nar in unsicheren Andeutungen angewendet wird. Wenn 
nran. daher die Logoslehre nicht selien neben der jüdischen Theo- 
logie nur aus dem Platonismus ableitet, so ist diess nicht richtig, 
der Stoieismus hat za derselben einen ebenso starken oder noch 
stärkeren Beitrag geliefert. 

Durch die Lehre von den göttlichen Kräften und namentlich 
durch die Logosiehre hat sich nun die Jenseitigkeit des göttlichen 
Wesens so weit aufgehoben, dass in allem die Wirkung der Gott- 
heit, das Nachbild dert ewigen, aus dem göttlichen Denken her- 
vorgegangenen Formen erblickt wird. Wie weit aber Philo ia 
dieser Richtung auch geben mag, das Endliche vollständig aus der 
göttlichen Ursächlichkeit abzuleiten verbietet ihm der Duslismus, 
welcher die Grundlage seiner ganzen Weltanschauung ausmacht. 
Von Gott kann nur gutes und vollkommenes, nur Leben und Ord- 
nung herstammen, die Unvollkommenheit des Endlichen, der Streit 
und Gegensatz unter den Dingen, die Natarnothwendigkeit, die 
Leblosigkeit der materiellen Stoffe, das Böse in der Welt, lässt 
sich nur auf einen von der göttlichen Wirksamkeit verschiedenen 
Grund zurückführen 9. Wie man sich diesen zu denken habe, 
inusste ‘sich schon hieraus ergeben. Wenn alle Wirkungen von 
Gott herzuleiten sind, so ‚bleibt dem zweiten Princip nur die 
reine Passivität, wenn alle Realität, alles Leben, alle Form und 
Ordnung von Gott: stammt, so wird jenes nur das durchaus todte, 
üngeordnete, formlose, nichtseiende sein können. Eben dieses 


1) Ausser der häufigen Vergleichung des Logos mit dem Lichte, die für 
sich weniger beweisen würde, gehört hieher namentlich die Deutung des 
feurigen Schwerdts auf den Logos: ὀξυχινητότατον γὰρ καὶ θερμὸν λόγος... τὸν 
ἔνθερμον χιὰ zupebön λόγον De Oherub. 112, E. 118 B. 144 Μ. Die Darstellung 
des Weltgeistes unter der Form des Feuers ist wesentlich stoisch. 

8) Dieser Gedankensussmmenhang erhellt nioht blos aus einzelnen Btel- 
len (z. B. De prof. 479, B. 575 M. De somn. 1142, E, 692 M. Bacrif. Abel. 
188, Ὁ. 178 M. Qu. det, pot. ins. 177, D. 214 M.), sondern aus allen Bestim- 
mungen Philo’s über die Materie. 


Die Materie. 237 


sind aber die Merkmale, welche den Begriff der Materie aus- . 
machen, so wie diesen theils das platonische, theils das stoische 
System, die zwei Hauptführer Philo’s, gefasst hatten. Natürlich, 
dass er sich diesen Begriff in seiner vollen Ausdehnung aneignet. 
Moses, erzählt er uns, indem er dem Moses die Lehre Zeno’s 
unterschiebt, hat erkannt, dass es eine doppelte Ursache. geben 
müsse, die wirkende und die leidende, die unendliche Vernunft 
und die unbeseelte Materie 1). Die letztere bezeichnet er dann 
weiter mit Plato und den Stoikern als eigenschafts- 5) und gestalt- 
los 5). und mit dem ersteren als leblos, unbewegt, ungeordnet, 
ungleich, mit sich selbst im Kampfe *), als die Substanz die an 
sich ohne alle Vollkommenheit, und darum alles zu werden fähig 
war °), als das nichiseiende °), auch wohl als das leere und be- 
dürftige”), oder das dunkle®). Dass jedoch Philo den platonischen 
Begriff der Materie nicht rein festhält, zeigt schon der Ausdruck 
οὐσία. mit dem er sie nicht selten bezeichnet, denn diese Bezeich- 
nung steht mit dem Materialismus der stoischen Schule, welcher 
‚sie ursprünglich angehört, mit der Behauptung, dass Substantialität 


1) De m. opif. 2, B: Μωσῆς db... ἔγνω δὴ ὅτι ἀναγχαιότατόν ἐστιν, ἐν τοῖς 
οὖσιν τὸ μὲν εἶναι δραστήριον αἴτιον τὸ δὲ παθητιχόν᾽ καὶ ὅτι τὸ μὲν δραστήριον ὃ τῶν 
ὅλων νοῦς ἐστιν... τὸ de παθητιχὸν ἄψυχον καὶ ἀχίνητον ἐξ ἑαυτοῦ, χινηθὲν δὲ καὶ 
σχηματισθὲν χαὶ ψυχωθὲν ὑπὸ τοῦ νοῦ u. 8. w. ‚De prof. a. a. Ο.: ἢ μὲν γὰρ ὕλη 
vexpöv, ὁ δὲ θεὸς πλέον τι ἢ ζωή. Statt ὕλη sagt Ph. auch stoisch οὐσία: so in 
mehreren der sogleich anzuführenden Stellen. M. vgl. hiemit die stoische 

- Lebre 1. Abth. 119, 5. 121, 1. 125,8. Anderwärts (De Cherub. 129, B. 162 
M.) nennt Philo auch die vier aristotelischen Ursachen, die ja aber x gleich- 
falls auf jene zwei zurückkommen. 

2) ἼΛποιος m. opif. 4, E, 5M. De prof. 451, E (547). De creat. princ. 
128, B. 367 M. Qu. rer. div. ἢ. 500, C (492). . De somn. 1114, B (665) u. o. 

8) "Apoppos Qu. rer. div. h. a. a. Ὁ. De viot. offer. 857, E (261). De prof. 
451, D (547) £., wo Gott als das χινοῦν αἴτιον der ἄποιος χαὶ ἀγείδεος καὶ ἀσχη- 
μάτιστος οὐσία entgegengestellt wird. Weiteres b. Dänxz I, 185. Als die wir- 
kende Ursache wird Gott oft bezeichnet (vgl. vorl. Anm. L. alleg. 62, A. 88M. 
u.a. St.), und aus dieser Natur des φύσει δραστήριον αἴτιον (De Cherub. 123, A, 
155 M.) seine fortgehende Wirksamkeit hergeleitet. 

4) M. opif. a. d. a. Ο. De creat. princ. 8. a. O. Plant. N. 214, B. 329 M. 
De provid. I, 8. De vict. offer. 857, E. 

δ) M. opif. 4, E. 

6) M. opif. 18, Ὁ. 19 M. Leg. alleg. 62, D (89). De oreat. princ. a. 8. Ὁ. 

7) I. alleg. 48, B, 52 M.' 

8) Creat. princ. a. ἃ. O. 

Philos. ἃ, Gr. III. Bd. 3. Abth. 92 


488 Philo. 


und Körperlichkeit dasselbe seien, im engsten Zusammenhang; und 
wirklich finden sich auch manche Stellen bei Philo, in denen der 
platonische Begriff der Materie unverkennbar mit der gewöhnlichen 
Vorstellung eines stofllichen Substrats vertauscht ist 5), und ebea- 
dalıin führte der Satz 3), dass sich Gott an die Dinge nur nach 
dem Maass ihrer Empfänglichkeit und desshalb nur in verschiedenen 
Graden mittheilen könne. Es ist ihm unverkennbar weit weniger 
um einen philosophisch genauen Begrif# der Materie zu thun, als 
nur überhaupt um eine solche Ansicht von derselben, bei welcher 
die Mängel des Endlichen auf sie zurückgeführt und von der gött- 
lichen Wirksamkeit ferngehalten würden. 

Schon hiemit war es gegeben, dass Philo nicht eine Welt- 
schöpfung im strengen Sinn annehmen konnte, sondern nur οἶδα 
Weltbildung, eine Scheidung und geordnete Verknüpfung der 
Stoffe, die vorher in chaotischer Mischang durcheinanderlagen °). 
Im übrigen hat seine Lehre von der Schöpfung nicht viel eigenthüm- 
liches. Er bestreitet nach Anleitung des platonischen Timäus die 
Annahme, dass die Welt anfangslos sei 5), wiewohl er mit seinem 
Lehrer ihre Unvergänglichkeit voraussetzt °); zugleich verwahrt 


1) Z. B. Cherub. 129, B. 182 M. Plantat. N. '314, B (829). De provid. 
I, 8. 11, 48—50. 

3) M. opif. 5, A vgl. post. Caini. 254 M. o. 

8) M. 6. hierüber: Qu. rer. div. ἢ. 499, A ff. 491 M. δ, wo besonders 
die Gleichheit in der Vertheilung der Stoffe und Gattungen betont wird; De 
υἱοὶ, offer. 857, E (261). De prov. II, 48—50. ὅδ. De Deo 6, 8. 616 Auch. 
Ausdrücke, welche die Schöpfung aus nichts vorauszusetsen scheinen (m. 8. 
ἃ, Stellen b. Graörer I, 330) sind nur nach Maassgabe der philonischen Lehre 
von der Materie zu verstehen; und es gilt diess auch von der Aeusserung De 
somn. 577, A (682): ὃ θεὸς τὰ πάντα γεννήσας οὐ μόνον εἰς τοὐμφανὲς ἤγαγεν, 
ἀλλὰ καὶ & πρότερον οὐχ ἦν ἐποίησεν, οὐ δημιουργὸς μόνον, ἀλλὰ καὶ χτίστης αὐτὸς 
ὧν. Auch diess schliesst nicht aus, dass der Btoff der Dinge, welche selbet 
allerdings nicht waren, präexistirte. Ebensowenig beweisen die eben ang* 
führten Stellen der armenisch erhaltenen Schriften, richtig verstanden, für, 
sondern eher gegen die Erschaffung der Materie. 

4) M. opif. 2, B. De prof. 452, B (547). De prov. I, 8 ff. vgl. incorruptib. 
m. 941, A. 490 M. 

5) Diess wird nicht allein in der Schrift über die Unvergänglichkeit der 
Welt, sondern auch an anderen Orten ausgesprochen; z. B. Migr. Abr. 416, B 
(464) vgl. m. Praro Tim. 41, A. Qu. rer. div. h. 502, A (494): ἀναλογίᾳ δὲ 
καὶ ὃ χόσμος ἅπας apadeis... συνέστη τε χαὶ συσταθὰς εἰς ἅπαν διαμένει. Plant. N. - 
315 C £. (880 f.). 


Weltentstehung. 339 


er sich aber auch, mit demselben, nicht blos gegen die Vorstellung, 
als ob die göttliche Schöpferthätigkeit, sondern auch gegen die 
andere, als ob der Schöpfungsakt selbst in die Zeit falle; jene 
widerlegte sich unmittelbar durch die Lehre von der Ewigkeit 
Gottes, dieser hält er den platonischen Grund entgegen, dass die 
Zeit, als das Erzeugniss der kosmischen Bewegungen, nicht älter 
sein könne, als die Welt). Philo kann daher auch die wörtliche 
Auffassung der mosaischen Schöpfungstage nicht zugeben 5): die 
Aufeinanderfolge der einzelnen Schöpfungsakte soll nicht als eine 
Zeitfolge gefasst werden, sondern nur die Ordnung des geschaffe- 
nen, das begrifliche Rangverhältniss der einzelnen Gebiete aus- 
drücken 5). Freilich fällt aber Philo selbst, wie diess gar nicht zu 
vermeiden war, unmittelbar wieder in die Zeitvorstellung zurück, 
wenn er uns erzählt, vor der Schöpfung der sinnlichen Welt habe 
Gott die übersinnliche, den intelligibeln Himmel, die intelligibeln 
Elemente u. 8. w., vor der Schöpfung der Einzelwesen die allge- 
meinen Gattungen hervorgebracht). Dass der Logos als das Organ 
der Weltbildung gedacht wird, ist schon bemerkt worden. 

Auch was über das Verhältniss Gottes zu der geschaffenen 
Welt, über Philo’s Ansicht von der Welterhaltung mitzutheilen 
wäre, ist der Sache nach schon in der Lehre vom Logos und den 
göttlichen Kräften enthalten. Die Welt und ihre Theile bestehen 
nur durch die fortwährende Wirkung der Gottheit, diese ihrerseits 
hört nie auf zu wirken 5); wie Gott als der Schöpfer gerne (mit 
Plato) der Vater der Welt genannt wird 5), so sorgt er auch fort- 


1) M. opif. δ, D (6). J.eg. alleg. 41, A. 44 M. Qu. De 5. immut. 298, A. 
277 M. 

2) L. alleg. a. a. O. (vgl. 8. 801, 4); ebd. 48, E (47). 

8) M. opif. α. ἃ. Ο.: καὶ γὰρ el πάντα ἅμα ὃ ποιῶν ἐποίει͵ τάξιν οὐδὲν ἧττον 
ἔχε τὰ καλῶς γινόμενα. τάξις δὲ ἀχολουθία καὶ εἷρμός ἐστι προηγουμένων τινῶν καὶ 
ἑπομένων, εἰ καὶ μὴ τοῖς ἀποτελέσμασιν, ἀλλά γε ταῖς τῶν τεχταινομένων ἐπινοίαις. 

4) Μ. opif. 4. Δ. Ο. L. slleg. 44, Ο. 47 Μ. In demselben Sinn ist auch 
öfters von einem doppelten ersten Menschen die Rede, dem ποιηθεὶς und dem 
πλασθὰς, dem idealen und dem irdischen, 5. B. L. all. 49, D. 57, A (58. 62). 
M. opif. 80, E. 82 M. Plant. N. 220, δ. 336 M. Der ideale Mensch soll mit 
dem Νοῦς, aber auch (s. 8. 828, 4) dem Logos zusammenfallen. 

6) L. alleg. 48, Ὁ. 47 M. Cherab. 122, Ef. (155). post. Cain. 254 M. o. 
Qu. rer. div. bh. 489, C. 481 M. 

6) L. alleg. a. a. Ο. M. opif. 16, B (17). De monarch. 816, D. 218 M. 

22 * 


340 Pbilo. 


während für sie, wie ein Vater !). Die Welterhaltung ist insofern 
nur eine Fortsetzung der schöpferischen Thätigkeit. Aus diesem 
Gesichtspunkt ist es aufzufassen, wenn Philo statt der göttlichen 
Wirksamkeit oder der Vorsehung auch wohl in stoischer Weise die 
Natur setzt ?); beide sind seiner Ansicht nach allerdings dasselbe, 
nicht als ob Gott nichts anderes wäre, als die Naturkraft, sondern 
weil diese nichts anderes ist, als die Gesammtheit der regelmässigen 
göttlichen Wirkungen. Selbst an den stoischen Fatalismus werden 
wir durch Philo erinnert, wenn er trotz seiner sonstigen entgegen- 
stehenden Behauptungen sogar das Böse bei Gelegenheit doch 
wieder prädestinatianisch auf den göttlichen Rathschluss zurück- 
führt δ). Um so dringender musste ihm die Aufgabe erscheinen, 
die Beschaffenheit der Welt mit der Vollkommenbheit ihres Urhebers 
zu vereinigen; so ausführlich er sich aber auch hiemit, besonders 
in der Schrift von_der, Vorsehung, beschäftigt hat, so finden wir 
doch kaum irgend einen Gedanken über diesen Gegenstand bei 
ihm, den er nicht von seinen vielbenützten Vorgängern, den 
Stoikern, entlehnt hätte, und nur seine abweichende Ansicht ia 
Betreff der Willensfreiheit (s. u.) musste seiner Theodicee, der 
ihre . Aufgabe durch dieselbe wesentlich erleichtert wurde, eine 
theilweise veränderte Richtung geben ἢ. Hiemit hängt zusammen, 
dass Philo, wie die Stoiker, den physikotheologischen Beweis als 
den natürlichsten Weg betrachtet, um die Ueberzeugung vom Ds- 


- sein Gottes zu gewinnen °). Auch das ist stoisch, wenn unser 


! 


Philosoph in dieser Beziehung hauptsächlich den Zusammenhang 
des Himmlischen mit dem Irdischen, die Sympathie zwischen den 


(ὃ κόσμος καὶ ὡς υἱὸς ἀναδιδάξας με περὶ τοῦ πατρὸς καὶ ὡς ἔργον περὶ τοῦ τεχνέ 
του) Ὁ. ὅ. 

1) L. alleg. a. Δ. Ο. M. opif. 39, Ε (41). De spec. leg. 807, A. 381 M; 
vgl. De pram. et p. 916, E (415): πρόνοιαν ἀναγχαῖον elvar- νόμος γὰρ φύσεως 
ἐπιμελεῖσθαι τὸ πεποιηχὺς γεγονότος. 

2) Z. Β. De vict. offer. 849, A. 252 M. Saorif. Abel. 147, A (183) vgl. 
De spec. leg. 798, D (322). 

8) So Leg. all. 74, Ὁ. 102 M vgl. ebd. 77, C. 80, B (105. 108). 

4) M. vgl. über Philo's Theodicee aus der Schrift De providentia nament- 
lich I, 47. 62. II, 12 ff. (Griechisch b. Eus. pr. ev. VIII, 14.) 99 ff, Leg. alleg. 
74, B. 101 M. Einiges weitere b. Däuur I, 384 fi. 

δ) Ζ. B. De presm. et poen. 916, ©. 414 f. M. De monarch. 815, C (216) ὦ 
vgl. Däunz I, 168. 


Vorsehung; Theodicee. Zahlenlehre, 841 


Theilen der Welt, hervorhebt 7; dagegen tritt das pythagoreische 
Element der philonischen Lehre darin hervor, dass dieser Zusam- 
menhang namentlich in den Zahlenverhältnissen erkannt werden 
soll, nach denen alles geordnet ist *); Philo selbst macht von der 
Zehlensymbolik einen so ausschweifenden Gebrauch, dass er darin 
hinter keinem Neupythagoreer zurücksteht 5). Neben diesem theo- 


1) M. opif. 27, B. 28 M. Migr. Abr. 416, A. 464 M. 

3) M. opif. a. a. O: vgl. De monarch. 824, A (226): Das Xoyslov des 
Hohenpriesters bedeute den Himmel, ἐπειδὴ τὰ ἐν οὐρανῷ πάντα λόγοις καὶ ἀνα- 
λογίαις δεδημιούργηταῖ 

3) Hier einige Beispiele, die sich ohne Mühe vermehren liessen: Die 
Zahl der angeblichen Bchöpfungstage beträgt sechs, weil Sechs als das Pro- 
&ukt der ersten männlichen Zahl in die erste weibliche, und als die erste 
Zahl, welche der Summe ihrer Theiler (1, 2, 8) gleich ist,’ φύσεως νόμοις γεν- 
νητιχώτατος ist (M. opif. 8, Β). Die Gestirne sind am vierten Tage geschaffen, 
weil in der Vier die vollkommene Zahl, die Dekas, potentiell enthalten ist 
(M. opif. 9, E. 10 M. vgl. Plant. N. 230; D ff. 347 M. v. Mos. 670, D. 162 M. 
Qu. in Gen. UI, 12); die Thiere am fünften Tag, weil es der αἰσθήσεις fünf 
sind, die αἴσθησις aber das unterscheidende Merkmal der lebenden Wesen ist 
(M. opif. 18, B. 14 M.). Der siebente Tag war der Ruhetag Gottes, wegen 
der wunderbaren und über alle Lobpreisung erhabenen Eigenschaften der 
Biebenzahl, über die Philo a. a. O. 20, C (21) ff. Leg. alleg. 41, E (45) fi. Qu. 
Ὁ. s. immut. 295, B (274). Decal. 684, Ο. 759, B (166. 198). De Septenario 
1178, A. 1177 C (277. 281) u. ὅ. handelt. Die sehen Gebote geben selbstver- 
‘ständlich zu einer gründlichen Auseinandersetzung über die Zehnzahl und die 
mancherlei in ihr enthaltenen Zahlenverhältnisse Anlass (De Decal. 746, D. 
183 M δ). Wenn Gen. 6, 3 die Lebensdauer der Menschen seit der Süindfluth 
auf 120 Jahre bestimmt wird, so hat diess viele Gründe: denn 1) ist diese 
Zahl die Summe der 16 ersten Zahlen, 15 aber die Zahl des Lichts, da am 
fünfsehnten Tag nach dem Neumond der Vollmond eintritt; 2) ist 120 die 
iäte Triangularzahl; 8) bestebt es aus 64 und 56, 64 aber ist die Summe aller 
ungeraden Zablen von 1 bis 15, und 56 die aller geraden von 2— 14; auch ist 
δά zugleich Kubik- und Quadratsall ; 4) besteht 120 aus der Triangularzahl 
15, der Quadratzahl 25, der Fünfeckzahl 35, und der Sechseckzahl 45, welche 
sämmtlich die Fünf zur Wurzel haben, und von denen jede ihre eigenthüm- 
liche Bedeutung hat; 5) lässt es sich durch 15 verschiedene Theiler dividiren, 
und alle Quotienten (wie diess Ph..n&äher nachweist), die sich hiebei ergeben, 
sind bedeutungsvolle Zahlen, die Summe derselben aber ist 240 = 2 X 120, 
was die Bestimmung zu einem zwiefachen Leben, dem geistlichen und dem 
leiblichen, andeutet; 6) ist 120 =AX5X6; ta —= 20 >2X20 + 
8 Χ 20, 20 aber ist numerus, in quo hominis initium est redimends (?) (Qu. in 
Gen. I, 91). Wer weitere Proben dieser Kunst sucht, findet sie namentlich in 


- ih 


343 Philo. 


logischen und mystischen Interesse tritt aber das eigentlich physi- 
kalische bei ihm gänzlich in den Hintergrund; die naturwisses- 
schaftlichen Ansichten, die er beiläufig äussert !), hat er sich 
sichtbar nur von andern angeeignet, ohne sich um durchgängige 
Uebereinstimmuug derselben mit einander und mit seinen mets- 
pbysischen Voraussetzungen zu bemühen ἦν, und nur wenn er 
einem Gegenstand eine ethische oder theologische Seite abgewinnen 
kann, widmet er ihm grössere Aufmerksamkeit. So sind ihm z. B. 
die Gestirne Gegenstand einer hohen Verehrung: er betrachtet sie 
mit der Mehrzahl der heidnischen Philosophen als vernünftige 
Wesen von fehlerfreier Vollkommenheit ὅ), er sagt, sie seien durch 
und durch von reinen Seelen durchdrungen *), er trägt nicht das 
geringste Bedenken, sie selbst-als die sichtbaren Götter zu be- 
zeichnen ὅ), und nur dem astrologischen Fatelismus widerspricht 
er im Interesse der Willensfreiheit 5), ohne doch darum die astro- 


‚der ebenbenütsten Schrift in Menge; vgl. I, 88. II, 5. III, 88. 89. 49. 56. 
IV, 27. 

1) 8o finden wir bei ihm die stoische Beschreibung der ἕξις als πνεῦμα 
ἀντιστρέφον ἐφ' ἑαυτὸ und die Eintheilung der Dinge in vier Klassen, deren 
unterscheidende Merkmale die ἕξις, φύσις, ψυχὴ, φυχὴ λογικὴ sind; L. alleg- 
1091, Ὁ. 71 M. Qu. D. s. immut. 298, Ὁ. 277 M ff. (incorruptib. m. 947, A. 
496 M. De mundo 1154, E. 606 M.) vgl. 1. Abth. 108, 2. 178, 1. Qu. in den. 
1Π|, 6 unterscheidet er von den vier Elementen, die nie rein vorkommen (vgl. 
Bd. II, b, 887), mit Aristoteles die fünfte Substans; dagegen nennt er Conf. 
lingu. 842, D (428) den Aether in stoischer Weise ἱερὸν πῦρ, φλὺξ ἄσβεσνος, 
indem er seinen Namen von alösıv ableitet, und Qu. rer. div. h. 499, Ε (492) 
sagt er, der Himmel bestehe aus dem πῦρ σωτήριον (dem πῦρ τεχνυιὸν der 
Stoiker). Die vier Elemente werden (Qu. rer. d. p. 499, Ὁ. 492 M.) zunächst 
in leichte und schwere getheilt, jene wieder in ein warmes (Foner) und ein 
kaltes (die Luft, welche die Stoiker so bestimmt hatten; 5. 1. Abth. 169, 3} 
diese in ein feuchtes und ein trockenes; wogegen ebd. 5U2, A (494) nach arl- 
stotelischem Vorgang trocken, feucht, kalt und warm als die Eigenschaften 
bezeichnet werden, welche in den Elementen ἀναλογίας ἰσότητι (vgl. hiesu Bd. 
11, Ὁ, 831, 4. 889, 4) gemischt seien. 

2) Wie sich diess ausser den ebenangeführten Beispielen auch an der 
unwissensohaftlichen Uebersicht über die Theile der Welt und die Klassen 
der Naturdinge Qu. rer. div. h. 499, A (491) ff. zeigt. 

8) M. opif. 16, A. 88, B (17. 34). Plant. N. 216, A (881). 

4) Do Gigant. 286, A. 368 M. De somu. 586, A (641). 

5) M. opif. 5, E. 88, B (6. 34). Gigant a. a. O. De monarch. 818, B. 
414 M. Fragm. 648 M. unt. (Eus. pr. ev. VIII, 14, 40). 

6) De provid. I, 81 fl. 


Die Gestirne; die Soele, die Dämonen, 848 


legische Vorbedeutung selbst zu läugnen '); dagegen weist nichts 
darauf hin, dass er sich mit der Sternkunde in rein wissenschaft- 
lichem Sinn beschäftigt hätte. Ausser der allgemein metaphy- 
sischen und theologischen Naturansicht hat für ibn, wie für die 
übrigen Philosophen jener Zeit, nur die Lehre vom Menschen einen 
eigenthümlichen Werth. 

Der Dualismus des philonischen Systems musste in der An- 
ihropologie um so enischiedener hervortreten, je mehr wir zu der 
Annahme berechtigt sind, dass schon die Wurzel dieser ganzen 
Denkweise ursprünglich in der Betrachtung des menschlichen 
Lebens und seiner Gegensätze, im Selbstbewusstsein und seinen 
Kämpfen gelegen war. Von den älteren Systemen, an welche sich 
Philo auch in diesem Theil seiner Lehre anlehnte, kam keines sei- 
nem Dualismus in solchem Maass entgegen, wie das platonische; 
dieses bildet daher für ihn, wie für die Neupythagoreer, in der 
Anthropologie den Hauptführer; doch werden wir sehen, dass er 
auch stoische und peripatetische Bestimmungen mit den platoni- 
schen, nicht immer glücklich, verknüpft bat. 

Philo’s Ansichten von der menschlichen Natur stehen mit sei- 
ser Lehre über die göttlichen Kräfte in unmittelbarer Verbindung. 
Da die gesammte Welt mit Leben und Seele erfüllt ist, so muss auch 
der Luftraum voll von Seelen sein). Die reineren von diesen 
und diejenigen, welche der Erde ferner wohnen, werden nie von 
der Last nach dem Irdischen bethört, sondern in ihrer Geistig- 
keit verharrend dienen sie dem Vater der Welt als Boten und Ver- 
mittter für seinen Verkehr mit denMenschen. Diese sind es, welche 
von den Hellenen Dämonen und Heroön, von Moses Engel genannt 
werden. Diejenigen dagegen, welche in ihrem Wohnsitz und ihren 
Neigungen der Erde näher stehen, steigen in sterbliche Leiber 

herab, und werden vom Strudel des sinnlichen Lebens ergriffen ὅ), 
aus dem nur wenige durch Philosophie sich wieder emporarbeiten. 
Nur auf diese menschgewordenen Seelen bezieht sich der Gegen- 
satz von guten und bösen Dämonen (oder Engeln), denn die, 


1) M. opif. 12, B. 18 M. ΄ 

4) Vgl Ἰήοσα Bd. U, Ὁ, 425, 6. 

3) Diesen Vorgang schildert Philo De Gigant, 285, D nach Praro Tim. 
7% u 
| ) 


Mn. 


844 Philo. . 


welche sich von dem Sinnlichen ferngehalten haben, können nicht 
böse sein; unter den bösen Dämonen haben wir daher böse 
Menschenseelen zu verstehen !). Vermöge dieses ihres Ursprungs 
steht nun die Seele mit Gott in der engsten Verwandtschaft. Die 
Seele ist ihrem reinen Wesen nach betrachtet, und abgesehen von 
den sinnlichen Bestandtheilen,, welche sich erst durch die Verbin- 
dung mit dem Körper ihr anhängen, gar nichts anderes, als eine 
göttliche Kraft, einer von jenen Ausflüssen der Gottheit, die in 
ihrem ursprünglichen Zustand Engel, Dämonen, Theilkräfte des 
Logos u. s. w. genannt werden. Alle diese Kräfte stehen aber mit 
der Urkraft, der sie entsprungen sind, in ununterbrochener Ver- 
bindung, sie sind Theile derselben, die nicht von ihr getrennt 
sind?). Das gleiche muss auch von der menschlichen Vernunft 
gelten. Jeder Mensch ist seiner geistigen Natur nach mit der 
göttlichen Vernunft verwandt, ein Abbild und Theil derselben ®); 
während die ernährende und empfindende Seele aus den luftartigen 
Bestandtheilen desSamens entsteht, kommt die Vernunft von aussen 
her in uns“); sie ist aus derselben Substanz, wie die göttlichen 
Wesen gebildet, und desshalb auch’ allein das unvergängliche im 
Menschen ®). Oder wenn wir den philosophischen Ausdruck mit 


1) M. vgl. ausser den Hauptstellen De somn. 585, A (641) ff. und De 
Gigant. 286, A (268) ff.: ebd. 288, B (266). Plant. N. 216, Β (381). Conf. line. 
845, C (481). Wenn conf. lingu. 831, C (416) gesagt wird, die Beelen der 
Weisen haben die Wanderung auf die Erde aus Wissbegierde unternommen, 
so ist diess nur eine inconsequente Ausnahme zu Gunsten der alttostament- 
lichen Heiligen. j 

2) Qu. det. pot. ins. 172, A. 209 M.: der menschliche Nus ist ein ἀπό- 
σπασμα οὐ διαιρετὸν der allgemeinen Beele; τέμνεται γὰρ οὐδὲν τοῦ θείου κατ' 
ἀπάρτησιν ἀλλὰ μόνον “ἐκτείνεται. 

8) Μ. opif. 88, D (85): πᾶς ἄνθρωπος κατὰ μὲν τὴν διάνοιαν ᾧχείωται θείῳ 
λόγῳ τῆς paxaplas φύσεως Expayslov ἢ ἀπόσπασμα 7) ἀπαύγασμα γεγονώς. Ebi. 
15, A. 31 E (16. 33) u. ὅ. Daber beisst De plantat. 217, A. 882 Μ. die ver- 
nünftige Seele οὐσιωθέΐϊσα καὶ turwdelsa σφραγῖδι θεοῦ ἧς 5 χαραχτήρ ἐστιν ἀΐδιος 
λόγος. 

4) M. opif. 14, C f. 16 M., wozu Bd. Il, b, 489 zu vergleichen ist. 

δ) Qu. De. 5. immut. 300, A. 279 M. Dass dagegen Philo in einigen sei- 
ner späteren Schriften die persönliche Unsterblichkeit der Beele ganz aufgebe 
und nur dem in der Allnatur verbreiteten Geist Ewigkeit beilege (Brzinsast 
in Pauly’s Realenoyklop. V, 1513), ist ein Missverständniss. Unsterblich ist 
nur das von Gott dom Menschen eingepflanzte πνεῦμα, nicht der νοῦς φθαρτὸς 


Wesen der Seele. 825 


einem theologischen vertauschen wollen : Gott hat dem Menschen 
seinen Geist eingehaucht; mag daher auch die Seele als biosse 
Lebenskraft betrachtet im Blut ihren Sitz haben, das Pneuma, in 
dem allein das eigentliche Wesen des Menschen besteht, ist ein 
Ausfluss der Gottheit!). Als die unterscheidende Eigenthämlich- 
keit dieser unserer höheren Natur bezeichnet Philo, im Sinn des 


des ἄνθρωπος dx γῆς (L. all. 46,.A ff. 560 M. Qu. det. pot. 170, A ff. 206 M. 
u. δ.), aber in jenem πνεῦμα soll gerade das Wesen des Menschen liegen; die 
persönliche Unsterblichkeit hat Philo nicht bezweifelt, und kann sie, wis 
such aus unserer weiteren Darstellung hervorgehen wird, seinem ganzen 
Standpunkt nach nicht bezweifeln. 

1) Qu. det. pot. ins. 170, A. (206) ff. M. opif. 81, A. 82 M. De spec. leg. 
356 M. u. Qu. rer. div. ἃ. 489, A. 506, B (480. 498). L. all. 46, B. 00, C (50. 
119). Fragm. 8. 668 M. (280 Richt... Auch die Stoilger lassen die Beele. sich 
vom Blut nähren; vgl. 1. Abth. 181, 2. Dass die Lehre vom Pneums nach 
Philo's Meinung von der platonisch - aristotelisohen über den Nus nur dem 
Ausdruck naclı verschieden ist, ergiebt sich aus den obigen Stellen; νοῦς und 
. zuöpa bezeichnen bei ihm als Theile des Menschen ganz dassefbe, der νοῦς 
ist (Qu. rer. div. h. 506, B), wie das Pneuma, ἀπ᾽ οὐρανοῦ χατακνευσθὲς ἄνωθυν, 
und Fragm. 668 heisst es: τοῦ λογικοῦ τὸ θέΐϊον πνεῦμα οὐσία. Schwieriger ist 
die Frage, wie sich Philo das Verbältniss des göttlichen Pneuma zu den übri- 
gen göttlichen Kräften, besonders zum Logos, gedacht hat. Eine bestimmte 
Erklärung hierüher findet sich nicht, aber da seiner sonstigen Lehre zufolge 
Gott nur durch die Kräfte auf die Welt wirkt, und da diese alle sich im Logos 
zusammenfassen, so kann auch das Pneuma nioht ein zweites Princip neben 
dem Logos, sondern nur entweder eine seiner Thheilkräfte oder eine bestimmte 
Beite seines Wesens, wenn auch vielleicht keine ihm ausschliesslich eigen- 
thümliche, bezeichnen. Das wahrscheinlichere ist mir‘ das letsterd. Philo 
soheint unter dem Pneuma die geistige Substanz überhaupt zu verstehen, wie 
sie sich von Gott aus durch Vermittlung der göttlichen Kräfte in die vernünf- 
tigen Wesen ausbreitet, die göttliche Kraft überhaupt als geistig wirkende. 
Ob diese Wirkung eine mittelbare oder eine unmittelbare ist, wäre an sich 
gleichgültig; wir werden indessen gleich sehen, dass Philo auch hier den 
Widerspruch nicht vermieden hat, dem wir schon früher, bei der Lehre.von 
Gott, begegnet sind, und später in der Lehre von der Binwirkung Gottes auf 
den Menschen begegnen werden, dass er von unmittelbaren Wirkungen der 
Gottheit redet, wiewohl er eigentlich nur mittelbare annehmen kam. — Was. 
Diuse: I, 294 f. aus Anlass der Stelle Qu. D. 6. immut. 298, D (278) über das 
Pneuma sagt, beruht auf einem entschiedenen Missverständnise, denn es ist 
hier gar nieht vom göttlichen Pneuma die Rede, sondern der Begriff der ἕξις 
wird durch die stoische Lehre, dass die Eigenschaften Luftströümungen geien, 
erläutert. Vgl. 8. 342, 1. j 


286 Philo, 


Piatonismus; nahen den Denlikraft die Freikeit des Willens Ὁ Se 
stark aber hiemit der Unterschied des Geistes von den übrigen Be- 
standtheilen der menschlichen Natar beiont wird, so weiss sich 
doch auch unser Philosoph von materialistischen Vorstellungen 
über das Wesen der Seele nicht ganz frei zu halten: in demselben 
Augenblick, in dem er den Geist vom Leib unterscheidet, sagt er 
auch wieder, er sei ein Ausfluss jenes Aethers, aus welchem der 
Himmel und die Gestirne gebildet seien?), indem er dabei die 
stoische Lehre von der Seeleusubstanz mit der aristotelischen vom 
Aether verbindet, und das, was Aristoteles nur von der thierischee 
Seele gesagt hatte ®), in merkwürdiger Verwirrung der Begriffe 
auf den Theil überträgt, welcher den Menschen vom Thier unter- 
scheidet. Seine Absioht ist es freilich durchaus nicht, den Geges- 
satz von Geist und Materie dadurch abzuschwächen, das wahre 
Wesen des Menschen soll rein geistiger Natur sein ὦ). 

Diese seine höhere Natur kann aber freilich während des 
irdischen Lebens nicht rein heraustreten. So lange der Geist an 
den Leib gebunden ist, sehen wir im Menschen nur eine Verbin- 
dung des thierischen mit dem eigenthümlich menschlichen). Der 
Mensch steht an der Grenzscheide der sterblichen und_ der 
unsterblichen Natur, er ist insofern eine Welt im Kleinen, das 
höchste und trefllichste unter den sterblichen Geschöpfen δ). So 
gross aber dieser Vorzug auch sein mag, mit den rein geistigen 
Wesen ist er doch nicht zu vergleichen, wie diess Philo unter as- 


1) M. opif. 81, A. 82 M. Qu. Ὁ. s. immaut. 800, A (829). Pient. N. 220, E 
(886). Fragm. 8. 660 M. Daher De viet. 840, Ε (248): nur das ἡγεμοναὺν im 
uns sei der Behlechtigkeit und Thorheit fähig. 

2) Qu. ref. div. h. 520, E. 514 M. vgl. Do spec. lege. 866 M. unt. Ing. 
εἶδος. 90, C (119). 

8) Vgl. Bd. ΠῚ, Ὁ. 814, 2. 489, 2; ob Arist. selbst an den dort angeführten 
Stellen die Beele wirklich aus Asther, oder nur aus einem ätherartigen Körper 
entstehen lässt, ist für die vorliegende Untersuchung gleichgültig. 

. 4) Der wahre Melısch ist nur der Nus (Qu. det. pot. 169, D. 195 M, De 
agriöult, 188, D. 801 M. De congr. qu. erud. gr. 458, B. 588 M.), dieser aber 
ist durehaus unkörperlich, De soma. 570, A. 625. M. 

δ) Qu. det. pot. 170, B (270). Weiteres b, Dänzz I, 818. 

8) M. opi6 18, ὦ. 81, A. 88, E (20. 82. 35). Qa. rer. div. ἃ. 508, Ο (494): 
βραχὺν μὰν »νόσμον τὸν ἄνθρωπον, μέγαν δὲ ἄνθρωπον ἔφασαν [60. ἔνιοι) τὸν κόσμον 


εἶναι. 


Wesen und Theile der Seele. u; ' ( 


derem auch durch die Behauptung ausdrückt !), dass er gar nicht 
von Gott allein, sondern nur unter Mitwirkung der dienstbaren 
Geister gebildet sei. Erst nach der Trennung vom Leibe gelangen 
diejenigen Seelen, welche sich von der Anhänglichkeit an denselben 
frei erhalten haben, wieder zum ungestörten Genuss ihres höheren 
. Lebens, au dem aus diesem Grunde nur der Nus, ohne die niederen 
Seelenkräfte, theilnimmt 5); den übrigen stellt Philo, so selten er 
auch davon redet, die Seelenwanderung in Aussicht, welche seing 
Voranssetzungen forderten ὅ). 

Auf genauere psychologische Untersuchungen ist Philo nicht 
eingegangen. So oft er auch von den Theilen und Kräften: der 
Seele redet, so wenig lässt sich doch in seinen Aeusserungen über 
diesen Gegenstand eine einheitliche Lehrform erkennen. Diejenige 
Eintheilung der geistigen Kräfte, welche mit seinem ganzen Stand- 
punkt auf's engste zusammenhängt, und von der er allein für die 
weitere Entwicklung seiner Lebre einen nachhaliigen Gebrauch 
macht, ist die Unterscheidung der Vernunft und der Sinnlichkeit; 
des vernünftigen und des vernunftlogen, des unsterblichen and des 
sterblichen Theils der Seele‘). Mit dieser Kintheilung verknüpft 
er die stoischen Besummungen über Vorstellung und Trieb 
(φαντασία und ὁρμὴ), indem er jene als eine Wirkung der Sinn. 
lichkeit auf die Vernunft, diesen als eine Wirkung der Vernunß 
auf die Sinnlichkeit betrachtet°); dass beide nichtsdesioweniger 
zu den unierscheidenden Merkmalen der thierischea Seele gozähli 


1) M. opif. 15, E (16) £. De prof. 460, C. 566 M. Mut. nom. 1049, A. 
583 M. 

3) De Abr. 385, Ὁ. 37 M. M. opif. 81, A, 82 M. Qu. D. 6. immut, 800, Β, 
219 M. Leg. all. 46, A. 60, C (50. 66). Gigant. 388, B. 266 M. De oxascrat, 
997, B. 436 M. Vita Mos. 696, B (179) u. 3. Vgl. folg. Anm. ” 

3) δου. 586, C (641) M: τούτων [τῶν ψνχῶν) al μὰν τὰ σύντροψα zei συν- 
ἤθη τοῦ θνητοῦ βίου ποθοῦσαι παλινδρομοῦσιν αὖθις" αἱ δὲ παλλὴν φλυδρίαν αὐτοῦ 
καταγγοῦσαι δεσμωτήριον μὲν͵ καὶ τύμβον ἐκάλεραν τὰ σῶμα, φυγοῦσαι δ᾽ ὥσπερ ἐξ 
εἰρχτῆς ἢ μνήματος, ἄνω χούφοις πτεροῖς πρὸς αἰθέρα ἐξαρθεῖσαι, ᾿ ψετεωῤοκολοῦσι 
τὸν αἰῶνα. Für unheilbare Sünder findet sich Cheruk, 108, Β, 188 M, De 
exsecrat. 984, ὦ (488), wie bei Pıaro Rep. X, 615, C ὦ, eime Hölle, 

4) Leg. all. 1092, A. 71 M. De victim, 888, D (241). De pro£ 460. E, 
556 M. Congr. quer. erad, gr. 428, A (623). Die unvernünftige Beele heisst 
auch δύναμις ζωτικὴ Qu. det. μοὶ. 170, B. 207 M. Weiteres später. - 

5) L. all. 45, E. 49 M, vgl, Cherub. 117, E (149% 


318 Philo, 


werden !), if nur einer von den vielen Widersprüchen der philo- 
nischen Anthropologie. Auch eine andere von den Stoikern ent- 
lehnte Bestimmung, die Annahme von acht Seelenkräften, wird 
mit der zweigliederigen Eintheilung dadurch in Verbindung gesetzt, 
dass die fünf Sinne nebst dem Sprach- und Zeugungsvermögen der 
vernunftlosen Seele zugezählt werden ?). Daneben findet sich aber 
auch die platonische Unterscheidung von Vernunft, Muth und 
Begierde®), und die aristotelische der ernährenden, empfindenden 
und vernünftigen Seele*), welche beide sich zwar mit dem Haupt- 
gegensatz des Vernünftigen und Vernunftiosen, aber weder mit 
einander, noch mit der achtgliederigen stoischen Eintheilung in 
Ueberemstimmung bringen liessen. Wenn endlich auch noch, zu- 
nächst mit Beziehung auf die Erkenntniss der Dinge, dreierlei 
unterschieden wird, die Wahrnehmung, die Sprache (λόγος) und 
die Vernunft®), so beweisst diese unlogische Eintheilung nur um 
so mehr, wie wenig es Philo um eine feste Theorie der Seelen- 
thätigkeiten zu thun ist. _ 

Was eine wirkliche Bedeutung für ihn hat, das ist, wie 
bemerkt, nur derGegensatz der Vernunft und derSinnlichkeit, oder 
der mit diesem zusammenfallende Gegensatz von Seele und Leib, 
denn die Sinnlichkeit ist nur das an der Seele, was dem Leibe ver- 
wandt ist, und seine Wurzeln im Leib hat®), ihrem reinen Wesen 
nach ist die Seele ohne alle Beziehung zur Sinnenwelt?). Im 
Leibe weiss aber unser Philosoph , als ächter Neupythagoreer, nur 
das unbedingte Widerspiel des Geistes, nur die Quelle aller Uebel 
zu finden, und was nur von den Früheren gesagt war, um den Leib 


x 


1) Qu. D. 6. immut. 299, C. 278 M, wo auch die stoischen Definitionen 
von φαντασία und ὅρμή. L. all. a. ἃ. Ο. 

3) M. opif. 27, C. 38 M. L. all. 42, C (45). Qu. det. pot. 185, D (333). 
De agricult. 191, Ὁ. 804 M, Der vernünftige Theil heisst in diesen Stellen 
bald νοῦς bald λόγος. 

8) Deo spec. log. 850 M. ı unt. Conf. lingn. 828, B (408). Leg. all. 53, B. 
88, Ο (57. 110). 

4) Fragm. 668 M. 

5) Congr. qussr. erud. gr. 488, E (588). De viotim. 840, C (248). De 
somn. 569, B (624). L. alleg. 68, C (96). 

6) Congr. quer. erud. gr. 427, B. 532 M. vgl. Leg. all. 60, A f. 73, D 
(65. 100). 

‚ 7) Vgl 8. 844, 846, ἡ. 


Vernunft und Sinnlichkeit. 8 


und das leibliche Leben herabzusetzen, das wird won Philp in ge- 
steigertem Ausdruck aufgenommen. Die irdische Umhällung ist 
ein Uebel und der Grund der schwersten Uebel für den Geist), sie 
ist ein abscheulicher Kerker ?), aus dem er. sich wegsehmt, wie das 
Volk Israel aus Aegypten), ein Leichnam, den die Seele mit sich 
herumschleppt *), ein Grab oder ein Sarg, aus welchem sie erst im 
Tode wieder zum wahren Leben erwachen wird°). So lange wir 
im ‚Leibe leben, ist keine Gemeinschaft mit Gott möglich 5); das 
Fleisch lässt den Geist Gottes nicht in uns bleiben 7), sein Gnt ist 
nur die unvernünftige Lust, das der Seele die Gottheit). Nichts 
ist sich daher so entgegengesetzt, wie die sinnliche Lust und die 
Weisheit’); wenn das unvergängliche in der Seele aufgeht, muss 
das sterbliche untergehen und verschwinden, wie die Finsterniss 
vor dem Lichte 15), wenn der Geist zur wahren Erkenntniss gelangt 
ist, so wird er jede Neigung zum Sinnlichen von sich stossen 1), 
dem leiblichen Leben absterben 15), er wird seinen Sinn von 
allem abwenden, was dem Fleische lieb und verwandt ist, er wird 
sich allemEndlichen entfremden 15). Mag daher auch die Sinnlich-, 
keit als solche (αἴσθησις) von Philo für ein mittleres erklärt werder, 


1) Qu. det. pot. 173, B. 210 M. 

2) De ebriet. 255, A. 372 M. L. alleg. 68, D (95). Migr. Abr. 889, E 
(437). 

3) Qn. rer. div. ἢ. 518, Ὁ ἢ. (611)... 

4) Leg. all. 18, Ὁ. 100 M. De Gigant. 286, A (264). De agricult. 191, B 
(804). 

δ) Migr. Abr. 890, E. 891, E (488 £.) Leg. all. 60, C (65). 

6) L. all. 68, D. 96 M. 

7) De Gigant. 287, E f. 266 M. Dass σὰρξ nur ein geringschätziger, das 
grob materielle bezeichnender, Name für den Leib ist, und dass dieser Name 
nicht blos dem ebräischen und hellenistischen Sprachgebrauch, sondern auch 
dem der griechischen Philosophen seit Epikur angehört, babe ich in den 
Theol. Jahrblichern XI, 293 f. nachgewiesen. 

8) A. a. Ο. 289, Ὁ. 268 M. 

9) Qu. D. s. immut. 814, A. 294 M. 

10) Ebd. 311, A (291). Ebenso aber auch umgekehrt: ἐὰν οὖν χαὶ σὺ.. ὦ 
ψυχὴ θνητὰ ἀποστραφῆς, ἐξ ἀνάγκης ἐπιστρέψῃ πρὸς τὸν ἄφθαρτον u. 8. w. post. 
Ca. 251 M. - 

11) Migr. Abr. 390, B (438). 

, 12) Gigant. 285, E. 264 M. 
13) De ebriet. 249, B. 866 M. vgl. Gigant, 288, Ο (267). 


N 


86 Philo. 


von welchem der Weise einen guten, der Thor einen schlech- 
ten Gebrauch mache, die sinnliche Lust ist seiner Meinung nach an 
sich selbst schlecht !); und mag er auch zugeben, dass die noth- 
wendigen Bedürfnisse des ‚Leibes zu befriedigen seien, und das 
eine gewisse Lust damit unvermeidlich verbunden sei, so ver- 
wirft er doch wenigstens alle überflüssige Lust ganz entschieden?); 
noch folgerichtiger ist es jedoch, wenn er die Sinnlichkeit über- 
haupt, auch nach ihrer theoretischen Seite, als die Ursache 
des Wahns betrachtet, in welchen der Geist durch den Umgang mit 
ihr verstrickt werde®), und wenigstens von dem vollendeten Wei- 
sen gänzliche Ausrottung der Lust und der Affekte verlangt ὦ). 
Bei einer solchen Ansicht vom Leib und der Sinnlichkeit ist es 
ganz natürlich, wenn Philo alle Menschen von Hause aus mit der 
Sünde behaflet glaubt. Schon der Eintritt in’s irdische Leben liess 
sich folgerichtig nur aus einer schuldhaften Freude am Sinntichen 
herleiten, jedenfalls musste aber die Verbindung der Seele mit dem 
Leibe eine unvermeidliche Befleckung zur Folge haben. Philo er- 
klärt daher, allem geborenen, und möge es noch so gut sein, sei 
eben vermöge seines Eintritts in die Welt die Sünde angeboren'), 
niemand könne sich von der Geburt bis zum Tode frei von Sünde 


1) Leg. all. 78, B; vgl. Anm. 4. 

2) Gig. 288, Ὁ. 267 M. Wenn an einzelnen Stellen, wie Plant. N. 284, A 
(850) ff. De prof. 455, A (650), nicht blos der sinnliche Genuss, sondern sogar 
das Uebermaass desselben unter Umständen vertheidigt wird, so ist diess nur 
eine Anbequemung an das praktische Bedürfniss oder den biblischen Text; 
so viele Mühe sich aber Philo in der ersteren Stelle auch Noah zuliebe giebt, 
su beweisen, dass der Weise sich betrinken könne, so lauten doch seine 
Ausführungen, vollends in seinem Munde, nicht sehr überzeugend. 

8) Cherub. 117, E (149): Adam ist der νοῦς, Eva die αἴσθησις, jener er 
zeugt mit dieser die οἴησις, den Kain; vgl. M. opif. 38, A. 39 M. 

4) Leg. alleg. 78, C (100): ὃ δὲ ὄφις ἢ ἡδονὴ ἕξ ἑαυτῆς ἐστι μοχθηρά. διὰ 
τοῦτο ἐν μὲν σπουδαίῳ οὐχ εὑρίσκεται τὸ παράπαν, μόνος δ᾽ αὐτῆς ὃ φαῦλος ἀπο- 
λαύει. Ebd. 84, E (112): Μωσῆς δὲ ὅλον τὸν θυμὸν ἐχτέμνειν καὶ ἀπκοχόκτειν οἶτει 
δεῖν τῆς φυχῆς, οὗ μετριοπάθειαν, ἀλλὰ συνόλως ἀπάθειαν ἀγαπῶν. Vgl. Β. 86, D 
(114) E. Migr. Abr. 889, E (437). 

5) Vita Mos. 8675, C. 157-M. vgl. De vietim. 846 (349): χἂν γὰρ ὃ x 
ἦ γεννητὸς [wofür wohl besser: x. y. τέλ. ἦ ὃ γεννητὸς] οὖχ ἐχφεύγει τὸ ἀμαρτάνειν. 
Wenn De poenit. 716, Ὁ. 406 M. die Möglichkeit offen gelassen wird, dass 
ein göttlicher Mann fehlerfrei bleibe, so ist diess eine Iukonsequens, welche 
sich Philo aus Rücksicht auf die Hero&n des jüdischen Volkes erlaubt. 


"Allgemeine Bünühaftigkeit. 85ῖἴ 


erhalten 1), ja niemand vermöchte diess, werm er auch wur einen 
Tag lebte?); und wird’ auch die Kindheit als.eine Zeit verhältniss- 
mässiger Unschuld betrachtet, sofern in ihr weder das Gute noch 
das Böse sich bestimmter im-Cherakter uuspräge, s0 entwickelt sich 
doch das letztere in jedem Menschen , wie Philo gieubt, nicht blos 
durch äussere Einflässe, sondern auch durch die eigene Neigung 3), 
und noch ehe die Tugend in ihm aufgehen kann, haben schon .Feh- 
ler aller Art sein Inneres überwuchert 4. Den Grund dieser 
ellgemeinen Sündhafligkeit kann Philo nur in den | ebengenennton 
Ursachen, zunächst in der Verbindung der Seele mit dem Leibe, 
weiterhin in ihrem Herabsteigen aus .der übersinnlichen Welt 
sachen; die altiestamentlichen Erzählungen vom Urzustand und 
vom Sändenfall, so ausführlich er sich auch um ihre historische 
und allegorische Deutung bemüht hat°), stehen doch zu seinem. 
System nur in einem ganz äusserlichen Verhältniss. Wie sich die 
Allgemeinheit der Sünde za der sonst so enischieden hervor- 
gehobenen Willensfreiheit verhalte, sagt Philo nirgends, er konnte 
aber beide für vereinbar halten, weil er: die Verbindung .der Soele 
mit dem Leibe selbst schon aus einer freien That 'ableitete, und 
ebenso moeclite er die obenerwähnte Behauptung, dass die Bchlech- 
tigkeit und die Thorheit nur in der vernünftigen Seele ihren Sitz 
habe, mit ihrem Ursprung aus dem Leibe durch den Gedanken 
ausgleichen, dass der Leib zwar den Hang zum Bösen bewirke, 
dass aber die wirkliche Sünde erst durch die Nachgiebigkeit des 
Willens gegen diesen Hang zu Stande komme*). 

Durch diese Anthropologie war Philo auch für die Ethik seine 
Richtung vorgezeichnet. Möglichste Lossagung von der Sinnlich- 


1) Qu. D. s. immut. 804, C. 284 M. 

2) Mat. nom. 1061, Ὁ. 585 M. 

8) Qu. rer. div. h. 522, C (515); über die Kindesunschuld auch Leg. all. 
1096, E (76). 

4) De sserif. Abel. 182, Ὁ. 166 M. vgl. Congr. qu. orud. gr. 486, A 
(831). 

δ) Die Hanptstallon sind: Mund. opif. 81, B (82) ff. Leg. all. 48, A f. 
57, Af. 60, D f. (61. 61. 87). Qu. in Gen. I, 82. 68. Plantat. N. 220, A (886) f 
De neobilit. 906, B. 440 M. 

6) M. vgl. in dieser Beziehung die Bielie De congr. quer. erud. gr» 486, 
A. 531 M. und di» vorletzte Anm. 


388 Philo. . 


keit musste hier sein Wahlspruch sein, und die ganze Sittenlehre 
musste jenen einseitig negativen Charakter tragen, der uns schon 
aus der allgemeinen Forderung einer gänzlichen Ausrottung von 
Lust und Affekten entgegentrat. Es war insofern natürlich, dass 
unserem Philosophen von den ethischen Theorieen der Griechen 
diejenige am meisten zusagle, welche in der Unterdrückung der 
Sinnlichkeit am weitesten gegangen wer, die stoische. Wirklich 
ist auch der Einfluss des Stoicismus in seiner Ethik, wie in den 
übrigen Theilen seines Systems, unverkennbar. Er fölgt ihm nicht 
nur in einzelnen Bestimmungen, wie die Vorschrift des -natur- 
gemässen Lebens !), dieLehre von den vier Grundtugenden ?) und 
den: vier Affekten®), die Unterscheidung des Fortschreitenden und 
des Weisen*), sondern seine ganze Sittenlehre hat die stoischen 
Grundsätze in sich aufgenommen. Von den verschiedenen An- 
sichten über das höchste Gut erscheint ihm nur diejenige als wahr 
und als männlich, welche blos Ein Gut und Einen Lebenszweck 
anerkennt, die stoische®). Die vollkommene Tugend weiss ihm 
zufolge von keinem anderen Gut, als der Sittlichkeit®), der Tu- 
gendhafte betrachtet Lust und Besitz und alles derartige theils als 
etwas gleichgültiges, theils als ein nothwendiges Uebel‘); er 


1) Migr. Abr. 407, E (456): τὸ παρὰ τόϊς ἄριστα φιλοσοφήσασιν (Akademiker 
und Stoiker) ἀδόμενον τέλος τὸ ἀχολούθως τῇ φύσει ζῆν. 

2) Die Hauptstelle über diese oft berährte Lehre steht Leg. all. 51, E 
(56) ff. (Ebenso post. Ca. 250 M.), wo die vier Ströme des Paradieses auf die 
Kardinaltugenden gedeutet werden. Von diesen heisst die erste, wie bei den 
Stoikern, φρόνησις, ihre gemeinsame Wurzel (die γενικὴ ἀρετὴ), von Chrysippus 
in der σοφία gefunden, nennt er ἀγαθότης (so auch 8. 50, E. δά M.), beseichnet 
sio aber als Ausfluss der göttlichen σοφία. -Die Definitionen der vier Tugenden 
sind ganz die stoischen. Ebenso finden wir De congr. qu. gr. er. 486, Ὁ (530) 
die bekannte stoische Definition der Weisheit. 

8) Leg. all. 86, D (114). 

4) Leg. all. 86. Β (115) δ᾽. 

δ) Somn. 1109, C (600) £. Wie hoch hier die stoische Ethik über die 
akademisch-peripatetische gestellt wird, lässt sich sohom daraus abnebmen, 
dass jener Isaak, der vollendete Weise, dieser Joseph, der Bohn der sinnlich 
reizenden Rahel, der Genosse von Mundschenken und Bäckern, zum Urbild 
gegeben wird. 

6) Post. Ca. 251 M. o.: Rebekka, die reine Tugend, sei die Mutter der 
stoischen Lehre: μόνον εἶναι τὸ καλὸν ἀγαθόν. 

7) L. all. 1090, C (69) ££ Andere Belegstellen B..840 £, 


Ethik: Stoicismus. 853 


begnügt sieh nicht mit der Beschränkung, sondern nur mit der 
völligen Ausrottung seiner Begierden und Affekte, nicht mit der 
Metriopathie, sondern der vollkommenen Apathie!); er zieht sich 
sach in der Befriedigung der nothwendigen Bedürfnisse auf eine 
cyaische Einfachheit zurück 9); und er erreicht dadurch jene Er- 
kebenheit über alles Aeussere, welche Philo an seinem Weisen 
aicht weniger za rühmen weiss, als die Stoiker an dem ihrigen, 
wenn er ihn nicht nur als den schlechthin und allein freien ?), son- 
dern auch als den alleinigen König 4) beschreibt. Diese Freiheit 
des Weisen hatten die Stoiker namentlich auch dadurch ausgedrückt, 
dass sie ihn als Weltbürger bezeichneten. Auch hierin folgt ihnen ἡ 
Philo, und auch bei ihm hat das Weltbürgerthum den doppelten 
Sinn, dass sich der Weise auf keinen besondern Staat beschränkt 
weiss, und dass er sich als Glied des ganzen Menschengeschlechts 
und als Theil der Welt überhaupt fühlt °). Um so weniger konnte 
er sich veranlasst finden, seine Aufmerksamkeit dem Staatsleben 
suzuwenden, wenn er auch den nationalen Einrichtungen und Er- 


1) Vgl. 8. 850, 4. 

2) Somn. 583, Ὁ ἡ. 1114 Ὁ ff. (689. 665). Vit. contempl. 894, Ο ff. 476 f. 
M. L. alleg. 87, B (115). Qu. det. pot. ins. 161, C. 197 M. In der letztern 
Stelle wird behauptet, die φιλάρετοι seien ἄδοξοι σχεδὸν ἅπαντες, εὐχαταφρόνητοι, 
taztıyet, τών ἀναγκαίων ἐνδεεῖς, ὁπηχόων, μᾶλλον δὲ χαὶ δούλων ἁτιμότεροι͵ ῥυπῶν- 
τες, ὠχρὸν κατεσχελετουμένοι, λιμὸν 6x’ ἀσιτίας ἐμβλέποντες, open, μελε- 
τῶντες ἀποθνήσχειν. 

y Diess besonders in der Schrift Quod omnis probus liber, 5. B. 867, E. 
874, A (448. 454). Die letztere Stelle verräth sich auch in ihrer syllogisti- 
schen Form sogleich als stoisch, und 8. 878, A beruft sich Pb. ausdrücklich 
δαί Zeno. 

4) Eragm. 657 M. Post. Ca. 350 M. o. Zu dem obigen vgl. m. 1. Abth. 
Β. 281. 

δ) M. vgl. die ächt stoischen Aeusserungen De Jos. 580, E (46). M 
opik. 1, B. Vitae Mos. 626, E. 106 M. Qn. in Bxod. II, 42. 8. 499 A. Qu. Ὁ. ». 
inmut. 818, Bf. 298 M. In der ersten von diesen Stellen (vgl. Migr. Abr. 
408, A. 466 M.) bedient sich Philo der Definition des νόμος, welche 1. Abth. 
206, 3 besprochen ist; im übrigen vgl. m. ebd. 277 f. Dieser kosmopolitische 
Charakter seiner Moral zeigt sich aueh in Philo's Asusserungen über die 
Sklaverei: er verwirft diese zwar nicht mit den Essenern, aber er verlangt, 
dass sio als oin Ausseres Schicksal behandelt werde, welches der Achtung der 
gemeinsamen Menschennatur in den Sklaven keinen Eintrag thun dürfe; De 
spec. leg. 798, D (822). _ 

Philes. 4. Gr. TII. Bd. 3. Abth. 28 


306 Ν ’ “ Ρ bh il 0. 


werde. Wenn selbst. die griechischen Philosophen in der Regel 
das praktische Leben dem theoretischen ‚nachsetzten, so musste 
diess unser Alexandriner, bei seiner Scheu vor der Sinalichkeit, 
noch weit mehr thun. Zwar giebt auch er zu, dass die Tugend 
als allgemeine Lebenskunst nicht blos theoretisch, sondern auch 
praktisch sein müsse 1), aber sofern sich diese Praxis auf die 
äussere Ordnung des menschlichen Lebens richtet, sofern die 
praktische Thätigkeit, nach altgriechischer Weise, der politisches 
gleichgesetzt wird, ist sie. seiner innersten Neigung zuwider. Er 
muss wohl anerkennen, dass sich das Schlechte nicht mät Erfelg 
bekämpfen lasse, wenn wir es nicht auf seinem Boden angreifen, 
und auf die Geschäfte und Verhältnisse des Lebens, auf Ehre, Be- 
sitz und Genuss uns einlassen, er giebt auch au, dass dieses Handeln 
als eine nothwendige Vorübung für das Erkennen zu. betrachten 
sei, und er tadelt in beiden Beziehungen die selbsisüchtige Gesis- 
aung derer, welche sich der Arbeit für.die menschliche emeis- 
schaft entschlagen, und in voreiliger Zurückziehung. aus den Ge- 
schäften den Ruhm der Weltverachtung für sich in ‚Auspruch 
nehmen, noch ehe sie sich im Kampf mit der Welt bewährt haben 
Ist aber schon in dieser Rechtfertigung des politischen Lebens sein 
untergeordneter Werth dadurch ausgedrückt, dass es nur eine 
Vorübung für das beschauliche sein soll, so äussert sich Philo 
anderwärts noch weit ungünstiger über dasselbe. Er beklagt sich 
bitter darüber, dass er selbst gezwungen worden sei, aus der 
himmlischen Sphäre seiner Betrachtangen in .die Unruhe und die 
Mübsal der irdischen Geschäfte herabzusteigen 5); er sagt, nur 
wer kleinen Geistes sei, werde sich nicht völlig von ihnen los- 
machen; der Weise widme sich ausschliesslich der göttlichen Be- 
trachtung, der Schlechte liebe die Unruhe des bürgerlichen Lebens, 
der Fortschreitende sei zwischen beidem getheilt'*); und hiemit 
stimmt es ganz zusammen, dass derselbe Mann, welchen Philo ie 


1) Leg. all. 60, D. δά M. Qu. in Ex. Il, 81. . 

4) M. vgl. ausser der Hauptstelle De prof. 463, E (549) Δ΄, atıch das Le- 
ben Josephe, worin dieser als Muster eines Politikers dargestsllt wird. 

3) De spec. legg. 776, A f. 800 M., wo er es dem ἀργαλεώτατον κακῶν, 
dem μισόχαλος φθόνος beimisst, dass man ihn in ein μέγα were τῶν ἕν πολν 
eig φροντίδων herabgezogen habe. 

4) Qu. in Gen. IV, 47. h 


Das praktische Leoben; die Wissenachaft, 357 


siner exoterischen Schrift 19 sehr hoch zu stellen scheint, der 
Politiker Joseph, anderwärts übel genug wegkommt, indem er als 
das Beispiel eines schwachen, eingebildeten, zwischen dem Aeus- 
serlichen und dem Geistigen getheilten Charakters behandelt wird 3). 
Philo lässt sich das politische Leben gefallen, weil er muss, aber 
er selbst giebt dem theoretischen ganz entschieden den Vorzug 5). 

Auf: der andern Seite legt er aber doch auch dem Wissen nur 
insofern einen Wertk bei, wiefern es auf den sittlichen und reli«: 
giösen Zustand des Menschen Beziehung hai. Nicht blos die en- 
eyklischen Wissenschaften (Mathematik, Grammatik u. 5. w.), som- 
dera auch viele von den philosophischen Untersuchungen haben 
für im nur eine untergeordnete Bedeutung. Die encyklischen 
Wissenschaßen. sind nur eine Vorbereitung zur Weisheit, nicht 
diese selbst, nur. dia Milchspeise des Knabenalters, nur die Künste 
der Chaldäer, nur die Dienerinnen der wahren Wissenschaft; die 
vollkommene Tugend ist die Sara, das encyklische Wissen ist die 
Hager; und muss man sieh auch allerdings zuerst in ihm ü&ben, 
muss auch: der Nreund dar Weisheit zuerst die Hagar umarmen, 
ehe ey.mit der Sara Kinder zeugen kann, zuerst als Abram chal- 
däische Meteorologie treiben, ehe er als Abraham zur Theologie 
vordriagt: sebald sich die Dienerin an die Stelle der Herrin setzen 
will, ist. sie auszatreiben, sobald die vorbereitenden Wissenschaften 
das höchste: und letzte sein wollen, werden sie verkehrt und ver- 
derblich 4). Aber auch mit der Philosophie verhält es sich nicht 


1) Philo’s Darstellungen aus der israßlitischen Geschichte scheinen näm- 
lieb, wie die des Josephus, mit Rücksicht auf niehtjüdische Leser verfasst 
zu sein. 

2) De somn. 1110, A. 1118, E f. 11:18, Ὁ (660. 665. 669). Qu. det. pot. 
ins. 156, B. 158, C f. (192. 194) u. ὅ. Vgl. auch 8. 808 m. 

8) Vgl. auch Migr. Abr. 895, B. 443 M.: θεωρητιχοῦ τίς ἀμείνων βίος ἢ 
βᾶλλον σϊχειούμενος λογιχῷ ; 

4) Philo kommt sehr oft auf diesen Gegenstand; man vgl., um anderes 
su übergehen, aus der Schrift De eongressu quaerendae eraditionis gratia, 
deren Hauptthema diess bildet, 8. 426, A f. 484, Ο f. 444, Bf. (521 f. 580. 
589 ff: ML). Cherub, 108, Ὁ f. 125, C. (189. 157). Racrif. Abel. 186, A. 170 Μ. 
De agricult. 190, A (808). Do ebriet. 244, E. 363 M. Post. Caini 250 M. Mut. ° 
nom. 1054, D’f. 588 M. Qu. in Gen. III, 19 ff. Von diesem Standpunkt aus 
theilt Philo Gigant, 292, A. 271 M. alle Menschen in drei Klassen: irdische, 
die der Sinnlichkeit, himmlische, die der Erkenntnisse der Aussenwelt (Astro- 


338 Pbilo, 


besser, wofern sie nicht in der Erkenhtniss Gottes und in der 
sittlichen Selbsterkenntniss ihr Ziel sucht, Es ist wahr, die Philo- 
sophie ist die höchste Gabe der Gottheit '), in ihr kommt erst das 
Wissen zur Vollendung: die andern Wissenschaften bemühen sich 
uur um einzelne Theile der Welt, die Philosophie erforscht das 
Wesen der Dinge schlechthin, alles wirkliche ist ihr Stoff 32; aber 
ihr eigentlicher Zweck liegt doch nur im Menschen und seinem 
Seelenheil: der Philosoph ist ein Arzt, welcher den Krankheiten 
des menschlichen Lebens Heilung zu bringen, das Innere. des 
Menschen gesund zu machen berufen ist 5), Diess geschieht aber 
ΒΓ dadurch, dass auf den menschlichen Geist gewirkt wird. Mag 
daher die Logik und die Naturforschuag immerhin ihren Werth 
haben, "ihr letztes Ziel erreicht die Philosophie nur in der Ethik: 
die Logik ist, jener stoischen Vergleichung gemäss, die Umzäs- 
nung, die Naturphilosophie die Pflanzung, aber nur die Bihik 
enthält die Früchte, denn wenn sie nicht zur Tugend führte, wäre 
die Wissenschaft nutzlos *). Philo lobt es deker an den Essenern, 
dass sie die Logik als entbehrlich den Wortklaubern, die Physik, 
so weit sie nicht ınit der Theologie zusammenbängt, als transcon- 
dent den philosophischen Schwätzern überlassen, um sich ganz der 
Ethik zu widmen °); und in dem gleichen Sinn zieht er selbst nicht 
selten gegen die unfruchtbaren Spitzfindigkeiten der Sophisten zu 
Felde, welche an der Erscheinungswelt haftend statt der wahren, 
sittlich fruchtbaren Weisheit nur Vielwisserei suchen °). Wax, 
ruft er aus, jene Untersuchungen über die Grösse der Sonne und 


nomie, Naturkunde u. dgl.), und göttliche, die nur der übersinnlichen Welt 
leben. — Die Deutung der Hagar auf die encyklischen Wissenschaften er- 
innert an das Wort Aristo’s, welohes 1. Abth. 50, 8 angeführt ist, 

1) M. opif. 11, C. 12 M. 

3) Congr. qu. erad. gr. 445, A. 540 M. 

8) A. a. O. 481, Ὁ. 526 M. De provid. Il, 23 (griechisch ὦ, Eus. pt. 
ev. VIII, 14, 14); Sacrif. Abel. 151, B. 1187). 

4) Mut. nom. 1065, E. 589 M. De agricult. 189, B f. (808) vgl. 1. Abtb. 
ὃ. 57, 1. Nur auf das Bedürfniss der Vertheidigung gegen die Sopkisten wird 
die Nothwendigkeit der Redeübung und Dialektik auch in den Stellen Qu. 
det. pot. 161, B ff. (197) f. Migr. Abr. 899, C f. (447) begründet, 

5) Vgl. 8. 247, 2. Ι 

6) Qu. rer. div. h. 515, Β. 508 M. Congr. quer. erud, gr. 481, ἢ. 836 M. 
De agriculi, 206 καὶ (320) £. 


Die Wissenschaft, die Philosophie. 925 


den Lauf der Gestirne? warum wollt ihr Erdenbewohner die Wel- 
ken überfliegen und das unerforschliche ergründen? Beschränkt 
each doch auf euch selbst, lernt zuerst sokratische Selbsterkemnt- 
miss, nur im dieser wird euch eine wirkliohe Weisheit zu Theil 
werden 19. Philo stellt sich in dieser Beziehung, so weit wir bis 
jeizt sind, ganz auf jenen einseitig praktischen Standpunkt, wel- 
chen wir bei der gleichzeitigen und der späteren Popularphilosophie 
schon so oft getroffen haben. 
Indessen scheiden sich die Wege, sobald er seine Ansicht 
weiter entwickelt. Das Ziel der Philosophie ist das sittliche Heil 
des Menschen, ihre nächste Aufgabe ist die Selbsterkenntniss. Aber’ 
diese selbst führt über sich hinaus. Je tiefer wir in uns selhst ein- 
driegen, um.so enischiedener werden wir uns selbst misstwauen, 
um so deutlicher unsere Nichtigkeit erkennen 3); wir werden ein- 
sehen, dass.Slott Allein weise ist, der mienschlicke Geist dagegen 
viel zu schwach if, um die Natur der Dinge zw begreifen; wir 
werden uns erinnern, wie oft unsere Sinne uns täuschen, wie die 
Essp&ndungen und Urthkeile mit den Personen und Umständen 
wechseln, wie relativ unsere Vorstellungen, wie ungleieh und wie 
abhängig von den Verhältnissen selbst die sittlichen Begriffe der 
Meuschen sind, wie wenig wir auch.nur das Wesen unserer Seele 
kennen, wie sogar die Philosophen über die wiehtigsten Fragen 
mit einander im Strei hegen, und wir werden auf alle Ansprüche 
an eigenes Wissen verzichten °). Nur 80 können wir hoffen, zur 
Weahrbeit zu gelangen. Wer Gott erkennen will, muss sich selbet 
aufgeben, er muss seinen Sinn von allem vergänglichen abwenden, 
er muss Got werden. Ebenso aber auch umgekehrt: ‘wer sich ' 
selbst aufgiebt, der erkennt den Unendlichen 4). Von sich aus 
1) De somn. 578, € (628) ff. vgl. 8. 567,' Ὁ (622) f. Mut. nom. 1055, C 
(589). Migr. Abr. 416, Ὁ (465) ἢ. 
3) De somn. 574, Ὁ. 629 M. . 
8) Leg. all. 57, B (62). Conf. lingu. 838, C (424). Migr. Abr. 408, Ὁ. 
457 M. Fragm. 6564 M., besunders aber le ebriet. 264, D — 270, B (382 — 
388), wo die Unsicherheit alles Wisseus mit feissiger Benützung jener skep- 
tischen Gründe erörtert wird, welche die neue Akademie aufgestellt hatte. 
Meine früheren Bemerkungen über den Zusammenhang der pytbagoraisiren- 
den Philosophie mit der Skepsis vrhalten durch diese Stellcu eine bemerkens- 
werthe Bestätigung. 
4) Bomn. 574 D. 629 M. Fragm, ἃ. ἃ. Ο. 


360 Philo, 


kann kein geschaffenes Wesen etwas von ihm wissen, wenn wir 


ihn schauen sollen, muss er selbst sich uns’ offenbaren '). Durch 
diese Sätze, welche mit seiner ganzen Denkart so eng verwachsen 


sind, trennt sich Philo’s religiöse Philosophie ganz entschieden 


von der reinen, in sich befriedigten Wissenschaft des hellenischen 
Alterthums, wiewohl auch sie in der gleichzeitigen griechischen 
‚Philosophie ihre Parallelen hat; die Weisheit und Tugend er- 
scheint nach dieser Auffassung nicht als eine blosse Selbstdarstel- 
lung der menschlichen Vernunft, sondern wesentlich als ein 
Hinausgehen über die Vernunft, als eine Hingebang des mensch- 


lichen Wollens und Denkens an das über- und ausserweltliche 


Wesen, an die Gottheit. 

. Auch diese religiöse Vollkommenbeit hat nun allerdings ver- 
schiedene Formen und Stufen. Wie schon die alten Philosophen 
bemerkt hatten, dass die Tugend theils aus der Naturanlage abge- 
leitet werden könne, theils aus der sittlichen Uebung, theils aus 
Unterricht, so unterscheidet auch Philo eine dreifache Gestalt der- 
selben, je nachdem sie Sache der Ascese, oder des Unterrichts 
oder der Natur sei ?). Alle drei Bestandtheile gehören freilich 
zusammen, aber doch kann in dem einen dieser, in dem anderen 
jener überwiegen 8). Sofern diess aber der Fall ist, sind die drei 
Formen von ungleichem Werthe. Am niedrigsten wird offenbar 
die ascetische Tugend gestellt. Sie muss, wie gesagt wird, müh- 
sam erkämpfen, was anderen als göttliches Geschenk mühelos 
zufällt *); wer durch Unterricht gebessert ist, bleibt im Guten 
unverändert, der Ascet unterliegt zeitweisen Schwankungen und 
Rückfällen °), und er wird aus diesem Grunde noch. nicht den 


1) Post. Cain. 329 Μ, De Abr. 861, C. 18 M. C. alleg. 47, Β. 51 Μ, 

2) De Abr. 857, Bf. 9 M. De somn. 590, B. 646 M. u. 5. Philo κοδρῆ 
diese Unterscheidung ‚an die alttestamentliohe Geschichte an, indem ihm 
Abraham der Typus für die erlernte, Isaak für die angeborene, Jakob für die 
durch Uebung erworbene (ascetische) Tugend ist. (Andere &bnliche Typolo- 
gieen, wie sie 8. 802, 8 angeführt sind, haben für Philo’s Ethik geringere 
Bedeutung.) 

8) De Abr. a. a. Ο. 

4) Mut. nom. 1057, A (590) f. post. Ca. 280 M. o. 

6) Mut. nom. a. a. Ο. 


Religiöse Vollkommenheit; ihre Stufen und Arten. SG 


Volfkommenen ; sondern erst den Fortschreiteiiden zugezählt 1}. 
Höher steht, den angeführten Stellen zefolge, derjehige, desseh 
Tugend sich auf Umerricht ‘gründet; aber beide -überragt Wer 
Awutodidekt, denn er brauchte sich nicht erst zu verrvoltkömmmen‘ 
wie jene, sondern er ist von Bause aus vollkommen; seine Wäls+ 
heit ist, wie alles vollendete’ ih der menschlichen Natur eine Ho 
mittelbare Gabe der Gottheit ?), er hat:die Weihe des religiösen 
Genius erhalten; und aus diesem Grunde wird ihm, als die Möchsw 
Frucht der Weisheit, jene Heiterkeit des Gemüths zeutheil‘ auf 
welche bei dem biblischen Typus ‘dieses Charakters ‘sehon: sein 
Neme hindeutst 5).. Von- dieser Stardpunkt aus konate 'Pile 
netärlich auf die praktische Darstellung ‘der Tugend, selbst weni 
diese die eigenthümliche Farbe der alexendrinischen Adcbse Ahagp 
nicht das gleiche Gewicht legen, wie: auf das innere ‘Leben δὸς 
Geistes] auf die fromme Betrachtung. ‚Mag er düher πον seiner 
Schilderung der Essener und Therapeuten die : elgehthümMeher 
Grundsätze: dieser Sekten als Muster’aufstellen, undiauch'in eigew 
nem Namen ilınen beipflichten 4): im ganzen: triti! didse-Sehu' bef 
im unverkennbar zurück » und was er nach r deim-frähertangen 


Ι . ͵ . 1, ἂν» εὖ εἰ ® 


a, 

1) Leg. all. 87 D f. 115 M. Qu. det. pot. 167, c. 204 Μ' ige, Ahrah, 
395, A (448). 

2) Post. Ca. a. a. Ὁ. Mut. nom. 1088 B: f 1084, er τον! 617) vgk- Ds 
somn. 1108; E 660M. ' £ EN 

‚3) Plant. N. 288, B (854). De praem. up. 218, 4. 418 Mo. 

4) So in der Empfehlung dee Einsamkeit (De Abr. 863, C,,14;M, ‚Dogal. 
144, A. 180 M), in dem Verbot des Eides (Decal. 756, C. 194, M. vgl.. Leg. 
alleg. 99; D. 128 M. ), das zwar kein’ unbedingtes ist, sondern mehr mür ‘den 
Charakter eilös-Kathids hat; deasen- Begründung Klier Wie gleichd ist, wid bei 
den Essenern, und in seinen Ansichten über die Ehe; denn wenn er diese 
auch nicht geradezu verwirft, so betrachtet er sie doch als etwas, das nur 
dem. Weltioben der Uhwesisen angehörte; m. vg).. Qu. det. pot.. 174, A (Z11}: 
mit'Gigant. 288, Αἰ (266). Vit. contempl. 899, D. 482 M. Eos. ὃτν ον; VER, 
11,9. Mit den Eissenern und Therapeuten stimmt Philo überhaupt in zyihen- 
Grundsätsen über die sinnlichen Genüsse ‚und üle.Befriedigung der.leiblichen 
Beilärfsissd überein,. wie. diess aus einer 'Vergleichung .der:8,' 858, 2 ange- 
führten Stellen mit denijenigen erhoßden wird, was 8. 240, 309 über jene: ber 
gebracht ist. . 

5) Anders verhielte us sich, wenn Dänze's Vorwust a 401) γμοιπδοδου 
wäre, dass Philo nieht selten „in das bodenlose und gräuelvoile.Gubiet. der 
Belbstpeiniger hinüberschwanlke* ; waa,ur ljodoek, zum Biovesis .diepor Bohaup-- 


—k 


80. ΟΠ Philg 


führten. von. der ‚pelitischen Thätigkeit gesagt hatte, das sagt er 
anoh von der ethischen, oder wie er sie nennt, von der aucelischen 
Tugend überhaupt; sie soll nur den unvollendeien, aber nach 
Vollendung strebenden Seelen angehören, dem Vollkommanen da- 
gegen sall es zustehen, nicht mehr zu arbeiten, sondern nur die 
Grundsätze zu bewahren und mitzutheilen, in deren Besitz ihn 
seine Vebung und Arbeit.gesetzt hat, demn die Ascese sei der Ort 
der Unmündigen, die Weisheit derjenige der Gereiften '). 

Wie ist nun aber diese Weisheit beschaffen, und wie weit 
kann sie uns führen? Wir. haben. an einem früheren Orte Philo's 
Erkifrung vernommen, dass die Gottheit von keinem geschaffenen 
Wesen: erkannt werden könne, sondern nur durch Vermittlang der 
gößllichen. Kräfte sich kuudgebe. Demgemäss sollte man erwarten, 
dass die wissengchaftliche Betrachtung dessen, was Goti in der 
Welt wirkt, unserem Philosophen das höchste sein werde. Und er 
willagch den Wertb der Wissenschaft nicht läugnen, Wir brauchen 
uns in digper ‚Beziehung nur an seine Aeysseraugen über die Noth- 
wendigkeit. dar Philosephie und über die wissenschaftliche Begrüs- 
dung: des Tugend zu erinneru. Selbst den Sinnen, die er sonst so 
sehr verachtet, wird zugestanden, dass sie die unentbehrlichen Ge- 
hülfen der Vernunft seien, und dieser ihre Nahrung darreichen ?). 
Nichtsdestoweniger kann sich Philo mit der mittelbaren Erkenntniss, 
welche die Wissenschaft gewährt, nicht begnügen. Der Gottheit 
allein soll ja volle und ursprüngliche Wirklichkeit zukommen, se 
allein soll der würdige Gegenstand unseres Strebens sein; die 
Gottheit kann aber in keiner ihrer Offenbarungen rein und voll- 
ständig erkannt werden ; wie sollten wir nicht den Versuch machen, 
sie in ihrer ‚Unmittelbarkeit, frei von allem dazwischenliegenden, 


f 


tung auführt, gehs theils nicht iiber die früher berührte Forderung einer eyn- 
sehen Bedürfnisslosigkeit hinwus, theils gehört os (wie die Asusserungen über 
die Opferung Isaaks De Adr. 878, Ὁ ff. 35 M) überhaupt nicht hisher. 

1) Qu. det. pet 4. αβ. 0. Migr. Abr. δ. ἃ. Ὁ. 

3) Leg. allagı 71, Bf. 1088, C fl. (67. 98). Plantat. N. 888 BE. 348. M. 
Wea insbosowiere den Gestchissinn βου δῆ, so wird seine Bedeutung für des 
geistige Leben von Philo in vollem Maass anerkannt; De Abr. 872, B (38) δ. 
wo u. Δ, 318, A: ἐξ αὖ δῆλόν ἐστιν, ὅτι σοφία χαὶ φιλοσοφία τὴν ἀρχὴν mr‘ οὐδενὸς. 
ἔλαβεν ἐπίρου τῶν ἐν. ἡμῖν, ἢ τῆς ᾿γπημονίδος τῶν αἰσθήαριον ὁμάσεως. Mi. ορίζ, 11, 
Β (ἐδ De παρόν. Ing: 806, ἃ (380). Fregm. 665 M. 


ΠΝ... 


Theologie. Anschauung der Gottheit. 208 


zu. erfassen? Je weiter Phile das göttliele Wiesen: aber.die Weit 
und das menschliche Denken hinausgerückt, je unmöglicher. ex. 
sich in Wahrheit jede Berührung mit demselben gemacht hat, um so. 
gewalisauier sauss. or. gerade sich anströngen, diesas Anmögliuhe 
doch zu leisten ; denn die Transoendems seines Goktanbegrifis selbst 
st nicht aus dem Bestreben hervorgegangen, jede Beziehung des 
Menschen zur Gottheit abzubrechen, sondern vielmehr aus..dem 
onigugengesetzten, die Gottheit, welobe der Mensch in sich selhek 
und in der Welt nicht zu finden wusste, jonseils alles Kadliohen ztı 
ergreifen. Mag es daher noch so widersprechend sein, wenn Philo. 
eine unmiltelbare Gotteserkenntniss in demselben Augenblick läugr 
net und fordert: dieser Widerspruch ist. für ihn unvermeidlich, ‚er 
ist is dem innersten Wesen seiner Denkweise ‚begründet, wid.ax 
sich selbst der bezeichnendste Ausdruck für.den eigenikämläshen. 
Zustand des Bewusstseins, aus welchem diese ganze Richtung hers- 
vorgieng. Philo verlangt demnach, dass wir nicht haider Erkennt« 
nigs der göttlichen Kräfte siehen bleiben, sendern zur Anschauung 
Gottes selbst vardringen; er hezeiahnet nicht hlos das Streben. 
nach dieser Anschauung als den Weg zur vollendeten Glückselig- 
keit‘), sondern er erklärt δυοῖν die Erreichung dieses ‚Ziels. für. 
möglich: er kemnt aine Stufe der Erhebung zum Göttlichen, wufi 
welcher der Geist nicht allein über die Sinuemnwelt, sondere über: 
alles abgeleitete Sein überhaupt, soger über die Ideen und den 
Logos hinausgeht; we er von dem ungeschwächten Lichte. der. 
Gottheit umstrahlt sie selbst in ihrer reinen Binheit anschaut, wo: 
er nieht blos. einen Genandien Gottes, sendern Gott selbst in sich 
"ig, aus einem Sohn des Lages ein Sohn Gottes wird, und.mit. 
dem Logos, der bisher gein Führer wan; gleieken Schrits hal *). 
Dass diess nieht ohne höhere Erleuchtung möglich ist; braushs 
nach dem früher erörterten nicht erst bemerkt zu werden; aber 
auch das lässt sich nach allen Voraussetzungen des philonischen 
erwarten, dass der Zustand dieser höheren Erleuchtung 
Nur ein Zustand der Ekstase sein kann. Das endlicheSelbstbewussti- 


“--. Ὁ 


4) Υἱὰ oontempl. 801, Β (473) vgl. Conf. lingu. 884, Δ. 419 M, . 
8) M. opif. 16, C. 16 M. Leg. all. 79, Ὁ. 98, C (102, 198) De komm. . 
%#7,D. 648 M. De Abr. 367, C f. 19 M. Mign Ahr. 215, AL. (468). Oonf. 
Inge 341, AL 486, ΝΜ, ° 


dm. 


2» Philo. 


sein Tverinag: die.Gotflieit nicht zu. fassen, jedes Ueberbleibsel des- 
selben. müsste. die Reinheit der Anschauung trüben; um Gott ἐκ 
sich:uufzumehmen ,. muss sich der Mensch. schlechthin -leidead der 
göttlichen. Wirkung .‚hingeben, durch vollkommene Selbstentäusse- 
rung sich . fäbig: machen, Gott zu werden 1). Philo hat diese, von 
der altgriechischen Denkweise so weit abliegende Ansicht sehr 
bestimmt ausgesprochen. Wenn du am Göttlichen theilnelhmen 
willst, sagt er, so musst du nicht blos den Leib, die sinnliche 
Wahrsebmudg und dieRede verlassen, sondern auch aus. där selbst 
musst du iw prophetischer Begeisterung, in einer Art korybantischen 
Wahnsinab. hepaustreten, es muss dir sein, wie einem sprach- und 
bewuöstlosen. Kinde?); wenn der göttliche Wahnsinn propketischer 
Begeisterung über den Menschen kommen soll, so muss die Senne 
des .Bewussiseins (νοῦς in ihm untergehen, das. menschliche Licht 
muss indem gößtlichen verschwinden. Die Ekstase ist daher die 
' wesenllidhe.iForm der Pruphetie; diese. Prophetie: ist aber nicht 
hlos für: egizetae 'Aubnahnmsfälle vorbehalten, sondern jeder weise 
und tugeüdkafte Merisch ist ein Prophet), er redet nichts eigenes, 
sondern während sein eigenes Denken und Bewusstsein zurück- 
getretbn.ist,. wohnt:der göttliche Geist in’ ibm und bewegt ihn wil- 
lenlos,; wid die :Saiten eines. musikalischen Instruments *). Auf 
diese Bewusstlosigkeit der Rrophetie ‚gründet: sich auch die Em- ' 
pfäbglichkeit des schisßenden: für . weissagende Träume δ). Das 
absr ἀΐδρο Höhe:der Betrachtung nicht jedermanns Sache sein konnte, 
war natürlick; ‘die Weisheit, welohe ihr zustrebt, musste daher als 
etwas goheimnissvolles, wls ein der Masse unzugängliches Myste- 
riumierscheinen , welches profanen Blicken entzogen werden soll, 
als din: Schatz, von welchem nur den Kingeweihten zu spenden 
erlaubt; ist), ‚Die Vorgänge, um die es ich hier ‚handelt, Iasson 


4“: \ ‚ It. . , 


᾿ Μ. νεῖ. das früher angeführte Fragm. 654 M. 
- 3) Qa. rer. div. h. 490, Ὁ „(482 Ὁ vgl. L. alleg. 69, A. C. 96 Ν. Mip. 
Abr. 417, Of. 165 M. 

8) Qu. rer. d. h. 517 C (510) vgl. S. 804, 7, wo auch über Philo’s Glau- 
ben an seine eigene Inspiration gesprochen wurde. 

4) A. εκ... 618, E.(508) ff., namentlich 8. 517, B £. 518, A f. De spec. 
logg: Al, 348 M. M. upif. 15, C (16). Desomn. 1140,A. 889.M. 
. 6) Migr. Abr. 412, Ὁ (466). De somin. 1108, A (659).. 

6) De Cherub. 116, A. 147 M. Gigant. 291, C. 290, M. ἴω, alleg. 79, D 


. Anschauung der Gbttheit. Rückblick. 225 


siek zicht:in Worten beschreiben ,' sie’ sind Sache: der pergöullichen 
Brfehrung ; natürlich, ‘dass such: nur'mit:denen! davon: Yorstiet 
werden kamn, welche die gleiche Erfahrung 'gemacht haben.! 1. '- 

Diese Lehre von der Auschauing der dotiheit bildet die. keizte 
Spitze des philonischen Systems. Jene Gemeinschaft. mit Gott, 
welcher das ganze Sfetem zustrebte‘, ist in ihr so vollkommen er-+ 
reicht, als sie für den Menschen überhaupt zu erreichen ist, die 
Bewegung des forschenden Geistes ist zur Ruhe‘; die.Philossphik, 
welche zu Gott hinfähren süllte, ist zu: ihrem Abschluss gekonimsh. 
Ebendesshalb ist aber auch keine andere Bestimmung so’geeigwet, 
πὲ einen tieferen 'Einblick in die innere Entstöhung : diesds 
Systems zu’ gewähren und: seine . ursprünglichen 'Motive :aufiak« 
schliessen. Wir werden: diese nur :in der. Schnmsucht. nach- jehier 
unmittelbaren Vereisigung mit dem Unendlivhen: finden könrteil, 
welche durch die ekstatische Erhebung ‚zur Gottheit: befriedigt 
wird. Diese Sehnsucht hat einestheils jenes Gefühl der' Nichtigkuft 
alles Enalichbn, der menschlichen Hälfsbedürfügkeit, derSchwäche 
wserer geistigen undısitllichen Kraft zur Voraussetzung , welches 
Philo selbst als das Endergebniss aller Solbstbesbachtang bezeich- 
set, und von welchen seine ganze Lehre 30 tief darohdrüngem ist; 
andererseits ruht sie auf der leberzeugung, dass den Bedürfnisgen, 
für deren Befriedigung die eigene. Kraft. und die ehdliche: Welt 
nicht ausreicht, dureh. die überweltliche Macht-achleekthin: gehügt 
werde. Aus der ersien von diesen Voraussetzungen ergab sich 
das Bestreben, den Gegonsatz des Endlichen und'der Gotikeib mÖgr- 
liest zu spannen, .alld: *udlichen. ud menschenähnlichen Beatim- 
mangen aus der Gotlasidee zu, ‚entfernen, alla. Realität und 
Vollkommenheit' ausschliesslich in. die Gottheit zu verlegen, ‚nnd 
ebeuso-auohi im :Menachen: nur die geistige Seite seines Wanne 3 


Org 


(107). De Abr. 367 C (19). Die Kthebung über die Sinnenwelt’wird bier mit 
der Einweihung in Mysteridn, die Stufön derselben werden mit dem Uhtes- 
schied der grossen und kleiven Weihen verglichen; die; denem nid gelunghe 
in, heissen Mysten, Moses, weil er sie Iphat, Her Kierophant. (Aeknlich, Ds 
Prof. 476, O. 578 M: οἱ ἀλληγορίας ἀμῥητοὺ)... Das klassische Vorbild für diese 
Darstellung ist PLato Symp. 209, E. (Ebd. 215, E findet sich auch das xopu- 
βαντιᾷν͵ mit welchem Philo den Zustand des οἰ δ αϑιητβ vergleicht.) 

% weniger kann man aus diesen Ausdräsken auf dis Usherlieferting οἴμοι 
Yirklicken' &cheimichre in der alexahdrinischen Schule schlidssen. 


388 rs Mpilo. 


betechligt anzuerkennen, die Sinnlichkeit dagegen wis eine fremd- 
wstige Zuthat, als das absolute Geirentheil des Geistes, als die Quelle 
aller Usbel zu behandeln; die zweite musste umgekehrt dazu ım- 
treiben, eine Vermittiung zwischen dem Endlichen und demUnendli- 
chen zu suoken, die göttliche Wirksamkeit auf alles ohne Ausnahme 
«uszudshnen,, die göttlichen Kräfte in die Welt einzuführen, ποῦ 
der dies göttliche Wesen allerdings sieh nicht berühren sollte, dem 
Mehpehen sinn Weg zur Gemeinsehaft mil der Gottheit, trotz ihrer 
absoluten Unnahberkeit, zu eröffnen. Durch dieses zweiseitige Be- 
Aireben wer des Verhältniss bedingt, in welchem sich Philo theils 
die Lehrem der verschiedenen griechischen Philosophen , theils die 
alttestamentlichen Vorstellungen aneignete. Dass es dabei zu keiner 
widerspruchslosen Einheit der Lehre kommen konnte, lag in der 
Natur der Sache; ist doch Philo’s System schon in seiner Grund- 
richtung der Widerspruch, die innigste Verbindung mit einem 
Wesen zu fordern, dessen Begriff diese Verbindung von Hause aus 
unmöglich macht; aber diese Widersprüche siad darum nichts 
zufälliges, nicht blos das Erzeugniss eines prineiplosen Eklektieis- 
mus, sondern sie sind in der ursprünglichen Anlage der alexandri- 
nischen Philosophie gegeben, sie sind nur die folgerichtige Entwick- 
lang eines Bowussiseins, das mit sich selbst und der Welt zerfallen, 
doch zugleich die äussersten Anstrengungen macht, im Gedanken 
an die Gottkeit zur Einheit mit sieh zu gelangen. 

Dieser innere Zwiespalt war nun freilich dem griechisches 
Volk und semer Philosophie ursprünglich durchaus fremd; und so 
könnte man sieh versucht fühlen, den Philo und seine jüdischen 
Geistesverwandten ausschliesslich als Orientalen zu behandela, 
welche sich zur griechischen Philosophie in ein blos äusserliches 
Verhälteiss gesetst hätten. Aher eine verwandte Denkweise heile 
ja noch vor Philo in der griechischen Philosophie Eingang gefun- 
den, und sie hatte sich hier nur zum kleinsten Theil ans fremden 
Kinflüssen entwickelt, sie. war vielmehr in der Hauptsache aus der 
eigenen Geschichte des griechischen Denkens hervorgegangen und 
seit Jahrhunderten allmählich herangewachsen. Mit dieser grie- 
chischen Spekulation stand ferner die jüdische, wie wir gesehen 
haben, von Anfang an im engsten Zusammenhang, sie wurde nur 
durch die Aneignung der Begriffe und Lehrsätze möglich, welche 
die griechischen Philesophen zuerst aufgestellt hatten. Auch Phil 


Rlokbiiek. ἡ οὖ 


bat viele von den wichtigsten Bestandtheilen seiner Lehre der 
griechischen, besonders der stoischen und platonischen Philosophie 
entnommen. Wiewohl daher diese Lehre nach der einen Seite hin 
im Orient wurzelt, wird man sie doch zugleich als ein wesent- 
liches Glied in der Entwicklung der griechischen Philosophie an- 
erkennen müssen. Selig aber in Jieser ‚Beziehung je noch ein 
Zweifel übrigbleiben, so wirder verschwinden, wenn wir im Neu- 
platonismus auch von den Bestimmungen, durch welche Philo über 
die Platoniker und Pythagoreer seiner Zeit hinausgeht, die wich- 
“δέσουν wiederfinden werden. 
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8468 Neupintontker. 


od ες ° Dritter Abschnitt. 
" "Der Neunplatonismug 1). 


Einleitung: über Wesen, Ursprung und Ent- 
wicklung der neuplatonischen Philosophie. 


So vielen Anklang die Denkweise gefunden hatte, deren erste 
Vertreter wir in den Neupythagoreern erkannt haben, so währte 
es doch bis in’s dritte Jahrhundert nach Christus, ehe sich dieser 
Standpunkt auf griechischem Boden zu einem umfassenderen 
System entwickeln konnte. Bis dahin treffen wir wohl einzelne 
eingreifende Abweichungen von der älteren Ueberlieferung der 
Schulen, einzelne neue Vorstellungen, welche die veränderte Rich- 
tung des Denkens beurkunden; aber es wird noch nicht der Ver- 
such gemacht, dieselben zur wissenschaftlichen Einheit zusammen- 
zufassen, das Ganze der philosophischen Weltanschauung von den 
neugewonnenen Gesichtspunkten aus umzuarbeiten. Unter allen 
.jenen Philosophen, welche seit dem ersten vorchristlichen Jahr- 
hundert bald als Pythagoreer, bald als Platoniker auftreten, ist 
keiner, der an systematischem Geist-mit Plotin irgend zu verglei- 
chen wäre. Die Lehren, worin sich ihre Eigenthümlichkeit aus- 
prägt, erscheinen noch nach allen Seiten hin unfertig und 


1) Ueber die neuplatonische Schule als Ganzes vgl. m. von Neueren: 
Ἦκοκι, Gesch. ἃ. Phil. III, 8 ff. Bırrma IV, 671—738. Paztree Hist. phil. 
gr. et rom. 2. A. 587 fi. ScuwzeLer Gosch. d. griech. Phil. 261 ff. Baaupıs 
Gesch. ἃ. Entwickelungen d. griech. Philosophie II, 808 -— 480. Usszawee 
Grundriss u. s. w. I, 212 ff. Sreımuart Art. Neoplatonismus in PauLr's Real- 
enoyklopädie ἃ. klass. Alterth. V, 1705 ff. Kıscasar Die Phil. d. Plot. 1854. 
Cousın Hist. gener. de la Philosophie, 7. 6d. 8. 187 ff. Vaonzror Histoire del’ 
6cole d’ Alexandrie Paris 1846. 1851 8 Bde. JuLzs Sımon Hist. dei’ doole d' 
Alex. Paris 1845. 3 Bde. Bpeciellere Arbeiten werden an ihrem Ort genannt 
werden. 


Unterschied von den griech. Vorgängern. 369 


vereinzelt. Im Gegensatz zum stoischen und epikureischen Male- 
rialismus betonen sie den Unterschied von Form und Stoff, Geist 
und Körper auf's stärkste, sie treiben den platonischen Dualismus 
auf die Spitze; aber keiner versucht das Dasein der Materie zu 
erklären, keiner sagt uns, wie sich die Annahme dieses zweiten, 
dem göttlichen entgegengesetzten Princips mit der Einheit der 
obersten Ursache vereinigen lässt, welche gerade in jenen Jahr- 
hunderten der Stoicismus so nachdrücklich zum Bewussisein 
gebracht hatte!). Sie empfinden das Bedürfniss, den unendli- 
chen Abstand zwischen Gott und der Welt durch Mittelwesen 
auszufüllen, einen Uebergang von jenem zu dieser zu gewi- 
nen; aber die Vorstellung von diesen Wesen kommt nicht 
über die mythische Form des Dämonenglaubens hinaus, die Art 
ihrer Entstehung wird nicht untersucht, die Stufenreihe der Ver- 
mittlungen,, welche von der Gottheit zum Endlichen überführen, 
nicht näher beschrieben. Sie sehnen sich nach Offenbarungen der 
Gottheit, und wollen sich durch Reinheit des Lebens und Ascese 
derselben würdig machen; aber auch hier fehlt es noch an einer 
festen und in’s einzelne durchgeführten Ansicht über das Werth- 
verhältniss der verschiedenen sittlichen und geistigen Thätigkeiten, 
sie werden noch lange nicht so bestimmt und umfassend, wie im 
Neuplatonismus, auf Ein letztesZiel bezogen, und wenn allen Philo- 
sophen dieser Richtung die Vereinigung mit der Gottheit als höch- 
stes vorschwebt, so ist es doch erst Plotin, welcher diesen Gedanken 
auf seinen strengsten und abstraktesten Ausdruck gebracht hat. 
Wie wenig man vor ihm über eine eklektische Verbindung ver- 
schiedenartiger Annahmen binausgekommen war, wurde auch an 
dem sonstigen Inhalt der Physik, Psychologie und Ethik schon 
fräher nachgewiesen. Unter Plotin’s griechischen Vorgängern 
kommt ihm Numenius noch am nächsten; aber auch er steht an 
systematischer Entwicklung und folgerichtiger Durchführung seiner 


1) Wie deutlich die Neuplatoniker selbst dieses Unterschieds zwischen 
ihrer Lehre und der ihrer nächsten Vorgänger sich bewusst waren, zeigt 
τ. a. die Widerlegung der Meinung, als ob die Materie nicht von Gott ge- 
schaffen wäre, welche Proxı.. in Tim. r19, B ff. nach Porphyr giebt, und das 
Bruchstück des Hızroxı.es (nm 430) b. Pnor. Cod. 251, 8. 460, worin gleich- 
falls die Annahme einer ewigen Materie neben Gott, welche sich selbst bei 
Platonikern finde, lebhaft bestritten wird. 

Philos. ἃ. Gr. I. Bd. 2. Abth. " 24 
ten 


870 Neuplatoniker. 


Gedanken hinter jenem weit zurück. Wenn Plotin die Gottheit über 
das Sein und die Vernunft binausrückt, so fällt sie bei Numenius 
mit beiden noch zusammen; wenn jener auch die Materie aus dem 
Urwesen ableitet, um der Einheit der obersten Ursache nichts zu 
vergeben, so bleibt dieser bei zwei letzten Gründen, Gott und Ms- 
terie, stehen; wenn das plotinische System nichts anderes ist, als 
eine methodische Beschreibung der Stufen, durch welche der Her- 
vorgang der Welt aus der Gottheit und die Rückkehr des Menschen 
zur Gottheit sich vermittelt, so genügt dem Numenius in der einen 
Beziehung die Unterscheidung des höchsten Goties von dem Welt- 
schöpfer, in der andern die allgemeine Forderung des geistigen 
Verkehrs mit der Gottheit 1). Wirfinden auch bei ihm zwar manche 
von den Gedanken, welche den Neuplatonismus vorbereiteten: 
aber die Grundzüge des neuplatonischen Systems als solchen lassen 
sich nicht auf ihn zurückführen. 

Näher kommt ihm Philo. Durch seine Bestimmungen über das 
Wesen der Gottheit hat Philo unverkennbar der neuplatonischen 
Theologie vorgearbeitet. In seiner Lehre von den göftlichen 
Kräften und dem Logos werden nicht blos überhaupt Mittelwesen 
zwischen Gott und die Welt eingeschoben , sondern indem diese 
Wesen zugleich als Wirkungen und Eigenschaften der Gottheit 
bestimmt und im Logos zusammengefasst werden, wird die Einheit 
des Weltzusammenhangs und der in der Welt wirkenden Ursachen 
weit strenger gewahrt, als diess in dem Dämonenglauben der gleich- 
zeitigen Platoniker und Pythagoreer geschehen war. Philo ist end- 
lich unsersWissens der erste, welcher als letztes Ziel des mensch- 
lichen Strebens eine Anschauung der Gottheit verlangt, die über 
alle Vermittlungen, alles bewusste Denken und alle Begriffe hinaus- 
gehen soll; und wie sich hierin die neuplatonische Vereinigung 
der Seele mit dem Urwesen vorbildet, so hat er auch über das 
Verhältniss der übrigen sittlichen und geistigen Thätigkeiten zu 
dieser höchsten, über die stufenweise Erhebung des Menschen zur 
Gottheit sich eingehender, als irgend ein anderer von Plotin’s Vor- 
gängern, ausgesprochen. Aber doch lässt sich auch sein System 
als philosophische Leistung dem plotinischen nicht gleichstellen. 
Da es Philo bei seinen Untersuchungen zunächst nicht um das 


1) Vgl. 8, 196 ΠΙᾺ 


Unterschied von Philo. 371 


philosophische Erkennen als solches, sondern um die Auslegung 
der jüdischen Lehren und Schriften zu thun ist, so hat die Schärfe 
der wissenschaftlichen Bestimmungen, die Vollständigkeit und 
Folgerichtigkeit einer methodischen Gedankenverknüpfung immer 
nur emen untergeordneten Werth für ihn; und da es zwei nach 
Ursprung und Inhalt sehr verschiedene Quellen sind, aus denen er 
seine Ansichten geschöpft hat, so ist ihm eine einheitliche Lehrent- 
wicklung zum voraus unmöglich gemacht. Er beginnt, wie die 
Neuplatoniker, mit der eigenschaftslosen Gottheit, aber derselbe 
Gott soll zugleich auch der persönliche Gott der jüdischen Religion, 
der wunderthätige Schutzherr des israelitischen Volks sein. Er hält 
schon vermöge seines jüdischen Monotheismus an der Einheit der 
obersten Ursache mit Entschiedenheit fest; aber er macht keinen Ver- 
such, den ursprünglichen Dualismus von Gott und Materie durch eine 
Ableitung der letztern,, wie sie später Plotin unternommen hat, zu 
beseitigen. Er sucht durch die göttlichen Kräfte den Uebergang zum 
Endlichen zu gewinnen; aber auch diese Lehre geräth durch die 
Vermischung verschienartiger Vorstellungen in’s Schwanken: die 
platonischen Ideen wollen mit der stoischen Weltvernunft und dem 
jüdisch-persischen Engelglauben zu keiner inneren Einheit zu- 
sammengehen, der Logos selbst steht zwischen einem persönlichen 
Wesen und einer unpersönlichen Kraft zweideutig in der Mitte, 
und auf eine genauere Bestimmung der Stufen, welche die Gottheit 
mit der Erscheinungswelt vermitteln, ist Philo nicht eingegangen. 
Wie wenig seine Anthropologie an Genauigkeit und Folgerichtig- 
keit der neuplatonischen gleichsteht, ist leicht zu bemerken; und 
wenn er in seinen ethischen Ansichten, mit Plotin, an die Stoiker 
anknüpft, und ebenso, wie dieser, in der ekstatischen Erhebung 
zum Göttlichen abschliesst, so stehen dafür in seiner Tugendlehre 
philosophische Kategorieen und theologische Typen, stoischer 
Kosmopolitismus und jüdischer Nationalstolz viel zu unvermittelt 
neben einander, als dass wir sie der rein philosophischen Ethik 
eines Plotin zur Seite stellen dürften. Aber auch da, wo Philo 
materiell mit Plotin übereinstimmt, ist doch sein wissenschaftliches 
Verfahren in der Regel ein anderes: der eine beweist, der andere 
behauptet, jener giebt dialektische Erörterungen, dieser allegori- 
sche Schrifterklärung. Mögen wir daher auch Philo’s geschicht- 
liche Bedeutung noch so hoch anschlagen, als Philosoph steht er 
24 * 


373 Neuplatoniker. 


weit unter Plotin, und auch sein Beispiel kann der Behauptung 
nur zur Bestätigung dienen, dass sich der Neuplatonismus vor alles 
verwandten Erscheinungen, welche die nächstvorhergehenden Jahr- 
hunderte aufweisen, in erster Linie durch den systematischen Geist 
auszeichne, mit dem er eine Weltanschauung, die im allgemeinen 
allerdings auch schon vorher vorhanden war, in scharfer wissen- 
schaftlicher Fassung nach allen Seiten hin folgerichtig entwickelt, 
und aus ihr die Beschaffenheit der Welt und die Aufgaben des Men- 
schen abzuleiten versucht hat. 

Auf der andern Seite dürfen wir aber doch den Neuplatonis- 
mus weder von seinen bisher besprochenen unmittelbaren Vor- 
gängern noch von der übrigen nacharistotelischen Philosophie 
in der Art abtrennen, dass wir ihn der gesammten früheren Wis- 
senschaft als das höhere gegenüberstellten, und in ihm erst die 
Versöhnung der philosophischen Gegensätze, die Verknüpfung der 
einseitigen Systeme zur Totalität, die absolute Vollendung der 
alten Philosophie erblickten 1). Mochte auch die herkömmliche Ge- 
ringschätzung der neuplatonischen Philosophie und ihrer geschicht- 
lichen Bedeutung, das oberflächliche Gerede über den „alexandri- 
nischen Eklekticismus“ 5), die sichtbare Ungunst, mit der auch 


1) Wie Heekzı Gesch. ἃ. Phil. I, 182. III, 11. 81. Covsız in der Vorr. z 
». Ausgabe des Prokl. 1 B. 8. X (weniger günstig urtheilt C. in der Hist. geo. 
d. Philosophie 190 ff. und in der früheren Schrift Du Vrai u. s. w. Lecon V 
über den Neuplatonismus). Vacuzsor Hist. de l’6cole d’Alexandrie lil, 221. 
469 f. auch Irrıxnart de dialectica Plotini rat. (Naumb. 1829) 8. 19; Ders. 
in Paurr’s RBealenoyklopädie V, 1708 u. A. 

2) Secta eclectica ist die Bezeichnung, unter welche Bruckzz Hist. erit. 
philos. II, 189 ff. die Neuplatoniker stellt; doch ist eigentlich auch sie ihm 
zu gut für Leute, qui non in eligendis veris, sed in conciliandis ei in una 
quasi massam chaosque magnam partem informe conflandıs diversissitarun 
opinionum generibus fuere diligentissimi, sic us conciliatorum polius τοὶ synere- 
tistarum nomen mereantur. Eben diesen Namen gebraucht dagegen ein An- 
hänger der eklektischen Schule in Frankreich, J. Sımox (Hist. de l’dcole δ 
Alex. II, 686 £.) von den Alexandrinern, um die hohe Stellung zu bezeichnen, 
die er ihnen einräumt. Der Eklektioismus ist seiner Meinung nach nicht ein 
charakterloses Philosophiren, sondern die Philosophie ohne Einseitigkeit, die 
Philosophie, welche die Vernunft mit der Erfahrung versöhnt, welche alle 
Elemente unserer Natur in Rechnung nimmt, allen ihren Bedürfnissen genigt, 
den ganzen Gewinn der geschichtlichen Entwicklung benützt u. 8. w. Wenn 
er daher die Neuplatoniker Eklektiker nennt, so ist diess in seinem Munde 
das entschiedenste Lob. Nur um so seltsamer nimmt es sich aber aus, wenn 


Verwandtschaft mit der nacharistot. Philosophie. 373 


noch Rırrer die Neuplatoniker behandelt 1), das entgegengesetzte 
Extrem einer einseitigen Bewunderung gewissermassen heraus- 
fordern, so wird doch damit nicht allein der Werth der neuplatoni- 
schen Wissenschaft überschätzt, sondern auch ihre geschichtliche 
Eigenthümlichkeit verkannt. Der Neuplatonismus bildet allerdings 
den geschichtlichen Schlusspunkt der griechischen Philosophie, er 
hat alle Schulen, die er vorfand, aufgezehrt, er hat die ganze 
hellenische Wissenschaft seiner Zeit in sich zusammengefasst; aber 
diese Stellung beruht nicht darauf, dass er die Principien aller 
früheren Philosophen in einem höheren Prineip aufhob, alle ihre 
Systeme in einem umfassenderen-System vereinigte, sondern nur 
darauf, dass er sie alle im Sinn seiner Zeit benützt, den Bedürf- 
nissen und Anschauungen dieser Zeit anbequemt hat. Die Neu- 
platoniker selbst stellen sich gar nicht die Aufgabe, deren Lösung 
man ihnen zuschreibt; sie suchen wohl etwa zu zeigen, dass Ari- 
stoteles, Pythagoras, Parmenides, Empedokles und andere alte 
Philosophen mit Plato übereinstimmen, aber nicht in dem Sinn, als 
ub jeder von diesen nur ein einseitiges Princip hätte, das erst der 
Ergänzung durch andere, der Fortbildung zu einem höheren Princip 
bedürfte, sundern in dem entgegengesetzten, dass sie alle die 
wahre Philosophie haben, und nur im Ausdruck von einander ab- 
weichen 7); sofern aber diese Voraussetzung nicht ausreicht, so 


er ihnen dennoch das Uebermaass ihres Eklekticismus sum Vorwurf macht. . 
Da der Eklektioismus nichts anderes, als die wahre Philosophie sein soll, so 
heisst das in der That, die Neuplatoniker seien zu wenig einseitig, sie seien 
zu gute Philosophen gewesen. Der Eiklekticismus bezeichnet hier so viel 
als das „absolute System“ (vgl. auch II, 628), das aber für J. Sımon, wie es 
scheint, zu absolut ist. 

1) Noch viel weiter geht diese Ungunst bei Prantı Gesch. d. Log. 1, 618. 

2) M. vgl. die Nachweisungen Kırcaxer’s Philos. d. Plotin 180 ἢ. Plotin 
heunt die „Alten“, wie sie bei ihm gewöhnlich heissen, auch wohl ol ἀρχαῖοι 
χαὶ μαχάριοι φιλόσοφοι (111, 7 prooem. 826, C). V, 1, 8 führt er aus, dass seine 
Lehre von dem Einen, dem νοῦς und der Seele platonisch sei; dieselbe findet 
eraber auch bei Parmenides, Heraklit, Anaxagoras, Empedokles, wenn auch 
dabei zugegeben wird, dasa z. B. Anaxagoras τὸ ἀχριβὲς δι᾽ ἀρχαιότητα παρῆκε. 
Erst an Aristoteles wird es getadelt, dass er dem νοῦς, nicht dem Einen, die 
te Stelle zuweise. Wie sehr sich Plotin von den Früheren abhängig machen 
"ill, zeigt auch III, 7 proocm. 325, B, wo er aus Anlass der Untersuchung 
über Zeit und Ewigkeit bemerkt: τὰς τῶν παλαιῶν ἀποφάσεις περὶ αὐτῶν ἄλλως 
ἄλλας, τάχα δὲ καὶ ἄλλως τὰς αὐτὰς λαβόντες, ἐπὶ τούτων ἀναπαυσάμενοι κχοὶ αὖὔ- 


ὀΔὼὶ N 


874 Nouplatoniker. 


gilt das platonische System durchaus als die Norm, an welcher die 
Wehrheit aller andern bemessen wird. Es ist also nicht ein neues, 
die unvollkommenen Principien der früheren zur Totalität ver- 
knüpfendes System, das unsere Philosophen anstreben, sonders 
nur eine Wiederherstellung des reinen Platonismus: sie wollen 
Platoniker sein und heissen, sie sind überzeugt, dass im Piatonis- 
mus alle Wahrheit enthalten sei, welche die hellenische Philo- 
sophie, in ihren edelsten Vertretern wesentlich übereinstimmend, 
entdeckt habe, und wo ihnen eine wirkliche Abweichung von der 
platonischen Lehre vorzuliegen scheint, da treten sie derselben 
mit aller Bestimmtheit entgegen 1). In der Wirklichkeit sind sie 
freilich vom ursprünglichen Platonismus weit entfernt ?), aber 


ταρχες νομίσαντες, εἰ ἔχοιμεν ἐρωτηθέντες τὸ δοχοῦν ἐχείνοις λέγειν͵ ἀγαπήσαντες 
ἀπαλλαττόμεθα τοῦ ζητέϊν ἔτι περὶ αὐτῶν. Einige der Alten müssen ja die Wahr- 
heit gefunden haben; es frage sich nur, welche diess vorzugsweise seien. 
Schon hierin liegt nun freilich, dass nicht alle Ansichten der früheren Philo- 
sophen gleich richtig seien, und so kritisirt denn auch Plotin ausser dem 
Stoicismus und Epikureismus und ausser manchen Bestimmungen des aristo- 
telischen Systems auch einzelne Annahmen vorsokratischer Philosophen (die 
des Empedokles und Anaxagoras über die Grundstoffe II, 4, 7 Anf.); aber 
doch liegt am Tage, dass er gerade in den Punkten, welche ihm die wichtig- 
sten sind, die wesentliche Uebereinstimmung aller namhaften Philosophen bis 
auf Plato herab, und grossentheils auch des Aristoteles, voraussetzt. — Wenn 
mir Kırouser die Behauptung beilegt, „Plotin sehe in den alten Philosophisen 
nur die Einheit, aber nicht die Unterschiede, und schreibe jedem der früheren 
Denker den gleichen Besitz der Wahrheit zu“, so ist diess, wie der Augen- 
schein zeigt, sehr ungenau; das ist aber allerdings meine Meinung, und es 
wird auch nicht bestritten werden können, dass Plotin und seine Nachfolger 
die &lteren Philosophen, und sehr häufig auch den Plato und Aristoteles, ne- 
ter Verkennung ihrer Eigenthümlichkeit, mit sich selbst und unter einander 
in eine Uebereinstimmung zu bringen suchen, welche thatsächlich nicht vor- 
handen ist. 

1) Man sieht diess bei Plotin, und auch bei seinen Nachfolgern, ausser 
der scharfen Polemik gegen Epikureer und Stoiker namentlich an der viel- 
fachen Bestreitung aristotelischer Lehrbestimmungen; vgl. hierüber Sram- 
Bart Moletem. Plotin. 24 ff. und was später aus Anlass der plotinischen Lehre 
über das Urwesen, die Kategorieen, die Seele, das höchste Gut anzuführen 
sein wird. 

4) Kızonmer's Behauptung (a. a. O. 185), dass die Grundaüige des ploti- 
nischen Systems keine anderen seien, als die des reinen und ursprünglichen 
Platonismus, wie ihn Aristoteles uns kennen lehre, ist offenbar unriohtig, 


An. 


Verwandtschaft mit der nuocharistot. Philosophie. 375 


diese Abweichung besteht nicht darin, dass sie die Einseitigkeiten 
des platonischen Standpunkts ergänzt, und die Lehren aller ihrer 
Vorgänger mit einander wissenschaftlich vermittelt haben, sondern 
nur darin, dass sie sich in einer andern, im Vergleich mit Plato 
und Aristoteles weit einseitigeren Richtung bewegen. Von den 
Untersuchungen, welche die frühere Philosophie beschäftigt hatten, 
ist ein grosser Theil, alles eigentlich naturwissenschaftliche, für 
die Neuplatoniker ohne allen selbständigen Werth. Auch die po- 
litischen Fragen lassen sie gänzlich bei Seite '); nicht einmal die 
allgemeinere Untersuchung über die Nothwendigkeit und die Be- 
dingungen der menschlichen Gemeinschaft zieht ihre Aufmerksam- 
keit ernstlicher auf sich. Um so grössere Beachtung findet die 
Religion; während Plato diese immer nur beiläußg berührt und in 
der freiesten Weise behandelt hatte, so folgt schon Plotin und noch 
mehr Porphyr in der allegorischen Mythendeutung, in der natür- 
lichen Theologie, in der Vertheidigung des Polytheismus, des 
keidnischen Kultus und der Mantik, dem Beispiel der Stoiker, und 
die jüngeren Neuplatoniker seit Jamblich betrachten die religiöse 
Restauration als ihre wichtigste Aufgabe. Die wissenschaftliche 
Thätigkeit der Neuplatoniker beschränkt sich mithin schon ihrem 
Umfange nach auf denselben Kreis, in dem sich die nacharistoteli- 
sche Philosophie überhaupt zu bewegen pflegt; was über diese 
Grenze hinausliegt, wird nur mit gelehrtem, nicht mit selbständig 
philosophischem Interesse behandelt. Aber auch der Geist, in dem 
diese Untersuchungen geführt werden, steht der Richtung der 
späteren Schulen weit näher, als der platonischen und aristoteli- 
schen. Es ist wahr, die Neuplatoniker sind ebenso, wie die Pla- 
wniker und Pythagoreer der nächstvorangehenden Jahrhunderte, 
auf die platonische uud aristotelische Metaphysik zurückgegangen; 
sie haben nicht allein die epikureische Lustlehre, sondern auch den 
soisch-epikureischen Materialismus auf’s lebhafteste bekämpft 3), 


and ioh werde diess auch noch tiefer unten an einigen Hauptpunkten nach- 
aaweisen Gelegenheit finden. 

1) Denn dass Proklus, wie wir finden werden, neben anderem auch 
Plato’s politische Schriften oommentirt hat, ist in dieser Beziehung sehr un- 
erheblich, 

2) 8. uw. und Kırcanse a, a. Ὁ. 175 ff. „Plotin’s Verbältniss zu den frü- 
beren Philosophen.“ 


376 Neuplatoniker. 


sie haben sich in die angestrengteste und abstruseste Spekulation 
über eine transcendente Intellektualwelt verloren, und so könnte 
es scheinen, als ob mit ihnen und ihren unmittelbaren Vorgängern 
eine ganz neue Wendung in der Entwicklung der griechischen 
Philosophie eintrete, als ob das Denken von seiner bisherigen Sub- 
jektivität zur objektiven Forschung, von der Einseitigkeit der 
nacharistotelischen Periode zur Universalität des platonischen und 
aristotelischen Idealismus zurückkehre. Dieser Schein verliert 
sich jedoch bei näherer Betrachtung. Selbst für ihre Metaphysik 
haben die Neuplatoniker den Stoikern nicht weniger zu danken, 
als Plato und Aristoteles. Wenn der Neuplatonismus in der Gott- 
heit die wirkende Kraft sieht, deren Theilkräfte sich schaffend und 
bildend in zahllosen Verzweigungen durch’s Weltganze verbreiten, 
so ist diess wesentlich stoisch; der dynamische Pantheismus (das 
sogenannte Emanationssystem) der Neuplatoniker ist nur eine Me- 
tamorphose der stoischen Lehre über das Verhältniss der Welt und 
der Gottheit. Selbst die Materie haben ja die Stoiker zuerst als 
das Erzeugniss der wirkenden Kräfte aufgefasst. Aber auch das, 
‘was die neuplatonische Metaphysik am entschiedensten von der 
stoischen unterscheidet, die Transcendenz des Göttlichen, der 
schroffe Dualismus von Geist und Materie — auch dieses dürfen 
wir nicht einfach aus der Rückkehr zum Platonismus herleiten; 
auch diese scheinbare Rückkehr zum alten ist vielmehr durch die 
weitere Verfolgung der Richtung vermittelt, welche der Stoicismus 
zuerst eröffnet hatte. Weder Plato noch Aristoteles hatte die Got- 
heit über den Bereich des vernünftigen Denkens hinausgehoben, da 
beiden die denkende Erkenntniss des Wirklichen das höchste war; 
wenn es die Neuplatoniker gethan haben, so setzt diess die Ver- 
zweiflung der Wissenschaft an sich selbst, und ebendamit jene 
ganze Zurückziehung des Bewusstseins aus der objektiven Welt 
voraus, welche sich im Stoicismus und Skepticismus vollzogen 
hat ’). So wenig daher auch diese Bestimmung unmittelbar aus 
dem Stoicismus abstammt, so ist sie doch von einer Stimmung des 
philosophischen Bewusstseins herzuleiten, welche sich aus dem 


1) M. vgl. in dieser Beziehung ausser früheren Bemerkungen (8. 63 ὦ) 
such das, was demnächst über Plotin’s l,ehre vom Urwesen zu sagen sein 
wird, 


Verwandtschaft mit der nacharistot, Philosophie. 377 


Charakter der nacharistotelischen Philosophie folgerichtig ent- 
wickelt hat. Ebenso haben wir schon früher gesehen, wie der 
eihische Dualismus des stoischen Systems in seiner äussersten 
Konsequenz in jenen anthropologischen und metaphysischen Dua- 
iismus umschlägt, welchen die Stoiker selbst freilich entschieden 
bekämpft haben. Dieser Dualismus hat bei den Neuplatonikern 
nicht die gleiche Bedeutung, wie bei Plato und Aristoteles. Wenn 
die letzteren die Idee von der Erscheinung, die Form von der 
Materie unterscheiden, so ist diess nur eine Folgerung aus dem 
sokratischen Grundsatz des begrifliichen Wissens, die reinen For- 
men sind dasjenige, was den Inhalt unseres Wissens ausmacht. 
Hier ist daher die Unterscheidung des Sinnlichen und des Intelli- 
gibeln der stärkste Ausdruck für den Glauben an die Wahrheit des 
Denkens, nur die sinnliche Wahrnehmung und das sinnliche Dasein 
istes, deren relative Unwahrheit sie voraussetzt, aber von einer 
höheren, über den Begriff und das Denken hinausliegenden Stufe 
des geistigen Lebens ist nicht die Rede. Im Neuplatonismus da- 
gegen ist es eben dieses übervernünftige, welches für das letzte 
Ziel alles Strebens und für den höchsten Grund alles Seins gilt, die 
denkende Erkenntniss ist nur eine Zwischenstufe zwischen der 
sinnlichen Wahrnehmung und der übervernünftigen Anschauung, 
die intelligibeln Formen sind nicht das höchste und letzte, sondern 
aur das Mittelglied, durch welches sich die Wirkungen des form- 
Issen Urwesens in die Welt ergiessen.‘ Diese Ansicht hat daher 
nicht blos den Zweifel an der Wahrheit des sinnlichen Seins und 
Vorstellen, sondern den absoluten Zweifel, das Hinausstreben 
über die gesammte Wirklichkeit zur Voraussetzung; der Gegensatz 
des Sinnlichen und Intelligibeln hat hier nicht blos den Sinn, die 
Wahrheit des Denkens und die Wesenhaftigkeit des Gedachten 
“sszudrücken, seine wesentliche Bedeutung liegt vielmehr darin, 
die Unwahrheit alles bestimmten Seins und Denkens zu bezeichnen, 
das höchste Intelligible ist nicht das, was den wirklichen Inhalt 
des Denkens ausmacht, sondern nur das, was von dem Menschen 
als der unerkennbare Grund seines Denkens vorausgesetzt und 
ersehnt wird. Den letzten Schlussstein des Systems bildet dort 
das klare theoretische Leben, hier die bewusstlose Einigung mit 
dem Undenkbaren. Dort handelt es sich um die Erkenntniss des 
wahrhaft Wirklichen, hier um die Erfüllung der Seele mit dem, 


878 Nouplatoniker. 


was über alle Erkenntniss hinausgeht. Die platonische und aristo- 
telische Philosophie findet ihr Ziel im objektiven Wissen, die nes- 
platonische in einem subjektiven Gemüthszustand, welcher sowohl 
die Selbsterkenntniss als die Erkenntniss des Objekts ausschliesst 
Wie viel daher der Neuplatonismus für sein metaphysisches System 
von Plato und Aristoteles entlehnt haben mag: wenn wir die Ge- 
sammtrichtung dieser Philosophie, ihr letztes Ziel und ihre inneren 
Motive in’s Auge fassen, so erscheint diese ganze Metaphysik erst 
als ein abgeleitetes, dessen Bedeutung sich nur aus seinem Ver- 
hältniss zu jenem ursprünglichen richtig bestimmen lässt; der 
Schwerpunkt des Systems liegt hier nicht, wie in den grossen 
sokratischen Schulen, in der begriflichen Erkenntniss des Objekts, 
sondern in dem Lebenszustand des Subjekts, der Neuplatonismus 
lässt sich nur im Zusammenhang mit der nacharistotelischen Seb- 
jektivitätsphilosophie und als eine Form dieser Philosophie ver- 
stehen. Mit ihr theilt er ja überhaupt die Stellung, welche er dem 
Menschen zu der Welt ausser ihm anweist. Wie der Stoicismus 
eine subjektive Teleologie an die Stelle der physikalischen For- 
schung und des naturwissenschaftlichen Interesse’s gesetzt balle, 
so thut diess auch der Neuplatonismus; ja er geht in dieser Rich- 
tung so weit, dass der physische Zusammenhang der Erscheinungen 
geradezu durch den psychischen, durch die magische Sympathie 
aller Dinge verdrängt wird. Auch gegen den Staat und das mensch- 
liche Gemeinleben ist er auffallend gleichgültig; der Einzelne be- 
schränkt sich auf sich selbst und sein sittliches Bewussisein, es 
wird eine stoische Unabhängigkeit von allem Aeussern verlangt 
und behauptet. Schon diese Uebereinstimmung in der ethischen 
Lebensansicht macht es unmöglich, den grundsätzlichen Zusam- 
menhang des Neuplatonismus mit der Richtung der nacharisioteli- 
schen Systeme zu übersehen; so gewiss bei diesen die praktische 
Zurückziehung aus der äusseren Welt, die ethische Selbstgenüg- 
samkeit des Philosophen, mit der geringeren. Werthschätzung der 
objektiven Erkenntniss zusammenhängt, so gewiss sind wir auch 
umgekehrt zu dem Schlusse berechtigt, dass eine Philosophie, 
deren Ethik so stoisch lautet, wie die neuplatonische, nicht sus 
dem gleichen Interesse des Wissens hervorgegangen sein ΚΑΒΆ, 
wie die Lehre des Plato und Aristoteles. Auch schon der Um- 
stand müsste uns aber in dieser Beziehung bedenklich machen, 


ὧν 


Verwandtschaft mit der nacharistot, Philosophie. 829 


dass den Neuplatonikern von Anfang an dieselbe Anlehnung an 
positive Auktoritäten Bedürfniss ist, wie den übrigen Philosophen- 
schulen der macedonischen und römischen Periode. Hat auch erst 
Jamblich diese Philosophie ganz in den Dienst der positiven Reli- 
gion gezogen, und erst die athenische Schule durch das unver- 
kältnissmässige Vorherrschen der gelehrten Auslegung über die 
freie philosophische Darstellung fast jeden Anspruch auf Belbständige 
Gedankenerzeugung aufgegeben, so schliesst sich doch auch schon 
Plotin in derselben Weise an Plato an, wie die Stoiker an Heraklit; 
er knüpft seine Untersuchungen an die Erklärung platonischer 
Aussprüche '), er führt den Plato, wie die Scholastiker ihren 
Aristoteles, als den Philosophen schlechtweg mit einem blossen 
ψησὶν an *), er hat selbst im kleinen so wenig den Muth, dieser 
Auktorität zu widersprechen °), dass er da, wo seine eigene An- 
sicht mit der platonischen nicht übereinstimmt, viel eher zu einer 
veränderten Erklärung, und wäre sie auch noch so gewaltsam, 
seine Zuflucht nimmt, als dass er sich einen Irrthum seines Vor- 
gängers oder eine Abweichung von dessen Ansichten gestände 4). 
Dass Plotin auch zur positiven Religion in einem ganz ähnlichen 


1) 2. Β. Enn. 111, 9, 1. 2. IV, 8, 1. 8. 872, B. ebd. ο. 7. ο. 19, 8. 385, G. 
W, 6, 17 Schl. " 

3) So I, 2, 1 Anf. I, 8, 1 Anf. III, 9, 1 Anf. VI, 6, 17. 8. 690, D. 

3) M. vgl. 5. B. IV, 4, 22, wo Plotin fragt, wie es sich mit der Erdseele 
verhalte, ob sie nur eine Ausstrahlung aus der Weltseele in die Erde sei, oder 
eine der letzteren eigenthümliche Seele. Für jenes könnte man anführen, dass 
Plato die Seele ursprünglich nur dem Weltganzen beilege, für dieses, dass er 
die Erde die πρώτη καὶ πρεσβυτάτη θεῶν τῶν ἐντὸς οὐρανοῦ nenne. ὥστε συμβαίνει 
χὰ τὸ πράγμα ὅκως ἔχει ἐξευρέϊν δύςχολον καὶ μείζω ἀπορίαν ἢ odx ἐλάττω ἐξ ὧν 
dp ὁ Πλάτων γίγνεσθαι. 

4) Beispiele geben die Stellen IV, 8, 25. 891, A. VI, 7, 89 Schl., und 
was den allgemeinen Grundsatz betrifft, II, 1, 6—8. III, 7, 12. 888, C. Am 
meisten sind natürlich die platonischen Mythen willkührlicher Deutung aus- 
θεοῖσι, doch hält sich Plotin im ganzen hierin noch sehr gemässigt; die 
"enigen kühneren Deutungen, die er sich erlaubt, finden sich II, 8, 15, wo 
der Mythus der Repablık (X, 616, B ff.) von der Wahl der Lebensloose geist- 
reich rationalisirt wird, VI, 9, 9, wo Plotin die doppelte Aphrodite des Bym- 
Posinm auf die zweifache Weltseele deutet, und 1, 8, 14. III, 5, 3 ff., über die 
Ersählung von der Erzeugung des Eros. Die letstere Deutung wird uns 
später noch vorkommen. Ausführlicheres über Plotin’s Erklärung der plato- 
nischen Schriften b. Sreınuarr Meletem. Plotin. 8. 6 ff. 


380 Neuplatoniker. 


Verhältniss steht, wie die Stoiker, wird später noch gezeigt wer- 
den. Mussten wir nun bei den Stoikern und Epikureern in dieser 
Abhängigkeit von der philosophischen und religiösen Ueberlieferung 
ein Zeichen von der Abnahme der wissenschaftlichen Kraft sehen, 
so können wir auch bei den Neuplatonikern nicht anders darüber 
urtheilen, und ihr System nicht ebenso unbedingt aus dem Interesse 
des Erkennens als solchem ableiten, wie die der klassischen Vor- 
zeit. 

Ob der subjektive Ursprung und Charakter ihres Systems 
den Neuplatonikern selbst bewusst war, wäre an sich für die Beur- 
theilung ihres Standpunkts von untergeordneter Bedeutung. Dass 
sie jenes Bewusstsein nicht in seinem vollen Umfang haben konn- 
ten, lag in der Natur der Sache. Aber dass es ihnen auch nicht 
ganz fehlte, sehen wir aus solchen Aeusserungen, in welchen die 
Einkehr der Seele in sich selbst als der einzige Weg zur 
Anschauung des Göttlichen bezeichnet wird. Wenn ich aus dem 
Leibesleben zum Selbstbewusstsein erwache, sagt Plotin, wenn ich 
alles andere verlassend in meinem Inneren einkehre, dann ver- 
einige ich mich mit der Gottheit!). Die Anschauung des Urlichts, 
erklärt er, wird dem Geiste nur dann rein aufgehen, wenn er sich 
gegen das Aeussere verschliesst, und sich in sich selbst zurück- 
zieht ?). Im Aeusseren, bezeugt Proklus, sieht die Seele immer 
nur Schattenbilder, je vollständiger sie dagegen in den Mittelpunkt 
ihres eigenen Lebens eindringt, um so heller schaut sie das Gött- 
liche ®); die Selbsterkenntniss ist der Anfang der Philosophie t); 


1) Enn. IV, 8, 1 Anf.: πολλάχις ἐγειρόμενος el; ἐμαυτὸν ix τοῦ σώματος καὶ 
γιγνόμενος τῶν μὲν ἄλλων ἔξω ἐμαυτοῦ δὲ εἴσω, θαυμαστὸν ἡλίκον ὁρῶν κάλλος ..- 
ζωήν τε ἀρίστην ἐνεργήσας χαὶ τῷ θείῳ εἰς ταὐτὸν γεγενημένος ἃ. 8. ν΄. 

2) 0Υ, ὅ, 7. 526, E: νοῦς αὅτὸν ἀπὸ τῶν ἄλλων χαλύψας καὶ συναγαγὼν εἰ τῷ 
εἴσω μηδὲν ὁρῶν θεάσεται οὐχ ἄλλο ἐν ἄλλῳ φῶς, ἀλλ' αὐτὸ χαθ᾽ ἑαυτὸ μόνον χαϑε-- 
ρὸν dp’ ἑαυτοῦ ἐξαίφνης φανέν. Weitere Belege werden uns bei Gelegenheit der 
Lehre von der Ekstase vorkommen. 

8) In Plat. Theol. I, 8, δ. 7 der Hamburger Ausgabe v. 1618: συννεύουσα 
γὰρ [ἢ ψυχὴ] εἰς τὴν ἑαυτῆς ἕνωσιν καὶ To κέντρον συμπάσης ζωῆς... Er’ αὐτὴν ἄνεισι 
τὴν ἄχραν τῶν ὄντων περιωπήν... εἰς μὲν τὰ μεθ᾽ ἑαυτὴν βλέπουσαν τὴν ψυχὴν τὰς 
σχιὰς καὶ τὰ εἴδωλα τῶν ὄντων βλέπειν ... χωροῦσαν δὲ εἰς τὰ ἐντὸς αὐτῆς καὶ τὸ 
οἷον ἄδυτον τῆς ψυχῆς, ἐκείνῳ γὰρ [Ὁ vielleicht ist ἐκεῖ καὶ oder ἐκείνῳ καὶ τὰ 
lesen] τὸ θεῶν γώνος χαὶ τὰς ἑνάδας τῶν ὄντων μύσασαν θεάσασθαι. 

4) In Plat. Alcib. Opp. ed. Cousin. Il, 18. 


Ausgangspunkt und Grundsfige ihres Systems. 331 


die Seele ist das Abbild des Höheren und des Niederen, und sie 
wird beides durch Selbstanschauung am besten erkennen’). Der 
sabjektive Ausgangspunkt des neuplatonischen Systems ist in die- 
sen Aeusserungen deutlich bezeichnet. 

In seiner weiteren Entwicklung nimmt dasselbe nun aller- 
dings alsbald die Richtung auf’s objektive. Das erste ist die gei- 
stige Selbstanschauung. Aber sofern sich der Mensch auf sich 
beschränkt, lebt er noch imEndlichen ; um zur Wahrheit zu gelan- 
gen, muss er über sich selbst hinausgehen, und sich zu der Ur- 
quelle seines eigenen Seins zurückwenden. Nicht die Sicherheit 
eines in sich beruhenden Selbstbewusstseins, sondern die Sehn- 
sucht nach einer höheren Mittheilung der Wahrheit, welche der 
Mensch in sich selbst nicht findet, ist die Wurzel des Neuplato- 
nismus. Die Selbstanschauung führt daher hier, wie diess auch in 
den oben angeführten Stellen ausgedrückt ist, unmittelbar zur An- 
schauung der Gottheit; und diese letztere bildet fortan den beherr- 
schenden Mittelpunkt des Ganzen. Der Neuplatonismus ist ein reli- 
giöses System, und er ist diess nicht blos in dem Sinn, in welchem 
auch der Platonismus und Stoicismus so genannt werden können: 
er begnügt sich nicht damit, eine an die Gottesidee geknüpfte, aber 
auf wissenschaftlichem Wege gewonnene Weltanschauung auf die 
sitllicen Aufgaben und das Gemüthsleben des Menschen zu 
beziehen; sondern seine wissenschaftliche Weltansicht selbst spie- 
gelt von Anfang bis zu Ende den religiösen Gemüthszustand des 
Menschen in sich ab, sie ist durchaus von dem Interesse beherrscht, 
seinem religiösen Bedürfniss entgegenzukommen, ihn zur innigsten 
persönlichen Vereinigung mit der Gottheit zu führen. Die Gott- 
heit wird hier über alles Endliche, ja alles Denkbare überhaupt 
hinausgerückt, denn gerade desshalb nimmt der Mensch zu ihr 
seine Zuflucht, weil er in der gesammten Wirklichkeit keine Be- 
friedigung , in seinem eigenen Denken keine Wahrheit zu finden 


1) De provid. c. 12. Aehnlich Porrn. Sentent. 15: um das Wosen des 
(göttlichen) Nus zu erkennen, müssen wir unsere eigene Erkenntnissthätig- 
keit beobachten. Ders. ebd. 41: εἰ δ᾽ οὐδὲν ἐπιζητήσεις στὰς ἐπὶ σαυτοῦ καὶ τῆς 
δαυτοῦ οὐσίας τῷ παντὶ ὡμοιώθης, denn, wie diess im folgenden ausgeflihrt wird, 
das wahrhaft seiende ist uns nur insofern gegenwärtig, wiefern wir selbst uns 
gegenwärtig sind, wenn wir dagegen aus uns gelbst heraustreten, entfernen 
"ir uns auch von dem höheren. 


28% Neuplatoniker. 


weiss. Zugleich wird se aber als Grund und Ursache alles End- 
lichen angeschaut, denn auch unser eigenes Sein und Wesen δαὶ 
für uns nur so viel Wahrheit, wie viel ihm die Gottheit mittkeilt. 
Diese beiden Bestimmungen gleichmässig durchzuführen, alles 
Endliche aus Gott abzuleiten, und diesen selbst doch schlechthin 


ausser dem Endlichen zu erhalten, ist die Aufgabe, welche die neu- 


platonische Metaphysik sich gestellt hat. Hiefür hatten sich nun 


schon die Vorgänger Plotin’s, wie namentlich Philo, der Annahme 
von Mittelwesen zwischen der Welt und der Gottheit bedient; der 


Neuplatonismus schlägt den gleichen Weg ein; aber wie er die | 


Aufgabe selbst weit schärfer, als die Früheren, gefasst hat, so ver- 
fährt er auch bei ihrer Lösung ungleich systematischer. Von dem 
allerabstraktesten Gottesbegriff aus soll der Uebergang zum End- 


lichen in regelmässiger Stufenfolge gemacht, alle Formen des sinn- | 
lichen und des übersinnlichen Seins sollen an ihrem Ort in des 


System der göttlichen Wirkungen eingereiht, und auch die letzte 


Spitze der Endlichkeit, die materielle Existenz, soll nicht aus 
einem zweiten Princip neben der Gottheit, sondern nur aus der 
natürlichen Abstufung der göttlichen Offenbarungen erklärt werden. 
Sosehr sich aber das System in diese metaphysischen Untersuckus- 
gen ausbreitet, sein Absehen bleibt doch fortwährend auf des 
Menschen und seine Bedürfnisse gerichtet. Die Betrachtung der 
menschlichen Natur ist für dieBeschreibung des Weltganzen maass- 
gebend, sie bildet auch den Schlussstein der theoretischen Unter- 
suchungen ; indem sich der Mensch in seiner Doppelnatur an die 
Grenzscheide der sinnlichen und der übersinnlichen Welt gestellt 
weiss, so entsteht für ihn die Forderung, sich von jener selbetikätig 
in diese zu erheben. Wie aber die Mittheilung der göttlichen Wir- 
kungen an das Endliche durch eine Reihe von Zwischenstufen 
vermittelt war, so hat auch die Erhebung des Endlichen zur Gott- 
heit ihre Stufen, deren Beschreibung den Inhalt der neuplaton- 
schen Ethik ausmacht. Ihr letztes Ziel wird diese Bewegung dann 
erreicht haben, wenn der Geist zur absoluten Einigung mit dem 
Urwesen gelangt, und jeder Unterschied beider Seiten verschwun- 
den ist; denn die Sehnsucht nach der Einheit mit dem Göttlichen 
war der Ausgangspunkt, der Zwiespalt des Geistes mit sich selbsi, 
das Gefühl der Gottentfremdung, die Ueberzeugung von der ὕ8- 
wahrheit alles endlichen Seins und Bewusstseins war das treibende 


Uraprung und Entstehungsgründe. 383 


Princip des Systems ; nur in der absoluten Aufhebung dieses Zwie- 
spaits kann es zur Ruhe kommen. Je weniger aber diese während 
des irdischen Lebens vollständig gelingen kann, um so nothwen- 
diger sind dem Menschen, der immer wieder in den Kampf mit 
seiner niederen Natur zurückgeworfen wird, jene äusseren Stützen, 
welche die positive Religion darbietet, und so schliesst sich an 
diese Seite der neuplatonischen Philosophie jene enge Verbindung 
derselben mit der polytheistischen Religion an, welche im späteren 
Neuplatonismus das rein philosophische Interesse nicht selten ver- 
drängt und das ganze System beherrscht hat. 

Fragen wir nun, an welche Vorgänger eine solche Philosophie 
sich zunächst anlehnen, von welcher Seite her sie die stärksten 
Anregungen zu ihrer eigenthümlichen Lehrbildung erhalten konnte, 
so verweisen uns die Neuplatoniker selbst auf dieMänner der neu- 
pythagoreischen und platonischen Schule‘). Missgünstige Zeit- 
genossen giengen selbst so weit, den Plotin des Plagiats an 
Numenius zu beschuldigen ?). Dieser Vorwurf wird jedoch von 
Plotin’s Freunden mit Recht zurückgewiesen ; was wir von Nume- 
nius wissen, zeigt eine weit geringere Ausbildung des Denkens, 
als die plotinische Philosophie ®). Wie unentwickelt erscheint 
nicht das, was jener über die drei Götter sagt, wenn wir es mit 
dem metaphysischen System des Plotin und seiner Schule verglei- 
chen! Wie wenig passte zu Plotin’s Spiritualismus die Behauptung, 
dass diese Welt selbst der dritte Gott sei! Und doch ist diese Lehre 
noch das eigenthümlichste, was von Numenius berichtet wird. Ich 
möchte daher den Einfluss dieses Philosophen auf den Neuplato- 
nismus nicht so sehr hoch anschlagen. Die allgemeine Richtung 
seines Denkens war Plotin allerdings nicht blos durch Numenius, 
sondern durch die ganze pythagoraisirende Schule vorgezeichnet, 


1) Nach Porra. v. Plot. 14 las Plotin mit seinen Schülern (neben den 
platonischen und aristotelischen Schriften) die Werke (ὑπομνήματα, womit 
nicht blos Commentare, sondern anch selbständige Abhandlungen gemeint 
sein werden) eines Severus, Kronius, Numenius, Cajus und Attikus, der Pe- 
ripatetiker Aspasius, Alexander, Adrastus u. s. w. 

2) Vgl. 8. 194, 1. 

8) Οὐδὲ γὰρ οὐδὲν ἐγγύς τι τὰ Νουμηνίου καὶ Κρονίου χαὶ Μοδεράτον καὶ Bpa- 
σύλλου τοῖς Πλωτίνου περὶ τῶν αὐτῶν συγγράμμασιν εἷς ἀκρίβειαν. Loxarı. Wr. 
Ῥοδρῃ. a. a. Ὁ. 20. 


384 Neuplatoniker. 


die Unterscheidung des höchsten Gottes von den in der Welt wir- 
kenden göttlichen Kräften ist das allgemeine Dogma dieser Schule; 
aber dass der oberste Gott auch über das Denken und die intelli- 


gible Welt hinausgestellt wurde, diess ist eine Bestimmung, welche 
sich erst bei Plotin findet. Erst dadurch war es aber möglich 


gemacht, den Unterschied des Ersten von dem Abgeleiteten genauer | 


zu bestimmen, und die allgemeine Idee vermittelnder Kräfte nach 
einem festen Princip zu einer gegliederten Stufenreihe der gölt- 
lichen Wirkungen zu entwickeln. Nun kommt zwar unter der 
griechischen Philosophen vor Plotin Numenius jener Unterschei- 
dung am nächsten, und derselbe nähert sich auch mit seiner Lehre 
über die Anschauung des Guten der neuplatonischen Theorie der 
Ekstase; aber ursprünglicher und schärfer entwickelt finden wir 
beides schon bei Philo: während der erste Gott des Numenius 
nichts anderes ist, als der Nus in seinem Unterschied von der 
Weltseele, so wird von Philo die Eigenschaftslosigkeit Gottes schon 


sehr bestimmt ausgesprochen, die göttliche Vernunft als eine | 


zweite Hypostase vom absoluten Gott unterschieden, und die ekste- 
tische Einigung mit der Gottheit, welche Philo mit denselben Zügen, 
wie Plotin, schildert, als eine höhere Stufe über das vernünftige 
Denken hinausgerückt. Dass auch Philo von der wissenschaft 
lichen Schärfe und Folgerichtigkeit des plotinischen Systems noch 
weit entfernt ist, habe ich schon bemerkt, aber doch ist er unter 
den früheren immerhin derjenige, welcher das eigenthümliche des 


neuplatonischen Systems am bestimmtesten vorbildet. Und da nun 


die Lehre und die Schriften Philo’s auch im dritten Jahrhundert ἢ 


aus der Vaterstadt desselben gewiss nicht verschwunden waren, 


da andererseits ein Plotin, welchen die Aussicht auf orien- 


talische Weisheit selbst zu der gefährlichen Theilnahme an Gor- 


dian’s Perserzug geführt hat 1), die nahe und leichte Gelegenheit ὦ 


zur Befriedigung seiner Wissbegierde wohl schwerlich versäumt 
haben wird, so ist eine Einwirkung der philonischen Lehre auf 
den Neuplatonismus sehr wahrscheinlich, und diese Einwirkung 
war wohl nicht blos durch Numenius ?) oder andere griechische 
Philosophen vermittelt, denn gerade die Lehren, in welchen 


1) Poerare vit. Plot. 8, 
2) Auf den Vaonezor hist. de l’&cole d’Alex. I, 819 verweist. 


Ursprung und Entstehungsgriünde. 3835 


Plotin’s Uebereinstimmung mit Philo am auffallendsten hervortritt, 
suchen wir bei jenen vergebens. 

Dass Plotin auch mit andern orientalischen Lehren bekannt 
war, ist möglich, ob sie aber auf sein System erheblich eingewirkt 
haben, möchte ich bezweifeln. Die Meinung, dass es einen 
wesentlich orientalischen Charakter trage '), scheint jedenfalls 
unrichtig. Diese Meinung gründet sich weit weniger auf geschicht- 
liche Spuren von einem äusseren Zusammenhang des ursprünglichen 
Neuplatonismus mit orientalischer Spekulation, als auf die innere 
Aehnlichkeit beider. Allein diese Aehnlichkeit erscheint um vieles 
geringer, wenn wir beide in ihrer vollen Bestimmtheit fassen, 
statt uns mit allgemeinen Vergleichungspunkten und unsichern 
Vorstellungen über orientalische Philosophie zu begnügen. Man 
findet jene Verwandtschaft hauptsächlich in der Emanationslehre. 
Allein strenggenommen ist der Neuplatonismus, wie wir finden 
werden, gar kein Emanationssystem, da er nur eine dynamische 
Mittheilung der Gottheit an’s Endliche behauptet, die substantielle 
dagegen grundsätzlich ausschliesst; andererseits haben die orien- 
tslischen Theorieen, an die man hier denken könnte, lange nicht 
die philosophische Haltung der plotinischen, und gerade bei denen, 
welche einen wissenschaftlicheren Charakter tragen, ist es grossen- 
theils unsicher, ob sie dem Neuplatonismus der Zeit nach voran- 
giengen. Die beiderseitige Verwandtschaft wird sich daher am 
Ende darauf beschränken, dass sowohl orientalische Philosophen, 


En 


----- - 


I) Lange Zeit die herrschende Vorstellung, die aber immer noch häufig 
genug ist. M. vgl. =. B. Vacueror a. a. O. III, 250: da philosophie des Ale- 
zandrins est essentiellemeni εἰ radicalement orientale. Elle n’a de la philosophie 
greeque que le langage et les prockdes; par le fond de sa pensde elle tient ἃ ἢ Orient. 
Als das Princip der „orientalischen Theologie* bezeichnet V. (ebd. 288 f.) die 
Emanationslehre, oder die Lebre, dass Gott die unaussprechliche und unbe- 
wegte Einheit sei, aus welcher die ganze Stnfenreihe der übersinnlichen We- 
sen und Kräfte durch einen Naturprocess hervorgehe. Auch hier wird aber 
viel zu unbestimmt von orientalischer Theologie überhaupt gesprochen, statt 
die fragliche Theorie in einzelnen Systemen nachzuweisen; die unterschei- 
denden Eigenthämlichkeiten dieser Systeme, welche für die Beurtheilung ihres 
Verhältnisso zum Neuplatonismus ganz wesentlich sind, verbergen sich unter 
dem allgemeinen Begriff der Emanationslehre, und die geschichtlichen Ver- 
mittlungen, wodurch diese Lehre zu den Neuplatonikern gelangt sein müsste, 
werden nicht genauer untersucht. 


Phölee. d. Gr. 111. Bd. 2. Abt. 25 


386 Nenplatonriker. 


als Neuplatoniker, den Versuch machen, die Welt unter der Vor- 


aussetzung eines abstrakt gedachten, transcendenten Gottes zu 
erklären, und dass beide hiefür die Lehre von einem stufenweisen 
Uebergang des Göttlichen an’s Endliche zu Hülfe nehmen; wogegen 


die Stufenreihe selbst hier eine ganz andere ist, als dort, unddie 


Emanation im strengen Sinn von den Neuplatonikern ausdrücklich 


verworfen wird. Jene allgemeine Aehnlichkeit kann aber für einen 
unmittelbaren geschichtlichen Zusammenhang um so weniger be 
weisen, je deutlicher sich die Entstehungsgründe und die Vor- 


läufer des Neuplatonismus in der ganzen Entwicklung der griechi- 
schen Philosophie erkennen lassen, und je weniger eine äussere 


Berührung zwischen dem Stifter des Neuplatonismus und der so- 


genannten orientalischen Philosophie wahrscheinlich zu machen 
ist. Emanatistische Systeme finden wir, abgesehen vom jüdischen 
und christlichen Religionsgebiet, nur in Indien; dass aber Plotu 
mit indischer Philosophie bekannt war, lässt sich nicht annehmen; 
seine Reise zu den Magiern und Gymnosophisten ist bekanntlich 
misslungen ?), und keine Spur in seinen Schriften lässt eine ander- 
weitige Ergänzung dieser Lücke vermuthen. Es findet hier über- 
haupt alles das seine Anwendung, was schon früher 5) über die 
Ableitung der alexandrinischen Philosophie aus dem Orient bemerkt 
wurde, Eher könnte die christliche Gnosis auf die Bildung des 
neuplatonischen Systems Einfluss gehabt haben. Von ihr wissen 
wir doch wenigstens, dass sich Plotin und seine Schüler in ein- 
gehender Weise mit ihr beschäftigt haben 5); und bezieht sich auch 
diese Nachricht zunächst nur auf die Bestreitung gnostischer Lehren 


1) Porraye vit. Plot. 8. 

2) 8.57 8. 

8) Poren. v. Plot. 16: γεγόνασι δὲ κατ᾽ αὐτὸν τῶν Χριστιανῶν πολλὰ μὲν χεὶ 
ἄλλοι, αἱρετιχοὶ δὲ dx τῆς παλαιᾶς φιλοσοφίας ἀνηγμένοι ol περὶ ᾿Αδέλφιον χαὶ "Ar 
χίνον, οἷ τὰ ᾿Αλεξάνδρου τοῦ Λίβυος zart Φιλοχώμου καὶ Δημοστράτου χαὶ Αυδοῦ συ]- 
γράμματα κεχτημένοι (alle diese Namen sind uns nicht weiter bekannt), KROLI- 
λύψεις τε προφέροντες Ζωροάστρου καὶ Ζωστριανοῦ τοῦ Νιχοθέου καὶ ᾿Αλλογενοῦς καὶ 
Meoou καὶ ἄλλων τοιούτων πολλοὺς ἐξηπάτων αὐτοὶ ἠπκατημένοι, ὡς δὴ τοῦ Πλάτω» 
γος εἷς τὸ βάθος τῆς νοητῆς οὐσίας οὐ πελάσαντος. ὅθεν αὐτὸς μὲν πολλοὺς ἐλέγχους 
ποιούμενος ἐν ταῖς συνουσίαις, γράψας δὲ χαὶ βιβλίον (Enn. II, 9)... ἡμῖν τὰ λοιπὰ 
χρίνειν καταλέλοιπεν. In Folge dessen habe Amelius 40 Bücher gegen Zestria- 
nus geschrieben, und Porphyr die Unächtheit des Zorasterbuchs ansführlich 


erwiesen. 


Ursprung nnd Entstehungsgrfnde. | 387 


und Schriften, zu der sich Plotin m seinen späteren Jahren ver- 
anlasst fand 1). und von der uns in seiner Abhandlung gegen die 
Gnostiker (Enn. II, 9) noch eine Probe vorliegt 5), so lässt sich 
doch die Möglichkeit nicht läugnen, dass er auch schon früher mit 
gnostischen Ansichten bekannt war, und durch dieselben zu eigen- 
ikümlichen Gedanken angeregt wurde. Für diese Annahme könnte 
man die Verwandtschaft geltend machen, welche zwischen der 
Lehre Plotin’s und einigen gnostischen Systemen, namentlich dem 
valentinianischen, stattfindet, das von ihnen allen in spekulativer 
‘Beziehung das bedeutendste ist, und das auch in Plotin’'s Streit- 
schrift zunächst bekämpft wird. Diese Verwandtschaft zeigt sich 
hauptsächlich in drei eingreifenden Bestimmungen: in der Fassung 
des Gottesbegrifis, der Emanationsiehre und der Ansicht von der 
Materie. An der Spitze des valentinianischen Systems steht das 
unnennbare Wesen, welches 418 solches noch weiter über alles 
Denkbare hinausliegt, und dem neuplatonischen Urwesen noch 
näher steht, als der Gott Philo’s, da dem letzteren doch wenigstens 
der Name des Seienden zukommt 5); von einem Theil der Valenti- 


— 


1) Als Porphyr zu ihm nach Rom kam, war er bereits 59 Jahre alt, als 
er gegen die Gnostiker sebrieb, vielleicht noch einige Jahre Alter. 

2) Vgl. Nuaapee „über die welthistorische Bedeutung des neunten Buchs 
in der II. Enneade des Plotinos“ Abh. d. Berl. Akad. Jhrg. 1848, philol.- 
kistor. Ki. 8. 299 ff. Varentiner Plotin u. s. Enneaden nebst Uebers. von 
Enn. II, 9. Theol. Stud. u. Krit. 1864, 1, 118 ff. Doch ist nicht blos diese Ab- 
handlung sehr unbedeutend, sondern auch die von Neander bringt weder nene 
Aufschlüsse noch tiefer dringende Gesichtspunkte. 

8) Nach Iren. c. ber. 1, 1. 11, 1. Erırman. her. Bl, 5 u. a. δὲ, setzten 
die Valentinianer als das erste den zpowv, welcher als der "Adna, 'Προκάτωρ, 
Buß bezeichnet wurde. (Dass dasselbe Princip bei Hırroirt. Refut. her. 
VI, 29 Πατὴρ heisst, ist unerheblich.) Mit diesem sollte nach der gewöhn- 
lichen Lehrform die Ἔννοια oder Σιγὴ, welche auch Χάρις heisst, (oder nach 
Prolemäus b. Ieezn. I, 12, 1 die ἔννοια und das θέλημα) durch Byzygie verbun- 
den, und aus ibnen die weiteren Aeonen, zunächst der Νοῦς, der auch Πατὴρ 
genannt wird, und die ᾿Αλήθεια hervorgegangen sein. Andere erklärten den 
Bytbos für mannweiblich, oder für ἄζυγον, μήτε ἄῤῥενα μήτε θήλειαν μήτε ὅλευς 
ὄντα τι (1πππ. I, 11, 5. Hırroı. VI, 39. X, 13). Auch diese Verschiedenheit 
kat nun zwar nicht so sehr viel auf sich (vgl. Barx Gnosis 148); indessen ist 
die ältere Lehrweise, wie aueh Lirsıcs annimmt (der Gnosticismus, Separat- 
sbdruck ans der Allg. Encykl. Sect. I, Bd. 71, 8. 114, 6), unverkennbar die, 
welche den Bythos mit der Ehnoia in eine Syzygie stellt; nur bei ihr kommt 


25 " 


388 Neuplatoniker. 


nianer wurde es auch ausdrücklich, wie bei den Neupythagoreern, 
dem Einen der Neuplatoniker entsprechend, die Monas genannt, 
und als der Anfang vor dem Anfang in die äusserste Entfernung 
von allem Endlichen verlegt '). Aus diesem Urwesen soll ferner 
alles andere hervorgehen, ohne dass doch das Urwesen selbst da- 
durch getheilt würde, oder an das abgeleitete übergienge: es soll 
aus ihm heraustreten, oder herausgeworfen werden 7); dieser Vor- 
gang wurde aber freilich nicht näher erläutert, sondern nur ia 
sinnlichen, von der geschlechtlichen Erzeugung hergenommenen 
Bildern geschildert °). Dabei legte Valentin besonderen Werth 
darauf, dass alles von einem höheren abhänge, und so Ein stetiger 
Zusammenhang alle Theile des Weltganzen verknüpfe 4); derselbe 
Gedanke, welcher nach dem Vorgang des Aristoteles und der 


auch die Zahl von 30 Aeonen heraus, welche für das valentinianische Nystem 
feststeht. 

1) Hıreor. a. a. Ὁ. nennt das valentinianische Urwesen die μονὰς ἀγέν- 
γητος, ἄφθαρτος, ἀχατάληπτος u. 5. w.; Inzn. I, 11, 8. 5 berichtet über eine 
Darstellung der valentinianischen Lehre von den P’rincipien, welche das Ur- 
wesen als die Προαρχὴ προανεννόητος, ἄῤῥητός τε χαὶ ἀχατονόμαστος oder die 
Μονότης bezeichnete, ein zweiter ihm gepaartes Wesen als die ἐνότης, ihre 
ersten Erzeugnisse als die Monas und das iv, und ebd. 11, 5 über eine zweite, 
welche dem Bythos und der Sige noch acht höhere Asonen vorangehen liess: 
die Προαρχὴ, die ἀρχὴ ἀνεννόητος u. 5. ν΄. 

2) Προβάλλειν, προβολὴ ist in den Berichten der stehende Ausdruck für 
diesen Vorgang. 

8) 8. u. 390, 1. Baus Gnosis 149 f. 

4) M. vgl. in dieser Besiehung, was Hırrourr. Refut. her. VI, 87 8. 290 
Dunok. aus einem Lied Valentin’s anführt: αἰθέρος πάντα χρεμάμενα πνεύματι βλέκω, 
πάντα 8’ ὀχούμενα πνεύματι νοῶ" σάρχα μὲν dr ψυχῆς κρεμαμένην, ψυχὴν δὲ ἀέρος ἔξο- 
χουμένην [was = ἐχχρέμασθαι sein muss, wenu nicht etwa zu lesen ist ἀέρ & 
ὀχουμ., von der Luft aus getragen], ἀέρα δὲ ἐξ αἰθέρος χρεμάμενον͵ dx δὲ βυθοῖ 
καρποὺς φερομένους, dx μήτρας δὲ βρέφος φερόμενον. Bei Valentin scheinen sich 
diese Worte (welohe einigermassen an das erinnern, was Bd. Il, b, 275, 2.7 
aus Aristoteles angeführt ist) im eigentlichen Sinn auf die in ihnen bezeich- 
neten Theile der Welt zu beziehen; bei Hippolytus werden sie jedoch, obae 
Zweifel auf das Zeugniss eines jüngeren Valentinianers, so gedeutet, dass die 
σὰρξ die ὕλη überhaupt bezeichnen soll, die ψυχὴ, von der jene abhängt, dem 
Demiurg, die Luft, von welcher die Neele getragen ist, den ausserhalb des 
Pleroma (der Aeonenwelt) befindlichen Theil des Pneuma oder der σοφία, det 
Aether die innerhalb desselben befindliche σοφία; das dx βυθοῦ καρποὶ φέρονται 
»ollte sich auf den Hervorgang der Aeonen aus dem Urwesen besichen.. 


Ursprung und Entstehungsgründe. 389 


Stoiker auch die neuplatonische Weltanschauung beherrscht. Das 
gleiche Interesse konnte ihn nun auch veranlassen, die Materie 
ıls ein zweites selbständiges Princip neben der Gottheit aufzu- 
geben; und so hören wir wirklich, dass er dieselbe, freilich 
in durchaus mythischer und phantastischer Weise, aus den 
Affekten der aus dem Pleroma gefallenen Achamoth entstehen 
iess ἢ. So merkwürdig aber diese Berührungspunkte der 
Gaosis mit dem Neuplatonismus auch sind, so fragt es sich doch 
immer, ob jene auf diesen bei seiner Entstehung eingewirkt hat. 
Was die Gnosis von philosophischen Gedanken enthält, das hat sie 
jedenfalls ganz überwiegend von der hellenischen Philosophie, 
keils unmittelbar theils durch Vermittlung der jüdisch-alexandri- 
nischen Schule, entlehnt ?), und gerade Valentin ist derjenige 
anter den Gnostikern, in dessen System der Einfluss dieser Philo- 
sophie am stärksten hervortritt, und der mit der grössten Einstim- 
migkeit für einen Schüler der platonischen und pythagoreischen 
Lehre erklärt wird ®). Unter diesen Umständen kann sein theil- 
weises Zusammentreffen mit Plotin noch nicht beweisen, dass er 
von dem letzteren benützt wurde; und auch wenn sie sich in ein- 
zeinen von den Bestimmungen begegnen, durch welche Plotin über 
die bisherige Philosophie hinausgeht, bleibt immerhin die Möglich- 
keit offen, dass beide selbständig von gleichartigen Voraussetzun- 
gen aus zu ähnlichen Folgerungen gekommen seien. Und diess 
um so mehr, da der Unterschied zwischen ihnen doch auch da, wo 
sie sich berühren, immer noch gross genug ist. Der valentiniani- 


I) Vgl. Baun Gnosis 161 ff, wo diese ganze Frage erschöpfend unter- 
sucht wird. Die Hauptbeweisstellen für die obige Darstellung ’finden sich 
bier. 1, 4, 5. 5, 3. Exo. ὁ script. Theod. (im Anhang zu Klemens Alex.) 
8. 980 Pott. 

3) Wie diess auch Lirsrus anerkennt, a. a. Ὁ. 148, wiewohl er die Slte- 
sten Formen der Gnosis sunächst von der Berührung des Judenchristenthums 
mit den Religionen Syriens und Phöniciens herleitet. 

8) Schon Iran. II, 6 bemübt sich, die griechischen Quellen der valenti- 
Disnischen Lehre nachzuweisen, wobei er freilich nicht immer das richtige 
tet. Hırrourr. VI, 29. 87 u. 5. sagt geradesu, Valentin sei mit mehr Recht 
fir einen Pythagoreer und Platoniker, als für einen Christen zu halten. Aber 
auch Prorım II, 9, 6. 208, F macht den Valentinianern, die er bestreitet, den 
Vorwurf, was sie wahres haben, verdanken sie Plato. Die neueren Gelehrten 
sind in dem obigen Urtheil über Valentin einig. 


490 Neuplatoniker. 


sche Bythos hat im Vergleich mit Plotin’s Urwesen doch ein sehr 
nebelhaftes Aussehen: die Ennoia, die ihm vermählt ist, die Zeu- 
 gungslust, von der er einsmals ergriffen wird, man sieht nicht, 
wesshalb und warum jetzt erst, die Bilder, in denen die Herver- 
bringung der Aeonen geschildert wird 1) — alle diese Züge er- 
innern ınehr an die alten Theogonieen, als an die streng philo- 
sophischen Untersuchungen Plotin’s über das Urwesen und den 
Hervorgaug der übrigen Wesen aus demselben. Für seinen Gottes- 
begriff fand Plotin in den bekannten platonischen Aeusserungen 
über das Gute und in der Guttesidee der jüngeren Platoniker und 
Pythagoreer viel nähere Ankaüpfungspunkte, als in dem gnosti- 
schen Bythos; und wenn es sich darum handelte, die Entstehung 
des abgeleiteten Seins zu erklären, bot, ihm Valentin’s mythische 
Symbolik kaum eine Stütze. Auch die jüngeren Valentinianer Ὁ 
haben sich aber von der mythologischen Form der Syzygieenlehre 
viel zu wenig losgemacht, als dass die Veränderungen, welche 
sie in der Metaphysik ihrer Parthei vornahmen, stark in’s Gewicht 
fielen. Was endlich Valentin’s Annahmen über die Entstehung der 
Materie betrifft, so hätten diese vielleicht Plotin darauf aufmerksem 
machen mögen, dass die Materie nicht als ein zweites Princip neben 
der Gottheit vorausgesetzt werden dürfe, sondern so gut, wie alles 
andere, aus der göttlichen Causalität erklärt werden müsse; wären 
sie nur nicht an sich selbst so phantastisch, dass sie einen Philo- 
sophen, welcher das Bedürfniss einer solchen Erklärung sichl 
vorher schen empfand, von derselbes eher abzusehrecken, als 
dazu aufzumuntern, geeignet waren 8). Es fragt sich aber über- 


1) Ἐννοηθῆναί ποτε ἀφ᾽ ἑαυτοῦ προβαλέσθαι τὸν Βυθὸν τοῦτον ἀρχὴν τῶν κάν- 
των, χαὶ χαθάπερ σπέρμα τὴν προβολὴν ταύτην καταθέσθαι (was in unserom Tezt 
zwischen diesen zwci Worten stebt, scheint unächt, ändert übrigens am Nin: 
nichts) ὡς ἐν μήτρᾳ τῇ συνυπαρχούσῃ ἑαυτῷ Σιγῇ. Diese, schwanger geworden, 
habe den Nus geboren (Isen. I, ı, 1.). Noch sinulioher wird dieser Hergang 
in dem Bruchstück einer valeutinienischen Schrift bei Krırn. ber.81,5 g* 
schildert. 

3) Vgl. 8. 888, 1. 2. 

3) Als die Sophia Achamoth, aus dem Pleroma ausgeschlossen, sich 
leidepsvollsten Zustande befand, sollte ihr der Paraklet zu Hülfe geschickt 
worden sein, der ihre Affekte von ihr nabm, und sie zuerst in eine ὕλη sr 
ματος, dann in συγχρίματα und σώματα verwandelte; aus ihren Tihränen sei das 
Feuchte geworden, aus ihrem Lachen das Lichte, aus ihrem Schrecken und 


Ursprung und Entstehungsgründe, 33 


diess, vb dieselben dem Plotin überhaupt bekannt waren '). Nach 
allem diesem erscheint es sehr zweifelhaft, ob er von dieser Seite 
her für die Bildung seines Systems einen erhebliohen Anstoss er- 
halten hat. 

Noch weniger Grund haben wir zu der Annahme, dass die 
christliche Religion als solche, und abgesehen von den gnostischen 
Spekulationen, bei der Entstehung des Neuplatonismus betheiligt 
sei. Das Christenthum ist allerdings mit dem Neuplatonismus nicht 
allein später in die folgenreichste Beziehung getreten, sonderu 
beide sind sich auch von Hause aus nahe verwandt. Beide sind 
aus den Zuständen einer Zeit hervorgegangen, in weleher die 
Völker ihre Selbständigkeit, die Volksreligionen ihre Macht, die 
nationalen Bildungsformen ihr eigenartiges Gepräge verloren, oder 
doch zu verlieren begonnen hatten; in welcher die Stützen des 
äusseren and inneren Lebens zusammenbrachen, und den bedeu- 
tendsten unter den bisherigen Kulturvölkern das Bewusstsein ihres 
Verfalls, das Vorgefühl der herannahenden neuen Weltzeit sich 
aufdrängte; in welcher die Sehnsucht nach einer neuen, befriedi- 
ihrer Beträbniss das Feste (Inen. I, 4, 5. 2. II, 18, 4.) ἔχοι die so entstandene 
Materic ist jener Stoff, aus dem der Schöpfer (nach κεν. II, 14, 4) die Welt 
bildet. 

1) In seiner Schrift gegen die Gnostiker wird diese Ableitung nicht allein 
nirgends erwähnt, sondern 66 findet sich auch eine Stelle, die eine andere An- 
sieht von der Materie voraussusetzen scheint. 11,9, 10 beepricht er nämlich die 
(valentinianischen) Annshmen über den Fall der ψυχὴ χαὶ σοφία τις (er meint 
das Heraustreten der Bophia aus dem Pleroma, will es aber dahingestellt sein 
lassen, ob die ψυχὴ und die σοφία dasselbe seien, oder nicht), und wirft den 
Gegnern vor: erst behaupten sie, ψυχὴν νεῦσαι χάτω, dann aber wieder: μὴ 
κατελθέϊν... ἀλλ᾽ ἐλλάμψαι μόνον τὸ σχότος, εἴτ᾽ ἐχεῖθεν εἴδωλον ἐν τῇ ὕλῃ γεγονέναι. 
εἶεα τοῦ εἰδώλον ἴδωλον πλάσαντες ἐνταῦθα που δι’ ὕλης ἢ ὁλότητος, ἢ ὅ τι ὀνομά- 
ζειν θέλουσι ... τὸν λεγόβενον παρ᾽ αὐτοῖς δημιουργὸν γεννῶσι, Nach dieser Dar- 
stellung wäre die Materie nichts anderes, als die Fiusterniss ausserbalb dus 
Pleroma oder der Lichtwelt, welche der Entstehung der Sophia - Achamoth 
(denn diese muss mit dem εἴδωλον ἐν τῇ ὕλη der in der oberen Welt bleibenden 
Sosle gemeint sein) schon vorangeht. Nun ist es zwar immerhin möglich, 
dass diess ein Missverständniss von Seiten Plotia’s ist, und dass die Ansicht, 
wslche er bestreitet, ihrer eigentlichen Meinung nach swar das ondte; von 
Anfang an ausser dem Pleroma sein liess, aber die Materie erst aus den 
Leiden der Achamoth ableitote. Auch in diesem Fall würde aber unsere Stelle 
beweisen, dass wenigstens Plotin von dieser Ableitung der Materie nichts 
wusste. 


398 Neuplatoniker, 


genderen Gestalt des geistigen Daseins, nach einer alle Völker 
umfassenden Gemeinschaft, einer über alles Elend der Gegenwart 
hinaustragenden, alle Bedürfnisse des Gemüths stillenden Glaubens- 
weise allgemein war. Diesem ihrem Ursprung gemäss gehen 
beide von dem lebhaften Gefühl der Hülfsbedürftigkeit aus; sie sind 
von den Mängeln des irdischen Daseins, von der geistigen und 
sittlichen Unvollkommenheit des Menschen, von der Hinfälligkeit 
und Werthlosigkeit alles Aeussern, von dem unendlichen Abstand 
zwischen der Welt und der Gottheit, der Natur und dem Geiste 
durchdrungen. Eine Versöhnung dieses Gegensatzes wird von 
beiden gesucht, und beide wissen dieselbe in letzter Beziehung 
nur in dem Vertrauen auf göttliche Hülfe, in dem Glauben an eine 
göttliche Offenbarung zu finden. Aber das Christenthum erkennt 
diese Offenbarung in geschichtlichen Personen und Thatsachen; 
dem Neuplatonismus fällt sie theils mit der natärlichen Ordnung 
der Dinge, der Welt und den Weltgesetzen, zusammen, theils ist 
sie ihm das unerreichbare Ziel der mystischen Betrachtung. Jenes 
lehrt ein Herabsteigen der Gottheit bis in die untersten Tiefen der 
menschlichen Schwachheit; dieser verlangt eine Erhebung des 
Menschen zu übermenschlicher Göttlichkeit. Jenes bringt eine 
neue Religion, eine Umgestaltung des menschlichen Geisteslebens 
in seinem innersten Grunde; sofern es aber an ein gegebenes an- 
knüpft, stellt es sich zunächst auf den Boden der jüdischen Dog- 
matik, Dieser will die Mängel der Zeit durch eine Spekulation 
heilen, welche alle Früchte der hellenischen Wissenschaft und 
Religion in sich vereinigen soll, welche aber gerade desshalb nicht 
die Kraft hat, der absterbenden hellenischen Bildung ein neues 
Leben einzuhauchen. Auf der Gleichartigkeit ihrer allgemeinen 
geschichtlichen Ausgangspunkte und ihrer letzten Ziele beruht es, 
dass der Neuplatonismus seit dem vierten Jahrhundert in die 
christliche Kirche eindringen und zu dieser gewaltigen Macht in 
ihr werden konnte; in der Verschiedenheit der Wege, auf denen 
sie ihrem Ziel zustreben, ist der tiefe Gegensatz beider begründel, 
welcher die Neuplatoniker zu den letzten und eifrigsten Vor- 
kämpfern der alten Religion gegen die neue gemacht hat, Nun 
würde dieser Gegensatz zwar allerdings einen ursprünglichen Ein- 
fluss des Christentbums auf den Neuplatonismus nicht nothwendig 
ausschliessen: es wäre an sich nicht undenkbar, dass die Suüfter 


Ursprung und Entstoehungsgründe, 393 


der neuplatonischen Schule bei der Ausbildung ihres Lehrgebäudes 
von der Absicht geleitet worden wären, dem immer kühner vor- 
dringenden Christenthum einen Riegel vorzuschieben, dass der 
Neuplatonismus seine Entstehung ganz oder theilweise einer Re- 
aktion des hellenischen Geistes gegen den christlichen zu verdanken 
hätte. Einen äusseren Anhaltspunkt für diese Vermuthung könnte 
man in der später zu besprechenden Angabe finden, Ammonius, 
der Lehrer Plotin’s, sei ursprünglich Christ gewesen, und habe 
sein Christenthum erst in der Folge mit der hellenischen Religion 
vertauscht. Allein die Beschaffenheit des plotinischen Systems 
ist ihr nicht günstig. Kein Zug in demselben weist darauf bin, 
dass es im Gegensatz gegen das Christenthum oder in Nachahmung 
ehristlicher Lehrbestimmungen entstanden sei. Auch die Dreizahl 
der übersinnlichen Wesen, in der man ein augenscheinliches Abbild 
der christlichen Dreieinigkeit sehen wollte 1), ist diess so wenig, 
dass sie sich, den neuplatonischen Gottesbegriff einmal vorausge- 
sezi, aus dem Vorgang des Plato und Aristoteles vollständig er- 
klärt 9), wogegen sie mit der christlichen Trinität ausser der 
Gleichheit der Zahl kaum irgend etwas gemein hat). Mögen daher 


1) Cousım Hist. gen. d. philos. 191: Le Dieu des Alevandrins est uns 
iriniid, visible imitation dela trimit6 chrätienne. Cousin fügt dann aber selbst 
bei: mais imisation trompeuse, qui differe essentiellement de son sublime modäle 
οἱ ki est profond&ment inferieure. Wenn beide so verschieden sind: woher 
wissen wir, dass die eine tiberhaupt eine Nachahmung der anderen ist? 

8) Plotin’s übersinnliche Welt umfasst, ausser dom Urwesen oder dem 
Guten, den Nus, welcher zugleich die Ideenwelt ist, und die Seele. Diese 
finden sich aber alle drei auch bei Plato, nur dass das Gute bei ihm als die 
oberste Idee mit sur Ideanwelt gehört, und mit dem Nus, den ja auch Aristo- 
teleg fr die Gottheit erklärt hatte, zusammenfällt (m. vgl. hierüber Bd. II, a, 
460 Δ). Die Transcendenz seiner Gottesidee nöthigte Plotin, das Gute über 
den Νὰ und die Ideenwelt hinaufsurücken. Sobald dieses geschah, war die 
übersinnliche Trias fertig. 

8) J. Sımom Hist. de i'6c. d’Alex. I, 808 ff, hat vollkommen Recht, wenn 
er awischen der christlichen und der plotinischen Lehre nur des analogies ver- 
bales (8. 887) sugeben will. Denkt man bei der christlichen Trinität an die 
ıhanssianische Lehre, welche aber erst längere Zeit nach Plotin aufkam, so 
braucht es kaum bemerkt su werden, dass die Annahme von drei Personen im 
göttlichen Wesen ınit dem neuplatonischen Gottesbegriff ganz unvereinbar 
ist, and auf Plotin nur eine abstossende Wirkung hätte haben können. Aber 
auch die Altere, subordinatianische Trinitätslehre liegt von den plotinischen 


394 Neuplatoniker. 


auch in dem späteren Verkehr der Partheien nicht blos die Christen 
von den Neuplatonikern, sondern auch diese von jenen das eine 


und andere angenommen haben: der ursprüngliche Neuplatoniseaus 
zeigt keine erkennbare Spur eines tiefergehenden christlichen Eis- 
flusses; so weit er sich vielmehr mit dem Christentkhum berührt, 
wird nıau sich diess nur aus der allgemeinen geistigen Atmospkäre 
und den Zuständen der Zeit, in der er entstanden ist, zu erklären 
haben. 


Als die wahren Stammväter des Neuplatonismus haben wir 


nur die griechischen Philosophen zu betrachten, zunächst die 


Neupythagoreer und die Platoniker der alexandrinischen Schule, 
weiterhin die Stoiker, Aristoteles und Plato '}, und wegen ihres 


mittelbaren Einflusses die Skeptiker. Das Verbältniss der neupls- 
tonischen Lebre zu diesen Vorgängern wurde in der Hauptsache 
bereits angegeben. Seine ganze Richtung ist dem Neuplatonismus 
zunächst durch den Neupythagoreismus und den gleichzeitigen 
Platonismus, durch einen Moderatus, Pluterch, Numenius, Philo 


Bestimmungen über die überainnlishe Welt weit ab. Denn gerade bei dieser 
früberen Gestalt jener Lehre lässt rich von der nrsprünglichen Bedeutung 
derselben, die dem Stifter der christlichen Religion innewohnende, und im 
religiösen Leben der Glaubigen sich ofienbarende Gotteskraft darsustellen, 
ıoch weniger, als bei der späteren, abstrahizen, und es kann weder Plotis's 
Lehre vou der Seule durch die christlichen Vorstellusgen über den heiligen 
Geist, nech seine Lehre vom Nus durch die über den Sohn Gottes veranlasst 
oder mitveranlasst sein. Die erstere lag ihm ja schon bei Plato fertig vor, 
und wenn zu der zweiten die Logoslehre je einen Beitrag geliefert hätte, so 
würde diess immer noch eher die philosisehe, als die ehristliche, gewesen 
sein; denn gerade das untersolidende Merkmal der letsteren, die kiensoh- 
werdung des Logos, staml mit allen Voraussetzungen des Neuplatonismus ie 
schneidendem Widerspruch. Aus demselbeu Grunde kann auch wicht daran 
gedacht werden, dass die Trinitätslehre der sog. Patripassianer (Prazess, 
Noötus, Sabellius) auf Plotin eingewirkt habe, da sioh bei ihr alles noch 
ausschliesslicher, als in der orthodoxen, um die Frage nach dem Göttlichen 
in Christus dreht. 

1) Vgl. Poaru. v. Plot. 14: ἐμμέμιχται δ᾽ dv τοῖς συγγράμμασι (Plotiss) 
καὶ τὰ στωδιὰ λανθάνοντα δόγματα καὶ τὰ περικατητικὰ, καταπεκύχνωται δὲ zu ἡ 
μετὰ τὰ φυσιχὰ τοῦ ᾿Αριστοτέλους πραγματεία. Porphyr ist demnach sicht der 
Meinung (Βιοῆτπα Neuplat. Stud. I, 54), dass Plotin su den Btoikem fast ser 
im Verhältuiss des Gegensatses stehe, sondern er erkennt die Thhatssche 38, 
welebe sich auch kaum hestreiten lässt, dass sich in seinen Schriften eine 
ganze Reihe stoischer Bestimmungen findet. 


Ursprung und Entstehungsgründe, 393 


vorgezeichnet. Zu seiner negativen Vorausselzung hat auch er, 
wie diese, die Skepsis, denn die Sicherheit des wissenschaftlichen 
Bewusstseins musste gründlich erschüttert sein, ehe der Versuch 
gemacht wurde, durch ein Hinausgehen über das wissenschaftliche 
Denken die Wahrheit zu ergreifen '). Für die positive Ausfüh- 
rang seines Standpunkts hat er die grossen Systeme der Vorzeit 
noch in weiterem Umfang henützt, als seine unmittelbaren Vor- 
ginger, weil er ein ungleich entwickelteres System anstrebt, aber 
er verhält sich hiebei dennoch um vieles selbständiger, so dass er 
auch das fremde nicht blos als überlieferte Lehre aufnimmt, und 
sicht blos eklektisch zusammenträgt, sondern nach einem bestimm- 
ten Princip sichtet und umbildet. In Betreff der wissenschaftlichen 
Methode haben die Neuplatoniker unstreitig dem Aristoteles am 
meisten zu verdanken, dessen Schriften Plotin und Porphyr, Jam- 
blich und Proklus, ebenso eifrig, wie die platonischen, studirt 
haben ?). In der Metaphysik legen sie die platonische Unterschei- 
dung der sinulichen und der übersinnlichen Welt, die Lehren von 
den Ideen, der Weltseele und der Materie zu Grunde; aber sie 
überschreiten einerseits den platonischen Dualismus in der Rich- 
tung Philo’s und der Neupythagoreer durch die Uebervernünflig- 
keit des Urwesens, welche sie zuerst in dieser strengen Fassung 
geltend gemacht haben, und durch die Identificirung der Materie 
mit dem Bösen; andererseits wird das platonische durehgreifend 
mit peripatetischen und stoischen Bestandiheilen versetzt, die 
Ideonwelt fasst sich zum aristotelischen Nus zusammen, die Ideen 
selbst werden aus unbewegten Urbildern zu lebendigen Kräften, 
die Weltseele zur Einheit der Keimformen, das Verhältniss des 
ursprünglichen Seins zum abgeleiteten wird mehr aus dem stoiseh- 
aristotelischen Gesichtspunkt der wirkenden Ursache, als aus dem 
rein platonischen der Urbildlichkeit betrachtet. Dagegen hat die 
Pyihagoreische Zahlenlebre für Plotin noch wenig Bedeutung, erst 
seit Jamblich wird ihr mehr Gewicht beigelegt. Noch stärker 
komist das stoische, wie bereits gezeigt wurde, in der Physik zum 
Vorschein; die teleologische Weltbetrachtung und der Vorsehungs- 
nennt 

I) Wie diess auch J. Simon Hist. de l’6cole d’Alex. I, 259. 559 u. ὅ. 


Hichtig bemerkt hat. 
2; Μ, vgl. kierüber, was Plotin betrifft, 5. 894, 1. 888, 1. 


396 Neuplatoniker, 


glaube der Neuplatoniker trägt das entschiedenste Gepräge des 
Stoicismus, und ebenso stark. ist es Plotin’s Religionsphilosophie 
aufgedrückt, wogegen die Anthropologie allerdings fast ganz auf 
platonischem Boden steht, und nur in der Lehre vom Nus und in 
der Verwerfung der Wiedererinnerung dem Aristoteles einen er- 
heblicheren Einfluss gestattet. Auch der Ethik des Systems wurde 
ihr stoischer Charakter bereits nachgewiesen; doch hält diesem 
Element hier die platonische Lehre vom Eros und von der Fiucht 
aus der Sinnlichkeit das Gleichgewicht; in der Einseitigkeit der 
letzteren Forderung werden wir den neupythagoreischen Geist 
nicht verkennen; an Aristoteles erinnert Plotin’s Ethik nur durch 
die Bestimmungen über das Verhältniss der praktischen Tugend 
zur theoretischen; der Schlusspunkt des Systems, der seine in- 
nerste Eigenthümlichkeit an’s Licht bringt, die Lehre von der Ek- 
stase, hat ausser Philo bei keinem von den früheren Philosophen 
eine nähere Analogie. Wir finden so auf allen Punkten des neu- 
platonischen Systems die Spuren seiner griechischen Abkunft; aber 
wie viel es auch von anderen entlehnt hat, es hat das fremde in 
eigenthümlicher Weise verschmolzen und umgestaltet; es entnimmt 
allen seinen Vorgängern sein Material, aber sein Princip und des- 
sen systematische Ausführung gehört doch nur ihm selbst an. 

Die geschichtliche Entwicklung der neuplatonischen Philoso- 
phie bewegt sich durch drei Stadien. Zuerst entwirft Plotin die 
Grundzüge des Systems, welche Porphyr nur formell überarbeitet, 
und in untergeordneten Punkten weiter ausführt. Der Bau des- 
selben ist in dieser seiner ersten Gestalt am einfachsten, die meta- 
physischen Grundbestimmungen treten klar auseinander, die wis- 
senschaftliche Haltung der Lehre wird in der Hauptsache noch 
durch kein fremdartiges Interesse gestört. Dagegen ist allerdings 
das einzelne bei Plotin weniger durchgearbeitet, seine Darstellung 
ist ungleich und nicht ohne Lücken, die Geduld zur methodischen 
Ausführung steht bei aller dialektischen Gewandtheit mit der 
Kühnbheit der leitenden Ideen und der Grossartigkeit der allgemei- 
nen Anschauungen nicht im rechten Verhältniss. Eine neue Wen- 
dung, theilweise schon durch Porphyr vorbereitet, beginnt mit 
Jamblich. Während bisher das philosophische Interesse die Spe- 
kulation beherrscht hatte, so wird es jetzt von dem positiv reli- 

giösen überflügelt, die Restauration des Polytheismus wird der 


Anfänge des Neuplistonismus. 397 


senplatonischen Schule zur Hauptsache, und an dieses Bestreben 
schliessen sich auch Aenderungen des metaphysischen Systems an, 
die seinem wissenschaftlichen Charakter keineswegs zum Vortheil 
gereichen. Erst in der Schule von Athen kehrt der Neuplatonis- 
mus, durch ein eifriges Studium der aristotelischen Schriften unter- 
stätzt, zur sirengeren Wissenschaftlichkeit zurück, und Proklus 
unternimmt es, seine ganze Errungenschaft mit einem, seltenen 
Aufwand dialektischer Kraft zu einem umfassenden, in allen Bin- 
zelheiten gleichmässig gegliederten System zu verarbeiten 1). Aber 
üe philosophische Produktivität der Schule und des griechischen 
Alterthums überhaupt ist erschöpft; nicht einmal zur Ueberwin- 
dung der unreinen Elemente, welche sich aus der positiven Reli- 
gion eingedrängt haben, reicht ihre Kraft aus, und so ist das letzte 
Ergebniss doch nur ein Scholasticismus, dessen scharfsinnige Aus- 
führung wir bewundern müssen, von dem aber eine neue schöpfe- 
rische Wirkung nicht zu erwarten war. 

Die nachfolgende Darstellung des neuplatonischen Systems 
lasst vorzugsweise die ursprüngliche Gestalt in’s Auge, die ihm 
Plotin gab, da sich seine Eigenthümlichkeit aus dieser am besten 
erkennen lässt; über die späteren Umwandlungen desselben soll 
hier nur das hauptsächlichste mitgetheilt werden. 


I. Plotinus und seine Schüler. 
l, Die ersten Anfänge des Neuplatonismus. Ammonius Sakkas. 


Den ersten Anstoss zur Entstehung der neuplatonischen Schule 
glaubte man früher nicht selten von jenem Potamo herleiten zu 
dürfen, welcher gegen das Ende des zweiten oder um den Anfang 
des dritten Jahrhunderts als Lehrer einer eklektischen Philosophie 
auftrat 5). Was wir jedoch von diesem Mann wissen, ist von der 
Art, dass wir bei ihm theils überhaupt keinen neuen wissenschaft- 


1) Kıucnser’s Behauptung (Philos. d. Plot. 215), dass wir kein Recht 
baden, zwischen der Bohule von Athen und der des Jamblich zu unter- 
scheiden, wird später gepräft werden. 

2) Vgi. Beucxer Hist. crit. phil. Il, 198 ff., dessen ausführliche Unter- 
suchung über Potamo mit dem Ergebniss abschliesst, dass er eine platonisch- 
eklektische Philosophie zuerst, aber noch mit geringem Erfolge, zu begrün- 
den versucht, Ammonius diesen Versuch erfolgreicher wiederholt habe, 


398 Neuplatoniker. 


lichen Standpunkt, theils namentlich keine näbere Verwandtschaf 
mit dem Neuplatonismus voraussetzen können '). Mit mehr Recht 
kann der Alexandriner *) Ammonius Sakkas *) den Anspruch 
machen, für den Stifter des Neuplatonismus zu gelten. Dieser 


Mann war nach Porrayr *) der Sohn christlicher Eltern; aber von | 


der Philosophie, deren Schüler er aus einem Taglöhner geworden 
war °), hatte er sich zu den hellenischen Göttern zurückführen 
lassen °). Er selbst machte als Lehrer der Philosophie einen un- 
gewöhnlichen Eindruck. Als ihn Plotin zum erstenmal hörte, rief 
er sofort aus: „Dieser ist mein Mann“ 7); und während keiner 
von den andern alexandrinischen Philosophen ihn zu befriedigen 


1) Vgl. 1. Abth. 743, und gegen Urserwre (Grundr. d. Gesch. ἃ. Phil. |, 
217), welcher die Meinung festhält, er sei bei Poren. v. Plot. 9 ala Lehrer 
Plotin’s erwähnt, Bıcatre Neupl. Stud. Il, VI. 

4) ᾿Αλεξανδρεὺς nennt ihn Hırroxı. b. Puor. Cod, 214, 8. 178, 20. Scın, 
᾿Αμμών. 

8) Ueber ihn: Vacnzror Hist. de l’doole d'Alex. I, 842 f. J. Sımox Hist 
de ἰός. d’Alex. I, 204 f. Rırrer IV, 578 ἡ. Baanvıs Gesch. ἢ. Entw. d. grieeh. 
Phil, UI, 818f. Kırcanza Phil. d. Plotin 21 ff. vgl. 27. Rıcatan a. a. O. I, 56£ 
Deuaurt Essai historique sur la vie et la dootrine d’ A. 8. (Brux. 1836) kenze 
ich nur aus dritter Hand. . 

4) B. Eus. K. οἱ VI, 19, 7, wo er dem bekannten Kirchenlehrer Origenes 
vorwirft, dass er, dor Schülor des Ammonius, sich dem βάρβαρον τόλμημα an- 
geschlossen habe, sagt er von jenem: "Aupuvuog μὲν γὰρ Χριστιανὸς ἐν Χριστιᾶ- 
vois ἀνατραφεὶς τοῖς γονεῦσιν, ὅτε τοῦ φρονέϊν καὶ τῆς φιλοσοφίας ἥψατο, εὐθὺς πρὸς 
τὴν κατὰ νόμους πολιτείαν μετεβάλετο. 

5) Tusoporgr our. gr. affect. VI, 8.96: ἐπὶ τούτου (Commodus 180--- 105, 
δὲ ᾿Αμμώνως ὁ ἐπίχλην Σακχᾶς τοὺς σάχχους καταλιπὼν, οἷς μετέφερε τοὺς πυροὺς, 
τὸν φιλόσοφον ἠσπάσατο βίον. Sup. Mwrlv. Den Beinamen Bakkas (= σαχχο- 
φόρος) bestätigt ausser Burn. ᾿Αμμών. Ὦριγ. auch Ausıar. Marc. XXII, 8. 528 
Bip. 

6) Eus. a. a. O. 10 bestreitet diess, wie Baur (Jahrb. f. wissensch. Kritik 
1887, a, 678) glaubt, mit Kecht; mir scheint es unverkennbar, dass er den 
Lehrer Plotin's mit einem gleichnamigen christlichen Gelehrten verwechselt; 
denn er führt von seinem Ammonius Schriften, und zwar theologischen In- 
halts, an, während jener nach Porrnrer's (v. Plot. 8) und Loxaın’s (Ὁ. Posrs. 
a. a. Ο. 20) bestimmter Versicherung keine Schriften hinterlasseu hatte; oder 
wenn der Kirobenlehrer Origenes wirklich nicht den Platonikor Ammoniss, 
sondern den von Eusebius bezeichneten Christen sum Lehrer gehabt babeu 
sollte (8. u.), so hat Euseb jedenfalls übersehen, dass Porphyr's Aussage 
sich nicht auf diesen besiabt. 


1) Τοῦτον ἐζήτουν. 


Ammonius Sakkasn. θυ 


vermocht hatte, fand er sich von Ammonius so gefesselt, dass er 
sich bis zu seinem Tode nicht von ihm trennte '). Die Schüler des 
Ammonius betrachteten, wie erzählt wird, seine Lehre als die 
Offenbarang einer höheren Weisheit, welche man den uneinge- 
weihten nicht mittheilen dürfe 9; als sie sich aber dazu enischlos- 
sen, soll es auch bei Plotin nur die Lehre des Ammonius gewesen 
sein, welche er vortrug ?). Ammonius erscheint demnach hier in 
einer ähnlichen Stellung, wie sie Pythagoras in der Vorstellung 
der späteren Zeit einnimmt 4): durch ihn wird der Welt eine neue 
Philosophie geoffenbart, aber diese Aufschlüsse, zu erhaben für 
die Menge, sollen als strenges Schulgeheimniss bewahrt werden; 
nachdem sie jedoch einmal durch die Schuld eines der Schüler 
water die Leute gekommen sind δ), wird alles, was seine Nach- 
folger von tieferem Wissen besitzen, auf ilm zurückgeführt. Nun 
wird freilich gerade durch diese Uebereinstimmung mit der Pytha- 


1) Poaru. v. Plot. 3. Dass Plotin erst nach dem Tod des Ammonius 
Alexandria verliess, wird hier zwar nicht ausdrücklich gesagt, sondern uur, 
dass er 11 Jahre mit ibm zusammengeweren sei, und sich dann bei Gordian's 
Perserzug an dessen Heer angeschlossen habe, um die Wissenschaft der Per- 
ser und Inder kennen zu lernen. Da er aber nach dem Misslingen dieser 
Unternehmens nicht nach Alexandria zurückkehrt, sondern sich nach Rom 
wendet, um eine eigene Schule zu errichten, und da von da an Ammonius 
aus der Geschichte verschwindet, so ist das wahrscheinlichste, dass er eben 
damals, im J. 242, oder während des Perserzuge, gestorben ist. 

2) Porrn. a. a. ©.: Ἐρεννίῳ δὲ καὶ Ὠριγένει χαὶ Πλωτίνῳ συνθηχῶν yayo- 
vu, μηδὲν ἐχχαλύπτειν τῶν ᾿Αμμωνίου δογμάτων, ἃ δὴ ἐν ταῖς ἀχροἄσεσιν αὐτοῖς 
ἐνεαιχάθαρτο, ἐνέμενε καὶ ὃ Πλωτῖνος, συνὼν μέν τισι τῶν προςιόντων, τηρῶν δὲ 
ἀνάπυστα τὰ παρὰ τοῦ ᾿Αμμωνίου δόγματα. Herennius babe die Verabredung 
zuerst verletzt, dann Origenes, und nun habe auch Plotin sich durch sein 
Versprechen nicht mehr gebunden geglaubt, doch ἄχρι μὲν πολλοῦ γράφων 
οὐδὲν, ἐχ δὲ τῆς ᾿Αμμωνίου συνουσίας ποιούμενος τὰς διατριβάς. 

8) Vor. Anm. und Ροκρη. 14: Plotin habe mit seinen Bcohfilern die pla- 
Wnischen und peripatetischen Commentare gelesen; ἔλέγετο δὲ dx τούτων οὐδὲν 
χαϑάπαξ͵ ἀλλ᾽ ἴδιος ἦν χαὶ ἐξηλλαγμένος ἐν τῇ θεωρίᾳ καὶ τὸν ᾿Αμμωνίου φέρων νοῦν 
ἐν ταῖς ἱξετάσεσιν. 

4) Vgl. Bd. I, 281 £. 

5) Auch dieser Zug findet sich zuerst in der pythagoreischen Sage; hier 
it es Philolaus, durch dessen Schrift die pytbagoreische Lehre zuerst über 
den Kreis der Schule hinaus bekannt geworden gein soll, was dann auf ver- 
schiedene Art entschuldigt wird. Dıoc. VII, 16. 85. JamsLion v. Pyth. 199, 
Tem. Chil. X, 797 ff. vgl. Böckn Philol, 18 f. 


400 Neuplatoniker. 


gorassage die ganze Sache verdächtig, und es fragt sich, ob sich 
nicht schon zu Porphyr’s Zeit die Vorstellungen der plotinischen 
Schule über den Mann, den sie als ihren Stifter verehrte, und über 
sein Verhältniss zu Plotin, in der durch jene Sage bezeichneten, 
ihrem philosophischen Ideal entsprechenden Richtung von der 
Wirklichkeit entfernt hatten ). Für Ammonius wissenschaftliche 
Bedeutung zeugt aber auch Loneinus ἢ), und Plotin’s Bewunderung 
gegen denselben lässt sich schon nach dem obenangeführten nicht 
bezweifeln. Worauf sich jedoch diese Bedeutung näher gründete, 


und inwieweit schon Ammonius den Standpunkt gewonnen und die | 


Ansichten aufgestellt hatte, welche wir in der Folge bei Plotin 
finden, lässt sich schwer sagen. In der ersten Hälfte des fünften 
Jahrhunderts hatte der bekannte Hırrokıes 5) im siebenten Buche 
seiner Schrift von der Vorsehung *) über die Schule des Ammonius 
gehandelt °), und er hatte dabei namentlich hervorgeboben, Am- 


1) Wie es sich in dieser Beziehung mit der angeblichen Verabredung 
Plotin’s und seiner Mitschüler zur Gebeimhaltung der Lehre des Ammonius 
verhält, ist ziemlich unerheblich; Porphyr’s Voraussetzung, dass Plotin in Rom 
keine andere Lebre, als die des Ammonius, vorgetragen habe, wird sogleich 
geprüft werden; dass aber sein Zeugniss in dieser Sache nicht unbedingt ent- 
scheidend sein kaun, wird man zugeben müssen, wenn man erwägt, dass er 
selbst den Ammonius nicht gekannt und dieser keine Schrift hinterlassen 
hatte. Erzählt er doch v. Plot. 10 selbst über Plotin einiges, was genau so 
nicht vorgekommen sein kann. 

2) B. Ponrn. a. a. Ο. 20: ᾿λμμώνιος καὶ Ὠριγένης, οἷς ἡμέϊς τὸ πλεῖστον τοῦ 
χρόνου προςεφοιτήσαμεν ἀνδράσιν οὐχ ὀλίγῳ τῶν καθ᾽ ξαυτοὺς εἰς σύνεσιν δανεγ- 
χόντων. 

8) Ein Schüler Plutaroh’s, welcher tiefer unten noch zu berühren sein 
wird. 

4) Welche wir durch die ausführlichen Auszüge b. Paor. Cod. 214. 351 
näher kennen. 

δὴ) Nachdem er nämlich in den früheren Büchern theils seine eigene 
Ansichten entwickelt, theils die Usbereinstimmung derselben mit Plato und 
allen namhaften Philosophen zwischen Plato und Ammonias, mit den Götter 
sprächen, den hieratischen Satzungen, den homerischen und orphischen G* 
dichten darzuthun gesucht hatte, handelte er im 7ten περὶ τῆς διατριβῆς τοῦ 
προειρημένου "Appwvlou... χαὶ ὡς Πλωτῖνός τε καὶ Ὠριγένης, χαὶ μὴν καὶ Πορφύριοι 
καὶ Ἰάμβλιχος καὶ οἱ ἐφεξῆς, ὅσοι τῆς ἱερᾶς (ὡς αὐτός φησι) γενεᾶς ἔτυχον φύντες, 
ἕως Πλουτάρχου τοῦ ᾿Αθηναίου, ὃν χαὶ χαθηγητὴν αὗτοῦ τῶν τοιούτων ἀναγράφει 
δογμάτων, οὗτοι πάντες τῇ Πλάτωνος διακεκαθαρμένῃ συνάδουσι φιλοσοφίᾳ. Paot. 
Cod. 214, 9. 178, a, 


Ammonius Bakkas. 401 


monius „der gottgelehrte“ habe zuerst die Lehre des Plato und Ari- 
stoteles in ihrer Reinheit wiederhergestellt, dem langjährigen ver- 
derblichen Streit ihrer Schulen ein Ende gemacht, und gezeigt, dass 
sie in allen wesentlichen Punkten übereinstimmen 7). Allein ehe 
wir auf dieses Zeugniss hin die Vereinigung des Plato und Aristo- 
teles als die eigentliche That des Ammonius preisen ?), müssten 
wir doch erst wissen, welches denn nun die ächte Lehre des Plato 
und Aristoteles sein sollte; noch vorher aber, woher Hierokles 
das hatte, was er über Ammonius berichtete. Da dieser Philosoph 
keine Schriften hinterlassen hatte ®), und auch von keinem seiner 
Schüler eine Darstellung seiner Lehre bekannt ist *), so kann man 
sich nicht denken, wie Hierokles, zwei Jahrhunderte nach ihm, 
die Mittel zu einer urkundlichen Ueberlieferung seiner Ansichten 
hätte haben sollen. Es geht ja aber auch aus der Mittheilung des 
Photius hervor, dass er die ganze neuplatonische Schule mit Am- 
monius, als ihrem Stifter, unterschiedslos zusammenwarf, und dass 
er sich überhaupt in seinen Ausführungen über die älteren Philo- 
sopben ganz und gar von dem Wunsche leiten liess, bei ihnen 
alten, mit Einschiass der Dichter, nur ein und dasselbe zu finden. 
Unter diesen Umständen ist es kaum möglich, den Aussagen des 
Hierokles &ber Ammonins den Werth eines geschichtlichen Zeug- 
Nisses zuzuerkennen; sondern es wird sich ‘damit verhalten, wie 
mit den neupythagoreischen Angaben über Pythagoras und seine 
Philosophie: alles, was einer Schule für Wahrheit gilt, legt sie 
ihrem Stifter in den Mund. Hierokles, der Schüler Plutarch’s, war 
allerdings von der durchgängigen Uebereinstimmung des Plato und 
Aristoteles unbedingt überzeugt’), und so verstand es sich für ihn 


1) Paor. Cod. 251, 8. 461, a, 24 ff. 

2) Kırcaner Phil. ἃ. Plot. 22, wo noch weiter behauptet wird, Am. habe 
in beiden Systemen nur die verschiedenen Formen eines einzigen universalen 
und absoluten gefunden, dessen Aufstellung er sich zur Aufgabe machte, und 
ebendamit sei die Zusammenfassung aller grossen Philosophieen zu Einem 
Ganzen gegeben gewesen. 

3) Wie diess Loncıs Ὁ. Posrn. v. Plot, 20 ausdrücklich bezeugt. 

4) M. vgl. 8. 406, 2 und was sogleich über Herennius, Origenes und 
Longinus su bemerken sein wird. 

5) Bei Puor. a.d. a. Ὁ. 8. 173, a. 461, a ereifert er sich auf's lebhafteste 
gegen die φαῦλοι καὶ ἀποτρόπαιοι, welche einen Widerstreit zwischen Plato und 
Aristoteles behaupten, und beschuldigt sie, dass sie nur denshalb selbst 


Philos, ἃ, Gr. III. Bd. 8. Abth. 26 


403 Neuplatoniker. 


von, selbst, dass auch schon Ammonius die gleiche Veberzeugung 
ausgesprochen habe; aber so wahrscheinlich es auch immerhin ist, 
dass dieser Philosopk dem Plotin in der Verknüpfung aristotelischer 
und platonischer Studien, der Benützung aristolelischer Begriße 
und Methoden, worangieng, so wenig lässt sich doch diese That- 
sache durch ein so unzuverlässiges Zeugniss, wie das des Hierokles, 
erweisen, und auch ihre Richtigkeit im allgemeinen zugegeben, 
fragt es sich doch immer noch, ob Ammonius in der Vereinigung 
des Plato und Aristoteles schon so weit, gieng, wie die späteren 
Neuplatoniker; diess erscheint aber um 80 aweifelhafter, da auch 
noch Plotin sehr eingreifende Abweichungen zwischen beideu υπ- 
bedenklich einräumt 1). 

Auch die Berichte des Nemesivs über unsern Philosophen 
führen, uns nicht weiter. Wenn dieser Schriftstellen aine ausführ- 
liche Widerlegung der materialistischen Ansicht von der Seele, 
und insbesondere des stoischen Materialismus, „aus Ammonius 
und Numenius“ mittheilt 3), so lässt sich damit schen. desshalb 
wenig anfangen, weil uns nicht gesagt wird, was von dieser Aus- 
führung dem Numenius und was dem Ammonius gehört, ob der 
letztere die Gründe des ersteren nur wiederholt oder mit neuen 
vermehrt hatte, und worin diese bestanden °). Einer zweiten Mil- 


Schriften dieser Philosppben zu verfilschen (odes für uplicht zu erklären? 
νοθεῦσμι) sich erdreistet haben, um ihre Behanptung desto leichter aufrecht 
halten zu können. 

1) Vgl. 8. 874, 1. 

2) Nachdem Nemes, De nat. hom. c. 2 die verschiedenen Annahmen über 
die Beale anfgesählt hat, führt er 8. 20 fort: χοινῇ μὲν οὖν πρὸς πάντας τοὺς 
λέγοντας σῶμα τὴν ψυχὴν ἀρχέσει τὰ παρὰ ᾿Αμμωνίου τοῦ διδασχάλου Πλωτίνου ze 
Νουμηνίου τοῦ Πυθαγορικοῦ (d. ἢ. von Ammonins, dem Lehrer Plotin’s, und von 
Numenius, nicht: von Amm., dem Lehrer des Plotin und des Numenius) sley- 
μένα. εἰσὶ δὲ ταῦτα. Und nun folgt ein Auszug, von dem aber nicht klar ist, 
wie weit er geht: ob nur bis zu den Worten εἰς ἀσώματον 8. 29 g. E., oder bis 
οὐ σῶμα ἣ ψυχὴ 8. 81, oder bis 8. 35: χωρίζεται ἀσώματος οὖσα. Für die lete- 
tere Annahme könnte man die Stelle 8. 82 anführen, wo mit Bezug auf die 
Gründe des Kleantbes und Chrysippus gesagt ist: ἐχθετέον χαὶ τούτων τὰς Au- 
σεις, ὡς ἐπέλυσαν ol ἀπὸ Πλάτωνος, denn diess weist darauf hin, dass auch diess 
noch aus der Darstellung eines Platonikers entnommen sei. 

3) Der. Hauptgedanke der ganzen Erörterung liegt auch dann, wenn die- 
selbe bis 8. 81 oder 85 geht, jedenfalls in dem Satze, dass die Körper, an sich 
selbst eine Vielheit olıne Einheit, und einem unablässigen Wechsel unter- 


Ammonius Sakkas. 303 


theilang des Nemesius 1) steht dieses Bedenken nicht im Wege; 
nur um so stärker drängt sich dagegen die Frage nach der Quelle 
auf, der jener seine Mittheilungen über Ammonius entnommen hat. 
Ammonius löste, dieser Darstellung zufolge, die Schwierigkeit, 
wie die Seele mit dem Körper eins sein könne, ohne selbst körper- 
licher Natar zu sein, folgendermassen. Das Uebersinnliche, sagte 
er, könne mit dem, was zu seiner Aufnahme geeignet sei, voll- 
kommen eins werden, ohne sich doch mit ihm zu vermischen, oder 
seine Eigenthümlichkeit zu verlieren, oder überbaupt in seinem 
Wesen eine Veränderung zu erleiden (κατ᾽ οὐσίαν ἀλλοιοῦσθαι): 
denn es sei seiner Natur nach keiner Wesensveränderung fähig, 
und behalte daher auch in der Verbindung mit anderem seine 
Eigenschaften ?). Diess bestätige denn auch der Augensehein. Dass 
eine wirkliche Einigung der Seele mit dem Leibe stattfinde 5), sehe 
man aus ihrer Theilnahme an seinen Zuständen (ihrer συμπάθεια); 
dass sie sich wicht mit ihm vermische, aus ihrer Zurückziehung 
vom Leihe im Schlafe, ma Traume (namentlich den-weissagenden 
Träumen) und bei der Betrachtung unsinnlicher Dinge. Vermöge 
ihrer Unkörperlichkeit könne die Seele den ganzen Leib dureh- 
dringen,. und doch dabei in ihrem eigenen Wesen beharren *); 
denn sie werde nicht vom Leibe zusammengehalten, sondern dieser 


worfen, npr durch die Seele susammengehalten werden können. Eben dieser 
Satz ist uns aber schon 8. 198, 1 bei Numenius vorgekommen, welcher selbst 
hismit nur stoische Bestimmungen (8. 1. Abth. 181, 1) gegen den stoischen 
Materialiamus kehrt. 

1) A. δ. Ο, c. 8,8. 56 u. — 59 u. 

2) Τὰ νοητὰ τοιαύτην ἔχειν φύσιν, ὡς καὶ ἑνοῦσθαι τοῖς δυναμένοις αὐτὰ δέξασ- 
θαι, καθάπερ τὰ συνεφθαρμένα (dass es mit seinem Substrat eben so innig var- 
bunden werde, wie die Stoffe, die zu Einem Stoff susammengehen, und daher 
durch die Mischung ihre Eigenthlimlichkeit verlieren, die chemisch gemisch- 
wen Btoffe; — diese Bedeutung des Ausdrucks ergiebt sich aus dem folgenden 
und 8. 56: καὶ ἢ πρᾶσις δὲ τοῦ οἴνου χαὶ τοῦ ὕδατος ἀμφότερα συνδιαφθείρει) καὶ 
ἑνούμενα μένειν ἀσύγχυτα καὶ ἀδιάφθορα, ὡς τὰ παραχείμενα. 

8) Ὅτι ἤνωται; m. vgl. über die ἕνωσις, im Unterschied von der blossen 
καράθεσις (dem παραχείμενον : 8. vor. Anm.), was 1. Abth. 115, 2. 87, 2 in Be- 
treff des stoischen Sprachgebrauchs nachgewiesen wurde, den wir auch bier 
haben. , 

4) Au ὅλου χεχώρηχεν, ὡς τὰ συνεφθαρμένα (s. vorl. Anm., und die voll: 
kommene Mischung, die σύγχυσις, betreffend 1. Abth. 115, 2), μένουσα ἀδιάφ- 
βορος, ὡς τὰ ἀσύγχυτα, was dann weiter ausgeführt wird. 


26” 


404 Neupiatoniker. 


von fr, sie sei daher auch nicht im Leibe, wie in einem Gefässe, 


sondern der Leib vielmehr in ihr. Wie das Uebersinnliche über- 
haupt nicht in einem körperlichen, sondern nur in einem intelli- 


gibeln Ort (ἐν νοητοῖς τόποις) sei, entweder in sich selbst, oder im 
dem über ihm stehenden Uebersinnlichen, so sei auch die Seele 
theils in sich selbst, theils im Nus: jenes beim vermittelten, dieses 
beim unmittelbaren Denken 1). Wenn wir daher so sprechen, als 
ob sie im Leibe wäre, so heisse diess nur, sie setze sich in Be- 
ziehung zum Leib und neige sich zu ihm; man müsste eigentlich 
nicht sagen: sie ist hier, sondern: sie wirkt hier 2. Diese 
Bestimmungen finden sich nicht allein in Plotin’s Anthropologie | 


Zug für Zug wieder °), sondern sie setzen auch eine mit der plo- 


tinischen wesentlich übereinstimmende Metaphysik voraus; deaa 
nur aus einer solchen erklärt es sich, wenn gesagt wird, alles 
Uebersinnliche ‚sei entweder in sich selbst oder in dem, was über 
ihm stehe, die Seele entweder in sich, oder im Nus; und wem 
bei dieser Gelegenheit allerdings auf plotinischem Standpunkt auch 
dessen, was über dem Nas ist, und der Erhebung der:Seele zu 
demselben hätte erwähnt werden können, 80 lässt sich doch nicht 
behaupten, dass diess nothwendig hätte geschehen müssen, wenn 
dasselbe dam Verfasser bekannt war *). Diese Stelle des Nemesius 
würde daher allerdings die Behauptung °) unterstützen, dass die 
Ordnung der kosmischen Mächte, wie sie bei Plotin hervortriti, 


1) Ἡ ψυχὴ ποτὲ μὲν dv ἑαυτῇ ἐστιν͵ ὅταν Aoylintar, ποτὲ δὲ dv τῷ νῷ, ὅτεν 
γοῇ. Zur Erlänterung vergleiche 'man, was später über die entsprechenden 
Bestimmungen Plotin’s und Porphyr’s beigebracht werden wird. 

2) Ἐπὰν οὖν ἐν σώματι λέγηται εἶναι, οὐχ ὡς dv τόπῳ τῷ σώματι λέγεται εἶνει; 
ἀλλ' ὡς ἐν σχέσει, καὶ τῷ παρέϊναι, ὡς λέγεται ὃ θεὸς ἐν ἡμῖν καὶ γὰρ τῇ σχέσει καὶ 
τῇ πρός τι ῥοπῇ καὶ διαθέσει δεδέσθαι φαμὲν ὑπὸ τοῦ σώματος τὴν ψυχὴν, ὡς λέγομεν 
ὑπὸ τῆς ἐρωμένης τὸν ἐραστήν u. 8. w. ὅταν οὖν ἐν σχέσει γένηται τὸ νοητὸν τόκου 
τινος ἣ πράγματος ἐν τόπῳ ὄντος, χαταχρηστιχώτερον λέγομεν͵ ἐκεῖ αὐτὸ εἶναι͵ διὰ 
τὴν ἐνέργειαν αὐτοῦ τὴν ἐκέΐ... δέον γὰρ λέγειν, Exei ἐνεργεῖ, λέγομεν, ἐκέϊΐ ἐστὶν. 

3) Wie diess VacHenror I, 850 f. im einzelnen nachweist, und wie es sich 
auch aus der Vergleichung mit Plotin’s tiefer unten eu besprechenden psyoho- 
logischen Lehren ergeben wird. 

4) Auch Plotin spricht =. B. V, 8, 3, indem er das διανοέϊσθαι und das 
vosiv unterscheidet, nur davon, dass jenes die eigene Tbätigkeit der Seele, 
dieses die Wirkung des Nus sei, ohne dass das Urwesen hier berührt παρά. 
Achnlich V, 1, 10. 491, Bf. V, 9, 8. 557, B. 

5) Kızcaner Phil. ἃ, Plot. 27. 


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Ammonius Bakkas. 405 


schon bei Ammmonius vorlsanden gewesen sei !); wenn wir nämlich 
der Urkundlichkeit dessen, was Nemesius mittheilt, versichert sein 
könnten. Aber wer bürgt uns für diese? So verwickelte dielekti- 
sche Ausführungen, wie wir sie hier haben, könnten unmöglich 
anders, als schriftlich, überliefert sein; Ammonius selbst aber 
kat nichts geschrieben; man müsste daher annehmen, einer seiner 
persönlichen Schüler habe einen Abriss seiner Lehre, oder wenig- 
stens einen Bericht über diesen Theil derselben niedergeschrieben, 
den Nemesius mittelbar oder unmittelbar benützt habe. Nun wird 
men freilich die allgemeine Möglichkeit dieser Annahme nicht be- 
streiten können; aber ebenso möglich ist es auch, dass Nemesius 
eine viel spätere und unzuverlässigere Quelle benützt hat, und 
dass die Aeusserungen des Ammonius, die er berichtet, mit Plotin’s 
Ansichten nicht desshalb so genau übereinstimmen, weil sich diese 
schon bei Ammonius fanden, sondern nur desshalb, weil der 
spätere Schriftsteller, dem er folgt, die plotinische Philosophie 
ihrem ganzen Umfang nach auf Ammonius zurückführen zu dürfen 
glaubte. Selbst der bestimmteren Vermuthung, dass dieser Schrift- 
steller kein anderer als Hierokles sei, würde die Chronologie 
schwerlich im Wege stehen ?), während sich andererseits der Um- 


ὃ) Was dagegen Kırcanuz weiter beifügt, dass namentlich die Lehre von 
dem Einen und von der Ekstase ihm angehört, diess folgt aus Nemesius nicht, 
sondern es würde ihm nur nicht widersprechen; Kirehner's Beweis daflir ist 
die Stelle Ponrara’s v. Plot. 14, von der aber schon 8. 400, 1 geseigt wurde, 
wie wenig sie dasu ausreicht. 

2) Hierokles schrieb, wie später gezeigt werden wird, noch in der ersten 
Hälfte, und vielleicht selbst noch im ersten Drittheil des fünften Jahrhunderts. 
Nemesius wurde nun allerdings früher gewöhnlich bis an den Anfang dieses 
Jahrhunderts hinaufgerückt. Indessen scheint mir Rırrer (Gesch. d. Phil. VI, 
463) seine Schrift, die nicht vor dem sechsten Jahrhundert benützt wird, mit 
mehr Grund in die Mitte des fünften zu setzen. Schon seine Erörterungen 
über die Verbindung des θεὸς λόγος mit dem Menschen Jesus (c. 3, 8. 60--- 62), 
ip denen er nicht allein die Eunomianer, sondern auch Theodor von Mop»- 
vestia und die antiochenische Schule berücksichtigt (ihr gehört nämlich die 
8.62 an gewissen ἔνδοξοι ἄνδρες getadelte Annahme, dass der τρόπος τῆς ἑνώ- 
ex in jener Verbindung blosse εὐδοχία sei; vgl. Baur Gesch. d. Lehre v. d. 
Dreieinigk. I, 706 4), weisen auf die Zeit, in welcher der nestorianische 
Streit der christologischen Frage das lebhafteste Interesse zugewandt hatte, 
Bestimmter führt uns in die Mitte des Jahrhunderts, in die nächsten Jahre 
vor, oder wahrscheinlicher die nach dem ohalcedonensischen Conoil v. J. 461, 


406 Neuplatoniker. 


stand, dass wir diese Einzelheiten über Ammonius gerade nur hier 


finden, unter dieser Voraussetzung am leichtesten erklärt '). 


Diese Zweifel erhalten eine erhebliche Bestätigung, wenn wir | 


neben den Angaben über Ammonius auch die über seine Schäfer, 


welche freilich spärlich genug sind, in Betracht ziehen. Die nam- 
haftesten derselben sind, ausser Plotia, Herennius, die beiden 
Origenes und Longinus ἢ. Ueber Herennius wird uns jedoch 


der Nachdruck, mit dem Nemesiw a. a. Ὁ. hervorbebt, dass der Logos bei 
der Vereinigung mit dem Menschen παντάπασιν Ayuxtog καὶ ἀσύγχυτος καὶ ἀδιάφ- 
θορὸς καὶ ἀμετάβλητος, dass er ἄτρεπτος καὶ ἀσύγχυτος geblieben sei. Denn diem 
sind eben die Schlagwörter des chalcedonensischen Symbols und der für das- 


selbe maassgebenden Erklärungen Leo’s d. Gr.: das ἀτρέπτως, ἀσυγχύτιος hat | 
im dem 8ymbol selbst Anfnahme gefunden; diese Sohlagwörter treten aber 


mit voller Bostimmtheit erst in den letzten Jahren vor dem Comcil auf. Vgl. 
Baur a, 8. Ὁ. 806 fi. Dass aber bei dieser Gelegenbeit 8. 61 nur die Enune- 
mianer, nicht Eutyches, genannt werden, durfte Rırrea nicht auffallen: dia 
Annahme, welche zu ihrer Erwähnung Anlass giebt, νῶσθαι τὸν θεὸν λόγον τῷ 
σώματι od κατ᾽ οὐσίαν, ἀλλὰ κατὰ τὰς ἑχατέρου δυνάμεις (dieselbe, welche auch 
schon Theodor von Mopsveostia bestreitet, bei Baur 8. 707), steht der enty- 
chisnisohen diametral entgegen. 

I) Wäre ein zuverlässiger oder für zuverlässig gehaltener Bericht üher 
die Lebre des Ammonius vorhanden gewesen, 80 wäre es sehr auffallend, dass 
in keiner einsigen von den sahlreichen Schriften neuplatonischer Philosophen, 
die wir noch besitzen, nioht in den Bruchstücken des Porphyr und Jamblich, 
nicht in deu Commentaren zu Aristoteles, nicht in den Werken des Prokhus, 
über die Lehre dieses Mannes, welche doch für die späteren Mitglieder der 
Schule ein gaus besonderes Interesse haben musste, das mindeste mitgetheitt 
wird; dass auch seiner psychologischen Annahmen weder in den viebem, 86 
Besiehungen auf seine Vorgänger so reichen Aussügen aus Jamklich περὶ 
ψυχῆς (b. Bros. Ekl. 1,790. 8658-986. 10661068), noch in den Erläuterungs 
schriften su Aristoteles von der Boele, noch in Proklus’ Commenter zum Ti- 
mäus such nur Einmal Erwähnung geschieht. Dagegen begreift sich die 
Sache vollkommen, wenn das einzige über ihn, was man besass, die Dar- 
stellung des Hierokles, und wenn diese selbst nicht eine geschichtliche Ueber- 
lieferung über Ammonius, sondern ein Abriss der neuplatonisohen Gesammi- 
lehre war, den nur Nemesius für einen historischen Bericht über Ammeonius 
nahm. 

2) Sonst nennt Poxrn. v. Plot. 7 noch Theodosius, und Paogı. ia 


- Tim. 187, B Antoninus, wohl den gleichen, von welchem Braram ie Metaph. 


59 Bagol. (ὁ. u. 8.412) anflhrt, er habe über die Ideen eine Ahnliche Ansicht 
gehabt, wie Longinus; auf die Ideen und den Nus besieht sich auch die ım- 
klare Notis bei Proklus. Olympius kaun nach dem, was Ponra. a. a. 0. 1V 
sagt, kaum zur Schule des Ammonius gerechnet werden. 


Schule des Ammonitus; Origenes. 46% 


nichts näheres mitgetheilt ἢ). Von den zwei Origenes katın der 
christliche, wenn er überhaupt den Ammonins Sakkas gehört hat ?), 
hier nicht weiter in Betracht kommen. Der andere Origenes, mit 
jenem nicht zu verwechseln °), gilt neben Plotin für Ammonius’ 


1) Das einzige, was von ihm überliefert ist, wurde schon 8. 899, 3 an- 
geführt. 

2) Dass er es gewesen sei, behauptet Porrare in der 8. 898, 4. 6 bespro- 
ohenon Stelle, und an sich ist diess nicht unmöglich, wiewohbl Origenes (geb. 
185) wohl kaum über 15 Jahre jünger war, als der 242 gestorbene Ammonius, 
der überdiess nicht mehr gans jung gewesen sein kann, als er seine Bchule 
eröffnete; denn auch Origenes scheint bereits am Anfang des Mannekalters 
gestanden su sein, als er die Philosophenscohule besuchte (Rupwresnse Uri- 
genes 226 f.). Dagegen ist es auffallend, dass Euszsıvus (K. 6. VI, 19, 10) 
versichert, Ammonius, der Lehrer des Origenes, Bei bis zu seinem Tode Christ 
geblieben, wie man diess aus seiner Schrift über die Uebereinstimmung zwi- 
schen Moses und Jesus und anderen sehe. Es fragt sich daher: hat Eusebius 
sich geirrt, wenn er dem Origenes satt des Ammonius Sakkas den ihm be- 
kannten christlichen Schriftsteller dieses Namens zum Lehrer gab? oder hat 
umgekehrt Porphyr die ihm zugekommene Angabe, dass Örigenos einen Am- 
monius sam Lehror gehabt habe, missverständlich auf Amınon. Sakkas be- 
sogen? in diesem Fall hätte aber freilich der Zufall das seltsame Spiel ge- 
trieben, dass zu derselben Zeit und in demselben Lande zwei gleichnamigk 
Lehrer Sehäler gletehen Namens gehabt hätten. 

8) Dives geschah fräher nicht selten (vgl. Reverxunına Orig. 421 ἢ), es 
wird aber durch alles, was uns über den Mitschüler Plotin’s beriohtet wird, 
vollständig widerlegt. Der Kirchenlebrer war ja keinenfalls gleichzeitig mit 
Plotia Zuhörer des Ammonlius, kann nicht bei Plotin in Rom gettsen sein, 
bat die Ansichten, welche wir bei dem Platoniker treffen werden, nieht ge- 
habt, und die Schriften, welche jenem als einzige beigelegt werden, nicht ver- - 
fasst, statt deren aber andere in grosser Zahl. Ebenso unstatthaft ist aber 
auch dio Annahme von Hsıcı (der Bericht des Porphyrios über Orig. Regens- 
burg 1885 — ioh kenne diese Schrift nur aus der Baur'schen Anzeige), Wölcher 
Baun (Jahrb. f. wissens. Kritik 1887, a, 672 8.) beistimmt, dass Porphyr mit 
seintun Origenes niemand anders, als den berühmten Kirehenlehrer, gemeint, 
aber alles das, was er von Ἦν) aussagt, in ohristenfeindlichem Interesse er- 
diehret tabe. Denn für's erste imben wir nicht den mindesten Grand, dem 
Porphyr, welcher sich sonst in allen seinen geschichtlichen Angaben als einen 
wahrheitsliebenden Mann darstellt, eine solche Erdichtung schuldzugeben, 
und das im Babeb (K. Ὁ. VI, 19, 10 s. 0. 8. 398, 6) in Betreff des Ammonius 
der Lüge beschuldigt, würde uns selbst dann dazu noch Iamge kein Recht 
geben, wenn er eich wirklich über das Verhälthiss des ohristliehen Ortigönes 
zu Ammonius Sakkas getäuscht haben sollte. Sodann sind unter den Aus- 
sagen Porghyr’s über Origenes, den Mitschäler Plotin’s, nicht wenige so be- 


ln. 


408 Neuplatoniker. 


bedeutendsten Schüler !), wiewohl er nur unerhebliches geschrie- 
ben hatte 5), und Plotin selbst scheint die Gleichheit ihres beider- 


schaffen, dass sie, auf den Kirchenlehrer besogen, seiner christenfeindlichen 
Tendenz nicht allein nicht gedient, sondern ihr geradezu widersprochen häı- 
ten; und es ist unter Voraussetzung der Heigl’scheu Hypothese schwer za 
sagen, ob er den Origenes als einen falschen oder als einen Achten und mit Pic- 
win einverstandenen Bohäler des Ammonius darstellen wollte. Wollte er jemes, 
su hätte er weder Plotin noch Longinus so anerkonnende Asusserungen über 
ihn in den Mund legen können, wie wir sie bei ihm lesen (8. ὅ, 408, 1. 409, I), 
und er hätte keinen Grund gehabt, die ihm (schon nach Eus. K. G. VI, 19, 7f.; 
wohlbekannte Schriftstellerei des Origenes au IAugnen; wollte er das andere, 
so sieht man nicht ein, was ihn veranlasste, dem Origenes Schriften ansu- 
dicbten, welche dieser nicht verfasst hatte, und welche mit Plotin's Lebre in 
keinem Fall so durchgängig übereinstimmten, dass sie seiner Behauptung sur 
Stütze gedient hätten, von denen überdiess eine unter Gallien, also nach dem 
Tode des Kirchenvaters, verfasst sein soll. Wie hätte er es forner wagen 
können, die allbekannte und von ihm selbst anderswo (Ὁ. Eus. a. a. O.) be- 
sprochene Thatsache, dass Origenes nicht allein Christ, sondern auch der 
erste christliche Schriftsteller seiner Zeit war, in Abrede zu siehen? Es ist 
ja aber gar nicht blos Purphyr, welcher von dem Platoniker Origenes spricht, 


‘sondern wir haben über ihn auch die Aussagen des Longin, Hierokles und 


Proklus. Wie lässt sich annebmen, dass Porphyr die Stelle aus einer Schrift 
des Longinns, welche er anführt, diesem so bekannten und ihm selbst be- 
freundeten Gelehrten unterschoben habe, und welchem Zweck hätte das 
meiste darin und so namentlich auch die Aeussoerung über Origenes, dienen 
sollen? Wenn endlich auch Hierokles das, was er über Origenes sagt, mög- 
licherweise aus Porphyr hätte entnehmen können, so ist diese Auskunft doch 
bei den Angaben des Proklus (worüber 8. 409, 2. 4. 410, 1) nioht zulässig. 
Man vgl. sum vorstehenden auch Repzrannısa Orig. 423 fl. 

1) Loneın. Ὁ. Poren. v. Plot. 20: von den Philosophen seiner Zeit haben 
die einen Schriften verfasst, die anderen nicht; zu der zweiten Klasse gehören 
Πλατωνιχοὶ μὲν ᾿Αμμώνιος χαὶ Ὠριγένης, οἷς ἡμεῖς τὸ πλείστον τοῦ χρόνου προσε- 
φοιτήσαμεν, ἀνδράσιν οὐχ ὀλίγῳ τῶν καθ᾽ ἑαυτοὺς εἰς σύνεσιν διανεγκοῦσιν, ferner 
Theodotus und Eubulus; deun wenn auch einzelne von diesen etwas geschrie- 
ben haben, wie Origenes τὸ περὶ δαιμόνων, und Eubulus einiges, οὐχ ἐχέγγοε 
πρὸς τὸ μετὰ τῶν ἐξειργασμένων τὸν λόγον αὐτοὺς ἀριθμέϊν ἂν γένοιτο, κάρεργον τῇ 
τοιαύτῃ χρησαμένων σπουδῇ χαὶ μὴ προηγουμένην περὶ τοῦ γράφειν ὁρμὴν λαβόντων. 
Hırrogı.. b. Puur. Cod. 251, 8. 461, a, u.: Ammonius habe Plato und Aristo- 
teles versöhnt, und die Philosophie als eine ἀστασίαστος seinen Nachfolgern 
überliefert, μάλιστα δὲ τοῖς ἀρίστοις τῶν αὐτῷ συγγεγονότων, Πλωτίνῳ xt "Apr 
γένει χαὶ τοῖς ἑξῆς ἀπὸ τούτων. Ders. ebd. 173, a, ın., gleichfalls über Ammo- 
nius: οὗ τῶν γνωρίμων ol ἐπιφανέστατοι IMwrivög τε καὶ Ὠριγένης. 

3) ἴονοιν ἃ. a. Ο. nennt nur die Schrift über die Dämonen. Poarn. 
ἃ. 8. Ὁ. 3 sagt von Origenes: ἔγραψε δὲ οὐδὲν πλὴν To περὶ τῶν δαρμόνων σύγ- 


Örigenes, 409 


seitigen Standpunkis vorauszusetzen 1); aber was uns über seine 
Ansichten mitgetheilt wird, zeigt doch eine sehr eingreifende 
Verschiedenheit zwischen beiden. Denn durch Proxıus erfahren 
wir, dass er so wenig, als die übrigen Platoniker bis auf Plotin, 
die Gottheit über die gesammte übersinnliche Welt hinausgerückt 
hatte; auch ihm war vielmehr der Nus der höchste Begriff, welcher 
ihm mit dem der Gottheit zusammenfiel ?); und wenn wir hinzu- 
nehmen, dass er auch des Numenius Unterscheidung zwischen dem 
höchsten Gott und dem Weltschöpfer bestritt 5), dagegen ganz im 
gewöhnlichen Sinn von guten und bösen Dämonen redete *), so 


ἴραμμα, καὶ ἐπὶ Γαλιήνου (260 --- 268), ὅτι μόνος ποιητὴς ὁ βασιλεύς. Ueber die 
Bedeutung dieses letsteren Titels ist viel gerathen worden, und VaLasıus (su 
Eus. h. e. VI, 19) kam sogar auf den unglücklichen Einfall, welohen Bepe- 
PERSING ἃ. ἃ. Ὁ. 422 ὦ, und etwas verändert Wourr Porph. de philos. ex orac. 
haur. rel. 21, wiederholt hat, ihn su übersetsen: „Dass der König (ἃ. b. Kaiser 
Gallien) allein ein Dichter sei.“ Richtiger erklären Brucxer Hist. crit. pbil. 
IL, 316. πεῦκα (Plot. Opp. 1, XCIV, wo auch über dio früheren Erklärun- 
gen) u. A.: „Dass Gott (oder näher: der höchste Gott) allein Weltschöpfer 
sei.* Βασιλεὺς wird — zunächst auf Grund des zweiten platonischen Briefs 
813, E vgl. Phileb. 28, C. 80, Ὁ — die Gottheit im absoluten Sinne genannt, 
und Numenius insbesondere hatte sich dieser Bezeichnung bedient, und von 
dem βασιλεὺς den Weltschöpfer als δημιουργὸς oder ποιητὴς unterschieden (8. ὁ. 
195, 5. 196,1. 8.). Gegen diese Lehre des Numenius war ohne Zweifel die 
Schrift des Origenes gerichtet. Ob letzterer auch noch einen Commentar sum 
Timäus verfasst hatte, wird sogleich untersucht werden. 

1) Poars. a. a. Ὁ. 14 erzählt, als einmal Origenes zu Plotin’s Lehrvor- 
trag kam, sei dieser vor Verlegenheit roth geworden, und habe sich gewei- 
gert, zu sprechen, indem er sagte: ἀνίλλεσθαι τὰς προθυμίας, ὅταν εἰδῇ ὃ λέγων, 
ὅτι πρὸς εἰδότας ἐρέί ἃ αὐτὸς μέλλει λέγειν. Doch darf man aus dieser Aeusserung 
nicht zu viel schliessen: sie setst wobl voraus, dass Plotin dem Origenes im 
allgemeinen seine eigene Auffassung der platonischen Philosophie suschrieb, 
daraus folgt aber nicht, dass derselhe auch in der ganzen systematischen Aus- 
bildung ihrer gemeinsamen Ueberzeugungen mit ihm übereinstimmte, 

2) Prozr. Theol. Plat. II, 4 Anf.: es sei zu verwundern, dass die Er- 
klärer des Plato, wenn sie auch die übersinnliche Welt sugaben, doch das 
Eine, welohes über ihr ist, nicht zu finden gewusst hätten. ᾿κοὶ δὴ διαφερόντως 
ἰϑαυμάζω) Ὠριγένην τὸν τῷ Πλωτίνῳ τῆς αὐτῆς μετασχόντα παιδείας" καὶ γὰρ αὖ κα 
αὐτὸς εἰς τὸν νοῦν τελευτᾷ χαὶ τὸ πρώτιστον dv, τὸ δὲ ἣν τὸ παντὸς νοῦ xat παντὸς 
ἐκέκεινα τοῦ ὄντος ἀφίησι. 

8) Vgl. 8. 408, 2. 

4) Proxı. in Tim. 24, C: Den Krieg der Athener und Atlantiden erklären 
die einen so, die andern anders; ol δὲ εἰς δαιμόνων τινῶν ἐναντίωσιν, ὡς τῶν μὲν 


413 Neuplatoniker. 


der einzige. noob der wightigste Unterschied ihrer Ansicht gewesen 
sein; wir werden vielmehr mit Sicherheit annehmen dürfen, dass 


Posrara’s Ersähluug a. a. O. 18: Als er Plotin zuerst hörte, habe ihn dieser 
so wenig überzeugt, dass er vielmehr eine eigene Streitschrift gegen ihn ver 
fasst habe, δεικνύναι πειρώμενος, ὅτι ἕξω τοῦ νοῦ δφέστηχε τὰ νοητά. Auf Plotin’s 
Antrieb habe Amelius darauf geantwortet, er habe replicirt, und erst auf eine 
zweite Erwiederung des Amelius συνεὶς τὰ λεγόμενα ἐγὼ ὁ Πορφύριος μετεθέμην 
war παλινῳδίαν γράφας ἐν τῇ διατριβῇ ἀνέγνων. Bis dahin war Porphyr seinem 
Lehrer Longin gefolgt; jenes μετατίθεσθαι ist dasselbe, worauf sich Longin 
Ὁ. Posru. a. a. O. 20 bezieht, wenn er sagt, sein und Plotin’s gemeinsamer 
Schüler (ἑταΐρος) Βασιλεὺς (= Malchus, wie Porphyr eigentlich hiess) aus Tyras 
habe, den Plotiu seiner Schule vorsiehend, in einer Schrift κα zeigen ver- 
sucht, dass jener eine riohtigere Ansicht über die Ideen habe, als er; er 
glaube ihn jedoch μετρίως ἀντιγραφῇ διελέγξαι οὐχ εὖ παλινῳδήσαντα. Die beiref- 
fende Sobrift Porpbyr’s ist ohne Zweifel die, welche Tıuivs Lex. Platon. s. v. 
Οὐχ ἥκιστα u. ἃ. T. πρὸς τοὺς ἀπὸ τοῦ νοῦ χωρίζοντας τὸ νοητὸν anführt. Auf den 
gleiehen Streitpunkt bezieht sich Syaıan in Metaph. 8. 59 Bagol. (griechisch 
bei Rumuzen a. a. 0. 8. 14, S. CV Weisk.) mit den Worten: οὔτε τοῖς Asıtex 
τοῖς κολνθρυλλήτοις ἀνάλογον τῷ νῷ παρυφίσταται (so. τὰ εἴδη, d. h. man kaan 
nicht sagen, die Ideen müssen dem Nus ebenso als Objekt gegenüberstehen, 
wie die Asxt& dem Denken; — hierüber s. m. 1. Abth. 8. 78 f.), ὡς ἡγεῖτο Acy- 
vivo πρεσβεύειν. οὐδὲν γὰρ ὅλως παρυφίσταται τῷ νῷ, εἴπερ ἀνούσιόν ἐστι τὸ Kapı- 
φιστάμενον (was os aber eben nur dann sein muss, wenn ınan mit den Nenpla- 
tonikern die οὐσία mit dem νοῦς susammenfallen lässt). Ebendahin gehört 
endlich Psozı. in Tim. 98, C: τῶν καλαιῶν ol μὲν αὐτῶν (1. αὐτὸν) τὸν δημιουρ- 
γὸν ἐποίησαν ἔχοντα τὰ παραδείγματα τῶν ὅλων, ὡς Πλωτῖνος, οἱ δὲ οὐκ αὐτὸν, ἀλλ᾽ 
ἥτοι πρὸ αὐτοῦ τὸ παράδειγμα ἢ μετ᾽ αὐτὰν, πρὸ αὐτοῦ μὲν, ὡς ὁ Πορφύριος, μετ᾽ 
αὐτὸν δὲ, ἧς ὁ Λογγίνος. Longinus liess den weltschöpferischen Verstand, oder 
den Nus, den er ao wenig, wie Origenes, von dem höchsten (ott untersokie- 
den haben kann, zunächst die Ideen, als Urbilder der Erscheinungswelt, her- 
vorbringen; ‚diese dachte er sich aber nicht, wie Plotin, als Theile des Nus 
in ibm befasst, sondern er stelite sie ihm als Gegenstände seines Domkens 
gegenüber. — Neben Longinns wird in der obenangeführten Stelle Byrian's 
Kleanthes als Gegner der neuplatonischen Ideenlehre genennt; wir er- 
fahren aber über ihn nur, dass er. jünger war, als Longinus, und dass er die 
Ideen für blosse Gedanken — es scheint, nicht des göttlichen, sondern des 
mensoblichen Geistes — hielt. Seine Ansicht habe Antoninus mit der des Lon- 
ginus verachmolsen. (Byrian’s Worte lauten: οὐ μὴν οὐδὲ νοήματά εἰσι παρ᾽ ai- 
τοῖς — den Platonikern — al ἰδέαι͵ ὡς Κλεάνθης ὕστερον — später als Longis 
— εἴρηκεν, οὐδ᾽ ὡς "Aytamdvog, μιγνὺς τὴν Λογγίνου καὶ Κλράνθους δόξαν.) Wenn 
dieser Antoninus wirklich der ron Proklus (8. ο. 406, 2) als Schäler des Am- 
monius (Bakkas) genannte ἰδὲ, so miisste wohl auch Kleanthes sur Schule des- 
selben gerechnet werden, so weit or sich auch in seiner Ansicht über die 
Ideen von ihr entfernte; es müsste denn Syrian, was allerdings möglich ist, 


Longinus. Plötinus. 418 


auch die Unterscheidung des Nus von demUrwesen, und ebendamit 
die plotinische Lehre von der Ekstase Longin fremd war: nicht 
blos, wei} sich diess bei Longin’s Lehrer Origenes findet, sondern 
auch weil er selbst seine Abweichung von Plotin andernfalls 
nicht als eine so durchgängige bezeichnen könnte 5). Hat aber 
weder Origenes noch Longinus die unterscheidenden Bestimmungen 
des plotinischen Systems gutgeheissen, so ist es sehr unwahrschein- 
lich, dass ihr Lehrer Ammonius dieselben aufgestellt hatte; wie 
bedeutend daher-auch immerhin die Wirksamkeit dieses Mermes 
gewesen sein mag, als der eigentliche Stifter der neuplatonischen 
Schule wird nur Plotin zu betrachten sein. 


2. Plotinus. Bein Leben, seine Schriften, die Gliederung seines 
Systems 3). 


Dieser merkwürdige Mann war bald nach dem Anfang des 
dritten Jahrhunderts ®) in Aegypten *) zur Welt gekommen, und 


— 


sich ungenan ausgedrückt, und Antonin in Wirklichkeit nicht die Ansicht 
Longin’s mit der des Kleanthes verknüpft, sondern vor dem letzteren eine 
swischen beiden in der Mitte stehende aufgestellt haben. 

1) Vgl. 8. 411,3. Für die gegentheilige Ansicht könnte man swar an- 
führen, dass Prokı.. a. a. O. fortfährt: ὃν (den Longinus) ἠρώτα (1. ἐρώτα als 
Imperativ), πότερον ὁ δημιουργὺς εὐθὺς μετὰ τὸ ἕν ἐστιν, ἢ καὶ ἄλλαι τάξεις εἰσὶ νοη- 
ταὶ μεταξὺ τοῦ τε δημιουργοῦ χαὶ τοῦ ἑνὸς u. 5. w.; allein Prokins macht diesen 
Binwurf von seinem eigenen Standpunkt ans; dass auch Longin den Welt- 
schöpfer von dem Einen unterschieden hatte, folgt nicht daraus. 

4) Pür Plotin’s Leben ist Poxrnvr’s Biographie, welche aber erst -längere 
Zeit nach Plotin’s 'I'od verfasst irt (vgl. c. 28) fast unsere einsige Quelle. Ne- 
ben ihr kommt Evvocıa (Violar. in Vır.osos Anecd. I, 868) gar nicht, Euma- 
rıus und Suınpas kaum in Betracht. Von neneren Arbeiten über Plotin, seine 
Schriften und sein System vgl. m. ausser den 9. 868 genannten: BTEINHART 
Plotinus in Pauly’s Realencyklop. V, 1758— 1772. Ders. De dialeotiea Plot. 
ratione. Naumb. 1829. Meletemata Plotiniana ebd. 1840. Arrn. Rıcnrza Nen- 
platonische Studien. H. 1: Ueber Leben und Geistesentwicklung d. Plot. 
H. ἃ: Plotin’s Lehre vom Sein. H. 8: Die Theologie und Physik: d. Plot. 
Ἡ. 4: Die Psychologie ἃ. Plot. Auch K. Voar Neoplatonismus und Christen- 
thum Ister (u. einziger) Th. Berl. 1886 handelt von Plotin, beschränkt sieh 
aber auf siemlich unverarbeitete Ausztige. Weitere Erörterungen, über ein- 
zeine Punkte der plotinischen Lehre, werden später noch angeführt werden. 

8) Näher 204 oder 205, da er am Schluss von Clandius’ zweiten Regie- 
rangsjahr 66jährig starb (Porran. v. Plot. 2.). Doch ist möglicherweise auch 
diese Angabe, welche sich auf die Aussage des Eustochius stützt, ungenau; 


—_ I 


414 Plotinus 


hatte bereits das Maunesalter erreicht, als er sich der Philosophie 
zuwandie ἢ. Bilf Jahre lang war er der Schüler des Ammonius, 
dem er mit der höchsten Verehrung ergeben war; hierauf ver- 
suchte er in die östlichen Länder zu gelangen, um die Weisheit 
der Perser und Inder kennen zu lernen; nachdem dieses Unter- 
nehmen missglückt war, begab er sich (24*/s) nach Rom °). Die 
philosonksisehen Vorträge und Besprechungen, welche er hier er- 
öffnete ὅλ, feuden zahlreiche Besucher, auch aus den höheren 
Ständen *); in der Folge gehörte selbst der Kaiser Gallien und mi 
andern: Frauen δ) die Kaiserin Selonina zu Plotin’s Verehrern °). 
Er hatte diesen Erfolg nicht blos dem Umfang seines Wissens 7), 
der Originalität und Bedeutung seiner Gedanken °), der geschickten 


seinen Geburtstag wenigstens hatte Plotin, wie a, a. O. bemerkt ist, seinen 
Freunden verheimlicht. 

4) Und zwar in Lyko, wie Eusar. v. soph. 8. 6, uder Lykopolis, wie 
Davıp Schol. in Arist. 18, a, 43. Sup. Mut. sagt. Porrnre scheint jedoch 
seinen Geburtsort nicht gekannt su haben, da er ὁ. 1 ausdrücklich bemerkt, 
Plot, habe nie über seine Herkunft, seine Eltern oder seine Vaterstadt ge- 
sproohen. Erst c. 8 nennt er Alexandria als den Ort, wo er seine tadien 
machte. 

1) Er war damals, wie er selbst bei Porrn. 8 erzählt, 28 Jahre alt. 

2) ῬΟΒΡΗ. ἃ, a. O. 8. ο. 898 £. 

8) Nach Porphyr könnte er dieas erst gethan haben, nachdem Herennins 
und Origenes mit der Veröffentlichung der Lehre des Ammonius den Anfang 
gemacht hatten, wenigstens wenn das Versprechen, μηδὲν ἐχκαλύκτοιν τῶν 
᾿Αμμωνίου δογμάτων, strong zu nehmen, und nicht blos auf Schriften zu be- 
schränken ist. Diese Angabe wurde jedoch schon 8. 899 f. in Zweifel geso- 
gen, und man sieht auch nicht, wesshalb Plotin nach Rom gieng, wenn nicht 
in der Absicht, hier als Lehrer aufzutreten. 

4) Poara. 7, welcher eine Reihe plotinischer Schüler aufsählt, auf die 
icb später zurückkommen werde, und namentlich auch bemerkt, dass sich 
nicht wenige Benatoren unter seinen Zuhörern befunden haben. 

δ) Α. ἃ. Ο. 9. 

6) Α. ἃ. Ο. 12, wo auch des wunderlichen (von ΗΒαξι, Geseh, d..Ph. IIl, 
84 gans richtig beurtbeilten) Planes erwähnt wird, die Gunst des Kaiserpsars 
zur Gründung einer Philosophenstadt Platonopolis zu benütsen, in welcher 
die platonisoben Einrichtungen eingeführt werden sollten. 

7) Ponra. 14 versichert wenigstens, or sei ausser der Philosophie such 
in Geometrie, Arithmetik, Mechanik, Optik, Musik vollkommen zu Hause 
gewesen. 

8) Worüber auch a, a. O.; 8. ο. 399, 8. 


Leben und Persönlichkeit. 213 


und anregenden Art seines Unterrichts 17, sondern: such’ seiner 
gediegemen, vertrauenerweckenden Persönlichkeit 5). dem sätt- 


1) In Porphyr's Sohilderung seiner Lehrtkätigkeit treten gerade die Züge 
bervor, von welchen der Erfolg eines Lehrers, neben dem inneren Werth des- 
sen, was er bietet, zunächst abhängt: Plotin ist seinen Schülern nicht nur 
selbst ein unerreichtes Vorbild unablässiger und begeisterter wissenschaft- 
licher Arbeit, sondern er giebt auch das, was er giebt, in der gewinnendsteu 
Art, und weiss die beflhigten unter seinen jüngeren Freunden selbstihätig 
in fruchtbarer Weise an seinen Forschungen zu betheiligen. Γέγονε δ᾽ dv ταῖς 
συνουσίαις (heisst 66 6. 18) φράσαι μὲν ἱκανὸς καὶ εὑρέϊν καὶ νοῆσαι Ta πρόςφορα δυ- 
νατώτατος,, ἐν δέ τισι λέξεσιν ἁμαρτάνων᾽ so habe er 5. B. mtatt ἀναμιμνήσχοται 
regelmässig ἀναμνημίσχεται gesagt. ἦν δ᾽ ἐν τῷ λέγειν ἢ ἔνδειξις τοῦ νοῦ ἄχρι τοῦ 
προζςώπου αὐτοῦ τὸ φῶς ἐπιλάμποντος, ἐράσμιος μὲν ὀφθῆναι, καλλίων δὲ τότε μά- 
λεστα δρώμενος, χαὶ λεπτός τις ἱδρὼς ἐπέθει χαὶ ἢ πρᾳότης διέλαμπε καὶ τὸ προςηνὲς 
κρὸς τὰς ἐρωτήσεις ἐδείχνυτο χαὰ τὸ εὔτονον, Als Beweis der letzteren Bigenschaft 
führt P. an, dass er selbst sich einmal drei Tage lang mit Plotin über das 
Verhältniss der Seele sum Leib unterhalten habe; darliber sei jemand gekom- 
men, welcher von ihm einen Vortrag über die Kategorien hören wollte, um 
ihn für sine Schrifi zu benützen, und über der Bespreehung mit Porphyr un- 
geduldig wurde, Plotin aber habe ihm gesagt: ἀλλὰ ἂν μὴ Hoppuplou ἐρωτῶντος 
λύσευμεν τὰς ἀπορίας εἰπεῖν τι χαθάπαξ εἷς τὸ βιβλίον od δυνησόμοθα. Porphyr be- 
merkt dabei c. 3 unter Berufung anf Amelius, in der ersten Zeit von Plotin’s 
römiseher Wirksamkeit habe die Herbeisiehung seiner Schüler sur wissen- 
schaftlieben Besprechung sogar zu manoherlei Unordnungen geführt (ἦν δὲ ἢ 
διατριβὴ ὡς Av αὐτοῦ ζητέϊν προτρεπομένου τοὺς συνόντας ἀταξίας πλήρης κοὰ πολλῆς 
φλυαρίας); sei es, dass er selbst noch nieht den rechten Ton gefunden hatte, 
oder dass jene sich erst an diese, damala wie es scheint, ausser Uebung ge- 
kommene Behandlung des philosopbischen Unterrichts gewöhnen: mussten. 
Nicht selten veranlasste er dieselben anoh zur Abfassung von Schriften, welche 
der Vershaidigung seines Btandpunkts gewidmet waren ; Beispiele finden sich 
2.2.0. 15. 16. Einen Haupttheil seines Unterrichts scheint die Erklärung 
platoniacher und awistaselischer Schriften gebildet su haben, deren frühere 
Commentatoren er mit seinen Sohlilern fleissig las, aber wie sich bei der 
Eigentblimlichkeit seines Standpunkts von selbst ergab, ohne sich von ihnen 
abhängig su machen. Seine eigenen Erklärungen waren kurs und prägnant. 
Ebd, 14 vgl. 8. 899, 8. 

2) Der Ernst und die Anstrengung seiner Gledankenarbeit spricht ans- 
Plotin’s Schriften ; τήν γε πρὸς ἑαυτόν προζοχὴν, sagt auch Porrn. 8, οὖχ ἂν 
ποτε ἐχάλᾳσεν ἣ μόνον ἐν τόϊς ὕπνοις, ὃν ἂν ἀπέκρονεν ἢ τε τῆς τρυφῆς ὀλιγότης 
(οὐδὲ γὰρ ἄρτου πολλάκις ἂν ἥψατο) χαὶ ἧ πρὸς τὸν νοῦν διαρκὴς αὐτοῦ ἐπιστροφή. 
Dadurch liess. er sich aber nicht abhalten, auch seinen sonstigen Obliegen- 
heiten gewissenhaft nachankommen, und namentlich für die Erziehung und: 
Vermigensverwaltung der zahlreichen Mündel: beiderlei Cieschlechts, die 
ihm sterbende Ereunde anvertraut hatten, Sorge zu tnagen (a. a. O. c. 9); 


416 ᾿ς Plotinus 


lichen Ernst und der religiösen Weibe zu danken, die sich in seiner 
ganzen Erscheinung aussprach !). Die Reinheit seines Charakters?), | 
die hohe Begeisterung, von der er sich erfüllt zeigte 5), der über- 
raschende Scharfblick, mit dem er die Menschen durchschaute *, 
die Enthaltungen, die er nach pythagoreischem Vorgang mit aller 
Strenge beobachtete °) — alle diese Züge machten einen solchen 


und während er dabei, wie Porph. wiederholt, τὴν πρὸς τὸν νοῦν τάσιν οὐξέξοτ᾽ 
ἂν ἐγρηγορότως ἐχάλασεν, war er πρᾷος καὶ κᾶσιν ἐχχείμενος τοῖς ὁπωροῦν πρὸς 
αὐτὸν συνήθειαν ἐσχηκόσι, so dass er während seines 26jährigen Aufenthalts im 
Rom selbst unter den vielen, deren Streitigkeiten er zu sohlichten hatte, wie 
mand sum Feind gehabt habe, 

1) Wie viel gerade diese Eigenschaften zu Plotin’s Anseben beitrugen, 
sieht man schon an dem lebhaften Interesse mancher Frauen für ihn; ihre 
Begeisterung für die „Philosophie* (Poren. 9), hatte gewies weit mehr reli- 
giöse als wissenschaftliche Motive. 

2) Von welcher ausser dem vorl. Anm. angeführten auch die Erzählung _ 
über Diophanes b. Poren. 15 Zeugnies giebt. 

3) Ponrn. 14: dv δὲ τῷ γράφειν σύντονος γέγονε καὶ πολύνους͵ βραχύς τε ze 
νοήμασι πλεονάζων 4 λέξεσι, τὰ πολλὰ ἐνθουσιῶν χαὶ ἐκκαθῶς φράζων καὶ μετὰ συρ- 
παθείας 4 παραδόσεως („und mehr im Tone dessen, der sum Gefühl redet, sis 
in dem einer Lebrüberlieferung“). Als Porphyr ein Gedicht, ἱερὸς γάμος, vor- 
trug, welches einer der Anwesenden διὰ τὸ μυστιχῶς πολλὰ μετ᾽ ἐνθουσιασμοῦ 
καὶ ἀποκεχρυμμένως εἰρῆσθαι verrückt nannte, belobte ihn Plotin mit den Wortee: 
ἔδειξας ὁμοῦ χαὶ τὸν ποιητὴν παὶ τὸν φιλόσοφον χαὶ τὸν ἱεροφάντην (sbd. 15.). 

4) ῬΟΒΡΗ. 11 erzählt mehrere Beweise dieses Soharfblicks, welobe er 
selbst allerdings nur als περιουσία ἠθῶν κατανοήσεως bezeichnet, welche aber 
doch schon nach seiner Schilderung ganz geeignet waren, auf ein übernstür- 
liches Wissen zurückgeführt su werden. 

5) Plotin’s Ansicht vom Sinnenleben, die von der neupythagoreisck- 
platonischen nicht verschieden ist, fand auch in seinem persönlichen Ver- 
halten ihren bezeichnenden Ausdruck. „Er sohien sich ordentlich zu sobl- 
men, dass er einen Leib habe*, sagt Porrnr& c. 1; und aus diesem Grande 
redete er nicht allein nie von seinen Eltern uud seiner Herkunft, sondern αἱ 
weigerte sich auch beharrlich, einem Maler oder Bildhauer zu sitsen: ob & 
denn an den: Scheinbild (εἴδωλον), in welches die Natur uns gehälit habe, 
nicht genug sei, dass man von demselben noch ein sweites dauernderes 
Scoheinbild hinterlassen solle? Dieser Stimmung entspricht nun nicht allein 
die übertriebene Schamhaftigkeit, die ihm verbot, in seiner letsten Krankheit 
ein Kiystier su nehmen, und die Gleichgültigkeit, mit der er überhaupt diese 
Krankheit behandelte (a. a. O. 13), sondern auch die Asoese, die er sich zur 
Pflicht machte. Er war unverheirathet, enthielt sich der Thhierkost so streng, 
dass er desshalb Theriak zu nehmen verweigerte (ebd.), und lebte überbaupt 
auf's mäseigste (9. ο. 415, 2). Als einer seiner Freunde, der Senator Rogatia- 


Leben und Persönlichkeit. 417 


Eindruck auf seine Umgebung, dass selbst seine nächsten Freunde 
sich ihm nur mit verehrungsvoller Scheu zu nahen wagten und 
auch das ausserordentlichste bei ihm nicht unglaublich finden 
konnten '). Als den vollgültigsten Beweis seiner höheren Natur 
betrachteten sie aber die Leichtigkeit, mit welcher er zu jener 
wnaussprechlichen Einigung mit dem Urwesen gelangte, die das 
höchste Ziel aller neuplatonischen Mystik ist 9. Uns wird diese 
Thatsache ein Anzeichen der Gewalt sein, welche das abstrakte 


nas, seine Pritur niederlegte, sein Vermögen weggab, seine Sklaven entljess, 
das Leben eines Cynikers führte und je den andern Tag fastete, wurde er von 
Plotin höchlich belobt (ebd. 7). 

1) M. vgl. die Erzählungen bei Porra. 10: Der Alexandriner Olympius, 
welcher die Sehule des Ammoninus gleichfalls, aber nur kurze Zeit, besucht 
hatte, sei in seisier Eifersucht auf Plotin so weit gegangen, dass er durch 
magische Känste verderbliche Einflüsse der Gestirne auf ihn zu leiten suchte. 
Diese Versuche baben jedoch auf Plotin keine weitere Wirkung ausgeübt, als 
dass er sie durch eine eigenthümliche Zusammenziehung seines Leibes em- 
pfand; dagegen sei die Sache für Olympius so übel abgelaufen, dass er die 
Macht der Seele Plotin’s selbst anerkennen musste. — Ein ägyptischer Prie- 
ster habe Plotin's Dämon herbeibeschworen; statt des Dämon sei aber ein 
Bott, ein Wesen höherer Ordnung erschienen, leider jedoch in Folge einer 
Störung der Handlung alsbald’ wieder verschwunden. — Als Amelius einmal 
den Piotin aufforderte, ihn zu einem Opfer zu begleiten, habe dieser es mit 
dem Worten abgelehnt: ἐχείνους δεῖ πρὸς ἐμὲ ἔρχεσθαι, οὐχ ἐμὲ πρὸς ἐκείνους. Hat 
Pfotin diess wirklich gesagt, so wollte er damit ohne Zweifel ausdrücken, die 
Gottheit Intisse im Innern des Menschen einkehren, nicht ausser ihm in den 
Tempeln aufgesucht werden. Seine Freunde vermutheten aber in diesem 
„Beyalnyopeiv“ einen verborgeneren Sinn, ohne dass doch einer gewagt hätte, 
ihn darüber zu befragen. In dem Augenblick, als Plotin den Geist aushauchte, 
sollte eine Schlange (die Erscheinung des Genius) sich unter seinem Bett ge- 
zeigt haben, und in eine Mauerritze geschlüpft sein (a. a. O. 3).. Nach seinem 
Tode befragte Amelias das delphische Orakel, wo seine Seele hingegangen 
sei, und erhielt zur Antwort ein wortreiches Lobgedicht auf den Philosophen, 
das versichert, er sei ein Dämon, δαίμονος αἴσῃ θειοτέρῃ πελάων, geworden. 
Porphyr, weloher bekanntlich auf Orakel besonders 'viel-hielt, commentirt 
dieses schwache Maohwork als das unantastbarste Zeugniss für die Grösse 
seines Meisters. 

2) Poren. 28: οὕτως δὲ μάλιστα τούτῳ τῷ δαιμονίῳ φωτὲ πολλάκις ἀνάγοντι 
ἑαυτὸν εἷς τὸν πρῶτον καὶ ἐπέχεινα θεὸν ταῖς ἐννοίαις καὶ χατὰ τὰς ἐν τῷ συμποσίῳ 
ὑφήγημένους ὁδοὺς τῷ Πλάτωνι ἐφάνη Exetvos ὁ θεὸς ὃ μήτε μορφὴν μήτε τινὰ ἰδέαν 
ἔχων ὑπὲρ δὲ νοῦν χαὶ πᾶν τὸ νοητὸν ἱδρυμένος. Er selbst, Ῥοτρῆγν, habe diese 
Vereinigung Einmal, in seinem 68sten Jahr, erreicht, Plotin, während er bei 
im war (268--- 268), viermal. 

Phüos. ἃ, Gr. III. Bd. 2. Abth. 27 


418 Plotinuns,. 


Denken und das erregte Gefühl zugleich über Plotin ausübtea; wir 


werden daraus erkennen, wie energisch er sich in seinen Geges- 
stand versenken und seiner selbst in ihm vergessen konnte, wie 
die wissenschaftliche Betrachtung für ihn mit der religiösen zu- 
sammenfloss und mit aller Gluth der Andacht sich erfällte; wie 
leicht ihm aber auch in einem solchen Zustand der Erregung die 
Klarheit des Bewusstseins und die Bestimmtheit des besonnenen 


Denkens verloren gieng. 
Im Jahr 270 erlag Plotin nach längeren Leiden auf einem 


Landsitz in Campanien, wohin er sich zurückgezogen hatte, einer 
Krankheit!). Seine Ansichten hat er in zahlreichen Abhandlungen 
niedergelegt, welche sein Schüler Porphyrius nach seinem Tode 
in seinem Auftrag herausgab ?). Alle diese Abhandlungen stammen 
aus Plotin’s späteren Jahren °), und sie zeigen, wie sich schon 
hiernach erwarten lässt, den gleichen philosophischen Standpunkt‘), 


1) Das nühere darüber bei Porrz. 2. 

2) Α. ἃ. 0. 24.7. 18. Auch Inhaltsübersichien zu allen, ausser dem x. 
τοῦ χαλοῦ, und Erläuterungen zu mehreren hatte Porphyr verfasst (a. a. O. 26, 
wo Rırrer IV, 582, wie mir scheint, ohne Noth eine Bchwierigkeit findet); 
dieselben haben sich jedoch nicht erhalten. Nach dem Scholion zu Ean, IV, 
4, 29 Schl. (1, 786 Creuz. I, 801 Kirchh.) gab es noch eine zweite Ausgabe 
Plotin’s, welche Eustochius (obne Zweifel der von Porrn. a. a. Ὁ. 37 genannte 
Schüler und Freund desselben) besorgt hatte; wir wissen aber nicht, ob sie 
gleichfalls alle Schriften umfasste. Für Canuzun’s Vermuthung (II, 79 £, 8. 
Ausg.), dass unsere Recension derselben aus der porpbyrischen und der eu- 
stochischen gemischt sei, sehe ich durchaus keinen genüigenden Grund. Bin 
Theil von Plotin's Schriften war schon bei sei seinen Lebzeiten, doch zunächst 
nur für einen gewählten Kreis, herausgegeben worden (Posrz. 2.2.0. 4. 191). 

8) Nach Ponrn. a. a. O. 4 f. begann Plotin mit der Abfassung von Schrif- 
ten im ersten Jahr Gallien’s (254), also in seinem bOsten Lebensjahr. Nesa 
Jahre später, als Porphyr mit ihm bekannt wurde, hatte er schon 21 Bücher 
fertig, welche dort aufgezählt sind; nach weiteren 5—6 Jahren, als Porphyr 
nach Sioilien gieng, hatten sich diese um 24 vermehrt; in den 2 Jahren bis 
zu Plotin’s Tod kamen dasu noch neun. 

4) Die Abfassungsseit der einzelnen Schriften ist daher für ihren Ge 
brauch von geringer Erheblicohkeit. Um so weniger war es nothwendig, dass 
Kıroauorr in seiner höchst verdienstlichen Ausgabe (Lpz. 1866) die herkömm- 
liche, von Porphyr beim ersten Erscheinen der Sammlung festgestellte An- 
ordnung und Eintheilung verliess, um statt der sechs Enneaden Porphyr's 
(welche freilich nur künstlich, durch Zerlegung einzelner Abhandlungen, g= 
wonnen wurden) 48 Stücke in chronologischer Ordnung aufsuführen Selbst 


Schriften. 419 


wenn sich auch in der Behandlung eine gewisse Ungleichheit unter 
ihnen findet !). Sorgfältig durchdacht, aber rasch niedergeschrie- 
ben und jeder nachträglichen Feile entbehrend ?), stellen sie durch 
ihre gedrängte, oft fast räthselhafte Ausdrucksweise dem Ver- 
ständniss manche Schwierigkeit entgegen; und da es bei ihnen 
nicht auf die fortlaufende Entwicklung eines philosophischen Lehr- 
gebäudes, sondern nur auf die Erörterung einzelner Fragen, theil- 
weise aus Anlass platonischer Stellen, abgesehen ist, tritt der 
Zusammenhang und die Gliederung des plotinischen Systems nicht 
immer klar hervor. Doch sind diese Schwierigkeiten schwerlich 


wenn sich die letztere genauer feststellon liessc, als diess nach Porphyr's 
ebenangeflihrten Angaben möglich ist, miisste man sich doch bedenken, durch 
eine neue Anordnung Verwirrung in die Citate zu bringen und die Benfitsung 
der biaberigen Arbeiten über Plotin zu erschweren. Ich citire nach der Ein- 
tbeilung Porphyr's und nach den Seitenzahlen der Basler Ausgabe von 1580, 
welche auch in den sämmtlichen späteren, in der Cazuzar'schen (Oxf. 1886), 
dem Pariser Abdruck ihres Textes (1855 besorgt von Düsnzr) und der Kıncn- 
norr'schen, angegeben sind. (Die Unterabtheilungen der Beiten, A, Bu. s. w., 
beginnen in derselben, wenn ein neues Kapitel kommt, in der Regel auf's 
neue mit A). Bine Anordnung der sämmtlichen Bücher nach ihrem Inhalt 
versucht Rıcurzz Neupl. Stud. IV, 4 ff.; da sie aber eben nicht in der Aus- 
führang eines einheitlichen Planes geschrieben sind, stösst er dabei auf 
manche Schwierigkeiten. 

1) Posrn. 6: ὥσπερ δὲ ἐγράφη, τὰ μὲν κατὰ πρώτην ἡλικίαν (swischen dem 
50sten und 5Bsten Jahr!), τὰ δὲ ἀχμάζοντος͵ τὰ δὲ ὑπὸ τοῦ σώματος χαταπονου- 
μένου, οὕτω χαὶ τῆς δυνάμεως ἔχει τὰ βιβλία. Die ersten 21 seien ἐλαφροτέρας 
δυνάμεως καὶ οὐδέπω πρὸς εὐτονίαν ἀρχοῦν μέγεθος ἐχούσης, die weite Klasse 
zeige den Höhepunkt seiner Leistung und enthalte mit wenigen Ausnahmen 
die vollendetsten Werke, die neun spätesten Büicher, und besonders die vier 
letzten von ihnen, lassen die Abnahme seimer Kraft erkennen. Doch wird die- 
ses Urtheil in Betreff der einzelnen Stücke vielfach zu beschränken sein. 

4) Posrn. 8: Plotin habe, was er einmal niedergeschrieben, nicht blos 
nicht geändert, sondern es auch wegen seiner schwachen Augen nicht wieder 
durchgelesen. Seine Handschrift sei ferner undeutlich gewesen, und er habe 
sich nie, so lang er lebte, um die Rechtschreibung, sondern immer nur um 
den Sinn bekümmert. Συντελέσας γὰρ παρ᾽ ἑαυτῷ ἀπ᾽ ἀρχῆς ἄχρι τέλους τὸ σχέμμα, 
ἕκεττα εἷς γραφὴν παραδιδοὺς ἃ ἐσκέπτετο, συνέίρεν οὕτως γράφων ἃ ἐν τῇ ψυχῇ συν- 
διέθηχεν, ὡς ἀπὸ βιβλίου Boxsiv μεταβάλλειν τὰ γραφόμενα. Auch wenn er durch 
ein Gespräch im Sehreiben unterbrochen wurde, habe er in Gedanken sich 
fortwährend mit seinem Gegenstand beschäftigt, und nach Beendigung des 
Gesprächs seine Arbeit fortgesetzt, ohne das niedergeschriebene erst nach- 
zusohen. 


27 * 


480 Plotinns. 


von der Art, dass wir nicht über :Plotin’s Ansichten, so weit er 
selbst. sie zu wissenschaftlichen Ueberzeugungen entwickelt halte, 
wenigstens bei allen wichtigeren Fragen in’s reine kommen könnten. 

Die subjektive. Grundlage dieser Philosophie bildet jeme Sehs- 
sucht nach einer vollkommenen Einigung mit der Gottheit, jenes 
Hinausstreben über alles endliche, beschränkte und bestimmte, und 
über die garze Welt unseres Bewusstseins überhaupt, worin wir 
schon ‘früher die innerste Wurzel des Neuplatonismus erkansi 
haben. Sein objektiver Ausgangspunkt liegt in der Unterscheidung 
der übersinnlichen und der Erscheinungswelt, welche der platesi- 
schen Schule von jeher für das sicherste Merkmal ihrer Abkunfl 
gegolten hat. Diese Unterscheidung steht den Neuplatonikern so 
zweifellos fest, dass es Plotin gar nicht nöthig findet, sie aus- 
drücklich zu begründen; so leicht sich auch übrigens eine solche 
Begründung aus seinen vielfachen Ausführungen über die Unwahr- 
heit und Wesenlosigkeit der Sinnenwelt entwickeln liesse. Der 
Geist kann, wie er glaubt, nicht denkend in sich gehen, ohne zu- 
gleich sich zur übersinnlichen Welt zu erheben; seine Zuräck- 
ziehung aus dem Aeussern ist unmittelbar Berührung mit der 
Gottheit 1). Die Realität jenes Uebersinnlichen erst zu beweisen, 
kommt, ihm nicht in den Sinn: sie ist ihm in seinem Selbstbewuss- 
sein unmittelbar gegeben, durch das Bedürfniss des Geistes, der in 
der Sinnenwelt nirgends festen Fuss fassen kann, unbedingt ge- 
fordert. Mit der Betrachtung der übersinnlichen Welt fängt mul 
diesem Standpunkt die Philosophie an; sie bildet daher den ersten 
Haupttheil des Systems, und es geht ihr keine propädeutische oder 
erkenntnisstheoretische Grundlegung voran, vielmehr erhält die 
Erkenntnisslehre umgekehrt erst aus der Metaphysik ihre nähere 
Bestimmtheit, die Methode des Erkennens ist von der Auffassung 
seines Gegenstandes abhängig ?). Der übersinnlichen Welt steht 


1) Vgl. 8. 880. 

2) Branunıs eröffnet seine Darstellung des plotinischen Aysteme (Gesch. 
ἃ. Entw. d. griech. Phil. II, 822) mit einer Erörterung über Piotin’s Erkennt- 
niselehre. Indessen bemerkt er selbst 8. 380, dieselbe gehe, im Unterschied 
von der platonisch-aristotelischen, nicht von dem erkennenden menschlichen 
Subjekte, ‘sondern von dem Begriff der unbedingten Erkenntniss ans; und 
wenn wir die Abhandlungen näher ansehen, welche er als die Haupteitse die 
ser Erkenntnisslehre hereichnet, Enn. V, 8 und ö, so zeigt sich, dass beide 


Haupttheile seines Systems, 431 


die Erscheinungswelt entgegen, sie geht, aber zugleich auch aus 
ihr hervor, und wir können die eine nicht betrachten, ohne durch 
sie zu der andern geführt zu werden. An jenen ersten Theil des 
Systems schliesst sich daher als zweiter die Lehre von: der Er- 
scheinungswelt an. In ihr findel sich der Mensch vor; aber ver- 
möge seiner höheren Natur strebt er aus ‘ihr heraus, und eben 
diess ist die Aufgabe der Philosophie, dieses Streben zu leiten und 
die Rückkehr der Seele zum Uebersinnlichen zu vermitteln. - Von 
dieser Erhebung des Geistes in die übersinnliche Welt wird der 
dritte Haupttheil des Systems zu handeln haben ). "5" 


Plotin’s ganze Metaphysik voraussetzen, und mehr noch vom m göttlichen, als 
vom menschlichen Erkennen handeln. 

1) Diese Anordnung des Stoffes ist durch den Charakter > des plotinischen 
Systems so nahe gelegt, dass ihr die meisten Darstellungen im wesentlichen 
folgen, wenn sie auch die Haupttheile nicht immer ausdrücklich .unterschei« 
den. Auch Kırcuxer entfernt sich schliesslich nicht so, weit von derselben, 
ale man nach der vorläufigen Auseinandersetzung ὃ. 29 ff. .erwarten könnte. 
Nach dieser Darstellung gieng Plotin von dem Gegensatz der Ideen- und 
Sinnenwelt aus, und indem er zwischen beide als vermittelndes die Beele eim- 
schob, erbielt er sunächst drei Gebiete des Wirklichen: der Geist, die Wek- 
scole und die Natur; zu diesen kamen dann aber noclı die zwei höchsten 
metaphysischen Prineipien, die Gottheit und.die Materie, welche beide ausser- 
balb der gesammten Wirklichkeit stehen, jene über, diese unter ihr, nnd 50 
erbAlt man die fünf Stufen des Seins, mit denen sich Plotin’s „Construction 
des Universums“ (8. 35 —114) beschäftigt. An diese schliesst 'sich dann bei 
Kirchner u. ἃ. T. „der Mensch und seine Bestimmung“ ein zweiter Ab- 
sehnitt an, welcher zuerst den vorirdischen Zustand und Fall der: Seele, 'daın 
den irdischen Zustand, und als drittes das Dasein nach. dem Tode begpricht ; 
Nr. 2 umfasst a) „die allgemeinen Bedingungen“, .b) „die Stufen der Bpfrei- 
ung“, d.h. die psychologisoben und die ethisch-religiösen Lehren. Allein so 
erscheinen Plotin’s Ansichten über die Natur und die Bestimmung des Men- 
schen nur als eine nachträgliche Anwendung seiner Metaphysik; während 
doch diese nicht blos an der Betrachtung des menschlichen Wesens ihr Vor- 
bild hat, sondern auch erst in der Erhebung des Menschen zur Gottheit das 
Ziel erreicht, auf das sie von Anfang an angelegt ist; während, mit Einem 
Wort, die Idee des Urwesens und die Rückkehr des menschlichen Geistes zu 
demselben die zwei sich gegenseitig voraussetzenden Pole sind, zwischen 
denen das ganze System sich bewegt. Ungenau ist es ferner, wenn die Seele 
bier zwischen Idee und Erscheinung schlechtweg in die Mitte gestellt wird, 
denn Plotin selbst rechnet sie, wie wir finden werden, noch zur übersinn- 
lichen Welt. Dass endlich von der Natur früher gesprochen wird, als von 
der Materie, während die Natur doch nur die von der Beele gestaltete Materie 
ist, gereicht dieser Construction gleichfalls nicht zur Empfehlung. 


«τὰ. 


434 Plotinus. 


fernen, von der höchsten Vernunft ausdrücklich unterscheidet, und 
über sie hinausrückt. Das erste, sagt er, kann nicht das Viele 
sein, sondern nur das Eine; denn alle Vielheit ist eine Vielhen 
von Einheiten !), und alles, was ist, ist nur durch die Einkeit, 
was es ist ?); im Denken aber ist immer eine Mehrheit, zum min- 
desten die Zweiheit des Denkenden und des Gedachten, des Wesens 
und der Thätigkeit °); das erste wird daher nicht das Denken sein 


1) V, 3, 12. 509, B: δεῖ γὰρ δὴ πρὸ τοῦ πολλοῦ τὸ ἕν εἶναι, ἀφ᾽ οὗ χαὶ τὸ 
πολύ᾽ ἐπ᾽ ἀριθμοῦ γὰρ παντὸς τὸ ἕν πρῶτον. V, 6, 8 Anf.: οὐ δύναται γὰρ πολλὰ 
[sc. εἶναι] μὴ ἑνὸς ὄντος, ἀφ᾽ οὖ, ἢ ἐν ᾧ [86. τὰ πολλά ἐστιν), ἢ ὅλως ἑνὸς, καὶ 
τούτου πρώτου τῶν ἀλλων ἀριθμουμένου ὃ αὐτὸ ἐφ᾽ ἑαυτοῦ Sul λαβεῖν μόνον. VI, 6, 
18. 688, C: εἰ πολλὰ, ἀνάγχη προὐὔπάρχειν ἕν, ἐπεὶ χαὶ ὅταν πλῆθος λέγη Ξλεω 
ἐνὸς λέγει, 

2) VI, 9,1 Anf.: Πάντα τὰ ὄντα τῷ ἕνί ἐστιν ὄντα, ὅσα τε πρώτως ἐστὶν ὄντα 
καὶ ὅσα ὁπωςοῦν λέγεται ἐν τοῖς οὖσιν εἶναι" τί γὰρ ἂν καὶ εἴη el μὴ ἕν εἴη; ἐπείπερ 
ἀφαιρεθέντα τοῦ ἕν ὃ λέγεται οὐχ ἔστιν ἐχεῖνα — was dann im folgenden weiter 
ausgeführt wird. Vgl. VI, 6, 18. 684, Ο. 

8) III, 8, 7 (8). 849, E: Inwiefern ist der Nus eine Vielheit? ὅτι οὐχ ἕν 
θεωρεῖ. ἐπεὶ καὶ, ὅταν τὸ ἕν θεωρῇ, οὐχ ὡς ἕν el δὲ μὴ, οὐ γίνεται νοῦς. ebd. c. 8 
(9). 860, B: [νοῦς] οὐ πρῶτος, ἀλλὰ del εἶναι τὸ ἐπέχεινα αὐτοῦ... πρῶτον μὲν ὅτι 
πλῆθος ἑνὸς ὕστερον" καὶ ἀριθμὸς δὲ οὗτος, ἀριθμοῦ δὲ ἀρχὴ καὶ τοῦ τοιούτου τὸ ὃν- 
τως ἕν᾽ χαὶ οὗτος νοῦς καὶ νοητὸν ἅμα, ὥστε δύο ἅμα. εἰ δὲ δύο, δέϊ τὸ πρὸ τοῦ δύο 
λαβέν. VI, 9, ὅ. 768, A: τοῦτο δὲ (der Nus) κυριώτερον ψυχῆς, οὐ μέντοι πρῶτον͵ 
ὅτι μὴ ἕν μηδὲ ἀπλοῦν, ἁπλοῦν δὲ τὸ ἕν καὶ ἢ πάντων ἀρχή.... Bel τι πρὸ νοῦ εἶναι ἕν 
μὲν εἶναι βουλομένου, οὐχ ὄντος δὲ ἕν, ἑνοειδοῦς δὲ, ὅτι αὐτῷ μὴ διεσχέδασται ὁ νοῦς; 
ἀλλὰ σύνεστιν ἑαυτῷ ὄντως οὐ διαρτήσας ἑαυτὸν τῷ πλησίον μετὰ τὸ ἕν εἶναι, ἀποστῆναι 
δέ πως τοῦ ἑνὸς τολμήσας. V,3,10. 506, Bf.: damit der Nus sich selbat anschaue, 
muss er ein vielfaches sein und sich auf ein anderes beziehen (Erepou εἶναι", 
das er anschaut (sich selbst, sofern er Objekt der Anschauung ist, ala anderer 
gegenübertreten). Was schlaehthin eins ist, hat nichts, auf das seine Thäug- 
keit sich beziehen könnte, denn alle Thätigkeit (alles ἐνεργεῖν) ist Fortgang zu 
etwas (προβαίνειν εἴς τι͵ προέρχεσθαι ἐπί τι)" διὸ del To ἐνεργοῦν ἢ περὶ ἄλλο ἐνεργέίν 
ἣ αὐτὸ πολύ τι εἶναι, εἰ μέλλοι ἐνεργεῖν ἐν αὑτῷ. Das Denken aber ist Thätigkeit. 
δεί τοίνυν τὸ νοοῦν, ὅταν von, ἐν δυσὶν εἶναι χαὶ 7) ἔξω θάτερον ἢ ἐν τῷ αὐτῷ ἄμφω. 
Achnlich führt Plotin VI, 7, 89 aus, dass das Urwesen night denken könne, 
denn jedes Denken setze eine ἑτερότης, die‘ Unterscheidung des Denkenden 
von seinem Gegenstande voraus; auch wenn der νοῦς sich selbst denke, werde 
er πολὺς, νοητὸς, νοῶν, κινούμενος, καὶ ὅσα ἄλλα προςήχει vo; und obd. a. 37. 
739, A wird gegen den aristotelischen νοῦς ἑαυτὸν γοῶν eingewendet: εἰ μὲν 
οὐσία ἐστὶν ἀεὶ νοοῦσα ... δύο ὅμως λέγουσι, τὴν οὐσίαν καὶ τὴν νόησιν, καὶ οὐχ 
ἁπλοῦν λέγονσιν. V, 1,4. 485, Ὁ: Der Nus ist zugleich νοῦς χαὶ ὃν χαὶ νοοῦν καὶ 
νοούμενον... οὐ γὰρ ἂν γένοιτο τὸ νοέϊν ἑτερότητος μὴ οὔσης καὶ ταυτότητος δέ. 


Die Gottheit; Transcendenz derselben. 435 


können, sondern nur das, was über .dem- Denken ist ').: Oder 
wenn wir das Urwesen als das ‚Gute bestimmen. wollen, :so hat das 
Denken an dem Guten seinen Inbalt und Gegensiand, ebendesshalb 
aber kann es nicht das Gute selbst sein; es wird gat. durch die 
Theilaahme ‚am Guten, wie es durch. die Theilnabme an der Einheit 
eins wird; 65 bedarf des Guten .und Einen, alsa ist. es. nicht selhst 
die bedürfnisslose Güte und Einheit ?).. Das gleiohe gilt auch von 
dem Sein oder dem Wesen, welches dem Plotin ohnedem, wie wir 
finden werden, in letzter Beziehung mit dem Denken zusammen- 
fällt: es hat immer eine Mehrheit von Bestimmungen in sich, die 


1) Vgl. vor. Anm, und V, 8, 11, Schl.: el οὖν νοῦς, ὅτι πολύς ἐστι͵... πλη- 
θύει͵ Bel τὸ πάντη ἁπλοῦν καὶ πρῶτον ἁπάντων ἐπέχεινα νοῦ εἶναι, καὶ γὰρ el νοήσει, 
οὐχ ἐκέχεινα νοῦ, ἀλλὰ νοῦς ἔσται" ἀλλὰ el νοῦς ἔσται, χαὶ αὐτὸ πλῆθος “ἔσται. Hie- 
gegen lässt sich nun Plotin c. 12 einwenden: Das Erste könnte immerhin 
trotz der Einheit seines Wesens, eine Mehrheit von Wirkungen haben. Dar- 
auf erwiedert er jedooh: ἀλλ᾽ el μὲν al ἐνέργειαι αὐτοῦ μὴ οὐσίαι, ἀλλ᾽ ἐκ δυνάμεως 
εἰς ἐνέργειαν ἔρχεται, οὐ πλῆθος μὲν, ἀτελὲς δὲ πρὶν ἐνεργῆσαι τῇ οὐσίᾳ (so ist es 
seinem Wesen nach zwar keine Vielheit, aber ehe es gewirkt hat unvollkom- 
men). el δὲ ἧ οὐσία αὐτοῦ ἐνέργεια (wie beim aristotelischen Nus), ἧ δὲ ἐνέργεια 
αὐτοῦ τὸ πλῆθος, τοσαύτη ἔσται ἣ οὐσία αὐτοῦ, ὅσον τὸ πλῆθος. τοῦτο δὲ τῷ μὲν νῷ 
συγχωροῦμεν, ᾧ χαὶ τὸ voelv ξαυτὸ ἀπεδίδομεν, τῇ δὲ ἀρχῇ πάντων οὐχέτι, denn 
jeder Vielbeit müsse die Einheit vorangeben (8. 8. 424, 1). Wollte man aber 
das letztere nur in Betreff der Zahl, nicht in Betreff der Dinge selbst einräu- 
men, so wird dem Gegner zu bedenken gegeben, dass das Viele doch nicht 
zufällig zu einem Weltganzen (denn diess ist gemeint) verbunden sein könne, 
dass os mithin eine einheitliche Ursache voraussetze. Wollte man endlich an- 
uehmen, ἐξ ἔγὸς τοῦ νοῦ ἁπλοῦ ὄντος τὰς ἐνεργείας προελθέϊν͵ so würde man, wie 
Plotin bemerkt, bereits ein einfaches zugeben, welches den Thätigkeiten in 
der Art vorangienge, dass die letzteren als eigene Hypostasen von ihm ver- 
schieden wären; und diesem ersten und einfachen dürfte man keine Thätigkeit 
beilegen, da man ihm sonst auch Vielheit beilegen müsste; man dürfte es 
daher (wie des näheren gezeigt wird) auch nicht als Nus fassen. 

2) III; 8, 10. 353, C: wie das Gesicht von dem Weahrnehmbaren, Β0 er- 
hält das Denken von dem Denkbaren seine Erfüllung und Vollendung: τῇ τοῦ 
νοῦ ὄφει τὸ ἀγαθὸν τὸ πληροῦν. el γὰρ αὐτὸς τὸ ἀγαθὸν, τί ἔδει ὁρᾷν ἢ ἐνεργεῖν ὅλως; 
τὰ μὴν γὰρ ἄλλα περὶ τὸ ἀγαθὸν καὶ διὰ τὸ ἀγαθὸν ἔχει τὴν ἐνέργειαν, τὸ δὲ ἀγαθὸν 
οὐδεγὸς δέίται" διὸ οὐδὲν ἔστιν αὐτῷ ἣ αὐτό... ὁ μὲν γὰρ νοῦς τοῦ ἀγαθοῦ, τὸ δ᾽ 
ἀγαθὸν οὐ δεῖται ἐχείνου u. 5, ν΄. V, 8, 17. 516, A: man muss tiber den νοῦς hin- 
ausgehen, διά τε ἄλλα πολλὰ... καὶ ὅτι ἔχαστον τοῦ αὐτοῦ ἑνὸς μετείληφε, χαὶ με- 
τέχει ἑνὸς, οὐχ αὐτὸ ἕν (an dem αὐτοὲν͵ dem Eins-an-sich blos theilnimmt, nicht 
selbst Rines im strengen Sinn ist) u. 8. w. 


A436 Plotinus, 


reine Einheit kann nur jenseits des Seins liegen ?). Ganz allgemein Ὁ 


endlich ist zu sagen: allem zusammengesetzten muss das schlechi- 
hin einfache vorangehen ?), jeder abgeleiteten und beziehungs- 
weisen Einheit die absolute 5), allem bestimmten Sein dasjenige, 


was kein bestimmtes *), allem Sein und Denken überhaupt das, 


was Ursache des Seins und Denkens, der Gesammtbheit das, was 


weder die Gesammtheit noch ein Theil derselben ist 5). Durch 


1) VI, 2, 17. 610, Ὁ : ἐντεῦθεν γὰρ xor τὸ ἐπέχεινα τοῦ ὄντος (denn oben des 


halb müssen wir etwas jenseits des Seienden liegendes annehmen), ἐπειδὰ τὸ 
ὃν nat ἧ οὐσία od δύναται μὴ πολλὰ εἶναι, ἀλλὰ ἀνάγχη αὐτὸ ἔχειν ταῦτα [t&, wie 
Kirchh. mit Recht beifügt) ἠριθμημένα γένη (die Kategorisen) καὶ εἶναι ἕν πολλά. 
Weiteres später. 

4) V, 4, 1. 516, B: ddl μὲν γάρ τι πρὸ πάντων εἶναι ἁπλοῦν τοῦτο καὶ πάντων 
ἕτερον τῶν μετ᾽ αὐτό. 

8) Υ͂, δ, 4. 528, A: ὅτι μὲν οὖν del τὴν ἀναγωγὴν ποαίσασθαι εἰς iv, καὶ Air 
θῶς ἵν, ἀλλὰ μὴ ὥσπερ τὰ ἄλλα ἕν, ἃ πολλὰ ὄντα μετοχῇ ἑνὸς ἕν᾽ δεῖ δὲ τὸ μὴ με- 
τοχῇ iv Aaßelv, μηδὲ τὸ οὐ μᾶλλον ἕν ἣ πολλά" χαὶ ὅτι ὃ μὲν νοητὸς χόσμος καὶ ὁ 
νοῦς μᾶλλον ἕν τῶν ἄλλων καὶ οὐδὲν ἐγγυτέρω αὐτοῦ τοῦ ἕνὸος, οὐ μὴν τὸ καθαρῶς 
ἕν, εἴρηται. V, 6, 4. 586, A: οὐχ οἷόν τε τοῦτο τὸ ἕν τὸ μετ᾽ ἄλλου τὸ ἕν (das 
Eine, im absoluten Binn) εἶναι, ἀλλ᾽ ἔδει ἕν ἐφ᾽ ἑαυτοῦ πρὸ τοῦ μετ᾽ ἄλλου εἶναι... 
πόθεν γὰρ ἐν ἄλλῳ ἄλλο, μὴ πρότερον χωρὶς ὄντος ἀφ᾽ οὗ τὸ ἄλλο: 

4) V, 8, 13, Schl.: Das Erste ist ἐπέχεινα γνώσεως: ἕν γάρ τι χαὶ τὸ γιγνώο- 
xuV, τὸ δέ ἐστιν ἄνευ τοῦ τὶ ἕν’ εἰ γὰρ τὶ iv, οὐχ ἂν αὐτὸ ἕν" (wenn es eine he- 
stimmte Einheit ist, ist es nicht die Einheit an sich) τὸ γὰρ αὐτὸ πρὸ τοῦ ri 
(denn das Ansich, das Absolute, geht dem τὰ voran). 

δ) III, 8, 8. 861, B: wenn der νοῦς das allbelebende und allderchdris- 
gende (ζωὴ καὶ ἐνέργεια ἐν διεξόδῳ τῶν πάντων) ist: ἔχ τινος ἄλλου αὐτὸν εἶναι 
ἀνάγκη, ὃ οὐχέτι ἐν διεξόδῳ, ἀλλὰ ἀρχὴ διεξόδου καὶ ἀρχὴ ζωῆς καὶ ἀρχὴ νοῦ καὶ 
τῶν πάντων᾽ οὐ γὰρ ἀρχὴ τὰ πάντα, ἀλλ᾽ ἐξ ἀρχῆς τὰ πάντα. αὐτὴ δὲ οὐχέα τὰ 
πάντα οὐδὲ τὶ τών πάντων, ἵνα γεννήσῃ τὰ πάντα καὶ ἵνα μὴ πλῆθος ἧ͵ ἀλλὰ τοῦ 
πλήθους ἀρχή. τοῦ γὰρ γεννηθέντος πανταχοῦ τὸ γεννῶν ἁπλούστερον. εἰ οὖν τοῦτο 
νοῦν ἐγέννησεν, ἁπλούστερον νοῦ δέϊ αὐτὸ εἶναι. Meint man aber (stoisch), αὐτὸ τὸ 
ἣν τὰ πάντα εἶναι, so müsste es entweder aus der Colleotiveinheit aller Dinge 
(den πάντα συνηθροισμένα) bestehen, dann wäre os aber später, als diese, oder 
wenn man 68 ihnen auch gleichzeitig setsen wollte, könnte es doch keinem- 
falls ihre ἀρχὴ sein; oder es müsste mit allen einzelnen Dingen identisch sein, 
dann könnten aber diese nicht als einselne von einander verschieden sein. Bbd. 
© 10. 858, A: ὡς δὴ ὃ ἀναβλέψας εἷς τὸν οὐρανὸν καὶ τὸ τῶν ἄστρων φέγγος δὼν 
τὸν ποιήσαντα ἐνθυμεῖται καὶ Intel, οὕτω χρὴ καὶ τὸν νοητὸν χόσμον ὃς ἐθεάσατο... 
τὸν κἀκείνου ποιητὴν... ζητένν... πάντως τοι οὔτε νοῦς ἐκέϊνος οὔτε κόρος (hier, wie 
öfters, Name des Nus nach PraTo Krat. 896, B: x6pov γὰρ σημαίνει ... τὸ χα- 
θαρὸν αὐτοῦ καὶ ἀκήρατον τοῦ νοῦ vgl. Proz. Theol. Plat. V, 3, 8. 258 α, Pio- 
tin freilich giebt ihm hier und V, 1, 7. 489, B die Bedeutung: Sohn, Jüng- 


Die Gottheit; Transcendens derselben. 437 


alle diese Erörterungen zieht sich als Grundvoraussetzung die. Be- 
hauptung durch, dass das ursprüngliche Sein ausser dem abgeleite- 
ten, die Ursache ausser der Wirkung, die Einheit ausser der 
Vielbeit, das Gedachte ausser dem Denkenden sein müsse '); d.h. 
die Transcendenz des Uranfänglichen wird immer schon voraus- 
gesetzt. Andernfalls hinderte nichts, statt des abstrakten, alle 
Vielheit von sich ausschliessenden Eins, mit Plato die durch sie 
gegliederte und erfüllte Einheit, statt des Gedachten, welches jen- 
seits des Denkens ist, mit Aristoteles die sich selbst denkende 
Vernunft, statt der Ursache, die schlechthin ausser der Gesammt- 
heit ihrer Wirkungen steht, mit den Stoikern die dem Weltganzen 
selbst inwohnende wirkende Kraft als Urwesen zu setzen. Fragen 
wir aber, woher diese Voraussetzung stamme, so werden uns die 
Stellen den besten Aufschluss geben, in denen sich Plotin über 
die Nothwendigkeit ausspricht, das Urwesen auch jenseits des 
Denkens selbst zu suchen, denn gerade dieser Punkt ist es, wo- 
durch er sich am bestimmtesten von seinen Vorgängern unter- 
scheidet. Das Denken erscheint hier so in sich gebrochen, dass es 
seinen Inhalt nicht mehr sich selbst, sondern nur der Mittheilung 
eines höheren Wesens zu verdanken glaubt: weil es das Gute zum 
Objekt hat, kann es selbst nicht das Gute sein; die allgemeine und 
die individuelle Seite des Geistes, der Grund der Einheit und der 
Vielheit in unsern Vorstellungen, fallen an verschiedene Subjekte 
auseinander: weil das Denken als selbstbewusstes nicht ohne den 


ling, und V, 9, 8. 561, B, im Anschluss an den Bd. I, 479, 1 besprochenen 
beraklitisohen Sprachgebrauch, die Bedeutung: Sättigung) ἀλλὰ καὶ πρὸ νοῦ 
x χόρου. ΠΠ 9, 3. 868, A: dsl πρὸ πάντων ἕν εἶναι. πληροῦν οὖν ddl αὐτὸν (das 
Urwesen) καὶ ποιεῖν πάντα, οὐχ εἶναι τὰ πάντα, ἃ ποιεῖ. Ebd. B: τὸ μὲν πρῶτον 
. δύναμίς ἐστι χινήσεως καὶ στάσεως, ὥστε ἐπέχεινα τούτων, τὸ δὲ δεύτερον ἕστηχέ τε 
xl χινέῖται περὶ indlvo, καὶ νοῦς δὲ περὶ τὸ δεύτερον. VI, 9, 8. 760, E: γεννητικὴ 
γὰρ ἢ τοῦ ἑνὸς φύσις οὖσα τῶν πάντων οὐδέν ἐστιν αὐτῶν. - 

1) Vgl. vor. Anm. und V, 8, 11. δ08, Ο: Der Nus gelangt sum Denken, 
indem er sich mit dem νοητὸν erfüllt. τὸ δὲ πρὸ τούτων ἧ ἀρχὴ τούτων οὐχ ὡς 
ἐνυκάρχουσα - τὰ γὰρ ἀφ᾽ od οὐχ ἐνυκάρχει, ἀλλ᾽ ἐξ Av: ἀφ᾽ οὗ δὲ ἔχαστον, οὐχ ἕκα- 
στον, ἀλλ᾽ ἕτερον ἁπάντων. οὐ τοίνυν ἕν τι τών πάντων, ἀλλὰ πρὸ πάντων͵ ὥστε καὶ 
90 νοῦ. VI, 1, 11. 710, A: οὐκ ἀνάγκη, ὅ τις δίδωσι, τοῦτο ἔχειν, ἀλλὰ δεῖ ἐν τοῖς 
τοιούτοις τὸ μὲν διδὸν μέϊζον νομίζειν, τὸ δὲ διδόμενον ἔλαττον τοῦ διδόντος. VI, 9, 
ὃ 766, Β: τὸ δὲ αἴτιον οὐ ταὐτὸν τῷ αἰτιατῷ " τὸ δὲ πάντων αἴτιον οὐδέν ἐστιν 
ἐχίνων, Ashnliche Aeusserungen werden uns noch öfters begegnen. 


4188 Plotinus. 


Gegensatz ist, so’ muss die Einheit ausser ihm selbst, in dem, was 
über das Denkeh urid Bewusstsein hinausliegt, begründet sein ’); 
das besondere und das allgemeine, das gewirkte und das wirkende 
sollen notirwendig' getrennt von einander gedacht werden. Diese 
Voraussetzungen 'weisen auf eine solche Stimmung des Philosophen 
zurück, wornach dieser in seinem Denken, als solchem, nur etwas 
getheiltes, bedingtes und endliches findet, seinen höheren Inhalt 
dagegen, das Wissen von dem Unbedingten und Unendlichen, nur 
der. Mittheilung eines andern und höheren Wesens zuschreibt. Die 
Transcendenz des neuplatonischen Absoluten ist die unmittelbarste 
Folge von der Richtung des Denkens auf eine jenseitige Wahrheit, 
aus welcher der Neuplatonismus hervorgieng: dieses Streben kann 
nur in der Annahme eines Urwesens zur Ruhe kommen, welches 
über das Denken und'atles durch’s Denken erkennbare, über alles 
getheilte und bestimmte Sein schlechthin erhaben ist. 

- * Hiemit ist nun auch der weiteren Untersuchung über das Ur- 
wesen iht allgemeiner Gang vorgezeichnet. Da der Gedanke des- 
selben wesentlich üus der Ueberzeugung von der Endlichkeit alles 
bestimmten Seins, aus dem Hinausstreben über die Vielheit und 
den Gegensatz, ja über das Leben und das Bewusstsein, entsprungen 
ist, 'so wird es sich zunächst nur unter der negativen Bestimmung 
darsteilen können, dass es von allem bestimmten Sein nichts ist, 
und auch die geistigen Prädikate des Lebens, des Denkens, der 


1) Man vgl. in dieser Beziehung ausser dem oben angeführten und so- 
gleich noch anzuführenden auch V, 6, I, wo Plotin den Satz, dass dem Ueber- 
seienden kein Denken zukomme, durch die Bemerkung begründet: alles 
Denken setze die Zweiheit des Deukenden und Gedachten voraus, und es 
selbst bestehe eben in der Einigung dieser beiden, das Denkende dürfe daher 
kein schleabthin einfaches sein. Μᾶλλον δ᾽ ἂν τις, fährt er nun 538, C fort, 
αὐτὸ τοιοῦτον ἄν ἕλοι ἀπὸ τῆς ψυχῆς ἀναβαίνων ἐνταῦθα γὰρ διαιρέξν ῥάδιον, zu 
ῥᾷον ἂν τις τὸ διπλοῦν ἴδοι, εἰ οὖν τις διπλοῦν φῶς ποιήσειε, τὴν μὲν ψυχὴν κατὰ τὸ 
ἧττον, τὸ δὲ νοητὸν αὐτῆς κατὰ. τὸ καθαρώτερον, εἶτα ποιήσειε καὶ τὸ ὁρῶν ἴσον εἶναι 
φῶς τῷ ὁρωμένῳ, οὐκ ἔχων ἔτι χωρίζειν τῇ διαφορᾷ, ἕν τὰ δύο θήσεται...) οὕτω νοῦν 
χοὶ νοητὸν αἱρήσει. Was Plotin hier als Beispiel κατ Erläuterung seiner meta 
physischen Bestimmungen anführt, ist in Wahrheit der Grund derselben; 
die Unterscheidung des Denkenden und Gedachten ist der Beobachtung des 
Selbstbewusstseins entnommen, und-das erste Gedachte wird nur desshalb als 
besonderes, über das Denken hinausliegendes Wesen gesetzt, weil dem Philo- 
sophen das unbedingte Vertrauen zu seinem Denken verloren gegangen, und 
der Gegenstund desselben za etwas für-sein Denken jenseitigem geworden ist. 


Die Gottheit: negative Bestimmungen. 489 


Thätigkeit u. 5, f. von sich ausschliesst: es ist dag überschwäng- 
liche, das unerkennbare, das unendliche, . dasjenige, dem keine 
yon allen möglichen Eigenschaften. zukommt. Aber doch. kann 
man bei diesen Verneinungen als solchen nicht stehen bleiben; 
gerade desshalb sollen wir ja über dag eudliche, und bestimmte 
hinausgehen, weil diesem die volle Wahrheit des Seins fehle; ‚des 
Erste ist nothwendig das allerrealste und posiivste. Dieses. sein 
positives Wesen in den entsprechenden. Begriffen ‚auszudrücken, 
muss wenigstens versucht werden; Plotin versucht es mittelst der 
Begriffe des Einen und des Guten. .Aber als positive sind diese Begriffe 
pothwendig auch ‚bestiinmte,, das Urwesen aber soll über jede Be- 
simmung.hinaus sein. Selbst diese höchsten Begriffe erweisen sich 
mithin unzureichend, und. wir erhalten durch sie ebensowenig eine 
wirkliche Erkenntniss, als durch die früheren negativen Bestim- 
mungen. Woher wissen wir dann aber überhaupt von ihm? In 
Wahrheit nur durch den Rückschluss von der Wirkung’ auf die 
Ursache, nur dadurch, dass wir uns genöthigt fanden, den Grund 
der Vielheit in der Einheit, den Grund des Endlichen im Unend- 
lichen zu suchen. Se wird auch des, was wir von ihm wissen, 
har seine unendliche Ursächlichkeit sein, und dieser Begriff wird 
uns nach der Einsicht in die Unangemessenheit aller Wesensbestim- 
mungen als das einzige positive übrig bleiben. In dieser dreifachen 
Beschreibung des Urwesens als des Unendlichen, als des Einen 
und Guten, als der absoluten Causalität, fassen sich alle Ausssgen 
Plotin’s über dasselbe zusammen °). οι 

Als dasjenige, was über alles bestimmte und getheilte Sein 
hinaus ist, hat das Urwesen zunächst die negative Bestimmung der 
Veberschwänglichkeit und Unendlichkeit 52. Es ist jenseits alles 
Wirklichen, und auch. das höchste, was wir kennen, reicht nicht 
an dasselbe heran °); es kann ihm keine von alten den Eigen- 


ἢ Insofern bedient sioh schon Plotin. tbatalchlich: der drei Wege zur 
Getteserkenntniss, welche später dureh ‚seine .christliohen Nachfolger {Diony- 
sius Areopagita und Erigena; vgl. Srrauss Glaubensl. I, 588) in die Dog- 
matik gekommen sind, er selbst jedoch spricht nirgends von einer solchen 
dreifachen Erkenntnissweise. 

2) VI,8, 11. 745, E: ἐν ἀφαιρέσει κάντα τὰ κερὶ τούτου λεγόμενα. 

8) 1,7,1. 61, ἢ: Das Θῃίο.ἰοῖ ἐκέχεινα οὐσίας͵ ἐπέχεινα χαὶ ἐνεργείας, καὶ 
ἐκέχεινα νοῦ καὶ νοήσεως. I, 8, 2. 72, E: Gott ist ὑπέρκαχος χαὶ ἐπέκεινα τῶν Apl- 
στων. ΥἹ, 8,.16, Schl.: αὐτὸς ἄρα ἐστὶν ἐνέργεια ὁπὲρ νοῦν καὶ φῤόνησιν καὶ ζωήν. 


430 Plotinus. 


schaften beigelegt werden, welche dem Endlichen, auch keine 
von denen, welche dem endlichen Geiste zukommen: es ist nicht 
blos ohne Gestalt, sondern schlechtweg ohne Grenze; nicht blos 
ohne Tugend, sondern auch ohne Willen und Thätigkeit; weder 
Sein noch Leben, weder Denken noch Bewusstsein dürfen wir ihm 
zuschreiben. Das Urwesen, oder die Gottheit, ist unbegrenzt ἢ), 
unendlich und gestaltlos ἦν, denn keine Form vermag es zu um- 
fassen, und welche Bestimmung man ihm auch geben mag, so ist 
es immer darüber hinaus; und da nun alle Schönheit auf der Ge- 
stalt beruht, so darf es auch, strenggenommen, nicht schön ge- 
nannt werden: es ist Ursache aller Schönheit, und insofern auch 
selbst als die Schönheit zu bezeichnen, aber es ist nicht schön, 
sondern ein überschönes 5). Ebensowenig kann ihm eine andere 


1) IV, 8, 8. 878, B: ὃ θεὸς οὐ πεπερασμένος. VI, 7, 17. 710, C: Die ζωὴ 
(der νοῦς), nach dem Ersten bliokend, ὡρίζετο, ἐχείνου ὅρον οὐχ ἔχοντος. VI, 9, 6. 
164, A: ληπτέον δὲ χαὶ ἄπειρον αὐτὸν οὗ τῷ ἀδιεξιτήτῳ ἢ τοῦ μεγέθους ἣ τοῦ ἀρώ- 
μοῦ, ἀλλὰ τῷ ἀπεριλήπτῳ τῆς δυνάμεως. ὅταν γὰρ αὐτὸν νοήσῃς οἷον νοῦν ἢ θεὸν 
πλέον ἐστί. V, 5, 10 Bohl.: Gott ist ἄπειρος nicht der Grösse, sondern der Kraft 
nach; er ist (6. 11) unbegrenzt und unermesslich, weil er keins Vielbeit ist. 
VI, 6, 11. 669, A f. Noch unmittelbarer liegt am Tage, dass Gott nicht im 
Raume ist und keinen Ort hat; doch beweist es Plotin auch ausdrücklich VI, 
9, 6. 164, Ὁ. V,5,9. 

3) VI, 7,17. 710, C. E: Der νοῦς erhielt durch das Erste seine Form, τὸ 
δὲ μορφῶσαν ἄμορφον Av.... ὁ δὲ (Gott) ἐπικάθηται αὐτοῖς [τοῖς πᾶσι} οὐχ ἵνα Woußi, 
ἀλλ' ἵνα ἱδρύσῃ εἶδος εἰδῶν (Kirchh. weniger gut: ἰδὼν) τῶν πρώτων, ἀνείδεον αὐτό 
(dieses Neutrum könnte grammatisch nur auf εἶδος besogen werden, was aber 
keinen annehmbaren Binn giebt; es steht wohl, wenn der Text richtig ist, 
aus Nachlässigkeit statt ἀνείδεον αὐτός). Ebd. 82. 728, A: det δ᾽ αὐτὸν εἶναι τού- 
τῶν μηδὲ ἕν. ἀ γὰρ αὐτῶν ἔσται, μέρος τε ἔσται. οὐ τοίνυν οὐδὲ τοιαύτη μορφὴ οὐδέ 
τις δύναμις, οὐδ᾽ αὖ κᾶσαι al γεγενημέναι καὶ οὖσαι ἐνταῦθα͵, ἀλλὰ δεῖ ὅπκὲρ πάσες 
εἶναι δυνάμεις zo ὑπὲρ πάσας μορφάς. ἀρχὴ δὲ τὸ ἀνείδεον, οὐ τὸ μορφῆς δεόμενον, 
ἀλλ᾽ ἀφ᾽ οὗ πᾶσα μορφὴ νοερά. α. 88. 724, Ο: δεῖ τοίνυν ταῦτα μὲν χαλὰ (sc. εἶναι, 
τὸ δὲ ὄντως ἢ τὸ ὑπέρχαλον μὴ μεμετρῆσθαι᾽ εἰ δὲ τοῦτο, μὴ μεμορφῶσθαι μηδὲ eis 
elvar. ἀνείδεον ἄρα τὸ πρώτως καὶ πρῶτον. ΥἹ, 8, 11. 745, E: weder das ὅσον 
komme dem Ersten su, denn es sei nicht zu umfassen, noch das ποιόν: οὐδὲ 
γὰρ μορφή τις περὶ αὐτὸν οὐδὲ νοητὴ ἂν εἴη. VI, 9, 8, Anf.: τί ἂν οὖν εἴη τὸ ἕν, καὶ 
τίνα φύσιν ἔχον; ἢ οὐδὲν θαυμαστὸν, μὴ ῥάδιον εἰπέϊν εἶναι͵ ὅπου μηδὲ τὸ ὃν [sc 
εἰπεῖν] ῥάδιον μηδὲ τὸ εἶδος. ἀλλ᾽ ἔστιν ἣμῖν γνῶσις εἴδεσιν ἐπερειδομένη, ὅσῳ δ᾽ ἦν 
εἰς ἀνείδεον ἡ ψυχὴ in... ἐξολισθάνει καὶ φοβεῖζται͵ μὴ οὐδὲν ἔχῃ. Vgl. V, 5, 6 (6. u.) 

8) V. 8, 8. 549, A (und Abnlich c. 18. δδ4, B): Das erste Schöne ist die 
übersinnliche Welt; τὸ γὰρ πρὸ αὐτοῦ οὐδὲ καλὸν ἐθέλει εἶναι, Das Urwesen ist das 


Die Gottheit: negative Bestimmungen. 481 


Eigenschaft, auch die geistigste nicht, zukommen. Es hat keinen 
Willen, denn alles Wollen ist Verlangen des Guten, das Urwesen 
aber bedarf keines andern; alles Wollen setzt ferner ebenso, wie 
das Denken, den Unterschied des Wesens und der Thätigkeit 
voraus, hier aber ist die reine Einheit ’). Nicht einmal das all- 


Usberschöne, oder dieSchönheit, erst das zweite (der νοῦς und die intelligible 
Welt) ist ein Schönes. I, 6, 6. 54, E: τὸ πρῶτον θετέον τὴν καλλονὴν, ὅπερ χαὶ 
τἀγαθὸν, ἀφ᾽ οὗ νοῦς εὐθὺς τὸ καλόν. c. 9. 58, A: Wer siob zum νοῦς erhebt, 
φήσει τὸ κάλλος τοῦτο εἶναι τὰς ἰδέας... τὸ δὲ ἐπέχεινα τούτου τὴν τοῦ ἀγαθοῦ Asyo- 
μὲν φύσιν, προβεβλημένον τὸ χαλὺν πρὸ αὐτῆς ἔχουσαν" ὥστε ὁλοσχερέΐ μὲν λόγῳ 
(unbestimmter gesproohen) τὸ πρῶτον χαλόν διαιρῶν δὲ τὰ νοητὰ, τὸ μὲν νοητὸν 
καλὴν τὸν τῶν εἰδῶν φήσει τόπον, τὸ δ᾽ ἀγαθὸν τὸ ἐπέχεινα καὶ πηγὴν καὶ ἀρχὴν τοῦ 
ταλοῦ. Ebenso wird der Unterschied des ἀγαθὸν und καλὸν V, δ, 12 bestimmt. 
VI, 7, 82. 728, Ὁ: Das Ersto ist gestaltlos: ὥστε καὶ τὸ χάλλος αὐτοῦ ἄλλον 
τρόχον χαὶ χάλλος ὑπὲρ κάλλος. οὐδὲν γὰρ ὄν, τί κάλλος [ac. ἂν sin]; ... δύναμις 
οὖν καντὸς χαλοῦ ἄνθος ἐστὶ κάλλους καλοποιόν᾽ καὶ γὰρ γεννᾷ αὐτὸ καὶ κάλλιον ποιεῖ 
τῇ παρ' αὅτοῦ περιουσίᾳ τοῦ κάλλους u.8. ν΄. I, 8, 2; 8. ο. 429, 8. Wenn das Erste 
VI, 1, 388 Schl. ἢ καλοῦ φύσις ἢ πρώτη genannt wird, so ist diess eben jene I, 
6,9 erwähnte unbestimmtere Ausdrucksweise. 

1) VI, 9, 6. 764, E: Da das Eine nichts bedarf nnd nichts bedürfen kann, 
wenn es nicht das Bedürfniss haben soll, nicht mehr Eines su sein, jedes Be- 
ürfniss aber Verlangen nach dem Guten ist, so folgt, dass τῷ ἑνὶ οὐδὲν ἀγαθόν 
ἐστον, οὐδὲ βούλησις τοίνυν οὐδενός. Ausflihrlicher wird ΥἹ, 8,13 die Frage unter- 
sucht, ob das Erste κύριον ἑαυτοῦ, d. h. ob es das, was es ist, durch seinen 
Willen ist. Die Antwort lautet 746, C: εἰ μὲν οὖν ἐστί τις ἐνέργεια dv αὐτῷ καὶ 
ὦν τῇ ἐκργείᾳ αὐτὸν θησόμεθα οὐδ᾽ ἂν διὰ τοῦτο εἴη ἂν ἕτερον αὅτοῦ, nat οὐκ αὐτὸς 
αὐτοῦ κύριος ἀφ᾽ οὗ ἣ ἐνέργεια, ὅτι μὴ ἕτερον ἐνέργεια χαὶ αὐτός" εἰ δ᾽ ὅλως ἐνέργειαν 
οὐ δώσομεν ἐν αὐτῷ εἶναι, ἀλλὰ τἄλλα περὶ αὐτὸν ἐνεργοῦντα τὴν ὑπόστασιν ἔχειν, 
ἔπι μᾶλλον οὔτε τὸ χύριον οὔτε τὸ χυριευόμενον ἐχεῖ εἶναι δώσομεν, ἀλλ᾽ οὐδὲ τὸ αὅτοῦ 
zes, οὐχ ὅτι ἄλλο αὐτυῦ χύριον, ἀλλ᾽ ὅτι τὸ αὅτοῦ κύριον τῇ οὐσίᾳ (dem sweiten 
Prineip) ἀπέδομεν, τὸ δὲ (dieses aber) ἐν τιμιωτέρῳ, ἢ κατὰ τοῦτο, ἐθέμεθα. Das 
χύριον αὐτοῦ setse nämlich den Unterschied der οὐσία und ἐνέργεια voraus (die 
‚Selbstbestimmung ist Bestimmung der οὐσία durch die Thätigkeit); ὅπου δὲ οὐ 
δύο͵ ὡς ἑνὸς, ἀλλὰ ἕν (ἢ γὰρ ἐνέργεια μόνον ἢ οὐδ᾽ ὅλως ἐνέργεια) οὐδὲ τὸ κύριον aö- 
τοῦ ὀρδῶς. Nur uneigentlich könne daher (o. 18), wie von einer Thätigkeit, so 
auch von einem Willen des Urwesens gesprochen, und gesagt werden (747,B): 
οὐ μᾶλλον ὡς πέφυκε βούλεταί τε καὶ ἐνεργεῖ, ἢ ὡς βούλεταί τε καὶ ἐνεργεῖ ἢ οὐσία 
Ist αὐτοῦ, Nur ale uneigentlichen Ausdruck werden wir es daher auch anzu- 
schen haben, wenn es im folgenden (besonders 6. 15) von Gott heisst, or sei 
ποιῶν ἑαυτὸν, χύριος ἑαυτοῦ, er sei γενόμενος ὡς θέλει αὐτὸς, er selbst sei Ghegen- 
wand seiner Liebe oder seines Begehrens u. dgl., und wenn c. 21 ans dem Be- 
ὅπ der göttlichen βούλησις gegen die Vorstellung argumentirt wird, als ob 
Gott wahlfrei oder von einem bestimmten Zeitpunkt au wirkte. Wollen wir 


438 Plotinus. 

gemeinere Prädikat der Thätigkeit (ἐνέργεια) dürfen wir ihm bei- 
legen, denn wie der Wille, so ist auch die Thätigkeit überhaupt 
Beziehung auf ein anderes, Fortgang von dem einen zum andern, 


Guten, welches ausser ihm liegt 1); ein Wesen, in dem keinerki 
Vielheit, kein Forigang zu einem andern, schlechterdings nichts 
unvollendetes ist, kann: wohl schöpferisch wirken, aber es kann 
nicht thätig sein, sich nicht bewegen, es muss, während es schaft, 
zugleich in vollkommener Ruhe in sich verharren ?). Noch weni 
ger kann natürlich an sittliche Eigenschaften des Uranfänglichen 


es dagegen mit den Worten genau nehmen, so kann nicht gesagt werdes 
(SrrınnarT in Pavır'g Realencyklopädie ἃ. klass. Alterth. V, 1762 unt.), Ple- 
tin's Urwesen sei nichts als schaffender Wille und nur insofern man bei dem 
Wollen an Willktihr und Wahl denkt, könne es nicht Wille genannt werde. 
Es ist schaffende Kraft, aber nicht Wille. Vgl. auch VI, 8, 8, Anf. (Das 
αὐτεξούσιον könne der Gottheit nur im uneigentlichen Sinn beigelegt werden.) 
V,8,12 (s. u. 432, 2). V, 1,6, 487, B: alles bewegte muss etwas haben, sa 
dem es sich bewegt; was dagegen kein solches hat, kann sich auch nicht be- 
wegen. δέϊ οὖν ἀχινήτου ὄντος, εἴ τι δεύτερον μετ᾽ αὐτὸ, οὐ προςνεύσαντος (alas 
dass es sich zu demselben hinneigte) οὐδὲ βουληθέντος οὐδὲ ὅλως κινηθέντος ὅκο- 
ὀὁτῆναι ar. "- 

1) 1, 1,1. 61, C: εἰ οὖν ἔφεσις χαὶ ἐνέργεια πρὸς τὸ ἄριστον ἀγαθόν, δέ τὸ 
ἀγαθὸν μὴ πρὸς ἄλλο βλέπον μηδ᾽ ἐφιέμενον ἄλλου ἐν ἢσύχῳ οὖσαν πηγὴν καὶ ἀρχὲν 
ἐνεργειῶν χατὰ φύσιν οὖσαν χαὶ τὰ ἄλλα ἀγαθοειδῇ ποιοῦσαν οὐ τῇ πρὸς ἐκεῖνα ἔνεο- 
γείᾳ᾽ ἐχέϊνα γὰρ πρὸς αὐτήν" οὐ τῇ ἐνεργείᾳ οὐδὲ τῇ νοήσει τἀγαθὸν εἶναι, ἀλλ᾽ αὐτί 
τῇ μονῇ τἀγαθὸν εἶναι. καὶ γὰρ ὅτι ἐπέχεινα οὐσίας, ἐπέχεινα καὶ ἐνεργείας καὶ ἐπκέεεσνε 
νοῦ καὶ νοήσεως. καὶ γὰρ αὖ τοῦτο δεῖ τἀγαθὸν τίθεσθαι, εἰς. ὃ πάντα ἀνήρτηται, αὐτὸ 
δὲ εἷς μηδέν... Bel οὖν μένειν αὐτὸ, πρὸς αὐτὸ δὲ ἐπιστρέφειν πάντα VA, 7, 17. 710, 
A: Das gebende muss höher sein, als das gegebene ; εἴ τι τοίνυν ἐνεργείας πρύ- 
τερον, ἐπέχεινα Evepyelas, ᾿ὥστε. χοὶ ἐπέχεινα ζωῆς u. 5. w. VI, 8, 12; 8. vor. Anm. 
V,6, 6 Anf.: οὐχ ἂν ἔχοι χώραν νοήσεως τὸ ἀγαθόν’ ἄλλο γὰρ el τῷ νοοῦντι τὸ 
ἀγαθὸν εἶναι ἀνενέργητον οὖν. vgl. N. 424, ὃ. 436, 1. 481,1. An andern Btellen 
wird aber das Urwesen allerdings auch wieder als die reine Energie beschrie- 
ben; wie wir uns diess zu erklären haben, wird 8. 440 untersucht werden. 

'2) 8. vor. Anm. und V, 8, 12.509, E: Um den Nus hervorzubringen, kant 
das Erste sich nicht vorgenommen haben, ihn hervorzubringen, οὐδ᾽ ad ὅλως 
προὐθυμήθη οὕτω τε γὰρ ἂν ἣν ἀτελὴς καὶ ἢ προθυμία οὐχ εἶχεν ὅτι προθυμηϑῇ. οὐδ᾽ 
αὖ τὸ μὲν εἶχε τοῦ πράγματος, τὸ δὲ οὖχ εἶχεν᾽ οὐδὲ γὰρ ἦν τι, πρὸς ὃ 4 ἔχτασις. 
ἀλλὰ δῆλον, ὅτι, εἴ τι ὑπέστη μετ᾽ αὐτὸ, μένοντος ἐχείνου ἐν τῷ αὐτοῦ ἤθει (Prare 
Tim. 42, E) ὑπέστη. δέϊ οὖν, ἵνα τι ἄλλο ὑποστῇ, ἧσυχίαν ἄγειν ἐφ᾽ ἑαυτοῦ πανταχοῦ 
ἐχεῖνο- εἰ δὲ μὴ, N πρὸ τοῦ χινηθῆναι χινήσεται καὶ πρὸ τοῦ νοῆσαι νοήσει, 7 (#0 
Kirchh. mit Recht) ἡ πρώτη ἐνέργεια αὐτοῦ ἀτελὴς ἔσται, ὁρμὴ μόνον οὖσα. 


Streben nach etwas, was dem strebenden noch fehlt, nach einem | 


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Die Gottheit: negative Bestimmungen. 433 


gedacht werden !). Aber auch das Denken findet Plotin, selbst 
abgesehen davon, dass das Erste überhaupt kein bestimmtes Wesen 
sein soll ?), mit seiner Idee nicht vereinbar. Denn alles Denken 
ist Zusammenfassung einer Vielheit zur Einheit, und auch das 
reinste Denken hat immer noch eine Zweiheit, theils die des Den- 
kenden und des Denkens, theils die des Denkenden und des Ge- 
dachten in sich 9). Ebendesshalb aber verhält sich das Denkende 
nicht schlechthin bedürfnisslos, sondern es bedarf des Gedachten 
und seiner Erfüllung mit demselben, d.h. des Denkens, und auch 
dasjenige, was sich selbst denkt, wie der νοῦς, bedarf wenigstens 
seiner selbst, d. h. seines Sichselbstdenkens; das Urwesen aber 
muss das schlechthin bedürfnisslose und selbstgenugsame sein, es 
kann nicht ein höheres Princip haben, dem es sich zuwendet, wie 
das Denkende dem Gedachten %. Wir dürfen ihm daher natürlich 


1) 1, 2, 3, Schl.: ἢ δὲ ἀρετὴ ψυχῆς νοῦ δὲ οὐχ ἔστιν οὐδὲ τοῦ ἐπέχεινα, wozu 
die ausfübrlichere Erörterung c. 1 zu vgl. Dem νοῦς, seiner Gottheit, hatte 
schon Aristoteles die praktische Thätigkeit abgesprochen, 5. B. II, b, 276. 

2) VI, 9,8. 760 E: Das Erste ist nicht νοῦς, sondern πρὸ νοῦ τὶ γὰρ τῶν 
ὄντων ἐστιν ὁ νοῦς, ἐχέϊνο δὲ οὐ τὶ, ἀλλὰ πρὸ Exactou V. 8, 12; 8. 0, 426, 4. 

3) V, 6, 2. 534, C: εἰ νοήσει τὸ πρῶτον, ὑπάρξει τι αὐτῷ, οὐχ ἄρα πρῶτον 
ἀλλὰ καὶ δεύτερον, καὶ οὐχ ἕν ἀλλὰ πολλὰ ἤδη, καὶ πάντα ὅσα νοήσει. χαὶ γάρ εἰ μό- 
γον ἑαυτὸ (sc. νοήσει), πολλὰ ἔσται. Ebd. c. 1.5.6. Ill, 8, 8. 850, Ο: παντὶ νῷ 
συνέζευχται τὸ νοητὸν... τὸ πρότερον τῶν δύο τούτων ἐπέχεινα dei νοῦ εἶναι. VI, 9, 6. 
764, F: [τῷ ἑνὶ) οὐδὲ νόησις, ἵνα μὴ ἑτερότης, οὐδὲ χίνησις' πρὸ γὰο χινήσεως χαὶ 
πρὸ νοήσεως. Weiteres folg. Anm. und 5. 424, 8. 425, 1. 

4) Ill, 8, 10 (s. o. 425, 2). II, 9, 8. 358, E: Das Denken ist wesentlich 
Anschauen des Ersten, τὸ οὖν παρέχον ταύτην [τὴν ἐνέργειαν) ἐπέχεινα ταύτης... 
ἐπέχεινα ἄρα νοήσεως τἀγαθόν. Wendet man aber ein, so hätte das Qute kein 
Bewusstsein (οὐ παραχολουθήσει αὑτῷ), 80 ist zu antworten: das Gute kann 
doch nicht erst durch's Bewusstsein gut werden, sonst wäre es nicht an und 
für sich gut; τὸ ἄρα xatavosiv ἐξαιρετέον, 4 γὰρ προςθήχη ἀφαίρεσιν καὶ ἔλλειψιν 
rot. Υ, 8, 11, Schl.: Da im νοῦς gerade durch sein Denken eine Vielheit ent- 
steht, det τὸ πάντη ἁπλοῦν χαὶ πρῶτον ἁπάντων ἐπέχεινα νοῦ εἶναι. χαὶ γὰρ εἰ νοήσει, 
οὐκ ἐπέχεινα νοῦ, ἀλλὰ νοῦς ἔσται, καὶ αὐτὸ πλῆθος ἔσται. Ebd. 12 Schl.: τὸ δὲ, 
ὥσπερ ἐπέχεινα νοῦ, οὕτω καὶ ἐπέχεινα γνώσεως, οὐδὲν δεόμενον, ὥσπερ οὐδενὸς, 
οὕτως οὐδὲ τοῦ γιγνώσχειν- ἀλλ᾽ ἔστιν ἐν δευτέρᾳ φύσει τὸ γιγνώσχειν. ἕν γάρ τι 
Ὦ. δ. w. 8.0. 426, 4. Ebd. ο. 18 (8. u. 484, 1). Υ͂, 6, 23. 534, B: Der νοῦς be- 
darf zum wirklichen Denken des νοητὸν, dieses aber muss vor dem Denken 
schon vollkommen sein; οὐδὲν ἄρα δέί αὐτῷ τοῦ νοέϊν, αὕταρχες γὰρ πρὸ τούτου͵ 
οὐχ ἄρα νοήσει. α. 4, Anf.: εἰ τὸ ἀγαθὸν ἁπλοῦν καὶ ἀνενδεὲς det εἶναι, οὐδ᾽ ἂν τοῦ 
γοέΐν δέοιτο" οὗ δὲ μὴ δέϊ οὐ παρέσται αὐτῷ. inet χαὶ ὅλως οὐδὲν πάρεστιν αὐτῷ. 
Da nicht das Denken dem Guten, sondern nur dieses jenem seinen Werth giebt, 


Philos. ἃ. Gr. IU. Bd. 3. Abth. 28 
An 


434 Plotinns. 


auch kein Solbstbewusstsein zuschreiben 1). Ist aber dem Höchsten 


so ist das Gute vor dem Denken und obne dasselbe vollkommen, und be- 


darf seiner nicht; nur das Abgeleitete bedarf des Ersten, nicht umgekehrt. ᾿ 


Ebd. c. 41: Das Denken ist eine Hülfe für die φύσεις θειότεραι μὲν, ἐλάττονες δὲ͵ 
das höshate Wesen bedarf desselben so wenig, als das Licht des Auges, und 
es kann so wenig, als irgend etwas anderes, ihm zukommen. Für uns, asch 


für den Nus, ist es ein Vorzug, ihm wäre es uvine Minderung seiner Vollkom- | 


menheit; ὃ γὰρ ἂν προςθῆῇῆς, ἠλάττωσας τῇ προςθήχῃ τὴν οὐδενὸς δεομένην (ἐς. 
φύσιν). Im Denken sind drei: νοῦς, νόησις, νοητὸν, und diese drei können nie 
vollständig eins werden, da mit ihrer Unterscheidung das Denken selbst auf- 
hörte, das Urwesen aber ist reine Einheit. VI, 9, 2. 759, C: ὅτι δὲ οὐγ οἷόν 
τε τὸν νοῦν τὸ πρῶτον εἶναι xal dx τῶνδε δῆλον ἔσται. τὸν νοῦν ἀνάγκη dv τῷ vor 
εἶναι χαὶ τόν γς ἄριστον χαὶ τὸν οὐ πρὸς τὸ ἔξω βλέποντα vosiv τὸ πρὸ αὐτοῦ " εἰς ἕαυ- 
τὸν γὰρ ἐπιστρέφων εἰς ἀρχὴν ἐπιστρέφει. χαὶ εἰ μὲν αὐτὸς τὸ νοοῦν καὶ τὸ νοούμενον, 
διπλοῦς ἔσται καὶ οὐχ ἁπλοῦς οὐδὲ τὸ ἕν᾽ εἶ δὲ πρὸς τὸ ἕτερον βλέπει, πάντως προς 
τὸ πκρέϊττον χαὶ πρὸ αὐτοῦ" εἰ δὲ πρὸς αὑτὸν χαὶ πρὸς τὸ xpeittov, καὶ οὕτω δεότερον. 
4. 6. 765, A: Wenn dem Gutem ein Denken seiner selbst zukäme, so wäre es 
vor dem Denken in Unwissenheit über sich selbst und des Denkens bedärftig: 
τὸ δὲ μόνον οὔτε τι γιγνώσχει οὔτε τι ἔχει ὃ ayvodl, ἕν δὲ ὃν συνὸν αὁτῷ οὐ δεῖζτα: 
νοήσεως ἑαυτοῦ... οὐ γὰρ κατὰ τὸ νοοῦν δέϊ τάττειν αὐτὸν, ἀλλὰ κατὰ τὴν νόησιν. 
νόησις δὲ οὐ νοέΐ͵ ἀλλ᾽ αἰτία τοῦ νοεΐν ἄλλῳ τὸ δὲ αἴτιον οὐ ταὐτὸν τῷ αξτιατῷ᾽ τὸ 
δὲ πάντων αἴτιον οὐδέν ἐστιν ἐχείνων. Mit der νόησις wird das Urwesen hier ver- 
glichen, sofern es ebenso, wie diese, einem anderen Ursache des Denkens 
ist, ohne selbst zu denken. Aber er ist keine νόησις vgl. V, 6, 6 Anf.: οὐκ ἂν 
ἔχοιχώραν νοήσεως ἡντινοῦν τὸ ἀγαθόν, denn wenn es auch πρώτη ἐνέργεια zei, 20 
sei doch ἣ τοιαύτη ἐνέργεια οὐ νόησις" οὐ γὰρ ἔχει ὃ νοήσει" αὐτὸ γὰρ πρῶτον. Exer:s 
οὐδ᾽ ἢ νόησις νοεῖ, ἀλλὰ τὸ ἔχον τὴν νόησιν. δύο οὖν πάλιν αὖ ἐν τῷ νοοῦντι γίνετα:" 
τοῦτο δὲ (das Gute) οὐδαμῇ δύο. Fr ist daher unrichtig, oder mindestens unge- 
nau, wenn Kırcnsrr 8. 38 nagt, als Urquell aller Gedanken sei das Urwesen 
„dae höchste Denken.“ Gerade weil es Ursache der Gedanken ist, kann es 
selbst nach Plotin kein Denken sein. ι 

1) Ausser dem, was so eben angeführt wurde, vgl. man hierüber VI, 7, 
41. 732, B: οὖχ αἰσθάνεται οὖν ἑαυτοῦ, od γὰρ δεῖται. 188, B: el δέ τί ἐστιν αὐτῷ, 
μειζόνως ἐστὶν ἢ κατὰ γνῶσιν καὶ νόησιν χαὶ συναίσθησιν αὐτοῦ (l. αὖτ .. V, 8,13. 
510, A: ἀλλ᾽ ὅταν ἀπορῶμεν᾽ ,,ἀναίσθητον οὖν ἑαυτοῦ καὶ οὐδὲ παραχολουθοῦν ἑκυτῷ 
οὐδὲ οἶδεν αὖτό “... ἑαυτοὺς περιτρέπομεν ἐπὶ τὰ ἐναντία. πολὺ γὰρ αὐτὸ ποιοῦμεν 
γνωστὸν χαὶ γνῶσιν ποιοῦντες (indem wir aus ihm die Zweiheit des erkennenden 
und erkannten machen) χαὶ διδόντες vostv δεῖσθαι τοῦ νοέΐν ποιοῦμεν. Alles Sich- 
selbstdenken ist πολλῶν εἷς αὐτὸ συνελθόντων συναίσθησις τοῦ ὅλου, und gerade 
dieses Sichselbstdenken ist χυρίως voelv, das Denken eines andern ist ἐνδεές τὶ 
χαὶ οὐ χυρίως τὸ νοέϊν. τὸ δὲ πάντη ἁπλοῦν xt αὕταρχες ὄντως οὐδὲν δεῖται τὸ δὲ 
δευτέρως αὕταρχες, δεόμενον δὲ ἑαυτοῦ, τοῦτο δεῖται τοῦ νοέΐν ἑαυτό... ἢ συναίσθησις 
πολλοῦ τος αἴσθησίς ἐστι" χαὶ μαρτυρέϊ χαὶ τοὔνομα. Bchon die einfache Aus- 
sage: ὅν εἶμι schliesst eine Vielbeit in sich; denn alles βοίεινδθ ist ein viel- 
faches, εἶ δὲ τοῦτο, εἴ τι ἔστιν ἁπλούστατον ἁπάντων, οὐχ ἔξει νόησιν αὐτοῦ εἰ γὰρ 


Die Gottheit: negative Bestimmungen. 435 


weder Thätigkeit noch Denken und überhaupt keine Bestimmtheit 
beizulegen, so kann ihm auch weder Leben noch Sein zukommen. 
Auch das Sein nicht, denn alles Sein ist Totalität, es schliesst eine 
Vielheit in sich, das Erste dagegen kann nur sein, was die Viel- 
heit schlechthin von sich ausschliesst; alles Sein ist bestimmtes 
Sein, das Princip dagegen muss jeder Bestimmtheit vorangehen; 
das Sein ist das verursachte, seine Ursache muss von ihm ver- 
schieden, über das Sein hinaus sein '). Das Erste ist also über- 
haupt von allem andern schlechthin verschieden, es ist nichts von 
allem, was wir songt kennen, noch auch alles zusammen, es ist 
ohne Gestalt, ohne Grösse, ohne Leben, ohne Denken, ohne 
Sein Ὁ. Es ist aus diesem Grunde der Sprache, wie dem Denken 


ἕξει, τὸ πολὺ (so Kirchh. statt ποῦ) εἶναι ἕξει. οὔτ᾽ οὖν αὐτὸ νοέΐ οὔτε ἐστὶ νόησις 
αὐτοῦ. ΥἹ, 7, 88; 5. folg. Anm. V, 6, 5 Anf.: τὸ πολὺ ζητοῖ ἂν ἑαυτὸ καὶ ἐθέλοι 
av συννεύειν χαὶ συναισθάνεσθαι αὑτοῦ. ὃ δ᾽ ἔστι πόντη ἕν, ποῦ χωρήσεται πρὸς αὗτό : 
ποῦ δ᾽ ἂν δέοιτο συναισθήσεως: ἀλλ᾽ ἐστὶ τὸ αὐτὸ καὶ συναισθήσεως καὶ πάσης χρεῖτ- 
τὸν νοήσεως. Ebd. co. 6. 538, B: οὐ τοίνυν οὐδ᾽ ἐχέΐνο ἄτοπον, εἰ μὴ οἶδεν ἑαυτὸν, 
οὗ γὰρ ἔχει παρ' ἑαυτῷ, ὃ μάθῃ, εἷς ὧν. 

1) ΠῚ, 6, 6. 809, B: Der νοητὴ οὐσία kommt dar Leben, das Denken, die 
Begrenzung n. x. f. zu; τὸ γὰρ πρὸ τοῦ ὄντος χορηγὸν μὲν τοῦτο εἰς τὸ ὃν οὐ δεό- 
μενον δὲ αὐτὸ τούτων. TIL, 8, 9 Anf.: τὸ ὑπὲρ τὴν ζωὴν αἴτιον ζωῆΐς n. 8. w. ebd. 
10. 852. B: Das Eine ist nichts von dem, dessen Ursache es ist, sondern tor 
οὕτον͵ οἷον, μηδενὸς αὐτοῦ κατηγορέϊσθαι δυναμένου, μὴ ὄντος μὴ οὐσίας μὴ ζωῆς, 
τὸ ὑπὲρ πάντα ταῦτα εἶναι. Ν, 2, 1 Anf.: τὸ ὃν πάντα καὶ οὐδὲ ἕν [80. πάντων), ἀρχὴ 
γὰρ πάντων οὐ πάντα... ὅτι οὐδὲν ἦν ἐν αὐτῷ, διὰ τοῦτο ἐξ αὐτοῦ πάντα, χαὶ ἵνα τὸ 
Wi, διὰ τοῦτο αὐτὸς οὐχ ὃν, γεννητὴς δὲ αὐτοῦ. V, 4, 1. 536, B: ἐπέχεινα λέγεται 
ἑἶναι οὐσίας. V, δ, ὁ, Anf.: τῆς δὲ γενομένης οὐσίας εἴδους οὔσης... καὶ εἴδους οὐ 
τινος ἀλλὰ παντὸς, ὡς μὴ ἂν ὑπολιπεῖν τι ἄλλο, ἀνάγκη ἀνείδεον dxeivo [τὸ ἕν] εἶναι, 
ἀνείδεον δὲ ὃν οὐχ οὐσία τόδε γάρ τι dei τὴν οὐσίαν εἶναι, τοῦτο δὲ ὡρισμένον, τὸ δὲ 
(jenes aber) οὐχ ἔστι λαβέϊν ὡς τόδε, ἤδη γὰρ οὐκ ἀρχή. VI, 7, 16 f. ebd. ς. 88: 
man dürfe kein ἐστὶ vom Ersten aussagen, οὐδὲν γὰρ οὐδὲ τούτου δέϊται, mithin 
auch nicht ἀγαθόν ἐστι, sondern nur τἀγαθόν. Es könne also nicht denken, 
und namentlich nicht sich selbst denken, denn es müsste doch mindestens 
denken ἐγώ εἶμι oder ἀγαθός εἶμι, ,ἀλλ᾽ οὐκ ἔστι.“ Achnlich V, 4, 1. 516, B: 
καθ᾽ οὗ φεῦδος καὶ τὸ iv εἶναι, weil dem ἕν strenggenommen kein εἶναι zukommt. 
ΥΙ, 9,3. 758, C: Das Eins ist nicht dasselbe wie das Seiende, denn τὸ ὃν τὸ 
ἐχάστου πλῆθός ἐστι τὸ δὲ ἕν ἀδύνατον πλῆθος εἶναι, das Beiende hat die Einheit 
our von einem anderen zu Lehen (μεταλήψει χαὶ μεθέξει); ἔχει δὲ καὶ ζωὴν καὶ 
νοῦν τὸ ὄν: οὐ yao δὴ νεχρόν᾽ πολλὰ ἄρα τὸ ὄν. Das gleiche am Schluss des 
Kap. 8. auch Β. 426, 8. 

2) VI, 9, 8. 760, E: οὐδὲ νοῦς τοίνυν [τὸ ἵν] ἀλλὰ πρὸ νοῦ. τὶ γὰρ τῶν ὄντων 
ἐστὶν ὃ νοῦς, ἐκεῖνο δὲ οὐ τὶ, ἀλλὰ πρὸ ἐχάστου, οὐδὲ ὄν. καὶ γὰρ τὸ ὃν οἷον μορφὴν 
τὴν τοῦ ὄντος ἔχει, ἄμορφον δὲ ἐχέϊνο χαὶ μορφῆς νοητῆς. γεννητιχὴ γὰρ ἢ τοῦ ἑνὸς 

28 * 


436 Plotinun. 


unerreichbar; kein Name bezeichnet, kein Begriff umfasst es; wir 
können nicht sagen, was es ist, sondern nur, was es nicht ist; 
wir müssen es zwar als Grund alles Seins und Denkens voraus- 
setzen, aber wir erfahren dadurch nur, dass es ist, jeder Ver- 
such dagegen, sein Wesen in positiver Weise weiter zu beschrei- 
ben, kann nur dazu führen, dass wir ihm durchaus unangemessene 
Prädikate beilegen '). 

Sowenig aber hiernach zu erwarten war, dass eine posilive 
Darstellung der Gottesidee gelingen werde, so ist doch ihre blos 
negative Umschreibung zu inhaltsleer, als dass eine solche nicht 
wenigstens versucht würde. Hiefür boten sich nun unserem Philo- 
sophen zwei Wege. Sofern ihm der Begriff des Urwesens zunächst 
durch die Abstraktion von jedem bestimmten Sein entstanden war, 


φύσις οὖσα τῶν πάντων οὐδέν ἐστιν αὐτῶν. οὔτε οὖν τὶ οὔτε ποιὸν οὔτε ποσὸν οὗτε 
νοῦν οὔτε ψυχὴν οὐδὲ χινούμενον οὐδ᾽ αὖ ἑστὼς, οὐχ ἐν τόπῳ, οὐκ ἐν χρόνῳ, ἀλλὰ 
τὸ χαθ᾽ αὑτὸν μονοειδὲς, μᾶλλον δὲ ἀνείδεον, πρὸ εἴδους ὃν παντὸς; πρὸ χινήσεως πρὸ 
στάσεως ταῦτα γὰρ περὶ τὸ dv, ἃ πολλὰ αὐτὸ or. VI, 7, 82. 728, B: οὐδὲν οὖν 
τοῦτο τῶν ὄντων χαὶ πάντα᾽ οὐδὲν μὲν ὅτι ὕστερα τὰ ὄντα, πάντα δὲ, ὅτι ἕξ αὐτοῦ. 
V, 5, 10. 529, C: Das Erste bewegt sich nicht und ruht nicht, ist weder be- 
grenst noch räumlich unbegrenzt u. 8. w. Ebd. c. 18. 532, D: φύσις ἀγαθοῦ od 
πάντα εἶναι οὐδ᾽ ad ἕν τι τῶν πάντων. 

1) V, 8, 18 Anf.: Διὸ καὶ ἄῤῥητον τῇ ἀληθείᾳ. ὃ τι γὰρ ἂν εἴπῃς, τὶ ἐρεῖς" ἀλλα 
τὸ ἐπέχεινα πάντων καὶ ἐπέχεινα τοῦ σεμνοτάτον νοῦ ἐν τοῖς πᾶσι μόνον ἀληθὲς οὐκ 
ὄνομα ὃν αὐτοῦ, ἀλλ᾽ ὅτι οὔτε τι τῶν πάντων οὔτε ὄνομα αὐτοῦ, ὅτι μηδὲν χατ᾽ 
αὐτοῦ (weil nichts von ihm prädicirt werden kann). ἀλλ᾽ ὡς ἐνδέχεται ἧἣμίν αὖ- 
zölg σημαίνειν ἐπιχειροῦμεν περὶ αὐτοῦ c. 14 Anf.: λέγομεν μέν τι περὶ αὐτοῦ, οὐ 
μὴν αὐτὸ λέγομεν οὐδὲ γνῶσιν οὐδὲ νόησιν ἔχομεν αὐτοῦ... χοὶ γὰρ λέγομεν ὃ μα 
ἐστιν, ὃ δὲ ἐστὶν οὐ λέγομεν- ὥστε ἐκ τῶν ὕστερον περὶ αὐτοῦ λέγομεν. ἔχειν δὲ οὐ 
χωλυόμεθα͵ χἂν μὴ λέγωμεν. Wie man im Enthusiasmus nur sagen kann, dass 
man ein höheres in sich hat, und sich von ihm bewegt fühlt, ohne doch seise 
Beschaffenheit zu kennen, so wissen auch wir, dass es ein höheres ist, voB 
dem uns Sein, Denken n. 8. f. stammt, aber über seine Beschaffenheit können 
wir nur das sagen, ὡς οὐ ταῦτα, ἀλλά τι χρέΐττον τούτου. V, δ, 6. 525, B: οὐδὲν 
δὲ τούτων ὃν μόνον ἂν λέγοιτο ἐπέχεινα τούτων. ταῦτα δὲ τὰ ὄντα χαὶ τὸ ὄν- ἐπέκεινα 
ἄρα ὄντος. τὸ γὰρ ἐπέχεινα ὄντος οὐ τόδε λέγει, οὐ γὰρ τίθησιν (der Ausdrmck ἐξ. 
ὄντ. bezeichnet kein τόδε, nichts bestimmtes, denn er besagt nichts positires). 
οὐδὲ ὄνομα αὐτοῦ λέγει, ἀλλὰ φέρει μόνον τὸ, οὐ τοῦτο. Das Höchste mit dem 
Gedanken zu umfassen, ist unmöglich, nur der schaut es, welcher alles denk- 
bare bei Seite lässt; auch dieser jedoch nur ὅτι μέν ἐστι διὰ τούτου μαθὼν, οἷον 
δέ ἐστι, τοῦτο ἀφείς. τὸ δὲ οἷον σημαίνοι ἂν τὸ οὐχ οἷον, οὐ γὰρ ἕνι οὐδὲ τὸ οἷον, ὅτῳ 
μηδὲ τὸ τί. Vgl. c. 10. 18. VI, 8, 8 Anf. Daher V, 4, 1. 516, B über das Erste: 


οὗ μὴ λόγος μηδὲ ἐπιστήμη. 


Die Gottheit: das Eine, das Gute. 437 


konnte zu seiner positiven Bezeichnung ein Wort gewählt werden, ” 
weiches eben nur diese ausschliessliche Beziehung des Wesens auf 
sich selbst, den Gegensatz gegen alles Endliche, in positiver Form 
ausdrückte ; sollte aber statt dessen eine wirklich positive Bestim- 
mung aufgestellt werden, so liess sich nur sagen: das Urwesen ist 
die absolute Ursache und der absolute Zweck alles Endlichen. Auf 
dem ersten Wege ergab sich Plotin der Begriff des Einen, auf 
dem andern der des Guten zur Bezeichnung des höchsten Wesens, 
und diess um so mehr, da auch schon Plato die Gottheit als das Eine 
und als das Gute gefasst hatte !). Beide Benennungen sind bei ihm, 
neben der rein formellen des „Ersten“ (τὸ πρῶτον), ganz stehend ; 
doch bedient er sich wegen des überwiegend verneinenden Charakters 
seiner Theologie der ersteren noch häufiger als der zweiten. Indes- 
sen kann er selbst nicht verhehlen, dass keine von beiden das 
Wesen des Höchsten genügend ausdrücke. Wenn das Erste das 
Eine genannt wird, so ist damit nur gesagt, dass es ohne alle Viel- 
keit, ohne etwas gleichartiges ausser sich, ohne einen Unterschied 
in sich ?) sei, von allem positiven dagegen, was wir mit diesem 
Namen bezeichnen mögen, müssen wir absehen. Die Einheit in dem 
absoluten Sinn, in welchem sie alles andere von sich ausschliesst, 
kommt nur dem Ersten zu®); ebendesswegen ist aber umgekehrt 
das, was wir Eins nennen, eine durchaus unzureichende Bezeich- 
nung für das von diesem himmelweit verschiedene Wesen des 
Ersten; diese Bezeichnung passt daher nur in der negativen Bedeu- 
tung, die Vielheit von ihm abzuwehren, nicht in der positiven, das, 
was 68 ist, auszusprechen‘). Nicht anders verhält es sich aber auch 


1) Vgl. Bd. II, a, 460. 453. 

2) μοναχὸν VI, 8, 7.9. 741, C. 748, A. ἁπλοῦν V, 4, 1. 516, B.C u. o. 

3) VI, 2, 9. 608, A: τὸ μὲν οὖν iv, εἰ μὲν τὸ πάντως ἕν, ἐν ᾧ μηδὲν ἄλλο 
πρόρεστι, μὴ ψυχὴ, μὴ νοῦς, μὴ ὁτιοῦν, οὐδενὸς ἂν xamyopatto τοῦτο. Das Eins 
in diesem Sinn ist kein γένος, denn es kommt den verschiedenen Einheiten 
ausser dem Ersten nicht gleichmässig zu, sondern diese sind nur eine ver- 
schieden abgestufte Nachahınung der ursprünglichen Einheit (ebd. c. 9— 12), 
sie können daher strenggenommen gar nicht Eins genannt werden. 

4) V, 5,6. 525, D: τάχα δὲ καὶ τὸ ἕν ὄνομα τοῦτο ἄρσιν (Negation) ἔχει πρὸς 
τὰ πολλὰ (es heisse desshalb in pythagoreischer Symbolik ἃ- πόλλων 6. ο. 
17,2)... εἰ δὲ θέσις τις (etwas positives) τὸ ἕν, τό τε ὄνομα τό τε δηλούμενον 
ἀσαφέστερον ἂν γίγνσιτο τοῦ εἰ μή τις ὄνομα ἔλεγεν αὐτοῦ. τάχα γὰρ τοῦτο ἐλέγετο, 
ἵνα ὁ ζητήσας ἀρξάμενος ἀπ᾽ αὐτοῦ ὃ πάντων μάλιστα ἁπλότητός ἐστι σημαντιχὺν 


438 Plotinus. 


"mit dem Guten. Auch dieser Ausdruck bezeichnet nach Plotin 


keinen Gattungsbegrifl, unter welchen das Erste ebenso fiele, wie 
das Abgeleitete '), überhaupt kein blosses Prädikat des Ersten: 
Gott ist nicht gut, sondern das Gute ?). Wissen wir aber hienach 
bereits nicht mehr, in welchem Sinne das Urwesen gut genamet 
werden soll,so erklärt unser Philosoph auch ausdrücklich ®), sofern 
das Gute in seiner gewöhnlichen Bedeutung genommen wird, sei 
Gott nicht als gut, sondern als übergut zu bezeichnen. Nimmt men 
vollends hinzu, dass das Prädikat „gut“ dem Ersten zunächst 
wegen seines Verhältnisses zu demjenigen ertheilt werden soll, 
was von ihm abhängt 4), so wird uns auch dieses für eine Wesem- 
bestimmung über dasselbe unbrauchbar ; und ebensowenig nützt es 
uns, wenn wir weiter erfahren, dass das Gute dasselbe ist, wie das 
Eine °), denn dieser Name sollte ja dem Ersten ebensowenig, 


ἀποφήσῃ τελευτῶν καὶ τοῦτο, ὡς τεθὲν μὲν ὅσον οἷόν τε χαλῶς τῷ θεμένῳ, οὐκ ὅξιον 
μὴν οὐδὲ τοῦτο εἰς δήλωσιν τῆς φύσεως ἐχείνης. Vi, 9, 5. 768, B: τὸ δὴ προ τούτου 
\dem Nus] θαῦμα τὸ ἕν, ... ᾧ ὄνομα μὲν κατ᾽ ἀλήθειαν οὐδὲν προςῆχον, εἶπορ δι 
ut ὀνομάσαι κοινῶς ἂν λεχθὲν προςηχόντως ἕν, οὐχ ὡς ἄλλο, εἶτα ἕν, χαλεπον μὲν 
γνωσθῆναι διὰ τοῦτο, γιγνωσχόμενον δὲ μᾶλλον τῷ ar’ αὐτοῦ γεννήματι͵ τῇ οὐσίᾳ. 

1) VI, 2,17, aus Anlass der Frage, ob das (Jute su den Kategoricen ge- 
höre; diess wird desshalb verneint, weil es kein γένος, nichts dem Ersten mit 
anderem gemeinsames sei: jenes sei ἀγαθὸν, dieses nur ἀγαϑοειδές 610, D. 

3) VI, 2, 17, Anf. V, δ, 18 Anf. VL, 7, 88. 729, A. 

8) VI, 9, 6. 764, E: πᾶν δ᾽ ὃ Av λέγηται ἐνδεὲς, τοῦ εὖ χαὶ τοῦ σώζοντός datr 
ἐνδεές - ὥστε τῷ ἑνὶ οὐδὲν ἀγαθόν ἐστιν, οὐδὲ βούλησις τοίνυν οὐδενὸς, 1λλ᾽ ἐσὰν 
ὑπεράγαθον χαὶ αὐτὸ οὐχ ἑαυτῷ, τοῖς δ᾽ ἄλλοις ἀγαθὸν εἴ τι αὐτοῦ δύναται μεταλαρ- 
βάνειν. Ebd. 766, B: τὸ δὲ αἴτιον οὐ ταύτον τῷ αἰτιατῷ τὸ δὲ πάντων αἵτιον οὐδὲν 
ἐστιν ἐχείνων. οὐ τοίνυν οὐδὲ ἀγαθὸν λεχτέον τοῦτο, ὃ παρέχει, ἀλλὰ ἄλλως τἀγαθὸν 
ὑπὲρ τὰ ἄλλα ἀγαθά. V, ὅ, 11. 508, 1): οὐδὲ τἀγαθὸν οὖν, εἰ σημαίνει Ev τι τῶν 
πάντων τἀγαθὸν, οὐδὲ τοῦτο (sc. προςερεῖς τὸν θεόν)" εἰ ds τὸ πρὸ πάντων, ἔστω 
οὕτως ὠνομασμένον. 11, 9, 1. 199, B:’man solle das Erste des Eine und Gute 
nennen οὐ χατηγοροῦντας ἐχείνης [τῆς φύσεως) οὐδὲν, δηλοῦντας δὲ ἡμῖν αὐτοῖς ὡς 
οἷόν τι. 

4) V1,7,41. 738, C: οὐ τοίνυν οὐδ᾽ ἀγαθὸν αὑτῷ ἀλλὰ τοῖς ἄλλοις, ταῦτα 
γὰρ καὶ δεῖται αὐτοῦ͵ αὐτὸ δὲ οὐχ ἂν δέοιτο ἑαυτοῦ. \, ὅ, .., SchlL: ταύτῃ ἀγαθὸν 
τῶν πάντων, ὅτι καὶ ἔστι χαὶ ἀνήρτηται πάντα εἰς αὐτό. VI, 9, 6; 8. vor. Anm. 

5) 11, 9, 1 Auf.: ἐπειδὴ τοίνυν ἐφάνη ἣμῖν ἢ τοῦ ἀγαθοῦ ἁπλῇ φύσις καὶ πρῶτε, 
πᾶν γὰρ τὸ οὐ πρῶτον οὐχ ἁπλοῦν, καὶ οὐδὲν ἔχον ἐν ἑαυτῷ, ἀλλ᾽ ἕν τι, καὶ τοῦ 
ἔνος λεγομένου ἡ φύσις ἢ αὐτή" καὶ γὰρ αὔτη οὐχ ἄλλο εἶτα ἕν, οὐδὲ τοῦτο ἄλλο εἶτα 
ἀγαθόν’ ὅταν λέγωμεν τὸ ἕν χαὶ ὅταν λέγωμεν τάγαθον͵ τὴν αὐτὴν δεῖ νομίζειν τὴν 
φύσιν χαὶ μίαν λέγειν. 


Die Gottheit als wirkende Kraft, 439 


als jener, in dem gewöhnlichen Sinn beigelegt werden. Wir kom- 
men also in Wahrheit auch durch diese Begriffe zu keiner positiven 
Erkenntniss des unendlichen Wesens, wenn vielmehr der eine 
derselben (τὸ ἔν) in der Hauptsache uicht über die negativen 
Bestimmungen hinausführt, und desshalb blos formell bleibt, so 
beschreibt es der andere, inhaltsvollere (τἀγαθὸν), nicht nach 
seinem Ansich, sondern nur nach seinem Verhältniss zu dem Ge- 
wordenen, er bezeichnet der Sache nach nichts anderes, als die 
absolute Causalität. 

Nur dieser Begriff ist es aber überhaupt, welcher bei Plotin 
das positive zu den negativen Wesensbestimmungen bilden kann. 
Wir haben schon früher seine Erklärung vernommen, dass uns nur 
der Schluss von der Wirkung auf die Ursache zu dem Urwesen 
hinführe. Was sich aber auf diesem Wege finden lässt, ist nur der 
Begriff der wirkenden Kraft, denn nur dieser ist in dem der Wir- 
kung als sein Correlatbegriff enthalten. Wie daher das Gute nicht 
selten als die Ursache von allem bezeichnet wird !), so heisst es 
auch geradezu die unendliche Kraft, die Kraft, von der alles her- 
stammt, die δύναμις πρώτη u. 8. w. 2). Wir werden später finden, 


1) 1,8, 2 Anf,: νῦν δὲ λεγέσθω τίς ἣ τοῦ ἀγαθοῦ φύσις, καθόσον τοῖς παροῦαι 
λόγοις προσήκει. ἔστι δὲ τοῦτο εἰς ὃ πάντα ἀνήρτηται καὶ οὗ πάντα τὰ ὄντα ἐφίεται 
ἀρχὴν ἔχοντα αὐτὸ (ἀρχὴ wird es oft genannt; z. Β. VI, 9, 6. 764, E. IL, 8, 8 
8.0. 426, 5. V,5,9. 528, A ὁ. u. 447, 1) χἀχείνου δεόμενα᾽ τὸ δ᾽ ἐστὶν ἀνενδεὲς, 
ἱκανὸν ἑαυτῷ, μηδενὸς δεόμενον, μέτρον πάντων χαὶ πέρας, δοὺς ἐξ αὑτοῦ νοῦν χαὶ 
οὐσίαν π. 8. w. V, ὅ, 18. 682, Ο: καὶ οὖν χαὶ Aus; μηδὲν τῶν ὑστέρων καὶ τῶν 
ἰλαττόνων προςτιθῶμεν [τῷ θεῷ], ἀλλ᾽ ὡς ὑπὲρ ταῦτα ἰὼν ἐκεῖνος τούτων αἴτιος fi, 
ἀλλὰ μὴ αὐτὸς ταῦτα. ebd. Bohl.: das Gute ist ἀμιγὲς πάντων καὶ ὑπὲρ πάντα καὶ 
αἴτιον τῶν πάντων. 

2) 1Π,, 8, 9, Anf.: τί δὴ ὅν [τὸ ἕν); δύναμις τῶν πάντων, ἧς μὴ οὔσης οὐδ᾽ ἂν 
τὰ κάντα. V,4,1. 617, B: εἰ τέλεόν ἐστι τὸ πρῶτον xaı πάντων τὸ πρῶτον χαὶ 
δύναμις ἣ πρώτη δέϊ πάντων τῶν ὄντων δυνατώτατον εἶναι. Es heisst daher obd, 
und ὁ. 3 wiederholt ἣ πάντων δύναμις (ebenso V, 1, 7. 488, B), δύναμις μεγίστη 
ἁκασῶν, V, 5, 10. 529, Β δύναμις ἀφ᾽ οὗ ζωὴ, es ist (V, 5, 10, Schl. VI, 5, 11 £. 
Y1, 9,6; s. 0. 480, 1) unendlich vermöge der Unendlichkeit seiner δύναμις. 
Vgl. VI, 7,32. 723, B: Das Eine ist nichts, ‚weil es nichts einzelnes ist, eben- 
50 aber auch alles, ὅτι ἐξ αὐτοῦ, πάντα δὲ ποιέϊν δυνάμενον ... τὸ μέγα αὐτοῦ τὸ 
μηδὲν αὐτοῦ εἶναι δυνατώτερον. IV, 8, 6, wo das Erste δύναμις ἄφατος oder 
ἄπλετος genannt wird. V, 3, 16, Anf.: δύναμίς ἐστι [τὸ πρῶτον) καὶ ἀμήχανος 
δύναμις, Ebd. c. 16. 513, C (vgl. III, 6, 7. 310, C) über den Unterschied dieyer 
δύναμις von dem δυνάμει, dem blos potentiellen. VI, 9, 5. 168, Β: αὐτοῦ ἢ φύσις 
τοιαύτη ὡς πηγὴν τῶν ἀρίστων εἶναι χαὶ δύναμιν γεννῶσαν τὰ ὄντα. 


440 Plotinus. 


dass es gerade dieser Gesichtspunkt ist, welcher Plotin’s Ansicht 
vom Verbältniss des Endlichen zum Unendlichen beherrscht. Ist 
aber das Urwesen wirkende Kraft, so dürfen wir ihm auch die 
Wirksamkeit oder Thätigkeit nicht absprechen, sie gehört vielmehr 
so wesentlich zu seinem Begriff, Jdass wir es nur als die absolute 
Thätigkeit bestimmen können. Sosehr sich daher Plotin anderwärts 
dagegen sperrt, dem Ersten Thätigkeit beizulegen, so kann er sich 
doch diesem Zugeständniss nicht ganz entziehen !), und es bleibt 
ihm nur übrig, die Einheit des Urwesens dadurch zu wahren, dass 
er die Thätigkeit nicht als Prädikat von ihm aussagt, sondern es 
selbst als die reine Thätigkeit ohne Substrat bezeichnet. Dass aber 
freilich mit der Thätigkeit auch die Vielheit, oder doch der Keim 
der Vielheit in das Erste kommt, kann er gleichfalls nicht schlecht- 
hin läugnen 3), und so führt auch diese, wie jede positive Bezeich- 


1) Zweifelnder VI, 8, 12 (vgl. 8. 431, 1), bestimmter ebd. c. 16 Schl.: τὸ 
ἄρα εἶναι, ὅπερ ἐστὶν, ἢ ἐνέργεια ἣ πρὸς αὑτόν τοῦτο δὲ ἕν καὶ αὐτός. αὐτὸς ὅρα 
ὑπέστησεν αὑτὸν συνεξενεχθείσης τῆς ἐνεργείας μετ᾽ αὐτοῦ. εἰ οὖν μὴ γέγονε, ἀλλ᾽ ἦν 
ἀξὶ ἢ ἐνέργεια αὐτοῦ χαὶ οἷον ἐγρήγορσις, οὐχ ἄλλου ὄντος τοῦ ἐγρηγορότος, ἐγρήγορσις 
χαὶ ὑπερνόησις ἀεὶ οὖσα, ἔστιν οὕτως ὡς ἐγρηγόρησεν. ἣ δὲ ἐγρήγορσίς ἐστιν ἐπέχειν 
οὐσίας καὶ νοῦ χαὶ ζωῆῇς ἔμφρονος. ταῦτα δὲ αὐτός ἐστιν. αὐτὸς ἄρα ἐστὶν ἐνέργεια 
ὑπὲρ νοῦν χαὶ φρόνησιν χαὶ ζωήν. (Die ἐγρήγορσις dient dem Aristoteles als Bei- 
spiel der reinen ἐνέργεια, der Thätigkeit, in welcher gar nichts blos potentielles 
mehr übrig ist; so De δῃ. 1, 1. 412, a, 25. Metaph.IX, 6. 1048, b, 1; Metapk. 
11,7. 1072,b,17 vergleicht er das göttliche Denken, weil es ununterbrochene 
Thätigkeit ist, der ἐγρήγορσις. Fbenso hier Plotin: ἐγρήγ. und ἐγρηγορέναι ist 
so viel als ἐνέργεια und ἐνεργεῖν). Fibd. c. 20. 754, A: ὅλως οὐ ταχτέον [τὸν Bea) 
κατὰ τὸν ποιούμενον ἀλλὰ χατὰ τὸν ποιοῦντα, ἀπόλυτον (absolut) τὴν ποίησιν αὐτοῦ 
τιθεμένοις καὶ οὐχ ἵνα ἄλλο ἀποτελεσθῇ ἐξ αὐτοῦ τῆς ποιήσεως, ἀλλ᾽ οὔσης Erin 
γείας αὐτοῦ οὐχ ἀποτελεστιχῆς (auf einen bestimmten Erfolg als ihren Zweck 
bezogen), ἀλλ᾽ ὅλου τούτου ὄντος, οὐ γὰρ δύο AAN’ Ev. οὐδὲ γὰρ φοβητέον ἐνέργεαν 
τὴν πρώτην τίθεσθαι ἄνευ οὐσίας, ἀλλ᾽ αὐτὸ τοῦτο τὴν οἷον ὑπόστασιν θετέον... .. 
εἰ οὖν τελειότερον ἣ ἐνέργεια τῆς οὐσίας, τελειότατον δὲ τὸ πρῶτον, πρῶτον ἂν ἐνέρ- 
yua εἴη, auch V, 4, 2. 518, E wird gesagt, der νοῦς sei von dem Ersten &x τῆς 
ἐν αὐτῷ τελειότητος καὶ συνούσης ἐνεργείας hervorgebracht. 

2) V, 8, 15: Wie konnte aus dem Einen das Viele hervorgehen? musste 
nicht das Eine die Vielheit in sich haben? Hierauf wird zunächst geantwortet, 
da das erzeugte geringer sei, als das erzeugende, so habe das von dem Einen 
hervorgebrachte nicht wieder absolute Einheit sein können, schliesslich aber 
doch zugegeben: um das Viele hervorzubringen, habe das Eine das Viele 
haben müssen; ἀλλ᾽ ἄρα οὕτως εἶχεν ὡς μὴ διαχεχριμένα, τὰ δ᾽ ἐν δευτέρῳ διεχέχριτο 
τῷ λόγῳ. Die Stelle III, 7, 4. 829, B (b. Rırrza IV, 617) bezieht sich nicht 


Die Gottheit als wirkende Kraft. 441 


nang des Urwesens, zu einem Widerspruch mit den früheren 
negativen Bestimmungen. Er selbst verräth ein Gefühl dieses Wider- 
spruchs, wenn er auch den Namen einer ἀρχὴ dem Ersten nur 
uneigentlich beigelegt wissen will 1); und ebenso wird die Relati- 
vität aller dieser Bestimmungen durch die treffende Bemerkung ?) 
anerkannt: die Ursächlichkeit Gottes bezeichne nicht sowohl etwas, . 
das ihm, als vielmehr etwas, das uns zukomme. Aber diese Mängel 
wirklich zu verbessern, bietet ihm sein System nicht die Mittel. 
Sofern nun das Urwesen seinem Begriffe nach wirkende Kraft 
ist, erzeugt es nothwendig ein anderes, bis zur letzten Grenze des 
möglichen herab; und diese Hervorbringung ist nicht Sache der 
Reflexion und des freien Willens, die ja im Ersten überhaupt keine 
Stelle finden, sondern einfache Naturnothwendigkeit: wie jedes 
vollendete Sein ein anderes zu erzeugen strebt, so muss vor allem 
das vollkommenste und kräftigste schöpferisch wirken, das beste 
sich neidlos mittheilen 5). Denselben Gedanken drückt Plotin auch 


auf das Eine, sondern auf die οὐσία. Dagegen vgl. ΠΠ 3, 7. 277, A: τὸ μὲν 
γὰρ εἷς ὃ πάντα, ἀρχὴ, ἐν ἧ ὁμοῦ πάντα καὶ ὅλον πάντα. 

1) VI, 8, 8. 742, A: τούτων (sc. πάντων) γὰρ αὐτὸς ἀρχὴ καίτοι ἄλλον τρόπον 
οὐχ ἀρχή. Ueber die ἀρχὴ 8. 489, 1. 

2) VI, 9, 3 Β68].: ἐπεὶ χαὶ τὸ αἴτιον λέγειν οὐ κατηγορέϊν ἐστι συμβεβηκός 
τ αὐτῷ, ἀλλ᾽ ἡμῖν, ὅτι ἔχομεν τι παρ᾽ αὐτοῦ ἐχείνου ὄντος ἐν αὑτῷ. 

8) III, 2, 2. 265, F: γέγονε δὲ [ὃ χόσμος οὗτος] οὐ λογισμῷ τοῦ δέϊν γενέσθαι, 
UA: φύσεως δευτέρας ἀνάγχῃ (weil eine φυσ. δευτ. nothwendig war). οὐ γὰρ ἦν 
τοιοῦτον ἐκεῖνο [τὸ νοητὸν], οἷον ἔσχατον εἶναι τῶν ὄντων. πρῶτον γὰρ ἦν καὶ πολλὴν 
δύναμιν ἔχον χαὶ πᾶσαν: καὶ ταύτην τοίνυν τὴν τοῦ ποιέίϊν ἄλλο ἄνευ τοῦ ζητεῖν 
ποΐσαι᾽ ἤδη γὰρ ἂν αὐτόθεν οὐχ εἶχεν εἰ ἐζήτει, οὐδ᾽ ἂν ἦν ἐκ τῆς αὐτοῦ οὐσίας, ἀλλ᾽ 
ἦν οἷον τεχνίτης ἀφ᾽ αὑτοῦ τὸ ποιεῖν οὐχ ἔχων, ἀλλ᾽ ἐπαχτὸν dx τοῦ μαθεῖν λαβὼν 
τοῦτο. IV, 8, 6, Anf.: εἴπερ οὖν δέϊ μὴ ἕν μόνον εἶναι. ἐχέχρυπτο γὰρ ἂν πάντα 
μορφὴν ἐν ἐχείνῳ οὐχ ἔχοντα u. 8. w. und im folgenden: εἴπερ ἑχάστῃ φύσει τοῦτο 
ἔνεστι τὸ μετ᾽ αὐτὴν ποιεῖν καὶ ἐξελίττεσθαι οἷον σπέρματος ἔχ τινος ἀμεροῦς ἀρχῆς 
εἰς τῦλος τὸ αἰσθητὸν ἰούσῃ, μένοντος μὲν ἀεὶ τοῦ προτέρου ἐν τῇ οἰχεία ἕδρα, τοῦ δὲ 
μετ᾽ αὐτὸ οἷον γεννωμένου Ex δυνάμεως ἀφάτου, ὅση ἦν ἐν ἐχείνοις, ἣν οὐχ ἔδει στῆσαι 
οἷον περιγράψαντα φθόνῳ, χωρέϊν δὲ ἀεὶ ἕως εἰς ἔσχατον μέχρι τοῦ δυνατοῦ τὰ πάντα 
hen αἰτίᾳ δυνάμεως ἀπλέτου ἐπὶ πάντα παρ᾽ αὐτῆς πεμπούσης καὶ οὐδὲν περιϊδέίν 
ἄμοιρον αὅτῆς δυναμένης. V, 4, 1. 517, Β: εἰ τέλεόν ἐστι τὸ πρῶτον χαὶ πάντων 
τελεώτατον χαὶ δύναμις ἢ πρώτη, det πάντων τῶν ὄντων δυνατώτατον εἶναι καὶ τὰς 
ἄλλας δυνάμεις χαθόσον δύνανται μιμεῖσθαι ἐκέϊνο. ὅ τι δ᾽ ἂν τῶν ἄλλων εἰς τελείωσιν 
Ὦ ὁρῶμεν γεννῶν u. 5. W. — was sofort selbst an dem leblosen nachgewiesen 
wird; (das Feuer wärmt, der Schnee macht kalt u.s. w.) πῶς οὖν τὸ τελεώτατον 
χαὶ τὸ πρῶτον ἀγαθὸν ἐν αὑτῷ σταίη, ὥσπερ φθονῆσαν ἑαυτοῦ ἢ ἀδυνατῆσαν, ἢ 


443 Plotinus. 


bildlich aus: vermöge seiner Fülle floss das Erste gleichsam über, 
und dieses überfliessende erzeugte ein anderes’). Dabei will er 
aber nicht blos jeden Gedanken an ein zeitliches Werden eniferat 
wissen ?), sondern er verwahrt sich auch ausdrücklich gegen die 
Vorstellung einer Emanation mit der Bemerkung’): man dürfe das 
niedrigere nicht für einen Ausfluss aus dem höheren ansehen: das 
Erste bleibe in sich selbst unbewegt und unvermiudert, während 
der Strom des Seins von ihm ausgehe *), das Abgeleitete sei wohl 
in ihm, aber es seinerseits nicht in jenem °). Er wählt daher auch 
noch andere Bilder, ausdrücklich in der Absicht, das immanente 
dieses Verhältnisses anschaulich zu machen: das Erste ist die Wur- 
zel, das Abgeleitete die Pflanze °), jenes die Sonne, dieses ihre 


πάντων δύναμις; πῶς δ᾽ ἂν ἔτι ἀρχὴ εἴη; vgl. auch VI, 8, 18, Schl. Ill, 8, 7 Ant 
(wenn es ein βέλτιον gebe, müsse es auch ein χεῖρον geben) und daräber, 
dass das Eine nicht mit Reflezion schafft, VI, 7, 1. ebd. c. 8, Anf. V,8, 1? 
(8. 0. 432, 3). Ebd. 6. 15. 518, C. V, 1,6 (6. 3. 440, 3. 481, 1). 

»1), V, 2, 1. 494, A: πρώτη οἷον γέννησις αὕτη dv γὰρ [τὸ ἕν) τέλειον τῷ μηδὲν 
ζητεῖν μηδὲ ἔχειν μηδὲ δεῖσθαι οἷον ὑπερεῤῥύη, χαὶ tu ὑπερπλῆρες αὐτοῦ πεπκοῦμιεν 
ἄλλο τὸ δὲ γενόμενον εἷς αὐτὸ ἐπεστράφη καὶ ἐπληρώθη. Vgl. V, 1,6. 486, Δ: 
πῶς ἐξ ἑνὸς ... ὑπόστασιν ἔσχεν ὁτιοῦν... ἀλλ᾽ οὐχ ἔμεινεν ἐχεῖνο ἐφ᾽ ἕαυτοῦ 
τοσοῦτον δὲ πλῆθος ἐξεῤῥύη. 

3) V, 1,6. 487, Β: ἐχποδὼν δὲ ἡμῖν ἔστω γένεσις ἢ ἐν χρόνῳ τὸν λόγον κεβὶ 
τῶν ἀεὶ ὄντων ποιουμένοις. Wir werden später finden, dass selbst die Binnen- 
welt nach Plotin anfangslos ist. 

3) V, 1,3. 484, B (von der Erzeugung der Seele aus dem νοῦς, dassalbe 
gilt aber überhaupt von der Entstehung des Niederen aus dem Höheren): οἷον 
λόγος ὃ Ev προφορᾷ λόγον τοῦ ἐν ψυχῇ οὕτω τοι καὶ αὐτὴ λόγος νοῦ... οἷον πυρὸς Ὁ 
μὲν I συνοῦσα θερμότης I δὲ ἣν παρέχει. δεῖ δὲ λαβεῖν ἐχεῖ οὐχ ἐχρέουσαν, 
ἀλλὰ μένουσαν μὲν τὴν ἐν αὐτῷ τὴν δὲ ἄλλην ὑφισταμένην. VI, δ, 3 Anf. (von der 
οὐσία νοητὴ, noch mehr gilt diess natürlich von dem Einen): ἀνάγκη αὐτὸ ἐκ 
τε σὺν αὑτῷ εἶναι καὶ μὴ διϊστάναι ἀφ' αὑτοῦ ... μηδὲ προϊέναι τι ἀπ᾿ αὐτοῦ, ἤδη γὰρ 
ἂν ἐν ἄλλῳ καὶ ἄλλῳ εἴη. 

4) VI, 9, δ. 168, B: καὶ αὐτοῦ ἣ φύσις τοιαύτη, ὡς πηγὴν τῶν ἀρίστων εἶναι 
καὶ δύναμιν γεννῶσαν τὰ ὄντα͵ μένουσαν ἐν ἑαυτῇ καὶ οὐχ ἐλαττουμένην, οὐδ᾽ ἐν τοῦ 
γενομένοις ὑπ᾽ αὐτῆς οὖσαν. LIT, 8, 9. 351, E: νόησον γὰρ πηγὴν ἀρχὴν ἄλλην ie 
ἔχουσαν, δοῦσαν δὲ ποταμοῖς πᾶσιν αὐτὴν, οὐχ ἀναλωθεῖσαν τοῖς ποταμοῖς, 
μένουσαν αὐτὴν ἡσύχως. 

5) 8. vor. Anm. und V, 5, 9 (unten δ. 447, 1). 

6) 111, 8, 9, nach dom eben angeführten: ἢ ζωὴν φυτοῦ μεγίστου διὰ παντὸς 
ἐλθοῦσαν ἀρχῆς μενούσης u. 4. w. III, 3, 7. 277, B: πρόεισι δὲ ἤδη ἐκ ταύτης {τῶι 
ἀρχῆς) ἕκαστα, μενούσης ἐκείνης ἔνδον, οἷον dx ῥίζης μιᾶς ἑστώσης αὐτῆς ἐν αὑτῇ 
uf 


HBervorgang der Dinge aus dem Urwesen. 443 


Licktatmosphäre 1); d. h. das Abgeleitete verhält sich zum Ersten 
nieht wie der Theil zum Ganzen, sondern wie die Wirkung zur 
Ursache, es ist nicht aus der Substanz des Ersten genommen, san- 
dern ohne Verminderung oder Veränderung dieser Substanz durch 
seine Kraft gesetzt und von ihr getragen. Dass freilich diese Be- 
stimmung nicht ohne Schwierigkeit ist, erhellt schon aus der Bil- 
dersprache, deren sich unser Philosoph gerade hier zu hedienen 
pflegt. Dieses Bedürfniss des bildlichen Ausdrucks weist immer 
auf eine Unklarheit des Gedankens, es zeigt, dass der sprechende 
seine Idee eben nur in und an dem Bilde, daher mehr oder weniger 
unbestimmt ergriffen hat, und diess wird in neun Fällen unter zehean 
darin seinen Grund haben, dass die Unbestimmtheit das einzige 
Mittel ist, einen Widerspruch zu verdecken. Im vorliegenden Fall 
beraht dieser Widerspruch darauf, dass das Erste einerseits zwar 
die Ursache des Abgeleiteten, andererseits aber schlechthin in sich 
beschlossen, und keiner Ergänzung bedürflig sein soll, Die Ursache 
als solche kann nicht ohne die Wirkung, die Kraft nicht ahne die 
Erscheinung gedacht werden, ihr Wesen besteht darin, diese Er- 
scheinung hervorzubringen, ihr ‚Begriff reicht nicht weiter, als ihre 
Wirkung. Hier dagegen wird eine Ursache behauptet, die wesent- 
lich ausser ihrer Wirkung ist und derselben zur Vollständigkeit 
ihres Seins nicht bedarf, ja von der geradezu gesagt wird, die 
Ursächlichkeit komme nicht ihr zu, sondern sie liege nur in dem 
Verhältniss des gewirkten zu ihr. Diess ist ein Widerspruch, und 
über diesen sollen die bildlichen Darstellungen weghelfen. Die 
letzteren sind daher mehr als blosse Bilder, und werm sie auch von 
unserem Philosophen selbst nicht für eine adäquate Bezeichnung 
derSache genommen werden, so treten sie doch an die Stelle einer 


I) V,1,6. 487,B: Das Eine ist unbewogt (a. o. 481, 1,Bchl.); was daher aus 
ihm geworden ist, ist nicht durch ein Wollen oder eine Bewegung geworden. 
κῶς οὖν καὶ τί ddl νοῆσαι περὶ ἐκέίΐνο μένον; περίλαμψιν ἐξ αὐτοῦ μὲν, ἐξ αὐτοῦ δὲ 
μένοντος, οἷον ἡλίου τὸ περὶ αὐτὸ λαμπρόν. V,8, 12 (nach dem B. 483, 2 ange- 
führten): κατὰ λόγον θησόμεθα τὴν μὲν ἀπ᾽ αὐτοῦ οἷον ῥυέίσαν ἐνέργειαν ὡς ἀπὸ 
ἡλίου. φῶς τι οὖν θησόμεθα καὶ πᾶσαν τὴν νοητὴν φύσιν, αὐτὸν δὲ ἐπ᾿ ἄχρῳ τῷ νοητῷ 
ἱστηχότα βασιλεύειν ἐπ᾿ αὐτοῦ, οὐχ ἐξώσαντα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ ἐχφανέν. ἢ ἄλλο φῶς πρὸ 
φωτὸς ποαίσομεν, ἐπκιλάμπειν δὲ ἀεὶ μένοντα ἐπὶ τοῦ νοητοῦ. οὐδὲ γὰρ ἀποτέτμηται 
τὸ ἀπ᾿ αὐτοῦ, οὐδ᾽ αὖ ταὐτὸν αὐτῷ. Ebd. ς. 15. 512, A: man könnte fragen, wie 
aus dem sahlechthin Einen die Vielbeit kommen konnte: ἀλλ᾽ ὅμως δὲ ἔστιν 
dzfy, οἷον da φωτὸς τὴν ἐξ αὐτοῦ περίλαμψιν. I, 7, 15. u. 445, 3, 


444 Plotinus. 


solchen. Das Bild des Lichts besonders hat hier diese Bedeutung. 
Wer 80, wie Plotin, das Licht für etwas unkörperliches erklärt '), 
dem mag wohl auch die Anschauung des Lichtprocesses als eme 
so angemessene Beschreibung eines metaphysischen Vorgangs 
erscheinen, dass er sich bei dieser Anschauung statt des Begriffs 
beruhigt. 


Abgeleiteten zum Ursprünglichen. Als das Erzeugniss desselben 
ist jenes schlechthin von diesem abhängig, d. ἢ. es ist nicht blos 15 
seinem Ursprung von ihm bedingt, sondern es hat auch fortwährend 
nur an jenem seinen Bestand, es hängt (wie mit einem arisiotel- 
schen Ausdruck ?) gesagt wird) an dem Ersten, es ist von ihm 
getragen und gehalten °); die von dem Einen ausgehende Kraft 
ergiesst sich in jedesWesen, so weit es dieselbe zu fassen vermag, 
ohne sich von ihrem Ursprung zu trennen ; das Erste ist daher 
jedem ganz, mit seiner ungetheilten unendlichen Kraftgegenwärtig, 
es ist Ein Leben, welches von ihm ausgehend das All durchströmt, 
und jedem das ihm zukommende Sein verleiht *). Oder wie diess 


1) I, 6, 8. 52, F: φωτὸς, ἀσωμάτου χαὶ λόγου χαὶ εἴδους ὄντος. Doch vgl 
dagegen VI, 4, 8, Anf.: τὸ μὲν οὖν φῶς ἐπειδὴ σώματός ἐστιν. 

2) 8. Ba. II, b, 275. 2. 1. 

3) Ζ. Β. 1,7, 1. 61, D: τοῦτο δέϊ τἀγαθὸν τίθεσθαι, εἰς ὃ πάντα ἀνήρτηται, 
αὐτὸ δὲ εἰς μηδέν. 1, 8, 2 (8. ο. 489, 1). V, 5, 9 Schl.: διὸ καὶ ταύτῃ ἀγαθὸν τῶν 
πάντων, ὅτι χαὶ ἔστι καὶ ἀνήρτηται πάντα εἰς αὐτὸ ἄλλο ἄλλως. Das gleiche liegt 
in der ὃ. 442,6 angeführteu Vergleichung des höchsten Princips mit der Wurzel, 
aus welcher das All hervorgewachsen sei, und in der VI, 4, 7. 650, B ge- 
brauchten mit einer das Universum an seinem Ende haltenden Hand. Ygl. 
VI, 5, 12, Schl. I, 6, 7. 55, @: ἀφ᾽ οὗ πάντα ἐξήρτηται καὶ πρὸς αὐτὸ βλέξε: καὶ 
ἔστι καὶ ζῇ καὶ vor VI,4,9 f. 658, A ff.: das Abgeleitete könne vom Ersten 
so wenig getrennt sein, als das Licht von seinem Urquell, oder der Schatten 
vom Körper. Ueber das ἐξηρτῆσθαι, eine Plotin geläufige Bezeichnung, s. m. 
auch 8. 445, 2. 

4) VI, 4, 8, Anf.: ἄρ᾽ οὖν αὐτὸ φήσομεν παρέϊναι, ἢ αὐτὸ μὲν dp’ ἑαυτοῦ εἶναι, 
δυνάμεις δὲ ἀπ᾽ αὐτοῦ ἰέναι ἐπὶ πάντα, χαὶ οὕτως αὐτὸ πανταχοῦ λέγεσθαι εἶναι; οὔτω 
γὰρ τὰς ψυχὰς οἷον βολὰς εἶναι λέγουσιν, ὥστε αὐτὸ μὲν ἱδρύσθαι ἐν αὐτῷ, τὰς δὲ 
ἐχπεμφθείσας zart’ ἄλλο καὶ κατ᾽ ἄλλο ζῷον γίγνεσθαι. ἣ ἐφ᾽ ὧν μὲν τὸ ἕν τῷ μὴ 
πᾶσαν τὴν φύσιν ἀποσώζειν (hiefür möchte ich vermuthen: ἣ ἐφ᾽ ὧν μὲν τὸ ἕν μὴ 
πᾶσαν τὴν φύσιν ἀποσώζει — dem ἐφ᾽ ὧν μὲν u. 8. w. entspricht dann im folgen- 
den: οὗ δὲ πᾶσαι al δυνάμεις u. u. w.) τὴν οὖσαν ἐν αὐτῷ ἐχείνῳ, ἐνταῦθα δύναμιν 
αὐτοῦ ᾧ πάρεστι παρέϊναι, οὐ μὴν οὐδ᾽ ὡς ἐκεῖνο μὴ ὅλως παρέϊναι" ἐπεὶ καὶ τότε οὐχ 
ἀποτέτμηται ἐχέϊνο τῆς δυνάμεως αὐτοῦ ἣν ἔδωκεν Exsiven, ἀλλ᾽ ὁ λαβὼν τοσοῦτον 


Dieser Ansicht gemäss bestimmt sich nun das Verhältniss des 


Verbältniss des Abgeleiteten zum Urwesen. 445 


Plotin bildlich ausdrückt : von den Strahlen des Urwesens wird 
alles durchleuchtet, es ist die Sonne, welche das Universum als 
seinen Lichtkreis ausstrahlt '), das Centrum, welches den ganzen 
Kreis des Seienden mit seiner Kraft beherrscht ?). Alles ist daher 


ἐδυνήθη λαβέϊν͵ παντὸς παρόντος" οὗ δὲ πᾶσαι al δυνάμεις, αὐτὸ σαφῶς πάρεστι 
χωριστὸν ὅμως ὅν. VI, 5, 12, Anf.: πάρεστιν οὖν πῶς [sc. ἧ πρώτη φύσις τοῖς ἀλ- 
λοις}; ὡς ζωὴ μία... εἰ δέ τις ζητεῖ πάλιν πῶς, ἀναμνησθήτω τῆς δυνάμεως ὅτι μὴ 
Boch ἀλλ᾽ εἰς ἄπειρον διαιρῶν τῇ διανοίᾳ ἀεὶ ἔχει δύναμιν τὴν αὐτὴν βυσσόθεν ἅ ἄπειρον. 
Der νοῦς beisst daher I, 8. 2. 68, B. V, 1, 6. 487, F die ἐνέργεια oder πρώτη 
ἐνέργεια des Ersten. 

1) VI, 8, 18. 758, C: das Verhältniss des Einen zum νοῦς ist ὥσπερ φωτὸς 
ἐπὶ πολὺ σχεδασθέντος ἐξ ἑνός τινος ἐν αὑτῷ ὄντος διαφανοῦς. εἴδωλον μὲν τὸ σχεδασ- 
Av, τὸ δ᾽ ἀφ᾽ οὗ τὸ ἀληθές. οὐ μὴν ἀλλοειδὲς τὸ σκεδασθὲν εἴδωλον ὃ νοῦς. ν, δ, 1. 
636, C: ἢ τοῦ νοῦ ὄψις ὁρᾷ μὲν καὶ αὐτὴ δι᾽ ἄλλου φωτὸς τὰ πεφωτισμένα ἐκείνῃ τῇ 
πρώτῃ φύσει. VI, 4, 9. 662, D: ἀμυδραὶ δυνάμεις αἱ ἐξ ἐχείνου οἱονεὶ φῶς dx φωτὸς 
ἀμυδρὸν dx φανερωτέρου. α. 10 8. u. 447, 8. Plotin vergleicht daher, in weiterer 
Ausführung eines platonischen Bildes (Rep. VI, 506, D ff.), das Eine mit der 
Sonne, von welcher das geistige Licht, der νοῦς, ausströme, V, 8, 12; s. 0. 
443,1. Nur soll man es sich dabei nicht als leuchtende Substanz, sondern 
als reines Licht selbst denken; vgl. die weitläufige Erörterung VI, 4, 7. 650, 
Df. nebst V, 5, 7. 526,C f. Noch geläufiger ist unserem Philosophen die 
Vorstellung der ἔχλαμψις und ἔλλαμψις, wie wir unten finden werden, zur Be- 
zeichnung der von der Seele auf das Körperliche ausgehenden Einwirkung. 
Weiteres in der folg. Anın. 

2) 1, 7,1,8chl., wo dieses Bild mit dem eben angeführten verknöpft wird: 
δέϊ οὖν μένειν αὐτὸ [τἀγαθὸν], πρὸς αὐτὸ δὲ ἐπιστρέφειν πάντα ὥσπερ χύχλον πρὸς 
χέντρον ἀφ᾽ οὗ πᾶσαι γραμμαί. καὶ παράδειγμα ὃ ἥλιος, ὥσπερ χέντρον ὧν πρὸς τὸ 
φῶς τὸ παρ᾽ αὐτοῦ ἀνηρτημένον πρὸς αὐτόν: πανταχοῦ γοῦν μετ᾽ αὐτοῦ χαὶ οὐχ ἀπο- 
τέτμηται, av ἀποτεμέϊν ἐθελήσῃς ἐπὶ θάτερα, πρὸς τὸν ἥλιόν ἐστι τὸ φῶς. ΥἹ, 8, 18. 
762,A (wo Plotin gleichfalls von der Vergleichnng mit dem Kreise unmittelbar 
zn der mit dem Lichte übergeht): ὥσπερ ἂν οὖν χύχλος ... ὁμολογοῖτο ἂν τὴν 
δύναμιν παρὰ τοῦ χέντρου ἔχειν καὶ οἷον χεντροειδὴς, 9 γραμμαὶ dv χύχλῳ πρὸς 
χέγτρον Ev συνιοῦσαι τὸ πέρας αὐτῶν τὰ πρὸς τὸ χέντρον ποιοῦσι τοιοῦτον εἶναι οἷον Th 
πρὸς ὃ ἠνέχθησαν χαὶ ἀφ᾽ οὗ οἷον ἐξῆρυσαν μείζονος ὄντος .... χαὶ ἐμφαίνεται διὰ τῶν 
γραμμῶν οἷόν ἐστιν ἐχέΐνο οἷον ἐξελιχθὲν οὐχ ἐξεληλιγμένον, οὕτω τοι καὶ τὸν νοῦν χαὶ 
Ν ὃν χρὴ λαμβάνειν γενόμενον ἐξ ἐχείνον καὶ οἷον ἐχχυθὲν καὶ ἐξελιχθὲν καὶ ἐξηρτημένον 
x τῆς αὐτοῦ νοερᾶς φύσειυς μαρτυρέϊν τὸν οἷον ἐν ἑνὶ νοῦν οὐ νοῦν ὄντα: denn wie das 
Centrum δυνάμει μενούσῃ Kreis und Halbmesser erzeugt, so erzeugt das Eine 
in sich bleibend den νοῦς als seinen Umkreis. Vgl. VI, 5, 5. ebd. c. 11. 669,C, 
besonders aber IV, 8, 17. 884, F: ἔστι γάρ τι οἷον χέντρον ἐπὶ δὲ τούτῳ χύχλος 
ἀκ' αὐτοῦ ἐχλάμπων (der νοῦς). ἐπὶ δὲ τούτοις ἄλλος, φῶς dx φωτός (die 866]6). 
ἔξωθεν δὲ τούτων οὐκέτι φωτὸς χύχλος ἄλλος, ἀλλὰ .δεόμενος οὗτος, οἰκείου φωτὸς 
ἀπορία, αὐγῆς ἀλλοτρίας (die Binnenwelt, welche nicht mehr ebenso, wie die 


En 


446 'Plotinus. 


in seinem Sein und seiner Lebensthätigkeit wesentlich auf das 
Erste bezogen, es hat an ihm das Ziel seines Wirkens, den Mit- 
telpunkt, um den es kreist 1), alles hat, wie schon Aristeteles 
andeutete 3), eine natürliche Sehnsucht nach dem Ersten, von dem 
es entsprungen ist, es wendet sich ihm zu, so weit seine Natur es 
erlaubt 5); und dieser Zug zum Urwesen ist in dem natürlichen Trieb 
der Selbsterhaltung schon gegeben: weil alles einheitlichen Wesens 
ist, strebt alles nach Einheit, d. ἢ. nach Theilnahme an den: Ur-Einen, 
und diess ist für dasselbe das Gute 4). Eigentlich ist das Verkält- 
niss freilich das umgekehrte: der Drang des Menschen nach dem 
Unendlichen ist das erste, und erst aus diesem subjektiven Bedürf- 
niss ist die Weltanschauung hervorgegangen, welche alles endliche 


Sphären der übersinnlichen, vom Abglanz des Urwesens durchleuchtet wird) 
u.0. w. Was diese Vergleichungen ausdrücken wollen, ist immer dasselbe: 
dass alles abgeleitete schlechthin als Wirkung des Ersten zu betrachten sei, 
und nur an dieser fortdauernden Wirkung desselben seinen Bestand habe. 

1) 1,8, 2. 78, B: ἐνεργεῖ μέντοι [δ νοῦς] περὶ ἐχέϊνον [ϑεὸν] οἷον περὶ ἐκεῖνον 
ζῶν. ἢ δὲ ἔξωθεν περὶ τοῦτον χορεύουσα ψυχὴ περὶ αὐτὸν βλέπουσα καὶ τὸ εἴσω αὐτοῦ 
θεωμένη τὸν θεὸν δι᾿ αὐτοῦ βλέπει, I, 7,1. 61, B: εἰ οὖν τι μὴ πρὸς ἄλλο ἐνεργέϊ... 
πρὸς αὐτὸ δὲ τὰ ἄλλα, δῆλον ὡς τοῦτο ἂν εἴη τὸ ἀγαθὸν, δι' ὃ χαὶ τοῖς ἄλλοις ἄγα- 
θοῦ μεταλαμβάνειν don τὰ δὲ ἄλλα διχῶς ἂν ἔχοι, ὅσα οὕτω, τὸ ἀγαθὸν, χαὶ τῷ 
πρὸς αὐτὸ ὡμοιῶσθαι καὶ τῷ πρὸς αὐτὸ τὴν ἐνέργειαν ποιεῖσθαι. 

2) 8. B. II, b, 280. 

8) 1,8, 2. 8.0. 489, 1. V, 1, 6 Bohl.: κοθάΐ δὲ πᾶν τὸ γεννῆσαν ... ὅταν δὲ 
nad τὸ ἄριστον N τὸ γεννῆσαν ἐξ ἀνάγχης σύνεστιν αὐτῷ ὡς τῇ ἑτερότητι μόνον πεχω- 
ρίσθαι. V,5, 13. 680, B: πάντα γὰρ ὀρέγεται ἐκείνου καὶ ἐφίεται αὐτοῦ φύσεως ἀνάγχε, 
ὥσπερ ἀπομεμαντευμένα, ὡς ἄνευ αὐτοῦ οὐ δύναται εἶναι. Im folgenden wird dans 
‚ausgeführt, dass das Verlangen nach dem Guten noch urspränglicher und all- 
gemeiner sei, ala das nach dem Schönen. VI, δ, 10 Anf.: μένει οὖν ἐν ἑαυτῷ [τὸ 
WW]... dxdiva δὲ τὰ ἄλλα ἀνήρτηται εἰς αὐτὸ ὥσπερ οὗ ἐστι πόθῳ ἐξευρόντα- καὶ οὗτός 
ἐστιν ὁ θυραυλῶν ἔρως (des platon. Gastmahls) u. 5. w. Ebd. ο. 12 Bohl. (Alles 
wendet sich dem Ersten zu.) VI, 4, 8. 662, A. I, 7, i s. vorl. Anm. und 
B. 482, 1. 

4) VI, δ, 1 Anf.: Die Einheit des höchsten Wesens wird von einer zum 
ἔννοια gefordert; καὶ ἔστι πάντων βεβαιοτάτη ἀρχὴ, ἣν ὥσπερ al ψυχαὶ ἣμῶν φθέγγον- 
ται, ein Grundsats, welehernoch ursprünglicher ist, als der, dass alles nach dem 
Gaten verlange, οὕτω γὰρ ἂν αὕτη ἀληθὴς εἴη͵, el τὰ πάντα εἰς ἣν σπεύδοι͵ καὶ iv 
εἶ καὶ τούτου ἣἧ ὄρεξις ein... ἢ δ᾽ ἀρχαία φύσις καὶ ἣ ὄρεξις τοῦ ἀγαϑοῦ ὅπερ sv 
αὐτοῦ εἰς ἕν ὄντως ἄγει, καὶ ἐπὶ τοῦτο σπεύδει πᾶσα φύσις, ἐφ᾽ ἑαυτήν. τοῦτο γάρ ἐστι 
τὸ ἀγαθὸν τῇ μιᾷ ταύτῃ φύσει͵ τὸ εἶναι αὅτῆς καὶ εἶναι αὑτὴν, τοῦτο δ' ἐστὶ τὸ εἶναι 
μίαν. οὕτω δὲ καὶ τὸ ἀγαθὸν ὀρθῶς ἂν λέγοιτο οἰχέϊον. 


Verhältniss des Abgeleiteten zum Urwesen. 447 


$ein nur als Wirkung eines überweltlichen Urwesens erschei- 
nen lässt. 

Sofern sich nun das Erste im Abgeleiteten offenbart, steht 
dieses mit jenem in einem Verhältniss der Identität, es hat theil 
an ihm; sofern aber diese Offenbarung nur Erscheinung in einem 
andern, Darstellung der obersten Ursache in ihren Wirkungen 
ist, verhalten sich beide negativ gegen einander, das ursprüngliche 
kann sich dem abgeleiteten nur unvollständig mittheilen, und je 
weiter sich die Reihe der Wesen von ihrem Ursprung entfernt, um 
so mehr muss auch die Vollkommenheit ihres Seins abnehmen. 
Beide Seiten werden von Piotin sehr entschieden hervorgehoben. 
Das Eine ist allem Seienden gegenwärtig, indem es dasselbe mit 
seiner Kraft durchdringt 1); alles ist eine Nachahmung 5), oder 
genauer ein Schatten- und Spiegelbild des Ersten ®), d. ἢ. es ist 
ihm nicht blos ähnlich, sondern es wird dureh eine fortwährende 
Wirkung des Urwesens als sein Abbild hervorgebracht. Schon das 
Sein kommt einem Wesen ja nur zu, wiefern es Eines ist, und die 
Vollkommenheit des Seins hält mit dem Grade seiner Einheit glei- 
chen Schritt *); Eins ist aber jedes Ding nur, sofern es die ursprüng- 


1) vgl. 8. 444, 4. V,5,9 Anf.: πᾶν τὸ γενόμενον ὑπ᾽ ἄλλου ἣ dv ἐκείνῳ ἐστὶ τῷ 
πεποιηχότι ἢ ἐν ἄλλῳ, εἴπερ εἴη τι μετὰ τὸ ποιῆσαν αὐτό ἅτε γὰρ γενόμενον ὑπ᾽ 
ἄλλου χαὶ πρὸς τὴν γένεσιν δεηθὲν ἄλλου, ἄλλου δείται πανταχοῦ. διόπερ καὶ ἐν 
ἄλλῳ. Jedes ist daher zunächst in dem NAchsthöheren, ebenso dieses u. 8. f., 
ἕως εἰς τὸ πρῶτον ἀρχῆς. ἀρχὴ δὲ, ἅτε μηδὲν ἔχουσα πρὸ αὑτῆς, οὐκ ἔχει ἐν ὅτῳ ἅλ- 
Ip“ μὴ ἔχουσα δ᾽ ἐν ὅτῳ αὕτη, τῶν ἄλλων ὄντων ἐν τόῖς πρὸ αὐτῶν τὰ ἄλλα περιεί- 
ληφε πάντα αὐτή᾽ περιλαβοῦσα δὲ οὔτ᾽ ἐσχεδάσθη εἷς αὐτὰ καὶ ἔχει οὐχ ἐχομένη. 
Daher οὐκ ὄστιν ὅπου μὴ ἔστιν εἰ γὰρ μὴ ἔστιν, οὐκ ἔχει. εἰ δὲ μὴ ὄχεται, οὐκ ἔστιν᾽ 
ὥστι ἔστι χαὶ οὐκ ἔστι (so. in den Dingen), τῷ μὲν μὴ περιέχεσθαι οὐχ οὖσα, τῷ 

δ᾽ ναι παντὸς ἐλευθέρα οὐδαμοῦ κωλυομένη εἶναι" εἰ γὰρ αὖ κεχώλυται, ὥρισται δπ᾽ 
ἄλλου ἃ. 5, w. τὰ μὲν οὖν ἕν τινι ἐκέϊ ἐστιν, 08 ἐστιν ὅσα δὲ μὴ ποῦ, οὐχ ἔστιν 
ὅκου μή. 

2) 1, 7, 1; 8. ο. 446, 1. III, 8, 7. 277, B: aus der Wursel des Einen 
sprosste das Viele hervor εἴδωλον ἕκαστον ἐχείνου φέρον. VI, 2, 11 (6. Anm. 4), 

3) VI, 4, 9: die vom Ersten stammenden Kräfte müssen als sein Bild 
ungetrennt von ihm sein, was c. 10. 668, Β so erläutert: es sei ein Bild οἷον 
ἐν ὕδασι χαὶ κατόπτροις A ἐν axıals‘ ἐνταῦθα ὑφίσταταί τε [τὸ wdala] παρὰ τοῦ 
πρυτέρου χυρίως καὶ γίνεται ἀπ᾽ αὐτοῦ... τοῦτον δὲ τὸν τρόπον καὶ τὰς ἀσθενεστέρας 
δυνάμεις παρὰ τῶν προτέρων ἀξιώσουσι γίγνεσθαι. VI, 8, 18 5. ο. 445, 1. 

4) Υ͂Ἱ, δ, 1. 5. 0. 446, 4. ΥἹ, 2, 11: Die Rinheit kommt verschiedenem in 
Yerschiedenem Maasse zu, dem Nus z. B. in höherem Grad, als der Seele; je 


ΓΘ ἋὋ 


448 Plotinus. 


liche Einheit nachbildet 1). Ebenso hat alles an dem Urwesen, als 
dem absolut Guten, das Ziel seines Strebens und das Richtmaas 
seiner. Thätigkeit ?); oder wie diess Plotin auch darstellt: alles 
trachtet nach seiner Anschauung, und was es thul oder hervor- 
bringt, das ist nur ein Versuch, zu dieser Anschauung zu gelangen?). 
So nah aber hienach die Verwandtschaft des späteren mit dem frü- 
heren sein mag, so weit ist diese doch von wirklicher Gleichheit 
entfernt. Das gewordene kann nie gleiches Wesens mit dem sein, 
von dem es geworden ist, die Ursache ist nothwendig vollkommener 
und kräftiger, als das gewirkte, das Princip einheitlicher, als das 
abgeleitete. Je weiter wir daber an der Kette der Ursachen und 
Wirkungen herabgehen, je mehr Mittelursachen ein Ding von 
der ersten Ursache trennen, um so unvollkommener ist es, und 
die Gesammtheit des Seienden stellt eine Stufenreihe, oder einen 
sich stufenweise erweiternden Kreis dar, in weichem, mit der Eat- 


vollkommener das Sein ist, um so grösser ist sie (χαθ᾽ ὅσον τυγχάνει ἀγαδβοῦ, 
κατὰ τοσοῦτον χαὶ Ev); und desshalb strebt alles eins zu werden. VI, 9, 1 (8. ο. 
424, 2): alles ist nur durch das ἕν, was es ist; ὥστε τὰ μὲν ἧττον ὄντα ἧττον 
ἔχει τὸ dv, τὰ δὲ μᾶλλον, μᾶλλον (757, E). 

1) VI, 2, 11. 606, B: Das ἕν ist nicht das gleiche bei allen Dingen; ἀλλ᾽ 
ὅμως πάντα τὸ αὐτὸ μιμεῖται, τυγχάνει δὲ τὰ μὲν πόῤῥωθεν τὰ δὲ μᾶλλον. VI, 9, 1. 
757, C: die Einheit, welche die Seele den lebenden Wesen mittheilt, verleikt 
sie ihnen im Hinblick auf das Ureine. Plotin nennt desshalb V, δ, 5. 524, B 
das Bein der Dinge τὸ ἴχνος τοῦ ἑνὸς, und will selbst εἶναι von ἕν herleiten. 

2) M. vgl. die vorbergebenden Anmm. und die hier nachgewiesenen Be- 
zeichnungen dieses Verbältnisses: ἐφίεσθαι, ὀρέγεσθαι, σπεύδειν πρὸς τὸ ἕν, Ever 
ydv πρὸς oder περὶ τὸ ἀγαθόν. 

8) III, 8 führt Plotin den Satz (c. 1 Anf.) aus: πάντα θεωρίας ἐφίεσθαι χα 
εἷς τέλος τοῦτο βλέπειν, οὐ μόνον ἔλλογα ἀλλὰ καὶ ἄλογα ζῷα, καὶ τὴν ἐν τοῖς φυτάς 
φύσιν καὶ τὴν ταῦτα γεννῶσαν γῆν, καὶ πάντα τυγχάνειν καθ' ὅσον οἷόν τε αὐτοῖς κατὰ 
φύσιν ἔχοντα, ἄλλα δὲ ἄλλως χαὶ θεωρεῖν καὶ τυγχάνειν, καὶ τὰ μὲν ἀληθῶς, τὰ δὲ 
μίμησιν καὶ εἰχόνα τούτου λαμβάνοντα. Alles Handeln sei (o. 4 f., ὅ f. Kirchh.) 
nur ein Umweg, um zum innern, geistigen Besitz, zur Betrachtung des Qutea 
zu gelangen (es wird hievon mit Beziehung auf das menschliche Handeln spä- 
ter nooh einmal zu sprechen sein); selbst der physische Akt der Zeugnng wird 
(c. 6. 848, F) unter diesen Gesichtspunkt gestellt, sofern es sich bei derselben 
wesentlich um Vervielfältigung der Formen, der λόγοι handle. Der letzte 
Gegenstand dieser Theorie ist aber natürlich der, auf welchen sich die höchste 
Stufe derselben, die Thätigkeit des νοῦς richtet (ὁ. 8 ff.), das Gute; τὰ μὲν y& 
ἄλλα περὶ τὸ ἀγαθὸν καὶ διὰ τὸ ἀγαθὸν ἔχει τὴν ἐνέργειαν (c. 10. 352, D vgl. α. ὅ. 
841, Ὁ). 


Stufenreihe des Seins . 449 


fernung vom Ersten auch die Vollkommenheit des Seins abnimmt, 
die Einheit in die Vielheit auseinandergeht, und das von dem Ur- 
wesen ausstrahlende Licht verblasst, um am Ende in der Finsterniss 
des Nichtseienden zu erlöschen 5). Einen Beweis für die Nothwen- 
digkeit dieses Hergangs führt Plotin nirgends; das Gesetz der 
abnehmenden Vollkommenheit erscheint bei ihm als eine keiner 
weiteren Begründung bedürftige Voraussetzung. Nur um so deut- 
licher tritt aber gerade dadurch die Bedeutung hervor, welche 
diese Bestimmung für sein ganzes System hat. Nachdem einmal das 
Göttliche in eine Jenseitigkeit entrückt war, die jede substantielle 
Einigung desselben mit dem Endlichen unmöglich machte, so ergab 
sich zwischen beiden nur noch die Beziehung der Causalität. Diese 
konnte aber nicht als wollende oder denkende gefasst werden, 
denn damit wäre das Urwesen nicht blos an sich selbst aus dem 
bestimmungslosen zu einem bestimmten geworden, sondern es 
wäre auch dem Endlichen gegenüber, wie Plotin richtig sieht, aus 
seiner Selbstgenügsamkeit herausgetreten,; sofern die Welt als 
Objekt des göttlichen Willens und Denkens betrachtet wird, ist sie 
für das göttliche Wesen nicht gleichgültig, sondern sie ist der 
wesentliche Gegenstand seiner Thätigkeit, die Gottheit bedarf 
ihrer für sich selbst: der Wille kann nicht ohne ein gewolltes, das 
Denken nicht ohne ein gedachtes sein. Es bleibt mithin nur übrig, 
dass das Endliche durch das Urwesen geworden ist, ohne dass sich 


1) 2. B. Ill, 8, 4. 346, αἰ: οὐχ ἴσον δὲ To προϊὸν τῷ μείναντι..... ὁμογενὲς γὰρ 
ἀὲὶ δέί τὸ γεννώμενον εἶναι, ἀσθενέστερον μὴν τῷ ἐξίτηλον καταβαῖνον γίγνεσθαι (ἐξίτ, 
Υἷγν. verblassen, abgeschwächt werden). V, 3, 16. 518, A: ἐπειδὴ ἐν τοῖς γεν- 
νωμένοις οὐχ ἔστι πρὸς τὸ ἄνω ἀλλὰ πρὸς τὸ κάτω χωρέϊν, καὶ μᾶλλον εἰς πλῆθος 
ἰέναι, χαὶ ἢ ἀρχὴ ἑχάστων ἁπλουστέρα u. 6. w. V,8, 1. 542, Ο: ὅσῳ ἴον εἰς τὴν 
ὕλην ἐχτέταται, τόσῳ ἀσθενέστερον τοῦ ἐν ἑνὶ μένοντος. ἀφίσταται γὰρ ἑαυτοῦ πᾶν 
διϊστάμενον ... χαὶ τὸ πρῶτον ποιοῦν πᾶν καθ᾽ αὑτὸ κρεΐττον εἶναι del τοῦ ποιουμένου. 
v1, 1, 9. 702, Β: ἐξελιττόμεναι γὰρ al δυνάμεις καταλείπουσιν ἀεὶ εἷς τὸ ἄνω. προ- 
ἰασι δέ τι ἀφιέϊσαι u. 5. w. VI, 7, 11. 710, A (um zu zeigen, dass das Erste Ur- 
sache des Denkens sein könne, ohne selbst zu denken): οὐχ ἀνάγχη, 8 τις δί- 
ὄωσι, τοῦτο ἔχειν, ἀλλὰ δεῖ ἐν τοῖς τοιούτοις To μὲν διδὸν ueikov νομίζειν, τὸ δὲ διδό- 
μενον ἔλαττον τοῦ διδόντος. τοιαύτη γὰρ ἣ γένεσις ἐν τοῖς οὖσι. πρῶτον γὰρ δέϊ τὸ 
ἐνεργείᾳ εἶναι, τὰ δ᾽ ὕστερα εἶναι δυνάμει τὰ πρὸ αὐτῶν. Wir werden finden, wie 
nach diesem Grundsatz Plotin’s ganzes System construirt ist. Vorläufig vgl. 
m. ausser früher angeführtem auch V, 1, 7. 489, B: ψυχὴν γὰρ γεννᾷ νοῦς... 
χρεῖττον δὲ οὐχ οἷόν τε ἦν εἶναι οὐδ᾽ ἐνταῦθα τὸ yevvmpevov, ἀλλ᾽ ἔλαττον ὃν εἴδωλον 
ἑναι αὐτοῦ. Ebenso erzeugt die Beele ἃ ψυχῆς ἀνάγκη εἶναι χείρονα, 


Philes. d. Gr. III. Bd. 2. Abth. 29 


450 Plotinus. 


doch die Wirksamkeit des letztern auf jenes gerichtet hätte; d. Β. 
das Endliche ist nur eine accidentelle Folge, gleichsam ein Neben- 
produkt, eine Abschattung und Abspieglung des Ahsoluten; 
dieses ist in sich selbst schlechthin befriedigt und vollendet, und 
geht durch die Erzeugung des Endlichen in keiner Weise sus sich 
heraus, es erhält dadurch nicht allein keinen Zuwachs an Vollkom- 
menheit, sondern auch keinen Gegenstand seiner Thätigkeit: ner 
das Abgeleitete hat einen inneren Zug zum Ersten, aber dieses nicht 
zu jenem. Das Zweite ist nur aus dem Ueberfliessen des Ersten 
entstanden, es ist für dieses selbst etwas überflüssiges. Bei diesem 
Verhältniss beider kann natürlich nicht davon die Rede sein, dass 
dem Abgeleiteten etwas vom Wesen des Ursprünglichen mitgetheilt 
wäre, und Plotin hat insofern guten Grund, sich gegen diese An- 
nahme zu verwahren: das gezeugte muss um eben so viel unvoll- 
kommener sein, als das zeugende, um wie viel der Schatten wesen- 
loser ist, als der Körper '). Dasselbe Gesetz muss aber auch die 
weitere Entwicklung beherrschen, die Stufenreihe der abnehmender 
Vollkommenheit ist eine nothwendige Folge von der Jenseitigkeit 
des göttlichen Wesens. 

Hieraus wird nun erhellen, mit welchem Recht Plotin’s System 
ein Emanationssystem genannt wird. Nimmt man diesen Ausdruck 
im strengen Sinn und versteht man unter Emanation eine solche 
Ausbreitung des Absoluten in’s Endliche, wodurch jenes einen 
Theil seiner Substanz an dieses mittheilt, so hat nicht allein unser 
Philosoph selbst dieser Vorstellung auf’s bestimmteste wider- 
sprochen ?), sondern sie ist auch mit seinen ersten Vorausselzun- 
gen unverträglich; sein Urwesen ist so in sich beschlossen, dass 
es schlechthin nicht aus sich herausgehen kann, und von allem 


1) Es ist daher eine auffallende Verkennung der plotinischen Lehre, 
wenn J. Sımon Hist. de l’&cole d’ Alexandrie I, 297 ff. 820. 826 ff. glaubt, die 
drei intelligibeln Principien Plotin’s (das Eine, der Nus und die Seele) bilden 
zusammen Eine Gottheit in drei Hypostasen. Simon selbst kann sich die 
Widersprüche nicht verbergen, in die sich Plotin durch eine solche Behaup- 
tung verwickeln würde, und sie ist auch in der That mit allen Grundsätzen 
unseres Philosophen tiber die Natur des Urwesens und fiber das Verhältniss 
des Zeugenden zum Erzeugten unvereinbar; Simon weiss aber auch keine 
einzige Stelle beizubringen, in welcher die drei Hypostasen für dieselbe Gott- 
heit erklärt würden. 

2) Vgl. 8. 442, 8---ὅ, 


Emanationssystem, dynamischer Pantheismus. 451 


anderen so verschieden, dass es geradehin als das nichtmittheilbare 
zu definiren ist. Die Emanationslehre in diesem Sinn liegt ihm 
daher ferne, wenn auch manche von seinen Vergleichungen streng- 
genommen zu ihr hinführen würden. Dagegen theilt er allerdings 
mit den emanatistischen Systemen die doppelte Eigenthümlichkeit: 
dass der Fortgang vom Absoluten zum Endlichen für’s erste weder 
durch einen Willens- oder Denkakt, noch durch eine logische 
Nothwendigkeit, sondern durch eine rein physische Wirkung Ὁ 
bedingt erscheint, und dass derselbe, zweitens, ein Fortgang zu 
immer steigender Unvollkommenheit ist; nur ist das, was in dieser 
Weise abgeschwächt wird, nicht die Substanz, sondern blos die 
Wirkung des ursprünglichen Wesens. Will man nun um jener 
Aehnlichkeiten willen die weitschichtige Kategorie der Emanation 
auch auf Plotin anwenden, so mag man es thun; zur richtigen 
Bezeichnung der Sache müsste dann aber jedenfalls zwischen zwei 
Klassen von Emanationssystemen unterschieden werden, denen, 
welche die Emanation als Mittheilung des Wesens, und denen, 
welche sie nur als Mittheilung der Kraft fassen; nur im letzteren 
Sinn kann Plotin’s Lehre emanatistisch genannt werden. 

Noch richtiger wäre es vielleicht, sie als einen dynamischen 
Pantheismus zu bezeichnen. Dieses System ist pantheistisch, denn 
es behauptet ein solches Verhältniss des Endlichen zur Gottheit, 
wornach demselben kein selbständiges Sein zukommt, alles End- 
liche ist ihm blosses Accidens, blosse Erscheinung des Göttlichen. 
Wir wissen bereits, dass nach Plotin alles abgeleitete schlechthin 
durch die vom Urwesen ausströmenden Kräfte getragen ist, und 
dass diese Kräfte von ihrem Ursprung nicht getrennt sind, dass es 
vielmehr Eine Wirksamkeit ist, welche alles umfasst, durchdringt 
und bestimmt?). Liegt nun schon hierin der Sache nach die pan- 
theistische Weltanschauung, so hat Plotin auch den bestimmteren 
Ausdruck nicht gescheut, dass Alles, was ist, in Gott sei. Indem 
das Urwesen alles wirkt, so ist es in diesem seinem Wirken allem 


1) D. bh. durch eine in seiner Natur liegende und aus derselben mit Noth- 
wendigkeit sich ergebende Wirkung, welche weder durch sein eigenes Be- 
wusstsein vermittelt, noch von uns als eine durch seinen Begriff geforderte zu 
erkennen ist. Ob man diess einen physischen oder mit Rıchrz.ı Neupl. Btud. 
IIL 57 lieber einen metaphysischen Zusammenhang nennen will, ist gleichgültig. 

2) Vgl. 8. 444 £. 


29 * 


45% Plotinus. 


gegenwärtig, alles hat an ihm Theil, alles ist in ihm !). Diese 
Gegenwart der Gottheit ist aber nicht eine substantielle, im Sime 
- des stoischen Systems, sondern eine blosse Gegenwart der Wir- 
kung; das Erste bleibt als solches für sich, es geht nicht so in de 
Vielheit ein, dass es selbst zur Vielheit würde, und die endlichen 
Dinge Theile von ihm wären, sondern alles mit seiner Kraft wr- 
kend hält es sich seinem Wesen nach ausser dem von ihm gewirk- 
ten: das Viele ist schlechthin in dem Einen, aber nicht das Eine 
in dem Vielen ?). Die Immanenz der Dinge in Gott ist daher nur ihr 


1) Υ͂, δ, 9 Anf.: πᾶν τὸ γενόμενον ὑπ᾽ ἄλλου A Ev ἐχείνῳ ἐστὶ τῷ πεκοαρός 
ἣ ἐν ἄλλῳ ... πέφυχεν οὖν τὰ μὲν ὕστατα ἐν τοῖς πρὸ αὐτῶν δατάτοις, τὰ δ᾽ ἐν προ- 
τέροις, χαὶ ἄλλο ἐν ἄλλῳ ἕως εἰς τὸ πρῶτον ἀρχῆς. ἀρχὴ δὲ... τὰ ἄλλα περαΐληξε 
πάντα. VI, ὅ, 8. 662, Β: λείπεται τοίνυν λέγειν, αὐτὸ μὲν [τὸ ἕν] ἐν οὐδενὶ εἶναι, τὰ 
δ᾽ ἄλλα ἐχείνου μεταλαμβάνειν ὅσα δύναται αὐτῷ παρέϊναι χαὶ χαθόσον ἐστὶ δονᾶτε 
αὐτῷ παρέϊναι, daher: τὸ ἕν χαὶ ταὐτὸν ἀριθμῷ, μὴ μεμερισμένον ἀλλὰ ὅλον ὅν, 
τῶν ἄλλων τῶν παρ᾽ αὐτὸ μηδενὸς ἀποστατέϊν, οὐδὲν τοῦ χέϊσθαι δεηθὲν, οὐδὲ τῷ 
μοίρας τινὰς ar’ αὐτοῦ ἐλθέϊν, μηδ᾽ αὖ τῷ αὐτὸ μὲν μέίϊναι ἐν αὑτῷ ὅλον, ἄλλο δέ 
ἀπ᾽ αὐτοῦ γεγονὸς καταλελοιπὸς αὐτὸ ἥχειν εἰς τὰ ἄλλα πολλαχῇ. ἔσται τε γὰρ οὗτυς 
τὸ μὲν (das Urwesen) ἄλλοθι, τὸ δ᾽ an’ αὐτοῦ ἄλλοθι, καὶ τύπον ἕξει διεστηχὸς ars 
τῶν ἀπ᾽ αὐτοῦ. C. 4 beruft sich Plotin hiefür anf den allgemeinen Glauben za 
die Allgegenwart der Gottheit, indem er diesen zugleich dahin erläutert, dass 
dieselbe allem einzelnen ganz gegenwärtig sein müsse; or zeigt, wenn das 
Urwesen unbegrenzt sei, müsse es allem gegenwärtig sein, sonst wäre es δ 
einem Orte. Kal γὰρ (668, B) el λέγοιμεν ἀλλο per’ αὐτὸ τὸ ἕν, ὁμοῦ αὖ αὐτῷ, κὲ 
τὸ μετ᾽ αὐτὸ περὶ ἐχέϊνο χαὶ εἰς ἐχέίνο, καὶ αὐτοῦ οἷον γέννημα συναφὲς ἐχείνω᾽ ὥσε 
Tb μετέχον τοῦ μετ᾽ αὐτὸ χἀχείνου μετειληφέναι. πολλῶν γὰρ ὄντων τῶν ἐν τῷ νοχτῶ, 
πρώτων te (das Eine) καὶ δευτέρων (der νοῦς) χαὶ τρίτων (die Seele), καὶ οἷον σφας 
. ρᾶς μιᾶς εἰς ἕν χέντρον ἀνημμένων, οὐ διαστήμασι διειλημμένων, ἀλλ' ὄντων ὁμοῦ 
αὐτσίς ἁπάντων, ὅπου ἂν παρῇ, τὰ τρίτα χαὶ τὰ δεύτερα χαὶ τὰ πρῶτα πάρεστι. (. ὃ 
Anf.: πολλὰ γὰρ ὄντα τὰ νοητὰ ἕν ἐστι χαὶ ἕν ὄντα τῇ ἀπείρῳ φύσει πολλά ἐστι τᾶ 
πολλὰ ἐν ἑνὶ, καὶ ἕν ἐν πολλοῖς χαὶ ὁμοῦ πάντα, καὶ ἐνεργέί πρὸς τὸ ὅλον μετὰ τοῦ 
ὅλου καὶ ἐνεργέί πρὸς τὸ μέρος αὖ μετὰ τοῦ ὅλου. δέχεται δὲ τὸ μέρος εἷς αὐτὸ τὸ ὡς 
μέρους πρῶτον ἐνέργημα, ἀκολουθέί δὲ τὸ ὅλον. Vgl.c. 1. VI, 2. 8. 691, Ct. ΥἹ, 
4, 8 8. ο. 444, 4. 

2) V, 5,9, wo nach dem 8. 447, 1 angeführten noch weiter auseinander 
gesetzt wird: was in keinem Raume ist, das sei von nichts räumlich et- 
fernt. εἰ δὲ μηδενὸς ἀποστατεῖ οὐ ποῦ ὧν, πανταχοῦ ἔσται ἐφ᾽ ἑαυτοῦ οὐδὲ γὰρ τὸ 
μέν τι αὐτοῦ ὡδὶ, τὸ δὲ ὡδί οὐ μὴν οὐδ᾽ ὅλον ὧδί: ὥστε ὅλον πανταχοῦ οὐδενὸς 
ἔχοντος αὐτὸ οὐδ᾽ αὖ μὴ ἔχοντος" ἐχομένου ἄρα ὁτουοῦν. Die Welt ἰδὲ in der Seele, 
nicht die Seele in der Welt, die Seele im νοῦς (vgl. V, 8, 11. 508, D: νοῦ ἐντὸς 
τὰ πάντα), dieser im Ersten. ποῦ οὖν τὰ ἄλλα; ἐν αὐτῷ. οὔτε ἄρα ἀφέστηχε τῶν 
ἄλλων, οὔτο αὐτὸς ἐν αὐτοῖς ἐστιν, οὐδὲ ἔστιν οὐδὲν ἔχον αὐτὸ, ἀλλ᾽ αὐτὸ ἔχει τὰ 


- -- πὶ 


Dynamischer Pantheismus. 453 - 


Gewirktwerden durch Gott; die Vorstellung des räumlichen Seins 
ist gänzlich zu entfernen ; es ist insofern auch kein Widerspruch, 
wenn anderwärts das Abgeleitete als ein seine Ursache umgebender 
Kreis der Wirkung dargestellt wird, denn diese Darstellung ist eben 
so bildlich, wie die entgegengesetzte. Plotin selbst erklärt"), das Ur- 
wesen seiebensowohl nirgends, als überall, ebensowohl in keinem, als 
in allem, ja es sei nicht blos alles, sondern auch nichts, und es sei 
eben desshalb überall, weil es nirgends ist. Wäre es in einem andern, 
so wäre es von diesem umfasst, und somit in seinem Sein und Wir- 
ken auf dasselbe beschränkt; indem es seinem Wesen nach von allem 
Endlichen schlechthin verschieden ist, und mit seiner Wirksamkeit 
über jede Grenze hinausgreift, ist es ebenso das allbewirkende 
und insofern allgegenwärtige, wie es andererseits schlechthin für 
sich ist, und eben desswegen ist es einem jeden ganz gegen- 

wärtig, weil seine Gegenwart nicht eine Vertheilung seiner Sub- 

stanz an die endlichen Dinge ist, sondern eine Wirkung von Einem 

Punkt aus, wie die Gegenwart der Seele in den verschiedenen 

Theilen des Leibes ?). 

Diese Gegenwart des Göttlichen ist aber für die niedrigeren 
Stufen des Seins immer durch die höheren vermittelt. Auf den 
Theil wirkt zunächst der Theil, erst durch diesen das Ganze; die 
Körperwelt ist in der Seele, die Seele im νοῦς, dieser im Einen; 
oder nach anderer Darstellung : von den sich umschliessenden 
Sphären wird die innerste (der νοῦς) vom Centrum erleuchtet, die 
zweite (die Seele) vom νοῦς, die dritte (das Körperliche) von der 


πάντα. VI, 4, 11. 654, A: (νομιστέον) εἶναι μὲν πανταχοῦ τοῦ ὄντος τὸ ὃν οὐχ ἀπο- 
λειπόμενον ξαυτοῦ, παρέϊναι δὲ αὐτῷ τὸ δυνάμενον παρεῖναι καὶ καθόσον δύναται κατὰ 
τοσοῦτον αὐτῷ οὐ τόπῳ παρεῖναι͵ οἷον τῷ φωτὶ τὸ διαφανές... καὶ δὴ τὰ πρῶτα καὶ 
δεύτερα καὶ τρίτα τάξει καὶ δυνάμει καὶ διαφοραῖς (56. πρῶξα u. 5. f. ἐστὶν), οὐ τόποις. 
ΥἹ, δ, 6. 664, B: ὅλον τὸ πᾶν οὐχ οὕτως ἐν πολλοῖς ἀλλὰ τὰ πολλὰ ἐν αὐτῷ, μᾶλ- 
λον δὲ περὶ αὐτό. VI, 5, ὃ 6. vor. Anm. Υ͂, 8, 11. 5. 0. 427, 1. Υ͂Ι, 9, δ; 5. 8. 
442, 4. 

1) 0ὕ, 5,9 95. 5. 447,1. 452,2. Υ͂Ι, 4,8. 646, Β: οὗ δὲ πᾶσαι al δυνάμεις, αὐτὸ σα- 
φῶς πάρεστι χωριστὸν ὅμως ὄν... ᾧ ἂν αὐτῷ ἐθέλη ὡς δύναται πελάζει, οὐ γενόμενον 
ἐχείνου͵ ἀλλ᾽ ἐχείνου ἐφιεμένου αὐτοῦ, οὐδ᾽ αὖ ἄλλου. θαυμαστὸν οὖν οὐδὲν οὕτως ἐν 
πᾶσιν εἶναι, ὅτι αὖ ἐν οὐδενί ἐστιν αὐτῶν οὕτως ὡς ἐχείνων εἶναι. VI, 7, 82. 728, B: 
οὐδὲν οὖν τοῦτο τῶν ὄντων xaı πάντα, οὐδὲν μὲν ὅτι ὕστερα τὰ ὄντα, πάντα δὲ ὅτι 
ἐξ αὐτοῦ. Daher heisst es ebd. auch schlechtweg οὐδὲν dv. 

2) Vgl. 8. 447, 1. 452, 1. 2. VI, 5, 6 Schl. 


454 Plotinus. 


Seele 1). Das Körperliche bewegt sich daher zunächst der Seele 
zu, die Seele dem νοῦς, und beide nur durch diese Vermittlung 
dem Ersten 3). 

Diese Bestimmung ist nun für das System von der höchsten 
Wichtigkeit. Einerseits ist es erst durch sie möglich gemacht, von 
der allgemeinen Anschauung der alldurchdringenden göttlichen 
Wirkung zur wissenschaftlichen Entwicklung derselben fortzu- 
gehen, und das Universum als geordnetes Ganzes unter diesen 
Gesichtspunkt zu stellen, und es ist so der philosophische Charak- 
ter der plotinischen Theorie grossentheils an sie geknüpft. Ande- 
rerseits schliesst sich eben hieran der Sätz an, dass die Gemeinschaft 
mit dem Höchsten durch die mit den untergeordneten Kraften 
bedingt sei, ein Satz, durch den es allein möglich wurde, den 
Polytheismus der Volksreligionen sammt aller Theurgie der spä- 
teren Neuplatoniker mit diesem System zu rechtfertigen. Jene 
Bestimmung selbst aber ist mit der Lehre von der abnehmenden 
Vollkommenheit der göttlichen Wirkungen unmittelbar gegeben, 
denn die geringere Vollkommenheit eines Wesens ist nach dieser 
Lehre in seiner weiteren Entfernung vom Urwesen begründet, 
diese aber kann nur darin liegen, dass sich die Wirkung des Ersten 
durch mehr Mittelglieder auf dasselbe fortpflanzt. 

Wollen wir nun diese Stufenreihe des Seins näher kennen 
lernen, so treffen wir als das nächste nach dem Ersten den Geist 
oder das Denken. 


4. Der Nus. 


Was von dem Ersten erzeugt wird, kann nicht ebenso voll- 
kommen sein, wie dieses selbst. Besteht nun die Vollkommenbheit 
des Ersten wesentlich in seiner Einheit, so wird das Zweite nich! 
mehr reine Einheit sein können, sondern die Vielheit in sich haben 


1) V,5, 9. VI, 5,4. 6 s. ο. 452, 1. 2. IV, 8, 12. 882, A: νοῦς ... πάρ- 
πει εἷς τὰ τῇδε διὰ ψυχῆς͵ ψυχὴ ÖL... δίδωσι τοῖς 6x’ αὐτήν. Auch dieses aber 
in regelmässiger Abstufung: die Seelen erleuchten (c. 17) zunächst den Him- 
mel, erst im weiteren Fortgang die niedrigeren Theile des Weltalls. Wir 
werden tiefer unten sehen, wie sich das ganze System nach diesem Grundsatz 
gliedert. 

2) 1,7, 2, Anfı: τὰ δ' ἄλλα πάντα πρὸς αὐτὸ [τὸ ἕν], πῶς; Ara μὲν ἄψυχα 
πρὸς ψυχὴν, ψυχὴ δὲ πρὸς αὐτὸ διὰ νοῦ. 


Der Nus: seine Entstehung. 455 


müssen 1). Andererseits muss es aber dem Ersten so ähnlich sein, 
als überhaupt das erzeugte dem erzeugenden sein kann, ein Bild 
des Ersten, wie das Licht ein Bild der Sonne ist, und zu dem Ersten 
sich hinwendend;, es muss Eines in der Vielheit sein ?), oder wie 
diess pythagoraisirend ausgedrückt wird °), seine unbestimmte 
Zweiheit muss durch die Einheit bestimmt sein. Dieses Wesen nun 
ist der νοῦς oder das Denken. Dass nur dieses das zweite sein 
kann, erhellt nach Plotin schon daraus, dass das Erste dasjenige 
ist, was über das Denken hinausliegt 4); und wirklich ist hiemit 
ohne Zweifel der eigentliche Grund dieser Bestimmung angedeutet: 
da das Erste gar nichts anderes ist, als die vom Denken vorausge- 
setzte transcendente Ursache seiner selbst, so wird auch nur das 
Denken als die ursprüngliche Wirkung dieser Ursache betrachtet 
werden können. Indessen versucht unser Philosoph auch den 
genaueren Nachweis über die Entstehung des Denkens. Das 
Zweite, dem Ersten, als seiner Ursache sich zuwendend, wird von 
ihm bestimmt und erfüllt, das Erste spiegelt sich in ihm ab, und 
so wird zugleich das Zweite ein denkendes®), und das Erste im 


1) V,3,15: Warum musste das Erzeugniss des Ersten eine Vielheit sein? 
Antwort (512, B): οὐ ταὐτὸν ἔμελλε τὸ ἐξ ἐχείνου ἐχείνῳ [sc. εἶναι], el οὖν μὴ 
ταὐτὸν, οὐδέ γε βέλτιον, τί γὰρ ἂν τοῦ ἑνὸς βέλτιον, ἢ ἐπέχεινα ὅλως; χέΐρον ἄρα. 
τοῦτο δέ ἐστιν ἐνδεέστερον᾽ τί οὖν ἐνδεέστερον τοῦ ἑνὸς ἢ τὸ μὴ Ev; πολλὰ ἄρα ἐφιέ- 
pevov δὲ ὅμως τοῦ ἑνός. ἕν ἄρα πολλά. πᾶν γὰρ τὸ μὴ ἕν τῷ ἕν σώζεται καὶ ἔστιν 
ὅπερ ἐστὶ τούτῳ. Υ͂Ι, 9, ὅ 8. ο. 424, 8. Ebd. und 8, 488 ἔ, findet sich weiteres 
über die Vielbeit im Nus. 

2) V, 9, 6, Anf.: πάντα δὲ ὁμοῦ dxel καὶ οὐδὲν ἧττον διαχεχριμένα. Weiteres 
Anm. 1.5, 

8) V, 1, δ. 486, B: πρὸ δυάδος τὸ Ev, δεύτερον δὲ δυὰς, καὶ παρὰ τοῦ ἑνὸς 
γεγενημένη ἐχέίνο δριστὴν ἔχει (sie hat jenes zum Begrenser), αὐτὴ δὲ ἀόριστον 
παρ᾽ αὐτῆς. ὅταν δὲ ὁρισθῇ ἀριθμὸς ἤδη. Υ͂, 4, 3; Anm. ὅ. 

4) Μ, 5. d. folg. Anm. 

δ) V, 4, 2, Anfı; Ener δὲ ἐπέχεινα νοῦ τὸ γεννῶν, νοῦν εἶναι ἀνάγχη [τὸ γεννώ- 
μένον]. διατί δὲ οὐ νοῦς, οὗ ἐνέργειά ἐστι νόησις ; νόησις δὲ τὸ νοητὸν ὁρῶσα καὶ πρὸς 
τοῦτο ἐπιστραφέῖσα χαὶ ἀπ᾽ ἐχείνου οἷον ἀποτελουμένη καὶ τελειουμένη ἀόριστος μὲν 
αὐτὴ ὥσπερ ὄψις, δριζομένη δὲ ὑπὸ τοῦ νοητοῦ. διὸ χαὶ εἴρηται dx τῆς ἀορίστου 
δυάδος χαὶ τοῦ ἑνὸς τὰ εἴδη καὶ ol ἀριθμοί (vgl. Bd. II, a, 476)" τοῦτο γὰρ ὁ νοῦς. 
διὸ οὐχ ἁπλοῦς ἀλλὰ πολλά. V, 1, 1, Anfı: εἰχόνα δὲ ἐχείνου λέγομεν εἶναι τὸν νοῦν 
δᾷ γὰρ σαφέστερον λέγειν᾽ πρῶτον μὲν ὅτι δέΐ πως εἶναι ἐκέϊνο (Prädikat) τὸ γεννώ- 
βένον χαὶ ἀποσώζειν πολλὰ αὐτοῦ χαὶ εἶναι ὁμοιότητα πρὸς αὐτὸ ὥσπερ καὶ τὸ φῶς 
τοῦ ἡλίου, ἀλλ᾽ οὐ νοῦς ἐκεῖνο" πῶς οὖν νοῦν γεννᾷ; A ὅτι τῇ ἐπιστροφῇ πρὸς αὐτὸ 
ἑώρα, ἢ δὲ ὅρασις αὔτη νοῦς. Weiteres 8. 456, 4, 460, 4, 461, 8. 


456 Plotinus. 


Verhältniss zu ihm, was es für sich genommen nicht ist, ein denk- 
bares und gedachtes ἴ). 

Für die weitere Beschreibung des νοῦς sind zwei platonische 
Stellen maassgebend, die der Republik 5), wo das Gute als die 
Ursache des Wissens und Seins bezeichnet, und die des Sophisten?), 
wo dem wahrhaft Seienden Bewegung, Ruhe, Leben und Denken, 
und in Folge dessen auch Identität und Unterschied beigelegt 
wird. Die Grundbestimmungen sind die des Denkens und des Seins. 
Indem sich das Gewordene dem Ersten zuwandte, wurde es beides 
zugleich, Denken und Sein: jenes dadurch, dass es von dem Ersten 
erleuchtet wurde und es anschaute, dieses dadurch, dass es vom 
Ersten zum Stehen gebracht ward*). Es ist diess freilich mehr 


1) V,6, 2. 584, B: ὃ νοῦς ὁ To νοητὸν ἔχων οὐχ ἂν συσταίη μὴ οὔσης οὐσίας 
χαθαρῶς νοητοῦ, ὃ πρὸς μὲν τὸν νοῦν νοητὸν ἔσται χαθ᾽ ἑαυτὸ δὲ οὔτε νοοῦν οὔτε 
γοητὸν χυρίως ἔσται᾽ τό τε γὰρ νοητὸν ἑτέρῳ (sc. νοητόν ἐστιν), ὅ τε νοῦς τὸ ἐπιβάλ- 
λεῖιν τῇ νοήσει χενὸν ἔχει ἄνευ τοῦ λαβεῖν χαὶ ἑλέίν τὸ νοητὸν ὃ νοέΐ οὗ γὰρ ἔχει τὸ 
γοέϊν ἄνευ τοῦ νοητοῦ. 

2) V1,508, E fi. vgl. Bd. Il, a, 448, 1. 

8) 254, B ff. vgl. Bd. Il, a, 447. 

4) V,4, 2. 1,7 8.0. 466, δ. 3, 11 s. u. 460, 4. V, 1,4. 485, D: ἕκαστον 
δὲ αὐτῶν [τῶν νοητῶν] νοῦς χαὶ ὅν ἐστι καὶ τὸ σύμπαν πᾶς νοῦς καὶ πᾶν ὄν. ὃ μὲν 
νοῦς χατὰ τὸ νοέϊν ὑφιστὰς (in intelligendo subsistens) τὸ öv, τὸ δὲ ὃν τῷ vorisde: 
τῷ νῷ διδὸν τὸ νοέϊν καὶ τὸ εἶναι' τοῦ δὲ νοέΐν αἴτιον ἄλλο, ὃ χαὶ τῷ ὄντι. ἀμφοτέρων 
οὖν ἅμα αἴτιον ἄλλο' ἅμα μὲν γὰρ ἐκεῖνα χαὶ συνυπάρχει καὶ οὐχ ἀπολείκει ἄλληλα. 
ἀλλὰ δύο ὄντα τοῦτο τὸ ἕν ὁμοῦ, νοῦς καὶ ὃν, χαὶ νοοῦν χαὶ νοούμενον, ὃ μὲν νοῦς 
κατὰ τὸ vorlv, τὸ δὲ ὃν χατὰ τὸ νοούμενον. Vgl. III, 9, 1. 866, Ο: Das νούμενον 
ist der νοῦς ἐν στάσει καὶ ἑνότητι χαὶ ἣσυχίᾳ, der Nus, welcher jenen in sich 
seienden Nus schaut, ist ἐνέργειά τις ἀπ᾽ ἐχείνου͵ ἣ ὁρᾷ Exeivov. Etwas ander 
lautet V, 2, 1. 494, B (vgl. 8. 442, 1), wenn man nämlich bier mit Cazvızı 
und Kısonnorr liest: τὸ δὲ γενόμενον εἷς αὐτὸ (gegen das Urwesen) ἐπεστράφη 
χαὶ ἐπληρώθη καὶ ἐγένετο πρὸς αὗτὸ βλέπον χαὶ νοῦς οὕτως (Cr. οὗτος). χαὶ # μὲν 
πρὸς ἐκεῖνο στάσις αὐτοῦ τὸ ὃν ἐποίησεν, ἧ δὲ πρὸς αὑτὸ θέα τὸν νοῦν. ἐπεὶ οὖν ἔστε 
, πρὸς αδτὸ ἵνα ἴδῃ, ὁμοῦ νοῦς γίνεται καὶ öv. Nach dieser Darstellung wäre in 

dem Zweiten das Bein dadurch entstanden, dass dasselbe durch seine Hin- 
wendung gegen das Erste zum Stehen kam, das Denken dadurch, dass es in 
sich selbst blickte. ‚Allein wie konnte Plotin sagen: „Das Gewordene wandte 
sich gegen das Urwesen, wurde von ihm erfüllt, und wurde in-sich-selbst- 
schauend?* Indem es sich gegen das Erste hinwandte, kann ihm doch zur 
die Anschauung des Ersten entstanden sein. Nur diese ist es aber auch, durch 
welche nach den übrigen eben angeführten Stellen (V, 4, 2. 1,7. 6, 2. 1,4) 
der Nus als solcher entsteht. Ich ziehe daher die von einem Theil der Hand- 
schriften gebotenen Lesarten: πρὸς αὐτὸ βλέπον, ἣ δὲ πρὸς αὐτὸ θέα vor 


Der Nusı Denken und Bein. 457 


eine Phantasieanschauung, als eine logische Ableitung ; aber von 
einem so abstrakten Princip aus war wohl kaum mehr möglich. 
Der wirkliche Grund jener Bestimmung liegt zunächst wohl in dem 
Vorgang der Früheren. Plato hatte nicht blos a. a. O. Sein und 
Wissen als die Wirkungen des Guten zusammengestellt, sondern 
er erklärt überhaupt die reinen Gedanken für das wahrhaft Wirk- 
liche; Aristoteles betrachtete das göttliche Denken zugleich als die 
höchste Substanz ; die Neupythagoreer und die gleichzeitigen Pla- 
toniker pflegten die Ideenwelt, die Gesammtheit dessen, was Plato 
als das ὄντως ὄν bezeichnet hatte, in das göttliche Denken zu ver- 
legen. War nun Plotin durch seine Beschreibung des Urwesens 
über alle diese hinausgegangen, so konnte er doch dem, was ihnen 
das höchste gewesen war, die zweite Stelle nicht versagen; eben- 
dahin führte aber, ganz abgesehen von möglichen Einflüssen der 
philonischen Logoslehre, sein eigenes Princip, denn wenn das 
Erste nichts anderes ist, als die transcendente Ursache des Den- 
kens und Seins, so wird das ursprünglichste Produkt desselben 
nichts anderes sein, als das Denken und Sein selbst; wobei es 
dann ebenso durch das Einheitsstreben des Systems, als durch die 
platonisch-aristotelischen Bestimmungen geboten war, das Denken 
und Sein nicht an zwei Wesen oder Wesensreihen zu vertheilen, 
sondern als eine und dieselbe Substanz zu setzen. Uebrigens lässt 
sich nicht verkennen, dass trotz dieser grundsätzlichen Gleichstel- 
lung beider, in Plotin’s Beschreibung des zweiten Princips der 
Begriff des Denkens über den des Seins, die aristotelische Lehr- 
form über die platonische, überwiegt 1). Schon der stehende Name 


Erst im folgenden wird dann gesagt: für diese Anschauung des Ersten habe 
das Zweite in seiner Thätigkeit anhalten, dieselbe begrenzen müssen (om 
πρὸς abro, ἵνα ἴδῃ) und sei so zugleich Denken und Seiendes geworden; auch 
hier würde aber ἔστη πρὸς αὐτὸ, der στάσις πρὸς ἐχέϊνο entsprechend, einen 
beyuemeren Sinn geben, die Handschriften scheinen jedoch nur αὑτὸ zu 
haben. 

1) Dass diess möglich ist, wird man doch wohl einräumen müssen; man 
kann daher nicht mit Kircuner 8, 49 und Rıcarzr Neuplat. Stud. III, 74 gegen 
die obige Bemerkung einwenden, sie stehe mit den bestimmten Aeusserungen 
Plotin’s im Widerspruch. Dass Plotin Denken und Sein gleichstellen will, 
bezweifle ich nicht, aber dass er beide auch wirklich gleich behandle, muss 
ich bestreiten. Der leitende Begriff in seinen Aeusserungen tiber das zweite 
Princip ist der des Denkens: der eigenthümliche Name desselben ist der Nus, 


«46»... 


458 Plotinus. 


des νοῦς beweist diess, und auch in den oben angeführten Stellen 
wird nicht das Denkem aus dem Sein abgeleitet, sondern dieses 
aus jenem: die οὐσία ist nur das zum Stillstand gebrachte Denken"). 
Auch hierin zeigt sich der spiritualistische Charakter und der 
subjektive Ursprung des Systems ?). | 
Die zahlreichen Aeusserungen Plotin’s über den νοῦς al | 
solchen, oder über die Denkthätigkeit seines zweiten Princips, fas- | 
sen sich in die zwei wesentlich aristotelischen Bestimmungen | 
zusammen, dass das Denken des νοῦς 1) seiner Form nach nicht 
diskursives, sondern anschauendes Denken, und 2) seinem Inhalt 
nach Denken seiner selbst sei; nur in letzterer Beziehung wird hier 
noch beigefügt, dass der νοῦς ausser sich selbst auch das Erse 
denke. Wenn das Urwesen über alle Thätigkeit hinaus ist, so ist | 
der Nus die erste und ursprüngliche Thätigkeit ®); aber diese 
Thätigkeit ist schlechthin vollendet, ein und dasselbe sich gleich- 
bleibende Wirken, obne Bewegung und Veränderung ; die Vor- 
stellung eines blossen Vermögens, das nicht in Wirklichkeit gelre- 
ten wäre, eines Wechsels zwischen Ruhe und Thätigkeit, findet 
hier keine Stelle. ImNus ist mithin kein Unterschied der Fähigkeit 
und des wirklichen Denkens, kein Fortgang vom Nichtdenken 


und wenn das Denken als solches nicht früher entstehen soll, als das Sein, so 
ist doch das, woraus es entsteht, gleichfalls Denken, nur noch kein bewuss- 
tes, jene blinde geistige Thätigkeit, welche Plotin selbst eine ὄψις οὕπω ἰδοῦσα 
nennt (s. u. 460, 4). 

1) Vgl. auch VI, 7, 18. 706, C: wenn kein Ding vor dem Nus war, οὗτος 
ta πάντα ἐγέννα, μᾶλλον δὲ τὰ πάντα ἦν. οὐχ ἔστιν ἄρα τὰ ὄντα εἶναι μὴ νοῦ ἐνερ- 
γήσαντος. 

3) Plotin selbst bezeichnet die Selbstbetrachtung als das Mittel zur Er- 
kenntniss des νοῦς. V, 8, 9 Anf.: ψυχὴν οὖν ὡς ἔοιχε καὶ τὸ ψυχῆς θειότατον κατι- 
δεῖν δεῖ τὸν μέλλοντα νοῦν εἴσεσθαι ὅ τι ἐστὶν ἃ. 8. w., d. h. seine Beschreibung 
des νοῦς ist vom menschlichen Denken abstrahirt, die Denkthätigkeit daher 
nothwendig seine Grundbestimmung. 

8) I, 8, 2; 5. u. 489, 2. 

4) II, 9, 1. 200, B: Im Urwesen ist kein Unterschied von Potentialität 
und Aktualität; ἀλλ᾽ οὐδ᾽ dv τοῖς μετὰ ταῦτα οὐδ' ἐπινοέϊν τὸν μέν τινα νοῦν ἐν 
ἧσυχίᾳ τινὶ, τὸν δὲ οἷον χινούμενον " τίς γὰρ ἂν ἧσυχία νοῦ καὶ τίς χίνησις χαὶ προφορὰ 
ἂν εἴη ἢ τίς ἀργία καὶ τοῦ ἑτέρου [Ὁ] τί ἔργον ; ἔστι γὰρ ὥς ἐστι νοῦς ἀεὶ ὡσαύτως ἐνερ- 
γείᾳ κείμενος ἑστώσῃ. V, 8, 7. 501, Β: Die Ruhe des Nus ist nichts anderes, als 
σχολὴν ἄγουσα ἀπὸ τῶν ἄλλων ἐνέργεια, wie diess von allen den Wesen gilt, οἷς 
τὸ εἶναι οὐ δυνάμει ἐοτὶν ἀλλ᾽ ἐνεργείᾳ. τὰ εἶναι οὖν ἐνέργεια. 


Der Nus als Denken. 4809 


zum Denken 1), eben weil er schlechthin Denken ist; es ist in ihm 
kein Suchen der Gedanken, keine Ueberlegung und keine Beweis- 
führung, sondern nur fertiges Denken, welchem sein Gegenstand 
durchaus gegenwärlig ist, welches alles in Einem hat, ohne es zu 
vermischen 3); es ist daher auch in ihm keine Beziehung auf die 
Zukunft®), und weder die Möglichkeit, noch das Bedürfniss der 
Erinnerung *), er lebt nicht in der Zeit, wie die Seele, sondern in 
der Ewigkeit®). Dieses vollkommene Denken ist aber nothwendig 
Denken seiner selbst, denn ein Denken, welches seinen Gegenstand 
ausser sich zu suchen hat, ist nicht in sich vollendet °). Doch 


1) Υ͂, 8, 5. 501, B: οὐδὲ γὰρ ὁ νοῦς οὗτος δυνάμει, οὐδ᾽ ἕτερος μὲν αὐτὸς ἢ δὲ 
nos ἄλλο. V, 1, 4, 485, Β: οὐδὲν ἔχων ἐν αὑτῷ ὃ μὴ νοέΐ" νοέΐ δὲ οὐ ζητῶν 
ἀλλ᾽ ἔχων. 

2) I, 8, 2. 12, E: νοῦ ἐχείνου ὄντος οὐ χατὰ νοῦν ὃν οξηθείη ἂν τις κατὰ τοὺς 
xap’ ἡμῖν λεγομένους νοῦς εἶναι... λογιζομένους τε καὶ τοῦ ἀχολούθου θεωρίαν ποιου- 
βένους, ὡς ἐξ ἀχολουθίας τὰ OYta θεωμένους, ὡς πρότερον οὐχ ἔχοντας ἀλλὰ κενοὺς 
on μαθέίν ὄντας... ἀλλ᾽ ἔχει πάντα καὶ ἐστὶ πάντα καὶ σύνεστιν αὑτῷ συνὼν, καὶ 
ἔχει πάντα οὐχ ἔχων οὐ γὰρ ἄλλα ὃ δὲ ἄλλος͵ οὐδὲ χωρὶς ἕκαστον τῶν ἐν αὐτῷ᾽ 
ὅλον τε γάρ ἐστιν ἔχαστον nat πανταχῇ πᾶν, καὶ οὐ συγχέχυται ἀλλὰ αὖ χωρίς. V, 8, 
9. 505, D: νοῦς δὲ αὐτὸς αὐτὸν [δρᾷ] od συλλογιζόμενος περὶ αὑτοῦ. πάρεστι γὰρ ἀεὶ 
αὑτῷ, V, 5, 1. 619, B: Das Erkennen des Nus kann kein Erkennen durch 
Beweis sein, denn ein solches ist (wie Plotin des näheren nachzuweisen sucht) 
nie absolut sicher. V, 9, 7. 560, B: Der Nus ist das ursprüngliche Sein selbst 
(αὐτὰ τὰ πρῶτα) συνὼν αὑτῷ ἀεὶ καὶ ἐνέργεια ὑπάρχων καὶ οὐχ ἐπιβάλλων [so. τοῖς 
οὖσι oder τοῖς νοητοῖς} ὡς οὐχ ἔχων ἢ ἐπικτώμενος ἢ διεξοδεύων οὐ προχεχειρισμένα᾽ 
ψυχῆς γὰρ ταῦτα πάθη" ἀλλ᾽ ἕστηχεν ἐν αὑτῷ ὁμοῦ πάντα ὧν. Υ͂Ἱ, 2, 21. 618, E: ἔχει 
δὲ [sc. ὁ νοῦς] πάντα ὡς ἐν νοήσει" νοήσει δὲ οὐ τῇ ἐν διεξόδῳ.... ἀλλ᾽ ἐστὶν εἷς οἷον 
λόγος͵ μέγας, τέλειος, πάντας περιέχων, ἀπὸ τῶν πρώτων αὑτοῦ ἐπεξιών, μᾶλλον δὲ 
an ἐκεζελθὼν, ὥστε μηδέποτε τὸ ἐπεξιέναι ἀληθὲς εἶναι" ὅλως γὰρ πανταχοῦ, ὅσα ἄν 
τις dx λογισμοῦ λάβοι ἐν τῇ φύσει ὄντα, ταῦτα εὑρήσει ἐν νῷ ἄνευ λογισμοῦ ὄντα ἃ. δ. W. 

8) VI, 2, 8. 602, A: ἴδε δὴ νοῦν καθαρόν... δρᾷς δὴ .... νόησιν οὐχ ἐνεργοῦ- 
aay εἰς τὸ μέλλον, ἀλλ᾽ εἰς τὸ ἤδη, μᾶλλον δὲ ἤδη καὶ ἀεὶ ἤδη, καὶ τὸ παρὸν ἀεὶ χαὶ 
ὡς νοῶν ἐν ξαυτῷ καὶ οὐχ ἕξω. Vgl. 8.468, 1. 

4) IV, 8, 25. 890, D: εἰ δέ ἐστι τὸ τῆς μνήμης ἐπικτήτου τινὸς ἢ μαθήματος 
ἢ παθήματος, οὔτε τοῖς ἀπαθέσι τῶν ὄντων οὔτε τοῖς μὴ (wie Kirchh. mit Recht 
beifügt) ἐν χρόνῳ ἐγγίγνοιτο ἂν τὸ μνημονεύειν: μνήμην δὴ [6ἀ8, οὐδὲ] περὶ θεὸν 
οὐδὲ περὶ τὸ ὃν καὶ νοῦν θετέον. V, ὅ, 1 Anfı: ddl γὰρ αὐτὸν ἀεὶ εἰδέναι μηδ᾽ ἂν 
ἐπιλαθέσθαι ποτέ. 

5) Υ͂, 1, 4. 485, B: Der Nus umfasst alles, ἑστῶτα ἀεί. τί γὰρ ζητεῖ μετα- 
Play εὖ ἔχων; ... ἀλλ᾽ ἐν αἰῶνι πάντα καὶ ὃ ὄντως αἰὼν, ὃν μιμεῖται" χρόνος 
περιθέων ψυχήν ἃ. 8. W. 

6) V, ὅ, 1, ὅ20, B: ὃ δὴ νοῦς γιγνώσχων xal τὰ νοητὰ γιγνώσχων, εἰ μὲν ἕτερα 


460 Plotinue. 


folgt aus der natürlichen Verknüpfung des Zweiten mit dem Ersten, 
dass auch dieses für jenes Objekt ist?!); erst durch die Anschauung 
desselben soll ja der Nus entstanden sein ?), um das Erste und zu 
ihm hin bewegt sich seine Thätigkeit °); und kann er auch das 
Eine nicht in seiner reinen Einheit anschauen *), so wird er es 
doch wirklich ergreifen’). Dagegen muss jede Beziehung des Den- 
kens auf das unter ihm liegende, noch mehr natürlich das’praktische 
Wirken von ihm verneint werden, welches schon Aristoteles seinem 
Nus absprach ; denn sein Wesen und seine Thätigkeit besteht ganz 
im Denken 5). 


ὄντα γιγνώσκει͵ πῶς μὲν ἂν συντύχοι adtols; ἐνδέχεται γὰρ ui" ὥστε ἐνδέχεται μὲ 
γιγνώσκειν u. 8. w. V, 6, 1: das πρώτως νοοῦν könne nur dasjenige sein, was 
sich selbst denke, da nur dieses seinen Gegenstand ursprünglich besitze. VI, 
2, 8 8. 459, 8. Weitere Ausführungen hierüber V, 3, 4—9. Dabei wird 
ausdrücklich bemerkt, um sich selbst zu denken, dürfe der Nus keine ver- 
schiedenen Theile in sich haben; c. 5 Anf. (es ist vom νοῦς überhaupt, den 
menschlichen mit eingeschlossen, die Rede): ἄρ᾽ οὖν ἄλλῳ μέρει ξαυτοῦ alle 
μέρος αὐτοῦ xadopd; ἀλλ᾽ οὕτω τὸ μὲν ἔσται ὁρῶν τὸ δὲ δρώμενον, τοῦτο δὲ οὐκ 
αὐτὸ ἑαυτό. τί οὖν; εἰ πᾶν τοιοῦτον οἷον ὁμοιομερὲς εἶναι, ὥστε τὸ δρῶν μηδὲν δια- 
φέρειν τοῦ δρωμένου u. 8. w. vgl. c. 8. 504, C. 

1) V, 1,7 (8. 8. 455, 8). III, 8, 7. 10 (8. 424, 8. 425, 2). Vgl. folg. Aun 

3) Vgl. 8. 456, 4. 

8) 1, 8, 2. 78, B: καὶ ἐστὶ πρώτη ἐνέργεια ἐχείνου (der Nus) χαὶ πρώτη οὐσία, 
ἐχείνου (das Erste) μένοντος ἐν ἑαυτῷ Evepyst μέντοι περὶ ἐχέϊνον οἷον περὶ ἐχέζνον 
ζῶν. Ueber die Hinwendung des Nus zum Ersten s. m. 3. 456, 4. 

4) M. vgl. hierüber V, 8, 11 Anf.: wenn der Nus das Erste zu scobauen 
strebt, νοεῖ [so Kirchh. für sl] μὲν οὖν αὐτὸ ἐχεῖνο, aber nicht in seiner Einbeit 
(denn alles Denken enthält ja, wie schon oben geseigt wurde, eine Viel- 
heit); ὥστε ὥρμησε μὲν Er’ αὐτὸ οὐχ ὡς νοῦς, ἀλλ᾽ ὡς ὄψις οὕπω ἰδοῦσα, ἐξῆλθε δὲ 
ἔχουσα ὅπερ αὐτὴ ἐπλήθυνεν (quod ipsa multiplicavit). Er hat wohl einen τύκος 
τοῦ δράματος, οὗτος δὲ πολὺς ἐξ ἑνὸς ἐγένετο, χαὶ οὕτως γνοὺς εἶδεν αὐτὸ καὶ τότε 
ἐγένετο ἰδοῦσα ὄψις... πρὸ δὲ τούτου ἔφεσις μόνον καὶ ἀτύπωτος ὄψις. Ebd. ο. 7 
Anf. (wo Plotin zu zeigen sucht, dass wir dem Nus jedenfalls ein Erkennen 
seiner selbst beilegen müssen): ,γαλλὰ τὸν θεὸν θεωρεῖ"(, εἴποιμεν av. Auch in 
diesem Fall muss er aber sich selbst erkennen; denn wenn er jenen und seine 
Wirkungen erkennt, so erkennt er auch sich als Geschöpf Gottes; εἰ δὲ ἀδυνα- 
τήσει ἰδέίν σαφῶς ἐχεῖνον, ἐπειδὴ τὸ ἰδεῖν ἴσως αὐτό ἐστι τὸ δρώμενον, ταύτῃ p 
λιστα λείποιτ᾽ ἂν αὐτῷ ἰδέϊν ἑαυτὸν καὶ εἰδέναι, εἰ τὸ ἰδέϊν τοῦτό ἐστι τὸ αὐτὸ εἶναι τὸ 
ὁρώμενον (wenn dieses Sehen darin besteht, dass man das Geschaute selbet ist). 

δὴ Wie diess ausser den ebenangeführten Stellen auch V,6,2 (6. ο. 456,1) 
und sonst vorausgesetst wird. 

6) V, 8,6. 502, C: μὴ οἷόν τε τοῦτον τὸν τοιοῦτον [80. νοῦν) ἐχτὸς ἑαυτοῦ 


Der Nus als Denken; das Denken als Sein. 461 


Soll aber der Nus das Wirkliche zum Inhalt haben, so darf 
dieses nichts von ihm selbst verschiedenes sein 1); mit dem Denken 
ist daher das Sein (οὐσία) Ein und dasselbe 7); das erste Erzeug- 
niss des Urwesens wird durch seine Hinwendung zu demselben 
zugleich Sein und Denken ὅ). 


εἶναι- Gars... ἐν αὅτῷ οὗτος καὶ οὐχ ἄλλο αὐτοῦ τὸ ἔργον καὶ ἣ οὐσία ἢ τὸ νῷ μό- 
νον εἶναι. οὐ γὰρ δὴ πραχτικός γε οὗτος... ᾧ δὲ μὴ πρᾶξις (οὐδὲ γὰρ ὄρεξις τῷ κα- 
θαρῷ νῷ ἀπόντος) τούτῳ ἧ ἐπιστροφὴ πρὸς αὑτὸν οὖσα... ὑποδείχνυσι... ἀναγκαίαν 
αὑτοῦ τὴν γνῶσιν. Vgl. 1, 2, 8 (Β. 488, 1). Ebd. ο. 6. 15, C. 

1) V, 8,5. 500, D: de τὴν θεωρίαν ταὐτὸν εἶναι τῷ θεωρητῷ, καὶ τὸν νοῦν 
ταὐτὸν elvaı τῷ νοητῷ. καὶ γὰρ εἰ μὴ ταὐτὸν, οὐχ ἀλήθεια ἔσται, τύπον γὰρ ἕξει ὃ ἔχων 
τὰ ὄντα ἕτερον τῶν ὄντων, ὃ οὐχ ἔστιν ἀλήθεια. τὴν ἄρα ἀλήθειαν οὖχ ἑτέρου det εἶναι, 
ἀλλ᾽ ὃ λέγει τοῦτο καὶ εἶναι. ἕν ἄρα οὕτω νοῦς καὶ τὸ νοητὸν καὶ τὸ ὃν καὶ πρῶτον ὃν 
τοῦτο u. Β. w. Υ͂, ὅ, 1 ἢ, (8. 0.459, 6), wo ausführlich gezeigt wird, dass das 
Objekt des Denkens vom Denken selbst nicht verschieden sein könne, wenn 
dieses volle Wahrheit und Gewissheit haben solle. Vgl. 8. 811, δ. 

2) Dass der Nns das Seiende in sich enthalten müsse, dass Sein und 
Denken in ihm eins seien, spricht Plotin oft aus; z. B. 1, 8, 2 (s. ο. 459, 2): 
ἔχει πάντα καὶ ἐστὶ πάντα. III, 6, 6. 308, E: Das ὄντως ὃν bedarf keines andern 
zu seinem Sein, es ist vielmehr allem andern Ursache des ihrigen. Dann aber 
muss 68 ἐν ζωΐ χαὶ ἐν τελείᾳ ζωῇ εἶναι... τοῦτο δὲ νοῦς καὶ πάντη φρόνησις. VI, 2, 
21. 618, @: ἐν οἷς γὰρ ἧ οὐσία οὐχ ἄλλο τι 7} νοῦς καὶ οὐκ ἐπαχτὸν οὔτε τὸ ὃν αὐτοῖς 
οὔτε ὃ νοῦς τι, 8. w. V, 8, 6. 602, C: τὸν ἀληθῆ νοῦν... ὃς ἦν ὃ αὗτὸς τοῖς νοου- 
μένοις ἀληθέσι καὶ ὄντως οὖσι χαὶ πρώτοις. V, 8, 4 f. 546, Ο. 547, A, wo der Be- 
griff des Nus mit dem der σοφία vertauscht, und insofern diese für identisch 
mit der οὐσία erklärt wird. Besonders eingehend wird diese Identität von νοῦς 
und οὐσία V, 9, 5 dargethan. Der ἐνεργεία καὶ ἀεὶ ὧν νοῦς, wird hier bemerkt, 

muss alles, was er denkt und hat, von sich selbst denkon und haben. εἶ δὲ 
rap‘ αὑτοῦ χαὶ ἐξ αὐτοῦ νοέϊ͵ αὐτός ἐστιν ἃ vost. el γὰρ ἢ μὲν οὐσία αὐτοῦ ἄλλη, ἃ 
δὲ νοέΐ ἕτερα αὐτοῦ, αὐτὴ I οὐσία αὐτοῦ ἀνόητος ἔσται' καὶ δυνάμει, οὐκ ἐνεργεία αὖ. 
Das, was er denkt, kann nicht ausser ihm sein, denn wo sollte es sein, und 
wo können die ewigen Formen des Wirklichen überhaupt sein, als im Nus? 
8 νοῦς ἄρα τὰ ὄντα ὄντως, οὐχ οἷά ἐστιν ἄλλοθε νοῶν οὗ γὰρ ἔστιν οὔτε πρὸ αὐτοῦ 
οὔτε μετ᾽ αὐτόν’ ἀλλὰ οἷον νομοθέτης πρῶτος, μᾶλλον δὲ νόμος αὐτὸς τοῦ εἶναι. 
Ebenso co. 7 8. ο. 459, 2. 

3) Die Frage, ob das Denken oder das Sein das ursprünglichere sei, 
kann bei Plotin strenggenommen gar nicht aufgeworfen werden, denn beide 
sind durchaus identisch; und aus diesem Gesichtspunkt widerspricht Plotin 
a.2.0.c.7f. 561, Af. der Vorstellung, als ob der Nus erst durch sein 
Denken das Reiende hervorgebracht hätte, als ob erst ὅτε ἐνόησε θεὸν, θεὸς ἐγέ- 

vero, und ὅτε ἐνόησε χίνησιν κίνησις ἐγένετο, mit der Bemerkung: ein solches 
Denken setze ja das Gedachte schon voraus (τὸ ὃν τοῦ νοῦ προεπινοέϊν ἀνάγχη). 
Er selbst behauptet dagegen: ἔστηχεν ἐν αὑτῷ ὁμοῦ πάντα ὧν, οὐ νοήσας, ἵν᾽ ὅπο- 


μἉ4 ".ν. 


4693 Plotinus 


Auch die nähere Bestimmtheit dieses Seins ist durch sein Ver- 
hältniss zum Denken bedingt: aus den zwei Grundbestimmunges 
des Seins und Denkens gehen die ursprünglichen Kategorieen'), 


στήσῃ ἕχαστα.... ἐγχεῖσθαι dei τίθεσθαι ἐν τῷ νοοῦντι τὰ ὄντα, τὴν δὲ ἐνέργειαν zul τὴν 
νόησιν ἐπὶ τίς οὖσιν, οἷον ἐπὶ πυρὶ ἤδη τὴν τοῦ πυρὸς ἐνέργειαν. Auch diess darf 
man aber nicht 80 verstehen, als sei das ὃν die Substanz, der νοῦς die Thätg- 
keit dieser Substanz, und insofern jenes das frühere, denn Plotin selbst fügt 
sofort bei: ἔστι δὲ χαὶ τὸ ὃν ἐνέργεια“ μία οὖν Aupoiv ἐνέργεια, μᾶλλον δὲ τὰ ἄμφω 
ἕν. μία μὲν οὖν φύσις τό τε ὃν ὅ τε νοῦς... ἐπινοεῖταί γε μὴν μεριζομένων ὑφ᾽ hasse 
θάτερα πρὸ τῶν ἑτέρων. Seine Meinung ist also nur die, dass Sein and Denken 
schlechthin dasselbe seien. Beide bezeichnen nur die zwei Seiten eines und 
desselben Wesens, sie entstehen daher durch den gleichen Akt: was aus dem 
Urwesen hervorgeht, das ist, so lange es erst als von ihm ausgehend hetrsch- 
tet wird, weder νοῦς noch οὐσία, es wird beides, indem es sich zum Ersten zu- 
rückwendet, denn dadurch wird zugleich der Fluss seines Werdens in einem 
Produkte zum Stehen gebracht, und sein vorher blindes Sein durch die Em- 
strahlung des Ersten mit einem Inhalt erfüllt und zum Bewusstsein, zum 
Denken, erhoben. M. s. hierüber ausser den Nachweisungen, welche 8. 456, 4. 
461 gegeben wurden, VI, 7, 16. 709, B: Anfangs οὕπω νοῦς ἦν (sc. ὁ vox) 
ἐχέννο βλέπων, ἀλλ᾽ ἔβλεπεν ἀνοήτως. ἢ φατέον, ὡς οὐδ᾽ ἑώρα πώποτε, ἀλλ᾽ ἔζη μὲν 
πρὸς αὐτὸ καὶ ἀνήρτητο αὐτοῦ χαὶ ἐπέστραπτο πρὸς αὐτὸ, I δὲ χίνησις αὕτη πληρω- 
θεῖσα τῷ ἐχεΐ χινέίσθαι χαὶ περὶ ἐχέϊνο ἐπλήρωσεν αὐτὸν, χαὶ οὐχέτι κίνησις ἦν μόνον, 
ἀλλὰ χίνησις διαχορὴς καὶ πλήρης ἑξῆς δὲ πάντα ἐγένετο (wurde er alles) χαὶ ἔγνω 
τοῦτο ἐν συναισθήσει αὑτοῦ χαὶ νοῦς ἤδη ἦν͵ πληρωθὲὶς μὲν, ἵν᾽ ἔχῃ, ὃ ὄψεται, βλέ- 
πὼν δὲ αὐτὰ μετὰ φωτὸς παρὰ τοῦ δόντος ἐχέϊνα χαὶ τοῦτο χομιζόμενος. V, ὅ, ὅ. 
524, C: τὸ γάρ τοι λεγόμενον ὃν τοῦτο πρῶτον Exeidsv οἷον ὀλίγον προβεβηκὸς οὐχ 
ἠθέλησεν ἔτι πρόσω ἐλθέϊν, μεταστραφὲν δὲ el; τὸ εἴσω ἔστη χαὶ ἐγένετο οὐσία. VI, 2, 
8. 602, B (nach den 8. 459, 8 angeführten Worten): ἐν μὲν οὖν τῷ νοέϊν ἣ ἐνέρ- 
γειὰ καὶ ἧ χίνησις, ἐν δὲ τῷ ἑαυτὸν ἣ οὐσία χαὶ τὸ ὄν. ὧν γὰρ νοέϊΐ χαὶ ὄντα ἑαντὸν 
χαὶ εἰς ὃ οἷον ἐπερείδετο ὅν (und das, worauf er sich gleichsam stütste, das Sub- 
strat seines Denkens, ist ein seiendes). ἣ μὲν γὰρ ἐνέργεια ἣ εἷς αὑτὸν οὐχ οὐσία, 
εἰς ὃ δὲ χαὶ ἀφ᾽ οὗ τὸ ὄν (aber das, worauf sie geht und wovon sie ausgeht, ist 
das Seiende). τὸ γὰρ βλεπόμενον τὸ dv, οὐχ ἣ βλέψις ἔχει δὲ χοὶ αὕτη τὸ εἶναι͵ ὅτι 
ἀφ᾽ οὗ καὶ εἰς ὃ ὅν. Weil es aber ἐνεργείᾳ, nicht δυνάμει ὃν sei, so lasse sich 
beides nicht trennen, sondern jedes von beiden (das Schauen und das Ge 
schante) sci zugleich das andere: row (ac. 5 νοῦς) ἑαυτὸν ἐχέίϊνο χἂχέϊνο ἕαντόν. 
1) Plotin erörtert die Kategörieenlehre, die er auch sonst bisweilen be 
rührt, sehr ausführlich Enn. VI, 1 --- (b. Kirchhoff in Ein Buch, Nr. XIX 
vereinigt). Das erste von diesen drei Büchern beschäftigt sich mit der Kritik 
der aristotelischen und stoischen Kategorieenlehre, das zweite bespricht die 
Kategorieen des Intelligibeln, das dritte die der Erscheinungswelt. Von 
Neueren handeln über diesen Theil seines Systems Sreınuart De Dialect. 
Plot. 25 ff, Meletem. Plot. 25 ff, Ders. in Panly’s Realencyklop. V, 1759£ 
Taxsperunpung Histor. Beitr. I, 232 8. Vacnzror Ecole d’Alex, I, 523 fi 


Der Nus alr Sein: die Kategorieen. 463 


die des reinen Wesens, hervor. Das Denken ist Thätigkeit, Leben, 
Bewegung, das Sein ist Bestehen, unveränderliches, zeitloses Be- 
harren !); indem daher der Nus sowohl Denken als Sein ist, muss 
ihm auch Bewegung und Beharren zukommen, wie ja schon seine 
Bewegung, als etwas wesentliches und dauerndes an ihm, ein 
Beharren ist; und da alle diese Begriffe unter sich zwar verschie- 
den, aber als Bestimmungen desselben Wesens doch zugleich ein 
und dasselbe sind, müssen wir ihnen auch noch die Identität und 
den Unterschied als Eigenschaften des Seienden beifügen °). Dage- 


Kıscaner Philos. ἃ. Plot. 57 ff. 86 ff. A. Rıcmrzr Neuplaton. Stud. 2166 H. 
„Plotin's Lehre vom Sein.“ 

1) M. vgl., um anderes zu übergehen, über die χίνησις u. 5. w.: I, 8, 2. 
78, B: χοὶ ἔστι πρώτη ἐνέργεια ἐχείνου καὶ πρώτη οὐσία. III, 6, 6 (s. ο. 461, 2). 
II, 8, 1 (8). 849, Ο: πᾶσα ζωὴ νόησίς τις, ἀλλὰ ἄλλη ἄλλης ἀμυδροτέρα, ὥσπερ 
καὶ ζωή ἣ δὴ... πρώτη ζωὴ καὶ πρῶτος νοῦς εἷς. νόησις οὖν ἢ πρώτη ζωὴ (das 
erste Leben ist demnach Denken), xat ζωὴ δευτέρα νόησις δευτέρα χαὶ ἧ ἐσ- 
jan ζωὴ ἐσχάτη νόησις --- die στάσις betreffend V, 1, 4. 486, Ο: ὃ δὲ νοῦς 
πᾶντα. ἔχει οὖν ἐν αὅτῷ πάντα ἐν τῷ αὐτῷ καὶ ἔστι μόνον καὶ τὸ ἔστιν ἀεὶ καὶ οὐδαμοῦ 
τὸ μᾶλλον: ἔστι γὰρ καὶ τότε᾽ οὐδὲ τὸ παρεληλυθός u. 5. w. Wenn Plotin II, 9, 1 
(s. ο. 458, 4) dem Nus die χίνησις abspricht, so meint er nur diejenige, welche 
einen Gegensatz sur Rahe bildet, welche aus einem Zustand der Ruhe hervor- 
geht, in dem Wirklichwerden eines noch nicht wirklichen besteht; diese fällt 
aber mit derjenigen κίνησις, welche er dem Seienden beilegt, so wenig zusam- 
men, als die ἧσυχία oder ἠρεμία mit der στάσις. 

2) 8o schon in einer seiner früheren Schriften, V, 1, 4 (nach dem 456, 4 
angeführten): οὐ γὰρ ἂν γένοιτο τὸ νοέϊν, ἑτερότητος μὴ οὔσης χαὶ ταὐτότητος δέ, 
γίνεται οὖν τὰ πρῶτα νοῦς, ὃν, ἑτερότης, ταυτότης" del δὲ χαὶ χίνησιν λαβεῖν καὶ 
στάσιν. χαὶ χίνησιν μὲν, εἶ νοέί͵, στάσιν δὲ, ἵνα τὸ αὐτό. τὴν δὲ ἑτερότητα, ἵν' A νοοῦν 
χαὶ νοούμενον... ἑαυτὸν δὲ, ἐπεὶ ἕν ξαυτῷ καὶ χοινὸν δέ τι ἐν πᾶσι᾽ χοὶ ἧ διαφορὰ 
ἑτερότης. ταῦτα δὲ πλείω γενόμενα ἀριθμὸν καὶ τὸ ποσὸν Koul“ καὶ τὸ ποιὸν δὲ ἧ 
ἑχάστου τούτων ἰδιότης" ἐξ ὧν ὡς ἀρχῶν τἄλλα. Ausführlicher Enn. VI, 2. Nach- 
dem Plotin hier zuerst am Beispiel des Körpers, dann an dem der Seele aus- 
einandergesetet hat, inwiefern Eines zugleich vieles sein könne, fährt er ὁ. 7 
fort: Wie in der Seele, so sei auch im Nus die οὐσία und die ζωὴ, und da nun 
das gemeinsame Merkmal jedes Lebens die Bewegung sei, so seien die οὐσία 
und die χίνησις als zwei γένη zu setzen. Κινήσεως δὲ περὶ τὸ ὃν φανείσης οὐχ ἐξι- 
στάσης τὴν φύσιν͵ μᾶλλον 8’ ἐν τῷ εἶναι οἷον τέλειον ποιούσης, sl τε τῆς τοιαύτης 
φύσεως ἐν τῷ οὕτω κινέϊσθαι μενούσης, εἴ τις μὴ στάσιν ἐπειςάγοι, ἀτοπώτερος ἂν εἴη 
τοῦ μὴ χίνησιν διδόντος... ἔστω δὴ καὶ στάσις ἕν γένος ἕτερον ὃν χινήσεως (a. a. Ο. 
001, 6), Ebenso muss sie aber auch, wie des breiteren gezeigt wird, vom ὃν 
verschieden sein, da ja sonst ebensogut die χίνησις mit ihm, und somit auch 
στάσις und χίνησις mit einander identisch sein müssten, C. 8. 602, B (s. ο. 


| 


464 Plotinus. 


gen sind nicht allein die zehen aristotelischen und die vier stoischen 
Kategorieen, gegen welche Plotin auch sonst viele und teilweise 
zutreffende Einwürfe erhebt, auf das übersinnliche Wesen (den 
Nus) nicht anwendbar, sondern man kann für dasselbe überhaupt 
keine andern Kategorieen aufstellen, als die genannten. Nicht die 
der Einheit: denn das ursprünglich Eine liegt über das Sein hinaus 
und kann von keinem andern ausgesagt werden ?), das Eine im 
abgeleiteten Sinn aber ist theils überhaupt nicht Gattung °), theils 


461, 3 Schl., wo dann weiter auseinandergesetzt wird, die στάσις sei das, εἰς ὃ 
λήγει ἣ νόησις und ἀφ᾽ οὗ ὥρμηται, ἢ μὲν ἰδέα dv στάσει πέρας οὖσα νοῦ, ὃ δὲ νοῦς 
αὐτῆς ἣ χίνησις. Diese drei Bestimmungen gehen durch alles hindurch (60, Ὦ, 
wo aber statt ἕν πάντα zu lesen sein ımdohte: ὃν πάντα), jedes spätere (ἔχαστον 
τῶν ὕστερον, jedes von den Wesen, welche in der Reihe des Seins auf den Nas 
folgen), sei eine bestimmte Art des Seienden u. 8. w. (τὶ ὃν καὶ τὶς στάσις zal τς 
χίνησις), sie seien mithin Gattungen (γένη); und da sie nun theils untersckie- 
den, theils aber auch Bestimmungen eines und desselben seien, so sei das 
ταὐτὸν und θάτερον unzertrennlich mit ihnen verbunden; man erhalte mithin 
diese fünf γένη, und zwar als πρῶτα γένη, denn von keinem von ihnen lasse 
sich ein anderes als Gattungsbegriff prädiciren (μηδὲν αὐτῶν χατηγορήσεις ἐν τῷ 
τί ἐστι — m. vgl. über diesen, dem aristotelischen Sprachgebrauch entlehntse 
Ausdruck Bd. I], b, 144, 1). Die vier andern Kategorieen sind (wie o. 15 aus 
führt) die integrirenden Momente der οὐσία (συμπληρσί τὴγ οὐσίαν) oder viel 
mehr, sie sind die οὐσία selbst, denn keines von ihnen ist apäter als die οὖσιε͵ 
ἀλλ᾽ ἦν (sc. ἣ οὐσία) ὅπερ ἦν, ἕν πολλά (das Eins-Viele wird die οὐσία öfters ge- 
nannt). Hiebei wird V, 2, 1 Anf. noch zwischen dem ὃν und der οὐσία unter 
schieden : das ὃν soll die οὐσία bezeichnen, wiefern bei derselben von dem vier 
andern Kategorieen abgesehen wird, die οὐσία umgekehrt τὸ ὃν μετὰ τῶν ἂλ- 
λων, χινήσεωυς, στάσεως, ταὐτοῦ, ἑτέρου, 50 dass diese die στοιχέία von jener sind. 
τὸ οὖν ὅλον οὐσία, ἔχαστον δὲ ἐχείνων τὸ μὲν dv, τὸ δὲ κίνησις, τὸ δὲ ἄλλο τι. Ein 
ὃν ist die κίνησις (und ebenso natürlich die στάσις u. 8. w.) nur κατὰ συμβεβεκας, 
οὐσία dagegen ist sie nicht x. auuß., sondern sie ist συμπκληρωτιχὸν οὐσίας͵ ἢ τῷ 
αὐτὴ ἧ οὐσία χαὶ τὰ dxsi (das Intelligible) πάντα οὐσία... ὅτι dv πάντα. Were 
Vacuneor I, 429 £. nur die Identität und den Unterschied als Kategorieen des 
Nus gelten lässt, während von den übrigen sich im Nus blos die Ideen, 69 
selbst nur in der Seele finden sollen, so ist diess offenbar unrichtig. 

1) Seine ausführliche Kritik der aristotelischen Kategorieenlohre finde 
sich Enn. VI, 1, 1—24, die der stoischen ebd. c. 265—80. Ich kann hier auf 
dieselbe nicht näher eintreten, und will mich begnügen, auf die eingehenden 
Analysen von Rıonter a. a. O. 51—78 und Sreıunarr Meletem. Plotin 25 8. 
und auf die kürzeren Bemerkungen TRENDELENBURG's ἃ. a. Ο. zu verweisen. 

2) VI, 2,9 Anf. 8. 0. 437, 8 vgl. 8. 435. 

8) Was Plotin VI, 2, 9 f. näher begründet. Schon Aristoteles hatte dus | 
tv, ebenso aber freilich auch das ὄν, aus der Zahl der γένη schon desshalb 


Die Kategorieen. 465 


fallt es nicht mit dem Sein zusammen 1). Nicht die der Quantität 
oder der Qualität: denn die Quantität ist schon als diskrete oder als 
Zahl, noch mehr aber als contiunirliche, aus dem Seienden erst 
abgeleitet, also keine Bestimmung des Seienden selbst ?) ; ebenso 
kommt aber auch die Qualität nur in dem abgeleiteten vor, dessen 
Wesen sich aus einer Mehrheit von Eigenschaften zusammensetzt, 
nicht in dem ursprünglichen und einfachen °). Die übrigen Kate- 
gorieen ohnedem finden im Uebersinnlichen keine Stelle). Auch 
das Gute bildet aber keine eigene Kategorie des Seienden, selbst 
wenn wir bei diesem Ausdruck nieht an das Urgute, welches jen- 
seits des Seins liegt, sondern nur an das abgeleitete Gute denken 
wollen ; denn dieses ist entweder eine Qualität, welche den ver- 
schiedenen Wesen in verschiedenem Grade zukommt, und daher 
überhaupt nicht ihre gemeinsame Gattung, jedenfalls aber nicht 
gleich ursprünglich mit dem Sein (οὐσία), oder es fällt mit dem 
Hinstreben des Seienden zum Guten, also mit der Kategorie der 
Bewegung, zusammen °). Ebenso bezeichnet die Schönheit entwe- 
der den von der Idee ausgehenden Glanz, oder das Seiende selbst 
als das Schöne, oder seine Wirkung, sei es seine Wirkung auf 
uns oder nach dem Urwesen hin. Aber im ersten Fall ist sie nicht 
eine Kategorie, sondern eine Folge des Seins; im zweiten 
ist sie von dem Sein, im dritten von der Bewegung nicht verschie- 
den δ). Aehnlich gehört das Wissen theils in die Kategorie der 


ausgeschlossen, weil die Gattung von den specifischen Differenzen, durch 
welche sie getheilt werden kann, sich nicht prädiciren lasse, die Einheit da- 
gegen und das Sein von allem prädicirt werden könne. Vgl. Metaph. III, 8. 
998, Ὁ, 38; weiteres bei Bosırz und Sonwezeuze 2. d. Bt. 

1) Die Einheit eines Dings besteht (a. a. O. c. 11.12 vgl. 3.447, 4. 448, 1) 
in seiner Annäherung an das Gute als das Ureine, und nur nach dem Grade 
dieser Annäherung, nicht nach dem seines Seins, richtet sioh der Grad seiner 
Einheit. Die letztere Behauptung verträgt sich aber nicht mit andern a. a. O. 
nachgewiesenen Aussagen. 

4) C. 18. 

8) A. a. O. co. 14 vgl. die frühere Abhandlung über die Quslicat, II, 6, 
6. 1. 179, C. c. 8, Anf. 

4) Wie diess a. a. Ὁ. c. 16 von dem πρός τι, ποῦ, ποτὲ; ποιέῖν͵ πάσχεν, 
ἔχειν, κείσθαι ganz kurz gezeigt wird. 

δ) A. a. 0. co. 17. 

6) C. 18. Von der Schönheit der übersinnlichen Welt wird 8. 476 f. zu 
sprochen sein. 


Philos. ἅ. Gr. III. Bd. 2. Akth, 30 


466 Plotinus, 


Bewegung oder Thätigkeit, theils in die des Beharrens (στάσις), 
oder in beide zusammen 1). Die Tugenden ferner sind blosse Tha- 
tigkeiten, nicht generische Bestimmungen des Nus Ὦ. Der 
Nus selbst endlich ist nicht eine von den Kategorieen, sondern 
das Ganze, was sie alle umfasst 5). Aus jenen Grundbestimmungen 
des Seins gehen dann weitere, abgeleitete Kategorieen hervor: 
die Zahl, die Qualität, die Quantität u. s. w.*) Auf die Erschei- 
nungswelt dagegen finden die Kategorieen des Uebersinnlichen 
keine unmittelbare Anwendung °), wenn ihnen die ihrigen auch 
immerhin analog sind 5). So eingehend sich übrigens Plolin mit 


1) A. a. 0. 611, A, 

2) Ebd. 611, B. 

8) A. a. Ο: ὃ δὲ νοῦς dv νοοῦν χαὶ σύνθετον dx πάντων, οὐχ ἕν τι τῶν γενῶν" 
καὶ ἔστιν ὁ ἀληθινὸς νοῦς ὃν μετὰ πάντων χαὶ ἤδη πάντα τὰ ὄντα, To δὲ ὃν μόνον ψι- 
λὺν εἷς γένος λαμβανόμενον στοιχέϊον αὐτοῦ. 

4) VI, 2, 19 wirft Plotin die Frage auf, wie aus den vier γένη des Seies- 
den εἴδη hervorgeben; nnd nachdem er verschiedene Aporieen, welche sich 
bier ergeben, aufgezeigt hat, antwortet er c. 20 zunächst: der allgemeine Nas 
verhalte sich zu seinen Theilen, wie die Wissenschaft zu den einzelnen Wis 
senschaften: jener sei das Ganze &vspysla, das Einzelne δυνάμει, diese das Bis 
zelne ἐγεργείᾳ das Ganze δυνάμει. C. 21 sucht er dann die εἴδη des Beiondes, 
aber freilich sehr ungenügend, abzuleiten. Da im Nus Einheit und Vielheit 
sei, so sei in ihm auch die Zahl, und da diese unbegrenzt sei, das Grosse (τὸ 
μέγα). Dieses snsammen mit der Bohönheit und dem Glanse des Seienden be- 
trachtet, ergebe das ποιὸν, in der Btetigkeit seines Seins die Grösse (μέγεθος); 
und da auch die Einheit, Zweibeit und Dreiheit im Nus seien, erhalte man τὸ 
μέγεθος τριττὸν ὃν χαὶ τὸ ποσὸν πᾶν. Aus der Vereinigung des ποσὸν und ποὼν 
gehe die Gestalt, aus ihrer Theilung durch das θάτερον die besonderen G* 
stalten und Qualitäten hervor; die ταὐτότης erseuge im ποσὸν die Gleichheit, 
. die ἑτερότης die Ungleichheit in Zahlen und Grössen, woraus dann weiter die 
verschiedenen Arten von Zahlen und Figuren sich entwickeln. Indem endlich 
die ζωὴ hinzukomme (die ja mit der χίνησις identisch sein soll) bilden sich in 
dem Nus ala dem αὐτοζῷον auch alle Arten lebender Wesen. 

6) Selbst die Substanz soll ja in derselben nur im uneigentlichen Nina 
vorkommen. Vgl. folg. Anm. 

6) Von den Kategorieen der Erscheinungswelt handelt, wie bemerkt, 
Enn. VI, 3. Plotin unterscheidet hier ὁ. 3 zunächst mit Aristoteles den Btof, 
die Form und das aus beiden zusammengesetzte, fasst dann aber diese drei 
Begriffe in dem der Rubstanz (οὐσία, ἣ ἐνταῦθα ὁμώνυμος οὐσία) susammen. Von 
ihnen unterscheidet er τὰ πεοὶ ταῦτα͵ τὰ μὲν χατηγορούμενα μόνον, τὰ δὲ χαὶ συμ- 
βεβηκότα. Jones ist das πρός τι͵ von den συμβεβηκότα εἰπὰ τὰ μὲν ἐν αὐτοῖς (das 
ποσὸν und ποιὸν), τὰ δὲ αὐτὰ ἐν ἐκείνοις (dv τόπῳ καὶ χρόνῳ -- ποῦ und ποτὲ), τὸ 


Die Kategorieen. 487 


diesem Gegenstande beschäftigt hat, so lässt sich doch nieht ver- 
kennen, dass seine Kategorieenlehre für das Ganze seines Systems 
nicht die gleiche Bedeutung hat, wie die des Aristoteles oder der 
Stoiker für das ihrige. Die scharfe Unterscheidung der übersinn- 
lichen und der Erscheinungswelt findet allerdings in dem Satze, 
dass für beide gar nicht die gleichen Kategorieen gelten, ihren 
Ausdruck, und für die Auffassung der übersinnlichen Welt bilden 
die zwei Bestimmungen des Denkens und Seins die Grundlage, 
sonst jedoch haben die Untersuchungen über die Kategorfeen auf 
den Fortgang des Systems kaum einen Einffuss 1). Und wirklich 
hat ja auch Plotin seine übersinnlichen Kategorieen nur an der 
Hand Plato’s mühselig genug gefunden ?); was aber die sinnlichen 
betrifft, so lässt sich in seinen Aeusserungen darüber eine vielfache 
Unsicherheit nicht verkennen 5). Auch seine Schule ist von seiner 
Kategorieenlehre bald wieder abgekommen *), ohne dass sie sich 


& ἐνεργήματα αὐτῶν τὰ δὲ πάθη (beides zusammen sind die χινήσεις), τὰ δὲ παρα- 
κολουθήματα (τόπος χαὶ χρόνος), Näher jedoch führen sich diese alle auf fünf 
zurück : οὐσία, πρός τι, ποσὸν, ποιὸν, κίνησις, doch könne man die (drei) letzte- 
ren auch zum πρός τι rechnen. Im weiteren Verlauf seiner Abhandlung be- 
spricht Plotin nur die Substanz, Quantität, Qualitkt und Bewegung. Auf das 
einzelne dieser Erörterungen kann ich bier nicht eingehen, muss hiefür viel- 
mehr auf die früher genannten Darstellungen verweisen. 

1) Ich kann daber nicht allein Steınuart (Pauly’s Enoykl.V, 1759) nicht 
beistimmen, wenn er sagt, die Untersuchung über die Kategorieen enthalte: 
den eigentlichen Schlüssel zu Plotin’s Lehre, sondern auch Rıcnter scheint 
mir die Bedeutung derselben zu überschätzen, wenn er (a. a. OÖ. vgl. beson- 
ders 8. 15 f.) die „Lehre vom Seienden“, welche im wesentlichen nichts an- 
deres ist, als die Kategorieenlehre, unter dem Namen der Metaphysik mit den 
übrigen Theilen des Systems, der Theologie, Physik, Psychologie nnd Ethik, 
auf Eine Linie stellt. Es spricht hiegegen auch der Umstand, dass Plotin’s 
Kategorieenlehre die Bestimmungen über den Nus und den Gegensatz der 
sinnlichen und übersinnlichen Welt schon voraussetzt. 

2) Vgl. 8. 456. 468 f. 

8) Vgl. TaesspeLenzure ἃ. ἃ. 0. 288 ff., der seine Besprechung der plo- 
tinischen Kategorieenlehre mit den Worten schliesst: „Es ist bei Plotin das 
fremde zam grossen Theil verworfen, aber das eigene nicht durchgeführt, und 
doch nur am fremden versucht.“ 

4) Schon Porphyr gab in seinem grösseren Commentar zu den Katego- 
rieen (den sieben Büchern an Gedalius) nicht blos eine Erklärung der aristo- 
telisehen Schrift, sondern auch τῶν ἐνστάσεων πασῶν (der plotinischen) λύσεις 
(Snsrı. in Eateg. 1, ß. Schol. in Arist..40, a, 84); und von da an blieben die 


80" 
An. 


468 Plotinus. 


dadurch genöthigt gesehen hätte, sein sonstiges System zu ver- 
lassen. 

Ist aber im Zweiten eine Mehrheit von Bestimmungen, so 
müssen wir in ihm auch von diesen besondern Bestimmungen das 
gemeinsame unterscheiden, was ihnen allen gleichmässig zu Grunde 
liegt; ist in ihm Anderssein, so ist in ihm auch das Unbegrenzie; 
wird es durch das Erste bestimmt, so muss es abgesehen davon 
noch unbestinımt sein; bewegt es sich, so verwirklicht es, was 
vorher nur der Möglichkeit nach in ihm war; ist es Denken, so ist 
es Thätigkeit des Denkvermögens. Das Unbegrenzte aber, das 
Unbestimmte, das blosse Vermögen, das Allgemeine, welches durch 
die speciischen Merkmale näher bestimmt wird, ist die Materie. 
Die Materie muss daher schon im Nus sein, und wenn bereits Plate 
das Unbegrenzte auch in die Ideen verlegt, nach Aristoteles sogar 
von einer Materie der Ideen geredet hatte, so thut diess Plotin zit 
solcher Bestimmtheit, dass er sich den Unterschied des Zweiten 
vom Ersten nur aus dieser Voraussetzung zu erklären weiss. Nur 
dass man sich die Materie im Nus nicht nach Analogie dessen des- 
ken darf, was wir sonst Materie nennen. Es ist vielmehr eine dop- 
pelte Materie zu unterscheiden, die intelligible und die sinnliche. 
Jene ist schlechthin durch das Höhere geformt und belebt, diese 
widerstrebt der Form, jene ist ein seiendes, diese das Nichtseiende, 
jene ist ewig, wie die Idee, diese einem beständigen Werden unter- 
worfen '). Der Unterschied beider erscheint demnach allerdings so 


aristotelischen Kategorieon bei den Neuplatonikern in Geltung. Unter ihren 
Commentatoren aus dieser Schule macht es sich namentlich Dexippus (in den 
von Sexuesı. in den Monumenta Sscul. Monac. herausgegebenen ἀπορίαι τῶ 
λύσεις) zur Aufgabe, Plotin’s Einwendungen zu widerlegen. 

1) IL, 4, 1—5. 16 f. Z.B. 0. 4 Anf.: εἰ οὖν πολλὰ τὰ εἴδη κοινὸν μὲν τι ἐν 
αὐτσῖς Avayın εἶναι͵ καὶ δὴ καὶ ἴδιον ᾧ διαφέρει ἄλλο ἄλλου. τοῦτο δὴ τὸ ἴδιον καὶ ἡ 
διαφορὰ ἢ χωρίζουσα (die διαφορὰ εἰδοποιὸς, worüber Bd. II, b, 145, 1) ἢ οἰκείε 
ἐστὶ μορφή. el δὲ μορφὴ, ἔστι καὶ τὸ βορφούμενον, περὶ ὃ ἢ διαφορά. ἔστιν ἄρα κὰ 
ὕλη ἡ τὴν μορφὴν δεχομένη καὶ ἀεὶ τὸ ὑποχείμενον. (Auch diess iat aristotelisch; 
5. ἃ. ἃ. Ο. 148, 1.) Wenn ferner die Sinnenwelt ein Abbild der übersinnlichen 
sei, so müsse diese ebenso, wie jene, aus Porm und Stoff zusammengesetzt 
sein. C. 5. 162, A: die jenseitige Welt ist ewig; χαὶ γὰρ, ἣ ἑτερότης & ἐχέΐ ἀὰ͵, 
A τὴν ὕλην nos. ἀρχὴ γὰρ ὕλης αὕτη, ἢ χίνησις ἢ πρώτη ... ἀόριστον δὲ καὶ & ar 
νησις καὶ ἢ ἑτερότης ἡ ἀπὸ τοῦ πρώτου κἀχείνου πρὸς τὸ δρισθῆναι δεόμενα “ δρίζεται 
δὲ; ὅταν πρὸς αὐτὸ ἐπιστραφῇ πρὶν δὲ ἀόριστον καὶ ἢ ὕλη καὶ τὸ ἕτερον καὶ οὕκω 


| 
Ι 


Die intelligible Materie. Ideen und Zahlen. 469 


bedeutend, dass wir kaum wissen, welche Gleichheit derselben, 
ausser der des Namens, noch übrig bleibt ; doch ist diese desshalb 
nicht ganz grundlos, weil allerdings schon im zweiten Princip jenes 
Hleraustreten aus der absoluten Einheit beginnt, welches nur in der 
Materie sein letztes Ziel findet. 

Schon hieraus folgt, dass das Sein, welches mit dem Denken 
identisch ist, nicht reine Einheit, sondern nur Vielheit in der Ein- 
heit sein kann. Der Nus vermag die Kraft, welche ihm von dem 
Kinen aus zuströmt, in ihrer Unendlichkeit nicht zu fassen ; um sie 
tragen zu können, muss er sie in eine Vielheit zerlegen '); er 
muss überhaupt ein vielfaches sein, wenn er denkend sein soll ?). 
Das viele aber, was im Denken enthalten ist, sind die Begriffe oder 
ideen, und so schliesst sich hier die Ideenlehre an. Plotin setzt 
diese im allgemeinen in ihrer platonischen Form voraus ®); nur 
dass er der pythagoreischen Neigung seiner Schule und Zeit fol- 
gend, die Ideen zugleich als Zahlen fasst, und die Zahl für das 
Bindeglied hält, durch welches der Hervorgang der Vielheit aus 
dem Einen Sein (dem Nus) vermittelt sei; er nennt daher bald das 


ἀγαθὸν, ἀλλὰ ἀφώτιστον ἐχείνου. Wendet man aber ein, so würde das Unbe- 
grenste in die intelligible Welt gesetst, so erwiedert Plotin: dem sei aller- 
dings so (vgl. auch c. 15. 169, A: ἐπεὶ καὶ dv τοῖς νοητοῖς ἢ ὕλη τὸ ἄπειρον), aber 
es sei zu bedenken (co. 3 Anf.), ὡς οὐ πανταχοῦ τὸ ἀόριστον ἀτιμαστέον οὐδὲ ὃ ἂν 
ἄμορφον ἧ τῇ ἑαυτοῦ ἐπινοίᾳ, εἰ μέλλει παρέχειν αὐτὸ τοῖς πρὸ αὅτοῦ καὶ τοῖς ἀρίστοις. 
Eben diess ist aber hier der Fall; es giebt (c. 15. 169, B) ein doppeltes Un- 
endliches, von denen sich das eine zum andern verhält, wie das Urbild zum 
Abbild; ἡ ὕλη ἢ dxel dv, τὸ γὰρ πρὸ αὐτῆς ἐπέκεινα ὄντος, ἐνταῦθα δὲ τὸ πρὸ αὐτῆς 
dv, οὐχ ὃν ἄρα αὐτή (α. 16, Schl.); die θεία ὅλη (ὁ. 5. 161, Ε) λαβοῦσα τὸ δρίζον 
αὐτὴν ζωὴν ὡρισμένην καὶ νοερὰν ἔχει, die irdische bleibt trots ihrer Gestaltung 
ein νεκρὸν κεχοσμημένον. Auch das hat (c. 8) nichts auf sich, dass so das In- 
telligible ale ein susammengesetstes erscheint: die Zusammensetzung ist hier 
keine materielle; zusammengesetst sind auch die Begriffe. Fragt man end- 
lioh, ob denn die intelligible Materie ein gewordenes sei, so entgegnet I’lotin 
(e. 5. 161, G), es verhalte sich mit ihr, wie mit den Ideen: γεννητὰ μὲν γὰρ τῷ 
ἀρχὴν ἔχειν, ἀγόννητα δὲ ὅτι μὴ χρόνῳ τὴν ἀρχὴν ἔχει. Vgl. auch III, 8, 10 Anf.: 
ἐκὰ γὰρ ὃ νοῦς ἐστιν ὄψις τις καὶ ὄψις ὁρδϊσα, δύναμις ἔσται εἷς ἐνέργειαν ἐλθοῦσα, 
ἔσται τοίνυν τὸ μὲν ὕλη τὸ δὲ εἶδος αὐτοῦ... ὕλη δὲ ἐν νοητσῖς. 

1) VL, 1, 15. 708, C. 

2) Vgl. 8. 454 f. Das Seiende heisst dessbalb, wie schon 8. 464 be- 
merkt wurde, nicht selten ἧν πολλὰ. 

8) Z.B. III, 9, ı. V, 1,7. 489, A. 


470 Zu Plotinum. 


wahrhaft Seiende selbst Zahl, bald die Zahlen die Wurzel und 
Quelle des Seienden!). Indessen finden sich in der näheren Bestin- 
mung der Ideenlehre erhebliche Abweichungen von der plalesi- 
schen Vorstellungsweise. Das zwar hätte weniger auf sich, dass 
Plotin keine Ideen des schlechten und verfehlten, des Schmutzes 
und ähnlicher Dinge annimmt 3), während Plato auch von solchen 
unbefangen geredet hatte 5): um so beachtenswerther ist dagegen 
die Behauptung, es gebe ebensoviele ideale Urbilder, als Einzelwe- 
sen 4). Plotin macht hiefür geltend (a. a. Ὁ. 6. 1), dass sich die 
unterscheidenden Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Indivi- 
duen aus einem gemeinsamen Urbild nicht erklären lassen. Sagt 
er nichtsdestowensiger °), die Ideen beziehen sich nicht anf das 
Individuum, sondern auf das Allgemeine, so liesse sich dieses viel- 
leicht mit dem eben angeführten durch dieselbe Voraussetzung 
vereinigen, wittelst deren Plotin auch der Unendlichkeit der Ideca 
zu entgehen sucht, dass nämlich nur so viele Urformen nötkig 


1) V1,6, 9. 679, C: die Zahl sei früher als die Vielheit des Seienden (τὰ 
ὄντα), wenn auch spüter als das Beiemde in seiner Einheit (τὸ ὃν): ἣ τοῦ ἀριθμοῦ 
δύναμις ὑποστᾶσα ἐμέρισε τὸ ὃν χαὶ οἷον ὠδίνειν ἐποίησεν αὐτὸ τὸ πλῆθος... τὸ μὴν 
ὃν ἀριθμὸς ἡνωμένος, τὰ δὲ ὄντα ἐξεληλεγμένος ἀριθμός" νοῦς δὲ ἀριθμὸς ἐν ἑαυτῷ 
χινούμενος (die xenukratische Definition der Seele), τὸ δὲ ζῷον ἀριθμὸς περιέχων. 
Diess folge auch aus der Abstammung des Seieuden von dem Eins (und der 
δυὰς ἀόριστος 8. 0. 456, 8). διὸ καὶ τὰ εἴδη ἔλεγον χαὶ ἑξνάδας καὶ ἀριθμούς" ταὶ 
οὗτός ἐστιν ὁ οὐσιώδης ἀριθμός. ἄλλος δὲ ὁ μοναδιχὸς λεγόμενος εἴδεολον τούτου. 
Weiteres über die Priorität der Zahlen vor dem vielen Beienden ὁ. 10. Ebd. 
0. 15. 687, B: τὸ δὲ ὃν γενόμεγον ἀριθμὸς συνάπτει τὰ ὄντα πρὸς αὗτό.... ταῖς γὲῤ 
δυνάμεσι τοῦ ἀριθμοῦ ἐσχίσθη καὶ τοσαῦτα ἐγέννησεν ὅσα ἦν ὃ ἀριθμός. ἀρχὴ οὖν κεὶ 
πηγὴ ὑποστάσεως τοῖς οὖσιν ὁ ἀριθμὸς ὃ πρῶτος καὶ ἀληθής. Vgl. V, 1,5 (oben 
455, 3). VI, 2, 21. 613, A (8. ο. 466, 4). Eine ausführlichere Darstellang der 
vorliegenden Lehre giebt Vacueror II, 237 fi. aber gerade der Angelpuak! 
derselben, die mittlere Stellung der Zabl zwischen dem ὃν als Einheit und der 
Vielheit der ὄντα, wird in dieser Daxstellung nicht beachtet, und in Folge 
davon Plotin’s Ansicht von der Zahl mit der des Jamblich und Proklas su 
sehr identificirt. Weiter vgl. m, den Auszug aus Enn. VI, 6 (x. ἀριθμῶν) hei 
Rıcater Neupl, Stud. III, 70 £. 

2) V, 9, 10 Anf. c. 14. 565, A. Dagegen weiss er nach VI, 7, 9-13 
Ideen der unvernünftigen Thiere, Pflanzen, Steine u. 8. £ wohl zu begreifen. 

3) Vgl. Bd. II, a, 448. Doch war schon Plato in seiner späteren Zeit voR 
dieser Annahme abgekommen; a. a. Ο. 445, 1. 

ΦΥ͂, 1. 

5) Υ͂, 9, 12 Anf.: χρὴ δὲ καὶ τῶν καθόλου λέγειν τὰ εἴδη εἶναι, οὐ Σωχράτους 
ἀλλ᾽ ἀνθρώπου. 


Die Ideen, die Kräfte im Νὰ. 471 


seien, als in jeder Weltperiode Einzelwesen existiren, wogegen 
sich diese Formen in jeder folgenden Periode in veränderter Er- 
scheinung wiederholen 1), denn das Urbild wäre so immer noch 
vom empirisch bestimmten Einzelwesen selbst verschieden. Doch 
ist wohl das richtigere, in diesen verschiedenartigen Aeusserungen 
wirkliehe Abweichungen und einen Beweis von der mangelhaften 
Ausbildung der Ideenlehre bei Plotin zu finden. 

Schon diese Unsicherheit wird nun beweisen, und die verhält- 
nissmässig seltene und meist nur beiläufige Erwähnung der Ideen 
wird es bestätigen, dass die Ideenlehre für Plotin nicht die gleiche 
Bedeutung hat, wie für Plato ; und ein Blick auf das ganze System 
zeigt, warum sie diese Bedeutung für ihn nicht haben kann. Die 
Ideen steilen das Unbedingte unter der Bestimmung des Seins dar, 
die Ideenwelt Plato’s ist eine Totalität in sich beruhender Wesen- 
heiten ; und wird ihr auch Bewegung, Vernunft und Causalität bei- 
gelegt, so treten doch diese Prädikate hinter dem substantiellen 
Charakter der Ideen gänzlich zurück, die Ideenlehre ist nicht darauf 
angelegt, den Hervorgang des Sinnlichen aus dem Uebersinnlichen 
zu erklären. Gerade dieses ist aber das Hauptbestreben Plotin’s; er 
fasst daher das Uebersinnliche weit weniger unter dem Begriff der 
Substanz, als unter dem der Kraft. Ich habe diess schon an seinen 
Aeusserungen über das Urwesen nachgewiesen ; dasselbe zeigte 
sich darin, dass bei der Beschreibung des Zweiten der Begriff des 
νοῦς über den der οὐσία überwiegt, denn jener drückt eine Thätig- 
keit, dieser ein Sein aus. Ebenso wird nun auch für die Vielheit, 
welche der Nus in sich befasst, die substantielle Form des gedach- 
ten Seins, oder der Ideen, weniger angemessen erscheinen, als 
die der denkenden Kraft. Auch der ersteren Darstellung bedient 
sich unser Philosoph allerdings nicht blos um des platonischen 
Vorgangs willen: der unendliche Nus muss ja die Gesammtheit des 
Denkbaren, alle reinen Begriffe in sich schliessen. Aber doch liegt, 
es ihm noch näher, ihn als das Reich der wirkenden Kräfte zu 
beschreiben: die platonischen Ideen verdichten sich ihm, ähnlich 
wie Philo, zu Geistern (vor), welche von demNus, als dem allgemei- 
nen Geist, umfasst werden, dieldeen sind ihm nicht blos Gedanken 
des Nus, sondern ein wirkliches in ihm; sie sind die Theilwesen, 


͵ 
1) V, 1, 1-τ|ῦ. IV, 8, 12. 881, E. 


478 Plotinus. 


welche er in sich auswirkt und aus welchen er besteht, geistäge 
Kräfte, denkende Geister, die ebenso in ihm und unter ihm entkel- 
ten sind, wie die Artbegriffe im Gattungsbegrifl, oder die besondere 
Wissenschaften in der Wissenschaft als Ganzem '). Eine genauere 
Bestimmung dieses Verhältnisses suchen wir freilich vergebens, 
und sie war auch kaum möglich, ohne den Widerspruch an’s Licht 
zu bringen, von dem schon die platonische Ideenlehre und in noch 
höherem Grade die Lehre Philo’s von den Kräften gedrückt wird, 
dass Substanzen unter einander theils im Verhältniss der logischen 


1) V, 9, 8 Anf: el οὖν ἣ νόησις ἐνόντος (wenn das Denken des Nus Denken 
eines in ihm seienden ist) &xelvo τὸ εἶδος τὸ ἐνὸν χαὶ ἢ ἰδέα αὕτη. τί οὖν τοῦτο; 
νοῦς καὶ ἧ νοερὰ οὐσία, οὐχ ἑτέρα τοῦ νοῦ ἑχάστη ἰδέα, ἀλλ᾽ ἑχάστη νοῦς, καὶ ὅλος 
μὲν ὁ νοῦς τὰ πάντα εἴδη, ἕκαστον δὲ εἶδος νοὺς ἔχαστος, ὡς ἢ ὅλη ἐπιστήμη τὰ πανξτα 
θεωρήματα. IV, 8, 8. 471, A: ὄντος τοίνυν παντὸς νοῦ ἐν τῷ τῆς νοήσεως τόξῳ ὅλον 
τε χαὶ παντὸς, ὃν δὴ χόσμον νοητὸν τιθέμεθα, ὄντων δὲ καὶ τῶν ἐν τούτῳ περιεχομένων 
νοερῶν δυνάμεων χαὶ νόων τῶν χαθέχαστα᾽ οὐ γὰρ εἷς νοῦς μόνος, ἀλλ᾽ εἷς καὶ πολ- 
λοί τι. 8. w. VI, 2, 20: wie die Wissenschaft als Ganzes zu den besondern Dis- 
ciplinen, oder der Gattungsbegriff zu den Arthegriffen, so verhält sieh der 
ξύμπας νοῦς (auch ὃ μέγας νοῦς genannt) zu den einzelnen Nus; er ist die δύνα. 
μις αὐτῶν, sie sind ἐνεργείᾳ μὲν ὅ εἶσι, δυνάμει δὲ τὸ ὅλον. Ebd. ο. 22. 614, B: 
εἷς δὲ νοῦς καὶ πολλὰ ὧν καὶ τοὺς πολλοὺς νοῦς ποιέΐ, er theilt sich nämlich in sie 
als seine Arten. Ebd. 615, B: ὅτε ἐν αὑτῷ ἐνεργέϊ [ὁ νοῦς], τὰ ἐνεργούμενα ol ἂλ- 
λοι νόΐ, ὅτε δὲ ἐξ αὑτοῦ, ψυχή. ΨΊ, 6, 15. 686, Β: ἐν δὲ τῷ νῷ καθόσον νοῦς ὡς 
μὲν μέρη οἱ vol πάντες καθέκαστον. VI, 1, 17. 710, D: vermöge der Unendlich- 
keit aeinss Lebens ist der νοῦς nothwendig eine Vielheit. τί δὲ τὸ πολλά; νόες 
πολλοί. πάντα οὖν νόες" καὶ ὁ μὲν πᾶς νοῦς, ol δὲ ἕκαστοι vol, ὃ δὲ πᾶς νοῦς ἔχαστον 
περιέχων u. 8. w. Ebenso c. 8. 700, E: das nächste nach dem Ersten musste 
‘eine Vielheit sein; ἦν τοίνυν οὐχ ὡς νοῦς εἷς, ἀλλὰ πᾶς καὶ πάντας τοὺς χκαϑ' ἕκαστα 
νοῦς ἔχων. Wenn Kızcunee B. 60 in diesen Stellen, von denen er einige der 
entscheidendsten gänzlich ignorirt hat, nur diess finden will, dass die Idee des 
Allgeistes die Ideen aller einzelnen Geister in sich schliesse, meine Darsisl- 
lung dagegen kurzweg eines „merkwürdigen Missverständnisses® beschuldigt, 
ΒΟ zeigt der Augenschein, wie wenig er dasu ein Recht hat. Was können 
denn die Theile des Nus anders sein, als v6es? Eben dieses sagt ja aber such 
Plotin so bestimmt wie möglich; so unter anderem auch III, 8,8. 860, A: ὁ νοῦς 
οὐχ ἕνός τινος νοῦς, ἀλλὰ χοὶ πᾶς πᾶς δὲ ὧν χαὶ πάντων. δεῖ οὖν αὐτὸν πάντα ὄντα 
χαὶ πάντων χαὶ τὸ μέρος αὑτοῦ ἔχειν πᾶν καὶ πάντα᾽ εἰ δὲ pa, ἕξει τι μέρος οὐ νοῦν 
χαὶ συγχείσεται ἐξ οὐ νῶν χαὶ σωρός τις συμφορητὸς ἔσται ἀναμένων τὸ γενέσθαι νοῦς 
ἐχ πάντων. Plotin’s Meinung ist nach diesen Erklärungen nicht blos die, dass 
jeder besondere νοῦς ein Theil des allgemeinen, sondern auch umgekehrt, dass 
jeder Theil des letsteren wieder νοῦς, also ein χαθέχαστον νοῦς sei. Anch 
Brannıs 8. 345 theilt mein „Missverständniss,“ 


= nm. .-.-..Ψ.ὄ... nn 


Der κόσμος νοητός. 478 


Unterordnung, theils in dem des Theils und des Ganzen stehen 
sollen. 

Sofern nun der Nus eine Vielheit von Formen und Kräften in 
sieh schliesst, erweitert sich sein Begriff zu dem der übersinnlichen 
Weit, des χόσμος νοητός 1). In der Beschreibung dieser Welt tritt 
bei. Plotin das doppelte Interesse hervor, einerseits die Vielbeit in 
ihr als eine absolute, alle Formen des Seins vollständig begreifende, 
zu fassen, andererseits aber diese Vielheit von der der Erschei- 
nungswelt dadurch zu unterscheiden, dass sie von der Einheit 
schlechthin umfasst und durchdrungen sein soll; in derselben Rich- 
tung liegt es, wenn die intelligible Welt zwar als durchaus bewegt 
und belebt geschildert, zugleich aber alle Veränderung von ihr 
ausgeschlossen wird, denn Vielbeit und Veränderang gelten der 
ganzen alten Philosophie ebenso, wie andererseits Einheit und 
Unveränderlichkeit, als zusammengehörige Begriffe. Demgemäss 
wird nun der χόσμος νοητὸς einestheils als das αὐτοζῷον, als das 
grosse allbelebte Wesen beschrieben, welches alle Urbilder leben- 
diger Wesen in sich begreife*); es wird gezeigt, dass sich der 
Nus in alle Formen bewegen, dass diese alle in ihm sein müssen, 
wenn er vollkommen sein solle, denn nur dann sei Einheit in der 
Vielheit, wenn die vielen qualitativ verschieden seien ?); es wer- 


1) VI, 2, 2 Anf.: Da das Seionde zugleich Eines und vieles ist, so muss 
dieses Viele, wie man sich nun auch das Verhältniss der Ueber- und Beiord- 
nung unter demselben näher denken mag, (Plotin führt hierüber verschiedene 
mögliche Annahmen an) συντελεῖν ἅπαντα εἰς μίαν φύσιν καὶ dx πάντων τῷ νοητῷ 
χόσμῳ., ὃν δὴ λέγομεν τὸ ὃν, τὴν σύστασιν εἶναι. 

2) V, 9, 9 Anf.: χόσμου δὴ τοῦδε ὄντος ζῴον κεριχτιχοῦ ζῴων ἁπάντων ..... 
ἀναγκχαϊΐον χαὶ ἐν νῷ τὸ ἀρχέτυπον πᾶν εἶναι καὶ κόσμον νοητὸν τοῦτον τὸν νοῦν alvaı, 
ὅν φησιν ὁ Πλάτων (Tim. 89, E, wo freilich nur von der Idee des Lebendigen, 
nicht von der gesammten intelligibeln Welt die Rede ist) dv τῷ 5 ἐστι ζῷον.. 
Ashnlich VI, 6, 15 Anf. VI, 2, 21 Schl. und besonders VI, 7, 8 ff. 

3) ΥἹ, 1,18. 7056, B: alles, was zwischen dem Ersten und dem Letzten 
liegt, und so auch der Nus, muss eine unendliche Mannigfaltigkeit in sich ba- 
ben; εἰ γὰρ μηδεμίαν ἔχει ἐξαλλαγὴν μηδέ τις ἐξεγείρει αὐτὸ εἰς To ζῇν ἑτερότης, οὐδ' 
ἂν ἐνέργεια εἴη... δεῖ δὲ πάντα ζῆν καὶ πανταχόθεν καὶ οὐδὲν μὴ ζῇν. ἐπὶ πάντα οὖν 
χινέῖσθαι Bel, μᾶλλον δὲ κεκινῆσθαι. ... φύσιν ἄρα ἔχει ἐπὶ πᾶν ἑτεροιοῦσθαι, Das 

Seionde kann nur sein, wenn der Nus wirkt, er wirkt aber ἀεὶ ἄλλο μετ᾽ ἄλλο, 
er durebscohwärmt (πλανηθὲς πᾶσαν πλάνην, wie es ebd. heisst) das ganze Fold 
der Wahrheit: ποικίλον δέ ἐστι τὸ πεδίον τοῦτο ἵνα καὶ διεξίοι" εἰ δὲ μὴ κατὰ πᾶν 
am ἀξὶ ποικίλον, καθόσον μὴ ποικίλον, ἕστηκεν, εἰ δ᾽ ἔστηχεν οὐ voll‘ ὥστε καὶ, εἰ 


᾿ 


ἀγᾷ Plotinum. 


den für altes und jedes Urbilder im Intelligibeln gesucht 1), selbet 
für das unvernünftige und geringe ?), auch für die menschlichen 
Kunstfertigkeiten,, wiefern von ihrem sinnlichen Stoff abgesehen 
und blos das wesenhafte, was sie darstellen, in’s Auge geinsst 
wird ®); nur das neturwidrige, schlechte und verfehlte soll unier 
den Ideen keine Stelle finden *). Auf der andern Seite wird alles 
das, was die Endlichkeit der sinnlichen Welt ausmacht, von der 
intelligibeln verneint; es ist nicht allein keine Unvollkommenheit 
m ihr, sondern auch keine Beschränkung; an die Stelle des Raumes 
tritt das Ineinandersein der Ideen, an die Stelle der Zeit die Ewig- 
keit); die Bewegung in ihr ist schlechthin gleichmässig, οὐδ 
Veränderung °), das Sein absolute Wirklichkeit ?), das, was ist, 
von dem Grunde, dureh den es ist, nicht verschieden ὅλ, die Viel- 


ἔστη, οὐ νενόηχεν᾽ A δὲ τοῦτο, οὐδ᾽ ἔστιν. ἔστιν οὖν νόησις - ἣ δὲ κίνησις κᾶἄσα κλη- 
ροῦσα οὐσίαν πᾶσαν καὶ ἢ πᾶσα οὐσία νόησις πᾶσα ζωὴν περιλαβοῦσα πᾶσαν καὶ μετ᾽ 
ἄλλο ἀὲὶ ἄλλο, χαὶ διαιροῦντι ἀεὶ τὸ ἄλλο ἀναφαίνεται. Ebd. 6. 10. 702: zur Vell- 
kommenbeit des Nus als des τελειότατον ζῷον war eine Vielheit nothwendig; 
χαὶ μὴν, εἰ Ex πολλῶν, Bet εἶναι αὖ Ev, ἢ οὐχ οἷόν τε dx πολλῶν μὲν εἶναι τῶν αὖ- 
τῶν δὲ πάντων͵ A αὕταρχες ἦν ἂν ἕν. Bei τοίνυν ἐξ ἑτέρων ἀεὶ ner’ εἶδος. Vgl. c. 1 

1) ἅ. Β. V, 9, 10 Anf: ὅσα μὲν. οὖν ὡς εἴδη ἐν τῷ αἰσθητῷ ἐστι ταῦτα ἐχεῖδεν" 
ὅσα δὲ μὴ, οὔ. διο τῶν παρὰ φύσιν οὐχ ἔστιν ἐκεῖ οὐδέν. Dagegen sind dort τοὶ 
ποιότητες δὴ σύμφωνοι χαὶ ποσότητες, ἀριθμοί τε καὶ μεγέθη καὶ γενέσεις καὶ σχέσεις, 
ποιήσεις τε χαὶ πείσεις al κατὰ φύσιν, χινήσεις τε καὶ στάσεις χαθόλου τε καὶ ἐν μέρει 
τῶν ἐχεῖ, ἀνὴ δὲ χρόνου αἰών. ὁ δὲ τόπος ἐκέΐ νοερῶς, τὸ ἄλλο ἐν ἄλλῳ. V, 1,11. 
12 wird geueigt, dass es einen intelligibeln Himmel mit seinen Gestirsen, eine 
intelligible Erde (αὐτογῆ, πρώτως γῆ) mit allen Thieren und Pflansen, ein in- 
telligibles Feuer u. 6. f. geben miisse nnd geben könne, da das eigentliehe 
Wesen aller Dinge, auch der anscheinend leblosen, in lebendigen Kräfte 
bestehe, deren Urbilder Theile des αὐτοζῷον seien. 

2) VI, 7,9. 701, Ὁ, mit der Bemerkung: ἐκεῖ δὲ καὶ τὸ ἄλογον λεγόμδνιν 
λόγος ἦν xat τὸ ἄνουν νοῦς Av, ἐπεὶ καὶ ὃ νοῶν ἵππον νοῦς ἐστι καὶ ἢ νόησις ἵππου 
γοῦς ἦν, Die νόησις aber ist hier ταὐτὸν τῷ πράγματι, mithin auch dieses kein 
ἀνόητον. Vgl. auch co. 10. 

8) V, 9, 11. 

4) Vgl. Anm. 1 und 8. 470, 3. 

5) V,9, 10 s. Anm. 1. Weiteres über die Begriffe der Zeit und Kwig 
keit B. 491, 2. 

6) 1Π|, 2, 1. 255, B. VI, 6, 18. 691, B. VI, 7, 18. 706, A. RB. V, 1,4 
485, A. 

7) IL, 4, δ. 161, F. V, 9, 8. 

8) VI,7, 2 Anf.: Im Intelligibein sei das ὅτι und διότι Eins, ὥστο ταὐτὸν 
τὸ πρᾶγμα καὶ τὸ διὰ τί τοῦ πράγματος. 


Der κόσμος νοητός, das Schöne. 475 


heit steht der Einheit nicht im Wege, denn alles ist hier ineinan- 
der, jedes ist zugleich das Ganze, und jeder Theil jedem durch- 
sichtig, die vielen iutelligibeln Kräfte sind auch wieder Eine Kraft, 
die vielen Götter Ein Gott 1). Während also in der Erscheinungs- 
welt die Vielbeit und die Einheit auseinanderfallen, die verschie- 
denen Theile derselben sich ausschliessen, Ruhe und Bewegung 
u. 5. f. einen Gegensatz bilden, so soll es sich mit der intelligibeln 
umagekehrt verhalten, und eben dieses Ineinander, diese absolute 
Harmonie aller ihrer Theile, ist die von Plotin gepriesene Schönheit 
und Seligkeit dieser Welt ?). 


1) V,8,4 Anf.: die Götter sehen in der intelligibeln Welt allos Beiende 
und sich selbst in allem, duoavi γὰρ πάντα καὶ σχοτεινὸν οὐδὲ ἀντίτυπον οὐδὲν, 
ἀλλὰ πᾶς παντὶ φανερὸς εἷς τὸ εἴσω καὶ πάντα᾽ φῶς γὰρ φωτί [so. φανερόν]. χαὶ γὰρ 
ἔχει πᾶς πάντα ἐν αὐτῷ, καὶ αὖ ὁρᾷ ἐν ἄλλῳ πάντα. ὥστε πανταχοῦ πάντα καὶ πᾶν 
πᾶν καὶ ὅχαστον πᾶν καὶ ἄπειρος I αἴγλη᾽ ἕχαστον γὰρ αὐτῶν μέγα, ἐπεὶ καὶ τὸ μικ 
ρὸν μέγα’ καὶ ἥλιος ἐχεῖ πάντα ἄστρα᾽ καὶ ἕκαστον ἥλιος αὖ καὶ πάντα α. 6. w. Da- 
bei soli aber, wie ebd. ausgeführt wird, doch keinerlei Vermischung der Ideen 
zeit einander stattfinden, die Bewegung rein sein, ebenso die Rube u. =. f. 
Achnliche Schilderungen Ill, 2, 1. 255, B. VI, 9, 5. 768, E. VI, 7, 15 Schl. 
Wegen dieser Einheit von allem im Intelligibeln heisst 68 wohl auch V, 8, 8 
Schl., alles sei dort Himmel, und V,8, 9. 560, C: die intelligibeln Götter 
seien zwar durch die Vielheit ihrer Kräfte verschieden, aber zugleich auch 
alle Eins, und jeder von ihnen alle, sie seion ὁμοῦ καὶ ἔχαστος χιορὶς ad, ἐν στά- 
eu ἀδιαστάτῳ. 

2) Ueber die Beligkeit der übersinnliohen Welt vgl. m. V, 1, 4. 4865, B. 
V, 8, 4 Anf., ebd. 546, A. co. 12 Anf. VI, 2, 21. 618, B. Die Schönheit der- 
seiben hat Pletin in einer eigenen Schrift, περὶ νοητοῦ κάλλους (ἔπη. V, 8) be- 
handelt, und bei dieser Veranlassung sugleich seine Ansichten über das Schöne 
überbaupt dargelegt, die er sohon früher in der Abhandlung περὶ τοῦ καλοῦ 
(Ban. I, 6) aussinandergesetst hatte. Zu einer vollständigen ästhetischen 
Theorie sind diese Ansichten nicht ausgeführt, und während sie an Plotin’s 
sonstiges System anf verschiedenen Punkten anknüpfen, seigt sich doch keine 
Stelle, an welcher sie sich in ihrer Gesammtheit als wesentlicher Bestandtkeil 
in seine Entwicklung einfügten; wogegen sie allerdings ganz folgerichtig aus 
demselben hervorgehen. Indem ich daher für ihre eingehondere Darstellung 
auf die unten zu nennenden Schriften verweise, begnüge ich mich hier, an 
dem Orte, wo der Begriff des Schönen im System zuerst und am ursprüng- 
lichsten auftritt, das wesentlichste darüber mitsutheilen. — Dasjenige nun, 
wodureb irgend ein Gegenstand schön wird, ist nach Piotin nicht sein Btoff, 
sondern ausschliesslich seine Form, sein εἶδος oder λόγος, während umgekehrt 
die Formlosigkeit mit der Hässlichkeit zusammenfällt (I, 6, 2. 523, A. V, 8, 

1 £). Nur auf dieser seiner unsinnliohen Form beruht die überwältigende 


476 Plotinus. 


5. Die Roele. 


Wie das Zweite aus dem Ersten, so geht, vermöge derselbe 
Nothwendigkeit, aus dem Zweiten ein drittes hervor, welches sich 


Wirkung des Schönen: es tritt aus demselben der Seele die Idee, als das 
ihrem eigenen höheren Wesen verwandte, entgegen (I, 6, 3). Nur durch die 
Nachbildung der Idee wird die sinnliobe Erscheinung schön (I, 6, 8); nur im : 
ihr liegt auch der leitende Maasstab für die Kunst: οὐχ ἁπλῶς τὸ ὁρώμενον 
μεμοῦνται [sc. αἱ τέχναι], ἀλλ᾽ ἀνατρέχουσιν ἐπὶ τοὺς λόγους, ἐξ ὧν ἢ φύσις... ἐκὰ 
χαὶ ὃ Φειδίας τὸν Δία πρὸς οὐδὲν αἰσθητὸν ποιήσας, ἀλλα λαβὼν οἷος ἂν γένοιτο, el 
ἡμῖν 5 Ζεὺς δι' ὀμμάτων ἐθέλοι φανῆναι (V, 8, 1 g. Ε. Damit streitet die Bemer- 
kung VI, 7, 22. 715, B nieht, die Kunst stehe darin hinter der Natur suräck, 
dass sie nur lebloses bervorbringen könne). Das Reich der reinen und ur | 
sprünglichen Formen ist aber der Nns oder die οὐσία. Er ist daher das πρώτως 
χαλὸν (V, 8, 8. 544, A. 0. 8 Anf. c. 18. 554, B. VI, 2, 21. 618, B), das μέγα χάλ- 
λος, das νοητὸν καλὸν, in dem alles Ides und alles schön ist (I, 6, 9. 57, F. 
58, A), das Urbild, auf welches die Sohönheit der sichtbaren Welt als auf 
seine Voraussetsung hinweist (V, 8, 18); was dagegen über ihm liegt, kann 
wohl als das Gute, aber genau gesprochen, nicht als das Schöne bessichnst 
werden; denn da seine Einheit alle Vielheit, alle Gestalt, selbst das Bein τοῦ 
sich ausschliesst, ist es nicht schön, sondern mehr als schön (s. ο. 480, ὃ; 
wenn dagegen Brunsıne, die Lehre vom Schönen b. Plotin 8. 48, behauptet, 
der Nus sei „das erste Gute”, und wenn derselbe andererseits das Urwesen 
beharrlich „das dv“ nennt, so widerspricht das eine Plotin’s Lehre obensosehr, 
wie das andere). Nächst dem Nus hat die Schönheit in der Bcele ihren Bits, 
weiche dieselbe mit allem andern vom Nus empfängt (V, 8, 8. c. 18. 554, B 
vgl. I, 6, 4 Anf.); diese Schönheit besteht in niobts anderem als in edeln Fer 
tigkeiten, ‘Tugend und Wissenschaft; sie wird daher nicht allein selbst um 
so grösser, sondern auch die Anschauung des Urschönen wird der Scele um 
so οἶον möglich sein, je vollständiger sie sich sittlich reinigt, je begeisterter 
und sohnsuchtsvoller sie nach dem Höheren strebt und sich seiner Einwirkung 
hingiebt (V, 8, 8. I, 6, 4—9; die letstere, sehr schwungvolle Ausführung 
nimmt ὁ. 7.56, B die des platonischen Gastmahls 311, D f. fast wörtlich ἃ 
sich auf), Weit tiefer steht das sinnlich Schöne, wie es ja auch nur Ahbschei- 
tung der Idee ist (s. o. und V, 8, 9 Schl.: ἦδε μὲν γὰρ ἢ ψευδὴς οὐσία δάται ἐκαν 
τοῦ εἰδώλου καλοῦ, ἵνα χαὶ καλὸν φαίνηται κοὰ ὅλως ἧ α. 6. w.); wie wenig aber 
Plotin selbst dieses geringschätst, wird sich auch noch später aus seiner Lehre 
vom Eros und aus seiner Polemik gegen die gnostische Naturrerachtung er 
geben. — Ausführlicher behandeln Plotin’s Assthetik: E. Mürızr Gesch. d. 
Theorie d. Kunst bei d. Alten II, 389-816. Banunıneo a. ἃ. Ο. (Gött. 1868). 
Bıcurze Nenplat. Stud. III, 83—87; Derselbe gieht H. II, 8. V auch die wai- 
tere Literatur. 


Die Seele, ihr Wesen. 477 


zu ihm ebenso verhält, wie das Zweite zum Ersten 1); und seine 
Erzeugung ist in dem einen Fall so wenig, wie in dem andern, das 
Werk der Absicht und Ueberlegung, oder mit einer Veränderung 
in dem Erzeugenden verknüpft ?). Dieses Erzeugniss des Nus. ist 
die Seele. 

Der Begriff der Seele wird im allgemeinen dahin bestimmt, 
dass sie das nächste nach dem Nus, und das mittlere zwischen ibm 
und der Erscheinungswelt sei, einerseits vom Nus erfüllt, bewegt 
und durchleuchtet, andererseits aber mit dem von ihr erzeugten 
Körperlichen sich berührend °), Doch steht sie dem Iutelligibeln 
näber, und wird mit ihm zu dem Göttlichen gerechnet 4); sie ist 
ihrem Wesen nach Zahl und Form wie die Idee °), Leben und 
Thäatigkeit, wie der Nus °); von den Lichtkreisen, welche das 


1) V,1,7. 489, B: ψυχὴν γὰρ γεννᾷ νοῦς ... καὶ γὰρ τέλειον ὄντα γεννᾶν ἔδει 
καὶ μὴ δύναμιν οὖσαν τοσαύτην ἄγονον εἶναι. χρεΐττον δὲ οὐχ οἷόν τε ἦν εἶναι οὐδ᾽ ἐν- 
ταῦθα τὸ γεννώμενον, ἀλλ᾽ ἔλαττον ὃν εἴδωλον εἶναι αὐτοῦ ἀόριστον μὲν ὡσαύτως, ὄρι- 
ζόμενον δὲ ὁπὸ τοῦ γεννήσαντος χαὶ οἷον εἰδοποιούμενον. Υ͂, 3, 1. 494, Β: οὕτως οὖν 
ἂν (nämlich das Zweite) οἷον ἐχέϊνος (der höchste Gott) τὰ ὅμοια Kol, δύναμιν 
xpoydas πολλήν ... χαὶ αὕτη dx τῆς οὐσίας ἐνέργεια ψυχὴ, τοῦτο μένοντος ἐκείνου 
γενομένη  χαὶ γὰρ ὃ νοῦς μένοντος τοῦ πρὸ αὐτοῦ ἐγένετο. Vgl. V, 8, 12 Anf. 

2) 8. vor. Anm. und V, 8, 12. 554, B: Der Nus bringt ein Abbild seiner 
hervor, und dieses ist so ewig, wie er selbst, denn es ist nioht τέχνῃ hervor- 
gebracht, jedes natürliche Abbild aber dauert so lange, als das Urbild. διὸ 
οὐχ ὀρθῶς, οἷ φθείρουσι τοῦ νοητοῦ μένοντος καὶ γεννῶσιν οὕτως͵ ὥς ποτε βουλευσα- 
μένου τοῦ ποιοῦντος ποιέϊν. ὅστις γὰρ τρόπος ποιήσεως τοιαύτης οὐχ ἐθέλουσι συνιέναι 
Ὁ. 8. w. 

8) V, 1, 7 fährt Plotin fort: νοῦ δὲ γέννημα λόγος τις καὶ ὁπόστασις, 
τὸ διανοούμενον" τοῦτο δ' ἐστὶ τὸ περὶ νοῦν χινούμενον καὶ νοῦ φῶς καὶ ἴχνος 
ἐξηρτημένον ἐχείνου͵ χατὰ θάτερα μὲν συνηγμένον ἐχείνῳ xat ταύτῃ ἀποπιμπλάμενον 
καὶ ἀπολαῦον χαὶ μεταλαμβάνον αὐτοῦ καὶ νοοῦν, χατὰ θάτερα δὲ ἐφαπτόμενον τῶν 
per’ αὐτὸ, μᾶλλον δὲ γεννῶν καὶ αὐτὸ ἃ ψυχῆς ἀνάγχη εἶναι χείρονα. Vgl. V, 8, 12 
u. ἃ. St. 

4) V, 1, 7 nach dem eben angeführten: χαὶ μέχρι τούτων τὰ θεῖα. VI, 8, 1. 
617, A: ἣ δὲ ψυχῆς φύσις dv ἐχείνῳ τῷ νοητῷ. 

6) Υ͂, 1, δ. 480, B: ἀριθμὸς δὲ καὶ ἢ ψυχή. 1], 6, 18. 820, Ε: ἣ μέν γε ψυχὴ 
τὰ τών ὄντων εἴδη ἔχουσα͵ εἶδος οὖσα καὶ αὐτὴ, ὁμοῦ πάντα ἔχει. IV, 4, 16. 409, B: 
Die Seele ist nicht ὕλη καὶ εἶδος, ἀλλ' εἶδος μόνον καὶ δύναμις καὶ ἐνέργεια δευτέρα 

μετὰ νοῦν. ᾿ 

6) ΕΥ̓͂, 7, 11 führt Plotin nach Plato (8. Bd. II, a, 525. 581) aus, die Sevle, 
sunächst die menschliche, sei unsterblich, als ein χρῆμα, ᾧ πάρεστι μὲν ἐξ kan- 
τοῦ ζωὴ, ἣν ἀδύνατον ἀπολέσθαι, Bie besitze das Leben nicht blos als eine ihr 

witgetheilte Eigenschaft (ὡς ὕλην μὲν οὖσαν ὑποχεῖσθαι͵ ζωὴν δὲ dr’ αὐτῇ γενο- 


ΠῚ 


478 Plotinus. 


Urlicht umgeben, ist sie zwar der äusserste, aber doch noch Licht, 
ausser ihr dagegen beginnt die re eg); sie ist ihrer 
Natur nach ewig und ausser der Zeit, wenn gleich sie die Zeit her- 
verbringt 2). Wenn das Erste den Mittelpunkt alles Seins bildet, 
so ist der Nus nach Plotin einem unbewegten, die Seele einem 
bewegten Kreise um diesen Mittelpunkt her zu vergleichen °); 
wenn der Nus die Sonne der geistigen Welt ist, so ist die Seele ihr 
Mond *). Näher wird diese ihre mittlere Stellung, nach Anleitung 
des platonischen Timäus (35, A), dadurch ausgedrückt, dass δὲ 
einerseits Theilbarkeit, andererseits Ungetheiltheit beigelegt wird. 
Der Nus ist schlechthin ungetheilt, die Seele ist es zwar auch, 
sofern sie im Intelligibeln bleibt, aber es liegt in ihrem Wesen, 
aus der Einheit mit diesem herauszutreten, sioh mit dem alsols! 
Theilbaren, mit der Körperwelt zu verbinden, und insofern ist 
auch sie selbst theilbar ®). Indessen betrifft doch diese Theilbarkeit 


μένην τὴν ψυχὴν ἀποδεῖξαι), sondern sie sei μία φύσις ἐνεργείᾳ ζῶσα. IT, 5, 3. 
175, B: πάντα οὖν τὰ πρῶτα ἐνέργεια... καὶ ψυχὴ δὴ οὕτως ἢ μὴ ἐν ὕλη, ἀλλ᾽ ἐν 
τῷ νοητῷ. Wenn ἰοάοοδ Kırcanar 8. 66 sagt, die Beele stehe als das sich 
selbst bewegende zwischen dem Unbewegten und dem Bewegten, sie sei das 
ursprüngliche Leben und der Quell des Lebens für alles andere, so ist dies 
ungenau. Leben und Bewegung haben nach Plotin ursprünglich im Nus 
ihren Bite (vgl. 8. 468 1), und auch mit der φύσις πρώτως ζῶσα, αὐτὴ ἐξ ἑαντῆς 
κινουμένη, ζωὴν παρ᾽ ἑαυτῆς ὄχουσα, dem ὄντως ὃν, πρώτως ὃν καὶ ζῶν πρώτως, VOR 
dem Pi. IV, 7, 9 redet, ist nicht die Seele, wie K. will, sondern der Ν gr 
meint. Auch die 8. 478, 8 angeführte Vergleichung steht dem nicht im Wege, 
eben weil sie eine blosse Vergleichbung ist: kann der Nus auch, mit der Aeelo 
verglichen, relativ unbewegt genannt werden, so int er diess doch nicht 
schlechthin. 

1) IV, 8, 17 8. 0. 445, 2. 

2) IV,4, 16 f. vgl. V, 8, 12 (8. 477, 2). Genaueres hierüber tiefer unten. 

3) IV, 4, 16. 409, C: el δὲ τἀγαθόν τις κατὰ κέντρον τάξειε, τὸν νοῦν κατὰ 
χύχλον ἀκίνητον, ψυχὴν δὲ κατὰ χύκλον κινούμενον ἂν τάξει, χινούμενον δὲ τῇ ἐφέσει" 
νοῦς γὰρ εὐθὺς καὶ ἔχει καὶ περιείληφεν, ἧἣ δὲ ψυχὴ τοῦ ἐπέχεινα ὄντος ἐφίεται. 

4) V, 6, 4. 586, B: ἀπειχαστέον τὸ μὲν (das Urwesen) φωτὶ, τὸ δὲ ἐφεξῆς 
ἡλίῳ, τὸ δὲ τρίτον τῷ σελήνης ἄστρῳ κομιζομένῳ τὸ φῶς παρ᾽ ἣλίον. ψυχὴ μὲν ya 
ἐπακτὸν νοῦν ἔχει ἐπιχρωννῦντα αὐτὴν νοερὰν οὖσαν, νοῦς δ᾽ ἐν αὐτῷ olnelov ἔχει. 

5) III, 9, 1 Schl.: ψυχὴν εἶναι τὴν μερίσασαν εἷς πολλὰς ψυχάς... οὗ νοῦ ὧρ- 
yov ἣ διάνοια, ἀλλὰ ψυχῆς ὑεριστὴν ἐνέργειαν ἐχούσης ἐν μεριστῇ φύσει. TV, 1, 1. 
360, Β : νοῦς μὲν οὖν ἀὲ ἀδιάχοιτος "καὶ οὐ μεριστὸς͵ ψυχὴ δὲ drei (im Intelligibeln) 
ἀδιάκριτος καὶ ἀμέριστος, ἔχει δὲ φύσιν μερίζεσθαι" χοὶ γὰο ὁ μερισμὸς αὐτῆς τὸ are 
στῆναι χοαὶ ἐν σώμασι γενέσθαι. IV, 2, 1 2. 1,11, 8. 


® 


Die Seele, ihr Wesen. 8499 


strenggenommen nicht sie selbst, sondern nur den Körper, in dem 
sie ist, sie selbst ist zwar im Theilbaren, aber sie bleibt nichts- 
destoweniger Eins, denn sie ist in jedem Theil ganz und die- 
seibe 3), nur der Körper, nicht die Seele, ist im Baume °). Genau 
gesprochen lässt sich deher nur sagen °): in der Seele ist die 
'Vielheit nicht mehr ebenso, wie im Nus, von der Einheit umschlos- 
son, es ist in ihr Neigung zum getheilten Sein, der Trieb, in der 
Sinnenweli darzustellen, was sie im Nus geschaut hat 5), aber noch 
keine wirkliche Getheiltheit; sie ist zwar vom .Nus verschieden, 
aber doch nur 50, wie das Wort von d dem Gedanken, wie die Wir- 


"rm er 
4 


1) IV, 1. 861, B: οὐδὲ γὰρ ἐνταῦθα (im irdischen Leben) μόνον μεριστὴ, 
ἀλλὰ ποὰ Audorwros‘ τὸ γὰρ μεριζόμενον αὐτῆς Ausplaueng μερίζεται. IV, 2, 1. 868, 
A: die Boele iat μεριστὴ μὲν ὅτι ἐν πᾶσι μέρεσι τοῦ ἐν ᾧ ἐστιν, ἀμέριστος δὲ ὅτι ὅλη 
ἐν πᾶσι καὶ ἐν ὁτιροῦν αὐτοῦ ὅλη. ... ὥστε μεμερίσθαι καὶ μὴ μεμερίσθαι ad“ μᾶλλον 
δὲ μὴ μεμερίσθαι αὐτήν... μένει γὰρ μεθ᾽ ἑαυτῆς ὅλη, περὶ δὲ τὰ σώματά ἐστι μεμε- 
ρισμένη, τῶν σωμάτων τῷ οἰχείῳ μεριστῷ οὐ δυναμένων αὐτὴν ἀμερίστως δέξασθαι... 
ὥστε εἶναι τῶν σωμάτων πάθημα τὸν μερισμὸν, οὐχ αὐτῆς. 

2) IV, 8, 9. 879, Ὁ: Der κόσμος ist belebt als ἐχόμενος, ἀλλ᾽ οὐχ ἔχων. 
κέξται γὰρ ἐν τῇ ψυχῇ ἀνεχούσῃ αὐτὸν u. 5. ν. IV, 2,1. 2. 848, A.D. ΥἹ, 4, 16. 
Vgl. 8. 480,8, Weiteres später, in der Erörterung über Seele und Leib im 
Menschen. 

3) IV, 8, δ. 876, D: ψυχοὼ ἐφεξῆς καθ᾽ ἕκαστον νοῦν ἐξηρτημέναι, λόγοι νῶν 
οὔσαι καὶ ἐξειλιγμέναι μᾶλλον ἣ ἐχέϊνοι οἷον πολὺ ἐξ ὀλίγου γενόμεναι, συναφέϊΐς τῷ 
ὀλίγῳ οὖσαι ἀμερεστέρῳ ἐχείνων ἑχάστῳ, μερίζεσθαι ἤδη θελήσασαι καὶ οὐ δυνάμεναι 
de πᾶν μερισμοῦ ἱέναι, τὸ ταὐτὸν καὶ ἕτερον σώζουσαι μένει τε ἑχάστη ἕν χαὶ ὁμοῦ ἕν 
πᾶσαι. Allgemeiner V, 1, 8. 484, B: (ψυχὴ) εἰκών τίς ἐστι νοῦ. οἷον λόγος ὃ ἐν 
προφορᾷ λόγον τοῦ ἐν ψυχῇ, οὕτω τοι καὶ αὐτὴ λάγος νοῦ καὶ ἢ πᾶσα ἐνέργεια καὶ ἦν 
προΐξεται ζωὴν εἷς ἄλλου ὁπόστασιν. V, 1,6. 487, F: ἣ ψυχὴ λόγος νοῦ καὶ ἐνέργειά 
τις, ὥσπερ αὐτὸς ἐχείνου (des Ersten). Vgl. I, 2, 8 Schl.: ὡς γὰρ ὁ ἐν φωνῇ λόγος 
μίμημα τοῦ dv ψυχῇ, οὕτω χαὶ ὁ ἐν ψυχῇ μίμημα τοῦ ἐν ἑτέρῳ. ὡς οὖν μεμερισμένος ὃ 
ἐν προφορᾷ πρὸς τὸν ἐν ψυχῇ, οὕτω χαὶ ὃ ἐν ψυχῇ ἑρμηνεὺς ὧν ἐχείνου πρὸς τὸν πρὸ 
αὐτοῖ. ΠῚ, 2, 2. 266, A: νοῦς τοίνυν δούς τι ἑαντοῦ εἷς ὕλην ἀτρεμὴς χαὶ ἥσυχος τὰ 
πάντα εἰργάζετο. οὗτος δὲ ὁ λόγος dx νοῦ ῥνείς᾽ τὸ γὰρ ἀποῤῥέον dx νοῦ λόγος καὶ 
as ἀποῤῥεῖ ἕως ἂν ἦ καρὼν ἐν τοῖς οὖσι λόγος. Wie der Leib aus dem λόγος ἐν 
σπέρματι wird, οὕτω δὴ καὶ ἐξ ἑνὸς νοῦ χαὶ τοῦ Ar’ αὐτοῦ λόγον ἀνέστη τόδε τὸ πᾶν 
χαὶ διέστη. Die Seele verhält sich nach diesen Stellen zum Nur, wie der Ge- 
danke zur Denkkraft, oder das Wort zum Gedanken, d. ἢ. wie die Erschei- 
nung zur Kraft, die Wirkung zur Ursache. 

4) IV, 7, 18 Anf.: Der Nus ist ἀκαθὴς uud bleibt im Intelligibeln; οὐ γὰρ 
ἕνι ὁρμὴ οὐδ᾽ ὄρεξις - ὃ δ᾽ ἂν ὄρεξιν προςλάβῃ, ἐφεξῆς ἐχείνῳ τῷ νῷ ὃν, τῇ προςθήχη 
τῆς ὀρέξεως οἷον ποόεισιν ἤδη ἐπὶ πλέον, χαὶ χοσμέϊν ὀρεγόμενον, καθ᾽ 3 ἐν νῷ εἶδεν, 
ὥσπερ χυοῦν ἀπ αὐτῶν χαὶ ὠδῖνον γεννῆσαι, ποιεῖν σπεύδει καὶ δημιουργεῖ, 


480 Plotinus. 


kung von der wirkenden Kraft, wie die Erscheinung von dem 


! Wesen, das sich in ihr offenbart. Die Seele hat daher eine Doppel- 


| 
| 


stellung. Einestheils ist sie als das Erzeugniss des Nus auch selbst 
vernünftig, ihr Erzeuger wirkt in ihr, erleuchtet sie, und theilt ihr 
als seinem Abbild die Formen alles Wirklichen mit!). Anderntkeils 
hat sie ihrer Natur nach eine Beziehung zu dem, was unter ihr it, 
dieses wird von ihr erzeugt, und bedarf ihrer Fürsorge, sie ver- 
mittelt ihm die vom Nus ausgehenden Wirkungen; diess könnte sie 
aber nicht, wenn sie nicht selbst ihm verwandt wäre Ὁ. So kehrt 
Plotin mit jeder Wendung immer wieder. zu seiner Grundbestis- 
mung über die Seele zurück, ohne sie doch mit diesen Ausführun- 
gen viel weiter zu entwickeln. 

Alles dieses gilt nun zunächst und zumeist von der Seele als 
Totalität oder Weltseele. Was nämlich unmittelbar aus dem zwei- 
ten Princip hervorgeht, ist nur die allgemeine Seele, erst von dieser 
stammen die Einzelseelen. Diese Weltseele denkt sich Plotin, nach 
Plato’s Vorgang, als eine wirkliche, von den Einzelseelen als sol- 
chen verschiedene Substanz, von der er gagt, dass sie ausser der 
Körperwelt sei, und ihrerseits alles Körperliche in sich trage’). Ja 


- 1) V, 1,8. 484, B: οὖσα οὖν ἀπὸ νοῦ νοερά ἐστὶ καὶ ἐν λογισμοῖς ὃ νοῦς αὐτῆς" 
χαὶ h τελείωσις ἀπ᾽ αὐτοῦ πάλιν οἷον πατρὸς ἐχθρέψαντος, ὃν οὐ τέλειον ὡς πρὸς αὐτὸν 
ἐγέννησεν. Die Seele ist vernünftig, sofern der νοῦς in ihr wirkt und von ihr 
geschaut wird. III, 6, 18. 820, F: ἡ μέν γε ψυχὴ τὰ τῶν ὄντων εἴδη ἔχουσα εἶδος 
οὖσα καὶ αὐτὴ ὁμοῦ πάντα ἔχει. V, 1,6, 5. vorl. Anm. II, 9, 2, SohL: Die Seele, 
ἣ μὴ μέρος μηδὲ ἧς ἡμεῖς ἔτι μέρος, theilt dem Körper mit, was er von ihr em- 
pfangen kann, μένει τε ἀπραγμόνως αὐτὴ οὐχ Ex διανοίας διοικοῦσα οὐδέ τι διορϑου- 
μένη, ἀλλὰ τῇ εἷς τὸ πρὸ αὐτῆς θέᾳ χαταχοσμοῦσα δυνάμει θαυμαστῇ ... χἀκέθϑαν 
ἔχουσα δίδωσι τῷ μετ᾽ αὐτὴν καὶ ὥσπερ ἐλλάμπουσα ad ἐλλάμπεται. 

4) IV, 8, 8. 476, Β: πᾶσα γὰρ ψυχὴ ἔχει τι nat τοῦ χάτω πρὸς σῶμα καὶ 
τοῦ ἄνω πρὸς νοῦν. Achnlich, mit unerheblicher Abweichung, c. 8. 471, D: 
ψυχῆς δὲ ἔργον τῆς λογιχκωτέρας vortv μὲν, οὐ τὸ νοεῖν δὲ μόνον" τί γὰρ ἂν νοῦ im 
φέροι; προςλαβοῦσα γὰρ τῷ νοερὰ εἶναι χαὶ ἄλλο, καθὺ τὴν οἰκείαν ἔσχεν ἀπόστασιν, 
νοῦς οὐκ ἔμεινεν... βλέπουσα δὲ πρὸς μὲν τὸ πρὸ ξδαυτῆς von, εἰς δὲ ἑαυτὴν σώζιι das 
τὴν, εἷς δὲ τὸ μετ᾽ αὐτὴν κοσμέϊΐ τε καὶ διοιχεῖ καὶ ἄρχει αὐτοῦ" ὅτι μηδὲ οἷόν τε ἦν στήνει 
τὰ πάντα ἐν τῷ νοητῷ u.s.w. IV, 8, 12. 882. A: νοῦς δὲ πᾶς ἀεὶ ἄνω καὶ οὐ μήέκοιι 
ἕξω τῶν αὐτοῦ γένοιτο, ἀλλὰ ἱδρυμένος πᾶς ἄνω πέμπει εἷς τὰ τῇδε διὰ φυχῆς" ψυχὴ 
δὲ dx τοῦ πλησίον μᾶλλον κατὰ τὸ ἐκεῖθεν διάκειται εἶδος, καὶ δίδωσι τοῖς 6x’ αὐτέν 
Ὁ, 8. w. Vgl. Β. 479, 4. 

8) II, 4, 4. 386, Β: οὐδὲ γὰρ ἦλθεν [ἢ τοῦ παντὸς φυχὴ] οὐδὲ κατῆλθεν, ἀλλὰ 
μενούσης προςάπτεται τὸ σῶμα τοῦ κόσμου καὶ οἷον καταλάμκεται. ΠῚ, 9, 2. 857, €: 


Die Weltseele. 481 


er scheint sich dieselbe als Persönlichkeit vorzustellen ; denn wie- 
wohl er ihr die Erinnerung !) und die Reflexion (λογίζεσθαι) 3) 
desshalb abspricht, weil ein schlechthin gleichmässiges und man- 
gelloses Denken weder ein Suchen von unbekanntem, noch eine 
Erinnerung an entschwundenes zulasse, ebenso die Empfindung, 
weil sie rein auf’s Intelligible gerichtet keine Empfänglichkeit für 
das Sinnliche besitze 5), wiewohl er auch ihr Schaffen als durchaus! 


naturnothwendig, ohne Wahl und Ueberlegung erfolgend gedacht 


wissen will), soll ihr doch eine Art Selbstbewusstsein zukommen 5). 
Eine Persönlichkeit im vollem Sinn ist diess freilich noch nicht, aber 
wir können auch hier, wie in vielen andern Fällen, bemerken, dass 
es überhaupt die alte Philosophie mit diesem Begriff nicht sehr strenge 
nimmt, und auch solchen Wesen Denken und Bewusstsein beilegt, 


denen sie andere wesentliche Erfordernisse des persönlichen Lebens ἡ 


abspricht. 

Eigentlich können wir freilich in Plotin’s Sinn nicht schlecht- 
hin von der Weltseele sprechen, sondern nur von den Welt- 
seelen. Wenn nämlich die Seele überhaupt eine mittlere Stellung 
zwischen der sinnlichen und der intelligibeln Welt hat, so verdich- 
tet sich dieser Gedanke unserem Philosophen nach seiner Weise zu 


ἣ πᾶσα ψυχὴ οὐδαμοῦ ἐγένετο οὐδὲ ἦλθεν, οὐ γὰρ ἦν ὅπου, ἀλλὰ To σῶμα γειτονῆσαν 
μετέλαβεν αὐτῆς, διὸ οὐχ ἐν τῷ σώματι, οὐδ᾽ ὁ Πλάτων φησί που, ἀλλὰ τὸ σῶμα 
εἷς αὐτήν. 

1) IV, 4,0 £. 12. 

42) IV,4, 10. 404, Β und in eingehender Erörterung 6. 12. Nicht auf die 
Weltseele, sondern auf die menschliche Scele, beziehen sich die Aeusserungen 
V,3,3.9. 498, C ff. 5056, C. V, 1,3. 10. 484, B. 491, B. Wenn daher Kırcu- 
une ὃ. 69 auf Grund dieser Stellen von der Seele im allgemeinen, und ohne 
zwischen der Weltseele und den Einzelseelen zu unterscheiden, behauptet, 
ihr Wesen sei die Reflexion (λογίζεσθαι!) und diess unterscheide sie vom Nus, 
so ist diess nicht richtig. Allerdings liess sich aber jene Unterscheidung nicht 
wohl ohne Schwanken durchführen, da die Vorstellung der Weltseele doch 
nur nach Analogie der menschlichen gebildet ist; so entschieden daher Plotin 
IV, 4, 10.12 der Vorstellung widerspricht, als ob in der Seele des Weltgansen 
ein ζητεῖν ppoveiv, Inteiv ὅ τι ddl ποιέϊν sei, so redet er doch III, 8, 5 Anf., frei- 
lieh in einer etwas spielenden Darstellung, auch wieder von dem φιλομαθὲς 
und ζητητιχὸν derselben. 

8) IV, 4, 241. 

4) IV, 4, 10. 404, Bf. ο. 12. 406, E f. IV, 3,10. 879, G ἢ, 

5) IV, 4, 24. 417, B: συναίσθησιν μὲν αὐτοῦ [τοῦ χόσμου], ὥσπερ καὶ ἡμεῖς 
ἡμῶν συναισθανόμεθα, δοτέον, αἴσθησιν δὲ ἀεὶ ἑτέρου οὖσαν οὐ δοτέον. 

Philos. d. Gr. III. Bd. 2. Abth. 31 


483 Plotinas. 


der Vorstellung einer doppelten Weitseele, einer höheren und einer | 


niedrigeren. Jene ist ein schlechthin unsinnliches Wesen, das weder 
in die Körperwelt eingeht, noch auch nur unmittelbar auf das Kör- 
perliche einwirkt, die himmlische Aphrodite, welche in ungetrübier 
Betrachtung so rein für sich ist, dass man kaum sieht, wodurch sie 
sich vom zweiten Princip unterscheidet ; diese dagegen, das blose 
Abbild und Erzeugniss von jener, ist auf ähnliche Weise mit den 
Körper des Weltalls verbunden, wie die Menschenseele mit dem 
menschlichen Leibe 1). Nur sie ist es, welche die sinnliche Erschei- 
nung hervorbringt, indem sie vermöge ihrer geringeren Vollkommes- 


1) ΠῚ, 6, 2. 298, B (mit Beziehung auf das platonische Gastmahl): Θ 
giebt eine doppelte Aphrodite, die himmlische und die gemeine; τὴν δὲ οὐρανίαν 
λεγομένην dx Κρόνου, νοῦ ὄντος dxsivou, ἀνάγχη ψυχὴν θειοτάτην εἶναι, εὐδὺς & 
αὐτοῦ ἀχήρατον ἀχηράτου, μείνασαν ἄνω, ὡς μηδὲ εἰς τὰ τῇδε ἐλθεῖν μήτε ἐθελήσασαν 
ἥτε δυναμένην ... χωριστὴν οὖσάν τινα ὑπόστασιν χαὶ ἀμέτοχον ὕλης οὐσίαν. €. 8. 
294, Ὁ: χωριστὴν δὲ ἐχείνην τὴν ψυχὴν λέγοντες τὴν πρώτως ἔλλάμπουσαν τῷ οὐρανῷ 
(die ψυχὴ ἀκήρατος, wie sie im folgenden genannt wird) χωριστὸν χαὶ τὸν Ἔρωτα 
τοῦτον θησόμεθα ... ἐπὲὶ δὲ καὶ τοῦδε τοῦ παντὸς ψυχὴν ἔδει εἶναι͵ ὑπέστη μετὰ ταῦ: 
της ἤδη καὶ ὃ ἄλλος Ἔρως ... τοῦ δὲ χόσμου οὖσα ἣ ᾿Αφροδίτη αὕτη καὶ οὐ μόνῳ 
ψυχὴ οὐδὲ ἁπλῶς ψυχὴ καὶ τὸν ἐν τῷδε τῷ κόσμῳ Ἔρωτα ἐγεννήσατο. II, 1, ὅ Anl: 
Wenn Plato die himmlischen Wesen von Gott, die irdischen von den gewor- 
denen Göttern geschaffen werden lässt, 80 ist diess ταὐτὸν τῷ ἐφεξῆς μὲν τῷ 
δημιουργῷ εἶναι τὴν ψυχὴν τὴν οὐρανίαν, χαὶ τὰς ἡμετέρας δέ: ἀπὸ δὲ τῆς οὐρανίας 
ἵνδαλμα αὐτῆς ἰὸν χαὶ οἷον ἀποῤῥέον ἀπὸ τῶν ἄνω τὰ ἐπὶ γῆς ζῷα ποιεῖν. Diese 
Seele ahmt die himmlische nach, kann aber aus den geringeren διοβεβ 
und in dem geringeren Orte nicht ebenso unvergängliches schaffen, wie jene 
11, 8, 9. 142, D: καὶ πᾶς ὁ κόσμος δὲ ὃ μὲν τὸ dx σώματος καὶ ψυχῆς τινος δεθείσης 
σώματι, ὃ δὲ ἢ τοῦ παντὸς ψυχὴ ἣ μὴ ἐν σώματι, ἐλλάμπουσα δὲ ἴχνη τῇ ἐν σώμεν 
νον καὶ τῇ μὲν ἑτέρᾳ ψυχῇ τῇ χαθαρᾷ οὐδὲν φαῦλον δίδωσιν ..... θεὸς μὲν οὖν (ve. ὁ 
κόσμος) ἐκείνης συναριθμουμένης, τὸ δὲ λοιπὸν δαίμων, φησὶ, μέγας καὶ τὰ πάθη τὰ 
ἐν αὐτῷ δαιμόνια. co. 17. 147, E: νοῦς δὴ ψυχῇ δίδωσι τῇ τοῦ παντὸς (sc. τοὺς 
λόγους), ψυχὴ δὲ παρ᾽ αὑτῆς h μετὰ νοῦν τῇ μετ᾽ αὐτὴν ἐλλάμπουσα καὶ τυποῦσα, ἡ 
δὲ ὡσπερεὶ ἐπιταχθέῖσα ἤδη τοῦτο nor (sie bringt das hervor, dessen Form ihr 
von der ersten Seele mitgetheilt ist). c. 18. 148, B: &di-riv τοῦ παντὸς ψυχὴν 
θεωρέϊνν μὲν τὰ ἄριστα ἀὲὶ ἱεμένην πρὸς τὴν νοητὴν φύσιν καὶ τὸν θεὸν, πληρουμένης 
δὲ αὐτῆς ... τὸ ἐξ αὐτῆς ἴνδαλμα καὶ τὸ ἔσχατον αὐτῆς πρὸς τὸ κάτω τὸ ποιοῦν τοῦτο 
εἶναι. III, ὅ, 6. 296, Β: Was sind die Dämonen? ἄρά γε ψυχῆς dv χόσμῳ γειν’- 
μένης τὸ ἀφ᾽ ἑχάστης ἴχνος ; διά τί δὲ τῆς ἐν κόσμῳ ; ὅτι ἣ χαθαρὰ θεὸν γεννᾷ. IV, 8, 
11 Schl.: Die Gestirne sind Götter, weil sie mit τῇ ἐξ ἀρχῆς ψυχῇ durch die 
ψυχὴ οἷον ἀπελθοῦσα, und mit dem Nus durch jene susammenbängen. IV, 9,4.3,4 
(s. u. 484, 8.4). Vgl. II, 2, 8 Anf. III, 2, 16. 267, Ὁ. VI, 2, 22. 615,B. 1Υ̓͂͵ 8, 3. 
470, Ὁ £. 


Doppelte Weltseele. 483 


heit sich nicht ebenso in der reinen Betrachtung halten kann, wie die 
erste: durch sie werden die Formen, welche aus der höheren Seele 
in sie übergehen, der Körperwelt eingepflanzt. Als dieses im Sinnli- 
chen wirkende Princi cip heisst _die zweite, Seele "die Natur 1). 50 
sprengt der Dualismus der er plotinischen Weltanschauung- die Seele 
selbst, welche das Bindeglied der zwei Welten sein sollte, nach 
beiden Seiten auseinander. Sonst freilich wird auch häufig einfach 
von der Weltseele, ohne diese Unterscheidung, gesprochen 9). 

In dieser allgemeinen Seele sind nun die besonderen Seelen 
enthalten. Dass nicht blos die doppelte Weltseele, sondern auch 
eine Vielheit von Einzelseelen existirt, diess beruht im allgemei- 
nen auf dem gleichen Gesetz, wie die Vielheit von Ideen und Gei- 


1) III, 8,3. 845, E: ἣ λεγομένη φύσις ψυχὴ οὖσα γέννημα ψυχῆς προτέρας 
δυνατώτερον ζώσης υ. 8. w. Die erste Seele nämlich (6. 4) bringt durch die 
Fülle ihres Erkennens die zweite als ein ἄλλο θεώρημα hervor; in dieser aber 
(e. 3. 346, A) ist das Wissen, dem allgemeinen Gesetz der Abstufung gemäss, 
schwächer, als in der ersten, und daher wird sie praktisch und wirkt als 
Natur; vgl. 8.448, 3. Ebenso wird IV, 4, 13. 407, A f. die φύσις als das unter- 
ste Glied der übersinnlichen Welt, cin Abbild der ersten Seele und ihres Er- 
kennens, beschrieben. Vgl. II, 8, 17 f. (vor. Anm.). 

2) Kırcaxer 8. 81, 7 Aussert sich zwar sehr abschätzig über die obige 
Darstellung, obne sich übrigens um den Nachweis ihrer Unrichtigkeit auch 
nur an einem einzigen Punkte zu bemühen;' wie sich jedoch die angeflihrten 
Stellen anders auffassen lassen, als ich sie aufgefasst habe, wüsste ich wenig- 
stens nicht zu sagen, und auclı Kirchner hat es nicht gesagt, vielmehr nennt 
er selbst S. 95 f. die Natur „von der Weltseele geboren“, „eine wirkende 
Beele“, „ein Bild der höheren Seele“ u. s. w. Hiernach bliebe zwischen uns 
nur etwa der Unterschied, dass er den Namen der Weltseele auf die höhere 
Seele, mit Ausschluss der Natur, beschränken will, und dass er die φύσις 
nicht unter dem Abschnitt von der Seele, sondern als eigenes Princip neben 
Nus und φυχὴ abgesondert behandelt (vgl. 8. 421, 1). Ueber das erste war 
nun nicht viel Aufbebens zu machen; übrigens lässt sich nicht absehen, 
warum wir nicht das, was Plotin selbst die ψυχὴ ἐν χόσμῳ γενομένη, ψυχὴ 
χόσμον͵ τοῦδε τοῦ παντὸς ψυχὴ nennt, Weltseele nennen sollten. Was aber das 
andere betrifft, so ist zu beachten, dass Plotin die höhere und die niedere 
Seele auch wieder als blosse Theile der Seele behandelt (z. B. II, 8, 18; 
8. 8. 482,1; II, 2, 8), und die Seele ohne weitere Unterscheidung sich an das 
Körperliche mittheilen und vertbeilen lässt; vgl. die Nachweisungen 8.478, 5. 
479, 1. 480, 2. 8. Wir haben also hier nicht, wie im Verhältniss des 
Nus zur Secle, zwei klar geschiedene Wesen, sondern Ein Wesen, das aber 
wegen seiner eigenthümlichen Mittelstellung sich auch wieder in zwei, ein 
höheres und ein niedrigeres, zerlegt. 


31* 


% 


484 Plotinus. 


stern im Nus 1); im besondern verweist uns Plotin auf die niedri- 
gere Natur der Seele, welche als zusammengesetzt aus dem Theil- 
baren und Untheilbaren das Viele nicht ebenso mit der Einheit 
umschliessen konnte, wie der Nus 5); doch soll nicht blos die 
zweite, sondern auch die erste Seele Theilseelen hervorbringen ὅλ 
Auch hier soll aber die Einheit durch die Vielheit nicht aufgebe- 
ben werden: die Einzelseelen sind nur Wirkungen der allgemeinen, 
nur die verschiedenen Erscheinungsformen des Einen Lebens, 
welches durch das All strömt; wiewohl sie daher individuell ver- 
schieden sind, so sind sie doch zugleich eine und dieselbe, wie die 
Wissenschaft in ihren verschiedenen Theilen Eine ist, wie es Ein 
Licht ist, welches die verschiedensten Orte erleuchtet *). Die 


1) IV, 8,8. 471, B. IV, 8, ὅ 8. 0. 479, 3. 

2) III, 9, 1 Schl. 

3) II, 1,5 8. 0. 482,1. Auf die hier erwähnten Thierseelen kaun δι 
anwenden, was IV, 9, 4. 480, A allerdings nur hypothetisch, von der Voraus | 
setzung aus gesagt wird, dass die Seelen durch ihre Leiber verschieden, der 
Art (εἶδος) nach dagegen eins seien: τοῦτο δέ ἐστι τὸ μίαν καὶ τὴν αὐτὴν ἐν πολλοῖς 
σώμασι ψυχὴν ὑπάρχειν καὶ πρὸ ταύτης τῆς μιᾶς τῆς ἐν πολλσῖς ἄλλην αὖ εἶναι μὴ ἐν 
πολλοῖς, ἀφ᾽ ἧς ἣ ἐν πολλοῖς μία, ὥσπερ εἴδωλον οὖσα πολλαχοῦ φερόμενον τῆς ἐν 
ἑνὶ μιᾶς. 

4) III, 5, 4. 294, G: χαθόσον δὲ ἔχάστη [ψυχὴ πρὸς τὴν ὅλην ἔχει οὐκ ἀξο- 
τετμημένη, ἐμπεριεχομένη δὲ, ὡς εἶναι πάσας μίαν, καὶ ὁ ἔρως ἕχαστος πρὸς τὸν ὅλον 
ἂν ἔχοι. Υ͂Ἱ, ὅ, 9: es gebt Ein Leben durch’s Universum; πᾶσαι al ψυχαὶ τοίϑων 
μία. Zum Beweise für diese Einheit beruft sich Plotin IV, 9,8 auf die Gemein- 
samkeit des Gefühls in der Liebe und die magische Sympathie der Dinge. 
Fragt man aber, wie wir uns dieselbe zu denken haben, so ist die Antwort 
(IV, 9, 5): ἐχείνη μὲν οὖν μία; al δὲ πολλαὶ εἰς ταύτην ὡς μίαν [sc. ἀνήρτηνταϊ 
δοῦσαν ἑαυτὴν εἷς πλῆθος καὶ οὐ δοῦσαν, ἰχανὴ γὰρ πᾶσι παρασχέϊν ἑαυτὴν καὶ μένειν 
μία. δύναται γὰρ εἰς πάντα ἅμα καὶ ἑχάστου οὐχ ἀποτέτμηται πάντη. Wie die 
Wissenschaft in der Gesammtheit ihrer Theile Eine ist, so auch die Seele. 
IV, 8,4. 874, F: Die Einheit des Nus macht keine Schwierigkeit; ἐκὶ δὲ τῆς 
ψυχῆς τῆς λεγομένης μεριστῆς εἶναι χατὰ σώματα τοῦτο τὸ ἕν τι εἶναι πάσας πολλὲς 
ἂν ἔχοι ἀπορίας, εἰ μή τις τὸ μὲν ἕν στήσειεν ἐφ᾽ ἑαυτοῦ μὴ πίπτον εἰς τὸ σῶμα, ak" 
ἐξ ἐχείνου τὰς πάσας, τήν τε τοῦ ὅλου χαὶ τὰς ἄλλας, μέχρι τινὸς οἷον συνούσας ze 
μίαν τῷ μηδενός τινος γίνεσθαι, τοῖς δὲ πέρασιν αὐτῶν ἐξηρτημένας καὶ συνούσας 
ἀλλήλαις πρὸς τὰ ἄνω ὡδὶ καὶ ὡδὶ ἐπιβάλλειν, οἷον φωτὸς ἤδη πρὸς τῇ γῇ μεριζομένου 
at’ οἴκους χαὶ οὐ μεμερισμένου ἀλλ᾽ ὄντος ἑνὸς οὐδὲν ἧττον. Eine genauere Be- 
stimmung über das Verhältniss der Einzelseelen sur allgemeinen, und über 
die Art, wie jene selbst eins sind, suchen wir in den wiederholten Erörterun- 
gen über diese Frage (zuerst IV, 8, 8, dann in einer eigenen Abbandlang IV,9 


Theilseelen. 485 


Seele des Weltganzen bleibt ungetheilt, aber jedes Einzelwesen 
nimmt von ihr in sich auf, was es zu fassen vermag '). Die allge- 
smeinen Voraussetzungen über das Verhältniss des Abgeleiteten 
zum Ursprünglichen finden auch hier ihre Anwendung. Mit dem 
Seelenleben ist nun die Grenze der intelligibeln Welt erreicht, und 


- 


und schliesslich noch in den Aporieen IV, 3, 1—8) vergeblich.: Eine Ueber- 
sicht über den Inhalt dieser Erörterungen giebt Rıcater Neupl. St. IV, 29 ff. 
1) VI, 4, 12. 655, C: Wie die Stimme vielen Ohren, das Bild vielen 
Augen, jedem ganz gegenwärtig ist, so begreift es sich auch, εἰ ψυχὴ μὴ παρα- 
τέταται συμμεριζομένη (nicht räumlich ausgedehnt und getheilt ist), ἀλλὰ παντα- 
χοῦ͵ οὗ ἂν παρῇ, πάρεστι καὶ ἐστὶ πανταχοῦ τοῦ παντὸς οὐ μεμερισμένη ..... ὡς οὐχ 
ὄντος αὐτῆς τοῦ μὲν ἐν σώμασι, τοῦ δὲ ἐφ᾽ ἑαυτοῦ, ἀλλὰ ὅλου ἐν αὑτῷ καὶ ἐν πολλοῖς 
αὖ φανταζομένουι Sie kommt nicht in die Körper herab, sondern ist ihnen 
gegenwärtig, indem sie zugleich für sich ist. εἰ δ᾽ οὖσα ἐφ᾽ ξαντῆς τούτῳ 
πάρεστι, τοῦτο ἦλθε πρὸς αὐτήν. Was ausser dem ὄντως ὃν war, kam zu ihm, 
καὶ ἐγένετο ἐν τῷ τῆς ζωῆς χόσμῳ. Dieser war aber ungetheilt für sich; os 
konnte ihn also nur als Ganzes aufnehmen; er ist mithin in allem, was ihn 
aufgenommen hat, εἷς ἀριθμῷ οὐ μεμερισμένος, ἀλλ᾽ ὅλος. Man darf sich dem- 
i nach (c. 13 Anf.) nicht vorstellen, der χόσμος ζωῆς sei durch den Himmel und 
' in die lebenden Wesen ausgebreitet (ἐχτείνεσθαι), ἀλλὰ τὸ ἐχταθὲν πᾶν αὐτοῦ 
μετειληφέναι, ὄντος ἀδιαστάτου αὐτοῦ. Nun könnte es freilich scheinen, in die- 
som Fall würde nicht jedes Wesen seine eigene Seele haben. Auf dieses Beden- 
ken antwortet ο. 14: ἐξαρχέΐ χαὶ ἑκάστῳ (der χόσμος ζωῆς oder die Seele des All 
reicht auch für die Einzelwesen aus) χαὶ πάσας ψυχὰς ἔχει χαὶ πάντας νοῦς. καὶ 
γὰο ἕν ἔστι χαὶ ἄπειρον αὖ καὶ πάντα ὁμοῦ καὶ ἕχαστον ἔχει διαχεχριμένον καὶ αὖ οὐ 
διαχριθὲν χωρίς ..... οὗ γὰρ δὴ μίαν ζωὴν ἔδει αὐτὸ ἔχειν, ἀλλ᾽ ἄπειρον, καὶ αὖ μίαν 
χαὶ τὴν μίαν οὕτω μίαν, ὅτι πάσας ὁμοῦ οὐ συμφορηθείσας εἰς ἕν, ἀλλ᾽ ἀφ᾽ ἑνὸς ἀρξα- 
μένας καὶ μενούσας ὅθεν ἤρξαντο, μᾶλλον δὲ οὐδὲ ἤρξαντο, ἀλλ᾽ οὕτως εἶχον ἀεί" 
οὐδὲν γὰρ γινόμενον Exit: οὐδὲ μεριζόμενον τοίνυν, ἀλλὰ δοκέϊΐ μερίζεσθαι τῷ λαβόντι. 
IV, 2, 1 (6. ο. 479, 1.). Dass freilich durch diese Erörterungen die Einheit der 
Seele mit der Vielheit der Einzelseelen wirklich in widerspruchsloser Weise 
vereinigt sei, wird man nicht sagen können: mit aller Mühe, die sich Plotin 
giebt, beides zusammenzubringen, wirft er sich doch im Grunde zwischen 
den zwei Bestimmungen, dass die Einzelseelen mit der allgemeinen identisch, 
und dass sie von ihr verschieden seien, nur hin und her; und wenn er sich 
durch die Annahme zu helfen sucht, die an sich Eine Seele werde von den 
verschiedenen Wesen in verschiedenem Maass und verschiedener Weise auf- 
genommen (ähnlich, wie schon Aristokles in Betreff des Nus gesagt hatte; 
s. 1. Abth. 704), so kann diess schon desshalb nicht genügen, weil in seinem 
Bystem die Einzelseelen nur Wirkungen und Ausstrahlungen der allgemeinen 
und die Körper nur Wirkungen der Seele sind, weil mithin die Seele sich 
schon getheilt haben muss, wenn es eine Mehrheit von Wesen geben soll, die 
sie in sich aufnehmen. 


486 ᾿ Plotinus. 


wenn auch die höchste Seele nicht aus dem Intelligibeln berans- 
tritt, so liegt doch in der Vertheilung der allgemeinen Seele an die 
Einzelseelen der Grund für ihr Eingehen in die Erscheinungsweli 


B. Die Erscheinungswelt. 
6. Die Erscheinungswelt ihrem allgemeinen Wesen nach 
betrachtet. 
Was die Erscheinungswelt von der übersinnlichen unter- 
scheidet, ist im allgemeinen diess, dass sich die Einheit der letz- 


teren hier in eine Vielheit, das _Ineinander aller Theile_in en, 


Aussereinander, die Harmonie derselben in Streit und Gegensatz 
auflöst 1), dass an die Stelle der reinen Vernünftigkeit eise 
Mischung von Vernunft und Nothwendigkeit ?), an die Stelle der 
Ewigkeit die Zeit 5), an die Stelle des wahren Seins ein blosser | 
Schein, ein unaufhörlicher Fluss des Werdens, ein Zerrbild der 
wahren Wirklichkeit tritt 4). Beide stehen in dieser Beziehung 0 
weit von einander ab, dass Plotin den Kategorieen, welche für das 
Uebersinnliche gelten, ihre Anwendbarkeit auf die Sinnenwelt 
abspricht °). Fragen wir aber nach dem Grund dieser Eigenthüw- 
lichkeit, so verweist uns Plotin mit Plato auf die Materie, als das, 
was allem Sinnlichen zu Grunde liege, und seinen Unterschied 
vom Intelligibeln bewirke. Auch in seiner weiteren Beschreibung 
der Materie stimmt Plotin zunächst mit Plato, und namentlich mil 
der von Aristoteles überlieferten Form der platonischen Lehre über- 
ein. Dass es überhaupt ein von den besondern Körperu verschie- 
denes allgemeines Substrat (ὑποδοχή, ὑποχείμενον) des Körperlichen 
geben müsse, wird Il, 4, 6 theils aus der qualitativen Veränderung 


1) II, 2, 2 Anf.: Ὑφίσταται γοῦν dx τοῦ χόσμου τοῦ ἀληθινοῦ ἐχείνου καὶ ἕνὸς 
κόσμος οὗτος οὐχ εἷς ἀληθῶς πολὺς γοῦν καὶ εἰς πλῆθος μεμερισμένος καὶ ἄλλο az 
ἄλλου ἀφεστηχὸς χαὶ ἀλλότριον γεγενημένον" χαὶ οὐχέτι φιλία μόνον͵ ἀλλὰ χαὶ ἔχϑρα 
τῇ διαστάσει, καὶ ἐν τῇ ἐλλείψει ἐξ ἀνάγκης πολέμιον ἄλλο ἄλλῳ. οὐ γὰρ ἀρχεῖ αὑτῷ 
τὸ μέρος, ἀλλὰ σωζόμενον τῷ ἄλλῳ πολέμιόν ἐστιν ὑφ᾽ οὗ σώζεται. Achnlich c. 16. 
461, 6. 

2) ΠῚ, 2, 2. 256, Ο: ἔστι γὰρ τὸ πᾶν τόδε οὐχ ὥσπερ ἐχεὶ νοῦς καὶ λόγος, 
ἀλλὰ μετέχον νοῦ χαὶ λόγου ... συνελθόντος νοῦ χαὶ ἀνάγκης ἄρχοντος δὲ νοῦ ὅμως 
ἀνάγχης. Vgl. Prar. Tim. 48, A. 

8) ΠῚ 7 8. u. 491,2. 1,5, 7. 44,G. VI, 5, 11. 669, C. 

4) Die Belege tiefer unten. 

ö) Vgl. 8. 466. 


Die Materie . 487 


der Körper bewiesen, wie im Timäus, theils mit Hülfe der aristote- 
lischen Unterscheidung von Form und Materie erschlossen. Da 
weder das Vergehen des bestimmten Körpers eine gänzliche Ver- 
nichtung, noch seine Entstehung ein Werden aus nichts ist, so 
muss ein gemeinsames vorhanden sein, an dem diese Verän- 
derungen vorgehen; und da jeder besondere Körper diese beson- 
dere Verbindung von Form und Stoff ist, so setzt jeder, wie auf 
der einen Seite die reine Form, so auf der andern den formlosen 
Stoff voraus!). Wie sollen wir uns nun aber diesen Stoff denken ? 
Als der reine, absolut formlose, muss er ohne alle Bestimmtheit, 
schlechthin eigenschaftslos sein 5). Hat er aber gar keine Eigen- 
schaft, so hat er auch nicht die der Grösse, auch diese wird ihm 
vielmehr nur insofern zukommen, als der Begriff der Grösse sich 
in ihm verwirklicht; er ist mithin keine Masse (ὄγχος), sondern 
nur das, was die Masse in sich aufnimmt, der Raum für alles, oder 
nach dem platonisch-aristotelischen Ausdruck das Grosse und 
Kleine °). Die Materie ist demnach nichts körperliches (ἀσώμα-! 
τος) 3), sie ist überhaupt nichts wirkliches, sondern die blosse 
Möglichkeit des Seins 5), nur ein schwaches (ἀμυδρὸς) Scheinbild 
desselben, eine Abschattung und ein Verlassen des Geistigen 
(σκιὰ λόγου xal ἔχπτωσις) 5), dasjenige, was für sich an allem 
Mangel leidet, und nur anderem Anlass wird, in ihm zu erscheinen, 


1) Vgl. auch II, 7, 8, wo Plotin fragt, ob die σωματότης das aus sämmt- 
lichen Qualitäten sammt dem Stoffe zusammengesetzte sei, oder εἶδός τι χαὶ 
λόγος τις ὃς ἐγγενόμενος τῇ ὕλῃ σῶμα ποιέί. Beine Meinung ist obne Zweifel das 
letztere; die Unterscheidung von Form und Stoff ist aber in beiden Fällen die 
gleiche. 

3) II, 4, 8 ὦ. 18 υ. ὅ. 

8) II,4, 7. 810, Ὁ (5. ἃ. 488, 3). Ebd. ce. 11. III, 6, 16-18. Die Be- 
zeichnung der Materie als des Raums für alle Dinge (III, 6, 18 g. E.) ist übri- 
gens nur uneigentlich zu verstehen; Il, 4,12. 166, D wird dieselbe verworfen, 
weil der Raum später sei, als der Körper. 

4) 11, 4, 8 f. III, 6, 7 Anf.: ἔστι μὲν οὖν ἀσώματος, ἐπείπερ τὸ σῶμα ὕστερον 
καὶ σύνθετον καὶ αὐτὴ μετ᾽ ἄλλου (mit der Form) ποιέΐ σῶμα. Plotin behauptet 
desshaib 11, 6, 6 Anf. ο. 7 (6. 8. 488, 2). 6. 8—11. 19, die Materie sei, wie 
alles unkörperliche, leidensunfähig (ἀπαθὴς), denn nur entgegengesetste 
(Feuer, Wasser u. dgl.) leiden von einander, nicht das gegensatslose Substrat. 

δ) IE, 5,5. Damit streitet natürlich nicht, dass die Materie (IH, 6,7. 
810, Ὁ) keine δύναμις, ἃ. h. keine wirkende Kraft sein soll. 

6) 111, 6, 1. 18, 810, D. 821, A. VI, 8,7. 6232, Bu. ὅ. 


488 Plotinus, 


und dadurch den täuschenden Schein eines Seins hervorzubris- 
gen '). Sie ist mit einem Wort das Nichtseiende schlechthin, das, 
was aller und jeder Realität entbehrt, was immer das Gegentkei 
seiner selbst ist, was in allem täuscht, das es zu sein schein, 
was weder zu beharren noch zu verschwinden vermag, die unge- 
stillte Sehnsucht nach Sein 3), die reine Privation (στέρησις) ἢ), 
das Bestimmungslose oder das Unbegrenzite, d. h. die Bestimmungs- 
losigkeit und Unbegrenztheit selbst, nicht etwa nur eine unbe- 
grenzte Substanz *). Dass freilich eine solche aus blossen Verne- 
nungen bestehende Beschreibung keinen wirklichen Begriff der 
Materie gewährt, kann Plotin sich nicht verbergen; und ΕΗ er 
sich auch nicht ungeschickt mit der Bemerkung: es sei ein Unter- 
schied zwischen dem Nichtsdenken und dem Denken des nichts 
oder des unbestimmten, zu welchem man durch Abstrakton von 
aller Bestimmtheit des geformten Seins komme, so sagt er doch 
dabei selbst, dieser Gedanke des formlosen sei dunkel, ein Unge- 
danke, die Seele denke es nichtdenkend, und ertrage es nichl, 
lange dabei zu verweilen °). 


1) III, 6, 15. 318, Ὁ: ἔχει οὐδὲν τῶν ὄντων οὔτε ἀληθὲς οὔτε αὖ oluslov ψεῦδος" 
οὐχ ἔχει δὲ δι’ ὅτου φανῇ, ἐρημία πάντων οὖσα, ἀλλὰ γίγνεται μὲν αἰτία ἄλλοις τοῦ 
φαίνεσθαι. Vgl. folg. Anm. und o. 18, 820, D: τοῦτο δὲ [τὸ μέγα] ἕξει [ἢ ὕλη] 
ἐμφανταζόμενον. 

2) III, 6, 7. 810, D: μὴ dv δ᾽ ἂν εἰχότως λέγοιτο, καὶ οὐχ ὥσπερ κίνησες μὴ 
ὃν A στάσις μὴ ὃν, ἀλλὰ ἀληθινῶς μὴ ὃν, εἴδωλον χαὶ φάντασμα ὅ ὄγκου καὶ ὑποστῇ- 
σεως ἔφεσις καὶ ἑστηχὺς οὐχ ἐν στάσει χαὶ ἀόρατον χαθ' auto χαὶ φεῦγον τὸ βουλόμενον 
ἰδεῖν καὶ ὅταν τις μὴ ἴδῃ γιγνόμενον, ἀτενίσαντι δὲ οὐχ ὁρώμενον, καὶ τὰ ἐναντία ἐξ! 
ἐφ᾽ ἑαυτοῦ φανταζόμενον, μιχρὸν καὶ μέγα καὶ ἧττον καὶ μᾶλλον, ἐλλεῖπόν τε πὰ 
ὑπερέχον, εἴδωλον οὐ μένον οὐδ᾽ αὖ φεύγειν δυνάμενον᾽ οὐδὲ γὰρ οὐδὲ τοῦτο ἰσχία 
ἅτε μὴ ἰσχὺν παρὰ νοῦ λαβὸν, ἀλλ᾽ ἐν ἐλλείψει τοῦ ὄντος παντὸς γενόμενον. διὰ πᾶν 
ὃ ἂν ἐπαγγέλληται ψεύδεται, χἂν μέγα φαντασθῇ , μιχρόν ἐστι Ὁ. 8. w. οἷον παίγννν 
φεῦγον vun. τὰ δὲ εἰςιόντα χαὶ ἐξιόντα τῶν ὄντων μιμήματα καὶ εἴδωλα εἰς εἴδωλον 
ἄμορφον καὶ διὰ τὸ ἄμορφον αὐτῆς ἐνορώμενα ποιέϊν μὲν δοκέίΐ εἰς αὐτὴν, ποιΐ & 
οὐδέν ἀμενηνὰ γὰρ καὶ ἀσθενῇ καὶ ἀντερέίδον οὐχ ἔχοντα ἀλλ᾽ οὐδὲ ἐχείνης ἐχούσκ 
δίεισιν οὐ τέμνοντα οἷον δι’ ὕδατος u. 8. w. ἀσθενὲς δὴ καὶ ψεῦδος ὃν χαὶ εἰς ψεῦδος 
ἐμπίπτον, οἷα ἐν ὀνείρῳ ἣ ὕδατι ἢ χατόπτρῳ, ἀπαθῆ αὐτὴν εἴασεν ἐξ ἀνάγκης εἶναι. 

8) 11, 4, 14. 6. 16, Anf. co. 11, Anf. Ebd. co. 18. 161, Ο: ihre einsige 
ποιότης sei das μηδεμιᾶς (866. ποιότητος) μετέχειν, die στέρησις ἐκείνων. 

4) IL, 4, 10 Anf. ο. 14, Β68}. c. 15 ἔ, vgl. Bd. I, a, 466. 

6) Vgl. vor. Anm. I, 8, 9, wo u. A. von dem Denken der Materie: dt 
xod νοῦς ἄλλος, οὐ νοῦς. II, 4, 10: Die Seele sehe das ἀόριστον, wie das Auge 
die Finsterniss, ἀφελοῦσα ὅσα ἐπὶ toi; αἰσθητοῖς. Es sei diess nicht eine 


- 


Die Materie, das Böse. 489 


Alle diese Bestimmungen sind der Sache, wenn auch nicht 
immer dem Ausdruck nach, ächt platonisch; dagegen geht unser 
Philosoph über Plato hinaus, wenn er die Materie, nach dem Vor- 
gang einesPhilo und der Neupythagoreer, nicht blos als das Nicht- 
seiende, sondern auch geradezu als das Böse bezeichnet‘). Das 
Böse nämlich kann nach Plotin ursprünglich nicht der Seele zu- 
kommen, da diese vermöge ihrer höheren Natur davon frei ist, es 
kann vielmehr nur von der befleckenden Verbindung der Seele 
mit einem an sich Bösen herrühren, und dieses werden wir nur 
in der Materie suchen können ?). Denn wenn das Böse Mangel 


-— 
De  Ξ Ξ 


des Guten (ἀπουσία ἀγαθοῦ, στέρησις) ist, so ist ja eben die Materie : 


die ursprüngliche und absolute Privation, der reine Mangel (πενία 
παντελής); wenn das Böse in der Bewegung ohne Ruhe, der 
Unbegrenztheit, der Form-, Maass- und Bestimmungslosigkeit be- 
steht, so ist sie allein dasjenige, welchem diese Eigenschaften nicht 
blos als Prädikate zukommen, sondern dessen Wesen sie aus- 
machen. Die Materie ist daher das Urböse (πρῶτον xaxdv), erst 


ἄγνοια ὡς ἀπουσία (eine Abwesenheit alles Denkens), sondern das ἀόριστον sei 
ἐν χαταφάσει τινί. Wenn die Seele nichts denke (ὅταν μηδὲν vofj), λέγει μηδὲν, 
μᾶλλον δὲ πάσχει οὐδέν᾽ ὅταν δὲ τὴν ὕλην, πάσχει πάθος οἷον τύπον τοῦ ἀμόρφου. 
Aber achon vorher hat er zugestanden, es sei vom Unbestimmten wohl ein 
bestimmter Begriff (λόγος ὡρισμένος) möglich, ἢ δὲ πρὸς αὐτὸ ἐπιβολὴ (die An- 
schauung desselben) ἀόριστος .. ὃ μὲν λόγος λέγει ἃ δὴ λέγει περὶ αὐτῆς, I δὲ 
βουλομένη εἶναι νόησις οὐ νόησις, ἀλλ᾽ οἷον ἄνοια μᾶλλον, ihr φάντασμα sei daher 
νόθον, der λογισμὸς νόθος Plato’s (worüber (Bd. II, a, 470, 8). Wonn die Seele 
von aller Formbestimmtbeit der Dinge abstrahire, ὃ χαταλείπει ὃ λόγος, τοῦτο 
νοέϊ ἀμυδρῶς ἀμυδρὸν καὶ σχοτεινῶς σχοτεινὸν καὶ νοεῖ οὐ νοοῦσα ..... χαὶ οὐχ 
ἀνεχομένη ἐν τῷ μὴ ὄντι ἐπὶ πολὺ ἑστάναι. 

1) Andeutungen dieser Vorstellung finden sich allerdiugs bei Plato, in 
geringerem Maasse bei Aristoteles (s. Bd. II, a, 471. 487, 4. 489, 2. 557. b, 
256, 2); aber dass die Materie als solche das Böse sei, hat keiner dieser älteren 
Philosophen behauptet. 

2) 1,6, 5. 54, C: ἔστω δὴ ψυχὴ aloyp&, ἀχόλαστός τε χαὶ ἄδιχος U. δ. W. .. 
αὖτὸ τοῦτο τὸ αἶσχος αὐτῇ ἄρα οὐ προςγεγονέναι οἷον ἐπαχτὸν χαχὸν φήσομεν, ὃ 
ἐλωβήσατο μὲν αὐτῇ, πεποίηχε δὲ αὐτὴν ἀχάθαρτον u.’s. w. οἷον el τις δὺς εἰς πηλὸν 
ἢ βόρβορον τὸ μὲν ὅπερ εἶχε χάλλος μηχέτι προφαίνοι, τοῦτο δὲ ὁρῷτο, ὃ παρὰ τοῦ 
πηλοῦ A βορβόρου ἀπεμάξατο' ᾧ δὴ τὸ αἰσχρὸν προςθήχη τοῦ ἀλλοτρίου προςῆλθε. 
Vgl. I, 8, 14: auch wenn man das Böse als ἀσθένεια ψυχῆς definire, komme 
man auf die Materie als das Urböse, denn jene Schwäche sei nur in den ge- 
fallenen Seelen, sei also nicht ἀφαίρεσις τινὸς, ἀλλ᾽ ἀλλοτρίου παρουσία, welches 
ἀλλότριον natürlich die Materie ist. 


490 Plotinus. 


_ein abgeleitetes Böses (δεύτερον κακόν) ist das Körperliche, und 
"ur in dritter Reihe, sofern sie sich dem ihr selbst fremden Bösen 
hingiebt, kann die Seele böse genannt werden 1). Je ursprüng- 
licher diese Bestimmung dem späteren Platonismus angehört, um 
so weniger lässt sich auch verkennen, dass sich gerade in ihr seis 
eigenthümlicher Charakter bezeichnend ausprägt: wie sich das 
leitende Interesse dieses Systems überhaupt im inneren Leben des 
Menschen zusammenfasst, so ist auch der ihm eigenthüsliche 
Begriff der Materie nicht ein naturphilosophischer oder metaphy- 
sischer, sondern der ethische Begriff des Bösen; die Materie wird 
nicht sowohl nach ihrem objektiven Wesen, als nach der Wirkung 
betrachtet, welche sie auf das mit seiner Sinnlichkeit zerfallese 
Subjekt übt. 

Konnte denn aber die Welt nicht ohne dieses störende Ele- 
ment sein? war die Materie und das Böse durchaus nothwendig? 
Diese Frage musste für eine Philosophie, welche in der Flucht aus 
dem Sinnlichen abschliesst, das höchste Gewicht baben, und wir 
werden auch später noch im einzelnen sehen, welche Mühe sich 
Plotin giebt, um sie zu beantworten. Im allgemeinen konnte er 
hiefür nur auf dieselben Gesetze zurückgehen, durch welche über- 
haupt der Hervorgang des unvollkommenen aus dem vollkomme- 
neren bedingt ist. In diesem Herabsteigen musste, wie er glault, 
am Ende eine Grenze erreicht werden, an welcher das Gute in's 
Böse, das Geistige in die Materie umschlägt, die Seele musste des 
Körperliche als Ort für sich erzeugen, das Licht musste sich am 
Ende in die Finsterniss verlieren 3). Hierin liegt freilich der 
Widerspruch, dass das absolute, qualitative Gegentheil des Geist- 


1) 8,8 £. 10—18. I, 4, 16. 169, F. 

2) 1,8, 7. 77, E: ἔστι δὲ τοῦ καχοῦ χαὶ οὕτω λαβέϊν τὴν ἀνάγχην. exe γὰρ οὐ 
μόνον τὸ ἀγαθὸν, ἀνάγχη τῇ ἐκβάσει τῇ παρ᾽ αὐτὸ, ἣ,, εἰ οὕτω τις ἐθέλοι λέγων, U 
ἀεὶ ὁποβάσει χαὶ ἀποστάσει τὸ ἔσχατον χαὶ μεθ᾽ Ἢ οὐχ ἦν ἔτι γενέσθαι ὁ ὁτιοῦν τοῦτο 
εἶναι τὸ χαχόν- ἐξ ἀνάγκης δὲ εἶναι τὸ μετὰ τὸ πρῶτον ὥστε καὶ τὸ ἔσχατον᾽ τοῦτο δὲ 
ἣ ὕλη μηδὲν ἔτι ἔχουσα αὐτοῦ. Ebd. c. 15. IV, 8, 9. 879, A: σώματος μὲν μὴ 
ὄντος οὐδ᾽ ἂν προέλθοι ψυχὴ, ἐπὰ οὐδὲ τόπος ἄλλος ἐστὶν ὅπου πέφυχεν εἶναι. zpoätt: 
δὲ εἰ μέλλοι γεννήσει ἑαυτῇ τόπον, ὥστε χαὶ σῶμα. τῆς δὴ στάσεως αὐτῆς ἐν αὐτῇ τῇ 
στάσει οἱονεὶ ῥωννυμένης (sich anstrengen), οἷον πολὺ φῶς ἐχλάμψαν ἐπ᾽ ἄχροις τὰς 
ἐσχάτοις τοῦ πυρὸς σκότος ἐγίγνετο ὅπεῤ ἰδοῦσα ἧ ψυχὴ, ἐπείπερ ὑπέστη ἐμόρφοστ' 
αὐτό. III, 2,5. 269, Ο: ὅλως δὲ τὸ χαχὸν ἔλλειψιν τοῦ ἀγαθοῦ θετέον" ἀνάγκη δὲ 
ἔλλειψιν εἶναι ἐνταῦθα ἀγαθοῦ, ὅτι ἐν ἄλλῳ. 1], 8, 18: das Böse zei πομιπφνόίῷ 


Grund des matoriellen Beins. 


gen aus diesem selbst auf dem quantitativen Weg einer 
weisen Abschwächung entstanden sein sell, aber für Plotin | 
kein Mittel, diesem Widerspruch zu entgehen, da er die Materie 
auf seinem Standpunkt weder als positive Bedingung für die Ver- 
wirklichung des Göttlichen aus diesem ableiten, noch als ein zwei- 
tes gleich ursprüngliches Princip neben das Göttliche stellen konnte. 
Mit der ebenbesprochenen Frage würde nun eigentlich auch 
die nach dem Herabsteigen der Seele in die Materie zusammenfal- 
len; das gewöhnlichere ist jedoch bei Plotin, dass er die Materie als 
bereits vorhanden neben der Seele voraussetzt, und nun untersucht, 
was die Seele zur Verbindung mit jener bestimmt habe. Da die Seele 
an der Grenze der übersinnlichen Welt steht, so erleuchtet sie 
naturgemäss das, was unter ihr ist, die Materie; ebendamit theilt 
sie sich aber an diese mit, geht mit einem Theil ihrer Kräfte in 
sie ein, wird in ihrem Wirken an sie gebunden 1), und tritt aus 
der Ewigkeit des Intelligibeln in das Zeitleben heraus ?). Erst 


weil es aus dem besseren folge, und das Weltganze sonst unvollständig wäre, 
auch werde es zum Nutzen dos Ganzen verwendet. Vgl. III, 8, 7. 

1) 1, 8, 14. 81, D: ἔστιν οὖν ἐν τοῖς οὖσιν ὕλη. ἔστι δὲ καὶ ψυχὴ καὶ οἷον τόπος 
εἷς τις, .. δυνάμεις δὲ ψυχῆς πολλαὶ, καὶ ἀρχὴν καὶ μέσα χαὶ ἔσχατα ψυχὴ ἔχει. ὕλη 
δὲ παροῦσα προκαιτέϊ (Ριατ. Symp. 208, Β vgl. Por. III, 6, 14. 817, B). οἷον καὶ 
ἐνοχλεῖ καὶ εἷς τὸ εἴσω παρελθεῖν Biker. πᾶς δὲ ὃ χῶρος ἱερὸς καὶ οὐδέν ἐστιν ὃ ἅμοι- 
ρόν ἐστιν ψυχῆς. ἐλλάμπεται οὖν ὑποβάλλουσα ἑαυτὴν, καὶ ἀφ᾽ od μὲν ἔλλάμπεται οὐ 
δύναται λαβεῖν... τὴν δὲ ἔλλαμψιν χαὶ τὸ ἐχεῖθεν φῶς ἐσχότωσε τῇ μίξει χαὶ ἀσθενὲς 
πεποίηκε, τὴν γένεσιν αὐτὴ παρασχοῦσα χαὶ τὴν αἰτίαν τοῦ εἷς αὐτὴν ἐλθέϊν, οὐ γὰρ ἂν 
ἦλθε τῷ μὴ παρόντι. καὶ τοῦτό ἐστι πτῶμα τῆς ψυχῆς (von einem πτῶμα der Beele 
spricht Pl. auch am Anfang der Stelle) τὸ οὕτως ἐλθέΐν εἰς ὕλην καὶ ἀσθενέϊν: die 
Materie lässt die Kräfte der Beele nicht wirken, was sie vielmehr von ihr 
aufnimmt, das macht sie xaxov, ἕως ἂν δυνηθῇ ἀναδραμέϊν. III, 8,8 (vgl. 8.488, 1). 
IV, 8, 7 Anf.: ἄμεινον μὲν ψυχῇ ἐν τῷ νοητῷ εἶναι, ἀνάγχη γε μὴν ἔχει xal τοῦ alo- 
θητοῦ μεταλαμβάνειν τοιαύτην φύσιν ἐχούσῃ, καὶ οὐκ ἀγανἀάχτητέον αὐτὴν ἑαυτῇ εἰ μὴ 
πάντα ἐστὶ τὸ χρέϊττον, μέσην τάξιν ἐν τοῖς οὖσιν ἐπισχοῦσαν, θείας μὲν μοίρας οὖσαν, 
ἐν ἐσχάτῳ δὲ τοῦ νοητοῦ οὖσαν, ὡς ὅμορον οὖσαν τῇ αἰσθητῇ φύσει διδόναι μέν τι 
τούτῷ, ἀντιλαμβάνειν δὲ καὶ παρ᾽ αὐτοῦ εἰ μὴ μετὰ τοῦ αὑτῆς ἀσφαλοῦς ὃ διαχοσμοΐῖ, 
Ebenso VI, 4, 16. 658, B. IV, 8, 8 Schl. ebd. co. 6. u. ὅ. 

2) Das genauere hierüber enthält, neben den beiläufigen Asusserungen 
1,5, 7. 44, G. VI, δ, 11. 669, C, die Schrift x. αἰῶνος καὶ χρόνον III, 7; ein 
Auszug daraus bei Rıchrzz Neupl. Btud. III, 91 f. Die Ewigkeit wird bier 
(6. 2, Schl.) definirt: 4 περὶ τὸ ὃν dv τῷ εἶναι ζωὴ ὁμοῦ πᾶσα χαὶ πλήρης ἀδιάστα- 
τος πανταχῇ. Von ihr ist die Zeit su unterscheiden, welche dem gewordenen 
ebenso wesentlich ist, wie jene dem wahrhaft seienden. Ueber den Begriff 


An 


498 Plotinus. 


durch diese Verbindung seelischer Kräfte mit der Materie entsteki 
die Erscheinungswelt, abgesehen davon wäre die Materie, als das 
eigenschaftslose und unkörperliche, kein Gegenstand der Wahr- 
nehmung. Nur darf man sich diesen Vorgang nicht in der Weise 
eines menschlichen Werks denken. Die Natur ist an sich zwar 
Gedanke, aber sie ist nicht bewusstes Denken, sondern einfaches, 
absichts- und bewusstloses Schaffen 1); und will ihr auch Plotin 
eine Art Erkennen und Selbstgefühl beilegen, so spricht er ihr 
doch die Wahrnehmung und Vorstellung ab, und vergleicht ihr 
Bewusstsein dem eines schlummernden ®). Ihre Erzeugnisse sind 


der Zeit gewinnt Plotin, nach ausführlicher Kritik früherer Ansichten, das 
Ergebniss (10 f.): sie entstehe aus dem Streben der Seele, das, was sie im 
Intelligibeln geschant hat, in ein anderes, die Materie, überzutragen ; da diese 
das Intelligible nicht in seiner Einheit zu fassen vermöge, 80 bewege sich die 
Beele hiebei aucoessiv von dem einen zum andern, und mit ihr bewege sich die 
sinnliche Welt, die in ihr ist. So erzeuge die Seele die Zeit als Abbild der 
Ewigkeit zunächst für sich selbst, dann auch für die Welt (c. 10. 335, F: 
πρῶτον μὲν ἑαυτὴν ἐχρόνωσεν ... ἔπειτα δὲ καὶ τῷ γενομένῳ ἔδωχε δουλεύειν χρόνῳ) 
Die Zeit ist daher (c. 10, 386, B) ψυχῆς ἐν κινήσει μεταβατιχῇ ἐξ ἄλλου εἰς ἄλλον 
βίον ζωὴ, würde die Seele (d. ἢ. die Weltseele) sich ganz dem Uebersinnlichen 
zuwenden, so wäre keine Zeit mehr, sondern nur noch Ewigkeit. 

1) III, 8, 3 (8) Schl.: τὸ οὖν εἶναι αὐτῇ ὅ ἐστι, τοῦτό ἐστι ποιεῖν" ἔστι δὲ 
θεωρία χαὶ θεώρημα" λόγος γάρ. τῷ οὖν εἶναι θεωρία χαὶ θεώρημα xaı λόγος τούτῳ 
καὶ ποιεῖ ἧ ταῦτά ἐστιν. IV, 4, 18. 407, A: ἴνδαλμα γὰρ φρονήσεως ἣ φύσις καὶ 
ψυχῆς ἔσχατον ὃν ἔσχατον καὶ τὸν ἐν αὐτῇ ἐλλαμπόμενον λόγον ἔχει... .. ὅθεν οὐδὲ 
οἶδε, μόνον δὲ ποιεῖ" ὃ γὰρ ἔχει τῷ ἐφεξῆς διδοῦσα ἀπροαιρέτως τὴν δόσιν τῷ σωματαῷ 
ao ὑλιχῷ ποίησιν ἔχει... διὰ τοῦτό τοι ἣ φύσις οὐδὲ φαντασίαν ἔχει (oder, wie es 
gleich nachher heisst: οὐδενὸς ἀντίληψιν οὐδὲ σύνεσιν ἔχει). 

2) 1Π, 8, ὃ (4). 845, E: ἢ λεγομένη φύσις ψυχὴ οὖσα... ... ἐν τῇ αὑτῆς στάσει 
χαὶ οἷον συναισθήσει τῇ συνέσει ταύτῃ καὶ συναισθήσει τὸ μετ᾽ αὐτὴν εἶδεν ὡς οἷόν πα 
αὐτῇ καὶ οὐχέτι ἐζήτησεν ἄλλα θεώρημα ἀποτελέσασα ἀγλαὸν καὶ χάριεν. χαὶ εἶ τις 
βούλεται σύνεσίν τινα ἣ αἴσθησιν αὐτῇ διδόναι, (60 gebe er ihr) οὐχ οἷαν λέγομεν ἐπὶ 
τῶν ἄλλων τὴν αἴσθησιν ἢ τὴν σύνεσιν, ἀλλ᾽ οἷον εἴ τις τὴν τοῦ ὕπνου τοῦ ἐγρηγορότος 
προζειχάσεις (was man aber doch nicht mit Kızcunzr 8. 96 übersetzen darf: 
„ihr Bewusstsein ist das des wachenden Schlafs*, denn diess gienge selbst 
über die Kühnheit plotinischer Ausdrucksweise hinaus; es ist vielmehr zu 
erklären: „man kann ihr eine αἴσθησις oder σύνεσις nur in demselben Binn bei- 
legen, in dem man das Bewusstsein eines schlafenden dem des wachenden ver- 
gleichen kann“; vor den Worten τοῦ ἐγρηγορότος ist ein τῇ entweder aus dem 
Text ausgefallen oder auch von Plotin selbst aus Nachlässigkeit weggelassen 
worden); sie ist eine θεωρία ἄψοφος, ἀμυδροτέρα δέ. III, 4, 4 geht nicht auf die 
φύσις, sondern die erste Beele. Dagegen vgl. m. IV, 8, 4. 875, A. 


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> ©... 


Die Seele in der Materie. 493 


in ihr nur als Traumbilder ; aber ihr stilles Wirken schafft diesel- 
ben mit der Sicherheit des Instinkts, den keine Reflexion von 
seinem Ziel ablenkt. Die Welt ist daher nicht durch einen Akt 
des Willens und der Ueberlegung entstanden, sondern durch ein- 
fache Naturnothwendigkeit, dadurch, dass die Seele nicht anders 
konnte, als den bildungsbedürftigen Stoff gestalten, das unter ihr 
liegende erleuchten !); und da nun diese Nothwendigkeit stets in 
der gleichen Weise vorhanden war, und vorhanden sein wird, so 
widerspricht Plotin der Annahme eines zeitlichen Weltanfangs 
ebenso, wie der eines Weltendes, auf’s entschiedenste 5); doch 
nimmt er zugleich mit Plato und den Stoikern einen Kreislauf der 
Weltentwicklung an, indem die Welt nach gewissen Perioden 
immer wieder genau in ihren früheren Zustand zurückkehren soll 9). 
So noihwendig aber die weltbildende Wirkung derSeele sein mag, so 
ist doch ihre Verbindung mit der Materie ein Herabsinken in einen 
unangemessenen Zustand, ein Fall der Seele *), und aus diesem 
Grunde wird sie nicht der ersten, sondern nur der zweiten Seele 
beigelegt °). Auch hier wirkt das gleiche Gesetz der Abschwä- 
chung, von dem überhaupt die Stufenreihe der Wesen beherrscht 
wird ©), 

Nach dieser Ableitung der Erscheinungswelt würde sich nun 
für ihre Betrachtung ein doppelter Gesichtspunkt ergeben. Als 
ein nothwendiges Glied in der Gesammitheit der Dinge, als das 
Werk und die Erscheinung des Seele, muss sie schön und voll- 


1) I, 9, 2. 201, C. c. 8. 206, D. III, 2, 2 (e. ο. 441, 3). 8, 8. 278, A. 
IV, 8, 10. 880, A. IV, 4, 10. VI, 7, 1. 8. 

2) Is 1, 1—4. 9, 3, III, 2, 1. 254, C. IV, 8, 9. 378,G. Ausführlicheres 
über den Inhalt von II, 1 bei Rıcarer Neupl. Stud. III, 104 ff. 

8) V, 7, 1. c.2 Schl. ο. 8. 541, A. IV, 8, 12. 381, E vgl. 8.471, 1 und 
über die entsprechenden stoischen und platonischen Sätze 1. Abth. 140 f. 
Bd. II, a, 521. 

4) I, 8, 14 8. 0. 491, 1. 

5) Vgl.8. 483, 1. Durch diese Bestimmung gleicht sich die Lehre von 
der Verdunklung der Seele durch die Materie mit dem Widerspruch aus, wel- 
chen Plotin II,9,4 vgl. c, 8 Anf. o. 10 f. gegen die Behauptung eines Falls der 
Weltseele (die Lehre der valentinianischen Gnosis von der Sophia-Achamoth) 
erhebt. Die höhere Seele tritt gar nicht wirklich in die Körperwelt ein und 
aus der übersinnlichen heraus. 

6) Vgl. II, 9, 8. 206, D und oben 8. 448 ἢ, 


494 Plotinns. 


kommen in ihrer Art sein; sofern sie dagegen eine sinnliche 
Welt ist, stellt sie sich als ein unreines und wesenloses Abbild 
der wahren Wirklichkeit, als ein Schattenreich dar, aus welchem 
die Seele je eher je lieber frei zu werden wünschen mus. Ja | 
diese letztere Betrachtungsweise müsste sich unserem Philosophen, 
wie man glauben sollte, vorzugsweise aufdrängen, da seine ganze 
Geistesrichtung so sichtbar dahin geht, alle Wahrheit in’s über- 
sinnliche Jenseits zu verlegen, und wir werden auch finden, dass 
sie in dem ethischen Theil seines Systems mit ihrem vollen Gewicht 
hervortritt. Sofern es sich dagegen um die rein theoretische 
Würdigung der Erscheinungswelt handelt, zeigt sich der alte 
klassische Natursinn selbst in ihm noch zu mächtig, als dass er 
in die Verachtung der sichtbaren Welt einstimmen könnte; je 
schroffer diese vielmehr zu seiner Zeit schon bei den christlichen 
Gegnern des Griechenthums hervorgetreten war, um so mehr 
glaubt er sich verpflichtet, die Schönheit und Harmonie dieser 
Welt und die Tadellosigkeit ihrer Einrichtung in Schutz zu neb- 
men. So unvollkommen auch die Sinnenwelt sein mag, die Züge 
ihres Urbilds sind ihr doch unverkennbar aufgedrückt, sie istde | 
Erscheinung übersinnlicher Kräfte, die Abspiegelung der Seele m 
der Materie. Das Wesen jedes Dings ist seine unsinnliche Form 
oder sein Begriff λόγος), es selbst ist nur ein Abbild dieses unsine- | 
lichen, auch die sinnliche Welt als Ganzes ist blosse Nachbildung 
der allein wahrhaft wirklichen, der übersinnlichen ; oder genauer: 

sie ist und bewegt sich nur in ihr, sie ruht auf ihr und ist von ibr 
umfasst, sie hat ihren Bestand nur an ihr, und müsste in demselben 
Augenblick aufhören, in welchem die Wirkung der übersinnlicher 
Ursachen sich zurückzöge '). Zur näheren Darstellung dieses 
Verhältnisses gebraucht Plotin am liebsten die Vergleichung des 
Sinnlichen mit einem Spiegelbild. Was er damit ausdrücken will, 


- “αὶ -- - «αν 


1) VI, 8, 15. 680, E: ὃ λόγος ὁ τοῦ ἀνθρώπου τὸ τί εἶναι, τὸ δ᾽ ἀποτελεσθὲν 
ἐν σώματος φύσει, εἴδωλον ὃν τοῦ λόγου, ποιόν τι μᾶλλον εἶναι. Υ͂Ι, 4, 3 Anf.: Em 
δὴ τὸ μὲν ἀληθινὸν πᾶν, τὸ δὲ τοῦ παντὸς μίμημα, ἢ τοῦδε τοῦ ὁρατοῦ φύσις. τὸ ph 
οὖν ὄντως πᾶν ἐν οὐδενί ἐστιν, οὐδὲν γάρ ἐστι πρὸ αὐτοῦ, ὃ δ' ἂν μετὰ τοῦτο A, τοῦτο 
ἤδη ἀνάγχη ἐν τῷ παντὶ εἶναι εἴπερ € ἔσται, καὶ μάλιστα ἐξ ἐχείνου ἠρτημένον χαὶ οὐ 
δυνάμενον ἄνευ ἐκείνου οὔτε μένειν οὔτε χινέϊσθαι. Es ist in ihm τῷ οἷον ἐρείδοσθαι 
En’ αὐτοῦ καὶ ἀναπαύεσθαι πανταχοῦ ὄντος ἐχείνου χαὶ συνέχοντος. Μ. vgi. susset 
früher angeführtem auch V. 9, ö. 559, C £. II, 9, 17. 


Die Erscheinnngswelt als Abhild der intelligibeln. 495 


ust ein dreifaches. Für's erste die absolute Wesenlosigkeit der 
sinnlichen Erscheinung. Diese ist nur die Abspieglang des Seien- 
den im Nichtseienden, nur ein unwahrer Widerschein des Wirk- 
lichen, und kaum mehr werth, als ein Spielzeug !). Ebendesshalb 
aber ist sie schlechthin vom Uebersinnlichen getragen, und gerade 
τῆ dieses zu bezeichnen, wird die Vergleichung mit einemSpiegel- 
bilde gewählt, das nur als die fortwährende Wirkung des abge- 
spiegelten Gegenstandes existirt. Endlich glaubt Plotin durch 
diese Vergleichung erklären zu können, wie die Seele und die 
intelligible Form in dem Vielen und Sinnlichen sein könne, ohne 
doch darum selbst ein getheiltes und sinnliches zu werden : indem 
die Seele die Materie erleuchte, sagt er, so erscheine sie in ihr wie 
ein Gesicht in vielen Spiegeln °) ; wie dieselbe Stimme von vielen 
gehört werde, so theile sich die Eine Seele, in sich beharrend, den 
vielen Körpern mit, und erscheine an ihnen 4); zwar sei die Viel- 
heit schon in den Formen (λόγοι) selbst vorbereitet, aber dass sich 
diese im räumlichen Aussereinander darstellen, habe seinen Grund 
nur in der Materie, welche sie nicht anders aufzunehmen ver- 
möge °); und im Zusammenhang damit behauptet er: da die Ma- 
terie von der Form (ἰδέα) nicht räumlich getrennt sei, so könne 
sie diese in allen ihren Theilen unmittelbar in sich aufnehmen, und 
die Ferm bleibe dabei in ihrer Einheit, ohne sich an die Materie 
za zerstreuen °), sie umfasse das Körperliche, ohne.von ihm um- 
fasst zu werden, trage das raumerfüllende, ohne selbst im Raume 
zu sein 7); was in die Materie eingehe (die Form) eigne sich 


1) II, 6, 7. (s. o. 488, 2): die Materie täuscht nns mit jedem Schein 
einer bestimmten Eigenschaft οἷον παίγνιον φεῦγον, ὅθεν καὶ τὰ dv αὐτῷ ἐγγίγνεσ- 
θαι δοχοῦντα παίγνια, εἴδωλα ἐν εἰδώλῳ ἀτεχνῶς ὡς ἐν χατόπτρῳ τὺ ἀλλαχοῦ ἵδρυ- 
μένον ἀλλαχοῦ φανταζόμενον. Ebd. c. 18. 816, Ο: εἴςεισι δὴ τὸ εἰςιὸν [εἰς τὴν ὕλην] 
ἐἴδωλον ὃν καὶ εἰς οὖχ ἀληθινὸν οὐχ ἀληθές. ἄρ᾽ οὖν ἀληθῶς; καὶ πῶς; ... ἄρ᾽ οὖν 
φευδῶς εἰς ψεῦδος ἔρχεται. Aehnlich ΠῚ, 6, 14: wie beim Echo die Stimme dem 
Felsen anzugehören scheine, nicht dem rufenden, so die Form dem sinnlichen 
Dinge. 

2) III, 6, 18 nach dem eben angeführten, namentlich aber VI, 4, 10. 

8) I, 1, 8. 10, 12. 

4) VI, 4, 12; s. 0. 485, 1. 

6) ΠῚ, 6, 18. 820, F δ΄. 

6) VI, δ, 8. 665, B f. 666, B. 

7) 8. 0. 479, ἢ. 480, 8. 


496 Plotinus. 


nichts von ihr an, und sie nichts ven jenem 1); die Materie, als 
das Nichtseiende, habe nur nichttheilhabend Theil am Seienden 3), 
— welcher letztere, ächt neuplatonische Aufschluss uns freilich 
noch wunderbarer vorkommen muss, als ihn sein Urheber selbst 
schon gefunden hat. Das gleiche Verhältniss drückt Plotin auch 
mit Hülfe der stoischen Lehre vom λόγος σπερματικὸς aus, wenn er 
sagt, die sinnlichen Dinge werden durch die Keimformen, oder 
durch die in den Samen wirkenden Begriffe (λόγοι) gebildet. Diese 
Keimformen sind nichts anderes, als die Wirkungen der Seele, 
vermöge deren sie die Materie gestaltet. Jede dieser Wirkungen 
ist durch Zahl und Begriff bestimmt, oder genauer, jede ist ein 
wirksamer Begriff, die dem Samen inwohnende Form des zukünf- 
tigen Gebildes 8). Die Keimformen bezeichnen also die allgemeine 


1) III, 6, 15. 318, A. 

2) III, 6, 14. 817, D: ἐπὲὰ γὰρ οὐχ οἷόν τε τοῦ ὄντος πάντη μὴ μετέχειν ὃ τι 
περ ὁπωσοῦν ἕξω ὃν αὐτοῦ ἐστιν, αὕτη γὰρ ὄντος φύσις τὰ ὄντα ποιέϊν, τὸ δὲ πάντα 
μὴ ὃν ἄμιχτον τῷ ὄντι, θαῦμα τὸ χρῆμα γίνεται, πῶς μὴ μετέχον μετέχει zei 
πῶς οἷον παρὰ τῆς γειτνιάσεως ἔχει u. 8. w. Vgl. auch 8. 419, 1. 

8) VI, 2,5. 599, B: Die Seele ist weder reine Einheit noch reine Viel- 
heit, sondern Einheit eines vielfachen (πλῆθος Ev). Τί οὖν τὸ πλῆθος ; οἱ λόγοι 
τῶν γιγνομένων. ἄρ᾽ οὖν αὐτὸ μὲν ἄλλο, δὶ λόγοι δὲ ἄλλοι, ἢ χαὶ αὐτὴ λόγος καὶ 
χεφάλαιον τῶν λόγων χαὶ ἐνέργεια αὐτῆς κατ᾽ οὐσίαν ἐνεργούσης οἱ λόγοι; vgl. VI, 
2, 21. 618, F: ἐπὶ τῶν λόγων τῶν τὰ ζῷα ποιούντων. Doch ist der λόγος mit der 
Boele selbst nicht identisch; VI, 7, 5 Anf.: λόγον τοίνυν δεῖ τὸν ἄνθρωχον ἄλλον 
παρὰ τὴν ψυχὴν εἶναι. τί χωλύει συναμφότερόν τι τὸν ἄνθρωπον εἶναι, ψυχὴν ἐν τοιῷδε 
λόγῳ, ὄντος τοῦ λογοῦ οἷον ἐνεργείας Torägds, τῆς δὲ ἐνεργείας μὴ δυναμένης ἄνευ τοῦ 
ἐνεργοῦντος εἶναι" οὕτω γὰρ καὶ ol ἐν τοῖς σπέρμασι λόγοι" οὔτε γὰρ ἄνευ ψυχῆς οὔτε 
ψυχαὶ ἁπλῶς. Der λόγος des Menschem (denn um diesen handelt es sich hier 
zunächst) ist nach IIl, 2, 16. 267, D οὐκ ἄχρατος νοῦς οὐδ᾽ αὐτονοῦς οὐδέ γε γν- 
χῆς καθαρᾶς τὸ γένος, ἠρτημένος δὲ ἐχείνης καὶ οἷον ἔχλαμψις ἐξ ἀμφοῖν, νοῦ καὶ ψυ- 
λῆς καὶ ψυχῆς κατὰ νοῦν διαχειμένης γεννησάντων τὸν λόγον. τοῦτον ζωὴν λόγον τοὰ 
ἡσυχῇ ἔχουσαν. πᾶσα δὲ ζωὴ ἐνέργεια... οἷς νοοῦν ἂν παρῇ καὶ μετάσχῃ δκωςοῦν ὅτι- 
οὖν, εὐθὺς λελόγωται, τοῦτο δέ ἐστι μεμόρφωται. Diese künstlerisch bildende 
Wirkung (ἐνέργεια τεχνιχὴ vgl. die stoische Lehre 1. Abth. 128 f.) des λόγος͵ 
weiche die Organismen hervorbringt, wird dann im folgenden geschildert, 
Weiter vgl. m. c. 18 Schl.: μέρη λόγου πᾶσαι (sc. al ψυχαῆ. καὶ ἢ ol λόγοι πάντες 
ψυχαὶ, ἢ διὰ τί ol μὲν ψυχαὶ, al δὲ λόγοι μόνον παντὸς ψυχῆς τινος ὄντος: AUT, 8, 1 
Anf.: ψυχῆς γάρ τινος πάσης ἐνέργεια οἱ λόγοι, τῶν δὲ μερῶν τὰ μέρη" μιᾶς δὲ διά- 
φορα ἐχούσης μέρη ἀνὰ λόγον καὶ ol λόγοι (so dass also 5. Β. aus der menschlichen 
Seele, welche aus höheren und niedrigeren Bestandthbeilen susammengeseizt 
ist, dem entsprechend, auch höhere und niedrigere λόγοι hervorgehen). Des 
λόγος ὃ ἐν τῷ σπέρματι erwähnt auch V, 8, 8 Anf. und V, 1, 5. 486, B, wo der 


Die Keimformen; Lebendigkeit der Natur. 497 


Naturkraft, oder die zweite Seele, sofern sie als bildende Kraft im 
Einzelding wirkt, und wenn gesagt wird, alles entstehe aus den 
Keimformen, so ist damit im wesentlichen dasselbe, nur realisti- 
scher, ausgedrückt, wie wenn anderwärts das Sinnliche als die 
Abspieglung der Seele dargestellt ist. 

Wie sich Plotin in der ebenberührten Lehre an die Stoiker 
anlehnt, so nimmt er diese überhaupt für seine Naturbetrachtung 
noch mehr, als selbst Plato, zu Führern; seine Bestimmungen über 
die Einheit und Vollkommenheit der Welt und über die Sympathie 
ihrer Theile, sein Vorsehungsglaube, seine Theodicee sind wesent- 
lich stoisch, wenn auch das eigenthümliche seiner metaphysischen 
Voraussetzungen einige erhebliche Modifikationen zur Folge hat. 
Aus dem Verhältniss der Erscheinung zu den wirkenden Kräften 
folgt zwar einerseits allerdings, dass jene nur ein unvollkommenes 
und unselbständiges Erzeugniss von diesen, nur ein wesenloses 
Schattenbild des wahren Seins ist; und wir haben gesehen, dass 
Plotin diese Seite stark genug betont hat; mit noch grösserer 
Vorliebe hebt er jedoch in seinen allgemeinen Betrachtungen über 
die Natur das andere hervor, dass sie als die Erscheinung seeli- 
scher Kräfte durchaus lebendig, dass alles in ihr in der schönsten 
Harmonie sei, und die Erscheinungswelt als Ganzes das würdige 
und untadelige Werk der göttlichen Vorsehung darstelle. Die Seele 
ist es, welche alle Dinge gemacht und gestaltet hat, in welcher 
und durch welche die Körperwelt sich bewegt 1); alles ist daher 
nothwendig belebt und beseelt, auch das anscheinend leblose; das 
Weltganze ist nicht ein Haus, aus todten Stoffen aufgebaut, sondern 
ein lebendes Wesen, dessen einzelne Theile gleichfalls leben, ein 
organischer Leib, durch den Eine Seele hindurchgeht ?). Jeder 


λόγος, der Vieldeutigkeit des Ausdrucks gemäss, zugleich als Zahlenverhält- 
niss gefasst ist (ἀριθμὸς δὲ καὶ ἢ ψυχὴ... οὐδὲ ἐν σπέρμασι δὲ τὸ ὑγρὸν τὸ τίμιον, 
ἀλλὰ τὸ μὴ δρώμενον, τοῦτο δὲ ἀριθμὸς καὶ λόγος). II, 8, 17 Anf. wird ausgeführt, 
die λόγοι seien keine bewussten Wirkungen (νοήματα): ὃ γὰρ λόγος ἐν ὕλῃ word 
χοὶ τὸ ποιοῦν φυσιχῶς οὗ νόησις οὐδὲ ὅρασις, ἀλλὰ δύναμις τρεπτικὴ τῆς ὕλης, οὐχ 
εἰδυῖα, ἀλλὰ δρῶσα μόνον. 

1) Υ͂, 1, 2 Anf.: ἐνθυμείσθω τοίνυν πρῶτον ἐκέϊνο πᾶσα ψυχὴ, ὡς αὐτὴ μὲν 
ζῷα ἐποίησε πάντα ἐμπνεύσασα αὐτοῖς ζωὴν, & τε γῆ τρέφει & τε θάλασσα & τε ἐν ἀέρι 
& τε ἐν οὐρανῷ ἄστρα θέία, αὐτὴ δὲ ἥλιον, αὐτὴ δὲ τὸν μέγαν τοῦτον οὐρανὸν, αὐτὴ 
δὲ ἐχόσμησεν, αὐτὴ δὲ ἐν τάξει περιάγει φύσις οὖσα ἑτέρα ὧν κοσμεῖ. 

2) IV, 4, 86 Anf.: ποιχιλώτατον γὰρ τὸ πᾶν καὶ λόγοι πάντες ἐν αὐτῷ καὶ 

Philos. &. Gr. III. Bd. 3. Abt. 32 


498 Plotinus. 


seiner Theile steht desswegen im vollkommensten Einklang wi 
dem Ganzen !), und auch der Kampf und Gegensatz, welcher diesen 
Einklang zu stören scheint, ist in Wahrheit ein Mittel seiner Er- 
haltung : sollte die Welt ein Ganzes sein, so musste Unterschied 
und Gegensatz in ihr sein, es musste sich in ihr aus entgegenge- 
setztem die Harmonie herstellen, wie im Schauspiel aus dem Streit 
der handelnden Personen, oder in der Musik aus hohen und tiefen 
Tönen ?). Wie aber im beseelten Organismus nicht blos eine 
Uebereinstimmung, sondern auch ein realer Zusammenhang des 
Lebens in den Theilen mit dem Leben des Ganzen stattfindet, 90 
stehen nach Plotin auch die Theile des Weltganzen untereinander 
theils überhaupt im Zusammenhang, theils aber bestimmter in orge- 
nischer Verknüpfung; d. h. sie wirken nicht blos physikalisch auf | 
einander, wie verschiedene natürliche Substanzen, sondern sym- 
pathetisch, wie die Theile Eines Leibes. Da das Ganze beseell 


δυνάμεις ἄπειροι χαὶ ποιχίλαι: wie im menschlichen Leibe die verschiedensten 
Glieder sind, jedes mit eigenthtimlicher Verrichtung, ebenso und noch mehr 
im Weltganzen. Οὐ γὰρ δὴ ὥσπερ ἄψυχον olxlav μεγάλην ἄλλως καὶ πολλὴν... 
ἔδει αὐτὸ γεγονέναι, ἀλλ᾽ εἶναι αὐτὸ ἐγρηγορὸς πανταχῆ καὶ ζῶν ἄλλο ἄλλως... πῶς 
ἐν ζῴῳ ἐμψύχῳ ἄψυχον; οὕτω γὰρ ὃ λόγος φησὶν, ἄλλο ἄλλως ζῇν ἐν τῷ ὅλῳ, 
ἡμᾶς δὲ τὸ μὴ αἰσθητῶς παρ᾽ αὑτῷ κινούμενον ζῇν μὴ λέγειν. τὸ δὲ ἔστιν ἕχαστον ζῶν 
λανθάνον καὶ τὸ αἴσθη τῶς ζῶν συγχείμενον ἐχ τῶν μὴ αἰσθητῶς μὲν ζώντων, θαυμ8- 
στὰς δὲ δυνάμεις εἷς τὸ ζῆν τῷ τοιούτῳ ζῴῳ παρεχομένων. μὴ γὰρ ἂν χινηθῆναι ἐπὶ 
τοσαῦτα ἄνθρωπον dx πάντη ἀψύχων τῶν ἐν αὐτῷ δυνάμεων κινούμενον, μηδ᾽ αὖ ὦ 
πᾶν οὕτω ζῇν μὴ ἑκάστου τῶν ἐν αὐτῷ ζώντων τὴν οἰκείαν ζωήν. III, 2, 1 Bohl: 
das Weltganze ist Ein ζῷον, auch Thiere und Pflanzen kaben an 6016 Leben 
und Vernunft (λόγος 8. o.) Theil. VI, 5, 12 Anf.: πάρεστιν οὖν πῶς [ἣ ψυχὴ τῷ 
παντῇ; ὡς ζωὴ μία: οὐ γὰρ μέχρι τινὸς ἐν ζῴῳ ἣ ζωὴ εἶτ᾽ οὐ δύναται εἰς ἅπαν 
φθᾶσαι, ἀλλὰ πανταχοῦ. 

1) IV, 4, 45 Anf.: ὡς ἔχαστον τῶν ἐν τῷ πανὴ ἔχει φύσεως χαὶ διαθέσεως, οὗω 
τοι συντελεῖ εἷς τὸ πᾶν καὶ πάσχει καὶ ou, was sofort durch die Vergleichung 
des Weltalls mit dem Organismus erläutert wird. 

2) III, 2, 16. 267, αὶ f. (vgl. 8. 496, 8): ἥχων τοίνυν οὗτος ὃ λόγος dx νῷ 
ἑνὸς ao ζωῆς μιᾶς πλήρους ὄντος ἑχατέρου οὐχ ἔστιν οὔτε ζωὴ μία οὔτε νοῦς τς ... 
ἀντιθεὶς δὲ ἀλλήλοις τὰ μέρη καὶ ποιήσας ἐνδεᾶ πολέμου καὶ μάχης σύστασιν za γέ 
νεσιν εἰργάσατο καὶ οὕτως ἐστὶν εἷς πᾶς, εἰ μὴ ἣν εἴη. γενόμενον γὰρ ἑαυτῷ τοῖς pe 
ρεσι πολέμιον οὕτως Ev ἐστι καὶ φίλον, ὥσπερ ἂν εἷς ὃ τοῦ δράματος (sc. λόγος) ὧν" 
ἐν αὐτῷ πολλὰς μάχας, oder wie die Harmonie aus hohen und tiefen Tönen 
susammengesetzt ist. Diess ist aber notbwendig: καὶ γὰρ el μὴ πολὺς ἦν οὐδ᾽ 
ἂν ἦν πᾶς οὐδ' ἂν λόγος" λόγος δὲ ὧν διάφορός τε πρὸς αὗτόν ἐστι καὶ ἢ μάλιστε 
διαφορὰ ἐναντίωσίς ἐστιν. Man vgl. hiezu, was 1. Abth. 162 aus der atoischea 
Theodioee angeführt wurde. 


Einheit und Vollkommenheit der Welt. 498 


ist, so wird alles, was dem Theil widerfährt, von dem Ganzen 
empfunden ; diesen Zusammenhang denkt sich aber Plotin nicht 
durch physische Zwischenursachen vermittelt, sondern als unmit- 
telbare Wirkung des gleichartigen auf das gleichartige, mag sich 
auch dieses mit dem wirkenden nicht materiell berühren, als Wir- 
kung in die Ferne ἢ. Wir werden später sehen, welchen umfas- 
senden Gebrauch unser Philosoph von diesen Vorstellungen theils 
für seine Lehre von der Seelenwanderung, theils für die Erklä- 
rung der Gebeiserhörung, der Weissagung und der Magie macht. 

Auf dieser Harmonie ihrer Theile beruht nun jene Vollkom- 
menheit und Schönheit des Weltganzen, von welcher Plotin mit so 
vieler Begeisterung zu reden weiss. Eine besondere Veranlassung 
hiezu gab ihm die geringschätzige Vorstellung der christlichen 
Gnostiker von der Sinnenwelt. Die Schrift, in welcher Plotin diese 
Vorstellung widerlegt ?), ist ein merkwürdiger Beweis von der 
Stärke, welche die hellenische Naturanschauung, trotz aller ent- 
gegenstehenden Elemente, auch in ihm noch bewahrt hat, und von 
dem inneren Gegensatz seiner Denkweise gegen jene ihr scheinbar 
so verwandte Spekulation. Die Weltverachtung seiner christli- 
chen Gegner erscheint unserem Griechen als ein wahrer Aberwitz. 
Wie kann man, fragt er (c. 16), die unsichtbaren Götter zu ehren 
meinen, wenn man ihr sichtbares Abbild geringschätzt ? wie kann 
man ein Walten des Göttlichen im Menschen annehmen, wenn man 
es im Weltganzen läugnet, das doch um so viel mehr Ordnung 
und Vernunft hat? wie die schlechtesten Menschenseelen für 


1) IV, 4, 82 Anf.: πρῶτον τοίνυν θετέον ζῷον ἕν πάντα τὰ ζῷα τὰ ἐντὸς αὐτοῦ 
περιέχον τόδε τὸ πᾶν εἶναι, ψυχὴν μίαν ἔχον el; πάντα αὐτοῦ μέρη u. 8. W. ... συμ- 
καθὲς δὴ πᾶν τὸ ἕν χαὶ ὡς ζῷον ἕν καὶ τὸ πόῤῥω δὴ ἐγγύς... οὐ γὰρ ἐφεξῆς τῶν ὁμοί- 
ὧν χειμένων, διειλημμένων δὲ ἑτέροις μεταξὺ, τῇ δὲ ὁμοιότητι συμπασχόντων καὶ εἷς 
τὸ πόῤῥω ἀφιχνεῖσθαι ἀνάγχη τὸ παρὰ τοῦ μὴ παραχειμένου δρώμενον ζῴου τε ὄντος 
κοὶ εἰς ἕν τελοῦντος οὐδὲν οὕτω πόῤῥω τόπῳ, ὡς μὴ ἐγγὺς εἶναι τῇ τοῦ ἑνὸς ζῴου 
πρὸς τὸ συμπαθέΐν φύσει. Wie wir uns diese Sympatbie zu denken haben, er- 
hellt auch aus IV, 5, 1 Schl.: el δὲ τοδὶ ὑπὸ τουδὶ πέφυχε πάσχειν συμπαθῶς τῷ 
τα ὁμοιότητα ἔχειν πρὸς αὐτὸ οὐχ ἂν τὸ μεταξὺ ἀνόμοιον ὃν πάθοι. Ebd. ο. 8 Schl.: 
das Sehen erfolge οὐ χατὰ σώματος πάθημα, ἀλλὰ κατὰ μείζους καὶ ψυχιχὰς καὶ 
ζῴου ἑνὸς συμπαθοῦς ἀνάγχας. Ueber das Verhältniss dieser Vorstellung zu der 
stoischen Lehre von der Sympathie vgl. m. 1. Abth. 8. 156. 

2) II, 9: πρὸς τοὺς γνωστιχοὺς a. u. ἃ, T. πρὸς τοὺς xaxbv τὸν δημιουργὺν τοῦ 
κόσμου καὶ τὸν χόσμον χαχὸν εἶναι λέγοντας. M. vgl. über diese Schrift 8. 886, 8. 
881, 2. 

32 * 


8500 Plotinus. 


unsterblich halten, dem Himmel und den Gestirnen die unsterb- 
liche Seele absprechen ? (c. 5. 18) Etwa weil diese Welt die Ms- 
terie an sich hat, weil sie geringer ist, als die übersinnliche Welt? 
Aber diess musste sie sein, wenn sie das Abbild sein sollte, jene 
das Urbild ; innerhalb dieser Schranke jedoch stellt sie das Urbild 
so vollkommen dar, sie ist ein so deutlicher Abdruck des unend- 
lichen Lebens und der unendlichen Weisheit, dass sich kein schö- 
nerer denken lässt (c. 4. 8. 17. 13 Anf.). Die Welt, wie es 
anderswo heisst 1). ist von Gott hervorgebracht, und darum voll- 
kommen, selbstgenugsam und bedürfnisslos; alles ist in ihr, Pflan- 
zen und Thiere und alle geschaffene Wesen, Götter in grosser 
Zahl und Schaaren von Dämonen und gute Seelen und Mensches, 
die durch Tugend glücklich sind. Nichts in ihr ist unbeseelt, der 
ganze Himmel bewegt sich in ewiger Ordnung ; alles aber ist von 
dem Urguten abhängig, alles begehrt seiner und allem wird es zu 
Theil, einem jeden nach seinem Vermögen. So trefien wir hier 
im wesentlichen noch die gleiche Schätzung der Sinnenwelt, wie 
im platonischen Timäus. 

Nur ein anderer Ausdruck für die Schönheit und Vernünftig- 
keit des Universums ist der Vorsehungsglaube, dessen Vertheidi- 
gung unser Philosoph ausser manchen beiläufigen Aeusserungen 
auch eine ganze Schrift (III, 2. 3), eine seiner schönsten, gewid- 
met hat. Plotin hat hier, ähnlich wie Plutarch und andere Plato- 
niker ?), zwei Gegner zu bestreiten: die,welche die Vorsehung ganz 
läugnen, und die, welche sie zum Verhängniss, zu einer unabän- 
derlich zwingenden, auch die menschlichen Handlungen unwider- 
stehlich bestimmenden Macht, überspannen. Die erste von diesen 
Ansichten kann ihm natürlich auf seinem Standpunkt nicht anders 
als durchaus verwerflich erscheinen, mag sie nun die Welteinrich- 
tung vom Zufall, oder mag sie dieselbe (mit den christlichen Gno- 
stikern) von einem bösen Weltschöpfer herleiten °); und sie 
ist es vorzugsweise, die er bei seiner Theodicee im Auge hat ὅλ 


1) III, 2, 8. 257, A. 

2) Vgl. 8. 159. 

8) Diese zwei Arten der Vorsehungsläugnung nennt er III, 2, 1 Anf, 
womit, die erste betreffend, III, 1, 1. 228, C zu vergleichen ist. 

4) Ausser der Schrift über die Vorsehung gehört hieher auch, was ®& 
eben aus der gegen die Gnostiker angeführt wurde, 


Vorsehung. 801 


Auch der zweiten tritt er aber entgegen, um die Freiheit des Men- 
schen gegen die mancherlei Formen des Schicksalsglaubens zu 
retten 1). Ihm selbst steht es unzweifelhaft fest, dass der Mensch 
in seiner sittlichen Thätigkeit vom Verhängniss unabhängig, dass 
die Tugend herrenlos sei ?); es steht ihm aber nicht minder fest, 
dass alles in der Welt von der Vorsehung gelenkt werde, und 
desshalb so vollkommen sei, als es sein kann. Nur werden wir 
freilich bei der Vorsehung nicht, im Sinn der gewöhnlichen Vor- 
stellung, an eine persönliche und auf's einzelne gerichtete Für- 
sorge der Gottheit denken dürfen. Nach Plotin ist dieselbe nicht 
ein Vorhersehen, oder ein Handeln aus Absicht und Ueberlegung, 
sondern alle Wirkung der übersinnlichen Mächte auf die Sinnen- 
welt erfolgt vermöge einfacher Naturnothwendigkeit 5); und dass 


1) Diess ist der Zweck der Abhandlung περὶ εἱμαρμένης (III, 1). Plotin 
bestreitet hier den Fatalismus in seinen verschiedenen Formen, insbesondere 
den atomistisch-materialistischen, den stoischen und den astrologischen (das 
nähere über diese, nicht sehr tiefgehende Kritik bei Richter Neupl. Btud. ΠῚ 
110 ff.). Beine eigene Ansicht fasst er c. 10 dahin zusammen: Es geschehe 
zwar alles aus bestimmten Ursachen, diese seien jedoch doppelter Art, in- 
nero und Aussere. Die innere Ursache unserer Handlungen sei die Seele, und 
so lange diese vernunftgemäss handle, handle sie frei, andernfalls sei sie in 
ihrer eigenthümlichen Thätigkeit gehindert, und verhalte sich mehr leidend, 
als thätig. ὥστε τοῦ μὲν μὴ φρονεῖν ἄλλα αἴτια εἶναι" καὶ ταῦτα ἴσως ὀρθὸν καθ᾽ 
εἱμαρμένην λέγειν πράττειν" οἷς γε χαὶ δοχέΐ ἔξωθεν τὴν εἱμαρμένην αἴτιον εἶναι" τὰ δὲ 
ἄριστα παρ᾽ ἡμῶν. 

4) Es wird davon, sowie von der Frage nach der Vereinbarkeit der Welt- 
ordnung mit der Freiheit, später noch zu sprechen sein. 

8) IV, 4, 6 Schl.: die Seelen der Gestirme und die Weltseele sind ohne 
reflektirtes Denken (λογισμοὶ, διανοήσεις); ἀλλ᾽ οὐδὲ περὶ τῶν ἀνθρωπίνων αὐτοῖς 
ἐπίνοιαι καὶ μηχαναὶ ἐξ ὧν διοιχήσουσι τὰ ἡμέτερα ἢ ὅλως τὰ τῆς γῆς. ἄλλος γὰρ τρό- 
πος τῆς εἷς τὸ πᾶν παρ᾽ αὐτῶν εὐθημοσύνης. V, 8, 8. 544, D: Die Götter wissen 
alles, οὐ τὰ ἀνθρώπεια, ἀλλὰ τὰ ἑαυτῶν. II, 2, 1. 364 Ο: εἰ μὲν οὖν ἀπό τινος 
χρόνου πρότερον οὐχ ὄντα τὸν κόσμον ἐλέγομεν γεγονέναι, τὴν αὐτὴν ἂν τῷ λόγῳ 
ἐθέμεθα [τὴν πρόνοιαν], οἵαν καὶ ἐπὶ τοῖς κατὰ μέρος ἔλέγομεν εἶναι, προόρασὶν τινα 
καὶ λογισμὸν θεοῦ, ὡς ἂν γένοιτο τόδε τὸ πᾶν καὶ ὡς ἂν ἄριστα κατὰ τὸ δυνατὸν εἴη. 
ἐπὲ δὲ τὸ an καὶ τὸ οὕποτε μὴ τῷ κόσμῳ τῷδε φαμὲν παρέϊναι, τὴν πρόνοιαν ὀρθῶς 
ἂν καὶ ἀχολούθως λέγοιμεν τῷ navtt εἶναι τὸ κατὰ νοῦν αὐτὸ εἶναι καὶ νοῦν πρὸ αὐτοῦ 
εἶναι. δὸ wird auch IV, 4, 89. 488, D auf die Frage, ob denn die Götter Uebel 
über die Menschen verhängen können, geantwortet: μήτε προαιρέσεις εἶναι τὰς 
ποιούσας, φυσικαῖς δὲ ἀνάγχαις γίγνεσθαι ὅσα ἐκέῖθεν. Vgl. VI, 7, 1.8, wo dieser 
Punkt eingehend besprochen wird, u. a. St. 


5023 Plotinus. 


er damit nur einen Folgesatz seiner ganzen Lehre vom Uebersias- 
lichen und von seinem Verhältniss zur Erscheinungswelt aussprickt, 
lässt sich nicht verkennen. Ebensowenig will er bei der Vorse- 
hung an eine Fürsorge der Götter für das einzelne der measchli- 
chen Dinge gedacht wissen ; denn wie könnten sie aus ihrer 
eigenthümlichen Thätigkeit heraustreten, um sich mit dem gerin- 
geren zu beschäftigen ? Wie könnte (eigentlicher gesprochen) das 
Leben des Universums, welches nur am Ganzen seinen Zweck hal, 
sich nach dem einzelnen richten sollen? 1 Der Begriff der Vor- 
sehung bezeichnet daher nur das immanente Verhältniss der sien- 
lichen zur übersinnlichen Welt, nur diess, dass vermöge ihrer 
Abhängigkeit vom Intelligibeln Vernunft und Ordnung in der 
Welt ist; die Vorsehung fällt dem Plotin, se unerwartet dies 
manchem kommen mag, mit der natürlichen Gesetzmässigkeit alles 
| Seins schlechthin zusammen 5); und gerade desshalb hat der Vor- 
sehungsglaube, für ihn diese Bedeutung, denn nichts ist ihm 
gewisser, als dass diese Welt die Wirkung und Erscheinung einer 
höheren, und darum so vollkommen ist, als sie an ihrem Ort sein 
kann. 

Diese Vollkommenheit auch im einzelnen zu vertheidigen, 
bemüht sich Plotin mit vielem Erfolge. Wollen wir die Haupt 
gedanken dieser Theodicee unter spätere Kategorieen zusammen- 
fassen, so konnte zunächst die Rechtfertigung des sog. metapby- 
sischen Uebels keine grosse Schwierigkeit für ihn haben. Dieses 
Uebel verschwindet, sobald man das einzelne im Zusammenhang 
des Ganzen betrachtet: alles ist gut in seiner Art und an seiner 


Tr m rn een 


1) IV, 8, 12. 381, D: # τοῦ παντὸς ψυχὴ, οὐδὲν τὰ τῇδε ἐπιστρεφομένη. II, 
2, 9 Anf.: οὐ γὰρ δὴ οὕτω τὴν πρόνοιαν εἶναι δεῖ, ὥστε μηδὲν ἣμᾶς εἶναι. .. οὐ τοῦ 
γυν οὐδὲ θεοὺς αὐτῶν [ἀνθρώπων] ἄρχειν τὰ καθέχαστα ἀφέντας τὸν ἑαυτῶν βίον. IV; 
4, 39. 434, A: μὴ ἕνεχα ἑχάστον, ἀλλ᾽ ἕνεχα τοῦ ὅλου τὴν ζωήν. 

2) III, 2, 1 8. vorletzte Anm. VI, 8, 17 Anf.: ἕκαστά φαμεν τὰ ἐν τῷ zei 
καὶ τόδε τὸ πᾶν οὕτως ἔχειν ὡς ἂν ἔσχεν, ὡς (dafür schlägt Kirchh, vor: ὡς ἂν ε 
ἔσχεν, ὡς u. 8. w., mir scheint einfacher: ὡς ἂν ἔσχεν, εἰ ἧ τοῦ u. ὁ. w.) ἢ τῶ 
ποιοῦντος προαίρεσις ἠθέλησε. Da es aber immer so war, 80 ist zu sagen: ἐπέ 
xeıva προνοίας τἀχέΐ εἶναι χαὶ ἐπέχεινα προαιρέσεως καὶ πάντα ἀὰ νοερῶς ἐστηχότε 
εἶναι, ὅσα ἐν τῷ ὄντι. ὥστε τὴν οὕτω διάθεσιν εἴ τις ὀνομάζει πρόνοιαν, οὔτω νοείτον 
ὅτι ἐστὶ πρὸ τοῦδε νοῦς ὃ τοῦ παντὸς ἑστὼς, ἀφ᾽ οὗ χαὶ χαθ᾽ ὃν τὸ πᾶν τόδε. I, 8,4. 
218, E: οὐ γὰρ ἀπήρτηται ἐκεῖνα τούτων, ἀλλ᾽ ἐπιλάμπει τὰ χρείττω τοῖς χείροσι καὶ 
ἣ τελεία πρόνοια τοῦτο. 


Vorsehung, Theodioee, 503 


Stelle, und auch die Unvollkommenheit des einzelnen ist nothwen- 
dig für die Vollkommenheit des Ganzen; sollte dieses ein Ganzes 
sein, sagt er mit der Stoa, so musste es aus Theilen von ungleicher 
Vollkommenbeit bestehen; es kann nicht das ganze Gemälde die- 
selbe Farbe haben, es kann nicht der ganze Leib Auge sein, neben 
dem Helden müssen im Drama auch Bauern und Sklaven auftreten ?). 
Auch der Gegensatz und Streit unter den Dingen, auch der Wech- 
sel des Entstehens und Vergehens ist nothwendig, denn ohne 
Gegensatz giebt es kein Verhältniss, ohne Streit keine Harmonie, 
ohne Wechsel keine irdische Welt ?). Selbst die Verbindung der 
Seele mit der Materie, in der man am ehesten eine Ungerechtigkeit 
sehen könnte, verliert ihr anstössiges durch die Erwägung °), dass 
es nicht eine fremde Macht ist, welche die Seele ihrer Natur zu- 
wider in den Körper hinabstösst, sondern dass jede durch ihr 
eigenes Thun, nach einem gerechten Naturgesetz ihre Lebenslage 
bestimmt hat. Auch die physischen Uebel lassen sich aus dem 
gleichen Gesichtspunkt rechtfertigen : sofern diese Uebel den 
Menschen betreffen und als Uebel von ihm empfunden werden, 
sind sie selbstverschuldet, sie sind theils eine Folge von den Ver- 
schuldungen eines früheren Lebens, iheils em Unglück nur für 
den, welcher nicht gelernt hat, sich über sie zu erheben und allein 
in der Tugend seine Glückseligkeit zu suchen, wogegen dem 
Guten alles zum Heil dient; im übrigen wird sich micht darüber 
beschweren, wer einsieht, dass auch diese Dinge aus dem Natur- 
lauf mit Nothwendigkeit hervorgehen Ὁ. Noch weniger wird 
netärlich ein solcher daran Anstoss nehmen, dass sich die Thiere 
unter einander zerfleischen, ja auch nicht einmal daran, dass es 
die Menschen ebenso machen, und im Kriege sieh gegenseitig mor- 
den und berauben; sollen denn die Thiere sich nicht wehren, wenn 
man sie angreift, oder würden sie ewig leben, wenn sie einander 
nicht auffrässen ? und ist es da nicht besser, eines dient dem 
andern zur Nahrung, und der Tod ist so nur ein Wechsel des Le- 
bens? Was aber die Menschen betrifft, so ist aller Ernst und aller 


1) III, 2, 11 (vgl. Prar. Rep. IV, 420, C und unsere 1. Abth. 8. 160. 162); 
ebd. o. 14 Anf. ΠῚ, 3, 8 Anf. 

3) IH, 2, 4. 16—18, vgl. 8. 498, 2. 

8) IH, 2, 12 £. IV, 4, 45. 

4) DI, 2, 5. IV, 8, 16. 11, 9, 9 vgl. vor. Anm. 


504 Plotinus, 


Jammer ihrer Kriege in Wahrheit doch nicht mehr als ein Kinder- 
spiel, oder eine Darstellung auf der Schaubühne, und weder darus- 
ter zu leiden ist ein ernstliches Uebel, noch dabei zu gewinnen ein 
Glück, eine Theodicee ist also hier im Grunde ganz überflüssig '). 
Nöthiger erscheint sie jedenfalls hinsichtlich des moralischen 
Uebels; indessen wissen wir bereits, wie unser Philosoph die 
Nothwendigkeit des Bösen im allgemeinen darthut, und so hat er 
hier nur noch beizufügen ?), dass auch der bösen That als ihr 
eigentlicher Beweggrund ein Verlangen nach dem Guten zu Grunde 
liege, dass alles böse unmittelbar an der Seele des Thäters sich 
selbst strafe, und im weiteren Verlauf seines Schicksals nach dea 
ewigen Gesetzen der Ausgleichung an ihm bestraft werde, dass 
die Vorsehung auch das Böse zum besten zu kehren wisse, sofers 
seine Bestrafung von ähnlichem Thun abschreckt, sein Dasein die 
sittliche Wachsamkeit schärft und den Werth der Tugend darch 
den Gegensatz hervorhebt. Was endlich das Missverhältniss von 
Tugend und äusserem Glück betrifft, so giebt Plotin zu, es könnie 
dieses auch dann bedenklich scheinen, wenn man die wahre Glück- 
seligkeit selbst nicht dadurch berührt wisse; denn immer erhalien 
doch durch diesen Umstand die Schlechten eine Macht, die ihnes 
nicht gebühre, und die von ihnen nur missbraucht werde. Allein 
wie kann es anders sein, entgegnet er, wenn die Menschen Mes- 
schen sein sollen ? Die Menschenwelt auf ihrer mittleren Stafe 
kann unmöglich so vollkommen sein, als die höhere Welt; ihr 
konnte die Vorsehung diese Ungleichheiten nicht ersparen, sondern 
sie musste es ihr selbst überlassen, sie abzuwehren ; wer nicht 
will, dass die Schlechten herrschen, der mache ihnen die Β617- 
schaft unmöglich ; nur männliche That, nicht Beten und Nichts 
thun führt zum Ziele 5). So ist es auch hier schliesslich nur die 
eigene Schuld, von der alles Uebel herstammt, die Vorsehung ist 
schuldfrei, das Weltganze ist so vollkommen, als eine endliche 
Welt überhaupt sein konnte. 


1) III, 9, 15. 9 Schl. 

3) II, 2, 4f. wo u.a. die Bemerkung (c. 5. 259, C): τοῦτο δὲ dur 
μεγίστης, καλῶς χαὶ τοῖς χαχσῖς χρῆσθαι δύνασθαι. Vgl. II, 2, 18. IV, 4, 80. 46. 
IV, 8, 1. 


Keine naturwissenschaftliche Forschung. 805 


7. Das Weltgebäude und seine Theile. 


Wenden wir uns von den allgemeinen Bestimmungen über 
die Erscheinungswelt zu der näheren Betrachtung derselben, vor- 
läufig noch mit Ausschluss des Menschen, so lässt sich nach allem 
bisherigen zum voraus vermuthen, dass wir von unserem Philoso- 
phen keine eigentlich naturwissenschaftlichen Untersuchungen zu 
erwarten haben ; denn sosehr er die Schönheit der Welt bewun- 
dert, so gilt doch diese Bewunderung ausschliesslich den geistigen 
Kräften, die sich in ihr offenbaren, das Körperliche als solches 
dagegen erscheint ihm nur als eine Trübung jenes höheren, nicht 
als eine positive Bedingung seiner Wirksamkeit. Auf diesem 
Standpunkt musste ihm nothwendig für eine Erforschung der pby- 
sikalischen Gesetze ebenso der Sinn wie die Fähigkeit abgehen. 
Seine Schriften bieten daher nur weniges, was nach dieser Seile 
hinneigt, und auch dieses wenige hält sich so wenig auf dem 
Standpunkt der Naturforschung, dass es dem eben bemerkten nur 
zur Bestätigung dienen kann. So giebt er einmal eine Uebersicht 
über die verschiedenen Klassen sinnlicher Dinge 1), aber eine so 

äusserliche und mit solcher Unsicherheit, wie diess keinem möglich 
sein wird, der solche Gegenstände in naturwissenschaftlichem Sinn 
zu behandeln gewohnt ist. Sonst finden wir bei ihm, ausser der 
gleich zu erwähnenden mehr metaphysischen Untersuchung über 
die Bewegung des Himmels (II, 2), noch zwei kleine Abhandlun- 
gen über naturwissenschaftliche Fragen, die eine von allgemei- 
nerem Inhalt 5), die andere dem speciellen Gebiete der Optik 
angehörig Ὁ. Jene giebt eine dialektische Erörterung der stoi- 
schen Lehre von der gegenseitigen Durchdringung der Körper, 
aber ohne ein erhebliches Ergebniss; diese versucht die schein- 
bare Verkleinerung der Objekte durch die Entfernung, unter aus- 


1) VI, 8, 9 Anf.: welches sind die Arten der körperlichen Substanz ? 
σῶμα μὲν οὖν τὸ σύμπαν θετέον εἶναι, τούτων δὲ τὰ μὲν ὁλικώτερα (die vier Ele- 
mente) τὰ δὲ ὀργανιχά.... εἶτα εἴδη γῆς λαμβάνειν καὶ τῶν ἄλλων στοιχείων, καὶ dat 
τῶν σωμάτων τῶν ὀργανικῶν τά τε φυτὰ χατὰ τὰς μορφὰς διαιροῦντα καὶ τὰ, τῶν 
ζῴων σώματα" ἣ τῷ τὰ μὲν ἐπίγεια καὶ ἔγγεια, καὶ χαϑ' ἔχαστον στοιχέϊον τὰ ἐν 
αὐτῷ ἢ τῶν σωμάτων τὰ μὲν χοῦφα τὰ δὲ βαρέα τὰ δὲ μεταξύ u. 8. w. 

3) Enn. 11, 7 u.d. T. περὶ τῆς δι’ ὅλων χράσεως. 

8) II, 8: x, ὁράσεως xt πῶς τὰ πόῤῥω μιχρὰ φαίνεται, 


506 Plotinus. 


drücklicher Bestreitung der richtigen Erklärung, aus der Ab- | 
schwächung des sinnlichen Eindrucks zu erklären. Im übrige 
lässt sich Plotin nur in der Art auf die Natur ein, dass er seine 
Grundanschauung von der allgemeinen Beseelung der Sinnenwelt 
‚an den einzelnen Theilen derselben durchführt. 

Das erste Körperliche, in welches sich die Seele bei ihrem 
Heraustritt aus der übersinnlichen Welt ergiesst, ist der Himmel ἢ); 
er ist es daher auch, worin sie vorzugsweise Wohnung nimm!: 
seine Ordnung und Schönheit beweist, dass seine Seele weit reiner 
und vollkommener ist, als die menschliche 9). Seinem Stoff nach 
besteht der Himmel sammt den Gestirnen aus dem reinsten Lichte, 
das nicht mit dem irdischen Feuer zu verwechseln ist 5): seine 
Bewegung ist, nach der allgemeinen Annahme, die Kreisbewegung, 
für die unser Philosoph mancherlei Gründe aufsucht 4); seine Us- 
veränderlichkeit und Unvergänglichkeit folgt aus der Beschafer- 
heit seiner Seele noch sicherer, als aus der seines Leibes (Il, 1, 3f.). 
Wie der Himmel, so sind auch die Gestirne beseelt, und ihre Seelen 
sind die vollkommensten ὅ) ; sie sind daher die sichtbaren Götter, 
das Abbild der unsichtbaren 5); sie schauen die übersinnlicke 
Welt unablässig, wenn auch nur von ferne 7); sie führen ein 


1) IV, 8, 17 Anf.: ἐκ τοῦ νοητοῦ εἰς τὴν οὐρανοῦ ἴασιν al ψυχαὶ τὸ πρῶτον 
χώραν ... πᾶσαι μὲν δὴ χαταλάμπουσι τὸν οὐρανὸν καὶ διδόασιν οἷον τὸ πολὺ αὐτῶν 
χαὶ τὸ πρῶτον ἐχείνῳ,͵ τὰ δὲ ἄλλα τοῖς ὁστέροις ἐναυγάζονται. Weiteres 8. 483, 1. 

2) II, 9, 5 Auf. co. 18. 217, Ὁ. 

8) I, 1,4. Ebd. und ὁ. 8 näheres über die Beschaffenheit dieses Fenem. 
Dagegen findet Plotin den fünften Körper des Aristeteles entbehrlich; a. =. 0. 
c. 3. 97, D. Auf Plotin's Aeusserungen über das Licht IV, 5,6£. IL 1, 7. 
101, F £. willich hier nur kurz hinweisen. 

4) II, 2, z.B. o. 1 Anf.: διὰ τί χύχλῳ χινέΐται;- ὅτι νοῦν μιμεῖται (vgl. PLaro 
Tim. 86, E). Ebd. 107, C: die Bewegung des Weltganzen sei aus einer kör- 
perlichen und seelischen gemischt, der Körper würde es in geradlinige Be- 
wegung setzen, die Seele für sioh genommen es an Einem Ort festhalten, aus 
beiden zusammen entstehe die Kreisbewegung; c. 8: die Beele in der Welt 
bewege sich und sie kreisförmig in sich selbst zurück, da ja auch die Seele 
ausser der Welt diese im Kreis umgebe. 

δ) II, 9, 5. 18, 5. Anm. 2. 

6) V, 1, 2. 488, E. ΗΠ, 5, 6. 296 A (die Gestirne sind θεοὶ δεύτεροι per 
ἐχείνους καὶ χατ᾽ ἐχείνους τοὺς νοητοὺς, ἐξηρτημένοι ἐκείνων). II, 9, 8. 206, E. II, 33 
Schl. ΙΝ, 8, 11.gE. V, 1,4 Anf. V, 8, 8. δ44, C: auch in den @öttern, welche 
einen Leib haben, ist doch nur der Nus das Göttliche. ᾿ 

7) V, 8, 8. 544, E. 


Der Himmel, die Gestirne, über Astrologie. 807 


seliges, gleichmässiges und harmonisches Leben !). Weit aber in 
der Unwandelberkeit ihres Seins und Wirkens der Gegensatz des 
gegenwärtigen und des vergangenen, und ebendamit die Zeitvor- 
stellung für sie nicht vorhanden ist, dürfen wir ihnen, wie den 
höheren Wesen überhaupt, keine Erinnerung beilegen *), und, 
aus demselben Grunde fällt für sie auch die Möglichkeit einer 
Wahl weg: sie freuen sich des Göttlicken nicht mit Ueberlegung, 
sondern kraft einer Naturnothwendigkeit °). Ebensowenig will 
ihnen Plotin ein Wissen um das geringere zuschreiben *), oder die 
willkührliche Einwirkung auf die Welt zugestehen, die beim ersten 
Anblick mit ihrer Göttlichkeit unmittelbar gegeben zu sein scheint, 
und die ihnen auch wirklich der astrologische Aherglaube jener 
Zeit im umfassendsten Sinn zutraute. Ein Einfluss der Gestirne 
auf die Erde und auf die Schicksale der Menschen wird zwar auch 
von Plotin zugegeben, aber dieser Einfluss soll ein rein natürlicher 
sein; natürlich freilich nur in dem Sinn, in welchem ein System, 
wie das seinige, diesen Begriff überhaupt nehmen kann. Da jeder 
Theil des Weltganzen mit allen andern im Zusammenhang steht, 
und da die wirkenden Kräfte zuerst dem Himmel, und erst von da 
aus der Erde sich mittheilen, so muss freilich das Irdische vom 
Himmiischen akhängig gedacht werden; daraus soll aber durchaus 
nichts für die Wahrheit der gewöhnlichen Vorstellangen folgen, 
wornach die Gestirne in’s einzelne der menschlichen Schicksale 
eingreifen, und vermöge ihrer Natur, ihrer Stellung und ihrer gegen- 
seitigen Freundschaft oder Feindschaft bald Glück bald Unsegen 
bringen. Wie können denn, fragt Plotin mit den Stoikern, die 
Gestirne, diese göttlichen Wesen, schlechtes bewirken ? und wie 
könnte mit ihrem Eingreifen die Einheit und Gesetzmässigkeit der 
Weltregierung bestehen? Welche Ungereimtheit ferner, dass sie 
je nach ihrer Stellung am Himmel sich freuen oder betrüben, Heil 
oder Unheil senden sollen, dass der eine Stern gefährlich sein soll, 
weil er kalt, der andere, weil er hitzig sei, dass sie freundlich 


1) IV, 4, 8. 408, A #., wo auch die Sphärenbarmonie. 

4) IV, 4, 6—8. 6. 42 Anf. ο. 80 Anf. 

8) II, 2, 2 Schl. 

4) IV, 4, 6 Schl. V, 8, 8. 544, Ὁ u. a. St, Ich werde auf diesen Gegen- 
stand später, in der Untersuchung über Plotin’s Verhältniss zur Religion, 
noch einmal zurückkommen. 


508 Plotinus 


wirken, wenn sie befreundete Gestirne sehen, beim Anblick feind- 
seliger zürnen u. dgl.; als ob ihre Stellungen etwas anderes wären, 
als eine natürliche Folge ihrer ungleichen Geschwindigkeit, und 
als ob sie nicht immer in derselben himmlischen Sphäre, in der 
‚gleichen ungetrübten Seligkeit sich bewegten! Ὁ Es liegt ja aber 
auch am Tage, dass alles das, was man auf die Sterne zurückführtt, 
durch seine natürlichen Ursachen bewirkt ist, seien diese nun dus 
sere und körperliche, sei es die eigene That des Menschen ’). | 
Sofern daher ein Einfluss der Gestirne auf die menschliches 
Schicksale stattfindet ‚ist diess doch nur der, welcher aus ihrer 
physischen Beschaffenheit und ihrer Stellung im Weltganzen natar- 
gemäss hervorgeht: sie verursachen Kälte und Wärme, und wir- 
ken insofern auf den Körper und seine Stimmung °), sie theilen 
die beseelenden Naturkräfte an das tieferstehende mit, und haben 
so Einfluss auf die Zustände der irdischen Wesen 4); sie nehmen 
endlich an der Bestimmung der Verhältnisse theil, unter denen die 
Seele in’s körperliche Leben eintritt, sofern die mit dem Körper 
verbundenen sinnlichen Triebe und Affekte, und die an diesen 
bestimmten Körper geknüpften Schicksale zunächst zwar von dem 
allgemeinen Weltzusammenhang, im besondern aber namentlich 
auch von den wirkenden Kräften der Gestirne abhängen, wogeges 
das höhere Leben auch nach Plotin von diesen Einflüssen frei ist’). 


1) M. s. die Hauptscohrift tiber diesen Gegenstand: εἰ ποιέξ τὰ ἄστρα; (En2 
IL, 8) c.2—6. 18. 16 und Enn. III, 1, 6. IV, 4, 81. 84. Der Zusammenhang 
dieser Polemik mit Plotin’s ganzem Standpunkt erhellt namentlich aus II,3,6. 
140, E: ὅλως δὲ μηδενὶ ἑνὶ τὸ χύριον τῆς διοιχήσεως [sc. τοῦ κόσμου] διδόναι, τού- 
τοῖς δὲ πάντα διδόναι, ὥσπερ οὐχ ἐπιστατοῦντος ἑνὸς ἀφ᾽ οὗ δεηρτῆσθαι τὸ πᾶν... 
λύοντός ἐστι χαὶ ἀγνοοῦντος κόσμου φύσιν. 

4) IL, 8, 14 δ ΠΙ, 1, 8. 

8) III, 1, 6 Anf. 

4) IV, 4, 85. 480, A: ποιεῖσθαι δὲ παρ᾽ αὐτοῦ [τοῦ ἡλίου], ὥσπερ τὸ θερμαὶ. 
νεσθαι τοῖς ἐπὶ γῆς, οὕτω καὶ εἴ τι μετὰ τοῦτο ψυχῆς διαδόσει ὅσον ἐν αὐτῷ, φυσαῖς 
ψυχῆς πολλῆς οὔσης" καὶ ἄλλο δὲ [sc. ἄστρον) ὁμοίως οἷον ἔλλάμπον δύναμιν παρ 
αὐτοῦ ἀπροαίρετον διδόναι, χαὶ πάντα δὴ ἕν τι οὕτως ἐσχηματισμένον γενόμενα τὴν 
διάθεσιν ἄλλην καὶ ἄλλην αὖ διδόναι, ὥστε καὶ τὰ σχήματα δυνάμεις ἔχειν. 

5) ΠῚ, 8, 9. 142, A (mit Beziehung auf Par. Tim. 69, C): οὗτοι γὰρ οἱ 
λόγοι συνδέουσιν ἡμᾶς τοῖς ἄστροις παρ᾽ αὐτῶν ψυχὴν χομιζομένους καὶ ὁποτάττουδι 
τῇ ἀνάγκῃ ἐνταῦθα ἰόντας χαὶ ἤθη τοίνυν παρ' αὐτῶν καὶ κατὰ τὰ ἤθη πράξεις καὶ 
πάθη. Aber doch ἀδέσποτον ἀρετὴν θεὸς ἔδωκεν. (Vgl. IV, 4. 84 Anf.) α. 10: die 
Beele bringt eine bestimmte Beschaffenheit in den Leib mit, anderes kommt 


Die Gestirme: über Astrologie. 509 


Wir würden hierin noch immer genug von dem astrologischen 
Aberglauben finden, den unser Philosoph bekämpfen will; dieser 
selbst jedoch kann sich immerhin darauf berufen, dass er sich diese 
Einwirkung der Gestirne als eine durchaus naturgemässe, und in 
der Verketiung des ganzen Weltlaufs nothwendige denke: die 
Gestirne sind ihm nur natürliche Mittelglieder, durch welche die 
höheren Kräfte in die Welt übergeleitet werden, sie bestimmen die 
physischen Anlagen und die Schicksale der Menschen nur sofern 
sie das Naturleben überhaupt mitbestimmen. Auf ähnliche Art 
versucht Plotin, nach stoischem Vorbild, auch die astrologische 
Vorbedeutung mit dem Naturzusammenhang auszugleichen. Da 
die Bewegung des einzelnen in der Welt vom Zusammenhang des 
Ganzen abhängig ist, so muss der Sachkundige aus den Bewegun- 
gen, die in gewissen Theilen der Welt, und namentlich in den 
wichtigsten, vor sich gehen, die entsprechenden Bewegungen der 
andern Theile mit derselben Sicherheit erschliessen können, mit 
welcher der Tanzkundige schliessen kann, dass mit einer bestimm- 
ten Stellung eine bestimmte Hand- oder Fussbewegung verbunden 
sein wird !). So wenig daher auch die Vorbedeutung von der 
Bewegung der Gestirne bezweckt wird, so ist sie doch als ihre 
natürliche Folge damit verknüpft ?): die Gestirne sind eine hinm- 
lische Schrift, in der wir lesen können, was vermöge des Welt- 
zusammenhangs geschehen wird °), und in der namentlich auch 
die künftigen Schicksale der Menschen verzeichnet sind, denn 
auch der Eintritt der Seelen in die Körper, und alles, was daraus 
hervorgeht, steht im Einklang mit dem gesammten Weltlauf *). 


ihr aus der φορὰ, d. ἢ, dem kosmischen Zusammenhang; doch geht (ὁ. 11) 
das, was von den Gestirnen mitgetheilt wird, nioht unverändert auf die Men- 
schen über, sondern es kann durch die Beschaffenheit dessen, der diese Ein- 
Rüsse empfängt, ein Uebermaass oder ein Mangel oder eine falsche Richtung 
einer Anlage entstehen, die φιλιαχὴ διάθεσις =. B. kann su einem unsittlichen 
Hang werden, der θυμὸς sur ἀχροχολία oder ἀθυμία, die ἀπόῤῥοια νοῦ zur xa- 


1) IV, 4, 88. 0. 85. 429, B. 0.89. 11,8, 7. III, 1, 6 Bob. IV, 8, 12 8. u. 

2) IV, 4, 89, 488, C. co. 84. 428, B. 

8) II, 8, 7. 140, 6. DI, 1, 6 Schl. 

4) IV, 8, 12. 881, E: ... xat’ dxeiva τῶνδε περαινομένων, dp’ ἕνα λόγον πάν- 
τῶν τεταγμένων ἕν τε χαθόδοις ψυχῶν καὶ ἀνόδοις καὶ εἷς τὰ ἄλλα σύμπαντα" μαρ- 
Topei δὲ καὶ τὸ τῆς συμφωνίας τῶν ψυχῶν πρὸς τὴν τοῦδε τοῦ παντὸς τάξιν, οὐκ ἀπηρ- 


u 
| 


810 Plotinus. 


Wie freilich neben dieser unbedingten Bestimmtheit alles einzelnen 
die gleichfalls behauptete Freiheit des menschlichen Willens be- 
stehen soll, ist eine Frage, deren Schwierigkeit sich auch Pieta 
nicht ganz verbergen kann; wenn er aber darauf antwortet, de 
Tugend sei zwar frei, aber ihre Wirkungen seien in den allgemei- 
nen Zusammenhang mit verflochten 1), so hätte vor allem die 
Vereinbarkeit dieser beiden Bestimmungen nachgewiesen werden 
müssen. 

Die nächste Stelle nach den sichtbaren Göttern nehmen die 
Dämonen ein, die ja schon bei den Vorgängern des Neuplatonis- 
mus eine so grosse Rolle gespielt hatten, Plotin bezeichnet m# 
diesem Namen im allgemeinen , der herrschenden Verstellung 
gemäss, diejenigen Wesen, welche zwischen dem Göttlichen und 
dem Irdischen in der Mitte stehen 55; genauer versteht er darunter 
(II, 5, 6) die von der zweiten oder der innerweltlichen Seele 
ausgehenden Kräfte (denn die reine Seele erzeuge nicht Dämonen, 
sondern Götter). In der intelligibeln Welt ist daher (a. a. 0.) 
kein Dämon; auch die himmlischen Sphären bis zum Mond herab 
enthalten nur Götter; die Dämonen gehören dem Zwischenreich 
zwischen dieser und der höheren Welt an °). Sie vereinigen 
daher Eigenschaften beider in sich: sie sind nicht allein ewig *), 
wie die Götter, sondern sie schauen auch mit ihnen das Uebersins- 
liche 5); zugleich sind sie aber Affekten unterworfen und an eise 
Materie gebunden, sie haben einen Leib aus intelligibler Materie, 
und können zum Behuf ihres Erscheinens auch Feuer- oder Lef- 


τημένων, ἀλλὰ συναπτουσῶν Ev ταῖς καθόδοις ἑαυτὰς, χαὶ μίαν συμφωνίαν πρὸς τῷ 
περιφορὰν ποιουμένων, ὡς χαὶ τὰς τύχας αὐτῶν καὶ τοὺς βίους χαὶ τὰς προαιρέσεις 
σημαίνεσθαι τοῖς τῶν ἄστρων σχήμασι. 

1) IV, 4, 89 Anf.: ἀρετὴ δὲ ἀδέσποτον, συνυφαίνεσϑαι δὲ χαὶ τὰ αὐτῆς STE 
τῇ συντάξει. 

2) III, 5, 6. 296, B: In diesem Sinn heisst es II, 8, 9 Schl., das Walt 
ganze sei, wenn man die ψυχὴ χωριστὴ mit einschliesse, ein Gott, ohne die 
selbe ein grosser Dämon, 

8) VI, 7,6. 699, B: ἔστι μίμημα θεοῦ δαίμων, εἰς θεὸν ἀνηρτημένος. 

4) III, 5, 6. 296, 6: δαίμοσι δὲ προςτίθεμεν πάθη, ἀϊδίους λέγοντες ἐφεξῆς 1% 
θεοΐς͵ ἤδη πρὸς ἡμᾶς, μεταξὺ θεῶν τε χαὶ τοῦ ἡμετέρου γένους. Doch wird das 
ἀΐδιος von Fıoım richtig sempisernus nicht aeternus übersetst. 

6) V, 8, 10 Anf. 


Dämonen. Erdseele. Bit 


leiber annehmen '), sie haben Sinnesempfindung und Erinnerung, 
sie hören Anrufungen und erfahren Einwirkungen von anderem 3), 
ja Plotin glaubt °), die Dämonen und die Seelen in der Luft wer- 
den wohl auch eine Sprache haben. So greiflich aber diese Wirk- 
lichkeit aussieht, so wird sie doch wieder in etwas zweifelhaft, 
wenn unser Philosoph den Eros, diesen mächtigen Dämon, als die 
Thätigkeit der Seele definirt, welche nach dem Guten Verlangen 
trage ; wenn er nicht blos von einer Vielheit von ἔρωτες, sondern 
auch von verschiedenen Graden ihres Werthes und ihrer Macht 
redet, je nachdem sie aus einer höheren oder geringeren Seele 
entspringen ; wenn er ferner sagt, die ἔρωτες der Einzelseelen 
verhalten sich zu dem grossen Eros, wie die Einzelseelen selbst 
zur Weltseele *); wenn er endlich auch den Dämon des Einzelnen 
in stoischer Weise auf den Eros in diesem Sinn, oder auf den 
Charakter des Menschen zurückführt 5), freilich mit der Verwah- 
rung, dass derselbe nicht blos das Höhere im Menschen, sondern 
zugleich diejenige übermenschliche Macht bezeichne, welcher ein 
jeder nachlebt. Plotin selbst hat allerdings nicht die Absicht, 
damit einen Zweifel an dem objektiven Dasein der Dämonen aus- 
zusprechen. 

Man wendet sich gerne von diesen phantastischen Wesen der 
Wirklichkeit zu, um Plotin’s Ansichten über die irdische Natur 
kennen zu lernen. Indessen;sind auch diese kaum weniger phan- 
tastisch. Seiner ganzen Richtung gemäss haben die eigentlich 
naturwissenschaftlichen Untersuchungen wenig Reiz für ihn; da 
ihm nur daran gelegen ist, die seelischen Kräfte im Sinnlichen zu 
erkennen, so sind seine Aeusserungen über die Erd-, Pflanzen- 
und Thierseele fast das einzige, was hier zu berichten ist 5). Dass 
auch die Erde beseelt ist, steht ihm fest, und es folgt unmittelbar 


1) III, 5, 6. 296, Ὁ. 

3) IV, 4, 43. 487, B. 

8) IV, 8, 18 Schl. 

4) III, 5, 4. c. 6. 296, Ο. o. 7. Weiteres tiber den Eros spätel. 

6) III, 5, 4 Anf. III, 4, 8 Anf. 6. ὅ ἢ 

6) Bonst mag etwa erwähnt werden, was Π, 1, ὅ (a. ο. 482, 1) über die 
Veränderlichkeit des Irdischen im Unterschied vom Himmlischen, und ebd, 
ἃ, 8. 98, A. oc. 4. 99, C, über den Wechsel oder das Beharren der Elemente 


gesagt ist; über die letztere Frage kommt es aber bei Plotin su keiner Ent- 
scheidung. 


518 Plotinus. 


aus seiner Ansicht von den Gestirnen: wie diese, ist auch die Erde 
ein denkendes Wesen und eine Gottheit. Ein Bedenken macht 
unserem Philosophen nur die Frage, ob die Erde Sinnesempfindung 
habe. Er verkennt nicht, dass sich diese ohne Sinneswerkzeuge 
schwer denken lasse, und dass sie auch bei der Erde keinen rech- 
ten Zweck hätte; aber doch entschliesst er sich am Ende umder | 
Gebetserhörung und der Magie willen, der Erde, wie dem All und | 
den Gestirnen, eine Wahrnehmung des Sinnlichen beizulegen, .üie 
freilich durch keine Sinneswerkzeuge vermittelt und von der unsi- 
gen wesentlich verschieden sein soll, die auch wegen der ununter- 
brochenen Richtung jener Wesen auf’s Höhere ihr Bewusstsein 
nicht berühre, die aber doch aubreiche, um gewisse Wirkungen 
von ihrer Seite hervorzurufen 1). Die Wirkung dieser Erdseele 
lässt sich auf ihrer untersten Stufe selbst am Erdkörper und seinen 
Wachsthum erkennen; deutlicher tritt sie in der Erzeugung und 
dem Wachsthum der Pflanzen hervor; dieser Theil der allgemeinen 
Seele heisst daher die Pflanzenseele ?). Was endlich die Thier- 
seele betrifft, so ist sie entweder als eine Einstrahlung der Well- 
seele, oder als das Schattenbild der an einen Thierleib gebundenen 
Menschenseele zu betrachten ?). Plotin schenkt diesem ganzen 
Gebiet nur geringe Aufmerksamkeit, und eilt immer möglichst 
schnell darüber hinweg zum Menschen. 


8. Der Mensch. 
1. Der Mensch im Präexistenzzustand. 


Ehe wir in das irdische Leben eintraten, waren wir nach 
Plotin in der übersinnlichen Welt, die einen als Menschen, andere 
auch als übermenschliche Wesen *). So lange die Seelen in die- 
sem Zustand verharren, sind sie frei von allen Leiden, und als 
Theile der Weltseele beherrschen sie mit ihr die Welt, ohne selbe! 
in dieser zu sein °); sie sind ausser der Zeit, denn im Uebersinn- 


1) IV, 4, 22—26, besonders ο. 36. 

4) IV, 4, 21. 

8) I, 1, 11. 18, 9. IV, 7, 14 Anf. 

4) VI, 4, 14. 667, B: πρὸ τοῦ ταύτην τὴν γένεσιν γενέσθαι ἦμεν ἐκεῖ ἄνθρωξοι 
ἄλλοι ὄντες καί τινες καὶ θεοὶ, ψυχαὶ καθαραὶ καὶ νοῦς συνημμένος τῇ ἀκόσῃ οὐσίᾳ 
(οὖσ. hier im engeren Sinn, die intelligible Substans), μέρη ὄντες τοῦ νοητοῦ οὐκ 
ἀφωρισμένα οὐδ' ἀποτετμημένα, ἀλλ᾽ ὄντες τοῦ ὅλου. 

δ) IV, 8, 4 Δηΐ, 


Der Mensch: Präexistens. 513 


lichen ist so wenig eine Zeit, als eine Veränderung '); es ist in 
ihnen weder Ueberlegung (λογισμὸς), noch Selbstbewusstsein, noch 
Erinnerung, denn sie brauchen kein Wissen zu suchen, das sie 
noch nicht oder nicht mehr besitzen 3), sondern wie sie einander 
vollkommen durchsichtig sind, so schauen sie auch unmittelbar in 
sich selbst den Nus und alle Wesenheit und das überwesentliche 
Gute °). Es ist jedoch nicht möglich, dass die Seelen in diesem 
ihrem Urzustand bleiben. Wie die ursprüngliche Einheit die 
Vielheit hervorbringt, so muss auch, kraft der gleichen Nothwen- 
digkeit, die Seele ein anderes hervorbringen, und sich an das, was 
unter ihr ist, mittheilen; da sie an der Grenze der übersinnlichen 
Welt steht, so muss sie einen Theil ihrer selbst an das Sinnliche 
hingeben, welches ihrer Fürsorge bedarf *%), und sie kann sich 
darüber nicht beklagen; die Rückkehr in ihren Urzustand ist ihr 
ja nicht verschlossen, und überdiess erwächst ihr selbst aus dem 
irdischen Leben ein Gewinn: die Kenntniss des diesseitigen, die 
Entwicklung von Kräften, die im Intelligibeln schlummerten, die 
vollständigere Würdigung des höheren, dessen Werth erst die 
Erfahrung des Bösen in sein volles Licht stellt ©). Vermöge 
dieser allgemeinen Nothwendigkeit wenden sich die Seelen dem 
Sinnlichen zu, zunächst um für dasselbe zu sorgen und es zu er- 
leuchten ; aber in dieser Beschäftigung mit dem niedrigeren ver- 
gessen sie ihrer selbst, sie richten sich mit ihrem Streben auf das 
Körperliche, werden ebendadurch von diesem festgehalten, einigen 
sich mit ihm und treten aus der Einheit des Uebersinnlichen in 
eine Theilexistenz heraus, indem sie sich der Sorge für einen Theil 


1) IV, 4, 1.897, C £. 1, 7, 10 Anf. c. 11. 837, A f. vgl. 8. 491, 2. 5607, 2. 

2) IV,4,2f. vgl. c. 12. IV, 8, 18 (mit dem Beisats, 385, D, im weiteren 
Sinn könne den Beelen auch im Intelligibeln λογισμὸς beigelegt werden). Ebd. 
die Bemerkung, sie seien ohne Sprache. 

8) IV, 4, 2. 898, D. c. 4 Auf. IV, 8, 18 Schl. 

4) Vgl. 8. 491, 1. 

δ) IV, 8,5. 7. 473, D. 475, B. Uebrigens will sich diese Bemerkung mit 
der später zu belegenden Behauptung nicht recht vertragen, dass die Roele 
nach der Rückkehr in’s Jenseits die Erinnerung an die irdischen Zustände 
verliere, denn mit der Erinnerung müsste ihr auch die Bel-hrung durch das 
Irdische entschwinden. Die reinsten Seelen hatte schon Philo aus Wissbe- 
gierde in's Erdenleben herabkommen lassen; vgl. 8. 844, 1. 


Philos. d. Gr. IH. Bd. 2. Abth. 33 


514 Plotinas. 


hingeben '). Sofern nan diese Verbindung mit dem Körperlichen 
der Seele nicht durch äussere Gewalt, sondern durch ihre eigene 
Natur und Neigung entsteht, kann dieselbe allerdings als ihre freie 
That betrachtet, es kann von der Schuld der Seele, von der Ver- 
messenheit ihres Heraustretens aus dem Intelligibeln gesprochen 
werden ?). Diess hebt aber nach Plotin die Nothwendigkeit des- 
selben keineswegs auf, vielmehr ist eben die innere Neigung der 
Seelen zum Körperlichen selbst ihr Verhängniss, sie werden durch 
dieselbe, wie mit magischer Gewalt, ohne Wabl und Reflexion, zu 
der ihnen bestimmten Zeit in den für sie geeigneten Körper herab- 
gezogen °), indem nach einem ewigen Gesetze jede in den Leib 


1) IV, 8, 17. 884, F. IV, 8, 4. ebd. ο. 7. IV, 7, 18. Etwas anders IIl, 9, 2. 
857,D: wenn sich die Seele statt des Höheren anf sich selbst richte, so bringe 
sie das Nichtseiende (die Materie) als ihr Abbild hervor, sie forme dieses, in- 
dom sie es erblicke, und erfreue sich nun so an ihm, dass sie in dasselbe ein 
gehe. Nach IV, 3, 15 Anf. 17 Anf. treten die Beelen beim Herabsteigen in 
die Sinnenwelt zuerst in den Himmel, als die dem Uebersinnlichen zunächst 
liegende Region ein, nehmen hier einen Leib an, und gehen mittelst desselbes 
in die niedrigeren Regionen fort; der Leib, in den eine Seele eintritt, at 
spricht aber immer ihrer innern Beschaffenheit. 

2) IV, 8, 5 Anf.: οὐ τοίνυν διαφωνέΐ ἀλλήλοις... ἢ τε ἀνάγχη τό τε ἑχούσιον, 
ἐπείπερ ἔχει τὸ ἑχούσιον ἣ ἀνάγχη... οὐδ᾽ ἣ ἁμαρτία, ἐφ᾽ Ih δίχη... οὐδ᾽ ὅλως τὸ 
ἑἐχούσιον τῆς χαθόδου χαὶ τὸ ἀχούσιον ad. πᾶν μὲν γὰρ ἴον ἐπὶ τὸ χεΐίρον ἀχούσιον, 
φορᾷ γε μὴν olxela lov πάσχον τὰ χείρω ἔχειν λέγεται τὴν ἐφ᾽ οἷς ἔπραξε δίχην. ὅταν 
δὲ ταῦτα πάσχειν καὶ ποιέΐν N ἀναγκαῖον ἀϊδίω φύσεως vorm, τὸ δὲ σομβαΐνον εἰς 
ἄλλου του χρείαν τῇ προόδῳ ἀπαντᾷ καταβαῖνον ἀπὸ τοῦ ὑπὲρ αὐτὸ, θεὸν εἶ τις λέγοι 
καταπέμψαι, οὐχ ἂν ἀσύμφωνος οὔτε τῇ ἀληθείᾳ οὔτε ἑαυτῷ ἂν εἴη... διττῆς δὲ τῆς 
ἁμαρτίας οὔσης, τῆς μὲν ἐπὶ τῇ τοῦ κατελθεῖν αἰτίᾳ, τῆς δὲ ἐπὶ τῷ ἐνθάδε γενομένην 
χκαχὰ δρᾶσαι u. 6. w. V, 1, 1 Anf.: ἀρχὴ μὲν οὖν αὐταῖς [ταῖς ψυχ αἷς} τοῦ καχοῦ 
ἢ τόλμὰ καὶ ἣ γένεσις καὶ ἣ πρώτη ἑτερότης χαὶ τὸ βουληθῆναι δὲ ἑαυτῶν εἶναι. τῷ δὴ 
αὐτεξουσίῳ ἐπειδήπερ ἐφάνησαν ἡσθεέϊσαι, πολλῷ τῷ κινεῖσθαι παρ᾽ αὑτῶν χεχρημέναι, 
τὴν ἐναντίαν δραμοῦσαι καὶ πλείστην ἀπόστασιν πεποιημέναι ἠγνόησαν καὶ ἑαυτὰς dar 
θεν slvar u. 8. w. 

3) IV,8,5 s. vor. Anm. Genauer IV, 8, 13. 382, C: τοῦ τότε zduxovts 
καὶ elskyovrog οὐ δεῖ, οὔτε ἵνα ἔλθῃ εἷς σῶμα τότε, οὔτε (sc. ἵνα ἔλθῃ) εἰς τοδί ἀλλὰ 
καὶ τοῦ ποτὰ ἐνςτάντος (wenn der bestimmte Zeitpunkt gekommen ist) οἷον αὖ- 
τομάτως χάτεισι καὶ εἴζεισιν εἰς ὃ det, καὶ ἄλλος ἄλλῃ χρόνος, οὗ παραγενομένου, οἷον 
κήρυχος καλοῦντος, κατίασι καὶ εἰςέδυ εἰς τὸ πρόςφορον σῶμα, ὡς εἴχάσαι τὰ γηνό- 
μενα οἷον δυνάμεσι μάγων καὶ ὁλκαΐς τισιν ἰσχυραΐς κινέίσθαί τε καὶ φέρεσϑαι. «. la 
δὲ οὔτε ἑκοῦσαι οὔτε πεμφθείσαι, οὔτε τὸ ἑχούσιον τοιοῦτον, ὡς προελέσθαι, ἀλλὰ ὡς 
τὸ πηδᾷν χατὰ φύσιν A πρὸς γάμων φυσιχὰς προθεσμίας, ἣ ὡς πρὸς πράξεις τινὲς χα» 
λῶν, od λογισμῷ χινούμενοι᾽ ἀλλ᾽ εἱμαρμένον ἀξὶ τῷ τοιῷδε τὸ τοιόγδε καὶ τῷ τοιῷδε 


Der Mensch: Herabkommen und Wesen der Seele. 515 


eingeht, der ihrer Beschaffenheit und ihrem Willen entspricht '); 
ihr Herabsteigen ist also nicht allein durch ihren eigenen Drang, 
sondern auch durch eine allgemeine Nothwendigkeit und durch 
die Rücksicht auf die Gestaltung der Körperwelt bedingt ?). Diese 
drei Gründe fallen aber in Wahrheit zusammen, denn die Natur 
der Seele ist eben nur desshalb so, weil sie im Weltganzen diese 
Stelle einnimmt, und ebenso ist ihr Verhältniss zur Körperwelt 
von dieser ihrer Natur und Stellung nicht verschieden. Das letzte 
Ergebniss kann daher nur das sein, dass die Seelen in einen Kör- 
per eingehen, weil die Seele ihrem Begriff nach das Bindeglied 
zwischen der sinnlichen und der übersinnlichen Welt bildet, und 
die Einzel- oder Theilseele ebenso ihrem Begriff nach auf einen 
bestimmten Theil des Körperlichen bezogen ist. 


2. Der Mensch im Zeitleben. 

Da die Seele aus der übersinnlichen Welt stammt, kann sie 
auch nur geistiger Natur sein. Plotin verwirft daher nicht blos 
alle materialistischen Vorstellungen über sie, wie diess nicht anders 
sein konnte, auf’s entschiedenste, und er widmet namentlich dem 
stoischen Materialismus eine eingehende Widerlegung °); sondern 
er bestreitet auch die Ansichten, welche die Seele zur Harmonie 
oder zur Entelechie ihres Leibes machen, weil sie auch nach dieser 
Auffassung vom Körper untrennbar, kein selbständiges, eigenarti- 
ges, über der Körperwelt stehendes Wesen wäre *). Er seiner- 


τὸ vöv, τῷ ds τὸ αὖθις. Kıncuner’s (B. 121) Bemerkung über diese Stelle: „die 
magische Nothwendigkeit liege nicht in dem Falle selbst, sondern in der da- 
mit verknüpften Strafe“, verstehe ich nicht; die Frage ist in derselben ledig- 
lich die: wesshalb die Scelen in Leiber herabkommen? und darauf antwortet 
Plotin: sie kommen αὐτομάτως, so dass man diesen Vorgang mit einer durch 
magische Anziehung bewirkten Bewegung vergleichen könnte. 

1) IV, 3, 12 Schl: κάτεισι δὲ οὐχ ἀεὶ τὸ ἴσον [ψυχῆς], ἀλλ᾽ ὁτὲ μὲν πλέον, Örk 
δὲ ἕλαττον ... χάτεισι δὲ εἰς ἕτοιμον ἔχάστη καθ᾽ ὁμοίωσιν τῆς διαθέσεως. ἐχέϊ γὰρ ᾧ 
ἂν ὁμοιωθέϊσα 7, φέρεται, I μὲν εἷς ἄνθρωπον, ἢ δὲ εἷς ζῷον ἄλλη ἄλλο. Aehnlich 
6. 13 Anf. 

2) IV, 8, 5. 478, Ὁ: ῥοπῇ αὐτεξουσίῳ καὶ αἰτίᾳ δυνάμεως (der absoluten 
Ursache) χαὶ τοῦ ner’ αὐτὴν χοσμήσει ὡδὶ ἔρχεται. 

8) M. 6. bierüber IV, 7, 2—8, wie diese Ausführung jetzt von Kıscauorr 
aus Evs. pr. ev. XV, 22 ergänzt ist. Ein ausführlicher Auszug daraus bei 
Rıcater Neupl. St. IV, a5—54. 

4) A.a.0. 0.8. 1,25—28. Kirchh. vgl. Rıcatza a. ἃ. O. 54 ἢ 


88" 


‚816 Plotinus. 


seits erkennt gerade in ihrem Unterschied von allem körperlichen, 
in ihrer Verwandtschaft mit dem Ewigen und Göttlichen ihr eigen- 
thümliches Wesen ; welches sich ebendesshalb nur da rein darstellt, 
wo sie sich von aller Gemeinschaft mit dem Körper, den sinnlichen 
Zuständen und Begierden frei macht 3). 

Zu dieser unkörperlichen und ursprünglich auch körperlosea 
Seele ist nun aber durch ihre Verbindung mit einem Leibe etwas 
fremdartiges hinzugekommen, dem reinen Wesen des Menschen 
hat sich ein anderes Wesen von entgegengesetzter Beschaffenheit 
angehängt, die Seele ist aus ihrem natürlichen Element in eis 
neues versetzt und der Nothwendigkeit eines Doppellebens bald 
im Diesseits, bald im Jenseits, unterworfen worden 5. Es ist 
daher im Menschen ein doppeltes Ich, oder wie Plotin auch wohl 
sagt, eine doppelte Seele, die höhere, welche rein im Uebersinn- 
lichen lebt, und die geringere, die in den Körper und seine Thätig- 
keit verflochten ist ®); oder wenn wir lieber wollen: es sind in 
einem jeden drei Menschen, jeder ist eine unsichtbare Welt, die 
aus dem Intelligibeln in die sinnliche Erscheinung, aus dem Nus 


1) Α. 4. Ο. 0.9 f. u.a. $t. 

2) VI, 4, 14. 657, C: οὐδὲ γὰρ οὐδὲ νῦν ἀποτετμήμεθα. ἀλλὰ γὰρ νῦν ἐχείνῳ 
τῷ ἀνθρώπῳ προζφελήλυθεν ἄνθρωπος ἄλλος εἶναι θέλων, καὶ εὑρὼν ἡμᾶς... περϑη- 
χεν ἑαυτὸν ἡμῖν u. 8. w. 1,1, 9 Bchl.: ἀτρεμήσει οὖν οὐδὲν ἧττον ἢ ψυχὴ πρὸς den 
τὴν καὶ ἐν ἑαυτῇ αἱ δὲ τροπαὶ καὶ ὁ θόρυβος ἐν ἣμῖἷν παρὰ τῶν συνηρτημένων u. 5. W. 
Dasselbe, mit Hinweisung auf Plato Rep. X, 611, C, ebd. c. 12. 7, ΕΖ IV, 
8, 4. 472, E: γίγνονται οὖν [sc. al φυχαὶ] οἷον ἀμφίβιοι ἐξ ἀνάγχης, τόν τε ἐχεῖ βίον 
τόν τε ἐνταῦθα παρὰ μέρος βιοῦσαι. VI, 8, 1. 617, A: bei der Aufzählung der 
sinnlichen Dinge muss man die Seele ausscheiden, ὥσπερ ἂν εἴ τις βουλόμενος 
τοὺς πολίτας συντάξαι πόλεώς τινος... τοὺς ἐπιδημοῦντας ξένους παραλέποι χωρίς. 

8) I, 1, 10. 6, A: διττὸν οὖν τὸ ἡμέίς, ἢ συναριθμουμένου τοῦ θηρίου ἢ τὸ 
ὑπὲρ τοῦτο ἤδη. θηρίον δὲ ζῳωθὲν τὸ σῶμα. ὁ δὲ ἀληθὴς ἄνθρωπος ἄλλος͵ ὃ καθαρὸς 
τούτων τὰς ἀρετὰς ἔχων τὰς ἐν νοήσει; ai δὴ ἐν αὐτῇ τῇ χωριζομένῃ ψυχῇ ἵδρυνται. 
Aehnlich c. 7. 4, F. I, 4, 16 (Unterscheidung des αὐτὸς und des προςεζευγμέ. 
νον). VI, 7,5. 698, A: es ist in ung eine doppelte Seele (ein doppelter Mensch), 
die göttlichere und diejenige, welche sich des Körpers unmittelbar bedient; 
diese ist ein Abbild und Anhängsel von jener; die höhere Seele tritt nicht aus 
dem Intelligibeln heraus. IV, 8, 19. 886, C (zu Pıaro Tim. 35, A. 41, Ὁ): 
ἄλλο ἄρα ἑκάτερον, τὸ ἀμέριστον χαὶ μεριστόν. Der höhere Theil der Beele wird 
nach platonischem Sprachgebrauch (Rep. IX, 589, A) auch als der ἔνδον oder 
εἴσω ἄνθρωπος bezeichnet, II, 10 Schl. V, 1, 10. 491,B. Derselben Beseich- 
nung bedient sich bekanntlich auch Philo und das N. T. 


ul — anne αν 5 Mu 


Wesen und Theile der Seele. 517 


in die Leiblichkeit sich erstreckt, die Seele steht in der Mitte zwi- 
schen einem höheren und einem niedrigeren, und ihre Thätigkeit 
richtet sich bald auf dieses, bald auf jenes, bald auf das mittlere 1). 
Die eigentliche Substanz des Menschen jedoch, der wahre Mensch, 
ist nur unsere höhere Natur ®). Durch sie ist unsere Seele der 
Seele des All verwandt und gleichartig °), sie ist die reine Form, 
welche vom Sinnlicben nicht berührt wird *), sie hat die göttliche 
Vernunft nicht blos über sich, sondern zugleich ihrem ganzen 
Umfang nach in sich °); sie bleibt auch während des Zeitlebens im 
Intelligibeln, und lässt nur die niedere Seele, gleichsam an ihr 
hängend, in die Sinnenwelt herabreichen ®). Nichtsdestoweniger 


1) II, 9, 2. 201, B: ψυχῆς δὲ ἡμῶν [sc. θετέον] τὸ μὲν ἀεὶ πρὸς ἐχείνοις τὸ δὲ 
πρὸς ταῦτα ἔχειν, τὸ δὲ ἐν μέσῳ τούτων" φύσεως γὰρ οὕσης μιᾶς ἐν δυνάμεσι πλείο- 
σιν ὁτὲ μὲν τὴν πᾶσαν συμφέρεσθαι τῷ ἀρίστῳ αὐτῆς καὶ τοῦ ὄντος, ὁτὲ δὲ τὸ χέΐρον 
αὐτῆς χαθελχυσθὲν συνεφελχύσασθαι τὸ μέσον. V, 8, 8. 499, A: τοῦτο γὰρ [τὸ λο- 
γιζόμενον) ἡμεῖς, τὰ δὲ τοῦ νοῦ ἐνεργήματα ἄνωθεν οὕτως, ὡς τὰ ἐχ τῆς αἰσθήσεως 
χάτωθεν τοῦτο ὄντες, τὸ χύριον τῆς ψυχῆς, μέσον δυνάμεως διττῆς, χείρονος καὶ 
βελτίονος, χείρονος μὲν τῆς αἰσθήσεως, βελτίονος δὲ τοῦ νοῦ. VI, 7, 6. 698, Β: χαὶ 
ὃ ἐν νῷ ἄνθρωπος [ἔχει ἐν μιμήσει] τὸν πρὸ πάντων τῶν ἀνθρώπων ἄνθρωπον (die 
Idee des Menschen). ἐλλάμπει δ᾽ οὗτος τῷ δευτέρῳ καὶ οὗτος τῷ τρίτῷ.... za ἔστιν 
ἔχαστος καθ᾽ ὃν ἐνεργέΐ (jeder Einzelne ist vernünftig ἃ. 5. f., je nachdem seine 
Thätigkeit von dem vernünftigen u. 8. f. Menschen in ihm ausgeht), χαΐτοι 
πάντας ἔχαστος ἔχει χαὶ αὖ οὐχ ἔχει. III, 4, 3. 284, G: ἔστι γὰρ καὶ πολλὰ ἣ ψυχὴ 
χαὶ πάντα καὶ τὰ ἄνω χαὶ τὰ κάτω αὖ μέχρι πάσης ζωῆς, καὶ ἐσμὲν ἕχαστος χόσμος 
νοητὸς, τοῖς μὲν χάτω συνάπτοντες τῷδε, τοῖς δὲ ἄνω τῷ νοητῷ, καὶ μένομεν τῷ μὲν 
ἄλλω zavı νοητῷ ἄνω, τῷ δὲ ἐσχάτῳ αὐτοῦ πεπεδήμεθα τῷ χάτω οἷον ἀπόῤῥοιαν 
ἀπ᾽ ἐχείνου διδόντες εἷς τὸ χάτω, μᾶλλον δὲ ἐνέργειαν, ἐχείνου οὐχ ἐλαττουμένου. 

4) 1,1,7. 4, F: ἡμεῖς δὲ τὸ ἐντεῦθεν [sc. ἄνωθεν] ἄνω ἐφεστηχότες τῷ ζῴῳ... 
μικτὸν μὲν τὰ χάτω τὸ δὲ ἐντεῦθεν ὃ ἄνθρωπος ὁ ἀληθὴς σχεδόν" ἐχέϊνα δὲ τὸ λεον- 
τῶδες καὶ τὸ ποιχίλον ὅλως θηρίον (Ρματ. Rep. IX, 588, C). 

8) IV, 7, 12 vgl. U, 1,5. 90, E (oben 482, 1): die himmlische Seele und 
unsere Seelen stehen dem Schöpfer zunächst. 

4) I,1,2. 1, Ὁ: εἰ ταὐτόν ἐστι ψυχὴ καὶ τὸ ψυχῇ εἶναι, εἶδός τι ἂν εἴη ψυχὴ 
ἄδεχτον τούτων ἁπασῶν τῶν ἐνεργειῶν, ὧν ἐποιστιχὸν ἄλλῳ U. 5. W. 

5) I, 1, 8 Anf.: πρὸς δὲ τὸν νοῦν πῶς [sc. ἔχει ἣ ψυχή); ... N ἔχομεν καὶ 
τοῦτον ὁπεοάνω ἡμῶν. ἔχομεν δὲ ἢ χοινὸν ἢ ἴδιον ἢ (und diess ist offenbar Plotin’s 
Meinung) χαὶ χοινὸν πάντων καὶ ἴδιον. χοινὸν μὲν, ὅτι ἀμέριστος καὶ εἷς καὶ παντα- 
χοῦ ὁ αὐτὸς, ἴδιον δὲ, ὅτι ἔχει καὶ ἔχαστος αὐτὸν ὅλον ἐν ψυχῇ τῇ πρώτῃ. 

6) VI, 7, δ Schl.: οὗ γὰρ ἐξίσταται τοῦ νοητοῦ [h θειοτέρα ψυχὴ], ἀλλὰ συνα- 
αμένη οἷον ἐχχρεμαμένην ἔχει τὴν χάτω, συμμίξασα ἑαυτὴν λόγῳ πρὸς λόγον. IV, 
8, 8 Anf.: οὐ πᾶσα οὐδ᾽ ἢ ἡμετέρα ψυχὴ ἔδυ, ἀλλ᾽ ἔστι τι αὐτῆς ἐν τῷ νοητῷ ἀεί" τὸ 
δὲ ἐν τῷ αἰσθητῷ u. 6. w. [Π||4, ὃ; u. Anm. 1. 1V, 7, 13; 5. 8. 518, 2. Daher 


518 Plotinus. 


hat Plotin das Wesen dieses höheren nirgends ausführlicher unter- 
sucht, und auch wenn er uns sagt, dass in demselben wieder zwei 
Theile au unterscheiden seien, der Nus und die Seele im engeren 
Sinn, dass dem Nus die unmittelbare Anschauung des Göttliches 
eigne, der Seele das vermittelte Denken, dass die Ideen in jenem 
zur Einheit zusammengefasst seien, in dieser entwickelt und geson- 
dert, dass sich jener zu dieser verbalte, wie die Form zum Stoffe’), 
so kämen wir damit schwerlich viel weiter, wenn uns nicht die 
Analogie des allgemeinen Verhältnisses, welches zwischen des 
Nus und der Seele als metaphysischen Principien stattfindet, und 
die Vergleichung der aristotelischen Lehre vom doppelten Nus 
einige Anhaltspunkte an die Hand gäbe. Auch mit diesen lässi 
sich aber aus der Unklarheit nicht hinauskommen, welche in der 
ganzen Anlage des plotinischen Systems begründet ist, dass der 
Nus zugleich unsere Vernunft und ein über uns stehendes Wesen 
sein soll, und dass die Seele bald in ihrem Unterschiede vom Nas, 
bald in ihrer Einheit mit demselben dem Ich gleichgesetzt wird"). 


IV, 8, 12 Anf., mit Anspielung auf den bekannten homerischen Vers: ἔφθασαν 
μὲν μέχρι γῆς [al ψυχαὶ), κάρα δὲ αὐταῖς ἐστήριχται ὑπεράνω τοῦ οὐρανοῦ. 

1) V, 1,10. 491, A: ὥσπερ δὲ ἐν τῇ φύσει (im Weltganzen) τριττὰ ταῦτά 
ἐστι τὰ εἰρημένα (das Eine, der Nus und die Seele), οὕτω χρὴ νομίζειν καὶ καρ 
ἡμῖν ταῦτα εἶναι... ἔστι τοίνυν καὶ ἣ ἡμετέρα ψυχὴ θεῖόν τι καὶ φύσεως ἄλλης, GEBE 
πᾶσα ἣ ψυχῆς φύσις, τελεία δὲ ἣ νοῦν ἔχουσα. νοῦς δὲ ὁ μὲν λογιζόμενος ὁ δὲ Aoyr 
ζεσθαι παρέχων. τὸ δὴ λογιζόμενον τοῦτο τῆς ψυχῆς... χωριστὸν χαὶ οὐ χεχραμενον 
σώματι ἐν τῷ πρώτῳ νοητῷ τις τιθέμενος οὐχ ἂν σφάλλοιτο' οὐ γὰρ τόπον ζητητόν 
οὗ ἱδρύσοῷεν u. s. w. Vgl. 6. 11. V, 8, 8. 498, C: ψυχὴν del ἐν λογισμοῖς aha: 
(Näheres über diese Stelle später.) V, 9, 3. 557, Ο: ζητήσεις δ᾽ αὖ χαὶ τὴν ψυχὴν 
πότερα τῶν ἁπλῶν ἤδη A ἔνι τι ἐν αὐτῇ τὸ μὲν ὡς ὕλη τὸ δὲ ὡς εἶδος, ὁ νοῦς dh 
αὐτῇ. I,1,8 (nach dem 8. 617, ὅ angeführten): ἔχομεν οὖν καὶ τὰ εἴδη διχῶς, ἐν ρὲν 
ψυχῇ οἷον ἀνειλιγμένα καὶ οἷον χεχωρισμένα, ἐν δὲ νῷ ὁμοῦ πάντα. Wenn in der 
ersten von diesen Stellen eine Dreiheit geistiger Kräfte gezählt wird, so g* 
schicht diess nur wegen der Parallele mit deu drei metaphysischen Principies, 
es entsteht aber dadurch eine offenbare Verwirrung, denn das λογίζεσθαι im 
eigentlichen Sinn ist nioht Sache des νοῦς. 

2) M. vgl. unter den im vorhergehenden angeführten Stellen einerseils 
11, 9, 2. II, 4, 3. 1,1, 1, VI, 7,5. IV,8,8. V, 1,10. I, 1, 8, andererseits ἧι 
8, 8 und IV, 7, 18: ὅσος μὲν νοῦς μόνος, ἀπαθὴς dv τοῖς νοητοῖς ζωὴν μόνον νοερὰν 
ἔχων dxdl ἀὲὶ μένει. οὐ γὰρ ἕνι ὁρμὴ οὐδ᾽ ὄρεξις. ὃ δ᾽ ἂν ὄρεξιν προςλάβη ἐφεξῆς ἐχεύνῳ 
τῷ νῷ dv, τῇ προςθήχῃ τῆς ὀρέξεως οἷον πρόεισιν ἤδη ἐπιπλέον καὶ χοσμεῖν ὀρεγόμενον 
καθ᾽ ἃ ἐν νῷ εἶδεν... ποιεῖν σπεύδει καὶ δημιουργεῖ, Richtet sich nun dieser Trieb 
auf das Ganze (denn diess soheint die Meinung des lückenhaften Textes), Ν᾽ 


Seele und Leib. 819 


Wie ist es nun aber möglich, dass aus diesem durchaus über- 
sinnlichen Wesen und aus dem Leibe Ein lebendiges Ganzes wird, 
und wie haben wir uns die Erscheinungen dieser Einheit, die sinn- 
liche Empfindung, die Begierde u. 5. f., zu erklären ? Diese Fra- 
gen waren für Plotin nicht ganz leicht zu beantworten, denn durch 
seinen einseitigen Spiritualismus hat er sich wirklich die Mittel zu 
ihrer genügenden Lösung abgeschnitten. Indessen wissen wir 
bereits, wie er der gleichen Schwierigkeit bei der allgemeineren 
Untersuchung über die Verbindung der übersinnlichen mit der sinn- 
lichen Welt zu entgehen sucht, indem er auf eine substantielle 
Gegenwart des Intelligibeln im Sinnlichen verzichtet, dafür aber 
beide als Ursache und Wirkung verknüpft sein lässt. Den glei- 
chen Ausweg schlägt er auch hier ein. Die Seele geht ihm 
zufolge nicht selbst in den Körper ein, sondern sie lässt nur eine 
Art von Licht oder Wärme von sich ausgehen, wodurch der Leib 
belebt, und zu einem Abbild des körperlosen Menschen gestaltet 
wird '). Fragen wir daher, auf welche Art die Seele im Leib ist, 


bleibt die Seele ausser der Sinnenwelt bei der Seele des Weltganzen, und 
sorgt mit ihr für das All; μέρος δὲ διοιχέϊν βουληθεῖσα μονουμένῃ χαὶ ἐν ἐχείνῳ 
γιγνομένη ἐν ᾧ ἐστιν, οὐχ ὅλη οὐδὲ πᾶσα τοῦ σώματος γενομένη, ἀλλά τι καὶ ἕξω 
αώματος, ἔχουσα... ὁρμηθεῖσα μὲν ἀπὸ τῶν πρώτων, εἰς δὲ τὰ τρίτα προελθοῦσα νοῦ 
ἐνεργείᾳ, νοῦ μένοντος ἐν τῷ αὐτῷ χαὶ διὰ ψυχῆς πάντα χαλῶν πληροῦντος καὶ διαχοσ- 
μοῦντος. Sehr bezeichnend spricht sich die Unklarheit des Verhältnisses von 
Beole und Nus V, 8, 8. 498, D aus: τί οὖν κωλύει ἐν ψυχῇ νοῦν χαθαρὸν εἶναι; 
οὐδὲν, φήσομεν. ἀλλ᾽ ἔτι δέί λέγειν ψυχῆς τοῦτο; (ist dieses, der reine Nus, noch 
ein Theil der Seele? — so nämlich, als Frage, sind die Worte zu fassen.) 
ἀλλ᾽ οὐ ψυχῆς μὲν, φήσομεν, ἡμέτερον δὲ νοῦν φήσομεν, ἄλλον μὲν ὄντα τοῦ διανοου- 
μένου καὶ ἐπάνω βεβηχότα, ὅμως δὰ ἡμέτερον, χαὶ εἰ μὴ συναριθμοῖμεν τοῖς μέρεσι 
τῆς ψυχῆς ἢ ἡμέτερον καὶ οὐχ ἡμέτερον διὸ καὶ προςχρώμεθα αὐτῷ χαὶ οὐ προς- 
χρώμεθα, διανοίᾳ δὲ ἀεί (der διάνοια, der Reflexion, bedienen wir uns immer, 
des Nus nicht immer)" καὶ ἡμέτερον μὲν χρωμένων, οὐ προςχρωμένων δὲ οὐχ Fud- 
τερον. Dieses κροςχρῆσθαι aber bestehe nicht darin, daag wir der Nus werden, 
sondern darin, dass wir τῷ λογιστικῷ πρώτῳ δεχομένῳ ihm nachsprechen (κατ᾽ 
ἐχεῖνον φθέγγεσθαι), was er über uns stehend (8. ο. 517, 1) uns mittheile — 
Der Nus soll ung also gehören und nicht gehören, er soll kein Theil unserer 
Beele und doch unser Nus sein. Das Verhältniss des νοῦς zur διάνοια wird 
später besprochen werden. 

1) 1,1,7 Anf.: wie kann das aus Seele und Leib zusammengesetste (τὸ 
συναμφότερον) bewegt werden, wenn die Seele als solche es nicht wird? ἢ τὸ 
συναμφότερον ἔσται τῆς ψυχῆς τῷ παρεῖναι, οὐχ αὑτὴν δοῦσαν τῆς τοιαύτης εἰς τὸ 
συναμφότερον ὃ εἷς θάτερον, ἀλλὰ ποιοῦσαν dx τοῦ σώματος τοῦ τοιούτου καί τινος 


»Ἥ) Ἢ 


530 Plotinus. 


so antwortet Plotin: sie ist in ihm nicht so, wie der Körper m 
Raume, nicht so, wie die Eigenschaft im Substrat, nicht so, wie der 
Theil im Ganzen, oder das Ganze in den Theilen, nicht so endlich, 
wie die sinnliche Form in der Materie; sie ist vielmehr in ike, 
wie die wirkende Kraft in ihrem natürlichen Organ '), oder wie 
das Feuer in der erwärmten und beleuchteten Luft; wesshalb es 
allerdings genauer wäre, wenn man nicht sagte, die Seele sei 
Leibe, sondern der Leib sei in der Seele 9. Und da nun weder 
alle Kräfte der Seele von der Art sind, um auf denLeib zu wirken, 
noch auch alle Theile des Leibes der gleichen seelischen Einwir- 
kung bedürfen, so kann, strenggenommen, nur die Gegenwart 
gewisser psychischer Kräfte, theils im ganzen Leib, theils in 
bestimmten Organen behauptet werden 5). Doch will Plotin damit 
nicht eine wirkliche Vertheilung der Seele an die verschiedenen 
Organe lehren, sie soll vielmehr immer als Ganzes wirken, wens 
auch nicht jedes Organ alle ihre Kräfte aufnehmen kann ?). 


οἷον φωτὸς τοῦ παρ᾽ αὐτὴν δοθέντος τὴν τοῦ ζῴου φύσιν ἕτερόν τι, οὗ τὸ αἰσθάνεσθει 
χαὶ τὰ ἄλλα ὅσα ζῴου πάθη εἴρηται. Vgl. ο. 8. δ, B (von der Weltseele): φαν- 
τάζεται τοῖς σώμασι παρέϊναι ἐλλάμπουσα el; αὐτὰ χαὶ ζῷα ποιοῦσα οὐχ ἐξ αὐτῆς κα 
σώματος, ἀλλὰ μένουσα μὲν αὐτὴ εἴδωλα δὲ αὑτῆς διδοῦσα ὥσπερ πρόςωπον ἐν πολ’ 
λοῖς κατόπτροις. πρῶτον δὲ εἴδωλον αἴσθησις ἢ ἐν τῷ χοινῷ " εἶτα ἀπὸ ταύτης αὖ πᾶν 
ἄλλο γένος λέγεται ψυχῆς ἕτερον ἀφ᾽ ἑτέρου ἀεὶ καὶ τελευτᾷ μέχρι γεννητιχοῦ καὶ αὖ- 
ξήσεως. VI, 4, 16. 657, Ο: σώματος... τῇ" οἷον γειτονείᾳ καρπωσαμένου τι ἔχνος 
φυχῆς, οὐχ ἐχείνης μέρους, ἀλλ᾽ οἷον θερμασίας τινὸς ἢ ἐλλάμψεως ἐλθούσης. V, 1, ὅ. 
697, Β: 4 δὲ ψυχὴ... ἅτε οὖσα... ἄνευ τοῦ σώματος ἄνθρωπος ἐν σώματι δὲ μορ- 
φώσασα καθ᾽ αὑτὴν, χαὶ ἄλλο εἴδωλον ἀνθρώπου ὅσον ἐδέχετο τὸ σῶμα ποείσασα. 
Vgl. 8. 522, 1. 

1) Bo schon Aristoteles; vgl. Bd. II, b, 876 ἢ 

2) IV, 8, 20—28; vgl. besonders co. 21. 888, A: τὴν ψυχὴν ἐν τῷ σώματι 
εἶναι ὡς dv ὀργάνῳ φυσιχῷ. ο. 22, Anf.: φατέον, ὅταν ψυχὴ σώματι παρῇ, παρέξνα: 
αὐτὴν ὡς τὸ πῦρ πάρεστι τῷ ἀέρι" καὶ γὰρ αὖ χαὶ τοῦτο παρὸν οὗ πάρεστι καὶ δι' 
ὅλου παρὸν οὐδενὶ μέγνυται καὶ ἔἕστηχε μὲν αὐτὸ τὸ δὲ παραῤῥεί͵ καὶ ὅταν ἔξω γένητα: 
τοῦ ἐν ᾧ τὸ φῶς ἀπῆλθεν οὐδὲν ἔχον... ὥστε ὀρθῶς ἔχειν καὶ ἐνταῦθα λέγειν ὡς ὃ 
ἀὴρ ἐν τῷ φωὴ ἥπερ τὸ φῶς ἐν τῷ ἀέρι. ΥἹ, 4,16: das Sein der Neele im Leibe ist 
nicht räumlich zu verstehen, die Seele bleibt an ihrem Ort, nur der Leib ist 
es, der an ihr Antheil bekommt, aber doch ist diese Verbindung mit dem 


Leibe vom Uebel, weil sie wesentlich eine Beschränkung ihrer Wirksamkeit 
auf den Leib ist. Vgl. hiesua 8. 479. 
8) IV, 8, 22 f. 


4) IV, 8, 8: die Einzelseelen sind nicht in derselben Weise Theile der 
allgemeinen Beole, wie etwa die Seele im Finger ein Theil von der gansen 


Seele und Leib; Seelenthätigkeiten. 531 


Indessen sind hiemit noch nicht alle Schwierigkeiten gelöst, 
selbst wenn man die Denkbarkeit dieser Bestimmungen zugiebt. 
Die Seele wirkt im Leib und durch den Leib, aber wer ist das 
eigentliche Subjekt dieser Wirkung? Der Leib als solcher kann 
es nicht, oder wenigstens nicht allein sein, denn Empfindung, Be- 
gierde u. s. f. sind keine blos körperlichen Bewegungen ; ebenso- 
wenig scheint es aber auch die Seele sein zu können, denn wie 
sollte sie von körperlichen Zuständen berührt werden ? Plotin 
kann nicht umhin, diess selbst zu bemerken. Da die Seele, sagt 
er 1), bei ihrer Einwirkung auf den Körper doch für sich bleibt, 
so kann kein Uebles, was der Mensch thut oder leidet, auf sie 
zurückgeführt werden ; überhaupt aber kann dem Unkörperlichen 
kein Leiden zukommen, und auch der sogenannte leidende Theil 
der Seele macht hievon keine Ausnahme, denn auch er ist eine 
immaterielle Form (ein εἶδος), einer Form aber können wir kei- 
nerlei Unordnung oder Leiden beilegen 3). Wie sind dann aber 
die leidentlichen Zustände, die Affekte, die Begierden, die Empfin- 
dungen zu erklären ? Die Antwort Plotin’s ist in allen diesen Fäl- 
len eine und dieselbe: blos der Körper soll leiden, die Seele nicht 
selbst leiden, sondern nur das, was in ihm vorgeht, wahrnehmen. 
Wenn wir körperliche Lust oder Unlust empfinden, so ist es nur 
der Leib und das animalische Lebensprincip’®), worin diese Zustände 
sind, die Seele hat von denselben eine leidenslose Wahrnehmung: 
die Unlust entsteht, wenn eine Losreisung des Körpers von der 
Seele, die Lust, wenn eine Verbindung des Körpers mit der Seele 
wahrgenommen wird ; was diese Zustände wahrnimmt, ist die 
Seele, das Subjekt derselben dagegen ist nur das aus dem Leib 
und dem Schattenbild der Seele zusammengesetzte : in diesem 


Seele des Menschen genannt werden könnte; denn im letztern Fall (874, B) 
ἣ αὐτὴ πανταχοῦ ἔσται ἣ ὅλη, μία καὶ ἣ αὐτὴ dv πολλοῖς ἅμα οὖσα. Es entstehe 
daher hier keine wirkliche Theilung, ἐπεὶ χοὶ οἷς ἄλλο ἔργον τῷ δὲ ἄλλο, οἷον 
ὀφθαλμσίς χαὶ ὠσὶν, οὐ μόριον ἄλλο ψυχῆς ὁράσει ἄλλο δὲ ὡσὶ λεχτέον παρεῖναι 
(ἄλλων ὃὲ τὸ μερίζειν οὕτως) ἀλλὰ τὸ αὐτὸ, χἂν ἄλλη δύναμις ἐν ἑχατέροις ἐνεργῇ 
εἰσὶ γὰρ ἐν ἀμφοτέροις ἅπασαι, τῷ δὲ τὰ ὄργανα διάφορα εἶναι διαφόρους τὰς ἀντι- 
λήψεις γίνεσθαι u. 5. w. IV, 2, 1 Bchl. 5. ο. 479, 1. 

1) I, 1, 9 Anf. 

4) III, 6, 1.4. Der Titel dieser Schrift lautet: π. ἀπαθείας τῶν ἀσωμάτων. 

8) „Diax‘! vgl. 8. 519, 1. 488, 1. Die Bedeutung des Worts schliesst 
sich an den stoischen Sprachgebrauch (1. Abth. 8. 178, 1) an. 


838 Plotinus. 


entsteht Schmerz, wenn seine Zusammensetzung zerrissen, Lus, 
wenn sie befestigt wird 1). Dasselbe gilt von der sinnlichen 
Wahrnehmung : nicht die sinnlichen Dinge selbst sind es, die von 
der Seele wahrgenommen werden, sondern nur die Eindrücke, 
welche die Dinge auf ihre Sinnlichkeit hervorgebracht haben ἢ), 
und eben desshalb bedarf sie der Sinneswerkzeuge, als des vermil- 
telnden (μέσον ἀνάλογον) zwischen ihr selbst und dem Objekt, weil 
sie für sich vom Körperlichen nicht aflicirt werden kann °). Die 
Wahrnehmung ist daher nicht ein Abdruck der Gegenstände in der 
Seele, sondern ein Innewerden der von ihnen bewirkten sinnlichen 
Zustände, und die Seele selbst verhält sich darin nicht leidend, 
sondern thätig, wie immer *). Erst mit dem Gedächtniss treten 
wir in den Kreis der Thätigkeiten ein, welche derSeele allein ange- 
hören; es beruht nämlich nach Plotin nicht auf dem Zurückbleiben 
sinnlicher Eindrücke, sondern auf einer geistigen Thätigkeit ὅλ 
Aber doch kommt es nur solchen Wesen zu, welche einem Wechsel 
und einem Zeitleben unterworfen sind, und nicht das Denken, 
sondern die Einbildungskraft (pavractıxöv) ist das Seelenvermö- 
gen, dem es angehört; es ist aber eine doppelte Einbildungskraft 
zu unterscheiden, die der niederen und die der höheren Seele; 
jene bewahrt die sinnlichen Bilder, diese die Gedanken; unserem 


1) IV, 4, 18. α. 19 Anf.: εἶναι μὲν ἀλγηδόνα γνῶσιν ἀπαγωγῆς σώματος Ir 
δάλματος ψυχῆς στερισχομένου, ἡδονὴν δὲ γνῶσιν ζῴου ἰνδάλματος ψυχῆς ἐν σώματι 
ἐναρμοζομένου πάλιν ad. ἐχέϊ μὲν οὖν τὸ πάθος͵ ἢ δὲ γνῶσις τῆς αἰσθητιχῆς ψυχῆς... 
καὶ ἠλγύνθη μὲν ἐχέϊνο (λόγω δὲ τὸ ἠλγύνθη τὸ πέπονθεν dxeivo) ... ἤσϑετο δὲ ἡ ψυχὴ 
παραλαβοῦσα τῷ ἐφεξῆς οἷον κείσθαι" πᾶσα δὲ ἤσϑετο τὸ Exit πάθος οὐκ αὐτὴ ze- 
θοῦσα. 

2) 1,1, 7. 4, Ε: τὴν δὲ τῆς ψυχῷς τοῦ αἰσθάνεσθαι δύναμιν οὐ τῶν αἰσθητῶν 
εἶναι Bel, τῶν δὲ ἀπὸ τῆς αἰσθήσεως ἐγγινομένων τῷ ζώῳ τύπων ἀντιληκτιχὴν aber 
μᾶλλον, νοητὰ γὰρ ἤδη ταῦτα. 

8) IV, 4, 38. 416, A. 

4) III, 6, 2. 805, A. IV, 6, 1 f., besonders c. 2 Anf.: τοῦτο γὰρ δυνάμεως, 
οὗ τὸ παθέϊν, ἀλλὰ τὸ δυνηθῆναι χαὶ dp’ ᾧ τέταχται ἐργάσασθαι. Gesicht, Gehör 
τι. 8. f. sind nicht πείσεις, sondern ἐνέργειαι περὶ ὃ ἔνεισι, es sind (458, C) τὰ μὲν 
πάθη, τὰ 8', ὅσα αἰσθήσεις αὐτῶν χαὶ χρίσεις, τῶν παθῶν εἰσι γνώσεις ἄλλαι τῶν 
παθῶν οὖσαι. Fragt man freilich weiter, ao kommt man auf sehr unsuläng- 
liche Vorstellungen, wenn Plotin bier z. B. über das Hören sagt, durch die 
Stimme werden gewisse Figuren in der Luft gebildet, welche die Seele leer. 

5) IV, 6, 8. 


Seele und Leib; Seelenthätigkeiten. 533 


Bewusstsein verbirgt sich jedoch diese Zweiheit fast durchaus ?). 
Dagegen gehört die sinnliche Begierde (ἐπιθυμία) wieder zu jenen 
Erscheinungen, die zwischen seelischem und leiblichem zweideutig 
in der Mitte stehen. Der Leib für sich würde überhaupt kein 
Verlangen empfinden, die Seele für sich kein Verlaugen nach 
sinnlichem ; dieses kann ursprünglich nur dem Leibe zukommen, 
welcher durch seine Verbindung mit der Seele mehr als blos kör- 
perliche Bewegungen erhalten hat. Durch diese Bewegung des 
Leibes erzeugt sich ein Begehren in dem benachbarten untersten 
Theil der Seele (ἡ ψυχὴ ἡ ἐγγὺς, Av δὰ φύσιν φαμὲν τὴν δοῦσαν τὸ 
ἄχνος). Die Wahrnehmung dieses Begehrens bringt in der_Chöhe- 
ren) Seele eine Vorstellung hervor, in Folge deren sie nun die 
Begierde entweder befriedigt oder zurückdrängt. Das leidende 
ist auch hier nur der Körper, die Begierde selbst aber entsteht in 
dem sinnlichen Theile der Seele (der φύσις) in Folge seiner Sorge 
für den so aflicirten Körper 5. Der körperliche Hauptsitz der 
Begierde ist (nach Plato) in der Gegend der Leber °). Aehnlich 
verhält es sich mit dem Muthe (θυμὸς), dem Plotin, mit Plato, im 
Herzen seinen Sitz anweist, ohne im übrigen der platonischen 
Beschreibung desselben etwas erhebliches beizufügen. Seine eigen- 
thümliche Aeusserung ist der Zorn; mag dieser nun aber in letzter 
Beziehung aus körperlichen Zuständen oder aus dem Gedanken 
an ein erlittenes Unrecht entspringen, so besteht er doch immer 
zunächst in einer Erregung des Blutes und der Galle, welche ent- 
weder von der Seele empfunden wird, und in dieser ein Wider- 
streben gegen die Ursache des unangenehmen körperlichen Zustan- 
des hervorruft, oder welche umgekehrt ihrerseits durch die Vor- 
stellung des Unrechts hervorgerufen wird *). Aber auch die 
höheren Thätigkeiten der ethischen Tugend werden nur dem Ge- 
meinsamen, nicht der Seele für sich beigelegt °), und ebendahin 


1) Näheres hierüber IV, 8, 25--82, eine Untersuchung, welche, wie 
Plotin’s psychologische Er&rterungen überbaupt, im einzelnen manche traf- 
fende Wahrnehmung liefert. 

3) IV, 4, 20. 

8) IV, 4, 28. 420, C. 

4) A. a. Ο. 420, C fl. 

5) 1, 1, 10. 6, B: al δὲ ἀρεταὶ αἱ μὴ φρονήσει düscı δὲ ἐκιγινόμεναι καὶ ἀσχή- 
σεσι τοῦ χοινοῦ" τούτοῦ γὰρ αἱ καχίαι, ἐπεὶ χαὶ φθόνοι χαὶ ζῆλοι καὶ ἔλεοι. 


534 Plotinus. 


müssen wir, scheint es, den Ursprung des Selbstbewusstseins ver- 
legen. Denn so nachdrücklich auch Plotin ausführt, dass es dem 
Nus ursprünglich zukomme, sich selbst zu denken '), so sagt er 
doch auch wieder: der Nus und die höhere Seele könne wirken, 
wenn wir uns dessen auch nicht bewusst seien, denn das Bewusst- 
sein sei nur der Reflex der Geistesthätigkeit im Wahrnehmungs- 
vermögen, und daher durch diese sinnliche Seite der Seele ver- 
mittelt 3. Wird endlich die Seele als solche auch von der Schuld 
des Irrthums befreit, und nur das „Gemeinsame“ damit belastet 5), 
so erhellt nur um so mehr, welche Rolle dieses Gemeinsame hier 
spielt; nur um so unerklärlicher wird es aber freilich auch, dass 
die Seele eine Verbindung mit dem ihr so fremdartigen Körper 
eingeht, und dass aus dieser Verbindung gemeinsame Lebenszu- 
stände entstehen, für die doch weder der Leib noch die Seele das 
eigentliche Subjekt sein soll. 

Wurzeln diese Schwierigkeiten in Plotin’s System zu tief, 
als dass ihm ihre Ueberwindung möglich sein konnte, so scheint 
dieser an einem andern Punkte, bei der Frage nach dem freien 


1) V,3, 1.0.3 f. vgl. 8. 459, 6. 461, 1. 

2) I, 4, 9 Sohl.: ἐνεργοῦντος ἐχείνοῦ [τοῦ νοῦντος] ἐνεργσΐμεν ἂν ἡμεῖς. (c. 10) 
λανθάνει δὲ ἴσως τῷ μὴ περὶ ὁτιοῦν τῶν αἰσθητῶν" διὰ γὰρ τῆς αἰσθήσεως Game μέ: 
σης περὶ ταῦτα ἐνεργέϊν del καὶ περὶ τούτων. αὐτὸς δὲ ὃ νοῦς διὰ τί οὐχ ἐνεργήσει καὶ ἡ 
ψυχὴ περὶ αὐτὸν ἢ πρὸ αἰσθήσεως καὶ ὅλως ἀντιλήψεως ; SE γὰρ τὸ πρὸ ἀντιλήψεως 
ἐνέργημα εἶναι, εἴπερ τὸ αὐτὸ τὸ νοέϊν καὶ εἶναι. χαὶ ἔουιεν I ἀντίληφις εἶναι καὶ γίνεο- 
θαι ἀναχάμπτοντος τοῦ νοήματος χαὶ τοῦ ἐνεργοῦντος τοῦ χατὰ τὸ ζῆν τῆς ψυχῆς οἷον 
ἀπωσθέντος πάλιν ὥσπερ ἐν χατόπτρῳ. Wie nun der Gegenstand um nichts we- 
niger wirklich ist, wenn der Spiegel weggenommen wird, so finde auch die 
Tbätigkeit der Seele um nichts weniger statt, wenn der Spiegel des Selbet- 
bewusstseins durch körperliche Störungen zerschlagen werde. Vgl. IV, 4, 4. 
899, B. M. vgl. hiemit, was Plotin über den Zustand der Ekstase und das 
Leben nach dem Tode sagt. 

8) I, 1, 9: wenn die Seele als solche fehlerlos ist, wie ist ein Irrthum 
und ein fehlerhaftes Handeln möglich ? Die Antwort (5, D) lautet: 4 τῶν ψευ- 
δῶν λεγομένη διάνοια, φαντασία οὖσα, οὐχ ἀνέμενε τὴν τοῦ διανοητικοῦ plan... 
ὃ δὲ νοῦς A ἐφήψατο [sc. τοῦ πράγματος] ἢ οὔ, ὥστε ἀναμάρτητος" (er hat entweder 
eine Vorstellung von der Bache, oder er hat keine, aber er hat keine falsche 
Vorstellung über sie;) ἢ οὕτω δὲ λεχτέον ὡς ἡμεῖς A ἐφηψάμεθα τοῦ ἐν τῷ νῷ von 
τοῦ ἣ οὗ, ἢ τοῦ ἐν ἡμῖν... Die Thätigkeit der höheren Sevle ist nur das Den- 
ken; al δὲ τροπαὶ χαὶ ὃ θόρυβος ἐν ἣμῖν παρὰ τῶν συνηρτημένων καὶ τῶν τοῦ χοινοῦ 
(ὃ τι δήποτέ ἐστι τοῦτο) παθημάτων. 


Selbstbowusstsein; Willensfreiheit. 535 


Willen, die Schwierigkeiten, trotz aller früheren Verhandlungen 
über diesen Gegenstand, theils.gar nicht, theils nur unvollständig, 
bemerkt zu haben. Dass der Wille frei, dass die Tugend herren- 
los sei, dass jeder die Schuld seiner Handlungen selbst trage, diess 
ist Plotin, wie der ganzen platonischen Schule, eine der gewissesten 
und wichtigsten Wahrheiten !), eine Thatsache, welche im Wesen 
des Menschen so unmittelbar begründet ist, dass er geradezu be- 
hauptet, ohne den freien Willen wären wir keine Menschen, keine 
selbständigen und selbstthätigen Subjekte, sondern nur von aussen 
bewegte Theile des Weltganzen ?). Aber seine weiteren Unter- 
suchungen auf diesem Gebiete sind nicht sehr gründlich ausgefallen. 
Die Frage nach der Vereinbarkeit der Freiheit mit der Vorsehung 
oder dem Weltzusammenhang wird nur sehr im allgemeinen mit 


der Bemerkung beantwortet: die Tugend sei frei, aber ihre Werke 


seien in den Zusammenhang des Ganzen mitverflochten °), jeder 
spiele seinen eigenen Charakter, aber er werde von dem Dichter 
des Weltdrama’s genau in der Rolle verwendet, für die er am 
besten tauge *). Ferner wiederholt sich auch bei Plotin der Wider- 
spruch der platonischen Lehre, dass zwar die Tugend herrenlos 
und das Böse selbstverschuldet sein soll, dass aber doch zugleich 
gesagt wird, alles Böse sei unfreiwillig, und nur das vernünftige 
Handeln sei ein freies °), ja strenggenommen habe die Freiheit 
nur in der reinen, gar nicht auf’s Handeln gerichteten Vernunft- 
thätigkeit ihren Sitz ©); und es wird kaum genügen, wenn zur 


1) M. vgl. z. B. II, 8, 9. 16. 142, B. 145, G. IV, 4, 39 Anf. III, 1,7 ὦ, 
wo die platonischen Aussprüche: ἀρετὴ ἀδέσποτον, αἰτία ἑλομένου u. 8. f. wie- 
derbolt werden. 

2) 111, 1,4. 281,C: wenn alles der Nothwendigkeit unterworfen ist, ἕν ἔσται 
τὰ πάντα. ὥστε οὔτε ἡμέῖίς ἡμεῖς οὔτε τι ἡμέτερον ἔργον, οὐδὲ λογιζόμεθα αὐτοὶ, ἀλλ᾽ 
ἑτέρου λογισμὺς τὰ ἡμέτερα βουλεύματα, οὐδὲ πράττομεν ἡμεϊς u. 8. w. 6. ὅ. 281, F 
(gegen astrologischen Fatalismus): πρὸς δὴ ταῦτα πρῶτον μὲν ἐχεῖνο ῥητέον, ὅτι 
χροὶ οὗτος... ἐχείνοις ἀνατίθησι τὰ ἡμέτερα, βουλὰς καὶ πάθη χαχίας τε καὶ ὁρμὰς, 
ἡμῖν δὲ οὐδὲν διδοὺς λίθοις φερομένοις καταλείπει εἶναι ἀλλ᾽ οὐχ ἀνθρώποις ἔχουσι 
καρ᾽ αὑτῶν xal ἐκ τῆς αὑτῶν φύσεως ἔργον. 

8) IV, 4, 89 8. 0. 510, 1. 

4) ΠΙ, 2, 17 ziemlich weitläufig ausgeführt. 

5) 1,8, δ. 75, E. III, 1, 9 £. III, 2, 10 Anf. VI, 8,8. ο. 7 Anf. Das ganze 
achte Buch der sechsten Enneade handelt über das ἐφ᾽ ἡμῖν, sunächst mit Be- 
siehung auf die Frage, ob den Göttern freier Wille beizulegen sei. 

6) Υ͂Ι], 8, ὅ. 0.7 Anf. 


528 Plotinus. 


Lösung dieses Widerspruchs bemerkt wird: wer seiner Natur folge, 
sei frei, denn er sei von keinem anderen abhängig, wer nach dem 
Guten strebe, der thue diess immer freiwillig 1), andererseits kebe 
aber die Unfreiwilligkeit des Fehlers die eigene Urheberschaft des 
Thäters nicht auf, dieser sei schuldig, weil er das Böse selbst thue?). 
Wenn wir endlich bei Plato und Aristoteles eine genauere Bestin- 
mung darüber vermisst haben, welchem Theil der Seele der freie 
Wille eigentlich angehört, so setzt uns auch Piotin hierüber nicht 
in’s klare. Sofern wir an der Identität des freien mit dem ver- 
nünfligen festhalten, müsste der freie Wille schon der körperlosen 
Seele zukommen, und hiemit würde es wohl ühereinstimmen, dass 
die Seelen vor dem Eintritt in einen Leib ihre Lebensloose mit Frei- 
heit wählen sollen. Anderntheils will es aber hiezu nicht passen, 
dass gerade das Böse vorzugsweise auf den freien Willen ge- 
schoben wird Ὁ, denn die Seele als solche soll ja irrthums- und 
fehlerlos sein. So sitzen wir auch hier am Ende zwischen dea 
zwei Stücken nieder, in welche die Einheit des menschlichen We- 
sens unserem Philosophen immer wieder auseinanderbricht 9). 


1) VI, 8, 4. 787, B. 

3) III, 2, 10. | 

8) Ζ. Β. II, 1, 4 Schl.: ἀλλὰ γὰρ dei χαὶ ἔχαστον ἔχαστον εἶναι χαὶ πράξας 
ἡμετέρας χαὶ διανοίας ὑπάρχειν καὶ τὰς ἑχάστου καλάς τε καὶ αἰσχρὰς πράξεις καρ 
ἑαυτοῦ ἑχάστου, ἀλλὰ μὴ τῷ πανὰ τὴν γοῦν τῶν αἰσχρῶν ποίησιν ἀνατιθέναι. Vgl 
die Nachweisungen, die früher aus Anlass der Theodicee gegeben wurden. 

4) Einige weitere psychologische Bestimmungen werden uns, wie b* 
merkt, später noch begegnen. Eine sehr sorgfältige Zusammenstellung der 
plotinischen Lehre von den verschiedenen Seelenvermögen giebt VacHzaot 
I, 545 ff. Doch legt derselbe, wie ich glaube, unserem Philosophen eine sa 
entwickelte und zu fest schematisirte Theorie bei, und auch der neuplatonr 
sohen Schule überhaupt lässt sich das psychologische Bohema nicht zuschrei- 
ben, in dem Vacazaror III, 360 ihre Seslenlehre zusammenfasst: 1) Vermögen 
des Leibes: Bewegung, Ernährung, Reproduktion, Leiden; 2) Vermögen des 
animalischen Princips (ζῷον): Begierde, Binnesempfindung; 8) Vermögen der 
Seele: Einbildungskraft, Gedächtniss,. Meinung, Beflexion (λογισμὸς), Ver 
nunft, Wille; 4) Vermögen des Nus: Denken, Contemplation; δ) Vermögen 
des Göttliohen im Menschen: die Liebe, die Ekstase. Ein Theil dieser s0g. 
Vermögen bezeichnet gar keine Vermögen, sondern Thätigkeiten, bei anderz 
ist die Ordnung, in der sie aufgeführt werden, willkührlioh und unlogisch; 
wie kann endlich das obige Schema der alexandrinischen Schule schlechtwsg 
beigelegt werden, da die Vertruter dieser Schule unter einander in dieser Br 


siehung gar nicht durchaus übereinstimmen ἢ 
8 


Unsterblichkeit. 587 


Kommt es aber selbst während des irdischen Lebens zu keiner 
wahren Einheit der Bestandtheile, aus denen der Mensch zusam- 
mengesetzt ist, so werden diese mit dem Ende desselben unmittel- 
bar wieder auseinandergehen, und es wird 


8. die Rückkehr der Seele aus der sinnlichen in die übersinnliobe Welt 


erfolgen. 

Es ist diess eine einfache Folge aus allem bisherigen. War 
die Seele vor diesem Leben ohne den Körper, so wird sie auch 
nach demselben ohne ihn sein können, und ist das gegenwärtige 
Leben eine Störung ihres ursprünglichen Zustandes, so werden 
wir in dem Verlassen dieses Lebens nur die Rückkehr in ein 
höheres und naturgemässeres Dasein erblicken können. Insofern 
konnte sich Plotin, von seinem Standpunkt aus, aller Beweisführung 
für ein Fortleben nach dem Tode entschlagen. Indessen hat er 
nicht unterlassen, auch dieser Forderung in einer eigenen Schrift) 
zu genügen, für die ihm aber freilich Plato wenig neuen Stoff 
übriggelassen bat: er zeigt ausführlich, dass die Seele nichts kör- 
perliches, mithin auch nichts zusammengesetztes, mithin unauflös- 
lich sei 3); er wiederholt die platonischen Sätze von der Unver- 
gänglichkeit dessen, was Princip des Lebens und der Bewegung 
ist (c. 9); er verweist uns auf diejenigen Zustände und Thätig- 
keiten, in denen die Seele ihr Wesen rein darstelle, und ihre Ver- 
wandtschaft mit dem Göttlichen, ihr Heimathrecht in einer höheren 
Welt beurkunde (c. 10); er bemerkt endlich, wenn alle Seelen 
sterblich wären, so müsste längst alles in’s nichts zurückgesunken 
sein, sei aber irgend eine, z. B. die Weltseele, unsterblich, so 
müsse es unsere Seele, da sie gleiches Wesens sei, auch sein 
Cc. 12). So wesentlich es aber hienach der Seele ist, unsterblich 
zu sein, so undenkbar ist eine Wiederherstellung des Körpers, eine 
Verewigung des Kerkers, in dem sich die Seele jetzt befindet; 
wesshalb wir es ganz in der Ordnung finden werden, wenn der 


- --..ὦὁὄἜοδΨ te ..ἍΨὕ. 


1) x. ἀθανασίας ψυχῆς. Enn. IV, 7. 
| 2) Α. ἃ. Ο. c.2—8. vgl. c. 11. 12. I, 1,2, wo die Unsterklichkeit der 
; Beele aus ihrer Leidenslosigkeit, und diese daraus bewiesen wird, dass sie 
' reine Form ist. 


ὁ 
| 


| 


538 Plotinus.. 


Auferstehungsglaube unserem Philosophen nicht weniger anstössg 


ist, als er der griechischen Denkweise überhaupt war !). 

Anders verhält es sich mit der verwandten Lehre, welche 
Plotin von Plato und den Pythagoreern entlehnt hat, der Lehre 
von der Seelenwanderung. Diese passt vollkommen in sein SY- 
stem. Wie die Seelen ursprünglich durch ihre Neigung zum Sinn- 
lichen in die Leiber herabgezogen worden sind, so werden auch 
beim Austritt aus dem Leibe diejenigen Seelen, welche sich vor 
der Anhänglichkeit an die Sinnenwelt nicht befreit haben, natur- 
gemäss darin ‚festgehalten und in neue Leiber versetzt, die ihrer 
inneren Beschaffenheit entsprechen. Es ist ein allgemeines Geseiz, 
dass die Seele nach dem Tode dahin kommt, wohin ihre Neigung 
sie zieht; wenn sie den Körper verlassen hat, sucht sie einen Ort 
für sich, und ist sie nun nicht fähig, sich in’s Uebersinnliche zu 
erheben, so wird sie sich wieder in einem Körper, und zwar in 
dem Körper niederlassen, der anı besten für sie taugt ?). Die Seele 
durchwandelt in den verschiedensten Gestalten die ganze Welt, 
und jede dieser Gestalten ist durch die in ihr vorherrschende Tbä- 
tigkeit bestimmt; im Menschen nun sind mehrere verknüpft, er 
führt neben dem höheren auch ein animalisches und vegetatives Le- 
ben; verlässt die Seele den Leib, so wird sie dasjenige, worauf 
sich ihre Thätigkeit vorzugsweise gerichtet hat 5). So mag & 


1) III, 6, 6. 310, A: 4 δ' ἀληθινὴ ἐγρήγορσις ἀληθινὴ ἀ πὸ σώματος οὐ μετὰ 
σώματος ἀνάστασις" ἣ μὲν γὰρ μετὰ σώματος, μετάστασίς ἐστιν ἐξ ἄλλου εἰς ἄλλον 
ὕπνον οἷον ἐξ ἑτέρων δεμνίων' ἣ δ᾽ ἀληθὴς, ὅλως ἀπὸ τῶν σωμάτων. 

2) IV, 3, 13, Anf.: τὸ γὰρ ἀναπόδραστον καὶ ἢ δίχη οὕτως" ἐν φύσει χρατούση 
ἰέναι ἕχαστον ἐν τάξει πρὸς ὅ ἐστιν ἔχαστον γενόμενον εἴδωλον ποοαιρέσεως χαὶ δι» 
θέσεως ἀρχετύπου. ο. 15, Anf.; die Seelen kommen in Körper αἱ μὲν ἀπ' οὐρανοῦ 
εἰς σώματα τὰ κατωτέρω αἱ δὲ ἀπ᾽ ἄλλων εἰς ἄλλα εἰςχρινόμεναι, αἷς ἣ δύναμις οὖχ 
ἤρχεσεν ἄραι ἐντεῦθεν διὰ βάρυνσιν καὶ λήθην πολὺ ἐφελκχομέναις ὃ αὐταῖς ἐβαρύνθη; 
γΐγνονται δὲ διάφοροι u.s.f. ο. 24, Anf.: ἀλλὰ ποῦ ἐξελθοῦσα τοῦ σώματος γενήσεται 
[ἢ ψυχή]; ἢ ἐνταῦθα μὲν οὐχ ἔσται οὗ οὐχ ἔστι τὸ δεχόμενον ὅδπωςοῦν .... ὄντος δὲ 
πολλοῦ καὶ ἑχάστου τόπου χαὶ παρὰ τῆς διαθέσεως ἥκειν det τὸ διάφορον, ἥκειν δὲ χα: 
παρὰ τῆς ἐν τοῖς οὖσι δίχης .... φέρεται δὲ καὶ αὐτὸς ὃ πάσχων [τὴν δίχην] ἀγνοῶν ir 
ἃ παθέϊν προςήχει ἀστάτῳ μὲν τῇ φορᾷ πανταχοῦ αἰωρούμενος ταῖς πλάναις, τελευτῶν 
δὲ ὥσπερ πολλὰ χαμὼν οἷς ἀντέτεινεν εἰς τὸν προςήχοντα αὐτῷ τόπον ἐνέπεσεν, ἔχου- 
σίῳ τῇ φορᾷ τὸ ἀκούσιον el; τὸ nadeiv ἔχων. Dass der Eintritt in die Leiber kraft 
eines unwiderstebliohen innern Zuges erfolgen soll, ist schon 3.514, ὃ bemerkt 
worden. 


3) 111,4,2, Anf.: πάντα δὲ οὐρανὸν περιπολέϊ [ἢ ψυχὴ] ἄλλοτε ἐν ἄλλοις εἴδεσιν, 


m me —— 


Beelenwanderung. 539 


denn allerdings geschehen, dass eine Seele in Folge ihrer ausge- 
zeichneten Schlechtigkeit ganz in die Materie versinkt, und in 
untermenschlichen Zuständen erstirbt 1), dass sie vom menschli- 
chen in einen thierischen, selbst in einen Pflanzenleib übergeht *); 
wobei Plotin die aristotelische Einwendung, dass eine Menschen- 
seele (der λόγος ἀνθρώπου) nicht zur Thierseele werden könne, 
mit der Bemerkung abwehrt : da die Seele an sich alles sei, so 
könne sie auch alles werden, je nachdem sie das eine oder das 
andere Element in sich zum herrschenden mache, und sich in ihrer 
Thätigkeit darnach bestimme ; wenn eine Seele thierisch gewor- 
den sei, vermöge sie nur noch einen Thierleib zu bilden ®). Andere 
Seelen suchen sich wieder menschliche Leiber, je nach ihrer Be- 
schaffenheit 5), sie wählen sich, wie Plato es darstellt, ihren Dämon 
und ihr Lebensloos, d. h. der Leib und das Leben, in welches sie 
eintreten, bestimmt sich nach ihrem Wollen und ihrem inneren 
Zustand °). Eine dritte Klasse geht in den Himmel über, und wird 
auf die Gestirne versetzt, um von da aus das Weltall zu beschauen, 
jede Seele auf dasjenige, welches ihrer Lebensrichtung und den in 
ihr wirkenden Kräften entspricht; denn die Kräfte der Seele bil- - 
den nicht blos die intelligible Welt, sondern auch das System der 
Weltseele in sich ab, und wie dieses nach den verschiedenen Kräf- 


ἣ ἐν αἰσθητιχῷ εἴδει ἢ ἐν λογικῷ ἣ ἐν αὐτῷ τῷ φυτιχῷ. τὸ γὰρ χρατοῦν αὐτῆς μόριον 
τὸ ἑαυτῷ πρόςφορον ποιέϊ, τὰ δ᾽ ἄλλα ἀργέί, ἔξω γάρ. ἐν δὲ ἀνθρώπῳ οὐ χρατεῖ τὰ 
χείρω, ἀλλὰ σύνεστιν... ἐξελθοῦσα δὲ ὅτι περ ἐπλεόνασε τοῦτο γίγνεται. 

1) 1, 8, 18. 80, E: ὡς οὖν ἀπὸ τῆς ἀρετῆς ἀναβαίνοντι τὸ χαλὸν καὶ τὸ ἀγαθὸν, 
οὕτω καὶ ἀπὸ τῆς χαχίας χαταβαίνοντι τὸ χαχὸν αὐτό .... ἐπὲ χαὶ εἰ παντελῶς ἴοι 9} 
ψυχὴ εἷς παντελῆ καχίαν οὐχ ἔτι χαχίαν ἔχει ἀλλ᾽ ἑτέραν φύσιν τὴν χείρω ἠλλάξατο" 
ἔτι γὰρ ἀνθρωπιχὸν ἢ xaxla μεμιγμένη τινὶ ἐναντίῳ. ἀποθνήσχει οὖν ὡς ψυχὴ ἂν 
θάνοι’ καὶ ὃ θάνατος αὐτῇ, καὶ ἔτι ἐν τῷ σώματι βεβαπτισμένῃ, ἐν ὕλῃ ἐστὶ χαταδῦναι 
καὶ πλησθῆναι αὐτῆς, χαὶ ἐξελθούσῃ Exei χεῖσθαι ἕως ἀναδράμῃ καὶ ἀφέλῃ πως τὴν 
ὄψιν ἐχ τοῦ βορβόρου" χαὶ τοῦτό ἐστι τὸ ἐν ἄδου ἐλθόντα ἐπιχαταδαρθέϊν. 

2) III, 4, 2. 284, A: ὅσοι μὲν οὖν τὸν ἄνθρωπον ἐτήρησαν, πάλιν ἄνθρωποι᾽ 
ὅσοι δὲ αἰσθήσει μόνον ἔζησαν, Ta... εἰ δὲ μηδὲ αἰσθήσει μετὰ τούτων͵ ἀλλὰ νωθείᾳ 
αἰσθήσεως μετ᾽ αὐτῶν͵ χαὶ φυτά μόνον γὰρ τοῦτο ἢ μάλιστα ἐνήργει τὸ φντικὸν καὶ 
ἦν αὐτοῖς μελέτη δενδρωθῆναι. Vgl. c. 8. 

8) ΥἹ, 1,6 ἢ 

4) Vorletzte Anm. und III, 2, 18. 

5) III, 4, 5, Anf.: ἀλλ᾽ εἰ ἐχεί αἱρέίται τὸν δαίμονα χαὶ εἰ τὸν βίον, πῶς ἔτι 
τινὸς χύριοι; ἢ χαὶ ἢ αἵρεσις ἐχεῖ ἢ λεγομένη τὴν τῆς ψυχῆς προαίρεσιν καὶ διάθεσιν 
καθόλου χαὶ πανταχοῦ αἰνίττεται: τι. 8. w. 

Phllos. ἃ. Gr. III. Bd. 2. Abth, 84 


530 Plotinus. 


ten in mehrere Sphären, theils feste, theils bewegte, getheilt ist, so 
auch die Seele in ihrer Art;’je nachdem daher diese oder jene 
Kraft m ihr herrscht, wird ihr das-Leben auf diesem oder jenem 
Himmelskörper gemäss sein. Die reinsten Seelen endlich erheben 
sich schlechthin über die Sinnenwelt, und kehren in ihre ursprüng- 
liche, übersinnliche Heimath zurück 1). Dieser ganze Verlauf hat 
aber nicht blos physische, sondern ebensosehr ethische Bedeutang: 
es ist das Gesetz der ewigen Gerechtigkeit, das die Seelen in die- 
jenigen Körper und Lebensschicksale führt, welche zur Vergeltung 
ihrer Thaten geeignet sind 3), und auch alles einzelste ist ganz 
streng nach diesem Gesetze bestimmt; wer der Sinnlichkeit gelebt 
hat, der wird nicht nur überhaupt ein Thier oder eine Pflanze, 
sondern auch genau dasjenige Thier, zu dem ihn seine eigenthäm- 
liche Lebensweise hinzieht: sinnliche Menschen, die dabei hefüg 
gewesen sind, (sagt Plotin, platonische Scherze dogmatisiread) 
werden wilde Thiere, je nach der Art ihrer Fehler, dieses oder 
jenes; Schlemmer und Wüstlinge werden gefrässige und geile Ge- 
schöpfe, leidenschaftliche Musikliebhaber werden Singvögel, unpbi- 
losophische Astronomen hochfliegende Vögel, unvernünftige Kö- 
nige Adler, ruhige Bürger, falls sie es nicht wieder bis zum Mea- 
schen bringen, Bienen oder ähnliche gesellige Wesen *). Ebenso 
werden die menschlichen Lebensloose mit peinlicher Genauigkeit 
nach dem Gesetz der Wiedervergeltung abgemessen: schlechte 
Herren werden Sklaven, Reiche, die ihr Vermögen übel angewen- 
det haben, werden arm, wer einen Mord begangen hat, wird wieder 
gemordet, wer seine Mutter getödtet hat, wird ein Weib, um von 
seinem Sohn getödtet zu werden, wer einer Frau Gewalt angethas 
hat, wird ein solches, um die gleiche Gewalt zu erleiden*). Neben 
dieser Vergeltung in den neuen Leibern nimmt endlich Plotin auch 
noch Zwischenzustände an, welche demselben Zweck σον ἀεὶ 
sind, und ausgezeichneten Verbrechern geschärfte Qualen bringen 


1) TI, 4, 6. 286, C vgl. V, 8, 5, Schl.: die &ötter und die Beligen im 
Jenseits haben kein discursives Wissen, sondern eine durchans reale Ar- 
schauung der Ideen. Ich führe die Stelle später noch an. 

2) IV, 8, 24 8. ο. 528, 2. 

8) III, 4, 2, 284, A f. vgl. Praro Phädo 82, A. Tim. 91, D. Rep. X, 630. 

4) II, 2, 13. 


Das jenseitige Leben. 531 


sollen '). Dass übrigens diese ethische Betrachtung des Zustan- 
des nach dem Tode der physikalischen nicht widerspricht, braucht 
kaum bemerkt zu werden ; nach Plotin ist ja auch die letztere 
durch das ethische Gesetz bestimmt, wornach jede Seele in den 
ihrem Zustand angemessensten Körper eintritt. 

Auch hiebei wiederholt sich jedoch, abgesehen von allem 
andern, die gleiche Schwierigkeit, welche uns schon früher in 
Plotin’s Anthropologie aufstiess. Die Seele soll von diesem Leben 
in ein anderes, bald ein menschliches, bald ein über- oder unter- 
menschliches übergehen, und für das, was sie in diesem Leben 
gethan und wozu sie sich gemacht hat, in jenem den Lohn erhal- 
ten. Aber was ist diese Seele? Die Seele ist ja nach Plotin wäh- 
rend des Zeitlebens nicht ein einfaches, sondern ein sehr zusam- 
mengesetztes Wesen ; was ist nun das eigentliche Subjekt des 
jenseitigen Lebens, der Seelenwanderung und der Vergeltung ? 
Die Identität des Subjekts wäre offenbar am besten gewahrt, wenn 
es das urprüngliche Seelenwesen allein wäre, welches durch alle 
die wechselnden Lebenszustände hindurchgeht ; die Seelenwande- 
rung dagegen scheint nur für das Zusammengesetzte zu passen, 
und die Vergeltung scheint nur dieses betreffen zu können, da in 
ihm allein die-Sinnlichkeit ist, die es in neue Leiber herabzieht, 
und ihm allein die Handlungen zukommen, für die es bestraft wird. 
in dieser Rücksicht entscheidet sich auch Plotin für die letztere 
Annahme, kann aber natürlich ein fortwährendes Hinüberschwan- 
ken zu der entgegengesetzten nicht vermeiden. Das, was fehlt 
und für seine Fehler bestraft wird, ist nach seiner ausdrücklichen 
Erklärung nicht die Seele in ihrem reinen Wesen, sondern nur 
das Ganze, was aus ihr und den niedrigeren Bestandtheilen zusam- 
, mengesetzt ist ?); und dazu passt es ganz gut, wenn er sagt: 


1) III, 4, 6. 286,C: nach dem Tode kommen die Seelen in denselben 
Zustand, in dem sie vor ihrer Geburt waren: εἶτα ὥσπερ an’ ἀρχῆς ἄλλης τὸν 
μεταξὺ τῆς ὕστερον γενέσεως χρόνον ταῖς χολαζομέναις πάρεστιν [ὁ δαίμων) ἢ οὐδὲ 
βίος αὐταῖς ἀλλὰ δίκη; IV, 8, 5. 478, D: τὸ δὲ τῆς καχίας ἄμετρον εἶδος μείζονος 
καὶ τῆς δίχης ἠξίωται ἐπιστασίᾳ τιννυμένων δαιμόνων. Vgl. Plato Rep. X, 614, DE. 

2) I, 1, 12, Anf.: wie ist die Fehlerlosigkeit der Seele mit der Lehre von 
den zukünftigen Strafen zu vereinigen? Antwort: fehlerlos ist die Seele, so- 
fern sie ihrem reinen Wesen nach, fehlbar, sofern sie in ihrer Verbindung 
mit dem Sinnlichen betrachtet wird. πάσχει δὴ χατὰ τὸ ὅλον καὶ ἁμαρτάνει τὸ 
σύνθετον καὶ τοῦτό ἐστι τὸ διδὸν ölxnv, οὐχ ἐχέϊνο. 


84" 
«δ 


533 Plotinus. 


bei der Trennung der höheren Seele vom Leibe begleite sie die vos 
ihr ausgestrahlte niedere '). Auch das würde nicht unmittelbar 
widersprechen, wenn die Fortdauer der Verbindung zwischen der 
höheren und der niederen Seele anderswo auf diejenigen be- 
schränkt wird, welche sich nicht vom Sinnlichen befreit haben, 
wogegen sich bei den übrigen jenes Band mit dem Tod löse, und 
die niedere Seele in die Seele des All zurückkehre ?). Aber doch 
wird die Fortdauer der Persönlichkeit, gerade bei denen, welche 
in die übersinnliche Welt kommen, dadurch sehr zweifelhaft. Noch 
bedenklicher lautet in dieser Beziehung, was über die Erinnerung 
der Abgeschiedenen an das diesseitige Leben gesagt wird. Da 
nämlich im Intelligibeln keine Veränderung und keine Zeit ist, so 
muss mit dem Eintritt in dasselbe das Zeitleben, und ebendamit 
auch die Erinnerung, in einem schlechthin gleichförmigen, rein 
auf das Uebersinnliche gerichteten Denken erlöschen. Plotin will 
daher eine Erinnerung an dieses Leben nur den Seelen zugeste- 
hen, welche sich nicht in’s Uebersinnliche erheben, oder es wieder 
verlassen ; wobei er übrigens richtig bemerkt, dass diese Erinne- 
rung, besonders im letztern Fall, durch alles dazwischenliegende 
grossentheils verwischt sein müsste 5). Im Zusammenhang damit 
wird auch die platonische Lehre von der Wiedererinnerung besei- 
tigt 4), weil das Denken etwas anderes sei, als das Gedächtnis, 
und weil es dieses nur mit dem zeitlichen und veränderlichen zu 
thun habe, in Beziehung auf das ewige dagegen wohl eine Erner- 
erung der Denkthätigkeit, aber keine Erinnerung statthabe. Aber 
so folgerichtig diese Besiimmungen sein mögen, so können doch 
auch sie nur dazu dienen, den Zusammenhang zwischen diesen 
und dem jenseitigen Leben zu zerreissen, und den Dualismus der 
plotinischen Anthropologie in’s Licht zu stellen. 

Verhält es sich aber so mit dem menschlichen Leben, ist die 


— 


1) 1,10. 6, B: ὅταν αὕτη [ἡ χωριστὴ ψυχὴ] παντάπασιν ἀποστῇ, καὶ ἡ ἐπ᾽ 
αὐτῆς ἔλλαμφθέίσα ἀπελήλυθεν συνεπομένη. 

2) IV, 7,14. 467, B: εἰ δὲ τὴν ἀνθρώπου ψυχὴν τριμερῇ οὖσαν τῷ συνθέῳ 
λυθήσεσθαι, καὶ ἡμέϊς φήσομεν τὰς μὲν καθαρὰς ἀπαλλαττομένας τὸ προςπλασθὲν ἐν 
τῇ γενέσει ἀφήσειν, τὰς δὲ τούτῳ συνέσεσθαι ἐπὶ πλείστον. ἀφειμένον δὲ τὸ χέρον 
οὐδὲ αὐτὸ ἀπολέΐσθαι ἕως ἂν ἥ ὅθεν ἔχει τὴν ἀρχήν᾽ οὐδὲν γὰρ ἐχ τοῦ ὄντος ἀπολεῖται 
8) IV, 4, 1—5 vgl. IV, 8, 27. 82. 

4) IV, 8, 25. 


Das jenseitige Leben. . 533 


Seele nur durch eine Verdunklung ihres ursprünglichen Wesens 
in ihr gegenwärtiges Dasein versetzt worden, kann sie auch wäh- 
rend ihrer Verbindung mit dem Leibe nie aufhören, ihn als etwas 
fremdartiges und störendes zu betrachten, darf sie nur dann eine 
Rückkehr in ihren Urzustand hoffen, wenn sie gänzlich von der Sinn- 
lichkeit befreit ist, so entsteht ihr ebendamit die Aufgabe, selbstthätig 
auf diese Befreiung hinzuwirken, und dem Ziel nachzustreben, das 
ihr durch ihre Natur gesteckt ist. Wie diess möglich ist, hat der 
dritte Theil des plotinischen Systems zu zeigen. 


9% Die Erhebung des Geistes von der Erscheinung in die über- 
sinnliche Welt. 

Es gehören hieher im allgemeinen diejenigen Untersuchun- 
gen, welche man sonst unter dem Namen der Ethik zusammenfasst ; 
die obige Bonennung scheint jedoch bezeichnender, sowohl für 
den Umfang als für den Inhalt dessen, was wir an dieser Stelle bei 
Plotin- finden. Einestheils nämlich stossen wir hier auf manches, 
was nicht zur Ethik im engeren Sinne gehört, aber doch auch nicht 
von ihr zu trennen ist, wie die Erörterungen über das theoretische 
Leben und die Religion, anderntheils wird das eigenthümlich ethi- 
sche, die Darstellung der praktischen Thätigkeit, von Plotin auf- 
fallend vernachlässigt; beides aber nur desshalb, weil eben nach 
seiner Ansicht die Bestimmung des Menschen weit weniger in der 
Praxis, als in der Theorie liegt. Von diesem Standpunkt aus müs- 
sen wesentliche Theile der älteren Ethik, die gesammte Tugend- 
lehre und die Politik, ihre Bedeutung grossentheils verlieren, um 
so mehr müssen dagegen die Fragen nach der Vereinigung des 
Geistes mit dem Uebersinnlichen und nach den Hülfsmitteln dieser 
Vereinigung in den Vordergrund treten. 

Wollen wir nun Piotin’s Lehre über diese Gegenstände näher 
kennen lernen, und fragen wir zuerst, wie 


I. das Ziel der menschlichen Thätigkeit 


von ihm bestimmt wird, so trifft er hier im wesentlichen mit älte- 
ren, namentlich mit den stoischen Lehren vom höchsten Gut und 
der Glückseligkeit zusammen. Das höchste Gut ist für jedes We- 
sen seine naturgemässe Thätigkeit; für ein Wesen, welches aus 
mehreren Bestandtheilen zusammengesetzt ist, die naturgemässe 


En 


534 Plotinus. 


und mangellose Thätigkeit des besseren in ihm ἢ. Die Gläck- 
seligkeit besteht nicht in der Lust (εὐπάθεια, ἡδονὴλ, auch nicht 
der Gemüthsruhe, nicht einmal schlechthin in dem naturgemässen 
Leben oder der naturgemässen Thätigkeit ohne nähere Bestimmung, 
denn in allen diesen Fällen müsste man auch den Thieren, am Ende 
sogar den Pflanzen Glückseligkeit beilegen ?); selbst wenn die 
Glückseligkeit als das „vernünftige Leben“ definirt wird, ist diess 
wenigstens formell ungenügend °); dieselbe ist vielmehr ihrem 
eigentlichen Wesen nach das vollkommene, oder dasjenige Leben, 
welchem nichts zum Begriff des Lebens gehöriges fehlt, welches 
nicht blos ein Abbild des wahren und höchsten Lebens, sondern 
dieses selbst ist *). Das vollkommene Leben findet sich aber 
ursprünglich im Denken und seiner Thätigkeit; nur in ihm kann 
daher auch die Glückseligkeit ursprünglich bestehen, und nur des- 
kende Wesen sind der Glückseligkeit fähig °). Für solche ist aber 
die Glückseligkeit nicht blos ein Zustand, in dem sie sich befinden, 
oder eine bestimmte Seite ihres Lebens, überhaupt nichts blos acci- 
dentelles, sondern ihr eigenes Wesen selbst; denn das wahre We- 


1) L 7, 1 Ant. 

2) I, 4 (π. εὐδαιμονίας) c. 1 f. 

8) Diese Definition, die stoische, lässt es nämlich (wie ihr Plotin eo. 2. 
80, E f. vorwirft) unbestimmt, ob die Vernünftigkeit des Lebens nur als des 
Mittel sur Erlangung des ersten Naturgemässen, oder um ihres eigenen 
Werthes willen zu fordern ist; in jenem Fall wäre es der Besitz der πρῶτε 
κατὰ φύσιν und nicht das vernünftige Leben als solches, worin die Glückselig- 
keit bestände, in diesem müsste der Inhalt des vernünftigen Lebens, der 
Gegenstand, welcher dem λόγος seinen Werth giebt, aufgezeigt werden, dieser 
muss dann aber nothwendig in etwas anderem und höherem, als die Befriedi- 
gung der einfachsten Naturbedürfnisse, gesucht werden. Aehnliche Einwen- 
dungen waren auch schon früher gegen die stoischen Bestimmungen über die 
Glückseligkeit erhoben worden; vgl. 1. Abth. 208, 1. 238 f. 474. 

4) Α. 8. Ο, 0.8,2.B. 8. 81, D: πολλαχῶς τοίνυν τῆς ζωῆς λεγομένης wat τὴν 
διαφορὰν ἐχούσης κατὰ τὰ πρῶτα χαὶ δεύτερα καὶ ἐφεξῆς... ἀνάλογον δηλονότι καὶ τὸ 
εδ' καὶ εἰ εἴδωλον ἄλλο ἄλλου, δηλονότι καὶ τὸ εὖ ὡς εἴδωλον τοῦ εὖ. εἰ δὲ ὅτῳ ἄγαν 
ὑπάρχει τὸ ζῇν (τοῦτο δέ ἐστιν ὃ μηδενὶ τοῦ ζῇν ἐλλείπει), τὸ εὐδαιμονέϊν, μόνῳ ἂν 
τῷ ἄγαν ζῶντι τὸ εὐδαιμονέϊν ὑπάρχοι u. 5. w. 

5) A.a. 0. 81, Ρ: ὅτι δ᾽ ἢ τελεία ζωὴ καὶ ἡ ἀληθινὴ καὶ ὄντως Ev ἐχείνῃ τῇ 
νοερᾷ φύσει (5. ο. 468, 1), καὶ ὅτι al ἄλλαι ἀτελεῖς καὶ ἰνδάλματα ζωῆς κὰ 
οὗ τελείως οὐδὲ χαθαρῶς χαὶ οὐ μᾶλλον ζωαὶ ἢ τοὐναντίον, πολλάκις μὲν εἴρηται 
usw. 0, 4 Ant. 


Die Glückseligkelt. 635 


΄- 


sen des Menschen liegt in seiner denkenden Natur, alles andere 
dagegen ist nichts weiter, als eine Zuthat, eine äussere Umhüllung 
seines geistigen Kernes !). Die Glückseligkeit ist daher unabhän- 
gig von allen äusseren Zuständen und Schicksalen ; diese betreffen 
gar nicht das eigentliche Wesen und Leben des Menschen, worin 
jene allein ihren Sitz hat: die Glückseligkeit ist schlechthin ein 
Verhalten des Menschen zu sich selbst, zu seinem inneren, höhe- 
ren Wesen, jenes äusserliche dagegen bezieht sich nur auf ein 
solches, was gar keinen Theil seines Wesens ausmacht. Plotin 
erklärt sich über diese Unabhängigkeit von dem Aeusseren im 
Geiste des ächtesten Stoicismus. Wer wirklich dem Höheren lebt, 
dessen Leben ist selbstgenugsam ; er bedarf nichts ausser seiner 
Tugend zur Glückseligkeit, denn es giebt kein Gut, das er nicht be- 
sässe. Sucht er auch noch anderweitiges, so sucht er es doch 
nicht für sich selbst, sondern nur für den Leib, der mit ihm ver- 
bunden ist, ohne ihm auf sein eigenes Leben Einfluss zu gestatten ?). 
Auch das Missgeschick kann seine Glückseligkeit nicht verringern: 
sterben ihm Angehörige, so weiss er, was der Tod ist, und auch sie 
wissen eg, wenn sie sind, wie sie sein sollen, die Betrübniss darü- 
ber trifft daher nicht ihn selbst, sondern nur das Vernunftslose 
an ibm; hat er mit Schmerzen, mit Krankheit, mit Unglück jeder 
Art zu kämpfen, so betrachtet er diess als etwas nothwendiges, 
was sein höheres Leben und seine Glückseligkeit nichts angebt; 
und wären auch diese Unfälle noch so gross, so wird er sich erin- 
nern, dass nichts menschliches von Bedeutung ist: wird seine 
Vaterstadt zerstört, so wird er Holz und Steine für nichts grosses 
achten; kommen seine Mitbürger um, so bedenkt er, dass Sterben 
besser ist, als Leben; stirbt er eines grausenhaften Todes, so wird 


1) A.a.0.c. 4. 82, A: ἀλλ᾽ ἄρά γε ὡς ἄλλος ὧν ἄλλο τοῦτο [die τελεία ζωὴ) 
ἔχει, ἣ οὐδ᾽ ἔστιν ὅλως ἄνθρωπος μὴ οὐ καὶ τοῦτο δυνάμει ἣ ἐνεργείᾳ ἔχων, ὃν δὴ 
καί φαμεν εὐδαίμονα εἶναι; ἀλλ᾽ ὡς μέρος αὐτοῦ τοῦτο φήσομεν ἐν αὐτῷ τὸ εἶδος τῆς 
ζωῆς τὸ τέλειον εἶναι; ἢ τὸν μὲν ἄλλον ἄνθρωπον μέρος τι τοῦτο ἔχειν δυνάμει ἔχοντα, 
τὸν δὲ εὐδαίμονα ἤδη, ὃς δὴ καὶ ἐνεργείᾳ ἐστὶ τοῦτο χαὶ μεταβέβηχε πρὸς τὸ αὐτὸ 
εἶναι τοῦτο [nämlich vollkommen, oder im Denken lebend]. περιχέίσθαι δ᾽ αὐτῷ 
τὰ ἄλλα ἤδη ἃ δὴ οὐδὲ μέρη αὐτοῦ ἂν τις θεῖτο, οὐχ ἐθέλοντι περικείμενα... τούτῳ 
τοίνυν τί ποτ᾽ ἐστὶ τὸ ἀγαθόν; ἢ αὐτὸς αὐτῷ ὅπερ ἔχει, τὸ δὲ ἐπέκεινα αἴτιον τοῦ 
ἐν αὐτῷ. 

2) Α. 8. Ὁ, 


a 


636 Plotinus. 


seine Ansicht über den Tod dadurch nicht geändert werden; bleik 
er unbegraben, so wird er nicht meinen, darum anders zu verwe- 
sen als die begrabenen; geräth er in Sklaverei, so stände es ihm 
frei, sich jederzeit von einem Leben zu befreien, das ihn nicht 
glückselig sein liesse; werden seine Söhne und Töchter gefangen, 
so wird er diess weder für etwas ungewöhnliches, noch sie selbst 
desshalb für unglücklich halten, wenn sie weise sind, von ihrer 
Thorheit aber wird er seine Glückseligkeit nicht abhängig machen?) 
Was ihm auch widerfahren mag, die Thätigkeit seiner höberen 
Natur, an die sein Glück allein geknüpft ist, wird dadurch nicht 
verhindert 2). Nicht einmal Zustände der Bewusstlosigkeit wer- 
den dieselbe aufheben, denn der Tugendhafte ist tugendhaft, wenn 
er sich dessen auch nicht bewusst ist, und das Höhere im Menschen 
kann wirken, auch wenn sich diese Wirkung nicht bis in die Em- 
pfindung und das Bewusstsein fortpflanzt °). Auch die wahre Lust 
fehlt aber dem Tugendhaften niemals, denn die heftige, sinnliche 
Lust zwar wird er selbst nicht begehren, aber die Heiterkeit des 
Gemüths wird er nie verlieren %. So ist die Glückseligkeit, nach 
Plotin, rein von der geistigen Beschaffenheit des Menschen abbän- 
gig, alles Aeussere ist für dieselbe schlechthin gleichgültig ; wenn 
zwei gleich Weise in der entgegengesetztesten äusseren Lage sind, 
erklärt er ächt stoisch, so sind beide gleich glücklich °), und damit 
das Selbstvertrauen des Weisen in keiner Beziehung von etwas 
ausser ihm liegenden bedingt sei, bestreitet er mit Chrysippus die 
Caristotelische) Behauptung, dass die Glückseligkeit durch die 
Länge der Zeit einen Zuwachs erhalte ὁ). Die Zurückziehung des 
Geistes auf sich selbst, die Unabhängigkeit des denkenden Selbst- 
bewusstseins von allem Aeusseren ist hier nicht geringer, als in 
der stoischen und skeptischen Sittenlehre. 


1) A.2.0.0.4—8, 

2) Α. 6. 0, c. 13; doch will Plotin hier den 1. Abth. 404, 6 berührten 
Ausspruch Epikur's nicht gutheissen, denn der Theil der Seele, welober 
Schmerz empfindet, könne nicht zugleich Lust empfinden, wohl aber könne 
mit dem leidenden Theil ein anderer verbunden sein, welcher die Anschsaung 
des Göttlichen geniesse, während jener leidet. 

8) Ο. 9—11. 

4) C. 12 £. 

δ) Α. ἃ. Ο. ο. 16. 

6) I, δ: 5. τοῦ εἰ τὸ εὐδαιμονεῖν ἐπίδοσιν χρόνῳ λαμβάνει. 


Glückseligkeit; sittliche Thätigkeit. 537 


Schon hieraus bestimmt sich nun im allgemeinen der Charak- 
ter der Thätigkeit, welche zur Glückseligkeit führt. 


II. Die sittliche Thätigkeit. 


Da es nicht eine innere Verkehrung des geistigen Wesens, 
sondern nur die Verbindung der Seele mit dem Leib ist, von wel- 
cher die Unvollkommenheit ihres diesseitigen Lebens herrührt, 
so wird auch zur Beseitigung dieser Unvollkommenheit nichts 
weiter erfordert werden, als die Auflösung jener Verbindung; 
oder sofern diese allerdings durch die eigene Neigung der Seele 
zum Sinnlichen bedingt ist, so wird doch eben nur das Aufhören 
dieser nach aussen gehenden Richtung, nicht eine Umwandlung 
ihres innern Charakters nöthig sein, um die Seele zu ihrer Rein- 
heit und Vollkommenheit zurückzuführen. Sie hat nichts weiter 
zu thun, als dass sie sich von dem fremdartigen abkehrt, und sich 
auf sich selbst und ihre ursprüngliche Thätigkeit beschränkt; eine 
Veränderung dieser Thätigkeit als solcher ist weder möglich, noch 
nothwendig, denn das eigentliche Wesen der Seele, das wahre 
Selbst, ist fehler- und irrthumslos geblieben. Plotin’s Moral hat 
desshalb einen überwiegend negativen Charakter. Das entschei- 
dende für den sittlichen Zustand des Menschen ist die Abkehr vom 
Sinnlichen ; mit dieser ist die Hinwendung zum Uebersinnlichen 
unmittelbar, als ihre natürliche Folge, gegeben, und es bedarf 
keiner besonderen Einwirkung des Willens auf sich selbst, keines 
weiteren inneren Processes, um dieselbe hervorzubringen, sondern 
sobald das Hinderniss weggeräumt wird, welches die sinnliche 
Neigung der naturgemässen Thätigkeit der Seele in den Weg legt, 
so tritt diese wieder ein, und die Seele nimmt die Richtung auf’s 
Uebersinnliche mit der gleichen Sicherheit und Nothwendigkeit, 
mit der etwa ein Luftballon in die Höhe steigt, wenn man die 
Stricke löst, welche ihn zurückhielten. Der Grundbegriff dieser 
Ethik ist daher der Begriff der Reinigung, der Lossagung vom Kör- 
per; aus diesem negativen geht das positive, die Hinwendung zur ἢ 
jenseitigen Welt, oder die Gottähnlichkeit, unmittelbar hervor. 
Die Schlechtigkeit der Seele besteht in ihrer Vermischung mit dem 
Körper und ihrer Abhängigkeit vom Körper, ihre Tugend wird 
nur darin bestehen können, dass sie sich vom Körper losmacht 


538 Plotinus. 


und für sich allein wirkt D; alle Tugenden sind nichts anderes 
als eine Reinigung ?); diese Reinigung betrifft aber nicht die Sec 
als solche, denn diese ist ja gar nicht befleckt, sondern nur ihr 
Verhältniss zum Leibe °). In der Reinigung ist daher auch das 
Gottähnlichwerden enthalten : sobald die unreinen Elemente eat 
fernt sind, erscheint die Seele wieder in ihrem ursprünglichen We- 
sen 4); wie der Künstler nur einen Theil des Marmors wegz- 
meisseln braucht, um das Götterbild herzustellen, so darf auch der 
an sich selbst arbeitende Mensch nur das überflüssige entiernes, 
um in seiner reinen Schönheit dazustehen, ebendamit aber auch 
das Göttliche über sich zu erblicken, denn nur verwandtes vermag, 
nach dem alten Spruche, das verwandte zu schauen °). So führt 
sich denn alle sittliche Thätigkeit in letzter Beziehung auf die 
Befreiung der Seele von dem Körper zurück. Doch nimmt diese | 
Abkehr vom Sinnlichen in Plotin’s Lehre noch keine eigentlich | 
ascetische Wendung, so sehr eine solche auch seiner persönlichen 
Neigung entsprechen mochte 5): er erkennt vielmehr noch sur 


1) I. 2, 3. 18, D: ἐπειδὴ χαχὴ μέν ἐστιν ἣ ψυχὴ συμπεφυρμένη τῷ σώματι καὶ 
ὁμοπαθὴς γινομένη αὐτῷ καὶ πάντα συνδοξάζουσα, εἴη ἂν ἀγαθὴ καὶ ἀρετὴν ἔχουσα, 
εἰ μήτε συνδοξάζοι ἀλλὰ μόνη ἐνεργοῖ (ὅπερ ἐστὶ νοεῖν τε χαὶ φρονέϊν), μήτε ὅμοιοξϑ. 
ϑὴς εἴη (ὅπερ ἐστὶ σωφρονεΐν), μήτε φοβοῖτο ἀφισταμένη τοῦ σώματος (ὅπερ ἐσὰν ν΄ 
δρίζεσθαι) ἡγσίτο δὲ λόγος καὶ νοῦς, τὰ δὲ μὴ ἀντιτείνοι (δικαιοσύνη δ᾽ ἂν εἶ τοῦτ. | 

8) 1, 6, 6 Anf.: ἔστι γὰρ δὴ, ὡς ὁ παλαὼς λόγος, καὶ ἣ σωφροσύνη καὶ ἣ ἐν- | 
δρία καὶ πᾶσα ἀρετὴ κάθαρσις καὶ ἢ φρόνησις αὐτή, was sofort ähnlich, wie, 48° 
weiter ausgeführt wird. 

8) III, 6, 5. 808, A: ἀλλὰ τίς ἣ κάθαρσις ἂν τῆς ψυχῆς εἴη μηδαμῇ μεμολυο- 
μένης; A τί τὸ χωρίζον αὐτὴν ἀπὸ τοῦ σώματος : ἢ ἧμἧν κάθαρσις ἂν εἴη χκαταλιπέν 
μόνην u. 8. w. Weiteres ὃ. 628 ἢ. 

41, 3, 8. 18, C: λέγων δὴ ὁ Πλάτων (Theät. 176, A) τὴν ὁμοίωσιν τὴν πρὰ 
τὸν θεὸν φυγὴν τῶν ἐντεῦθεν εἶναι (Plato sagt vielmehr umgekehrt, die Befreiung 
vom Irdischen liege in der ὁμοίωσις)... πῶς οὖν λέγομεν ταύτας [τὰς ἀρετὰς) zu 
θάρσεις, καὶ πῶς καθαρθέντες μάλιστα ὁμοιούμεθα: u. 8. W. ο. 4: ist die Reinigung 
nur ein Mittel κὰν Tugend, oder die Tugend selbst? Plotin entscheidet sich 
für das letstere. I, 6, 6. 55, C: γίνεται οὖν ἢ ψυχὴ χαθαρθεῖσα εἶδος καὶ λόγοι 
zo πάντη ἀσώματος χαὶ νοερὰ καὶ ὅλη τοῦ θείου u. 6. ν. Vgl. die vorleist 

9 Anmerkung. 

δ) 1,6, 9, wo in Betreff des zuletst angeführten unter anderem gesagt 
wird (57, 6): οὐ γὰρ ἂν πώποτε εἶδεν ὀφθαλμὸς ἥλιον ἡλιοειδὴς μὴ γεγενημένη 
οὐδὲ τὸ καλὸν ἂν ἴδῃ ψυχὴ μὴ καλὴ γενομένη. Vgl. hiesu das Wort des Poside- 
nius 1. Abth. 70, 8. 

6) Vgl. 8. 416, 5, 


Reinigung. 839 


drücklich an, dass die Flucht aus der Sinnlichkeit gewisse Grenzen 
habe, er will Lust und Schmerz zwar auf das nothwendige be- 
schränken, aber nicht ganz ausschliessen, Furcht und Zorn als 
unwillkührliche Affekte, das Verlangen nach Nahrung und Ge- 
schlechtsgenuss !) als natürliche und vom Willen beherrschte 
Triebe stehen lassen, er will überhaupt die Sinnlichkeit nicht völlig 
ausrotten, sondern nur in der Art der Vernunft unterwerfen, dass 
sie stets auf ihre Mahnung höre, und die Seele selbst von ihr rein 
bleibe 52. Noch weniger kann er zugeben, dass aus seiner Lehre 
von der Flucht aus dem Körper die stoische Empfehlung des Selbst- 
mords hergeleitet werde ®), wenn er auch diesen nicht unter allen 
Umständen verwerflich findet *). Ueberhaupt aber werden wir 
auch hier den Grundsatz anwenden dürfen, den er mit reinem sitt- 
lichem Sinn aus der stoischen Lehre sich aneignet, dass es nicht 
auf die That, sondern allein auf die Gesinnung ankomme °). Auf 
diesem Standpunkt musste er die Abkehr vom Sinnlichen nicht 
sowohl in bestimmten äusseren Enthaltungen suchen, als in der 
Befreiung des Willens und Interesse’s von der Anhänglichkeit an 
den Leib und das Leibliche. 
Andererseits aber findet Plotin doch, wie Plato, durch seinen 
Sinn für die Schönheit dieser Welt sich veranlasst, das Sinnliche und 
das Geistige auch in ethischer Beziehung in ein affirmativeres 
Verhältniss zu setzen. So weit diese Welt auch von der übersinn- 
lichen absteht, so trägt sie doch das Bild derselben, die formlose 
Materie erscheint in ihr durch Form πὰ Begriff gestaltet, sie hat 
die Idee in sich aufgenommen, und erinnert die Seele desshalb an 
das Höhere °). Das Sinnliche ist insofern eine Brücke zum Ueber- 


1) Was diesen betrifft, so wird auch III, 5, 1. 298, E der physische Zeu- 
gungstrieb swar als eine niedere Stufe des Eros, aber doch als nichts ver- 
werfliches, und nur seine päderastische Verirrung als etwas schändliches 
bezeichnet. Vgl. auch III, 8, 6 (oben 8. 448, 3). 

2) I, 2, δ. 

8) I. ἐξαγωγῆς I, 9. 

4) I, 4, 7 Bohl. ο. 16 Schl. 

6) I, 5, 10. 45, F: al πράξεις οὐχ ἐξ αὑτῶν τὸ εὖ διδόασιν, ἀλλ᾽ al διαθέσεις 
(die Willensbeschaffenheit) καὶ τὰς πράξεις καλὰς ποιοῦσι, χαρποῦταί τε ὁ φρόνιμος 
τὸ ἀγαθὸν καὶ πράττων, οὐχ ὅτι πράττει οὐδ᾽ dr τῶν συμβαινόντων, ἀλλ᾽ ἐξ οὖ ἔχει, 

6) M. vgl. die Schrift x. τοῦ χαλοῦ Επη. I, 6 und die gegen die Gnostiker 
Enn. U, 9. Ueber jene wurde 8, 475, 2, über diese 8. 499 £. berichtet, 


540 Plotinus. 


sinnlichen: an der körperlichen Schönheit entzündet sich das Ver- 
langen nach dem Guten, der Eros, es ist möglich von dem sinnlich 
Schönen stufenweise zu der höheren und höchsten Schönheit auf- 
zusteigen '), und nicht blos die philosophische, sondern auch die 
erotische und musikalische Natur ist zu dieser Erhebung geeignet?). 
Indessen soll dieselbe schliesslich doch nur darin bestehen, dass 
von dem Sinnlichen der Erscheinung abstrahirt, von dem verur- 
sachten auf die intelligible Ursache zurückgegangen, die Liebe 
zum Körperlichen und Einzelnen verlassen wird ®), und so gewinnt 


1) Plotin beschreibt diese Stufen, nach Anleitung des platonischen Gast- 
mahls und der Republik (vgl. Bd. II, a, 884 f. 403 £.), Υ͂, 9,1 £. 1, 3,3. 1,8, 
4f. Ausführlicher handelt vom Eros Enn. 1Il, 5 vgl. VI, 9, 9. 768, C fi, zu- 
nächst gleichfalls an das Symposiam anknüpfend, dessen Mythus hier seise 
seitdem bei den Neuplatonikern stehend gebliebene Deutung erhalten hat 
Dieser Darstellung zufolge ist ein doppelter Eros, oder es sind eigentlich 
zahllose Eros zu unterscheiden. Der erste ist der himmlische, der Gott Eros, 
der Sohn der himmlischen Aphrodite (der ersten Seele), aus ibrer Liebe zum 
Nus und zum Guten entsprungen; wie aber nelen der ersten Seele eine zweitg, 
die ᾿Αφροδίτη πάνδημος, steht, so auch neben dem höheren Eros ein niedrigerer, 
der Dämon dieses Namens, Den letzteren nennt Plato den Bohn der Penis 
und des Poros, und lässt ihn am Geburtstag der Aphrodite im Garten des 
Zeus erzeugt werden, weil er der Seele (Aphrodite) aus der Vernunft oder 
dem Logos (Poros) entsteht, der ihr vermöge der Erleuchtung durch dan 
Νὰ (diese soll der Garten des Zeus bezeichnen) inwohnt, aber nicht aus 
dem reinen, sondern aus dem in die Materie (die Penia) herabgesunkenes 
Logos u. s. w. Plotin denkt sich diesen Dämon, wie alle Dämonen, als 
wirkliobe Hypostase (8. bes. 6. 8 Anf.), diess hindert ihn aber nicht, zu be» 
haupten (c. 4), derselbe Eros sei auch in jeder Einzelseele und der Bohn dieser 
Seele, und eben dieser sei der Schutzgeist des Einzelnen, die vielen Eros 
seien aber zugleich Ein Eros, wie die vielen Aphroditen oder Seelen Bine 
Aphrodite. Vgl. 8.511. Mit wie vieler Vorliebe übrigens unser Philosoph diese 
Deutungen ausführt, und wie sehr ibn die Späteren darin bewundert und 
nachgeahmt haben, so ist doch der philosophische Werth dieser spielenden 
Mythendeutung, selbst vom Standpunkt des plotinischen Systems aus, gering, 
und es bleibt von den vielen in einander verschwimmenden und jede Abrur- 
dung zu einem bestimmten Bild verweigernden Zügen als ihr Gedankeninbalt 
kaum mehr übrig, als der Batz o. 4 Schl.: ᾿Αφροδίτη ψυχὴ, ἔρως δὲ ἐνέργεα 
ψυχῆς ἀγαθοῦ ὀριγνωμένης. Weiter gehören hieher auch die 8. 475, 3 bespro- 
chenen Erörterungen über das Schöne. 

3) 1,8, Σ — 8. 

8) M. s. I, 8,2. V,9, 2 und besonders I, 6, 7 Anf.: &vaßardov οὖν πάλο 
ἐπὶ τὸ ἀγαθὸν... τεῦξις δὲ αὐτοῦ ἀναβαίνουσι πρὸς τὸ ἄνω καὶ ἐπιστραφεῖσι καὶ ἀξο- 


Die Liebe. Die praktische Tugend. 541 


denn doch wieder die negative Fassung der sittlichen Aufgabe das 
Uebergewicht, welches durch den ganzen Charakter des Systems 
für sie gefordert ist. 

Von diesem Standpunkt aus konnte nun der praktischen Thä- 
tigkeit, im Vergleich mit der theoretischen, nur derselbe unterge- 
ordnete Werth beigelegt werden, welchen ihr schon Philo, aus 
den gleichen Gründen, allein zugestand. Plotin ist zwar mit jener 
unbedingten Verachtung der ethischen Tugend, die er bei christ- 
lichen (gnostischen) Gegnern zu finden glaubte, keineswegs ein- 
verstanden. Wer die Tugend geringschätzt, sagt er, (ll, 9, 15) 
die durch Uebung und Unterricht erworben wird, dem bleibt kein 
anderes Lebensziel, als die [δ᾽ πα der Vortheil; wer wahre 
Tugend besitzt, der wird sie auch in Sachen dieses Lebens bewäh- 
ren, und die Mittel, durch welche die Seele geheilt und gereinigt 
wird, nicht hintansetzen ; es ist nicht genug, uns zur Betrachtung 
Gottes zu ermahnen, man muss uns auch zeigen, wie sie möglich 
ist: nur die vollendete Tugend wird uns Gott zeigen, wo die Tu- 
gend fehlt, ist die Gottesidee ein leerer Name. So hat sich auch 
Plotin selbst der praktischen Thätigkeit durchaus nicht entzogen '). 
Aber Joch kann er sie der theoretischen entfernt nicht gleichstel- 
len. Sofern der Mensch handelt, beschäftigt er sich mit dem Ob- 
jekt, er setzt sich einen äusseren Zweck und ist an äussere Mittel 
gebunden, er muss sich auf die sinnliche Welt einlassen, um sie 
seinen Ansichten diensibar zu machen. Eben dieses muss aber 
unserem Philosophen nicht blos als eine Unvollkommenheit, son- 
dern auch als eine Verunreinigung erscheinen. Die ethische 
Tugend gehört ihm zufolge nicht rein der höheren Seele, sondern 
nur dem Gemeinsamen an, welches aus den höheren und den 
niederen Kräften zusammengesetzt ist ?); das Handeln ist nur eine 
relative, durch anderes bedingte Thätigkeit, der Mensch ist daher 


δυομένοις ἃ καταβαίνοντες ἠμφιέσμεθα u. 8. w. Dadurch gelingt es, ἐρᾶν ἀληθῆ 
ἔρωτα χαὶ δριμέϊς πόθους, καὶ τῶν ἄλλων ἐρώτων καταγελᾷν χαὶ τῶν πρόσθεν νομι- 
ζομένων χαλῶν χαταφρονέϊν u. 8. f. 

1).Vgl. 8. 415, 2. 

2) I, 1,10 8. ο. δ28, δ. vgl. VI, 8, 16. 681, E: sofern die praktische Tu- 
gend das Handeln nicht blos als etwas unvermeidliches (ἀναγχαΐον), sondern 
als ein wünschenswerthes (προηγούμενον) betrachte, gehöre sie nicht zu den 
intelligibeln, sondern zu den sinnlichen Qualitäten. 


543 Plotinus. 


in demselben von anderem abhängig, oder wie Plotin es ausdrückt, 
bezaubert 1); und mag eine praktische Thätigkeit als solche noch 
so vollkommen sein, so wird sie doch der theoretischen nie gleich- 
stehen: von Herakles, dem Heros der praktischen Tugend, ist we- 
nigstens dasSchattenbild im Hades, d.h. er befindet sich noch mit einem 
Theil seines Wesens in der Erscheinungswelt, nur der Theoretiker 
vermag sich ganz zu den Göttern, in’s Uebersinnliche zu erheben?) 
Denken wir uns dagegen die Praxis von diesen Mängeln befreit, » 
bleibt uns als der wahre Kern derselben nur die Theorie übrig; 
denn der Zweck alles Handelns kann doch nur der Besitz des 
Guten sein, dieses besitzt aber die Seele nur sofern sie es in sich 
hat, d. h. in der Theorie. Die Theorie ist mithin das Ziel der prak- 
tischen Thätigkeit selbst, auch diese entspringt aus dem Wissens- 
Trieb und -Bedürfniss, und dass sie sich nicht unmittelbar δαὶ 
Erkennen richtet, hat seinen Grund nur in der Schwäche des theo- 
retischen Vermögens: was der Mensch nicht rein geistig zu schaues 
vermag, das will er äusserlich darstellen, um es wenigstens 5188- 
lich anzuschauen, sein Handeln ist nur ein unvollkommenes Erken- 
nen, nur ein Umweg zum Wissen ®). Die politischen Tugenden, 
wie anderswo ausgeführt wird, haben zwar ihren Werth, denn si® 
mässigen und begrenzen die Begierden und Affekte, sie entfernen 
falsche Vorstellungen, sie geben im Sinnlichen ein Abbild des 
Maasses in der Seele; die höhere Tugend jedoch ist diejenige, 
welche nicht zufrieden, die Sinnlichkeit durch den Geist zu be- 
schränken, diesen vielmehr ganz von jener losmacht; die wahre 
Weisheit, Besonnenheit, Tapferkeit und Gerechtigkeit bezieht ch 


1) IV, 4,48 f. nach dem allgemeinen Grundsatz o. 48. 438, A: πᾶν γὰ 
τὸ πρὸς ἄλλο γοητεύεται ὅπ᾽ ἄλλου" πρὸς ὃ γάρ ἐστιν ἐχεῖνο, γοητεύει καὶ ἄγει αὐτὸ, 
μόνον δὲ τὸ πρὸς αὑτὸ ἀγοήτευτον. 

2) 1,1, 13. 1, Β. 

8) III, 8, 2—6, besonders ὁ. 3. 846, A: ἄνθρωποι ὅταν ἀσθενήσωσοω εἰς τὸ 
θεωρέϊν σχιὰν θεωρίας καὶ λόγου τὴν πρᾶξιν ποιοῦνται. ὅτι γὰρ μὴ ἱκανὸν αὐτοῖς τ 
τῆς θεωρίας, ὑπ᾽ ἀσθενείας ψυχῆς λαβεῖν οὐ δυνάμενοι τὸ θέαμα Ixavörg χαὶ διὰ τοῦτο 
οὗ πληρούμενοι, ἐφιέμενοι δὲ αὐτὸ ἰδεῖν, εἰς πρᾶξιν φέρονται, ἵνα ἴδωσιν ὃ μὴ νῷ Br 
γαντο. 0. 5 Anf.: ἣ ἄρα πρᾶξις ἕνεχα θεωρίας καὶ θεωρήματος, ὥστε καὶ τοῖς πρέτ' 
τουσῖν ἧ θεωρία τέλος" καὶ οἷον ἐξ εὐθείας ὃ μὴ ἠδυνήθησαν Aaßelv, τοῦτο zzpızla 
νώμενοι ἑλεῖν ζητοῦσιν... ἐπεὶ χαὶ ἀγαθοῦ χάριν πράττουσι τοῦτο δὲ οὐχ ἵνα ὧν 
αὐτῶν͵ οὐδ᾽ ἵνα μὴ ἔχωσιν, ἀλλ᾽ ἵνα ἔχωσι τὸ ἐκ τῆς πράξεως ἀγαθόν" τοῦτο δὲ ποῦ; 
ἐν ψυχῇ. ἀνέκαμψεν οὖν πάλιν I πρᾶξις εἷς θεωρίαν. Vgl. 8. 448, 8. 


Die praktische Tugend; der Btaat. 543 


nicht mehr auf ein Aeusseres, sondern rein auf das Verhalten der 
Seele gegen sich selbst. Nur diese Tugenden sind ein wirkliches 
Abbild von den Eigenschaften des göttlichen Nus, die ethischen 
können wir diesem, wie früher gezeigt wurde, nicht einmal ver- 
gleichungsweise beilegen. Wer daher einer kräftigen theore- 
tischen Thätigkeit fähig ist, der wird bei jenem untergeordneten 
nicht lange verweilen, sondern sich möglichst ungetheilt dem höhe- 
ren, der Theorie als solcher, zuwenden; er wird nicht blos wie 
ein guter Mensch leben wollen, sondern wie ein Gott ?). 

Schon hiemit war es nun gegeben, dass Plotin für das Staats- 
leben und das Wirken im Staate, welches in jener Zeit ohnedem 
für geistig angelegte Naturen keinen Reiz haben konnte, wenig 
Sinn hat. Er sagt wohl bei Gelegenheit, man müsse durch Muth 
und Thatkraft sich des Unrechts erwehren, nicht in thatlosem 
Gebet auf die Hülfe der Götter warten 529, er tadelt diejeni- 
gen, welche schlecht regiert werden, weil sie bessere Regenten 
weder erzieben noch dulden °); aber zugleich ist er der Meinung, 
wer für sein wahres Wohl besorgt sei, der werde sich obrigkeit- 
licher Aemter entschlagen, den Guten, die ein mehr als mensch- 
liches Leben führen, könne man nicht zumuthen, dass sie dieses 
verlassen, um sich Staatsgeschäften zu widmen *). So haben wir 
ja auch gefunden, dass er verlangt, der Weise solle sich um die 
Zerstörung seiner Vaterstadt nicht betrüben 5). Er selbst enthält 
sich als Philosoph aller politischen Untersuchungen, wenn er auch 
beiläufig einmal die platonische Aristokratie gutheisst 6), und sogar 
an ihre Verwirklichung in der Philosophenistadt Platonopolis gedacht 
hat). Sein Sinn und Interesse ist viel zu ausschliesslich dem 
eigenen Innern, der reinen Gedankenwelt zugewendet, als dass 
die äussere Gestaltung der menschlichen Gesellschaft einen erheb- 
lichen Werth für ihn hätte haben können. 


»1,2,2f.0.6£.1,6,6 vgl. 8. 538. 
2) III, 2, 8. 261, G vgl. 8. 504, 8. 

8) Ebd. ο. 9. 262, Ὁ. 

4) I, 4, 14. 38, A. III, 2, 9. 262, D. 

5) I, 4, 7. 84, C; 5. 0. 8. 588. 

6) IV, 4, 17. 410, C. 

7) Vgl 8. 414, 6. 


544 Plotinus. 


Auch die theoretischen Thätigkeiten entsprechen jedoch dea 
Anforderungen unseres Philosophen nur theilweise. Ist die Praxs 
wegen ihrer Beziehung auf das Aeussere von zweifelhaftem Wer- 
the, so wird die sinnliche Wahrnehmung noch weit weniger Werth 
haben. Nennt sie daher Plotin auch bei Gelegenheit einen Botea, 
welchen der König unseres Innern, der Nus zu uns herabsende '), 
vergleicht er auch das Wahrnehmungsvermögen der Urtheilskrall 
die Einbildungskraft (φανταστικὸν) dem Denken ?), betrachtet er 
die sinnliche Wahrnehmung, wie die sinnlichen Dinge selbst, as 
Nachbildung eines höheren, als ein verdunkeltes Denken ?°), zeigt 
er uns, wie wir vom sinnlich Schönen zum Uebersinnlichen empor- 
steigen können (8. 0.), so ist doch damit die wesentliche Unwahr- 
heit der sinnlichen Erkenntniss als solcher nicht aufgehoben. Was 
jene Aussprüche wirklich besagen, ist doch nur dieses, dass auch 
im Sinnlichen eine Andeulung der unsinnlichen Kräfte und Formen 
liegt; dem widerspricht es aber gar nicht, wenn diese Andeutung 
eben nur als Andeutung, als eine schwache Spur (ἴχνος), wie sie 
oft heisst, nicht als die Sache selbst, betrachtet, wenn die sinnliche 
Wahrnehmung für eine durchaus unangemessene Auffassungsweise 
erklärt wird %). Wie nothwendig diese Ansicht von derselben für 
Plotin ist, ergiebt sich aus seiner ganzen Lehre von der Sinnes- 
welt so unmittelbar, dass es kaum nöthig ist, einzelne Stellen as- 
zuführen, welche die sinnliche Erkenntniss auf das unwirkliche 
äussere Abbild des wahrhaft Seienden beschränken 5), welche 
erklären, sie gehöre nicht der wachen und reinen, sondern nur 
der im Körper schlummernden Seele an ®), welche die Sinnes- 
empfindung zu dem schlechteren Theil der Seele, zu dem, was δὴ 
ihr von unten her stammt, zu den befleckenden Anhängseln des 


1) V, 8, 8 Schl. 

3) IV, 8, 28. 889, C. 

8) VI, 7, 7 Schl.: ὥστε εἶναι τὰς αἰσθήσεις ταύτας ἀμυδρὰς νοήσεις, τὰς ἃ 
exit νοήσεις ἐναργέϊς αἰσθήσεις. 

4) Ich kann insofern Rırrza's Urtheil (IV, 689) nicht beitreten, dass dis 
angeführten Sätze dem Plotin nur aus der platonischen Lehre herübergeflosse® 
seien, ohne dass er sie in vollem Ernste gemeint hätte, 

δ) Vgl. 8. 495, 1. 

6) III, 6, 6 Schl. 


Das sinaliche Erkennen. Das Denken. 845 


diesseitigen Lebens rechnen 1), und zur Abwendung von ihr er- 
mahnen 5). Von einem positiven Werthe der sinnlichen Beobach- 
tung als solcher, von einer aristotelischen Schätzung des Wissens 
aus Erfahrung kann hier nicht die Rede sein; kann sie auch zur 
Hinweisung auf das höhere dienen, so ist doch jedes Verweilen 
beim Sinnlichen selbst vom Uebel, und das wahre Verhältniss zu 
demselben nur dieses, dass man sich von ihm möglichst schnell 
zur übersinnlichen Welt hinwendet. 

Was von der sinnlichen Wahrnehmung gilt, muss natürlich 
auch von der Vorstellung gelten, die aus jener entsprungen ist 9); 
ungleich mehr Wahrheit hat dagegen auch für Plotin das vermit- 
telte Denken (διάνοια, λογισμός). Dieses ist wirklich auf das Sei- 
ende und die Erkenntniss des Seienden gerichtet %); welchen 
Werth ihm Plotin beilegt, zeigt sich namentlich in seinen Aeusse- 
rungen über die Dielektik I, 3, 4—6. In ihr erkennt er, der pla- 
tonischen Bestimmung gemäss, die reine Wissenschaft, die Ferlig- 
keit des umfassenden begrifflichen Denkens °). Sie handelt von 
dem Guten und Ewigen, so wie von dem enigegengesetzten, und 
von allem, was unter den einen oder den andern dieser Begriffe 
fallt. In ihr nimmt die Irrfahrt durch’s Sinnliche ein Ende, und die 
Seele bewegt sich befreit vom Irrthum in dem Felde der Wahrheit, 
sie unterscheidet dieldeen und das Wesen der Dinge und die ober- 
sten Gattungen, um von hier aus alles denkbare Jdenkend zu ver- 
knüpfen und wieder aufzulösen (c. 4). Nur eine Vor- und Hülfs- 
wissenschaft dieser Dialektik ist die gewöhnliche Logik mit ihren 


1) V, 8, 8 Schl. I, 1,7 Anf. IV, 8, 4. 472, Ὁ. Dagogen steht IV, 8, 24. 
390, B nicht, wie Rırrea IV, 590 angiebt: „nur zur Strafe nehme die Seele 
das körperliche wahr“, sondern: die 8eelen empfinden im Jenseits die körper- 
lichen Strafen. 

2) 111, 6, δ. 308, A f. u. a. St. vgl. 8. 688. 

8) Ill, 6, δ. 308, C, wo vor der φαντασία περὶ τὰ χάτω gewarnt wird. 

4) IV, 4, 12. 406, A: to γὰρ λογίζεσθαι τί ἄλλο ἂν εἴη ἢ τὸ ἐφίεσθαι ebpelv 
φρόνησιν χαὶ λόγον ἀληθῆ καὶ τυγχάνοντα νοῦ τοῦ ὄντος ; die φρόνησις aber (I, 8, δ. 
21, E) bezieht sich auf das Seiende, das Intelligible. 

5) c. 4, Anf.: ἔστι μὲν δὴ ἢ λόγῳ περὶ ἑχάστου δυναμένη ἕξις εἰπεῖν͵ τί τε Ixa- 
στον, καὶ τί τῶν ἄλλων διαφέρει, καὶ τίς ἢ χοινότης ἐν οἷς ἐστὶ, χαὶ ποῦ τούτων ἕκα- 
στον, χαὶ el ἔστιν ὃ ἐστι, χαὶ τὰ ὄντα ὁπόσα καὶ τὰ μὴ ὄντα αὖ ἕτερα δὲ ὄντων. Zu 
dem folgenden vgl. m. Sreinuart do dialectica Plotini ratione 8. 14 1. 


Philos. d. Gr. III. Bd. 2. Abth. 35 


546 Plotinus. 


Untersuchungen über Sätze und Schlüsse !), sie selbst aber ist 
kein blos formales Wissen, sie besteht nicht aus Lehrsätzen umd 
Regeln ohne Inhalt, sondern sie bezieht sich auf ein wirkliches, 
ja auf das allein wahrhaft wirkliche 9). Sie ist daher (c. 6) der 
werthvollste Theil der Philosophie, derjenige, welcher sich mil 
dem allgemeinsten und absolut immateriellen beschäftigt; sie ist 
im Unterschied von der praktischen Einsicht (φρόνησις) als die 
Weisheit im engeren Sinn (σοφία) ®) zu betrachten. Dabei wird 
aber auch die Bedeutung der wissenschaftlichen Form von Piolia 
nicht übersehen, wie sich diess von einem so geübten, in dialekt- 
schen Erörterungen mit solchem Eifer und solcher Meisterschafi 
sich bewegenden Logiker nicht anders erwarten liess; er erkems! 
es an, dass die Dialektik methodisch zum Wirklichen hiuführes 
müsse, er erklärt, in der Wissenschaft sei jeder Theil au sich 
(δυνάμει) das Ganze, sobald man dagegen einen Lehrsatz ausser 
seinem Zusammenhang mit den übrigen betrachte, sei er kein wis- 
senschaftlicher Satz mehr 4); er zeigt durch die ganze Anlage 
seines Systems, wie sehr es ihm um eine folgerichtige Verknüpfung 
alles einzelnen zu thun ist. Und damit steht es gar nicht im 
Widerspruch, wenn anderwärts gesagt wird, die Wissenschal 
bestehe nicht aus Theoremen, und sei nicht ein Aggregat von 
Sätzen, das Wissen des Nus sei kein Wissen durch Beweisfüh- 
rung 5), denn diese Aeusserungen gehen nicht auf die menschliche 
Wissenschaft, sondern auf das göttliche Denken; und wenn Plolis 
V, 8, 4 beifügt, nicht einmal die menschliche Wissenschafi sei eit 
blosses Aggregat (συμφόρησις) von Sätzen, so kann man ihm auch 


1) A. ἃ. Ο. c.4.5, wo aber von dem nichts steht, was Rırrza IV, 59 
aus diesen Stellen berausliest, dass „der Dialektik verboten werde, Sätse oder 
Urtheile zu gebrauchen.“ lEbensowenig steht diess in der ebd. angefübrties 
Stelle I, 8, 2, einer Auseinandersetzung über den Unterschied des diskursiren 
menschlichen von dem intuitiven göttlichen Denken (s. ο. 459, 2). 

2) c. 5. 22, E: οὐ γὰρ δὴ οητέον, ὄργανον (ein blosaes Werkzeug, "ie 
diess die Logik nach peripatetischer Auffassung sein sollte; vgl. Bd. II, ἃ, 
127) τοῦτο εἶναι τοῦ φιλοσόφου" οὐ γὰρ ψιλὰ θεωρήματά ἐστι χαὶ κανόνες ἀλλὰ 
περὶ πράγματά ἐστι καὶ οἷον ὕλην ἔχει τὰ ὄντα. ὁδῷ μέντοι Er’ αὐτὰ χωρέϊ, ἅμα τοῖς 
θεωρήμασι τὰ πράγματα ἔχουσα. 

8) Ueber das Verhältniss dieser beiden Begriffe vgl. Bd. II, b, 503 ff. 

4) IV, 9, 5. 480, B. Weiteres vorl. Anm. 

δ) V,8,4. 546, C. V,5, 1. 519, B vgl. 8. 469. 


Das Denken; das unmittelbare Wissen. 547 


Bierin nicht Unrecht geben. Wenn endlich vom Reflexionsver- 
mwaögen (Aoyıstwöv, διχνοητικὸν) gesagt wird, es beziehe sich auf 
das durch die Wahrnehmung gegebene 1), wenn dem Nus die Noth- 
wendigkeit, der Seele die Ueberzeugung durch Wahrschemlich- 
keitsgründe (πειθὼ) zugeschrieben wird ?), so ist zu erwägen, 
dass Plotin die Wissenschaft nicht blos der Seele (ψυχὴ) und dem 
psychischen Reflexionsvermögen zuweist, von der Dialektik viel- 
mehr 1,3, 5 ausdrücklich erklärt, sie empfange ihre Prineipien vom 
Nus, erst aus diesen werde das weitere von der Seele entwickelt. 
Insofern müssen wir Plotin’s Aeusserungen über die Wissenschaft 
von dem Vorwurf des Widerspruchs und der Verworrenheit frei- 
sprechen, wenn auch Ungenauigkeiten im Ausdruck hier, wie sonst, 
bei ihm häufig genug sind. 

Allerdings gilt aber das vermittelte Denken Plotin nicht für 
das höchste. Dieses selbst setzt ein unmittelbares Wissen vom 
Uebersinnlichen voraus ; die Seele für sich ist auf die blosse Refle- 
xion beschränkt, die Principien eines höheren Wissens kann sie 
nur vom Nus entlehnen °). Der Geist kann sich nur dem Geist 
offenbaren, nur verwandtes vermag das verwandte zu erkennen, 
nur der Nus den Nus zu verstehen *). Diese höhere Erkenntniss 


1) V, 8, 2. 497, B. 

2) V, 3, 6. 501, B. Ä 

8) 1,8, 5 Anf.: ἀλλὰ πόθεν τὰς ἀρχὰς ἔχει ἣ ἐπιστήμη αὕτη; ἢ νοῦς δίδωσιν 
ἐναργέίς ἀρχὰς εἴ τις λαβεῖν δύναιτο ψυχή; εἶτα τὰ ἑξῆς καὶ συντίθησι καὶ συμπλέχει 
χαὶ διαιρεῖ ἕως εἰς τέλεον νοῦν Fan. V, 8, 3. 498, B: ἐπεῤῥώσθη δὲ [ἢ ψυχὴ] εἰς 
αἴσθησιν τοῦ τοιούτου (des Guten) ἐπιλάμποντος αὐτῇ νοῦ, τὸ γὰρ xadzpuv τῆς ψυχῆς 
τοῦτο, καὶ νοῦ δέχεται ἐπιχείμενα ἴχνη. διὰ τί δὲ οὐ τοῦτο νοῦς, τὰ δὲ ἄλλα ψυχὴ ἀπὸ 
τοῦ αἰσθητιχοῦ ἀρξάμενα ; ἢ ὅτι ψυχὴν dei ἐν λογισμοῖς εἶναι͵ ταῦτα δὲ πάντα λογι- 
ζομένης δυνάμεως ἔργα. ἀλλὰ διὰ τί οὐ τούτῳ τῷ μέρει δόντες τὸ νοέϊν ἑαυτὸ ἀπαλ- 
λαξόμεθα ; ἢ ὅτι ἔδομεν αὐτῷ τὰ ἔξω σχοπέϊσθαι χαὶ πολυπραγμονέϊν͵, νῷ δὰ ἀξιοῦμεν 
ὄχάρχειν τὰ αὐτοῦ καὶ τὰ ἐν αὑτῷ σχοκέϊσθαι, c. 4 Anf.: zart’ ἐχέίνον δὲ [sc. τὸν νοῦν 
ἐσμὲν] διχῶς, ἢ τοῖς οἷον γράμμασιν ὥσπερ νόμοις ἐν ἡμῖν γραφέϊσιν (die 0.3 er- 
wähnten ἴχνη, welche der Nus der Seele eindrückt), ἢ οἷον πληρωθέντες αὐτοῦ 
Axor δυνηθέντες ἰδέϊν χαὶ αἰσθάνεσθαι παρόντος. Die Selbsterkenntniss sei zwie- 
faeher Art: sie beziehe sich entweder auf die διάνοια ψυχιχὴ oder auf den νοῦς, 
im letzteren Fall aber erkenne man sich οὐχ ὡς ἄνθρωπον ἔτι, ἀλλὰ παντελῶς 
ἄλλον γενόμενον καὶ συναρπάσαντα ἑαυτὸν εἷς τὸ ἄνω μόνον ἐφέλχοντα To τῆς ψυχῆς 
ἄμεινον, ὃ χαὶ δύναται μόνον πτεροῦσθαι πρὸς νόησιν. Vgl. auch co. 8. 

4) ἴ, 6, 9 4. ο. 538, 5. IV, 8, 1 Anf.: πολλάχις ἐγειρόμενος εἰς ἐμαυτὸν .... 
μετὰ ταύτην τὴν ἐν τῷ θείῳ στἄσιν εἰς λογισμὸν ἐκ νοῦ χαταβὰς u. 8. w. V, 8, 8. 4 
δ. vor. Anm. 


35 * 


48 Plotinus. 


ist aber kein miltelbares Wissen mehr, sondern ein unmittelbares 
Haben des gewussten, eine Selbstanschauung des Denkens, welche 
zugleich Anschauung des denkbaren, der übersinnlichen Weses- 
heit ist 3); denn diese ist ja im Nus enthalten, der Unterschied des 
göttlichen und des menschlichen Nus aber hebt sich in dieser An- 
schauung selbst auf, und indem das menschliche Denken in sein 
reines Wesen zurückgeht, einigt es sich ebendamit dem göttlichen, 
dessen Theil es ist ”); wie denn auch Plotin in der Schilderung 
des νοῦς zwischen beiden so wenig zu unterscheiden pflegt, das 
die meisten seiner früher angeführten Aeusserungen über die Be- 
schaffenheit des göttlichen Denkens zugleich auch auf die reise 
Denkthätigkeit des Menschen zu beziehen sind. Doch soll sich der 
Mensch in dieser intellektuellen Anschauung noch nicht in der Art 
an das unendliche Objekt entäussern, dass seine Persönlichkeit 
schlechthin darin untergienge ; wiewohl vielmehr nicht blos vom 
Nus, sondern auch von der Seele gesagt wird, dass sie sich mit dem 
göttlichen Nus unmittelbar vereinige, und so selbst zur Unverän- 
derlichkeit gelange, so soll doch in dieser Vereinigung zugleich 
der Unterschied beider und das menschliche Selbstbewusstsein er- 
halten bleiben ®). Erst in der Anschauung des Urwesens geht de- 
ses völlig an das die Seele erfüllende Höhere verloren. 

Selbst die bisher beschriebene Stufe scheint nämlich unseres 


1) Vorletste Anm. V, 8. 4. 499, Ὁ: ἡμεῖς δὲ ἄλλῃ δυνάμει προςγ ρησάμενοι 
νοῦν αὖ γιγνώσχοντα ἑαυτὸν χατοψόμεθα - A ἐχέϊνον μεταλαβόντες, ἐπείπερ χἀπᾶνες 
ἡμέτερος καὶ ἡμείς ἐχείνου, οὕτω νοῦν χαὶ αὑτοὺς γνωσόμεθα; ἢ ἀναγκαῖον ri 
εἴπερ γνωσόμεθα ὅ τι ποτέ ἐστι τὸ ἐν νῷ αὐτὸ ἕαυτό u.a. w. VI, 1, 85. 726, ἃ: 
νοῦς γενόμενος αὕτη [ἢ ψυχὴ] θεωρέϊΐ οἷον νοωθεῖσα χαὶ dv τῷ τόκῳ τῷ νοητῷ γεν 
μένη" ἀλλὰ γενομένη μὲν ἐν αὐτῷ χαὶ περὶ αὐτὸν ἔχουσα τὸ νοητὸν vogl U. 8. W. 

2) IV, 4, 2. 898, Β: εἰ δέ ἐστιν [d νοῶν] αὐτὸς τοιοῦτος οἷος πάντα εἶναι; ὅτεν 
αὑτὸν νοῇ πάντα ὁμοῦ νοεῖ: ὥστε τῇ μὲν εἰς ἑαυτὸν ὁ τοιοῦτος ἐπιβολῇ καὶ ἐκεργεξ 
ἑαυτὸν δρῶν τὰ πάντα ἐμπεριεχόμενα ἔχει, τῇ δὲ πρὸς τὰ πάντα ἐμπεραγ ὀμενο" 
ἑαυτόν. 

8) Α. 8. Ο. 898, Ὁ: [ἢ ψυχὴ] καθαρῶς ἐν τῷ νοητῷ οὖσα ἔχει τὸ ἀμετάβλητον! 
καὶ αὐτή... ἐπεὶ χαὶ ὅταν ἐν ἐκείνῳ ἦ τῷ τόπῳ εἰς ἕνωσιν ἐλθεῖν τῷ νῷ ἀνάγτη ER 
ἐπεστράφη στραφέϊσα γὰρ οὐδὲν μεταξὺ ἔχει, εἷς τε νοῦν ἐλθοῦσα ἥρμοσται a 
μοσθεΐίσα Avwrar, οὐκ ἀπολλυμένη, ἄλλ᾽ ἕν ἐστιν ἄμφω χαὶ δύο... ὁμοῦ ἔχουσα τὰ 
συναίσθησιν αὑτῆς. Vgl. ΥἹ, 7, 85. 727, A. V, 8, 7 (wenn der Nus Gott erkennt, 
wird er auch sich selbst als Werk Gottes erkennen) gehört ebensowenig bit 
ber, als die Stellen, welche Rırtza 8. 801 noch weiter anführt, um Pkti2 
Widersprüche seiner Lebre schuldzugeben, V, 6, 5. VI, 9, 7. 


Das unmittelbare Wissen. Die Ekstase. 549 


Philosophen nicht genügend. Zwar ist er auch schon mit dem eben 
angeführten weit über den Standpunkt der älteren Philosophie 
hinausgegangen, aber doch bietet diese namentlich in der aristote- 
tischen Lehre von der unmittelbaren Vernunfterkenntniss !) und 
in der platonischen Unterscheidung des νοῦς und der ἐπιστήμη Ὁ) 
wenigstens bedeutende Anknüpfungspunkte für seine Ansichten. 
Dagegen steht es mit der ganzen Richtung des klassischen Den- 
kens im Widerspruch, und es ist eine entschiedene Annäherung an 
die orientalische Geistesweise, wenn Plotin nach dem Vorgang 
eines Philo das letzte Ziel der Philosophie nur in einer solchen An- 
schauung des Göttlichen finden will, bei welcher alle Bestimmtheit 
des Denkens und alle Klarheit des Selbstbewusstseins in mystischer 
Ekstase verschwindet. Wenn die Seele das Uebervernünftige er- 
greifen will, sagt er, so muss sie über das Denken selbst hinaus- 
gehen und sich dem Höheren hingeben °); sie muss das Denken 
gering achten, denn das Denken ist Bewegung, das Urwesen dage- 
gen ist das schlechthin unbewegte %); sie muss von jeder Form und 
Bestimmtheit, selbst der intelligibeln, abstrahiren, und sich zur rei- 
nen Bestimmungslosigkeit, zur unbedingten Empfänglichkeit läu- 
tern, denn nur so wird sie dasjenige, was über und ausser aller 
Bestimmung ist, unverändert in sich aufnehmen °). Vom Ersten 
giebt es ja keinen Begriff und kein Wissen, sein Wesen lässt sich 


1) 8. Bd. II, Ὁ, 185 ἢ, 508 £. 

2) Bd. Il, a, 407. 

8) VI, 7,85. 726, A: die Seele, in den Nus versetzt, schaut die intelli- 
gible Welt; dz&v δὲ dxdivov ἴδῃ τὸν θεὸν πάντα ἤδη ἀφίησιν τι. 8. τ. καὶ τὸν νοῦν 
τοίνυν τὴν μὲν ἔχειν δύναμιν εἰς τὸ vortv, I τὰ ἐν αὑτῷ βλέπει, τὴν δὲ, F τὰ ἐπέκεινα 
αὐτοῦ ἐπιβολῇ τινι χοὰ καραδοχῇ, καθ᾽ ἣν καὶ πρότερον ἑώρα μόνον καὶ ὁρῶν ὕστερον 
χαὶ νοῦν ἔσχε, aa ἕν ἐστι. καὶ ἔστιν ἐχείνη μὲν ἣ θέα νοῦ ἔμφρονος, αὕτη δὲ νοῦς ἐρῶν. 

4) VI, 7, 86 Anf.: οὕτω δὲ διάκειται τότε [ἢ ψυχὴ] ὡς καὶ τοῦ νοέΐν χαταφρο- 
νέϊν ὃ τὸν ἄλλον χρόνον ἠσπάζετο, ὅτι τὸ νοεῖν χίνησίς τις ἦν, αὕτη δὲ οὐ κινεῖσθαι 
θέλει, καὶ γὰρ οὐδ᾽ ἐχέϊνόν φησιν ὃν ὁρᾷ. 

5) Α. Α. Ὁ. 6. 34 Anf.: die Scele, sich dem Hüchsten zuwendend, πάντη 
ἀκήλλαχται καὶ μορφῆς νοητῆς... ἀποτίθεται πᾶσαν ἣν ἔχει μορφὴν καὶ Arız ἂν καὶ 
νοητοῦ ἡ ἐν αὐτῇ. οὐ γὰρ ἔστιν ἔχοντά τι ἄλλο καὶ ἐνεργοῦντα περὶ αὐτὸ οὔτε ἰδέϊν οὔτε 
ἐναρμοσθῆναι, ἀλλὰ Bst μήτε χαχὸν μήτε αὖ ἀγαθὸν μηδὲν ἄλλο πρόχειρον ἔχειν ἵνα 
δέξηται μόνη μόνον. V,5,6. 525, C: wie man das Intolligible nicht schauen 
kann, ohne jede Vorstellung des Sinnlichen fern zu halten, οὕτω καὶ ὁ θεάσασ- 
θαι θέλων τὸ ἐπέχεινα τοῦ νοητοῦ τὸ νοητὸν πᾶν ἀφεὶς θεάσεται. VI, 9, 7. 765, Ὁ: 
wie die Materie ohne Eigenschaft (ἄποιος) sein muss, um alle Eigenschaften 


550 Plotinus. 


weder mit einem Namen bezeichnen, noch mit einem Gedanken 
umfassen, wie sollte es da mit der Denkkraft als solcher zu errei- 
chen sein, und was bleibt dem, der es ergreifen will, übrig, als die 
absolute Abstraktion, wie von jedem Inhalt, so auch von jeder 
Bestimmtheit des Bewusstseins ἡ In der weiteren Schilderung dieses 
Zustandes, der Plotin aus eigener Erfahrung wehlbekannt ist Ὦ, 
treten als Hauptzüge diese hervor, dass derselbe nicht blos ein 
Wissen vom Göttlichen, sondern eine wirkliche Berührung mit dem 
Göttlichen sei, dass in dieser Berührung jeder Unterschied des 
Anschauenden und Angeschauten verschwinde, und dass diese 
Anschauung ebendesshalb ein Zustand der Ekstase, der Bewusst- 
losigkeit sei. Das Vernehmen des Höchsten kann kein Wissen 
sein, denn in allem Wissen ist eineMehrheit von Bestimmungen, das 
höchste Wesen dagegen ist reine Einheit; es lässt sich daher nur 
durch die unmittelbare Erfahrung seiner Gegenwart, durch eine 
von ihm ausgehende reale Berührung und Erleuchtung ergreifen; 
es lässt sich nicht beschreiben, sondern nur schauen; wir können 
andern wohl den Weg zeigen, auf dem sie zu dieser Anschauung 
gelangen werden, aber die Anschauung selbst können wir ihnen 
nicht mittheilen; um sie zu erhalten, muss man plötzlich und unmit- 
telbar von dem höheren Licht erfüllt werden, welches von der 
Gottheit ausströmt, ja die Gottheit selbst ist 2). Diese Erleuchtung 
theilt daher strenggenommen gleichfalls kein Wissen von Gott mit, 


in sich aufzunehmen, so muss die Seele formlos (avelösog) werden, wenn sie 
fähig sein soll, die Erleuchtung des Ersten aufzunehmen, 

1) IV, 8, 1 Auf. VI, 9, 4. 9. 761, E, 768, D vgl. 8. 417, 2. 

2) VI, 9, 4 Anfı: μηδὲ κατὰ ἐπιστήμην 9 σύνεσις ἐχείνου μηδὲ κατὰ νόησιν 
ὥσπερ τὰ ἄλλα νοητὰ, ἀλλὰ κατὰ παρουσίαν ἐκιστήμης κρείττονα. In der ἐκιστήαν 
nämlich sei die Serle nicht schlechthin Eins; λόγος γὰρ ἣ ἐπιστήμη, πολλὰ δὲ ὁ 
λόγος ... ὑπὲρ ἐπιστήμην τοίνυν del δραμεῖν χαὶ μηδαμῇ ἐχβαίνειν τοῦ ἕν εἶναι, DI 
ἀποστῆναι δεῖ καὶ ἐπιστήμης καὶ ἐξιστητῶν nat παντὸς ἄλλου καλοῦ θεάματος. Es ist 
aus diesem Grundo auch keine Beschreibung jener Auschauung möglich, sou- 
dern alles, was sich über sie sagen Iässt, kann nur den Weg zu ihr zeigen, 
sie selbst aber (vgl. auch 9. 9) ist ausschliesslich Sache der Erfahrung. ὁ. 1. 
765, C: das Höchste ist nichts von allem, was es genannt werden könate, 
ἀλλ᾽ ἔστι τῷ δυναμένῳ θιγέϊνν ἐχέῖ παρόν. V, ὃ, 17. 515, D: ἐν δὲ πάντη az 
διέξοδος [diskursives Denken] τίς ἐστιν; ἀλλ᾽ ἀρχέΐ χἂν νοερῶς ἐφάψασθαι, ἐφαϑά- 
μενον δὲ ὅτε ἐφάπτεται πάντη μηδὲν μήτε δύνασθαι μήτε σχολὴν ἄγειν λέγειν, ὕστερον 
δὲ περὶ αὐτοῦ συλλογίζεσθαι. τότε δὲ χρὴ ἑωραχέναι πιστεύειν, ὅταν ἡ ψυχὴ ἐξαίψεη: 
φῶς λάβῃ. τοῦτο γὰρ τὸ φῶς παρ᾽ αὐτοῦ καὶ αὐτός τ. 5. w. ΥἹ, 7, 84 f.e. ο. Υ͂, ὃ, 


Die Ekstase. 851 


man erfährt durch dieselbe wohl, dass er ist, aber nicht, was er 
ist, denn er ist überhaupt kein Was !), wir verhalten uns in der- 
selben als begeisterte und gottergriffene, welche wohl die Wirkung 
eines Höheren in sich fühlen, aber dieses Höhere selbst nicht näher 
beschreiben können 5). Nichtsdestoweniger ist sie aber die innig- 
ste Vereinigung der Seele mit dem Urwesen, ja sie erzeugt gerade 
desswegen kein Wissen, weil die Einheit des Anschauenden mit dem 
Angeschauten hier eine so unbedingte ist, dass die Unterscheidung 
des Bewusstseins von seinem Objekt, die Bedingung alles gegen- 
ständlichen Denkeas, gar nicht eintritt ?). Wenn Gott plötzlich 
in der Seele erscheint, so ist nichis mehr zwischen ihm und ihr, 
beide sind nicht mehr zwei, sondern eine ununterscheidbare Ein- 
heit. Die Seele wird in der Anschauung der Gottheit nicht allein 
mit sich selbst eins, indem der Gegensatz des νοῦς und der ψυχὴ 
verschwindet, sondern auch mit jenen; das Urwesen einigt sich 
ihrem Wesen, es ist kein Theil mehr, mit dem sie es nicht berührte, 
sie fällt in Einen Punkt mit ihm zusammen; es kann daher eigentlich 
gar nicht mehr von einer Anschauung Goltes, sondern nur von 
einem Gotisein gesprochen werden: die Seele wird reines Licht, 
frei von aller Schwere, sie wird Gott, oder noch richtiger, sie er- 
kennt, dass sie Gott ist 2. Wie könnte ihr aber in dieser unbe- 
dinglen Einheit mit dem Höchsten noch ein Selbstbewussisein und 


6 Schi. Vgl. Porphyr V. Plot. 6. 28: τέλος γὰρ αὐτῷ xat σχοπὸς ἦν τὸ ἑνωθῆναι 
χαὶ πελάσαι τῷ ἐπὶ πᾶσι θεῷ. ἔτυχε δὲ τετράχις που ὅτε συνήμην αὐτῷ τοῦ σκοποῦ 
τούτου ἐνεργείᾳ ἀῤῥήτῳ καὶ οὐ δυνάμει. 

1) V, 5, 6 (nach dem obenangeführten): ὅτι μέν ἐστι διὰ τούτου μαθὼν, οἷον 
δὲ ἐστι τοῦτο ἀφείς... οὐ γὰρ ἔνι οὐδὲ τὸ οἷον ὅτῳ μηδὲ τὸ τί. Achnliches lasen 
wir früher bei Philo. 

3) Υ͂, 8, 14 8. 0.488, 1. 

8) VI, 9, 10, Schl.: διὸ καὶ ödsppaostov τὸ θέαμα" πῶς γὰρ ἀπκαγγείλειέ τις ὡς 
ἕτερον, οὐκ ἰδὼν ἐκέίνο, ὅτε ἐθεᾶτο, ἕτερον, ἀλλὰ ἕν πρὸς ἑαυτόν. 

4) V, 8,11. 552, A: wenn der Gottergriffene gänzlich von sich selbst 
absieht, εἰς dv αὑτῷ ἐλθὼν χαὶ μηχέτι σχίσας ἕν ὁμοῦ πάντα ἐστ μετ᾽ ἐχείνου τοῦ 
θεοῦ ἀψοφητὶ παρόντος. VI, 7, 84, Anf. 5. ο. 849, ὅ. Ebd. 725, Β: ἰδοῦσα δὲ ἐν 
αὗὅτῇ ἐξαίφνης φανέντα, μεταξὺ γὰρ οὐδὲν, οὐδ᾽ ἔτι δύο, ἀλλ᾽ ἕν ἄμφω οὐ γὰρ ἂν δια- 
χρίναις ἔτι ἕως πάρεστι. ὁ. 85. 127, Ο: ἣ δὲ φυχὴ οἷον συγχέασα καὶ ἀφανίσασα 
μένοντα τὸν ἐν αὐτῇ νοῦν, μᾶλλον δὲ ὁ νοῦς αὐτῆς δρᾷ πρῶτος, ἔρχεται δὲ ἢ θέα καὶ 
εἰς αὐτὴν χαὶ τὰ δύο ἕν γίγνεται. ἐχταθὲν δὲ τὸ ἀγαθὸν En’ αὐτοῖς χαὶ συναρμοσθὲν τῇ 
ἀμφοτέρων συστάσει ἐπιδραμὸν καὶ ἐνῶσαν τὰ δύο ἔπεστιν αὐτοῖς μαχαρίαν διδοὺς 
αἴσθησιν χοὶ θέαν. ΥἹ, 9, 9. 768, E (vgl. 6. 4. 7): ὅστις δὲ εἶδεν, οἷδεν ὃ λέγω, ὡς 


Γ 


35% Plotinus. 


ein selbstbewusstes Denken übrig bleiben ὃ Selbstbewusstsein ἐκὲ 
nur, wo sich das Subjekt vom Objekt unterscheidet, hier dagegen 
sollen beide unterschiedslos eins sein ; Denken ist nur, wo bestimmte 
Begriffe sind, hier werden wir über alles bestimmte und begreißliche 
hinausgewiesen. Das Selbstbewusstsein gilt ja aber auch unseres 
Philosophen, wie wir bereits wissen !), für keinen so wesentlichen 
Bestandtheil der menschlichen Seele, dass diese nichts in sich 
haben könnte, dessen sie sich nicht bewusst ist, und ebenso meint 
er, 68 hindere uns nichts, die Gottheit zu haben, wenn wir sie auch 
weder denken noch beschreiben können ?); ja er findet, dass 
gerade die gesundesten Zustände am wenigsten in's Bewusstsein 
fallen, und dass namentlich die höchste Geistesthätigkeit eine be- 
wusstlose sein müsse, weil die sinnliche Seite der Seele, welcher 
das Bewusstsein angehören soll, nicht davon berührt werde 5). So 
denkt er sich ja, wie wir geseben haben, nicht blos die Gottheit, 
sondern auch die körperlose Seele ohne Selbstbewusstsein. Nicht 
anders wird es sich auch mit der Seele verhalten, welche sich solbst- 
thätig von aller Endlichkeit befreit hat. Nicht blos jede niedere Seelen- 
thätigkeit, sondern das Denken selbst verschwindet in ihr, denn sie 
- ist eins mit dem, was über das Denken hinaus ist, es ist in ihr keine 
Bewegung, kein Leben, kein Gedanke, kein Bewusstsein, sie ist 


ἣ ψυχὴ ζωὴν ἄλλην ἴσχει τότε ... ὅτι πάρεστιν 6 γορηγὺς ἀληθινῆς ζωῆς mar Sf 
οὐδενὸς ἔτι. Wir sollen uns bemühen ἕνα τῷ ὅλῳ αὐτῶν περιπτηξώμεθα καὶ μηδὲν 
μέρος ἔχοιμεν, ᾧ μὴ ἐφαπτόμεθα θεοῦ. ὁρᾷν δή ἐστιν ἐνταῦθα χἀχεῖνον καὶ ἑαυτὸν ὡς 
δρᾶν θέμις, ἑαυτὸν μὲν ἠγλαϊσμένον, φωτὸς πλήρη νοητοῦ, μᾶλλον δὲ φῶς αὐτὸ 
χαθαρὸν, ἀβαρῆ, χοῦφον, θεὸν γενόμενον, μᾶλλον δὲ ὄντα, ἀναφθέντα μὲν τότε, εἰ 
δὲ πάλιν βαρύνοιτο, ὥσπερ μαραινόμενον. α. 10. 769, Ο: ἑαυτὸν μὲν οὖν ἰδὼν τότε͵ 
ὅτε δρᾷ, τοιοῦτον ὄψεται, μᾶλλον δὲ αὑτῷ τοιούτῳ συνέσται... τάχα δὲ οὐδὲ ὄψεται 
λεχτέον ... ἀλλ᾽ οἷον ἄλλος γενόμενος χαὶ οὐχ αὐτὸς οὐδ᾽ αὑτοῦ συντελεῖ ἐκεῖ χἀχείνου 
γενόμενος ἕν ἐστιν ὥσπερ κέντρῳ χέντρον συνάψας. ο. 11. 770, A: ἐπεὶ τοίνυν δύο 
οὐχ ἦν, ἄλλ᾽ ἕν ἦν αὐτὸς ὁ ἰδὼν πρὸς τὸ ξδωραμένον ὡς ἂν μὴ ξωραμένον ἀλλ᾽ ξνω- 
μένον, ὃς ἐγένετο ὅτε ἐχείνῳ ἐμίγνυτο u. 8. w. vgl. V, 8, 11. 558, B: ὅρασιν μὲν 
οὗ δεῖ εἶναι A οὕτως ὡς ταὐτὸν τῷ ὁρατῷ. 

1)1,4, 9 ἢ, vgl. 5. 536, 3. IV, 4, 4. 899, B: γένοιτο γὰρ ἂν χαὶ μὴ παραχο- 
λουθοῦντα ὅτι ἔχει ἔχειν παρ᾽ αὑτῷ ἰσχυροτέρως, A εἰ εἰδείη. εἰδὼς μὲν γὰρ τάχα ἂν 
ὡς ἄλλο ἔχοι, ἄλλος αὐτὸς ὧν: ἀγνοῶν δὲ ὅτι ἔχει κινδυγεύει εἶναι ὃ ἔχει. vgl. 111, 9, 
8 Schl., wo mit Beziehung auf die Bewusstlosigkeit Gottes gesagt wird, das 
Gute sei um nichts weniger gut, wenn es sich dessen auch nicht bewusst sei. 

2) V,3, 14. 511, B. 

3) Υ͂, 8, 11 8. die folg. Anm. 


Die Ekstase. 553 


nicht mehr Seele und nicht mehr Selbst, sondern reine, bewegungs- 
lose Ruhe in Gott, sie ist über die Schönheit, die Tugend, das Wis- 
sen erhaben in einem Zustand der Entzückung (ἔκστασις), der Ver- 
einfachung (ZrXocı;), der Hingebung an das Unendliche, welcher 
sich nur der Trunkenheit und dem Liebeswahnsinn vergleichen 
lässt 3). Fragen wir aber, wie die Seele in diesen Zustand gelan- 
gen kann, so ist die Antwort: durch die absolute Abstraktion von 
dem Aeussern, und die reine Vertiefung in sich selbst. Wenn die 
Seele jede Neigung zu dem Aeusseren und jede Vorstellung des- 
selben entfernt, wenn sie sich von allem, was nicht sie selbst ist, 
in sich zurückzieht, dann ist sie, indem sie schlechthin in sich ist, 
zugleich unmittelbar in der Gottheit*). Man darf dem höheren Licht 


1) V,3,1. 512, A: ὥσπερ οἱ ἐνθουσιῶντες καὶ κάτοχοι γενόμενοι ἐπὶ τοσοῦτον 
κᾶν εἰδεῖεν, ὅτι ἔχουσι μέΐζον ἐν ἑαυτοῖς, χἂν μὴ εἰδῶσιν ὅ τι... οὕτω χαὶ ἡμεῖς χιν- 
δυνεύομεν ἔχειν πρὸς dxeivo u.s.w. V, 8, 11. ὅδ8, B: das deutlichste Bewusstsein 
haben wir dann, wenn fremdartiges unsern normalen Zustand stört (wir em- 
pfinden die Krankheit mehr als die Gesundheit), τὰ δὲ ἡμῶν χοὶ Audi; ἀναίσθητοι. 
οὕτω δ᾽ ὄντες μάλιστα πάντων ἐσμὲν αὗτοϊς συνετοὶ, τὴν ἐπιστήμην ἡμῶν καὶ ἡμᾶς ἕν 
πεκοιηχότες. χαἀχέϊ τοίνυν, ὅτε μάλιστα ἴσμεν χατὰ νοῦν, ἀγνοέϊν δοχοῦμεν, τῆς 
αἰσθήσεως ἀναμένοντες τὸ πάθος, A φησι μὴ ξωραχέναι, οὗ γὰρ εἶδεν. οὐδ᾽ Av τὰ 
τοιαῦτά ποτε ἴδοι. VI, 7, 85. 727, A: ὅταν ἄφρων γένηται μεθυσθεὶς τοῦ νέχταρος 
τότε ἐρῶν γίγνεται ἀπλωθὲὶς εἰς εὐπάθειαν τῷ κόρῳ χαὶ ἔστιν αὐτῷ μεθύειν βέλτιον ἢ 
σεμνοτέρῳ εἶναι τοιαύτης μέθης. Dieser Zustand ist absolute Einigung mit dem 
Urwesen (s. 0.), διὸ οὐδὲ χινεῖται ἢ ψυχὴ τότε, ὅτι μηδ᾽ ἐχέϊνο, οὐδὲ ψυγὴ τοίνυν, 
ὅτι μηδὲ ζῇ ἐχέῖνο ἀλλ᾽ ὁπὲρ τὸ ζῇν, οὐδὲ νοῦς, ὅτι μηδὲ νοέΐ. ὁμοιοῦσθαι γὰρ dei, 
νοέΐ δὲ οὐδ᾽ ἐχέϊνο ὅτι οὐδὲ νοέΐ, VI,9, 10 8. ο. ὅδ1, 4. 6.11. 770,4 : ἐπὲι τοίνυν δύο οὐχ 
ἦν, ἀλλ᾽ ἕν ἦν αὐτὸς ὁ ἰδὼν πρὸς τὸ ξωραμένον ... ἦν δὲ ἕν χαὶ αὐτὸς, διαφορὰν ἐν 
αὐτῷ οὐδεμίαν πρὸς ἑαυτὸν ἔχων, οὔτε χατὰ ἄλλα" οὗ γάρ τι ἐχινεῖτο παρ᾽ αὐτῷ, οὐ 
θυμὸς, οὐκ ἐπιθυμία ἄλλου παρῆν αὐτῷ ἀναβεβηχότι, ἀλλ᾽ οὐδὲ λόγος οὐδέ τις νόησις, 
οὐδ᾽ ὅλως. αὐτὸς εἰ δέϊ χαὶ τοῦτο λέγειν, ἀλλ᾽ ὥσπερ ἁρπασθὲὶς ἢ ἐνθουσιάσας 
ἡσυχῇ ἐν ἐρήμῳ καταστήσει γεγένηται ἀτρεμέϊ τῇ αὐτοῦ οὐσίᾳ οὐδαμοῦ ἀποχλίνων οὐδὲ 
περὶ αὑτὸν στρεφόμενος, ἑστὼς πάντη καὶ οἷον στάσις γενόμενος͵ οὐδὲ τῶν καλῶν, 
ἀλλὰ τὸ καλὸν ἤδη ὑπερθέων͵ ὑπερβὰς ἤδη χαὶ τὸν τῶν ἀρετῶν χορόν ..... τὸ δὲ ἴσως 
ἦν οὐ θέαμα ἀλλὰ ἄλλος τρόπος τοῦ ἰδέϊν, ἔχστασις χαὶ ἄπλωσις χαὶ ἐπίδοσις 
αὐτοῦ καὶ ἔφεσις πρὸς ἀφὴν χαὶ στάσις χαὶ περινόησις ποὸς ἐφαρμογὴν, εὗτερ τις τὸ ἐν 
τῷ ἀδύτῳ θεάσεται. Daher V, 5, 8. 527, 1): [νοῦς] βλέπει τῷ ἑαυτοῦ μὴ νῷ. Vgl. 
auch V,8, 10 Schl., wo die Anschanung des Höchsten dem Ergriffensein durch 
Apoll und die Musen verglichen wird. 

2) IV, 8, 1; 2.0. 880, 1. V,5, 7. 526,C. VI, 7,84f. 6. 8. 649,5. 5öl,4. V,3, 
17, Schl.: das höchste Ziel für dio Seele ist, das göttliche Licht durch sich 
selbst zu schauen. Πῶς ἂν οὖν τοῦτο γένοιτο; ἄφελε πάντα. VI, 9, 7. 765, BE; 
πάντων τῶν ἕξω ἀφεμένην δέΐ ἐπιστραφῆναι εἰς τὸ εἴσω πάντη, μὴ πρὸς τὶ τῶν ἔξω 


ι » 


554 Plotinus. 


nicht nachjagen, sondern nur stille warten, bis es erscheint; olas 
Vermittlung und Vorbereitung, durch eine plötzliche Erleuchtung, 
geht es in der Seele auf, sie kann nicht sagen woher es kommt, ob 
von innen oder von aussen, ja es kommt, streng genonmmen, g% 
nicht, sondern es ist unmittelbar da !), und erfüllt uns mit Last 
und Seligkeit 3). 

Natärlich kann aber ein solcher Zustand während des irdischen 
Lebens immer nur von kurzer Dauer sein. Wird sich such die 
Gottheit nicht von unserem Geist entfernen, so wenig als sie sich 
ihm im eigentlichen Sinn nähert, so kann sich doch der Geist von ihr 
entfernen, und er wird es auch, denn er kann vermöge seiner be- 
schränkteren Natur im unbestimmten nicht verbarren °); die Be- 
stimmungslosigkeit des Einen erschreckt die Seele, sie vermag die 
unbedingte Einigung mit ihm nicht zu ertragen, sie fürchtet es nicht 
wirklich zu besitzen, wenn sie es nicht als ein anderes sich geges- 
übersieht, und so tritt sie aus jener Einheit heraus %); wenigstens 


κεχλίσθαι, ἀλλ᾽ ἀγνοήσαντα τὰ πάντα... ἀγνοήσαντα δὲ χαὶ alrov ἐν τῇ θές ἐχείνον 
γενέσθαι. α. 11. 770, Ε: τὴν ἐναντίαν ὃὲ δραμοῦσα [ἢ ψυχὴ] ἥξει οὐκ εἰς ἄλλο, ἀλλ᾽ 
εἰς ἑαυτὴν καὶ οὕτως οὐκ ἐν ἄλλῳ οὖσα ἐν οὐδενί ἐστιν, ἀλλ᾽ ἐν αὐτῇ τὸ δ᾽ ἐν αὑτῇ 
μόνῃ, wat οὐχ ἐν τῷ ὄντι. ἐν ἐχείνῳ. 

1) Υ͂, 8, 17. 515, Ο: τότε δὲ χρὴ ἑωραχέναι πιστεύειν, ὅταν ἣ ψυχὴ ἕξαίφνης 
φῶς λάβη. V,5, 7 Schl.: νοῦς αὐτὸν ἀπὸ τῶν ἄλλων χαλύψας καὶ συναγαγὼν εἷς τὸ 
ἔσω μηδὲν ὁρῶν θεάσεται οὐχ ἄλλο ἐν ἄλλῳ φῶς, ἀλλ᾽ αὐτὸ καθ᾽ ξαυτὸ μόνον za 
θαρὸν ἐφ᾽ ἑαυτοῦ ἐξαίφνης φανέν, (6. 8) ὥστε ἀπορέϊν ὅθεν ἐφάνη, ἔξωθεν ἣ ἔνδον, 
καὶ ἀπελθόντος εἰπέϊν. ἔνδον ἄρα ἣν χαὶ οὐχ ἔνδον αὖ. ἢ οὐ dei ζητεῖν, πόθεν, αὖτε 
“γὰρ ἔρχεται οὔτε ἄπεισιν οὐδαμοῦ, ἀλλὰ φαίνεταί τε χαὶ οὐ φαίνεται" διὸ οὗ χοὴ διώ- 
xeiv, ἀλλ᾽ ἡσυχῆ μένειν ἕως ἂν φανῇ... ὃ δὲ οὐχ ἥει ὥς τις προςεδόχα, ἀλλ᾽ ἦλθεν 
ὡς οὐχ ἐλθών: ὥφθη γὰρ ὡς οὐχ ἐλθὼν, ἀλλὰ πρὸ ἁπάντων παρὼν, πρὶν καὶ τὸν νοῦν 
ἔλθείν [66. πρὸς αὐτὸν) ἃ. 8. w. VI, 7, 86. 718, B: ἐξενεχθεὶς δὲ τῷ αὐτῷ τοῦ νοῦ 
οἷον κύματι καὶ ὑψοῦ ὑπ᾽ αὐτοῦ οἷον οἰδήσαντος ἀρθὲὰς εἰςείδεν ἐξαίφνης οὐχ ἰδὼν ὅκως 
u. 8. ἴ- 

2) VI, 7, 84. 725,C: &vda δὴ οὐδὲν πάντων ἂν τούτου ἀλλάξαιτο (sc. 4 ὑνχὰὴλ 
οὐδ' εἴ τις αὐτῇ πάντα τὸν οὐρανὸν ἐπιτρέποι, ὡς οὐχ ὄντος ἄλλου ἔτι ἀμείνονος ...«. 
ὥστε τότε ἔχει χαὶ τὸ χρίνειν χαλῶς χαὶ γινώσχειν, ὅτι τοῦτό ἐστιν οὗ ἐφίετο .... οὐ 
γάρ ἐστιν ἀπάτη init: ἢ ποῦ ἂν τοῦ ἀληθοῦς ἀληθεστέρου τύχοι: ὃ οὖν λέγει, ἐχένό 
ἐστι, χαὶ ὕστερον λέγει, χαὶ σιωπῶσα δὲ λέγει καὶ εὐπαθοῦσα οὐ ψεύδεται ὅτι εὐπαϑεί. 
6. 35: ἀπλωθὲὶς εἰς εὐπάθειαν τῷ κόρῳ .... μαχαρίαν διδοὺς αἴσθησιν καὶ θέαν u ὅ. 

8) Υ͂, 5. 8. 527, C: εἶναι δὲ τὸν νοῦν τὸν ἐλθόντα καὶ τοῦτον εἶναι καὶ τὸν 
ἀπιόντα, ὅτι μὴ οἶδε ποῦ μένειν δεῖ καὶ ποῦ ἐχέϊνος μένει, ὅτι ἐν οὐδενί. 

4) VI, 9, 8. 759, A: ὅσῳ δ᾽ ἂν εἰς ἀνείδεον ἣ ψυχὴ In, ἐξαδυνατοῦσα περιλαβεῖν 
τῷ μὴ δρίζεσθαι καὶ οἷον τυποῦσθαι... ἐξολισθάνει χαὶ φοβεῖται, μὴ οὐδὲν ἔχη, dio 


Die Ekstase. 335 


ist dieser Wechsel unvermeidlich, so lange sie mit dem Leibe ver- 
bunden ist !), wenn gleich auch jetzt schon der Bessere die selige 
Anschauung immer wieder neu in sich beleben wird ?). Wir 
werden in diesen Aeusserungen nicht blos ein Geständniss über 
die Erfahrung erblicken dürfen, welche jeder Ekstatiker machen 
muss, dass er sich in dem gewaltsam hervorgerufenen Zustand der 
Entzückung nicht lange zu halten vermag, und dass das unfassbare 
Unendliche für ihn selbst ohne Inhalt ist, sondern sie liegen auch 
vollkommen in der Richtung des plotinischen Systems. Ist die 
Anschauung der Gottheit nur durch einen momentanen Akt, als 
die Frucht der äussersten Abstraktion za erlangen, so wird sie 
auch immer nur einzelne Momente ausfüllen, und wenn es ein 
Widerspruch sein soll, dass die Seele von jener höchsten Anschau- 
ung wieder zum Sinnliohen herabsteigt ®), so ist dieser Wider- 
spruch wenigstens nicht grösser als der, dass sie überhaupt aus 
ihrem übersinnlichen Leben in das körperliche eingeht ; aber gerade 
in dieser Wandelbarkeit, in dieser mittleren Stellung zwischen dem 
höheren und niedrigeren, liegt ja das Wesen der Seele, wie dieses 
von Plotin bestimmt wird. 

Ist aber selbst der Philosoph nicht im Stande, sich auf der 
Höhe einer Anschauung zu behaupten, zu welcher von den übrigen 
ohnedem keiner sich auch nur vorübergehend zu erheben vermag, 
ist das menschliche Leben zwischen der sinnlichen und der über- 
sinnlichen Welt getheilt, so wird sich auch das Bedürfniss äusserer 
Halfsmittel geltend machen, welche der Seele während ihres irdi- 
schen Daseins eine Stütze für ihr inneres Leben gewähren und 
ihr die Erhebung über die Sinnlichkeit erleichtern können. Wo 
anders aber könnten diese Hülfsmittel gesucht werden, als in der 
Religion? Denn das Staatsleben, welches den früheren Philosophen 
für den hauptsächlichsten Hebel dar Sittlichkeit galt, hatte diese 
Bedeutung längst verloren, in demselben Maass war dagegen der 


τάμνει ἐν τοῖς τοιούτοις καὶ ἀσμένη χαταβαίνει πολλάχις .... ἕν οὖσα τῷ ἕν εἶναι 
αὐτῷ οὐχ οἴεταί πω ἔχειν ὃ ζητεῖ ὅτι τοῦ νοουμένου μὴ ἕτερόν ἐστιν. 

1) 4. 8. Ο. c. 9, Schl. 8. ο. 551, 4. c. 10, Anf.: πῶς οὖν οὐ μένει Exei; ἢ ὅτι 
μήπω ἐξελήλυθεν ὅλως. ἔσται δὲ ὅτε χαὶ τὸ συνεχὲς ἔσται τῆς θέας οὐχέτι ἐνογ λουμένῳ 
οὐδειείαν ἐνόχλησιν τοῦ σώματος. 

2) Α. ἃ. Ο. ο. 11, Schl. 

3) Βιττεκ IV, 599 £. 


ὅδ | Plotinus. 


Werth der religiösen Gebräuche und Ueberlieferungen in den Auges 
der Menschen, und auch vieler Philosophen, gestiegen. So finden 
wir denn auch wirklich in der neuplatonischen Schule nach Piotin 
eine zunehmende Neigung, die Philosophie an die positive Religiom 
anzulebnen, mit ihr zu verschmelzen, und zu ihrer Vertheidiguag 
zu verwenden. Bei Plotin selbst tritt nun allerdings diese Neigung 
nur in geringerem Grade hervor: er ist eine zu ideale Natar, er 
ist in der philosophischen Betrachtung als solcher zu befriedigt, 
und hat auf sie noch zu viel Vertrauen, um der Uebereinsimmung 
mit den mythologischen Ueberlieferungen und der Theilnahme am 
äusseren Kultus denselben Werth beizulegen und ihrer in derselbea 
Weise zu bedürfen, wie die Späteren. Aber grundsätzlich hat er 
doch schon die gleiche Stellung zur positiven Religion eingenon- 
men und für ihre Vertheidigung die gleichen Gesichtspunkte auf- 
gestellt, wie jene; und er schloss sich ja auch hierin nur einer 
längst vorhandenen, in der stoischen und noch mehr in der pla- 
nisch-pythagoreischen Schule verbreiteten Denkweise an. Sehen 
wir, wie sich diese bei ihm näher gestaltet. 


II. Die Religion Ὁ. 


Die Philosophie Plotin’s hat von Hause aus, wie der Neuplao- 
nismus überhaupt, einen religiösen Charakter; sie lässt sich im 
ganzen und grossen nur aus einer Verbindung von religiösen und 
wissenschaftlichen Motiven begreifen, sie ist in allen ihren Tbeilen 
von dem Gedanken an die Gottheit und von dem Verlangen nach 
Vereinigung mit der Gottheit durchdrungen ?). Für Plotin selbst 
fällt daher die Religion mit der Philosophie vollkommen zusammer: 
seine philosophischen Ansichten sind ebenso das Erzeugniss, wie 
die Voraussetzung seines religiösen Lebens; andererseits genügt 
ihm aber seine Philosophie auch in religiöser Beziehung, und er 
für seine Person würde wohl kaum das Bedürfniss empfinden, sich 
an den Volksglauben und den bestehenden Kultus anzulehnen. 
Aber sein System bietet ihnen Anknüpfungspunkte, auf welche sich 
in der Folge die unbedingteste Vertheidigung der Volksreligion 


1) M. vgl. zum folgenden Kırcuner 8. 190 ff. Rıcetzz Neupl. Stad. Ill, 
17 f. 
2) Vgl. 8. 381. 


Die Religion: die Götter. 557 


stützen konnte. So monotheistisch seine Theologie auch angelegt 
ist, so bedeutend ist doch auch das polytheistische Element, wel- 
ches sie in sich aufgenommen hat. Der letzte Grund aller Dinge 
ist ihm freilich nur Einer; aber wenn selbst ein so strenger pan- 
theistischer Monismus, wie der stoische, keinen Anstand nahm, ne- 
ben dem Einen allumfassenden Gott auch alle seine zahllosen Er- 
scbeinungsformen als besondere Götter anzuerkennen, so musste 
diess für Plotin noch weniger Schwierigkeit haben, da die Erzeug- 
nisse der göftlichen Urkraft in seinem System nicht ebenso, wie m 
dem stoischen, jener immanent bleiben, sondern als eigene Hyposta- 
sen aus ihr herausireten. Die Einheit des Göttlichen scheint ihm 
durch seine Lehre über das Urwesen und über die Abhängigkeit 
aller Dinge von demselben hinreichend gewahrt; daneben betrach- 
tet er aber, mit der ganzen Weitherzigkeit der Naturreligion, auch 
die gesammte Reihe göttlicher Ausflüsse als Gottheiten, welche dem 
Einen Gott untergeordnet, und durch seine Macht zusammengehal- 
ten, eine unendlich reiche Götterwelt in den mannigfachsten Ab- 
stufungen der Vollkommenheit darstellen. Ja eine richtige Ansicht 
von der Gottheit scheint ihm diess geradehin zu verlangen. Der 
Gute, meinter, werde auch alles gute ausser sich, nicht blos in den 
Menschen, sondern auch in den Dämonen und in den Göttern ver- 
schiedener Ordnung anerkennen, er werde nicht in hochmüthiger 
Einbildung sich für besser halten, als die himmlischen Mächte; 
denn nicht das heisse würdig von der Gottheit gedacht, dass man 
sie auf EinWesen beschränke, sondern dass man sie in dem ganzen 
Reichthum ihrer Erscheinung zu finden wisse 1). So erhalten wir 
denn ein ganzes System göttlicher Wesen. In erster Linie steht 


1) II, 9, 9. 207 E (gegen die christlichen Gnostiker): wir wollen uns 
bestreben, möglichst gut zu werden, aber nicht zu meinen, dass wir allein 
vortrefllich seien; ἀλλὰ χαὶ ἀνθρώπους ἄλλους ἀρίστους, ἔτι καὶ δαΐμονας ἀγαθοὺς 
εἶναι͵ πολὺ δὲ μᾶλλον θεοὺς τούς τε ἐν τῷδε ὄντας χἀχεῖ βλέποντας, πάντων δὲ μάλι- 
στα τὸν ἡγεμόνα τοῦδε τοῦ παντὸς, ψυχὴν μαχαριωτάτην᾽ ἐντεῦθεν δὲ ἤδη καὶ τοὺς 
νοητοὺς Öuveiv θεοὺς, ἐφ᾽ ἅπασι δὲ ἤδη τὸν μέγαν τῶν ἐχέϊΐ βασιλέα καὶ ἐν τῷ πλήθει 
μάλιστα τῶν θεῶν τὸ μέγα αὐτοῦ ἐνδειχνυμένους. οὐ γὰρ τὸ συστέΐλαι εἰς ἕν, ἀλλὰ τὸ 
δεῖξαι πολὺ τὸ θέϊον, ὅσον ὥδειξεν αὐτὸς, τοῦτ᾽ ἔστι δύναμιν θεοῦ εἰδότων. (Aehn- 
liches ist uns schon 8. 100, 3 bei dem angeblichen Onatas begegnet.) Daher 
ebd. scharfe Polemik gegen den Hochmuth der Christen (Gnostiker), die ein- 
ander weissmachen, sie allein seien θεοῦ πκαΐδες, die bisher verehrten seien 68 
nicht, sie seien über den Himmel erhaben u. 8. f. vgl. 8. 499 f. 


«δὰ 


558 Plotinus. 


der Nus, als der zweite Gott, die unmittelbarsie Offenbarung des 
Unbegreiflichen; ihm zunächst die Theilsubstanzen, welche in ihrer 
Gesammtheit die übersinnliche Welt bilden, die einzelnen Nus, 
deren halbe Persönlichkeit wir bereits kennen '), die wir uns da- 
her nicht wundern werden auch vollends zu Göttern personißeirt 
und mit dem anschauenden Wissen der intelligibeln Welt begabt zu 
sehen, während andererseits doch ihre diskrete Persönlichkeit, wie 
die der philonischen λόγοι, unmittelbar wieder in die Identität des 
Intelligibeln verschwimmt; auch die Weltseele endlich zählt noch 
zu diesen übersinnlichen Gottheiten, die unser Philosoph wohl 
auch schlechthin als das Göttliche von dem Sinnlichen unterschei- 
det ?). Eine zweite Klasse göttlicher Wesen sind die Gestirne, 
welche uns als die sichtbaren Götter schon früher begegnet sind”). 


1) Vgl. 8. 472. 

2) V, 5, 8 Anf.: μία τοίνυν φύσις αὕτη ἡμῖν, νοῦς, τὰ ὄντα πάντα, ἣ ἀλήθειλ᾽ 
εἰ δὲ, θεός τις μέγας... χαὶ θεὸς αὔτη ἢ φύσις χαὶ θεὸς δεύτερος. Er ist, wie im 
folgenden ausgeführt wird, der unmittelbare Vorbote des höchsten Gottes, 
die überschwängliche Schönheit, wolohe vor ihm hergeht; ihn muss sanerst 
erblicken, wer jenen schauen will. V, 8,3. 544, E: ol δὲ ἐν ἐχείνῳ ὄντες [Beck] 
ὅσοις ἣ οἴχησις ἐπ᾽ αὐτοῦ χαὶ ἐν αὐτῷ, Ev παντὶ οἰκοῦντες τῷ ἐχεί οὐρανῷ... οὐκ ἀπα- 
ξιοῦντες ἀνθρώπους οὐδ᾽ ἄλλο τι τῶν ἐχεῖ͵ ὅτι τῶν Exil, πᾶσαν μὲν διεξίασι τὴν Erd 
χώραν καὶ τὸν τόπον ἀναπαυόμενοι" (6. 4) χαὶ γὰρ τὸ Bela ζώειν ἐχέΐ καὶ ἀλήθεια δὲ 
αὐτοῖς καὶ γενέτειρα χαὶ τροφὸς χαὶ οὐσία καὶ τροφή, καὶ ὁρῶσι τὰ πάντα, οὐχ οἷς 
γίνεσις πρόςεστιν, ἀλλ᾽ οἷς οὐσία." χαὶ ἑαυτοὺς ἐν ἄλλοις" διαφανῆ γὰρ πάντα u. ε. ν-. 
(5. ο. 475, 1). ebd. c. 5. 547, Β: οὐ τοίνυν det νομίζειν, ἐχεῖ ἀξκώματα (allge 
meine Sätze, Vorstellungen, im Unterschied von Renlitäten) δρᾶν τοὺς θεοὺς 
οὐδὲ τοὺς ἐχέϊ ὑπερευδαίμονας, ἀλλ᾽ ἕχαστα τῶν λεγομένων ἐχέϊ χαλὰ ἀγάλματα [sc 
ἐσὰν) ... ἀγάλματα δὲ οὐ γεγραμμένα ἀλλὰ ὄντα. διὸ καὶ τὰς ἰδέας ὄντα ἔλεγον εἶναι 
ol παλαιοὶ καὶ οὐσίας. ο. 9. 550, C: die intelligibeln Götter sind πάντες εἷς, 
μᾶλλον δὲ ὃ εἷς πάντες ... ὁμοῦ δέ εἰσι χαὶ ἕχαστος χωρὶς αὖ, dv στάσει ἀδιαστάτω 
Ὁ, 8. w. ἴ, 8, 3. 18, Ο, nach einer Schilderung des Guten, des Nus und der 
Seele: χαὶ οὗτος θεῶν ἀπήμων χαὶ μαχάριος ὃ βίος. Ebenso keisst es V, 1, 7 
Schl., nach einer ähnlichen Beschreibung: καὶ μέχρι τούτων τὰ θέΐα und vorber 
(489, A): der Nus erzeuge alle Ideen und alle unsichtbaren Götter. Ueber 
das Wissen der Götter spricht sich Plotin namentlich V,8, 3 aus. Alle Götter, 
sagt er hier 544, C, sind unbeschreiblich schön und verehrungswürdig; aber 
sie sind diess nur durch den Nus, welcher in ihnen wirkt. οὐ γὰρ δὴ ποτὲ μὲν 
φρονοῦσι, ποτὲ δὲ ἀφραίνουσιν, ἀλλ᾽ ἀεὶ φρονοῦσιν ἐν ἀπαθέϊ τῷ νῷ χαὶ στασίμῳ χὰ 
χαθαρῷ καὶ ἴσασι πάντα καὶ γινώσχουσιν οὐ τὰ ἀνθρώπεια, ἀλλὰ τὰ ἑαυτῶν καὶ ὅσα 
γοῦς ὁρᾷ. 

8) Vgl. 8. δ0θ. 


Die Götter; die Mythen. 539 


Andere unsichtbare Götter ausser diesen scheint Plotin, trotz ein- 
zelner Aeusserungen, die man für das Gegentheil anführen könnte), 
so wenig anzunehmen, als Plato, denn wo er sich in eigenem Na- 
men über die Wesen äussert, an die man hier allein denken könnte, 
die griechischen Volksgötter, da werden sie immer auf eine von 
jenen beiden Klassen zurückgeführt. Dagegen haben wir seine 
Ansicht über die Dämonen bereits kennen gelernt; nur gehören 
diese nicht mehr zu den Göttern: mit der Grenze der Sternenre- 
gion hört auch die niedrigere Götterwelt auf, unter dem Monde 
sind, ausser der irdischen Welt, nur die halbgöttlichen Mittelwesen, 
die Dämonen. 

Auf diese Götterwesen und ihre metaphysischen Verhältnisse 
werden nun die Gestalten und Mythen der Volksreligion mit aller 
der Freiheit gedeutet, welche sich nicht allein die Philosophie für 
die Mythenerklärung, sondern auch die jüdische und christliche 
Theologie für die Auslegung ihrer heiligen Schriften längst ange- 
wöhnt hatte. Unser Philosoph konnte sich durch seine ganze, der 
platonischen verwandte, Ansicht von der Bedeutung des Mythus 
zu dieser Ausdeutung berechligt glauben. Der Mythus stellt über- 
haupt, ihm zufolge, das allgemeine Wesen der Dinge in geschicht- 
licher Form dar, und legt die begrifflich verschiedenen, aber in 
Wirklichkeit verbundenen Momente in einen zeitlichen Verlauf 
auseinander ?); sei es nun, dass seine Urheber mit Absicht und 


1) 8o namentlich V, 1, 4 Anf.,, wo es in ausdrücklicher Beziehung auf 
den χόσμος αἰσθητὸς heisst: θεοὺς τοὺς ἐν αὐτῷ τοὺς μὲν ὁρωμένους τοὺς δὲ xal 
ἀφανέίς ὄντας (vgl. Tim. 41, A). Die θεοὶ δρώμενοι sind hier die Gestirne, die 
ἀφανέϊς wohl die in der Welt wirkenden Theile der Weltseele. Bei den Göt- 
tern, welche nach VI, 5, 12. 671, B vgl. Tim. a. 8. O., bisweilen einem Ein- 
seinen erscheinen, haben wir wohl nicht an äusuere Theophanieen, sondern an 
geistige Anschanungen zu denken. Andere Stellen, in denen populär von Zeus, 
Apollo u. =. w. gesproohen wird, können ohnedem nichts beweisen. 

2) IV, 8,4 Schl.: wenn Plato sagt, Gott habe die Seelen in Körper aus- 
gesät, so ist diess ebenso zu verstehen, wie wenn er Gott Reden halten lässt; 
ἃ γὰρ dv φύσει ἐστὶ τῶν ὅλιον, ταῦτα ἢ ὑπόθεσις γεννᾷ τε χαὶ ποιέΐ εἰς δείξιν προά-- 
γουσα ἐφεξῆς τὰ ἀὰ οὕτω γιγνόμενά τε za ὄντα. III, 5, 9. 299, B: Sei δὲ τοὺς μύ- 
θους, εἴπερ τοῦτο ἔσονται, χαὶ μερίζειν χρόγοις ἃ λέγουσι χαὶ διαιρεῖν ἀπ᾿ ἀλλήλων 
πολλὰ τῶν ὄντων, ὁμοῦ μὲν ὄντα τάξει δὲ ἢ δυνάμεσι διεστῶτα... καὶ διδάξαντες ὡς 
δύνανται τῷ νοήσαντι ἤδη συγχωροῦσι auvapsiv. Es ist kaum nöthig, auf die 
Aechnlichkeit dieser Ansichten mit den hegel’schen Bestimmungen liber das 
Verhältniss der Vorstellung und des Begriffs aufmerksam zu machen. 


‚| 


πον 


56% Plotinue,. 


des platonischen Eros ἴ), die ohnedem strenggenommen nicht hie- 
her gehören würde, früher schon vorgekommen ?). 

Aber nicht blos die Mythen sind es, welche unser Philosoph 
durch spekulative Deutungen rechtfertigt, auch den polytheistischea 
Kultus weiss er philosophisch zu begründen. Spätere Neuplateai- 
ker bedienen sich hiefür des Satzes, dass die Seele durch die glei- 
chen Stufen zur Gottheit zurückkehren müsse, durch welche sie 
sich von ihr entfernt hat. Plotin ist diese Voraussetzung zwar im 
allgemeinen gleichfalls nicht fremd, wenn er sie auch nirgends aus- 
drücklich ausspricht: er schildert uns die stufenweise Erhebung 
des Geistes von der sinnlichen Erscheinung bis zur innigsten Ge- 
meinschaft mit dem Urwesen; aber zur Vertheidigung der volks- 
thümlichen Götterverehrung hat er jenen Grundsatz, der auch wirk- 
lich hiefür nicht ausreicht °), noch nicht benützt. Indessen weis 
er sie auch ohne denselben in Schutz zu nehmen. Was zunächst 
ihren Gegenstand betrifft, so hatte die Philosophie schon frühe za 
den Götterbildern Anstoss genommen. Plotin findet, dass die Ver- 
ehrung derselben ihren guten Grund habe. Denn da nach dem Ge- 
setze der Sympathi® jedes durch das verwandte angezogen wird, 
so werden auch die höheren Kräfte, wie er glaubt, sich vorzugs- 
weise an dasjenige mittheilen, was ihnen ähnlich ist; indem das 
Bild nach der Idee eines bestimmten Gottes gearbeitet ist, so hängt 
es durch diese Idee mit dem Gott in derselben Weise zusammen, 
wie überhaupt das Sinnliche mit dem Intelligibeln durch die Seele 
zusammenhängt, und so wenig auch die Gottheit in das Bild herab- 
kommt, so hat doch die Kraft, welche sich von ihr an die sichtbare 
Welt mittheilt, in eigenthümlicher Weise in ihm ihren Sitz *). Auf 


1) Vgl. S. 540, 1. 

2) Ganz unerheblich ist einiges andere, wie die Deutung des Hades auf 
das ἀϊδές VI, 4, 16. 659, D. (nach Prarto Krat. 408, A. Phädo 80, D. Gorg. 
493, B), der Lethe auf den Leib IV, 3, 26 Schl. (nach Rep. X, 621, A vgl. =. 
Phädo 76, D), der Moiren II, 3, 9. 15 (nach Rep. X, 617, Bf.) und der Adra- 
stea III, 2, 18. 264, E (nach Phädr. 248, C). 

3) Denn aus der allgemeinen Nothwendigkeit einer stufenweisen Erhe- 
bung zur Gottheit folgt an sich noch durchaus nicht, dass gerade diese Dinge 
und Handlungen jene Erhebung zu vermitteln geeignet sind. 

4) IV, 8, 11 Anf.: καί μοι δοχοῦσιν ol πάλαι σοφοὶ ὅσοι ἐβουλήθησαν θεοὺς 
αὐτοῖς rapeivar, ἱερὰ καὶ ἀγάλματα ποιησάμενοι, εἰς τὴν τοῦ παντὸς φύσιν ἀπιδόνας 
ἐν νῷ Aaßelv, ὡς πανταχοῦ μὲν εὐάγωγον ψυχῆς φύσις, δέξασθαί γε μὲν ῥξατον ἂν 


Ϊ 


Bilderverehrung; Gebet. 563 


ähnliche Art sucht Plotin auch der subjektiven Seite des Kultus, 
der menschlichen Thätigkeit in Bezug auf die Götter, ihre Bedeu- 
tung zu sichern. Es handelt sich hier für ihn vor allem um die 
Möglichkeit und Wirksamkeit des Gebeis. Diese Frage ist für ihn 
nicht ohne Schwierigkeit; denn da er eine bewusste Fürsorge der 
Gottheit für die Menschen, dem früheren zufolge, weder, von Seiten 
der intelligibeln, noch auch nur von Seiten der sichtbaren Götter 
zugiebt, so scheint er mit der Gebetserhörung auch das Gebet 
selbst und die Gottesverehrung überhaupt bestreiten zu müssen. 
Diess würde aber seiner religiösen Denkweise viel zu sehr wider- 
sprechen, als dass er wirklich so weit gehen könnte. Ein Ausweg 
aus dieser Verlegenheit wird sich nur dann zeigen, wenn es mög- 
lich ist, die Wirkung des Gebets auch ohne eine Gebetserhörung 
im eigentlichen Sinn zu behaupten. Eben diess glaubt nun aber 
Plotin durch seine Lehre von der Sympathie aller Dinge möglich 
gemacht. Müssien freilich die Gebete von den Gestirnen gehört 
werden, um zu wirken, so müssten wir auf diese Wirkung verzich- 
ken, denn die Gestirne hören die Gebete so wenig, als sie sonst et- 
was irdisches wahrnehmen, sie haben auch keine Erinnerung, um 
dieselben im Gedächtniss zu behalten, und keine willkührliche Thä- 
tigkeit, um sie zu erfüllen ?). Aber gerade die bedeutendsten Wir- 


ein ἀκάντιον, el τις προςπαθές τι τεχτήναιτο ὑποδέξασθαι δυνάμενον μοϊράν τινα αὐτῆς. 
προςπαθὲς δὲ τὸ ὁπωςοῦν μιμηθὲν, ὥσπερ κάτοπτρον ἁρπάσαι εἶδός τι δυνάμενον. καὶ 
γὰρ ἢ τοῦ παντὸς φύσις πάντα εὐμηχάνως ποιησαμένη εἰς μίμησιν ὧν εἶχε τοὺς λόγους, 
ἐχειδὴ ἕχαστον οὕτως ἐγένετο ἐν ὕλῃ λόγος, ὃς χατὰ τὸν πρὸ ὕλης ἐμεμόρφωτο, συν- 
ἠφατο τῷ θεῷ ἐχείνῳ καθ᾽ ὅν ἐγίγνετο χαὶ εἰς ὃν εἶδεν ἣ ψυχὴ καὶ εἶχε ποιοῦσα, καὶ 
δὴ οὐχ οἷόν τε ἦν ἄμοιρον αὐτοῦ γενέσθαι οὐδὲ ἐχέϊνον αὖ κατελθέϊν εἷς τοῦτον. Als 
Beispiel wird sofort die Bonne angeführt, welche durch die Seele mit der in- 
telligibeln Sonne, dem Nus, zusammenhänge, indem jene die Mittheilung vom 
diesseitigen an das jenseitige und umgekehrt vermittle. θεοὶ δέ εἶσιν οὗτοι (die 
sichtberen Götter) τῷ ad μὴ ἀποστατέϊν ἐχείνων, καὶ τῇ μὲν ἐξ ἀρχῆς ψυχῇ προς- 
ηρτῆσθαι τῇ οἷον ἀπελθούσῃ ψυχῇ, ταύτῃ δὲ... πρὸς νοῦν βλέπειν (dadurch, 
dass sie mit der ursprünglichen Seele durch die niedrigere verbunden sind, 
durch jene aber zum Nus aufschauen). 

1) IV, 4, 40. 485, A: καὶ τὰς ἄλλας δὲ εὐχὰς οὐ τῆς προαιρέσεως ἀχουούσης 
οζητέον. c. 41 Anf.: ὃ δὲ ἥλιος ἢ ἄλλον ἄστρον οὐχ ἐπαΐει. c. 42 Anf.: ὥστε οὔτε 
μνήμης διὰ τοῦτο δεήσει τοῖς ἄστροις ... οὔτε αἰσθήσεων ἀναπεμπομένων οὔτε ἐπι- 
νεύσεις τοῦτον τὸν τρόπον εὐχαΐς ὡς οἵονταί τινες προαιρετιχάς τινας. 6. 80. 428, C: 
δῆλον γὰρ ὅτι, εἰ ὠξαμένων ποιοῦσι χαὶ οὐ παραχρῆμα δρῶσιν αὐτὰ, ἀλλ᾽ εἰς ὕστερον 
χαὶ πάνυ πολλάχις εἷς χρόνους, μνήμην ὧν εὔχανται ἄνθρωποι πρὸς αὐτοὺς ἔχουσιν᾽ 

- 8865 


564 Plotinus. 


kungen erfolgen ja überhaupt nicht mit Willkühr, sondern πὰ 
einfacher Naturnothwendigkeit. Nur aus dieser werden wir um 
auch die Wirkung des Gebets zu erklären haben. Da jedem Wesen 
im Weltganzen seelische Kräfte inwohnen, und da in Folge dessen 
jedes von allem verwandten sympathetisch berührt wird, so hindert 
nichts, dass sich auch die Bewegung des betenden sympathetisch 
von unten nach oben fortpflanze, und ohne bewusste Reflexion 
oder Willkühr, vermöge eines natürlichen Zusammenhangs, eine 
entsprechende Wirkung von Seiten des Himmelskörpers hervorrafe, 
an welchen das Gebet gerichtet ist 1). Das Gebet fällt also unter 
den allgemeinen Begriff der sympathetischen Einwirkung oder der 
Magie, mit der es auch Plotin in der Hauptstelle IV, 4, 268 
durchweg zusammennimmt 3): jenes scheint ihm mit dieser zu 
stehen und zu fallen ®), und die gleichen Gründe, die für das Gebet 
sprechen, müssen auch der Magie zu gutekommen. Da Plotin keine 
rein physikalischen, sondern nur dynamische Wirkungen annimmt, 
so erscheint ihm die ganze Kette des Naturzusammenhangs als eime 
magische. Im besondern stellt er alle die Erscheinungen unter 


ὃ δὲ πρόσθεν λόγος ὁ παρ' ἡμῶν λεγόμενος οὐχ ἐδίδου τοῦτο. Nach diesen be- 
stimmten Erklärungen können auch die Worte am Anfang dieses Kap.: va 
δ' ἐπειδὴ μνήμας μὲν ἐν τοῖς ἄστροις περιττὰς εἶναι ἐθέμεθα, αἰσθήσεις δὲ ἔδομεν az 
ἀχούσεις πρὸς ταῖς δράσεσι χαὶ εὐχῶν δὴ κλύοντας ἔφαμεν, nicht den Binn haben, 
eine eigentliche Gebetserhörung zu behaupten, sondern das εὐχῶν χλύειν muss 
hier unbestimmter, von der Wirkung des Gebets mittelst der Gestirne, ver 
standen werden, deren Art und Weise erst im folgenden näher bestimmt wird; 
daraus aber, dass die Gestirne überhaupt in gewissem Sinn sehen und hören, 
folgt noch nicht, dass sie auch die Gebete der Menschen hören. Vgl. c. 26. 
418, B (von dor Erde): ἔσονται al αἰσθήσεις οὐ τῶν μιχρῶν, ἀλλὰ τῶν μεγάλων 
und ebd. Ζ. 11: καὶ ἀκούειν δὲ εὐχομένων καὶ ἐπινεύειν εὐχαῖς οὐχ ὃν ἡμεῖς τρόξον. 
Einige weitere Nachweisungen wurden schon 8. 507 gegeben. 

1) IV, 4, 41 f. vgl. ὁ. 26 Anf. ο. 87. 481, Bf. 

2) So unterscheidet er z. B. co. 88, Anf.: εὐχαὶ A ἁπλαΐ ἢ τέχνῃ δόμεναι. 
Jenes sind Gebete, dieses Beschwörungen. 

8) Wirklich ist ja auch in den Naturreligionen Gebet und Zauberei sehr 
nahe verwandt: jenes ist die durch eine Einwirkung auf die Gottheit vermit- 
telte, diese ist die unmittelbare Beherrschung der Natur durch den mensch- 
lichen Willen. Diese Verwandtschaft, welche sich auch noch in höheren 
Religionsformen an den gewöhnlichen Vorstellungen von der Gebetserhörung 
nachweisen liesse, tritt allerdings auf den untersten Stufen der Naturreligion 
am stärksten hervor, bekanntlich hatte sie aber auch in der Mischreligion des 
Kaiserzeit neuo Stärke gewonnen. 


Gebet; Magie. 665 


diesen Gesichtspunkt, in denen durch ein Aeusseres unmittelbar 
und ohne Beihülfe der Reflexion auf das Innere gewirkt wird, denn 
er weiss sich eine solche Wirkung nur aus der Sympathie der un- 
vernünftigen Elemente in der Seele zu erklären. AufMagie beruht 
jede Neigung oder Abneigung, Eros ist der erste Zauberkünstler, 
alle Liebkosungen und alles, was zur Liebe reizt, sind Zaubermit- 
tel; eine magische Wirkung ist es, wenn durch Musik, durch Ton 
oder Geberde Mitleid und Rührung erregt wird; eine Bezauberung 
liegt in jedem natürlichen Bedürfniss, jedem Affekt und jeder Be- 
gierde, überhaupt in jeder Beziehung unseres Willens auf ein an- 
deres: Plotin rechnet nicht nur den Selbsterhaltungstrieb, den Ge- 
schlechistrieb, die Liebe zu den Kindern, alle sinnlichen und selb- 
stischen Neigungen zu den magischen Erscheinungen, sondern er 
sagt auch ganz allgemein, das praktische Leben als solches sei 
nicht frei von Zauberei, denn was sich von einem andern abhängig 
mache, sei von diesem bezaubert!). War einmal die Grenze zwischen 
natürlichem und magischem in dieser Art aufgehoben, und das na- 
türliche selbst in ein magisches verwandelt, so konnte es Plotin 
nicht schwer fallen, auch umgekehrt das magische iin ein natürliches 
zu verwandeln. Bekämpft er daher auch die gnostische Magie mit 
ganz vernünftigen Gründen 3), so ist er doch darum weit entfernt, 
der Magie überhaupt den Abschied zu geben, vielmehr setzt er 
durchweg ibre Möglichkeit voraus, und bemüht sich, sie in dersel- 
ben Weise, wie die Wirkung des Gebets, aus der Sympathie aller 
Dinge zu erklären, und durch die Analogie der sympathetischen 
Naturwirkung zu rechtfertigen ®). Nur das sehen wir aus jener 


1) IV, 4, 40.43 f. Von allgemeineren Erkiärungen vgl. man: ο. 40. 
434, A: χαὶ γὰρ μηδενὸς μηχανωμένου ἄλλου πολλὰ ἕλχεται χαὶ γοητεύεται, καὶ ἢ 
ἀληθινὴ μαγεία ἢ ἐν τῷ παντὶ φιλία καὶ τὸ velxog αὖ. Eros ist ὃ γόης ὃ πρῶτος χαὶ 
ὃ φαρμαχεύς (Prar. Symp. 208, Ὠ). 0.48. 438, A: πᾶν γὰρ τὸ πρὸς ἄλλο γοητεύεται 
br’ ἄλλου, πρὸς ὃ γάρ ἐστιν, ἐχέϊνο γοητεύδι καὶ ἄγει αὐτὸ, μόνον δὲ τὸ πρὸς αὗτὸ 
ἀγοήτευτον. διὸ καὶ πᾶσα πρᾶξις γεγοήτευται καὶ πᾶς 6 τοῦ πραχτιχοῦ βίος" κινεῖται 
γὰρ πρὸς ταῦτα ἃ θέλγει αὐτόν. ο. 44, Anf.: μόνη δὲ λείπεται ἣ θεωρία ἀγοήτευτος 
εἶναι... ἐκεῖ δὲ... οὐχ ὃ λόγος τὴν ὁρμὴν 86. ori], ἀλλ᾽ ἀρχὴ καὶ τοῦ ἀλόγου αἱ 
τοῦ πάθους προτάσεις. 

2) 11,9, 14. Plotin zeigt hier, eine magische, sinnlich vermittelte Wir- 
kung auf tibersinnliche Wesen sei unmöglich, die Krankheiten, welche die 
Gnostiker von Dämonen herleiten und mit Exorcismen vertreiben wollen, seien 
sus natürlichen Ursachen entstanden, und durch natürliche Mittel zu heilen. 

3) IV, 4, 26, 40, 


δᾶ Plotinus. 


Polemik, dass er die magische Einwirkung auf die Natur ım we- 


teren Sinne beschränkt, das Uebersinnliche dagegen von ihr fra 
weiss; was dann aber freilich ebenso auch vom Gebet und Goltes- 
dienst gelten müsste, während man sich doch durch Tempel und 
Götterbilder, wie wir gesehen haben, nicht allein mit den sichtbaren, 
sondern auch mit den unsichtbaren Göttern soll in Verbindung 
setzen können. Dass auch Anrufung und Beschwörung von Di- 
monen möglich ist, wurde schon früher aus Anlass der Dämonolo- 
gie bemerkt. 

Was die Magie im Gebiete des Handelns ist, das ist die Wehr- 
sagung in dem des Wissens, und so ist es ganz in der Ordausg, 
wenn auch sie von Plotin auf demselben Wege vertheidigt wird, 
wie jene. Das wesentliche dieser Vertheidigung ist uns schon fri- 
her vorgekommen !); hier wird es an der Bemerkung φοβᾶμαι, 
dass sich dieselbe auf den Zusammenhang des Weliganzen stäts, 
vermöge dessen die Zustände des einen Theils aus den Bewegungen 
eines andern zu erkennen sind 359; dass Plotin die Weissagumg 
nicht als beabsichtigten Zweck, sondern nur als nothwendige Folgt 
des natürlichen Geschehens betrachtet 5); dass er sie nicht auf die 
astrologische Vorbedeutung beschränkt, sondern auch Augerie 
und sonstige Vorzeichen aller Art annimmt 4); dass er auch das 
Vorherwissen freier Handlungen, freilich mit schwachen Gründen, 
behauptet °); dass sich also überhaupt seine Theorie der Mantik 
von der stoischen nicht wesentlich unterscheidet. 


1) 8. 509 ἢ. 

2) IV,4,89, Anf.: συνταττομένων δὲ ἀεὶ πάντων χαὶ εἰς ἕν συντελούντων πέστω" 
σημαίνεσθαι πάντα τι. 8. w. II, ὃ, 7. 141, A: es muss möglich sein, von eines 
Theil des Universums auf den andern zu schliessen, wie man etwa aus Augen 
und Geberden auf den Charakter schliesst: μεστὰ δὲ πάντα σημείων zer σοφός τὰ 
ὁ μαθὼν ἐξ ἄλλου Ada... τίς οὖν ἢ σύνταξις A μία, οὕτω γὰρ καὶ τὸ κατὰ τοὺς 
ὄρνεις εὔλογον χαὶ τὰ ἄλλα ζῷα ἀφ᾽ ὧν σημαινόμεθα ἕχαστα. συνηρτῆσθαι δὴ δέ ἀλ- 
λήλοις τὰ πάντα u. s.f Die Mantik ist (III, 8, 6. 276, Ὁ vgl. II, 8, 7. 249, ©) 
ἀνάγνωσις φυσιχῶν γραμμάτων, ihre Möglichkeit heruht auf der Analogie und 
dem Zusammenhang der Erscheinungen, der es erlaubt, von dem einen su 
das andere zu schliessen. 

8) II, 8, 7, Anf. IV, 4, 89. 488, C. 

4) 8. die vorletzte Anm. 

5) 8. 0. 510, 1 vgl. ΠΙ, 8, 6, Anf.: wie kann der Wahrsager schlechtes 
vorhersagen? Antwort: τῷ συμπεπλέχθαι πάντα τὰ ἐναντία. 


Weissagung. 867 


Diese Zugeständnisse an den Geist seiner Zeit waren nun 
allerdings für Plotin wohl schwer zu vermeiden. Es ist ganz rich- 


tig, wenn Kırcnner !) ausführt, dass in jenen Jahrhunderten alle ἡ 


Schichten der Gesellschaft von dem Glauben an Magie und Astro- 
logie, an Wunder und Vorbedeutungen, an Zauberkünste und an 
Dämonen erfüllt waren; dass dieser Glaube auch in die Wissen- 
schaft längst Eingang gefunden hatte; dass hundert Dinge, deren 
Unmöglichkeit uns auf den ersten Blick einleuchtet, die uns als ein 
ausschweifender Aberglaube erscheinen, zur Zeit Plotin’s einen 
unumstösslichen Inhalt des allgemeinen Bewusstseins bildeten, und 
den Anschein von Thatsachen gewonnen hatten, welche der Philo- 
soph nicht zu bestreiten, sondern nur zu begreifen habe. Wir 
dürfen auch nicht übersehen, dass die Philosophen an die Erklärung 
dieser vermeintlichen Thatsachen schon seit Jahrhunderten Hand 
angelegt hatten, dass nicht allein die Platoniker und Pythagoreer, 
sondern auch die Stoiker, und sie ganz besonders, dem Plotin mit 
den Theorieen vorangegangen waren, durch die er den Volksglau- 
ben vor der Philosophie zu rechtfertigen bemüht ist. Werden uns 
aber auch diese Erwägungen abhalten, gegen unsern Philosophen 
ohne weiteres den Vorwurf des Aberglaubens und der Schwär- 
merei zu erheben; müssen wir vielmehr den Ernst anerkennen, 
mit dem er sich anstrengt, die falschen Annahmen, welche er mit 
seiner Zeit theilt, mit seinen philosophischen Voraussetzungen in 
Uebereinstimmung zu bringen; müssen wir zugeben, dass er selbst 
sich von manchen verkehrten, einer vernünftigen Weltansicht und 
einer würdigen Gottesidee widerstreitenden Zeitvorstellungen ferne- 
gehalten bat: so dürfen wir doch desshalb die Thatsache nicht 
übersehen, dass ihm seine Philosophie immerhin eine Menge offen- 
bar falsche und abergläubische Meinungen gestattele, und zur 
Rechtfertigung derselben die Hand bot ?). Und wenn er hierin 


1) Philos. d. Plot. 192 fi. 

2) Kıscuner 8. 195 nimmt ihn zwar auch hiefür in Schutz: Plotin, sagt 
er, habe alle diese Sachen in einem 80 freien und grossen Style behandelt, 
dass alles kleinliche und abgeschmackte, welches sich in unsern Begriffen 
damit su verbinden pflege, vollkommen verschwinde. Allein diess ist zu viel 
gesagt. Plotin zeigt sich darin als Philosophen, dass er die Magie, die Vor- 
bedeutungen, die Wunder u. 5. ὦ, ihre Wirklichkeit einmal vorausgesetzt, in 
derselhen Weise, wie dio Stoiker, dem Natursusammenhang anzupassen sucht; 


568 Plotin’s Schule 


nur einem unwiderstehlichen Zug seiner Zeit folgte, so kann diess 
zwar ihm für seine Person zur Entschuldigung gereichen;, nur wm 
so deutlicher erhellt aber gerade hieraus, dass die Philosophie ibre 
rein wissenschaftliche Haltung aufgegeben halte, und fremdartigen 
Elementen einen Einfluss verstattete, der für ihren ganzen Cha- 
rakter sehr gefährlich werden musste. Die weitere Entwicklang 
dieses Verhältnisses ist der wichtigste Punkt in der Geschichte des 
Neuplatonismus,. 


10. Plotin’s Schule; Porphyrius,. 


Unter den zahlreichen Schülern Plotin’s, deren Namen was 
überliefert sind, erscheinen Amelius und Porphyrius als die be- 
deutendsten 1). Auch von ihnen lässt sich aber der erste dem zwei- 
ten weder an wissenschaftlichem Geist noch an geschichtlichem 
Einfluss 'gleichstellen. Gentilianus Amelius ?) ist neben Por- 


aber er zeigt auch, dass es ihm ganz an Kritik fehlt, und dass seiner Philo- 
sophie ein starkes phantastisches Element beigemischt ist, wenn er jene Dinge 
für möglich hält und durch seine Lehre von der Sympathie rechtfertigt. 

1) Ausser ihnen nennt ΡΟΕΡΗΥΒ im Leben Plotin’s c. 4 einen Antonius 
aus Rhodos, welcher mit ihm nach Rom kam, und sich dort, wie es scheint, 
gleichfalls an Plotin anschloss; c. 7 die Aerzte Paulinus aus Scythopolis 
und Eustochius aus Alexandria, letzterer (auch nach c. 2) einer seiner 
spätesten, aber treuesten Schüler; ferner Zotikus, einen Kritiker und Dioh- 
ter, den Araber Zethus, einen Arzt, δυΐ dessen Landgut in der Folge Plotim 
seine letzten Tage zubrachte (c. 2); Castricius Firmus, einen ἀνὴρ πολιῖ:- 
xog, über den auch ὁ, 2 zu vgl., denselben, an welchen Porphyr seine Schrift 
περὶ ἀποχῆς ἐμψύχων gerichtet hat; die Senatoren Marcellus Orontius, 
Sabinillus und Rogatianus (über den 9. 416, δ); den Rhetor Sera- 
pion von Alexandria. Dazu kommen c. 9 noch die Namen einiger weiblichen 
Verehrerinnen. Plotin’s Mündel Polemo (c. 9. 11) wird kaum für seinem 
Schüler gelten können, “Der Aquilinus, welchen Eunar. v. Soph. 8. 9 
Boiss. Porphyr’s συμφοιτητὴς nennt, war diess vielleicht ebensowenig, als 
Origenes, dem Eunap. das gleiche Prädikat giebt: wie dieser aus Poara. v. 
Plot. 3, so scheint jener gleich nachlässig aus co. 16 derselben Schrift aufge- 
rafft zu sein. 

2) Was wir über die Persönlichkeit dieses Philosophen wissen, be- 
schränkt sich auf die gelegentlichen Mittheilungen Poarare's im Leoben Pio- 
tin’s. Wir sehen daraus, dass Amelius, oder wie or eigentlich hiess (oc. 7) 
Gentilianus (Gentil. Amel. nennt ihn auch Lonaın ebd. 6. 20; Cyaını freilich 
ὁ. Julian. VII, 283, © macht daraus einen ᾿Αμέλιος Πλωτίνῳ τε καὶ Γεντιλιανῷ 
συναχμάσας, und beruft sich für diese Verkehrtheit ausdrücklich auf Porphyr), 


N 


Amelius. 569 


phyr der einzige von Plotin’s Schülern, welcher uns als Schrift- 
steller bekannt ist !), und von dessen philosophischen Ansichten 
etwas überliefert wird; aber so lückenhaft unsere Kenntniss von 
ihm ist, so hat es doch nicht den Anschein, als ob wir den Ver- 
δὲ seiner weitschweifigen Werke ?) sehr zu beklagen hätten. 
Was uns eigenthümliches von ihm berichtet wird, zeigt im Ver- 
gleich mit Porphyr durchaus jene Schwerfälligkeit des Denkens, 
jene sinnliche Auffassung absirakter Begriffe, die uns schon seine 
Vorliebe für Numenius °) erwarten liess. Im allgemeinen dem 
Plotin folgend *), unterschied er sich doch von ihm durch die grö- 
bere Auffassung mancher Bestimmungen, und durch eine Hinnei- 
gung zu abergläubischen Meinungen, von der sich Plotin für einen 
Platoniker jener Zeit bewunderungswürdig frei erhalten hatte. 


aus Etrurien stammte (c. 7), dass er zuerst einen gewissen Lysimachus, 
vielleicht aus der Schule des Numenius, zum Lehrer gehabt hatte, im J. 246 
jedoch nach Rom kam, und sich hier auf’s engste an Plotin anschloss, in des- 
sen Nähe or 34 Jahre lang, bis 269, blieb (c. 8 vgl. ο. 1. 5. 18. 19). Zur Zeit 
von Plotin’s Tod befand er sich in Apamea in Syrien (co. 2). Dass er merklich: 
älter war, als Porphyr, erhellt ausser ὁ. 3 f. auch aus der Bemerkung tiber 
ibr beiderseitiges Verhältniss zu Castricius c. 7. Seine ungemeine Arbeitsam- 
keit rühmt Porphyr c. 8. Derselbe theilt ὁ. 17 den Anfang seiner 8. 194, 1 
erwähnten Schrift mit. 

1) Nur von Eustochius wird eine Ausgabe der plotinischen Schriften er- 
wähnt; s. o. 418, 2, 

2) Nach Pozrn. a. a. O. co. 8, Sohl. c. 4. c. 16 verfasste er σχόλια dx τῶν 
συνουσιῶν, ἃ. ἢ. Aufzeichnungen plotinischer Vorträge, in hundert, und eine 
Gegenschrift gegen den angeblichen Zostrianus in vierzig Büchern. Eine Er- 
klärung des Timäus benützt Pzosıus in der seinigen Öfters; 8. d. Register. 
Ob er Plato’s Republik in einer eigenen Schrift behandelt hatte, IAsst sich aus 
der Bemerkung, die Proxı. in Remp. 354, u. von ihm anführt, nicht mit 
Sicherheit abnehmen. Ueber seine Schriften bemerkt Loxcın Ὁ. Poren. v. 
Plot. 20, in seineu Ansichten balte siob Amelius fast durchaus an Plotin, aber 
seine Darstellung sei durch ihre sorgfältige Ausarbeitung und ihren redneri- 
schen Anfputz (τῇ τῆς ἑρμηνείας περιβολῇ) der plotinischen gerade ontgegen- 
gesetst. Den unwissenschaftlichen Ton (ἀφιλόσοφον) dieses Redeschmucks 
erkennt auch Porphyr 6. 21 an. 

3) Amelius hatte die Schriften dieses Platonikers nicht blos gesammelt 
und abgeschrieben, sondern auch grossentheils auswendig gelernt; ῬΟΒΡΗ. 
a. ἃ. Ο. 0.8. An Numenius scheint er sich nach Prokgı.. in Tim. 226, B. 249, A 
auch in seiner Erklärung Plato’s vorzugsweise gehalten zu haben; demselben 
folgt er in seiner Lehre von den drei Nus; vgl. 8. 670, 2 mit B. 197, 1. 

4) Vgl. 8. 488, 3, 


870 Amelius, 


Wenn Plotin den Nus als die Ursache des getheilten Seins, oder 
den Weltschöpfer, bezeichnet '), im Nus selbst aber die verschie- 
denen Beziehungen des Seins, des Denkens und des Gedachtseias 
unterschieden hatte, so machte Amelius aus diesen Relationen ver- 
schiedene Hypostasen, und redete demgemäss von drei Nus, drei 
Herrschern, drei Demiurgen: der erste Nus, sagte er, sei der 
seiende, oder die übersinnliche Substanz, der zweite der, welcher 
dieses Sein durch Theilnahme besitze, der dritte derjenige, welcher 
am zweiten theilnehme und mittelst desselben den ersten schaue; 
der erste schaffe blos durch seinen Willen, der zweite durch seinen 
Befehl, der dritte durch thätige Einwirkung Ὦ. Umgekehrt machte 


1) Zwar behauptet nicht blos J. Sımon (a. a. O. I, 875 fl. u. 3.), welcher 
dieser Frage ein ganz unverhältnissmässiges Gewicht beilegt, sondern auch 
Vaczuxor (hist, de l’6cole d’Alex. I, 468. II, 5), dass unter dem Demiurg bei 
Plotin die Weltseele, oder, wie Vacherot will, der überweltliche Theil der 
Weltscele, su verstehen sei; diese Behauptung ist jedoch entschieden unrich- 
tig. Plotin unterscheidet IV, 4, 10 den Demiurg ausdrücklich von der Weh- 
soele, und ebenso bestimmt erklärt er III, 5, 8, Zeus sei in der höheren Be- 
deutung, in welcher er nach IV, 4, 10 den Demiurg bezeichnet, nicht die 
Seele, sondern der Nus. 8o hat ihn auch schon Paoxrus verstanden; m. δ. ia 
Tim. 94, A, wo Porphyr, der die ψυχὴ ὑπερκόσμιος allerdings auch bei Plotin 
mit dem Demiurg identifleirt hatte, gefragt wird: ἐν τίσι Πλωτῖνος τὴν ψυχὴν 
rot δημιουργόν; vgl. ebd. 98, C. 

4) ῬΕΟΚΙ, in Tim. 93, D: ᾿Αμέλιος δὲ τριττὸν ποιέΐ τὸν δημιουργὸν καὶ νοῦς 
τρεῖς͵ βασιλέας τρεῖς, τὸν ὄντα, τὸν ἔχοντα, τὸν ὁρῶντα. διαφέρουσι δὲ οὗτοι διότι ὁ 
μὲν πρῶτος νοῦς ὄντως ἐστὶν ὅ ἐστιν, ὁ δὲ δεύτερος ἔστι μὲν τὸ ἐν αὐτῷ ναητὸν, ἔχε 
δὲ τὸ πρὸ αὐτοῦ χαὶ μετέχει πάντως ἐχείνου χαὶ διὰ τοῦτο δεύτερος (hierauf besiskt 
siob wohl Proxı. 249, A: nach Amelius und Numenius sei eine ski; auch 
ἐν τοῖς νοητοῖς), ὁ δὲ τρίτος ἔστι μὲν τὸ ἐν αὐτῷ καὶ οὗτος νοητόν πᾶς γὰρ νοῦς τῷ 
σνυζυγοῦντι νοητῷ 6 αὐτός ἐστιν ἔχει δὲ τὸ ἐν τῷ δευτέρῳ καὶ δρᾷ τὸν πρῶτον ὅσῳ 
γὰρ πλείων ἣ ἀπόστασις, τοσοῦτο [l. τοσούτῳ] τὸ ἔχον ἀμυδρότερον. τούτους οὖν τοὺς 
τρέϊς νόας καὶ δημιουργοὺς ὁποτίθεται καὶ τοὺς παρὰ τῷ Πλάτωνι τρεῖς βασιλέας ze 
τοὺς παρ' ᾽Ορφεῖ τρεῖς Φάνητα καὶ Οὐρανὸν καὶ Κρόνον, καὶ ὁ μάλιστα παρ᾽ αὐτῷ 
δημιουργὸς ὃ Φάνης ἐστίν. ebdas. 110, A: ὃ μὲν γὰρ ἐστί, φησι͵ μεταχειρήσει πον 
ὧν, ὃ δὲ ἐπιτάξει μόνον, ὁ δὲ βουλήσει μόνον" ὃ μὲν χἀτὰ τὸν αὐτουργὸν τεχνίτην 
τεταγμένος, ὃ δὲ κατὰ τὸν ἀρχιτέχτονα προύπάρχων, ὃ δὲ κατὰ τὸν βασιλέα πρὸ ἐμ- 
φσῖν ἱδρυμένος. οὐχοῦν (fügt Proklus bei) xado μὲν νοῦς ὃ δημιουργὸς, παράγει τὰ 
πάντα ταῖς ἑαυτοῦ νοήσεσι͵ χαθὸ δὲ νοητός ἐστιν, αὐτῷ τῷ εἶναι ποιεῖ, χαθὸ δὲ θεὶς 
τῷ βούλεσθαι μόνον. Der erste von diesen drei Demiurgen wird es wohl δα}, 
auf welchen sich die Angabe bezieht, er erkläre das Urbild der Welt für den 
Weltschöpfer (τὸ παράδειγμα δημιουργὸν ἀποφαινόμενος Ῥποκι,. a. a, Ο. 102, E) 
was ja auch nicht gegen Plotin’s Binn ist, denn der Nus ist diesem boiden 


Der Nus, die Beele. sr 


er aus den vielen Einzelseelen, welche die Woltseele nach Piotin 
aus sich entlassen hatte 1), eine einzige Seele, die sich in den- 
selben nur unter verschiedenen Relationen darstellen sollte ?), 
wobei ihm freilich der Widerspruch, welcher in Plotin’s Lehre von 
der Einheit aller Seelen liegt, zur Entschuldigung dienen kann; 
diese Weltseele scheint es zu sein, die er im johanneischen Logos 
fand °). Wie im seiner Lehre von den drei weltschöpferischen 
Intelligenzen die Einheit über dem Unterschied, so kommt in der 
Lehre von der allgemeinen Seele der Unterschied über der Einheit 
zu kurz, die Vereinigung der scheinbar entgegengesetzten Bestim- 
mungen ist nicht seine Sache. Unter den Ideen unterschied er Ur- 
bilder der Arten und der Einzelwesen *), selbst Ideen des Schlech- 
ten wollte er annehmen °). Schroffer, als Plotin, verwarf er alle 


Ebenso geht auf ihn Psoxı. 181, C: ᾿Αμέλιος δὲ τὸν μὲν δημιουργὸν εἰς ταὐτὸν 
ἄγει τῷ νοητῷ, τοῖς δὲ οὕτω μετ᾽ ἐκέϊνον τεταγμένοις τὸν κατὰ To ὃν ἀφωρισμένον, 
und Dauasc. De prino. 6. 61, Schl. 8, 98. ΒΙΜΟΝ a. a, Ο. Il, 67--71 legt Ame- 
Hus statt des dreifachen Nus die Vorstellung von drei Triaden bei, deren erste 
den König oder das Urwesen, die zweite den Nus, die dritte die Weltseele 
bilden soll; je das dritte Glied von jeder dieser Triaden, meint 8., sei von 
Amelius als Demiurg beseichnet worden. Mir scheinen jedoch sowohl die 
ebenangeführten Stellen, als die weiteren Acusserungen des Psoxcus in Tim. 
4, Ὁ ὦ, 121,0. 268, A (8. 655 Schneid.) einer so künstlichen Annahme durch- 
aus zu widerstreben. Die drei βασιλέϊς beziehen sich auf PLaro epist. IL, 312 
E; vgl. Pzoxı. Theol. Plat. II, 4. 8. 102 der Hamburger Ausgabe. 

1) Dass er mit Plotin und Porphyr die sämmtlichen Einzelseelen unmit- 
telbar aus ihr stammen liess, bemerkt Jamnz. b. Sro». Ekl. I, 902. 

2) JaseL. b. Sros. ΕΚ]. I, 888 (vgl. 8. 886): ol μὲν γὰρ μίαν καὶ τὴν αὐτὴν 
κανταχοῦ ψυχὴν διατείνοντες, ἤτοι Yin ἣ εἴδει, ὡς Sort Πλωτίνῳ, ἢ καὶ ἀριθμῷ, 
ὡς νεανιεύεται πολλάχις ᾿Αμέλιος. Ebd. 8. 898: οἱ μὲν δὴ μίαν οὐσίαν τῆς ψυχῆς 
ἀριθμῷ τιθέμενοι, πληθύοντες δὲ αὐτὴν, ἢ ὡς ᾿Αμέλιος οἴεται σχέσεσι καὶ καταΐάξεσι 
τι. 6. ν. Vgl Ῥποκι,. in Tim. 205, C (unten 8. 572, 2). 

8) In dem Bruchstück b. Eus. praep. ev. XI, 19, 1 (auch bei Craiuut c. 
Jul. VIlI, 283, C Spanh. Taroposst our. gr. aflect. IV, δ, 751). Auf die- 
selbe bezieht sich wohl Jamsı. Ὁ. Bro». Ekl. I, 864. 

4) Prokı. ἃ. a. Ὁ. 129, ΒΕ. 

δ) PnıLoromus bei A, Maı Spieil. Rom. II, ΧΧ : ᾿Αμέλιος δὲ οὐχ οἶδα πόθεν 
ὁρμηθὰς καὶ τῶν καχῶν ἰδέας καὶ λόγους οἴεται εἶναι παρὰ τῷ θείῳ. Amel. konnte 
sich übrigens hiefür auf Plate stützen (s. Bd. II, a, 448, 2); um so weniger 
brauchen wir diese Annahme mit Bannars (Rbein. Mus. N. F. VIl, 94) aus 
heraklitischen Einflüssen abzuleiten, die hieflir kaum eine genügende Haad- 
habe hietem würden, 


578 Porphyrius. 


sinnliche Lust durchaus !); ebenso zeigt er sich in seiner unge- 
reimten Zahlenmystik 7), seiner Ueberschätzung bodenloser alle- 
gorischer Deutungen °), seiner abergläubischen Verehrung der 
Opfer und Orakel und des äusseren Kultus überhaupt 4). dem Nu- 
menius weit näher verwandt, als dem Plotin. 

Ein weit freierer und hellerer Geist ist der Tyrier Porphy- 
rius 9). Die Gelehrsamkeit, der Scharfsinn, die sittlich reine 


1) OrLruriopor in Philob. 809. 

4) Beispiele giebt Ῥβοκι, in Tim. 205, C f. 226, B. In der ersten von 
diesen Stellen sagt er: Da die Beele πάντων συνεχτιχὴ τῶν ἐγχοσμέίων sei, χατὰ 
μὲν τὴν μονάδα αὐτὴν πᾶν τὸ ἐγχόσμιον τῶν θεῶν γένος συνέχειν .. . κατὰ δὲ τὴν 
δυάδα καὶ τριάδα τὸ δαιμόνιον γένος : vermöge der Dyas nämlich bewirke die 
βοοῖο die Fürsorge der Dämonen für die Menschen, vermöge der Trias 
ihre Hinwendung su den Göttern. χατὰ δὲ τὴν τετράδα καὶ τὴν ἐννεάδα (2? 
und 88) τῆς ἀνθρωπίνης πάσης προνοεΐ ζωῆς, indem sie vermöge der Neun des 
höheren, vermöge der Vier des niedrigeren im Menschen sich annimmt; κατὰ 
δὲ τὴν ὀχτάδα καὶ εἰχοσαπτάδα (2° und 83) πρόεισιν ἐπὶ πᾶν καὶ μέχρι τῶν ἐσχάτων, 
καὶ τελεισί τὰ μὲν ἥμερα τῷ περιττῷ, τὰ δὲ ἄγρια τῷ ἀρτίῳ. Noch aberwitziger 
lauten die Ausführungen, welche nach 8. 225, C fl. Theodor von Asine über 
die Bedeutung der vier Buchstaben des Wortes ψυχὴ gegeben, welche er aber 
dem Numenius und Amelius entnommen hatte, da nach 8, 336, B sehon Jam- 
blich in einer gegen diese zwei Männer gerichteten Schrift ihnen widersprach. 
Gleichen Geistes ist es, dass nach Porrn. v. Plot. 7 Amelius durchaus ᾿Αμέριος 
genannt sein wollte, damit sein Name nicht von der ἀμέλεια, sondern von der 
ἀμερία herzuleiten sei. 

8) Bei Proxı.. a. a. O. deutet er im platonischen Kritias die Athener auf 
die Fixsterne, die Atlantiden anf die Planeten, οὕτως ὑπερδιατεινόμενος τοῦ ταῦξ᾽ 
οὕτως ἔχειν. .... ὡς οὐχ οἶδ᾽ εἴ τις ἄλλος ὁπὲρ τῶν ξαυτοῦ δογμάτων. 

4) Ῥοόκπρησε v. Plot. 10: φιλοθύτου δὲ γεγονότος τοῦ ᾿Αμελίου καὶ τὰ ἱερὰ κατὰ 
νουμηνίαν καὶ τὰς ἑορτὰς ἐχπερίζόντος. Bo war auch er es, welcher das 8. 417, 1 
erwähnte Orakel über Plotin veranlasste. 

5) Für Porphyr'’s Lebensgeschichte sind seine eigenen Angaben im Leben 
Plotin’s, nächst diesen SNuıpas, der auch ein Schriftenverzeichniss giebt, die 
Hauptquelle; dagegen hat Eusarıus (v, Soph. Πορφ. 8. 7 ff) für seine panegy- 
rische Schilderung fast nur jene Mittheilungen Porphyr's benätst; er hat sie 
aber sehr nachlässig behandelt und willkührlich erweitert. Von Neueren vgl. 
m. Faprıc. Bibl. gr. V, 725 ff. Harl. Beuckee Hist. phil. 1, 236 fi. J. Sımos 
Ecole d’Alex, II, 82 ff. Sreinnanr in der Realencykl. d. klasse. Alterth. V, 
1917 8. Worrr Porph. de philosophia ex oraculis haurienda librorum τοι οὶ 
(1856) 8. 7—13. Parısor De Porphyrio kenue ich nicht aus eigener Einsicht; 
Wourr 8.2.0. bezeichnet diese Schrift als ganz werthlos. — Porphyr nennt sich 
selbst v. Plot, 8 einen Tyrier; ebenso nennt ihn Loneın a. a. O. o. 30, Eumir. 
Β, 7, Sup. u. Α.; bei Davın und Partor. Bohol, in Arist. 18, a, 48, b, δ. 11, 


Wissenschaftlicher Charakter. 873 


Gesinnung dieses Mannes verdient alle Anerkennung. Aber an 
schöpferischer Kraft ist er seinem Lehrer nicht zu vergleichen. 


a, 35 heisst er Φοΐνιξ, ebenso öfters in den Handschriften; vgl. Behol. 1, a, 48. 
9, 86. Wenn daher auch Hıeson. Pref. in ep. ad Gal. g. E. IV, a, 228 Mart. 
und Cuavsost. Homil. VI in 1 Cor. X, 47 Montf. Batanäa (sei diess nun das 
palästinensische oder ein syrisches Dorf dieses Namens) als seine Heimath 
bezeichnen, so fragt es sich doch, wie viel Glauben diese Angabe verdient, 
dio zu so vielen Vermuthungen Anlass gegeben hat (s. Brnuckzr 237 f. Fassıc. 
725. Sımon 88 £.); so möglich es auch an sich ist, dass Tyyrus nicht sein Ge- 
burtsort, sondern nur von früh an sein Wohnort war. Indessen ist es nicht 
einmal ganz sicher, dass das Bataneotes bei jenen Schriftstellern auf Porphyr 
geht. Da P. im 10ten Jahr Gallien’s (26 2/5) als dreissigjähriger Mann nach 
Rom gieng (v. Plot. 4, wo aber nicht, wie Bon 8. 89 und Woırr 8. 9 glau- 
ben, von einer sweimaligen, sondern nur von einer einmaligen Reise nach 
Bom gesprochen wird), muss er 282 oder 288 geboren sein. Ursprünglich 
hiess er Malchus, was zuerst mit Βασιλεὺς (so Longin und Amelius a. a. O. 
17. 20), in der Folge, wahrscheinlich von Plotin (Eunar. 8. 7 sagt: von Lon- 
ginus; diess widerstreitet aber den ebenangeführten Stellen), mit Πορφύριος 
übersetst wurde. Christliche Schriftsteller (Soxe. H. 666]. III, 38 — Avaustız 
Civ. D. X, 28 Anf. geht schwerlich hierauf) behaupten, P. sei anfangs Ohrist 
gewesen, aber wegen einer ihm von Christen sugefügten Misshandlung zum 
Heidenthum abgefallen; andere (Vınonnr. Lreim. Commonit, o. 28) lassen ihn 
wenigstens in früher Jugend nach Alexandria kommen, um den christlichen 
Origenes zu hören. Indessen ist nicht blos die erste von diesen Erzählungen 
eine oflenbare Erdichtung, welche Porphyr's Feindschaft gegen das Christen- 
tbum auf eine für ihn nachtheilige Weise erklären soll; sondern auch die 
zweite ist unverkennbar ein Missverständniss der eusebianischen Angabe 
(Κ. G. VI, 19, 8), dass er in jungen Jahren den Origenes gekannt habe: er 
hatte diesen wohl in Tyrus gesehen, Alexandria hatte Origenes schon um 284 
für immer verlassen. Dagegen wissen wir (s. ο. 410, 2. 411, 5), dass Porphyr 
den Longinus zum Lehrer hatte, dessen Schule in Athen er besuchte, und mit 
dessen Ansichten er damals auch gans einverstanden war. In Rom jedoeh 
schloss er sich bald mit begeisterter Hingebuug an Plotin an (a. a. O. 7. 18 
— wenn ihn Suım. statt dessen einen Schtlier des Amelius nennt, hat ihn viel- 
leioht die Stelle v. Plot. 20 irregeführt). Auf sein Anrathen begab er sich 
268 nach Sieilien, um dort Erholung von einer Melancholie su suchen, die 
ihn befallen hatte, und zur Zeit von Plotin’s Tod befand er sich noch dort 
(a. =. 0.11.92; Eumae. 8, 8 f. malt diesen Vorfall ganz falsch aus); nach dem 
selben besorgte er die ihm von Plotin übertragene Herausgabe seiner Schriften 
(s. ο. 418, 2). Auch später scheint aber Bicilien für längere Zeit sein eigent- 
licher Wohnort geblieben zu sein; wenigstens nennt ihn Euszs. K. G. VI, 
19, 2: ὃ χαθ᾽ ἡμᾶς dv Σιχελία καταστὰς Πορφύριος, Longin schreibt (v. Plot. 19) 
an ihn, allem nach erst nach Plotin’s Tod (denn nur in diesen Zeitpunkt wird 
man den dort erwähuten Aufenthalt des Porphyr in Tyrus verlegen können), 


578 Porpbyrius. 


Er selbst macht hierauf keinen Anspruch: es ist Plotin’s Lekre, 
die er in seinen zahlreichen Schriften, so weit dieselben philoso- 
phischen Inhalts sind 3), vertheidigt und gemeinverständlich zu- 
sammenfasst; und auch wenn er einzelne Lücken des Lehrgebäu- 
des ausfällt, einzelne Bestimmungen anders fasst, so geht doch 
sein Absehen auf keine tiefer greifenden Veränderungen in dem 
Ganzen des Systems. Er ist der Bearbeiter einer gegebenen Lehre, 
und er ist zu dieser Rolle durch sein ausgebreitetes Wissen ?), 


nach Sicilien, und nach Auuon. in qu. voc. Porph. 18, a, m. Schol im Arist. 
18, b, 40 ff. (der aber freilich so wenig, als der ihm folgende Ungmannte in 
Crauze’s Anecd. Oxon. IV, 482 ein klassischer Zeuge ist), hat er hier seins 
dem Römer Chrysaorius gewidmete Einleitung zu den Kategoricen verfasst. 
Bier war es wohl auch, wo er durch Reisende die Nachrichten über einen 
Theil seiner römischen Mitschäler erhielt, die ibn zu der Schrift über die 
Enthaltung von tbierischer Kost veranlassten (De abst. I, 1); von hier 
scheint er die Reise nach Karthago gemacht zu haben, deren er δ. ἃ. O. ΠΕ. 
4 g. E. erwähnt). In der Folge seheint er aber nach Rom zurückgekehrt zu 
sein. Als er schon in reiferen Jahren stand, verheirathete er sich, wie ὧϑ 
scheint, noch in Sicilien, mit Marcella, der kinderreichen, aber wenig be- 
mittelten Witwe eines Freundes; m. vgl, über diese Ehe ad Maresll. ec. 16 
(Eumar. 8, 11). Eumar. δ. a. O. giebt mit einem λέγεται an, or sei in Rom ge- 
storben. Dass er ein hohes Alter erreichte, schliesst Derselbe aus seinen 
Behriften; Sur. scheint seinen Tod unter Diokletian (285—8505) zu verlegen; 
da er selbst aber v. Plot. 28 eines Vorfalls aus seinem 68sten Lebensjahr 
(801 n. Chr.) erwähnt, könnte derselbe jedenfalls nur an das Ende dieses Zeii- 
abschnitts fallen. u 

1) Ueber Porphyr's Schriften vgl. m. die Nachweisungen hei Fanascıus 
und Srerımanr a. d.a.0O. Worrr a. 4.0. 14—48. Burpas sagt von ihm, er 
habe sehr viel geschrieben, philosophisches, rhetorisches und grammatisches; 
und nachdem er 30 Werke mit 84 Büchern aufgesäklt hat, fügt er hei: καὶ 
ἄλλα πλείστα καὶ μάλιστα ἀστρονομούμενα, und nennt noch speciell eine Εἰσαγωγὲ 
ἀστρονομουμένων in drei Büchern, und grammatische Aporisen. Zu dem τοῦ 
Suidas tbergangenen Schriften gehört die Chronik, deren Ueberbleibsel 
MörLar Fragm. Hist. gr. III, 688 ff. gesammelt hat, und die Φιλόσοφος ἱστορία, 
von weloher das noeh vorhandene Leben des Pythagoras ein Theil war (mä- 
here Nachweisungen über sie bei Mürızz 8. 689), weiche übrigens nur bis 
auf Plato herabgieng (Eumar. Prooem. B. 2); es müsste denn die letztere in 
einem der anderen Titel (der φιλόλογος lot. oder der Schrift über Julian; m. 
vgl. über diese die Anmerkungen bei Beaxnanpr) stecken. Auf mathems- 
tische Schriften besiehen sich die Anführungen bei Paoxr. in Euelid. 69 ο. 
85 u. 92. Porphyr's philosophische Werke werde ich an ihrem Ort nennen. 

4) Ueber Porphyr’s seltene Gelohrsamkeit ist unter den Späteren nur 
Eine Stimme, und seine entschiedensten Gegner kommen darin mit seimen 


Wissenschaftliicher Charakter. 575 


darch die Leichtigkeit seiner Darstellung, durch die Klarheit sei- 
nes Denkens, vor andern geeignet '). Das enihusiastische und 
mystische Element des Neuplatonismus fehlt zwar Porphyr gleich- 
falls nicht, wie man diess von dem Lieblingsschüler Plotin’s zum 
voraus nicht anders erwarten kann ?). Aber doch war er dafür 
unverkennbar weit weniger angelegt, als sein Lehrer °); seine 
hervorragendste Eigenschaft ist vielmehr jenes Streben nach Deut- 
lichkeit der Begriffe und des Ausdrucks, welches ihn trotz aller 
der Ueberschwänglichkeiten seiner Schule, denen er sich nicht ver- 
schlossen hat, doch immerhin als den nüchternsten unter den Neu- 
platonikern erscheinen lässt, Diese Richtung musste seinem Geiste 
schon durch den vieljährigen Unterricht des Longinus, des ersten 
philologischen Kritikers jener Zeit, mitgetheilt werden; und als 
scharfsichtigen Kritiker werden wir Porphyr namentlich durch 


grössten Bowunderern überein. M. vgl. ausser dem, was so eben aus Buidas 
angeführt wurde, Davın, Schol. in Arist. 18, b, 8. Eunar. 8. 7: γραμματικῆς 
τε εἰς ἄχρον ἁπάσης, ὥσπερ ἐχέϊνος (Longin) ἀφιχόμενος χαὶ ῥητοριχῆς.... φιλοσοφίας 
γε πᾶν εἶδος ἐχματτόμενος. Derselbe 8. 10: man wisse nicht, was man mehr 
bewundern solle, seine Schriften fiber Rhetorik, Grammatik, Arlithmetik, 
Geometrie, Musik, über Logik (darauf müssen sich die unverständlichen und 
offenbar verdorbenen Worte οὐδὲ τὰ περὶ λόγου u. s. w. beziehen), Physik (ἃ. B. 
Metaphysik) und Theurgie; οὕτω παντομιγὲς πρὸς ἅπασαν ἀρετὴν ὃ ἀνὴρ αὐτὸς 
(1. οὗτος) χρῆμά τι γέγονεν. Aber auch Avavsrın Civ. D. XIX, 22, Schl. nennt 
ihn doctiseimus philosophorum und Crerıuı 6. Jul. I, 19, B: ἐπὶ παιδεία χοσμιχῇ 
δόξαν ἔχων παρ᾽ ἐχείνοις οὐχ ἀγεννῆ. Dagegen sind die Prädikate bei Evs. pr. ev. 
V, 14, 5, welohe Aeltere und Neuere für Ernst genommen haben, (δ γενναῖος 
Ἑλλήνων φιλόσοφος, ὃ θαυμαστὸς θεολόγος, ὃ τῶν ἀποῤῥήτων μύστης) durchaus 
ironisch gemeint. 

1) Eine Probe von der Art, wie Porphyr den Neuplatonismus dem allge- 
meinen Verständniss näher zu bringen weiss, ist der kurze, durch Schärfe 
und Klarheit ausgeseichnete Abriss des Bystems unter dem Titel: ἀφορμαὶ 
πρὸς τὰ νοητὰ (sententie), welchen L. HoLstenıus (Rom 1686) zugleich mit 
der vita Pythagors herausgegeben hat; jetzt findet er sich auch in der Pa- 
riser Ausgabe Plotin’s. Einen Aussug daraus, der fast die Stelle einer Ueber- 
setzung vertreten kann, giebt VaoHzeor a. a. O. II, 14—87. Auch diese 
Schrift ist aber nur unvollständig erhalten. Wourr’s Vermuthung (Porph. De 
Phil. ex orao. haur. Rel. 8. 80), dass sie ein Auszug aus den später zu er- 
wähnenden Büchern De regressu anıma sei, ist mir nicht wahrscheinlich. 

3) Man sieht diess schon an dem 9. 416, ὃ berfihrten Vorfall. 

8) Auch hiefür ist uns schon früher, 8. 417, 2, ein Beleg vorgekommen; 
der vollständigere Beweis liegt aber in der ganzen philosophischen Haltung 


Porphyr's. 


876 Porphyrius. 


seine Streitschrift gegen die Christen kennen lernen; noch wickt- 
ger war aber für ihn, gerade nach dieser Seite hin, ohne Zweifel 
das Studium der eristotelischen Schriften. Hatte auch schon Plotia 
dieses Studium für seine Schule begründet ἢ), so eröffnet doch erst 
Porphyr die Reihe der neuplatonischen Commentatoren des Ar- 
stoteles 3); und für den Charakter seiner Auslegung ist es bezeich- 
nend, dass sie sich mit Vorliebe den logischen Büchern zugewandt 
hat?). Die aristotelische Logik fasst er so auf, wie diess in der da- 


1) Vgl. 9 888,1. 894,1. ἙΨ 

2) Darauf bezieht es sich, dass ihn Sıupr. Categ. 1, B ὁ πάντων ἣμῖν τῶν 
χαλῶν αἴτιος Πορφύριος nennt. 

8) Wir kennen von Porphyr folgende Erläuterungsschriften zu Aristo- 
teles: 1) Die noch vorhandene Εἰςαγωγὴ εἰς τὰς "Aptor. Karny., auch περὶ τῶν 
πέντε φωνῶν genannt (Schol. in Arist. 1 fl.) 2) Ein ausführlicher, dem Ge- 
dalius gewidmeter Commentar zu den Kategorieen in sieben Bücher, 
welcher für die Späteren sowohl durch seine eingehende Besprechung der 
logischen Fragen, als durch seine Mittheilungen über die einschlagendes 
stoischen Lehren und andere geschichtliche Angaben eine Hauptquelle des 
ihrigen war (Sıurı. a. a. Ὁ. vgl. Dexırr. in Categ. δ. 5, 18. 6, 15 Bpeng.); 
Bimplicius berücksichtigt denselben in allen Theilen seines Commentars, an 
etwa 50 Stellen. 8) Eine kürzere, katechetisch (χατὰ πεῦσιν za ἀπόχρεαιν) ab- 
gefasste Erklärung der Kategorieen, welche sich auf den wesentliches 
Inhalt des aristotelischen Buches beschränkt (vgl. Sıser. 1, «); dieselbe «- 
schien zu Paris 1548, Auszüge daraus in den akademischen Scholien. 4) Ein 
Commentar zn Περὶ ἑρμηνείας, nach Borra. De Interpret. 290 u. für des 
letzteren die Hauptquelle seiner Erklärungen, auf die er sich an vielen Stellen 
auch ausdrücklich bezieht; ebenso wird er von ἄμμον. De interpret. öfter 
angeführt; vgl. auch Schol. in Arist. 99, b, u. Arist, Org. ed. Warrz ], 41 m.; 
nach Auuon. 8. 201, b, u. (Schol. 136, b, 25) hatte er den letsten Absehsitt, 
von 8. 28, a, 27 an, nicht erklärt, wahrscheinlich, weil er seine Acchtkeit 
nicht anerkannte. 5) Einer. Erklärung der ersten Analytik muss αἱ" 
nommen sein, was Auuon. zu Anal. pri. 24, b, 19 (Waırz Arist. Org. I, 43) 
über die zweite und dritte Schlussfigur, ΒΟΕΤΕ. De syllog. categ. 594, o. über 
die Modi der dritten Figur von ihm anführt. 6) Sein Werk über Aristoteles‘ 
Physik wird von Sımer, phys. 2, b, u. 8, a, m. 10, a, ὁ. und noch oft, im 
‚ganzen mehr als fünfzigmal, angeführt. B. 214, Ὁ, m wird sein Verfahren mit 
συνοψίζειν, das des Themistius mit παραφράζειν, Alexander’s mit ἐξηγεῖσθαι be- 
zeichnet; seine Schrift muss demnach im wesentlichen eine verkürsende Be 
arbeitung gewesen sein; indessen sieht man aus Anführungen, wie 8. 20, &, 
unt. — 21,8, 0. δά, b, o. 18, a, u. und andere, dass er auch eingehenderes 
philosophischen und historischen Erörterungen nicht auswich. Dass Porphyt 
auch die Meteorologie erklärt habe, folgert Ipzuer Arist. Meteorol. II, 1% 
mit Unrecht aus OuLrurıopor Meteorol. 67, a: diese Stelle geht auf Porphyr's 


Logik. 577 


maligen Zeit auch in der peripatetischen Schule ühlich war, als das 
formale Werkzeug des Denkens; er enthält sich daher bei ihrer Be- 
arbeitung geflissentlich aller metaphysischen Untersuchungen !), da- 
gegen bemüht er sich mit Erfolg, das rein logische Verhältniss der 
Begriffe und die Bedeutung der wissenschaftlichen Kunstausdrücke 
zu erläutern, wie er diess gleich in seiner „Einleitung“ gethan hat 3). 
Weichen Werth er den aristotelischen Bestimmungen beilegte, sieht 
man schon daraus, dass er sie in der Kategorieenlehre selbst gegen 
seinen Lehrer Plotin nachdrücklich vertheidigte 5); wenn er trotz- 
dem mit denselben nicht ganz selten stoisches verbindet, so war ihm 
hierin die Mehrzahl der peripatetischen Ausleger des Aristoteles 
längst vorangegangen. So wenig daher Porphyr reformatorisch in 
die Entwicklung der Logik eingegriffen hat, so wenig verdient er 
andererseits die herben Vorwürfe, welche ihm wegen seiner Be- 
handlung dieser Wissenschaft neuerdings gemacht worden sind 4) ; 


Isagoge c. B Anf.; auch Turuıst. De an. 71, ὃ, m. 8. #6 Speng. wird sioh 
wohl eher auf eine der später zu erwähnenden psychologischen Schriften, als 
auf einen sonst unbekannten Commentar zu Aristoteles von der Seele bezieben. 
Dagegen nennt Sımrı. De calo 225, b, 17. 226, ἢ, 27 K. (Schol. 502, a, 35. 
608, a, 28) 7) seine Erklärung des 12ten Buchs der Metaphysik; ob er auch 
die übrigen erläutert hatte, wissen wir nicht. Ausser diesen aristotelischen 
Commentaren kennen wir von P. Erklärungen von Theophrast's Abhandlung 
π. καταφάσεως καὶ ἀποφάσεως (Boern. De interpr. 294, nnt. vgl. mit 291, u.), 
dem platonischen Sophisten (Borre. De divis. Anf. 5. 638) und dem Ti- 
mäus (Prox:.. in Tim. an vielen Orten, vgl. den Scuweıper’schen Index; 
einige Stellen aus diesem Commentar bei dem Scholiasten Plato’s 8. 488 Bekk.). 
Die Bemerkung über Rep. 616, B, welche Sımrı. Phys. 144, a, o. anführt, 
scheint sich nicht in "einem Commentar zur Republik, sondern in dem zur 
aristotelischen Physik gefunden zu haben. Eine Abhandlung περὶ διστά- 
σεως (l. διαστ) Πλάτωνος καὶ ᾿Αριστοτέλους, dem Chryraorius gewidmet, 
nennt der Anonymus Crauzr’'s Anecd. Oxon. IV, 482. 

1) Wie er diess Isag. c. 1. 1, a, 7 selbst bemerkt. 

2) Das Thema derselben bildet bekanntlich eine Erklärung der Begriffe 
γένος, εἶδος, διαφορὰ, ἴδιον, συμβεβηχός. Weitere Beispiele solcher Erläuterun- 
gen finden sich öfters, z. B. in der Auseinandorsetzung Über die verschiedenen 
Arten der Homonymie und ähnliches ἐξήγ. εἰς τι χατηγ. 8. 8, a. 20, a. Sımpr.. 
Categ. 7,8. 9, y (Prarrı, Gesch. ἃ. Log. I, 688). 

8) Vgl. 8. 467, 4. 

4) Von Prantı. a. a. Ο. 626 fi. So stark diese Vorwürfe auch lauten, 
so kommen sie doch in der Hauptsache, was ihre sachliche Begründung be- 
trifft, darauf hinaus, dass P. die Logik seinen Nachfolgern im wesentlichen 

Philos. ἃ. Gr. III. Ba. 2. Abt. 87 


578 Porphyrius. 


er hat vielmehr das unläugbare Verdienst, dass er dieselbe, nach 
dem Stand, welchen sie in seiner Zeit einnahm, klar und fasslich 


in derselben Gestalt überliefert hat, in welcher er sie bei der Mehrzabl der 
damaligen Peripatetiker vorfand, statt sie durchgreifend zu verbessern, und 
namentlich alle Aenderungen und Zuthaten der stoischen Schule wieder aus 
zumerzen; denn dass sich materiell kaum irgend etwas bei ihm findet, worin 
ihm nicht frühere, nicht allein stoische, sondern ganz besonders auch per- 
patetische Logiker vorangegangen waren, diess erhellt gerade aus Pasnti) 
gründlicher und verdienstvoller Darstellung der nacharistotelischen Logik, und 
er selbst macht auch bei den beachtenswerthesten Punkten wiederholt darauf 
aufmerksam. Mag man nun den Werth dieser Logik noch so gering anschla- 
gen, so kann man es doch auf dem Standpunkt geschichtlicher Betrachtung 
Porphyr nicht als besondere Schuld anrechnen, wenn er in seiner Behandlung 
derselben nicht über der Wissenschaft seiner Zeit stebt. Auch die „Stupidi- 
tät“, dass P. die sog. Postprädioamente für ächt hielt, wird man milder be- 
urtheilen, wenn man sich erinnert, dass dem Verwerfungsurtheil des Andro- 
nikus über dieselben nur wenige (tivi; Sımer. Categ. 95, X. Schol. 81, a, 21) 
beigetreten waren, und dass nicht allein Herminus, sondern auch Alexander 
von Aphrodisias, auf der Gegenseite stand (Davın Sohol. in Ar. 81, b. 38 61); 
dass aber Porphyr, wenn er den Abschnitt einmal für ächt hielt, auch die 
Gründe für seine Beifügung aufsuchte (Bourtn. in preed. IV, Anf., 8. 191), ist 
an sich so wenig zu tadeln, als dass er in seiner Erklärung der Kategorien 
nach dem Grunde fragte, wesshalb in dieser Schrift die Qualität erst nach der 
Relation besprochen wird (ἐξήγ. 8. 29, a. 85, a. 44, a. Sımpr.. Categ. 4], }- 
Schol. 59, b, 45 vgl. Prantu 8. 685), wie ungenügend auch seine Antwort auf 
diese Frage ausgefallen sein mag. Yon dem „exorbitanten Blödsinn“ vollends, 
dass er „das einzelne sinnlich wahrnehmbare Individaum* für die eigentliche 
Substanz erkläre, dürfen wir ihn um so unbedenklicher freisprechen, da ge 
ταῦθ die Stelle, in welcher Pranrı, 8. 684 jene, im Mund eines Neuplatosi- 
kers allerdings höchst auffallende, Behauptung findet, ᾿Εξήγ. 23, b, vielmehr 
das Gegentheil aussagt: Aristoteles nenne die sinnlichen Dinge πρῶται οὐσίαι, 
weil es sich hier zunächst um die sprachlichen Bezeichnungen (λέξεις) handle, 
und diese ursprünglich auf die αἰσθητὰ sich beziehen, τούτοις γὰρ πρώτοις zart 
αἴσθησιν ἐντυγχάνομεν͵ δεύτερα dagegen (= δεύτεραι οὐσίαι) nenne er τὰ φύσει 
μὲν πρῶτα αἰσθήσει δὲ δεύτερα... ὥστε ὡς πρὸς τὰς σημαντιχὰς λέξεις πρῶται 
οὐσίαι al ἄτομοι αἰσθηταὶ, ὡς δὲ πρὸς τὴν φύσιν πρῶται al vonral Auch 
Isag. 6. 10. Schol. 5, a, 26 (die Stelle, worauf sich die Bemerkung des Proklus 
b. Askıer. Schol. 606, a, 29 bezieht) sagt Porphyr, die γένη und εἴδη seien 
φύσει πρότερα τῶν ἀτόμων οὐσιῶν. Nicht ganz richtig scheint es mir ferner, 
wenn Praurı 8. 686 in dem, was Boern. De interpr. 301, unt. aus Porphyr 
anführt, einen Uebergang zur lux interior des Augustin findet: ich sehe 
nichts darin, als die landläuflge Unterscheidung von Wort und Gedanken, 
und die Differenz zwischen Alexander's und Porphyr's Auffassung der Texter 
worte x. ἑρμηνείας ὁ. 1, 16, a, 8, aus welcher ΒΟΕΤΗ, viel zu viel macht, 


Logik. 579 


dargestellt hat '); seine Leistung besteht auch hier nicht in der 
schöpferischen Fortbildung, sondern in der Bearbeitung der über- 
lieferten Lehren 2). 

Die gleiche Stellung nimmt aber Porphyr, wie bemerkt, als 
Philosoph überhaupt ein; nur dass er sich im übrigen ebenso an 
Plotin hält, wie in der Logik an Aristoteles und seine peripateti- 
schen Ausleger; und auch in der neuplatonischen Schule selbst 
wird seine Bedeutung vorzugsweise hierin gefunden 5). Wie aber 
mit der Thätigkeit des Epitomators und Bearbeiters der Sinn für 
Strenge und Vollständigkeit der systematischen Ausführung nur 
selten gleichen Schritt hält, so finden wir diess auch bei Porphyr: 
es ist ihm, so weit wir nach den Bruchstücken seiner schrifistelle- 
rischen Thätigkeit urtheilen können, viel mehr um die Vertheidi- 


scheint mir sehr unerheblich. Nicht einmal das wüsste ich Porphyr (mit 
Paautı. 8. 628) zum Vorwurf zu machen, dass er Isag. co. 2. 2, b, 12 ff. die 
εἴδη, auf welche Plato Phileb. 16, C die Eintheilung beschränkt, zugleich als 
Artbegriffe und als Ideen fasst, denn dem Plato fällt dieses beides wirklich 
zusammen, und auch das aristotelische εἶδος ist ebendesshalb Artbegriff, weil 
es das Wesen, die forma substantialis der unter ihm befassten Dinge ist; und 
ebensowenig die Wiederholung jenes platonischen Satzes, dass die Einthei- 
lang nicht bis zu den Rinzelwesen herabreiche, denn in diesem Satz ist zwi- 
schen Plato und Aristoteles kein Unterschied; vgl. Bd. II, b, 150, 5. Es ist 
übrigens ein schlagender Beweis der Ungunst, mit welcher P. von Paanrı. 
behandelt wird, dass cr ihm das einemal vorwirft, er lasse nur das sinnliche 
Individunm als Substanz gelten, und das anderemal, er verbiete uns, „zu 
der schmutzigen Partikularität des Individuums herabzusteigen.“ 

1) Für ein Verdienst halte ich diess nämlich allerdings, und auch Prasri. 
wird die Versicherung 8. 626, es wäre für die spätere Ausbildung der Logik 
heilsamer gewesen, wenn vom 4. Jahrhundert an zunächst durchaus keine 
Logik getrieben worden wäre, „als dass man in den Schlamm der verstand- 
losen Produkte des Porph. sich versenkte“, wohl kaum ganz wörtlich genom- 
men wissen wollen, 

2) Aus diesem Grunde kann ich auch hier auf das einzelne seiner Logik 
nicht näher eintreten, sondern muss mich mit der Verweisung auf Prantl's 
sorgfältige Zusammenstellung begnügen. An Porphyr's Untersuchungen über 
die Kategorieen schliessen sich auch die Erörterungen über den Begriff und 
die Arten der Einheit b. Sımrr. Phys. 20, a, unt. — 21, b,o. 18, a, u. an. 

8) Es wird wohl das allgemeine Urtheil der jamblichischen Schule sein, 
wenn Eusarıus v. Soph. Porph. 8, 9 sagt: τὸ δὲ Πορφυρίου χλέος εἷς Πλωτῖνον 
πᾶσα μὲν ἀγορὰ πᾶσα δὲ πληθὺς ἀνέφερεν. ὃ μὲν γὰρ Πλωτῖνος... βαρὺς ἐδόκει χαὶ 
δυσήχοος - ὃ δὲ Πορφύριος ὥσπερ ἙἭ μαϊχή τις σειρὰ alt πρὸς ἀνθρώπους ἐπινεύουσα 
διὰ ποιχίλης παιδείας πάντα εἷς τὸ εὔγνωστον χαὶ καθαρὸν ἐξήγγελλεν. 

37* 


580 Porphyrius. 


gung und Erläuterung der allgemeinen Grundzüge zu thun, al un 
die vollständige Darstellung des Systems, oder die neue Unters- 
chung der Principien; Plotin’s Lehre wird durch ihn popularisirt, 
aber sie wird in wissenschaftlicher Beziehung nicht erheblich weiter 
geführt, es liegt ihm mehr an den Ergebnissen, als an den Mitteln, 
durch die sie gewonnen werden. Ebendamit ist nun eine über- 
wiegend praktische Auffassung der wissenschaftlichen Thätigkeit 
gegeben, denn in demselben Maass, wie die rein wissenschaftliches 
Beweggründe in ihrem Werth fallen, wird der Einfluss des prak- 
tischen Bedürfnisses steigen; wo die selbständige Gedankenerzeu- 
gung gegen die formelle Bearbeitung einer gegebenen Lehre zurück- 
tritt, macht sich immer eine einseitige Beziehung der Wissenschaft 
auf’s praktische geltend. Und da nun die neuplatonische Philoso- 
phie ihrem ganzen Charakter nach auf dem praktischen Gebiete in 
die unmittelbarste Beziehung zur Religion trat, so war es für Por- 
phyr natürlich, dass er sich mit dieser weit eingehender und absichts- 
voller beschäftigte, als Plotin, und dass ihm trotz aller Einsicht in 
die Schwächen der herrschenden Glaubensweise doch der Anschluss 
an das bestehende auf diesem Gebiete viel mehr Bedürfniss war, 
als seinem ausschliesslicher nach innen gewendeten, in der Kräf- 
tigkeit seines Idealismus von allen äusseren Auktoritäten unabhän- 
giger dastehenden Lehrer. Er bekämpft den Aberglauben, er 
dringt auf wahre Frömmigkeit, er sucht eine Reform der Religios 
durch die Philosophie zu bewirken, und er bildet dadurch die 
Brücke zwischen dem rein philosophischen Bestreben seines Leh- 
rers und dem einseitig theologischen Jamblich’s, seines Schülers. 
Ich versuche nach diesen Andeutungen, Porphyr’s Lehre, so weit 
sie für seinen Standpunkt bezeichend ist, und so weit es die Beschaf- 
fenheit unserer Quellen erlaubt, des näheren darzustellen. 

Das Ziel und die Aufgabe der Philosophie liegt nach Porphyr 
wesentlich im sittlichen Leben des Menschen, in der Heilung seiner 
Gebrechen, der Belebung und Reinigung seiner Thätigkeit. Die 
Wissenschaft, welche uns zur Glückseligkeit führen soll, erklärt 
er, besteht nicht in einer Masse von Reden und Kenntnissen ; nicht 
einmal das Wissen von dem wahrhaft Seienden für sich genommen 
ist genügend, sondern dieses Wissen selbst hat den Zweck, dass 
wir uns in den Gegenstand unseres Wissens hineinleben. Alle 
unsere Kenntnisse sind nur Reinigungsmittel, nicht wesentliche 


Ziel der Philosophie. Geistiges und Körperliches δὲ 


Bestandtheile des besten Lebens als solchen ἢ. Welchen Werth, 
fragt er, hat die Rede des Philosophen, wenn sie die Krankheiten 
der Seele nicht zu heilen weiss ? was anderes soll denn der Philo- 
soph sein, als ein Arzt der Seele? ?) Als das eigentliche Motiv 
der Philosophie erscheint daher hier die Sorge des Menschen um 
sein Seelenheil 8), die wissenschaftliche Thätigkeit wird diesem 
praktischen Bedürfniss noch bestimmter untergeordnet, als diess 
schon von Plotin geschehen war. 

Um nun für unser Verhalten den richtigen Standpunkt zu 
gewinnen, müssen wir vor allem das Geistige und das Körperliche 
scharf und bestimmt unterscheiden. Einen ursprünglichen Dualis- 
mus beider will zwar auch Porphyr nicht zugeben: er verwahrt 
sich ausdrücklich gegen die Lehre, welche die Materie als gleich 
ursprünglich neben Gott stellt, und überhaupt gegen jede Mehrheit 
der Principien *); er sucht zu zeigen, wie die Materie aus der 
Einen intelligibeln Ursache durch das endliche Erlöschen der Ein- 
heit und der idealen Form hervorgieng °), und er kann sich hiebei 
um so eher beruhigen, da er so wenig, als Plotin, zugiebt, dass 
die Materie in der Wirklichkeit jemals getrennt von der Form exi- 


1) De abstinentia I, 29, wo unter anderem: Hulv τοῦ τυχέϊν τῆς τοῦ ὄντος 
βειορίας τὸ τέλος, τῆς τεύξεως τελούσης τὴν κατὰ δύναμιν τὴν ἡμετέραν σύμφυσιν τῷ 
θεωροῦντι χαὶ θεωρὸυμένῳ. Dieses θεωρούμενον aber, dieses ὄντιυς ὃν ist der Nus. 
ὥστε καὶ τὸ τέλος τὸ ζῆν κατὰ νοῦν. χαὶ ποὺς τοῦτο χαὶ ol λόγοι χαὶ τὰ μαθήματα 
τὰ ἔξωθεν, καθαρτιχὸν ἐπέχοντα τρόπον (1. τόπον) ἣμῶν od συμπληρωτιχὸν τῆς εὖ- 
δαιμονίας. ὅθεν el μὲν ἐν λόγων ἀναλήψει ἀφώριστο τὸ εὔδαιμον, οἷόν τ᾽ ἦν ὀλιγω- 
ροῦντας καὶ τροφῶν χαὶ ποιῶν ἔργων τυγχάνειν τοῦ τέλους. ἐπὲὶ δὲ ζωὴν δεῖ ἀντὶ ζωῆς 
ἀλλάξασθα: τῆς νῦν διὰ λόγων καὶ ἔργων χαθαρθέντας͵ φέρε ποῖοι λόγοι καὶ τίνα ἔργα 
εἰς ταύτην ἡμᾶς καθίστησι σχεφψώμεθα. . 

3) Ad Marcellam c. 81. Aehnliche Aeusserungen sind uns schon früher 
wiederholt vorgekommen; vgl. 1. Abth. 524, 1. 644, 8. 655, 2. 662, 8. 

8) M. vgl. in dieser Beziehung auch das Bruchstück aus der Vorrede zu 
Porphyr’s Schrift x. τῆς &x λογίων φιλοσοφίας Ὁ. Eus. praep. ev. IV, 7,1. 8, 1, 
wo Porph. sagt, er wolle durchaus der Wahrheit getreu bleiben, ὡς ἂν ἐχ μόνου 
βεβαίου τὰς ἔλπίδας τοῦ σωθῆναι ἀρυτόμενος, sein Buch solle nur τοῖς τὸν βίον 
ἐνστησαμένοις πρὸς τὴν τῆς ψυχῆς σωτηρίαν gegeben werden, und aus derselben 
Schrift ebd. XIV, 10, 4: ἀχήχοας πόσος πόνος, ἵν' ὑπὲρ σώματός τις τὰ καθάρσια 
θύσῃ, οὐχ ὅτι τῆς φυχῆς τὴν σωτηρίαν ἐξεύρῃ. 

4) Β. Ῥεοκε. in Tim. 119, Β ff. 189, A. 

δὴ Ebd. 138, F und in der oben, B. 110, mitgetheilten Stelle aus Sınuer.. 
Phys. 50, Ὁ, u. 


588 Porphyrius. 


stirt, und dass mithin die Welt einen zeitlichen Anfang gehabt 
habe !). Mag aber auch die Materie selbst aus dem Geist berstam- 
men, ihrem Wesen nach steht sie ihm durchaus entgegen. Der 
Auseinandersetzung dieses Unterschieds ist ein grosser Theil ven 
Porphyr’s Sentenzen gewidmet; ausführlicher hatte er über de 
letzten Gründe und die Materie in einigen verlorenen Werken 
gehandelt?). DerGegensatz des einfachen, ewigen und unveränder- 
lichen gegen das zusammengesetzte, vergängliche und wandelbare 
wird von ihm auf’s schärfste betont, namentlich bemüht er sich 
aber, die Vorstellung des räumlichen Daseins von dem Unkör- 
perlichen fernzuhalten: das Körperliche ist, was im Raum ist, das 
Unkörperliche, was nicht im Raum ist °). Da jedoch hiebei im 
Grunde doch nurPlato’s undPlotin’sBestimmungen wiederholt wer- 
den, so unterlasse ich es, näher darauf einzugehen. Auch in seiner 
Ansicht von den Theilen der übersinnlichen Welt folgt Porphyr 
seinem Lehrer ©). Doch finden sich schon bei ihm einige Bestim- 
mungen, welche eine Hinneigung zu der späteren Vervielfältigung 
der übersinnlichen Principien verrathen. Denn wenn auch einige 
Abweichungen von Plotin, über die uns berichtet wird, von keiner 
Erheblichkeit sind °), bei anderen die Beziehung auf Porphyr 


1) Ῥποκι,. 8. 8. 0. 86, A, 116,C. 119, B fl, Die letstere Stelle enthält 
eine ausführliche Widerlegung der Ansichten, welche Attikus und Piutareh 
über die Materie und den Weltanfang aufgestellt hatten. 

2) Den zwei Büchern περὶ ἀρχῶν, welche Sum. und Paoxı. Plat. Theol, 
I, 11. 8. 27 m. nennt, und den sechs (80 Suın.) περὶ ὕλης, von denen Lımrı 
a. a. OÖ. das zweite anführt. 

3) Sent. 1—4. 14. 19. 22. 28 ἐ, 86. 86—88. 41 ---48. 

4) M. vgl. Sent. 31, wo mit Plotin die Gottheit, der Nus und die Beeie 
unterschieden werden; Sent. 15, wo P. ausführt, der Nus sei ebenso, wie das 
mit ihm identische Gedachte, eine Vielheit, und setze daher eine von ihm 
selbst verschiedene Einheit voraus; Sent. 44, wo er dem Nus, als einem un- 
veränderlichen, den αἰὼν, der Seele, ale einen bewegten, die Zeit beilegt; 
Paoxı. in Tim. 205, E, wo Porphyr eingehend beweist, dass die Soele eine 
harmonisch geordnete Vielheit sein müsse, und dass sie die harmonischen 
Verhältnisse des distonischen Systems als Band der vielen in ihr enthaltenen 
Kräfte in sich habe; zugleich seien aber diese Verhältnisse auch Symbole von 
höherem (εἰκόνες θείων τινῶν πραγμάτων). Porphyr's Vertheidigung des plotisi 
schen Satzes, dass die Ideen im Nus seien, wurde schon 8. 411, 5 besprochen. 

5) So wollte er nach Paoxt. in Tim. 98, F. 98, B. 131, C unter dem 
Demiurg nicht den Nus, sondern den höheren Theil der Weltseele verstehen, 


Die übersinnliche Welt, 583 


unsicher und unwahrscheinlich ist !), so scheint es doch, er habe 
die verschiedenen Seiten und Bestimmungen des Nus schärfer, 
als Plotin, unterschieden, und dadurch die spätere Zerlegung 
desselben in mehrere intelligible Ordnungen bis zu einem gewissen 
Grade vorbereitet ?). Ueber das Verhältniss der geistigen Wesen 


auf den Nas dagegen deutete er das αὐτοζῷον Tim. 80, C. 87, Ὁ. 39, E; und 
nach Demselben ebd. 249, A bezog er die μέθεξις nur auf die Theilnahme des 
Sinnlichen au den Ideen, nicht auf das gegenseitige Verhältniss der Ideen zu 
einander. Indessen betrifft diess doch nur die Terminologie und die Erklärung 
des Plato, nicht die philosophische Ansicht selbst. 

1) Dahin gehört Dauwasc. a. a. O. ο. 111, 8. 848: τὰς τριάδας οὐχέτι μετὰ 
τὴν μίαν ἀρχὴν τάξομεν, ὡς χαὶ αὐτοὶ βούλονται λέγειν ... οὐχ οἱ νεώτεροι μόνον͵ 
ἀλλὰ καὶ ᾿Ιάμβλιχος καὶ Πορφύριος. Diese Angabe lautet viel zu unbe- 
stimmt, als dass aus ihr, vollends bei einem Schriftsteller, wie Damascius, 
geschlossen werden könnte, Porphyr habe wirklich in der Weise der späteren 
Neuplatoniker mehrere Triaden übersinnlicher Wesen unterschieden. Noch 
weniger folgt aus Ῥβοκι, in Tim. 187, B, dass Porphyr einen doppelten Nus 
unterschied, den höheren, welcher die Ideen des Weltganzen (τῶν ὅλων), und 
den niedrigeren, welcher die der Theilwesen (τῶν μεριχῶν) in sich habe; denn 
diese Annahme wird dort nur als eine von Porphyr erwähnte fremde ange- 
führt; Antoninus (8. o. 411, 5 g. E.) sollte sie als eine persische Lehrmeinung 
berichtet haben. Ob endlich P, sent. 12 dem Urwesen das Leben beilegen 
will, welches Plotin demselben abgesprochen hatte, lässt sich aus seinen 
kurzen Worten um so weniger entscheiden, da auch der Text hier nicht ganz 
in.Ordnung zu sein scheint. Selbst wenn diess der Fall wäre, würden wir es 
aber doch schwerlich anders zu beurtheilen haben, als die 8. 431, 1. 440, 1 
besprochenen ähnlichen Erscheinungen bei Plotin, denn das Leben würde 
von dem Urwesen jedenfalls in anderem Sinn ausgesagt, als von allem andern, 
selbst dem Nus: ἄλλη γὰρ ζωὴ φυτοῦ, heisst es in unserem Text, χαὶ ἄλλη 
ἐμψύχου" ἄλλη νοεροῦ, ἄλλη φύσεως τοῦ ἐπέχεινα- ἄλλη ψυχῆς, ἄλλη νοερά. 

3) ῬΒΟΚΙ, sagt in Tim. 258, D: Nach Porphyr und Theodor (von Asine) 
rühre die verschiedene Geschwindigkeit des Planetenumlaufs davon her, dass 
die Geister (νόες) dieser Gestirne sich entweder unmittelbar (αὐτόθεν), oder 
durch gewisse Vermittlungen (διὰ πλειόνων) zur οὐσία hinbewegen, und ent- 
weder demselben, oder versehiedenen Zielen zustreben. ἥλιος μὲν γὰρ οὐσία ὧν 
ἐπὶ νοῦν ὁδεύει διὰ ζωῆς, ᾿Αφροδίτη δὲ νοῦς μὲν, ἀλλὰ διὰ ζωῆς ἐπὶ νοῦν͵ “Ἑρμῆς δὲ 
ζωὴ μὲν, διὰ δὲ [add, ζωῆς, was wohl besser, als οὐσίας] εἰς νοῦν εἰ καὶ ὁ νοῦς 
οὗτος, ἐφ᾽ ὃν Fi καταστροφὴ τοῖς τρισὶν, ὅπου μέν ἐστιν οὐσιώδης, ὅπου δὲ νοερὸς, 
ὅπου δὲ ζωτιχός. Aehnlich möge der Saturn, Jupiter und Mars entweder ver- 
schiedenen τμήματα (des Nus) angehören, oder wenn sie auch zu demselben 
gehören, durch verschiedene Vermittlungen sich nach dem gleichen Ziel be- 
wegen; wenn z.B. alle drei οὐσία seien und sich zur οὐσία bewegen, thue diess 
der Baturn vielleicht unmittelbar, Jupiter διὰ νοῦ μόνον͵ Mars διὰ νοῦ καὶ ζωῆς. 


ΑΝ» 


584 Porphyrius, 


zu einander und zur Körperwelt, das er eingehend besprochen het, 
stellt er die gleichen Bestimmungen auf, wie Plotin. Das Unkör- 
perliche erzeugt ein anderes, ohne sich selbst zu verändern, oder 


Von den sieben Planeten sei nämlich die πρώτη τριὰς ἐπὶ οὐσίαν, ἢ δὲ δειτώρα 
ἐπὶ νοῦν ἀναγομένη, σελήνη δὲ ἐπὶ ζωὴν, πᾶσαν τὴν γένεσιν ἐν ἑαυτῇ περιέχουσα. 
Dieses sagen Purphyr und Theodor, πανταχοῦ μὲν πάντα λέγοντες, καὶ τὸν οὐσίαν 
χαὶ τὸν νοῦν χαὶ τὴν ζωὴν, χαὶ ἕχαστον τῶν θεῶν μετέχειν τιθέμενοι τῶν τριῶν πατέ» 
cwv, ἐπιχρατεῖν δὲ ἄλλο ἐν ἄλλοις ἰδίωμα, καὶ τὴν ἐνέργειαν ἄλλων εἶναι ἄλλαν καὶ 
δι᾿ ἄλλων μέσων τὴν ἀναγωγήν. Proklus fasst nun hier freilich die Annahmen 
Porphyr's und Theodor’s zusammen, und wir wissen dessbalb nicht, wie voll- 
ständig wir seinen Bericht auf den ersteren beziehen dürfen. Aber wenn auch 
Porphyr den Nus wohl schwerlich schon in drei πατέρες zerlegt hatte, so muss 
er doch die drei Bestandtheile desselben, das Sein, Denken und Leben, schon in 
der Art unterschieden haben, dass er bald den einen bald den andern vos 
ihnen in den abgeleiteten Wesen überwiegen liess, und auf dieses Verbältniss 
seine seltsamen Vermuthungen über die Gründe der ungleichen Planetes- 
bewegung baute. Eine solche Unterscheidung war aber immerhin geeignet, 
der späteren Entwicklung der Triadentheorie vorzuarbeiten. Auf diese drei 
Bestandtheile des Nus bezieht sich vielleicht der Ausdruck νοητὴ τριὰς bei 
Dauasc. De princ. 43, 8. 115 K. (κατὰ δὲ τὸν Πορφύριον ἐροῦμεν τὴν μίαν τῶν 
πάντων ἀρχὴν εἶναι τὸν πατέρα τῆς νοητῆς τριάδος), Damasc. wenigstens denkt bei 
demselben nur an das νοητὸν im engeren Sinn; doch ist es immerhin möglich, 
dass P. mit der νοητὴ τριὰς nur die grosse Dreiheit: Gott, Geist, Seele, meint. 
— Von einer anderen Unterscheidung, die Porphyr im Nus machte, erfahren 
wir durch Pkokı.. Plat. Theol. I, 11. 8, 27 m., nach welchem er in der Schrift 
π. ἀρχῶν ausgeführt hatte: τὸν νοῦν εἶναι μὲν αἰώνιον ..., ἔχειν δὲ ὅμως ἐν ξαυτῷ 
χαὶ προαιώνιον τοῦ νοῦ [hier scheint ein Fehler zu liegen; man könnte rer- 
muthen: προαιών., ὃ τὸν νοῦν] τῷ Evi συνάπτειν. ἐχέϊνο γὰρ (das iv) ἦν ἐπέχεινα 
παντὸς αἰῶνος. τὺ δὲ αἰώνιον δευτέραν ἔχειν, μᾶλλον δὲ τρίτην ἐν ἐχείνῳ (dem Nus) 
τάξιν — das letztere (was Prokl. selbst als seinen eigenen Zusatz giebt), weil 
zwischen dem προαιώνιον und dem αἰώνιον der αἰὼν in der Mitte stehe. — Auf 
dieselbe Unterscheidung könnte man beziehen, was Avcust. Civ.D. X, 23 

von P. sagt: diei enim Deum patrem et Deum flium, quem graece appellai pe- 

ternum intellectum vel paternam ımentem (ratpıxbv νοῦν); über den heil. Geist 

sage er nichts, oder doch nichts deutliches; quamvis quem alium dicat korum 

medium non intelligo, denn die Weltseele stehe unter dem paternus intellecius, 

nicht zwischen ihm und dem Vater. Vgl.c. 29: prasdioae patrem ei ejus filium, 

quem vocas paternum intellectum seu mentem; et horum medium .. . et more 

vesiro appellas tres Deos. Das προαιώνιον im Νὰ könnte als ein mittleres swi- 

schen ihm und dem ersten bezeichnet worden sein. Aber „drei Götter passt 

niobt, wenn nur das Erste und der zweitheilige Nus gemeint ist. Augastin's 

Aussage geht daher doch am Ende auf die bekannte Trias ἕν, νοῦς, ψυχή. Wie 

aber und in welchem Binn die Seele das mittlere zwischen dem Einen und dem 

Nus genanut werden konute, ist freilich schwer zu sagen. 


Erseugendes und Erszeugtes, Seele und Leib. 585 


etwas von seiner Substanz an dasselbe zu verlieren '). Das er- 
zeugte ist immer unvollkommener und getheilter als das zeugende; 
je tiefer wir daher in der Reihe der Erzeugungen herabsteigen, 
um so mehr wird die Einheit, die Vollkommenheit, die Kraft, die 
Immaterialität abnehmen, je höher wir in ihr hinaufsteigen, um so 
mehr wird sie zunehmen ?); ein in sich vollendetes Wesen wendet 
sich desshalb nie zu seinem Erzeugniss, sondern immer nur zu dem, 
von dem es erzeugt ist, so dass also alles vollendete, sei es aus 
grösserer oder aus geringerer Entfernung, sich zum Urwesen hin- 
wendet, und seiner geniesst: nur die unvollständigen Substanzen 
(μερικαὶ ὑποστάσεις) Κὔππθη sich auch zu dem von ihnen erzeugten, 
zum Körperlichen, hinwenden und sich dadurch in Sünde und Un- 
treue (ἀπιστία) verstricken ®). Nur in dieser Hinneigung des 
Willens besteht, wie schon Plotin gelehrt hatte, das Sein des Unkör- 
- perlichen im Körperlichen und daher auch das Sein der Seele im 
Leibe: abgesehen davon wirkt das verursachende zwar auf das 
verursachte, aber es ist, streng genommen, nicht in ihm, sondern 
vielmehr dieses in jenem *). Auch die Seele verbindet sich aber 
nicht unmittelbar mit dem Leibe; Porphyr nimmt vielmehr mit 
Plotin an, durch ihre Neigung zum Körperlichen erzeuge sie aus 
sich eine niedrigere, dem Körper verwandte Kraft, die sich mit 
ihm vereinige °). Die Seele ist daher in ihrem Dasein nicht an 
den Körper gebunden. Das ist ja überhaupt, wie unser Philosoph 
sagt, der Unterschied des Geistigen und des Leiblichen, dass jenes 
ungetheilt überall sein kann ©); oder genauer: jedes unkörperliche 
Wesen ist in dem, was unter ihm ist, nur so, dass es zugleich nicht 
in ihm ist, umschlossen wird es nur von dem höheren, und gerade 


1) Sent. 25; die Hervorbringung des einen durch das andere bezeichnet 
P. mit πρόοδος oder γέννησις. 

3) Ebd. 11. 18. 87. 

8) Ebd. 80 vgl. 18. 

4) Ebd. 8. 7. 238 f. 81 ὦ, vgl. auch Ῥκοκι,. in Tim. 171, Ὁ, 

5) Bent. 4: τὰ καθ᾽ ἑαυτὰ ἀσώματα ὅπκοστάσει μὲν καὶ οὐσίᾳ οὗ πάρεστιν οὗ 
γὰρ συγκιρνᾶται τοῖς σώμασι τῇ δὲ ἐκ τῆς ῥοπῆς ὑποστάσει τινὸς δυνάμεως μεταδί- 
δωσι προςεχοῦς τόϊς σώμασιν" ἢ γὰρ ῥοπὴ δευτέραν τινὰ δύναμιν ὀπέστησε προςεχῇ 
τοῖς σώμασιν. 

6) Ebd. 2. 85 vgl. 24: ἢ νοερὰ οὐσία ὁμοιομερής ἐστιν͵ ὡς καὶ ἐν τῷ μερικῷ 
- γῷ ἑἶναι τὰ ὄντα χαὶ ἐν τῷ παντελείῳ, ἀλλ᾽ ἐν μὲν τῷ καθόλου καὶ τὰ μερικὰ καϑο- 
λικῶς, ἐν δὲ τῷ μεριχῷ καὶ τὰ καθόλου καὶ μερικὰ μερικῶς. 


586 Porphyrius. 


desshalb ist das höhere Ursache des geringeren, weil es ibm überel 

gegenwärtig ist, ohne doch in ihm zu sein, weil es im Verhältus 

zu ihm zugleich überall und nirgends ist 1). Dasselbe gili asch 

von dem Verhältniss des Unkörperlichen zum Körper: es Ια a 
ihm nicht auf räumliche Weise, nicht mit dem einen Theil hier, δὲ 
dem andern dort, sondern überall ganz 3); es ist dem Körperlichen 
gegenwärtig, indem es dasselbe sich ähnlich macht, seine Geges- 
wart ist eine dynamische, keine substantielle °), und nur desshalb 
ist es möglich, dass aus Seele und Leib Ein Wesen wird, und das 
die Seele in dieser Verbindung ihre Einheit und Eigenthümlichkeit 
nicht blos nicht verliert, sondern dieselbe sogar dem Leibe m#- 
theilt Ὁ. Wir müssen in diesen Sätzen eine richtige Darstellung 
der plotinischen Lehre anerkennen, aber des eigenthümlichen und 
wissenschaftlich bedeutenden enthalten sie doch nur wenig. 

Die naturwissenschaftliche Forschung scheint für Porpbyr, 
trotz seinem Commentar zur Physik und den astronomischen Schrif- 
ten, von denen Suınas berichtet, in philosophischer Beziehung keine 
grössere Bedeutung gehabt zu haben, als für Plotin, wenigsiess 
tritt sie in den Werken, die wir noch besitzen, gänzlich zurück ') 


1) Ebd. 81. 

2) Ebd. 85 f. 

8) Ebd. 87: ἧ οὖν παρουσία οὐ τοπιχὴ, ἐξομοιωτιχὴ di, καθόσον οἷόν τε vüps 
ὁμοιοῦσθαι ἀσωμάτῳ u. 8. ν. Vgl. 8. 585, ὅ. 

4) NEMESs. nat. hom. 8. 60 u.: Porphyr sage im 2. Buch der σύμμοιτε 

, ζητήματα über die Verbindung von Seele und Leib wörtlich: οὐχ ἀκογνωστίον 
οὖν, ἐνδέχεσθαί τινα οὐσίαν παραληφθῆναι εἷς συμπλήρωσιν ἑτέρας οὐσίας καὶ ehe 
μέρος οὐσίας͵ μένουσαν κατὰ τὴν ἑαυτῆς φύσιν, μετὰ τὸ συμπληροῦν ἄλλην οὐσάαν, 
ἕν τε σὺν ἄλλῳ γενομένην χαὶ τὸ xa0’ ἑαυτὴν ἕν διασώζουσαν " καὶ τὸ μεῖζον" αὐτὴν 
μὲν μὴ τρεπομένην, τρέπουσαν δὲ ἐχέϊνα, ἐν αἷς ἂν γίγνηται, εἰς τὴν ἑαυτῆς ἐνόγιαν 
τῇ παρουσίᾳ. Unklar ist es aber hiebei immerhin, und mit dem 8. 585, 5 ange 
führten verträgt es sich nicht, dass der Leib ebenso, wie die Boele, als οὐσίε 
behandelt, und demnach für ihre Verbindung der widerspruohsvolle Begrif 
der Zusammensetzung einer Substanz aus zweien und der Ergänzung de 
einen durch die andere aufgestellt wird. 

5) Fast das oinsige, was in dieser Beziehung von ihm überliefert is, 
sind die Bemerkungen gegen die aristotelische Annahme des Acthers, weicht 
der platonische Scholiast 8. 488 Bekk. aus seinem Commentar zum Timles 
mittheilt. Er folgt auch hierin Plotin; vgl. 85. 506, 8. Einiges andere is 
theils an sich unerbeblich, theile nicht speciell naturwissenschaftlichen Ir 
balts; so dje Bemerkung b, Sıurı. Phys. 2, Ὁ, unt., dass nicht der Phyaike, 


Anthropologie. , 687 


Dagegen ist uns von seinen psychologischen Untersuchungen noch 
genug ührig,um uns von der Wichtigkeit, welche er diesem Gegen- 
stand beilegte, und von dem Eifer, den er ihm widmete, zu über- 
zeugen !). Die Lehren Piotin’s über das Wesen und Wirken der 
Seele, über ihr vorzeitliches Leben und ihr Schicksal nach dem 
Tode, über das Verhältniss der Einzelseelen zur Seele des Welt- 
ganzen, boten einem denkenden Schüler reichlichen Anlass zur 
Erläuterung und näheren Bestimmung; und was Porphyr in dieser 


sondern nur der Motaphysiker, nach den Principien der Natur zu fragen habe, 
und die Erörterung über ἀρχὴ und αἴτιον ehd. 8, a, m. Sonst mag noch der 

x Glaube an die Beseeltheit und die göttliche Natur der Gestirne erwähnt wer- 
den, der sich für den Neuplatoniker von selbst versteht, und ausser 8. 583, 2 
uns auch später noch begegnen wird, 

1) Sup. nennt von Porphyr fünf Bücher περὶ ψυχῆς πρὸς Βόηθον (oder - ὃν), 
eine gegen den Peripatetiker Boöthus (1ste Abth. 558, 4) gerichtete Schrift, 
welche wohl hauptsächlich durch dessen Einwürfe gegen die Unsterblichkeit 
der Seele veranlasst war; Bruchstücke derselben Ὁ. Eos. pr. ev. XI, 28 (wo 
aber die Vertheilung des Textes swischen Euseb, Porphyr und Boöthus bei 
Haısıchan verfehlt, und auch bei Gassrorp nicht durchaus richtig ist); ebd. 
XIV, 10, 2. XV, 11.16. Weiter nennt Sup. eine Abhandlung πρὸς ᾿Αριστο- 
τέλην περὶ τοῦ εἶναι τὴν ψυχὴν ἐντελέχειαν (ἃ. h. tiber den aristotelischen Satz, 
dass die Seele Entelechie sei, ein Satz, den er auch in dem Stück aus der 
Schrift gegen Boöthus Ὁ. Eus. XV, 11 bestreitet), Srosäus giebt Ekl. I, 826 
bis 846 Stücke aus der Schrift περὶ τῶν τῆς ψυχῆς δυνάμεων und ebd. II, 866 
bis 394 aus der περὶ τοῦ ἐφ᾽ ἡμῖν. Ein Buch περὶ αἰσθήσεως führt Neues. nat. 
hom. 8. 80 an; aus demselben 8. 60 f. sehen wir, dass auch in den Σύμμικτα 
Ζητήματα (nach ϑυιν. 7 Bücher; angeführt auch von Peoxı. in Remp. 415 u. 
vgl. 1.Abth. 8.615. in Euelid. 16 u, Priscıas Solut. prooem. 8.554, a, o. Dübn.) 
psychologische Fragen erörtert wurden. Ebenso ohne Zweifel in der Erklä- 
rung des Timäus. Auf die letztere geht wohl, was Jauzt. b. Sros. ἘΚ]. I, 864 
über Porphyr’s Ansicht von der (Welt-) Seele sagt; wogegen es in Betrefl der 
übrigen psychologischen Bestimmungen, die wir aus Jamblich’s Bruchstücken 
bei Stobäus anzuführen haben werden, dahingestellt bleiben muss, wo sie 
Porphyr ausgesprochen hatte; 8. 898 bezieht sich Jamblich auf den münd- 
lichen Unterricht desselben. Eine Schrift De regressu animzs (wohl: x. τῆς 
ἀνόδου τῆς ψυχῆς) in mehreren Büchern, deren Auausrın Civ. Ὁ. X, 29 er- 
wähnt, und der er auch schon im vorhergehenden, wie er bemerkt, vieles 
entnommen hatte (vgl. 6. 9. 28. 26. 28), scheint swar hauptsächlich von dem 
Mitteln gehandelt zu haben, durch welche die Seele zur Gottheit surfckge- 
führt wird, dooh kann sie auch die Fragen über die Natur der Beele, ihr 
Herabkommen aus der höheren Welt und ihre Rückkehr in dieselbe berährt 
haben. 


N 


588 Porphyrius. 


Beziehung geleistet hat, verdient alle Anerkennung; die wesset- 
lichen Schwierigkeiten der neuplatonischen Theorie konnte er 
freilich so wenig, als andere, überwinden. Was zunächst das 
Wesen und den Begriff der Seele betriflt, so bemüht er sich, zu 
zeigen, wie sich ihre Einheit mit der Mehrheit ihrer Thätigkeites 
und Vermögen, ihre Selbstthätigkeit mit ihrer Abhängigkeit von 
äusseren Einflüssen vertrage. Die Seele hat die Grundbestimmungen 
(Λόγοι aller Dinge ursprünglich in sich selbst '); wird sie von 
aussen angeregt, ihnen gemäss zu wirken, so entsteht die sinnliche 
Wahrnehmung, erhält sie diese Anregung durch Einkehr in sich 
selbst, so entsteht das Denken 5); und kommt dieses auch ers 
durch die Einwirkung des göttlichen Geistes (des Nus) zu Stande, 
so wird doch dabei kein neuer Inhalt in die Seele übertragen, son- 
dern der Nus bringt durch sein Licht nur die Ideen zum Bewasst- 
sein, welche er selbst ursprünglich in sie gelegt hat ®). Alle Gei- 
stesthätigkeiten sind daher auf eine und dieselbe Grundthätigkei 
zurückzuführen, welche nur nach der Beschaffenheit ihrer Objekte 
eine verschiedene Gestalt annimmt: im intelligibeln hat unser Des- 
ken die Gestalt des Denkens, im seelischen die der Reflexion, m 
vegetativen die der Keimkraft, in der Materie die des Schattenbilds, 
im übervernünftigen wird es überwesentlich und übervernünftig‘). 


1) Auch die Weltseele soll ja die wesenhaften λόγοι in sich tragen; vgl. 
8. 582, 4. 

2) Sent. 17. Vgl. Neues. nat. hom. 80: Πορφύριος δὲ ἐν τῷ περὶ αἰσθήσεως 
οὔτε xüvov (Btrahlenkegel) οὔτε εἴδωλον οὔτε ἄλλο τί φησιν αἴτιον εἶναι τοῦ δρᾶν᾽ 
ἀλλὰ τὴν ψυχὴν αὐτὴν ἐντυγχάνουσαν τοῖς ὁρατοῖς ἐπιγινώσχειν ἑαυτὴν οὖσαν τὰ 
ὁρατὰ, τῷ τὴν ψυχὴν συνέχειν πάντα τὰ ὄντα καὶ εἶναι τὰ πάντα ψυχὴν συνέχουδεν 
σώματα διάφορα. μίαν γὰρ βουλόμενος εἶναι πάντων ψυχὴν τὴν λογικὴν, εἰκότως pad 
γνωρίζειν ἑαυτὴν ἐν πᾶσι τόῖς οὖσι. Porph. will desshalb sent. 16 auch die Er- 
innerung nicht aus der Aufbewahrung von Vorstellungen, sondern daraus er- 
klären, dass es der Seele durch Uebung erleichtert werde, eine Vorstellung 
neu zu erzeugen. 

8) Ad Maro. 26: ψυχὴν λογιχὴν .. ἣν τρέφει ὁ νοῦς τὰς ἐν αὐτῇ ἐννοία; ὃς 
ἐνετύπωσε χαὶ ἐνεχάραξεν dx τῆς τοῦ θείου νόμου ἀληθείας εἰς ἀναγνώρισιν ἄγων di 
τοῦ παρ᾽ αὐτῷ φωτός. Doch soll sich Porphyr nach Jaust. b. ὅτοβ. ἘΚ], 1, 866 
in seinen Aeusserungen über die Ansicht, dass der ganse νοητὺς χόσμος in det 
μεριστὴ ψυχὴ sei, nicht gleiohgeblieben sein, πῆ μὲν διατεταγμένως αὐτῆς ἀφε 
στάμενος͵ πῆ δὲ συναχολουθῶν αὐτῇ ὡς πκαραδοθείσῃ ἄνωθεν. 

4) Bent. 10: οὐχ ὁμοίως μὲν νοοῦμεν ἐν πᾶσιν, ἀλλ᾽ οἰκείως τῇ ἐχάστου οὐσία. 


Anthropologie. 889 


Auch in den scheinbar leidentlichen Zuständen verhält sich die Seele 
in Wahrheit thätig, nur der Körper leidet; die Sinnlichkeit rührt 
vom Körper her, der Geist für sich genommen ist reines Denken; 
das Leben, Sterben und Leiden ist nur in dem aus Seele und Leib 
zusammengesetzien Wesen, nicht in der Seele als solcher !). Gros- 
sen Werth hat für Porphyr, wie für alle Platoniker, die Willens- 
freiheit; in den Bruchstücken der Schrift, welche er ihrer Verthei- 
digung gewidmet hat *), sucht er ihre Vereinbarkeit mit der Wahl 
der Lebensloose im Präexistenzzustand, unter richtiger Erklärung 
Plato’s, darzuthun. Auch die Schuld des Bösen soll nicht im Leibe, 
sondern in der Seele und ihrer Begierde gesucht werden °). Je 
ausschliesslicher aber so alle Erscheinungen des Seelenlebens auf 
die Seele selbst zurückgeführt wurden, um so nothwendiger war 
es auch, das Verhältniss der vielen Seelenthätigkeiten zu der Einen 
Grundkraft so zu bestimmen, dass die Einheit der Kraft trotz der 
Verschiedenheit ihrer Wirkungsweisen gewahrt blieb. Porphyr 
widerspricht daher der buchstäblichen Auffassung der platonisch- 
aristotelischen Lehre von den Theilen der Seele. Seiner Ansicht 
nach müssen wir zwar allerdings verschiedene Kräfte der Seele 
unterscheiden ; so namentlich die Denkkraft und das Wahrneh- 
mungsvermögen, und innerhalb der ersteren wieder das Vermögen 
des intuitiven und des diskursiven Denkens (νοῦς und διάνοια), in- 
nerhalb des andern die Fähigkeit, mittelst der Sinneswerkzeuge, 
und die, ohne dieselben wahrzunehmen (das αἰσθητικὸν und φαντα-- 
στικόν) %). Aber verschiedene Theile hat nur das lebendige Wesen, 
welches aus Seele und Leib zusammengesetzt ist; die Seele selbst 


dv νῷ μὲν γὰρ νοερῶς, ἐν ψυχῇ δὲ λογικῶς, ἐν δὲ τοῖς φυτοῖς σπορματιχῶς, dv δὲ 
σώματι εἰδωλιχῶς, ἐν δὲ τῷ ἐπέχεινα ἀνεννοήτως τε χαὶ ὑπερουσίως. 

1) Bent. 19. 22. 42. 

2) B. Sro». Ekl. II, 866 ff. 

8) Ad Marcellam ὁ. 29. Natürlich können es aber nur die geringeren 
Theile der Seele sein, von denen das Böse herstammt; wesshalb Jausı.. bei 
Sros. Ekl. I, 896 von Porphyr und Plotin sagt, sie leiten es von der φύσις 
und der ἄλογος ζωὴ her. 

4) M. vgl. hierüber die Bruchstücke aus der Schrift über die Kräfte der 
Seele Ὁ. ὅτοβ. ΕΚ]. I, 826 ff. insbesondere 8. 882. Ueber eine weitere von 
Plato an die Hand gegebene Seelenkraft, das δοξαστιχὸν, wird bier bemerkt, 
os frage sich, ol es eine Unterart der διάνοια, oder ein mittleres swischen dem 
αἰσθητικὸν und φανταστιχὸν einerseits, dem νοητιχὸν andererseits Sei. 


ON 


880 Porphyrius. 


ist ungetheilt, und nur ihr Verhältniss zum Leibe bringt es mit sich, 
dass aus ihrem an sich einheitlichen Wesen verschiedenartige Thä- 
tigkeiten hervorgehen 1). Aus demselben Gesichtspunkt betrachtel 
Porphyr das Verhältniss der Einzelseelen zur allgemeinen Seele. 
Alle Einzelseelen entspringen aus der überweltlichen Seele und 
diese enthält jene als ihre Theilkräfte in sich, ohne sich doch selbst 
an sie zu vertheilen; sie ist daher einerseits zwar von jeder der- 
selben unterschieden, aber zugleich auch mit allen dem Wesen nach 
identisch, und in jeder mit ihrer ganzen Kraft wirksam, sobald sich 
dieselbe von dem getheilten, körperlichen Sein zu ihr zurückwen- 
det 2). Wegen dieser Einheit alles Seelenlebens will unser Philo- 
soph selbst den Thieren Vernunft beilegen °); nichtsdestoweniger 
weiss er denen nicht beizustimmen, die menschliche Seelen nach 
dem Tode in Thierleiber wandern liessen. Die Thierseelen sind 
von den menschlichen, wie er glaubt, der Art nach verschieden *); 
bedient er sich daher auch solcherAusdrücke, die jene Vorstellung 
strenggenommen voraussetzen würden), so haben sie doch für ihn 
aur uneigentliche Bedeutung): in derSchrift gegen den Fleischge- 


1) A. ἃ. Ο. 888 £ 844 f. vgl. auch Janet. ebd. 894, 

2) Bent. 39, wornach auch Jauprica’'s jedenfalls ungenaue Angabe bei 
Stop. Ekl. I, 886: ὡς 8’ ἂν εἴποι Πορφύριος, πάντη χεχώρισται τὰ τῆς ὅλης ψυχῆς 
πρὸς τὴν μερικὴν ἐνεργήματα zu ergänzen ist. Weiter 5. m. Jauaz. a. ἃ. 0. 
Neuss. nat. hom. 80 (oben 8. 588, 2.). 

8) Er wolle zeigen, sagt Porph. De abstin. II, 1, πᾶσαν ψυχὴν, ἢ μέτεστιν 
αἰσθήσεως καὶ μνήμης, λογιχήν" und er führt diesen Beweis sehr ausflihrlieh, bis 
ο. 26. Unter anderem beruft er sich dabei auf die Sprache der Thiere, welche 
von einzelnen auch wirklich verstanden worden sei. Zu diesen gehört nach 
der v. Pyth. 28 ff, Pythagoras. Auf jene Auseinandersetzung bezieht sich 
vielleicht Nuume. 8. Bl. 

4) Janet. Ὁ. Stop. Ekl. I, 1068: of δὲ περὶ Πορφύριον ἄχρι τῶν ἀνθρωπίνων 
βίων (Porph. lässt das Horabsinken der Menschenseele sich nur so weit er- 
strecken), τὸ δ᾽ ἀπὸ τούτου ψυχῶν ἄλλο εἶδος τὸ ἀλόγιστον (was aber nach dem 
eben angeführten von dem ἄλογον noch verschieden sein muss) ὑποτίθενται. 
Ders. ebd. 898: Nach Porphyr und andern Platonikern ἀφομοιοῦται ἀλλήλοις τὰ 
μὲν ἀνθρώπεια τοῖς θηρείοις τὰ δὲ τῶν ζῴων τοῖς ἀνθρωπείοις, ἐφ ὅσον πέφυκε τὰ δια. 
κεχριμένα καθ᾽ ἑτέρας οὐσίας ὁμοιοῦσθαι πρὸς ἄλληλα. Vgl. 8. 591, 1. 

6) Β. ὅτοβ. Ekl. I, 1048 f. 

6) Die Seele, heisst es, gehe nach diesem Leben wieder in andere Leiber 
ein; wenn sie nun pbilosophisch gelebt und der Sinnenlust abgesagt habe, 20 
werde sie sich hüten, μὴ λάθῃ θηρίον γενομένη καὶ στέρξασα σώματος ἀφυοῦς οὐδὲ 
χαθαροῦ πρὸς ἀρετὴν φύσιν ἄλογον καὶ ἄμουσον καὶ τὸ ἐπιθυμοῦν ἢ θυμούμενον μᾶλ- 


| 


Anthropologie; Leben nach dem Tode. 591 


nuss, gegen den es keinen stärkeren Grund gab, als den menschlichen 
Ursprung vieler Thierseelen, schweigt er hievon gänzlich, und von 
Späteren wird ausdrücklich bezeugt, dass er die Seelenwanderung 
aufmenschliche Leiber beschränkt hat !). Ebensowenig willer aber 
andererseits eine Erhebung der geläuterten Seele zu übermensch- 
licher Natur und Würde zugeben; so fest er vielmehr von der 
Unsterblichkeit des geistigen Wesens überzeugt ist 5), so bestimmt 
will er doch die menschliche Seele in ihrer eigenthümlichen Ord- 
nung festhalten °); alle Seelen sollen nach dem Tode wieder in 
neue Leiber eingehen, weil eben dieses die eigenthümliche Natur 
und Bestimmung der menschlichen Seele sei, einem aus Körper 
und Geist zusammengesetzten Wesen anzugehören *). Das nähere 
dieses Hergangs und der Zustand der körperlosen Seele wird mit 
sinnlicher Bestimmtheit ausgemalt. Vor dem Eintritt in das irdi- 
sche Leben hält sich die Seele im Fixsternhimmel auf °); von da 


λον ἢ To φρόνιμον αὔξαντος χαὶ τρέφοντος, andernfalls sinke sie wieder in den 
Strudel des Werdens herab, sie gerathe in ein unseliges und thierisches Le- 
ben, el; νωθῆ σώματα καὶ βίους δολεροὺς oder el; λύχου φύσιν A λέοντος. 

1) Jamer. (5. ο. 590, 4), dessen elliptischer Ausdruck doch nur diesen 
Sinn haben kann. Avucusriıs Civ. D. X,80: Plato und Plotin lassen die Seelen 
auch in Thierleiber übergehen: Porphyrio tamen jure Aisplicuit (hec senten- 
ta); er beschränke ihre Wanderung auf Menschenleiber. Ars. Gaz. Theophr. 
8. 16 Barth: Porphyr und Jamblich, χατανοήσαντες ὡς ἄλλη μὲν λογικῆς ψυχῆς 
ἣ οὐσία ἄλλη δὲ ἀλόγου, καὶ ὅτι οὗ μετανίστανται (sich verlindern) ἀλλ᾽ ὡσαύτως 
ἔχουσιν af οὐσίαι, οἷαι τὸ πρῶτον προῆλθον .... χαὶ ὅλως ἀδύνατον τὸν λόγον εἷς 
ἀλογίαν μετατίθεσθαι, ὑπερπηδήσαντες τὰ ἄλογα τῶν ζῴων μεταβαλόντες, οὐχ εἷς 
ὄνον φασὶν, ἀλλ᾽ ὀνώδη ἄνθρωπον. οὗ γὰρ τὴν φύσιν, ἀλλὰ τὴν τῶν σωμάτων μορ- 
φὴν μεταμπίσχεσθαι. 

2) Bent. 22. 24. Ausführlich hatte P. in der 8. 587, 1 genannten Schrift 
gegen Bo&thus die Gründe für die Unsterblichkeit erörtert; was jedoch σε. 
pr. ev. XI, 28. XIV, 10, 8 daraus mittheilt, bringt nichts eigenthümliches. 

8) Jaust. b. Sron. Ekl. I, 1064: τηροῦσι μὲν αὐτὴν (die abgeschiedene 
Beele) ἐπὶ τῆς olxelas τάξεως Πλούταρχος καὶ Πορφύριος ... οἱ δὲ ἀρχαιότεροι πα- 
ραπλησίαν τοῖς θεσῖς χατὰ νοῦν διάθεσιν ἀγαθοειδῆ καὶ προστασίαν τῶν τῆδε αὐτῇ 
ἀπονέμουσι καλῶς. Πορφύριος δὲ καὶ τοῦτο ἀπ᾽ αὐτῆς ἀφαιρέΐ... αὐτὰς ἀφαιρέϊ παν- 
τάπασιν ἀπὸ τῆς ἀδεσπότου (absolut) ζωῆς, ὡς οὔσας συμφυέῖς τῇ γενέσει καὶ πρὸς 
ἐπιχουρίαν δοθείσας τοῖς συνθέτοις ζῴοις, 

4) 8. die vor. Anm. ἃ. Porph. b. 5108. ΕΚ]. 1,1048: ἄφθαρτος οὖσα [ἢ ψυχὴ] 
τὴν φύσιν καὶ αἴδιος, οὔτε μὴν ἀπαθὴς οὐδὲ ἀμετάβλητος, ἐν ταῖς λεγομέναις φθοραῖς 
καὶ τελευταΐς μεταβολὴν ἴσχει καὶ μεταχόσμησιν εἷς ἕτερα σωμάτων εἴδη. 

δ) Vgl. folg. Anm. Wenn in dem Fragment b. ὅτοβ. I, 1054 der Mond 


593 Porphyrius. 


steigt sie durch die sieben Planetensphären zur Erde herab, indem 
sie sich aus der Substanz derselben mit einem luftarligen Leib 
(πνεῦμα umkleidet 15; derselbe Leib begleitet sie auch beim Al- 
scheiden aus dem irdischen Körper, und wird von ihr je nach des 
Einbildungen, welche die Vorliebe für den oder jenen Körper ia 
ihr erregt, so oder so gestaltet; die reinsten Seelen erhalten ätbe- 
rische Leiber, die minder reinen sonnenartige, eine dritte Klasse 
mondartige, die, welche am tiefsten stehen, und ihr πνεῦμα mit des 
feuchten Dünsten der Erdatmosphäre beschwert haben, werden | 
durch dasselbe in die Räume unter der Erde hinabgezogen Ὦ. Dea 


den Seelen der Frommen zum Wohnsitz gegeben wird, so bezieht sick diem | 
nur auf die Vorstellungen Homers, so wie Porph. diese erklärt, oder aac 
nur auf die Seelen, welche noch nicht die böchste Vollendung erreicht habe. 

1) Poren. Ὁ. Stop. Ekl. II, 888, wo über das Lebensloos der platoniechen 
Republik X, 617, E bemerkt wird: ὁ μὲν χλῆρος ἕξω ποὶν εἰς τὸν τῆς σελήνης ὅξο- 
χάτω τόπον πεσέϊν (86. τὰς ψυχὰς), τοῦ πρώτου βίου ἧ διέξοδος διὰ τῶν ἑκτὰ op 
ρῶν γιγνομένη. Ders. Bent. 82: τὸ πνεῦμα, ὃ ἐχ τῶν σφαιρῶν συνελέξατο. Ῥποει. 
in Tim. 811, A; 8. folg. Anm. Der Eintritt der Beele in den Leib solle ἐν τῇ 
πρώτῃ ἀπογεννήσει τοῦ τιχτομένου stattfinden (Jamst. Ὁ. Bros. ἘΚ]. I, 912); 
womit nicht der Moment der Erseugung, sondern der des fertigen Herror- 
tretens, der Geburt, gemeint zu sein scheint; darauf weist wenigstens dat 
τιχτομένου, und der Umstand, dass Porph. b. Sros. Ekl. II, 392 (s. u. 608, 4) 
die Annahme zulässig findet, durch den Stand der Gestirne sur Zeit der Br 
zeugung scien den Seclen die allgemeinen, durch den Stand derselben su 
Zeit ihrer Geburt die speciellen Vorbilder ihres Menschenlebens bezeichnet 
Da mit dem Eintritt der Seele in einen bestimmten Leib fiber das, was sie 
werden wird, vollständig ontschieden ist, setzt diese Darstellung voraus, dam 
sie erst bei der Geburt in einen solchen eintrete. — Ihrem leitenden Gedanke 
nach ist diese Theorie Porphyr’s von Plotin entlehnt (vgl. 8, 514, 1), aber 
dieser hat sie nicht so in’s einzelne ausgeführt, | 

2) Sentent. 82. Auf diese Lehre bezieht sich auch die Angabe des Jaw- 
vıon Ὁ. Stop. Ekl. I, 924, dass nach Porphyr die unvernünftigen Kräfte der 
Seele in das allgemeine Leben, welchem sie entnommen seien, zurückkehren, 
and des Scholion bei OLrmPrıonor. in Phädon. ed. Finckh 8. 98, Nr. 175, dass 
Proklus und Porphyr die Unsterblichkeit nur auf die vernünftige Seele au 
dehnen; vgl. Proxr. a. a. O., wo als Lehre Porphyr's angegeben wird, das 
das ὄχημα und die ἄλογος ψνχὴ (das, was Porphyr in der oben angeführte 
Stelle das Pneuma nennt) in die himmlischen Sphären, aus denen die Seele 
bei ihrem Herabsteigen diese Bestandtheile gesammelt habe, sich wieder auf- 
löse. Doch kann diess nur von den reineren Beelen gelten, die beim Auf- 
steigen in jeder Sphäre wieder ablegen, was sie beim Herabsteigen angezoge 
haben, wie es auch Plotin, dem P. hier folgt, nur von jenen ausgesagt hatie; 
vgl. 8. 583, 2. 


Leben nach dem Tode, S8eelenwanderung. 593 


greläuterten Seelen stellt Porphyr ein rein geistiges Leben in Aus- 
sächt, in welchem mit der Erinnerung an das Irdische auch die 
Z£inbildungen und Begierden erlöschen und die vernunftlosen Theile 
der Seele sich von ihr ablösen !), denn erst wenn er vom Leibe 
fıreigeworden ist, kann der Geist, wie auch er sagt, zur vollkom- 
maenen Weisheit gelangen ?); für die auf der Wanderung begrif- 
fenen nimmt er die gleiche, ihren Vergehen genau entsprechende 
Wiedervergeltung an, wie Plotin °); die im Hades befindlichen 


1) In der Schrift über die Styx b. Sro. I, 1022 f. 1082 f. 1086 ἢ, sagt 
Porphyr, die Seelen, welche den Acheron überschritten haben, d. h. die aus 
dem körperlichen Leben abgeschiedenen und keiner Reinigung bedürftigen, 
verlieren die Erinnerung an ihr Erdenleben, sie kennen daher zwar einander 
κατ᾽ ἰδιότητα φρονήσεως Av ἐν ἅδου χέχτηνται, τοὺς δ᾽ ἀνθρώπους οὐχέτι, die Beele 
ziehe sich in der Welt auf das διανοητιχὺν zurück; und noch genauer wird 
seine eigentliche Meinung ohne Zweifel von JameBLich b. StoB. a. a. Ο. 924 
dargestellt, der sie so angiebt: λύεται (nämlich nach dem Tode, und natürlich 
nur bei den körperfreien Seelen) ἑχάστη δύναμις ἄλογος εἷς τὴν ὅλην ζωὴν τοῦ 
παντὸς ap’ ἧς ἀπεμερίσθη, ἥ χαὶ ὅτι μάλιστα μένει ἀμετάβλητος. Dagegen sind 
unsere Zeugen darüber nicht ganz einig, ob die geläuterten Seelen für immer 
in diesem höheren Leben bleiben, oder später wieder in Körper herabkommen 
sollten. Nach den 8. 591, 3. 4 angeführten Aeusserungen, namentlich nach 
der bestimmten Aussage Jamblich’s, muss man das letztere annehmen. Da- 
gegen behauptet Avaustın Civ. Ὁ. X, 80 nicht minder bestimmt: dicit etiam, 
Deum ad hoc animam mundo dedisse (was aber nach dem folgenden doch nur 
bedeuten kann: er lasse die Seelen desshalb in die Körperwelt eintreten), οἱ 
materiae corporalis cognoscens mala ad pairem recurrerei, nec aliıquando jam 
(= μηδ᾽ Er) talium polluta contagione teneretur; und er belobt ihn ausdrück- 
lich, dass er die Seelen aus der Seligkeit bei Gott nicht wieder zu den Uebeln 
des Lebens zurückkehren lasse, bemerkt aber zugleich, damit werde der pla- 
tonische Satz, dass die gestorbenen wieder in’s Leben zurückkehren, aufge- 
geben. Indessen bat Aug. wahrscheinlich in eine einzelne Aeusserung Por- 
phyr’s zu viel hineingelegt, und dieser wollte den gereinigten Seelen die 
Rückkehr in’s Körperleben nicht schlechthin, sondern ähnlich, wie Plato 
(s. Bd. II, a, 526 ff), nur für die Dauer der betreffenden Weltperiode ab- 
sprechen. 

2) Ava. Civ. Ὁ. X, 29: nec ipse dubitas, in hac vita hominem nullo modo 
ad perfectionem sapientiae pervenire, secundum intellectum iamen viventibus 
omne quod deest providentia Dei et gratis post hanc vitam posse compleri. 

8) Arweas wenigstens, Theophr. 8. 18, schreibt ihm und Jamblich zu, 
dass ihrer Meinung nach der Verführer junger Leute zur Strafe in einem an- 
deren Leben seinerseits verführt, der Ehebrecher zu einer Frau werden solle, 
mit der Ehebruch getrieben werde, also abgesehen von einiger polemischen 
Verzerrung dasselbe, was wir 8. 580 bei Plotin getroffen haben. 


Philos. d. Gr. III. Bd. 3. Abth. 38. 


594 Porphyrius, 


sollen durch die Einbildungen gestraft werden, welche sich aus der 
Erinnerung an ihre Vergehen erzeugen !'). Mancherlei volks- 
thümlicher Aberglauben hinsichtlich des Zustands nach dem Tode 
wird von unserem Philosophen gutgeheissen *); dass er den plato- 
nischen Mythus über die Wahl der Lebensloose ernstlich nimmt, 
ist schon bemerkt worden. 

Wenden wir uns von der Anthropologie zur Ethik, so lässt 
sich nach allem bisherigen zum voraus erwarten, dass Porphyr den 
ethischen Dualismus seiner Schule nicht mildern werde. Leib und 
Seele stehen sich ja nach seiner Ansicht auf’s schroffste entgegen; 
der Leib ist nur das Gewand, welches wir ablegen müssen, wenn 
wir um den Siegespreis ringen wollen, ein Gewand, welches uns 
nicht blos belästigt, sondern auch verunreinigt, weil jedem materi- 
ellen Körper Ausflüsse hylischer Dämonen anhaften 5); je mehr 
wir uns diesem sterblichen Theil zuwenden, um so untüchtiger 
werden wir für das unvergängliche *), je mehr wir nach dem Leib 
und dem leiblichen Verlangen tragen, um so mehr verfinstert sich 
unser Sinn für das göttliche °). Es ist daher unmöglich, dass die 
Liebe zu Gott mit der Liebe zum Leib und der sinnlichen Lust zu- 
sammenbestehe ®); nicht blos einzelne Affekte sind schändlich, 
sondern alle, denn alle verhindern uns an der Beschäftigung mit 
dem übersinnlichen 7); wer zur Anschauung des höheren gelan- 
gen will, der muss der Sinnlichkeit und der Einbildungskraft, dem 
Sinnengenuss und der Begierde nach Sinnengenuss absagen, und 
in philosophischem Sterben das Band lösen, mit dem sich seine 


1) Β. 5108. 8. a. O. 1022 (aus der Schrift über die Styx), wo die Mythen 
über die Strafen im Hades in diesem Binn gedeutet werden. 

2) So scheint er b. Bro». I, 1080 (aus derselben Schrift) der Meinung 
beizupflichten, dass die Unbeerdigten nicht zur Ruhe im Hades kommen, 
und De abstin. II, 47 f. sagt er unter Berufung auf Plotin, die Seeles 
der gewaltsam getödteten Menschen und Thiere bleiben bei ihrem Leichnam, 
und benützt diese Vorstellung, um theils vor dem Selbstmord, theils vor dem 
Fleischgenuss zu warnen. 

8) De abstin. I, 31. II, 46. 

4) Ad Marc, 32. 

5) Ebdas. 18. 

6) Ebd. 14. 

7) De abstin. I, 41. 


Ethik: vierfache Tugend. 595 


Seele an den Leib gekettet hat !). Die sittliche Thätigkeit fällt da- 
her hier wesentlich unter den Begriff der Reinigung, und Porphyr 
hebt diesen Gesichtspunkt noch stärker hervor, als Plotin. Alle 
Tugenden zerfallen nämlich ihm zufolge in vier Klassen: die poli- 
tischen, die reinigenden (χαθαρτικαί), die der Seele, welche sich 
zum Nus hinwendet, und die des Nus als solchen. Die Tugenden 
der ersten Klasse bezwecken die Mässigung der Affekte (μετριοπά- 
$sıx), die der zweiten (die Tugenden des Fortschreitenden) die Ab- 
lösung vom Irdischen, welche sich in der Apathie vollendet; ist 
dieses Ziel erreicht, so entsteht als die positive Ergänzung dieses 
negativen die Hinwendung der Seele zu ihrer Ursache, die vernünf- 
tige Seelenthätigkeit oder die Theorie, in welcher die Tugend der 
dritten Klasse besteht: sofern aber diese psychische Tugend doch 
nur vom Nus bewirkt wird, so steht die Tugend des Nus als solchen, 
welche sich zu ihr verhält, wie das Urbild zum Abbild, die paradig- 
matische Tugend, noch höher. Wer den praktischen Tugenden 
gemäss handelt, ist ein rechtschaffener Mann, wer die reinigenden 
übt, ein dämonischer Mensch, oder auch ein guter Dämon, wer in 
der Hinwendung zum Nus lebt, ist ein Gott, wer die paradigmatische 
Tugend besitzt, ist ein Vater der Götter. Mit den höheren von die- 
sen vier Stufen besitzt man auch alle Tugenden der niedern, wenn 
man sie auch nicht nothwendig immer ausübt, aber nicht umge- 
kehrt ®). Wiewohl aber die reinigende Tugend hiernach nicht die 
höchste ist, so ist sie doch, wie Porphyr sagt °), für den Menschen 
die nothwendigste, denn sie können wir in diesem Leben erlangen, 
und sie bahnt uns den Weg zu der höheren; diese selbst dagegen 
geht auch nach dem obigen fast über menschliche Kräfte, und na- 


1) Α. 8. Ο. c. 81. sentent. 41; ebd. 8 f. In der letzteren Stelle unter- 
scheidet P. mit Plato einen doppelten Tod, den natürlichen und den philo- 
sophischen, der erstere löst nur die natürliche, nicht die selbstgeknüpfte 
Verbindung der Seele mit dem Leibe. Auch aus diesem Grund ist (abstinent. 
I, 88) der Selbstmord nicht zu billigen. Ueber die Lossagung vom Körper 
hatte P. auch in der Schrift De regressu animae gehandelt, indem er (nach 
Ausustr. Civ. Ὁ. X, 29) hier den Grundsatz aufstellte: omne corpus esse fugien- 
dum, ut anima possit beata permanere cum Deo. 

2) Sent. 34, wo die angeftihrten Unterschiede auch im einzelnen an den 
vier Grundtugenden nachgewiesen werden. 

8) Α. 4.0. 


38 * 


596 Porphyrius, 


mentlich die höchste mystische Einigung mit der Gottheit war far 
Porphyr weit schwerer zu erreichen, als für Plotin ἢ). Der Mensch 
gleicht seiner Ansicht nach einem solchen, der sich nach langem 
Aufenthalt in der Fremde nach Hause sehnt: wenn er in der Hei- 
math gut aufgenommen werden will, muss er zuerst die fremden 
Sitten ablegen, dann erst mag er sich aufmachen, um denselben 
Weg, auf dem er sich von Hause entfernt hat, in entgegengesetzter 
Richtung zurückzulegen ?). Die erste Station dieser Reise ist die 
Selbsterkenntniss, die Ueberzeugung, dass der Leib dem wahren 
Wesen des Menschen fremd ist; das nächste ist die Zurückziehuag 
vom Leibe, die Ausschliessung aller unnöthigen, die möglichste 
Mässigung selbst in den unvermeidlichen Genüssen, die Unterdrüc- 
kung aller Affekte, wenigstens bis zu dem Grade, dass sie nur 
noch selten und schwach, und ohne Theilnahme des Willens, ein- 
treten; die höchste Stufe jedoch und der Uebergang zur höheren 
Tugend ist nur durch völlige Affektlosigkeit zu erreichen °). Es 
war natürlich, dass sich auf diesem Standpunkt für Porphyr nur 
eine ascetische Moral ergeben konnte; denn zu dem gefährlicheren 
Ausweg, der Sinnlichkeit ihren Lauf zu lassen, weil sie den Geist 
nichts angehe *), kann sich sein sittlicher und nüchterner Sinn nicht 
entschliessen, diese Behauptung widersprach aber auch seiner An- 
sicht vom menschlichen Wesen, die dem Leibe keine Bewegung 
zugesteht, welche nicht durch die Hinneigung der Seele zum sinn- 
lichen in ihm erzeugt wäre. Er verlangt daher, dass wir uns 
schlechthin keine anderen Genüsse erlauben, als diejenigen, die zur 
Erhaltung des Lebens und der Gesundheit nothwendig sind, und er 
erhebt desswegen jene Enthaltungen, welche Plotin zwar persönlich 
geübt und gebilligt, aber von andern, so viel wir wissen, nicht 
verlangt hatte, im Sinn des strengeren Neupythagoreismus zum 
Grundsatz: jede sinnliche Aufregung, welcher Art sie auch sein 
mag, ist zu verwerfen 5); nicht blos der geschlechtliche Genuss, 
auch der naturgemässe, ist nach Porphyr als eine Verunreinigung 


1) Vgl. 8. 417, 2. 

2) De abstin. I, 80. 

8) Sent. 84. 

4) Die Behauptung christlicher Ginostiker und cynischer Philosophen, 
welche de abst. I, 42 ff. bestritten wird. 

5) De abstin. I, 88 £. 


Reinigung, Ascoese. 597 


zu betrachten 1), sondern er warnt auch vor dem Besuch von 
Schauspielen, Pferderennen, Tänzen u. dgl. 5), mit besonderer 
Ausführlichkeit jedoch sucht er in der Schrift über die Enthaltung 
von thierischer Nahrung zu zeigen, dass der Genuss von Fleisch- 
speisen dem Philosophen nicht erlaubt sei. Der Erweis dieser Be- 
hauptung liegt ihm um so mehr am Herzen, da sogar von seinen 
Freunden aus Plotin’s Schule manche dem Fleischgenuss, auf den 
sie früher verzichteten, sich wieder zugewandt hatten 8); während 
er selbst umgekehrt in seiner früheren Zeit die Thieropfer gut- 
geheissen hatte *), und erst später die Schonung des thierischen 
Lebens unbedingt forderte. Die Erwägungen, mit denen er diese 
Forderung begründet, sind theils moralische, theils religiöse: die 
Thiere seien als vernunftbegabt uns verwandt °), durch die Fleisch- 
speisen werde die Sinnlichkeit gereizt und gekräftigt 5), um aber 
den Göttern, und namentlich dem höchsten Gott, nahe zu treten, 
müssse man sich vom sinnlichen losmachen 7); am deutlichsten 
tritt jedoch das Motiv dieser ganzen Ascese in dem Satze 8) hervor, 


1) Sent. 34 g. E. De abstin. IV, 20 vgl. I, 41 g. E. Selbst auf die ὀνει- 
οώξεις wird diese Btrenge ausgedehnt. Porphyr selbst hat zwar in vorgerlick- 
tem Alter noch geheiratbet; aber in dem Schreiben an seine Frau (ad Marc. 
1--- 8. 88) weist er nicht blos alle sinnlichen Beweggründe zu diesem Schritte 
surück, sondern er scheint auch anzudeuten, dass er sich des ehelichen Um- 
gangs enthalten habe. 

2) De abstin. I, 88. 

8) Dass dieser in der platonischen Schule ausgebrochene Zwiespalt, und 
besonders die Angriffe des Castricius Firmus auf die von ihm selbst früher 
gebilligte ἀποχὴ, die nächste Veranlassung von Porphyr’s Schrift waren, sagt 
Porph. De abst. I, 1—3. 

4) Aus der Schrift περὶ τῆς ἐχ λογίων φιλοσοφίας, welche allen Anzeichen 
nach vor seiner Verbindung mit Plotin verfasst wurde (vgl. Wourr Porph. de 
philos. ex orac. haur. libr. rel. 30 f. 88) theilt Eus. pr. ev. IV, 9 ein apollini- 
sches Orakel mit, das über die Thieropfer für Götter jeder Ordnung Vor- 
schriften giebt. 

5) Hierüber handelt besonders das dritte Buch De abstinentia, welches 
nach der Nachweisung von Bernarys (Theophrastos Schrift über die Frömmig- 
keit) seinen Inhalt grösstentheils aus Theophrast περὶ εὐσεβείας entlehnt hat. 
Aus dem angegebenen Grunde wird auch hier die Tödtung der Thiere, mit 
Ausnahme der reissenden, verboten. 

6) Α. ἃ. 0.1, 32 f. 88: 46. 

7) Ebd. I, 57. 11, 49. 

8) Ebd, IV, 20. 


- 


598 Porphyrius. 


dass jedes Wesen durch die Verbindung mit fremdartigem beßsockt 
werde; der Geschlechtsgenuss beflecke daher in doppelter Bezie- 
“hung, theils unmittelbar , sofern er die Seele durch die Sinnenlust 
überwältigt, theils mittelbar, sofern er durch neue Lebenszeugung 
geistige Kräfte an die Materie fesselt; ebenso beflecke der Fleisch- 
genuss theils desshalb, weil er die sinnlichen Triebe nährt, theils 
auch, weil das Fleisch von den Leichnamen getödteter Thiere gemom- 
men ist, und durch seinen Genuss dem lebenden todtes beigemischt 
wird !). -Das beste wäre, wenn wir die Nahrung überbaupt eni- 
behren könnten; da diess nicht möglich ist, sollen wir uns wenig- 
stens aufdie einfachsten und unschuldigsten Speisen beschränken ?); 
und werden auch diese Grundsätze bei der Masse der Menschen 
keinen Eingang finden, so darf sich ihnen doch der Philosoph dess- 
halb nicht entziehen 5). So wird hier zum Gesetz gemacht, was 
bei Plotin noch Sache der freien Selbstbestimmung gewesen war, 
die innere Freiheit von der sinnlichen Neigung genügt nicht, wenn 
nicht die äussere Ascese hinzutritt. 

Diese ethische Richtung Porphyr’s bedingt auch sein Verhält- 
niss zur Religion. Plotin stand der positiven Religion, trotz seiner 
Mythendeutung und trotz seiner Ansichten üher Weissagung und 
Magie, verhältnissmässig noch frei gegenüber; er fühlt sich auf 
seinem idealen Standpunkt in der Philosophie und der philosophi- 
schen Gesinnung befriedigt, und kann die sinnlichen Stützen des 
äusseren Kultus entbehren 4). Seinem Schüler ist diese freiere 
Stellung nicht mehr möglich. An Wärme und Reinheit des religiö- 
sen Gefühls steht er hinter Plotin nicht zurück, aber er ist nicht im 
demselben Maasse, wie dieser, durch seine Philosophie über die 


1) Welchen Werth Porphyr auf den letzteren Umstand legt, sieht man 

auch daraus, dass er die Milch und den Honig trotz ihres thierischen Ur- 
‚sprungs gestattet a. a. Ο, II, 18. III, 18. 26. Μ, vgl. auch was 8. 594, 2 aus 
De abstin. II, 47 £. angeführt ist. 

2) Δ. δ. 0. IV, 20. 

8) A.a. 0. I, 27. II, 8. IV, 18. P. sagt hier ausdrücklich, seine Rath- 
schläge gelten nicht allen Menschen ohne Unterschied, Handarbeitern, Ge- 
schäftsleuten u. 5. w., sondern ἀνθρώπῳ λελογισμένῳ τίς τ᾽ ἔστι nat πόθεν ἐλήλυθεν 
rot τε σπεύδειν ὀφείλει u. 5. w. 

4) M. vgl. in dieser Beziehung namentlich die 8. 414, 1 erwähnte be- 
seiohnende Aeusserung gegen Amelius. 


Die Religion: geistige Gottesverehrung. 599 


Noth des endlichen Daseins hinausgehoben, es wird ihm nicht eben 
so leicht, in der Anschauung der Gottheit Ruhe zu finden; er 
empfindet die Mängel der sinnlichen Natur als eine dämonische 
Macht, die neben der göttlichen in der Welt waltet, und für den ὁ 
Kampf mit dieser Macht, für den Reinigungsprocess, auf welchen 
die irdische Tugend seiner Meinung nach beschränkt ist, nimmt er 
gerne die Bundesgenossenschaft der Religion in Anspruch. So 
ganz unverändert freilich lässt sich diese mit seiner Philosophie 
nicht verbinden. War er auch früher dem Volksglauben noch näher 
gestanden 1), so musste ihm doch manches darin mit der Zeit zum 
Anstoss gereichen. In einer seiner späteren Schriften sagt er ge- 
radezu: die gewöhnlichen Vorstellungen von der Gottheit seien 
von der Art, dass es gottloser sei, sie zu theilen, als die Götterbil- 
der zu vernachlässigen 3); mit dem bestehenden Kultus musste er 
schon durch seine Ansichten über die Tödtung der Thiere und 
über den Fleischgenuss in Widerspruch treten °); aber auch abge- 
sehen davon ist er der Ueberzeugung, dass die beste und allein 
wahre Gottesverehrung nur in Einem bestehe, in der Gotteserkennt- 
niss und der frommen, gottähnlichen Gesinnung *). Die Gottheit, 
sagt er, bedarf keines andern, der Weise bedarf nur der Gottheit; 
der wahre Tempel Gottes ist die Seele des Weisen, der wahre Prie- 
ster ist der Weise °). Nicht lange Gebete und Opfer verlangt die 
Gottheit, sondern frommes Leben, nicht an der Zunge des Menschen 
ist ihr elwas gelegen, sondern an seinen Werken °). Nur wer 
reinen Lebens und von leerer Einbildung frei ist, verdient von der 
Gottheit zu sprechen, und die Rede über sie zu vernehmen, vor 
der unheiligen Menge ist es besser, über das heilige zu schweigen 7). 


1) Darauf weist die Schrift über die Orakel; vgl. 8. 597, 4. Dass er auf 
die Orakel selbst freilich sein Leben lang grosse Stücke hielt, zeigt schon der 
8. 417, 1 Schl. besprochene Fall. 

2) Ad Marc. 17, Sohl.: ἀσεβὴς οὐχ οὕτως ὁ τὰ ἀγάλματα τῶν θεῶν μὴ περι-- 
ἐπῶν, ὡς ὃ τὰς τῶν πολλῶν δόξας τῷ θεῷ συνάπτων. 

8) Vgl. 8.597 f. Mit den Thieropfern beschäftigt sich das zweite Buch 
De abstinentia von ὁ. 4 an. 

4) De abst. II, 61. ad Marc. 11. 13. 16 £. 19 vgl. epist. ad Aneb. c. 11. 

5) Ad Marc. 11.19.16 Schl. M. vgl. hiesu und zum nächstfolgenden 
was 8. 127 und 1. Abth. 289 ff. angeführt ist. 

6) Α. ἃ. Ο. 16. 

7) 4. 4. Ο, 1ὕ, 


600 Porphyrius, 


Dem höchsten Gott dürfen wir nichts sinnliches darbringen, such 
keine sinnliche Namen und keine hörbare Rede, denn alles sinn- 
liche ist für ihn zu unrein, nur in schweigender Andacht und heili- 
gen Gedanken ist er zu verehren; die übersinnlichen Götter zweiten 
Rangs mögen wir mitWorten anrufen und preisen, aber wir sollen 
sie um nichts bitten, was ihrer nicht würdig ist, und wornach sie 
nicht selbst das Verlangen in uns erzeugen, sondern nur um das 
Gute, was sie selbst sind und wollen 1). Es liegt ja viel mehr 
daran, dass wir sie nachalımen, als dass wir sie anrufen Ὁ). Wie 
anstössig dem Porphyr bei dieser Denkart so vieles in dem Volks- 
glauben und dem Gottesdienst seiner Zeitwar, sehen wir namentlich 
.aus dem bekannten Brief an den ägyptischen Priester Anebon ?), 
welcher ganz der Ausführung von Fragen und Zweifeln gewidmet 
ist, deren Beantwortung den späteren Neuplatonikern nicht wenig 
zu schaffen gemacht hat. Schon das Wesen der Götter ist, wie 
hier gezeigt wird, nicht leicht zu bestimmen. Was ist es, fragt 
Porphyr, wodurch sich die verschiedenen Götterklassen unterschei- 
den? ihre Thätigkeiten und Zustände, oder vielleicht blos ihre 
Körper? was hat die Annahme von irdischen und unterirdischen, 
von Luft- und Wassergottheiten zu bedeuten? wohnen denn nicht 


1) Abst. II, 84. ad Mare. 12 £. 

2) Nach Augustin Civ. Ὁ. X, 26 hatte P. über die Engel (8. u.) bemerkt: 
imilandos 600 potius quam invocandos, was natürlich von den Göttern nooh 
mehr gelten muss. 

ὃ) Diese merkwürdige Schrift, welche zuerst Tuomas GuLz in seiner Aus- 
gabe des Jamblichus De mysteriis Aegyptiorum (1678) aus den von Buseb, 
Cyrill, Augustin, hauptsächlich aber von Jamblich selbst mitgetheilten 
Bruchstüoken wiederhergestellt hat, ist jetzt von Parrazy (Jambl. De myster. 
lib., Berl. 1857, 8. XXIX ff.) neu herausgegeben, Wann sie verfasst wurde, 
lässt sich nicht näher bestimmen. Wourr (Porph. De philos. ex orac, haur. 
8.27) glaubt, ihre Abfassung müsse Porphyr’s Bekanntschaft mit Plotin voran- 
gehen, denn andernfalls würde er nicht Anebon, sondern Plotin, der ja auch 
ein Aegypter war, über die ägyptische Lehre befragt haben. Daraus könnte 
man jedoch ebensogut schliessen, sie sei erst nach Plotin’s Tod geschrieben; 
wenn nicht vielmehr Porphyr, indem er Anebon um Belehrung bittet, mit 
dieser Wendung überbaupt nur seine Zweifel an den Mann bringen wellte. 
Mir scheint aus der Frage Nr. 85: τί τὸ πρῶτον αἴτιον ἡγοῦνται εἶναι Αἰγύπτοοι, 
πότερον νοῦν A ὑπὲρ νοῦν ... χαὶ εἰ τῷ δημιουργῷ τὰ αὐτὰ ἢ πρὸ τοῦ δημιουργοῦ; 
klar hervorzugehen, dass dieser Brief den Standpunkt des plotinischen Systems 
voraussetst. 


Briefan Anebon. 60 


alle Götter im Himmel? sind sie überhaupt räumlich und leiblich 
getrennt, und wiekönnen siein diesem Fall mit einander eins sein? 
Sind die Götter Leiden und Affekten unterworfen, sind sie sinnlich 
und psychisch, wie diess die Anrufungen und Sühngebräuche vor- 
aussetzen, und worin läge dann noch ihr Unterschied von den Dä- 
monen ? wenn andererseits jene körperlos sind, diese nicht, wie 
können die Himmelskörper Götter genannt werden? Mit welchem 
Recht werden einige Götter für wohlthätig, andere für verderblich 
gehalten? ') Was verknüpft die sichtbaren Götter mit den unsicht- 
baren ? was unterscheidet die Dämonen von beiden, was die Seelen 
und die Heroen von den Dämonen? welches sind die Merkmale, an 
denen sich die Erscheinungen der Götter, der Engel, der Erzengel, 
der Dämonen, der höheren Geister, der Seelen, als solche erken- 
nen lassen? ?) Worin besteht das Wesen der Weissagung? wie 
haben wir uns die prophetischen Träume, die prophetischen Eksta- 
sen zu erklären ? wie kommi es, dass bald dieses, bald jenes Mittel 
ın Ekstase versetzt, dass die Vorbedeutung bald aus dem einen, 
bald aus dem andern Zeichen geschöpft wird? Wie verhält sich fer- 
ner die Gottheit zur Weissagung ? sind die Götter den Wahrsagern 
dienstbar, finden die Erscheinungen der Götter und Dämonen in 
derWirklichkeit oder nur in unserer Phantasie statt, oder ist beides 
verknüpft? rührt demnach die Kenntniss des zukünftigen von der 
Seele selbst her, oder von der Gottheit, und spricht nicht für die 
erstere Annahme der Umstand, dass die Weissagung an gewisse 
Naturen Zustände und Mittel geknüpft ist? ist die Weissagung 
nicht vielleicht nur die natürliche Wirkung der gebrauchten Mittel 
und der Sympathie, welche zwischen den Theilen des Weltganzen 
stattfindet ? oder sollten gar diejenigen Recht haben, welche sie 
auf den Betrug niedriger Dämonen zurückführen ? denn im Besitz 
der wahren Güter werden wir allerdings durch sie mehr gestört 
als gefördert °). Wie lässt sich annehmen, dass höhere Wesen den 
Befehlen der Menschen Folge leisten ? dass sie zu ungerechten 


1) Dass alles gute und nur das Gute von Gott bewirkt sei, sagt Porphyr 
auch sonst nicht selten; ad Marc. 12 f. 16 f. 24. Der Batz ist platonisch; 
unter den Jüngeren haben wir ihn besonders bei Philo und den Essenern ge- 
troffen. Vgl. 8. 886, 2. 260, 1. 

2) So, in dieser Ordnung, a. a. OÖ. Nr. 2—10. 

8) A. a. Ο. 13—26. 


693 Porphyrius, 


und unreinen Handlungen bebülflich sind, während sie von 
Dienern Reinheit verlangen ? dass sie am Mord von Thieren, 
Blut und Opferdampf Freude haben ? dass die Sonne und die 
stirne durch kindische Drohungen und prahlerische Lügen 
gen werden? Welchen Sinn haben die seltsamen Dinge, die 
ägyptischen Gebetsformeln 2. B. von derSonne ausgesagt w 
was sollen Namen, die nichts bedeuten, warum gelten barbari 
Namen für wirksamer, als hellenische, als ob die Götter auch i 
Landessprachen hätten, wie die Menschen? 1) Was ist ferner vos 
der Astrologie zu halten? in welchem Zusammenhang steht der 
Genius des Menschen mit dem Stern, unter dem er geboren ist? 
worauf stützen sich die astrologischen Regeln, und wie ist es mög- 
lich, die Constellation im Moment der Geburt genau zu bestimmen? ?) 
Hat der Mensch nur Einen Dämon, oder hat jeder Theil des Mea- 
schen einen besondern ? oder ist am Ende der Dämon nichts 
anderes, als die eigene Vernunft? 5) Ist die Theurgie und dis 
Mantik überhaupt der wahre Weg zur Glückseligkeit, und wesa 
die Wahrsager auch zukünftiges vorhersehen, sind sie im Stande, 
dieses Wissen für ihr wahres Wohl zu verwenden ὃ Eben daranf 
aber kommt es allein an; wenn die Verehrer der Theurgie nicht 
darnach fragen, so sind ihre Aufschlüsse werthlos, und wenn ihnen 
darüber nicht die Wahrheit geoffenbart wird, so haben sie michi 
mit Göttern und guten Geistern zu thun gehabt, soadera mit trü- 
gerischen Dämonen oder menschlicher Erfindung *). 

So rücksichtslos aber Porphyr hier die Blössen der Volks- 
religion aufdeckt, sie ganz aufzugeben, kann er sich nicht eat- 
schliessen. Christliche Gegner sahen hierin natürlich nur Feig- 


1) A. a. Ο. 27—84. Gegen die Opfer im allgemeinen hatte P., nach 
Jambl. De myst. V, 5f., eingewendet, dass sich ihre Wirkungen nicht begreifes 
lassen, und dass sie namentlich sur Läuterung und Vervollkommmung der 
Beele nichts beitragen; er wollte sie daher nur als Ausdruck der Verehrung 
und Dankbarkeit, nicht als ein Mittel zur Erlangung gewisser Güter κεῖνα 
lassen, 

2) A. a. 0. 86—41, wo diess mit Besichung auf die damalige Astrolagie 
näher ausgeführt ist. Vorher (Nr. 86 £.) werden einige die Agyptische Götter 
lehre betreffende Fragen aufgeworfen. 

8) Nr. 42—45. 

4) Nr. 46—49. 


Vertheidigung der positiven Religion. 508 


heit 19; Porphyr selbst jedoch lässt uns edlere Beweggründe 
arkennen, wenn er bei Proxıus ?) zunächst aus Anlass der Frage 
über das Gebet sagt: der Atheist und der Fatalist müssen folge- 
richtig auch das Gebet verwerfen, wer dagegen eine Vorsehung im 
eigentlichen Sinn zugebe, der müsse daran festhalten ; gerade dem 
Tugendhaften zieme das Gebet am meisten, weil es ihn mit der 
Gottheit verknüpfe; wer in den Fesseln des Leibes nach Tugend 
strebe, der müsse die Götter bitten, dass sie ihn (durch Tugend) in 
eine höhere Welt versetzen, und je verwaister er sich hier fühle, 
um so mehr müsse er die Rückkehr zu seinen wahren Eltern 
erfiehen. Für den Theil des Ganzen liege das Heil in der Hinwen- 
dung zum Ganzen, die geistigen wie die leiblichen Güter haben 
wir nur daher zu erwarten, wo alle Güte und alle Macht ist. Die 
Religion erscheint hier als ein unerlässliches Bedürfniss für den 
Menschen, der sich im Kampf mit dem sinnlichen Theil seines We- 
sens seiner Endlichkeit bewusst wird. Dieses Bedürfniss kann 
sich aber nicht auf die innerliche Verbindung mit der übersinnlichen 
Welt beschränken, denn wenn es auch in letzter Beziehung freilich 
nur die Erhebung zum Urwesen ist, der die Seele zustrebt, so hat 
doch diese Erhebung ihre natürlichen Stufen, sie ist eine unmittel- 
bare nur für dasjenige, was unmittelbar unter ihm steht, für alles 
übrige eine vermittelte ®), und auch der Mensch darf die Zwischen- 
stufen, die ihn zum höheren führen, nicht überspringen : ausser 
dem Urwesen hat er auch den Nus und die Weltseele, die sichtba- 
ren Götter und die Dämonen zu verehren. Jede von diesen Klassen 
verlangt aber eine eigenthümliche Art der Verehrung. Dem höch- 
sten Gott opfere man reine Betrachtung, den intelligibeln Göttern 
auch Worte, der Welt und den übrigen Göttern neben den Gebeten 
unblutige Gaben *). Was die Dämonen betrifft, so müssen wir, 
nach Porphyr, die verschiedenen Klassen derselben unterscheiden. 
Alle Dämonen sind Seelen, die ihren Wohnsitz in der Welt unter 
dem Mond haben; sie alle sind mit luftartigen, leidensfähigen und 


1) Wie z, B. Avaustım Civ. D. X, 26. 

3) In Tim. 64, A £. 

8) Bant. 80 (vgl. 11): # δὲ πρὸς τὸ πρῶτον ἀναγωγὴ προζεχὴς μέντοι ἣ πόρῥω- 
θέν ἐστι Der Leib, wie os vorher heisst, ist zunächst auf die Soele bezogen, 
die Seele auf den Nus, der Nus auf das Erste. 

4) De abst. 11, 84. 87 vgl. 8. 599. 


604 ΄ Porpbyrius. 


vergänglichen Leibern umkleidet, bald sichtbar, bald unsichtber; 
die schlechteren ändern auch wohl ihre Gestalten !),,. Aber nur 
ein Theil derselben ist guter und wohlthätiger, die anderen sad 
verderblicher Natur: jene beherrschen die Materie, mit welcher sie 
verbunden sind, diese lassen sich von ihr überwältigen und hie- 
reissen, jene haben daher auch wohlgebildete, diese missgestaltete 
Körper 9). Von beiden Dämonenklassen weiss uns Porphyr viel 
zu erzählen. Den guten Dämonen sind grössere oder kleinere 
Theile der Welt zur Verwaltung anvertraut: die einen führen die 
Aufsicht über eine bestimmte Thiergattung, oder über Früchte, 
oder über die Witterung, andere sind Vorsteher des menschliches 
Lebens, der Musik, der Gymnastik, der Heilkunde u. s. w., oder 
Boten, welche die göttlichen Offenbarungen den Menschen, die 
menschlichen Gebete den Göttern überbringen ; auch Schutzgeisier 
der Einzelnen, der Städte und Länder kennt unser Philosoph °). 
Unter den Namen, mit denen die guten Dämonen bezeichnet wer- 
den, treffen wir auch die jüdischen Engel und Erzengel *). Noch 
weiter verirrt sich Porphyr in seiner Schilderung der bösen Dämo- 


1) De abst. U, 87. 89. Proxı. in 'Tim. 142, D, wo neben den feurigen 
und daher sichtbaren auch erdartige und betastbare Leiber von Dämonea 
vorkommen. 

2) De abst. II, 38 ἔ, ad Marc. 16. 19 Schl. 21 Anf. Peoxı. a. a. O. 53, A. 
54, A. Wenn Porph., demselben (24, D) zufolge, auch drei Klassen von 
Dämonen unterschied, die göttlichen Dämonen, die Theilsselen (μερικαὶ ψυχαὶ 
δαιμονίας τυχοῦσαι λήξεως) und die bösen Dämonen, 80 ist diess weniger gemas, 
denn die μεριχαὶ ψυχαὶ sind, nach dem folgenden, die präexistirenden Mes- 
schenseelen. Nach Prozı. in Tim. 58, A. 54, A nannte P. die guten DAmones 
ψυχαὶ, die bösen, die ὅλικαὶ δυνάμεις, τρόποι. 

8) De abst. I, 88, Ῥβοκι. in Tim. 47, A f. vgl. auch Euvs, prsp. ev. V, 6. 

4) Epist. ad Anebon. Nr. 10. 16. Puokr. δ. Δ. Ὁ. Die Vorsteher der Dinge 
unter dem Mond nannte P., nach der letzteren Btelle, δημιουργικοὶ, die höchste 
Klasse ἀρχάγγελοι. Nach Aucosr. Cir. Ὁ. X, 9 unterschied er die Engel vu 
den Dämonen, αὔρα esse loca demonum, atheria vol empyrea disserens angel- 
rum, d.h. er nannte die Geister, welohe in der Welt der Sternsphären wob- 
nen, Engel, die des Luftraums unter dem Monde, Dämonen; und er rieth 
zwar, sich einen Dämon zum Freunde su machen, guo subvectante ve paule- 
um possit elevarı a terra quisque post mortem, sagte aber zugleich: aliamı rim 
esse ad angelorum superna consortia. Ueber dieselben heisst eu c. 26: angelot 
quippe alios esse dicit, qui deorsum descendentes hominibus theurgicis divina pro- 
nuntient; alios autem qui in terris ca qum Patris sunt ei altitudinem qjus pro 
Junditatemque deolarent, 


Dämonologie. 605 


nen bis in den gröbsten Volksaberglauben. Er beschreibt diesel- 
ben als gewaltthätige und heimtückische Wesen, die den Menschen 
alles mögliche Böse zufügen, den Seelen schon vor dem Eintritt 
in’s irdische Leben auflauern, fortwährend schlechte Begierden 
und falsche Meinungen in ihnen erzeugen, Seuchen, Erdbeben, 
Unfruchtbarkeit bewirken, in greifbaren Körpern erscheinen, unter 
allerlei Thiergestalton die Menschen anfallen, mit unreinen Nah- 
rungsmitteln, namentlich mit Blut und Fleisch, sich in den mensch- 
lichen Leib einschleichen und Unordnungen darin hervorbringen 
u. 8. w. Ὁ Porphyr scheint diese Züge, wie seine Dämonologie 
überhaupt, neben dem späteren Platonismus nicht blos aus dem 
beidnischen, sondern auch aus dem jüdischen Volksglauben ent- 
lehnt zu haben ?). Nach dem Vorgang der Perser und der Juden 
fasst er die bösen Dämonen unter Einem Oberhaupt zusammen, und 
weist ihnen ihren Sitz in der Unterwelt an, wo sie die Gottlosen 
quälen und zugleich selbst gequält werden ; nur dass er die helle- 
nischen Mythen damit verbindet, indem er als den Beherrscher der 
bösen Geister einen der mächtigeren Dämonen, den Pluto oder 
Serapis, bezeichnet, und die Titanen für böse Dämonen erklärt, die 
in der Unterwelt gestraft werden °). 


1) De abst. II, 88—40. 46. Pxoxr. in Tim, 24, D. 142, C ἢ, Porph. Ὁ. 
Eus. pr. ev. IV, 28. Besonders die zwei letztern Stellen lauten sehr krass; 
bei Proxı. 142, D lässt sich P. selbst den Glauben an [ποῦ δ gefallen. Eben- 
dahin gehört, was Avaustın a. a. O. aus P. anführt: animam post mortem 
luendo poenas cultum daemonum, a quibus circumveniebatur, horrescere. 

2) Es erhellt diess, ausser seiner gleich zu erörternden Ansicht vom Ur- 
sprung der falschen Religion, und ausser der durchgreifenden Uebereiustim- 
mung seiner ganzen Dämonologie mit der jüdischen, auch aus den Ausdrücken 
ἄγγελοι und ἀρχάγγελοι, und den philonischen δυνάμεις δορυφοροῦσαι b. Prokt. 
in Tim. 9, Ὁ. Zunächst scheint Porphyr in seiner Lehre von den Dämonen 
dem Numenius su folgen (s. Proxt. a. a. O. 24, C), bei dem wir uns jüdisches 
um so leichter erklären können; aber auch Porphyr selbst zollt dem Juden- 
thum, wie sich unten noch zeigen wird, bedeutende Anerkennung. 

8) B. Eus. presp. ev. IV, 20. 28. Sron. ΕΚ]. I, 1026 £. Pzoxr. iu Tim. 
24, D. 54, A. Ob sich Porphyr den Beherrscher der bösen Dämonen auch 
böse denkt, wird nicht recht klar. In dem Bruchstück bei Euseb IV, 23, 
welches der Schrift x. τῆς ἐχ λογίων φιλοσοφίας entnommen ist, werden Serapis 
und Hekate als die Vorsteher jener Dämonen bezeichnet; diese galten aber in 
jener Zeit als Götter höheren Rangs, die P. nicht als böse Wesen behandeln 
konnte, wie denn Serapis auch deutlich von den ihm untergebenen bösen 


«ΝΒ. 


606 Porphyrius. 


Zu den verderblichsten Wirkungen der bösen Geister gehört 
nun die Verfälschung der Religion und des Gottesdienstes. Se 
sind es, welche die Menschen zu der Meinung verleitet haben, dass 
nicht blos Gutes, sondern auch Böses von den Göttern komme, dass 
man daher den Zorn der Götter durch Opfer und Gebete versöhnen 
müsse; sie haben die Thieropfer aufgebracht; sie smd die Urheber 
der Zauberei (γοητεία), die ja durchweg sinnlichen und selbstsüch- 
tigen Begierden dient; sie lassen sich selbst als Götter verehren, 
und nähren ihre Leiber vom Opferdampf Y); ihnen fällt mit Einem 
Wort alles dasjenige aus den polytheistischen Religionen zur Last, 
was der Philosoph mit seinen religiösen Begriffen nicht zu vereiai- 
gen weiss. Nur um so eifriger nimmt aber Porphyr diese Religio- 
nen selbst in Schutz. Der Polytheismus als solcher gereicht ja den 
Neuplatonikern überhaupt nicht zam Anstoss, vielmehr ist ihr gas- 
zes System darauf angelegt, einer Mehrheit von göttlichen Wesen 
Raum zu lassen, und gerade Porphyr hat diese Nothwendigket 
ausdrücklich anerkannt. Ebensowenig konnten ihm die abergiäs- 
bischen Meinungen, von denen der Volksglaube erfüllt war, als 
solche unüberwindliche Bedenken erregen ; schon sein Leben des 
Pythagoras beweist ja zur Genüge, wie bereitwillig er auch das 
unglaublichste sich gefallen lässt, wenn es mit seinen dogmatischen 
Interessen übereinstimmt, wie vollständig er den ausschweifend- 
sten Wunder- und Weissagungsglauben mit seiner Philosophie ia 
Einklang zu bringen weiss. Nur die unsittlichen und grobsinnli- 
Mythen, die Thieropfer und der selbstsüchtige Missbrauch der 
Religion zur Zauberei, nur die Verwechselung des göttlichen mit 
dem dämonischen, des übersinnlichen mit dem sinnlichen, nur das 


Geistern unterschieden wird. Dagegen sagt Porph. De abst. II, 41 ἢ: wer 
durch Zauberei böses vollbringe, der rufe hiesu die bösen Dämonen und ihren 
Vorsteher an, denn von diesen gehen Begierden aller Art aus, namentlieb 
aber der Betrug. τὸ γὰρ ψεῦδος τούτοις οἰχέϊον" βούλονται γὰρ εἶναι θεοὶ χὼ f; 
προεστῶσα αὐτῶν δύναμις δοχέϊν θεὸς εἶναι ὃ μέγιστος. Den Widerspruch zwischen 
diesen Aeusserımgen wird man nicht durch die Unterscheidung von zweierlei 
Dämonenfürsten zu beseitigen, sondern daraus zu erklären haben, dass sich 
P. in seiner fräberen Schrift noch mehr an die hellenische Vorstellungsweise 
hielt (vgl. hierliber auch 98. 599, 1), in der Folge dagegen mehr von ihr ab- 
kam, und dem jüdisch-christlichen Dogma grösseren Einfluss gestattete. 

1) De abstin. II, 40—42. 58 vgl. vor. Anm. Aue. Civ. D. X, 19, und 
die Sache betreffend 8. 298, 5. 


Die Mythen und der Kultus. 607 


anwürdige, nicht das unmögliche im Volksglauben ist es, gegen das 
sich seine Kritik wendet. Alles dieses gehört aber, wie er glaubt, 
nicht zum Wesen der bestehenden Religion ; seine Dämonenlehre 
gewährt ihm dieMittel, um den ursprünglichen Kern derselben von 
späteren Auswüchsen zu unterscheiden, und trotz seines Wider- 
spruchs gegen die herrschenden Vorstellungen und Gebräuche die 
Religion selbst, der sie sich angehängt haben, gegen Neuerungen 
zu vertreten. Es ist nicht ein Umsturz, sondern eine Reinigung 
des Heidenthums, im Geist eines Apollonius und der Neupythago- 
reer, die er anstrebt. Unter den Eigenthümlichkeiten desselben, 
die er als wesentlich anerkennt, ist keine, welche er mit seiner 
Philosophie nicht zu vereinigen wüsste. In der Mythendeutung 
waren ihm schon Plotin und die Stoiker vorangegangen, an die er 
sich auch in der Hauptsache anschliesst 1). Die Bilder der Götter 
werden als symbolische Darstellungen ihres Wesens empfohlen 3), 
selbst im ägyptischen Thierdienst wird dieLehre von der Verwandt- 
schaft der Menschen- und Thierseelen gefunden °). Als Verehrer 
der Mantik hat sich Porphyr durch seine Orakelsammiung bewährt, 
von der er sich sowohl für die Philosophie, als für die Heiligung 
des Lebens den grössten Erfolg verspricht *); ihre Möglichkeit 


1) Zeus ist der νοῦς δημιουργὸς (Eus. prep. ev. III, 9, wo auch die ein- 
zelnen Attribute des Gottes in diesem Binn gedeutet werden), oder auch das 
Weltganze (Porph. b. Bros. ἘΚ]. I, 46), Here die αἰϑέριος χαὶ ἀέριος δύναμις, 
Leto die Erdatmosphäre, Hestia die χθονία δύναμις, Rhea (über die auch Ju- 
ıam or. V, 161, C) die δύναμις τῆς πετρώδους καὶ ὀρείου γῆς, Demeter die der 
fruchtbaren Ebene, daher die Mutter der Κόρη, der Sättigung, Persephone die 
δύναμις σπερματοῦχος, Pluto die Wintersonne, Dionysos die δύναμις τῶν φυτευ- 
ταῶν͵ Attis bezeichnet die Blumen des Frühlings, Adonis die Früchte des 
Herbstes, Silen die Bewegung der Luft, Themis die weissagende Kraft (Eos. 
2.2.0. c.11, wo noch mehreres), Hephäst den ktinstlerischen Verstand (Pzoxı. 
in Tim. 45, C), Apollo den νοῦς ἡλιαχὺς, Asklepius den νοῦς σεληνιακὸς (ebd. 
49, C), auch Athene hat im Mond ihren Bitz (ebd. 51, B). Viele derartige 
Deutungen finden sich in dem pseudoplutarchischen Leben Homer’s, von dem 
Worrr Porph. de philos. ex orao. haur. Rel. 28 f. nach Rud. Scamin’s Vorgang 
wahrscheinlich macht, dass es Porphyr gehöre und mit der von Buidas er- 
wähnten Schrift x. τῆς Ὁμήρου φιλοσοφίας identisch sei. 

2) In dem Bruchstilck der Schrift περὶ ἀγαλμάτων (80 nennt nie Bros. Ekl. 
I, 46. 526) b. Eus. pr. ev. III, 7. 

8) De abst. III, 16. IV, 9. 

4) Eus. a. ἃ. O. IV, 7. Ebdas. 8, 1 die Vorschrift, das Buch keinem 
unwürdigen in die Hände zu geben. 


6088 Porphyrius. 


begründet er durch die Annahme, dass theils die guten Dämonen 
den Menschen Warnungen und Rathschläge in verschiedenerlei 
Form zukommen lassen '), theils die Seelen prophetischer Thiere 
in gewissen Theilen ihres Körpers wirksam seien ?). Dabei will 
auch er, wie alle diese glaubigen Philosophen, das wunderbare 
gewissermassen wieder zu einem natürlichen machen: die Götter 
oder Dämonen sollen das zukünftige in den Gestirnen lesen, und 
sich aus diesem Grund auch wohl bisweilen darüber täuschen, indem 
sie die himmlische Schrift falsch auslegen °). Damit fällt aber 
unser Philosoph nur dem astrologischen Aberglauben in die Arme, 
von dem er sich auch in andern Aeusserungen viel weniger frei 
zeigt, als Plotin 4). Mit der Mantik empfiehlt er auch die Magie, 


1) De abst. II, 41. 58. 

2) Ebd. co. 48. 51 f. Porphyr erklärt es hier für möglich, durch dea 
Genuss der Leber von gewissen Thieren weissagende Kräfte zu erhalten. 

8) Eus. presp. ev. VI, 1 f. δ, ans der Schrift x. τῆς dx λογίων φιλοσοφίας. 

4) Bei Stos. Ekl. II, 886 ἡ, führt er aus: Die platonische Schilderung 
von der Wahl der Lebensloose habe man sich durch die Annahme zu erklä- 
ren, die Seelen erblicken im Himmel in den verschiedenen Stellungen de 
Gestirne die von denselben bedeuteten Lebensformen (βίου); von diesen wähle 
sie eine, und werden dann durch eine, für uns allerdings unerklärliche, Noth- 
wendigkeit an die Stelle des Himmelsgebäudes geführt, welche in ihrer ebm 
jetzt stattfindenden Constellation dieses Leben ankündige; hier haben ss 
dann eine zweite Wahl zu treffen, durch die ihr Menschenleben erst seine 
volle Bestimmtheit erhalte (so dass also die erste Wahl darüber entschiede, 
ob jemand ein Mensch oder ein Pferd, die zweite darüber, ob er als Mensch 
ein Krösus oder ein Irus wird). Dabei sucht P. die alte Einwendung, ἐδῶ 
unter derselben Constellation Menschen und Thiere der verschiedensten Art 
geboren werden, mit der Bemerkung zu beseitigen: der Eintritt in's Leben 
falle mit der Wahl desselben nicht, nothwendig zusammen, solche, die gleich 
zeitig geboren seien, können ihr Leben bei ganz versohiedenem Btand der 


Gestirne gewählt haben; womit aber freilich die von ihm angenommene Be 


deutung des letztern der Sache nach wieder aufgegeben wird. Er selbst be 
merkt übrigens, dass sich diese, wie er meint, platonische Lehre von der 
ägyptischen Astrologie, aus der sie Plato entlehnt haben soll, nur durch da 
Läugnung eines zwingenden Einflusses der Gestirne unterscheide. Von des 
Vorbedeutungen, welche sich aus dem Erscheinen und der Bewegungic 
tung der Kometen ergeben, spricht P. bei Paoxt. in Tim. 84, A. Βεζεκ 
scheint ihm ein Commentar zur Apotelesmatik des Ptolemäus (über den Faszı. 


Bibl, gr. V, 741. Worrr Porph. De philos. ex orac. 87) mit Unrecht beigelegt 
worden zu sein. 


Mantik, Magie, Theurgie. 609 


welche sich durch ihren Zweck und ihre Urheber von der Zau- 
berei (yonreix) unterscheidet, als ein Mittel, das uns die Götter 
verliehen haben, um das Verhängniss durch Sühnungen abzuwen- 
den ἢ. Ebenso glaubt er, durch Theurgie können Erscheinungen 
höherer Geister herbeigeführt, durch das gleiche Mittel aber freilich 
auch verhindert werden 9. Wenn er ferner zugiebt, dass die the- 
urgischen Künste und Weihen auf den geistigen Theil unseres 
Wesens keinen Einfluss haben, und uns mit den höchsten Gott- 
heiten nicht in Verbindung bringen können, meint er doch, der 
sinnliche Theil der Seele werde dadurch zum Verkehr mit Dämo- 
nen und Engeln und selbst mit den Göttern tieferen Rangs zube- 
reitet 5). Sogar eine Bewältigung der Dämonen durch mensch- 


1) Eus. prep. ev. VI, 4,2. Das Verhängniss (εἱμαρμένη) definirt Porphyr 
b. Proxı. in Tim. 322, E durch φύσις. 

2) Auveustın Civ. D. X, 9: ipsamque theurgiam, quam velut conciliatricem 
angelorum Deorumque commendat, apud tales agere potestales negare hon po- 
mit, que vel ipsa invideant purgalioni anime vel artibus serviant invidorum. 
P. selbst erzähle von einem Chaldäer, der sich beschwere, dass ein mächtiger 
Beschwörer die höheren Mächte gebunden und verhindert habe, zur Reinigung 
seiner Seele bei ihm zu erscheinen; und er schliesse daraus: theurgiam esse 
tam boni confieiendi quam mali et apud Deos et apud homines disciplinam , pati 
etiam Deos u. s. w. Aber Götter können solche leidensfüähige Wesen nur im 
uneigentlichen Binn genannt werden, und so unterscheidet ja auch Porphyr 
a. a. 0. c. 26 (6. ο. 604, 4) die Geister, welche den Theurgen erscheinen, von 
der höheren Engelklasse. 

8) A.a.0.c.9: nam ei Porphyrius quandam quasi purgationem anime 
per theurgiam, cunctanier tamen et pudibunda quodammodo disputatione pro- 
πέρ; reversionem vero ad Deum hanc artem praestare cuiquam negat.... nunc 
enim hanc artem lanquam et im ipsa actione periculosam et legibus prohtibitam 
cavendam monel: nunc autem velut ejus laudatorıbus cedens, utilem dicit esse 
mundande parti anima, non quidem intellectuali, qua rerum intelligibilium 
percipitur veritas nullas habentium similitudines corporum; sed spiritali (πνευ- 
ματικὸς), qua corporalium rerum capiuntur imagines. Hanc enim dicit per 
quasdam consecrativnes theurgicas, quas teletas vocant, idoneam fieri atque ap- 
tam susceptioni spirituum et angelorun. et ad videndos Deos (womit aber, wie 
gesagt, doch nur Götter niedrigerer Ordnung, wie die Sterngeister, ge- 
meint sein können, auf welche auch nach c. 23. 27 durch Theurgie gewirkt 
werden kann), ex quibus tamen theurgicis teletis fatetur intelleciuali anıma ni- 
hil purgationis accedere, quod eam faciat idoneam ad videndum Deum suum ei 
perspicienda ea qua vere sunt. Er lehre ferner, dass auch ohne theurgische 
Reinigung des spirituale die anima intellectualis in die übersinnliche Welt (in 
superna) gelangen könne, und umgekehrt jene Reinigung nicht zur immor- 

„ Philos. ἃ, Gr. III, Bd. 2. Abth. 89 


610 Perpbyrins. 


liche Anrufungen wird ungenommen !), nur von den Göttern δ 
eigentlichen Sinn will Porphyr ein derartiges Leiden ferne halten 
Ja auch solchen Gebräuchen, die er an sich nicht billigt, will er 
sich in der öffentlichen Gottesverehrung nicht unbedingt widerset- 
zen: er giebt zu, dass die Staaten die bösen Dämonen durch Opfer 
besänftigen und die Eingeweide der Thiere befragen, weil sie es 
meist mit äusseren Gütern zu thun haben; nur die Minderzahl der 
Weisen und Tugendhaften soll sich dieser Dinge enthalten, weil es 
ihr nicht geziemt, nach dem Aeusseren zu trachten, und weil die 
bösen Geister über eine reine Seele keine Gewalt haben ?). Es ist 
also selbst bei derjenigen Reform des Polytheismus, die unser Pki- 
losoph wünscht, nicht eigentlich auf eine Aenderung in der Volks- 
religion abgesehen, sondern nur auf eine reinere Privatreligion 
der Philosophen ; was den öffentlichen Gottesdienst betrifft, so 
hält auch Porphyr an dem Grundsatz der alten Völker fest, dass 
ein jeder die Gottheit nach der Sitte seines Landes zu verebren 
habe ®). Eine. religiöse Umwälzung, wie sie das Christenthum an- 
strebte, war, auch abgesehen von dem eigenthümlichen Inhalt der 
christlichen Lehre, durchaus gegen seine Grundsätze, und die Est- 


talitas und aeternitas führe. Ebd. c. 23: P. führe als Orakelspruch an: nom 
108 purgari luna teletis atque solis; ut hinc ostenderetur, nullorum Deorum ie 
letis homimem posse purgari, aber principia (ἀρχὰς) posse alicujus alterins De 
de turba valere ad purgandum (was das letztere bedeuten soll, ist nicht gans 
klar). Ebd. ο. 27: P. habe das von den Chaldäern gelernt, ut in atherias ναὶ 
empyreas mundi sublimitates et firmamenta codlestia extolleres εἶδα kumanı 
(menschliche Schwächen, welche man voraussetzen muss, wenn die Götter 
herbeibeschworen werden können), u: possint Dei vestri theurgis pronuntiare 
divina; er selbst jedoch finde die theurgischen Reinigungen für den Philo- 
sophen entbehrlich. Vgl. auch 8. 602, 1. 

1) Vgl. vorl. Anm. und die Behauptung b. Eus. a. a. Ο. V,8. (freiliob 
aus der Schrift x. τῆς dx Aoy. φιλος.), dass die Götter unfreiwillig bei den 
Opfern erscheinen; auch ebd. VI, 5. 

2) De abst. II, 48. 52. Vgl. Auaustır Civ. Ὁ, X, 21: Porphyrius, quam- 
vis non ex δια sententia, sed ex aliorum, bonum dicıt Deum non venire in ho- 
minem, nis malus fuerii ante placatus; was vielleicht in der Schrift über die 
Orakelweisheit stand; ähnlich Iautet wenigstens die Mittheilung aus dersel- 
ben bei Eos. pr. ev. IV, 28: man locke die bösen Geister durch Opfer vor den 
Tempeln und andere Mittel aus den Serapistempeln heraus, damit eine Er- 
scheinung des Gottes möglich werde. 

8) Ad Marc. 18. 


| 


Stellung sur Volksreligion. 61 


schiedenheit seines Widerspruchs gegen diese Neuerung war von 
seinem Standpunkt aus ganz natürlich !). Dagegen wird jede 
Nationalreligion bereitwillig von ihm anerkannt, und er macht in 
dieser Beziehung zwischen griechischen und barbarischen Religionen 
keinen Unterschied ; seiner entschiedenen Zuneigung haben sich 
aber doch nur solche Erscheinungen zu erfreuen, in denen er eine 
tiefere, philosophische Auffassung der Religion zu finden glaubte: 
er lobt die Juden als Verehrer des wahren Gottes ?), er bewun- 
dert die Essener °), er ergeht sich in einer lobpreisenden Schilde- 
rung der ägyptischen Priester *), er beruft sich auf seine Ueber- 
einstimmung mit den Brahmanen, denMagiern und den Chaldäern®). 
Ihm für seine Person ist nur an jener geistigen Frömmigkeit gelegen, 
die wir ihn schon früher so schön haben schildern hören ; was die 
positive Religion weiter hinzufügt, das betrachtet er zwar als eine 
in derHauptsache berechtigte, aber doch immer nur als eine niedri- 
gere Form des religiösen Lebens. InPorphyr überwiegt der philoso- 
phische Geist des Plotinus immer noch über das positiv theologische 
Element, erst durch Jamblich und seine Schule ist der Schwerpunkt 
der neuplatonischen Philosophie auf diese Seite verlegt worden. 


II. Jamblich und die syrische Schule. 
11. Porphyr’s Schüler. Jamblich. 
Unter Porphyr’s älteren Schülern €) wird Anatolius als der 


1) Die Schrift, worin Porphyr diesen Widerspruch, mit schärferen Be- 
weisen, als irgend ein anderer, ausführte, die 15 Bücher χατὰ Χριστιανῶν, ist 
ibrer Tendenz nach aus dun Kirchenvätern bekannt, so wenig auch davon 
erhalten ist; näheres Über sie, und Über Porphyr's Stellung zum Christen- 
thum überhaupt, bei Baur Kirchengeach. I, 420 f. Vorles. über Dogmengesch. 
I, a, 801 f. Für Porphyr's Gesammtansicht vom Christentbum ist namentlich 
das Fragment aus der Schrift über die Orakel b. Eus. Demonstr. ev. III, 6. 
Auausrın Civ. D. XIX, 23, 2 zu beachten, worin Christus als ein frommer 
und ausgezeichneter Mann anerkannt, aber die Christen, die einen Gott in 
ihm sehen, mit Verachtung behandelt werden. 

2) M. 5. das Bruchstück bei Auaussın Civ. D. XIX, 28 vgl. Laorauz de 
ira Dei c. 28 8. 217 Bip. 

8) De abst. IV, 11 ff, 8. o. 235, 7. 

4) De abst. IV, 6 fl. 

5) B. Proz. in Tim. 64, Bf. De abst. IV, 17. Suıpas nennt 4 Bücher 
Porphyr’s über die Philosophie Julian’s des Chaldäers. 

6) Ausser Anatolius und Jamblich kennen wir als Porphyr's persönliche 


89 * 


61% Anatolinus. 


bedeutendste bezeichnet 1); und er mag diess immerhin gewesen 


Schüler den Gedalius, welchem er das grössere Werk über die Katege- 
riesen (s. ο. 576, 8), und den Römer Chrysaorius, welchem er die Einleitung 
in die Kategorieen (8. 0.572, 5 g. E.), die Abbandlung über Plato und Aristoteles 
(8. 576, 8, Schl.) und die Schrift περὶ τοῦ ἐφ᾽ ἣμίν (in dem Eingang derselbe 
bei 8ro». Ekl. II, 866) widmete. Was Auuon. in qu. voc. Porph. 13, a (Schol. 
in Ar. 18, b, 40), der Anonymus Crawer’s (Anecd. Oxon. IV, 432), Paızor. 
Schol. in Ar. 11, a, 84, b, 8, Davın ebd. 18, Ὁ, 16 sonst noch über diesen sagen, 
ist unerheblich und unsicher. Zu Porpbyr’s Schule gehörte vielleicht auch 
Ptolemäus der Platoniker, welcher nach Jameı. b. Stop. Ekl. I, 904 an- 
nahm, dass die Seele, auch wenn sie ausserbalb ihres jetzigen Leibes (des 
σῶμα ὀστρεῶδες) sei, doch immer mit einem feineren Leibe bekleidet sei; 
denn diese Annahme steht der 8. 592 besprochenen des Porphyr am nächsten. 
Das gleiche würde in diesem Fall wohl auch von dem Eratostheones get- 
ten, welchen Jaupt. a. a. OÖ. als Meinungsgenossen des Ptolemäus nenzt, 
und von dem auch Paoxı. in Tim. 186, E (denn hier scheint er, 8. 87, Β. Ὁ. 
149, D dagegen der bekannte Cyrenäer gemeint zu sein) mittbeilt, er habe 
in der Seele eine Mischung von körperlichem und unkörperlichem gesehen. 
Von Ptolemäus führt Proxı. a. a. Ὁ. 7, B etwas, allem nach aus einer Schrift 
über den Timäus, an. Porphyr’s oder vielleicht auch Jamblich’s Sehule wird 
ferner Aristides Quintilianns beizuzählen sein, wie diess Cäsar Grunds. 
ἃ. griech. Rbythmik 8. 2 ff. 12 ff. namentlich durch die Uebereinstimmung 
seiner anthropologischen Vorstellungen (De mus. 103 £ Meib.), mit desen 
Porphyr's dargethan hat. Ob der ältere Hierokles, der durch eine Schrift 
gegen die Christen bekannte Statthalter Bithyniens unter Diokletian, (über 
den Baur K. Gesch. I, 425 £.) mit der platonischen Schule in Verbindung atand, 
wird nicht überliofert, eg ist aber immerhin wahrscheinlich. Dagegen kann 
man aus der Art, wie Arweas Gaz. Theophr. 8. 16 des Bortnus zwischen 
lauter Platonikern erwähnt, nicht schliessen, dass es einen Platoniker dieses 
Namens gegeben habe; es wird vielmehr der Peripatetiker (1. Abth. 8. 553 f.) 
gemeint sein, der in seiner Kritik der platonischen Lehre über die Unsterb- 
lichkeit (worüber auch 8. 587, 1) wohl auch seine von Aeneas berührte Auf- 
fassung des Dogma von der Seelenwanderung ausgesprochen hatte. 

1) Eusar. v. soph. Jambl. 8. 11: Jamblich sei zuerst mit Anatolius, τῷ 
μετὰ Πορφύριον τὰ δεύτερα φερομένῳ, zusammengewesen, dann habe er sich an 
Porphyr angeschlossen. Ueber die Persönlichkeit des Anatolius ist uns nichts 
weiter bekannt; dass er aber ein Schüler Porphyr's war, sieht man auch aus dem 
Eingang von Porpbyr’s noch erhaltenen ihm gewidmeten "Opnpıxa Ζητήματε; 
vgl. Worrr Porph. De Philos. ex orac. 8. 17 f, Bchon dieses Verhältniss sa 
Porpbyr und Jamblich macht es nun im höchsten Grad wahrscheinlich, das 
er und kein anderer der Verfasser der von Jamblich in den Theol. Arithm. 
benätsten Schrift (s. folg. Anın.) ist. Dagegen verbietet eben dieses Verhält- 
niss schon aus chronologischen Gründen, ihn für Eine Person mit dem Per+- 


Jamblich, 618 


sein, so gering auch der philosophische Werth seiner arithmetisch- 
theologischen Bruchstücke ?) ist. In der Folge jedoch hat sein 
und Porphyr’s Schüler Jamblich ?) nicht allein seinen Namen, 


patetiker Anatolius (1. Abth. 716, 2) zu halten, der seit 270 Bischof von Lao- 
dicea war, denn dieser muss in der Zeit, in welcher Jamblich den Anatolius 
sum Lehrer hatte, längst im bischöflichen Amt gestanden haben, wenn er da- 
mals überhaupt noch am Leben war. Ebensowenig konnte aber auch er, oder 
&berbaupt ein Christ, die Fragmente in den Theol. Arithm. verfasst haben. 

1) B. Jausı. Theol. Arithm. 8. 89 ὦ, 16. 24. 84. 42 f. 56. 64 — durchaus 
Wiederholungen der von Nikomachus und andern Pythagoreern gegebenen 
Ausführungen über die Bedeutung der verschiedenen Zahlen. 

2) Jamblichus (über den Sreınsart Allg. Encykl. v. Ersch und Gruber 
βοοὶ. II, Bd. XIV, 278—288) stammte nach Eunarıus (v. Soph. Jambl. 8. 11 
vgl. Julian or. IV, 146, A u. A.) aus einer reichen und angesehenen Familie 
zu Chalcis in Cölesyrien. Zum Lehrer hatte er zuerst Anatolius, dann Por- 
pbyr (vgl. vor. Anm. und Porphyr betreffend Jambl. Ὁ. ὅτοβ. Ekl. I, 898); 
beide wobl in Rom, den Anatolius vielleicht während Porphyr’s Aufenthalt in 
Sicilien. In der Folge eröffnete er selbst eine Schule, wahrscheinlich in sei- 
ner Vaterstadt; dass Syrien der Schauplatz seiner Wirksamkeit war, erhellt 
aus den Erzählungen bei Eusar. Jambl. 8. 15 und Acdes. 8. 20. Aus Eunar. 
8. 12 erfahren wir, dass Jamblich eine grosse Anzahl von Schülern um sich 
versammelte, welche er auch durch seinen vortrefflichen Charakter, seine 
Mittheilsamkeit und seine Freundlichkeit im Verkehr an sich fesselte. Sonst 
aber schweigt dieser Schriftsteller fast von allem, was wir zu erfahren wünsch- 
ten, um uns dafür mit abgeschmackten Wundergeschichten (s. folg. Anm.) 
und mit einem breiten Bericht über Jamblich’s Verbindung mit dem Rhetor 
Alypius und über die Biographie zu unterhalten, welche er diesem Freunde 
nach seinem Tode widmete; die letztere muss aber wirklich sehr mangelhaft 
gewesen sein, wenn selbst ein Eunapius die Klage nicht unterdrücken kann, 
dass es ihr un Klarheit und Zusammenhang der Erzählung zu sehr gefehlt 
habe, und dass man über lauter Lobpreisungen des Mannes von den That- 
sachen seines Lebens kaum irgend etwas erfahren habe. So wird uns auch 
weder über das Geburts- noch über das Todesjahr Jamblich’s etwas mitge- 
theilt. Dass er sur Zeit Konstantin’s lebte (Buın. Ἰάμβλ.), lässt sich aller- 
dings schon aus seinem Verhältniss su Porphyr abnehmen, und dass er diesen 
Kaiser nicht überlebte, ergiebt sich aus Eunarıus (v. Soph. Aedes. 8. 21 ff.) 
Ersählung über die (tiefer unten noch zu berührende) Hinrichtung seinos 
Schülers Sopater durch Konstantin; denn ἔπη. bemerkt ausdrücklich, Sopater 
sei nach dem Tode seines Lehrers an den kaiserlichen Hof gegangen. Bo 
mag denn Jamblich’s Tod annähernd um 880 zu setzen sein. Nun finden sich 
allerdings unter JuLıan's Briefen mehrere (84. 40. 41. 58. 60. 61) an den Phi- 
losophen Jamblich, und die gewöhnliche Annahme (Bruczar Hist. phil, II, 
364. Fasnıc. Biblioth, gr. ed. Hurı. V, 760 ff. Herıen ins. Ausgabe der 
Briefe Julian's 8, 808 ὦ, ΝΥΒΙΝΗΔΕΤ a, a, O. 278 u, A.), dass unter diesem 


614 Jamblich. 


sondern auch den ihres gemeinsamen Lehrers, in der neuplatosi- 
schen Schule selbst entschieden verdunkelt. Aber er verdankt 
dieses Ansehen weniger seinen wissenschaftlichen Leistungen, als 
seinem theologischen Charakter, den Aufschlüssen über die höhere 
Welt, die man bei ihm zu finden glaubte, dem Verkehr mit Göttera 
und Dämonen, den man ihm zutraute, den Wundern, über welche 
schon seine nächsten Bekannten sich die abenteuerlichsten Dinge 
erzählten '). Auch der stehende Beiname des Göttlichen, welchen 


Jamblich der aus Lisanıus (in dem Brief an ihn, b. Faneicıcs a. a. 0. und 
Worr epist. Liban. 8. 509) bekannte gleichnamige Neffe des berühmten Pia- 
tonikers gemeint sei, ist nicht zu billigen, denn Julian erwähnt (ep. 58, 539, C 
Spanh.) auch des Sopater als noch lebend, indem er ihn als Schüler seines 
Jamblich bezeichnet, der Neffe wird aber doch wohl nicht gleichfalls einen 
Sopater in demselben Verhältniss bei sich gehabt haben, wie der Oheim; und 
auch abgesehen davon kann es nur auf das bekannte Haupt der platonischen 
Schule gehen, wenn Julian seinen Jamblich dem Homer, Sokrates und Plato 
an die Seite stellt (ep. 84, Schl., wozu die Stelle über den ältern Jamblich, 
unten 8, 617, 1, zu vergleichen ist), wenn er ibn als das Gemeingut aller 
Hellenen (ep. 61, 449, B), ja als den Retter des ganzen Hellenenthums (ep. 40, 
419, A) und das μέγα ὄφελος τῆς οἰχουμένης (ep. 53) bezeichnet, wenn er durch 
seinen Brief (ep. 60, 447, A), ehe er ihn gelesen hat, vom Fieber geheilt wird 
u. dgl.; davon nicht zu reden, dass in sechs Briefen an den Neffen der Obeim 
gewiss, und zwar mehr als nur einmal, genannt wäre. Kann nun Julian un- 
möglich noch an den älteren Jamblich geschrieben haben, so bleibt nur Abrig, 
seine Briefe an Jamblich mit Dopwsrı (b. Fasxıc. a. a. O.) für unächt sa 
erklären. Dagegen kann ep. 27 (an Libanius) Acht sein, wo auch 8. 401, B 
Sopater, der Zögling des θειότατος ᾿Ιάμβλιχος, nicht mehr als lebend be- 
handelt wird. 

1) Wie Eunar. 8. 18 f. erzählt, hatten die Andachtstibungen, denen sich 
Jamblich bisweilen in der Einsamkeit widmete, zu dem Gerficht Anlass ge 
geben, dass er während des Gebets (wie die Brahminen des PnıtLostaarte ΤΥ. 
Apoll. III, 15, 1. 17, 2) über der Erde schwebe und von einem Lichtglans um- 
flossen sei. Als ihn jedoch seine Schüler darüber befragten, lachte er über 
ihre Leichtgläubigkeit. Dagegen berichtet Eunap. im folgenden nicht blos 
einen Beweis von ausserordentlichem Wissen, für welchen eine natürliche 
Erklärung wenigstens nicht undenkbar wäre, sondern auch die Geschichts 
von den zwei Dämonen, dem Eros und Anteros, welche Jamblich aus επαὶ 
Quellen dieses Namens habe aufsteigen lassen; und nach dieser Probe seiner 
Kritik fügt er noch bei: auch andere, noch viel wunderbarere Dinge werden 
von dem Philosophen erzählt, er wolle sie jedoch übergehen, weil sie ihm 
nicht beglaubigt genug scheinen. Auch den Vorfall mit den Quellengeisten 
würde er nicht mitgetheilt haben, wenn er nicht hiefür Gewährsmänner hätte, 
A τοῖς ἄλλοις ἀπιστοῦντες πρὸς τὴν τοῦ φανέντος αἴσϑησιν συνεχάμφϑησαν. 


Persönlichkeit und Sohriften. 015 


er bei den späteren Neuplatonikern führt 1), bezieht sich ohne Zwei- 
fel zunächst hierauf. Als Philosophen können wir ihn Porphyr 
nicht gleichstellen. Weder die Ueberreste seiner zahlreichen Schrif- 
ten *), noch die Nachrichten über seine Lehre rechtfertigen die 


1) do ist das Beiwort, welches Jamblich namentlich bei Proklus gans 
regelmässig erhält, ebenso bei JuLıaz orat. IV, 157,C. ep. 27. 401, B. Brasax 
Metaph. 57, b. βπερε. Phys. 149, b, m, selbst dem Christen PrıLoronus Anal. 
pri. VII, b. Schol. in Arist. 146, a, 87 und überhaupt sehr oft. Auch μέγας 
(Amswon. De interpr. 162, a,m. Dauasc. De princ. o. 48, 8. 115 K. u. o.), dar 
μόνιος (JuLıan orat. VI, 188, B. 222, B), θαυμάσιος (Εν Δ», 8. 18) wird er ge- 
nannt. K. 118, 8. 351 f. sagt Dauasc., von der orphisch-chaldäischen Ueber- 
lieferung über die intelligibeln Götter abzuweichen, würde ihn schon die 
Rücksicht auf den göttlichen Jamblich abhalten, ἄνδρα τῶν θείων πραγμάτων 
ἄλλων τε χαὶ τῶν vospav ἄριστον ἐξηγητήν. Ebenso bezeichnend für die Meinung 
der späteren Neuplatoniker über ihn und seinen Vorzug vor Porphyr ist das 
Orakel bei Davrıp Schol. in Ariat. 18, b, 8: ἔνθους ὁ Σύρος, πολυμαθὴς ὁ Φοίνιξ. 
Ἔνθους nennt ihn auch Marm. v. Procli c. 26. 

2) Wir besitzen von Jamblich's Schriften (über welche Fasrıc, Bibl, gr. 
V, 762 8.) noeh fünf Bücher, welche sämmtlich einem grösseren Werke, der 
oolleatio pythagoricorum dogmatum (συναγωγὴ τῶν πυθαγοριχῶν δογμάτων), an- 
gehörten, die Sraıan in Metaph. 57, b. 88, b. 90 Bagol. nennt: 1) περὶ τοῦ 
πυθαγοριχοῦ βίου, das erste Buch jenes Werkes; 2) λόγος προτρεπτιχὸς εἷς (oder 
ἐπὶ) φιλοσοφίαν, das zweite Buch, auf dessen letzten Abschnitt (c. 21) v. Pyth. 
186 verwiesen wird; 8) x. τῆς κοινῆς μαθηματιχῆς ἐπιστήμης, das dritte Buch, 
dessen UÜeberschrift desshalb in der Handschrift, aus der es VırLoıson Anecd. 
11, 188 ff. herausgegeben hat, die Worte: λόγος τρίτος beigefügt sind; 4) π. τῆς 
Νικομάχου ἀριθμητικῆς εἰξαγωγῆς u. 8. w. λόγος τέταρτος, das vierte Buch, welches 
Jambl. selbst (in Nicom. 1.167,C. Theol. Arithm.5f. vgl. mit in Nicom. 16. 117) 
kürzer εἰςαγωγὴ, ἀριθμητικὴ, ἀριθμητικὴ εἰςταγωγὴ nennt (Ausgabe von Tex- 
wuLrus); δ) τὰ θεολογούμενα τῆς ἀριθμητικῆς, das siebente Buch des Gesammt- 
werks, als solches von Srzıau ἃ. a. O. 83, b vgl. Theol. Arithm. 8. 5 f. ange- 
führt, und in Nicom. 167, C. 176, C angekündigt. Der neuste Herausgeber 
dieser Schrift, Ast (8. 157), bestreitet trotz dieser Zeugnisse und des Selbst- 
seugnisses Theol. Ar. 8. 5 f. ihre Aschtheit, weil man dem Verfasser der Er- 
l&uterung von Nikomachus’ Arithmetik eine so schlechte Compilation nicht 
sutrauen könne. Indessen ist dieser Grund von geringem Gewicht; dagegen 

weist allerdings die aphoristische Aneinanderreihung vieler Abschnitte, und 
die häufige Einführung einer Bemerkung mit einem ὅτι darauf hin, dass ein 
Theil derselben in einem blossen Auszug erhalten sei, der aber Jamblich’s 
Worte in der Regel unverändert zu geben scheint. Das fünfte Buch der 
Zwaywyt handelte von der physikalischen, das sechste von der ethischen 
Bedeutung der Zahlen, das achte von der Musik, das neunte von der Geometrie, 
das sehente und letzte von der Bphärik (Astronomie); vgl. in Nicom, Schl, 


616 Jamblich. 
maassloge Bewunderung mit der seine Nachfolger sich über ikz 


(176, C): καὶ ὅσα δὲ ἄλλα ἐπανθεῖ τοῖς ἀπὸ μονάδος μέχρι δεκάδος ἀριθμοῖς κατὰ τὸν 
φυσιχὸν λόγον καὶ τὸν ἠθιχὸν χαὶ ἔτι πρὸς τούτων τὸν θεολογικὸν (unsere TheoL 
Arithm.) χατατάξαντες συμφιλολογήσομεν, ἵνα ἀπ᾿ αὐτῶν εὐμαρεστέρα σοι λοιξὸν καὶ 
ῥάστη τῶν ἑξῆς τριῶν εἰςξαγωγῶν, μουσικῆς λέγω καὶ γεωμετρυιῆς καὶ σφαιροιῆς, ἧ 
παράδοσις γένηται. Auf die Abhandlung tiber Musik verweist Jamblich auch 
Β. 18, Ὁ. 77,A. 172,B, auf die über Geometrie 141, D. — Wie hier an die pytha- 
goreische, so hatte sich Jamblich in der Χαλδαϊχὴ τελειοτάτη θεολογία, 
einem sebr umfassenden Werk, dessen 28stes Buch Damasc. De prine. c. 48, 
Anf. S. 115 anführt, an die angeblich chaldäische Ueberlieferung angeschlossen. 
Auf diese Schrift bezieht sich wohl, wenn auch vielleicht nicht susschliess- 
lich, was Marın. v. Procli ο. 26 von seinen und Porphyr’s μυρίοις ὅσοις εἰς τὰ 
λόγια καὶ τὰ σύστοιχα τῶν Χαλδαίων συγγράμματα ὑπομνήμασι sagt. Dagegen 
wird Αμμον. De interpr. 109 (nicht: 59) ἃ, ο. von Fasaıc. Bibl. gr. V, 111. 
Worrr Porph. De philos. ex orac. 8. 66 wohl mit Unrecht hieher gesogen: 
die ὑφήγησις τοῦ θείου Ἰαμβλίχον, der Ammon. hier folgt, scheint sich in einem 
Commentar zu x. ἑρμηνείας gefunden zu haben. — Zu Jamblich's bedeutenderen 
Werken scheint ferner die Schrift x. φυχῆς gehört zu haben, welche Paıscıaz 
Bolut. pro@m. 8. 554 Dübn. anführt, und aus weleher Szox. EkL I, 790 £. 
8δ8---926. 10661068. II, 12. Floril. 25, 6. Joaun. Dauasc. Floril. II, 18,32. 
(Stob. Floril. IV, 193 Mein.) bedeutende Bruchstücke, fast durchaus histori- 
schen Inhalts, aufbewahrt hat. Auf dieselbe Schrift, nicht auf einen Commen- 
tar su Aristoteles De anima, beziehen sich die Anflihrungen bei Susrr. De an. 
18, a, ο. 52, b, o. 60, a, ο. 67, b,m. (Ἰαμβλίχῳ ἐν τῇ ἰδίᾳ περὶ ψυχῆς πραγματεία), 
87, ἃ, m. 88,a,0. PaıLor. De an. Ὁ, 10, 0.; doch sieht man aus denselben, 
dass er darin, wie natürlich, die aristotelischen Bestimmungen besönders be- 
rücksichtigt hatte. Verschieden davon war die Abhandlung über die Beelen- 
wanderung, oder genauer, über die Unzulässigkeit des Uobergangs vom 
Menschenseelen in Thierleiber und umgekehrt, welche Nsuzs. nat. hom. 6, 3, 
8. 51 (vgl. Auszas, oben 8. 591, 1) namhaft macht. Weiter kennen wir vom 
Jamblich, ausser seinen sogleich zu besprechenden Commentaren zu Plate 
und Aristoteles, eine Schrift περὶ ἀγαλμάτων in zwei Theilen, gegen 
die Philoponus schrieb (Puor. Cod. 215), und ein zweites theologisches Werk, 
dem Julian in seiner Rede auf den Helios (orat. IV vgl. 8. 146, A. 157, Ὁ) 
folgt; vielleicht die Schrift περὶ θεῶν, auf welche De myster. Asgypt. VII, 6 
verwiesen wird; in ihr fand sich wohl auch die Ausführung über die μῦϑοι 
τελεστιχοὶ der orphischen Gedichte, deren JuLıan orat, VII,217,B£. Erwähnung 
thut. Doch könnten sich diese Citate, oder doch ein Theil derselben, auch 
auf die chaldäische Theologie beziehen. Viele Bruchstücke von Briefen, 
ἃ. ἢ, Abhandlungen in Briefform, theilt Srosäus in den Eklogen und beson- 
ders im Florilegium (8. ἃ, Register) mit; weiter vgl. man OLrmrıopoa in Gorg. 
8. 187 (Jann’se Jahrbb. Supplomentb. XIV, 8. 531). Schol. in Phaedon. bei 
Olymp. in Phaed. ed. Fıncku Nr. 142 f. 8. 90. Eine rhetorische Bohrift 
r. κρίσεως ἀρίστου λόγου, welche Maxıw. PLaxup, Schol. in Hermog. De 


Wissenschaftlioher Charakter. 617 


äussern !). Seine Darstellung ermüdet durch ihre Weitschwei- 
figkeit und ihre Wiederholungen, sie ist schwerfällig und trotz ihrer 
Ausführlichkeit undurchsichtig, arm an Gedanken und schwülstig 
im Ausdruck ?). Die Gelehrsamkeit, an der es ihm nicht fehlt, 
geht doch ungleich mehr in die Breite, als in die Tiefe; und seine 
Vorliebe für alterihümliche und orientalische Ueberlieferungen 
führt ihn um so sicherer zu den trübsten und spätesten Quellen, 
da es ihm an literarischer Kritik vollständig gebricht. So eifrig er 
nicht allein die platonischen, sondern auch die aristotelischen 
Schriften studirt und erklärt hat °), die er mit jenen selbst da noch 


id. 8.878 (Rhot. gr. od. Walz V, 443) nennt, scheint von derjenigen nicht ver- 
schieden zu sein, welche der bysantinische Rhetor Athanasius, vielleicht mit 
noch andern jetzt verlorenen Büchern, noch 1641, sei es im Original oder 
einem späteren Auszug, benfitzt hat (m. s. hierliber Fassıc. a. a. O. 771 f.). 
Der Lobschrift auf Alypins wurde schon 8. 618, 1 gedacht. Dagegen 
gehören die zwei Bruchstücke x. sluappdvng und περὶ εὐχῆς, welohe Tonnolius 
seiner Ausgabe des Commentar's su Nikomachus 8. 177 ff. beigefügt hat, der 
Schrift von den Mysterien (VIll, 7f. I,16) an, über welohe später zu sprechen 
sein wird. 

1) M. vgl. in dieser Besiehung, ausser der vorleisten und der nächst- 
folgenden Anm., auch Jurıau orat. IV, 146, A, welcher Jamblich mit Plato 
zusammenstellt, als χρόνοις μὲν οὔτι μὴν φύσει χαταδεέστερον, Denselben or. VII, 
317, B, wo er gleichfalls sagt, nächst den Göttern verehre or ihu ἐξίσης ᾿Αρυ- 
στοτώλει καὶ Πλάτωνι. Sımrı. Dean, 88, a, o., der ähnlich, wie aus anderem 
Anlass Damascius (vorl.Anm.), sagt: ζητείσθω δὲ καὶ ὅπως τῷ θείῳ συμφωνήσωμεν 
Ἰαμβλίχῳ, denn ihm möchte er keinenfalls widersprechen, vielmehr mit ihm 
übereinstimmen, so weit diess einem blos Fortschreitenden im Verbältniss sum 
vollendeten Weisen möglich sei. 

3) Selbst Eunarıus (B. 12) sagt von ihm: er sei zwar sonst in nichts 
binter Porphyr zurückgestanden (οὐχ ἔστιν ὃ τι καὶ Πορφυρίου dufvsyxev — anders 
lesen: ὅ τι μὴ Πορφ. δυήν., es giebt nichts, worin er den Porpbyr nicht über- 
troffen hätte), πλὴν ὅσον κατὰ τὴν συνθήχην χοὶ δύναμιν τοῦ λόγου. οὔτε γὰρ εἰς 
ἀφροδίτην αὐτοῦ καὶ χάριν τὰ λεγόμενα βέβαπται͵ οὔτε ἔχει λευχότητά τινα καὶ τῷ - 
καθαρῷ καλλωπίζεται" od μὴν ἀσαφῆ παντελῶς τυγχάνει, οὐδὲ κατὰ τὴν λέξιν ἣμαρ- 
τημίνα u. 5. W. 

3) Wir kennen von ihm aus der Reibe der platonischen Schriften 
Erklärungen des Tim&us (Puoxı. iu Tim. sehr oft; m. s. den Index. Sıurı. 
Phys. 149, b, m., wo das fünfte, 165, b, ἃ. 188, a, m., wo das achte Buch die- 
ses Commeutars angeführt wird; De ooelo 252, b, 28 Karst. De an. 87, a, o. 
UrLyurıopon. in Aloib. 8. 2 Cr.), Aloibiades I (Prozı. in Alcib. 8. 11. 13. 
35. 84. 88. 126 Creus. Orrarıov. in Alcib. 8. 110 Creus.), Parmenidos 
(Bynıaz in Metaph. 29, b Bagol. ; Proklus erwähut diesen Commentar in dem 


‘ 


618 | Jamblich. 


in Uebereinstimmung zu bringen sich bemühte, wo ihr ausgespro- 
chener Gegensatz vor Augen liegt), so gehört doch seine Neigung 
in noch viel höherem Grade den Erzeugnissen der späteren, von 
philosophischem und religiösem Synkretismus erfüllten, ofenha- 
rungs- und wunderbedürftigen Zeit: den Fabeln der Pythagorss- 
sage, der neupythagoreischen Zahlenmystik, der chaldäischen 


seinigen nioht, aber er nennt dort überhaupt fast keinen seiner Vorgänger). 
Nach Peoxı. in Alcib. 11 hatte Jamblich 10 Gespräche aufgezählt, die Plato's 
ganze Philosophie enthalten, und die Reihe derselben mit dem Alcibiades er- 
öffnet. Unter den aristotelisohen Commentaren wird der zu den K=» 
tegorieen von SımrLıcıus in dem seinigen von Anfang his zu Ende unge 
mein häufig angeführt; ebenso von Demselben Phys. 18, Ὁ, m. 186, b, o. 188, 
a, 0. De ooelo 76, b, 46 Karst. Schol. in Ar. 477, Ὁ, 26, und von Dexzırr. ia 
Categ. 8. δ, 18 Speng. Nach Sıurr. Cat. 1, 8 war dieser Commentar eine κὸ- 
Adatıyog πραγματεία, und während sich Jamblich darin meistens, oft sogar 
wörtlich, an Porphyr hielt, im einzelnen ihn auch wohl zu berichtigen und 
su verbessern suchte, fügte er der logischen und grammatischen Erklärung 
durchweg die νοερὰ θεωρία bei, d. b. er deutete die logischen Bestimmungen 
im Sinn der neuplatonischen Spekulation aus; er verglich ferner mit dem ari- 
stotelischen Kategorieen die archyteischen, weiche er gleichfalls erlänterta, 
und denen er auch wohl bei Abweichungen von Aristoteles folgte (vgl. Sımer. 
82, ζ. 88, Ὦ. Uebrigens bemerkt Baaunıs (Ueber die griech. Ausl. d. arist. 
Org. Abh. d. Berl. Akad. 1888. Hist.-pbil. Kl. 8. 281) mit Rocht, dieser Com- 
mentar scheine sehr wenig kritisches und nicht viel exegetisches enthalten, 
nnd das beste, was er gab, Porphyr entnommen zu haben. Eine Erklärung 
von x. Ἑρμηνείας benütst Aumon. De interpr. 161, b, u. 162, a, m. 182, b,m. 
109, a, ο. Bchol. zu De interpr. 17, a, 16. 20, b, 28 in Arist. Org. ed Wım 
L, 40, 42; eine solche der ersten Analytik Paıtor. Anal. pri. VIIL ἃ, ὁ. 
Schol. in Arist. 146, a, 87 und Αμμον. zu Anal, 24, b, 19 bei Warzsa ἃ. 0. 
8. 45 f.; mit welchem Becht jedoch der erstere unsern Philosophen zu des 
ἀχριβέστεροι τῶν ἐξηγητῶν rechnet, mag dahingestellt bleiben. Dass er auch 
die Physik oommentirt, und nicht vielmehr ihre Erörterungen über die Zeit 
in einem andern Zusammenhang, am wahrscheinlichsten seiner Erklärung der 
Kategoricen, berlicksichtigt hatte, in der er ausführlich von der Zeit handelte 
(vgl. BımeL. Categ. 86 ff, Phys. 188, a, o.), lässt sich aus Sımer. Phys. 181, 
b, u. nicht abnehmen. Eher möchte man aus Sımrı. De coelo 8, ὃ, 3. 206, 
a, 24. 227, a, 17 Karst. (Sohol. 468, a, 28. 495, b, 85. 508, b, 11) auf eine 
Erklärung der Bücher vom Himmel schliessen, doch ist auch dieser Schluss 
nicht sicher. 

1) Davın wenigstens behauptet (Schol. in Arist. 26, b, 11), er habe selbst 
bei der Ideeniehre geläugnet, dass Aristoteles dem Plato widerspreche. 


Charakter und Standpunkt. 619 


Orakelweisheit !); und er selbst hat. die Philosophie durolaus in 
dem Geist hehandelt, aus dem jene Erscheinungen hervorgegangen 
sind. Was wir von ihm wissen, das zeigt uns in ihm weit weniger 
den Philosophen, dem es um wissenschaftliche Schärfe und Conse- 
quenz, als den Theologen, dem es um eine spekulative Begründung 
der Religion und ihrer Dogmen zu thun ist. Wenn schon Porphyr 
die Philosophie überwiegend von der praktisch religiösen Seite 
aufgefasst hatte, so tritt eben dieser Gesichtspunkt bei Jamblich 
noch stärker hervor; und wenn schon jener für die Erreichung 
ihrer Aufgabe die Hülfe der Religion und den Beistand der Götter 
nöthig gefunden hatte, so muss Jamblich hierin um so weiter gehen, ᾿ 
je weniger er auf die eigene Kraft des Menschen Vertrauen setzt, 
und je mehr er von seiner Hülfsbedürftigkeit überzeugt ist. Plotin 
hatte die Seele, wie er glaubt, der höheren Welt zu nahe gerückt 3); 
er kann nicht zugeben, dass sie ihrem Wesen nach, wie jener ge- 
wollt hatte, vom Leiden und von der Schlechtigkeit nicht berährt 
werde, denn wo anders sollte das Böse seinen Sitz haben, als im 
Willen? 5) er fühlt sich von der Naturnothwendigkeit (dem Ver- 
hängniss) gedrückt, und hofft durch die Gottheit von diesem Drucke 
befreit zu werden, denn die Götter beherrschen und berichtigen, 
wie er sagt, das Verhängniss, sie lösen die Uebel, denen es uns 
unterwirft, sie entbinden die Seele von dem Gesetz des Werdens*); 
an sie muss man sich wenden, wenn man das Heil sucht, vom Gebet 
zu ihnen können wir einen Erfolg hoffen, der alle unsere Erwar- 
tungen übertrifft °); die Reinigung der Seele kann nicht durch sie 
selbst allein bewirkt werden, sondern nur mit Hülfe der höheren 
Wesen, der Heroön, Dämonen, Engel und Götter δ). Einem so 
gestimmten Gemüth musste natürlich an den religiösen Heilsmitteln 
weit mehr liegen, als an den philosophischen Untersuchungen. 
Auf welche Art die Götter das Endliche hervorbringen, können 


1) M. vgl. die Nachweisungen, welche 8. 615, 1 in Betreff seiner zwei 
Hauptwerke gegeben sind, und uns noch weiter begegnen werden. 

2) B. Sros. Ekli. 1, 866. 

8) Proxı. in Tim. 841, Ὁ. 

4) M. s. die Bruchstücke b. Sros. Ekl. I, 80. 184 f., auf die ich 8. 685 ἢ, 
nvob einmal surüiekkommen werde. 

δ) Jambl. b. Proxı. in Tim. 64, C; genaueres unten, 8. 681. 

6) Sron. Ἐκ], I, 1058 ἢ, 


630 Jsmblich. 


wir nicht wissen, es genügt uns an der Ueberzeugung, dass alles 
durch sie gewirkt ist 19; die erste Bedingung der wahren Goltes- 
erkenntniss ist der Glaube, dass den Göttern nichts unmöglich ist: 
wer diesen Glauben hat, der wird sich nach einer Theologie um- 
sehen, die es ihm erlaubt, alles anzunehmen, was über die Götter 
gelehrt wird 3). Einem Philosophen, welcher von diesen Grund- 
sätzen ausgieng, durfte kein Volksglaube zu ungereimt, kein reli- 
gionsphilosophischer Synkretismus zu schrankenlos sein, je umfas- 
sender er vielmehr die Religionen aller Völker mit seiner Spe- 
kulation vermengte, um so vollständiger musste er den Zweck der 
Philosophie erreicht zu haben überzeugt sein. 

Um nun in seinem System für diese ganze Götterwelt Raum 
zu gewinnen, musste Jamblich eine weit ausgeführtere Klasseneis- 
theilung der höheren Wesen aufstellen, als die früheren Neu- 
platoniker, und eben dieser Punkt ist es, worin allem nach die 
Haupteigenthümlichkeit seiner Metaphysik lag; wogegen er in der 
allgemeinen Voraussetzung des plotinischen sog. Emanationssy- 
stems, und namentlich auch in der Bestimmung, dass jede niedrigere 
Stufe des Seins von den höheren umfasst sei °), mit seinen Vor- 
gängern ganz übereinstimmt. An die herkömmliche Eintheilung 
der Götter in sichtbare und unsichtbare anknüpfend, unterscheidet 
er zunächst die innerweltlichen und die überweltlichen Gottheiten 4). 
Hinsichtlich der letzteren war nun die neuplatonische Lehre bis 
auf Jamblich ziemlich einfach: neben dem Einen Urwesen enthielt 
Plotin’s übersinnliche Welt den Nus und die Seele, die beide eine 
unbestimmte Menge von besonderen Geistern und Seelen in sich 
befassen sollten, aber auf eine systematische Gliederung beider 
Klassen hatte sich Plotin nicht eingelassen. Amelius machte durch 
die Lehre vom dreifachen Nus einen Anfang dazu; ungleich weiter 


1) Prozı. a, a. Ὁ. 848, C. 

2) Jamsr. Adhort. ad philosoph. Symb. 4, 3. 826 Kiessling, wo Jamblich 
aus Anlass des pythagoreischen Spruches: περὶ θεῶν μηδὲν θαυμαστὸν axiom, 
μηδὲ περὶ θείων δογμάτων, bemerkt: παραγγέλλει γὰρ ἐπιστήμην τοιαύτην zrdsae- 
θαι, δι᾽ ἧς οὐδενὶ ἀπιστήσομεν τῶν λεγομένων περὶ θεῶν καὶ περὶ θείων δογμάτων. 

8) M. vgl. hierüber διμρι,. Categ. 82, a. 

4) Proxı. in Tim. 806, C vgi. De myater. VLIl, 8. Baruusr. de Diis αἱ 
mundo co. 6. 


Theologie: das erste und zweite Eins. 631 


gieng aber Jamblich, unter dem Einfluss orientalischer Systeme 1), 
von denen wir aber nicht mehr bestimmen können, inwieweit sie 
selbst unabhängig von der neuplatonischen Philosophie waren. In 
jederOÖrdnung geht, wie er sagt, dem, was sich an anderes mittheilt, 
eine nichtmittheilbare Einheit voran, und aus jeder Einheit geht eine 
Zweeiheit hervor ?); der Uebergang von dem, was rein für sich ist, 
zu dem, was an ihm theilnimmt, muss durch eigene Mittelwesen 
bewirkt werden ®). Diesen Grundsatz brachte er gleich bei der 
Frage über die obersten Gründe in Anwendung. Während seine 
Vorgänger nur Ein überseiendes Princip angenommen hatten, kennt 
er mehrere Wesen, welche nicht blos über das endliche Sein, son- 
dern über das Sein schlechtweg erhaben sein sollten ©). Von dem 
Einen unaussprechlichen Urwesen °), welches der letzte Grund 
alles Seins ist 5), unterschied er noch eine zweite Einheit, die 
zwischen dem absolut Einen und der Vielheit in der Mitte stehe. 
Erst aus diesem zweiten Eins liess er das Intelligible hervorgehen, 


1) Vgl. was 8. 616 über die chaldäische Theologie bemerkt ist. 

4) Paoxt. in Tim. 214, A: Jamblich nehme eine dreifache Seele an (hier- 
über später); πάσης γὰρ τάξεως ἢ ἀμέθεχτος ἢγέΐται μονὰς πρὸ τῶν μετεχομένων, 
καὶ ἔστιν οἰκέϊος 5 ἀριθμὸς τοῖς ἀμεθέκτοις καὶ συμφυὴς, καὶ ἀπὸ τοῦ ἑνὸς ἢ δυὰς, 
ὥσπερ dx’ αὐτῶν τῶν θεών. Nach diesem Grundsats vorfahre, ihm zufolge, 
auch der 'Timäus. 

8) Ebd. 286, F: δεῖν γὰρ (nach Jambl.) μὴ ἀθρόαν γίγνεσθαι τὴν μετάβασιν 
ἀπὸ τῶν ἐξῃρημένων ἐπὶ τὰ μετέχοντα, ἀλλὰ μέσας εἶναι τὰς συντεταγμένας τόϊς με- 
τέχουσιν οὐσίας. 

4) Dawasc. de princ. o. 100, 8. 814 Kopp, sagt sogar, während die 
Früberen nur Einen θεὸς ὁπερούσιος annehmen, habe er ein πλῆθος ὑπερουσίων 
iväßuv, und zwar als selbständiger Substanzen (αὐτοτελέίς ὁποστάσεις). 

δὴ Um der Eigenschaftslosigkeit des Einen nichta zu vergeben, will ihm 
Jamblich x. xotv. μαθηματ. ἐπιστ, 8. 191 med. Villois. nicht einmal den Namen 
des Guten beilegen, denn es stehe über dem Guten; dagegen gebraucht er 
b. Dawasc. de princ. co. 99, 8. 811 τὸ ἕν und τἀγαθὸν gleichbedeutend, und 
ebenso macht es Saıucusr de Diie 6. δ, Schi. Jursıan orat. IV, 188, B, und die 
Schrift de myster. Aogypt. I, δ, Anf., wogegen ebd. VIII, 2 beides nnterschie- 
den wird. Das letztere ist die genauere Ausdrucksweise. 

6) Dass die Einheit die Quelle des Seins sei, sagt auch Jamblich mit 
Plotin. Πάντα μὲν τὰ ὄντα, heisst es bei Stop. Ekl. I, 184, mit Beziehung auf 
die 8. 424, 2 angeführten Worte Plotin’s, τῷ Evi ἐστιν ὄντα, καὶ γὰρ αὐτὸ τὸ 
πρῶτον ὃν ἀπὸ τοῦ ἑνὸς ἐξ ἀρχῆς παράγεται, πολὺ δὲ διαφερόντως τὰ ὅλα αἴτια τῷ 
ἑνὶ τὸ δύνασθαι ποιέῖν παραδέχεται καὶ κατὰ μίαν συμπλοχὴν συνέχεται καὶ συνανα- 
φέρεται τῇ τῶν πολλῶν ἀρχῇ προύπάρχοντι. 


633 Jamblich. 


welchem er die nächste Stelle nach der schöpferischen Einheit ein- 
räumte '). Von diesem Intelligibeln sagte er, es habe seine Sab- 
stanz an dem Einen, und beharre in demselben ἦν, und er suchie 
es auch dem Urwesen möglichst nahe zu rücken, wenn er es über 
jede Vernunfterkenntniss hinausstellte °), sein einfaches, ewiges, 
urbildliches Wesen von dem aller andern Dinge, selbst der Ideen 
unterschied“), und in scholastischen Formeln jede Vielheit und Ze- 


—— rn me 


1) Dauasco. a. a. 0. c. 48, Anf.: πότερον δύο εἰσὶν al πρῶται ἀρχαὰ πρὸ τῆς 
γοητῆς πρώτης tpıkdog, ἤ τε πάντη ἄῤῥητος χαὶ ἢ ἀσύνταχτος πρὸς τὴν τριάδα, χα- 
ϑάπερ ἠξίωσεν ὁ μέγας ἸΙάμβλιχος. Ebd. c. 46, 8. 118 unt.: ἄρα οὖν οὕτω δετώον 
δύο τὰς ἐπέχεινα τῶν νοητῶν τριάδων ἀρχὰς, χαὶ ὅλως εἰπέν τῶν νοητῶν ἁπάντων͵ 
ὡς ἠξίωσεν ὁ ᾿Ιάμβλιχος, ὅσον ἐμέ γε εἰδέναι μόνος ἀξιώσας τῶν πρὸ Aue σκάντιον 
Ebd. ο. 50, 184. c. 51, 186: τὸ ἁπλῶς ἕν, ὃ μέσον ὁ Ἰάμβλιχος τίθεται: τῶν. δύο 
ἀρχῶν καὶ τῆς παντάπασιν ἀποῤῥήτου ἐχείνης. Vgl. auch 6. 69, 8.8]. Mist diesen 
Bestimmungen über das doppelte Eins kommt auch die Schrift von den My- 
sterien überein, welche diese Lehre VIII, 2 so darstellt: Vor den ὄντως ὄντα 
und sämmtlichen Prineipien sei θεὸς εἷς, πρότερος καὶ τοῦ πρώτου θεοῦ καὶ 8ασι- 
λέως, das unbewegte, mit keinem andern verflochtene παράδειγμα τοῦ αὐτοκά- 
τορος αὐτογόνου καὶ μονοπάτορος θεοῦ τοῦ ὄντως ἀγαθοῦ; von jenem Eins aber 
ὃ αὐτάρχης θεὸς ἑαυτὸν ἐξέλαμψε (er muss sich selbst ausstrahlen, nicht ausge- 
strablt werden, damit das Allererste nicht wenigstens durch Ausstrahlung des 
Zweiten in eine Beziehung zu ihm trete), διὸ καὶ αὐτοπάτωρ καὶ αὐτάρκης. ἀρχὰ 
γὰρ οὗτος καὶ θεὸς θεῶν͵ μονὰς dx τοῦ ἑνὸς, προούσιος χοὶ ἀρχὴ τῆς obaiag... αὐτὸς 
γὰρ τὸ προόντως ὄν ἐστι, τῶν νοητῶν ἀρχὴ, διὸ χαὶ νοητάρχης προζαγορεύεται. 

3) Α. 8. Ο. ο. 59, 165: ἐν τῷ ἕνὶ χοὰ περὶ τὸ ἕν τὸ νοητὸν οὐσίωται. c. 67, 
185: περὶ τὸ ἕν αὐτό φησιν ὑποστῆναι χαὶ ἀνεχφοίτητον εἶναι τοῦ ἑνός. Dasselbe 
c. 68, 188. ο. 99, 811 uut. 

8) In der überschwänglichen Stelle b. Dauasc. ο. 70, 192. 

4) Proxr. in Tim. 70, E, wo aus Anlass von Tim. 27, D die Frage auf 
geworfen wird, ob unter dem ἀεὶ ὃν der gesammte χόσμος νοητὸς zu rerstehen 
sei. Jamblich verneine diess entschieden, τὸ ἀεὶ ὃν xplittov καὶ τῶν γενῶν τοῦ 
ὄντος χαὶ τῶν εἰδῶν ἀποφαινόμενος χοὶ ἐπ᾽ ἄχρῳ τῆς νοητῆς οὐσίας ἱδρύων αὐτὸ ερώ- 
τως μετέχον τοῦ ἑνός. Ebd. 171, Ο: das ἀεὶ ὃν umfasse die ganze übersinnlicke 
Welt, ἀλλ᾽ οὐχὶ μόνον τὸ ἀχρότατον τῶν ὄντων πάντων, ὡς Ἰάμβλιχος ἔλεγεν, οἷόν 
ἦστι τὸ ἕν ὃν, δι᾽ ὃ τὰ ὄντα πάντα ὄντα λέγεται εἶναι, οὗ δὴ μόνον ἐστὶ κρεῖττον τὸ h 
αὐτὸ χαὶ al ἀρχαὶ τοῦ ὄντος. Ebd. 98, B: ὁ μὲν γὰρ θεῖος ᾿Ιάμβλιχος αὐτὸ τὸ ὅπ: 
ὃν, ὃ δὴ νοήσει μετὰ λόγου περιληπτόν ἐστιν͵ ἀφωρίσατο τὸ καράδειγμα τοῦ παντὸς. 
τὸ μὲν ἕν ἐπέχεινα τιθέμενος τοῦ παραδείγματος, τὸ δὲ ὅπερ ὃν αὐτῷ (so. τῷ παρα 
δείγματι) σύνδρομον ἀποφαίνων, ἑχάτερον δὲ νοήσει περιληπτὸν ἀποχαλῶν. Diese 
Beschreibungen lauten freilich alle drei so, dass man zweifelbaft sein könnte, 
ob sie nicht auf das der νοητὴ τριὰς unmittelbar vorangehende, das zweite 
Eins, su bezieben seien. Allein dieses würde Jamblich kaum ein ὃν genanst 
haben, und von ihm hätte er nicht sagen können, dass ihm die äpyal τοῦ ὄντος 


Intelligible und intellektuelle Götter. 633 


sammensetzung von ihm abwehrte 5). Diess hinderte ihn jedoch 
micht, das Intelligible zugleich als eine Dreiheit zu beschreiben, 
deren erstes Glied er den Vater, oder auch die Wirklichkeit nannte, 
das zweite die Kraft, das dritte den Nus oder die Thätigkeit Ὁ). 
Aber auch die einfache Dreiheit genügt seiner polytheistischen 
Neigung noch nicht, die einzelnen Glieder der Trias werden ihm 
wieder zu Triaden, so dass er nicht blos von Einer Trias, sondern 
von mehreren, und insbesondere, wie es scheint, von drei intelli- 
gibeln Triaden redete ®), von denen uns aber nichts näheres bekannt 
ist %). Von dieser intelligibeln Welt (κόσμος νοητὸς) unterschied 
nun aber Jamblich die intellektuelle Welt (κόσμος νοερὸς), und von 
den intelligibeln Göttern die intellektuellen ®). Auch diese zweite 


vorangehen, da ihm ausser dem ersten Eins nichts vorangeht. Auch was 
Dawasc. c. 118 (folg. Anm.) über den χόσμος νοητὸς sagt, passt nicht für das- 
selbe, und wenn Proklus 98, B schlechtweg sagt, das ἣν sei über dem παρά- 
δεῖγμα, so hätte er sich sehr ungenau ausgedrückt, wenn diess nur von dem 
ersten Eins gelten sollte. Eher könnte man die Angaben des Proklus auf das 
oberste Glied der τριὰς νοητὴ beschränken, welches Jamblich nach dem plato- 
nischen Parmenides das ἕν dv genannt haben könnte. Das καρἄδειγμα, mit 
weichem nach S. 98, B das ὅπερ ὃν snsammenfällt, wird auch 8. 181, C dem 
γοητὸν gleichgesetzt, 

1) A. a. Ο. co. 99, 811: ὅ φησι πάλιν Ἰάμβλιχος, 4 dxei τριὰς οὐχ εἰσὶ τρέϊΐς 
μονᾶἄδες, οὐδὲ ἐπεγένετο τρισὶ μονάσιν, ἀλλ᾽ ἐστὶ μόνον αὐτὸ τὸ εἶδος τὸ ἐπιγινόμενον 
ταῖς μονάσι᾽ μᾶλλον δὲ ῥητέον οὐδὲ τὸ εἶδος... ἀλλὰ μόνον αὐτὸ τὸ τῆς τριάδος ἕν 
τι. 8. w. 0. 118, 862: Damasc. wolle, dem Jamblich folgend, τὸν μὲν νοητὸν 
πόσμον ὑποτίθεσθαι τὸν ἡνωμένον ἐχέίνον βυθὸν οὐχ ὄντως οὖσαν οὐσίαν περιέχοντα 
τὴν διωρισμένην πρὸς τὸ ὀχούμενον ἕν, ἀλλὰ τὴν ἁπλῶς οὐσίαν, χαὶ οὔτε ἑνιαίαν οὔτε 
μιχτὴν, ἀλλὰ μόνον οὐσίαν μίαν πρὸ ἑκατέρας. 

2) Πατὴρ, δύναμις, νοῦς, oder ὕπαρξις, δύναμίς τῆς ὑπάρξεως, νόησις τῆς 
δυνάμεως (die letztere heisst auch ἐνέργεια). Damasc. α. 54, 144. c. 120, 872; 
vgl. Orrurıopor in Phileb. 8. 285. Die gleiche Lehre suchte Jamblich, nach 
Dauasc. ἃ. a. O. co. 48, 115. c. 50, 184. co. 51, 186. ὁ. 69 Schl. oc. 120, 878, 
auch in den pythagoreischen Bestimmungen über die Monas, die δυὰς ἀόριστος 
und die Trias, und in den platonisch-philolaischen über Grenze, Unbegrenstss 
und Gemischtes (Bd. II, a, 438, 1. I, 268). 

8) Paoxr.. in Tim. 94, C vgl. Dawasc. 0. 84, 241. c. 111, 845. c. 120, 872 
und die c. 48. 45 (s. o. 622, 1) erwähnten intelligibeln Triaden. 

4) Nach Dauasc. c. 120 Anf. scheint er sie die τριὰς πατριχὴ, δυναμιχὴ, 
νοερὰ genannt zu haben. 

δ) Paoxı. a. a. O., wo in diesem Sinn von Vätern des Zeus gesprochen 
wird. Jutıan orat. IV, 8, 188, B. 139, B (Julian folgt nämlich in dieser Rede, 
wie or 8. 146, A. 150, C. 157, D selbst sagt, durchaus dem Jamblich). 


624 Jamblich. 
Götterordnung ist nach der Dreizahl gegliedert; sie umfasst der 


Nus, die wirksame, göttliches Leben erzeugende Kraft, und ds 


weltschöpferische Princip, das den Hervorgang weiterer Wesen 
vermittelt 1). Diese Dreiheit erweitert sich dann gleichfalls zu drei 
Triaden, neben denen uns aber auch eine Hebdomas begegnet *): 


1) Bei der Besprechung von Tim. 41, A hatte Jamblich nach Psoxr. = 
Tim 94, C den Demiurg für den dritten unter den πατέρες der intellektuellen 
Ordnungen erklärt (s. folg. Anm.). τρέϊς γὰρ θεοὺς εἶναι τούτους zei παρὰ τὰς 
Πυϑαγορείοις δμνουμένους,͵ οἷ (die Pythagoreer) τοῦ ἑνὸς νοῦ, φησὶ, καὶ τὰς 
μονάδας ὅλας ἐν ἑαυτῷ περιέχοντος τὸ ἁκλοῦν καὶ ἀδιαίρετον χαὰ ἀγαθοειδὲς καὶ μόνον 
ἐν ἑαυτῷ καὶ συνηνωμένον τοῖς νοητοῖς καὶ τοιαῦτα γνωρίσματα τῆς δπεροχῆς ξαρο- 
δεδώχασι, τοῦ δὲ μέσον καὶ τὴν συμπλήρωσιν συνάγοντος τῶν τοιούτων τὸ γόνιμο, 
τῶν θεῶν καὶ τὸ συναγωγὺν τῶν τριῶν καὶ τὸ τῆς ἐνεργείας ἀποπληρωτιχὸν καὶ τὸ τῷ 
Belag ζωῆς γεννητικὸν καὶ τὸ προϊὸν παντὶ καὶ τὸ ἀγαθουργὸν μάλιστα δείγματα λέ- 
yovaı, τοῦ δὲ τρίτου χαὶ δημιουργοῦντος τὰ ὅλα τὰς γονίμους προόδους καὶ τὰς τῶν 
αἰτίων ὅλων ποιήσεις χαὶ συνοχὰς, τάς τε ἀφωρισμένας ὅλας τοῖς εἴδεσιν αἰτίας χαὶ τὸς 
προϊούσας πάσας δημιουργίας καὶ τὰ ὅμοια τούτοις τεχμήρια χάλλιστα ἀναδιδάσχουξ. 
Von den drei πατέρες der intellektuellen Götterreihe (über welche 8. 625,1 
näheres) erhält hier der dritte den Namen des Demiurgen; ebenso verstebt 
Prox:.. a. a. Ο. 102, E seine Aeusserung, dass der Demiurg das Urbild der 
Welt (das παράδειγμα Tim. 29, B u. o.) in sich trage, sofern dasselbe nämlich 
(ebd. 181, C) durch den mit dem νοητὸν verbundenen Nas auch dem Demiarg 
vermittelt werde. Dagegen hatte Jamblich anderswo (Ὁ. Proxı. 84, B) gr 
sagt, der Demiurg habe die ganze intelligible Welt als Einheit unter sic, 
wogegen Proklus Einwendungen macht. — Bei demselben 8. 252, E findd 
sich auch die Unterscheidung von οὐσία, ζωὴ, νοῦς, aber viel zu beiläufg, 
als dass wir hieraus auf eine durchgreifende Eintheilung des Uebersinnliche 
nach diesen drei Gesichtspunkten schliessen könnten. Er sagt nämlich dor 
tiber Tim. 88, A: das Av und ἔσται komme der Zeit zu, weil sie aus dem ἣ 
hervorgegangen sei, das νεώτερον und πρεσβύτερον γίγνεσθαι, weil sie von der 
ζωὴ ausgehe, das γίγνεσθαι, γεγονέναι und ἔσεσθαι, weil sie von der νοερὰ rap 
abhängig sei. 

2) Proxr. 94, C: (Ἰάμβλ.) μετὰ τὰς νοητὰς τριάδας χαὶ τὰς τῶν νοερῶν θεῶν 
τρέϊς τριάδας ἐν τῇ νοερᾷ ἑβδομάδι τὴν τρίτην ἐν τοῖς πατράσιν ἀπονέμει τῷ δημιουργῷ 
τάξιν. τρέϊς γὰρ u. 8. w. (8. vor. Anm.) Vgl. Damasc. ο. 94, B. 394: ὃ ἐπταχῇ 
προϊὼν ὅλος δημιουργὸς παρὰ τοῖς Χαλδαίοις. c. 96, 295: οἱ ἑπτὰ δὶς ἐπέχεινα drur 
ουργοὶ παρὰ τοῖς θεουργοῖς. Jurıan orat. V, 172, D: εἰ δὲ χαὶ τῆς ἀῤῥήτου pusi= 
γωγίας ἁψαίμην, ἣν 6 Χαλδαῖος περὶ τὸν ἑπτάχτινα θεὸν ἐβάχχευσεν, ἀνάγων δι᾽ αὐτοῦ 
τὰς ψυχάς. An die Chaldäer wollte sich ja Jamblich in der Theologie νοσταξν 
weise anschliessen. Die Veranlassung zu dieser Zählung, in welcher auch 
Proklus dem Jamblich folgt, liegt ohne Zweifel in der Lehre von den siebe® 
Planetengöttern; Jamblich betrachtete, wie wir bei Gelegenheit des Helm 
finden werden, die intellektuellen Götter ala Urbilder des Planetensystems. 


Das Intellektuelle; die Seelen. 6825 


wahrscheinlich indem die letzte von jenen Triaden in zwei von 
‚iaren Gliedern wieder dreigliedrig getheilt wurde '). In der intel- 
lektuellen Welt besondert sich, was in der intelligibeln ungetheilt 
war ; hier scheidet sich daher erst das Sein in seine Gattungen und 
Arten: die intellektuelle Welt ist der Ort der Ideen, die intelli- 
gible die der Urbilder, welche über jenen stehen ?). Als eine dritte 
Klasse von überweltlichen Göttern werden in Jamblich’s Schule 
die seelischen genannt 5); dass er auch hier sein Triadensystem 
durchzuführen suchte, sehen wir aus der Angabe *), er habe aus 
der ersten Seele noch zwei weitere Seelen hervorgehen lassen, die 
auf’s engste geeinigt, aber doch verschieden von einander sein 
sollten. Jene kann sich an kein anderes mittheilen, sie ist daher 
überweltlich, diese sind in der Welt°). Damit aber diese Seelen als 


1) Da Proklus ausdrücklich sagt, Jnmblich habe der νοερὰ ἑβδομὰς nach 
den drei Triaden der θεοὶ vospol erwähnt, da sie aber andererseits als νοερὰ 
doch auch wieder in jenen drei Triaden enthalten gewesen sein muss, welche 
offenbar die Gesammtheit der θεοὶ vospot umfassten, 80 wird kaum eine andere 
Annahme übrig bleiben. Bei den drei πατέρες, unter welchen der Demiurg 
die dritte Stelle einnehmen soll, wird man an die ersten, alle ihnen unterge- 
ordneten potentiell in sich befassenden Glieder einer jeden von deu drei 'Tria- 
den zu denken haben; in ähnlicher Weise nennt Paoxr.. Plat. Theol. V, 12. 
.B. 269 die ersten Glieder der intelligibeln, intellektuell-intelligibeln und in- 
tellektaellen Götterreihe πατέρες und den τρίτος πατὴρ den Deiniurg, und auf 
die gleiche Bestimmung weist auch die weitere Auseinandersetzung in dem 
Bruchstück aus Jamblich. 

2) Paoxt. in Tim. 70, E. 98, Β s. ο. 622,4. Ders. Plat. Theol. V, 80, ἡ 
8. 318: Ἰάμβλιχος ὀρθῶς πού φησιν, ἐν τῷ πέρατι τῶν νοητῶν θεῶν (d. h. an ihrer 
untern Grenze) ἐχφαίνεσθαι τὰ γένη τοῦ ὄντος u. 5. w. Proklus giebt hiefür 
allerdings nur in eigenem Namen den Grund an: ὅσα γάρ ἐστι κατ᾽ αἰτίαν dv 
κοῖς πρώτοις καὶ χρυφίως χαὶ ἀδιαιρέτως, ταῦτα διῃρημένως ἐστὶν ἐν τοῖς νοδροῖς χαὶ 
μεριστῶς καὶ χατὰ τὴν αὐτοῦ φύσιν ἔχαστον. Auch Jamblieh kann aber für seine 
Annahme keinen anderu Grund gehabt haben. 

8) SarLver. de Diis co. 6, Anf.: τῶν δὲ ὑπερχοσμίων ol μὲν οὐσίας ποιοῦσι 
θεῶν, οὗ δὲ νοῦν, ol δὲ ψυχάς. 

4) Prokl. in Tim. 214, A f. (worüber auch oben 8. 621, 2). 218, A. 

5) A. a. O. 17}, Β (über Tim. 84, B): ὃ δὲ δὴ φιλόσοφος ᾿Ιάμβλιχος ἀξισί 
ψυχὴν ἀχούειν ἡμᾶς τὴν ἐξῃρημένην zart ὑπερχόσμεον u. 8. w. Plato rede hier nioht 
von der Weltseele, ἀλλὰ περὶ τῆς ἀμεθέχτου ψυχῆς καὶ ὑπὲρ πάσας τὰς ἐγχοσμίους 
ὡς μονάδος τεταγμένης. Diese stehe mit keinem Körper in Verbindung, son- 
dern in gleicher Entfernung über allen. Achnlich 214, A: ὃ Τίμαιός, φησιν, 
διὰ τῆς ψυχογονίας τὴν μίαν χαὶ ὑπερχόσμιον δημιουργήσας ψυχὴν, ἀφ᾽ ἧς καὶ al τοῦ 
παντὸς καὶ al ἄλλαι, τὴν δυάδα παράγει νῦν ἀπὸ ταύτης. 

Philos. d. Gr. III. Bd. 3, Abth. 40 


620 Jamblieh. 


vernünftig am Nus theilhaben, findet Jamblich wieder eine beses- 
dere Vermittlung nöthig, welche nach ihm nur in einem zwischen 
ihnen und der absoluten Vernunft stehenden Nus liegen kann Ὁ); 
und nach dem gleichen Grundsatz, welcher die Theilung der Seele 
im die ausserweltliche und die innerweltlichen nöthig machte, zer- 
tegt sich ihm auch dieser in eine Zweiheit, eine mil den Seelen ver- 
bundene, und eine über ihnen stehende göttliche Vernunft 5). So 
setzt überall in der übersinnlichen Welt eine Vielheit an, welche 
ihrer von Plotin aufgestellten und bei ihm noch klar genug gehel- 
tenen Gliederung durch weitere Spaltungen ein verwickelteres 
Aussehen giebt, ohne dass doch schon diese ganze Mannigfaltig- 
keit ebenso streng, wie bei Proklus, durch metbodische Durchfüh- 
rung eines einfachen Schema geordnet würde °). 


1) A. a. 0. 236, F: Ἰάμβλιχος δὲ τὸν νοῦν τοῦτον (den Tim. 37, C orwähs- 
ten) πρεσβύτερον ἀχούει τῆς ψυχῆς, ἄνωθεν αὐτὴν συνέχοντα zat τελειοῦντα καὶ διω- 
γωνίζεται πρὸς τοὺς N αὐτόθι (unmittelbar) τῷ παντελέΐ νῷ συνάπτοντας τὴν ψυχὴν 
(δεῖν γὰρ u. 8. w. 8. 0. 621, 8), ἢ τὸν νοῦν ἕξιν ὑποτιθεμένους τῆς ψυχῆς" δέϊν γὰρ 
εἶναι τὸ ἐν αὐτῷ [αὑτῷ] ὃν πρὸ τοῦ ἐν ἄλλῳ ὄντος. 

2) A. ἃ. Ο. 217, F: τούτους τοὺς θείους κύχλους (den Kreis des ταὐτὸν und 
θάτερον Tim. 86, Ο) ὃ μὲν θεΐος Ἰάμβλιχος εἰς χωριστὸν τῶν ψυχῶν νοῦν zei ἀχώ- 
ρίστον ἀνήνεγχε...,) ὡς τοῦ μὲν περιέχοντος τὰς δύο ψυχὰς, τοῦ δὲ ἐν αὑταῖς ὄντος, 
καὶ τοῦ μὲν ἀμιγοῦς ἀπὸ τῆς ἄλλης ζωῆς καὶ τῶν δυνάμεων τῆς ψυχῆς͵ τοῦ de μεγνυ- 
μένου πρὸς αὐτὰς καὶ κατευθύνοντος, ἀφ᾽ ἧς αἰτίας χαὶ ὅλη ψυχὴ μονίμοος ἐνεργέΐ παὶ 
πρὸς αὐτὸν ἑνοῦται τὸν δημιουργόν. Ebd. 214, B: der Demiurg habe den zwei 
innerweltlichen Beelen nach Jamblich die Vernunft mitgetheilt, ἐνθὰς τὸν 
δυάδα τῶν ψυχῶν εἰς δυάδα νοερὰν. χατ᾽ οὐαίαν αὐτῶν Örepeyoucav. In beiden 
ßtellen ist nur von diesen zwei Seelen die Rede. Die höhere schien wohl fär 
ihre Verbindung mit dem Nus keiner weiteren Vermittlung zu bedürfen. 

8) Strenger eystematisirt erscheint Jamblich’s übersinnliche Welt aller 
dings bei Kırcaner Phil. ἃ. Plot. 214. Nach seiner Darstellung „trennte er 
den νοῦς νοητὸς als das einfachere und frühere von dem νοῦς vospds, der ent- 
falteten Vernunft; zwischen beiden setzte er dann nach dem Muster jenes im 
vorhergehenden als plotinisch erwähnten Verhältnisses von ὄν, ζωὺ, νοῦς dem 
γοῦς νοητὸς κοὶ νοερὸς, die Vermittlang zwischen Gedanken und Geist. Und 
indem er jedes der drei Glieder nach Maassgabe der unentwickelten, halb- 
entwickelten und vollständig entwickelten Form wiederum serlegte, erhielt 
er drei Triaden oberer Götter, drei θεοὶ νοητοὶ, unter denen das ὃν als das noch 
völlig Einfache den höchsten Rang behauptete, drei θεοὶ νοητοὶ xat voepal, drei 
θεοὶ vorpot, von denen der dritte als der vollendete Nus der Demiurg gensnat 
wird. Die letzte Trias ward durch Hinsufüägung dreier bewahrenden und 
einer trennenden Einheit zur Biebonzahl erweitert.“ Allein diese Darstellung 


Die Seelen und der Nus. GT 


‚Unter . den innerweltlichen Wesen, die über dem Menschen 
sieben, unterschied Jamblich die Seelen der Götter, der Engel, der 


beruht nur theilweise auf geschichtlichen Zeugnissen, zum andern Theil da- 
gegen auf einer Uebertragung aus der Lehre des Proklus, zu der wir kein 
Recht haben. Kirchner’s einziger Quellenbeleg ist die Stelle des Proklus in 
Tim. 94, welche 8. 624, 1. 2. mitgetheilt ist. In dieser Stelle findet sich je- 
duch wicht allein davon kein Wort, dass die Trias der θεοὶ νοεροὶ „durch Hin- 
safägung dreier bewahrenden und einer trennenden Einheit“ zur Biebonsahl 
arweitert wurde; sondern auch die kinschaltung der θεοὶ νοητοὶ xal vosper, als 
einer eigenen, zwischen der intelligibeln und intellektuellen stehenden, Mit- 
telklasse, stützt sich auf hlosse Vermuthung. Am Anfang der Stelle hat 
nämlich in den Worten: χαὶ τὰς τῶν νοερῶν θεῶν τρέΐς τρίαδας Eine Handschrift 
statt νοερῶν νοητῶν", und δίογοαξ gestützt vermuthete TarLor, es sei νοητῶν 
χαὶ νοερῶν zu lesen. Diess ist aber doch ein gar zu unsicherer Grund, um die 
ganze Auffassung von Jamblich's theologischem System darauf zu bauen. 
Die Stelle des Proklus macht Taylor’s Conjektur nicht unbedingt nothwendig, 
da sich die Worte: (μετὰ) τὰς τῶν νοερῶν θεῶν τρέϊς τριάδας u. 8. w. auch 80 
nehmen lassen, wie ich es ἃ. ἃ. O. gethan habe: „nachdem er die drei Trie- 
den der νοεροὶ θεοὶ aufgezählt hat, weist er in der letzten derselben, der νοδβοὰ 
ἑβδομὰς, dem Demiurg die Stelle des dritten unter den πατέρες an.“ (Unter die- 
sen haben wir, wie aus dem folgenden hervorgeht, nicht die πατέρες der νοερὰ 
ἑβδομὰς, sondern die der ganzen intellektuellen Welt zu verstehen: der De- 
miuarg sollte das erste Glied der Hebdomas sein, in welche die dritte von den 
intellektuellen Triaden zerlegt worden war; die zwei andern πατέρες sind dann 
die ersten Glieder der ersten und zweiten intellektuellen Triade.) Sonst aber 
spricht alles gegen die Annahme, dass schon Jamblich, und nicht vielmehr 
erst Proklus, die intellektuell-intelligibeln Götter zwischen die intelligibeln 
und die intellektuellen eingeschoben habe. Denn wir begegnen denselben 
nicht allein in keinem einzigen Bericht tiber Jamblich, sondern auch seine 
Schule weiss nichts von ihnen. Barıust (8. 85. 625, 8) schliesst sie aus, 
Jurıaz (in der sogleich weiter zu besprechenden Stelle orat. IV, 182, B) 
schweigt nicht allein von ihnen, sondern er kennt sie offenbar nicht, wenn 
er vom Helios sagt, er sei der Herrscher der intellektuellen Götter, ὧν ray 
θόν ἐστι τοῖς νοητοῖς θεσίς αἴτιον, ταῦτα αὐτοῖς (1. αὐτὸς) τόίς νοεροῖς νέμων, und 
wenn er diesem intellektuellen Gott gerade die Prädikate giebt, welche nach 
Kirchner’s Auffassung der Stelle in Tim. 94, C die Eigenthümlichkeit der 
iutellektuell-intelligibeln Götter bezeichnen sollen (s. u. 629, 1); ebenso wer- 
den wir von TuEopor von Asine finden, dass er unmittelbar an die θεοὶ νοητοὶ 
die νοεροὶ anschliesst, und anch ProxLus sagt in seiner Mittheilung über ihn 
(in Tim. 225, B) niohts davon, dass er damit von Jamblich abgewichen sei. 
Hiemit fallen von selbst auch Kirchuer’s Annahmen tiber ὃν, ζιοὴ und νοῦς. 
Dass die £telle in Tim. 252, E zu denselben kein Recht giebt, ist schon 8. 624, 1 
bemerkt worden. 


40* 


638 Jamblich. 


Dämonen und Heron !), und unter den Göttern wieder drei Klss- 
sen: zunächst die zwölf oberen Götter ?), die sich ihm aber nach 
den: triadischen System zu sechsunddreissig und weiter zu dreikus- 
dertundsechzig vervielfältigen 3); sodann von diesen sechsund- 
dreissig abstammend zweiundsiebzig Ordnungen unterhimmlischer 
Götter; endlich der Zahl der 21 Weltherrscher (ἡγεμόνες) entspre- 
chend, 42 Ordnungen von Naturgöttern (θεοὶ γενεπιουργοὶ ). 
Nehmen wir hiezu noch die Schutzgötter und Schutzgeister Ein- 
zelner und ganzer Völker °), so konnte es unserem Theosopbes 
nicht schwer werden, alle Götterfiguren der Volksreligion in seinem 
System unterzubringen, und auch über die ungereimtesten Mythen 
liess sich mit dem Grundsatz °), dass eine Erzählung um so gewis- 
ser einen geheimen Sinn berge, je abenteuerlicher und räthsel- 


1) B. ὅτοβ. Ekl. I, 888. 1058. 1060. 1064, auch 868 vgl. V. Pythag. 219. 
Paozı. in Tim. 806, C. 818, B. 47, C, womit nicht streitet, dass Jamblich, 
der letztern Stelle sufolge, keine Erzengel bei Plato zu finden wusste. Nach 
Prosı. in Tim. 806, C unterschied Jamblich die eigentlichen Dämonen (ef 
xat’ οὐσίαν δαίμονες) von den Tbeilseelen. Nur diese, nicht jene, sollten in 
einen sterblichen Leib eintreten. Die ἄγγελοι betreffend vgl. m. auch Bros. 
Ekl. I, 926. 1068. 

2) Wie diese abgeleitet und klassifioirt wnrden, schen wir aus BaLkusr 
8, ἃ. 0., vgl. Jursan orat. IV, 148, C. 

8) Jurıau a. ἃ. OÖ. Peoxı. in Tim. 299, E. Jener spricht nur von der 
Theilung der 12 Götter in 36; da aber Proklus diese Dekadarchen nennt, er- 
hält man 860. 

4) Proxı. in Tim. 299, Ὁ f. Die obigen Bestimmungen sind dem Jamb- 
lich neben seiner spielenden Zahlenmystik (12 = 3 X 4 86 3x3 Χά, 
21 = 8 X 7) ohne Zweifel auch aus astronomischen oder astrologischen 
(ohaldäischen) Systemen entstanden; die 12 himmlischen Götter haben auf 
die 12 Zeichen des Thierkreises, die 36 Dekadarchen, wie er sie nennt, auf 
die 36mal 10 Tage des Jahrs Besiehung, die 21 ἡγεμόνες (ron denen wir aber 
durch Proklus nichts näheres erfahren) sind das triadische Multuplum der 
sieben Planeten. Die 72 Götter erinnern an die 72 Völkerengel der Juden. 

δ) B. Psoxtı. in Tim. 44, F wirft Jamblich in dieser Beziehung die Frage 
auf, wie es zu verstehen sei, wenn gesagt wird, ein Dämon oder eine Gottheit 
habe sich einen Menschen oder ein Volk sum Eigenthum erwählt, und e 
giebt darauf die Antwort: die Götter haben immer denselben Wirkungskreis, 
aber die Menschen und Länder seien nicht immer gleich ompfänglich für ihre 
Wirkung. Ueber die Volks- und Theilgötter ist auch Jucrıas δ. Crauu 6. 
Julian. IV, 8. 115, D Spanh. zu vergleichen, 

6) Bei Jurian or. VII, 8, 217, B£. 


Götter, Engel, Dämonen u,s.w. Mythendeutung. 689 


ἘΝΔΊΟΥ sie aussieht, leicht hinwegkommen. Von der Art, wie 
Jamblich auf diesem Standpunkt die Mythologie behandelte, haben 
wir ein anschauliches Beispiel in der Rede Julian’s über den He- 
lios, von der schon bemerkt wurde, dass sie ihre Deutungen einer 
noch ausführlicheren Darstellung Jamblich’s entnommen hat. Helios 
ist nach dieser Auffassung der Mittel- und Einheitspunkt der intel- 
lektuellen Götter; er ist der König dieser Götterreihe, und theilt 
ihr als Abbild der höchsten Gottheit dieselben Güter mit, welche 
die intelligibeln Götter von jener empfangen; er ist ebendesshalb 
auch der allgemeinste Vermittler zwischen der sichtbaren und der 
intelligibeln Welt '). Nur das Abbild dieses höheren Helios ist 
der gleichnamige Himmelskörper ?). Helios ist von Zeus und 
-Serapis nicht verschieden 8); Dionysos und Asklepios sind nur 
Theilkräfte des Helios, Apollo und Athene-Pronoia (die Weltseele) 
sind seine Emanationen, Aphrodite, die harmonische Einheit der 
himmlischen Götter, ist seine Gehülfin 4) u. s. w. Noch weitere‘ 
Proben dieser Deutungskunst, welche sich nicht selten in die ab- 
struseste Scholastik verliert, liessen sich sowohl von Jamblich 
selbst, als aus seiner Schule, zur Genüge beibringen °). 

Dass auch die praktische Seite des Polytheismus, die Bilder- 


1) Orat. IV, 132, Ο ff. 188, C, 189, B. 141, Ὁ. 148, C. So wortreich 
übrigens Julian bier die Bedeutung des Helios als des Vermittlers, des Herr- 
schers über die νοεροὶ θεοὶ u. 8. f. preist, so erfährt man doch nicht, wie er 
sich seine Stellung unter denselben eigentlich denkt. Vergleichen wir jedoch, 
was 8. 624, 1 aus Jamblich angeführt ist, so zeigt sich, dass der Helios in 
der zweiten Triade der intellektuellen Götter, beziehungsweise in dem ersten, 
ihr ganzes Wesen in sich befassenden Glied dieser Triade zu suchen ist; denn 
wie Julian als die hervorragendste Eigenschaft des Helios seine Mittlersnatur 
beseichnet, und ihn als das Abbild des Guten beschreibt, so wird auch der 
zweite von den intollektnelleu πατέρες der μέσος genannt, und durch das Merk- 
mal des συναγωγὸν und ἀγαθουργὸν charakterisirt. | 

4) Ebd. 138, C. 

8) Ebd. 186, D. 148, Ὁ ἢ 

4) Ebd. 148, Df. 149, A f. 160, B vgl. Ῥεοκι. in Tim. 49, C. SaLLusr, 
De Diis c. 6. 

5) M. vgl. Proxt.. in Tim, 48, Ὁ. 292, C. E. 298, E. 296, D. 297, A. C. 
&ror. Serm. 5, 62. 68. λιν. de Diis ὁ. 4. 6. Jursan orat. VII, 219 ff. und 
orat. V, wo Derselbe 8. 161, C ff. von dem Attis- und Cybele-Mythus eine 
doppelte Erklärung in Jamblich’s Geschmack, wenn auch von eigoner Erfin- 
dung, giebt, die sich Ballust c. 4 sofort aneignet. 


630 Jamblich. 


verehrung, die Theurgie und die Mantik, an Jamblich einen eifri- 
gen Vertheidiger finden würde, war zu erwarten. In seiner Schrift 
über die Götterbilder ?) führte er aus, dass diese Darstellungen 
der Gottheit mit göttlichen Kräften erfüllt (θείας μετουσίας ἀνάπλεα) 
seien, mögen sie nun von Menschenhänden gebildet, oder (was er 
auch nicht bezweifelte) vom Himmel herabgekommen sein. Zum 
Beweis dieser höheren Kraft dienten ihm Wundergeschichten der 
unglaublichsten Art ?); und dass er diese Wunder auch wieder 
aus gewissen natürlichen Ursachen zu erklären suchte °), st um 
so unerheblicher, da auch das angeblich natärliche ihm und semer 
Schule sich immer wieder in ein magisches aufzulösen pflegt. Mit 
derselben Leichtgläubigkeit weiss sich Jamblich auch sonst die 
fabelhaftesten Erzählungen über Wunder und Weissagungen, über 
die Wirkungen der Opfer, über Geistererscheinungen und ähnliches 
anzueignen *); für die Möglichkeit dieser Dinge beruft er sich 
theils im allgemeinen auf die Macht der Götter, denen nichts un- 
möglich sei °), theils im besondern auf den Zusammenkang der 
irdischen Welt mit der himmlischen, deren Kräfte in diese über- 
strömen °); und gerade in solchen ausserordentlichen Wirkungen 


> 


1) Worüber Paor. Cod. 215 s. o. ἢ, 616. 

4) Τούτων οὖν ἁπάντων, sagt Phot. 8. 173, Ὁ, 15, ἔργα τε δπερφυᾷ καὶ δόξῃς 
ἀνθρωπίνης χρείττονα γράφει ὃ ᾿Ιάμβλιχας, πολλὰ μὲν ἀπίθανα μυθολογῶν, πολλὰ δὲ 
εἷς ἀδήλονς φέρων αἰτίας, πολλὰ δὲ χαὶ τοῖς δρωμένοις ἐναντία γράφειν οὐχ alsya- 
γόμενος. 

8) Darauf werden sich nAmlich die αἰτίαι ἄδηλοι des Photins beziehen: 
Jamblich suchte das Wunder, mit Plotin und den Stoikern, durch die Vor- 
aussetzung natürlicher Ursachen, dia nur uns unbekannt seien, zu reoht- 
fertigen. 

4) So namentlich im Leben des Pytbagores. ες Β. 8. 90 8. 184. 138 Κ, 
316 £ vgl. Bd. I, 223. 

6) Für unverständig, sagt Jamblich a. a, O. 139, baben die Pythagoreer 
nur die gehalten, welche solchen Erzählungen den Glauben versagen: οὐ γὰρ 
εἶναι τὰ μὲν δυνατὰ τοῖς θεοῖς, τὰ δὲ ἀδύνατα, ὥσπερ οἴεσθαι τοὺς σοφιζομένους, ἀλλὰ 
πάντα δυνατά. Ebenso in der Parallelstelle 8. 148: παρήγγελλε γὰρ ad πιὰ 
θεῶν μηδὲν θαυμαστὸν anıordiv μηδὲ περὶ θείων δογμάτων, ὡς πάντα τῶν θεῶν 
δυναμένων. Vgl. 8. 620, 2. 

6) A. a. Ο. 218 setzt Pythagoras auseinander, ὅτι οὐρανόθεν ἣ διάβασις 
εἷς τε τὰ ἀέρια καὶ ἐπίγεια φέρεσθαι πέφυχε, er spricht περὶ τῆς πρὸς τὸν οὐρανὸν 
ἀχολουθίας πάντων, zur Rechtfertigung der vorher erwähnten wunderbaren 
Wirkungen. 


Götterbilder, Tkeurgie, Mantik, Gebet. 631: 


erkennt er den augenscheinlichsten Beweis der göttlichen Fürsorge 
für die Menschen 1). Besonderen Werth hat unter denselben auch 
für ihn die Weissagung, mit der ihm, nach der alten stoischen Be- 
hauptang ?), der Götterglaube zu stehen und zu fallen scheint °). 
Die Frage, wie sie sich mit der Freiheit des menschlichen Willens 
vereinigen lasse, hatte Jamblich lebhaft beschäftigt, seine Antwort 
führt aber nicht über den widerspruchsvollen Satz hinaus, dass 
auch das unbestimmte und ungewisse von den Göttern mit Bestimnit- 
heit und Gewissheit erkannt werde *%). Von Seiten des Menschen 
gilt ihm für das wirksamste Mittel, sich der göttlichen Gnade zu 
versichern, das Gebet 5); die’ Möglichkeit der Gebetserhörung 
scheint er mit der Bemerkung vertheidigt zu haben, die Götter 
können die Reden der Betenden ohne Sinneswerkzeuge verneh- 


1) A. a. Ὁ. 216: Abaris lernt von Pythagoras περὶ τοῦ οὐρανόθεν ἠρτῆσθαι 
ποὰ οἱἰκονομεῖσθαι πάντα ἀπ᾽ ἄλλων τε πλειόνων χαὶ ἀπὸ τῆς ἐνεργείας τῶν ἱερῶν. 
Ebd. 217. 

2) 8. 1. Abth. S. 815. 

8) M. s. hierüber was 8. 128, 2 aus dem Leben des Pythagoras 137 ἢ, 
angeführt ist, nebst dem Beisatz: χαὶ ὁμοίως δὲ τὴν αὐτῶν (der Weissagungen) 
πραγματείαν ἀξίαν του δόξειν ἂν εἶναι τῷ οἷομένῳ θεοὺς εἶναι, τοῖς δ᾽ εὐήθειαν θάτερον 
τούτων (sc. οἱομένοις), καὶ ἀμφότερα. 

4) Nachdem ἄμμον. De interpr. 109, a, o..die obige Frage aufgeworfen 
und ihre Schwierigkeit erörtert hat, sagt er, er wollo sie xar& τὴν τοῦ θείου 
Ἰαμβλίχου δφήγησιν beantworten, und setzt nun auseinander: das Erkennen 
sci entweder besser, als das Erkannte, wie wenn die Vernunft das einzelne 
betrachte, oder es sei ihm gleich, wie wenn sie sich selbst betrachte, oder 
es stehe unter ihm, wie wenn sie das Göttliche betrachte. Die Götter miissen 
nun nothwendig alles, gegenwärtiges, vergangenes und zukünfliges wissen, 
da sie ja auch alles hervorbringen, das ewige als αἴτιοι, das gewordene als 
προςαίτιοι, und von allem nicht blos das Wesen, sondern auch die Kräfte und 
Thätigkeiten sehen, sowohl die naturgemässen, als die naturwidrigen. Sie 
wissen also auch das zufällige, aber sie wissen dasselbe nach ihrer Weise, 
μιᾷ καὶ ὡρισμένῃ χαὶ ἀμεταβάτῳ γνώσει. Es selbst sei ein ἀόριστον, aber sie 
wissen 68 ὡρισμένως, ebenso, wie sie das getheilte in ungetheilter, das zeit- 
liche in ewiger Weise u. 8. f. wissen, und es höre nicht auf ein blosses ἐνδε- 
χόμενον zu sein, wenn es gleich von den Göttern ganz bestimmt vorherge- 
wusst werde. Die Hauptfrage: wie diess möglich ist, wie etwas an sich un- 
gewisses mit Sicherheit vorbergewusst werden kann, bleibt unbeantwortet: 
eine scholastische Formel soll über einen Widerspruch weghelfen. 

5) Ῥκοκι, in Tim. 64, Ὁ: (Ἰάμβλ.) παραδίδωσι τήν τε δύναμιν τῆς εὐχῆς al 
τὴν τελειότητα θαυμαστήν τινα χαὶ ὑπερφυᾶ χαὶ πᾶσαν ὑπεραίρουσαν ἐλπίδα. 


633 Jamblioh. 


men, da sie vermöge ihrer Allgegenwart alle Thätgkeiten guter 
Menschen, und namentlich derer in sich befassen, die sich ihnen 
durch heilige Gebräuche geeinigt haben 1). 

Mit seiner spekulativen Theologie steht bei Jamblich, wie bei 
den meisten Männern dieser Schule, eine einseitige Vorliebe für 
die pythagoreische Zahlenmystik in Verbindung, wogegen er der 
platonischen Ideenlehre wohl nur geringere Aufmerksamkeit zu- 
wandte ?). Die pythagoreische Philosophie hat ja überhaupt seine 
höchste Bewunderung °); ganz besonders ist eg aber das mathe- 
matische Element dieser Philosophie, dessen Werth er nicht genug 
zu rühmen weiss. Der Mathematik haben wir, wie er versichert, 
die herrlichsten göltlichen und menschlichen Güter zu verdanken; 
es giebt keinen Zweig der Philosophie, auf den sich ihr heilsamer 
Einfluss nicht erstreckte; sie reinigt den Geist, sie gewöhnt ihn an 
die Betrachtung. des Unveränderlichen, sie führt ihn vom Sinnlichen 
zum Vebersinnlichen über; sie gewährt nicht blos der Naturwis- 
senschaft Sicherheit und Erkenntniss der allgemeinen Gesetze, son- 
der auch der Ethiker und Politiker kann ihr die Musterbilder der 


1) Diess geschieht wenigstens in der Schrift von den Mysterien der 
Aogypter I, 15, welche wahrscheinlich bier, wie sonst, Jamblich folgt. An 
Jamblich knüpft auch Prokı.us a. a. O. seine später zu berlihrende Ausfüh- 
rung über das Gebet an, aber diese Ausführung selbst ist sein eigenes Werk, 
und wenn er auch nur sagt, er wolle darin τήν τε ἐχείνου σαφῆ ποιῆσαι διάνοιαν 
καὶ τῷ Πλάτωνι συμφώνους ἀποδοῦναι τοὺς περὶ εὐχῆς λόγους, so sieht man doch 
deutlich, dass er nicht mehr, als den allgemeinen Gedanken derselben, von 
Jamblich entlehnt hat. 

2) Wir müssen diess daraus schliessen, dass in dieser Beziehung, ausser 
dem 8. 618, 1. 625, 2 angeführten, kaum etwas von ihm berichtet wird, als 
der unplatonische Satz bei Ῥδοκι,. in Tim. 184, B: ὅτι τὰ μὲν τῶν εἰδῶν ταὐτό- 
τητι χαίρει καὶ στάσει, τὰ δὲ χινήσει καὶ ἑτερότητι, χαὶ ὡς τὰ μὲν μοναδιχῶν ἔστιν 
αἴτια καὶ ἀϊδίων, τὰ δὲ χινουμένων τε καὶ πεπληθυσμένων. 

8) Wie diess schon 8. 618 bemerkt wurde, und besonders ans den 
Ueberbleibseln seines grossen Werks über die Pythagoreer, namentlich gleich 
aus dem ersten Buch, dem Leben des Pythagoras, hervorgeht. Am Anfang 
dieser Schrift sagt er: Wenn man bei jeder philosophischen Darstellung die 
Götter anrufen müsse, so gelte diess ganz besonders bei der Darstellang der 
pythagoreischen Philosophie, denn diese sei göttlichen Ursprungs und daher 
nur mit Hülfe der Götter zu verstehen; ihre Schönheit und Grösse übersteige 
dan Vermögen des Menschen, und sie lasse sich nur Schritt für Sohritt unter 
der gnädigen Leitung der Götter auffassen. 


Die Zahlen. 633: 


Togenden und der sittlichen Ordnung entriehmen 1). Ihre ganze. 
Bedeutung wird sie aber doch nur dann entfalten, wenn sie in den 
höheren Sinn der pythagoreischen Philosophie behandelt, wenn in 
den mathematischen Formen die Symbole höherer Wahrheiten und 
Verhältnisse gefunden, wenn die Natur der Götter und der über- 
sinnlichen Welt aus ihnen erkannt, wenn die Beziehung der ΘΠ." 
zelnen Zahlen zu gewissen Gottheiten, das Wesen der intelligibeln 
Zahlen und Figuren erforscht wird ?). So hoch aber die Mathe- 
matik hiemit gestellt ist, und so ausfährlich sich Jamblich mit 
mathematischer Spekulation beschäftigt hat, so finden wir doch in 
seinen Schriften über diese Gegenstände wenig neues und eigen- 
thämiliches, und nicht einmal die Stellung des Mathematischen im 
Ganzen des philosophischen Systems lässt sich klar daraus abneh- 
men. Wir erfahren von ihm, dass die mathematischen Substanzen 
unkörperliche, für sich bestehende Wesenheiten seien, die zwischen 
dem Begrenzten und dem Unbegrenzten, den ungetheilten und den 
an die Körperwelt vertheilten Formen, den Idven und den λόγοι 
in der Mitte stehen ®), und dass sie sich 418 unbewegt auch von 
den Seelen unterscheiden -*); nur um so unklarer ist es dann aber, 
wie doch die Seele und die Idee zugleich eine Zahl °), und wie 
andererseits die Zahl das vollkommene Urbild genannt werden 
kann, nach welchem der künstlerische Verstand die Welt gebildet 
habe 5), denn dieser νοῦς τεχνικὸς müsste eigentlich, sollte man 
meinen, in der Reihe der Emanationen der Zahl vorangehen. Wollte 
man sich aber auch in letzterer Beziehung bei der alten Unter- 
scheidung der mathematischen und der Idealzahlen beruhigen, so 
bliebe wenigstens noch zu erklären, wie sich die mathematischen 
Substanzen ohne Störung für das System zwischen das Intelligible 
und das Psychische einschieben lassen. Als die Principien der 
mathematischen Zahlen bezeichnet Jamblich mit seinen Vorgängern 
das Eins und die Ursache der Vielheit, die er der Materie verglei- 


1) U. xow. μαθηματ, ἐπιστ. 8, 206 f. 219 ob. ἃ. ὅ. 
8) A. ἃ. 0. 209 ἢ, 

8) A. 4. Ο. 8. 189 ο. 190 med. 204 ποὶ, u. ὅ. 
4) Ebd. 190 med. 192 med. 200 unt. 

5) Ebd. 200 πηι. 

6) Theul. Arithm. 8. 59, 


634 Jamblich. 


oben will, als die Principien der geometrischen den Punkt und die 
Ausdehnung; aber wie uns seine Beschreibung des Eins weit über 
das mathematische Gebiet bis zur höchsten Einheit hinausführt, so 
soll auch das zweite Princip nicht die Materie im eigentlichen Sina 
sein, und namentlich das Prädikat des Bösen soll ihm nicht zukom- 
men: aus der Verbindung des Ersten mit der Ursache der Vielken 
(ἡ τοῦ πλήθους αἰτία ὕλη) entsteht, wie gesagt wird, die Zahl, wei- 
terhin aus ihren eigenthümlichen Principien die geometrische Figw, 
in diesen kommt aber nur das Sein und die Schönheit zur Erschei- 

nung, erst in den entfernteren Zusammensetzungen der Blemente 
erzeugt sich accidentell auch das Böse Ὁ. Wir können diesen 
Bestimmungen keinen grossen Werth beilegen, 80 wichtig sie auch 
unserem Philosophen selbst sind. Nicht minder wichtig ist ikm die 
theologische Bedeutung der Zahlen und ihre mystische Beziehung 
zu den verschiedenen Göttern, mit denen sich seine aritkmetische 
Theologie beschäftigt 2); und für den Geist des Mannes und seiner 
Schule ist aueh wirklich der Eifer, mit dem diese leeren Phantasie- 
spiele betrieben und als tiefe Weisheit bewundert wurden, bezeich- 
nend genug; auch in ihnen findet sich aber kaum irgend etwas, 
was sich nicht aus den bekannten Lehren der Neupytbagoreer und 
Neuplatoniker mit Leichtigkeis ableiten liess. 

Neben den theologischen und mathematischen Spekulationea 
hatte sich Jamblich auch mit kosmolugischen, psychologischen und 
ethischen Untersuchungen beschäftigt. Indessen ist die Ausbeute, 
welche unsere Quellen nach dieser Seite hin gewähren, doch near 
gering. Aus der übersinnlichen Welt ist die Erscheinungsweli 


ee a GE 


3) IL xow. gab. ἐπιστ. 8. 101 ἢ. 

2) Ausser den Θεολογούμενα ᾿Αριϑμητικῆς,) welehe ihrem ganzen Umfang 
nach hieher gehören, vgl. m. in dieser Beziebuug aueh Proxi. in Tim. 206, 
A f. In den ersteren scheint sich Jamblich ganz an die gleichnamige Schrift 
des Nikomachus gehalten zu haben; es mag daher xur Charakteristik der sei- 
nigen bier genügen, was 8. 106 f. aus jener angeführt ist. In der Stelle des 
Proklus heisst es: ὃ δέ γε deiog Ἰάμβλιχος ἐξυμνεῖ τοὺς ἀριθμοὺς μετὰ πάσης δυνά- 
ϑεὼς ὡς θαυμαστῶν τινων ἰδιωμάτουον ὄντας περιεχτιχούς. Die Einheit sei Grund 
der ἕνωσις, die Dyas der πρόοδος und διάχρισις, die Trias der ἐπιστροφὴ τῶν zpe- 
ἐλθόντων, die Tetras enthalte als παναρμόνιος alle Zahlenverhältnisse in sich, 
die Enneas als τελεία dx τελείων bewirke alle Vollendung, die Achtzahl sei 
Ursache τῆς ἐπὶ πᾶν προόδου, die Zahl 27 τῆς ἐπιστροφῆς καὰ αὐτῶν τῶν ἐσχάτων. 
M. vgl. hiezu, was 8. 572, 2 aus Amelius angeführt ist. 


Einheit u. Zweiheit. Weltentstehung. Natur u. Schicksal. β,}ῷ, 


nach Jamblich, welcher hierin mit Plotin und der ganzen neupla- 
tonisohen Schule übereinstimmt, von Ewigkeit hervorgegangen; 
ner hypothetisch und nicht ohne Bedenken hatte er diese anfangs- 
lose Weltentstehung in der Form eines zeitlichen Vorgangs anschau-. 
lich gemacht 1). Die Kräfte, welche in der höheren Welt für sich. 
sind und wirken, sehen wir in der Erscheinungswelt an das Kör- 
perliche gebunden; und sofern sie diess sind, bilden sie die Natur, 
welche unser Philosoph desshalb als die immanente Ursache der, 
Welt definirt 5, Mit der Natur fällt das Schicksal zusammen : wir 
bezeichnen mit djesem Begriff nach Jamblich nichts anderes als die 
Gesammtheit der natürlichen Ursachen, ‚sofern dieselben in ihrem 
durchgreifenden gegenseitigen Zusammenhang, als Eine Naturord- 
nung betrachtet werden; und er erklärt ausdrücklich, dass diese, 
Naturordnung nicht aus dem blossen Zusammentreffen der vielen, 
Ursachen, sondern nur aus ihrer gemeinsamen Abhängigkeit von 
einer über ihnen stehenden einheitlichen Ursache sich erklären 
lasse ὅ). Nichisdestoweniger soll sie aber in die allgemeine Welt- 


1) Junsan orat. IV, 145, Ὁ f., der ausdrücklich beifügt: ἀχίνδυνον οὐδὲ 
αὐτὸ τὸ μέχρι ψιλῆς ὑποθέσεως χρονικήν τινα περὶ τὸν χόσμον ὑποθέσθαι ποίησιν ὃ 
χλεινὸς ἤρως ἐνόμισεν ᾿Ιάμβλιχος. ῬΒοκι,. in Tim. 116, C. Damit hängt es wohl 
auch zusammen, dass er (nach Bımri. De coelo 252, b, 28 Karst.) die Bildung 
der Elemente im TimAäus symbolisch verstanden wissen wollte. 

2) Τῆς δ᾽ εἱμαρμένης, sagt er bei Sros. Ekl. I, 186, ἣ οὐσία σύμπασά ἐστιν dv 
τῇ φύσει’ φύσιν δὲ λέγω τὴν ἀχώριστον αἰτίαν τοῦ χόσμου χαὶ ἀχωρίστως περιέχουσαν 
τὰς ὅλας αἰτίας τῆς γενέσεως ὅσα χωριστῶς al χρείττονες οὐσίαι χαὶ διαχοσμ ἥσεις συν- 
εἰλήφασιν ἐν ἑαυταῖς. ζωή τε οὖν σωματοειδὴς, καὶ λόγος γενεσιουργὸς, τά τε ἕνυλα 
εἴδη καὶ αὐτὴ ἢ ὕλη, ἢ τε συντεθειμένη γένεσις ἀπὸ τούτων, χίνησίς τε h τὰ πάντα 
μεταβάλλουσα, καὶ φύσις ἢ τεταγμένως διοιχοῦσα τὰ γιγνόμενα, ἀρχαί τε al τῆς φύ- 
σεως χαὶ τέλη gar ποιήσεις, χαὶ al τούτων συνδέσεις πρὸς ἄλληλα, ἀπ᾽ ἀρχῆς τε ἄχρι 
τοῦ τέλους διέξοδοι, συμπληροῦσι τὴν εἱμαρμένην. 

8) 8. vor. Anm, und Jambl. b. ὅτοβ. Ekl. I, 184 (nach dem 8. 821, 6 an- 
geführten): So mannigfaltig die natürlichen Ursachen und Kıäfte auch sind, 
so hängen doch sie alle von Einer ὅλη αἰτία ab, κατὰ μίαν δὲ σύνδεσιν πάντα πρὸς 
ἄλληλα συμπλέχεται, καὶ εἷς ἕν ἀνήχει τὸ περιεχτικώτατον τῆς αἰτίας χράτος ὃ σύν- 
δεσμὸς τῶν πλείονων αἰτίων" οὗτος τοίνυν εἷς εἰργμὸς [εἱρμὸς, wie ΜΕΙΝΕΚΕ ver- 
muthbet], συμ πεφορημένος [1. οὐ συμπ.] ἐστὴν ἀπὸ τοῦ πλήθους, οὐδ᾽ ἐπισυνισταμένην 
ἀπὸ τῆς συμπλοχῆς ποιεῖται τὴν ἕνωσιν, οὐδὲ διαπεφόρηται ἐν τοῖς χαθ᾽ ἔχαστα " χατὰ 
δὲ τὴν προηγουμένην χαὶ προτφοταγμένην αὐτῷ τῶν αἰτιῶν μίαν συμπλοχὴν ἐπιτελεῖ 
πάντα καὶ συνδέϊ ἐν ἑαυτῷ χαὶ πρὸς αὗτὸν μονοειδιῶς ἀνάγει, μίαν οὖν τάξιν πάσας 
τάξεις ὁμοῦ περιλαβοῦσαν ἐν αὐτῇ τὴν εἱμαρμένην ἀφοριστέον. 


636 Jamblich. 


ordnung nicht so fest eingefügt sein, dass keinerlei Gegensatz 
zwischen beiden entstehen kann. Das Schicksal ist nach Jamblich 
nur eine Wirkung der niedrigsten kosmischen Kräfte; die Nater 
würde, sich selbst überlassen, in Unordnung versinken 1); durch 
sie werden auch wir in Uebel verstrickt, denen wir nur dann ent- 
gehen, wenn wir uns über die Welt zu den überhimmlischen Götl- 
tern erheben ?). Das Schicksal bedarf daher eines fortwährenden 
verbessernden Eingreifens der Götter 5), denen ja auch das unvoll- 
kommene und selbst das schlechte zum Werkzeug ihrer Rathschlässe 
dient #); und wir bedürfen jener Lösung aus den Banden des 
Schicksals, zu welcher die Seele theils durch ihre eigene höhere 
Natur, theils durch den Beistand der Götter und durch alle de 
heiligen Handlungen gelangt, mittelst deren wir uns dieses Bei- 
standes versichern 5). Nun verwahrt sich diese Ansicht allerdings 


1) In diesem Sinn redet Jamblich bei Sros. Ekl. I, 80 von der ἄταχτος 
φύσις τῆς γενέσεως, welche wegen der Güter, mit denen die εἱμαρμένη von den 
Göttern geschmückt werde, nur theilweise zum Vorschein komme, von der 
ἄταχτος πλημμέλεια, in welche die göttliche Güte die Natur uicht versinken 
lassc. 

2) So sagt der Vorfasser der Schrift De mysteriis Aegyptiorum, welcher 
hier jedenfalls Jamblich’s Ansichten wiedergiebt, VIII, 7: Es sei nicht alles 
in die δεσμοὶ ἅλυτοι ἀνάγκης, ἦν εἱμαρμένην xaloüusv, gebannt; die Götter lösen 
die εἱμαρμένη, αἱ δ᾽ ἀπ᾽ αὐτῶν ἔσχαται φύσεις, χαθήχουσαι χαὶ συμπλεκόμεναι τὰ 
γενέσει τοῦ χόσμου χαὶ τῷ σώματι, τὴν εἱμαρμένην ἐπιτελοῦσιν. Mit Recht werden 
daher die Götter angefleht, ὅπως Av μόνοι διὰ πειθοῦς νοερᾶς τῆς ἀνάγκης ἄρχοντες 
τὰ ἀπὸ τῆς εἱμαρμένης ἀποχείμενα χαχὰ ἀπολύωσιν. 

8) Stop, a. ἃ. O.: οἵ θεοὶ τὴν εἱμαρμένην συνέχοντες διὰ παντὸς ἑπανορδοῦνται 
ἢ δ᾽ ἐπανόρθωσις αὐτῶν ποτὲ μὲν ἐλάττωσιν κακῶν ποτὲ δὲ παραμυθίαν, ἐνίοτε δὲ κεῖ 
ἀναίρεσιν ἀπεργάζεται. 

4) M. vgl. hierüber die Bemerkung bei Orrmrıonor in Aleib. 8. 59 ἢ 
Creus.: die vollkommeneren Seelen nehmen an der göttlichen Weltregierung 
theil, die unvollkommenen, bisweilen sogar die schlechten, stehen zu ihr im 
Verhältniss eines Werkzeugs. 

δὴ Diess das Thema der ebenerwähnten Ausführung De myaster. VII, 1 ὦ 
Nicht alles, wird hier bemerkt, sei dem Verhängniss unterworfen, ἀλλ᾽ ἔστι 
καὶ ἑτέρα τῆς ψυχῆς ἀρχὴ, χρείττων πάσης φύσεως καὶ γνώμης [ἢ vielleicht ἀνάγκης 
χαϑ' ἣν χαὶ θεσῖς ἑνοῦσθαι δυνάμεθα nat τῆς χοσμιχῆς τάξεως ὑπερέχειν, ἀϊδίου τε ζενῆς 
καὶ τῶν ὑπερουρανίων θεῶν τῆς ἐνεργείας μετέχειν. χατὰ δὴ ταύτην οἷοί τε ἐσμὲν καὶ 
ἑαυτοὺς λύειν. Wenn der bessere Theil unseres Wesens in uns wirke, trennen 
wir uns von dem, was uns an die γένεσις fessle, und treten in eine neue höhere 
Welt (διακόσμησις) über. Zugleich aber verweist der Verfasser auf die θεὰ 


Das Schicksal und die Götter. 637 


gegen die Vorstellung, als ob jene Handlungen in den Göttern 
selbst eine Veränderung und Umstimmung bewirkten, mit der 
Bemerkung: das Eingreifen der höheren Ordnung in die niedrigere 
erfolge nach unabänderlichen Gesetzen, es sei eine und dieselbe 
Weltordnung, welche das Herabsteigen der Seele aus der höheren 
Welt und ihre Rückkehr zu derselben ‘durch Vermittlung der got- 
tesdienstlichen Handlungen bestimme !). indessen ist leicht. zu 
sehen, dass die Verwandlung des irrationalen in ein rationales auf 
diesem Wege so wenig gelingen kann, wie diess in neuerer Zeit 
äknlichen Theorieen 3) gelungen ist: der Anstoss liegt ja nicht 
darin, dass eine Befreiung der Seele aus der Sinnenwelt angenom- 
wen wird, sondern darin, daas diese Befreiung durch ein nachträg- 
liches Eingreifen der Götter in den Naturlauf, und das letztere 
selbst seinerseits durch Mittel bewirkt werden soll, die mit der 


Aurtüpsg τῆς εἱμαρμένης. Dabei wirft er die Frage auf, ob und wie die πολεύοντες 
θεοὶ, d. ἢ. die Gestirne, zur Lösung vom Verhängniss behülfiich sein können, 
während sie doch auch die μοιρηγέται seien, welche das Leben mit unlösbaren 
Banden fesseln. Er antwortet darauf, man könne sagen: ὡς ἐν ἑχάστῳ τῶν 
θεῶν, χαὶ τῶν ἐμφανῶν, εἰσί τινες οὐσίαι νοηταὶ καὶ ἀρχαὶ, δι' ὧν γίνεται ἡ ἀπὸ τῆς 
γενέσεως τῶν κόσμων ταῖς ψυχαῖς ἀπαλλαγή; man könne aber auch annehmen, 
dass diese Bofreiung Sache der ὑπερχόσμιοι, nicht der περιχόσμιοι θεοὶ sei. Er 
will aber hier nicht nAher erörtern, τίνες (sc. θεοὶ) εἰσὶν ἀναγωγοὶ χαὶ χατὰ ποίας 
αὐτῶν δυνάμεις πῶς τε τὴν εἱμαρμένην λύουσι χοὶ διὰ τίνων ἱερατικῶν ἀνόδων, τάξις 
τε ὁποία τῆς χκοσμιεῆς ἐστι φύσεως καὶ ὅπως ἣ νοερὰ ταύτης ἐπιχρατέῖϊ τελειοτάτη ἑνέρ- 
yıa, da bierliber in der Schrift (Jamblich’s) περὶ θεῶν ausführlicher gehandelt 
sei. Dieselbe Frage berührt Jamblich b. Bro». ἘΚ]. I, 1068; ich werde noch 
darauf zurückkommen. 

1) A. a. O. VIII, 8: ὥστε οὐδ᾽, ὅ περ dx τῶν Ὁ μηριχῶν σὺ παρέθηκας, τὸ 
τρεπτοὺς εἶναι τοὺς θεοὺς, ὅσιόν ἐστι φθέγγεσθαι. νόμοις γὰρ ἀχράντοις καὶ νοεροῖς 
ὥρισται πάλαι τὰ ἔργα τῆς ἱερᾶς ἁγιστείας τάξει τε μείζονι καὶ δυνάμει λύεται τὰ χα- 
ταδεέστερα εἰς βελτίονα. τῶν μεθισταμένων ἡμῶν λῆξιν (wenn wir unsere Wahl 
ändern; der Ausdruck spielt auf Praro Rep. X, 611, E, die λῆξις δαίμονος, 
λέξις βίων an) ἀπόστασις γίνεται τῶν χαταδεεστέρων, χαὶ οὐ παρὰ τὸν ἐξ ἀρχῆς τι 
θεσμὸν ἀποτελεῖται ἐν τῷ τοιῷδε, ἵνα μεταστραφῶσιν ol θεοὶ χατὰ τὴν εἷς ὕστερον γιγι 

Ν ἱερουργίαν, ἀλλ' ἀπὸ τῆς πρώτης χαθόδου χατέκεμψεν ὃ θεὸς τὰς ψυχὰς, ἵνα. 
πάλιν εἰς αὐτὸν ἐπανέλθωσιν. Wie im Weltganzen τῇ νοερᾷ οὐσίᾳ ἢ γένεσις χαὶ τὸ 
πᾶν συνήρτηται, οὕτω χαὶ ἐν τῇ τῶν ψυχῶν διαχοσμήσει τῇ περὶ γένεσιν αὐτῶν ἐπιμε- 
λεία συμφωνέΐ καὶ ἢ ἀπὸ γενέσεως λύσις. 

2) 4. B. der leibnitsischen Wundertheorie, welche gleichfalls das Wun-. 
der als Eingreifen der höberen Naturordnung in die niedere zu hegreifen 
sucht. 


} " Jamblich. 


beabsichtigten Wirkung in keinerlei natürlichem Zusammenhang 


stehen. 
Weiter können hier auch Jamblich’s Annahmen über Ram 


und Zeit berührt werden. Ueber den ersteren sind uns mehrfache 
Bestimmungen von ihm überliefert; dieselben lassen sich aber 
schwer mit einander vereinigen. Denn während er den Begrif 
des Raumes an einer Stelle so überschwänglich und weit fasst, dass 
alle Umfessung und Begrenzung des einen durch das anders 
darunter fallen soll, und dass in letzter Beziehung die Gottheit des 
Raum aller Dinge genannt wird !), definirt er ihn an eines anders 
Orte theils als die Oberfläche des umschliessenden, theils als dis 
des umschlossenen Körpers ?), und an einem dritten führt er iks 
auf die Kraft zurück, welche die Körper susammenhalte, und ihre 
Ausdehnung bewirke °): Dass die Grössen zugleich diskret und 
continuirlich sind, sucht er im Geist des Systems daraus zu erklä- 
ren, dass das Eine, welches die Grösse erzeuge, einerseits durch 


1) Rımer. Categ. 92, a, wo Jamblich ausführt, der Begriff des Raumes 
sei nicht homonym, sondern als eigentlicher Gattungsbegriff ἐφ᾽ ὅλα τὰ sm 
δοῦν ὄντα ὡς ἕτερα ἐν ἑτέροις auszudehnen, denn das Verhältniss des umfassen 
den zum umfassten erhalte zwar beim Körperlichen eine andere nähere Be 
stimmung, als beim Unkörperlichen, an sich aber sei es in beiden Fällen 
dasselbe: die Welt liege (χεῖται) in der Seele, und sei von ihr begrenst, diese 
vom Nus u. s. w., und in letzter Beziehung Bei das einheitliche göttliche We 
sen, als das oberste αἴτιον τῆς περιοχῆς, der Ort von allem, der θέδος τόκος, ὅστις 
αὐτός τε ἑαυτοῦ ἐστιν αἴτιος καὶ αὐτὸς ἑαυτοῦ περιληπτιχκὸς u. 6. w. ἀεὶ γὰρ (wie 68 
vorher heisst) τὰ ἀρχηγιχώτατα τὴν τοῦ πρεσβυτάτου τόπου τάξιν περιείληφε. Sim- 
plieius selbst bemerkt über diese νοερὰ θεωρία ganz richtig, dass der kaum hier 
metaphorisch genommen werde. 

2) Jamblich b. Bıurr.. a. a. O. 84, ζ: ὁ δὲ τόπος ὡς μὲν ἐπιφάνεια εἴη ἂν & 
τῷ σώματι, οὗπερ οὖσα περιέχει τὸ σῶμα᾽' ὃς δὲ τόπος ἐν τῷ περιεχομένῳ 5x’ αὐτοῦ 
u. 8. w. Auf die auffallenden Consequenzen dieser Bestimmungen machtimpl. 
selbst aufmerksam. Im folgenden hatte dann Jamblich auch wieder gesagt, 
der Körper sei vielleicht nur κατὰ συμβεβηκὸς dv τόπῳ, ταὐτὸν ÖL τόπος χοὶ ἐξ 
φάνεια xat τὸ ὑποχείμενον. 

8) In der Stelle aus dem Bten Buch seines Commentars zum 'Timäus bei 
Sıuer. Phys. 149, Ὁ, m sagt er, der Raum sei von der Substanz der Körper 
nicht zu trennen, er tadelt die Ansichten, welche diess thun, und fügt bei: 
τίς οὖν δόξα τὸ τέλειον καὶ τὸ τῆς οὐσίας συγγενὲς περὶ τὸν τόπον ἀφορίζεται, ἃ ἡ 
δύναμιν αὐτὸν σωματοειδῆ τιθεμένη τὴν ἀνέχουσαν τὰ σώματα χαὶ διερείδουσαν, καὶ 


πίπτοντα μὲν ἀνεγείρουσαν, διασχορπιζόμενα δὲ συνάγουσαν, συμπληροῦσαν δὲ αὐτὰ 
ἅμα καὶ συνέχουσαν πανταχόθεν; vgl. auch Ρεοκι,. in Tim. 50, F. 


Raum und Zeit. Die Seele. 359 


alles hindarchgehe, andererseits bei jedem einzelnen seiner Erzeug- 
wisse anhalte und es begrenze ἢ. Die Zeit leitet er mit Plotin 9 
von der Seele her; sie soll ursprünglich nichts anderes sein, als 
die im Wesen der Seele liegende Bewegung °); erst aus dieser 
überweliflichen Zeit sol die Zeit als Maass der Bowegung in der 
Welt des Werdens hervorgehen 4). 

Der äusseren Natur als solcher scheint Jamblich keine Auf- 
merksamkeit zugewendet zu haben, wie ja seine ganze Schule nur 
für eine theologische oder magische, nicht für eine naturwissen- 
schaftliche Betrachtung derselben Sinn hatte. Schr angelegentlich 
beschäftigte er sich dagegen mit den psychologischen Fragen 5). 
In seiner Auffassung des Seelenlebens, so weit wir darüber unter- 
richtet sind, tritt vor allem das Bestreben hervor, der Seele ihre 
mittlere Stellung zwischen der höheren und der niedrigeren We 
zu wahren. Seine Vorgänger hatten, wie er glaubt, tlıeils den 
Unterschied der Seele vom Nus, theils den der menschlichen Seelen 
von den übermenschlichen zu wenig beachtet; er seinerseils will 
die Seele nicht allein in ihrer Thätigkeit, sondern auch in ibrem 
Wesen, zwischen das ungetheilte und das getheilte, das vergäng- 
liche und das unvergängliche in die Mitte gestellt, den Wechsel 
von Thätigkeit und Unthätigkeit der Vernunft und die Hinneigung 


1) In der wortreichen Erörterung bei Bısrr. Categ. 84, y. δ. 

2) Vgl. 8. 491, 3. 

8) M. vgl. hierüber die weitiäufigen Auszüge aus Jamblich's Commen- 
taren su den Kategorieen und sum Timäus bei Sıwrr. Categ. 88, ζ — 89, y. 
Phys. 188, a, ο. — 188, Ὁ, o., nebst den kürzeren Anführungen Phys. 165, b, u. 
181, b, u. Dis Zeit definirt er hier (Categ. 89, a) als τὴν οὐσιώδη τῆς ψυχῆς 
κίνησιν καὶ τὴν τῶν κατ᾽ οὐσίαν ὑπαρχόντων αὐτῇ λόγων προβολὴν χαὶ μετάβασιν Ar’ 
ἄλλων εἷς ἄλλους, oder (Phys. 188, a, m): οὐσίαν μὲν αὐτὸν, μετροῦσαν δὲ τὴν 
γένεσιν (7 κίνησιν ἢ, πρώτην μὲν τὴν φυχιχὴν, ἀπὸ δὲ ταύτης τὴν ἀπ᾽ αὐτῆς προϊοῦσαν. 
Weitere Aeusserungen von ihm fiber die Zeit bei Pxoxc. in Tim. 248, A. E. 
252, E (s. o. 624, 1 g. E.). 

4) dvda λοιπὸν, heisst es bei Sıurı. nach den zuletst angeführten Worten, 
χινήσει σύστοιχος καὶ ἀνυκόστατός ἐστιν ὃ χρόνος, ὡς ἐν τῷ γίνεσθαι τὸ εἶναι ἔχων. 
Simpl. unterscheidet daher a. a. O. in Jamblich’s Sinn den χρόνος ἐξῃρημένος 
ἀπὸ τοῦ χόσμου von dem φυσιχὸς χρόνος, oder wie er Phys. 18}, b, u. sagt, dem 
χρόνος χωριστὸς und ἀχώριστος. 

5) M. vgl. die 8. 616 gegebenen Nachweisungen über seine paychologi- 
sehen Schriften. 


640 Jamblich. 


zur Körperwelt als unerlässlich für sie anerkannt. wissen 1) Er 
‚widerspricht denen, welche in der Seele als solcher eine leidens- 
lose und in beständiger Denkthätigkeit begriffene Kraft annehmen ἢ): 
nicht allein der thätige, sondern auch der potentielle Νὰ ist seiner 
Ansicht nach ein über ihr stehendes Wesen °). Er weiss sich de 


1) Jamblich b. Sros. Ekl. I, 866 f.: Numenius, Plotin, Amelius, schwea- 
‘kender auch Porphyr,: nebmen an, dass die Seele ihrem Wesen nach dem Has 
und den Göttern gleichartig sei, und die ganze übersinnliche Welt ım sich 
trage; eine andere Ansicht χωρίζει μὲν τὴν ψυχὴν ὡς ἀπὸ νοῦ γενομένην δευτέραν 
καθ᾽ ἑτέραν ὑπόστασιν... χωρίζει δὲ αὐτὴν χαὶ ἀπὸ τῶν χρειττόνοον γενῶν ὅλων, Wem 
δὲ αὐτῇ τῆς οὐσίας ὅρον ἀπονέμει ἦτοι τὸ μέσον τῶν μεριστῶν χαὶ ἀμερίστεον σωμάτων 
{wohl zu streichen, vielleicht aus der Glosse ἀσωμάτων entstanden) γενῶν 
aus. w. Dass Jamblich selbst dieser Ansicht ist, erbellt schon aus unserer 
Stelle, noch bestimmter aber aus Sımrı. De an. 67, Ὁ, m: Die der Socle als 
ihr höchster Theil angehörige Vernunft unterscheide sich von der über ἴδει 
stehenden, dem reinen Nus, dadurch, dass dieser immer in Denkthätigkeit 
begriffen und von dem tiefer stehenden getrennt sei, jene dagegen nicht im- 
mer wirklich denke, und swischen Hinneigung za dem niedrigeren und Er 
hehung über dasselbe wechsle. Dieses selbst aber könne man nich auf zweier 
lei Art denken: entweder so, dass die menechliche Vernunft (4 τῷῶς ὑυχᾷς 
ἀκροτάτη οὐσία) in ihrem Wesen unverändert bleibe und nur in ihrer Tbätig- 
keit einer Veränderung unterliege, oder so, dass χαὶ αὐτὴ ἢ ἄκρα adtik οὐσίε 
οὗ μένει ἐν τῇ πρὸς τὰ δεύτερα ῥοπῇ εἰλιχρνὴς, ἵνα χαὶ ταύτῃ ἦ μέσῃ, ὡς zei τῷ 
Ἰαμβλίχῳ ἐν τῇ ἰδίᾳ περὶ ψυχῆς πραγματείᾳ δοχέΐ, οὐ μεριστῶν μόνον χαὶ ἀμιερέστισι, 
ἀλλὰ καὶ γεννητῶν χαὶ ἀγεννήτων καὶ φθαρτῶν καὶ ἀφθάρτων, καὶ ἵνα καὶ αὐτὸ τοῦτο 
δτὲ μὲν νοεῖ [von] ὁτὲ δὲ μή. Simpl. selbst entscheidet sich für die letzte Δ8- 
nahme, οὐ τὴν ἐνέργειαν μόνην, ἀλλὰ καὶ τὴν οὐσίαν τῆς ψυχῆς καὶ αὐτὰν τὴν depe- 
τάτην τῆς ἡμετέρας φημὶ, διαφορεῖσθαί πως καὶ χαλᾶσθαι χαὶ οἷον ὀφιζάνειν ἐν τῷ 
πρὺς τὰ δεύτερα νεύσει͵ was er dann, vielleicht gleichfalls noch nach Jamklich, 
‚weiter ausführt. 

2) Paoxı.. in Tim. 841, D (8. 0. 619, 8): Er müsse sich gegen Plotin und 
Theodor erklären, ἀπαθές τι φυλάττοντας ἐν ἡμῖν za ἀεὶ voaüv.... ὀρθῶς ἄρα zei 
ὁ θεΐος ᾿Ιάμβλιχος διαγωνίζεται πρὸς τοὺς ταῦτα οἱομένους. 

8) Βιμρι.. De an. 88,4, ο: Ἰαμβλίχῳ καὶ τὸν δυνάμει νοῦν καὶ τὸν Impyng 
ἐκὶ τοῦ πρείττονος τῆς ψυχῆς ἀχούοντι͵ 4 τοῦ ὁριστιχοῦ τῆς ψυχῆς ἣ τοῦ ἀμεθέκτεο, 

wogegen er selbst beide auf die ψυχιχὴ οὐσία als solche beziehe. Trotzdem well 
er aber nach θιμρι, Categ, 48, s. Schol. 64, a, 5 (ἅμα τῇ χατ᾽ ἐνέργειαν ὁστώσῃ 
ἐπιστήμῃ, alte καὶ ἐν ἡμῖν ἐστί τις τοιαύτη au ἄνω μόνουσα, ὡς Πλωτίνῳ zer "laß 
λίχῳ δοχέΐ, εἴτε καὶ ἐν τῷ κατ᾽ ἐνέργειαν νῷ) der Seele den fortwährenden Besits 
eines höheren Wissens zuschreiben, und nach T’niLor. De an. Q, 10, ο. hätte 
er den δυνάμει νοῦς auch wieder in der noch unentwickelten measchlioben Ver 
nunft gefunden; dieser sagt nämlich, Jamblich habe darauf aufmerksam ge 
macht, dass Aristoteles den potentiellen Nus nicht einem leeren Blatt (yap 


Die Seele. 4 


Seele nieht ohne die vernunftlusen Kräfte und den ätherischen 
Leib zu denken, den er mit Porphyr zwischen sie und den mate- 
riellen Körper einschob 1), und er lässt diese beiden Bestandtheile 
des menschlichen Wesens aus diesem Grunde den Tod überdauern ?). 
Doch gestand er den reinsten Menschenseelen die Fähigkeit zu, sich 
bis zur Ordnung der Engel zu erheben ?); und andererseits betrach- 
tete er das Herabsteigen der Seele in einen Leib, welches er im 
übrigen ebenso, wie ihre Rückkehr in die übersinnliche Welt, in 
eimer allgemeinen Nothwendigkeit begründet fand 4), nicht blos 
als Strafe oder als Prüfung, sondern er nahm an, dass einzelne 
Seelen in sündloser Weise aus Liebe zu den Menschen herabkom- 
men °). Die Seelenwanderung beschränkte er mit Porphyr auf 


ziov), sondern einem γραμματέζον vergleiche, zu dessen Begriff die γράμματα 
gehören. τοῦτο δὲ εἶπεν βουλόμενος τὴν ψυχὴν τῶν παίδων, ὅ ἐστιν ὃ δυνάμει νοῦς, 
ἔχειν τοὺς λόγους τῶν πραγμάτων. --- Zwischen dem Nus und der Wahrnehmung 
stebt nach Jamblich die Phantasie, indem sie die Gedanken in sinnlichen 
Bildern darstellt; vgl. Sıurı. De an. 60, a, οἱ: χαὶ γὰρ el χαὶ τὰς λογιχὰς ἡμῶν, 
eng Ἰάμβλιχος βούλεται, ἀποτυποῦται (sc. h φαντασία) ἐνεργείας πάσας. Dagegen 
führte cr nach Simpl. die Meinung auf die vernunftlosen Soelenkräfte zurück; 
a. a. 0. 82, a, m: χαὶ δὴ καὶ 6 ᾿Ιάμβλιχος ἐν τῇ ἀλόγῳ τάττει ζωῇ καὶ τὴν δόξαν. 
Indessen redet er b. ὅτοβ. ΕΚ]. I, 1058 vom δοξαστιχὸς λόγος noben der ψυχὴ 
ἄλογος und dem λύγος οὐσιώδης. 

1) Μ. s. darüber Ῥποκι. in Tim. 821, A. 811, Β. 824, D: Die ὀχήματα 
φυχικὰ sollten sich nach diesen Stellen, wie Jamblich annahm, aus dem Ae- 
ther bilden, indem aus demselben, vermöge seiner zeugenden Kraft, und 
unter Mitwirkung der weltregierenden Götter, die πνεύματα μεριχὰ hervor- 
gehen, und sich zu jenen αἰθέρια καὶ οὐράνια χαὶ πνευματιχὰ περιβλήματα gestal- 
ten, welche nach Jamblich bei Sron. Ekl. I, 926 die Seele sehlitzend um- 
geben, ihr als ὀχήματα dienen, und ihre Verbindung mit dem στερεὸν σῶμα 
vermitteln. . 

2) Ῥποκν. in Tim. 811, B. Sohol. in Phaed. 8, 98, Nr. 175; vgl. Anm. 4. 

8) Stop. ΕΚ]. I, 1064. 1068. 

4) Vgl. Schol. in Phasd. (Olympiod. in Phasd. od. Pınoxa) 8. 168, Nr. 27: 
nach Jamblich könne niemand beständig weder im νοητὸν, noch im Tartarus 
bleiben, weil es in der Natur der Seele liege, bisweilen aus -dem Uebersiun- 
lichen herabzukommen, und sich wieder in dasselbe zn erheben. Beim Tar- 
tarus denkt Jambi. olıne Zweifel an einen wirklichen Strafort im Innern der 
Erde, und vielleicht hat Orrsurıopor von ihm, was er in Gorg. 8. 192 (Jaun's 
Jahrbb. Supplementb. XIV, 585) unter Berufung auf „die Philosophen“ von 
Strafen im Tartarus sagt, denen die schlechten Seelen unterliegen, ἄχρις οὗ τὸ 
ὄχημα αὐτῶν δῷ δίκην. 

δ) A. a. 0. 8. 910. Aehnlich Philo; 6, 8. 844, 1. 


Philos. ἃ. Gr. III. Bd, 2. Abth, 41 


643 Jamblich. 


menschliche Leiber, begrüudete aber diese Bestimmung ausdräck- 
licher, als jener, durch den Unterschied der vernunftiosen thieri- 
schen von der vernünftigen menschlichen Seele '), so dass er 
demnach die Eigenthümlichkeit der letzteren, wie nach oben, 30 
auch nach unten bestimmter abzugrenzen suchte ?). In seimer 
Vorstellung über die mit der Seelenwanderung verknüpfte Vergel- 
tung stimmte er mit Porphyr überein °). 

Für die Rückkehr zur übersinnlichen Welt will Jamblich, wie 
die ganze platonische Schule, den menschlichen Geist mit der Frei- 
heit des Willens ausrüsten *), ohne doch darum die Nothwea- 
digkeit des höheren Beistandes zu verkleinern, welchen der Mensch 
seiner Ueberzeugung nach wegen der sinnlichen Schwäche seiner 
Natur nicht entbehren kann °). Unter den Thätigkeiten, durch 
welche die Erhebung der Seele sich vollzieht, unterscheidet er 
zunächst mit Porphyr®) vier Klassen : das erste sind die politischen 
Tugenden, in denen der Geist seine Gedanken auf das getheilte 
und veränderliche Sein anwendet; das nächsthöhere die reinigendes 
Tugenden, in denen er sich auf sich selbst und sein eigenes Wesen 
zurückzieht; das dritte die theoretischen Tugenden, oder die Be- 
trachtung dessen, was über dem Menschen ist °); eine vierte Stufe 


1) Neues. nat. hom. co. 2, 8. 51 unter Berufung auf die schon S. 616 er- 
wähnte Abhandlung: ὅτι οὐχ ἀπ᾽ ἀνθρώπων εἷς ζῷα ἄλογα, οὐδὲ ἀπὸ ζῴων ἀλό- 
γῶν εἷς ἀνθρώπους al μετενσωματώσεις γίνονται, Aus dieser Abhandlung stammes 
die Gründe, mit denen Nemes. im folgenden den Unterschied der Meuscher- 
und Thierseelen darthut, vielleicht sum grössten Theil. Azs. Gaz. 6. ο. 591, 1. 

2) Dahin gehört auch, was 8. 641, 4 über die Strafen im Tartarus be 
merkt ist: Jamblich konnte nur eine zeitliche Dauer derselben annehmen, 
weil ibre Endlosigkeit der höheren Natur der Seele widerstreiien würde. 

8) Vgl. 8. 598, 8. 

4) Vgl. 8. 681, 4. v. Pyth. 218, 

δ) Vgl. 8. 619, 4. 5 und v. Pythag. 174: Die Pythagoreer habes dea 
Glauben an das Dasein und die Fürsorge der Götter für unentbehrlich ge 
halten; δεῖσθαι γὰρ ἡμᾶς ἐπιστατείας τοιαύτης, F κατὰ μηδὲν ἀνταίρειν ἀξιώσομεν, 
denn der Mensch sei von Natur ein ζῷον δβριστιχὺν, Leidenschaften und Be 
gierden aller Art unterworfen, welche nur der Gedanke an die Gottheit im 
Zaume zu halten vermöge. 

6) 8. 0. 8. 595. 

7) Auuos. De interpr. 109, a sagt in der 8. 681, 4 besprochenen, aus 
Jamblich genommenen, Auseinandersetzung: ὅταν γὰρ τὸν νοῦν τὸν ἡμέμερον 
τὰς πολιτιχὰς τῶν πράξεων προχειριζόμενον λέγωμεν γινώσχειν τὰ καϑέκαστα τῶν 


Die Tugend; die Reinigung. 643 


bilden die paradigmatischen Tugenden, in welchen die Seele den 
Nus nicht mehr als Gegenstand der Betrachtung ausser sich hat, 
sondern in ihn selbst eingeht !). Auch hier sucht aber unser Phi- 
losoph seinen Vorgänger noch zu überbieten, indem er als fünfte 
und höchste Stufe die einheitlichen oder priesterlichen Tugenden 
beifügt, in denen die Seele mit dem göttlichsten Theil ihrer selbst 
sich auch noch über den Nus zum Urwesen erhebe ?). Die letz- 
teren konnten natürlich nur in der mystischen Einigung mit dem 
Urwesen zum Abschluss kommen. Von besonderer Bedeutung ist 
aber in dieser Stufenreihe auch bei Jamblich doch immer der Be- 
griff der Reinigung; denn sie ist es, durch welche der Seele die 
Befreiung aus den Banden der Nothwendigkeit und Vergänglich- 
keit allein möglich wird, welche ihr den Uebergang in eine höhere 
Welt zu bahnen hat. Die verschiedenen Momente dieser Lossagung 
von der Sinnenwelt erörtert Jamblich in einem noch erhaltenen 
Bruchstück °); unter den Mitteln, die zu ihr hinführen, findet in 


πραγμάτων, ἀναφέροντα ταῦτα ἐπὶ τὰ χαθόλου.... δηλονότι χρείττονα ἐνταῦθα ἐροῦμεν 
elvar τοῦ γινωσχομένου τὴν γνῶσιν, εἴπερ μεριστὸν μὲν καὶ ἐν μεταβολῇ τὸ χαθέχα- 
στον, ὃ δὲ λόγος, χαθ᾽ ὃν ταῦτα ὃ νοῦς ὃ πραχτιχὺὸς γινώσχει, ἀδιαίρετός τε χαὶ ἀμε- 
τάβλητος. ὅταν δὲ αὐτὸς πρὸς ἑαυτὸν ἐπιστρεφόμενος χαὶ κατὰ τὰς χαθαρτιχὰς 
ἐνεργῶν ἀρετὰς τὴν οὐσίαν τὴν ἑαυτοῦ θεωρῇ, σύστοιχον εἶναι ἀνάγκη τῷ γινωσχομένῳ 
τὴν γνῶσιν. ὅταν δέ γε ἀνελθὼν ἐπὶ τὸ ἀχρότατον τῆς ἑαυτοῦ τελειότητος χαὶ τὰς 
θεωρητιχὰς τῶν ἀρετῶν προχειριζόμενος θεωρῇ τὰ κερὶ τῶν ϑείων διακοσμήσεων, 
καὶ ὅπως ἐκ τῆς μιᾶς τῶν πάντων ἀρχῆς αὖται παράγονται, καὶ τίς ἑχάστης ἣ ἰδιότης, 
χείρανα εἶναι ἀνάγχη τοῦ γινωσχομένου τὴν γνῶσιν. 

1) Sohol. in Pbed., Olympiod. in Phasd. ed. Fısckr 5. 90, Nr. 142: ὅτι 
παραδειγματιχαὶ ἀρεταὶ al μηχέτι θεωρούσης τὸν νοῦν τῆς φυχῆς (τὸ γὰρ Bempeiv σὺν 
ἀποστάσει γίνεται), ἀλλ' ἤδη στάσης ἐν τῷ νοῦν εἶναι χατὰ μέθεξιν, ὅς ἐστιν παρά- 
δειγμα πάντων. διὸ καὶ αὖται παραδειγματιχαὶ, ὅτι προηγουμένως αὐτοῦ εἶσι τοῦ νοῦ 
al ἀρεταί, ταύτας δὲ προςτίθησιν ὁ ᾿ἸΙάμβλιχος ἐν τοῖς περὶ ἀρετῶν (wohl dieselbe an 
Sopater gerichtete Schrift, welche Sros. Floril. 1, 60. 31, 9. 87, 88. 108, 28 
x. ἀρετῆς nennt). 

3) Ebd. Nr. 148 : ὅτι εἰσὶ χαὶ ἱερατιχαὶ ἀρεταὶ, κατὰ τὸ θεοειδὲς ὑφιστάμεναι 
τῆς ψυχῆς, ἀντικαρήχουσαι πάσαις ταῖς εἰρημέναις οὐσιώδεσιν οὔσαις (sofern sie sich 
auf den Nus oder die οὐσία beziehen) ἑνιαΐαί ys (auf das ἦν bezüglich) ὑπάρχου- 
σαι. χαὶ ταύτας δὲ ὁ ᾿Ιάμβλιχος ἐνδείχνυται, ol δὲ περὶ Πρόχλον χαὶ σαφέστερον. 

8) Bei ὅτοΒ. Ekl. I, 1065 ff. (aus der Schrift z. ψυχῆς). Jamblich be- 
spricht hier die χρίσις, δίκη und χάθαρσις. Die erste von diesen hat die Auf- 
gabe, das gute und vollendete ganz von dem schlechten und unvollkommenen 
zu scheiden, die zweite soll die Herrschaft des besseren über das schlechtere 
bewirken, das ἔργον καθάρσεως endlich ist die ἀφαίρεσις τῶν ἀλλοτρίων, ἀπόδοσις 

41 * 


644 Jamblich. 


seiner Schilderung des pythagoreischen Lebens die ganze Eiges- 
thümlichkeit des Neupythagoreismus ihre Stelle '); im übrigen 
enthalten die zahlreichen Ueberbleibsel seiner ethischen Abhand- 
lungen ἢ kaum etwas anderes, als eine popularphilosophische 
Moral im Geist seiner Schule. 

Wir würden ohne Zweifel eine weit vollständigere Darstellung 
von Jamblich’s Lehre geben können, wenn uns von seinen Schrif- 
ten, und namentlich von seinen Hauptwerken, mehr übrig wäre. 
Aber ein klar ausgeführtes wissenschaftliches System würden wir 
selbst in diesem Fall schwerlich gewinnen. Jamblich’s Streben 
richtet sich unverkennbar weit mehr auf theologische Spekulationen 
als auf rein philosophische Untersuchungen; in den letzteren zeigt 
er wenig Selbständigkeit, um so eifriger beschäftigt er sich dage- 
gen mit den polytheistischen Religionen. Auch die Aenderungen, 
welche er in der Metaphysik der neuplatonischan Schule vornahm, 
lassen sich in letzter Beziehung hierauf zurückführen. Es ist die 
gleiche Eigenthümlichkeit seines Geistes, der seine Metaphysik und 
seine spekulative Theologie ihren Ursprung verdankt. Die klare 
und einfache Gliederung des plotinischen Systems genügt ihm nicht; 
seinem phantastischen Denken verdichtet sich jedes begrifliche 
Moment zu einer besondern Hypostase: statt des Einen Urwesens, 
weiches in seiner absoluten Verschiedenheit von allem abgeleiteten 
Sein zugleich der Grund desselben ist, hat er zwei Urwesen, an 
welche diese beiden Bestimmungen vertheilt werden, statt der Einea 
intelligibeln Welt, der Einheit des Seins und des Denkens, zwei 
Welten, die denkende und die gedachte; und durch Wiederholung 
des gleichen Prozesses ergiebt sich ihm jene Uebervölkerung der 
übersinnlichen Welt, die nicht durch ein inneres Gesetz, sondera 
nur äusserlich durch den Schematismus heiliger Zahlen beschränkt 


τῆς οἰχείας οὐσίας, τελειότης, ἀποπλήρωσις, αὐτάρκεια, ἄνοδος ἐπὶ τὴν γεννησαμένην 
altiav u. 8. w. 

1) 80 das Verbot des Fleisch- und Weingenusses und der blutigen Opfer, 
welches wenigstens für die vollkommeneren Philosophen unbedingt gelten 
sull, v. Pyth. 68. 106 f. (womit $. 85. 98 durch die Aunahme ausgeglichen 
werden kaun, dass es sich hier nur um Vorschriften für die Masse der minder 
vollkommenen handle); die Gütergemeinschaft ebd. 72. 81. 167 f.; das Verbot 
des Eides 47; die leinene Kleidung 149. 

2) In Srosäus’ Florilegium; m, 8. das Register. 


Rückblick. 645 


wird. Er glaubt sich des Göttlichen nicht besser versichern zu 
können, als wenn er es möglichst vervielfältigt, und alle die Be- 
stimmungen, die sein Wesen und sein Verhältniss zum Endlichen 
ausdrücken, als selbständige Gestalten neben und über einander 
stellt. Eben diess ist es aber, was in theoretischer Beziehung den 
unterscheidenden Charakter der Religion, und insbesondere der 
polytheistischen Religion, ausmacht: was dem philosophischen Den- 
ken ein blosses Begriffsmoment ist, das ist der religiösen Vorstel- 
lung eine konkrete Gestalt, was jenes unter der Form der Allge- 
meinheit hat, das hat diese unter der sinnlichen Form der Einzel- 
heit; und wenn die monotheistischen Religionen dabei an der Ein- 
heit des göttlichen Wesens festhalten, und die vielen Gestalten der 
religiösen Anschauung nur in die Geschichte seiner Offenbarung 
verlegen, so ist es dagegen der polytheistischen Naturreligion eigen- 
thümlich, das göttliche Wesen selbst in eine Vielheit von beson- 
deren Wesen zu spalten. Nun hatte Jamblich allerdings auch phi- 
losophische Gründe zu seinem Verfahren. Der Ucbergang von der 
reinen Einheit zu der idealen Vielheit des plotinischen Nus mochte 
ihm zu schroff scheinen, er zog es daher vor, den letztern in seine 
Bestandtheile zu zerlegen, um so in allmählicher Abstufung von 
dem Einen zum Vielen zu gelangen. Aber in der Wirklichkeit ist 
die Vielheit der intelligibeln und intellektuellen Götter, die er auf 
das Eine folgen lässt, und die Zweiheit der Urwesen selbst, viel 
bedenklicher, als die Vielheit in dem plotinischen Nus; denn dort 
stehen die vielen als Hypostasen neben einander, während sich bei 
Plotin ihr Unterschied unmittelbar wieder in die Einheit der intel- 
ligibeln Welt auflöst. Dieser Umstand zeigt uns deutlich, wie viel 
mehr Jamblich an der Vervielfältigung des Göttlichen, als an der 
Zurückführung des vielen zur Einheit gelegen war. Mag es daher 
der Eifer für die positive Religion, oder mag es die philosophische 
Spekulation gewesen sein, von der Jamblich zunächst ausgieng: in 
dem einen wie in dem andern Fall ist es die polytheistische Rich- 
tung seines Denkens, die jene Vervielfältigung der übersinnlichen 
Wesen und jene enge Verbindung der Philosophie mit der Religion 
erzeugte, wodurch sich der Neuplatonismus seiner Schule von dem 
früheren unterscheidet; und selbst wenn wir die Veränderungen, 
die er mit Plotin’s und Porphyr’s Lehre vornahm, bei ihm persön- 
lich aus wissenschaftlicheren Beweggründen ableiten könnten, als 


646 Jamblich’s Schule. 


diess dem obigen zufolge möglich ist, würden wir doch die geschicht- 
liche Bedeutung seiner Lehre immer nur darin änden können, dass 
der Neuplatonismus durch ihn zuerst ganz entschieden in den Dienst 
der Religion trat, und aus einer philosophischen Lehre zu einer 
theologischen Doktrin wurde. Das gleiche bestätigt aber auch die 
Geschichte seiner Schule, so weit sie uns bekannt ist. 


13. Jamblich’s Schule; die Schrift von den Mysterien; Theodor 
von Asine. 

Die sechzig Jahre, welche zwischen Jamblich’s Tod und dem 
Beginn von Plutarch’s Lehrthätigkeit in Athen verflossen sein 
mögen, scheinen an wissenschaftlichen Leistungen sehr arm gewe- 
sen zu sein; diesen Eindruck macht wenigstens alles, was uns über 
die Neuplatoniker dieser Zeit überliefert und aus ihren Schriften 
erhalten ist. Commentare, die ihre vollständige Abhängigkeit von 
den Vorgängern selbst nicht verbergen, theologische Spekulationen, 
deren Scholastik einen Jamblich noch überbietet, apulogetische 
Ausführungen, welche den polytheistischen Glauben und Aber- 
glauben nach allen Seiten hin philosophisch zu rechtfertigen sich 
abmühen — darauf beschränkt sich, so weit wir urtheilen können, 
die schriftstellerische Thätigkeit dieser Schule. Ein namhafter 
Theil derselben scheint aber seinen Ruhm überhaupt weniger ia 
wissenschaftlicher Forschung und Lebrthätigkeit, als in frommen 
Uebungen, und besonders in jenen theurgischen Werken gesucht 
zu haben, wegen deren ein Maximus, ein Chrysanthius und andere 
Männer ihrer Richtung von Bunapius so hoch gepriesen werden. 
Von dieser Parthei hatte die Philosophie selbstverständlich nicht blos 
keine Förderung zu erwarten, sondern ihr Treiben konnte nur 
dazu führen, das wissenschaftliche Leben vollends in Aberglauben, 
Phantasterei und Fanatismus zu ersticken. Dagegen gelang es ihr, 
die sinkenden Kräfte des Polytheismus noch einmal zu einem lelz- 
ten Kampf gegen das Christentkum zusammenzuraffen, das ihn mi 
immer entschiedenerem Erfolge zu verdrängen suchte; unier 
Julian unternahm sie sogar, durch die äusseren Umstände begün- 
stigt, eine Restauration der alten Religion, die aber freilich, inner- 
lich hohl und erkünstelt, wie sie war, ohne einen festen Halt im 
Glauben der Völker, bei der ersten Wendung der Verhältnisse 
nur mit einem desto tieferen Falle enden konnte. Erst nachdem 


Die Schrift von den Mysterien. 64T 


dieser Versuch misslungen war, sehen wir die wissenschaftliche 
Thätigkeit in der platonischen Schule auf’s neue erwachen. 

Von dem Geist, in welchem die Religion hier behandelt wurde, 
giebt uns keine andere Urkunde eine klarere Anschauung, als die 
bekannte Schrift „von den Mysterien®, welche zwar schwerlich 
von Jamblich selbst, um so gewisser aber von einem Mann aus 
seiner Schule verfasst ist 1), der seine leitenden Gedanken von 
jenem entlehnt hat 7). Um Porphyr's Bedenken gegen den Volks- 
glauben und die theurgischen Künste zu widerlegen, giebt diese 
Schrift eine ausführliche spekulative Theologie, die mit den höch- 
sten metaphysischen Principien anfängt, aber schnell genug den 
Weg zum dichtesten Aberglauben zu finden weiss. Der Glaube an 
die Götter ist ihr zufolge unmittelbar mit unserem Dasein selbst 
gegeben; wir sind so untrennbar mit der Gottheit verwachsen, 


1) Der eigentliche Titel dieser Schrift lautet: ᾿Αβάμμωνος διδασκάλου πρὸς 
τὴν Πορφυρίου πρὸς ᾿Ανεβὼ ἐπιστολὴν ἀπόχρισις καὶ τῶν ἐν αὐτῇ ἀπορημάτων λύσεις. 
Jamblich wird sie in einigen Handschriften beigelegt, und eine derselben ver- 
sichert (die Stelle ist Gaue’s Ausgabe vorangedruckt), Proklus babe sie in 
seinem Commentar zu Plotin’s Enneaden für ein Werk Jamblich’s erklärt. 
Bollte aber diese Angabe auch richtig sein, so fragt 98 sich doch immer noch, 
ob sich die Annabme des Proklus auf eine glaubwürdige Ueberlieferung, nicht 
auf sine blosse Vermuthung gründete. Mir scheinen diejenigen Recht zu ha- 
ben, welche unser Buch nicht Jamblich selbst, sondern einem Mann aus sei- 
ner Schule zuschreiben, wie Merınuns (Comment. δος, Götting. IV, 50 ff.) und 
Hasutess (Das Buch von den ägypt. Myast. 1858. 8. 2). Findet sich aueh im 
seinem Inbalt kaum etwas, was mit Jamblich’s Lehre, 80 weit sie uns bekannt 
ist, im Widerspruch stände, so unterscheidet es sich doch durch seine ein- 
fachere und dialektischer gehaltene Darstellung von den Fragmenten Jamb- 
tich’s mit ihrer wortreichen Rhetorik; auch mag man immerhin fragen, ob 
dieser wohl seinen Lehrer in einem solohen Ton angegriffen und geschul- 
meistert haben würde, wie diess unser Buch thut; und wenn das letztere sei- 
nen angeblichen Abammon VIII, 8 auf Jamblich’s Schrift von den Göttern 
verweisen Iässt, so ist es auch eher einem Späteren, als Jamblich selbst, zu- 
zutrauen, dass er so aus der Rolle gefallen sei. Griechisch ist es uuter dem 
Titel: „De mysteriis Aegyptiorum“ 1678 von Gaue, unter dem kürzeren: 
„Jamblichi De mysteriis liber“ 18567 von Parraey herausgegeben worden ; 
eine Darstellung und religionsgeschichtliche Erläuterung seines Inhalts giebt 
Haızussg in der ebengenannten Schrift. 

2) Wie diess nicht blos aus dem ganzen Inhalt derselben, sondern auch 
aus der ebenberührten Berufung auf Jamblich's Werk περὶ θεῶν (VIII, 8. s. ο. 
8. 616) hervorgeht. 


648 Jamblich’s Schule. 


wir werden 90 völlig von ibr umfasst und erfüllt, wir baben unser 
Sein so ganz nur im Gottesbewusstsein, dass schon das Erkennes 
eine unangemessene Bezeichnung für dieses Verhältniss ist, denn die 
Gottheit ist nicht als Gegenstand des Erkennens von uns gelreant, 
sondern schlechthin eins mit uns (I, 3). Das gleiche gilt aber (ebd.) 
auch von den übrigen höheren Wesen, Dämonen, Hero£n u. 5. w. 
Die ganze Theologie erscheint daher hier einfach als ein Postulat 
des religiösen Bewusstseins; und weil sie diess ist, verlangt unser 
Verfasser jene absolute Unwandelbarkeit der religiösen Ueberzes- 
gungen ?), die er allerdings nur bei den Orientalen, nicht bei den 
Hellenen zu finden weiss 2). Auf diesen Grund hin liess sich natür- 
lich alles, auch das ungereimteste, mit Leichtigkeit behaupten : mas 
brauchte es nur für einen Bestandtheil des angeborenen Götter- 
glaubens zu erklären, und man war jeder Beweisführung über- 
hoben. Doch bemüht sich der Verfasser, seine Meinungen mn ein 
System zu bringen, und die religiösen Satzungen, die er rechtifer- 
tigen will, mit den philosophischen Grundsätzen seiner Schule zu 
verknüpfen. Das wichtigste ist hiefür, wie er glaubt, CI, 4) die 
Unterscheidung der verschiedenen Ordnungen von höheren Wesen. 
Vor dem wahrhaft Seienden, sagt er mit Jamblich, und vor allen 
andern Principien ist der Eine Gott, welcher unbewegt in seiner 
Einheit beharrt. Von ihm hat sich der zweite Gott ausgestrabli, 
welcher erst das Princip des Seins, der Grund des Intelligibeln, 
das Gute, der Selbstgenügsame, der Ueberseiende genannt wird, 
denn erst von ihm stammt das Seiende und das Gedachte, der erste 
Gott ist mehr, als das Princip, und höher, als das Gute 5). Das 
nächste nach diesem doppelten Urgrund ist das Sein, oder die 
intelligible Substanz, in welcher die Götter ihren Ort haben 4); von 
ihr wird der Nus mit Bestimmtheit unterschieden, wenn der Ver- 


1) 1,3, 8. 9: Die Vorstellungen über die Götter müssen ebenso unrer- 
änderlich sein, wie diese selbst; sie dürfen sich nicht auf Vermutbungen oder 
Schlüsse, die zeitlichen Ursprungs seien, sondern nur anf die reinen Ge 
danken gründen, welche die Götter der Seele von Ewigkeit: her mitgetbeilt 
haben. 

2) 8. u. 8. 654. 

3) VII, 2, 6. 0. 622, 1. 

4) 1,5, weniger klar VIII, 8, da sich der Verfasser hier an cine herm* 
tische Deutung der ägyptischen Mythologie hält. 


-- ul - lo. 


Die Schrift von den Mysterien. 649 


fasser darauf besteht, dass die Götter höher seien, als das Denken’), 
. Die intellektuellen Götter Jamblich’s werden hier nicht berührt, 
dagegen unterscheidet die Schrift die ewige und überweltliche Seele 
von der innerweltlichen ?), die sichtbaren Götter von den unsicht- 
baren 5), und die niedrigeren Ordnungen von den Göttern und von 
einander. In der weitesten Entfernung von den Göttern stehen 
die Seelen, zwischen beiden die Dämonen und die Heroen; die 
Dämonen stellen die Entfaltung des Einen zur Vielheit dar, die 
Heroen die Rückkehr des Vielen zur Einheit, jene haben die ein- 
zeinen Theile der Welt überbaupt, und namentlich auch der Natur, 
diese nur das beschränktere Gebiet der menschlichen Seelen unter 
ihrer Obhut %). Zwischen die Götter und die Dämonen werden 
aber auch noch Engel und Erzengel, zwischen die Heroen und die 
Seelen zwei Klassen von Archonten eingeschoben °); und anderer- 
seits kennt der Verfasser, während er die Annahme verderblicher 
Gottheiten bestreitet (1, 18), und das Uebel als naturnothwendig 
zu begreifen weiss (IV, 8), neben den guten auch vernunftlose °) 
und böse ”) Dämonen, die den schlechten Leidenschaften der Men- 
schen dienstbar zu Zauberei und ungöttlicher Wahrsagung gebraucht 
werden. Alle Götter sind immateriell und allgegenwärtig, sie wir- 
ken im Körperlichen wo sie wollen, aber kein Körper beschränkt 
sie; die unsichtbaren Götter stehen auch überhaupt in keiner Be- 
ziehung zu bestimmten Körpern, wogegen die sichtbaren, als die 
Abbilder von jenen, bald die ätherischen Körper der Gestirne, bald 


1) 1,15, 8. 46, wo er von den Göttern τὸν χατ᾽ ἐνέργειαν ἀὕλον νοῦν unter- 
scheidet, od δὴ παντελῶς ol θεοὶ προέχουσι. 

2) III, 28, 8. 168, 18: Gott schafft alles durch sein Denken und Wollen 
und durch die aula εἴδη, διὰ τῆς ἀϊδίου τε χαὶ ὑπερχοσμίου χαὶ ἐγχοσμίου ψυχῆς. 
Ob sich der Verfasser die letztere mit Jamblich (vgl. 8. 625) als Zweiheit, 
oder mit Plotin als Einheit denkt, geht aus seinen Worten nicht hervor. 

8) I, 19 ἢ. Die νοητοὶ θεοὶ sind nach c. 19, 8. 57 f. die überhimmlischen 
"Urbilder; ihnen zunächst stehen die mit den sichtbaren Leibern der Götter 
verbundenen γοερὰ εἴδη (die Sterngeister), welche aber trotz dieser Verbindung 
doch zugleich χωριστῶς αὐτῶν προύὔπάρχει. 

4) Ausführlich handelt hierüber I, 6. 5—7. c. 20. IL, 1£. 

δ) II, 3. 5 vgl. e. 2 und V, 25. 

6) IV, 1. VI, 5. 

7) IU, 81. IV, 7. 18. Ob diese bösen Geister mit den vernunftlos wir- 
kenden identisch sind, oder nicht, wird nicht. ganz klar. 


650 Jamblich’s Schule. 


die Luft oder das Wasser beseelen, ohne übrigens desshalb mit 
ihrem Wesen in das Körperliche einzugehen Ὁ. Auch die guten 
Dämonen denkt sich der Verfasser ohne Leiber 3), und den Seelen 
weist er wenigstens insofern einen höheren Rang an, als Jamblich, 
wiefern er sie sich im körperlosen Zustand über alles Leiden erhs- 
ben vorstellt (1,10); dagegen stimmt es mit Jamblich’s Lebre über- 
ein, wenn gesagt wird, nur der unterste Theil der Seele sei dem 
Verhängniss unterworfen, der höhere vermöge sich darüber zu 
erheben ὅ), und sich mit göttlicher Hülfe bis zur Ordnung der 
Engel emporzuschwingen CII, 2). Die Merkmale, woran die Er- 
scheinungen der Götter, der Engel, der Dämonen u.s.w. von einan- 
der zu unterscheiden sind, die Form und den Stoff, in denen jede 
dieser Klassen erscheint, die Wirkungen, welche ihre Erscheinung 
hervorbringt, hat der Verfasser mit scholastischer Gründlichke# 
untersucht (II, 3—9); neben den ächten kennt er auch trügerische 
Erscheinungen, in denen sich geringere Wesen, die Fehler der 
theurgischen Operationen benützend, den höheren unterschieben 
(It, 10). Dass jedem Volk und jedem Tempel sein eigener Gott 
oder Engel zum Vorstand gegeben wird, dass jede Klasse von Opfers 
unter der Aufsicht eines solchen stehen soll, die Opfer für die 
Götter unter der eines Gottes, die für Dämonen unter der eines 
Dämon u. s. w. (V, 25), dass jeder Einzelne seinen Schutzgeist 
erhält (IX, 6 ff.), war zu erwarten; der Annahme böser Genies 
widerspricht der Verfasser (IX, 7) ebenso, wie der stoischen Umdes- 
tung des Genius in die eigene Vernunft (IX, 8); eigenthümlich ist 
die Behauptung (IX, 6), der Dämon des Menschen sei, wie der 
Mensch selbst, aus allen Theilen der Welt zusammengesetzt. 

Wer sich von dem Dasein dieser unermesslichen Götter- und 
Dämonenwelt überzeugt hat, für den ist natürlich die wichtigste 
Frage die nach den Mitteln, wodurch wir mit all diesen höheren 
Wesen in Verkehr treten. Plotin und im wesentlichen auch noch 


1) I, 8£ 17. 19. 8. o. 649, 8. 

2) Diess scheint wenigstens aus I, 15 Anf. hervorsugeben. 

8) VIII, 7 ἢ. vgl. 8. 686, 2. Die zwei Bestandtheile der Seele werden 
hier (8. 269) auch geradezu, mit Numenius, zwei Seelen genannt; doch ze- 
nächst nur auf Grund einer hermetischen Schrift. Die höhere Seele, die &ox- 
τιχὴ ψυχὴ, soll theils von dem πρῶτον νοητὸν theils von dem Demiurg, die 
niedrigere aus den himmlischen Sphären, den χόσμοι, herstammen. 


Die Schrift von den Mysterien. 651 


Porphyr hatten diese nur in der Philosophie gesucht; unser Ver- 
fasser weiss sich mit dieser geistigen Verbindung nicht zu begnü- 
gen. Nicht das Denken, behauptet er !), verknüpfe den Theurgen 
mit der Gottheit, sondern die geheimnissvollen Werke, die über 
alles Denken hinausgehen, und die Kraft der Zeichen, die nur den 
Göttern bekannt seien (vgl. I, 21); und um uns über das magische 
seiner Vorstellungsweise keinen Zweifel übrig zu lassen, fügt er 
ausdrücklich bei, diese Zeichen wirken durch sich selbst, auch 
wenn wir sie nicht verstehen ἢ. Wir dürfen an das Göttliche, sagt 
er, nicht den beschränkten menschlichen Maasstab anlegen, wir 
dürfen nicht nach unsern Verhältnissen über das urtheilen, was 
schlechthin über dieselben erhaben ist?). Versucht er nichtsdesto- 
weniger eine philosophische Begründung der Gebräuche und Hand- 
lungen, die seinem kritischeren Gegner Bedenken erregt hatten, so 
liegt doch am Tage, dass die philosophischen Gründe bei ihm nur 
eine nachträgliche Stütze für Ueberzeugungen sind, die ihm vor 
allen Gründen feststehen. Er beginnt, wie unsere spekulativen 
Orthodoxen, nur desshalb mit rationalen Vordersätzen, um desto 
irrationalere Folgerungen daran zu knüpfen, und in letzter Bezie- 
hung ist es doch immer nur ein subjektives Bedürfniss, was diese 
widersprechenden Elemente verbindet. Die Gottheit, sagt er CI, 
8 f.), ist allgegenwärtig; und er schliesst daraus, dass sie sich 
offenbaren könne, wo sie wolle, ganz wie man in neuerer Zeit 
die Möglichkeit des Wunders aus der Immanenz Gottes beweisen 
wollte®). Die höheren Wesen, erklärt er 5), sind ohne Leiden und 


ı) 11,11, S. 96. 

2) Damit steht nicht im Widerspruch, dass anderwärts (X, δ) die Er- 
kenntniss der Götter der einzige Weg sur Befreiung von den Banden des Ver- 
hängnisses genannt wird; denn für diese Erkenntniss sollen uns, wie im fol- 
genden beigefügt wird, nur die priesterlicken und theurgischen Handlungen 
vorbereiten. 


8) IX, 10 vgl. I, 21, 8. 65, 15 (wo aber statt λογισμῶν "λογισμῷ" zu 
losen ist). 

4) M. vgl. hiemit den hübschen, jedes neuesten Apologsten würdigen 
Passus bei JuLıan orat. VII, 219, Ὁ, der ein angebliches Wandeln des Hera- 
kles auf dem Meere damit rechtfertigt, dass die Elemente dem schöpferi- 
schen Geiste, welchen die Gottheit zum Heil der Menschen in die Welt ge- 


sandt babe (diess ist ihm nämlich Herakles) unbedingt gehorohen müssen. 
δ) I, 4. 10— 12. 14 u. ὅ, 


633 Jamblich’s Schule. 


ohne Bedürfnisse, sie sind keiner Veränderung und keinem Affekt | 
unterworfen; aber diess hindert ihn nicht im geringsten, alle die 
Vorstellungen und Handlungen, die ein Leiden und eine Wandel- 
barkcit der Götter voraussetzen, bis in ihre rohesten und sinnlich- 
sten Ausläufer zu vertheidigen. Der Mensch wirkt in der Theurgie, 
wie unsere Schrift versichert, nicht auf die Gottheit, sondern aul 
sich selbst, um sich für die höheren Einflüsse empfänglich zu ms- 
chen (I, 12); der theurgische Verkehr mit der Gottheit darf nickt 
nach der beschränkten Analogie unsers Verkehrs mit andern Mes- 
schen aufgefasst werden, was der Theurg thut, das thut er als πα- 
mittelbar eins mit der Gottheit, das thut nur der Gott durch ika 
(IV, 3. VI, 6). Die Gebräuche, worin die Gottheit wie ein leides- 
des Wesen behandelt zu werden scheint, haben theils einen ver- 
borgenen Sinn und Grund, theils sind es heilige Symbole oder 
Ehrenbezeugungen, theils bezwecken sie die Reinigung und die 
Weihung des Menschen CI, 11); die Sühaungen sollen nicht den 
Zorn der Gottheit beschwichligen, sondern die Seele, die sich ibrer 
heilbringenden Wirkung verschlossen hat, für sie öffnen (I, 13); 
weiss doch unser Verfasser selbst die Wirksamkeit barbarischer 
und sinnloser Götternamen mit der symbolischen Bedeutung und 
der Heiligkeit dieser Namen zu begründen (VII, 4 f.), ja sogar den 
Phallusdienst und die unfläthigen Reden bei demselben theils al 
Symbole höherer Wahrheiten, theils gar als Reinigungsmittel zu 
preisen, sofern sie uns von den niedrigen Trieben durch vorüber- 
gehende Aufregung derselben befreien (I, 11). Einem so geläl- 
ligen Anwalt konnte es nicht schwer werden, die polytheistische 
Religion seiner Zeit nach allen Theilen in Schutz zu nehmen: die 
Gebete mit der Bemerkung, dass sie von den Göttern gehört werden, 
sofern die Seelen der betenden von ihnen umfasst sind 1); die 
Weissagung, welche als blosses Naturprodukt (im stoischen Sina) 
ausdrücklich für wertblos erklärt wird (X, 3. III, 1), mit der Eris- 


1) 1,15, 8. 46, 15 ff. =. 0. 682, 1. Weiteres tiber das Gebet I, 12, V, 2. 
In der letzteren Stelle werden drei Stufen des Gebets unterschieden, in beide 
wird seine Bedeutung zunAchst in seiner Wirkung auf die menschliche Seele 
gesucht, die aber freilich zugleich das Mittel zu übernatürlicher Erleuchtung 
sein soll. Von den höchsten göttlichen Wesen (dem πρῶτον νοοῦν und πρῶτον 
νοητὸν) sagt unsore Schrift VIII, 3, 5, 263 mit Apallonias und Porphyr (s. 0. 
127, 2. 600, 1): διὰ σιγῆς μόνης θεραπεύεται. 


Die Schrift von den Mysterien. 653 


nerung an die Macht der Gottheit und an die Erleuchtung, deren | 
sich eine mit ihr geeinigte Seele zu erfreuen hat '); die Opfer, 
deren Unentbehrlichkeit und übernatürliche Wirkung gleichfalls 
ausdrücklich (gegen Plotin und die Stoiker) vertheidigt wird CV, 
6-- 8), durch die Behauptung, der opfernde könne in Folge der 
Liebe, welche die Götter mit ihren Geschöpfen verknüpfe, seine 
Einigung mit den schöpferischen Ursachen durch Vermittlung sol- 
cher Dinge bewirken, welche die Natur jener Ursachen rein dar- 
stellen, und er könne vermöge dieses geheimnissvollen Zusanımen- 
hangs jene Ursachen selbst, bald in grösserem bald in geringerem 
Umfang, zu seinem Besten in Bewegung setzen 3). Die Noihwen- 
digkeit der theurgischen Hülfsmittel beweist unser Verfasser theils 
im allgemeinen mit dem Satze °), dass man zu den immateriellen 
Göttern nur durch Vermittlung der in der Materie wirkenden, zu 
den allgemeineren Kräflen nur von den besonderen aus gelangen 
könne; theils beruft er sich dafür, wie so viele von seinen christ- 
lichen Nachfolgern, auf die Bedürfnisse unserer sinnlichen Natur, 
wenn er sagt: die körperlose Seele, oder diejenige, welche sich 
von jeder sinnlichen Neigung befreit hätte, könnte mit den unsicht- 
baren Göttern in rein geistiger Weise verkehren; wer dagegen 
von körperlichen Neigungen und Bedürfnissen nicht frei sei, der 
müsse sich mit Hülfe des Sinnlichen an die Götter wenden, und 
durch die sichtbaren Götter zu den unsichtbaren aufsteigen t). 
Dass auch materielle Dinge diesen Dienst leisten können, wird aus 
ihreın Zusanımenhang mit dem Immateriellen bewiesen: da in allem 
. Körperlichen unkörperliche Kräfte wirksam sind, so ist auch das 
Körperliche ein geeignetes Organ für die Aufnahme des Göttlichen ; 
indem die theurgische Kunst die Stoffe erkennt, welche den Göttern 
überhaupt und jedem Gott im besondern verwandt sind, zeigt sie 
uns die Mittel, zur Gemeinschaft mit denselben zu gelangen °). 
Eben diess ist auch der Grund, warum sich der Mensch im Verkehr 


1) Von der Weissagung und Inspiration, ihrem Wesen, ihren Urhubern 
und ihren Arten, handelt das ganze dritte Buch; zu dem obigen vgl. man 
besunders 111, 3. 17 und X, 4. 

2) V, 9£.: das fünfte Buch ist ganz den Opfern gewidmet, 

8) V, 14. 21. X, 6. 

4) V, 15— 20. 

5) V, 28 ἴ. vgl. VI,3 u.a. St. 


654 Jamblich’s Schule. 


mit der Gottheit gewisser materieller Verunreinigungen enihalka 

muss (VI, 1 f.). Wie es sich freilich mit allen diesen Dingen ver- | 
hält, das kann keine menschliche Weisheit, sondern nur die göli- 
liche Offenbarung bestimmen: die göttliche Wirkung muss dem 

menschlichen Willen zuvorkommen, die Götter müssen den Theer- 

gen durch ihre Gnade erleuchten CI, 12), sie sind es, welche die 

priesterlichen Gebetsformelan geoffenbart (I, 15), welche die höhere 

theurgische Kunst mitgetheilt (IV, 2), welche die Opfer und Got- 

tesdienste gestiftet haben (V, 25); als die Träger und Ausleger 

dieser höheren Offenbarung besitzen die Priester und die Theurgen 

eine Heiligkeit, die sie in den Augen unsers Verfassers hoch über 

die Philosophen hinaushebt !); die unverfälschte Bewahrung der 

ursprünglichen Offenbarungen ist es, worauf in der Religion alles 

ankommt (VII, 5). Unsere Schrift erklärt sich daher (ebd.) aufı 

stärkste gegen die religiöse Zweifel- und Neuerungssucht der Grie- 

chen, der keine Ueberlieferung heilig sei; weit frömmer und goli- 

gefälliger sind ihrer Meinung nach die Barbaren, unter denen se 

namentlich die Chaldäer 5), nächst diesen die ägyptischen Priester), 

als die treuen Bewahrer der heiligen Geheimnisse rühmend bher- 

vorhebt. 

Man sollte glauben, einem Theologen von diesen Grundsätzen 
hätte kaum irgend etwas in dem ganzen Gebiete des heidnisches 
Aberglaubens zum Anstoss gereichen können. Doch haben wir 
schon gehört, dass unser Verfasser falsche Theophanieen von des 
wahren unterscheidet. In ähnlicher Weise erklärt er sich über 
einige andere verwandte Gegenstände. Er missbilligt das Gaukd- 
spiel, welches die Zauberkünstler jener Zeit trieben, indem s# 
Göttergestalten erscheinen liessen 4), er bestreitet überhaupt die 
verschiedenen Formen der ungöttlichen Weissagung und der fl 


1) II, 11. ΥἹ, 6. Χ, 1. 

2) VI, 7, Schl. VII, 4. I, 1. S. 4. I, 2, Anf., wozu die Nachweisunge 
über Jamblich’s chaldäische Theologie 8. 616 zu vergleichen sind. 

8) VII, 4 8. VII, 1 Eu ὅ. 

4) III, 28 Ε΄, wo es sich aber nicht um die Götterbilder (ἀγάλματα), se= 
dern um angebliche Erscheinungen göttlicher Gestalten (εἴδωλα) im Weik 
rauch handelt (vgl. c. 29, 8. 172,2 ff. c. 80, 8. 173, 16 £.), wo daber λει 
8. ἃ. Ο. 8.2 ohne Grund einen Widerspruch mit Jamblich's Ansichten über 
die Götterbilder findet. 


Theodor von Anine. 653 


schen Magie auf’s eifrigste. Aber statt diese Erscheinungen aus 
menschlichem Betrug herzuleiten, erklärt er in der Regel böse 
Geister für ihre Urheber 1); dieselbe Voraussetzung dient ihm aber 
auch wieder zur Rechtfertigung abergläubischer Gebräuche, wenn 
er die Drohungen, welche von Theurgen gegen Götter ausgestossen 
wurden, auf die vernunftlosen Dämonen gemünzt sein lässt (IV, 
1 ΚΟ VI, 5). Dass den bösen Geistern jener Einfluss verstattet ist, 
wird IV, 4 ff. ausführlich gerechtfertigt. 

Was sich aus der Schrift von den Mysterien über die Geistes- 
richtung der syrischen Schule abnehmen lässt, das wird uns auch 
durch alle anderen Nachrichten bestätigt. Der bedeutendste von 
Jamblich’s Schülern scheint Theodorus von Asine ?) gewesen 
zu sein; wenigstens sind uns von keinem andern so viele wissen- 
schaftliche Bestimmungen überliefert; aber was wir von ihm hören, 
das zeigt uns doch nur einen schwerfälligen, in trüber Scholastik 
mühselig arbeitenden Denker. Einestheils wird er mit Amelius 
und Numenius zusammengestellt 5), andererseits bildet er den 
Uebergang von Jamblich zu Proklus, der desshalb auch nie anders, 


1) III, 18. 31. IV, 7. 13; milder urtheilt der Verfasser VI, 8 über die 
Wahrsagung aus den Eingeweiden, doch stellt er auch sie weit unter die 
göttliche Weissagung, indem er sie auf Dämonen geringeren Rangs surück- 
führt. Anch die Astrologie (I, 18. IX, 1 ff.) verwirft er nicht, aber er legt 
ihr keinen grossen Werth bei, 

2) Ὃ ᾿Ασιναΐος, ὃ ἐχ τῆς ᾿Ασίνης φιλόσοφος, nennt ihn Proxt. in Tim. 
187, Β. 225, A u. ὅ.; ob aber das argolische, das lakonische, oder das mes- 
senische Asine sein Geburtsort war, wird nicht angegeben. Nach Dauasc. 
v. Isid. 166 war er Porphyr’s Schüler, und dieser hatte ihn zu der einfachen 
Lebensweise und der geschlechtlichen Enthaltsamkeit angeleitet, der er sein 
Leben lang treu geblieben sei. Da ihn aber Prokı. in Tim. 94, E. 184, A. 
206, B (womit ebd. 226, B nicht streitet) sehr bestimmt für jünger erklärt, als 
Jamblich, so müssen wir annebmen, er sei erst in Porphyr's letzten Lebens- 
jahren mit diesem Philosophen bekannt geworden, und nach seinem Tod in 
Jamblich’s Schule übergegangen, in der wir auch wirklich (b. Euxar. 8. 12) 
einen Griechen Theodor als κατ᾽ ἀρετὴν ὑπερέχων genannt finden. Von seinen 
Schriften kennen wir die Erklärung des Timäus aus den vielen Aufüihrungen, 
bei Pruklus; die des PhAdo aus Olympiod. in Phäid. ed. Fıxckn 8. 159, Nr.88; 
die Bchrift x. ὀνομάτων aus Ῥποκι,. Plat. Theol. 8. 215, m; auf einen Commen- 
tar zu den Kategorieen lässt Anuos, in Anal. pri. bei Waıtz Arist. Org. I, 48, 
doch nicht sicher, schliessen. Eine psychologische Schrift wird sogleich, 
besprochen werden. 

8) Ῥκοκι. a. a. Ο. 4, E. 94, E. 225, A. 226, B. 


656 | Thoodor von Äsine. 


als mit der grössten Hochachtung von ihm redet ἢ. Wenn schon 
Jamblich die Glieder der intelligibeln Welt nach Zahlenverkäh- 
nissen zu ordnen versucht hatte, so bringt sie Theodor, im übrigen | 
mit Jamblich einverstanden, in ein durchgeführtes Triadensystem®?), 
das aber freilich, auch abgesehen von der theilweisen Dunkelbeil ὦ 
der Berichte, nicht sehr durchsichtig erscheint, und von der de 
lektischen Kunst eines Proklus weit abliegt. Das Grundschema 
seines Systems bildet die plotinische Stufenreihe des Ersten, das 
Nus und der Seele °); indem er nun aber das zweite von dieses 
drei Gliedern wieder dreigliedrig spaltete, ergaben sich ihm fünf 
Stufen, aus denen sich der weitere Schematismus durch fortgesetzte 
Dreitheilung entwickelt: das Urwesen, das Intelligible, das Is- 
tellektuelle, das Demiurgische und das Psychische. Das Erste 
bezeichnete er mit Jamblich nicht blos als das Unaussprechliche, 
sondern auch als die Ursache des Guten, ohne doch darum dasGule 
selbst als ein zweites Urwesen von ihm zu unterscheiden 5). Diesem 
zunächst stellte er die intelligible Trias, welche er das ἕν nannte, 
indem er die drei Laute dieses Worts, seiner mystischen Lieb- 
haberei gemäss, ihren drei Gliedern verglich °); ob und wie er 
diese näher bestimmte, wissen wir nicht. Die intellektuelle Trias 
ist das Sein, welches dem Seienden, das Denken, welches dem 
Nus, das Leben (ζῆν), welches der Belebtheit (ζωὴ) vorangeht”). 
Die demiurgische Trias ist das Seiende, der Nus und ein drilies, 
das Theodor die Quelle der Seelen (τὴν πηγὴν τῶν ψυχῶν) 
nannte 7); indem er jedes von diesen drei Gliedern wieder in ein 


1) Er nennt ihn ὃ μέγας a. a. Ο. 66, E. 808, C, ὁ θαυμαστὸς 98, B u. 5, 
ὃ γενναΐος 188, E; Theol. Plat. I, 1 med. stellt er ihn mit Plotin, Porphyr und 
Jamblich zusammen. 

2) ὥσπερ εἴωθε τὰς τριάδας anurelelv sagt Paoxı.. in Tim. 297, C. 

3) Proxı. a. a. O. 808, C: dem Ersten schrieb er das ἀφ᾽ οὗ und ἐφ᾽ 3 zu, 
dem Nus das δι ὃ und πρὸς ὃ, der Seele das do’ οὗ und χαθ᾽ 8. 

4) A. a. 0. 225, Af. 

5) A.a. O. 226 B, wozu m. vgl. was 8. 623, 1 über Jamblioh’s Lehre Τοῦ 
der Einheit der intelligibeln Trias (τὸ τῆς τριάδος Ev) beigebracht wurde. 

6) A. 2.0. 

7) Α. ἃ. Ο. 225, B. 258, D., das erste Glied nannte Theod. (ebd. 94, E) 
auch den γοῦς οὐσιώδης, das zweite die νοερὰ οὐσία. Dieselben scheinen mit 
dem doppelten Nus, dem aus dem Allgemeinen und dem aus dem Getheiltes 
bestehenden, gemeint zu sein, von dem er nach den 8. 667, 4 angeführte 
Btellen gesprochen hatte, 


Theodor von Asine, 657 


erstes, mittleres und letztes theilte, gewann er drei demiurgische 
Triaden; das letzte Glied in jeder von diesen drei Triaden nannte 
er das αὐτοζῷον !). In derselben Art unterschied er auch drei 
Seelen: die ursprüngliche, die aus dieser hervorgegangene allge- 
meine Seele, welche nicht mehr ebenso ungetheilt sein sollte, wie 
die erste, und als das dritte die schlechthin getheilte Seele, oder 
die Weltseele ?); die letztere nannte er auch das Verhängniss, und 
als ihren Leib bezeichnete er die Natur °). Die erste Seele sollte 
vorherrschend von dem ersten, die zweite von dem zweiten, die 
dritte von dem dritten Glied der demiurgischen Trias erzeugt 
sein; sofern aber dieses nur das Produkt der zwei erstern ist, 
konnte er auch sagen, die Seele überhaupt sei aus dem Seienden 
und dem Nus, oder wie er diess auch ausdrückt, sie sei aus dem 
doppelten Nus, dem ungetheilten und dem getheilten, entsprun- 
gen 4). Ueber die harmonischen Verhältnisse der Seele °), über 
die Bedeutung der Buchstaben, aus denen das Wort ψυχὴ besteht ©), 
über die Zahlen der vier Elemente °) hatte Theodor mit scholasti- 
scher Gründlichkeit und Weitschweifigkeit ®) gehandelt. Proklus 
findet diese Spekulationen, in welchen Theodor einem Numenius 
und Amelius folgte, welche aber selbst einem Jamblich zu weit 
giengen °), mehr sinnreich, als richtig 15); auf uns machen sie 
vor allem den Eindruck des kindischen; und nicht viel besser ist, 
was Theodor über die Beziehung zwischen den Winkeln und Seiten 
des Dreiecks und zwei Klassen von Göttern 11), und über das Ver- 


1) Ebdas. 98, E. 130, B. 

2) A.a. 0. 206, B ὦ, wo auch die platonische Darstellung in diesem Sinn 
gedeutet wird; 225, B. Vgl. hiezu, was 8. 626 über Jamblich mitgetheilt ist. 

8) A. a. Ο. 822, E. 820, Ὁ. 

4) A. 8. 0. 225, Bf. 206, C. 187, B. 129, E. 

δ) A. a. O. 206, C — 207, A. 

6) A. a. Ο. 225, C — 226, A. 

7) Ebd. 206, Ὁ ἢ. 

8) Ὁ μὲν οὖν Θεόδωρος (schliesst Proxı. 226, B seinen langen Bericht 
über den zweiten der obengenannten Punkte) τοιαῦτα ἄττα φιλοσοφέϊ περὶ τού- 
τῶν ... ὡς ἐχ πολλῶν ὀλίγα παραθέσθαι. 

9) Vgl. 8. 572, 2. 

10) A. a. O. 207, A aus Anlass der Erörterung über die harmonischen 
Zahlen der platonischen Psychogonie. 

11) Paosı. in Eucl. 86, m.: Der Asinäer habe mit den Seiten des Dreiecks 

Philos. ἃ. Gr. III Bd. 2. Abtl. 42 


658 Theodor von Asine. 


hältniss der verschiedenen Planeten !) zu den drei Gliedern der 
demiurgischen Trias lehrte. Gleiches Wesens mit der Weltseele 
ist die Seele des Menschen 3); sie hat alle Ideen in sich 5, und 
ihrem höchsten Bestandtheil nach ist sie, wie Theodor mit Plotim, 
im Gegensatz gegen seine beiden Lehrer, behauptete, leidenslos 
und ununterbrochen thätig *). Zur Religion verhielt sich Theodor 
ähnlich, wie Jamblich, so viel sich wenigstens aus den Anführun- 
gen des Prorıus über seine Ansicht von den untergeordneten Göt- 
tern 5), über die Deutung einzelner Göttergestalten °) und über 
das Gebet 7) abnehmen lässt. Das eigenthümlichste und das alleie 
bedeutende in seiner Lehre ist ohne Zweifel das Triadensystem, 
durch welches er der nächste Vorläufer des Proklus geworden ist, 
aber das systematische, was er anstrebt, wird bei ihm zu einem 
so trockenen Formalismus, und das einzelne seiner Lehren ist so 
willkührlich und phantastisch, dass wir dem bewundernden Uriheil 
des Proklus über ihn entfernt nicht beitreten können. 

Die übrigen Männer aus Jamblich’s Schule scheinen aber 


allerdings als Philosophen noch geringere Bedeutung gehabt zu 


die Gottheiten zusammengestellt, welche den Hervorgang (des niedrigeren aus 
dem höheren), mit den Winkeln die, welche die Zusammenfassung des her- 
vorgegangenen zur Einheit bewirken. 

1) Proxt. in Tim. 258, D ὦ; (denn auf die demiurgische, nicht auf die 
intellektuelle Trias, wird sich die Stelle doch wohl beziehen). Theodor folgte 
hier allerdinge dem Vorgang Porphyr's; s. o. 588, 2. 

2) Ebdas. 314, E. Proxrnus tadelt diese „Grossprecherei.“ 

8) Neues. nat. hom. 5. 51 erwähnt von Theodor eine Schrift: ὅτι ἢ ψυχὴ 
πᾶντα τὰ εἴδη ἐστί. In dieser Schrift hatte derselbe, mit Kronius und Porphyr, 
behauptet, dass auch die Tbiere Vernunft haben. 


4) Proxı. a, a. O. 341, Ὁ. 
δ) Α. ἃ. Ο. 287, A. Theod. unterscheidet hier an den sichtbaren Qöttern 


ihr körperloses Wesen und ibre Beziehung zu einem Körper; nach jener Beits 
sollen sie Götter, nach dieser Dämonen genannt werden. 

6) A. a. Ο. 292, C über Uranos und Gäa, 293, F über Okeanes und The- 
tys, 296, C über Kronos, Rhea und Phorkys, 297, C über Zeus und Here. 
Die letzteren werden auf Theile der Weltseele bezogen, die übrigen Deutan- 
gen sind zu verwickelt und undurchsichtig, um hier mitgetheilt zu werden. 

7) Proxı. in Tim. 65, E: πάντα γὰρ εὔχεται͵ πλὴν τοῦ πρώτου, φησὶν ὁ μέ- 
yas Θεόδωρος. Diess weist auf die Ansicht, dass das Gebet die allgemeine Be- 
dingung für die Vermittlung des Zusammenhangs zwischen dem höheren und 
dem niedrigeren sei, womit eine magische Auffassung desselben von selbst 
gegeben war. 


Aodesius. Sopater. 659 


hhäben, wie denn auch ihre Schriften den Späteren nur wenig An- 
lass geboten haben, sie zu nennen. Einer seiner angesehensten 
Schüler war der Kappadocier Aedesius, welcher nach seinem 
Tode die Leitung seiner Schule übernahm !); aber so hoch er auch 
von Eunapius gepriesen wird: worin seine Leistungen eigentlich 
bestanden, erfahren wir nicht, und schon der Umstand, dass 
ausser Eunapius niemand seiner erwähnt, muss Bedenken er- 
wecken. Pr hatte wohl keine Schriften hinterlassen; und so ist denn 
über seine Geistesrichtung kaum etwas überliefert, als dass ihm das 
enthusiastische in Jamblich’s Wesen verhältnissmässig fremd blieb 3). 
Sein Mitschüler Sopater, der am Hofe Constantin’s I. Einfluss 
gewonnen hatte, der aber schliesslich auf Befehl dieses Fürsten, sei 
es wegen der Zauberkünste, deren er beschuldigt wurde, oder 
wegen seiner Feindseligkeit gegen die neue Reichsreligion, hin- 
gerichtet wurde °), ist uns im übrigen gleichfalls nicht genauer 
bekannt: sein Talent wird gepriesen %), eine Schrift von ihm ge- 
nannt 5), aber über ihren Inhalt sind wir nicht näher unterrichtet, 


1) Ueber ihn Eunar. v. Soph. Jambl. 8. 13. Aedes. 8. 19—21. 26 f. Max. 
8. 48 f. Prisc. 8. 65 ἢ, Aedesius stammte hiernach aus Kappadocien, sollte 
sich erst zum Kaufmann ausbilden, ergab sich aber statt dessen der Philoso- 
pbie, in der Jamblich sein Lehrer wurde; nach Jamblich’s Tod wollte er sich 
(angeblich in Folge eines Orakels) auf’s Land zurfickziehen, wurde aber von 
seinen Schülern genöthigt, sich ihrem Unterricht zu widmen, gründete in 
Pergamum eine vielbesuchte Schule, deren Ruhm, wie Eunap. versichert, an 
die Sterne reichte, und starb hochbetagt, wohl um 860. Sein Charakter zeich- 
ποῖα sich durch Milde und Freundlichkeit aus. 

2) Euxar. 8. 20: er sei μικρὸν ἀποδέων Ἰαμβλίχου͵ πλὴν ὅσα γε εἷς θειασμὸν 
Ἰαμβλίχγου φέρει. Eunap. meint zwar, es wäre möglich, dass er seine höhere 
Begabung nur geheimgehalten habe, diess ist aber kaum wahrscheinlich. Der 
Gebrauch von Traumorakeln mit vorangehendem Gebet (9. 27) steht hiemit 
nicht (wie Brucker II, 272 glaubt) im Widerspruch; diese sind etwas anderes, 
als Göttererscheinungen in wachem Zustand oder gar die mystische Einigung 
mit dem ÜUrwescn. 

3) M. s. dartiber einerseits Euxar. a. a. O. 8. 21 ff., andererseits Bozom. 
h. eccles. I, 5. Zosımus II, 40. Sum. Zur. und was 8. 618 f. bemerkt ist. 
Seine Heimath war nach Eunar. 8. 12 Syrien, und näher (Suıp.) Apamea. 

4) 8. 12 nennt ihn Eunar. einen ἀνὴρ εἰπεῖν τα χαὶ γράψαι δεινότατος und 
8. 21: ὃ πάντων δεινότερος. 

5) Περὶ προνοίας καὶ τῶν παρὰ τὴν ἀξίαν εὐπραγούντων ἢ δυςπραγούντων. 
Buıp. 


42* 


660 Eusebius. 


und ihm selbst scheint der Einfluss am kaiserlichen Hof, den er 
zum Vortheil des alten Glaubens auszubeuten hoffte, die Hauptsache 
gewesen zu sein 3). Von einigen anderen Schülern Jamblich’s 9) 
wissen wir noch weniger, was der Erwähnung werth wäre. Unter 
den Schülern des Aedesius verfolgte Eusebius eine nüchternere 
und wissenschaftlichere Richtung °); die Theurgie, welche dea 


1) Nach Jamblich’s Tod, sagt Eunar. 8. 21, sei er sofort an den kaiser- 
lichen Hof geeilt, ὡς τὴν Κωνσταντίνου πρόφασίν τε χαὶ φορὰν τυραννήσων καὶ 
μεταστήσων τῷ λόγω. Die letzteren Worte lassen erkennen, und alle anders 
Nachrichten weisen darauf hin, dass es sich hiebei wesentlich darum handalte, 
Constantin von seiner Vorliebe für's Christenthum abzubringen. Sopater 
scheint auch eine Zeit lang grossen Einfluss besessen su haben, wenn auch 
Eunapius denselben ohne Zweifel stark übertreibt. Manche wollten wissen, 
Constantin habe sich bei der Gründung Konstantinopels der magischen 
Künste Sopater’s bedient (Jon. τ. De mens. IV, 2. 8. 57). 

2) Dem Kappadocier Eustathius und dem Hellenen Euphrasius 
(Eunar. 8.12). Von dem letsteren nennt Eun. eben nur den Namen; über Ea- 
stathius, dessen Gattin Sopatra und ihren Sohn Antoninus, der an der kr 
nobischen Nilmündung eine vielbesuchte Schule errichtete und ein hohes Alter 
erreichte, giebt er zwar 8. 28—46 einen höchst wortreichen, mit abgeschmack- 
ten Wundern angefüllten, vergötternden Bericht; aber von ihren philosophi- 
schen Leistungen ist daraus nichts zu ersehen. Ob Eustathius derselbe ist, 
dessen Commentar (ὑπόμνημα) δὰ den Kategorisen Davın Bchol. in Arist. 46, 
b, 6 nennt, ist nicht sioher; dagegen erwähnt seiner Sendung zu den Persem 
Aunuıas, Marc. XVII, 5, 15. ο. 14; Lisansus’ 128ster und JuLıan's 83ster Brief 
sind an ihn gerichtet. Einen weiteren, sonst unbekannten Schüler Jamblichs‘, 
Hierius, nennt ἄμμο. zu Anal. pri. 24, b. 19 (Wartz Arist. Org. I, 45) als 
Lehrer des Maximus, sunächst in der Logik. 

8) Es erhellt diess, ausser dem sogleich weiter ansuführenden, nament- 
lich aus Eumnar. Max. 8. 49: Εὐσέβιος δὲ παρόντος μὲν Μαξίμου τὴν ἀχρίβειαν τὴν 
ἐν τοῖς μέρεσι τοῦ λόγου χαὶ τὰς διαλεχτιχὰς μηχανὰς καὶ πλοχὰς ὑπέφευγε, ἀπόντος 
δὲ, ὥσπερ ἡλιακοῦ φέγγους (sc. ἀπόντος) ἀστὴρ, ἀπέλαμπε. Jene dialektischen 
Erörterungen, mit denen er in Gegenwart des Maximus nicht aufzutreten 
wagte, jone Beweisführungen, welche dieser verschmähte (s. u. 661, 2), sind 
gerade das, um was es ihm zu thun war. Sonst erfahren wir aber über Eus. 
nichts, als dass er aus Myndos in Karien gebürtig war (Euxar. 8. 48). Die 
sahlreichen Bruchstücke aus Εὐσέβιος, welche Bro». Ekl. II, 412 £. und an 
vielen Stellen des Florilegiuma (s. ἃ. Register) mittheilt, gehören schwerlich 
unserem Eusebius; denn theils enthalten diese Ausführungen moralischer 
Gemeinplätze, die übrigens ihrem Inhalt nach ganz löblich sind, keine Spur 
von Neuplatonismus, theils weist die jonische Sprache, deren sie sich bedienen, 
die aber damals in Schriften längst ausser Gebrauch war, darauf hin, dass sis 
ähnlich, wie die dorisch geschriebenen pseudopythagoreischen Schriften, aus 


Maximus. 661 


meisten der damaligen Philosophen für den wichtigsten Bestand- 
theil der höheren Weisheit galt, erklärte er geradezu für ein 
werthloses Gaukelspiel ἢ. Aber er stand mit dieser Denkweise 
sehr vereinzelt; das grosse Wort führte in der Schule jener 
Maximus, den sein maassloses Streben mehr zur Theurgie, als 
zur Philosophie, hinführte 5), und der denn auch schliesslich ein 


einer viel älteren Zeit berstammen wollten, und dass der Name ihres angeb- 
lichen Verfassers erdichtet ist. 

1) Eunar. Max. 8.48: Als Julian zuerst mit Aedesius bekannt wurde, 
wies ihn dieser, weil er selbst schon altersschwach war, an diejenigen von 
seinen Schülern, die gerade anwesend waren, Eusebius und Chrysanthius. 
Der letztere nun sei mit Maximus einverstanden gewesen (s. u.); Eusebius 
dagegen habe dialektische Vorträge gehalten, und μετὰ τὴν ἐξήγησιν (wobei 
wir am wahrscheinlichsten an eine Erklärung logischer Schriften des Aristo- 
telos denken werden) beigefligt: ὡς ταῦτα εἴη τὰ ὄντα (das wahre, wesentliche), 
al δὲ τὴν αἴσθησιν ἀπατῶσαι μαγγανέΐαι καὶ γοητεύουσαι θαυματοποιῶν ἔργα χαὶ πρὸς 
ὅλιχάς τινας δυνάμεις παραπαιόντων χοὶ μεμῃνότων. Auf weiteres Befragen habe 
er dann Julian einen Beweis von der magischen Kunst des Maximus erzählt, 
der allerdings auffallend genug lautet (er habe bewirkt, dass das Bild der 
Hekate lachte und die Lampen im Tempel sich von selbst entzündeten), den 
aber auch Eusebius, nach der Darstellung des Eunapius, weder bezweifelt 
noch natürlich erklärt, sondern nur aus gewöhnlicher Zauberei, aus der Wir- 
kung niedrigerer Dämonen (der Ölıxat δυνάμεις) hergeleitet hätte. Die War- 
nung jedoch: Aids μὲν οὖν τὸν θεατριχὸν ἐχέϊνον θαυματοποιὸν πρὸς τὸ παρὸν xa- 
ταπλαγέντες ἀνεχωρήσαμεν" σὺ δὲ τούτων μηδὲν θαυμάσῃς, ὥσπερ οὐδὲ ἐγὼ, τὴν διὰ 
τοῦ λόγου χάϑαρσιν μέγα τι χρῆμα ὁπολαμβάνων — diese Warnung half bei dem 
»ϑειότατος Ἰουλιανὸς“ so wenig, dass er den Eusebius sofort verliess, um sich 
Maximus ganz hinzugeben. 

2) Μάξιμος, sagt Eusebius bei Eumar. 8. 50 von ihm, τίς ἐστι τῶν gpsoßu- 
τέρων ἀχροατῶν καὶ πολλὰ ἐχπεπαιδευμένων᾽ οὗτος διὰ μέγεθος φύσεως καὶ λόγων 
ὑπεροχὴν καταφρονήσας τῶν ἐν τούτοις ἀποδείξεων, ἐπὶ μανίας τινὰς δρμήσας καὶ 
δραμὼν, συνεχάλεσεν ἡμᾶς u. δ. w. (es folgt die vor. Anm. berührte Erzählung). 
Eine weitere Probe von der theurgischen Kunst des Maximus giebt Eunar. 
8.88 f. Er war es, der susammen mit Chrysanthius den Julian in die Ge- 
heimnisse der hellenischen Religion, der neuplatonischen Theologie und der 
Theurgie einführte (a. a. Ο. 51 f.). Von seiner gewaltsamen, zur Selbstüber- 
bebung geneigten Natur zeugt auch sein Grundsatz (Eun. 8. 54. 109): wenn 
die Götter keine glinstigen Zeichen schicken, müsse man nicht nachlassen, 
bis ihnen bessere abgezwungen seien. Dass er sich nicht auf die Theurgie 
beschränkte, lässt sich allerdings zum voraus annehmen; und so erfahren 
wir denn von seiner wissenschaftlichen Thätigkeit wenigstens durch die An- 
gabe (Auuon. zu Anal. pri. 24, Ὁ, 19 in Arist. Org. von Wartz I, 45; nach 
ihm der Ungenannte Schol. in Arist. 156, b, 48), er babe mit Boöthus, Jamb- 


663 Chrysanthius. 


Opfer seines Ehrgeizes wurde, nachdem er an Julian’s Hof eine 
glänzende Rolle gespielt hatte '). Mit Maximus war auch Chry- 
santhius einverstanden ?), wenn er auch in seinem persönlichen 
Verhalten der Selbstüberhebung des ersteren fremd blieb °); und 


lich und Porphyr die Schlüsse der zweiten und dritten Figur für vollkommene 
Schlüsse erklärt, und sei darüber mit Themistius in einen Streit geratbez, 
den Julian als Schiedsrichter zu seinen Gunsten entschieden habe. 

1) Was Euxar. 8. 46 ff. ausser dem angeführten noch weiter mittheil, 
ist im wesentlichen dieses: er stammte aus einer angesehenen und reichen 
Familie in Smyrna (letzteres nach v. Nymphid. 8. 101). Ein Mann von im- 
ponirender Persönlichkeit, und einer der älteren Schüler des Aedesius, g# 
wann er den grössten Einfluss auf Julian, der ihm die höchste Verehrung 
zollte (vgl. seine epist. 15. 16. 38.39), und ihn unmittelbar nach seiner Thror- 
besteigung an seinen Hof berief (8. 54 f. 109). Er folgte dem Ruf trotz der 
ungünstigen Vorzeichen, und gewann auch am Hofe eine sehr einflussreiche 
und glänzende Stellung, in welcher er sich aber, wie selbst Eunapius zu mel- 
den nicht umhin kann, durch Prunksucht und Hochmuth sehr unbeliebt 
machte. Nach Julian’s Tod gefangen genommen, war er längere Zeit schwe- 
ron Misshandlungen ausgesetzt, hatte aber nicht den Muth, dem Beispiel 
seiner Gattin zu folgen, die sich auf seine Bitte für sie beide Gift verschafft, 
und es ihm zugetrunken hatte (8. 59). Nachdem er durch dan Einfluss seines 
Verehrers Klearchus befreit und äuf’s neue an den Hof gezogen worden wan 
wurde er unter Valens (um 370) in eins Anklage wegen unerlaubter Künste 
verwickelt und getödtet. — Neben ihm nennt Eunar. 8. 101. 47 seinen Bruder 
Claudianus, der in Alexandrien lehrte, φιλοσοφῶν καὶ αὐτὸς ἄριστα. Ex 
gehörte also wohl auch zu Jamblich’s Schule, 

2) Euxar. 8. 49: ἦν δὲ ὃ Χρυσάνθιος δμοψύχως Μαξίμῳ τὰ περὶ θειασμὸν sur 
ἐνθουσιῶν, wozu das unmittelbar folgende einen Beleg giebt. Weiter vgl. m, 
was 8. 109. 116 über seine Weissagungskunst berichtet wird. 

8) Als er von Julian an seinen Hof berufen wurde, weigerte er sich, an- 
geblich wegen der ungünstigen Götterzeichen, diesem Rufe zu folgen, und 
blieb dieser Weigerung treu, so viele Mühe auch der Kaiser sich gab, ibn 
davon abzubringen (Eunar, 8. 54. 109 ἢ), Sonst erfahren wir über Chrysan- 
thius (aus Eum. Chrysanth. 8. 107 ff. vgl. 8. 13. 48 f.), dass er aus Sardes ge 
bürtig und von edler Abkunft war; dass er von Hause aus wohlhabend, 
später in dürftigen Verhältnissen lebte (vgl. 8. 113 mit S. 107); dass er den 
Aedesius zum Lehrer hatte, und sich unter seiner Leitung mit grossem Fleisse 
der platonischen und aristotelischen, noch eifriger aber der pythagoreisches 
Philosopbie und dem mit ihr verbundenen theurgischen und mystischen Wesen 
ergab; dass ihn Julian zum Oberpriester von Lydien machte, dass ihn aber 
die vorsichtige Führung dieses Amtes auch nach Julian’s Tod vor Verfolgung 
schützte; dass er endlich mehr als achtzigjährig starb. Sein anspruchsloser, 
wohlwollender, liebenswürdiger Charakter, seine philosophische Heiterkeit, 


Priscous. Eunapius. 068 


die gleiche Denkweise bei Priscus anzunehmen, welcher gleich- 
falls zu den ausgezeichnetsten Schülern des Aedesius gerechnet 
wird 1), giebt uns die ganze Schilderung dieses Mannes bei 
Eunarıus 5) ein genügendes Recht. Aus der Schule des Chrysan- 
tbias gieng mit andern 5) Eunapius, der Geschichtschreiber der 
Parthei, hervor %); aber die eitle Geschwäizigkeit, die Gehalt- 
und Geschmacklosigkeit dieses Schriftstellers, seine Wundersucht 
und seine grenzenlose Vergötterung der eigenen Partheigenossen 
sind nicht geeignet, uns von der geistigen Bedeutung des Kreises, 


sein anregender Unterricht werden von Eunapius gerühmt. Von den zahl- 
reichon Schriften, deren derselbe 8. 113 erwähnt, fehlt jede weitere Spur. 

1) Α. 8. 0. 8.48f. Er wird hier Θεσπρωτὸς ἢ MoAorrög genannt, und es 
wird seiner Abreise nach Griechenland erwähnt, wo wir ihn auch später 
(8. 56 f. 67) treffen. 

2) Eun. Prise. 8. 65 ff. Dieser Schilderung gemäss umgab sich Priscus 
mit einer feierlichen, schweigsamen Würde, er hütete die Lehren der Schule 
wie einen Schatz, und ergieng sich in herbem Tadel über Aedesius, als einen 
προδότην τοῦ τῆς φιλοσοφίας ἀξιώματος, einen ἄνθρωπον λογάρια εἰδότα, κρείττονα 
μὲν πρὸς ψυχῆς ἀναγωγὴν, οὐ φυλαττόμενα δὲ ἐπὶ τῶν ἔργων, war überhaupt kein 
Freund der διαλέξεις. Schon diese Geheimnisskrämerei lässt in ihm einen Men- 
schen vermuthen, dem die theologische Mystik und die Theurgie weit über 
die Philosophie gieng. Auch er folgte einem Rufe Julian’s (von dem ep. 8. 78 
zu vergleichen ist) an den Hof; da er sich aber der Ueberhebung eines Ma- 
ximus enthalten hatte, blieb er nach dem Tode seines Beschützers unbehelligt 
(8. 61 2). Er wurde tiber 90 Jahre alt, und starb um die Zeit, in welcher 
Grieobenland durch die Gothen verwüstet wurde, also um 396/8 (8. 67). 

8) Von denen Eunar, 8. 120 den Epigonus aus Lacedämon und Ve- 
ronicianus aus Sardes nennt. 

4) M. vgl. über sein Verhältniss zu Chrysanthius, das er öfters berührt, 
namentlich 8. 107. 114. 20. 566. Aus Sardes gebürtig (Puor. Cod. 77, 8. 54, 
a, 4), und mit der Frau des Chrysanthius verwandt, war er von diesem schon 
als Knabe unterrichtet worden; in seinem 16ten Jahr gieng er nach Athen, 
um den Rhetor Proßresius zu hören (v. Proäres. 8. 74 ff. 92), kehrte dann aber 
wieder zu Chrysanthius zurück, welcher sich mit der Liebe eines Vaters sei- 
ner Ausbildung widmete. Ausser den noch vorhandenen Biographieen ver- 
fasste er eine Chronik, welche von der Regierung des Claudius bis auf die 
Zeit der Absetzung des Chrysostomus (404) reichte (Pnor. a. a. O. 8. 58); 
ibre zahlreichen Bruchstticke bei MüörLer Fragm. Hist. gr. IV, 7 ff. Seine 
Geburt wird nach v. soph. 92. 58 in’s Jahr 846 oder 847 zu setzen sein; sein 
Tod fällt nach 414, da er in seiner Chronik Fr. 87 die mit diesem Jahr be- 
ginnende Regierung der Pulcheria berührt. Ausführlicheres über ihn bei 
Beuczze Hist. phil. 11, 808 ff, Μόνε a. a, O. 


664 Julisnus. 


dem er angehörte, und des Lehrers, dessen Lieblingsschäler er 
war, eine hohe Meinung beizubringen. Eben dieser Kreis war es 
aber auch, durch welchen Julianus für die Philosophie und den 
alten Glauben gewonnen wurde; und da er von Anfang an bei den 
Philosophen nicht sowohl Wissenschaft, als Anleitung zum Verkehr 
mit den Göttern gesucht hatte !), liess sich um so weniger erwar- 
ten, dass die philosophischen Liebhabereien des enthusiastischen 
Fürsten zu einer eigenen Leistung von einiger Erheblichkeit führen 
werden. Es findet sich auch wirklich in seinen Schriften, so 
weit dieselben philosophische Gegenstände berühren, durchaus 
nichts, was er nicht von Jamblich und anderen Vorgängern eat- 
lehnt hätte 2). Auch Sallust’s Schrift „von den Göttern und von 
der Welt“ 8) ist nur eine übersichtliche Zusammenstellung der- 


1) Vgl. 8. 661, 1 Schl. 

3) Es gehören hieher besonders die 4te, δίο, 6te und 7te von seinen Be 
den, deren schon 8. 629. 616 unt. und 1. Abth. 698, 2 gedacht wurde, ep. Bl, 
8. 97 und was Julian bei Creırı. c. Julian. IV, 115 £. für die Annahme von 
Volksgöttern, ebd. ΥἹ, 200. VII, 235 über Asklepios und andere Götter bemerkt 
Weiter kann ich hier auf Julian’s Ansichten nicht eintreten; noch weniger ist 
hier der Ort, von der Persönlichkeit dieses Kaisers, von seinen Bemühungen 
sur Wiederherstellung der alten Religionen, und von den Gründen zu sprechen, 
welche das Scheitern dieser Bemühungen herbeigeführt haben würden, wenn 
Julian auch länger regiert hätte, und nicht schon 863 im Kampfe gegen dis 
Perser gefallen wäre. Das nähere darüber findet sich in jeder Darstellung der 
Kirchengeschichte, z. B. Nzasper 1. Aufl. II, a, 75—142. Baur I, 1748, 
und in den bokannten Werken von Neaxper (Julian ἃ, Abtr.), Sreauss (der 
Romantiker auf dem Throne der Cäsaren) u. A.; m. s. die Literatur bei 
Strauss und bei ὕπββενσεα Grundr. ἃ. Gesch. d. Phil, I, 257. 8. Aufl. 

8) Bei dem Sallustius, welchem dieses Buch in den Handschriften beige 
legt wird, dachten manche an den Mann dieses Namens, welcher uns aus 
Damasc. v. Isidori 89. 92. 250. Sur. in Epict. Enchirid. 8. 90 Heins, ne 
mentlich aber aus den bei Sun. Σαλλούστ., ᾿Αθηνόδ., Ζήνων ᾿Αλεξ. erhaltenen 
Auszügen aus Damascius bekannt ist. Allein dieser Sallust war kein Pi» 
toniker; er hatte sich vielmehr von Proklus getrennt, dem er auch einen se- 
ner Freunde abwendig machte, ergab sich dem cynischen Leben, und stand 
(nach der Aeusserung bei Sur. 8. 669 Bernh. zu schliessen) der Volkereligion 
in derselben freien Weise, wie die älteren Cyniker, entgegen. Ebensowenig 
giebt der Inhalt des Buches Veranlassung, es mit J. Sruox Koole d’Alex. IL, 
587 der Schule des Proklus zusuweisen: was es giebt, ist nur die Lehre Jam- 
lich’s, von den ünterscheidenden Eigenthümlichkeiten des Proklus ist hier 
nichts zu finden. Wir werden vielmehr seinen Verfasser nur in dem Freunde 
Julian’s finden können, dessen dieser ep. 17, 8. 25 Heyl. erwähnt, dem er 


Libanius. 665 


jenigen Lehren, in welchen ein Philosoph aus Jamblich’s Schule 
die geeignete Grundlage für die Wiederherstellung und Verbesse- 
rung der hellenischen Religion sehen mochte, ein vielleicht aus- 
drücklich im Dienste der julianischen Restauration geschriebener 
gemeinverständlicher Abriss der neuplatonischen Dogmatik, bei 
dem es aber nicht auf eigene wissenschaftliche Untersuchung ab- 
gesehen ist ἢ). Der berühmte Libanius ohnedem hat dem Neu- 


seine 4te Rede gewidmet bat, und den er 861 zum prafectus pretorio, 868 sum 
Consul machte (Auwıan. Mazc. XXI, 8, 1. XXIIl, 1, 1); demselben, dessen 
Milde gegen die Christen Tuzopossr h. ocol. III, 11 rübmt. Kein anderer 
steckt wohl auch in dem Σαλλούτιος Eunar. Max. 8.60. Man vgl. über ibn 
Oseıtı in seiner Ausgabe der Schrift Ballust’s 8. 191 ἢ, 

1) Doch mag hier eine Uebersicht über den Inhalt der Schrift steben, da 
sie immerhin als susammenfassender Abriss ihren Werth hat. Nach einer 
kurzen Einleitung (c. 1) besprioht der Verfasser sunächst ο. 2 die Unverän- 
derlichkeit, Ewigkeit, Unkörperlichkeit der Götter; er vertheidigt sodann 
o. 8 die mythischen Darstellungen, in denen sie ganz anders erscheinen, da- 
mit, dass sie doch alle wenigstens zum Glauben an das Dasein der Götter 
führen, während sie zugleich den einsichtigeren auch ἅδον das Wesen der- 
selben Andeutungen geben, und gerade durch die ungereimten und unwür- 
digen Züge auf diesen tieferen Sinn hinweisen; und daran knüpft er ὁ. 4 die 
Unterscheidung von theologischen, physischen, psychischen, hylischen und 
gemischten Mythen, ἃ. h. von solchen, welche das Wesen der Götter beschrei- 
ben, solchen, die ihre Wirkungen in der Natur, solchen, die Thätigkeiten der 
Seele darstellen, solchen, die Elemente, Früchte und andere körperliche 
Dinge als Götter behandeln, und solchen, in denen diese verschiedenen Dar- 
stellangsweisen verbunden sind. Für alle diese Arten giebt er Beispiele aus 
der Mythologie. Es folgt ὁ. 5 eine kurse Erörterung über die erste Ursache, 
das Gute; co. 6 handelt ganz in Jamblich’s Binn von den überweltlichen und 
innerweltlichen Göttern: jene die οὐσία, der νοῦς, die ψυχὴ mit den in ihnen 
enthaltenen Ordnungen, diese die 12 oberen Götter in vier Triaden, von denen 
aber jeder noch andere in sich enthält (s. B. Zeus den Dionysos, Apollo den 
Asklepios); ihnen gehören die zwölf Bphären der Erde, des Wassers, der Luft, 
des Feuers, der sieben Planeten (von welchen die Saturnsphäre der Demeter 
zugewiesen wird) und des Aethers (Athene). Indem sich Ballust c. 7 sur 
Welt wendet, beweist er zunächst ihre Ewigkeit und Unvergänglichkeit; 
weiter leitet er (mit Plotin und Jamblich) die Kreisbewegung der himmlischen 
Körper davon her, dass sie den Nus nachahmen, wogegen die geradlinige Be- 
wegung der elementarischen der der Seele entsprechen soll; er berührt die 
Unterschiede in der Bewegung der Himmelskörper, geht aber sofort 6. 8 zu 
der Lehre vom Nus und der Seele über, indem er jenen (nach Jamblich) zwi- 
sehen die οὐσία und die ψυχὴ stellt, den Unterschied der vernünftigen und 
vernunftlosen Beelon berührt, und etwas eingehender die Unkörperliohkeit 


686 Libantus. 


platonismus zwar einen Theil seiner Bildung zu verdanken, sber 


and Unsterblichkeit der Seele beweist. Es folgt ο. 9 ein Abschnitt Aber Vor- 
sehung und Verhängniss, worin jene als die naturgemässe, durch kein Wellen 
und Bemühen bedingte Fürsorge der Götter für die Welt, dieses als die Wir- 
kung der himmlischen Körper auf dieselbe definirt, eine Einwirkung des Ver 
hängnisses auf die moralische Beschaffenheit des Menschen im Sinn der Asırc- 
"logie abgewiesen, die τύχη als ἣ τὰ διάφορα καὶ τὰ παρ᾽ ἔλπίδα γινόμενα 22% 
ἀγαθὸν τάττουσα δύναμις τῶν θεῶν gefasst wird. Hieran schliesst sich e. 10 
eine Erörterung περὶ ἀρετῆς χαὶ χαχίας nach dem Schema der vier stoiseb 
platonischen Haupttugenden, und da Tugend und Schlechtigkeit vom Zu 
stand des Gemeinwesens abhängen, c. 11 eins Aufzählung der richtigen umd 
verfehlten Verfassungen; jene: Königthum, Aristokratie, Timokratie, diese: 
Tyrannise, Oligarchie, Demokratie (vgl. hiezu Bd. II, a, 598. b, 554.). C. 12 
kommt Sallust auf die Frage: πόθεν τὰ χαχά; und er antwortet: das Uebel sei 
nichts positives (χαχοῦ φύσις οὐχ ἔστιν), sondern es entstehe nur durch Ak- 
wesenheit des Guten; auch das moralische Uebel sei aber nicht sus einer 
φύσις κακὴ abzuleiten, sondern die Seele fehle ὅτι ἐφίεται ἀγαθοῦ, πλανᾶται 
δὲ περὶ τὸ ἀγαθὸν, ὅτι μὴ πρώτη ἐστὶν οὐσία: übrigens verleihen die Götter 
Hülfsmittel aller Art, um sie von Fehlern abzuhalten (darunter auch Opfer 
und Weihen), und nach dem Tode reinigen sie θεοὶ καθάρσιοι und Dämonen. 
C. 18 wird die Frage nach dem allgemeinen Verhältniss des Gewordenen zu 
seiner Ursache aufgeworfen; die Antwort lautet: die Götter schaffen die Welt 
weder τέχνῃ noch φύσει, sondern δυνάμει, diese sei daher nicht zeitlich später, 
als sie, sondern ihnen gleichzeitig und gleich ewig. C. 14 fragt, wie sich das 
Wohlgefallen der Götter an ihren Verehrern und ihr Zorn gegen die Sehlech- 
ten mit ihrer Unveränderlichkeit vertrage; worauf der Verfasser antwortet: 
in der Wirklichkeit ändere sich nichts in ihrem Verhalten gegen den Men- 
schen, sondern der Mensch werde durch sein Verhalten mit den Göttern in 
Verbindung gebracht, oder von dieser Verbindung abgeschnitten und εἴτα. 
fenden Dämonen überantwortet. Ebensowenig handle es sich bei Gebeten und 
Opfern um eine Einwirkung auf die Götter, sondern um Heilung der Gebre- 
chen, welche den Menschen von ihnen entfernt halten; die Götterverehrang 
stehe daher (co. 15) mit der Bedürfnisslorigkeit der Gottheit nicht im Wider- 
spruch, nur der Mensch solle dadurch die ἐπιτηδειότης πρὸς ὑποδοχὴν (sc. τῶν 
θεῶν) gewinnen, diess geschehe aber μιμήσει καὶ ὁμοιότητι, und so ahmen denn 
die Tempel den Himmel nach, die Altäre die Erde u. s. w. Aus diesem G+- 
sichtapunkt werden ὁ. 16 insbesondere die Opfer vertheidigt: das mensehliehe 
Leben bedürfe sur Verbindung mit dem göttlichen einer Vermittlung (μεσότης), 
wozu nur etwas gleichartiges, also wieder ein Leben dienen könne, und dess- 
halb opfere man lebende Wesen. C. 17 kommt dann Sallust nochmals auf die 
Ewigkeit der Welt, für die er einen zusammengesetzten dialektischen Beweis 
führt; c. 18 und 19 suchen zu zeigen, dass das Dasein von Atheisten in der 
Welt und die späte Bestrafung vieler Vergehen dem Walten einer Vorsehung 
nicht widerstreite. C. 20 vertheidigt die Seelenwanderung, und swobt dabei 


. Dexippus. 687 


er selbst ist nicht sowohl Philosoph, als Redner "). Dagegen zeigt 
sich Dexippus in seiner Erklärung der Kategorieen ?) allerdings 
als einen Schulphilosophen; aber bei ihrer ausgesprochenen Ab- 
hängigkeit von ihren Vorgängern, namentlich Jamblich, lässt sich 
diese Arbeit als wissenschaftliche Leistung nicht einmal Sallust’s 
Werk zur Seite stellen, welches sich bei all seiner Magerkeit und 
Unselbständigkeit wenigstens durch Klarheit, Uebersichtlichkeit und 
Einfachheit der Darstellung vor anderen Schriften jener Zeit aus- 
zeichnet). Erst die athenischen Neuplatoniker fassten die wissen- 


die Streitfrage, ob vernünftige Seelen in unvernünftige Wesen übergehen kön- 
nen, durch die Annahme zu lösen, in diesem Fall werden sie nicht die eigenen 
Seelen dieser Wesen, sondern ἔξωθεν ἕπονται, ὥσπερ καὶ ἡμῖν οἱ eDnyöres ἣμᾶς 
δαίμονες. C. 21 endlich schliesst in platonischem Geiste mit dem Batze: die 
Seelen der Guten kehren geläntert zu den Göttern zurück; wäre dem aber 
such nicht so, so wilrde dooh αὐτή γε ἧ ἀρετὴ χαὶ ἡ Ex τῆς ἀρετῆς hdovıf τε καὶ 
δόξα, ὅ τε ἄλυπος χαὶ ἀδέσποτος βίος zum Glück der Tugendhaften ausreichen. 
— Auf die Zeit des Kampfes mit dem bereits herrschenden Christenthum weiat 
in der Schrift 0.19 und 0.16g.E.; ihre populäre Abzweckung spricht sie c. 18 
mit den Worten aus: περὶ μὲν οὖν θεῶν καὶ χόσμον χαὶ τῶν ἀνθρωπίνων πραγμά- 
τῶν τοῖς μήτε διὰ φιλοσοφίας ἀχθῆναι δυναμένοις, μηδὲ τὰς ψυχὰς ἀνιάτοις ἀρχέσϑι ᾿ 
ταῦτα. 

1) Indem ich daher in Betreff seiner auf Binr in Pauly's Realenoyklo- 
pädie IV, 1009 ff. und die bekannten Darstellungen der griechischen Litere- 
turgeschichte verweise, begnüge ich mich hier, ansuführen, dass er (nach 
der or. I περὶ τῆς ἑαντοῦ τύχης. Eunar. v. sopb. 8. 96 ff. u. a. St.) aus Antio- 
chien atammte, sich in Athen zum Rhetor ausbildete, in Konstantinopel, dann 
in Nikomedien, hauptsächlich aber in seiner Vaterstadt Rhetorik lehrte, und 
nicht allein bei Julian (wie aus dossen ep. 3. 14. 27. 44. 74. 76 hervorgeht), 
sondern auch bei den Nachfolgern desselben sehr in Gunst stand. Er starb 
in hohem Alter, nicht vor 391. 

2) Δεξίππου Πλατωνιχοῦ φιλοσόφου εἷς τὰς ᾿Αριστοτέλους κατηγορίας ἀπορίαι 
χαὶ λύσεις, jetzt von ϑρεναβι, in den Monumente Saecularia der bairischen 
Akademie (1859) herausgegeben. Die Schrift ist in Gesprächsform abgefasst, 
der Mitunterredner Seleukus wohl ein wirklicher Schüler des Verfassers, 
Ueber den letzteren selbst und den Zweck seiner Schrift sagt Sıuer. Categ. 
1.0: καὶ Δέξιππος δὲ ὃ Ἰαμβλίχου (sc. μαθητὴς, nicht υἱὸς — Jamblich soheint 
unverbeiratbet gewesen zu sein, und Dexippus führt ihn 83, 5, 18 ohne jede 
weitere Andeutung einfach als ᾿Ιάμβλιχος an) καὶ αὐτὸς μὲν τὸ τοῦ ᾿Αριστοτέλους 
βιβλίον συντόμως ἐξηγήσατο᾽ προηγουμένως δὲ τὰς Πλωτίνου ἀπορίας ὡς ἐν διαλόγῳ 
προτεινομένας αὐτῷ διαλύειν προτίθεται. οὐδὲν δὲ οὐδὲ οὗτος σχεδὸν τοῖς Πορφυρίου 
χαὶ ᾿Ιαμβλίχου προςτεθειχώςς. Diess bestätigt denn auch der Augenschein. 

8) Ausser den bisher besprochenen Männern gehörten zur platonischen 
Schule ohne Zweifel auch die in JuLıan’s Briefen als „Philosophen“ genann:. 


668 Die Philosophie nach Julian’s Tod, 


schaftliche Fortbildung des Platonismus auf's neue mit grossem 
Eifer und nachhaltiger Wirkung in’s Auge. 


111. Die Schule von Athen. 
12. Ihre Anfänge: Plutarchus, Hierokles, Syrianus. 


Mit Julian’s Tod war für die Anhänger der alten Religion de 
letzte Aussicht auf einen siegreichen Ausgang ihres Kampfes mit 
der neuen verschwunden; alle die Maassregeln, durch welche das 
Heidenthum seit Constantin’s Uebertritt unterdrückt worden war, 
traten Schritt für Schritt wieder in’s Leben; die Verlassenbeit der 
Tempel, die Strafgesetze gegen den heidnischen Kultus erneuerten 
sich; seit Theodosius I. wurde mit Confiskationen und Zerstörung 
gegen die Heiligthümer der alten Götter, da und dort selbst mit 
blutiger Gewalt gegen die Person ihrer Verehrer vorgegangen '), 
und noch vor der Mitte des fünften Jahrhunderts war es wenigstens 
im Orient so weit gekommen, dass die Freunde des Alten ihre An- 


dacht nur noch in scheuer Zurückgezogenheit zu verrichten wag- 
ten ?). Nichtsdestoweniger gab sich die neuplatonische Philosophie 


" ten: Aristoxemus (ep. 4), Eugenius (ep. 18), Diogenes und Lamprias 
(ep. 85, 8. 61 H.), Elpidius (ep. 57), Euklideos (ep. 75); ebenso Eume«- 
nius und Pharianns, die Julien ep. 55 als seine Studiengenossen ermahnt, 
fleissig fortzufahren; indessen wissen wir über keinen von diesen Mäsnen 
etwas weiteres. Ein Schüler Jamblich’s, welcher aber der älteren platonisch- 
aristotelischen Lehrweise den Vorzug gegeben habe, und sus Bicyon sammt 
seinen Schülern zu Tazwısrıus nach Konstantinopel gekommen sei, wird von 
dem letzteren or. XXIII, 295, b f. besprochen, aber nicht genannt; ob es der 
Bioyonier Celsus war, welcher aus Lrisanıus’ Briefen (s. ἃ. Index) als Freund 
dieses Redners bekannt ist, und von ihm ep. 84 dem Themistius empfohlen 
wird, ist mir zweifelbaft, 

1) Das bekannteste und grässlichste Beispiel einer solohen Gewaltibat 
wird uns sogleich in Hypatia begegnen; um die gleiche Zeit war es wohl 
auch, dass Hierokles, wie wir finden werden, in Konstantinopel, wahrscheir- 
lich gleichfalls im Zusammenhang mit seiner religiösen Partheistellung, miss- 
handelt wurde. Es lässt sich aber überhaupt annehmen, dass bei den vielen 
Streitigkeiten swischen der heidnischen und der ohristlichen Parthei, welche 
damals in Alexandria und anderen grösseren Städten nicht selten auf den 
Strassen von fanatisirten Pöbel- und Mönchshaufen ausgefochten wurden, bei 
der Zerstörung heidnischer Tempel und ähnlichen Anlässen nicht wenige uns 
unbekannt gebliobene Opfer gefallen sind. Sahen sich doch selbst christliche 
Kaiser genöthigt, den Misshandlungen von Juden und Heiden in eigenen Εν. 
lassen entgegensutreten; vgl. das Ediot des Arcadius und Theodosius vom 
J. 428, Οοὰ, Justin. 1. I, tit. 11, 6. 

4) Die Gesetze dos Valentinian, Thoodosius, Arcadius und anderer Kal- 


Themistius. 668 


soch nicht für besiegt. Die Philosophenschulen in den grösseren 
Städten erhielten sich fortwährend, und auch die Christen waren 
für ihre wissenschaftliche Bildung grossentheils auf sie angewiesen. 
In Konstantinopel lehrte während der zweiten Hälfte des vierten 
Jahrhunderts Themistius, als Philosoph auch von christlichen 
Kirchenlehrern, und als Beamter von christlichen Kaisern ge- 
schätzt 19; neben den aristotelischen Schriften, deren Erklärung 


ser, durch welche die heidnischen Opfer bald bei Todesstrafe, bald bei Strafe 
der Verbannung und Vermögenseinziehung untersagt wurden, sind bekannt 
und in den Kirchengeschichten (z. B. GızszLze I, 854 fl. 8. Ausg.) nachge- 
wiesen. Nun konnten diese Gesetze allerdings nicht überall sofort vollsogen 
werden; wie vollständig aber die heidnische Parthei schon in der ersten 
Hälfte des dten Jahrhunderts s. Β, in Athen eingeschüchtert und in die Ver- 
borgenheit suräckgedrängt war, sicht man unter anderem aus Mazınus’ Leben 
des Prokins. Als Proklus den Syrian sum erstenmal besuchte, entfernte ihn 
dieser, um dem aufgehenden Mond seine Verehrung beseugen zu können, und 
als der junge Mann diese im Weggehen gleichfalls that, sah er darin etwas 
ganz ausserordentliches (c. 11). Dass der Alexandriner Heron den Proklus 
in seine θεοσέβεια einführte, gilt als Beweis seines hohen Zutrauens (6. 9). 
Dass Proklus su Athen in der nächsten Nähe des Asklepiostempels wohnte, 
betrachtet Marinus c. 29 desshalb als ein besonderes Glück, weil er so den 
Tempel habe besuchen können τοὺς πολλοὺς λανθάνων χαὶ οὐδεμίαν πρόφασιν τόϊς 
ἐπιβουλεύειν ἐθέλουσι παρασχὼν, und ο. 15 rühmt er den Heldenmuth, mit dem 
Proklus in einer so stürmischen Zeit der ἔννομος ζωὴ, d. h. der hellenischen 
Götterverehrung, unter Gefahren treu geblieben sei; auch er fand es aber 
gerathen, sich einmal den ihm drohenden Angriffen durch eine längere Ab- 
wesenheit aus Athen zu entziehen. 

« 1) Ueber sein Leben (worüber Baucxzr Hist. phil, II, 484 fl. =. vgl) 
macht uns Themistius selbst gelegentliche Mittheilungen, welche durch einige 
anderweitige Nachrichten ergänzt werden. Seine Eltern waren Paphlagonier 
(or. 11, 28, ἃ), er selbst jedoch scheint in Konstantinopel geboren und aufge- 
wachsen zu sein (or. XVII, 214, c.). Bein Vater Eugenius hatte als Philo- 
soph einen bedeutenden Namen (orat. Const. de Them., Themist. Opp. 22, ἃ f. 
Pet. or. XXL 8. 248, ἃ f. vgl. 8. 671, 1. Dagegen scheint JuLıau’s ep, 18 an 
einen andern gerichtet zu sein; s. Hzyıze ze. ἃ. St.) Er war auch der Lehrer 
seines Sohnes (or. XX, besonders 240, C). Der Kaiser Constantius zog diesen 
in den Staatsdienst, und nahm ihn im Jahr 855 in den Senat seiner Haupf- 
stadt auf (or. II nebst der oratio Const. u. Peravıus 8. 875 unt. seiner Aus- 
gabe). Themist. war damals bereits ein angesehoner Lehrer der Philosopbie 
(a. a. Ο. 19, a); ausser Konstantinopel lehrte er auch in Antiochien, Galatien 
und Nikomedien (or. 1. XXIII, 299, a. XXIV.). Von dem Ansehen, dessen er 
sich bei den Gelehrten seiner Zeit erfreute, geben ausser der Erzählung or. 
ΧΧΙΠ, 295 b£. (8. ο. 667, 8) die Briefe des Lisanıus (m. 65. ἃ, Wolff'schen 


670 Themistins. 


ihn vorzugsweise beschäftigte 19, wurden auch die platonischen 
von ihm nicht vernachlässigt ?); mit neuen Gedanken hat er aller- 
dings die Wissenschaft kaum bereichert, sondern wie er sich als 
Ausleger auf eine verständige Paraphrase beschränkt 5), so scheint 
auch seine eigene Philosophie nicht über jenen ziemlich oberfläch- 


Index) und des Gexzaor von Nazianz (ep. 139 f., bei Caillau 88 und 24) einen 
Beweis; auch der letztere behandelt den heidnischen Philosophen als seinen 
Freund, und nennt ihn βασιλεὺς τῶν λόγων. Beine für jene Zeit wirklich aus- 
gezeichnete Darstellung erwarb ihm den Beinamen ὃ Εὐφραδὴς, mit dem er oft 
aufgeführt wird; er selbst legt jedoch grösseren Werth darauf, Philosoph, als 
Redner su sein (or. X, 129, ἃ. or. XXIV). Neben diesen Eigenschaften war 
es’ aber auch seino Gewandtheit in den Geschäften, welche ihn den gleich- 
zeitigen Kaisern empfahl, und ihm alle jene Auszeichnungen, Ehrenstellen 
und Aufträge verschaffte, deren or. II. 1II. IV, 54, c. V. XIV. XVII. XXXI 
(wo namentlich 3, 854, ἃ x. vgl.) gedacht wird. Or. XXXI, 852, c widmet er 
sich schon 40 Jahre den Staatsgeschäften; or. XVIII, 224, b ἢ. überträgt 
Tbeodosius dem bereits betagten Philosophen bei seiner Abreise in den Ocei- 
dent (887) die Unterweisung seines Bohnes Arkadius; dagegen wird er in der 
Ueberschrift zu or. I, aus dem Jahr 347 (s. Hırpuın 8. 871 Pet.), als νέος ἔτι 
bexweichnet, und am Schluss dieser Rede, 8. 18, a deutet er an, dass er ein 
Altersgenosse des (817 geborenen) Constantius sei. Sein Leben scheint sich 
demnach vom zweiten bis in das letzte oder vorletzte Jahrzehend des vierten 
Jahrhunderts erstreckt zu haben. 

1) Wir besitzen von ihm noch Paraphrasen der zweiten Analytik, der 
Physik, der Bücher von der 6619 (jetzt von SrEnsEL neu herausgegeben; 
Lps. 1866). Er hatte aber auch die erste Analytik (ΒΟΕΤΗ. De imterpr. ed. sec. 
Anf. 8. 289. Prior. Anal. pri. IV, a, m. Sum. vgl. Themist. or. XXI, 256 a 
und oben 8. 661, 2 Schl.), die Topik (Borrta. Differ. top. 871, m. 872, m. vgl. 
Prantr Gesch. ἃ. Logik I, 640) und die Kategorieen (Sımpr. Categ. 1, a. Suın.) 
bearbeitet. Von der Schrift tiber die Kategorieen vermuthet ῬΈΑ ΤΙ, Gesch. ἃ, 
Log. I, 670, sie bilde die Grundlage der pseudoangustinischen. 'Themistius' 
Commentar zu den Btichern vom Himmel führt Sımrr. De coelo 8. 80, Ὁ, 11. 
81, a, 18. 83, a, 17. 88, b, 12. 84. 44. 84, a, 7. b, 18. 48. 60, a, 87 £. 80, b, 6. 
85, b, 86 Karst. an; aus seiner Paraphrase des 12ten Buchs der Metaphysik, 
welche ebenso, wie jener, in einer ebräisch-lateinisohen Uebersetzung erhalten 
ist, geben die akademischen Scholien 8. 798 ff. Auszfige. Puor. Cod. 74, 8. 55, 
15 behauptet sogar: τούτου τοῦ Θεμιστίου εἷς πάντα τὰ ᾿Αριστοτελιχὰ φέρονται 
ὁπομνήματα. Ueber die arabischen Citate des Themistius, und über die Un- 
ächtheit eines handschriftlich vorbandenen Commentars zur ersten Analytik 
und der gedruckten zu περὶ μνήμης und π. ὕπνου vgl. m. Var. Rose im Hermes 
Bd. II, 191 ff. ᾿ 

2) Ῥποτ. a. a. Ο. Ζ. 19: εἰσὶ δὲ χαὶ εἰς τὰ Πλατωνιχὰ αὐτοῦ ἐξηγητιχοὶ πόνοι. 

8) M. vgl. über ihn Ῥκαντῖ, a. a.O. Beanvıs ‘über d. aristot. Organon, 
Abh. d. Berl. Akad. 1883. Hist.-phil. Kl. 8. 298. 


Themistius. 671 


livken Eklekticismus hinausgegangen zu sein, welcher auch seine 
Stellung zu den religiösen Gegensätzen der Zeit bestimmt 5). Die 


1) Themist. selbst bezeichnet or. II, 26, ἃ Aristoteles als denjenigen, ὃν 
προὐταξάμην βίου te καὶ τῆς σοφίας, wie denn auch seine aristotelischen Para- 
phrasen darüber keinen Zweifel lassen; und so wird er auch von andern als 
Peripatetiker behandelt. Aber wie Sıuer. De coelo 33, ὃ, 12 bei Gelegenheit 
bemerkt, dass er, xaltorye ἐν τόῖς πλείστοις τὸν Περίπατον προϊσχόμενος͵ doch im 
gegebunen Fall Plato folge, so stellt auch er selbst or. II, 31, b Aristoteles . 
und den πάμμεγας Πλάτων als die zwei grossen philosophischen Gesetzgeber 
zusammen; or. XXXIU, 366, 6 nennt er neben Aristoteles Plato und Homer ° 
als die Schriftsteller, mit denen er unablässig umgehe, und seinen Ausfüh- 
rungen legt er (z. B. or. II, 32, b ff. XXL 250, b) ebensogut platonische als 
aristotelische Texte zu Grunde. Besonders deutlich hat er sich aber über 
seine Stellung zu den verschiedenen philosophischen Schulen in der Gedcht- 
niserede auf seinen Vater (or. 4X) ausgesprochen, sofern er in diesem unver- 
kennbar zugleich sein eigenes philosophisehes Ideal zeichnet, Naehdem er - 
die Verdienste desselben um die Erklärung des Aristoteles besproahen hat, 
führt er 8. 235, ὁ fort: τὸ μὲν οὖν πρόσωπον καὶ τὸ σχῆμα ὅλον μονονοὺ- δῆθεν 
ἐπῆν ᾿λριστοτέλους τοῖς μυστηρίοις. Aber auch die Weisheit des Pythagoras und 
des Zeno habe er benützt, von der platonischen ohnedem sei er überzeugt 
gewesen, dass sie der aristotelischen auf’s nächste verwandt sei, so dass er 
oft ᾿Αριστοτέλει προθύσας εἰς τὴν Πλάτωνος ἔληγεν ἱερουργίαν, da ja Aristoteles 
die platonische Lehre nur in eine strengere und unangreifbarere Form ge- 
bracht habe; Plato habe er daher weder selbst widersprochen, noch auch 50 
leicht einen Widerspruch des Aristoteles gegen ihn eingeräumt. Nur von 
Epikur habe er nicht viel hören wollen. Hiemit war von selbst gegoben, 
dass Themist. in der Weise des Eklektiecismus die Unterscheidungslehren der 
Schulen abstumpfte und ihre Bedeutung unterschätste, was seinerseits wieder 
auf die einseitig praktische Auffassung der Philosophie hinweist, die uns 
schon so oft in diesem Zusammenhang begegnet ist. Es handelt sich bei der 
Philosophie seiner Ansicht nach nicht um das Wissen, sondern um Tüchtig- 
keit des Charakters, sie ist nichts anderes, als das ἐργάζεσθαι ἀρετήν (or. 1, 
31, bf.); ihre Aufgabe ist Nachahmung der Gottheit in ihrer wohlthätigen 
weltregierenden Thätigkeit (ebd. 82, c ff. vgl. or. VI, 78, d.). Was dagegen das 
Erkennen betrifft, so ist Themist. der Ansicht, Gott habe zwar die Idee sei- 
nor selbst und den Trieb zur Gottesverehrung allen Menschen eingepflanzt, 
die Art derselben dagegen habe er, der unsern Augen immer verborgen sel, 
dem eigenen Urtheil eimes jeden überlassen; die Uneinigkeit der philosophi- 
schen Schulen und der religiösen Partheien sei daher unvermeidlich, und sie 
sei auch heilsam, denn nur in ihrem Wetteifer gedeihe die Religion und die 
Wissenschaft. (Or. V, 68, a ff, wo u. ἃ. 69, b: φύσις δὲ, καθ’ ᾿Ηράκλειτον, 
κρύπτεσθαι φιλεῖ, χαὶ πρὸ τῆς φύσεως ὃ τῆς φύσεως δημθυργός. Nur eine zweite 
Bearbeitung dieser an Jovian gerichteten Rede ist die or. XII, welche blos in 
Dupırn’s lateinischer Uebersetsung vorhanden, und trots ihrer Uebexschrift 


67% Themistius. Hypatia. 


unterscheidenden Züge des Neuplatonismus treten bei ihm nicht 
hervor ?); er deutet vielmehr ausdrücklich an, dass er die Neue- 
rungen nicht billige, durch welche dieser die ältere platonisch- 
aristotelische Philosophie überschritt ?); aber bei der Bedeutung, 
welche Aristoteles für die Neuplatoniker hatte, musste seine 
Wirksamkeit mittelbar doch auch diesen zugutekommen. 

Die neuplatonische Schule selbst kam um den Anfang des 
fünften Jahrhunderts durch die geistvolle Hypatia °) in Alexandria 


wahrscheinlich, wie schon Petarv. bemerkt, von der Rede an Valens verschie- 
den ist, aus der Soxsarzs Hist. 6060]. IV, 82. Bozou. VI, 86 Aussüge geben; 
m. vgl. von ihr 8, 157, a ff.). Dem Kaiser Valens hatte Themist. zu Gemüthe 
geführt: μικρὰν εἶναι τὴν αὐτῶν [τῶν Χριστιανῶν) διαφωνίαν ὡς πρὸς τὸ πλῆθος καὶ 
τὴν σύγχυσιν τῶν παρ' Ἕλλησι δογμάτων εἶναι γὰρ ὑπὲρ τὰ τριαχόσια δόγματα. 
(βοκκ. a. a. O., ähnlich 805.) Bo geeignet diese Ansichten waren, um auf 
Grund derselben zur religiösen Toleranz zu ermahnen, so vollkommen ent 
sprechen sie auch einer Denkweise, die auf tiefere wissenschaftliche For- 
schung versichtet, um sich statt dessen auf jene, an sich selbst ganz aner- 
kennenswerthe, aber durchaus populäre Moral und Theologie su beschränken, 
welcher wir bei Tbemistius tiberall begegnen. Den Paraphrasen des Themi- 
stius lässt sich, ihrem Zwecke gemäss, für die Charakteristik seines eigenen 
Standpunkts wenig entnehmen. 

1) Nur schwache Anklänge an dieselben finden sich bei ihm, wie or.], 
8, b, wo er die Gottheit die οὐσία ὑπερούσιος, ὑπερδύναμος δύναμις, ὑπεράγαθϑος 
ἀγαθότης nennt, aber sofort beifügt, diese Prädikate könne man ihr nicht 
ebenso bestimmt beilegen, wie das der φιλανθρωπία, und or. XX, 284, a f., wo 
er im Anschluss an den Phädrus schildert, wie der Geist seines Vaters, von 
den Banden des Leibes befreit, τὴν ξυνωρίδα τῶν ἀθανάτων ἵππων ζευξάμενος, im 
die ἱερὰ θεῶν ἀγορὰ und den δῆμος ἀγαθῶν δαιμόνων eingetreten Bei. 

4) In der Κι, 667, 8 berührten Stelle or. XXIII, 295, b, wo er von dem 
Philosophen sus Sioyon sagt: ἀχουστὴς μὲν γεγονὼς τοῦ Χαλχιδέως πρεσβύτου 
(Jamblich), θεραπεύων δὲ οὐ τὴν νέαν ῳδὴν, ἀλλὰ τὴν πάτριον καὶ ἀρχαίαν τῆς 
᾿Αχαδημίας xar τοῦ Δυχείον. Vgl. auch II, 83, o. Vielleicht hängt es mit dieser 
Stellung des Themistius zum Neuplatonismus zusammen, dass über ein näheres 
Verhältniss desselben zu Julian nichts bekannt ist, Nach Srın. Themist. er- 
nannte ihn zwar dieser sum Unterpräfekt (bxapyog) von Konstantinopel, aber 
in Julian’s Briefen wird er nie genannt, und dass die von Themist. geschrie- 
bene Lobrede, deren Lisan. ep. 1061 erwähnt, sich auf Julian bezogen habe, 
ist mir nicht wahrscheinlich. 

8) Die uns erhaltenen Nachrichten über Hypatia finden sich in der werth- 
vollen Abhandlung von R. Hocaz: „Hypatia, die Tochter Theon’s“ (Philo- 
logus XV, 1860, 8. 485—474) zusammengestellt und besprochen. Derselbe 
giebt auch die Altere Literatur an. — Nach Boın. Ὑπάτ., (dessen ausführlicher 
Artikel ohne Zweifel in der Hauptsache Damascius’ Leoben Isidor’s entnommen 


Hypatia. 673 


zu solcher Blüthe, dass die Verehrer dieser Frau auf die wissen- 
schaftlichen Zustände Athens mit Geringschätzung herabsahen 1). 


ist) und Soxr. H. ecol. VII, 15 war Hypatia die Tochter des Mathematikers 
Theo in Alexandria. Nachdem sie Mathematik und Philosopbie studirt hatte, 
trat sie selbst — auch durch Schönheit ausgezeichnet — als Lehrerin dieser 
Wissenschaften mit solchem Erfolg auf, dass sie alle Philosophen ihrer Zeit 
überstrablte, und die Zuhörer ihr von allen Seiten zuströmten; Sokrates sagt 
ausdrücklich, sie habe den Lehrstuhl der platonisch -plotinischen Schule in 
Alexandria eingenommen. Von der Verehrung ihrer Schüler und der nahen 
wissenschaftlichen und persönlichen Verbindung, in der sie auch mit ibren 
abwesenden Freunden stand, legen die Briefe des Syresius, dessen Anhäng- 
lichkeit und Bewunderung für „die Philosophin“ durch seinen Uebertritt sum 
Christenthum nicht vermindert wurde, ein beredtes Zeugniss ab (vgl.ep.4g.E. 
10. 15. 16. 80. 124. 182, 8. 1519, b. 186 Anf. 153); so redet er sie z. B. ep. 16 
an: μῆτερ χαὶ ἀδελφὲ χαὶ διδάσχαλε, ad Ῥοη, 8. 1584, a nennt er sie seine 
σεβασμιωτάτη διδάσχαλος, und ep. 153, 8.1556, c legt er, der christliche Bischof, 
der heidnischen Philosophin einige Schriften vor, um über ihre Herausgabe 
zu entscheiden. Auch bei den Beamten und Obrigkeiten der Stadt stand 
Hypatia in hohem Ansehen, und wurde vielfach von ihnen zu Bathe gezogen; 
namentlich bei dem Präfekten Orestes galt sie sehr viel (Sokr. und Sri». 
ἃ. ἃ. ἃ. O.). Dadurch kam sie aber bei der christlichen Bevölkerung in den 
Verdacht, dass sie diesen Beamten zu den Schritten anstifte, durch welche er 
dem hierarchischen Bischof Cyrillus entgegentrat; und in Folge dieses Ver- 
dachts wurde sie im März 415 von einem fanatischen Volkshaufen auf schau- 
derhafte Weise ermordet; m. s. hierüber die gründliche Untersuchung von 
Hocua 8. 457 ff., der sich mit Recht vorzugsweise an Sokrates hält. Die An- 
gabe unseres Suidas-Textes, Hypatia sei die Frau des Philosophen Isidorus 
gewesen, hat schon Baucker I, 344 f., und neuerdings Hocar 854 f. voll- 
ständig widerlegt; sie war vielmehr unverheirathet, und jene Angabe ist ein 
grobes Missverständniss, da» wohl erst einem Glossator des Buidas zur Last 
fallt. 

1) Srums. ep. 135 schreibt seinem Bruder aus Athen: οὐδὲν ἔχουσιν αἱ νῦν 
᾿Αθῆναι σεμνὸν, ἀλλ᾽ A τὰ χλεινὰ τῶν χωρίων ὀνόματα. Die Philosophie sei aus- 
gewandert, wenn auch die Akademie und das Lyceum u. 8, w. noch stehen, 
γῦν μὲν οὖν ἐν τοῖς καθ᾽ ἡμᾶς χρόνοις Αἴγυπτος τρέφει τὰς Ὑπατίας δεξαμένη γονάς" 
αἱ δὲ ᾿Αθῆναι, πάλαι μὲν ἦν ἢ πόλις ἑστία σοφῶν, τὸ δὲ νῦν ἔχον σεμνύνουσιν αὐτὰς 
οἷ μελιττουργοί" ταῦτ᾽ ἄρα καὶ ἢ ξυνωρὶς τῶν σοφῶν Πλουταρχείων͵ οἵτινες οὐ τῇ 
φήμῃ τῶν λόγων ἀγείρουσιν ἐν τοῖς θεάτροις τοὺς νέους, ἀλλὰ τοῖς ἐξ Ὑμηττοῦ 
σταμνίοις. Mit jener ξυνωρὶς scheinen Plutarch und Syrian gemeint zu sein; vor 
Plutarch’s Tod muss nämlich der Brief jedenfalls geschrieben sein, da dieser 
den Synesius überlebt hat, dessen Bruder und Nachfolger Euoptius 431 schon 
an der Synode von Ephesus theilnahm (Haapvın Concilia 1, 1392, d). 


. Philos. d. Gr. ILL. Bd. 2. Abth. 43 


674 Hypatia. Olympiodorus. 


Ueber ihre Lehre 19 ist uns freilich so wenig, als über ihre 
Schule ?) etwas näheres überliefert. 

Etwas später treffen wir in Alexandria neben dem Platoniker 
Hierokles °) den Aristoteliker Olympiodorus, den Lehrer 
des Proklus *). Aber doch verliert diese Stadt, in welcher auch 


1) Suıpas (d. h. Damascius) sagt von ihr ausdrücklich: τὴν δὲ φύσιν γεν- 
varotepa τοῦ πατρὸς οὖσα οὐκ ἠρχέσθη τοῖς διὰ τῶν μαθημάτων παιδεύμασιν ὑπὸ τῷ 
πατρὶ, ἀλλὰ καὶ φιλοσοφίας ἥψατο τῆς ἄλλης οὐχ ἀγεννῶς ... ἐξηγεῖτο δημοσία τοῖς 
ἀκροᾶσθαι βουλομένοις ἣ τὰ τοῦ Πλάτωνος ἢ τοῦ ᾿Αριστοτέλους ἢ ἄλλου ὁτουδὴ τῶν 
φιλοσόφων. Ebenso Άὅοκε.: πάντα τὰ φιλόσοφα μαθήματα τοῖς βουλομένοις ἐχτί- 
θεσθαι. Ihr Unterricht muss sich demnach auf das ganze Gebiet der Philosophie 
erstreckt, und nach der Weise der Neuplatoniker namentlich mit Erklärung 
der platonischen und aristotelischen Schriften beschäftigt haben. Auch die 
Art, wie Synesıus a. d. a. O. von ihr und zu ihr spricht, setst diess voraus. 
Allerdiugs scheint sie aber (auch nach Srxxs. ep. 15 und ad Pson. 8. 1584, a) 
den mathematischen Wissenschaften besondere Aufmerksamkeit gewidmet zu 
haben, wie denn ihre drei von Suıpas genannten Schriften mathematischen 
Inhalts sind; und so können nicht blos Prıtostorc. VIII, 9 und Hessscn. 
Ὑπάτ. die Astronomie als diejenige Wissenschaft nennen, in der sie sich 
hauptsächlich hervorgethan babe, sondern Dauwasc. v. Isid. 164 kann auch 
den Isidorus als τῷ ὄντι φιλόσοφος, ihr, der γεωμετριχὴ, entgegenstellen, wie- 
wohl sie in Wahrheit ohne Zweifel viel bedeutender war, als jener Schüler 
des Proklus. Ueber ihre philosophischen Ansichten lässt sich ausser dem all- 
gemeinen, was ohnedem feststeht, dass sie die des damaligen Neuplatonismus 
waren, auch aus Synesius kaum etwas abnehmen. 

2) Srsssıus nennt mehrere seiner Mitschüler: Olympius (ep. 97. 132, 
8.1519, b), Troilus (ep. 26. 90 vgl. ὅοκε. H. eccl. VII, 1), Herculianus 
(ep. 136), Hesychius (ep. 92); aber sonst sind uns diese Männer wenigstens 
als Philosophen nicht weiter bekannt. Auch auf Synesius selbst kann ich bier 
nicht näher eintreten, denn das geschichtlich merkwürdige an ihm ist nur das 
eigenthümliche Verhältnisse, in welchem der Neuplatonismus und das Christen- 
thum bei ihm stehen; im übrigen begegnen wir in seinen Schriften, so weit 
sie philosophischen Inhalts sind, nur den bekannten Zügen jenes £ystems. 
Ich glaube ihn daher der Geschichte der christlichen Philosophie überlassen 
zu sollen, und will mich hier begnügen, auf die kurze Darlegung seiner Welt- 
ansicht De provid. I, 9—11, und seine Stellung zum Christenthum betreffend, 
auf Baur Kirchengesch. II, 52 ff. zu verweisen. 

3) Ueber welchen sogleich ausführlicher gesprochen werden wird. 

4) Marın. v. Procli 9: als Proklus nach Alexandria kam, φοιτᾷ ἐκὶ μὲν 
᾿Αριστοτελιχοῖς παρ᾽ Ὀλυμπιόδωρον τὸν φιλόσοφον, οὖ χλέος εὐρύ. Dass dieser 
Olympiodor der gleiche ist, welchem Hierokles seine Schrift über die Vor- 
sehung gewidmet hat, ist mir nach der Beschreibung des letztern bei ΒΟΥ. 
Cod. 214, Anf. durchaus unwabrscheinlich; auch von demjenigen, an welohen 


De | 


Die Schule von Athen. 6873 


die Unterdrückung des Heidenthums von Seiten der Christen mit 


‘ganz besonderer Gewaltsamkeit betrieben wurde, seit diesem Zeit- 


punkt ihre wissenschaftliche Bedeutung immer mehr. Dagegen 
trieb der Neuplatonismus eben damals in Athen, trotz der Ungunst 
der Zeiten, neue Blütben, und in dem System des Proklus kam er 
sogar zu seiner höchsten formellen Vollendung. 

Ueber die Entstehung dieser Schule sind wir nicht näher 
unterrichtet. Ihr enger Zusammenhang mit Jamblich und Theodor 
von Asine liegt in ihrer Lehre klar vor Augen, und ihre Vertreter 
haben ihn auch so bereitwillig anerkannt, dass es ziemlich gleich- 
gültig für uns ist, durch welche Personen ihre Verbindung mit 
Jawnblich’s Schule vermittelt wurde ἢ. Während aber in der letz- 
teren die theologische Spekulation, die Zahlenmystik, die Theurgie 
und der Eifer für die Vertheidigung des Polytheismus den wissen- 
schaftlichen Sinn überwuchert, und das Interesse für ein methodi- 
sches Philosophiren sosehr zurückgedrängt hatten, dass sie sich zur 
Zeit Julian’s ganz in die praktisch religiöse Thätigkeit zu verlieren 
in Gefahr stand, so kehrte die Schule von Athen nach dem Miss- 
lingen jener praktischen Bestrebungen zu einem strengeren dia- 
lektischen Verfahren zurück, wodurch es ihr möglich wurde, alle 
Ergebnisse ihrer Vorgänger zu einem zusammenhängenden, bis in’s 
einzelste sorgfältig ausgearbeiteten Ganzen zusammenzufassen. Sie 
hatte dieses Ergebniss vor allem dem eifrigeren Studium der aristo- 
telischen Schriften zu verdanken, welche von Jamblich und seinen 
Schülern im Vergleich mit den orientalischen Systemen und den 
neupythagoreischen Lehren verhältnissmässig vernachlässigt wor- 
den waren. Indem die athenischen Platoniker das Studium des 
Aristoteles als die Vorbedingung für ein tieferes Verständniss 
Plato’s betrachteten ?), traten sie mit der ganzen dialektischen 


v 


Isıvor. Pelus. ep. II, 256 schreibt, ist er zu unterscheiden. Proklus’ An- 
wesenheit in Alexandria fällt, wie später gezeigt werden wird, um’s Jabr 480. 

1) Bruckee II, 313 denkt an Chrysanthius (8. o. 662), Zumrr (über den 
Bestand d. philos. Schulen in Athen. Abh. ἃ. Berl. Akad. 1843. phil.-biet. 
Kl. 8. 78) an Theodor von Asine, und es ist allerdings möglich, dass Plutarch 
einen von diesen Philosophen gehört hat, doch lässt sich nichts sicheres dar- 
über ausmachen. 

2) Aus diesem Gesichtspunkt behandelt wenigstens Syrian bei Marın. 


‚Procl. 18 den Unterricht des Proklus, wiewohl sich dieser vorher schon unter 


43 * 


676 Die Schule von Athen. 


Bildung der peripatetischen Schule an die platonischen Schriften, 
und es erzeugte sich das Bestreben, mittelst dieser Dialektik nicht 
blos den Plato mit Aristoteles, sondern auch die früheren Neu- 
platoniker mit Plato und mit einander zu verknüpfen. Andererseits 
aber sollte die höchste Wahrheit doch nur da zu finden sein, wo 
auch der bisherige Neuplatonismus sie gesucht hatte: die aristo- 
telische Weisheit ist nur die Vorstufe der platonischen, jene wird 
den kleinen, diese den grossen Weihen verglichen !); Aristoteles 
heisst der dämonische, Plato und Jamblich die göttlichen ®); und 
Plato selbst stellen sich die pythagoreischen und orphischen Ueber- 
lieferungen, die griechischen Göttersprüche und die chaldäische 
Theologie mit gleichem Ansehen zur Seite. Diese ganze Vor- 
stellungsmasse, die ganze religiöse und philosophische Errungen- 
schaft der Vorzeit soll in einem umfassenden, methodisch geglieder- 
ten System vereinigt werden. ‘Seinem Inhalt nach ist daher dieses 
System theils eine Wiederholung theils eine weitere Ausführung 
dessen, was die bisherigen Neuplatoniker aufgestellt hatten, und es 
schliesst sich namentlich an Jamblich und Theodor unmittelbar an. 
Auch seine Form, die des triadischen Fortgangs, war ihm durch diese 
Vorgänger bis zu einem gewissen Grad vorgezeichnet. Aber die 
strengere und bewusstere Durchführung dieses Princips führt jetzt 
zu einem Lehrgebäude, welches theils durch manche materielle 
Aenderungen, theils und besonders durch seine formelle Ab- 
rundung über die früheren so weit hinausgeht, dass wir allen 
Grund haben, in demselben eine dritte und letzte Form des Neu- 
platonismus zu sehen °). Je vollständiger sich aber freilich die 


Olympiodor’s Leitung mit der aristotelischen Philosophie bekannt gemacht 
hatte, Ἐν ἔτεσι γοῦν, sagt er, οὔτε δύο ὅλοις πάσας αὐτῷ τὰς ᾿Αριστοτέλους συν- 
ἔγνω πραγματείας .... ἀχθέντα δὲ διὰ τούτων ἱκανῶς, ὥσπερ διὰ τινῶν προτε 
λείων καὶ μιχρῶν μυστηρίων, εἷς τὴν Πλάτωνος ἦγε μυσταγωγίαν. 

1) Maris. a. a. Ὁ. 

2) So ganz stehend bei Proklus, und vor ihm bei seinem Lehrer Syrian; 
vgl. dessen Commentar zur Metaphysik 8. 4, b, o. 9, a, ὁ. Bagol. u. 5. We- 
niger pedantisch ist in dieser Beziehung Sımruicıus; er nennt 3. B. Phys. 143, 
b, u. den Aristoteles unbedenklich θέΐος. Weiteres wird über das Verhältniss, 
in welches Aristoteles hier zu Plato gesetzt wird, aus Anlass Syrian’s mitge- 
theilt werden. 

8) Kıscuner Philos. ἃ. Plot. 216 f. bestreitet diess; aber theils schlägt 
er die Bedeutung jenes logischen Schematismus, in welchen Proklus die 


Plutarchus. 677 


Philosophie in dieser Richtung ausbreitet, um so deutlicher kommt 
auch der Mangel an schöpferischer Kraft zum Vorschein, welcher 
ihr, trotz aller dialektischen Kunst, das unverkennbare Gepräge 
der alternden Wissenschaft aufdrückt. Das Verhältniss der atheni- 
schen Neuplatoniker zu der früheren Philosophie und zur positiven 
Religion ist wesentlich scholastisch, und Proklus besonders kann 
als der eigentliche Scholastiker unter den griechischen Philosophen 
betrachtet werden. Völlig so stark freilich, wie in der christlichen 
Scholastik, konnte die Abhängigkeit vom positiven in der griechi- 
schen Philosophie nie werden, weil diese keine kirchliche Aukto- 
rität über sich hatte; aber doch haben die platonischen Schriften, 
die Göttersprüche und die orphischen Gedichte für diese letzten 
Neuplatoniker ganz die Bedeutung einer normativen Offenbarungs- 
urkunde. 

Der erste athenische Neuplatoniker, welcher mit Auszeichnung 
genannt wird, ist der „grosse“ Plutarchus 1), der Sohn des 


ganze neuplatonische Spekulation eingefügt hat, wie mir scheint, zu gering 
an, theils unterschiebt er auch, wie 8. 626 ἔ, gezeigt wurde, Jamblich schon 
Bestimmungen, welche nachweislich erst Proklus angehören; wie denn auch 
dieser selbst bei Gelegenheit sich darüber aufhält, dass Jamblich seine An- 
nahmen noch nicht genauer ausgeführt habe. Vgl. Plat. Theol. 216, 0: Jam- 
blich setze (bei der Erklärung der ὑπουράνιος ἀψὶς Phädr. 247, B) μετὰ τὸ πρῶ- 
τον τὸν οὐρανὸν ἀορίστως (ohne nähere Bestimmung) καὶ τὴν ἰδιότητα τῆς ὑπάρ- 
- ξεως ob παραδεδωχώς ... διδασχέτω δὲ ἡμᾶς, τίς ἢ τάξις fi οὐρανία, καὶ πῶς ὑπέστη, 
καὶ ποΐον γένος αὐτὴν συμπληροῖ τῶν πρὸ τοῦ δημιουργοῦ θεῶν, Ebd. 22, o., wo 
von Syrian gesagt wird: τὸ τῆς θεωρίας τῶν παλαιοτέρων ἀόριστον εἷς ὅρον μετὰ» 
στήσας καὶ τὸ συγχεχυμένον τῶν διαφόρων τάξεων εἰς διάχρισιν νοερὰν περιαγαγών. 
Kirchner’s Behauptung vollends, dass die Studien des Piato und Aristoteles 
von Jamblich’s Nachfolgern ebenso ernst und gründlich betrieben worden seien, 
als später zu Athen, erscheint nach allem, was uns über diese Männer be- 
kannt ist, durchaus unhaltbar; wenn die ἀττιχοὶ ἐξηγηταὶ als eine eigene 
Schule aufgeführt werden (PsıLor. De an. G, 10 unt. Μ, 15, unt. u. ὅ.), hat 
diess seinen guten Grund. Auch das Mittelalter hat den Neuplatonismus zu- 
nächst in der schulmässigen Systemsform, die ihm Proklus gegeben hat, sich 
angeeignet. 

1) Wie ihn Marınus Procl. 6. 12 wiederholt nennt; ebenso PnıLor. De 
an. Q, 1, m: ὃ θαυμάσιος. Nach Puor. Cod. 214, 8. 178, 37 war er ein Athe- 
ner;"des Nestorius Sohn nennt ihn auch Sımrı. De an. 72, b. m. Bonst ist von 
seinen persönlichen Verhältnissen nichts überliefert. Er starb nach Mazım. 
a. a. Ο. hochbetagt in Proklus’ 22stem Lebensjahre, mithin, da Proklus' 
Geburt in die Jahre 409—418 fällt, zwischen 481 und 485. 


«ΙΝ 


678 Plutarchus. 


Nestorius; und so wenig uns auch über diesen Mann mitgetheilt 
wird, so können wir doch schon bei ihm die Züge nachweisen, 
deren Verbindung die Schule von Athen charakterisirt. Einerseits 
wird seine Anhänglichkeit an den alten Glauben und seine Kennt- 
niss der theurgischen Künste erwähnt, deren Ueberlieferung in 
seiner Familie einheimisch war ἢ). Zugleich beschäftigte er sich 
aber auf’s eifrigste nicht allein mit den platonischen, sondern auch 
mit den aristotelischen Schriften, las sie mit seinen Zuhörern ?), 
und erklärte sie in eigenen Werken °). Seine Erklärung des Ari- 
stoteles war, nach den uns erhaltenen Proben zu urtheilen, sorg- 
fältig und im ganzen verständig; in den platonischen Parmenides 
deutete er freilich, wie alle neuplatonischen Ausleger, vieles 
hinein, was von seinem ursprünglichen Sinne weit abliegt. Ueber 
seine eigenen Ansichten ist nur wenig und vereinzeltes überliefert. 
Mit der ganzen neuplatonischen Schule unterscheidet er die Gott- 
heit, den Nus, die Seele, die der Materie inwohnende Form und 


1) Marın. Procl. 28: Proklas bediente sich der chaldäischen Gebets- 
formeln (συστάσεις, Gebete, wodurch man sich der Gottheit empfiehlt, xa 
evruxiaı) und der θέϊοι καὶ ἄφθεγχτοι στρόφαλοι (Zauberräder); καὶ γὰρ ταῦτα πα- 
ρειλήφει χαὶ τὰς ἐχφωνήσεις καὶ τὴν ἄλλην χρῆσιν αὐτῶν μεμαθήχει παρὰ ᾿Ασχληπι- 
γενείας τῆς Πλουτάρχου θυγατρὸς, rap’ αὐτῇ γὰρ καὶ μόνῃ ἐσώζετο ἀπὸ Νεστορίου 
τοῦ μεγάλου ὄργια καὶ ἣ σύμπασα θεουργιχὴ τέχνη, διὰ τοῦ πατρὸς αὐτῇ παραδοθεῖσα. 
Weiter vgl. m, auch die Legende, welche Buın. Δομγῖνος aus Damascius mit- 
theilt. 

2) Manık. ὁ. 12: Wiewohl Plut. schon durch sein Alter behindert war, 
widınete er sich doch dem Unterricht des Proklus mit der grössten Bereit- 
willigkeit, und las mit ihm Aristoteles von der Seele und Plato’s Phädo, 

8) Aus seiner Erklärung des Parmenides theilt Pxozı. in Parm. VI, 31 
Cous. (8. 831 Stallb.) einiges mit, eine solche des Phädo ergiebt sich aus 
den anonymen Scholien zu diesem Gespräch in Olympiodori Schol. in Phäd. 
ed. Fınczu 8. 82, Nr. 100. 8. 98, Nr. 175. 8. 159, Nr. 88; noch häufiger wird 
von SımeuLicıus (De an. 13, a, u. 82, b, m. 42, a, o. 44, b, u. ὅθ, a, u. 52, a, o. 
54, a, u. 72, Ὁ, m. 79, a, m. 82, a, 0. 865, b, ο. 90, a, o.) und PsıLoroxus (De 
an. Ὁ, 6, u. 7,u. 8,u. 9, u. 10,0. P, 5,0. 16,0. Q, I, m. 8, 0. 4, ο. 8, o.m. 
9,0. 10,u. 18, υ. R,3,o. 11, u, 18, ο. 8, 1, u. 5, o. 7,u. 9, u.) sein Com- 
mentar zu Aristoteles περὶ ψυχῆς angeführt, welcher nach dem Alexander's 
obne Zweifel der bedeutendste, wenn nicht der einzige war; wenigstens wissen 
wir, abgesehen von der Paraphrase des Themistius, von keinem, der swi- 
schen beide fiele, und Sıurı. De an. 72, Ὁ, m sagt: οὐχ ὡς τοῖς ἐξηγηταῖς εἴρηται 
τῷ τε ᾿Αλεξάνδρῳ καὶ τῷ Νεστορίου Πλουτάρχῳ, er scheint also diese als die Aus- 
leger schlechthin zu betrachten. 


Plutarchus. 679 


die Materie als solche 1). Den Himmelskörpern will er, im Wider- 
spruch mit der herrschenden Annahme, Sinnesempfindung bei- 
legen 3). Unter den menschlichen Seelenthätigkeiten bringt er die 
Wahrnehmung mit der Vernunft durch die Bemerkung in Verbin- 
dung, dass das die Empfindung begleitende Bewusstsein Sache der 
Vernunft sei; dasselbe sei nämlich das Erzeugniss der Vorstellung 
(δόξα), welche als der unterste Theil der vernünftigen Seele das 
Bindeglied zwischen ihr und der Sinnlichkeit bilde °). Er bespricht 
das Wesen und die Entstehung der Phantasie, in ihrem Unterschied 
von der Wahrnehmung auf der einen, dem Denken auf der andern 
Seite *). Er bemüht sich, die Schwierigkeiten zu lösen, welche 
in der aristotelischen Lehre von der Vernunft lagen, indem er die 
verschiedenen Formen derselben unterscheidet und ihr gegenseiti- 
ges Verhältniss bestimmt. Wiewohl nämlich die Vernunft als eine 
und dieselbe, von der Wahrnehmung und von der Phantasie ihrem 
Wesen nach verschiedene, Kraft) alles Wissen von Hause aus in 


1) Nach Ῥβοκι, in Parm. VI, 27 bezog er im Parmenides die fünf ersten, 
von der Voraussetzung el ἔστιν ἕν ausgehenden Abschnitte (8, 187, O— 160,B) 
auf die πρώτισται xat ἀρχικαὶ ὑποστάσεις, indem er τὴν μὲν πρώτην δπόθεσιν εἶναι 
περὶ θεοῦ διατάττεται᾽ τὴν δὲ δευτέραν περὶ γοῦ" τὴν δὲ τρίτην [155, E ff] περὶ 
ψυχῆς τὴν δὲ τετάρτην περὶ τοῦ ἐνύλου εἴδους. τὴν δὲ πέμπτην περὶ τῆς ὕλης, ἐν 
αἷς [ἧ, wie βταιυδῦμ mit Recht will] τὰ ἄλλα ὑπόχειται τοῦ ἑνός. Das ἔνυλον 
εἶδος ist der Sache nach dasselbe, was Plotin die Natur nennt. 

2) Bımrs. Do an. 90, a, o. PnıLor. De an. 8, 8, 0. 

3) Bei PaıLor. De an. O, 9, u. 

4) Pastor. ἃ. ἃ. OÖ. P, 15 u. 16, o.: Das αἰσθητὸν setze die αἴσθησις, 
diese die Phantasie in Bewegung; die αἴσθησις nehme die Form des Gegen- 
standes auf und halte sie fest, χοὶ τούτῳ τῷ εἴδει προσβάλλει ἣ φαντασία καὶ 
ταύτῃ γίνεται φαντασία, ὥς φησιν ὃ Πλούταρχος. ὅθεν καὶ ὁρίζεται αὐτὴν ψυχῆς χινη- 
σιν ὑπὸ τῆς χατ᾽ ἐνέργειαν αἰσθήσεως προςεχῶς διεγειρομένην. Ebd. Q, I, m: τὴν δὲ 
φαντασίαν διττὴν οἴεται Πλούταρχος. χαὶ τὸ μὲν πέρας αὐτῆς τὸ ἐπὶ τὰ ἄνω, ἤγουν ἡ 
ἀρχὴ αὐτῆς, πέρας ἐστὶ τοῦ διανοητιχοῦ" τὸ δὲ ἄλλο πέρας αὐτῆς χορυφή ἐστι τῶν 
αἰσθήσεων. Plut. vergleiche sie mit dem Punkt, in dem zwei Linien sich tref- 
fen: wie sich dieser zugleich als Ein Punkt und als doppelter Endpunkt be- 
trachten lasse, οὕτω χαὶ ἣ φαντασία δύναται χαὶ ὡς ἕν χαὶ ὡς δύο λαμβάνεσθαι, 
διότι τῶν μὲν αἰσθητῶν τὸ διῃρημένον εἰς ἕν συναθροίζει, τὸ δὲ τῶν θείων ἀπλοῦν καὶ 
ὡς ἂν τις εἴποι ἑνικὸν ἐς τύπους τινὰς καὶ μορφὰς διαφόρους ἀναμάττεται. Dass Plut. 
die Phantasie vom Nus unterschied, bemerkt Puıror. auch 8, 1, u., dass er 
sie den niedrigsten Thiergattungen absprach, Sımer. Do an. 82, a, o. 

5) Nach Paıror. De an. Ὁ, 4, o. hatte Plutarch Arist. De an. III, 4, Anf. 
so verstanden, dass hier die Frage aufgeworfen werde, site ὁ γοῦς χωριστός ἐστι 


680 | Plutarchus, 


sich hat!), so ist doch dieses nicht von Anfang an ihrem Bewusst- 
sein gegenwärtig, sondern es wird diess erst vermittelst der Er- 
innerung, des Lernens; wir haben daher zwischen der blos als 
Eigenschaft in uns vorhandenen und der zugleich in Thätigkeit 
getretenen Vernunft zu unterscheiden ?); auch die letztere ist aber 
nicht, wie die göttliche, beständig in wirklicher Denkthätigkeit 
begriffen 5), denn sie bedarf zu ihrer Thätigkeit der Phantasie, 
wenn ihr daher diese ihren Dienst versagt, hört jene Thätigkeit 
auf *). Weiter unterscheidet Plutarch den mit dem Körper ver- 
bundenen und den körperfreien Theil der Vernunft: von jenem 
soll das körperliche, von diesem das unkörperliche erkannt wer- 


φαντασίας καὶ αἰσθήσεως, ὡς ἄλλην αὐτὸν ἔχειν οὐσίαν παρὰ ταῦτα, εἴτε μία ἐστὶν 
οὐσία, ἥτις τοῦ νοῦ προβάλλεται χαὶ φαντασίαν καὶ αἴσθησιν, τῷ δὲ λόγῳ μόνον ἐστὶ 
πολλά. Er velbst hatte sich, wie ἃ. ἃ, Ὁ. Β, 8, ο. bemerkt wird, für das erste 
Glied dieses Dilemma entschieden. Dass nur einerlei Nus im Menschen sei, 
sagt Plutarch a. a. Ὁ, Q, 10 s. u. Anm. 8. 

1) Vgl. folg. Anm. 

2) Nachdem Paıtor. die Iste Abth. 712, 4 angeführten Bestimmungen 
Alexander’s mitgetheilt hat, fährt er a. a. Ο. Q, 8, o. fort: Πλούταρχος δὲ 
οὐ παράδεχεται ταῦτα, ἀλλὰ ἄλλως λέγει τὰ σημαινόμενα τοῦ νσῦ. φησὶ γὰρ, ὅτι 
πρῶτον σημαινόμενόν ἐστι τοῦ νοῦ ὁ χαθ' ἕξιν νοῦς, οἷός ἐστιν ἐπὶ τῶν παίδων βού- 
λεται γὰρ Πλούταρχος, κατ᾽ ᾿Αριστοτέλην (den er hier in’s platonische umdautet) 
τὰ παιδία λόγους ἔχειν τῶν πραγμάτων καὶ τὴν λογιχὴν ψυχὴν πάντα εἰδέναι καὶ τὰς 
μαθήσεις μὴ εἶναι χυρίως μαθήσεις, ἀλλ᾽ ἀναμνήσεις. χαὶ διὰ τοῦτο τὸν νοῦν ἐπὶ τῶν 
παίδων χαθ᾽ ἕξιν δίδωσι καὶ ἔχοντα τοὺς λόγους τῶν πραγμάτων. ἀλλ᾽ ἀγνοοῦσί, φησι, 
τὰ πράγματα διὰ τὸ δέϊσθαι μαθήσεως, ἥτις μάθησις ἀνάμνησίς ἐστι. δεύτερον σημαι- 
νόμενόν ἐστι τοῦ νοῦ τὸ καθ᾽ ἕξιν ἅμα καὶ ἐνέργειαν, ὥσπερ darıy ἐπὶ τῶν τελείων ἀν- 
θρώπων ὃ νοῦς... τρίτον σημαινόμενόν ἐστιν ὁ κατ᾽ ἐνέργειαν μόνως νοῦς, οἷός ἐστιν 
ὃ θύραθεν νοῦς ὃ τέλειος (der göttliche Nus). 

8) Paıtor. a. a. O. Q, 10, u.: Unter dem ἐνεργείᾳ νοῦς versteht Alexander 
den göttlichen Nus, Marinus einen δαιμόνιος A ἀγγελιχὸς, Plotin τὸν ἀνθρώπινον 
γοῦν, τὸν ἀξὶ ἐνεργοῦντα, von dem er aber einen ποτὲ (blos zeitweise) ἐνεργοῦντα 
untersoheide. Πλούταρχος δὲ, ὃ χαὶ ἡμεῖς τιθέμεθα, οὐκ οἴεται εἶναι παρ᾽ ἡμῖν διτ- 
τὸν νοῦν, ἀλλ᾽ ἁπλοῦν" xod τοῦτον τὸν ἁπλοῦν λέγει ἀεὶ νοοῦντα (hier ist, wie das 
nächstfolgende zeigt, entweder vor λέγει oder vor ἀεὶ ein οὗ ausgefallen), ἀλλὰ 
ποτὲ νοοῦντα. οἴεται οὖν ὃ Πλούτ., ἐνεργείᾳ λέγειν τὸν νοῦν τὸν ἀνθρώπινον, ὃν οἴεται 
χαὶ ποτὲ ἐνεργεῖν. 

4) Α. ἃ. Ο. Ο, 18,u. fragt Plutarch, warum der Nus nicht immer thätig 
sei, und antwortet: ὅτι τούτῳ αἴτιον τὸ μετὰ φαντασίας ἐνεργέϊν αὐτὸν, κἀχεΐνης 
φθαρείσης οὐχέτι ἐνεργέϊ δι’ ἐκείνην χαὶ οὐχὶ δι᾽ ἑαυτόν. 


Hierokles. 681 


den *). Endlich hören wir noch, dass er die Fortdauer nach dem 
Tode mit Jamblich ?) auf den vernunftlosen Theil der Seele aus- 
gedehnt habe 5). Wir sehen aus diesen Angaben, dass sich Plutarch 
namentlich mit psychologischen Fragen eingehend beschäftigt hatte, 
und dass er hier die aristotelische Lehre mit der platönischen zu 
verknüpfen und in Uebereinstimmung zu bringen suchte; aber sie 
reichen nicht aus, um uns ein genaueres Urtheil über seine philo- 
sophische Eigenthümlichkeit möglich zu machen. Auf eine maass- 
haltende Auffassung des sittlichen Lebens weist die Angabe, er 
habe die ascetischen Uebertreibungen seines Schülers Proklus 
missbilligt 9). 

Unter den wenigen Schülern Plutarch’s, deren Namen uns 
überliefert sind 5), zeigt der Alexandriner Hierokles 5) eine 


1) Α. ἃ. Ο. Ὁ, 8, o. (vgl. ebd. m. 9, 0.): Alexander und Plutarch behaup- 
ten: τῷ μὲν ἀύλῳ (so. im Nus) τὰ aüla γινώσκεσθαι, τῷ δὲ ἐνύλῳ τὰ ἔνυλα. 

2) Ueber den 8. 641 z. vergl. 

8) Schol. in Phäd, in Olympiodor in Phäd. ed. ΕἸΝΟΚΗ 8. 98, Nr. 175: οἱ 
μὲν ἀπὸ τῆς λογιχῆς ψυχῆς ἄχρι τῆς ἐμψύχου ἕξεως ἀπαθανατίζουσιν͵ ὡς Νουμήνιος" 
οἵ δὲ μέχρι τῆς φύσεως, ὡς Πλωέίνος ἕνι ὅπου' ol δὲ μέχρι τῆς ἀλογίας, ὡς... "ap 
βλιχος χαὶ Πλούταρχος. Von der Annahme des Numenius unterscheidet sich 
diese dadurch, dass sie die Unsterblichkeit zwar auf die vernunftlosen Theile 
der Seele (wie Phantasie und Begierde), aber nicht auf die blos animalischen, 
auf das leibliche Lebeu bezüglichen Kräfte ausdehnte. Ob auch die Sinnes- 
empfindung nach dem Tod fortdauern sollte, ist nicht klar. 

4) Maxım. Procl. 12: Als Plutarch sah, dass sich Proklus der Fleisch- 
speisen gänzlich enthielt, mahnte er ihn davon ab, ὅπως ἂν καὶ τὸ σῶμα ὅπηρε- 
τυῦν ἔχοι ταῖς ψυχικαΐς ἐνεργείαις. In demselben Sinn äusserte er sich gegen 
Syrian, erbielt aber von diesem die Antwort: ἔασον αὐτὸν maddlv ὅσα βούλομαι 
ἐγχρατῶς διαιτώμενον, καὶ τότε, el ἐθέλοι, ἀποθάνοι. 

5) Neben ihm und Syrian nennt ΜΔΕΙΝ. v. Procl. 6. 11 Lachares, den 
er als Mitschüler Syrian’'s und hochgefeierten Rhetor bezeichnet, und ebd. 
6. 28 Asklepigeneia, die Tochter Plutarch’s, doch die letstere zunächst nur 
als Bewahrerin der theurgischen Gebräuche, welche ihr von Nestorius ber 
überliefert waren; s. ὁ. 678, 1. 

6) Ueber die Persönlichkeit dieses Philosophen erfahren wir einiges n&- 
here durch Suıpas, welcher seinen Bericht, wie die Vergleichung desselben 
mit Dawaso. v. Isid. 54 zeigt, eben dieser Schrift des Damascius entnommen 
hat. Er war ihm zufolge ein Alexandriner (seinen Vater nennt TuzornrLiKr. 
ἀπορ. φυσ. 8.27 Boiss. Timagenes), und in Alexandria lehrte er auch (vgl. Damasc. 
8. Δ. Ο). Doch war ereineZeit lang aus dieser Stadt verbannt, nachdem er zuvor 
ig Konstantinopel vor Gericht schwere Misshandlung erlitten hatte, vielleicht 
in Folge seiner Anhänglichkeit an die alte Religion. Als Schüler Plutarch’s- 


«ΜΒ. . 


682 Hierokles. 


verhältnissmässig nüchterne und einfache Auffassung der platoni- 
schen Lehre. Die Schriften dieses Philosophen 3) sind nicht allein 
für jene Zeit sehr gut geschrieben ?), sondern sie liefern auch den 
Beweis, dass sich in der griechischen Philosophie, trotz aller Ver- 
zerrungen und aller Scholastik dieser spätesten Jahrhunderte, 
immer noch ein höchst werthvoller Kern von, reinen sittlichen 
Grundsätzen und gesunden religiösen Ueberzeugungen erhalten 
hatte. Hierokles verhält sich zu der neuplatonischen Spekulation 
ungefähr wie Musonius und Epiktet zu der des Chrysippus. Er 
nimmt ihre Ergebnisse an, ohne sich irgendwo eine Einrede gegen 
dieselben zu erlauben; aber ihm selbst in seinem Theil ist es nur 
um die wesentlichen Grundlehren, so wie er diese auffasst, und 
um die praktische Anwendung derselben zu thun °). Die Philo- 
sophie ist Reinigung und Vollendung des menschlichen Lebens. 
Gereinigt wird es durch die Tugend, mit welcher die praktische, 
vollendet durch die Wahrheit, mit welcher die theoretische Philo- 
sophie sich beschäftigt*). In beiden Beziehungen sind, wie Hiero- 
kles glaubt, alle wahren Philosophen, und so namentlich Plato 
und Aristoteles, in allem wesentlichen °) einig; nur der üble 
Wille und der Unverstand können diese Uebereinstimmung läug- 
nen, nur die Irrthümer der Stoiker und Epikureer, und mit ihnen 
auch die falschen Auffassungen der platonischen und aristoteli- 


bezeichnet er selbst sich bei Photius (8. ο. 400, 5). und so wird denn seine 
eigene Lehrtbätigkeit annähernd zwischen 415 und 450 zu setzen sein. 

1) -Wir besitzen noch seine Erklärung des goldenen Gedichts (neuste 
Ausgaben von Gaisrorp 1860, hinter Stobäus Eklogen, Murzaca 1853 und 
in den Fragm. Philos. gr. 8. 408 ff. — ich citire nach den letzteren) und reich- 
haltige Auszüge aus den 7 Blichern περὶ προνοίας bei Puor. Cod. 214. 252 (8. ο. 
8. 400 (). Weiter giebt Srosius kkl. II, 420 f. ein Bruchstück aus einer 
Schrift: τίνα τρόπον θεσίς χρηστέον, und an verschiedenen Stellen des Florile- 
giums (s. d. Index) Stücke ans sechs oder sieben moralischen Abhandlungen. 

2) Auch Dauasc. a. a. O. 54. 86 und nach ihm Suıpas Pühmt seine mit 
der platonischen wetteifernde Darstellung, die aber doch immerhin etwas 
weitschweifig und wässerig ist. 

8) Eine Auseinandersetzung über die Tetras und einige andere Zahlen 
(in ὁ. aur. c. 20, B. 464 f.), auf welche ihn V. 47 des goldenen Gedichts führt, 
steht vereinzelt. 

4) In carm. aur. Einl. 

5) Den ἐπικαίροις τε καὶ ἀναγκαιοτάτοις τῶν δογμάτων, wie er bei Paor. 
Cod. 214. 142, a, 7 sagt. 


Hierokles. 683 


schen Lehre, bedürfen der Widerlegung ἢ. Als das wichtigste 
erscheint unserem Philosophen, zunächst auf dem Gebiete der 
theoretischen Philosophie, die richtige Ansicht von der göttlichen 
Vorsehung und von der menschlichen Seele. Von dem Einen Gett, 
dem Schöpfer aller Dinge, unterscheidet er drei Klassen geistiger 
Wesen: die himmlischen Götter, die Dämonen und die Menschen- 
seelen ?); dagegen thut er merkwürdiger Weise der überweltlichen 
Götter nirgends Erwähnung, deren Aufzählung und Beschreibung 
die übrigen Neuplatoniker jener Zeit sich so angelegen sein lassen; 
und ebensowenig findet sich bei ihm eine Hinweisung auf die Eigen- 
schaftslosigkeit des Urwesens, oder sonst eine von den Bestimmun- 
gen, welche den neuplatonischen Gottesbegriff vom platonischen 
unterscheiden ®). Dagegen erklärt er sich allerdings, im Sinne 
des Neuplatonismus, entschieden gegen die Annahme einer prä- 
existirenden Materie und eines zeitlichen Weltanfangs oder Welt- 
endes; jenes, weil Gott die alleinige absolute Ursache der Welt 
sein müsse, dieses, weil sein Wirken und Schaffen in seinem 
Wesen begründet, und so ewig, wie dieses selbst, sei 4). Von 
den geschaffenen Wesen sind nur die geistigen unmittelbar von 
Gott hervorgebracht, und nur sie sind der eigentliche Gegenstand 
der göttlichen Vorsehung; der vernunftlosen Natur hat die Gottheit 
wohl die Gattungen der Wesen vorgezeichnet, und sie sorgt für 
deren Erhaltung, aber die Einzelwesen sind nicht von ihr selbst 


1) Bei Puor. 8. ἃ. Ὁ. 171, b, 88 ff. 173, a, 18 ff. Cod, 251. 460, a, 24 fi. 
vgl. oben 8. 400, 5. 

2) In carm. aur. 0. 1,8. 417 ff. c. ὃ, 8. 424. c. 27, 8. 488, b. Puor. Cod. 
214. 172, a, 22 #. Cod. 251. 461, b,6 ff. 82 ff. Das Verhältniss dieser drei 
Klassen wird dahin bestimmt, dass die Götter den höchsten Gott immer in 
einheitlicher und unveränderlicher Weise denken und ebendamit nachahmen, 
die Dämonen zwar immer und fehlerlos, aber nicht ἀτρέπτως und ἀχωρίστως, 
sondern διεξοδιχῶς und daher bald mehr bald weniger, die Menschenseelen μήτε 
ἀὰ χαὶ ἐν αὐτῷ τῷ vogiv μεμερισμένως. Die Dämonen nennt Hierokles auch 
ἥρωες, ἄγγελοι, αἰθέριοι. Er bemerkt librigens (oarm. aur. 8. 420), os sei πλῇ- 
θος εἰδών Ev ἑχάστῳ γένει καθ᾽ ὑπεροχὴν καὶ ὑπόβασιν τεταγμένον. 

8) Μ, vgl. in dieser Beziehung auch Puor. 8. 172, a, 22. 460, a, 25. 461, 
b, ὁ £., wo von dem Willen, der Macht und Weisheit Gottes in der gewöhn- 
lichen Weise gesprochen wird. 

4) Hierokles führt diess bei Paor. Cod. 251, Anf. bis 8. 461, a, 28. Ebd. 
461,b,6f, 468, b, 80 f. In carm, aur. c. 1. 419, Ὁ £. des näheren aus. 


684 Hierokles. 


geschaffen, und die Schicksale derselben werden nicht, wie die der 
vernünftigen Seelen, von der Vorsehung, sondern von der Natur- 
nothwendigkeit und dem Zufall bestimmt 1). In seiner Betrachtung 
des Menschen schliesst sich Hierokles ganz an die platonischen 
Lehren von der Präexistenz und der Seelenwanderung an; nur 
dass er mit Porphyr und Jamblich den Eintritt von Menschenseelen 
in Thierleiber ebenso, wie andererseits ihre Erhebung zu Dämonen 
und Göttern, beseitigt, um der Eigenthümlichkeit des menschlichen 
Wesens und der Ordnung des Weltganzen nichts zu vergeben, 
welche die verschiedenen Wesensklassen, wie er glaubt, durch 
unübersteigliche Schranken getrennt hat *). Den gleichen Vor- 
gängern folgt er in der Annahme eines ätherischen Leibes, welchen 
die Seele in den irdischen mitbringe und aus demselben in’s Jen- 
seits mithinübernehme °); die Willensfreiheit, auf welche er den 
höchsten Werth legt %), ist das alte und allgemeine Dogma der 
platonischen Schule. Eben diese Lehren sind es nun auch, durch 
welche der Vorsehungsglaube von Hierokles vorzugsweise gestützt 
und näher bestimmt wird °). Mit dem Namen der Vorsehung 
(πρόνοια) bezeichnet er im allgemeinen die väterliche Herrschaft 
der Gottheit über ihre Geschöpfe, welche für jede Klasse derselbea 
die ihr angemessenen Bestimmungen trifft. Sofern sich diese welt- 
regierende Thätigkeit auf freiwollende Wesen bezieht, und die 
Schicksale derselben nach Maassgabe ihrer Würdigkeit und ihres 
sittlichen Bedürfnisses bestimmt, wird die Vorsehung zum Ver- 
hängniss (εἱμαρμένη). Diese Bestimmung erfolgt aber in erster 
Reihe durch die Entscheidung über den Leib und das Leben, in 


1) In oarm. ΔΌΣ. 6. 11, 8. 444. Puor. Cod. 251. 8. 462, a, 21. b, 35 & 
466, a, 12 ff. 

3) M. s. hierüber: In carm. aur. ὁ. 28, 8. 469, b. c. 27, 8. 482 f. auch 
0. 34. Puor. Cod. 214, 8. 172, Ὁ, 20 ff. 

8) Σῶμα αἰϑέριον, αὐγοειδὲς, Külov, ἀθάνατον in c. aur. 6. 26, B. 478, a. b. 
479, a. ο. 27, 8. 488. Aehnliche Lichtleiber haben nach der ersten von die- 
sen Stellen auch die Dämonen: ein Heros (oder Dämon) ist eine ψυχὴ λογαὴ 
μετὰ φωτεινοῦ σώματος, wie ja selbst die Götter als Gestirngeister mit einem 
Lichtleib verbunden sind. 

4) Puor. Cod, 251, 8. 462, b, 11. 26 ff. 468, a, 82 ff. b, 14. 465, a, 36. ὃ, 
18 ff. In carm. aur. c. 24, 8. 472. ὁ. 11, 8. 438. 489, a u. ὅ. 

5) Wie diess in Betreff der Seelenwanderung auch Puor. Cod. 214. 
8. 172, b, 24 bemerkt. 


Hierokles. 685 


welches jede Seele bei ihrer Rückkehr auf die Erde eintritt 1); und 
sie vollzieht sich durch Vermittlung der Dämonen, welche diesen 
Vorgang, wie das menschliche Leben überhaupt, unter ihrer Ob- 
hut haben ?). Auch die Uebel, von welchen sie in Folge derselben 
betroffen werden, haben die Menschen lediglich sich selbst zuzu- 
schreiben, die Gottheit ist daran unschuldig °); denn sie verhängt 
dieselben immer nur bedingt, für den Fall, dass der Mensch so oder 
so handelt: seine Willensbeschaffenheit selbst bestimmt er allein, 
die Gottheit knüpft nur gewisse äussere Folgen an gewisse Hand- 
lungen 5). Indem der wahre Vorsehungsglaube diess anerkennt, 
vereinigt er die Freiheit des Menschen mit der göttlichen Vor- 
sehung, ohne jene zu vernichten, oder diese mit der Verantwort- 
lichkeit für das Uebel und das Böse zu belasten; und eben darin 
besteht sein Unterschied, einerseits von dem stoischen und astro- 
logischen Fatalismus, andererseits von dem Naturalismus eines 
Alexander von Aphrodisias °). 

Auch in der praktischen Philosophie des Hierokles treten die 
unterscheidenden Eigenthümlichkeiten des Neuplatonismus gegen 
diejenigen Lehren zurück, welche schon seit Jahrhunderten zum 
Gemeingut der griechischen Wissenschaft geworden waren. Der 
Philosoph unterscheidet zunächst die praktische und die theoretische 
Tugend. Jene reinigt den Menschen durch Beherrschung seines 
sinnlichen Theils von der Unvernunft (ἀλογία), diese vollendet ihn 
durch Erkenntniss der Wahrheit; jene macht ihn zum guten Men- 
schen, diese zum Gott. Wie aber überhaupt beim Aufsteigen zum 
höheren das geringere dem grösseren vorangeht, so muss auch 
die sittliche Vervollkommnung der wissenschaftlichen vorangehen δ). 
In seiner Auffassung der sittlichen Thätigkeiten und Aufgaben 


1) Por. Cod. 251: 8. 461, b, 17 ff. 462, a, 29 — 468, b, 28. 464, a, 7 ff. 
466, a, 21. b, 14 ff. " 

2) Por. a. a. O. 462, b, 19 f. 464, a, 28. 466, a, 21. b, 14. 

8) In carm. aur. c. 11, 8. 439. co. 24. 8. 471, b f. o. 25, 8. 477. Puor. 
a. 2.0. 468, a, 19 f. 464, a, 15 ff. Srtos. Ekl. II, 420 £. 

4) Pnor. a. a. O. 464, a, 20 ff. 465, b, 82. 

5) Pxor. a. a. O. 461, b, 28 ff. (Cod. 214. 8. 172, Ὁ, 8) vgl. B. 463, a, 
82 δ΄, 465, a, 14 ff. Inc. ΔΌΣ. ὁ. 11, 8. 439, b u. a. St. 

6) In carm. aur. Einl. (8. 0. 682, 4). Ebd. c. 26, 8. 479, a. 482, ο. 20, 
8. 468, a. 


686 Hierokles. 


zeigt nun Hierokles im allgemeinen sehr reine und richtige Grund- 
sätze. Er lehrt jene Erhebung über die äusseren Güter, Zustände 
und Schicksale, welche schon Plotin mit Plato und der Stoa ver- 
langt hatte, jene Anerkennung unserer natürlichen Verpflichtung 
gegen alle Menschen, jene Ergebung in den Weltlauf, als eine 
göttliche Ordnung, worin dieselben Philosophen ihm vorangegan- 
gen waren ἢ). Was insbesondere das Verhältniss des Menschen 
zur Gottheit betrifft, so erklärt Hierokles sehr bestimmt, die wahre 
Verehrung derselben bestehe in der Erkenntniss und Nachahmung 
ihres Wesens; nicht damit erzeige man Gott eine Ehre, dass man 
ihm, dem bedürfnisslosen, etwas gebe, sondern damit, dass man 
sich seiner Gaben würdig mache Ὁ). Neben dem geistigen Gottes- 
dienst und den rein sittlichen Verpflichtungen weiss er aber 
allerdings auch den positiven Vorschriften der pythagoreischen 
Ascese Raum zu schaffen. Zugleich mit der Seele, sagt er, müsse 
auch ihr ätherischer Leib gereinigt werden, und diess geschebe 
durch die weihende Thätigkeit (TeXssrun ἐνέργεια, welche zu der 
theoretischen und der politischen oder ethischen Tugend als dritte 
und unterste Stufe hinzukomme; für diesen Zweck sei es nun dien- 
lich, wenn man sich gewisser Dinge ganz enthalte, theils um sich 
damit überhaupt an die Lossagung vom Leibe zu gewöhnen, theils 
um sich bestimmte sittliche Vorschriften in symbolischer Form ein- 
zuprägen 5). Doch vermeidet er auch hierin jede Uebertreibung: 
er scheint die gänzliche Enthaltung von Fleischspeisen als einen 
Beweis höherer Vollkommenheit zu betrachten, aber er verlangt 
sie nicht von allen 4); der Enthaltung vom Wein geschieht keine 


1) Besondere Belege für das obige sind kaum nötbig; sie finden sich 
sowohl in den Bruchstücken bei Stob&us, als im Commentar zum goldenen 
Gedicht reichlich; doch vgl. man aus dem letzteren beispielshalber ce. 10, 
B. 484 f. c. 11, 8.489, a. 441, bf. c. 13, 448, b. f. 0. 20, 462, b. 

2) In carm. aur. ο. 1, 8. 420, b vgl. c. 20, 468, b. Mit dieser Verehrung 
der Gottheit bringt Hier. o. 2, 8. 422, b f., nach Anleitung des pythagorer 
schen Gedichts, auch die εὐορχία in Verbindung, verbietet aber nicht den Eid 
als solchen, sondern nur das leichtfertige Schwören. 

8) A. a. O. c. 26, 8. 478— 482, wo auch einige pythagoreische Vor 
schriften, wie das χαρδίαν μὴ ἐσθίειν, θνησιμαίων ἀπέχεσθαι u. 5. w. ans diesem 
Gesichtspunkt symbolisch gedeutet werden. 

4) Die Pytbagoreer, heisst es a. a. Ο. 481, a, haben bei ihren Enthal- 
tungen einen geordneten Fortschritt beobachtet, und in Folge dessen auch 


Theosebius, Syrianus. 687 


Erwähnung, die Ehelosigkeit wird nicht verlangt, die Ehe warm 
empfohlen !); so dass er demnach auch hier seinen maassvollen 
Charakter nicht verläugnet. 

Indessen lag es nicht im Geiste des damaligen Neuplatonismus, 
sich in dieser Weise auf die praktisch fruchtbaren Lehren zu be- 
schränken. Theosebius, der Schüler des Hierokles, scheint 
zwar nach seinem Vorgang die Ethik mit Vorliebe behandelt zu 
haben 3); die Mehrzahl der damaligen Neuplatoniker war aber 
ohne Zweifel der Meinung, welche spätere äussern, dass es 
Hierokles an tieferen Gedanken und wissenschaftlicher Schärfe all- 
zusehr fehle °). Und ganz grundlos ist dieser Vorwurf allerdings 
nicht: so anerkennenswerth die Gesinnung ist, welche sich in 
seinen Schriften ausspricht, so wenig waren doch solche populäre, 
den streitigen Fragen und den grundlegenden Untersuchungen 
ausweichende Darstellungen geeignet, der herrschenden Richtung 
mit Erfolg entgegenzutreten. 

Binen ungleich grösseren Einfluss auf die weitere Entwick- 
lung des Neuplatonismus hatte Syrianus, der Nachfolger und 
vieljährige Mitarbeiter Plutarch’s Ὁ. Für die Bedeutung dieses 


wohl den Schein des Widerspruchs auf sich geladen, wenn sie bald nur ge- 
wisse Theile der Tbiere bald die thierische Nabrung überbaupt verboten. 

1) Bei Sros. Filoril. 67, 21-—24. 75, 14. 

2) Dauasc. v. leid. 58 sagt von ihm: ἔλεγε μὲν ὃ Θεοσέβος τὰ πολλὰ ἀπὸ 
τῶν 'Erixtitou σχολῶν, τὰ δὲ χαὶ αὐτὸς ἐπετεχνᾶτο τῆς ἠθιχῆς διανοήματα Μούσης. 
Sonst erfahren wir von diesem Philosophen noch (a. a. O. δ4---69), dass er 
aus seiner Frau einen Dämon austrieb, indem er ihn bei den Strahlen der 
Sonne und dem Gott der Ebräer beschwor, und dass er sich des ebelichen 
Umgangs mit derselben enthielt, nachdem ihre Ehe eine Zeitlang kinderlos 
geblieben war. 

8) Dauusc. v. Isid. 86: τῶν δὲ νεωτέρων ᾿ἱἱεροκλέα τε χαὶ εἴ τις ὅμοιος οὐδὲν 
μὲν ἐλλείποντας εἰς τὴν ἀνθρωπίνην παρασχευὴν, τῶν δὲ μαχαρίων νοημάτων πολλαχῇ 
πολλῶν ἐνδεέΐς γενομένους φησίν (Subjekt dieses φησὶν ist wohl Damascius, denn 
die Worte gehören zunächst dem Bericht des Paorıus über seine Schrift, 
Cod. 242, 8. 887, b, 88 an). Sun. “leo. Schl. (nach Dumascius): in seinen 
Bohriften φαίνεται ὁ ἀνὴρ τὴν μὲν ζωὴν ὑψηλόφρων, τὴν δὲ γνῶσιν οὐχ ἀχριβής. 

4) Ueber Syrian’s Leben wissen wir nur wenig. Er»tammte aus Alexan- 
dria (ἔστιν. u. d. W.), war Schüler des Proklus, betbeiligte sich aber noch 
während der Schulfübrung desselben an seiner Lehrtbätigkeit (Marın. Procl. 
11 f. vgl. 8. 681, 4. 675, 2), und folgte ihm (431/,) im Lehramt, Sein Geburts- 
und Todesjahr ist nicht bekannt. Aus der Art, wie ihn PzoxLus in seinem 


688 Byrianue. 


Mannes bürgt schon die hohe, fast schwärmerische Verehrung, mit 
der sein Schüler Proklus von ihm redet '), welcher sich selbst nur 
als den Verkündiger der Geheimnisse betrachtet wissen will, in die 
Sein Lehrer ihn eingeweiht hat 5). Doch werden wir finden, dass 


Commentar zum Timäus anführt, den er nach Marızus c. 13 achtundzwanzig- 
jährig verfasste, könnte man schliessen, er sei um 440 n. Chr. nicht mehr am 
Leben gewesen, denn Proklus bedient sich hiebei gewöhnlich (z. B. 7, C. 
16, E. 47, D. 218, C) des Präteritums: ἠξίου, ἔλεγεν u. 8. w., und er thut dies 
nioht blos da, wo er wiedergiebt, was er in Syrian’s Vorträgen gebört hat, 
sondern auch, wo er sich auf seine Schrift bezieht, wie 8. 207, B: ἄλλον τρό- 
πον λόγων, ὃν ὃ ἡμέτερος διδάσκαλος ἐνέχρινε... λέγει γοῦν. Indessen ist dieser 
Schluss nicht sicher, denn es fragt sich doch, ob Proklus deu Commentar 
nicht später noch einmal überarbeitet hat; Marinus scheint ansunehmen, dam 
er ihn noch als Syrian’s Schüler verfasste. Syrian’s Vater hiess nach Mar. 
c. 11 Philoxenus; Boxtz. De interpr. II, 295, m. 821, m. 404, u. giebt ihm 
selbst den Beinamen Philoxenus. — Das Gymnasialprogramm von Back De 
Syriano philosopho (part. 1. Lauban 1862) ist mir nicht aus eigener Einsicht 
bekannt. 

1) ProxLus nennt ihn seinen Vater (in Tim. 218, C. 249, Ὁ vgl. in Parm. 
VI, 27: IDodtapyog ὃ ἡμέτερος rporktwp), das Musterbild des wahren Phil- 
sophen, den Ersatz für die Heiligthümer, Götterbilder und Gottesdienste, dem 
Mann, welcher ἐπ᾽ εὐεργεσίᾳ τῶν τῇδε ψυχῶν in die Welt gekommen sei, den 
Urheber des Heils (ἀρχηγὸν σωτηρίας) für die Mitwelt und die Nachwelt (in 
Parm. IV, 4 Cous, 8. 472 Btallb.); er sagt von ihm: ὃ μετὰ θεοὺς ἣμἷν τῶν ze 
λῶν πάντων καὶ ἀγαθῶν ἡγεμὼν (in Plat. Theol. 8. 2, o.), τὸν ἡμέτερον δγεμόνα 
τὸν ὡς ἀληθῶς βάχχον (d.h. Bacchant, Begeisterter), ὃς περὶ τὸν Πλάτωνα διαφε- 
ρόντως ἐνθεάζων καὶ μέχρις ἣμῶν τὸ θαῦμα καὶ τὴν ἔχπληξιν τῆς Πλατωνικῆς θεωρίας 
ἐξέλαμψε (ebd. 215 u.), ὁ ἡμέτερος χαθηγεμὼν, ἄνωθεν ὥσπερ ἀπὸ σκοπιᾶς τὰ ὄντα 
θεώμενος (in Tim. 815, Β); er redet von seiner ἔνθεος νόησις (ebd. 98, C), und 
will ὥσπερ ἀσφαλοῦς πείσματος ἔχεσθαι τῆς Tod καθηγεμόνος ἡμῶν παραδόσεως 
(a. a. Ο. 392, D). ὋὉ μέγας ist Syrian’s stebendes Beiwort bei den Späteren, 
z. B. Dawasc. De princ. c. 15, 8. 46. Amuon. De interpret. 110, Ὁ. Masız 
Procl. 26. βιμρι,. Phys. 42, a, ο. 46, b, u. 53, a, m. De cooelo 8, b, 10. Der 
letstere nennt ihn auch 5 φιλοσοφώτατος De coelo 814, a, 86 (Schol. 517, 8, 
16). Categ. 1, ὃ. 

2) Plat. Theol. 216, o., wo Proklus, zunächst aus Anlass der Frage über 
die ὑπουράνιος ἀφὶς im Phädrus (s. ο. 876, 8), sagt: 6 δὲ πάντα τελεωσάμενος κα 
τόῖς ἀνελέγχτοις χαταδησάμενυς λόγοις ὃ ἡμέτερος ἂν εἴη χαθηγεμὼν, ὃς καὶ τὰς pe 
ταξὺ πάσας διαχοσμήσεις τοῦ τε πρώτου καὶ τῆς Οὐρανοῦ βασιλείας ἐπεσκέψατο, τὲ 
ἰδίοτητα τῆς τάξεως ταύτην νοερῶς ἐθεάσατο καὶ παραδέδωχεν ἣμάν τόϊς ἑαντοῦ pa 
σταις ἀπηχριβωμένην τὴν περὶ αὐτῆς ἀλήθειαν. In einzelnen Fällen ergänst oder 
berichtigt Proklus allerdings selbst seinen Lehrer, wie in Tim. 150, C ebd. 
208, A f. vgl. m. 207, Bf., aber auch dann vermeidet er jeden direkten Wi 
derspruch gegen ihn. 


‘ 


Standpunkt. 689 


die neuplatonische Lehre, so wie er sie vortrug, von der systemati- 
schen Vollendung, welche ihr Proklus zu geben wusste, immer 
noch entfernt ist. 

Die Darstellung seiner Ansichten knüpfte sich bei Syrian, wie 
bei der ganzen Schule, der er angehört, fast ausschliesslich an 
die Besprechung der Schriften, in denen die grossen philosophi- 
schen und theologischen Auktoritäten der Vorzeit ihre Weisheit 
niedergelegt hatten; nur von ihrer Erklärung hören wir wenig- 
stens, wo sein Unterricht beschrieben wird, und ähnlich verhält 
es sich auch mit den Werken, welche uns von ihm genannt wer- 
den. Jene Auktoritäten sind nun: von philosophischer Seite 
Aristoteles, Plato und die Pythagoreer, von theologischer Homer, 
Orpheus und die angeblichen Göttersprüche; also die gleichen, 
welche theilweise schon seit Plotin, vollständiger seit Jamblich 
der neuplatonischen Lehre zu Grunde gelegt worden waren. Mit 
allen diesen Vorgängern hat sich Syrian eingehend beschäftigt. 
Mit Proklus las er, zum Beginn seines philosophischen Unterrichts, 
die sämmtlichen aristotelischen Schriften der Reihe nach 1); über 
einen grossen Theil derselben hat er auch Commentare verfasst ?). 
Indessen gilt ihm die aristotelische Philosophie doch nur für die 


1) Marım. ο. 18 (e. ο. 675, 2). Die Ordnung, in welcher diese Schriften 
gelesen wurden, scheint Marinus andeuten zu wollen, wenn er sagt: πάσας 
αὐτῷ τὰς ᾿Αριστοτέλους συνανέγνω πραγματείας͵ λογιχὰς, ἠθικὰς, πολιτιχὰς, φυσιχὰς, 
χαὶ τὴν ὑπὲρ ταύτας θεολογιχὴν ἐπιστήμην (die Metaphysik). In derselben Ord- 
nung nennt Syrian selbst in Metaph. 41, a die aristotelischen Untersuchungen. 

2) Seinen Commentar zu den Kategorisen, welcher die Erklärungen 
seiner Vorgänger εἰς ἐλάχιστον zusammengezogen habe, nennt Sınrr. Categ. 
1,8 u. 8. (Schol. in Arist. 42, b, 44. 49, a, 13. 42. 65, b, 38), Davın Schol. . 
51, b, 24. 54, Ὁ, 18. 28. 66, a, 17; den zu Περὶ ἙἭ ρμηνείας ΒΟΕΤΗ. De interpr. 
II, 295 m. 821, m. 852 m. 404 u. Aumom. De interpr. 110, b, o. 202, Ὁ, m.; auf 
eine Erklärung der ersten Analytik scheint sich Aumon. bei Waıtz Arist. 
Org. 1, 46, Ζ. 7 zu beziehen; eine solche der Physik führt Srurr. Phys. 42, 
ἃ, ο. 46, b, u. 59, a, u. 58, a, m. (woher auch das Scholion 9. 843, b, 8 der 
akademischen Scholien entlehnt ist) an; die der Bücher vom Himmel 
Ders. De coelo 3, b, 10. 178, a, 30. 814, a, 28 ff. Karst.; die der Bücher von 
der Seele Psıror. De an. O, 13, u. Ein Commentar zur Metaphysik be- 
findet sich handschriftlich in Paris; gedruckt ist von demselben die Erklä- 
rung von B, M u. N in Basorınus’ schwerfälliger Uebersetzung (Venet. 1558) 
und einzelne Stücke im 2ten Theil von Baannıs’ Ausgabe der arist. Mctaphy- 
sik, vgl. Schol. in Arist. 765, b, 1. 766, Ὁ, 86. 771, b, 43. 


Philos. ἃ. Gr. ΠΙ. Bd. 2. Abth. 44 


690 Syrianus. 


Einleitung zu der höheren platonischen !). Aristoteles verdient 
zwar in der Logik, Physik und Ethik unsere höchste Bewunderung, 
auch über die Gottheit und über ihr unbewegtes überweltliches 
Wesen hat er viel schönes gesagt; aber wo er sich zum Wider- 
spruch gegen die alte platonisch-pythagoreische Philosophie ver- 
leiten lässt, wie diess aus Anlass der Ideen- und Zahlenlehre 
geschieht, da geräth er in Widersprüche, Ungereimtheiten und 
Sophismen ?), über welche sich unser Philosoph nicht stark genug 
auszudrücken weiss °). Die unfehlbare, absolute Philosophie ist 
nur die platonische %); mit Plato stimmen aber auch Pythagoras 
und die Pythagoreer, Homer, Orpheus und die Orakel überein °). 


1) 8. 0. 675, 2. 

2) Syrian’s Erklärung des 1öten und 14ten Buchs der Metaphysik ver- 
folgt von Anfang bis zu Ende fast ausschliesslich den Zweck, die aristote- 
lische Kritik der platonisch-pythagoreischen Lebre über die Zahlen und Ideen 
zu widerlegen. Ich komme auf diese Widerlegung noch einmal zurück; das 
obige setzt Syrian in der Einleitung zu derselben, 8. 41 Bag. auseinander; 
vgl. auch S. 101, b: advertendum ergo, quod eisi esset hominum, quos scimus, 
solertissimus ei foecundissimus admirandus Aristoteles, non prius potuii uni- 
versalia despicere, quam coactus esset, et sibi et sensui repugnanlia dicere. 

8) So heisst es in Metaph. 8. 322, 4 Brand.: Arist. selbst müsse gestehen, 
μηδὲν εἰρηκέναι πρὸς τὰς ἐχείνων ὑποθέσεις, μηδ᾽ ὅλως παραχολουθέϊν τοῖς εἰδητιχοῖς 
ἀριθμοῖς, und nachdem eine Aeusserung der Schrift περὶ φιλοσοφίας angeführt 
ist, worin dieses Geständniss liegen soll, fügt Syrian bei: ὥστε χαὶ νῦν ὡς 
πρὸς τοὺς πολλοὺς τοὺς οὐχ εἰδότας ἄλλον ἢ τὸν μοναδικὸν ἀριθμὸν πεποίηται τοὺς 
ἕλέγχους, τῆς δὲ τῶν θείων ἀνδρῶν διανοίας οὐδὲ τὴν ἀρχὴν ἐφήψατο. Noch stärker 
74, Ὁ Bag.: φμοά λας ludentis potius sint, quam studiose (σπουδῇ, im Ernst) 
loqueniis sapius ostendımus ... .omnino est viri non magni facienlis verorum 
entium veram conclusionem. 8. 79, b: hec omnia mordentis polius erunt, quam 
studentis. 8. 81, a: ἦσο quidem de idealibus numeris et in pracedentibus et nunc 
ridiculose dicuntur. 8. 89, a, u.: ridicule etiam hc et importune descripta sunt. 
8. 97, a: hec namque omnia mordaciter ab eo subintellecta sunt, laniare Pytha- 
goricorum principia proponente. R. 112, Ὁ, unt.: λας rheloricas perorationes 
imitantur, sed non absolvuntur a comadiarum scurriiate. 

4) Denn, wie Syrian in Metaph. 41, b erklärt: Platonis ως dirini sen- 
ientia nunquam redarguisur, unde et manifeste constal, cum rationes de prin- 
cipiis rebus ipsis simtles reddiderint ipsorum [- arum] patres, permanentes εἰ 
impermutabiles (ut decens est rationes esse) illas constituisse. Ebd. 18, a (8. 89, 
6 Brand.) sagt er über einen Einwurf, für den er allerdings nur Alexander’s 
Erklärung verantwortlich machen will: er treffe Plato so wenig, als die Pfeile 
der Tbracier die Götter. 

δὴ) In Metaph. 7, b: Zt tot quidem de Pythagoreis principiis, quod idem 
est, ac si dicas, de Orphicis εἰ Platonicis. Vgl. 691, 8. 


Standpunkt. 691 


_ Syrian behandelte die letzteren, deren Aechtheit er natürlich nicht 
bezweifelte 1), sowohl in seinem mündlichen Unterricht *), als in 
Schriften 8); aber die wichtigste Quelle der ächten Wissenschaft 
war für ihn doch immerhin Plato. Die Werke dieses Philosophen 
sind es vor allem, durch deren Erklärung er seine Schüler in die 


1) Vgl. Metaph. 839, 5 Brand., wo er Aristoteles einer falschen Darstel- 
lung der orphischen Theologie bezüchtigt, weil dieser allerdings von dem 
späteren Orpheus noch nichts weiss. . 

2) Dass er sie in diesem zu erklären wenigstens die Absicht hatte, zeigt 
Marım. Procl. 26: Syrian habe nicht lange vor seinem Tode Proklus und 
Domninus eine Erklärung, entweder der orpbischen Gedichte oder der λόγια 
angeboten; da aber Domninus jene, Proklus diese wählte, sei es nicht mehr 
dazu gekommen. 

8) Sup. sagt: ἔγραψεν el; "Ὅμηρον ὅλον ὑπόμνημα ἐν βιβλίοις ζ΄. Εἰς τὴν Πο- 
λιτείαν Πλάτωνος βιβλία δ΄. Εἷς τὴν ᾿Ορφέως θεολογίαν βιβλία 8.” Εἰς τὰ Πρόχλου 
περὶ τῶν παρ’ Ὁμήρῳ θεῶν. Συμφωνίαν ᾿᾽Ορφέως, Πυθαγόρου ταὶ Πλάτωνος περὶ τὰ 
λόγια βιβλία δέκα (1. Πλάτωνος. Περὶ u. 5. w.) Diese Aufzählung wird nun aller- 
dings, wie Berxuarpr 5. d. St. richtig bemerkt, dadurch höchst verdächtig, 
dass Buidas die gleichen Werke in der gleichen Ordnung auch unter Πρόχλος 
aufführt, und sie ist aller Wahrscheinlichkeit nach durch Schuld der Ab- 
schreiber aus dem Artikel über Proklus hieher übertragen worden; einer 
Glosse, die auf diesen Artikel surückwies, haben wir vielleicht in dem Titel 
des Buchs über die homerischen Götter den Zusatz eis τὰ Πρόχλου zu danken, 
durch welchen Syrian gar eine Schrift über ein Werk seines Schülers beige- 
legt wird. Dass’er aber einen Commentar tiber die orphischen Gedichte ver- 
fasst hatte, sagt auch Marın. Procl. 27 und Prokt. in Tim. 96, B. Auch mit 
einer Schrift über die Uebereinstimmung des Orpheus, Pythagoras und Plato 
war er Proklus vorangegangen; dieser führt Plat. Theo]. 215 unt. eine solche 
mit der Bezeichnung: ἐν τοῖς τῆς συμφωνίας γράμμασι an. Derselbe nennt in 
Remp. 375 u. vgl. 881 τη, 886, m. 391 u. seine λύσεις τῶν. Opnpixüv προβλη- 
μάτων, während B. 368 m. auf seinen mündlichen Unterricht geht. Dagegen 
kann er über die λόγια nicht wohl geschrieben haben, da Marın. 8, a. O. den 
Proklus zwar für das Studium des Orpheus den Commentar Syrian’s, für die 
λόγια jedoch καὶ τὰ σύστοιχα τῶν Χαλδαίων συγγράμματα nur Porphyr und Jam- 
lich benützen lässt. Nach eben dieser Stelle werden wir bei den λόγια, deren 
Erklärung Syrian seinen Schülern anbot, nicht blos an die Klteren, von Por- 
phyr behandelten, sondern auch und vor allem an die angeblich chald&ischen 
Göttersprüche zu denken haben, die als ein Produkt ihrer eigenen Schule sich 
bei den Neuplatonikern seit Jamblich des höchsten Ansehens erfreuten, und 
von Proklus auf's ausführlichste erklärt wurden, denn Marinus sagt mit Be- 
siehung auf den letzteren: ἐξεπόνησεν τὰς τε ἄλλας Χαλδαϊχὰς ὑποθέσεις (diese 
Worte gehören nämlich zusammen) χαὶ τὰ μέγιστα τῶν ὑπομνημάτων εἷς τὰ θεο- 
παράδοτα λόγια κατεβάλετο. 


44" 


693 Syrianus. 


tiefsten Geheimnisse der Philosophie einweihen wollte 1); und wie 
er durch eine Reihe von Erläuterungsschriften zu Plato dem Proklus 
vorangieng ?), so traf er mit demselben auch darin zusammen, 
dass er gerade in solchen Werken seine Ansichten über die wich- 
tigsten Theile des philosophischen Systems entwickelte 5). Im 
Unterschied von seinen Vorgängern wird ihm eine theologischere 
Erklärung nachgerühmt *), d. h. er suchte in den platonischen 
Schriften vor allem Aufschluss über das Wesen und die Ordnungen 
der Götter, was selbst wieder darauf hinweist, dass dieser Theil 
des Systems bei ihm eine weitere Ausbildung erhalten hatte, als 
bei den früheren Neuplatonikern. 

Den Hauptsitz dieser Theologie fand er im Parmenides °). In 
seiner Erklärung dieses Gesprächs unterscheidet er das Eine, das 


1) Vgl. Psoxı. Plat. Theol, 215 f. (oben 8. 688, 1. 2). Maxım. Prokl. 18, 
8. 0. 675, 2. 

2) Wir kennen von ihm Erklärungen des Alcibiades I. (Paozı. in 
Alcib. c. 28, B. 88 Creuz., wenn sich diess nicht auf seinen mündlichen Unter- 
richt bezieht), Phädrus (Paoxı. in Parm. V, 208), Phsdo (Orrırion. in 
Phad. 8. ἃ. Index), Parmenides (Paoxı. in Parm. IV, 4. 88. Dawasc. De 
princ. ο. 48, 8. 128 K.), Timäus (Paozt. in Tim. 168, E. 307, B. 224, E — 
an anderen Stellen kann man zweifelhaft sein, ob Proklus die Schrift Syrian’s 
oder die Vorträge im Auge hat, deren Inhalt er nach Manın. Prokl. c. 13 σν- 
νοπτιχῶς καὶ ner’ ἐπιχκρίσεως aufgezeichnet hatte), des I0ten Buchs der Ge- 
setze (Sımer. Phys. 144, Ὁ, m. 147, a, m. 148, b, m. 149, a, u.), und wabr- 
scheinlich auch des Philebus (OLrurıon. in Phileb. 8. 288. 285. 287 vgl. 
Cousıx Fragmens philos. I, 865). Dagegen wird ihm ein Commentar zur Re- 
publik, wie bemerkt, bei Suidas wahrscheinlich mit Unrecht beigelegt. 

8) Wir sehen diess nicht blos aus den sogleich anzuführenden Mitthei- 
lungen des Proklus über seine Erklärung platonischer Stellen, sondern auch 
aus bestimmten Aussagen desselben, wie in Parm. VI, 81: der vorzüglichste 
von allen Erklärern des Plato, und namentlich seines Parmenides, sei Ayrian, 
φῶς ἀνάψας νοερὸν τῆς περὶ ταῦτα πραγματείας, τὰ μὲν ἐπὶ θεολογιχώτερον εἶδος τῆς 
ἐξηγήσεως ἀνενεγχὼν, τὰ δὲ καὶ ὀλίγον μεταθεὶς. Vgl. IV, 4, wo Proklus, in dem 
Β. 688, 1 berührten Zusammenhang, von der ἐποπτιχωτάτη τοῦ Πλάτωνος καὶ 
μυστιχωτάτη θεωρία redet, ἣν ἐχφαίνει μὲν αὐτὸς ἐν τῷ Παρμενίδῃ ...; ἀνήπλωσε δὲ 
ταῖς ἑαυτοῦ χαθαρωτάταις ἐπιβολαῖς ὁ τῷ Πλάτωνι μὲν συμβαχχεύσας u. 8. π΄. 

4) δ. vor. Anm. 

5) Er bielt nämlich für das Thema desselben die verschiedenen Ord- 
nungen des Seins in ihrem Verhältuiss zum Urgrund, die Betrachtung aller 
Dinge, sofern sie Eins, d.h. göttlichen Wesens sind; Proxı. a. a. O. IV, 34. 
VI 31. Proklus folgt ihm hierin, wie in seiner ganzen Erklärung. 


Theologie. 693 


Intelligible oder die göttliche Welt, die Seele, die in der Materie 
wirkenden Formen und die Materie 1); näher jedoch geht auch er 
von dem alten platonischen Gegensatz der sinnlichen und übersinn- 
lichen Welt aus, und zerlegt dann die letztere wieder in einen 
höheren und einen niedrigeren Bestandtheil, das Reich des Nus 
und das der Seele 33; fügen wir diesen das Urwesen noch bei, so 
erhalten wir für die übersinnliche Welt die plotinische Trias: das 
Eine, der Nus und die Seele. Das Eine wird in der herkömmlichen 
Weise geschildert °); wenn Syrian neben demselben mit den 
Pythagoreern die Zweiheit als Princip aufführt 4), scheint er damit 
nur die produktive Kraft des Urwesens bezeichnen zu wollen °). 
Das Gebiet des Nus theilt er mit Jamblich in das Intelligible und 


1) Bei Paoxr. a. a. ΟἹ. VI, 81 ff. mit Beziehung auf die 5 Abschnitte, in 
denen der Parmenides vom Sein des Eins ausgeht; vgl. Metaph. 42, a: os 
gebe (abgesehen von dem Einen, das über der Substanz steht), viele gradus 
substantiarum, intelligibilium et imtellectualium, cogitabilium et naturalium auf 
omnino vitalium, δὲ corporearum. Das cogitabile ἃ. h. das, was Gegenstand 
der διάνοια (Puaro Rep. VI, 611, C f.) ist, fällt mit dem Psychischen zusam- 
men; vgl. auch 8.8, a, u. 18, a, m. 

2) In Metaph. 8, a vgl. vor. Anm, und 8. 696, ὃ. 

8) Α. 8. 0. 4, a, unt.: solam unius superessentiam et implurificatam boni- 
tatem; 8. 7, a, 0.: unum, quod immaleriale est, non minus est omnia, quam 
unum. B. 9, a, u.: Der Grund von allem sei non solum super ipsum esse Po- 
ientia ei esse acıu, sed etiam super ipsum actum. Ueber sein Verhältniss zum 
Abgeleiteten 8. 8, b, o. Prost. in Par. VI, 81 f. 

4) Metaph. 7, a, u.: Deum ipsum aut bonum aut unum appellemus,, aut 
finem et infinitatem, ... aus unitatem et binarium, ... aut atherem et chaos, ... 
aut faclorem et dualitatem; alles diess seien aber uneigentliche Bezeichnungen 
für das, was über alles Denken hinausgehe. Ebd. 23, a (9. 94, 10 Brand.) 
78, b, u. 

* δὴ Metaph. 64, b, 0: dinarius, qui principii rationem habet, foecundam 
potentiam et processum δὲ multitudinem δὲ multiplicationem omnibus affert. 3. 77, 
b: dualitatem interminatam, qua principium molivum est, formas omnes foe- 
cunda replere potentia et plurificare et deducere ad generationem secundarum et 
terliarum formarum immaterialium. Dieses Princip wird nun zwar zunächst 
von dem Ersten unterschieden, und als das nächste nach ihm dargestellt, auf 
welches erst die πρώτιστα καὶ χρύφια θφῶν γένη folgen (so a. a. Ο, 8. 889, 8 
Brand.); da es aber doch zugleich mit dem Eins zusammen Bezeichnung der 
Gottheit sein soll, werden wir hierin nur eine Anbequemung an die pytha- 
goreische Tradition zu sehen haben, und die eigentliche Meinung Syrian's 
wird die oben angedeutete sein. 


694 Syrianus. 


das Intellektuelle 1); und er nennt desshalb auch wohl drei Be- 
standtheile der göttlichen Welt: das Intelligible, das Intellektuelle 
und die überweltliche Seele ?); die intellektuell-intelligibeln Götter 
dagegen, welche Proklus zwischen die intelligibeln und die intel- 
lektuellen einschiebt, finden sich bei ihm so wenig, als die von 
Theodor aus Asine aufgebrachte Trias des Intelligibeln, Intel- 
lektuellen und Demiurgischen. Im Intelligibeln setzte er als erstes 
Glied das αὐτοζῷον 3), als zweites, wie es scheint, die οὐσία, als 
drittes das νοητόν *). An die Spitze der intellektuellen Welt stellt 
er den Demiurg, welchen er auch Zeus nennt’), diesem zunächst 
die drei demiurgischen Theilkräfte 5). Im Intelligibeln sind die 
Ideen als die Urbilder in ursprünglicher Weise, erst in zweiter 
Reihe sind sie im Verstande des Weltschöpfers; oder wie sich 
unser Philosoph auch ausdrückt: sie sind dort unter der einfacheren 
Form der Tetraktys, hier unter der entwickelteren der Dekas "). 
Mit den Urbildern fallen die einheitlichen und substanziellen Zahlen 
zusammen, welche nach Syrian aus der geheimen Tiefe des Einen 
zuerst hervorgehen ὅδ) und früher sind, als die demiurgischen 


‘ 


1) 8. folg. Anm, und Metaph. 8, a, u. 42, a, m (8. 698, 1). 

2) Paoxı. in Parm. VI, 81 ὦ, wo zuerst dreierlei göttliche Emanationen 
(πρόοδοι) gezählt werden, νοητοὶ, νοεραὶ, ὑπερχόσμιοι; später die οὐσία ἐχθεουμένη 
in die νοητὴ, νοερὰ, ψυχικὴ getheilt, und von der letsteren die ψυχαὶ οὐσίαν ἐχ- 
θεουμένην od χληρωσάμεναι unterschieden werden. Ders. in Tim. 815, B f. Plet. 
Theol. 1, 10. 8. 22, u. 

. 3) Ρμοκι, in Tim. 99, A: nach Syrian sei der Πρωτόγονος dasselbe, wie 
das αὐτοζῷον Plato’s. διὸ χαὶ αἰώνιόν ἐστι καὶ τῶν νοουμένων χάλλιστον, καὶ τοῦτό 
ἐστιν ἐν νοητοῖς, ὅπερ 6 Ζεὺς ἐν vorpdis u. Β. W. 

4) In Metaph. 116, a, u.: animal, ens, intelligibile. Wie sich zu dieser 
Eintheilung die Trias ἕν, σχέσις, νοῦς (oder ὃν) verhielt, die Syrian aus Anlass 
des ἕν ὃν im Parmenides aufstellte (Damasc, de princ. 8, 128 o. vgl. Peoxı. 
Plat. Theol. IIL, 21, 8. 157. 164), ist unklar. Auf das Intelligihloe wird auch 
das prımum ens zu beziehen sein, welches nach Metaph. 8, b, o. auf das Ur- 
wesen zunächst folgt. 

δ) Paoxı. in Tim, 94, F. 95, B. 815, B vgl. νοῦ]. Anm. 

6) Die δημιουργιχὴ τριὰς, deren formalistische Ableitung bei Paoxı. a. a. 
0. 94, A 

7) In Metaph. 9, ἢ £.78, Ὁ, u. Paoxzı. in Tim. 99, A. 

8) Metaph. 59, b, u.: procedit etiam dıvinus numerus ex lalehra unilalis 
iuımortali, quousque veniat ad divinum quaternarium. 78, Ὁ, u.: Die demiur- 
gischen Ideen sind nicht das erste, und haben zu ihren nächsten Prissipien 


Theologie; Ideen und Zahlen. 683 


(d. h. dem Demiurg angehörigen) Ideen !)J. Alle Ideen sind (nach 
Plato) Zahlen 2), und diese idealen oder intellektuellen Zahlen 
sind von den mathematischen, psychischen und physischen zu 
unterscheiden °); ebenso sind sie aber auch die wirkenden Kräfte, 
da sie den schöpferischen Wesenheiten inwohnen *); denn „Gott 
und die Natur wirken alles mittelst der Zahl“ °). Ideen des 
schlechten, unvollkommenen, zufälligen und willkührlich gemach- 
ten, des relativen, getheilten und zusammengeseizten läugnet 
Syrian, wie schon Plotin, indem er zwischen den Ideen und den 
blossen Begriffen bestimmt unterscheidet 6). Die platonisch-pytha- 
goreische Ideen- und Zahlenlehre gegen die Einwendungen des 
Aristoteles zu vertheidigen, bemüht er sich in seiner Erklärung 
der Metaphysik 79; aber so wenig sich auch in diesen Erörterungen 


non primam unilatem et maxime primam dualitatem, a quibus ternarius arcanus 
processit. 

1) Ebd. 8, b, ο. 78, b, u. (306, 10 Brand.). In der letztern Stelle wird der 
ἀριθμὸς ἑνιαΐος und οὐσιώδης noch unterschieden; jener scheint nach 8, 59, b 
im αὐτοζῷῴῷον, dieser in der οὐσία seinen Sitz zu haben. 

2) Daher ist in ihnen auch (Metaph. 53, b, 0.) der Unterschied des Männ- 
lichen und Weiblichen, d. bh. des Ungeraden und Geraden. 

8) A. a. O. 117, a. Ebd. 76, b: ordinabant quidem viri (Plato und die 
Pythagoreer) post intellectualem numerum et animalem et mathematicum et na- 
turalem numerum. Mit dem letzteren sind die benannten Zahlen (6 Menschen 
u. 8. f.) gemeint, mit dem numerus animalis wohl die Zahlen der Weltseele 
und der übrigen Seelen. Andererseits erhält aber auch der Name der Ideen 
eine ebenso ausgedehnte Anwendung, wenn Syrian 5. 42, a sagt: jeder Stufe 
des Seins, der intelligibilis, cogitabilis, sensibilis, kommen ihre eigenen Ideen 
zu. Doch fügt er bei: eis} plurimum circa intelligibilium ordinem, qui in opifice 
(Demiurg) est, considerentur. Die cogitabiles (die der Seele inwohnenden) scien 
eine Nachbildung von jenen, die sensiöies ihre Darstellung in der Binnenwelt, 
dio inseparabiles cause sensibilium, ullime formarum separabilium imagines. 

4) A. ἃ. O. 42, a, u.: intelligibiies quidem [86. ideas] esse apud Deos ei 
causas eorum, qua consequuntur, effechivas scilicet et ewemplares et finales; sie 
scien diess wenigstens in primis ei oplimis omnium causis, qua ob foscundita- 
item οἱ opificiwm vim habent omnium generativam, die aber zugleich Urbild und 
Endzweck von allem sind. 

5) A.2.0. 119, a,m. 

6) Metaph. 6, a, unt. 59, a, m. 60, bf. 63, a. 65, af. 69, b. Dagegen 
werden Ideen der Kunstwerko zugegeben, sofern jede Kunst ein Urbild nach- 
abme, 8. 20, a. 

7) Der Commentar zu den zwei letzten Büchern beschäftigt sich, wie 
bemerkt, fast ausschliesslich damit, 


696 Syrianus. 


der scharfsinnige und wohlgeschulte Dialektiker verläugnet, so 
sind sie doch schon desshalb höchst unfruchtbar und unerquicklich, 
weil er der pythagoreischen und altakademischen Lehre durchweg 
die neuplatonische unterschiebt, und ebenso bei der Zurückweisung 
der aristotelischen Einwürfe von Voraussetzungen ausgeht, die 
eben nur ein Neuplatoniker für unbestreitbare Wahrheiten halten 


konnte N). 

Von dem Demiurg und einer aus ihm hervorgegangenen 
schöpferischen Kraft (in dem platonischen Mischgefäss dargestellt) 
wird die Seele erzeugt °). In der Betrachtung derselben hebt 
Syrian neben der Unterscheidung der allgemeinen und der Theil- 
seelen die Momente des Insichbleibens, Aussichheraustretens und 
Insichzurückkehrens als die allgemeine Form ihres Lebens hervor; 
aber was er über die dreierlei Zahlenverhältnisse sagt, nach denen 
sich dieser Verlauf bei den verschiedenen Klassen von Dingen be- 
stimme, das gehört zur unverständlichsten pythagoreischen Scho- 
lastik ®). Für die ganze Reihe der Emanationen stellt er den 
Grundsatz auf, welcher überhaupt eine von den allgemeinsten 
Voraussetzungen der neuplatonischen Theorie bildet, dass zwar 
jede niedrigere Ordnung an allen höheren theilbabe, aber jede in 


1) So wird es namentlich Aristoteles wiederholt (8. 72, Ὁ. 77, a. 65, a. 
u. d.) als Grundfebler seiner Polemik vorgerückt, dass er voraussetse, alle 
Zahlen seien aus Einheiten zusammengesetst, was doch von den göttlichen 
und den intellektuellen Zahlen keineswegs gelte. Ja 8. 72, Ὁ meint Syrian 
umgekehrt schliessen su können: da es unter jener Voraussetzung keine 
idealen Zahlen geben könnte, die Existenz solcher Zahlen aber unbestreitbar 
sei, so könne es nicht wahr sein, dass alle Zahlen aus Einheiten bestehen. — 
Verwandter Art ist es, wenn 8. 87, b gegen Aristoteles bemerkt wird: wenn 
die göttlichen Wesenheiten einer bestimmten Ordnung zu drei, oder vier, oder 
sieben oder zehen gesählt werden, so sei die Meinung nicht die, dass es ihrer 
gerade so viele seien, sondern es sollen damit nur die verschiedenen Arten 
ihrer Vollkommenheit ausgedrückt werden; in quibus quidem primo perfectum 
inspectum est, numerum horum ternarium esse dicimus, in quibus vero principi 
specie omnia mundana comprehensa sunt, quaternarium u. s. w. Wer bei jedem 
Wort etwas bestimmtes zu denken gewohut ist, dem schwindelt es bei diesen 
Zahlen, die nicht zum Zählen dienen und nicht eine Vielheit von Einheiten 
sind, dem Neuplatoniker umgekehrt geht erst in dieser Finsterniss, wo alles 
bestimmte Denken aufhört, das wahre Licht auf. ‘ 

2) Ῥκοκι. in Tim. 95, B. 815, C. 

8) A. a. O. 207, B—D, vgl. 171, F. 


Theologie. Die Vorsehung. 697 


eigenthümlicher Weise, und keine anders, als durch Vermittlung 
aller dazwischen liegenden, dass andererseits das höhere durch 
die Theilnahme des niedrigeren an ihm nicht zertheilt werde 1). 
Mit seiner Metaphysik liess sich auch die Unterscheidung von 
Göttern, Engeln, Dämonen und körperfreien Seelen ?) leicht ver- 
knüpfen, wie diess ja bisher schon vielfach geschehen war; doch 
ist darüber nichts genaueres überliefert. Als einen eifrigen An- 
hänger der alten Religion kennen wir Syrian bereits ®); dass er 
sich zu derselben als Philosoph in das gleiche Verhältniss setzte, 
wie sein Schüler Proklus, lässt sich gleichfalls nicht bezweifeln, 
und wird durch einzelne Proben seiner Mythendeutung *), und 
durch seine Bemerkungen über die Orakel °) bestätigt. 

Schon die bisher besprochenen Mittheilungen über Syrian 
lauten fragmentarisch genug; noch unvollständiger sind wir über 
seine anderweitigen Ansichten unterrichtet. Er läugnet mit der 
ganzen neuplatonischen Schule, dass die Welt einen zeitlichen 
Anfang habe 5); er lässt im Anschluss an Plato (Tim. 41, B) die 
sterblichen Wesen, als solche, nicht unmittelbar aus der übersinn- 
lichen Welt, sondern zunächst aus vergänglichen und veränder- 
lichen Ursachen hervorgehen 7); er rechtfertigt die Vorsehung, 
wie so viele vor ihm, hinsichtlich der Uebel in der Welt mit der 
Bemerkung: das Uebel habe seinen Sitz nur im Verhältniss der 
Theilwesen zu einander, für das Ganze und für die Gottheit sei es 
kein Uebel, sondern nur die natürliche Folge eines Guten 5). In 


1) Metaph. 61, Ὁ ἢ, vgl. 6, b, u. Prozr. in Parm. VI, 168. 

2) Metaph. 19, b, u. Psoxt. in Tim. 269, Ὁ (658 Schneid.) vgl. 287, B 
und die θεοὶ ἐγχόσμιοι betreffend 301, E, über die Dämonen B11,F, 

8) Vgl. 8, 668, 2. , 

4) Wie die wunderliche Deutung der Ambrosia und des Nektars Metaph. 
81, b, ἃ. und die, welche Ῥβοκι. in Remp. (s. ο. 691, 8) anführt. 

5) Bei Aumom. De interpret. 110,b erwiedert er auf die Behauptung, dass 
selbst die Götter das zufällige nicht mit Bestimmtheit vorherwissen, und dass 
die Zweidentigkeit mancher Orakel eben daher rühre: das Wissen der Götter 
sei ein absolut sicheres, aber die Prophetin, die von ihnen erleuchtet werde, 
nehme es nicht immer ‘gleich vollkommen in sich anf; zudem sei aber jene 
Zweideutigkeit auch für die Empfänger der Orakel oft heilsam. 

6) Metaph. 78, b, u. 

7) Ebd. 81, b vgl. Pxozt. in Tim. 207, C. 811, E. 

8) Proxr. in Tim. 118, E£ 


698 Syrianus. 


Betreff der Körperwelt stellt er den eigenthümlichen Satz auf: zwei 
materielle Körper können allerdings nicht denselben Raum eis- 
nehmen, bei immateriellen dagegen sei diess wohl möglich, es 
habe daher auch der von der Weltseele gebildete immaterielle Leib 
derselben die Materie in sich aufnehmen können !). Auf eben 
diesen immateriellen Körper der Welt führte er wohl auch den 
Raum zurück; er bezeichnet ihn nämlich als die Ausdehnung, 
welche durch die verschiedenen Verhältnisse der Seele und die 
Einstrahlung der schöpferischen Ideen in eigenthümlicher Weise 
getheilt werde, und die verschiedenen Körper sich aneigne, indem 
sie sich in dem einen ihrer Theile zum natürlichen Ort des Feuers 
mache, in einem andern zu dem der Luft u. s.w. Ὦ Aehnlich 
denkt er sich den Lichtleib, den er mit andern der menschlichen 
Seele zur unmittelbaren Wohnung anweist, in den drei Dimensionen 
des Raumes durch den sichtbaren Leib ausgebreitet 5). Doch will 
er ibn so wenig, wie den Leib der Weltseele, als mathematischen 
Körper betrachtet wissen, und auch die fünf Figuren der Elemente 
im Timäus sollen nicht wirkliche Figuren, sundern die schöpferi- 
schen Kräfte der Natur bezeichnen *). Unter den Böstandtheilen 
des menschlichen Wesens unterschied er diejenigen, welche der 
Weltschöpfer, und die, welche die jüngeren Götter hervorgebracht 
haben; zu den letzteren rechnete er ausser dem sichtbaren Leibe 
auch die niedrigeren von den vernunftlosen Lebenskräften, zu 
jenen die höheren von diesen und den Lichtleib; diese beiden 
sollten auch nach dem Tode fortwährend mit der Seele verbunden 
bleiben, die niedrigeren Lebenskräfte dagegen nur so lange, bis 
sie in ihrer Läuterung weit genug fortgeschritten sei, um sie ent- 


1) Metaph. 44, b. 

4) In dem Bruchstück seines Commentars sum 10ten Buch der Gesetze 
b. βιμρι,, 144, b, m: διάστημα γάρ ἐστι (ac. ὃ τόπος) τὸ ταῖς οἰκείαις τομαῖς καὶ 
διαιρέσεσιν, ἃς ἔσχεν ἐκ τῶν διαφόρων τῆς ψυχῆς λόγων καὶ τῆς τῶν δημιουργῶν 
εἰδῶν ἐλλάμψεως οἰχειούμενον τὰ τοΐα A τοῖα τῶν σωμάτων u. 5. w. Einige andere 
Aeusserungen über den Raum, die aber unerheblich sind, a. a. O, 147, ἃ, m. 
148, b, m. 149, a, u. Ich werde dieselben hier ebenso, wie die Bemerkung 
über Schwere und Leichtigkeit der Elemente an ibren natürlichen Orten bei 
Bımer. De coelo 814, a, 28—86 tibergehen können. 

8) Metaph. 45, a. 

4) Α. α. Ο.1ὔ 


-- -ı ___m_____-. Be 


Physik. Anthropologie. Verhältniss zu Proklus. 699 


behren zu können !). Die Freiheit des menschlichen Willens be- 
hauptete er, wie alle Platoniker, auf’s entschiedenste; ja er 
erklärte geradezu, mit ihrer Läugnung würde alle Philosophie 
überflüssig 5); doch sollte sie nicht ausreichen, um eine Seele vor 
dem Eintritt in die irdische Welt gänzlich zu bewahren; da viel- 
mehr die Veränderlichkeit von ihrer Natur untrennbar ist, muss 
jede, auch die fehlerlose, wie er glaubt, mindestens Einmal in 
jeder Weltperiode in dieselbe herabsteigen ὅ). In seiner sittlichen 
- Weltansicht zeigt Syrian, nach einem früher berührten Vorfall *) 
zu urtheilen, grössere Strenge, und er legt namentlich den asceti- 
schen Enthaltungen einen höheren Werth bei, als sein Lehrer. 
Unsere Kenntniss Syrian’s ist leider zu lückenhaft, um uns 
ein ganz sicheres Urtheil über seinen philosophischen Charakter 
und sein Verhältniss zu Proklus möglich zu machen. Wenn uns 
seine Schriften vollständiger erhalten wären, würden wir ohne 
Zweifel noch manche weitere Berührungspunkte zwischen beiden 
finden. Aber doch lässt sich nicht annehmen, dass das System des 
Proklus seine Lehre wirklich so unverändert wiedergebe, wie man 
diess nach den eigenen Aeusserungen dieses Philosophen glauben 
möchte. Nichts weist darauf hin, dass Syrian das methodologische 
Princip dieses Systems, den Grundsatz des Fortgangs durch die 
» drei Momente des Insichbleibens, des Heraustretens und der Rück- 
kehr, schon so bestimmt ausgesprochen oder so durchgreifend 
angewendet hat, wie Proklus °); wir treffen vielmehr gerade in 
der Theologie, an der ihm doch am meisten lag, statt der Drei- 
theilung des Proklus bei ihm nur die zweigliedrige Unterscheidung 
der intelligibeln und intellektuellen Götter ®). Erst Proklus ist es, 
welcher die neuplatonische Philosophie durch die strenge Folge- 
richligkeit seiner Systematik zum formellen Abschluss gebracht, 


1) Paoxı. in Tim. 811, E ἢ 

3) Ῥβοκι, De prov. c. 58. Opp. ed. Cous. I, 74. 

8) Paoxı. in Tim. 824, D. 

4) Vgl. 8. 681, 4. 

5) Auch was 8, 696, 8 angeführt wurde, kann in dieser Besichung nicht 
zu viel beweisen, selbst wenn Proklus nichts von seiner Systematik einge- 
mischt haben sollte, weil es sioh dort doch nur um einen bestimmten Fall, 
nicht um ein allgemeines Princip handelt. 

6) Vgl. 8. 694, 


700 Proklus. 


und ihr unter Berücksichtigung aller der Veränderungen, die se& 
zwei Jahrhunderten mit ihr vorgegangen waren, diejenige Gestalt 
gegeben hat, in der sie an das christliche und muhamedanische 
Mittelalter übergieng. 


14. Proklus!) 


Dieser einflussreiche und von den Späteren so hoch gefeierte 
Philosoph war der Nachfolger Syrian’s Ὁ). Seiner Herkunft nach 


1) Μ. s. tiber ihn ausser Sınom, Vacueror und den übrigen grösseren 
Werken: Srzımuarr in Pauly’s Realencyklopädie VI, 62—76. Berezz, Proc- 
lus Par. 1840 steht mir leider nicht zu Gebot. — Für das Leben des Proklus 
ist die Biographie des Marinus fast die einzige, und trotz ihrer mancher- 
lei Abentenerlichkeiten und panegyrischen Uebertreibungen immerhin eine 
sohätsbare Quelle. 

2) Marım. Procl. 26 nennt zwar den Domninus Syrian’'s Nachfolger, 
indem er (in der 8. 691, 2 berührten Erzählung) sagt: προέθετο γὰρ (so. Syrian) 
ἐξηγήσασθαι αὐτῷ τε (dem Proklus) xal τῷ ἐχ τὴς Συρίας φιλοσόφῳ καὶ διαδόχῳ 
Δομνίνῳ u. 8. w.; und so könnte man geneigt sein, ihn zwischen Syrian und 
Proklus einzuschieben. Allein Zuurr (8. 83 der oben, B. 675, 1, genannten 


Abhandlung) bemerkt mit Recht, διάδοχος scheine hier nur von einem Nach-. 


folger in der Lehre, nicht in der Vorsteherschaft der Schule gebraucht zu sein. 
Denn wenn Proklus in seiner selbstgedichteten Grabschrift bei Marıx. c. 36 
von sich sagt: ὃν Συριανὸς ἐνθάδ' ἀμοιβὸν ἑξῆς θρέψε διδασχαλίης, so weist schon 
dieser Ausdruck auf einen unmittelbaren Nachfolger, da strenggenommen nur 
ein solcher an die Stelle des Vorgängers tritt (ἀμείβεται); auch lässt es sich bei 
dem innigen Verhältniss, in welchem Proklus zu Syrian stand, und bei seiner 
hervorragenden Befähigung kaum denken, dass jener bei seinem Tode die 
Leitung der Schule einem andern übertragen haben sollte; und offenbar ist 
diess auch nicht die Meinung seines Biographen, wenn dieser c. 12 sagt: in 
ihm habe Syrian den Mann gefunden, οἷον πάλαι ἐζήτει ἀχροατὴν ἔχειν χαὶ δώ» 
δοχον. Vergleichen wir ferner die sonstigen Nachrichten über Domninus, so 
wird es sehr unwahrscheinlich, dass er die Stelle des Schulvorstehers bekler 
dete: nicht allein Proxı. in Tim. 84, B nennt ihn ohne jede weitere Andeutung 
einfach seinen &zalpog, indem er seine Ansicht fiber eine Stelle des Timäus 
(sei es aus einer Schrift oder aus mündlicher Mittbeilung) anführt, sondern 
auch der aus Damascıus entlehnte, verhältnissmässig ausführliche, Artikel 
des Suınas über ihn schweigt gänzlich von jener Würde, und begnügt siob, 
ihn als μαθητὴς Συριανοῦ καὶ τοῦ Προχλοῦ συμφοιτητὴς su bezeichnen; zugleich 
sagt er aber auch, Domninus sei zwar ein guter Mathematiker, ἐν δὲ τοῖς 
ἄλλοις φιλοσοφήμασιν ἐπιπολαιότερος (die Handschriften haben: ἔτι Raduıstepeg) 
gewesen, er habe die platonische Lehre durch eigene Einfälle verderbt, und 
sei dafür von Proklus in einer Schrift surechtgewiesen worden, auch in seinem 
Leben habe er sich nicht der Enthaltsamkeit eines Plutarch befleissigt. Um 


Sein Leben. 701 


dem Iycischen Xanthus angehörig 1), war er im Jahr 410 ®) in 
Konstantinopel zur Welt gekommen °). Seine philosophischen 
Studien begann er in Alexandria unter der Leitung Olympiodor’s *), 
begab sich dann aber nach Athen °), wo er noch von dem greisen 
Plutarch 5), hauptsächlich jedoch von Syrian in alle Geheimnisse 
ihrer Spekulation eingeführt wurde. Seinem vieljährigen vertrauten 


so weniger wird man ihm für die Leitung der Schule vor einem Proklus den 
Vorzug gegeben haben. Da er endlich ein höheres Alter erreichte („ynparos“‘), 
so müssten wir den Anfang von Proklus’ Amtsfübrung über Gebühr weit herab- 
rücken, um den Domninus zwischen ihn und Syrian einschieben zu können. — 
Als athenischer Schulvorsteher führt Proklus in den Titeln seiner Werke den 
Beinamen: ὃ Διάδοχος. Manche Handschriften fügen Πλατωνιχὸς bei; dass 
diese Erklärung richtig ist (wie Cousıs annimmt, Pr. Opp. I, XXI), und zu 
dem διάδοχος nicht der Genitiv Πλουτάρχου (Sreısuarr 8, 68) oder Συριανοῦ 
supplirt werden darf, ergiebt sich ausser allem andern aus Sımer. De coelo 
284, b, 3 (Schol. in Arist. 515, a, 6): Πρόχλος ὃ ἐκ Auxiag ὀλίγον πρὸ ἐμοῦ γεγονὼς 
τοῦ Πλάτωνος διάδοχος. Ammon. De interpr. 8, a: τοῦ θείου ἡμῶν διδασχάλου 
Πρόκλου τοῦ Πλατωνιχοῦ διαδόχου. ' 

1) Μλβιν. 6. „Der Lycier“ wird er trotz seiner auswärtigen Geburt ge- 
wöhnlich genannt, 5. B. in der vorhin erwähnten Grabschrift, bei Sıser. Phys. 
92,8, 0. 144, b, m. De coelo 284, b, ὃ u.ö. Sein Vater Patricius war ein an- 
gesehener Sachwalter, seine Mutter hiess Marcella; beide Eltern waren reich und 
von guter Herkunft (Man. 6.4.8). Der Name Proklus ist das lateinische Proculus. 

2) Er starb nach Mar, 86 am 17ten April des 124sten Jahre ἀπὸ τῆς 
Ἰουλιανοῦ βασιλείας. Da er nun 75 Jahre alt wurde (ebd. 26), ergab sich für 
sein Geburtsjahr, je nachdem man die 124 Jahre vom Anfang (was allerdings 
mehr für sich hat) oder vom Ende der Regierung Julian’s an rechnet, und die 
Jahre nach Kalenderjahren oder Regierungsjahren zählt, das Jahr 409, 410, 
412 oder 418. Für 410 entscheidet die Sonnenfinsterniss in dem Jahr vor sei- 
nem Tode (Mar. 87), welche im Januar 484 stattfand. 

8) Man. 6. 

4) A.2.0. 8 f.: Nachdem er als Knabe in seiner Heimath die Schule 
eines Grammatikers besucht hatte, nahm ihn ein Rhetor Leonas mit sich nach 
Alexandria, wo er mit grossem Erfolge Grammatik, namentlich aber Rhetorik 
studirte, Mit demselben besuchte er Byzanz, kehrte dann aber wieder nach 
Alexandria zurück, und widmete sich dem Studium der aristotelischen Schriften 
bei Olympiodor, der Mathematik bei Heron; von beiden wurde er auf’s höch- 
ste geschätzt, und erhielt Beweise ihres unbedingten Vertrauens. 

δ) Marın. sagt c. 9, eine Erscheinung der Athene habe ihn dazu aufge- 
fordert, giebt dann aber c. 10 den natürlicheren Grund an, dass ihm der 
Unterricht seiner alexandrinischen Lehrer nicht mehr genügt habe, 

6) Er hörte diesen Philosophen, dessen Lieblingsschüler er war, noch 
zwei Jahre lang. Das nähere a. a. OÖ. c. 12. 


702 Proklus. 


Verkehr mit diesem Philosophen, dem er sich mit unbeschränkter 
Verehrung hingab !), hatte er namentlich auch seine gründliche 
Kenntniss der aristotelischen und platonischen Schriften zu ver- 
danken, deren methodisches Studium den Mittelpunkt von Syriau's 
Unterricht bildete ?). Als Proklus selbst die Leitung der athenischen 
Schule übernahm, war er bereits ein anerkannter, durch bedeutende 
Leistungen erprobter Philosoph und Gelehrter 5). Wie überwält- 
gend der Eindruck war, den er auf seine Schüler machte, sieht man 
aus der Schilderung, die Marinus von ihm entworfen hat, und die 
ganz darauf berechnet ist, ihn als einen Liebling der Götter und 
ein Musterbild aller Vortrefllichkeit erscheinen zu lassen 4); so 
starke Uebertreibungen sich aber dieser auch ohne Zweifel erlaubt 
hat, so werden wir ihm immerhin glauben dürfen, dass sich Proklus 
nicht blos durch seinen Eifer in der Verehrung der Götter, sondern 
auch durch seine Erhabenheit über Lust und Schmerz °), durch 
seinen Sinn für Freundschaft, seine werkthätige Menschenliebe, 
seine gemeinnützige Thätigkeit 5) auszeichnete. Von der ausser- 
ordentlichen Arbeitsamkeit, die ihm nachgerühmt wird ”), und von 
der Hingebung an seine wissenschaftliche Thätigkeit, in welcher 
er mit Verschmähung der Ehe und des Familienlebens 3) ganz auf- 


1) Vgl. 8. 688, 1. 2. 

2) Marım, 13 vgl. 8. 675, 2. 

8) Mar. 18: τοσοῦτον dv οὐ πολλῷ χρόνῳ ἐπεδίδου, ὥστε ὄγδοον χαὶ εἰκοστὸν 
ἔτος ἄγων ἄλλα τε πολλὰ συνέγραψε καὶ τὰ εἰς Τίμαιον γλαφυρὰ ὄντως καὶ ἐπιστήμης 
γέμοντα ὑπομνήματα. 

4) So 6. 21 u. ο. 22; in dem letztern wird versichert, Proklus babe die 
Urbilder im göttlichen Denken nicht durch Beweisführung, sondern in ur 
mittelbarer Anschauung erkannt, ἀρετὴν προςλαμβάνων, ἣν οὐχ ἔτ᾽ ἂν τις ppöyzan 
κυρίως ἐπονομάσειεν, σοφίαν δὲ μᾶλλον προςερέῖΐ, ἢ καί τινα σεμνοτέραν ταύτης exe 
γυμίαν. Hiegegen lautet es allerdings noch bescheiden, wenn Ammon. De 
interpr. 8, a nur sagt, er habe die Erklärung der Alten und das Wissen von 
dem Wesen der Dinge εἰς axpov τῆς ἀνθρωπίνης φύσεως gebracht. 

5) Min. ο. 19 £. 

6) M. s. hierüber, und namentlich auch über seine Freundschaft mit 
Archisndas, Man. c. 14—17. 

7) Α. 8.0. 22. 24, wo unter anderem angeführt wird, dass or neben 
seinen vielen Religionsübungen oft an Einem Tag fünf Lectionen gab, dabei 
in der Regel gegen 700 Zeilen niederschrieb, und auch einen Theil der Nacht 
der Meditation widmete. 

8) Marınus bemerkt o. 17, er habe die Ehe durchaus versohmäht, wie 


Porsönlichkeit. Schriften. 703 


gieng, legen seine Schriften vollgültiges Zeugniss ab; ausser den 
erhaltenen 1) ist unsnoch eine beträchtliche Anzahl weiterer Werke 
bekannt 3). Nicht geringer war aber auch sein Eifer für Erhaltung 


wohl ibm öfters die vbrtheilhaftesten Anerbietungen gemacht worden seien. 
Beispiele der letzteren giebt Marın. 9. Burm. (d. h. Damascius) Αἰδεσία. 

1) Es sind dioss die folgenden: Die Commentare zum I. Alcibiades 
(herausg. von Crevzer als 1ster Theil seiner Initia philosophiae ac Theologiae 
ex platon. font. ducta und von Cousin Procli Opp. T. U. III), Parmenides 
(Opp. ed. Cous. T.IV—VI und in Srar.ızaun’s Ausgabe des Parmenides 1889), 
Timäus (ed. Scaszıner 1847; der Commentar bricht bei 8. 44, D des Timäus 
ab), Kratylus (Ex Procli Scholiis in Crat. Plat. Excerpta ed. Boıssonape 
1820), Republik (aus einer sehr unvollständigen Handschrift in der Baseler 
Ausgabe Plato’s von 1534; über eine vollständigere vgl. man Rose im Hermes 
II, 96 f.). Στοιχείωσις θεολογικὴ, ein gedrängter Abriss der Lehre von den 
höchsten Wesenheiten (dter Bd. der Creuzer’schen Initia u. 8. w.). Στοιχείωσις 
φυσιχὴ oder περὶ χινήσεως (Bas. 1581. 1545. Par. 1542), die aristotelische ' 
Lehre über die Bewegung, nach Phys. B. ΠῚ ff., höchst compendiarisch in eu- 
klidischer Form dargestellt. Die sechs Bücher Εἰς τὴν Πλάτωνος θεολογίαν 
(Hamb. 1618). Die Abhandlungen De providentia, De decem dubitationibus 
circa providentiam, De malorum subsistentia, welche, nur in lateinischer 
Uebersetzung erhalten, den ersten Band der Cousin’schen Ausgabe bilden. 
Ferner sechs Hymnen, ausser denen aber Proklus, wie Murım. 6. 19 zeigt, 
noch viele weitere verfasst hatte; ein Commentar zu Hesiod’s Ἔργα καὶ 
Ἡμέραι, oder vielmehr ein Auszug aus demselben, und die mathemati- 
schen Werke: Εἰς τὸ πρῶτον τῶν Εὐχλείδου στοιχείων, Ὑποτύπωσις τῶν 
ἀστρονομιχῶν ὑποθέσεων, Σφαΐρα (ein astronomisches Compendium, aus Gemi- 
nus’ Εἰςαγωγὴ ausgezogen), Παράφρασις εἷς τὴν τοῦ Πτολεμαίου τετράβιβλον. 
(Einige weitere, nur handschriftlich vorhandene, bei Faprıc. 8, 426.) Von 
den Ἐπιχειρήματα κατὰ Χριστιανῶν (gegen die Weltschöpfung) hat 
PniLoronus in seiner Gegenschrift De aeternitate mundi, von einem Theil der 
Χρηστομάθεια ypapparıxı, von der es jedoch unsicher ist, ob sie unserem 
Proklus gehört, hat Puorıus Cod. 239 Ausztige erhalten. M. vgl. zum vor- 
stehenden Biur in Pauly’s Realencykl. VI, a, 64 ff. Faueıc. Biblioth. IX, 
405 ff.; ebd. weitere Literatur. Ueber einige Schriften, welche Proklus’ Namen 
mit Unrecht zu tragen scheinen, δ. m. Farrıc. 9, 424. Bine 8. 68. 

2) Einen Commentar zum Phä&do, aus welchem Schol. in Arist. 6, b, 
29 ff. ein Bruchstück mitgetheilt ist, führt OLrmrıonor in Pheed. öfters an 
(8. ἃ. Fıncxn’schen Index}; einen solchen zum Phädrus nennt er selbst in 
Tim. 329, D. E vgl. 28, B (dass er jedoch noch handschriftlich vorhanden sel, 
ist mir trotz der von Haruess zu Fabric. a. a. Ὁ, 426 unt. beigebrachten An- 
gabe eines Handschriftenverzeichnisses nicht wahrscheinlich, so lange er 
nicht wirklich aufgefunden ist); einen zum Theaetet gleichfalls er selbst 
a. ἃ. Ο, 78, C und Manım. Procl. 88; eine Erklärung des Philebus Dauasc. 
v. Isid. 42. Sun. Magiv. Oryurıonor. in Phileb, 8. 238. 241 f. 246 fu. d, (5. 


704° Proklus,. 


Cousın Fragm. philos. I, 865 f.) vgl. Proxı. in Tim. 53, F.222,F; dagegen lässt 
sich ein Commentar zum Protagoras aus Proz. in Tim. 10, C nicht erschliessen, 
und ebd. 178, A geht auf die platonischen Gesetze X, 904, A. Ebensoweng 
bezieht sich Aumon. De interpr. 3, ἃ. 146, a auf eine Schrift des Proklins über 
dieses Buch, sondern auf seine Lehrvorträge; auf Mittheilungen des Ammc- 
nius über diese Vorträge, nicht auf Schriften des Proklus, weisen auch Pnıter. 
Anal. post. 35, b,m. 118, b,o. 120, b, m. und AskLer. in Metaph. Schol. in Arist. 
606, a,28,und nicht anders wird essich mit den Angaben verhalten, welche sich 
Bchol. 157, a, 48. 221, a, 89 (Pnıtor. 40,a,0.) finden; bei dem Scholion in Arist. 
Org. ed. Waıtz 1,42 (zu 20, 8, 80) ergiebt es schon die Vergleichung mit Auzor. 
Deinterpr. 146,4. Eines ὑπόμνημα κὰ Plotin’s Enneaden gedenkt das 5. 647,1 
berührte Scholion zu der Schrift von den Mysterien. Einer βίβλος τῶν πρὸς 
τὸν Τίμαιον ᾿Αριστοτέλους ἀντιῤῥήσεων ἐπισχέψεις ποιουμένη, worin er 
unter anderem auch die Einwürfe gegen die platonische Darstellung der Seele 
als einer räumlichen Grösse beleuchtet habe, erwähnt Proxr. in Tim. 226, Ὁ; 
auf die gleiche Schrift bezieht sich ohne Zweifel die Angabe des Sıurı. De 
owlo 294, Ὁ, 3 (Schol. 515, a, 4), welcher aus Anlass der platonischen Lehre 
über die Elemente bemerkt: Πρόχλος ... βιβλίον ἔγραψε τὰς ἐνταῦθα τοῦ "Aptore- 
τέλους ἐνστάσεις διαλύων; über den Inhalt dieser Vertheidigung berichtet der- 
selbe im folgenden (285, b, 11. 29. 290, a, 83. 291,a,43. 292,a,11. 298, a, 37. 
294, a, 84. Ὁ, 17. 295, a, 25. b, 18. 296, a, 48). Dagegen scheint Psoxt. im 
Tim. 123, C eine eigene Schrift gegen die aristotelische Lohre vom 
Nus im Auge zu haben. Die πραγματεία χαθαρτιχὴ τῶν δογμάτων τοῦ 
Πλάτωνος, zu welcher Domninus den Proklus veranlasste, wurde schon 
8. 700 unt. nach Suıpas berührt. „Von seinem umfassenden Werk über die 
Göttersprüche (ἃ. h. die angeblich chaldäischen Orakel, vgl. 8. 691,8. 
Proxr. in Tim. 273, B, βίμερι,. Phys. 143, a, u.), an welchem er fünf Jahre 
arbeitete, erzählt Marın. ὁ. 26; nach ὅσῃ. hatte es 10 Bücher, nach Marinus 
70 Tetraden (d.h. Hefte von je vier Bogen). Er selbst verweist in Plat. Bemp. 
869 u. auf dieses Werk. Eine Schrift Εἰς τὴν Ὀρφέως Θεολογίαν (Sum) 
bestand nach Marin. 27 in Anmerkungen zu der Erklärung des Syrianus; ver 
schieden von ihr ist die Συμφωνία ᾿Ορφέως Πυθαγόρου xat Πλάτωνος 
b. Suın. Derselbe nennt einen Commentar zum ganzen Homer, und eine 
Sohrift Περὶ τῶν παρ Ὁμήρῳ θεῶν. Aus Ῥκοκι, in Bemp. 8. 453 konnen 
wir eine Abhandlung über die drei μονάδες, die ἀλήθεια, καλλονὴ und 
συμμετρία, Sımrricıus nennt Phys. 148, b, u. einen Brief an Aristokles, 
worin von den himmlischen Körpern gesprochen wurde, und ebd. 142, ὃ, u.— 
143, Ὁ, o. vgl. 140, b, o. 150, b, m. giebt er ausführliche Mittheilungen ans 
einer Untersuchung über den Raum, von der er aber nicht sagt, ob si® 
eine eigene Schrift war, oder sich in einer umfassenderen Darstellung fand. 
Ein nicht näher bezeichnetes, wie es scheint logisches, μονόβιβλον, worin 
des ἀπόῤῥητον ἀξίωμα (unausgesprochener Satz) erwähnt wurde, führt Damasc. 
De princ. ὁ. 29. 8. 78 an; eine Monographie über Parallellinien, ode 
näher über den Sats: τὰς an’ ἐλαττόνων ἢ δύο ὀρθῶν ἐχβαλλομένας συμκύκτεν, 
ῬπιιοΡ. Anal. post, 29, b,m (Bchol. in Arist, 214, a, 7 ff.) Seine βίβλος pr 


Standpunkt und Charakter. 705 


und Wiederherstellung der alten Götterverehrung !); die Gefahren, 
denen er sich dadurch aussetzte, veranlassten ihn einmal, sich ein 
Jahr lang von Athen zu entfernen ?). Im übrigen blieb er jedoch 
bis zu seinem Tode, der im Jahr 485 erfolgte °), unangefochten 4). 

In seiner Philosophie hält sich Proklus zunächst an seinen 
Lehrer Syrian, dem er selbst durchaus zu folgen versichert '). 
Aber alles erscheint bei ihm viel entwickelter, fertiger und ge- 
schlossener. Jene methodische Bearbeitung der Glaubenssätze, 
welche schon Syrian unternommen hatte, wird von Proklus fort- 
geführt und vollendet; die Lehre der Schule wird in ihrem wissen- 
schaftlichen Aufbau zum Abschluss gebracht, und durch eine Reihe 
neuer Bestimmungen bereichert 5). Das ganze Gebiet der neu- 
platonischen Ueberlieferungen mit einem regelrecht entworfenen 
logischen Netz zu umspannen, dieses ganze Chaos zu ordnen, 
allem einzelnen seine bestimmte Stelle auszumitteln, alle Lücken, 
die sich biebei herausstellten, zu ergänzen, alle Widersprüche 
auszugleichen, diess ist die Aufgabe, welche Proklus sich gestellt, 
und welche er, so weit sie überhaupt lösbar war, mit ebensoviel 
logischer Meisterschaft als religiöser Begeisterung gelöst hat ?). 


τρῳακὴ, worin er den Cybelemythus behandelte, kennen wir durch Marınm. 
c. 38 u. Buınas, eine Schrift über Hekate durch Marım. 28, zwei Bücher 
περὶ ἀγωγῆς (die θεουργιχὴ ἀγωγὴ vgl. Marım. 28) durch Suıvas. Dass er da- 
gegen ein opus in plures libros distributum εἷς τὸν λόγον τῆς Διοτίμας περὶ τῆς 
τῶν χαχῶν ὑποστάσεως verfasst habe, wie Housrexıus b. Faeıc. 8. 426 aus 
einem handschriftlichen Scholion mittheilt, ist kaum glaublich, da die Rede 
der Diotima (in Plato’s Gastmahl) zu einer Untersuchung über das Böse keinen 
Anlass bot; die Bezeichnung: x. τῆς τ. χαχ. ὕποστ. geht wohl auf die in Ueber- 
setzung noch vorhandene Abhandlung De malorum subeistentia; über die Rede 
der Diotima kann er ein eigenes Werk geschrieben haben, wenn auch sonst 
nichts darüber bekanut ist, 

1) Es wird davon sogleich weiter zu sprechen sein. 

2) Marım. c. 15. 

8) Vgl. 8. 701, 2. 

4) Wie man auch aus Manın. ἃ. ἃ. Ο. siebt. Mar. bemerkt hier ausdrück- 
lich, Proklus’ Götterverehrung sei verborgen geblieben. Anch sein Einfluss 
bei den bürgerlichen Behörden, den Marinus hier rühmt, zeigt, dass er eine 
geachtete und gesicherte Stellung hatte. 

6) Vgl. 8. 688, 1. 2. 

6) Marın. 28: πολλῶν δὲ καὶ αὐτὸς πατὴρ ἐγένετο δογμάτων οὐ πρότερον 
ἐγνωσμένων, φυσιχῶν τε καὶ νοερῶν χαὶ τῶν ἔτι θειοτέρων. 

7) Vgk Masım. 22: πᾶσαν μὲν θεολογίαν ἑλληνιχήν τε καὶ βαρβαριχὴν, καὶ 


Philos. ἃ. Gr. ILL. Bd. ἃ. Abth. 45 


706 Proklus 


Den wesentlichen Inhalt seiner Lehre verdankt er seinen Vor- 
gängern, an die er sich mit frommem Auktoritätsglauben anlehnt, 
und er selbst hat davon ein so bestimmtes Bewusstsein, dass er nur 
der Ausleger ihrer Lehren sein will: er legt die platonischen Dia- 
logen allen seinen Untersuchungen in der normativen Geltung einer 
Offenbarungsurkunde zu Grunde !), er ruft die Aussprüche der gott- 
begeisterten Dichter, den allegorisch gedeuteten Hesiod und Homer 
und den angeblichen Orpheus 3), und mit noch grösserem Eifer die 
Orakel der Götter als Zeugen für sich auf °); er erklärte, wie sein 
Biograph sagt *), die gesammte hellenische und barbarische Theo- 
logie, und wandte namentlich der Deutung der Göttersprüche 
während fünf ganzer Jahre den grössten Fleiss zu°). War er doch 
von der Verehrung für diese Offenbarungen so eingenommen, dass 
er wiederholt den unwissenschaftlichen Wunsch äusserte, alle alten 
Schriften, ausser der Orakelsammlung und dem Timäus, vernichten 
zu können, weil sie manche zu Missverständnissen und Irrthümern 
verleiten ©). So sind es auch unter seinen neuplatonischen Vor- 
gängern die jüngeren und theologischeren, und vor allem Jamblich, 
gegen die er die höchste Bewunderung auszusprechen pflegt. Aber 
dieser offenbarungsglaubige Theolog, der selbst seine wissenschaN- 


— 


τὴν μυθιχοῖς πλάσμασιν ἐπισχιαζομένην͵ xateiöd τε ῥαδίως χαὶ ... εἷς φῶς ἤγαγεν, 
ἐξηγούμενός τε πάντα ἐνθουσιαστικώτερον καὶ εἰς συμφωνίαν ἄγων. πᾶσι δὲ τοῖς τῶν 
παλαιοτέρων γράμμασιν ἐπεξιὼν, ὅσον μὲν ἦν παρ᾽ αὐτοῖς γόνιμον, τοῦτο μετ᾽ ἐξι- 
χρίσεως εἰςεποιέῖτο, εἰ δέ τι ἀνεμαῖον ηὔρισχε, τοῦτο πάντη ὡς μῶμον ἀπωῳχονομεξτο 
Ὁ. 3. w. 

1) Ueber den Charakter seiner Commentare zu Plato vgl. m. ΒΤΕΙΧΉΛΕΤ 
a. a. Ο. 8. 68 ἢ, welcher aber doch den Werth derselben meines Erachtens zu 
hoch anschliägt. 

2) Seine diesen Dichtern gewidmeten Schriften wurden schon 8. 703, 1.2 
genannt. Den Gegensatz zwischen Homer und Plato auszugleichen, bemüht 
sich Proklus in Remp. 368 ff. 

3) Wie unbedingt er solchen Auktoritäten huldigt, zeigt unter anderem 
in Tim. 258, C, wo er aus Anlass der Frage, ob die Sonne unter den Planoten 
die mittlere Stelle einnehme, bemerkt: was Ptolemäns und andere Mathemati- 
ker für diese Annahme geltend machen, habe nicht viel auf sich; ὃ δὲ θεουργὸς 
(wohl der Chaldäer) οὕτως οἴεται, ... ᾧ μὴ θέμις ἀπιστεῖν. 

4) Vgl. 5. 705, 7. 

5) Vgl. 8. 704, ın. 

6) Marın. a... Ο. c. 88. 


-- 


u «'.-. 


Standpunkt und Charakter. 707 


lichen Arbeiten als eine geheime Mystagogie behandelt 19), dieser 
Verehrer der alten Götter, der Tag und Nacht Sühnungen und 
heiligen Gebräuchen oblag 5), der sich in alle Mysterien einweihen 
liess, und der Hierophant der ganzen Welt sein wollte ®), dieser 
Dichter, der die Früchte seiner Muse allen Göttern darbrachte 2). 
dieser Ascet, welcher sich der Ehe und der Fleischspeisen ent- 
hielt, die Fasitage der verschiedensten Kulte mit ängstlicher Ge- 
wissenhafligkeit beobachtete 5), und durch seine übertriebenen 


1) 2. Β. Plat. Theol. 163, m., wo er von Syrian sagt: ᾧ δὴ χαὶ ἡμέίς τῇ 
θείᾳ χεφαλῇ περὶ τὴν τοῦ Παρμενίδου θεωρίαν ἐνεβαχχεύσαμεν τὰς ἱερὰς ἀτραποὺς 
ταύτας χαὶ πρὸς τὴν μυσταγωγίαν τὴν ἀπόῤῥητον ἀτεχνῶς καθεύδοντας ἡμᾶς ἄνεγει- 
ρούσας. Vgl. N. 688, 2. 

2) Schon in seiner Jugend von dem Alexandriner Heron in die Götter- 
verehrung eingeführt (Marın. 9), setzte er bei seiner Ankunft in Athen Syrian 
durch seine Frömmigkeit in Staunen (c. 11), und derselben Denkweise blieb 
er sein Leben lang getreu. Wenn einer seiner Freunde erkrankte, sagt Marınus 
c. 17, 80 war sein erates, die Götter (ἔογοις re χαὶ ὕμνοις) um seine Genesung 
anzuflehen, er selbst wandte bei Nacht und bei Tag Beschwörungen, Sübnun- 
gen und Reinigungen an, bald orphische, bald chaldRische, und er gieng zu 
diesem Behufe bis in sein Greisenalter unverdrossen mindestens Einmal, oft 
zwei- und dreimal im Monat an die See hinab (c. 18); in schlaflosen Nächten 
dichtete er Hymnen (c. 24), Morgens, Mittags und Abends bezeugte er der 
Sonne seine Verehrung (c. 22, Schl.); nicht allein die Nenmonde, sondern die 
hohen Feste aller Kulto feierte er mit nächtlichen Gebeten, Hymnen u. s. w. 
(6. 19); mit gotterdienstlichen Handlungen für die Verstorbenen wusste er 
sich (wie c. 36 des näheren gezeigt ist) kaum genug zu thun. Vgl. Anm. 5. 

8) K. 15 betrachtet cs Marinus als eine höchst wohlthätige Fügung der 
Vorsehang, dass Proklus veranlasst wurde, sich aus Athen nach Lydien zu 
flüchten, ἵνα μηδὲ τῶν ἐχεῖ ἀργαιοτέρων ἔτι σωζομένων θεσμῶν ἀμύητος F, und 
6.ὄ 19 führt er das Wort an, welches er im Munde zu führen pflegte, ὅτι τὸν 
φιλόσοφον προςήκει οὐ μιᾶς τινὸς πόλεως οὐδὲ τῶν παρ᾽ ἐνίοις πατοίων εἶναι θεραπευ- 
τὴν, κοινῇ δὲ τοῦ ὅλον χόσμου ἱεροφάντην. 

4) Seine Hymnen, von denen sich, wie bemerkt, nur wenige erhalten 
haben, waren 'nach Marın. 19 nicht blos an die hellenischen Gottheiten ge- 
richtet, sondern auch an den Marnas in Gaza, den Asklepios mit dem Löwen 
in Askalon, den arabischen Gott Thyandrites, die Isis von Philli xat τοὺς 
ἄλλους ἁπλῶς ἅπαντας. 

5) Seiner Ehelosigkeit wurde schon 8. 102, 8 gedacht. Ueber seine son- 
stige Ascese vgl. m. neben dem 8. 681, 4 angeführten namentlich Marın. 19: 
τὰ πολλὰ δὲ τὴν τῶν ἐμψύχων ἀποχὴν ἠσπάζετο᾽ konnte er sich dieser Nahrung 
niebt ganz entziehen, 80 kostete er sie eben nur. Er hielt jeden Monat die 
Cybelefasten (μητρῳαχὰς xastelag), beobachtete die ἡμέραι ἀποφράδες der Aegyp- 
tier mit aller Strenge, und dazu nooh einige Fasttage, die ihm durch eigene 


46" 


708 Proklus. 


Entbehrungen selbst seiner Gesundheit schadete 1), dieser Visionär, 
dessen Frömmigkeit durch weissagende Träume, Göttererscheinun- 
gen und Wunderhülfen belohnt wurde ?), dieser Theurge, welcher 


Göttererscheinungen befohlen waren, indem er am letzten Tage des Monats 
und schon am Abend vorher sich aller Nahrung enthielt. 

1) Marın. 26: In seinen letzten Lebensjahren sei Proklus’ Gesundheit 
wankend geworden: ὅπὸ γὰρ τῆς σχληροτέρας ἐκείνης χαὶ ἀνυκοίστου διαίτης ze 
τῶν πυχνῶν περιχυμάτων καὶ τῶν ὁμοίων διαχαρτερήσεων χαταπονηθὲν τὸ εὖ πεφυχὸς 
αὐτῷ σῶμα ἤρξατο παρεῖσθαι. 

2) Die Lebensbeschreibung des Marinus ist voll solcher Dinge. Ihr zu- 
folge wird Proklus schon als Knabe durch eine Traumerscheinung der Athene 
zum Philosophen bestimmt, und durch eine zweite nach Athen gewiesen (e.6. 
9.10). In einer schweren Krankheit erscheint ihm der Heildämon Telesphoros, 
und macht ihn durch Berührung augenblicklich gesund (6. 7). Während eines 
Lehrvortrags war sein Haupt von einem Lichtglanz umstrahlt (c. 23). Nach- 
dem er seine Erklärung der Göttersprüche beendet hatte, wurde ihm von 
Plutarch im Traume geoffenbart, dass er so viele Jahre leben werde, als diese 
Erklärung Tetraden enthalte (0, 26). Auf den Gebrauch der chaldäischen 
Reinigungen verkehrte er mit lichten Erscheinungen aus dem Geisterreich 
(φάσμασι “Exratızdi φωτοειδέσιν), wie er diess selbst in einer eigenen Schrift 
bezeuge (co. 28). In prophetischer Begeisterung verkündete er seine höhere 
Bestimmung (0. 28). Als die Christen das Bild der Athene aus der Akropolis 
entfernten, erschien ihm die Göttin im Traum und theilte ihm mit, sie werde 
fortan bei ihm wohnen (c. 80). Asklepios bewies ihm seine Huld nicht allein 
durch eine wunderbare Krankenheilung, zu der er sich durch sein Flehen be- 
wegen liess, sondern auch durch eine Erscheinung in Schlangengestalt'wäh- 
rend seiner letsten Krankheit (bei der er ihn, wie Marin behauptet, nur dess» 
halb nicht gesund machte, weil er selbst sterben wollte), und schon früher 
durch eine Heilung, die er mittelst einer Erscheinung im Traume an ihm be- 
wirkte (co. 29. 80. 81). In einem anderen Traumgesicht offenbarte sich ihm, 
unter der ehrendsten Anerkennung, die Gottheit von Adrotta (co. 82). Von 
Pan vollends, dem Sohne des Hermes, und von der Qöttermutter empfieng er! 
nach der Versicherung seines Biographen (ο. 88), tagtäglich so viele Beweise 
ihrer Gunst, dass dieser darauf verzichtet, sie aufzuzählen. Auch sein Ende 
wurde, neben der schon erwähnten Erscheinung des Asklepios (wie das des 
Karneades, worüber 1. Abth. 455, 2) durch eine Sonnenfinsterniss verherrlicht, 
welche deutlich ankündigte, was für ein Licht der Welt entsogen werden 
sollte (c.87). Ein erheblicher Theil dieser Erzählungen gehört nın allerdings 
unverkennbar erst der Legende an, die in der Schule schon bei Lebzeiten des 
Proklus und in der nächsten Zeit nach seinem Tode seine Erscheinung in's 
wunderbare ausmalte; in anderen Fällen werden Vorzeichen und Weissagun- 
gen gesucht, wo gar keine sind, wie bei der Sonnenfinsterniss, die nach 
Marin’s eigener Angabe schon in dem Jahr vor Proklus’ Tod stattfand, und 
bei der Weissagung über die Zahl seiner Lebensjahre, die gar nioht wirklich 


Standpunkt und Charakter. 709 


dasZaubern und Beschwören kunstmässig betrieb und lehrte 1), dieser 
Wunderthäter, der durch sein Gebet Krankheiten heilte und durch 
Zaubermittel Wetter machte 5), dieser Phantast, der in Folge einer 
Traumerscheinung überzeugt war, dass er ein Glied der hermeti- 
schen Reihe sei, und die Seele des Pythagoreers Nikomachus in 
sich habe °), — dieser Mann, der so tief, wie nur Einer, in den 
Aberglauben seiner Zeit und die Schwärmerei seiner Schule ver- 
strickt war, ist zugleich der unverdrossenste Dialektiker, der die 
Begriffe zu spalten und neu zu verknüpfen nicht müde wird *), der 
Gelehrte, dem kein Feld damaligen Wissens verschlossen ist 5), 
der Mann der Wissenschaft, welchem alles, selbst der Aberwitz 
seiner religiösen Phantasieen, zum System wird, der absiruse 


eintraf, und von dem Biographen nur durch die erkünsteltste Ausflucht ge- 
rettet wird. Aber so viel geht doch aus allem hervor, dass Proklus selbst von 
zahlreichen Göttererscheinungen und Offenbarungen, dio ihm zutheilgewor- 
den, und von Wundern, die an ihm und durch ihn verrichtet sein sollten, 
überzeugt war. Von den Götter- und Dämonenerscheinungen redet er selbst 
in Remp. 859, m. 872, u. wie von einer ihm aus Erfahrung wohlbekannten 
Suche, und von anderen glaubt er auch die fabelhaftesten Dinge, wie 5. Β., 
dass dieBibylle unmittelbar nach ihrer Geburt wunderbare Sprüche verkündigt 
habe (in Tim. 288, E. 825, E. De provid. o. 13). 

1) Er selbst hatte die θεουργικὴ ἀγωγὴ von Plutarch’s Tochter erlernt, 
und er seinerseits verfasste darüber ein eigenes Werk; vgl. 8. 678, 1. 705, m. 

2) Mar. 28: ὄμβρους τε dxivnssv, Ὦυγγά τινα προςφόρως κινήσας, καὶ αὐχμῶν 
ἐξαισίων τὴν ᾿Αττικὴν ἠλευθέρωσε. Φυλαχτήριά τε σεισμῶν χατετίθετο u. 5. w. 
Ebd. 29 die schon berührte Erzählung, wie er Asklepigeneia, die Tochter des 
Archiadas, durch sein Gebet vom Tode rettet. 

8) Ebd. 28, Schl. 

4) So kennt er 5 B. in Tim. 74, Ff. sechserlei νόησις, ebd. 80, B vier- 
undsechzig verschiedene Ursachen bei Aristoteles, achtundvierzig αἴτια und 
achtundvierzig συναίτια bei Plato, in Parm. V, 240 acbterlei Ideen, die noch 
verschiedene Unterarten haben, ebd. 102 ff. zebnerlei πέρας; so zeigt er uns 
in Tim. 95, Ο ff. sehr kunstreich, warum Plato den Schöpfer weder πατὴρ 
allein, noch ποιητὴς allein, noch auch πατὴρ χαὶ ποιητὴς, sondern vielmehr 
ποιητὴς χαὶ πατὴρ nennt u. dgl. Weitere Beloge dieses Verfahrens giebt alles 
folgende. 

5) Neben seinem ausserordentlichen Fleiss hatte er diese Gelehrsamkeit, 
die uns aus allen seinen Werken entgegentritt, namentlich auch der unge- 
meinen Stärke seines Gedächtnisses zu verdanken, worüber Mar. co. 5 sich 
mit der höchsten Bewunderung aussprioht: μόνος οὗτος, sagt er, οὐδὲν τοῦ 
πόματος τῆς λήθης ἐδόχει πεπωκέναι. 


710 Proklus, 


Denker, dem man in Gebiete, wo jede Nachhülfe der Anschauung 
aufhört, zu folgen Mühe hat. Auf dieser merkwürdigen Verbin- 
dung von Abstraktionskraft und Phantastik, von Wissens- und 
Glaubensbedürfniss beruht die philosophische Eigenthünlichkeit 
des Proklus; in ihr liegt auch der Grund jenes Scholasticismus, der 
ihn unter den griechischen Philosophen auszeichnet !). Er besitzt 
eine seltene Stärke des logischen Denkens, aber dieses Denken ist 
von Hause aus unfrei, durch Auktoritäten und Voraussetzungen 
aller Art gefesselt; es ist nur die formelle Bearbeilung einer ge- 
gebenen Lehre, um die es sich für ihn handelt, und je grösser die 
Sorgfalt und die Kraft ist, die er dieser Aufgabe zuwendet, um so 
greller kommt auch unvermeidlich die Rückseite aller Scholastik, 
ein unfruchtbarer und eintöniger Formalismus, bei ihm zum Vor- 
schein. Das System des Proklus bildet insofern nicht blos den 
Schlusspunkt der griechischen Philosophie, sondern auch das 
Bindeglied, das ihren Uebergang in die mittelalterliche Wissen- 
schaft bezeichnet, die ja auch wirklich aus seiner Schule, durch 
Vermittlung des falschen Dionysius, des Johannes von Damaskus 
und der übrigen griechischen Theologen, die nachhaltigsten An- 
regungen geschöpft hat. 

Bei der Bedeutung, welche Proklus der systematischen Form 
beilegt, ist es natürlich sein nächstes Bestreben, sich des Gesetzes 
bewusst zu werden, nach dem alles zu einem Ganzen verknüpft ist. 
Dieses Gesetz hatte nun im wesentlichen schon Piotin ausgesprochen: 
es ist der Hervorgang des Vielen aus dem Einen und seine Hin- 
wendung zum Einen, wodurch der Zusammenhang aller Dinge und 
die Stelle bestimmt wird, welche jedes von ihnen in diesem Zu- 
sammenhang einnimmt. Aber Proklus hat die einzelnen Momente 
dieses Verhältnisses schärfer unterschieden, und das Schema des- 
selben umfassender auf alle Theile des Systems angewendet, als 
irgend einer von seinen Vorgängern. Jede Viclheit, sagt er in 
seiner theologischen Unterweisung 3), hat theil an der Einheit, 
jede hat daher die Einheit zur Voraussetzung (c. 1. 5. 11. 21), 
jede Einheit bringt andererseits eine Vielheit hervor (c. 21), und 
diese Hervorbringung erfolgt nicht durch Theilung oder Verwand- 


—— 


1) Wie schon 8, 677 bemerkt wurde. 
2) Στοιχείωσις θεολογιχὴ 6. ο. 


Das Princip der Entwioklung. “ι 


lung, sondern vermöge der Vollkommenheit und Krafifülle des 
hervorbringenden, durch die es ein anderes erzeugt, ohne sich 
selbst zu verändern (c. 27). Jedes hervorgebrachte ist daher von 


dem hervorbringenden verschieden, aber zugleich auch vermöge 


des Causalzusammenbangs mit ihm geeinigt, d. ἢ. es ist ihm ähn- 
lich, und aller Hervorgang beruht auf der Aehnlichkeit 5. Nach 
jener Beziehung bleibt das hervorbringende in sich, und das her- 
vorgebrachte tritt aus ihm heraus, nach dieser bleibt das hervor- 
bringende in dem hervorgebrachten (c. 30. 26) und dieses in 
jenem; das niedrigere ist in dem höheren, als seiner Ursache,- das 
höbere in dem niedrigeren, als seiner Wirkung, die an ihm theil- 
nimmt (c. 65); jedes höhere Wesen geht durch alle niedrigeren 
seiner Ordnung hindurch, und theilt sich ihnen mit, indem es sich 
zwar schrittweise vervielfältigt, aber dabei doch seine Eigenthüm- 
lichkeit bewahrt (c. 125. 145). Sofern nun die Ursache in dem 
verursachten wirkt, ist sie in diesem überall, sofern sie von ihm 
verschieden ist, nirgends (c. 98). Die Folge davon ist es, dass 
sich alles seiner Ursache zuwendet, und sich ihr zu einigen be- 
strebt ist 3). Alles bewegt sich insofern in dem Kreise des Heraus- 
tretens aus seiner Ursache und der Rückkehr zu derselben (c. 33); 
oder wenn wir die einzelnen Momente dieses Verlaufs unterschei- 
den wollen: alles verursachte steht zu dem verursachenden in dem 
dreifachen Verbältniss, dass es 1) vermöge seiner Aehnlichkeit 
mit demselben in ihm bleibt, dass es 2) aus ihm heraustritt, und 
dass es sich 3) zu ihm zurückwendet ®). Die beiden Seiten dieses 
Processes entsprechen sich aber durchweg; wie das verursachte 
durch die Aehnlichkeit mit seiner Ursache hervorgebracht wird, 
und durch Unähnlichkeit sich von ihr trennt, so muss es durch 
Verähnlichung zu ihr zurückkehren (c. 32), und diese Rückkehr 
hat die gleichen Stufen, wie der Hervorgang (c. 38 f.). Es ist 
daher Ein Gesetz, durch welches die ganze Verketiung der Ur- 


1) Α. ἃ. Οὄ. c.20f. Plat. Thbeol, 1I, ı, 8. 119 med. Daher das Gesetz 
(Inst. 147), dass das erste Glied jeder Reihe dem letzten der vorhergehenden 
ähnlich ist. 

3) Plat. Theol. a. a. O. Instit. 31 f. 84. In Crat. c. 69 (die Götter haben 
‚ allen Dingen das Gepräge ihres Wesens aufgedrückt, und eben dadurch ziehen 
sie alles zu sich). 

3) Instit. c. 85. Plat. Theol. III, 9 8. 185 med. u. ὅ. 


71% Proklus, 


sachen und Wirkungen beherrscht ist, Ein Schema, nach dem sich 
die Gesammtheit des Wirklichen gliedert, das Gesetz der triadischen 
Entwicklung: das Sein des verursachten in der Ursache, sein Her- 
‚ austreten aus ihr und seine Rückkehr zu ihr sind die drei Momente, 
in deren endioser Wiederholung aus der ursprünglichen Einheit die 
Mannigfaltigkeit des abgeleiteten Seins hervorgeht. Je öfter sich 
nun dieser Verlauf in einer bestimmten Richtung vollzogen hat, je 
tiefer wir in der Reihe der Hervorbringungen herabsteigen, um 80 
getheilter und unvollkommener ist das Sein, zu dem wir gelangen, 
je weiter wir umgekehrt in der entgegengesetzten Richtung auf- 
steigen, um so vollkommener ist es (c. 7. 24 u. ö.); denn wenn 
sich auch das höhere allem niedrigeren mittheilt, so kann doch 
dieses nicht alle Kräfte des höheren in sich aufnehmen (c. 150), 
es bleibt vielmehr in diesem immer etwas übrig, was in das niedri- 
gere nicht eintritt, es ist diesem gegenüber, was es im Verhältniss 
zu sich selbst und dem über ihm stehenden nicht ist, unbegreiflich 
und unendlich (c.3); es ist daher in verschiedenen in verschiede- 
nem Maasse: die Götter sind allem gleichmässig gegenwärtig, aber 
nicht alles den Göttern (c. 142). Die einfachsten Wesen sind also 
die vollkommensten, die zusammengesetztesten die unvollkommen- 
sten. Je vollkommener aber ein Wesen ist, um so grösser ist 
seine Kraft, um so mehr wird es mithin hervorbringen (c. 25. 57. 
60). Folglich ist das Vermögen jeder Ursache um so grösser, je 
einfacher, um so kleiner, je zusammengesetzter sie ist 1), die 
Summe ihrer Wirkungen und die Summe ihrer Merkmale stehen 
im umgekehrten Verhältniss, die allgemeinsten Begriffe stellen die 
höchsten Ursachen dar, und die Stufenreihe der Ursachen und 
Wirkungen entspricht der Reihe der vom allgemeinen zum beson- 
dern fortgehenden und sich stufenweise verengenden Begriffe. Das 
Ganze dieser Begriffe, die sämmtlichen, mit jedem weiteren Schritt 
in neue Zweige auseinandergehenden Reihen der wirkenden Kräfte 
durch eine fortgesetzte Dreitheilung nach dem Schema des Blei- 
bens, des Hervorgangs und der Rückkehr aufzusuchen, ist die 
Aufgabe, weiche Proklus der Wissenschaft stellt, und eben darin 
liegt auch das eigenthümliche seiner Methode, wogegen das, was 


1) Plat. Theol. II, 1, 8. 125 vgl. 120, m. Instit. 63 vgl. 95: πᾶσα δύναμις 
ἑνιχωτέρα οὖσα τῆς πληθυνομένης ἀπειροτέρα, weil sie dem Ureins näher steht, 


Das Princip der Entwicklung. 713 


er selbst wohl für die wahre Methode erklärt hat '), das anti- 
nomische Verfahren des platonischen Parmenides, für seine eigenen 
Darstellungen durchaus nicht maassgebend geworden ist ?). 
Wiewohl aber diese Theorie des Proklus zunächst an die 
plotinische anknüpft, weicht sie doch von ihr nicht blos in der 
weiteren Entwicklung, sondern auch in den allgemeinen Grund- 
sätzen nicht ganz unwesentlich ab. Plotin’s System ist zwar im 
allgemeinen nach denselben Gesichtspunkten gegliedert, von denen 
Proklus ausgeht; der Hervorgang des Vielen aus dem Einen und 
seine Rückkehr zur Einheit sind die Angeln, um die es sich be- 
wegt, und in seinen Haupttheilen treten die drei Momente, welche 
Proklus seiner Theorie als stehendes Schema zu Grunde legt, deut- 
lich auseinander. Aber diese Eintheilung bestimmt das System bei 
Plotin nur im grossen und ganzen, innerhalb der einzelnen Sphären 
dagegen, der intelligibeln Welt, der Seele und der Erscheinungs- 
welt, lässt sich der Wechsel des Insichbleibens, des Hervorgangs 
und der Rückkehr nicht ebenso nachweisen, der leitende Gesichts- 
punkt ist hier für Plotin in der Metaphysik und Physik nur die 
stufenweise Entfernung des abgeleiteten vom ursprünglichen, in 
der Ethik die stufenweise Wiedervereinigung mit demselben. Bei 
Proklus dagegen wiederholt sich der Process, welcher das Ganze 
beherrscht, auch in jedem einzelnen Theile: indem sich das abge- 
leitete vom ersten entfernt, kehrt es doch zugleich auf niedrigerer 
Potenz zu ihm zurück. Die Gesammtheit des abgeleiteten Seins 
stellt bei jenem eine einfache Linie dar, die in gerader Richtung 
von ihrem Ausgangspunkt abführt, bei diesem eine Spirale, die 
sich nach jeder neuen Entfernung auf’s neue, wenn auch aus 
immer grösserer Ferne, zu ihm hinwendet. Hiemit hängt zusam- 
men, dass jede Sphäre des abgeleiteten Seins bei Proklus eine 
unbestimmbare Vielheit besonderer Sphären in sich schliesst, in- 
dem jede von den Bestimmungen, die im Begriff des Nus, der 
Seele u. 8. f. verknüpft sind, auf’s neue hypostasirt und getheilt 
wird, und so fort in’s unendliche. Waren auch schon die früheren 
Neuplatoniker dem Proklus in diesem Verfahren vorangegangen, 


1) In Parm. V, 276 ff. Cous., wo das eigenthümliche dieses Verfahrens 
ausführlich und mit Beispielen erörtert wird. 
2) Wie man diess nach Vacnenor II, 217 ff, glauben könnte, 


14 Proklus. 


so hat er es doch durch consequente Anwendung des triadischen 
Systems am weitesten verfolgt. Eine erhebliche Abweichung von 
Plotin lässt sich endlich in den Ansichten unseres Philosophen über 
den Umfang der Wirkungen wahrnehmen, die von den verschie- 
denen Ursachen ausgehen. Indem Proklus das Verhältniss der 
höheren Ursachen zu den niedrigeren dem der allgemeineren Be- 
griffe zu den besondern gleichsetzt, gelangt er zu dem Satze, dass 
sich die Wirkungen der höheren Ursache nicht blos nach obea, 
sondern auch nach unten, weiter erstrecken, als die der niedern, 
an dem Sein z. B. nebmen auch die Dinge theil, welchen kein 
Leben, an dem Leben auch die, welchen kein Denken zukommt ''). 
Dieser Satz widerspricht offenbar der Bestimmung, die als ein 
Grundpfeiler des neuplatonischen Systems von Proklus so gut, wie 
von Plotin, anerkannt wird, dass sich das höhere nur durch Ver- 
miltlung des unter ihm stehenden mittheile. Proklus hat hier aus 
der aristotelischen Lehre etwas aufgenommen, was in den von ihr 
so verschiedenen Gedankenkreis seiner Schule nicht passte 3). 

In der weiteren Ausführung seines Systems ist dem Proklus 
weit das wichtigste die Theologie, die Beschreibung der übersinn- 
lichen Welt und der in ihr enthaltenen Gölterordnungen 5). Er 
legt für dieselbe zunächst, wie alle Neuplatoniker, die plotinische 
Unterscheidung des Göttlichen, des Nus, der Seele und der Körper- 
welt zu Grunde 4). Hatten sich aber schon die früheren seit Jamblich 


1) Instit. 70. 101. 184. Plat. Theol. I, 13,8. 38 u. u. ὅ. 

2) Nehmen wir z.B. die drei Begriffe: Seiendes, Lebendiges, Lebloses, 
so sind die beiden letzteren im aristotelischen System sich coordinirt, das 
Seiendo theilt sich in lebendiges und lebloses; im neuplatonischen dagegen 
sind sie sich subordinirt, aus dem Sein geht das Leben, aus diesem durch 
eine Reihe weiterer Vermittlungen, in Folge seiner allmählichen Abschwächung, 
das leblose hervor. Dann müsste aber das letztere in demselben Maasse, in 
dem es am Sein theilnimmt, auch am Leben theilnebmen. 

3) Auch bei der Erklärung der Schriftsteller, an welcher er seine An- 
sichten zu entwickeln pflegt, tritt dieser Gesichtspunkt als maassgebend hervor, 
und wenn schon Syrian in Vergleich mit seinen Vorgängern eine tbeologischere 
Auslegung nachgerühmt wird, so gilt diess von Proklus in noch höherem 
Grade. Man vgl. in dieser Beziehung ausser seinen noch vorhandenen Com- 
ınentaren auch Marin. Prokl. 27: ἀναγινώσχων δὲ ἐγώ ποτε παρ᾽ αὐτῷ τὰ Ὁ ςςέως, 
χαὶ οὐ μόνον τὰ παρὰ τῷ ᾿Ιαμβλίχῳ καὶ Συριανῷ ἀχούων ἐν ταῖς ἐξηγήσεσιν, ἀλλὰ 
πλείω τε ἅμα χαὶ προςφυέστερα τῇ θεολογία u. 8. w. 

4) 2. B. Iustit. 20. 129. Plat,. Theol. I, 12, 8. 86 u. 


Das Urwesen. 718 


mit dieser einfacheren Unterscheidung nicht begnügt, so kann 
Proklus noch weniger bei ihr stehen bleiben, und auch in der 
Beschreibung der einzelnen Sphären findet er manche Abweichung 
von dem Stifter der Schule nothwendig. Den Begriff des Urwesens 
selbst bestimmt er zwar ebenso, wie Plotin: er zeigt, dass aller 
Vielheit das Eine, allem irgendwie guten das Urgute, allem seien- 
den die erste Ursache vorangehen müsse, und dass diese drei Be- 
griffe Ein und dasselbe bezeichnen 1); er verbreitet sich ausführ- 
lich über den Unterschied des Ersten vom Nus und von allem ab- 
geleiteten überhaupt, indem er es als die geheime, unmittheilbare, 
unfassbare und unaussprechliche Ursache von allem beschreibt, 
die alles hervorbringe und alles zu sich hinwende ?); er erklärt, 
wir können nicht wissen, was es ist, sondern nur, was es nicht 
ist ®), auch der Begriff des Einen gebe nur eine negative, und der 
des Guten nur eine analogische Vorstellung von ihm 4), streng- 
genoinmen sei es nicht Eins, sondern höher als das Eine °), gleich 
erhaben über jede Verneinung, wie über jede Bejahung °), weder 
seiend noch nichiseiend 7); er läugnet, dass ihm ein Denken oder 
ein Wollen, oder irgend eine Eigenschaft zukomme, er will auch 
seine Ursächlichkeit weder unter den Begriff der Thätigkeit noch 
unter den der Kraft, ja nicht einmal unter den Causalitätsbegriff 
selbst gestellt wissen, wenn er von ihm sagt, es sei Ursache ohne 


1) Instit. 4 ἢ, 8. 11—13. 

2) Es gehört bieher ausser vielen anderen Stellen das ganze zweite Buch 
in Plat. Theoloyiam nebst der klirzeren Darstellung ebd. III, 7, 8. 131 ὦ und 
das sechste und siebente Buch in Parm. (Opp. VI) von 8. 34 an. 

3) In Parın. VI, 53. Daher heisst das Eine Plat. Theol. II, 11 8. 110 
πάσης σιγῆς ἀῤῥητότερον καὶ πάσης ὑπάρξεως ἀγνωστότερον. Ebenso führt Pr. in 
Remp. 429 unt. fulg. aus, dass das Gute als die ἀρχὴ nicht Gegenstand des 
Wissens (ἐπιστητὸν) sei, und Instit. 123 sagt er: alle göttlichen Wesen scien 
dem, was unter ibnen ist, an sich selbst unerkennbar, und nur mittelst dessen 
zu erkennen, das an ihnen theilhabe; διὸ μόνον τὸ πρῶτον παντελῶς ἄγνωστον, 
ἅτε ἀμέθεχτον ὄν. 

4) Plat. 'Theol. II, 4. 8. 96. 

5) Plat. Theol. III, 7, 8. 182 u. 

6) Ebd. 8. 109 ο. 

7) In Remp. 429 m: en ist kein ὃν, sondern ἐπέχεινα τοῦ εἶναι, aber auch 
kein μὴ dv, denu das Nichtsein wäre ihm gleichfalls mit anderem gemein; 
ἄμφω τοίνυν λεκτέον, ὡς οὔτ᾽ ὅν ἐστιν οὔτε μὴ ὅν. 


716 Proklus. 


Ursache zu sein (ἀναιτίως «frıov) !), und was derartige Aeusserun- 
gen mehr sind. Diess alles geht nicht über Plotin’s Lehre hinaus. Un 
so bedeulender ist dagegen die Neuerung, welche Proklus durch die 
Lehre von den göttlichen Einheiten aufgebracht hat. Alle früheren 
Neuplatoriiker liessen unmittelbar aus dem Einen die intelligible 
᾿ Welt hervorgehen, nur Jamblich hatte zwischen beide sein zwei- 
tes Urwesen eingeschoben 3). Proklus geht noch weiter. Da jede 
Einheit eine ihr gleichartige Vielheit hervorbringt, kann auch das 
absolute Eins zunächst nur eine Vielheit von Einheiten, oder die 
einheitliche, überwesentliche Zahl, hervorbringen ®); und da jedes 
niedrigere mit dem höheren durch ein diesem gleichartiges Mittel- 
glied verbunden sein muss, kann auch das Seiende mit dem über- 
seienden Eins nur durch überseiende Einheiten verknüpft werden ἢ. 
Diese Einheiten sind absolut einfach, über das Sein, das Leben 
und das Denken schlechthin erhaben, allem, was unter ihnen ist, 
unerkennbar °), und ihre Einheit wird auch durch ihre Vielheit 
nicht getrübt, denn sie sind durchaus in einander 6). Ihre Zehi 
ist begrenzter als die jeder anderen Ordnung, weil sie dem Einen 
näher sind ?). So hoch sie aber auch hiemit gestellt werden, so 
bestimmt unterscheiden sie sich doch immer von dem Urwesen: 
dieses ist das Gute und das Eins schlechthin, jede von ihnen ist 
eine bestimmte Güte und eine bestimmte Einheit 5); in dem Urwesea 
ist keinerlei Unterschied, sie sind trotz ihrer absoluten Einheit, 
wie Proklus versichert, nach Eigenschaften und Kräften verschie- 
den, und stehen dem ersten theils näher theils ferner %). Das 
Urwesen kann sich keinem anderen mittheilen und in keiner Weise 


1) Plat. Theol. 101 m. 106. in Parm. VI, 87. in Tim. 110, E. 

2) Syrien Ὁ. Paogı. in Parm. VI,32 nennt zwar auch schon absolute Ein- 
beiten (αὐτοτελέϊς ξνάδες), die dem Einen zunächst stehen, aber aus dem voran- 
gebenden und folgenden sieht man, dass er darunter die intelligible Welt ver- 
stand; Prokius hat daher nur den Namen, nicht den Begriff seiner Henaden 
von ihm entlehnt. 

8) Plat. Theol. III, 1, 8. 118. 121 unt. ὦ, Instit. 20. 

4) Plat. Th. 8. 122, m. 

6) Instit. 118—115.118—121. Plat. Theol. I, 19, 8. 52 f. c. 27, 8. 68 ποῖ. 
II, 1,8. 122.0. ὅ. 

6) In Parm. VI, 14 ἔ, 17. in Tim. 13, B. 16, A. 

7) Instit. 149. 

8) Instit. 188. 

9) In Parm. VI, 1ὅ. Plat. Theol. III, 1, 8. 125. Inst. 126. 


Die göttlichen Einheiten. 717 


erkannt werden, sie sind mittheilbar und in ihrer Mittheilung er- 
kennbar '). Sie sind es daher, von denen nach Proklus jede Wir- 
kung der Gottheit auf die Welt ausgeht, in ihnen hat die Vorsehung 
ursprünglich ihren Sitz 5, wogegen das Urwesen ausser aller 
positiven Beziehung zur Welt ist. Ebendesshalb stehen sie aber so 
tief unter dem Ersten, dass Proklus geradezu sagt, sie alle zu- 
sammen kommen ihm nicht gleich °). Diese überwesentlichen Ein- 
heiten sollen mithin ähnlich, wie das zweite Eins des Jamblich, den 
Uebergang vom Urwesen, welches an sich selbst aller und jeder 
Berührung mit dem tiefer stehenden entrückt ist, zu seiner Offen- 
barung vermitteln. Ihr Begriff ist aber so abstrakt gehalten, dass 
wir sonst lediglich nichts von ihnen erfahren, und durch kein wei- 
teres Prädikat eine bestimmtere Vorstellung ihres Wesens erhalten ὁ). 


1) Plat. Theol. III, 1, 8. 123, ο. 124, u. Instit. 116. 128, 

2) Instit. 120 ff. vgl. 8. 718, 1. 

8) Ebd. 188. 

4) Wenn man fragt, was jene Einheiten sind, so sucht man bei Proklus 
vergebens eine Antwort, Man könnte daran denken, sie in der Grenze und 
dem Unbegrensten zu suchen, welche uns sogleich als die höchsten Principien 
aller göttlichen Offenbarung begegnen werden. Von diesen wird wirklich so 
gesprochen, als ob sie das nächste nach dem absolut Ersten und das einzige 
Mittelglied zwischen ihm und dem Beienden (dem ersten Glied der intelligibeln 
Welt) wären. So namentlich Plat. T'heol. 182. Nachdem hier Proklus des 
πρῶτος θεὸς erwähnt hat, welcher als die Eva; πασῶν ἐνάδων, das ἐπέχεινα πασῶν 
αἰτιῶν nicht weiter besprochen werden solle, fährt er fort: τὰς δὲ ἀπ᾽ αὐτῆς χαὶ 
μετ᾽ αὐτὴν προελθούσας δυοειδέϊς ἀρχὰς τῷ νῷ θεωρήσομεν. Diese δύο τῶν θείων 
διαχόσμων ἀρχαὶ μετὰ τὸ πρῶτον, al δύο μετὰ τὸ ἕν ἀρχοὶ, sind nach dem Philebus 
πέρας und ἀπειρία. Εἰ τοίνυν dx τούτων τὰ ὄντα, δῆλον ὅτι πρὸ τῶν ὄντων ὄφεστή- 
κασι, καὶ εἰ μεμιγμένων αὐτῶν τὰ δεύτερα μετείληφεν, ἀμιγεῖς αὖται τῶν ὅλων προῦ- 
πάρχουσιν .... πρὸ τῆς μεθέξεως καὶ τῆς εἷς τὰ ὄντα συμμίξεως αὐταὶ χαθ' ἑαυτὰς 
δπάρχουσιν αἰτίαι τῶν ὅλων .... καὶ γὰρ αὖ χαὶ el τὰ ὄντα μετὰ τὸ ἕν ἀμέσως προάγοι- 
μεν, οὐδαμοῦ τὴν τοῦ ἑνὸς ἰδιότητα χαθαρῶς εὑρήσομεν. οὔτε γὰρ τὸ ὃν τῷ ἑνὶ ταὐ- 
τὸν, ἀλλὰ μετέχει τοῦ ἑνός" οὔτε τὸ πρῶτον ὡς ἀληθῶς ἐστιν ἕν, χρεΐττον γὰρ (ὡς 
πολλάχις εἴρηται) καὶ τοῦ ἑνός. ποῦ τοίνυν τὸ κυριώτατα πάντως Ev; ἔστιν ἄρα ἃ τὸ 
πρὸ τοῦ ὄντος ἕν, ὃ χαὶ ὑφίστησι τὸ ὃν καὶ αἴτιόν ἔστι, τοῦ ὄντως [-ος] πρώτως. 
Diess lautet allerdings so, als ob Grenze und Unbegrenztes noch nicht zum 
Seienden selbst gehörten, sondern ihm vorangiengen; in diesem Fall könnten 
sie aber von den ὑπερούσιοι ἑνάδες kaum verschieden sein; und unsere Stelle 
redet ja auch von dem ἕν πρὸ τοῦ ὄγτος in einem Zusammenhang, in dem kaum 
etwas anderes, als das πέρας, damit gemeint sein kann. Aehnlich Kussert sich 
Proklus 8. 184 u. Auch das würde hiezu passen, dass das Gemischte (μιχτὸν), 
weiches aus Grenze und Unbegrenztheit hervorgeht, das πρώτως dv genannt 


118 “ Proklus. 


Konkreter lautet eine andere Bestimmung. Jene Einheiten sind 
dem Proklus nichts anderes als die Götter 1), d. ἢ. die höchsten 
von den vielen Göttern, die der Neuplatonismus neben und unier 
dem Einen anerkannte; und gerade diese Bedeutung derselben ist 
es, auf die er solchen Werth legt, dass ihre Einführung noch weil 
mehr von dem theologischen, als von einem rein philosophischen 
Interesse herzurühren scheint ?). Das letztere war um nichts 
weniger gewahrt, wenn sich an das Erste statt der Einheiten sofort 


und gesagt wird, cs entstehe, οὐχ αὐτῶν τῶν ὑπερουσίων αὐτοῦ (Grenze und Un- 
begrenztheit) el; τὴν μίξιν παρειλημμένων, ἀλλ᾽ ἐχείνων μὲν ἐξηοημένων, δευτέρων 
δὲ ἀπ᾽ ἐχείνων προόδων συμφυομένων εἷς τὴν τῆς οὐσίας ὑπόστασιν (S. 137). Nach 
diesen Aeusserungen könnte man glauben, aus dem Urwesen sollen zunächst 
Grenze und Unbegrenztheit, als die überseienden Gründe des Seins, hervor- 
gehen, und eben dieses seien die obenbesprochenen göttlichen Henaden; erst 
zwei aus ihnen hervorgegangene entsprechende Wesen bilden mit dem Ge 
mischten zusammen dio erste intelligible Trias. Allein die Meinung des 
Proklus ist diess nicht. Τοιαύτη μὲν οὖν, sagt er III, 12, 8. 140, .... τῶν νοητῶν 
4 πρωτίστη τριὰς, πέρας, ἄπειρον, μιχτόν. ὧν τὸ μὲν πέρας ἐστὶ θεὸς Ex’ ἄχρῳ 
γοητῷ προελθὼν ἀπὸ τοῦ ἀμεθέχτου καὶ πρωτίστου θεοῦ .... τὸ δὲ ἄπειρον δύναμις 
ἀνέχλειπτος τοῦ θεοῦ τούτδυ .... τὸ δὲ μικτὸν ὁ πρώτιστος καὶ ὑψηλότατος διάχοσμος 
τῶν θεῶν τ. 8. ἡ. Hiemit werden πέρας und ἀπειρία selbst der ersten intelligibels 
Trias beigezühlt; dass sie über dem μικτὸν stehen, und nur durch das aus 
ihnen hervorgegangene in dasselbe eintreten, bezeichnet sie nur als die zwei 
oberen Glieder dieser Triade, denn diess ist ja überhaupt das Verhältniss jedes 
höheren zu dem ticferstehenden. 
1) Die Ausdrücke θεοὶ und ἑνάδες bezeichnen bei ihm ganz stehend, wie 
z. B. Plat. Theol. 124, u. 126, m. Instit. 114 £, überhaupt in der Mehrzahl 
der bisher benützten Stellen, dasselbe. Diess hindert jedoch nicht, dass auch 
von Göttern tieferer Ordnung gesprochen werden kann, wie es ja ausser den 
absoluten Einheiten auch noch andere Einheiten der verschiedensten Art giebt; 
Proklus selbst bemerkt Plat. Theo]. 8. 64, ausser den θεοὶ im ursprünglichen 
Sinn erhalten auch die μετέχοντα τῶν θεῶν diesen Namen. Was für Wesen in 
jedem einzelnen Fall gemeint sind, lässt sich theils aus dem Zusammenhang, 
theils aus den näberen Bestimmungen (θεοὶ νοητοί, ὑπερχόσμοι u. 5. w.) Jeiebt 
abnehmen, die Verwirrung der Begriffe, welche Rırrzr IV, 713 aus Anlass 
dioser Lehre dem Proklus schuldgiebt, kann ich nicht finden. Mau vzl. auch 
die Erklärungen in Parm. IV, 35. Plat. Theol. III, 14, 8. 144, o. Inatit. 129: 
ἢ μὲν ἑνὰς αὐτόθεν θεός: ὃ δὲ νοῦς θειότατον" ἣ δὲ ψυχὴ θεία (ihnlich in Tim. 
261, Β). τὸ δὲ σῶμα θεοειδές. εἰ γὰρ χαὶ ὑπὲρ νοῦν ἐστιν ἅπας ὁ τῶν θεῶν ἀριθμος, 
αἱ δὲ μεθέξεις διὰ τῶν συγγενῶν χοὶ τῶν ὁμοίων ἐπιτελοῦνται" ἣ μὲν ἀμέριστος οὐσ!α 
μεθέξει πρώτως τῶν ὑπερονσίων ἐνάδων π. 8. w. ἣ γὰρ ἑνὰς πρώτῳ μὲν τῷ νῷ δίδωσι 
τὴν ἑαυτῆς ἐξαίρετον ἐν τοῖς θείοις δύναμιν u. 8. w. 
2) Wie Rırres 8. 709 richtig bemerkt, 


Die göttlichen Einheiten. 719 


die intelligibeln Substanzen anschlossen, aber die Götter waren 
höher gestellt, und dem Mystieismus einer transcendenten theolo- 
gischen Spekulation war ein weiterer Spielraum eröffnet, wenn 
nicht blos der Eine Gott, sondern auch ein Theil der vielen Götter 
über alles wirkliche und begreifliche hinausgerückt wurde. Je 
mehr aber die Göttervorstellung an die Stelle des metaphysischen 
Begriffs gesetzt wurde, an den wir bei den Henaden des Proklus 
zunächst zu denken haben, um so weniger liess sich dieser Begriff 
rein festhalten. Wenn daher Proklus nicht blos von der Güte und 
Vollkommenheit, sondern auch von der Macht und Weisheit der 
Götter redet 1), und wenn er die letztere so beschreibt, dass wir 
schliesslich doch nur an eine empirische Allwissenheit denken 
können ?), 80 ist diess eine natürliche Folge von der. Vermengung 
religiöser Vorstellungen mit den metaphysischen Bestimmungen. 
Nun verwahrt er sich allerdings: das Wissen der Götter sei ganz 
anderer Art, als das unsrige; sie erkennen alles einheitlich, aus 
seinen Ursachen, die sie in sich selbst tragen, und daher auch 
das getheilte in ungetheilter, das zeitliehe in zeitloser, das zu- 
fällige in notlıwendiger, das veränderliche in unveränderlicher 
Weise 8). Aber wollen wir auch von der Frage nach der Voll- 
ziehbarkeit dieser Bestimmungen absehen, so wird doch auch 
damit den Göttern doch immer eine Vorstellungsthätigkeit beigelegt, 
die sich mit ihrem durchaus einheitlichen Wesen schlechterdings 
nicht vertragen will, und der Widerspruch, dass abstrakte meta- 
physische Bestimmungen zugleich göttliche Persönlichkeiten sein 
sollen, wird keineswegs beseitigt. 

An die göttlichen Einheiten schliesst sich zunächst das Intelli- 
gible (im weiteren Sinn) an. Dieses zerfällt aber sofort in drei 
Klassen. Schon Jamblich hatte vom Intelligibeln das Intellektuelle 
unterschieden, Theodor das Demiurgische als drittes hinzugefügt; 
Proklus macht das letztere zu einer Unterart des Intellektuellen, 
schiebt aber dafür, um die Stetigkeit der Entwicklung und das 


N 


1) Instit. 119. 121. 

2) Plat. Theol. I, 21, 8. 54 u. Dec. dubitat. c. provid. (Opp. ed. Cousın I) 
8. 94 fi. De provid. (ebd.) c. 50 Schl. c. 52. In Parm. V, 223 ff. 

8) A.d. ἃ. Ὁ. und Instit. 124. Plat. Theo]. 187 m. De malo (Opp. I) 8. 288, 
Aebnlich schon Jamblich; 8. o. 631, 4. 


120 | Proklus. 


Gesetz der Dreitheilung zu wahren, zwischen das Intelligible und 
das Intellektuelle das beiden verwandte, das νοητὸν ἅμα xxi νοερὸν 
ein, und redet demnach auch von dreierlei Göttern dieser Ord- 


nung, den intelligibeln, den intelligibel-intellektuellen und den | 


intellektuellen 1). Das Wesen der ersten Klasse bezeichnet er, 
frühere Unterscheidungen benützend, durch den Begriff des Seins, 
das der zweiten durch den des Lebens, das der dritten durch den 


des Denkens ?); das eigenthümliche der ersten, sagt er, sei die 


Wirklichkeit (ὕπαρξις) oder die Güte, das der zweiten die Kraft, 
das der dritten das Wissen ®); die zweite habe Theil an der er- 
sten, die dritte an der zweiten *); die erste verhalte sich zur 
zweiten, wie die Einheit zur Zweiheit, diese zur letzten, wie die 
Zweiheit zur Dreiheit °). Aber wie alles in allem ist, so ist auch 
das Leben und das Denken im Sein, das Sein und das Denken 
im Leben, das Sein und das Leben im Denken, nur in jedem auf 
seine Weise, in dem ersten in der Weise des Seins, im zweiten 
in der Weise des Lebens, im dritten in der Weise des Denkens; 
das erste enthält die beiden andern als seine Wirkungen, jene 
enthalten dieses als ihre Ursache, an der sie theilhaben u. 5. w. ὅλ 

Schon diese Bestimmungen lauten verwickelt genug. Wir 
müssen aber unserem Scholastiker noch etwas weiter in die Ver- 
zweigung seines Systems folgen. Das Intelligible im engeren Sion 
spaltet sich wieder in drei Triaden. Die erste intelligible Trias 
bezeichnet Proklus durch die Namen der Grenze, des Unbegrenz- 
ten und des Gemischten. Das erste, was aus dem Urwesen (mit 
Einschluss der göttlichen Einheiten) hervorgeht, ist dasjenige Eins, 
welches Princip des Seins ist, oder die Grenze, welche Proklus 
auch die Wirklichkeit (ὕπαρξις) im engeren Sinn nennt; damit 
aber aus dieser das Sein entspringe, muss die Unbegrenztheit oder 
die unendliche Kraft zu ihr hinzukommen, denn wenn alles seiende 
diese beiden Elemente in sich hat, so muss auch alles Sein die 


1) M. vgl. vorläufig die Uebersicht Plat. Theol. III, 14, 8. 148 ὦ. 
2) Instit. 101. 188. Plat. Theol. 8. 127 ἢ u. o. 

8) Plat. Theol. IV, 1. 8. 180 o. in Tim. 118, E. 

4) Plat. Theol. a. a. O. 

5) In Tim. 6, C. 

6) Instit, 108. Plat. Theol. III, 9, S. 185. V, 15, 8. 275. 


. ———— 


Das Intelligible. 781 


absolute Grenze und die absolute Unbegrenztheit vor und über 
sich haben !). Für die letztere will sich Proklus in gewissem Sinn 
auch den Namen der Materie gefallen lassen, und er will insofern 
Plotin’s Lehre von einer intelligibeln Materie nicht unbedingt ab- 
weisen; strenggenommen jedoch, bemerkt er, sei diese Bezeich- 
nung nicht passend, da das Unbegrenzte im Intelligibeln nicht ein 
bestimmungsloser Stoff, sondern die unendliche Kraft sei 9. Das 
gemeinsame Produkt aus der Grenze und dem Unbegrenzten und 
das erste wirklich Seiende ist das Gemischte oder das Wesen 
(οὐσία) 8); in anderem Sinn lässt sich aber auch sagen, das Ge- 
mischte enthalte die Grenze und Unbegrenztheit als seine Ele- 
mente in sich, nur dürfen wir diese Elemente des Seienden mit 
den gleichnamigen Principien desselben, aus denen sie herstam- 
men, nicht verwechseln *). Die gleichen Bestandtheile lassen sich 
aber auch auf allen übrigen Stufen des Seins nachweisen, wie 
ja überhaupt das höhere in allem, was unter ihm ist, wiederkehrt: 
am Himmel z. B. zeigt sich die Unbegrenztheit in der Endlosigkeit 
seiner Bewegung, an der Materie zeigt sich neben der Unbegrenzt- 
heit die Grenze in der Form und der Ganzheit u. 5. w. °). Doch 
darf man daraus nicht schliessen ®), dass das Begrenzte und Un- 
begrenzte von Proklus nicht als Substanzen im eigentlichen Sinn, 
sondern nur als die allgemeinen (formellen) Principien alles Seins 
betrachtet werden. Diese Behauptung widerstreitet seinen be- 
stimmten Erklärungen 79, und kann sie sich auch darauf stützen, 
dass Proklus einmal alle Götterreihen, ohne nähere Bestimmung, 


1) Instit. 89 fl. Plat. Theol. III, 7, 8.182 f. IH, 20, 168 £. IV, 1, 180. In 
Cratyl. c. 42. In Remp. 8. 878, m. 874, u. 886, m. In Parm. VI, 99. 8. auch 
oben 8, 717, 4. 

4) Plat. Theol. 187, u. 188, o., wosu das 8. 468 über Plotin bemerkte zu 
vergleichen ist. Die himmlische Materie, von der nach Proklus in Alcib. Opp. 
IH, 196 Cous. Kräfte in die irdische tiberfliessen, gehört nicht hieher: mit ihr 
ist der Stoff gemeint, aus welchem die himmlischen Sphären bestehen. 

8) Plat,. Theol. Il], 9, 8. 185 £. 

4) Plat. Theol. III, 10, 8. 189 und oben 8. 717, 4. 

δὴ) In Parm. VI,99 ff., wo sehen Arten der Unbegrenztheit und ebensoviele 
Arten der Grenze aufgezählt werden. In Tim, 117, B. 

6) Mit Vacneeor II, 282 £. 

7) Z. B. Plat. Theol. III, 12. c. 20, 8. 164 0. und in der 8. 717,4 ange- 
führten Stelle aus co. 7, 8. 182. 

Philos. ἃ, Gr. III. Bd. 9. Abth. 46 


«- 


123 Proklus, 


aus der Grenze und der Unbegrenztheit ableitet 1), so ergiebt sick 
doch die Beschränkung auf die Götter der intelligibeln und der 
niedrigeren Ordnungen, die er anderwärts auch beifügt 3), aus 
dem Zusammenhang seiner Lehre von selbst. In dem Gemischten 
oder Seienden werden als seine drei Momente die Symmetrie, die 
Wahrheit und die Schönheit hervorgehoben; die erste soll bewir- 
ken, dass es Eines ist, die zweite, dass es wahrhaft (ὄντως) ist, 
die dritte, dass es denkbar ist ®). 

Die vorstehende Probe wird genügen, um ein Bild des Ver- 
fahrens zu gewähren, das Proklus bei der Ausführung seines 
Systems beobachtet. Wir dürfen von ihm nicht allein keine in- 
duktive Begründung, sondern auch keine rein dialektische Ent- 
wicklung, keine streng logische Ableitung seiner Bestimmungen 
erwarten. Das allgemeine Schema des Systems, der Grundsatz 
der triadischen Gliederung, steht ihm zum voraus fest; die wich- 
tigsten Begriffe sind ihm gleichfalls durch die Ueberlieferung sei- 
ner Schule gegeben; seine logische Virtuosität zeigt sich nur in 
der Folgerichtigkeit und dem Scharfsinn, mit dem er dieses ge- 
gebene nach jenem Schema ordnet, die Lücken des Systems aus- 
füllt, die verwandten Begriffe unterscheidet; aber in allen diesen 
Beziehungen ist es weit weniger die Natur der Sache, als die 
Consequenz der neuplatonischen Lehre, die er zu Rathe zieht: 
er entwirft ein künstlich gegliedertes, durch einen festen Schema- 
tismus beherrschtes, in’s verwickeltste Detail ausgearbeitetes Lehr- 
gebäude, aber es fehlt ihm dabei an der Grundlage realer Begriffe, 
und der scheinbare Zusammenhang der einzelnen Bestimmungen 
löst sich, wenn man näher zusieht, in eine äusserliche Analogie, 
oder im besten Fall in jene relative Nothwendigkeit auf, die darin 
besteht, dass auf unbewiesene Voraussetzungen formell richtige 
Schlüsse gebaut werden. Diese Mängel treten um so stärker her- 
vor, je tiefer der Philosoph mit seinen Constructionen in’s beson- 
dere herabsteigt; noch auffallender ist die Willkühr, mit der er 


1) Instit. 159. 

3) Z. B. in Tim. 134, F. 

8) Plat. Theol. III, 11.8. 189 ἢ, vgl. 8. 186 u. In Remp. 488. Der let» 
tern Stelle zufolge hatte Proklus, wie schon früher bemerkt wurde, diesen 
„drei Einheiten“ eine eigene Abhandlung gewidmet, 


Das Intelligible. 728 


die Götter des Volksglaubens seinen abstrusen metaphysischen 
Begriffen gleichsetzt; und da er nun überdiess den Grundsatz auf- 
stellt, dass jeder Göttername ausser dem Wesen, auf welches er 
zunächst geht, auch jedes ihm analoge, seine Eigenthümlichkeit 
auf einer tieferen Stufe wiederholende Wesen bezeichnen könne Ἶ), 
so macht er sich nichts daraus, eine und dieselbe Gottheit in der 
verwirrendsien Weise auf eine ganze Reihe jener metaphysischen 
Begriffe zu deuten, von der ihr je nach Bedürfniss bald dieses 
bald jenes Glied entsprechen soll. In alle Einzelheiten dieses theo- 
logisch-metaphysischen Systems kann ich jedoch hier nicht ein- 
gehen, ich muss mich vielmehr auf eine gedrängte Uebersicht 
seiner Hauptergebnisse beschränken. 

Die zweite intelligible Trias nennt Proklus das intelligible 
Leben (νοητὴ ζωὴ), oder auch die Ewigkeit (αἰὼν); zur ersten 
soll sie sich verhalten, wie das Viele zum Einen, das dem Un- 
begrenzten verwandte zum Begrenzten; wie wenig ihr der Philo- 
sopb einen bestimmten Inhalt zu geben weiss, sieht man daraus, 
dass ihr erstes Glied wieder das Eine, die Wirklichkeit, die Grenze 
genannt wird, das zweite das Unbegrenzte oder die Kraft, das 
dritte mit dem Namen des Ganzen das Leben ?). In der dritten 
Triede dieser Ordnung, welche innerhalb des Intelligibeln dem 
Nus entspricht, erzeugt die Einheit zuerst eine Vielheit, aber eine 
ideelle, von der Einheit umfasste; sie ist die Welt der intelligibeln 
Ideen, die paradigmatische Welt, das αὐτοζῷον des Timäus 8). 


1) In Remp. 874, m. 415, m. vgl. in Aleib. Opp. I, 186 Cous. 

2) Plat, Theol. 111, 18, 8. 141; über den Aeon ebd. 0.16, 8.146. In Tim. 
241,B ff. Proklus selbst bemerkt jene Wiederholung, und sucht sie in der 
ersten von diesen Btellen damit zu rechtfertigen, dass die sweite Trias διὰ τῶν 
ἀναλόγων (90 ist nämlich statt ἀλόγων zu lesen) τῇ πρὸ αὐτῆς συμπληρουμένη, τὴν 
ἀνάλογον τῇ πρώτη ἔχφανσιν λαχοῦσα sei. Aber auf diesen Grund hin müssten 
sich durch das ganze System die gleichen Bezeichnungen wiederholen, denn 
jede Trias soll der nächstvorangehenden analog (aber keine ihr gleich) sein. 

8) Plat. Theol. III, 14 f. in Tim. 268, Ο #. Die Ideenlehre hat übrigens 
für Proklus lange nicht die Bedeutung, wie für Plato, von dem er sich auch 
in ihrer näheren Bestimmung nicht unerheblich entfernt. Er widerspricht mit 
Syrian der Verwechslung der Ideen mit den allgemeinen Begriffen und den 
Keimformen (in Parm, Opp. IV, 151 ἢ. Υ͂, 188), unterscheidet aber verschiedene 
Arten von Ideen (ebd. V, 240 vgl. B. 26. 34. 170 u. a.): die intelligibeln im 
αὐτοζῷον, die demiurgischen, welche im Verstand des Weltschöpfers shren 

46* 


124 Proklus. 


In jeder intelligibeln Triade wird das erste Glied, welches der 
Grenze entspricht, Vater genannt, das zweite, dem Unbegrenztea 
entsprechende, Kraft, das dritte, aus beidem gemischte, Denken ἢ 

Es folgen die intellektuell-intelligibeln Götter, deren allge- 
meine Eigenthümlichkeit das Leben, die unendliche, vervielfäl- 
tigende, zeugende Kraft ist, in denen das Moment des Hervor- 
gangs über die zwei anderen (das der μονὴ und der ἐπιστροφὴ) 
vorherrscht, welche desshalb auch weibliche Götter genannt wer- 
den 3). Die erste Reihe dieser Ordnung bilden die Urzahlen, die 
als das Bindeglied zwischen der einheitlichen intelligibeln und der 
unterschiedenen intellektuellen Welt hier zuerst zum Vorschein 
kommen 5); als die drei Glieder dieser Reihe nennt Proklus das 
ἕν, das ἕτερον und das ὄν, indem er aus der Zahl und den mög- 
lichen Combinationen dieser Begriffe herauskünstelt, dass in ihnen 
drei Monaden, drei Dyaden und drei Triaden enthalten seien %); 
von den Urzahlen, die wir hier haben, werden die aus ihnen ent- 
sprungenen Gattungen der Zahlen, die intellektuellen, seelischen 
u. 8. f. unterschieden °). Die zweite Trias, die der zusammenhal- 
tenden (suvexrixol) Götter, wird durch drei Begriffspaare bezeich- 
net: das Eine und das Viele, das Ganze und die Theile, das Be- 
grenzte und Unbegrenzte °). Die dritte Trias nennt Proklus die 
der vollendenden Götter (θεοὶ reissıoupyot); ihre drei Glieder, in 
denen der Unterschied des Intelligibeln, Intellektuellintelligibeln 
und Intellektuellen wieder auf einförmige Weise zum Vorschein 
kommt 7), will ich hier nicht aufzählen. Von Plato soll im Phä- 
drus die erste Trias der intellektuell-intelligibeln Götter der über- 


ursprünglichen Ort haben, die, welche den θεοὶ ἀφομοιωματιχοὶ zukommen 
u.s.w. Den Umfang der Ideen beschränkt Proklus mit Plotin u. a. auf die 
natürlichen Dinge, von der Seele bis zur Matcrie herab, von zufälligem da- 
gegen, von schlechtem und von blossen Kunsterzeugnissen giebt es ibm zu- 
folge keine Ideen; in Parm. V, 41—68. In Remp. 867, m. 

1) Plat. Theol. III, 21, Anf. 

2) Ebd. IV, 1 ὦ, 0.10, 8. 196, 

8) Ebd. c. 28 f. 

4) A.a. Ο. ὁ. 81. 

δ) Α. 8. Ο. c. 29, S. 225. 226 m. 

6) Α. ἃ. Ο. c. 35; in Tim, 265, B. 

7) Plat, Theol. IV, 87. 


Die intellektuellen Götter. TZ3\ 


himmlische Ort genannt werden, die zweite der Himmel, die dritte 
das Gewölbe unter dem Himmel (ὑπουράνιος ἀψίς) 3). 

Zu einer äusserst verwickelten Construction geben dem Pro- 
klus die intellektuellen Götterordnungen Anlass, welche den Ueber- 
gang des Intelligibeln an das getheilte Sein und die besonderen 
Kräfte vermitteln 5. Wie das Intelligible nach der Dreizahl, so 
sind diese — Proklus folgt hierin dem Jamblich — nach der 
planetarischen Siebenzahl gegliedert; von den drei Elementen 
nämlich, die auch hier zu unterscheiden sind, dem väterlichen 
(πατρικὸν), dem bewahrenden (ἄχραντον) und dem trennenden 
(διακριτικὸν), theilt sich das erste und zweite dem allgemeinen 
triadischen Schema (μονὴ, πρόόδος, ἐπιστροφὴ) und der Unterschei- 
dung von Sein, Leben und Denken entsprechend in je drei Glie- 
der, wogegen das dritte einheitlich bleiben soll; nur begnügt sich 
Proklus, nach seiner Weise, nicht mit dieser einfachen Theilung, 
sondern jedes einzelne Glied wird nach dem gleichen Schema 
wieder getheilt, und so erbalten wir im ganzen sieben intellek- 
tuelle Hebdomaden °). Die erste von diesen Hebdomaden, oder 
vielmehr das erste, umfassende und beherrschende Glied der 
ersten, ist der reinste Verstand, der Kronos der Mythologie *); 
die zweite ist die lebengebende Kraft, welche die Ursächlichkeit 
der ersten zur Entfaltung sollicitirt, die Rhea °); an der Spitze 
der dritten steht Zeus °), oder der Demiurg, der denkende Geist 
(νοῦς vospög αὐτόνους u. 8. f), der weltschöpferische Verstand, 
welcher alle Gattungen des Seienden und alle schöpferischen Kräfte 
in sich befasst ?), und in die untergeordneten demiurgischen We- 
sen (die νέοι δημιουργοὶ, 8. u.) ausströmt 5); die drei ersten Glie- 
der dieser demiurgischen Hebdomade nennt Proklus väterliche, 


1) A. ἃ. 0.0. 4—10. 0. 16, 8. 216 m. 217 m. 

2) A..0.V,1. 

8) Ebd. V, 2. vgl. co. 87. 

4) Ebd. ο. 8 ff, wo auch der von Proklus oft berührte Mythus über die 
Fesselung des Kronos gedeutet wird. Weiteres über Kronos, Rhea und ihre 
Geschwister in Tim. 295, B fi. 

5) Plat. Theol. V, 11. 

6) Nämlich der erste Zeus, von dem aber Proklus noch verschiedene an- 
dere unterscheidet, in Tim. 297, C £. 

7) Plat. Theol, V, 12 £. in Tim. 94, F folg. u. o. 

8) Plat, Tbeol. V, 18 u, a, St. 


726 Proklus. 


die drei folgenden mütterliche oder zoogonische Kräfte, und auf 
die erste von den letztern, die Quelle des seelischen Lebens (my 
ψυχῶν), deutet er jenes Mischgefäss des Timäus, welches den 
Scharfsinn der Neuplatoniker sosehr beschäftigt hat 1). Diesen 
drei obersten Ordnungen der intellektuellen Götter entspricht eine 
Trias bewahrender Gottheiten (θεοὶ ἄχραντοι, ἀμείλικτοι, φρουρη- 
τικοὶ), deren Geschäft darin besteht, sowohl die drei nächst 
höheren, als die sämmtlichen niedrigeren Ordnungen in ihrer 
Stelle zu erhalten; mythisch sind sie theils in der Athene, theils 
in der Kore und den Kureten dargestellt 5). Den Schlusspunkt 
der intellektuellen Reihe bildet die Kraft, welche die oberste 
Ursache der Theilung ist, durch die das Intellektuelle in das 
Seelische übergeht 9). 

Ueber das Wesen der Seele stellt Proklus im allgemeinen 
die gleichen Bestimmungen auf, wie schon Plotin, indem er sie 
als das Mittelglied zwischen dem Sinnlichen und dem Intelligibela 
bezeichnet, das vermöge dieser mittleren Stellung alle Dinge 
theils abbildlich theils urbildlich in sich enthalte 4); ihre Unkör- 
perlichkeit, ihre Unvergänglichkeit, ihre selbständige Lebenskraft 
wird nach Plato gelehrt °); selbst die Seelen, welche in einem 
Leib wohnen, sind nur ihrer Thätigkeit nach in der Zeit, aber 
ihrem Wesen nach ewig 5). Vom Körperlichen unterscheidet sich 
die Seele und das Geistige überhaupt wie das thätige vom leiden- 
den ?); als das eigenthümliche Merkmal des geistigen Seins be- 
zeichnet Proklus das Vermögen, sich in sich zurückzuwenden °). 
Alle gleichartige Seelen hängen von Einem idealen Urbild ab, das 
sich bei den göttlichen nur in Einem, bei den tieferstehenden in 


 ——— Ὁ.-:-0Ὀ.ὃ.ὃᾧὃἅ0..---. 


1) A.a.0. 0c.80—82; in Tim. 815, B ff. Von der πηγὴ ψυχῶν hatte schon 
Theodor gesprochen (s. ο. 8. 656), aber das Mischgefäss hatte er auf seine 
swei ersten Seelen gedeutet (Paoxt. in Tim. 814, F). Proklus folgt, wie er 
selbst sagt, Syrian; s. o. 696, 3, 

2) Plat. Theol. V, 33—85. c. 88. VI, 11, 8. 870 unt. VI, 18, 8.582. Im 
Tim. 51,C 8. 884, C. 

8) Plat. Theol. V, 86. 89. 

4) Instit. 190. 194 ff. In Tim. 817, Bu. ὅ. 

6) Instit. 196 ff. 

6) Ebd. 191; über Zeit und Ewigkeit ebd. 58 ff. 

7) Ebd. 80. 

8) Ehd. ı6. 


Die Seele, 17127 


vielen Abbildern darstellt; aus der Idee der sonnenhaften Seele 
z. B. ist zunächst die Seele der Sonne selbst, weiterhin sind daraus 
alle übrigen sonnenhaften Seelen hervorgegangen '). Die Ent- 
stehung der Seele aus der theilbaren und untheilbaren Substanz 
und ihre Gliederung nach den harmonischen Verhältnissen wird 
im Anschluss an den Timäus ausführlich dargestellt 3), und die 
Seelen selbst nennt Proklus auch Zahlen 5). Jene harmonischen 
Verhältnisse werden ihm aber auch wieder, nach seiner Weise, 
zu Substanzen und Kräften *), aus deren verschiedener Verthei- 
lung er die Verschiedenheit der Seelen ableitet °). Iın besondern 
nennt er die drei Hauptklassen von Seelen, die uns schon oft 
begegnet sind, die göttlichen, die dämonischen und die mensch- 
lichen °); jede von diesen Hauptgattungen zerfällt aber wieder. 
in mehrere Unterarten. Unter den göttlichen Seelen sind die θεοὶ 
ἡγεμονικοὶ, die θεοὶ ἀπόλυτοι und die θεοὶ ἐγκόσμιοι zu unterschei- 
den. Die hegemonischen Götter 7), welche auch ähnlichmachende 
(ἀφομοιωματιχοὶ) heissen, weil sie das Geschäft haben, dem Sinn- 
lichen das Bild der Idee aufzuprägen °), theilt Proklus in vier 
Triaden; die erste von diesen ordnet, wie er sagt, das Weltganze, 
die zweite leitet die Ströme des Lebens in seine einzelnen Theile, 
die dritte führt die Dinge zu ihrem Urheber zurück, und die vierte 
versieht das Geschäft der bewahrenden Götter auf dieser Stufe 9). 
In der ersten erhält der zweite Zeus unter den drei Gestalten des 
Zeus, Poseidon und Pluto seine Stelle 1%), in der zweiten die zweite 
Kore, die sich im besondern theils als Persephone, theils als 


1) In Parm. IV, 44 f. In Tim. 50, C. 819, Ὁ. 

3) In Tim. 176, Ο ff. vgl. 842, D’f.; doch sollen es (ebd, 205, A) nicht 
mathematische, sondern höhere Zahlen und Verhältnisse sein, aus denen die 
Seele besteht. 

8) In Tim, 819, Ὁ: jede göttliche Seele sei eine einheitliche Zahl, in 
ihrer Entfaltung bringe diese die ihr untergeordneten Seelen hervor, deren 
Kraft mit ihrer Vervielfältigung abnehme, 

4) In Tim. 842, D “ὦ. 

5) M. s. die orkünstelte Deduktion in Tim. 310, C. 

6) A. a. O. und 8. 817, B. Instit, 184. 

7) Ueber sie Plat. Theol. VI, 2 £ 

8) A.a.0.c.Buo, 

9) Ebd. co. 5, Schl, 

10) Ebd, ο. 6-10, 


38 Proklus. 


Athene (nämlich die Κορικὴ ᾿Αθηνᾶ, von der gleichnamigen hö- 
heren zu unterscheiden) darstellt 1), in der dritten Helios-Apollo 
nach seinen verschiedenen Kräften ®), in der vierten die Kory- 
banten 5). Die Vermittler zwischen diesen überweltlichen Wesen 


und den innerweltlichen Theilgöttern sind die θεοὶ ἀπόλυτοι 4). 


Auch sie ordnet Proklus, wiewohl er sie unzählbar nennt ὅ), 
gleichfalls in vier Triaden, in denen nun erst die zwölf Olympier 
ihren Platz finden: schöpferische (Zeus, Poseidon, Hephäst), be- 
wahrende (Hestia, Athene, Ares), lebenzeugende (Demeter, Here, 
Artemis), und anagogische (Hermes, Aphrodite, Apollo) 5). Die 
innerweltlichen Götter unterscheiden sich von allen übrigen da- 
durch, dass sie mittheilbar (μεθεχτοὶ) sind, d. h. dass sie einen 
Leib haben 1); ihre zwei Hauptklassen sind die Sterngötter und 
die Götter unter dem Monde, oder die Elementargötter, welche 
die Welt des Werdens unter sich haben; auch die letzteren haben, 
wie alle Seelen, Lichtleiber, die sie nur für gewöhnlich in ele- 
mentarische Stoffe verhüllen 9. 

Dieser untersten Götterklasse sind zunächst die Dämonen 
untergeben, denn jeder innerweltliche Gott hat eine Anzahl von 
Dämonen und Theilseelen unter sich, denen er seine eigenthüm- 
lichen Kräfte mittheilt, und die nach ihm genannt werden ?). 


1) Ebd.c. 11. Die Identificirung der Athene mit Kore, und die Unter- 
scheidung dieser Athene von der höheren stammt aus der orphischen Theolo- 
gie; vgl. Arusmas. Bupplic. pro Christ. ο. 20, Ueber Athene und Artemis vgl. 
m. auch in Remp. 858, o. 

3) Pl. Th. VI, 12. 

8) Ebd, ο. 18. 

4) A.2.0.015 fl. 

δὴ Ebd. ο. 17, 8. 893 und c. 18, 895 m. 

6) Ebd. ο. 22. Uober einen Theil dieser Götter, Zeus, Apollo, Ares, 
Hermes, sowie über Asklepios, auch in Remp. 867 u. 

7) In Tim. 801, E vgl. Instit. 196. 

8) In Tim. 298, E ff. vgl.42,0. Die Platonische Theologie, deren Schluss 
fehlt, lässt uns hier im Stiche, 

9) In Alcib. Opp. ed. Cous. II, 186. Sonst sagt Proklus wohl auch, alle 
göttlichen Seelen, oder noch allgemeiner, alle Götter haben entsprechende 
Dämonenschaaren unter sich (Jenes Instit, 204 vgl. Plat. Theol. VI, 4, 8. 852 
unt. in Tim. 290, A fi. ebd. 42, C, Dieses in Tim. 18, C. 290, B), aber nach 
den Grundsätzen des Systems kann diess nur von einem mittelbaren Zusam- 
menhang verstanden werden; vgl.inCrat,c.118, Die Annahme, dass Dämonen 


Die Dämonen. 739 


Genauer jedoch sind es, nach der allgemeinen Annahme der jün- 
geren Neuplatoniker, drei Klassen dämonischer Mittelwesen, die 
zu einander wieder im Verhältniss der Ueber- und Unterordnung 
stehen, die Engel, die Dämonen im engeren Sinn, und die He- 
roen !). Die Vorstellungen des Proklus über diese Wesen unter- 
scheiden sich in nichts von der herkömmlichen Fassung, welche 
dieser Theil des Volksglaubens bei den Philosophen schon längst 
erhalten hatte; dass er die gesammte irdische Welt nur durch ihre 
Vermittlung verwaltet werden lässt 5), und dass auch die Ver- 
nunft des Menschen zunächst von seinem Dämon aus zu ihm ge- 
langen soll, ist ganz folgerichtig °); der Annahme böser Dämonen 
widerspricht er ausdrücklich %), aber doch sollen nicht alle Dä- 
monen gleich vernünftig und gleich rein von der Materie sein; 
die unterste Klasse derselben beschreibt Proklus als vernunftlose 
hylische Geister, von welchen die in die Materie versunkenen 
Seelen gequält werden °). Was er von den Schutzgeistern der 


und ausgezeichnete Menschen den Namen der Gottheit führen, der sie zunächst 
dienen, und dass die ersteren auch wohl in den Lichtleibern der gleichnamigen 
Götter erscheinen (in Remp. 415 m., in Betreff der Engel), benützt Proklus 
zur historischen Erklärung von Mythen, die er nach seinen Ansichten nicht 
anf die Götter beziehen kann; die Athene z. B., welche dem Odysseus er- 
schien, war einer von den athenäisohen Dämonen, der Mensch Herakles führte 
den Namen seines Schutzgotts; in Crat. 73. 79. Vgl. auch 8. 723, 1. 

1) M. vgl. über dieselben, ausser vielen beiläufigen Erwähnungen, die 
Hauptstelle in Tim. 290, A ff., auch ebd. 42, C und in Cratyl. c. 128, 

2) In Tim. 299, Ὁ. 

8) Ebd. 821, E£ 

4) De malo (Opp. I) 8. 218 ff. 

5) In Alcib. Opp. II, 185 vgl. 121. In Cratyl. 6. 72. 121. 128. In Remp. 
870 m. Die Dämonen, welche mit der Verwaltung der irdischen Dinge be- 
auftragt sind, theilt Proklus in Alcib. 8. 193 in sechs Klassen, die ich nicht 
aufzählen will. In Remp. 859 u. (auch in Hes, Opp. et Di. V. 250, 8.65, a,u. 
Heins.) werden die δαίμονες κατ᾽ οὐσίαν und κατὰ σχέσιν unterschieden; unter 
jenen versteht Proklus die eigentlichen Dämonen, unter diesen Menschen- 
soelen, welche zu Dämonen geworden sind. Die ersteren sind theils ver- 
nünftige theils vernunftlose (d. b. blosse Naturgeister); beide aber sind 
irrthumslos: die einen, weil sie nur für die Wahrheit, die andern, weil sie 
weder für Wahrheit noch für Unwahrheit empfänglich sind. Nur die δαίμονες 
χατὰ σχέσιν können nicht allein selbst irren, sondern auch ihre Verehrer 
täuschep, 


730 Proklins. 


verschiedenen Wesen 1), von den Lichtleibern der Dämonen, τοὶ 
ihren Wanderungen durch die Elemente, und von den element- 
rischen Leibern sagt, die sie dabei annehmen ?), kann seine 
Zusammenhang mit grobem Volksaberglauben nicht verläugne. 

Die dritte Hauptklasse der Seelen bilden diejenigen, welch 
weder selbst göttlicher Natur sind, noch auch unverändert des 
Göttlichen folgen, sondern von Zeit zu Zeit von der Vernünfig- 
keit zur Unvernunft übergehen, die Theilseelen, wie sie von Prok- 
lus genannt werden, zu denen auch die menschlichen gehören ἢ 
Du sich jedoch die Untersuchung über diese von der Betrachlung 
ihres irdischen Lebens nicht trennen lässt, so müssen wir vor der 
weiteren Erörterung dieses Gegenstands erst auf die Naturansichl 
unseres Philosophen einen Blick werfen. Ich werde mich aber 
hierüber um so kürzer fassen können, da Proklus die Lehre s&- 
ner Schule in dieser Beziehung fast nur wiederholt, und diesen 
ganzen Gebiet überhaupt weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt 
hat, als seiner theologischen Metaphysik. 

Was zunächst die allgemeine Grundlage des natürlichen Ds- 
seins betrifft, so leitet Proklus die Materie nicht mit Plotin *) aw 
der Abschwächung der untersten geistigen Kraft her, sondern er 
lässt sie aus den letzten Gründen, aus der Unbegrenztheit, welche 
in der ersten intelligibeln Trias ihren Sitz hat, unmittelbar her- 
vorgehen 5); eine Annahme, welche zwar mit dem Satze °), das 


1) Z. B. in Crat. 6, 118. 

2) In Tim. 84, E ff. vgl. in Crat. ο. 78. In der ersten von diesen Btellea 
wird Phaöthon auf einen Dämon der Heliosreihe gedeutet, welcher dessbalb 
auch ein ἡλιαχὸν ὄχημα gehabt, aber beim Herabkommen in die Welt eis 
feurige Umhüllung angezogen, und dadurch gewisse Theile der Erde in Brasd 
gesteokt habe. Die zweite kennt neben den ᾿Αθηναϊχαὶ ψυχαὶ (so ist nämlich 
statt: ᾿Αθηναΐ χαὶ ψυχαὶ zu lesen), auf welche die Erscheinungen der Ather 
bei Homer zurickgeführt werden, auch bocksfüssige Pane, die den Mensch“ 
erscheinen. Aus der Stelle in Crat. 72 erfahren wir, dass die höheren Din* 
nen kugelförmige, die hylischen aufrechte Leiber haben, und dass die Dis? 
nen, wie die Götter, die Gebete nicht Ausserlich, sondern geistig vernekmeh 
sofern sie unsere Gesinnung und die Aeusserungen derselben vorkermisse®. 

8) Instit. 184. In Tim. 210, C. 817, B. 

4) Ueber welchen 8.490 z. vgl. - 

δ) Plat. Theol. 281 u.: die Materie habe der Demiurg nicht geschafe 
sondern als Erseugniss eines über ihm stehenden Gottes vorgefunden. Up” 
οὖν καὶ A ὕλη καὶ πᾶν τὸ ὑποχείμενον τῶν σωμάτων ἄνωθεν ἀπὸ τῶν zpurim! 


Die Theilsseelen. Die Materie 731 


die Wirkungen der höheren Ursachen tiefer herabreichen, als die 
der niedrigeren, übereinstimmt, welche aber mit dem Grundge- 
danken des neuplatonischen Systems, dem durchaus stetigen stufen- 
weisen Hervorgang alles Seins aus dem Urgrund, unverträglich 
ist. Hiemit hängt auch der Widerspruch gegen die Behauptung, 
dass die Materie das Urböse sei, zusammen !); nach Proklus ist 
sie, für sich genommen, weder gut noch böse, sondern blos noth- 
wendig, im Verhältniss zu anderem dagegen kann sie sowohl gut 
als böse genannt werden: jenes, weil auch sie um des Guten wil- 
len da ist, dieses, weil sie vom Guten am weitesten entfernt ist 3). 
Er hält sich also hier mehr an Aristoteles, als an die platonische 
Lehre, so wie diese seit dem Aufkommen des Neupythagoreismus 
gewöhnlich verstanden wurde. Zwischen das Körperliche und die 
Weltseele stellt Proklus, wie andere, die Natur, als eine unkör- 
perliche, aber von den Körpern untrennbare, bewusstlose Kraft, 
welche die Formen (λόγοι) derselben in sich trage Ὁ; seine ganze 
Naturbetrachtung ist aber, wie sich diess nicht anders erwarten 
liess, weit weniger physikalisch, als theologisch und teleolo- 
gisch *), und Aristoteles wird ausdrücklich von ihm getadelt, weil 
er die theologischen Ursachen vernachlässige, und sich allein mit 
den physikalischen beschäftige°). Die schöpferische Wirkung, de- 
ren Erzeugniss die Welt ist, denkt er sich, mit Plotin, weder als 
eine absichtliche und bewusste ®), noch als eine zeitliche: die 
Annahme eines Weltanfangs wird von ihm lebhaft bekämpft °). 


ἀρχῶν, αἷ δὴ διὰ περιουσίαν δυνάμεως ἀπογεννᾷν δύνανται καὶ τὸ ἔσχατον τῶν ὄντων. 
Ebenso, mit der gleichen Begründung, Instit. 72. In Tim. 117, Β. 

6) Worüber 8. 714 κ. vgl. 

1) Vgl. in Tim. 117, C: von der ersten ἀπειρία aus (über die 8. 720 f, ge- 
sprochen wurde) erstrecke sich nach Plato ihre ἔλλαμφις bis in’s unterste Bein 
herab, die Materie gehe daher ihm zufolge aus dem iv ὄν hervor, soferne dieses 
ein δυνάμει ὃν sei. Διὸ καὶ ἀγαθὸν πή ἐστι καὶ ἄπειρον u. 8. W. 

2) De mal. subsist. (Opp. I) 8. 241 ff. s. bes. 251 ζ, vgl. ebd. 8. 207. 

8) In Tim. 4, C ff. vgl. in Parm. IV, 153 (über die λόγοι σπερματιχοί). 

4) M. vgl. seine eigenen Erklärungen in Tim. 68, A. 67, A. 

δὴ Ebd. 90, D. 

6) In Parm. V, 6 f. Doch wird zugleich auch behauptet, der Demiurg 
schaffe mit Bewusstsein, er erinnere sich dessen, was er geschaffen, er schaue 
seine Geschöpfe in sich selbst, und schaffe. eben durch sein Denken; in Tim. 
9, C. 98, A. 289, C. 807, B. 

7) In Tim. 85, A ff, 116, Β Ε΄, 826, A. Proklus’ Bestreitung der christ- 


733 Proklus. 


Die Lehre Plato’s von den schöpferischen Untergöttern, welche 
das getheilte und vergängliche Sein hervorbringen, bezieht er auf 
das Verhältniss des Demiurg zu den innerweltlichen Gottheiten ἢ). 
Der Glaube an die Beseeltheit und Göttlichkeit der Welt und der 
einzelnen Weltkörper fehlt natürlich auch bei ihm nicht 9, Ein 
körperliches und beseeltes Wesen soll auch der Raum sein. Der- 
selbe besteht nämlich nach Proklus °) aus dem feinsten Lichte; 
und da nun das Licht ein immaterieller Körper ist *), so kann es, 
wie er glaubt, die Materie in sich aufnehmen, obne dadurch zer- 
theilt zu werden, so dass demnach die zwei kugelförmigen Körper 
der Welt, ihr Lichtkörper und ihr materieller Körper, vermöge 
ihrer gegenseitigen Durchdringung in demselben Ort sind. Als 


lichen Lehre von der Schöpfung ist uns (wie schon 8. 708, 1 bemerkt wurde) 
durch des Johannes Philoponus Gegenschrift ziemlich genau bekannt; eine 
Uebersicht der Gründe, deren sich Proklus hier bedient hatte, giebt Vacezeor 
II, 850 £. 

1) Plat. Theol. V, 18, 8. 284 ὦ, In Tim. 186, A fi. 

2) Z.B. in Tim. 101, D. 125, C. u. ο. Daher die Sympathie aller Theile 
der Welt; in Tim. 234, C. Von der Göttlichkeit der Gestirne war schon 
8. 728 die Rede; in Crat. 125 werden die Christen, welche sie läugnen, als 
ἐχτετοπισμένοι τῆς χαθ᾽ ἣμᾶς οἰχουμένης hart angelassen. Ebenso heisst die Erde 
in Tim. 278, B ein ζῷον dsiov. Selbst ein sinnliches Wahrnohmungsvermögen 
wird der Welt und den Himmelskörpern beigelegt a. δ. Ὁ. 164, Ὁ δ. 165, D 
u. d. In Remp. 415, m. In Crat. c. 76. Oururıon. in Phad. 8, 22. Dieses 
Wahrnehmen soll aber freilich (wie namentlich in Tim. 164, D ff. auseis- 
andergesetst wird) von dem unsrigen ganz verschieden sein, eine rein inner- 
liche und einheitliche Empfindung des sinnlichen Wesens der Dinge, die durch 
keine Sinnesorgane vermittelt ist, und sich überdiess nur auf Gesichts- und 
Gehörempfindungen beziehen soll, und zwar so, dass Gehör und Gesicht nicht 
getrennt seien (in Tim, 165, C); in Crat. 76 wird diese Beschränkung auch 
damit bewiesen, dass das Gesicht im Mond zwar Augen und Ohren, aber kei- 
neg Mund und keine Nase habe, 

8) Bei βιμρω Phys. 142, a, u. — 148, b, o. (vgl. 140, b, ο. 150, b, m.). 
Am Anfang dieser Stelle bemerkt 8. ausdrücklich, Proklus sei seines Wissens 
der einzige, welcher den Baum für einen Körper erklärt habe. 

4) Als solcher wird es wenigstens hier behandelt; für ganz immaterlell 
scheint aber Proklus nur das reine, himmlische, nicht das vom Feuer aus- 
gehende Licht gehalten zu haben, denn von diesem (dem φῶς πύρειον) sagt er 
bei βιμρι, De an. 87, a, m, es vertheile sich in der Luft und gehe durch die 
Poren derselben hindurch; ebon dieses ist aber nach unserer Stelle 148, m 
das unterscheidende Merkmal des σῶμα ἔγυλον. Auch hier wird des Licht 
ἀσωματώτερον τοῦ πυρὸς genannt, 


Physik. Theodicee. 733 


der vorzüglichste Körper muss aber der Raum auch die vörzüg- 
lichste Seele haben; er ist es daher, in welchem der höchste Theil 
der Weltseele !) seinen Sitz hat, und aus ihm sind auch die Leiber 
genommen, in welchen die Götter erscheinen. 

Die Vollkommenheit der Welt nachzuweisen, und die Vor- 
sehung gegen Vorwürfe in Schutz zu nehmen, bemüht sich Proklus 
mit demselben Eifer und im ganzen auch mit den gleichen Grün- 
den, wie Plotin 32. Der leitende Gedanke dieser Theodicee ist der 
stoische Satz, der ja aber auch aus der neuplatonischen Weltan- 
schauung unmittelbar folgte, dass alles, als ein Erzeugniss höherer 
Kräfte, an seinem Ort gut sei, und die Uebel nur nebenher aus 
dem Verhältniss und den Gegensätzen unter den Einzelwesen, die 
selbst ihrerseits eine Bedingung ihres Daseins sind, sich erge- 
ben 5); was den Proklus von Plotin unterscheidet, ist nur die 
stärkere Betonung der Willensfreiheit und das Bestreben, alles 
Uebel in der Welt ausschliesslich auf die eigene Verschuldung der 
Geschöpfe zurückzuführen %). Die Ungleichheit der menschlichen 
Schicksale und die äusseren Uebel überhaupt betrachtet er nicht 
als wirkliche Uebel, sondern theils als eine für sich gleichgültige 
Folge des Weltlaufs, theils als ein Mittel zur Belehrung und Er- 
ziehung des Menschen, theils als eine Strafe für seine Vergehun- 
gen ὅδ); dass diese Strafe den Schuldigen oft erst spät trifft, wird 
ausser dem Zweck der Besserung auch durch die Bemerkung ge- 
rechtfertigt, gerade das sei die schwerste Züchtigung für den 
Schlechten, wenn er durch Aufschub der Strafe in seiner Schlech- 
tigkeit gelassen wird 5), dass sie sich auch auf die Familien- und 
Volksangehörigen erstreckt, durch die Erinnerung an den Zusam- 


1) Die πηγαία ψυχὴ, wie sie hier genannt wird, d. h. diejenige, welche 
die Quelle aller übrigen ist, welche aber von der 8. 726 erwähnten πηγὴ Yu- 
χῶν verschieden ist, da diese zu den intellektuellen Göttern gehört. 

2) Es gehören hieher, ausser manchen gelegenbeitlichen Ausführungen, 
die drei kleinen Schriften, deren schon 8. 708, 1 erwähnt wurde: De prowidentia 
et fato; de deocem dubitationibus circa providentiam ; de malorum subsistentia. 

8) M. vgl. z.B. Plat. Theol. I, 17, 8.47 f. Dec. dubit. 128 ff. 162 u. En 
Remp. 858 u. ἢ, 

4) In Tim. 885, B: τῶν χαχῶν ἑαυτῷ τὸ θνητὸν ζῷον αἴτιον. 

δὴ Dec. dabit. 181 ff. In Remp. 876, m. 

6) Dec. dubit. 153 fl. 


. —. 


χε 11 Proklus 


menhang zwischen allen Theilen eines Volks oder einer Familie !); ἢ 
sofern aber diese Auskunft nicht ausreicht, hat der Neuplatoniker 
immer noch die Hinweisung auf Schuld und Verdienst eines frö- 
heren Lebens im Rückhalt ?). Nur die Seele ist es, in welcher 
alles Uebel nach Proklus ursprünglich seinen Sitz hat; die Materie 
als solche (8. 0.) ist weder gut noch böse, und die blos körper- 
lichen Uebel sind nur scheinbare, das wesentliche Uebel liegt ia 
der Hinneigung der Seele zum Körperlichen, sofern diese eine 
Thätigkeit in ihr hervorruft, welche mit ihrem wahren Wesen im 
Widerspruch steht 5). Durch ihre Verbindung mit der Körper- 
welt tritt die Seele in den Naturzusammenliang ein, sie wird der 
Naturnothwendigkeit oder dem Verhängniss unterworfen, nach 
ihrer höheren Natur dagegen steht sie nicht unter dem Verhäng- 


: niss, sondern unter der Vorsehung, die von den höchsten Göltera 


' ausgehend nur gutes mittheilt *). 


Es führt uns diess zu der Lebre vom Menschen, welche deu 
Proklus, im Geist seiner Schule, allein unter allen Theilen der 
Naturwissenschaft ernstlicher beschäftigt °). Auch diese Unter- 
suchungen folgen aber weit mehr ethischen und theologischen, als 
streng anthropologischen Gesichtspunkten. Die allgemeinen Be- 
stimmungen über das Wesen der Seele, die wir bereits kennen, 
müssen natürlich auch von der menschlichen gelten, aber ihre 
wesentliche Gleichartigkeit mit den göttlichen Seelen, die Leidens- 
losigkeit und ungestörte Vernünfligkeit ihres höheren Theils, kanz 
Proklus den Stoikern und Plotin nicht zugeben °); diese Annahme 
würde nicht blos im allgemeinen seinen Grundsätzen über das Ver- 


1) Ebd. 168 f. 

2) Ebd. 171 8. 

8) De malo 226 ff. 254 ff. 264 fi. 273 ff. Dec. dubit. 126 unt. 

4) De provid. c. 5. 8. 15. In Tim. 822, Ε ff, Dass er sich biemit nament- 
lich an Jamblich anschliesse, bemerkt Proklus selbst De provid. c. 4. 

δ) Von gelegentlichen Bemerkungen über die aussermenschliche Welt 
mag angeführt werden, dass den Pflanzen Lust - und Schmersempfindung 
(in Remp. 415, m), den Thieren (in dem Bruchstück aus dem Commentar sum 
Pbsdo, Schol. in Arist. 6, b, 29 ff.) Erinnerung zugeschrieben wird. 

6) M. vgl. die Aeusserungen in Aleib. Opp. Ill, 79. In Tim. 310, Α 
814, E. 841, Ὁ, auch Instit, 184. und ebd. 211 (die Seelen treten beim Her 
absteigen in das irdische Leben ganz in den Leib ein, ohne dass ein Theil 
von ihnen in der höheren Welt bliebe). 


Anthropologie. 735 


hältniss der niedrigeren Ordnungen zu den höheren, sondern na- 
mentlich auch seiner Ueberzeugung von der Hülfsbedürftigkeit des 
Menschen zu sehr widersprechen. Aus demselben Grund erklärt 
er sich gegen die Identität des Dämon mit der Vernunft des Ein- 
zeinen '). Auf der andern Seite glaubt er auch nicht, dass eine 
menschliche Seele jemals zur Thierseele werden könne, wenn er 
gleich Plato zuliebe ihre Verbindung mit einer solchen und in- 
sofern auch ihren Uebergang in ein Thier für möglich hält 3). 
Als das unterscheidende Merkmal der Seele, in ihrer mittleren 
Stellung zwischen dem Göttlichen und dem Sterblichen, betrachtet 
er die Freiheit des Willens ®), deren Vereinbarkeit mit dem gött- 
lichen Vorherwissen aber freilich durch die schon erwähnte Be- 
hauptung, dass die Götter auch von dem zeitlichen ein zeitloses 
und von dem unbestimmten ein bestimmtes Wissen haben *), nicht 
nachgewiesen ist. Doch ist der Mensch in seiner Freiheit nicht 
ebenso unbeschränkt, wie die Götter und die Dämonen, er ist 
zwar frei, aber er ist zugleich auch der Naturnothwendigkeit oder 
dem Verhängniss unterworfen 9). Diese Nothwendigkeit ist es, 
die jede Seele in jeder Weltperiode Einmal m das irdische Leben 
herabsieht, wogegen ihr öfteres Eintreten in dasselbe von ihr 
selbst verschuldet ist %. Auch in ihrem Präexistenzzusiand soll 


1) In Alcib. Opp. T. U, 198. 205 vgl. ebd. III, 1580: der Mensch könne 
sich nicht selbst läutern, sondern der Dämon in ihm müsse os tbun. So 
widerspricht Proklus auch (ebd. 190) der Meinung, dass die Dämonen Seelen 
abgeschiedener Menschen seien. Vgl. 8. 729, 5. 

2) In Tim. 829, D: ὁ δὲ ἀληθὴς λόγος εἰςχρίνεσθαι μὲν εἰς θηρία φησὶ τὴν ἀν- 
δρωκίνην ψυχὴν, ἔχοντα δὲ τὴν οἰχείαν ζωὴν (ein von dem des betreffenden ΤὨΐο- 
res verschiedenes animalisches Lebensprincip) χαὶ ἐπὶ ταύτῃ τὴν εἰςχριθέίσαν 
φυχὴν οἷον ἐποχουμένην καὶ τῇ πρὸς αὐτὴν συμπαθείᾳ δεδεμένην. Ausführlicher 
habe er darüber in seiner Erklärung des Phädrus gebandelt. Vgl, auch ebd, 
811, Β. 

8) De provid. ο. 28. c. 45 ff., vgl. bes. 6. 48. In Remp. 878, ο. 

4) 8. ο. 719, 8. 

δὴ) In Tim. 825, Bf. De provid. co. 28. 

6) In Tim. 824, Ὁ £. Instit. 206 vgl. 199, und in Crat. c. 117: die reinen 
Seelen steigen nur nach langen Zwischenräumen zum Heil der Menschen her- 
ab, denn etwas, was sie herabzieht, enthalten auch sie. Wie die Seele bei 
ihrem Herabsteigen sich allmählich besondere, und ihre ursprünglich auf das 
Ganze gerichtete (δλικὴ) Thätigkeit in immer engere Schranken eingeschlossen 


736 - Proklus. 


aber die Seele so wenig, als die Dämonen und die innerweltliches 
Götter, ohne Leib sein, da es zu ihrem Wesen gehört, einen Leib 
zu beleben; nur ist diess zunächst, wie Proklus mit Jamblich as- 
nimmt, ein immaterieller, ätherischer Leib, der sie auch bei der 
Rückkehr in die höhere Welt nicht verlässt, und der ebenso, wre 
die Seele selbst, unmittelbar von dem Weltschöpfer hervorgebracht 
ist ἢ. Zwischen diesen immateriellen Leib und den irdisches 
schiebt Proklus als Bindeglied noch einen dritten, oder auch 
eine ganze Anzahl solcher Leiber ein, welche die Seele noch 
vor ihrer Ankunft auf der Erde, gleich beim Eintritt in die Well 
des Werdens annehme, und nach dem Tode so lange behalte, als 
sie im Gebiete des Werdens befangen ist”). Noch weniger kann die 
Seele natürlich, auch im Präexistenzzustand und nach dem Tode, 
ohne die niedrigeren Bestandtheile ihres eigenen Wesens, den 
Muth und die Begierde, gedacht werden; doch will Proklus mit 
Syrian 5) die verschiedenen platonischen Aeusserungen über die- 
sen Punkt durch die Annahme ausgleichen, dass nur die höchsten 
von den vernunftlosen Kräften 4) zugleich mit dem pneumatischen 
Leibe vom Demiurg selbst geschaffen und ebenso unvergänglich 
seien, wie dieser, dass dagegen die übrigen, zu denen sich jene 
besondern, erst unter dem Einfluss der jüngeren Götter (der @e- 
stirne) sich bilden, und sich von der Seele wieder trennen, wenn 
sie ihre Wanderung vollendet und sich vollkommen geläutert hat°). 
In der Lehre von den Seelenthätigkeiten verbindet Proklus plato- 


werde, bis sie ihre volle individuelle Bestimmtheit erhalten hat, setst Proklas 
in Remp. 868 nach seiner Art auseinander. 

1) Instit. 196. 207 £. in Tim. 2,D. 164, B. 811,Bff. 821,B. Proklus nenzt 
diesen himmlischen Leib mit Jamblich (über den 8. 641, 1) gewöhnlich ὄχημα. 

2) In Tim. 880, D £. Inst. 209, vgl. in Aloib. II, 296 (6. 48 ὕκεῦσ.) und 
die vorl. Anm. angeführte Stelle in Remp. Ebd. 882 m. führt Proklus aus, dass 
das ὄχημα nach dem Tode je nach der Beschaffenheit der Seele reiner oder 
weniger rein sei, und bringt hiemit auch die Geistererscheinungen in Ver 
bindung. 

8) Auf den er selbst verweist in Tim. 811, E vgl. 8. 698. 

4) Die ἀκχρότητες τῆς ἀλόγου ζωῆς. 

δ) In Tim. 811, B ff. Proklus bezeichnet daher in Remp. 510, m Muth 
und Begierde als θνητὰ; und De provid. o. 10 führt er aus, dass beide nicht 
ohne den Leib sein können. Auf diese Annahmen besieht es sich, dass Schol 
in Phäd. o. 175 (8. 98 Finckh) von ihm gesagt wird, er beschränke die Us- 
sterblichkeit auf die λογιχὴ ψυχή. 


Anthropologie. 737 


nische und aristotelische Bestimmungen. Er unterscheidet zu- 
nächst mit Aristoteles die bewegenden oder begehrenden Kräfte 
von den erkennenden 1); weiter unter den ersteren mit Plato das 
vernünftige Begehren, den Muth und die sinnliche Begierde 5), 
oder genauer ein doppeltes vernünftiges Begehren, das auf’s Sein 
und das auf's Werden gerichtete; das Abbild von jenem ist der 
Muth, von diesem die Begierde °?). Dieser Unterscheidung ent- 
spricht im Erkennen die des Denkens und der Meinung; das sinn- 
liche Abbild des Denkens ist die Einbildungskraft (φαντασία), das 
der Meinung die Wahrnehmung *). Doch bleibt sich Proklus in 
seinen Aeusserungen hierüber nicht gleich, denn er spricht auch 
wieder von dreierlei Wahrnehmung, und nennt die oberste von 
diesen drei Formen Phantasie °): und in Betreff des Denkens wie- 
derholt er nicht allein die platonische Unterscheidung des mathe- 
matischen und dialektischen Erkennens 5), sondern er verbindet 
damit auch die aristotelische des mittelbaren und unmittelbaren 
Wissens ?), und er zählt so, die Meinung mitgerechnet, bald drei 


1) In Tim. 226, E. 231, Ef. In Remp. 416, o. 

2) In Remp. 407—416, wo dieser Unterschied nach Anleitang der Ropu- 
blik, zugleich mit der platonisehen Tugendlehre, weitschweiflg besprocheu 
wird; m. vgl. besonders 8. 412 unt. ff. In Tim. 327, Cf, 

8) In Remp. 416, o. fasst er seine Ansicht von den Theilen der Seele so 
zusammen: χαὶ ὄρεξίς ἐστιν dv τῇ λογικῇ ψυχῇ χαὶ γνῶσις. καὶ ἢ ὄρεξις ἣ μὲν τοῦ 
ὄντος ἢ δὲ τῆς γενέσεως, Bi’ ἣν ἄνεισιν εἷς τὸ ὃν χαὶ πίπτει πάλιν εἷς γένεσιν καὶ ἢ 
γνῶσις ὡσαύτως, ἣ μὲν κατὰ τὸν ταὐτοῦ κύχλον τῶν νοητῶν, ἢ δὲ χατὰ τὸν θατέρου 
τῶν αἰσθητῶν... τούτων οὖν εἰκόνες εἰσὶν αἱ ἄλογοι δυνάμεις, ... ἣ μὲν φανταστικὴ 
τῆς νοητῆς, ἢ δὲ αἰσθητιχὴ τῆς δοξαστιχῆς [sc. γνώσεως), χαὶ ἢ μὲν θυμοειδὴς τῆς 
ἀναγωγοῦ ὀρέξεως, ἢ δὲ ἐπιθυμητικὴ τῆς γενεσιουργοῦ. 

4) S. vor. Anm.; über die δόξα und ihren Unterschied vom Wahrnehmen 
auf der einen, vom Denken auf der andern Seite: in Tim. 76, B ff. 

5) In Tim. 327, A ff.: es gebe eine dreifache αἴσθησις, die ἀπαθὴς καὶ 
κοινὴ, welche in dem πρῶτον ὄχημα, die χοινὴ, παθητιχὴ δὲ, welche in der ζωὴ 
ἄλογος, die διῃρημένη καὶ ἐμπαθὴς, welche in der ἐμψυχία τοῦ σώματος ihren 
Sitz habe. Die erste derselben, die φαντασία, bilde die Spitze, in welcher die 
Sinnlichkeit an die λογικὴ ζωὴ, zunächst ihren untersten Theil, die δόξα, 
grenze, und sie werde von jener mit ihren Kräften erfüllt. Die zweite ent- 
spricht (wiewobl es nicht ausdrücklich gesagt wird) der aristotelischen alo- 
θησις χοινὴ. 

6) De provid. o. 21 f. 

7) In Tim, 76, E ff. 92, Ὁ. 


Philos. d. Gr. III. Bd. 2. Abth. 47 


738 Proklus. 


bald vier Arten und Stufen des vernünftigen Vorstellens '). Alle 
diese Unterscheidungen waren nun der Philosophie schon längst 
geläufig. Dagegen ist Prohlus eine Lehre eigenthümlich, welche 
wenigstens in dieser Bestimmtheit bisher noch nicht ausgesprochen 
worden war ?), die Anmahme eines über die Vernunft hinaus- 
gehenden Seelenvermögens. Da gleiches, nach dem alten Grund- 
satz, nur durch gleiches erkannt wird, kann er nicht zugeben, 
dass das Göttliche durch’s Denken erkannt werde; er weist daher 
seine Erkenntniss einem eigenen, Organ zu, welches höher sei, 
als die Denkkraft, dem Göttlichen im Menschen; und da nun das 
göttliche aberhaupt in seinem System mit dem einheitlichen zusam- 
menfällt 8), so sieht er diese höchste Geisteskraft in dem einheit- 
lichen Wesen der Seele, oder wie wir es nennen würden, iu dem 
reinen Selbstbewusstsein *). Eine genauere Bestimmung derselben 
suchen wir freilich bei ihm vergeblich. 


1) Das erstere göschieht in Tim. 75, Ὁ ff. 92, ἢ. Das unterste Glied ist 
in diesem Fall die δόξα, das zweite die ἐπιστήμη, die auch διάνοια oder λόγος 
(im engern Sinn) genannt wird, das höchste der νοῦς, als das ἀχρότατον καὶ 
ἀμερέστατον ἡμῶν, welches ἀυτοπτιχῶς, durch αὐτοπτιχὴ ἐπιβολὴ (unmittelbare 
Anschauung) das Wirkliche ergreife, das νοητὸν berühre und sich mit dem 
δημιουργιλτὸς νοῦς einige. Dagegen folgt De provid. 6. 20 fi. auf die opimio als 
zweites das mathematische, als drittes das dialektische Erkennen, und die 
vierte Stelle nimmt der intelleotus ein, welcher ebenso, wie im Commentar 
zum Timäus, geschildert wird. Ueber die entsprechenden platonischen und 
aristotelischen Lehren 8. m. Bd. II, a, 407 ὦ b, 170 f. 

2) Am meisten erinnert daran das θεοειδὲς τῆς ψυχῆς in der 8. 643, 2 an- 
geführten Stelle; nur wird hier Jamblich mit Proklus susammengefasst. 

8) 8. ο. und in Parm. IV, 85: πᾶς θεὸς χατὰ τὸ ἕν Berg, in Tim. 64, D: ἔστι 
γὰρ πανταχοῦ τὸ ἕν καθὺ τῶν ὄντων ἕκαστον ἐκ θεῶν ὀρέστηχε, Vgl. in Crat. α. 69, 
8. 84. 

4) Plat. Theol. I, 8 58. ο. 880, 8. In Alcib. III, 105: ὡς γὰρ νοῦ μετέχομεν 
χατὰ τὸν εἰρημένον νοῦν, οὕτω χαὶ τοῦ πρώτου, παρ᾽ οὗ πᾶσιν ἣ γνῶσις, κατὰ 
τὸ ἕν χαὶ οἷον ἄνθος τῆς οὐσίας ἡμῶν, χάθ᾽ ὃ καὶ μάλιστα τῷ Bel συνακτόμεθϑα. 
τῷ γὰρ ὁμοίῳ τὸ ὅμοιον πανταχοῦ χκαταληπτὸν, τὰ μὰν ἐπιστητὰ τῇ ἐπιστήμη, 
τὰ δὲ νοητὰ τῷ νῷ, τὰ δὲ ἑνικώτατα μέτρα τῶν ὄντων τῷ ἑνὶ, τῇ φυχῇ. Die 
Seele wirkt ἐνθέως, ἐγείρασα τὸ ἑαυτῆς ἕν, 8 ἐστι καὶ τοῦ ἐν αὐτῇ νοῦ χρέξττον 
(in Tim. 229, C); wir sehen sie die höchste (in dieser Aufe&hlung die fünfte) 
Stufe der Erkenntniss, die göttliche μανία, erreichen, ipsum imum animaes, non 
adhuc hoc intellectuale excitantem et huc coaptantem uni. Omnia enim simih cag- 
noscuntur, sensibile sensu, scibile scientia, intelligiblle intelleetu, unum uniali.. 
Fiat igitur unum, ut videat To unum; magis aulemn, ui non videaf To unum. 


Die Erhebung zur übersinnlichen Welt. 739 


In den Aeusserungen des Proklus über die Thätigkeiten und 
die Mittel, durch welche sich die Seele zur übersimnlichen Welt 
erhebt, kreuzen sich die gleichen zwei Richtungen, welche sich 
überhaupt durch sein System und durch den ganzen Neuplatonis- 
mus hindurchziehen, die wissenschaftliche und die mystisch- 
religiöse; schliesslich bleibt jedoch, wie wir diess seit Jamblich 
gleichfalls bei allen Neuplatonikern finden, die zweite über die 
erste entschieden im Uebergewicht. Er verlangt eine methodische, 
stufenweise Erhebung zum höheren, denn die Rückkehr des ab- 
geleitelen zu seiner Ursache erfolgt, nach den Grundsätzen seines 
Systems, auf dem gleichen Wege, wie sein Hervorgang aus der- 
selben; was unmittelbar aus ihr hervorgegangen ist, wendet sich 
auch unmittelbar zu ihr zurück; was dort einer Vermittlung be- 
durfte, bedarf der gleichen Vermittlung auch hier ’). Aber diess 
hindert ihn so wenig, als seine Vorgänger, eine unmittelbare 
Einigung mit der Gottheit su suohen, deren er freilich nicht eben 
so sicher ist, wie Plotin. Er weiss, dass das sittliche Wollen und 
das wissenschaftliche Denken der Weg ist, auf dem sich unser 
Geist von dem Drucke seines irdischen Daseins befreit; aber er 
kann trotzdem keines von den Mitteln entbehren, durch welche 
der Aberglaube seiner Zeit jene Befreiung zu bewirken versprach; 
und er hofft durch diese Mittel zu einer Vollkommenheit zu ge- 
langen, wie sie ohne dieselben nicht zu erreichen sein soll. — 
Die Grundlage aller höheren Bildung ist auch seiner Ansicht nach 


Videns enim, intelleduale videbit, δὲ non supra intellectum, et quoddam unum 
intelliget ei non τὸ autounum (De provid. o. 24). In Tim. 261, B: Das Gött- 
liche im Menschen ist πρώτως μὲν ἢ ἑνὰς ἢ ἐν ἐχάστι καὶ ἄῤῥητος μετουσία τῆς 
πηγῆς τῶν ὅλων ἑνιαίων ἀριθμῶν, δευτέρως δὲ ὃ νοῦς... τρίτως δὲ ἢ ψυχή... καὶ ἢ 
μέν ἐστιν ὄντως θεὺς, ὃ δὲ θειότατος, ἢ δὲ θεία μὲν χαὶ αὐτὴ u. 5. w. Ebd. 79, Β, 
In Alcib. Ill, 189. Dec. dubit. (Opp. I) 176. In Remp. 899, m: Die höchste 
Stufe des geistigen Lebens sei die, καθ᾽ ἣν συνάπτεται [sc. ἣ ψυχὴ] τοῖς θεσίς... 
ὁποδραμοῦσα [1]. ὅπερδραμ.] μὲν τὸν ἑαυτῆς νοῦν, ἀνεγείρασα δὲ To ἀῤῥητον σύνθημα 
τῆς τῶν θεῶν ἑνιαίας ὑποστάσεως za συνάψασα τῷ ὁμοίῳ, τῷ Exit φωτὶ τὸ ἑαυτῆς 
φῶς, τῷ ὑπὲρ οὐσίαν πᾶσαν χαὶ ζωὴν ἑνὶ τὸ ἐνοειδέστατον τῆς οἰχείας οὐσίας τε καὶ 
ζωῆς. 

- 1) In Tim. 325, E: δι’ ὧν ἢ κάθοδος, διὰ τούτων ἢ ἄνοδος. Instit. c. 88: 
πᾶν To προΐον ἀπό τινων πλειόνων αἰτίων, δι' ὅσων πρόεισι, διὰ τοσούτων χαὶ ἐπι- 
στρέφεται, χαὶ πᾶσα ἐπιστροφὴ διὰ τῶν αὐτῶν, δι’ ὧν χαὶ ἢ πρόοδος u. 5. w. Vgl. 
Β. 711. 

47 * 


740 Proklus. 


die ethische Tugend; wer sich nicht durch sie gereinigt und seine 
ungeordneten Gemüthsbewegungen der Vernunft unterworfen hat, 
taugt nicht zur Beschäftigung mit den göttlichen Dingen 1). Als 
ihre Haupttheile betrachtet er die vier Grundtugenden der platoni- 
schen Republik, deren Beschreibung er sich aneignet 3). Aber 
wie wenig ihm diese platonische Tugendlehre genügt, sieht man 
schon an der Behauptung, es handle sich in ihr nur um die poli- 
tische Tugend 8); denn sofern diese eine nach aussen gehende 
Wirksamkeit anstrebt, ist sie mit einer Hinneigung zum leiblichen 
Leben und mit Affekten verbunden, von welchen die philoso- 
phische Reinigung des Gemüths uns befreien soll %). Eine höhere 
Stufe nimmt die wissenschaftliche Thätigkeit ein; und es versteht 
sich bei Proklus von selbst, dass er ihren Werth nicht gering- 
achtet, und ihre methodische Behandlung fordert. Er beschreibt 
nach platonischem Muster den Fortgang von der richtigen Vor- 
stellung zur mathematischen, und von dieser zur dialektischen 
Wissenschaft 5); er verlangt für die theologischen Untersuchungen 
physikalische Vorkenntnisse und Uebung in der ächten dialekti- 
schen Kunst 5); er erklärt sich über das Verhältniss der Mathe- 
matik zur Philosophie ganz im platonischen Sinn, wenn er sie 
zwar als unentbehrliche Vorstufe der Philosophie anerkennt, aber 
die pythagoreische Beschränkung auf diese Wissenschaft, 16 sich 
doch immer nur mit den Abbildern des wahren Seins abgebe, zu- 
rückweist ’). Aber wie ihn diese Ansicht über die Mathematik 


1) Plat. Theol. I, 2. 8. 8 u. vgl. in Tim, 848, E: ἕπονται γὰρ al ἀρεταὶ ἀλ- 
λήλαις, αἵ τε διανοητικαὶ ταῖς ἠθιχαΐς χαὶ αἱ ἠθικαὶ ταῖς διανοητικαΐς. 

2) M.s. die oben erwähnte Auseinandersetzung über die drei Seelentheilo 
und die vier Tugenden in Remp. 407—416. Die einzige Abweichung von Plate 
besteht hier darin, dass an die Stelle der platonischen σοφία die stoische φρό- 
γησις (über die 1. Abth. 220, 2) tritt: jene bezeiehnet das höhere, theoretische, 
diese das praktische Erkennen. 

8) In Remp. 415, o. obd. unten. 

4) Vgl. in Remp. 882 u. 883 u., wo die von Plato getadelte Schildereng 
der homerischen Holden aus dieser Eigenthümlichkeit der praktischen Tu- 
gend erklärt und damit vertheidigt wird. 

5) De provid. c. 12. 20— 22. 

6) Plat. Theol. 5. 4. Ebd. c. 9, S. 20 m. In Cratyl. o. 2. 4, wo sich 
Proklus auch über den Unterschied der höheren, platonischen Dialektik von 
der gemeinen peripatetischen Aussert. 

7) In Tim. 198, Ο f. De provid. c. 40. 


Die ethische Tugend; die Wissenschaft. γ41 


von der ausgedehntesten mathematischen Symbolik nicht abhält 1), 
so will ja seine Wissenschaft überhaupt die Mystik des Glaubens 
und des Aberglaubens nicht ausschliessen, sondern begründen ?). 
Ueber den theoretischen Tugenden stehen die paradigmatischen 
und hieratischen 5); und gerade von den letzteren hatte Proklus 
noch eingehender gehandelt, als seine Vorgänger *%). Das wis- 
senschaftliche Denken bewegt sich immer noch zwischen Gegen- 
sätzen, es fasst ein vielfaches zur Einheit zusammen; es ist aber 
ebendesshalb ein Herabsteigen von dem göttlichen Leben, in wel- 
chem das innerste Wesen des Menschen sich mit dem einigt, was 
über alles Denken hinausliegt 5). Zu diesem höheren Leben wer- 
den wir aber nicht durch uns selbst gelangen können. Das End- 
liche ist das, was es ist, nur durch die göttlichen Kräfte, die in 
ihm wirken; die Gottheit ist allem beständig gegenwärtig, und sie 
wirkt in jedem sobald und soweit es sich ihrer Einwirkung öff- 
net ®); nicht blos zu unsern Handlungen, sondern auch zu unsern 
Gedanken und Entschlüssen bedürfen wir göttlicher Beihülfe 7); 
um so weniger werden wir sie für die wichtigste Angelegenheit, 


1) Die Belege finden sich überall, ich verweise daher nur beispielshalber 
auf die Stellen in Tim. 6, C. 28, E. 27, D. 46, E ὦ, und was den allgemeinen 
Grundsatz betrifft ebd. 216, A. 

3) Vgl. 8. 706 £. ᾿ 

8) Die füänferlei Tugenden: ethisch-politische, reinigende, theoretische, 
paradigmatische, hieratische, sind uns schon 8. 642 f. bei Jamblich und Am- 
monius vorgekommen. Aehnlich theilt Maxın. Procl. c. 3 die Tugenden eig τε 
φυσιχὰς καὶ ἠθιχὰς χαὶ πολιτικὰς χαὶ ἔτι τὰς ὑπὲρ ταύτας, χαθαρτιχάς τε χαὶ θεωρη- 
τιχὰς χαὶ τὰς οὕτω δὴ χαλουμένας θεουργιχὰς, τὰς δὲ ἔτι ἀνωτέρω τούτων σιωπήσαν- 
τες. Aus den Schriften des Proklus ist mir keine sulche Aufzählung erinner- 
lich; aber es lässt sich annehmen, dass er hierin mit Jamblich und mit seinen 
Schülern Marinus und Ammonius einverstanden war. 

4) Vgl. 8. 643, 2. 

δ) Vgl. in Remp. 399, m. Proklus unterscheidet hier drei Arten des gei- 
stigen Lebens. Das höchste und vollkommenste ist das einheitliche (worüber 
8. 738, 4 x. vgl.). Tiefer ala dieses, aber höher, als die sinnliche, von Wahr- 
nehmungen und vernunftlosen Vorstellungen geleitete Lebensweise, steht die, 
χαθ᾽ ἣν ἐπιστρέφει μὲν [sc. ἢ ψυχὴ) εἰς ἑαυτὴν ἀπὸ τῆς ἐνθέου χαταβᾶσα ζωῆς, νοῦν 
δὲ καὶ ἐπιστήμην προστησαμένη τῆς ἐνεργείας ἀρχὴν ἀνελίττει μὲν τὰ πλήθη τῶν 
λόγων, θεᾶται δὲ τὰς παντοίας τῶν εἰδῶν ἐξαλλαγὰς ἃ. 8. w. 

6) Instit. 140. Dec. dubit. 8. 110. In Tim. 64, D. 

7) In Tim. 66, D vgl. 61, B. In Alcib. Opp. ΠῚ, 150. 


- 


τὰν Proklus, 


für die Erkenntniss der Wahrheit, entbehren können. Proklas 
erklärt daher, alles höhere Wissen beruhe auf göttlicher Erleuch- 
tung ?), und wenn er die Wege beschreibt, anf denen wir zur 
Gottheit kommen, legt er dem Glauben noch einen höheren Werth 
bei, als dem Wissen. Dieser Wege sind es nämlich nach ihm drei, 
die Liebe, die Wahrheit und der Glaube; die Liebe führt uns durch 
das Schöne zur Wahrheit, die Wahrheit zeigt uns die übersinnliche 
Welt, aber die höchste Weihe ertheilt nur der Glaube, denn er ist 
es, der überhaupt das niedrigere mit dem höheren verknüpft: nicht 
durch Denken und Reflexion können wir in die tiefsten Mysterien 
eindringen, sondern allein durch dje Stille des Gemüths, das in 
seinem einheitlichen Wesen einkehri, durch jene Versetzung der 
ganzen Seele in das unerkennbare, die wir nur dem Glauben zu 
verdanken haben ἢ. Wie dürften wir dann aber die Hülfsmittel 
verschmähen, welche die religiösen Uebungen dem Glauben dar- 
bieten: das Gebet, das durch geheimnissvolle Symbole die beten- 
den mit den Göttern vereinigt, und ihren Segen auf sie herab- 
zieht ?), die Theurgie, welche besser, als alle menschliche Tugend, 
göttliche Kräfte in die irdische Welt herabruft *), die Weihen, die 
alle irdischen Schmutzflecken durch das göttliche Feuer vertil- 
gen °), die Weissagung, diese unschätzbare Gabe der Gottheit? 9 


1) Plat. Theol. 8. 2, m. In Tim. 289, A. 

2) Plat. Theol. IV, 10, 8. 194, o. I, 24 f. 8. 60. 61 ff. Ucber dio Liebe 
handelt ausführlich, im platonischen Sinne, der Commentar zum Alcibiades 
Opp. II, 78 δὲ 187 δ΄, 166. 

3) Iu Tim. 65, A. Ebd. über die Bedingungen und Arten des Gebets. 

4) Plat. Theol. I, 26, 8. 68 ο. ebd. c. 29, 8. 70. 

5) In Tim. 381, B vgl. in Alcib. Opp. III, 10. Zwar sagt Proklus in Crat. 
c. 70, 8. 86, die Weihen führen uns nur bis zur Ideenwelt, weil die höheren 
Götter als namenlos nicht Gegenstand der Theurgie seien, aber ihre reini- 
gende Kraft wird in der angeführten Stelle des Commentars zum Timäus über 
die der Philosophie erhoben. Naturgemässer lautet, wiewohl auch hier eini- 
ges magische hereinspielt, was in Remp. 362 u. tiber die ἀφοσίωσις durch 
Musik bemerkt ist, wogegen ebd. 899 m. die heilige Po&sie als das Mittel zu 
einer übernatürlichen Einigung mit den Göttern behandelt wird. Unter dem 
religiösen Gebräuchen werden solche unterschieden, welche die Götter durch 
heilige Symbole anziehen, und solche, welche für niedrigere, dAmonische 
Wesen bestimmt sind; auf die letzteren bezicht Proklus mit andern (8. ὃ. 
S. 609 ἢ. 655) dasjenige, was ihm für die Verehrung der Götter zu sinnlich 
und grob ist, wio Gelächter und Webklagon (in Remp. 870, n.). 

6) Plat. Theol. 8. 68, o, u. ὅ. Die sinnlichen Vorgänge, wodurch die 


Die höhere Erleuchtung; die Religion. 4848 


Proklus folgt nioht allein hierin dem Glauben seiner Schule, son- 
dern in dem gleichen Sinn äussert er sieh auch über die magische 
Kraft und Bedeutung der Götternamen ?) und Götterhilder ?), üher 
Göttererscheinungen °) und Wunder %), über die Schutzgötter der 
einzelnen Völker ©) und ähnliche Dinge. Noch angelegentlicher 
beschäftigt ihn die Deutung der Mythen schon desshalb, weil eg 
hier galt, den Glauben seines Volkes und die Dichterwerke, in 
denen dieser Glaube niedergelegt war, von den Anklagen zu rei- 
nigen, in welehgn selhst der göttliche Plato dan Feinden der Göt- 
ter, den Christen, vorangegangen war. Der Weg, den er hiefür 
einzuschlagen hatte, war unserem Philosophen durch stoische und 
neuplatonische Vorgänger längst vorgezeichnet; für den Eifer, mit 
dem er ihn verfolgt hat, liefern seine Schriften reichliche Belege °). 


Götter sich offenbaren, wie Götterstimmen und ähnliches, erklärt sich Proklus 
in Crat. c. 75 aus Bewegungen in der Luft, welche die Götter bewirken, ohne 
sich selbst zu bewegen; für täuschende Orakel macht er (mit Syrian; 8. o. 
697, δ) die Empfänger derselben verantwortlich (in Remp. 359 m.). 

1) Plat. Theol. I, 1 g. E. ebd. c. 29. In Crat. o. 56. 69 £. 

2) Plat. Theol. I, 29. 8. 70. In Euclid. 8. 38 m. 

3) In Remp. 358 u. 859 ο. 372 u. In Crat. 70 vgl. auch 8. 708, 2 g. E. 
128, 9. 730,2. Die Göttererscheinungen werden hier mit der Gestaltlosigkeit 
der Götter durch die Annahme vereinigt, dass nicht sie selbst, sondern tiefer- 
stehende Wesen ihrer Ordnung, Engel, Dämonen nnd Seelen, oder auch mo- 
mentan gebildete Erscheinungen (φάσματα Osia« τὴν γένεσιν Ev τῷ περὶ ἣμᾶς δεχό- 
μενα τόπῳ) sich den dazu geeigneten Personen in Lichtgestalten darstellen, 
welche diese mittelst ihres Lichtleibes wahrnehmen. 

4) Vgl. 8. 708, 2. 

5) In Tim. 30, F. 45, A. In Crat. c. 56. 

6) Es wurde desselben im allgemeinen schon 8, 705, 7 gedacht. Auch 
Beispiele dieser Mythendeutung sind uns bereits 8. 725 ff., bei der Dar- 
stellung von Proklus’ Theologie, vorgekommen. Weitere finden sich in den 
Scholien zu Hesiod, dem Commentar zum Timäus u. sonst. Hier will ich mich 
begnügen, aus der Vertheidigung der Mythen in dem Commentar zur Republik 
einiges mitzutheilen. Nach dieser Darstellung bedeuten z. B. die homerischen 
und sonstigen Theomachieen nichts anderes, als die in der Entfaltung des 
göttlichen Lebens eintretenden, die übersinnliche Welt wie die Natur durch- 
ziehenden Gegensätze (S. 378 ff. 878 u.); die Erzählung vom Urtheil des Parig 
besicht sich auf die Wahl ihrer Lebensrichtung, welche die Seele unter Auf- 
sicht der Götter vor ihrem Eintritt in den Leib trifft (8. 879); die Verwaud- 
lungen des Proteus und anderer Gottheiten weisen theils auf die verschieden- 
artige Auffassung ihrcs Wesens von Seiten der Menschen, theils auf die Vicl- 


͵ι- “44..." 


744 Proklus. 


Die Mythen verhüllen, wie er sagt, die Wahrheit vor denen, welche 
ihrer nicht würdig sind, und deuten sie nur denen an, welche 
ihre Geheimnisse einzudringen vermögen. Wie die Natur das 
übersinnliche in sinnlichen, das ewige in zeitlichen, das unge- 
theilte in getheilten Abbildern darstellt, so weisen auch die My- 
then durch das widernatürliche auf das übernatürliche, durch das 
vernunftwidrige auf das übervernünftige, durch das hässliche auf 
das hin, was alle Schönheit übertrifft; der Anstoss, den man häufig 
an ihnen nimmt, verschwindet, sobald man ihren geheimen Sinn 
entdeckt hat’). Weiter ist aber auch zu erwägen, dass das, was 
sie von den Göttern aussagen, sich nicht immer auf die höchsten 
mit einem gewissen Götternamen bezeichneten Wesen bezieht, 
sondern oft auch auf tieferstehende Wesen derselben Ordnung, bis 
zu den untersten Klassen hylischer Dämonen herab ?), oder auf 
die einem Gott untergebenen Seelen ὅ), und dass sich neben den 


heit ihrer Kräfte, theils auf die Mannigfaltigkeit der Wesen, die aus ihnen 
hervorgehen (5. 879 f. vgl. 358). Die Thränen der Götter (wie des Zeus über 
Sarpedon) sind ein Symbol ihrer Fürsorge für die sterblichen Wesen (384 ο. 
$85 o.), ihr unauslöschliches Lachen über den hinkenden Hephäst will aus- 
drücken, dass sich die Fülle ihrer Kräfte in das Weltall, dessen Bildner He- 
phäst ist, ohne Unterlass ergiesst (884 f.). Der Auftritt auf dem Ida soil dia 
Einigung der höchsten Gründe (Einheit und Zweiheit, oder Grenze und Un- 
begrenstheit) darstellen; ebenso die geschlechtlichen Verbindungen anderer 
Götter dis der entsprechenden Principien tieferer Ordnung (386 f., wo unter 
anderem der Ida auf den τόπος τῶν ἰδεῶν gedeutet wird), Der Ehebruch des 
Ares mit Aphrodite und ihre Fesselung durch Hephäst besagt, dass Hephäst, 
als der Weltbildner, den Gegensatz in der Natur (Ares) mit der Harmonie 
(Aphrodite) verknüpfe, die ihm selbst beiwohnt (388 ἢ). In gleichem Geist 
wird hier noch eine Reihe weiterer Mythen gedeutet; vgl. 8. 371 (die ῥίψις 
Ἡφαίστου, Fesselung des Kronos, Entmannung des Uranos) 877 f. (δρχων 
σύγχυσις), 881 (Traum Agamemnon’s), 885 u. (die Phäaken), 891 f. (Achilles 
und Theseus), 397 u. (Herakles und sein Bohattenbild), 398 m. (Zerreissung 
des Orpheus). Auch die Personen der platonischen Gespräche werden in die- 
ser Weise allegorisirt; so soll Parmenides die göttliche Vernunft vorstellen, 
Zeno die Vernunft in der Weltseele, Sokrates die menschliche Vernunft, Py- 
thodor die göttliche, Antiphon die dämonische Seele, Kephbalos und die Kla- 
somenier die Menschonseolen (in Parm. IV, 17 ff. Cous.; ähnliches in Crat. 
e. 65.). 

1) In Remp. 869 m. 870, mf. 

2) Α. 4. 0.870 mf. 872 u, wozu m. vgl. was ß. 728, 9 angeführt ist. 

8) In Hesiod. Opp. et Di. V. 84. Hes. Opp. 8. 30, b, m. Heins.: % dt αἱ 
ψυχαὶ πάσχουσιν, ὁ μῦθος ἐπὶ τοὺς προνοοῦντας αὐτῶν ἀναπέμπει θεούς. 


Mythendeutung. Einigung mit der Gotthoit. «43 


theologischen auch noch physikalische und pädagogische Mythen 
finden 3). Der Augenschein zeigt, welchen ausgiebigen Gebrauch 
Proklus von diesen Grundsätzen gemacht hat, um die mythologi- 
schen Ueberlieferungen nicht allein zu vertheidigen, sondern auch 
mit seiner Philosophie zu identificiren. 

Sein letztes Ziel allerdings geht ebenso über die positive Re- 
ligion, wie über das methodische Erkennen hinaus. Die ganze 
Stufenreihe der Erhebung zum Uebersinnlichen kommt erst in jener 
mystischen Vereinigung mit dem göttlichen Wesen zum Abschluss, 
die der neuplatonischen Schule von Anfang an das höchste ge- 
wesen war. Doch lässt sich der Unterschied zwischen Proklus 
und Plotin auch hier bemerken, sofern jener auf die Möglichkeit 
dieser Vereinigung nicht ebenso fest vertraut, wie dieser. Ueber 
der Wissenschaft steht ihm zufolge die unmittelbare Vernunfter- 
kenntniss, die einfache und ungetheilte Anschauung des Intelligi- 
beln und der göttlichen Einheiten 2), über dieser die Einigung mit 
dem Urwesen, die nicht mehr Sache des Wissens ist, sondern nur 
des Glaubens ὅ). Die letztere beschreibt er nun allerdings, ähn- 
lich wie Plotin, als einen Enthusiasmus, eine Stille des Gemüths, 
eine Versenkung der Seele in die Gottheit, als ein Einswerden und 
Gottwerden, worin das Denken aufhöre, und der Geist mit ge- 
schlossenen Augen vom göttlichen Licht umstrahlt werde). Aber 
doch tadelt er auch wieder diejenigen, welche behaupten, dass 
die Seele alles geringere verlassend das Eine und das Intelligible _ 
selbst werde °). Es ist diess zwar eine richtige Folgerung aus 
seiner Ansicht von der menschlichen Scele, es wird dadurch auch 
ein formeller Widerspruch der plotinischen Lehre wenigstens 
theilweise verbessert, denn jene absolute Einigung mit dem Ur- 
wesen verträgt sich weder mit deın weiten Abstand beider, noch 
mit dem Grundsatz, dem aber freilich auch Proklus nicht getreu 


” 1) In Remp. 373 ο. 370, o. 


4) De provid. c. 13. 23. In Alcib. Opp. III, 106 f. Plat. 'Theol. 1, 25, 
8. 62, o. und oben 8. 738, 1. 741. 

8) Vgl. 8. 742. 

4) Plat. Theol. I, 25, 8. 61 f. II, 11, Anf. De provid. ο. 13. 24. In Alcib, 
a.a. OÖ. In Tim. 63, B und oben 788, 4. In Tim. 63, B unterscheidet Proklus 
nuch drei Grade der Einigung, die συναφὴ, die ἐμπέλασις und die ἕνωσις. 

δὴ) Iu Tim. 810, A. 


746 Proklus. 


bleibt, dass das niedrigere nur durch alles in der Mitte liegende 
zum höheren gelangen könne; aber doch kann man sich nich 
verbergen, dass der eigentliche Zielpunkt der neuplatonischen Phi- 
losophie durch diese Abweichung von Plotin in Frage gestellt ist, 
und dass sich auch in diesem Zuge dasselbe Gefühl der mensch- 
lichen Schwäche ausspricht, dessen Wirkungen wir in der ganzen 
Gestaltung der neuplatonischen Lehre seit Porphyr und Jamblich 
erkennen konnten. 

Wenn wir von diesem Schlusspunkt auf das Ganze des Sy- 
stems zurückseben, welches Proklus mit so bedeutendem Erfolg 
aufgestellt hat, so werden wir der Grossartigkeit seiner Anlage, 
der Beharrlichkeit, mit der Ein Grundgedanke bis in seine feinsten 
Verzweigungen verfolgt, der Kunst, mit der aus ungleichartigen 
Bestandtbejlen ein symmetrisches Ganzes gebildet ist, unsere An- 
erkennung nicht versagen. Aber dennoch hinterlässt dieses Sy- 
stem keinen befriedigenden Eindruck, nicht blos an sich selbst, 
sändern auch im Vergleich mit Plotin’s Lehre. Auch Plotin ver- 
lässt den Boden der Wirklichkeit mit seinen Spekulationen: sein 
Urwesen, sein Nus, seine Weltseele sind Geschöpfe der Abstrak- 
tion und der Phantasie, die sich nicht ohne Widerspruch vorstelleg 
lassen. Aber wir sehen in diesen Abstraktionen doch fortwährend 
das wirkliche, was ihnen zu Grunde liegt; wir erkennen in dem 
Einen als seinen eigentlichen Inhalt die Sehnsucht des mensch- 
lichen Geistes, der über alles bestimmte und getheilte Sein hin- 
ausstrebt; wir haben an dem Nus und der Seele das Abbild des 
menschlichen Denkens und Wesens, und der Philosoph hat noch 
nicht das Bedürfnjss, durch fortgesetzte Spaltung und Zusammen- 
setzung der Begriffe zu solchen Bestimmungen fortzugehen, bei 
denen uns jede reale Analogje im Stich lässt. Die jenseitige Welt, 
die der Mensch sich gegenübergestellt hat, kann ihren mensch- 
lichen Ursprung noch nicht verläugnen, sie tritt dem Denken noch 
nicht als etwas durchaus fremdartiges gegenüber; es hat sie selbst 
erzeugt, und fühlt sich desshalb trotz ihrer Jenseitigkeit immer 
noch bis auf einen gewissen Grad in ihr zu Hause. Anders ver- 
hält es sich bei Proklus. Ihm sind die Grundbegriffe seiner Lehre 
aus der Ueberlieferung einer längst bestehenden Schule zugekom- 
men, mit den philosophischen Begriffen hat sich eine zahllose 
Menge von mythischen Vorstellungen und religiösen Meinungen, 


Schule des Proklus. 647 


.aus griechischen und orientalischen Quellen der verschiedensten 
Art, verschmolzen, das Denken hat einen gegehenen massenhaften 
Stoll vor sich, und es verhält sich in seinem Auktoritätsglauben zu 
diesem Stoffe viel zu gebunden, als dass es ihn frei zu gestalten 
und innerlich zu bewältigen vermöchte. Es hleibt ihm daher nur 
die formelle Thätigkeit einer äusserlichen Bearbeitung ; die über- 
lieferten Lehren können erläutert, näher bestimmt, ‚nach einem 
logischen Schema symmetrisch geordnet werden, aher die selb- 
ständige Gedankenerzeugung hat nur einen beschränkten Spiel- 
raum; wir erhalten zwar ein kunstreiches und verwickeltes Lehr- 
gebäude, aber die Mehrzahl seiner Bestimmungen verschliesst sich 
dem Verständniss, die realen Verhältnisse und Gesetze, deren Ab- 
bild wir von jeder philosophischen Lehre erwarten, erscheinen 
bier bis zur Unkennilichkeit entstellt, der ganze Ausbau des 8γ- 
stems ist nicht aus der Betrachtung der Wirklichkeit, auch nicht 
aus den inneren Bedürfnissen des Menschen, sondern nur aus der 
logischen Consequenz entsprungen, mit der abstrakte Voraus- 
setzungen in immer weitere Abstraktionen ausgesponnen werden. 
Dieses System gewährt daher im ganzen nicht einmal die Befrie- 
digung einer kühnen philosophischen Dichtung, sondern wir schei- 
den von ihm mit jenem Gefühl der Ermüdung, wie es durch ein 
immer wiederholtes und immer vergebliches Suchen nach klaren 
Begriffen statt der inhaltlosen Abstraktionen und Formeln erzeugt 
wird... Je weniger aber dieser Formalismus dem realistischen Sinn 
der klassischen Welt gemäss war, um so sicherer werden wir in 
seiner Herrschaft einen Beweis der Erschöpfung und ein Vorzei- 
chen der Auflösung sehen können, die unmittelbar nach Proklus 
in der neuplatonischen Schule eintrat. 


15, Die neuplatonische Schule nach Proklus. Das Ende der 
griechischen Philosophie. 


Unter den Mitschülern des Proklus kennen wir den Alexan- 
driner Hermias 1) durch seinen Commentar zum Phädrus 3); 


‚ 1) Ueber seine Persönlichkeit erfahren wir einiges durch Damasc. v. leid, 
74. Sum. Παμπρέκ. 8. 35 Bernb. Als Schüler Syriau's und Mitschüler des 
Proklus bezeichnot auch er selbst sich in der Mittheilung aus Syrian’s Unter- 
richt in Pbedr. 8. 107 u. 

3) Abgedruckt in Aur’s Ausgabe des Phädrus. Von sonstigen Schriften 


«48 Hermias. , 


derselbe ist jedoch nicht geeignet, die geringe Meinung, welche 
Damasctus über die philosophische Befähigung seines Verfassers 
ausspricht 1), zu widerlegen. So breit er auch den platonischen 
Text erläutert, und sosehr er es sich namentlich angelegen sein 
lässt, Beweisführungen und Eintheilungen auf ihre schulmässige 
Form zurückzuführen ?), so wenig findet sich doch bei ihm von 
eigenthümliehen Gedanken; sein philosophischer Standpunkt ist 
durchaus der seines Lehrers, von dem er ohne Zweifel auch als 
Ausleger das meiste entlehnt hat. So finden wir bei ihm, wie bei 
Syrian, die Eintheilung der Götter in intelligible, intellektuelle 
und überweltliche °); diesen zunächst die innerweltlichen Götter, 
die Engel, Dämonen und Heroen Ὁ. Auf diese Wesen deutet er 
ferner nicht blos die Götter des Volksglaubens, sondern auch ein- 
zelnes in den platonischen Gesprächen in derselben Weise, wie 
seine Vorgänger 5). Er wiederholt die Bestimmungen früherer 


des Hermias kennen wir eine rpoßswpla el; τὴν ekaywynv Πορφυρίου, aus wel- 
cher die akademischen Scholien zu Aristoteles 8. 9 f. Auszüge geben. Ob die 
Bemerkung des Aumosius in Anal. pri. 24, b, 19 (Arist. Org. ed. Waite 3. 46), 
dass er die Schlüsse der zweiten und dritten Figur als vollkommene anerkasnt 
habe, sich auf einen Commentar zur Analytik bezieht, lässt sich nicht aus- 
machen. | 

1) A. a. OÖ. sagt er: Hermias sei zwar ein Mann von dem vortrefflichsten 
Charakter gewesen, sonst aber habe er sich nur durch seinen Fleiss und sein 
gutes Gedächtniss ausgezeichnet; ἀγχίνους δὲ οὔτι σφόδρα ἦν, οὐδὲ λόγων slgs- 
τὴς ἀποδειχτιχῶν. Bo genau er sich auch an alles erinnerte, was er gelesen 
oder von seinem Lehrer gehört hatte, 80 habe es ihm doch an dem adtoxivgrev 
gefehlt, und er sei nicht im Stande gewesen, Einwürfen nachdrücklich zu 
begegnen. 

2) M. vgl. in dieser Besiehung beispielshalber 8. 114 ff. 

8) In Phedr. 148, o., wozu, Syrian betreffend, 8. 694, 2 zu vergleichen 
iet. Ob 8. 103 u. mit den θεοὶ, welche als das höhere und einheitlichere vom 
voös unterschieden werden, die intelligibeln Götter oder noch höhere, den 
überwesentlichen Henaden des Proklus (8. 8. 716) entsprechende Wesen ge- 
meint sind, ist nicht klar. 

4) 8, 134 m. 148 m. 

5) Auf die intelligibeln Götter wird 8. 141 die Νὺξ der orphischen Ge 
dichte gedeutet, auf die oberste Reihe der intellektuellen 8. 138 0. 139 m. 
Uranos und das νῶτον τοῦ οὐρανοῦ im Phädrus, auf die ihm znnächstfolgenden 
Götterreihen (welche nach 8. 141 ο. die Cyklopen und Hekatoncheiren sind) 
8. 139 m. die ὑπουράνιος ἀψίς. Zeus bedeutet in erster Btelle die demiurgische 
Monas, welche über den demiurgischen 'Triaden steht; unter ihr stehen zo- 


Hermias. “49 


Neuplatoniker über das Wissen der Götter !) und über die Art 
und Weise ihrer Fürsorge für die Welt 9. Er theilt die Vorstel- 
lungen seiner Schule über die Dämonen und die verschiedenen 
Arten derselben, über ihre Verrichtungen, über Schutzgeister 5) 
u. 3. w., nebst allerlei sonstigem Aberglauben *). Er giebt der Seele, 


nächst die drei Δίες, welche die τριὰς Altos, die demiurgische Trias, bilden, 
Zeus, Poseidon, Pluto; auf sie folgen drei weibliche Gottheiten als ζωογό- 
veor, drei männliche als φρουρητιχοὶ und schliesslich wieder drei weibliche als 
ἐπιστρεπτιχαί (R. 134); eine Construction der Zwölfgötter, welche der &. 728 
aus Proklus angeführten verwandt ist, aber im einzelnen doch von ihr ab- 
weicht, noch mehr aber von der des Jamblich sich unterscheidet, welcher 
(8. ο. 628, 2) die Zwölfgötter in den θεοὶ ἐγχόσμιοι gesucht, und dieselben, nach 
Sırrusr. De Diis c. 5 zu schliessen, in die vier Triaden der ποιοῦντες τὸν χόσ- 
μον (Zeus, Poseidon, Hephäst), ψυχοῦντες (Demeter, Hera, Artemis), ἁρμόζοντες 
(Apollo, Aphrodite, Hermes), und φρουροῦντες (Hestia, Athene, Ares) vertheilt 
hatte. Zugleich sagt aber Hermias a. a. O. auch, jeder von den drei Zeus 
habe vier Götter unter sich, einen der das Sein, einen der das Leben, einen 
der das Bestehen und die φρουρὰ, einen der die ἐπιστροφὴ ἐπὶ τὰς οἰχείας ἀρχὰς 
bewirke; und um die Verwirrung voll zu machen, fügt er 8. 185 u. bei: wenn 
man von zwölf Göttern rede, so sei diess nicht arithmetisch zu verstehen, 
sondern „zwölf“ sei ein Symbol der Vollkommenheit; διὸ χἂν μύριοι ὦσι Adyov- 
ται δώδεχα, καὶ ἔχαστος αὐτῶν ἕν δώδεχά ἐστι. Als bezeichnend für diese Den- 
tangskunst mag noch angeflüibrt werden, dass Hermias 8. 178 ο. 179 auch die 
τέττιγες ὑπὲρ κεφαλῆς ἡμῶν ἄδοντες Phädr. 268, E von den θέΐαι ψυχαὶ ἤτοι δαί» 
μονες A θεοὶ, οἱ ὑπὲρ κεφαλῆς ἡμῶν ὄντες καὶ ὑπὲρ ἣμᾶς erklärt; übrigens war 
ihm, wie er selbst bemerkt, Jamblich in dieser ziemlich weit ausgesponnenen 
Erklärung vorangegangen. Von demselben oder von Syrian wird wohl auch 
berrühren, was 8. 202 m., im allgemeinen übereinstimmend mit dem 8. 748, 6 
aus Proklus angeführten, über das Lachen der Götter über Hephäst ge- 
sagt ist. 

1) 8. 98 o.: Die αἴσθησις der Götter sei ein Erkennen ohne besondere 
Sinnesorgane und ohne das durch die Einwirkung des Gegenstands erzeugte 
Leiden; 8. 189 m.: ihr Denken sei kein discursives. 

2) 8. 138 0.: δῆλον δὲ, ὅτι οὐχ ἐπιστρέφοντες εἷς ἡμᾶς, οὕτως ἡμῶν προνοοῦ- 
σιν, ἀλλὰ πρὸς τῷ αὐτῷ μαχαρίῳ ὄντες (in der gleichen Seligkeit verharrend) 
αὐτῷ τῷ εἶναι τὰ ἡμῶν εὖ διατιθέασι. 

8) Vgl. 8. 89 u. 98 ἢ 

4) Bo nimmt er 8. 94 m. den Glauben an Vorbedeutungen (dass es z. B 
ein tibles Vorzeichen sei, wenn ein Wiesel über den Weg läuft u. dgl.) in 
Schutz; 8. 104 u. setzt er auseinander, dass Götterbilder durch theurgische 
Kunst (τελεστιχὴ), welcher er hier überhaupt die weitgreifendsten Wirkungen 
beilegt, nicht allein beseelt, sondern auch in Enthusiasmus versetzt und mit 
höherer Erleuchtung erfüllt werden können; 8. 109 m. erzählt er die Legende 
von der Sibylle, deren oben,’8. 708, 2, Schl, gedacht wurde. 


730 Ammonius. 


wie diess gleichfalls allgemem angenommen war, einen ätherischen 
Leib, der sie auch nach dem Tode nicht verlässt 1); und des 
Seelenkräften 3), welche auch schon Plato und Aristoteles bekanı 
waren, fügt er mit Proklus das Einheitliche in der Seele be, 
welches ein Abbild des überseienden Einen und das Organ des 
Enthusiasmus und der göttlichen, im Enthusiasmus empfangenen 
Erleuchtung sei ®). Er folgt hierin ohne Zweifel Syrian, dessen 
Lehre er überhaupt ziemlich unverändert wiederzugeben scheiat 

.Bedeutender,, als Hermias, ist sein Sohn Ammonius, der 
Schüler des Proklus *), welcher ebenso, wie sein Vater, der 
alexandrinischen Schule vorstand 5). Von dem Ansehen, in wel- 
chem dieser Mann nicht allein als Ausleger der platonischen und 
aristotelischen Schriften, sondern auch als Mathematiker ud 
Astronom stand °), legt die Zahl und der Name seiner Schüler 


1) Aus S. 95 o. erfahren wir, dass dieses ὄχημα nach dem Tode, wie die 
der Götter, λαμπρὸν dv καὶ χαθαρὸν, ὅλον δι᾽ ὅλου ἐσὴν αἰσθητικὸν, und aus 
8. 180 u., dass es οὐχ ἔστι τριχῇ διαστατὸν ἀλλ᾽ ἐπίπεδον, ὡς λεπτὸν καὶ ἄϊλον. 

2) Hermias zählt deren 8. 150 m. vier: λόγος, θυμὸς, ἐκεθυμία, φύσι, 
indem er die letstere aus der peripatetischen und stoischen Lehre der pl» 
tonischen Dreitheilung beifligt; das λογικὸν wird in διάνοια und δόξα getheilt, 
und jene wieder in den νοῦς (welcher auffallenderweise nrit dem δυνάμει νοῦς 
des Aristoteles zusammenfallen soll) und die διάνοια im engen Binn; 8. 68 u. 
endlich werden fünf γνωστιχαὶ δυνάμεις gesählt: νοῦς, διάνοια, δόξα, φαντασία, 
αἴσθησις. 

8) 8. 108 ff., wo auch von den verschiedenen Arten der Begeisterung 
(ἐνθουσιασμὸς, μανία) gesprochen wird. 

4) Von andern gleichnamigen wird er gewöhnlich als ᾿Αμμώνιος "Epysie 
unterschieden. Nach dem frühen 'Tod seines Vaters brachte ihn seine Mutter 
Aedesia zu Proklus (8uın, Aldse., aus Damasoius); er selbst bericht sich auf 
den Unterricht des Proklus De interp. 8, a und bei Prior. Anal. post. 35, 5b,% 
(Schol. in Arist. 218, a, 17); ebenso Askrer. Schol. 577, b, 26. — Ausser ibm 
hatte Hermias noch einen Bohn, Heliodorus, der gleichfalls ein Phile- 
soph genannt wird, aber seinem Bruder nicht gleichkam (Su:n. a. =. 0. Da- 
wasc. Isid. 74. 76). 

5) Hier hörte wenigstens Damascius seine Vorträge über platonische 
Schriften und über die astronomischen Werke des Ptolemäus; πον. Col. 
181, Schl., 8. 127. 

6) Damasc. Isid. 79 bezeugt von ihm: ὅτι φιλοκονώτατος γέγονε, zaı zid- 
στους ὠφέλησε τῶν πώποτε γεγενημένων ἐξηγητῶν. μᾶλλον δὲ τὰ ᾿Αριστοτέλους 
ἐξήσκητο. In der Astronomie and Gleometric ohnedem habe er sich nicht alleis 
vor seinen Zeitgenossen, sondern auch nahezu vor allen früheren ausgeseich 


Ammonius δῖ 


Zeugniss ab !); was uns von seinen Werken erhalten, oder über 
dieselben mitgetheilt ist, lässt in ihm, trotz der Breite, mit der 
er auch selbstverständliches ausführlich erörtert, und trotz des 
Formalismus, in den er sich dann und wann verliert 3), immerhin 
einen kenntnissreichen und sorgfältigen Ausleger erkennen, der 
von seinen Nachfolgers viel benützt wurde, und neben dem lo- 
gischen namentlich auch das mathematische und astronomische 
in den aristotelischen Büchern zu erläutern und zu prüfen sich 
angelegen sein liess ὅ). In den Ansichten, die er aus Anlass 


net. Ebenso bei Pnor. a. 8. O.: οὐ μιχρῷ μέτρῳ τῶν καθ᾽ ἑαυτὸν ἐπὶ φιλοσοφίᾳ 
διαφέρειν καὶ μάλιστα τοῖς μαθήμασι. Ob er der Ammonitıs ist, welchem Dauasc. 
Isid. 292 schmutzige Gewinnsucht vorwirft, lässt sich aus dem fragmentari- 
schen Auszug des Photius nicht abnehmen. 

1) Ausser Damascius, Bimplieius, Asklepius, Theodotus, Olympiodorus, 
von welchen diess später nachgewiesen werden wird, hatte er anch den Jo- 
hannes Philoponus zum Schüler, der öfters von ihm, als seinem Lehrer, oder 
als „dem Philosophen“ Aussprüche anführt; vgl. Prıtor. Anal. pri. VII, b, ὁ. 
(Schol. in Arist. 145, b. 7). Anal. post. 35, b, m. 118, b, o. 120, b,m. Phys, 
P, 8, m. 

2) Wie De interpret. 174, b Β΄, wo er ausreohnet, dass es 1512 Arten 
entgegengesetster Sätze, und mithin 3024 derartige Sütze gebe, Einiges wei- 
tere über Ammonius’ Logik bei Psantı Gesch. ἃ, Log. I, 652 £. 

8) Wir besitzen von Ammon. Erklärungen von Porphyr's Einleitung 
und Aristoteles x. Ἑ ρμηνείας (über letztere vgl. Brannıs über ἃ. Arist. 
Org. Abh.d. Berl. Akad. 1833, hist, phil. Kl. 8. 288); seinen Namen trägt auch 
eins Erklärung der Kategorisen; indessen hat Baaunıs a. a. Ὁ. 8. 288, 
unter Psasıı’s Zustimmung (Gesch. d. Log. I, 642) gezeigt, dass dieselbe 
jedenfalls nur eine schlechte Bearbeitung von Ammonius’ Schrift sein kann. 
Aus seinem Commentar zur ersten Analytik giebt Waıtz Arist. Org. 
I, 43 fl. Auszüge; was dagegen Puıtor. Anal. post. 35, b, m. 118, b, o. 120, 
b, m unter Berufung auf seine Aussage über Proklus’ Erklärung der aweiten 
Analytik mittheilt, besieht sich auf den mündlichen Unterricht seines 
Lehrers. Ebenso verhält es sich mit der Angabe über seine Auslegung der 
Physik bei Pıuc. Phys, P, 3, m., und (trotz des Präsens in der letzten von 
diesen Stellen) wahrscheinlich auch mit denen bei Sınrı. Phys. 42, a, 0. m. 
43, a, u. Dagegen setzen die Citate in den akademischen Scholien 487, a, 39. 
495, a, 24. 515, b, 11 eine Schrift über die Bücher vom Himmel voraus. 
Ebenso müssen Or.ymrıopor die Erklärungen von Stellen der Meteorologie, 
deren er an verschiedenen Orten seines Commentar's (Arist. Meteorol. ed. Ide- 
ler I, 133. 184. 256. 260. 294. II, 136. 187. 197. 215. 224) gedenkt, schrift- 
liob vorgelegen haben; ob aber in einer Schrift des Ammonius, oder in einer, 
vielleicht von ihm selbst verfassten, Nachschrift aus dessen Lehrstunden, 


N 


1323 Ammonius. 


seiner Erklärungen ausspricht, treten die mystischen und pber- 
tastischen Elemente des damaligen Platonismus verhältnissmässg 
zurück; aber doch ist eine bemerkenswerthe wissenschaftlich 
Eigenthümlichkeit auch hier nicht wahrzunebmen. Ammoniss 
sucht etwa den Streit zwischen den Peripatetikern und Platoniken 
über das Sein der Arten in der Gattung durch die Annahme zu 
schlichten: in dem Allgemeinen, welches dem Besondern vora- 
gehe, seien die artbildenden Unterschiede aktuell enthalten, in 
dem, welches im Besondern ist, nur potentiell; von dem ersierea 
reden die Platoniker, wenn sie das aktuelle, von dem zweiten 
die Peripatetiker, wenn sie das potentielle Sein derselben in der 
Gattung behaupten 1). In anderen Fällen vertheidigt er Plato 5) und 
die Pythagoreer ®) gegen die Einwürfe, mit welchen Aristoteles 
die Ideen- und Zahlenlehre bestreitet. Er selbst erklärt sich über 
die Ideen im Sinn seiner Schule, wenn er nur von den natürlichen 
Arten Ideen annehmen will Ὁ. Er behauptet mit dem ganzen 


lässt sich nicht ausmachen. Seine Auslegung der Metaphysik halie 
Asklepius, wie die Ueberschrift seiner Scholien (Schol. in Arist. 8. 518) be 
sagt, niedergeschrieben; ausdrücklich genannt wird er 8. a. O. 547, b, 13. 
552, a, 25. 81. 559, ὃ, 9. 568, b, 1. 576, Ὁ, 14. 577, Ὁ, 26. 581, b, 12. 587,3, δ. 
588, a, 1. 595, a, 31.89. 606, a, 29. Ὁ, 20. 621, Ὁ, 27. 661, b, 18. 666, b, 6. 68%, 
a,18. 758, a, 6. Was Puıcor. De an. Q, 8, 0. Ο, 18, u. und wohl auch ebd. 9, 5. 
aus Ammonius Erklärung der Bücher von der Seele anflhrt, scheint aus 
persönlicher Erinnerung geschöpft zu sein. Dagegen weisen die Citate OLrs#- 
pıopor’s in Gorg. 8. 100 (8. 277 der Ausgabe von Jaun in Jahn’s Jahr. 
Supplementb. 14). 8. 158 (385). 157 (888). 165 (395). 170 (618). 171 (519) 
177 (528). 178 (524). 197 (689) auf einen von Ammonins, oder nach seinen 
Vorträgen, schriftlich abgefassten Conımentar sum platonischen Gorgiss 
Einer Abhandlung über den Satz, dass Gott nach Aristoteles nioht blos 
telıxov, sondern auch ποιητικὸν αἴτιον der Welt sei, erwähnt Bıurı 
Phys. 821, b, ο. De coelo 122, b, 43 (Sohol. 486, a, 82); eines μονόβιβλος über 
die hypothetischen Schlüsse eine Handschrift bei Crawer Anecd. Paris 
I, 390. Unter Ammonius’ Namen ist endlich noch eine Lebensbesohreibung 
des Aristoteles erhalten, die aber (wie schon Bd. II, b, 2, 1 bemerkt wurde) 
nicht für Acht gelten kann. 

1) In qu. voc. Porph. 59, b ff. — eine Erörterung, welche sehon die 
Frage über die universalia ante rem und in re berührt. 

2) Vgl. Askuer. Schol. in Arist, 552, a, 31. 668, b, 1. 577, b, 26. 581, 
b, 12. 588, a, 1. 

8) Ebd. 559, b, 9. 

4) Ebd. 576, b, 14; vgl. auch 8. 621, b, 27 die Bemerkung, dass dis 
διαφοροὴ (die blossen Eigenschaftsbegriffe, wie λογιχότης) ἀνυπόστατοι seien. 


Ammonins. 753 


Neuplatonismus die Ewigkeit der Welt 1). Er äussert sich mit 
Abscheu über den manichäischen Dualismus 7), bestreitet den 
astrologischen wie den stoischen Fatalismus, und sucht nach Jam- 
blich’s Vorgang die Vereinbarkeit des göttlichen Wissens und der 
menschlichen Willensfreiheit nachzuweisen °). Ebenso verthei- 
digt er die Wirksamkeit der Gebete mit dem Satze, dass die an 
sich allgemeine Vorsehung der Götter (die er sich nicht durch 
Berathung und Entschluss vermittelt, sondern mit ihrem Sein 
selbst gegeben denkt) sich an jedem nach Maassgabe seiner Em- 
pfänglichkeit und seines geistigen Zustandes bethätige *); diese 
rationelle Begründung hält ihn aber natürlich nicht ab, alle 
möglichen Erzählungen über das Eingreifen der Götter in den 
Weltlauf anzunehmen ®). Etwas neues ist in allem diesem nicht 
zu finden, und auch was uns über Ammonius’ Lehre vom Nus 
mitgetheilt wird, lautet nicht sehr erheblich 5). 

Unter den übrigen Schülern des Proklus wird der Arzt 
Asklepiodotus aus Alexandria 7) von SımeLicıus mit Auszeich- 


1) PaıLor. Phys. P, B, m. 

2) Bei Aszuer. Schol. in Arist. 666, b, 8. 684, a, 18. 

8) De interpret. 106 fi. (Der wesentliche Inhalt dieser Ausführung wurde 
schon 8. 681, 4 angeführt.) Dass er im Interesse des Vorsehungsglaubens und 
der sittlichen Zurechnung die Astrologie verwarf, bemerkt OrLrurıov. in 
Gorg. 197 (688). 

4) De interpret. 82, a f. 108, a. 

δ) A.a. 0.8. 108 beruft er sich für die Gebetserhörung auf die Erfah- 
rung, welche in den πολύστοιχοι τῶν θείων ἐνεργειῶν πραγματέίαι und in täglich 
vorkommenden Fällen vorliege.. Dagegen widersprach er allerdings einem 
groben Volksaberglauhen hinsichtlich der Zauberei; Ouramrıon. in Gorg. 158 
(384 f.). 

6) Paıtor. De an. Q, 8 bemerkt aus Anlass der Stelle De an. III, 4, er 
sei sowohl mit der Erklärung Alexander’s (über die erste Abth. 8. 712), als 
mit der Plutarch’s (s. ο. 680, 2), unzufrieden gewösen, und nachdem er seine 
Einwendungen gegen dieselben ausführlich berichtet hat, giebt er selbst, ohne 
Zweifel auch noch nach Ammonius, eine dreifache Bedeutung, oder genauer 
drei Stufen in der Entwicklung des Nus an: 1) ὃ νοῦς δυνάμει εἰδὼς τὰ πράγ- 
pata, wie der der Kinder; 2) ὃ νοῦς ὃ καθ᾽ ἕξιν εἰδὼς τὰ πράγματα, wie der der 
Erwachsenen, die etwas wissen, aber sich nicht eben damit beschäftigen; 
8) ὃ χαθ' ἕξιν ἅμα καὶ ἐνέργειαν, wie der der Erwachsenen, welche etwas wis- 
sen, und von diesem Wissen in wirklichem Denken Gobrauch machen. 

7) Sup. u. ἃ. W. (nach Damascius). Ebd. und bei Damasc. Isid. 116. 189 
einiges weitere über seine Persönlichkeit und seine Verhältnisse, 


Philos. ἃ. Gr. ΠῚ. Bd. 2. Abth, 48 


BA Askleopiodotus. 


nung genennt, indem er zugleich bemerkt, er sei in manchen 


Punkten von der Lehre des Proklus -abgewichen ’). Der tadel- 


süchtige Duwascrvs spricht von ihm, trotz der Frömmigkeit und 
der Wunderkraft, die er im nachrühmt 39, nur mit getheilier 
Hochschätzung: seine Begabung °) sei ungleichmässig gewesen; 
scharfsinnig im Zweifeln, habe es ihm doch an der Fähigkeit 
gefehlt, schwierigere Gegenstände zu begreilen; für die Tiefen 
der platowischen, namentlich aber der orphischen und chaldäischen 
Lehre, habe er kein Verständniss gehabt; an naturwissenschaft- 
lichen und mathematischen Kemntnissen habe er alle seine Zeit- 
genossen übertroffen %), aber in der Ethik allzu viele Neuerungen 
vorgenommen, und sie auf das niedrige Gebiet dieser Welt be- 
schränkt 5). Uns wird dieser Tadel eher beweisen, dass sich 
Asklepiedotus durch eine nüchternere Denkweise zu seinem Vor- 
theil von der Masse der damaligen Neuplatoniker unterschied, 
und nicht allein den theologischen Spekulationen, sondern auch 
den theurgischen Künsten und mystischen Veberschwänglichkeiten 
der Schule abgeneigt war °); leider ist uns aber über seine An- 


1) Phys. 188, Ὁ, m (aus Anlass der Untersuchung über die Zeit: οἱ δὲ 
μετὰ Πρόκλον ἕως ἡμῶν σχεδόν τι πάντες οὐχ ἐν τούτῳ μόνον, ἀλλὰ καὶ ἐν τοῖς ἀλ- 
λοις ἅπασι τῷ Πρόχλῳ κατηκολούθησαν. ᾿Ασχληπιόδοτον ἐξαίρω λόγου τὸν ἄριστον 
τῶν Πρόχλου μαθητῶν καὶ Δαμάσχκιον τὸν ἡμέτερον ὧν ὁ μὲν δι' ἄκραν εὐφυιΐαν και- 
νοτέροις ἔχαιρε δόγμασιν" ὃ δὲ Δαμάσχ. u. 5. w. (8. u. 760, 8). 

2) Bei Sur. ᾿Ασχληπιόδοτ. und Δεισιδαιμονία. V. Isid. 116. 139 £. Ebd. 
160 wird er μέγας gensmnt. 

8) Ueber die anoh σιν. ᾿Ασχληκιόδ. mu vorgleioben ist. 

4) Ueber den Eifer und Erfolg, mit dem er seine naturwissenschaftlichen 
Stadien betrieb, äussern: sich auch die Mittheilungen bei Sum, ᾿Αάσχλ. mit der 
höchsten Anerkennung. 

6) Isid. 126, wo die Schlunsworte lauten: ἐν τοῖς περὶ ἠθῶν δὲ χαὶ ἀρετῶν 
‚dsl τι καινουργέϊν ἐπεχείρει, χοὶ πρὸς τὰ χάτω χαὶ τὰ φαινόμενα συστέλλειν τὴν θεω- 
plav, οὐδὲν μὲν, ὡς ἔπος elndiv, τῶν ἀρχαίων νοημάτων ἀποιχονομούμενος, πάντα 
δὲ συνωθῶν καὶ χατάγων εἰς τήνδε τὴν φύσιν τὴν περιχόσμιον. Ueber seine ἄσεί- 
lichen Studien und Ansichten ebd. 128 f. Sun. Σωραν. 

6) Vgl. Bun. Δεισιδαιμονία, der ohne Zweifel aus Damascius berichtet: 
“Asklepiodotus sei gottesfürchtig und fromm gewesen, babe sich aber gescheut, 
Opfer darsubringen, oder sich gelieime Künste mittheilen zu lassen (ἀποῤῥάήτου 
μηϑενὸς ἀκούειν)" οὐ γὰρ εἶναι ταῦτα τῆς γενέσεως ἄξια, ἀλλὰ τοῦ Ὀλύμπου χαὶ τῶν 
ἐν ᾽Ολύμπῳ διαζῆν ἡγουμένων. Er sah also in diesen Dingen eine tadeluswerthe 
ÜUeberbebung. Auch von der Agyptischen Weisheit wollte er niohts wissen; 


vgl. Bun, ᾿λδαύμονες. 


Marinus. 'Isidoras, 7b 


sichten nichts näheres überliefert 1). — Von seinem Mitschüler 
Marinus, dem Nachfolger des Proklus ?), sagt Damascıus °), er 
sei in seiner Erklärung des Parmenides, unfähig, dem Geistesflug 
des Proklus zu folgen, von den überwesentlichen Einheiten auf 
die Ideen zurückgegangen; in seiner Biographie des Proklus er- 
scheint er als ein Mann von untergeordnetem Geiste, von dem 
man vermuthen möchte, dass ihm nur seine unbedingte Ver- 
ehrung gegen seinen Lehrer, oder der Mangel an tüchtigeren 
Kräften, die Ehre des Scholarchats verschafft habe. Die neu- 
platonische Schule zu Athen soll unter ihm in tiefen Verfall 
gerathen sein *). Sonst wird über ihn gleichfalls nur wenig mit- 
getheilt °). — Marin’s Nachfolger Isidorus, auf welchen schon 
Proklus grosse Hoffnungen gebaut hatte 5), erscheint nach der 
Schilderung seines Lobredners als ein Theosoph, welcher von 
der höheren Erleuchtung und dem Enthusiasmus weit mehr er- 
wartete, als von der methodischen Forschung °); für die Auf- 


1) Was ausser dem angeführten von ΟΥΥΜΡΊΙΟΡΟΒ (Arist. Meteorol. ed. 
Idel. II, 222) und dem Anonymus Schol. in Arist. 508, a, 89 mitgetheilt wird, 
ist ganz unerheblich. Doch erfahren wir aus der ersteren Stelle, dass er einen 
Commentar zum Timäus geschrieben hatte. 

2) Dieser Philosoph stammte nach Dauwasc. a. a. Ὁ. 141 aus Neapolis 
in Palästina (Bichem), war aber zur hollenischen Beligion übergegangen. 
Schwächlichen Körpers (148. 152) und von mässiger Begabung, erwarb er sich 
durch seinen Fleiss oine angesehene Stellung in der Schule (142). Vor seinem 
Tode bestimmte er Isidor zu seinem Nachfolger (224 £.). 

8) Vita Isidori 275. Aehnlich wird ebd. 144 vgl. 142 über ibn geur- 
theilt. 

4) Dauasc. a. a. O. 228. 

5) Schol. in Arist, 8, b, 28 wird von ihm das Wort angeführt: „wenn 
doch alles Mathematik (ἃ. h. der mathematischen Bicherheit fähig) wäre.“ 
Ebd. 188, a, 46 scheint sich auf einen Commentar zur ersten Analytik zu be- 
ziehen. Prior. De an. Q, 10, u. giebt an, dass er (vielleicht in einem Com- 
mentar zu der aristotelischen Schrift) unter dem ἐνεργείᾳ νοῦς des Aristoteles 
οὗ τὴν μίαν τῶν πάντων ἀρχὴν, ἀλλὰ δαιμόνιόν τινα ἢ ἀγγελικὺν verstanden habe. 
Nach Dauwasc. ἃ. ἃ. Ο. 141 hatte er nur wenig geschrieben; einen ausführ- 
lichen Commentar zum Philebus batte er, da Isidor nicht damit zufrieden 
war, selbst wieder verbrannt; ebd. 42. 

6) Dauasc. V. Isid. 278 f. Seiner Herkunft nach war Iaidor, nach Sup. 
Συριαν., ein Alexandriner. Ueber seinen Bruder Ulpianus, der aber jung starb, 
8. m. Sum. Οὐλπ. 

7) Dauasc. a. a, Ὁ. 82: Er babe die ἀγχίνοια und ὀξύτης weder in der 

48" 


«ας 


.ν»..... «- 


156 “ Isidorus. Hegias. 


fassung der platonischen Lehre hielt er sich mit Vorliebe an Jau- 
blich 1). dessen schwülstige Unklarheit doch selbst unter dea 
damaligen Neuplatonikern nicht wenige abstiess 9). Als er sein 
Lehramt nach kurzer Führung niederlegte und in seine Valer- 
stadt Alexandria zurückkehrte ®), folgte ihm Hegias, auch noch 
ein Schüler und eine Hoffnung des greisen Proklus *), dem aber 


εὐχίνητος φαντασία oder der δοξαστιχὴ εὐφυιΐία, noch in der διάνοια εὔτροχος καὶ 
γόνιμος ἀληθείας geancht, sondern in der θεία χατοχωχὴ, in der höheren Er 
leuohtung, welche er selbst εὐμοιρία genannt habe. Ebd. 35—38: Von der 
Rhetorik und Podtik habe er sich zu der θειοτέρα φιλοσοφία des Aristoteles ge- 
wendet; ὁρῶν δὲ ταύτην τῷ ἀναγχαίῳ μᾶλλον ἢ τῷ οἰχείῳ νῷ πιστεύουσαν, za 
τεχνιχὴν μὲν εἶναι ἱκανῶς σπουδάζουσαν, τὸ δὲ ἔνθεον A νοερὸν οὐ πάνυ προβαλλο- 
μένην, ὀλίγον χαὰ ταύτης ὁ ᾿Ισίδωρος ἐποιήσατο λόγον. Erst Plato habe ihn γ 
kommen befriedigt. Unter den älteren Philosophen habe er Pythagoras und 
Plato in den Himmel erboben, unter den jüngeren Porphyr, Jamblich, Byrian 
und Proklus (Plotin, wie es scheint, nicht) und wer sonst durch ἐπιστήμη 
θεοπρεπὴς sich auszeichnete. (Aehnlich Buın. Συριαν. aus Damascius.) Von 
menschlichem Scharfsinn und Wissen dagegen habe er sich für die θεοπρεκὴς 
σοφία wenig versprochen; seien doch selbst Aristoteles und Chrysippus auf 
einer niedrigeren Stufe stehen geblieben. Mit Büchergelehrsamkeit habe er 
sich nicht abgegeben, sondern sich auf den Unterricht des Lehrers, dem er 
Vertrauen schenkte, beschränkt. Statt der Götterbilder habe er sich in hafti- 
ger unaussprechlicher Liebe den Göttern selbst zugewendet, die ἐν ἀποῤῥήτῳ 
τῆς παντελοῦς ἀγνωσίας verborgen seien. Vgl. ebd. 213. 240. 248. 

1) A. a. 0. 86 vgl. Suro. Zuptav. Ebd. 88: er habe sich Plato gans hin- 
gegeben, μετὰ δέ γε Πλάτωνα καὶ ταῖς θαυμασταῖς Ἰαμβλίχον περινοίαις. Dazu 
stimmt auch seine Vorliobe für heilige Mythen, seine Beschäftigung mit der 
Agyptischen Theologie (ebd. 218. 243), und seine weissagenden Träume (12). 

2) Dauasc. a. a. O. 34: οὐχ ὀλίγους τῶν φιλοσόφων δρῶμεν χαὶ ἀχούομεν, 
τοὺς μὲν ἄβατον εἶναι τὸν Ἰάμβλιχον οἰομένους, τοὺς δὲ αὐθάδει μεγαληγορίᾳ λόγων 
τὸ πλέον 4 ἀληθείᾳ πραγμάτων ἐπαιρόμενον. 

8) A.a.O. 226.229: Isidor habe sich nur widerstrobend zur Uebernahme 
des Lehramts verstanden, χαὶ ἐψηφίσθη διάδοχος Ex’ ἀξιώματι μᾶλλον ἢ πράγματ 
τῆς Πλατωνικῆς ἐξηγήσεως. Schon im folgenden Frübjahr verliess er aber Athen; 
oder wenn das ἐβουλεύετο arolırelv des Damasc. nur auf eine unausgeführte 
Absicht gehen sollte, muss er diess doch später gefhan haben, denn Damascius 
hatte ihn in Alexandria zugleich mit Ammonius zum Lehrer (s. u. 758, 1), 
und derselbe bezeugt von ihm bei Puor. Cod. 181, Schl. 8. 137, er habe ihm 
seine dialektische Fertigkeit zu verdanken, wie denn Isidor in dieser Besie- 
hung alle anderen verdunkelt habe. Damit verträgt sich aber schlecht, dass 
es Isidor nach Sup. ’lolö., der sonst doch auch aus Damascius schöpft, an 


dialektischer Uebung gefehlt haben soll. 
4) Manın. Procl. ο. 26 g. E. Sum. ᾿Ἡγίας (nach Damascius). 


Zenodotus u. A. δὲ 


Danascıus ein schlechtes Zeugniss ausstellt, wenn er sagt 1), die 
Philosophie sei in Athen nie in solcher Verachtung gestanden, 
wie zu seiner Zeit. Auch Zenodotus, den Proklus gleichfalls 
sehr hoch hielt °?), war schwerlich bedeutend. Von einigen wei- 
teren Schülern des Proklus kennen wir eben nur die Namen °), 


1) V. Isid. 221; günstiger urtheilt über ihn, der damals übrigens auch 
noch lebte, Marın. a. a. O., während Damasoius auch bei Sun. Εὐπείθ. und 
“Hylas nur seinen Eifer für die hellenische Religion zu rübmen weiss. Die 
Bemerkung bei Scın. “Hy., er sei zwar kein ächter Philosoph gewesen, ἄλλως 
δὲ φιλομαθὴς, ὅσα τὴν φύσιν ἐξηγήσασθαι, weist darauf hin, dass er den allzu 
transcendenten Spekulationen abgeneigt war. Aus dem, was SUIDas an ver- 
schiedenen Orten (‘Hy., ᾿Αρχιάδ., Beayev., Εὐπείθ.) nach Damaseius mittheilt, 
nebst Marin. c. 12. 14. 29. Dauasc. Isid. 157 geht hervor, dass Hegias zu 
Plutarch's Verwandtschaft gehörte. Zumrr (Ueber die pbilos. Schulen in 
Athen. Abh. ἃ. Berl. Akad. 1848, phil.-hist. Kl. 8. 80 ὦ) glaubt, er sei dor 
Sohn von Proklus’ Freund, Archiadas und Plutarch’s Tochter Asklepigeneia 
gewesen; allein nach Marın, 12 war Archiadas, den wir c. 29 mit einer Πλου- 
τάρχη verheirathet finden, Plutarch’s Enkel (ἔγγονος), also nicht der Gatte, 
sondern eher der Sohn der Asklepigeneia, was auch für den Altersgenossen 
des Proklus besser passt, und da Derselbe co. 29 angiebt, die jlingere Askle- 
pigeneia, die Gattin des reichen und freigebigen Benators Theagenes, sei 
das einzige Kind des Archiadas gewesen, so ist Hegias wohl eher für den 
Sohn des Theagenes, also den Ururenkel Plutarch’s, zu halten. Darauf woist 
auch Sum. “Hy. Schl. — Uober Hegias’ Söhne Eupeithius und Archiadas, die 
aber beide für die Philosophie verdorben worden seien, 8. m. Suın. Εὐπείθ. 

2) Dauasc. Isid. 154. Nach Puor. a. a. Ὁ. hatte Damascius in Athen 
seinen philosophischen Unterricht genossen, Phot. nennt ihn bei dieser Ge- 
legenheit διάδοχος Πρόχλου, τὰ δεύτερα Μαρίνου φέρων : wiewohl man ihn aber 
möglicherweise als Schulvorstand zwischen Hegias und Damascius einsobieben 
könnte, ist doch wahrscheinlicher, dass διάδοχος hier in weiterer Bedeutung 
steht. 

8) Einer der ältesten ist Hierius, der Sohn Plutarch’s, welcher aber 
„unter Proklus philosophirte“ (Dauasc. Isid. 88. Sup. Παμπρέπ. 8.85 Bernh.). 
Gleichfalls zu den älteren Schülern des Proklus mag der „grosse“ Perikles 
der Lyder (Marın. Prokl. 29) gehören, derselbe, von welchem Sımrr. Phys. 
50, a, m. anführt, dass er mit den Stoikern das ἄποιον σῶμα für die πρωτίστη 
ὕλη erklärt, und diese Ansicht auch bei Plato und Aristoteles zu finden ge- 
glaubt habe. Weiter berichtet Dauasc. Isid. 109 f. 168. 171 f. 288 und bei 
Sum, Παμπρέπκ. von Pamprepius, einem Aegypter aus Thebä oder Panopolis, 
welcher Lehrer der Grammatik in Athen und zugleich Schüler des Proklus 
war, in der Folge nach Konstantinopel gieng, bei Kaiser Zeno Einfluss ge- 
wann, dann aber in Ungnade fiel, an einer Verschwörung gegen ihn theil- 
nahm und eines gewaltsamen Todes starb; und bei Bum, Zeßnp. v. Isid. 165. 


758 - Damasoius, 


Merkwürdiger ist ung Damascias '). Auch er ist als Phil- 
soph den Koryphäen der Schule nicht gleichzustellen. Seis 
Bevorzugung der Orakelsprüche, der orphischen Gedichte und 
ähnlicher Schriften, die er kaum in geringerem Umfang benätst, 
als die Werke der Philosophen, seine Bewunderung Jamblich’s ?), 
das dunkle, oft fast unverständliche seiner Darstellung, seine 
Vorliebe für die abstrusesten Untersuchungen, die Leichtgläubig- 
keit, mit der er die albernsten Wundergeschichten annimmt und 
weitergiebt ®), die Ungunst, mit der er alle die behandelt, welche 


290 von Sevrerianus aus Damaskus, einem Schüler des Proklus, der als 
Rechtsgelehrter und Beamter gleichfalls an Zeno’s Hof lebte, dort allen Ver 
löckungen zur Annahme des Christenthums standhaft widerstand, sich aber 
such in eine Verschwörung zur Wiederherstellung der alten Religion einliesa 
Ein Schüler des Proklus ist vielleicht auch der Aristokles, an welchen die 
ser ein von Sıuer. Phys. 143, b, u. erwähntes Schreiben gerichtet hatte, und 
der Strato, welchen Damaso. De prince. c. 62 f. 8. 174. 177 K. nennt, und 
welchem (nach Korr’s Anmerkung zu der ersten von diesen Stellen) ein 
Münchner Codex die sonst Olympiodor zugeschriebenen Scholien zum Phile 
bus beilegt. Dagegen ist Ballustius (wie schon 9. 664, 3 bemerkt wurde) 
der platonischen Schule nicht beizuzählen. 

1) Damasoius (über den Kore im Vorwort zu seiner Ausgabe) stammis 
nach der v. Isid. 200. Sımer. Phys. 146, a, m. Pnor. Cod. 181 Anf. aus Ds 
maskus. In Alexandria studirte er unter Theo (über den v. Isid. 62) drei 
Jahre die Rhetorik, die er auch (wo, wird nicht gesagt) neun Jahre lag 
lehrte, dann aber aufgab (vgl. v. Isid. 201); in Athen wurde er von Marina 
in der Mathematik, von Zenodotus in der Philosophie unterrichtet, Ammonius 
führte ihn zu Alexandria (sei es während seines ersten oder seines zwaitea 
dortigen Aufenthalts) in die platonischen Schriften und die Astronomie οἶδ, 
Isidor in die Dialektik (Paor. Cod. 181, Schl. 8.126, b £.); nach Suın, “Eppesi 
wäre ausser Ammonius auch dessen Bruder Heliodorus sein Lehrer gewesen. 
Dass in der Folge er selbst den Lehrstuhl der Philosophie in Athen einnahm, 
wird zwar nicht ausdrücklich überliefert, aber cs ergiebt sich aus dem Titel 
eines διάδοχος, der ihm in den Handschriften seiner Werke beigelegt wird 
(6. Kore a. a. Ὁ, 8. XII), und aus dem Umstand, dass er in seinem Leben 
lsidor’s auf die Verhältnisse der platonischen Schule in Athen bis in’s einzelste 
eingegangen war, und dass er sich darüber auch in den erhaltenen Brach- 
stücken sehr genau unterrichtet zeigt; verbinden wir endlich die zwei Nach- 
richten (s. u.), dass er der Lehrer des Simplicius war, und dass er mit den 
übrigen athenischen Platonikern nach Persien gieng, so erhalten wir gleich- 
falls den Lebrer der Philosophie in Athen. 

2) Vgl. 8. 760, 8. 

8) Das Lebpn Isidor’s bringt solche Faheln in Menge, darunter auch 


Philosophiseher Obarakter, 789 


den Neuplatonismus dem verständigen Donken näher zu brisgen 
suchten !), — alle diese Züge lassen uns die Richtung seines 
Geistes binlänglich erkennen; doch zeugt seine Schrift über die 
letzten Gründe ?) immerhin von dialektischer Schärfe und von 


Dinge, welche Damascius selbst erlebt haben will; noch weit mehr scheinen 
die Παράδοξα enthalten zu haben. 

1) Belege hiefür sind uns so eben in seinem Urtheil über Asklepiodotus 
und Marinus und B. 687, 8 in dem über Hieroklea vorgekommen. 

2) ᾿Απορίαι καὶ λύσεις περὶ τῶν πρώτων ἀρχῶν herausg. von Korr 
1826. Mit dieser Schrift steht eine zweite, handschriftlich noeb vorhandene; 
᾿Απορίαι χαὶ λύσεις εἷς τὸν Πλάτωνος Παρμενίδην in unmittelbarem 
Zusammenbang. Verschicden davon ist die Fortsetzung von Proklus’ Com- 
mentar zum Parmenides, welche Damasoiug in den Handschriften beige- 
legt wird, und deren lückenhaften Text Gousın Prooli Opp. VI, 256 ff. horaus- 
gegeben hat. Ein Commentar zum Alcibiades I wird von OLxruriopor in 
dem seinigen öfters angeführt; m. 8. ἃ, Index der Creuzer'schen Ausgabe; 
Suıp. Δαμάσχ. legt ihm allgemein ὑπομνήματα εἷς Πλάτωνα bei. Auseinem Com- 
mentar zu Aristoteles vom Himmel geben die akademischen Scholien 
8.454 ff. Auszüge (vgl. auch Κορ» 8. XIV). Eine Uebersicht über B. I-—IV 
und VIII der sristotelischen Physik befindet sich nach Irıazrz (bei 
Fasric. Bibl. gr. lil, 230) handschriftlich in Madrid; eine Erklärung von 
Hippokrates’ Aphorismen ὑπὸ φωνῆς Δαμασχίου, deren Aechtheit jedoch 
Κορ» 8.XY bezweifelt, in München. Ueber vier Bücher Παραδόξων λόγων, 
von denen sich zwei mit Dämonen und Geistererscheinungen beschäftigten, 
und welche durchaus ἀδύνατά τε καὶ ἀπίθανα καὶ χακόκλαστα τερατολογήματα καὶ 
μωρὰ enthalten haben sollen, beriohtet Puor. Cod. 180. Ob im einer von die- 
sen Schriften, oder vielleicht auch in einem Commentar zur Mateorolo- 
gie stand, was PnıLor. in Meteorol. 104 (Arist. Meteor. ed. Idel. I, 217) über 
seine Ansicht von der Milchstrasse mittiheilt, lässt sich nicht ausmachen. Ein 
Buch περὶ τόπου nennt Bınrr. Phys. 151, a, o., der aus demselben hier und 
8. 146, a, m, Bruchstücke mittheilt; wahrscheinlich war es aber nur ein Theil 
eines grösseren Werks, der ebd. 183, b, u. angeführten συγγράμματα Hept 
ἀριθμοῦ καὶ τόπον χαὶ χρόνου, aus dem im folgenden, bis 8. 185, a, α., 
mehreres die Zeit betreffende angeführt wird; der Abschnitt über die Zeit wird 
8. 189, b, u. τὸ περὶ χρόνου σύγγραμμα genannt. Endlich kennen wir noch aus 
Puor. Cod. 181. 243 den Bios ᾿σιδώρου τοῦ φιλοσόφου, wabrscheinlich 
die gleiche Schrift, welche Suınas φιλόσοφος ἱστορία nennt; Damasc. hatte 
nämlich darin, nach Paor. Cod. 181, 8. 126, a, nicht allein das Leben Isidor’s, 
sondern auch das visler gleichzeitigen und auch früheren Männer behandelt, 
πλείστη χρώμενος καὶ χατὰ κόρον τῇ παρεκδρομῇ. Die Bruchstücke daraus, welche 
Photius’ Cod. 241 bilden, sind nicht selten his zur Unverstindlichkeit abge- 
rissen; derselben Sohrift ist aber auch eine Reihe zusammenhängenderer Mit- 
theilungen des Suspas Über die späteren Nouplatoniker entnommen, wie sich 


760 Damascius. 


einem gewissen Grad wissenschaftlicher Selbständigkeit !), die 
aber freilich bei ihm mit jener schon von Pnorıus ?) getadelten 
Verkleinerungssucht gepaart war. In seiner Denkart dem Jam- 
blich verwandt, den er, nach seines Lehrers Isidor Vorgang, allen 
andern Philosophen vorzieht °), bemüht er sich, den Grundwider- 
spruch des neuplatonischen Systems zu lösen, und die absolute 
Einheit und Bestimmungslosigkeit des Urwesens mit seiner Be- 
ziehung zum getheilten Sein zu vereinigen. Der Weg, den er 
hiefür einschlägt, ist im wesentlichen derselbe, den seine Vor- 
gänger versucht hatten: der Sprung vom bestimmungslosen zum 
bestimmten soll durch Einschiebung von Mittelgliedern in einen 
stetigen Uebergang verwandelt werden. Weil diess aber an und 
für sich unmöglich war, und weil alle Mittel hiefür längst er- 
schöpft waren, so musste der Versuch nothwendig misslingen, 
und Damascius selbst konnte sich diess nicht ganz verbergen. 
Um den Begriff des Urwesens ganz rein zu fassen, entrückt er 
es allem und jedem Verständniss: es ist weder Eines, noch vieles, 
weder zeugend noch nichtzeugend, weder verursachend noch 
nichtverursachend, es ist weder das Princip noch die Ursache, 
noch das Erste, noch das, was allem vorangeht und über alles 
hinausgeht, es kann nicht bedürfnisslos und erhaben über alle 
Dinge genannt werden, denn diess alles sind nur relative Bestim- 
mungen ἢ), es lässt sich nur als das schlechthin unaussprechliche 
und undenkbare, was vor dem Einen ist, bezeichnen °), oder 
eigentlich auch nicht als dieses, denn das unerkennbare steht im 
Gegensatz zum erkennbaren, von dem Unsagbaren, was über 
dem Einen ist, dürfen wir nicht behaupten, weder dass wir es 


diess von mehreren derselben nachweisen und von den übrigen kaum be- 
zweifeln lässt. 

- 1) Einen ἀνὴρ ζητητιχώτατος χαὶ πολλοὺς εἰςαγαγὼν πόνους φιλοσοφίας nennt 
ihn aueh Sınrı. Phys. 146, a, m. 

2) Cod. 181, 8. 126, a, 18 Bekk., wo treffend bemerkt wird, unter allen 
den Männern, welche Damasc. hier vergöttere, sei doch keiner, den er nicht 
auch wieder herabsetste, selbst den Isidor tadle er ebensosehr, als er ihn lobe, 

8) De princ. 8. 862 (8. ο. 615, 1) vgl. Isid. 88 f, Sımrı. Phys. 188, b, m: 
ὃ δὲ Δαμάσχιος διὰ φιλοπονίαν καὶ τὴν πρὸς τὰ ᾿Ιαμβλίχου συμπάθειαν πολλοῖς οὖς 
ὥχνει τῶν Πρόχλου δογμάτων ἐφιστάνειν. 

4) De princ, 8. ὃ ἢ 24 f. 41. Achnliches findet sich oft. 

5) Ebdas. 8. 55. 


Das Urwesen; die Einheiten, 161 


kennen, noch dass wir es nicht kennen, sondern wir können 
uns im Verhältniss zu ihm nur eine Ueberunwissenheit (ὑπερ- 
ἀγνοιχ) zuschreiben, wir können es nur ahnen (ὠδίνειν), indem 
wir von jeder Eigenschaft und Bestimmtheit absehen, und vom 
erkennbaren in’s unerkennbare flüchten ἢ. Nur um so undenk- 
barer ist es aber, dass aus diesem absolut unbestimmten das be- 
stimmte, aus dem absolut einfachen die Vielheit, aus dem unmit- 
theilbaren das, was an ihm Theil hat, hervorgegangen sein sollte. 
Damascius erkennt diese Schwierigkeit recht wohl 37); aber wie 
kann er hoffen, sie dadurch zu heben, dass er zwischen das Eine 
und das Viele Mittelbegriffe einschiebt, die doch nur eine Ver- 
einigung widersprechender Bestimmungen sein können? Er un- 
terscheidet von dem Unaussprechlichen (ἀπόῤῥητον) oder der ab- 
soluten Einheit mit Jamblich ein zweites Eins, welches die Viel- 
heit gewissermassen an sich hat, und von diesem ein drittes; 
jenes nennt er &v-rdvra, dieses πάντα-δν 9); und in ihnen hat er 
wohl auch die überwesentlichen Einheiten des Proklus gesehen 2). 
Erst aus der dritten von diesen Einheiten soll die Monas und die 
Dyas oder das Begrenzte und Unbegrenzte hervorgehen °), die 
sich in dem ersten zusammengesetzten, dem Geeinigten, oder dem 
Wesen, (ἡνωμένον, οὐσία.) verbinden °). Die weiteren Ordnungen 
zählt Damascius im allgemeinen einstimmig mit Proklus 7). Wie 
wenig er selbst jedoch zu diesen Deduktionen Vertrauen hat, und 
wie sich ihm der ganze Hervorgang des abgeleiteten aus. dem 
Ersten, dieser Angelpunkt der neuplatonischen Metaphysik, immer 
wieder in einen leeren Schein verflüchtigt, zeigt die wiederholte 
Erklärung °): in Wahrheit habe gar kein Hervorgang stattge- 


1) A. 8, 0, 8. 7679. 

2) Vgl.8.90£. 

8) 8. 114. 116 £. 128 £. 146 vgl. 8. 59. 77 £. 

4) Dass er diese nicht aufgeben wollte, zeigt die 8. 755, 8 angeführte 
Stelle v. Isid. 275. 

5) 8. 117. Die Darstellung dieser Lehren ist freilich bei Damascius so 
undurchsichtig, dass ich für die Richtigkeit der obigen Auffassung kaum ein- 
stehen kann. 

6) 8. 146, 

7) 8. 847, wo nach dem χόσμος νοητὸς der νοητὸς χαὶ vospog, der νοερὸς, 
der ὑπερχόσμιος und der ἐγκόσμιος aufgeführt werden. 

8) 8.106 £ 118. 


63 Damascius, 


funden, das niedrigere und das höhere seien weder getrennt noch 
geeinigt, weder identisch noch verschieden, weder ähnlich noch 
unähnlich, weder Eines noch vieles, man könne auch richt sagen, 
dass das eine früher sei, und das andere später, jenes die Ur- 
sache, dieses das verursachte; diess alles sei nur eine mangel- 
hafte Ausdrucksweise; eigentlich gebe es nur Ein einfaches und 
unterschiedsloses Sein, alles sei das Eine, und das Eine sei alles, 
wir begreifen diess nur nicht, weil wir in den Gegensatz von 
Insichbleiben, Aussichheraustreten und Rückkehr zu sich, von 
Einigung und Trennung gestellt seien, auf die höhere Welt finden 
alle diese Unterschiede keme Anwendung 2). So sagt er auch, 
die zwei Principien (die Einheit und Zweiheit) seien eigentlich 
nicht zwei, aber freilich auch nicht Eines 3), man dürfe die 
Dreiheit des Intelligibeln (πατὴρ, δύναμις, νοῦς) eigentlich nicht 
drei nennen °), man dürfe in demselben nicht ein Denken, ein 
Leben oder ein Sein setzen, sondern nur etwas wie ein Denken 
u. 5. f,, nicht einen Hervorgang, sondern nur etwas wie ein Her- 
vorgang, nicht Arten, sondern nur etwas wie Arten u. 5. w. 9). 
Der Neuplatonismus ist hier an dem Punkt angekommen, wo ibm 
die Grundbegriffe seines Systems unter der Hand zergehen, es 
zeigt sich, dass der abstrakte Begriff der Einheit, mit dem er 
anfieng, jeden Fortgang zur Vielheit unmöglich macht, jede Be- 
stimmung, die aufgestellt werden mag, erweist sich sofort als 
täuschend, und nur als das Bekenntniss dieser Verlegenheit sind 
die häufigen Klagen des Damascius über die Beschränktheit der 
menschlichen Rede und des menschlichen Denkens °) zu betrach- 
ten. Denken können wir immer nur bestimmtes, hier aber soll 
das absolut bestimmungslose gedacht werden; diess ist ein Wider- 
spruch, und an diesem Widerspruch ist der Neuplatonismus ge- 
scheitert 5). 


1) Vgl. 107: ἄλλος γὰρ ὃ τρόπος τῆς ἑνιαίας προόδου, ὃν ἧμείς οὕπω συννοοῦ- 
μεν, ἅτε μεμερισμένοι εἷς μονὴν χαὶ πρόοδον καὶ ἐπιστροφὴν, ὃ δέ ἐστιν ὑπὲρ τὸν 
διορισμὸν τῶν τοιούτων᾽ οὔτε ἀναγχαῖον ἡνῶσθαι, εἰ μὴ Braxpiverar, οὔτε διακρίνεσθαι 
el μὴ ἥνωται u. 8. w. 

2) 8. 148. 146. 

8) 8. 366. 

4) 8. 336. 838. 

5) 2.B. 8. 162. 833. 866 ἢ. 

6) Sonst sind von Damascius etwa noch geino Erörterungen über Raum 


Zeitgenossen des Damasoiwe,. 103 


Neben Damascius erscheint als der bedeutendste unter den 
Platonikern jener Zeit, von denen uns eine erhebliche Zahl, theil- 
weise auch durch ihre Schriften bekannt ist !), der Cilicier Sim- 


und Zeit anzuführen. Alles, was dem Werden unterworfen ist, sagt er bei 
Bınpr. Phys. 146, a, m., sei sowohl in seiner Substanz, als in seiner 'T'hätig-- 
keit getheilt und getrennt; aus der Trennung hinsichtlich der Thätigkeit er- 
gebe sich die Bewegung, deren Maass die Zeit sei, aus der Trennung hinsicht- 
lich der Sabstanz theils die Menge, deren Maass die Zahl sei, theils die Masse. 
Die letstere habe vermöge des Aussersinanderseins (διάῤῥιψις) ihrer Theile eine 
Lage (dv θέσει ἐστὴν), und zwar eine doppelte: eine ihr immanente (σύμφυτος); 
welche das Verhältniss ihrer Theile zu einander betrifft (dass der Kopf oben, " 
die Füsse unten sind u. 8. w.), und eine auf ihr Verhältnisse zu anderen Dingen 
berügliche (ἐπείςαχτος, ὡς ποτὲ μὲν ἐν τῇ ἀγορᾷ, ποτὲ δὲ ἐν τῇ οἰκίᾳ τὴν θέσιν ἔχω). 
Das Maass der διάστασις κατὰ τὴν τῆς θέσεως διάῤῥιψιν sei der Raum. Damit 
stimmt in der Sache auch das Bruchstück 8. 151, a, o. vgl. 188, Ὁ, u. überein, 
wo ausgeführt wird, dass es den drei untheilbaren Dingen, der Einheit, dem 
Jetzt und dem Punkt, entspreeheud dreierlei getheiltes gebe: die Menge, die 
Atfeinanderfolge (ῥύσις, παράτασις) und die Ausdehnung; das Maass der ersten 
sei die Zahl, der zweiten die Zeit, der dritten der Raum, welcher desshalb als 
perpov τῆς θέσεως, προὔπογραφὴ καὶ τύπος τῆς τε ὅλης θέσεως χαὶ τῶν μορίων αὐτῆς 
definirt wird. Die Zeit will Damasc. (bei Sıner. a. a. O. 184, 8 --- 186, b, u.), 
im Unterschied von Aristoteles nieht blos als Ursache der Veränderung, son- 
dern in erster Linie als Ursache des Bestehens für die ihrer Natur nach ver- 
&rillerlichen Dinge betrachtet wissen; und da sie so die bleibende Grundlage 
der Veränderung sein soll, so unterscheidet er vou der verfliessenden Zeit 
diejenige, welche als ganzes zugleich sei (den χρόνος ἑστὼς), und jene aus sich 
hervorgehen lasse. Diese unbewegte Zeit komme dem Aether zu, die Ewig- 
keit (αἰὼν), deren erstes Abbild (nach PLaro Tim. 87, D) jene sei, nur dem 
ersten Bewegenden. — Dass Damasc. (Schol. in Arist. 456, a, 36 ff.) den 
Widerspruch der Christen, insbesondere seines Mitschülers Philoponus, gegen 
die Unrvergänglichkeit der Welt zurlickweist, versteht sich von selbst. 

1) Wir besitzen solche, ausser Damascius und Simplicius und dem später 
zu erwähnenden Olympiodor, von Prisoianus und Asklepius. Der erste von 
diesen, Priscianus der Lydier, war einer von den Philosophen, welche 
mit Damascius aus Athen nach Persien auswanderten (Acırm. Histor. II, 80; 
s. u.), also wohl ein Sehtller dieses Philosophen; seine Μετάφρασις τῶν Θεο- 
φράστου περὶ αἰσθήσεως hat Wınume Theophr. Opp. III, 232 ff. neu herausge- 
geben, seine Solutiones eorum, de quibus dubitavit Chosro&s Persarum rex, 
so weit sie in einer lateinischen Uebersetsung aus dem 9ten Jahrhundert er- 
halten sind, Düsser im Anhang zu seiner Ausgabe Plotin’s. Beide sind von 
mässigem Werth. Asklepius war ein Schüler des Ammonius, den er mehr- 
fach als seinen Lehrer namhaft macht (Schol. in Arist. 677, b, 26. 606, a, 29. 
b, 20, 684, a, 18 u, d,); aus seinen Vorträgen sind (nach der Ueberschrift zu - 


764 Bimplicius, 


plicius, welcher zuerst den Ammonius, dann den Damascius 
zum Lehrer gehabt hatte!). Die Commentare dieses Philosophen ἢ) 


B.1.a. a. Ο. 518) die Scholien zur aristotelischen Metaphysik geflossen, von 
denen Baanpıs in seiner Ausgabe dieser Schrift Bd. II und in den akademi- 
schen Bcholien Auszüge gegeben hat. Auch Scholien zur Arıthmetik des 
Nikomachus sind von ihm noch handschriftlich vorhanden (vgl. BuLLısı.nus 
zu Theo Smyrn. 8. 212. Ast zu Theol. Arithm. 8. 299). Dass er den Bimpli- 
cius überlebte, erhellt aus Schol. 754, b, 11, wo er klagt, dass statt einem 
Alexander und Simplieius und dem goldenen Geschlecht der Erklärer, nur 
noch das σιδηροῦν, oder vielmehr das ἀχυρῶδες φῦλον übrig sei. Ein Mitschüler 
dieses Asklepius war Asklepius der Arzt (Schol. in Arist. 606, Ὁ, 17). 
Etwas älter scheint Dorus aus Arabien, ein Freund des Damascius (Damasc. 
Isid. 131) und Schüler des Isidorus,. welcher früher der peripatetischen Lehre 
ausschlicsslich ergeben war, aber von Isidor für die platonische gewonnen 
wurde (Sup. Δῶρος aus Damascius); Theodotus, ein Schüler des Ammo- 
nius, dessen Collectio Ammonii Scholarum Paiscıar Solution. u. δ. w. 8. 553, 
b, 40 unter seinen Quellen nennt; der jüngere Syrianus, ein athenischer 
Schüler Isidor’s (Damuasc. Isid. 230. Bu. Οὐλπιανός) Ein Altersgenosse 
Isidor's ist Asklepiodotus, der Schwiegersohn des 8. 753 f. besprochenen 
(Dauasc. Isid. 160). Mit Damascius, Simplicius und Priscian giengen (nach 
Acartı. Hist. II, 30) noch vier weitere athenische Philosophen: der Phrygier 
Eulamius (bei Sum. Δαμάσχ. Πρεσβ. Εὐλάλιος), die Phönicier Hermias und 
Diogenes, und Isidorus aus Gasa i. J. 531 nach Persien. 

1) Als Cilicier wird Simpl. von Agathias a. a. O. (und σι». Πρέαβ.) be 
zeichnet; den Ammonius und Damascius nennt er selbst seine Lehrer: jenen 
Phys. 42, 0, m. 142, b, u. 821, b, 0. De coelo 122, Ὁ, 43. 208, a, 45 (Schol 
in Arist, 486, a, 32. 496, a, 28), diesen Phys. 142, b, u. 150, a, u. 184, a, m. 
Sonst ist uns von der Lebensgeschichte des Simpl. niohts bekannt, als dass 
er sich der Auswanderung der athenischen Platoniker anschloss (s. u. 8. 770), 
und dass der Dichter Aetherius sein Bruder war; falls nämlich mit dem Sim- 
plicius, von welchem diess Surp. Aller. sagt, er gemeint ist. 

2) Wir besitzen deren noch fünf: su den Kategorisen (Venet. 1499. 
Basil. 1551), zur Phyaik (Venet. 1526), zu den Büchern vom Himmel 
(früher nur in Mörboke’s lateinischer Uebersgetzung und der griechischen 
Rückübersetzung aus derselben gedruckt; das Original wurde auszugsweise 
in den akademischen Scholien, vollständig aus dem Nachlass von Kausren, 
Utr. 1865, herausgegeben), zu denen von der Seele (Venet. 1527) und zu 
Epiktet’'s Enchiridion (Venet 1528, im 4ten Band von Schweiısuäusse's 
Epiotetes philosophis monumenta, und gusammen mit Epiktet und einigen an- 
deren Schriften von Düsser, Par. 1842, herausgegeben); m. vgl. über diese 
Commentare Fasrıc. Bibl. IX, 530 Β΄, wo ein Verzeichniss aller darin vor- 
kommenden Citate gegeben wird. Ausserdem nennt Bıwrr. De an. 7, ἃ, 0. 
61, a, m. einen Commentar zur Metaphysik, denselben, welcher Schol. in 
Arist. 582, b, 19 vgl. 754, b, 11 angeführt wird, und De an. 38, a, o. eine 


Bimplicius. 765 


sind das Werk eines grossen Fleisses und einer umfassenden 
Gelehrsamkeit; sie bilden nicht allein eine für uns unschätzbare 
Fundgrube von Bruchstücken älterer Philosophen und von Nach- 
richten über dieselben, sondern sie geben auch, trotz der Um- 
deutungen, von denen kein neuplatonischer Commentar frei ist, 
eine sorgfältige und meist verständige Erklärung des Textes. Aber 
als Philosoph hält sich Simplicius ganz an seine Lehrer, ohne 
dass er zur Berichtigung oder Fortbildung ihrer Ergebnisse einen 
erheblichen Versuch machte. Ein unbedingter Bewunderer Pla- 
to’s !), ein glaubiger Verehrer der chaldäischen Göttersprüche 
und des Orpheus 5), hat er zugleich von Aristoteles eine viel 
zu hohe Meinung °), als dass er irgend einen erheblichen Wider- 
spruch zwischen ihm und Plato zugeben möchte. In der Sache 
müssen ja beide in allem wesentlichen übereinstimmen, wenn 
sie auch in den Worten sich dann und wann widersprechen 5). 
Von dieser Voraussetzung aus weiss Simplicius das Einverständ- 
niss des Aristoteles mit Plato auch da noch zu entdecken, wo 
jener gegen diesen in Wahrheit laute Einrede erhoben hat. So 
soll z. B. in Betreff der allgemeinen Begriffe zwischen beiden 
vollkommene Uebereinstimmung stattfinden: Plato, sagt Simplicius, 
unterscheide zwar die allgemeinen Begriffe von den Einzelwesen, 
aber er lege ihnen kein abgesondertes Dasein bei; Aristoteles 


Epitome der theophrastischen Physik. Vielleicht bat er auch eine 
Rhetorik geschrieben (Fazrıc. Bibl. V, 770). 

1) Welchen er z. B. De coelo 60, a, 12 ὃ τῆς ἀληθείας ἐξηγητὴς nennt. 

2) Beide werden von Simpl. als Auktoritäten, auch für philosophische 
Fragen, gebraucht; so bei der Erörterung über den Raum Phys. 144, a, m 
150, b, m. (wo mit der ἀσσύριος θεολογία gleichfalls die chaldäischen Orakel 
gemeint sind). 

8) 80 bozeichnet er Categ. 1, ὃ als Zweck seiner Arbeit, theils die aristo- 
telische Schrift zu erklären, tbeils τὸν ὑψηλὸν νοῦν τοῦ ἀνδρὸς καὶ τοῖς πολλοῖς 
ἄβατον ἐπὶ τὸ σαφέστερόν τε καὶ συμμετριώτερον χαταγαγέΐν. 

4) Categ. 2, δ: δεῖ δὲ, οἶμαι, καὶ τῶν πρὸς Πλάτωνα λεγομένων αὐτῷ (sc. 
τῷ ᾿Αριστοτέλει) μὴ πρὸς τὴν λέξιν ἀποβλέποντα μόνον διαφωνίαν τῶν φιλοσόφων 
καταψηφίζεσθαι, ἀλλ᾽ εἰς τὸν νοῦν ἀφορῶντα τὴν ἐν τοῖς πλείστοις συμφωνίαν αὐτῶν 
ἰχνεύειν. Vgl. Phys. 92, ἃ, o., wo Simpl. sagt: da nach Aristoteles die Bewe- 
gung nur in den Dingen vorkomme, Plato dagegen sie als ein γένος τοῦ ὄντος 
aufführe, und Proklus diess als den einzigen Widerspruch zwischen beiden 
bezeichne, χάλλιον, εἴ που δυνατὸν, τὴν ἐν τῇ δοχούσῃ διαφωνίᾳ συμφωνίαν ἐπιδξι» 
χγύναι. Vgl. 8, 766, 8. 


766 Simplicius. 


andererseits komme es ja nicht in den Sinn, zu bestreiten, das 
das Einzelne durch das Allgemeine (die χοιναὶ φύσεις) bedingt 
sei 1). Der Ideenlehre soll Aristoteles nur scheinbar widerspre- 
chen: er nehme ja auch Ursachen aller Dinge in Gott an, er wolle 
nur nicht, dass diese mit denselben Namen bezeichnet werdes, 
wie die Dinge ?). Ebensowenig sollen die beiden Philosophea 
hinsichtlich der Materie verschiedener Ansicht sein, und die Stelle, 
worin Aristoteles den Unterschied seiner Bestimmungen von des 
platonischen auseinandersetzt, soll nicht auf die platonische Lehre 
selbst gehen, weil sie dieser, wie Simplicius glaubt, unrechtibus 
würde °). Auch Aristoteles’ Einwendungen gegen die Annahme, 
dass der Himmel durch die Seele in Bewegung gesetzt werde, 
sollen nicht auf Plato gemünzt sein 4); dass die Seele nach Ari- 
stoteles unbewegt ist, nach Plato sich selbst bewegt, soll das 
gleiche bedeuten 5); dass ohnedem Plato die Welt geworden nenit, 
Aristoteles ungeworden, verträgt sich ganz gut mit einander: jener 
behauptet, sie sei aus einer höheren Ursache hervorgeganget, 
dieser läugnet, dass sie in der Zeit entstanden sei 5). Aehnlich 
verfährt Simplicius überbaupt, um den Widerstreit seiner zweä 
grossen philosophischen Auktoritäten zu beseitigen 7): wo eiß 
solcher vorzuliegen scheint, darf Aristoteles immer nur eine u- 
richtige und äusserliche Auffassung Plato’s, nicht seine eigenl- 
liche Meinung angreifen ®). Selbst der aristotelischen Kritik py- 


1) Categ. 17, β. 

2) De coelo 41, a, 24. 

8) Phys. 58, b (vgl. 49, a f.), wo Simpl. die Vermuthung aufstellt, Pby® 
1, 9 beziehe sich nur auf die hypothetische Ausführung des platonischen Par 
menides. Doch bekennt er selbst offen, er sage diess nur ὑπὸ ἀπορίας 5:06" 
φερόμενος. 

4) De coelo 87, b, 19 ff. 168, b, 28 ff. 

5) Categ. 89, a vgl. De an. 88, a, 0. 

6) De coelo 48, a. Phys. 265, a, m. 

7) 80 De ooelo 205, a, 16 (die Bewegung der Gestirne), 284, ἃ, 4 
(die platonische Construation der Elemente). 

8) Α. 4. Ο. 284, b, 7: ὅπερ δὲ πολλάχις εἴωθα λέγειν, καὶ νῦν εἰπεῖν καιρὸν, 
ὅτι οὐ πραγματιχή τίς ἐστι τῶν φιλοσόφων ἢ διαφωνία, ἀλλὰ πρὸς τὸ φαινόμενον ἴον 
λόγου καὶ δυνάμενον καὶ χειρόνως vosisdar πολλάχις ὑπκαντῶν ὃ ᾿Αριστοτέλης, pi 
τῶν ἐπιπολαίως ἀχονόντων τοῦ Πλάτωνος, ἀντιλέγειν Saudi πρὸς αὐτόν. Achnlich 
schon 8. 168, b, 81 ff, 


Simpliciuß. 707 


thagoreischer und parmenideischer Lehren lässt er die gleiche 
Entschuldigung zugutekommen !); und wurden einmal die alten 
Philosophen in solchem Maasse in’s neuplatonische umgedeultet, 
wie er es gewohnt ist 5), so konnte er allerdings den Einwürfen 
des Aristoteles gegen sie nicht Recht geben. Er folgt hier durch- 
aus der Richtung, welche ihm seine Vorgänger bezeichnet hatten, 
und auch im einzelnen wohl grossentheils den Annahmen seiner 
Lehrer. Auch sonst ist kaum etwas eigenthümliches bei ihm zu 
finden. Er wiederholt und vertheidigt die Lehren seiner Schule ὅ), 
aber er hat für ihre Weiterbildung nichts erhebliches geleistet, 
wie diess auch bei einem schon so lange bestehenden und nach 
allen Seiten hin ausgeführten System ohne Umbau des Ganzen 
nicht wohl möglich war. Auch seine ausführliche Erörterung über 
den Raum *) ergiebt nur unerhebliche Zusätze zu den Bestim- 
mungen des Damascius °); und wenn er hinsichtlich der Zeit der 


1) De coelo 172, b, 41 (die pythagoreische Annahme, dass der Himmel 
eine rechte und eine linke Seite habe); Phys. 81, Ὁ, m. f. (Parmenides und 
die Einwendungen des Plato und Aristoteles gegen ihn). 

2) M. vgl. beispieleweise Phys. 81, a f. über Parmcnides, ebd. 34, a, u. 
(vgl. Bd. I, 528, 6), über Empedokles, 67, a, ο. über Anaxagoras. 

8) So beschäftigt er sich sehr ausführlich mit der Verthoidigung der 
Lehre vou der Ewigkeit der Welt und mit Widerlegung der Einwürfe, welche 
gegen dieselbe von christlicher Seite, namentlich durch Philoponus, erhoben 
worden waren (Phys. 257, a, ὁ. 259, Ὁ, m. — 264, Ὁ, m. 265, b, u. — 269, 
8, 0. 269, b,m. — 272, b, ο. 312,a, m. — 814, Ὁ, m. De coelo 14, a, 88 ff. 
B5, a, 18 — 65, Ὁ. 71, 6, 25 — 91, a), und bei dieser Gelegenheit nimmt er 
auch den fünften Körper gegen Philoponus in Schuts (De coelo 14, a, 88 ff. 
82, 8, 29 — 43,a). Br entwickelt Phys. 49, Ὁ, m f. die neuplatonische Lehre 
von der Materie, und namentlich den Unterschied der πρώτη ὕλη von dem 
σῶμα, Er führt De coelo 161, b, 2 ff. gegen Alexander von Aphrodisias ana, 
dass das Böse sein müsse, wenn alle Stufen des Guten, auch die untersten, 
Dasein gewinnen sollten, dass insofern auch jenes von Gott stamme. Er 
nimmt mit Proklus an, die materielleren Körper seien den immaterielleren 
durchdringlich, und in Folge dessen werden unter den himmlischen Sphären 
(die er sich nicht als Hohlikugeln, sondern als Vollkugeln denkt) die innern 
von den äussern durchdrungen (Phys. 144, a, m. 150.b, m. 225, b, o.). Er 
legt den Gestirnen Seelen (De coelo 228, a, 25 ff, wo auch über die Bewe- 
gung der Gestirne) und der menschlichen Seele einen Lichtleib (Phys, 225, 
b, o.) bei u. 5. w. 

4) Phys. 140, Ὁ, 0. — 161, 8, 

5) Er selbst fesst sein Ergebniss S. 150, b, u. in der Bemerkung zusam- 


«68 Bimplicius, 


von diesem versuchten Annahme einer in jedem Augenblick gans 
gegenwärtigen Zeit !) mit Recht widerspricht, so nähert er sich 
ihr doch wieder durch eine kaum weniger unklare Unterscheidung 
zwischen der urbildlichen und der aus ihr abgeleiteten Zeit: jene 
soll den Dingen, die in der Zeit sind, als die Ursache ihres Zeit- 
lebens vorangehen, welche den Verlauf desselben messe und 
ordne, und ihn ebendamit zu einem zeitlichen mache *). Um 
schliesslich noch seiner Ansicht über den Nus zu erwähnen, so 
bemüht er sich zwar, die verschiedenen Beziehungen, in denen 
dieser bei Aristoteles vorkommt, mittelst der neuplatonischen 
Lehre vom Verhältniss des niedrigeren zum höheren begreiflich 
zu machen 5); doch gelingt es ihm nicht, über die an sich dunkle 


men: jede von den verschiedenen Ansichten über den Raum gebe eino rich- 
tige, aber keine von ihnen eine ganz vollständige Bestimmung. Auch Damas- 
cius (s. ο. 762, 1) ἥψατο μὲν χαλῶς τοῦ χατὰ τὸν εὐθετισμὸν (Lage) τόπου καὶ διζ»- 
θρωσέ γε αὐτὸν πρῶτος ὧν ἧἥμέϊς ἴσμεν. Dagegen übergehe er die weiteren Be- 
deutungen, welche τόπος sowohl in Betreff des Körperlichen als des Unkör- 
perlichen habe. Der Raum werde von ihm richtig als ἀφορισμὸς χοὰ μέτρον 
θέσεως bezeichnet; θέσις δὲ καὶ dv ἀσωμάτοις κατὰ τὴν τάξιν εἴη ἂν, ὡς χαὶ ἐν ἀριθ- 
μοῖς τὴν δυάδα λέγομεν κέΐσθαι πρὸ τῆς τριάδος ἔστι δὲ χαὶ ἐν σώματι χατὰ τὴν 
διαστάσεως διαφοράν. Wenn ferner Damascius den Raum, im Unterschied von 
Zahl und Zeit, als μέτρον διαστάσεως definire, οὐ διώρισε τὸ διττὸν τῆς διαστά-. 
σεως, τὸ μὲν ὡς μεγέθους ὡρισμένου, za’ ὃ τὸ μὲν πηχυαῖον τὺ δὲ δακτυλιαΐίον εἶναε 
λέγομεν, τὸ δὲ ὡς θέσιν ἐχούσης, καθ᾽ ἣν τὸ μὲν ἄνω τὸ δὲ κάτω καλοῦμευ. Die 
erste von diesen Distinktionen betrifft blos den Ausdruck, die zweite nicht 
den allgemeinen Begriff des Raums, sondern nur seine näheren Modifi- 
kationen. 

1) 8. o. 8. 762, 1. 

2) Phys. 186, a: Dass die Zeit ἐν μεθέξει ὅλος ἅμα sein könne, wie Da- 
mascius gewollt hatte, (d. h. dass es irgend etwas geben könne, dessen ganzes 
Zeitleben gleichzeitig sei) halte er für unmöglich. ᾿Απὸ δὲ τῆς τοῦ αἰῶνος 
ἀναλογίας εἰς ἔννοιαν ἦλθον καὶ ἐγὼ τοῦ πρώτου χρόνου, τοῦ ὑπὲρ πάντα τὰ ἔγχρονα 
ὄντος καὶ ἐν ταῖς ἑαυτοῦ μεθέξεσιν ἐχέϊνα χρονίζοντος, τουτέστι τὴν τοῦ εἶναι παρά- 
τασιν αὐτῶν εὐθετίζοντος χοὶ μετροῦντος χαὶ τάξιν ἔχειν ποιοῦντος τὰ τῆς τοιαύτης 
παρατάσεως μόρια. Dieser πρῶτος χρόνος stehe in der Mitte zwischen dem wahr- 
haft Seionden und dem Werdenden, dem Unbewegten und dem Bewegten, und 
diess sei der Gott Chronos. 

8) De an. 61, m. unterscheidet Bimpl. zunächst den νοῦς ἀμέθεχτος (dem 
göttlichen Geist), von dem B. XII der Metaphysik handle, den νοῦς ὑπὸ τῆς 
ἡμετέρας ψυχῆς μετεχόμενος, welcher von jenem zwar verschieden sei, aber als 
κρείττων οὐσία tiber der Beele stehe und sie bestimme, und denjenigen, welcher 
als die ἀμέριστος καὶ νοερὰ οὐσία der Seele, ihre slöntıx?) αἰτία, ein Theil der 


mn u ΒΗ͂ΪΒΗ»».ὕ.. ΝΙΝ 


Bchliessung der Schule von Athen, 69 


Sache dadurch ein neues Licht zu verbreiten. Er ist ein höchst 
achtungswerther Gelehrter, er ist auch als Philosoph kein blosser . 
Nachtreter der Früheren, aber er ist doch nicht mehr, als ein. 
denkender Bearbeiter einer gegebenen und in allen wesentlichen 
Beziehungen zu ihrem Abschluss gekommenen Lehre. 

Wenn man den Stand der neuplatonischen Wissenschaft in 
der Schule des Proklus und die innere Unmöglichkeit ihrer wei- 
teren Fortbildung beachtet, so wird man darüber nicht im Zweifel 
sein können, dass diese Schule untergehen musste, auch wenn 
ihre äussere Lage günstiger gewesen wäre, als sie seit dem Siege 
des Christenthums sein konnte. Schon als Proklus nach Athen 
kam, waren die Anhänger der alten Religion, wie wir gesehen 
haben !), in die Stellung einer gedrückten und vielfach verfolgten 
Sekte herabgesunken. Dieser Zustand verschlimmerte sich immer 
mehr; manche Spuren weisen darauf hin, dass die heidnischen 
Philosophen auch in Athen nicht immer ausser Gefahr waren ?). 
Endlich führte Justinian den entscheidenden Schlag °). Im Zu- 
sammenhang mit den strengen und selbst blutigen Maassregeln, 
durch welche dieser Kaiser das Heidenthum in dem ganzen Um- 


Seele selbst sei. Der letztere zerfalle wieder in einen höheren und einen 
tieferstehenden Theil, denjenigen, welcher einheitlich in sich bleibt (der νοῦς 
χωριστὸς, ποιητιχὸς), und den, welcher, aus jenem hervorgehend und von ihm 
erfüllt, sich dem Aeusseren und der Vielheit zuwendet, den δυνάμει νοῦς : auch 
bier sei aber noch einmal zu unterscheiden zwisoben dem rein potentiellen 
und unvollendeten Denken und dem ἤδη μὲν χατὰ τὴν ἕξιν τέλειον, οὐχ ἐνεργοῦν 
δὲ, dem ἐπιχτήτως νοούμενον (intellectus acquisitus). Es sei so in der Seele zu- 
nächst eine πρώτη οὐσία, welche eine zweite und dritte οὐσία oder ζωὴ aus 
sich hervorgehen lasse, zugleich aber in sich bleibe. Vgl. 8. 88, a. o. u. a. St. 

1) Vgl. 8. 668. 

2) Schon Proklus hatte einmal Athen für einige Zeit verlassen müssen 
(s. ο. 705, 2). Aehnlich füchtete in der Folge Marinus wegen einer στάσις, 
bei der wir doch wohl gleichfalls an einen Angriff von christlicher Seite zu 
denken haben werden, nach Epidaurus (Dauasc. Isid. 277). Hegias zog sich 
durch seinen unvorsichtigen Eifer für den alten Kultus gefährliche Feinde zu 
(Scın. Hylas). Auch die Klage des Damascius (a. a. O. 228), dass Isidor in 
Athen ἀνίατα πράγματα χαὶ πόῤῥω μοχθηρίας προβεβηχότα vergeblich zu bessern 
versucht habe, bezieht sich wohl mit auf das übermächtige Andringen des 
Christenthums. 

8) Zum folgenden vgl. m. Zuuer, 8. 60 ff. der mehrerwähnten Abhand- 
lung, Abbandl. d. Berl. Akad, 1843. 


Philos, ἃ. Gr. 11. Ba. 3. Abth. 49 


RD. Schliessung der Schule von Athen. 


fang g, seines Reiches auszurotten mit Erfolg bemüht war '), ver- 
ordnete, ein Edikt vom Jahr 529, dass in Zukunft niemand mehr 
in Aihen Philosopbie lehren solle ?). Das ansehnliche Vermögen 
der plaionischen Schule wurde eingezogen °). Mehrere von ihren 
Mitgliedern ὦ, darunter auch Damascius und Simplicius, ent- 
schlossen sich‘ zur Auswanderung nach Persien, wo sie in dem 
neuen König ἢ Khiosru Nuschirvan, dem Freund und Beschützer 
griechischer Bildung, einen Gönner zu finden hofften. Sie fanden 
sich auch in dieser Erwartung nicht getäuscht; aber doch hielten 
sie es nicht auf die Dauer in dem Barbarenland aus °). Der Frie- 


1) Jon. Marar. Chronogr. XVIII. 8, 184 Ox. (sum Jahr 628): ἐν αὐτῷ δὲ 
τῷ χρόνῳ διωγμὸς γέγονεν ᾿Ελλήνων μέγας, χαὶ πολλοὶ ἐδημεύθησαν, ἐν οἷς ἐτελεὺ- 
τησαν Μακχεδόνιος, ᾿Ασχληπιόδοτος (möglicherweise der 763, 1 g. E. erwähnte), 
Φωχᾶς ὃ Κρατεροῦ, καὶ Θωμᾶς ὁ Κοαίστωρ᾽ χαὶ Ex τούτου πολὺς φόβος γέγονεν. ἐθέσπισε 
δὲ ὃ αὐτὸς βασιλεὺς, ὥστε μὴ πολιτεύεσθαι (ein Amt bekleiden) τοὺς ἑλληνίζοντας. 

3) Ebd. 8. 187 (zum Jahr 529): ἐπὶ δὲ τῆς ὑπατείας τοῦ αὐτοῦ Δεχίου ὃ αὐτὸς 
βασιλεὺς θεσπίσας πρόςταξιν ἔπεμψεν ἐν ᾿Αθήναις, χελεύσας μηδένα διδάσχειν φιλοσο- 
φίαν μήτε νόμιμα ἐξηγέΐῖσθαι. War damit auch nur der öffentliche Unterricht in 
der Philosophie verboten, so bestand doch die Maassregel nicht blos in der 
Aufhebung der vom Staat besoldeten Lehrstellen für Philosophie, welche 
damals obno Zweifel überhaupt schon lAugst aufgehört hatten, sondern sie 
betraf auch den auf Privatstiftungen beruhenden platonischen Verein. 

8) Dasselbe warf zur Zeit des Proklus in Folge reicher Vermächtnisse 
ein jährliches Einkommen von 1000 oder mehr νομίσματα (freilich eine sehr 
unbestimmte Angabe) ab; Dauasc. Isid. 158. Dass es im Jahr 529 einge- 
zogen wurde, ergiebt sich mit Wahrscheinlichkeit aus Procor. Hist. are. 
0. 26, 8. 74, C. Zoxaras Annal. XIV, 6 vgl. Orraurıon. in Alcib. 8. 141 (s. u. 
771, 3). 

4) Ihre Namen wurden schon 8. 763, 1, Schl. angegeben, 

5) Das nähere hierüber giebt Aaatnıas Hist. II, 30 f. Indessen bemerkt 
Quicazear in Dübner's Ausgabe Plotin's (bzw. Priscian’s) B. 549 ganz richtig, 
dass die Art, wie Agathias den Khosru und das Verhältniss der Platoniker zu 
ihm darstellt, von polemischer Uebertreibung nicht frei sei. Ihm zufolge 
hätten die Platoniker in Persien die idealen Zustände der platonischen Re- 
publik, in dem Könige den ächten philosophischen Herrscher zu finden ge- 
hofft, und statt dessen nicht blos in’ seinem Reich und an seinem Hofe Sitten- 
losigkeit und Rechtsverletzung, sondern auch in ibm selbst einen ungebil- 
deten Menschen getroffen, dessen Vorliebe für die Philosophie nur eitler 

- Dilettantismus gewesen sei. Allein wenn sich auch die verfolgten atbenischen 
Philosophen die persischen Zustände ohne Zweifel viel idealer ausmalten, als 
sie in der Wirklichkeit waren, so können sie, grossentheils selbst Orientalen, 
doch kaum so unbekannt mit denselben gewesen sein, wie sie diess nach Aga- 


Die letsten Neuplatoniker. “πὶ 


densschluss zwischen Persien und dem römischen Reich verschaffte 
ihnen ungehinderte Rückkehr und Sicherheit gegen Glaubens- 
zwang !), aber die Schule von Athen blieb geschlossen. 

Der Neuplatonismus selbst erhielt sich auch in seinem heid- 
nischen Zweige noch eine Zeit lang. Simplicius hat seine 
gelehrte Thätigkeit wohl noch längere Jahre nach der Rückkehr 
aus Persien fortgesetzt ?); in Alexandria pflanzte sich die Reihe 
der platonischen Diadochen noch über Ammonius hinaus fort 5), 


thias gewesen sein müssten. Was aber Khosru betrifft, so zeigt QuicHaaar, 
dass er ein Mann von Geist war, der sich mit grossem Ernst und nicht erfolg- 
los bemühte, der hellenischen Bildung und Wissenschaft bei seinem Volke 
Eingang zu verschaffen. Agathias selbst bemerkt wiederholt, er habe die 
Philosophen bei sich festzuhalten gewünscht. Derselbe erwähnt c. 28 der 
Uebersetzungen von aristotelischen und platonischen Werken, welche Khosru 
sich anfertigen liess; ein für ihn verfasster Abriss der aristotelischen Logik 
in syrischer Sprache ist noch vorhanden (QvicuHErar 8. 550, a nach Renan). 
Auch aus Priseian’s an ihn gerichteter Schrift (s. o. 763, 1) erkennt man sein 
Interesse, namentlich für naturwisgenschaftliche und psychologische Fragen. 
- Dass die attischen Philosophen sich nichtsdestoweniger an seinem Hofe sehr 
unbehaglich fühlten, von vielem in der persischen Sitte abgestossen wurden, 
unter dem fremden halbbarbarischen Volke keinen Boden für eine fruchtbare 
Wirksamkeit fanden, und schliesslich von heftigem Heimweh ergriffen wur- 
den, ist ganz glaublich; es ist auch möglich, dass einor von den Auswande- 
ΤΟΙ sclbst von den persischen Zuständen eine Schilderung, wie die des Aga- 
thias, gemacht hatte; (in ihrem übertreibenden Ton erinnert sie an die herben 
Urtbeile des Damascius über seine eigenen Partheigenossen;) aber auch in 
diesem Fall würden wir dieselbe nicht ohne weiteres für baare Münze zu 
nehmen haben. 

1) Nach Acırnm. c. 81 wurde im Friedensvertrag ausdrücklich festge- 
setzt: τὸ δέϊν ἐχείνους τοὺς ἄνδρας εἰς τὰ σφέτερα ἤθη κατιόντας βιοτεύειν ἀδεῶς το- 
λοιπὸν ἐφ᾽ ἑαυτοῖς, οὐδὲν ὁτιοῦν πέρα τῶν δοχούντιυν φρονέν ἢ μεταβάλλειν τὴν πα- 
τρῴαν δόξαν ἀναγκαζομένους. Dieser Friedensschluss fällt, wie Zumer 8. 63 
zeigt, in’s Jahr 535. Khosru war nur zwei Jahre zuvor zur Regierung ge- 
kommen. Für die Auswanderung der Philosophen ergiebt sich demnach das 
Jahr 532 oder frühestens 531. 

2) Ans Phys. 184, a, m. vgl. 188, b, m. erhellt, dass er dieses weit- 
schichtige Werk nach Damascius’ Tod verfasste, aus De ooelo 235, a, 10, wo 
eines Vorfalls aus der Zeit der persischen Reise erwähnt wird, dass auch 
dieser der Physik vorangehende (Phys. 257, a, m.) Commentar erst nach der 
Rückkehr aus Persien gesehrieben ist. Jünger, als die Erklärung der Physik, 
ist die der Kategorisen, welche 8. 110, B (Schol. 92, b, 18) jene anführt. 

8) Vgl. OLrnrıonor in Alcib. 8. 141: Plato lehrte unentgeldlich; διὸ xal 
μέχρι τοῦ παρόντος σώζονται τὰ διαδοχιχὰ, καὶ ταῦτα πολλῶν δημεύσεων γινομένων. 


49" 


773 Olympiodorus. 


und noch in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts treffen 
wir hier in dem jüngeren Olympiodor einen fruchtbaren Aus- 
leger platonischer und aristotelischer Schriften !); auf wissen- 
schaftliche Selbständigkeit machen allerdings seine Commentare 
keinen Anspruch, und von neuen Gedanken ist wohl kaum irgend 


Die διαδοχιχὰ verstehe ich von Diadochengehalten; sollte das Wort aber auch 
etwas anderes bedeuten, so beweist die Stelle jedenfalls, dass es damals noch 
platonische Diadochen gab. Olympiodor selbst war ein solcher: s. folg. 
Anmerkung. 

1) Wir besitzen von Olympiodor noch vier Commentare zu platonisches 
Schriften: zum Alcibiades I (ed. Crzuzer im 2ten Bd. der Initia philos. ae 
theol. ex plat. font.; einen Theil der Einleitung zu diesem Commentar bildet 
das oft herausgegebene Leben Plato’s), Gorgias (ed. A. Jan in Jahn's 
Jahrbb. Supplementb. XIV, 8. 104 — 149. 286 — 290. 354 — 898. 517 — 549), 
P’bilebus (in Srarıaaum’s Ausgabe des Philebus v. J. 1821), Ph&#do (ed. 
Fincku). Die zwei letzten von diesen sind blosse Auszüge, vermutblich aus 
Olympiodor’s Vorträgen; aber auch die zwei andern scheinen nicht von ihm 
selbst niedergeschrieben zu sein, da es bei beiden in der Ueberschrift heisst: 
ἀπὸ φωνῆς Ὀλυμπιοδώρου τοῦ μεγάλου φιλοσόφου. Als Schüler des Ammonius 
begeichnet sich Olymp. in Gorg. 8. 168 (885); dass er in Alexandria schrieb, 
erhellt aus der vita Plat. 8. 2 Westerm. Von diesem Olympiodor will nun 
Ipener Arist. Meteor. I, XVIII ἢ, und wie es scheint auch Cretzer Init. phil. 
plat. II, XI ff. und Cousın Fragmens philos. I, 829 f., denjenigen unterschei- 
den, dessen Commentar zur aristotelischen Meteorologie (Venet. 1551; um- 
fangreiche Auszüge daraus in Ideler’s Ausgabe des aristotelischen Werkes), 
wenn auch nicht ganz vollständig, noch vorhanden ist; wobei Ideler freilich 
das unglaubliche begegnet ist, den letzteren in Einem Athem für den &, 674 
besprochenen Lehrer des Proklus und für den Schüler des Ammonius zu er- 
klären, welcher 564 noch am Leben gewesen sei. Allein auch der Ausleger 
der Meteorologie bezeichnet sich 8. 87, b (I, 291 Id.) vgl. 8. 12, b (186 f.) als 
Alexandriner, und derselbe nennt 8. 88, b (294) den Amnionius (dass er diesen 
meint, zeigt die Vergleichung von 8. 26, a [260] und den übrigen 8. 751, 8 
angeführten Stellen) ὃ μέγας φιλόσοφος, ὃ ἡμέτερος πρόγονος (Vorgänger im Lehr- 
amt); er ist also offenbar Eine Person mit dem Verfasser der Commentare zu 
Plato. Da er 8. 12 b (186) den Kometen des Jahre 281 der diokletianischen 
Aera (564 n. Chr.) anführt, so muss er die Erklärung der Meteorologie nach 
diesem Zeitpunkt verfasst haben, was immerhin möglich ist, wenn er alt 
wurde, und su den jüngeren Schülern des Ammonius gehörte. Dass er da- 
gegen den Commentar zum Alcibiades vor 529 geschrieben habe, folgert 
Creuser 8. 8.0. XIV, und nach ihm Cousın, mit Unrecht aus der vor. Anm. 
angeführten Stelle: diese bezieht sich nicht auf die athenischen, sondern auf 
die Yalexandrinischen Verhältnisse, 


Die Philosophen des Westreichs. “τ 


etwas darin zu finden 1). Indessen änderten sich die Verhältnisse, 
durch welche der Fortbestand einer neuplatonischen Schule be- 
dingt war, immer mehr, Noch vor dem Ende des sechsten Jahr- 
hunderts waren die wenigen Anhänger der alten Religion in den 
gebildeten Klassen vollends ausgestorben, und die Philosophie, 
die bis zum letzten Augenblick unter der Fahne dieser Religion 
gekämpft hatte, theilte ihr Schicksal. Olympiodor ist der letzte 
Lehrer der platonischen Philosophie, der uns genannt wird; und 
wenn wir AskLerius hören, so war schon mit Simplicius das 
goldene Geschlecht der ächten Erklärer der Alten erloschen ). 
Wenige Jahre vor der Unterdrückung der athenischen Schule 
fand auch in der westlichen Hälfte der römisch-griechischen Welt 
der letzte Vertreter der alten Philosophie ein gewaltsames Ende. 
Seit der Neuplatonismus mit Jamblich in den Orient zurückge- 
wandert, und bald darauf auch der politische Mittelpunkt des 
Staates ebendahin verlegt war, verliert sich die römische Philo- 
sophie für längere Zeit so vollständig aus der Geschichte, dass 
uns aus dem ganzen vierten Jahrhundert ausser den unbedeuten- 
den logischen Arbeiten des Marius Victorinus ὅ), des Vege- 
tius Prätextatus 4) und vielleicht auch des Albinus 5) keine 


1) Ich will daher hier nichts weiteres darüber mittheilen. Einiges nähere 
giebt Sımon Ecole d’Alex. 1, 594 ff.; über Olympiodor's geschichtliche An- 
gaben in Alcil. vgl. m. Cousın a. a. O. 834 ff., über den Commentar zum 
Philebus ebd. 856 δ΄, über seine Mythendeutungen Vacuzror II, 894 £. 

2) 8. o. 8. 768, 1. 

8) Dieser Mann (über den Osanm Beitr. II, 852 £. z. vgl.) lebte als Rhetor 
unter Constantius, also um 350, in Rom. Seine Uebersetzung der Einleitung 
Porphyr’s legt Boöthius einem Commentar zu derselben su Grunde; er schrieb 
ferner tiber die Definition, die Lehre von den Schlüssen, namentlich den hy- 
pothetischen, und verfasste Commentare zu Cioero’s Topik und De inventione, 
von welchen der letztere noch erhalten ist. Ueber den Inhalt desselben theilt 
Psantı Gesch. d. Log. I, 660 ff. einiges mit; bei Demselben und bei Osann 
finden sich die Nachweisungen in Betreff der übrigen Schriften. 

4) Vegetius (oder nach anderer Lesart Veotius) Prätextatus übersetzte 
nach Borru. De interpr. II, 8, 289 Themistius’ Paraphrase der beiden 
Analytiken. Prantı a. a. O. 664 vermuthet, er sei Eine Person mit dem an- 
gesehenen römischen Senator Vettius Prätextatus, welchem in Macrob's Sa- 
taroalien eine Rolle übertragen ist (das nähere über ihn bei Jan I, XXII £. 
δ. Ausgabe des Macrobius), und dass dieser nach der wahrscheinlichsten An- 


»Ἥ Ἢ 


778 Die Philosophen 


schriftstellerische Frucht derselben bekannt ist. Bestimmtere Spu- 
ren ihres Daseins und Beweise der Bedeutung, welche nament- 
lich dem Platonismus Plotin’s auch für diesen Theil des römischen 
Reiches immer noch zukam, liefern uns die christlichen Theologen 
des vierten und fünften Jahrhunderts, unter welchen Augustinus 
auch in dieser Beziehung hoch hervorragt '). Aus dem fünften 
Jahrhundert ist uns auch eine Anzahl Schrifien erhalten, welche 
wir immerhin noch den Denkmälern der griechisch - römischen 
Philosophie beizählen müssen. Doch erhebt sich weder der Abriss 
der stoisch- peripatetischen Schullogik, welchen Marcianus 
-Capella seinem encyklopädischen Werk einverleibt hat *), noch 
die Schriftstellerei der Platoniker Macrobius®) und Chalci- 


nahme noch einige Jahre vor Themistius, 887, starb, würde dieser Vermuthung 
nioht im Wege stehen. 

6) Borra. a. a. O.: auch Albinus solle dialektische Bücher verfasst ha- 
ben; er habe dieselben jedoch nicht auffinden können, und kenne von ihm 
nur ein geometrisches Werk. Prautı a. a. Ο, ist geneigt, diesen Albinus, 
von dem wir sonst nichts wissen, für einen Zeitgenossen des Prätextatus und 
einen der beiden gleichfalls bei Macrob auftretenden Albinus zu halten. 

1) Nächst ihm ist ein Mann aus seiner Schule, der gallische Presbyter 
Claudianus Mamertus (um 450) mit seiner Schrift De statu anims zu nennen. 
Es ist’jedoch hier nicht der Ort, auf den philosophischen Charakter dieser 
Männer näher einzutreten. Ich will mich daher mit der Bemerkung begnügen, 
dass Augustin von dem Platonismus seiner Zeit nicht allein die bedeutendste 
Einwirkung erfahren hat, sondern auch (vgl. das Register der Benediktiner 
Ausgabe) Plotin und Porphyr ziemlich oft anführt, wogegen er Jamblich nur 
Einmal, Civ. Ὁ. VII, 12, nennt, aber nicht näher zu kennen scheint. Von 
Plotin redet er ὁ. Acad. III, 41 mit der höchsten Achtung. Im übrigen vgl. 
m. über seine Philosophie Rırrer Gesch, ἃ. Phil. VI, 158 ff, über Mamertus 
ebd. 567 ff. 

2) M. vgl. über denselben Prantr a. a. O. 672 ff. Marco. Capella lebte in 
der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts in Karthago. Die speciellere 
Untersuchung über seine Zeit und seine Lebensverhältnisse, welche neuer- 
dings wieder angeregt wbrden ist, muss ich anderen überlassen. 

8) Macrobius Ambrosius Theodosius (über welchen L. Jan Prolegg. 8. 
Ausgabe von 1848) bekleidete unter Honorius hohe Staatsämter im römischen 
Westreich (er heist vir #Zustris); sein Leben fällt demnach in die letzten 
Jahrzehende des 4ten und die ersten des Bten Jahrhunderts, seine schrift- 
stellerische Thätigkeit wohl in die letzteren. Ueber seine Herkunft wissen 
wir nur, dass seine Heimath ferne von Rom war, vielleicht in Afrika. Dass 
er kein Christ war, erhellt aus seinen Schriften auf's bestimmteste. Wir be- 
sitzen von ihm einen Commentar zum Romnium Scipionis, die Saturnalien, 


um 


des Westreichs. καὶ 


dius 1 über den Charakter unselbständiger Nachahmung ΩΣ 


welche aber nicht vollständig erhalten sind, und Auszüge aus einer allem 
nach unbedeutenden grammatischen Abhandlung (Jam a. a. Ὁ. VII ff.). Der 
Hauptwerth dieser Schriften, namentlich der Satarnalien, besteht für uns in 
Jder Ueberlieferung von Angaben älterer Schriftsteller. In seinen philosopbi- 
schen Annahmen hält sich Macrobius durchaus an die platonische Schule, und 
er führt (vgl. ἃ. Index) nicht allein Plato selbst oft an, sondern verhältniag- 
mässig häufig auch Plotin, den er Somn. I, 8, 5 inter philosophiae professpres 
cum Platone princeps nennt. Neben ihm und den früheren Philosophen wird 
auch Porphyr genannt, dessen Commentar zum Timäus (Somn. U, 8, 15) er 
kennt; Jamblich’s dagegen und der späteren Neuplatoniker geschieht keine 
Erwähnung. Da sich ähnliches, wie bemerkt, bei Augustin findet, so ist gu 
vermuthen, dass man im Westen noch um den Anfang des fünften Jahrhun- 
derts nur mit jenen römischen Neuplatonikern näher bekannt war, deren. ein- 
fachere Lehrweise der römischen Denkart auch an sich wohl besser zusagte, 
'als die phantastische Scholastik Jamblich’s und seiner Nachfolger. — Als 
Neuplatoniker bezeichnet sich Macrobius schon durch die Stelle Somn. I, 2, 
13 ff. Er bemerkt hier, die Philosophen finden die mythische Darstellung 
nicht für alle Gegenstände gleich zulässig. sed his uti solent, cum vel de 
anima vel de aöriis etheriisve potestatibus vel de ceteris Dis ocuntur. Erhebe 
man sich dagegen zu dem summus et princeps omnium deus, welcher das &ya- 
dov und das πρῶτον αἴτιον genannt werde, oder zu dem Nus, welcher aus dem 
böchsten Gott hervorgegangen die Urbilder der Dinge, die Ideen, enthalte, 
80 bediene man sich nicht der mythischen Form; sondern um das zu bezeich- 
nen, was über das Denken, wie über das Reden hinausgehe, nehme man zu 
Vergleichungen, wie die platonische des Guten mit der Bonne, seine Zu- 
Alucht, Mit den Neuplatonikern behauptet Macrob II, 10 die Anfangslosig- 
keit der Welt, indem er zugleich, an die stoische und aristotelische Lehra 
anknüpfend, einen Wechsel der Weltzustände zugiebt. Natürlich wird aber 
vorausgesetzt, dass hierin auch Plato mit Aristoteles übereinstimme, wo sich 
dagegen beide unvereinbar zeigen, nimmt Macr. die Parthei Plato’s, und so 
wird II, 14 f. die Selbstbewegung der Seele gegen Aristoteles ausführlich ver- 
theidigt. Neuplatonisch und stoisch sind endlich, um nur diess noch zu er- 
wähnen, auch die Mythendeutungen, von welchen die beiden Werke Macrob’s 
voll sind, der Grundsatz, dass das Göttliche eine nackte Darstellung nicht 
vertrage, und durch die Hülle der Mythen und Mysterien gegen profane Be- 
handlung geschützt werden müsse (Somn. I,2,17f.), und die Verehrung gegen 
Homer, divinarum omnium inventionum fons et origo (II, 10, 11). 

1) Ein seiner Persönlichkeit nach ganz unbekannter Schriftsteller, der 
aber doch wohl dem fünften, oder frühestens dem vierten Jahrhundert ange- 
hören wird. 

2) Macrob gesteht diess auch selbst, wenn er Somn. II, ib, 2 seine Ver- 
theidigung der platonischen Ansicht über die Seele mit den Worten eröffnet: 
nequs vero tam immemor mei aut ita male animalus sum, ut ex ingenio meo vol 


716  Bodthius 


Dagegen steht an der Grenzscheide des fünften und sechsten Jahr- 
hunderts ein Mann, der zwar an eigener wissenschafilicher Be- 
deutung, trotz seines dauernden Einflusses auf die Folgezeit, mit 
den philosophischen Grössen früherer Jahrhunderle sich gleich- 
falls nicht messen kann, der aber immerhin einen denkwürdigen 
Beweis für die Macht liefert, welche die griechisch-römische Phi- 
losophie selbst in dieser letzten Zeit über edlere Geister noch 
ausübte. Boethius 17) bekannte sich zwar ohne Zweifel zur christ- 
lichen Religion *); aber seiner Denkweise nach gehört er so ganz 


Aristoteli resistam vel adsim Platoni: er wolle nur sammeln, was die grossen 
Philosophen der platonischen Schule hierüber gesagt haben, adjecto, si qusd post 
illos aut sentire fas erat, aut audere in intellectum licebat. Dass er überhaupt 
niobt mehr gethan hat, zeigt der Augenschein, wenn er auch immerbin zu 
den verständigen Compilatoren gehört. Von Chalcidius hat Martım 8, 18 fl. 
seiner Ausgabe von Theo’s Astronomie (s. 1. Abth. 8. 718) nachgewiesen, 
dass er seine Ausflihrungen grossentheils aus dieser Schrift entnommen hat. 

1) Ueber Bodthius, seine Werke und seine Philosophie vgl. m. die gründ- 
lichen Untersuchungen von Friene. ΝΊΤΣΒΟΗ: Das System des Boäthius und 
die ihm zugeschriebenen theologischen Schriften (1860), der auch über die 
weitere Literatur Auskunft giebt. — Anicius Manlius Severinus 
Bodtbius, um 480 zu Rom geboren, ist die letzte glänzende Gestalt aus der 
Mitte des römischen Adels, unter dessen Mitgliedern er nicht blos dureh 
seine Abstammung und seine Verheirathung mit der Tochter des jüngeren 
Symmachus, sondern auch durch seine Gesinnung und Bildung hervor- 
ragte. Von Theodorich ἃ, Gr. geschätzt und in den Staatsdienst gezogen, ge 
langte er rasch zu einer höchst angesehenen Stellung, bekleidete 610 das 
Consulat, und sah seine beiden Söhne gleichzeitig mit der consularischen 
Würde geschmückt (Cons. II, pr. 3). Als gegen das Ende von Theodorich's 
Regierung zwischen diesem und dem byzantinischen Hofe eine gefahrdrohende 
Spannung eintrat, wurde von den Feinden des Boöthius gegen ihn, wie es 
scheint, die Anschuldigung eines landesverrätherischen Einverständnisses mit 
der griechischen Regierung erhoben, und es gelang ihnen, den misstrauisch 
gewordenen alternden Herrscher so gegen ihn einzunehmen, dass er auf des 
sen Befehl, nach längerer Haft, im Jahr 525 oder 524 hingerichtet wurde, 
Ueber seine Schuld sind die Ansichten immer noch getheilt; mir scheinen die 
Gründe, auf welche sich Nırzsca 8. 10 £. stützt, zu beweisen, dass ein recht- 
lich strafbares Vergehen des Boöthins nicht vorlag; möglich allerdings, dass 
er eine Befreiung von der gothischen Fremdherrschaft wünschte, und sie un- 
ter Umständen auch unterstützt haben würde. 

2) Einen eigentlichen Beweis dafür hat man allerdings nicht, nachdem 
die Kritik, wie diess nach Nırzech keines weiteren Beweises bedarf, nicht 
allein die mittelalterliche Legende vom Märtyrertham des Boäthius, sondern 


Wissenschaftlicher Charakter. Logik. 77 


der antiken Bildungsform an, dass er selbst in der letzteh und 
schwersten Zeit seines Lebens nur die Philosophie als Trösterin 
bei sich erscheinen lässt, nur auf die alten Klassiker, nicht auf 
die Aussprüche der ἢ. Schrift sich beruft '), nur philosophische 
Wahrheiten, nicht christliche Glaubenssätze sich vorbält, und den 
Namen Christi in allen seinen Schriften auch nicht ein einzigesmal 
nennt, nicht durch die leiseste Andeutung auf die christliche Kirche 
oder ihre Dogmatik, oder auf die biblische Geschichte hinweist ?). 
Als Schriftsteller ist er nicht Christ, sondern nur Philosoph. 

Die Philosophie, der Boöthius huldigt, und die ihm mit Aus- 
schluss aller abweichenden Systeme °) allein für die wahre Philo- 
sophie gilt, ist die platonisch-aristotelische 4). Aristoteles hat 
die Regeln des wissenschaftlichen Verfahrens für alle Zeiten fest- 
gestellt; der Erklärung seiner logischen Schriften widmete Bo&- 
thius einen grossen Theil seiner eigenen schriftstellerischen Ar- 
beit 5); und wenn er hiebei allerdings im wesentlichen nur die 


auch die Aschtheit seiner theologischen Schriften beseitigt hat; da aber die 
Familie der Anicier, ebenso Symmachus, der Schwiegervater des Boöthius, 
Ennodius, Cassiodorus und andere Freunde desselben, der christlichen Kirche 
angehörten, und da Theodorich, welcher den heidnischen Kultus bei Todes- 
strafe verbot, einem Heiden wohl schwerlich die höchsten Btaatsämter über- 
tragen hätte, ist Boöthius immerhin für einen Christen zu halten. Vgl. Nırzsch 
8. 81 8. 

1) Denn dass er Consol. III, pr. 12 (8. 247 Cally) Gott mit Worten aus 
Sap. Sal. 8, 1 das höchste Gut nennt, quod regit cuncta fortiter suaviterque dis- 
ponit, kann nicht in Betracht kommen. 

2) Dass seine Ansichten keine bestimmte Spur der christlichen Lehre 
enthalten, zeigt Nırzscn 8. 42 ff., welcher dieselben zunächst aus diesem 
Gesichtspunkt bespricht. 

8) 80 namentlich des stoischen und epikureischen; vgl. Consol. I, pr. 8, 
8. 83, wo die Philosophie klagt, dass das Epicureum vulgus ac Stoicum nebst 
andern die Erhschaft Plato’s an sich zu reissen und sich ihrer selbst trotz ihres 
Sträubens, zu bemächtigen versucht habe. Gegen den stoischen Sensualismus 
richtet sich Cons. V, metr. 4. | 

4) Vgl. Cons. I, pr. I, 8. 14: Hunc vero eleaticis atque academicis studiie 
innwrstum, wo die eleatica situdia die dialektischen Studien bezeichnen. Dass 
er jedoch diese Studien nicht in Athen gemacht bat, wie man früher annahm, 
zeigt Nirzacn 8. 7, 6. 

δ) Es sind von ihm die folgenden logischen Schriften erhalten: 1) ein 
Commentar zu Victorinus’ Uebersetzung von Porphyr’s Einleitung; 2) ein 
zweiter zu derselben Schrift nach seiner eigenen Uebersetzung; 3) eine Er- 


N 


8 ᾿ Bo&thius. 


Schulüberlieferung der späteren Jahrhunderte sammelt und fort- 
pflanzt, und sie höchstens an dem einen oder dem anderen Punkte 
mit weiteren Ausführungen vermehrt ἢ), so sind doch seine weit- 
läufigen, auf einer in jener Zeit seltenen Benützung griechischer 
Vorgänger ruhenden Arbeiten mehr als ein halbes Jahrtausend 
lang die Hauptquelle für die Kenntniss der aristotelischen Logik 
im Abendlande gewesen ?), dem er auch durch seine Schriften 
über Mathematik und Musik °) einen nicht zu unterschätzendea 
Dienst geleistet hat. Noch grösser ist aber die Bedeutung Plato's 
für unsern Philosophen. Wenn er in der Dialektik Aristoteles 
als seinen Lehrmeister verehrt *), so hält er sich in dem male- 


klärung der Kategorieen; 4) unä 5) eine solohe des Buchs De wilerpreiatiome 
in zwei Bearbeitungen; 6) und 7) Uebersetzungen der beiden Analytiken; 
8) — 10) zwei Schriften über die kategorischen, eine über die hypothetischen 
Schlüsse; 11) De divisione; 12) De definitione; 13) und 14) Uebersetzungen 
der aristotelischen Topik und der Schrift von den Trugschlüssen; 15) ein 
Commentar zu Cicero's Topik; 16) De diferentis topieis. Ein Commentar zur 
aristotelischen Topik, eine Schrift De ordine peripateticae disciplinae und 
vielleicht auch noch anderes ist verloren (NrrascH 8. 20 f. Prantı Gesch. ἄ. 
Log. I, 680), der Plan, sämmtliche aristotelische Schriften zu übersetzen und 
su erläutern (De interpret. ed. IL 8. 818, m.), nicht ausgeführt worden. Auch 
einige weitere logische Schriften, die B. beabsichtigte (vgl. Paautı 8.680,73), 
scheinen ungeschrieben geblieben zu sein. 

1) So hat er namentlich die Lehre von den hypothetischen Schlüssen, für 
welche ihm nach seiner eigenen Angabe De syll. hypoth. 8. 606, m. keine so 
vo'lständigen Vorarbeiten vorlagen, wie für andere Theile der Logik, sebr 
sorgfältig, aber freilich auch sehr formalistisch,; behandelt. 

2) Das nühere über Boöthius’ Logik möge in PrantL's gründlich ein- 
gehender Darstellung a. a. O. S. 679— 722 gesucht werden. 

8) Erhalten sind seine Werke über Arithmetik, Musik und Geometrie; 
verloren die von Cassıopor. var. ep. I, 45 erwähnten Uebersetzungen von 
Schriften des Ptolemäus, Archimedes, Nikomachus, und des angeblichen 
Pythagoras. . 

4) Ihm und seiner Schule folgt er auch in der Eintheilung der Philosophie 
in die theoretische und praktische, und der letzteren in Ethik, Oekonomik 
und Politik; weniger unbedingt in der Eintheilung der theoretischen Philo- 
sophie in die Lehre vom sntellectibile, oder die Theologie, die Lehre vom 
intelligibile, ἃ. h. den geistigen Wesen, welche unter der Gottheit stehen, bis 
sur menschlichen Scele herab, und die Lehre von den nafuralia, oder die 
Physik (ad Porph. a Viet. transl. 8. 2,m. f. vgl. De consöl. I, pr. 1,8. 11). 


Die Gottheit. “9 


riellen seiner philosophischen Ueberzeugung durchaus an Pfäto '), 
von dem er voraussetzt, dass Aristoteles in allem wesentlichen mit 
ihm übereinstimme 2); nur lässt er sich Plato von den Neuplato- 
nikern erklären, und aus der platonischen Lehre selbst greift er, 
nach Cicero’s Vorgang, hauptsächlich das heraus, was mit dem 
sittlichen und religiösen Leben in näherer Beziehung steht; und da 
nun hierin auch der Stoicismus dem Platonismus verwandt ist, ge- 
stattet er schliesslich, wie die meisten von den späteren Platoni- 
kern, auch diesem System grösseren Einfluss, als er sich vielleicht 
selbst gestand 5). Den Ausgangspunkt seiner Weltansicht bildet 
die Idee der Gottheit. Er schildert Gott als den Schöpfer der Welt *) 
und den Urheber ihrer unwandelbaren Gesetze; er erkennt seine 
Hand in der Unveränderlichkeit des Naturlaufs, in der Bewegung 
des Himmels und seiner Gestirne, in der Einstimmigkeit, mit der 
alle Theile der Welt sich zu Einem Ganzen zusammenfinden 5); 
er preist seine Allwissenheit, die mit Einem Blick alles umfasst, 
was ist, war und sein wird 5); als die reinste Bezeichnung seines 
Wesens betrachtet er aber den Begriff des Guten oder des höch- 
sten Gutes 7), und er zeigt, dass von dem Guten auch das Eine 


1) Nach der Stelle De interpr. ed. II, 818 m. hatte er den Plan, auch alle 
platonischen Gespräche zu tibersetzen, oder auch zu commentiren; CAssıoDoR 
a. a. Ο. bezeugt, dass er einzelne derselben wirklich übersetzt habe. 

2) De interpr. a. a. O., wo er die Absicht ausspricht, diese Ueberein- 
stimmung der beiden Philosophen seiner Zeit in einer eigenen Schrift nachzu- 
weisen. 

8) Die Quelle für das folgende sind die fünf Bücher De consolatione 
philosophiae, welche Boöth. im Kerker verfasst hat. 

4) Dabei erinnert aber der Ausdruck III, metr. 9, 4: fingere materiae 
Auitantis opus durchaus an den Timäus, nicht an die Schöpfung aus nichts; 
auch V, pr. 1, 8. 813 wird der Satz, dass nichts aus nichts werde, ausdrück- 
lich nicht blos in Betreff der wirkenden Ursache, sondern auch des materiale 
subjectum, als richtig anerkannt; vgl. De arithm. I, 2. Ganz bestimmt be- 
hauptet Boöth. V, pr. 6, 8. 849 die Anfangs- und Endlosigkeit der Welt, 

5) Consol. I, metr. 5. m. 6, 16. II, m. 8. III, m. 2.9. IV, m. 6. III, pr. 12, 
Β. 246. Hiebei wird III, metr. 9, 10 ὦ namentlich auch das Gleiobgewicht der 
Elemente, des Warmen, Kalten, Trockenen und Feuchten (nach Aristoteles ; 
s. Bd. II, b, 839, 4) betont, 

6) Ebd. V, m. 2. 

7) Ebd. III, Pr 10. 


0.  Bosthius. 


nicht verschieden sei 7), dass Goit als das höchste Gut von allen, 
nur meistens unbewusst und auf falschem Wege, gesucht, alles 
durch einen natürlichen Zug zu ihm hingeführt werde 5), weil 
:ihn zu schauen die höchste Seligkeit sei °), dass er mithin eben 
durch seine Güte die Welt regiere *), wie er sie aus Güte ge- 
schaffen habe °), und dass er so, unbewegt und in sich verhar- 
rend, das Weltganze bewege °). Von Gott stammen alle Dinge ἢ), 
am unmittelbarsten jedoch die geistigen Wesen: er giesst die Seele 
der Welt durch ihren Leib aus 8), er bringt auch die Einzelseelen 
hervor 5). die menschlichen, wie die übermenschlichen. Was 
die letzteren und ilfre verschiedenen Klassen betrifft, so theilt 
Boethius hierüber die allgemeinen Vorstellungen seiner Zeit Ὁ). 


1) Α. ἃ. O. pr. 11. 

2) III, pr. 2. 8. pr. 12, 8. 247 f. ebd. pr. 11, 9, 289, wo ausgeführt wird, 
dass der natürliche Selbsterhaltungs!rieb aller Wesen nichts anderes sei, als 
das Streben nach Einheit (unum esse desiderare); wenn aber alles nach dem 
Einen strebe (unum desiderant), strebe auch alles nach dem Guten. 

8) III, metr. 9, 22 ff. 

4) IH, pr. 12, wo unter anderem: per bonum igilur cuncta disponis: siqc- 
dem per se regit omnia, quem bonum esse concessimus; ei hic est velufi quidam 
elavus atque gubernaculum, quo mundana machina stabilis atque incorrupla 
servatur. Ebd. g. E.: Deum quoque bonitatis gubernaculis universitatem regere 
disputabas. 

δ) III, metr. 9, 4 ff. nach Plato. 

6) III, pr. 12, Schl. 

7) III, metr. 6, 8: unus enim rerum pater est, unus cuncta minisiral. 

8) ILI, metr. 9, 18: tu triplicis mediam naturae cuncta moventem connectens 
animam per consona membra resolvis. Die triplex natura ist die göttliche, 
scelischo und leibliche; auf sie beziehen sich die drei Theile der theoretischen 
Philosophie (a. ο. 778, 4). 

9) Wie diess a.a.O. V. 18 f. nach Pı.aro Tim. 42, Ὁ ausgeführt wird; 
vgl. III, metr. 6, 9: hic clausit membris animos celsa sede petitos, auch I, pr. 5, 
8. 72. 

10) In Porph. a Vict. transl. 8.2 u. unterscheidet er zunächst drei Klassen, 
wenn er sagt: der zweite Theil der theoretischen Philosophie ea comprehendit, 
quae sumt omnium coelestium supernae divinilats operum caussae (die Stern- 
geister), ei quiequid sub lunari globo beatiore animo alque puriore substantia 
valei (die Dämonen), postremo humanarum animarum conditionem alque stalum. 
De cone. III, metr. 9, 18 spricht er davon, dass die Seelen in den Himmel und 
auf die Erde gesät werden; Consol. V, pr. 2, 8. 820 von dem vollkommenen 

Denken und Wollen der supernae divinaeqgue substantiae; ebd. IV, pr. 6, 8.295 
nennt er als Workzeuge der Vorschung: göttliche Geister, die (Welt-) Seele, die 


Die Vorsehung. si 


Der menschlichen Seele legt er mit den Neuplatonikern eine dop- 
ppelte Leiblichkeit bei 1). Von ihrer Unsterblichkeit ist er ebenso, 
wie von ihrer Präexistenz 3), mit Plato überzeugt °). Doch macht 
er von derselben für die Theodicee, in welcher der Hauptzweck 
seiner philosophischen Trostschrift liegt, keinen so umfassenden 
Gebrauch, als man vielleicht erwarten möchte; er zeigt sich viel- 
mehr auch darin als ächten Platoniker, und zugleich mit dem 
Geiste der Stoa gesättigt, dass er sich über die Ungleichheit der 
menschlichen Schicksale weniger durch die Aussicht auf eine jen- 
seitige Ausgleichung, als durch die sittliche Erhebung über das 
äussere beruhigt. Dass alles in der Welt ohne Ausnahme von 
der göttlichen Vorsehung auf’s beste gelenkt werde, und dass 
weder das Verhängniss noch das menschliche Wollen hieran etwas 
ändere, steht ihm unbedingt fest. Die Vorsehung, sagt er, ist 
nichts anderes, als die Weltordnung, sofern sie auf ihren Urquell 
zurückgeführt, in der reinen Gestalt, welche sie im göttlichen 
Geiste hat, betrachtet wird, sie ist von der Vernunft Gottes, die 
alles bestimmt, nicht verschieden. Die gleiche Ordnung nennen 
wir das Verhängniss, sofern wir die Einzelursachen in’s Auge 
fassen, durch deren Verkettung sie sich vollzieht: dasselbe, was 
in seiner Einheit Vorsehung heisst, heisst in seiner Entfaltung 
Verhängniss. Das Verhängniss kann daher der Vorsehung nie 
widersprechen, sondern nur ihre Anordnungen vollziehen; je mehr 
man aber zu dem ewigen und göttlichen aufsteigt, um so voll- 
ständiger erhebt man sich auch über das Verhängniss ἢ). Ebenso- 


Natur, die Gestirne, die angelica virtus und daemonum varia solertia. Ebd. I, 
pr. 4, g. E. (8.58) sagt er, wie es scheint mit Bezug auf den ihm gemachten 
Vorwurf der Zauberei: er habe nicht nöthig, vilissimorum spirituum praesidia 
captare, wobei wir aber doch nicht an die christlichen Teufel, sondern nur 
an die hylischen Dämonen der Neuplatoniker zu denken haben werden. 

1) V, pr. 2, 8.320: die menschlichen Seelen seien freier, cum se in mentis 
divinae speculatione conservant (in ihrem vorweltlichen Dasein), minus vero 
cum dilabuntur ad corpora, minusque etiam, cum terrenis artubus colligantur. 

2) Δ. ἃ. O., s. vor. Anm. 

8) II, pr. 4, Schl. pr. 7, Schl. IIT, metr. 9,20. Der Strafen nach dem Tode 
erwähnt Boöth. IV, pr.4, 8.281, indem er (mit Plato s. Bd. II, a, 528, 8) solche 
unterscheidet, welche poenali acerbitate, und solche, welche purgatoria clemen- 
ia vollstreckt werden. 

4) IV, pr.6, 8.293 ὦ, wo u.a.: Der ganze Weltlauf erhalte seine Ordnung 


782 | Bodthius 


wenig ist die Vorsehung durch die Willensfreiheit des Mensches 
beschränkt; so entschieden vielmehr Boethius, auch hierin Pis- 
toniker, diese vertheidigt 1), so viel liegt ihm auch daran, ihre 
Vereinbarkeit mit der Vorsehung und dem Vorherwissen Gettes 
nachzuweisen; was ihm aber freilich nicht besser, als der MeAr- 
zahl seiner Vorgänger und Nachfolger, gelungen ist 3). Wen 
wir nichtsdestoweniger so oft die Erfahrung machen, dass die 
Guten von Uebeln, Verfolgungen und Misshandlungen jeder Art 
betroffen werden, die Schlechten unverdientes Glück haben, » 
ist diess, wie Bo£thius glaubt, in Wahrheit nur ein täuschender 
Schein. Er verlangt von uns, dass wir uns über das äussere 
erheben, und unbekümmert um alles, was uns widerfährt, heiteren 
Geistes den rechten Weg gehen; dass wir kein äusseres Gut für 
etwas halten, worauf wir ein Recht haben, oder was zu unserer 
Glückseligkeit etwas beitrage, also überhaupt für kein Gut, am 
allerwenigsten für das höchste Gut ®); und nachdem er so den 
Grundirrihum beseitigt hat, der alle Klagen über die Vorsehung 
hervorruft, zeigt er: die Tugend sei nie ohne ihre Belohnung, 
das Böse nie ohne seine Strafe, weil eben jene mit der Glück- 
seligkeit, diese mit der Unseligkeit zusammenfalle, jene Macht 


‘vom’ göttlichen Geiste. Qui modus cum in ipsa divinae intelligentiae puriteis 
conspicitur, providentia nominalur: cum vero ad ea, quae movet atque disporit, 
refertur, fatum a veteribus appellatum est. ... ul haec temporalis ordinis erpl- 
catio, in divinae mentis adunata prospectu, providentia sit: eadem vero adunatio 
digesta atque explicata temporibus fatum vocetur. Man vgl. hiezu, was 8. 635 ἢ 
aus Jamblich, 8. 734 aus Proklus angeführt ist. 

1) V, pr. 2. 

2) Nachdem er nämlich V, pr.3 die Schwierigkeiten der Frage, vielleicht 
nach stoischen Quellen, scharf auseinandergesetzt hat, führt sein Versuch, 
dieselben zu lösen (pr. 4--- 6), doch nicht über den Satz hinaus, dass Gott 
vermöge der Nothwendigkeit seiner Natur auch von dem zufälligen ein noth- 
wendiges Wissen habe, und vermöge ihrer Zeitlosigkeit die Dinge nicht vor- 
hersehe, sondern als gegenwärtig anschaue; 80 wenig nun eine freie Hand- 
lang dadurch zu ejner nothwendigen werde, dass sie ein Mensch sicht, 
ebensowenig werde sie es dadurch, dass sie Gott in seiner Art sieht. Aohn- 
liches ist ung 8. 719 hei Proklus vorgekommen, an welchen Nırzsca 8. 75 £. 
mit Recht erinnert. 

8) I, metr. 4. II,pr.2. pr. 4,8.125. pr.5 (wo 8.137 ein ähnliches Argument 
gegen den Werth des Reichthums gebraucht wird, wie das 1. Abth. 199, 4, 
Nr. 4 aus Posidonius angeführte), pr. 6. III, pr. 8—9, wo diess in stoischem 
Geiste im einzelnen nachgewiesen wird,